Aber etwas ist anders, etwas, das ihre Priestcrinnen im Wind hören, in ihrer Seele spüren – und das ein paar wenige Aus...
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Aber etwas ist anders, etwas, das ihre Priestcrinnen im Wind hören, in ihrer Seele spüren – und das ein paar wenige Auser wählte unter ihnen mit eigenen Augen sehen können. Der Abgrund der Dämonennetze, der aus dem Abyss gelöst wurde, um selbst zur Infernalischen Ebene zu werden, ist gefährlicher und schrecklicher, als es sich irgend jemand hätte träumen las sen. Noch entsteht die zerklüftete Landschaft von Lolths per sönlicher Hölle zwar erst, doch schon jetzt ist sie voller wilder Spinnen, die nichts anderes im Sinn haben, als einander in Stücke zu reißen – zu töten, zu fressen und wieder zu töten. Quenthel Baenre durchquert diesen spinnenverseuchten Kriegsschauplatz in der Hoffnung, auf den Ruf ihrer wiederge borenen Göttin antworten zu können, während die arg gebeu telten Überreste ihrer Expedition gegen sie intrigieren. Kann sie sich, selbst wenn sie es schafft, an Lolths Seite zu gelangen, überhaupt vorstellen, welche Pläne die Königin des Abgrunds der Dämonennetze die ganze Zeit über mit ihr hatte?
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Vergessene Reiche R.A. Salvatores
DER KRIEG DER SPINNENKÖNIGIN BAND 6
Auferstehung
PAUL S. KEMP
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Autor: Deutsch von: Lektorat: Korrektorat: Art Director, Satz und Layout: Umschlagillustration:
Paul S. Kemp Daniel Schumacher/Ralph Sander Oliver Hoffmann Thomas Russow/Lars Schiele Oliver Graute Brom
ISBN 978-3-937255-55-2 Originaltitel: Resurrection
© der deutschen Ausgabe Feder&Schwert, Mannheim, 2005.
2. Auflage 2007.
Gedruckt in Deutschland, C.H.Beck, Nördlingen
Auferstehung ist ein Produkt von Feder&Schwert.
© 2005 Wizards of the Coast, Inc. All rights reserved.
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Für Jen, Roarke und Riordan
Danksagung
Zahllose Kollegen und Freunde verdienen meinen Dank, vor
allem aber Philip Athans. Danke, Freund.
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Acht Beine. Acht. Klappernd über die Steine, klickernd, klickernd, tappend, unge duldig tappend. Ihre Schlacht war vorbei, das Fressen, das Verschlingen der Ge schwister, das Stärkerwerden mit jedem saftigen Bissen. Gebläht und erschöpft standen sie um den achtseitigen Stein, Myriaden von Augen starrten in Myriaden von Augen, acht Beine, acht, tappend und klappernd. Sie konnten nichts mehr fressen; sie konnten nicht mehr kämp fen. Erschöpfung lähmte sie, wie Lolth es von Anfang an gewollt hatte. Die tausende wurden acht – die acht stärksten, gerissensten, tückischsten, skrupellosesten. Eine würde mit der Yor’thae ver schmelzen. Eine würde den Mantel einer Göttin tragen, der Gott heit des Chaos. Nur eine, der die anderen dienen würden ... wenn die Eine ih nen diese Wahl, diese Chance ließ. Wenn nicht, dann würden sie wie die Tausende ihrer toten Geschwister verschlungen werden. Die Spinnen wußten, daß sie keinen Einfluß auf diese Entschei dung mehr hatten. Der Wettstreit war lange vorbei, der Kampf entschieden, und nur sie, die das Chaos war, würde die letzte Ent scheidung treffen. Die Spinnen gaben sich keiner falschen Hybris hin. Sie machten sich nicht vor, das Geschehene ungeschehen ma chen zu können. Der Brutkrieg war vorbei. Acht Beine, ängstlich auf dem Stein tipptappend. Die Drow jenseits des Kokons des Allerheiligsten waren nicht so fatalistisch. Sie waren stolz, stellten sich selbst über Lolth, hielten sich für würdig oder gar mehr. Sie wagten anzunehmen, sie ver stünden Lolth, verstünden die Entscheidung, die ihnen allen bevor
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stand, und sie wagten zu planen und sich zu verschwören, um ihren Rivalen den ihnen zustehenden Platz vorzuenthalten. Narren waren sie, und die Spinnen wußten es. Sinnlosigkeit lag in jedem ihrer Schritte, ihr Schicksal war schon lange besiegelt. Das Drehbuch hatte die Herrin des Chaos geschrieben, und das war das verblüffendste und peinigendste daran. Denn kein Weg, den Lolth gebahnt hatte, war gerade oder führte zum erwarteten Ziel. Das war das schöne daran. Die Spinnen wußten es. Die Zeit nahte. Die Spinnen wußten es. Acht Beine acht, klappernd über die Steine, klickernd, klickemd, tappend, tappend, Geduld am Ende, zerdehnt, zerrissen. Acht Beine, acht.
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Inthracis saß auf seinem Lieblingsplatz, dem Thron mit der hohen Rückenlehne, der aus Knochen geschaffen worden war, die ein Mörtel aus Blut und zermalmter Haut zusammenhielt. Bücher und Schriftrollen, die Werkzeuge seiner Forschung, lagen auf dem ausladenden Basalttisch vor ihm. Zu allen Sei ten ragten die Wände der Bibliothek drei Stockwerke hoch auf. Die Bibliothek war Bestandteil seiner Festung Leichenstatt. Augen sahen Inthracis aus den Wänden heraus an, die wie die Böden und Decken alle aus dem gleichen Stoff bestanden. Die aufgetürmten Überreste Tausender und Abertausender halbintelligenter, magisch konservierter Leichname, die die Friedhöfe von über hundert Städten hätten füllen können, bildeten die Ziegelsteine der Festung. Er selbst sah sich als Kunsthandwerker, als Fleischmetz, der die ächzenden und
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stöhnenden Gestalten in jede verdrehte Form brachte, die er gerade benötigte. Bei der Auswahl seiner Baustoffe war Inthra cis nicht anspruchsvoll, da er jede Art von Körper nahm und in die erforderliche Form brachte: Sterbliche, Dämonen, Teu fel und selbst andere Yugoloths waren Teil der Mauern von Leichenstatt geworden. Inthracis war ein gerecht handelnder Mörder, der bei seinen Opfern keinen Unterschied machte. Jedes Wesen, das ihm bei seinem Aufstieg in der UltrolothenHierarchie der Blutkluft im Weg stand, wurde zu einem Teil der Mauern, zerfallend und dem Tod nahe, aber empfindungs fähig genug, um Schmerz zu spüren, lebendig genug, um zu leiden und zu stöhnen. Er lächelte. Von seinen Toten und seinen Büchern umge ben zu sein wirkte immer beruhigend auf seinen Geist. Die Bibliothek war seine Zuflucht, wenn er Ruhe suchte. Der Ge stank verwesenden Fleischs und das würzige Aroma des Kon servierungsmittels, das die Pergamente schützte, sorgten dafür, daß seine Nebenhöhlen ebenso befreit wurden wie sein Verstand. Das war gut so, weil er einen klaren Verstand brauchte, da seine bisherigen Nachforschungen lediglich winzige Hinweise ergeben hatten, die aber auf eine quälende Weise viel mehr versprachen. Er wußte nur, daß es Unruhen auf den Infernalischen Ebe nen gab und Lolth in deren Mittelpunkt stand. Wie er aus dem Chaos Kapital schlagen konnte, wußte er nicht. Mit einer fleckigen, langgliedrigen Hand strich er über die glatte Haut seines Schädels und fragte sich, wie er die Ereignis se zu seinem Vorteil nutzen konnte. Lange hatte er daraufge wartet, gegen Kexxon, den Oinolothen, vorzugehen, den Erz general der Blutkluft. Vielleicht war nun die Zeit zum Handeln gekommen.
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Er sah in die blutunterlaufenen, schmerzerfüllten Augen der Wände ringsum, doch keiner der Leichname antwortete ihm. Ihm begegneten nur lippenlose Grimassen, leises Stöhnen und gequälte, starre Blicke. Ihr Leid wirkte belebend auf Inthracis. Rings um Leichenstatt war der leidvolle Schrei der heißen Winde der Blutkluft zu hören, der sogar die Wände aus gepreß tem Fleisch und die Fenster aus Glasstahl durchdrang – ein schriller, ansteigender Klagelaut, wie ihn das gute Dutzend Sterblicher von sich gegeben hatte, denen Inthracis persönlich die Haut abgezogen hatte. Als das Geräusch verklang, legte er den Kopf schräg und wartete. Er wußte, ein Ebenenbeben würde folgen, so wie bei einem Ätherzyklon der Donner dem Blitz. Jetzt. Ein leichtes Grollen setzte ein, das zunächst nur ihn schwanken ließ, doch es steigerte sich zu einem Crescendo, das die gesamte Festung erbeben ließ, einem Ausbruch, durch den Hautpartikel und vertrocknete Haare wie Vulkanasche von der Decke der Bibliothek auf ihn niederregneten. Inthracis vermutete, daß die gesamte Blutkluft, vielleicht sogar die kom pletten Infernalischen Ebenen von diesem Beben erfaßt wur den. Lolth hatte den Abgrund der Dämonennetze aus dem Abyss gerissen, das war ihm bekannt, so daß sich nun rohe, sinnlose Energie – greifbares Chaos – in die Infernalischen Ebenen ergoß und den Kosmos erzittern ließ. Inthracis wußte, daß das Multiversum kreißte und die kos mische Geburt die Ebenen in Unordnung brachte. Die Reali tät war neu geordnet worden, ganze Ebenen hatten ihre Positi on verändert, und die Blutkluft, Inthracis’ Heimatebene, litt unter dem nachfolgenden Ansturm ungebändigter Energien. Seit Lolth mit ihren ... Aktivitäten begonnen hatte, war die karge, gebirgige Ebene heimgesucht worden von einer Fülle
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von Vulkanausbrüchen, Aschestürmen und Erdrutschen, deren Felsmassen auf der materiellen Ebene ganze Kontinente hätten begraben können. Immer wieder bildeten sich Risse in der felsigen Landschaft, die Erdmassen verschluckten. Der bro delnde Blutfluß, jene breite Arterie, die diese Ebene ernährte, kochte in seinem Bett. Angesichts dieser Geschehnisse war Inthracis wiederholt gezwungen gewesen, den Schutz zu verstärken, der Leichen statt vor derartigen Gefahren bewahrte. Leichenstatt lag auf einem ebenen Vorsprung, der aus dem ansonsten gefährlich steilen Hang herausragte, der seinerseits einen Teil Calaas’ bildete, des größten Vulkans der Blutkluft. Kein Erdrutsch, kein unerwarteter Vulkanausbruch sollten Inthracis’ Lebens werk talwärts stürzen lassen. Der Wind nahm wieder an Heftigkeit zu, ein leises Wehkla gen steigerte sich zu einem schier unerträglichen Heulen, ehe wieder Ruhe einkehrte. In dieser kurzen Ruhe konnte Inthra cis ein verschwörerisch geflüstertes Wort nicht nur verneh men, sondern auch fühlen. Es war das Wort, das er seit Tagen immer wieder hörte. Yor’thae. Jedesmal, wenn der Wind sein Geheimnis flüsterte, stöhn ten die Leichen in den Wänden durch verrottete Lippen hin durch auf, und verweste Arme lösten sich aus der Wand, um sich zu winden und zu versuchen, mit knochigen Fingern zer fallene Ohren zuzuhalten. Immer, wenn das unheilige Wort fiel, wand sich ganz Leichenstatt wie ein Schwarm aus abyssi schen Ameisen. Natürlich kannte Inthracis das Wort. Er war ein Ultroloth, einer der mächtigsten der Blutkluft, und beherrschte über einhundertzwanzig Sprachen, darunter das Hoch-Drow Faerûns. Die Yor’thae war Lolths Auserwählte, und die Spinnenkönigin
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rief ihre Auserwählte zu sich. Inthracis war außer sich vor Wut, daß er nicht hatte herausfinden können, warum. Ihm war bewußt, daß Lolth wie die Infernalischen Ebenen eine Veränderung durchmachte, und es war sogar möglich, daß dieser Prozeß sie auslöschte. Das Herbeirufen der Yor’thae wür de Ereignisse von großer Bedeutung nach sich ziehen. Das Wort war in den Ohren, auf der Zunge und im Verstand aller Mächtigen der Infernalischen Ebenen: Dämonenprinzen aus dem Abyss, Erzteufel der Neun Höllen, Ultrolothen der Blut kluft. Sie alle wappneten sich, um sich zum Vorteil zu machen, was immer als Ergebnis dabei herauskommen würde. Widerwillig mußte Inthracis die Verwegenheit des Spin nenmiststücks bewundern. Auch wenn er nicht in vollem Umfang erkennen konnte, welche Risiken sie eingegangen war, wußte er sehr wohl, daß Lolth sich in hohem Maß auf den Erfolg der Auserwählten verlassen hatte. Ein solch gewagtes Spiel hätte ihn nicht überraschen sollen. Tief drinnen war Lolth wie jeder andere Dämon auch – ein Geschöpf des Chaos. Sinnlose Risiken und sinnloses Morden lagen in ihrer Natur. Deshalb waren Dämonen auch Idioten, entschied Inthracis. Das galt auch für Dämonen-Göttinnen. Wer klug war, ging nur wohlkalkulierte Risiken ein, deren Lohn gleichermaßen wohlkalkuliert war. Das lag Inthracis im Blut, und bislang war er damit gut gefahren. Mit seinem mehrfach beringten Finger tippte er auf die po lierte Basalttischplatte, während er auf Inspiration wartete. Funken magischer Energie sprühten aus den Ringen. Die Tischbeine – menschliche Beine, die mit der Platte vereint worden waren – bewegten sich ein wenig, um sich an Inthra cis’ Position anzupassen, und ebenso verschoben sich auch die Knochen seines Thrones, damit er bequemer sitzen konnte.
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Er betrachtete das gesammelte Wissen seiner Bibliothek und wartete auf Inspiration. Verweste Arme und Hände ragten aus den Fleischwänden und bildeten Regale, die eine gewaltige Fülle an magischen Schriftrollen, Büchern und Zauberbüchern enthielten, in denen sich arkanes Wissen und Zauber eines ganzen Lebens fanden. Die Bücher strahlten mannigfaltige Farben von wechselnder Intensität aus, die die ihnen inne wohnende magische Macht und die Art der enthaltenen Ma gie symbolisierten. Doch wie die Toten in den Wänden boten ihm auch seine Bücher keine offensichtliche Antwort. Ein weiteres Beben ließ die Ebene erzittern, ein erneutes Wehklagen verkündete das Versprechen oder die Drohung von Lolths Yor’thae, und abermals ging ein gequältes Raunen durch die Toten Leichenstatts. Von seinen Gedanken abgebracht stand er auf und ging hinüber zum größten Fenster der Bibliothek, einer achteckigen Platte aus Glasstahl, die breiter war als Inthracis groß und die magisch mit den Knochen und dem Fleisch ringsum ver schmolzen worden war. Ein Geflecht aus fadendünnen, blau schwarzen Adern durchzog das Glas, ein Nebenprodukt der Verschmelzung. Die Adern sahen wie ein Spinnennetz aus, dachte Inthracis, was ihn fast zum Lächeln brachte. Das große Fenster bot einen wunderbaren Ausblick auf den von der Hitze versengten roten Himmel, ein Panorama, das auf der einen Seite Calaas und auf der anderen Seite die zerklüfte te Ebene der Blutkluft tief unter ihm zeigte. Er machte einen Schritt hin zum Fenster, um nach unten blicken zu können. Auch wenn er ein Plateau geschaffen hatte, das achthun dert Meter tief seitlich in Calaas hineinragte, stand Leichen statt am äußersten Rand dieser Hochebene. Diese bedenkliche Position hatte er bewußt gewählt, weil er so zum einen freie
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Sicht hatte und sie ihn zum anderen immer daran erinnerte, wie tief er fallen würde, sollte er je eine Dummheit begehen, faul oder schwach werden. Draußen peitschten die unablässigen Winde den schwarzen Ascheregen zu Wirbeln auf, die ihm die Sicht nahmen. Arte rien aus Lava, genährt vom ewigen Fluß der Vulkane auf dieser Erde, durchzogen das Flachland unter ihm. Fumarole durch setzten die schwarze Landschaft wie Pestbeulen und spieen Rauch und gelbliches Gas in den roten Himmel. Die sich win dende Ader der Blutkluft zog sich durch Schluchten und Fels spalten. Hier und da bewegten sich Schwärme von Larven – die Form, die sterbliche Seelen in der Blutkluft annahmen – durch die zerrissene Landschaft oder wanden sich an den Hängen Calaas’. Die Larven sahen aus wie blasse, aufgeblähte Würmer, die so lang waren wie Inthracis’ Arm. Aus ihren schleimüber zogenen Leibern ragten Köpfe hervor, die das einzige Über bleibsel der sterblichen Hülle aller toten Seelen waren. Deren Gesichter hatten einen schmerzverzerrten Ausdruck, was Inthracis besonders gefiel. Trotz des Aschesturms und der kochenden Landschaft durchstreiften Scharen hochgewachsener, insektoider Mezzo lothen und mehrere muskulöse, mit Schuppen besetzte und geflügelte Nycalothen – die alle auf die eine oder andere Weise den Ultrolothen dienten – die Landschaft. Mit langen, magi schen Spießen durchbohrten sie eine Larve nach der anderen und sammelten so Seelen ein, wie ein Speerfischer auf der materiellen Ebene Fische jagte. Die getroffenen Larven wan den sich auf den Spießen, da ihr Schmerz und ihre Verzweif lung unerträglich waren. Nach den Köpfen der Larven zu urteilen, die sich in der unmittelbaren Nähe bewegten, schien es sich bei den Seelen
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um solche von Menschen zu handeln, doch Rassen aller Art gelangten in die Blutkluft, allesamt dazu verdammt, in den Fegefeuern der Ebene zu dienen. Einige Seelen würden in nie dere Yugolothen verwandelt werden, um bei den Streitkräften Inthracis’ oder anderer Ultrolothen zu dienen. Andere dagegen waren dazu bestimmt, als Tauschware, als Nahrung oder als magischer Brennstoff für Experimente zu enden. Inthracis wandte sich von den Seelensammlern ab und sah nach links unten. Dort – fast völlig verborgen durch den Schleier aus Asche und Hitze – konnte er die Fahnen aus Haut ausmachen, die an der Spitze des Obsidianturms wehten, der Feste Bubonis’, die wie Leichenstatt auf einem Plateau am Hang Calaas’ stand. Bubonis stand in der Hierarchie der Blut kluft unmittelbar unter ihm und begehrte Inthracis’ Position genauso, wie der den Platz Kexxons gleich über ihm einneh men wollte. Auch Bubonis schmiedete sicher just in diesem Augenblick Pläne, wie er das Chaos nutzen konnte, um am Hang Calaas’ weiter aufzusteigen. Alle Ultrolothen der Elite der Blutkluft hatten ihr Heim am Calaas. Wie hoch die Festung eines Ultrolothen am Hang lag, war ein Zeichen dafür, wie hoch in der Hierarchie ihr Bewoh ner stand. Die Festung Kexxons des Oinolothen, die Stahlfes te, hatte die höchste Position inne, mitten in den roten und schwarzen Wolken am Rand von Calaas’ Krater. Leichenstatt befand sich nur gut dreißig Kilometer unterhalb der Stahlfeste, aber auch nur etwa vier Kilometer oberhalb von Bubonis’ Obsidianturm. Inthracis wußte, der Tag würde kommen, an dem Bubonis ihn fordern würde. Es würde der Tag sein, an dem er selbst Kexxon fordern würde. Zum hundertsten Mal in den letzten zwölf Stunden fragte er sich, ob der Zeitpunkt gekommen war. Ihn amüsierte die Vorstellung, Kexxons Leichnam in die un
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endliche Tiefe stürzen zu lassen. Die unendliche Tiefe reichte bis zum Mittelpunkt der Schöpfung, ihre Felswände waren so glatt, so ohne jede Vertiefung und ohne Vorsprung, daß alles, was hinunterfiel, bis in alle Ewigkeit fallen würde. Ohne Vorwarnung senkte sich Finsternis über die Biblio thek, die so absolut war, daß Inthracis’ Augen sie nicht durch dringen konnten, obwohl er in der Lage war, jedes Spektrum zu sehen. Es wurde still, das Heulen des Windes schien nur noch aus weiter Ferne zu kommen. Inthracis hörte, wie sich die Mauern in der Finsternis wanden. Sein Herz schlug plötzlich schneller. Ihm wurde klar, daß man ihn angriff. Aber wer? Etwa Bu bonis? Die Worte für eine Reihe von Abwehrzaubern bildeten sich in Inthracis’ Kopf, und er flüsterte in rascher Folge die Silben, während seine Finger eine Reihe komplizierter Muster in die Luft schrieben. Innerhalb von drei Atemzügen war er von Zaubern umgeben, die ihn vor geistigen, magischen und kör perlichen Angriffen schützen würden. Aus seinem Mantel zog er einen metallenen Stab, der auf Befehl Säure verspritzte. Dann schwebte er zur Decke hinauf und lauschte. Die Wände Leichenstatts hallten von feuchtem Geflüster wider. Verweste Hände streckten sich ihm von der Decke entgegen, um sein Gewand zu berühren, als könne sie das be ruhigen. Der Kontakt ließ ihn zusammenschrecken. Außer seinem Atem war nichts zu hören. Da fiel ihm ein, daß jemand oder etwas es geschafft haben könnte, die komplexen Schutzzauber Leichenstatts zu durch dringen, ohne einen Alarm auszulösen. Er kannte niemanden, der so etwas vermocht hätte, nicht einmal Kexxon. Sorge überkam ihn, und er umfaßte den Stab fester.
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In der Dunkelheit manifestierte sich plötzlich etwas von Substanz, eine fast greifbare Energie. Inthracis’ Gehör setzte aus, sein Kopf dröhnte, und selbst die Leichen in den Mauern stießen einen krächzenden Schrei aus. Die Dunkelheit schien an Substanz zu gewinnen, ihn zu streicheln. Ihre Berührung war sanfter als die einer der Lei chen, verführerischer auch, aber auch bedrohlicher. Etwas war in seiner Bibliothek. Unwillkürlich pochten die drei Herzen in seiner Brust wie rasend. Plötzlich kam er zu der Überzeugung, daß er sich die Fins ternis mit einer göttlichen Macht teilte. Nichts sonst hätte so mühelos in seine Festung vordringen können, und nichts sonst hätte ihm solche Angst bereiten können. Inthracis wußte, er hatte verloren. Ein Kampf war sinnlos, denn ein Gott oder vielleicht auch eine Göttin war zu ihm gekommen. Er ließ sich zu Boden sinken, und auch wenn es ihm nicht lag, sich zu erniedrigen, brachte er es doch zustande, sich im Dunkeln steif zu verbeugen. »Dein Respekt ist nicht überzeugend«, hörte er eine männ liche Stimme, die leise und mit öligem Tonfall in der Hochsprache der Drow redete. Beim Klang der Stimme ging ein erneutes Rascheln durch die Leichen, wieder kam ein Aufstöhnen über die toten Lip pen. »Ihr Respekt dagegen schon«, fuhr die Stimme fort. Inthracis erkannte den Sprecher nicht an der Stimme, doch in Anbetracht dessen, was der Wind draußen gesagt hatte, und unter Berücksichtigung der Sprache, die der Besucher benutz te, konnte Inthracis seine Identität ableiten. Seine nächsten Worte wählte er mit Bedacht. »Es ist schwer, den nötigen
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Respekt zu bezeugen, wenn man nicht weiß, mit wem man spricht.« »Du weißt, wer ich bin«, kam die amüsierte Reaktion. Daraufhin lichtete sich die Finsternis genug, damit Inthra cis’ Augen sie durchdringen konnten. Auch die Geräuschkulis se kehrte zurück und mit ihr das Heulen des Windes. Ein Drow mit Maske saß auf Inthracis’ Basalttisch und ließ die Beine über die Tischkante baumeln, die nicht ganz bis zum Boden reichten. Schatten verfinsterten zeitweise die ge schmeidige Gestalt des Drow, Teile seines Körpers wurden von der Schwärze verschluckt und wieder freigegeben. An seinem Gürtel hingen ein Dolch und ein Kurzschwert, unter dem Mantel mit dem hohen Kragen spähte eine Lederrüstung her vor. Langes, weißes, rotgesträhntes Haar umrahmte ein kanti ges, rachsüchtig dreinblickendes Gesicht. Die Lippen des Drow umspielte ein herablassendes Lächeln, das sich aber nicht in seinen Augen widerspiegelte, die trotz der schwarzen Maske zu sehen waren. Inthracis’ Augen registrierten die arkane Macht, die die Klingen des Drow, seine Rüstung und er selbst ausstrahlten. Er erkannte den Avatar, und er sah, es war so, wie er es erwartet hatte. »Vhaeraun«, sagte er und nahm ein wenig gereizt zur Kenntnis, daß es ihm nicht völlig gelang, den ehrfurchtsvollen Ton aus seiner Stimme zu halten. Er sah Vhaeraun an, den Maskierten Gott – Sohn und Feind von Lolth zugleich. Seine Herzen schlugen noch hefti ger, seine Knie wurden weich, auch wenn er es schaffte, sich nichts anmerken zu lassen. In den Schatten, die den Drow umgaben, bemerkte er, daß die Hand des Avatars am Gelenk abgetrennt worden war. Aus dem Stumpf troff Blut auf seinen Tisch.
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Inthracis machte sich nicht die Mühe, darüber nachzuden ken, was geschehen sein mußte, daß ein Gott so schwer ver wundet war, und es kümmerte ihn auch nicht, warum Vhae raun sich in Leichenstatt zeigen sollte. Er hatte kaum Kontakt mit Drow, weder mit lebenden noch mit toten, weder mit sterblichen noch mit göttlichen. Drow verschlug es üblicher weise nicht in die Blutkluft. Vhaeraun sprang vom Tisch und witterte, dann kniff er die dunklen Augen zusammen. »Selbst hier stinkt es nach Spin nen«, sagte der Gott. Inthracis erwiderte nichts. Solange er nicht wußte, was hier eigentlich los war, wagte er es nicht, etwas zu sagen. Ein Dut zend Möglichkeiten ging ihm durch den Kopf, aber keine da von war erstrebenswert. »Ich benötige einen Dienst«, erklärte Vhaeraun. Das Flüs tern nahm einen harten Tonfall an. Inthracis versteifte sich. Kein Gefallen, kein Anliegen, ei nen Dienst. Es war schlimmer als befürchtet. Mit seiner langen gespaltenen Zunge fuhr er sich über die Lippen, während er versuchte, eine entsprechend vage Erwiderung zu formulieren. Die Dunkelheit verschlang Vhaeraun, und einen Herzschlag später stand der Avatar hinter Inthracis, sein Atem fühlte sich am oberen linken Ohr des Ultrolothen heiß an. »Würdest du ihn mir verweigern?« fragte Vhaeraun, aus dessen sanften Worten eine unausgesprochene Drohung troff. »Nein, maskierter Fürst«, antwortete Inthracis, obwohl er es getan hätte, wenn er gekonnt hätte. Yugolothen waren zwar Söldner, aber auch für sie galten gewisse Grenzen, wenn es um die Auftraggeber ging. Inthracis verspürte kein Verlangen, in einen göttlichen Konflikt hineingezogen zu werden, den Vhae raun mit seiner Mutter austragen mochte. Einen Moment später stand Vhaeraun nicht mehr hinter
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Inthracis, sondern hielt sich in der Nähe eines der Regale auf. Die Leichname in der Wand wichen so weit zurück, wie es ihre Position zuließ. Tote Augen starrten entsetzt aus der Wand. Selbst die Toten, deren Arme und Hände die Regale bildeten, wollten sich zurückziehen, weshalb mehrere kostbare Bücher zu Boden fielen. Kopfschüttelnd betrachtete Vhaeraun das Treiben in der Wand. Inthracis fragte sich, wie die Toten den Besucher wahrnah men – sicher nicht als einen Drow. Vhaeraun sah auf und sagte: »Horch.« Dann legte er den Kopf schräg, seine Augen nahmen einen unerbittlichen Aus druck an. »Hörst du?« Der Wind wurde heftiger und ließ dann wieder nach, ge folgt von der Botschaft, die nach der Auserwählten Lolths verlangte. Die Leichname in Vhaerauns unmittelbarer Nähe stöhnten auf. Inthracis nickte. »Ich höre es, maskierter Fürst. Yor’thae. Der Wind ruft Yor...« Vhaeraun zischte ihn an und hob die Hand, damit sein Ge genüber schwieg. Die Augen der Leichname in den Wänden wurden groß, als sie diese Zurschaustellung göttlicher Gereizt heit sahen. »Einmal genügt«, erklärte Vhaeraun. »Du hörst das Wort, aber kennst du auch seine Bedeutung?« Inthracis, der Übles ahnte, nickte. Doch Vhaeraun fuhr fort, als hätte er verneint. »Die Yor’thae ist die Auserwählte des Spinnenmiststücks, und dies, all dies ...« Beunruhigend plötzlich tauchte der Ava tar wieder hinter Inthracis auf und zischte ihm zornig ins Ohr, als die Festung einmal mehr erschüttert wurde. »Dies alles ist das Bemühen der Königin des Abgrunds der Dämonennetze, die Auserwählte zu rufen und sich zu verwandeln.«
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Inthracis schluckte, als er den Zorn des Gottes spürte und ahnte, in welcher Gefahr er schwebte. Vhaeraun nahm im Schatten auf der anderen Seite des Raums Gestalt an, und Inthracis atmete einmal tief durch. Der Gott streckte seine unversehrte Hand aus und strich mit den Fingerspitzen über die Leiber, die die Wand bildeten. Sie wan den sich und stöhnten erneut. Als Vhaeraun die Hand fort nahm, glänzten seine Finger, und er lächelte. »Was wollt Ihr von mir?« fragte Inthracis, wenngleich er wußte, die Antwort würde ihm nicht behagen. Im nächsten Augenblick stand Vhaeraun dicht vor ihm, die Zähne gebleckt, das Gesicht hitzig vor Wut. »Was ich will, du unbedeutendes Insekt, ist, daß du das Herz meiner Mutter an Dämonen verfütterst, auf daß sie es wieder ausscheißen, um mich zu amüsieren! Was ich will, du unwürdige Kreatur« – er hielt den blutigen Stumpf vor Inthra cis’ Gesicht – »ist, daß Selvetarms unterwürfiges Gehirn aus seinem stinkenden Kopf gerissen wird, damit ich seinen leeren Schädel als Nachttopf benutzen kann!« Inthracis erwiderte nichts, sondern stand nur steif da, hielt den Atem an und starrte zurück. Er war nur einen Moment von seinem Tod entfernt, und selbst die Leichname verharrten stumm, als seien sie sogar zu verängstigt, um stöhnen zu können. Vhaeraun atmete durch und wurde ruhiger, dann lächelte er scheu. »Aber alles der Reihe nach, Inthracis. Laß es mich ohne Umschweife sagen: Es gibt drei potentielle Kandidaten für die Yor’thae. Sieh.« »Wartet ...« Doch Vhaeraun wartete nicht. Der Avatar schloß die Au gen, dann jagte ein Schmerz durch Inthracis’ Gehirn, in dessen Zuge sich die Bilder dreier weiblicher Drow vor seinem geisti
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gen Auge formten: Quenthel Baenre, Halisstra Melarn und Danifae Yauntyrr. Der Schmerz ebbte ab, doch die Bilder blieben, als seien sie wie ein göttliches Brandzeichen in sein Hirn eingebrannt. Vhaeraun sprach: »Alle drei versuchen, den Weg zur Stadt der Spinnenhure zu finden. Meine Mutter ruft sie, mußt du wissen. Sie zieht sie an, und dabei stellt sie sie auf die Probe. Eine wird die Auserwählte sein, eine von ihnen wird ihre ...« Erneut heulte der Wind, und ein weiteres Beben erschütter te die Ebene. Erneut hallte das Wort Yor’thae durch den Raum. »Ja«, sagte Vhaeraun, dessen Auge nervös zu zucken be gann. Er konzentrierte sich auf Inthracis. »Was ich von dir will, ist, daß du alle drei Kandidatinnen tötest.« Wieder stand der Gott plötzlich am anderen Ende der Biblio thek. Inthracis blieb nichts anderes übrig, als zustimmend zu nicken. Insgeheim allerdings fragte er sich, wieso Vhaeraun das nicht selbst erledigen konnte, waren es doch drei sterbliche Drow. Doch im nächsten Moment kam er von selbst auf die Ant wort: Nach der sogenannten Zeit der Sorgen hatte der Herr scher der Götter diesen verboten, direkt auf die Existenz der Sterblichen einzuwirken. Also brauchte Vhaeraun einen Ver bündeten, der nicht an Aos Verbot gebunden war, einen nicht göttlichen Verbündeten. Der Söldner in Inthracis begann, seine Angst zu überwin den. Er sah eine Gelegenheit, und er würde sie nutzen. »Was ist mit mir, maskierter Herr?« fragte er mit dem gebo tenen Maß an Unterwürfigkeit. Wieder tauchte Vhaeraun neben ihm auf. Inthracis sah starr geradeaus, da er es nicht wagte, dem Gott in die Augen zu sehen.
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Ein Wirbel aus Schatten umgab sie beide wie schwarze Schlangen, die über Inthracis’ lederne Haut krochen. Vhae raun hielt ihm seine unversehrte Hand vors Gesicht, worauf hin Inthracis sah, daß der Arm bis zum Ellbogen so körperlos war wie ein Schatten. Mit einem Lächeln auf den Lippen griff er dann in Inthracis’ Leib und umfaßte eines der drei Herzen, das sofort zu schlagen aufhörte. Agonie raste durch Inthracis; sein Atem stockte, und seine Muskeln verkrampften sich. Er drückte den Rücken durch und biß die Zähne zusammen, wagte aber nicht, sich zu bewegen oder zu protestieren. »Was mit dir ist?« flüsterte Vhaeraun ihm ins Ohr. »Du wirst mit meiner unbezahlbaren Dankbarkeit entlohnt.« Vhaeraun griff nach dem zweiten Herzen und ließ auch es stillstehen. Vor Inthracis’ Augen war bereits alles verschwommen, und er versuchte, Luft zu holen. »Oh«, fügte Vhaeraun an, »und natürlich wird Kexxon ver nichtet werden, und du wirst auf den Posten des Oinolothen und Erzgenerals nachrücken.« Als er das hörte, konnte sich Inthracis ein Lächeln nicht verkneifen. Trotz der Schmerzen zischte er: »Ihr seid zu großzügig, mas kierter Fürst.« Noch immer lächelnd sorgte Vhaeraun mit einem Finger schnippen dafür, daß die beiden Herzen wieder zu schlagen begannen, dann zog er den Arm zurück, der wieder stofflich wurde. Inthracis atmete hastig ein, sackte in sich zusammen, und es war der pure Stolz, der ihn davon abhielt, zu Boden zu sinken. Nachdem er sich gesammelt hatte, entdeckte Inthracis sei nen Besucher am anderen Ende des Tischs wieder und fragte:
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»Welche Streitkraft ist angemessen, Herr?« »Eine Armee«, lächelte Vhaeraun verächtlich. »Schickt ei ne Armee in den neuen Abgrund der Dämonennetze auf der Ereilir Vor, der Ebene des Seelenfeuers. Meine Mutter ist noch nicht wach genug, um eigene Streitkräfte aufzustellen, die euch stoppen könnten.« Inthracis kämpfte mit sich, ehe er die nächste Frage stellte: »Was ist mit Selvetarm?« Vhaeraun verzog das Gesicht und erwiderte: »Er wird dir keine Schwierigkeiten machen. Lolth hat den Abgrund an ihren eigenen Platz im Multiversum verschoben, und sie hat ihn versiegelt, so daß nichts – absolut nichts – Göttliches dort hin vordringen kann. Was sich dort abspielt, entzieht sich dem Einfluß anderer Götter. Ich kann nicht eindringen, um sie zu vernichten, aber Selvetarm kann sie dort auch nicht schützen. Wenn er nicht meinen Plan durchschaut hat«, – Vhaerauns verächtlicher Tonfall verriet, daß er es nicht für möglich hielt, Selvetarm könnte eins und eins zusammenzählen – »wirst du dort nur den Sterblichen begegnen.« Inthracis wagte eine weitere Frage: »Was wird geschehen, wenn die Yor’thae zu Lolth gelangt?« Vhaeraun kniff die Augen zusammen. »Die Frage ist bedeu tungslos, da sie nicht zu ihr gelangen wird.« Ihm blieb nichts anderes übrig, als daraus zu schließen, daß nicht einmal Vhaeraun wußte, was dann geschehen würde. Das war ein schlechtes Zeichen. Er verbeugte sich und sagte: »Es ist mir ein Vergnü...« Vhaeraun verschwand ohne weitere Worte. Der rote Lichtschein der Blutkluft erfüllte wieder den Raum. Inthracis mußte erst einige Male durchatmen, und selbst die Leichname in den Mauern schienen erleichtert. Was von Vhaeraun zurückblieb, war eine blutige Strieme auf dem
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Basalttisch und an dem Lesepult, hinter dem er aufgetaucht war. Inthracis beschwor einen unsichtbaren Diener mit Lap pen, der das Blut wegwischte, dann teleportierte er den Lappen in sein Labor. Er war sicher, göttliches Blut für einen Zauber gebrauchen zu können. Diese Beschäftigung sorgte dafür, daß er ruhiger wurde. Schließlich hatte er sich genug gesammelt, um seine Gene räle zu informieren. Vhaeraun hatte gesagt, er solle eine Ar mee aufstellen. Er würde seine beste Truppe einsetzen – das Schwarzhornregiment. Trotz der unterschwelligen Angst davor, was geschehen würde, sollte er Vhaeraun enttäuschen, verspürte der Ultroloth eine gewisse Begeisterung. Wenn er Erfolg hatte und Vhaeraun zu seinem Wort stand – was jedoch mehr als fraglich war –, würde Kexxon vernichtet werden, und er selbst würde ihm als Erzgeneral der Blutkluft nachfolgen. Noch während ihm diese verführerischen Gedanken durch den Kopf gingen, riet ihm eine nüchternere Stimme zur Vor sicht. Ihm kam zu Bewußtsein, daß Vhaerauns Absichten mit dem Plan einhergingen, den Lolth verfolgte. Der Gott hatte selbst gesagt, Lolth stelle ihre Priesterinnen auf die Probe, indem sie sie in den Abgrund rief. Vielleicht sollten Inthracis und Vhaeraun lediglich ein weiteres Hindernis schaffen, das die Yor’thae zu überwinden hatte. Oder irrte Vhaeraun, und in Wahrheit war keine der drei Priesterinnen ihre Yor’thae? Vielleicht, dachte Inthracis seufzend. Er steckte zwischen zwei Göttern in der Klemme und hatte keine andere Wahl, als zu gehorchen. Er würde tun, was Vhae raun von ihm verlangte, da ansonsten fraglos der Tod auf ihn wartete – oder etwas noch Schlimmeres. Draußen heulte der Wind und verkündete seine Botschaft.
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Eine geschlossene Reihe aus Drow-Seelen erstreckte sich vor und hinter Halisstra, so weit das Auge reichte, ein Band aus Lolths Toten, das sich durch den unendlichen, konturlosen, grauen Äther der Astralebene zog. Da Lolths Macht offenbar zurückgekehrt war, konnten die Seelen endlich zur Ebene der Spinnenkönigin treiben, wo sie die Ewigkeit verbringen soll ten. Eine Seele nach der anderen rückte in einer Prozession vor, die geordnet war wie ein Trupp marschierender Soldaten. Diese Ordnung empfand Halisstra als eigenartig unpassend für Seelen, die sich in die Arme einer Göttin des Chaos begaben. Hatten die Seelen zuvor noch so farblos ausgesehen wie der graue Äther, in dem sie schwebten, war durch Lolths Wieder erwachen nun ein Energiestoß durch die aufgereihten Seelen gegangen, ebenso durch die Astralebene und womöglich auch
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durch alle anderen Ebenen. Das Lebenszeichen der Spinnen königin hatte den Toten einen Farbton verliehen, der an den von Lebenden erinnerte, hatte die Seelen erweckt, genau wie Lolth ihr Schweigen gebrochen hatte. Indem sie ihnen Farbe und ein Ziel gab, hatte Lolth all diese Seelen unwiderruflich als ihr Eigentum kennzeichnen können. Der Gedanke des Unwiderruflichen trieb durch Halisstras Bewußtsein und löste bei ihr Unbehagen aus. Halisstra trieb genauso haltlos durch den grauen Äther wie die Seelen ringsum, während sie ihre schlanken, schwarzen Hände betrachtete. Auf ihnen entdeckte sie das Blut zahlloser schreiender Opfer, die sie im Namen Lolths hatte sterben lassen. Kennzeichnete dieses Blut sie nicht ebenfalls unwider ruflich als Lolths Eigentum? War nicht auch ihre eigene Seele blutbefleckt? Sie ballte die Fäuste und sah an den Seelen vorbei hinaus ins graue Nichts. Jene Hände, die in Lolths Namen gemordet hatten, würden die Halbmondklinge Eilistraees schwingen, die Klinge, mit der Halisstra Lolth töten würde. Lolth töten. Die Vorstellung wirkte auf sie aufregend und abstoßend zugleich. Halisstra sah den Pfad, dem sie folgen würde, der so schnur gerade verlief wie die Linie aus Seelen, und doch fühlte sie sich verloren. Sie war von einer Göttin befleckt worden, genauer gesagt, von zweien, und im Moment war sie sich nicht sicher, welcher von beiden sie den Vorzug geben sollte. Das Gefühl beschämte sie. Ihr war, als zögen Lolth und Eilistraee aus entgegengesetzten Richtungen an ihr, um sie für eine der beiden Seiten zu gewin nen, wobei sie sie dehnten, bis sie dünn wie Pergament wurde. Lolths Wiedererwachen hatte in Halisstra etwas geweckt, von dem sie geglaubt hatte, es sei in ihr im silbernen Mondschein
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der Welt an der Oberfläche gestorben, als sie sich der tanzen den Göttin hingab. Doch es war nicht gestorben, nicht wirklich, und sie fragte sich, ob das überhaupt je geschehen konnte. Die Anziehung, die Lolth auf Halisstra ausübte, war eine verführerische Erin nerung an Macht, Blut und Autorität. Halisstra besaß nur ihren jungen Glauben an Eilistraee, der sie vor einer lebens langen Indoktrination abschirmen sollte. Ob das reichen wür de, wußte sie nicht, und genausowenig vermochte sie zu sagen, ob sie wollte, daß das genügte. Ein Leben lang hatte sie Lolth gedient, für sie getötet und geherrscht, und innerhalb von nicht einmal zwei Wochen hatte sie sich von ihr abgewandt. Wie sollte das ein ehrlicher Übertritt zu einem anderen Glauben sein? Sie war ohne Haus gewesen, ihre Stadt zerstört, alles vernichtet, was sie kannte. Sich Eilistraee zuzuwenden war ein fast schon frivoler Impuls gewesen, der durch die Angst vor einer ungewissen Zukunft zusätzliche Nahrung erhalten hatte. Oder nicht? Sie wußte es nicht, und das erschütterte sie. Auch wenn Gebete zu Eilistraee Halisstras Geist erfüllten, stellte sie doch fest, daß sie sehnsüchtig die Manifestationen von Lolths wiedererwachter Macht beobachtete, die sich durch das endlose Grau der Astralebene zogen. Nachdem die Kraft Lolths die Reihe aus Seelen durchdrun gen und sie wiederbelebt hatte, war in der gesamten Astral ebene das Chaos ausgebrochen. Mahlströme aus farbenpräch tiger Energie bildeten sich hier und da im Äther, brodelnde Wirbel der Gewalt, die sich ein paar Herzschläge lang oder für Stunden rasend schnell um sich selbst drehten und dann in einem prachtvollen Regen aus ätzenden Funken vergingen. Gezackte Blitze aus schwarzroter Energie, die sich über Kilo
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meter erstreckten, schnitten sich durch die Leere, zerrissen sie für ein paar Augenblicke und sorgten dafür, daß sich Halisstras Haare auf Kopf und Armen aufrichteten. Lolths Macht durch drang bereits die Ebene. Es fühlte sich auch anders an, als Halisstra es in Erinnerung hatte, lebendiger, aber auch auf eine unerklärliche Weise un vollständig. Halisstra sah in dem, was sie beobachtete, eine verlockende Andeutung der Macht Lolths, eine verführerische Erinnerung an andere Gebete, an eine andere Art der Anbetung. Lolths Macht war überall ringsum, sogar Lolth selbst schien überall ringsum zu sein, um sie zu verleiten, um ihr etwas zuzuflüstern. Immer war in dem Geflüster das gleiche Wort: Yor’thae. Das Wort war Versprechen, Drohung und Verwünschung zugleich. Halisstra wußte nicht, ob sie lächeln oder weinen sollte, wenn sie das Wort hörte, das der Wind seufzte. Als eine Bae’qeshel war sie mit der vergessenen Geschichte vertraut und kannte die Bedeutung des Wortes. Seine Etymologie leitete sich aus zwei Worten der Hochsprache der Drow ab: Yorn, was soviel hieß wie »Dienerin der Göttin«, und Orthae, was mit »heilig« übersetzt werden konnte. Die Yor’thae war Lolths Auserwählte, ihre heilige Dienerin, das Objekt, mit dessen Hilfe Lolth ... etwas tun würde. Was es war, wußte Halisstra nicht. Die Bedeutung des Wor tes kannte sie, aber sie verstand nicht, welche Bedeutung es für sie oder für Lolth hatte. Es verstärkte nur ihre Unsicherheit. Mit der Macht der Worte war Halisstra gut vertraut, hing doch die Wirkung ihrer Bae’qeshel-Magie zum Teil von Wor ten ab. So wie ein Bae’qeshel-Zauberlied hatte das wiederholte Flüstern des Wortes Yor’thae sie gefesselt, sich den Weg in ihre Seele gebahnt und dort die Saat des Zweifels gestreut. Sie rang
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mit sich und hatte Mühe, sich nicht aufreiben zu lassen. Sie und zwei Priesterinnen Eilistraees, Uluyara und Feliane, waren der Linie aus Drow-Seelen so lange gefolgt, daß es ihnen vorkam wie eine Ewigkeit. Ein Trio aus Lebenden, das der Armee der Toten folgte und mittels purer Willenskraft durch den grauen Nebel der Astralebene trieb. Der Äther schien sich endlos in alle Richtungen zu erstrek ken, unterbrochen wurde die graue Leere nur von den Reihen der Seelen, Inseln aus schwebendem und sich drehendem Fels gestein, wirbelnden Mahlströmen aus der Energie, die Lolth wiedererlangt hatte. Auf dem Weg durchs Nichts sorgte die nicht enden wollende Gleichförmigkeit der Umgebung dafür, daß Halisstra wie benommen war. Immer wieder mußte sie gegen ein Schwindelgefühl ankämpfen, auch wenn sie nicht wußte, ob es durch den unendlichen Raum unter ihren Füßen oder durch den Kampf in ihrer Seele ausgelöst wurde. »Wir scheinen uns dem Portal zu nähern«, sagte Uluyara hinter ihr. Halisstra drehte sich nicht um, sondern nickte nur. Mit jedem Moment, der verstrich, kamen die drei Prieste rinnen ihrem Ziel ein Stück näher, doch gleichzeitig verlor Halisstra immer stärker den Glauben an sich und ihre Sache. Noch vor Stunden hatte Seyll, die verstorbene Priesterin Ei listraees, ihre Seele geopfert, um Halisstra vor der Wirkung der Macht abzuschirmen, die die wiedererwachte Lolth durch den Astraläther geschickt hatte. Seyll, die Halisstra zu Lebzeiten umgebracht hatte, war entschlossen gewesen, ihre eigene Seele auslöschen zu lassen, damit Halisstra ihren Auftrag erfüllen und Lolth mit Eilistraees Halbmondklinge töten konnte. Doch Halisstra begann zu glauben, sie habe noch einen an deren Auftrag, einen Auftrag, den sie noch nicht kannte. Yor’thae, flüsterte der Äther, und prompt wurde Halisstras
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Leib schwach. Sie vermutete allmählich, daß Seyll sich nicht geopfert hatte, um Halisstra zu schützen, sondern um zu ver hindern, daß sie mit Lolths Macht in Berührung kam und von Lolth etwas Grundlegendes übermittelt bekam. Seyll war in Erfüllung ihres Dienstes gestorben, der Eilistraee galt, nicht Halisstra. Sie fand sich am Rand eines Rätsels wieder, an der Stelle, an der sie nur noch ein winziger Augenblick davon trennte, endlich zu verstehen. Hätte Seyll doch nur zugelassen, daß Lolths Macht Halisstra berühren konnte, dann ... »Nein«, sagte sie. »Nein.« Doch das Wort klang so hohl wie die Leere, in der sie sich befand. Halisstras Weg war ihr so eindeutig erschienen, als sie in die reglosen karmesinroten Augen Seylls geblickt und die Worte der toten Priesterin gehört hatte, die Hoffnung und Vergebung versprachen, wenn sie nur Eilistraee anbetete. Es war eine Einstellung, die Lolth und ihre Anhänger als schwach abgetan hätten. Doch dann war Halisstra in der Astralebene auf Ryld Argiths Seele gestoßen. Er hatte in der Reihe der Toten ge standen, bleich und auf dem Weg zu seinem ewigen Schicksal. Sie hatte in seine toten Augen geblickt, seinen tonlosen Wor ten gelauscht, und da war ihre Entschlossenheit ins Wanken geraten. Alte Gefühle waren aus der Tiefe ihrer Seele aufge stiegen. Sie fragte sich noch immer, was mit Ryld geschehen würde, sollte es ihr gelingen, Lolth zu töten. Wäre er wie Seyll zur Auslöschung verdammt? Der Gedanke daran schnürte ihr die Luft ab. Sie würde ih ren Geliebten nicht dem Nichts überlassen; das konnte sie nicht. Doch was dann? Daß sie ehrliche Liebe empfand, hatte sie Eilistraee zu verdanken, die ihr den Auftrag gegeben hatte, Lolth zu töten. Sie hatte ihr eine Waffe gegeben, von der die
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Prophezeiung sagte, sie könne diese Aufgabe erfüllen. Doch die Nähe zu Lolths Macht wirkte auf Halisstra verfüh rerisch. Sie hörte, daß Eilistraee ihr Herz ansprach, doch ihre Seele reagierte auf Lolth. Sie stieß sie ab und erfreute sie zugleich. Sie hatte Angst. Yor’thae, sagte das Nichts. Sie schloß die Augen und schüttelte den Kopf. »Was wollt ihr?« flüsterte sie. Ihr war am Rande bewußt, daß ihr Körper langsam in den Äther sank, aber es kümmerte sie nicht. Sie hatte Lolth aus freien Stücken abgeschworen. Sie war zu Eilistraee konvertiert, hatte sich der tanzenden Göttin im Mondschein an der Ober fläche hingegeben. Aber ... Der Wechsel ihres Glaubens war eine Folge einer tödlichen Bedrohung gewesen. Sie war von einer Priesterin, die sie heute ihre Schwester nannte, mit dem Tode bedroht worden. War es dann nicht alles nur ein Trug, angetrieben von dem Bedürfnis einer heimatlosen, ihrer Zauber beraubten Drow-Priesterin, ein neues Zuhause zu finden? Nein, dachte sie und drückte die Finger fest gegen die Stirn, als könnte sie sie bis in ihr Gehirn treiben und den Teil he rausreißen, der sich noch immer nach Lolth sehnte. Die Kon version war nicht unter Zwang erfolgt. Vielmehr hatte sie frei willig ihre Seele geöffnet ... Eine Hand, die ihr Halt gab, legte sich sanft um ihren Ober arm und verhinderte so ihr weiteres Absinken. Sie wurde umge dreht, öffnete die Augen und sah sich dem eindringlichen Blick Uluyaras gegenüber. Die Hohepriesterin Eilistraees in ihrem Kettenhemd und der waldgrünen Tunika wirkte entspannt. An der Hüfte hing ein Schwert, um den Hals hatte sie ein Kriegs
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horn gelegt. Eine Fülle magischer Gegenstände – Federn, Knöp fe und Nadeln – hingen von ihrem Waffenrock herab. Ihre vollen Lippen ließen erkennen, daß sie ernsthaft um Halisstra besorgt war, doch hinter der Sorge tief in ihren Augen lauerte noch etwas, das Halisstra aber nicht so recht erkennen konnte. »Alles in Ordnung?« fragte Uluyara und schüttelte sie sanft. »Halisstra, alles in Ordnung?« Neben ihnen bewegte sich die Parade aus Seelen weiter, und das so schnell, daß sie nur schemenhaft zu erkennen wa ren. Schwarze Blitze spalteten den Äther in zwei Hälften, Mahlströme wirbelten, die Stimme flüsterte, und im Vergleich zur Farbenpracht der Seelen wirkte die Kleidung matt und langweilig. Sie alle sahen im Vergleich zu Lolths Toten matt und langweilig aus. Halisstra blinzelte kurz, nickte und sagte: »Ich bin nur ... ir ritiert, nachdem ich Ryld gesehen habe.« Uluyaras Blick verriet, daß sie mit ihr mitfühlte, auch wenn ihre schroffe Miene davon nichts erkennen ließ. Halisstra wußte, daß sie sich kaum um Rylds Tod und Leben nach dem Tod kümmerte. Uluyara war auf ihr Ziel konzentriert, Lolth zu finden und zu töten. Nichts sonst zählte. Yor’thae, flüsterte die Astralebene. Als sie das Wort hörte, fühlte Halisstra, wie ihre Wangen brannten. Sie suchte in Uluyaras Gesicht nach einer Reaktion, doch Uluyara ließ sich nicht anmerken, daß sie etwas gehört hatte. »Habt ihr das nicht gehört?« fragte Halisstra, die die Ant wort fürchtete. Uluyara versteifte sich, legte den Kopf schräg und sah sich vorsichtig um. Ihr Blick kehrte zu Halisstra zurück. »Was gehört?« fragte sie. »Die Seelen? Die Blitze? Hier ist sonst nichts.«
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Ehe Halisstra antworten konnte, kam Feliane zu Uluyara ge schwebt und legte eine Hand auf Halisstras Schulter. Die zier liche Elfenpriesterin trug ein feines Kettenhemd und einen kleinen, rundlichen Helm, unter dem ihr langes braunes Haar hervorwallte. Eine Dünnklinge hing an ihrer schmalen Hüfte. Sie wirkte wie ein Kind, dem man eine Waffe gegeben und es dann in die Schlacht geschickt hatte. War Eilistraee tatsäch lich so verzweifelt? »Es ist das Gemurmel der Seelen auf dem Weg zu ihrem Schicksal«, sagte Feliane und sah die Toten traurig an. »Wei ter nichts.« Uluyara nickte. Tatsächlich gaben die Seelen bei ihrem Marsch ein leises, kaum hörbares Summen von sich, doch Halisstra wußte, daß das geflüsterte Yor’thae einen anderen Ursprung hatte und daß sie es als einzige hören konnte. »Die Verdammten Lolths begeben sich nicht schweigend auf den Weg zu ihrem Schicksal«, meinte Uluyara, die anders als Feliane keine Trauer für die Toten erkennen ließ. Auf ihre Weise war Uluyara genauso gnadenlos wie jede Priesterin Lolths. »Vielleicht erkennen sie jetzt doch, welchen Fehler sie ge macht haben.« Halisstra entriß Uluyara ihren Arm und starrte wütend in die Augen der Priesterin. »Ich liebte einen dieser Verdamm ten«, zischte sie und konnte sich einen verbitterten Unterton nicht verkneifen. Uluyara versteifte sich, ihre Augen blitzten, doch sie ent gegnete nur: »Das hatte ich vergessen, Schwester. Verzeih meine Gedankenlosigkeit.« Halisstra hörte aus ihrer Stimme nicht heraus, daß sie es auch so meinte. Sanft erklärte Feliane: »Frieden, Schwestern. Wir sind er
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schöpft. Vor allem du, Halisstra, da du eine so große Last trägst. Uluyara und ich werden dir helfen, sie zu tragen, doch dazu mußt du das auch erlauben. Eilistraee wird ebenfalls mit helfen, doch auch ihr mußt du es gestatten.« Sie machte eine Pause, dann fügte sie an: »Glaubst du das?« Ihr Griff um Halisstras Schulter wurde fester. Halisstra sah zwischen den beiden hin und her, und plötz lich wurde ihr klar, was sich hinter den Blicken der Frauen verbarg. Sie schwebte zwischen ihnen, wurde von den Blicken förmlich durchbohrt und sah ihre erwartungsvollen Mienen. Da wurde ihr klar, was sie einen Moment zuvor in Uluyaras Augen gesehen hatte: Zweifel. Sie zweifelten an ihr oder begannen, an ihr zu zweifeln. Wut regte sich in ihr, war aber fast sofort wieder verflogen, denn in den roten Augen erkannte sie auch Sorge. Sie liebten sie und akzeptierten sie trotz ihrer Zweifel als Schwester. Ha lisstra mußte an Quenthel und Danifae denken, ihre früheren Schwestern im Glauben, die sich nicht stärker von Uluyara und Feliane hätten unterscheiden können. Quenthel hätte keinen Zweifel zugelassen, und Danifae ... Danifae Yauntyrr stand vor dem gleichen Abgrund wie noch vor kurzer Zeit Halisstra selbst, schwankte zwischen Lolth und Eilistraee, fühlte sich hin- und hergerissen zwischen den Gewohnheiten des alten Lebens und der Hoffnung auf ein neues, voller Angst, den nächsten Schritt zu unternehmen. Halisstra glaubte, auch Danifae könne zur tanzenden Göttin überwechseln, wenn sie es nur wollte. Für Halisstra war es unbedingt nötig, daß sich Danifae dem Glauben an Eilistraee unterwarf, denn durch den Bindezauber hatte sie Danifae gut kennengelernt. Sie waren einander sehr ähnlich, Halisstra und ihre vormalige Kriegsgefangene. Sie wußte, Danifae konnte ebenfalls Vergebung erfahren, sich von
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Lolth abwenden, und sie wußte, Danifaes Erlösung würde ihre eigene bestätigen. »Halisstra?« fragte Feliane. Sie sah wieder von einer zur anderen und vergab ihnen ihre Zweifel. Wie konnte sie auf die beiden wütend sein, daß sie an ihr zweifelten, wenn sie selbst zu zweifeln begann? »Halisstra?« wiederholte Feliane. Ihr Blick war sanft, aber ihr Griff war fest. »Glaubst du, was ich gesagt habe? Daß wir und die tanzende Göttin dir helfen werden, deine Last zu tra gen?« Halisstra sah ihr in die Augen und brachte es fertig zu ni cken. »Ja«, sagte sie, war sich aber nicht sicher, ob diese Hilfe genügen würde. Uluyara atmete heftig aus und sagte: »Vielleicht sollten wir der Herrin ein Opfer bringen, ehe wir weiter vorrücken?« »Gute Idee«, erwiderte Feliane, ohne den Blick von Ha lisstra abzuwenden. Uluyara nahm den silbernen Anhänger ab, auf dem ein Schwert eingraviert war, um das sich ein Band zog – das heilige Symbol Eilistraees –, und legte es in ihre Handflächen. Yor’thae, zischte der Äther wieder, und diesmal nahm Ha lisstra einen ärgerlichen Unterton in der Stimme des Windes wahr. »Dies ist ein schlechter Ort für einen Tanz«, sagte Feliane und betrachtete die Seelen und das wirbelnde graue Nichts. »Stimmt«, pflichtete Uluyara ihr bei. »Aber nehmen wir uns einen Augenblick, um zu beten.« Alle waren einverstanden, und gemeinsam stellten sich die drei Verehrerinnen der tanzenden Göttin im Kreis auf – zwei Drow und eine Mondelfe – und riefen Eilistraee an, damit sie ihnen Kraft und Weisheit verlieh, während die Seelen von Lolths Verdammten vorüberzogen, während der Sturm tobte,
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der von Lolths Macht ausgelöst wurde. Halisstra kam sich vor wie eine Heuchlerin. Als sie fertig waren und sie immer noch von Zweifeln ge plagt wurde, fragte sie ihre Schwestern: »Sind wir uns sicher, daß wir das können?« Sie hatte die Frage schon zuvor gestellt, doch sie mußte die Antwort erneut hören. Eine Hand legte sie auf das Heft der Mondsichelklinge, das in einer Scheide an ihrer Taille hing. An ihrer Haut fühlte es sich warm an. »Dies ist nur eine Klinge, und wir sind zu dritt.« Uluyara und Feliane teilten einen besorgten Blick, dann sagte Letztere: »Dies ist die Mondsichelklinge, Halisstra, ge weiht von Eilistraee. Sie wird ihren Zweck erfüllen, und du darfst nicht denken, unsere Kraft ließe sich in Zahlen ausdrü cken. Sie bemißt sich nach unserem Glauben.« Halisstra war nicht überzeugt, daß ihr Glaube für viel Kraft sorgen würde. Doch in den Augen ihrer Schwestern sah sie Entschlossenheit. Von ihnen nahm sie sich soviel Kraft, wie sie konnte. Uluyara nickte in Richtung der Linie vorbeiziehender Sche men. »Laßt uns weitergehen. Unser Weg ist klar. Die Tore zu Lolths Reich stehen offen. Die Seelen werden uns zu ihr füh ren.« Halisstra versuchte, sich vorzustellen, wie es sein würde, vor Lolth zu stehen und mit der Göttin zu kämpfen, die sie ihr Leben lang verehrt hatte. Sie konnte es sich beim besten Wil len nicht vorstellen, es erschien ihr vollkommen absurd, und doch ... Vielleicht war es möglich. »Sie ist wach, aber ich bin nicht überzeugt, daß sie bereits ihre volle Macht wiedererlangt hat«, sagte Halisstra. »Sie ruft im ganzen Kosmos nach ihrer Yor’thae, ihrer Auserwählten.« Einen Moment lang starrten die beiden anderen sie an.
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»Yor’thae«, sagte Uluyara, ließ das Wort auf der Zunge zer gehen und runzelte die Stirn, als sie den Geschmack verspürte. »Woher weißt du das?« »Ich habe den Begriff vor langer Zeit einmal gehört«, log sie. Uluyara bohrte nach: »Das habe ich nicht gemeint, Ha lisstra Melarn. Ich meine, woher weißt du, daß sie jetzt nach der Yor’thae ruft?« Halisstra merkte, wie ihr heiß wurde. Sie wußte, daß sie da durch die Zweifel der anderen nur bestärkt hatte. Scham und Trotz stritten in ihrem Inneren, und der Trotz siegte. Mit Mühe erlangte sie ihre Würde und Überzeugung zurück, die ihr als erste Tochter des Hauses Melarn von Geburt an anerzogen worden war. »Durch meine Seele«, antwortete sie im selbstsichersten Tonfall, den sie aufbringen konnte. »Ich diene Eilistraee, dar an gibt es keinen Zweifel. Lolths Stimme ist nur noch ein fernes Echo in meinem Kopf.« Ihre Schwestern betrachteten sie weiter aufmerksam, dann sprach Feliane als erste: »Ich höre Wahrheit in deinen Wor ten. Das reicht mir.« »Mir auch«, schloß Uluyara sich an und legte den Anhän ger wieder um. »Vergib uns, Halisstra. Es ist einfach merkwür dig, daß Eilistraee jemanden für ihre Klinge auswählt, der erst seit so kurzer Zeit von Lolth getrennt ist. Das ... beunruhigt mich.« Sie atmete durch und drückte den Rücken durch. »A ber es ist nicht an uns, den Willen Eilistraees in Frage zu stel len. Du bist die Trägerin der Mondsichelklinge. Komm. Wir folgen diesen Glücklosen zu Lolth und tun, weshalb wir herge kommen sind.« Dann machten sich die drei wieder auf und folgten den To ten. Uluyaras Worte hallten in Halisstras Kopf nach, und sie
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mußte sich fragen, was genau sie eigentlich tun sollten. Yor’thae, flüsterte ihr der Wind ins Ohr. Während sie durch den Nebel schwebten, nahmen die Blit ze und Mahlströme an Häufigkeit zu. Halisstras Körper fühlte sich an wie aufgeladen. »Wir nähern uns der Quelle von Lolths Macht«, sagte sie, und Feliane und Uluyara nickten. Erst anschließend wurde ihr klar, daß sie sich besorgt fühlen sollte, weil die Nähe zu Lolths Macht ihre Seele belebte. Kurz darauf entdeckte sie einen gewaltigen Wirbel aus schwarzer und viridiangrüner Energie, der sich langsam drehte. Die acht Spiralarme streckten sich fast so weit aus, wie man mit einer Armbrust schießen konnte. Der gesamte Mahlstrom erinnerte Halisstra an eine stilisierte Spinne. Die langsame Drehung hatte eine hypnotisierende Wirkung. Eine Seele nach der anderen tauchte in den Wirbel ein und verschwand. »Das ist das Portal zu Lolths Ebene«, sagte Halisstra. Ein ockerfarbener Blitzschlag spaltete die Leere. Ihre Begleiterinnen nickten und betrachten den Mahl strom. Feliane war noch blasser als sonst. Der Druck ihres Auftrags lastete auf ihnen. »Seid ihr bereit?« fragte Halisstra, meinte aber nicht nur die beiden anderen, sondern auch sich. Sie zog die Mondsichel klinge aus der Scheide, während sie in der anderen Hand Seylls kleinen, stählernen Schild hielt. Mit finsterer Miene und starrem Blick nickte Uluyara. Sie zog ihre eigene Klinge, setzte das Horn an und stieß einen kurzen Ton aus, der sich auf der Astralebene ausbreitete. Die Seelen ließen nicht erkennen, daß sie ihn gehört hatten. Feliane griff nach ihrer Dünnklinge und hielt den Schild hoch. Sie wirkte klein und zierlich. »Kommt«, rief Halisstra und steuerte in den Wirbel. Dabei
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achtete sie darauf, keiner der Seelen ins Gesicht zu blicken. Als sie das Portal erreichten, wurde ihr klar, daß sie sich die Zeit für ein Gebet zu Eilistraee hätte nehmen sollen, ehe sie in Lolths Reich eindrang. Sie war davon überzeugt, daß diese Nachlässigkeit nur ein Versehen war. So gut wie überzeugt. Die Energie des Portals erfaßte sie, und sie wurde zwischen die Ebenen gesogen. Ein weiteres Mal hallte das Wort Yor’thae in ihren Ohren nach.
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Als er durch das Portal trat, fühlte sich Pharaun einen Mo ment lang, als werde er zwischen zwei Punkten gedehnt, bis er so dünn war wie das feinste Pergament. Auch wenn er wußte, daß es absurd und unlogisch war, fühlte er sich für den Bruch teil eines Herzschlags, als existiere er an zwei Orten gleichzei tig. Dann war es vorbei. Er raste durch den Raum und holte den Rest seiner selbst am Zielportal ein. Von Quenthels und Dani faes Zaubern geheilt und erholt, stand er unter einem Nacht himmel auf dem felsigen Boden des Abgrunds der Dämonen netze, Lolths Reich. Quenthel stand rechts von ihm, erhaben und ruhig. Danifae und Jeggred standen zu seiner Linken wie eine kleine gefährli che Spinne und ihr massiger Draegloth. Ein kühler Wind weh te ihnen aus ...
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Pharaun runzelte die Stirn. Ihm fehlte jede Orientierung, und es gab keinen Bezugspunkt, um eine Richtung zu bestim men. Danifae sah sich um, eine Hand gedankenverloren in Jeggreds verfilzte Mähne geschoben. Der Wind drückte den Piwafwi der ehemaligen Kriegsgefangenen gegen ihren Leib, so daß er eine sinnliche Linie von ihren Hüften bis zu ihren vol len Brüsten nachzeichnete. Sie lächelte und wollte etwas sa gen, wurde aber von Quenthel daran gehindert. »Wir sind da«, sagte sie mit leiser Stimme und betrachtete die Landschaft. »Gelobt sei Lolth.« Das scheint etwas übertrieben, dachte Pharaun, hielt aber den Mund. Er sah wenig Lobenswertes. Lolth hatte den Ab grund der Dämonennetze zwar aus dem Abyss in ein eigenes Reich verlegt, doch die Ebene war nach wie vor kaum mehr als eine Einöde. Er erinnerte sich daran, daß andere Götter aus dem Drow-Pantheon – darunter auch Kiaransalee und Vhae raun – ihr Reich irgendwo im Abgrund der Dämonennetze hatten. Pharaun konnte davon aber nichts entdecken, die ganze Ebene schien Lolth zu gehören. Sie standen in der Finsternis auf einer leichten Anhöhe, von der aus sie eine felsige Ebene überblickten, die sich bis an die Grenzen ihrer Dunkelsicht erstreckte. In der Ferne stieg aus Seen voll ätzender Substanzen dichter Rauch auf. Breite Schluchten durchzogen die Landschaft und wirkten wie klaf fende Wunden in der Erde, bei denen Pharaun aus dieser Ent fernung nicht erkennen konnte, wie weit sie nach unten reich ten. Höhlen, Gruben und Krater öffneten sich überall auf der Ebene wie aufgeplatzte Beulen oder schreiende Münder. Pha raun konnte nirgends irgendwelche Vegetation ausmachen, nicht einmal ein Gebüsch oder Pilze. Das Land wirkte tot, als hätte eine Sintflut alles Leben weggeschwemmt.
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Dünne, gewundene, verdrehte Säulen aus schwarzem Ge stein ragten in sonderbaren Winkeln aus der Erde hervor. Die kleinsten von ihnen waren so hoch wie Narbondel, aber nur halb so dick, und Wind und Wetter hatten Löcher hineinge fressen, die sie aussehen ließen wie die Leichen auf den Stra ßen des Braeryn, die ein Jahrzehnt zuvor den schwarzen Po cken zum Opfer gefallen waren, als diese unter den Armen von Menzoberranzan gewütet hatten. Es gab Hunderte ihrer Art, und viele von ihnen waren umgestürzt. Trümmer übersäten den Boden. Pharaun betrachtete sie noch einige Augenblicke, da etwas an ihrer Form sein Interesse geweckt hatte. Sie erinnerten ihn an etwas ... »Sind das die versteinerten Spinnenbeine?« fragte er und war sich dessen bereits sicher, als ihm die Worte über die Lip pen kamen. »Unmöglich«, sagte Jeggred mit einem Schnauben. Pharaun wußte es besser. Die schwarzen Steinsäulen, die aus dem Boden ragten, waren tatsächlich die verwitterten Beine versteinerter Spinnen – die so groß gewesen sein mußten wie die Stalaktitenfestung des Hauses Mizzrym. Der Abgrund der Dämonennetze hatte ihre Leiber vor langer Zeit unter sich begraben, nur die Beine waren verblieben. Pharaun versuchte, sich die Steinleiber vorzustellen, die unter der Oberfläche liegen mußten. Er fragte sich, welche Katastrophe aus dem Abgrund der Dämonennetze eine solche Einöde gemacht hat te, sollten die Spinnen wirklich gestorben und versteinert worden sein. »Wenn Meister Mizzrym recht hat«, sagte Quenthel und ließ ihre Augen blitzen, »dann wäre es ein Segen für uns gewe sen, solche Diener Lolths lebend zu sehen.« Pharaun fand, er habe mehr als genug von Lolths Dienern
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zu sehen bekommen. Er verdrängte die riesigen, toten Spinnen und widmete sich statt dessen seiner Umgebung. Alles war mit Netzen überzogen, manche normal, andere außergewöhnlich groß. Sie hingen wie silberne Vorhänge zwi schen vielen Spitzen, lagen über Tunneleingängen, bedeckten den Boden und wehten als klebrige Bälle über die Landschaft, während andere wie der Schnee im Wind wehten, den Pha raun in der Welt an der Oberfläche erlebt hatte. Manche von ihnen waren größer als das Geflecht aus versteinerten Netzen, das Ched Nasad gebildet hatte. »Ihr Netz umschließt alles«, sagte Quenthel. »Ja, und die Welt ist ihre Beute«, fügte Danifae an. Hinter ihnen gab es keinen Hinweis auf die Existenz eines Portals. Die Reise aus dem alten Abgrund der Dämonennetze zum neuen war nur in einer Richtung möglich gewesen. Zauber würden sie nach Hause bringen müssen, falls eine Rückkehr überhaupt möglich war. Der Wind wurde stärker und trug Schmutz und Netzfetzen mit sich. Ein unheimliches Heulen bereitete Pharaun eine Gänsehaut. Er brauchte einen Moment, um die Quelle des Geräuschs ausfindig zu machen. Einige Netze, dicke, silberne Netze, hin gen hier und dort und gerieten in Schwingung, sobald der Wind sie erfaßte. Das verursachte einen unheimlichen Schrei, der um so lauter wurde, je stärker der Wind war. Gewebt wur den die Netze von Spinnen, deren eleganter, rotgelber Leib so groß wie ein Kopf war und die lange Beine hatten. »Liedspinnennetze«, sagte Quenthel, die Pharauns Blick ge folgt war. Ein Hauch von Ehrfurcht war in ihrer Stimme. »Die Stimme Lolths.« Sie hielt ihre mit Vipern besetzte Peitsche in einer Hand, die fünf rotschwarzen Schlangen wiegten sich zu dem Heulen
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wie hypnotisiert. Quenthel beugte sich zu den Schlangen vor und nickte, da sie ihr irgend etwas telepathisch übermittelt hatten. »Die Netze rufen nach Lolths Auserwählter«, fügte Danifae an und betrachtete Quenthel. »Wahrhaftig«, gab diese zurück und warf ihr einen verstoh lenen Blick zu. Pharaun hielt »Lolths Auserwählte« für eine unpassende Bezeichnung. Selbst er wußte, daß Lolth eigentlich niemanden auserwählte, sondern ein Angebot machte, und wer zuerst zugriff – zweifellos würde das Quenthel sein –, würde die Aus erwählte sein. Er hatte aus dem Heulen der Netze keine Worte heraushö ren können, dennoch zweifelte er nicht an Danifaes Behaup tung. Schließlich sprach Lolth nicht zu Männern, sondern nur zu Priesterinnen. Er sah in den bewölkten, sternenlosen Himmel, der sich über der wüsten Landschaft erstreckte. Durch ein Loch in der Wolkendecke, das wie ein Fenster erschien, war eine An sammlung aus acht roten Kugeln zu erkennen, die nach unten gerichtet waren. Eine von ihnen glimmte, die restlichen sieben brannten hell. Sie waren wie die Augen einer Spinne, wie Lolths Augen angeordnet. Pharaun fühlte ihre Last auf seinen Schultern. Unterhalb der Wolken, aber immer noch hoch am Himmel tobten grüne, gelbe und silbrige Wirbel. Manche hielten einen Atemzug lang an, andere länger, doch letztlich lösten sie sich alle in einer zischenden Explosion aus Funken auf, während sich wieder neue Wirbel bildeten. Pharaun hielt sie für Ne benprodukte von Lolths Wiedererwachen, die Überreste gött licher Träume oder vielleicht die Nachgeburt des Chaos. Oft stießen die Wirbel etwas aus, was Pharaun für eine Seele hielt.
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Die schimmernden Geister jagten über den Nachthimmel, ein halb durchscheinender, farbenprächtiger Schwärm, der sich wie ein Schwarm Höhlenfledermäuse durch die Finsternis bewegte. Pharaun sah, daß die meisten von ihnen Drow waren, auch wenn gelegentlich ein Halb-Drow, ein Draegloth und selten auch einmal ein Mensch zu entdecken war. Sie nahmen keine Notiz von Pharaun und seinen Begleitern – vielleicht konnten sie sie aus dieser Höhe nicht einmal wahrnehmen –, sondern bildeten in etwa eine Linie, da sie alle in weitgehend die gleiche Richtung flogen. »Ein Seelenfluß«, sagte Jeggred. »Der eine Strömung zu haben scheint«, stellte Pharaun fest und beobachtete wieder die Seelen, die sich auf ein gemeinsa mes, unbekanntes Ziel zubewegten. »Lolth hat ihr Schweigen gebrochen und ruft ihre Toten zu sich«, murmelte Danifae. »Jetzt sind sie nur Schatten, doch sie werden wieder fleischlich werden, wenn ihre Fürbitten ange nommen werden.« Quenthel starrte Danifae so haßerfüllt an, daß Pharaun nicht anders konnte, als zu bewundern, zu welchem Ausdruck ihr Gesicht in der Lage war. »Nur wenn sie Lolths Stadt erreichen und für würdig befun den werden, Kriegsgefangene«, sagte sie. »Es ist eine Reise, die ich bereits einmal zurückgelegt habe.« Danifae reagierte mit einem durchdringenden Blick, der ih rem Gesicht nichts von seiner Schönheit nahm. »Zweifellos wurde der Schatten der Herrin Arach-Tiniliths für würdig befunden«, sagte Danifae. Ihr Tonfall ließ ihre Worte eher wie eine Frage als wie eine Aussage klingen. Wichtiger war noch, daß es sich so anhörte, als würde sie Quenthel nicht als die höchstrangige Priesterin unter den Anwesenden betrachten.
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Quenthel kniff wütend die Augen zusammen, doch ehe sie etwas erwidern konnte, fuhr Danifae fort: »Zweifellos muß auch die Yor’thae den Weg bis in Lolths Stadt zurücklegen, um für würdig befunden zu werden. Nicht wahr, Herrin?« Eine weitere Brise setzte die Netze in ihrer Nähe in Bewe gung und ließ sie singen. Pharaun bildete sich dabei ein, aus dem Heulen ein geflüstertes »Yor’thae« herauszuhören. Quenthel und die Schlangen der Peitsche beäugten Dani fae. Die Herrin Arach-Tiniliths legte den Kopf schräg, als die Peitsche ihr telepathisch etwas übermittelte. »Kannst du die Frage nicht ohne die Hilfe deiner Peitsche beantworten?« fragte Jeggred mit einem spöttischen Grinsen. Erregt wanden sich die Köpfe an Quenthel Baenres Waffe. Diese trat mit ausdrucksloser Miene zu Jeggred und Danifae. Beide Priesterinnen schienen sich in Jeggreds Schatten zu verlieren. Jeggred stieß ein Knurren aus. »Hast du etwas gesagt, Neffe?« fragte Quenthel, während die Schlangenköpfe zu züngeln begannen. Er betrachtete seine Tante und öffnete den Mund, doch da legte Danifae eine Hand auf den muskulösen Unterarm seines Kampfarms, und der Draegloth hielt inne. »Du hast Unangemessenes gesagt«, sagte Danifae und gab ihm einen leichten Klaps auf den Arm. »Vergebt ihm, Her rin.« Quenthel sah zu Danifae, während die Schlangen weiter mit kalten Blicken Jeggred bedachten. Quenthel war eine Handbreit größer als Danifae, und mit der Kraft, die der magische Gürtel ihr verlieh, hätte sie mit bloßen Händen das Rückgrat der jüngeren Priesterin brechen können. Die Kriegsgefangene hielt ihre Hand weit vom Heft ihres Morgensterns entfernt.
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»Einen Moment lang schien es, als hättest du dich verges sen, Danifae Yauntyrr«, sagte Quenthel in einem Tonfall, mit dem man ungezogene Kinder belehrte. »Vielleicht hat das Reisen zwischen den Ebenen dich desorientiert.« Ehe Danifae antworten konnte, wurde Quenthels Blick här ter. »Gestatte mir, dich daraufhinzuweisen, daß ich die Ho hepriesterin Quenthel Baenre bin, die Herrin Arach-Tiniliths, die Herrin der Akademie, die Herrin Tier Breches, die erste Schwester des Hauses Baenre von Menzoberranzan. Du bist eine Kriegsgefangene, die Tochter eines toten Hauses, ein vorlautes Kind, dem es an der Weisheit mangelt, seine spitze Zunge im Zaum zu halten.« Sie hob eine Hand, um Danifae von einer Erwiderung abzuhalten. »Ich werde dieses Mal deine Gedankenlosigkeit durchgehen lassen, doch wäge deine nächs ten Worte gut ab. Wenn Lolth ihre Entscheidung getroffen hat, könnte sich ihre Auserwählte veranlaßt fühlen, früheren Ungehorsam nachträglich zu bestrafen.« Neben Danifae hörte sich Jeggreds hastiges Atmen an wie der Blasebalg eines Duergar. Die Klauen seiner Kampfarme öffneten und schlossen sich. Er betrachtete Quenthel wie ein Stück Fleisch. Als Antwort darauf zischten ihn die Köpfe von Quenthels Peitsche an. Vorsichtshalber rief sich Pharaun einen Zauber ins Ge dächtnis, der Jeggred bewegungsunfähig machen konnte, falls das nötig werden sollte. Er wußte, auf wessen Seite er stehen würde, sollte sich der Graben zwischen Quenthel und Danifae zum offenen Konflikt ausweiten. Quenthel hatte Danifae so eben ihren vollen Titel genannt, doch Pharaun hätte noch etwas ergänzt: Yor’thae Lolths. Lolth hatte Quenthel von den Toten zurückgeholt. Warum sonst hätte sie das tun sollen? Danifae mußte man zugestehen, daß sie es schaffte, nicht
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vor Quenthels Zorn zurückzuweichen und keine Angst zu zei gen. Ihre faszinierenden, grauen Augen ließen keine Regung erkennen. Sie hob die Hand, als wollte sie Quenthels Wange berühren, doch als die Peitschenschlangen sich von Jeggred abwandten und nach ihren Fingern zu schnappen begannen, zog sie die Hand rasch zurück. »Diese Tage gehören der Vergangenheit an«, zischte Quenthel. Danifae seufzte lächelnd. »Ich möchte nur, daß Ihr Eure Be stimmung erfüllt, Herrin Arach-Tiniliths«, sagte sie, »und dem Willen der Spinnenkönigin folgt.« Während Pharaun im Geiste diese Antwort nach einer Be deutung hinter dem Offensichtlichen analysierte, sagte Quenthel: »Wir wissen, was Lolth will. So wie wir wissen, wer ihre Yor’thae sein wird. Namen zu nennen ist nicht erforder lich. Die Zeichen werden sagen, wer die Yor’thae ist. Mag sie jeder deuten, wie er will. Aber wer sie falsch auslegt, den er wartet ein unerfreuliches Schicksal.« Auf Danifaes Gesicht legte sich ein undurchdringlicher Schleier, doch sie hielt weiter Quenthels Blick stand. »Ein wahrlich unerfreuliches Schicksal«, sagte sie. Quenthel sah sie noch einen Moment lang an, dann wandte sie sich Jeggred zu. »Du hattest Gelegenheit, noch einmal über deine Vorgehensweise nachzudenken. Gibt es etwas, was du mir sagen möchtest?« Pharaun konnte sich nur mit Mühe ein Grinsen verkneifen. Quenthel war seit ihrer Ankunft in Lolths Reich eine andere. Sie war nicht länger die flüsternde, scheue Frau, die sich nur mit ihrer Peitsche unterhielt, sondern wieder die Herrin Arach-Tiniliths, die sie von Menzoberranzan hergeführt hatte, die erste Schwester des mächtigsten Hauses der Stadt. In diesem Moment fand Pharaun sie sexuell ansprechender
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als Danifae. Dann allerdings wurde ihm bewußt, daß er schon zu lange auf seine Huren hatte verzichten müssen. Auch Jeggred schien die Veränderung in Quenthel bemerkt zu haben. Hätte Pharaun jemals irgend jemanden in seinem Leben bedauert – was natürlich nicht der Fall war –, dann wäre es wohl der Draegloth gewesen. So empfand er Jeggreds offen sichtliche Niederlage als amüsant und wohlverdient. Jeggred hatte sich Danifae zugewandt und mußte sich nun den Konse quenzen seines Fehlers stellen. Quenthel würde ihm nicht vergeben. Jeggred wollte etwas sagen, doch Danifae, die noch immer Quenthel anstarrte, schüttelte nur kurz den Kopf, woraufhin Jeggred schwieg. »Leise«, befahl Danifae. Jeggred sank in sich zusammen und sagte: »Nein, ... Tante.« Er vermied es, ihr in die Augen zu sehen, die vier Hände hingen schlaff herab, den Blick hatte er gesenkt. Bewundernd zog Pharaun eine Braue hoch. Indem er Quenthel mit ihrem Verwandtschaftsgrad ansprach, nicht mit ihrem Titel, hatte Jeggred es vermieden, sie zu beleidigen, gleichzeitig aber auch keiner von Danifaes Aussagen wider sprochen. Vielleicht war Jeggred gar nicht so dumm. Während die Peitsche weiter Danifae und Jeggred im Auge behielt, wandte sich Quenthel Pharaun zu und beleidigte Da nifae, indem sie ihr den Rücken zudrehte. »Meister Sorceres«, wollte sie wissen, »habt Ihr etwas hin zuzufügen?« Pharaun wußte, daß seine Meinung sie gar nicht kümmerte, schließlich war er nur ein Mann. Sie wollte sichergehen, wo seine Loyalität lag. Er überlegte, ob er ihrer Frage ausweichen sollte, doch er entschied sich dagegen. Haus Baenre war das erste Haus Menzoberranzans, Gromph war sein Vorgesetzter,
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und Quenthel Baenre würde schon bald Lolths Auserwählte sein. Die Zeit für vage Antworten war um. Vielleicht würde sie seine Direktheit belohnen, indem sie ihn Jeggred töten ließ. »Herrin«, erwiderte er, und seine Verwendung des Titels gab ihr bereits die Antwort, die sie hören wollte. »Es scheint, als habe Meister Valas Hune sich verabschiedet.« Quenthel Baenre lächelte, ihr Blick verriet Genugtuung. Hinter der Herrin Arach-Tiniliths sah er Danifae, die ihm einen haßerfüllten Blick zuwarf. Jeggred leckte seine Lippen, seine Augen ließen keinen Zweifel daran, daß der Draegloth Gewalt anwenden wollte. »Valas Hune hat seinen Zweck erfüllt, Meister Mizzrym«, erwiderte sie. »Sein Fehlen ist ohne Bedeutung.« Sie sah zu Jeggred und Danifae. »Alles wird Lolths Zweck dienen, alles.« »Die Welt ist ihre Beute«, sagte Danifae erneut. Quenthel lächelte nachsichtig, dann machte sie auf dem Absatz kehrt und ging ein paar Schritte fort von ihnen, um die Landschaft zu betrachten. Sie berührte ihr heiliges Symbol und flüsterte ein Gebet. Vier der Schlagen sahen über ihre Schul ter, um die frühere Kriegsgefangene und Jeggred zu beobach ten. K’Sothra hielt sich derweil dicht an ihrem Ohr auf. Ausdruckslos starrte Danifae Quenthels Rücken an, dann wandte sie sich ab und bedachte Pharaun mit einem spötti schen Grinsen. Du bist ein Narr, so wie immer, signalisierte sie ihm. Pharaun reagierte mit gleicher Miene, weil er wußte, daß es sie rasend machte. Auch Jeggred sah Pharaun an, den hungrigen Ausdruck des Draegloth konterte er mit einem unsicheren Lächeln. Der Magier sah sich um, dann sagte er zu Quenthel: »Nicht sehr gastfreundlich, nicht wahr, Herrin? Ich glaube, Meister Hune hat unvergleichliche Weisheit bewiesen, als er sich
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diesen Teil unserer kleinen Reise ersparte.« Quenthel entgegnete nichts, doch Jeggred knurrte. »Ich hätte Valas töten und sein Herz essen sollen.« Jeggreds Worte waren für Pharaun eine gute Gelegenheit, seine Loyalität zu Quenthel zu zeigen. Er nutzte sie, da er wuß te, wie leicht Jeggred sich manipulieren ließ. »Sein Herz essen?« fragte er. »So wie Meister Argiths?« Der Halbdämon bleckte die Zähne, um ein Grinsen anzu deuten. »Genau so wie Argiths«, gab er zurück und schmatzte. »Das Blut seines Herzens war eine Delikatesse.« Gelblicher Speichel troff ihm aus dem Mundwinkel. Der Tod Ryld Argiths machte Pharaun in keiner Weise zu schaffen, aber er konnte ihn benutzen, um Quenthel etwas zu beweisen. Außerdem bereitete es ihm Spaß, sich über Jeggred lustig zu machen. »Du bist sicherlich intellektuell nicht so unreif, daß du glauben könntest, der Tod Meister Argiths löse bei mir Gefüh le aus?« fragte er. Jeggred knurrte, spreizte die Klauen und trat einen Schritt vor. Pharaun fuhr fort: »Ich bin allerdings verblüfft, daß jemand mit einem eindeutig beschränkten Intellekt überhaupt die Bedeutung des Wortes ›Delikatesse‹ kennt. Gut gemacht. Damit hast du heute abend wenigstens einmal etwas von dir gegeben, was einem Baenre angemessen ist.« Quenthel reagierte mit einem kurzen Lachen, und Pharaun wußte, daß er sein Ziel erreicht hatte. Mit ausgestreckten Armen machte Jeggred einen Satz nach vorn, während sich Danifae in seine Mähne verkrallte und ihn zurückhielt. Ihr Blick war auf Pharaun gerichtet. »Nein«, sagte sie mit einer Stimme, die so ruhig war wie ei
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ne See, über der sich nicht ein Windhauch regt. »Meister Mizzryms Absicht ist nur für Narren nicht offensichtlich.« Pharaun wußte, das ging gegen Quenthel. »Ehe das hier vorüber ist, werde ich ein weiteres Herz geges sen haben«, versprach er Pharaun, ließ aber zu, daß Danifae ihn weiter festhielt. Pharaun legte die Hand auf seine Brust und tat, als sei er verletzt. »Du tust mir weh«, sagte er. »Ich mache dir ein Kompli ment, was deinen Intellekt angeht, und was bekomme ich dafür? Die Androhung von Gewalt!« Er sah am Draegloth vorbei zu Quenthel, als erwarte er Rückhalt. »Ich bin zutiefst getroffen. Euer Neffe ist ein undankbarer Grobian.« Quenthel wandte sich um. »Das reicht. Kommt, Lolth ruft.« Langsam ging sie den Hügel hinab. Danifae flüsterte Jeggred etwas zu, dann ließ sie ihn los. Zu Pharaun sagte sie: »Ihr soll tet vorsichtig sein, Meister Mizzrym. Meine Hand, die seine Leine hält, wird allmählich müde, und es ist nicht alles so eindeutig, wie Ihr glaubt.« Pharaun grinste. »Ich bin immer vorsichtig, Herrin«, erwi derte er und sprach sie dabei absichtlich mit ihrem Titel an. »Alles ist so, wie es ist. Das ist nur für Narren nicht offensicht lich.« Dazu sagte Danifae nichts, kniff aber die Lippen zusammen. Sie wandte sich ab und folgte Quenthel. Pharaun und Jeggred standen allein auf dem Hügel. Jeggred betrachtete Pharaun mit stechendem Blick. Seine breite Brust hob und senkte sich wie ein Blasebalg, von seinen Zähnen troff Speichel. Obwohl er fünf Schritte entfernt war, schlug Pharaun Jeggreds übler Atem entgegen. »Ihr seid der Narr«, sagte Jeggred. »Wir sind noch nicht fer tig. Ehe alles vorüber ist, werde ich Euer Herz verspeisen.«
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Unbeeindruckt stellte sich Pharaun vor den Draegloth, die Worte eines Zaubers bereit, die dem Halbdämon die Haut vom Leib reißen würde. »Deinem Atem würde das sicher helfen«, sagte er, dann ging er an Jeggred vorbei. Er bemerkte den stechenden Blick, der sich in seinen Rü cken bohrte, aber er spürte auch den haßerfüllten Blick aus den acht Augen hoch oben am Himmel. Gemessenen Schrittes näherte er sich Quenthel und Dani fae. Jeggred folgte ihm, sein Atem und die schweren Schritte waren für Pharaun deutlich zu hören. An Quenthels Seite angelangt fragte er: »Jetzt, da wir hier sind – wohin genau gehen wir?« Quenthel sah zum Himmel und zu dem leuchtenden Strom aus Seelen, die glitzerten wie die mit Edelsteinen überzogene Decke der Höhle Menzoberranzans. »Wir folgen den Seelen zu Lolth«, antwortete sie. »Was dann?« hakte er nach. Sie sah ihn wütend an, die Schlangen an ihrer Peitsche züngelten gereizt. »Was dann?« fragte sie. Pharaun senkte den Blick, fragte aber: »Ja, was dann, Her rin? Lolth ruft ihre Yor’thae, doch was soll die tun?« Einen Moment lang schwieg Quenthel, und als Pharaun aufsah, erkannte er, daß ihr Blick nicht mehr auf ihm ruhte. »Herrin?« legte er nach. Sie riß sich von ihren Überlegungen los. »Das ist nichts, was einen Mann zu interessieren hat.« Pharaun verbeugte sich, während er angestrengt nachdach te. Er fragte, ob Quenthel überhaupt wußte, was die Yor’thae tun sollte und was eigentlich mit Lolth geschah. Es bereitete ihm Sorge, daß sie es womöglich nicht wußte.
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Quenthel sagte nichts, und dann setzte sich die Gruppe wieder in Bewegung. Pharaun sah hinter sich und nahm Danifaes Blick wahr. Sie benetzte ihre Lippen, lächelte und schlug dann die Kapuze ihres Mantels hoch.
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Rings um Gromph Baenre knisterten und brannten Hunderte von Feuern. Schwarzer Rauch quoll in die Luft und hüllte den Basar in einen surrealen Dunst. Verlassene Geschäfte und Stände waren nur wenig mehr als ein Haufen verkohlten Ge steins. Die geschwärzten, versteinerten Gestalten mehrerer Drow-Kaufleute – in Stein verwandelt durch die Berührung des Drowleichnams Dyrr, der die Form eines Obsidianriesen angenommen hatte – lagen wie gegossene Metallstücke auf dem Grund verstreut. Einige der versteinerten Drow waren wie Kerzenwachs in der Hitze geschmolzen, die die Explosion des Steckens der Macht nach sich gezogen hatte. Sie würde man nicht wieder in Fleisch zurückverwandeln können, daher ver schwendete Gromph keinen Gedanken an ihr Schicksal. Breite, tiefe Kerben, verursacht durch die Zuckungen des Riesen, entstellten den sonst so makellosen Boden im Basar.
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Noch immer benommen von der Zerstörung des Stabs saß Gromph zusammengesunken da, die Beine auf dem kühlen Boden ausgestreckt. Rauch stieg aus seiner Kleidung auf. Sein Kopf war nur zu trägen Gedankengängen in der Lage, seine Sinne fühlten sich wie benebelt an. Doch sie waren nicht so benebelt, daß er seine Schmerzen nicht gefühlt hätte – seine heftigen Schmerzen. Ein großer Teil seines Körpers war verbrannt, und ihm kam es vor, als bohrten sich Millionen Nadeln in seine Haut oder als hätte er in Säure gebadet. Sein vorübergehend abgetrenn tes Bein war noch immer nicht vollständig wieder eins mit dem Körper geworden, daher schossen immer wieder Schmer zen durch Schenkel und Hüfte. Seine nichtmagischen Klei dungsstücke – die zum Glück nur einen kleinen Teil seiner Bekleidung ausmachten – waren mit dem Fleisch verschmol zen und hatten eine Mischung aus verbranntem Fleisch und Stoff gebildet. Er konnte sich vorstellen, wie seine unge schützte Gesichtshaut aussehen mußte. Er war überrascht, daß er noch sehen konnte. Kurz vor der Explosion mußte er die Augen – die geraubten Agrach Dyrr-Augen – geschlossen haben. In den Händen hielt er zwei verkohlte Stöcke, die er an starrte, ohne zu verstehen, welchem Zweck sie dienten. Vom Aussehen her erinnerten sie ihn an seine Arme – dünn und fast bis zur Unkenntlichkeit verbrannt. Erst nach kurzem Nachdenken wurde ihm bewußt, daß es sich um die Überreste des Steckens der Macht handelte. Mit einem leichten Zusammenzucken nahm er die Finger vom Holz und ließ beide Stücke des Stabs zu Boden fallen. Im Basar war keine Bewegung zu beobachten, wenn man von Nauzhror absah, der nervös glucksend neben ihm kauerte. Gromph ging der absurde Gedanke durch den Kopf, die Zerstö
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rung des Stabes könnte alles Leben in Menzoberranzan ausge löscht haben. Doch diese Überlegung war so albern, daß er lächeln mußte – eine Bewegung, die er auf der Stelle bereute. Die Haut seiner Lippen brach auf, was ihm entsetzliche Schmerzen bereitete. Warme Flüssigkeit trat aus den Rissen aus und lief ihm in den Mund. Ein Zischen war alles, was er von sich gab, um dem Schmerz Ausdruck zu verleihen. Gromph Baenre kannte sich mit Schmerz aus. Wenn er es aushielt, daß sein eigener Rattenvertrauter ihm die Augen aus den Höhlen fraß und ein riesiger Tausendfüßler ihm das Bein abtrennte, dann konnte er ein paar Brandwunden aushalten. »Erzmagier?« fragte Nauzhror. »Soll ich Euch helfen?« Der rundliche Meister Sorceres streckte eine Hand aus, als wollte er nach Gromphs Arm greifen. »Faß mich nicht an!« fauchte Gromph, während ihm mehr Blut in den Mund lief. Aus aufgeplatzten Blasen trat Eiter aus. Nauzhror zog sich so rasch zurück, daß er fast den Halt ver lor. »Ich wollte Euch nur behilflich sein«, stammelte er. Gromph seufzte und bereute seinen schroffen Tonfall. Es war untypisch für ihn, sich von Gefühlen leiten zu lassen. Außerdem nahm in seinem Geist bereits ein Plan Gestalt an, was er mit den Überresten des Drowleichnams machen würde, und da Pharaun im Abgrund der Dämonennetze auf einer Mission unterwegs war, brauchte er Nauzhror. »Selbstverständlich«, sagte er mit sanfterer Stimme. »Wir müssen den Ring noch etwas länger wirken lassen.« »Ja, Erzmagier«, erwiderte Nauzhror. Gromph wußte, sein magischer Ring würde ihn heilen. Es war ein langwieriger und schmerzhafter Prozeß, aber er war so unvermeidlich wie das Licht, das in Narbondel aufstieg. Natür lich hätte Gromph einen Heilzauber gebrauchen können, den
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seine Schwestern offenbar wieder wirken konnten. Doch es ärgerte ihn auch so schon über alle Maßen, daß Triel ihn be reits einmal gerettet hatte. Der Drowleichnam hatte Gromph besiegt, ihn zu Stein verwandelt, und er wäre gestorben oder auf alle Zeit eine Statue geblieben, hätte nicht seine Schwester eingegriffen. Er konnte weder sie noch eine andere Baenre-Priesterin bit ten, ihn zu heilen oder ihm anderweitig zu helfen. Lolth war ihnen wieder gnädig, und bald würde alles wieder wie früher sein. Gromph wollte den Priesterinnen Lolths nicht stärker verpflichtet sein als unbedingt nötig. Er wußte, welchen Preis er dafür würde bezahlen müssen. Lieber würde er noch ein paar schmerzhafte Augenblicke aushalten, während der Ring ihn heilte. Ich bin erfreut, daß Ihr überlebt habt, Erzmagier, sagte Prath in seinem Kopf. Wie es schien, wirkte der Telepathie-Zauber noch. Ich teile deine Freude, gab Gromph zurück. Nun schweig. Gromphs Kopf schmerzte, und die Stimme seines Schülers in seinem Kopf war genauso unangenehm, als hätte ihm je mand einen Dolch ins Auge gejagt. Nach ein paar Augenblicken juckte jede Stelle seiner Haut, und er hatte Mühe, dem Verlangen zu widerstehen, sich zu kratzen. Ein paar Momente später begann sich die tote Haut von seinem Körper zu lösen, und neue, gesunde kam darunter zum Vorschein. »Erzmagier?« fragte Nauzhror. »Noch nicht«, erwiderte Gromph. Von Schmerzen geplagt sah er mit an, wie die verbrannte Haut von seinem Körper abfiel. Gromph stellte sich vor, eine von Lolths Spinnen zu sein, deren alte Form dahinschmolz, damit aus der alten Hülle ein größerer, stärkerer Leib entstei gen konnte. Der Kampf mit dem Drowleichnam hatte ihm zu
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schaffen gemacht, ihn am Ende aber nicht unterliegen lassen. Allerdings war der Kampf auch noch nicht ganz vorbei. Als der größte Teil seiner toten Haut auf dem Basarboden lag, streckte er seine immer noch empfindliche Hand nach Nauzhror aus. »Hilf mir beim Aufstehen.« Nauzhror packte Gromphs Hand und zog ihn hoch. Gromph verharrte kurz, sammelte sich, testete, wie sein re generiertes Bein reagierte, und kontrollierte die letzten noch schmerzenden Partien seines Körpers. Nauzhror scharwenzelte um ihn herum, aufmerksam wie ei ne Hebamme, aber stets darauf bedacht, ihn nicht zu berühren. »Ich bin in der Lage, mich auf den Beinen zu halten«, sagte Gromph, war sich seiner Worte aber nicht wirklich sicher. »Selbstverständlich, Erzmagier«, gab Nauzhror zurück, blieb aber in seiner Nähe. Gromph atmete tief durch und wartete, bis seine Beine standfester wurden. Durch die von Dyrr gestohlenen Augen betrachtete er die Verwüstung ringsum, dann richtete er den Blick auf die Stadt. Von den qualmenden Ruinen des Basars abgesehen war das Stadtzentrum von der Belagerung nicht in Mitleidenschaft gezogen worden. Die große Nadel Narbondel leuchtete noch immer und zählte die Stunden eines weiteren Tages im Leben des prachtvollen Menzoberranzan. Gromph konnte sich nicht erinnern, ob er oder ein anderer das Licht entzündet hatte. Er legte den Kopf schräg und sah Nauzhror an. »Habe ich für diesen Zyklus Narbondel entfacht?« »Erzmagier?« gab der Mann verständnislos zurück. »Schon gut«, sagte Gromph. Nur die leeren Straßen Menzoberranzans waren ein Zeichen dafür, daß um die Stadt gekämpft wurde. In den sonst überlau
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fenen Gassen herrschte Grabesstille. Die Menzoberranzanyr hatten es geschafft, den größten Teil der Kämpfe auf die Tun nel der Dunklen Domäne, Donigarten und Tier Breche einzu grenzen. Das Stadtzentrum war von jeglichen Kämpfen ver schont geblieben, wenn man von dem Gefecht absah, das sich Gromph mit dem Drowleichnam geliefert hatte. Gromph drehte sich um und sah quer durch die Höhle zu der großen Treppe, die nach Tier Breche hochführte. Dort auf der Anhöhe befand sich das Rückgrat der Macht Menzober ranzans, die Institutionen, die über Jahrtausende hinweg dafür gesorgt hatten, daß die Stadt stark und lebendig blieb: ArachTinilith, Sorcere und Melee-Magthere. Blitze, Explosionen und Rauch beleuchteten die Silhouet ten der Schulen. Die Belagerung von Norden durch die Duer gar hielt an. Gromph wußte, daß alle Schulen durch Stein brandbomben in Mitleidenschaft gezogen worden waren, doch er wußte auch, daß sie sich alle behauptet hatten. Bald würden die Duergar merken, wie die Zauber der Pries terinnen Lolths die Verteidigungen stärkten, die Gegenangrif fe heftiger werden ließen und die Gefallenen wieder mit Leben erfüllen würden. »Die Duergar sind stur«, sagte Nauzhror, der seinem Blick gefolgt war. »Ich würde sagen, sie haben noch nicht erkannt, daß Lolth zurückgekehrt ist«, erwiderte Gromph. »Aber ob sie nun stur oder ignorant sind, sie werden bald tot sein.« Im Geiste war für Gromph der Kampf um die Stadt ent schieden. Die Belagerung Menzoberranzans würde bald vorbei sein, und er war zufrieden, daß er seinen Teil dazu beigetragen hatte, damit die Stadt leben konnte. »Stimmt«, pflichtete Nauzhror ihm bei. »Es ist nur noch ei ne Frage der Zeit.«
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Gromph wandte sich ab und sah zum anderen Ende der Höhle, wo sich das Plateau von Qu’ellarz’orl erhob. Wenn Sorcere, Arach-Tinilith und Melee-Magthere das Rückgrat der Stadt waren, dann bildeten die großen Häuser von Qu’el larz’orl ihr Herz. Haus um Haus säumte das Plateau, aber Haus Baenre domi nierte alle anderen, sowohl was die Größe als auch was die Macht anging. In Haus Baenres Schatten drängten sich die Festungen anderer großer Häuser, die aus der Ferne kaum noch auszumachen waren – Mizzrym, Xorlarrin, Faen Tlabbar, sogar Agrach Dyrr. Gromph kniff die Augen zusammen, als er die Stalaktiten wand des abtrünnigen Hauses betrachtete. Gelegentliche Blit ze und magische Explosionen erhellten die Dyrr-Festung. Die Belagerung durch die Magier von Xorlarrin hielt weiter an, und Gromph vermutete, es würde noch eine Weile so weiter gehen. Da Yasraena und ihre Unterpriesterinnen nun wieder Lolths Macht besaßen, konnte die Belagerung noch lange dauern. »Die Xorlarrin sind auch stur«, beobachtete Gromph. »Ja, und habgierig«, erwiderte Nauzhror. »Wenn Haus Agrach Dyrr geschlagen und aus dem herrschenden Rat ent fernt ist ...« Er ließ den Satz unvollendet. Gromph nickte. Wenn Agrach Dyrr fiel, würde Haus Xor larrin zweifellos versuchen, seinen Platz im Rat einzunehmen. »Der Untergang des Hauses Dyrr ist auch nur eine Frage der Zeit.« Wieder nickte Gromph. »Aber ich kann nicht warten.« Er war sich sicher, daß sich im Haus Agrach Dyrr das See lengefäß des Drowleichnams befand, der Aufbewahrungsort dessen unsterblicher Essenz. Er mußte es finden und vernich ten, wenn er Dyrr zerstören wollte. Sonst würde es nur eine
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Frage von Stunden sein, bis sich die überlebende Essenz des untoten Magiers einen anderen Körper suchte. Sollte es dazu kommen, würde der Kampf zwischen dem Drowleichnam und Gromph wieder von vorn beginnen. Doch Gromph besaß nicht länger den Stecken der Macht, den er hätte opfern können, um zu siegen. Ein weiterer Feuerball explodierte an der Brustwehr der Mauer Agrach Dyrrs. »Was denkst du jetzt, Yasraena?« fragte er leise. Gromph wußte, die Muttermatrone des Hauses Agrach Dyrr hatte längst vom Niedergang des Drowleichnams erfahren, und vermutlich hatte sie Gromph sogar ausgespäht. So wie Gromph wußte auch sie, daß der Drowleichnam nicht wirklich tot war, solange sein Seelengefäß unversehrt blieb. »Hat er dir den Standort anvertraut?« flüsterte er. »Erzmagier?« wunderte sich Nauzhror. Gromph Baenre ignorierte ihn. Es war eher unwahrschein lich, daß Yasraena den Standort des Seelengefäßes erfahren hatte. Er konnte sich vorstellen, daß die Beziehung zwischen ihr und dem Drowleichnam angespannt war, so wie seine eige ne zu seiner Schwester Triel. Daher würde Yasraena den Standort kaum kennen. Sie würde in ihrem eigenen Haus danach suchen, weil es das wahrscheinlichste Versteck war. Sie suchte längst danach, das wußte Gromph. Ihm blieb kaum Zeit. Er mußte einen Weg finden, um die Verteidigungs zauber zu überwinden, damit er in das belagerte Haus Menzo berranzans eindringen konnte – wo die Muttermatrone und ihre Unterpriesterinnen bereits auf ihn warteten, nun wieder bewaffnet mit den Zaubern, die Lolth ihnen gab. Fast hätte er gelacht. »Komm«, sagte Gromph. »Wir gehen in mein Arbeitszim
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mer. Der Krieg um die Stadt ist gewonnen, aber es gibt noch ein paar Schlachten, die geschlagen werden müssen.« Prath, übermittelte er dem jungen Baenre-Schüler. Wir tref fen uns in meinen Gemächern.
