Auf den Spuren der Unbekannten SF-Roman von Thomas Lockwood Als Pjetr Kubaikjew erwachte, vermochte er nicht sofort die...
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Auf den Spuren der Unbekannten SF-Roman von Thomas Lockwood Als Pjetr Kubaikjew erwachte, vermochte er nicht sofort die Ursache dessen herauszufin den, was seine nächtliche Ruhe gestört hatte. Der Pyjama, der für seine hagere Gestalt zwei Nummern zu groß zu sein schien, war feucht und klamm. Die Bettdecke, die seine Finger umklammerten, schien zu einem widerspensti gen Fremdkörper geworden zu sein, der be ständig jeden Versuch vereitelte, dem schwer atmenden Mann Behaglichkeit zu vermitteln. Kubaikjew blieb einige Augenblicke regungslos liegen und versuchte, sich seiner Empfindun gen klar zu werden. Er mußte einen Alptraum gehabt haben, aber dennoch fühlte er sich nicht so abgespannt und zerschlagen, wie das nach einer derartigen Schlafstörung normaler weise der Fall war. Sein rechter Arm kroch un ter der Decke hervor und tastete nach der schmalen Kontrolleinheit, die in der an der Liege anschließenden Konsole eingelassen war. Die Fingerkuppen berührten einen Sen
sor, und sofort wurde der Ruhesektor seiner Wohneinheit in sanftes, wohltuendes Licht ge taucht. »Wie spät ist es?« fragte der Hagere und wunderte sich sekundenlang über den merk würdig fremden Klang seiner Stimme. »Es ist exakt 1.30 Uhr pZ«, kam die melodi sche Antwort. »Ihre Arbeitsperiode beginnt erst in sechs Stunden und dreißig Minuten.« »Ich weiß«, murmelte Kubaikjew und schwang seine Beine von der Liege. »Ich kann jetzt nicht mehr schlafen. Standardfrühstück in fünfzehn Minuten.« Der Computer seiner Wohneinheit bestätigte. Pjetr nickte befriedigt und wankte in seine ge räumige Hygienezelle. Knapp fünfzehn Minu ten später saß er, in einen bequemen Zweitei ler gekleidet, am Tisch und widmete sich dem Schinken und den Spiegeleiern, die der Comp für ihn zubereitet hatte. Er hatte zwar kaum mehr als drei Stunden geschlafen, aber als er sein Frühstück verzehrt hatte, einen vorsichti gen Schluck von dem dampfenden Kaffee nahm und sich eine Zigarette anzündete, fühlte er sich so frisch und munter wie nach einer langen Nacht voll ungestörter Ruhe. Sollte er ins Institut fahren? Um diese Zeit war dort außer der obligatorischen Wach
mannschaft niemand anwesend, er konnte also mehrere Stunden arbeiten, ohne daß er von Kollegen gestört wurde. Kubaikjew nahm einen tiefen Zug und blies den Rauch gegen die Decke, wo er von mikro skopisch kleinen Düsen abgesaugt und in die Filter geleitet wurde. Fast zwei Standardjahre arbeitete er nun schon hier auf Logannidaror. Die Zentralwelt des Fünf-Sonnen-Bundes war in gewisser Wei se in dem bisher bekannten Gebiet der Galaxis einmalig: Es war der einzige Planet, auf dem man, in ei nem weltumspannenden Katakombensystem, gleich drei Artefakte der Unbekannten gefun den hatte. Offensichtlich war Logannidaror für jenes rätselhafte Volk von irgendeiner beson deren Bedeutung gewesen, wenn auch nie mand, auch er selbst nicht, zu sagen vermocht hätte, von welcher Art diese Besonderheit ge wesen war. Ebensowenig war klar, was diese Statuen für einen Zweck hatten. Bis vor weni gen Jahren war man sich noch einig darüber gewesen, daß sie materieller Ausdruck eines fremdartigen Kultes waren. Doch dann war es einem Wissenschaftler durch Zufall gelungen, eine dieser Statuen zu öffnen. Er fand, so gut wie nicht beschädigt, hauchdünne Folien aus
einem synthetischen Material. Ein weiteres halbes Jahr hatte es gedauert, bis man heraus gefunden hatte, daß diese Folien Informations träger waren, die zwar keine Schriftzeichen in bekannter Form aufwiesen, deren molekulare Struktur jedoch eindeutige Rückschlüsse auf eine bewußte Einwirkung zuließen. Die Folien beinhalteten also Wissen, Mitteilungen, auch wenn sich niemand vorzustellen vermochte, welche Sinnesorgane erforderlich waren, um diese strukturellen Botschaften zu »lesen«. Kubaikjew nickte gedankenverloren und drückte seine Zigarette aus. Natürlich gab es noch immer einige Fremdrassenforscher, die steif und fest behaupteten, die Statuen seien Kulturartefakte, und bei den Folien handele es sich um irgend etwas, nur nicht um Botschaf ten. In der Mehrheit der Fachwelt jedoch hatte sich die Auffassung durchgesetzt, daß die Sta tuen Mini-Archive seien, mit einem Inhalt, der jeden, aber auch jeden Aufwand an For schungsarbeit wert war. »Richtig«, murmelte der Hagere und zündete sich eine weitere Zigarette an. Die Unbekannten wurden sie im Jargon ge nannt, die richtige, das heißt die wissenschaft lich exakte Bezeichnung lautete MZ/II+/1, wo bei »MZ« den Hinweis auf den betreffenden
Katalog darstellte, »II+« den Typ der Spezies klassifizierte und die »1« die Anzahl der Zivili sationen gleichen Klassements kennzeichnete. Typ »II+«, das bedeutete, daß man hier auf die Spuren und Hinterlassenschaften eines Volkes gestoßen war, das, vom Energiebedarf her gesehen, über die zweite Stufe schon hin aus war. Die Unbekannten hatten also, vor Zehntausenden von Jahren, eine Energiemen ge zur Aufrechterhaltung ihres zivilisatori schen Standes benötigt, die über den Energie haushalt einer ganzen Sonne hinausging! Wollte man groben Schätzungen glauben, dann erreichte die über weite Sternenräume verteilte Menschheit – sah man einmal von den weniger entwickelten Planeten ab – diesen Standard frühestens in fünftausend Jahren. Und da gab es tatsächlich noch Wissenschaft ler, die sich selbst als Fachleute bezeichneten und behaupteten, die MZ/II+/1-Forschung sei nutzlos, reine Verschwendung finanzieller Ressourcen. Kubaikjew schüttelte, ohne sich selbst dessen bewußt zu werden, den Kopf und nahm einen Schluck aus der Tasse, in der der Kaffee nun schon merklich abgekühlt war. Zugegeben, seit zwei Standardjahren trat man auf der Stelle. Mit Hilfe leistungsfähiger
Elektronengehirne, nicht nur denen des hiesi gen Instituts, hatte man die strukturellen Zei chen vieler Folien erkennen und speichern können. Das Hauptproblem jedoch war die Umsetzung in eine verständliche Sprache. Man bewegte sich hier auf völligem Neuland. Wie wollte man Zeichen übersetzen, wenn Bezugs punkte fehlten, keine – nicht eine einzige! – Relation vorhanden war? Es gab nur wenige Linguisten, die über das Wissen und die entsprechende analytische Ausbildung verfügten, die sie zur Forschung an den gefundenen Unterlagen wirklich qualifi zierten. Es gab nur eine Handvoll Männer und Frauen, die man als intuitionistische Lingui sten bezeichnete, Sprach-Wissenschaftler, die nicht nur über die notwendigen umfangrei chen Kenntnisse verfügten, sondern zudem noch ein gehöriges Maß an Intuition besaßen, eine Art sechsten Sinn, der schon mehr als ein mal geholfen hatte, fremde Kommunikations basen zu entschlüsseln und für Menschen ver ständlich zu machen. Pjetr Kubaikjew war einer von ihnen, zudem noch unbestritten der jenige, dessen Intuitionsfaktor am höchsten war. »Und was hat’s genützt?« fragte sich der Ha gere selbst. »Nichts, gar nichts! Zwei Jahre –
und wir sind noch immer so schlau wie vor her.« Kubaikjew war mittlerweile dazu in der Lage, ganze Sätze, wie viele Seiten auch immer, in je ner mysteriösen Schrift der Unbekannten nie derzuschreiben – ohne auch nur zu ahnen, welchen Sinn jene Zeichen hatten, die sich un auslöschlich in sein Bewußtsein eingeprägt hatten. Immer dann, wenn er geglaubt hatte, seine Intuition hätte ihm den Weg gezeigt, mußte er sich später eingestehen, daß diese Vorstellungen wohl zu einem nicht geringen Teil auf Wunschdenken basierten. In diesen zwei Jahren waren die Unbekann ten zu einem Dämon geworden, der vollständig von Kubaikjew Besitz ergriffen hatte. Er war von den Folien und ihren Strukturzeichen re gelrecht besessen, seine Arbeit kam einem Fie ber gleich, das an seinem Körper zehrte. Kubaikjew trank seine Tasse aus und stellte sie hart auf die Untertasse zurück. Er fühlte, daß in den vergangenen drei Stunden etwas ge schehen war, das ihm weiterhelfen würde. Ein Alptraum war es nicht gewesen, dessen war er sich mittlerweile absolut sicher. War seine schon verloren geglaubte Intuition zurückge kehrt? Hatte sich sein Unterbewußtsein mit den in seinem Gedächtnis gespeicherten Struk
turzeichen beschäftigt? Und – was noch wichti ger war: War es zu einem Ergebnis gekommen? Pjetr Kubaikjew erhob sich und schüttelte den Kopf. Er vermochte sich an nichts zu erin nern, so sehr er sich auch darauf zu konzen trieren versuchte. Aber er spürte etwas, einen Hauch von Optimismus. Der Hagere zog sich eine leichte Jacke über, nahm den Impuls-Schlüssel an sich und verließ seine Wohneinheit. Seine Arbeitsstätte war nicht weit entfernt, mit seinem Wagen waren es nur etwa zehn Minuten. * Pjetr Kubaikjews Wohneinheit lag inmitten eines pilzartigen Wohnturms, unmittelbar am Rande des Stadtkerns von Thalistan, des Ner venzentrums von Logannidaror. Es war eine bevorzugte Wohngegend, mit weiten, gepfleg ten Parks, durch die er oft, kurz vor Sonnenun tergang, zu schlendern pflegte. Natürlich wa ren die Wohnungen und Apartments in diesem Bezirk entsprechend teuer, aber Kubaikjew war auch ein gefragter Mann, dessen Gehalt für seinen Lebensstil mehr als ausreichend war.
Sein keilförmiger Gravocar parkte in einer Tiefgarage, die er durch den zentralen Anti gravschacht erreichte. Bei seinem Eintreten schaltete sich automatisch das Licht ein, und er schritt zielstrebig auf sein Fahrzeug zu. Ein Druck auf die Taste des Impuls-Schlüssels öff nete den Einstieg. Kubaikjew programmierte den Autopiloten und lehnte sich dann bequem zurück. Sum mend sprang der Motor an, der Einstieg schloß sich, dann setzte sich sein Gefährt in Bewe gung. Sekunden später verließ der Gravocar die Tiefgarage, steuerte auf die breite Haupt straße, suchte den günstigsten Leitimpuls und beschleunigte. Der Hagere sah, in Gedanken versunken, durch das transparent gewordene Material der Kabine hinaus. Es war jetzt fast 2.30 Uhr, wer jedoch ein Nachtleben in der Zwei-MillionenStadt erwartete, sah sich getäuscht. Obwohl es bereits eine Reihe von Jahren her war, erin nerte sich Pjetr Kubaikjew recht gut an das Le ben in Rigala, der Hauptstadt von Tharasis, seiner Heimatwelt, auf der er geboren und auf gewachsen war. Rigala war zwar etwas kleiner als Thalistan, doch das Leben pulsierte dort in einer Blüte, die auch größeren Städten Kon kurrenz machte.
