REN DHARK Heft Nr.: 68
Auf den Spuren der Mysterious? Ruinen, Krater, ein zerstörter Raumer – die Zeugen eine grausamen...
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REN DHARK Heft Nr.: 68
Auf den Spuren der Mysterious? Ruinen, Krater, ein zerstörter Raumer – die Zeugen eine grausamen Kampfes
TENSOR McDYKE
Ren Dhark und seine Welt Im Jahre 2050 ist die politische Lage auf der Erde ausgeglichen, jedoch die Erde ist überbevölkert. Da startet der erste Kolonistenraumer »Galaxis« mit 50.000 Kolonisten an Bord zur Fahrt in den Weltraum, um neue Siedlungsräume zu suchen. Durch einen Defekt im Antrieb geraten die Kolonisten in einen unbekannten Teil der Milchstraße und wissen nicht mehr, wo sich die Erde befindet. Sie gelangen zu einem bewohnbaren Planeten, den sie »Hope« nennen, gründen hier die Stadt »Cattan« und entdecken auf einer Insel Spuren einer hochentwickelten Kultur. Die Insel wird »Deluge« genannt. Ren Dhark, den man zum Stadtpräsidenten gewählt hat, findet in einer riesigen Höhle auf Deluge ein Raumschiff der Ureinwohner, das von ihm den Namen »Point Of« erhält. Es gelingt Ren Dhark, die Point Of startklar zu machen, und er bricht auf, um die Erde wiederzufinden. Die Suche führt schließlich zum Erfolg. Jedoch die Menschen auf der Erde sind von einer Invasorenrasse, den »Giants« überfallen und geistig versklavt worden. Ren Dhark
versucht, sie zu befreien. Es gelingt ihm, nach einem mentalen Kampf die Führungsspitze der Eindringlinge, »Cal« genannt, festzunehmen. Sie wird erst wieder freigelassen, nachdem sie das Geheimnis verraten hat, wie man die Menschen wieder zu normalen Erdbewohnern machen kann. Es geschieht mit Hilfe eines Gehirnwellensenders durch Bestrahlung. Die Menschen wachen aus ihrem Trancezustand auf, und die Giants verschwinden von der Erde. Im Brana-Tal befindet sich die »Cyborg«-Station. Dort sind die Wissenschaftler unermüdlich am Werk. Man unternimmt interessante Experimente auf dem Gebiet der »Cyborg«Forschung. Die ersten Cyborgs haben bereits ihre Feuerprobe bestanden. Die Gefahr für Terra, die von den nicht umgeschalteten Menschen – den Robonen – ausging, ist vorerst beseitigt. In der Galaxis finden gewaltige Raumschlachten gegen einen Feind statt, der unzerstörbar zu sein scheint: das Nor-ex. Unbekannte Rassen tauchen auf, um bei Ren Dhark um die einzige Waffe zu bitten, die gegen die alles vernichtenden Nor-ex hilft. Plötzlich taucht eine neue Art des Nor-ex auf und beginnt, die anderen aufzufressen«. Die Nor-ex-Gefahr scheint für die Galaxis gebannt zu sein. Manu Tschobe hat vom Giant-Planeten drei tote Giants auf die Point Of gebracht, um sie zu untersuchen und endlich das Geheimnis dieser Rasse zu lüften.
Personenverzeichnis: Ren Dhark Commander der Planeten Dan Riker Mitarbeiter und Freund Ren Dharks Oberst Ma-Ugode Kommandant der KHAN Miles Congollon stellvertretender Kommandant der POINT OF Arc Doorn der draufgängerische Sibirier Jack O'Sullivan Raumfähnrich Pete Garincha Ingenieur Nita Garincha seine Tochter Professor Ingen, Claus Bentheim, Wren Craig Astrophysiker auf Hope
Sie schwiegen. Kaum jemand wagte laut zu atmen. Ergriffenheit hielt sie gefangen. Ein würziger Wind umfächelte ihre Gesichter. Ein leichtes Säuseln lag in der Luft. Es kam von allen Seiten. Niemand achtete darauf. Um die Männer bei Ren Dhark herrschte Totenstille. Das Licht von drei blauen Sonnen ergoß sich über die Landschaft. Ein fremdartiges Bild – eine fremde Welt. Nie zuvor hatte ein Menschenfuß sie betreten. Aber nicht diese Fremdheit beeindruckte die Männer. Nicht die zerrissenen Bergzacken, die aus der Ferne fast violett herüberschimmerten. Auch nicht das bläuliche Flimmern des Bodens, auf dem sie standen. Sie standen da und starrten in eine Richtung. Vor ihnen erhob sich ein gewaltiges Monument. Ein Torso! Ein Riese wuchs aus dem urweltlichen Boden. Ohne Kopf und ohne Arme. Ein Mensch! Unweigerlich eine Menschengestalt. In Metall modelliert. Ein Lendenschurz bedeckte seine Nacktheit. Die kraftvolle Darstellung eines Menschen, der sich zum Herrscher erhoben hatte. Herrscher über einen Planeten – Herrscher über das Universum! Man glaubte, das Spiel seiner modellierten Muskeln an Armen und Beinen zu sehen, das Dehnen seiner Brust beim Atmen. Die Gestalt schimmerte in einem warmen Bronzeton. Mehr als dreihundert Meter ragte sie vor den Männern empor. Die Gesichter der Betrachter drückten ihre Gefühle aus. Unglaube. Verwunderung. Ehrfurcht.
»Ein Mirakel«, flüsterte Dan Riker so leise, daß nur Ren Dhark es hören konnte. Diese Worte brachten den Commander der Planeten wieder in die Wirklichkeit zurück. Er räusperte sich. »Dan Riker hat diesem Planeten soeben einen Namen gegeben. Mirac. Ich glaube, kein anderer Name würde besser zu Ihm passen.« Sie konnten den Blick nicht von dem Standbild wenden. Es schien eine magische Anziehungskraft zu besitzen. Eine große Frage beschäftigte die Männer. Wer hatte hier dem Menschen ein Denkmal gesetzt? War es das Abbild eines lebenden Wesens – oder das eines Gottes? Die Plastik mußte schon seit Jahrtausenden von dem Licht der drei blauen Sonnen bestrahlt werden. Aber es gab trotzdem keine Anzeichen von Verfall. Nur Kopf und Arme fehlten. Eine tote Figur, die dennoch Leben in sich barg! »Männer!« Ren Dhark riß sich gewaltsam von dem Anblick los. Seine Stimme klang unnatürlich weich. »Ich möchte das Geheimnis dieser Statue ergründen.« Und dann fügte er, an Dan Riker gewandt, leise hinzu: »Das Universum ist wirklich voller Wunder!« * »Du bleibst an Bord, Dan!« Ren Dharks Stimme klang schärfer, als es dem Freund lieb sein konnte. Auf Dan Rikers Kinn bildete sich ein roter Fleck. Ausdruck der Erregung. »Hör mal zu...«, versuchte er zu protestieren.
»Das war ein Befehl, Dan«, sagte Ren Dhark sehr leise und eindringlich. »Ich werde wohl von dir erwarten können, daß du Befehle ausführst.« »Aber ich möchte dabeisein, wenn ihr diese Plastik unter...« »Dan«, unterbrach Dhark den Freund mit den buschigen Brauen über blauen Augen, den Freund und Gefährten vieler Abenteuer. »Du weißt genau, daß immer und überall Unvorhergesehenes eintreten kann. Du hast ja selbst den Ausdruck ›Mirakel‹ gebraucht. Mirakel, das heißt Wunder. Mirakel heißt aber auch Unerklärliches, Geheimnisvolles. Und deshalb, Dan, brauche ich jemanden an Bord der POINT OF, auf den ich mich hundertprozentig verlassen kann.« Sie sahen sich sekundenlang schweigend an. Bis Dan Riker plötzlich nickte. »Wenn du die Sache so siehst, Ren...« »So und nicht anders. Alles klar?« Ren Dhark grinste. Dan Riker hielt mit, aber sein Grinsen wirkte etwas gequält, noch immer nicht ganz überzeugt. Dhark klopfte ihm einmal freundschaftlich auf die Schulter und wandte sich zum Ausgang. Er verließ die Kommandozentrale des Ringraumers, um die Untersuchung des Standbildes und des Sockels, auf dem es stand, zu beaufsichtigen. »Du setzt doch immer deinen verdammten Kopf durch«, murmelte Dan Riker, nachdem sich Dharks Schritte verloren hatten. Draußen herrschte bereits Hochbetrieb. Kleine Gruppen hatten sich gebildet. Wissenschaftler und Experten führten sie an. Jede Gruppe bewaffnete sich mit Instrumenten und Geräten, um dem Geheimnis dieser Statue auf die Spur zu kommen. Eine hektische Atmosphäre empfing Ren Dhark. Sie warteten auf ihn, warteten auf seine Befehle. Dhark blieb auf der unteren Sprosse des Schleusenganges stehen. Noch einmal wandte er sich voller Ehrfurcht dem
Monument zu, dann leuchtete es in seinen braunen Augen entschlossen auf. Er wirkte ungeheuer kühn, dieser junge Mann mit den breiten Schultern und dem weizenblonden Haar. Trotz seiner Jugend strahlte er unbedingtes Vertrauen aus. Das Gesicht mit der leicht gebogenen Nase würde niemand vergessen, der es einmal gesehen hatte. Intelligenz, Kraft und Vertrauen gingen von ihm aus. »Sie alle kennen Ihre Aufgabe. Dazu brauche ich nicht mehr viel zu sagen. Nur eines noch: jede Beschädigung dieser Plastik ist zu vermeiden. Außerdem erwarte ich von Ihnen, daß Sie den Anweisungen Arc Doorns unbedingt Folge leisten und mit ungewöhnlicher Vorsicht zu Werke gehen. Sind alle Sicherheitsvorkehrungen getroffen?« Diese Frage galt Elmar Gernot, dem Sicherheitsoffizier der POINT OF. Der junge Mann mit dem kurzen Bürstenhaar und eisgrauen Augen nickte. »Alles klar, Dhark!« »Gut!« Ren Dharks Augen suchten Arc Doorn. Der rothaarige Sibirier kehrte ihm den Rücken zu. Er stand etwas nach vorn gebeugt und schien noch immer die Statue anzustarren, die weit hinauf in den intensiv blauen Himmel ragte. Doorn schien Dharks Blick gespürt zu haben. Er drehte sich langsam um. Wer diesen Mann nicht kannte, mochte ihn für einen Boxer halten, aber nie glauben, daß er einen Supertechniker vor sich hatte. Hinter diesem ewig mürrischen Gesicht verbarg sich ein Genie, das selbst Ren Dhark oft in grenzenloses Erstaunen versetzt hatte. Dhark und Doorn sahen sich an. Die Augen des Sibiriers leuchteten. »Kann es endlich losgehen?« fragte er barsch. »Bitte!«
Arc Doorn warf sich herum und marschierte der Statue entgegen. Die anderen zögerten noch, sahen der einsamen Gestalt nach, und nur langsam folgten sie Doorn. Ren Dhark blieb noch einen Moment stehen. Welch ein Bild! Der erhabene Anblick eines zum Götzen erhobenen Menschen, aus Metall gegossen, im Bronzeton schimmernd. Und dort unten die winzige Gestalt eines rothaarigen Mannes. David und Goliath? Nein. Mehr noch. Ameisen waren sie im Vergleich zu dieser Statue, nichts als ein Staubkorn. Welch einem Geheimnis würden sie jetzt auf die Spur kommen? Was würden sie finden? Ein wenig Angst beschlich Ren Dhark. Sie entdeckten immer neue Rätsel in der unermeßlichen Weite des Alls. Immer neue Gefahren umlauerten sie. Der Tod reiste tausendfach mit ihnen durch die Schwärze des Universums. Barg auch diese Statue ein tödliches Geheimnis? * Die Stunden verrannen. Wurden zur Ewigkeit. Ein Test nach dem anderen lief ab. Ohne Ergebnis. Man kannte die Zusammensetzung des Metalls nicht. Weder von der Statue selbst, noch vom Sockel. Dieser Sockel, eine Masse von 86 Metern Höhe und einem Ausmaß von 183 mal 194 Metern, schien aus einem Guß zu sein. Das Metall schimmerte silbern. Ren Dhark strich mit den Fingerspitzen darüber hin. Keine Unebenheit, keine Korrosionsschäden. Glatt und warm fühlte sich das Metall an. Allein das war schon ein Wunder. »Sie bleiben bei Ihrer Meinung, Doktor?« Dr. John Glennard, Chef der Kosmobiologen an Bord der POINT OF, sog scharf die Luft ein.
»Wenn ich es Ihnen doch sage, Dhark«, schnappte er, ein wenig beleichgt. »Es mag aussehen, als wäre es soeben erst gegossen. Aber die Mikro-Untersuchungen sagen einwandfrei aus, daß dieses Metall den Sonnenstrahlen bereits Jahrtausende ausgesetzt sein muß.« »Hm!« Dhark hob den Blick. Das kopflose Oberteil der Statue verlor sich im intensiven Blau des fremden Himmels. »Es ist kaum zu glauben«, murmelte er abwesend. »Wenn Sie unseren Untersuchungen keinen Glauben schenken, warum...« Dhark winkte ab. »Davon kann keine Rede sein«, erwiderte er unwirsch. Der Wissenschaftler folgte Dharks Blick nach oben. Zwei Flash umkreisten den oberen Teil der Figur. Mike Doraner und Arly Scott flogen die Blitze. An Bord befanden sich noch zwei Archäologen, die ebenfalls seit Stunden keinen Schritt weiterkamen. »Dabei hätte ich gewettet, daß Professor Tschu Hin schneller zu einem Ergebnis kommt«, murmelte Dhark. Dr. Glennard wollte darauf antworten, aber in dem Augenblick wurden Schritte laut. Arc Doorn kam auf sie zu. Er stapfte durch den Sand wie ein wütender Stier, den Kopf zur Seite, auf den Sockel der Statue gewandt. Dr. Glennard lachte einmal belustigt auf. »Und wenn Sie tausendmal um den Sockel herumlaufen, Doorn, viel Neues werden Sie dabei auch nicht erfahren. Sie machen sich ja lächerlich!« Doorn blieb stehen, warf den Kopf herum und sah den Kosmobiologen an, als sehe er ihn jetzt zum erstenmal. Er leckte sich einmal mit der Zunge über die rissigen Lippen und schüttelte verwirrt den Kopf.
»Nichts«, sagte er. In seiner Stimme klang ein grollender Unterton. »Absolut nichts. Wir wissen weder wie alt dieser Klotz ist, noch warum man dem Kerl Kopf und Arme abgeschlagen hat.« »Läßt sich wenigstens feststellen, wie alt die Bruchstellen sind?« fragte Dhark eindringlich. Arc Doorn schüttelte bedächtig den Kopf. Er öffnete die Lippen, kam aber nicht mehr dazu, eine Antwort zu geben. Ein Schrei ließ sie herumfahren. Ein markerschütternder Schrei. Unwillkürlich zuckte Ren Dhark zusammen. Eine Gänsehaut überlief seinen Rücken. »Heilige Sterne«, hauchte Arc Doorn. Dr. John Glennard preßte die Lippen fest zusammen. Alle drei Männer hatten plötzlich das gleiche Bild vor Augen. Irgend etwas Furchtbares mußte passiert sein. Noch ehe sie sich in Bewegung setzen konnten, kam eine Gestalt um die Ecke des Sockels gehetzt. »Commander! Doorn! Kommen Sie schnell!« Der Mann ruderte wie wild mit den Armen durch die Luft. Sein Atem ging schnell und keuchend. »Was ist geschehen, Kuster?« schrie ihn Doorn an. »Ein Ton... ein Impuls... der Sockel sendet...« Weiter ließen ihn Dhark und Doorn nicht kommen. Sie wechselten einen schnellen Blick und begannen zu laufen. Dr. Glennard stand noch einen Augenblick wie festgewurzelt, schüttelte benommen den Kopf, dann hetzte er wie wild hinter den beiden Männern her. Alle Männer der POINT OF rannten in dieser Minute auf einen bestimmten Punkt zu. Elmar Gernot, der hochgewachsene, schlaksige Sicherheitsoffizier, hatte alle Hände voll zu tun, Tino Grappa vor der Menge abzuschirmen. »Seid doch vernünftig, Leute«, schrie er aufgebracht. »Bleibt zurück. Nehmt endlich Vernunft an. Wie soll Grappa denn
sonst ungestört weiterarbeiten. Oh, Dhark. Kommen Sie. Menschenskind, machen Sie doch Platz, Clifton.« »Was ist hier los?« Dharks scharfe Stimme ließ das Gemurmel der Menge sofort stocken. Mit den Ellbogen boxte er sich durch den dichten Ring der Zuschauer. Arc Doorn befand sich in seinem Schlepptau. Schweratmend stand Dhark dann vor Tino Grappa. Der dunkelhaarige Ortungsspezialist des Ringraumers starrte ungläubig von Dhark zu Doorn, dann blickte er wieder kopfschüttelnd auf ein Aggregat, das recht verloren in dem bläulich schimmernden Sand stand. »Nun reden Sie schon«, fuhr Dhark ihn an. Tino Grappa kratzte sich den Kopf und blinzelte verwirrt. »Ich verstehe es selbst noch nicht, Dhark. Sehen Sie nur her. Diese Amplitude fängt einen Dauerimpuls auf.« Dhark schob den Mann beiseite und beugte sich über das Gerät. Sekundenlang hielten die Männer um ihn den Atem an. Als Ren Dhark sich wieder aufrichtete, bemerkte man einige Schweißperlen auf seiner Stirn. Er machte keinen Versuch, sie wegzuwischen. »Morris!« »Hier!« Leutnant Morris, Cheffunker der POINT OF, trat durch ein Spalier der Umstehenden. »Sehen Sie sich das an, Morris!« Glen Morris gehorchte. Stille ringsum. Nur der Wind säuselte um die hohe Plastik, so, wie er es schon seit Jahrtausenden tat. »Nun?« fragte Dhark ungeduldig. Glenn Morris hob müde die Schultern. »Wenn man es so betrachtet, könnte man meinen, einen Funkimpuls einzufangen. Aber...« »Aber?«
»Wir haben um den ganzen Sockel herum Funkgeräte aufgestellt. Nichts, Dhark. Absolut nichts haben wir empfangen. Es könnte höchstens sein, daß Dan Riker von der Zentrale aus...« Ren Dhark flog herum. Irgend jemand reichte ihm ein Vipho. »Dan!« Dharks Stimme klang scharf und schneidend. Es dauerte einen Augenblick, ehe sich Riker meldete. Er sprach etwas abgehackt, kurzatmig. »Ja? Was ist denn bei euch los? Schwierigkeiten, Ren?« »Was hast du laufen, Dan?« »Bitte?« »Ich fragte, welche Aggregate du an Bord der POINT OF laufen hast«, schrie Dhark in die Sprechmuschel. »Ich verstehe nicht... gar nichts läuft. Hier in der Kommandozentrale ist es so still wie... wie auf einem Friedhof bei Windstille.« »Sieh auf die Kontrollen! Überprüfe die Instrumente. Ich muß Gewißheit haben, daß kein Gerät des Ringraumers Impulse abgibt. Verstanden?« Dan Riker schien die Eindringlichkeit in den Worten Ren Dharks gespürt zu haben. Seine Antwort klang knapp militärisch. »Sofort, Commander!« Riker gebrauchte diese Anrede höchst selten. Und wenn er sie jetzt anwendete, dann drückte er damit aus, daß er den Ernst der Lage erkannt hatte. Ren Dhark wartete eine volle Minute. »Ren? Ich habe euch jetzt voll im Bild. Hier arbeitet nichts. Ich habe soeben noch schnell die ganze Stromzufuhr unterbrochen. Was immer ihr dort für Impulse auffangt, sie können nicht vom Ringraumer kommen.« »Danke, Dan!«
Dhark gab das Vipho zurück. Er wandte sich wieder Tino Grappa zu. Alle Blicke saugten sich an seinem Gesicht fest, als erhofften sie dort eine Erklärung. Mit einem schnellen Blick auf die Amplitude stellte Ren Dhark fest, daß der Dauerimpuls nach wie vor empfangen wurde. »Stellen Sie Messungen an, ob der Ausganggpunkt dieses Impulses gefunden werden kann. Zum Henker, Morris, warum streiken selbst die Hyperfunkgeräte?« Leutnant Glenn Morris strich sich überlegend über das Kinn. Er wußte keine Antwort. Dharks Blick glitt von einem Wissenschaftler zum anderen. Sie senkten beschämt die Blicke. Die Frage galt ihnen gleichermaßen. Eine Antwort wußte nur Arc Doorn. Der Sibirier schob Morris beiseite, beugte sich neben Grappa über das Gerät, studierte es eine Weile, schüttelte den Kopf und sah die Plastik an. »Nun, Arc?« Ungeduldig trat Dhark neben den Techniker. Arc Doorn ließ sich Zeit. Als er sich umdrehte, grinste er. Es geschah selten bei ihm. Aber Dhark wußte, daß er sich über etwas lustig machte. In diesem Sibirier steckte trotz aller Intelligenz ein gehöriges Maß an Schadenfreude. »Schicken Sie diesen Haufen wieder nach Hause, Dhark. Sie sollen sich ihr Schulgeld wiedergeben lassen. Unsere Hyperfunkgeräte können den Impuls deshalb nicht empfangen, weil er wahrscheinlich auf fünfdimensionaler Basis liegt.« Ren Dhark starrte den Sibirier erstaunt an. Ein Murmeln ging durch die Reihen. Grappa tanzte nervös von einem Fuß auf den anderen, Glenn Morris hob resigniert die Schultern, als wollte er sagen: Wer kann das schon wissen! Plötzlich entstand Bewegung in der Menge. Ein kleiner, unscheinbarer Mann zwängte sich durch die Reihen
»Fünfdimensional sagten sie, Dhark?« Seine Stimme klang schrill und hoch. Ohne Rücksicht auf irgendwelche Körperteile der anderen kämpfte er sich neben den Commander der Planeten! »Arc Doorn sagte es.« Ren Dhark lächelte flüchtig. Er kannte Hadrum Ismaran, den Experten für hochenergetische Sendeanlagen. Eigentlich war der kleine Araber mit dem Vogelgesicht nur durch einen Zufall an Bord der POINT OF gekommen. Er hatte einen Kollegen besucht, und niemand hatte seine Anwesenbeit bemerkt, bis der Ringraumer bereits die letzte Ast-Station passiert hatte. Für Ismaran hatte dieser unfreiwillige Ausflug in die Weite des Alls nur ein Schulterzucken bedeutet. So hätte er Zeit und Muße, sich mit seinen Kollegen über dies und jenes auseinanderzusetzen, hatte er nach Ren Dharks Standpauke gesagt. »Fünfdimensional also. Aha. Hm!« Hadrum Ismaran nahm seine Brille ab, putzte sie umständlich, murmelte etwas vor sich hin, das niemand verstehen konnte, und setzte die Brille wieder auf. Durch die dicken Gläser wurden seine Augen eulenhaft vergrößert. Und Arc Doorn verzog sein Gesicht zu einer Grimasse, als er diese Augen so dicht vor sich sah. »Fremde Technik – fremder Funkverkehr. Sehr interessant. Sehr interessant, in der Tat. Darf ich mal?« Nun beugte sich auch der Araber über das Gerät und studierte die Amplitude eingehend. Sein Körper war dabei in ständiger Bewegung. Mit den Händen schien Ismaran Figuren in die Luft zu malen, und doch gab es niemanden in der Menge, der darüber gelacht hätte. Sie alle kannten Ismarans Angewohnheiten. Er rechnete. Was in seinem Hirn vorging, setzten seine Hände in Zahlenkombinationen um. Plötzlich wurde sein Murmeln verständlicher.
»... so müßte es gehen. So muß es gehen. Achtzehn Mega... He! Sie! Doorn! Können Sie einen Sender bauen?« Arc Doorn wechselte einen schnellen Blick mit Ren Dhark. Mürrisch zuckte er dann die Schultern. »Möglich – vielleicht!« »Sicher kann er das«, fiel ihm Dhark ins Wort. »Was haben Sie vor, Ismaran?« »Sehen Sie, Dhark, mit normalen Funkgeräten kommen wir diesem Impuls nicht näher. Wir brauchten einen Sender, der auf gleicher Dimension, auf gleicher Wellenlänge, auf gleicher Frequenz arbeitet.« »Keinen Empfänger – sondern einen Sender?« Hadrum Ismaran kicherte belustigt vor sich hin und massierte seine Hände. »Richtig, mein Junge. Keinen Empfänger, sondern einen Sender. Wir werden diesem Dingsda auch eine Botschaft senden. Vielleicht kommen wir mit ihm ins Gespräch. Hätten Sie etwas dagegen?« Trotz der etwas heiklen Situation mußte Ren Dhark lächeln. Er gab Arc Doorn mit den Augen einen Wink, sich mit Ismaran zusammenzutun und nach seiner Berechnung ein Gerät zu basteln, mit dem der Vorschlag versucht werden sollte. »Kommen Sie, Vogelgesicht«, knurrte Doorn wenig freundlich, packte den kleinen Mann am Arm und zog ihn mit sich fort. »Da bin ich aber gespannt«, murmelte Glenn Morris. »Ich auch«, gestand Ren Dhark nachdenklich. Doorn und der kleine Araber verschwanden in der Schleuse der POINT OF. Dhark sah noch einmal zur Plastik auf. Die drei blauen Sonnen waren eben im Begriff, hinter dem Horizont unterzutauchen. Bald mußte die Nacht hereinbrechen. Die erste Nacht auf Mirac.
Die letzten Strahlen dieser Sonnen ließen das Monument in violettem Licht erscheinen. Die Figur warf einen langen Schatten über diese fremde Landschaft. Bis fast hin über zum Ringraumer reichte das Dunkel des Schattens. Irgendein Geheimnis steckte in dieser Statue. Aber jetzt gab es einen Weg, diesem Geheimnis etwas näher zu kommen. Fünfdimensional! Der Mensch kannte keine fünfdimensionalen Sendeanlagen. Und doch war dieser Körper dort vorn das Abbild eines Menschen. Ein wenig verrückt das Ganze, dachte Ren Dhark belustigt. Sie wußten nicht einmal, in welchem Teil des Universums sie sich befanden. Aber hier vor ihnen wuchs ein Riesenmensch in den Himmel. Ausgerechnet ein Mensch! Wenn es ein Wesen mit fünf Köpfen und einem Schwanz gewesen wäre, hätte sich niemand etwas dabei gedacht. Aber ausgerechnet eine Menschengestalt. Mit Lendenschurz! Ohne Kopf und ohne Arme. Ein Hohn? Sollten sie vielleicht verspottet werden? »Nein!« »Wie bitte?« Ren Dhark fuhr herum. Tino Grappas fragender Blick war auf ihn gerichtet. Ren Dhark strich sich müde über die Augen. Die Anwesenheit der anderen Männer hatte er völlig vergessen. »Ich war nur in Gedanken versunken.« Seine Ausrede klang etwas an den Haaren herbeigezogen. Und er wußte es. »Captain Gernot, sorgen Sie dafür, daß auch bei Dunkelheit die Sicherheitsvorkehrungen eingehalten werden. Und Sie, meine Herren, werden sich mit Scheinwerfern bewaffnen und in Schichten weiterarbeiten. Ich möchte nämlich wissen, ob wir diesem Material nicht vielleicht mit Mysterious-Mitteln zu Leibe rücken können.« Niemand schlief in dieser Nacht.
Zwei Monde krochen langsam über den Horizont. So manch einer der Männer wurde an die Nächte auf Terra erinnert. Ren Dhark ließ alle Stunde heißen Kaffee ausschenken. In diesen Pausen trafen sich die Gruppen, um über ihre Erfolge oder Mißerfolge zu sprechen. Erfolge gab es nicht. Die Statue stand nach wie vor unberührt in der Nacht und schimmerte silbern im Mondlicht. Dharks ganze Hoffnung ruhte nun auf Arc Doorn und Hadrum Ismaran. Ihr Sender mußte es schaffen, das Rätsel zu lösen. Er nahm seine heiße Tasse Kaffee und wanderte zum Sockel hinüber. Das Metall war noch immer warm und glatt. Fast liebevoll strich er darüber hin, lehnte sich dann mit dem Rücken dagegen. Sein Blick glitt zum Himmel hinauf. Irgendwo dort oben lm Dschungel der Sterne gab es eine Sonne, die von neun Planeten umlaufen wurde. Heimat! Heimat der Menschheit? Ren Dhark lauschte. Jemand begann zu singen. Seine Stimme schwang durch die Nacht, und einen Augenblick lang zog Dhark ärgerlich die Brauen zusammen. Aufhören, dachte er. Nicht melancholisch werden! Der Mann sang von der Liebe und vom Mondlicht. Eine Baritonstimme. Arly Scott sang. Der kleine, junge, draufgängerische FlashPilot. Auch ihn hatte es nun gepackt. Liebe. Sehnsucht. Glück. Langsam ging Ren Dhark zum Lagerplatz zurück und lieferte seine Tasse ab. Als er in den hellen Lichtschein trat, sah ihm niemand mehr an, daß auch er für Minuten sentimental geworden war.