Yasraena stand über das marmorne Ausspähungsbecken ge beugt und sah zu, wie Gromph Baenres Bild vor ihren Augen verschwand, als er und Nauzhror sich aus dem in Trümmern liegenden Basar fortteleportierten. Von dem Drowleichnam war nichts zu sehen. Der Leib des untoten Magiers war restlos zerstört worden. Aber nicht seine Seele, rief sie sich in Erinnerung, nicht seine Essenz, und das ließ sie hoffen. Auch wenn ihr Herz raste, wahrte sie äußerlich Ruhe. Da der Drowleichnam abwesend war, war sie nun die wahre und einzige Herrin über Agrach Dyrr. Sie durfte nicht zeigen, daß sie beunruhigt war. Zwei ihrer vier Töchter, Larikal und Esvena, die dritte und vierte Tochter des Hauses und zugleich beide niedere LolthPriesterinnen, standen links und rechts von ihr. Ihre erste und zweite Tochter waren damit beschäftigt, die Verteidigung des Hauses gegen die belagernden Xorlarrin-Streitkräfte aufrecht zuerhalten. Daher lag es an Larikal und Esvena, Informationen über die Feinde des Hauses zu sammeln und sie auszuspionie ren. Beide waren größer als Yasraena, und Larikal war fast stämmig, doch beide waren nicht so stark gebaut wie ihre Mut ter. Allerdings hatten beide den Ehrgeiz ihrer Mutter geerbt und waren wie jede Drow-Prinzessin bereit zu töten, um an die Spitze ihres Hauses zu gelangen. Auch drei Männer standen im Raum, sie hatten auf der an deren Seite des Beckens Position bezogen. Sie hatten Sorcere
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abgeschlossen und waren Schüler des Drowleichnams. Sie schienen fassungslos, daß ihr untoter Meister besiegt war. Ihre Hände hingen schlaff aus den Ärmeln ihrer Piwafwis. Yasraena erkannte an ihrer Haltung, daß sie Angst hatten, und die roten Augen, die unter der Kapuze zu sehen waren, verrieten Unsi cherheit. Das ekelte sie an, doch von einem Mann hätte sie auch kaum etwas Besseres erwartet. »Der Erzmagier hat sich in sein Arbeitszimmer zurückgezo gen«, sagte Larikal. »Er hat sich damit unseren Möglichkeiten entzogen, ihn auszuspähen.« Yasraena ließ ihre Frustration an ihrer Tochter aus. »Du sprichst das Offensichtliche aus, als sei es etwas Grundlegen des. Sei still, wenn du nichts Nützliches beizutragen hast.« Larikal kniff die Lippen zusammen, senkte aber rasch den Blick. Die männlichen Schüler traten unbehaglich von einem Fuß auf den anderen und sahen einander immer wieder an. Yasraena umfaßte den Tentakelstab in ihrer Hand so fest, daß ihre Finger schmerzten. Sie hätte den Drowleichnam persönlich erwürgt, hätte er vor ihr gestanden. Was war dank seiner Pläne aus ihrem Haus geworden! Sie starrte in das dunkle Wasser im Becken und versuchte, in Ruhe nachzudenken. Die Schlacht um die Stadt war vorüber, oder besser gesagt: Sie würde bald vorüber sein. Wenn die großen Häuser erst einmal ihre Priesterinnen zusammenriefen, die wieder Zauber wirken konnten, würde die Belagerung nicht mehr lange dau ern. Die Duergar und die Tanarukks würden ausgelöscht wer den, und ihr Haus würde allein gegen das vereinte Menzober ranzan stehen. Trotz der ausweglosen Situation klammerte Yasraena sich an die Hoffnung. Immerhin hatte Haus Agrach Dyrr in den letzten Jahrhunderten im Alleingang mehrere andere Häuser
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ausgelöscht, sowohl unter ihrer Führung als auch unter der ihrer Schwester Auro’pol, der vorangegangenen Muttermatro ne. Die Dyrr konnten kämpfen. Für die Dauer eines Herzschlags dachte sie über Alternati ven nach. Sie konnte aus der Stadt fliehen, doch wohin? Sollte sie ei ne hauslose Vagabundin werden, die bettelnd durchs Unter reich oder die äußeren Ebenen wanderte? Der Gedanke wider te sie an. Sie war die Muttermatrone des Hauses Agrach Dyrr, eines der großen Häuser Menzoberranzans, aber keine Bettle rin! Nein, sie würde mit dem Haus leben oder sterben. Sie wür de sich gegen die Belagerung wehren und einen Weg finden, für ein anderes großes Haus von Nutzen zu sein, was letztlich zu einem Waffenstillstand führen würde. Man konnte Haus Agrach Dyrr zwingen, den herrschenden Rat zu verlassen, und sie würde ein paar Jahrhunderte lang Schmach ertragen müs sen, doch sie und das Haus würden überleben. Das war ihr ein ziges Ziel. Nach einer Weile würde das Haus in den Rat zu rückkehren. Doch um diese Hoffnung zu verwirklichen, brauchte sie den Drowleichnam. Ohne ihn würde das Haus nicht mehr lange Widerstand bieten können. Sie wußte, der untote Magier brauchte nur ein paar Stunden, um wieder Gestalt annehmen zu können, solange sein Seelengefäß unversehrt blieb. Bloß schien niemand zu wissen, wo genau sich dieses See lengefäß befand. Ihre eigenen Erkenntniszauber hatten zu keinem Ergebnis geführt, auch wenn sie nach wie vor davon ausging, daß es irgendwo im Hause Agrach Dyrr war – der Drowleichnam hatte schließlich so gut wie seine gesamte Exis tenz im Haus verbracht. Da hätte er das Seelengefäß nicht anderswo verborgen. Yasraena wußte, Gromph würde zum
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selben Schluß gelangen und zu ihr kommen wollen. Sie mußte es als erste finden, zumindest aber mußte sie Gromph davon abhalten, ihr zuvorzukommen. Dazu mußte sie ständig wissen, was er gerade tat und wo er sich aufhielt. In der Vergangenheit waren ihre Töchter und die Magier des Hauses mit ihren Ausspähungszaubern nicht in der Lage gewesen, die Schutzzauber rings um Gromph Baenres Arbeits zimmer in Sorcere zu durchdringen, sooft sie es auch versucht hatten. Doch es mußte ihnen gelingen, da Yasraena unbedingt frühzeitig erfahren mußte, wann sich der Erzmagier auf den Weg zu ihr machte. Sie sah über das Becken hinweg zu Geremis, dem älteren, kahlköpfigen Schüler des Drowleichnams, dessen unbehaarter Schädel sie in diesem Moment über alle Maßen wütend mach te. »Durchforsche deine Erinnerungen nach einem Hinweis, Geremis«, befahl sie. »Sonst werde ich dir das Gehirn aus dem Schädel holen und es zwischen meinen Fingern sieben. Wo könnte der Drowleichnam sein Seelengefäß verborgen haben?« Geremis zitterte und schüttelte den Kopf, mied es aber, sie anzusehen. »Muttermatrone, der Drowleichnam hat solche Informationen mit niemandem geteilt. Unsere Erkenntniszau ber ...« »Genug!« herrschte Yasraena ihn an und stampfte mit dem Fuß auf. »Die Zeit für Ausflüchte ist vorbei. Larikal, stelle zusammen mit Geremis einen Trupp auf, der das Haus durch sucht. Notfalls auf allen vieren! Vielleicht verrät uns eine gewöhnliche Suche das, was uns kein Zauber sagen kann. Ich will stündliche Berichte.« Sie wußte, Geremis und Larikal teilten manchmal das Bett. Beide waren häßlich, und die Vorstellung der beiden zusam men in einem Bett ließ bei ihr Übelkeit aufkommen.
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»Ja«, antwortete Larikal, die kein Widerwort wagte. Zu Ge remis sagte sie: »Folge mir, Mann.« Beide eilten hinaus, bedacht darauf, sich so schnell wie möglich Yasraenas Zorn zu entziehen. Nachdem sie gegangen waren, sah Yasraena Esvena an. »Du findest einen Weg, wie sich die Schutzzauber rund um Gromph Baenres Arbeitszimmer in Sorcere durchdringen lassen.« Dann wanderte ihr Blick zu den beiden verbliebenen Männern, bei de Magier mittleren Alters, deren Namen sie nicht einmal kannten. »Ihr zwei helft ihr und verstärkt unsere eigene Ab wehr. Wenn ihr keinen Weg durch die Schutzzauber des Erz magiers findet oder wenn er oder irgendwelcher XorlarrinAbschaum unsere Zauber durchdringen, werde ich sehr un gehalten sein.« Sie hob drohend den Zeigefinger. Einer der Männer räusperte sich und begann: »Muttermat rone ...« Yasraena holte mit ihrem Tentakelstab aus. Zwei der gum miartigen Arme begannen sich zu strecken und legten sich um den Hals des Magiers. Er röchelte und packte die Tentakel, die roten Augen waren weit aufgerissen, sein Mund bewegte sich, doch es kam kein Laut über seine Lippen. Mit einem geistigen Befehl wies Yasraena den Stab an, fester zuzudrücken. »Du sprichst nur, wenn ich es befehle«, sagte sie und sah den anderen Mann an, der ihrem Blick auswich. »Wie gesagt, die Zeit für Ausflüchte ist vorüber. Tut, was zu tun ist.« Esvena betrachtete das Ganze mit einem kühlen Lächeln. Plötzlich holte Yasraena mit der freien Hand aus und schlug ihrer Tochter den Handrücken auf den Mund. Die jüngere Priesterin taumelte nach hinten, ihre Lippe blutete, und sie sah Yasraena haßerfüllt an. »Wage es nicht, in meiner Gegenwart zu lächeln«, fuhr die
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se ihre Tochter an. »Das Schicksal unseres Hauses steht auf dem Spiel. Du kannst deinem Vergnügen nachgehen, wenn wir unsere Feinde besiegt haben.« Esvena wischte das Blut von der Lippe und senkte den Blick. Verzeiht.« Yasraena wußte, die Entschuldigung war nicht ehrlich ge meint, doch etwas anderes hätte sie auch nicht erwartet. Sie zog den Stab zurück, woraufhin der Mann keuchend und nach Luft schnappend zu Boden sank. »Wir leben und sterben mit diesem Haus«, ließ Yasraena sie alle wissen. »Sollte ich auch nur vermuten, daß du mich hin tergehst oder deine Sache halbherzig machst, werde ich dich zu Tode prügeln, wiederbeleben und erneut totschlagen. Das wird so lange anhalten, bis mein Zorn verraucht ist. Zweifle nicht daran, daß ich das in die Tat umsetzen könnte.« Sie betrachtete Esvena und sah in Esvenas Augen Angst. Die Männer gaben sich alle Mühe, unterwürfig zu agieren. »Versucht weiter, Gromphs Arbeitszimmer auszuspähen«, sagte Yasraena, »und zwar so lange, bis es euch gelungen ist. Gromph wird herkommen, und ich muß wissen wann. Ich werde mich stündlich nach Fortschritten erkundigen.« Als sie sich abwandte, um den Raum zu verlassen, erzitterte das ganze Haus – eine Folge des Angriffs der Xorlarrin. Durch ihre magischen Amulette war sie auf telepathischem Weg mit ihrer ersten und zweiten Tochter verbunden, so daß sie sofort fragen konnte: Anival, was geschieht da? Die ruhige geistige Stimme ihrer Tochter erwiderte: OgerStoßtrupps der Xorlarrin mit einem magisch verstärkten Ramm bock haben soeben versucht, die Tore zu durchbrechen. Sie sind alle tot, der Rammbock ist kaputt. Die Schutzzauber halten, und die Xorlarrin können nicht einmal den Graben einnehmen. Sie scheinen sich neu zu formieren. Es könnte sein, daß sich ihnen
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bald ein weiteres Haus anschließt. Yasraena wußte das, doch sie erwiderte ihrer ersten Tochter nur: Sehr gut. Weiter so, und halte mich auf dem laufenden. Sie konnte nicht sagen, wie lange ihr Haus dem permanen ten Ansturm der Xorlarrin-Magier noch gewachsen sein wür de. Schutzzauber umgaben zwar den Graben, die Brücke und die Mauer aus Diamantspat – manche der Zauber waren von ihr, andere von ihren Vorfahren, und viele vom Drowleich nam –, aber sie konnten gebrochen werden. Bislang war das den Xorlarrin nicht gelungen, doch früher oder später mußte es soweit sein. Yasraena schickte ein stummes Stoßgebet zu Lolth, daß die Schutzzauber wenigstens noch eine Weile hielten, damit der Drowleichnam Zeit genug hatte, in einen neuen Körper zu wechseln und an ihre Seite zu kommen. Mehr brauchte sie nicht, um ihr Haus zu retten. Es sei denn ... Vielleicht gab es noch einen anderen Weg. Er gefiel ihr nicht, aber er brachte vielleicht die Rettung. Sie würde mit Triel Kontakt aufnehmen. Vielleicht konnte sie ihrem Haus etwas mehr Zeit verschaffen. Ohne ein weiteres Wort ließ sie ihre Untergebenen zurück und ging in ihre Privatgemächer. Als sie den Raum verließ, hörte sie, wie Esvena die Magier beschimpfte.
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Die Reise über das felsige, unebene Terrain erwies sich als schwierig. Gruben, Furchen und rauchende Säureseen zwangen Pharaun und seine drei Weggefährten zu einer an Umwegen reichen Strecke. Nur langsam kamen sie zwischen den schwar zen Spitzen der versteinerten Beine voran. Es behagte Pharaun nicht, sich im Schatten der gigantischen Spinnenbeine zu bewegen, da ihn das Gefühl überkam, sie könnten jeden Mo ment zum Leben erwachen und sie in ihre Gewalt bekommen. Spinnen saßen in ihren Netzen zwischen den versteinerten Gliedmaßen und zogen sich rasch in Ritzen und Spalten zu rück. Der Wind kämpfte gegen sie an, während sie sich weiter ih ren Weg bahnten, und er pfiff durch die Liedspinnennetze. Pharaun schwitzte. Er fühlte sich schutzlos. »Herrin«, sagte er. »Mit dem Verstreichen weiterer Stun
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den könnte es sein, daß es zu einem Sonnenaufgang kommt. Wir sind unter freiem Himmel.« Er sehnte sich nicht danach, noch einmal einen so blen denden Sonnenaufgang zu erleben, wie es ihm auf der Welt an der Oberfläche widerfahren war. Quenthel sah ihn nicht an. Eine ihrer Peitschenvipern – Yngoth – hielt sich einen Moment lang in Höhe ihres Ohrs auf. Quenthel nickte. »Über Lolths Abgrund wird eine Sonne aufgehen«, erwider te sie. »Aber sie ist düster, rot und fern. Ihr habt nichts zu befürchten. In ihrem Schein werden wir genauso mühelos vorankommen wie in der Nacht.« Jeggred schnaubte und fragte: »Füllen die Schlangen deiner Peitsche die Lücken in deinem Wissen über Lolths Reich?« Danifae schien zu kichern, aber es konnte auch ein Hüsteln sein. Über die Schulter erwiderte Quenthel: »Manchmal ja. Sie sind Dämonen, die ich gebunden habe, und sie besitzen Kenntnisse über die Infernalischen Ebenen, die sie mit mir teilen müssen. Vielleicht kann Danifae ja die übrigen Wissens lücken schließen.« Sie blieb stehen und sah Danifae an. Diese nahm ihre Kapuze nicht herunter. »Wenn ich etwas beizutragen habe«, sagte sie, »werde ich es sagen.« Quenthel lächelte Jeggred an, dann ging sie weiter. »Könnten wir nicht auf Zauber zurückgreifen, die uns trans portieren?« überlegte Pharaun, auch wenn er nicht genau wußte, wohin sie unterwegs waren. Sie schüttelte den Kopf. »Nein. Dies ist Lolths Reich, und sie will, daß wir es erleben. Wir werden so lange gehen, bis ich etwas anderes sage.« Pharaun verzog das Gesicht, antwortete aber nicht. Er hätte
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fliegen können, da er den Ring besaß, den er Belshazu abge nommen hatte, doch er beschloß, Quenthel nicht zu provozie ren. Für ihn war der neue Abgrund der Dämonennetze ein Hindernis, das es zu überwinden galt. Für Quenthel dagegen war er eine religiöse Erfahrung, die sie durchleben wollte. Das zu umgehen wäre Ketzerei gewesen. Auf ihrer nächtlichen Wanderung spähten nach wie vor die acht Sterne Lolths durch das Loch in der Wolkendecke herab, das sich wie ein Wandelstern am Nachthimmel entlang be wegte. Lolths Stimme in Form des heulenden Winds, der durch die Liedspinnennetze wehte, dröhnte in seinen Ohren, und der Blick der Spinnenkönigin bohrte sich wie die Spitzen von acht Speeren in seinen Rücken. Pharaun hatte das Ge fühl, den Verstand zu verlieren, doch er behielt seine Überle gungen für sich. Hoch über ihnen zog der Fluß der Seelen lautlos weiter. Funkensprühende Energiestrudel standen weiterhin überall am Himmel und spieen die Seelen der Toten aus. Pharaun staunte über die große Zahl an Drow-Seelen. Er wußte, sie mußten gestorben sein, nachdem Lolth in ihr tiefes Schweigen verfallen war. Aber woher kamen sie? Auf wie vielen Welten lebten Lolths Kinder? Er hoffte, es waren viele. Denn sonst fürchtete er, bei der Rückkehr Menzoberranzan so leer vorzufinden wie den Raum zwischen Jeggreds Ohren. Daß Gromph keine Nachrichten mehr gesendet hatte, beunruhigte ihn zusätzlich. Vielleicht war der Erzmagier durch die Belage rung Menzoberranzans zu beschäftigt, um zu reagieren, oder aber Gromph war womöglich tot. Er schüttelte den Kopf, verdrängte seine Zweifel und konzentrierte sich auf das Hier und Jetzt. Pharauns magische Stiefel erlaubten es ihm, leichter voran zukommen und zu springen als die anderen, doch selbst er
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empfand den Boden als tückisch. Messerscharfe Felskanten, Findlinge so groß wie ganze Häuser, steile Abgründe, verbor gene Löcher und Flächen aus lockerem Geröll machten jeden Schritt zu einer Herausforderung. Die Löcher im Boden ent puppten sich in den meisten Fällen als von Spinnweben ge säumte Tunnel, die sich tief in die Finsternis unter der Land schaft erstreckten. Pharaun vermutete, die ganze Ebene sei von ihnen durchzogen. Der Gestank von Verwesung und ein leises, kaum wahrnehmbares, arachnoides Klicken drang aus der Schwärze dieser Löcher empor. Er wollte nicht darüber nachdenken, was sich wohl unter ihren Füßen befinden mochte. Nach einigen Stunden Marsch legten sie eine kurze Pause ein, um am Rand eines Lochs von der Größe eines Ogers Pilz brot, Käse und getrocknetes Rothé-Fleisch aus ihrem Proviant zu essen. Aus dem Loch war immer wieder ein beunruhigendes Klicken zu hören, ein muffiger Geruch schlug ihnen aus der Tiefe entgegen. »Was ist das für ein Geräusch?« fragte Jeggred. »Du meinst wohl, was das für ein Gestank ist«, korrigierte Pharaun. »Er ist fast so schlimm wie dein Atem, Jeggred, und das meine ich nicht negativ.« Jeggred reagierte mit einem finsteren Blick, dann biß er wieder von seinem Fleisch ab. Unter der Kapuze ihres Mantels flüsterte Danifae: »Es ist der Klang der Stimme von Lolths Kindern.« »Bruthöhlen, würde ich sagen«, sprach Quenthel es deutli cher aus und aß ein Stück getrocknetes Fleisch. Sie streckte ihre Peitsche aus, und die Schlangen schoben zischend ihre Häupter in das Loch hinab. Das Klicken verstummte. Gleichzeitig ließ der Wind abrupt nach, und das Heulen der Liedspinnennetze setzte aus. Die
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Nacht wurde ruhig. Pharaun bekam eine Gänsehaut, und alle vier saßen reglos da, den Blick auf das Loch gerichtet, während sie damit rech neten, daß etwas Entsetzliches daraus zum Vorschein kam. Nichts geschah, und nach einer Weile setzte der Wind und mit ihm das Heulen wieder ein. Pharaun aß rasch auf, erhob sich und fragte: »Sollen wir uns wieder aufmachen?« Quenthel nickte, Jeggred stopfte sich noch einmal den Mund mit Rothé-Fleisch voll, dann ließen sie ihren Rastplatz hinter sich und bewegten sich weiter. Unterwegs lächelte Danifae unter ihrer Kapuze Pharaun mit unverhohlener Ver achtung an. Sein Unbehagen über diese Ebene schien ihr Ver gnügen zu bereiten. Pharaun ignorierte sie und dachte darüber nach, daß er sich nie hätte vorstellen können, Valas Hune könne ihm so sehr fehlen. Sicherlich hätte es den Söldner die wenigste Mühe gekostet, ihnen den Weg zu zeigen. Vielleicht war es aber auch Ryld, der ihm so fehlte. Immerhin war er ein guter Gesprächs partner gewesen. Quenthel und Danifae dagegen legten den Weg unter den vorbeiziehenden Seelen schweigend zurück, ohne von den Schwierigkeiten Notiz zu nehmen, die der Un tergrund mit sich brachte, und mit Jeggred lohnte es sich nur zu reden, wenn er ihn aufziehen konnte. Überall waren Spinnweben zu sehen, die nun immer häufi ger wurden. Sie überzogen alles, von den Fallen einer normal großen Schwarzen Witwe bis hin zu den monströsen, silbernen Vorhängen, die so groß waren wie die Hautsegel auf dem Cha osschiff. Pharauns Schuhe waren mit Spinnfäden überzogen. Die Luft selbst schien durchzogen von unsichtbaren Fäden, die das Atmen erschwerten und seine Kehle reizten. Nach weiteren anstrengenden Stunden waren sie alle am
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ganzen Leib von klebrigen Fäden übersät. Pharaun mußte sie sich unentwegt aus dem Gesicht wischen, damit er überhaupt noch atmen konnte. Ihm kam es vor, als sei die gesamte Ebene eine einzige, riesige Spinne, die um die vier allmählich einen Kokon legte, damit sie nicht merkten, in welcher Gefahr sie schwebten, bis sie völlig eingehüllt waren, unfähig sich zu bewegen und ihrem Biß ausgeliefert. Pharaun schüttelte den Kopf, um dieses beunruhigende Bild aus seinem Denken zu vertreiben. Trotz der zahlreichen, extrem großen Netze, die zwischen den Findlingen hingen, hatte er bislang nur Spinnen von nor maler Größe gesehen – manche so klein wie ein Fingernagel, andere so groß wie ein Kopf. Die Liedspinnen mit ihren schmalen Leibern und den langen Beinen waren bislang die größten, die er beobachtet hatte, doch er wußte, irgendwo mußten größere Exemplare sein. Sie lauerten über dem Boden, im Untergrund sowie zwischen jedem Stein und Loch an der Oberfläche. Sie bewegten sich überall. Pharaun vermutete, daß die Erbauer der größten Netze in den unterirdischen Tunneln ihr Zuhause hatten und hoffte, sie würden noch für einige Zeit dort unten bleiben, da die kleinen Exemplare ihn auch so schon genug reizten. Auch wenn er wußte, daß nicht einmal die kleinsten Krea turen den magischen Schutz durchdringen konnten, der durch seine Zauber, den Ring von Sorcere und den verzauberten Piwafwi geschaffen wurde, konnte Pharaun nicht das Kribbeln abstellen, das er empfand. Danifae und Quenthel hingegen schienen es zu genießen, daß die Tiere über ihre Haut und durch ihr Haar liefen. Jeggred wiederum schien von den Spinnen nicht einmal Notiz zu nehmen, was nur natürlich war, da ihn kaum etwas interes sierte. Allerdings achtete der Halbdämon sorgfältig darauf,
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keine der Kreaturen zu zertreten, wenn er den nächsten Schritt machte. Während sie sich über ein weiteres Feld aus versteinerten Spinnenbeinen begaben, bemerkte Pharaun an der Spitze eines der größten Felstürme eine flüchtige Bewegung, doch als er stehenblieb und genau hinsah, war nichts weiter zu sehen. Neugierig und ansonsten gelangweilt aktivierte Pharaun die Kräfte seines Rings und stieg in die Höhe. Er erhob sich in die Luft, und auf dem Weg zur Spitze warf er einen Blick nach unten auf seine Gefährten. Als er sie sah, wie sie nach oben schauten, wußte er, wie sie auf Lolth wirken mußten – klein und bedeutungslos. Als er die Spitze der Felsnadel erreichte, hielt er inne und schwebte reglos in der Luft, im Geiste die Worte eines Zaubers einsatzbereit. Der Wind fuhr durch sein Haar und seinen Mantel. Ein Stück über Pharaun verlief die leuchtende Linie aus Seelen, von denen die am niedrigsten schwebenden fast in seiner Griffweite waren. Die Geister reagierten nicht auf ihn, also ignorierte er sie ebenfalls. Energiewirbel drehten sich am Himmel und ließen grünblaue Funken herabregnen. Wolken aus Säurerauch durchzogen die Luft. Von unten hörte er Quenthel etwas rufen, doch durch den Wind konnte er sie nicht verstehen. Trotzdem hatte er eine ungefähre Vorstellung davon, was sie wollte. Er ignorierte sie und konzentrierte sich auf das Objekt, das seine Neugier geweckt hatte. Unregelmäßige Felsvorsprünge überzogen die ansonsten glatte Oberfläche, was das Ganze aussehen ließ, als sei das Bein der Spinne abgeschlagen worden, noch ehe es versteinert war. Dicke Fäden hingen zwischen den Aussparungen und verlie hen der Fläche einen silbrigen Schein.
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Pharaun fühlte sich in seiner Position hoch oben in der Luft unerklärlich wohl, fast als würde er ein warmes Bad nehmen. Der Abgrund der Dämonennetze erstreckte sich unter ihm wie eine fremde Welt, über ihm der weite, gleichermaßen fremde Himmel, was ihn aber nicht scherte. Er konnte sich vorstellen, daß es fast bequem sein könnte, sich inmitten der Fäden auszu ruhen, sich in ihre Wärme zu hüllen. Langsam schwebte er näher, da er nichts lieber wollte als zu ruhen. In den Fäden sah er sich windende, große Beute. Deren Form konnte er nicht erkennen, da sie völlig von Spinnweben bedeckt war. Das Wesen, das ihm am nächsten war, wand sich am heftigsten, vermutlich, da es seine Anwesenheit spürte. Auf einmal teilten sich einige der Fäden, und ein offenes Auge kam zum Vorschein.
Aliiszas letzte Übermittlung hatte Kaanyr wie ein Schlag ge troffen. Die Worte hallten noch immer in seinem Kopf nach. Lolth heißt die Toten willkommen. Sie lebt. Das war alles gewesen. Er hatte erwartet, Aliisza würde zu ihm zurückkehren, doch das war nicht der Fall, und sie hatte sich auch nicht mehr bei ihm gemeldet. Er empfand ihr Ver halten als überraschend. Einen Moment lang hatte er sich noch einreden können, das Alu-Scheusal habe gelogen, was Lolths Rückkehr anging, doch er wußte, er machte sich damit nur etwas vor. Aus ihrer geistigen Stimme war keine Falschheit herauszuhören gewesen, und er kannte sie gut genug, um zu merken, wann sie ihn be log. Sie konnte sich geirrt haben, daher würde er ihre Nach richt prüfen lassen, doch tief in seinem Inneren wußte er, es mußte wahr sein. Bald würden er und seine Männer nicht nur mit den Soldaten und Magiern Menzoberranzans konfrontiert
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sein, sondern auch mit den Priesterinnen Lolths, und es wür den viele sein. Er hatte Nimor bereits vor Lolths Rückkehr gewarnt, auch wenn der Drow in keiner Weise auf seine Nachricht reagiert hatte. Dieser undankbare Mistkerl, dachte Vhok. Seinen Spionen zufolge hatte Nimor vor dem Kampf mit dem Erzmagier Menzoberranzans die Flucht ergriffen, so daß der Drowleichnam Dyrr sich dem Baenre allein hatte stellen müssen. Details waren ihm nur wenige bekannt, doch wie es schien, hatte der Baenre am Ende triumphiert. Ebenso sah es danach aus, daß der Basar der Stadt dem Erdboden gleichge macht worden war, während viele Menzoberranzanyr vernich tet oder versteinert worden waren. Wenigstens hatte der Drowleichnam noch etwas geleistet, dachte Vhok. Er beurteilte seine Situation. Erstens war der Drowleichnam vernichtet, das Haus Agrach Dyrr wurde belagert. Zweitens hatte Nimor Imphraezl die Flucht ergriffen, und drittens – und das war der wichtigste Punkt – lebte die Spinnenkönigin, und ihre Priesterinnen konnten wieder Zauber wirken. All das ließ nur einen Schluß zu, der sich über ihn legte wie ein Leichentuch. Er hatte verloren. Diese Erkenntnis wog schwer. Er mußte es sich im Geiste immer wieder sagen, ehe er es akzeptieren konnte. Er saß auf einem luxuriösen, gepolsterten Diwan in dem magischen Zelt, das als sein Hauptquartier diente, führte einen Kelch mit Branntwein an seine Lippen und trank. Obwohl er für gewöhnlich den süßlichen Geschmack genoß, schmeckte er kaum etwas von der Flüssigkeit. Er seufzte, stellte den Kelch ab und ließ sich in die Kissen seines Diwans sinken.
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Er war dem Sieg so nahe gewesen, so unerträglich nahe! Seine Geknechtete Legion hatte sich in den Kämpfen in den Stollen an der südöstlichen Grenze von Menzoberranzan, in Donigarten und inmitten der gedüngten Pilzwälder bestens geschlagen. Er hatte hundert seiner Tanarukks verloren, im Gegenzug aber die anderthalbfache Anzahl Drow getötet, dazu etliche Kampfspinnen und ein oder zwei Drinnen. Eine Weile hatte es so ausgesehen, als könnten sich seine Tanarukks einen Weg durch die Linien der Drow bahnen und bis zu den großen Häusern von Qu’ellarz’orl gelangen, um vielleicht sogar Haus Baenre selbst zu belagern. Aber dann hatte er Aliiszas Nachricht empfangen. Er konnte diese Schlacht nicht gewinnen; das wußte er. Ihm blieb nur noch, dafür zu sorgen, daß er nicht auch noch sein Leben verlor. Doch dafür mußte er schnell handeln. Er zweifelte nicht daran, daß die Drow und ihre Priesterinnen in diesem Moment über Vergeltungsschläge nachdachten. Zum Glück hatte Kaanyr einen Plan. Er würde Horgar und die Duergar benutzen, um den Rückzug der Geknechteten Legion zu sichern. Diese stinkenden, unfähigen, kleinen Wich te hatten während der Schlacht um die Stadt nichts anderes getan, als sich hinter Belagerungswänden zu verstecken und ihre Steinbrandbomben abzufeuern. Sollten die Duergar es tatsächlich geschafft haben, auch nur einen Tunnel zu halten, hätte es Kaanyr doch sehr gewundert. Wenigstens werden sie jetzt noch einen Zweck erfüllen, dachte der Cambion. Sie werden sterben, damit ich lebe. Er nahm seinen Kelch und hob ihn zu einem spöttischen Trinkspruch auf die Duergar. Danke, Horgar, du kleine Ratte, dachte er. Möge dich ein häßlicher Tod ereilen, da du auch im Leben häßlich warst. Nachdem er ausgetrunken hatte, lächelte er, bis seine Ge
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danken zu Aliisza zurückkehrten. Bedeutete ihr Schweigen, daß sie ihn verließ? Er schnaubte verächtlich und zuckte die Achseln. Ob Aliis za ihn verließ, scherte ihn nicht, war doch ihre Beziehung ohnehin ein Zweckbündnis gewesen. Allerdings würden ihm ihre körperlichen Talente fehlen. Ihre Motive waren ihm ein Rätsel. Konnte es sein, daß sie diesen Drow-Magier wirklich liebte? Er verwarf diese Möglichkeit, statt dessen glaubte er an die wahrscheinlichere Lösung: ihre Faszination für den Meister Sorceres hatte sich zu einer Affenliebe entwickelt. Sie hatte oft ihre Vorliebe für schwache Wesen erkennen lassen, so wie eine Menschenfrau ein Haustier liebte. Sie würde früher oder später zu ihm zurückkehren, immer hin hatte sie ihn zuvor auch schon verlassen, einmal sogar für mehrere Jahrzehnte. Trotzdem war sie jedesmal zurückgekehrt. Spontaneität war nun einmal ihre Art, so wie eine strukturier te Existenz die seine war. Sie fühlte sich zu ihm hingezogen, sie würde nicht lange fernbleiben. Sie wollte einfach nur für den Augenblick ein neues Spielzeug, was Vhok ihr nicht verübelte. Er lächelte und wünschte dem Meister Sorceres alles Gute. Aliisza konnte sehr anstrengend sein. Natürlich mußte dieser Magier etwas an sich haben, im merhin war es ihm und diesem zusammengewürfelten Haufen gelungen, Lolth zu wecken. Vhok hatte ihre Mission für ein sinnloses Unterfangen gehalten, bis sich herausstellte, daß sie genau das Richtige unternahmen. Er seufzte, stand auf, schnallte die mit Runen gravierte Klinge an seinem Gürtel fest und rief: »Rorgak! Zu mir!« Augenblicke später wurden die Vorhänge vor dem Zelt ge teilt, und sein mit Stoßzähnen bewehrter, großer, rotschuppi ger Leutnant trat ein. Blut troff von seinem Brustpanzer, und an einer dünnen Hakenkette um seinen dicken Hals trug er
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etliche Drow-Daumen. Kaanyr zählte sechs. »Herr?« fragte Rorgak. Kaanyr bedeutete ihm, zu ihm zu kommen, dann sagte er in der Sprache der Orks: »Lolth ist zurückgekehrt. Bald werden die Zauber der Priesterinnen zur Verteidigung der Stadt einge setzt werden.« Rorgak riß die schwarzen Augen auf. Obwohl er tierhaft aussah, besaß er ein erhebliches Maß an Intelligenz. Er verstand, was diese Worte bedeuteten, und fragte: »Herr, was sollen wir dann ...« Mit erhobener Hand und einem leisen Zischen brachte Vhok ihn zum Schweigen. »Wir verlegen unser Hauptquartier in die Höllentorfeste«, entgegnete er, da er sich nicht dazu durchringen konnte, den Rückzug zu befehlen. »Informiere die Offiziere. Die Drow sollen glauben, wir machten einen takti schen Rückzug, um die Kräfte für ihren Gegenangriff zu sam meln.« Rorgak nickte. »Was ist mit den Duergar?« wollte er wissen, doch sein Tonfall verriet, daß er die Antwort bereits erahnte. Kaanyr bestätigte seine Ahnung mit seiner Antwort: »Tötet die gut hundert Duergar, die sich unter unseren Leuten befin den, aber nichts davon darf Horgar und seinen Streitkräften zu Ohren kommen. Sie sollen weiter Tier Breche angreifen.« »Horgar und die Duergar wird man abschlachten, wenn die Priesterinnen Arach-Tiniliths ihre Zauber mit denen vereinen, die die Akademie schützen«, sagte Rorgak. Vhok nickte lächelnd, dann erwiderte er: »Aber die letzte Schlacht wird die Drow lange genug beschäftigen, damit sich unsere Legion weit von Menzoberranzan zurückziehen kann. Nun geh, die Zeit drängt.« Rorgak salutierte mit einem Schlag auf den Brustpanzer, dann eilte er aus dem Zelt.
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Einen Moment lang wünschte sich Vhok, Aliisza sei an sei ner Seite. Er hätte ein wenig Trost gut gebrauchen können.
Pharaun benötigte einen Augenblick, ehe er erkannte, was in dem Netz gefangen war. Eine Drow-Seele. Vermutlich handelte es sich bei den anderen Formen um weitere gefangene Seelen. Vermutlich waren sie zu tief über den Himmel gezogen, oder aber der, der das Netz geschaffen hatte, war in der Lage gewesen, sie vom Himmel zu holen. Vielleicht konnte eine solche Kreatur auch Pharaun mühelos vom Himmel holen. Ihm gefiel das Bild nicht, das daraufhin vor seinem geistigen Auge entstand. Er schüttelte den Kopf, dann suchte er die Vorsprünge nach Spinnen oder spinnenartigen Kreaturen ab, auf die das Netz zurückzuführen war, konnte aber nichts anderes entdecken als die verdammten Seelen. Dennoch hatte sich irgend etwas auf seinen Verstand aus gewirkt ... Die gefangene Seele neben ihm, die vielleicht seine Ge genwart spürte, kämpfte gegen das Netz an und bekam etwas mehr von ihrem Gesicht frei. Es war ein Drow. Er öffnete den Mund und setzte zu einem tonlosen Wehklagen an, während er mit seinen entsetzten Augen Pharaun förmlich durchbohrte. Wieder wand er sich und versetzte das gesamte Netz in Schwingungen. Als hätten die Bewegungen sie gereizt, regten sich nun auch die anderen Seelen, doch die Netze hielten sie unerbittlich fest. Ein weiterer Ruf von unten sollte seine Aufmerksamkeit zu rück auf die anderen lenken, aber Pharaun ignorierte ihn.
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Fasziniert und entsetzt zugleich rief Pharaun die Macht seines Ringes von Sorcere zum Leben, damit er magische Ausstrah lungen und unsichtbare Gegenstände sehen konnte. Wie er erwartet hatte, leuchtete das Netz bei dieser Betrachtung in schwachem Rot. Das stoffliche Netz besaß magische Eigen schaften, die es ihm erlaubten, körperlose Seelen in seine Fän ge zu bekommen. Er staunte über den arkanen Mechanismus hinter diesem Zauber, als seine verbesserte Sicht eine bislang unsichtbare Kreatur entdeckte, die im Zentrum des Netzes saß, ganz in der Nähe einer der gefangenen Seelen. Abgesehen von den acht schwarzen Augen mitten im Gesicht und den Reiß zähnen, die zwischen den Lippen hervorlugten, erinnerte sie an einen Drow, dessen Leib mit einer Spinne gekreuzt und auf einer Streckbank auf die doppelte Länge gezogen worden war. Sie kauerte da und beobachtete ihn, war nackt und hatte Klauenfinger, die fast halb so lang waren wie Pharauns Unter arm. Sie waren mit Büscheln aus kurzem, struppigem Haar überzogen, und der Leib zitterte immer wieder, als hätte sie Schmerzen. Eine gräßliche Flüssigkeit troff ihr aus dem Mund, und an den Beinen öffneten sich Spinndrüsen. Ich sehe dich, dachte Pharaun, während er sich einen Zau ber ins Gedächtnis rief. Er mußte einen Moment zu lange gestarrt haben. Die Krea tur begriff, daß er sie entdeckt hatte. Sie öffnete den Mund und eilte auf ihn zu. Gleichzeitig erklang in Pharauns Kopf eine Stimme, eine vernünftig klingende, verlockende Stimme, die durch Magie verstärkt wurde. Hier ist Trost, hier ist Wärme. Komm her. Pharaun fühlte, wie der Vorschlag durch seinen Kopf ging und seinen Willen unterhöhlte, doch er widersetzte sich ihm und schwebte ein Stück rückwärts, während er zu einem Zau ber ansetzte.
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Das Geschöpf sprang zischend nach vorn. Als es am Rand des Netzes ankam, beschrieb es einen Überschlag und wandte die Beine gegen Pharaun. Spinnfäden schossen aus den Spinn drüsen und trafen Pharauns Brust. Obwohl er den Aufprall kaum spürte, schienen die Fäden in sein Innerstes zu greifen. Ihm blieb fast die Luft weg. Ihm war, als würde er entzwei gerissen, da das Netz versuchte, seine Seele aus seinem Leib zu zerren. Wieder zischte die Kreatur und begann zu ziehen. Wieder ertönten Rufe von unten. Quenthel klang wütend. Pharaun wahrte nur mit Mühe seine Konzentration und vollendete im Flüsterton seinen Zauber. Die Magie gab seiner Stimme Kraft und Macht, die ihm half, das Wort auszustoßen, aus dem der Zauber bestand. Die Magie zerfetzte die Fäden, die ihn erfaßt hatten, und traf die Kreatur mit der Wucht eines Hammerschlags. Der Treffer wirbelte sie zurück ins Netz, wo sie liegenblieb. Die gefangenen Seelen versuchten, sich aus den teilweise zerstörten Fäden zu befreien. Der Mann, der Pharaun am nächsten war, wand sich mit Mühe aus dem Netz, würdigte seinen Befreier aber keines Blickes, sondern strebte einfach himmelwärts, um sich den anderen Seelen auf dem Weg zu Lolth anzuschließen. »Nichts zu danken«, rief Pharaun ihm nach, dessen Stimme wieder mehr nach seiner eigenen klang. Unter ihm schrie Quenthel noch immer. Pharaun schüttelte den Kopf, um die Benommenheit loszu werden, dann stellte er sicher, daß er unverletzt war. Zufrieden darüber, daß alles in Ordnung war, zog er einen Lederhand schuh aus dem Mantel und sprach einen weiteren Zauber. Vor ihm nahm eine riesige Hand aus magischer Energie Gestalt an, die auf seinen geistigen Befehl hin den benomme nen Leib der Kreatur faßte und umschloß, wobei er darauf
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achtete, daß ihre Spinndrüsen bedeckt waren. Pharaun ließ einen weiteren Zauber folgen, der die Unsichtbarkeit des We sens aufhob. Pharaun begab sich mit seiner Trophäe nach unten, ohne sich um die anderen gefangenen Seelen zu kümmern. Kaum hatten seine Sohlen den Steinboden berührt, wollte die ungeduldige Quenthel wissen: »Was bei den Neun Höllen hast du gemacht?« Von der Kreatur in der riesigen magischen Hand nahm sie kaum Notiz. »Ich bin einer Sache nachgegangen«, erwiderte Pharaun. Ehe Quenthel etwas sagen konnte, schlug Danifae die Ka puze nach hinten und zischte: »Ich habe nicht gehört, daß du um Erlaubnis gebeten hast, irgendeiner Sache nachzugehen, und auch nicht, eine von Lolths Kreaturen zu töten.« Pharaun warf Danifae einen stechenden Blick zu und wäre auf sie losgegangen, hätte Jeggred nicht in diesem Moment drohend geknurrt. »Es zählt nicht zu meinen Gepflogenheiten, dich um Er laubnis zu fragen, Kriegsgefangene. Außerdem hat mich die Kreatur angegriffen.« »Dann ändere deine Gepflogenheiten, Meister Mizzrym«, herrschte Danifae ihn an und warf ihm einen kühlen Blick zu. »Du bist für eine Priesterin Lolths eine Ressource, weiter nichts. Dein Ungehorsam grenzt an Ketzerei!« Zu Pharauns Erstaunen sagte Quenthel: »Sie hat recht. Wenn du dich das nächste Mal ohne meinen Befehl von unse rer Mission entfernst, wirst du bestraft. Lolth erwartet ihre Yor’thae. Wir werden keine Zeit auf deine trivialen Nachfor schungen verschwenden.« Als wollten sie Quenthels Worte unterstreichen, streckten sich die Schlangen zur doppelten Länge aus und züngelten in
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Pharauns Richtung. Pharaun schluckte seine Wut herunter, überwand seinen Stolz und machte sich daran, die Situation zu entschärfen. Er verbeugte sich und sagte: »Natürlich. Verzeiht mein vor eiliges Handeln.« Dann wandte er sich Danifae zu. »Mir war nicht bewußt, daß Ihr für die Herrin sprecht.« Quenthel kniff daraufhin die Lippen zusammen und sah erst Pharaun, dann Danifae wütend an. »Niemand spricht für mich«, erwiderte sie, während Pha raun den Blick senkte. »Mir ist nur daran gelegen, den Willen Lolths zu erfüllen, Herrin.« »Mir auch«, konterte Quenthel und wandte sich ab, um den Weg zu betrachten, der vor ihnen lag. Pharauns und Danifaes Blicke trafen sich. Sie lächelte. Of fenbar glaubte sie, sie habe einen Keil zwischen Quenthel und ihn treiben können, indem sie darauf hinwies, daß Pharaun ohne Quenthels Erlaubnis gehandelt hatte. Ihr Blick versprach Pharaun einen häßlichen Tod, sollte der Keil einen breiten Graben schaffen. Er erwiderte das Lächeln und war sicher, den Schaden be hoben zu haben, indem er angedeutete hatte, sie habe anma ßend gehandelt, als sie für Quenthel sprach, und wenn es tat sächlich zum Äußersten kommen sollte, dann würde Danifae diejenige sein, auf die ein häßlicher Tod wartete. Der Gedanke ließ ihn hochschrecken. Er wollte eine Pries terin Lolths töten? Sie war zwar ohne Haus, doch sie war nach wie vor Priesterin. So etwas wäre Pharaun vor Lolths Schwei gen niemals in den Sinn gekommen. Ihm wurde bewußt, daß Lolth zwar zurück war, daß ihr Schweigen aber die Beziehun gen zwischen Männern und Frauen grundlegend verändert hatte. Zumindest einige Männer würden die Priesterinnen
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nicht mehr als unantastbar betrachten. Ihre wenn auch vorü bergehende Schwäche während des Schweigens hatte etwas von der gesellschaftlichen Kontrolle wegbrechen lassen, die ihre Herrschaft ausgezeichnet hatte. Er fragte sich, welche Folgen das haben würde. Die Kreatur in seiner magischen Faust regte sich und stöhn te. Pharauns Zauber hatte ihr nur kurz das Bewußtsein ge nommen. »Herrin Danifae«, sagte er, »hat die Situation falsch einge schätzt. Ich habe keine von Lolths Kreaturen getötet, sondern ich habe sie Euch gebracht, damit Ihr mit ihr nach Belieben verfahren könnt. Vielleicht wollt Ihr sie ja befragen.« Quenthel steckte ihre Peitsche in den Gürtel und drehte sich um. In ihren Augen sah Pharaun einen zustimmenden Ausdruck. Die Schlangen erschlafften, während sie sich zum ersten Mal die Kreatur ansah, dann einen Schritt nach vorn tat, die Hand um das Maul des Dings legte und zudrückte. »Sprich!« forderte sie. »Was bist du?« »Seid vorsichtig«, warnte er. »Es kann durch Suggestion Seelen in sein Netz locken, indem es ihnen Trost verspricht.« Quenthel drückte weiter zu, die Kreatur jaulte. Danifae nahm den Schmerz des Wesens mit Belustigung zur Kenntnis, während Jeggred zu überlegen schien, wie es wohl schmeckte. »Wenn du das versuchst«, sagte sie, »werde ich deinen Kopf zerquetschen.« »Nicht«, jammerte die Kreatur mit schriller Stimme in ei ner archaischen Form von Niederdrow. »Nicht. Hielt ihn für eine Seele. Ist aber keine Seele.« Quenthel schüttelte den Kopf des Dings und fragte erneut: »Was bist du?« Die Kreatur versuchte, den Kopf zu schütteln, doch Quenthels kraftvoller Griff verurteilte sie zur Bewegungslosig
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keit. Speichel und Gezischel rannen über ihre Lippen. »Die Verfluchte der Spinne«, sagte sie schließlich, auch wenn sie nur schwer zu verstehen war. »Die Verfluchte Lolths?« fragte Quenthel. »Du dienst nicht Lolth?« Schleim und Speichel liefen über das Gesicht, die Stirn war in Falten gelegt. »Spinne haßt mich, aber ich esse ihre Seelen. Viele See len.« Quenthel lockerte ihren Griff und sah erst Danifae, dann Pharaun an. »Diese nutzlose Kreatur kann uns nichts sagen«, sagte sie. »Tötet sie.« Pharaun zögerte keine Sekunde, sondern sorgte dafür, daß die magische Hand zudrückte. Das Wesen schrie, Knochen brachen, Speichel und Blut spritzten aus dem Mund. »Das Wimmeln wird euch holen«, jammerte es noch, ehe es in einem blutigen Regen verging. »Das Wimmeln?« wiederholte Pharaun, während er dafür sorgte, daß sich die magische Hand auflöste und der blutige Kadaver zu Boden fiel. Keine der Priesterinnen antwortete auf seine Frage oder schien an der Drohung des Wesens interessiert, also sprach Pharaun weiter: »Wie es scheint, hat Lolth Sinn für Ironie. Sie belohnt ihre Anhänger für einen lebenslangen Dienst, indem sie zuläßt, daß ihre Seelen auf dem Weg zu ihr von den Kreatu ren gefaßt werden, die sich von ihnen ernähren.« Quenthel schnaubte verächtlich und warf ihm einen wü tenden Blick zu. Die Schlangen an ihrer Peitsche züngelten träge. »Meister Mizzrym«, sagte sie. »Du verstehst so wenig wie die meisten Männer. Treue Dienerschaft im Leben garantiert keine Sicherheit im Tod. Diese ganze Ebene ist eine Prüfung
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für Lolths Tote. Das mußt doch sogar du erkennen.« Danifae sah zu Quenthel und fragte: »Ist dann diese Kreatur nicht auch eine Dienerin Lolths gewesen, Herrin Quenthel?« Schweigen machte sich breit, da Quenthel über die Frage verblüfft wirkte. Ehe die Hohepriesterin etwas entgegnen konnte, sagte Da nifae zu Pharaun: »Lolth verachtet die Schwachen stets, auch im Tod. Wenn eine Seele schwach oder dumm ist, wird sie ausgelöscht.« »Wie angenehm für sie«, kommentierte er mit einem Schulterzucken. Quenthel fuhr herum. »Was ist los? Bist du um deine eigene Sicherheit besorgt?« Jeggred grinste schief. Pharaun hätte fast laut aufgelacht, so absurd war die Frage. Er war stets um seine Sicherheit besorgt. Statt direkt auf ihre Frage zu antworten, sagte er: »Man könnte glauben, die Spinnenkönigin würde zumindest für die Yor’thae und ihre Eskorte eine Ausnahme machen.« »Im Gegenteil«, erklärte Danifae und strich sich eine Strähne hinters Ohr. Sie hielt die Hand vor ihr Gesicht und beobachtete, wie ein kleines, rotes Spinnentier mit übergroßen Mandibeln an ihren Fingern entlangkrabbelte. Sie kniete sich hin und ließ das Tier auf einen Stein überwechseln, wo es in Sicherheit war. Erst da sah Pharaun den Blutstropfen an der Stelle, an der die Spinne sie gebissen hatte. Dabei hatte Danifae nicht mal gezuckt. Danifae stand auf und fuhr fort: »Lolth unterwirft sich den gleichen Gesetzen wie ihre Untertanen.« Mit verschlagenem Lächeln sah sie zu Quenthel. »Nur die Starken und Intelligen ten überleben. Nur wer beides ist, kann ihre Yor’thae sein.« Quenthel warf ihr einen stechenden Blick zu, doch Danifae
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sah wieder zu Pharaun und sprach weiter: »Würde Lolth eine Priesterin auswählen, die unwürdig wäre, ihre Yor’thae zu sein, dann würde der gescheiterten Kandidatin ohne Zweifel etwas zustoßen, und ebenso ihrer Eskorte.« Quenthel hielt wieder die Peitsche in der Hand, die Schlangen waren hellwach. »Dann ist es ja gut, daß sie nicht falsch wählen wird«, sagte sie, während sich die Schlangen aufbäumten und fünf kleine, rote Augenpaare Danifae haßerfüllt anblickten. Quenthel legte den Kopf schräg und nickte, als hätten die Schlangen zu ihr gesprochen. »Hat sie denn noch nicht gewählt?« fragte Danifae. Quenthels Augen blitzten auf, womöglich aus Verärgerung, weil sie ihre Worte so schlecht gewählt hatte. Sie ging zu Da nifae und trat auf die rote Spinne, die die Kriegsgefangene soeben abgesetzt hatte. Danifae riß erstaunt die Augen auf und trat einen Schritt zurück. Sogar Jeggred schien es die Sprache verschlagen zu haben. »Diese verfluchte Kreatur zu töten war kein Verbrechen«, platzte es aus Danifae heraus, »aber eine Spinne zu töten, das ist Blasphemie!« Quenthel kratzte mit ihrem Stiefel über den Stein und spöt telte: »Das war keine Spinne, es schien nur eine zu sein. So hat sie überlebt, zumindest bis eben.« Sie sah Danifae lange an, dann sagte sie: »Wesen zu töten, die vorgeben, mehr zu sein, als sie in Wahrheit sind, entspricht Lolths Wille.« Danifae preßte den Mund zusammen, als ihr klar wurde, welche Beleidigung Quenthel damit ausgesprochen hatte. Wortlos schlug sie die Kapuze hoch, wandte sich ab und ging fort. Jeggred bedachte Quenthel mit einem finsteren Blick, dann folgte er Danifae.
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Sie lächelte, als die beiden ihr den Rücken zuwandten, wäh rend sich Pharaun fragte, warum sie Danifae weiterhin am Leben ließ. Sie zu ermorden hätte keinerlei Konsequenzen nach sich gezogen. Danifae gehörte zu keinem der Häuser Menzoberranzans, und Lolth hatte nichts gegen ein wenig Blutvergießen zwischen den Priesterinnen einzuwenden. »Komm«, sagte Quenthel zu ihm. »Weitere Hindernisse er warten uns, ehe wir die Berge erreichen.« Diese Worte genügten, damit Pharaun ihre Absicht verstand. Wenn Lolths Ebene tatsächlich eine einzige Prüfung war, dann warteten weitere Herausforderungen auf sie, die sie vielleicht nur überwinden konnten, wenn sie Verbündete hatten, selbst wenn es sich um Lolths Yor’thae handelte. Quenthel tötete Danifae aus dem einfachen Grund nicht, weil sie sie vielleicht später noch brauchte. Er eilte Quenthel nach. Als er die Stelle passierte, an der Quenthel gestanden hatte, fiel ihm eine kleine, rote Spinne auf, die ganz nach der aussah, die sie angeblich zertreten hatte. Hatte sie das vielleicht nur vorgetäuscht? Sicher war er sich nicht, doch er mußte an ihre Worte den ken: Wesen zu töten, die vorgeben, mehr zu sein, als sie in Wahr heit sind, entspricht Lolths Wille. Wer gab etwas vor? fragte er sich. Dann aber verdrängte er die Frage und folgte Quenthel.
Während Larikal und Geremis die Suche nach dem Seelenge fäß des Drowleichnams anführten, beschloß Yasraena, einen Versuch zu unternehmen, um ihrem Haus den Frieden zu brin gen oder zumindest ein wenig Zeit zu gewinnen. Sie saß auf dem steinernen Thron im Audienzsaal, einem Ort, den Triel mit einem Zauber rasch würde ausfindig machen
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können. Sie hoffte, die Muttermatrone des ersten Hauses wür de auch antworten. Sie sammelte ihre Gedanken, nahm ihr heiliges Symbol in die Hand und sprach die Worte, die nötig waren, um eine Nachricht zu übermitteln, die nicht länger als fünfundzwanzig Worte ausfallen durfte. Schutzzauber hatten auf eine solche Nachricht keine Wirkung, was vor allem daran lag, daß der Zauber nichts anderes bewirkte, als die Worte des Zaubernden zu übermitteln. Zauber konnten so nicht übermittelt werden. »Muttermatrone, Muttermatrone Agrach Dyrr will die Lage besprechen. Bin im Audienzsaal. Schutzzauber sind gesenkt. Tut das gleiche. Gegenseitiges Hellhören.« Damit sprach Yasraena das Wort, das den Schutz vor Aus spähung im Audienzsaal aufhob, und nahm über das magische Amulett an ihrem Hals telepathisch mit Anival Kontakt auf. Muttermatrone? antwortete die. Schick einen Hausmagier in meinen Thronsaal, der in Erkennt nis-Zaubern bewandert ist. Sofort! Ja, erwiderte Anival, dann war die Verbindung beendet. Während Yasraena auf den Hausmagier wartete, hielt sie das heilige Symbol in der Hand und rezitierte einen kleineren Zauber, der es ihr erlaubte, Ausspähversuche zu sehen. Sollte Triels Hausmagier einen Hellhörsensor in Yasraenas Thronsaal versteckt haben, würde sie es jetzt erfahren. Sie hatte nicht einmal Zeit gehabt, bis fünfzig zu zählen, da trat der Hausmagier Ooraen ein, der jüngst Sorcere abgeschlos sen hatte, und eilte den Gang entlang bis zum Thron. »Wie kann ich Euch dienen, Muttermatrone?« »Du weißt, wie man einen Hellhören-Erkenntniszauber wirkt, oder?« fragte sie. Ooraen nickte. »Tritt bis auf weiteres neben den Thron und schweige.
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Wenn ich es befehle, wirst du den Zauber auf die Stelle wir ken, die ich dir nenne, und dann wirst du gehen.« Ooraen verbeugte sich und bezog neben dem Thron Stel lung. Yasraena trommelte mit den Fingern auf dem Heft ihres Tentakelstabs und wartete. Fast eine Stunde verging, und allmählich wurde sie ungeduldig. Ein kleiner, magischer Sensor nahm im Thronsaal Gestalt an, eine etwa faustgroße, rote Kugel, die nur Yasraena sehen konnte. »Ich sehe ihn, Muttermatrone«, sagte sie. Als Triels Titel erklang, zuckte Ooraen zusammen. Sie wandte sich zu ihm um und sagte: »Wirke deinen Hellhörzau ber im Audienzsaal des Hauses Baenre.« Yasraena wußte, er hatte das Haus nie von innen gesehen, doch das war unwichtig. Eine mündliche Beschreibung des gewünschten Standorts würde genügen. Nach einem kurzen Zögern zog Ooraen ein winziges, metallenes Horn aus seinem Mantel, hielt es ans Ohr, dann sprach er die Worte des Zaubers. Als der Erkenntniszauber komplett war, hörte Yasraena Triels Stimme aus dem Sensor: »Seid gegrüßt, Yasraena.« Triel grüßte sie absichtlich nicht mit ihrem Titel, sondern mit ihrem Namen, doch Yasraena hielt ihre Verärgerung im Zaum. Sie schickte Ooraen aus dem Saal, und der Magier eilte sofort wieder zur Tür. »Seid gegrüßt, Muttermatrone.« »Wie geht es Haus Agrach Dyrr?« fragte Triel. Yasraena konnte sich gut vorstellen, mit welch sarkastischem Lächeln Triel die Worte gesprochen hatte. »Gut«, erwiderte sie. »Haus Agrach Dyrr geht es gut.« Der Sensor übertrug Triels Lachen.
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Yasraena ignorierte es und sagte: »Ich habe um diese Un terhaltung gebeten, weil ich auf eine Einigung hoffe.« »Tatsächlich?« »Ja.« Sie würde nicht noch mehr Zeit vergeuden. »Die Alli anz des Hauses Agrach Dyrr mit den Streitkräften, die Menzo berranzan belagern, wurde heimlich vom Drowleichnam ar rangiert. Als ich davon erfuhr, hatte er seinen Plan bereits in die Tat umgesetzt. Seitdem habe ich insgeheim alles getan, um den Plan des Drowleichnams zu sabotieren. Nun, da sein Leib vernichtet ist ...« »Nun, da sich Euer Ehrgeiz als viel zu groß für Eure Fähig keiten erwiesen hat«, unterbrach Triel, »wollt Ihr Frieden schließen. Ist es nicht so?« Yasraena gelang es nicht, die Wut aus ihrer Stimme zu hal ten. »Ihr irrt Euch ...« »Nein«, unterbrach Triel erneut. »Ihr irrt. Ihr wollt Euer Haus retten, indem Ihr Euer eigenes Versagen auf den Drow leichnam schiebt. Selbst wenn stimmen sollte, was Ihr sagt, beweist es nur, daß Ihr unfähig seid zu herrschen.« Yasraena umfaßte den Stab so fest, daß ihre Finger schmerz ten. Wut tobte in ihr, und um ein Haar wäre ihr Temperament mit ihr durchgegangen. Dann bekam sie sich wieder in den Griff und erwiderte: »Vielleicht ist etwas wahr an dem, was Ihr sagt. Deshalb will ich Euch ein Angebot machen.« Kurzes Schweigen, dann: »Macht es.« »Haus Agrach Dyrr wird für fünfhundert Jahre zum Vasal lenhaus des Hauses Baenre, eine Absprache, die vom herrschenden Rat noch abgesegnet werden müßte. Mein Haus verläßt den Rat« – vorübergehend, fügte sie wortlos an – »und wird ein halbes Jahrtausend lang unter der Herrschaft und dem Schutz von Baenre stehen. Ich und mein ganzes Haus werden
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Euch zur Verfügung stehen.« Yasraena wußte, sie mußte ein gewagtes Angebot machen. Es war lange her, daß ein Haus der Stadt formell Vasall eines anderen gewesen war, aber es handelte sich nicht um etwas Undenkbares. Außerdem blieben ihr kaum andere Möglichkei ten. Sie hielt den Atem an, da sich ihrem Vorschlag langes Schweigen anschloß, während Triel zweifellos den Vorschlag abwog. Dann erwiderte sie: »Euer Angebot verfügt über ein gewis ses Potential, Yasraena.« Sie atmete erleichtert auf, während Triel fortfuhr: »Um zu beweisen, daß Ihr es ehrlich meint, müßt Ihr erst das Seelenge fäß des Drowleichnams zerstören.« Etwas anderes hatte Yasraena nicht erwartet. »Natürlich, Muttermatrone. Ich bin im Begriff, dessen Standort ausfindig zu machen, doch in Anbetracht der Belagerung ist das schwie rig. Erschwert wird es zudem von dem unweigerlich zu erwar tenden Eingreifen des Erzmagiers. Setzt die Belagerung vorü bergehend aus und haltet Gromph zurück. Sobald das Seelengefäß gefunden ist, werde ich Kontakt mit Euch auf nehmen und einen Beweis für seine Vernichtung vorlegen.« Triel lachte. »Seid nicht albern«, sagte sie. »Ihr werdet be weisen, wieviel Ihr Haus Baenre als Vasallenhaus wert seid, indem Ihr das Seelengefäß findet und vernichtet, obwohl das Haus Agrach Dyrr von den Xorlarrin belagert wird, und wenn der Erzmagier sich entschließt, Eure Verteidigung auf die Probe zu stellen, dann werdet Ihr das auch mitmachen, und wenn nicht, dann ist Eurem Haus die Vernichtung gewiß.« Yasraena verkniff sich die zornigen Worte, die ihr auf der Zunge lagen. Ihr blieb keine Wahl, als einzuwilligen. »Eure Bedingungen sind annehmbar«, sagte sie widerwillig.
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»Es freut mich, daß Ihr das so seht«, antwortete Triel. »Nehmt nicht wieder Kontakt mit mir auf, Yasraena, es sei denn, Ihr wollt den Beweis für die Vernichtung des Drow leichnams vorlegen.« Damit war das Gespräch beendet, und einen Herzschlag darauf entmaterialisierte sich der Sensor in Yasraenas Audienz saal. Yasraena saß auf ihrem Thron und versuchte, ihre Gedan ken zu ordnen. Sie hatte ihren Zug gemacht, doch sie war nicht sicher, was dabei herauskommen würde. Sie wußte nicht, ob sie, wenn sie das Seelengefäß wirklich finden sollte, ihre Zusage einhalten oder abwarten würde, bis der Drowleichnam wieder einen Körper gefunden hatte. Ein Teil von ihr wünsch te sich, den ständigen Einmischungen des untoten Magiers ein für allemal ein Ende zu setzen, doch ihre pragmatische Seite sagte ihr, daß sie ihr Haus schwächte, wenn sie ihn vernichte te. Und der Gnade des Hauses Baenre ausgeliefert zu sein ... Sie schüttelte den Kopf. Eine Entscheidung würde hinfällig werden, wenn ihr Haus in die Hände der Xorlarrin fiel oder wenn Gromph Baenre das Seelengefäß vor ihr fand. Sie stand auf und machte sich auf die Suche nach Larikal.
Mehrere Kilometer lang herrschte Schweigen, als sich Pharaun und seine Gefährten ihren Weg zwischen den steinernen Tür men hindurch und über den verwüsteten Grund bahnten. Die Ebene strahlte eine Atmosphäre aus, als stehe alles kurz vor der Explosion. Im Verlauf der nächsten Stunden wurde der Wind heftiger, bisweilen sogar so stark, daß sich Pharaun vorbeugen mußte, um nicht weggeweht zu werden. Die Stürme sorgten zwischen den Steintürmen für ein lautes Heulen, die Liedspinnennetze
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kreischten, und ihnen wehte eine Wolke aus Spinnen, Schmutz, Netzen und lockerem Geröll entgegen. Jeggred schirmte mit seinem Leib Danifae vor dem lebenden Ha gelsturm ab, Pharaun benutzte zum gleichen Zweck seinen Piwafwi, nur Quenthel lächelte und hielt die Arme ausgebrei tet, um eine Zuflucht für jede Spinne zu bieten, die sich darin verfing. Nach einer Weile wimmelte es in ihrem Haar und auf ihrem Piwafwi von den Kreaturen. Pharaun war klar, daß sie hier zu Hause war, und zog die Kapuze seines magischen Mantel zusammen, um sein Gesicht besser zu beschützen. Die Yor’thae kehrte heim. Die Windstöße nahmen an Häufigkeit zu und wurden mit jeder Stunde heftiger. Es war ein immer schlimmer werdender Regen aus kleineren Steinen, Netzen und Spinnen, der auf sie einprasselte. Die heulenden Netze klangen mehr und mehr nach dem gequälten Jaulen einer Kreatur, die Schmerzen erlitt. Pharaun hatte kaum Erfahrung mit dem Wetter an der Ober fläche, doch sogar er konnte spüren, daß der schlimmste Sturm noch gar nicht losgebrochen war. »Vielleicht sollten wir Schutz suchen«, sagte er und hatte Mühe, den kreischenden Wind zu übertönen. »Der Glaube ist unser Schutz, Magier«, erwiderte Quenthel, der der Wind das Haar ins Gesicht peitschte. Eine kleine schwarze Spinne lief über ihr Lid, die Nase und dann den Mund, doch Quenthel lächelte nur weiter. Danifae schob die Kapuze zurück und legte den Kopf schräg, als hätte sie etwas gehört. Rote Spinnen liefen ihr durchs Haar und übers Gesicht. »Hört Ihr es nicht im Heulen?« rief Danifae ihm zu. »Lolth ruft uns. Wir gehen weiter.« Pharaun blinzelte in den Wind, sah von einer Priesterin zur anderen, schwieg aber. Im Wind hörte er nur das unerträgliche
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Kreischen der Netze. Der Glaube sollte ihnen Schutz bieten? Er wußte, daß dem nicht so sein würde. Er hatte die gesehen, die an Lolth glaubten und auf einem der Felstürme in einem Netz gefangen waren. Das war aller Schutz, den der Glaube an Lolth bot. Dennoch verkniff er sich ein Widerwort und trottete weiter, gegen den Wind und alles gestemmt, was dieser mit sich trug. Die Zeit verstrich, und die wachsende Müdigkeit ließ seinen Geist und Leib ermatten, während der Sturm unverändert an Heftigkeit zunahm. Als sich der Himmel links von ihm genügend aufhellte, um die Landschaft besser sehen zu können, beschloß er, diese Richtung Osten zu nennen. Auch wenn Quenthel Jeggred versichert hatte, die Sonne könne ihnen hier nichts anhaben, mußte Pharaun blinzeln, als er sich daraufgefaßt machte, daß sie aufging. Im Westen war ein Gebirge zu erkennen, das zu Fuß gut fünf bis sechs Tagesreisen entfernt war. Die großen, dreieckigen Gipfel ragten bis weit in den Himmel auf und bildeten eine Mauer aus finsterem Stein, deren Seiten so scharf, steil und schroff wie Reißzähne waren. Rotes Eis bedeckte die Spitzen, über denen dicke Wolken hingen, die finster waren wie Dä monenblut – Anzeichen eines Unwetters, wie Pharaun es sich niemals hätte vorstellen können. Dieses Unwetter bewegte sich auf sie zu, denn der schnei dende Wind und die kreischenden Netze waren nur die Vorbo ten. Die endlose Reihe aus Seelen, die sich vom Wind und dem drohenden Unwetter nicht beeindrucken ließen, bewegte sich auf den Fuß eines der Berge zu, und zwar auf eine Stelle, die womöglich ein Tal oder ein Paß zwischen den beiden größten Gipfeln war.
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»Lolths Netz und Stadt befinden sich jenseits dieser Berge«, rief Quenthel. Danifae strich sich das Haar aus dem Gesicht und studierte den Horizont. Ihr entrückter Blick erinnerte Pharaun an einen wahnsinnigen Propheten, dem er einmal im Basar Menzober ranzans begegnet war. »All die Seelen sammeln sich in dieser Schlucht am Fuß der Berge«, sagte Pharaun, der nicht wußte, ob die anderen es gesehen hatten. »Es ist keine Schlucht«, gab Quenthel zurück, deren Stim me kaum den Wind übertönte. Weiter sagte sie nichts, doch Pharaun mochte den gehetz ten Ausdruck in ihren Augen nicht. »Die Sonne geht auf«, erklärte Jeggred und schirmte seine Augen mit einer Hand ab. Pharaun drehte sich um und sah, wie ein schmaler Streifen eines winzigen roten Himmelskörpers sich über den fernen Horizont schob. Das Licht sorgte kaum für mehr Helligkeit als der silbrig schimmernde Mond, der des Nachts über den Him mel der Welt an der Oberfläche zog. Der Schein der Sonne Lolths bildete eine klare Linie in der Landschaft, eine Grenze zwischen Dunkelheit und Licht, die sich in ihre Richtung be wegte, je höher der Himmelskörper stieg. Wie Quenthel gesagt hatte, bescherte das Licht wirklich nur geringes Unbehagen. Pharaun ließ die Hand sinken, mit der er seine Augen abge schirmt hatte, und betrachtete den ersten Sonnenaufgang seines Lebens. Zu seiner Überraschung, aber auch zu seiner Beunruhigung setzte überall Bewegung ein, wohin das Licht fiel. Zunächst dachte Pharaun, das Sonnenlicht schlage Wellen auf dem Grund, doch dann wurde ihm klar, was sich dort tatsächlich abspielte.
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Die Ebene brachte Millionen von Spinnen hervor. Sie verließen die Finsternis der Klüfte und Höhlen und be gaben sich ins Licht, weil die einsetzende Dämmerung sie rief. Jede von ihnen hatte acht Beine, acht Augen und Reißzähne, doch damit endeten auch die Übereinstimmungen. Manche waren so groß wie Ratten, andere hatten die Größe einer Rothé und ein paar, die sich aus den größten Öffnungen im Boden zwängten, waren von den Dimensionen eines Riesen. Manche sprangen, manche wechselten immer wieder zwischen dieser und einer anderen Wirklichkeit, andere zogen ihre auf geblähten Leiber auf übergroßen Scheren oder schwertgleichen Beinen hinter sich her, wieder andere wurden vom Wind mit gerissen. Als das Licht der Sonne über die Landschaft wanderte, stie ßen jede Grube, jeder Tunnel und jedes Loch, die erhellt wur den, unzählige Spinnen aus. Eine träge, aber deutlich erkenn bare Welle bewegte sich über die Erde, je höher die Sonne stieg. Vor Ehrfurcht sprachlos sah die Gruppe zu, wie sich das Licht näherte. Pharaun war sein Leben lang von Spinnen umgeben gewe sen, doch noch nie hatte er eine solche Masse von Tieren gesehen, die im Begriff waren, die gesamte Oberfläche der Ebene zu überziehen. Eine Decke aus Beinen, Augen und be haarten Körpern legte sich über alles. Zunächst geschah weiter nichts, und die Spinnen schienen sich damit zu begnügen, im Lichtschein zu sitzen, nachdem sie aus ihren Löchern gekommen waren. Doch auf einmal began nen die Kreaturen, einander anzugreifen und diejenigen zu fressen, die im Kampf unterlegen waren. Während an der ei nen Stelle weitere Spinnen aus der Erde kamen, tobte nur ein paar hundert Schritt zurück ein Kampf auf Leben und Tod, da
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sich die Tiere ineinander verbissen und sich gegenseitig in Stücke rissen. Zischen, Kreischen und Klappern sowie das Geräusch berstender Leiber erfüllten die Luft und folgten in kurzem Abstand dem Sonnenschein. Abgetrennte Gliedmaßen übersäten den Steinboden, riesige Panzerleiber bluteten aus; Wundsekret befleckte den Grund. Es war ein sinnloses Schlachten, ein Wirklichkeit geworde ner Wahnsinn, ein Chaos, das Substanz erhalten hatte. Sicher lächelte Lolth begeistert. Pharaun sah, daß alles, was inmitten dieses Tumults gefan gen war, von Glück reden konnte, wenn es überlebte. Er warf einen Blick zu Boden und sah, daß der Grund von Löchern und Spalten durchsetzt war, die wie aufgerissene Münder klaff ten. Obwohl der Wind so tobte, konnte er das Scharren der Beine, das Klappern der Fangzähne, das Tappen der Beine auf dem Stein deutlich vernehmen. Unwillkürlich stellte er sich vor, wie Millionen von Spinnen in der Finsternis lauerten und auf den schwachen Lichtschein warteten, der sie aus ihrem unterirdischen Gefängnis befreien sollte. Pharaun konnte sich nicht erklären, wie ein solches Ökosystem funktionieren sollte, doch es war ihm auch egal. Zwar war er in einer Stadt geboren, in der es an der Tagesordnung war, andere abzuschlachten, doch dieses Maß an Brutalität empfand selbst er als abstoßend. Es würde nicht mehr lange dauern, dann standen sie selbst inmitten des Chaos. Die Sonne stieg höher das Licht näherte sich. »Gelobt sei Lolth«, sagt Quenthel, die eine verzückte Mie ne aufgesetzt hatte. Der Wind drückte Pharauns Gewand gegen seinen Leib, die Netze heulten, als reagierten sie auf ihre Worte. Pharaun hatte das Gefühl, die Baenre-Priesterin habe den Verstand verloren. Danifae schob die Kapuze zurück, um die Sonne zu begrü
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ßen, und wirkte dabei in ihrem Verhalten wie eine der zahllo sen Spinnen. Pharaun zählte sieben winzige, rote Spinnen, die durch ihr Haar krochen. »Wollen wir einfach hier stehen und warten?« überschrie er den Lärm. Keine der Priesterinnen reagierte, was ihm Antwort genug war. »Angst?« meinte Jeggred. Pharaun ignorierte den Draegloth und aktivierte geistig in seinem Ring die Kraft, mit der schweben konnte. Mit einem stummen Befehl stieg er unmerklich auf, bis er eine halbe Handbreit über der Erde schwebte. Wenn die Priesterinnen einen Plan hatten, war das gut. Wenn nicht, sah er keinen Grund, angesichts eines solchen Wahnsinns auf dem Grund zu verharren. Gemeinsam beobachteten die vier, wie sich Licht und Ge walt ihren Weg in ihre Richtung bahnten. Je näher das Chaos rückte, desto gieriger, hungriger wurde das Klappern und Krei schen aus den Höhlen und Gruben ringsum. Die Spinnen spürten, daß das Licht nahte. Jeggred reagierte auf die Geräusche mit einem Knurren, dann stellte er sich vor Danifae und nahm eine Kampfhaltung ein. Die Priesterinnen sahen nicht einmal vor sich auf den Boden, sondern hatten nur Augen für das Gemetzel, das sich ihnen näherte. Pharaun wollte es erneut versuchen. »Herrin?« sagte er. »Wäre es nicht klug, Schutz zu suchen?« Sie warf ihm einen Blick zu und erwiderte: »Nein. Wir müs sen inmitten des Geschehens stehen und Zeuge werden.« Dann nahm sie das heilige Symbol Lolths, das sie um den Hals getragen hatte – eine pechschwarze Scheibe, in die Ame thyste so eingelegt waren, daß sie eine Spinne bildeten. Die
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Schlangen ihrer Peitsche hatte sich steil aufgerichtet und beo bachteten die nahende Spinnenwoge. Quenthel setzte zu ei nem Gebet in einer Sprache an, die jedoch nicht einmal Pha raun verstand. Er verkniff sich eine bissige Bemerkung, die ihm in den Sinn kam, und erfreute sich an der Tatsache, daß er fliegen konnte, wenn es erforderlich werden sollte. Danifae legte ihre Hand auf Jeggreds Rücken. »Es ist das Wimmeln«, sagte sie, schien aber niemanden speziell anzusprechen, als sie sich an die Worte der Kreatur erinnerte, die Pharaun gefangen hatte. Ehrfurcht schwang in ihrer Stimme mit. Pharaun war egal, wie es hieß, er wußte nur, daß das Sonnenlicht sie bald erreicht haben würde. Sonnenlicht, das in die Spalten im Grund fallen würde ... Er stellte sich vor, wie er unter einem Berg aus angeschwol lenen Leibern mit Mandibeln und unerbittlichen Augen lie gen würde. Quenthel und Danifae waren völlig verzückt, vielleicht hat ten sie sogar den Verstand verloren. Beide hielten ihr heiliges Symbol in der Hand, beide hatten den selben wilden, ekstati schen Gesichtsausdruck. Pharaun wußte, daß normale Spinnen auf die Befehle der Priesterinnen hörten, doch ob das hier auch der Fall sein wür de, vermochte er nicht zu sagen. Außerdem hatten die Prieste rinnen noch nicht wieder ihre vollen Kräfte. Sie konnten doch nicht Millionen von Spinnen Befehle erteilen, oder etwa doch? Pharaun behagte die Situation immer weniger. Er griff in seinen Piwafwi, holte eine Kugel aus mit Schwefel getränktem Fledermausguano hervor und hielt sie zwischen Daumen und Zeigefinger – für alle Fälle. Unter gewöhnlichen Umständen hätte er es gar nicht erst in Erwägung gezogen, gegen Lolths
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Kinder Gewalt anzuwenden, erst recht nicht in Gegenwart ihrer Priesterinnen. Doch vor die Wahl gestellt, Spinnen zu töten oder selbst durch sie zu sterben, fiel ihm die Entschei dung nicht schwer. Er war bereit und wartete. Das Sonnenlicht bewegte sich weiter über die Felsland schaft und rief weitere Spinnen aus ihren Höhlen. Es kam immer näher ... Als es sie erreichte, schien um sie herum alles in Bewegung zu explodieren. Tausende von Tieren schossen aus den Lö chern, quollen heraus, zischten und klapperten mit den Beiß zangen. Aus einem großen Tunnel rechts von Pharaun dräng ten Scharen von Kreaturen von Rothé-Größe, erst fünf, dann zehn, dann zwanzig. Sein Herz raste. Die Geschöpfe hatten keinen Leib, keinen Kopf, sondern waren nichts weiter als eine Ansammlung zappelnder Beine, von denen jedes länger als Pharaun groß war. Acht von ihnen mündeten jeweils in eine spitze Chitinkral le, die so lang war wie sein Unterarm. »Chwidencha«, sagte Pharaun. »Mindestens vierzig.« Chwidencha – er hatte gehört, daß sie auch »Beinschre cken« genannt wurden – waren früher einmal Drow, vielleicht auch Drow-Seelen gewesen, aber sie hatten Lolth enttäuscht, und zur Strafe hatte sie ihnen diese perverse Gestalt gegeben. Der Abgrund der Dämonennetze erschien Pharaun nicht als Paradies für die, die Lolth treu waren, sondern mehr ein Ge fängnis für jene, die sie enttäuscht hatten. Die rasche, wellenartige Bewegung der Chwidencha ließ Pharaun schwindeln. Ein unmögliches Gewirr auf langen Bei nen, das wie ein Nest voller Vipern wirkte, wand sich, um den roten Schein des Tagesanbruchs zu begrüßen. Auch wenn sie keine erkennbaren Augen hatten, nahmen
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die Chwidencha sofort die Präsenz der Gruppe wahr. Vierzig oder mehr Mäuler, die unter den Beinen verborgen waren, stießen gedämpfte Zischlaute aus. »Ich sehe sie«, sagte Quenthel und wandte sich um, doch nun klang ihre Stimme nicht mehr ganz so selbstsicher. Die Spinnen, die aus dem Boden drängten, blieben auf Ab stand zu den Chwidencha und ließen auch die Gruppe unbe helligt, die inmitten des Chaos wie auf einer kleinen Insel der geistigen Unversehrtheit stand. Lolths Verdammte schienen einen gewissen Respekt einzuflößen, vielleicht aber auch einfach nur Angst. Erschreckend schnell und zielstrebig gelang es der Meute Chwidencha, die Gruppe einzukreisen und sich auf vielleicht drei Meter zu nähern. Die vier Drow rückten zusammen. Pharaun rief sich die Worte für seinen Feuerball ins Gedächtnis, wirkte ihn aber noch nicht. Er wechselte einen Blick mit Quenthel, konnte ihren Gesichtsausdruck jedoch nicht deuten. Jeggred atmete tief durch, seine Kampfkrallen waren angespannt. Der Draegloth hielt sich nach bestem Vermögen zwischen den Spinnenwesen und Danifae, aber es half kaum etwas. Sie wa ren eingekreist. Sein Knurren beantworteten sie mit Zischen und einem Auftippen mit den Klauen. Außerhalb des Rings der Verdammten Lolths waren die Spinnen für einen Moment ganz ruhig, so wie Kämpfer in einer Arena, die ihre Kräfte sammelten. Dann wurden sie von dem Verlangen zu kämpfen erfaßt, und dann brach die Gewalt aus. Tausende von Spinnen machten sich daran, einander zu verstümmeln und zu verzehren. Kreischen und Zischen erfüll ten die Luft. Der Boden zitterte, da das Maß an Gewalt schlicht zu viel war. Innerhalb des Belagerungsrings wuchs die Anspannung. Die
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Beine der Chwidencha ruderten widerwärtig, als seien sie er regt oder würden auf irgendeine Weise kommunizieren. Pha raun konnte nach wie vor keine Augen erkennen, doch ihm war klar, daß die Chwidencha sie beobachteten. Er spürte ihre Blicke auf sich lasten, merkte, wie schwer ihre Boshaftigkeit wog, wie tief ihr Haß saß. »Nun –«, setzte er an. Doch beim ersten Ton, der über seine Lippen kam, zischte die Meute. Die kleineren Beine, die dort saßen, wo ein Gesicht hätte sein sollen, wanden sich und teilten sich schließlich, um den Blick freizugeben auf Mäuler, die größer waren als Pha rauns Kopf. Von den fingerlangen Reißzähnen troff ein zähes, gelbes Gift. »Wir werden den Kindern Lolths nichts tun«, sagte Quenthel an sie alle gewandt. Pharaun sah, daß Quenthel so sehr schwitzte wie er selbst, auch wenn ihre Stimme ruhig klang. »Das dürften wohl eher ihre Stiefkinder sein«, meinte er und ging im Geiste die Zauber durch, die ihm zur Verfügung standen. »Sie sind weder das eine noch das andere«, sagte Danifae und hob ihr heiliges Symbol – eine rote Spinne in Bernstein. »Es sind ihre Verdammten.« Als die Chwidencha-Meute das Symbol Lolths sah, stießen die Kreaturen ein schrilles Kreischen aus, das dafür sorgte, daß sich Pharauns Nackenhaare aufrichteten. Wie ein Wesen zuckten sie vor Wut, ihre Beine wanden sich. Die Krallen am Ende ihrer Beine zerteilten Felsen, und Pharaun mußte auto matisch daran denken, was sie mit Fleisch anstellen konnten. »Sie scheinen nicht sehr religiös zu sein, Herrin«, sagte Pharaun, doch Danifae ließ ihr Symbol nicht sinken. Der Wind kam wieder und ließ abermals die Liedspinnen netze erklingen, doch deren Heulen war nur für einen kurzen
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Moment lauter als die Kakophonie des Wimmelns. Diese ganze Ebene ist verrückt, entschied Pharaun. Die Priesterinnen sind auch verrückt, und ich auch. Die Chwidencha beantworteten das Lied der Netze mit ei nem weiteren eigenen Heulen. Pharaun gefiel der Anblick ihrer aufgerissenen Mäuler gar nicht. »Herrin«, sagte er zu Quenthel. »Vielleicht könntet Ihr von weiteren Diskussionen mit diesen Kreaturen Abstand nehmen. Sie sind armselige Gesprächspartner. Herrin Danifae?« Daraufhin drehte sich Quenthel lange genug zu ihm um, um ihm einen stechenden Blick zuzuwerfen. Danifae lächelte. Nun hob Quenthel ihr Symbol und zeigte es den Chwiden cha, so wie Danifae es zuvor getan hatte. Wieder reagierten die Kreaturen auf die gleiche Weise. Gift sammelte sich auf dem Boden in kleinen Lachen, Zischlaute ertönten. »Laßt uns in Ruhe, Verdammte Lolths! Wir sind Diener Lolths, ihr werdet uns nicht aufhalten können.« »Zurück in eure Löcher!« befahl Danifae und schwang ihr eigenes Symbol. Es war zu spüren, wie göttliche Macht von den beiden Priesterinnen ausstrahlte. Pharaun erwartete, daß die Chwidencha auf der Stelle kehrtmachen würden, doch sie rührten sich nicht von der Stelle. Auf den Befehl der Priesterinnen hin wurde nur ge zischt, während die Beine der Kreaturen sich wanden und zuckten. Zugleich machten die Chwidencha langsam einen Schritt nach vorn, womit der Sicherheitsabstand noch ein wenig mehr schrumpfte. Während Danifaes Miene ein unerklärliches Lächeln zeigte, verriet Quenthels ungewisser Ausdruck Pharaun, was er wissen mußte.
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Als sie durch das Portal trat, hatte Halisstra das Gefühl, über eine gewaltige Strecke und Tiefe verstreut zu werden. Im Bruchteil eines Herzschlags transportierte das Portal sie aus dem relativ ruhigen, grauen Nichts der Astralebene in ... Sie war irgendwo mitten in der Luft und stürzte ab. Noch bevor sie die Levitationskraft ihrer Brosche hatte ak tivieren können, war sie bereits fünf Meter tief gefallen und landete ächzend auf dem Grund. Es gelang ihr, das Gleichge wicht zu wahren, und als sie sich umsah, erkannte sie, daß eine schwach strahlende Sonne einen wahren Alptraum beleuchte te. Sie war von Spinnen umgeben, die sie umschwärmten, die alles überrannten, die von handtellergroßen Exemplaren bis hin zu Monstern reichten, die doppelt so groß waren wie Ha lisstra selbst. Sie sah, daß die Kreaturen einander zerfleischten
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und in Stücke rissen. Das Zischen, Klappern und Kreischen dröhnte in ihren Ohren, schwarzes, braunes und rotes Wund sekret lief über den Boden und spritzte ihr ins Gesicht. Halisstra schwamm in einem Ozean, der aus den verrückt gewordenen Kindern Lolths bestand. Lolth mußte dafür ge sorgt haben, daß Halisstra mitten in diesem Chaos auftauchte, um sie für ihre Untreue zu bestrafen. Sie stellte sich so, daß sie mehr Halt hatte, dann griff sie nach der Mondsichelklinge und erfaßte ihre Umgebung mit einem einzigen Blick. Sie befand sich inmitten einer kargen, von Schluchten durchzogenen Felslandschaft, die im Schatten einer schroffen Gebirgsformation aus eigenartig aussehendem Gestein lag, einer schwarzen Felsnadel, die aussah, als hätte sie bei dem heftigen Wind längst unter ihrem eigenen Gewicht zusammenbrechen müssen. Die Wirbel, die aus Lolths wieder erwachter Energie bestanden, überzogen den bewölkten Him mel. Sie selbst war aus einem dieser Wirbel ausgestoßen wor den und konnte der Göttin nur danken, daß er sich nicht viel höher am Himmel befunden hatte. Eine Linie aus Seelen zog über den Himmel, von Lolths Macht wie magnetisch angezo gen, und das Ziel schien eine ferne Gebirgskette zu sein. Ein furchterregendes Heulen drang an ihre Ohren, der Klang der Liedspinnennetze, durch die der Wind pfiff, als sei es ein obszöner Versuch, den Klang von Seylls Liedschwert nachzuahmen. In diesem Heulen erkannte sie das Wort, das sie schon auf der Astralebene gehört hatte, das Wort, das ihre Nackenhaare veranlaßte, sich aufzurichten: Yor’thae. Ihr blieb keine Zeit, weiter über den Klang nachzudenken. Die Spinnen ringsum hatten von ihr Notiz genommen. Ein Meer aus hektisch klappernden Mandibeln, Beinen und haari gen Körper brandete auf sie zu. Die Tiere rasten über den Fels,
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stürmten übereinander weg und überrannten Halisstra. Sie schlug mit der Klinge um sich, doch es waren zu viele. Sie bissen und zerrten unerbittlich und töteten und verspeisten alles, was auf ihrem Weg lag. Spinnen sprangen sie an, Fang zähne versuchten, ihr Kettenhemd durchzubeißen, Klauen griffen nach ihr und ließen sie auf ein Knie gehen. Sie wollte nicht im Knien sterben! »Göttin!« schrie sie und holte in weitem Bogen mit der Mondsichelklinge aus. Wie als Antwort auf ihren Aufschrei tauchten Feliane und Uluyara in dem kurzlebigen Portal auf, das ungefähr zwanzig Schritte rechts von ihr und fünf Schritte hoch in der Luft entstanden war. Die beiden fielen zu Boden, und dann sah Halisstra sie gerade noch lange genug, um ihren überraschten und entsetzten Gesichtsausdruck wahrzunehmen. Im nächsten Moment wurden auch sie unter einer Masse zappelnder, sprin gender Spinnen begraben. Kniend schlug Halisstra blindlings um sich, traf Hieb um Hieb einen Körper nach dem anderen; Wundsekret spritzte, traf ihr Gesicht und ihre Hände. Das Zischen und Klappern war genauso deutlich zu hören wie die Schmerzensschreie. Sie kämpfte sich hoch, durchbohrte eine große, blaue Spin ne mit der Spitze der Klinge. Auf der ausströmenden Flüssig keit rutschte sie aus und fiel fast. Eine große, schwarze, haarige Spinne sprang Halisstra von hinten an und verbiß sich in ihre Schulter, doch das Kettenhemd hielt der Attacke stand. Sie wischte sie von der Schulter und trat ihren Brustpanzer ein, während eine weitere Spinne vor ihr auftauchte, vorsprang und sie ins Bein zu beißen versuchte. Halisstra wich nach hin ten aus und wehrte die Kreatur mit der Mondsichelklinge ab. Es kam ihr vor, als stehe sie bis zur Taille in Spinnen. Mit jedem Schritt zertrat sie gut ein halbes Dutzend kleinere Ex
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emplare. Sie sah keinen Weg, wie sie sich je aus dieser Situati on befreien sollte. Sie würde hier sterben, und ihr Leib würde ausgehöhlt zurückbleiben, verwesen und vom Wind fortgetra gen werden. »Göttin!« schrie sie abermals, während sie mit der Mondsi chelklinge weiter wild um sich schlug. Der verzauberte Stahl tötete bei jedem Treffer und schnitt mühelos durch die Spinnenleiber, doch es waren Tausende von ihnen. Eilistraee besaß keine Macht über diese Kreaturen, und in ihrer Verzweiflung wäre Halisstra fast in ihre alte Ge wohnheit verfallen, auf Lolths Kraft zurückzugreifen, mit der sie die Spinnen kontrollieren konnte. Es wäre so einfach gewe sen, ihnen den Befehl zum Rückzug zu geben ... Plötzlich ertönte Uluyaras Horn, und Halisstra klammerte sich an den Ton wie eine Ertrinkende, die auf Rettung hoffte. Sie erinnerte sich, wie sie den Ruf zum ersten Mal gehört hat te, an der Oberfläche, im silbrigen Schein des Mondes. Sie konzentrierte sich – zumindest für den Moment – und wider setzte sich mit Mühe dem lockenden Ruf Lolths. Wenn sie überleben wollte, mußte sie sich mit den Werk zeugen wehren, die Eilistrae und nur sie, ihr an die Hand gege ben hatte. Sie nahm die Mondsichelklinge in beide Hände und hieb mit einem aus Hoffnungslosigkeit geborenen Trotz um sich, so daß Beine und Stücke der Leiber durch die Luft wirbelten. Ihr kleiner Schild bewirkte, daß sie die Mondsichelklinge beid händig etwas ungelenk hielt, doch sie kam damit zurecht. Sie wollte ihren Hieben besonders viel Kraft verleihen. Fangzähne verbissen sich in Arme und Beine, bohrten sich durch das Kettenhemd ins Fleisch. Schmerz raste durch ihren Körper, und warmes Gift bahnte sich langsam seinen Weg durch ihre Adern. Sie packte das haarige Ding an ihrem Un
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terarm und drückte es zusammen, bis es platzte. Mit der Klinge spießte sie eine weitere Kreatur auf, schlug einer anderen die Mandibel ab. Es kam ihr sonderbar vor, daß ihr das Töten von Lolths Kreaturen nicht die gleiche Erleichterung verschaffte wie im Wald an der Oberfläche, als sie im Namen Eilistraees eine Ätherspinne umgebracht hatte. Statt dessen fühlte sie sich schmutzig und schuldig, als sei sie aus dem Gleichgewicht geraten. »Tut mir leid«, murmelte sie, während sie weiter mordete, doch sie war sich nicht sicher, was sie damit meinte. Es schie nen einfach die richtigen Worte zu sein. Spinnenblut überzog ihre Hände, ihren Mantel, ihr Gesicht. »Tut mir leid.« Trotz ihrer Bedauernsbekundungen schlug sie sich weiter ihren Weg frei, um dorthin zu gelangen, wo sie die anderen zuletzt gesehen hatte. Zu ihrer Erleichterung sah sie, daß so wohl Feliane als auch Uluyara sich aufgerichtet und nach ihren Klingen gegriffen hatten. Behende duckten sie sich in mitten des Chaos, schlugen um sich und stachen nach Lei bern. Es wirkte, als tanzten die beiden, da sie sprangen, her umwirbelten, sich drehten und bei ihrem Abschlachten zugleich der Dame des Tanzes dienten. Beide wiesen Schnittund Bißwunden auf, und an Felianes ungeschütztem Unterarm war ein dunkler Einstich zu sehen, doch Halisstra fand sie beide hübsch. Ihre Klingen zerschnitten die Luft, als wollten sie so das seltsame Heulen beantworten und herausfordern. Halisstra und Feliane sahen einander einen Moment lang an, während sie den nicht enden wollenden Ansturm der Spinnen bekämpften. »Halisstra!« rief Feliane, deren rundes Gesicht mit Blut und Wundsekret verschmiert war. Uluyara holte zu einer kreisförmigen Bewegung neben der Elfenpriesterin aus und führte ihre Klinge so schnell, daß sie
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nur verwischt zu sehen war. Auch sie entdeckte Halisstra. »Hier!« antwortete Halisstra. Ohne Unterbrechung schlitzte sie einen Leib nach dem an deren auf, während sie von ihren Schwestern nur noch gut fünfzehn Schritte entfernt war. Aus dem Mahlstrom an Leibern sprang plötzlich eine brau ne Schwertspinne in die Höhe, und für Halisstra schien die Zeit mit einem Mal unendlich langsam zu verlaufen. Die Kreatur, die fast so groß war wie eine Packechse, hatte acht Arme, die in Klauen mündeten, die so scharf und so töd lich waren wie Kurzschwerter. Halisstra hielt den Atem an, als das Wesen den Scheitelpunkt seines Sprungs erreichte. Sie hatte schon zuvor Schwertspinnen gesehen, die im Keller des Hauses Melarn gekämpft hatten, wo sie in Ungnade gefallenen Kriegern ein blutiges, brutales Ende setzten. Als die Schwertspinne auf Feliane zuschoß, legte sie die Klauen so zusammen, daß sie eine einzige Klinge bildeten, die genau auf die zierliche Elfe gerichtet war. »Oben!« rief Halisstra, wußte aber nicht, ob Feliane sie ge hört hatte. »Feliane!« Vor Halisstra tauchte eine große Spinne auf, der sie mit der Mondsichelklinge zwei Beine bereiteten. Der Schatten der herabsinkenden Schwertspinne mußte das schwache rote Licht der Sonne verdeckt haben, denn Feliane sah auf, sah die Angreiferin, wich zur Seite aus und versuchte, abwehrend das Schwert zu heben. Doch sie war zu langsam. Die Schwertspinne traf ihr Ziel, stieß die Klinge aus dem Weg und warf Feliane rücklings zu Boden. Die Beine schnitten sich durch die Panzerung an ihrer Schulter und bohrten sich tief ins Fleisch. Sie schrie vor Schmerz, Blut spritzte umher. Ihr Schwert entglitt ihr, rutschte ein Stück weg und war unter den Heerscharen von Spinnen verschwunden.
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Die Schwertspinne drückte ihren Leib zu Boden und umgab sie mit den blutigen Klingen wie mit einem Käfig. Feliane wehrte sich und schlug mit dem unversehrten Arm nach der Kreatur, doch der Blutverlust schwächte sie sichtlich. Die Treffer landeten am Leib der Spinne, doch sie schienen keine Wirkung zu erzielen, außer daß die Kreatur noch wütender zischte. Eine Horde riesiger Taranteln trieb Uluyara von Feliane fort, dann verlor Halisstra die Hohepriesterin aus den Augen. Halisstra rief wieder und bahnte sich einen Weg zu ihren Schwestern, wobei sie eine Spur aus abgehackten Beinen und aufgeschlitzten Leibern hinter sich herzog. Vierzehn Schritte, zwölf, zehn. Mit jedem Schritt tötete sie. Ihre Kleidung war wundsekretgetränkt. Kleinere Spinnen liefen über ihre Haut, übers Gesicht und durch ihr Haar. Die, die ihrem Mund zu nahe kamen, zerbiß sie und spie die Reste aus. Sie wußte, sie konnte Feliane nicht rechtzeitig erreichen. Die Schwerter an den Enden der Gliedmaßen leuchteten rot vom Blut der Elfe. Die Schwertspinne hielt die sterbende Feliane mit drei Beinen fest und hob die Vorderbeine, um einen Schlag zu führen, der ihren Brustkasten öffnen und ihr Herz durchbohren würde. Uluyara tauchte rechts von der Schwertspinne wieder auf, die Klinge hoch erhoben. Die Hohepriesterin stürmte vor, rief die Dunkle Maid an, dann holte sie zu einem Schlag aus, der den Bauch der Schwertspinne vom Kopf bis zu den Spinndrü sen aufschlitzen sollte. Doch die Spinne hatte sie bemerkt. Sie veränderte ihre Po sition geringfügig und wehrte Uluyaras Schlag mit einer Klaue ab, während sie mit einer weiteren nach ihr ausholte. Der Schlag traf Uluyara genau an der Brust, riß einzelne Glieder aus dem Kettenhemd und trieb sie zurück. Sie stolperte, fiel
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über den Kadaver einer großen Spinne hinter ihr, und prak tisch sofort wurde sie unter einem Schwarm kleinerer Spinnen begraben. Die Schwertspinne wandte ihre Aufmerksamkeit wieder Fe liane zu. Das Spinnentier hob seine Vorderbeine und jagte sie in Felianes Brust. Das Kettenhemd zerriß, Knochen wurden zermalmt, die Klingen bohrten sich durch Fleisch und Organe. Vor Schmerz bäumte sich Feliane, die in einer großen Blutla che lag, auf. »Feliane!« rief Halisstra und tötete eine Spinne nach der anderen. Sie war noch fünf Schritte entfernt, doch es war zu spät. Die Elfe hatte die Augen geöffnet, aber ihr Blick war glasig, Blut strömte aus der klaffenden Wunde, und ein Rinnsal lief aus dem Mundwinkel. Die Schwertspinne bleckte die Fang zähne, die so lang wie Messer waren, und grub sie in Felianes Fleisch. Der Kopf sackte zur Seite, während die Schwertspinne An stalten machte, Feliane in ihren Bau mitzunehmen. Halisstra blieb keine Zeit zum Überlegen, also tat sie das einzige, was sie konnte. Sie trieb die Spinnen vor ihr mit schnellen, harten Hieben auseinander, holte bis hinter den Kopf aus – was schwierig war, da sie den Schild an einem Arm trug – und schleuderte die Mondsichelklinge auf die Schwertspinne. Die Klinge flog in gerader Linie ins Ziel und bohrte sich fast bis zum Heft in den Rumpf der Spinne, die einen Schmerzens schrei ausstieß, während der ganze Leib zuckte. Die Kreatur zog die blutbeschmierten Fangzähne und Klauen aus dem Fleisch der Elfe, um sich Halisstra zuzuwenden. Die Mondsichelklinge ragte wie eine Fahne aus dem Leib der Spinne, die erneut zuck te und dann tot auf Feliane zusammenbrach.
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Feliane regte sich nicht. Mit ihrem Schild schlug Halisstra einer weiteren Spinne vor den Kopf, die sie anspringen wollte, dann zog sie Seylls Liedschwert aus der Scheide auf ihrem Rücken. Mit dem einer Flöte ähnelnden Heft setzte Halisstra zu einer Melodie an, die dem Geräusch des Windes etwas entgegensetzen sollte, gleich zeitig schlug sie eine Spinne nach der anderen aus dem Weg, um zu Feliane zu kommen. Als sie neben ihr niederkniete, war sie erleichtert, daß Feli ane bewußtlos war, aber noch lebte – wenn auch nicht mehr sehr lange, wie es aussah. Sie hatte keine Zeit für eine einge hendere Begutachtung, statt dessen wirbelte sie herum und drängte drei riesige Schwarze Witwen zurück, wobei sie einer von ihnen eine klaffende Wunde zufügte. Schließlich wandte sie sich wieder um, bückte sich und befreite Feliane von der toten Schwertspinne. Da sie für einen Augenblick nicht von weiteren Kreaturen belästigt wurde, hatte Halisstra genug Zeit, um Seylls Schwert umzudrehen und das Heft anzusetzen. Eine Hand legte sie auf Feliane zerfetzte Brust, gleichzeitig war sie bemüht, die Spin nen im Auge zu behalten, dann setzte sie zu einer einzelnen, besänftigenden Note an. Der Ton diente als Fixpunkt für ihre Bae’qeshel-Heilmagie. Die klaffenden Stichwunden in Felianes Brust bildeten sich zu schwachroten Punkten zurück, ihre Atem ging gleichmäßi ger, doch das Bewußtsein erlangte sie nicht zurück. Halisstra konnte inmitten der Spinnenschwärme keinen weiteren Zau ber riskieren. Sie nahm das Heft ihrer Schwerts in die Hand, als drei Spinnen von der Größe von Ratten auf ihrem Rücken landeten. Ihre Fangzähne schafften es nicht, das Kettenhemd zu durchdringen, und während sie sich aufrichtete, packte sie sie und erstach eine nach der anderen.
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Über Feliane gebeugt stehend hielt sie inmitten des Wahn sinns nach Uluyara Ausschau. Die Hohepriesterin kämpfte ganz in der Nähe gegen eine rotschwarze Spinne, die so groß war wie eine Rothé und der sie schon zwei Beine abgeschlagen hatte. »Uluyara!« schrie Halisstra. »Hier!« Uluyara warf ihr einen Blick zu und nickte, dann holte die Hohepriesterin zu einem Schlag gegen die Spinne aus, der diese sofort zurückweichen ließ. Augenblicklich machte Uluy ara kehrt und eilte zu Halisstra, dicht gefolgt von der Kreatur, die sich als extrem schnell erwies. Wieder drehte Halisstra ihre Klinge, setzte das Heft an die Lippen und stieß eine Folge dissonanter Töne aus. Das Bae’qeshel schickte eine Klangwelle über Uluyaras Kopf hinweg und traf die Spinne mit der ganzen Wucht des Mißklangs. Der Zauber war so gewaltig, daß die Kreatur zu Boden gedrückt wurde, sich ihr Exoskelett öffnete und sie sofort von einem Schwarm kleinerer Spinnen überrannt wurde, die sich an ihr labten. Uluyara tänzelte zwischen weiteren Spinnen hindurch, bis sie Halisstra erreichte. Besorgt betrachtete sie Feliane. »Sie lebt«, keuchte Halisstra. »Aber wir müssen fort von hier.« Uluyara lächelte wild, legte eine Hand auf Halisstras Schul ter und sagte: »Gib mir einen Moment Zeit, um für Schutz zu sorgen.« Halisstra nickte, und während die Hohepriesterin neben ihr die Melodie für ein Gebet anstimmte, benutzte Halisstra Seylls Liedschwert und den Schild, um jede Spinne zu zerquetschen, die sich ihnen näherte. Die Brutalität der Schlacht bereitete ihr Übelkeit. Überall lagen Reste von Spinnen, der Boden war blutgetränkt und dunkel verfärbt.
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Als Uluyara ihr Gebet beendet hatte, nahm eine ringförmi ge Barriere aus silbern schimmernden Klingen um sie herum Gestalt an. Tausende von magischen Klingen, die wirbelten und sich drehten, bildeten zusammen eine Barriere, die gut zehn Schritte hoch war. Zwei Spinnen, die sich an der Stelle befanden, an der die Barriere stofflich wurde, waren im nächs ten Moment in blutige Scheiben geschnitten. »Die Zauber der Dame dienen uns gut im Abgrund der Dä monennetze«, stellte Uluyara mit hart klingender Stimme fest. Halisstra pflichtete ihr nickend bei, und während die Ho hepriesterin neben ihr ein Gebet intonierte, wurde ihr bewußt, daß sie beim Kampf nicht auf die Idee gekommen war, auch nur einen der Zauber zu benutzen, die Eilistraee ihr gewährte. Sie fragte sich warum, doch sie fürchtete sich so vor der Ant wort, daß sie lieber nicht zu lange darüber nachdachte. Innerhalb der Klingenbarriere waren noch gut zwei Dutzend Spinnen. Halisstra kannte einen Zauber, der ihnen ihr Ende bereiten würde, doch ein unerwartetes Widerstreben ließ sie zögern. »Wir sollten gehen«, sagte sie. »Erst die hier«, erwiderte Uluyara und trat einen Schritt vor. »Eilistraee hat sie in unsere Hände gegeben. Wir müssen sie erledigen.« Uluyara hob die Waffe, aber Halisstra griff nach ihrem Arm und hielt sie zurück. Ihr Blick ruhte auf den behaarten Wolfs spinnen, die sich innerhalb der Klingenbarriere bewegten. »Ich mache das«, sagte sie. Uluyara zögerte kurz, nickte dann aber. »Du trägst die Mondsichelklinge.« Mühsam überwand Halisstra ihren Widerwillen, legte die Fingerspitzen an das Symbol Eilistraees auf ihrer Brust und begann zu beten. Im ersten Moment hatte sie entsetzliche
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Angst, doch dann erinnerte sie sich an die Worte, gleichzeitig wurde ihre Stimme fester. Als sie mit ihrer Beschwörung fertig war, ging von ihr eine unsichtbare, kreisrunde Energiewelle aus, die alle Spinnen traf und in die Klingenbarriere trieb. Alle Kreaturen vergingen in einem Regen aus Beinen und zerfetz tem Fleisch. Halisstra war angewidert und erleichtert zugleich. Sie wandte sich zu Uluyara um, die den Kopf etwas schräg gelegt hatte und sie ansah, als wolle sie etwas sagen. Doch dann nickte sie und kniete neben Feliane nieder. Sie nahm das Gesicht der Elfe in ihre Hände und flüsterte heilende Worte. Nach ein paar Augenblicken hatten sich Felianes verbliebene Wunden geschlossen, ihr Gesicht nahm wieder Farbe an, die Lider flatterten. Uluyara half ihr hoch und hielt sie fest. »Die Dame wacht über ihre Getreuen«, sagte Uluyara zu der Elfe gewandt, und Feliane nickte zustimmend. Die Elfenkriegerpriesterin betrachtete, was von der Schwertspinne noch übrig war, dann sah sie Halisstra dankbar an. Halisstra lächelte abwesend, da sie merkte, wie sich ihr Blick auf den Bereich richtete, der sich jenseits der Klingen barriere befand. Dort ging das Abschlachten weiter. Spinnen bissen einander, rissen einander in Stücke und fraßen einander in einer nicht enden wollenden Gewaltorgie auf. Von Zeit zu Zeit geriet eine von ihnen in die Klingenbarriere und wurde zerfetzt. Auf eine Weise, die ihr Übelkeit bescherte, empfand Ha lisstra dieses Gemetzel als vernünftiges Verhalten. Die Starken fraßen die Schwachen und wurden dadurch noch stärker. Sie wußte, sie sah, was Lolth predigte. Es war eine Metapher für Lolths Lebensweise. »Das muß doch irgendwann aufhören«, sagte sie. »Wir soll
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ten uns bis dahin verschanzen.« Feliane, die ihre Klinge vom Boden aufhob, fragte: »Wohin werden wir gehen?« »Dorthin«, erwiderte Halisstra und deutete mit einem Kopfnicken auf den Felsenturm. Nur wenige Spinnen beweg ten sich an dieser steil abfallenden, schroffen Felsen mit seinen seltsamen Winkeln. Es würde ihnen möglich sein, diese Positi on zu verteidigen, bis der blutige Wahnsinn ein Ende fand. »Wir werden fliegen.« Uluyara und Feliane stimmten stumm zu, dann griff Ha lisstra nach dem Medaillon, das an ihrem Kettenhemd befes tigt war, und flüsterte ein Gebet an Eilistraee. »Halisstra«, unterbrach Uluyara sie mit leiser, drängender Stimme. »Die Mondsichelklinge.« Die Worte des Gebets erstarben auf Halisstras Lippen, ihre Wangen brannten. Sie hatte Eilistraees Klinge im Kadaver der Schwertspinne steckenlassen. Sie hatte sie vergessen. »Natürlich«, sagte sie in einem kläglichen Versuch, ihre Nachlässigkeit zu überspielen. Ohne Uluyara oder Feliane in die Augen zu sehen, schob sie Seylls Liedschwert in die Scheide auf ihrem Rücken, ging zu der toten Schwertspinne und zog die Mondsichelklinge aus dem Leib, wischte sie an dem Kadaver ab und steckte sie dann ebenfalls zurück in die Scheide. Als sie sich abwandte, bemerkte sie Uluyaras Zweifel und Felianes Verlegenheit. Sie beschloß, beides zu ignorieren. »Du bist verletzt«, sagte Uluyara und zeigte auf die bluten den Wunden in Halisstras Bein und auf die Löcher, die die Spinnen ihr in den Arm gebissen hatten. Halisstra hatte auch sie vergessen. Sie war sich sicher, daß die Bisse sie vergiftet hatten. Der magische Ring, den sie trug,
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ließ sie das wahrnehmen. Dennoch zeigte ihr Körper keine Reaktion auf das Gift. Warum dem so war, darüber wollte sie nicht nachdenken. »Das ist nichts«, gab sie zurück und setzte wieder zu ihrem Zauber an. Als das Gebet vollendet war, verwandelten sich ihr Körper und die Ausrüstung und auch die beiden anderen Priesterin nen in einen substanzlosen, grauen Dampf. Sie konnte nach wie vor sehen, auch wenn ihr Gesichtsfeld anwuchs, sich zu sammenzog und sich drehte. Irgendwie konnte sie noch immer ihren Körper fühlen, oder zumindest irgendeinen Körper, auch wenn er sich gedehnt und gestreckt anfühlte, fast wie ihre Seele. Der Wind zerrte an ihr, doch sie widersetzte sich ihm und zwang sich zum Aufsteigen. Feliane und Uluyara, die in ihrer Wolkengestalt vage an ihre humanoiden Gestalten erinnerten, folgten ihr. Zumindest für ein paar Augenblicke vom Fleisch befreit, fühlte sich Halisstra nicht mehr von ihren Zweifeln und ihrem inneren Widerstreit belastet. Ihr war, als hätte man ihr eine Last von den Schultern genommen, so daß sie so leicht dahin schwebte wie eine von Lolths Seelen, die hoch oben am Himmel vorüberzogen. Sie wünschte, immer so empfinden zu können. Während sie an dem glatten, schwarzen Felsturm empor schwebten, hielt sie Ausschau nach einem Platz, an dem sie abwarten konnten, bis das gegenseitige Abschlachten ein Ende genommen hatte. Sie war froh, an dem schroffen Felsen nir gends Spinnweben zu sehen, während andere von etlichen überzogen waren. Außerdem schien der starke Wind die Spin nen daran zu hindern, sich nach oben zu begeben. Am höchsten Punkt angelangt sah es so aus, als sei der Fels turm mit einer scharfen Klinge durchtrennt worden, so daß ein
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glattes Plateau mit einem Durchmesser von zwanzig Schritten entstanden war. Der Wind würde sie dort geißeln, aber sie wären vor der Gewalt drunten in Sicherheit. Halisstra landete auf dem Plateau, wartete, bis Feliane und Uluyara ihr gefolgt waren, und bannte die Magie. Sofort nah men alle drei wieder ihr natürliches Aussehen an. Sobald Ha lisstra stofflich wurde, kehrten ihre Zweifel zurück. Der Sturm riß sie fast um. »Wir benötigen einen Schutz«, rief Halisstra, um den Wind zu übertönen. Selbst hier konnte sie das Heulen der Netze hören, die ihr Yor’thae zuflüsterten. In der Ferne bemerkte sie unheilvoll düstere Wolken, die sich über einer Gebirgskette zusammenzogen und sich rasch in ihre Richtung bewegten. Bald würde ein Unwetter sie erreicht haben. »Versammelt euch hier«, sagte Uluyara und zog Halisstra und Feliane zu sich, damit sie einen Kreis bildeten. In den Armen der Priesterinnen fühlte Halisstra ein Gefühl der Verbundenheit, das sie zumindest für den Augenblick beruhigte. »Wir bilden gemeinsam eine Zuflucht«, sagte Uluyara, der es gelang, den Wind zu übertönen. »Einen Ort der Sicherheit inmitten dieser Widrigkeit.« Feliane und Halisstra nickten, auch wenn Halisstra nicht recht verstand, was sie damit hatte sagen wollen. Uluyara trat einen Schritt aus dem Kreis, zog ihr silbernes Medaillon unter ihrem Kettenhemd hervor und sprach ein Gebet zu Eilistraee. Der Wind verschluckte ihre Worte, doch als sie fertig war, nahm sie sie bei den Händen, wies auf den Stein der Felsnadel, als seien ihre Hände ein Messer, und dann zog sie sie auseinander.