Kubaikjew erinnerte sich gerne daran. Es war eine heitere, beschwingte Zeit gewesen, damals… Er runzelte die Stirn, als sein Gravocar in den unmittelbaren Stadtkern bog und auf eine schnellere Leitspur wechselte. Thalistan war nachts tot. Ab 24.00 Uhr plane tarer Zeit war niemand mehr auf der Straße, der die wechselnden Leuchtreklamen, die ho lografischen Projektionen, die dreidimensio nalen Suggestivbilder hätte betrachten kön nen. Leer und verlassen lagen die breiten Alleen vor seinen Augen, einsam und öde die ausge dehnten Fußgängerbereiche, tot und still die unzähligen Rollbänder. Nur hier und dort, im Schatten eines großen Gebäudes, auf zentralen Plätzen und Straßeneinmündungen, erkannte er die unförmigen Fahrzeuge der Armee, die Soldaten, die mit Nachtferngläsern zu ihm her überstarrten. Und Kubaikjew konnte sich da bei eines unguten Gefühls nicht erwehren. Die Automatik seines Gravocars strahlte zwar un aufhörlich eine bestimmte Codefolge aus, die ihn als Inhaber einer Sonderlizenz kennzeich nete, dennoch wußte er nicht, was in den Hirn en der Armeeangehörigen vorging, die ihre Finger auf den Feuerknöpfen ihrer Strahlwer
fer liegen hatten und aufmerksam auf die Kon trollen starrten. Ein huschender Ortungsre flex, gepaart mit einer Portion Nervosität, und es konnte um ihn geschehen sein. In den letzten drei Wochen war das Leben ge fährlich geworden: Militärputsch, Zwangsmaß nahmen, Ausnahmezustand, nächtliches Aus gehverbot. Von seiten des MZ/II+/1-Instituts konnte dem herrschenden Militärrat nur müh sam klargemacht werden, daß die Wissen schaftler nicht innerhalb eines bestimmten Zeitintervalls kreativ waren, also auch Gele genheit erhalten mußten, zu jeder Tages- und Nachtzeit Zugang zu den Institutscomputern zu haben. Dennoch – sie hatten alle diese Son dergenehmigung erhalten, wenn sich auch her ausstellte, daß so gut wie niemand davon Ge brauch machte. Das Risiko, von einem übereifrigen Armeeangehörigen für einen Konterrevolutionär gehalten zu werden, war den meisten Linguisten zu hoch, eigentlich auch Pjetr Kubaikjew. Doch in dieser Nacht trieb ihn neue Hoffnung ins Institut, neuer Op timismus ließ ihn die Gefahr vergessen. Als sein Fahrzeug eine der Ausfallstraßen er reicht hatte, erhöhte der Autopilot das Tempo. Thalistan wirkte gespenstisch, eine Zwei-Mil lionen-Stadt ohne Leben, voller Angst. Für Se
kunden dachte Kubaikjew daran, was hier vor ging, in den dunklen Seitengassen, in Hinter höfen und Kellern. Der Militärrat griff hart durch, Dissidenten riskierten ihr Leben. Er selbst fühlte sich dennoch irgendwie als Unbe teiligter, Außenstehender, den das, was jetzt hier auf Logannidaror geschah, nicht direkt betraf, obwohl sein Verstand ihm sagte, daß dieses Gefühl trügerisch war und mehr einem Wunsch denn der Realität entsprach. Einige Minuten später hatte Kubaikjew die eigentliche Stadt hinter sich gelassen. Der Au topilot wählte kurz darauf eine Ausfahrt, bog in eine kleinere Straße ein, die nach einigen hundert Metern direkt vor den weitläufigen In stitutskomplex führte. Es handelte sich dabei um drei ineinander verschachtelte, rechteckige Gebäude mit breiten Glasfronten, die auch um diese Stunde in helles Licht getaucht waren. Der Linguist begann sich sofort wohler zu fühlen. Dies war ein Ort, den er kannte und an dem man andererseits ihn genau kannte. Die Institutsangehörigen waren in den vergange nen zwei Jahren zu einer großen Familie ge worden, in der alle für das gleiche Ziel arbeite ten: Übersetzung der Strukturzeichen, Gewinnung neuen, umfassenden Wissens über ein altes Sternenvolk, das schon vor Tausen
den von Jahren jeder bekannten Zivilisation weit voraus gewesen war. Nur ganz kurz fragte sich der Hagere in diesem Augenblick, was ge schehen würde, geschehen mußte, wenn es ge lang, die Informationen, die die Folien bein halteten, zu entschlüsseln und so möglicherweise eine Technologie zu erschlie ßen, die der gegenwärtigen überlegen war. Das Institut war Bestandteil von Logannidaror. Alle Forschungsergebnisse waren laut dem Zehnjahresvertrag Eigentum des Fünf-SonnenBundes, wenn auch in dem gleichen Vertrag die Klausel enthalten war, daß die ermittelten Ergebnisse der gesamten Menschheit, also auch Terra und den anderen Sternenstaaten, zur Verfügung gestellt werden sollten. Ob der jetzt herrschende Militärrat, der bereits offene Gebietsforderungen an das Andarrisa-System, das in der Nähe des Fünf-Sonnen-Bundes lag und zu den »Unabhängigen« gehörte, gestellt hatte, diese Klausel wirklich erfüllte, war zwei felhaft. Pjetr Kubaikjew parkte seinen Gravocar di rekt vor dem Haupteingang und schritt auf das breite Portal zu, dessen eine Hälfte sich bei sei nem Erscheinen surrend zur Seite schob. Er trat in eine gemütlich eingerichtete Empfangs halle mit dicken, schallschluckenden Teppi
chen, meterhohen, exotisch wirkenden Pflan zen und einer niedrigen Sitzecke mit mehreren kleinen Tischen. Das Institut, besser gesagt, ein Teil des Insti tuts, diente gleichzeitig auch als Museum, und die Empfangshalle war daher für die Besucher besonders bequem und verhältnismäßig exklu siv ausgestattet worden. An der rückwärtigen Front des Raumes, der in ein sanftes, ein schmeichelndes Licht getaucht war, war ein halbrunder, tresenähnlicher Arbeitstisch in den Boden eingelassen, hinter dem ein älterer Mann hockte. »Guten Abend, Milan«, sagte Kubaikjew mit einem Nicken. »Guten Morgen«, entgegnete der Alte demon strativ und beugte sich etwas vor. »Wissen Sie eigentlich, wie spät es ist?« Der Linguist nahm den speziellen Code-Ge ber entgegen, der ihm innerhalb des Instituts zu allen Räumen und technischen Einrichtun gen Zugang gewährte. »So um 2.45 Uhr, nicht wahr?« erwiderte er dann und sah den Wachmann an, um dessen Mundwinkel jetzt ein Lächeln spielte. »Fast richtig. Leiden Sie an Schlaflosigkeit? Wenn ich Feierabend habe, bringen mich kei ne zehn Pferde hierher.«
Sie sind auch kein Linguist, wollte Kubaikjew daraufhin sagen, doch er schluckte diese un freundliche Bemerkung hinunter, verzog nur in angeblicher Verzweiflung die Mundwinkel, zuckte mit den Achseln und steuerte auf einen anschließenden Korridor zu, der weiter ins In stitutsinnere führte. Hinter ihm schüttelte Milan den Kopf. Wis senschaftler! dachte der Wachmann mit einem gehörigen Maß an Unverständnis und wandte sich dann wieder dem Studium seiner HoloZeitschrift zu. Pjetr Kubaikjew marschierte durch einsame Korridore und Gänge, benutzte einen Lift und mehrere Transportbänder, dann hatte er sein Büro erreicht, in dem er schon zwei Jahre über den Strukturzeichen grübelte. Er pflegte seine Arbeitsstätte Büro zu nennen, dennoch war es mehr ein überdimensionales Terminal. Über eine Reihe von kompakten Schaltpulten hatte er die Möglichkeit, jederzeit die leistungsfähi gen Elektronengehirne für seine Arbeit einzu setzen, die in mehreren unterirdischen Stock werken untergebracht waren. Er konnte sich von hier aus zu jedem Zeitpunkt über die Art der Tätigkeit seiner Kollegen informieren und darüber, welche Fortschritte sie erzielten. Da mit war gewährleistet, daß jeder der hier täti
gen Sprachforscher nicht nur individuelle Stu dien betrieb, sondern gleichzeitig auf den un mittelbar vorher geschaffenen Erkenntnissen aufbaute. Pjetr Kubaikjew lachte halblaut, als er sich in seinen breiten Sessel sinken und seine Finger über die Tastaturen und Sensoren der Elektro nikbänke auf der großflächigen Schreibtisch platte wandern ließ. Summend erwachten die Aggregate, Kontrollampen flackerten auf und signalisierten in einem satten Grün ihre Be reitschaft. Der Hagere schloß kurz die Augen, dann preßte er eine bestimmte Taste in die Fassung. Die mehrere Quadratmeter große Projektions fläche, die fast die gesamte Fläche der ihm ge genüberliegenden Wand einnahm, wurde mil chiggelb. Farbschleier huschten über die Oberfläche, dann stabilisierte sich das Bild. Symbolgruppen flammten auf, die auf den er sten Blick wie Projektionsstörungen erschei nen mochten, bei näherem Hinsehen und ent sprechenden Kenntnissen jedoch als Strukturzeichen zu identifizieren waren. Mole kularleser waren entwickelt worden, die die Einwirkungen der Unbekannten auf die Mole kularstruktur der Folien für menschliche Au gen erst erkennbar gemacht hatten. Das, was
Kubaikjew jetzt aus zusammengekniffenen Au gen musterte, war die Umsetzung jener mole kularen Zeichen in das Äquivalent einer Schrift, von der man glaubte, daß sie dem In halt, der eigentlichen Botschaft, gerecht wur de. Pjetr wagte nicht daran zu denken, wie es um die Erfolgsaussichten der Forschungsar beit stand, wenn diese umgesetzten Zeichen nicht exakt waren… Kubaikjew betrachtete die flimmernde Pro jektion lange. Er drängte alle anderen Gedan ken beiseite, konzentrierte sich nur noch auf die eigenartige Nicht-Symmetrie jener Zei chen, die einen Schlüssel für die Revolutionie rung von menschlicher Wissenschaft und Technik darstellten. »Jetzt laß mich nicht im Stich«, stöhnte er und meinte damit die Eigenschaft, die allge mein als Intuition bezeichnet wurde. Seine Hände und Finger schienen von den be fehlenden Impulsen seines Hirns unabhängig zu werden. Sie wurden zu sich selbständig be wegenden Werkzeugen, mit denen er rein ge fühlsmäßig die Projektion variierte. Er redu zierte die Anzahl der Strukturzeichen auf eine Weise, daß nur noch das sichtbar wurde, was man allgemein »Sätze« nannte, ohne dabei auch nur zu ahnen, ob diese Klassifizierung
der Realität entsprach. Er preßte seine Kiefer zusammen, bohrte seinen Blick in die Zeichen, die vor ihm aufzuwachsen schienen, bis sie sein ganzes Gesichtsfeld einnahmen. Er merkte nicht, daß er stöhnte und ihm der Schweiß aus allen Poren brach. Er war in die sen Minuten, die bald zu Stunden wurden, nicht mehr er selbst. Sein Geist wurde zu einem Teil dessen, was seine Augen sahen. Wieder und wieder veränderte er die Projek tion. Irgendwo in einem Winkel seines Be wußtseins regte sich Triumph. Er kam weiter! Das, was ihn in den letzten langen Monaten immer wieder im Stich gelassen hatte, war zu rückgekehrt. Seine rationalen Kenntnisse, sein Wissen, das er in harter Arbeit erworben und erweitert hatte, waren in den Hintergrund ge drängt worden. Was im Augenblick zählte, war nur noch sein Gefühl für die Bedeutung jener Zeichen, zu deren Bestandteil er geworden war. Seine Hände griffen nach dem bereitliegen den Magnetschreiber, schoben eine Folie zu recht. Ohne auch nur für einen einzigen Se kundenbruchteil seinen Blick von der Projektion abzuwenden, begann er sich Noti zen zu machen, setzte er Strukturzeichen in
Relation zueinander, hielt er in kurzen Worten das fest, was er dabei gefühlt hatte. Einzelne Zeichen zu untersuchen, hatte keinen Zweck. Er richtete seine Aufmerksamkeit bald auf Symbolgruppen und versuchte, sie intuitiv in menschliche Begriffe umzusetzen. Die erste Schreibfolie war voll. Er griff zu ei ner zweiten, dann zu einer weiteren. Rechts von ihm, direkt neben dem Terminal, das ihn mit einem Computer verband, begannen sich seine Notizen zu häufen. Irgendwo in Kubaikjew regte sich die Be fürchtung, daß, wenn er jetzt seine Aufmerk samkeit abwandte, er niemals wieder einen derartigen Ausbruch seiner Intuition erleben würde. Doch nach fast fünf Stunden höchster Konzentration war er so erschöpft, daß sein Kinn auf die Brust sank und er plötzlich erheb liche Mühe hatte, seine Augen offenzuhalten. Beinahe automatisch tastete seine Hand nach dem Aus-Schalter. Als die Projektion knisternd erlosch, zuckte er zusammen und verfluchte diese Reflexhandlung. Er schüttelte den Kopf. »Nein«, sagte er zu sich selbst, während er tief durchatmete. »Es ist besser so. Wenn die Daten falsch werden, ist meine ganze Arbeit umsonst.« Zerschlagen zündete er sich eine Zigarette