Aber er konnte sich diese Weichheit nicht erlauben. Er durfte einfach nicht. »Keine Müdigkeit vorschützen, Leute!« Die Nacht dauerte an. * Das große Ereignis stand unmittelbar bevor. Seit Monaten hatte Jack O'Sullivan nur für diesen einen Tag gelebt. Für diese eine Stunde. Kadett Jack O'Sullivan legte seine Prüfung ab. Fähnrich Jack O'Sullivan. Raumfähnrich und damit Offiziersschüler. Sein Ziel: Leutnant. Offizier unter Commander Ren Dharks Kommando. Der jetzt neunzehnjährige Kadett schien die Ruhe selbst zu sein. Während alle anderen Mitschüler vor Nervosität vergingen, stand er unbeweglich am Panoramafenster und schaute über die weite, glatte Raumhafenpiste hinweg. Sein Blick war ins Leere gerichtet. Er bemerkte nicht die metallisch glitzernden Kugelraumer, das emsige Hin und Her der wendigen Raumhafenfahrzeuge, auch nicht das Kommen und Gehen von Mannschaften und Offizieren beim Stab der Terranischen Flotte. Jack O'Sullivans Blick war hinüber zu den blauschimmernden Bergen gerichtet, über denen die Sonne stand. Cent Field. Der größte Raumhafen Terras. Auch seine Heimat. Hier würde er einst starten, und hierher würde er immer wieder zurückkehren. O'Sullivan sah sich schon in der schmucken Leutnantsuniform mit dem silbernen Kometen auf dem Oberarm. Nie würde er Ren Dharks Blick vergessen, mit dem er ihn das letztemal verabschiedet hatte. Damals waren Ren Dhark
und seine Freunde in arger Bedrängnis gewesen. Er, der junge Kadett, hatte mithelfen können, sie vor dem Zugriff der von Robonen beeinflußten Sicherheitsbeamten zu retten. Ren Dharks Blick hatte Anerkennung ausgedrückt. Auch Freundschaft. Und Vertrauen. Ja, Ren Dhark vertraute ihm. Ob er sich wohl noch an ihn erinnerte? Bestimmt. Jack O'Sullivan steckte sich verträumt lächelnd einen whiskygetränkten Kaugummi in den Mund. Die Kaubewegungen, die nun folgten, hatten seine Lehrer und Ausbilder so manchesmal zur Verzweiflung getrieben. Aber aufgegeben hatte Jack es nie. Allein aus Protest nicht. Jack O'Sullivan war ein Querkopf. Kein Wunder bei ihm. Irisches Blut pulste in seinen Adern. Rote Haare – Sommersprossen, das waren die äußeren Merkmale. Seine grauen Augen konnten manchmal verdammt kalt blitzen. Jack war groß und schlank, besaß schmale Hüften, aber seine eckigen Schultern deuteten an, daß er schon jetzt über unbändige Kraft verfügte. Das vielstimmige Gemurmel um ihn herum störte den angehenden Fähnrich nicht. Er war mit seinen Gedanken weit fort in einer anderen Welt. Als sich eine Hand auf seine Schulter legte, zuckte er daher wie elektrisiert zusammen. Sein Kopf flog ruckartig herum. »He!« entfuhr es Pete Garincha. »Ach, du bist es.« Jack O'Sullivan fühlte sich irgendwie ertappt. Sein Gesicht rötete sich etwas vor Verlegenheit. Pete Garincha kniff die Augen zusammen und legte sein Gesicht in Falten. »Du mußt ja weit weg gewesen sein. Komm zurück auf die Erde. Es ist bald soweit. Hoffentlich hast du nicht noch zu guter Letzt einen Schnitzer gemacht, mein Junge.« Jack biß heftig die Zähne zusammen. Er hörte diese Anrede gar nicht gern. Aber Pete durfte sich den Ausdruck ›mein
Junge‹ schon hin und wieder einmal erlauben. Pete grinste auch sofort, als er Jacks Ablehnung bemerkte. »Nichts für ungut, mein Junge. Sobald du die Kordel des Fähnrichs trägst, werde ich Sie zu dir sagen.« »Quatsch«, knurrte O'Sullivan. Pete Garincha klopfte ihm auf die Schulter und lachte. »Und heute abend wird gefeiert. Du brauchst nicht den Kopf zu schütteln. Wenn ich sage, es wird gefeiert, dann wird gefeiert. Bei mir zu Hause nämlich.« Jack war im ersten Moment sprachlos. Nie zuvor hatte der ehemalige Mechaniker der Terra-Motors und jetzige Beamte der Flugleitung von Cent Field ihn zu sich nach Hause eingeladen. Das war schon mehr als ein bloßer Freundschaftsbeweis. Trotzdem gefiel Jack dieser Gedanke gar nicht so gut. Seit seine Eltern damals beim Strahlenangriff auf Cattan auf dem Planeten Hope ums Leben kamen, war er immer auf Mitleid gestoßen. Er wollte kein Mitleid. Er sträubte sich einfach dagegen. Tief in ihm wurzelte der Haß gegen alles Außerirdische, aber auch gegen die Menschen, die ihn als Kind oft herumgestoßen hatten. Dennoch war er seinen Weg gegangen. Mit zäher Verbissenheit, mit eisernem Willen. Emmal schon war sein Name in aller Munde gewesen. Damals, als er mit einem knallroten Jett vom Typ Hurrikan das erste Jett-Rennen der Welt gewann. Er hatte gesiegt, weil er siegen wollte. Jetzt stand ein neues Ziel vor seinen Augen. »Hör mal«, unterbrach der schwarzhaarige Pete Garincha Jacks Träume, »kommst du nun oder nicht?« »Ja, zum Henker, ich komme. Du gibst ja sonst doch keine Ruhe. Wer wird denn noch alles...«
Die plötzlich eintretende Stille im Saal ließ Jack O'Sullivan stocken. Die Blicke aller versammelten Schüler richteten sich auf das Podium am Kopfende des Saales. Ein paar hohe Offiziere der Terranischen Flotte hatten dort Platz genommen. Ein bulliger Mann mit finsterem Gesicht stellte sich vor das Mikrofon. Captain Aserbaidschan, der Ausbilder. Jack grinste plötzlich amüsiert. »Bist du wahnsinnig«, zischte Pete an seiner Seite. »Er hat sich rasiert«, feixte Jack. »Kommt bei ihm selten vor. Ich wette, er hat schlechte Laune heute.« »Meine Herren!« Aserbaidschans Stimme hallte durch den Saal. Pete hielt sich erschreckt die Ohren zu. »Schreit der immer so?« »Schreien? Im Moment spricht er noch ganz normal!« »Ich bitte um Ruhe«, donnerte Aserbaidschan vom Podium herunter. Jack O'Sullivan konnte erkennen, wie das Gesicht des Ausbilders vor Wut rot anlief. Vor Wut deshalb, weil jemand es wagte, weiterzusprechen, als sei nichts gewesen. Aserbaidschans Blick fiel auch prompt auf Jack O'Sullivan. »Sie haben es wohl nicht nötig, wie? Glauben wohl, alles überstanden zu haben, was? Irrtum, Kadett O'Sullivan. Setzen Sie, sich!« Jack hielt ein paar passende Bemerkungen als Antwort bereit, aber da er nun auch noch alle Blicke der versammelten Offiziere auf sich gerichtet sah, schluckte er die Worte herunter. Er setzte sich, und Pete Garincha duckte sich tief ab, als er neben ihm Platz nahm. »O weh«, hauchte er. »Diese Sorte kenne ich. Hören sich gern schrein.« Jack, winkte ab.
»Halb so schlimm«, gab er kaltlächelnd zurück, ohne dabei die Lippen zu bewegen. »Wir kennen uns.« Inzwischen funkelte Aserbaidschan jeden einzelnen Kadetten im Saal grimmig an. So glaubte er, allen die Lust an Zwischenbemerkungen zu nehmen. Doch sie wußten alle, was sie von Captain Aserbaidschan zu halten hatten. Er war eine Seele von Mensch, wenn man ihn erst einmal persönlich kennengelernt hatte. »Meine Herren! Da Sie sich nun wohl inzwischen ausgesprochen haben, möchte ich damit beginnen, Ihnen zu sagen, daß Sie mich alle durch die Bank schwer enttäuscht haben.« Aserbaidschan räusperte sich und warf einen Seitenblick auf die Gruppe der Offiziere. Deren Gesichter blieben undurchdringlich, aber Jack O'Sullivan glaubte hier und da ein verstecktes Schmunzeln zu erkennen. »Sie enttäuschten mich deshalb«, fuhr der Ausbilder grollend fort, »weil niemand unter ihnen ist – ich sage niemand -«, er brüllte es jetzt, »der die Prüfung nicht bestand!« Sekundenlang herrschte Totenstille. Plötzlich brandete ein Jubel auf. Ein einziger Schrei hallte durch den Saal. Freudentaumel. Junge Männer umarmten sich, schlugen sich auf die Schultern, schrien sich die ganze Angst und Nervosität der letzten Stunde gegenseitig ins Gesicht. Tränen flossen. Freudentränen. Wer diese Minuten vor einer solchen Bekanntgabe kennt, der kann ermessen, wie hier die Wände wackelten. Auch Jack O'Sullivan blieb nicht davon verschont. Obwohl er geglaubt hatte, alles seelenruhig über sich ergehen lassen zu können, kaute er wie irrsinnig auf seinem Kaugummi herum und klatschte immer wieder mit der flachen Hand auf Pete Garinchas Knie. Der schwarzhaarige Techniker freute sich mit ihm. »Geschafft«, jubelte er immerzu. »Geschafft, mein Junge.«
In diesen Minuten stand Captain Aserbaidschan reichlich verloren hinter dem Mikrophon und hielt die Fäuste in die Hüften gestemmt. Er stand gern so, und manch eine bissige Bemerkung unter den Schülern behauptete, er probierte diese Pose heimlich vor dem Spiegel. Wenngleich Aserbaidschans Gesicht auch Grimm und Wut über diesen Freudentaumel ausdrückte – seine Augen besaßen einen etwas glasigen Schimmer. Bengels, dachte er bei sich, verdammte Bengels. Freuen sich wie die Schneekönige und wissen nicht, daß jetzt erst der Ernst des Lebens beginnt. Bald werden sie hinausgeschickt – in die Schwärze des Universums, ins Ungewisse, müssen sich behaupten, sich durchboxen, können sich nicht mehr an Mutters Schürzenende festhalten. Wie viele von ihnen werden wiederkommen? Er ließ ihnen volle drei Minuten. Dann schrie er nur ein Wort ins Mikrophon, das den Jungens dort unten eine Gänsehaut über die Rücken fahren ließ. »Männer!« Die Stille trat so plötzlich ein, als hätte jemand eine schalldichte Tür zugeschlagen. Erwartungsvolle Blicke richteten sich auf den Ausbilder. Leuchtende Augen sahen zu ihm auf. Aserbaidschan räusperte sich, um den Kloß in seiner Kehle loszuwerden. »Meine Herren. Ich bitte um mehr Disziplin. Ich kann verstehen, daß Sie alle froh sind, es endlich überstanden zu haben. Trotzdem führe ich hier noch das Wort. Und nun, meine Herren, lese ich die Namen alphabetisch vor, und Sie treten möglichst ohne jeden Radau vor die Kommission hin, um das Diplom und die Fähnrichschnur in Empfang zu nehmen. Also: Fähnrich Henry Adams!«
Kadett auf Kadett erhob sich und nahm sein Diplom und die Kordel des Fähnrichs in Empfang. Aufregende Minuten im Leben eines jeden jungen Mannes hier im Saal. Aber jeder bewahrte Disziplin. Aserbaidschan funkelte jeden an, der die Zeremonie durch überlaute Freude stören wollte. Eine ganze Stunde verging, und der Buchstabe O war längst vorbei, aber Jack O'Sullivan saß noch immer auf seinem Platz. Verwirrt wartete er darauf, daß er von Captain Aserbaidschan aufgerufen wurde. Pete Garincha versuchte ihn zu trösten. »Du stehst bestimmt unter S. Reine Schikane, sage ich dir. Ich kenne diesen Typ von Ausbildern.« Jack kaute wie wild auf seinem Kaugummi und rutschte bereits unruhig auf seinem Sitz umher. Der Buchstabe S wurde aufgerufen. Gleich mußte sein Name fallen. Vergebens. Fähnrich Jack O'Sullivan wurde nicht aufgerufen. Aserbaidschan wischte sich endlich den Schweiß von der Stirn und nickte der Gruppe von Offizieren zu. Dann wandte er sich wieder zu den jungen Kadetten. »Jemand da, der nicht aufgerufen wurde?« Eine helle Stimme meldete sich. Asher Bronx, der Streber, ein hochgeschossener Kadett mit semmelblondem Haar und Brille, schoß aus seinem Sitz. Irritiert erhob sich auch Jack O'Sullivan. Aber er hielt es unter seiner Würde, sich laut zu melden. »Sie auch, O'Sullivan?« knurrte der Captain. Aber in seinen Augen blitzte der Schalk. Jack begann langsam vor Wut zu kochen. »Sie sollten Ihre Buchführung besser in Ordnung halten, Captain«, rief er spöttisch. Aserbaidschan rang nach Luft. Einer der Offiziere lachte belustigt auf.
»Immer das letzte Wort, O'Sullivan, wie? Na schön. Ich habe Bronx und O'Sullivan nicht etwa vergessen in meiner Liste. Ich habe vorhin lediglich etwas vergessen, als ich sagte, alle hätten die Prüfung bestanden.« Pause. Jacks Herz machte einen wilden Satz. Er spürte das Pochen bis hinauf zum Hals. Sein Gesicht wurde abwechselnd blaß und rot. Aber Aserbaidschan schien sich über seine Verwirrung köstlich zu amüsieren. Nie hatte Jack ihn so feixen sehen. Warte, dachte er zerknirscht, du kommst mir auch noch einmal vor die Fäuste. Nachts, im Dunkeln. Dann kannst du was erleben! Jack fühlte seine Handflächen feucht werden. »Ja, meine Herren!« Der Captain genoß diese Spannung förmlich. »Ich vergaß nämlich zu sagen, daß zwei Schüler unter Ihnen die Prüfung... mit Auszeichnung bestanden haben. Asher Bronx und Jack O'Sullivan! Treten Sie vor!« Wie Jack O'Sullivan durch die Stuhlreihen gekommen war und schließlich vor der Kommission, bestehend aus sieben hohen Offizieren, gestanden hatte, das wußte er später nicht zu sagen. Er war wie im Traum gewandelt. Auf einer Wolke mußte er geschwebt haben. Er sah nur plötzlich diese ausdrucksvollen Gesichter vor sich, hörte ihre Worte, ohne sie zu verstehen. Er mußte Hände schütteln, Schulterklopfen über sich ergehen lassen und dann stand er vor Aserbaidschan. »Gratuliere, O'Sullivan!« Nie zuvor hatte der Captain mit solch einer Wärme in der Stimme zu ihm gesprochen. Nie zuvor hatte Jack die Feuchtigkeit in diesen Augen gesehen. Er hielt Aserbaidschans Hand und glaubte, von einem Schraubstock umklammert worden zu sein. »Danke, Captain«, brachte Jack nur mühsam hervor. »Kopf hoch, mein Junge. Und alles Gute!«
Aserbaidschan ließ seine Hand los und drehte sich brüsk ab. Er verließ den Saal, ohne irgend jemand zu beachten. Jack starrte ihm nach, betroffen, verwirrt und überrascht. »Kommen Sie, Fähnrich O'Sullivan. Jetzt wird gefeiert!« Pete Garincha umfaßte Jacks Schultern und zog ihn mit sich fort. Draußen in der frischen Luft kam O'Sullivan erst wieder richtig zur Besinnung. Er sah zum Himmel empor. Die Nacht war inzwischen hereingebrochen. Ein paar Sterne blitzten hell wie Diamanten. Irgendwo dort oben lag seine Zukunft. * Arc Doorn wischte sich mit einer müden Handbewegung über die Augen. Seufzend richtete er sich auf. »Meinetwegen kann's losgehen!« Ren Dhark sah den Sibirier durchdringend an. »Wenn Sie noch nicht absolut sicher sind, warten wir lieber noch, Doorn. Ich möchte keine Panne erleben.« Arc Doorn zog die dichten Brauen zusammen und starrte den Commander mürrisch an. »Wofür haltet ihr mich denn?« »Das sollte keine Beleichgung sein«, wandte Dhark ein. »Sind Sie sicher, daß es funktioniert?« Arc Doorn maß Ren Dhark von oben bis unten, dann drehte er sich brüsk ab. Diese Frage faßte er als direkte Abwertung seiner technischen Kenntnisse auf. »Also los, Leute. Nach draußen mit dem Sender!« Vier Männer packten den von Arc Doorn und Ismaran provisorisch hergestellten Sender und brachten ihn zur Hauptschleuse der POINT OF.
Niemand hatte Schlaf gefunden, in dieser fremden Nacht. Niemand dachte an Schlaf, obwohl sie sich nur mit Kaffee und Zigaretten wachgehalten hatten. Niemand wollte sich dieses Ereignis entgehen lassen. Der Sockel sendete. Auf fünfdimensionaler Basis. Sie wollten ihm antworten. Ismaran lief händeringend neben den Leuten her. »Vorsicht«, mahnte er immer wieder mit heller Stimme. Er bangte um seine Erfindung. Arc Doorn dagegen stampfte mürrisch durch die Nacht des Planeten Mirac auf den von Scheinwerfern beleuchteten Sockel der dreihundert Meter hohen Statue zu. Stille herrschte hier draußen. Ein leises Säuseln lag in der Luft. Der Wind umspielte die riesige metallene Menschengestalt. Weiße Gesichter sahen der kleinen Gruppe entgegen. Rotumränderte Augen folgten dem Sender. Doorn baute sich breitbeinig vor dem mächtigen Sockel der Statue auf und stemmte die Fäuste in die Hüften. »Hierher«, befahl er. Die Träger sahen sich nach Ren Dhark um. Der junge Commander der Planeten nickte nur zustimmend. Das kastenförmige Gerät wurde in den bläulichen Sand gestellt. Langsam traten die anderen Männer heran. Eine schweigende Masse dichtgedrängt stehender Leiber. Hadrum Ismaran zitterte am ganzen Leib. Offenbar traute er seiner eigenen Erfindung nicht. Immer wieder putzte er umständlich seine Brille, setzte sie auf, rückte sie mehrfach zurecht und war doch noch immer nicht zufrieden. Ren Dhark starrte Arc Doorns Rücken an. Langsam wurde er ungeduldig. »Worauf warten wir noch?«
Doorn schwieg. Er starrte den Sockel an, dessen Metall das Licht der Scheinwerfer kalt reflektierte. »Wir warten noch«, knurrte er angriffslustig. Dhark wechselte einen schnellen Blick mit Tino Grappa. Der dunkelhaarige Ortungsspezialist der POINT OF nickte in Richtung auf das andere Gerät, mit dem die Impulse des Sockels aufgefangen werden konnten. Der Sockel sendete also noch. »Gleich müssen die Sonnen aufgehen!« Ren Dhark drehte sich einmal im Kreis. Wahrhaftig. Hinter ihnen funkelte der Horizont in violettem Licht. In kurzer Zeit mußten die drei blauen Sonnen über den Horizont steigen. »Gut. Warten wir noch ein paar Minuten. Inzwischen bitte ich um die Testergebnisse. Doraner!« Der Flash-Pilot trat durch den Ring. Ihm sah man die durchwachte Nacht nicht an. Eine Zigarette klebte in seinem Mundwinkel. Doraner warf nur einen Blick in die Höhe, hinauf zur mächtigen Gestalt aus Metall, dann nickte er. »Höhe der Statue 310 Meter. Zusammen mit dem Sockel 395 Meter. Genaue Maße des Sockels: hundertdreiundachtzig mal hundertvierundneunzig Meter.« Doraners Bericht klang rein militärisch. Als er seine Daten heruntergeleiert hatte, begann um die Männer herum der Himmel aufzuflammen. Alle sahen empor. Drei blaue Kugeln stiegen über den Horizont. Das Monument wurde voll getroffen und blitzte strahlend auf. Auch die POINT OF lag da wie ein in blauen Flammen stehendes Raumschiff. Ein erhabenes Bild bot sich den Betrachtern. Einen Augenblick lang vergaßen sie, daß sie sich in einem Teil des Universums befanden, den sie selbst nicht kannten. Diese Schönheit des Naturbildes faszinierte alle. Einschließlich Ren Dhark.
Arc Doorn schien nicht viel von sentimentalen Anwandlungen zu halten. »Kann losgehen«, knurrte er grob. Seine Stimme brachte Dhark wieder in die Wirklichkeit zurück. »Treten Sie bitte alle zurück. Sie wissen, welche Aufgabe Sie haben. Jeder beobachtet seine Instrumente. Ich möchte sofort informiert werden, wenn irgend etwas Unerwartetes festgestellt wird.« Der große Augenblick stand unmittelbar bevor. Noch einmal umlief Ismaran seine Sendeanlage. Seine Lippen zuckten verräterisch. Er sprach ständig etwas vor sich hin, ohne daß ihn jemand verstehen konnte. »Das Vipho, bitte!« Ein kleines Funkgerät wurde Ren Dhark gereicht. »Hallo, Dan?« »Auf Empfang, Ren.« Dan Rikers Stimme vibrierte etwas. »Aufgeregt, alter Junge?« Ren Dhark schmunzelte flüchtig. Aber in seinen Augen stand dennoch ein kaltes Leuchten. Riker gab auf die Frage keine Antwort. »Hier an Bord ist alles vorbereitet, Ren. Der Checkmaster wird sofort reagieren.« »In Ordnung, Dan!« Ren Dhark wollte die Unterhaltung schon wieder beenden. »Halt! Noch etwas, Ren.« »Ja?« »Viel Erfolg!« Erfolg! Erfolg konnten sie gebrauchen. Alle erdenklichen Vorsichtsmaßnahmen waren getroffen. Alle Empfangsgeräte liefen. Niemand wußte, was nach der Sendung mit dem gerade angefertigten Gerät geschehen würde.
Ein neuer Tag auf Mirac war hereingebrochen. Drei blaue Sonnen ergossen ihr Licht über die Terraner. Arc Doorn beugte sich über das Gerät. Hadrum Ismaran kniete an seiner Seite. Hochrot war sein sonst so bleiches, eingefallenes Gesicht. Vor Aufregung wußte Ismaran nicht, wo er seine Hände lassen sollte. Doorn drehte sich noch einmal um, sah Ren Dhark an, und einen Augenblick blickten sie sich fragend an. Dhark nickte ermunternd. Arc Doorn ließ seine Hände sanft über die Knöpfe gleiten. Fasziniert erkannten die Zuschauer, daß dieser Mann mit der eckigen Gestalt und dem harten Gesichtsausdruck auch zärtlicher Gefühle fähig war. Dhark hatte plötzlich den Eindruck, einem Pianisten zuzusehen. Die Sendung lief. Niemand wagte zu atmen. Jeder Mann hatte das Gefühl, als sei die Luft dieses Planeten plötzlich voller Elektrizität, die sich jeden Moment entladen konnte. Verzerrte Gesichter ruckten hin und her. Die Blicke glitten von Arc Doorn und seinem Sendegerät hinüber zum Sockel des Monuments. Sekundenlang schien selbst der Wind den Atem anzuhalten. Totenstille herrschte. Was dann geschah, brach so unvermittelt über die Terraner herein, daß es fast zu einer Panik gekommen wäre. Obwohl fast jeder mit etwas Außerordentlichem gerechnet hatte, war der Erfolg ihrer Sendung doch verblüffend. Arc Doorn stand noch halbgebeugt über dem Sender, die Hände auf den Tasten ruhend. Neben ihm kniete noch Ismaran, mit weitaufgerissenen Augen auf die Instrumente starrend. Hinter ihnen, in angespannter Haltung, stand Ren Dhark, der den Sockel nicht aus den Augen ließ.
Zuerst vernahm man ein seltsames Rumoren, das an irdische Beben erinnerte. Sanft zuerst, immer stärker werdend. Zuletzt mit infernalischem Donner. Die ersten Männer begannen zu laufen. Sie rannten auf die Schleuse der POINT OF zu, als hätten sie den Teufel im Nacken. »Zurück!« Ren Dhark schrie es aus voller Kehle. Er selbst blieb jedoch stehen und sah zu der Metallfigur auf. Er glaubte sie wanken zu sehen, und einen furchtbaren Augenblick lang machte er sich schwere Vorwürfe, den Auftrag für diese Sendung erteilt zu haben. Vernichteten sie dieses Bauwerk? Mußte der Mensch immer wieder, egal wohin er kam, zerstören? Aber die Figur blieb stehen. Dafür geschah etwas anderes, etwas, das niemand für möglich gehalten hätte. Etwa in der Mitte des Sockels begann ein merkwürdiges Kreischen das Grollen des Bebens zu übertönen. Fasziniert richteten sich Dharks Blicke auf diese Stelle. Er fühlte eine Berührung an der Schulter, und ohne hinzusehen wußte er, daß Arc Doorn neben ihm stand. Beide staunten den Erfolg ihrer Sendung an. Ein Geysir schien zu erwachen. Eine Sandfontäne wurde hoch hinausgeschleudert. Ein paar Brocken flogen Dhark und Doorn um die Ohren, klatschten auf den selbstgebauten Sender, zertrümmerten eines der Instrumente. Dhark und Are Doorn achteten nicht darauf. Ihre Augen waren weit geöffnet. Die Entsetzensschreie der Männer wurden übertönt. Ein Koloß erwachte. Das Fundament der Statue ächzte und stöhnte. Es hörte sich grausam an, feindselig.
Dharks Rechte klammerte sich um den Griff der Strahlwaffe. Er wußte nicht, daß er in diesem Augenblick totenbleich war. Seine Lippen zuckten. Arc Doorn hingegen stand trotzig da. Den Unterkiefer hatte er aggressiv nach vorn geschoben. Seine Augen bildeten schmale Schlitze. Keiner der beiden Männer sprach. Dhark gestand sich ein, daß er am liebsten geflohen wäre. Aber irgend etwas Unerklärliches hielt ihn hier fest, zwang ihn, den Sockel anzusehen. Tief im Innern wußte er, daß ihnen nichts geschehen würde, daß nichts Feindseliges in diesem Planetenbeben war. Ein Planetenbeben? Dharks Augen weiteten sich erstaunt. Ein tiefes Loch tat sich auf. Kein Vulkan wurde hier geboren. Der Sockel lebte. Der Sockel des Monuments öffnete sich. Erdreich bis zu einer Höhe von acht Metern, das im Laufe der Jahrtausende angeweht worden war, wurde einfach zur Seite geschoben. Eine titanische Faust schien aus dem Sockel herauszulangen und eine Tür aufzustoßen. Arc Doorns Sendung hatte Erfolg. Ein Tor öffnete sich einladend. Zwei mächtige Türflügel von gewaltigen Ausmaßen schwangen nach außen auf. So plötzlich, wie das Beben entstanden war, so abrupt hörte es auch wieder auf. Arc Doorn und Ren Dhark standen keine zehn Meter von der dunklen Öffnung im Sockel entfernt. Verstaubt, staunend, betroffen. Totenstille umgab sie.
Hinter ihnen, zusammengedrängt in der Schleuse der POINT OF, warteten die anderen Terraner. Auch dort Verwirrung, Staunen, ungläubige Gesichter. Dhark fuhr sich mit der Zunge über die spröden Lippen. Er brauchte nicht laut zu sprechen. Sie alle hörten ihn. Aber seine Stimme klang heiser, und eine Spur grenzenlosen Staunens klang aus seinen Worten. »Wir nehmen die Einladung an!« * Jack O’Sullivan sah sie zum erstenmal. Sie war schwarzhaarig wie ihr Vater. Sie sah ihn auch aus den gleichen braunen Augen an, die ihn so sehr an Pete Garincha erinnerten. Aber sie war viel schlanker als Pete. Und – Jack registrierte das mit erschreckendem Herzklopfen – sie war schön. »Das ist Nita«, sagte Pete brummend. »Meine Tochter. Sie wollte dich mal kennenlernen. Alle Welt spricht von dir, und mir machte sie schreckliche Vorwürfe, daß ich dich nie mit nach Hause brachte. Ihr hast du es zu verdanken, daß ich diese Party gebe. Nun starrt euch nicht so verdammt komisch an. Gebt euch die Hände.« Pete sprach hastig. Ohne Punkt, ohne Komma. Jack hörte ihn gar nicht. Er sah in dieses junge, straffe Gesicht mit den braunen Augen, der kleinen, geraden Nase und den wundervollen, lockenden Lippen. Zum Teufel. Jack O'Sullivans Herz begann schmerzhaft gegen die Rippen zu klopfen. Er fühlte, wie eine siedende Hitze in ihm hochkroch, den Hals passierte und die Stirn erreichte. Er wurde rot wie ein Schuljunge. Unwillkürlich begann Jack das Mädchen zu hassen.