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Der Stein reagierte auf die Geste. Ihre Magie ließ ihn weich werden, so daß sie ihn formen konnte, als sei er Lehm in ihren Händen. Mit präzisen Gesten nutzte sie den Zauber, um aus dem glatten Plateau zwei Wände hochzuziehen. Sie trafen sich im rechten Winkel und schirmten sie vor dem Wind ab. Sie trat einen Schritt vor, formte sie noch etwas sorgfältiger und glättete sie mit den Händen, so gut sie konnte. »Nun du«, sagte Uluyara zu Feliane. Die Elfe lächelte, nickte und wiederholte Uluyaras Zauber. Eine dritte und vierte Wand entstanden, nur ein schmaler Durchgang in der Mitte einer der Wände blieb bestehen, da mit sie hineingelangen konnten. »Nun du«, forderte Feliane Halisstra auf. Die setzte zu dem Gebet an, das ihr die Fähigkeit verlieh, Stein zu formen. Als sie fertig war, fühlten sich ihre Hände wie aufgeladen an, als seien sie mit der Erde verbunden. Vorsichtig bewegte sie sie wie eine Töpferin, machte die Wände etwas dünner und benutzte den überschüssigen Stein, um aus ihm ein flaches Dach zu formen, was der Zuflucht das Aussehen einer Kiste gab. Es bereitete ihr Freude, so mit den anderen Priesterinnen zusammenzuarbeiten. Sie schufen etwas. Wenn die Priesterin nen Lolths gemeinsam etwas in Angriff nahmen, ging es stets darum, etwas zu vernichten, auch wenn Halisstra wußte, daß es manchmal – aber wirklich nur manchmal – Vergnügen berei ten konnte, wenn man etwas vernichtete. Als sie fertig war, lächelten die drei. Der Wind peitschte ih re Haare hoch, als trüge jede von ihnen einen Heiligenschein. Von einer plötzlichen Inspiration erfaßt, zog Halisstra die Mondsichelklinge aus der Scheide und ritzte oberhalb des Eingangs mit der Spitze Eilistraees Symbol in den noch form baren Stein.
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»Tempel der Dame im Herzen von Lolths Reich«, sagte Uluyara, deren Stimme dem Heulen des Windes trotzte. »Gut gemacht.« Halisstra sah, daß nichts mehr von dem Zweifel geblieben war, den sie zuvor bei den zweien beobachtet hatte. Unter ihren befürwortenden Blicken verloren ihre eigenen Zweifel an Bedeutung, bis sich tief in ihrem Inneren nichts weiter als eine winzige Saat befand, die kaum noch wahrzunehmen war. Da jagte ein stechender Schmerz durch Halisstras Bein. Vor ihren Augen wurde alles undeutlich. Sie verzog das Gesicht und wäre gefallen, hätte sie sich nicht an Eilistraees Tempel festhalten können. Das Gift. Uluyara und Feliane versammelten sich mit sorgenvoller Miene um sie. Uluyara untersuchte Halisstras Wunden und fand die schwarz verfärbten Löcher in ihrem Bein. »Gift«, schloß Uluyara. »Laß mich«, sagte Feliane und nahm Halisstras Hand, dann sang sie zur tanzenden Göttin und übertönte dabei den Wind, während ihr Lied das Gift aus Halisstras Adern sog. Halisstra hatte das Gefühl, es würde ihr auch noch etwas anderes aus den Adern gezogen. Sie dankte Feliane, die sie in die Arme nahm. Danach begaben die drei Priesterinnen sich in den Tempel, den sie Eilistraee errichtet hatten. Uluyara ging vor, hielt ihr heiliges Silbermedaillon hoch und sang die ganze Zeit über. Als sie damit fertig war, sah sie zu ihren Gefährtinnen und sagte: »Dies ist nun ein heiliger Ort, im Namen der Dunklen Maid aus den Fängen Lolths gerissen, zumindest für eine Wei le.« Halisstra mußte unwillkürlich lächeln. Das Innere des Tem pels fühlte sich anders an, sauberer, reiner. Innerhalb seiner
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rauhen Wände fühlte sie sich zum ersten Mal seit Tagen sicher. Die drei Priesterinnen ließen sich zu Boden sinken, lehnten sich mit dem Rücken an eine der Wände, streckten die Beine aus. Erschöpfung hatte von Uluyara Besitz ergriffen, doch auch ihre Miene ließ Erleichterung erkennen. Sie hatten den Ab grund der Dämonennetze erreicht und den Angriff eines gan zen Schwarms Spinnen überlebt. Nach einigen Augenblicken, in denen sie sich einfach nur erholten, heilte Uluyara all die kleinen Schnitte, Kratzer und Bißwunden. Feliane beschwor eine Mahlzeit aus frischem Was ser und Gemüseeintopf zusammen, den sie in kleinen Schalen aus ihrem Rucksack servierte. Nach der Erholungspause sagte Halisstra: »Wir sollten ab wechselnd Wache halten, nur um kein Risiko einzugehen. Ich bezweifle, daß die Spinnen es wagen werden, bei diesem Wind den Felsturm zu erklimmen, doch gewiß können wir uns dessen nicht sein. Wenn wieder Ruhe einkehrt, können wir weiter ziehen. Ich übernehme die erste Wache.« Uluyara nickte, ließ sich gegen die Wand sinken und schloß die Augen. Sie stieß einen Seufzer aus und fiel bald in Trance. Feliane folgte ihr kurz darauf. Halisstra bezog leise Stellung an der Türöffnung, zog die Mondsichelklinge und legte sie auf ihre Oberschenkel. Draußen heulte der Wind und zerrte an dem Tempel, der ein Affront gegen die Spinnenkönigin war. Aus dem wütenden Heulen hörte sie immer noch den Ruf nach der Auserwählten Lolths, doch sie wußte – zumindest glaubte sie zu wissen –, daß der Ruf nicht länger ihr galt. »Ich komme«, versprach sie mit leiser Stimme. »Schon bald.«
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Die Chwidencha, die kaum mehr als ein Schwarm Beine wa ren, stürmten mit erschreckender Schnelligkeit vor. Pharaun zwang sich, in die Luft aufzusteigen, als sie sich ihm näherten, und sein Ring reagierte. In einer Hand hielt er immer noch die Guanokugel, mit der anderen zog er ein wenig Flockenpilz aus einer Tasche seines Mantels und stieß die Worte für einen Zauber aus. Als das letzte Wort für die Beschwörung über seine Lippen kam, zerrieb er den Flockenpilz und warf das Pulver in Richtung eines der heranstürmenden Chwidencha. Die Krea tur stieß einen Schrei aus, als sie von der Magie umhüllt wur de, die ihr das Fleisch vom Leib riß und den Schutzpanzer auflöste, bis nur noch eine blutige Masse übrigblieb. Der Rest der Meute wurde kein bißchen langsamer. Jeggred machte einen Satz, um sich vor Danifae zu stellen und drei nahende Chwidencha zu attackieren. Er bekam den ersten von ihnen zu fassen, als der ihn anspringen wollte, und riß ihm mehrere Beine aus, während die Kreatur kreischte und versuchte, die restlichen Klauen in das Fleisch des Draegloth zu jagen. Wundsekret spritzte, überzog Jeggreds Fell und ver mischte sich mit dem Blut aus den Wunden, die das Wesen ihm zugefügt hatte. Nach nur drei Herzschlägen hatte er die Kreatur in Stücke gerissen, so daß von ihr nur ein Haufen Haar und Fleisch auf dem Grund liegenblieb. Zwei weitere Chwidencha sprangen Jeggred an, einer landete auf seinem Rücken, der andere an seiner Seite. Ihr Gewicht riß ihn um, und alle drei landeten in einem Knäuel aus Beinen und Klauen auf dem Stein. Jeggred hielt noch ein paar Beine des ersten getöteten Chwidencha in der Hand. Die anderen hieben mit ihren Krallen auf ihn ein wie Bergarbeiter mit der Spitzha cke, woraufhin Jeggred ein lautes Gebrüll ausstieß und mit seinen eigenen Klauen antwortete. Die rissen Stücke aus den Chwidencha, die in hohem Bogen durch die Luft wirbelten.
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Der Rest der Meute rannte weiter auf die Priesterinnen zu. Danifae blieb kaum Zeit, ihr heiliges Symbol wegzustecken und ihren Morgenstern zu packen, damit sie mit dieser Waffe einige der Beine abschlagen konnte. Sie wich einem Hieb nach dem anderen aus und rammte die Waffe in den Leib eines weiteren Chwidencha, doch ein dritter sprang hoch in die Luft und landete auf ihr. Sie versuchte, einen Zauber zu sprechen, doch die Kreatur legte die Beine so fest wie einen Mantel um sie und versuchte, sie zu Boden zu ringen. Danifae drehte sich im Kreis und begann, wegen des zusätzlichen Ge wichts zu stolpern, während sie zu einem erstickten Zauber ansetzte. Schließlich ging sie zu Boden und wurde von fünf Chwidencha gleichzeitig überrannt. Pharaun konnte die Pries terin unter der sich windenden Masse aus Beinen und Klauen kaum sehen. Krallen stachen in ihr Kettenhemd, in ihr Fleisch. Zu seinem Erstaunen hörte Danifae nicht auf zu kämpfen. Sie zog einen Dolch aus der Scheide an ihrem Gürtel und trat um sich, stach zu, schrie, jagte die Klinge immer wieder in das Fleisch der Chwidencha, die sie bedeckten. Pharaun ging da von aus, daß sie nicht überleben würde, und verdrängte jeden Gedanken an sie. Unterhalb und rechts von sich hörte Pharaun Quenthels Peitsche knallen. Alle fünf Schlangen hatten sich auf das Doppelte ihrer üblichen Länge ausgestreckt und sich ins Bein eines Chwidencha verbissen. Fast sofort versteifte sich die Kreatur und fiel zu Boden. Seine Artgenossen ließen sich da von nicht beeindrucken, sondern rückten weiter vor und tram pelten den Kadaver nieder. Von allen Seiten näherten sich Quenthel Chwidencha. Quenthel schickte ein Stoßgebet an Lolth und wuchs mit einem Mal zum Anderthalbfachen ihrer Größe heran. Ein
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violettes Leuchten umgab sie, die Macht Lolths, die sich auf diese Weise manifestierte. Indem sie ihr magisches Schild als Waffe benutzte und sich von ihrer durch Zauber verstärkten Kraft leiten ließ, rammte sie die Stahlfläche in einen Chwi dencha, dessen Beine unter der Wucht wie trockene Zweige zerbrachen. Drei Klauen eines Chwidencha rechts von ihr schlugen in rascher Folge auf sie ein und trieben sie zurück, schienen ihr aber nichts anzuhaben. Ihre Peitsche schlug wie der zu und drängte eine der Kreaturen zurück. Mit ihrer Schildhand bekam sie einen weiteren Chwidencha zu fassen, packte zwei dicke Beine mit der Faust und schleuderte die Kreatur quer über das Schlachtfeld. Ehe Pharaun eine Warnung rufen konnte, sprangen zwei weitere Chwidencha Quenthel von hinten an. Sie trug das zusätzliche Gewicht besser als Danifae und versuchte, die bei den über die Schulter zu werfen, doch da stürmten schon sechs andere auf sie zu. Krallen schlugen gegen ihre Rüstung und rissen klaffende Wunden in ihr nacktes Fleisch. Ihre Schlan gen schnappten nach den Angreifern, verfehlten sie aber. Sie stürzte und wurde unter einem Berg zappelnder Beine und Klauen begraben. Er hörte, wie Danifae eine Warnung rief, drehte sich in der Luft um ... ... und sah nur noch einen Vorhang aus Beinen, Krallen, struppigem Fell, dazu das weit aufgerissene Maul einer der Kreaturen, die sich unmittelbar über ihm befand. Einer der Chwidencha war hoch genug gesprungen, um ihn zu erreichen, und nun traf Pharaun der Aufprall mit voller Wucht und schleuderte ihn nach unten, obwohl sein Ring ihn fliegen ließ. Als er von der Kreatur umschlossen auf dem Boden aufschlug, stockte ihm der Atem. Der Chwidencha hatte einige seiner unzähligen Beine um ihn gelegt, gleichzeitig biß er mit seinem
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sabbernden Maul zu und schlug mit den freien Klauen wie verrückt auf sein Opfer ein. Pharaun wurde an den Seiten, den Armen und im Gesicht getroffen, wobei manche der Krallen sich auch in die Erde bohrten. Nur Pharauns magischer Piwafwi hielt die Krallen davon ab, ihn auszuweiden, dennoch spürte er, wie Blut über seinen Leib lief. Die Kopftreffer hatten ihn fast das Bewußtsein verlieren lassen. Er versuchte, die Schläge mit Händen und Füßen abzuweh ren und sich unter dem Chwidencha wegzurollen, aber der war zu schwer und zu entschlossen, seine Beute nicht loszulassen. Da er nicht aufsteigen konnte, beschwor er stumm das Rapier aus seinem Ring, bis ihm zu spät einfiel, daß er den an Belshazu verloren hatte. Die Fangzähne des Chwidencha stießen immer wieder gegen seinen magisch gepanzerten Mantel, konnten aber den Stoff nicht durchdringen, wodurch es ihm auch un möglich war, Pharauns Bauch aufzureißen. Pharaun hatte Mühe, seine Sinne in den Griff zu bekom men und durchzuatmen. Der Chwidencha hob eine seiner Klauen und stieß sie auf Pharauns Gesicht hinab. Der versuchte, sich wegzudrehen, schaffte es aber nicht und wurde von der Klaue mit einer Wucht getroffen, die Steine hätte zerschmettern können. Seine Schutzzauber verhinderten zwar, daß sie ihm den Schä del spaltete, doch der Aufprall war auch so noch heftig genug, um seine Nase aufplatzen und seinen Kopf hart auf den steini gen Untergrund schlagen zu lassen. Einen entsetzlichen Mo ment lang wollte ihm das Bewußtsein entgleiten, und er mußte all seine Willenskraft aufbringen, um sich dagegen zu wehren. Benommen und zunehmend ärgerlich wurde ihm bewußt, daß er in der rechten Hand die Kugel aus Fledermausguano hielt.
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»Hier, etwas zu naschen«, murmelte er durch das Blut, das sich in seinem Mund gesammelt hatte. Stumm sprach er die Worte eines Zaubers, der den Chwi dencha und die ganze Umgebung in Asche verwandeln sollte. Er schluckte das Blut, das von seiner zertrümmerten Nase in den Mund lief, und formulierte die Worte klar und deutlich. Er konnte nur hoffen, daß die den Drow eigene Widerstandsfä higkeit gegen Magie ausreichte, um ihn und seine Gefährten zu schützen. Ansonsten blieb ihm nur die Hoffnung, daß sie mehr aushielten als die Chwidencha. Er wollte eben die letzte Silbe aussprechen, als die Fangzäh ne der Kreatur seinen Piwafwi durchdrangen und sich in die Haut auf seiner Brust fraßen. Ein Schmerz jagte durch seinen Körper, der sich aufbäumte, doch Pharaun kam nicht aus dem Rhythmus des Spruchs. Er war in Sorcere ausgebildet worden, wo seine Meister ihm brennende Kerzen an die Haut gehalten hatten, während er zauberte. Ein Biß eines von Lolths Ge schöpfen würde nicht seine eiserne Konzentration stören kön nen. Er beendete den Zauber in dem Moment, als der Chwiden cha sich aufrichtete, um ein weiteres Mal zuzubeißen. Pharaun biß die Zähne zusammen, schloß die Faust um die Guanokugel und schob sie ins Maul der Kreatur. Reflexartig schnappte die nach der Hand. Pharaun kniff die Augen zusammen, als sein Universum in orange Licht und sengender Hitze verging. Er merkte, daß ein Teil seiner Haare schmolz und das Fleisch an Armen, Brust und im Gesicht verkohlte. Es war ihm unmöglich, einen Auf schrei zu unterdrücken. Die Wucht der Explosion zerriß den Chwidencha, der auf ihm lag, und verwandelte ihn in Asche. Zischen, Knurren und Kreischen ertönte rings um ihn und übertönte den Knall der
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Explosion. Er roch den Gestank verbrannten Fleisches, bei dem es sich zweifellos um sein eigenes handelte. Nach einem qualvoll langen Herzschlag war alles vorüber. Er öffnete die Augen und stellte fest, daß er in einen finste ren Himmel starrte. Einen Moment lang kam ihm der absurde Gedanke, sein Zauber könne sogar die Wolken verkohlt ha ben, doch dann wurde ihm klar, daß sich über ihnen ein Un wetter zusammenzog. Benommen blinzelte er und schüttelte die verkohlten Über reste des Chwidencha ab, die kaum mehr als kleine Stücke versengten Fleisches waren. Langsam setzte er sich auf, wischte sich das geschwärzte Blut von Gesicht und Nase, dann kniff er die Augen zusammen, bis sein verschwommener Blick wieder klar war. Seine Hand war nur noch verkohltes Fleisch. Er spür te keinen Schmerz, doch der würde bald einsetzen. Er blickte sich um und sah, daß der Feuerball eine voll kommene Sphäre der Verwüstung geschaffen hatte. Eine runde Fläche aus schwarzem, zum Teil geschmolzenem Fels markierte die Reichweite dieses Feuerballs. Den Himmel hatte er nicht verbrannt, aber die Erde. Den angerichteten Schaden betrach tete er mit beruflichem Stolz. Innerhalb dieses Kreises saß Jeggred auf seinen vier Händen und den Knien aufgestützt, atmete schwer und sah sich blin zelnd um. Ein verkohlter Chwidencha-Leichnam lag zerfetzt unter ihm, und ein paar seiner Beine baumelten aus dem Maul des Draegloth. Er blutete, war aber nur leicht verbrannt, und als er Pharaun mit kühlem Blick betrachtete, spie er die Beine aus und stand auf. »Du mußt schon Besseres aufbieten als Feuer, Magier«, sagte er heiser. Zu Pharauns Überraschung hatten auch Danifae und Quen thel überlebt. Sie hatten Verbrennungen, Rauch stieg von
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ihrer Haut auf, sie waren mit Schnittwunden und Prellungen übersät, aber sie lebten. Quenthel stand am entlegenen Ende des Explosionsradius und hatte wieder ihre normale Größe angenommen. Ihre Schlangen waren mit Asche bedeckt und zischten Pharaun an. Der runzelte die Stirn und wünschte, er hätte zumindest sie ausgelöscht. Danifae stand am entgegengesetzten Rand und stützte sich auf ihren Morgenstern. Während des Kampfs mußte es ihr gelungen sein, auf die Beine zu kommen und nach ihrer Waffe zu greifen. Über ein Dutzend verkohlter und rauchender ChwidenchaKadaver lagen verstreut auf dem Schlachtfeld und verbreiteten üblen Geruch. »Was beim Abyss hast du getan?« fragte Danifae, dann be gann sie zu husten. Ihr vom Feuerball rosa verfärbtes Gesicht war mit Kratzern überzogen. Leider dein Leben gerettet, dachte Pharaun, sprach es aber nicht aus. Statt dessen erwiderte er: »Ein Zauber schlug fehl, Herrin.« »Er schlug fehl?« rief Quenthel. Ein Großteil ihres Haars war versengt, ansonsten aber schien es, als habe sie sich vor der schlimmsten Wirkung des Feuerballs schützen können. »So, so.« Sie hustete. »Wenn dein Zauber fehlschlug, Magier, dann hast du es nicht verdient, die Beendigung dieses Gefechts für dich zu beanspruchen.« Pharaun verzog trotz seiner gebrochenen Nase den Mund zu einem Lächeln und verbeugte sich, soweit sein geschundener Leib das zuließ. Die Bißwunde am Bauch pulsierte, und von seiner Hand ging ein stechender Schmerz aus. Danifae warf ihm einen finsteren Blick zu und fügte an: »Beim nächsten Mal wirst du eine Warnung aussprechen, wenn wieder einer deiner Zauber fehlschlägt.«
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Er setzte zu einem verächtlichen Schnauben an, bereute es aber sofort, da ihm Blut aus der Nase spritzte und sein Gesicht schmerzte. Jeggred hielt das für einen Anlaß, auch verächtlich zu schnauben. Trotz seiner Schmerzen sagte Pharaun zu Danifae: »Ihr hät tet mich etwas früher warnen können, statt ...« Eine Bewegung, die von außerhalb des verbrannten Kreises kam, ließ Pharaun aufmerksam werden, der seinen Satz unvoll endet ließ. Die anderen folgten seinem Blick. Das Wimmeln ringsum hielt nach wie vor an, doch das war nicht das, was ihm Sorgen machte. Fast zwanzig Chwidencha erhoben sich qualmend zwischen den Felsen, die sich außerhalb der Feuerkugel befunden hatten. Alle hatten verdrehte Beine, ihr Fleisch und Haar war ge schmolzen, und sie alle bewegten sich langsam. »Vielleicht ist die Schlacht ja noch gar nicht vorbei«, meinte Pharaun und genoß es, welch giftigen Blick Quenthel ihm daraufhin zuwarf. Sie ließ ihre Peitsche knallen, und die Schlangen zischten die Chwidencha an. Danifae hob ihren Morgenstern und trat zu Jeggred, während der Draegloth den Kopf in den Nacken warf und einen Schrei ausstieß, der Felsen erzittern lassen konnte. Pharaun ließ seine Gefährten einen Augenblick lang im ungewissen, dann sagte er: »Aber andererseits ... vielleicht ist die Schlacht doch vorbei.« Für diesen Tag hatte er genug von Chwidencha. »Kommt zu mir«, forderte er und sah Danifae unmittelbar an. »Ihr seid hiermit gewarnt.« Seine Gefährten warfen einander Blicke zu, dann wichen sie hastig zu ihm zurück, während sich die Chwidencha lang
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sam näherten. Pharaun nahm eine Prise des Phosphorpulvers, das er in einer der Taschen seines Piwafwi mit sich führte, warf es in die Luft und sprach die Worte eines Zaubers. Als er fertig war, entstand ein halb durchsichtiger Vorhang aus grünem Feuer, ein Flammenring, der zwanzig Schritte weit nach oben reichte und sich zwischen ihnen und den Chwidencha er streckte. Die Flammen tanzten ausgelassen und tauchten sie alle in kränkliches, grünes Licht. »Das dürfte sie eine Weile abhalten«, erklärte er. Seine Gefährten sprachen zwar kein Dankeswort, doch es erfüllte ihn mit einer gewissen Befriedigung, als sogar die Peit schenschlangen sichtlich erleichtert reagierten. Da für den Moment nichts weiter zu tun war, sagte Pharaun: »Verzeiht bitte.« Dann drückte er ein Nasenloch zu und blies einen Klumpen aus Blut und Rotz aus dem anderen, was er dann auf der anderen Seite wiederholte. Es war ihm etwas peinlich – zumal es eher zu Jeggred gepaßt hätte –, doch ihm blieb keine Wahl. Immerhin konnte er kaum atmen. Er schüttelte sich, um einen klaren Kopf zu be kommen, und zog ein Taschentuch hervor, damit er sich das Gesicht abwischen konnte. Die weiße Seide war anschließend schwarz vor Asche und rot vor Blut. Durch den Flammenring sah Pharaun, wie die Chwidencha um sie kreisten und sie durch kurze Lücken in der Feuerwand beobachteten. Weit hinter den Kreaturen konnte er erkennen, wie das Wimmeln anhielt. »Wie lange?« fragte Quenthel. »Nicht lange genug«, erwiderte er. »Vielleicht eine Viertel stunde. Wie lange hält das Wimmeln an?« Quenthel steckte die Peitsche weg und schüttelte den Kopf. Ob sie es nicht wußte oder es nicht sagen wollte, war ihm nicht klar.
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»So lange, wie Lolth will«, warf Danifae ein, die ihre eigene Waffe in den Gürtel schob. Mit den Fingern tastete sie nach den Kratzern in ihrem Gesicht, um festzustellen, wie tief sie reichten. »Das ist keine hilfreiche Angabe, Herrin«, gab Pharaun zu rück. »Wie praktisch, daß ihr Wille es ausgerechnet einsetzen läßt, kaum daß wir hier angekommen sind.« »Hüte deine Zunge«, warnte Quenthel ihn. »Allerdings«, legte Danifae nach und beobachtete ihn auf merksam. Pharaun fühlte sich versucht, die Frage zu stellen, warum die Chwidencha weder auf Quenthels noch auf Danifaes Be fehle reagiert hatten, doch ein Blick auf die Peitsche brachte ihn rasch auf andere Gedanken. Statt dessen sagte er: »Ich halte es für keine gute Idee, über Land zu reisen, solange das anhält. Die Chwidencha könnten dabei noch unser kleinstes Problem sein. Es scheint, als hätte die Spinnenkönigin beschlossen, das Wimmeln zu einem Teil ihrer Prüfungen zu machen.« Die Priesterinnen sahen durch den Vorhang aus grünem Feuer nach draußen, den Blick in die Ferne gerichtet und un definierbar. Vielleicht wunderten sie sich ja auch, warum die Chwidencha nicht auf ihre Befehle reagiert hatten. Dann endlich erklärte Danjfae: »Wir sollten für die Dauer des Wimmelns Zuflucht suchen. Dann können wir über Land weiterreisen.« Jeggred betrachtete hungrig die Chwidencha. »Pharaun sagt, die Feuerwand wird nur eine Viertelstunde anhalten. Welche Zuflucht sollen wir in dieser Zeit finden?« »Die Höhlen«, antwortete Pharaun. Die drei sahen zuerst Pharaun an, dann die Löcher im Bo den, von denen sie umgeben waren.
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»Warum nicht auf der Spitze eines dieser Felstürme?« wollte Danifae wissen und zeigte auf eine der unzähligen schroffen, schwarzen Felsen, von denen die Ebene übersät war. »Es scheint, als seien nur wenige Spinnen bereit, sich dort hinauf zubegeben.« »Schaut zum Himmel, Herrin«, antwortete Pharaun. Schon jetzt war die Sonne hinter einer Wand aus schwarzen Wolken verschwunden. »Ich glaube, im Untergrund sind wir sicher, und wir werden es dort bequemer haben.« Außerdem hatte Pharaun bereits auf einem dieser Felstürme etwas Entsetzliches entdeckt, und das wollte er nicht wieder holen. »Die Höhlen«, stimmte Quenthel zu. »Ja«, zischte eine der weiblichen Schlangen. »Die Höhlen sind sicherer.« »Schweig«, ermahnte sie ihre Peitsche mit sanfter Stimme. »Sicherer?« meinte Jeggred. »Sicherheit ist für Feiglinge, furchtsame Priesterinnen und schwache Magier.« Er warf Quenthel und Pharaun vielsagende Blicke zu. Pharaun lächelte den Draegloth an, sah zu Quenthel und sagte: »Ich möchte dich daran erinnern, daß es Herrin Dani faes Vorschlag war, Schutz zu suchen, um den Gefahren des Wimmelns aus dem Weg zu gehen. Soll das etwa heißen, daß du sie für furchtsam hältst, Jeggred?« Einen Moment lang genoß Pharaun den konsternierten Ausdruck auf Jeggreds Gesicht, ehe er fortfuhr: »Aber viel leicht hast du es nicht so gemeint. Auf jeden Fall scheint es, als möchtest du lieber an der Oberfläche bleiben, bis wir zurückkehren. Ich halte das für eine gute Idee. Jeggred, man wird in Liedern deines Mutes gedenken.« Er deutete gegenüber dem Draegloth eine Verbeugung an, woraufhin Jeggred knurrte und seine Fangzähne bleckte.
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Pharaun ignorierte den Trottel – einem Idioten vorzufüh ren, daß er ein Idiot war, bescherte nur wenig Befriedigung – und sah in die klaffende Öffnung des Lochs, aus dem die Chwidencha gekommen waren. Er sagte: »Ich kann den Höhleneingang mit einem Zauber versiegeln, dann können wir dort solange warten, wie es nötig ist. Wenn das Unwetter vorüber ist und die Gewalt ein Ende genommen hat, kann ich uns durch die Versiegelung nach draußen bringen, dann können wir weiterreisen.« »Hervorragende Idee«, meinte Quenthel zustimmend. Jeggred schnaubte wieder verächtlich, woraufhin Quenthel ihm einen eisigen Blick zuwarf, der ein Feuerelementar hätte erstarren lassen. Die Schlangenköpfe erhoben sich und sahen Jeggred auch stechend an. »Neffe?« Sie ließ das Wort wie eine Beleidigung klingen. »Willst du dich vielleicht ausführlicher äußern?« Jeggred öffnete den Mund, aber Danifae legte eine Hand auf seinen Arm, um ihn davon abzuhalten zu sagen, was immer ihm auf der Zunge gelegen hatte. Statt dessen lächelte Danifae entwaffnend und sah zu Pha raun. »Meister Mizzrym hat einen weisen Ratschlag gegeben«, er klärte sie, als seien ihre Worte an Jeggred gerichtet, obwohl sie eigentlich Quenthel meinte, »und Herrin Quenthel ist so weise, den Ratschlag anzunehmen.« Einen Augenblick lang ließ sie ihre Worte wirken, dann legte sie ihren hübschen Kopf schräg und runzelte die Stirn. »Allerdings habe ich auch noch nie erlebt, daß ein Mann eine solche Überzeugungskraft auf eine Priesterin Lolths ausübt.« Pharaun hätte fast gelacht, so offensichtlich war das Spiel, das sie trieb. Danifae hoffte darauf, die Beziehung zwischen Pharaun und Quenthel zu schwächen, indem sie unterstellte,
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die Hohepriesterin verlasse sich in unziemlichem Maße auf seinen Rat. »Das hat weniger mit Überzeugungskraft zu tun«, konterte er. »Wäre sie nicht die einzige Priesterin in dieser kleinen Gruppe, die Weisheit zur Schau gestellt hat, müßte sie sich vielleicht nicht mit den unbedeutenden Vorschlägen eines Mannes begnügen.« Jeggred sah ihn zornig an, doch Pharaun erwiderte den Blick nur. Danifae ließ sich nicht anmerken, daß sie Pharaun gehört hatte. Ihre Augen waren auf Quenthel gerichtet. Die Baenre-Priesterin konterte Danifaes starren Blick auf die gleiche Weise, dann lächelte sie. »Manche Männer dienen einem Zweck.« Auch sie ließ ihre Worte erst einen Augen blick lang wirken, dann fügte sie an: »Natürlich muß man sorgfältig auswählen, welcher Mann für einen bestimmten Zweck geeignet ist.« Ihr Blick wanderte weiter und ruhte auf Jeggred. »Eine Priesterin, die kein gutes Auge dafür hat, wenn sie ihre Diener aussucht, ist sehr oft und schnell eine tote Priesterin. Vielleicht hat dein Draegloth in dieser Angelegen heit einen weisen Ratschlag für dich zur Hand?« »Eine Ratschlag?« knurrte Jeggred. »Hier ist mein Ratsch...« »Jeggred«, fiel Danifae ihm ins Wort und klopfte auf einen seiner Kampfarme. »Sei still.« Jeggred schwieg prompt. »Euer Hündchen habt Ihr gut erzogen«, sagte Pharaun, woraufhin Jeggred ihn ansprang. Danifae bekam seine Mähne zu fassen, und er stoppte mit ten im Sprung. Pharaun rührte sich nicht und lächelte ihn an. Wieder nahm Danifae von Pharaun keine Notiz, sondern sagte zu Quenthel: »Nein, Jeggred hat im Moment nichts zu sagen. Er ist ein Mann und erteilt einen Rat nur, wenn ich ihn
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dazu auffordere.« Pharaun sah Quenthel an, daß sie vor Wut kochte. Sie ging auf Danifae zu – nicht einmal Jeggred wagte es, sich ihr in den Weg zu stellen, obwohl er neben der Kriegsgefangenen ste henblieb – und sah auf die kleinere Frau herab. »Mein Neffe war noch nie für seinen Intellekt bekannt«, erklärte sie. Danifae strich über Jeggreds Arm. »Nein, Herrin«, erwider te sie. »Nur für seine Loyalität.« Quenthels Miene versteinerte. Nach einem letzten Blick auf Danifae sagte sie zu Pharaun: »Ich verlasse mich nur auf Lolth, Magier.« Als er diese Worte hörte, wußte er, Danifae hatte erreicht, was sie wollte. »Natürlich«, antwortete er knapp, da es weiter nichts zu sa gen gab. Der Schaden war angerichtet. Hinter Quenthel stand Danifae und lächelte wissend. Jeggred dagegen sah ihn haßerfüllt an. Er ignorierte beide und sagte zu Quenthel: »Die Höhle?« Sie nickte und entgegnete: »Die Höhle. Doch zuerst ...« Die Hohepriesterin zog aus der Innentasche ihres Piwafwi den Heilzauberstab hervor, den sie noch in Ched Nasad Ha lisstra Melarn abgenommen hatte. Sie legte ihn an ihre Haut und flüsterte den Befehl. Die Schnittwunden in ihrem Gesicht schlossen sich, die Verbrennungen verschwanden, und ihr Atem ging wieder leichter. Dann ging sie zu Pharaun und wiederholte den Prozeß bei ihm, ohne ihn zuvor um Erlaubnis zu bitten. Zu seiner großen Erleichterung verheilten seine gebrochene Nase und die verkohlte Hand ebenso wie die zahl losen Schnittwunden und Kratzer. »Danke«, sagte er und verbeugte sich. Quenthel sagte nichts zu seiner Dankbarkeit, sondern steck
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te den Zauberstab weg und wandte sich zu Danifae um. »Zwei fellos willst du dich selbst um dich und um deinen treuen Draegloth kümmern.« Pharaun schenkte Danifae ein höhnisches Lächeln. Ver mutlich würde sie sich um niemanden kümmern können. Auch wenn Lolth wiedererwacht war und beide Priesterinnen über ihre Zauber verfügen konnten, kam es bei einer Priesterin Lolths nur selten vor, daß sie mehrere Heilzauber auswendig gelernt hatte. Lolths Priesterinnen zerstörten, aber sie heilten nicht. Quenthel hatte sich und Pharaun nur deshalb vollstän dig genesen lassen können, weil sie Halisstras Zauberstab be saß. Überraschend reagierte Danifae mit einem Lächeln und antwortete: »Lolth wird sich wie stets um uns kümmern.« »Sehr wohl«, gab Quenthel verschlagen zurück. Pharaun zog seine Robe glatt. Vor ihm klaffte der Höhlen eingang, der fast senkrecht in den Fels führte. Spinnweben bedeckten die Wände, und ein übler Gestank stieg aus der Öffnung auf. »Nach Euch, Herrin Danifae«, sagte er und wies auf die Höhle, während er darüber nachdachte, ob sie dort unten wohl etwas Gefährliches erwartete. Danifae verzog das hübsche Gesicht zu einer gehässigen Grimasse. »Komm, Jeggred. Meister Mizzrym ist noch immer furchtsam.« Jeggred nahm ihren wohlgeformten Körper in seine kleine ren Arme und hob sie hoch. »Wie idyllisch«, kommentierte Pharaun, woraufhin Jeggred ihn mit seinem Blick durchbohrte. Danifaes Mantel verrutschte, so daß eines ihrer Beine plötz lich unbedeckt war. Sie trug eine enganliegende Hose, und der Anblick ihres Oberschenkels und der Hüfte ließ Pharaun wider
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Willen aufmerksam werden. Sie bemerkte seinen Blick und bedeckte ihr Bein nicht. »Runter da«, sagte sie zu Jeggred, während sie Pharaun verführerisch anlächelte. Jeggred berührte seine Brosche des Hauses Baenre und schwebte hinab. Hure, bedeutete Pharaun Danifae in Zeichensprache, dann bemerkte er, daß Quenthel ihn anstarrte. Ihre Miene verriet nicht, was sie dachte. Sie zog ihre Peitsche und begab sich auch zur Höhle. »Versiegle sie hinter uns«, sagte sie, berührte ihre Brosche und folgte Danifae und ihrem Neffen in die Tiefe. Die Peitsche hielt sie bereit, sollten sie in einen Hinterhalt geraten. Pharaun stand einen Moment lang am Rand und beobach tete, wie Quenthel in der Finsternis versank. Quenthel hatte gesagt, manche Männer erfüllten ihren Zweck. Er mußte si cherstellen, daß sie in ihm auch weiterhin einen solchen sah. Für die Dauer eines Herzschlags spielte er mit dem verführe rischen Gedanken, sie im Stich zu lassen, ihre Suche auf zugeben, doch genauso schnell war ihm auch klar, daß so etwas nicht ratsam war. Lolth war wach, ihre Priesterinnen verfügten wieder über die Macht ihrer Göttin, die Dinge normalisierten sich. Außerdem würde sich Pharaun Gromph und Haus Baenre gegenüber nach der Rückkehr nach Menzoberranzan für alles rechtfertigen müssen, was er Quenthel direkt oder indirekt angetan hatte. Schließlich berührte er die Brosche des Hauses Mizzrym und trat über die Höhlenöffnung. Sekundenlang schwebte er dort und lauschte in die Finsternis, während er sich fragte, ob Dani fae und Jeggred wohl wirklich einen Angriff wagen würden. Es war nichts zu hören, und so ließ er sich bis unter den Höhlen eingang sinken. Dort zog er ein rundes Stück aus poliertem
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Granit aus der Tasche. Es war ein Stein, den er vor langer Zeit bei einem Kuriositätenhändler auf dem Basar Menzoberranzans entdeckt hatte. Mit dem Daumen drückte er den Stein in seine Handfläche, drehte die Hände mit den Innenflächen nach unten und sprach eine Reihe arkaner Worte. Als er die Beschwörung beendet hatte, ließ der Magier eine Steinwand über der Höhlenöffnung entstehen, deren Ränder mit dem umgebenden Fels verschmolzen und das Licht von Lolths Sonne blockierten. Das aufkommende Unwetter und das Wimmeln verschwanden hinter der Wand, und die Höhle versank in angenehmer Finsternis, an die sich seine Augen schnell angepaßt hatten. Er steckte den Granit weg und ließ sich weiter nach unten sinken. Der Schacht machte mal einen Knick nach hier, mal nach dort, aber er führte stetig nach unten. Von dort war nichts zu hören, so daß er davon ausging, daß nichts Gefährli ches auf ihn lauerte – abgesehen von seinen Gefährten. Vor sichtshalber zog er noch ein Stück Flockenpilz aus der Tasche und wappnete sich, um notfalls einen Zauber zu wirken, der Gegnern das Fleisch vom Leibe reißen würde. Er mußte an ein altes Drow-Sprichwort denken: Halte deine Verbündeten immer auf Abstand der Reichweite deines Schwerts, aber halte deine Feinde auf Abstand der Reichweite deines Messers. Es war ein weises Wort. Pharaun fühlte sich nämlich immer be sonders unbehaglich, wenn Jeggred und Danifae nicht in Sichtweite waren. Ihm war klar, daß Danifae versuchte, Quenthels Anspruch zu unterhöhlen, sie sei die Yor’thae. Vielleicht wollte sie den Titel für sich beanspruchen. Das klang zwar absurd, doch Pha raun hielt es für die Wahrheit. Er für seinen Teil glaubte inzwischen aber, daß keine der beiden Priesterinnen die Auserwählte war.
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Inmitten der rauchenden Ruinen Ched Nasads stand Nimor auf dem teilweise zertrümmerten Balkon eines ehemals präch tigen Herrenhauses. Die mächtigen Schutzzauber, die dazu gedient hatten, das Bauwerk zu festigen, hatten seine völlige Zerstörung verhindert. Dennoch war der Sturz auf den Boden der Schlucht zuviel gewesen. Das Gebäude steckte in einem seltsamen Winkel im Felsboden, und zahlreiche Trümmer waren abgebrochen. Der Großteil Ched Nasads war in ähnlicher Weise zerstört und lag in dem Trümmerfeld ringsum am Boden der Schlucht. Die Schutthaufen und die riesigen Steine, die hier kreuz und quer verstreut waren, wirkten wie die befremdlichen Grabstei ne eines Titanenvolkes. Einst hatten die mächtigen Gebäude der Stadt in den stabilen, versteinerten Spinnweben über der Schlucht gehangen, doch dann waren die Duergar gekommen.
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Die Feuerbomben der Duergar hatten den Stein der Netze selbst in Brand gesteckt und die Stadt im wahrsten Sinne des Wortes zu Fall gebracht. Nimor lächelte, während er zufrieden die Zerstörung mus terte. Er war aus Chaulssin hierher zurückgekehrt, um sich noch einmal daran zu ergötzen, was die Seinen geleistet hat ten. Hoch über ihm hingen noch immer Netze über der Schlucht. Es waren jene wenigen Netze, die den Brandbomben der Duergar nicht zum Opfer gefallen waren. In den Netzen hingen noch immer intakte Gebäude. Da sie jedoch einen Teil ihres Halts verloren hatten, schwangen sie träge im Wind. Sie wirkten wie gefangene Höhlenfliegen, die sich verzweifelt aus dem versteinerten Netz zu befreien versuchten und doch nur hilflos über dem Abgrund hin- und hertaumeln konnten. Etli che Anwesen des niederen Adels, der seine Häuser in die Wände der Schlucht statt direkt über dem Abgrund gebaut hatte, waren größtenteils intakt geblieben. Nimor wußte, daß die Jaezred Chaulssin bereits begonnen hatten, die Stadt in ihrem Sinne umzuformen und neu aufzu bauen. Drow, die in den Diensten der Jaezred Chaulssin stan den, arbeiteten am Boden der Schlucht, an den Wänden und in den wenigen Netzen, die noch hoch oben in der Luft hin gen. Aus den Tiefen der Schlucht hörte Nimor den trägen Flügelschlag der Schattendrachen, und viele der zerstörten Gebäude am Boden der Schlucht waren bereits mit dem Schattensaum verschmolzen. Die Bereiche, die in beiden Ebe nen gleichzeitig existierten, waren durch undurchdringliche Wolken verhüllt, die aus materiell gewordener Dunkelheit zu bestehen schienen. Die Verwandlung würde sicher mehrere Jahrzehnte in An spruch nehmen, ja vielleicht sogar Jahrhunderte. Doch sobald
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die Verwandlung vollendet war, würde Ched Nasad ein weite res Chaulssin sein. Das auferstandene Ched Nasad würde zu einer mächtigen Heimstätte der Drow werden und dennoch nichts mehr mit der Spinnenkönigin oder ihren Dienern zu tun haben. Nimors Lippen umspielte die Andeutung eines sardoni schen Lächelns, denn die Niederlage, die er erlitten hatte, schmerzte noch immer. Sie störte das Gefühl der Zufrieden heit, das er sonst angesichts des Anblicks empfunden hätte. Er hatte gehofft, nicht nur die Verwandlung Ched Nasads, son dern auch die Verwandlung Menzoberranzans erleben zu dür fen. Er beäugte den magischen Ring aus Schatten, der sich um einen seiner Finger schlang. Es war ein Reifen aus flüssigem Schwarz, der sich wie eine kleine Natter um den Finger wand. Einst hatte Nimor zahlreiche magische Gegenstände gehabt. Doch der Ring und die Brosche seines Hauses waren die einzi gen beiden Gegenstände gewesen, die den mächtigen Zauber der Auftrennung unbeschadet überstanden hatten, den Gromph gewirkt hatte, als sie auf dem Bazar Menzoberranzans gekämpft hatten. Nimor hatte sich bisher nicht die Mühe gemacht, die zerstörten magischen Gegenstände zu ersetzen. Irgendwie betrachtete er die Zeit, in der er mit so wenig aus kommen mußte, als eine Art selbstauferlegte Buße für sein Versagen. Menzoberranzan. Er sah die Stadt vor seinem geistigen Au ge, sah sie ebenso zerschmettert zu seinen Füßen liegen wie Ched Nasad ... Er schüttelte den Kopf, um das Wunschbild aus seinen Ge danken zu vertreiben. Menzoberranzan stand noch immer, und Lolth war zurückgekehrt. Nimor war gescheitert, und er war nicht mehr die Gesalbte Klinge der Jaezred Chaulssin.
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Er seufzte und spielte gedankenverloren mit seinem Ring. Großvaterpatron Tomphael hatte Nimor den Befehl erteilt, sowohl noch einmal nach Ched Nasad als auch nach Menzo berranzan zurückzukehren. Er sollte sich sowohl den Anblick des glorreichen Sieges der Jaezred Chaulssin als auch den ihrer Niederlage gut einprägen. Natürlich würde sich Nimor an Tomphaels Befehle halten. Außerdem harrten noch gewisse Angelegenheiten in Men zoberranzan ihrer Erledigung. Um genau zu sein, handelte es sich um eine glatzköpfige Angelegenheit und um eine halb teuflische Angelegenheit. »Das war also der Sieg«, murmelte Nimor im Selbstge spräch, während er sich ein letztes Mal umblickt. »Nun zur Niederlage.« Ohne länger zu zögern, aktivierte Nimor die Kräfte seines Schattenrings, um die Grenze zwischen der Mate riellen und der Schattenebene zu betreten. Die Magie entfalte te ihre Wirkung, und die Ruinenstadt Ched Nasad verschwand vor seinen Augen, nur um kurz darauf von einem geisterhaften Schattenabbild der Stadt ersetzt zu werden. Nur die Teile der Stadt, die bereits in die Schattenebene befördert worden wa ren, wirkten materiell. Nimor erteilte der Grenze zum Schattenreich den mentalen Befehl, einen Weg nach Menzoberranzan zu offenbaren, und kurz darauf öffnete sich der gewünschte Pfad vor seinen Au gen. Er trat auf den Schattenpfad, schlug mit den Flügeln und hob ab. Hier an der Grenze zur Schattenebene hatten die Na turgesetze der Materiellen Ebene keine Bedeutung, so daß eine Reise wesentlich schneller verlief, als dies auf der Materiellen Ebene möglich war. Wirbelnde Schattenfetzen schössen an dem dahingleitenden Nimor vorbei oder durch ihn hindurch. Die Kräfte des Rings und die außergewöhnlichen Eigenschaf ten der Schattengrenze verkürzten die Reise, die normalerwei
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se mehrere Tage in Anspruch genommen hätte, zu einem Flug von knapp einer Stunde Dauer. Kurz darauf war Nimor bereits im schattenhaften Gegen stück Menzoberranzans angekommen. Es handelte sich um ein geisterhaftes Abbild der Stadt auf der Schattenebene. Rings um ihn waren tote Zinnen, Türme und Stalagmiten. Eine kurze Willensanstrengung ermöglichte es ihm, die Grenze des Schattenreiches zu durchdringen und wieder auf die Materielle Ebene zu gleiten: Nimor schwebte hoch oben in der titani schen Höhle, in der sich Menzoberranzan befand, in der Dun kelheit. Die Dunkelheit, die ihn umgab, würde ihn selbst für die scharfen Augen der Drow unsichtbar machen, sollte einer von ihnen gerade jetzt dort hinaufblicken, wo er sich aufhielt. Er blickte auf seine Niederlage hinab. Die Jaezred Chaulssin hatten die Stadt auch noch nach Nimors Flucht regelmäßig magisch ausgespäht, um darüber informiert zu bleiben, was sich hier zutrug. Er wußte nur zu gut, was das Ergebnis dieser Ausspähung gewesen war. Die Streit kräfte, die er mit solcher Mühe und Akribie zusammengestellt und gegen Menzoberranzan geführt hatte, waren in Auflösung begriffen. Vhok und seine Geknechtete Legion waren auf dem Rück zug. Während sie versuchten, durch die Höhlen im Osten der Pilzgärten zu entkommen, wurden sie immer wieder in Rück zugsgefechte verwickelt. Es konnte kein Zweifel daran beste hen, daß die Tanarukks zurück in die Höhlen fliehen würden, die sich unter der Höllentorfeste erstreckten, um zumindest ihre Haut zu retten, wenn sie denn schon ihre Ehre und ihren Stolz verloren hatten. Horgar und seinen lächerlichen DuergarStreitkräften war kein so angenehmes Schicksal bestimmt. Sie hatten den Fels Tier Breches in einen geschmolzenen, zernarb ten und geschwärzten Haufen Schutt verwandelt, doch dann
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waren sie beim weiteren Durchbruch kläglich gescheitert. Melee-Magthere, Arach-Tinilith und Sorcere waren weiterhin in den Händen der Menzoberranzanyr. Dort tobte die Schlacht noch mit unvermittelter Härte. Die Explosionen und die ge waltsamen Ausbrüche der magischen Energien waren weithin zu hören. Nimor wußte, daß die verzweifelten Anstrengungen inzwischen sinnlos waren. Lolth war wiedererwacht, und damit war die Gelegenheit, die Stadt zu erobern, verwirkt. Die Spin nenkönigin antwortete wieder auf die Gebete ihrer Priesterin nen, und sobald die Töchter der Stadt aus Arach-Tinilith hervorströmen und die Streitkräfte Menzoberranzans mit ihren Zaubern stärken würden, war es um die Duergar geschehen. Nur wenigen würde die Flucht gelingen. Im Gegensatz zu Vhok war Horgar entweder zu dämlich oder zu verbohrt, um den Ernst der Lage zu erkennen und richtig darauf zu reagieren. Nimors Blick verweilte kurz auf den hohen Plattformen Tier Breches und etwas länger an den schlanken, hochaufra genden Türmen Sorceres. Irgendwo da drinnen hielt sich Gromph auf. Schon der Gedanke an den Erzmagier brachte Nimors Blut zum Kochen. Es war Gromph gewesen, der Dyrr zerstört hatte. Noch immer sah man an den rauchenden Trümmern des Marktplatzes, wo das Zauberduell stattgefunden hatte. Er war es gewesen, der die entscheidende Rolle bei der Abwehr der Belagerer gespielt hatte, und dafür brachte ihm Nimor sowohl Respekt als auch unbändigen Haß entgegen. Nimor schlug einmal kurz mit den Flügeln und wandte den Blick nach rechts, wo sich die große Säule Narbondel befand. Ihr Fuß glühte in einem tiefen Rot, als handelte es sich bei der Säule um ein Leuchtfeuer, das dem ganzen Unterreich signali sieren sollte, daß Menzoberranzan gesiegt hatte. Nimor fragte sich, ob Gromph selbst das Leuchtfeuer entflammt hatte. Plötzlich und völlig unerwartet übermannten ihn seine Ge
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fühle. Er spürte, wie er die Kontrolle zu verlieren begann. Eine schier unerträgliche Welle der Frustration und der Verzweif lung überschwemmte ihn. Er ballte die Fäuste und unterdrück te im letzten Moment den frustrierten Aufschrei, der ihm fast entfahren wäre. Er hatte gut gekämpft, die besten Intrigen gesponnen, die er sich nur vorstellen konnte, und beinahe, ja um Rothéhaares breite wäre es ihm gelungen, die mächtigste Stadt der Drow im Unterreich zu erobern. Der Sieg über Ched Nasad wäre im Vergleich zu einem Triumph über das Juwel des Unterreichs verblaßt. Natürlich wußte er, daß beinahe nicht genug war. Beinahe war eine lächerliche Entschuldigung für den Sieg, den er sich selbst und die Jaezred Chaulssin gekostet hatte. Beinahe brach te gar nichts. Beinahe hatte ihn seinen ehrenvollen Titel als Gesalbte Klinge der Jaezred Chaulssin gekostet. Das also war die Lektion, die ihm der Großvaterpatron hat te erteilen wollen, indem er ihn zwang, hierher zurückzukeh ren. Nimor sollte aus dem Kelch der Niederlage trinken. Er sollte an ihrem Geschmack beinahe ersticken und daraus ler nen, daß ihm solch eine Niederlage nie wieder passieren durf te. Angesichts dieser Erkenntnis überkam ihn so etwas wie Bescheidenheit und Scham, völlig ungewohnte Gefühle für den sonst so arroganten und selbstsicheren Nimor. Du hast mir versprochen, Menzoberranzan vom Gestank Lolths zu säubern, hatte Großvaterpatron Mauzzkyl gesagt. Hast du das getan? Nimor hatte ihm gestanden, daß er gescheitert war. Er hatte es nur beinahe geschafft, und der bittere Geschmack des Bei nahe hatte ihn beinahe ersticken lassen. Es wird weitere Chancen geben, hatte Vaterpatron Tomphael gesagt. Wenn du die Weisheit lernst.
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Ich habe meine Lektion gelernt, Tomphael, dachte Nimor. Er blickte wieder zu Tier Breche, wo der Kampf noch immer tobte. Dann blickte er auf den ruhigen Donigarten, in dem die Drowsoldaten zwischen den riesigen Pilzen patrouillierten. Er dachte an Horgar und das Versagen des kleinen Prinzen. Nimor hatte auch eine Lektion für jemanden bereit, und Horgar würde sein Schüler sein. Er hatte alles gesehen, was es zu sehen gab, und blickte noch ein letztes Mal auf Menzoberranzan hinab. Sein Blick glitt über die hochaufstrebenden, eleganten Spitzen, über die schlanken, hohen Türme, die schnörkelige Architektur der mächtigen Herrenhäuser. Alles hier war ein stilles Zeugnis der unerträglichen Arroganz der Menzoberranzanyr. Vielleicht hatten auch sie ein wenig Bescheidenheit gelernt. Vielleicht aber auch nicht. Während Nimor zur Stadt hinabblickte, nickte er ihr wi derwillig, aber respektvoll zu. Die Stadt hatte ihn geschlagen. Diesmal. Es kostete ihn nur eine kleine Willensanstrengung, erneut in die Schattenebene hinüberzugleiten, so daß er diesen Ort verlassen konnte.
Der Chwidencha-Schacht verlief einen Speerwurf weit senk recht nach unten, dann öffnete sich der Schacht in einer run den Höhle, von der aus ein breiter, horizontaler Tunnel tiefer in den Berg führte. An den Wänden hingen vertrocknete Spinnenetze, und hier und dort lagen die ausgesaugten und vertrockneten Leiber von Spinnen herum, denen man alle Beine ausgerissen hatte, zweifellos die letzten Mahlzeiten der Chwidencha. Jeggred versetzte ihnen einen Fußtritt. Die tro
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ckene Luft stank nach Verwesung und Moschus. Pharaun landete direkt neben Quenthel, und die Schlangen ihrer Peitsche züngelten in seine Richtung. Danifae und Jeggred standen ein Stück von ihnen entfernt und musterten sie, während Danifae gedankenverloren über ihr heiliges Symbol strich. Pharaun konnte sich der düsteren Vorahnung nicht erweh ren, daß sie nicht alle an die Oberfläche zurückkehren würden. Nur um sicherzugehen, hielt er noch immer ein Stück Flo ckenpilz in der Handfläche verborgen. Er wandte sich an Quenthel: »Der Schacht über uns ist ver siegelt.« Sie nickte, blickte den Tunnel entlang und wandte sich an die anderen: »Wir werden ein Stück weitergehen und nach einer geeigneten Stelle suchen, an der wir rasten können.« Niemand widersprach. Quenthel ging als erste in den Tun nel, und der Rest der Gruppe schloß kurz darauf zu ihr auf. Der Tunnel war breit genug, daß alle vier nebeneinander gehen konnten. Da keiner von ihnen einen der anderen im Rücken haben wollte, nutzten sie dies aus, um tatsächlich allesamt nebeneinander vorzurücken. Ab und zu zweigten kleinere Stollen vom Haupttunnel ab und verschwanden in der Dunkelheit. Pharaun fragte sich, ob Lolths gesamte Ebene von derartigen Tunneln durchzogen war, ob sie also praktisch über ein eigenes Unterreich verfügte. Vielleicht waren sie ja nur vor den Chwidencha und dem Wimmeln geflohen, um hier unten in den Tiefen auf viel fürchterlichere Dinge zu stoßen? Momentan nichts, dachte Pharaun, aber dennoch lauschte er angestrengt. Vielleicht konnte er ja rechtzeitig Geräusche ausmachen, die aus dem Tunnel vor ihnen dringen würden. Er hörte nur Jeggreds keuchenden Atem und das Geräusch
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ihrer eigenen Stiefel auf dem felsigen Untergrund. Der Draegloth schob alle Kadaver, die ihnen im Weg waren, mü helos beiseite. Auf lebende Kreaturen stießen sie jedoch nicht. Offenbar war zumindest der Haupttunnel frei von Gegnern, da sich das Chwidencha-Rudel an der Oberfläche aufhielt. Nach einem kurzen Marsch kamen sie in eine weitere run de Höhle. Auch hier lagen wieder verdorrte Spinnenleiber herum, denen man die Beine ausgerissen hatte. Außerdem lagen hier die ausgehöhlten Bruthüllen der Chwidencha. Die Hüllen waren so dünn, daß sie an feinstes Pergament erinner ten. Es schien fast, als hielten sich hier in der Höhle Dutzende halbdurchsichtiger, geisterhafter Chwidencha auf. Jeggred ergriff eine der Hüllen an einem Bein, und sie zerfiel augen blicklich. Ein paar kleine, blubbernde Säurepfützen waren in der Höh le verstreut, aus denen Rauch und widerwärtiger Gestank auf stiegen. Der Rauch zog durch Risse in der Höhlendecke ab. Auf der gegenüberliegenden Seite der Höhle befand sich ein natürlicher Durchgang im Fels, der an einen Torbogen erin nerte, und ein weiterer breiter Tunnel führte von dort aus der Höhle. Vielleicht könnten wir hier rasten, Herrin?« fragte Pharaun. »Wir müssen keinen Angriff aus unserem Rücken befürchten« – zumindest nicht von den Chwidencha, dachte er sich –, »und wir können in dem Tunnel, der vor uns liegt, eine Wa che aufstellen. Eine Gelegenheit zur Rast käme mir gelegen, um meine Zauberbücher zu studieren und mir meine gewirkten Zauber neu einzuprägen.« Er wußte, daß eine solche Rast auch den Priesterinnen er lauben würde, nach einem kurzen Gebet ihre Zauber durch die Macht Lolths aufzufrischen. Ein oder zwei weitere Heilzauber Quenthels hätten ihm wahrlich nicht geschadet.
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Quenthel musterte ihn kalt. Sie war offenbar gar nicht er freut darüber, daß er es schon wieder gewagt hatte, ihr einen Vorschlag zu unterbreiten. Dennoch sagte sie: »Gut, die Höhle eignet sich ebensogut wie jeder andere Ort hier unten. Wir werden speisen, ruhen und beten.« Nachdem Pharaun kurz gewartet hatte, ob es irgendwelche Einwände gab, suchte er sich einen möglichst »gemütlichen« Felsen und war Sekunden später darauf zusammengesunken. »Jeggred hat die erste Wache«, befahl Quenthel. Der Draegloth, der sich gerade die Zeit damit vertrieben hatte, eine weitere Chwidencha-Hülle zu Staub zerfallen zu lassen, blicke fragend zu Danifae, die nickte. »Na gut«, antworte er und stapfte durch die Höhle. Er bezog am Eingang des Tunnels Stellung. Quenthel starrte ihm ärgerlich hinterher. Sie wartete, bis er sich gut aufgestellt hatte, und wandte sich dann erneut an ihn: »Doch nicht dort, Neffe. Geh ein Stück den Tunnel entlang. Was nutzt es uns, von einer Gefahr zu erfahren, wenn sie be reits direkt bei uns ist?« Jeggred knurrte verärgert und sah erneut zu Danifae. Die ehemalige Kriegsgefangene zögerte. »Hast du etwa Angst, mit mir allein zu sein?« fragte Quenthel. Jedes ihrer Worte schien vor Verachtung zu triefen. Danifae sah Quenthel mit ihren klaren, grauen Augen pro vokant an. »Keine Ahnung. Bisher habe ich noch nichts gese hen, was mir dazu Anlaß gäbe.« Quenthel lächelte. Während sie Danifae weiter in ein Ge spräch verwickelte, machte sie eine nachlässige Handbewe gung in Richtung Jeggreds. »Los, Neffe! Verschwinde!« Jeggred rührte sich nicht, bis ihm auch Danifae mit einer Bewegung ihrer Finger signalisierte, weiter in den Tunnel vorzurücken.
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»Ich bleibe in der Nähe«, grollte Jeggred warnend in die ganze Runde. Selbst nachdem der Draegloth im Tunnel verschwunden war, starrte Quenthel Danifae weiter finster an. Die ehemalige Kriegsgefangene ignorierte sie lässig, untersuchte sorgsam ihre Wunden, breitete ihre Ausrüstung aus und zog ihre Rüstung aus, so daß sie nur noch eine enganliegende Tunika und Hosen trug. Ihre Haut war von Kratzern, blauen Flecken und Schürf wunden überzogen, doch das tat ihrer atemberaubenden Schönheit keinen Abbruch. Pharaun wurde erneut von der schieren Körperlichkeit, die diese Frau ausstrahlte, übermannt. Männer waren schon für Frauen gestorben, die wesentlich weniger attraktiv waren als Danifae. Es war schade, daß sie sterben mußte, und zwar hoffentlich bald. Nach einiger Zeit gab Quenthel es schließlich auf, Danifae finster anzustarren, und begann, sich ebenfalls um ihre Ausrüs tung zu kümmern, während ihre Schlangen Danifae weiterhin mißtrauisch beäugten. Pharaun sah das als vorübergehenden Waffenstillstand an und machte es sich ebenfalls gemütlich. Die drei Drow hatten sich so in der Höhle verteilt, daß sie möglichst weit voneinander entfernt waren. Den Rücken hiel ten sie an die spinnwebbedeckten Wände der Höhle gepreßt. Während sie so finster vor sich hinschweigend zwischen den Chwidencha-Hüllen saßen, aßen sie von jenen Vorräten, die sie vor so langer Zeit von Valas erhalten hatten. Um sich die Zeit zu vertreiben, zählte Pharaun seine ver bliebenen Materialkomponenten durch und sortierte sie neu in die zahllosen Taschen seines Piwafwi ein. Anschließend nahm er eines seiner Reisezauberbücher, das er in dem außerdimensi onalen Raum seines Rucksacks aufbewahrte, und studierte es.
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Die arkanen Worte formten sich in seinem Geist und ersetzten die Zauber, die er zuvor verbraucht hatte. Er wählte seine Zau ber mit großer Sorgfalt aus, da er sich der Tatsache bewußt war, daß vielleicht die Stunde kommen würde, da er seine Magie gegen Jeggred und Danifae einsetzen mußte. Als er mit dem Studium seiner Zauber fertig war, hatten die beiden Priesterinnen bereits die Augen geschlossen und waren in Anbetung von Lolth versunken. Pharaun ging davon aus, daß die beiden Priesterinnen sicherheitshalber Alarmzauber gewirkt hatten, die sie aufschrecken lassen würden, falls sich ihnen jemand zu nähern wagte. Er aktivierte seinen SorcereRing. Ja, um beide Priesterinnen erschien das blaßrote Leuch ten, das auf einen Schutzzauber hinwies. Unwillkürlich mußte er lächeln. Dafür, daß die Drow eigentlich so stolz darauf waren, Krea turen des Chaos zu sein, waren sie doch auf eine erstaunliche Weise berechenbar. Im Gegensatz zu ihrer Herrin waren die Schlangen von Quenthels Peitsche wach und aufmerksam. Zwei von ihnen, wenn sich Pharaun nicht täuschte, handelte es sich um K’Sothra und Yngoth, hatten sich weit ausgestreckt und be hielten den Tunnel im Auge, in dem Jeggred stand. Zwei wei tere Schlangen behielten Danifae im Auge, und die letzte, Qorra, musterte Pharaun. Irgendwie war Pharaun fast gekränkt, daß für ihn offenbar eine Schlange reichte. Er streckte der Schlange die Zunge heraus. Qorra züngelte in seine Richtung. Pharaun ignorierte die Schlange, streckte die Beine aus und machte es sich auf seinem Felsbrocken gemütlich. Er war mü de, aber noch nicht bereit, sich der Trance hinzugeben. Einige Zeit musterte er Danifaes Brüste, die sich mit ihren ruhigen Atemzügen hoben und senkten. Er gab sich Mühe, sich nicht
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zu sehr seinen lüsternen Männerphantasien hinzugeben. Im merhin wußte er, wie gut sie es verstand, mit den männlichen Gefühlen und Bedürfnissen zu spielen. Außerdem war es oh nehin nur eine Frage der Zeit, bis Quenthel ihrer überdrüssig wurde und sie vernichtete. Schließlich entschloß sich Pharaun doch noch dazu, auch ein oder zwei Stunden in Trance zu verbringen. Zuerst wollte er aber noch einen Schutzzauber wirken, der eine ähnliche Funktion erfüllen würde wie die Zauber, die die beiden Prieste rinnen gewirkt hatten. Er würde ihn alarmieren, falls sich ihm eine Kreatur auf mehr als fünf Schritte näherte. Als er gerade beginnen wollte, die arkanen Silben des Zau bers zu flüstern, fühlte er ein vertrautes Kribbeln in seinen Gedanken. Er erkannte es sofort. Kurz darauf breitete sich ein wesentlich stärkeres Kribbeln in seinem ganzen Leib aus. Er brach den Zauber ab. Es freute ihn, daß Aliisza sie endlich gefunden hatte. Seid gegrüßt, Meister Mizzrym, schnurrte sie, und ihre geisti ge Stimme strömte samtweich durch seine Gedanken. Trotz seiner üblichen Selbstbeherrschung mußte Pharaun wie ein unerfahrener Schüler des ersten Jahrgangs grinsen, als er die sanfte Berührung ihrer Gedanken verspürte. Er wußte, daß sie sie aus selbstsüchtigen Gründen verfolgte, aber den noch genoß er ihre Aufmerksamkeit. Aliisza, meine Liebe, projizierte er zurück. Man trifft sich wahrlich an seltsamen Orten. Es sind seltsame Zeiten, mein Lieber, antwortete sie, und in seltsamen Zeiten hat man seltsame Bettgefährten. Schön wäre es, antworte Pharaun und mußte noch breiter grinsen. Quenthels Schlange zischte, als sie sein Grinsen sah. Pha raun beherrschte sich und setzte wieder eine ernste Miene auf.
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Dann blickte er an der Schlange vorbei in den Tunnel. Im vorderen Tunnel, nur einen Steinwurf entfernt, sah er die muskulöse Gestalt Jeggreds als vagen Umriß. Der Draegloth saß geduckt im Gang und sah nach vorne. Seine massiven Schultern hoben und senkten sich mit seinen regel mäßigen Atemzügen. Pharaun war nicht sicher, ob der Draegloth wach war oder schlief. Im Gegensatz zu den Drow benötigte Jeggred tatsächlich Schlaf, um sich zu erholen. Quenthel und Danifae waren noch immer in Trance, wenn ihre Gesichtszüge auch ärgerlich verzogen waren. Pharaun war zufrieden. Er würde sich nur um Quenthels Schlangen küm mern müssen. Die Priesterinnen finden keine Ruhe, meinte Aliisza.
Das liegt uns im Blut, antwortete er zynisch wie üblich.
Sie brauchten wohl vor der Rast ein wenig Ablenkung, damit sie
anschließend rechtschaffen müde sind, sagte sie. Ablenkung? fragte Pharaun mit gespielter Empörung. Was ist die Yor’thae? fragte sie. Die Frage erschreckte Pharaun. Er war jedoch viel zu abge brüht, um sich etwas anmerken zu lassen, ja, er konnte dieses Gefühl sogar vollständig aus seinen Oberflächengedanken verdrängen. Woher wußte Aliisza von der Yor’thae? Die Schlange, die Pharaun beobachtete, hatte seinen inne ren Aufruhr hingegen sehr wohl bemerkt und ließ ein sanftes Zischen vernehmen. Er tat, als hätte er nichts gehört, und ließ sich noch lässiger auf seinem Felsen nieder. Woher kennst du dieses Wort? fragte er. Sie liebkoste mit ihren geistigen Fingern verspielt sein Ge hirn. Es hallt in den gesamten Unteren Ebenen wider. Es erklingt im Wind, in den Schreien der gequälten Seelen, im Rauschen des tosenden Wassers. Was bedeutet es, liebster Schatz? Pharaun hörte nur die übliche Verschlagenheit in ihren
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Worten, daher antwortete er ihr auch aufrichtig: Die Yor’thae ist Lolths Auserwählte. Oh, antworte Aliisza. Wer ist es denn? Die Hübsche oder die Große mit der Peitsche? Pharaun konnte nur amüsiert den Kopf schütteln. Vielleicht ist es auch keine von beiden? meinte Aliisza. Pharaun sagte nichts darauf, obwohl ihn ihre Aussage beun ruhigte. Ihre Worte erinnerten ihn daran, was er selbst erst kürzlich gedacht hatte, und er beschloß, das Thema zu wech seln. Wo bist du? fragte er. Ich bin unsichtbar. Sieh dich um und finde mich, antwortete sie amüsiert. Wenn du mich findest, gewinnst du einen Preis. Pharaun mußte sich nur kurz konzentrieren, um seine Wahrnehmung so zu verändern, daß er unsichtbare Gegens tände und Wesen wahrnehmen konnte. Er hatte den Effekt so auf sich gewirkt, daß er jederzeit auf ihn zurückgreifen konnte. So unauffällig wie möglich blickte er den Tunnel hinab, aus dem sie gekommen waren und der dem Tunnel gegenüberlag, in dem Jeggred Wache stand. Schließlich wollte er die Schlan ge nicht alarmieren, die ihn noch immer wachsam im Auge behielt. Da stand sie! Du hast gewonnen, antwortete sie. Aliisza lehnte provokant an der Tunnelmauer, den Rücken durchgedrückt, die Arme hinter dem Rücken gekreuzt. Sie hatte ihre Fledermausflügel auf dem Rücken zusammengefaltet, so daß Pharaun jedes Detail ihres schlanken Körpers erkennen konnte – die sinnlich geschwungenen, kleinen Brüste, die atemberaubend langen Beine, ihre ausladenden, aber dennoch eleganten Hüften. Ihr langes, pechschwarzes Haar floß über ihren Rücken, und sie sah ihn lächelnd an. In diesem Moment fand Pharaun sogar ihre kleinen, spitzen Fangzähne attraktiver,
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als er sich selbst eingestehen wollte. Seid mir gegrüßt, meine Dame, sagte er. Einen Augenblick. Es ist nicht sehr höflich, eine Dame warten zu lassen, schalt sie ihn mental in einem verschmitzten Tonfall. Du wirst dir was einfallen lassen müssen, um das wieder gutzumachen. Auch in diesem Fall kann ich nur eines sagen, meinte er spöt tisch. Schön wär’s. Irgendwie schaffte sie es, ihr mentales Kichern sowohl mäd chenhaft als auch anzüglich klingen zu lassen, und es berausch te ihn förmlich. Er blickte zu der Schlange, die ihn im Auge behielt. Erneut züngelte sie in seine Richtung. Er lehnte sich auf seinem Felsen zurück und schloß die Au gen, als wolle er sich auf die Trance vorbereiten. Glücklicher weise beherrschte er einen Illusionszauber, der keine Material komponente erforderte. Er bewegte nur die Finger und flüsterte so leise, daß er sich selbst kaum hören konnte. Mit Worten und Gesten wob er eine machtvolle Täuschung. Der Zauber betraf das gesamte Gebiet, das sich Pharaun als Ruhestätte ausgesucht hatte. Für die Schlange würde es aussehen, als befände sich Pharaun weiterhin auf dem Felsen, tief in Trance versunken, während der echte Pharaun im Wirkungsbereich der Illusion tun konn te, was ihm beliebte, ohne daß es die Schlange wahrnehmen würde. Nachdem er den Zauber vollbracht hatte, blickte er vorsich tig zur Schlange und richtete sich auf. Es schien Qorra nicht aufgefallen zu sein, daß hier etwas nicht stimmte. Der Blick der Schlange ruhte unverwandt auf der Illusion und dem falschen Pharaun. Pharaun lächelte, holte ein Stück Wollstoff aus der Tasche und flüsterte die Worte, die ihn unsichtbar machen würden. Trotz des Illusionszaubers war diese Vorsichtsmaßnahme drin
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gend erforderlich. Sobald er den Wirkungsbereich der Illusion verließ, würde er nicht mehr durch das Trugbild geschützt sein. Er wußte, daß Aliisza dank ihres Dämonenblutes unsichtbare Kreaturen mühelos wahrnehmen konnte. Sie würde keine Schwierigkeiten haben, ihn zu sehen. Durch seinen Verstand perlte erneut das anzügliche Lachen Aliiszas, und ihm fuhr ein wohliger Schauer über den Rücken. Es war verwunderlich, daß ihn die Anwesenheit dieser Dämo nin, wenn es sich auch um eine ausnehmend hübsche Dämo nin handelte, mit solcher Lust erfüllte. Sehr verschlagen, mein Liebling! gratulierte sie. Langsam und möglichst leise trat er in den Tunnel und auf sie zu. Auf dem Fels blieb sein Abbild ruhend zurück, schein bar in Trance versunken. Du siehst ja fürchterlich aus! meinte sie tadelnd, als er näher kam. Das wußte er nur zu gut. Er hatte sich durch die Schatten tiefe, den Abyss und den Abgrund der Dämonennetze ge kämpft, und all das, ohne ein einziges Bad zu nehmen! Er hatte einfache Zaubertricks genutzt, um den Gestank zu dämpfen und sein Gewand zu flicken, doch auch diese Magie war längst an ihre Grenzen gestoßen. Die Reise war nicht einfach, antwortete er. Vielleicht wäre dir ja die Gesellschaft eines illusionären Pharaun lieber? Er machte eine Handbewegung den Tunnel hinunter. Aber nein! antwortete sie und räkelte sich langsam und be dächtig, um die Vorzüge ihres Körpers möglichst verführerisch zu präsentieren. Sie schien ihn mit ihren grünen Augen zu verschlingen und streckte ihm ihre Arme entgegen. Mir ist der echte Pharaun viel lieber. Als er sich ihr genähert hatte, nahm er sie in die Arme. Sie breitete ihre Flügel aus und schlang sie um ihn. Ihr Parfüm
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stieg ihm in die Nase und schien ihn förmlich zu betäuben, ihre sanften Kurven und ihre weiche Haut preßten sich gegen seinen Leib, und er spürte, wie die Erregung in ihm aufwallte. Einen kostbaren Augenblick lang gestattete er sich, in diesem Moment der Lust förmlich zu ertrinken. Seine Hände fuhren gierig über die weiche Haut ihres Körpers. Dann nahm er all seine Willenskraft zusammen und drückte sie ein Stück weg. Wie hast du uns gefunden? fragte er. Warum bist du hier? Sie machte einen Schmollmund und schlug mit den Flü geln. Ts, ts! Was sind denn das für Fragen? Ich habe dich gefun den, indem ich dich gesucht habe. Du bist nicht schwierig zu finden – und warum ich zurück bin ... Sie setzte einen ernsten Ge sichtsausdruck auf und sah ihm direkt in die Augen. Ich bin gekommen, um mich zu verabschieden. Der Boden schien sich unter Pharauns Füßen aufzutun. Er war über die Stärke seiner Gefühle für sie verblüfft. Verabschie den? Er strich ihr mit dem Finger über die Hüfte, während er sie ungläubig anstarrte. Sie blickte einen Augenblick lang zur Seite. Ich fürchte, wir werden uns nicht wiedersehen, mein Herz, und ich konnte nicht gehen, ohne dich noch einmal zu sehen. Er glaubte ihr kein Wort des letzten Satzes, obwohl er es gerne gewollt hätte. Du hast deine Aufgabe erfüllt und kehrst zu Vhok zurück? Ist es das? Er war überrascht darüber, daß seine Gedanken von sol cher Bitterkeit erfüllt waren. Die Hand, die er auf ihren Körper gelegt hatte, packte nun unwillkürlich fester zu. Sie lächelte, streckte sich und fuhr ihm mit einem ihrer langen Nägel übers Kinn. Eifersüchtig, kleiner Magier? Nein, ich werde nicht zu Vhok zurückkehren. Ich habe ihm gesagt, was ich ihm sagen mußte. Ich bin mit ihm fertig. Zumindest bist auf weite res. Inzwischen erregt ein anderer Typ Mann mein Interesse.
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Pharaun ignorierte das Kompliment. Was hast du ihm er zählt? fragte er. Alles, antwortete sie. Das war meine Aufgabe. Pharaun hatte nichts anderes erwartet, aber dennoch berei tete ihm die Antwort einen vagen Schmerz. Wenn du nicht zu ihm zurückkehren wirst und dein Auftrag er füllt ist, warum sollten wir uns dann nicht wiedersehen? fragte er. Die Frage war in gewisser Weise ein Zeichen seiner Schwäche, und er haßte sich sofort dafür, daß er sie ausgesprochen hatte, doch andererseits mußte er einfach die Antwort kennen. Sie lächelte, und ihre Augen waren von aufrichtiger Trauer erfüllt, so aufrichtig, wie das für ein Wesen möglich war, in dessen Adern dämonisches Blut floß. Weil ich fürchte, du wirst das, was auf dich zukommt, nicht überleben, sagte sie. Einen Augenblick lang verschlug es ihm die Sprache. Ihre Offenheit überraschte ihn. Endlich konnte er sich zu einem Lächeln durchringen. Was kommt auf mich zu? Sie schüttelte traurig den Kopf und antwortete: Ich weiß es nicht. Doch diese Ebene ist äußerst gefährlich, und es stinkt hier nach ... etwas. Er nahm die Hände von ihr. Du irrst. Sie sah ihn an, und in ihren Augen lag ein undefinierbarer Ausdruck, wie er ihn noch nie bei ihr gesehen hatte. Vielleicht tue ich das. Ich kann es nur hoffen. Doch wenn ich mich nicht irre, kann ich dann etwas von dir haben, das mich an dich erinnert? Ein persönliches Geschenk von meinem tapferen, charmanten DrowMagier? Pharaun fragte sich, ob es ihm wirklich nur um ein persönli ches Geschenk von ihr ging, das er ihr aus freien Stücken gegeben hatte. Er wußte, daß ein fähiger Magier mit so einem Geschenk erstaunliche Dinge anstellen konnte. Er wünschte
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sich, daß er sich mit seinen Vermutungen täuschte, doch er hatte sie längst durchschaut. Ehe wir dazu kommen, mußt du mir sagen, was in Menzober ranzan geschieht! verlangte er. Aliisza runzelte mißbilligend die Stirn, als sei das Schicksal von Pharauns Heimat völlig bedeutungslos und lenke sie nur von wichtigeren Dingen ab. Sie steht noch, erwiderte sie. Lolth hat ihre Macht zurückerlangt und damit auch ihre Priesterinnen. Kaanyr zieht sich zurück, und auch die Duergar werden bald fol gen. Eine Woge der Erleichterung überwältigte Pharaun fast. Menzoberranzan stand noch! Es war seltsam, daß er zu dieser Stadt eine so enge Bindung empfand, wenn es doch in der ganzen Stadt keine einzige Per son gab, für die er tatsächlich etwas empfand. Er fragte sich unwillkürlich, ob Gromph die Belagerung wohl überlebt hatte. Wenn nicht – »Erzmagier Pharaun Mizz rym« hörte sich eigentlich gar nicht so übel an. Da in solch einem Fall Haus Baenre den Nachfolger des Erzmagiers bestimmen würde, hatte er um so mehr Anlaß, Quenthel zu unterstützen und sie zu seiner Verbündeten zu machen. Ein Erinnerungsstück? drängte Aliisza nochmals. Es reicht et was Kleines. Vielleicht eine Locke deines Haars? Pharaun lächelte, doch es war ein kaltes, unnachgiebiges Lächeln. Nein. Kein persönliches Geschenk. Ich denke, ich werde alles, was ich bin, auch für mich selbst behalten. Sie verstand, was er mit dieser seltsamen Formulierung andeuten wollte und verzog ärgerlich die Stirn. Du hast mich mißverstanden, begann sie. Ich ... Sie blickte über seine Schulter auf etwas, das sich hinter ihm befinden mußte. Es scheint, als sei deine Abwesenheit aufgefallen. Leb wohl, Geliebter!
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Damit gab ihm Aliisza einen raschen, aber innigen Kuß, der so süß schmeckte, als sei es der letzte Kuß zwischen ihnen, und verschwand. Ihre Teleportation war völlig lautlos erfolgt, und einen Augenblick lang starrte er verblüfft auf die Mauer. Der Geruch ihres Parfüms hing noch in seiner Nase, und ihre letz ten Worte gingen ihm im Kopf herum. Noch ehe sich Pharaun entschließen konnte, etwas zu tun, wurde seine unsichtbare Gestalt von einem violetten Schein umhüllt. Feenfeuer. Sein Magen verkrampfte sich zu einem eiskalten Knoten. Der Geruch nach verrottendem Fleisch, der ihm von hinten in den Nacken drang, ließ die letzten Überreste von Aliiszas Parfüm verwehen. Es handelte sich um Jeggreds Atem. Pha raun legte sich blitzschnell eine Entschuldigung für sein Tun zurecht und rief sich zur Sicherheit einen seiner mächtigsten Zauber ins Gedächtnis, zu dessen Auslösung er nur ein einziges Wort würde sprechen müssen. Er riß ein Stück Spinnennetz von der Wand, hob seine Un sichtbarkeit absichtlich auf und drehte sich möglichst pikiert wirkend herum, nur um feststellen zu müssen, daß seine Nase beinahe Jeggreds Brust berührte, die sich unter schweren A temzügen hob und senkte. Dem Draegloth war es doch tatsäch lich gelungen, so leise wie ein Assassine von hinten an ihn heranzuschleichen. »Jegg...« Ehe er weitersprechen konnte, hatte ihn Jeggred auch schon mit atemberaubender Geschwindigkeit mit einer seiner Kampfklauen an der Gurgel gepackt und hochgehoben. Kurz darauf baumelte er auf Augenhöhe des Draegloth. Pharaun mußte würgen. Einerseits machte ihn der stinkende Atem der Kreatur benommen, andererseits drückte ihm die Klaue die Luftröhre zu.
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»Ein Zauber, der Eure Abwesenheit verschleiert?« fragte Jeggred und deutete mit seinem Kopf in die Höhle, wo der illusionäre Pharaun noch immer an der Mauer lehnte. Jeggred sog durch seine riesigen Nasenlöcher prüfend die Luft ein. »Was tust du hier in diesem Tunnel, Magier?« Seine Augen verengten sich zu Schlitzen. Er streckte den Arm ruckartig aus, und Pharaun krachte gegen die Höhlenmauer. Pharauns magischer Piwafwi und seine Schutzringe verhin derten, daß der Aufschlag ihm die Rippen brach. Sie verhin derten, daß Jeggred mit seiner unglaublichen, rohen Kraft einfach so aus Versehen seine Luftröhre zerquetschte, doch trotz seiner mächtigen Schutzgegenstände hatte nicht viel gefehlt, und es wäre um ihn geschehen gewesen. »Laß mich ... los!« würgte Pharaun so gebieterisch wie mög lich hervor. Langsam, aber sicher wurde er ärgerlich. Einerseits war er über die Behandlung wütend, die ihm Jeggred zuteil werden ließ, und andererseits fragte er sich, ob er Aliiszas Motive nicht vielleicht doch falsch eingeschätzt hatte. Da er es aber als unter seiner Würde ansah, wie wild herumzuzucken, machte er auch keine Befreiungsversuche. Jeggred drückte Pharauns Kehle jetzt noch fester zusammen und hielt Pharaun seine zweite Kampfklaue drohend vors Ge sicht. Mit seinen beiden inneren, menschlichen Armen ergriff er Pharauns Handgelenke und preßte sie gegen die Wand, wohl um ihn daran zu hindern, Zauber zu wirken, zu deren Vollen dung Gesten erforderlich waren. Pharaun probierte einen Au genblick lang, ob er eine Chance hatte, seine Arme freizube kommen, und stellte fest, daß auch die menschlichen Arme Jeggreds wesentlich stärker waren als die seinen. Jeggreds Ge sicht kam dem seinen immer näher. Zwischen seinen Fangzäh nen hingen noch Fleischfetzen von den letzten Kämpfen.
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»Sie manipuliert dich!« keuchte Pharaun. Sie wußten bei de, daß er Danifae meinte. »Nein«, knurrte Jeggred. »Sie manipuliert dich und meine Tante!« Er spie die letzten Worte voller Verachtung aus. »Du bist ein Narr, Jeggred, und du wirst das noch schmerz lich zur Kenntnis nehmen müssen«, brachte Pharaun unter Zusammennähme aller Kräfte hervor. Der Draegloth atmete keuchend aus, und der widerwärtige Gestank nahm Pharaun beinahe das Bewußtsein. »Selbst wenn das so ist, wirst du das nicht mehr erleben. Deine Zeit ist abge laufen! Darauf freue ich mich schon lange.« Jeggred blickte prüfend zur Höhle zurück, um zu sehen, ob Danifae oder Quenthel aus ihrer Trance erwacht waren. Tat sächlich hielten sie die Augen geschlossen, und auch Pharauns illusionäres Abbild saß noch immer in verzückter Anbetung auf dem Felsen, als sei alles bestens. Pharaun blickte ebenfalls in Richtung der Höhle und stellte überrascht fest, daß Quenthels Peitschenschlagen in den Tun nel hinunterblickten, und zwar alle! Offenbar musterten sie die Auseinandersetzung interessiert. Pharaun verstand beinahe augenblicklich, was hier vor sich ging. Wenn die Schlangen die Auseinandersetzung beobachte ten, dann tat dies zumindest indirekt auch Quenthel. Sie woll te offenbar sehen, wie sich Pharaun schlagen würde, wenn er in eine direkte Konfrontation mit ihrem Neffen geriet. Es war schon wieder eine Prüfung. Langsam war er der ewigen Prüfun gen überdrüssig. Jeggred hingegen begriff mal wieder gar nichts. Er sah nur die Gelegenheit, einen lästigen Rivalen loszuwerden. Jeggred dachte sich wohl, er werde angesichts der Tatsache, daß eine Illusion Pharauns an seinem Lagerplatz saß und dieser nicht mehr dazu in der Lage sein würde, die Geschichte selbst zu
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erklären, den beiden Drow jede noch so absurde Lügenge schichte von Pharauns angeblichem Verrat auftischen können. Jeggred näherte sich Pharauns Gesicht bis auf eine Nasenlän ge, und der faulige Atem ließ den Magier zusammenzucken. »Jetzt verstehst du es endlich, oder?« fragte der Draegloth triumphierend. »Los! Schrei nur! Du bist tot, bevor sie über haupt richtig wach sein werden. Ich werde es ihnen als die Hinrichtung eines Verräters verkaufen und mich an deinem Herz laben! Quenthel wird zwar herumschreien und sich aufre gen, aber das wird es dann auch schon gewesen sein.« Pharaun konnte ein verächtliches Lächeln nicht mehr län ger unterdrücken. Jeggred war wirklich ein Einfaltspinsel, und zwar einer von der Subtilität eines schweren Streithammers. Irgendwie fand es Pharaun ziemlich unglaubwürdig, daß in den Adern des Draegloth überhaupt Drowblut fließen sollte, so lächerlich waren seine Intrigen und Pläne. Natürlich wußte Pharaun, der Belshazu getroffen und getötet hatte, auch, daß das Dämonenblut Jeggreds nicht aus einer spektakulären Erb linie stammte. »Dein Tod amüsiert dich!« flüsterte Jeggred, dessen Maul sich nur wenige Zentimeter von Pharauns Gesicht entfernt befand. Pharaun drehte den Kopf zur Seite, damit ihm das Sprechen leichter fiel. »Du amüsierst mich.« Dann sprach er ein Wort der Macht. Es war eines der machtvollsten derartigen Worte, die Pharaun beherrschte. Die arkane Macht, die in dem Wort enthalten war, traf Jeg gred mit der Wucht eines Titanenhammers. Übelriechende Luft wurde ihm aus den Lungen getrieben, und er mußte Pharaun loslassen, dem es mit einiger Mühe gelang, auf den Beinen zu bleiben, als er so plötzlich von der Mauer fiel. Jeggred taumelte,
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murmelte eine Verwünschung und brach in die Knie. Pharaun wußte, daß der Draegloth durch das Wort der Be täubung nur kurz ausgeschaltet sein würde. Er wußte außerdem, daß der Zauber normalerweise wohl überhaupt keine Auswir kung bei Jeggred gehabt hätte, allerdings war dieser momentan noch immer durch seinen Kampf gegen die Chwidenchas ge schwächt und damit für Worte der Macht besonders anfällig. Natürlich wußte Jeggred von all diesen Tatsachen genauso wenig wie von Quenthels stillschweigender Erlaubnis an Pha raun, dem dummen Ochsen endlich mal eine Lektion zu ertei len. Mit übertriebener Geziertheit strich sich Pharaun seinen zerknitterten Piwafwi zurecht und stellte den steifen Kragen seines Hemdes wieder auf. Dabei fiel ihm auf, daß Jeggreds Klaue sein Hemd im Brustbereich durchschnitten hatte. Sein Zorn auf den Draegloth wurde noch stärker. »Ochse!« spie er verächtlich und versetzte Jeggred eine Kopfnuß. Es fühlte sich gut an, und deswegen setzte er gleich noch zwei weitere Schläge nach. Pharaun warf einen kurzen Blick in die Höhle und stellte fest, daß ihn die zehn Schlangenaugen noch immer still mus terten. Er kniete nieder und blickte Jeggred direkt ins erschlaff te Gesicht. Pharaun dachte kurz nach, ob er dem Draegloth gegenüber die Entschuldigung, er hätte nur Materialkomponenten ge sammelt, nutzen sollte, die er sich zurechtgelegt hatte. Die Illusion diente nur dazu, die anderen nicht zu beunruhigen, falls sie kurz aus ihrer Trance erwachten und feststellten, daß er verschwunden sei. Die Unsichtbarkeit ist eine meiner übli chen Vorsichtsmaßnahmen, wenn ich allein unterwegs bin. Er entschied sich dagegen. Quenthel wollte Pharaun auf die Pro be stellen und Jeggred gleichzeitig eine Lektion erteilen. Pha
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raun würde die Sache so weit auf die Spitze treiben, wie es die Hohepriesterin zuließ. Er packte mit einer Hand Jeggreds erschlafftes Gesicht, blickte ihm direkt in die Augen und sagte verächtlich: »Denk stets an diesen Augenblick, Dämonenbrut. Ich kann auch noch was anderes als Feuer beschwören, was? Wenn ich wollte, könnte ich dich zu einem dieser Säurebecken schleifen und deinen Kopf darin eintauchen. Wäre das nicht lustig? Der Zauber, den ich benutzen mußte, um dich auszuschalten, war von eher bescheidener Macht. Wenn ich wollte, könnte ich dir mit einem einzigen Wort, das Fleisch von den Knochen schälen oder deinen Herzschlag zum Erliegen bringen.« Er schlug dem Draegloth ins Gesicht. Es diente weniger dazu, seinen Zorn über Jeggred zu besänftigen, als dazu, seinen Zorn über sich selbst und über sein Verhalten Aliisza gegenüber abzukühlen. Er entschied sich, Jeggred zuerst die Augen aus dem Schädel zu brennen und ihn dann zu töten. Er hob die Hände und begann einen Zauber zu wirken ... Der knallende Peitschenhieb in seinem Rücken ließ ihn er starren. »Meister Mizzrym!« rief Quenthel scharf. Pharaun mußte sich beherrschen, um seine Wut zu unter drücken. Er lehnte sich noch einmal ganz dicht zu Jeggreds widerwärtigem Gesicht hinunter und sagte: »Diene deiner Herrin, während ich meiner diene. Wir werden sehen, wer am Ende recht behalten hat, sobald all das hier vorbei ist. Ich werde wohl einen Notfallzauber auf mich legen müssen. Ach, du weißt ja vermutlich gar nicht, wie so ein Zauber funktio niert, oder? Nun, dann will ich es dir erklären. Wenn du noch einmal eine deiner stinkenden Klauen auf mich ...« »Magier!« rief Quenthel erneut, diesmal schon deutlich un geduldiger. Pharaun fuhr sich mit der Zunge über die Lippen,
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blickte gemütlich in den Tunnel hinunter und stand langsam auf. Lektion gelernt, wie es schien. Er fragte sich, ob er ihre Prüfung bestanden hatte. Quenthel stand direkt beim illusionären Pharaun und blick te von dort aus auf die Auseinandersetzung zwischen dem echten und Jeggred. Danifae stand hinter ihr. »Erklärt, was hier los ist!« verlangte Quenthel. Pharaun hielt die Spinnweben hoch und leierte, ohne zu zögern, seine vorbereitete Lüge herunter: »Ich habe Material komponenten gesammelt. Ich habe eine Illusion benutzt, um Eure Schlangen nicht aufzuschrecken, damit sie Eure Ruhe nicht stören.« Die Schlangen zischten, als sie seine Aussage hörten. Qorra schlängelte sich zu Quenthels Ohr empor und zischelte etwas. Die Hohepriesterin neigte den Kopf und nickte. Danifae blickte mit noch immer müden Augen zu Quenthel, dann zum betäubt vor sich hinsabbernden Jeggred und schließlich zu Pharaun. Obwohl sie in diesem Augenblick ganz offenbar verletzlich und angreifbar war, ließ sie sich kein Zeichen von Furcht anmerken. Der Meister Sorceres fragte sich, ob Quenthel die Gelegenheit nutzen würde, um die ehe malige Kriegsgefangene zu töten. »Nicht das da!« meinte die Priesterin von Haus Baenre entnervt und fuhr mit der Hand durch die Illusion, die sich augenblicklich auflöste. Sie wies mit dem Griff der Peitsche auf Jeggred. »Erklärt das da!« Pharaun blickte auf Jeggred hinab, der sich langsam von den Auswirkungen des Worts der Macht zu erholen schien. All seine Hände schlossen und öffneten sich reflexartig. Sein Stöhnen wurde lauter, und der Sabber, der ihm vom Mund lief, hatte inzwischen eine kleine Pfütze auf dem Höhlenboden gebildet.
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»Ach das da!« sagte Pharaun und lächelte Danifae breit an. »Während die beiden Damen in ihrer Meditation versunken waren, gerieten Euer Neffe und ich in eine kleine, unbedeu tende Diskussion über ... äh ... religiöse Belange. Ich fürchte, die Wucht meiner Argumente hat ihn schlicht und einfach umgehauen.« Er tätschelte nachsichtig den Kopf des Draegloth, wie man wohl eine Hausechse getätschelt hätte. »Es tut mir leid, Jeggred. Ich hoffe, wir sind einander jetzt wieder gut, ja? Einigen wir uns einfach darauf, daß wir uns nicht einigen können.« Jeggred schaffte es, ein verärgertes Knurren hervorzubrin gen, und seine Kampfklauen griffen schwächlich nach dem Saum von Pharauns Piwafwi. »Ja, nun ... ahem!« räusperte sich Pharaun und trat hastig einen Schritt zurück. »Das war’s dann also. Wir sind wieder Freunde.« Er ging durch den Tunnel zurück in die Höhle und verneig te sich vor Quenthel. »Verzeiht, daß ich es gewagt habe, Eure Andacht zu stö ren!« sagte er. Quenthel dachte einen Augenblick nach und antwortete dann: »Du hast mich nicht gestört.« Pharaun erkannte anhand ihrer Wortwahl, daß er ihre Prü fung bestanden hatte. Er grinste und rief sich einen weiteren Zauber ins Gedächtnis, als Jeggred endgültig wieder zu sich kam. Man konnte nie sicher genug sein. Jetzt ließen die Auswirkungen des Worts der Macht rasch nach. Jeggred atmete heftig und schwer, und seine Klauen rissen tiefe Furchen in den harten Stein. Er richtete sich müh sam auf, schüttelte noch einmal den Kopf, um wieder völlig klarzuwerden, und starrte Pharaun dann böse an. »Ich werde dir den Kopf von den Schultern reißen!« brüllte
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er und stapfte durch den Tunnel auf den Magier zu. »Halt!« befahl Quenthel, doch Jeggred hörte nicht auf sie. Danifae hingegen mußte nur die Hand leicht heben und ein Wort flüstern, um den Ansturm des Draegloth zu stoppen. Er stand noch immer keuchend im Tunnel und musterte Pharaun voller Haß und Zorn. »Alles zu seiner Zeit«, sagte Danifae und nutzte die Gele genheit, um ihrerseits Pharaun einen spöttischen Blick zuzu werfen. »Wohl wahr«, meinte Quenthel kalt und musterte ihren Neffen mit eisigem Blick. Pharaun zwang sich trotz der Gefahr, in der er schwebte, zu einem Lächeln, wenn auch nur, um Jeggred noch weiter zu reizen. Dann sah er Quenthel und Danifae an. In diesem Au genblick mußte er an die beunruhigenden Worte Aliiszas den ken. Vielleicht war keine von ihnen die Yor’thae.
Nimor fand Kronprinz Horgar im Hauptquartier – einer gro ßen, mit Stalagmiten durchzogenen Höhle mit rauhen Wän den in der Dunklen Domäne. Sie lag an der Front bei Tier Breche. In der Höhle stank es nach Schweiß, Blut und dem Rauch der Feuerbomben. Nimor hängte sich in Halbdrachen gestalt an die Höhlendecke. Dank eines Zaubers war er un sichtbar. In der Höhle herrschte hektische Betriebsamkeit. Beständig kehrten schwer angeschlagene Kampftrupps von Duergar von der Front zurück, und andere Duergar-Kampftrupps eilten in die Schlacht. Die schwere Rüstung der Grauzwerge machte hallende Geräusche, wenn sie sich bewegten, und ihre dunkle Haut war von Rauch geschwärzt und mit eingetrocknetem Blut überzogen. Einige von ihnen waren noch immer übergroß, eine
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angeborene magische Fähigkeit der Duergar, ihre Größe zu verdoppeln, und Nimor ging davon aus, daß sie direkt von der Schlacht kamen. Sie unterhielten sich hektisch in ihrer plumpen Sprache, und ihre Stimmen waren tief und klangen, als rieben Steine gegeneinander. Nimor konnte aus dem Gewirr heraushören, daß sich Furcht breitmachte. Vielleicht hatten es die DuergarStreitkräfte ja inzwischen mit den Zaubern der Priesterinnen Lolths zu tun bekommen? Wenn dem so war, dann mußten selbst die winzigen Hirne, die irgendwo hinter den dicken Schädelknochen verborgen waren, erkennen, was das hieß. Zwei uralte Kleriker, die so gebeugt und verhutzelt waren, daß sie an das verschrumpelte Herz eines Dämons erinnerten, kümmerten sich um die Verletzten. Nimor hatte keine Ah nung, welchem Gott sie dienten, und eigentlich war ihm das auch herzlich egal. Die Explosionen in der Ferne, bei denen es sich zweifellos um die Auswirkungen von Feuerbomben und Zaubern handelte, waren manchmal so heftig, daß sie die Höh le erschütterten und Steinstaub auf die Anwesenden herabreg nete. Horgar stand gebeugt an einer Seite des niedrigen Stein tischs, auf dem der improvisierte Plan der Gegend lag. Dort waren die möglichen Angriffsrouten auf Tier Breche einge zeichnet. Er erteilte gerade zweien seiner Befehlshaber, die sich links und rechts von ihm aufgestellt hatten, hektisch Instruk tionen. Nach einem kurzen Austausch von Worten, heftigem Nicken und beredten Gesten waren sich die beiden Befehlsha ber und Horgar offenbar einig. Sie salutierten, indem sie mit den Schäften ihrer Kriegspiken auf den Felsboden schlugen, und stürmten davon. Horgar stand allein am Tisch, strich sich übers Kinn und musterte die Karte gedankenverloren.
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Der Leibwächter des Prinzen wirkte verängstigt. Er stand in seiner Nähe und hielt seinen Streithammer bereit, aber der abwesende und etwas dümmliche Gesichtsausdruck ließ darauf schließen, daß er hier in der Höhle nicht mit einem Angriff auf seinen Herrn rechnete. Nimor studierte die Höhle mit seinen scharfen Sinnen, die er seinem Drachenblut verdankte. Duergar verfügten ebenfalls über die angeborene Fähigkeit, unsichtbar zu werden, und Nimor wollte keine unliebsamen Überraschungen erleben. Wie er erwartet hatte, spürte er abgesehen von jenen Duer gar, die er ohnehin sehen konnte, keine weiteren Wesen in der Höhle. Horgar hatte sich jetzt aufgerichtet und starrte eine der Höhlenwände an. Zweifellos dachte sein lächerlicher kleiner Verstand über irgendein bedeutungsloses Problem oder irgend eine dumme Strategie nach. Er legte eine Hand auf sein Axt heft und strich sich mit der anderen über die Glatze. Nimor erteilte seiner Brosche einen geistigen Befehl und schwebte nach unten, bis er sich direkt hinter dem ahnungslo sen Horgar befand. Der kleine Zwerg murmelte etwas in der plumpen Sprache, die dieser Rasse zu eigen war. Niedere Rassen! dachte Nimor voller Verachtung. Nimor hätte etwas zu Horgar sagen können, bevor er ihn tötete. Er hätte sich zeigen und sich an der Furcht seines Opfers ergötzen können. Er tat nichts dergleichen. Er war die ehemalige Gesalbte Klinge, ein Assassine ohnegleichen. Wenn er tötete, dann ohne es groß vorher anzukündigen. Er bewegte sich mit der tödlichen Schnelligkeit, die man nur durch lange Übung erlangte. Seine Klauen fuhren um Horgars Hals herum und zerfetzten die Kehle des Grauzwergs. Er wurde in dem Augenblick sichtbar, in dem er zuschlug. Aus dem klaffenden Loch in der Kehle des Prinzen ergoß
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sich ein Schwall von Blut zuerst über die Karte, dann über den Höhlenboden. Horgar gurgelt, kippte auf den Tisch und rö chelte dann nur noch vor sich hin. Der Prinz versuchte mit letzter Kraft, sich umzudrehen, um zu, sehen, wer ihn da ange griffen hatte, doch Nimor hatte ihm die Kehle mit solch einer Präzision und Gründlichkeit durchtrennt, daß die Nacken muskeln des Grauzwergs den Dienst verweigerten. Nimor packte Horgar am Kopf und riß ihn mit Gewalt zu ihm herum. Einerseits wollte er dem Grauzwerg zeigen, wer ihn getötet hatte, und andererseits wollte er sich vergewissern, daß die Verletzungen so schwer waren, daß auch die Kunst der grauzwergischen Kleriker versagen würde. Horgars Augen weiteten sich vor Entsetzen. Nimor war zufrieden, daß der Duergar seinen Angreifer erkannt hatte, obwohl sein Herzblut inzwischen fast gänzlich aus der klaffenden Wunde in seiner Kehle geströmt war. Horgars verkrümmter Körper begann, sich in den letzten Todeszuckungen zu winden. Die Kleriker wür den ihm nicht mehr helfen können. Rund um Nimor waren überraschte, verärgerte Aufschreie zu hören. Kurz darauf hörte er das Stampfen von Stiefeln, das Scheppern von Rüstungen und das Rasseln hastig gezogener Waffen. Er blickte auf und sah, daß von allen Seiten Duergar auf ihn zustürmten, die zweifellos ihren gefallenen Prinzen rächen wollten. Einige von ihnen setzten ihre Fähigkeit der Vergrößerung ein, während sie heranstürmten, und wurden mit jedem Schritt größer, stämmiger und breiter. Andere setz ten ihre angeborene Fähigkeit der Unsichtbarkeit ein und verschwanden scheinbar mitten im Lauf. Egal. Nimor lächelte, holte tief Luft und konzentrierte sich darauf, eine Reaktion in seinen Lungen zu entfesseln. Kurz darauf atmete er eine wabernde Wolke aus fast greifbaren Schatten aus, die beinahe die ganze Höhle erfüllte. Er legte all
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seine Frustration, seinen Ärger und seine Scham in diesen Odem. Die finstere Wolke hüllte die heranstürmenden Duer gar ein und entzog ihren Seelen selbst die Lebenskraft. Nimor hörte genußvoll, wie sie vor Schmerz schrien, fluchten und panisch kreischten. Er selbst stand völlig unberührt und unver letzt inmitten der Wolke und grinste ob des mannigfaltigen Leidens, das sich rund um ihn abspielte. Die Schatten lösten sich rasch auf und gaben den Blick auf die zahllosen Duergar frei, die in der Höhle lagen. Einige von ihnen waren tot, einige lagen im Sterben, und der Rest von ihnen war so geschwächt, daß sie sich nicht mehr auf den Beinen halten konnten. Vielleicht würden ja ein paar wenige Grauzwerge überleben, wenn sie nicht das Pech hatten, daß in den nächsten Stunden eine Drowpatrouille auf die Höhle stieß. Nimor blickte sich um, bis er Horgars Leibwächter fand. Der Duergar lag rechts von Nimor und hielt noch immer den Streithammer umklammert. Die Augen des Grauzwergs blick ten unstet hin und her, und aus einem Mundwinkel lief Spei chel. Nimor trat zu ihm, kniete sich nieder und sah ihm direkt ins Gesicht. »Du hättest mehr Bedacht bei der Wahl deines Herrn wal ten lassen sollen«, tadelte er und schnitt ihm die Kehle durch. Er fand den vielfältigen Tod, den er entfesselte, erlösend. Es tat immer gut, wenn er die Gelegenheit hatte zu töten. Wortlos stand Nimor auf, trat wieder über die Grenze zur Schattenebene und ließ die Höhle mit den toten und ster benden Duergar hinter sich zurück. Jetzt mußte er sich noch mit Kaanyr Vhok treffen, bevor er nach Chaulssin zurück kehrte.
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Inthracis schritt durch die fleischverzierten Gänge in den un teren Stockwerken Leichenstatts. Die Wände zuckten, wenn er vorbeiging. Nisviim, sein schakalköpfiger ArkanalothFeldwebel, schritt beflissen neben ihm aus. In der Ferne hörte man die Schreie gequälter sterblicher Seelen, so laut, daß sie mühelos durch die Wände der Festung drangen. Zweifellos waren seine Mezzolothen gerade damit beschäftigt, Seelenlarven an seine Canoloth-»Haustiere« zu verfüttern. »Soll ich den Gong erschallen und das Regiment antreten lassen?« fragte Nisviim. Obwohl der Arkanaloth über eine Raubtierschnauze und lange, hervorstehende Schneidezähne verfügte, war seine Aus sprache perfekt. Seine schweren Roben machten bei jedem Schritt ein schleifendes Geräusch auf dem Boden, und wäh rend er sprach, spielte er mit einem der zwei schweren, magi schen Ringe, die er auf seinen haarigen Fingern trug. »Bald, Nisviim«, antwortete Inthracis, »aber zuerst müssen wir uns in meinem Labor noch um eine Kleinigkeit küm mern.« Der Arkanaloth legte den Kopf schräg und blickte neugierig zu seinem Herren, behielt seine Fragen aber für sich. »Wie Ihr wünscht!« sagte er. Nisviim war als Zauberer ebenso fähig wie Inthracis als Nekromant. Normalerweise hätte ein Arkanaloth von Nis viims Macht Inthracis nie als rechte Hand gedient, doch Inthracis war es schon vor langer Zeit gelungen, Nisviims wah ren Namen in Erfahrung zu bringen. Dank dieses Wissens war Nisviim unterwürfig und untertan. Wenn er es wagte, sich zu widersetzen, würde er unsägliche Schmerzen erleiden. Sie näherten sich einer Tür aus Fleisch und Knochen, die zu einem von Inthracis’ alchemistischen Labors führte. Zwei
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stämmige Dergolothe, die über runde Leiber verfügten, stan den lautlos zu beiden Seiten des Tors Wache. Sie waren beide tot, und beide waren sie von Inthracis’ Magie von untotem Leben erfüllt worden, um ihm erneut zu dienen. Die untoten Kreaturen erkannten ihren Herrn und Meister sofort und machten keinerlei Anstalten, ihm den Weg zu versperren. Inthracis sendete das Paßwort, das die mächtigen Schutz zauber auf der Tür aufhob. Die Torflügel erstrahlten in einem grünen Licht, als die Schutzzeichen verschwanden. An den Pfosten des Tors hingen verrottende Hände, die jetzt nach den Türflügeln griffen und das Tor aufzogen. Ein süßlicher Gestank nach Verwesung drang in den Gang, für Inthracis ein ange nehmer Geruch. Inthracis und Nisviim traten zwischen den beiden Dergolo then hindurch in das Labor, und Leichenstatts Tote zogen das Tor wieder hinter ihnen zu. Auf dem Fußboden des Labors krabbelten etliche belebte Hände, Klauen und Arme herum. Es waren die Überreste etli cher früherer Experimente Inthracis’, die er noch nicht aufge räumt hatte. All diese belebten Gliedmaßen gaben sich redlich Mühe, dem Ultrolothen möglichst schnell und hastig Platz zu machen. Etliche Bartteufel, die magisch gefesselt waren und dank der Stille, die rund um ihren Kopf herum lag, keinen Laut von sich geben konnten, lagen auf Operationstischen. Inthracis hatte bei ihnen allen an verschiedenen Körperteilen mit einer Vivisektion begonnen. Auf den zahlreichen knö chernen Arbeitstischen standen Kohlebecken, Phiolen und Bechergläser. Das Taschentuch, mit dem Inthracis das Blut Vhaerauns aufgetunkt hatte, war in einem magischen Becher glas in der destillierten Essenz von Schatten eingeweicht und kochte vor sich hin. Ein magisch gebundener Feuermephit, der an das Glas gekettet war, hielt sein kleines brennendes Fäust
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chen unter das Glas. Inthracis hoffte, aus dem Blut ein Destil lat gewinnen zu können, das gegen Schattenmagie höchst resistent war. »Komm mit, Nisviim«, gebot er. Sie gingen quer durchs Labor bis zur gegenüberliegenden Wand. Inthracis sprach ein Wort der Macht, und die Leichen in der Mauer wechselten auf seinen Befehl hin die Position. Mit einem grausigen, nassen, klebrigen Geräusch formten sie sich so um, daß ein Torbogen in der Mauer entstand. Ein klei ner Geheimraum, der durch mächtige Zauber geschützt war, kam zum Vorschein. Inthracis mußte eine ganze Reihe von Worten senden, um die zahllosen Sigeln und Runen zu deakti vieren. Dann traten der Ultroloth und sein Feldwebel durch den Durchgang. Der Arkanaloth war ziemlich sicher, daß er diesen Raum noch nie zuvor gesehen hatte. Inthracis wußte es besser. Nis viim war zahllose Male hier gewesen, nun erinnerte er sich nicht daran. In dem Raum befand sich eine Art Sarg aus durchsichtigem Glasstahl, in dem Inthracis’ Körper – oder besser: einer seiner Körper – ruhte. Als vorsichtiger Yugoloth bewahrte er zumin dest stets einen Klon seiner selbst in temporärer Stasis auf. Falls sein aktueller Körper getötet werden sollte, würde seine Seele sofort in den Klon fahren. Seine Seele, seine Erinnerun gen und sein aktueller Wissensstand würden Teil des Klons werden. Die Stasis würde aufgehoben werden, und der Klon und damit Inthracis würden erneut leben. Er hatte bisher drei geklonte Körper verschlissen, und bisher hatte der Vorgang stets klaglos funktioniert. Er war vor den Toren Dis’ von zahllosen Teufelsklauen zerfetzt worden, als er mit Dispater gerungen hatte, und war vom Säureschleim der
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pilzgefüllten 34. Ebene des Abyss zersetzt worden. »Ein Klon, Herr«, bemerkte Nisviim. Inthracis verdrängte die Erinnerungen an seine früheren Tode und nickte. Die Zeit war reif. Ohne weitere Erläuterungen sprach er Nisviims wahren Namen: »Höre meine Befehle, Gorgalisin.« Sofort erschlaffte Nisviims Körper, und seine Augen starr ten in die Ferne. Der Arkanaloth war völlig bewegunglos, ja er glich fast einer der belebten Leichen, die draußen vor der Tür des Labors Wache standen. In diesem Augenblick hätte Inthracis dem Arkanalothen jeden nur erdenklichen Befehl erteilen können, und dieser hätte ihn, ohne auch nur eine Sekunde zu zögern, ausgeführt. Falls er Gefallen daran gefun den hätte, hätte er die Anrufung von Nisviims wahren Namen auch verwenden können, um sein Herz anzuhalten oder seine Seele in Fetzen zu reißen. Natürlich verspürte er keine derartigen Gelüste. Ein an ihn gebundener Arkanaloth, dessen wahren Namen er kannte, war viel zu wertvoll, um ihn zu vergeuden, indem man sich an seinem Tod labte. Statt dessen erteilte ihm Inthracis einen Befehl: »Falls du von meinem Tod erfährst oder ich nicht innerhalb von vier zehn Tagen von heute an gerechnet nach Leichenstatt zurück kehre, wirst du diesen Raum hier betreten ...«, mit diesen Worten übermittelte Inthracis Nisviim auf telepathischem Weg die Worte, die erforderlich waren, um die Schutzzauber auf dem Labor und dem Eingang zu dem Raum zu überwinden, »... und die Stasis bannen, die auf diesem Körper liegt. Danach kehrst du in deine Unterkunft zurück und vergißt das Gesche hene. Nicke, wenn du alles verstanden hast.« Nisviim nickte. »Kehre jetzt in deine Unterkunft zurück«, befahl Inthracis,
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»und verdränge alles, was sich in der letzten Stunde ereignet hat, aus deiner bewußten Erinnerung. Danach laß den Gong erschallen und das Regiment in der Aufmarschhalle antreten.« Nisviim nickte, drehte sich um und ging langsam hinaus. Inthracis sah ihm nach. Er war sich sicher, daß er erneut le ben würde, selbst wenn er im Kampf gegen die Drowprieste rinnen sterben sollte oder von Vhaeraun verraten wurde. Er betrachtete nachdenklich seine Hand und verglich sie mit der des in Stasis gefangenen Klons. Was war das wahre Wesen der Identität? War der belebte Klon tatsächlich er selbst? War Nisviim noch Nisviim, wenn er unter dem Einfluß seines wahren Namens stand? Für einen kurzen Augenblick kam sich Nisviim selbst wie ein belebtes Konstrukt vor, eine künstlich geschaffene Kreatur so wie Leichenstatt selbst, nicht mehr am Leben, als die leben den Toten, die durch die Hallen seiner Zitadelle schritten.