an, blickte dem Rauch nach und versuchte sich zu entspannen und für einen Augenblick an gar nichts zu denken. Sein Zweiteiler war durch und durch feucht. Mit der rechten Hand fuhr er sich über die Haare und stellte dabei unbewußt fest, daß sie fast so naß waren, als wäre er gerade unter der Dusche gewesen. Als er sich seinen Notizen zuwandte, regi strierte er ein wenig erstaunt, daß er nicht das Computerterminal benutzt hatte, um seine in tuitiv gewonnenen Daten festzuhalten. Er run zelte die Stirn und vertiefte sich, seine Müdig keit bekämpfend, in das Studium seiner Aufzeichnungen. Er benötigte nur einige Minuten, um zwei felsfrei festzustellen, daß das Ergebnis seiner nächtlichen Arbeit sensationell war. Nach wei teren zehn Minuten war seine Erschöpfung wie weggewischt, und er ließ sich rasch den »Text« einiger bestimmter Folien ausdrucken. Mit fliegenden Fingern ging er daran, mit seinem Magnetschreiber das hinzuzusetzen, was er für die Bedeutung der einzelnen Strukturzeichen hielt. Diese Arbeit nahm eine weitere halbe Stunde in Anspruch. Kubaikjew ließ seinen Magnet schreiber los, als er glaubte, die Übersetzung beendet zu haben. Schwer atmend lehnte er
sich in seinem Sessel zurück. »Volltreffer«, murmelte er. Er ließ die beschriftete Folie sinken, nach dem er das, was er den Strukturzeichen beige fügt hatte, nochmals studiert hatte. Seine Ge danken drohten, in ein unkontrollierbares Chaos abzusinken, als er sich über die mögli chen Konsequenzen klar zu werden versuchte, die seine Entdeckung nach sich ziehen konnte. Das Bild des nächtlichen Thalistan zog an sei nem inneren Auge vorüber, der Militärputsch, die neuen Machthaber des Fünf-Sonnen-Bun des, die territorialen Forderungen an das An darrisa-System. Was geschah, wenn die Magnetfolien, die vor ihm auf der Schreibtischplatte lagen, in die Hände des Militärrates fielen? Würde er die Klausel des Zehnjahresvertrags erfüllen, nach der die gesamten Erkenntnisse aus der Unbe kannten-Forschung allen Menschheitsvölkern der Galaxis zur Verfügung gestellt werden soll ten? Pjetr Kubaikjew schüttelte langsam und nachdrücklich den Kopf. Er verstand nicht viel von Politik und bedauerte in diesem Augen blick, daß er sich nicht näher über die neuen Verhältnisse auf Logannidaror und den ande ren Welten des Fünf-Sonnen-Bundes infor
miert hatte. Aber er glaubte nicht, daß dem Mi litärrat der Zehnjahresvertrag sonderlich am Herzen lag, nicht, wenn er in Besitz dieser Fo lien und des Übersetzungsschlüssels gelangte, den Kubaikjew jetzt gefunden zu haben glaub te. Der Linguist warf einen raschen Blick auf den Chrono und zuckte zusammen. Es war be reits später, als er gedacht hatte. Er beglück wünschte sich jetzt dazu, daß er nicht einen der Computer dazu benutzt hatte, seine Noti zen abrufbereit zu halten. Sie wurden damit gleichzeitig für seine Kollegen gespeichert, und es war ihm unmöglich, einmal eingegebene Da ten wieder zu löschen. Kubaikjew mißtraute nicht etwa den anderen Sprachforschern des Instituts, aber er wußte nicht, welche Überwa chungsmaßnahmen der Militärrat bereits ein geleitet und angeordnet hatte. Alle hier erar beiteten Erkenntnisse gehörten Logannidaror. Was lag näher, als zu vermuten, daß sich gera de die neuen Machthaber über den Stand einer – möglicherweise – derart einträglichen For schungsarbeit informierten? Kubaikjew fuhr erschrocken herum, als Stim men an seine Ohren drangen. Es war schon so weit, die ersten Kollegen und Kolleginnen suchten ihre jeweiligen Arbeitsstätten auf.
Der Hagere griff rasch nach dem Stapel be schrifteter Folien, überflog die oberste prü fend und legte sie dann beiseite. Sie war, so weit er das beurteilen konnte, die bei weitem wichtigste. Sie beinhaltete eine Information, die weitaus gefährlicher war als ein schwerbe waffnetes Raumgeschwader. Vorsichtig rollte er sie zusammen und schob sie in eine Tasche seines Zweiteilers. Die anderen ließ er kurzer hand in der Desintegrationskammer ver schwinden. Zwar waren unter diesen Notizen auch Hauptbestandteile des von ihm gefunde nen Übersetzungsschlüssels, doch er war si cher, daß er ihn mittlerweile im Kopf hatte. Sollte das nicht der Fall sein, war die Überset zung in seiner Tasche sicherlich Grundlage ge nug, um diesen Schlüssel neu zu erarbeiten. Suchend sah er sich anschließend in seinem Büro um. Nein, es war nichts mehr da, was Aufschluß darüber gegeben hätte, womit er sich in den vergangenen Stunden konkret be schäftigt hatte. Er klopfte sich noch einmal auf die Tasche, in der die Übersetzung unterge bracht war, und ein unruhiges Gefühl kroch dabei seinen Rücken hinauf. Die Folie barg für ihn ein erhebliches Risiko, das allerdings nicht zu vermeiden war. Er mußte absolut sicher sein, daß er die Fülle der Daten beherrschte,
sie mußten so fest in seinem Gedächtnis veran kert sein, daß er sie in seinem ganzen Leben nicht mehr vergaß. Erst dann durfte er sie ver schwinden lassen, vorher nicht. Kubaikjew fühlte sich matt und ausgelaugt. Dennoch war er die personifizierte Nervosität. Und seine innere Anspannung und Unruhe leg ten sich auch nicht, als er längst seine Wohn einheit in Thalistan erreicht hatte. Er wußte, daß er das, was er vorhatte, unbedingt durch führen mußte. Ein noch fragmenthafter Plan war in ihm entstanden, nach dem er sich zu richten gedachte. Wenn er sich allerdings in seiner Phantasie ausmalte, was dieses Vorha ben für ihn bedeuten konnte, dann vermochte er ein Schaudern nicht zu unterdrücken. * Genau drei Tage später meldete sich Pjetr Kubaikjew bei der Institutsleitung krank. Wie derum zwei Tage später erlitt der Linguist einen schweren Herzinfarkt, der nur durch einen glücklichen Zufall – er befand sich gera de nicht in seiner Wohneinheit – sofort be merkt wurde. Der herbeigerufene ärztliche Notdienst stellte fest, daß Kubaikjew im Koma lag, und transportierte ihn sofort in eine Spezi
alklinik Thalistans, wo er in der Intensivstati on untergebracht wurde. In dieser Klinik ar beiteten zwei bekannte Herzspezialisten, die den Linguisten etwa sechzig Minuten nach sei nem Infarkt eingehend untersuchten und da bei einen irreparablen Schaden an der linken Herzkammer feststellten. Eine Operation war sinnlos und konnte dem Patienten in seiner gefährlichen Lage höch stens den Tod bringen. Eine Brutanstalt zur Heranzüchtung neuer Organe auf der Basis der individuellen Körperchemie existierte auf ganz Logannidaror nicht. Es gab nur eine einzige Möglichkeit, das Le ben Kubaikjews zu retten. Er mußte sofort in den schnellsten Liner, der verfügbar war, ver frachtet und auf Darranga im Golinkarra-Sy stem in eine Klinik transportiert werden, die über eine Brutanstalt verfügte. Die Rückfragen der Behörde, die Ausreisege nehmigungen erteilte, beim Forschungsinsti tut ergaben, daß Kubaikjew ein wichtiger, so gar unentbehrlicher Mitarbeiter war, was zur Folge hatte, daß der Transport des immer noch im Koma Liegenden schnellstens in die Wege geleitet wurde. Angeschlossen an komplizierte Lebenserhal tungsgeräte trat der Linguist die Reise an. In
einer Klinik auf Darranga wurde eiligst und ex tra für ihn ein neues Herz gezüchtet, leistungs fähiger als das alte, und vor allem gesund. Ku baikjew blieb exakt sechs Wochen unter Aufsicht der Ärzte. Da sich im Verlauf dieses Zeitraums keine Komplikationen ergaben, wurde er entlassen und trat einige Tage später die Heimreise nach Logannidaror an. Sechs Wochen und fünf Tage nach seinem Herzin farkt, der beinahe tödlich verlaufen wäre, nahm Pjetr Kubaikjew, offenbar vollkommen wiederhergestellt und bei bester Gesundheit, seine Forschungsarbeit im Institut außerhalb von Thalistan wieder auf. Er hatte etwas in Gang gebracht, wovon er sich zu diesem Zeitpunkt keine Vorstellung machen konnte. * »Kennen Sie die Unbekannten?« Die Stimme Martin Fergusons, seines Zei chens Vorsitzender des Sicherheitsbüros, war wie immer klar und scharf akzentuiert. Den noch zog Toger Raman fragend die Augenbrau en in die Höhe und beugte sich etwas vor. »Ob ich die Unbekannten kenne?« echote er. Ferguson räusperte sich kurz und studierte
mit viel Aufmerksamkeit den Magnetschrei ber, den er zwischen den Fingern drehte. »Nun ja«, sagte er, »die Frage ist ein wenig unglücklich formuliert.« Mit Hilfe der Sessellehnen stemmte er seine massige Gestalt hoch, trat an eine unscheinba re, in die Wand eingelassene Kontrolltafel und betätigte einen Sensor. Summend schob sich der größte Teil der holzimitierten Wandver kleidung beiseite und enthüllte damit die drei dimensionale Projektion einer Sternenkarte. Ferguson griff nach einem Zeichengeber und trat näher an die glitzernden Punkte heran. Toger lehnte sich bequem zurück. »Zäumen wir also das Pferd von der anderen Seite auf«, sagte Ferguson, sah den Sicher heitsbeauftragten kurz an und deutete dann auf die Karte. »Sie sehen hier die Projektion des Großsektors Tau – wie Sie wissen, im Mit tel knapp tausend Lichtjahre entfernt.« Ferguson preßte eine Taste seines Zeichenge bers nieder. Fünf der glitzernden Punkte leuchteten rot auf. Sie lagen zueinander in un mittelbarer Nachbarschaft. »Das«, erklärte er, »ist der unabhängige Ster nenstaat, der sich Fünf-Sonnen-Bund nennt. Und dies hier«, einer der roten Punkte begann in ruhigem Rhythmus zu pulsieren, »ist die
Zentralwelt: Logannidaror.« »Ich bin informiert«, sagte Toger mit einem Nicken und fragte sich, worauf sein Chef hin auswollte. Was war so wichtig, daß er deswe gen seinen wohlverdienten Urlaub hatte abbre chen müssen? »Gut«, brummte Ferguson. »Wahrscheinlich wissen Sie auch schon, daß auf Logannidaror und den anderen Welten dieses Sternenstaates vor knapp neun Wochen ein wohlvorbereiteter Militärputsch stattgefunden hat. Die gewählte Regierung – die übrigens auch nicht gerade sehr terrafreundlich war – ist abgesetzt, zum Teil inhaftiert, zum Teil verschwunden. Die Macht liegt jetzt in den Händen eines zwanzig köpfigen Militärrates, und man kann bereits jetzt absehen, daß dieses Regime eine aggressi ve Außenpolitik verfolgt. Offizielle Gebietsfor derungen an das Andarrisa-System – hier – sind bereits gestellt.« Er wandte sich von der Projektion ab und blickte Toger Raman tief in die Augen. »Das als Hintergrundinformation. Hm, auf Logannidaror existiert ein ausgedehntes For schungsinstitut, das sich mit den Hinterlassen schaften der Unbekannten, besser gesagt, der MZ/II+/1, beschäftigt. An diesem Institut ar beitet unter anderem auch ein gewisser Pjetr
Kubaikjew, geboren auf Tharasis.« »Kubaikjew, Pjetr Kubaikjew?« wiederholte Toger. »Moment, damals, während des Einsat zes auf Fargas habe ich einen Kubaikjew ken nengelernt. Er hat uns einige Informationen zukommen lassen, die…« »Genau der ist es«, unterbrach ihn Ferguson und nickte nachdrücklich. »Und dieser Kubai kjew scheint sich Ihrer erinnert zu haben.« Er desaktivierte die Projektion und ließ sich wieder in den Sessel hinter seinem Schreib tisch sinken. Die Polster stöhnten gequält auf, als sie erneut belastet wurden. »Er hat das außerordentliche Risiko auf sich genommen, durch ein spezielles Mittel bei sich selbst einen höchst gefährlichen Herzinfarkt zu verursachen, um uns von einem Planeten außerhalb des Fünf-Sonnen-Bundes eine Nach richt zukommen zu, lassen. Sie besteht nur aus drei Worten: ›Brauche Hilfe! Dringend!‹« »Hm«, machte Toger. »Kubaikjew ist kein Mann, der mit solchen Dingen Schabernack treibt. Wenn er meint, daß es dringend ist, dann verhält es sich auch so.« »Das meine ich auch«, bekräftigte Ferguson. »Leider war es unmöglich, näheren Kontakt mit Kubaikjew auf Darranga aufzunehmen. Er stand unter Beobachtung und dürfte inzwi