Nicht, weil sie schön war. Nicht, weil sie Petes Tochter war, und auch nicht, weil sie Nita hieß. Ganz einfach deshalb, weil sie ihn hier so hilflos stehen ließ und ihm die Sprache raubte. Er hörte sich selbst etwas sagen. »Wußte gar nicht, daß du eine Tochter hast. Hast mir nie etwas davon erzählt, Pete.« Er redete immer weiter. Er hatte keine Ahnung, was für dummes Zeug er da herausbrachte. Nur nicht länger in diese braunen Augen sehen müssen. »Kommen Sie, Jack. Ich darf doch Jack sagen, ja? Ich möchte Sie meiner Mutter vorstellen.« Jetzt redete sie auch noch. Diese Stimme! Jack hatte Mädchen immer gehaßt. Ganz einfach deshalb, weil er nie etwas mit ihnen anzufangen wußte. Wenn andere Jungen in seinem Alter ein Rendezvous hätten, war er immer abseits geblieben. Irgendwie war Jack in den großen Raum gekommen, den sie für diese Party hergerichtet hatten. Dann stand er Nitas Mutter gegenüber. Jack starrte die kleine, etwas rundliche Frau betroffen an. Sie streckte die Arme nach ihm aus und zog ihn an ihre Brust. Tränen schimmerten in ihren Augen. »Mein Junge«, sagte sie leise. »Ich freue mich, daß wir uns endlich einmal kennenlernen. Fühlen Sie sich hier bei uns wie zu Hause. Sie werden immer willkommen sein. Jack konnte darauf nichts sagen. Ein Kloß steckte weit oben in seinem Hals. Seine ganze Kindheit stand mit einemmal vor seinen Augen. Er konnte sich kaum noch an Vater und Mutter erinnern. Aber diese gütigen Augen von Nitas Mutter – die weckten eine vage Erinnerung in ihm. Seit Jahren hatte er sich nach solchen Blicken gesehnt. Aber die anderen hatten ihn immer nur herumgestoßen. Er war hart
geworden. Ein junger Mann von neunzehn Jahren, dem etliche Jahre der Kindheit einfach fehlten. Fang jetzt nur nicht an zu heulen, Jack! Er rief sich innerlich zur Ordnung und machte sich von den weichen Armen der Frau frei. Erst jetzt sah er diese braunen Augen. Nita blickte ihn die ganze Zeit unverwandt an. Eine unergründliche Tiefe lag in diesem Blick. Jack begann sich zu schämen. Nita nagte etwas nachdenklich an ihrer Unterlippe. Plötzlich lachte sie. Aber in diesem Lachen klang keine Spur von Spott oder Ironie mit. Sie lachte einfach, weil sie sich über irgend etwas freute. »Kommen Sie, Jack Die anderen warten schon auf Sie!« Sie streckte ihm ihre schmale Hand hin, und ohne es zu wollen, griff Jack danach. Wie im Traum glitt er durch das riesige Apartment. Stimmengewirr umgab ihn, junges, unkompliziertes Gelächter, Fröhlichkeit. Er entdeckte bekannte Gesichter, Freunde aus der Kadettenschule. Und sie alle hatten ein Mädchen mitgebracht. Ungezwungen tanzten sie oder standen in Gruppen zusammen. »Hallo, Jack!« Alle Blicke richteten sich auf ihn. Jack stand nie gern im Mittelpunkt des Interesses anderer Leute. »Unser Starkadett!« rief jemand den Mädchen erklärend zu. Jack verkrampfte sich. »Aus euch spricht nur der Neid«, verteidigte ihn Nita. »Kommen Sie, Jack. Wir holen uns einen Drink!« Nur langsam taute Jack auf. Später konnte er sich nicht mehr daran erinnern, wie er diese Stunden hinter sich gebracht hatte Einmal wollte ihn Nita mit auf die Tanzfläche schleifen. Da war sein irisches Blut durchgekommen. Trotzig hatte er sie einfach stehengelassen. Er konnte nicht tanzen. Dieses verrückte Verrenken der Glieder haßte er mehr als alles andere
auf der Welt. Und wenn er den anderen dabei zusah, konnte ihm übel werden. Ein Mann mußte hart sein, sagte er sich. Er war hart. Er wollte auch hart bleiben. Die Sterne waren sein Ziel, andere Planeten, andere Sonnen, Kampf, Eroberung, Gefahren des Weltalls. Auch Ren Dhark war hart. Seine Hände umklammerten die Balustrade des Balkons. Sehnsüchtig blickte er zum Himmel empor. Eine Lichterglocke lag über der Riesenstadt. Die Stielbauten reckten sich fast bis in das Schwarz des Himmels hinein. Aber dort oben glitzerten ferne Welten. Als sich eine Hand auf seine Schulter legte, zuckte Jack irritiert zusammen. Ohne hinzusehen wußte er, daß Nita wieder neben ihm stand. Durch die offene Balkontür drang das Lachen und der heiße Rhythmus der Tanzmusik. Nita sagte nichts. Jack war ihr dankbar dafür. Fast schien es ihm, als verstünde sie ihn besser als irgend jemand anders. Eigentlich unglaublich. Männer wie Clint Derek oder Jos Aachten van Haag, Antony Parr oder Chris Shanton, ja, die hatten ihn verstanden und ihn wortlos in ihren Kreis aufgenommen. Ohne sich an seiner Jugend zu stoßen, ohne überlegen auf ihn herabzusehen. »Eines Tages, Jack, werden Sie dort irgendwo zwischen den Sternen treiben«, sagte Nita plötzlich so leise, daß er es kaum verstehen konnte. Ich kann Sie verstehen, ich kann auch Ihre Sehnsucht begreifen. Aber glauben Sie nicht, daß es auch noch etwas anderes im Leben geben könnte?« Jack drehte ganz langsam den Kopf. Zuerst verstand er ihre Frage nicht. Aber als er in ihre Augen sah, den merkwürdigen Schimmer darin erkannte, die lockenden Lippen betrachtete – da packte ihn etwas Unerklärliches. Ehe er sich versah, faßte er nach ihren Schultern. Er riß das Mädchen an sich und die Welt verging um ihn her.
Für Sekunden setzten seine Gedanken aus. Er spürte nur dieses wilde, nie gekannte Rasen des Herzens. Diese Faust, die die Kehle zuschnürte. Diese heiße Glut, die den ganzen Körper erfaßte. Irgend jemand holte überrascht Luft. Dieses Atemgeräusch ließ Jack O'Sullivan erwachen. Sein Gesicht überzog sich mit einer tiefen Röte. Er ließ die Schultern Nitas los und blickte Pete Garincha an. Pete lächelte geheimnisvoll, und als Jack eine Entschuldigung stammeln wollte, schüttelte er den Kopf. »Ich habe eine Nachricht für dich. Ich glaube, es ist eine gute Nachricht.« Sein Blick streifte Nita, die langsam den Blick zu Boden senkte und lautlos ins Zimmer huschte. »Ja?« Jacks Stimme klang rauh und heiser. Er biß sich die Lippen blutig. Narr, nannte er sich, Idiot. Du bist nicht besser als all die anderen dort im Raum. »Soeben wurde beschlossen, daß ihr Raumfähnriche euer Praktikum bereits morgen antreten werdet, Die KHAN mit Kommandant Ma-Ugode wird als Schulschiff eingesetzt.« Pete grinste, als Jack die Hände zu Fäusten ballte und langsam wieder zu sich selbst fand. »Stehen Sie stramm, Fähnrich O'Sullivan. Sie sehen hier den Zweiten Ingenieur der KHAN vor sich.« »Wie?« Irritiert blinzelte Jack. Er glaubte, sich verhört zu haben. »Du willst an Bord der KHAN...« Aber das war alles so völlig unwichtig. Jack drehte sich um und sah noch einmal zu den Sternen auf. Ich komme, dachte er. Ein Stück näher würde er bereits morgen sein. Einen Schritt näher seinem Ziel! In Dharks Nähe.
* Ren Dhark wußte nichts von den Sehnsüchten eines jungen Mannes. Er hätte sich im Augenblick auch kaum damit beschäftigen können. Ren Dhark stand vor einer ungeheuren Entdeckung. Der Sockel des Monuments hatte sich einladend geöffnet. Ein dunkler Eingang gähnte vor ihm. Die beiden riesigen Torflügel besaßen unglaubliche Ausmaße. Etwa zwanzig Meter breit und achtunddreißig Meter hoch waren sie. Das Material hatte eine Stärke von mehr als einem und einem halben Meter. Der Wunsch, den Eingang sofort zu betreten, wurde in Ren Dhark übermächtig. Er besann sich jedoch auf seine Verantwortung gegenüber der POINT OF und seinen Männern. Langsam traten sie alle wieder heran. Ehrfürchtig fast. Niemand wagte zu sprechen. Das Staunen hielt an. Dhark und Arc Doorn, die noch immer nebeneinander standen, wechselten einen schnellen Blick. In den Augen des Sibiriers stand das Leuchten, das bei jedem Abenteuer beobachtet werden kann, wenn er eine Entdeckung macht. »Gernot!« Dharks Stimme vibrierte leicht. Der Sicherheitsoffizier der POINT OF trat von hinten heran. Schweißperlen bedeckten seine Stirn. »Sie achten darauf, daß alle Sicherheitsvorkehrungen eingehalten werden. Ich rufe jetzt ein paar Namen auf. Diese Leute werden mich und Doorn begleiten. Niemand anders.« »Sie wollen wirklich in dieses... in dieses große Loch hinuntersteigen?« »Ich will, Gernot!« Dharks Entschluß stand fest. Er informierte Dan Riker, der noch immer in der Befehlszentrale des Ringraumers saß und nun ebenfalls vor übereilter Handlung warnte.
Dhark achtete nicht auf seine Einwände. Er rief ein paar Namen auf. »Dr. Glennard! Ismaran! Grappa! Dr. Getrup! Leutnant Morris! Leutnant Scott! Alle anderen bleiben hier, bis sie von mir den ausdrücklichen Befehl bekommen, uns zu folgen. Bin ich verstanden worden?« Die aufgerufenen Männer traten vor und schlossen sich Arc Doorn an. Der Sibirier marschierte bereits auf den Eingang des Sockels zu. Dhark folgte seinen Leuten. Er fieberte vor Spannung und Erregung. Vielleicht fand er hier im Innern des Sockels einen Hinweis auf die Erbauer des Monuments. Vielleicht traf er auf Spuren der Menschheit. Bevor er sich der Gruft anvertraute, warf er noch einen letzten Blick in die Runde. Die drei blauen Sonnen waren inzwischen gewandert. Sie standen schräg über dem Ringraumer und ergossen ihr kaltes, fast violettes Licht auf die Unitallhülle. Dhark schloß geblendet die Augen und warf sich entschlossen herum. Dumpfe, modrige Luft schlug ihm entgegen. Vor ihm erklangen die zögernden Schritte der Vorangeeilten. Dr. Getrups geräuschvolles Atmen wurde hörbar. Der Junge Wissenschaftler für Kybernetik und Grundlagenforschung drehte sich nach Dhark um. »Wie in einem Mausoleum«, flüsterte er erregt. Dhark huschte an ihm vorbei, passierte die anderen Leute und stand plötzlich neben Arc Doorn, der beide Arme ausgestreckt hielt. In der absoluten Finsternis vor ihnen erschien ein Licht. Es schien zu flackern, zu vergehen, um dann wiederzukommen. Man konnte nichts erkennen. Aber irgendwie hatte Ren Dhark das Gefühl, in einem riesigen Saal zu stehen und von tausend Augen beobachtet zu werden.
»Licht«, sagte er leise. Ein metallisches Klicken ertönte hinter ihm. Aber noch ehe Tino Grappa seinen Scheinwerfer aufblitzen lassen konnte, wurde es taghell um sie. Dhark wich unwillkürlich einen Schritt zurück. Arc Doorn blieb jedoch stehen. Unbekümmert fast. Sie befanden sich in einem gigantischen Hohlraum. Wände und Decken leuchteten in kaltem Licht. Niemand vermochte eine Lichtquelle zu erkennen, aber diese Helligkeit war da. Überall. Dhark wußte nicht genau, was er hier eigentlich erwartet hatte. Aber im ersten Moment war er maßlos enttäuscht. Wie ihm erging es allen anderen. Kein überraschter Ausruf brach von ihren Lippen, kein ehrfürchtiges Staunen erfüllte sie. Der Hohlraum war leer. Nicht ganz. In der Mitte dieses mehr als hundert mal hundert Meter großen Raumes befand sich ein merkwürdiges Gebilde, das langsam in einem kräftigen Blau zu leuchten begann. Die Blicke der Terraner saugten sich daran fest. Arc Doorn und Ren Dhark traten als einzige zögernd darauf zu. Sie wechselten einen schnellen Blick. Sie erkannten es wieder. Sie zweifelten noch. Beide dachten dasselbe. Sie beide hatten dieses Gebilde schon einmal gesehen. Damals. Im Höhlensystem von Deluge. Auf Hope. Oder nicht? Dharks Schritte wurden schneller. Unmittelbar vor dem kaum fußhohen Gebilde blieb er stehen. Sein Blick strich über die Anlage hinweg. Er versuchte, sich daran zu erinnern, was sie damals auf Deluge gesehen hatten. Das Symbol einer Galaxis. Spiralform. Spiralarme.
Wenn dieses Gebilde hier nicht genau das gleiche war, dann besaß es doch gewisse Ähnlichkeiten. Langsam traten auch die anderen näher, umringten das mit dem Boden verbundene Gebilde von etwa acht Metern Länge und einer Breite von fünf Metern. Das blaue Leuchten ließ die Gesichter verzerrt erscheinen. Maßlose Enttäuschung war in diesen Gesichtern zu erkennen. Ren Dhark selbst war auch ein wenig enttäuscht. Nur Arc Doorn schien befriedigt zu sein. Er grinste schwach vor sich hin, in Gedanken versunken. »Sehen Sie nach oben, Dhark!« Dr. Glennard wies mit dem ausgestreckten Arm zu der leicht gewölbten Decke empor. Die Köpfe ruckten herum. Mit einiger Phantasie konnte man erkennen, daß sich unter dem Gleißen der Decke fremdartige Spruchbänder abzeichneten. Beweis einstiger Kultur. Fremde Wesen mochten hier vor Tausenden von Jahren ihre Geschichte eingegraben haben. Zur Unterrichtung der Nachwelt. Ob sie damals ahnten, daß der Mensch sich eines Tages hierher verirrt? fragte sich Ren Dhark. Die hier unten versammelten Wissenschaftler versuchten sogleich, Sinn und Bedeutung der fremden Zeichen zu enträtseln. Dhark benutzte das Funkgerät. »Gernot! Schicken Sie uns Professor Tschu Hin herein. Wir brauchen einen Archäologen. Er soll noch ein paar helle Köpfe mitbringen.« Wenig später erschien der Asiate mit seinem Stab. In der Gruft des Sockels begann es zu leben. Dhark und Arc Doorn versuchten inzwischen herauszufinden, wo und vor allem warum der Dauerimpuls auf 5-d-Basis ausgestrahlt worden war. »Können Sie den Impuls noch empfangen, Grappa?« »Nein, Dhark. Wie abgeschnitten.«
Ren Dhark ging wie ein gereizter Tiger durch den Hohlraum. Inzwischen hatte sich der modrige, dumpfe Geruch verloren. Frischluft war hereingeströmt. Zwei schwerbewaffnete Posten hatten sich links und rechts des Eingangs aufgebaut, um den Rückzug der Männer zu sichern. Gernot mußte sie dorthin beordert haben. Bei seinem Rundgang hätte Dhark ihnen am liebsten einen anderen Auftrag gegeben, denn er bezweifelte, daß sie gegen diese massiven Torflügel etwas ausrichten konnten. Aber er wollte ihnen die Illusion nicht rauben. Arc Doorn und einige andere Besatzungsmitglieder der POINT OF stellten Experimente an, um den Ausgangspunkt des Dauerimpulses zu finden. Umsonst. Stunden vergingen. Nichts geschah. Die Decken und Wände des Hohlraums strahlten weiterhin ihr kaltes Licht auf die Männer herab, und die Nachbildung der Galaxis verbreitete weiterhin intensives, kräftiges Blaulicht. Nichts änderte sich. Man kam keinen Schritt vorwärts. Unbehagen beschlich die Männer. Sie fühlten sich irgendwie genarrt und verhöhnt. Dhark spürte die Unruhe. »Schluß, Leute. Es hat keinen Sinn mehr, kostbare Zeit zu opfern. Geben wir die Versuche auf. Wir haben keinen Erfolg!« * Dhark irrte sich. Er wußte es nicht. Niemand wußte es. Seit Monaten arbeiteten die Astrophysiker Professor Vince Ossorn, Claus Bentheim und Wren Craig auf Hope, um endlich des Rätsels Lösung dieser Anlage zu finden. Aber diese industrielle Mammutanlage weigerte sich immer noch hartnäckig, ihr Geheimnis preiszugeben.
Ossorn und Bentheim standen zusammen in dieser neunhundert Quadratkilometer großen Riesenhalle. Viphos mußte man benutzen, um sich anderen Mitarbeitern gegenüber verständlich zu machen. Es war unmöglich, von einem Ende der Halle das andere zu sehen. Dreißig Kilometer lang waren die Wände. Die Decke spannte sich neunhundert Meter hoch. Ossorn nagte gerade nachdenklich an seiner Unterlippe. »Ich glaube, wir schaffen es nie«, murmelte er. Bentheim lachte. »Sie sind ein Pessimist, Ossorn. Sie werden sehen, eines Tages finden wir eine Erklärung, und wir alle werden uns an den Kopf fassen und sagen: Warum sind wir nicht längst darauf gekommen.« »Sie sehen die Sache ein wenig zu einfach...« »Unsinn. Beobachten Sie unsere Leute. Überall wird gearbeitet. Ihnen macht es Spaß, diese fremde Technik zu studieren. Einer wird es eines Tages schaffen, hinter das Geheimnis zu kommen. Vielleicht ist er heute noch nicht geboren. Aber einer schafft es. Ich bin sicher.« »Ihren Optimismus möchte ich haben«, stöhnte Ossorn, strich sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht und griff nach seinem Funksprechgerät. »Möchte wissen, wo Craig steckt.« »Vielleicht hat er das Geheimnis schon gefunden«, witzelte Bentheim. Ossorn warf ihm einen funkelnden Blick zu und drückte die Sprechtaste. »Craig! Wo stecken Sie denn? Es wird Zeit!« Bentheim trat an eines der nächsten Mammutaggregate heran. Ein paar Techniker unterzogen es einer genauen Kontrolle. Sie sahen aus wie Ärzte, die sich um einen Patienten bemühen. Stethoskope steckten in den Ohren der Leute, die
jeden Millimeter absuchten, horchten, den Kopf schüttelten, weitermachten. So manch einer hielt seine Arbeit für nutzlose Zeitverschwendung. Aber aufgeben würde niemand. Bentheim sah den Leuten einen Moment zu, dann trat er zu Ossorn zurück. »Lassen Sie doch das verdammte Ding in Ruhe, Craig. Es wird Zeit für unseren Funkspruch nach Terra. Kommen Sie schon!« Ossorn schaltete die Sendung ab und wandte sich mit einem Achselzucken an Bentheim. »Craig glaubt immer noch, den Riesentransmitter in Betrieb setzen zu können. Ein Narr ist er. Genau wie Sie, Bentheim. Ich habe die Hoffnung längst aufgegeben.« Bentheim schüttelte den Kopf. »Warum bleiben Sie eigentlich immer noch auf Hope? Ich an Ihrer Stelle hätte mich längst wieder nach Terra begeben. Sie sollten mehr Zutrauen haben, Ossorn. Wenn Sie schon nicht mehr an Ihr Glück glauben wollen, dann verderben Sie uns nicht auch noch die Laune.« »Vielleicht sollte ich wirklich nach Alamo Gordo zurückgehen«, murmelte Ossorn und wandte sich ab. Bentheim folgte dem Kollegen. Allein Ossorns Schritt ließ sich anmerken, wie niedergeschlagen er war. Monatelang bemühten sie sich nun schon um diese Mammutanlage. Voller Enthusiasmus waren sie hergekommen. Aber sie waren in der ganzen Sache nicht einen einzigen Schritt weitergekommen. Der Industrie-Dom hielt der terranischen Technik stand. Bentheim nickte einigen Technikern ermunternd zu. Die gute Laune der Leute mußte erhalten werden, wenn sie nicht eines Tages alle den Mut verlieren sollten. Die Halle lag nach wie vor in saphirblauem Licht. Seit Jahren schon. Die Mammut-Maschinen-Aggregate steckten
schon seit den Anfangstagen in glatter, grauschimmernder Verkleidung. Niemand wußte warum, niemand kannte die Bedeutung dieser oder jener Maschine, wußte, warum sie schwieg. Ossorn und Bentheim näherten sich dem Zentrum der Halle. Die Aggregate und Maschinen, die hier in scheinbar wahllosem Durcheinander aufgestellt waren, steckten in blauvioletter, fugendichter Verpackung. Unitall. Die härteste, seltsamste Metallart der die terranische Wissenschaft bisher begegnet war. Das Material, aus dem auch der Ringraumer bestand, von dem niemand wußte, wo er zur Zeit steckte. Irgendwo zwischen den Sternen. Im Dschungel des Universums! Bentheims Gedanken wanderten in diesem Augenblick zu Ren Dhark. »Und wenn Jahre vergehen«, hatte der junge Commander irgendwann gesagt, »einmal wird es uns gelingen.« Claus Bentheim glaubte ganz fest daran. Er war nicht einer jener alten, halb verkalkten Wissenschaftler, die da glaubten, für alles und jedes Fremde sofort eine plausible Erklärung finden zu müssen. Daß die Mysterious den Terranern in ihrer Technik weit voraus waren, mußte bereits ein Kind eingesehen haben. Bentheim fand es daher ganz natürlich, daß man Jahre brauchte, um hinter das Geheimnis auf Deluge zu kommen. Er machte sich nichts vor. Er lehnte sich gegen eine der kühlen Verkleidungen eines Aggregates und wartete, bis Ossorn mit seiner Unterhaltung mit einem Techniker fertig war. Seine Hand strich nahezu liebevoll über das Material. Es besaß einen merkwürdigen seidenen Glanz, der diesen blauvioletten Schimmer zu erzeugen schien. Eine harte Nuß. Eine verdammt harte Nuß.
Claus Bentheim grübelte darüber nach, ob sie alle nicht von einer ganz falschen Voraussetzung ausgegangen waren, indem sie schwierige wissenschaftliche Probleme wälzten. Vielleicht denkt der Mensch falsch! Vielleicht können wir uns nicht von unserem eingefahrenen Weg lösen, unserer geistigen Einbahnstraße. Wir sehen nicht mehr, was vielleicht rechts und links am Wegrand liegt, zum Greifen nahe. Bentheim horchte auf das menschliche Raunen, auf die Geräusche, die von den Technikern verursacht wurden. Ansonsten war es totenstill in der Mammuthalle. Ein Koloß schlief! * Der Koloß erwachte! Urplötzlich. Sinnverwirrend. Explosionsartig. Bentheims Gedanken wurden wie von einer Rasierklinge abgeschnitten. Seine Hand erhielt einen Schlag. Er zuckte zurück. Die Augen traten fast aus den Höhlen. Noch eben hatte sich das Unitall kühl, glatt, seidig angefühlt. Plötzlich schien es voller Elektrizität zu stecken. Bentheim starrte seine Hand an und glaubte zuerst an einen Spuk. Aber dann horchte er verwirrt auf. Schreien um ihn. Menschen in höchster Not schrien so. Menschen in Todesangst. Panik erfaßte die nächsten Techniker. Die ersten Männer rannten, als ginge es um ihr Leben. Auch Ossorn rannte. Bentheim sah sein verzerrtes Gesicht, die wild durch die Luft rudernden Arme. Ossorn schrie ihm etwas zu. Bentheim sah auch, daß der Kollege die Lippen bewegte. Aber er konnte nichts hören. Claus Bentheim schien taub zu sein.
Doch dann gewöhnte sich sein Gehör langsam an die Geräusche. Geräusche? Das waren keine Geräusche mehr. Das war Chaos! Die Hölle! Die Totenstille der Mammutanlage existierte nicht mehr. Ein Gigant war erwacht. Zu neuem Leben. Die Aggregate surrten, pfiffen, heulten. Von den vorher so toten Verkleidungen ging ein Vibrieren aus, das Bentheim fast von den Beinen riß. Bentheim kannte keine Angst. Ein Gedankenfetzen jagte durch sein Hirn. Während alle Männer um ihn herum ihr Heil in der Flucht suchten, stand Claus Bentheim neben einem wie irrsinnig kreischenden Aggregat und starrte die leuchtende Verkleidung an. Irgend jemand hat auf irgendeinen richtigen Knopf gedrückt! Immer wieder dachte er es. Ein Kind vielleicht. So einfach war es. Sie suchten hier seit Monaten nach einer schwierigen Formel, nach einer wissenschaftlichen Erklärung – und da ging ein Unbekannter hin und machte Narren aus ihnen. Bentheim stand plötzlich inmitten des Chaos und lachte, bis ihm die Tränen über die Wangen liefen. Er beruhigte sich erst wieder, als Wren Craig plötzlich von irgendwoher auftauchte und sich erregt durch das kurzgeschorene graue Haar strich. »Sehen Sie! Dort!« Verstehen konnte Bentheim kein Wort bei dem Getöse entfesselter Gewalten. Aber sein Blick folgte dem ausgestreckten Arm des Kollegen. Die im Zentrum des Industrie-Doms schwebende Ringröhre stand in hellem Leuchten. Es handelte sich um eine gigantische Konstruktion, deren fugenlose Verkleidung das Licht wie ein Parabolspiegel
zurückwarf. Eine leuchtende ringförmige Röhre. Eine Röhre von mehr als hundert Metern im Durchmesser. Sie schwebte genau im Zentrum der gigantischen Halle in etwa hundert Metern Höhe, als hielte sie dort eine mächtige Faust fest. Aber es gab offensichtlich keine Verbindung, weder zum Boden noch zur Decke. Die Röhre leuchtete in einem Ultrablau. Etwas Unfaßbares, Unerklärliches ging von diesem Etwas aus. Man vermochte es nicht mit den Händen zu fassen, und man konnte es auch nicht mit dem normalen Verstand begreifen. Dan Riker und Ren Dhark hatten vor Jahren selbst einmal unter dieser Röhre gestanden und ihren Augen nicht getraut. Jetzt begann dieses Etwas wieder zu leben. Langsam gingen Wren Craig und Claus Bentheim auf den freien Platz unterhalb dieser Ringröhre zu. Merkwürdig. Die Geräusche schienen hinter ihnen zurückzubleiben. Als hätte jemand einen Schutzwall um sie herum aufgerichtet. Je näher sie dem Zentrum kamen, desto stiller wurde es. Nur der Boden unter ihren Füßen schien zu singen. Glockentönen gleich. »Wer hat die Maschinen angestellt, Craig?« Bentheim mußte seine Frage zweimal wiederholen, ehe der grauhaarige Kollege sie verstand. Er war mit seinen Gedanken in einer ganz anderen Welt. Craig zuckte jedoch nur hilflos die Schultern. »Sie können mich vierteilen, Bentheim. Ich weiß es nicht.« Minutenlang verwellten die beiden unterhalb der Ringröhre, in andächtiges Schwelgen gehüllt. In bewundernder Anerkennung einer Wesensart, die sie nie kennenlernen würden. Bentheim löste sich als erster aus der Beklemmung. Er griff nach Craigs Schulter und zog ihn sanft zum Ausgang hin.