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Der Sturm rüttelte stundenlang am Tempel. Feliane und Uluy ara saßen die ganze Zeit über in friedlicher Trance da und ließen sich durch den Sturm, der um den Tempel heulte, und das ständige Geprassel des Säureregens in keiner Weise stören. Halisstra gönnte ihnen ihre Ruhe und wagte nicht, sie zu stö ren. Nach Stunden klang der Sturm ab. Es war fast, als habe sich die Existenzebene verausgabt und einfach keine Lust mehr, ihren Ansturm fortzuführen. Selbst der heftige Wind, der ihr ständiger Begleiter gewesen war, seitdem sie hergekommen waren, beruhigte sich ein wenig. Halisstra sprach ein Dankge bet an Eilistraee, erhob sich lautlos und trat aus dem improvi sierten Tempel. Sie trat hinaus in die anbrechende Nacht. Lolths winzige Sonne verschwand am fernen Horizont und warf ihre letzten
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ärgerlichen, blutroten Strahlen über die Landschaft. Auch das gewaltsame Geschehen am Boden hatte sich beruhigt. Ha lisstra nahm sich einen Augenblick lang Zeit, um die Stille zu genießen – kein Sturm, keine heulenden Spinnennetze, kein geflüstertes Yor’thae. Sie fühlte sich völlig frei von Lolth. Sie schloß die Augen und atmete tief ein. Es war ein reiner, unbeschwerter Atemzug. Sie drehte sich um und erkannte, daß die Mauern des Tem pels durch den Säureregen mit tiefen Verätzungen überzogen waren. Auf wundersame Weise war jedoch das Symbol Ei listraees, das sie über dem Eingang angebracht hatte, völlig unberührt geblieben. Unsere Göttin ist stur und beharrlich, dachte Halisstra mit einem Lächeln. Hoch über ihr strömte der Fluß der Seelen weiter beständig auf sein fernes Schicksal zu. Als sie dort hinaufblickte, mußte sie an Ryld denken, und der alte Schmerz durchzuckte sie. Sie hoffte, er möge zumindest so etwas wie Frieden gefunden ha ben. Die Seelen strömten wie eine gigantische Einheit auf eine Gebirgskette zu, die den Horizont teilte, so daß sie wie eine Grenze zwischen zwei Welten wirkte. Zwar bildeten sich noch immer Energiewirbel am Himmel, doch stellte sie fest, daß es wesentlich weniger geworden waren. Sie hatte das Gefühl, als beruhige sich das ganze Gesche hen, als strebe alles auf einen Ruhepunkt zu, bevor das tatsäch liche Endspiel stattfand. Dummerweise wußte sie noch immer nicht, wie dieses Endspiel nun tatsächlich aussehen würde. Sie drückte die Flachseite der Mondsichelklinge gegen ihre Hand fläche und versuchte, sich zu konzentrieren, um ihren wie verrückt rasenden Puls wieder etwas zu beruhigen. Sie fühlte sich in diesem Moment einerseits unglaublich
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klein, aber andererseits wild entschlossen, hier etwas zu errei chen. Sie ging zum Rand des Berges und blickte auf den Ab grund der Dämonennetze hinab. Der Anblick machte sie krank. Zeugnisse der brutalen Gewalt, die hier getobt hatte, hatten den Sturm überstanden. Beine, zerrissene Leiber und abgeris sene Kieferfühler bedeckten das zerklüftete Ödland, so weit das Auge reichte. Selbst dem Regen war es nicht gelungen, all das Wundsekret wegzuwaschen, mit dem die Felsen verschmiert waren. Die zerklüftete Landschaft war von unzähligen Lö chern, Senkgruben und Klüften durchzogen, und all diese Öffnungen waren mit Spinnweben verhangen. Dazwischen gab es zahlreiche Seen und Tümpel, die mit kochender Säure ge füllt waren, von der giftige Dämpfe aufstiegen. Sie wußte, daß der Wind sicher bald erneut auffrischen würde, und damit würde auch das Geheul der Liedspinnennet ze zurückkehren, der Ruf nach Lolths Yor’thae. Warum braucht Lolth diese Yor’thae, fragte sich Halisstra. Was war ihre Aufgabe? Sie mußte sich Mühe geben, um diese Gedanken und Fra gen zu verdrängen. Lolths Pläne hatten keinerlei Bedeutung mehr für sie. Sie berührte das Symbol der Dunklen Maid, das als Hoch prägung ihren Brustpanzer zierte, und lächelte. Sie war davon überzeugt, daß sie einen neuen Weg beschritten hatte, einen Weg, auf dem Lolths Stimme nicht mehr länger an ihrer Seele zu rütteln vermochte. Sie war endlich von Lolths Einfluß be freit. Momentan vielleicht, aber für wie lange? schien eine spötti sche Stimme aus den Tiefen ihrer Gedanken zu fragen. Sie ignorierte sie. Die Sonne verschwand hinter der Gebirgskette, und es wur
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de rasend schnell dunkel. Plötzlich spürte Halisstra einen schmerzhaften Juckreiz zwischen den Schulterblättern, der sich fast so anfühlte, als hätte ihr jemand dort hinten urplötzlich Nadeln ins Fleisch gerammt. Sie drehte sich um und sah acht rote Sterne, die am Himmel aufgetaucht waren. Sie blickten durch das einzige Loch in der dicken Wolkendecke, das sich praktischerweise gerade dort befand, wo die Sterne standen. Sieben der Sterne waren sehr hell und einer leuchtete nur schwach. Die Sterne waren wie Spinnenaugen angeordnet. Sie schienen von bösartiger Intelligenz erfüllt zu sein, und Ha lisstra hatte den Eindruck, daß sie sie direkt anstarrten. Sie blickte ihnen nur trotzig entgegen und hob wie zur Ant wort ihre Mondsichelklinge.
Gromph saß hinter dem riesigen Tisch aus polierten Drachen knochen in seinem Büro in Sorcere. Eine schwach leuchtende Kugel tauchte den Raum in ein dunkles Türkisgrün und warf lange Schatten an die Mauern. Das Büro war mit verschiedens ten magischen Spielereien, Waffen, Skulpturen und Gemälden geschmückt, all den Dingen eben, die sich bei Gromph im Verlauf eines langen Lebens angesammelt hatten. Sein magischer Ring hatte sein Fleisch inzwischen bereits fast vollständig regeneriert. Die Brandwunden waren ver schwunden und die Brandblasen verheilt. Er trommelte nach denklich mit den Fingerspitzen auf dem Tisch und stellte dabei fest, daß die Haut noch immer zart war und bei jeder Berüh rung kitzelte. Gromph war dabei, über seine nächsten Schritte nachzudenken. Obwohl er nur wenig Zeit hatte, hatte er es doch geschafft, ein rasches Mahl aus gewürzten Pilzen und geräuchertem Rothé-Fleisch zu sich zu nehmen, während er und Nauzhror
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auf Praths Ankunft warteten. Gromph hatte bisher nicht die Zeit gehabt, zu baden oder sein Gewand zu wechseln, und deswegen haftete ihm noch immer der Gestank von Rauch und verbranntem Fleisch an. Hier in seinem Büro fiel ihm der widerwärtige Geruch wesentlich störender auf als draußen im Freien. Er rümpfte die Nase und setzte einen kleinen Zauber trick von geringer magischer Macht ein, um sein Gewand notdürftig zu flicken und sich zumindest von einem Teil des Drecks und des Gestanks zu befreien. An der Zurkhholztür, die in den breiten Gang hinausführte, klopfte es. »Es ist Prath, Erzmagier«, erklärte sein Schüler beflissen. Mit einer nachlässigen Geste hob Gromph vorübergehend die Schutzzauber auf der Eingangstür auf. »Tritt ein!« befahl er, und Prath eilte augenblicklich durch die Tür. Die Schutzzauber wurden automatisch aktiv, als die Tür ins Schloß fiel. Prath nickte Nauzhror zu, der in einem der beiden Polster sessel saß, die vor Gromphs Schreibtisch standen, und ging zum Tisch hinüber. »Setz dich, Lehrling«, befahl Gromph und deutete auf den zweiten Sessel. Prath ließ sich hineinfallen, ohne auch nur ein Wort zu ver lieren. Gromph musterte die beiden Magier und stellte fest, daß der Lehrling zu muskulös und viel zu fahrig und sein Meister viel zu fett und ambitioniert war. Keiner von beiden verstand wirk lich, was Gromph vorhatte. Gromphs Büro war vermutlich der sicherste Ort in der Stadt. Von diesem Zufluchtsort aus konnte er seinen Angriff auf Haus Agrach Dyrr starten. Der Raum war durch wesentlich
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mehr Schutzzauber geschützt als die, die auf der Eingangstür lagen. Sie verhinderten nicht nur unbefugten körperlichen Zugang zu dem Raum, sondern auch jede Art der magischen Ausspähung und Aufklärung. Gromph nahm die Schutzzauber, die überall im Raum lagen, als leichtes Kribbeln wahr, unter dem sich seine gerade frisch nachgewachsenen Haare aufstell ten. Vermutlich verursachten sie eine leichte Aufladung stati scher Elektrizität, die er normalerweise nicht wahrnahm. Von all den zahllosen Magiern in Menzoberranzan hätte vermutlich nur Dyrr eine Chance gehabt, Gromphs geschickt gestaffelte Schutzmagie zu überwinden, und momentan war dieser nicht mehr als ein Häufchen Asche. Gromph wollte dafür sorgen, daß das so blieb. Ein halbvoller Kelch mit Pilzgewürzwein stand auf der glat ten, weißen Tischoberfläche neben den Resten der Mahlzeit. Neben dem Kelch und dem Silbertablett, auf dem das Essen stand, lag einer von Gromphs zwei persönlichen Ausspähungs kristallen. Im Gegensatz zu der Kristallkugel, die die Form einer großen, runden Linse hatte und in Sorceres Hellsichthal le ruhte, hatte dieser Stein keine glatte Oberfläche, sondern war ein unregelmäßig geformter brauner Chrysoberyl, ungefähr so groß wie ein Kopf und von schwarzen und roten Streifen durchzogen. Die Oberflächenbewohner bezeichneten derartige Steine als »Katzenaugen«, und sie waren wegen ihrer vorzügli chen Eignung als Ausspähungsmedien heiß begehrt. Leider verfügte ein Chrysoberyl meist nicht über die gleiche Reichweite, die andere Arten von Kristallen hatten, die man zur Ausspähung einsetzte. Wenn man jedoch ein Ziel ausspä hen wollte, daß sich in der Nähe befand, gab es keine bessere Wahl. Gromphs Kristall verfügte noch über eine zusätzliche Eigenschaft. Er konnte bestimmte Zauber direkt durch den Chrysoberyl wirken.
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Der Kristall ruhte in einem Dreifuß aus einem ungewöhn lich marmorierten, grauen Stein. Den Ständer zierte ein Relief in Form eines Auges. Gromph hatte den Ständer aus dem versteinerten Körper eines Betrachters geformt, den er vor langer Zeit im Kampf bezwungen hatte. »Ein ungewöhnlicher Ausspähungskristall«, merkte Nauzh ror an. »Ich habe einen solchen Stein noch nie zuvor gese hen.« »Es handelt sich um meine eigene Erfindung«, erklärte Gromph, »und ich hielt es nicht für notwendig, den Herstel lungsprozeß niederzuschreiben.« Nauzhror nickte und musterte weiter den Kristall. Gromph nahm einen Schluck Pilzwein. Der bittere Ge schmack hinterließ ein angenehmes Kitzeln auf der Zunge. Der Wein stärkte seinen Willen. Er legte die Fingerspitzen auf die geschliffene Oberfläche des Kristalls. Er fühlte sich kühl an, auch wenn die im Kristall gespeicherte Magie förmlich in seinen Fingerspitzen und Armen kribbelte. Langsam fuhr er über die Oberfläche, zog die Kanten nach und stellte sicher, daß der Kristall ganz auf seinen Willen eingestimmt war. Nauzhror und Prath saßen schweigend in ihren Sesseln und sahen neugierig zu. Gromph schloß die Augen und konzentrierte sich. Vor sei nem geistigen Auge tauchten die Kraftlinien auf, die im Inne ren des Chrysoberyls strömten. Er wartete, bis sich die Verbin dung zwischen dem Stein und seinem Verstand gefestigt hatte. Ja! Das war es. Er lächelte, als er spürte, wie der Kristall förmlich zur Erwei terung seines eigenen Verstandes, ja zu einer Erweiterung sei ner eigenen Sinne wurde. Er öffnete die Augen, wodurch die Verbindung zum Kristall aber nicht unterbrochen wurde, und nickte zufrieden. Die farbigen Streifen im Kristall waren inein
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ander geflossen, und jetzt war die ganze Oberfläche des Mine rals kohlrabenschwarz. Er sah in den Kristall, und langsam trat die Schwärze in den Hintergrund und ging in treibende, graue Nebelschleier über. »Er ist bereit!« sagte er mehr zu sich selbst als zu Nauzhror und Prath. »Ja«, antwortete Nauzhror. »Sollen wir Euch irgendwie be hilflich sein?« »Ja«, antwortete ihm Gromph, »aber nicht hier. Hab Ge duld, Nauzhror.« Prath beugte sich in seinem Sessel nach vorne, die Ellbogen auf den Knien. »Erzmagier? Ich gehe davon aus, daß Ihr Agrach Dyrr ausspähen wollt. Warum nutzt Ihr nicht die Hell sichthalle? Der Kristall, der sich dort befindet ...« Ehe Gromph antworten konnte, tat Nauzhror es im selben Ton, den er selbst normalerweise anschlug, wenn er es mit einem besonders dämlichen Schüler zu tun hatte. »Weil nur Baenre davon wissen darf. Es kann sein, daß es noch andere Spione als Vorion innerhalb von Sorceres Hallen gibt.« Gromph hob eine Braue. Nauzhrors Analyse hatte ihn be eindruckt. Der Meistermagier erkannte Intrigen bereits sehr gut aus eigener Kraft. Bald würde der Tag kommen, an dem ihn Gromph entweder befördern oder töten mußte, falls er sich als gar zu ambitioniert erwies. »Meister Nauzhror hat einen von vielen guten Gründen angeführt«, sagte Gromph und warf dem Meister Sorceres einen kurzen Blick der Anerkennung zu. »Ein weiterer Grund ist, daß mein Büro vor den Ausspähungsversuchen Yasraenas geschützt ist. Bei den Schutzzaubern in der Hellsichthalle kann ich mir nicht so sicher sein. Ich müßte sie zuerst sorgfältig auf ihre Tauglichkeit überprüfen, und dafür haben wir einfach nicht genug Zeit. Der dritte Grund hat etwas damit zu tun, daß
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ich eure Anwesenheit hier benötige, um meine Täuschung auf die Spitze zu treiben.« »Täuschung?« fragte Prath. »Benötigen?« fragte Nauzhror. Gromph bereute seine Formulierung in dem Augenblick, in dem er sie aussprach. Nauzhrors Gesichtsausdruck zeigte die unverhohlene Begehrlichkeit zu erfahren, warum der Erzma gier seine Hilfe »benötigte«. Selbst Prath wirkte etwas ver blüfft. Gromph beschloß, den Lapsus auszubügeln. Er starrte mit einem eisigen Blick in Nauzhrors aufgedunse nes Gesicht und erklärte: »Ich benötige euch, weil ihr gerade verfügbar wart. Das hat mit Praktikabilität zu tun. Das ist alles. Ich kann jeden beliebigen Baenre-Magier für diese Aufgabe auswählen. Vielleicht wäre ja ein anderer Magier besser für die Aufgabe geeignet? Wünscht du, von deinen Pflichten entbun den zu werden?« Die vielfältigen Interpretationsmöglichkeiten des Wortes »entbinden« hingen schwer in der Luft. Vielleicht meinte Gromph sein Angebot ja als Drohung? Nauzhror schüttelte den Kopf so hastig und energisch, daß sein Doppelkinn durch die Gegend wackelte. »Nein, Erzma gier«, antwortete er. »Überhaupt nicht. Es ist mir eine Ehre, bei solch wichtigen Angelegenheiten meinen kleinen, unbe deutenden Anteil beisteuern zu können. Ich wollte nur verste hen, was von mir verlangt wird.« »Das wirst du auch«, antworte Gromph, »und zwar sobald die Zeit gekommen ist und auch dann nur, soweit es für dich von Belang ist!« Gromph beäugte Prath. Dessen Gesichtsausdruck ließ nicht darauf schließen, daß er die Entscheidung des Erzmagiers in irgendeiner Weise in Frage stellen wollte. Irgendwie war
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Gromph beinahe ein wenig enttäuscht. »Ich bin ebenfalls hocherfreut, Euch zu Diensten sein zu können, Erzmagier!« setzte der Lehrling dienstbeflissen, aber auch ziemlich überflüssig hinzu. »Ich weiß«, erwiderte Gromph. Noch vor wenigen Stunden hatte Prath sein Fleisch geopfert, um Gromph eine dringend benötigte Materialkomponente zur Verfügung zu stellen. Er hatte noch immer eine Kerbe im Finger. Prath war loyal, doch Gromph hielt nur wenig von Loyali tät. Loyalität war viel zu vergänglich. Loyalität konnte man leicht zerstören und auch sehr leicht manipulieren. Gromph verlangte von seinen Schülern keine Loyalität, sondern unbe dingten Gehorsam, und den sicherte er sich, indem er dafür sorgte, daß all seine Schüler seine Kräfte fürchteten. Er beschloß, Prath in Zukunft noch genauer im Auge zu behalten. Dennoch würde sich sein Lehrling im Verlauf der nächsten paar Stunden als nützlich erweisen. »Dann wäre ja alles klar«, sagte Gromph. »Wir wollen zu erst herausfinden, welche Hindernisse sich uns in den Weg stellen.« Er konzentrierte sich auf den Kristall, und Farbwirbel schäl ten sich aus den wabernden Nebeln heraus. Prath und Nauzh ror sahen wie gebannt zu. Damit sie besser sehen konnten, zogen sie ihre Sessel näher an den Tisch heran. »Das Seelengefäß des Drowleichnams muß sich in Haus Agrach Dyrr befinden«, sagte Gromph. Bei diesen Worten handelte es sich nicht um eine Vermutung, sondern um eine Hoffnung. »Oder es muß zumindest durch Haus Dyrr erreich bar sein.« »Eine vernünftige Hypothese, Erzmagier.« Nauzhror kratzte sich am Kinn. »Aber wenn sich das Seelengefäß im Haus be findet, wird es dann nicht so stark geschützt sein, daß selbst
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Eure mächtigsten Ausspähungszauber versagen?« Gromph nickte: »Doch.« Während er sprach, rief sich Gromph ein möglichst umfassendes und genaues Bild Haus Agrach Dyrrs ins Gedächtnis. Er ließ die Erinnerung an den Graben, die Brücke, die Mauer aus Stalagmiten und Adamantit und an die eigentliche Festung, die auch aus Adamantit gefertigt war, in seinem Geist emporsteigen. Er war in der Vergangenheit schon oft im Haus Agrach Dyrr gewesen, und er nutzte dieses Wissen, um seinen Blick zu lenken. »Wie wollt Ihr das Seelengefäß dann finden?« fragte Nauzh ror. Gromph lächelte, während er sich weiter konzentrierte und antwortete: »Ich werde es nicht finden!« Er genoß den ver blüfften Blick seiner beiden Untergebenen ein Weilchen und fügte dann hinzu: »Ich werde alles andere finden!« Praths Miene spiegelte blanke Verwirrung wider, doch Nauzhror schien zu erkennen, was Gromph plante. »Das ist aber äußerst verschlagen, Erzmagier!« sagte Nauzh ror, und Gromph erkannte, daß die Bewunderung in seiner Stimme aufrichtig war. Gromph antwortete nicht auf das Kompliment, sondern ließ seinen Geist immer tiefer in den Kristall absinken, ließ sein Bewußtsein auf den zahllosen Facetten des Kristalls dahintrei ben. »Was wird er tun?« flüsterte Prath Nauzhror zu. Es wäre nicht nötig gewesen zu flüstern. Gromphs Verstand war so trainiert, daß es seine Konzentration auch nicht gestört hätte, wenn er nebenbei ein Gespräch geführt oder in den Feuern der Hölle gebrannt hätte. »Er schließt alle Möglichkeiten aus«, erklärte der Meister Sorceres. »Sieh einfach zu und lerne daraus, Prath Baenre!«
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Prath schien eine weitere Frage auf der Zunge zu brennen, doch nachdem er kurz mit sich gerungen hatte, hielt er den Mund. Die Nebel im Kristall teilten sich, und Haus Agrach Dyrr spiegelte sich jenseits der Facetten wider. Nauzhror und Prath beugten sich noch weiter vor und stützten ihre Ellbogen auf den Tisch. Gromph zwang den Kristall, die Perspektive zu ändern, und sah das Haus nun so, als schwebe er direkt unter der Decke der riesigen Höhle, in der sich Menzoberranzan befand. Haus Agrach Dyrr war in Form einer Reihe von konzentri schen Kreisen erbaut. Der Tempel Lolths, den ein mächtiges Kuppeldach überspannte, bildete das Zentrum des Hauses. Ein breiter Wassergraben, der in einer tiefen Schlucht lag, die um das Haus lief, schützte die Anlage. Die Schlucht endete an einer Mauer aus neun bearbeiteten Stalagmiten. Jeder der Stalagmiten hatte einen Umfang, der sich mit dem Hüftum fang eines Riesen messen konnte, und war hoch wie ein Titan. Zwischen den Stalagmiten erstreckte sich eine Mauer aus A damantit. Eine zweite, etwas niedrigere Mauer aus Adamantit lief um etliche der inneren Anlagen herum und diente als weiterer Schutz. Gromph ließ das Ausspähungsauge absinken, bis es knapp über dem Wassergraben schwebte. Zahlreiche Gestalten trie ben kopfüber im Wasser. Sie waren verbrannt, trugen Schnittwunden und andere Verletzungen und waren vom Wasser aufgeschwemmt. Viele der Leichen waren Drow, einige waren Orks und Oger, und einige waren so verstümmelt oder verbrannt, daß man sie nicht einmal mehr einer Rasse zuord nen konnte. »Verluste des Hauses Xorlarrin«, merkte Nauzhror an. Gromph nickte und antwortete: »Vielleicht auch ein paar
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Tote des Hauses Dyrr.« Der Wassergraben stellte kein ernstzunehmendes Hindernis für potentielle Angreifer dar. Er diente vielmehr dazu, die angreifenden Streitmächte zu kanalisieren. Die fähigen Ma gier, die allen Häusern in der Stadt zur Verfügung standen, machten es leicht, den Wassergraben mittels magischer Kon struktionen zu überwinden oder einfach über ihn hinwegzuflie gen. Der Graben machte es jedoch unmöglich, an mehr als an ein paar Stellen gleichzeitig anzugreifen, ohne große Mengen magischer Ressourcen zu vergeuden. Selbst nach Überwindung des Wassergrabens mußten sich die Angreifer zuerst einmal mit der titanischen äußeren Mauer des Hauses Agrach Dyrr he rumschlagen. Auf der Außenmauer aus Stein und Adamantit hatten sich die Streitmächte des Hauses Dyrr versammelt. Es handelte sich um zahlreiche Drowsoldaten, Oger, Trolle, Magier und eine Handvoll von Yasraenas Priesterinnen. Sie spähten durch die schmalen Lücken zwischen den mächtigen Steinzinnen auf die Belagerungsstreitkräfte des Hauses Xorlarrin herab. Für Gromph sahen sie wie Insekten aus, die in ihrem Nest herum krabbelten. Eine Brücke aus Adamantit überspannte den Graben. Der Metallstreifen war gerade eben breit genug, daß zwei oder viel leicht auch drei Mann nebeneinander vorrücken konnten, und es gab keinerlei Handlauf oder Reling. Gromph vermutete, daß die Brücke so konstruiert war, daß man sie bei Bedarf abstürzen lassen konnte. Die Brücke führte zu massiven Toren aus Mithral und Adamantit, dem einzigen Durchgang durch die mächtige äußere Stalagmitenmauer. Eine Gruppe von acht Ogern lag verbrannt und zerstückelt im Schatten der Tore. Die metallene Stoßramme, die sie mitgeführt hatten, lag schräg über der Brücke und zeigte auch Brandspuren. Gromph wußte,
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daß es den Ogern mit der Stoßramme vermutlich nicht einmal gelungen war, die Tore zu zerkratzen. Wie bei allen Adelshäu sern der Drow in Menzoberranzan waren die Türen, Wände, Gebäude, Mauern, die Brücke, ja selbst der Graben des Hauses Agrach Dyrr mit zahllosen Schutzzaubern und Verzauberungen belegt. Sie waren vom Drowleichnam sowie von all den mäch tigen Muttermatronen, die bereits über das Haus geherrscht hatten, gewirkt worden. Haus Agrach Dyrr würde der Belage rung so lange Widerstand leisten, wie diese Schutzzauber wirk ten. Obwohl die Magier des Hauses Xorlarrin zurecht ob ihrer großen Kräfte gerühmt wurden, würde es selbst ihnen äußerst schwerfallen, auch nur einen einzigen Zauber aufzuheben, der vom Drowleichnam gewirkt worden war. Doch solange die Verzauberungen wirkten, würden all die Belagerungswaffen und Zauber des Hauses Xorlarrin den Mauern des Hauses Agrach Dyrr ungefähr soviel Schaden zufügen wie eine Kerzen flamme einem Feuerelementar. »Die Belagerung wird lang und blutig sein«, bemerkte Nauzhror. Inzwischen hatten sich der Meister Sorceres und Prath so weit über Gromphs Tisch gebeugt, daß sie mit den Köpfen schon fast Gromphs Kopf berührten. »Die Belagerung wird noch länger und blutiger werden, wenn der Drowleichnam zurückkehrt«, stellte Gromph tro cken fest, und die beiden ihm untergebenen Magier warfen sich einen bezeichnenden Blick zu. »Wie lange haben wir noch Zeit?« fragte Prath. »Ich weiß es nicht«, mußte Gromph zugeben, »aber ich fürchte, es ist weniger Zeit, als mir lieb wäre.« Prath runzelte die Stirn, so daß sich seine Augenbrauen zu sammenzogen, und ließ sich in den Sessel zurückfallen. Gromph konzentrierte sich wieder auf die Ausspähung und
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stellte fest, daß sich der Großteil der Streitkräfte des Hauses Xorlarrin auf der anderen Seite der Brücke versammelt hatte. Sie waren so weit entfernt, daß man sich gerade eben schwer tat, sie mit einem Armbrustschuß oder einem Zauber zu erwi schen. Gromph sah Spinnenkavallerie, Drow-Infanterie, eine Menge der Roben tragenden Hausmagier, eine Handvoll Pries terinnen und zahllose Soldaten, die aus den Reihen der niede ren Rassen rekrutiert waren. Die Belagerung war offenbar wie der in eine ruhigere Phase eingetreten, weil die Belagerer von Haus Xorlarrin dabei waren, sich eine neue Strategie zurecht zulegen. Gromph schwenkte das Bild über die Stalagmitenmauer. Dann ging er näher ans Geschehen heran. Innerhalb der Mau ern standen die niedrigen, plump wirkenden Gebäude und Anlagen, aus denen Haus Agrach Dyrr bestand. Sie waren durch Wehrgänge verbunden. Der Tempel Lolths war das beeindruckendste Gebäude der ganzen Anlage. Es handelte sich um ein Tabernakel mit einer Kuppeldecke, das von oben betrachtet wie die Silhouette einer Spinne aussah. »Wollen wir mal sehen, was wir da haben ...«, sagte Gromph und murmelte die Worte eines Zaubers, der es ihm ermöglichte, magische Auren zu sehen. Der Zauber diente dazu, die Art der Magie und ihre Stärke zu bestimmen. Er hätte natürlich schlicht und einfach die permanente Verzaube rung aktivieren können, die er auf sich selbst gelegt hatte und die es ihm ermöglichte, derartige Auren nach Bedarf zu sehen, aber er wollte, daß seine Untergebenen die Schutzzauber eben falls sahen. Nachdem er den Zauber vollendet hatte und seine Auswir kungen offensichtlich wurden, sog Nauzhror scharf die Luft ein.
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»Bei Lolths Beinen!« fluchte Prath. Angesichts der Situati on beschloß Gromph, über den ketzerischen Ausbruch hin wegzusehen. Zahllose ineinander verschachtelte Schutzzeichen bedeck ten die ganze Anlage des Hauses, die Brücke und den Graben. Selbst Gromph hatte nicht mit einer derartigen Anzahl von Schutzmaßnahmen gerechnet. Gromphs Erkenntnismagie zeigte die Schutzzauber als Netzwerk leuchtender Linien, eine Matrix aus pulsierenden Adern magischer Energie, die durch das Gestein des Hauses floß. Die magischen Energien, die praktisch überall durch die Wände, Böden und Decken des Hauses Agrach Dyrr flossen, waren beinahe ebenso stark, wie die Zauber, die Gromphs private Gemächer schützten. Es konnte keinen Zweifel geben, daß der Drowleichnam und die Priesterinnen von Haus Dyrr im Verlauf der Jahrhunderte fleißig an ihrer Errichtung gearbeitet hatten. Manche Schutzzauber leuchteten ocker oder dunkeltürkis, andere wiederum tiefblau oder blutrot. Der Großteil der Zau ber diente dazu, Personen daran zu hindern, das Haus oder bestimmte Bereiche zu betreten, die Struktur der Bauwerke zu stärken oder magische Effekte zu dämpfen oder gänzlich aufzu heben. Es gab jedoch viele Schutzzauber, die einzig und allein dazu dienten, um eine magische Ausspähung zu verhindern. Jene Zauber waren es zumindest momentan auch, die Gromphs besonders Interesse erweckten. Mit all den Schutzzaubern waren in regelmäßigen Abstän den auch noch Zauberfallen, Todes- und Alarmzauber verwo ben, die ausgelöst werden würden, sobald jene Schutzzauber durchbrochen wurden, mit denen sie in Verbindung standen. »Eins nach dem anderen«, meinte Gromph. Es war sowohl eine Ermahnung an ihn selbst als auch eine Erklärung für seine beiden Untergebenen.
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Er flüsterte eine Reihe arkaner Worte, die dazu dienten, seinen Erkenntniszauber so zu verändern, daß er nur noch die leuchtendblauen Linien jener Schutzzeichen zeigte, die als Schild gegen magische Ausspähung dienten. Sie bildeten ein komplexes Netz, das praktisch die ganze Festung überzog. An dieses Netzwerk angeschlossen waren weitere kleinere Ketten von Zaubern, die nur bestimmte Gebäude oder gar einzelne Räume innerhalb von einzelnen Gebäuden noch weiter und stärker schützten. »Das Netz ist so fein gesponnen wie das Netz eines Köderfi schers«, sagte Prath. »Stimmt«, fügte Nauzhror hinzu, »aber ich sehe zwar zahl reiche Alarmzauber, jedoch keinerlei Todeszauber, die mit dem Ausspähungsschutz verbunden sind.« »Auch ich kann keinerlei derartige Magie erkennen«, sagte Gromph zufrieden. Die Zauberfallen, die in den Schutzzaubern verborgen wa ren, die sein Büro vor Ausspähung schützten, waren von sol cher Macht, daß der unglückselige Neugierige entweder wahnsinnig werden würde oder daß gar seine Seele aus seinem Körper gerissen und im Zaubernetz gefangen werden würde. Zum Glück hatte man bei Haus Agrach Dyrr nicht ganz so sorgfältig gearbeitet. Gromph studierte lange den Aufbau der Schutzzeichen. Er suchte nach irgendeiner Hintertür, einer Schwachstelle, die er nutzen konnte. Er sah keine. Er mußte sich also auf eine lange Auseinandersetzung vorbereiten. Er holte tief Atem, um sich noch besser konzentrieren zu können, und sagte: »Nun denn, dann wollen wir mal anfan gen.«
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Wie Nimor auf den ersten Blick erkennen konnte, war die Geknechtete Legion dabei, sich vollständig zurückzuziehen. Bereits jetzt hatten die Truppen die Pilzfelder Donigartens gänzlich geräumt, und nur noch eine kleine Streitmacht hielt die Tunnel östlich der Stadt. In den Tunneln war jetzt bereits die Spinnenkavallerie des Hauses Shobalar unterwegs, und die Infanterie der Häuser Barrison Del’Armgo und Hunzrin sam melte sich in immer größerer Zahl. Nimor war wieder unsichtbar und nutzte die zusätzliche De ckung, die ihm die Schatten und die Finsternis boten. Es ge lang ihm mühelos, die Linien der Drow völlig ungesehen zu überwinden. Es war klar, daß sie sich auf den entscheidenden Gegenangriff auf die Tanarukks vorbereiteten. Einen Augen blick lang spielte er mit dem Gedanken, eine Handvoll Drow unterwegs so nebenbei zu töten, schlicht und einfach um sei nem Mißfallen über die Niederlage Ausdruck zu verleihen. Er entschied sich dagegen. Er hatte nichts mehr mit den Menzober ranzanyr zu tun. Der Gegenangriff, der von den Drow mit solcher Sorgfalt vorbereitet wurde, würde vermutlich ins Leere laufen. Noch bevor das Licht Narbondels eine weitere Stunde emporgestie gen sein würde, würden sich die Truppen der Geknechteten Legion zerstreut haben. Sie würden durch die zahlreichen Tun nel des Unterreichs fliehen und sich in die Höhlen unter der Höllentorfeste zurückziehen, um ihre Wunden zu lecken. Die Drow waren erschöpft, kriegsmüde und würden sich vermutlich nicht die Mühe machen, sie über die weite Strecke zu verfol gen. Vor allem mußten sie auch mit den Duergar fertig werden, die noch immer bei Tier Breche kämpften. Nimor fand es ei nerseits ironisch und andererseits irgendwie amüsant, daß sich Vhok als ein besserer Kommandant beim Organisieren des Rückzugs als bei der Planung des Angriffs selbst erwiesen hatte.
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Nachdem Nimor die Hauptschlachtreihe der Drow teils flie gend, teils schleichend überwunden hatte, bewegte er sich durch eine Reihe größtenteils leerer Tunnel. Nur hier und da fiel ihm ein vorsichtig vorrückender Drow-Kundschafter auf, der ebenso wie er beinahe unentdeckbar war. Wenn man die Spuren der Zerstörungen in diesen Tunneln sah, dann mußte man zu dem Schluß kommen, ein Großteil der Kämpfe zwi schen den Drow und der Geknechteten Legion hätten hier getobt. Der Boden zeigte die Spuren vom Getrampel zahlloser genagelter Stiefel, und hier und da war das Gestein blutbesu delt. In einigen Höhlen und Gängen lagen abgetrennte Kör perteile und Spinnenkadaver, zertrümmerte und zerschmetter te Waffen sowie Schilde und Rüstungsteile waren überall auf dem Boden verstreut, und die Wände waren von Brandspuren in jener Form überzogen, wie sie der gewaltsame Ausbruch magischer Energie zurückließ. Nimor sah allerdings keine Leichen, bis ... Ein enger, sich windender Nebentunnel führte in eine große Höhle. Dort lagen die blutverschmierten Leichen von vierzig oder mehr Duergar-Fußsoldaten. Es sah aus, als hätten sie an der Rückwand der Höhle eine Formation gebildet und dort bis zum bitteren Ende gekämpft. Der Höhlenboden war mit zer störten Waffen, eingedellten Rüstungen und zerhackten Schil den bedeckt und ob all des Blutes, das hier vergossen worden war, schlüpfrig. Wenn man es berührte, fühlte es sich noch immer feucht und klebrig an. Die Duergar waren im wahrsten Sinne des Wortes zerhackt worden. Es handelte sich zweifellos um die Handschrift der primitiven Äxte und Schwerter der Tanarukks und nicht um Wunden, wie sie die eleganten DrowKlingen schlugen. »Gut gemacht, Vhok«, merkte Nimor an. Wie es schien, hatte sich Vhok ähnlich wie Nimor ent
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schlossen, seine Geschäftsbeziehung mit den Duergar zu been den, bevor er sich zurückzog. Wie es schien, hielt Vhok ebenso wie Nimor nichts von offenen Enden. Vhok hatte seinen Rückzug gut geplant. Er würde der ge scheiterten Belagerung Menzoberranzans fast unversehrt ent kommen, und in spätestens einem Zehntag würden die Aas fresser und Plünderer des Unterreichs die Leichen entsorgt haben, wenn denn überhaupt ein Hahn nach denen krähte. Fleisch, egal ob es bereits tot war oder noch lebte, blieb im Unterreich nie lange Zeit unberührt. Bis auf Nimor würde niemand Beweise von Kaanyrs Verrat an den Duergar finden. Nimor ließ die toten Duergar hinter sich und setzte seinen Flug durch die Höhlen fort. Bald begann er, auf einzelne Gruppen der Tanarukks zu stoßen. Sie befanden sich allesamt auf dem Rückzug. Die Tanarukks waren geschuppte, gehörnte Wesen, eine Mischung aus der Brutalität von Orks und der Verschlagenheit von Dämonen. Sie stampften mit gezückten Waffen durch die Tunnel und warfen mit ihren blutunterlau fenen Augen regelmäßig Blicke zurück, ob ihre Verfolger sie nicht vielleicht schon eingeholt hatten. Das Stapfen der Stie fel und das Klirren der Waffen und Rüstungen hallte in den unterirdischen Gängen wider. Nimor bewegte sich über sie hinweg oder zwischen ihnen hindurch und erregte dabei nicht mehr Aufmerksamkeit als ein Geist oder ein Schemen. Nur der Luftzug, den seine Flügel verursachten, deutete auf seine Anwesenheit hin. Ungefähr eine halbe Stunde lang begleitete Nimor die im Rückzug befindlichen Tanarukk-Streitkräfte durch die Tunnel und überholte dabei mehr als nur einen Trupp. Die DämonenOrks bewegten sich rasch und gezielt, als hätten sie ein klar definiertes Ziel. Vermutlich gab es einen zentralen Sammel punkt, von dem aus der weitere Rückzug erfolgen würde. Ni
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mor huschte von einer Gruppe zur nächsten und wußte, daß es nur eine Frage der Zeit sein würde, bis er auf Vhok stieß. Nimor hörte den Cambion, noch bevor er ihn sah. Von weiter vorne drangen rauhe Stimmen, das Getrampel Dutzen der Stiefel, das Scheppern schwerer Rüstungen und ab und zu ein knurriger Befehl Kaanyr Vhoks an sein Ohr. Nimor schlug noch einmal heftig mit den Flügeln und flitzte durch den Tun nel, bis er den Cambion erkennen konnte. Weiter vorne mar schierte eine lange Kolonne Tanarukks, und vorneweg mar schierte der Cambion. An der Seite Vhoks war Rorgak. Der Tanarukk verfügte über riesige Stoßzähne und war selbst für einen Angehörigen seiner Rasse extrem breitschultrig. Vhok hatte offenbar beschlossen, sich als erster zurückzuziehen, und hatte sogar noch jene symbolische Streitmacht im Stich gelas sen, die noch in der Nähe Menzoberranzans kämpfte. Nimor lächelte über das Licht, das dies auf Vhoks Charak ter warf. Offenbar war der Schläger nur dazu fähig, das Maul aufzureißen, wenn die Vorteile auf seiner Seite lagen. Wurde es eng, wurde er zum Feigling. Trotzdem war er der Befehlshaber einer Armee. Er war Ni mor nützlich gewesen und würde sich vielleicht eines Tages erneut als nützlich erweisen. Außerdem hatten Feiglinge den Vorteil, daß man sie leicht manipulieren konnte, wenn man sich schon nicht auf sie verlassen konnte. Nimor zischte über die marschierende Truppe hinweg, lan dete und wurde sichtbar. Ein vielstimmiges Knurren, gemischt mit Überraschungs schreien, ging durch die Reihen der Tanarukks. Es klang wie dumpfes, gefährliches Donnergrollen. Kurz darauf hielt die Marschreihe an. Vhok und Rorgak hatten ihre Klingen schon in der Hand. Sie hatten sie instinktiv gezogen, ohne auch nur eine Sekunde zu zögern.
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Rorgak schwang seinen mächtigen Zweihänder und stürmte auf Nimor zu. Etliche Tanarukks drängten sich an Vhok vor bei. Sie kamen mit einem blutrünstigen Gesichtsausdruck auf Nimor zu. Vhok gebot ihnen Einhalt. Es reichte aus, daß er die Hand hob und sie kurz anfuhr. »Halt!« befahl der Cambion, und die Tanarukks erstarrten mitten im Schritt, ja, selbst Rorgak hielt inne. Die Blicke zahlloser roter Augen bohrten sich in Nimor, und es waren sehr hungrige Blicke. Nimor hob die Hände und lächelte entwaffnend. Obwohl er keine Waffen trug, wirkten seine Flügel und Fangzähne ver mutlich ziemlich bedrohlich. Vhok und seine Tanarukks hat ten ihn noch nie zuvor in seiner Gestalt als Halb-Drache gese hen, doch wenn es sich als notwendig erweisen sollte, konnte Nimor innerhalb eines Lidschlags in den Schattensaum flie hen. »Nimor«, begrüßte ihn Vhok und hob die spitzen Brauen. »Ich habe Euch kaum wiedererkannt. Ihr seht anders aus als bei unserem letzten Treffen.« Er steckte die runenüberzogene Klinge weg und musterte Nimor mit einem eisigen Blick. »Es ist riskant, so ganz allein vor mir und meinen Männern aufzu tauchen, Drow!« Die Tanarukks, die in Vhoks Nähe standen, knurrten zu stimmend. Rorgak starrte Nimor weiter drohend an. Er hielt seine Klinge weiter gezückt. Nimor flatterte mit den Flügeln und atmete ein wenig Schattenessenz aus den Nüstern aus. »Wie Ihr seht, Kaanyr, bin ich ebensowenig ein Drow, wie Ihr ein Mensch oder ein Ork seid.« Vhok mußte lächeln und nickte anerkennend, und eine Handvoll seiner Männer lachten ob der frechen Bemerkung.
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»Was wollt Ihr also?« fragte Vhok. »Wollt Ihr uns wieder irgendeinen phantastischen Plan unterbreiten?« Er zeigte auf seine vom Kampf mitgenommenen Männer, die hinter ihm standen. »Ihr seht ja, wo mich Euer letzter Plan hingebracht hat.« Vhoks Männer lachten erneut, doch diesmal klang es ge quält. Es gab keinen Zweifel, ihre Flucht beschämte sie. Obwohl es ihm schwerfiel, lächelte Nimor einfach weiter. »Vielleicht«, sagte er. »Ich würde gern privat mit Euch sprechen. Euer Zelt?« Nimor wußte, daß Vhok über ein magisches Kommandozelt verfügte, das sich auf Befehl zu einem faustgroßen Stoffballen zusammen- und wieder entfaltete. Es war also jederzeit verfüg bar und äußerst praktisch, um sich zurückzuziehen oder in Ruhe zu reden. Vhok musterte Nimor einen Augenblick lang und versuch te, etwas in seinem Gesicht zu lesen, bevor er zustimmte: »Nun gut.« Anschließend wandte er sich an Rorgak: »Die Legion soll sich ausruhen und stärken. Ich werde nicht lange brau chen.« Dann senkte Vhok die Stimme und erteilte seinem Leut nant auf Diabolisch geflüsterte Befehle. Nimor verstand die Sprache zwar nicht, aber er wußte genau, worum es ging. Vhok erteilte sicher den Befehl, daß sich Rorgak bereithalten sollte, um sofort eingreifen zu können, falls Nimor den Cambion in seinem Zelt angreifen sollte. Nimor tat, als hätte er das alles nicht zur Kenntnis genom men, und starrte Rorgak ausdruckslos an, während der riesige, rotgeschuppte Leutnant nickte, salutierte und dann zurück zu den Soldaten ging, um mit kehliger Stimme Befehle zu ertei len. Die Tanarukks brachen ihre Marschordnung auf und be gannen, ein hastiges Mahl einzunehmen. Trotz allem muster
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ten Nimor noch immer zahlreiche blutunterlaufene Augen intensiv. Vhok holte den magischen Stoff aus seinem Rucksack, suchte sich eine möglichst flache Stelle am Tunnelboden und warf das Zelt dorthin. Dann sprach er ein Befehlswort in einer kehligen, vor langer Zeit vergessenen Sprache. Der Stoff faltete sich schier unzählige Male auf und stieg in die Höhe, bis aus ihm das beflaggte, goldrote Kommandozelt geworden war, das Nimor bereits kannte. Vhok forderte ihn mit einer Geste auf, das Zelt zu betreten. Sein Brustpanzer funkelte im Fackelschein, und eine seiner Hände ruhte weiter hin auf seinem Schwertknauf. Nimor faltete die Flügel ein und kam der Aufforderung nach. Das Zeltinnere war mit einem edlen Holztisch, einem luxuriösen Diwan und einer gemütlichen Polstercouch voll möbliert. Auf dem Tisch standen eine Karaffe und zwei leere Gläser bereit. Nimor nahm an, daß die Karaffe mit dem besten Branntwein gefüllt war, einem von Vhoks Lastern. »Alles fertig eingerichtet, und die Getränke stehen auch schon bereit«, erklärte Nimor, während er sich im Kreis dreh te. »Das ist wahrlich ein vorzüglicher magischer Gegenstand, Kaanyr. Fehlen nur noch die Tänzerinnen. A propos, wo ist eigentlich Eure kleine, geflügelte Gespielin?« Vhok schnaubte abfällig, aber Nimor erkannte sofort, daß es nur gespielt war. »Fort!« knurrte Vhok. »Zumindest momentan.« »Frauen! So unberechenbar ...«, meinte Nimor lässig und beschloß, die Sache lieber auf sich beruhen zu lassen. »Darf ich mich setzen?« fragte er. Vhok wies auf die Couch. Nimor ging durchs Zelt und ließ sich ächzend auf das Sitzmöbel fallen. »Wir hätten diese Schlacht nicht verlieren müssen!« sagte er.
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»Nur einer von uns hat in dieser Schlacht gekämpft«, ant wortete der Cambion. »Der andere floh, als sich die Lage zu seinen Ungunsten entwickelte.« Nimor mußte sich Mühe geben, damit ihm nicht das Lä cheln auf den Lippen gefror. Von draußen erklang ein schleifendes Geräusch. Nimor konnte dank seines scharfen Gehörs mühelos erkennen, daß es von der Nähe des Zelteingangs kam. Es war ohne Zweifel Ror gak. Erst, als er sich sicher war, daß ihn sein Tonfall nicht verra ten würde, antworte Nimor: »Menzoberranzan wurde nur durch Lolths Rückkehr gerettet – und durch eine unglückselige Wahl der Verbündeten.« Vhok sah ihn scharf an. »Ich meine nicht Euch«, beschwichtigte ihn Nimor. »Ich meine die Duergar!« Vhok beruhigte sich wieder und nickte. »Das ist wahr.« Zu Nimors Überraschung füllte der Cambion zwei kleine Trinkschalen mit Branntwein und bot eine davon Nimor an. Nimor nahm die Schale, trank jedoch keinen Schluck dar aus. Vhok zog es vor stehenzubleiben. »Unser kleiner Kronzprinz ist tot«, sagte Nimor fast beiläu fig und ließ den Branntwein in seinem Glas kreisen. Vhok hob fragend eine Braue. »Wart Ihr das?« Nimor nickte. Als Vhok einen Schluck Branntwein nahm, tat es ihm Nimor gleich. Das Getränk war gut gealtert und offenbar von weit her. »Das geschieht dem kleinen Narren recht«, knurrte Vhok. »Duergar sind nutzlose Kreaturen.« »Dann sind wir uns zumindest in einer Sache einig, Kaa nyr«, meinte Nimor. »Die Grauzwerge sind ein Volk unfähiger Vollidioten.« Er hielt inne und fügte dann hinzu: »Ich bin
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gekommen, um Euch dafür zu danken, daß Ihr mich vor Lolths Rückkehr gewarnt habt, während ich gegen den Erzmagier kämpfte.« Vhok lächelte über den Rand seines Glases hinweg und sag te: »Wir waren Verbündete.« »So ist es, und in meinen Augen sind wir das noch immer.« Als Vhok nicht antwortete, versuchte Nimor hastig, die be tretene Stille zu überbrücken, indem er sein Glas zu einem Trinkspruch hob: »Auf große Unternehmungen!« Vhok hob sein Glas halbherzig ein kleines Stück und nahm dann erneut ein Schlückchen. Er musterte Nimor weiter über den Rand des Glases hinweg. Nach einer Weile sagte er: »Was gibt es sonst noch, Drowling? Oder seid Ihr etwa tatsächlich nur gekommen, um Euch zu bedanken und mir meinen Branntwein wegzutrinken?« Nimor rang sich dazu durch, Vhoks rüpelhafte Bemerkung als Witz aufzufassen, und tat, als müsse er darüber lachen. Er beugte sich vor und griff nach dem Krug, um sich selbst nachzuschenken. Während er sein Glas füllte, meinte er: »Es wird noch andere Gelegenheiten geben, siegreiche Schlachten zu schlagen, Kaanyr. Vielleicht nicht morgen oder übermor gen, aber irgendwann. Wie ich schon sagte, sehe ich in Euch einen Verbündeten. Wir haben sehr effizient zusammengear beitet und hätten sicher triumphiert, hätten sich uns nicht unvorhergesehene Eventualitäten in den Weg gestellt.« »Unvorhergesehene Eventualitäten?« Vhok schnaubte. »So nennt Ihr Lolths Rückkehr?« Nimor zuckte die Achseln, lehnte sich gemütlich auf der Couch zurück und nahm einen weiteren Schluck Branntwein. »Nennt es, wie Ihr wollt«, meinte er nur, »aber könnt Ihr tatsächlich abstreiten, daß wir sehr effizient zusammengearbei tet haben?«
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Vhok dachte über Nimors Worte nach, während auch er ein paar Schlucke nahm. »Nein, das kann ich nicht«, antwortete der Cambion schließlich, »aber momentan wünsche ich mir, daß wir uns nie getroffen hätten und daß ich diese verfluchte, vor Drow wim melnde Stadt nie wiedersehe.« Nimor nickte, als fühle er wirklich aufrichtig mit dem Cambion. »Aber Gefühle ändern sich, wenn genug Zeit verstrichen ist«, erklärte Vhok, »und ich bin stets bereit, neue Gelegen heiten zu nutzen, falls sie sich anbieten. Hauptsache, diesmal sind keine Duergar mit von der Partie.« Er lachte lauthals, und Nimor stimmte nach kurzer Zeit in das Lachen ein. Das war die Antwort, die Nimor erwartet hatte. Vhok konnte sich noch als nützlicher Verbündeter erweisen, wenn er versuchte, seinen Status als Gesalbte Klinge zurückzuerlan gen. »Ich weiß ja, wo ich Euch finde«, meinte Nimor. Vhok setzte seine Trinkschale ab und starrte Nimor mit ei sigem Blick und einem kalten Lächeln an. »War das etwa eine Drohung?« fragte er. Erneutes Scharren vor dem Zelt. »Eine Beobachtung«, erwiderte Nimor. »Wir werden uns wiedersehen. Daran kann kein Zweifel bestehen.« Mit diesen Worten aktivierte Nimor seinen Ring, schlüpfte blitzschnell in den Schattensaum und ließ Menzoberranzan und seine Umgebung weit hinter sich.
Prath und Nauzhror sahen fasziniert zu, wie Gromph mit sei nem Angriff auf die Schutzzauber des Hauses Agrach Dyrr
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begann. Ihre Augen waren auf das Schauspiel fixiert, das sich ihnen im Katzenauge darbot. Gromph murmelte die Zauberformeln, die dazu dienen soll ten, seine Fähigkeiten der magischen Sicht noch weiter zu verstärken und zu verfeinern. Dann begann er. Er stellte überrascht fest, daß es für ihn eigentlich ein Kin derspiel war, die äußere Schicht der Schutzzauber zu durchbre chen, die die Festung umgaben. Ohne das Netzwerk zu stören, ohne eine der miteinander verbundenen Kraftlinien zu durch brechen, schob er dank seiner magischen Fähigkeiten einfach sanft ein paar Kraftlinien zur Seite, so daß eine imaginäre Öff nung im Netzwerk entstand. Dann schickte er seinen magi schen Sensor durch die Öffnung. »Gut gemacht!« gratulierte Nauzhror und atmete laut aus. Prath lächelte. Eine zweite Schicht miteinander verbundener Schutzzauber wartete bereits auf ihn. Diese Magie war wesentlich unnach giebiger. Wenn er versuchte, sie ebenso lässig zur Seite zu bie gen, würde er sicherlich einen Alarm auslösen. Nachdem er sich die Sache einige Zeit angesehen hatte, entschloß er sich, diesmal anders vorzugehen. Er würde sich beeilen müssen. Gromph war bewußt, daß er inzwischen ins Schwitzen ge kommen war. Er wirkte zwei Zauber in so rascher Abfolge, daß es für einen niedrigeren Magier so gewirkt hätte, als ob er nur einen Zauber ausgesprochen hätte. Zuerst schottete er einen winzigen Teil des Netzwerks ab. Im nächsten Atemzug bannte er schnell die Magie in dem abgetrennten Bereich, öffnete einen Spalt in dem magischen Netz und schickte den magi schen Sensor hindurch. Er drehte ihn um die eigene Achse, so daß er wieder zurückblicken konnte, und hob seinen ersten Zauber auf. Voller Schrecken sah er, wie für einen kurzen Moment das
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gesamte miteinander verbundene, komplexe Netzwerk ins Wanken kam. Offenbar waren die magischen Ströme durch das kleine Loch nachhaltig gestört worden. Doch nein. Er atmete erleichtert aus, als er sah, wie sich die Magie rund um das Loch neu formierte und erneut zu fließen begann. Das Netz der Schutzzauber hatte sich selbst repariert. Gromph war erfolgreich gewesen. Er war drinnen! »Das war gewagt«, merkte Nauzhror an. Gromph bewegte seinen magischen Sensor ins Erdgeschoß. Er befand sich schon innerhalb der Mauern des Hauses Agrach Dyrr. Er machte eine Pause, um sich zu sammeln. Er wußte, daß er es ab jetzt nur noch mit Gruppen von Schutzzaubern verschiedener Stärke zu tun haben würde. Diese einzelnen Unternetzwerke schützen diesen oder jenen Raum oder auch mal ein ganzes Gebäude, waren aber meist nicht mit den großen Verteidigungsnetzwerken verbunden, die er gerade überwunden hatte. Er hielt die gleiche Stelle im Bild, während er eine Hand vom Kristall nahm und den Rest des Pilzweins kippte. Prath blickte sich im Büro um und sah, daß die Flasche auf einem Beistelltisch in der Nähe stand. Er holte die Flasche und schenkte Gromph nach. Der bewegte sich jetzt durch das Haus und untersuchte die einzelnen Schutzzauber von allen Seiten. Er hätte sie alle mü helos bannen können, doch früher oder später wäre das sicher aufgefallen. Um etliche Räume und Gebäude lagen Schutzzau ber, die er trotz seiner magischen Fähigkeiten nicht durchdrin gen konnte. Er bannte sie sorgsam, sah sich an, was dahinter verborgen war, und ersetzte sie dann durch ähnliche Schutz zauber, die er selbst wirkte. »Keine Spuren«, sagte Prath. »Keine Spuren«, stimmte Gromph zu. Zumindest wollte er
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momentan noch keine hinterlassen. Vermutlich war selbst der magische Schutz, der Dyrrs Seelengefäß verbarg, vor seinem magischen Blick verborgen. Er würde den Schutz erst bemerken, wenn er mit seinem magi schen Sensor in ihn hineinstolperte. Wenn seine Überlegung korrekt war, würde er den Aufenthaltsort des Seelengefäßes nur durch einen sorgfältigen Eliminationsprozeß herausfinden. Früher oder später würde er versuchen, ein Gebiet zu sehen, das scheinbar nicht gegen magische Ausspähung geschützt war. Wenn es ihm dennoch nicht möglich war, in dieses Gebiet vorzudringen, hatte er den Standort des Seelengefäßes gefun den. Es war natürlich auch möglich, daß sich das Seelengefäß nicht in der Stalagmitenfestung befand. Dann würde es Gromph niemals gelingen, es rechtzeitig aufzuspüren, bevor der Drowleichnam von einem neuen Körper Besitz ergriffen hatte. Der Gedanke ließ ihn innehalten, aber dann verdrängte er ihn. Er ging äußerst methodisch vor und bewegte seinen magi schen Sensor durch jeden Raum und jedes Gebäude im Haus Agrach Dyrr. Nauzhror kam mit seinem Kopf immer näher und näher an das Abbild heran, bis ihn ein mahnender Blick Gromphs dazu brachte zurückzuschrecken. »Verzeiht!« murmelte er betreten. Gromph bewegte sich auf magischem Weg durch Speisesäle, Schreine, Übungsräume, Schlafräume, Labors, Sklavenunter künfte, Küchen und Amphitheater. Er war ständig auf der Suche nach einer unsichtbaren Mauer, die ihn aufhalten wür de. Soldaten, Magier und Priesterinnen eilten durch die Gänge und Hallen. Er konnte sie nicht hören, doch aus ihrem Ge sichtsausdruck schloß er, daß sie ziemlich erregt waren. Er
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vermied es tunlichst, seinen magischen Blick länger als nur ein paar Augenblicke auf einer einzelnen Person verweilen zu lassen, weil sonst einer der magisch geschulten Drow vielleicht etwas von der magischen Ausspähung bemerkt hätte. Schweiß von seiner Stirn tropfte auf das Katzenauge und trübte das Abbild. Prath wischte den Schweiß mit seinem Piwafwi ab. Gromph bewegte den magischen Sensor einen weiteren Gang hinunter und an einer Gruppe von – »Larikal!« sagt er, als er die kurzhaarige, ziemlich häßliche dritte Tochter des Hauses Agrach Dyrr erkannte. Sie führte eine Gruppe von drei Magiern an. Gromph sah, daß es sich bei ihnen allesamt um Absolventen Sorceres handelte. Er ließ seinen magischen Blick für etliche Atemzüge auf der Gruppe verweilen. Seine Zauber zeigten, daß sie alle mit zahlreichen magischen Gegenständen ausgestattet waren: mit Zauberstä ben, Ringen, Umhangspangen, Broschen und einem Zauber stecken in Larikals Hand. »Geremis, Viis und Araag«, merkte Nauzhror an. »Allesamt ziemlich lausige Studenten.« Gromph nickte und behielt die Gruppe weiter im Auge. Er bewegte den magischen Sensor so, daß er immer eine Person mustern konnte, und zählte dabei im Geiste. Ehe er jeweils bei zwanzig angelangt war, richtete er seinen Blick auf die nächste Person aus. Larikal erteilte mit herrischer Stimme Befehle, doch Gromph konnte ihr nicht von den Lippen ablesen, was sie anordnete. Die Magier eilten durch einen Raum und einen Gang nach dem anderen. Sie wirkten überall Zauber, konzent rierten sich kurz und hasteten weiter. Gromph achtete darauf, daß sich der magische Sensor stets hinten über ihnen befand. Da er die Worte nicht hören konnte, die die Magier sprachen,
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musterte er ihre Gesten möglichst genau. »Was tun die da?« fragte Prath. »Sie wirken Erkenntniszauber«, erklärte Gromph, kurz be vor Nauzhror das gleiche sagen konnte. »Mächtige Erkenntniszauber!« fügte Nauzhror hinzu und musterte Geremis, der gerade mit den Gesten für einen Zauber fertig geworden war und seine Finger auf die vor Konzentration angespannte Stirn legte. Da erkannte Gromph, was sie taten. »Sie suchen das See lengefäß!« sagte er. »Das muß es sein.« Alle drei verstanden, was das bedeutete. Das Seelengefäß befand sich nicht in Yasraenas Besitz, und sie war ebenfalls der Ansicht, es müsse irgendwo im Haus verborgen sein. »Das ist ein gutes Zeichen«, sagte Nauzhror. Gromph nickte, aber er mußte sich dennoch beeilen. Da er meinte, sonst nichts mehr Interessantes herausfinden zu können, wenn er die Gruppe weiter beobachtete, lenkte er seinen magischen Blick wieder von Larikal und ihren Schoß hündchen fort und eilte weiter durch die komplexen Anlagen des Hauses Agrach Dyrr. Der Vorgang war zeitaufwendig, aber er hatte nicht vor, ihn vorzeitig abzubrechen. Er nahm sich die Zeit, jeden Raum genau zu mustern und in regelmäßigen Ab ständen weitere Erkenntniszaüber zu wirken, die dazu dienen sollten, die verhüllenden Zauber des Drowleichnams aufzuhe ben. Immer wieder stieß er auf leere Räume. Er fand nur her aus, daß er sich inmitten eines verzweifelten Hauses der Drow befand, dessen Angehörige ums Überleben rangen. »Könnte es sein, daß sich das Seelengefäß nicht in der Fes tung befindet?« fragte Nauzhror schließlich, nachdem sie zahl reiche Stunden mit der erfolglosen Suche verbracht hatten. Gromph machte sich nicht die Mühe aufzublicken. »Schweig!« befahl er nur.
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Das Seelengefäß mußte im Haus sein. Der Drowleichnam wäre nie auf die Idee gekommen, es nicht in seiner Nähe auf zubewahren. Das Risiko wäre viel zu groß gewesen! Gromph setzte seine Suche fort. Er durchsuchte jedes Ge bäude mit größter Sorgfalt. In einem abgeschotteten Teil der Anlage stieß er auf das alchemistische Labor, die Bibliothek und die Unterkünfte Dyrrs. Vor jeder Tür standen glitzernde Edelsteingolems, die die Gestalt von Drowmagiern hatten, steif Wache. »Sein Labor«, bemerkte Prath und musterte die zahllosen Bechergläser, Kohlebecken, Chemikalienbehälter und Mixtu ren. Der Raum war durcheinander. Es sah aus, als habe ihn jemand hastig durchsucht. Gromph fand, das Labor oder die Unterkünfte des Drow leichnams seien plausible Orte, um das Seelengefäß zu verste cken. Er überwand sorgfältig die Schutzzauber des Drowleich nams und begann, sich in den Räumen umzusehen. Doch auch hier fand er nichts, und er wurde zusehends frustrierter. Er machte sich die Mühe, nochmals alles abzugehen, und war sich sicher, daß er irgendwo den verräterischen Zauber finden wür de, der seinen magischen Blick behinderte, doch auch beim zweiten Versuch fand er nichts. Er war dabei, sowohl seinen Vorrat an Zaubern als auch sei nen Körper zu erschöpfen. Im Zauberduell gegen Dyrr und bei seiner bisherigen Ausspähung der Festung hatte er schon gut die Hälfte seines magischen Repertoires aufgebraucht. Wenn er das Seelengefäß nicht bald fand, würde er sich ausruhen müssen. Dann konnte er seine Zauberbücher studieren und sich die Zauber erneut einprägen, die seinem Geist in jenem Moment entschlüpft waren, in dem er sie gewirkt hatte. Leider konnte es gut sein, daß Yasraena das Seelengefäß vor ihm fand, wenn er ihr so viel Zeit ließ.
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Er seufzte, wischte sich den Schweiß ab und machte weiter. Jetzt waren nur noch der Tempel und einige wenige andere Gebäude übrig. Zuerst der Tempel. Es erforderte eine verhältnismäßig geringe geistige Anstren gung, an den aufwendigen Schutzzaubern vorbeizuschlüpfen, die den Tempel umgaben. Es gab keinen Zweifel, daß die Zau ber um den Tempel von Yasraena persönlich gewoben worden waren. Gromph befand ihre Anstrengungen in diesem Mo ment für lächerlich. Ihre Künste auf dem Gebiet der Zauberei konnten sich in keiner Weise mit seinen messen, wenn es ihm so mühelos möglich war, die Schutzzauber zu überwinden. Das Innere des Tempels ähnelte dem Inneren anderer Lolthtempel, wie man sie bei allen großen Häusern finden konnte. Ein Altar, geschmückt mit Kerzen und von einem violetten Feenfeuer umhüllt, stand im Apsis an einer Seite des großen ovalen Tempelschiffs. Hinter dem Altar erhob sich eine riesige Spinnenstatue. Sie war in lebensechten Details aus glattem, schwarzen Basalt oder vielleicht auch aus Pechkohle gefertigt. Gromph wußte, daß es sich um einen Wächtergolem han delte. Er würde zum Leben erwachen, falls es jemand wagte, den Tempel zu betreten, der hier nichts zu suchen hatte. Lange Steinbänke mit hohen Lehnen waren im Tempel schiff aufgestellt und so ausgerichtet, daß man direkt zur Apsis blickte. Die Fenster wurden von Feenfeuer erleuchtet und waren durch transparente, hauchdünne Vorhänge geschmückt, die wie Spinnweben wirkten. Praktisch alles war mit unter schiedlichsten Spinnenmotiven geschmückt. Man fand sie auf dem schwarzen Altartuch, auf den geschnitzten Türscharnie ren und auf den Armlehnen der Bänke. In jedem Winkel des Tempels sah man Spinnweben, die auch von zahlreichen klei
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nen, schwarzen Spinnen besiedelt waren. Ihre Anwesenheit galt als persönlicher Segen Lolths. Die Unterseite der mächtigen Kuppeldecke des Tempels zierte eine riesige Darstellung Lolths in ihrer Hybridgestalt, eine atemberaubend schöne Drow, deren Kopf und Oberkörper aus dem aufgeblähten Leib einer riesigen Schwarzen Witwe ragten. Gromph fragte sich nebenbei, ob Lolth jetzt nach ihrer Rückkehr noch immer die gleiche Gestalt annehmen würde, ja ob es sich tatsächlich um die gleiche Lolth wie zuvor handelte. Praktisch alles im Tempel erstrahlte dank Gromphs magi scher Sicht in verschiedenen Farben. Es wimmelte hier nur so von Verzauberungen und Schutzzaubern, die die Priesterinnen gewirkt hatten. Doch abgesehen davon war das Tempelschiff leer. Gromph stieß frustriert den Atem aus und wollte seinen magischen Sensor schon weiterlenken, doch irgend etwas stimmte hier nicht! Er ließ sein magisches Auge weiter auf dem Tempel ruhen und dachte nach. »Was ist?« drängte Prath. Seine Stimme zitterte. »Habt Ihr es?« »Schweig!« fuhr Nauzhror den Lehrling an, doch Gromph konnte auch aus seiner Stimme heraushören, daß er vor Neu gier schier platzte. Gromph schüttelte den Kopf. Er sah nichts Ungewöhnli ches, doch ... Der Spinnengolem! Für sein magisches Auge schien die Steinstatue nicht ma gisch. Sie hätte allerdings sehr starke Magie ausstrahlen müs sen, außer, die Priesterinnen Agrach Dyrrs hatten den Golem inzwischen durch eine ganz herkömmliche Steinstatue ersetzt. Gromph erschien das unwahrscheinlich. Die Aufregung elektrisierte ihn. Er befahl dem magischen
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Sensor, näher an den Golem heranzugehen, bis dieser das Katzenauge ausfüllte. Er ging Zentimeter für Zentimeter über den Golem. Stand er auf einem Geheimfach im Boden? Er wirkte eine weitere Reihe von Erkenntniszaubern. Vielleicht war es ihm möglich, zumindest einen Hinweis darauf zu erhal ten, ob die Magie des Golems getarnt war oder nicht. Zuerst waren seine Versuche erfolglos, doch so rasch gab Gromph nicht auf. Endlich flackerte ein roter Lichtschein auf, ganz so wie das Licht, das unter einer geschlossenen Tür hervorschimmern mochte. In diesem Sekundenbruchteil leuchte plötzlich der ganze Golem hell auf. Es waren ungefähr jene Intensität und jener Farbton, den er aufgrund der latent vorhandenen Magie haben mußte, die im geeigneten Zeitpunkt für seine Belebung sorgen würde. Was noch erstaunlicher war, war das helle Strahlen, das für jenen winzigen Sekundenbruchteil in dem Golem aufflammte! Nauzhror lächelte, Prath keuchte und Gromph kicherte zu frieden, obwohl das würdelos wirkte. »Der Golem«, hauchte Nauzhror. Der Meister Sorceres wirkte ebenso erschöpft wie Gromph, obwohl er die ganze Zeit nichts anderes getan hatte, als die Geschehnisse zu beobachten. »Die Magie des Golems ist verschleiert«, sagte Gromph und nickte. Er konnte Dyrrs Unverfrorenheit noch immer nicht fassen. »Der Golem ist das Seelengefäß?« fragte Prath. Gromph studierte das Konstrukt noch etwas länger und wirkte eine Reihe weiterer Zauber, um seine Vermutungen zu bestätigen. Als er fertig war, sagte er: »Nein, das Seelengefäß ist in den Golem eingebettet.«
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Obwohl sie bereits im Kristall gesehen hatten, daß Gromph recht hatte, spiegelte sich auf den Gesichtern von Prath und Nauzhror dennoch Unglauben wider. »Verborgen im Wächtergolem?« fragte Prath. »Das ist Ket zerei!« »Das ist genial!« konterte Nauzhror. Gromph nickte. Der Drowleichnam war männlich, aber dennoch hatte er es gewagt, sein Seelengefäß im Lolthtempel des Hauses Dyrr zu verbergen, ja er war sogar so weit gegangen, das Seelengefäß in den Leib des mächtigsten Tempelwächters überhaupt zu stecken. Gromph war nur dazu in der Lage gewe sen, das Seelengefäß zu finden, weil er ganz sicher war, daß es sich bei der Statue um einen Golem handeln mußte, der ange sichts seiner Erkenntniszauber hätte aufleuchten müssen. Weil dem nicht so war, hatte er sich die Sache genauer angesehen, und dennoch wäre es ihm fast nicht gelungen, das Seelengefäß auch tatsächlich aufzuspüren. Gromph erteilte dem Kristall einen geistigen Befehl, dann verblaßte das Bild. Zuerst kehrten die treibenden, grauen Schlieren zurück, und dann verfärbte sich der Kristall wieder schwarz. Der Erzmagier lehnte sich zurück und streckte seine Arme zum ersten Mal nach langer Zeit über den Kopf. Sein ganzer Leib schien zu schmerzen, in seinen Schläfen pochte es, und er war schweißüberströmt. Leider konnte er sich nicht den Luxus gestatten, sich in Ruhe zu erholen. Das Überwinden der Ab wehrzauber gegen Ausspähung und das Aufspüren des Seelen gefäßes war noch die leichtere der beiden Aufgaben gewesen, die er sich gestellt hatte. Seine nächste Aufgabe bestand darin, Haus Agrach Dyrr körperlich zu betreten, bis in den Lolthtem pel vorzustoßen und dann zuerst den Spinnengolem und an schließend das Seelengefäß zu zerstören.
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»Ihr solltet Euch zuerst einmal ausruhen, Erzmagier«, for derte ihn Nauzhror auf. Er hatte in Gromphs Gesichtsausdruck gelesen, was nun folgen mußte. Gromph nahm sein Glas und stürzte erneut einen Schluck Pilzwein hinunter. Es war ihm lieber, den Ansturm auf Haus Agrach Dyrr nicht mit einem völlig klaren Kopf in Angriff zu nehmen. »Dafür bleibt keine Zeit«, sagte er. »Yasraena oder eine ih rer Töchter können jederzeit selbst auf das Versteck stoßen. Es wird mir um einiges leichter fallen, es in meinen Besitz zu bringen, solange es sich noch im Golem befindet und nicht in den Händen der Muttermatrone des Hauses Dyrr.« Nauzhror nickte widerstrebend. Er fragte: »Wann wollt Ihr es tun?« »Innerhalb der nächsten Stunde«, meinte Gromph und at mete seufzend aus. Prath und Nauzhror versuchten, das gerade Gehörte zu ver dauen. Gromph nutzte die kurze Pause, um seine Augen zu schließen und sich zu konzentrieren, um das unablässige Po chen in seinem Schädel niederzukämpfen. »Die Schutzzeichen werden eine echte Herausforderung darstellen«, meinte Prath. Nauzhror schlug dem Lehrling ansatzlos mit der Rückseite der Hand ins Gesicht. »Der Erzmagier ist sich wohlbewußt, welche Herausforderung die Zauber darstellen!« Der Schlag war hart gewesen. Praths Lippe war aufgesprun gen, und er ließ sich in den Sessel zurücksinken, um sich das Blut aus dem Gesicht zu tupfen. In seinen Augen brannte der Haß, doch er verkniff sich jeden Kommentar. Gromph war froh, eine derartige Gefühlsregung bei Prath zu sehen. Gromph war sich der Herausforderungen, die auf ihn warte ten, schmerzlich bewußt. Er hatte sie gerade mit eigenen Au
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gen gesehen. Sie alle hatten sie gesehen. Es war ein kompliziertes Netzwerk an Schutzzaubern. Diese waren mindestens so kompliziert aufgebaut wie jene Zauber, die er gerade bei seinem körperlosen Ausflug überwunden hatte. Die Zauber, mit denen er es diesmal zu tun bekommen würde, waren darauf ausgelegt, sein körperliches Vordringen in die Festung zu verhindern. Die vereinte Macht aller Hausma gier des Hauses Xorlarrin hatte bei dem Versuch, diese Zauber aufzuheben, kläglich versagt. Gromph war natürlich um ein Vielfaches mächtiger als ein einfacher Hausmagier des Hauses Xorlarrin, aber es konnte kein Zweifel daran bestehen, daß dieses zweite Netzwerk aus Schutzzaubern wesentlich schwieri ger zu überwinden sein würde als jenes, das nur dazu gedient hatte, eine magische Ausspähung zu verhindern. Außerdem riskierte er schwere Verletzungen oder gar den Tod, wenn er körperlich anwesend war und einen Schutzzau ber auslöste, ganz im Gegensatz zur magischen Ausspähung, bei der er schlimmstenfalls hätte entdeckt werden können. Er erinnerte sich gut an den blutroten Schein der Zauberfallen. »Soll ich Euch begleiten?« fragte Nauzhror. »Nein«, erwiderte Gromph und massierte sich die Schläfen. »Ich habe andere Pläne für euch beide. Du, Nauzhror, wirst hier bleiben und mir helfen, Haus Agrach Dyrr auszuspähen.« Nauzhrors Gesicht verzog sich fragend. »Ich soll Euch bei der magischen Ausspähung helfen? Die habt Ihr doch gerade durchgeführt. Was soll das?« Gromph musterte Prath, der ebenso verwirrt wirkte wie Nauzhror. »Ich will damit sagen«, erklärte Gromph, »daß ich an zwei Orten gleichzeitig sein werde, Meister Nauzhror.« Gromph ließ die Worte auf die beiden wirken. Es dauerte nur Sekunden, bis sich der verblüffte Ausdruck
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auf Nauzhrors Gesicht in einen der Anerkennung verwandelte. »Prath wird in Eurer Gestalt hierbleiben«, erklärte der Meister Sorceres. »Genau«, bestätige Gromph, »und ich werde in seiner Ges talt unterwegs sein, zumindest für einige Zeit. Auch du wirst hierbleiben, Nauzhror, und so tun, als assistiertest du mir beim Wirken meiner Ausspähungszauber.« Praths Gesichtsausdruck verriet Begreifen, aber auch eine Frage. »Warum die Täuschung?« fragte er. »Yasraena und ihre Magier können Euer Büro doch gar nicht ausspähen. Niemand kann das.« »Nein«, stimmte Gromph zu, »aber sie wird es versuchen. Sie weiß, daß ich etwas gegen ihr Haus unternehmen muß, und wird herauszufinden versuchen, wann sie mit meinem Ansturm zu rechnen hat. Wir werden sie täuschen. Wir werden unsere Gestalt tauschen, so daß wir beide wie der jeweils andere er scheinen. Ich werde die Schutzzauber um mein Büro etwas abschwächen. Es wird ausreichen, damit Yasraena und ihre Magier den Schutz früher oder später überwinden können, wenn sie sich große Mühe geben. Sobald ihr das gelungen ist, wird sie beobachten, wie Gromph und Nauzhror gerade versu chen, Haus Agrach Dyrr auszuspähen, als sei ich erst dabei, die Vorbereitungen für einen Ansturm auf ihr Haus zu treffen. In Wahrheit jedoch läuft der Angriff schon längst.« Nauzhror lächelte. »Sehr geschickt«, meinte er. »Wäre es aber nicht einfacher, wenn ich Eure Gestalt annähme?« Gromph hatte so etwas schon von Nauzhror erwartet. Er musterte den Meister Sorceres mit einem eisigen Blick und meinte: »Der Ansicht bin ich nicht, und sei besser vorsichtig, Nauzhror, sonst komme ich noch zu der Ansicht, daß dein Be gehren, in meinem Sessel zu sitzen, ein wenig zu ausgeprägt ist.«
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Nauzhror sah betroffen zu Boden. »Ich wollte mit meiner Aussage nicht anmaßend erscheinen, Erzmagier«, erklärte er hastig. »Ich dachte nur, ich sei besser dazu in der Lage, Euch zu verkörpern, als der Lehrling.« Gromph beschloß, nicht weiter darauf einzugehen. Er war sich sicher, daß Nauzhror verstanden hatte, was er ihm hatte klarmachen wollen. »Prath wird das schaffen. Außerdem wird es die Täuschung nur noch perfekter machen, wenn sie sehen, daß der Meister Sorceres mir bei meiner Arbeit assistiert.« Nauzhror akzeptierte den Beschluß mit einem Nicken. Gromph erhob sich aus seinem Sessel und sagte: »Wir ha ben wenig Zeit. Laßt uns beginnen.« Gromph zog seine magischen Roben aus und legte die magi schen Gegenstände ab, für deren Besitz er in der Stadt beson ders bekannt war, darunter auch den Ring, der nur vom Erz magier Menzoberranzans getragen wurde. In Nauzhrors Blick spiegelte sich unverhohlene Gier, als der Erzmagier den Ring abstreifte. Prath erhob sich ebenfalls und legte Robe und Ausrüstung ab. Kurz darauf trug Gromph den viel zu langen Piwafwi, die Roben und die anderen Ausrüstungsgegenstände des Lehrlings, und Prath trug das Gewand des Erzmagiers Menzoberranzans. »Vielleicht passen sie dir ja eines Tages«, sagte er zu Prath. Der Lehrling verzog irritiert das Gesicht. »Mein Gewand paßt doch Euch nicht, Erzmagier!« antwortete er verlegen. Gromph mußte beinahe lachen, wenn er sich vorstellte, wie albern er aussehen mußte. So bescheidene Gewänder hatte er schon seit Jahrhunderten nicht mehr getragen. Er blickte Nauzhror an, deutete auf Prath und sagte auffor dernd: »Meister Nauzhror.« Nauzhror nickte und murmelte die magischen Worte, die
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einen schwachen Täuschungszauber erzeugten. Als er fertig war, tauchte ein illusionäres Abbild Praths neben dem Lehr ling auf. Es diente als Vorlage, damit der Magier besser arbei ten konnte. »Ist mir wie aus dem Gesicht geschnitten«, merkte Prath an. Gromph nickte. Er öffnete eine der unteren Schubladen seines Schreibtisches und holte eine Schriftrolle heraus, auf der einer der mächtigsten Zauber stand, die er beherrschte. Er wandte sich mit ernstem Gesichtsausdruck an Prath und sagte: »Wenn du beim Wirken dieses Zaubers auch nur den kleinsten Fehler machst, wird das fürchterliche Folgen für dich haben.« Gromph hätte den Zauber ja selbst auf Prath gewirkt, doch die Magie des Zaubers war dergestalt, daß sie nur den Anwen der des Zaubers betreffen konnte. Prath würde die Aufgabe allein bewältigen müssen. Gromph fuhr fort: »Nachdem du den Zauber gewirkt hast, blickst du einfach mich an und konzentrierst dich darauf, mei ne Gestalt anzunehmen. Der Zauber erledigt den Rest.« Prath nahm vorsichtig die Schriftrolle. Man mußte ihm hoch anrechnen, daß seine Hände nicht zitterten. Er rollte die Schriftrolle auf, studierte die magischen Worte und blickte noch einmal fragend zu Gromph und Nauzhror. Als diese nick ten, begann er mit der Zauberformel. Gromph achtete genau darauf, wie der Lehrling die magi schen Worte betonte. Er war zufrieden zu hören, daß Prath die komplizierten, magischen Worte kraftvoll und ohne Zögern sprach. Als Prath das letzte Wort ausgesprochen hatte, zerfiel die Schriftrolle zu Staub. Sein Körper begann augenblicklich, seine Form zu ändern. »Es tut überhaupt nicht weh«, meinte Prath verblüfft, des sen Stimmlage sich ebenfalls bereits zu verändern begonnen hatte.
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Praths Körper wurde dünner, seine Augen sanken tief in die Höhlen, sein Haar wurde länger, und sein Farbton änderte sich von rostrot, bis es blutrot war, so wie Gromphs Haar. Prath musterte Gromph eingehend, während die Magie ihr Werk tat, und gab ihr so den nötigen Bezugspunkt, um seine Gestalt entsprechend zu verändern. Die Magie des Zaubers kümmerte sich um alle Details, und nach nur zehn Herzschlägen blickte Gromph seinen Doppelgänger an. »Gut gemacht«, gratulierte Gromph dem Lehrling. Prath strahlte. »In der obersten rechten Innentasche der Robe ist ein Stirnreif aus Jade«, erklärte Gromph und wies mit dem Kopf auf seine Robe. »Gib ihn mir!« Gromph brauchte den Stirnreif als Materialkomponente, um den gleichen Zauber zu wirken, den Prath gerade gewirkt hatte. Natürlich hatte sich Gromph den Zauber eingeprägt und brauchte keine Schriftrolle, um ihn zu wirken. Prath griff in die Innentasche der Robe, tastete herum, fand den Stirnreif und reichte ihn Gromph. Gromph setzte ihn auf und sprach die Worte, die es ihm ges tatten würden, praktisch jede Gestalt anzunehmen, die er wünschte. Als sich die Magie entfaltete, durchlief ihn ein Krib beln. Seine Haut wurde formbar und fühlte sich gleichzeitig an, als sei sie etwas fester geworden und bestehe jetzt aus Wachs. Gromph orientierte sich am illusionären Abbild Praths, um seinen Körper und sein Gesicht in ein exaktes Duplikat des Schülers zu verwandeln. Die Verwandlung war nicht schmerz haft, sondern verursachte nur ein komisches Kribbeln und Ziehen. Als er spürte, daß sich sein Körper wieder festigte, wußte er, daß die Verwandlung abgeschlossen war. Die Magie würde noch mehrere Stunden Bestand haben. In dieser Zeit konnte er jederzeit auf ihn zurückgreifen und praktisch jede
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nur erdenkliche Form annehmen, die er wünschte. »Es ist vollbracht!« merkte Gromph überflüssigerweise an. »Die Täuschung ist praktisch perfekt.« Nauzhror ließ das illusionäre Abbild Praths mit einer Geste verschwinden. Gromph nickte und wandte sich erneut an Prath: »Jetzt bit te den Rest meiner Materialkomponenten, Lehrling.« Prath nuschelte eine Zustimmung und begann, in den magi schen Taschen von Gromphs Robe herumzustöbern. Verschie denste kuriose Gegenstände und Materialkomponenten tauch ten aus außerdimensionalen Taschen auf. Prath legte alles auf den Tisch. Besonders bemerkenswert war die seelenverschlin gende Duergar-Streitaxt. Über die Klinge tanzten seltsame Schatten, die, wenn man genauer hinsah, Gesichtern glichen, deren Münder zu stummen Schreien verzerrt waren. Gromph nahm die vielen Materialkomponenten an sich und verstaute sie in den Taschen seiner »neuen« Robe. Er nahm auch die Axt und befestigte sie am Gürtel. Sie fühlte sich schwer und klobig an, aber Praths Robe verfügte nicht über eine außerdimensionale Tasche, in der er die Axt so hätte verstauen können, daß sie gewichtslos geworden wäre. Er griff in eine weitere Schublade und holte mehrere Trän ke, eine Schriftrolle und ein milchiges Okular hervor, das an einer silbernen Kette hing. Wenn man durch das Okular blick te, konnte man bestimmte Arten von Illusionen durchschau en. Außerdem holte er mehrere Zauberstäbe hervor, allesamt aus Knochen gefertigt und mit dem versteinerten Auge eines besonders scharfsichtigen Sklaven an der Spitze. Da Gromph schon so viele Zauber verbraucht hatte, würde er die Kräfte des Okulars und die magische Macht, die in den Zauberstäben gespeichert war, benötigen, um sein eigenes Repertoire zu ergänzen.
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Sobald er sich zu seiner Zufriedenheit ausgerüstet hatte und alles so an seinem Körper arrangiert hatte, daß es jederzeit griffbereit war, sah er Prath an und zeigte auf seinen eigenen Knochenstuhl mit der hohen Lehne. »Nehmt Platz, Erzmagier!« forderte er ihn mit einem Lä cheln auf. Prath ging zögerlich um den Tisch herum und ließ sich sehr vorsichtig in Gromphs Stuhl sinken. »Kein Zögern, kein Zweifeln«, ermahnte ihn Gromph ge streng. »Yasraena würde das erkennen. Bis ich zurück bin, bist du der Erzmagier Menzoberranzans.« Prath sah Gromph in die Augen, setzte einen entschlosse nen Gesichtsausdruck auf und nickte. Jetzt gab es nur noch eines zu tun. Obwohl sowohl Nauzhror als auch Prath zu Haus Baenre gehörten, wußte Gromph, daß es närrisch von ihm gewesen wäre, sich ihrer Loyalität ob ihrer Familienzugehörigkeit sicher zu sein. Er mußte ihnen ausreichend Angst einjagen. Sobald er in Haus Agrach Dyrr war, war er sehr verletzlich, und ein Ver rat würde ihm dann höchst ungelegen kommen. Nauzhror und vielleicht sogar Prath würden vielleicht auf die Idee kommen, ein derartiger Verrat könne sich auszahlen. Gromph mußte dafür sorgen, daß die Kosten für ein Scheitern höher waren als der Lohn im Fall eines Erfolges. Dafür würde eine einfache Lüge reichen. »Abgesehen von euch beiden weiß nur Meister Mizzrym von diesem Plan, den ich mittels einer magischen Verständi gung informiert habe«, erklärte Gromph. »Wenn ich scheitere, wird Pharaun Muttermatrone Triel Bericht erstatten und die Ursache meines Scheiterns sorgfältig untersuchen.« Weder Nauzhror noch Prath sagten etwas. Sie hatten die Botschaft verstanden. Wenn sie ihn verrieten, würden sie hart
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bestraft werden, selbst dann, wenn er bereits tot war. Nauzhror meinte: »Yasraena wird nichts mitbekommen.« »Ich wünsche Euch viel Glück!« fügte Prath hinzu. »Haltet die Illusion so lange aufrecht, bis ich zurückgekehrt bin oder bis ihr von meinem Scheitern erfahrt«, befahl Gromph. Beide nickten beflissen. Gromph war mit seinen Vorbereitungen zufrieden. Er sprach etliche Worte der Macht, die die Schutzzauber um sein Büro schwächten. Yasraenas Magier würden einen Weg fin den, um sein Büro auszuspähen. Er sprang über seinen Schatten und verneigte sich vor sei nen »Vorgesetzten« genau so, wie es ein junger Lehrling getan hätte. »Gehabt euch wohl!« sagte er und verließ in unterwürfiger Haltung rückwärts das Büro. Der Gestaltwandelzauber hatte eine Wirkungsdauer von gut zwei Stunden. Bis dahin mußte er alles erledigt haben. Die wirkliche Arbeit begann erst.
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Noch immer in Gestalt Praths verließ Gromph sein Büro und bewegte sich durch die kuppelförmig überdachten Gänge und Hallen Sorceres. Praktisch jedes freie Stück Wand in den lan gen Korridoren war mit schweren Gobelins behangen. Mo mentan war fast niemand hier unterwegs. Der Großteil der Meister und Lehrlinge Sorceres waren damit beschäftigt, die Duergar-Streitkräfte, die sich noch immer mit einer unglaubli chen Beharrlichkeit in den nördlichen Tunneln widersetzten, endgültig zu vernichten. Gromph traf nur auf einen der Meis ter, und zwar Havel Duskryn. Als er an ihm vorbeischritt, verneigte sich Gromph und grüßte unterwürfig. »Meister!« »Prath Baenre«, antworte der hochaufgeschossene, dünne Meister geistesabwesend und strich sich dabei nachdenklich über sein schlaffes Kinn. Was immer ihn beschäftigte, war
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offenbar viel zu wichtig, um »Prath« zu fragen, was er hier tue. Gromph eilte durch zahlreiche lange Gänge, die mit Ge mälden, Skulpturen und gerahmten, magischen Schriftstücken geschmückt waren, bis er im Lehrlingsflügel der Anlage an kam. Dort traf er zwei neu aufgenommene Lehrlinge, die gera de in der Lehrlingsbibliothek nach einem Folianten suchten. Sie sprachen Gromph nicht an, und er setzte seinen Weg zu Praths bescheidenem, nüchtern eingerichteten Quartier fort. Wie alle anderen Lehrlinge lebte Prath allein in einem ein fachen Raum mit fünf Schritt Kantenlänge, dessen Wände aus gemauertem Stein bestanden. Seine einfache Einrichtung bestand aus einer ungemütlich aussehenden Pritsche und ei nem kleinen Zurkhholztisch mit Stuhl. Auf dem Tisch waren Bücher, Pergamente, Tinte, eine Leuchtkugel und drei Tinten stifte sorgfältig arrangiert. Prath war erstaunlich organisiert und penibel. Als Gromph noch Lehrling gewesen war, hatte es in seinem Zimmer immer schrecklich ausgesehen. Gromph ging durch den Eingang und zog die Tür hinter sich zu. In dem Moment, in dem der Schnapper einrastete, ertönte die Stimme eines magischen Mundes: »Schön, Euch wiederzusehen, Meister Prath.« Gromph mußte lächeln. Die Gesetze Sorceres besagten, daß ein Lehrling, der Zauber zur eigenen Belustigung wirkte, dafür ausgepeitscht werden konnte. Die Meister ignorierten derarti ge Vergehen jedoch meist großzügig. Nur wenn es den Lehr lingen möglich war, Zauber auch mal für einen Streich oder zur eigenen Unterhaltung einzusetzen, überstanden die meis ten überhaupt erst die harte und unerbittliche, Ausbildung. Außerdem wurden die Lehrlinge dadurch ermutigt, kreativ zu denken und zu lernen, Zauber auf ungewöhnliche Weise einzu setzen. Als Gromph noch Lehrling gewesen war, hatte er sich in einer Ecke seines Quartiers eine unsichtbare Weinbar auf
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gebaut, die natürlich auch mit einem unauffälligen Diener ausgestattet war, der ihm bei Bedarf Wein kredenzt hatte. Es war äußerst schwierig gewesen, den Wein in die Akademie zu schmuggeln. Im Vergleich zu dem, was Gromph selbst als Lehrling angestellt hatte, wirkte Praths Mißachtung der Re geln geradezu harmlos. Gromph ließ sich auf den Stuhl hinter dem Tisch fallen und überflog Praths Aufzeichnungen. Aus den Notizen und magi schen Formeln, die die Pergamente bedeckten, schloß Gromph, daß der Lehrling gerade dabei war, eine Reihe immer komplizierterer Verwandlungszauber zu lernen, die der Stär kung und Verbesserung dienten. Gromph nahm sich Zeit, um Praths Anmerkungen zu lesen. Seine erste Erkenntnis war, daß in Prath durchaus einiges an Potential steckte. Seine zweite Erkenntnis war, daß er jetzt keine Zeit hatte, sich mit so etwas zu beschäftigen. Er mußte zusehen, daß er mit seiner Aufgabe weiterkam. Zuerst mußte er noch mehrere vorbereitende Zauber wirken. Er schob die Per gamente weg. Gromphs eigene Robe verfügte über außerdimensionale Ta schen, deren Inhalt sich stets so ordnete, wie Gromph es auf geistigem Wege befahl. Praths Robe verfügte nicht über derar tige Taschen, und nach der langen Zeit kam es ihm wieder sehr mühsam und anstrengend vor, selbst die Materialkompo nenten zu sortieren. Dennoch stellte er sich der Herausforde rung gutgelaunt, fand nach einigem Suchen die nötigen Mate rialkomponenten und wirkte die Zauber. Zuerst streute er eine Prise Diamantstaub über seinen Kopf und flüsterte die Wort eines Schutzzaubers, der ihn vor magi scher Ausspähung bewahren würde. Der Zauber war natürlich nicht so effizient darin, magische Ausspähung zu blockieren, wie ein stationärer Schutzzauber. Dennoch war er mächtig
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genug, die meisten derartigen Versuche abzuwehren. Der nächste Schritt bestand darin, sich vor den Zauberfal len zu schützen, auf die er in der Festung des Hauses Agrach Dyrr in großer Zahl treffen würde. Er wirkte mehrere Schutz zauber, die ihn für mehrere Stunden vor den Auswirkungen von negativer Energie, Feuer, Elektrizität, Kälte und Säure schützen würden. Wenn er in eine Zauberfalle geraten sollte, die mehr Scha den anrichtete, als seine Zauber auf einmal abhalten konnten, dann würde sein magischer Ring die Schäden regenerieren, die sein Körper erlitt. Voraussetzung war natürlich, daß ihn die Falle nicht auf einen Schlag tötete. Nicht einmal die Magie seines Ringes war dazu in der Lage, Tote wiederzuerwecken. Der dritte Schritt seiner Vorbereitungen bestand darin, daß er eine kleine Phiole aus Glasstahl, in der etwas Quecksilber war, aus einer Tasche holte. Nachdem er sich mit der DuergarStreitaxt an seinem Gürtel in die Fingerspitze geschnitten hatte, drückte er ein paar Tropfen seines Blutes in die Phiole. Dann schmierte er sich die Mischung auf die Fingerspitzen und sprach die Worte eines seiner mächtigsten Zauber. Dieser sogenannte Notfallzauber würde dafür sorgen, daß er in die Sicherheit seines Büros teleportiert wurde, wenn bestimmte Umstände eintraten. Diese Umstände mußte er selbst definie ren, während er den Zauber wirkte. Seine Finger hinterließen leuchtende Spuren in der Luft, während er die Anrufung rezitierte. Der Zauber war vollendet. Jetzt fehlte nur noch, daß er die Auslöser laut aussprach, die dazu führen würden, daß der Zauber seine Wirkung entfaltete. Die Luft rings um ihn knisterte durch die Magie des Zaubers. Es schien fast, als harre dieser Gromphs Worte begierig. Er dachte einen Augenblick darüber nach, mit was für Zauberfal len er es wohl zu tun bekommen mochte, und definierte dann
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die Auslöser in einem lauten Flüsterton: »Wenn mein Körper gegen meinen Willen unbeweglich gemacht oder von magischer Energie egal welcher Art ver schlungen wird, wenn meine Seele gefangen oder in irgendei ner anderen Art und Weise eingekerkert wird und wenn mein Verstand von Schwachsinn umhüllt oder auf andere Weise außer Funktion gesetzt wird.« Der Zauber strömte in seinen Körper und durchsetzte all seine Fasern. Die gespeicherte magische Energie wartete jetzt darauf, daß einer der Auslöser eintrat. Gromph hatte jetzt nur noch ein oder zwei Dinge zu erledigen, bis er endlich mit sei nem Ansturm auf Haus Agrach Dyrr beginnen konnte. Er vollführte erneut eine komplizierte Geste und sprach die Worte eines Zaubers, der ihn unsichtbar machte. Weitere geflüsterte magische Worte sorgten dafür, daß die Unsichtbar keit einen ganzen Tag lang hielt und nicht nach der normalen Wirkungsdauer von ein oder zwei Stunden verfliegen würde. Schließlich konzentrierte er sich auf den noch immer akti ven Verwandlungszauber, der auf ihm lag, und befahl ihm, seine Gestalt zu verändern, so daß er zu einer untoten Kreatur wurde, und zwar zu einem körperlosen Schatten. Die Magie durchströmte ihn, und sein Körper verfärbte sich dunkel, ver wandelte sich in Schatten und verlor seine Substanz. Im glei chen Ausmaß, wie sein Körper leicht wurde, wurde seine Seele immer schwerer. Er war jetzt von finsteren, negativen Energien förmlich durchströmt. Prath war verschwunden und durch einen lebenden Schatten ersetzt worden. Gromph spürte, wie sein ganzes Wesen sich plötzlich über mehrere Existenzebenen gleichzeitig erstreckte. Er empfand sich als fest und materiell, ebenso wie die Ausrüstung, die er bei sich trug, aber sein »Fleisch« kitzelte seltsam, und seine Sinneswahrnehmungen wirkten gedämpft. Er konnte weder
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hören noch riechen, ein befremdlicher Verlust von Sinnesein drücken, an den er sich erst gewöhnen mußte. Außerdem konnte er nichts in der materiellen Welt berühren, zumindest nicht auf die Art und Weise, die er gewohnt war. Von seinem Standpunkt aus gesehen war er selbst körperlich und die Welt schattenhaft. Wenn er einen stofflichen Gegenstand berührte, so kam ihm das eher wie ein kaum wahrnehmbarer Unter schied von Druck auf Haut vor und nicht so, als ob er den Gegenstand ertasten könnte. Er »saß« nur deswegen noch auf Praths Stuhl, weil sein Verstand es so wollte, aber nicht, weil der Stuhl seinem Körper einen realen Widerstand entgegenge bracht hätte. Wenn er gewollt hätte, hätte er einfach durch den Stuhl gehen oder fallen können. Der Erzmagier nahm in seinem aktuellen Zustand keine Farben war. Alles stellte sich den Sinnen in verschiedenen Grautönen dar, aber als Aus gleich sah er alles schärfer und klarer. Feste Gegenstände sa hen fest aus, die Linien zwischen ihnen waren rasiermesser scharf. Er wußte, daß er jetzt ebenso mühelos durch die Luft schreiten konnte wie auf dem Boden gehen. Er wußte auch, daß er noch immer dazu in der Lage war, alle Zauber zu wirken. Seine Ausrüstung und damit auch die Materialkomponenten hatten sich mit ihm verwandelt. Von seiner Perspektive aus gesehen waren sie daher körperlich greifbar. Er war bereit. Gromph war von so viel schützender Magie umhüllt, daß sie ihn im wahrsten Sinne des Wortes wie eine Rüstung umgab. Er schwebte von Praths Stuhl empor und durch die Steindecke. Natürlich konnte er nichts sehen, während er durch das Ge stein glitt, doch er gab sich einfach selbst den geistigen Befehl, weiter emporzusteigen, bis er das solide Hindernis überwunden hatte. Die Schutzzauber in Sorceres Struktur behinderten sein Vorankommen nicht. Gromph hatte den Großteil davon selbst
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gewirkt und beherrschte natürlich die Gesten und Worte, die er jetzt mit einer hohl klingenden Stimme aussprach, um sie sicher zu überwinden. Bald befand er sich hoch in der Luft über der Schule und konnte den atemberaubenden Ausblick über Tier Breche ge nießen. Er sah die spinnenförmigen, gekrümmten Wände Arach-Tiniliths, die stämmige Pyramide Melee-Magtheres und die hochaufragenden Türme Sorceres. Aus den Tunneln im Norden drang Rauch. Schreie und Explosionen hallten noch immer in regelmäßigen Abständen durch die Luft. Er gönnte sich nur einen Augenblick Zeit, um den Ausblick zu genießen, dann wandte er sich nach Süden und flog die Höhlendecke zwischen den spitzen Stalaktiten, die hier wie Speere herab hingen, entlang. Er flog über den Basar, auf dem er gegen Dyrr gekämpft hat te. Dann folgten Braeryn und schließlich Qu’ellarz’orl, und dann tauchte auch schon das belagerte Haus Agrach Dyrr vor ihm auf.
Yasraena lag im praktisch leeren Tempel vor Lolths Altar auf den Knien und betete zur Spinnenkönigin. Sie betete nicht um Erlösung, da Lolth ein derartiges Zeichen von Schwäche nur mit Verachtung gestraft hätte, sondern darum, daß sich ihr eine gute Gelegenheit bieten möge. Sie wußte, daß sich etwas tun mußte, oder ihr Haus würde der Belagerung zum Opfer fallen. Sie mußte das Seelengefäß finden und dann entscheiden, ob sie sich an ihre Abmachung mit Triel halten wollte. Vielleicht befand sich das verdammte Ding ja direkt unter ihren Füßen, ohne daß sie etwas davon wußte! Sie ver fluchte den Drowleichnam wohl zum tausendsten Mal, und gleichzeitig verfluchte sie sich selbst, daß sie es zugelassen
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hatte, daß ihr Haus Pläne verfolgt hatte, die sich ein Mann ausgedacht hatte. Sie sah zum Altar und hoffte, ein Zeichen zu erspähen, daß Ihr Lolth gnädig gestimmt war. Nichts! Das Licht einer heili gen Kerze spiegelte sich flackernd auf der majestätisch glän zenden Spinnenstatue wider, die hinter dem Altar stand. In Wahrheit handelt es sich natürlich um den Wächtergolem des Tempels. Die Statue starrte sie mit acht gefühllosen Augen an. Aus der Ferne hörte Yasraena gelegentlich die Rufe der Streitkräfte, die sich auf den Mauern den Angreifern wider setzten. Noch vor wenigen Stunden waren grollende Explosio nen durch das Haus gehallt und hatten die gesamte Anlage erschüttert. Für Yasraenas Begriffe war die relative Ruhe omi nös. Sie wußte, daß sich die Streitkräfte Xorlarrins ein gutes Stück jenseits der Brücke über den Graben zurückgezogen hatten, um die nächste Angriffsstrategie auszuhecken. Die Spannung lag schwer in der Luft und zehrte an den Nerven. Sie sah es in den Augen ihrer Truppen, ihrer Magier und auch ihrer Töchter. Der nächste Angriff Xorlarrins würde wesent lich heftiger ausfallen als der letzte. Sie war zwar sicher, daß ihr Haus auch diesen Angriff noch abwehren würde, doch wie sah es mit dem übernächsten Angriff aus, oder irgendeinem da nach? Was würde geschehen, wenn sich ein zweites Haus den Streitkräften Xorlarrins anschloß? Ein drittes? Ihr Haus würde nur noch wenige Tage existieren, wenn sie nicht das Seelengefäß fand und einen Friedensvertrag aushan delte. Eine andere Möglichkeit bestand natürlich darin, Dyrr wiederzubeleben und aus dieser verstärkten Verhandlungsposi tion heraus einen Frieden zu fordern. Bis jetzt war es Larikal und diesem aufgeblasenen Ochsen Geremis nicht gelungen, das Seelengefäß zu finden. Yasraena war allerdings sicher, daß es sich in der Stalagmitfestung be
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fand. Dyrr hatte diese Mauern nur selten hinter sich gelassen. Er wäre daher nie auf die Idee gekommen, das Gefäß für seine Seele irgendwo anders zu verstecken. Sie nutzte die Kraft des Amuletts, das sie um den Hals trug, und projizierte ihre Gedanken an Larikal: Meine Geduld neigt sich dem Ende. Sie spürte den Zorn ihrer Tochter durch die empathische Verbindung, die ihre Amulette zwischen ihnen aufgebaut hatten. Die Suche dauert noch an, Muttermatrone. Dyrr war kein ein facher Beschwörer. Er hat sein kostbarstes Gut wohlverborgen. Yasraenas geistige Stimme schien vor Gift zu triefen: Keine Entschuldigungen. Bringt mir das Seelengefäß, oder ich werde dein Leben der Spinnenkönigin opfern. Ja, Muttermatrone, antworte Larikal, und dann brach die Verbindung ab. Yasraena meinte ihre Drohung ernst. Sie hatte schon früher Nachkommen getötet, um ein Exempel zu statuieren. Wenn es sich als notwendig erweisen sollte, würde sie es wieder tun. Hinter sich hörte sie hastige Schritte, die durch die Säulen halle vor dem Tempel näherkamen. Sie erhob sich, wandte sich um. Esvena stürmte gerade durch das offene Tempelportal in den Tempel. Die Kettenglieder ihrer Adamantitrüstung machten ein klingendes Geräusch, das an die Sklavenglöck chen erinnerte. Sie hielt ihren Helm in der Hand und hatte einen roten Kopf. Yasraena schossen zahlreiche Möglichkeiten durch den Kopf. Keine davon war angenehm. Sie packte den Stiel ihres Tentakelstabes fester. »Esvena?« fragte sie, und ihre Stimme hallte durch den kuppelförmigen Tempel. »Muttermatrone«, keuchte Esvena und rannte durch den
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Mittelgang des Tempels zwischen den Bänken nach vorne zum Altar. Sie sprach ein hastiges Gebet zu Lolth, ehe sie die Apsis betrat und sich vor Yasraena verneigte. Esvenas sonst so stoisches Gesicht verriet Aufregung. Yas raena hatte sie noch nie so gesehen. »Wir haben ihn, Mutter!« sagte sie mit einem breiten Grin sen. Esvena mußte Yasraena nicht erklären, wer »er« war. Auch Yasraena wurde jetzt von Aufregung erfaßt und packte ihre wesentlich größer gewachsene Tochter bei den Schultern. »Lolth hat unsere Gebete erhört«, sagte sie. »Zeig es mir!« Zusammen eilten Mutter und Tochter aus dem Tempel. Sie hasteten an den erschöpften Soldaten und den Magiern vor bei, deren Augen bereits tief in den Höhlen lagen. Weiter ging es durch leere Gänge und verlassene Räume, bis sie schließlich die Ausspähungshalle mit dem Kuppeldach und dem Steinbe cken betraten. Die beiden unattraktiven Drow-Magier in den schwarzen Piwafwis erwarteten sie dort. Einer der beiden, jener Magier, den Yasraena schon einmal gewürgt hatte, weil er so dämlich gegrinst hatte, begrüßte sie mit gesenktem Blick und einer tiefen Verbeugung. Diesmal lächelte er nicht, er beäugte viel mehr furchtvoll Yasraenas Tentakelstab. Der andere Mann stand am Ausspähungsbecken. Die gefurchte Stirn des Magiers war schweißbedeckt. Die Hände hielt er mit den Handflächen nach unten über dem Wasser. Ohne ihn auch nur eines Blickes zu würdigen, schob Yas raena ihre Tochter zur Seite und eilte an den Rand des hüfthohen Beckens. Esvena folgte ihr. Die Szene, die sich ihnen im Wasser darbot, waberte mit den Wellen hin und her. Gromph saß an einem mächtigen Knochenschreibtisch und starrte voller Konzentration in einen
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ungewöhnlichen Kristall. Yasraena ging davon aus, daß es sich um eine Art Ausspähungsgerät handelte, obwohl man momen tan nur treibende graue Nebelschwaden darin erkennen konn te. Dem Erzmagier gegenüber saß ein anderer Magier. Es han delte sich um einen fetten Meister Sorceres, den Yasraena nicht kannte. Manchmal sprachen sie etwas miteinander, und alles in allem wirkten sie frustriert und übermüdet. »Das ist ausgezeichnet«, sagte Yasraena zu niemand be stimmtem. »Ganz ausgezeichnet.« Sie wußte, daß ihr vielleicht doch noch genug Zeit bleiben würde, um das Seelengefäß des Drowleichnams zu finden. Gromph hielt sich noch immer in Sorcere auf. Vielleicht hatte ihn das Zauberduell mit Dyrr so ausgepumpt, daß er gar keinen Versuch unternehmen würde, ihr Haus anzugreifen? »Die Arbeit war lang und schwer«, erklärte der Mann, den sie gewürgt hatte. »Die Schutzzauber des Erzmagiers waren überaus mächtig, doch schließlich war unsere Arbeit von Er folg gekrönt.« »Du hast es vermieden, einen schmerzhaften Tod zu ster ben«, meinte Yasraena. Nach einer kurzen Pause fügte sie widerstrebend hinzu: »Gut gemacht!« Der Mann hätte fast gelächelt, doch als sein Blick zufällig auf ihren Tentakelstab fiel, sackten seine Mundwinkel wieder nach unten. Hastig fuhr der Magier fort: »Achtet auf die grauen Nebel im Seherkristall des Erzmagiers, Muttermatrone. Wenn der Erzmagier tatsächlich versucht, Haus Agrach Dyrr mit Hilfe dieses Kristalls auszuspähen, so weisen die grauen Nebel darauf hin, daß es ihm noch nicht gelungen ist, unsere Abwehrzauber gegen Ausspähung zu überwinden.« Sie nickte. Dyrr war es offenbar gelungen, die Festung besser
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zu schützen, als der Erzmagier seine eigenen Gemächer ge schützt hatte. Yasraena sah, wie sich der Erzmagier und der Meister Sorce res angeregt unterhielten. Aus ihrer Körpersprache erkannte Yasraena, daß Gromph die Impertinenz seiner Untergebenen zu leichtfertig tolerierte. »Warum können wir sie nicht hören?« fragte sie. Niemand antwortete. Sie blickte auf, und Esvena herrschte die Magier an: »Antwortet der Muttermatrone!« Der Mann, den Yasraena gewürgt hatte, räusperte sich und antwortete: »Verzeiht, Muttermatrone, aber das Becken eignet sich nicht zur Übertragung von Geräuschen. Ich bitte um Entschuldigung.« Yasraena starrte den Mann finster an und wandte sich dann wieder dem Abbild zu. Es wabberte so stark hin und her, daß es auch praktisch unmöglich war, Lippen zu lesen. Sie würde sich auf das verlassen müssen, was sie sah, um über Gromphs Pläne auf dem laufenden zu bleiben. Sie blickte zu dem schwitzenden männlichen Magier, der über das Becken gebeugt stand und versuchte, das Abbild auf rechtzuerhalten. Er würde nicht mehr lange durchhalten. Sie sah Esvena an. »Wechselt unsere Magier in regelmäßigen Abständen ab, damit das Bild erhalten bleibt. Es ist zwingend notwendig, daß wir immer wissen, was Gromph gerade tut.« Esvena nickte. Yasraena kam zu der Ansicht, der momentane Rückzug von Xorlarrins Streitkräften habe mit einem größeren Plan des Erzmagiers zu tun. Vielleicht würde der Erzmagier gleichzeitig mit Haus Xorlarrin angreifen und hoffte, im Tumult der Schlacht ungesehen in ihr Haus zu schlüpfen? Haben wir dich also erwischt, Baenre, dachte sie sich tri
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umphierend, während sie Gromph in dem Becken musterte. Jetzt, da die Magier Dyrrs ihn beständig ausspähten, würde Gromph sie nicht mehr überraschen können. Wenn er kam, würden sie bereit sein. Yasraena atmete tief und zufrieden ein. Sie hatte die Spin nenkönigin um eine Gelegenheit angefleht, und die Spinnen königin hatte ihr mehr Zeit zugestanden. Für sie war das mehr als genug.