schen nach Logannidaror zurückgekehrt sein.« »Dann muß den neuen Machthabern des Fünf-Sonnen-Bundes aber einiges daran lie gen, ihn zu behalten. Was macht ihn so wich tig?« »Das wissen wir nicht genau. Aber sein Betä tigungsfeld gibt Anlaß genug zu einigen Ver mutungen. Kubaikjew ist Linguist, ein intuitiv begabter dazu. Und er arbeitet seit nun schon zwei Jahren an den von den Unbekannten zu rückgelassenen Strukturzeichen. Was die in den Artefakten der Unbekannten aufgefunde nen Folien für uns wert sein können, weiß noch niemand. Die einen sagen, eine Überset zung könnte für unsere Zivilisation den wich tigsten Impuls seit der Erfindung des Rades bringen, die anderen halten jede weitere For schungsarbeit für reine Zeitverschwendung.« »Hm«, machte Toger erneut und legte seine Stirn in Falten. »Und jetzt diese Nachricht an uns. Kubaikjew scheint also eine wichtige Ent deckung gemacht zu haben, eine so bedeuten de, daß er sein eigenes Leben aufs Spiel setzt, um sie nicht in die Hände eines aggressiven Regimes fallen zu lassen.« »Was leider nicht ganz gelungen ist«, schränkte Ferguson ein. »Angenommen, es handelt sich bei dieser Entdeckung um eine
Waffe oder irgend etwas in der Richtung. Wenn die Unterlagen dazu in die Hände des Militärrates fallen, ist die Gefahr, die dadurch den anderen Welten und Sternenstaaten des Großsektors Tau droht, gar nicht abzuschät zen.« »Es gibt doch«, wandte Toger ein, »wenn ich mich recht entsinne, einen Vertrag über die Verwertung der gewonnenen Erkenntnisse…« »Sehr richtig«, bestätigte Ferguson und schnaubte dabei abfällig. »Was der aber ange sichts der offensichtlichen Kriegslüsternheit des Militärrates wert ist…« »Ich verstehe.« »Wenn – ich sage ausdrücklich wenn – die Auswertung der Unbekannten-Folien verwert bares Know-How bringt, dann kann der FünfSonnen-Bund von heute auf morgen allen an deren menschlichen Sternenvölkern plötzlich haushoch überlegen sein. Addieren Sie dazu die politischen Aussagen des Militärrates, und Sie kommen zu einem Ergebnis, das nicht nur für die Nachbarn Logannidaros, sondern auch für uns äußerst bedrohlich ist.« »Wenn ich Sie richtig verstehe, Chef, dann soll ich dafür sorgen, daß das, was Kubaikjew entdeckt hat, der Interstellaren Wissenschaft lichen Vereinigung zugänglich wird. Wenn der
Militärrat inzwischen entsprechende Kennt nisse an sich bringen konnte, dann ist eine ga laxisweite Veröffentlichung die beste Methode, um den Fünf-Sonnen-Bund von Kriegsgedan ken abzubringen, da dann der vermeintliche technologische Vorsprung nicht mehr exi stiert.« »Genau. Außerdem wird damit auch der Ver trag, den Sie schon angesprochen haben, er füllt. Außer Ihnen arbeitet noch ein weiterer Sicherheitsbeauftragter an dieser Sache, unab hängig von Ihnen. Sollten Sie also diesen Auf trag – aus welchen Gründen auch immer – nicht erfüllen können, so ist damit das Unter nehmen noch nicht gescheitert.« »Wer ist es?« Ferguson schüttelte den Kopf. »Es ist besser, wenn Sie sich nicht kennen. Was Sie nicht wissen, kann man auch nicht aus Ihrem Hirn pressen…« Toger Raman nickte und erhob sich. »Wann?« fragte er kurz. Martin Ferguson griff nach einer prall gefüll ten Aktentasche, die neben seinem Schreib tisch stand. »Morgen. Hier drin finden Sie alle Informa tionen, die Sie brauchen. Außerdem Tickets, Identitätskarte usw. Denken Sie daran, daß auf
Logannidaror Ihr Vorrangstatus nicht mal so viel wert ist wie der Anzug, den Sie tragen.« Toger wandte sich um und öffnete die Tür. »Ach noch etwas!« rief Ferguson ihm nach. »Sie sollten noch eine Sprachschulung absol vieren. Verkehrssprache im Fünf-SonnenBund ist zwar Interlingua, aber mit einer fremdartigen Abwandlung. Na ja, in zwei Stun den sollten Sie das geschafft haben.« Der centaurische Sicherheitsbeauftragte wi dersprach nicht. Aber da sein Vorgesetzter ihn offensichtlich für ein Sprachgenie hielt, über legte er, ob er nicht bei ihrem nächsten Zusam mentreffen um eine Gehaltserhöhung bitten sollte… * »Und das«, raunte Gipka Lifand bedeutungs voll, »ist Francis Toledo von der ›Star Gazette‹!« Pjetr Kubaikjew nickte langsam und muster te den unscheinbar wirkenden Mann, der jetzt höfliche Grüße der bereits Anwesenden erwi derte und sich einen Platz suchte, aus zusam mengekniffenen Augen. Toledo, ein Mann von etwa vierzig Jahren, in einen eleganten Anzug gekleidet, war der wichtigste Mann unter den
versammelten Journalisten. Und ganz gleich, wer jetzt noch kam: Er würde es auch bleiben. Die »Star Gazette« wurde auf allen Planeten des Fünf-Sonnen-Bundes vertrieben. Sie war die mit Abstand auflagenstärkste Zeitung, die in diesem Sternenstaat existierte. Das, was Francis Toledo nach Ablauf der Pressekonfe renz in seinen Recorder sprach, würden weni ge Stunden später viele Millionen Menschen le sen. Die »Star Gazette« brauchte auf die öffentliche Meinung keine Rücksicht zu neh men, sie machte sie! Pjetr Kubaikjew fühlte sich nervös und ge reizt, obwohl sein Verstand ihm sagte, daß ei gentlich noch kein Grund dafür vorhanden war. Zum einen war ihm der Umgang mit Be richterstattern, die ihn jetzt kalt, Blutsaugern gleich, musterten und nach Schwächen such ten, ungewohnt, zum anderen wußte er nicht, ob das, was er vorzubringen gedachte, über zeugend genug war. »Was hast du auf Darranga angestellt?« hatte ihn sein Kollege Lifand nach der Rückkehr ge fragt. Dann hatte er ihm mitgeteilt, daß der Planetare Sicherheitsdienst überall Auskünfte über ihn eingeholt hatte, seine Person und sei ne Arbeit betreffend. Kubaikjew konnte natürlich nicht ahnen,
wieviel der PSD bereits über ihn wußte, aber die plötzliche Bedeutung, die seine Person of fensichtlich beim Geheimdienst gewonnen hat te, beunruhigte ihn zutiefst. Wenn der PSD von der kurzen Nachricht wußte, die er auf Darran ga an das Sicherheitsbüro gerichtet hatte, dann war es um sein eigenes Schicksal nicht mehr besonders gut bestellt. Dies erschien ihm aller dings so unwahrscheinlich, daß er mehr an die zweite Möglichkeit glaubte. Der PSD konnte, auch wenn er nicht wußte, wie das möglich war, dahintergekommen sein, daß er bei der Entschlüsselung der Strukturzeichen einen be deutsamen Erfolg erzielt hatte. Daß er das nicht sofort gemeldet hatte, mußte natürlich Verdacht erregt haben. Kubaikjew hatte sich entschlossen, einen Teil seines Wissens preiszugeben, um diesen Ver dacht aus der Welt zu schaffen, zumindest aber abzuschwächen und seine Person zu schützen. Er war sicher, daß in den nächsten Tagen oder Wochen ein Mann auf Logannidaror eintreffen würde, den er unter dem Namen Toger Raman kannte. Er mußte dem Sicherheitsbeauftragten – und nur ihm – das entschlüsselte Geheimnis der Unbekannten mitteilen. Der Hagere zuckte kaum merklich zusam men, als sich, die breite Tür des halbrunden
Raumes schloß und Jansor Migan, der Leiter des Forschungsinstituts, sich räusperte. Außer ihm, Gipka und Migan saßen noch einige ande re Sprachforscher an den hohen Tischen und suchten in Aktenstapeln, um nicht ständig den bohrenden Blicken der Journalisten begegnen zu müssen. »Meine Damen und Herren«, sagte Jansor Migan mit seiner souveränen Stimme und sah sich lächelnd um, »ich glaube, wir können be ginnen.« Während er sich räusperte, verstummte das leise Stimmengewirr. Knisternde und ge spannte Ruhe breitete sich aus. »Wie Sie alle wissen«, begann Migan, »be schäftigen wir uns im Institut nun schon seit einigen Jahren mit den auf Logannidaror ge fundenen Hinterlassenschaften der Unbekann ten, genauer gesagt, der MZ/II+/1.« Er betätigte einen Sensor, eine große Projek tionsfläche an der Wand flammte auf und zeig te die dreidimensionale Darstellung einer der drei Statuen. Das Bild wechselte nach einigen Sekunden zu einer Folie über. »Diese, wie wir sie nennen, Folien, stellten sich bald als Informationsträger heraus. Ihre Molekularstruktur ist so manipuliert, daß man zweifellos von Zeichen sprechen kann.«
Wieder wechselte das Bild. »Diese Zeichen beschäftigen Sprachforscher aller Sternenstaaten nun schon seit geraumer Zeit. Man war sich seit Beginn der Forschungs arbeiten darüber klar, daß eine Entschlüsse lung, eine Übersetzung, unsagbar schwierig sein mußte, zumal jede Analogie zu anderen Schriftsprachen fehlt. Die Strukturzeichnun gen waren und sind völliges Neuland.« Er legte eine kunstvolle Pause ein und blickte auf die lauschenden und sich Notizen machen den Journalisten. »An unserem Institut arbeiten nicht nur aus gebildete und erfahrene Sprachforscher, son dern auch intuitionistische Linguisten, unter ihnen der begabteste überhaupt: Pjetr Kubai kjew.« Das war das Stichwort. Kubaikjew räusperte sich und verfluchte seine Unsicherheit. »Ich bin jetzt seit etwa zwei Jahren am Insti tut tätig«, sagte er. »Während dieser Zeit ha ben wir keinen nennenswerten Erfolg erzielen können. Meine Intuition, auf die ich mich bei anderen Arbeiten verlassen konnte, ließ mich im Stich. Bis vor einigen Tagen!« Befriedigt registrierte er, daß sein Zusatz die gewünschte Wirkung erzielte. Er griff nach dem vor ihm liegenden Impuls-
Geber, wandte sich der Bildfläche zu und ver änderte die Projektion. Einzelne Strukturzei chen-Gruppen erschienen in Übergröße. »Wie gesagt«, wiederholte er scheinbar in Gedanken, »bis vor wenigen Tagen.« Videokameras begannen zu surren. Kubai kjew wartete einige Augenblicke, bis sich das leise Singen wieder legte. »Meine Damen und Herren, die Strukturzei chen, die Sie jetzt sehen, sind nicht länger ein ungelöstes Rätsel. Die Übersetzung in Interlin gua liegt Ihnen vor. Zwar sind die Worte für uns noch so gut wie ohne jede Aussagekraft, aber der Anfang ist gemacht. Wir haben jetzt eine – wenn auch kleine – Basis, auf der wir die weitere Arbeit aufbauen können.« Er griff nach einem Zeichengeber. »Diese ersten Gruppen bedeuten etwa soviel wie: der Tod der Unerreichbaren. Die anderen Symbolgruppen scheinen mir Umschreibun gen desselben Begriffs zu sein: die Zeit der großen Welle, was immer das auch heißen mag!« Eine Hand fuhr in die Höhe. Kubaikjew wandte sich um und erschrak, als er sah, daß Francis Toledo der Fragesteller war. »Ja?« »Die von Ihnen übersetzten Strukturzeichen
beinhalten also nicht sofort verwertbares Wis sen, etwa technologischer Natur?« Kubaikjew hoffte, daß man ihm den plötzli chen Schweißausbruch nicht ansah, und schüt telte langsam den Kopf. »Nein, technologisches Wissen nicht, das ist in diesem frühen Stadium auch nicht zu erwar ten. Verwertbare Kenntnisse – ja, aber in einer anderen Art, als Sie es wahrscheinlich meinen. Wie gesagt, diese erste Übersetzung ist für uns der größte Erfolg seit der Aufnahme unserer Arbeit überhaupt. Wir haben nun eine Basis!« Einige Augenblicke lang wunderte sich der Linguist darüber, wie leicht ihm diese Behaup tung von den Lippen kam. Der Vertreter der »Star Gazette« stellte noch eine Reihe von an deren Fragen, dann folgten die Journalisten anderer Nachrichtenmedien. Je mehr Fragen Kubaikjew beantwortete, desto mehr legte sich seine Unsicherheit. Dennoch – als sich die Konferenz dem Ende entgegenneigte, war Kubaikjew nervlich erle digt. Hätte er die beiden unauffällig gekleide ten Männer in der hintersten Reihe, direkt ne ben der breiten Tür, bemerkt, die sich bedeutungsvoll ansahen, einen winzigen Re corder ausschalteten und in einer Aktentasche verstauten, wäre seine Nervosität zweifellos in