Professor Ingen nahm sie in Empfang, der Chef der hier untersuchenden Wissenschaftler. Der kleine Mann mit dem Ledergesicht. Ein Forscher, der bis zum Umfallen arbeiten konnte, ohne sich und seinen Leuten eine Pause zu gönnen. Aber er stand genau wie alle anderen vor einem Rätsel. »Sie sind die beiden letzten«, seufzte er resigniert. »Haben Sie die Maschinerie in Bewegung gesetzt?« Bentheim schüttelte den Kopf, Craig zuckte hilflos die Schultern. »Verdammt«, murmelte Professor Ingen. Und dann noch einmal: »Verdammt!« Aus seinem Mund ein Beweis völliger Ratlosigkeit. Er drehte sich um, und alle erkannten eine tiefe Müdigkeit in den eingesunkenen Schultern. »Wir müssen Terra informieren. Geben Sie einen To-FunkBericht, Bentheim. Denken Sie sich was Nettes aus. Wir brauchen mehr Unterstützung. Und noch etwas.« Ingen sah über die Schulter und schien in jedem einzelnen Gesicht zu forschen. »Der Riesentransmitter ist zum Leben erwacht. In Ihrem eigenen Interesse rate ich Ihnen, nicht zu nahe heranzugehen. Kann sein, daß Sie plötzlich in der Hölle wieder aufwachen. Vielleicht auch im Himmel. Fragt sich nur, wie unsere freundlichen Erbauer der Anlage diese feinen Unterschiede markierten.« Bentheim schüttelte sich. Da hatten sie monatelang versucht, diesen Transmitter in Tätigkeit zu setzen, und nun stand ihnen der Weg ins Unbekannte frei. Eine erregte Neugier packte ihn. * Claus Bentheim sah sich zunächst einmal sorgfältig um. Niemand folgte ihm.
Er versuchte, möglichst leise aufzutreten, damit die von Professor Ingen aufgestellten Wachen nicht auf ihn aufmerksam werden konnten. Außerdem unterstützte ihn der mörderische Krach der gesamten Anlage. Bentheim hatte es längst aufgegeben, sich darüber Gedanken zu machen, wofür, warum und weshalb diese Anlage überhaupt lief. Nur noch ein einziger Gedanke beherrschte ihn: Der Materietransmitter! Irgendwie mußte dieses Instrument den Schlüssel liefern. Hunderte von Blicken hatte er dem Transmitter bereits zugewandt. Überlegt. Gerechnet. Kombiniert. Bentheim glaubte, jedes einzelne Schaltelement im Traum zeichnen zu können. Das Fremde an diesem Instrument kam ihm überhaupt nicht mehr fremd vor. Nur das Inbetriebsetzen – das hatte er ebensowenig wie alle anderen fertiggebracht. Jetzt lief der Transmitter. Bentheims Schritte wurden langsamer. Er fühlte Hitze in sich aufsteigen. Der Wunsch, selbst einen Test zu versuchen, wurde übermächtig. Aber dieser Anblick erregte ihm derart, daß ihn gleichzeitig mit der Hitze eine Art Schüttelfrost packte. Er zitterte. Die Beine wurden schwer wie Blei. Die Kreisfläche, die von der grauen Transmitter-Antenne gebildet wurde, flimmerte fluoreszierend. Die Instrumente an der Wand zeigten Maximalwerte. Bentheim fühlte sich von dem aufstrahlenden Leuchten wie hypnotisiert. Er schleppte sich die letzten Schritte vorwärts, nur von seinem eisernen Willen getrieben. Eine innere Stimme versuchte, ihn zum Umkehren zu bewegen. Zurück, Claus Bentheim! Keinen Schritt weiter! Es ist dein Untergang! Ein Schritt zuviel – und du landest in der Hölle!
Bentheim biß die Zähne so fest zusammen, daß ihm die Kiefer schmerzten. Der Schweiß rann in Bächen von seiner Stirn. Bentheim merkte es nicht. Er spürte nicht einmal das Beißen des Schweißes in den Augen. Sein Blick hatte in diesem Augenblick etwas Fanatisches in sich. Diese Gelegenheit kommt nie wieder! Bentheim sah nicht mehr, was rechts und links lag. Er sah nur noch dieses Leuchten. Was lag dahinter? Eine andere Welt? Ein anderes Leben? Himmel oder Hölle? Tod vielleicht? Wenn du nicht hineinsteigst, wirst du es nie erfahren, Claus Bentheim! Bentheim keuchte vor Aufregung. Jetzt oder nie! Ein einziger Schritt noch. Das Fluoreszieren hüllte ihn schon ein, ließ keinen Platz für andere Wahrnehmungen. Ein feines Singen schien ihn zu umfangen. Ein Geräusch, das die Nerven zu beruhigen schien, das einlullte. Der rasende, schmerzende Herzschlag beruhigte sich. Der Schweiß auf der Stirn trocknete. Ein verzerrtes Lächeln bedeckte Bentheims Gesicht. Ich komme! Er fühlte sich plötzlich leicht wie eine Feder. Das Blei war von seinen Füßen gefallen. Der Entschluß stand fest. Claus Bentheim streckte die Arme aus. Sein rechter Fuß hob sich zum entscheidenden Schritt. Da packte ihn eine Faust. Hart, brutal, feindselig! Die Faust riß ihn zurück, warf ihn zu Boden. Ein Schrei hallte durch das tiefe, einschläfernde Rot. Ein Wutschrei!
Bentheim starrte haßerfüllt in ein schweißnasses Gesicht. Dunkle Augen beherrschten es. Er kannte diese Augen. Aber er kannte nicht diesen Ausdruck der Augen. Angst, Verzweiflung lagen darin. Die Augen Wren Craigs. Craig bewegte die Lippen, sagte etwas. Bentheim verstand kein Wort. Er verstand überhaupt nichts. In seinen Ohren klang immer noch dieses lockende Singen, das jetzt von einem harten, rauschenden Brausen übertönt wurde. Das Blut stieg Bentheim in den Kopf. Er ballte die Fäuste und schnellte sich vom Boden hoch. Craig reagierte blitzschnell, wich dem Schlag geschickt aus und hieb seinerseits zu. Bentheim schnappte irritiert nach Luft – und da begann sein Gehör wieder zu arbeiten. Sein eigenes Keuchen und der rasselnde Atem des Kollegen existierte wieder. »Blutiger Narr... Idiot... hirnverbrannter Tor... Kommen Sie zu sich, verdammt noch mal!« Craig fragte nicht lange. Er packte zu, griff nach Bentheims Arm und zerrte ihn mit unwiderstehlicher Gewalt von diesem roten Leuchten fort. Erschöpft sank der junge Wissenschaftler zu Boden. Er schloß die Augen. Ein dumpfes Pochen war in seinem Kopf. Ich habe den Verstand verloren, dachte er immer wieder. Es wurde übermächtig. Wie ein Befehl! Eine Suggestion! Langsam begriff Bentheim. Er sah auf und nickte Wren Craig zu. Der Kollege stand etwas abseits, die Fäuste in die Hüften gestemmt. Und er war nicht allein. Sie standen alle um ihn. Ingen, Ossorn, all die anderen. Sie starrten ihn an, als betrachteten sie ein interessantes Studienobjekt. Lauernd. Wie Wolfsblicke, kam es Bentheim vor.
Sie müssen mich für wahnsinnig halten, durchzuckte es ihn. Langsam begriff er. Er versuchte zu lächeln, aber dieses Lächeln artete nur in eine Grimasse aus. »Versteht ihr denn nicht? Ich weiß nicht, wie es über mich kam. Ach, zum Teufel. Laßt mich in Ruhe Ich werde mich hüten, diese Teufelei an mir auszuprobieren. Gebt mir eine Zigarette!« Craig gab ihm eine Zigarette. Dabei sprach er auf Bentheim ein, als hätte er es mit einem Schwerkranken zu tun. Inzwischen diskutierten Professor Ingen und die anderen über die neue Situation. »Kann sein, daß dieses Leuchten eine Art Wunschtraum im Menschen weckt, wenn man zu nahe herangeht.« »Unsinn! Manchmal überkommt es doch jeden von uns, einmal etwas ganz Verrücktes zu tun. Wir sind eben Menschen, von Gefühlen beherrscht. Bentheim macht da keine Ausnahme. In Zukunft werde ich hier eine starke Wache zurücklassen. Mindestens drei Mann. Ich hoffe, die können wenigstens aufeinander aufpassen«, fügte er mit einem müden Lächeln hinzu. Claus Bentheim erholte sich schnell. Er erhob sich und schob Craig von sich. »Hören Sie auf, mich wie ein Kind zu behandeln«, knurrte er ärgerlich. Dann sah er an der Gruppe diskutierender Wissenschaftler vorbei auf das Flimmern, das unentwegt die TransmitterAntenne einhüllte. »Aber wissen möchte ich doch, wohin die Reise gehen würde«, murmelte er. »Das wollen wir alle wissen, Bentheim. Wir haben auch bereits einen Plan entwickelt. Kommen Sie.«
Craig schien die Aufgabe übernommen zu haben, Bentheim nicht aus den Augen zu lassen. Er hielt sich immer in unmittelbarer Nähe des jungen blonden Wissenschaftlers auf. Bentheim bemerkte es wohl, aber er sagte nichts dazu. Er fand es selbst unerklärlich, sich wie ein Narr benommen zu haben. Als Versuchskaninchen war er sich denn doch zu schade. Vorsichtig näherten sie sich der Transmitter-Antenne. Eigentlich erwartete Bentheim, daß ihn dieser Wunsch, dieser Zwang wieder packen würde. Aber nichts geschah. Völlig nüchtern konnte er Schritt um Schritt näher an dieses intensive Leuchten herangehen, ohne Blei an den Füßen zu spüren, ohne loslaufen zu wollen. »Sehen Sie mich doch nicht immer so verdammt komisch an, Craig. Ich bin ganz normal. Merken Sie das immer noch nicht?« »Möglich – vielleicht«, brummte Craig. Mehr nicht. »So, meine Herren!« Professor Ingen streckte die Arme aus und hielt seine Mitarbeiter zurück. Sie starrten in das Fluoreszieren hinein. Jeder von ihnen vernahm das feine Singen, das von ihm ausging. Sie horchten einen Augenblick auf dieses Geräusch. Dann schüttelte Ingen den Kopf »Merkwürdig. Sehr merkwürdig.« Er hielt plötzlich einen winzigen Gegenstand in der Hand, betrachtete ihn eingehend und nickte. »Hier sehen Sie meinen Elektroschreiber, meine Herren. Er soll den Versuch einleiten.« Ingen wog den Schreiber noch einmal nachdenklich in der Hand, dann machte er einen Schritt auf die graue TransmitterAntenne zu. Das Leuchten schien ihn völlig verschlingen zu wollen. Die anderen Wissenschaftler hielten entsetzt den Atem an.
Da trat Ingen jedoch schon wieder zurück. Seine Stirn glänzte feucht. »Verschwunden«, sagte er verwirrt. »Einfach verschwunden. Haben Sie etwas gemerkt?« Niemand bewegte sich. Sie alle blickten entgeistert auf das Flimmern. Nichts hatte sich daran geändert. Kein Flackern; kein Geräusch war laut geworden. Der Elektroschreiber jedoch war verschwunden. Einer der Männer stieß plötzlich ein Lachen aus. Es klang ein wenig irr, verzweifelt. »Wir sollten einen größeren Gegenstand nehmen«, schlug jemand vor. Craig löste seinen Scheinwerfer von der Brust. »Hier, Professor.« Doch Ingen schüttelte mißmutig den Kopf. »Versuchen Sie es selbst, Craig.« Der grauhaarige Wissenschaftler leckte sich einmal mit der Zunge über die Lippen, sah Bentheim an und trat vor. So weit wie Ingen traute er sich nicht. Er hob den Arm, warf die Lampe in das Fluoreszieren hinein, glaubte, ein schnelles Aufleuchten erkennen zu können – und die Lampe war verschwunden. Das Singen blieb. Auch das Leuchten. Sonst nichts. »So werden wir nie etwas erfahren!« Die Männer drehten sich nach dem Sprecher um. Bentheim starrte nachdenklich auf den Transmitter. »Ich bin sicher, daß der Weg irgendwo hinführen muß. Reden Sie mir nicht von Hölle. Das ist Unsinn. Die Mysterious werden diese Maschine benutzt haben, um schnell weite Strecken zu überbrücken. Das heißt, sie haben irgendwo eine Empfangsstation gebaut, wo sie sich ebenfalls sicher fühlten.« »Richtig. Spinnen Sie Ihren Faden weiter«, forderte ihn Ingen auf, als Bentheim stockte.
Bentheim nickte nachdenklich. »Wenn wir also annehmen können, daß wir auf einem anderen Planeten ankommen werden, auf dem wir vielleicht weitere technische Anlagen der Mysterious finden, besteht die Möglichkeit, mit unserer Forschung viel schneller voranzukommen.« Eine Minute Schweigen. »Bevor keine absolute Sicherheit besteht, lehne ich jede freiwillige Meldung ab«, brummte Ingen. Bentheim lächelte gequält. »Das wollte ich damit nicht zum Ausdruck bringen, Natürlich reizt dieser Transmitter ungemein. Vielleicht, meine Herren... vielleicht führt er uns sogar auf einen Planeten, auf dem die Mysterious heute noch leben. Wer weiß es?« Damit waren die anderen jedoch gar nicht einverstanden. Es gab auch gute Gründe für diese Haltung. »Na schön«, lenkte Bentheim ein. »Dann sollten wir aber folgenden Versuch machen: Wir stecken ein paar Hyperfunksender in den Transmitter und lassen uns berichten, wohin die Reise ging.« Der Vorschlag fand allgemeine Anerkennung. In aller Eile ließ Professor Ingen einige automatisch arbeitende Sender herbeischaffen. Die notwendigen Empfangsanlagen wurden installiert, gestimmt und eingestellt. Jeder einzelne Wissenschaftler konnte sich davon überzeugen, daß die Sender einwandfrei arbeiteten, ihre Impulse völlig normal aufgefangen wurden. Das Abenteuerfieber hatte die Männer gepackt. »Jetzt brauchen wir nur noch festzustellen, in welchem Teil des Weltalls der erste Sender wieder zu arbeiten beginnt.« Selbst Ingen also konnte seine Erregung kaum verbergen. Seine Stimme zitterte ein wenig. Bentheim nahm den ersten Sender auf. Entschlossen trat er auf die kreisrunde Antenne zu. Noch einmal drehte er sich um.
»Alles klar?«« »Alles klar!« Eine schwungvolle Bewegung – und der Sender verschwand in der fluoreszierenden Kreisfläche. Ein Blitz schien aus der Feuerwand brechen zu wollen. Abwehrend hob Bentheim die Hände, aber der Spuk war so schnell vorbei, als hätte er eine optische Täuschung erlebt. Bentheims Herz klopfte bis zum Hals. Vorsichtig trat er zurück zu den anderen. Dort herrschte tiefes Schweigen. Alle Blicke blieben auf die Skala des Empfängers gerichtet. Sie starrten die Nadel an. Sie rührte sich nicht. Blieb tot. Kein Ausschlagen in die erwartete Richtung. Fehlschlag! Bentheim begann, leise in sich hineinzufluchen. »Vielleicht haben Sie im entscheidenden Moment den Kippschalter herumgeworfen.« »Bin ich ein Anfänger?« »Entschuldigen Sie. So war das nicht gemeint.« Bange Minuten vergingen. Was die terranische Wissenschaft über Materietransmitter wußte, ließ diese Männer vermuten, daß auch bei dieser Anlage das gleiche Gesetz herrschte. Entmaterialisierung im Augenblick des Eintretens in die Transmitter-Antenne – Rematerialisierung fast im selben Augenblick in der Empfangsanlage. Aber der Sender schwieg. »Neuer Versuch!« So leicht ließ sich ein Mann wie Professor Ingen nicht aus der Fassung bringen. Ein neuer Sender wurde fertiggemacht. Das alte Spiel begann. Sendefrequenz gemessen, reguliert, geprüft, für ausreichend befunden. Diesmal nahm sich Wren Craig der Sache an.
Claus Bentheim blieb neben dem Empfangsgerät stehen und beobachtete das ständige Spiel der Skala. Ein Zeiger pendelte ziemlich konstant auf dem eingestellten Bereich. Während alle anderen Wren Craig beobachteten, der mit recht grimmigen Schritten auf die Zone zuschritt, saugte sich Bentheims Blick an dem Zeiger fest. Ingen sprach leise mit sich selbst. Er zählte Craigs Schritte. »... sieben... acht... halt... Achtung – fertig – jetzt!« Der Sender verschwand. Bentheim schien es, als wollte die Skala vor seinen Augen verschwimmen. Seine Augen spielten ihm einen Streich. Aber er sah es ganz deutlich! Der Zeiger kam urplötzlich zum Stillstand. Begann zu zittern. Schlug wie wahnsinnig nach rechts und links. Und mit einemmal stand er im Bereich negativer Zahlen. Völlig verrückt, durchzuckte es Bentheim. Dann war Schluß. Die Kontrolleuchte erlosch. Der Zeiger kam zurück und berührte den Nullpunkt. Aus. Ende der Sendung. »Teufel, Teufel«, brummte Professor Ingen erschüttert. Nachdenklich massierte er seine Schläfen und schüttelte wiederholt den Kopf. »Es gibt nur eine Möglichkeit. Der Sender hat seinen Geist aufgegeben.« An diese Möglichkeit wollte Ingen nicht so recht glauben. Er legte Bentheim die Hand auf die Schulter. »Ihnen würde es nicht besser ergehen, Bentheim. Also versuchen Sie es lieber nicht. Es sei denn... Sie suchten eine neue Methode des Selbstmords. Garantiert schmerzlos, könnte ich mir vorstellen. Mir will die Sache nicht so recht gefallen.« Niemandem wollte sie gefallen.
Noch zwei Stunden lang versuchten sie es, einen Sender durch den Transmitter zu schicken, aber es gelang nicht. Schließlich brach Professor Ingen den Versuch ab. Ärgerlich kratzte er sich am Kopf. »Nach dem Motto: Operation geglückt – Patient tot«, knurrte er erbost. »Ich bin sicher, die Sender gehen durch, nur arbeiten können sie nicht mehr. Hat jetzt noch jemand Lust, sich selbst als Versuchskaninchen zu betätigen?« Niemand verspürte Lust. Nicht einmal Claus Bentheim. Als sich alle Blicke auf ihn konzentrierten, drehte er sich brüsk ab und begab sich zum Ausgang. In der Funkstation trafen sie sich alle wieder. Professor Ingen blieb keine andere Wahl, als Henner Trawisheim von dem Mißerfolg zu berichten. Aber eine gute Nachricht konnte er dennoch nach Terra durchgeben: »Die totgeglaubte Mysterious-Anlage auf Hope lebt.« * Nie zuvor hatte man ihn derart nervös gesehen. Nicht einmal bei dem ersten Jett-Rennen der, Welt, Damals schien er ein Junge ohne Nerven gewesen zu sein. Millionen Zuschauer erinnerten sich an das Bild der TV-Übertragung, als der schlaksige rothaarige Junge in seinen knallroten Jett geklettert war. Leger, lässig. Aber dies hier war ganz anders. Jack O'Sullivan stand neben dem »Streber« im ersten Glied. Aber er konnte nicht stillstehen und stur geradeaus sehen. Es gab so vieles, was ihn faszinierte. Nicht die unübersehbare Menschenmenge, die sich hinter der Absperrung befand. Das Murmeln der Massen füllte den riesigen Raumhafen Cent Field. Angehörige der neugebackenen Fähnriche standen dort, Mütter, Väter, Geschwister, enge und
nahe Freunde. Stolze Angehörige der Fähnriche! Aber Jack hatte vor einer halben Stunde auch Bilder gesehen, die ihn ein wenig mit Bitterkeit füllten. Umarmungen, Abschiedstränen. Ihn hatte niemand verabschiedet. Nicht einmal Nita. Captain Aserbaidschan schritt die Front ab. Er sah aus wie ein geschmückter Pavian, fand Jack. Alle Orden, die er irgendwann einmal erhalten hatte, prangten auf seiner Brust. Aber Aserbaidschans Augen leuchteten. Wenn auch sein Gesicht grimmig wie immer aussah, glaubte Jack so etwas wie Vaterstolz an diesem untersetzten Kadettenausbilder zu erkennen. Neben Aserbaidschan schritt ein schlanker, großer Mann mit einem asketischen Gesicht. Seine scharfen Gesichtszüge erinnerten Jack an Bilder alter Inkas. Auch die Augen strahlten ein seltsames Feuer aus. Sie glühten wie feurige Kohlen. Dieser Mann trug die schmucklose Uniform der Raumfahrer. Kein Orden zierte seine Brust. Nur die Kometen auf seinem Oberarm und an den Spiegeln kennzeichneten ihn als Kommandanten eines Raumschiffes. Kommandant Ma-Ugode. Gegen ihn wirkte Aserbaidschan klein und häßlich. Trotzdem versuchte der Captain mit dem Oberst Schritt zu halten. Jack sah ihnen erwartungsvoll entgegen. Plötzlich trafen sich ihre Blicke. Sekundenlang nur. Aber Jack fühlte im selben Moment einen heißen Schauer über seinen Rücken jagen. Wie Stahl, dachte er erregt. Wie Stahl und Eis zugleich. Hart und verwegen. Brutal, wenn es sein mußte, aber gerecht. Das war sein Eindruck von Oberst Ma-Ugode.
Ein Raumfahrer im Gefolge Ren Dharks. Männer, auf die sich der Commander immer und überall verlassen konnte. Männer – wie er einer werden wollte. Eine Sekunde genügte, um Jack klarzumachen, daß er diesen Mann mochte. Da schritt Ma-Ugode auch schon an ihm vorbei. Aserbaidschan warf den jungen Fähnrich einen schnellen Blick zu. In seinen Augen stand ein deutlicher Vorwurf über die etwas zu lässige Haltung O'Sullivans. Jack grinste aggressiv. Im nächsten Moment stand er stramm. Ma-Ugode wirbelte mit einer zackigen Bewegung herum und musterte die Front. Wie ein Denkmal, durchzuckte es Jack heiß. Heilige Sterne, welch eine Gestalt! »Meine Herren«, sagte der Oberst, ohne dabei die Stimme zu heben. Doch Jack glaubte, daß seine Worte über den ganzen Raumhafen zu hören sein mußten. Die Stimme klirrte wie Eis. »Sie werden jetzt gruppenweise an Bord gehen. Ich brauche Ihnen sicher nicht zu sagen, daß ich auf eiserne Disziplin Wert lege. Sie sind jetzt Raumfahrer, die den Kinderschuhen entwachsen sind. Meine Herren Offiziere werden Sie wie normale Besatzungsmitglieder behandeln. Von Ihnen erwarte ich unbedingte Einhaltung meiner Befehle und Einhaltung der Bordvorschriften. Ihr Ausbilder wird Sie sicher darüber informiert haben. Wenn Sie Fragen haben sollten, wenden Sie sich an meine Offiziere oder an mich. Und noch etwas.« Ma-Ugode drehte sich leicht nach rechts und ließ seinen Blick über die weit entfernten Bauten der Terranischen Flotte gleiten. »Im Auftrag der Regierung wünsche ich Ihnen eine gute Reise. Sie wird kein Zuckerlecken sein. Aber das wissen Sie sicher selbst. Unser Reiseziel ist der Planet Hope. Bitte, Captain!«
Ma-Ugode nickte Aserbaidschan kurz zu, dann trat er zurück. Der Ausbilder übernahm wieder das Kommando. Jack hörte seine Befehle und gehorchte fast automatisch. Noch einmal sah er in die Ferne. Die blauschimmernden Berge lagen im letzten Licht der untergehenden Sonne. Ein paar Wolkenfetzen jagten darüber hin. Neben dem »Streber« Asher Bronx betrat Jack O'Sullivan die Schräge des Raumschiffes, die hinauf zur Schleuse führte. Plötzlich herrschte tiefe Stille über Cent Field. Die Menschenmassen schienen den Atem anzuhalten. Jack drehte sich noch einmal um. Er schluckte. Irgendwo in dieser Traube wartender Menschen stand ein einsames Mädchen. Schwarzhaarig, braunäugig, schlank – und liebenswert. Nita Garincha. Jemand schob von hinten. Jack mußte weiterstolpern. Nimm dich zusammen, schalt er sich. Jetzt ist keine Zeit, an Frauen zu denken. Frauen? Jack wußte, daß Nita ihm den Haß auf das weibliche Geschlecht ausgetrieben hatte. Seit er Nita kannte, spürte er in sich eine ganz neue Welt. Etwas, das er selbst nicht beschreiben konnte. Ein Gefühl, das ihn von innen zu verbrennen drohte. Er hatte sich dagegen zu wehren versucht und sich verflucht. Er wollte nicht weich werden. Sein Ziel lag vor ihm, von dem er keinen Schritt abweichen würde. Niemals. Die Halbfinsternis des Raumschiffes nahm ihn auf. Zum erstenmal betrat er ein Raumschiff. Da brandete hinter ihm der Jubel auf. Die Männer und Frauen hinter der Absperrung begannen mit Taschentüchern zu winken, Hüte zu schwenken, zu jubeln, zu lachen, zu weinen.
Abschied von Terra. Still und verschlossen betrat Jack O'Sullivan die Kabine, die er sich mit Asher Bronx zu teilen hatte. Noch immer lag dieser Jubelschrei der Massen in seinem Ohr. Ob auch Nita gejubelt hatte? Aber schon im nächsten Moment vergaß er Nita und den Jubel. Das Neue nahm ihn gefangen. Seine neue Umwelt, das Ziel seiner Sehnsucht. An Bord eines Raumschiffes! Fasziniert betrachtete er die Koje, die eingebauten Schränke, aber vor allem das technische Drumherum. Kaskadenartige Lichter huschten über eine kleine Instrumentenwand. Alle Farben schillerten darauf, Lampen flammten auf, flackerten, erloschen wieder. Ein Bildschirm gähnte ihn dunkel an. Die Sprechrillen der Bordverständigung fesselten ihn. Dies war seine Welt. Die neue Welt des Jack O'Sullivan. Raumfähnrich Jack O'Sullivan. Stolz erfüllte ihn plötzlich. Der Stolz eines jungen Mannes, der sich seinem Ziel einen gewaltigen Schritt näher weiß. Das Neue nahm sie alle so gefangen, daß sie kaum merkten, wie schnell die Zeit verstrich. Schon klangen die ersten Befehle durch die Bordlautsprecher. Wortfetzen füllten die Gänge und Kabinen. Die jungen Fähnriche lauschten und zitterten erwartungsvoll. Die Bildschirme flammten auf. Gierige Blicke saugten sich daran fest. Cent Field. Menschenmassen, die plötzlich den Atem anhielten. Die KHAN lag noch ruhig auf der Piste. Dann ging ein kaum merkliches Zittern durch den riesigen Kugelleib des Schiffes.