Pharaun war sich bewußt, daß er von seinen Gefährten beo bachtet wurde. Er holte etwas Fledermausfell aus seinem Pi wafwi, formte einen Kreis mit den Fingern und sprach ein Reimpaar. Eine körperlose, silbrige Kugel tauchte vor ihm auf. Er kon zentrierte sich und konnte so durch die Kugel wie durch seine Augen sehen. Auf seinen geistigen Befehl hin schoß der Ball durch den Chwidencha-Tunnel zurück, den Schacht hinauf und überwand die Steinmauer, die Pharaun zuvor erschaffen hatte, um den Eingang zu versiegeln. Durch das Auge sah Pharaun die Oberfläche. Es war Nacht. Es regnete. Die Landschaft war mit Spinnen kadavern und -gliedmaßen übersät. Die Leichen der Chwiden cha, die sie zurückgelassen hatten, waren inzwischen ebenfalls zerfetzt worden. Pharaun sah weder Bewegung noch weitere Spinnen. Er gab seine Konzentration auf und ließ die magische Kugel an ihrem aktuellen Standort zurück, so daß er wieder durch die eigenen Augen blickte. Quenthel stand abwartend in seiner Nähe, und Danifae stand mit emotionslosem Gesichtsausdruck ein paar Schritte dahinter. Jeggred hatte sich hinter Danifae aufgebaut und starrte Pharaun mit offensichtlichem Heißhunger an.
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»Es ist Nacht«, erklärte Pharaun. »Es regnet ein wenig, und das Wimmeln scheint abgeflaut.« Quenthel nickte, als hätte sie nichts anderes erwartet. »Dann gehen wir«, sagte sie. »Öffnet den Weg.« Pharaun nickte. Ein einfacher Zauber würde reichen, um sie zu transportieren. Er stellte sich die Oberfläche vor und sprach das Zauber wort, das ein Portal zwischen ihrem Aufenthaltsort und der Oberfläche öffnete. Ein grüner Energievorhang erschien vor ihnen. Pharaun versuchte, Quenthels Hand zu ergreifen, doch ihre Peitschenschlangen stiegen empor und zischten ihn an. Selbst die Schlangen waren angespannter, als das normalerweise der Fall war. Pharauns Zusammenstoß mit Jeggred hatte den Ner venkrieg zwischen den beiden Priesterinnen neu angestachelt. Pharaun ermahnte sich nochmals, besser nicht ins Kreuzfeuer zu geraten, wenn die angestaute Spannung schließlich zum Ausbruch kam. »Ich muß Euch berühren, wenn Ihr das Tor benutzen wollt«, sagte er zu Quenthel. Sie nickte und gebot ihren Schlangen, still zu sein. Er legte ihr sanft die Hand auf die Schulter, hob eine Augenbraue und sah sie fragend an. Quenthels Gesichtsausdruck ließ ihn erkennen, daß sie die unausgesprochene Frage verstanden hatte. Sie könnten jetzt Jeggred und Danifae hier unten zurücklassen. Danifae trat unruhig von einem Fuß auf den anderen, ganz so, als spüre sie den wortlosen Austausch. Quenthel schien sich die Angelegenheit tatsächlich kurz zu überlegen, ehe sie ihm mit einem unauffälligen Zeichen gebot: Alle gehen. Pharaun mußte sich anstrengen, damit sich die Enttäu
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schung nicht in seinem Gesicht widerspiegelte. Er sah an Quenthel vorbei Danifae an und meinte auffordernd: »Herrin Danifae?« Als sie nickte, trat er zu ihr und legte die Hand in die ihre. Für einen Augenblick verweilten seine Finger auf der weichen Haut. Ihr Fleisch fühlte sich heiß an. »Auch Jeggred«, sagte sie mit dem Lächeln einer Raubkatze. Pharaun beäugte den Draegloth, der ihn mit seinem fang zahnbewehrten Maul anlächelte, so daß ihm eine stinkende Wolke entgegenschlug. »Natürlich«, sagte Pharaun und rümpfte mißbilligend die Nase. Er trat zu Jeggred, der es sich nicht verkneifen konnte, hungrig zu sabbern, als er näherkam. Pharaun hatte sein Versprechen gehalten. Er hatte einen Notfallzauber auf sich gewirkt, der automatisch einen weiteren Zauber auslösen würde, wenn die von ihm definierten Bedin gungen eintraten. Pharaun hatte den Zauber so gewirkt, daß Jeggred, wenn er ihn angriff, von einer riesigen Energiehand gewürgt werden würde. Dabei spielte es keine Rolle, ob Pha raun zu diesem Zeitpunkt kampfunfähig oder nicht dazu in der Lage sein würde, zu sprechen oder Zauber zu wirken. Die Hand war größer und stärker als Jeggred und würde ihn so lange quetschen, bis seine Knochen brachen. »Sachte«, ermahnte ihn Danifae. Pharaun warf einen Blick über die Schulter. »Jeggred weiß, wie sanft ich sein kann. Ich werde ihm kein Leid zufügen, Herrin!« »Daran habe ich keinen Zweifel«, antwortete sie. Jeggred wandte sich in geflüstertem Diabolisch, der Sprache der Dämonen, an Pharaun: »Nur ihre Befehle hindern mich dar an, dir den Kopf abzureißen, Notfallzauber hin oder her.« Pharaun sprach die dämonische Sprache natürlich, wie
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zahllose andere, perfekt und antwortete in derselben Sprache: »Solltest du es auch nur versuchen, wirst du ein rasches, schmerz haftes Ende finden. Warum probierst du es nicht gleich mal aus?« Er starrte Jeggred herausfordernd an. Die Lippen des Draegloth öffneten sich noch ein wenig weiter, so daß die gelben Fänge zum Vorschein kamen. Sonst tat er nichts. »Genug«, befahl Quenthel. Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, schlug Pharaun mit der Faust, so fest er konnte, gegen die Schulter des Draegloth. Er hätte ebensogut auf eine Eisenwand einschlagen können. Jeggred lächelte. »Herrin«, sagte Pharaun, der einen Schritt von Jeggred zu rücktrat, »wie üblich war Euer Neffe ein vorzüglicher Ge sprächspartner.« Er sah Quenthel an und fügte hinzu: »Ich glaube, wir wären dann bereit.« Er trat zu Quenthel, und sie nahm seinen Arm. »Wir zuerst«, sagte sie. »Aber sicher«, antwortete Pharaun. Sie traten gemeinsam durch das Portal und tauchten augen blicklich auf der Oberfläche auf. Alles war ruhig, und rund um sie lagen die zerfetzten Überreste zahlloser Spinnen. Nach dem Chaos des Wimmelns war die Stille an der Oberfläche un heimlich. Acht helle Sterne, die an die Augen einer Spinne erinnerten, starrten vom ansonsten kohlrabenschwarzen Himmel auf sie herab, und ein leichter Regen plätscherte auf die Felsen. Pharaun zischte: »Findet Ihr nicht, daß Danifae sich tot viel besser machen würde, Herrin, und daß Euer Neffe eine präch tige Trophäe abgeben würde, um ...« Quenthel hob eine Hand und brachte ihn damit zum Schweigen. Ihre Peitschenschlangen zischten. »Natürlich«, sagte die Hohepriesterin, »aber als Opfer wird
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sie sich noch viel besser machen. Die aufmüpfige Schlampe stirbt genau dann, wenn ich es sage, Magier, und mein Neffe ist trotz all seiner Dummheit noch immer ein Baenre und der Sohn der Muttermatrone.« Ehe Pharaun etwas erwidern konnte, tauchten Danifae und Jeggred auf. Sie waren geduckt und kampfbereit. Als sie erkan nten, daß kein Hinterhalt auf sie wartete, entspannten sie sich. Jeggred schnaubte verächtlich, als sei er enttäuscht, daß seine Tante die Gelegenheit nicht zu einem Angriff genutzt hatte. Quenthel gab sich keine Mühe, ihre eigene Verachtung für die beiden zu verbergen. Sie hielt ihre Peitsche in der Hand und nickte, als eine der Schlangen, Yngoth, ihr etwas ins Ohr flüsterte. Sie blickte zur langen Kette am Himmel schwebender Seelen empor und folgte ihnen mit dem Blick bis zum fernen Gebirge. Ihre Dunkelsicht reichte nicht weit genug, und die hohen Spitzen verschwanden auch für ihre geschärften Sinne in der Finsternis. Quenthel sagte: »Lolth mahnt uns zur Eile.« Der Wind frischte kurz auf, und die Liedspinnennetze heul ten so laut auf, daß es den fallenden Regen übertönte. Quenthel nickte, als hätten die Netze ihre Worte bestätigt. Pharaun griff Quenthels Aussage auf. Er sagte: »Herrin, wenn Lolth uns schon Eile gebietet, dann wäre es jetzt viel leicht an der Zeit, dieses zerstörte Land mittels magischer Mit tel zu durcheilen.« Er war es inzwischen leid, durch Lolths Einöde zu stapfen. »Es ist tatsächlich soweit, Meister Mizzrym«, antwortete ihm Quenthel. Pharaun überflog kurz seine verfügbaren Zauber. »Aufgrund der seltsamen Energien, die hier wirken ...«, er machte eine weitausholende Geste, die die Energiewirbel am Himmel um faßte, »... würde ich nicht zu einer Teleportation raten. Ich
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verfüge jedoch über andere Zauber, mittels derer ...« Quenthel gebot ihm mit erhobener Hand zu schweigen und wandte sich an Danifae. »Ruf alle Hilfe herbei, die du kannst«, sagte Quenthel. »Natürlich nur, wenn du mich begleiten willst. Lolth verlangt ein rasches Erscheinen ihrer Yor’thae.« »Ist das der wahre Grund, Herrin Quenthel?« fragte Danifae kryptisch lächelnd. Sie ließ die Kapuze in den Nacken gleiten. Sie wimmelte förmlich von Spinnen. Sie krabbelten durch ihr Haar, über ihre Stirn, ja sogar über ihre Lippen. »Oder macht Ihr Euch vielleicht Sorgen, Lolth könnte ihre Meinung noch ändern, wenn die Reise länger währt?« In Quenthels Augen funkelte es. Die Peitschenschlangen streckten sich direkt in Danifaes Gesicht und zischten die Kriegsgefangene an, bissen aber nicht zu. »Dreiste Hure!« sagte K’Sothra, eine der weiblichen Schlan gen. Jeggred haschte mit einem inneren Arm nach den Schlan gen, verfehlte sie aber, da sie sich hastig zurückzogen. Der Draegloth knurrte. Pharaun konnte sich nicht daran erinnern, daß eine der Schlangen jemals laut gesprochen hätte. Danifae lächelte nur zuckersüß und sagte: »Ich wollte mit meiner Frage niemanden beleidigen.« »Natürlich nicht«, meinte Quenthel, während die Schlan gen aufgeregt um ihren Kopf herumtanzten. Jeggred knurrte, als könne er die geistigen Kommentare hö ren, die die Schlangen mit ihrer Herrin austauschen. Pharaun fühlte sich urplötzlich sehr müde. Er wollte die ganze Sache nur noch hinter sich bringen. Wenn es Lolth zu einem raschen Ende bringen wollte, um so besser. »Herrin«, wandte er sich an Quenthel, »ich verfüge über Zauber, die ...«
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»Schweig!« fuhr ihn Quenthel an, ohne ihren Blick von Danifae abzuwenden. »Ihr könnt jeden Zauber einsetzen, den Ihr wollt, um mir zu folgen, doch Ihr werdet allein reisen, Meister Mizzrym. Klar?« Wie um ihre Worte zu unterstreichen, wandten die Peit schenschlangen den Blick von Danifae ab, blickten zu Pharaun und züngelten. Pharaun neigte ergeben den Kopf. Quenthel wandte sich erneut an Danifae: »Ich sagte, ruf alle Hilfe herbei, die du kannst, Priesterin, wenn du mich begleiten willst.« Pharaun erkannte, worauf sie hinauswollte, war sich aber nicht sicher, welche Konsequenzen das alles haben würde. Quenthel stellte Danifaes Entschlossenheit und ihre Fähig keiten als Priesterin auf die Probe. Deswegen hatte sie Pharaun auch befohlen, nur sich selbst zu transportieren. Alle Anwe senden wußten zumindest ungefähr, über welche Kräfte Quenthel verfügte. Über Danifae hingegen wußte außer ihr selbst niemand Bescheid. Quenthel wollte mehr herausfinden, bevor sie die Kriegsgefangene als Opfer darbrachte. Die beiden Priesterinnen starrten einander weiterhin un verwandt an, und die Herausforderung hing schwer in der Luft. Der Wind blies. Der Regen fiel, und die Netze sangen ihr Lied. »Wie Ihr wünscht, Herrin«, sagte Danifae und neigte den Kopf leicht. Jeggred starrte Pharaun an und wandte sich an Danifae: »Ich könnte der Leiche des Magiers den Flugring abnehmen und ...« Danifae hob mahnend die Hand, und der Draegloth wurde immer leiser, bis der Rest des Satzes in einem Murmeln unter ging. Pharaun beantwortete Jeggreds bedrohliches Stieren mit ei nem bewußt provokanten Grinsen. Er hob die Hand und wa
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ckelte mit den Fingern, um dem Draegloth den Ring zu zeigen. Quenthel wandte sich von der jüngeren Priesterin und ih rem Neffen ab und bereitete eine Beschwörung vor. Sie ging ein paar Schritte zur Seite und zeichnete mit ihrem runden heiligen Symbol aus Pechkohle einen Kreis in das zerschundene Felsgestein. Es handelte sich nicht um einen Bann-, son dern um einen Beschwörungskreis. Während sie den Kreis zog, sprach sie in einem leisen Singsang ein Gebet. Pharaun er kannte, daß es sich um die ersten Worte eines Zaubers handel te, der bis in den Abyss reichen würde. Quenthel rief offenbar einen Dämon herbei, der sie trans portieren sollte. Danifae starrte Quenthels Rücken an und lauschte dem Zauber. Vielleicht verstand Danifae ja das Spiel, das Quenthel spielte, und überlegte sich gerade die passende Reaktion. Dann begann sie mit ihrem eigenen Zauber. Sie hielt sich ihr eigenes heiliges Symbol vor die Brust und zog mit der Ferse einen zweiten Beschwörungskreis auf dem Boden, der ein gutes Stück vom Kreis Quenthels entfernt lag. Auch sie versank für einige Zeit in einem Singsang. Pharaun und Jeggred standen ein paar Schritte voneinander entfernt zwischen den beiden wetteifernden Priesterinnen und beobachteten das Schauspiel schweigend. Pharaun trat ein paar Schritte zurück. Der Wind wehte Jeggreds Gestank zu ihm herüber, und die Feuchtigkeit machte ihn nur noch schlimmer. Die Stimmen der Priesterinnen vermischten sich mit dem Heulen des Windes und dem ständigen Prasseln des Regens. Quenthel hob die Stimme, als sie mit der eigentlichen Be schwörung begann. Auch Danifae erhob die Stimme, obwohl sie sich selbst noch im vorbereitenden Singsang befand. Der Wind heulte laut, und für einen Augenblick übertönte er beide Priesterinnen, gab keiner von beiden den Vorzug.
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Pharaun warf Jeggred in der Erwartung einen Blick zu, der sabbernde Ochse würde wieder einmal versuchen, ihn mit seinem drohenden Blick einzuschüchtern. Doch dieser hatte nur Augen für Danifae. Er blickte voller Verzückung auf die Priesterin. Was für ein Narr. Pharaun konnte nur den Kopf schütteln. Er spürte, wie sich magische Energie zu sammeln begann. Quenthel hatte zuerst mit ihrem Zauber begonnen, und sie würde ihn auch zuerst beenden. In Quenthels Beschwörungskreis tanzten orange Funken, winzige Ebenbilder der Energiewirbel, die noch immer am Himmel trieben. Auch Danifae beendete ihre Vorbereitungen und begann mit den letzten Schritten der Beschwörung. Quenthel war schweißnaß, und ihre Brust hob und senkte sich vor Anstrengung heftig. Dann sprach sie die letzten Wor te des Zaubers und schrie einen Namen: »Zerevimeel!« Pharaun kannte den Namen nicht, doch er hing wie ein gif tiger Nebel in der Luft, ein widerwärtiges Echo, hallte in Pha rauns Ohren wider. Ein letztes Mal ging ein Funkenregen im Beschwörungskreis nieder und zeichnete eine orange Linie in die Luft. Die Linie dehnte sich immer weiter aus und wuchs zu einem großen Oval an. Einem sehr großen Oval. Einem Portal. Durch das Portal konnte Pharaun die Nacht sehen – die Nacht auf einer anderen Existenzebene. Jenseits des Portals stand ein dichter Dschungel aus ver krümmten Bäumen, Gräsern und Büschen, die aus blutrotem Erdreich wuchsen. Vergilbte Knochen aller Formen und Grö ßen standen aus dem Boden hervor und erzeugten den An schein, die ganze Ebene sei ein riesiger Friedhof. Tosende Flüs se, die mit braunem Schaum bedeckt waren, wanden sich in
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Schlangenlinien durch die widerwärtige Landschaft. Dünne, verwachsene Gestalten versuchten vergebens, sich in den Schatten zu verbergen. Zweifellos handelte es sich um sterbli che Seelen, die vor irgend etwas flohen. Pharaun konnte den Schrecken in ihren Augen sehen, und irgendwie beunruhigte das selbst ihn. Ein feuchter Luftstoß fuhr durch das Portal. Es roch wie in einem gigantischen Schlachthaus, so als verwesten zigtausend Leichen hier in der Dschungelhitze. Der Lufthauch brachte ein Stöhnen mit sich, das ferne Wehklagen gequälter Seelen. »Zerevimeel, zeige dich!« rief Quenthel. Das Portal änderte die Perspektive. Der Blick raste über die Landschaft dahin, huschte über Ruinenstädte aus blutrotem Gestein, über Seen aus wäßrigem Schleim, über riesige, ver derbte Dinge, die auf der Jagd nach Seelen durch den Dschun gel streiften. Eine Wesen nahm jetzt Gestalt an. Es war eine muskulöse, hoch aufragende Gestalt, gegen die selbst Jeggred zwergenhaft wirkte und die Pharauns Sicht auf die Heimatebene des Dä mons verstellte. Ein Nalfeshnee, erkannte Pharaun anhand der Silhouette. Quenthel hatte einen mächtigen Dämon beschworen. Natür lich hätte er selbst noch mächtigere beschwören können, aber er war dennoch beeindruckt. Pharaun rief sich einen Zauber ins Gedächtnis, der den Dämon mit zerstörerischen Blitzen umhüllen würde, falls es Quenthel nicht gelänge, den Dämon zur Zusammenarbeit zu bewegen. Er wußte, daß Dämonen durch Elektrizität verwund bar waren, egal wie mächtig sie sein mochten. Der riesige Dämon trat durch das Portal und materialisierte sich innerhalb von Quenthels Beschwörungskreis. Er war nackt und mit einer klebrig roten Substanz bedeckt. Die Krea
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tur roch übelkeitserregend süßlich, wie halbgares Fleisch. Hinter ihnen fuhr Danifae mit ihrer Beschwörung fort, und ihre Stimme schwoll immer mehr an. Sie würde auch bald mit ihrer Beschwörung fertig sein. Pharaun ignorierte sie und kon zentrierte sich auf Quenthels Dämon. Aus dem Maul des Nalfeshnee ragten riesige Stoßzähne. Sein Tiergesicht wurde von blutroten Augen dominiert, die wie Feuer zu lodern schienen. Mit jedem Atemzug hob und senkte sich die riesige, mit krausem, schwarzen Fell überzogene Brust des Dämons wie ein Blasebalg. Aus seinem Rücken ent sprangen zwei lächerlich winzige, gefiederte Flügel. Die mus kelbepackten Arme liefen in klauenbewehrte Pranken aus, die sich reflexartig öffneten und schlossen. Der Dämon atmete tief ein, und seine Nüstern blähten sich. Dann rümpfte er mißbilli gend die Schweinsschnauze. »Die Dämonennetze der Spinnenhure!« polterte er. Seine Stimme war tief und grollend. »Es reicht wohl noch nicht, daß ihr Gestank die ganzen Niederen Ebenen verseucht? Jetzt soll ich ihr auch noch dienen?« Er starrte auf Quenthel herab, die im Vergleich zu dem Dämon klein und unbedeutend wirkte. »Dafür wirst du bezahlen! Ich schwamm gerade in den Metzel gruben ...« Quenthels Peitsche zuckte knallend durch die Luft, und fünf Paar Schlangenzähne gruben sich in das weiche Fleisch des Dämonenoberschenkels. Sie waren seinen Genitalien sehr nahe gekommen. Der Schlag sollte wohl eher als schmerzhafte Drohung dienen als dazu, den Dämon ernstlich zu verletzen. Der Nalfeshnee brüllte empört auf und grapschte nach den Peitschenköpfen, war aber zu langsam. Quenthels Stimme war leise und drohend: »Wenn du es noch einmal wagst zu freveln, werde ich Lolth deine Männ lichkeit zur Buße darbringen!«
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Zerevimeels leuchtendrote Augen verengten sich zu Schlit zen. Er sah sich zum ersten Mal richtig um und versuchte wohl, seine Lage abzuschätzen. Seine Augen huschten von Pharaun zu Jeggred, den er verächtlich anschnaubte, und schließlich zu Danifae, die sich gerade dem Finale ihres eigenen Zaubers näherte. Pharaun spürte das Kribbeln der Erkenntnismagie auf der Haut. Der Dämon versuchte, ihre Macht abzuschätzen, er wollte spüren, welche Kraft in ihren Seelen lag. Pharaun wehr te sich nicht, obwohl ihm dies mühelos möglich gewesen wäre. Dann drückte sich Zerevimeel vorsichtig an den Rand des Beschwörungskreises, ganz so, als fürchte er eine gewaltsame Reaktion. Er schien überrascht, daß er ihn mühelos überschrei ten konnte. Er lächelte, und dabei troffen große Speicheltropfen von seinen Lefzen. »Du hast vergessen, mich zu binden!« Er trat auf seinen behuften Hinterbeinen aus dem Kreis und erhob sich drohend über Quenthel. Pharaun machte seinen Blitzzauber bereit, doch die Baenre-Priesterin rührte sich kei nen Millimeter. »Mein Zauber diente dazu, dich zu rufen«, erklärte sie, »nicht dazu, dich zu fesseln. Sind eigentlich auch bei den Dä monen die Männchen die Deppen?« Alle fünf Peitschenschlangen stiegen vor dem Nalfeshnee empor und verspotteten ihn mit zischendem Gelächter. Der Dämon beäugte sie mit der Arroganz, die für einen An gehörigen seiner Rasse so typisch war: »Du bist entweder eine völlige Närrin, oder du kannst mir ein gutes Angebot ma chen.« »Weder noch«, antwortete Quenthel. Sie hob drohend ihr heiliges Symbol und starrte dem Dämon entschlossen ins Ge sicht. »Du hast gerade deine Erkenntnismagie eingesetzt. Du
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kennst das Ausmaß meiner Kräfte. Die Spinnenkönigin ant wortet wieder auf die Gebete ihrer Getreuen, und deswegen kann ich dich jederzeit zerstören, wenn es mir beliebt. Du kannst mir bereitwillig dienen, oder ich kann deinen Leib zerfetzen und einen anderen deiner Art herbeiholen.« Aus der Brust des Dämons klang ein tiefes Knurren. Es er innerte an das Geräusch, das Jeggred machte, doch er sagte nichts, um Quenthels Behauptung in Frage zu stellen. Quenthel fuhr fort: »Wenn du mir bereitwillig dienst, werde ich dich mit einer angemessenen Anzahl Seelen entlohnen, sobald ich wieder in Menzoberranzan bin.« »Wenn du überhaupt zurückkehrst«, antwortete der Dämon, und sein Gesicht verzog sich auf seltsame Weise. Pharaun deutete es als Grinsen. Die Kreatur blickte empor und schien zum ersten Mal die lange Seelenprozession wahrzunehmen, die über ihnen dahinschwebte. Er beäugte sie mit seinen Raubtier augen und leckte sich die Lefzen. »Seelen, sagst du«, murmelte er und wandte sich wieder an Quenthel. Quenthel ließ erneut ihre Peitsche knallen und antwortete: »Ja, aber nicht diese. Diese Seelen gehören Lolth. Du wirst mit anderen Seelen belohnt werden, sobald du mich zu der Ge birgskette dort drüben geflogen hast, zum Paß des Seelenfres sers.« Sie wies mit der Peitsche auf die ferne Gebirgskette, die fast vollständig in Finsternis gehüllt war. Pharaun legte den Kopf schief. Er hatte noch nie gehört, daß Quenthel ihrem Ziel am Fuß der Berg einen Namen gege ben hatte. Er vermutete jedoch schon seit einiger Zeit, daß sie wußte, was dort ihrer harrte. »Wenn du versuchst, den Paß zu überqueren, wirst du ster ben«, knurrte der Dämon.
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Quenthel stemmte die Arme in die Hüften und antwortete: »Ich werde es nicht nur versuchen, sondern auch tun. Ebenso wie die, die mich begleiten.« Der Dämon leckte sich die Lippen. Er schien nachzuden ken. Nachdem einige Zeit verstrichen war, antwortete er: »Ich bin kein Lastesel!« »Nein«, antwortete Quenthel, »aber du wirst Lolth Auser wählte tragen, und es wird eine Ehre für dich sein.« Die Lefzen des Dämon stiegen nach oben, und seine über dimensionierten, gelben Reißzähne kamen noch weiter zum Vorschein. Er drehte den Kopf zur Seite und spie einen riesi gen Batzen widerwärtigen Schleims aus. Er kreuzte die Arme vor der Brust und sprach: .Vielleicht bist du die Auserwählte, Priesterin, vielleicht aber auch nicht. Auf jeden Fall wird der Schnitter deine Seele verschlingen. Für die Schmach, die ich erdulden muß, um dich dorthin zu bringen, verlange ich Sechsundsechzig Seelen.« Pharaun hob die Brauen. Sechsundsechzig Seelen war für einen derartigen Auftrag eine bescheidene Forderung. Es war Quenthel gelungen, den Dämon einzuschüchtern. »Abgemacht«, stimmte Quenthel zu. »Wenn du allerdings versuchst, mich zu betrügen, wirst du sterben.« »Ich werde dich nicht betrügen«, antwortete der Dämon mit grollender Stimme. »Ich freue mich schon darauf, wie sich dein weiches Fleisch während des Ritts gegen meines pressen wird, und wenn ich in die Blutbecken meiner Heimatebene zurückgekehrt hin, werde ich voller Freude daran denken, wie der Schnitter deine Seele verschlingen wird.« Quenthel schnaubte nur verächtlich, und die Peitschen schlangen lachten. »Dann wollen wir aufbrechen«, forderte sie der Dämon auf. »Ich will gerne zum vertrauten Schleim meiner Heimat zu
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rückkehren, wenn es nichts ausmacht.« »Noch nicht«, sagte Quenthel. Sie wandte sich von dem Dämon ab, eine beeindruckende Demonstration ihrer Überle genheit, und beobachtete Danifae, die gerade ihre eigene Be schwörung beendete. Danifae stand mit weit ausgebreiteten Armen vor ihrem Be schwörungskreis und rief einen Namen: »Vakuul!« Der Beschwörungskreis vibrierte förmlich vor magischer Energie, und die Luft zerriß. Ein rundes Portal, gebildet durch einen blauen Lichtkreis, erschien. Pharaun sah dahinter nur dichte, treibende, blaue Nebel. Ein wenig Nebel wallte heraus. Er brachte einen würgenden Gestank mit sich, der an verfau lende Pilze erinnerte. »Charistral«, merkte der Nalfeshnee mit unverhohlener Verachtung an. Pharaun ging davon aus, daß er damit den Namen der abys sischen Ebene meinte, die jenseits des Portals zu sehen war. »Vakuul!« rief Danifae erneut. Ein Summen ertönte, dessen Lautstärke ständig anschwoll. »Chasme«, sagte Zerevimeel, und irgendwie gelang es ihm, das Wort noch verächtlicher auszusprechen als den Namen der Ebene. Pharaun sah, daß Quenthel lächelte. Die fliegenähnlichen Chasme waren verhältnismäßig schwache Dämonen, auf jeden Fall deutlich schwächer als ein Nalfeshnee. Entweder hatte Danifae ihre Fähigkeiten absichtlich nicht vollends ausge schöpft, oder sie war nicht in der Lage, eine stärkere Kreatur zu beschwören. Ein geflügeltes Insekt tauchte im Portal auf. Der blaue Ne bel verschwand, das Portal schloß sich, und im Beschwörungs kreis stand ein laut summender Chasmedämon. Quenthels Lächeln war wie weggewischt, als sie die Kreatur
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sah, und Pharaun sog den Atem scharf ein. Der Chasme, den Danifae beschworen hatte, war der größte, den er je gesehen hatte. Er war so groß wie vier Lasteidechsen. »Ein großes Ding«, merkte Zerevimeel an. »Schweig!« befahl ihm Quenthel, und ihre Peitsche zischte den Dämonen erneut an. Zu Danifae gewandt rief sie: »In Eryndlyn geht es wohl als Beschwörungszauber durch, wenn man den Abschaum vom Boden des Abyss fischt, was?« Danifae antwortete nicht, doch Pharaun sah, daß sie sich vor Ärger anspannte. Der Chasme ignorierte Quenthel. Die Facettenaugen, von denen jedes so groß war wie Pharauns aneinandergelegte Fäus te, zuckten suchend hin und her. Sie verharrten einen Augen blick lang auf Jeggred und dem Nalfeshnee, und die Flügel schlugen voller Aufregung. »Warum hast du es gewagt, Vakuul zu stören?« fragte der Chasme Danifae. Im Gegensatz zur tiefen Stimme Zerevimeels hatte der Chasme eine hohe, sirrende Stimme, und wenn er sprach, wurden seine Worte immer wieder von einem Vibrie ren und Summen unterbrochen. Vakuul erinnerte Pharaun vom Aussehen her an eine riesi ge schwarze Höhlenfliege, die Schmeißfliegen, die die Rothé belästigten und deren Biß eitrige Wunden verursachte. Der Dämon stand auf sechs Beinen. Während die hinteren beiden Beinpaare insektoid waren, mit Haken und Haaren, die aus den oberen Beinsegmenten entsprangen, erinnerte das vordere Beinpaar an überdimensionierte Drowarme. Die Hände zuck ten hin und her und öffneten und schlossen sich in rhythmi schen Abständen. Aus dem Rücken der Chasme entsprangen zwei riesige Flügelpaare, wesentlich größer als die Flügel des Nalfeshnee. Auch die Flügel schlugen unstet. Jedesmal, wenn der Chasme mit den Flügeln schlug, wehte Pharaun Leichen
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gestank entgegen. Der Kopf und das Gesicht des Chasme ent sprangen wie ein häßlicher Tumor aus seinem Thorax, und das Gesicht stellte eine bizarre und befremdliche Mischung aus Mensch und Fliege dar. Im zahnlosen Mund verliefen lange Knochenreihen, und dort, wo eigentlich die Nase hätte sein sollen, stand ein langes Horn aus dem Schädel hervor. Aus dem Leib des Dämons entsprangen in unregelmäßigen Ab ständen Büschel struppigen, schwarzen Haars. Danifae stand vor dem Dämon und sprach: »Deine Aufgabe besteht darin, mich bis zu diesen fernen Bergen zu bringen und dort am Paß abzuliefern.« Der Dämon drehte sich bei Danifaes Worten mit abgehack ten und zuckenden Bewegungen im Kreis und sah in die Rich tung, in die Danifae wies. Er drehte sich wieder zu ihr und sprach: »Das ist der Ab grund der Dämonennetze.« Seine Flügel schlugen aufgeregt. »Ich bin eine Priesterin Lolths«, erklärte Danifae und hielt ihr heiliges Symbol hoch. Jeggred trat neben Danifae und starrte den Fliegendämon an, als wolle er ihn mit Blicken durchbohren. Obwohl der Chasme viel größer war, flatterten die Flügel nervös. Er rieb die menschlichen Hände in ähnlicher Weise gegeneinander, wie eine Fliege ihre Vorderbeine aneinanderreiht. »Ihr bittet mich um einen Dienst, sprecht aber nicht von Bezahlung«, sagte Vakuul. »Wie willst du Vakuul bezahlen, Priesterin Lolths?« Quenthel verfolgte die Geschehnisse ebenso gespannt wie Pharaun. Was jetzt kam, würde Aufschluß darüber geben, wie mächtig Danifae war. Das Angebot und die Akzeptanz dieses Angebots gehörten zu jeder Dämonenbeschwörung, doch die Details der Abmachung spiegelten die relative Stärke von Be
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schwörer und beschworener Kreatur wider. Je höher die Kosten Waren, desto schwächer schien der Beschwörer der beschwo renen Kreatur. Würde es Danifae auch gelingen, den Dämon so einzuschüchtern, daß er auf ein günstiges Angebot einging? Danifae musterte Quenthel nochmals abschätzend und trat dann direkt zu dem Chasme. Sie betrat den Beschwörungskreis, griff nach oben und strich sanft über das Nasenhorn des Chasme. Die Flügel des Dämons schlugen in unkontrollierten Zuckungen durch die Luft. Das Maul öffnete sich und offenbarte eine lange, hohle, nach Speichel stinkende Zunge. »Ich denke, wir beide werden schon zu einer ... angeneh men Übereinkunft kommen«, schnurrte Danifae. Eine zähe, dunkle Flüssigkeit troff aus dem Maul des Chas me. Der Blick des Dämons irrte von Danifae zu Jeggred, der ja auch die Ausgeburt einer Vereinigung von Drow und Dämon war, schlug sirrend mit den Flügen und starrte dann wieder sabbernd auf Danifae. Etwas Langes, Dünnes, Triefendes kam aus seinem Thorax hervor. Pharaun fand die Szene grotesk, aber dennoch faszinierend. Danifae lächelte nur, schlang ihre Hand um das Horn des Dämons und meinte: »Ich sehe, daß du mein Angebot verlok kend findest.« »Höchst verlockend, Priesterin«, antwortete der Chasme. Vakuul leckte sich über die Knochenreihen, die bei ihm die Funktion der Zähne erfüllten. »Ich werde dich in meinen star ken Armen ganz dicht an mich gedrückt tragen, und dann ...«, seine Flügel sirrten vor Aufregung, »noch dichter.« Danifae ließ das Horn des Dämons los und sprach: »Jeggred muß uns begleiten.« Die Flügel des Chasme schlugen vor Empörung wirr durch die Luft. Seine Stimme wurde noch schriller. »Nein. Nein! Er
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ist zu groß, und er stinkt widerlich. Nur du!« Jeggred antwortete nichts, er starrte den Chasme nur an. Pharaun fand es amüsant, daß ein riesiger Fliegendämon Jeggred zu widerwärtig fand, um ihn zu transportieren. Eine spitze Bemerkung wäre jetzt gerade recht gekommen, doch er beherrschte sich. Danifae lächelte erneut und legte die Hand auf Vakuuls Kopf. Die Flügel des Chasme schlugen wie wild, während sie ihm die struppigen Haarbüschel zauste. »Du hast gar keine Ahnung, was ich bereit bin, alles für dich zu tun«, schnurrte sie mit ihrer tiefen, sinnlichen Stimme. »Wenn du doch mir und meinem Diener nur zuerst diesen kleinen Gefallen erfüllen könntest.« Das Ding, das aus dem Thorax der Kreatur hervorstand, wand sich zuckend noch ein weiteres Stück ins Freie. »Dann beide«, surrte der Chasme, und der Sabber lief ihm aus dem offenen Maul. »Kommt. Kommt!« Danifae wandte sich um und gab Jeggred ein Zeichen, nach vorne zu treten. »Komm«, sagte sie und gab dem Draegloth derweil Anwei sungen mittels geheimer Handzeichen, die der Chasme nicht sehen konnte: Wenn wir in den Bergen angekommen sind, reiß dem Ding alles aus, was es aus sich herausstreckt, und dann töte es. Jeggred lächelte den Dämon bedrohlich an und stapfte zu ihm hin. Als sich Danifae erneut dem Chasme zuwandte, trug ihr Gesicht wieder das verführerische Lächeln. Pharaun mußte sie unwillkürlich bewundern. Die Frau war offensichtlich nicht so mächtig wie Quenthel, aber er hatte noch nie zuvor jemanden getroffen, der so fähig darin gewesen wäre, andere zu manipulieren. Pharaun dachte wieder an sei nen Zusammenstoß mit Jeggred im Chwidencha-Tunnel. Pha
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raun hatte dem Draegloth gesagt, Danifae manipuliere ihn nur. Jeggred hatte gekontert, Danifae manipuliere in Wahrheit Pharaun und Quenthel. Pharaun vermutete inzwischen, daß sie damals beide recht gehabt hatten. Quenthel verkörperte blanke Macht, während Danifae über eine verschlagene Subtilität verfügte, und das machte beide Frauen auf ihre Weise gefährlich. Er kam zu der Ansicht, daß jede von ihnen die Yor’thae sein konnte – oder vielleicht doch keine? In Wahrheit war ihm das eigentlich herzlich egal. Er wollte nur überleben und dabei wenn möglich nicht Rang und Ehre verlieren. Danifae sah wieder zu Quenthel und Pharaun und sagte: »Dann wollen wir zu den Bergen fliegen, oder, Herrin?« Quenthel nickte. Ihr ausdrucksloses Gesicht verbarg den Zorn, der in ihr tobte, kaum. Jeggred umfaßte die lächelnde Danifae mit seinen Armen, und der Chasme umschloß beide mit seinen Beinen. Vakuuls Flügel schlugen so rasch, daß sie zu einem kaum sichtbaren Flirren der Luft verschwammen. »Schwer«, keuchte der Dämon weinerlich, doch er schaffte es, sich in die Lüfte zu erheben. »So schwer.« Quenthel wandte sich zum Nalfeshnee um und gestattete ihm, sie mit seinen mächtigen Armen emporzuheben. Auch seine Flügel begannen heftig zu schlagen, und irgendwie gelang es diesen lächerlichen kleinen Dingen, die schwere Kreatur vom Boden emporzuheben. »Folge mir, Magier«, rief Quenthel. Pharaun seufzte, aktivierte die magischen Kräfte seines Rings und flog ihr nach. Sie flogen hoch über dem Abgrund der Dämonennetze da hin, so hoch, daß ihnen der Wind scharf und beißend entge genkam. Sie flogen tiefer als der Seelenstrom, aber doch höher
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als die höchsten Bergspitzen. Der Nalfeshnee drückte Quenthel gegen seine titanische Brust, und ihr Haar flatterte im Wind. Der Chasme hielt Jeggred und Danifae möglichst nah an sei nem Leib und betatschte die Priesterin während des Flugs, so weit ihm das möglich war. Trotz ihrer großen Last flogen die Dämonen sehr zügig, und Pharaun mußte sich Mühe geben, um den Anschluß nicht zu verlieren. Durch das Gebrüll des Windes konnte er das Sirren der Chasmeflügel nur gedämpft hören, und der Regen peitsch te ihm ins Gesicht. Fliegend konnten sie das unwirtliche Gelände mühelos ü berwinden, und die Entfernung schmolz dahin. Zu Fuß wären sie sicher noch fünf oder sechs Tage bis zum Gebirge unterwegs gewesen. Pharaun versuchte, ihre Fluggeschwindigkeit abzu schätzen, und kam zu dem Schluß, daß sie bis zum Sonnenauf gang oder ein wenig später beim Gebirge sein würden. Während sie flogen, musterte er die Ebene unter ihnen. Von hier oben sah die Oberfläche des Abgrunds der Dämonennetze wie kranke Haut voller Narben, Schwären und Pusteln aus. Überall entsprangen Säureseen aus dem Erdreich, Spinnenka daver erstreckten sich, so weit das Auge reichte, und riesige Schluchten durchtrennten die Landschaft wie Narben. Er blickte wieder nach vorne in Richtung der Berge, doch sie waren noch immer in der Finsternis verborgen. Er sah je doch, daß der leuchtende Seelenstrom ebenfalls zum Fuß der Berge und damit zum Paß des Seelenfressers strömte. Er ließ sich die Worte des Dämons noch einmal durch den Kopf gehen: Wenn du versuchst, den Paß zu überqueren, wirst du sterben, hatte Zerevimeel gesagt, auf jeden Fall wird der Seelen fresser im Paß deine Seele verschlingen. Pharaun befand, daß er seine Seele lieber behalten wollte, flog aber dennoch schweigend weiter.
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Die Nacht war schon Stunden alt, aber Halisstra hatte es noch immer nicht gewagt, die Trance ihrer Schwestern zu stören. Sie wußte, daß sie das eigentlich hätte tun sollen. Die Nacht hätte sich ideal zur Reise geeignet, vor allem, wenn das Ge metzel bei Morgengrauen erneut losgehen sollte. Andererseits wußte Halisstra auch, daß ihre Schwestern die Rast dringend nötig hatten. Wenn sie den improvisierten Tempel auf der Bergspitze verließen, würden sie vermutlich keine weitere Gelegenheit dafür bekommen. Außerdem wollte ihnen Ha lisstra noch ein paar Stunden mit ihrem Glauben gönnen. Auch dafür würden sie bald keine Zeit mehr haben. Sie saß am Rand der Bergspitze und flehte die Dunkle Maid um Stärke an, auf daß sie die Herausforderungen, die auf sie warteten, bestehen möge.
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Über ihr standen noch immer wirbelnde, bunte Energie strudel am Himmel. Mit jedem Herzschlag spie einer der Stru del eine leuchtende Seele aus. Mit jedem Herzschlag starb irgendwo im Multiversum ein Anhänger der Spinnenkönigin, und seine Seele fand den Weg hierher in den Abgrund der Dämonennetze. Der Vorgang lief mit der Regelmäßigkeit eines Uhrwerks ab. Halisstra beobachte das Geschehen immer wie der. Jedesmal reihte sich die neu angekommene Seele in den schier endlosen Strom ein, der auf die finstere Göttin zufloß, seinem ewigen Schicksal entgegen. Das würde so weitergehen, bis das Multiversum zerfiel. Außer Lolth starb ...! Sie beobachtete, wie die Seelen mit einer unerschütterli chen Gleichmäßigkeit auf ihr Verderben zuströmten, und fragte sich, ob wohl Danifae unter ihnen war. Da das Band zwischen ihnen durchtrennt war, hätte Halisstra Danifaes Tod nicht gespürt. Sie hoffte inbrünstig, daß ihre ehemalige Kriegs gefangene noch lebte. Als sie an Danifae dachte, wurde sie von Hoffnung und Furcht gleichermaßen überwältigt. Danifae hatte ihr, als sie gerade gemeinsam in Ruinen an der Oberfläche gekämpft hatten, gestanden, daß sie auch den Ruf Eilistraees gehört hatte. Die Kriegsgefangene hatte dies gesagt, als sie zu ihr ge kommen war, um sie vor dem drohenden Angriff Jeggreds zu warnen, den Quenthel Baenre auf Ryld Argith gehetzt hatte. Danifae hatte sie gewarnt. Zwischen ihnen bestand eine Seelenverwandtschaft. Ha lisstra wußte das, weil sie einst als Herrin und Sklavin mitein ander verbunden gewesen waren. Sie wußte, daß Danifae geläu tert werden konnte, und da Halisstra sich bereits selbst der Dame des Tanzes mit Leib und Seele verschrieben hatte, wür de sie auch dazu in der Lage sein, Danifae auf den Pfad der
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Läuterung zu führen, falls sie nicht bereits tot war. Ein überwältigendes Gefühl des Bedauerns sprengte Ha lisstra schier die Brust. Sie war beschämt über ihr Leben, das sie vergeudet hatte, um Schmerz zu verursachen und andere mit Lächerlichkeiten zu peinigen. Sie hatte zahllose Jahrhun derte ihres Lebens dem Haß gewidmet. Tränen übermannten sie beinahe, sie kämpfte sie jedoch mit einem energischen Kopfschütteln nieder. Der Wind frischte auf, durchschnitt mit seinem Heulen ihr Gebet und fuhr in die Liedspinnennetze, so daß der Ruf nach der Yor’thae erneut aufklang, doch das Wort hatte seine Magie für Halisstra verloren. Sie empfand nicht mehr, daß es förm lich an ihr zerrte. Sie blickte zu den acht Sternen empor, die auf so frappie rende Weise an Lolths Augen erinnerten, und schwor: »Nie mand wird deinem Ruf folgen.« Halisstra wußte nicht, was Lolth mit ihrer Yor’thae vorhatte, und es war ihr auch egal. Sie schätzte, daß es Lolth schmerzen, wenn nicht sogar schwächen würde, wenn sie die Yor’thae tötete, und sie wußte auch, daß es sich bei Lolths Auserwählter nur um eine Person handeln konnte – Quenthel Baenre! »Ich werde zuerst deine Auserwählte töten und dann dich«, flüsterte sie drohend. Der Wind erstarb erneut, ganz so, als hätte ihn ihr Verspre chen zum Verstummen gebracht. Halisstra blickte erneut über die zerstörte Einöde von Lolths Reich. Ihr Blick glitt über die Spinnenteile und Kadaver. Sie fragte sich, wo sich Quenthel momentan aufhalten mochte. Vermutlich befand sich die Baenre-Priesterin schon im Ab grund der Dämonennetze und war auf dem Weg zu Lolth. Sie war nur eine weitere verdammte Seele, die Lolths Lockruf verführte.
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»Ich bin direkt hinter dir, Baenre«, flüsterte sie. Dann saß sie einige Zeit ganz ruhig da, allein in Andacht mit ihrer Göttin, während sie zu dem endlosen Strom der See len hinaufstarrte, der unermüdlich zu Lolth strömte. Sie ergriff Seylls Liedschwert und setzte das Waffenheft, das wie eine Flöte geformt war, an die Lippen, um ein sanftes Klagelied zu spielen. Sie spielte, um der verlorenen Seelen zu gedenken, die über ihr dahinschwebten. Das Lied tanzte über die Einöde dahin, und für sie hätte es keinen schöneren Klang geben können. Falls die Seelen sie spielen hörten, reagierten sie nicht. Der Wind heulte erneut auf, und es schien ihr so, als wolle er ihr Lied übertönen, doch Halisstra spielte unermüdlich weiter. Obwohl sie wußte, daß es unmöglich war, hoffte sie doch, Seyll möge irgendwo irgendwie ihr Lied hören und ver stehen. Nachdem die letzten Töne verklungen waren, steckte sie das Schwert in die Scheide und stand auf. Sie sah zum Himmel empor, hielt die Hand mit der Handfläche nach oben und krümmte die Finger. Diese Handbewegung symbolisierte eine tote Spinne und war ein Zeichen, gedacht, um Lolth zu fre veln. Sie mußte lächeln. »Auch das ist für dich«, sagte sie. Einem inneren Impuls folgend entledigte sie sich der Rüs tung und des Schildes, zog die Mondsichelklinge und begann zu tanzen. Hoch oben auf einem abgesplitterten Berg inmitten von Lolths Einöde tanzte, sprang, wirbelte und fegte Halisstra dahin. Außer dem Geheul des Windes gab es keine Melodie, zu der sie hätte tanzen können. Deswegen tanzte sie nach dem Rhythmus, der in ihrem Kopf zu pulsieren schien. Mit jedem Schritt, mit jeder wirbelnden Bewegung staute sich das Gefühl
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unbändiger Freude weiter und weiter in ihr auf. Sie wurde eins mit der Waffe, mit Eilistraee. Sie schwitzte Lolth aus, streifte mit jedem keuchenden, jubelnden Atemzug ihre Vergangen heit ab. Das Haar wehte hinter ihr her und umtanzte ihren glänzen den Leib. Während sie tanzte, mußte, sie wie ein kleines Kind grinsen. Die Mondsichelklinge fühlte sich leicht wie ein Gras halm an, wie diese wunderbare, kleine, grüne Pflanze, die den Großteil der Oberwelt bedeckte. Die Waffe zischte und sirrte. Sie schuf ihre eigene Melodie, spielte ihr eigenes Lied. Halisstra tanzte, bis sie schweißüberströmt war und ihr A tem hart und in gepreßten Stößen aus ihren Lungen drang. Dann ließ sie sich erschöpft, ausgepumpt, aber gleichzeitig ekstatisch auf den Rücken fallen. Die Gnade Eilistraees erfüllte sie. Endlich war sie rein. Endlich war sie würdig, die Mondsi chelklinge zu führen. Ich danke dir, Herrin Eilistraee, schickte sie ihre Gedanken gen Himmel empor und mußte erneut lächeln, als die acht Sterne Lolths wie zur Antwort von einer Wolke verhüllt wur den. Eine Zeitlang lag sie einfach so da und genoß ihre neuge fundene Freiheit. Später stand sie auf, ging wieder zum Rand des Berges und legte die Rüstung an. Als sie gerade Seylls Klinge an ihrem Rücken befestigte, legte sich eine Hand auf ihre Schulter, und sie fuhr erschreckt herum. »Feliane«, sagte sie erleichtert, nachdem sie die Elfe von der Oberfläche erkannt hat, die sie mit ihren mandelförmigen Augen musterte. Feliane lächelte. »Du hast mich nicht geweckt, als es Zeit für meine Wache gewesen wäre. Ich habe den ganzen Tag geruht. Wie spät ist es jetzt?«
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»Die Nacht ist viele Stunden alt«, erklärte Halisstra, wäh rend sie Seylls Klinge in der Scheide sicherte. »Wir sollten Uluyara wecken.« Feliane nickte und sagte: »Es war dein Lachen, das mich geweckt hat.« »Tut mir leid«, antwortete Halisstra. Es war ihr nicht be wußt gewesen, daß sie lauthals gelacht hatte. »Es sollte dir nicht leid tun«, erwiderte Feliane. »Es ermög lichte mir, dir beim Tanzen zuzusehen.« Zu ihrer Überraschung war Halisstra nicht peinlich berührt. »Es war wunderschön«, lächelte Feliane. »Ich habe in die sem Tanz die Dame so klar gesehen wie schon lange nicht mehr.« Jetzt war Halisstra doch verlegen. Sie sah zu Boden und sag te nur: »Danke.« »Du hast es in der kurzen Zeit weit gebracht«, meinte Felia ne und trat an ihr vorbei, um ebenfalls vom Berg zu blicken. Halisstra nickte. Sie hatte es tatsächlich weit gebracht. »Darf ich dich etwas fragen?« wandte sich Feliane wieder an sie. »Sicher doch«, antwortete Halisstra, aber irgend etwas an Felianes Tonfall führte dazu, daß dabei ihr Herz wie wild zu rasen begann. »Was hat dich dazu gebracht, Lolth zu verehren? Der Glau be ist so ... haßerfüllt, ja widerlich. Aber in dir sehe ich nichts von alledem.« Halisstras Herz schien ihr in der Brust zerspringen zu wol len. Sie war nicht sicher, warum sie die Frage so mitnahm. Sie spürte, daß sich tief drinnen in ihr etwas regte, doch ihr fiel keine Antwort ein. Nach langem Nachdenken antwortete sie: »Du siehst zuviel in mir. Ich war haßerfüllt und widerlich. Nichts zog mich zu
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Lolth hin. Das war gar nicht nötig. Ich wurde erzogen, sie zu ehren, und ich genoß die Privilegien meines Ranges. Ich war kleinmütig, bösartig und so voller Haß und Zorn, daß ich nicht mal einen Augenblick daran dachte, daß es auch einen ande ren Weg geben könnte. Das war so, bis ich dich und Uluyara traf und die Sonne schauen durfte. Dafür schulde ich euch beiden so viel, und der Dame des Tanzes schulde ich noch viel mehr.« Feliane nickte, nahm ihre Hand und drückte sie fest. Die Elfe sagte: »Darf ich noch etwas fragen?« Halisstra nickte. Sie war fest entschlossen, gegenüber ihrer Glaubensschwester in jeder Beziehung ehrlich zu sein. Sie sollten keine Geheimnisse voreinander haben. Feliane holte tief Luft, ehe sie vorsichtig fragte: »Kam es dir eigentlich je in den Sinn, daß das, was du in ihrem Namen getan hast ... böse war?« Halisstra beschloß, die in diesen Worten mitschwingende Anschuldigung zu überhören. In Felianes Gesicht spiegelte sich nur die Neugierde wider, kein Urteil. Halisstra rang nach Worten. »Nein«, antwortete sie. »Es beschämt mich, aber ich habe nie so empfunden. Der Glaube an Lolth brachte Macht, Felia ne. In Ched Nasad bestimmte diese Macht darüber, wer herrschte und wer beherrscht wurde, wer leben durfte und wer starb. Es ist keine Entschuldigung«, fuhr sie fort, als sie sah, wie sich Felianes Miene verfinsterte, »nur eine Erklärung. Was ich damals tat, was ich war, beschämt mich heute.« Feliane nickte und starrte nachdenklich in die Finsternis. Das Schweigen lastete schwer auf ihnen. Endlich wandte sich die Elfe wieder an sie: »Danke, daß du so offen zu mir warst, Halisstra. Schäme dich nicht dessen, was du warst. Wir werden jeden Augenblick neu geboren. Es ist nie
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zu spät, sich zu ändern.« Halisstra mußte lächeln. »Mir gefällt dieser Gedanke gut. Er erfüllt mich mit der Hoffnung, daß noch jemand anders, den ich kenne, Erlösung erfahren könnte.« Feliane erwiderte ihr Lächeln. Dann standen sie schweigend nebeneinander und lauschten dem Flüstern des Windes. »Wir sollten Uluyara wecken und uns wieder aufmachen«, sagte Halisstra. Feliane nickte, machte aber keinen Anstalten zu gehen. Er neut wandte sie sich an Halisstra: »Ich habe Angst.« Die Worte überraschten sie. Sie hatte von einer Frau noch nie ein derartiges Eingeständnis gehört. Sie zögerte, dann legte sie den Arm um Felianes Schulter und zog sie an sich. »Ich auch. Doch wir werden in der Furcht Stärke finden. In Ordnung?« »In Ordnung«, antwortete Feliane. Halisstra drehte sich zu ihr und schob sie ein Stück von sich weg, so daß sie ihr in die Augen blicken konnte: »Die Dame ist mit uns, und ich habe einen Plan.« Feliane hob fragend ihre dünnen Augenbrauen: »Einen Plan?« »Ja, aber wir sollten jetzt Uluyara wecken«, sagte Halisstra sanft. Feliane nickte, und sie gingen gemeinsam zurück zum Tem pel. Doch noch ehe sie dort angekommen waren, trat Uluyara bereits ins Freie. »Da seid ihr ja«, sagte die Hohepriesterin. »Ist alles in Ord nung?« »Es geht uns gut«, lächelte Feliane. »Halisstra hat einen Plan.« Uluyara runzelte die Stirn und fragte: »Einen Plan?« Halisstra kam gleich zur Sache: »Ich glaube zu wissen, wa
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rum Eilistraee die Mondsichelklinge in meine Hände gab.« Uluyaras Augenbrauen zogen sich noch weiter zusammen, und sie antwortete schroff: »Das wissen wir doch ohnehin bereits, Halisstra. Du sollst die Klinge dazu verwenden, um Lolth zu töten.« Halisstra nickte. »Ja, aber wir dachten, ich solle die Klinge nur gegen Lolth einsetzen. Ich denke aber, daß Lolth entschei dend geschwächt würde, wenn ihre Auserwählte nicht auf ihren Ruf reagieren könnte. Ich muß ihr die Yor’thae nehmen. Ich muß Quenthel töten.« Ihre Schwestern sahen sie verwirrt an. Halisstra sprach eindringlich weiter: »Versteht ihr nicht? Es war mir vorherbestimmt, während des Falls von Ched Nasad auf Quenthel zu treffen. Es war mir vorherbestimmt, von ihrer Queste zu erfahren, Lolth zu erwecken. Ich erkenne in all dem Eilistraees Handschrift. Endlich ist mir alles klar. Quenthel ist Lolths Yor’thae. Wenn ich sie töte ...« Dann kann ich es vielleicht auch schaffen, Lolth zu töten, fügte sie in Gedanken hinzu. »Dann wäre Lolth verwundbar«, nickte Uluyara. »Sind wir dessen sicher?« fragte Feliane vorsichtig. »In der Prophezeiung der Mondsichelklinge ist diese Auserwählte der Spinnenkönigin nicht erwähnt.« »Ich bin mir so sicher wie schon lange nicht mehr«, ant wortete Halisstra, obwohl sie sich überhaupt nicht sicher war. Feliane zögerte keine Sekunde. Sie sagte: »Dann bin ich auch davon überzeugt.« Uluyara blickte von Feliane zu Halisstra und schien zu überlegen. Kurz darauf seufzte sie tief, berührte das heilige Symbol Eilistraees, das sie um den Nacken trug, und stimmte zu: »Du hast mich überzeugt. Wie wollen wir Quenthel aufspüren?« Halisstra hätte Uluyara am liebsten umarmt.
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»Sie hält sich irgendwo im Abgrund der Dämonennetze auf«, erklärte sie, »und sie versucht gerade wie wir, Lolth zu erreichen. Auch dessen bin ich mir sicher.« »Dann müssen wir sie aufspüren, ehe sie bei Lolth anlangt«, meinte Feliane. »Aber wie? Folgen wir den Seelen?« Sie wies auf den beständigen Strom der Verdammten, der hoch über ihnen dahinzog. »Nein«, sagte Halisstra. »Wir müssen ihren Standort ge nauer lokalisieren.« Uluyara verstand, worauf Halisstra hinauswollte und ant wortete: »Die Baenre wird geschützt sein. Ein Ausspähungs zauber wird nicht wirken.« »Sie wird geschützt sein«, räumte Halisstra ein, »doch trägt sie einen Gegenstand bei sich, der einst mir gehörte, einen Heilstab, den sie mir nach dem Fall Ched Nasads abnahm. Dadurch wird mein Zauber den Schutz durchdringen können.« Sie sah ihre Schwestern direkt an. »Ich bin davon überzeugt, daß es funktionieren wird, und wenn ich recht behalte, ist das ein Zeichen der Dunklen Maid.« »Es kann sein, daß sie den Ausspähungsversuch wahr nimmt«, mahnte Uluyara. Halisstra nickte und antwortete: »Das kann sein. Wir soll ten der Dame vertrauen. Wir haben nicht viel Zeit.« Halisstra hatte das Gefühl, ihr laufe die Zeit davon. »Ich bin auf deiner Seite, Halisstra«, antwortete Uluyara mit einem Lächeln. »Für den Ausspähungsversuch benötigen wir allerdings ein Becken mit Weihwasser.« Halisstra sah sich auf dem Bergplateau um. Vielleicht hatte sich ja aufgrund des Regens irgendwo eine Wasserlache gebil det. Uluyara und Feliane teilten sich auf und halfen ihr su chen. »Kommt her!« rief Feliane nach ein paar Sekunden.
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Halisstra und Uluyara eilten hin. Feliane stand über einem kleinen Becken stinkenden Wassers, das sich in einer Senke im Felsgestein gesammelt hatte. »Das sollte reichen«, meinte Halisstra. »Ich werde es weihen«, erklärte Uluyara und zückte ihr hei liges Symbol. Sie hielt das Amulett über das Wasser und sprach ein Gebet zu Ehren Eilistraees. Während sie betete, holte sie eine kleine Perle aus ihrem Umhang und warf sie ins Wasser. Die Perle löste sich auf, als sei sie aus Salz. Kurz darauf begann sich das Wasser zu klären, und die Schmutzschicht verschwand. Uluya ra beendete das Gebet und trat von der Wasserlache zurück. »Sie ist bereit«, sagte sie. Halisstra mußte lächeln. Jetzt hatten sie schon einen Tem pel erbaut und ein Becken mit Weihwasser geschaffen. Den Priesterinnen war es gelungen, Lolth einen kleinen Teil ihres Reiches für Eilistraee abzutrutzen. Das fühlte sich gut an, das fühlte sich rebellisch an. Sie fragte sich, wie lange der Tempel und das Weihwasserbecken Bestand haben würden, bevor sie das allgegenwärtige Böse der Ebene wieder vereinnahmte. Wenn Lolth erst einmal tot ist, wird Eilistraees Werk für immer bestehen, dachte sie trotzig. Mit frischer Entschlossenheit kniete sie vor dem Becken nieder und betrachtete ihr schwaches Spiegelbild im Wasser. Lolths acht Sterne spiegelten sich nicht im Weihwasser wider, obwohl sie hinter ihr am Himmel standen. Halisstra war zu frieden. Selbstauf ihrer eigenen Ebene konnte Lolth ein Ei listraee geweihtes Becken nicht beflecken. Halisstra berührte ihr heiliges Symbol und sang das Lied der Ausspähung. Sie spürte, wie sich die magische Energie des Liedes um sie sammelte, und konzentrierte sich auf Quenthel. Sie sah sie vor
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ihrem geistigen Auge – die schlanke, großgewachsene Gestalt, die haßerfüllten Augen, der grausame Mund, das lange weiße Haar, die Schlangenpeitsche, der Zauberstab, den sie von Ha lisstra gestohlen hatte ... Das Wasser verfinsterte sich. Halisstra spürte, wie sich ihr Bewußtsein erweiterte. Sie fuhr mit dem musikalischen Gebet fort, und mit jeder Silbe wurde ihre Stimme kräftiger und si cherer. Obwohl sie keine besonders fähige Seherin war, perlten die Silben des Ausspähungsliedes leicht und flüssig von ihren Lippen. Sie wußte, daß die Baenre durch starke Magie geschützt war, doch gleichzeitig war sie vom festen Glauben erfüllt, daß diese diesmal versagen würde. Eilistraees Wille würde gesche hen; Halisstra war das Werkzeug der Dunklen Maid. Da entstand ein Abbild im Becken. Zuerst war es schwach und waberte unstet hin und her, doch mit jeder Note, die Halisstra sang, wurde das Bild klarer. Das Bild wurde nicht von Geräuschen begleitet, doch es war jetzt so gut und eindeutig sichtbar, als läge ein animiertes Gemälde Quenthel Baenres vor ihnen. Uluyara und Feliane drängten sich dichter an Ha lisstra heran, um besser zu sehen. Das Bild zeigte Quenthel, die gerade im Griff einer riesigen, muskelbepackten Kreatur mit struppigem, dichten Fell, durch die Lüfte flog. Im Bild waren nur der Brustkorb und die Arme des Monsters sichtbar. Halisstras Zauber war nur in der Lage, ein Abbild von Quenthel und ihrer unmittelbaren Umgebung heraufzubeschwören. Alles außerhalb des Wirkungsbereichs war von treibendem, grauen Nebel verhüllt. Quenthel sah nach vorne. Sie lächelte mit schmalen Lippen und sah entschlossen ihrem unbekannten Ziel entgegen. Das Haar flatterte im peitschenden Wind, und die Lippen beweg ten sich, als ob sie mit der Kreatur, die sie trug, sprechen wür de.
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Uluyara sagte: »Sie läßt sich von einem Dämon tragen. Seht euch doch mal an, wie groß das Vieh ist! Hmm, Hände und Klauen mit sechs Fingern ... ein Nalfeshnee!« Halisstra nickte. Quenthel hatte den Nalfeshnee sicher be schworen und ihrem Willen unterworfen. Plötzlich stieg der Dämon höher empor, mitten hinein in ein Rudel von Drow-Seelen. Halisstra erteilte dem magischen Sensor augenblicklich den Befehl, der Kreatur zu folgen. Die Seelen um das Bild schossen dabei kreuz und quer durch den Wahrnehmungsbereich des magischen Auges. »Der Fluß der Seelen!« rief Feliane aus und sah zu den trei benden Seelen hinauf, die über ihnen dahinströmten. »Sie ist zumindest hier im Abgrund der Dämonennetze.« Halisstra nickte. Quenthel rief dem Dämon derweil herrisch etwas zu und ließ ihn mit einer Hand los, um mit der Schlan genpeitsche herumzufuchteln, Der Dämon sank wieder weiter nach unten, so daß die Seelen nicht mehr sichtbar waren. »Wo sind ihre Begleiter?« fragte Uluyara. Halisstra schüttelte den Kopf. Vielleicht einfach nicht in unserem Blickfeld«, antwortete sie, obwohl sie insgeheim die Furcht um Danifae durchzuckte. Halisstra hegte keine Zweifel daran, daß Quenthel jeden und alles töten würde, das nicht ihten Zwecken diente. Sie biß sich frustriert auf die Lippen. Ihr Zauber zeigte ihnen nicht genug. Sie wußten jetzt, daß Quenthel von einem Dämon getragen durch den Abgrund der Dämonennetze flog. Das war aber auch schon alles. »Uluyara«, sagte sie. »Du mußt mir helfen. Wir brauchen mehr Informationen.« Uluyara nickte. »Jetzt, da ich Quenthel Baenre selbst gese hen habe, kann ich einen Zauber einsetzen, der uns weiterhel fen könnte. Ich werde aber etwas Zeit brauchen, um ihn zu
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wirken. Halte das Abbild noch ein wenig länger aufrecht, damit ich mir das Aussehen der Baenre einprägen kann.« Uluyara studierte das Abbild noch etwas länger und stand dann auf. »Das reicht«, sagte sie. »Gib den Zauber auf, bevor sie be merkt, daß du sie ausspähst. Auf diesem Weg gibt es nichts mehr zu erfahren. Wie müssen andere Magie einsetzen, um weiterzukommen.« Mit einem erleichterten Keuchen gab Halisstra die Kon zentration auf. Das Bild löste sich auf, und das Wasser war wieder rein und klar. Zitternd stand sie auf. Uluyara berührte Halisstra voller Zuneigung an der Schulter und sagte: »Gut gemacht, Priesterin. Du hast den ersten Schritt auf einem wichtigen Weg getan. Mit meinem Zauber kann ich herausfinden, wie weit die Baenre von uns entfernt ist. Doch das wird nicht reichen. Während ich versuche, ihren Standort herauszufinden, müßt ihr beide ein Heiliges Gespräch mit der Dame führen und um ihre Führung bitten.« Halisstra war sprachlos. Das Herz schlug ihr bis zum Hals. Ein Heiliges Gespräch mit der Dame! Als sie noch eine Pries terin Lolths gewesen war, hatte sie manchmal als Teil der blutigen Riten des Tempels ein Heiliges Gespräch geführt. Die Erfahrung war unangenehm gewesen. Ein sterblicher Verstand wurde von der Macht des Göttlichen leicht überwältigt, und sie fand den Gedanken, ein Heiliges Gespräch mit Eilistraee zu führen, sowohl berauschend als auch furchteinflößend. Sie sah Feliane an. Im Gesicht der hellhäutigen Elfe spiegel te sich die Zustimmung wider. Beide nickten Uluyara zu. »Gut«, sagte die Hohepriesterin. »Beeilen wir uns. Wie du schon sagtest, Halisstra, die Zeit drängt.« »Nicht hier. Im Tempel«, schlug Halisstra vor. Uluyara nickte und lächelnd. »Ja. Wir gehen in den Tem
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pel. Eine gute Idee.« Die drei Priesterinnen zogen sich aus dem direkten Blick von Lolths Himmel in ihren Tempel zurück und wirkten dort ihre Zauber. Uluyara saß mit verschränkten Beinen auf dem Boden, das heilige Symbol im Schoß. Sie schloß die Augen, streckte den Rücken durch und versank in meditative Trance. Sie flüsterte Gebete, Liedfetzen in einer Sprache, die Halisstra zugleich fremd war und ihr schön vorkam. Halisstra und Feliane setzten sich ein Stück von Uluyara entfernt auf den Boden, so daß sie zueinander blickten. Sie hielten einander an den Händen und bildeten so einen magi schen Kreis. Halisstras Hände waren wesentlich größer als die der Elfe, deren Hände in den ihren zu verschwinden schienen. Beide hatten klamme Hände. Feliane nahm ihr heiliges Sym bol und legte es zwischen ihnen auf den Boden. »Bereit?« fragte Feliane und nahm wieder Halisstras Hände. »Bereit«, stimmte Halisstra zu. Sie wußte, der Zauber, den sie wirken würden, würde eine kurzfristige Verbindung zu Ei listraee aufbauen. Die Antworten auf ihre Fragen würden kurz und rätselhaft sein. Selbst eine direkte Kommunikation zwi schen einem Sterblichen und einem Gott war nur unter diesen eingeschränkten Bedingungen möglich. »Ich werde die Fragen stellen«, sagte Halisstra, und Feliane stimmte, ohne zu zögern, zu. Sie schlossen die Augen und begannen den Zauber. Er be stand aus einem gesungenen Gebet. Halisstra stimmte das Lied an, und Feliane stimmte ein. Kurz darauf sangen sie melodisch. Enorme magische Macht sammelte sich um die beiden, und dann öffnete sich die Verbindung zwischen den Realitäten. Der Zauber führte ihre Gedanken hoch empor, durch zahl lose Ebenen hindurch, bis sie beim überirdischen Heim ihrer
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Göttin angelangt waren. In der künstlichen Wirklichkeit, die durch den Zauber er schaffen wurde, konnte Halisstra zwar nicht sehen, aber füh len. Sie fühlte mit einer Intensität, wie sie sie nie zuvor ge kannt hatte. Obwohl sie es nicht wollte, zuckte sie zusammen, während sie auf den Kontakt mit ihrer Göttin wartete. Sie fühlte, daß Feliane bei ihr war und auch wartete. Plötzlich erfüllte eine Präsenz die künstliche Wirklichkeit, und Halisstra machte sich auf das Schlimmste gefaßt. Als es zu der Verbindung kam, als Halisstras Verstand am Ort zwischen den Realitäten auf den Hauch ihrer Göttin traf, war die Erfah rung eine ganz andere, als sie erwartet hatte. Statt von einer Welle des Hasses, der Selbstgefälligkeit und der Beurteilung erfaßt zu werden, wie das beim Kontakt mit Lolth der Fall gewesen war, fühlte sie ein alles überwältigendes Gefühl der Liebe, Geborgenheit und Akzeptanz. Es war, als sei sie in ein warmes, beruhigendes Bad eingetaucht. Fragt, Töchter, sagte eine Stimme in ihren Gedanken. Die Anmut der Stimme, die sanfte Liebe, die darin mit schwang, ließ Tränen über Halisstras Wangen kullern. Dame des Tanzes, sendete Halisstra, Ihr kennt unsere Aufga be. Bitte sagt uns, was Quenthel will und wohin sie der Nalfeshnee bringt. Halisstra spürte, daß Eilistraee die Frage als akzeptabel be fand. Sie will zur Verkörperung der Auferstehung Lolths werden, antwortete die Göttin. Ohne die Yor’thae würde Lolths Wieder geburt zu einer Totgeburt. Während Halisstra diese schwerwiegende Aussage noch zu verdauen versuchte, fuhr die Stimme der Göttin fort: Der Dä mon trägt Quenthel zum Paß des Seelenfressers am Fuß des Au gengebirges. Meine Mutter erwartet sie auf der anderen Seite.
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Ein Abbild hoher Berge formte sich in Halisstras Verstand. Es waren finstere, bedrohliche Spitzen, die sich bis zum Him mel zu recken schienen. Sie hatte die Berge in der Ferne gese hen, als sie im Abgrund der Dämonennetze materialisiert wa ren. Am Fuß der Berge befand sich eine finstere Öffnung, der Paß des Seelenfressers. Er stellte den einzigen Weg dar, um dieses Gebirge zu überwinden. Der Name erinnerte sie an et was. Sie war sich fast sicher, sie hatte während ihrer Studien im Haus Melarn darüber gelesen, aber sie erinnerte sich nicht mehr an Details. Wie lange dauert es noch, bis sie zum Paß kommt, Herrin? frag te Halisstra. Eine kurze Pause, dann die Antwort: Sie wird ihn erreichen, ehe die schwache Sonne meiner Mutter erneut aufgeht. Die Verbindung wurde schwächer. Der Zauber würde bald enden. Halisstra spürte, daß sich Eilistraee bereits von ihr entfernte. Sie versuchte, sich an die Verbindung zu klammern, doch sie spürte, wie sie ihr unweigerlich entglitt. Ehe sich der Zauber ganz auflöste, stieß sie noch rasch eine Frage hervor: Begleitet Danifae Yauntyrr Quenthel Baenre noch immer? Sie spürte ein Zögern und bedauerte fast augenblicklich, solch eine selbstsüchtige Frage gestellt zu haben. Dennoch antwortete Eilistraee, obwohl ihre Worte inzwischen klangen, als spräche sie von ganz weit weg zu ihr. Die Antwort erfüllte Halisstra mit Hoffnung. Ja, und dann: Der Zweifel ist ihre Waffe, Tochter. Die Verbindung brach ab. Halisstra öffnete die Augen. Ei nen Augenblick lang fühlte sich ihr Leib schwer und unbehol fen an, als sie so Feliane gegenüber am Boden saß. Auch in den Augen der Elfe standen Tränen. »Eilistraee ist uns gnädig«, flüsterte Feliane.
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»Ja«, antwortete Halisstra. »Wenn Lolth keine Auserwählte mehr hat ...« »... dann wird sie sterben!« vollendete Feliane den Satz. Halisstra konnte nur nicken. Spontan und fast gleichzeitig streckten die beiden Schwes tern im Glauben die Arme aus und umarmten einander, noch immer vom warmen Licht Eilistraees erfüllt. »Wir werden erfolgreich sein«, sagte Feliane, aber in Ha lisstras Ohren klang das mehr wie eine Frage als wie eine Bes tätigung. »Das werden wir«, bestätigte Halisstra, doch Eilistraees letz te Worte machten ihr Sorge. Für wen war Zweifel eine Waffe? Wessen Zweifel? Sie hatte keine Antworten. Kurz darauf erwachte auch Uluyara aus ihrer Trance, und Halisstra und Feliane erzählten ihr vom Ergebnis ihres Heili gen Gesprächs. Uluyara hörte ihnen aufmerksam zu, nickte und sagte: »Die Baenre ist fünfzehn Kilometer entfernt. Sie folgt dem Fluß der Seelen. Wir werden ihrer Spur folgen und sie töten.« »Ihr Weg führt zu den Bergen«, sagte Feliane, »zum Paß des Seelenfressers.« »Dann ist das auch unser Ziel«, sagte Halisstra. »Wir müs sen dort sein, ehe die Sonne aufgeht.« Erneut würden sie mit den widerwärtigen Winden des Ab grunds der Dämonennetze reisen. Halisstra wußte, sie würden Quenthel und Danifae einholen, bevor sie den Paß erreichten. »Wir müssen davon ausgehen, daß die Baenre nicht nur von dem Nalfeshnee und Danifae begleitet wird«, sagte Uluya ra. »Pharaun, Jeggred und der Söldner, von dem du uns erzähl test, begleiten sie vermutlich noch immer.« »Ganz meine Meinung«, sagte Halisstra. Während sie ihren Aufbruch vorbereiteten, mußte Halisstra
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erneut an Danifae denken, zögerte und wandte sich dann er neut an Uluyara: »Danifae hat mir einmal gesagt, daß sie auch von Eilistraee gerufen wurde. Ich will ...« Sie rang nach Wor ten. »Sie hat mich vor Jeggred gerettet. Ich will ihr nochmals eine Chance geben, dem Ruf Eilistraees zu folgen.« Uluyaras Gesicht verzog sich voller Unglauben. »Reicht es dir nicht, daß sie Quenthel begleitet?« fragte sie. Als sie sah, wie Halisstra das Gesicht verzog, wurde ihr harter Ge sichtsausdruck weich. Sie streckte die Hand aus, als wolle sie Halisstra besänftigend berühren, hielt aber inne. »Halisstra, du empfindest große Schuldgefühle ob deines Lebens, bevor du zu Eilistraee gefunden hast, und diese Schuldgefühle trüben dein Urteilsvermögen. Ich kenne das Gefühl, doch niemand, der von der Dame gerufen wurde, würde eine Priesterin Lolths begleiten. Wenn Danifae an der Seite der Baenre reist, steht sie auf der Seite der Baenre.« Halisstra erkannte die Logik in Uluyaras Ausführungen, war jedoch nicht bereit, Danifae so rasch aufzugeben. »Vielleicht irrst du«, antwortete Halisstra. »Ich will erst abwarten, was geschieht. Wenn es ihr bestimmt ist, eine Die nerin Eilistraees zu werden, wird sie es mich wissen lassen, wenn sie mich sieht.« Felianes Blick wanderte nervös zwischen ihren beiden Schwestern hin und her. Uluyara runzelte erneut mißbilligend die Stirn und setzte zu einer scharfen Antwort an, beherrschte sich aber. Sie überlegte kurz und sagte dann: »Gut, wir sollten jetzt nicht wegen dieser Sache streiten. Wie du schon sagtest, werden wir ja sehen, was es zu sehen gibt. Es würde mich freuen, wenn ich mich irre.« Halisstra starrte ihrerseits Uluyara herausfordernd an, beschloß dann allerdings auch, die Sache gut sein zu lassen. »Tretet näher zu mir«, sagte Halisstra.
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Sie sang das Gebet, das sie erneut in Nebel verwandeln würde, so daß sie mit dem Wind reisen konnten. Als sie den Zauber vollendete, verwandelten sich ihre Körper in Nebel. Wie zuvor veränderte sich Halisstras Wahrnehmung auf be fremdliche Weise. Einerseits schien sich ihr Blick zu erweitern, andererseits verschwammen die Details, so daß es schwierig wurde, irgendwelche Entfernungen abzuschätzen. Trotzdem hatte sie noch immer die Kontrolle über ihren Körper. Sie erhoben sich gemeinsam von dem Berg und stiegen zu den Seelen empor. Während sie in den wolkenbedeckten Himmel emporstie gen, warf sie einen letzten Blick auf ihren Tempel, mit dem sie den Berg im Namen Eilistraees geweiht hatten. Sie wußte, sie würde ihn nie wiedersehen. Die drei reihten sich in den schier endlosen Strom der See len ein. Sie waren nur drei weitere körperlose Schatten inmit ten Tausender anderer. Halisstra konzentrierte sich, und der Flug der drei Schwestern wurde immer schneller. Bald zischten sie förmlich an den Seelen vorbei, schnell wie ein Armbrust bolzen. Wir wissen, wo du bist, Quenthel Baenre, dachte sie, und wir kommen, um dich zu holen!
Tief in den Eingeweiden Leichenstatts stand Inthracis in ei nem Vorraum neben der großen Versammlungshalle. Nur ein aufwendig gefertigtes Doppeltor trennte ihn vom besten Re giment seiner Armee. Wie den Rest der Festung hatte er das Portal aus geschnitzten Knochen und gewalzten Fleischsstü cken gefertigt. Jenseits davon standen fünfhundert Mezzo lothen und Nycalothen, das Schwarzhornregiment. Allesamt waren sie Veteranen des Blutkriegs. Nisviim hatte den Gong
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erschallen lassen, und sie waren alle gekommen. Die Nyca lothenanführer hatten die Truppen bereits auf ihre Aufgabe vorbereitet und sie mit Versprechen von Ruhm und zwanzig Seelenlarven für jeden siegreichen Überlebenden in einen Kampfrausch versetzt. Die Truppen schlugen mit den Schäften ihrer Glefen, Drei zacke und Stangenäxte auf den Boden und brachten damit die Wände und Böden Leichenstatts zum Erzittern. Der dumpfe Pulsschlag der Waffen übertönte vorübergehend sogar das unablässige Geheul des Windes. Im Takt der dumpfen Schläge schrien die Soldaten den Namen ihres Generals, so daß das ganze Spektakel wie eine schaurige Anrufung klang. »Inthracis! Inthracis! Inthracis!« Inthracis lächelte und genoß es, wie die Aufregung in ihm emporstieg. Trotz des ganzen Tumults konnte Inthracis noch immer das Gebrüll der Nycalothen-Feldwebel hören. Er stellte sich seine aufmarschierte Armee vor, Reihe um Reihe schwerbewaffneter und gerüsteter Yugolothen, und ergötzte sich an ihrer Bewun derung. Yugolothen waren mit jeder Faser ihres Wesens Söld ner, und Inthracis hatte sich die Loyalität seiner Armee über zahlreiche Jahrtausende verdient. Er hatte sie mit Ruhm, See len, Schätzen und Fleisch belohnt und ihre Loyalität durch subtile Zauber noch zusätzlich gestärkt. So hatte er sich im Laufe der Jahrhunderte eine Armee von furchterregender Stärke und unerschütterlicher Loyalität aufgebaut und es mit ihrer Hilfe fast geschafft, bis ganz an die Spitze der Machthie rarchie der Blutkluft aufzusteigen. Jetzt galt es nur noch, Kex xon den Oinolothen zu stürzen, und er würde ganz oben auf Calaas’ Spitze sitzen. Vhaeraun hatte Inthracis befohlen, eine Armee nach Ereilir Vor, auf die Ebenen des Seelenfeuers, in Lolths neuem Ab
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grund der Dämonennetze zu führen. Natürlich konnte Inthra cis nicht die ganze Armee in die Schlacht führen und Leichen statt unbewacht lassen. So tat er, was ihm möglich war, indem er das Schwarzhornregiment aufstellte und beschloß, es persön lich anzuführen. Nisviim, sein Arkanalothen-Leutnant, hatte den Auftrag, die Festung bis zu seiner Rückkehr zu bewachen. Er wußte, daß der Arkanaloth ihn nicht verraten würde. Er war sich sicher, daß das Schwarzhornregiment dazu in der Lage war, ja sogar mühelos dazu in der Lage war, die drei Drow priesterinnen und wen oder was auch immer sie begleiten würde abzuschlachten. Wenn die drei Priesterinnen tot waren, würde er vielleicht tatsächlich seine Belohnung von Vhaeraun erhalten. »Inthracis! Inthracis!« Der rhythmische Pulsschlag der Waffenschäfte auf dem Bo den wurde immer lauter, hektischer und schneller und strebte unerbittlich seinem Höhepunkt zu. Neben Inthracis standen Metzler und Fleischer, seine zwei Canolothen-Haustierchen. Die hundeähnlichen Yugolothen, die zwar dumm, aber gleich zeitig auch äußerst gefährlich und loyal waren, erregten die immer lauter werdenden Schreie und das Getrommel. Ihre runden, zahnbewehrten Mäuler öffneten sich klaffend, und lange, dornenbewehrte Zungen zuckten hin und her; ihre Klauen gruben sich tief in den harten Steinboden, und ein dumpfes Knurren drang aus ihren Kehlen. Inthracis tätschelte ihre gepanzerten Flanken. »Ruhig, ruhig!« sagte er und ließ arkane Macht in diesen Worten mitschwingen. Um einen noch besseren Eindruck zu machen, hatte er Metzler und Fleischer Kriegspanzerung angelegt. Sie trugen jetzt eine dornenbewehrte Plattenpanzerung, die ihren Rü cken, ihre Flanken und ihre breiten Brustkörbe bedeckte. Sie
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war eng geschnallt, und das struppige schwarze Haar der Vie cher stand unter den Rändern der Rüstungen hervor. Inthracis war sogar so weit gegangen, sich selbst zu rüsten. Er hätte es jedoch als persönliches Versagen angesehen, wenn es dem Gegner tatsächlich gelungen wäre, ihn zu einem Nahkampf zu zwingen. Doch den Truppen gefiel es, wenn sie ihren General so aus staffiert sahen. Sein leichtes Kettenhemd und sein Helm waren dazu in der Lage, Magie zu absorbieren, und aus einem speziellen magie durchdrungenen Erz geschmiedet, das man nur hier in der Blutkluft abbaute. Die Rüstung stammte aus der besten Schmiede Calaas und glitzerte schwach im Lichtschein der gelben Leuchtkugel des Vorraums. Seine Zauberklinge Magie schneider befähigte ihn, Zauber durch die Klinge zu wirken und die Zauber anderer zu durchtrennen. Sie hing in einer prächtigen Scheide aus gegerbter Klingenteufelhaut an seinem Gürtel. Ein wahres Arsenal metallener Zauberstäbe sowie drei Knochenzepter steckten in einem Köcher an seinem Gürtel. »Inthracis! Inthracis!« Auch die Leichen, die sich in den Mauern Leichenstatts förmlich stapelten, wurden durch das beständige Getrommel und Geschrei zusehends unruhiger. Gliedmaßen zuckten, Au gen starrten weit aufgerissen aus den Mauern, Fleisch pulsierte. Hände griffen aus den Mauern und wollten Inthracis berühren. Entweder waren sie nur erregt, oder sie wollten durch die Be rührung ihres Herrn und Meisters beruhigt werden. Metzler drehte den riesigen Kopf, fetzte einen der umhersu chenden Unterarme aus der Mauer und verschlang ihn mit Stumpf und Stiel. Als Fleischer dies sah, beäugte auch er die Mauer begierig, um zu sehen, ob sich da nicht noch so ein vorwitziger Leckerbissen zeigen würde.
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Doch die Hände und Arme hatten rasch gelernt und zogen sich hastig ins Gemäuer zurück. Augen starrten ängstlich in den Raum. Inthracis mußte über seine Schoßtierchen lächeln, während er nochmals seinen Plan Revue passieren ließ. Es war ihm nicht gelungen, auch nur eine der drei Priesterinnen auf magi schem Weg auszuspähen. Warum, das blieb ihm ein Rätsel, und auch Vhaerauns Avatar hatte sich nicht mehr gezeigt. Trotzdem wagte er es nicht, sich den Befehlen des maskierten Gottes zu widersetzen. Inthracis würde einen simplen Zauber nutzen, um dem Schwarzhornregiment sein Ziel zu zeigen, und es würde ohne Zögern aufbrechen. Es handelte sich um die feurige, zerstörte Einöde der Ebene des Seelenfeuers im Schatten von Lolths Stadt und des endlosen Netzes. Inthracis wußte, die Ebene war unbewohnt. Dort hielten sich nur die gequälten Seelen auf, die am Himmel über der Ebene brannten, und vielleicht eine Handvoll von Lolths achtbeinigen Haustierchen. »Inthracis! Inthracis!« Es war Zeit. Ohne länger zu zögern, schob er das mächtige Doppelportal auf und trat mit majestätischem Schritt an die Brüstung des Balkons, der über die Versammlungshalle ragte. Der atembe raubende Jubel, der ihm entgegenschallte, ließ Fleischfetzen von der Decke regnen und erschütterte ganz Leichenstatt wie eines der Erdbeben, die hier in der Blutkluft fast an der Tages ordnung waren. Er sah zum Regiment hinab. Reihe um Reihe stämmiger Kä fer, die ihn mit großen, roten Facettenaugen musterten. Sie standen auf ihren zwei Hinterbeinen und nutzten die anderen vier Gliedmaßen, um mächtige Stangenwaffen zu führen. Ihre schwarzen Chitinpanzer waren noch zusätzlich durch schwere
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Plattenpanzer geschützt, und ihre Mandibeln grüßten ihn mit einem rhythmischen Klicken. Dazwischen gingen die riesigen Nycalothen hin und her, schubsten sie und befahlen ihnen, Ruhe zu wahren. Die Nycalothen erinnerten an riesige, stämmige Gargylen, und unter ihrer Haut pulsierten förmlich die Muskelpakete, wenn sie dahinschritten. Auf dem Rücken trugen sie riesige Äxte, und aus ihren muskulösen Brustkörben standen vier klauenbewehrte Hände hervor. Ihre schlanken Köpfe zierten zwei Hörner, die selbstverständlich schwarz gepanzert waren. Inthracis hob eine Hand, und Stille kehrte ein. Nur das Heulen des Windes, der um Leichenstatt herumtoste, störte diesen andächtigen Moment. Von seinem Geheul getragen, konnte Inthracis noch immer Lolths Ruf hören, diesmal je doch wesentlich leiser ... Yor’thae ... Inthracis ignorierte den Ruf und hoffte insgeheim, der schwächere Ruf weise auch auf eine Schwächung Lolths hin. Er aktivierte mittels eines geistigen Befehls einen Zauber, der seine Stimme verstärkte. Er sprach mit sanfter, aber be stimmter Stimme, doch diese klang so laut in den Ohren sei ner Truppen, als stünde er direkt neben jedem einzelnen Sol daten. »Es gilt, Drowpriesterinnen zu töten, und wir müssen es un ter den Augen Lolths selbst tun!« riefen Ein Raunen ging durch die Reihen. Alle hatten die Gerüch te gehört, daß etwas mit Lolth vor sich ging. Inthracis intonierte einen Zauber, und ein riesiges Abbild Ereilir Vors erschien. Über der zerstörten Landschaft hing grü ner Nebel. Becken voller ätzender Flüssigkeiten blubberten, und giftige Dämpfe stiegen auf. Am Himmel brannten leuch tende Seelen im magischen Feuer. Jenseits der Ebene erhob sich Lolths Stadt. Es war eine rie
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sige, wimmelnde Eisenzitadelle, die sich inmitten des endlosen Netzes befand. Millionen von Spinnen wimmelten auf den Strängen des Netzes umher. Erneut ging ein Raunen durch die Reihen. Zweifellos hatten so manche Söldner den Ort wiedererkannt. »Dort werden wir kämpfen«, rief er, »und hier ist unsere Beute!« Er ließ das geistige Abbild emporsteigen, das Vhaeraun in seinen Verstand gepflanzt hatte, und sprach die Worte des nächsten Zaubers. Ein Abbild der drei Priesterinnen erschien vor den Augen des Regiments. »Alle drei müssen sterben!« rief er mit immer lauter wer dender Stimme. »Wer den tödlichen Schlag landet, erhält fünfundzwanzig zusätzliche Seelen aus meinem persönlichen Vorrat!« Ein begeisterter Aufschrei brandete in der Halle auf. Das Schwarzhornregiment war bereit. Wenn Vhaeraun recht behalten sollte und eine dieser drei Priesterinnen tat sächlich die Yor’thae Lolths war, dann würde die Auserwählte der Spinnenkönigin niemals die Göttin erreichen.
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Der Tag war nah. Der Nalfeshnee und der Chasme flogen weiter. Die Berge waren immer höher vor ihnen emporgestie gen, und obwohl sie sicherlich noch fünf Kilometer entfernt waren, kam es Pharaun bereits jetzt so vor, als ob er eine Mau er aus schwarzem Fels vor sich habe, die weder Anfang noch Ende kenne. Es gab nur einen Weg durch dieses titanische Hindernis, den Paß des Seelenfressers. Die Seelen strömten noch immer über sie hinweg, doch ein Stück vor ihnen begann der Strom, nach unten abzuknicken und auf den Paß am Fuß des Gebirges zuzuhalten. Der Nal feshnee beäugte die leuchtenden Seelen, die an ihnen vorbei strömten, immer wieder hungrig, doch seine Furcht vor Quenthel war zu groß, um aktiv zu versuchen, ein paar davon zu erhaschen. Der Chasme setzte sein Gejammer über seine Last während des ganzen Fluges fort.
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Während die Bergkette immer näherkam, fiel Pharaun auf, daß Quenthel zurückblickte. Ihr Blick war jedoch nicht auf ihn gerichtet, sondern auf den Horizont hinter ihnen. Pharaun blickte auch zurück. Er rechnete damit, daß das Licht der auf steigenden Sonne erneut Lolths Kinder aus den Verstecken lockte und das Wimmeln erneut beginnen würde. Die Sonne schob sich langsam über den Horizont, und ein düsteres, rotes Licht überzog die Einöde. Zu Pharauns Überra schung geschah sonst nichts. Das Licht kroch langsam über Felsen, Löcher und Gruben, doch keine Spinnen drangen aus ihnen hervor, um das Tages licht zu begrüßen. Wie es schien, war das Wimmeln vorbei. Seltsam, wie solch ein Ausbruch von Gewalt so plötzlich aufflammen und fast ebenso schnell wieder versiegen konnte. Pharaun kam es fast vor, als halte der ganze Abgrund der Dämonennetze den Atem an, als warte er auf etwas. Als er sich wieder umdrehte, sah er, daß Quenthel ihn an starrte. Sie signalisierte ihm mit übertrieben weit ausholenden Gesten ihre Befehle: Sei auf alles vorbereitet, wenn wir landen. Du darfst aber nur auf meinen direkten Befehl handeln. Pharaun nickte, um zu zeigen, daß er verstanden hatte. Die Zeit für die entscheidende Auseinandersetzung schien gekom men. Er ließ sich absichtlich ein Stück hinter den Chasme zu rückfallen. Dann begann er, möglichst unauffällig all jene Verteidigungszauber zu wirken, die keinerlei sichtbaren Effekt erzeugten. Er wollte nicht, daß Danifae oder Jeggred durch eine Aura oder Ausstrahlung von Quenthels Absichten erfuh ren. Er streute Diamantstaub über seine Haut, so daß sie hart wie Stein wurde. Dann flüsterte er mehrere Anrufungen, die seinen Körper gegen Feuer, Elektrizität und Säure schützten.
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Der Meister Sorceres mußte lächeln, während sie dahinflo gen. Dort würde Quenthel Danifae töten, und er, Pharaun, würde Jeggred töten. Es wurde aber auch Zeit, dachte er.
Halisstra, Feliane und Uluyara schossen förmlich mit dem Wind durch die Lüfte. Sie flogen inmitten des Stroms der Seelen, doch Halisstra wagte es nicht, auch nur einem der leuchtenden Geister direkt ins Gesicht zu sehen. Sie hatte zu große Angst davor, jemanden wiederzuerkennen, den sie aus ihrem früheren Leben kannte. Die Berge türmten sich bereits hoch vor ihnen auf. Es han delte sich um eine geradezu titanische Mauer blanken Ge steins. Sie wirkten wie die Fangzähne einer unvorstellbar riesi gen Bestie. Der Seelenstrom knickte jetzt nach unten ab, hielt auf den Fuß eines der Berge zu. Hinter ihnen klomm die Sonne über den Horizont. Ha lisstra sah nach unten und rechnete fest damit, auch heute wieder einen Ausbruch der Gewalt und des Gemetzels zu se hen, doch alles blieb ruhig. Wie es schien, würde das einzige Massaker, das sich heute im Abgrund der Dämonennetze er eignen würde, das Massaker zwischen zwei Gruppen von Drow sein. Weit voraus konnte Halisstra jetzt zwei große Kreaturen ausmachen, die sich im Sinkflug zum Fuß des größten Berges befanden. Die Dämonen. Dort vorne mußte Quenthel Baenre sein, und natürlich auch Danifae. Ihr Herz raste. Die Seelen wirbelten in einem irren Tanz um die Dämonen herum, während diese auf ein Loch im Gebirge zuschossen.
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Das mußte der Paß des Seelenfressers sein. Halisstra und ihre Schwestern beschleunigten noch etwas und holten langsam auf.
Gromph flog in seiner Schattenform dicht an der von Stalakti ten überzogenen Decke Menzoberranzans dahin, bis er bei Haus Agrach Dyrr angekommen war. Er sah nach unten und erkannte zufrieden, daß sich die Festung noch fast so präsen tierte, wie er sie vor etwa einer Stunde ausgespäht hatte. Agrach Dyrrs Verteidiger schritten noch immer auf den ho hen Stalagmitmauern hin und her und spähten zwischen den Wehranlagen auf die Angreifer hinab. Die mit violetten Bü schen geschmückten Offiziershelme, die Klingen der Stangen waffen und die glänzenden Schwerter waren immer wieder zwischen den mächtigen Zinnen zu erkennen. Die Mauern waren mit zahlreichen Bannern, die Haus Agrach Dyrrs Wap pen zeigten, geschmückt. Viele Banner zeigten üble Brandspu ren, waren aber abgesehen davon noch intakt und gut erkenn bar. Die Drowstreitkräfte wurden durch eine schier unüber schaubare Horde von Orks und Grottenschrat-Bogenschützen verstärkt. Aufgrund seiner Körperlosigkeit konnte Gromph den Ge stank des Schlachtfelds nicht riechen. Er sah jedoch, wie sich dicke Wolken schwarzen Rauchs an der Höhlendecke ballten, und konnte sich vorstellen, wie erbärmlich es dort unten stin ken mußte. Auf dem Plateau vor der Stalagmitenfestung hatten sich die Streitkräfte des Hauses Xorlarrin versammelt. Die Armee be stand aus vielleicht achthundert Mann und hatte die Anlage in einem weiten Bogen um die mit einem Wassergraben gefüll te Schlucht umstellt. Sie hielt sich in sicherer Entfernung,
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gerade noch durch Armbrustschüsse erreichbar. Gromph stu dierte den Aufbau der Armee. Da gab es ungefähr zehn Drow magier, ein paar hundert Drowkrieger, vierzig Kriegsspinnen und mehrere Einheiten der niederen Rassen. Sie hatten sich formiert und waren kampfbereit. Mehrere Belagerungsmaschi nen aus magisch gehärtetem Kristall und Eisen standen inmit ten der Armee. Momentan war alles ruhig. Die Xorlarrin schienen auf Ver stärkung zu warten, bevor sie einen weiteren Ansturm auf Agrach Dyrr wagen würden. Gromph war überrascht. Er wuß te, daß Muttermatrone Zeerith eine jener Muttermatronen war, die große Pläne mit ihrem Haus hatte. Er war sich sicher gewesen, daß sie alles tun würde, um den Ruhm des Sieges über Agrach Dyrr für sich allein zu beanspruchen. Yasraena hatte wohl eine wahrlich beeindruckende Verteidigungsstel lung aufgebaut, wenn es ihr gelungen war, dem Ehrgeiz Haus Xorlarrins einen derartigen Dämpfer zu versetzen. Gromph schwebte nach unten und sah zahlreiche Leichen und Körperteile im wassergefüllten Graben, der das Anwesen umringte, schwimmen. Ein paar mit riesigen Reißzähnen be wehrte Reptilien, zweifellos riesige Wasserechsen, schwammen eifrig im Burggraben umher und taten sich an den Überresten gütlich. Gromph erkannte, daß die toten Oger und ihre Stoß ramme, die er bei seiner Ausspähung des Hauses gesehen hat te, nicht mehr vor den Adamantittoren der Festung lagen. Er war sicher, daß sie ein Nekromant Agrach Dyrrs wiederbelebt und gegen ihre ehemaligen Herren in die Schlacht geschickt hatte. Er durfte sich nicht näher heranwagen als an die imaginäre Linie, die durch den Graben gezogen wurde, solange er noch nicht die Zeit gehabt hatte, die Schutzzauber genauer zu stu dieren. Mit einem kurzen geistigen Befehl aktivierte er den
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permanenten Zauber auf seinen Augen, der ihm gestattete, magische Ausstrahlungen zu sehen. Haus Agrach Dyrr erstrahlte so hell wie die Sonne der Grü nen Felder, jenes lächerlichen »Halblingshimmels«, in den ihn Dyrr im Verlauf ihres Zauberduells verbannt hatte. Gromph hatte das erwartet, es war jedoch etwas ganz anderes, das glei ßende Spinnennetz aus zahllosen, hellstrahlenden Schutzzau bern mit eigenen Augen statt durch die gedämpfte Sicherheit des Ausspähungskristalls zu sehen. Im Gegensatz zur restlichen körperlichen Welt, die er als Schatten nur in verschiedenen Grautönen sah, strahlten die Verteidigungszauber in hellem Rot und Blau. Ihre Kraft reichte auch in andere Existenzebe nen und würde ihn selbst als Schatten mühelos treffen. Gromph beschloß in diesem Augenblick, durch die Vorder tür hineinzuspazieren, ein Entschluß, den er mehr aus Eitelkeit denn aus irgendeinem logischen Grund faßte. Er wollte Yas raena eine Lektion erteilen. Die Schutzzauber und Sigeln hat ten die Form geschlossener Sphären, nicht die flacher Mauern. Sie deckten daher jeden nur möglichen Winkel ab. Er würde sich also ohnehin der geballten magischen Verteidigung des Hauses stellen müssen, egal ob er es nun am Adamantittor oder an der Mauer des Echsenstalls versuchte. Er saß im Schneidersitz auf einem großen Felsbrocken am anderen Ende der Adamantitbrücke. Er befand sich ungefähr auf halber Strecke zwischen Haus Agrach Dyrr und der Belage rungsarmee. Gromph war zufrieden, daß ihn bisher weder die Streitkräfte Dyrrs noch die Streitkräfte Xorlarrins bemerkt hatten. Er wußte natürlich, daß sich auf beiden Seiten Magier mit aktiven Erkenntniszaubern befanden, darunter sicher auch Zauber, die es ihnen ermöglichen würden, Unsichtbares zu sehen. Gromphs Unauffindbarkeitszauber mußte sie irregeführt haben. Es war ein kleiner Sieg, der ihn angesichts seiner ande
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ren Probleme nur wenig freute. Als erste Maßnahme zog er das Okular hervor und hielt sich den milchigen Stein vors Auge. Obwohl auch das Okular jetzt körperlos war, entfaltete es seine Magie. Gromph sah durch die Linse die Dinge so, wie sie wirklich waren, ohne die Auswir kungen von Illusionen, Verkleidung und Verwandlungsmagie. Natürlich konnten Zauber auch die Magie des Okulars behin dern, wie Gromph sie selbst zu seinem Schutz eingesetzt hatte, doch war derartige Magie nicht gebräuchlich. Als er die Anlage betrachtete, fiel ihm nichts Ungewöhnli ches auf, außer vielleicht die Tatsache, daß zwei der angebli chen Drowoffiziere in Wahrheit verwandelte Dämonen waren. Durch die magische Linse erschienen sie als hochaufragende, muskulöse, zweibeinige Geier mit haßerfüllten, roten Augen und großen, gefiederten Schwingen. Gromph wußte natürlich, daß es sich um Vrocks handelte. Yasraena hatte sich der Dienste zweier Scheusale versichert. Gromph steckte das Okular weg und flüsterte die Worte ei nes Zaubers, der seine Magie ortende Sicht veränderte, so daß jetzt Schutzzauber gegen Ausspähung und Magie zur baulichen Stärkung des Hauses von seiner magischen Sicht ausgenom men waren. Diese Zauber waren ihm egal. Er war nur an den Schutzzaubern interessiert, die sein Eindringen in die Anlage verhindern oder ihn töten oder einkerkern würden, sobald er das Haus betreten hatte. Als der Zauber seine Wirkung entfaltete, verschwand etwa die Hälfte der magischen Felder. Trotzdem strahlte die Festung ob der zahlreichen Zauber, die sie wie ein Netz einspannen, noch immer taghell. Innerhalb des Netzwerks waren zahlreiche Zauberfallen verborgen, die dazu gedacht waren, Eindringlinge oder jene, die einen Schutzzauber achtlos bannten, zu töten. Gromph nahm sich Zeit, um mittels einer Reihe von Erkennt
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niszaubern die komplexe Struktur der Schutzmagie zu erkun den. Er wollte verstehen, welche Verbindung zwischen den einzelnen Zaubern bestand, ehe er sich daranmachte, sie zu überwinden. Gromph erkannte, daß er den Schutz Schicht um Schicht würde abtragen müssen, ganz so, wie man einen Sklaven häu tete, bis nur noch die Knochen übrig waren. Er zog etliche seiner augenbewehrten Zauberstäbe hervor und setzte ihre zielgerichtete Erkenntnismagie ein, um seine Kenntnisse der gegnerischen Zauber noch zu vertiefen. Zwi schen den Zauberfallen konnte er auch mächtige magische Symbole ausmachen. Er erkannte zwei Symbole des Todes und ein Symbol des Schmerzes, außerdem Feuerglyphen und E lektrizitätsglyphen, Kraftfeldkäfige, die ihn einsperren konn ten, Notfallzauber, um seine Seele zu fesseln und Barrieren, die sowohl körperlichen als auch körperlosen Wesen den Zutritt verwehren konnten. Dann entdeckte er noch etwas. Mit dem gesamten Netz werk verwoben war eine dünne, beinahe unkenntliche Linie. Dieser Schutzzauber diente dazu, alle anderen miteinander zu verbinden und zu stärken – ein Meisterzauber sozusagen. Gromph zweifelte nicht daran, daß Dyrr ihn gewirkt hatte. Ganz primitiv ausgedrückt hatte Dyrr einen Knoten um ei nen Knoten herumgeschlungen. Er hatte seinen Meisterzauber durch die Knotenöffnungen der anderen Schutzzauber gewo ben und so ein unauflösliches Ganzes geschaffen. Die norma len Schutzzauber, die im Laufe der Jahrhunderte von verschie denen Muttermatronen Agrach Dyrrs gewirkt worden waren, würden bei ihrer Auslösung vom Meisterzauber Dyrrs energe tisch verstärkt und so noch tödlicher werden. Gromph musterte den sich schlängelnden Meisterzauber. Er nahm einen weiteren Zauberstab und analysierte sorgfältig
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seine magischen Energien. Der Meisterzauber war so kompli ziert, daß er vermutlich noch eine andere Funktion hatte als reine Verstärkung, doch Gromph standen offenbar keine Zau ber zur Verfügung, um mehr darüber herauszufinden, zumindest nicht von seinem jetzigen Aufenthaltsort aus. Er würde ins Innere des Schutzzeichennetzwerks gelangen müssen, um die Analyse aus einem anderen Blickwinkel heraus erneut zu ver suchen. Er steckte den Zauberstab weg und runzelte die Stirn. Sein Unwissen über das volle Machtausmaß des Meisterzaubers erfüllte ihn mit Sorge, doch damit mußte er leben. Er konnte jetzt nicht zurückgehen, um sich anders auszurüsten. Die Zeit arbeitete gegen ihn. Er schwebte empor, so daß er stand, und wandte sich der ersten Herausforderung zu. Auf der Brücke lag ein einfacher Entdeckungszauber, der Alarm schlagen würde, sobald eine Kreatur egal welcher Gestalt oder Form die Brücke überquerte. Gromph sah sich die primitiven leuchtenden Linien an, die den Zauber charakterisierten, vergewisserte sich nochmals, daß er nicht mit einer Zauberfalle verbunden war, und bannte ihn. Er flog über die Adamantitbrücke. Sie war an mehreren Stellen blutbesudelt. Die Dyrr-Soldaten und die beiden Dä monen, die oben auf den Wällen patrouillierten, blickten einfach durch ihn hindurch. Für sie existierte er nicht, so daß der Ansturm auf die Festung ein Kampf zwischen ihm und den Schutzzaubern sein würde. Er schwebte vor dem Portal und musterte die magischen Li nien auf der Oberfläche. Sie würden ihn nicht nur daran hin dern, das Portal zu durchschreiten, sondern waren auch mit zwei mächtigen Symbolen verbunden. Diese würden jeden töten, der das Tor berührte, ohne zuerst das Losungswort zu sprechen, den richtigen Gegenstand bei sich zu tragen oder
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vom richtigen Blute zu sein. Eine kurze Analyse mit einem der Zauberstäbe zeigte Gromph, daß es sich um dauerhafte Symbo le handelte. Sie würden nicht verschwinden, wenn man sie auslöste. Sie würden sich solange ständig reaktivieren und Eindringlinge töten, bis man sie ein für allemal bannte. Er sprach die Worte eines Gegenzaubers und bündelte die magische Energie in seinen Fingerspitzen. Sanft strich er mit den schattenhaften Fingern über die magischen Linien, aus denen das erste Symbol gebildet wurde. Obwohl die Finger körperlos waren, griff die Magie dennoch in die stoffliche Welt. Wo sie das Symbol berührte, begannen die Linien sich aufzulösen. Bald war es vollständig ausgelöscht. Gromph wirkte einen weiteren Gegenzauber und wieder holte den Vorgang beim anderen Symbol. Dieses widersetzte sich seinen Versuchen. Gromphs Magie traf auf die des Sym bols, und nichts geschah. Der Gegenzauber war verpufft. Er schluckte seinen Ärger herunter und bereitete einen weiteren Zauber vor. Es handelte sich um eine besonders mächtige und stark kon zentrierte Version des ersten Gegenzaubers. Plötzlich regte sich etwas über ihm. Er sah es gerade noch aus dem Augenwinkel heraus und fuhr hoch. Ein Schwarm Armbrustbolzen ging hinter ihm nieder. Er drehte sich um und sah zehn Riesentrolle über die Brücke stürmen. Sie trugen ein Flickwerk an Rüstungsteilen, das sie sich auf ihre warzigen, graugrünen Leiber geschnallt hatten. Der kleinste war etwa dreimal so groß wie Gromph. Die Kreaturen waren muskelbe packt, hatten überdimensionierte Gliedmaßen, ein vor Fang zähnen strotzendes Maul und riesige, dürre Klauen, die aus den Fingern entsprangen. Die Riesentrolle schleppten einen Sta lagmiten mit, der mittels Magie zu einer furchterregenden Stoßramme verstärkt worden war. Gromphs magischer Blick
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ließ ihn augenblicklich erkennen, daß mächtige Zauber auf der Ramme lagen. Die riesigen Kreaturen wurden bei ihrem Ansturm von grünlich leuchtenden Energiescheiben begleitet, die über ihren Köpfen schwebten. Sie waren von Xorlarrins Magiern gewirkt worden, um sie vor dem Geschoßhagel von der Brüstung zu schützen. Die Trolle brauchten nur zehn Schritte, um die hal be Brücke zu überqueren. Aus den Reihen Xorlarrins hinter ihnen löste sich ein Zug Orog-Armbrustschützen und Schildträger, stürmte bis zum Rand des Grabens vor und deckte die Verteidiger auf der Brüs tung nun ebenfalls mit einem wahren Geschoßhagel ein. Die Antwort sollte nicht lange auf sich warten lassen. Feuerbälle und Blitze, die aus Zauberstäben des Hauses Dyrr entsprangen, schössen von oben herab und explodierten mit voller Wucht in ihren Reihen. Etliche der Kreaturen gingen in Flammen auf oder wurden zerfetzt. Fünfzig Schritt hinter den Orogs hatten bereits die Drow soldaten Aufstellung bezogen, um augenblicklich zu stürmen, sollte es den Trollen tatsächlich gelingen, das Eingangstor zum Einsturz zu bringen. Die riesigen Kreaturen verfielen in einen immer schnelleren Trott, und die ganze Brücke erzitterte unter ihrem Gewicht. Feurige Explosionen gingen zwischen ihnen nieder, doch ihr Ansturm wurde keine Sekunde langsamer. Plötzlich bildete sich eine Mauer aus beschworenem Eis, hö her als selbst die Riesentrolle und armstark, direkt vor den Krea turen auf der Brücke. Die Trolle schien das nicht im mindesten zu beeindrucken. Im Lauf holten sie mit der Stoßramme aus und ließen sie wuchtig gegen das Hindernis krachen. Während die Trolle unbeeindruckt weiterstürmten, explodierte die ganze Eismauer in einem Regen von Eisbrocken rund um sie herum.