Angst umgeschlagen. * Ceron Layas preßte eine Taste nieder, und die Stimmwiedergabe erlosch. Die plötzliche Ruhe, die im Büro des PSD-Leiters von Logan nidaror herrschte, wirkte drückend. Nur die Klimaanlage summte ihr sanftes, monotones Lied. »Hm«, machte Thorsten Magran nachdenk lich und lehnte sich in seinem wuchtigen Ses sel zurück. »Wie ist Ihr Eindruck, Layas?« Der Angesprochene beugte sich etwas vor und fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. »Ich bin mir darüber selbst noch nicht ganz im klaren. Kubaikjew wirkte auf der Presse konferenz unsicher und ein wenig nervös. Al lerdings kann das auch davon herrühren, daß er als Wissenschaftler den Umgang mit Jour nalisten nicht gewöhnt ist. Der Institutsleiter Jansor Migan machte da einen wesentlich sou veräneren Eindruck. Aber der hat auch erheb lich ausgeprägtere Kontakte zu nichtwissen schaftlichen Behörden und Vereinigungen.« »Das meine ich nicht«, schnaubte Magran. »Glauben Sie ihm, seinen Ausführungen?« »Nun ja…«
»Sie sind sich also nicht sicher?« Layas verzog scheinbar verzweifelt das Ge sicht und zuckte mit den Achseln. »Das, was er gesagt hat, klingt zumindest glaubwürdig.« »Hm«, machte der PSD-Leiter erneut und legte seine Arme auf die dicke Schreibtisch platte. »Wir haben seine Vergangenheit einge hend überprüft«, fuhr er in der Art eines Selbstgesprächs fort. »Kubaikjew ist einge fleischter Linguist, scheint für nichts außer seiner Arbeit Interesse aufzubringen. Er war und ist nicht verheiratet, hat außerhalb des Kreises seiner Fachkollegen kaum Bekannte, lebt zurückgezogen und vergleichsweise be scheiden. Keine Laster, keine Hobbys.« »Und politisch ist er noch nie tätig gewesen«, fügte Ceron Layas hinzu und runzelte die Stirn. »Dennoch«, murmelte Magran. »Wir wissen mit Bestimmtheit, daß eben dieser Kubaikjew während seines Klinikaufenthalts auf Darran ga im Golinkarra-System dem sogenannten Si cherheitsbüro eine Kurznachricht hat zukom men lassen. Sogar der Inhalt ist uns bekannt: ›Brauche Hilfe! Dringend!‹ Und jetzt, kurz da nach, dieser merkwürdige, plötzliche Erfolg in der Übersetzung der Strukturzeichen.« Der PSD-Leiter erhob sich, legte die Arme auf
den Rücken und begann eine unruhige Wande rung durch sein Büro. Er war ein Mann in den besten Jahren, groß und stämmig gebaut. Al lein sein äußeres Erscheinungsbild vermittelte einen nicht unbeträchtlichen Eindruck von Au torität und Macht. »Wir wissen auch«, sagte er nachdenklich, »daß Kubaikjew einem SB-Agenten auf Fargas hilfreiche Informationen für eine Aktion des Sicherheitsbüros übermittelt hat. Der Agent war Toger Raman, übrigens derselbe Raman, der die terranische Delegation zu den Logur begleitet hat. Was wir nicht wissen, ist, welche Person der Adressat dieser Kurznachricht ist, aber das spielt eigentlich auch keine entschei dende Rolle. Raman und Kubaikjew kennen sich, was liegt also näher als die Vermutung, daß der Centauri-Geborene diese dringend be nötigte Hilfe bringen soll.« Magran unterbrach seine Wanderung, kratz te sich am Hals und ließ sich dann wieder in seinen Sessel sinken. »Raman ist, wenn er auch im Centauri-Sy stem geboren wurde, Terraner«, wandte Layas ein. »Und er gehört einer interstellaren, im Wesen jedoch terranischen Organisation an. Im Fünf-Sonnen-Bund hat er keinerlei Befug nisse!«
»Was Sie nicht sagen«, höhnte Thorsten Ma gran und schüttelte den Kopf. »Raman wird auch nicht als Raman und SB-Angehöriger auf Logannidaror erscheinen, sondern natürlich unter einer anderen Identität. Und entspre chende Maßnahmen sind natürlich längst in die Wege geleitet. Die Frage ist nur: Was ist so ungeheuer wichtig, daß ein unscheinbarer Mann wie Pjetr Kubaikjew Kopf und Kragen riskiert und das Sicherheitsbüro sich ent schließt, einzugreifen?« Die Blicke des PSD-Leiters schienen Layas zu durchbohren. »Nun«, begann Ceron. »Eigentlich liegt es auf der Hand. Es gibt nur eins, das so wichtig sein kann und von dem Kubaikjew gleichzeitig Kenntnis haben könnte: die Strukturzeichen der Unbekannten!« »Genau!« bekräftigte Magran und hieb mit seiner rechten Faust auf die Schreibtischplat te. »Und das wiederum kann nur bedeuten, daß die Erkenntnisse, die der Linguist auf der Pressekonferenz von sich gegeben hat, nur die halbe Wahrheit sind. Kubaikjew hat etwas ent deckt, etwas so Bedeutsames, daß er bei sich selbst einen irreparablen Herzschaden verur sachte, der ihn um ein Haar ins Grab gebracht hätte, nur um das Sicherheitsbüro einzuschal
ten. Und was für das Sicherheitsbüro angeb lich so wichtig ist, kann uns hier nicht gleich gültig lassen.« Er machte eine Pause und überlegte kurz. »Sie und Ihr Kollege Ganian werden Kubai kjew besuchen. Vielleicht ist er bereit, uns auf Ihre höfliche Bitte hin das mitzuteilen, was sei ner Meinung nach keineswegs in unsere Hände fallen darf.« Der grimmige Ausdruck, der sich bei diesen Worten in sein Gesicht geschlichen hatte, strafte seine Worte Lügen. * Die Zeit, die Toger Raman noch bis zu seiner Abreise verblieb, war mit harter Arbeit ange füllt. Mittels mehrerer anstrengender PsychoTrainingsstunden unterzog er sein Wissen über Logannidaror speziell und den Fünf-Son nen-Bund allgemein einer Auffrischung. Zu seiner eigenen Überraschung gelang es ihm so gar, den Logannidaror-Dialekt in nur einer Stunde und fünfundfünfzig Minuten zu erler nen – im Schnellkurs natürlich, der für seine Zwecke ausreichend war. Toger wußte, daß die Zeit drängte. Was auch
immer Kubaikjew entdeckt hatte und nun vor den Behörden von Logannidaror geheimhielt: Ein Kollege von ihm konnte jederzeit zu einem ähnlichen Erfolg gelangen. Wenn die Wahr scheinlichkeit dafür in Anbetracht der beson deren Begabung Kubaikjews auch gering war, sie mußte dennoch ins Kalkül einbezogen wer den. Und wenn der Planetare Sicherheits dienst von Logannidaror gar schon Verdacht geschöpft hatte und den Linguisten in die Man gel zu nehmen gedachte, war sogar höchste Eile geboten. Das alles hatte zur Folge, daß der CentauriGeborene verschiedene Sicherheitsmaßnah men, die auf Erfahrungswerten basierten, ver nachlässigen mußte. Er konnte es sich einfach nicht leisten, mit verschiedenen Starlinern eine Reihe von Welten anzufliegen, um so mögliche »Schatten« abzuschütteln. Die einzige Konzession, die Toger sich zuge stand, war, daß er einen Liner benutzte, der nicht auf geradem Kurs den Fünf-SonnenBund ansteuerte, sondern erst noch auf drei anderen Welten Station machte. Der Starliner »Sir Hickenworth«, ein Schiff der gehobenen Mittelklasse, kam auch den imaginären Bedürfnissen seiner neuen Identi tät sehr nahe. Marlon Viasco stand in unfälsch
baren Lettern auf seiner ID-Karte, von Beruf Edelsteinhändler. Während des Psycho-Trai nings hatte er sich auch einige einschlägige Kenntnisse angeeignet, doch zugleich den Ent schluß gefaßt, jeder Situation aus dem Weg zu gehen, in der er sein Wissen hätte unter Be weis stellen müssen. Knapp zwei Wochen dauerte die Reise, und Toger vermied es während dieser Zeit tun lichst, öfter als unbedingt notwendig in einen Spiegel zu blicken. Er galt zwar nicht gerade als galaxisweit bekanntes Individuum, sein Er scheinungsbild war jedoch in gewissen Kreisen in Karteien exakt festgehalten, so daß sich die Bioplastchirurgen des Sicherheitsbüros veran laßt gesehen hatten, sein Äußeres so zu verän dern, daß es fortan möglichst wenig mit dem eines gewissen Toger Raman gemeinsam hatte. Sein Gesicht wirkte jetzt aufgedunsen, die Ge stalt ein wenig zu massig für seine Körpergrö ße. Sein Kopf wies eine Reihe von lichten Stel len auf, und während Toger Raman siebenunddreißig Jahre alt war, war auf der ID-Karte von Marlon Viasco ein Alter von zwei undfünfzig Jahren angegeben, was seinem äu ßeren Eindruck jetzt durchaus entsprach. Zwölf Tage hatte Toger seine Umgebung an Bord der »Sir Hickenworth« unter aufmerksa
mer Beobachtung gehalten und nichts Ver dächtiges festgestellt. Den dreizehnten Tag hatte er für letzte Vorbereitungen genutzt, am vierzehnten ruhte er aus. Raman lag auf der breiten Konturliege in sei ner Kabine und döste mit halb geschlossenen Augen. Als ein helles, aber nicht unangeneh mes »Ping« ertönte, warf er einen Blick auf sei nen Chrono und stellte fest, daß bis zur Lan dung auf Logannidaror nur noch knapp vier Stunden verblieben. Er schwang seine Beine von der Liege herunter, strich seine Anzug jacke glatt und verließ seine Kabine, nicht ohne sie mit einem Impuls-Geber zu sichern. Es war üblich an Bord von Starlinern, daß es kurz vor Beendigung einer Reise noch eine Fei er im zentalen Restaurant gab. Toger hatte zwar keine Lust, daran teilzunehmen, doch ein Marlon Viasco mochte auffallen – wem auch immer –, wenn er bei dieser Gelegenheit nicht anwesend war. Der breite Korridor, durch den er schritt, lag leer und verlassen vor ihm. Hinter den Schotts, die zu angrenzenden Kabinen führten, herrschte Stille. Nur das allgegenwärtige Sum men der Aggregatsätze drang an seine Ohren, der dicke Teppich, der den nackten Stahlplast boden vor menschlichen Augen verbarg, ver
schluckte seine Schritte. Toger Raman war so in Gedanken versunken, daß ihm dieser sonderbare Zustand zuerst nicht richtig bewußt wurde. Zwölf Tage lang hatte er jeden einzelnen an Bord, ob Mann oder Frau, ob Passagier oder Besatzungsmit glied, eingehend, im Auge gehalten. Er war sich vollkommen sicher, daß sich kein auf ihn angesetzter PSD-Agent an Bord befand. Dieses Gefühl der Gewißheit mochte die Ursache da für sein, daß er relativ spät reagierte. Erst als er das zentrale Schiffsrestaurant er reicht hatte, blieb er wie angewurzelt stehen. Es war ein saalartiger Raum, halbkugelförmig, dessen Basis sich auf der Höhe des Decks be fand, auf dem er sich aufhielt. Der Gipfelpunkt lag einige Decks höher und war in der schwa chen Beleuchtung, die nicht viel mehr als die Konturen der Einrichtung erkennen ließ, kaum auszumachen. »Sieh mal einer an«, murmelte Toger und riß die Augen weit auf, um in dem Dämmerlicht dennoch möglichst viel erkennen zu können. Außer ihm befand sich niemand im Restau rant. Leer und verlassen standen die Kontur sessel vor ihm. Die fünf weiteren Ebenen, von sich selbständig regelnden Antigravitationsfel dern gehalten und gewöhnlich von farben
prächtigen Holo-Projektionen umspielt, lagen dunkel über seinem Kopf. Raman schritt vorsichtig und gespannt zwi schen den Sesseln und Tischen hindurch. Er warf einen erneuten Blick auf die matt glim mende Anzeige seines Chronos und brummte etwas Unverständliches. Knapp vier Stunden bis zur Landung. Dies war normalerweise die Zeit, zu der im Restaurant von Starlinern die letzte Ansprache der Schiffsleitung gehalten wurde. Der Zufall jedoch wollte es, daß auf der »Sir Hickenworth« gerade diese Zeit in das letzte Drittel der Ruheperiode fiel. Und kein Kapitän würde es wagen, diese Ruhe zu stören, zumal es sich in diesem Fall bei den Passagie ren nicht gerade um Minderbemittelte handel te. Da er allerdings auch die Tradition nicht vernachlässigen durfte, fand das Abschiedses sen sicher kurz nach Beendigung der Ruhepe riode statt, in etwa neunzig Minuten. Das alles bedeutete nichts anderes, als daß je mand den Kom-Anschluß in Togers Kabine manipuliert hatte. Über die wahrscheinlichen Absichten dessen, der sich mit ihm zu dieser ungestörten Zeit zu treffen gedachte, brauchte der SB nicht lange zu grübeln. Irgendwo in sei nen Überprüfungen mußte er einen Fehler ge macht haben.