Es gab junge Fähnriche, deren Augen nun aufleuchteten. Anderen schnürte es vor Angst die Kehle zu. Jack O'Sullivan gehörte zu der ersten Sorte. Er lauschte auf die Befehle aus der Kommandozentrale, beeindruckt von der scheinbaren Gleichgültigkeit in der Stimme des Kommandanten. Niemand von der Besatzung schien erregt zu sein. Alle Manöver liefen ab wie ein oft einstudiertes Schauspiel. Ein eingespieltes Team. Dann war es soweit. Der Kugelraumer bewegte sich. An Bord merkte man es nur an der steten Veränderung des Bildes auf den Schirmen. Die KHAN sprang den Himmel an. Dort, wo eben noch ein riesiger Kugelraumer gelegen hatte, war eine schleierartige Wolke entstanden. Hinter den brodelnden Schwaden zuckte und wetterleuchtete es. Eine orangefarbene Flamme stieß steil in den Himmel hinein. Cent Field fiel von den Schirmen ab. Sprunghaft verkleinerte sich die riesige Piste. Ameisen bedeckten sie – Menschen, die dem Raumschiff nachsahen. Dort, wo das Schiff die Lufthülle durchstieß, brachen glühende Gasmoleküle in das entstandene Vakuum ein. Von unten sah es aus wie ein leuchtender Kamin, der sich in den Weiten des Raumes verlor. Jack O'Sullivan stand vor dem Bildschirm seiner Kabine. Zum erstenmal sah er selbst die Schwärze des Alls. Der Weltraum hüllte ihn ein. Seine Augen leuchteten. »Ren Dhark, ich komme!« * »Noch immer keine Verbindung nach Terra?«
Leutnant Glenn Morris zuckte hilflos die Schultern. »Noch immer nicht, Dhark!« »Macht nichts. Nur nicht den Mut verlieren.« Dhark klopfte dem Chef der Funk-Z beruhigend auf die Schultern. Nur nicht den Mut verlieren! Wie oft war er selbst schon nahe daran gewesen, aufzugeben. Aber sie erwarteten mehr von ihm als von jedem anderen Menschen. Auf ihm ruhten ihre Blicke, lagen die Hoffnungen der Männer der POINT OF. Es war nicht das erstemal, daß man die Verbindung zu Terra verloren hatte. Irgendeinen Weg würde es auch diesmal wieder geben. Irgendwann. Manchmal mußte Dhark schauspielerische Qualitäten in sich mobilisieren, wenn den anderen der Mut sank. Wenn sie die Hoffnung aufgeben wollten, dann brauchten sie ihn mehr als sonst. Seine Zuversicht, sein unerschütterlicher Glaube rüttelte sie wieder auf. »Ren Dhark verließ die Funk-Z und begab sich in die Kommandozentrale. Dan Riker saß vor dem Checkmaster. Er drehte sich um und warf einen Blick über die Schulter. Er wirkte müde, überreizt. »Ich löse dich ab, Dan! Hau dich in die Falle!« Riker schüttelte unwillig den Kopf. »Ich könnte jetzt nicht schlafen, Ren.« Dhark sah den Freund durchdringend an. »Ich kann Leute nicht ausstehen, die sich meinen Anordnungen widersetzen«, brummte er mit leichtem Spott. Riker starrte ihn einen Augenblick sprachlos an. »Du meinst...« »Ich meine, du sollst jetzt verschwinden und dich ausschlafen. Also los. In acht Stunden kannst du mich wieder ablösen.«
Dan Riker stemmte sich müde aus seinem Sitz. Er massierte seinen Nacken und gähnte herzhaft. »Die beiden Flash mit Doraner und Scott sind wie verabredet auf Entdeckungsfahrt über dem Planeten. Flash 007 mit Pietr Wonzeff macht einen Abstecher durch das Blue-Star-System. Er wird sich jeden Augenblick melden.« »Und die wissenschaftliche Abteilung?« »Professor Tschu Hin hat Ismaran abgelöst und versucht, mit Hilfe der C-14-Analyse das Alter dieses Monuments zu erfahren.« Ren Dhark wurde erregt. »Schon etwas dabei herausgekommen?« Dan Riker schüttelte unwillig den Kopf. »Noch nicht. Was soll's auch? Glaubst du, wenn wir das Alter dieser Statue kennen, kommen wir einen Schritt...« »Eine ganze Meile weiter sind wir dann, Dan. Los, verschwinde jetzt. Ich übernehme!« Dan Riker ging mit müden Schritten zum Ausgang. Er drehte sich noch einmal um, wollte noch etwas sagen, zuckte aber die Schultern und verließ den Kommandostand. Er hatte Ren Dhark, sagen wollen, daß ihn irgendein Gefühl vor etwas Unbestimmtem warnte. Etwas, das man nicht anfassen oder sehen konnte. Ein erfahrener Raumfahrer wie Dan Riker glaubte seinen Gefühlen trauen zu können. Irgend etwas lag in der Luft. Eine Gefahr. Doch Riker wollte sich nicht lächerlich machen. Dhark. würde es selbst spüren. Soweit kannten sie sich. Dan Riker fiel in seine Koje und schlief sofort ein. Seit vierundzwanzig Stunden hatte er kein Auge zugemacht. Ren Dhark stellte das Vipho ein, das die Verbindung zu Professor Tschu Hin und seiner Gruppe herstellte. »Wie weit sind Sie?« »Einen Moment, Dhark. Wir sind gerade fertig.«
Tschu Hin, sonst die Ruhe in Person, war erregt wie ein junges Mädchen vor ihrem ersten Ball. Diese Erregung steckte an. Dhark spürte es selbst. Der C-14-Analysator würde eine exakte Altersbestimmung treffen können. Dieses auf C-14-Basis arbeitende Gerät war den Historikern und Archäologen unentbehrlich. Dhark hielt es plötzlich in der Zentrale nicht mehr aus. Er mußte an die frische Luft und wollte sich selbst von dem Ergebnis der Analyse überzeugen. Er verließ den Kommandostand, nachdem er den 2. Offizier hereingerufen und an ihn übergeben hatte. Dhark trat ins Freie. Aufs neue beeindruckte ihn der Anblick des gewaltigen Monuments. Das schimmernde Metall des Torso. Der stählerne Körper einer Menschengestalt. Ohne Kopf. Ohne Arme. Nichts schien sich verändert zu haben. Noch immer standen die drei blauen Sonnen am violetten Himmel, übergossen die POINT OF und den bläulichen Sand mit ihrer intensiven Strahlung. Gegen den Riesenkörper des Bauwerks wirkten die Männer um Professor Tschu Hin wie Ameisen. Dhark eilte auf sie zu. Ihre Gesichter glühten vor Aufregung. »Geschafft, Dhark«, jubelte Tschu Hin, der sonst seine Gefühle unter Kontrolle zu halten wußte. Das runzlige Gesicht mit den auseinanderstehenden Schlitzaugen strahlte. »Das Monument ist mehr als 42.000 Jahre alt«, sagte er. Und dabei pochte er auf die Anzeigetafel des Analysators. Jeder konnte es dort ablesen. Jeder wußte auch, wie man diesen Wert ermitteln konnte. In 5.550 Jahren hatte sich die Hälfte der instabilen C-14-Kerne in Isotope N-14 verwandelt. Dhark sah ungläubig an dem Riesenleib eines nachgebildeten Menschen empor. »Zweiundvierzigtausend Jahre«, sagte er ehrfürchtig.
Welch ein Alter! Die Gestalt eines Menschen. Nicht einmal auf Terra hatte der Mensch vor dieser Zeitspanne ein solches Aussehen gehabt. Er wollte es fast nicht glauben. Aber der C-14-Analysator konnte nicht lügen. »Dhark... Commander!« Ein Ruf ließ Ren Dhark aufschrecken. Am tragbaren Vipho stand Sicherheitsoffizier Elmar Gernot. Sein Gesicht war schneeweiß. Er wies auf das Vipho und stammelte »Doraner in der Leitung... er glaubt eine Stadt... entdeckt zu haben...« Ren Dhark schnellte auf ihn zu. »Doraner! Holen Sie mich sofort hier ab! Was ist los?« Doraners Stimme kam nur undeutlich aus dem Vipho. Dennoch merkte man ihm an, daß er selbst vor Verblüffung stotterte. »Eine Stadt, Dhark. Unweigerlich eine Stadt.« * Der Flash jagte durch das Sonnensystem. Pjetr Wonzeff hatte von Dan Riker den Auftrag erhalten, Beobachtungen und Analysen anzustellen, deren Ergebnisse eventuell aussagen konnten, wo sie sich befanden, denn von dem Nor-ex waren sie in diesen Teil des Universums verschlagen worden. Ohne jede Verbindung zur Heimat. Ohne jede Verbindung mit den Menschen überhaupt. Wonzeff verstand sich auf die Katalogisierung. Er machte es schließlich nicht zum erstenmal. Die Gedankensteuerung hatte übernommen.
Wonzeff fand also Zeit genug, sich um seine eigentliche Aufgabe zu kümmern. Drei blaue Sonnen beherrschten dieses System. Drei Sonnen, die sich um einen gemeinsamen Mittelpunkt auf verschiedenen Bahnen bewegten. Spektrum-Analyse! Die nächste Sonne stand vier Lichtjahre entfernt. Außer Mirac gab es noch weitere zwanzig Planeten in diesem System. Wonzeff nahm sich jeden einzelnen Planeten vor. Acht von ihnen waren Riesenkugeln mit gleichen Spektren. Heiße Wüsten, deren Oberflächengestein sich wie glühende Lava bewegte. Hier würde nie ein Mensch landen. Dort unten war die Hölle. Pietr Wonzeff schwitzte allein bei dem Gedanken, hier eventuell notlanden zu müssen. Er wandte sich den anderen zwölf Trabanten zu. Auf diesen Planeten herrschten unterschiedliche Temperaturen, aber nirgends ergab die Massen-Ortung irgendeinen Hinweis auf ehemaliges Leben. Keine Ruinen. Nichts. Pjetr Wonzeff registrierte die Daten, verglich die Messungen, katalogisierte und stellte fest, daß diese Ergebnisse völlig von den Werten des Planeten Mirac abwichen. Normalerweise gab es in den Daten sonnenverwandter Welten irgendeine Verwandtschaftsbeziehung. Mirac wich völlig ab. Wonzeff konnte ein sturer Hund sein. Er griff nicht gleich nach der Viphotaste, um Dan Riker oder Ren Dhark zu informieren. Bevor er seinen Bericht abgab, mußte er Gewißheit haben.
Also stürzte er sich noch einmal in die Arbeit. Die trockene Materie stieß ihn keinesfalls ab. Er wußte, daß Analysen manchmal über Sein oder Nichtsein entscheiden konnten. Mirac war der kleinste der einundzwanzig Planeten. Sein Durchmesser betrug nur 5.002 Kilometer. Ein Zwerg also. Aber dieser Zwerg besaß Riesenkräfte. Wonzeff starrte den Feldmesser zweimal an, bevor er die Daten notierte. Mirac besaß also auch ein außergewöhnlich starkes elektromagnetisches Feld, das allein schon in keiner verwandtschaftlichen Beziehung zu den anderen Welten stand. Die Schwerkraft Miracs betrug 1,1 Gravos. Kopfschüttelnd registrierte Wonzeff: »Riker wird glauben, ich hätte eine Pulle Whisky an Bord.« Eine Stunde später wußte Wonzeff, daß Mirac schon wegen seiner exzentrischen Umlaufbahn nicht so recht in dieses System passen wollte. Er grübelte darüber nach, welchen Schluß er aus diesen Ergebnissen ziehen konnte. Es gab eigentlich nur eine Möglichkeit. Dennoch haßte es Wonzeff, später vielleicht seine Meinung revidieren zu müssen. Möglicherweise kam irgend so ein Schlauberger zu einem ganz anderen Ergebnis. Lieber noch eine Stunde überlegen, alle Möglichkeiten in Betracht ziehen und ganz sicher sein, daß es nichts anderes geben könnte. Es blieb dabei. Mirac mußte vor Tausenden von Jahren von dem System der drei blauen Sonnen eingefangen worden sein. Ein kleiner Ausreißer also. Woher kam er? Wohin wollte er? Dieser siebzehnte Planet im Reigen der einundzwanzig. Noch etwas anderes fiel Pietr Wonzeff auf. Zuerst hatte er dieser Beobachtung keinerlei Beachtung geschenkt. Jetzt interessierte ihn die geringste Kleinigkeit.
Das Blue-Star-System besaß eine Tarnkappe. Völlig verrückt, sagte sich Wonzeff. Aber es stimmte. Eine dichte, hufeisenförmige Dunkelwolke schirmte dieses Sonnensystem von anderen Sternen ab. Als wollten sich die drei blauen Sonnen vor Entdeckung schützen. Magie, dachte Wonzeff ärgerlich. Zufall konnte es auch sein. Denn Sonnen und Planeten sind keine organischen Lebewesen. Es sei denn, irgend jemand hätte irgendwann einmal daran gedreht. Wonzeff fühlte sich nicht ganz wohl bei dem Gedanken, daß irgendwo jemand sitzen konnte, der sich jetzt ins Fäustchen lachte. Aber berichten mußte er. Sollten sich Riker und Dhark ihre Köpfe zerbrechen. Vor allem die Wissenschaftler, die sowieso immer alles besser zu wissen glaubten. Auf ihre Erklärung war Wonzeff gespannt. »Richtung Heimat«, knurrte Wonzeff. Die Gedankensteuerung brauchte schon eine etwas präzisere Kursanweisung. Für Witze war sie nicht eingerichtet. * Mike Doraner besaß alle die Eigenschaften, die Ren Dhark, an einem Flash-Kommandanten schätzte. Er war intelligent, verantwortungsbewußt, entschlossen und mutig. Dieser Mut Doraners artete manchmal aber schon in Verwegenheit aus. Viele Einsätze des Leutnants hatten es bewiesen. Doraner landete den Flash vor dem Riesenbauwerk, stieg aus und strich sich verwirrt über die kurzgeschorenen Haare. »Eine Stadt«, sagte er. »Einwandfrei eine Stadt, Dhark!« »Halten wir uns nicht lange mit Vorreden auf«, entgegnete Dhark, schob den Flashkommandanten beiseite und stieg in den Blitz. Sekunden später fiel der Landeplatz unter ihnen zurück.
Mike Doraner flog seinen Blitz, als ob es nur die verbesserte Ausführung eines Schwebers sei und nicht ein Kleinraumschiff der Mysterious mit unvorstellbarer Beschleunigung. Ren Dhark legte den Kopf in den Nacken und blickte zum Bildschirm empor. Über ihnen standen die drei blauen Sonnen. Die Metalleisten in der engen Kabine reflektierten das kalte violette Licht. Unter ihnen, immer kleiner werdend, die Statue, daneben die POINT OF. Die Metallhaut des Ringraumers blitzte wie ein Spiegel. »Wie weit haben wir zu fliegen?« Doraner schaltete die Gedankensteuerung ein und lehnte sich zurück. »In drei bis vier Minuten«, antwortete er, »in drei bis vier Minuten erleben Sie eine Überraschung, Dhark.« Überraschungen war der Commander gewohnt. Er erlebte sie jeden Tag. Immer etwas Neues. Er stellte jetzt auch keine Fragen. Wenn Doraner etwas Genaues wüßte, hätte er es schon bekanntgegeben. Der Flash raste über eine bläulich schimmernde Sandwüste hinweg. Keine Erhebung zog das Auge an. Flach, so weit man schauen konnte. Flach und blau. Erregt drehte Doraner den Kopf. »Jetzt müßten Sie es schon sehen können. Da... GrünBereich drei Grad.« Die flache Ebene bläulichen Sandes erlebte plötzlich eine Abwechslung. Ein Hügel wurde sichtbar wie ein Katzenbuckel. Aber auch dieser Hügel blau – Sand, viel Sand. Ren Dhark zog die Brauen zusammen. »Ich dachte...« »Warten Sie, einen Augenblick noch. Sehen Sie jetzt auf den Massen-Orter!« Dharks Kopf flog herum. Wahrhaftig. Masse. Viel Masse. »Runter mit der Kiste!«
Doratier reagierte prompt. Zuverlässig, wie immer. Sanft glitt der Flash in die Tiefe. Ruckartige Bewegungen gab es bei Mike Doraner nicht. Die blaue Sanderhebung kam schnell auf sie zu. Doraner ließ die sechs gespreizten, spinnbeindünnen Teleskopbeine ausfahren. Federnd landete der drei Meter lange Blitz. Die beiden Männer kletterten ins Freie. Auch hier sang der Wind sein ewiges monotones Lied. Der bläulich schimmernde Sand wehte in kleinen Fontänen über den Hügel. Die Ausmaße dieser Erhebung konnte man mit bloßem Auge gar nicht feststellen. Dhark rieb sich die Augen. »Verdammter Sand«, murmelte er. Nun merkte es auch Mike Doraner. Der Wind trieb den Sand in die Gesichter der beiden Männer. Ein feines Prickeln blieb auf der Haut zurück. »Sand«, knurrte der Flashpilot. »Nichts als Sand.« »Irrtum«, erwiderte Ren Dhark nachdenklich. »Wenn die Statue mehr als zweiundvierzigtausend Jahre alt ist, müssen wir annehmen, daß auch die Stadt, die unter diesem Sandhügel liegt, so alt ist. In zweiundvierzigtausend Jahren kann eine ganze Menge Sand vom Wind herangetragen werden. Wir müssen sehen, was darunter steckt, Doraner.« Der Flashpilot grinste. »Für uns doch kein Problem, Dhark, oder...?« Ren Dhark schmunzelte zurück. »Allerdings, Doraner. Kein Problem für uns.« Dharks nachdenklicher Blick flog zwischen dein zylinderförmigen Flash, der auf sechs gespreizten, spinnbeindünnen Beinen stand, und dem Sandhügel hin und her. Nur mit Hilfe dieser Wunderwaffe, die ihnen eine fremde Technik hinterlassen hatte, war es möglich, in einen Sandhügel einzudringen, ohne sich hindurchschaufeln zu müssen. Wer immer diese Flash in Aktion
gesehen hatte, war jedesmal aufs neue fasziniert von diesem Wunderboot. »Also?« Doraner sah Dhark fragend an. »Okay, Doraner. Aber immer hübsch langsam. Wir wollen die Sanddecke gleich dabei messen.« Sie stiegen wieder ein, rieben sich den Sand aus den Augen. Doraner spuckte, fluchte ein paarmal und schaltete dann das Intervallfeld ein. Rücken an Rücken saßen die beiden Männer in der engen Kabine und schauten zum Bildschirm empor. Einen Augenblick sahen sie noch die drei blauen Sonnen, die endlos erscheinende Sandwüste. Dann plötzlich – nichts mehr. »Langsam«, rief Dhark heiser. Doraner antwortete nicht. Der Brennkreis, 1,2 Meter unter dem Rumpf wirksam geworden, war in Aktion getreten. Langsam schob sich der zylinderförmige Rumpf durch den Sand. Der Bildschirm blieb grau. Ein bläuliches Grau. Die beiden Männer konnten sich atmen hören. Sonst blieb es still in der Kabine. Kein Reiben des Sandes an der Außenhaut, kein Motorengedröhn, nichts. Meter um Meter arbeitete sich der Flash durch den Hügel. Hin und wieder sah Mike Doraner auf die Anzeigetafel. »Sieben Meter«, gab er bekannt. Flugsand von mehr als zweiundvierzigtausend Jahren über dieser Stadt. »Zwölf Meter«, meldete Mike Doraner. Und immer noch Sand. Herangeweht von einem Wind, dem sich nichts entgegenstellen konnte. Wind, der, wenn er sprechen könnte, wohl einige interessante Dinge zu berichten hätte. »Zwanzig Meter«, gab Doraner bekannt. Seine Stimme klang nach wie vor trocken und fast unbeteiligt. Der Sand wollte kein Ende nehmen. Die Minuten dehnten sich endlos. Die bläulichgraue Fläche des Bildschirms erschien Ren Dhark auf einmal wie ein höhnisch grinsendes Auge.
Dhark drehte sich nach Mike Doraner um. »Wieviel?« »Dreißig Meter. Wenn das so weitergeht, kommen wir auf der anderen Seite wieder heraus.« Doraner behielt also den Kopf oben. Ihm kam es gar nicht in den Sinn, daß vielleicht eine Panne eintreten könnte. Er setzte unendliches Vertrauen in dieses Wunderfahrzeug. Weitere Minuten vergingen. »Heilige Sterne! Wie tief liegt denn die Stadt!« Doraner drehte sich um. Ein ironisches Funkeln seiner grauen Augen zeigte Dhark, daß er ein wenig belustigt war. »Sie wollen doch nicht etwa sagen, daß Sie Angst haben, Commander?« »Angst?« Dann lachten sie beide. Doraner kam plötzlich in Bewegung. »Achtung!« Auf dem Bildschirm hatte sich etwas verändert. Das bläuliche Grau war einer rötlieben Färbung gewichen. »Jetzt müßte man sehen können, Dhark.« »Gehen Sie noch ein Stück weiter! Der Sand kann ja schließlich nicht alles unter sich begraben haben. Eine Stadt muß aus Häusern bestehen. Und Häuser müssen Räume haben. Wenn es uns gelingt, in einen dieser Räume zu kommen...« Doraner ließ den Flash weiter absinken. Das Intervallfeld öffnete ihm praktisch jede Tür. Dharks Augen hingen an dem Bildschirm. »Wenn mein Haltbefehl kommt, Doraner...« »Verstanden, Commander!« Langsam ging die Fahrt weiter. Meter um Meter. Plötzlich zuckte Ren Dhark zusammen. »Halt!« Doraners Hände flogen über die Kontrollen. Der Flash stand. Der Bildschirm war nicht mehr grau, auch nicht mehr
rötlichgrau. Der Bildschirm war braun. Ein tiefes, sattes Braun, in dem es kein Licht gab. »Scheinwerfer an!« Doraner gehorchte. Die Scheinwerfer des Flash blitzten auf. Geblendet schlossen beide Männer die Augen. Nur langsam gewöhnten sie sich an die neuen Lichtverhältnisse. Dann betrachteten sie fasziniert die Wände eines Raumes, die mit allerlei Darstellungen und Zeichnungen ausgestattet waren. Das Material dieser Wände bestand aus einer undefinierbaren Kunststoffmasse. »Wollen wir aussteigen?« Doraners Stimme klang plötzlich ein wenig rauh! »Die Luft hier ist okay.« »Einverstanden«, entschloß sich Ren Dhark. »Aber draußen ziehen wir sofort unsere Raumanzüge an.« Die leichten M-Anzüge, auch eine Hinterlassenschaft der Mysterious, wurden angelegt. Dhark trat in den Lichtschein des Flash. Sein Schatten hob sich groß und wuchtig von der braunen Wand ab. Doraner folgte ihm. Der Flashpilot ging sofort auf eine Wand zu und ließ seine Finger darübergleiten. »Glatt«, sagte er. »Anscheinend unangetastet. Seit zweiundvierzigtausend Jahren nicht berührt. Und das Zeug sieht aus, als sei es erst gestern angefertigt worden. Ich muß schon sagen, eine tolle Leistung.« Ren Dhark interessierte nicht so sehr das Material selbst, als vielmehr die Zeichnungen. Verwirrt runzelte er die Stirn. Doraner trat neben ihn. Minutenlang betrachteten sie diese fremdartigen Darstellungen fremder Gestalten. Doraner legte den Kopf zur Seite und versuchte, ein klares Bild zu bekommen. Was sie hier zu sehen bekamen, waren nicht die Darstellungen von Menschen oder überhaupt humanoiden Wesen, wie man es vielleicht nach dem Fund der
Riesenstatue geglaubt hätte. Die Darstellungen und Zeichnungen, die diese Wände bedeckten, waren absolut nicht humanoid. Nachdenklich traten die Männer ein paar Schritte zurück. Musterten, verglichen die Bilder, sahen sich an, schüttelten die Köpfe und sahen wieder die Wände an. »Spinnen«, sagte Dhark plötzlich leise, mehr zu sich selber. »Spinnen mit zwei Köpfen. Oder können Sie etwas anderes daraus erkennen?« Doraner schüttelte den Kopf. »Bin froh, daß uns diese Hausgenossen nicht in Empfang genommen haben. Ein Glück, daß wir erst zweiundvierzigtausend Jahre später kommen.« Doraners trockener Humor war nicht totzukriegen. Aber er hatte recht. Ren Dhark fröstelte plötzlich, als er daran dachte, daß diese Wesen hier vielleicht unter der vierzig Meter dicken Sandschicht gelebt hatten. Es handelte sich unzweifelhaft um Spinnen mit zwei Köpfen Ein Teil der Glieder war mit sechsfingrigen Greifklauen ausgestattet. Für menschliche Begriffe ein grausiger Anblick. Ein Anblick, der einem kalte Schauer über den Rücken jagen konnte. An jeder Wand das gleiche Bild. Spinnenwesen mit zwei Köpfen in verschiedenen Darstellungen, in verschiedenen Haltungen, verschiedene Arbeiten ausführend. Aber immer diese Spinnen. »Ich glaube, wir haben genug gesehen. Es hat auch keinen Sinn, noch länger hier unten zu suchen. Am besten, wir machen uns auf den Rückweg und sehen zu, ob wir diese Sanddecke von der Stadt herunterkriegen. Unsere Wissenschaftler werden hellauf begeistert sein, wenn sie das zu sehen bekommen.« Sie machten sich auf den Rückweg. Doraner schaltete wieder das Intervallfeld ein und ließ die Gedankensteuerung des Flash den Rückflug übernehmen. Die vierzig Meter dicke Sandschicht wurde in einer Minute durchquert. Dann sahen sie wieder die drei blauen Sonnen.
Sie schwiegen, bis sie die POINT OF und das Monument wieder erreicht hatten. Voller Spannung warteten die Wissenschaftler auf Dharks Bericht. Was er ihnen zu sagen hatte, war für sie eine Sensation. Nur eine Frage mußte noch geklärt werden: Wie konnte man die fremde Stadt freilegen? Vom Sand, der seit zweiundvierzigtausend Jahren darüberlag. Doorn wußte eine Antwort. Er stand etwas abseits, kratzte sich den Schädel, sah mürrisch um sich und brummte in die entstandene Stille hinein: »Blasen. Einfach wegblasen!« * Es waren die aufregendsten Tage und Wochen seines Lebens. Das Praktikum an Bord der KHAN machte allen Fähnrichen Spaß. Jeden Tag gab es etwas Neues. Immer war die unermeßliche Weite des Alls um sie. Schwarzer Samt, auf dem die Sterne wie Diamanten funkelten. Die Heimat der Raumfahrer. Die zukünftige Heimat der Offiziersanwärter. Wenn die Glocken aus dem Lautsprecher im ganzen Schiff zum Zapfenstreich anschlugen, fielen die Fähnriche jeden Abend todmüde ins Bett. Zum erstenmal in seinem Leben ging Jack O'Sullivan aus sich heraus. Er verlor seine Zurückhaltung, ging zu den Offizieren des Schiffes und freundete sich bald mit einigen an. Die erfahrenen Raumoffiziere merkten auch sehr schnell, daß mit diesem jungen Fähnrich ein Mann heranwuchs, der Führerqualitäten in sich barg. Es gab nichts, für das sich Jack nicht interessierte. Er wollte alles wissen. Abends saß er noch lange mit Pete Garincha zusammen in der Offiziersmesse und diskutierte. Was er im Laufe des Tages nicht verstanden hatte,
mußte Pete ihm beantworten und erklären. Der zweite Ingenieur der KHAN war stolz auf seinen Schützling. Aber Pete sprach nie über Nita, seine Tochter. Überhaupt wurde nie über Frauen gesprochen. Ängstlich vermied Jack den Namen Nitas, und niemals wurde die Party nach der Prüfung erwähnt. Manchmal, in der Freiwache, saß Jack stundenlang vor dem Bildschirm in seiner Kabine und starrte auf das Meer zahlloser Sterne. Das Gefunkel fremder Welten zog ihn dermaßen in seinen Bann, daß er gelegentlich sogar den Zapfenstreich verpaßte. Mit Asher Bronx, seinem Kabinengefährten, den sie schon seit einem Jahr den Streber nannten, verband ihn eine flüchtige Freundschaft. Er war ein dürrer Junge, der meistens über seinen Büchern hockte und sich nur hin und wieder in ein Gespräch ziehen ließ. Seine Ambitionen in der Raumfahrt lagen in der Navigation. Und wenn Jack O'Sullivan ihn einmal in ein Gespräch ziehen konnte, dann drehte es sich um Ortsbestimmungen anderer Sonnensysteme und nicht, wie Jack es gern gehabt hätte, um die Abenteuer, die ein Terraner auf anderen Welten erleben konnte. Die Reise der KHAN ging zu Ende. Einen Tag vor der Landung auf HOPE herrschte Großkampfstimmung an Bord des Kugelraumers. Captain Aserbaidschan hatte alle Hände voll zu tun, um seine, wie er sagte, Meute angeheiterter Flöhe im Zaum zu halten. Jack O'Sullivan stand in der Kommandozentrale. Es war sozusagen eine Auszeichnung durch Kommandant Ma-Ugode für diesen jungen, intelligenten Fähnrich. Jack hatte es sich auch in diesen Wochen nicht abgewöhnt, auf seinem whiskydurchtränkten Kaugummi herumzukauen. So stand er vor dem Bildschirm. Still, fasziniert, strahlend. Nur noch wenige Stunden. Dann würden sie auf HOPE landen. Dort, wo einst die GALAXIS niederging. Dort, wo seine Eltern ums Leben
kamen. Aber dieses Bild hatte Jack O'Sullivan inzwischen aus seinem Gedächtnis gestrichen. Er lebte nicht mehr in der Vergangenheit, er lebte für die Zukunft – für seine Zukunft. Und seine Zukunft hieß: Mit Ren Dhark – für Ren Dhark. Als halbwüchsiger Junge hatte er vor Jahren HOPE verlassen. Als Mann kehrte er nun zurück. Als Fähnrich der terranischen Flotte. * Die Erregung der letzten Stunden hatte ihren Höhepunkt erreicht. Auf den Bildschirmen war die Doppelsonne Col zu sehen – zwei Sterne der Klasse B – weiße, heiße Sonnen. Achtzehn Planeten umkreisten diese Doppelsonne. Und einer von ihnen hieß Hope – Planet der Hoffnung. Oberst Ma-Ugode streifte den jungen Fähnrich hin und wieder mit einem kurzen Seitenblick. Er konnte sich vorstellen, was in dem jungen Mann in diesem Augenblick vorging. Das erste Raumabenteuer. Seine eigene Ausbildung lag lange Zeit zurück. Wenn Ma-Ugode auch an Jahren älter, an Erfahrung reicher geworden war, sein Herz war jung geblieben. Er mochte diesen Jack O'Sullivan, der im Augenblick auf seinem whiskygetränkten Kaugummi herumkaute und den Bildschirm anstarrte. Irisches Blut, unverkennbar. Rote Haare, eckige Schultern, kraftvoll. Vielleicht würde er in einigen Jahren hier neben ihm als Erster Offizier stehen. Minuten vergingen. Schweigende Minuten. Überhaupt herrschte im Augenblick das Schweigen an Bord. Jack O'Sullivan zuckte urplötzlich zusammen. »Was sagten Sie?«
Ma-Ugode lächelte. Er lächelte zum erstenmal. »Sie waren anscheinend mit Ihren Gedanken weit fort, Fähnrich. Ich fragte, ob Sie für einen Moment das Kommando übernehmen wollen!« Jack glaubte, sich verhört zu haben. Er wurde knallrot und dann blaß. »Sie meinen... meinen«, stotterte er. Ma-Ugode lächelte noch einmal. »Ich meinte, Fähnrich. Oder soll ich Ihnen lieber einen Befehl erteilen?« Jack kaute wie wild, fuhr sich erregt mit der Zunge über die Lippen. Sein Herz schlug wie rasend bis hinauf zum Hals. Plötzlich sahen ihn alle an. Alle Offiziere, die hier in der Kommandozentrale versammelt waren. Jack mußte an die Worte Captain Aserbaidschans denken. »Niemals einer Gefahr ausweichen!« Eine Gefahr? Dies war keine Gefahr, dies war ein Angebot. Sein Wunschtraum sollte jetzt schon in Erfüllung gehen. »Ich übernehme!« Jack wußte nicht, woher er plötzlich diese Sicherheit nahm. Ma-Ugode starrte ihn an, nickte zustimmend und setzte sich in einen Sessel. »Bitte!« Nicht umsonst hatte sich Jack O'Sullivan tagelang hier in der Kommandozentrale aufgehalten. Noch einmal sah er zum Bildschirm empor. Die Doppelsonne Col war näher gekommen. Und mit ihr achtzehn Planeten. Ihr Ziel lag auf dem fünften Planet. Hope! Marsgroß, eine Wasserwelt mit einunddreißig Inselplaneten. Klima erdähnlich. Wie in subtropischen Zonen. Jack O'Sullivan kannte alle Daten. Auf dem größten Inselkontinent, dem Main Island, lag die Kolonistenstadt Cattan.