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Gromph fluchte und begann nach oben zu schweben. Er war zwar körperlos, konnte aber durch magische Energien und entsprechend verzauberte Waffen Schaden erleiden. Er hatte keine Lust, ins Kreuzfeuer zu geraten. Eine Dampfwolke formte sich vor den Toren. Gromph schätzte, daß es sich um giftige Dämpfe handelte. Die Riesen trolle holten tief Luft und stürmten dann endgültig aufs Tor zu. Die riesige Ramme begann bereits, Schwung zu holen und auf die Tore zuzudonnern ... direkt auf Gromph zu! Er warf sich zur Seite, doch sein körperloser Flug war behä big und langsam. Die magische Stoßramme streifte seine Schulter und die starken Zauber griffen mühelos in die andere Wirklichkeit, in der sein Körper real vorhanden war. Der Schmerz, der ihn durchzuckte, ließ ihn fast bewußtlos werden. Die Wucht des Aufschlags wirbelte ihn herum und trieb ihn auf das Tor zu, direkt in Richtung des tödlichen Symbols. Gromph nahm all seine Kräfte zusammen, um sich neu auszurichten und sich so zu verkrümmen, daß er nicht mit dem magisch aufgeladenen Tor kollidierte. Einen Lidschlag vor dem Aufprall erlangte er die Kontrolle über seinen Körper zurück. Hastig stieg er vor dem Tor in die Höhe und kippte zur Seite, so daß er neben der Brücke schwebte. Seine ganze rechte Seite wurde von grausigen Schmerzen durchzuckt, doch sein magischer Ring entfaltete bereits Heilkräfte. Die Riesentrolle hielten noch immer den Atem an, holten erneut mit der Ramme aus und donnerten sie erneut gegen die Tore. Funken sprühten von der Spitze, Steinsplitter regneten herab, aber die Adamantittore hatten noch nicht einmal einen Kratzer abbekommen. Immer mehr Armbrustbolzen regneten auf die Trolle herab, einige fanden Lücken in der magischen Deckung und gruben sich ins Fleisch der Kreaturen. Eine der Kreaturen wurde mitten in der Brust getroffen, gab einen
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Schmerzensschrei von sich und atmete dabei unwillkürlich das Gift ein. Er fiel, zuckte noch ein wenig und war wenige Se kunden später tot. Die überlebenden Trolle machten unermüdlich weiter. Im mer wieder ließen sie die Ramme gegen die Tore krachen, während es von oben Armbrustbolzen hagelte. Für Gromph war die Szene surreal. Er hörte nichts, roch nichts und sah nur in Grautönen. Es kam ihm fast so vor, als sähe er eine fehler hafte Illusion, die ein Schüler des ersten Jahrgangs produziert hatte. Gromph ging davon aus, daß der Ansturm der Riesentrolle nur eine Finte war. Der echte Angriff mußte woanders statt finden. Natürlich bestand keine Möglichkeit für ihn, diese These zu überprüfen. Er hatte sich in Haus Xorlarrin geirrt. Muttermatrone Zeerith war noch nicht dazu bereit, sich den Ruhm, Haus Dyrr vernichtet zu haben, entgehen zu lassen. Oder sie wollte die Verteidiger einfach nicht zu Atem kom men lassen und sie zwingen, wertvolle Ressourcen im Kampf gegen das Kanonenfutter Xorlarrins zu verschleudern. Es sprach für die Dyrr-Verteidiger, daß sie hauptsächlich normale Waffen einsetzten, um sich der Riesentrolle zu erweh ren. Sie hatten nur zwei Zauber und eine Handvoll Ladungen der Zauberstäbe verbraucht. Den Rest der Arbeit erledigten die Armbrüste. Inzwischen lagen vier Trolle tot am Boden. Die restlichen sechs schwangen noch immer unermüdlich die Stoßramme, doch fehlte es ihr inzwischen deutlich an Wucht. Da hatte Gromph eine Idee. Er mußte rasch handeln. Er vollführte komplizierte Gesten und sprach die Worte des Zaubers. Die Magie schuf ein magi sches Kraftfeld, das von Gromph wie eine Verlängerung seiner eigenen Arme benutzt werden konnte. Er schnappte sich einen der Trolle in der vordersten Reihe. Die Kreatur riß erschreckt
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die Augen auf, wagte aber wegen des Giftgases nicht zu schreien. Gromph zwang den Riesentroll, die Ramme loszulassen und einen Arm zu den Toren hin auszustrecken. Die Bestie schien die Gefahr zu spüren, in der sie schwebte, und begann, ihre große Kraft gegen Gromphs Willen zu setzen – aber der Wille des Erzmagiers Menzoberranzans war stärker. Der Riesentroll streckte eine klauenbewehrte Hand aus, berührte das Tor und aktivierte so das verbleibende Symbol. Gromph blickte hastig weg, als das Symbol aufflammte. Die Magie durchfuhr den Troll, und die Kreatur schrie laut auf. Dann brach sie tot zusammen. Gromph verschwendete keinen weiteren Gedanken an sie. Die restlichen Trolle hielten verblüfft inne. Offenbar hatte die Dummheit ihres Gefährten sie völlig aus der Bahn gewor fen, und das Gewicht der Stoßramme wurde ihnen jetzt wohl auch zuviel. Sie flohen. Zuerst ließ einer, dann der nächste und der nächste die Stoßramme los. Armbrustbolzen jagten sie zurück über die Brücke. Um den Kopf des einen bildete sich eine Kugel aus magischer Finsternis. Die geblendete Kreatur rannte über den Rand der Brücke und fiel in die Schlucht. Gromph musterte das Portal und nahm zufrieden zur Kenntnis, daß das magische Symbol verschwunden war. Für ein paar kostbare Augenblicke würde das so bleiben. Gromph mußte jetzt rasch handeln. Er schwebte vor das Tor, so daß er sich direkt über den Leichen der Riesentrolle inmitten der Giftgaswolke befand. Vorsichtig wie ein erfahre ner Chirurg bog er die Schutzzauber auf dem Tor beiseite und schlüpfte hindurch. Der Gedanke, ein aktives Symbol hinter sich zu haben, behagte ihm zwar nicht sonderlich, aber ande rerseits würde es ihm vermutlich ohnehin um ein vielfaches leichter fallen, Haus Agrach Dyrr wieder zu verlassen. Glyphen, Symbole und andere Schutzzauber waren normaler
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weise so ausgelegt, daß sie gegen das Betreten, nicht gegen das Verlassen eines Bereichs schützten. Er flog durch die Adamantittüren und fand sich im Tor haustunnel des Hauses Agrach Dyrr wieder, inmitten von vierzig mit Speeren bewaffneten Drow-Kavalleristen auf Reit echsen. Viele Speere der Echsenreiter erstrahlten in seinem magischen Blick hell. Ihre Magie war stark genug, um Gromph zu verletzen, hätten die Drow von seiner Anwesenheit gewußt. Die Kavallerie war in Bereitschaft, konnte ihn aber nicht sehen. Entweder hatte man sie hier für den Fall stationiert, daß der Gegner tatsächlich den Durchbruch schaffte, oder sie be reiteten sich auf einen Gegenangriff vor. Gromph konnte zwar nichts hören, doch er sah den Schweiß auf ihren Gesichtern und die Entschlossenheit in ihren Augen. Einige der Reiter wendeten gerade ihre Reittiere und trabten direkt durch ihn hindurch. Er schwebte zur Decke, um weitere derartige Berührungen zu vermeiden. Seine Schat tengestalt war von negativer Energie erfüllt. Wenn er Reiter oder Reittier dadurch unabsichtlich Schaden zufügte, würde man seine Anwesenheit bemerken. Mit etwas Pech mochte ihm auch einer der Reiter unabsichtlich eine magische Speer spitze in den Leib stoßen. Als er an der Decke in Sicherheit war, gestattete er sich ein Lächeln. Er hatte die erste Herausforderung überwunden. Er war drinnen. Er blickte an der Kavallerie vorbei zum Ende des Tunnels. Dort wartete schon der nächste Schutzzauber auf ihn. Die leuchtenden Linien des Meisterzaubers brachten die Luft um ihn und um die Soldaten zum Vibrieren. Die Luft rund um Dyrrs Verteidiger war von magischen Energien gesättigt. Sie konnten sie jedoch ebensowenig sehen wie den unsichtba ren Gromph.
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Jetzt, wo er die erste Verteidigungslinie überwunden hatte, konnte er den Meisterzauber aus einem anderen Blickwinkel heraus studieren. Er holte einen seiner Zauberstäbe hervor, aktivierte ihn und studierte die Kraftlinie des Meisterzaubers. Der Zauberstab zeigte ihm, daß zahlreiche einzelne Magie fäden darin verliefen. Einer der Fäden war ein Notfallzauber, der mit einem Dimensionssiegel verwoben war. Seine latente Magie war wahrscheinlich durch die Zerstörung von Dyrrs Leib ausgelöst worden, um den Zugang zu Haus Dyrr und damit zum Seelengefäß zu erschweren. Das Dimensionssiegel machte die ganze Sache noch komplizierter. Ein Dimensionssiegel verhinderte jeden magischen Trans port. Selbst wenn es Gromph gelänge, alle normalen Schutz zauber zu deaktivieren oder zu bannen, würde er Haus Dyrr nicht mittels Teleportation oder ähnlicher Magie verlassen können. Er mußte zuerst den Meisterzauber aufheben oder zumindest das Dimensionssiegel, das Teil des Meisterzaubers war. Selbst der mächtige Notfallzauber, den Gromph auf sich gewirkt hatte und der dazu bestimmt war, ihn in Sicherheit zu bringen, würde angesichts des Dimensionssiegels versagen. Gromph sah, daß der Meisterzauber zu kompliziert war, um ihn innerhalb der kurzen Zeit aufzuheben oder zu bannen. Dazu wären Stunden erforderlich gewesen, aber die Zeit brann te ihm unter den Nägeln. Er mußte einfach unter diesen Be dingungen weitermachen. Er schwebte also über Dyrrs Soldaten hinweg auf das Ende des Tunnels zu. Hinter ihm blitzte etwas auf, und er wirbelte herum. Die ersten Worte eines Verteidigungszaubers lagen auf seinen Lippen. Ein violetter Energieblitz zuckte durch den Meisterzauber und schoß auf den Bereich des Tors zu, in dem sich das entla dene magische Symbol befand. Die Magie umkreiste den Be
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reich, zog das Symbol neu, lud es auf und aktivierte es. Gromph mußte voller Staunen und widerwilliger Bewunde rung zusehen, wie sich die Magie des Meisterzaubers anschlie ßend auf den Bereich konzentrierte, in dem sich das von Gromph gebannte Symbol befunden hatte, und auch dieses Symbol neu zog, den Zauber im Grunde neu wirkte. Gromphs Bannzauber hatte das Symbol eigentlich dauerhaft ausgelöscht. Die magischen Künste Dyrrs waren meisterlich. Es war schade, daß sein Wissen für immer verlorengehen würde, so bald Gromph das Seelengefäß zerstörte. Er beschloß, nun endgültig keine weitere Zeit mehr zu ver geuden. Er drehte sich um und widmete sich dem Schutzzauber am Ende des Tunnels.
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Aus der Nähe betrachtet gehörten die Berge zu den majestä tischsten Anblicken, die Pharaun je gesehen hatte. Sie ragten steil und zerklüftet so weit empor, daß sie nie zu enden schie nen. Sie erschienen ihm wie eine endlose Felsmauer, die vom Erdreich ausgespieen war, um am Himmel selbst zu kratzen. Wie auch im restlichen Abgrund der Dämonennetze gab es überall Sprünge, zerklüftete Öffnungen und Tunnel. Spinnen tauchten immer wieder aus diesen Löchern auf und stürzten sich auf ihresgleichen. Lolths Sonne tauchte das normalerwei se dunkle Felsgestein in ein befremdliches rotes Licht, das den Anschein erweckte, als sei es mit Rost oder eingetrocknetem Blut überzogen. Ein Rudel Seelen schoß so nahe an Pharaun vorbei, daß er ein Dutzend hätte berühren können, wenn er gewollt hätte. Er hoffte, daß sich bald auch Jeggreds Seele in den endlosen
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Strom einreihen würde. Der Nalfeshnee und der Chasme beäugten die Seelen mit hungrigen Blicken, als sie an ihnen vorbeiflogen. Nur die her rischen Befehle Quenthels und Danifaes hielten die Dämonen davon ab, sich an Lolths Toten zu laben. Der Seelenstrom floß direkt in das zerklüftete schwarze Loch am Fuße des höchsten Berges. Pharaun ging davon aus, daß es sich um den Paß des Seelenfressers handeln mußte, obwohl es eher ein Tunnel denn ein tatsächlicher Paß war. Pharaun kam es wie ein Riß im Berg vor, ein deformiertes Maul, zu einem klagenden Schrei geöffnet. Die Öffnung war so finster und undurchdringlich wie eine Teergrube. Sie wurde nicht von Lolths Sonne erhellt, ge schweige denn, daß ihr Licht ins Innere gestrahlt hätte. Das Loch war eine schwarze Mauer. Langsam überwältigte Pharaun die erschreckende Erkennt nis. Der Paß mochte im Abgrund der Dämonennetze liegen, doch er war nicht Teil der Ebene. Sobald man ihn betrat, war man ... anderswo. Die Seelen schien das nicht zu stören. Sie schossen auf das schwarze Loch zu und verschwanden im gleichen Augenblick, in dem sie es berührten, verschluckt vom Gebirge. Pharaun benetzte seine Lippen. Quenthel wies mit dem Peitschengriff nach unten und er teilte Zerevimeel laut schreiend Befehle. Der Nalfeshnee ging immer tiefer, und der Chasme mit Danifae und Jeggred folgte ihm. Pharaun blieb nichts übrig, als ihnen ebenfalls zu folgen. Zerevimeel setzte ungefähr fünfzehn Schritte rechts vom dunklen Schlund auf, und Pharaun landete direkt neben dem hochaufragenden Nalfeshnee. Danifae hingegen lenkte den Chasme ungefähr zehn Schritte links vom Tunneleingang auf den Boden. Der Seelenstrom floß zwischen ihnen hindurch,
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und der Paß des Seelenfressers verschlang ihn. Quenthel strich ihre Robe glatt und beäugte Danifae. Pha raun erkannte, daß Quenthel die Situation eiskalt kalkulierte. Der Nalfeshnee, der noch immer mit seinen lächerlich klei nen Flügeln schlug, beugte sich zu ihr hinunter und flüsterte ihr etwas zu, das Pharaun nur mit Mühe verstand: »Für einen angemessenen Lohn könnte ich Euch gerne zur Seite stehen. Es wäre mir ein Vergnügen, den Draegloth zu zerfetzen.« Pharaun war mit dem Dämon einer Meinung. Aus dem Mundwinkel heraus antwortete Quenthel, die Da ni-fae noch immer stier musterte: »Ich benötige deine Unter stützung nicht. Diese Sache wird Priesterin gegen Priesterin ausgetragen. Du bist aus deinem Dienst entbunden. Hinfort!« Der Dämon zischte vor Wut. Seine Lefzen gaben seine gei fernden Fangzähne frei, dann richtete er sich zu seiner vollen Größe auf. Pharaun legte die Hand auf den eisernen Blitzstab am Gürtel. Man konnte nie wissen. Er hätte sich keine Sorgen machen müssen. Der Dämon verspürte offenbar keine Lust, Quenthel herauszufordern. Pharaun fragte sich, ob Danifae dazu noch Lust hatte. »Denkt an unsere Abmachung«, grollte der Nalfeshnee. »Ihr schuldet mir Sechsundsechzig Seelen. Wenn wir uns wiedersehen, erwarte ich meine Bezahlung.« Quenthel winkte ab. Die Augen des Nalfeshnee verengten sich zu Schlitzen, doch er beschloß, es nicht auf die Spitze zu treiben. Er aktivierte die Fähigkeit, willentlich zu teleportie ren, die allen höheren Dämonen zueigen war, und verschwand. Pharauns Aufmerksamkeit richtete sich nun auf Danifae und Jeggred, die auf der anderen Tunnelseite bei dem Chasme standen. Der Fliegendämon sirrte mit den Flügeln und trippel te aufgeregt im Kreis. »Wie sieht es mit meiner Bezahlung aus, liebreizende Pries
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terin?« summte der Dämon, und seine lange Zunge schob sich immer weiter aus seinem Maul hervor. Etwas Langes, Tropfen des schob sich aus seinem Thorax. Danifae lächelte den Chasme aufreizend an, und dieser be gann noch heftiger mit den Flügeln zu schlagen. Der Leichen gestank seiner Flügel ließ Pharaun die Nase rümpfen. Danifae glitt noch einen Schritt näher an den Dämon her an, leckte sich provokant über die Lippen und sagte nur: »Töte das Ungeziefer!« Zuerst schien der Dämon gar nicht so recht zu begreifen, was da geschah. Die Flügel schlugen voller Verwirrung, und sein Gesicht verzog sich ungläubig. »Was habt Ihr gerade gesagt, Priesterin?« Jeggred stürmte bereits vorwärts, und der Dämon verstand endlich, in welcher Gefahr er schwebte. Er stieg in die Luft, doch Jeggred sprang hoch und packte ihn bei den menschli chen Vorderarmen. Der Chasme quiekte vor Schmerz. »Ihr habt gelogen!« kreischte er Danifae an und versuchte verzweifelt, sich von Jeggred zu befreien. Danifae lachte: »Natürlich.« Der Chasme war es gelungen, Jeggred ein Stück in die Höhe zu heben. Dieser grunzte und zog an den Armen des Dämons. Der Chasme kreischte und flehte; Jeggred brüllte und riß wei ter. Mit einem ekligen Geräusch lösten sich die Vorderarme des Chasme aus seinem Leib. Jeggred kam geduckt auf dem Boden auf und umklammerte noch immer seine zwei grausigen Tro phäen. Der Chasme jaulte in Todesqualen, und das Geräusch war so albern, daß Pharaun fast lachen mußte. Der Dämon flog in wirren Kreisen über der Gruppe dahin, und das Blut und der
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Eiter, die aus seinen abgerissenen Stümpfen spritzten, besudel ten die ganze Gruppe. »Dafür wist du bezahlen, du verlogene Drowschlampe!« kreischte der Dämon schmerzerfüllt. »Du wirst bitterlich be zahlen. Vakuul vergißt niemals!« Jeggred warf einen der ausgerissenen Arme wie einen Speer nach dem Chasme, doch dieser flog mit einem indignierten Pfeifen zur Seite. Das blutige Ding landete vor Pharauns Fü ßen. Mit einem letzten vernichtenden Blick auf Danifae ver schwand der Chasme. Er war auf die Ebene des Abyss zurückte leportiert, auf der er zuhause war. Jeggred schnüffelte an dem anderen Arm, rümpfte die Nase und warf ihn weg. Noch immer lächelnd sah Danifae durch den Seelenfluß hindurch Quenthel an. Die Priesterinnen starrten einander lange an, bis Quenthel schließlich das Wort ergriff: »Lolth wartet auf der anderen Seite des Passes auf ihre Yor’chae.« Jeggred spürte die drohende Gefahr. Er trat hastig vor Dani fae und starrte seine Tante finster an. Pharaun trat einen Schritt näher zu Quenthel. »Herrin Quenthel erklärt uns mal wieder das Offensichtli che«, spottete Danifae. Sie hatte die schmächtige Hand auf Jeggreds Rücken gelegt. Pharaun erkannte erst, als er genauer hinsah, daß sie mit den Fingern Zeichen auf seiner Haut machte. Offenbar gab sie ihm Befehle. »Herrin ...«, setzte Pharaun ab, doch Quenthel schnitt ihm das Wort ab. »Ich erkläre hier das Offensichtliche, Kriegsgefangene, weil du dich offensichtlich weigerst, das Offensichtliche zu erken nen, seit wir auf Lolths Ebene angekommen sind.« Sie unter
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strich ihr Argument mit einem knallenden Peitschenhieb. Jeggreds Atem ging jetzt in schnellen Stößen, und Danifae nahm die Hand von seinem Rücken. Sie hatte offenbar alles gesagt, was er wissen mußte, oder alle nötigen Anweisungen erteilt. Die Spannung hing so dick in der Luft, daß man sie hätte schneiden können. Pharaun rief sich die Worte eines Zaubers ins Gedächtnis, aber Quenthel hatte ihn angewiesen, nur auf ihren Befehl hin anzugreifen. Allein deswegen wartete er noch. Jeggred starrte durch den Seelenfluß hindurch abwechselnd Pharaun und Quenthel an, und in seinen Augen lag unverhüll te Gier. Sein Kampf mit dem Chasme hatte seinen Blutdurst erst so richtig angestachelt. Danifae berührte ihr heiliges Symbol und fragte: »Welchen offensichtlichen Punkt weigere ich mich zu erkennen, Herrin Quenthel?« Quenthels Schlangen zischten haßerfüllt. »Ach, nur eine Sache«, meinte Quenthel nonchalant, »nämlich die Tatsache, daß Lolth ein Opfer von ihrer Yor’thae verlangt, bevor diese den Paß betritt ...« Sie holte mit der Peitsche aus, doch Jeggred war schneller. Ehe Quenthel ihre Bewegung vollenden konnte, ehe Pharaun einen Zauber wirken konnte, stürmte der Draegloth bereits auf Quenthel zu. Er überwand den Abstand zwischen ihnen mit vier raschen Sprüngen. »Nein, nicht!« rief Danifae, doch ihr zufriedener Gesichtsausdruck strafte ihre Worte Lügen. Quenthel wurde von dem plötzlichen Angriff überrascht und schaffte es nur noch, einen schwachen Schlag mit der Peitsche zu führen, den Jeggred mühelos abwehrte, indem er
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die Schlangen mit einer Kampfklaue grabschte und von sich fernhielt. Er stemmte Quenthels Schild mit der Schulter zur Seite und schlug mit der anderen Klaue nach ihrer Brust. Die Rüstungsteile spritzten förmlich durch die Luft, und Quenthel taumelte zwei Schritte rückwärts. Jeggred folgte ihr in einem Tempo, das aus seinem Kampf rausch geboren schien. Die Schlangen, die wild zischend und zuckend versuchten, ihre Zähne in sein eisenhartes Fleisch zu schlagen, hielt er weiter mit seiner Kampfklaue umfaßt. Der Draegloth brüllte und schlug erneut mit der freien Klaue zu. Quenthel hatte sich inzwischen ein wenig gefaßt und wehr te den Schlag im letzten Augenblick mit dem Schild ab, wen dete den Schild mitten in der Bewegung und schmetterte Jeggred den Rand ins Gesicht. Zähne flogen durch die Luft. Die Wucht des Schlages hatte Jeggred kurzfristig betäubt. Quenthel nutzte die winzige Kampfpause, um die Peitsche heftig keuchend aus Jeggreds Griff zu befreien. Pharaun be wunderte ihre Kraft, über die sie dank des magischen Gürtels verfügte. Sie sprang einen Schritt zurück, wirbelte die Schlan gen über ihren Kopf und schlug zu. Getrieben von der Wucht ihres Schlages bohrten sich die Schlangen in das harte Fleisch. Blutige Schnitte wurden über Jeggreds Rippen sichtbar. Er brüllte auf, rollte sich zur Seite und kam geduckt wieder auf die Beine. Jeggred knurrte und sprang. Der Speichel troff von seinem Maul, während er Quenthel mit einem wahren Schlaghagel eindeckte, der so wuchtig war, daß er mühelos eine Steinmauer zertrümmert hätte. Quenthels Schild war bereit, und ihre ma gische Rüstung stellte ebenfalls ein formidables Hindernis dar. Dennoch wurde sie zurückgetrieben. Die Peitsche knallte er neut, und wieder sanken die Fangzähne in Jeggreds Fleisch. Pharaun erkannte, daß er dem Kampf zu lange untätig zuge
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sehen hatte. Rasch holte er einen kleinen Lederhandschuh aus seinem Piwafwi, sprach die magischen Worte und vollführte mit geballten Fäusten komplizierte Gesten. Als er fertig war, tauchte hinter ihm eine graue, körperlose Faust auf, die so groß war wie die eines Titanen. Er erteilte ihr einen geistigen Befehl, und sie zischte auf Jeggred zu. Der Draegloth sah nicht, was da auf ihn zukam. Die Faust krachte mit solcher Wucht in ihn, daß sie einen Felsen zerschmettert hätte. Der Aufschlag trieb Jeggred die Luft aus den Lungen, und sein Brüllen riß einfach ab, während er in hohem Bogen durch die Luft segelte. Er krachte zehn Meter von Quenthel entfernt inmitten des Seelenstroms auf den Boden und kullerte dahin. Verwirrt kam er wieder hoch und haschte nach den körper losen Seelen, natürlich ohne sie berühren zu können. Mit einem erneuten Brüllen stürmte er auf Pharaun zu, doch der Meister Sorceres hatte seine magische Faust schon zu sich gerufen, so daß sie sich in Jeggreds Weg stellte. »Ich töte dich, Magier!« brüllte Jeggred und trommelte auf das magische Konstrukt ein. »Ich töte euch beide!« »Jeggred!« sagte Danifae, und zum erstenmal, soweit sich Pharaun erinnern konnte, drangen ihre Worte nicht zu ihm durch. Völlig im Kampfrausch gefangen, bearbeitete der Draegloth die Faust weiterhin mit seinen Klauen. Pharaun lächelte und erteilte der Faust den Befehl, zu ei nem weiteren Schlag auszuholen. »Jeggred, hör auf!« schrie Danifae. Er hatte sie gehört. Jeggred hielt mitten in seinem tobenden Ansturm inne, blickte zu Danifae und dann wieder zur Faust. Seine Brust hob und senkte sich mit schweren Atemzügen, seine Augen glitzer
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ten gefährlich, und Sabber triefte von seinen Fangzähnen. Der Reihe nach musterte er Quenthel, Pharaun und schließlich die magische Faust. »Sie wollte uns angreifen«, zischte Jeggred an Danifae ge wandt. Pharaun ließ die magische Faust langsam näher an Jeggred herangleiten. Er konnte sie jederzeit zuschlagen lassen, doch er genoß es, sich an Jeggreds wachsender Frustration zu ergötzen. »Du unterschätzt deine Tante«, sagte Danifae und lächelte Quenthel an. Pharaun sagte: »Sie hat Jeggred den Befehl zum Angriff er teilt!« Die Baenre-Priesterin war durch den Zusammenstoß mit Jeggred etwas außer Atem geraten. Sie lächelte amüsiert und antwortete: »Ihr überschätzt Danifae, Meister Mizzrym.« Pharaun war sich sicher, daß Quenthel sich irrte, aber er sagte nichts. Jeggred wandte sich mit tiefer, grollender Stimme an Dani fae. In seinen Worten schwang etwas Bedrohliches mit. »Her rin, gebt mir die Erlaubnis, sie zu töten und ...« »Schweig, Männchen«, zischte Danifae. Jeggred verstummte. Pharaun bewunderte sie dafür, wie es ihr gelungen war, sich den Tölpel Untertan zu machen. Quenthel untersuchte das kleine Loch in den Kettenglie dern ihrer Rüstung, das Jeggred verursacht hatte, und wandte sich dann wieder an den Draegloth: »Neffe, du hast dich gera de freiwillig als Opfer zu Ehren Lolths gemeldet.« Jeggred spie eine Kugel gelblichen Schleims auf Quenthel. Er traf die magische Faust, hing ein wenig in der Luft und rann dann zu Boden. »Seid Ihr sicher, daß das die Zustimmung meiner Mutter fände?« fragte er.
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Er hatte einen wunden Punkt getroffen. Jeggred war der Sohn der Muttermatrone des Hauses Baenre. Es war zweifel haft, ob Quenthel es wagen würde, Triels Zorn herauszufor dern, indem sie deren eigenen Sohn als Opfer darbrachte. Pharaun wartete gespannt auf Quenthels nächste Worte. »Ich werde mich statt dessen daran ergötzen, dich zu bestra fen«, sagte sie. Pharaun war enttäuscht und beschloß zu versuchen, Quenthel doch noch umzustimmen. Im höflichsten Tonfall, den er über die Lippen brachte, wandte er sich an sie: »Dieser heruntergekommene Tölpel hat sich wiederholt Euren Anweisungen widersetzt. Er hat sich auf die Seite einer niederen Priesterin geschlagen ...«, er machte eine verächtliche Kopfbewegung zu Danifae, »... und er hat wiederholt bewiesen, daß er des Namens Baenre unwürdig ist. Seine Dummheit wird nur noch durch seinen Gestank über troffen. Wenn Ihr ihn schon nicht opfern wollt, gestattet mir, ihn zu töten. Das intelligente Leben überall im Multiversum wird es uns danken.« Aus Jeggreds Blick sprach blanker Haß. Quenthel sah Pharaun nicht einmal an, während sie ihm antwortete: »Ihr werdet nichts tun, außer, ich gestatte es, Meister Mizzrym.« »Herrin ...«, setzte er erneut an. »Nur wenn ich es gestatte, Mann!« zischte Quenthel, und ihre Schlangen fixierten ihn mit stierem Blick. Pharaun knirschte frustriert mit den Zähnen und rang sich eine halbherzige Verneigung ab. »Die Aufmüpfigkeit des Magiers und das ständige Ge schwätz dieser verfluchten Peitsche zeigen nur, wie schwach Ihr geworden seid!« knurrte Jeggred. Pharaun ließ die magische Faust an seine Seite schweben.
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»Genug«, sagte Danifae. Sie sah Quenthel an und nahm ihr heiliges Symbol zur Hand. Quenthel tat es ihr gleich. Dann starrten die beiden einan der unverwandt an. »Vielleicht ein paar Schutzzauber, ehe wir uns in den Paß wagen?« fragte Danifae unschuldig. Quenthel nickte. Sie begannen gleichzeitig, ihre Zauber zu wirken und beäug ten einander dabei mißtrauisch. Pharaun sah den Haß in ihren Augen und fragte sich, ob es hier wirklich um das Wirken von Verteidigungszaubern ging ...
Gromph kämpfte sich methodisch durch die schier endlose Zahl der Schutzzeichen. Je nach Situation setzte er brutale magische Gewalt ein, um sie zu zerstören oder zu bannen, oder er ging subtiler vor, indem er sie verbog oder umlenkte, wäh rend er hastig an ihnen vorbeiglitt. Er konzentrierte sich einzig und allein auf die Verteidi gungsmaßnahmen des Hauses Dyrr, so daß ihm kaum auffiel, wie Dyrrs Soldaten an ihm vorbeistürmten oder daß es dem Haus währenddessen gelang, einen zweiten Angriff Xorlarrins auf die Brücke abzuwehren. Mit jedem Schutzzauber, den er überwand, kam er Lolths Tempel und damit auch dem Golem und dem Seelengefäß näher. Die Schutzzauber und Zauberfallen, die Yasraena und frühe re Muttermatronen in den vergangen Tagen oder auch Jahren gewirkt hatten, stellten für die magische Macht von Gromphs Gegenzaubern keinerlei Herausforderung dar. Nur die Zauber, die Dyrr selbst gewirkt hatte, waren schwierig zu bannen oder zu überlisten, doch schlußendlich blieb Gromph stets siegreich.
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Jedesmal wurde der Meisterzauber aktiv, jener magische Fa den, der alle anderen Schutzzauber miteinander verband, und aktivierte die von Gromph gebannten Zauber nach kurzer Zeit erneut. Gromph öffnete ungefähr vierzig magisch verschlosse ne Türen und Eingänge, nur um mit ansehen zu müssen, wie der Meisterzauber sie kurz darauf wieder hinter ihm schloß und erneut verzauberte. Er war noch immer nicht sicher, welche Absicht Dyrr mit dem Meisterzauber verfolgte, hatte aber auch keine Zeit, sich länger damit zu beschäftigen. Die Zeit verstrich unerbittlich, doch in seiner jetzigen Ges talt fehlte Gromph die Möglichkeit, die verstrichene Zeit spanne abzuschätzen. Er ging davon aus, daß er mindestens anderthalb Stunden damit verbracht hatte, einen Schutzzauber nach dem anderen aufzuheben. Bald würde der Zauber enden, der seinen Gestaltwandel ermöglichte. Der Zauber, der es ihm gestattet hatte, zu einem Schatten zu werden, und Prath, zu Gromph zu werden, würde seine Wirkung verlieren. Er würde nicht mehr körperlos sein, und Prath würde nicht mehr wie Gromph aussehen. Yasraena würde die Täuschung sicher augenblicklich durch schauen. Sie würde zu dem Schluß kommen, daß Gromph schon im Haus war und all ihre Streitkräfte losschicken, um ihn aufzuspüren. Er verdrängte diese Möglichkeit aus seinen Gedanken und konzentrierte sich auf die nächste Herausforderung. Es handel te sich um eine Zauberfalle, die ihn in einem Kraftfeldkäfig einkerkern würde, sobald er den äußeren Rand des geschützten Bereichs überschritt. Der Kraftfeldkäfig würde ihn selbst in seiner körperlosen Gestalt festhalten. Er wollte ihn gerade bannen, als ihm etwas auffiel. Gromph hatte es nicht mit einem, sondern mit zwei Schutzzaubern zu tun. Der zweite war geschickt in der Struk
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tur des ersten verborgen. Der verborgene Zauber wurde durch das Bannen des ersten Schutzzaubers aktiviert. Er würde dafür sorgen, daß das Opfer etliche schmerzhafte Sekunden genießen durfte, ehe sein Herz versagte und es starb. Gromph ermahnte sich wegen seiner Achtlosigkeit. Er war geistig völlig erschöpft und neigte daher zur Schlampigkeit. Dadurch wäre ihm fast ein tödlicher Fehler unterlaufen. Er nahm sich Zeit, um sich erneut zu konzentrieren, und hob die Schutzzauber dann in der korrekten Reihenfolge auf. Kurz nachdem er den Bereich durchquert hatte, wirkte der Meisterzauber auch schon beide Schutzzauber neu. Gromph seufzte und schwebte weiter. Die Tempeltore, die ebenfalls mit zahllosen magischen Ver teidigungsmaßnahmen geschützt waren, befanden sich jetzt bereits in Griffweite. Er kümmerte sich rasch um die letzten beiden Schutzzauber, die zwischen ihm und dem Tempel stan den. Weitere Soldaten hasteten an ihm vorbei. Der Tempel war aus behauenem Stein, hatte ein Kuppel dach, und dem eigentlichen Tempel vorgelagert war eine lan ge, gepflasterte Säulenhalle. Ein schweres bronzenes Doppel portal, das im Verlauf der Zeitalter dunkel angelaufen war, führte direkt ins Tempelschiff. Es war mit Intarsien aus Elektrum geschmückt, die Spinnenmotive und Gebete zu Ehren Lolths darstellten. Gromph konnte von hier aus schon die Steinbänke sehen, die zu beiden Seiten des Mittelgangs standen, der direkt zur Apsis führte, in der der Altar stand. Den Golem konnte er noch nicht erkennen, doch er wußte, daß er sich hinter dem Altar befand. Der Tempel schien verlassen. Die Angehörigen des Hauses waren zu beschäftigt damit, um ihre Existenz zu kämpfen, als
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daß sie Zeit gehabt hätten zu beten. Das Doppelportal wurde von mehreren mächtigen Schutz zeichen und Zauberfallen geschützt. Der Meisterzauber wand sich durch all diese Schutzmaßnahmen hindurch und von dort aus direkt durch das Mittelschiff auf den Altar zu. Vermutlich endete er im Spinnengolem. Gromph schwebte vor den magisch pulsierenden Linien und wirkte mehrere Zauber, um sie zu analysieren. Er holte einen seiner Seherstäbe aus dem Gürtelköcher und starrte durch die Spitze, während er magische Worte murmelte. Er erkannte, daß alle Zauber, die auf dem Doppelportal la gen, kompliziert miteinander verwoben waren und aufeinander aufbauten. Er war nicht sicher, ob es ihm gelingen würde, diesen Knoten aufzulösen. Sein Puls beschleunigte sich vor Anstrengung und Frustra tion. Er versuchte, sich zu beruhigen, doch noch während er sich konzentrierte, spürte er hinter sich eine Präsenz und fuhr herum. Eine Drow, Larikal, eine von Yasraenas Töchtern, schritt auf das offene Tempelportal zu. Ihre Verbundrüstung verbarg ihre Fettleibigkeit. Am Gürtel baumelte ein großer Streitkol ben, und ihr breites, häßliches Gesicht war ärgerlich verzogen. Ein dicker Mann mit Halbglatze hastete neben ihr dahin, die Hände in den Taschen seiner schwarzen Robe. Geremis, erinnerte sich Gromph und dachte sich, daß er in vielerlei Hinsicht Nauzhror ähnelte. Sowohl Larikal als auch Geremis leuchteten in Gromphs magischer Wahrnehmung in den unterschiedlichsten Farben. Auf beiden lagen unterschiedliche Schutzzauber, und sie waren auch mit verschiedenen magischen Gegenständen und Waffen ausgerüstet. Gromph las ihnen das Gespräch von den Lippen ab, während sie auf den Tempel zukamen.
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»Ich werde deine Inkompetenz nicht mehr lange tolerieren, Mann«, schnaubte Larikal. Wie alle männlichen Drow hatte Geremis das überlebens wichtige Talent gelernt, jeglichen Tadel ohne auch nur ein Widerwort wegzustecken. »Das Seelengefäß befindet sich in der Festung«, fuhr Larikal fort. »Du und die dir unterstellten Magier müssen es innerhalb einer Stunde finden. Scheiterst du erneut, werde ich dich bei unserem nächsten Besuch im Tempel Lolth opfern.« »Ja, Herrin Larikal«, antwortete Geremis ergeben. Larikal und der Magier traten direkt durch den körperlosen Gromph, für den sich das anfühlte, als hätte ihn ganz kurz ein Windstoß erfaßt, und gingen dann durch den offenen Tempel eingang. Die Schutzzauber leuchteten auf, als sie die imaginäre Grenze überschritten. Beiden wurden für einen kurzen Augen blick von einer blutroten Aura umhüllt, die aber ebenso rasch verschwand, wie sie aufgetaucht war. Sie hatten kein Befehls wort gesprochen und kein Geheimzeichen ausgeführt. Gromph schloß daraus, daß die Schutzzauber auf einen ihrer Gegens tände oder gar auf ihre Körper selbst geeicht sein mußten. Hinter dem Eingang blieb Geremis stehen. Er drehte sich mit einem verblüfften Ausdruck im breiten Mondgesicht um und musterte die Stelle, an der Gromph schwebte. Gromph fluchte und erstarrte. Er befürchtete, Geremis habe seine Anwesenheit gespürt und bereitete einen Zauber vor, der ihn augenblicklich in Asche verwandeln würden falls es ihm gelang, seine persönlichen Schutzzauber zu durchschlagen. Gromph entspannte sich, als sich Geremis doch noch ab wandte und hinter Dyrrs Tochter den Mittelgang entlang hastete. Gromph wechselte die Position, um besser in den Tempel sehen zu können. Larikal durchschritt den Mittelgang, betrat die Apsis und
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kniete vor dem schwarzen Altar. Mit ehrfürchtigen Gesten nahm sie ein Zündholz und entzündete die einzelne Kerze auf dem Altar. Schatten tanzten plötzlich durch den Tempel, und Spinnen, von denen etliche so groß waren wie Gromphs Faust, wimmelten über den Altar. Im Kerzenschein erkannte Gromph die Silhouette des Go lems. Er war riesig. Geremis hielt diskret Abstand von Larikal; Männern war es verboten, die Apsis eines Lolthtempels zu betreten. Er setzte sich in eine der vorderen Bänke und senkte den Kopf. Ohne weitere Vorbereitungen kniete Larikal nieder, senkte ebenfalls den Kopf und begann zu beten. Gromph konnte die Worte nicht verstehen, konnte sich aber sehr gut vorstellen, wie ihr Gemurmel durch den Tempel drang. Das Kerzenlicht tanzte über die glatte, spiegelnde Oberflä che des Spinnengolems. Die riesige Kreatur schien sich dro hend über dem Altar und Larikal aufzurichten. Sie war weniger als fünf Schritte vom Ziel ihrer Gebete entfernt und hatte keine Ahnung. Trotz seiner Erschöpfung mußte Gromph fast lächeln. Die Spinnenkönigin hatte zweifellos eine ganz eigene Art von Humor. Gromph sah wieder zu den Schutzzeichen. Er mußte ... Ihm kam eine Idee, und jetzt mußte er tatsächlich lächeln. Es würde nicht notwendig sein, die Schutzzauber aufzuhe ben.
Quenthel hielt das heilige Symbol in der Schildhand und leierte die Worte eines Zaubers herunter. Sobald er vollendet war, wuchs sie beinahe zur doppelten Größe heran, ebenso wie ihre Peitsche, ihre Rüstung und ihr Schild. Violettes Licht schien ihren ganzen Leib zu durchdringen und aus ihren Au
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gen zu strahlen. Es war die personifizierte göttliche Gunst Lolths. Auch Danifae beendete ihren Zauber, und ein grauer Schild aus magischer Kraft umhüllte sie, als sich ihr Glaube in stoffli cher Form manifestierte. Die Priesterinnen musterten einander weiterhin mit Haß im Blick, während die Toten Lolths zwischen ihnen über dem zerklüfteten Boden dahinschossen und dann im Paß ver schwanden. Das waren keine Verteidigungszauber, dachte Pharaun und machte sich bereit, seine magische Faust erneut gegen Jeggred einzusetzen. Quenthels Peitsche zischte. Danifae verlagerte ihr Gewicht, und ihre Hand hing neben dem Schaft ihres Morgensterns in der Luft. »Eine interessante Wahl für einen Verteidigungszauber, Herrin«, meinte Danifae. Quenthel verzog verächtlich das Gesicht. Pharaun war sicher, daß eine offene Auseinandersetzung in zwischen unvermeidlich war, aber nein, beide Priesterinnen blieben auf ihren Positionen stehen und wirkten den nächsten Zauber. Obwohl er natürlich arkane Magie wesentlich besser kannte als jene Zauber, die von den Göttern gewährt wurden, hatte Pharaun schon so viele Kleriker beim Zaubern beobachtet, daß er sich ziemlich sicher war, den Großteil derartiger Zauber identifizieren zu können, noch während sie gewirkt wurden. Danifae war zuerst fertig. Es.gab keine sichtbaren Anzeichen der Magie, doch aus ihren Gesten und Worten schloß Pha raun, daß sie einen Zauber zur Erhöhung der Körperkraft ge wirkt hatte. Pharaun bewunderte Danifaes Subtilität. Quenthels erster
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Zauber hatte ihre Körpergröße und ihre Kraft erhöht, war je doch offensichtlich gewesen. Danifae hatte sich auch stärker gemacht, aber ohne das groß kenntlich zu machen. Quenthel beendete ihren eigenen Zauber, und ein schwa ches, grünes Leuchten überzog ihre Haut. Pharaun erkannte, daß es sich um eine Zauberresistenz han delte. Jetzt musterten die beiden Priesterinnen einander erneut. »Der Paß?« fragte Danifae, trat jedoch gleichzeitig drohend einen Schritt auf Quenthel zu. »Oder ... etwas anderes?« Quenthel lächelte, trat einen Schritt auf Danifae zu und antwortete: »Etwas anderes!« Pharaun lächelte auch. Sobald Quenthel und Danifae ge geneinander kämpften, würde er die Gelegenheit nutzen, um Jeggred zu töten, Baenre oder nicht.
Halisstras Herz schien ihr bis zum Hals zu schlagen. Vor ihnen, am Fuß der Berge, standen Danifae und Quenthel einander gegenüber. Danifae war von einem grauen Kraftfeld umhüllt, während Baenre zur doppelten Größe angewachsen war. Sie kämpften oder standen kurz davor. Von der einen Seite beobachte der Draegloth Jeggred das Geschehen und von einer anderen der Magier Pharaun, vor dem irgendeine Art von beschworener Faust schwebte. Die Seelen von Lolths Toten strömten zwischen den Gegnern und rund um sie dahin. Sie kümmerten sich nicht weiter um die Auseinandersetzung und verschwanden in einem finsteren Schlund am Fuß des höchsten Berges, zweifellos dem Paß des Seelenfressers. Halisstra mußte rasch handeln. Sie ließ sich hinter einer Felsnadel dreißig Schritte vom Schauplatz entfernt in Deckung
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sinken. Feliane und Uluyara taten es ihr nach. Halisstra kon zentrierte sich kurz und beendete den Zauber, der sie alle in Dampf verwandelt hatte. Während sie hinter den Felsen kau erte, wandte sie sich mit eindringlicher Stimme an ihre Beglei terinnen. »Siehst du das?« fragte sie Uluyara. »Danifae kämpft gegen Quenthel. Die Baenre hat sicher in Erfahrung gebracht, daß sie in Wahrheit Eilistraee dient.« Sie wandte sich zum Gehen, aber Uluyara packte sie bei der Schulter und drehte sie zu sich. »Halisstra, sie kämpfen doch noch gar nicht. Wir sollten zuerst ein paar Verteidigungszauber wirken. Quenthel ist keine Gegnerin, die man auf die leichte Schulter nehmen darf.« »Dafür ist keine Zeit«, sagte Halisstra und schob Uluyaras Hand weg. Wenn sich Danifae endlich zu Eilistraee bekannt hatte, durfte sie sie nicht allein gegen Quenthel kämpfen las sen. »Wir werden unsere Zauber im Kampf einsetzen. Das muß reichen.« Sie sah ihre Schwestern auffordernd an und hoffte, daß sie ihr diesmal gehorchen würden. »Jeggred und Pharaun?« fragte Feliane. »Was ist mit de nen?« Halisstra zog die Mondsichelklinge. »Quenthel ist unsere Gegnerin«, antwortete sie. »Gehen wir davon aus, daß Pharaun und der Draegloth ebenfalls unsere Feinde sind, außer sie überzeugen uns durch ihre Handlungen vom Gegenteil.« »Was ist mit Danifae?« fragte Feliane. »Überlaßt sie mir«, sagte Halisstra. Damit wandte sie sich um und stürmte in den Kampf. Uluy aras Horn erscholl hinter ihr.
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Von irgendwo hinter Pharaun erklang das Gellen eines Schlachthorns. Für einen Augenblick war die Spannung, die eben noch zwischen Danifae und Quenthel in der Luft gelegen hatte, verschwunden. Beide drehten sich zu dem weithin hallenden Geräusch. Zuerst dachte Pharaun, seine Augen würden ihm einen Streich spielen, doch Quenthels Worte klärten die Sache auf. »Melarn«, sagte Quenthel drohend. Die Peitschenschlan gen wanden sich und zischten aufgebracht. Pharaun warf einen Blick zurück zu Danifae. Diese öffnete den Mund, schloß ihn dann aber wieder, ohne etwas zu sagen. Sie wirkte geschockt, erholte sich jedoch rasch. »Wie es scheint, hat uns Lolth ein anderes Opfer darge bracht«, sagte sie.
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Pharaun wandte sich wieder um und sah Halisstra Melarn, die in Begleitung einer zweiten Drow und einer Oberflächenel fe über den felsigen Untergrund auf sie zustürmte. Sie waren gerüstet und hatten die Schwerter gezückt. Das Symbol auf Halisstras Schild erregte Pharauns Aufmerksamkeit. Es war ein mit der Spitze nach oben stehendes Silberschwert, um das sich ein silbernes Band wand. Er erkannte Eilistraees Symbol. Das war alles, was er wissen mußte. Irgendwie war es Halisstra gelungen, ihnen bis in den Abgrund der Dämonennetze zu folgen. Sie hatte zwei Verbün dete mitgebracht. Vermutlich handelte es sich um Priesterin nen der gleichen, verfluchten Gottheit. »Sie trägt das Symbol Eilistraees«, sagte Pharaun. Noch während er sprach, aktivierte er seinen Ring und stieg empor. »Ich bin nicht blind, Mann«, bellte Quenthel. »Sie denkt, ich sei ihre Verbündete«, sagte Danifae zu Quenthel und trat ein paar Schritte zurück. »Ich werde versu chen, ihre Zweifel zu schüren.« Danifae schrie: »Herrin Melarn! Hierher! Wir wollen Quenthel gemeinsam aufhalten! Bei der Dame des Tanzes, kämpft an meiner Seite!« Quenthel runzelte mißbilligend die Stirn. Die Schlangen blickten abwechselnd zur anstürmenden Halisstra und zu Dani fae. Als Antwort auf Danifaes Worte lächelte Halisstra und wir belte eine leuchtende Klinge um ihren Kopf. Die andere DrowPriesterin stieß erneut ins Horn. Jeggred antwortete mit einem eigenen, brüllenden Schlachtruf. Pharaun war ebenso verwirrt wie die Schlangen. Er wußte nicht, ob Danifae jetzt eigentlich Quenthel manipulierte oder Halisstra oder gar beide. Da er Pragmatiker war, beschloß er,
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auf Nummer sicher zu gehen und sie erstmal beide wie Feinde in diesem Kampf zu behandeln. Nachdem er sich darüber im klaren war, legte er sich einen Schlachtplan zurecht. Halisstra und Danifae mochten gefähr lich sein, doch Jeggred war sicher der gefährlichste Gegner in dieser Auseinandersetzung. Halisstra und die beiden anderen Priesterinnen kamen auf Quenthel zu. Jeggred stürmte ebenfalls in Quenthels Richtung. Ob er seine Tante oder die angreifenden Priesterinnen atta ckieren wollte, konnte Pharaun nicht wissen. Er erteilte der magischen Faust einen geistigen Befehl, und sie schoß auf Jeggred zu. Dieser sah sie kommen, versuchte, ihr auszuweichen, wurde aber mit voller Wucht an Brust und Kopf erwischt. Der Aufprall ließ den riesigen Draegloth kopfvor auf den Boden knallen. Dort lag er dann reglos, offenbar betäubt. Pharaun grinste. Manchmal war er selbst überrascht, was für ein meisterlicher Magier er doch war. Danifae warf Pharaun einen finsteren Blick zu und setzte sich noch weiter von Quenthel ab. »Hierher, Halisstra«, rief Danifae und winkte mit ihrem Morgenstern. Während die drei Eilistraee-Jüngerinnen heranstürmten, flehten sie ihre Göttin um Hilfe an. Ihre Gebete waren eine Mischung aus Lied und Sprechgesang. Halisstra beendete ihr Gebet, und ein schwarzer Strahl schoß aus ihren Fingerspitzen auf Quenthel zu. Die Priesterin trat hastig einen Schritt zur Seite, und der Strahl verpuffte an einem Felsen. Die andere Drow-Priesterin beendete ihr Gebet und wurde von einer rosa Aura umhüllt. Die Elfe hatte sich Pharaun als Ziel erwählt. Sie zeigte mit dem Finger auf ihn, und eine glei ßende Lichtkugel hüllte ihn ein.
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Er keuchte und hielt den Unterarm schützend vor die Au gen. Das plötzliche Licht stach wie Nadeln in seine empfindli chen Augen. Ohne die Augen zu öffnen preßte er die Worte eines Gegenzaubers hervor, und das willkommene Dämmer licht des Abgrunds der Dämonennetze kehrte zurück. Er öffnete die Augen, und für einen Augenblick sah er nur tanzende Flecken. Tränen schossen ihm in die Augen, doch er blinzelte so lange, bis er wieder klar sah. Er wandte sich zu seiner magischen Faust, die noch immer über dem betäubten Jeggred schwebte, und schickte sie der Elfe entgegen. Während die drei Priesterinnen immer näherkamen, fächer ten sie auf. Die Faust bewegte sich so, daß sie die Elfe abfangen würde. Die Elfe brach ihren Sturmlauf ab und hob ihren kleinen Schild, um sich vor dem Aufprall zu schützen. Pharaun erteilte ihr allerdings nicht den Befehl, nach ihr zu schlagen. Auf seinen geistigen Befehl hin bremste sie abrupt vor der Elfe ab, öffnete die Finger und griff nach ihr. Die Elfe war flink und schlug mit ihrer Klinge nach dem beschworenen Kraftfeld, doch davon ließ sich die Faust nicht aufhalten. Die riesigen Finger packten sie und schlossen sich so um sie, daß nur doch der Kopf sichtbar war. Noch ehe sie um Hilfe rufen konnte, erteilte Pharaun der Hand den Befehl zuzudrü cken. Die Elfe öffnete den Mund, um zu schreien, doch kein Laut kam über ihre Lippen, da ihr die Hand die Luft aus den Lun gen gequetscht hatte. So mußte sie ihr Leid schweigend erdul den. Pharaun wandte sich um und sah Halisstra auf Quenthel zu stürmen. »Hilf uns, Danifae«, rief sie.
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Danifae antwortete: »Natürlich, Herrin.« Sie machte aller dings keine Anstalten, den Worten Taten folgen zu lassen. Die andere Drow-Priesterin, die ein Schwert mit langer Klin ge führte, kam von der anderen Seite auf Quenthel zu, hielt jedoch inne, als sie bei einem Blick über die Schulter feststel len mußte, daß die Elfe in der magischen Faust gefangen war. »Feliane!« rief sie. Die Drow-Priesterin blickte sich kurz um, lokalisierte Pha raun und sang einen Zauber. Pharaun schoß währenddessen fliegend auf sie zu, zog einen Blitzstab und murmelte ebenfalls einen Zauber. Sie war zuerst fertig. Ein Schwert aus magischer Energie tauchte neben Pharaun in der Luft auf. Es flog direkt neben ihn und schlug augenblick lich nach Pharauns Kopf. Er wirbelte zur Seite, doch das Schwert folgte ihm unermüd lich und deckte ihn mit einem Hagel aus Schlägen und Sti chen ein. Er schoß durch die Luft, machte Salti und Rollen, doch das verdammte Ding ließ sich einfach nicht abschütteln. Zweimal gelang es der Klinge, seinen magischen Schutz zu überwinden. Sie fügte ihm Schnittwunden an Schulter und Unterarm zu. Der Schmerz führte dazu, daß er die Konzentrati on auf den Zauber verlor, den er gerade vorbereitet hatte, und er fluchte lauthals. Er drehte eine rasende Serie von Kreisen in der Luft, bis er etwas Abstand gewonnen hatte. Dann sprach er hastig die Worte eines Gegenzaubers und hoffte, seine Magie werde stär ker sein als die der Priesterin. Er gewann, und das Schwert aus magischer Energie ver schwand. Vorsichtig griff er an seine Schulter und stellte er leichtert fest, daß die Wunde zwar stark blutete, aber nicht besonders tief war.
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Pharaun sah unter sich, wie die Drow-Priesterin von einer Seite gegen Quenthel vorrückte, während Halisstra sie von der anderen Seite in die Zange nahm. Quenthel hielt unerschüt terlich stand. Die Peitsche knallte, und die Schlangen zisch ten. Pharaun holte ein Stück Quarz aus seinem Piwafwi, formte eine Kuppel mit den Händen und rasselte einen Zauber herun ter, der die Chancengleichheit wieder herstellen würde. Sobald er die Beschwörung vollendet hatte, tauchte eine Halbkugel aus halbdurchsichtigem Eis rund um Halisstra auf. Sie war von der armdicken Eiskuppel umschlossen. Er konnte sehen, wie die Verräterin aus dem Hause Melarn wie wild in der Halbkugel hin- und hertanzte und die Mauer mit ihrem Schwert bearbeitete. Er wußte, daß der Zauber sie nicht lange halten konnte, doch er würde Quenthel etwas Zeit erkaufen. Quenthel erkannte die Gelegenheit und nutzte sie. Sie stürmte auf die andere Drow-Priesterin los. Die Peitsche pfiff in weitem Bogen durch die Luft. Die Priesterin, die noch immer von der rosafarbenen Aura umhüllt wurde, dachte dennoch nicht an Rückzug, ja sie zöger te nicht einmal. Sie tanzte und wirbelte zwischen den Schlan gen hindurch und holte gleichzeitig zu einem Rückhandschlag aus, der Quenthels Rüstung auf der Brust zerteilte. Die noch immer übergroße Quenthel konterte mit einem Schildstoß, doch die Priesterin wich elegant aus und stieß ihre Klinge nach Quenthels Bauch. Quenthel sprang hastig rückwärts, um dem gefährlichen Stoß zu entgehen, und die Priesterin folgte ihr dichtauf. Sie selbst tanzte und wirbelte, und auch ihre Klinge beschrieb während der Verfolgungsjagd irrwitzige Muster in der Luft, so daß sie zu verschwimmen schien.
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»Danifae Yauntyrr«, rief sie laut, »antwortet dem Ruf der Dame des Tanzes und steht mir jetzt bei.« Doch wie Pharaun sah, antwortete Danifae nicht. Sie stand abseits, scheinbar zufrieden damit, den Konflikt zu beobachten und vielleicht darauf zu warten, sich auf den geschwächten Sieger zu stürzen, um diesen dann mühelos auszuschalten. Blutend und keuchend führte Quenthel eine Reihe brutaler Angriffe mit der Peitsche, und einer dieser Angriffe streifte die Priesterin. Sie geriet kurz ins Wanken, und Quenthel nutzte den Augenblick, um ihr den Schild in die Brust zu rammen. Dank Quenthels brutaler Kraft und Größe wurde die Pries terin förmlich durch die Luft katapultiert. Irgendwie schaffte sie es dennoch, elegant aufzukommen. Sie fand ihr Gleichge wicht wieder und stürmte erneut los. Ihr Schwert sirrte und zischte durch die Luft. Quenthel hob die Peitsche so hoch wie möglich und schlug nach der Priesterin. Diese warf sich zuerst nach rechts, dann nach links, dann duckte sie sich und zog eine klaffende Wunde über Quenthels Arm, und dann ... Eine der Schlangen schlug die Fänge in den Arm der Pries terin. Sie stöhnte vor Schmerz. Die Herrin Arach-Tiniliths nutzte die Gelegenheit, einen weiteren Schildstoß folgen zu lassen. Die Priesterin rollte sich ab, um den Schlag die Wucht zu nehmen. Dennoch trieb er sie fünf Schritte zurück. Die Bißwunden am Arm begannen sich schon schwarz zu verfär ben. »Es ist vorbei«, sagte Quenthel. Die Hohepriesterin Lolths rückte gegen ihre Gegnerin vor. Die Peitsche kreiste durch die Luft, und die Schlangen zisch ten bedrohlich. Die andere Priesterin tänzelte rückwärts und schaffte es noch immer, sich dabei elegant um die eigene Achse zu dre
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hen. Sie griff nach ihrem heiligen Symbol und sang einen Zauber. Ein silberner Lichtstrahl schoß aus ihrer ausgestreckten Handfläche, überwand Quenthels Schutzzauber und traf sie in die Brust. Quenthel stöhnte und taumelte rückwärts. »Wohl kaum«, antwortete die Eilistraeenerin und stürmte erneut los. Noch bevor Uluyara sie erreichte, hielt Quenthel die Peit sche empor und befahl: »Geschwindigkeit!« Die Schlangen wirbelten durch die Luft, und ihre Worte hallten wie eine Echo durch die Luft: »Geschwindigkeit ...« Der Adamantitgriff der Peitsche leuchtete violett auf, und die Bewegungen der Hohepriesterin wurden schneller. Die Peitsche verschwamm in der Luft. Uluyara stürmte herbei, die Klinge in Kniehöhe. Quenthel trat blitzschnell zur Seite, stieß Uluyaras Schwert mit ihrem Peitschengriff zu Boden und landete einen Treffer mit allen fünf Schlangen in ihrem Rücken. Die Priesterin keuchte und taumelte, schaffte es jedoch noch immer, auf den Füßen zu bleiben. Sie wirbelte zur Seite und entging so dem nächsten Peitschenhieb, der ihr den Kopf von den Schultern gerissen hätte. Wieder begann die Eilistraee-Priesterin zu zaubern, doch Quenthel war zu schnell. Die Peitsche knallte erneut, fand eine Lücke in Uluyaras Rüstung, und die Schlangen verbissen sich im Fleisch. Der Schmerzensschrei Uluyaras machte ihren Zauber zunichte. Pharaun erkannte, daß die Sache gelaufen war. Uluyara war Quenthel nicht gewachsen. Halisstra hatte das wohl durch die Eiswand auch erkannt. Ihr erstickter Schrei drang durch die Barriere: »Uluyara! Dani fae, hilf ihr!«
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Doch Danifae tat nichts. Sie wollte sich noch immer nicht festlegen, auf welcher Seite sie stand. Uluyara wurde inzwischen von Verzweiflung gepackt. Sie stürmte wild um sich hackend und schlagend auf Quenthel ein. Quenthel parierte die Schläge und antwortete mit einem weiteren Schildstoß, der Uluyara zurücktrieb. Quenthel nutzte die erhöhte Geschwindigkeit, die ihr die Peitsche gewährte, griff blitzschnell in ihren Piwafwi und holte ein Silberzepter von Unterarmlänge hervor. Sie zeigte damit auf Uluyara, und aus der Spitze schoß eine klebrige, halb flüssi ge Substanz. Das Zeug durchtränkte die Rüstung und das Ge wand der Priesterin und härtete fast augenblicklich aus. Uluya ra versuchte, sich dagegen zu wehren, doch es dauerte nicht lang, bis sie nicht mehr bewegungsfähig war. Quenthel grinste und schlenderte zu der gefangenen Prieste rin, die hilflos dalag. Pharaun war froh darüber, daß der Kampf so einfach gewe sen war. Er gönnte sich eine kleine Auszeit, um sich auf dem Schlachtfeld umzusehen. Jeggred war noch betäubt, obwohl eine Hand bereits zuckte. Die Elfenpriesterin wurde noch im mer von der magischen Faust gequetscht, und Halisstra war auch noch in der Eiskuppel eingeschlossen, obwohl sie sie unermüdlich mit ihrer Waffe bearbeitete und bald durchbre chen würde. Quenthel steckte ihre Peitsche weg und nahm ein kleines Adamantitmesser mit einem stilisierten Spinnenknauf vom Gürtel. Pharaun wußte, daß es ein Opfermesser war. Sie stellte sich hinter die am Boden liegenden Priesterin, damit Halisstra alles sehen konnte. »Ich habe keine Angst«, sagte die bewegungsunfähige Uluya ra. Pharaun war nicht sicher, ob die Worte an Quenthel oder
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Halisstra gerichtet waren. »Aber sicher«, meinte Quenthel spöttisch und reckte die Klinge empor. Halisstra bearbeitete die Eismauer noch hektischer. »Nein«, schrie sie. Pharaun sprach einen raschen Zauber und schickte fünf magi sche Geschosse, die aus seinen Fingerspitzen schossen, durch das kleine Loch, das Halisstra ins Eis geschlagen hatte. Sie trafen die Priesterin, und diese gab einen kurzen Schmerzensschrei von sich. Währenddessen sprach Quenthel ein Gebet zu Ehren Lolths, beugte sich hinab und schnitt Uluyara die Kehle durch. Das Blut besudelte die felsige Einöde des Abgrunds der Dämonen netze, und die Priesterin verstarb mit einem letzten Gurgeln. »Nein!« schrie Halisstra erneut. Quenthel erhob sich, lächelte zuerst Halisstra, dann Danifae an und wandte sich dann an Pharaun. »Kommt. Der Paß des Seelenfressers harrt unserer. Mein Opfer an Lolth ist vollbracht.« Pharaun sah aus dem Augenwinkel, wie Danifae nachlässig mit den Händen signalisierte: Das meine wird es ebenfalls bald sein. Der Magier warf einen letzten Blick auf die Elfenpriesterin, die noch immer hilflos in der magischen Faust hing. Der Zau ber würde bald enden. Vielleicht würde sie dann schon tot sein, vielleicht auch nicht. Pharaun war das egal. Die Anhän ger Eilistraees waren ihnen offenbar nicht gewachsen. Er landete neben Quenthel. Die tote Uluyara würdigte er keines Blickes. Zusammen schritten sie auf den Paß zu. Hinter ihnen war es Halisstra endlich gelungen, ein größe res Loch in die Eismauer zu hacken, so daß die ganze Eiskuppel zerbarst.
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Auch Jeggred stieß ein dumpfes Knurren aus. Offenbar wür de er bald wieder zu sich kommen. »Dreh dich um und stell dich mir, Baenre-Hure«, forderte Halisstra sie von hinten heraus. Von hinten erklangen die Worte eines Zaubers – es war Ha lisstra. Pharaun lauschte den Worten und nickte – ein Flam menschlag. Fast geistesabwesend murmelte er die Worte eines Gegen zaubers und hob ihren Zauber auf. Er konnte sich vorstellen, wie konsterniert Halisstra jetzt war. »Bleibt stehen, Baenre!« brüllte Halisstra erneut, und in ih rer Stimme lagen Ärger und Verzweiflung. »Stell dich uns, und wir wollen herausfinden, welche Göttin stärker ist.« Quenthel ignorierte sie. Sie und Pharaun kamen zum Ein gang in den Paß. Das Loch im Fels war auch aus nächster Nähe völlig schwarz und undurchsichtig. Eine Seele nach der ande ren strömte in das Loch und verschwand. Halisstra rannte los. Ihre Stiefel knirschten auf den Felsen. Quenthel schien fast in andächtiger Trance zu sein. Sie wandte sich an Pharaun: »Der Seelenfresser existiert nur, weil Lolth ihn duldet. Er ist in ihr gebunden und folgt ihren Wei sungen.« Pharaun beäugte den Tunneleingang, während die Seelen weiter an ihnen vorbeiströmten. »Wie lauten ihre Weisungen denn?« fragte er. Quenthel blickte nicht einmal in seine Richtung, während sie antwortete: »Wie immer. Sie stellt die auf die Probe, die sie auf die Probe stellen will. Manche Seelen durchqueren den Paß ungeschoren, andere nicht.« Jetzt wandte sie sich zu ihm, schien aber förmlich durch ihn hindurchzublicken.
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»Man wird mich prüfen«, erklärte sie und nickte in Dani faes Richtung, »genauso wie sie, wenn sie es wagen sollte, den Paß zu betreten. Die Herausforderung des Passes ist nicht für dich und meinen Neffen bestimmt. Ich schätze aber, daß der Seelenfresser dir auch einen Preis abverlangen wird.« »Herrin, warum töten wir sie eigentlich nicht einfach«, fragte Pharaun, »und wenn wir schon dabei sind, auch Euren Neffen?« Quenthels Augen blickten in weite Ferne, offenbar kon zentrierte sie sich bereits voll und ganz auf die Herausforde rung, die der Paß darstellte. »Sie spielen keine Rolle mehr«, sagte sie. Ehe Pharaun weitere Fragen stellen konnte, trat Quenthel in das schwarze Loch. Die Finsternis verschlang sie. Die Seelen strömten weiter an ihm vorbei und in den Paß hinein. Auch sie verschwanden. Halisstra näherte sich. Sie war noch zehn Schritte entfernt. Dann acht. »Kämpfe gegen uns!« forderte sie Pharaun heraus. Pharaun starrte in die Finsternis und konnte sich nicht ent scheiden, welcher der beiden Herausforderungen er sich stellen wollte. Dann holte er tief Luft und trat in den Paß. Beim Übergang spürte er einen leichten Widerstand, so kurz und vergänglich, wie wenn man ein Spinnennetz durchschreitet.
Halisstra sah, wie zuerst Quenthel, dann Pharaun im Tunnel verschwanden. Sie knirschte mit den Zähnen und umfaßte die Mondsichelklinge so fest, daß ihre Knöchel weiß hervortraten. Sie bremste ihren Ansturm und starrte in das Loch. Dahin ter lauerte nur Finsternis. Halisstra keuchte, jeder schwere Atemzug ein Ausdruck des Argers und der Frustration, die sie gefangenhielten.
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Lolths Tote schossen rund um sie dahin. Quenthel und Pharaun waren entkommen, Uluyara war tot, geopfert, und Feliane ... Feliane! Sie wirbelte herum und sah zu ihrer Erleichterung, daß die magische Faust verschwunden war. Feliane kam taumelnd auf sie zu und hielt sich ächzend die Rippen. Danifae war zu Uluyara getreten und kniete neben ihr nie der. Sie wirkte besorgt. Dann sah sie Halisstra an. »Ich konnte sie nicht retten«, sagte sie. Halisstra konnte nur verzweifelt nicken. »Ich versuchte, Euch zu helfen, Herrin«, sagte Danifae und ging zu Halisstra, »doch der verfluchte Magier hat zwei meiner Zauber gebannt. Nächstes Mal werde ich Euch besser dienen.« Halisstra war noch immer zu erschöpft, um zu reden. Ein Kratzen von rechts ließ sie herumfahren. Jeggred kam langsam hoch. In seinen roten Augen funkelte der Zorn, und Feliane beäugte ihn vorsichtig. Jeggred sah Danifae an, dann die schlanke Elfe und knurrte. Halisstra sah der widerwärtigen Kreatur ins Gesicht und sagte: »Deine Herrin hat dich zugunsten Pharauns aufgegeben. Sie hat dich meiner Gnade überlassen. Ich werde Ryld Argiths Tod rächen und dir das Herz herausreißen.« Jeggred lächelte, und es schien, als sei sein Maul von zahllo sen Reihen scharfer Dolche gefüllt. »Meine Herrin hat mich nicht verlassen!« Ehe Halisstra antworten konnte, krachte Danifaes Morgens tern in ihr Kreuz. Die Wucht des Schlages riß ein paar scharfe Fleischwunden, und sie spürte etliche Rippen brechen. Sie atmete heftig aus, und Blut lief ihr den Rücken hinunter. Sie taumelte noch ein paar Schritte vorwärts, dann ging sie zu Boden.
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Da verstand Halisstra. Danifae hatte sie manipuliert. Sie hatte nur vorgegeben, den Ruf Eilistraees gehört zu haben. Danifae hatte schlicht und einfach gewollt, daß Halisstra Quenthel für sie tötete, und es war Danifae gewesen, die dafür gesorgt hatte, daß Jeggred Ryld Argith tötete. Halisstra war blind gewesen. Sie hatte nur gesehen, was sie sehen wollte, und jetzt würde sie die Konsequenzen tragen. »Halisstra!« rief Feliane aus und lief los. Danifae stand hochaufgerichtet über Halisstra und sagte ru hig: »Töte die Elfenschlampe!« Jeggred brüllte auf und schnitt Feliane den Weg ab, ehe sie bei Halisstra angekommen war. Halisstra war schmerzgebeutelt, und der Zorn über ihre ei gene Dummheit schien ihr den letzten Funken Kraft zu rauben. Dennoch schaffte sie es irgendwie, sich auf Hände und Knie empor-zustemmen. In Gedanken wiederholte sie immer wieder die gleichen Worte. Sie waren für Eilistraee bestimmt. Du hättest mich warnen können. Du hättest mich warnen kön nen. Halisstra blickte in dem Moment auf, in dem Jeggred in Feli ane krachte. Seine Klauen zerrten und rissen an ihr, und Felia ne setzte sich mit ihrer eigenen Klinge zur Wehr, doch Ha lisstra konnte die Furcht in den Augen der kleinen Elfe sehen. »Nicht«, versuchte sie Danifae zu sagen, doch sie konnte die Worte nur hauchen. Danifae ließ ihren Morgenstern erneut in Halisstras Kreuz krachen. Ihre Rüstung fing einen Großteil der Wucht ab, doch der Schmerz durchzuckte sie wie eine Flutwelle, und sie ging wieder zu Boden. Ihre ehemalige Kriegsgefangene packte sie am Haar und riß ihren Kopf ruckartig empor. Halisstra versuchte die Mondsi
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chelklinge einzusetzen, doch Danifae entriß sie ihr und warf sie achtlos weg. »Habt Ihr mir etwas zu sagen, Herrin?« zischte sie. »Nein? Gut, dann seht gefälligst zu.« Halisstra schloß die Augen und schüttelte den Kopf. »Seht zu!« befahl Danifae und beutelte ihren Kopf wild hin und her. Halisstra öffnete widerstrebend die Augen und mußte mit ansehen, wie Jeggreds Klaue durch Felianes Gesicht fuhr. Die Elfe taumelte rückwärts und brachte sich hastig vor dem nächsten Schlag in Sicherheit. Die Klinge der Elfe öffnete eine blutige Wunde im Bauch des Draegloth, doch den schien das nicht zu stören. Jeggred brüllte so laut, daß es Halisstra körperliche Schmer zen verursachte. Dann stürmte er erneut auf Feliane zu. Sie stellte sich ihm, doch sie war zu klein, zu langsam und zu schwach. Jeggred riß eine klaffende Wunde in ihre Brust und hätte ihr fast den Arm aus dem Schultergelenk gerissen. Da ging sie auch schon zu Boden. Feliane lag schwer atmend am Boden, offenbar gelähmt und unfähig, sich zu bewegen. Halisstra erinnerte sich plötzlich an Felianes Worte oben auf dem Berg: Ich habe Angst. Jeggred beugte sich drohend über sie. Dann hielt er ohne viel Federlesens ihre Arme am Boden fest und begann, sie aufzufressen. Ihre panischen Schmerzensschreie wurden bald von Jeggreds hungrigem Schnauben und Würgen übertönt. Halisstra senkte den Kopf, und die Tränen strömten über ihre Wangen. Es waren Tränen des Zorns und der Scham. Sie konnte nicht atmen. Danifae sah die Tränen und verspottete sie. »Tränen? Für eine schwächliche Elfe?«
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Sie donnerte die Faust gegen Halisstras Schläfe. Funken tanzten vor Halisstras Augen. Sie wurde nicht bewußtlos. Danifae versetzte Halisstra einen Tritt, so daß sie auf dem Rücken zu liegen kam. Da lag sie nun am Boden des Abgrunds der Dämonennetze, blutend, um Atem ringend, und ihre ehe malige Kriegsgefangene stand triumphierend über sie gebeugt. Danifae spie aus und befleckte mit dem Speichel Eilistraees heiliges Symbol. Halisstra kümmerte das nicht mehr. Eilistraee hatte ihr eigenes heiliges Symbol entweiht, indem sie sie nicht gewarnt hatte. Ihre Priesterinnen waren den Dienern Lolths nicht gewachsen gewesen. Eilistraee war schwach, und Halisstra bezahlte den Preis da für, solch einer schwachen Göttin zu dienen. Sie sah zu Dani faes verschwommenem Abbild auf. Mit den Lippen formte sie das Wort »Warum?« Danifae verzog verächtlich den Mund. »Warum?« Sie griff in ihren Umhang und holte eine Spinne hervor, die in einem Bernstein eingeschlossen war, ihr heiliges Symbol Lolths. »Darum, Melarn. Du warst schon immer schwach. Da ist es doch nur passend, daß du dich am Ende entschlossen hast, einer schwachen Göttin zu dienen. Ich tue das nicht.« Halisstra starrte Danifae haßerfüllt an und würgte ein paar Worte hervor: »Du bist eine Kriegsgefangene ohne Haus.« Danifae verzog verächtlich das Gesicht, trat einen Schritt rückwärts und hob den Morgenstern zum tödlichen Schlag. Als der Morgenstern durch die Luft pfiff, nahm Halisstra noch einmal alle Kraft zusammen und rollte sich seitlich ab. Der Waffenkopf krachte donnernd auf die Felsen. Halisstra kam auf die Knie und kroch zur Mondsichelklinge. Sie konnte nur verschwommen sehen, und ihre gebrochenen Rippen schmerzten wie verrückt. Der Morgenstern krachte in Halisstras Rippen und warf sie
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wieder auf die Felsen. Der Schmerz war fast unerträglich. Danifae ragte wieder über ihr auf und hob den Morgenstern. Die Geräusche, die sie von hinten hörte, brachten sie fast zum Würgen. Jeggred labte sich weiter an Feliane, kaute ihr Fleisch und schlürfte ihr Blut. »Warum spielst du denn immer mit dem Essen?« fragte Da nifae lächelnd. »Der Paß des Seelenfressers und das köstliche Blut Quenthels warten doch erst auf uns.« In diesem Augenblick sehnte sich Halisstra den Tod herbei. Nichts spielte noch eine Rolle. Sie schloß die Augen und wartete auf den letzten Schlag. Eilistraee hatte sie verlassen. Halisstra hatte sie in den Untergang geführt. »Leb wohl, Halisstra«, sagte Danifae und schmetterte ihrer ehemaligen Herrin ihren Morgenstern ins Gesicht. Halisstra spürte einen alles verschlingenden Schmerz und dann nichts mehr.
Danifae blickte auf die blutigen Überreste ihrer ehemaligen Herrin herab. Auch sie hatte ihr Opfer dargebracht und durfte den Paß betreten. »Gelobt sei Lolth«, sagte sie und versetzte Halisstra noch einen letzten Tritt. Sie blickte zu Jeggred, der sich noch immer Felianes Fleisch in den Rachen stopfte. Die Hände der Elfe öffneten und schlossen sich, und sie stöhnte schwach. Danifae lächelte. Ihre Schmerzen mußten unerträglich sein. »Komm, Jeggred«, sagte sie. »Es ist Zeit, deiner Tante zu folgen.« Jeggred sah von seinem Mahl auf. Sein Maul war blutver schmiert, und von seinen Zähnen hingen Fleischfetzen herun ter.
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»Ja, Herrin«, antwortete er. Er richtete sich langsam auf und trottete zu ihr. Offenbar tat es ihm leid, die Reste seines noch lebenden Mahls einfach so übrigzulassen. »Wann werdet Ihr sie töten?« fragte er. »Quenthel und Pharaun?« »Alles zu seiner Zeit«, antwortete Danifae. Gemeinsam traten sie in den Paß des Seelenfressers.
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Gromph stand im Portikus vor den Tempeltoren und setzte einen Erkenntniszauber ein, um Geremis’ persönliche Schutz zauber zu analysieren. Sanft und vorsichtig ging Gromph die zahlreichen Schutzzauber des Magiers durch. Da waren Schutz zauber gegen elementare Energien, ein Zauber, der Geremis’ Fleisch hart wie Stein machte, ein Todesschutz und eine magi sche Rückkoppelung. Gromph hob anerkennend eine Braue. Magische Rückkoppelungen waren selten. Dyrr mußte Gere mis den Zauber persönlich gelehrt haben. Die magische Rückkoppelung würde dafür sorgen, daß der Effekt eines direkten Offensivzaubers auf Gromph zurück schlug. Er mußte sie loswerden. Leider würde Gromph augenblicklich sichtbar werden, so bald er einen Zauber gegen Geremis wirkte – eine Schwäche der Unsichtbarkeitsmagie. Er trat in die Schatten seitlich der
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Tür, die ihn tarnen würden, wenn seine Unsichtbarkeit versag te. Dann flüsterte er einen Bannzauber, dessen einziges Ziel die magische Rückkoppelung war. Sobald er den Zauber wirkte, spürte er ein Kribbeln auf der Haut. Sein Unsichtbarkeitszauber war gerade im Begriff, sich aufzulösen, doch er war sicher in der Dunkelheit verborgen, ein Schatten zwischen anderen Schatten. Gromph lenkte seine Magie gegen Geremis’ magische Rückkoppelung. Vorsichtig wie ein Taschendieb, der sich einen Geldbeutel schnappte, griff der Erzmagier mit seiner Magie nach dem Schutzzauber. Gromphs Bannzauber traf auf Geremis’ Schutz magie und umfloß sie förmlich. Zwei Lidschläge später war bewiesen, daß Gromphs Magie stärker war. Der Schutzzauber erlosch. Jetzt habe ich dich, dachte der Erzmagier. Drow waren zwar von Natur aus gegen Zauber resistent, doch es gab keinen Drow in Menzoberranzan, der sich der Magie Gromphs widersetzen konnte, wenn er seine natürliche Zauberresistenz nicht durch zusätzliche Zauber gestärkt hatte. Gromph hatte keine solche Stärkung bei dem Dyrr-Magier entdeckt. Daher war er jetzt höchst verwundbar. Geremis hob den Kopf und warf erneut einen Blick zum Tempelportal. Obwohl er an Gromph vorbeisah, zeichnete sich Mißtrauen in seinem Gesicht ab. Er griff in eine Tasche und wühlte darin herum. Zweifellos suchte er nach einer Mate rialkomponente. Gromph bereitete sich darauf vor, seinen Zauber zu wirken und mußte fluchen, als ihm plötzlich einfiel, daß er für die Magie ja eine Prise Staub benötigte. Er hatte sich nie die Mü he gemacht, einfachen Staub bei sich zu tragen, da der ja oh nehin überall verfügbar war. Leider konnte er aber jetzt nichts
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in der körperlichen Welt berühren. Da ihm nichts anderes übrigblieb, aktivierte Gromph die Magie des Gestaltwandelns durch einen geistigen Befehl und nahm die Gestalt eines Drow an, der ihm sicherheitshalber natürlich in keiner Weise ähnelte. Er spürte, wie sein Fleisch wieder stofflich und sein Körper schwer wurde. Kurz darauf berührte er den Boden mit den Füßen. Er konnte wieder hören und riechen. Der Gestank abgestandenen Räucherwerks drang aus dem Tempel, und er hörte Larikal mit leiser Stimme zu Lolth beten. Gromph duckte sich in den Schatten der Tempeltore. Dank Praths Piwafwi war er fast ebensogut verborgen wie noch kurz zuvor als Schatten. Er bewegte sich langsam. Er holte einen kleinen Magneten aus der Robe, sammelte eine Prise Felsstaub vom Boden auf und murmelte die Worte eines mächtigen Zaubers. Er leitete zusätzlich ein wenig magische Energie des Gewebes in den Zauber, damit es Geremis noch schwerer fallen würde, sich ihm zu widersetzen. Der Dyrr-Magier holte eine durchsichtige Linse aus der Ta sche und hielt sie sich vors Auge. Er sah durch das Tempelpor tal direkt zu Gromph und ließ die Linse vor Schreck fallen. »H... Herrin«, stammelte er und kam unsicher auf die Füße. Er begann, einen Zauber zu wirken. »Wir sind nicht all...« Gromph beendete seinen Zauber. Ein grünlicher Strahl schoß aus seinen Fingerspitzen und traf Geremis in die Brust. Die Warnung des Magiers erstarb ihm auf den Lippen. Der Zauber hüllte ihn in eine grünschillernde Aura ein, und dann zerfiel Geremis zu Staub. Larikal richtete sich auf und fuhr herum. Sie konnte gerade noch mit ansehen, wie Geremis ausgelöscht wurde. Den Streitkolben hielt sie schon kampfbe reit.
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Man mußte ihr zugute halten, daß sie nicht um Hilfe rief. Sie faßte statt dessen mit der freien Hand an das spinnenför mige heilige Symbol aus Platin um ihren Nacken und begann, einen Zauber zu wirken. Als sie das Symbol berührte, leuchtete es kurz auf, ebenso ihre Augen. Während sie den Zauber wirk te, musterte sie das Portal. Offenbar hatte sie ihren Blick ma gisch verbessert. Sie blickte Gromph direkt an. Sie konnte ihn sehen. Sie erkannte ihn natürlich nicht als den Erzmagier Menzoberranzans, doch Larikal hegte sicher keine Zweifel, daß er ein Feind war. Vermutlich dachte sie, er sei ein Magier Haus Xorlarrins. Gromph hatte keine Zeit, in seinen Taschen nach dem Edelstein zu suchen, den er jetzt gebraucht hätte. Statt dessen holte er hastig das Okular aus einer Innentasche und begann einen Zauber. Larikal stürmte mit kampfbereitem Streitkolben den Mit telgang entlang. Sie murmelte die Worte eines Zaubers, und Gromph erkannte ihn augenblicklich. Sie war gerade dabei, ihre Hand mit der Energie des Todes aufzuladen. Sie würde ihn damit berühren müssen, und dann würde er wahrscheinlich sterben. Er hielt die Stellung und haspelte seinen Zauber herunter. Larikal war zuerst fertig. Ihre freie Hand wurde von einer schwarzen Wolke zischender, negativer Energie umhüllt. Sie hatte ihn fast erreicht. Gromph trat hastig vom Portal zurück und beendete genau in dem Augenblick seinen eigenen Zauber, in dem Larikal über die Schwelle hechtete und mit ausgestreckter Hand auf ihn zuschoß. Die Magie von Gromphs Zauber übertrug seine Seele genau zu jenem Zeitpunkt in den Edelstein, mit dem das Ende der Kette geschmückt war, an der das Okular hing, als sich Larikals
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Hand um sein Handgelenk schloß. Nun, da seine Essenz in dem Edelstein gespeichert war, der damit ein ähnliches Seelengefäß geworden war wie das Dyrrs, war Gromph vor den Auswirkungen des Todeszaubers sicher. Sein Körper enthielt keine Seele mehr, und er hatte keinen Zweifel daran, daß Larikal davon überzeugt war, ihn getötet zu haben. Gromph rechnete damit, daß sie in ihrem Siegestaumel achtlos sein würde. Innerhalb des Edelsteins verfügte Gromph nicht über seine normalen Sinne. Er hatte nur noch ein Gespür dafür, ob sich Lebensenergien in seiner Nähe befanden oder nicht. Er spürte Larikal. Zweifellos beugte sie sich über seinen scheintoten Leib. Dank der Kraft des Zaubers war er in der Lage, mittels seiner Willensstärke eine Seele in einem nahestehenden, lebenden Körper zu verdrängen. Gelang das, übernahm er den fremden Körper, und die Seele wurde in den Edelstein gebannt. Der Einsatz des Zaubers war eine riskante Strategie, doch er mußte die Schutzzauber auf dem Tor rasch überwinden. Der Erzmagier tastete mit seinem Bewußtsein umher und griff nach Larikals Seele. Er überraschte sie eiskalt. Er spürte noch, wie sie in Panik aufschreckte und versuchte, gegen ihn zu kämpfen, doch er warf sich mit voller Wucht gegen ihren Verstand, und dann ... Die Sinneswahrnehmungen kehrten zurück. Er sah auf den Körper eines Drow hinab. Es war sein eigener, verwandelter Leib. In der Hand hielt er das sanft leuchtende Okular, das Gefängnis von Larikals Seele. »Danke, Priesterin«, meinte er spöttisch zum Edelstein und war überrascht, seine eigene weibliche Stimme zu hören. Der Zauber stattete nur den Anwender selbst mit der Macht
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aus, eine andere Seele aus ihrem Körper zu verdrängen. Larikal war hilflos im Edelstein gefangen und konnte nur im eigenen Saft schmoren. Sie würde gefangen sein, bis Gromph sie ent ließ. Für Gromph war es zwar ziemlich befremdlich, schon wieder eine neue Gestalt zu haben – noch dazu die einer Frau –, doch gebot er weiterhin über seine geistigen Fähigkeiten und natür lich auch über seine Zauber. Außerdem verfügte er über Lari kals wesentlich kräftigeren, widerstandsfähigeren Körper. Er war zufrieden. Er würde nützlich sein, wenn er gegen den Go lem antrat. Er sah sich rasch um, sah aber niemanden. Die nahegelege nen Gebäude schienen verwaist. Vermutlich war der Großteil des Hauses mit der Verteidigung der Mauern beschäftigt. Gromphs zufriedenes Lächeln schwand, als er mit ansehen mußte, wie sein Gestaltwandelzauber endete. Der seelenlose Leib nahm wieder die Gestalt des Erzmagiers an. Er blickte durch die Augen einer Dyrr auf seinen eigenen, seelenlosen Köper hinab, der aus leeren Augen zu ihm zurückzustarren schien. Gromph fluchte. Auch Prath würde seine normale Gestalt wieder angenommen haben oder es bald tun. Yasraena würde dann nach ihm suchen, wenn sie es nicht schon tat. Jetzt blieb ihm wirklich fast keine Zeit mehr. Er handelte rasch. Er nahm die Streitaxt von seinem Gürtel, ebenso die Robe mit den Materialkomponenten und seinen Regenerationsring. Dann rüstete er seinen neuen Körper damit aus und wirkte zwei Zauber auf seinen eigenen, seelenlosen Leib. Der erste Zauber reduzierte seine Größe auf eine Hand spanne, der zweite machte ihn unsichtbar. Gromph konnte ihn dank seiner magisch verstärkten Sicht natürlich noch immer sehen. Gromph wagte es nicht, seinen Körper, bei dem noch
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immer das winzige Okular war, mitzunehmen. Wenn er Pech hatte, würde das Baenrefleisch des Körpers die Fallen auslösen. Statt dessen versteckte er ihn in einer Felsspalte des Portikus neben der Tür. Er würde einfach darauf bauen müssen, daß ihn niemand bemerkte. Er wandte sich der Tür zu und ... Da erregte das Amulett, das Larikal, also jetzt er, bei sich trug, seine Aufmerksamkeit. Er nahm es und musterte es. Es war aus Elektrum und mit Amethysten geschmückt, die ein Spiralmuster bildeten. Er erkannte es als Telepathieamulett. Er nahm sich einen Augenblick lang Zeit, um sich darauf einzustimmen. Er wußte, daß er erfolgreich gewesen war, als eine bekannte Stimme in seinen Gedanken zu ihm sprach: Larikal! Larikal! Gromph lächelte. Larikal hatte also doch um Hilfe gerufen, nur eben telepathisch. Larikal, antworte! Gromph wußte, daß es klüger gewesen wäre, nicht zu reagie ren, doch er konnte nicht widerstehen. Deine Tochter ist indisponiert, übermittelte er. Er konnte die Befremdung Yasraenas durch das Amulett spüren. Gromph? fragte Yasraena. Du scheinst nicht erfreut über meinen Besuch zu sein, antworte te er. In der geistigen Stimme der Muttermatrone schwang Panik mit. Hör genau zu, Erzmagier. Ich weiß, warum du hier bist, aber ich habe eine Abmachung mit Triel. Ich habe die Erlaubnis, das Seelengefäß höchstpersönlich zu zerstören. Gromph war sicher, daß es sich um eine alberne Lüge handelte. Doch selbst, wenn es eine derartige Abmachung gegeben hätte, wäre er nicht daran gebunden gewesen. Triel
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hatte nichts davon erwähnt. Aber du kennst das Versteck nicht. Selbst wenn, wäre die Ver suchung, Dyrr einen neuen Körper zu geben, selbst für jemanden mit deinem starken Willen vielleicht zu groß. Es wird mir eine Ehre sein, es für dich zu zerstören. Damit unterbrach Gromph die Verbindung. Er wußte, Yas raena würde bald kommen. Er holte tief Luft und trat über die Türschwelle des mit zahllosen Zaubern geschützten Tempels. Die Schutzzeichen wurden nicht aktiviert. Gromph würde wohl nie wissen, ob Larikal einen entsprechenden Ausrüs tungsgegenstand bei sich trug oder ob es einzig und allein ihr Blut war, daß sie schützte. Egal. Er war drinnen. Von der Kuppeldecke starte Lolth auf ihn herab. Der Mit telgang führte bis zur Apsis, direkt auf den schwarzen Altar zu, hinter dem der Spinnengolem hoch aufragte. Der Golem wartete bereits auf ihn.
Yasraena hastete durch die Korridore zur Ausspähungshalle, ohne auch nur einen Gedanken daran zu verschwenden, daß ihr Tempo würdelos wirkte. Sie wagte nicht, über das Telepa thieamulett zu kommunizieren, weil sie fürchten mußte, von Gromph belauscht zu werden. In ihrem Geist ertönte Esvenas Stimme. Muttermatrone! Wir wurden getäuscht. Das Abbild im Becken ist eine Täuschung. Gromph ... Ist hier, vollendete Yasraena den Satz. Ihre nächsten Worte sandte sie an all ihre Töchter und Schwestern. Hört auf, die Amulette zu benutzen. Gromph ist in der Anlage und trägt Larikals Amulett. Er kann diese Worte hören. Die Verbindung brach augenblicklich ab. Zum erstenmal seit Beginn der Belagerung empfand Yasraena tatsächlich
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Furcht. Wenn Gromph das Seelengefäß vor ihr erreichte, war alles verloren. Sie mußte ihn zuerst erwischen. Als sie die Ausspähungskammer erreichte, wagte niemand, sie anzusehen. Die beiden Magier standen mit gesenkten Köp fen neben dem Becken, und auch Esvena vermied es, sie direkt anzuschauen. Yasraena wandte sich an Esvena: »Wo ist Larikal?« Esvena rang nach Worten. »Deine Schwester«, erinnerte sie Yasraena. »Wo hat sie zu letzt nach dem Seelengefäß gesucht?« Einer der Magier wagte zu antworten: »Geremis hat uns be richtet, daß sie als nächstes den Tempel durchsuchen wollten.« Den Tempel. Yasraena traute ihren Ohren kaum. Hatte der Drowleichnam es tatsächlich gewagt, das Seelengefäß im Tem pel zu verstecken? Sie verfluchte den arroganten, hinterhälti gen Narren. Yasraena ballte die Fäuste und biß die Zähne so fest zusam men, daß es knirschte. Ein Zittern durchlief sie. Furcht und Zorn wollten sie übermannen. Mit zusammengebissenen Zähnen wandte sie sich an Esve na: »Lauf zur Mauer, hol die Vrocks und alle Hausmagier, die du findest. Wir treffen uns im Tempel. Geh!« Esvena rannte hinaus. Yasraena wandte sich an die Magier: »Ihr beide begleitet mich. Der Erzmagier Menzoberranzans wartet schon auf uns.«
Der Gestaltwandelzauber auf Prath endete, und Nauzhror fluchte. Prath musterte seine Hände. Sie wurden immer länger. Er sah mit weit aufgerissenen Augen über den Tisch hinweg Nauzhror an.
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In diesem Augenblick hatten die Dyrr-Magier von Gromphs Täuschung erfahren. Einen Augenblick lang rang Nauzhror mit sich, was er jetzt tun sollte. Nauzhror begehrte den Titel und das Amt des Erzmagiers, doch seine Angst davor, was geschehen könnte, wenn er Gromph enttäuschte, war zu groß. Falls Gromph erfolgreich sein sollte und herausfand, daß Nauzhror nichts getan hatte, nachdem der Gestaltwandelzauber geendet hatte, würde Nauzhror es bitterlich bezahlen. Wenn Gromph scheiterte und starb, würde, das wußte er, Triel Baenre die Angelegenheit persönlich untersuchen, und auch dann würde Nauzhror dafür bezahlen müssen. Letztlich wußte der Meister Sorceres, daß ihm nichts übrigblieb, als seine Rolle so gut wie möglich zu spielen und zu hoffen, daß Gromph siegreich sein würde. Er wandte sich an Prath, der noch immer im Stuhl des Erz magiers saß: »Steh auf!« Prath sprang hoch, als hätte er sich in Nesseln gesetzt. Nauzhror umkreiste den Tisch und ließ sich genüßlich in den Stuhl gleiten. Mit seiner jahrzehntelangen Erfahrung gelang es ihm, Gromphs Chrysoberyl-Ausspähungskristall innerhalb kürzester Zeit auf sich einzuschwingen. Er lenkte den Blick auf Xorlarrins Streitkräfte, die vor Haus Agrach Dyrr versammelt waren. Die Soldaten und Magier waren aufmarschiert, taten aber nichts. Nauzhror studierte den Schauplatz einige Zeit und prägte sich das Abbild ein, dann gab er die Konzentration auf und das Bild verschwand. »Was sollen wir denn jetzt nur tun, Meister Nauzhror?« fragte Prath mit nervöser Stimme. Nauzhror antwortete trocken: »Wir stehen dem Erzmagier bei, indem wir dafür sorgen, daß sich Yasraena gleichzeitig mit
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Gromph und einem Angriff von außen herumschlagen muß.« Ohne eine weitere Erklärung sprach er ein Wort der Macht und teleportierte inmitten von Xorlarrins Armee.
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Als Pharaun den Paß des Seelenfressers betrat, kam er sich augenblicklich wie benommen vor. Sein Gleichgewichtssinn versagte. Es schien, als bewege er sich gleichzeitig nach oben und unten, vorne und hinten. Er taumelte und streckte eine Hand aus, bis er die kühle Wand des engen Passes unter den Fingern spürte. Er stand ganz still, lehnte sich gegen die Steinwand und versuchte sich zu fangen. Pharaun wußte, daß er sich nicht bewegte, dennoch war ihm, als bewege er sich rasch und verstriche die Zeit wie ra send. Er befand sich im Mittelpunkt der Welt, und die Welt rauschte rund um ihn herum und an ihm vorbei. Pharaun schloß die Augen, biß die Zähne zusammen und klammerte sich verzweifelt an die Wand. Zeit und Bewegung endeten so plötzlich, daß er fast nach
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vorn gefallen wäre. Er öffnete die Augen, und da waren keine Seelen und auch keine Quenthel. Er sah nur Steinwände, die sich zu beiden Seiten bis in alle Ewigkeit erstreckten. Der Paß war von Dun kelheit erfüllt, doch da es sich nicht um magische Dunkelheit handelte, konnte Pharaun perfekt sehen. Ein schmaler, ausge tretener Pfad lag vor ihm und erstreckte sich, so weit er sehen konnte. Er drehte sich um. Der gleiche Pfad erstreckte sich auch in der anderen Richtung schier unendlich weit. Doch er war nur einen Schritt in den Paß getreten. Oder? Pharaun war schon oft genug teleportiert und schattenge wandelt, hatte magische Portale und Dimensionstüren benutzt. Es war ihm daher bewußt, daß der Paß des Seelenfressers kein realer Ort mit den drei gewohnten Dimensionen war, sondern eine Metapher, ein Symbol des Übergangs, das Raum und Zeit überwand und so eine Brücke zwischen dem zerstörten Land, aus dem er gerade gekommen war, und dem Zentrum von Lolths Macht darstellte. Einen beunruhigenden Augenblick lang fragte er sich aller dings, ob Lolths gesamte Ebene nur eine Metapher war, ob nicht er und seine Gefährten der Ebene erst eine Gestalt ver liehen hatten und ob sie ohne ihre Gedanken ein Ort ohne definierte Form war. Der Gedanke behagte ihm gar nicht, und er verdrängte ihn hastig. »Quenthel«, rief er so laut wie möglich. Er hörte das Zittern in seiner Stimme, und das behagte ihm ebensowenig. Das Wort hallte von den Steinen wider .und prallte als vielfaches Echo zurück. Die Stimmen des Echos waren nicht die seine. Ein Entsetzensschrei: »Quenthel!« Hysterisches Gelächter: »Quenthel!« Ein verzweifelndes Murmeln: »Quenthel!«
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Ein Schmerzensschrei: »Quenthel!« Pharaun bekam eine Gänsehaut. Schweiß sammelte sich auf seiner Stirn. Seine Haut war klamm. Er schloß den Mund und ging den Weg entlang – langsam. Er sah und hörte nichts bis auf das verzerrte Echo seiner Stimme, und doch ... Er war nicht allein. Es war nicht Quenthels Anwesenheit, die er spürte. Vor ihm – oder war es hinter ihm? – flüsterte etwas ... oder zischte es? Es waren die Reste längst vergessener Schreie. Das unverständliche Gemurmel schien bis auf den Grund seiner Seele zu dringen. Er fühlte sich unruhig und besudelt. Sein Atem ging stoßweise. »Wer da?« rief er und zuckte zusammen, als die Worte als panisches Geschrei widerhallten. Er griff in seine Robe und zückte mit jeder Hand einen Zau berstab: Links hielt er den Eisenstab, mit dem er magische Blitze verschießen konnte, und rechts den Zurkhholzstab, der magische Geschosse abfeuerte. Er ging weiter. Die Wände flüsterten und murmelten in sei nen Ohren. »Fresser ...«, sagten sie. Er fühlte sich beobachtet. Die Blicke schienen sich in den Grund seines Wesens zu bohren. Er fuhr herum, beide Zauber stäbe schußbereit, überzeugt, daß da etwas war. Nichts. Das Flüstern wurde zu zischendem Lachen. Er atmete schwer, lehnte sich mit dem Rücken gegen die Wand und versuchte, sich zu sammeln. Geisterhafte Hände, kalt wie der Tod, griffen aus der Mauer und bedeckten seinen Mund. Die Panik ließ sein Herz rasen. Er riß sich los, fiel zu Boden, wirbelte herum und jagte drei magische Geschosse in
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die Mauer. Da war nichts. Er richtete sich hastig auf. Was geschah da? Er war nicht er selbst. Sicher narrte ihn ein Zauber. Sicher konnte er ... Ein hysterisches Kreischen hallte von den Wänden wider. Der Schrei war voller Zorn und Verzweiflung. Pharauns Hände verkrampften sich um die Zauberstäbe, und seine Knöchel traten weißlich hervor. Vor ihm trat eine große, geisterhafte Gestalt aus der Mauer auf einer Seite des Passes und verschwand in der Mauer auf der anderen Seite des Passes. Sie erinnerte an einen Fisch, der durch den Dunkelsee schwamm. Die Gestalt bewegte sich rasch, doch er hatte sie gut erkennen können, bevor sie wieder im Stein verschwunden war. Die Gestalt hatte einen halb durchsichtigen, grauen, aufgeblähten Schlangenleib, in dem sich Tausende leuchtender Drow-Seelen wanden und ihr Elend herausschrien. Der Seelenfresser. Seine schwarzen Augen waren bodenlose Löcher; sein Maul war eine klaffende Höhle. Gegen den Seelenfresser war ein Nalfeshnee, ja waren zehn Nalfeshnees zwergenhaft. Der Seelenfresser war ein lebendes Gefängnis für gescheiter te Seelen. Pharaun stellte sich vor, wie es sich anfühlen mochte, wenn seine eigene Seele dort drinnen gefangen wäre, und sein Ma gen verkrampfte sich. Er ignorierte seine zitternden Hände, steckte einen der Zauberstäbe wieder in die Robe und holte etwas pulverisierten Irtios, einen weißen, klaren Edelstein, hervor. Er warf das Pulver in die Luft und sprach die magi schen Worte für eine machtvolle Hervorrufung. Er schaffte es, die Konzentration auch aufrechtzuerhalten,
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als die magischen Worte als gellende Schreie von den Mauern widerhallten. Nachdem er fertiggesprochen hatte, wirbelte das Irtiospul ver rund um ihn durch die Luft und bildete eine Kugel mit ungefähr fünfzehn Schritt Durchmesser. Sie war unsichtbar und undurchdringlich, selbst für körperlose Wesen. Pharaun schickte ein Stoßgebet zu Lolth, daß sie gegen den Seelenfresser funktionieren möge. Er wußte jedoch, daß auch der Zauber bestenfalls eine vorübergehende Lösung war. Er hatte nur eine begrenzte Wirkungsdauer, und die Sphäre war überdies unbeweglich. Er brauchte allerdings Zeit, um sich zu sammeln. Er war nervös und fahrig. Der Schrei des Seelenfressers klang erneut auf, doch er wirkte gedämpft und dunkel, ganz so, als ob er von tief unter dem Grund kommen würde. Pharaun fühlte sich in seiner Sphäre sicher, schaffte es, sein wild schlagendes Herz ein wenig zu beruhigen und fing an, einen Plan zu entwickeln. Seine Sohlen begannen zu kitzeln. Er blickte nach unten und sah ein Wabern am Boden des Passes. Voller Schrecken mußte er mit ansehen, wie der Fels durchscheinend wurde. Dann nahm das Wabern Gestalt an. Es hatte die Form eines riesigen Mauls, gefüllt mit reihenweise rasiermesserscharfen Zähnen. Der Seelenfresser kam direkt unter ihm mit weit aufgerisse nem Maul aus dem Erdreich, und sein Maul war groß genug, um Pharaun mitsamt seiner schützenden Sphäre zu verschlin gen. Pharaun starrte mit schreckgeweiteten Augen nach unten. Er versuchte, sich die Worte eines Zaubers ins Gedächtnis zu rufen, scheiterte kläglich und stotterte wirres Zeug. Tief unter ihm, in den Eingeweiden des Seelenfressers, sah
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er die kleinen, sich windenden Seelen. In ihren Augen spiegel ten sich Schrecken und Pein, und er erkannte, daß er sich in diesem Augenblick genauso fühlte wie diese Seelen. Rund um ihn schossen die Innenseiten des Mauls empor, und es kam ihm so vor, als glitten rings um ihn Wände aus dem Erdreich empor, und er konnte nur panisch zusehen, wie er verschlungen wurde. Er hatte nicht einmal Zeit, um zu schreien, bevor sich das Maul schloß und er zu einem der Verdammten wurde.
Quenthel stand allein im Paß des Seelenfressers. Sie war nicht verblüfft, da sie wußte, daß sich jeder dieser Herausforderung allein stellen mußte. Sie wußte auch, daß der Seelenfresser das letzte Überbleib sel der Mythologie einer längst vergessenen Welt war. Lolth gestattete ihm, hier im Abgrund der Dämonennetze zu überle ben, weil es sie amüsierte, daß dieses ehemals gottgleiche We sen jetzt eine letzte Prüfung für einen Teil ihrer Petenten dar stellte. Quenthel wußte nicht, warum manche Petenten auf die Probe gestellt wurden und andere nicht. Sie schrieb es den Launen Lolths zu. Als ein abtrünniger Mann Quenthel im Jahr der Schatten getötet hatte, hatte ihre Seele die Reise in Lolths Stadt angetreten, ohne sich dem Seelenfresser stellen zu müs sen. Sie wußte, daß sie sich der Prüfung diesmal nicht würde ent ziehen können. Mit der Peitsche in der Hand stapfte Quenthel durch den engen Paß. Der Wind heulte durch die enge Schlucht und rief nach Lolths Yor’thae. Die Schlangen züngelten hektisch. Sie schmeckten die Luft, lauschten dem Wind.
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Es kommt, sagte Yngoth. Quenthel wußte es bereits und merkte, daß sie eine Gänse haut bekam. Dann, als sie das bedrohliche Zischen des Seelenfressers hörte und das wahnsinnige Gemurmel an die primitiven In stinkte in ihrem Gehirn zu appellieren begann, mußte sie all ihre Kräfte zusammennehmen, um weiterhin einen Fuß vor den anderen zu setzen. Sie war Lolths Auserwählte, bleute sie sich ein, und sie würde sich nicht so leicht von der Erfüllung ihres Schicksals abbringen lassen. Der Seelenfresser schlängelte sich vor ihr aus dem Boden. Die riesige, halbdurchsichtige Schlangengestalt glitt dabei ebenso mühelos durchs Erdreich wie durch die Luft. In dem langen Leib wanden sich zahllose Seelen in verzweifelten Qua len. Der Seelenfresser war die letzte Ruhestätte und gleichzei tig ewige Folter für tausende und abertausende gescheiterte Seelen. Quenthel hatte nicht vor, sich ihnen anzuschließen. Seid vorsichtig, sagte K’Sothra. Quenthel hatte aber keine Lust, vorsichtig zu sein. Die Zeit der Vorsicht war lange vorbei. Sie würde sich dem Seelenfres ser furchtlos stellen und alles auf sich nehmen. Sie umklammerte das heilige Symbol, sprach Gebete zu Lolths Ehren und stürmte auf die Erscheinung zu. Die Kreatur öffnete ihr Maul und zischte. Durch den Schlund konnte sie bis in die Eingeweide hinabsehen, in die sich windenden, ge quälten Gesichter unzähliger gefangener Seelen. Ohne zu zögern, sprang Quenthel direkt durch die offenen Zahnreihen hindurch in die Tiefen hinab.
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Haß brachte Halisstra wieder zu sich. Nur der unendliche Zorn, den sie empfand, ließ sie nochmals die Augen öffnen. Sie kämpfte den Schmerz nieder und starrte zu Lolths Himmel empor. Es war Nacht, und die acht Sterne schienen sie förm lich zu Boden zu drücken. Rings um sie strömten die Seelen dahin, auf dem Weg zu ih rer finsteren Herrin. Sie bekamen nichts von ihrer Pein mit. Erneut rang sie die Schmerzen nieder und setzte sich auf. Schwindel ergriff sie, doch sie preßte die Handfläche gegen den Boden und verharrte ganz ruhig, bis das Gefühl vorüber war. Feliane lag als blutiges Häufchen unweit von ihr am Boden. Spinnen krabbelten über den Leib der Elfe und taten sich an ihrem Fleisch und Blut gütlich. Uluyaras Leiche lag unweit von Felianes. Das klebrige Zeug, mit dem Quenthel sie gefes selt hatte, hatte sich inzwischen aufgelöst. Sie lag auf dem Rücken, starrte gen Himmel. Die Wunde in ihrer Kehle klaff te. Spinnen verschwanden in dem Loch und kamen wieder daraus hervor. Zu ihrer Überraschung empfand Halisstra kein Mitleid für ihre gefallenen Schwestern. Sie fühlte nur Zorn, eine sengend heiße Flamme der Wut, die sie schier zu verschlingen drohte. Während sie ihre Gefährtinnen musterte, durchlief Felianes Körper ein Krampf, und sie stieß ein ersticktes Gurgeln aus. Sie lebte noch. Halisstra nutzte die Woge des Zorns, die sie zu überwältigen drohte, um auf die Beine zu kommen. Sie ging zur Mondsi chelklinge und hob sie auf. Schmerzen durchzuckten ihren ganzen Körper, und ihr zerschmettertes Gesicht war von ver krustetem Blut überzogen. Der Kiefer war angebrochen, unzäh lige Rippen waren gebrochen, und auf einem Auge war sie blind. Sie konnte sich vorstellen, was für einen Anblick sie bieten mußte.
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Wie zuvor schossen die Seelen an ihr vorbei und in den Paß des Seelenfressers, ohne sich um das Geschehen zu kümmern. Lolths sieben Sterne und der schwachleuchtende achte blick ten vom wolkigen Himmel herab. Auch ihnen schien egal zu sein, was sich hier zutrug. Halisstra rief sich die Worte eines Heilgebets in Erinnerung, hielt aber inne, noch ehe sie zu sprechen begonnen hatte. Sie würde Eilistraee nicht um Hilfe bitten. Nie mehr! Die Dunkle Maid hatte versagt, hatte sie verraten. Eilistraee war nicht besser als Lolth, sie war sogar noch schlimmer, weil sie vorgab, anders als sie zu sein. »Du hättest mich warnen können«, würgte sie mit bluten den, schmerzenden Lippen hervor. In diesem Moment erkannte Halisstra endlich, daß sie ob ihrer eigenen Schuldgefühle dem schwächlichen Glauben an Eilistraee gefolgt war. Sie hatte aus Angst eine schwache Göt tin angebetet. Wenigstens hatte sie vor dem unvermeidbaren Ende noch diese Erkenntnis gewonnen. Sie war mit Eilistraee fertig. Der Teil Halisstras, der die Dunkle Maid verehrt hatte, war tot, und die alte Halisstra lebte wieder. »Du bist schwach«, spuckte sie verächtlich aus. Sie biß erneut die Zähne zusammen, kämpfte den Schmerz nieder und nahm ihre Leier aus dem Rucksack, um ein Bae’qeshel-Lied der Heilung zu spielen und zu singen. Die Ma gie erfüllte sie, und die schmerzenden Wunden im Gesicht und am Kopf begannen zu heilen. Sie sang ein zweites und dann ein drittes Lied, bis ihr Leib wieder heil war. Die Zauber hatten jedoch nichts dazu beigetragen, die Leere in ihrer Seele zu füllen. Sie wußte, wie sie diese wieder füllen konnte. Sie wußte, wie sie sie wieder füllen würde. Der Ruf Lolths war stärker denn je. Seit Lolths erstem Schweigen war
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Halisstras Glaube wie ein Pendel zwischen der Dunklen Maid und Lolth hin- und hergeschwungen. Wie bei jeder Pendelbe wegung mußte auch in diese irgendwann Ruhe einkehren. Sie blickte auf die finstere Öffnung des Passes. Seelen flogen in den Paß und verschwanden, verschlungen vom Gebirge. Halisstra wußte, wer jenseits des Passes auf sie wartete: Lolth – und natürlich auch Danifae. Sie würde Danifae töten. Sie würde sie gnadenlos ab schlachten. Sie verbannte alles aus ihren Gedanken, was sie von Eilistraee gelernt hatte. In ihrer Seele gab es keinen Platz mehr für Verständnis, Mitgefühl, Vergebung oder Liebe. In ihrer Seele hatte nur noch der Haß Platz, und er würde ihr Kraft geben. Das mußte reichen. In vollem Bewußtsein ließ sie den Samen ihres wahren Ichs wieder aufkeimen, den sie so lange unterdrückt hatte. Von nun an würde sie sich verhalten, wie es einer Drow geziemte. Sie würde ein ebenso gnadenloses Raubtier sein wie eine Spinne. Halisstra blickte auf ihre Brustplatte hinab und sah das Symbol Eilistraees im Metall prangen. Sie nutzte die Mondsi chelklinge, um es zu lösen. Es fiel klappernd zu Boden. Ohne es eines weiteren Blickes zu würdigen, zertrat sie es und schritt zu Feliane. Die Elfe lag wie ein Häuflein Blut und Fleisch auf dem Bo den. Ihre Augen standen offen und starrten ins Leere. Der Mund bewegte sich, doch sie schaffte es nicht, etwas zu sagen. Ihr Atem ging in langen, schweren Zügen. Der Draegloth hatte sich an den weichsten Teilen ihres Fleisches gütlich getan. Halisstra kniete über der ehemaligen Gefährtin. Felianes mandelförmige Augen, die vor Schmerz glasig waren, richteten sich auf sie. Die Elfe hob mühsam die Hand, ganz so, als wolle sie sie berühren.