Toger ging wie in Zeitlupe in die Hocke, wäh rend seine Blicke die Dämmerung durchbohr ten. »Das nützt Ihnen jetzt auch nichts mehr«, er tönte eine freundlich klingende Stimme. Der Sicherheitsbeauftragte zuckte wie unter einem körperlichen Schlag zusammen und wirbelte herum. Plastik kreischte gequält, Konturpolster knisterten empört, als er sich aus der Hocke zur Seite warf. Die Stimme lach te amüsiert. »Zwecklos, Mr. Viasco«, stellte sie fest und fügte dann noch hinzu: »Oder sollte ich Sie lie ber Toger Raman nennen?« Der Centaurier stieß in Gedanken einen der ben Fluch aus und robbte mit verbissenem Ge sicht unter einen weitausladenden Tisch. »Unnütze Mühe«, kommentierte sein Gegen spieler. »Ich trage eine Nachtbrille, falls Ihnen das etwas sagen sollte.« Auch das noch! schoß es Toger durch den Schädel. Damit war er selbst eindeutig im Nachteil. Für seinen Gegner war damit die Dämmerung so hell wie ein Tag auf der Erde. Die Stimme war von halb links gekommen, überlegte er fieberhaft. In der Richtung lag auch die fast dreißig Meter lange, brusthohe Theke.
»Und jetzt kommen Sie raus da!« fuhr die Stimme weniger freundlich fort. »Zu Ihrer In formation: Ein Impuls-Laser ist auf Sie gerich tet.« Wie weit war das nächste Schott entfernt? Der Korridor, durch den er das Restaurant be treten hatte, befand sich jetzt etwa zwanzig bis dreißig Meter hinter ihm. Dazwischen lag eine freie Fläche, auf der sein Gegenspieler selbst ein sich schnell bewegendes Ziel unmöglich verfehlen konnte, zumal er auch noch mit ei nem Nachtsichtgerät ausgerüstet war. Sicher, er war Überlebensspezialist, und seine Reflexe waren in einer Krisensituation um ein vielfa ches schneller als die eines Unausgebildeten. Aber knapp dreißig Meter waren selbst mit die ser Begabung gut zwanzig Meter zuviel! »Wird’s bald!« Die Stimme klang jetzt unverkennbar dro hend. Nervosität begann sich in Raman breitzuma chen, als ihm plötzlich ein Gedanke kam. Der PSD-Agent – er war sicher, daß es sich um einen solchen handelte – hatte die Aufgabe, ihn auszuschalten, bevor er seinen Fuß auf die Oberfläche von Logannidaror setzen konnte. Raumschiffe waren jedoch, solange sie sich au ßerhalb eines Sonnensystems aufhielten, neu
trales Gebiet, in dem der jeweilige Kapitän die Hoheitsrechte besaß. Und wenn jemand von den Passagieren verschwand oder gar tot auf gefunden wurde, hatte das mit Sicherheit eine peinliche Untersuchung zur Folge, ein Um stand, der den PSD-Agenten zumindest nach denklich machen mußte. Toger grinste, als er zu dem Schluß kam, daß sein im Dunkeln verborgener Gegner kaum die Absicht haben konnte, ihn umzubringen. Wo hätte er die Leiche hinschaffen sollen? Nein, wahrscheinlicher war, daß ihm Mittel und Wege zur Verfügung standen, mit denen er ihn, hatte er ihn einmal in seiner Gewalt, für seine Zwecke gefügig machen konnte: Kondi tionierung! Der Impuls-Laser, der angeblich auf ihn gerichtet sein sollte, konnte nicht viel mehr als ein Bluff sein. Allenfalls ein Schocker, dachte Toger, wäh rend er sich langsam erhob und in Gedanken seine Nachlässigkeit, keine Waffe mitgenom men zu haben, verfluchte. »Endlich werden Sie vernünftig«, sagte die Stimme. Der Mann war für Raman, der sich jetzt dem Tresen näherte, nicht mehr als ein Schemen. »Sie haben die besseren Argumente«, gab To ger ruhig zurück und unternahm einige At
mungsübungen, um sein Blut mit zusätzlichem Sauerstoff anzureichern. »Hm, ich scheine Sie bei meinen Recherchen übersehen zu haben«, fügte er dann so gleichmütig hinzu, wie es ihm möglich war. Etwas mehr als zehn Meter trennten ihn noch von dem PSD-Agenten. Zu seiner Linken versperrte ihm der Tresen auf einer Länge von etwa vier Metern den Weg. Di rekt im Anschluß daran erkannte er jedoch die dunkel gähnende Öffnung eines Korridors. Na also! dachte er. »Das war nicht anders zu erwarten«, erklärte der Mann bereitwillig. »Bis vor wenigen Stun den war ich noch ein unbewußter Agent. Erst auf ein bestimmtes Signal hin wurde eine hyp notische Sperre aufgehoben, und ich konnte aktiv werden.« Raman war jetzt stehengeblieben und mu sterte die Konturen des Mannes, in dessen rechter Hand ein klobiger Gegenstand lag, der auf ihn gerichtet war. Die Waffe war also tat sächlich vorhanden, wenn er auch nicht zu er kennen vermochte, ob es sich dabei wirklich nur, wie er vermutete, um einen Schocker han delte. Er war gespannt darauf, wer dieser un bewußte Agent war, und wartete, bis der unter setzte Mann näher an eine der nur schwach glimmenden Lichtquellen herantrat.
»Sie?« entfuhr es Toger. Ein eisiger Schauer rann seinen Rücken hinab. Der Kapitän der »Sir Hickenworth«, Joshuah Wilborn, legte seinen Kopf etwas zur Seite und grinste. »Warum nicht? Überrascht Sie das so?« Das warf zweifellos alles über den Haufen, was sich der Centaurier bisher überlegt hatte. Wenn es der Kapitän persönlich war, der ihn aus dem Weg schaffte, war der Sinn einer an schließenden Untersuchung zumindest frag würdig. Langsam begann Togers Lage tatsäch lich heikel zu werden. Die Gedanken des Sicherheitsbeauftragten überschlugen sich fast, als er fieberhaft nach einem Ausweg suchte. Natürlich war die Waffe Wilborns tatsächlich ein Impuls-Laser, sogar entsichert, wie er mit einem Blick auf die leicht flimmernde Abstrahlöffnung feststellte. Und ebenso klar war es, daß der Kapitän keines wegs die Absicht hatte, die Sache länger als un bedingt nötig zu verzögern. »Es gibt keinen Ausweg mehr, mein Freund«, sagte Wilborn jovial und winkte mit der Waffe. »Was meinen Sie wohl, wieviel von Ihrem Kör per übrigbleibt, wenn er innerhalb der Parazo ne aus einem Außenschott geworfen wird?« Gar nichts! dachte Raman und handelte. Sein
bewußtes Denken zog sich zurück, selbständi ge Reflexe übernahmen die Initiative und steu erten seine Körperreaktionen. Aus dem Stand warf er sich zur Seite, prallte schwer auf den Boden und rollte sich nach rechts, so dicht an den Tresen heran, wie es ihm möglich war. Wilborn stieß einen erstickten Schrei aus, der seine Überraschung bekundete, und löste, viel leicht ohne es zu wollen, seine Waffe aus. To ger hatte damit gerechnet und seine Augen fest geschlossen. Der grelle Energieblitz, der das Restaurant für den Bruchteil einer Sekunde in taghelles Licht tauchte, drang dennoch durch seine Lider hindurch und hinterließ auf seiner Netzhaut farbige Schleier. Joshuah Wilborn je doch war darauf nicht vorbereitet. Seine Nachtbrille, die für ihn die Dämmerung ohne hin zum Tag machte, verstärkte den plötzli chen Blitz noch um ein vielfaches. Die Augen, die darauf nicht gefaßt waren, mußten zumin dest für einige Augenblicke geblendet sein. Während Wilborn lautstark fluchte, sprang Toger auf die Beine, wobei er sich über die Be hinderung durch zwanzig Pfund BioplastFleisch ärgerte, und war einige Sekunden spä ter in dem Korridor verschwunden. Seine rechte Hand hieb auf die Kontrolleiste. Zi schend und surrend ruckte das Schott in die
Fassung und lenkte dabei einen weiteren glei ßenden Energiefinger ab. Der Kapitän hatte den Lichtschock also schon überwunden. Ein weiterer rascher Schlag auf die Wandsen soren ließ die Beleuchtung aufflammen. Toger stürmte los, mit zusammengekniffenen Augen, bis sich seine Netzhäute an die veränderten Verhältnisse gewöhnt hatten. Es konnte nicht mehr lange dauern, bis Wilborn das Schott ge öffnet hatte und die Verfolgung aufnahm. Bis dahin mußte er einen entsprechenden Vor sprung gewonnen haben. Der Kapitän hatte immer noch eine Waffe, die ihn zu einem weit überlegenen Gegner machte. Und er hatte einmal den Fehler ge macht, ihn zu unterschätzen und zu lange zu zögern. Toger bezweifelte, ob sich das noch einmal wiederholen würde… Der SB warf sich aus vollem Lauf in einen an grenzenden Korridor, machte dann vor dem nächstbesten Schott halt und gelangte in einen mittelgroßen Raum, in dem auf langen Regal reihen zahlreiche nicht näher bezeichnete Er satzteile lagerten. »Ich brauche irgend etwas, das sich als Waffe verwenden läßt«, sagte er schweratmend zu sich selbst und schloß das Schott hinter sich. Eilig untersuchte er die metallenen Gegenstän
de, die auf den Regalen lagen. Einige sagten ihm gar nichts, andere waren mit Code-Num mern ausgezeichnet, die ihm unbekannt wa ren. Kombistrahler oder Impuls-Laser waren jedenfalls nicht darunter. »Pech«, stöhnte er und wollte sich schon wie der dem Ausgang zuwenden, als das Schott sich plötzlich zischend öffnete und der Lauf ei nes Strahlers in die Höhe schoß. Toger ließ sich, ohne zu zögern, nach hinten kippen, warf sich noch während des Fallens herum und landete hinter dem etwas fragwür digen Schutz eines Regales. Ein sengendheißer Glutfinger fauchte über ihn hinweg und prallte einige Meter hinter ihm auf das Stahlplast der Wand, das kochend und brodelnd zur Seite stob. »Hier sind Sie also!« bellte Wilborn und nä herte sich in geduckter Haltung der Position, an der er den Sicherheitsbeauftragten zum letzten Mal gesehen hatte. »Geben Sie auf, Ra man! Sie haben keine Chance!« »Das haben Sie schon einmal gesagt«, wies ihn der SB zurecht. Brüllend spuckte der Laser erneut Tod und Verderben, doch Toger war schon einige Meter weiter gekrochen. Eine Waffe! pochte es in ihm, während er sich su chend umsah.