Plötzlich klang seine helle Stimme durch die Zentrale. »Alles hört auf mein Kommando!« Das Grinsen der Offiziere machte Jack wild. Sie sollten ihn kennenlernen. Diese eingebildeten Laffen. Langsam klang der wilde Rhythmus seines Herzens ab. Das Blut jagte nicht mehr so schnell durch seine Adern. Er sah klarer – und plötzlich gab Fähnrich Jack O'Sullivan seine Befehle. Überall im Schiff wurden sie gehört. Aus jedem Lautsprecher drang seine Stimme. Zwei Männer an Bord glaubten, wahnsinnig zu werden. Ausbilder Captain Aserbaidschan und der zweite Ingenieur der KHAN, Pete Garincha. Aber als sie dann hörten, wie Jack ruhig und überlegt seine Anordnungen gab, empfanden sie Stolz. Dieser Jack O'Sullivan! Dieser Teufelskerl! Der Kugelraumer durchflog inzwischen eine Umlaufbahn nach der anderen und näherte sich rasch dem Zielplaneten. Die Doppelsonne Col blieb auf der Rot-Koordinate zurück. Hin und wieder sah Jack zum Bildschirm empor. Drei Monde umkreisten den fünften Planeten. Er kannte sie noch. Er erinnerte sich noch an das helle Licht der drei Monde während der Nachtzeit. Er erinnerte sich auch noch an das helle Licht der drei Monde während des Angriffs auf Cattan, als seine Eltern starben. Aber Jack wollte nicht daran denken. Er mußte jetzt zeigen, daß er ein Mann geworden war. Daß er jetzt schon verstand, ein Schiff zu landen. Einen Kugelraumer von der Größe der KHAN! »Bremsmanöver!« Jack O'Sullivan wußte nicht, daß er seine Gedanken ausgesprochen hatte. Erst als Ma-Ugode ihn erstaunt anblickte, wurde ihm sein Tun bewußt. Die Offiziere gehorchten. Allerdings erst nach einem Seitenblick auf den Kommandanten. Unmerklich ging die
KHAN mit der Fahrt herunter. Trotzdem schien es, als ob das Schiff sich mit rasender Geschwindigkeit dem Planeten näherte. Relais klickten. Instrumentenskalen schlugen aus. Lichter flammten auf, flackerten erloschen wieder. Tausende von Daten wurden aufgefangen, festgehalten, registriert. Das übliche Spiel an Bord eines Raumschiffes. Jack O'Sullivan wirkte unnatürlich konzentriert. In der kommenden Stunde mußte er sein Können unter Beweis stellen. Im gesamten Schiff war die Spannung auf den Höhepunkt gestiegen. Der marsgroße Planet nahm sich auf dem Bildschirm wie ein Ballon aus. Die ersten Einzelheiten wurden durch die Vergrößerungen sichtbar. Eine dicke Wolkendecke hüllte HOPE ein. »Dicke Suppe«, sagte irgend jemand in der Zentrale. Jack O'Sullivan spuckte seinen Kaugummi aus und schob sich einen neuen zwischen die Zähne. Er entdeckte ein Loch in der Wolkendecke und ließ die KHAN genau darauf zufliegen. Wasser wurde für einen kurzen Moment sichtbar. Jacks ganze Aufmerksamkeit galt den Instrumenten. Nur hin und wieder warf er einen Blick auf den Schirm. Er wußte, daß es weit schwieriger war, ein großes Schiff in eine Lufthülle zu fliegen, als im freien Raum zu manövrieren. Auch gefährlicher! Aber er wußte einen Kommandanten hinter sich, der sofort eingreifen würde, wenn er irgend etwas falsch machte. Er durfte nichts falsch machen! Hier konnte er beweisen, wer er war, was er war. »Entfernung!« »Fünfzehntausend!« kam die prompte Antwort. »Runter mit der Kiste!« Jack O'Sullivan wurde plötzlich übermütig. Er erinnerte sich der zahllosen Flüge mit seinem Jett, in dem er sich als Herr der Lüfte gefühlt hatte. Jetzt kam dieses Gefühl wieder. Das berauschende Gefühl, Herr über die Technik zu sein. Wortlos reichte ein Offizier eine Folie herüber.
Jack warf nur einen kurzen Blick darauf und las, daß die höchsten Erhebungen auf diesem Planeten nicht über sechstausend Meter aufragten. Der Offizier hätte sich diese Meldungen sparen können. Jack kannte Hope nicht nur von seiner Kindheit her so genau; seit Tagen hatte er nichts anderes getan, als sich mit den technischen Daten des Planeten zu befassen. Die KHAN schien abzustürzen. Das Schiff brach in die oberen dünneren Wolkenschichten ein. Im gleichen Moment schaltete Jack den Schirm auf Infrarot. Vom Bildschirm verschwand die Wolkendecke. Unter ihnen drehte sich der Planet, der zu neun Zehntel mit Wasser bedeckt war. Das Schiff raste über einen gewaltigen Ozean hinweg und näherte sich der Landezone. Am Horizont stieg langsam ein Mond hoch. Auch ihn kannte Jack. Es war Gam, der dritte Mond. Die vorüberhuschenden Inseln besaßen teilweise bizarre Gebirgsformationen. Üppiger Pflanzenwuchs zeigte sich an vielen Stellen. Es gab kaum einen Platz, der nicht von dschungelartigem Grün überwuchert war. Das Bild auf dem Hauptschirm veränderte sich kaum, als die KHAN die Nachtzone durchflog. Gam wanderte am Himmel entlang. Im Osten wurde es langsam wieder hell. Die beiden fernen weißglühenden Sonnen tauchten auf, und dann kam Main Island in Sicht. Dieser Kontinent war dreimal größer als alle anderen Planeten. Ein Gebirge von mittlerer Größe lag wie ein Hufeisen vor der Ostküste und umschloß eine ausgedehnte Ebene, die von einem breiten Fluß durchzogen wurde. Jack O'Sullivan drehte sich einmal kurz nach Ma-Ugode um. »Ich lande«, sagte er. Und das klang so bestimmt und herausfordernd, daß der Kommandant der KHAN nicht einmal seine Zustimmung geben konnte. So schnell hatte sich Jack wieder den Instrumenten und dem Bildschirm zugewandt.
Das Raumschiff fiel auf den großen Inselkontinent hinab. In der Ferne tauchte langsam der nächste auf. Bedeutend kleiner, winzig im Vergleich zu Main Island. Deluge. Cattan wurde sichtbar. Die Hauptstadt des Planeten. Vor Jahren von Menschen erbaut. Von den Kolonisten der GALAXIS! Der moderne Raumhafen lag im gleißenden Licht der Doppelsonne COL. Jacks Befehle kamen knapp und präzise. Ma-Ugode hätte es nicht besser tun können. Zuerst noch fiel die KHAN herab wie ein Stein, verhielt, wurde langsamer und flatterte dann sanft wie ein welkes Blatt im Wind auf die Piste nieder. Ein kaum merkliches Zucken durchlief das Schiff. Die Bordwände klirrten. Ein leises Vibrieren, dann ein kurzer Ruck, nicht ganz so sanft, wie Jack es sich gewünscht hätte. Aber die KHAN stand. Jetzt brach dem jungen Fähnrich der Schweiß aus allen Poren. Erst jetzt kam ihm zum Bewußtsein, was er hier geleistet hatte. Ma-Ugode stemmte sich langsam aus seinem Sitz, trat von hinten an ihn heran, legte ihm eine Hand auf die Schulter. »Bravo, mein Junge!« sagte er leise. Bei der Anrede »mein Junge« wollte Jack auffahren, aber irgend etwas in der Stimme Ma-Ugodes warnte ihn, sich mit diesem Mann anzulegen. Jetzt war auch keine Zeit für sentimentale Gefühle. Dieses »Bravo, mein Junge« war mehr als bloßer Beifall. Das war Anerkennung. Anerkennung für eine tolle Leistung. Jack sank erschöpft in einen Sessel. Was um ihn herum vorging, sah er im Augenblick gar nicht. Er vernahm auch nicht die wilden Schreie der Kameraden. Ihre Begeisterungsrufe. Und er sah auch nicht Pete Garincha, der plötzlich im Zentralschott stand und ihn anstarrte, als hätte er einen Geist vor sich. Auf Hope gelandet!
Jack O'Sullivan hatte ein Raumschiff dort gelandet, wo vor Jahren einmal Ren Dhark die GALAXIS niedergebracht hatte. Feuerprobe bestanden! * Die POINT OF stand unbeweglich über der bläulich flimmernden Sandwüste. Als würde sie von gewaltiger Faust gehalten. Schweigen herrschte an Bord. Alle Blicke waren auf die Bildschirme gerichtet. Gespannt wartete man darauf, wie Arc Doorn sein Vorhaben durchführen wollte. Der Sibirier mit dem ewig mürrischen Gesicht und der Boxergestalt stand in der Mitte der Befehlszentrale und gab mit leiser Stimme Anweisungen. Ren Dhark ahnte, was der Sibirier vorhatte. Er wollte den Dust-Strahl einsetzen. Aber eine vierzig Meter dicke Sandschicht in amorphen Staub zu verwandeln, genügte nicht allein. Doch auch dafür wußte Arc Doorn einen Weg. »Hier Zentrale! WS-West, WS-Ost! Sind Sie auf Empfang, Clifton und Rochard?« Die Bestätigungen der Waffenchiefs der POINT OF kamen wie aus einem Mund. Arc Doorn beugte sich leicht nach vorn und ballte die Fäuste. »Also los, Leute! Dust-Strahl einsetzen! Ich gebe sofort das Signal. Congollon, sind Sie bereit?« Miles Congollon grinste von der Bildscheibe herab. »Ich warte, Doorn!« Die mandelförmigen, wimpernlosen Augen des Ersten Ingenieurs der POINT OF drückten ein wenig Bewunderung aus für den Sibirier. Aber Arc Doorn kümmerte sich nicht um eventuelle Seitenblicke. Er ging seinen Weg. »Dust-Strahl! Achtung! Fertig! Los!«
Alle Blicke flogen zu den Schirmen empor. Bud Clifton und Jean Rochard traten in Aktion. Sie hatten lange nicht mehr ihre sprichwörtliche Reaktionsschnelligkeit unter Beweis stellen können. Jetzt konnten sie es. Das Blau der Umwelt verlor jäh seine Färbung. Ein neuer Farbton kam hinzu. Grün. Zwei olivgrüne Bahnen molekularer Energie fauchten zu Boden. Im Nu verschwand die Umwelt. Staub wirbelte empor. Ein olivgrünes Leuchten füllte die Schirme. Wie ein General auf dem Feldherrnhügel stand Arc Doorn in der Mitte der Zentrale. »Congollon! Jetzt!« Ein feines Rauschen wurde laut. Zuerst in dunklen Tönen, dann heller werdend, schrill, heulend. Ren Dharks Blicke flogen zwischen Arc Doorn und dem Bildschirm hin und her. Plötzlich trat eine Änderung ein. Das olivgrüne Leuchten wurde blasser. »Stop!« Das schrille Heulen ebbte ab. Die Energiebahnen erloschen. Eine lange Minute verging. Dann erst konnte man wieder ein klares Bild von den Schirmen auffangen. Die Dust-Strahlen hatten einen tiefen Krater in den Sandhügel gerissen. Sand, der durch die Energie zu amorphen Staub verwandelt worden war. In der Ferne stand noch eine graue Wolke, die sich rasch entfernte. Vom Wind getrieben, durcheinandergewirbelt, verweht. Langsam erhob sich Ren Dhark und trat an Arc Doorn heran. Der Sibirier grinste. »Na?« fragte er ironisch. »Ich sagte doch Blasen! Wir haben geblasen.« Miles Congollon feixte vom Schirm herab. Seine mandelförmigen Augen glühten wie feurige Kohlen. Er schien großen Spaß an der Sache zu finden. »Richtig, Doorn. Wir haben geblasen. Wann geht's weiter?«
»Nun mal langsam«, erboste sich Ren Dhark. »Wie habt ihr denn das Ding gedreht?« Arc Doorn zuckte mürrisch die Schultern. »Ganz einfach, Dhark. Die Dust-Strahlen verwandeln anorganische Materie zu Staub. Um zu verhindern, daß der Staub wieder den freigemachten Weg füllt, müssen wir ihn eben fortblasen. Und das erledigt Miles Congollon mit Hilfe von Pressor-Strahlen. Alle Achtung vor seiner Millimeter-Arbeit!« Damit war alles klar. Dhark warf sich ruckartig herum. »Grappa! Messungen anstellen!« Wenig später bekam man die Resultate aus der Ortungszentrale. Drei Minuten Strahlung – zwölf Meter Grube! Ren Dhark nickte anerkennend. »Okay, Doorn! Machen Sie weiter!« Arc Doorn machte weiter. Er ging recht feinfühlig dabei vor, um zu verhindern, daß die Stadt unter der Sanddecke von den Dust-Strahlen vernichtet wurde. Es dauerte eine halbe Stunde, dann lag die Stadt plötzlich frei. Aber was für eine Stadt! Kein Ort, wie man ihn auf Terra oder anderen Planeten kannte. Keine Einzelbauten, keine Hütten, keine Häuser, keine Bunker und auch keine Straßen oder Wege, Raumpisten oder sonst etwas, das an herkömmliche Städte erinnerte. Was dort unter der POINT OF lag, war einmalig. Es war ein riesiges, austernschalenförmiges Dach, braun, dunkelbraun. Und häßlich. Voller Buckel und Warzen. Verwundert blickten die Männer auf dieses Bild. Niemand vermochte sich so richtig vorzustellen, was dies eigentlich darstellen sollte. Der Ausdruck »Stadt« schien überhaupt nicht passend. Aber wie sollte man es anders nennen? Daß es sich um eine ehemalige Ansiedlung handelte, war wohl allen klar. Sie
wußten auch alle, was Mike Doraner und Ren Dhark für seltsame Zeichnungen und Darstellungen in den Räumen gefunden hatten. Fremdartige Lebewesen – fremde Technologie. »Ich schlage vor, wir begeben uns nach unten und stellen dort Untersuchungen an. Dan, du übernimmst die erste Gruppe.« »Wie schön, daß du auch mal wieder an mich denkst«, brummte Dan Riker. Ren Dhark ging nicht darauf ein. Er teilte drei Gruppen ein. Die erste Gruppe sollte Dan Riker führen; mit ihm zusammen wurden alle Archäologen eingesetzt. Die zweite Gruppe übernahm Arc Doorn mit allen anderen Wissenschaftsgruppen. Die dritte Gruppe unter Ren Dhark blieb als Reserve zurück. Dan Riker und seine Gruppe verließen das Raumschiff. Eine Stunde später war das Grauen an Bord. * Von zwei verschiedenen Seiten drangen die ersten beiden Gruppen in die fremde Stadt ein. Unter dem austernförmigen Dach lagen flach in den Boden gebaute Gebäude. Räume, wie man sie auch auf Terra kannte, waren in scheinbar wahlloser Anordnung aneinandergereiht. Es gab kleine und große Öffnungen, die die Räume miteinander verbanden. Fast alle Wände zeigten die Zeichnungen und Darstellungen, die Mike Doraner und Ren Dhark schon vorher beobachten konnten. Ren Dhark, der noch an Bord der POINT OF geblieben war, ließ sich alle zehn Minuten von den beiden Gruppen Bericht erstatten. Nichts als Wände, Zeichnungen, Räume mit runden und viereckigen Türöffnungen, berichtete Dan Riker einmal erbost. »Weitersuchen«, befahl Ren Dhark. »Es müssen doch Maschinen zu finden sein.«
Es gab keine Maschinen. Weder Arc Doorn mit seiner Gruppe, noch Dan Riker fanden irgendwelche Anlagen, die man als Maschinen bezeichnen konnte. »Ich verstehe das nicht. Wer diese Konstruktionen mit ihren Wabenbauten errichtet hat, muß auch Herr über eine großartige Technik gewesen sein. Weitersuchen!« Arc Doorn meldete sich eine ganze Zeitlang nicht. Schon glaubte Ren Dhark, daß er auf irgendeine neue Fundstelle gestoßen sei, da kam sein Ruf. »Dhark!« Kaum jemals zuvor hatte Ren Dhark den Sibirier so eindringlich und erregt sprechen hören. »Was ist los, Doorn?« »Schalten Sie um auf E-3!« Dhark warf Miles Congollon einen kurzen Seitenblick zu, dann trat er an das Vipho und schaltete um auf Geheimfrequenz. Er stülpte sich Kopfhörer über das Haar und sprach in das Kehlkopfmikrofon. »Sie können berichten, Doorn.« »Sind die Ärzte einsatzbereit?« »Die Ärzte? Warum fragen Sie?« »Wir brauchen einen Arzt. Professor Tschu Hin hat's erwischt. »Machen Sie keine Witze, Doorn«, grollte Ren Dhark. »Sagen Sie mir, was da unten los ist.« »Wenn ich das wüßte, hätte ich's Ihnen schon gesagt«, erwiderte Doorn knurrig. »Schicken Sie bitte einen Arzt und ein paar Träger herunter. Der Professor muß sofort in Behandlung.« Arc Doorn schaltete ab. Ren Dhark überlegte nicht lange. Sofort informierte er Dr. Sarano. Als der Arzt mit ein paar Trägern das Schiff verlassen hatte, rief Ren Dhark nach Dan Riker und Arc Doorn.
»An Gruppen eins und zwei. Untersuchungen vorläufig einstellen.« Es vergingen bange Minuten. Niemand wußte, was eigentlich los war. Ren Dhark rannte wie ein gereizter Tiger durch den Kommandostand und wartete auf die nächsten Berichte. Dan Riker schwieg. Ebenso wie Arc Doorn. Dhark fühlte, daß irgend etwas nicht stimmte. Er spürte eine seltsame Erregung in sich; ein dumpfes Gefühl, das von innen her kam; ein Gefühl, das man nicht ausdrücken konnte. Schließlich hielt Dhark es in der Zentrale nicht mehr aus. Er mußte nach draußen. An die frische Luft. Atmen. Sein Verantwortungsbewußtsein trieb ihn. Er trat ins Freie und sah noch einmal über das riesige austernschalenförmige Dach hinweg. Die Buckel und Warzen ließen es gar nicht mehr tot erscheinen. Mit einiger Phantasie konnte man sich darunter ein riesiges Untier vorstellen. Dharks Brust hob und senkte sich in gewaltigen Atemzügen. Frische Luft! Doch dann kamen sie. Dr. Sarano zuerst. Weiß wie die Wand. Seine dunklen Augen schimmerten wie im Fieber. Hinter ihm die Krankenträger mit einer Bahre. Darauf lag Professor Tschu Hin. Hinter der Bahre die anderen. Dan Rikers Gruppe. Sie gingen langsam, gebeugt wie alte Männer. Als wollten sie die Füße nicht mehr tragen. Auch ihre Gesichter bleich; ihre Blicke dumpf zu Boden gerichtet. Eine lange Kolonne zerbrochener Männer, die einem Sarg zu folgen schienen. In Ren Dharks Kopf begann es dumpf zu pochen. Die Angst schnürte ihm plötzlich die Kehle zu. Sie sprang ihn an wie ein wildes Tier. Noch wußte er nicht, was geschehen war. Aber er ahnte es.
Dr. Sarano stand plötzlich vor ihm. Er konnte sich kaum noch auf den Beinen halten. Er hielt sich an einer Verstrebung am Aufstieg zur Schleuse fest. Wankte! Und dann lallte er irgend etwas, was Ren Dhark nicht verstehen konnte. Mit einem Satz war er bei ihm. Packte seine Schultern, rüttelte ihn und starrte entsetzt in sein Gesicht. Unwillkürlich sprang er zurück. Fassungslos glitt sein Blick von Sarano hinüber zu dem auf der Bahre liegenden Archäologen. Tschu Hins Gesicht war entstellt. Das vorher so eindrucksvolle, faltige Gesicht mit den Schlitzaugen hatte sich verfärbt. Blasen bildeten sich, sprangen auf. Der Professor keuchte. Er bekam kaum noch Luft. Dabei merkte Ren Dhark, daß dieses Keuchen überall umging. Er selbst begann plötzlich unter Sauerstoffmangel zu leiden. Ein schwerer Druck lastete auf seiner Brust. Als hätte jemand eine Last auf ihm abgestellt. »Was ist das, heilige Sterne, was ist das?« Dr. Sarano hob müde die Schultern. »Ich weiß es nicht, Dhark. Bei Gott, ich weiß es nicht. Es ist die Hölle.« Mit einem hilflosen, gehetzten Blick sah Ren Dhark um sich. Da kam die zweite Gruppe, Arc Doorn an der Spitze. Die klotzige Boxerfigur jetzt gebeugt. Der Sibirier war nur noch ein Schatten seiner selbst. Er kroch förmlich. Jeder Schritt wurde zur ungeheuren Qual. Mit ihm seine Männer. Eine geschlagene Armee. Und überall das gleiche Bild. Haut, die sich verfärbte, die sich schälte, und Männer, die unter Sauerstoffmangel litten. Krämpfe begannen sie zu schütteln. Die ersten fielen zu Boden. Dhark mußte seine ganze Energie aufbieten, um Herr über seine Sinne zu bleiben. Er war für sie verantwortlich. Für alle an Bord. Und für das Schiff.
Irgend jemand an Bord hatte die Situation erkannt. Gestalten liefen über die Schräge hinab. Gestalten in Raumanzügen. Hilfreiche Hände packten zu. Griffen Dr. Sarano, griffen nach den Krankenwärtern, griffen nach der Bahre. Weitere Männer strömten aus der Schleuse. Einer wollte Ren Dhark packen. Er schüttelte die Hand ab. »Erst die anderen«, keuchte Dhark. Er warf einen anklagenden Blick zum Himmel hinauf. Die drei blauen Sonnen standen über ihnen. Sie strahlten ihr aufdringliches Licht herab, als wollten sie sich über die Menschen lustig machen. Dhark ballte die Hände, streckte sie empor, schüttelte sie. Das konnte das Ende sein. Das Ende der POINT OF! Aber so leicht gab der Mensch nicht auf. Ein unbeschreibliches Chaos herrschte unter den Kranken. Nur wenige konnten sich mit eigener Kraft an Bord des Schiffes begeben. Die meisten von ihnen mußten getragen werden. Ren Dhark selbst fühlte sich dem Zusammenbruch nahe. Er spürte, wie sich die Haut über seinen Backenknochen spannte, wie sie platzte. Das Gesicht begann zu brennen. Die ersten Männer schrien. Wie Tiere. Dhark schrie nicht. Er schrie nicht laut. Innerlich schrie er. Er war auch nur ein Mensch. Der Mensch kann ein gewisses Maß an Qual erdulden. Aber dann kommt ein Punkt, an dem er jede Kontrolle über sich selbst verliert. Dhark wußte, daß dieser Punkt bei ihm bald erreicht war. Er mußte an Bord. Noch ein Mann war draußen. Dan Riker. Er schaffte es nicht mehr. Er lag am Boden und wand sich vor Schmerzen. Mit Aufbietung seiner letzten Willenskraft schleppte sich Ren Dhark zu ihm. Er flehte, er bettelte. Er warf sich über Riker und versuchte, ihn aus dem blauen Sand zu zerren. Doch Dhark besaß keine Kraft mehr. Er spürte, wie langsam die Dunkelheit in ihm emporkroch. Das ist dein Ende, dachte er.
Er spürte nicht mehr, wie ihn rauhe Hände packten, hochzerrten und mit sich schleiften. Dhark war plötzlich in absolute Finsternis gehüllt. Das war gut so! * Die POINT OF sprang den Himmel an. Miles Congollon hatte die Führung des Ringraumers übernommen. Der Eurasier mit dem phänomenalen Gedächtnis konnte stur sein wie ein Panzer. Jetzt war er stur. Niemand durfte die Befehlszentrale betreten. Das Schott war von innen verriegelt. Nur Congollon, Grappa, Glenn Morris und der 2. Offizier befanden sich in der Zentrale. Mehr durch Zufall hatten sie sich hier zusammengefunden. Von hier aus hatten sie den Anmarsch der Kranken beobachtet. Der Eurasier hatte schnell reagiert. Er hatte Alarm ausgelöst. Sein Befehl: »Achtung! M-Raumanzüge anlegen« hatte das ganze Schiff elektrisiert. Selbst die Ärzte mußten dem Befehl nachkommen. Ungeduldig hatten die vier Offiziere in der Befehlszentrale auf das Ende der Rettungsaktion gewartet. Dann war der Befehl zum Starten gekommen. Alarmstart! Die Gedankensteuerung hatte die POINT OF übernommen. Nur weg von hier. Weit weg! An Bord des Ringraumers herrschte ein solches Durcheinander, wie es niemals zuvor beobachtet worden war. In den ersten Minuten wußte eigentlich niemand so recht, was wirklich los war. Chaos, Verzweiflung! Niemand hinderte die POINT OF an der Flucht. In Sekundenschnelle überbrückte das Schiff unheimliche Entfernungen. Mirac, das die Männer plötzlich als die Hölle bezeichneten, stand nur noch als Ballon auf dem Bildschirm. Die
Planetenkugel verdeckte eine der drei blauen Sonnen. Die restlichen beiden Sonnen aber beherrschten mit ihrer intensiven Strahlung dieses System wie die funkelnden Augen eines Raubtieres. Zum Chaos und zur Verzweiflung, zum Schreien und Stöhnen der Kranken kam noch etwas Anderes hinzu. Ein pestartiger Gestank füllte langsam Räume und Gänge. Die Furcht ging um. Todesangst machte sich breit. Niemand wußte, welche Krankheit die Besatzungsmitglieder befallen hatte. Im Labor der Medostation arbeiteten die Mediziner fieberhaft an einer Erklärung. Sie suchten den Erreger. Sie mußten ihn finden, um Gegenmaßnahmen ergreifen zu können. Es vergingen bange, nervenaufreibende Minuten. Selbst Miles Congollon schien von der Verzweiflung angefallen zu werden. Während überall die lauten Rufe um Hilfe erschallten, stand Miles Congollon wie ein Raubtier in der Befehlszentrale. Grappa und Glenn Morris waren ihm in diesem Augenblick keine große Hilfe. Nur wer von den Besatzungsmitgliedern noch rechtzeitig in seinen Raumanzug gekommen war, blieb von der Krankheit verschont. Die Chefs der Waffenzentralen hatten sich und ihre Untergebenen eingeschlossen. Überall das gleiche Bild. Die Medostation war überfüllt. Drei Ärzte, unter ihnen Dr. Sarano, waren selbst von dieser Krankheit befallen. In den weitverzweigten Gängen begann die Suche nach nicht erfaßten Kranken. Krankenwärter und Sicherheitsbeamte in Raumanzügen hetzten durch die einzelnen Etagen. Quarantäne!