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Halisstra fühlte nichts. Sie war ein Loch. »Wir werden jeden Augenblick neu geboren«, sagte sie in Erinnerung an die Worte, die die Elfe oben auf dem Berg gesprochen hatte. Feliane seufzte, und ihr ganzer Körper erbebte. Man erkann te ihre Resignation. Ohne zu zögern legte ihr Halisstra die Hände um den Hals und erwürgte sie. Es dauerte nicht lange. Gelobt sei Lolth, hätte Halisstra fast gesagt und stand auf. Fast ... Sie reihte sich in den Strom der verdammten Seelen ein und schritt auf den Paß des Seelenfressers zu.
Gromph befand sich noch immer in Larikals stämmigem Kör per. Er schloß das Tempelportal hinter sich und legte Rüstung, Helm, Schild und Streitkolben ab. Sie hätten ihn nur beim Zaubern gestört. Jetzt, wo seine Gesten nicht mehr behindert wurden, ließ er arkane Energien in die Hände strömen, legte sie auf die Tür griffe und befahl: »Bleibt geschlossen.« Magie floß in die zwei Bronzegriffe. Der Zauber würde dafür sorgen, daß es unmöglich war, die Tür einfach zu öffnen. Zu erst mußte man die Magie des Zaubers bannen, und für Yas raenas Hausmagier sollte das beinahe unmöglich sein. Das Dimensionssiegel Dyrrs würde Yasraena und ihre Streitkräfte daran hindem, den Tempel schlicht und einfach mittels Tele portation oder ähnlicher Magie zu betreten. Sie hatten keine andere Wahl, als durch das Portal zu kommen, das Gromph selbst geschützt hatte. Oder durch die Fenster. Der Erzmagier drehte sich um und musterte die Fenster. Zu beiden Seiten des Tempelschiffs befanden sich etwa in halber
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Höhe vier Fenster in Form eines halben Ovals. Sie waren mehr als groß genug für einen Drow. Gromph würde sie versiegeln müssen. Er zog ein kleines Granitstück aus der Robe, sprach die Worte eines Zaubers und schuf so eine Steinwand. Noch wäh rend er den Zauber sprach, gab er der Steinwand durch seinen geistigen Befehl Form. Sie strömte förmlich die Tempelwand empor und verschloß die Fensteröffnungen. Dann ging er bei den Fenstern auf der anderen Seite ebenso vor. Jetzt ähnelte der Tempel einem Grabmal. Die Steinwand würde einem fähigen Magier oder einem entschlossenen Angreifer allerdings nur kurz Widerstand leis ten, also zog Gromph noch einen Beutel Diamantstaub aus seiner Robe. Auch diesmal widmete er sich zuerst der einen und dann der anderen Seite des Tempels und verstärkte die Steinwand noch durch eine Energiewand. Um durch eines der Fenster einzudringen, würden Yasraena und ihre Magier beide Hindernisse überwinden müssen. »Jetzt dürfte ich genug Zeit haben«, murmelte er mit Lari kals Stimme. Er hoffte, daß er sich nicht irrte. Gromph ging den Mittelgang entlang. Auf halbem Weg blieb er stehen. Der Spinnengolem ragte finster und bedroh lich hinter dem Altar auf. Der leuchtende Meisterzauber führte jetzt direkt durch Gromph hindurch und in den Rumpf des Golems wie eine seltsame Nabelschnur. Zumindest metapho risch war Gromph jetzt mit dem Golem verbunden. Gromph wußte viel über Golems. Er selbst hatte im Verlauf der Jahrhunderte verschiedene erschaffen. Solche Konstrukte waren nicht zu eigenständigen Handlungen fähig, sie bestan den aus anorganischen Materialien, und selbst die einfachsten aller Golems waren gegen praktisch alle magischen Angriffe immun.
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Der Spinnengolem war alles andere als ein einfaches Kon strukt. Er war aus schwarzer Pechkohle und der Wächter von Dyrrs Seelengefäß. Gromph hegte keinen Zweifel, daß Dyrr die Widerstandsfähigkeit des Golems gegen Magie noch zusätzlich gestärkt hatte. Er wußte, daß der einzige Weg, den Spinnengo lem zu zerstören, in einem körperlichen Angriff mit einer star ken magischen Waffe bestand. Leider war Gromph kein fähiger Kämpfer. Sein Kampf ge gen Nimor hatte das schmerzlich bewiesen. Dennoch plante er, den Golem mit Hilfe der Duergar-Streitaxt in kleine Stücke zu hauen. Er kannte Zauber, die seine Kraft, Geschwindigkeit, Ausdauer und Treffsicherheit erhöhten, aber dennoch ... Wenigstens war es Larikals Körper, der zu leiden hatte. Ein schwacher Trost. Da seine Seele in dem Leib steckte, würde er die Schmerzen genauso spüren, wie in seinem eigenen Körper, und langsam, aber sicher hatte er genug von den ständigen Schmerzen. Gromph nahm die Axt vom Gürtel und wog sie in der Hand, um sich damit vertraut zu machen. Er beäugte den Go lem nochmals mißtrauisch, holte ein Stück gegerbter Echsen haut aus seiner Robe und wirkte einen Zauber, der ihn mit einem Kraftfeld umgab. Im Prinzip handelte es sich um eine magische Rüstung. Dann folgte ein Zauber, der acht illusionäre Abbilder rund um ihn erzeugte. Da sich die Abbilder ständig bewegten und in der Luft waberten, würde es dem Golem schwerfallen, zwischen dem echten Gromph und seinen Ab bildern zu unterscheiden. Noch immer nicht zufrieden wirkte er einen Zauber, der ein Kraftfeld in Form eines Schildes er zeugte, das auf ihn gerichtete Angriffe abwehren würde. Vor den Spiegelbildern tauchte ein illusionäres Abbild des Schildes auf. Fast fertig, dachte er.
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Er nahm eine speziell zubereitete Wurzel aus der Robe und kaute darauf herum. Sie schmeckte sauer, doch er ignorierte den Geschmack und intonierte die Worte eines Zaubers, der seine Reflexe und seine Geschwindigkeit verbesserte. Jetzt fehlte nur noch ein Zauber, den er von einer Schrift rolle ablesen würde. Nachdem er diesen Zauber gewirkt hatte, würde er bis zum Ende von dessen Wirkungsdauer keine ande ren mehr anwenden können. Schon aus diesem Grund ver mieden es die meisten Magier, diesen Zauber überhaupt einzu setzen. Dummerweise blieb Gromph keine Wahl. Zuerst mußte er den Golem wecken. Er hielt die Schriftrolle einsatzbereit in der Hand, nahm ei nen Zauberstab aus der Tasche und zielte auf den Spinnengo lem. Ein grünlich leuchtendes magisches Geschoß löste sich aus dem Zauberstab und traf das Konstrukt in der Brust, direkt unter dem runden Kopf. Natürlich richtete das Geschoß kei nen Schaden an. Dennoch hatte es seinen Zweck erfüllt, denn der Golem erwachte. Langsam kam Bewegung in die riesige Kreatur. Ein Funkeln erfüllte die acht Augen. Die Spinnenbeine und die Kieferfüh ler begannen, sich zu recken und zucken. Gromph rollte die Schriftrolle auf und las die magischen Worte ab. Es war einer der mächtigsten Verwandlungszauber in seinem Repertoire. Die Worte strömten von seinen Lippen, und er entwickelte ein Verständnis dafür, wie man die Duer gar-Streitaxt mit tödlichem Effekt zu schwingen hatte, wie man perfekt kämpfte. Gromph fühlte, wie sich seine Haut härtete, wie seine Kraft wuchs und wie seine Bewegungen noch rascher wurden. Der Kampfrausch ergriff von ihm Besitz. Nachdem der Zauber ihn komplett verwandelt hatte, fühlte Gromph nur noch das unwiderstehliche Bedürfnis, sich auf den Golem zu stürzen und ihn in Stücke zu hacken. Er genoß
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die unbändige Wildheit und den Rausch des Zaubers. Die kämpferischen Instinkte, die ihm durch die Verwandlung zu teil wurden, erfüllten ihn so sehr, daß sie alles Wissen über das Gewebe in den Hintergrund drängten, doch das war ihm egal. Magie war für Schwächlinge. Die Axt fühlte sich fast gewichtslos an. Er knüllte die leere Schriftrolle verächtlich zusammen und ließ die Axt so schnell um seinen Körper wirbeln, daß sie sirrte. Der Golem fixierte ihn mit seinen fühllosen, steinernen Augen und sprang über den Altar. Die Kreatur bewegte sich mit einer Geschwindigkeit und einer Gewandtheit, die für ein Konstrukt untypisch waren. Das Gewicht des Golems ließ den Tempelboden erbeben. Gromph hob herausfordernd die Axt, brüllte auf und stürm te den Mittelgang entlang.
Quenthel saß im Schneidersitz auf dem Boden ihres Zimmers, betete im Schein einer geweihten Kerze, bat um Erleuchtung, um Erklärung dieser Absurdität. Sie umklammerte ihr heiliges Symbol und strich mit den Fingern am Rand entlang. Lolth antwortete nicht, sie war so still wie kurz vor ihrer Wiedergeburt. Wenn sie nur an diese Obszönität dachte, begann Quenthel vor unkontrolliertem Zorn zu zittern. Die Schlangen ihrer Peitsche, die neben ihr am Boden lag, spürten ihren Groll, richteten sich auf und umtanzten sie im Versuch, ihre Herrin zu besänftigen. Sie ignorierte sie, stand auf und nahm Kerze und Peitsche zur Hand. Quenthel stieß die Tür auf und stürmte vor Zorn bebend in die große Halle Haus Baenres. Ihr Zorn eilte ihr wie eine Flutwelle voraus und ließ alle hastig zurückweichen.
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Diener, die sie kommen sahen, senkten den Kopf und haste ten eilig beiseite oder in ihre Kammern zurück. Ihre weit aus greifenden Schritte brachten die Kettenglieder der Rüstung zum Klingen, und die Kerzenflamme tanzte wild hin und her. Wie hatte Lolth es wagen können, eine andere zu erwählen? Quenthel war die Herrin Arach-Tiniliths – nein, sie war es gewesen, rief sie sich hitzig ins Gedächtnis. Lolth hatte sie wiedererweckt. Dennoch hatte Lolth sie auserwählt, eine schnöselige Hure! Die Schlangen versuchten weiter, sie zu besänftigen, doch sie ignorierte ihr sanftes Zischeln. Ihr seid noch immer die erste Schwester des Hauses Baenre, er mahnte K’Sothra sie. Stimmt, gab Quenthel zu. Aber sie war nicht mehr die Her rin Arach-Tiniliths. Sie hatte dafür gesorgt. Quenthel wußte, daß es blasphemisch war, schlecht von der Yor’thae zu denken, doch das war ihr egal. Quenthel hätte die Würde eines raschen Todes dem Verlust ihrer Machtposition vorgezogen. Seit damals sah Triel, sah jeder im Haus sie mit anderen Augen. Warum hatte Lolth sie verstoßen? Nach allem, was sie ge tan hatte, nach allem, was sie erduldet hatte? Niemand wäre besser geeignet gewesen, Lolths Yor’thae zu werden. Niemand! Schon gar nicht sie. Plötzlich fiel ihr ein Spinnennetz auf. Ihr Zorn verrauchte, und sie blieb mitten im Gang stehen. Das Spinnennetz war ganz normal, aber etwas daran erregte doch ihre Aufmerksam keit. Es hing in einer Ecke, zwischen zwei gobelingeschmückten Mauern. Es schillerte silbern im Kerzenlicht und war sehr groß. Quenthel kam zu dem Schluß, es müsse sich um das Netz einer Steinspinne handeln. Sie hatte schon Steinspinnen ge
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sehen, die halb so groß wie ihre Hand waren. Ein paar verdorrte Höhlenfliegen hingen von den Fäden wie winzige Marionetten. Sie ging mit schräggelegtem Kopf zu dem Netz und hielt die Kerze hoch. Sie musterte die Fäden des Netzes. Ihre Komplexität war wunderschön. Jeder Strang erfüllte in solch einem Netz einen Zweck. Keiner war grundlos gesponnen. Jeder Strang. Das Netz ergab in jeder Beziehung Sinn, ganz anders als ihr Leben, ihr Tod und ihre anschließende Wiederauferstehung. Sie musterte das Netz genauer und beleuchtete es von allen Seiten mit der Kerze. Die Spinne war nirgends zu sehen. Sie strich sanft über das Netz. Vielleicht konnte sie die Spinne ja aus ihrem Versteck locken. Keine Reaktion – nur die Höhlenfliegen tanzten an den Fä den. Ohne Grund haßte sie plötzlich dieses Netz. Sie wurde von ihren Instinkten überwältigt, und noch ehe sie einen klaren Gedanken fassen konnte, hob sie die Kerze und hielt sie ans Netz. Sie wußte, es war Gotteslästerung, doch sie tat es trotz dem. Die Fäden kräuselten sich und lösten sich kurz darauf auf, vergingen in Rauch, der rasch verwehte. Die Höhlenfliegen regneten zu Boden. Die Sache gefiel Quenthel, und mit kalter Methodik brannte sie noch den letzten Faden des Netzes ab. Dann kniete sie nieder und verbrannte die Fliegen. Die Schlangen ihrer Peitsche waren so entsetzt, daß sie nicht einmal zischten. Herrin? brachte K’Sothra schließlich hervor. Quenthel ignorierte sie und stapfte davon. Seltsamerweise war ihr Zorn verraucht.
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Danifae verlor Jeggred im gleichen Augenblick aus den Augen, in dem sie den Paß betrat. Eben war er noch neben ihr gewe sen, dann war er verschwunden. Sie war allein. Ein schmaler Pfad erstreckte sich vor ihr, und zu beiden Sei ten stiegen steile Felswände empor. Ein grauer Nebel waberte am Boden entlang, und die feuchte Kälte verursachte ihr eine Gänsehaut. Da es sonst nichts zu tun gab, ging sie den Weg entlang. Sie hatte das Gefühl, mit jedem Schritt zahllose Kilometer zu überwinden, und mit jedem Atemzug verstrichen mehrere Tage. Sie schritt unermüdlich weiter aus und wartete nur dar auf, daß sich der Seelenfresser endlich zeigte. Schon nach wenigen Augenblicken hörte sie ein Flüstern hinter ihren Schläfen, dann ein Zischen und schließlich
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schmerzgeplagtes Jammern. Sie konnte nicht ausmachen, von wo die Geräusche kamen. Danifaes Nackenhaare stellten sich auf, und ihr Atem ging in schnellen, harten Stößen. Er war hinter ihr! Daran konnte es keinen Zweifel geben. Sie senkte den Morgenstern und drehte sich langsam um. Nur fünf Schritt von ihr entfernt füllte die nebelhafte Gestalt des Seelenfressers den gesamten Paß. Die leeren Au gen ließen sie klein und bedeutungslos erscheinen, und das offene Maul hätte einen Oger mit einem Happen verschlin gen können. Tief in der Kehle, in den Eingeweiden der Krea tur, leuchteten zahllose Seelen. Sie waren klein wie die Pup pen eines Kindes, und jede von ihnen litt Qualen, als würde ihr die alleinige Aufmerksamkeit eines Drow-Foltermeisters zuteil. Danifae rang darum, sich zusammenzureißen, keine Furcht zu zeigen. Sie wußte, dies war eine weitere Prüfung, bei der sie beweisen mußte, daß sie würdig war. Sie berührte ihr heiliges Symbol, und der Bernstein fühlte sich in ihrer Handfläche kühl an. Der Seelenfresser war so riesig, so uralt, so schrecklich ... Die Schreie der Seelen erfüllten ihren Geist. Sie trug es mit Würde, obwohl sie sich am liebsten schreiend den Schädel gehalten hätte. Da riß der Seelenfresser das Maul noch weiter auf. Er lockte sie, forderte sie heraus, sich ihm zu stellen und herauszufinden, was er ihr zu zeigen hatte. Danifaes Beine waren schwer, wie Blei, als sie zuerst einen, dann noch einen Schritt machte. Dann hielt sie inne. Danifae winkte ihn heran und sagte in ihrem verführe rischsten Flüstern: »Komm du zu mir.« Er zögerte nicht. Mit weit aufgerissenem Maul schoß der
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Seelenfresser auf sie zu. Danifae zuckte mit keiner Wimper, während er sie verschlang.
Anival, erste Tochter der Muttermatrone Haus Agrach Dyrrs, beobachte die Xorlarrin-Streitkräfte von einem Aussichts punkt hoch oben auf den Mauern. Sie sah, wie sie die Positio nen wechselten und sich auf den Ansturm vorbereiteten. Sie konnte keine Details ausmachen. Strategisch plazierte Kugeln magischer Dunkelheit verbargen die meisten Bewegungen. Gebrüllte Befehle und das Scheppern von Metall drangen über den Graben zu ihr. Neben ihr stand Urgan. Der Waffenmeister des Hauses Agrach Dyrr hatte zweifellos Angst. »Sie werden innerhalb der nächsten Stunden angreifen.« Anival nickte. Sie legte die Hände auf die Hefte der beiden leichten Streitkolben an ihrem Gürtel. Sie waren magisch, und die Waffenköpfe hatten die Form einer Spinne. »Der Zeitpunkt des Angriffs ist kein Zufall«, antwortete sie, ohne Urgan zu erklären, was sie damit meinte. Sie ging davon aus, daß der Angriff dazu diente, Gromph Baenre zu schützen. Seine Verbündeten wußten sicher, daß die Muttermatrone von der Täuschung erfahren hatte. Anival sah die langen Adamantit- und Steinmauern ent lang. Die mächtigen Mauern hatten Jahrtausende überdauert. Sie konnten doch nicht heute fallen? Die Soldaten Agrach Dyrrs hatten die Wehrgänge entlang der ganzen Mauer bemannt, und sie erkannte an ihrem harten, entschlossenen Gesichtsausdruck, daß sie ebenfalls jederzeit mit einem Angriff rechneten. Ein Getuschel ging durch die Reihen, und die Anspannung brachte die Luft förmlich zum Knistern.
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»Wir werden die Mauern halten«, sagte Anival mehr zu sich selbst als zu Urgan. Tausende murmelnde Stimmen, hoffnungslose, panische Stimmen, die Stimmen der gequälten Seelen, umgaben sie, klangen in ihren Ohren, durchdrangen ihr ganzes Wesen. Sie beantwortete ihren Schrei mit ihrem eigenen. Der Waffenmeister nickte: »Das werden wir.« Anival vermeinte, Zweifel in Urgans Stimme zu hören, doch sie beschloß, ihn nicht dafür zu bestrafen. Sie fragte sich, ob sie darauf hoffen sollte, daß ihre Mutter Gromph aufhielt, oder auf das Gegenteil. Wenn die Muttermatrone starb und das Seelengefäß Dyrrs zerstört wurde, könnte Anival vielleicht einen Frieden aushandeln und der Belagerung ein Ende ma chen. Doch nun mußte sie erst einmal dafür sorgen, daß die Mauer hielt. Leider standen ihr weder die Vrocks noch ihre Hausma gier zur Verfügung. Xorlarrins Kriegstrompeten erklangen. »Da kommen sie«, sagte Urgan.
Die Vorderbeine des Spinnengolems endeten in scharfen Klauen aus Pechkohle, so lang wie Kurzschwerter. Die Mandi bel hatten Fänge, so lang wie Gromphs Hände. Gromph war das egal. Der Zauber hatte ihn in einen fähi gen Krieger verwandelt. Er hatte die Axt mit beiden Händen gepackt, hielt sie hoch über den Kopf und stürmte direkt auf den Golem los. Der Golem duckte sich und schlug rasch hintereinander mit zwei Klauen zu, bevor er in Reichweite von Gromphs Axt war. Gromph hatte mit einem solchen Angriff gerechnet. Er wirbel te zur Seite und lenkte einen der Schläge mit der Axt ab. Der
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andere traf eines der Spiegelbilder, das mit einem Knall ver schwand. Gromph nutzte den Schwung seiner Drehung, um dem An griff mehr Wucht zu verleihen. Er wirbelte heran und schlug aus der Drehung mit der Streitaxt zu. Er schnitt ein breites Stück Pechkohle aus dem Rumpf des Konstrukts. Dank seiner magisch erhöhten Geschwindigkeit konnte er sofort nochmals angreifen. Der zweite Schlag riß eine tiefe Furche in ein Bein. Der Golem sprang zurück und zertrümmerte eine Steinbank unter seinem Gewicht. Er schlug zuerst mit einer, dann mit der anderen Klaue nach Gromph. Der Erzmagier wich aus und duckte sich, während er versuchte, erneut an seinen Gegner heranzukommen. Zwei weitere Spiegelbilder verschwanden. Trotz seines unglaublichen Gewichts bewegte sich der Golem mit erstaunlicher Geschwindigkeit. Ein paar Augenblicke lang umkreisten die Kontrahenten einander. Nur wenige Schritte trennten sie. Der Golem stieg über die Bänke, und jede seiner Bewegungen ließ Stein bers ten. Seine Kieferfühler schienen ein hypnotisches Muster in die Luft zu zeichnen, und die klauenbewehrten Füße krachten mit jedem Schritt vernehmlich auf den Tempelboden. Gromph folgte jeder seiner Bewegungen und balancierte dabei leicht und agil auf den Fußballen. Ein lauter Knall am Tempeltor ließ Gromph herumfahren. Jemand versuchte, den Zauber zu überwinden, der das Tempel portal zuhielt. Yasraena hatte ihn offensichtlich ausfindig ge macht. Der Golem spürte, daß sein Gegner abgelenkt war, und raste auf Gromph zu. Bei seinem Sturmangriff wurden links und rechts Steinbänke zur Seite gewirbelt. Hastig warf sich Gromph zur Seite. Die Klauen schlugen in rasendem Stakkato rund um ihn im Steinboden ein. Erst eine, dann noch eine und
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noch eine. Drei der Spiegelbilder verschwanden ebenfalls in rascher Reihenfolge, und eine der Klauen berührte ihn an der Schulter und zog einen blutenden Striemen. Sofort begann sein magischer Ring, die Verletzungen wieder zu heilen. Gromph sprang auf und fing einen weiteren Schlag mit der Axt ab, der ihm glatt den Kopf von den Schultern getrennt hätte. Die Parade war so gut geführt, daß sie eines der Beine abtrennte. Ein Stück Jade, das an den Unterarm eines Ogers erinnerte, krachte in eine Bank. Ein weiterer Knall brachte das Tempelportal zum Beben. Sein Zauber hielt, aber Gromph wußte, daß ihm kaum Zeit blieb. Er unterlief erst einen, dann einen zweiten Schlag und führ te einen mächtigen Hieb gegen den Kopf des Golems. Es ge lang ihm zwar, ein Stück Jade aus dem Kopf zu schlagen, doch der Golem war mit einem hastigen Sprung rückwärts ausgewi chen, um das Schlimmste zu verhindern. Mehrere Bänke stürz ten zu Boden. Gromph nutzte seinen Vorteil und drang weiter auf den Golem ein. Die Kreatur wehrte sich, indem sie eine Wolke schwarzen Nebels ausatmete. Säure, erkannte Gromph, konnte aber nicht mehr auswei chen. Die Schutzzauber, die auf seinem Körper lagen, hätten die Säure unschädlich gemacht. Leider aber befand er sich in Larikals Körper. Seine Haut schien in Flammen zu stehen. Seine normale Kleidung zersetzte sich. Zum Glück waren seine wichtigsten Materialkomponenten durch die magische Robe geschützt. Wo der Nebel das ungeschützte Fleisch berührte, warf die Haut Blasen und wurde zerfressen. Der Steinboden und die nahestehenden Bänke rauchten und überzogen sich mit kleinen Löchern. Ein widerwärtiger, scharfer Gestank erfüllte die Luft, und dann löste sich die Wolke langsam auf. Gromph biß die Zähne zusammen, um den Schmerz nieder
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zuringen, und sprang über eine säureüberzogene Bank. Er hack te dem Golem ein Bein ab, dann noch eines. Der Golem wehrte sich mit einem wahren Hagel von Klau enschlägen, die Gromph zum hastigen Rückzug zwangen und alle noch verbleibenden Spiegelbilder auslöschten. Gromphs Haut blutete und eiterte. Er atmete schwer, und der Schmerz verlangsamte seine Bewegungen. Wenn der Go lem ähnlich konstruiert war wie andere seiner Art, konnte er seinen Säureatem nach relativ kurzer Zeit erneut einsetzen. Zuerst mußte der Golem allerdings auf magischem Weg Säure in seinem Leib sammeln. Gromph zweifelte daran, daß er ei nen zweiten solchen Angriff überstehen würde. Es mußte ihm gelingen, ihn zu zerstören, ehe es soweit war. Er parierte einen weiteren Klauenangriff, holte mit der Axt aus ... Ein schneller Schlag des Golems traf ihn an der Brust. Nur das magische Kraftfeld und die magische Rüstung, die er zuvor beschworen hatte, sorgten dafür, daß ihm der Schlag nicht den Brustkorb spaltete. Dennoch war die Wucht so groß, daß er rückwärts taumelte, mit rudernden Armen über die Überreste einer Bank stolperte und auf dem Rücken zu liegen kam. Die Spinne sprang auf ihn zu und zertrümmerte dabei die Überreste der zerbrochenen Bank. Die Mandibeln waren weit geöffnet, die Kieferfühler griffen nach Gromph. Verzweifelt holte Gromph liegend mit der Axt aus, rollte sich zur Seite und versuchte, wieder auf die Füße zu kommen. Eine Klaue senkte sich herab und wollte sich in seine Kehle bohren. Auch diesmal rettete ihn das Kraftfeld, indem es den Schlag ablenk te. Trotz allem warf ihn die Wucht erneut zu Boden. Er robbte rückwärts, kam hastig hoch und wirbelte die Axt vor sich hin und her, um weitere Schläge abzuwehren. Der Golem setzte seine Offensive unerbittlich fort. Erneut kam er
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ganz nahe an ihn heran und biß mit seinen schnappenden Mandibeln zu. Der Biß riß Gromphs Umhang weg und brachte ihn ins Wanken. Ein weiterer Schlag mit der Klaue ließ ihn in die Knie brechen, und diesmal hätte er beinahe seine Axt fallenlassen. Gromph richtete sich erneut auf und führte einen Schlag gegen den Kopf des Golems. Er streifte ihn direkt über den Augen. Steinbrocken flogen durch die Luft, und der Golem machte hastig ein paar Schritte zurück. Seine Kieferfühler tasteten bedrohlich durch die Luft. Gromph nutzte die Ver schnaufpause, um ebenfalls wieder auf die Füße zu kommen. Auch er trat ein paar Schritte zurück. Gromph keuchte, wußte aber, daß er keine Zeit vergeuden durfte. Bald würde der Golem seinen Säureodem erneut einset zen können. Bald würden Yasraena und ihre Magier einen Weg in den Tempel finden. Die Ader des Meisterschutzzeichens stach wie eine Art per verses, verlängertes Stück Eingeweide aus dem Unterleib des Spinnengolems hervor. Am Ende des Strangs befand sich in mitten des Golemkörpers das Seelengefäß. Er mußte seinen Angriff noch verstärken. Gromph ging rückwärts zum Altar und hielt dabei die Axt schützend vor sich. Der Spinnengolem folgte ihm über zerstör te und säurezerfressene Bänke. Gromph tat, als stolpere er, und der Spinnengolem sprang. Gromph warf sich zur Seite, kam sofort wieder auf die Beine und führte einen brutalen Hieb von oben nach unten, der eines der Beine des Golems am Schultergelenk abtrennte. Der Golem schlug mit einem anderen Bein nach Gromph, während er versuchte, sich zu drehen – der Schlag riß Gromph das Fleisch an der Hüfte auf, doch der hechtete zwischen den beiden verbleibenden Beinen hindurch und schlug mit voller
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Wucht zu. Während sich der Golem mit aller Macht zu drehen versuchte, regnete es förmlich Golemsplitter. Der Golem landete einen weiteren Schlag. Gromph spürte, wie etliche Rippen brachen und ihm die Luft aus den Lungen getrieben wurde, aber er wußte einfach, daß er weiterkämpfen mußte. Er verfing sich mit dem Knöchel unter dem Leib des Golems, und das Gelenk brach. Sterne tanzten vor seinen Augen, und die Schmerzen, die sein Bein durchzuckten, waren, schier unerträglich. Doch er setzte seinen Ansturm laut brüllend und mit Schaum vor dem Mund fort. Immer wieder krachte die Axt von oben auf den Golem herab. Bald schien der Tempelboden mit Golemtrüm mern bedeckt zu sein, ähnlich wie das Treibgut auf der Ober fläche des Dunkelsees schwamm. Irgendwann fiel Gromph auf, daß sich der Golem nicht mehr regte. Der Kampfrausch, in den ihn der Zauber versetzt hatte, brachte ihn dazu, noch ein paarmal auf die Trümmer einzuhacken, ehe er es gut sein ließ. Als er endlich wieder zu sich kam, hätten die grausigen Schmerzen, die ihn durchzuckten, fast dafür gesorgt, daß er das Bewußtsein verloren hätte. Der Großteil des Golems lag vor ihm. Ein großer Sprung verlief durch den Leib, und er war ein Stück weit aufgebrochen. Zahlreiche Golemteile lagen zwi schen den ebenfalls zertrümmerten Bänken herum. Ein weiterer Knall brachte diesmal nicht nur das Tempel portal, sondern den ganzen Tempel zum Beben. Yasraena und ihren Magiern war es noch immer nicht gelungen, seinen Zau ber an der Tempelpforte zu überwinden. Als nächstes würden sie ihr Glück sicher bei den Fenstern versuchen. Vorsichtig und vor Schmerz zischend versuchte er, den Go lemkörper mit der Axt hochzustemmen und seinen Fuß zu befreien. Knochen rieben an Knochen, und der Schmerz
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brachte Gromph dazu, sich zu übergeben. Er sah sich den Bruch nicht näher an. Er wußte, daß sein Ring bereits daran arbeitete, die Wunden zu heilen, doch unter diesen Umstän den wirkte die Magie zu langsam. Er griff in die magische Ro be, die zum Glück die Materialkomponenten vor dem Säure odem des Golems geschützt hatte, und holte zwei Heiltränke hervor. Normalerweise verwendete er sie als Materialkompo nenten für Zauber. Er riß die Versiegelung mit den Zähnen auf und stürzte die warme Flüssigkeit hinunter. Erst den einen Trank, dann den anderen. Das Knöchelgelenk fügte sich wieder zusammen, und die klaffenden Wunden an Hüfte und Schulter schlossen sich. Die Magie war so stark, daß sie sogar einen Großteil der Säure wunden heilten. Er seufzte schwer, probierte, ob sein Knöchelgelenk wieder belastbar war, und kletterte dann auf den Leib des Golems. Er orientierte sich kurz und ließ sich dann an der Stelle auf dem Leib nieder, wo der glühende Strang des Meisterzaubers in der schwarzen Pechkohle verschwand. Gromph hob die Axt hoch über den Kopf und begann, auf den Stein einzuhacken. Die Erregung packte ihn mit jedem Schlag mehr. Das Licht des Seelengefäßes wurde immer stärker. Nach ungefähr zehn Schlägen hatte er einen Hohlraum im Rumpf des Spinnengolems freigelegt. Gromph hielt schwitzend inne und starrte ungläubig auf den Anblick, der sich ihm bot. Da schwebte eine faustgroße Kugel in der Luft. Sie war mit dem Meisterschutzzeichen verbunden und schillerte rot. Die Kugel wurde gelb. Dann grün und violett. Gromph sah zu, wie die Sphäre durch alle sieben Spektral farben wechselte. Dann begann das Farbspiel von vorn. Unbe wußt hatte er vom ersten Augenblick an erkannt, womit er es da zu tun hatte – mit einer Regenbogensphäre. Jede Farbe
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stellte eine magische Schutzschicht dar. Sie lagen schalenförmig übereinander, wie Häute bei einem Zwiebelpilz. Irgendwie war es Dyrr gelungen, eine Regenbogensphäre permanent zu ma chen. Er hatte sein Seelengefäß in der Sphäre plaziert und diese dann innerhalb eines speziell konstruierten Golems. Gromph wußte, wie man eine Regenbogensphäre überwand. Jede der Farbschichten konnte man mit ganz bestimmten Zau bern aufheben. Wenn man eine Farbschicht berührte, ohne sie zuvor aufzuheben, erlitt man Schaden oder starb. Um zum Seelengefäß zu gelangen, mußte er alle Schichten überwinden. Das benötigte Zeit, und er hatte keine Zeit. Außerdem gab es noch ein anderes, viel lästigeres Problem. Der Verwandlungszauber hatte einen Krieger aus ihm ge macht und vorübergehend jenen Teil seines Verstandes blo ckiert, der dazu in der Lage war, mit dem Gewebe zu interagie ren und seine Kräfte zu nutzen. Er wußte, daß er theoretisch dazu in der Lage war, Zauber zu wirken, doch das Wissen, wie man die Macht des Gewebes nutzte, war verschwunden. Es hatte keinen Platz in einem Gehirn, das dank des Verwand lungszaubers nur noch auf Kampf gepolt war. Er konnte den Zauber nicht frühzeitig beenden, er mußte seine Wirkungsdauer abwarten. Erst dann würde er in der Lage sein, die Regenbogensphäre auszuschalten. Über ihm wurde ein Teil der vor einem der Tempelfenster beschworenen Steinwand zertrümmert, sicher durch einen Zauber eines Magiers Yasraenas. Steinsplitter regneten auf den Tempelboden herab. Jetzt stand nur noch die Energiewand zwischen Gromph und den Streitkräften des Hauses Dyrr. Die Zeit war fast abgelaufen. Ein Geräusch ließ ihn herumfahren. Als er sah, was sich da abspielte, lief es ihm eiskalt den Rücken herunter.
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Alle Teile, die er vom Golem abgetrennt hatte, die Beine, die Trümmer des Rumpfes, die Klauen und die Stücke vom Unterleib, hatten Sprünge ausgebildet. Aus den Sprüngen schoben sich acht dünne Pechkohlebeine und ein paar Mandi beln. Gromph hatte gut und gern sechzig Stücke von dem Golem abgehackt, und jetzt kam neues Leben in diese Stücke, sozusagen als Sprößlinge des Hauptgolems. Der Kampf war noch nicht vorbei. Wohl zum zehnten Mal in der letzten Stunde verfluchte Gromph Dyrr.
Danifae sah durch das kleine, offene Fenster ihrer Mansarde in Braeryn. Narbondels Licht war schon zu zwei Dritteln den Schaft emporgestiegen. Es war spät. Danifae hatte jedes Zeitgefühl verloren. Für sie schien ein Tag wie der andere zu sein und eine Stunde mit der nächsten zu verschwimmen. Statt sich an Narbondels Licht zu orientieren, fand sie es in zwischen leichter, das Verstreichen der Zeit mit Leichen zu messen. Seitdem Lolth sie – Danifae fiel es schwer, ihren Na men zu denken – zur Yor’thae erwählt hatte, waren es sieben unddreißig Leichen gewesen. Obwohl Danifae, ehe Lolth ihre Yor’thae gewählt hatte, nie mals in Menzoberranzan gewesen war, hatte sie es seitdem nur zu gut kennen- und hassengelernt. Rechts, tief in der Höhle, in der Menzoberranzan lag, konn te Danifae die riesige Treppe sehen, die nach Tier Breche hinaufführte. Sie konnte sie auf diese Entfernung nur sehen, weil sie so riesig und ihre Stufen von violettem Feenfeuer er leuchtet waren. Auf dem Hochplateau hinter der Treppe – von ihrem Standort aus nicht sichtbar – stand Lolths größter Tem
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pel, Arach-Tinilith, das Herz des Glaubens an die Spinnenkö nigin. Danifae hatte ihn noch nie betreten und würde es auch nicht tun. In Arach-Tinilith residierte die Hure, Lolths Yor’thae. Ihr Zorn brodelte noch immer heiß. Danifaes Haß auf die Yor’thae kannte keine Grenzen. Sie ließ ihn an den Männern aus, die zu ihr kamen. Danifae hatte ihren eigenen Tempel zu Ehren Lolths, ihr eigenes Arach-Tinilith geschaffen. Es handelte sich um eine kleine, widerliche Mansarde tief im Braeryn. Dort spann sie ihr Netz und fraß ihre Beute in Lolths Namen. Sie lehnte sich aus dem Fenster. Ihr heiliges Symbol hing um ihren Hals, doch der Bernstein war mit Fett und Ruß ver schmiert. Sie blickte auf die Straße hinab. Die Süchtigen tau melten mit tief eingesunkenen Augen wie Geister durch die Gassen. Andere Huren wie sie lungerten in den Eingängen herum und versuchten, jeden und alles, das vorbeikam, abzu schleppen. Verdreckte Orks und Grottenschrate streunten durch das Viertel und beäugten die gefallenen Drow lüstern. Die Huren hatten nicht nur ihr Fleisch, sondern auch ihre Würde ver kauft. Nicht so sie. Sie diente Lolth. Sie würde ihr immer die nen, trotz der Yor’thae. Die Straßen waren mit einer schmierigen Masse aus Dreck und Spülicht bedeckt. Man nannte sie »Straßen des Ge stanks«, und sie trugen diese Bezeichnung zweifellos zurecht. Für Danifae war ganz Braeryn wie ein riesiger, offener Abwas serkanal, aus dem es kein Entkommen gab. Sie ließ es nicht zu, daß Danifae entkam. Der Gestank frisch geleerter Nachttöpfe drang zu Danifaes Fenster empor, und sie rümpfte pikiert die Nase. Die Bewegung spannte die Gesichtshaut, und die steifen Narben schmerzten
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wieder, die ihre linke Gesichtshälfte entstellten. Als sie an ihre Entstellung dachte, kochte ihr Zorn wieder hoch. Sie projizierte Haß durch die Luft bis nach Tier Breche. Sie gab sich schon lange keine Mühe mehr, die Narben zu verbergen. Sie waren jetzt Teil von ihr, ebenso wie ihr Glaube, ebenso wie ihr Haß. Nachdem Lolth ihre Wahl getroffen hatte, war ihre Aufer stehung vollkommen gewesen. Ihre Yor’thae war im Triumph zug nach Menzoberranzan gekommen. Sie versprach ein neues Zeitalter für Lolth und ihre Anhänger. Doch nicht für alle Anhänger. Die Yor’thae hatte Danifae für ihre Anmaßung bestraft, sie gezwungen, als Hauslose zu leben. Sie hatte ihr fast alles ge nommen und ihr Gesicht entstellt, um sie mit Häßlichkeit zu strafen. Sie hatte ihr die Gnade einer Exekution verweigert. Selbst Lolth schien sich von Danifae abgewandt zu haben. Die Göttin gewährte der ehemaligen Kriegsgefangenen keine Zauber mehr, sondern suchte ihre Träume heim. Wenn sie schlief, sah Danifae Visionen von acht Spinnen, achtfachen Fangzähnen, Beinen, Augen und Gift. Trotz alledem war Danifae nicht bereit, sich als Ausgesto ßene zu sehen. Sie verehrte Lolth, obwohl sie das einzige Mit glied ihrer Glaubensgemeinschaft war. Mittellos und entstellt mußte sie ihren Leib an die Männer verkaufen, um genügend Münzen zu verdienen, um nicht zu verhungern. Obwohl die Yor’thae sie entstellt hatte, gelüstete es die Männer noch immer nach ihrem Körper, und sie waren bereit, gutes Geld zu bezahlen, um sich daran zu vergreifen. Danifae ekelte ihre Berührung. Sie ekelte sich vor sich selbst, weil sie ihnen das Gefühl gab, sich ihnen zu unterwer fen. Dennoch tat sie, was sie tun mußte, um zu überleben, so wie jede gute Spinne.
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Die Yor’thae hatte gelacht, als sie Danifae ins Elend gesto ßen hatte. Sie hatte gedacht, ein Leben voller Schmach würde Danifae schwächen. Doch Danifae war, wie alle Spinnen, eine Überlebenskünstlerin. Sie sah dies alles nur als eine weitere in einer langen Reihe von Prüfungen an. Sie hatte überlebt, und sie würde weiterhin überleben. Sie würde stärker werden. Man konnte sie nicht brechen. Nie! Die wichtigste Lektion, die Danifae durch ihren Glauben an Lolth, durch ihre Zeit als Sklavin Halisstra Melarns gelernt hatte, war die Tatsache, daß die gesamte Existenz eine endlose Prüfung war. Die Schwachen waren die Opfer der Starken, litten und starben. Das war alles, was man wissen mußte. Obwohl Danifae nicht die Yor’thae war, weigerte sie sich, schwach zu sein. Sie wandte sich vom Fenster ab und musterte ihre sparta nisch eingerichtete Dachkammer. Sie zog es vor, sie als ihr Netz zu betrachten. Es war unscheinbar, ebenso wie das der schwarzen Witwe, doch in Wahrheit lauerte hier ein gefährli ches Raubtier. Direkt an der Wand lag eine Matratze aus Pilzfasern, darauf ein paar verdreckte Decken. Jeden Tag brachte sie die Decken zum Ufern des Dunkelsees, um sie zu waschen. Dieser Vorgang war inzwischen zu einem religiösen Ritual für sie geworden. Trotzdem gelang es ihr nie ganz, den Gestank von Schweiß und Körperflüssigkeiten aus dem Stoff zu waschen. Sie selbst schlief auf dem Boden. Sie wollte nicht in dem Bett schlafen, das sie mit den Männern teilte. Eine tönerne Öllampe stand auf einem Schemel neben dem Bett. Die kleine Flamme fla ckerte. In einer Ecke stand ein Steinsessel, über den sie die wenigen Kleidungsstücke, die sie noch besaß, geworfen hatte. Ein Nachttopf und eine Waschschüssel standen an der gege nüberliegenden Wand.
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Danifae besaß nichts mehr von Wert außer ihrem Glauben, ihrem heiligen Symbol und dem Schwarzwurzelkonzentrat, das sie in einer Phiole in ihrer Schärpe aufbewahrte. Sie füllte die Phiole jeden vierten Zehntag auf, indem sie ihren Körper ei nem seltsamen Halb-Drow-Apotheker, der auf dem Basar tätig war, überließ. Sie hatte sich schon lange gegen die Auswirkun gen des Gifts immunisiert, indem sie sich ständig steigenden Dosen ausgesetzt hatte. Sie wußte, daß sie tief gesunken war, viel tiefer als damals als Kriegsgefangene. Dennoch klammerte sie sich an den Glauben. Die meisten dachten, sie sei nur eine verrückte Hure oder eine ausgestoßene Hexe mit Größenwahn. Doch sie war keines von beiden. Sie war eine Spinne, und man stellte sie auf die Probe. Nicht mehr und nicht weniger. Sie hatte versagt. Deswegen war sie nicht Lolths Yor’thae geworden. Doch sie würde für ihr Versagen Buße tun, und eines Tages würde sie wieder Gnade vor den acht Augen der Göttin finden. Inzwischen mordete Danifae in Lolths Namen. Jeder achte Freier, der zu ihr kam, wurde ihr Opfer. Lolth mochte auf ihre Gebete nicht antworten, doch das hinderte Danifae nicht daran, ihr unermüdlich weitere Opfer darzubringen. Sie entsorgte die Leichen, indem sie sie an einen alten Drow-Pilzbauern verkaufte. Danifaes Beute fand ihr unrühmli ches Ende als Dünger im Donigarten. Die Schwachen nähren die Starken, dachte sie und mußte lächeln, obwohl ihre Narben dabei schmerzten. Es klopfte an der Tür, und sie drehte sich um. »’Fae«, sagte draußen eine lallende Stimmte. »Mach auf. Ich will mich an deinem Fleisch laben.« Danifae kannte die Stimme. Heegan, der zweite Sohn eines verarmten Händlers, der immer nach eingelegten Pilzen und
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Hirnwein stank. »Einen Augenblick«, befahl Danifae, und der Mann gedul dete sich, wie ihm geheißen. Heegan war diesmal Nummer acht. Danifae holte die Phiole aus dem kleinen Beutel an ihrer Schärpe, benetzte den Finger und strich sich das Gift auf die Lippen. Sie setzte ein falsches Lächeln auf, ging zur Tür und öffnete sie. Im Gang stand Heegan. Sein weißes Haar war zerzaust und sein verdrecktes Hemd schon teilweise aufgeknöpft. Danifae war um zwei Spannen größer als der Mann. Sie blickte in seine wäßrigen, stumpfroten Augen und dachte sich: Du bist einer der Schwachen. »Glückauf, ‘Fae«, begrüßte er sie und starrte ihre Brüste lüs tern an, die von dem dünnen Stoff kaum verdeckt wurden. »Sind wir nicht ein hübsches Paar?« Er ließ einen mit Münzen gefüllten Beutel vor ihrer Nase baumeln. Danifae schnappte sich das Geld und gab ihm eine Ohrfei ge. Er lächelte trotz der blutenden Lippen, riß sie in die Arme und drückte seine Lippen auf ihren Mund. Sein Atem stank, und sein Stöhnen war noch widerwärtiger. Sie ließ es über sich ergehen. Sie wußte, daß er sich mit jedem Kuß tiefer in ihr Netz verstrickte. Sie ließ zu, daß er sie aufs Bett zuschob. Er versuchte, sie aufs Bett zu werfen und sich auf sie zu legen, doch sie nutzte ihre überlegene Stärke, um ihn niederzuwerfen und sich auf ihn zu schwingen. Er grinste in seinem Suff und murmelte ein lächerliches Kompliment. Sie saß mit gespreizten Beinen auf ihm, und er leckte sich lüstern die Lippen. Seine Hände fummelten ungeschickt an ihrer Schärpe und ihrem Unterkleid herum, und sie erkannte
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an den fahrigen Bewegungen, daß nicht nur der Wein seine Wirkung tat. Er streifte die Phiole mit dem Schwarzwurzelex trakt und zögerte nicht einmal, so begierig war er, ihr weiches Fleisch zu betatschen. Sie lächelte und zählte in Gedanken langsam bis dreißig, während sie ihn weiter neckte und hinhielt. Sein geiler Ge sichtsausdruck wich zuerst der Verwirrung und dann der Panik. »Was geschieht mit mir?« fragte er. Seine Zunge war schwer, und er lallte. »Was hast du getan, du Hure?« Er versuchte, sie von sich zu stoßen, doch die Droge hatte ihr Werk bereits getan. Er war völlig kraftlos und brachte es nur zuwege, schwächlich gegen ihre Schultern zu schlagen. Es dauerte nicht lange, bis er gelähmt war und sie voller Schreck anstarrte. Sie beäugte ihn kalt, aber lächelnd und begann ihre Anru fung. Sie rief Lolth an und forderte sie auf, sich am Tod des Mannes zu ergötzen. Nachdem sie das Gebet beendet hatte, umschlang sie seine Kehle und erwürgte ihn. Seine Augen traten hervor, er gab ein schwaches Röcheln von sich und starb. »Du bist schwach«, flüsterte sie, »und ich bin die Spinne.«
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Halisstra trat in den Paß des Seelenfressers und spürte, wie ihr Körper in Zeit und Raum zerdehnt wurde. Sie biß die Zähne zusammen und zwang sich weiterzugehen. Übelkeit überkam sie, doch sie kämpfte sie nieder. Ein schmaler Pfad erstreckte sich vor und hinter ihr. Steile Wände stiegen zu beiden Seiten des Weges empor, und am Boden trieben Nebelschwaden dahin. Der Nebel schien zu zischen und zu geifern. Halisstra umfaßte die Mondsichelklinge fester. Sie war nicht allein und wußte es. »Zeig dich«, befahl sie mit tiefer, drohender Stimme. Vor ihr trieben die Nebelschwaden auseinander und gaben den Blick auf einen riesigen Schlangenleib frei, der sich scheinbar bis in die Ewigkeit erstreckte. Schwarze, leere Augen starrten in Halisstras Seele und nagelten sie auf der Stelle fest.
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Die Schlange öffnete das Maul und zischte. Das Geräusch ließ Halisstras Knie weich werden. Tief in der Schlange wanden sich die winzigen, teilweise verzerrten Essenzen Millionen gescheiterter Seelen. Ihre ver zweifelten, panischen Schreie strömten auf Halisstra ein. Sie mußte mit sich ringen, um nicht zurückzuweichen. In diesen Seelen konnte sie sich selbst sehen. Auch sie war gescheitert, doch statt daß sie der Anblick mit Verzweiflung erfüllte, koch te der Zorn in ihr hoch. »Stell dich mir«, befahl sie und war sich gar nicht so sicher, ob sie die Schlange oder irgend jemand anderen damit meinte. Die Kreatur zischte erneut und schlängelte sich auf sie zu. Bei jeder Bewegung der Kreatur klagten die Seelen ihr Leid, ihren Schrecken und ihre Pein. Halisstra starrte die leuchtenden Seelen an und fragte sich, ob Ryld auch dort drinnen gefangen war. Sie stellte fest, daß ihr das inzwischen gleichgültig war, und setzte sich in Bewe gung. Laut brüllend und mit erhobener Mondsichelklinge begeg nete Halisstra dem Ansturm der Schlange mit ihrem eigenen.
Die Miniaturgolems schossen wie ein Insektenschwarm auf Gromph zu. Der Verwandlungszauber, der ihm Kampfkraft verlieh, hinderte ihn gleichzeitig daran, einen Zauber zu wir ken, um sie allesamt aufzuhalten. Außerdem war er nicht be reit, seine Position auf dem Hauptleib des Golems und bei der Regenbogensphäre einfach so aufzugeben. Die kleineren Konstrukte krabbelten und sprangen auf den Leib des Golems, um zu Gromph zu gelangen, dreißig, dann vierzig. Gromph brüllte wütend auf und reckte die Axt. Ein Spinnengolem landete auf seinem Rücken, dann ein
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zweiter. Ihre Mandibeln bohrten sich in sein Fleisch. Andere kletterten seine Beine empor, um seine Brust anzugreifen. Seine Rüstungszauber wehrten einige Angriffe ab, aber nicht alle. Ein ums andere Mal mußte er vor Schmerz laut aufstöh nen. Er packte eine der Kreaturen am Bein, warf sie auf den Go lemleib und hackte mit der Axt auf sie ein. Dann zerhackte er den nächsten und den übernächsten Minigolem. Währenddes sen wartete er verzweifelt darauf, daß der Verwandlungszauber endlich seine Wirkung verlor, damit er sich dem wahren Prob lem widmen konnte – der Regenbogensphäre. Mit blankem Entsetzen mußte er mit ansehen, daß sich der Minigolem, auf den er eingehackt hatte, erneut in kleinere Fragmente teilte, und ehe man bis fünf zählen konnte, waren auch aus diesen Fragmenten schon Füßchen und Mandibel entsprungen. Er fluchte und hackte auf immer weitere Spinnengolems ein. Jedesmal, wenn er traf, zerbarst sein Ziel in kleinere Teile, und jeder der kleineren Teile wurde erneut zum Spinnengo lem. Für jeden Gegner, den er besiegte, hatte er fünf weitere am Hals. Gromph war von einem tobenden Schwarm Konstrukte umzingelt. Es war ein Schwarm furchtloser, gnadenloser Mini killer, der ihn unermüdlich von allen Seiten bedrängte. Ir gendwann gab er es auf, mit der Axt auf sie einzuhacken, und verlegte sich statt dessen darauf, sie möglichst rasch wieder vom Hauptleib des Golems zu stoßen, sobald sie emporgeklet tert waren. Obwohl er hektisch arbeitete, war es ein fruchtlo ses Unterfangen, und es dauerte nicht lange, bis er über und über mit den kleinen Biestern bedeckt war. Ihr Gewicht war so groß, daß er sich kaum bewegen konnte. Er versuchte, die Levitationskraft seiner Baenre-Hausbrosche
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einzusetzen, doch das Gewicht der Golems war zu groß. Es gelang ihm nicht. Die Fangzähne und Klauen drangen nun immer häufiger durch seine Verteidigungszauber und fanden weiches Fleisch. Gromph schrie vor Schmerz, vor Zorn und vor Frustration. Sein Ring arbeitete wie verrückt, um die zahllosen kleinen Wunden zu heilen, doch es waren einfach zu viele. Für jede Spinne, die er von seinem Körper riß oder vom Hauptleib des Golems trat, krabbelten drei andere herauf. Er schüttelte sie von seinen Händen, zupfte sie sich vom Gesicht und zog sie von seinen Beinen herunter. Die Schmerzen hatten seinen ganzen Körper erfaßt, und er kämpfte laut brüllend. Wenn Gromph nicht seinen Ring gehabt hätte, der beständig Wun den regenerierte, wäre er schon lange tot gewesen. Rasch wie der Schlag eines Peitschendolchs endete der Ver wandlungszauber. Das Wissen über Magie kehrte urplötzlich zurück, doch auch seine erhöhte körperliche Stärke verließ ihn, und er brach nun endgültig unter dem Gewicht der Golems zusam men. Sein Wissen über Kampf, Paraden, Finten und Fußarbeit verblaßte wie ein Traum, aber dafür kehrte das Wissen über das Gewebe, die nötigen Gesten, die Materialkomponenten und die Kenntnis der Sprache der Magie zurück. Gromph war wieder er selbst, und die Schmerzen, die er litt, waren schier unerträglich. Seine Haut war von Hunderten kleiner Bißwunden überzogen, und seine Robe war blutge tränkt. Theoretisch hätte er jetzt zaubern können. Praktisch waren die Schmerzen, die er erlitt, viel zu groß. Er reagierte blitzschnell und tat das einzige, was er tun konnte. Er sprang vom Golem und rollte sich auf dem Boden ab. Der Aufschlag sorgte dafür, daß der Großteil der Minigo lems von ihm abfiel. Jetzt, wo sein Gewicht gering genug war,
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aktivierte er seine Brosche und stieg empor. Er schüttelte die letzten Spinnengolems ab. Dann hing er blutend und nach Atem ringend in der Luft. Unter ihm starrten tausend winzige Facettenaugen empor, ein Meer winziger Mandibeln klickte, und ebenso viele Kiefer fühler zuckten erregt. Seine Brosche gestattete es ihm nur, auf und ab zu schweben. Er holte eine Feder aus seiner Robe, eine Materialkomponente, die im Unterreich nicht leicht zu be schaffen war, und wirkte einen Flugzauber. Dann flog er nach rechts. Der Schwarm Spinnengolems folgte ihm wie eine Einheit, die unzähligen Augen stier auf ihn gerichtet. Da kam Gromph eine Idee ... Hinten über ihm erklang ein zischendes Geräusch, und Gromph drehte sich um. Grüne Energiefäden tanzten über eine der Energiemauern. Dyrrs Magier versuchten offenbar gerade, seinen Zauber zu bannen, aber offenbar hatten sie beim ersten Versuch den falschen Gegenzauber gewählt. Gromph mußte schnell handeln. Er flog weiter nach rechts und lockte den Golemschwarm immer weiter vom Leib des zerstörten Muttergolems weg. Dann holte er einen fingerförmi gen Magneten, an dessen einem Ende Eisenspäne klebten, aus seiner Robe. Er schwebte direkt über den Golems und sprach einen mäch tigen Verwandlungszauber. Als er fertig war, wechselten die Eisenspäne von einem Ende des Magneten zum anderen, doch das war nicht alles. In einem zylinderförmigen Bereich, der vom Boden bis zur Decke verlief, kehrte sich die Schwerkraft um. Auf Gromph hatte das dank seines Flugzaubers natürlich praktisch keine Auswirkung, außer daß er jetzt kopfüber schwebte und sich einfach in der Luft umdrehen mußte. Die Minigolems hingegen schossen auf die Decke zu, ganz so, als
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seien sie in einen Abgrund gefallen. Gromph wich ihnen aus, als sie an ihm vorbeifielen. Zwei klammerten sich an ihm fest, doch er schüttelte sie einfach ab, und sie schlossen sich den anderen nach oben fallenden Golems an. Die Konstrukte krachten in die Decke, erlitten davon aber kaum Schaden. Der ganze Schwarm befand sich jetzt an der Decke und ver hielt sich dort ganz so, als sei sie der Boden. Gromph murmelte einen weiteren Zauber und schuf eine kreisförmige Energie wand rund um das Gebiet, in dem er die Schwerkraft umge kehrt hatte. Die Golems konnten den Bereich daher nicht verlassen, um wieder zu Boden zu fallen. Sie waren eingesperrt. Gromph gestattete sich nicht den Luxus, seinen Sieg auszu kosten. Er flog nach unten, wendete erneut in der Luft, sobald er den Bereich der umgekehrten Schwerkraft verließ, und landete wieder auf dem Leib des Hauptgolems. Dann musterte er die Regenbogensphäre und den gewundenen Strang des Meisterschutzzeichens, der direkt in die Sphäre führte. Er hätte natürlich einen seiner mächtigsten Zauber der magischen Auftrennung einsetzen können, um die Regenbogensphäre zu zerstören. Leider hätte er damit alle Magie im Tempel aufge hoben. Er hätte das Meisterschutzzeichen aktiviert, die Golems befreit, seine Energiewände aufgehoben und seine Seele in seinen eigenen Körper zurückgeschleudert. Nein, er mußte die Sphäre mit akribischer Sorgfalt aufhe ben, indem er Schicht um Schicht durch Einsatz des richtigen Zaubers bannte. Jede Farbschicht konnte durch den Einsatz eines ganz bestimmten Zaubers aufgehoben werden, sobald sie sichtbar wurde. In Gedanken ging Gromph nochmals die Zauber durch, die er benötigte, um die Regenbogensphäre zu bannen. Für einige der Zauber brauchte er Materialkomponenten, und er begann
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in der Robe zu stöbern. Er holte einen Glaskegel, den Magne ten und eine Prise getrockneter Pilzsporen hervor. Erneut musterte er die Sphäre, während sie die Farben wechselte. Er wußte, daß er zuerst die rote Schicht aufheben und sich dann das Farbspektrum bis Violett hocharbeiten muß te. Vielleicht wurde die Angelegenheit durch das Meister schutzzeichen noch komplizierter, aber Gromph hatte keine Zeit mehr, um sich über seine möglichen Auswirkungen Ge danken zu machen. Er bereitete seine Zauber vor. Die Sphäre wurde rot. Gromph sprach ein Reimpaar, hob den Glaskegel an seine Lippen und atmete eisige Luft in einem kegelförmigen Bereich aus, die den Boden mit Eis überzog. Die Regenbogensphäre schien auch zu gefrieren. Gromph tippte sie mit den Fingerspitzen an, und die rote Schicht zerbarst. Dahin ter kam die orange Schicht zum Vorschein. Er hörte die Geräusche eines weiteren Angriffs auf die Ener giewand und das ärgerliche Klicken der gefangenen Golems. Gromph ignorierte beides. Er sprach eine weitere magische Anrufung und rief einen Windstoß herbei. Der Zauber ließ ihm die Haare ins Gesicht wehen und riß die orange Schicht von der Sphäre, so daß sie sich in Luft auflöste. Die gelbe Schicht wurde enthüllt. Er nahm seinen Magneten zur Hand, sammelte ein wenig Staub vom Boden auf und wirkte den gleichen Zauber, den er eingesetzt hatte, um Geremis zu vernichten. Der Zauber löste die gelbe Schicht auf, und die grüne Schicht wurde frei. Gromph hörte am Fenster etwas kreischen, das sich anhörte wie ein riesiger Aasgeier. Er erinnerte sich an die gestaltgewandelten Dämonen, die er auf der Brüstung gesehen hatte. Offenbar hatte Yasraena auch die Vrocks zum Tempel befohlen.
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Er nahm die Pilzsporen und setzte einen Zauber ein, der normalerweise dazu verwendet wurde, große Löcher in feste Felswände zu schlagen. In diesem Fall öffnete sich ein kleines Loch in der grünen Schicht. Es breitete sich rasch aus und verschlang sie. Nun war die blaue Schicht angreifbar. Fast geschafft. Währenddessen kreischten draußen die Vrocks erneut är gerlich. Er sprach die Worte einer magischen Hervorrufung und wies auf die blaue Schicht. Ein Geschoß aus magischer Energie schlug in die Schicht ein und zerstörte sie. Nun lag die indigo farbene Schicht vor ihm. Er näherte sich endgültig seinem Ziel. Hinten über ihm krachte ein weiterer magischer Ansturm in die Energiewand. Diesmal war er erfolgreich, und die Ener giewand brach zusammen. Gromph erkannte es am aufstieben den Funkenregen, den er aus den Augenwinkeln sah. Ein sieg reicher Schrei ertönte von draußen. Gromph hatte allerdings keine Zeit, um eine weitere Verteidigungsmaßnahme zu errich ten. Er mußte seinen Ansturm auf die Regenbogensphäre fort setzen. Gromph musterte die nächste Schicht und sprach einen weiteren Zauber. Licht, so hell wie jenes an der Oberfläche, durchflutete den Tempel. Trotz geschlossener Augen mußte Gromph die Tränen wegblinzeln. Von außerhalb des Fensters erklangen erschreckte Schreie. Die Kräfte des Hauses Dyrr, die sich dort versammelt hatten, mochten das Tageslicht ebensowenig. Eine Reihe von Dunkelheitszaubern löschten das Licht praktisch augenblicklich aus, doch es hatte sein Werk voll bracht. Es hatte die indigofarbene Schicht weggebrannt. Jetzt blieb nur noch die violette.
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Gromph sprach den Zauber, den er in den letzten Stunden schier unzählig Male eingesetzt hatte. Es war ein einfacher Zauber zum Bannen von Magie. Er tat seine Wirkung, und die letzte Schicht verschwand. Er hielt den Atem an. Da war es, das Seelengefäß Dyrrs, nur noch vom verdrehten Strang des Meisterzaubers umhüllt. Seine auf Magie abge stimmte Sicht ließ es so hell erstrahlen, daß ihm erneut die Tränen in die Augen schossen. Das Seelengefäß sah wie ein glitzernder, faustgroßer Beljuril, ein harter, grüner Edelstein, aus. Kleine Runen überzogen es. Gromph wog die Duergaraxt in der Hand. Ein Schlag würde nicht nur den Edelstein zerstören, sondern die Axt würde auch die Seele Dyrrs aufsaugen. Der Gedanke erfüllte Gromph mit Zufriedenheit. Hinter ihm drängten sich die Vrocks durch das Fenster und kamen in den Tempel geschossen. Gromph gestattete sich den Luxus, einen Blick über die Schulter zu werfen. Die Dämonen hatten wieder ihre natürliche Gestalt angenommen und erin nerten an riesige, zweibeinige Geier. Ihre Beine liefen in bruta len Krallen aus, und große Schnäbel, ideal zum Herausreißen von Fleischfetzen, ragten aus ihren verdreht wirkenden Ge sichtern. Die riesigen Geierflügel rauschten durch die Luft und trugen Aasgestank zu ihm heran. »Sie ist hier!« riefen sie aus dem Fenster, und von draußen drangen aufgeregte Schreie in den Tempel. Yasraena tauchte schwebend im Fenster auf und trat auf das Fenstersims. Einen Moment lang musterte sie Gromph und den zerstörten Tempel voller Verblüffung, immerhin war Gromph noch immer im Körper ihrer Tochter, doch dann verwandelte sich ihr Gesichtsausdruck in Zorn. Sie hatte erraten, mit wem sie es zu tun hatte.
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»Erzmagier!« schrie sie. Gromph lächelte und hob die Axt. Die Vrocks schossen mit weitgeöffneten Schnäbeln pfeil schnell auf ihn zu und kreischten dabei wie verrückt. Yasraena begann einen Zauber. »Leb wohl, Dyrr«, sagte er und ließ die Axt in den Beljuril krachen. Der Edelstein zerbarst in zahllose glitzernde Splitter, und ei ne übel stinkende, kleine Rauchwolke stieg empor. Gromph vermeinte, ein fernes Heulen zu hören, das nur auf der geisti gen Ebene wahrnehmbar war, und gleichzeitig vibrierte die Axt. Die Seele Dyrrs wurde vom Metall eingesogen. Sie glühte und vibrierte, und dann wurden die Seelen frei, die bisher in der Axt gefangen gewesen waren. Zwanzig oder mehr Seelen schossen aus dem Waffenkopf, schienen ob ihrer wiedergefun denen Freiheit vor Freude zu jauchzen und verschwanden im Äther. Ab jetzt war die Axt nur noch Dyrrs Gefängnis. »Nein!« schrie Yasraena und verlor die Konzentration auf ihren Zauber. Das Meisterschutzzeichen flammte in einem ärgerlichen Orange auf. Noch ehe Gromph versuchen konnte, den Sinn dieser Ver änderung zu ergründen, ja bevor er sich den heranbrausenden Vrocks zuwenden konnte, erschütterte ein Beben den Tempel, nein ganz Haus Agrach Dyrr. Der Erdstoß ließ Gromph von den Überresten des Golems purzeln, und die beiden Vrocks schossen kreischend über seinem Kopf vorbei. So rasch wie möglich sprach Gromph die Worte eines sei ner machtvollsten Zauber überhaupt. Für alle außer Gromph selbst blieb die Zeit stehen. Es wurde still, und alle Bewegungen erstarrten. Die Vrocks hingen mit weitaufgerissenen Schnäbeln in der
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Luft. Yasraena stand wie gebannt im Fenster, mitten in ihrem nächsten Zauber. Gromph untersuchte den Strang des Meisterschutzzeichens. Eine Kugel magischer Energie war gerade dabei, den Strang entlangzuschießen, und befand sich auf Höhe des Tempelpor tals. Gromph brauchte etliche Sekunden, um zu erkennen, was tatsächlich vor sich ging. Rasch wirkte er mehrere Erkenntnis zauber, um seine Vermutungen zu bestätigen. Als er die Ergeb nisse sah, hätte er fast lachen müssen. Dyrrs Verteidigungsmaßnahmen kannten wohl niemals ein Ende, und wie es schien, würde er seine Rache doch noch bekommen. Das Meisterschutzzeichen hatte die Schutzzauber, die Gromph aufgelöst hatte, nicht neu gewirkt, um einen allfälli gen zweiten Eindringling abzuhalten, sondern um die Kraft quelle für seine wahre Bestimmung zu erhalten. Die Zerstörung des Seelengefäßes hatte Dyrrs letzten Zauber aktiviert. Es han delte sich um eine Kettenreaktion, die sich mit der Energie der Schutzzauber auflud. Die Kugel magischer Energie würde blitzschnell entlang des Meisterschutzzeichens durch die Anlage rasen und die Energie aller Schutzzauber entlang des Weges absorbieren. Sobald sie am Ende des Zaubernetzwerks angekommen war, würde sie zum Ursprung, also zum Seelengefäß und damit zum Tempel, zurückgeschleudert werden, aufgeladen mit der Energie aller Schutzzauber. Die Explosion würde furchtbar sein, vielleicht verheerend genug, um die stolze Stalagmitenfestungsanlage, also ganz Haus Agrach Dyrr, zu vernichten. Gromph konnte nicht fliehen. Das Dimensionssiegel ver hinderte eine rasche, magische Flucht, und zu Fuß würde er die
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Strecke niemals rechtzeitig bewältigen. Dyrr hatte dafür gesorgt, daß er nicht allein dem Untergang geweiht war. »Gut gemacht«, sagte Gromph anerkennend zu der Axt, obwohl ihm bewußt war, daß ihn Dyrr nicht hören konnte. Der Erzmagier mußte ob der seltsamen Symmetrie der Er eignisse lächeln. Er hatte Dyrrs Leib vernichtet, indem er sei nen Stecken der Macht zerstört und so zur Explosion gebracht hatte. Dyrr würde Gromphs Leib vernichten, indem er ganz Haus Agrach Dyrr zur Explosion brachte und so zerstörte. Das war es also. Gromphs Zeitstoppzauber näherte sich dem Ende, und er beschloß, lieber in seinem eigenen Körper zu sterben als in dem einer Priesterin Dyrrs. Außerdem beschloß er, daß er zufrieden und gut unterhalten sterben würden. Die Schlacht, die er und Dyrr mit Zaubern und scharfem Verstand, mit Maßnahmen und Gegenmaßnahmen geführt hatten, konnte sich mit jedem noch so spannenden Sava-Spiel messen, das er je gespielt hatte. Er wirkte einen verhältnismäßig schwachen Verwandlungs zauber, der Larikals Körper so änderte, daß er dem seinen äh nelte. Sie schien jetzt kleiner, schlanker, mit kürzerem Haar und scharfen Zügen. Er schätzte, die Ähnlichkeit würde für seine Zwecke reichen. Obwohl im Zeitstopp eigentlich alles außer ihm in der Zeit gefroren war, konnte er dennoch bereits förmlich spüren, wie der Meisterzauber Energie sammelte. Mit einer kurzen Willensanstrengung versetzte er seine See le zurück ins Okular und drängte so Larikal in ihren Körper zurück. Sobald er im Edelstein war, wechselte er in seinen eigenen verkleinerten, unsichtbaren Körper außerhalb des Tempels. Dort konnte er klein und unbeobachtet auf den un vermeidlichen Tod warten.
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Yasraena blinzelte verblüfft, doch mit einer Willensanstren gung gelang es ihr, die Konzentration auf den Zauber aufrecht zuerhalten. Einen Augenblick lang war ihr Gromph, sicherlich von einer Illusion verhüllt, wie ihre Tochter Larikal erschie nen. Die Wirkungsdauer der Illusion war gerade zu Ende ge gangen, und jetzt stand der Erzmagier Menzoberranzans in seiner wahren Gestalt vor ihr. Die Vrocks schossen auf ihn zu, hackten mit den Schnäbeln nach ihm und rissen mit den Klauen an seinem Fleisch. Gromph wirkte verwirrt und desorientiert. Seine Hände fuh ren zu vermeintlichen Waffen, die er gar nicht am Gürtel trug, und dann schlug er mit den Fäusten nach seinen Gegnern, statt einen Zauber zu wirken. Seine Schreie klangen wie die einer Frau. Endlich griff er nach der Axt, mit der er das See lengefäß Dyrrs zerstört hatte, und schlug damit nach den krei senden Vrocks. Yasraena fuhr mit ihrem Zauber fort. Sie würde Gromph auslöschen. In ihr war ein bodenloser Ozean des Zorns, ein Ozean, aus dem sie Kraft schöpfte und dessen aufgestaute E nergie jetzt in den Zauber floß. Es war der Zorn über Gromphs Täuschung, über Dyrrs Narretei, dessen kurzsichtige Pläne ihr Haus in den Abgrund gerissen hatten. Ein weiteres Erdbeben ließ sie fast vom Sims taumeln, doch sie unterbrach ihren magischen Singsang keine Sekunde. Steinsplitter begannen vom Kuppeldach des Tempels zu reg nen, und Glas zerbarst. Ganz Haus Agrach Dyrr wurde von den Erdstößen erfaßt. In diesem Augenblick erkannte sie, was da wirklich ge schah. Mit einem Gefühl der Endgültigkeit, das ihr flau im Magen
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werden ließ, erkannte sie, daß ganz Haus Agrach Dyrr unter gehen würde. Gromph hatte das Seelengefäß zerstört, und der närrische Drowleichnam hatte für solch einen Fall eine Ket tenreaktion vorgesehen, die die ganze mächtige Festungsanlage dem Erdboden gleichmachen würde. Egal. Sie würde Gromph töten. Yasraena würde zumindest diesen Triumph mit ins Grab nehmen. Die Worte strömten ihr förmlich von den Lippen, und mit jeder Silbe sammelte sich mehr und mehr magische Energie. Die Vrocks führten ihre Angriffe fort und bedrängten Gromph von beiden Flanken, doch dieser hatte sich inzwischen offen bar gefangen und hielt mit der Axt in der Hand die Stellung. Er trieb die Vrocks zurück und blickte zu Yasraena. Schrecken überzog sein Gesicht. Er versuchte, ihr etwas zuzurufen, doch die Erdstöße, die den Tempel zum Erzittern brachten, und ihre eigene donnernd laute Stimme übertönten seine Worte. Sie beendete den Zauber, wies mit ihrem heiligen Symbol auf Gromph und ließ die zerstörerische magische Energie in seinen Leib strömen. Sie war sicher, daß er gegen derartige Zauber geschützt war, doch sie war ebenso sicher, daß seine Schutzzauber kläglich versagen mußten. Sie hatte all ihre ma gische Macht in den Zauber gelegt. Es gab niemanden, der ihm hätte widerstehen können. Gromph starrte sie entsetzt an und begann zu zittern. Sein ganzer Leib wurde nun von ähnlichen Zuckungen durchlaufen wie der Tempel und die restliche Festung. Wirre Geräusche drangen aus seinem Mund, doch Yasraena verstand nicht, was er sagte. Die Vrocks flatterten ein Stück rückwärts, verwirrt darüber, was sich hier zutrug. Yasraena berührte ihre Hausbro sche und schwebte zum Tempelboden hinab. Sie wollte Gromphs Tod aus nächster Nähe sehen.
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»Du bist nur ein Mann, Erzmagier«, sagte sie verächtlich, »und ich werde mich an deinem Tod ergötzen, bevor meine Seele zu Lolth gerufen wird.« Die Magie fraß sich immer tiefer in seinen Leib. Gromph versuchte, etwas zu sagen, hatte jedoch völlig die Kontrolle über seinen Körper verloren. Die Zunge zuckte zwischen den Lippen hin und her. Er würgte, biß sich auf die Zunge und spie Blut und Speichel. Ein fürchterlicher, gurgelnder Schrei kam über seine Lippen, als sein Körper in sich selbst zusammenzu fallen begann. Einen winzigen Augenblick lang, während der Körper im mer weiter in sich zusammensackte, sah Yasraena, wie Gromphs Züge zerfielen und den Blick auf ihre Tochter freiga ben ... »Larikal?« Yasraena stürmte nach vorne und umfaßte Gromphs implodierenden Körper. »Larikal!« Sie konnte sehen, wie der Erzmagier, nein, ihre Tochter, trotz der fürchterlichen Zuckungen zu nicken versuchte. Das Beben wurde immer heftiger. Yasraena konnte den Zauber nicht aufhalten. Es war zu spät. Mutter, krächzte Larikal über die Verbindung ihres telepa thischen Amuletts. Yasraena rang nach einer Antwort, da wurde die geistige Stimme ihrer Tochter schon zu einem schier endlosen Schrei, der in ein unzusammenhängendes, schmerzerfülltes Würgen und Plappern überging. Mit einem widerwärtigen, reißenden Geräusch schien sich der Körper förmlich immer wieder zu sammenzufalten, bis zu Yasraenas Füßen nur noch ein Haufen eng zusammengequetschtes Fleisch lag. Yasraena starrte fassungslos auf Larikals Oberreste und ball te die Fäuste in hilflosem Zorn. Gromph hatte sie ein letztes Mal getäuscht.
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Über ihr liefen breite Sprünge durch die Kuppeldecke. Sie blickte nach oben und sah direkt in Lolths Augen.
Halisstra stand blutbesudelt und nach Atem ringend auf der Plattform, die vor den Toren zu Lolths pyramidenförmigem Tabernakel lag. Links und rechts von ihr lagen die Leichen Danifaes und Quenthels. Halisstra hatte beide getötet, ja mit der Mondsichelklinge praktisch in kleine Stücke gehackt. In ihrem unbändigen Zorn hatte sie so lange auf Danifae einge schlagen, daß nur noch ein unkenntlicher Haufen blutigen Fleische von ihr übriggeblieben war. Sie hatte sie daran gehindert, das Tabernakel zu betreten. Keine von ihnen würde jetzt noch Lolths Yor’thae werden. Sie löste ihren Schild vom Arm und warf ihn auf den Bo den. Das Scheppern durchbrach die Stille. Abgesehen von dem Seufzen der violetten Feuer, die hinten unter ihr auf der Ebene des Seelenfeuers brannten, schien der gesamte Abgrund der Dämonennetze den Atem anzuhalten. Selbst Lolths stän diger Wind war verstummt. Sie sah das massive, pyramidenförmige Bauwerk vor ihr an. Lolths Tabernakel war aus schwarzem Metall gefertigt, und die Oberfläche wimmelte geradezu von Spinnen. Das titanische Doppelportal am Fuß des Gebäudes stand offen und schien sie zum Eintreten aufzufordern. Aus dem Inneren strömte violettes Licht, und Halisstra konnte die Schatten von Arachniden er kennen, die sich wie riesige, gefährliche Jägerinnen aufrichteten. Jetzt würde sie tun, wofür sie gekommen war. Sie hielt inne. Warum war sie eigentlich gekommen? Sie schüttelte den Kopf – sie war verwirrt – und trat in das Tabernakel.
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Die schrägen Innenwände des Tempels waren von Netzen überzogen. In ihrer Gesamtheit bildeten sie ein Muster, das auf etwas Befremdliches hindeutete, doch es war nicht zu erken nen, was es genau sein könnte. Über und zwischen den Netzen wuselten Spinnen aller Art und Größe dahin. Im Gebäude standen in regelmäßigen Abständen schlanke Säulen aus ineinander verdrehten Spinnweben. Auch im Inne ren des Tempels konnte Halisstra nicht erkennen, von wo das violette Licht kam. Am hintersten Ende des spinnwebengefüllten Tempels be fand sich ein erhöhtes Podest aus poliertem, schwarzen Granit, das die acht Körper Lolths beherbergte. Halisstra spürte einen unglaublichen Druck auf der Brust, als sie ihrer ehemaligen Göttin so von Angesicht zu Angesicht gegenüberstand. Lolth war in ihrer Spinnengestalt und erschien als acht Schwarze Witwen, sowohl anmutig als auch tödlich. Lolth war eine Göttin, hatte aber acht Aspekte. Sieben der Schwarzen Witwen krabbelten kreuz und quer übereinander und zischten. Es schien, als kämpften sie um ihren Rang. Doch alle sieben hielten sich stets hinter dem achten, dem größten Aspekt auf, der ruhig im Netz verharrte. Die Augen des achten Aspekts schienen sie förmlich zu durch bohren. Zu beiden Seiten stand eine Yochlol. Ihre Leiber waren wie geschmolzenes Wachs, und ihre Arme schwangen wie Seile durch die Luft. Kreaturen von einer Art, wie sie Halisstra noch nie zuvor gesehen hatte, bildeten ein Spalier von Halisstra bis zu Lolth. Es waren großgewachsene, anmutig erscheinende weibliche Drow, aus deren Unterleibern lange Spinnenbeine entspran gen. Sie überragten Halisstra, und sie vermeinte ihre Blicke zu
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spüren. Die Erwartung, die in diesen Blicken lag, schien fast unerträglich. Halisstra konnte sich kaum von ihrer anmutigen Erscheinung losreißen. »Ich bin nicht die, die ihr sucht!« schrie sie, doch ihre Stim me schien förmlich von den Netzen verschluckt zu werden. Die achte Spinne begann, sich in ihrem Netz zu regen, und durch die Kreaturen im Tempel ging eine sichtbare Welle der Erregung. Gemeinsam antworteten die Drowspinnen: »Aber das könntest du sein. Die achte wartet auf die Yor’thae.« »Nein«, antworte Halisstra. Sie zischten und bleckten die Zähne, und in ihren Mäulern kamen Spinnenfangzähne zum Vorschein. Die acht Aspekte Lolths gaben ein klickendes Geräusch von sich, und die Kreaturen verstummten. Sie legten ihre wunderschönen Köpfe schräg und lauschten Lolth. Halisstra hob die Mondsichelklinge, holte tief Luft und trat einen weiteren Schritt in den Tempel hinein. Sofort schlugen die Tore laut knallend hinter ihr zu. Einen Augenblick lang hielt sie inne und wußte nicht, was zu tun war. Sie war hier allein und saß in der Falle. Sie blickte das Spalier entlang zu Lolth, und irgendwie gelang es ihr, Mut zu fassen. »Ich werde dir entgegentreten, um dich dafür zu strafen, was du mir angetan hast«, erklärte sie. Die Schwarzen Witwen raschelten mit ihren Beinen, die Yochlols wedelten mit ihren seilartigen Armen. Du hast es dir selbst angetan, antwortete Lolth telepathisch. Die Stimme Lolths, nein ihre Stimmen, zwangen Halisstra fast in die Knie. Sie vermeinte, sieben unterschiedliche Aspek te gehört zu haben. Sie hielt die Mondsichelklinge nun mit beiden Händen so
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fest umfaßt, daß ihre Knöchel weiß hervortraten, und machte langsam einen weiteren Schritt, dann noch einen. Die Klinge glänzte in ihrem Griff, und das blutrote Leuchten stellte einen angenehmen Kontrast zum violetten Licht des Tempels dar. Halisstra mochte vielleicht nicht mehr der Dunklen Maid dienen, doch ihr Schwert wollte noch immer das Werk voll bringen, für das es geschaffen wurde. Die seltsamen Drowspinnen beäugten sie, als sie zwischen ihnen dahinschritt, taten aber nichts, um sie aufzuhalten. Mit jedem Schritt, den sie Lolth näherkam, tänzelten sie unruhiger hin und her. Halisstra zitterte, und ihre Beine fühlten sich wie Blei an, doch einen um den anderen Schritt kam sie näher. Sieben Paar Mandibeln klickten, während sie näherkam, doch der achte Aspekt Lolths blieb reglos, wartete noch immer ab. Halisstra trat an das Fundament des Podests heran. Sie stand nun direkt vor Lolths Körpern und blickte in die fühllo sen Augen der achten Spinne. Sie sah ihr eigenes Spiegelbild in den zahllosen schwarzen Kugeln, doch wie sie momentan aussah, war ihr herzlich egal. Das Herz schlug ihr so wild in der Brust, daß sie das Gefühl hatte, es würde ihr jeden Moment zum Hals heraushüpfen. Schwitzend biß sie die Zähne zusammen und hob die Mond sichelklinge. Lolths Stimmen erklangen erneut in ihrem Geist. Sie schienen sanft, vernünftig und überzeugend zu sein. Warum bist du gekommen, Tochter? fragte Lolth. Ich bin nicht deine Tochter, antwortete Halisstra, und ich bin gekommen, um dich zu töten. Sie packte die Mondsichelklinge noch fester. Das Licht der Klinge spiegelte sich in den acht Augen wider, so daß sie Ha lisstra an die Sterne am Nachthimmel der Ebene erinnerten,
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die sie so lange beobachtet hatten. Die Yochlols kamen schlurfend auf Halisstra zu, doch Lolths Aspekte geboten ihnen mit einem Winken ihrer Kieferfühler Einhalt. Das könntest du selbst dann nicht, wenn du es wolltest, sagte Lolth, aber ich kann in dein Herzen sehen, meine Tochter, und ich weiß, daß du es nicht einmal willst. Halisstra hielt inne, die Mondsichelklinge noch immer schlagbereit. Nicht mich willst du töten, Kind, fuhr Lolth fort. Ich bin, die ich bin, und das hast du schon immer gewußt. Ich töte und fresse und werde stärker. Warum erfüllt dich dein eigenes Wesen mit solch einer Sorge? Die Anbetung meiner Tochter war nichts für dich. Warum fürchtest du dich zuzugeben, was du wirklich willst? Die Mondsichelklinge zitterte in Halisstras Hand, und die Tränen stiegen ihr in die Augen. Da erkannte sie es. Nicht Lolth wollte sie töten. Sie wollte die Unsicherheit, den Zwiespalt in ihrer eigenen Seele, der sie schwach gemacht hatte, auslöschen. Sie wußte, daß er noch immer in ihr war. Ein tiefes Loch voller Furcht und Schuldgefühle. Sie hatte einen Tempel zu Ehren Eilistraees im Abgrund der Dämonen netze errichtet, hatte zahllose Spinnen getötet, die Lolth heilig waren, und die Klinge der Dunklen Maid geführt. Ihre Lossa gung von Eilistraee war keinesfalls Buße genug. Sie liebte Lolth, sehnte sich nach ihr oder zumindest nach der Macht, die Lolth den Ihren gewährte. Das wollte sie töten. Sie wollte das Sehnen nach Macht töten, doch sie konnte es nicht töten, ohne sich selbst oder das, was sie ausmachte, zu töten. Akzeptiere, was du bist, mein Kind sagte Lolth im Chor der sieben Stimmen, doch diesmal öffneten sich acht Paar Mandi beln weit.
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Die Blicke von Milliarden Augengruppen schienen Löcher in Inthracis’ Rücken zu brennen. Sie lasteten wie tausend Ton nen Stein auf ihm. Das Klicken unzähliger Mandibeln hallte in seinen Ohren. Er spürte die Anspannung seines Regiments. Die Scheusale traten unruhig von einem Fuß auf den anderen und wagten hin und wieder einen Blick über die Schulter. Egal wieviel Seelen er ihnen versprochen haben mochte – damit hatten sie nicht gerechnet. Haltet die Stellung, befahl er den Nycalothen-Anführern geistig. Er stand weiterhin mit dem Rücken zum endlosen Netz und Lolths krabbelnder Stadt. Inthracis verspürte nicht das Be dürfnis, nochmals auf den endlosen Abgrund, die Stränge des chaotischen Netzes, das kein Ende fand, und die grotesken
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Wallungen von Lolths Metropole zu schauen, während sie metallisches Stöhnen von sich gab. Oder auf die Augen. Millionen und Abermillionen von Spinnen und anderen Arachniden, darunter Tausende infernalische Schwarze Wit wen und Hunderte Yochlols, säumten den Rand der Ebene. Sie blickten zum Gebirge, zum Paß des Seelenfressers und zu Inthracis und seinem Regiment. Inthracis hatte noch nie zuvor solch eine Horde gesehen, nicht einmal während der zahllosen Schlachten des Blutkriegs. Es hatte den Anschein, als hätte sich jede Spinnenkreatur im Abgrund der Dämonennetze dort versammelt, um die Stadt Lolths zu schauen und zu ehren. Mehrere Augenblicke vergingen, in denen das Regiment mit zum Zerreißen gespannten Nerven wartete. Dann war Inthracis sicher, daß die Horde nicht angreifen würde. Offen bar war sie nicht hier, um zu kämpfen, sondern um Zeugin der Ereignisse zu werden. Dennoch beunruhigte auch diese Erkenntnis Inthracis. Sie bedeutete, daß Lolth die Ereignisse vorausgeplant oder zumin dest Inthracis’ Einmischung vorausgesehen hatte. Er beruhigte sich, indem er sich einredete, Lolth sei eine Dämonin, das personifizierte Chaos. Sie würde ein vorherbestimmtes Ende nicht akzeptieren, nein, konnte es aufgrund ihrer Natur nicht einmal. Die Sache war noch unentschieden. Vielleicht würde Inthracis’ Angriff ja überhaupt erst die Entscheidung ermöglichen, wer Lolths Yor’thae werden würde. Vielleicht würde er alle drei Priesterinnen töten und damit Lolth vernichten. Vielleicht, vielleicht ... Er spielte mit dem Gedanken, sein Versprechen Vhaeraun gegenüber Versprechen sein zu lassen und in die Blutschlucht zurückzukehren. Er wußte aber auch, daß die Rache des mas kierten Gottes unerbittlich und rasch erfolgen würde. Viel
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leicht beobachtete ihn Vhaeraun ja in diesem Augenblick. Inthracis ergab sich in sein Schicksal – er würde seine Rolle spielen. Wenn Lolth ihm gestattete, die Priesterinnen an zugreifen, würde er es tun. Wenn nicht, dann nicht. Natürlich ließ er sich dem Regiment gegenüber nichts von seinen Zweifeln anmerken. Wenn sie uns angreifen wollten, hätten sie es schon getan. Haltet die Stellung. Es wird nicht mehr lange dauern. Er tätschelte Metzler und Fleischer, und die beiden Tier chen knurrten zufrieden. Sie wirkten auch beunruhigt. Er blickte sich um und fragte sich, wie er hatte zulassen können, in die Intrigen von Göttern verstrickt zu werden. Die Ebene des Seelenfeuers erstreckte sich zu seinen Füßen. Es war eine felsige Steinebene mit zahlreichen Rissen und Sprüngen im Boden. Von der Gebirgskette bis zum endlosen Netz waren es ungefähr zweieinhalb Kilometer. Offene Schlünde im Felsgestein spieen arkanes Feuer und Säurestöße gen Himmel. Dünner, grüner Nebel überzog die Ebene. Er war nicht undurchsichtig, aber er verzerrte Inthracis’ Wahrneh mung auf seltsame Weise. Vor ihm endete die Ebene bei der Gebirgskette und hinter ihm hörte sie schlicht und einfach auf, als hätte man sie abge schnitten. Ein unendlicher Abgrund schloß sich dort an, ein schwarzes Loch im Gefüge der Wirklichkeit, das kein Ende kannte. Über diesen Abgrund erstreckte sich bis in alle Ewig keit Lolths Netz. Inthracis drehte sich noch immer nicht um, rief sich den Anblick aber vor Augen. Zahllose seidene Fäden, die meisten ungefähr fünfzig Schritt breit oder gar noch breiter, erstreckten sich in die Unendlichkeit über dem Nichts. Lolths Stadt, eine chaotisch wirkende Metropole, die einer riesigen Spinne auf titanischen Beinen glich, lag inmitten
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dieser Stränge. Die behäbigen, knirschenden Bewegungen der Beine brachten selbst die stärksten der Fäden zum Erzittern und Vibrieren. Die Stadt war eine titanische Ansammlung von Metall und Netzen. Ein von Spinnennetzen umhülltes Bauwerk türmte sich auf das andere. Es gab weder Logik noch Sinn noch Zweck in diesem Aufbau. Nur die Position von Lolths pyramidenför migem Tabernakel ergab so etwas wie Sinn. Es krönte die Stadt wie ein riesiges, violettes Fanal. Verwandelte Seelen wimmelten in den Straßen, Wegen und Netzen der Stadt hin und her wie verdammte Insekten in einem riesigen Bau. Die leuchtenden Seelen, die bisher noch nicht in ihr ewiges Fleisch gehüllt worden waren, schossen wie frustrierte Glüh würmchen zwischen den Netzen der Metropole hin und her. Milliarden Spinnen wuselten auf dem endlosen Netz rund um die Stadt umher. Manche lebten in Löchern und Tunneln, die sie in die Stränge gegraben hatten, andere huschten auf der Oberfläche entlang. Sie jagten und fraßen einander, und nur die Stärksten unter ihnen überlebten für eine längere Zeit spanne. Inthracis verdrängte die Gedanken an die Stadt und kon zentrierte sich auf seine Aufgabe. Vor ihm erhoben sich die titanischen, gezackten Steingipfel der Berge, die an den Himmel zu rühren schienen. Die Flanken waren von Löchern und Sprüngen überzogen, und zwischen diesen Öffnungen wimmelten weitere Millionen von Spinnen hin und her. Der Paß des Seelenfressers öffnete sich wie ein schwarzes Maul in der Flanke des höchsten Berges. Von hier aus gesehen war er ungefähr drei Speerwürfe weit entfernt. Ein Sims ent sprang direkt hinter der Öffnung aus dem Felsgestein, und von dort führte ein einzelner, gewundener, felsiger Pfad nach unten
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auf die Ebene, der eher an eine Rampe erinnerte. Der Paß spie die Seelen förmlich aus. Eine endlose Reihe leuchtender Seelen strömte aus der Öffnung. Sie schossen auf Lolths Stadt zu, doch nur wenige kamen unbeschadet dort an. Magische Energiefelder zuckten aus den Spalten im Felsge stein der Ebene und umhüllten die vorbeischießenden Seelen. Die Seelen brannten überall am Himmel wie die Funken eines knisternden Feuers. Alle Seelen wanden sich einige Zeit in den sengenden Feuern. Manche nur wenige Herzschläge lang, andere mehrere Minuten. Dann ließen die Feuer die gefangene Seele frei, und sie strömte eilends weiter auf Lolths Stadt zu. Inthracis ging davon aus, daß es sich um eine Art Läuterung handelte. Inthracis wandte sich erneut an seine Nycalothen-Feldwe bel: Bringt die Truppen in Stellung. Sobald die Drow aus dem Paß kommen, werden wir sie mit Zaubern eindecken. Sie haben keine Deckung. Wir werden sie zu Boden zwingen, und dann können wir sie hier unten fertigmachen. Falls die Priesterinnen den ersten magischen Ansturm über stehen würden, würden sie den schmalen Pfad hinuntergehen oder fliegen müssen. Inthracis und seine Truppen würden sie beim Abstieg weiterhin angreifen und sie endgültig ausschal ten, sobald sie auf der Ebene des Seelenfeuers anlangten. Die Nycalothen flogen über den Mezzolothen hin und her und knurrten Befehle. Hastig formierte sich das Regiment ungefähr in Form einer Mondsichel, die mit der offenen Seite zur Rampe am Berg zeigte. Magische Energien zuckten über die gezackten Spitzen der ausgestreckten Glefen. Die NycalothenBefehlshaber umkreisten weiterhin ihre Truppen, während sie den Paß im Auge behielten. Die beiden Nycalothen waren mit mächtigen magischen Streitäxten bewaffnet. Inthracis stand hinter seinen Truppen. Seine Zepter bau
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melten am Gürtel, und die Canolothen standen ihm zur Seite. Angesichts des Publikums hinter ihm ging Inthracis davon aus, daß die Priesterinnen demnächst aus dem Paß kommen mußten. Er wirkte mehrere Verteidigungszauber und veränder te seine Wahrnehmung, so daß er magische, unsichtbare, ja sogar körperlose Kreaturen sehen konnte. Nichts, das aus dem Berg kam, konnte seiner Sicht entkommen. Bald würde der Paß des Seelenfressers Lolths Priesterinnen ausspeien, und Inthracis würde bereit sein. Er würde den Zu schauern ein Spektakel liefern ...
Pharaun kam zu sich. Er ging davon aus, daß er sich auf der anderen Seite des Passes befand. Die dunkle Öffnung klaffte hinter ihm im Fels, und Seelen schossen über ihn hinweg und an ihm vorbei. Er dachte an den Fresser und an die Seelen, die den Paß niemals wieder verlassen würden, und ein kalter Schauer überlief ihn. Nachdem ihn die Kreatur verschluckt hatte, hatte er nichts mehr gefühlt und gesehen. Er erinnerte sich überhaupt nicht an die Reise durch den Paß. Er wußte nicht, ob er wenige Au genblicke oder mehrere Stunden verloren hatte. Er erinnerte sich an eine flüsternde Stimme, ferne Schreie und schreckli chen Schmerz, doch die Ereignisse schienen so fern, daß es auch jemand anders hätte gewesen sein können, der sie erlebt hatte. Die Herausforderung des Passes ist nicht für dich bestimmt, hatte Quenthel gesagt. Von dir wird der Fresser nur einen Preis verlangen. Einen Preis. Irgendwie fühlte er sich vermindert, doch er konnte das Ge fühl nicht definieren. Er versuchte, die Situation durch einen
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schlagfertigen Kommentar zu entschärfen, doch wollte ihm nichts einfallen. Vielleicht war das schon ein Zeichen seiner Minderung. Er erinnerte sich an den Schlund des Fressers, der an eine weit klaffende Schlucht erinnert hatte, und an das eindringli che Flüstern. Er fragte sich, was Quenthel erlebt haben moch te. Nun lag er auf der anderen Seite von Lolths Berg am Boden und sah zum wolkigen, grauen Himmel empor. Er sah keine Sonne, doch das Land wurde von irgendeiner Lichtquelle schwach erleuchtet. Pharaun hatte das Gefühl, die Reise durch das Gebirge habe ihn auf eine andere Welt oder eine andere Ebene gebracht. Er wußte, daß das Land, in dem er jetzt war, nur insofern mit dem Land, aus dem er gekommen war, in Verbindung stand, als daß Lolth über beide herrschte. Der Paß des Seelenfressers war die einzige Verbindung zwischen ihnen. Er faßte sich mit einer Hand an die Schläfe und stellte fest, daß kleine Spinnen auf ihm herumkrochen. Er hörte ein Zi schen wie brutzelndes Fleisch, konnte aber nicht feststellen, wo das Geräusch herkam. Eine Seele flog über ihn hinweg, dann noch eine. Er drehte den Kopf und sah Quenthel, die mit geschlosse nen Augen rechts neben ihm lag. Sie wirkte angespannt. Sie umklammerte ihr heiliges Symbol und hatte wieder ihre nor male Größe angenommen. Er schluckte, stellte aber fest, daß seine Kehle staubtrocken war. Pharaun wischte die Spinnen vom Gesicht, setzte sich auf und ... Links von ihm lagen der reglose Jeggred und die ebenso reg lose Danifae. Er starrte sie verblüfft an, bis ihn die seltsame Erkenntnis überkam, daß sie unmöglich gleichzeitig wie er hier sein konnten. Sie hatten den Paß sicher deutlich später als
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Pharaun und Quenthel betreten. Einen Moment lang spielte er mit dem Gedanken, Jeggred zu töten, doch er widerstand ihm. Quenthel hatte ihm gestat tet, am Leben zu bleiben, obwohl er sie angegriffen hatte. Er wagte es nicht, ihre Entscheidung vorwegzunehmen. Er runzelte entnervt die Stirn und streckte die Hand nach Quenthel aus. »Herrin«, zischte er und schüttelte sie. Sie runzelte die Stirn und brabbelte etwas Unverständli ches, doch ihre Augen öffneten sich nicht. Jeggred knurrte. Seine Kampfhände ballten sich zu Fäusten. Pharaun fragte sich, was Jeggred wohl bei seiner Reise durch den Paß des Seelenfressers erlebt hatte, beschloß dann aber, daß er es gar nicht wissen wollte. Er stand auf und stellte fest, daß seine Knie zitterten. Da explodierte das Feuer rund um ihn und tauchte das Sims in eine Woge aus Licht und Hitze. Seine Schutzzauber wehrten den Großteil des Schadens ab, doch die Explosion nahm ihm den Atem, versengte entblößte Hautstellen und warf ihn zu Boden. Er setzte sich auf, blinzelte verwirrt und blickte zu Quenthel. Er erkannte, daß sie den Angriff auch verhältnis mäßig unbeschadet überstanden hatte, vermutlich auch, weil sie flach am Boden gelegen hatte. Leider wirkten auch Danifae und Jeggred nur etwas angeschwärzt, aber sonst wohlauf. Eine weitere Explosion brachte das Sims zum Erzittern, dann noch eine. Die Hitze brachte das Gestein zum Schmelzen und beißender Rauch ließ Pharaun Tränen in die Augen schießen. Ein wahrer Regen verbrannter Spinnen fiel wie Schnee von der Bergwand. Was beim Abgrund ging hier eigentlich vor? Ein Blitz zuckte den Rand des Simses entlang, und die Ge
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steinstrümmer spritzten nur so auf. Ein paar Splitter gruben sich in Pharauns Gesicht, in Quenthels Hände und in Jeggreds Fleisch. Quenthels Schlangen kamen zischend wieder zu sich, und kurz darauf regte sich auch ihre Herrin. Links von Pharaun erwachte nun auch Jeggred. Seine inne ren Hände wischten die Steinsplitter zur Seite, die sich in sein Fleisch gegraben hatten. Danifae setzte sich auf, stützte sich auf einen Arm und sah sich verwirrt um. Die vier starrten einander etliche Herzschläge lang an. Eine weitere Explosion erschütterte das Gebirge. »Was geht hier vor?« knurrte Jeggred und kam auf die Füße. Danifae stand ebenfalls auf und wandte sich an Quenthel: »Wie es scheint, haben wir beide die Herausforderungen des Seelenfressers bestanden, Herrin.« Quenthels Schlangen zischelten die ehemalige Kriegsgefan gene an. »Scheint so«, gab Quenthel zu. Pharaun begann, zum Rand des Simses zu klettern, doch be vor er angekommen war, wurde das Sims auch schon von einer schier undurchdringlichen, weißen Dampfwolke eingehüllt, in der Adern aus heißen Funken schwebten. Pharaun erkannte den Zauber – eine flammende Wolke. Die Funken drangen in Pharauns Haut ein und begannen, sich durch seine Schutzzau ber zu brennen. Pharaun warf die Kapuze seines magischen Piwafwi über den Kopf, doch die Funken drangen noch immer in seine Hände ein. Er biß die Zähne zusammen, um den Schmerz niederzu kämpfen. Der Gestank verbrannter Haut und angesengter Haare stieg ihm beißend in die Nase. Jeggred brüllte auf, und die Priesterinnen stöhnten, als ihre
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Haut ebenfalls zu verbrennen begann. Pharaun konnte durch den feurigen Nebel nur eine Armspanne weit sehen. Ein zweiter Blitz erhellte den Nebel, brachte das Sims zum Erbeben und ließ Pharaun gegen den Berghang krachen. Die Funken wurden durch die Explosion durcheinandergewirbelt und fraßen sich noch rascher in das nackte Fleisch. »Bannt die Wolke, Herrin!« rief Pharaun, und es war ihm herzlich egal, welche der beiden Priesterinnen sich angespro chen fühlte. »Ich werde uns Deckung verschaffen.« Er hörte sowohl Danifae als auch Quenthel zaubern. Ihre Stimmen klangen wie eine, und der brennende Nebel gab ihnen eine seltsame Körperlosigkeit. Jeggred knurrte tief und bedrohlich, das verärgerte Grollen eines verwundeten Tiers. Pharaun wartete, bis die Priesterinnen einen Großteil ihrer Zauber vollendet hatten, und begann dann mit seinem eigenen Zauber. Er holte eine Prise Diamantstaub aus seinem Piwafwi und beeilte sich, einen Zauber zu wirken, der eine Kuppel aus magischer Energie erschaffen würde. Da er und Quenthel von den Explosionen quer über das Sims geschleudert worden wa ren, konnte er nicht sagen, wo sie sich jetzt aufhielt. Er wirkte den Zauber so, daß die Kuppel ein möglichst großes Gebiet einschloß. Die Priesterinnen beendeten ihre Zauber gleichzeitig, und die Wolke wurde von einem der Gegenzauber, oder auch von beiden gleichzeitig, aufgehoben. In einem Augenblick war die Wolke noch da, dann war sie verschwunden. Beide hatten ihre heiligen Symbole umfaßt. Sie standen auf gegenüberliegenden Seiten des Simses. Jeggred hatte sich in Danifaes Nähe hingekauert und sie schützend mit den Armen umfaßt. Seine Mähne und seine Haut rauchten noch. Die Priesterinnen starrten einander an. Danifae hielt das
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Stück Bernstein in der Hand, Quenthel die Pechkohlescheibe. Pharaun konnte nicht beurteilen, wessen Zauber die Wolke gebannt hatte, und die Ungewißheit erfüllte ihn mit Sorge. Alles, was in letzter Zeit geschehen war, erfüllte ihn mit Sorge. Trotzdem gelang es ihm, seine Konzentration aufrechtzuer halten und seinen Zauber zu beenden. Sobald er das letzte Wort des Zaubers gesprochen hatte, formte sich eine durch sichtige, kuppelförmige Energiewand rund um das Sims und gab ihnen allen Deckung. Ein weiterer Feuerball und noch ein Blitz krachten in die Kuppel und zerperlten harmlos. Sie schafften es nicht, Pha rauns Zauber zu durchbrechen. Jeggred richtete sich zu seiner ganzen Größe auf und muster te Quenthel. Seine Klauen waren mit eingetrocknetem Blut überzogen, und auch sein Maul war blutbespritzt. Pharaun schätzte, daß das Blut von einer der Eilistraee-Anhängerinnen stammte. »Herrin«, sagte Pharaun, »mein Zauber wird nicht lange halten.« »Natürlich nicht«, antwortete ihm Quenthel, »du bist nur ein Mann.« Pharaun ignorierte die Spitze und kroch bis zum Rand des Simses, um darüber hinwegzuspähen. Die anderen folgten ihm. Ein sich windender Pfad, zu dessen Seiten der Berghang steil abfiel, wand sich vom Plateau zu einer Ebene hinab, die von zahllosen Kratern, Schluchten und giftigen Säurebecken durchzogen war. Ein grüner Nebel erfüllte die Luft, und Pha raun mußte ob der beißenden Säure blinzeln; durch den Nebel jedoch sah Pharaun ... ... unten eine ganze Armee auf sie warten. »Yugolothen«, stellte Pharaun fest. »Mindestens fünfhun dert.«
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»Söldner«, spie Quenthel aus, die seinem Blick gefolgt war. Auch ihre Schlangen zischten. Schuppige, vierarmige Nycalothen brausten über die ver sammelte Streitmacht der insektenähnlichen Mezzolothen dahin. Die gedrungenen, käferähnlichen Mezzolothen führten mit ihren vier Armen lange Stangenwaffen, und die Nyca lothen waren mit eindeutig magischen Streitäxten bewaffnet. Sie hatten sich am Fuße des Pfades wie eine Mondsichel am Boden aufgebaut, eine Mauer aus Metall und Fleisch. Pharaun wußte, daß die Yugolothen gegen die meisten Arten elementa rer Energie immun waren. Er ging davon aus, daß der Großteil von ihnen seine angeborenen Resistenzen noch durch zusätzli che Zauber verstärkt hatte. Er konnte den ganzen Haufen also nicht einfach mit einem Feuerball abfackeln, doch er hatte schon oft genug Scheusale getötet. Er suchte die Armee nach dem Ultrolothen ab, der sich ir gendwo da unten aufhalten mußte. Nycalothen und Mezzo lothen waren nur Gefolgsleute und Diener dieser Erzmagier der Yugolothen. Der dünne Nebel machte es ihm nicht einfach, Details zu erkennen, aber dann ... Da! Hinter der Armee stand der grauhäutige, glatzköpfige Ultro loth. Selbst aus dieser Entfernung spürte Pharaun die Macht, die hinter den riesigen, schwarzen Augen schlummerte. Er wurde von zwei überdimensionierten Canolothen begleitet, denen er eine dornenbewehrte Rüstung umgeschnallt hatte. Der Ultroloth trug dunkle Roben, hatte ein Schwert am Gür tel und trug einen Köcher an der Hüfte, der mit Zauberzeptern vollgestopft war. Eines der Zepter hielt er in der Hand. Von all dem ungerührt strömten die Seelen hinter ihnen aus dem Paß und schossen über ihren Köpfen dahin. Sobald
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die Seelen die Ebene erreichten, wurden sie von der Luft ein gefangen und von Fächern blutroter Flammen eingehüllt. Dort brannten sie einige Zeit über den Köpfen der YugolothenArmee vor sich hin, bevor die Feuer sie wieder freiließen. Die Flammen erinnerten Pharaun an Feenfeuer, das prinzipiell harmlose Feuer, das alle Drow willentlich beschwören konn ten. »Die Läuterung«, erklärte Quenthel, die mehr an den See len denn an der Armee interessiert zu sein schien. »Die alle Schwäche wegbrennt«, fügte Danifae hinzu. Pharaun blickte auf die Armee hinab und sagte: »A propos brennen ...« Vor ihren Augen hoben mehrere Mezzolothen die Handflä chen, und Feuerkugeln erschienen. Sie warfen sie zum Sims hinauf, wo sie auf die Energiekuppel trafen und explodierten. Instinktiv gingen die Drow hinter dem Sims in Deckung, doch das Feuer konnte Pharauns Zauber nicht überwinden. Sie spähten wieder über den Rand. Die Armee hielt die Stellung. »Warum rücken sie nicht vor?« fragte Jeggred. »Warum sollten sie?« antwortete Pharaun mit einer Gegen frage. »Sie kämen einander auf dem Pfad nur in die Quere.« Pharaun wußte, daß die vier Drow den schmalen Pfad, der zum Sims führte, mehrere Tage hätten halten können. Die Yugolothen hofften, sie durch das Zauberbombardement zum Abstieg zu zwingen, oder wollten einfach warten, bis es ihnen zu dumm wurde und sie freiwillig kamen. Schließlich war es kein Geheimnis, daß sie den langen Weg zu Lolths Stadt nicht zurückgelegt hatten, um jetzt im letzten Augenblick einen Rückzieher zu machen. »Wir können nicht zurück«, sagte Danifae und nahm damit Pharauns nächste Anmerkung vorweg. »Wir müssen vorwärts.«
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»Natürlich werden wir vorrücken«, sagrte Quenthel. »Dies ist die letzte Prüfung.« »Wirklich?« fragte Danifae. Pharaun kam eine ganze Armee von Yugolothen für eine letzte Prüfung durchaus angemessen vor, doch er behielt seine Meinung für sich. Er blickte sich weiter um und sah zum ersten Mal, was sich jenseits der Armee und der Einöde befand. Lolths Stadt. »Seht«, rief er, und Ehrfurcht schwang hörbar in seiner Stimme mit. In etwa zweieinhalb Kilometern Entfernung endete die Ebene, wie mit einem riesigen Messer abgeschnitten. Dahinter erstreckte sich ein Abgrund des Nichts bis in alle Ewigkeit. Ein monströses Netz überspannte den Abgrund und ver schwand ebenfalls am Horizont. Auf den Strängen dieses Net zes hätte Menzoberranzan winzig gewirkt. Lolths Stadt war ein chaotischer Haufen aus Metall und Spinnweben, Seelen und Spinnen und so groß wie Hunderte Menzoberranzans. Die Stadt stand am Rand. Sie wurde von titanischen Beinen getragen, die eine groteske Mischung aus organischen und metallischen Komponenten darstellten und aus der Unterseite der Stadt entsprangen. Ein Tempel, der etwa die Form einer Pyramide hatte, thron te über der Metropole. Pharaun erkannte instinktiv, daß dieser Tempel das Tabernakel Lolths war. Die mächtigen Tempelpor tale schienen geschlossen. »Lolths Kinder ...«, sagte Danifae, und Pharaun brauchte ein wenig, um zu verstehen, was sie damit meinte. An der Grenze zwischen der Ebene des Seelenfeuers und dem Netz hatte sich eine unüberschaubare Heerschar versam melt – infernalische Schwarze Witwen, Drinnen, Yochlols und Milliarden und Abermilliarden von Spinnen, viel mehr als
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Pharaun während des Wimmelns gesehen hatte. »Ihr Netz bedeckt alles«, flüsterte Quenthel und berührte ihr heiliges Symbol. »Die Welt ist ihre Beute«, vollendete Danifae. »Ihre Heer schar ist gekommen, um Zeugin zu sein.« »Wir müssen an den Yugolothen vorbei«, sagte Quenthel. »Sie müssen sterben«, fügte Danifae hinzu. »Schon ihre Anwesenheit hier ist Ketzerei.« Jeggred beäugte die Armee und knurrte. Pharaun erkannte an der Art des Knurrens, daß er kurz davor stand, in seinen Kampfrausch zu verfallen. Der Draegloth sah aus, als wäre er jeden Augenblick über den Rand gesprungen und nach unten gestürmt, wäre da nicht die Energiekuppel. Quenthels Schlangen umtanzten ihren Kopf wie ein Heiligenschein und zischelten etwas, das sie nickend zur Kenntnis nahm. »Wir müssen vorbei«, sagte Quenthel erneut. Danifae lächelte breit und wandte sich an Quenthel: »Das müssen wir tatsächlich. Ruft alle Hilfe herbei, die Ihr könnt, Priesterin.« Die beiden musterten einander noch kurz grimmig, dann traten sie gleichzeitig vom Sims zurück, so daß sie außerhalb des Sichtbereichs der Yugolothen waren, und begannen ihre Zauber zu wirken.