»Das, was Sie tun, ist nur unnötige Zeitver schwendung«, fuhr Wilborn fort. »Früher oder später erwische ich Sie doch!« »Eher später«, lachte Raman und wechselte erneut die Stellung. In Wirklichkeit war er nicht annähernd so optimistisch, wie er sich gab. Seine Unruhe stieg. Wenn ihm nicht bald eine gute Idee kam, nützte ihm auch seine Aus bildung zum Überlebensspezialisten nichts mehr. Sollte er sterben, bevor sein Einsatz richtig begonnen hatte, bevor er auch nur eine Ahnung von dem hatte, um was es eigentlich ging? Er setzte die Empfindlichkeit seiner Sinne herauf. Das unangenehme Gefühl, eine nicht unbeträchtliche Masse synthetischen Fleisches bei jeder Bewegung mit sich schleppen zu müs sen, verstärkte sich. Er hörte jetzt das schwere Atmen des Kapitäns, dessen Augen flink um herhuschten, überdeutlich. Er hörte das leise Scharren seiner Füße, wenn er sich weiterbe wegte. Trotz seiner Nervosität konnte sich Toger ein Grinsen nicht verkneifen. Wilborn war der Überlegene in diesem ungleichen Kampf, und doch schien er zumindest ebenso unsicher zu sein wie er selbst. Vorsichtig richtete er sich auf und sah aus den Augenwinkeln durch eine
Spalte zwischen den Ersatzteilen, wie Wilborn herumfuhr und blind feuerte. Wieder reagierten seine trainierten Reflexe. In einer fließenden Bewegung packte er zwei handliche, eckige Metallteile und schleuderte das eine einige Meter von sich. Scheppernd prallte es auf den Boden. Ohne bewußt zu denken, schleuderte er das zweite Ersatzteil von sich und ließ sich gleich zeitig fallen. Ein dröhnender Blitz raste dicht über seinen Rücken, verbrannte ihm einen Teil der Haut und ließ ihn einen schmerzhaften Schrei ausstoßen. Mit Tränen in den Augen rollte er sich herum und preßte, in einer ver zweifelten Geste, die Arme vors Gesicht. Erst als er das dumpfe Geräusch eines auf den Boden aufschlagenden Körpers wahr nahm, stemmte er sich hoch. Sein zweites Wurfgeschoß hatte genau ins Ziel getroffen und an Wilborns Schädel eine klaffende Wun de hinterlassen. Mit einigen raschen Schritten trat er an den unterdrückt stöhnenden und of fenbar benommenen Kapitän heran und riß ihm den Laser aus der Hand. »So«, sagte er mit einem befriedigten Nicken. »Jetzt drehen wir den Spieß mal um.« »Hat keinen Zweck«, krächzte Wilborn. »Von mir werden Sie nichts erfahren. Ich…«
Sein Gesicht lief grün an, verzerrte sich zu ei ner entstellten Grimasse, dann sackte er zu sammen und blieb bewegungslos liegen. Raman brauchte den Kapitän nicht lange zu untersuchen. Er wußte, daß ihn kein Arzt der Welt ins Leben zurückholen konnte. Diese Art des Todes war eine der grausamsten und hin terhältigsten: hypnotischer Selbstmord durch Gehirnschlag. »Aber was«, fragte er sich halblaut, »ist so wichtig, daß ein Todesbefehl in Kraft tritt, nur um mir keine Informationen zukommen zu lassen?« * Es fiel Pjetr Kubaikjew zunehmend schwerer, weiterhin den Eindruck eines unbefangenen und verbissen forschenden Wissenschaftlers aufrechtzuerhalten, der für ihn bisher typisch war. Seine Nervosität stieg ständig, und seine Unsicherheit, über die manch einer der Sprachforscher in den letzten Tagen schon nachdenklich die Stirn in Falten gelegt hatte, nahm allmählich beängstigende Formen an. Kubaikjew hatte einen Teil seines Wissens preisgegeben, um damit einem möglichen Ver dacht gegen seine Person vorzubeugen. Jetzt
aber dachte er immer öfter darüber nach, ob diese Idee wirklich so gut gewesen war. Zwar hatte er gerade die Strukturzeichen für die Pressekonferenz übersetzt, die seiner Meinung nach die bei weitem geringsten Hinweise auf Gemeinsamkeiten mit anderen Symbolgrup pen aufwiesen. Dennoch – seit Beginn der For schung überhaupt existierte jetzt erstmals eine Basis, und der Optimismus, der daraufhin sei ne Kollegen erfaßt hatte, schlug ihm schwer auf den Magen. Was geschah, wenn einem der Institutsange hörigen ein weiterer Durchbruch gelang, wenn weitere Übersetzungen möglich wurden? Allein der Gedanke daran ließ ihm den Schweiß aus allen Poren brechen. Natürlich konnte er die Forschungsarbeiten nicht sabo tieren, ob nun offen oder verdeckt. Damit hätte er sich endgültig verdächtig gemacht, zumal er das Gefühl hatte, Tag und Nacht unter Beob achtung zu stehen. Die Musikanlage in Kubaikjews Wohneinheit spielte sanfte, einschmeichelnde Melodien. Über die gesamte Fläche einer Wand wogten in dazu abgestimmtem Rhythmus beruhigende Farbschleier, die sich zu skurrilen Mustern und Figuren vereinigten. Der Linguist hatte es sich in einem seiner Sitzelemente bequem ge
macht, rauchte eine Zigarette und nippte ab und zu an dem Inhalt des hohen Glases, das vor ihm auf dem Tisch stand. Die Wirkung, die die Farb-Musikkombination gewöhnlich auf ihn hatte, blieb indessen aus. Zwar war seine mittlerweile zu einer Charaktereigenschaft ge wordene Nervosität abgeklungen, seitdem er das Institut an diesem Tag verlassen und seine Wohneinheit aufgesucht hatte. Dennoch war seine innere Unruhe noch ausgeprägt genug, um die Gedanken rasen zu lassen. »Lange kann es nicht mehr dauern«, mur melte er, um sich selbst zu beruhigen. »Noch ein paar Tage, höchstens. Dann müßte eigent lich ein SB auf Logannidaror eintreffen.« Er nickte seiner eigenen Vermutung zu, er hob sich ruckartig und begann eine unruhige Wanderung durch seine Wohneinheit, in der einen Hand den Drink, in der anderen die Zi garette, von der die Asche fiel, ohne daß es ihm bewußt wurde. Wenn nur nicht diese bohrenden Gedanken wären! dachte er. Das, was die Folien enthiel ten, war reiner Zündstoff, so gefährlich, daß eine ganze Galaxis in Aufruhr geriet, wenn das Wissen in die falschen Hände fiel. Er dachte an den Militärrat des Fünf-Sonnen-Bundes, und zum wiederholten Male schauderte er bei der
Vorstellung, seine Kenntnisse könnten in die Verfügungsgewalt dieser zwanzig Männer ge langen. Ein auf- und abschwellendes Summen riß ihn aus seinen Grübeleien. Automatisch stellte er sein Glas ab und drückte die Zigarette in einem Ascher aus. »Besuch für Sie, Pjetr«, sang die Stimme des Wohnungscomputers melodisch. »Besuch für Sie, Besuch…« »Ich hab’s gehört«, brummte er, schritt zur Tür und betätigte den Öffner. Zwei elegant gekleidete Männer in mittleren Jahren blickten ihm entgegen. Der eine trat einen Schritt vor. »Wir würden Sie gern sprechen, Mr. Kubai kjew«, sagte er freundlich, aber bestimmt. Ein ungutes Gefühl kroch plötzlich in dem Lingui sten hoch. »Äh, worum geht es denn? Und wer sind Sie? Ich habe Sie noch nie gesehen?« »Das stimmt nicht ganz«, stellte der zweite Mann richtig und lächelte. »Wir waren bei Ih rer Pressekonferenz anwesend. Nun, es geht natürlich um die Strukturzeichen der Unbe kannten, besser gesagt, um ihre Übersetzung.« »Hm, ich wüßte nicht, wie…« »Natürlich nicht«, unterbrach ihn der Vorge
tretene, griff in seine Jackentasche, sah sich kurz um und hatte dann plötzlich eine klobige Kombiwaffe in der rechten Faust. »Sie wollten uns doch gerade hineinlassen, nicht wahr?« fragte er liebenswürdig und trat, ohne eine Antwort abzuwarten, ein. Sein Be gleiter folgte ihm und schloß die Tür hinter sich. Kubaikjews Nackenhaare richteten sich wie unter elektrischer Spannung auf, als er das be drohliche Flimmern um die Abstrahlmündung der Waffe bemerkte. Das war kein Scherz, die beiden Männer meinten es ernst, todernst! »Mein Name ist übrigens Layas«, stellte sich der eine Mann vor. »Ceron Layas. Und das«, er deutete auf seinen Kollegen, »ist Malcolm Ga nian. Und wie Sie jetzt ganz richtig vermuten, sind wir vom PSD.« Kubaikjew wurde leichenblaß und schluckte, um den eigroßen Kloß loszuwerden, der plötz lich in seinem Hals entstanden war. »Was soll das? Ich…« »Die Fragen stellen wir!« wies ihn Layas zu recht und dirigierte ihn mit vorgehaltener Waffe zu einem Sitzelement. Die Knie des Lin guisten gaben nach, und die Polster des Sessels stöhnten, als er hineinsank. Ganian setzte sich schräg gegenüber und mu
sterte gelangweilt die Wohnungseinrichtung, während Layas auf dem niedrigen Tisch Platz nahm, den rechten Arm mit der Waffe lässig auf die Knie stützte und seinen Blick in die Au gen Kubaikjews bohrte. »Nanu«, sagte Layas scheinbar verwundert und beugte sich etwas vor. »Es ist doch gar nicht so heiß. Oder haben Sie vielleicht Angst, Kubaikjew?« Die letzten Worte stieß er schneidend hervor. Der Linguist beeilte sich zu sehr, seinen Kopf zu schütteln. »Ich wüßte nicht, wovor«, entgegnete er und ärgerte sich dabei über den scheppernden Klang seiner Stimme. »Um so besser. Kommen wir gleich zur Sa che. Wir haben Anlaß zu der Vermutung, daß Sie auf der schon erwähnten Pressekonferenz nicht alles gesagt haben, was Sie wissen.« Kubaikjew konnte es nicht fassen, seine schlimmsten Befürchtungen begannen sich zu bewahrheiten. »Was? Wieso?« »Brauche Hilfe! Dringend!« zischte Layas. »Sagen Ihnen diese Worte etwas?« Oh Gott! dachte der Linguist. Sie haben mei ne Nachricht abgefangen! Als ob der PSD-Agent seine Gedanken gele
sen hätte, fuhr er fort: »Machen Sie sich keine falschen Hoffnungen, Kubaikjew. Ihr Hilferuf an das Sicherheitsbüro ist dort nie angekom men!« Das war zwar ein Bluff, aber das konnte Pjetr nicht wissen. »Nein!« rief er schrill und ballte seine Hände zu Fäusten, bis die Knöchel weiß hervortraten. Das konnte, das durfte nicht wahr sein! Gleich zeitig spürte er, daß er sich mit diesem unüber legten Ausruf endgültig entlarvt hatte. »Sehen Sie«, entgegnete Layas sichtlich zu frieden und lehnte sich wieder etwas zurück. »Langsam kommen wir der Sache schon nä her. Um es ganz exakt zu sagen: Was wir wis sen wollen, ist das, was Sie dem SB mitzuteilen gedachten. Also?« Kubaikjew starrte den PSD-Agenten aus vor Panik geweiteten Augen an. Es ist aus! pochte es in ihm. Aus! Seine ganzen Bemühungen wa ren umsonst. Während er hier, von Unruhe ge peinigt, auf das Eintreffen eines SB-Agenten wartete, hatte der Planetare Sicherheitsdienst bereits über alles genauestens Bescheid ge wußt. Über alles – nur nicht über den genauen Informationsgehalt der Strukturzeichen, die er übersetzt hatte… »Na?«