Miles Congollon, der zusehends erregter und nervöser wurde, fand erst seine Ruhe wieder, als Ren Dharks Stimme plötzlich aus dem Vipho klang. Die Bildverbindung zur Medostation wurde jedoch nicht hergestellt. Der Bildschirm blieb dunkel. Aber welch eine Stimme klang aus dem Lautsprecher. Schwach und hilflos wie die eines Kindes. Dhark schien kaum atmen zu können. Er sprach abgehackt, zwischendurch immer wieder um Luft ringend. »Congollon! Um Himmels willen! Setzen Sie Himmel und Hölle in Bewegung! Rettung für die Mannschaft! Nichts unversucht lassen! Mobilisieren Sie alle Leute! Offiziere zusammenrufen! Alle Gesunden! Unternehmen Sie etwas! Luft! Bekomme keine Luft! Ein Bild des Grauens hier unten! Mann, helfen Sie uns!« Congollon stand erschüttert neben dem Vipho. Nie zuvor hatte irgend jemand Ren Dhark so reden hören. So verzweifelt. Congollon wurde sich plötzlich der großen Verantwortung bewußt, die ihm Ren Dhark aufgebürdet hatte. Seine Antwort an Dhark klang rauh, aber zuversichtlich. »Bestimmt! Ich werde es schaffen, Commander!« »Danke«, hauchte Dhark zurück. »Danke, Congollon! Ich verlasse mich auf Sie!« Miles Congollon schluckte. Er sah hinauf zum Bildschirm. Die POINT OF schwebte anscheinend schwerelos in der unermeßlichen Weite des Alls. Von drei blauen Augen angeglotzt. Congollon begann die blauen Sonnen zu hassen. Im nächsten Augenblick stellte er die Verbindung zu allen Räumen und Gängen des Ringraumers her. Seine mächtige Stimme dröhnte durch das Schiff. Aber kaum jemand hörte auf
sie; kaum jemand nahm Notiz von ihr. Jeder war mit sich selbst beschäftigt. Die Angst setzte allen zu. Dann kam die Panik. Ein Wutgeheul kam über Lautsprecher in der Befehlszentrale an. Das tobende, unverständliche Geschrei eines Wahnsinnigen. Gequält, winselnd, wimmernd, unheimlich, unverständlich. Miles Congollon und seinen Offizieren im Leitstand rannen kalte Schauer über den Rücken. Entsetzt sahen sie sich an. Im nächsten Augenblick kam die Erklärung. Das Gesicht eines jungen Arztes erschien auf der ViphoScheibe. Seine Lippen zuckten. Die Nasenflügel bebten. »Dr. Glennard läuft Amok«, keuchte er. »Helfen Sie uns!« Miles Congollon überlegte nicht lange. Er rannte auf das Zentralschott zu, riß es auf. Drehte den Kopf und schrie zum Vipho empor: »Wir kommen, Batavia!« Glenn Morris und Tino Grappa wollten ihm folgen. »Sie bleiben hier, Grappa! Schließen Sie sich ein! Wir melden uns, wenn wir wieder hineinwollen!« Damit war Congollon draußen. Gefolgt von Glenn Morris, dem Cheffunker der POINT OF. Beide Männer hielten plötzlich Schockstrahler in den Händen. Sie wußten, was es bedeutete, wenn ein Wahnsinniger an Bord war. Amokläufer! Die beiden Männer rasten durch die Gänge. Andere Besatzungsmitglieder in Raumanzügen schlossen sich ihnen an. Der Eurasier teilte seine Befehle aus. Ein Mann mit einem Raumkoller an Bord eines solchen Schiffes konnte höchst gefährlich werden. Es gab einfach zu viele Ecken und Winkel, in denen er sich verstecken konnte. Ganz abgesehen von dem Unheil, das er womöglich in der komplizierten technischen Anlage anrichten konnte, mußten vor
allen Dingen die Besatzungsmitglieder, kranke und gesunde vor ihm geschützt werden. Miles Congollon überlegte nicht lange. Im fünften Deck lag das Herzstück der POINT OF. Riesige Reaktoren sorgten dafür, daß alle Kabinen, alle Gänge, Messen, Besatzungsräume und natürlich die Befehlsstände mit Strom versorgt wurden. Hier konnte die POINT OF empfindlich getroffen werden. Das fünfte Deck war sein Ziel. Elmar Gernot schloß sich ihm an, der Sicherheitsoffizier des Schiffes. Wie durch ein Wunder war er der Krankheit entgangen. Auch er steckte in einem M-Anzug. Eine Waffe blitzte in seiner Faust. Die beiden Männer verständigten sich durch Blicke. Überall rannten vermummte Gestalten. Fluchten! Schotts standen offen. Vor dem Eingang zu den Konvertern verhielt Miles Congollon. Er sprach über die Bordverständigung. »Hier spricht Congollon im Auftrag Dharks! An alle Rettungsmannschaften! Dr. Glennard ist gefährlich! Ich befehle: Schocken ohne Warnung! Aber nicht töten! Ich wiederhole! Nicht töten!« Congollon gab Gernot einen Wink mit den Augen, den nächsten Eingang zu nehmen. Dann riß er das Schott auf. Ein Leuchtschild hing über der Tür. Eine fluoreszierende Warnung, daß in diesem Raum Lebensgefahr für Menschen bestand. Zögernd betrat Miles Congollon den Steg, der über die turmhohen Maschinen quer durch die Halle führte. Er schaltete den Außenlautsprecher an. »Dr. Glennard!« Sein Ruf verging im Gesumm arbeitender Reaktoren. Niemand antwortete ihm.
Unsicher setzte Congollon einen Fuß vor den anderen. Alles, woran er sich klammern konnte, waren der Griff seiner Waffe und das kunststoffüberzogene Geländer der Metallverstrebungen. Aufmerksam sah er sich um. Er kannte hier jeden Winkel. Er wußte, daß sich hier ein Mensch verstecken konnte. Zufällig, wie gehetzt, blickte Congollon nach unten. Dort, in der gleißenden Helle, die einen Lichthof in der lärmgefüllten Halle schuf, entdeckte er einen Mann, der die Instrumente an dem Reaktor zu bedienen schien. Merkwürdigerweise war die Kleidung des Mannes nicht einer jener Overalls, die von der technischen Abteilung der Besatzung getragen wurden. Congollon kannte jeden seiner Leute. Schließlich war er der Chef dieser Abteilung. Seine Gedanken schossen wild durcheinander. Und dann erst erkannte er die Gefährlichkeit der Situation. Der Mann dort unten war niemand anders als Dr. John Glennard! Kosmobiologe – und jetzt ein wahnsinniger, von Panik erfüllter Kranker! Congollon blieb stehen und riß seinen Strahler hoch. Er fingerte an dem Einstellknopf, der die Fächerwirkung der Waffe konzentrieren sollte. Die Finger des Eurasiers begannen zu zittern. Er mußte auf einen Mann schießen, auf einen Menschen. Er wollte ihn nicht töten. Er wollte nur schocken. Einen Augenblick überlegte Congollon. Er könnte Hilfe holen. Könnte einige Männer herbeirufen, um Glennard einzufangen. Aber irgend etwas in den Bewegungen des Mannes dort unten sagte ihm, daß dafür keine Zeit mehr war.
Direkt unter ihm wurden Knöpfe bewegt, Schalter niedergedrückt, und als Antwort begannen die Maschinen ihren wilden Gesang zu verändern. Sie heulten auf im schrillen Diskant! Congollon beugte sich über das Geländer und wollte einen Warnschuß abgeben. Seine Hand zitterte, sie war schweißnaß. Er hatte noch nie auf einen Menschen gezielt. Und dieser Mann dort unten war krank. Vermutlich wußte er gar nicht, was er tat. Congollons Zögern rächte sich. Ein Kreischen der Maschinen ließ ihn zusammenzucken. Der Lauf seiner Waffe stieß gegen das Geländer, und der Strahler entglitt seiner Hand. Die Augen des Eurasiers weiteten sich erschreckt. Er sah der Waffe nach, die im hohen Bogen über die Brüstung flog. Mit einem dumpfen Laut klatschte sie neben Glennard unten auf den Kunststoffbelag des Bodens auf. Glennard riß den Kopf herum. Einen kurzen Augenblick lang sah Miles Congollon das irre Leuchten weitgeöffneter Augen und das entstellte, verzerrte Gesicht. Voller Narben und Blasen. Rotgefleckt. Dann verschwammen seine Bewegungen vor den Augen des Eurasiers zu einem rasenden, unkontrollierbaren Wirbel. Congollon konnte sich erst fassen, als er die drohende Mündung eines Strahlers auf sich gerichtet sah. Entsetzt hielt er den Atem an. Das war kein Schocker. Das war ein Strahler, der tödliche Energie abgeben konnte. Dr. Glennard schrie etwas, das Congollon nicht verstand. Die Stimme des Kranken verschwamm zu einem zischelnden, heisernen Flüstern. Congollons einziger Ausweg bestand in der Flucht. Er mußte die anderen warnen. Aber die nackte Angst, daß etwas Schreckliches passieren könnte, schien Congollons Füße zu lähmen.
Er wußte, ohne Waffe war er diesem Irren hilflos ausgeliefert. Mit Aufbietung seiner letzten Willenskraft schob er sich vorwärts. Um ihn war plötzlich nicht mehr das schrille Heulen der Maschinen, sondern blendende Helligkeit. Ein furchtbares Rauschen drang aus dem Aufnahmegerät. Dann ein entsetzlicher Knall. Verzweifelt sah Congollon über die Schulter. Ein neuer Blitz überschüttete die Umgebung mit hellem Licht. Der Metallsteg bebte. Die donnernde Entladung hallte sekundenlang in der gewaltigen Halle nach. Congollon rannte um sein Leben. Der Irre dort unten schoß pausenlos. Die Energiebahnen versuchten, den Eurasier zu fassen. Mit Mühe und Not erreichte Miles Congollon das Schott. Seine Hände griffen nach der Verriegelung, als streckten sie sich nach dem rettenden Ufer aus. Mit keuchenden Lungen warf er sich nach vorn. Er begriff gar nicht, daß er vor panischer Angst laut schrie. Irgendwie fanden seine bebenden Finger den Knopf für die Türautomatik. Er kam erst wieder zur Besinnung, als hinter ihm die Schiebetür in die Dichtungen zischte. Congollon rannte ein paar Meter in den Gang hinein; dort brach er zusammen. Schweißüberströmt. Keuchend! Am Ende seiner Kräfte! Als er die Augen wieder aufschlug, standen sie alle um ihn. »Da drin! Da ist er! Seid vorsichtig! Ohne Warnung schießen. Mich hätte er beinahe erwischt.« Ein paar hilfreiche Hände streckten sich ihm entgegen. Sie warteten auf seine Befehle.
Es dauerte ein paar Sekunden, ehe Miles Congollon wieder einen klaren Gedanken fassen konnte. Wie hungrige Wölfe kreisten sie John Glennard ein. Irgend jemand legte die Energiezufuhr lahm. Das Licht erlosch in der riesigen Halle. Glennard brüllte auf wie ein verwundetes Tier. Er schoß wahllos um sich. Geisterbahnen tödlicher Energie fauchten durch den Raum. Miles Congollon wurde wieder ganz ruhig. Er neigte sich dem neben ihm stehenden Mann zu und entriß ihm seine Waffe. Congollons Hand zitterte nicht. Sein erster Schuß traf. Dr. Glennard verharrte, als wäre er gegen eine Wand gelaufen. Zuerst polterte seine Waffe zu Boden. Dann schrie er. Aber sein Schrei erstickte in der Kehle. Er fiel um und blieb regungslos liegen. Stille breitete sich aus. Eine tödliche Stille. Das erste Anzeichen von Panik war beseitigt. * Als Miles Congollon und Glenn Morris die Befehlszentrale mit müden Schritten betraten, fanden sie einen Tino Grappa vor, der vor Erregung von einem Bein auf das andere tanzte. Sein schwarzes Haar hing ihm wirr in die Stirn. Seine Augen glänzten wie im Fieber. Seine Hände waren in ständiger Bewegung. Er wies immer wieder auf ein Instrument am Checkmaster und stammelte abgehackte Worte, die keinen Sinn ergaben. Congollon hatte fürs erste genug von einem Wahnsinnigen. Er wollte nicht auch noch einen zweiten erleben. Er sprang auf Grappa zu, packte seine Schultern, drehte ihn zu sich herum und schlug mit der flachen Hand gegen die Gesichtsmaske des Raumanzuges.
Tino Grappa hielt verblüfft den Atem an. Aber seine Erregung nahm deswegen nicht ab. Nur seine Worte wurden jetzt deutlicher. »Ich hab' es gefunden! Heilige Sterne, ich hab es gefunden! Ich weiß, wie die Krankheit entstanden ist!« Congollon und Morris wechselten einen schnellen Blick. Mit brutalem Griff packte der Eurasier den Ortungsspezialisten der POINT OF und drückte ihn in einen Sessel. »So. Jetzt können Sie reden. Und lassen Sie sich nicht jedes Wort einzeln aus dem Mund ziehen! Los, was haben Sie zu sagen?« Tino Grappa atmete hastig. Dann sprach er. »Hatten nicht darauf geachtet... Ging alles so verdammt schnell... Hätten es gleich von Anfang an merken müssen...« »Menschenskind«, schrie ihn Miles Congollon an. »Reden Sie deutlicher.« Tino Grappa wies auf den Checkmaster. Der Eurasier runzelte die Brauen und machte einen Schritt darauf zu. Dann sah er es auch. Ganz deutlich. Sie hatten es alle übersehen. In den ersten schrecklichen Minuten des Auftretens der Krankheit hatte niemand auf die Meßgeräte geachtet. Die Energie-Ortung der POINT OF hatte eine gesteuerte UV-Strahlung aufgefangen. Miles Congollon schüttelte sich und starrte die Meßergebnisse an. Wenige Sekunden später wandte er sich betroffen an Tino Grappa. »Was soll das heißen? Der Planet ist nicht bewohnt. Woher kommt diese Strahlung!« Grappa schien sich inzwischen wieder gefangen zu haben.
Er stemmte sich aus dem Sitz und trat hinter die Ortungsanlage. Mit ein paar Handgriffen setzte er den Koordinatenpeiler in Betrieb. Wenig später hatten sie das Ergebnis. Ungläubig sahen sich die drei Männer an. Sie konnten es nicht fassen. Die gesteuerte ultraviolette Strahlung hatte ihren Ursprung in den Buckeln und Warzen des Austerndaches. Es gab keinen Zweifel. Die Krankheit war nicht durch Erreger entstanden, sondern es handelte sich um Verbrennungen durch gesteuerte Abwehrstrahlung. Miles Congollon geriet in Bewegung. Der massige Mann setzte sofort alle Lautsprecher des Ringraumers in Betrieb. Wenige Minuten später wußte jeder einzelne Mann an Bord, von welcher Krankheit er befallen war. Die Ärzte atmeten auf. Der Kampf der Mediziner gegen diese Verbrennungen begann. Zwei volle Tage dauerte dieser Kampf. Zwei Tage voller Angst und Schmerzen. Voller Hoffen und Bangen. Aber die terranische Medizin siegte. Nach zwei Tagen erst stand Ren Dhark wieder in der Kommandozentrale. Er schien um Jahre gealtert. Und er war müde und kraftlos wie niemals zuvor. Aber er lebte. Alle Männer der POINT OF lebten. Und das allein zählte. * In diesen Tagen schien es auf Hope nur noch Rätsel zu geben.
Die Aufnahmegeräte und Anzeigetafeln wiesen ganz eindeutig aus, daß die Mammut-Aggregate im Industrie-Dom in einem bestimmten Rhythmus arbeiten. Als würden sie von Geisterhand gesteuert. Das Rauschen und Dröhnen darin wurde allen Wissenschaftlern langsam unheimlich. Es schwoll an, hielt sich einige Stunden, um dann wieder abzusinken und einem leisen Brummen Platz zu machen. Niemand wagte, die Unitallverkleidungen anzufassen. Claus Bentheim hatte es zweimal versucht. Aber immer wie elektrisiert seine Hand zurückgerissen. Rätsel über Rätsel. Das größte Rätsel jedoch stand den Männern erst bevor. Es geschah so plötzlich, wie alles begonnen hatte. Sie waren alle im Industrie-Dom versammelt. Um Ingen und seine engsten Mitarbeiter hatte sich ein großer Kreis gebildet. Einige schauten zu der schimmernden Ringröhre empor, die ihnen allen wohl das größte Rätsel aufgab. Scheinbar schwerelos hing sie dort oben. Wie von gewaltiger Faust festgehalten. Noch immer schimmerte sie in einem diffusen Blau. In dem Kreis unterhalb der Ringröhre war es still. Kein Laut, kein Maschinengeräusch drang bis hierher. Dabei gab es keine optische Wand, die diese Geräusche von diesem Platz abhielt. Langsam wanderte die gesamte Gruppe mit Professor Ingen an der Spitze durch die Mammutanlage. Das Summen, Pfeifen und Heulen der Aggregate, das Vibrieren der Verkleidungen schmerzte in den Ohren der Männer. Wenn sie sich verständigen wollten, mußten sie sich gegenseitig anschreien. Doch plötzlich war alles vorbei.
Als hätte jemand auf einen Knopf gedrückt, schwiegen die Geräte, Aggregate, schwieg die gesamte Anlage. Totenstille breitete sich in der riesigen Halle aus. Im ersten Moment wurden die Männer von Grauen gepackt. »Ich werde wahnsinnig«, schrie Professor Ingen in die Stille hinein. Den anderen erging es nicht besser. Irgendwo mußte es eine unbekannte Kommandostelle geben, die die Mammutaggregate ein- und abschalten konnte. Doch wo befand sich diese Kommandostelle? Wer drückte auf den Knopf? War es ein Lebewesen? Oder regierte irgendwo ein Roboter? Gedankenfetzen jagten durch die Hirne der Wissenschaftler. Und fast im selben Augenblick dachten sie alle an den GroßTransmitter. Die Versuche damit waren abgebrochen worden. Ingen wollte kein Menschenleben aufs Spiel setzen. Unwillkürlich lenkte Professor Ingen seine Schritte auf diesen Riesentransmitter zu. Wenn sie jedoch geglaubt hatten, mit dem Abschalten der Aggregate sei auch das fluoreszierende Leuchten der Kreisfläche vergangen, so sahen sich die Männer getäuscht. Es war noch immer da, dieses Flimmern. Auch das leise Singen war da. Kaum hörbar zwar, aber es existierte. Niemand traute sich so recht, auf die graue Ringantenne zuzugehen. Etwas Unerklärliebes hielt die Männer davon ab. Eine gewisse Scheu, die sie sich selbst nicht erklären konnten. Der Versuch, einige Sender durch den Riesentransmitter zu schicken, war mißglückt. Diese lastende Stille hinter den Männern dünkte ihnen ein Alptraum zu sein. Die gesamte Anlage im Industrie-Dom schwieg. Nur dieser Transmitter arbeitete noch. Irgend jemand hatte ihn von irgendwoher eingeschaltet.
Claus Bentheim stand dicht hinter Professor Ingen. Er machte sich seine eigenen Gedanken über diese Angelegenheit. Fast kam es ihm so vor, als stellte dieses Flimmern eine gewisse Lockung dar. Als forderte irgend jemand ihn und die anderen auf, näherzutreten und den Versuch zu wagen. Einmal schon war Bentheim dieser Lockung fast erlegen. Er wollte es nicht ein zweites Mal. Da sprach der kleine Professor. Eigentlich mehr zu sich selbst – aber alle anderen hörten es. »Ich brauche jemanden, der das Wagnis unternimmt. Ich brauche einen Mann mit Mut und Entschlossenheit. Einen Mann, der Tod und Teufel nicht fürchtet. Jemand, der sich der Wissenschaft zur Verfügung stellt.« Mit etwas gequältem Ausdruck in der Stimme fuhr er fort: »Aber wer würde sich dafür schon zur Verfügung stellen? Wer?« Als Antwort auf seine Frage erklangen plötzlich laute, hallende Schritte. Die Wissenschaftler drehten sich wie auf Kommando um. Zehn Männer marschierten auf sie zu. Allen voran eine hohe, aufrechte Gestalt. Schlank, militärisch straff, vertrauenerweckend, gebieterisch. Oberst Ma-Ugode. Eine Gasse bildete sich, und die zehn Männer schritten hindurch, bis zehn Meter vor die rote Energiewand. Eine Weile blieb es still. Dann drehte sich Ma-Ugode um, und ein feines Lächeln spielte um seinen Mund. Ein Lächeln, das die dunklen Augen jedoch nicht erreichte. »Das also«, sagte er mit markanter Stimme, »ist der berühmte Groß-Transmitter.« »Ja«, erwiderte Professor Ingen störrisch wie ein Maulesel. »Das ist der berühmte Materietransmitter. Gibt uns einige
Rätsel auf. Und Sie werden diese Rätsel auch nicht lösen können.« Irgend etwas an diesem Mann gefiel Ingen nicht. Vielleicht war es das allzu sichere Auftreten, sein herrischer Ton, oder die Überlegenheit, die dieser Mann ausstrahlte. Plötzlich begann Ingen zu kichern. »Sie wären eigentlich der richtige Typ für unsere Versuchsperson.« »Versuchsperson?« Ma-Ugode sah einmal in die Runde. Dann schien er verstanden zu haben. Ein merkwürdiges Funkeln erschien in seinen Augen. Sonst blieb er jedoch unbewegt. »Wenn Sie damit meinen, ich sei Ihnen unsympathisch...« Er stockte. »Das beruht sicher auf Gegenseitigkeit. Aber nun zur Sache. Ich bin mit einer Sondervollmacht ausgestattet worden. Mit anderen Worten...« Professor Ingen schnitt ihm mit schriller Stimme das Wort ab. »Sondervollmacht? Was soll das heißen? Was wollen Sie damit sagen? Sondervollmacht! Soll das etwa bedeuten, daß Sie hier jetzt das Kommando übernehmen, Oberst?« Ma-Ugode strahlte eisige Kälte aus. »Worüber regen Sie sich eigentlich auf, Professor? Sie hätten mich ausreden lassen sollen. Ich bin mit einer Sondervollmacht ausgestattet worden. Wie Sie sagen, das Kommando zu übernehmen. Jedoch nicht über die Wissenschaftler unter ihrer Führung.« Professor Ingen wurde rot, weil er glaubte in der Stimme Ma-Ugodes so etwas wie Ironie zu bemerken. Der Oberst fuhr indessen unbeirrt fort: »Ich habe die Sondervollmacht erhalten, zweihundert Absolventen der Kadettenschule diese Anlage zu zeigen. Außerdem wurde mir aufgetragen, Ihnen jede Unterstützung zuteil werden zu lassen.«
Einen Augenblick lang herrschte betretenes Schweigen unter den Wissenschaftlern. Ingen selbst sah sekundenlang zu Boden. Plötzlich hob er den Kopf und sah Oberst Ma-Ugode lächelnd an. »Entschuldigen Sie, Oberst«, murmelte er. »Die letzten Tage waren...« »Sie brauchen sich nicht zu entschuldigen, Professor. Bitte verfügen Sie über mich. Sie scheinen gewissen Schwierigkeiten gegenüberzustehen.« »Sehr richtig, Oberst«, erwiderte der Professor und wies auf die flimmernde Kreisfläche des Groß-Transmitters. Mit kurzen Worten schilderte er die bisherigen Versuche der Wissenschaftler, den Ausgangspunkt dieses Materienweges zu finden. Ma-Ugode und seine Begleiter hörten zu, dann herrschte wieder eine Weile Schweigen im großen Industrie-Dom der Mysterious. »Mit anderen Worten also«, meinte Ma-Ugode nachdenklich, »Sie suchen einen Freiwilligen, der das Wagnis unternimmt, sich diesem Materietransmitter anzuvertrauen.« »Ganz recht!« Professor Ingen wurde ganz erregt. Mit eindrucksvollen Worten versuchte er die große Gefahr für den Freiwilligen etwas in den Hintergrund zu schieben. Er sprach von der Erfolglosigkeit aller Versuche, von den vergeblichen Unternehmungen der Wissenschaftler, in dem Erforschen der fremden Technik einen Schritt weiterzukommen... »Es bleibt uns keine andere Wahl, als eben den Versuch mit einem Freiwilligen zu unternehmen. Nur ein Mensch, ein Mann, den wir mit allen technischen Raffinessen ausstatten würden, kann uns weiterhelfen. Er soll jede erdenkliche Sicherheit bekommen.« Oberst Ma-Ugode sah in jedes einzelne Gesicht. Wenn sich seine Blicke mit denen der Wissenschaftler trafen, senkten sie
betreten die Köpfe. Es gab niemanden unter ihnen, der sich für diesen Versuch zur Verfügung gestellt hätte. Auch nicht Claus Bentheim. Aber es gab jemanden im Industrie-Dom von Deluge, der unvermittelt aus einem Impuls heraus nach vorn trat. Eine helle Stimme durchschnitt plötzlich die eingetretene Stille. »Ich würde das Wagnis unternehmen!« Ruckartig flogen die Köpfe zu dem jungen Mann herum. Jack O'Sullivan stand da. Er wirkte ein wenig trotzig, als er so vor den Wissenschaftlern stand. Hochrot im Gesicht, wütend auf seinem whiskydurchtränkten Kaugummi kauend, die Hände lässig in die Hosentaschen vergraben. Er wirkte so gar nicht wie ein Fähnrich, wie ein angehender Offizier. Er glich eher einem trotzigen Schuljungen, der soeben einen schweren Vorwurf seines Lehrers eingesteckt hat. Aber wer Jack genau kannte, der wußte, daß der Junge Fähnrich in dieser Haltung niemals auf einen anderen Rat hören würde. Jetzt kam das irische Blut bei ihm durch. Zwei Männer jedoch versuchten, ihn von diesem Schritt abzuhalten. Captain Aserbaidschan und Ingenieur Pete Garincha traten von hinten energisch an ihn heran und legten ihm jeder eine Hand auf die Schultern. »Junge«, rief Garincha erschrocken. »Fähnrich!« donnerte Captain Aserbaidschan. Jack O'Sullivan schüttelte ihre Fäuste ab wie eine lästige Last. Rasch nahm er die Hände aus den Hosentaschen und trat vor Oberst Ma-Ugode hin. »Ich bitte um Ihre Erlaubnis, mich den Wissenschaftlern zur Verfügung stellen zu dürfen, Oberst.« Sie sahen sich an.
Schweigen ringsum. Keiner wich dem Blick des anderen aus. Die Röte wich langsam aus Jacks Gesicht, und er erkannte in den scharfen, frostigen dunklen Augen Ma-Ugodes wieder diese Spur von Anerkennung, die er schon einmal darin entdeckt hatte, als die KHAN gelandet war. Sicher gelandet, Unter seinem Befehl. Ma-Ugode seinerseits spürte aber, daß nichts in der Welt diesen Jungen dazu bringen würde, seinen Entschluß rückgängig zu machen. Obwohl sie sich sehr wenig ähnelten, hätten sich hier Vater und Sohn gegenüberstehen können. »Sie sind noch jung, Fähnrich O'Sullivan...« »Mein Alter spielt keine Rolle«, fauchte Jack O'Sullivan erbost. Ma-Ugode hob warnend die Hand. »Lassen Sie mich gefälligst aussprechen, Fähnrich«, sagte er scharf. »Sie sind noch jung. Schön. Wir waren alle einmal jung. Ich hoffe, Sie wollen sich nicht selbst beweisen, daß Sie mutig sind.« Jack stieg wieder das Blut zu Kopf. Aber Ma-Ugode sprach unbeirrt weiter. »Ich weiß, daß das nicht so ist, O'Sullivan. Okay. Sie haben meine Zustimmung.« »Aber das können Sie doch nicht...« Aufgeregt wirbelte Captain Aserbaidschan mit den Armen durch die Luft. Auch Pete Garincha wollte sich an diesem Protest beteiligen. Doch Ma-Ugode schnitt die Einwände kurzerhand ab. »Meine Herren! Ich glaube, das wär's für den Augenblick. Bitte, Herr Professor, bereiten Sie alles für den Versuch mit Fähnrich O'Sullivan vor.« Nur zögernd ergriff Professor Ingen den Arm Jack O'Sullivans und führte ihn ein Stück zur Seite.