Zurück in seinem eigenen Leib vor dem Tempel der Agrach Dyrr hob Gromph den Zauber auf, der ihn auf einen Bruchteil seiner Größe reduziert hatte. Noch immer unsichtbar beobach tete er, wie die mächtige Stalagmitenfestung zu zerfallen be gann. Sprünge entstanden am Fundament der Gebäude und liefen die Wände empor. Die Mauer aus Stalagmiten und
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Adamantit vibrierte. Dyrrs Soldaten hasteten panisch die Treppen hinunter, liefen über das Gelände oder sprangen von den Mauern und schwebten zu Boden. Gromph hätte gelacht, hätte ihm nicht auch der Tod ge droht. Er hätte versuchen können, in die Lüfte zu steigen und hastig davonzufliegen. Doch einerseits hatte er seine Material komponenten in der Robe zurückgelassen, die an Larikals Körper geblieben war, und andererseits hielt er einen derarti gen Fluchtversuch ohnehin für sinnlos. Die Explosion würde zu gewaltig sein. Es gab keine Mög lichkeit, schneller zu sein als sie. Seine magische Wahrnehmung gestattete ihm zu sehen, wie die Energiekugel den Meisterzauber entlangraste, die anderen Schutzzauber auslöschte und ihre Energie in sich aufsog. Die Energiekugel war wie eine gefräßige, magische Bestie, die all die unzähligen Schutzzauber förmlich in sich hineinfraß, aus denen das komplizierte Verteidigungsnetzwerk des Hauses Dyrr bestand. Es würde nur wenige Augenblicke dauern, bis sie all die gespeicherte Energie in einer gigantischen Explosion aus speien würde. Einer Explosion, die Menzoberranzan erschüt tern würde. Die anschwellende Woge der magischen Energie ließ Gromphs Ohren zufallen. Die Energiewelle erreichte jetzt die äußeren Schutzzauber an den Toren und Mauern, sammelte sie auf und wogte zurück. Dabei gewann sie rasch an Geschwindigkeit. Die Dächer der Gebäude rund um Gromph stürzten ein. Drow kreischten, und Priesterinnen schrien irgendwelche Befehle, auf die niemand mehr achtete. Eine weitere große Schockwelle brachte den Tempel hinter ihm zum Erzittern, und das Kuppeldach brach zusammen. Rie sige Gesteinsbrocken und Glas regneten herab. Gromph ging
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davon aus, daß Yasraena, Larikal und die Vrocks vom Gewicht der Trümmer zerschmettert worden waren. Es war sehr passend, daß Lolth die Verräter schließlich mit ihrem eigenen Tempel zerquetscht hatte. Gromph trat aus dem Portikus und vom Tempel weg. Er fragte sich beiläufig, ob auch Xorlarrins Streitkräfte von der Explosion erfaßt werden würden. Es war auf jeden Fall ausrei chend magische Energie vorhanden. Die Energie aller Schutz zauber würde die Explosion speisen. Sie würde sich beim Aus löser, also im Zentrum des zerstörten Tempels, sammeln und von dort nach außen wirken. Gromph hielt es für wahrschein lich, daß sie ganz Haus Agrach Dyrr pulverisieren würde. Er blickte in Richtung der Tore und sah die sich nähernde Welle. Es war eine riesige, sich hoch auftürmende Mauer arka ner Energie. Der Boden bebte förmlich, während sie heran schwappte. Während die Welle heranbrauste, keimte eine Idee in Gromph auf. Die Welle sog die Energie aller Schutzzauber in sich auf und löschte sie dabei aus. Aller. Selbst die des Dimensionssiegels? Sein Herz schlug schneller. Hatte Dyrr tatsächlich einen Denkfehler begangen? Gromph hielt es für möglich. Er studierte die verbleibenden Schutzzauber, während die Energiewelle heranbrauste. Das Dimensionssiegel war noch aktiv, und er wußte noch nicht, ob der Meisterzauber es ebenfalls in sich aufsaugen würde. Wenn ja ... Wenn ja, konnte Gromph vielleicht im richtigen Augen blick noch einen letzten Zauber wirken. Zum Glück benötigte er für diesen Zauber keine Materialkomponenten. Er wartete ...
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Da! Die Welle löschte das Dimensionssiegel aus und traf den zerstörten Tempel. Das ganze Gebäude leuchtete, pulsierte gleißend weiß. Gromph rief laut die Worte seines Zaubers. Er zauberte so hastig wie möglich, ohne einen Fehler zu riskieren. Gleißende Lichtstrahlen schossen vom Tempel in alle Rich tungen. Die Explosion stand unmittelbar bevor. Er haspelte den Zauber förmlich herunter. Ein magisches Wort. Noch eines und noch eines. Dann erstrahlte der Tempel so hell wie die Sonne an der Oberfläche und explodierte. Gromph war zu langsam gewesen. Der Schmerz versengte seinen Leib. Dieser kurze Moment war von solch einer unvorstellbaren Qual, wie sie Gromph noch nie erlebt hatte, und er hatte wahrlich schon Höllenqua len durchlitten. Dann spürte er nichts mehr.
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Die Mezzolothen auf der Ebene des Seelenfeuers nahmen Kampfformation ein. Die Nycalothen schossen mit kampfbe reiten Streitäxten über der Armee dahin, und der Ultroloth holte ein anderes Zepter aus seinem Köcher. Wahrscheinlich wollte er damit die Energiekuppel aufheben, die Pharaun er richtet hatte. Jeggred hatte sich am oberen Ende des steilen Pfades aufge baut und knurrte vor Kampfeslust. »Weg mit der Mauer, Magier«, brüllte er. Unter seiner Haut spannten sich Adern und Sehnen. Zu beiden Seiten Pharauns standen die Priesterinnen und sprachen Beschwörungszauber. Weder Quenthel noch Danifae hatten sich angesichts der Situation die Zeit genommen, einen Beschwörungskreis zu ziehen. Beide hielten das heilige Symbol gegen die Brust gedrückt und riefen Lolth um Hilfe an. Ihre
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Stimmen erhoben sich klar und hell in den finsteren Himmel und hallten förmlich über die zerstörte Ebene. Die Spinnenkönigin erhörte die Gebete ihrer Getreuen. Quenthel rief einen Namen aus. Das Wort traf Pharaun wie ein Schlag, glitt von seinem Hirn ab, war ebenso rasch verges sen, wie er es gehört hatte. Ein Donnerschlag rollte über die Ebene, und Quenthel wie derholte den Namen. Über ihnen öffnete sich ein Loch im Himmel, und darin tauchte ein riesiger, schrecklicher Schatten mit dämonischen Flügeln auf. Pharaun erkannte die Kreatur, glaubte aber seinen Augen nicht zu trauen. Es war ein Klurichir. Einer der mächtigsten Dämonen des Abyss. Quenthel war ein unglaubliches Risiko eingegangen, eine solche Kreatur zu beschwören. Entweder war sie extrem verzweifelt oder extrem selbstsicher. Bei diesem Anblick schien alles auf der Ebene des Seelen feuers den Atem anzuhalten. Nur noch Danifaes Stimme klang durch die Nacht. Selbst Jeggred hielt den Mund, und in die Reihe der Yugolothen kam Unruhe. Die Nycalothen landeten hastig, um ihre Truppen zu beruhigen. Pharaun erfaßte die magisch verstärkten telepathischen Befehle des Ultrolothen. Haltet die Stellung, befahl er, und die Yugolothen gehorch ten. Der Klurichir flog in einer spiralförmigen Bahn abwärts und wurde dabei ständig größer. Er brüllte auf, und das Geräusch brachte das Gebirge zum Erzittern. Dann landete er am Berghang direkt außerhalb der unsicht baren Grenze von Pharauns Energiekuppel. Der mächtige, muskulöse Leib war mit struppigem, grauem Fell überzogen. Sein Haar wirkte wie eine Mähne aus Federn,
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und er war wohl gut viermal so groß wie Jeggred. Die mit einer Membran bespannten blutroten Flügel waren nochmals dop pelt so groß und hüllten das gesamte Sims in Schatten. Die kurzen Beine wirkten dick und stämmig wie Steinsäulen, und vier mächtige Arme, die sich ständig zuckend hin- und herbe wegten, entsprangen aus einem Torso, der nur aus einem riesi gen Maul bestand, in das zwei Oger auf einmal gepaßt hätten. Insektenartige Greifzangen zu beiden Seiten des Mauls schnappten hungrig durch die Luft, und zwischen den unzähli gen Zahnreihen trat Speichel hervor, während die Kreatur ein unverständliches Gebrabbel und Gezisch von sich gab. Das Gebrabbel hätte fast dafür gesorgt, daß der Wahnsinn Pharaun erfaßte. Obwohl er mit aller Macht dagegen ankämpf te, mußte er sich übergeben und besudelte seinen Piwafwi. Der titanische Kopf erinnerte an einen Ork, erweckte aller dings einen viel bestialischeren Eindruck. Direkt unter zwei nachtschwarzen Augen befand sich ein zweites, kleineres Maul. In einer Hand hielt der Dämon eine runenüberzogene Axt, die so groß war wie Jeggred. Die tiefe, grollende Stimme, mit der der Dämon jetzt sprach, hätte Pharaun fast von den Füßen gerissen. Das riesige Maul im Torso brabbelte und sabberte ungestört weiter, wäh rend das andere Maul im Kopf sprach. »Du hättest mich nicht beschwören sollen, Priesterin«, sag te der Dämon. Die unausgesprochene Drohung, die in diesen Worten mitschwang, schien Pharaun gefährlicher als jede offen ausgesprochene Drohung, die er bisher gehört hatte. Pharaun bemerkte anerkennend, daß Quenthel nicht zitter te, obwohl er sicher war, daß nicht einmal sie der Macht eines Klurichir gewachsen war. Einen Augenblick lang schien Quenthel nach Worten zu ringen.
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Dann eröffnete sie die Verhandlung: »Ich biete dir zehntau send Seelen, wenn du mir nur einen einzigen Dienst erweist.« Aus beiden Mäulern erschall manisches Gelächter. »Zehntausend Seelen sind nur ein Almosen«, antwortete der Klurichir. Die Flügel schlugen erregt, und ein Hagel von Staub und Gestein wurde durch die Luft gefegt. »Nenn deinen Preis«, sagte Quenthel, die durch die Böe blinzeln mußte. Pharaun konnte kaum glauben, was er gerade gehört hatte, und selbst Jeggred keuchte erschreckt auf. Quenthel hatte einem der mächtigsten Dämonen des Abyss gerade alles geboten, was er sich wünschte. Auch der Dämon schien verblüfft, und der riesige Mund stellte kurz sein Gebrabbel ein. Eine riesige Zunge kam aus dem Mund und fuhr über die Lippen. »Deine Verzweiflung fasziniert mich«, sagte er. »Sag mir, was ich tun soll, und ich werde es mir überlegen. Wenn ich es tue, werde ich eine Bezahlung fordern. Eine fleischliche Bezah lung, so wie es mir beliebt.« Quenthel machte keinen Rückzieher. Pharaun konnte es nicht glauben. »Abgemacht«, sagte sie und wies mit einer weitausholenden Geste auf die Ebene. »Hilf uns, diese Yugolothen-Armee zu zerstören.« Der Dämon grinste, sabberte, hob ab und schraubte sich in die Luft. Quenthel sah ihm lächelnd, schwer atmend und schweißgebadet nach. Danifaes Stimme erklang weiterhin hinter ihnen und erin nerte Pharaun daran, daß auch sie Hilfe beschwor. Die ehemalige Kriegsgefangene kam zum Ende ihres Be schwörungszaubers, und ihre Stimme schwoll immer mehr an. Sie flehte Lolth um Hilfe an. Als sie fertig war, wandte sie sich
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dem Gebirge zu, doch zuerst einmal passierte nichts. Dann begann die Bergflanke zu kochen. Millionen, nein Milliarden Spinnen ergossen sich aus jeder Ritze und Spalte, jedem Sprung und jeder Öffnung. Das Ge räusch, das ihre Beine und Greifklauen machten, erinnerte an peitschenden Regen. Es war beinahe noch schrecklicher als das Brabbeln des Klurichir. Danifae schrie, doch Pharaun konnte ob des infernalischen Zischens ihre Worte nicht ausmachen. Die Spinnen krabbel ten aufeinander zu, ballten sich, türmten sich übereinander. Das bedrohliche Brodeln formte sich zu einem Schwarm, der ebenso groß war wie der Klurichir. Dann nahm der Schwarm die Form einer riesigen Spinne an. Danifae machte eine weitausholende Geste und wies nach unten zu den Yugolothen. Eine Milliarde Spinnentiere schwappte in einer fließenden Bewegung den Hang hinunter. »Jetzt, Meister Mizzrym!« schrie Quenthel Baenre. »Hebt die Energiewand auf!« befahl Danifae. Pharaun tat, wie ihm geheißen, und stieg sofort in die Lüfte empor. Jeggred stürmte laut brüllend die Gebirgsflanke hinunter, und Danifae und Quenthel folgten im Laufschritt. Der Kluri chir brüllte, Sabber spritzte aus seinem Maul auf die Ebene des Seelenfeuers hinab, und dann schoß er ebenfalls nach unten. Der Schwarm aus Spinnentieren schien förmlich auf die Ar mee zuzurollen. Die Yugolothen reagierten rasch, das mußte Pharaun ihnen lassen. Sie waren eine eingespielte Streitmacht. Pharaun wußte, daß Externare oft über die Fähigkeit verfüg ten, andere ihrer Art herbeizurufen. Meist verzichteten sie auf den Einsatz dieser Kräfte, weil die herbeigerufene Hilfe natür
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lich ihren Preis forderte, der meist auf irgendeiner bereits zuvor getroffenen Abmachung basierte. Die Mezzolothen und Nycalothen stellten keine Ausnahme dar. Das Gemurmel zahlloser arkaner Worte drang von unten empor. Immer mehr Mezzolothen tauchten auf und stärkten die Reihen, und auch ein paar weitere Nycalothen erschienen mit einem leisen Zi schen und dem Gestank nach Erbrochenem. Es dauerte kaum drei Sekunden, da war aus der fünfhundert Mann starken Ar mee eine achthundert Mann starke geworden. Die Nycalothen sorgten hastig dafür, daß die neuen Solda ten ihre Plätze einnahmen, und bereiteten sich auf den Angriff des Klurichir, Jeggreds Ansturm und den heranbrausenden Schwarm vor. Der Ultroloth erhob sich ebenfalls in die Lüfte und forderte damit Pharaun heraus. Ungefähr zehn Nycalothen stiegen gemeinsam mit ihm auf. Der Klurichir brüllte, die Yugolothen klickten und schrien, und der Schwarm zischte und brodelte. Die Schlacht hatte begonnen.
Jeggred stürmte tobend den schmalen Pfad hinunter. Es schien ihn nicht zu kümmern, daß es zu beiden Seiten steil und ver dammt weit in die Tiefe ging, und es schien ihn ebensowenig zu kümmern, daß unten eine ganze Armee auf ihn wartete. Mit jedem weitausholenden Schritt gruben seine klauenbewehrten Füße Spuren in das Gestein. Der Kampfrausch brannte heiß und wild in ihm, und er konnte das Blut und das Fleisch be reits förmlich auf den Lippen spüren. Erneut brüllte er vor Begeisterung. Unten warteten schon vierzig Mezzolothen auf ihn. Sie hat ten die Glefen aufgepflanzt, und etliche von ihnen setzten ihre
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angeborenen magischen Fähigkeiten ein, um grüne Gaswolken zu beschwören, die sich wabernd vor ihnen ausbreiteten. Jeggred stürmte ohne langsamer zu werden durch den Ne bel. Er atmete das stinkende Zeug ein und spürte, wie es in sein Fleisch stach. Doch er ignorierte die Schmerzen in der Lunge und auf der Haut einfach und stürmte weiter. Mehrere Mezzolothen in der zweiten Schlachtreihe be schworen flammende Kugeln in ihrer Handfläche und warfen sie auf den anstürmmenden Jeggred. Die meisten schossen an ihm vorbei und explodierten harmlos auf Fels oder in der Luft, doch auch jene Flammenkugeln, die ihn trafen, schienen kei nerlei Auswirkung zu haben. Jeggred war immerhin eine Dä monenbrut, und Feuer, die nicht extrem heiß brannten, konn ten ihn nicht verletzen. Er warf den Kopf in den Nacken und brüllte erneut. Eine weitere Explosion hätte ihn fast von den Füßen geris sen. Er grub seine Kampfarme in den Fels, um das Gleichge wicht zu bewahren, und stürmte weiter. Ein Schatten fiel auf ihn, doch er machte sich nicht einmal die Mühe aufzublicken. Der riesige Dämon, den Quenthel beschworen hatte, schoß über ihn hinweg und auf die hinteren Ränge der Mezzolothen zu. Jeggred war zwanzig Schritte von der ersten Reihe der Krea turen entfernt. Dann fünfzehn, schließlich zehn. Er sah in ihre Facettenaugen und hob seine Kampfarme, um sie in Fetzen zu reißen. Fünf Schritte. Er konnte das Klicken ihrer Greifklauen und das Rascheln ihrer Rüstung hören. Er sprang hoch und landete mitten unter ihnen. Seine Be wegung trieb ihn auf zwei der Glefen zu, und diese bohrten sich in sein Fleisch. Obwohl aus den Wunden Blut strömte, spürte er sie kaum. Jetzt ergab er sich dem Kampfrausch. Seine Klauen schlugen
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immer wieder zu. Sie fetzten und rissen. Manchmal traf er einen Chitinpanzer, manchmal gingen seine Schläge ins Leere. Er biß wie wild um sich, zerriß Fleisch und kaute auf Armen, Körpern und Köpfen herum. Alles, was in seine Reichweite kam, wurde zerbissen, zerrissen und zerfetzt. Yugolothenblut strömte über sein Kinn. Immer wieder trafen ihn die Glefen, doch es war ihm egal. Feuerkugeln explodierten auf seiner Haut, doch auch das war ihm egal. Er spürte, wie ihm Blut über Rücken, Brust und Ar me lief. Die Mezzolothen schienen förmlich über ihm zu schwärmen. Er schrie und tötete, tötete und schrie. Plötzlich wurde er von undurchdringlicher Finsternis um hüllt. Jeggred war auch das egal. Er schlug und biß weiterhin nach allem, was in seine Reichweite kam. Er wußte nicht, ob Mezzolothen im Dunkeln sehen konnten, doch es kümmerte ihn nicht. Er hackte und tötete, doch langsam wurde er schwä cher.
Pharaun sah zu, wie Jeggred den schmalen Pfad hinunterstürm te und mitten unter die wartenden Mezzolothen sprang. Er verschwand unter einer heranschwappenden Lawine schwarzer Leiber und war nicht mehr zu sehen, und Pharaun verschwen dete keinen Gedanken mehr an ihn. Der Klurichir landete im hinteren Bereich der YugolothArmee und schwang seine titanische Axt. Jede Bewegung schien eine Schneise in die Ränge zu schlagen. Nycalothen und Mezzolothen stürmten auf ihn zu, Äxte und Glefen bohr ten sich in sein Fleisch. Seine Kampfschreie hallten über das Schlachtfeld. Der Spinnenschwarm ergoß sich wie eine Lawine vom Berg hang und krachte in die vorderen Reihen der Yugolothen. Die
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Die Mezzolothen wehrten sich mit grünen Wolken tödlicher Gase. Haufen von Spinnen regneten tot zu Boden, doch der Schwarm schwappte einfach weiter vorwärts und verschlang alles, das sich ihm in den Weg stellte. Der Ultroloth schwebte über das Schlachtfeld auf Pharaun zu, noch etwa einen weiten Armbrustschuß entfernt. Acht Nycalothen flankierten den mächtigen Yugolothen. Jeder der Nycalothen setzte seine angeborenen magischen Kräfte ein und ließ Spiegelbilder rund um sich entstehen. Aus acht Nyca lothen waren jetzt mehr als dreißig geworden, und Pharaun konnte nicht erkennen, welche davon real und welche nur eine Illusion waren. Die Hälfte der Nycalothen schlug noch rascher mit den Flü geln und schoß mit kampfbereiten Äxten auf Pharaun zu. Der Ultroloth folgte ihnen. Er hielt in einer Hand ein Schwert und zwei Kristallzepter in der anderen. Die anderen Nycalothen drehten ab und flogen in Richtung des Simses, wo die beiden Priesterinnen auf dem Weg nach unten waren.
Quenthel sah die grüngeschuppten Yugolothen auf sich zu schießen. Sie blieb auf dem Pfad stehen, holte das heilige Symbol hervor und begann eine Anrufung. Neben sich hörte sie Danifae zaubern. Yugolothen sind immun gegen Elektrizität, Herrin, zischelte Yngoth, und gegen Feuer und Eis. Quenthel nickte und zauberte weiter. Sie wußte alles, was es über diese Kreaturen zu wissen gab, und ging davon aus, daß sie ihre angeborenen Resistenzen gegen verschiedene Energiefor men noch zusätzlich durch Zauber verstärkt hatten. Sie hatte daher nicht die Absicht, elementare Energie gegen sie einzu setzen. Sobald sie den Zauber vollendet hatte, wurden alle sich
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nähernden Nycalothen von blauer Energie umhüllt. Der Zau ber zerstörte die Flüssigkeit im Leib der Kreaturen – Wasser, Speichel, Blut, alles verdampfte und löste sich auf. Die Kreatu ren konnten nur kurz aufschreien, da hatte sie der Zauber auch schon in verdorrte Hüllen aus Fleisch und Knochen verwan delt, die langsam zum Boden herabtrieben. Quenthel konnte die angerichtete Zerstörung nur kurz ge nießen. Danifae hatte ihren Zauber abgebrochen, und ihr Mor genstern krachte mit fürchterlicher Wucht auf Quenthels Kopf. Sie sah Funken vor den Augen, und der aufzuckende Schmerz in ihrem Schädel war schier unerträglich. Dann ver schwamm ihr alles vor Augen, und sie taumelte vorwärts. Doch sie fiel nicht. Ein solcher Schlag hätte praktisch jeden Gegner getötet. In Quenthels Fall verhinderten die mächtigen Schutzzauber, die auf ihr lagen, das Schlimmste. Sie schlug blind mit der Peitsche hinter sich und verfehlte. Die Schlangen zischten ärgerlich. »Achtung, Herrin!« rief Pharaun Quenthel zu. Sie hörte ihn und sah zu ihm empor. Sie hörte Danifaes Stimme hinter sich: »Das hier ist die letzte Prüfung, Baenreschlampe! Ich bin deine Prüfung, und du bist die meine. Wir wollen herausfinden, wem es bestimmt ist, Lolths Yor’thae zu werden.« Quenthel griff sich an den Hinterkopf – er war warm und klebrig vom Blut, doch sie konnte schon wieder besser sehen. Sie drehte sich um, Peitsche und Schild bereit. »Du hättest mich mit dem Schlag besser töten sollen«, sagte sie. Danifae ließ ihren Morgenstern kreisen und antwortete kalt: »Ich werde meinen Fehler gleich korrigieren.«
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Halisstra erwachte auf der anderen Seite des Passes. Die Kampfgeräusche, das Klirren von Stahl auf Stahl und die zahl losen Todesschreie ließen sie augenblicklich munter werden. Der Schlachtenlärm schien zu verblassen, und sie hörte er neut die Worte aus ihrer Vision: Akzeptiere, was du bist. Das würde sie, und die Macht, die ihr Lolth gewährte, wür de ihr die Kraft geben, Danifae zu töten. Ihre Hand schloß sich um das Heft der Mondsichelklinge, die neben ihr lag. Sie setzte sich auf und stellte fest, daß sie auf einem Sims hoch an der Bergflanke war. Der Paß des Seelenfressers klaffte hinter ihr im Fels. Seelen strömten daraus hervor und über sie hinweg. Das Gestein des Simses war an einigen Stellen durch Feuer geschwärzt oder gar geschmolzen. Verbrannte Spinnenleiber bedeckten den Boden, die verkohlten Beinchen unter dem Leib zusammengekrümmt, die Haare versengt. »Ein Zeichen, Spinnenkönigin?« bat sie Lolth. Nichts. Dann kam eine Brise auf, erfaßte die toten Spinnen und wirbelte sie empor. Sie sah wie gebannt, wie die kleinen Kör per scheinbar chaotisch und zufällig durch die Luft wirbelten. Sie empfand Mitgefühl mit den armen Kreaturen. Während sie die toten Spinnen ansah, überkam sie uner klärliche Aufregung und Begeisterung. Sie grinste. Es war ein wildes, haßerfülltes Grinsen, und endlich verstand sie. Lolth hatte sie aufgefordert zu akzeptieren, was sie war. Voller Eifer kam sie auf die Füße und musterte die Bergflan ke. Da. Eine schmaler, tiefer Riß, wie ein Schlitz geformt. »Ich verstehe«, sagte sie laut. Halisstra steckte die Mondsichelklinge bis zur Hälfte in den
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Riß, umfaßte das Heft mit beiden Händen und riß mit voller Gewalt daran. Die Klinge widerstand dem Versuch, sie zu zerbrechen. Sie versuchte es wieder. Sie brüllte vor Wut und riß erneut an der Klinge. In einem blutroten Lichtblitz zerbrach die Mondsichelklin ge. Als der Stahl brach, zerbrach auch etwas in Halisstra. Trä nen flossen ihr übers Gesicht, aber sie hatte keine Ahnung, warum sie weinte. Der kleine Same des Zweifels und des Has ses, ihr Sehnen nach Macht, das sie tief in sich begraben hatte, entfaltete sich nun erneut und gedieh. Sie fühlte sich wieder wie damals vor dem Fall Ched Nasads, als wären die letzten Tage nur ein Traum gewesen. Nein, erkannte sie. Kein Traum, eine Prüfung – und sie hat te sie endlich bestanden. Sie war Halisstra, erste Tochter des Hauses Melarn und eine Dienerin der Spinnenkönigin, und sie wußte, was sie zu tun hatte. Sie würde, nein, sie mußte Danifae töten. Das Bedürfnis, sie zu töten, war ebenso stark, wie einst das Bedürfnis gewesen war, die ehemalige Sklavin zu läutern. Halisstra sah, wie sich die Klinge des zerbrochenen Schwer tes schwärzlich verfärbte, zusammenschrumpfte und sich in ihrer Hand zusammenrollte, ähnlich wie die toten Spinnen, die den gesamten Sims bedeckten. Sie hatte ihr neues heiliges Symbol gefunden. Lolth hatte ihr ein Zeichen gegeben. Die Gebete zu Eilistraee, die sie sich eingeprägt hatte, die Magie, die sie in der Absicht gespeichert hatte, sie gegen Lolth zu wenden, verließ sie wie ein Sturzbach. Sie seufzte, sank in sich zusammen, und es gelang ihr nur, auf den Beinen zu blei ben, indem sie sich gegen die Bergflanke lehnte. Halisstra war leer, hohl.
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Eine kleine schwarze Spinne kam aus einer Spalte im Stein und kroch auf die Hand, in der sie das zerstörte Schwert hielt. Die kleinen Fangzähne bohrten sich in ihr Fleisch. Sie spürte keinen Schmerz, doch Kälte durchströmte sie und schien bis auf den Grund ihrer Seele zu dringen. Das Gift floß in ihre Adern, strömte durch ihren Körper und ... Halisstra bog den Rücken durch und schrie laut auf, wäh rend die Zauber, die ihr Eilistraee genommen hatte, von Lolth wiederhergestellt wurden. Tränen strömten ihr übers Gesicht, und diesmal wußte sie, warum sie weinte. Sie schien förmlich vor Energie zu vibrieren, wischte sich die Tränen ab und trat an den Rand des Simses. Unter ihr tobte eine Schlacht zwischen Dämonen, Yugolo then und Drow. Lolths Stadt lockte in der Ferne, ein endloses Netz schimmerte über einer bodenlosen Schlucht, und Lolths Verdammte brannten in violetten Feuern am Himmel über der Ebene. Halisstra kümmerte das alles wenig. Für sie zählte nur Dani fae, die auf einem schmalen Pfad, der vom Sims nach unten führte, gegen Quenthel kämpfte. Sie umfaßte ihr heiliges Symbol fester und betete zu Lolth. Stärke durchströmte sie, und sie genoß es, wieder Zauber in Lolths Namen zu wirken. Sie sang die Worte eines Bae’qeshel-Zauberlieds und machte sich unsichtbar. Ihre Vorbereitungen waren abgeschlossen. Sie zog Seylls Schwert und hastete den Pfad hinunter, auf ihre ehemalige Kriegsgefangene zu.
Pharaun schwebte in der Luft und beobachtete die Nycalo then, die auf ihn zuschossen. Er holte ein Glasfläschchen mit
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Alchemistenfeuer aus seinem Piwafwi, bestrich die Finger mit der klebrigen, brennbaren Substanz und sprach die Worte einer mächtigen Anrufung. Sobald er fertig war, konzentrierte er sich auf mehrere Punkte in der Luft neben den auf ihn zuflie genden Nycalothen, ein paar Punkte neben den Nycalothen, die auf die Priesterinnen zuschossen und noch ein paar, die er einfach so zufällig in den Reihen der Mezzolothen plazierte. Kleine Feuerkugeln tauchten an den gewählten Stellen auf und explodierten in Form relativ kleiner, aber extrem heißer Explosionen. Die Nycalothen schrien vor Schmerz auf, und die Explosionen warfen sie aus der Bahn. Einer der vier stürzte ab. Seine Spiegelbilder folgten ihm. Yugolothen waren zwar gegen Feuer widerstandsfähig, doch das Feuer, das Pharaun hervorrufen konnte, brannte so heiß, daß selbst ihre Resistenz versagte. Die Mezzolothen am Boden revanchierten sich mit etwa sechzig Flammenkugeln. Seine Schutzzauber bewahrten ihn vor dem Schlimmsten, aber dennoch begann seine nichtmagi sche Kleidung Feuer zu fangen, und seine Haut verbrannte teilweise. Die Explosionen warfen auch Pharaun aus der Bahn, und er versuchte, sich hastig neu zu orientieren. Endlich hatte er sich so gedreht, daß er die Nycalothen wieder auf sich zukommen sah. Als er den nächsten Zauber vorbereitete, verschwanden sie. Teleportation, erkannte Pharaun und fluchte. Ehe er noch richtig reagieren konnte, tauchten sie auch schon direkt neben ihm auf. Er nahm nur ein chaotisches Durcheinander muskulöser, schuppenbewehrter Leiber, Mäuler mit langen Fangzähnen, schwarzer Hörner, schlagender Flügel, Rüstungen, Klauen und Äxte wahr, da regneten auch schon die Klauenhiebe und Axt
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schläge auf ihn ein. Sein magischer Piwafwi schützte ihn wie der härteste Plattenpanzer. Der Großteil der Schläge prallte an der Magie des Umhangs ab, doch eine Klaue riß eine klaffende Wunde in seine Schulter, die sofort heftig zu bluten begann. Er schoß empor und vollführte einen langgezogenen Loo ping. Zuerst sah er den Boden, dann das Gebirge, den Himmel, wieder das Gebirge und dann wieder den Boden. Die Nyca lothen und ihre Spiegelbilder verfolgten ihn und versuchten, ihn weiter mit Schlägen einzudecken, doch er war in der Luft wesentlich beweglicher als sie. Im Flug rasselte er die magischen Worte für seinen nächsten Zauber herunter. Sobald er etwa zur Hälfte mit dem Zauber fertig war, holte er einen kleinen Spiegel hervor und machte ihn in der Handfläche bereit. Da schoß einer der Nycalothen an ihm vorbei und packte ihn am Knöchel. Eine zweiter Nycaloth krachte von der ande ren Seite in ihn. Die drei trudelten in einem irren Wirbel durch die Luft, und die Fliehkraft sorgte dafür, daß der eine Nycaloth seinen Knöchel loslassen mußte. Pharaun konnte oben und unten nicht mehr auseinander halten. Himmel und Boden rauschten in unregelmäßigen Ab ständen durch sein Gesichtsfeld. Dann zuckte ein Blitz des Ultrolothen durch die Luft und traf ihn voll. Der Blitz hatte natürlich keine Auswirkungen auf die Nycalothen, da sie gegen Elektrizität völlig immun waren. Er war allerdings so stark, daß er sich durch Pharauns Schutzzau ber brannte, mehrere Löcher in sein Fleisch fraß und ihm die Haare zu Berge stehen ließ. Er biß die Zähne zusammen und fuhr mit seinem Zauber fort. Der Nycaloth, der ihn gepackt hatte, knurrte etwas dicht neben seinem Ohr, und seine Flügel und Klauen schlugen wirr in der Luft umher. Pharaun erwehrte sich der Kreatur, so gut
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ihm das möglich war, ohne aus dem Rhythmus des Zaubers zu kommen. Erneut überwanden die Klauen den Schutz des Piwafwi. Diesmal zogen sie blutige Striemen in Hüfthöhe. Blut spritzte, doch es gelang Pharaun, seinen Zauber dennoch zu vollenden. Als er die letzte magische Silbe aussprach, rammte er der Krea tur den Spiegel ins Fleisch. Grünliche magische Energie flammte auf und brachte das Brüllen des Nycalothen zum Ver stummen. Der Körper der Kreatur verwandelte sich in Glas. Pharaun befreite sich aus dem erstarrten Griff und sah zu frieden zu, wie der Glasnycaloth auf dem Boden aufschlug und in tausend Scherben zersprang. Die anderen beiden Nyca lothen mitsamt ihren illusionären Spiegelbildern flogen eine weite Kurve und kamen laut brüllend erneut auf ihn zu. Pharaun drehte ab und versuchte hastig Distanz zu gewin nen. Er zischte zwischen ein paar brennenden Drow-Seelen durch und bereitete sich auf den nächsten Zauber vor. Er gestattete sich den Luxus, einen Blick zu dem Ultro lothen zu werfen, um zu sehen, was dieser gerade tat. Er war von einer leuchtenden Kugel magischer Energie umhüllt und war bereits dabei, den nächsten Zauber zu wirken. Pharaun wußte, daß die magische Sphäre die Kreatur gegen eine Viel zahl seiner schwächeren Zauber immun machte. Pharaun machte eine scharfe Kehre und flog nach rechts. Die Nycalothen waren lange nicht so manövrierfähig wie er und schossen fluchend an ihm vorbei. Pharaun beschloß zu versuchen, den Ultrolothen bei seinem Zauber zu stören. Er holte einen Kristallkegel aus seinem Pi wafwi und leierte einen Zauber herunter. Der Ultroloth war leider zuerst mit seinem Zauber fertig und richtete die geöffnete Handfläche auf Pharaun.
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Der Bannzauber des Yugolothen zerstörte fast alle Schutz zauber Pharauns auf einen Schlag. Pharaun fluchte. Der Ultro loth mußte extrem mächtig sein, wenn es ihm so mühelos gelang, die Schutzzauber Pharauns auszuschalten. Pharaun verdrängte den Gedanken an seine plötzliche Ver wundbarkeit und sah zu, daß er seinen Zauber vollendete. Er flog auf den Ultrolothen zu, sprach die letzten Worte des Zau bers, setzte den Kegel an seine Lippen und blies heftig hinein. Ein sich rasch ausbreitender Kegel aus Eis und gefrorener Luft schoß von Pharaun ausgehend auf den Ultrolothen zu und hüllte ihn ein. Die Kreatur wurde von einer Eisschicht überzo gen und zurückgetrieben. Pharaun erkannte, daß sein Zauber den Ultrolothen ver wundet hatte, aber natürlich keinesfalls lebensgefährlich. Er flog einen Kreis und sah sich wieder nach den Nyca lothen um. Er sah sie nirgends. Entweder hatten sie aufgegeben oder sich unsichtbar gemacht. Pharaun schoß nach oben und rechnete praktisch bei jedem Atemzug mit einem heftigen Axtschlag, während er sich dar auf konzentrierte, seine Fähigkeit, unsichtbare Kreaturen zu sehen, zu aktivieren. Gerade noch rechtzeitig sah er die Nyca lothen, die von beiden Seiten mit hocherhobenen Äxten auf ihn zugeschossen kamen. Er flog zur Seite, aber zu langsam. Eine Axt grub sich tief in seine Schulter, und die andere hätte ihm wohl den Schädel gespalten, hätte er sich nicht im letzten Augenblick geduckt. So erlitt er nur eine Schürfwunde. Wieder schlugen die Flügel direkt vor seiner Nase. Die Ny calothen rissen an seinem Piwafwi und versuchten, ihre Klauen in sein Fleisch zu graben. Ihr Gewicht begann, ihn nach unten zu ziehen. Er setzte die Kraft seines Flugrings ein, um sich da
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gegenzustemmen, aber dennoch ging es langsam, aber sicher abwärts. Unter ihm warteten schon Hunderte Mezzolothen. Blutend und etwas benommen sprach Pharaun ein einzelnes Wort, das einen seiner mächtigsten Zauber auslösen würde. Der Zauber nutzte Schall als Waffe, und Pharaun ging davon aus, daß sich die Yugolothen höchstwahrscheinlich nicht ge gen Schallangriffe geschützt hatten. Er spürte, wie sich magische Energie in seiner Kehle sam melte. Er ließ die Energie anschwellen und stieß sie förmlich in Form eines hohen Schreis aus sich heraus. Der Schrei hallte übers Schlachtfeld. Die Magie des Schreis fetzte in die Nyca lothen und tötete sie. Dann schoß die Energie in Form einer unsichtbaren Welle nach unten und krachte in die Schar Mez zolothen, die darauf gewartet hatten, daß er abstürzte. Die Hälfte von ihnen fiel tot um. Er drehte sich so, daß er gerade in der Luft schwebte. Er blu tete aus zahlreichen Wunden, die ihm die Nycalothen mit ihren Klauen zugefügt hatten und wandte sich gegen den Ultrolothen. Über ihm wandten sich brennende Seelen in ihrer Qual. Pharaun, der ebenfalls verbrannt und zerschunden war, fühlte mit ihnen.
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Inthracis schüttelte die letzten Auswirkungen des Kältekegels ab, den der Drowmagier gegen ihn eingesetzt hatte. In seinen Ohren dröhnte noch immer das Wehklagen der Todesfee, das der Magier entfesselt hatte, doch er war weit genug entfernt gewesen, um nicht direkt betroffen zu sein. Seine Nycalothen hatten nicht so viel Glück gehabt. Die Schlacht entwickelte sich nicht, wie Inthracis sich das vorgestellt hatte. Der Klurichir und der Spinnenschwarm tob ten durch sein Regiment und dezimierten seine Truppen fürch terlich. Seine Yugolothen wehrten sich zwar tapfer, doch der riesige Dämon und der Schwarm waren wesentlich härtere Gegner als alles, womit sie gerechnet hatten. Tote lagen über all auf dem Schlachtfeld. Natürlich hätte auch Inthracis Ver stärkung rufen können, doch auch sie wäre dem Klurichir und dem Schwarm nicht gewachsen gewesen.
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Er mußte einfach hoffen, daß es ihm gelänge, den Klurichir und den Schwarm so lange zu beschäftigen, bis er die Prieste rinnen getötet hatte. Er holte ein dünnes Basaltzepter aus einer Scheide, die er sich um die Wade geschnallt hatte, und aktivierte es. Ein Stoß schwarzer Energie schoß nach unten über das Schlachtfeld. Wo er über das Schlachtfeld gerast war, rappel ten sich kurz darauf die gefallenen Nycalothen und Mezzo lothen wieder auf, auch jene, die der Drowmagier gerade getö tet hatte. Die Untoten waren natürlich wesentlich schlechtere Kämpfer als seine lebenden Yugolothen, aber sie würden sich im Kampf gegen den Schwarm als nützlich erweisen und konn ten vielleicht sogar einen Beitrag dazu leisten, den Klurichir aufzuhalten. Er schickte den Untoten einen geistigen Befehl, der über das ganze Schlachtfeld hallte: Greift den Klurichir und den Spin nenschwarm an, bis sie vernichtet sind. Die Toten gehorchten und schlossen sich den lebenden Truppen in ihrem verzweifelten Abwehrkampf an. Inthracis überlegte, wie er weiter vorgehen sollte. Vhaeraun wollte, daß er die drei Priesterinnen tötete. Mo mentan konnte er nur zwei Priesterinnen sehen. Sie kämpften auf dem Pfad, der vom Gebirge herabführte, gegeneinander. Er entschloß sich, so rasch wie möglich zu versuchen, sie zu töten, sonst konnte er es gleich sein lassen. Vhaeraun würde entwe der mit ihm zufrieden sein oder nicht, aber Inthracis hatte langsam genug von dieser Schlacht. Er sandte einen geistigen Befehl an alle überlebenden Nyca lothen des Schwarzhornregiments: Zwei der drei Priesterinnen sind auf dem Pfad, der vom Sims herunterführt. Teleportiert dort hin, tötet sie und zieht euch dann zurück. Jetzt konnte er sich wieder um den Drowmagier kümmern.
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Er ließ die Worte eines seiner mächtigsten nekromantischen Zauber aus den Tiefen seines Unterbewußtseins aufsteigen.
Quenthel schlug mit der Peitsche nach Danifae. Die ehemalige Kriegsgefangene versuchte auszuweichen, war aber zu langsam. Die Schlangen verbissen sich in ihren Arm und injizierten ihr Gift. Es zeigte keine Auswirkungen, und Quenthel schloß daraus, daß Danifae gegen Gift geschützt war. Dennoch genoß sie es, ihrer Gegnerin eine Wunde zugefügt zu haben. Auch die Peitschenschlangen hatten Spaß daran. Sie zischten und lach ten. Danifae biß die Zähne zusammen, stürmte auf Quenthel zu und schlug nach ihrem Kopf. Quenthel trat zurück, parierte den Schlag mit dem Schild und schlug ihrerseits zu. Die Schlangen prallten an Danifaes Kettenhemd ab. Danifae um faßte den Morgenstern fester, unterlief Quenthels Schild und traf sie am Unterleib. Der Schlag nahm Quenthel den Atem, und sie zog sich zu rück. Danifae stürmte erneut vor und ... ... schrie vor Schmerz auf. Eine Klinge fuhr rechts aus ihrem Brustkorb, und Quenthel wurde von oben bis unten mit Blut besudelt. Danifae riß die Augen voller Schmerz und Verblüffung weit auf und starrte auf die Armlänge Stahl, die aus ihrem Leib ragte. Hinter Danifae stand eine Drow, deren Unsichtbarkeitszau ber durch den Angriff aufgehoben worden war. Der Haß ver zerrte ihr Gesicht so sehr, daß Quenthel einen Augenblick brauchte, um sie zu erkennen. Halisstra. Die verräterische Priesterin legte den Mund an Danifaes Ohr und flüsterte: »Leb wohl, Kriegsgefangene!«
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Pharaun wußte, daß er jetzt sehr verwundbar war. Praktisch all seine Schutzzauber waren aufgehoben worden, doch es gab wenig, was er dagegen tun konnte. Die Wunden, die die Nyca lothen geschlagen hatten, bluteten heftig, viel stärker, als es solche verhältnismäßig kleinen Wunden eigentlich hätten tun sollen. Auch dagegen konnte er nur wenig tun, und der Blut verlust schwächte ihn zusehends. Pharaun konnte sich kein langes Zauberduell mehr leisten. Er und der Ultroloth umkreisten einander in einiger Ent fernung und beäugten einander. Unter ihnen ging das Ge metzel weiter. Das Gebrüll des Klurichir hallte durch die Luft. Das Brodeln des Schwarms klang wie die Wellen des Dunkelsees. Der Ultroloth begann, einen Zauber zu wirken, und voll führte komplizierte Gesten. Pharaun begann mit einem eige nen Zauber. Der Ultroloth beendete seinen Zauber zuerst, und ein schwarzer Strahl schoß aus seinen Fingerspitzen. Pharaun ver suchte auszuweichen, war aber zu langsam, und der Strahl traf ihn am Arm. Negative Energie durchströmte ihn und entzog seiner Seele die Kraft. Für einen Augenblick schienen seine Lungen zu gefrieren. Sein Körper wurde schwach, und sein Verstand trüb te sich. Der Zauber löschte ein halbes Dutzend seiner mäch tigsten Zauber aus seinem Verstand. Er rang darum, nicht die Konzentration auf den Zauber zu verlieren, den er gerade wirken wollte. Halb benommen und blinzelnd würgte er die arkanen Worte hervor. Sobald er die letzte Silbe gesprochen hatte, winkte er schwach mit der Hand, und ein grünes Energiefeld umhüllte die Kreatur.
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Pharaun wußte, daß es dem Yugolothen keinen Schaden zu fügen würde. Es hinderte den Ultrolothen nur daran, zu tele portieren oder andere Magie zu wirken, mit der er rasch den Standort wechseln könnte. Zweifellos handelte es sich um eine ungewöhnliche Wahl für einen Zauber in dieser Situation, doch Pharaun hatte eine Idee. Während der Ultroloth noch rätselte, was sein Gegner mit dem Zauber bezweckte, kämpfte Pharaun die Benommenheit nieder und holte eine kleine Kugel Fledermausguano und eine Prise Quarzsand aus seinem Piwafwi. Er mußte jetzt zwei Zau ber rasch hintereinander wirken, wenn er Erfolg haben wollte. Er hielt den Guano zwischen Daumen und Zeigefinger und sprach die magischen Worte. Der Ultroloth zog seine Klinge und schlug nach dem grünen Energiefeld, das ihn umhüllte. Pharaun ging davon aus, daß die Waffe über die Fähigkeit verfügte, Magie zu bannen oder auf zusaugen. Die Klinge traf auf Pharauns Magie, schnitt eine sichtbare Kerbe in das Feld und versetzte es in Vibration. Pharaun atmete erleichtert auf, als er sah, daß seine Magie hielt. Er beendete den ersten Zauber. Aus dem Guano wurde eine kleine Feuerkugel. Er zeigte mit dem Finger auf den Ultro lothen und begann mit dem zweiten Zauber. Die Feuerkugel folgte seinem ausgestreckten Finger und schoß auf den Ultrolothen zu. Sie hielt, sich drehend und Energie sammelnd, vor dem Ultrolothen in der Luft an, ohne zu explodieren. Der Ultroloth erkannte sofort, um welche Art Zauber es sich da handelte: um einen spätzündenden Feuerball. Die Kre atur begann einen eigenen Zauber. Vermutlich wollte sie den Feuerball bannen. Pharaun warf hastig den Staub hoch und rasselte den zwei
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ten Zauber herunter. Er wurde gleichzeitig mit dem Ultro lothen fertig. Pharauns Zauber erschuf eine kugelförmige Energiewand, die den Ultrolothen gemeinsam mit dem Feuerball einschloß. Gleichzeitig ließ der Zauber des Ultrolothen – kein Gegenzau ber, denn er ging vermutlich davon aus, daß ihn seine Schutz zauber vor dem Feuer bewahren würde – ringsum ein schwarzes Energiefeld aufflackern. Es ergriff seinen Körper und hielt ihn in der Luft fest. Er konnte nicht einmal den kleinen Finger bewegen, obwohl ihm sein Ring natürlich weiter das Fliegen ermöglichte. Pharaun war zur fliegenden Statue geworden. Die beiden Kontrahenten starrten einander über das Schlachtfeld hinweg an. Pharaun war unbeweglich und daher leicht verwundbar, Inthracis gefangen und konnte nicht nach draußen teleportieren. Pharaun begann im Geist zu zählen: vier ... drei ... Die Kugel begann, sich immer rascher zu drehen und heller zu leuchten. Der Ultroloth begriff, in welcher Gefahr er schwebte, und begann, hastig mit seiner Klinge auf das Kraftfeld einzuhacken. Die Klinge der Waffe riß einen Spalt in das Energiefeld, aller dings war er nicht groß genug, daß die Kreatur auf diesem Weg entkommen konnte. Die Kugel drehte sich noch rascher und begann zu summen. Der Ultroloth schnitt quer zum ersten Riß erneut in das Kraft feld und versuchte, sich nach draußen zu quetschen. Zwei ... eins ... Der Ultroloth hatte gerade Kopf und Schultern durch das Loch gesteckt, als der Feuerball explodierte. Ein flammendes Inferno flackerte in der Kugel auf. Eine Flammenzunge schoß aus dem Loch in der Seite der Energie kugel, umhüllte Inthracis’ Kopf und schoß zwanzig Schritt weit
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in den Himmel. Vom Schlachtfeld erklang ein vielstimmiger, entsetzter Aufschrei aus den Kehlen der Yugolothen. Innerhalb der Kugel prallte die Explosion ein ums andere Mal von den Wänden ab und schaukelte sich immer mehr auf. Pharaun hatte keinen Zweifel, daß der Ultroloth gegen Feuer und Hitze geschützt gewesen war, doch gegen den Feuersturm, der in der Energiekugel tobte, konnte es keinen Schutz geben. Die Hitze verschlang den Leib des Magiers und verbrannte ihn zu schwarzer Kohle. Kurz darauf erlosch das Feuer, und zurück blieb eine ver dorrte und geschwärzte Hülle, die halb in der Kugel steckte und halb aus ihr herausragte. Inthracis war völlig vernichtet. Hätte sich Pharaun bewegen können, hätte er jetzt gelä chelt.
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Halisstra drehte Seylls Schwert in Danifaes durchgebogenem Rücken, und die ehemalige Kriegsgefangene stöhnte laut auf. Halisstra genoß jeden gurgelnden, mühevollen Atemzug Dani faes. Quenthel musterte die Szene noch immer mit ungläubi gem Staunen. Halisstra ignorierte sie. Für sie zählte nur Dani fae. Die Hohepriesterin war ihr egal. Danifae fiel der Morgenstern aus der Hand. »Herrin ... Melarn«, hauchte sie leise. Halisstra entschloß sich, ihr in die Augen zu sehen, bevor sie starb. Sie löste den Griff von Seylls Schwert und gestattete Danifae, sich umzudrehen. Ein Drittel der Klinge stand wie eine blutige Fahnenspitze aus ihrem Brustkorb hervor. Danifaes schöne, graue Augen starrten sie an. In ihnen lag eine unerklärliche Sanftheit. Sie sah Halisstra direkt ins Gesicht, lächelte und entblößte dabei
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blutverschmierte Zähne. »Nenne mich nie wieder Herrin«, sagte Halisstra. Danifaes volle Lippen verzogen sich schmerzhaft. Sie hob eine Hand, als wolle sie Halisstras Gesicht berühren. Die An strengung ließ sie zusammenzucken. »Halisstra«, sagte sie und mußte nach jedem Wort schmerz haft Luft holen, »es ... tut ... mir ... leid ...« Es dauerte einen Augenblick, bis Halisstra die Worte verstand. Tränen stiegen ihr in die Augen, und sie konnte nichts dagegen tun. Sie wurde von der Erinnerung an alles überwältigt, was sie und Danifae miteinander geteilt hatten. All die Geheimnisse, all die Pläne. Sie hatten gemeinsam so vieles überstanden und waren einander so nahegekommen. Überrascht stellte sie fest, daß es auch ihr leid tat, daß es zu den heutigen Ereignissen gekommen war. »Es tut dir leid?« fragte Halisstra ungläubig, und die Stimme versagte ihr fast. »Leid? Es hätte nie so weit kommen dürfen!« Danifae nickte. Blut trat rund um die aus ihrem Körper ragende Klinge aus. Halisstra hatte ihr Herz verfehlt. »Ich habe dich vermißt«, sagte Danifae. Halisstra blinzelte die Tränen weg und nahm Danifaes Hand. »Ich dich auch ...« So rasch wie eine zuschlagende Viper packte Danifae Ha lisstra mit ihrem anderen Arm und drückte sie fest an sich, so daß sie ebenfalls auf der Klinge aufgespießt wurde. Halisstra keuchte laut auf, als die Klinge zuerst ihre Rüstung durchstieß und dann in ihr Fleisch drang. Sie spürte, wie die Klingenspitze über ihre Rippen schürfte und dann aus dem Rücken trat. Blut durchtränkte ihren Piwafwi. Sie hätte es wissen sollen. Verdammt, sie hätte es wissen sollen.
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Ihre Blicke fanden über Danifaes Schulter hinweg Quenthel. Diese stand mit der Peitsche in der Hand und einem zufriedenen Lächeln im Gesicht daneben und sah sich das ganze Schauspiel an. Danifae umfing sie und drückte sie noch fester an sich. Grausame Schmerzen durchzuckten Halisstra. »Mir tut gar nichts leid!« zischte Danifae. Halisstra kämpfte den Schmerz nieder und drückte nun ih rerseits Danifae so fest wie möglich an sich. Beide stöhnten schmerzerfüllt auf. Ihre Leiber waren miteinander vereint, eins durch den Stahl, und ihr Blut rann in einem gemeinsamen Strom an ihnen herab. Sie waren durch ein anderes Band aufs neue vereint. Halisstra legte den Kopf erschöpft auf Danifaes Schulter. Es war eine seltsame, intime Geste. »Ich hasse dich«, flüsterte sie. Danifae hob die Hand und strich Halisstra übers Haar, et was, das sie schon in zahllosen zurückliegenden Nächten getan hatte. »Ich weiß«, antwortete Danifae sanft. »Aber ich liebe dich auch«, flüsterte Halisstra. »Ich weiß«, sagte Danifae erneut, und aus der Umklamme rung wurde eine sanfte Umarmung. Halisstra konnte es nicht mehr ertragen. Sie stöhnte auf und schob Danifae von sich weg. Als die Klinge aus ihrem Leib glitt, schrie sie laut auf. Beide stürzten. In Danifae steckte noch das Schwert. Da saßen sie nun auf Lolths Boden, blute ten und keuchten. Quenthel musterte sie abschätzend. »So endet es also«, sagte sie und trat auf Danifae zu. Die Peitschenschlangen starrten sie haßerfüllt an.
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Ein Zischen und Brutzeln in der Luft ließen Halisstra he rumfahren. Auch Quenthel und ihre Vipern sahen in die Richtung, aus der das Geräusch gekommen war. Nycalothen, die offenbar vom Schlachtfeld kamen, waren gerade mittels Teleportation aufgetaucht. Erst einer, dann drei, dann ein ganzes Dutzend. Schon der kleinste überragte Quenthel deutlich. Unter ihrer geschuppten Haut zeichneten sich Muskelpakete ab. Jeder Nycaloth war mit einer mächtigen runenüberzogenen Streitaxt bewaffnet, und ihre Lefzen verzo gen sich zu einem gefährlichen Knurren ... Angesichts dieser Übermacht machte sich sogar auf Quenthels Gesicht Verzweiflung breit. Sie sah zu den Nyca lothen, zu Danifae, zu Halisstra. Halisstra sah in ihren Augen, daß sie nicht wußte, was sie tun sollte. Schließlich überzog blanker Haß ihre Gesichtszüge. »Du wirst es nicht werden«, schrie die Baenre-Priesterin Danifae an. Ihre Stimme war schrill und schien kurz vor dem Kippen zu stehen. Sie ignorierte die Gefahr der Nycalothen und hob die Peit sche hoch über den Kopf, um den tödlichen Streich zu führen. Da öffnete sich das Doppelportal von Lolths Tabernakel hoch über der Stadt. Violette Lichtstrahlen stachen aus dem offenen Tor. Halisstra hatte das Gefühl, als gefriere die Zeit. Jede Bewe gung erstarrte. Alle Kreaturen in Sichtweite von Lolths Stadt, egal ob es sich um Yugolothen, Drow, Dämonen oder den Draegloth handelte, schienen förmlich zu erstarren. Aller Augen wandten sich dem endlosen Netz und der Stadt Lolths zu. Ein aufgeregtes Zucken lief durch die Heerschar der Spin nentiere, die sich am Rand der Ebene versammelt hatte. Das Geräusch ihrer Bewegung erinnerte Halisstra an das Geräusch,
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das der Regen an der Oberfläche verursachte. Ihr Herz hämmerte, und ihr Atem kam in schnellen Stößen. Sie umklammerte die gebrochene Mondsichelklinge so fest, daß sie dachte, die Haut über den Knöcheln würde ihr aufbre chen. Sie spürte die Wunde kaum noch. Danifae lag wenige Schritte von ihr entfernt und blickte mit weitaufgerissenen Augen in Richtung Stadt, ihr Umhang war blutdurchtränkt, und sie atmete flach. Ein geflüstertes Heilgebet strömte von ihren Lippen. Seylls Schwert schob sich durch die Magie ge trieben aus dem Fleisch, und die Wunde schloß sich. Halisstra sprach das Gebet nach und schloß ihre eigenen Verletzungen. Quenthel bemerkte beider Tun nicht. Sie stand wie ge bannt da, die Peitsche noch immer hoch erhoben und zum Zuschlagen bereit, und starrte auf Lolths Stadt. Über der Ebene des Seelenfeuers hingen die brennenden Seelen und wanden sich in stummer Qual, während die Schwäche aus ihrer unsterblichen Essenz herausgebrannt wur de. Plötzlich frischte der Wind auf. Er kam vom Tabernakel und wurde zuerst zu einem heftigen Windstoß und dann zu einer steifen Brise, die Lolths Stimme herantrug. Es war eine siebenfache Stimme, jene Stimme, die Halisstra in ihrer Vision gehört hatte: Yor’thae. Die Nycalothen sahen einander an. Halisstra las Furcht und Unsicherheit in ihren Augen. Ohne jegliche Vorwarnung verschwanden sie. Sie waren of fenbar dorthin zurückteleportiert, wo sie hergekommen waren. Der Rückzug griff rasch auf den Rest der überlebenden Solda ten über, die ebenfalls flohen. Der Klurichir, dessen Fleisch in Fetzen hing und dessen eine Beißzange abgetrennt war, nutzte die Gelegenheit, sich noch rasch eine Handvoll Mezzolothen zu schnappen und in sein klaffendes Maul zu stopfen. Dann
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war auch er verschwunden. Der Spinnenschwarm löste sich auf, und die Arachniden huschten wieder den Hang hoch, um in die Höhlen, Klüfte und Spalten zurückzukehren. Die unto ten Mezzolothen, die der Ultroloth belebt hatte, fielen zu Bo den. Die jetzt ruhig daliegende Ebene des Seelenfeuers war förm lich von Leichen übersät. Pharaun hing seltsam reglos am Himmel über der Ebene. Halisstra konnte Jeggred nirgends erkennen. »Sie hat ihre Wahl getroffen«, sagte Danifae und kam auf die Füße. Halisstra tat es ihr gleich. Quenthel schienen Zuckungen zu durchlaufen. Ob sie von Freude oder von Angst erfüllt war, konnte Halisstra nicht sagen.
Pharaun konnte weder sprechen noch sich regen. Er steuerte seinen Flug mit seinem Ring, der seinen geistigen Befehlen folgte. Die Wunden, die ihm die Nycalothen zugefügt hatten, bluteten noch immer stark, und das Blut lief ihm am Körper herunter. Er hatte Lolths Ruf gehört, hatte gesehen, wie sich die Tempeltore geöffnet hatten, doch das war ihm herzlich egal. Wenn er nicht rasch Hilfe von einer der Priesterinnen erhielt, würde er am Blutverlust sterben. Er drehte sich so, daß er den Boden sehen konnte. Da be wegte sich etwas! Jeggred erhob sich taumelnd aus einem Hau fen von Mezzolothen-Leichen. Sein Fleisch war blutüberströmt und mit zahllosen Wunden übersät, einer seiner inneren Arme war am Ellbogen abgerissen und eines der Augen nur noch eine blutige Höhle. Der Draegloth sah nicht zu Lolths Tempel,
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sondern zurück zum dem Pfad, der zum Paß des Seelenfressers führte und wo die drei Priesterinnen standen. Halisstra Melarn war ihnen irgendwie gefolgt. Quenthel, Danifae und Halisstra standen über dem Schlacht feld und blickten zu Lolths Tabernakel. Sie erinnerten Pha raun an Königinnen, die herrisch über ihr Reich blickten. In der Luft rund um Pharaun brannten noch immer die See len im violetten Feuer. Nachdem sie eine Weile in dem läu ternden Feuer gebrannt hatten, flogen sie weiter zu Lolths Stadt. Pharaun wußte, daß sich auch die Priesterinnen der Läute rung unterworfen hatten. In gewisser Weise war das auch mit ihm und Jeggred geschehen. Er flog auf die Priesterinnen zu und fragte sich verblüfft, wa rum sie eigentlich nicht versuchten, einander zu töten. Pharaun schätzte, daß die Macht von Lolths Ruf stärker war als der Haß, den sie füreinander empfanden. Die Stimme Lolths steuerte ihre Auseinandersetzung, ebenso wie die Anbe tung Lolths ein Regulativ im ewigen Konflikt darstellte, der für die Gesellschaft der Drow so typisch war. Sein Blick verschleierte sich, doch er kämpfte die Vergessen verheißende Ohnmacht nieder. Er wurde schwächer. Er wollte Quenthel etwas zurufen, konnte aber nicht sprechen. Er flog auf den Pfad zu. Die Priesterinnen sahen seine Ankunft. Halisstra hob ein Schwert auf, doch keine von ihnen tat etwas, um ihm zu hel fen. Er landete vor Quenthel. Er hörte, wie Jeggred hinter ihm den Pfad emporschnaubte. »Dein Männchen ist zurück«, sagte Danifae mit einem ab fälligen Grinsen. Pharaun nahm zufrieden zur Kenntnis, daß sie dabei vor Schmerz zusammengezuckt war. »Deines kehrt auch gerade zurück«, antwortete Quenthel
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mit einem Nicken in Richtung Jeggred. Quenthel musterte Pharaun von oben bis unten, und ihr Gesichtsausdruck war äußerst seltsam und irgendwie beunruhi gend. Der Meister Sorceres erkannte, daß sein Leben auf Mes sers Schneide stand. »Du kannst aufgrund deines Rings fliegen, bist aber ansons ten unbeweglich?« fragte sie. Pharaun konnte nicht antworten. »Ein einfacher Gegenzauber sollte das Problem erledigen«, sagte Quenthel. Pharaun hätte erleichtert aufgeatmet, wenn er gekonnt hät te. Quenthel sprach ihren Zauber, doch als sie fertig war, konn te sich Pharaun noch immer nicht bewegen. Ein bedrohliches Grinsen überzog Quenthels Gesicht. »Kein dummes Rumfliegen mehr ...«, sagte sie. Er überprüfte ihre Worte und erteilte dem Ring den Befehl emporzusteigen. Nichts. Die Schlampe hatte die Magie seines Rings gebannt. »Die Göttin ruft mich, Meister Mizzrym, und ich muß ei len«, sagte sie trocken. »Du hast deinen Zweck erfüllt, so wie alle Männer. Jetzt gehört deine Seele Lolth.« Jeggred hüpfte blutend und keuchend zu ihnen herauf. Aus seinem abgerissenen Armstumpf quoll noch immer Blut. »Herrin«, sagte Jeggred zu Danifae und musterte Quenthel und Pharaun mit offenem Haß. Danifae blickte kurz zu Jeggred, dann zu Pharaun und schließlich über die Ebene des Seelenfeuers hinweg. »Die Göttin ruft uns, Quenthel Baenre«, sagte sie. Dann wandte sie sich an Jeggred: »Pack Pharaun, trag ihn hinunter in die Ebene und laß ihn dort liegen. Wie Quenthel so schön gesagt hat, gehört seine Seele Lolth.«
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Pharaun wollte fluchen, einen Zauber wirken, toben, irgend etwas tun, doch er konnte gar nichts tun. Sein Herz raste. Jeggred stellte Danifaes Befehl nicht in Frage. Er grinste Pharaun an und bückte sich, um ihn mit den Kampfarmen zu umfassen. Erregung durchfuhr den Magier. Der Ultroloth hatte Pha rauns Notfallzauber nicht gebannt. Wenn Jeggred ihn berühr te, würde eine magische Faust entstehen. Pharaun würde sie geistig steuern können. Er spannte sich und wartete. Jeggred legte den Kopf schief und zuckte zurück. »Er hat gesagt, er würde einen Notfallzauber wirken, und wenn ich ihn berühre, dann ...« Er brach ab und starrte Pha raun an. Pharaun fluchte innerlich. Warum hatte Jeggred ausgerech net in diesem Augenblick beschließen müssen, so etwas wie Intelligenz zu zeigen? Danifae lächelte: »Ts, ts, ts! Meister Mizzrym. Ihr neigtet schon immer dazu, Eure schlauen Pläne ein wenig zu offen hinauszuposaunen.« Sie wirkte einen Gegenzauber, und Pha rauns Notfallzauber löste sich auf. »Jetzt, Jeggred«, sagte sie. »Leb wohl, Mann«, fügte Quenthel hinzu, und ihre Stimme war völlig gefühllos. Jeggred hob Pharaun mit den Kampfarmen hoch und lief den Pfad hinab. Sobald er unten angekommen war, drehte er Pharaun so, daß er ihm direkt ins Gesicht blicken konnte. »Ich hätte dich gerne selbst zerfleischt«, knurrte er. »Was, keine spitze Bemerkung?« Jeggred lachte, und sein stinkender Atem drang Pharaun in die Nase. Der Meister Sorceres konnte es nicht fassen. Eine seiner letzten Sinneswahrnehmungen in diesem Leben würde Jeggreds
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stinkender Atem sein. Jeggred hüpfte weiter in die Ebene hinein und ließ Pharaun dann fallen. Er landete auf der Seite, so daß er zum endlosen Netz, Lolths Stadt und der unüberschaubaren Heerschar von versammelten Spinnentieren blicken konnte. Von oben hörte er Danifaes Stimme: »Rette dich, Jeggred. Ich muß zum Tabernakel.« Dann hörte Pharaun, wie gezaubert wurde. Wenige Augen blicke später flogen die drei Priesterinnen in Form grauer Ne belschleier über ihn hinweg zum Tabernakel. Sie waren pfeil schnell, als beeilten sie sich besonders, Lolth endlich persön lich gegenüberzutreten. Kurz nachdem die Priesterinnen verschwunden waren, kam Bewegung in die unüberschaubare Heerschar der Spinnen am anderen Ende der Ebene. Pharaun erinnerte sich unwillkürlich an das Wimmeln, und das Bild behagte ihm gar nicht. Ohne weitere Vorwarnung begannen die Spinnen, vor wärtszuströmen. Pharaun sah voller Entsetzen, wie sie näher kamen. Eine Mauer aus Augen, Klauen, Beinen und Fangzäh nen schwappte auf ihn zu. Es klang wie eine heranbrausende Sturmflut. Sie verschlangen die Gefallenen, über die sie hin wegbrodelten. Es blieben nur Knochen zurück. Pharaun hoffte, daß er aufgrund des Blutverluste das Bewußtsein verlieren würde, ehe ihn die Welle erreichte. Hinter sich hörte er Jeggred fluchen. Dann hörte er hastige Schritte. Jeggred floh den Pfad zum Paß des Seelenfressers hinauf. Der Ochse beginnt ja, langsam so etwas wie Verstand zu zei gen, dachte Pharaun. Er konnte nicht einmal die Augen schließen. Er konnte nur entsetzt auf die heranbrausende Spinnenwoge starren und sich darauf vorbereiten, bei lebendigem Leib gefressen zu werden.
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Die blutenden Wunden töteten ihn nicht schnell genug. Er mußte mit ansehen, wie die Horde eine Leiche nach der anderen skelettierte. Er wußte jetzt, daß seine letzte Sinnes wahrnehmung nicht Jeggreds Gestank, sondern unerträgliche Schmerzen sein würden.
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Gemeinsam, aber mit Abstand reisten Danifae, Halisstra und Quenthel über die Ebene des Seelenfeuers dahin. Sie schossen über Lolths Heerschar hinweg, über das endlose Netz und direkt bis zur Spitze von Lolths Stadt. Die Priesterinnen lande ten auf dem breiten Steinsims, der das pyramidenförmige Ta bernakel umlief, und verwandelten sich wieder in Wesen aus Fleisch und Blut. Quenthel warf Danifae einen haßerfüllten Blick zu. Halisstra starrte zu der titanischen Pyramide empor und wurde von dem seltsamen Gefühl überwältigt, all das schon einmal erlebt zu haben. Sie blickte durch das Tempelportal und erkannte, daß der Tempel sich fast genauso präsentierte wie in ihrer Vision. Die schrägen Wände waren von Spinnen netzen bedeckt, und zwei Reihen weiblicher Drow, die man mit Schwarzen Witwen gekreuzt hatte, bildeten ein Spalier
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vom Eingang bis zur erhobenen Plattform am Ende des Tem pels. Yochlols standen zu beiden Seiten, ihre schleimigen, unförmigen Körper wirkten auf seltsame Weise graziös, und ihre acht Tentakelarme hingen schlaff herunter. Die Yochlols hatten kein Gesicht, sondern nur ein großes, rotes Auge im oberen Bereich des säulenförmigen Körpers, das die Priesterin nen anstarrte. Lolth saß in der Gestalt von acht Spinnen auf dem Podest. Natürlich handelte es sich um acht Schwarze Witwen. Die Macht, die sie ausstrahlte, hätte Halisstra fast in die Knie ge zwungen. Von ihren Leibern gingen Spinnennetze in alle Richtungen aus. Sie führten zu den Wänden, durch sie hin durch und überall ins Multiversum. Ihr Netz bedeckt alles, dachte Halisstra. Neben ihr starrten Danifae und Quenthel voller Ehrfurcht in den Tempel. Alle drei verneigten sich vor Lolth. Lolths Stimme erklang in Halisstras Kopf, ja zweifellos in ihrer aller Kopf. Tritt ein, Yor’thae. Die Priesterinnen richteten sich praktisch gleichzeitig auf und traten über die Schwelle. Halisstra war nicht sicher, wer von ihnen den ersten Schritt getan hatte. Seite an Seite gingen sie den Mittelgang entlang. Die infer nalischen Spinnen rückten ungefragt ein Stück zurück, so daß sie problemlos nebeneinandergehen konnten. Lolths acht Augengruppen beobachteten sie. Halisstra konnte den Blick nicht von ihnen abwenden. Die größte der acht Spinnen saß in der Mitte des Podests. Wie in Halisstras Vision erschien die größte Spinne seltsam reglos, als warte sie auf etwas. Während sie Schritt für Schritt näher trat, erkannte sie ver blüfft, daß sie unwillkürlich begonnen hatte, Gebete zu Ehren Lolths zu flüstern. Danifae und Quenthel taten es ihr gleich.
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gleich. Alle drei hatten eine Hand an ihrem heiligen Symbol – an ihren unterschiedlichen heiligen Symbolen. Sie erreichten die Plattform und standen klein und unbe deutend vor den acht Leibern Lolths. Jede der acht Spinnen war mindestens so groß wie Jeggred, und die achte Spinne war nochmals um gut die Hälfte größer. Halisstra mußte unentwegt in die leeren Augen der achten Spinne starren. Die acht Aspekte Lolths starrten auf sie herab. Sie waren die Personifizierung der vollkommenen Jägerin. Die glänzen den, schwarzen Chitinleiber waren absolut makellos, und die grazilen Beine der Kreaturen endeten in Dornen, die so lang waren wie Halisstras Unterarm. Die schwarzen Flecken ihrer Augengruppen reflektieren nur die Umgebung. Sie enthüllten nichts und zeigten keine Gnade. Sieben Paar Mandibeln be wegten sich in sieben fangzahnbewehrten Mäulern. Die Man dibeln der achten Spinne verharrten reglos. Lolths Augen musterten zuerst Danifae, dann Halisstra und dann Quenthel. Jede der Priesterinnen ging in die Knie, sobald Lolths Blick sie traf. Sie neigten den Kopf und starrten zu Boden. Keine von ihnen wagte zu sprechen. Halisstras Körper war schweißüberströmt, ihr Atem ging in schweren Stößen, und ihr war ganz schwummrig. Hatte Lolth sie auserwählt? Der Gedanke erfüllte sie mit Ekstase und Abscheu zugleich. Nur eine von euch wird mein Tabernakel lebend verlassen, sen dete Lolth. Ihre sieben geistigen Stimmen gruben sich wie spitze Pfähle in Halisstras Geist. Die Priesterinnen warfen einander aus den Augenwinkeln Blicke zu. Mit furchterregendem Tempo hüpfte der achte Aspekt Lolths ansatzlos nach vorne, packte Danifae, stopfte sie ins
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Maul und biß zu. Die ehemalige Kriegsgefangene schrie. Lolth hob Danifae vom Boden auf, durchbohrte sie und saugte die Flüssigkeit aus ihrem Leib. Blut und Körperflüssig keiten flossen aus Lolths Maul und sammelten sich um Quenthels und Halisstras Füße am Boden. Danifaes Beine zuckten noch etwas in der Luft, dann starb sie. Nachdem sich Lolth an ihren Körperflüssigkeiten gelabt hatte, verschlang sie ihr Fleisch und ihre Knochen und ließ Kleidung und Ausrüs tung mit einem Scheppern auf den Boden fallen. Die anderen sieben Spinnen sahen völlig reglos zu, so reg los, wie zuerst die achte Spinne gewesen war. Halisstras Atem ging so schnell, daß sie fürchtete, das Be wußtsein zu verlieren. Sie spürte Quenthels Blick und drehte sich zu ihr. Die Baenre-Priesterin grinste ekstatisch, während sie weiter betete. Nur eine von euch wird das Tabernakel lebend verlassen. Die achte Spinne glitt zur Seite, bis sie über Halisstra stand. Halisstra hätte die Haare an Lolths Beinen zählen können. Sie kniff die Augen zu und betete weiter. Ihr wurde bewußt, daß sie noch immer Seylls Schwert in der Hand hatte. Die anderen sieben Spinnen traten einen begierigen Schritt vorwärts ... Halisstra umklammerte die Klinge so fest, daß ihre Knöchel weiß hervortraten. Sie wartete darauf, daß sich die Fänge in ihr Fleisch bohr ten. Eine Ewigkeit verging. Ein berstendes Geräusch. Ein nasses, reißendes Geräusch. Lolth schrie in ihren Köpfen. Das Geräusch zwang Halisstra und Quenthel flach zu Boden, so daß sie im Blut zu liegen kamen. Mühsam richtete sie sich auf Hände und Knie auf, öffnete die Augen und blickte nach oben. Sie mußte Zeugin dessen werden, was sich da zutrug.
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Sie sah, wie sich die sieben anderen Aspekte Lolths auf den achten warfen und ihn in Fetzen rissen. Mit ihren Mandibeln rissen Lolths sieben Aspekte die Beine von Lolths achtem Aspekt. Der zuckte auf dem Podest hin und her und riß an den Fäden. Ein Beben durchlief das Multiversum. Der Chitinpan zer zeigte Hunderte Sprünge. Hinter Halisstra tänzelten die infernalischen Schwarzen Witwen erregt hin und her. Die sieben Spinnen traten zurück, und in ihren Kiefern hingen noch immer Fetzen des achten Aspekts. Zwei Yochlols eilten zu dem zerfetzten Leib. Sie glit ten auf das Podest und umfingen die Beine, den Rumpf und den Unterleib mit ihren langen Tentakelarmen. Sie begannen, sie auseinanderzureißen, und gingen dabei äußerst methodisch vor. Zuerst ein Bein ums andere, dann den Rumpf und schließ lich den Kopf. Lolth schrie erneut. Diesmal waren es acht Frauenstimmen. Eine dunkle Flüssigkeit trat aus den Rissen im Fleisch der ach ten Spinne aus, eine Mischung aus Lymphe, Blut und Eiter, die auf den Boden zu Halisstras Füßen floß und sich mit Danifaes Blut mischte. Stücke von Lolths Chitinpanzer brachen ab. Halisstra kam taumelnd auf die Füße. Sie war entsetzt. Was geschah? Sie trat einen Schritt zurück und starrte entsetzt auf Lolth. Quenthel kam auch auf die Füße und taumelte zurück. Unsicherheit spiegelte sich in ihren Augen wider. Ein Flüstern durchlief die Reihen der infernalischen Schwarzen Witwen, und die Yochlols kehrten auf ihre Plätze am Rand des Podests zurück. Lolths Chitinpanzer brach mit einem saugenden Knirschen noch weiter auf und lag dann still da. Das Gemisch aus Körper flüssigkeiten ergoß sich weiter aus dem Spinnenleib und be gann nun Halisstras Füße hochzusteigen. Gespannte Stille machte sich im Tabernakel breit.
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Halisstra wußte nicht, was sie sagen oder tun sollte, und Quenthel wirkte angewidert. Halisstra öffnete den Mund, um etwas zu sagen, und – Sah Bewegung auf dem Podest, inmitten des traurigen Hau fens von Haaren, Chitin und Gekröse. Mit einer heftigen Bewegung trat Lolths neue Gestalt aus ihrer alten hervor. Sie löste sich mit einem noch grausigeren, nassen Geräusch, als es Halisstra je zuvor gehört hatte, aus der Hülle des achten Leibes. Sie trat aus ihrem göttlichen Ge burtsgefäß und stand naß und glänzend vor Halisstra und Quenthel. Ihr glänzender schwarzer Leib war noch immer der einer rie sigen Schwarzen Witwe, doch statt eines Spinnenkopfes ent sprang aus ihrem Rumpf ein vollbusiger Drowleib, auf dem ein wunderschönes Gesicht mit vollen Gesichtszügen saß ... Danifae. Yor’thae. Das achte Gesicht der Königin des Abgrunds der Dämo nennetze. Lolth war verwandelt. Halisstra konnte sich nicht bewegen, keinen klaren Gedan ken fassen. Nur eine von euch wird mein Tabernakel lebend verlassen, hatte Lolth versprochen. Halisstra fiel auf die Knie und wartete auf den Tod.
Jemand tätschelte Gromph vorsichtig die Wange, und er kam wieder zu sich. »Erzmagier?« sagte eine Stimme. Es war Prath. »Öffnet doch die Augen, Erzmagier.« Gromph blinzelte, öffnete die Augen und sah in Praths be
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sorgtes Gesicht. Er lag auf dem Boden seines Büros und blickte zur Decke. Praths junges Gesicht überzog sich mit einem erleichterten Lächeln: »Ihr seid aus dem Nichts aufgetaucht, den ganzen Körper mit schweren Verbrennungen überzogen und zusam mengebrochen. Das ist nun über eine Stunde her. Ich habe mich nicht getraut, von Eurer Seite zu weichen. Es freut mich, daß Ihr lebt, Erzmagier.« Gromph lächelte, und seine verbrannten Lippen sprangen auf. »Ich bin ja ganz deiner Ansicht, Lehrling, aber ...« Prath schüttelte nur den Kopf. Das letzte, woran er sich erinnern konnte, war sein Versuch, eine Teleportation zu wirken, ehe ihn die Explosion des Meis terzaubers erreichte. Er hatte den Zauber nicht rechtzeitig vollendet, wie also ... Da kam ihm die Erkenntnis. Es war sein Notfallzauber ge wesen. In der Hektik der Geschehnisse hatte er ihn ganz ver gessen, doch in dem Moment, in dem der Meisterzauber das Dimensionssiegel aufgehoben hatte, war er wieder dazu in der Lage gewesen, seine Wirkung zu entfalten. Aber erst, nachdem »magische Energie seinen Leib ver schlungen hatte«. Leider hatte er keinen Ring mehr, der ihn regenerieren konnte. Er war bei Larikals Leiche zurückgeblie ben. »Jetzt, da Ihr wach seid, Erzmagier, werde ich eine Prieste rin rufen lassen«, sagte Prath. Gromph schüttelte energisch den Kopf, und Schmerzen durchzuckten seinen Nacken. »Nein.« Er machte sich nicht die Mühe, seine Beweggründe zu erläutern. »Nein, Lehrling.« Gromph hatte ein seltsames Gefühl von Déjà-vu. Nach seinem Kampf mit Dyrr hatte er sich in einem ähnlichen Zustand befunden, nur war es damals
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Nauzhror gewesen, der sich über seinen verbrannten Leib gebeugt hatte. Der Kreis hatte sich geschlossen. Prath musterte ihn von oben bis unten und meinte be schwörend: »Aber Ihr habt schwere Verbrennungen, Erzma gier.« Gromph wußte das. Seine Haut fühlte sich so steif wie Le der an, und auf die Hände wollte er lieber gar nicht blicken. Er wollte sich sehr lange nicht bewegen. Er sagte: »Prath, ich habe Heilsalben. Sie sind in kleinen Metalldöschen auf dem ersten außerdimensionalen Regal in der dritten Schublade links in meinem Schreibtisch. Hol sie.« Prath stand auf, und Gromph hätte ihn fast am Arm ge packt. »Warte«, sagte er. »Was ist mit Haus Agrach Dyrr?« Ein Windstoß zeigte ihm, das gerade jemand in sein Büro teleportiert war. Gromph würde die Schutzzauber rasch erneuern müssen. Niemandem sollte es möglich sein, einfach so in sein Büro zu teleportieren. »Erzmagier«, rief eine verblüffte Stimme. Es war Nauzhror. Der dicke Meister Sorceres trat zu ihm und beugte sich über Gromph. Er mußte sich offenbar erst fassen, als er die schweren Verletzungen sah. »Ihr lebt«, sagte Nauzhror. »Ich bin froh, das zu sehen.« Über die Schulter rief er Prath zu: »Lehrling! Schick nach einer Priesterin!« Gromph schüttelte den Kopf. »Er holt gerade Heilsalben aus meinem Schreibtisch, Meister Nauzhror. Ich habe momen tan wirklich nichts für die Berührung einer weiteren LolthPriesterin übrig.«
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Er versuchte zu lachen, doch es wurde ein gequältes Husten daraus. Nauzhror lächelte und nickte. »Das Seelengefäß ist also zerstört?« fragte er. Dem Erzmagier gelang es zu nicken. »Ja«, antwortete er. »Ich wollte gerade Prath fragen, was mit Haus Agrach Dyrr ist.« Nauzhror nickte und sagte: »Der Tempel wurde von der Explosion vollständig vernichtet, und ein Großteil der Streit kräfte des Hauses wurden ebenfalls ausgelöscht. Im Anschluß daran gelang es Haus Xorlarrin, die Mauern zu überwinden. Für einen Augenblick sah es so aus, als ob das Haus fallen würden, von Haus Xorlarrin ausgelöscht ...« »Aber?« fragte Gromph. »Aber die Muttermatrone Baenre tauchte mit einer ganzen Armee Baenre-Truppen auf und gebot dem Ansturm Einhalt. Sie traf sich mit Anival Dyrr, die scheinbar jetzt neue Mutter matrone des Hauses ist. Sie haben sich geeinigt, daß Haus Agrach Dyrr bestehen darf, aber Haus Baenre als Vasall dienen wird.« Gromph mußte trotz seiner Schmerzen lächeln. Anival und Haus Agrach Dyrr würden Triel viele Jahrhunderte dienen müssen. Effektiv gesehen wurde das Haus zu einer Erweiterung des Hauses Baenre. Seine Schwester hatte ihn erneut über rascht, und er ermahnte sich, sie nie wieder zu unterschätzen. »Ihr habt der Stadt einen großen Dienst erwiesen, Erzma gier«, sagte Nauzhror. »In der Tat«, bestätigte Prath und blickte von seiner Suche auf. Gromph nickte. Das wußte er. Der Heilungsprozeß würde jedoch lange dauern, sowohl für ihn als auch für die Stadt. Einen Augenblick lang fragte er sich, was wohl mit der Duer
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gar-Streitaxt geschehen sein mochte, mit der er das Seelenge fäß zerstört und Dyrrs Seele eingekerkert hatte. Er hatte sie zurücklassen müssen. Er verdrängte den Gedanken. Dyrr war vernichtet. Zumindest hoffte er das. »Die Heilsalben, Lehrling«, befahl er Prath.
Quenthel starrte in Lolths Gesicht, in Danifaes Gesicht und versuchte, ihren Zorn, ihre Enttäuschung und ihre Scham niederzukämpfen. Danifae Yauntyrr, eine Kriegsgefangene ohne Haus, war Lolths Yor’thae. Quenthels Zorn brannte so heiß, daß sie kaum atmen konn te. Ihre Scham war so stark, daß sie fast in die Knie gesunken wäre. Halisstra lag neben Quenthel mit dem Gesicht auf dem Boden. Die Hohepriesterin sah sie an, dann die acht Aspekte Lolths, dann Danifaes Gestalt, die den Leib des größten As pekts krönte, ging dann langsam in die Knie und legte ihren Kopf ebenfalls auf den Boden. Quenthel war nicht als Yor’thae gewählt worden. Das änder te nichts daran, daß sie eine loyale Dienerin Lolths war. Als sie aufblickte, wagte sie zu fragen: »Warum?« Ihre Stimme wurde nun vom Zorn überwältigt, und sobald sie einmal den Mut gefaßt hatte zu sprechen, strömten die Fragen förmlich aus ihr hervor. »Warum habt Ihr mich von den Toten zurückgeholt?« ver langte sie zu wissen. »Warum habt Ihr mich zur Herrin ArachTiniliths gemacht, nur damit das hier ... geschieht?« Sie dachte daran, wie oft es ihr möglich gewesen wäre, Da nifae zu töten. Sie machte sich Vorwürfe ob dieses Fehlers. Sie war eine Närrin gewesen, eine eingebildete, arrogante Närrin.
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Lolths acht Leiber stürmten vor, der achte Aspekt in ihrer Mitte. Quenthel dachte, sie würde jetzt sterben, doch statt dessen griff Danifae oder Lolth mit ihrer Drowhand nach ihr und strich ihr sanft übers Haar. Sie sprach mit acht Stimmen, doch Danifaes Stimme war die lauteste. »Du willst Begründungen, einen Sinn und einen Zweck. Das ist deine Schwäche. Verstehst du noch immer nicht? Das Chaos bietet keine Begründungen, keinen Sinn und keinen Zweck. Chaos ist, was es ist, und das ist genug.« Quenthel hörte die Worte Lolths und verstand nun endlich, wie sie ihre Göttin enttäuscht hatte. Doch sie war nicht ein fach gescheitert, sie hatte auch ihr Haus enttäuscht. Es war ihr unmöglich, ob ihres Versagens in Tränen auszu brechen. Schon gar nicht vor Lolth. Sie würde Danifae oder dem, was von Danifae noch übrig war, diesen Triumph nicht gönnen. Sie hob stolz den Kopf und sah in Lolths graue Drowaugen, in Danifaes Augen. »Dann tötet mich. Ich werde nicht um mein Leben flehen.« Fast hätte sie den ketzerischen Ausspruch getan: »Ich werde Euch nicht um mein Leben bitten.« Natürlich hätte sie damit Danifae gemeint, doch Danifae war nicht mehr Danifae, und Quenthel mußte lernen, das zu akzeptieren. Danifae war ein Teil Lolths, der Spinnenkönigin, der Königin des Abgrunds der Dämonennetze. Sie war ein Teil von Quenthels Göttin und größer als je zuvor. Lolths volle Lippen öffneten sich zu einem Lächeln und enthüllten scharfe Fangzähne. »Deswegen wirst du auch leben«, sagte Lolth. Quenthel war sich nicht sicher, ob sie Erleichterung, Scham oder beides verspüren sollte. Sie sagte nichts, sondern neigte nur den Kopf.
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»Verlaßt mein Tabernakel, Herrin Arach-Tiniliths«, sagte Lolth. »Kehrt nach Menzoberranzan zurück und leitet meinen Glauben in dieser Stadt. Erzählt allen, was Ihr heute hier ge schaut habt.« Sie strich ein zweites Mal über Quenthels Haar. Diesmal war die Bewegung deutlich unsanfter, fast als müsse sie den Impuls niederkämpfen, sie doch noch zu töten. »Geht jetzt«, sagte Lolth. Sie nickte in Halisstras Richtung und fügte hinzu: »Um die kümmere ich mich.« Quenthel stellte ihre Entscheidung nicht in Frage. Sie stand auf, drehte sich um und schritt durch das Spalier der infernali schen Schwarzen Witwen aus dem Tempel.
Halisstra konnte sich nicht regen. Sie hörte, wie Lolth mit Quenthel sprach, doch irgendwie erreichten die Worte ihren Verstand nicht. Danifae war die Yor’thae, und Lolth war wiedergeboren. Nachdem die beiden einige Zeit miteinander gesprochen hatten, drehte sich Quenthel zu Halisstra um, musterte sie mit einer Mischung aus Haß und Respekt und verließ den Tempel. Lolth hatte versprochen, daß nur eine den Tempel lebend verlassen würde, und Quenthel hatte genau das eben getan. Halisstra würde sterben. Die Göttin sah sie an. Sie spürte den vielfachen Blick schwer auf sich lasten. Sie erwartete den Biß von Lolths Man dibeln, so wie sie es in der Vision erlebt hatte. Doch der Biß kam nicht. Sie wagte es, in Lolths Gesicht zu blicken. Sie sah Danifae darin und doch zugleich so viel mehr. Verblüfft stellte sie fest, daß sie noch immer Seylls Schwert in der Hand hielt. Sie ließ es fallen und trat es weg.
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»Es tut mir leid, Göttin«, stammelte sie und warf sich auf den Boden. »Vergib mir.« Sie wußte, daß ihre Sünde jeder Entschuldigung Hohn spottete. Sie hatte zu Ehren Eilistraees auf Lolths Ebene getanzt und auf einem Berg Lolths einen Tempel zu Ehren der Dunklen Maid errichtet. Sie war die schlimmste Ketzerin, die es je gegeben hatte. Alle acht Aspekte Lolths musterten sie, und die Stille zog sich unangenehm in die Länge. Als die Göttin sprach, war es nur Danifaes Stimme. Sie war unheilsschwanger, voller Zorn und Macht. »Du warst mir zu lange untreu«, sagte Lolth, »Ich werde dir nicht vergeben.« Lolth beugte sich über sie, und die sieben anderen Körper der Göttin umkreisten sie. Halisstra konnte sich nicht regen. Lolth beugte sich noch weiter über sie, und Halisstras Herz schlug immer schneller. Lolths göttliche Stimme, die jetzt noch stärker wie Danifaes Stimme klang als je zuvor, flüsterte direkt in ihr Ohr: »Lebt wohl, Herrin Melarn. Was du hättest sein können, ist leider nicht das, was du wurdest ...« Die Fänge Lolths bohrten sich wie zwei glühende Speere in ihren Nacken, und Halisstra schrie gellend auf. Auch die an deren sieben Spinnen sprangen vor und schlugen ihre Fänge in ihr Fleisch. Der Schmerz war atemberaubend und berauschend. Das Gift ließ ihre Haut von innen heraus brennen und ihren Körper glühen. Schmerz und unerklärliche Ekstase durchliefen sie wie Wellen. Ihre Wahrnehmung verschleierte sich. Sie öffnete den Mund, um Lolth zu danken und zu verfluchen, doch sie konnte nicht sprechen. Ihr Leben strömte immer schneller aus ihr heraus. Kurz fragte sie sich, was mit ihrer Seele im Tod geschehen würde. Sie sehnte sich nach der glei
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chen völligen Auslöschung, wie sie Seyll widerfahren war. Sie lächelte, als das Ende immer näher kam. Doch Lolths Gift tötete sie nicht, und sie trieb zwischen Leben und Tod dahin. »Dir ist nicht der Tod bestimmt, meine abtrünnige Toch ter«, sagte Lolth. Diesmal sprachen alle acht Aspekte. »Deine Sünden sind zu groß, um dir so ein einfaches Ende zu gönnen. Für deine Ketzerei wirst du mir eine Ewigkeit dienen, du wirst meine Reuebringerin sein ... meine Kriegsgefangene«, sagte sie mit Danifaes Stimme, »weder lebendig noch tot. Du hast die Aufgabe, das Blut der Ketzer zu vergießen, die meiner Tochter, meinem Sohn und meinem ehemaligen Gemahl dienen. Der Schmerz wird dich ständig verschlingen, und der Haß wird dich vorantreiben. Die Schuld ob dessen, was du tun mußt, wird schwer auf dir lasten, dich jedoch nie in der Ausführung deiner Pflicht hindern. Das ist deine Buße. Deine ewige Buße.« Voller Schrecken wünschte sich Halisstra den Tod herbei, doch vergebens. »Es gibt kein Entkommen«, sagte Lolth, »so wie ich wirst du verwandelt und wiedergeboren werden.« Die acht Aspekte Lolths nahmen Halisstra mit ihren Kiefer fühlern auf und schoben sie unter ihren Rumpf. Halisstra lag schlaff in den Armen Lolths. Mit einer tödlichen und gleich zeitig erschreckenden Anmut begann Lolth, Halisstra einzu spinnen. Sie wurde eingesponnen. Es begann an ihren Beinen und arbeitete sich an ihrem Körper empor. Sie spürte es kaum. Sie spürte überhaupt kaum noch etwas. Die Fäden legten sich über ihre Augen, und sie sah nur noch Finsternis. Lolth ließ sie auf den Boden gleiten. Halisstra lag im Kokon und spürte, wie Lolths Gift sie ver wandelte. Sie kehrte vom Abgrund des Todes zurück. Das Gift
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durchdrang ihre Seele und erfüllte sie mit grausigen Schmer zen. Sie wußte, daß diese Schmerzen nie enden würden. Etwas in dem Netz drang in ihre Haut ein. Lolths Macht ertastete ihr Herz. Dort stieß sie auf den Haß, den Halisstra nie hatte wirklich austilgen können, und dort stieß sie auf die Liebe und das Verzeihen, die Halisstra niemals hatte wirklich nähren können. Lolths Berührung brachte den Haß zum Erblühen und ließ die Liebe und das Vergeben ver welken, bis sie beinahe völlig verdorrt waren. Ihre Haut wurde hart wie ihre Seele. Ihre Kraft und ihre Körperhaltung veränderten sich, um ihren Haß widerzuspie geln. Der Schmerz der Wiedergeburt war unvorstellbar. Sie öffnete den Mund und schrie aus Leibeskräften, doch der Schrei trat nur als Zischen über ihre Lippen. Sie fuhr sich mit der Zunge über die Lippen und spürte Fänge. Mit ihrer neuge wonnen Kraft zerriß sie die Netze mit einer lächerlichen Mü helosigkeit und befreite sich aus dem Kokon. Schleimbedeckt rollte sie auf den Boden des Tabernakels. Die Yochlols glitschten auf sie zu und wischten sie mit ihren Tentakeln ab. Die acht Aspekte Lolths kehrten auf das Podest zurück. Ihr Werk war vollbracht. Halisstra sah Seylls Schwert neben sich liegen. Sie ergriff das Heft und richtete sich auf. Violette Flammen umtanzten die Klinge. Irgendwo tief drinnen gab es einen kleinen Teil ihrer selbst, der all das mit blankem Entsetzen wahrnahm. Jener kleine Teil ihrer selbst, der sich noch erinnern konnte, wie es gewesen war, Freude zu finden und im Mondlicht zu tanzen, konnte nur noch zusehen und in Verzweiflung ertrinken. Der Rest von ihr erinnerte sich an ihr altes Leben, ein Leben voller Opfer, Macht und Ausschweifungen. Sie beäugte die Klinge in ihrer Hand und sehnte sich danach, sie einzusetzen.
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Vielleicht im Velarswald, dachte sich die Reuebringerin und mußte trotz der beständigen Schmerzen, die sie durchlitt, lächeln. »Willkommen zu Hause, Tochter!« sagten die acht Stim men Lolths.
Quenthel stand vor dem Tempel. Sie blickte nicht zurück, als sie Halisstras Schrei hörte. Sie sah zum Himmel empor. Die acht Sterne Lolths blickten rot vom Himmel. Sie waren alle gleich hell. Der achte Aspekt war wiedergeboren. Sie schluckte ihre Frustration hinunter, zückte ihr heiliges Symbol und sprach ein Gebet an Lolth. Erneut nahm sie die Gestalt des Windes an. Sie flog vom Tabernakel über Lolths krabbelnde Stadt und über das endlose Netz hinweg und dann auf die mit Nebeln verhüllte Ebene des Seelenfeuers zu. Infernalische Schwarze Witwen, Yochlols und zahllose andere Arten von Spinnen wimmelten noch immer überall hin und her. Sie landete auf der Ebene und nahm ihre normale Gestalt an. Die Arachniden waren überall um sie, beachteten sie aber nicht einmal. Von der Schlacht mit den Yugolothen war nicht mehr viel zu sehen. Die Heerschar Lolths hatte das Schlachtfeld gesäu bert. Wie zuvor strömten die Seelen aus dem Paß des Seelenfres sers, wurden über der Ebene des Seelenfeuers vom violetten Feuer umfangen und so lange verbrannt, bis die Schwäche aus ihnen getilgt war. Quenthel fragte sich, wie lange ihre eigene Seele brennend in der Luft hängen würde, bis ihre Schwäche ausreichend ausgetrieben war, wenn sie das nächste Mal die Ebene durchquerte.
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Sie sah eine Bewegung in der Nähe des Passes. Eine titani sche Gestalt rief ihr etwas zu und sprang den Paß hinunter. Jeggred. Sie ging über den zerfurchten Boden ihrem Neffen entge gen. Der Draegloth suchte sich seinen Weg zwischen den Spinnentieren hindurch. Er war von Blut und Schleim be deckt, und von seinen Klauen hingen noch immer die Streifen der Yugolothenhaut. Sein eigenes Fleisch hatte zahlreiche Risse und Schnitte davongetragen, und sein Leib war von unzähligen nässenden Wunden überzogen. Er wirkte ebenso zerstört und zerfurcht wie die Ebene. Von einem seiner inneren Arme war nur noch ein blutiger Stumpf übrig. Als er näher kam, wurde er langsamer. Offenbar war er überrascht, sie zu sehen. Seine Augen verengten sich fragend, und er blickte an ihr vorbei zur Stadt und zum Tabernakel. »Ich wußte es«, sagte er und grinste wie der Idiot, der er war. »Sie war es.« Ihre Peitsche traf seine Seite, und er wirbelte mit erhobener Klaue zu ihr herum. Ihr Blick brachte ihn zum Erstarren. »Du warst nur ein Narr, der Glück hatte«, sagte sie, und die aufgestaute Wut brachte ihre Stimme fast zum Kippen. »Lolth wurde wiedergeboren, und die Dinge sind wieder so, wie sie waren. Du gehorchst wieder Haus Baenre.« Die Peitschenschlangen züngelten und zischten. Jeggred starrte sie unentschlossen an. »Ungehorsam wird hart bestraft, Mann!« fügte sie hinzu. Jeggred leckte sich die Lippen, senkte den Kopf und ließ sich auf ein Knie nieder. »Ja, Herrin!« Quenthel lächelte. Jeggred zur Raison zu bringen befriedigte sie zumindest ein bißchen, doch das reichte ihr nicht. Sie starr te auf den Scheitel des Draegloth und fragte sich, wie sie ihren
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Ärger stillen konnte ... Sie sprach ein kurzes Gebet und erfüllte ihre Berührung mit einer magischen Energie, die ausreichte, um praktisch alles, was sie berührte, zu töten. Jeggred hörte, wie sie den Zauber wirkte, und sah besorgt auf. Quenthel lächelte. »Du hast Lolth gut gedient, Neffe«, sagte sie und streckte die Hand aus, um ihm durch die Mähne zu streichen. Jeggred entspannte sich. Quenthels Lächeln erlosch. Sie packte das struppige Haar des Draegloth und ließ all ihren Haß, all ihren Zorn und all ihre Macht in Jeggred fließen. Die Energie traf Jeggred wie ein Titanenhammer. Seine Knochen bogen sich und zerbarsten, seine Haut riß auf, Blut strömte aus Ohren, Augen und Mund. Er fiel zu Boden und wand sich brüllend in Qualen. »Aber du hast mir schlecht gedient«, sagte sie. Sie hob ihre Peitsche zu einem tödlichen Schlag, zögerte aber im letzten Moment. Sie hatte eine bessere Idee. Jeggred kam wieder auf die Füße. Er blutete aus Hunderten Wunden. »Dafür wird sie dich töten«, sagte er und spuckte Blut. »Ich werde dich töten.« Quenthel wußte nicht, ob Jeggred Triel oder Danifae mein te, doch sie konnte ob der Drohung nur lächeln. Jeggred verstand es wirklich nicht. »Du hast deinen Zweck erfüllt«, sagte sie in sein blutiges Angesicht, »und bist nur ein Mann!« Rund um sie begannen sich die Spinnentiere zu versam meln. Vermutlich hatte sie der Geruch von Jeggreds Blut ange lockt.
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Quenthel sah ihm in die roten Augen und sagte: »Leb wohl. Du bist mein erstes Opfer zu Ehren der neugeborenen Spin nenkönigin.« Sie reckte ihr heiliges Symbol empor und sprach ein Gebet an die wiedergeborene Lolth. Magie umtanzte sie, Magie, die sie nach Menzoberranzan zurückbringen würde. Sie hatte der Muttermatrone viel zu berichten. Kurz bevor der Zauber sie erfaßte und aus dem Abgrund der Dämonennetze riß, sah sie Tausende Spinnen, die vorwärts huschten, Jeggred zu überrennen begannen und sich an seinem Fleisch gütlich taten. Die Schreie des Draegloth brachten sie zum Lächeln.
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Unsichtbar nutzte Aliisza ihr arkanes Erbe, um sich auf die Ebene des Seelenfeuers in Lolths Abgrund der Dämonennetze zu begeben. Sie erschien inmitten einer zerstörten Kraterlandschaft vol ler dampfender Säurebecken, rauchender Fumarolen und Wol ken grüner, giftiger Dämpfe. Das Dämonenblut in ihren Adern schützte sie vor den schädlichen Umwelteinflüssen. Sie war allein. Hinter ihr erstreckte sich Lolths endloses Netz über einen bodenlosen Abgrund bis in alle Ewigkeit. Die Stadt der Spin nenkömgin, gekrönt vom pyramidenförmigen Tabernakel, krab belte auf den Strängen hin und her. Auf den Strängen selbst huschten mehr Spinnen dahin, als es im Abyss Dämonen gab. Vor ihr erhoben sich steile, zerklüftete Gebirge, höher als alle, die Aliisza je gesehen hatte. Aliisza fragte sich wieder
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einmal, warum Lolth so in Spinnen vernarrt war. Für die Beg riffe des Alu-Scheusals waren es häßliche, widerwärtige Krea turen, ähnlich wie Dretche. Sie wußte nicht, was hier genau vorgefallen war. Sie wußte nur, daß Lolth größer als zuvor wiedergeboren worden war. Sie wußte auch, daß Pharaun tot war. Die Erkenntnis erweckte ein seltsames Gefühl in ihr, ähn lich jenem, das sie einmal empfunden hatte, als sie sich mehre re Tage nicht genährt hatte. Ihr Magen schmerzte, und ihre Beine fühlten sich ganz schwach an. Sie empfand ein Gefühl des Verlustes oder zumindest das Gefühl, wichtige Gelegenhei ten verpaßt zu haben. Sie würde Pharauns Gesellschaft und seine Schlagfertigkeit vermissen. Ach, und ich Dummerchen habe nur einmal mit ihm ge schlafen, dachte sie und zog einen Schmollmund. Na ja, ein mal war besser als keinmal. Ringsum lagen die Zeichen einer großen Schlacht. Abge trennte Gliedmaßen, zerbrochene Waffenschäfte, zerfetzte Rüstungen, eingedellte Helme, aufgewühlte Erde. Sie hatte mittels ihrer Erkenntniszauber herausgefunden, daß Pharaun im Kampf gegen Inthracis und sein dämliches Schwarzhornre giment gefallen war. Sie trat frustriert gegen den Helm eines Nycalothen, und er fiel in das nächste Säurebecken. Obwohl sie unsichtbar war, fühlte sie die Augen der Stadt und der Spinnen auf sich. Sie belauerten sie und warteten auf ein Zeichen der Schwäche. Sie stellte fest, daß sie sich unwill kürlich ganz langsam vortastete, als bewege sie sich über ein Spinnennetz und versuche, jede hastige Bewegung zu vermei den, damit die Spinne nicht erwachte. Was tue ich nicht alles, um meine Lust zu befriedigen, dachte sie spöttisch und lächelte trotz ihrer Furcht. Aliisza war allein auf der Ebene des Seelenfeuers und im
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Schatten von Lolths Stadt. Methodisch suchte sie das Schlachtfeld ab. Manchmal setzte sie dabei Zauber ein, doch größtenteils verließ sie sich auf ihre scharfen Augen und auf ihre Fähigkeit, magische Dinge zu sehen. Mehrere Dinge, Überreste der Schlacht, strahlten hell in ihrem magischen Blick, doch nichts war von Interesse, bis ... Da! Es war fast nichts übriggeblieben. Die Robe war völlig zer fetzt. Sein Fleisch, ja seine Knochen waren fast vollständig zerfressen. Es mußte irgendein tollwütiger Yugoloth oder ein Spinnenschwarm oder beides gewesen sein. Doch etwas war von ihm übrig. Aliisza kniete nieder, hob es auf und hielt es sich vors Gesicht. Es war Pharauns Finger. Das Fleisch war noch intakt, und auf dem Finger steckte noch immer der Ring Sorceres. Er leuchtete hell in Aliiszas Blick. Sie musterte den Finger einige Zeit verliebt, die weiche Haut, den manikürten Nagel. Sie fragte sich, wie es sich anfühlen mochte, diese Finger wieder auf ihrem Körper zu spüren. Sie lachte und steckte den Ring samt Finger in ihre Tasche. »Nun, Liebster«, sagte sie zu sich selbst, »wie es aussieht, habe ich doch noch ein persönliches Geschenk von dir be kommen. Mal sehen, was ich damit tun kann.« Dann teleportierte sie davon.
Valas Hune kauerte nahe der prächtigen, natürlichen Treppe, die vom Höhlenboden Menzoberranzans nach Tier Breche hinaufführte. Auf der Treppe leuchteten zahlreiche magische Fallen und Glyphen, und zwei Wächter Melee-Magtheres standen ganz oben. Valas umging die Schutzzauber, und der Blick der Wächter
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ging über ihn hinweg. Von den Schatten verhüllt blickte er auf Menzoberranzan hinab. In der Stadt war schon fast wieder alles beim alten. Hinter ihm arbeiteten Sklaven an Tier Breche. Sie behoben die Schäden, die die Duergar mit ihren Brandbomben an Sor cere und Arach-Tinilith angerichtet hatten. Unter den Skla ven waren viele Duergar, ehemalige Soldaten, die die Streit kräfte Menzoberranzans nicht abgeschlachtet, sondern gefan gengenommen und versklavt hatten. Am anderen Ende der Höhle stand Qu’ellarz’orl in ganzer Pracht von Feenfeuer umstrahlt. Es sah aus wie eh und je. Jetzt, wo Haus Agrach Dyrr nicht mehr Teil des herrschenden Rats war, würden die anderen niederen Häuser um Dyrrs Position in der Hierarchie kämpfen. Ja, es war tatsächlich wieder alles beim alten. In den Zelten und Ständen des wiedererbauten Basars tum melten sich die Sklavenhändler, Gewürzverkäufer und die Drogenhändler sowie zahlreiche andere Händler, die normale Güter verkauften. Lastechsen und Händlerkarren schoben sich durch die Straßen Menzoberranzans. Qu’ellarz’orl mochte ja Menzoberranzans Kopf sein, doch der Basar war das Herz der Stadt. Valas wußte, daß der Markt platz verriet, wie gut es der Stadt ging. Er sah, daß der Handel florierte, was bedeutete, daß Menzoberranzan wieder zu alter Pracht erwachte. In der Stadt kursierten Gerüchte. Die meisten waren schwer zu glauben, und einige waren vollkommen absurd. Valas wußte nicht, was er glauben sollte, doch er wußte, was er mit eigenen Augen sah: Quenthel Baenre amtierte wieder als Herrin A rach-Tiniliths, und weder Pharaun noch Jeggred, Danifae oder irgendeiner der anderen war zurückgekehrt. Valas verstand die unausgesprochene Botschaft nur zu gut. Von der Gruppe, die
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ausgezogen war, um Lolth zu finden, war nur Quenthel zurück gekehrt. Valas stand kurz davor, Menzoberranzan zu verlassen. Er verspürte keine Lust, auch spurlos zu verschwinden. Er hatte schon alles mit Kimmuriel, seinem Vorgesetzten bei Bregan D’aerthe, arrangiert. Er würde ein Gebiet auskundschaften, das weit von Menzoberranzan entfernt lag. Eines Tages würde er zurückkehren, doch erst, wenn genug Zeit verstrichen war, daß ihn Quenthel vergessen hatte. Zu seiner Überraschung erfüllte ihn der Gedanke, Menzo berranzan für so lange Zeit zu verlassen, mit Melancholie. Es war seltsam, daß er ob solch eines Lochs von einer Stadt solche Nostalgie empfand. Menzoberranzan war eine widerli che, herzlose Hure, die die Schwachen fraß und die Starken dazu verdammte, zu intrigierenden Bürokraten zu werden. Dennoch schaffte es die Stadt, in jenen, die sie überlebten, ein starkes Gefühl der Verbundenheit zu erzeugen. Valas ging davon aus, daß die Stadt nur deshalb so lange überlebt hatte. Obwohl es eine gemeine, hinterhältige Stadt war, nannten sie die Drow, die hier lebten, ihre Heimat und kämpften wie Dämonen, um sie zu verteidigen. Er starrte Nar bondel an. Die Säule leuchtete rot in der Finsternis und ver kündete damit einen neuen Tag. Ein neuer Tag voller Gewalt, interner Auseinandersetzun gen, Mord und Verrat. Da es sonst nichts mehr zu tun gab, wandte er sich ab, ver schmolz mit den Schatten und brach zu seinem nächsten Auf trag fernab der Stadt auf.
Inthracis V. öffnete die Augen. Nisviim stand über ihm, das
Schakalgesicht des Arkanalothen wirkte schlaff, und seine
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Augen blickten ins Leere. Wortlos wandte sich Nisviim ab und verließ den Raum. Inthracis lag da, und in seinem neuen Gehirn rasten die Gedanken. Er war gescheitert. Er konnte sich nur noch an den Schmerz erinnern. Der Drowmagier hatte ihn mit einer klugen Kombination von Zaubern eingekerkert und eingeäschert. Inthracis beschloß, sich die Taktik einzuprägen. Vielleicht konnte er sie selbst einmal nutzen. Er ging davon aus, daß Lolths Yor’thae die Spinnenkönigin erreicht hatte. Er wußte nicht, welche der Priesterinnen die Auserwählte war, und es war ihm auch egal. Er dachte nur an die Möglichkeit, daß er sich jetzt mit Vhaerauns Zorn konfron tiert sehen könnte. Wenn der maskierte Fürst herausfand, daß Inthracis wieder lebte ... Er verdrängte solche Gedanken. Er mußte einfach hoffen, daß Vhaeraun so mit den Folgen des Zorns seiner Mutter beschäftigt sein würde, daß er Inthra cis schlicht und einfach vergaß. Währenddessen würde sich der Ultroloth ein paar Jahrzehnte lang im Hintergrund halten und Nisviim gestatten, die offiziellen Belange Leichenstatts zu regeln. Er setzte sich auf und genoß das Gefühl seines neuen Kör pers. Einen Augenblick lang fragte er sich, ob sich Lolth auch in neues Fleisch gekleidet hatte. Auch diesen Gedanken verdrängte er. Er hatte für lange Zeit genug von den Intrigen der Götter und Göttinnen.
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