Ma-Ugode sah den beiden Männern nach. Zwei völlig verschiedene Männer. Der eine klein, alt, überarbeitet, gebückt. Der andere groß, schlank, jung, voller Kraft und Elastizität. Wenn solche Jungen von der Kadettenschule kommen, dachte Oberst Ma-Ugode, brauchen wir uns um die Zukunft Terras keine Sorgen zu machen. * In den letzten zwei Stunden hatte Jack O'Sullivan soviel gute Ratschläge über sich ergehen lassen müssen, daß ihm beinahe übel davon war. Sie hatten ihm alles abgenommen, was ihm lieb und teuer war. Nur seinen Kaugummi nicht – darauf würde er nie verzichten. »Wenn Sie mir den auch noch nehmen wollen«, hatte er Professor Ingen angeschrien, »dann können Sie sich gleich einen anderen suchen.« Der Professor hatte es schließlich aufgegeben und resigniert die Schultern gezuckt. Jack wurde weiter mit Instruktionen gefüttert. Sie bauten ihm Geräte in den Raumanzug. Alle möglichen technischen Raffinessen, deren Bedeutung er wohl auf der Kadettenschule gelernt hatte, deren Wichtigkeit ihm aber in diesem Augenblick vollkommen egal war. In seinem Hirn hatte nur eine Frage Platz: Wo werde ich landen! Fragen prasselten von allen Seiten auf ihn nieder. »Haben Sie Angst, O'Sullivan?« »Wollen Sie es sich nicht doch noch einmal überlegen?« »Sind Sie sich darüber klar, daß Sie vielleicht Ihr Leben verlieren?« Jack lächelte nur über diese Fragen – ein hartes, grimmiges Lächeln.
In seinem jungen Gesicht wirkte das Lächeln wie eine Peitsche auf seine Betrachter. Was wußten die anderen schon, wie es in ihm aussah. Niemand kannte seine Gefühle. Nicht einmal Pete Garincha, der dauernd um ihn war, ihn mit Blicken belauerte, aber kein Wort mit ihm sprach. In seinen Augen stand lediglich ein stiller Vorwurf und ein winziger Hoffnungsschimmer, daß Jack es sich vielleicht doch noch anders überlegte. Aber Jacks Entschluß stand fest. Er würde in den Materietransmitter steigen. Captain Aserbaidschan benahm sich ganz anders. Er marschierte wie ein gereizter Tiger durch den großen Raum, in den die Wissenschaftler den jungen Fähnrich auf sein Abenteuer vorbereiteten. Aus seinem mächtigen Brustkorb drang ein vorwurfsvolles Grunzen. Der Captain murmelte unentwegt etwas vor sich hin, was niemand anders verstehen konnte. Vielleicht verstand er selbst es nicht. Aserbaidschan machte sich nichts vor. Er wußte, was Jack O'Sullivan bevorstand. Für den Fähnrich gab es nur zwei Möglichkeiten. Entweder Tod oder Leben. Wenn er aber am Leben blieb, also heil in der Empfangsstation des Transmitters landete, dann stand immer noch nicht fest, ob er es lange überlebte. Niemand wußte, wo sich diese Auffangstation befand. Auf welchem Planeten. In welchem Teil des Universums. In welcher Galaxis. Vielleicht lag sie am anderen Ende des Universums. Millionen von Lichtjahren entfernt. Irgendwo, wo der Mensch noch nie einen Fuß hinsetzen konnte. Auf irgendeinem Planeten, auf dem die Hölle zu Hause war. In diesen Minuten gestand sich Captain Aserbaidschan ein, daß er selbst dieses Wagnis nie unternommen hätte. Vielleicht, weil er die Gefahren zu gut kannte.
»Meine Herren, es ist soweit!« Professor Ingens Stimme schallte laut durch den Raum. Jack O'Sullivan konnte man keine Nervosität anmerken. Sein Gesicht blieb ausdruckslos wie zuvor. Er trug eine Raumkombination, einen M-Anzug; aber eine verbesserte Ausgabe dieser Hinterlassenschaft der Mysterious. Fünf Sender hatten die Wissenschaftler in diesen Anzug eingebaut. Er besaß Sauerstoffkonzentrate, die für ein Jahr reichten und für den Fall vorgesehen waren, daß Jack auf einem nicht von Menschen bewohnbaren Planeten landete. Außer den fünf To-Funk-Sendern gab es noch kleinere Sendeanlagen im Raumanzug, die laufend Impulse von sich gaben. Die Wissenschaftler hatten Jack auch genau darauf vorbereitet, was geschehen würde, wenn er aus dem GroßTransmitter trat. Jack interessierte jedoch nur eins: Die Sache durchzustehen. Es war soweit. Sie alle begleiteten ihn. Schweigend wurde die Strecke durch den Industrie-Dom zurückgelegt. Sie alle waren dabei. Ihre Blicke saugten sich an Jack O'Sullivans Rücken fest. Es war so still im Industrie-Dom, daß man schon von weitem das leise Singen der roten Feuerwand hören konnte. Professor Ingen eilte rasch an Jack O'Sullivan vorbei und hob erregt die Hand. Sein Gesicht war erwartungsvoll gerötet. »Einen Moment noch, bitte«, rief er außer Atem. »Ich werde noch einen letzten Versuch mit einem Sendegerät unternehmen.« Jack blieb stehen und sah zu Boden. Ihm entging völlig, was um ihn herum geschah. Seine ganze Aufmerksamkeit galt jetzt diesem Schirm, auf den er in wenigen Augenblicken zutreten
würde, der ihn aufnehmen sollte und irgendwo wieder auf einem anderen Planeten abzusetzen hatte. Wo werde ich landen? Das war die große Frage, die ihn beschäftigte. Wie werde ich landen? Kein Muskel bewegte sich in seinem Gesicht. Niemand konnte feststellen, ob dieser Junge im Augenblick Angst verspürte oder ob er erregt war. Jack blieb völlig gelassen. So als handelte es sich nur um einen kleinen Spaziergang, den er unternehmen wollte. Aber in Wirklichkeit verspürte Jack Angst. Wieder einmal erinnerte er sich der Worte Anthony Parrs, des baumlangen Waffenspezialisten Ren Dharks, der einmal gesagt hatte: »Angst, mein Junge, hat nichts mit Feigheit zu tun.« Feige war Jack nicht. Aber er hatte Angst. Er war ehrlich genug, sich diese Angst einzugestehen. Und trotzdem würde er nie den Mund aufmachen und sagen: Ich will nicht mehr. Nur so nebenbei bemerkte Jack O'Sullivan, wie Professor Ingen noch ein Sendegerät in den Transmitterkreis warf. Der Sender verschwand. Kein Geräusch ertönte. Nichts geschah. Der Sender kam auch nicht wieder heraus. Und – er sendete auch nicht. »Verdammt«, murmelte Professor Ingen. »Ich glaube, wir blasen das Ganze ab.« »Kommt nicht in Frage«, rief Jack O'Sullivan. »Bitte, meine Herren, ich bin bereit.« Pete Garincha erblaßte. Gehetzt schaute er sich um. Er suchte nach einem Partner, der mit ihm zusammen diesen Jungen von dem Schritt zurückhalten könnte. Aber selbst Captain Aserbaidschan ließ den Ingenieur im Stich. Der Ausbilder hatte inzwischen eingesehen, daß er den Trotz des Fähnrichs nur anstacheln würde. Er kannte die Iren. Er
wußte, daß sie mit dem Kopf durch die Wand gingen. Auch wenn ihnen jemand eine Türöffnung zeigte. Es gab nichts und niemanden, der Jack jetzt noch zurückhalten konnte. Selbst Professor Ingen und seine Mitarbeiter bedauerten dieses Wagnis bereits. Jack O'Sullivan stand vor Oberst Ma-Ugode. Sekundenlang tauchten ihre Blicke ineinander. Entschlossen warf sich der Fähnrich herum. Er stülpte den Klarsichthelm über den Kopf. Klickend schnappte er in die Magnethalterung. Es war soweit. Jack setzte sich in Bewegung. »Warten Sie...« Professor Ingen streckte gequält die Arme nach dem jungen Mann aus. Aber Jack ließ sich nicht mehr aufhalten. Er ging auf die fluoreszierende Kreisfläche zu, die von dem grauen Antennenring gebildet wurde. Langsam und anscheinend lässig. Bei den ersten Schritten war er noch kalt bis ins Herz. Das änderte sich jedoch, je näher er kam. Er wußte, es war die Angst. Nicht so sehr die Angst vor einer unbekannten Zukunft, sondern die Angst, jetzt schon sterben zu müssen. Er hätte viel darum gegeben, wenn er noch zurückgekonnt hätte. Aber ein Zurück gab es für ihn nicht. Niemals. Er verachtete Leute, die aus Angst vor einem Wagnis zurückschreckten. Jeder Schritt verursachte körperliche Schmerzen. Jeder Schritt bedurfte einer inneren Überwindung. Fast kam es ihm vor, als hätte er Blei in den Schuhen. Der Transmitter-Raum war eine einzige Drohung geworden. Zehn Meter trennten ihn noch von den grauen Antennen. Hinter ihm blieb eine entsetzliche Stille zurück.
Aber Jack sah nicht ein einziges Mal über die Schulter. Er fühlte die Blicke der anderen Männer auf seinem Rücken brennen. Doch plötzlich existierten sie gar nicht mehr für ihn. Es gab nur noch ihn selbst und die Transmitter-Antenne. Manchmal schien es Jack, als würde er sich immer weiter von ihr entfernen. Im nächsten Moment glaubte er wieder, schon von dem Fluoreszieren eingehüllt zu sein. Fünf Schritte noch. Die schwersten fünf Schritte seines Lebens. Jack gab sich keinerlei Illusionen mehr hin. Er wußte, daß es sein Ende bedeuten konnte. Gedankenfetzen rasten durch sein Hirn. In Lichtschnelle lief sein bisheriges Leben vor ihm ab. Einige Stationen verweilten. Und dann plötzlich stand Nita vor ihm. Das schlanke Mädchen mit dem schwarzen Haar. Dunkle Augen sahen ihn an. Bettelten, flehten. Jack wischte dieses Gesicht fort. Atemlose Stille hinter ihm. Bange Erwartung. Und sein eigenes Herz raste und raste. Noch zwei Schritte. Er bekam kaum noch die Beine vom Boden hoch. Doch mit einem mal fiel die Hitze von ihm ab. Die Entscheidung stand unmittelbar bevor. Jack erkannte plötzlich eine gitterähnliche Struktur in der Energiewand. Es sah aus, als bestünde sie aus einem System schimmernder, zwölfeckiger Waben, die man nur bei einem besonderen Lichteinfall bemerken konnte. Was dahinter lag, konnte er nicht sehen. Seine ganze Zukunft schien in feuriges Rot getaucht. Aber er mußte hinein. Das feine Singen, das von diesem Leuchten ausging, hüllte ihn ein. Seine Augen waren blicklos auf die deutlich erkennbaren Waben gerichtet.
Geheimnisvoll, silbrig schimmernd, und hier und da leicht violett aufleuchtend, versperrten sie ihm den Weg. Jack versuchte mit aller Gewalt, an irgend etwas anderes zu denken. Er versuchte es so konzentriert, daß er schlagartig einsetzende Kopfschmerzen bekam. Den letzten entscheidenden Schritt tat er völlig ohne Bewußtsein. »Da müssen Sie hinein«, hatte Professor Ingen gesagt. Jacks Schritt stockte. Ein Geräusch, das Todesängste in ihm auslöste, umgab ihn plötzlich. Unmenschliche Schmerzensschreie ließen die Männer hinter ihm zusammenfahren. Verstört starrten sie auf den Transmitter-Raum. Die Schreie dort steigerten sich zu einem schrillen, langgezogenen Kreischen. »Junge«, stöhnte Pete Garincha verzweifelt. Er hielt plötzlich eine Strahlwaffe in der Hand und wollte auf diese lodernde Energieballung zustürzen, wurde jedoch von Oberst Ma-Ugode gewaltsam zurückgehalten. Garincha taumelte und kam vor dem Kommandanten zu Fall. Gebannt starrten die Wissenschaftler und die Männer im Gefolge Ma-Ugodes auf Jack O'Sullivan. Mit Aufbietung seiner letzten Willenskraft hatte er sich den Helm vom Kopf reißen können. Das schmale Gesicht mit den Sommersprossen und den buschigen roten Brauen war verzerrt, und die Angst stand in seinen Augen geschrieben. Er rannte zurück aus dem Transmitter-Raum, verfolgt von diesem teuflischen Geräusch, und dann stürzte er. Als ihn Ma-Ugode aufrichtete, schrie Jack wieder. Er schien sich jetzt nur Mühe zu geben, seinen Schmerz nicht allzu deutlich zu zeigen. Am ganzen Körper bebend, lehnte er an Pete Garincha. »Es geht nicht«, stöhnte er immer wieder. »Es geht nicht!«
Nur langsam beruhigte sich der Fähnrich. Captain Aserbaidschan und Pete Garincha bemühten sich weiter um ihn. Sie flößten ihm eine belebende, erquickende Flüssigkeit ein, und dann verlangte Jack schon wieder nach seinem Kaugummi. Plötzlich stand Professor Ingen händeringend vor ihm. »Ich kann es nicht begreifen. Niemand kann es begreifen. Was war nur los? Haben Sie etwas gesehen?« »Ja«, gab O'Sullivan wütend zurück. »Aber nicht viel. Nur eine Energiewand. Sie ist undurchsichtig. Sie sperrt.« Er gab sich Mühe, seiner Stimme einen festen Klang zu geben. Aber sie alle erkannten noch, wie Jack O'Sullivan zitterte. Es gab jedoch niemanden, der darüber gelächelt hätte. »Ist gut! Ist gut«, murmelte Ingen. »Wahrscheinlich stabiles Strukturfeld auf hypergravitorischer Basis. Gleichzustellen mit einem Magnetfeld aus ionisiertem Gas. Eine Sperre also. Da kommt niemand hindurch, wenn die Kommandostelle es nicht will. Fragt sich nur, wo unsere Sender geblieben sind.« »Das ist Ihr Problem«, knurrte Jack und machte sich von Pete Garincha frei. Jemand trat zu ihm. Jack sah kurz über die Schulter. Ma-Ugode stand neben ihm. Die anderen Männer mochten der Meinung sein, daß der Oberst freundschaftlich den Arm um seine Schultern legte. Jack aber fühlte den Halt, den ihm Ma-Ugode gab. Die Wissenschaftler standen jedoch noch immer vor dem gleichen Rätsel. Bestand diese energetische Sperre nur für organische Stoffe? Also für Menschen aus Fleisch und Blut? Oder gab es nur eine ganz bestimmte Sperrzeit? Und auf welchem Planeten waren ihre Sender gelandet? Niemand konnte auf diese Fragen eine Antwort geben. Noch nicht.
* Noch immer stand Mirac wie ein Ballon auf den Sichtschirmen. Eingehüllt in die bläuliche Strahlung der drei lichtspendenden Sonnen. An Bord der POINT OF herrschte Ruhe. Die meisten Männer hatten die Medostation bereits wieder verlassen. Die Angst war überstanden. Die Panik vorüber. Ren Dhark saß wieder in der Kommandozentrale. Ein paar Narben bedeckten sein Gesicht. Die Haut schimmerte seidig von der Bioplastcreme, die die Ärzte gegen die UVVerbrennungen benutzt hatten. Ren Dhark dachte nach. Niemand störte ihn in seinen Gedanken. Auch nicht Dan Riker, der etwas entfernt in einem Sessel hockte und nachdenklich an seiner Unterlippe nagte. Aufgeben kam für Ren Dhark nicht in Frage. Niemals! Er wollte diesem Ballon dort auf der Bildscheibe das Geheimnis entreißen. Er mußte feststellen, warum dieses Austerndach mit ultravioletten Strahlen gegen Menschen angegangen war. »Jeder einzelne Mann muß in einen M-Anzug gesteckt werden!« Ren Dhark sprach seine Gedanken plötzlich laut aus. »Wir verfügen über acht Flash. Wo ist Doraner?« Mike Doraner stand wenig später in der Befehlszentrale. Auch ihm war die soeben überstandene Krankheit noch deutlich anzumerken. Seine Augen lagen tief in den Höhlen, aber sein eiserner Wille war ungebrochen. »Was sollen wir tun, Dhark?« »Zunächst einmal ordne ich an, daß Sie und Ihre FlashPiloten Tag und Nacht nicht aus den M-Anzügen steigen. Es mag ein wenig unbequem sein, Doraner, aber wer diesem
Befehl nicht Folge leistet, den stelle ich sofort unter Arrest. Der wird, das schwöre ich Ihnen jetzt, bis zu unserer Rückkehr nach Terra die Medostation nicht mehr verlassen. Schließlich bin ich für das Leben der Leute verantwortlich. Ist das klar?« »Völlig klar, Dhark.« »Okay. Weiter. Riker hat diesem Planeten dort oben einen treffenden Namen gegeben. Mirakel. Mirac. Normalerweise versuche ich nicht, mit dem Kopf durch die Wand zu gehen, aber ich will diesem Mirac die Maske vom Gesicht reißen. Ich will das Unerklärliche, Geheimnisvolle, Rätselhafte von ihm nehmen. Wenn Sie mit den acht Flash den Planeten aus jeder erdenklichen Himmelsrichtung zu analysieren versuchen, dann wünsche ich kein Draufgängertum. Safety first. Haben Sie mich verstanden, Doraner?« Doraner verzog sein Gesicht zu einer Grimasse. »Verstanden, Dhark.« »Noch etwas, Doraner. Elmar Gernot wird ständig hier in der Zentrale sitzen und alle fünf Minuten Ihre Meldungen in Empfang nehmen. Wer diese Meldungen unterläßt, kann was erleben. Ist das auch klar?« »Sie reden laut genug, Dhark.« »Schön, dann haben wir uns soweit verstanden. Viel Glück, Doraner.« Der Flashpilot wandte sich auf dem Weg zum Zentralschott noch einmal um und grinste. Wenig später verließen die acht Flash den Ringraumer. Acht Blitze rasten über die Bildschirme und verloren sich bald im bläulichen Flimmern des Sonnenlichts. Ren Dhark wartete, bis er sie nicht mehr erkennen konnte. Dann trat er an den Eurasier heran und legte Miles Congollon warm die Hand auf die Schulter. »Danke«, sagte er leise. Selten hatte Dharks Stimme eine solch freundschaftliche Wärme. »Sie legen sich jetzt hin, Congollon. Das ist ein Befehl.
Aber auch für Sie gilt das gleiche. Im M-Anzug bleiben. Wir können kein Risiko mehr eingehen. Sagen Sie das auch noch Ihren Leuten. Ich übernehme jetzt wieder. Und für dich«, und damit wandte sich Ren Dhark an seinen Freund Dan Riker, »habe ich einen besonderen Auftrag. Du suchst dir eine zuverlässige Truppe heraus und wirst von Bord gehen. Ich möchte eine genaue Untersuchung der Austernstadt mit allen erdenklichen Werten. Der Checkmaster hat inzwischen die bisherigen Werte verarbeitet. In der feindseligen Stadt dort unten haben seiner Meinung nach dreihunderttausend Einwohner gelebt. Da Doraner jedoch vorher festgestellt hatte, daß es mehrere Städte geben soll, werden wir auch diese Austernansiedlungen einer genauen Untersuchung unterziehen.« Dan Riker erhob sich. Der Befehl war deutlich genug. Er suchte sich seine Leute zusammen. Jeder Mann fieberte darauf, sich an der Austernstadt zu rächen. Da sie alle festgestellt hatten, daß man im M-Anzug einigermaßen sicher sein konnte vor der UV-Strahlung, gab es niemanden, der gegen den Befehl anging. Die POINT OF bewegte sich. Mit rasender Geschwindigkeit prallte der Planet Mirac auf den Bildschirm zu. Wieder landete der Raumer neben der Austernstadt. Dan Riker und seine Truppe verließen das Schiff. Grimmige, entschlossene Gesichter. Eine bewaffnete Eliteeinheit. Dhark stand mit seinem Freund in ständiger Viphoverbindung. Und auch Dan Riker hatte Anweisung erhalten, sich alle fünf Minuten zu melden.
In der Befehlszentrale der POINT OF hatten sich inzwischen alle verbliebenen verantwortlichen Offiziere zusammengefunden. Dhark wollte sie ständig um sich haben, um rasche Entschlüsse bekanntgeben zu können. »Wir werden jetzt andere Städte vom Sand der jahrtausende freilegen. Außerdem möchte ich Mirac genau kennenlernen. Also bitte. Start frei.« Die POINT OF hob wieder vom Boden ab. Langsam schwebte sie über der bläulich schimmernden Sandpiste. Arc Doorn bekam alle Hände voll zu tun, neue Sandmassen mit Hilfe des Dust-Strahls und der Ventilatoreinrichtungen von den austernschalenförmigen Dächern der Städte fortzuschaffen. Sieben Städte fanden sie. Sieben Städte, die von kleinen Spezialtrupps schnell untersucht wurden, und in denen man eine frühere Einwohnerzahl von zweihundertfünfzigtausend bis vierhunderttausend Lebewesen schätzte. Die Darstellungen und Zeichnungen an den Wänden der Gebäude waren überall die gleichen. Spinnen mit zwei Köpfen, ein Teil der Glieder mit sechsfingrigen Greifklauen ausgerüstet. Städte, die mindestens zweiundvierzigtausend Jahre alt waren. Die POINT OF flog der Nachtseite des Planeten entgegen. Mirac besaß, so fand Ren Dhark, eine gewisse Ähnlichkeit mit Terra. Es gab gewaltige Meere, es gab Sandwüsten, und es gab blauschimmernde Gebirgsketten. Hin und wieder tauchten Flüsse auf. Umgeben vom dunklen, schattigen Grün urweltlicher Wälder. Auch die sieben Städte mußten einmal an Flußufern gelegen haben. Dunkelheit hüllte nun die POINT OF ein. Der Ringraumer raste weiter um den Planeten herum.
Die Fünf-Minuten-Meldungen der acht FlashKommandanten und der Untersuchungstrupps liefen regelmäßig ein. Es gab keine Pannen. Es gab auch keine Kranken mehr. Über die Planetenkrümmung kroch der Lichtschein der drei blauen Sonnen. Die POINT OF jagte dem Morgen entgegen. Bald mußte wieder die bronzeschimmernde Plastik der Menschengestalt in Sicht kommen. Um diesen Torso kreisten Dharks Gedanken. Er fragte sich, ob er das Rätsel, das über dieser Statue lag, jemals lösen würde. Tino Grappa gähnte lautstark hinter der Ortung. Aber das Gähnen verging ihm, als er von dem altvertrauten Klicken der Massenortung irritiert wurde. Er wirbelte herum und starrte den Oszillo betroffen an. »Masse«, sagte er verwirrt. »Viel Masse. Zum Teufel, was ist das!« Dhark wurde ebenfalls aufmerksam. Rasch trat er an den Ortungsspezialisten heran. Beide blickten erstaunt auf den Anzeigepegel. Zuerst lag Verständnislosigkeit in ihren Blicken. Doch plötzlich zuckte ein unglaublicher Gedanke durch Dharks Hirn. Diese Massenwerte? Diese Massenwerte stimmten mit irgend etwas haargenau überein. Tino Grappa schien diese Übereinstimmung im gleichen Augenblick bemerkt zu haben. Langsam wandte er den Kopf und sah Ren Dhark verstört an. »Verstehen Sie das?« »Ich verstehe nur eins«, erwiderte Ren Dhark. »Es kann sich um keine Stadt handeln. Dazu ist die Masse zu klein. Aber runter müssen wir. Und das sofort!« Seine Befehle alarmierten die Besatzung. Tino Grappa berechnete die genaue Lage der Masse und gab die Daten an Ren Dhark durch.
Langsam veränderte sich das Bild. Der Morgen war da. Das erste strahlende Blau einer der Sonnen schmerzte in den Augen. In fieberhafter Erwartung sahen die Männer den nächsten Minuten entgegen. Wer würde es zuerst entdecken? Arc Doorn war es. Mit unnachahmlich mürrischer Geste wies er zum Schirm empor. »Rot 42:02,11 und Grün 02.13,02!« Alle Blicke saugten sich an diesem Punkt fest. Zuerst schien es, als würden die Sonnenstrahlen dort von einem Spiegel reflektiert werden. Zwischen zwei bizarren Felserhebungen blitzte es auf. Die POINT OF kroch förmlich darauf zu. Eine riesige Bergwand wanderte über den Schirm. Sie steuerten eine breite Felsschlucht an, die im Zielgebiet der Massenortung lag. Dhark hatte plötzlich den Eindruck, von einer Faust gepackt und geschüttelt zu werden. Ungläubig staunte er die Masse schimmernden Metalls an. Er ballte die Hände zu Fäusten und glaubte, einer optischen Täuschung unterlegen zu sein. Er mußte wahnsinnig geworden sein. Dort unten lag – die POINT OF! Der Ringraumer verhielt plötzlich. Dhark mußte erst einmal darüber Klarheit haben, ob er nicht wieder in eine Art von Falle hineingeriet. Aber je länger er und seine Offiziere auf dieses erstaunliche Bild blickten, desto klarer wurde ihnen, daß dort unten nicht die POINT OF, sondern das Wrack eines anderen Ringraumers lag. Das Ebenbild der POINT OF. Ein Schwesterschiff. »Unglaublich«, hauchte Ren Dhark.
»Wie nanntet ihr doch diesen Planeten?« gab Arc Doorn knurrend zurück. »Mirakel? Dan Riker ist wahrscheinlich unter die Hellseher gegangen.« Ein fassungsloses Staunen ließ die Männer um Ren Dhark minutenlang schweigen. Dhark faßte sich zuerst. »Landen wir!« Wenig später standen die Männer vor der unglaublichen Tatsache, daß es sich bei diesem Wrack tatsächlich um ein Schwesterschiff der POINT OF handelte. Die C-14-Analyse ergab eindeutig, daß auch dieses Schiff vor nur eintausend Jahren gebaut wurde. Eine fieberhafte Tätigkeit setzte ein. Einzelne Gruppen untersuchten jeden Winkel des Wracks. Als sie bei Ren Dhark wieder zusammentrafen, gab es noch immer keine Erklärung. Das Schiff war zerstört worden. Doch welche gigantische Kraft konnte diesen Ringraumer vernichtet haben? »Leergeplündert hat man das Schiff«, erboste sich Arc Doorn Dhark sah zu den drei blauen Sonnen empor. Hier stand er. Auf Mirac. Auf einem Planeten, der einmal von diesen drei blauen Sonnen eingefangen worden war. Hier stand er vor der ersten Spur der Mysterious. Was mochte hier auf diesem Planeten vor tausend Jahren geschehen sein? Würde er jemals eine Antwort auf diese Frage erhalten? Ren Dharks Gedanken wanderten zurück. Die Mysterious! Wie hatten die Utaren sie genannt? Grakos! Teufel! Ausgeburten der Hölle! Sollten die Mysterious tatsächlich mit den Grakos identisch sein?
-ENDE-
REN DHARK Wer enträtselt die Vorgänge im Industrie-Dom auf Deluge? Nur zwei Männer wagen es, im Groß-Transmitter zu bleiben, als sich wieder einmal nach einer bestimmten Zeit die Sperre schloß: der Wissenschaftler Tim Acker und Manu Tschobe! Doch als die Sperre wieder abgeschaltet worden ist, sind beide Männer verschwunden. Wird man sie jemals wiedersehen? Haben sie den Weg zu den Mysterious gefunden? Ren Dhark entdeckt auf dem Planeten Mirac im Blue StarsSystem neben dem zerstörten Ringraumer einen intakten Flash, in dem das Symbol der Mysterious in einer kleinen Abbildung liegt: ein goldener Spiralnebel. Das ist der endgültige Beweis, daß die Mysterious auf diesem Planeten waren. Doch als Ren Dhark dem Bordgehirn der Point Of alle Daten über das gefundene Emblem und den Flash eingibt, leuchten die roten Kontrollen auf: Der Checkmaster verweigert die Auskunft! Lesen Sie den nächsten REN DHARK-Roman
Transmitter-Drohung von Kurt Brand in dem Ren Dhark und seine Männer verzweifelt versuchen, endlich hinter das Geheimnis der Mysterious zu kommen. Bei Ihrem Zeitschriftenhändler oder der nächsten Bahnhofsbuchhandlung können Sie diesen Band in 14 Tagen erwerben. Ihre REN DHARK-Redaktion im MARTIN KELTER VERLAG