Ceron Layas hatte seine lässige Haltung auf gegeben und musterte ihn aufmerksam, so gut wie ohne jede Gefühlsregung. Der Lauf der Kombiwaffe zeigte auf seinen Schädel. »Ich… ich weiß nicht, wovon Sie reden«, preßte Kubaikjew zwischen den Zähnen hervor und fuhr sich mit dem Handrücken über die Stirn. Layas schüttelte den Kopf und verzog schein bar verzweifelt das Gesicht. »Hören Sie«, sagte er gefährlich leise und mit blitzenden Augen, »ich habe keine Lust, mir Ihre Ausflüchte lange anzuhören. Mein Kollege gehört übrigens zu einem besonders ungedul digen Menschenschlag. Wahrscheinlich ver liert er die Geduld noch eher als ich. Und das kann unangenehme Folgen für Sie haben! Soll ten Sie sich dennoch noch immer nicht dazu entschließen können, uns das Gewünschte mit zuteilen, so kann ich Ihnen verraten, daß wir Mittel und Wege kennen, um auch ganz Unein sichtige zu einer Zusammenarbeit zu bewegen!« Nein, dachte Kubaikjew mit einer Spur von tiefer Resignation, ich habe keine Chance mehr. Die Mühlen des Planetaren Sicherheits dienstes würden ihn vernichten, gründlich und ohne ihm eine Möglichkeit zu lassen, sein Ge
heimnis für sich zu behalten. »Ich… ich weiß immer noch nicht…«, stam melte er brüchig und sah sich gehetzt um. Ga nian warf ihm einen kurzen Blick zu, der ihn schaudern ließ. »Sie haben auf der Pressekonferenz nur einen Teil Ihres Wissens preisgegeben, nicht wahr?« vermutete Layas, betätigte die Justie rung seiner Kombiwaffe und preßte dann den Auslöser nieder. Ein schmerzhafter Schock durchpulste den Körper des Linguisten und ließ ihn aufschreien. »Das war nur ein Vorgeschmack«, erklärte der PSD-Agent jetzt wieder liebenswürdig. »Nun, uns interessiert natürlich, was Sie wirk lich entdeckt haben. Es muß eigentlich etwas sehr Bedeutsames sein, wenn es einen beschei denen Wissenschaftler wie Sie so außer Fas sung geraten läßt.« Schlieren tanzten plötzlich vor den Augen des Hageren. Seine Finger gruben sich tief in die nachgebenden Polster des Sessels. Sein Ge sicht wurde kalkweiß, und er schluckte krampfhaft. »Mir ist schlecht«, stöhnte er. »Ich… ich…« »Kommen Sie«, sagte Layas, erhob sich und ergriff Kubaikjew am Arm. »Wir sind ja keine Unmenschen. Ihr Hygienetrakt ist dort drü
ben? – Aber keine Dummheiten, in Ihrem eige nen Interesse!« Kubaikjew wankte in die beinahe antisep tisch wirkende Raumflucht hinein und schloß die Tür hinter sich. Er schluckte nochmals, wo bei ihm fast die Tränen kamen, taumelte einige Schritte weiter und erbrach sich. Sein Leben war in dem Augenblick zerstört gewesen, als er seine Entdeckung gemacht hat te, das wurde ihm in einem Anflug plötzlicher Klarheit bewußt. Auch wenn er vor Tagen noch geglaubt hatte, der Auseinandersetzung mit dem PSD entgehen zu können – jetzt mußte er sich eingestehen, daß diese Einstellung mehr als naiv gewesen war. Vielleicht hatte er schon vor seiner gelungenen Übersetzung unter Be obachtung gestanden, ohne daß ihm das aufge fallen war. Kubaikjew blickte in den Spiegel und sah in ein gealtertes, von Furchen und Falten zer schnittenes Gesicht. Nein, sagte er sich, es gab tatsächlich keine Chance mehr. In wenigen Mi nuten war der PSD über alles informiert, und an das, was dann in den folgenden Monaten ge schehen mußte, wagte er nicht zu denken. Es sei denn… Seine Augen blitzten auf, als die Idee in sein Bewußtsein drang, und er nickte sich langsam
zu. * Die Untersuchung an Bord der »Sir Hicken worth«, die man, nachdem die Leiche Joshuah Wilborns gefunden worden war, sofort in die Wege geleitet hatte, war peinlich genau gewe sen. Die Landung hatte sich infolge nicht en den wollender Befragungen und Versuchen, das Geschehen zu rekonstruieren, um einige Stunden verschoben. Gegen 19.00 Uhr planeta rer Zeitrechnung jedoch ging der Starliner auf dem Spaceport von Thalistan nieder und entließ seine Passagiere. Zu Ramans Glück hat te die medizinische Abteilung der »Sir Hicken worth« schon relativ bald festgestellt, daß Wil born nicht, wie es zuerst den Anschein gehabt hatte, durch äußere Einwirkungen ums Leben gekommen war, sondern durch einen ebenso simplen wie tödlichen Gehirnschlag. Die un übersehbaren Spuren einer Auseinanderset zung stellten die Besatzung jedoch vor ein Rät sel. Nur reichten eben Vermutungen, und vage noch dazu, bei weitem nicht aus, um Passagie re zu arrestieren. Der centaurische Sicherheitsbeauftragte war sich ziemlich sicher, daß in den nächsten Stun
den irgendwann eine entsprechende Meldung auf den Schreibtisch eines PSD-Agenten wan derte, zusammen mit einer Auflistung der Na men und persönlichen Daten aller Passagiere. Und der PSD war offensichtlich so gut über den Einsatz eines gewissen Toger Raman infor miert, daß es einfach nicht sehr lange dauern konnte, bis dieser PSD-Agent auf den Gedan ken kam, die Identität von Marlon Viasco ge nauer unter die Lupe zu nehmen. Seine Papie re waren echt, ja, nicht aber seine Vergangenheit… Unter diesen Umständen hielt es Toger Ra man für unerläßlich, seine Identität erneut zu wechseln. Gewiß, ein Marlon Viasco war bei der Einreisekontrolle erfaßt worden – sollten sie auch ruhig nach diesem Edelsteinhändler suchen. Zum Glück hatte er vor Beginn seines Einsatzes auf einer zweiten Sicherheitsmaß nahme bestanden, was ihm jetzt zugute kam. In dem großzügig ausgestatteten Hygiene trakt eines Restaurants entnahm er seiner Gravotasche ein unscheinbares Metallkäst chen, preßte seinen Daumen in eine winzige Vertiefung und drehte einen Knopf um einige Teilstriche weiter. Ein kaum wahrnehmbares Summen ertönte, und das feine Vibrieren in seinen Händen zeigte an, daß eine Miniatur-
Elektronik die Arbeit aufgenommen hatte. Der Erfolg stellte sich sofort ein und entlock te dem Centaurier ein zufriedenes Brummen. Ein Teil des synthetischen Fleisches, mit dem ihn die Bioplast-Chirurgen auf Terra so groß zügig ausgestattet hatten, veränderte die Far be, wurde schlaff, fiel dann von seinem Körper ab und löste sich auf. Toger brauchte einige Minuten, um seine neuen Züge zu glätten, hol te neue, jetzt passendere Kleidung aus seiner Tasche und wurde damit zu Romen Glad, ei nem Versicherungsangestellten von Tharasis. Natürlich besaß er auch die echte – und un fälschbare – ID-Karte. Peinlich konnte es jetzt nur noch werden, wenn man wissen wollte, wann Glad Loganni daror betreten hatte, und zu diesem Zweck die Einreiseregistratur befragte… Andererseits bestand zu einer solchen Kon trolle kein Grund, und Toger war recht optimi stisch, was die Erfüllung seines Auftrags an ging, als er sich einen schnittigen Atmosphärengleiter mietete und in einem der etwas schnelleren Luftkorridore dem Zentrum der unter ihm liegenden Zwei-Millionen-Me tropole entgegenflog. Er wußte nicht, welcher der pilzartigen und turmhohen Wohnanlagen sein Ziel war. Eine ganz bestimmte Koordina
tenfolge hatte er in den Programmspeicher des Autopiloten eingegeben, von der er nur wußte, daß sie ihn zu Kubaikjews Domizil brachte. Als der Gleiter mit dumpfem Brummen an Höhe verlor und in engen Schleifen, anderen Luftfahrzeugen ausweichend, auf die Dach plattform eines Wohnturms zusteuerte, hatte er sein Ziel erreicht. Auf selbstregelnden Anti gravpolstern sank sein Gefährt langsam nieder und setzte kaum merklich auf. Toger zahlte einen bestimmten Betrag in die Automatik, worauf das Ausstiegsschott mit einem Surren beiseite schwang. Toger warf einen raschen Blick auf seinen Chrono, nachdem er ausgestiegen war und der Mietgleiter sich wieder in die Luft erhoben hat te, um zu seiner Basis zurückzukehren. »20.30 Uhr«, murmelte er halblaut und nick te. Pjetr Kubaikjew mußte sich zu dieser Zeit in seiner Wohneinheit aufhalten – wenn er nicht gerade Überstunden machte. Die Dachplattform des Wohnturms war, ab gesehen von einigen parkenden Gleitern, abso lut eben und leer. Inzwischen hatte sich die Nacht über Thalistan gesenkt, dennoch ver mochte Toger sich gut zu orientieren. Das Ma terial zu seinem Füßen war in einer Art und Weise chemisch behandelt worden, daß es von
innen heraus zu glühen schien, also Licht ab strahlte, genug, um die Dunkelheit zur Däm merung werden zu lassen. Toger hatte aus Sicherheitsgründen davon abgesehen, den Haupteingang am Fuß der Wohnanlage zu benutzen. Bei der Robotrezep tion hätte er sich ausweisen müssen – und er wußte nicht, wie weit der PSD seine Fühler schon ausgestreckt hatte. Suchend sah sich der Centaurier um. Nir gendwo erkannte er den Zugang zu einem Anti gravschacht. Wieder nickte er langsam. Natürlich, die Ro botrezeption hatte den Zweck, alle Besucher zu registrieren und keine ungebetenen Gäste, welcher Art auch immer, einzulassen. Und eine solche Einrichtung hatte wenig Sinn, wenn die Möglichkeit bestand, einfach mit ei nem Gleiter die Dachplattform anzufliegen und ohne Probleme von dort aus das Gebäu deinnere zu betreten. Die Schlußfolgerung lag auf der Hand: Es gab keinen Antigravschacht zugang. Da aber andererseits Bewohner des Wohnturms Gelegenheit haben mußten, ohne Schwierigkeiten zu ihren geparkten Gleitern zu gelangen, mußte es einen anderen Weg ge ben, mittels dem man von den Wohneinheiten aus die Dachplattform betreten und auch wie
der verlassen konnte. »Und die einfachste und sicherste Methode dazu«, sagte Toger zu sich selbst, »ist natürlich ein Transmit-Feld.« Ein Transportfeld stellte für jeden uner wünschten Besucher ein nahezu unüberwindli ches Hindernis dar – solange er kein Sicher heitsbeauftragter war, der spezielle Kenntnisse besaß. Toger lächelte, griff in eine Tasche seines Zweiteilers und förderte einen Impuls-Geber zutage, der in der Lage war, in nerhalb weniger Sekunden Millionen von Im puls-Kombinationen abzustrahlen, quasi durchzuprobieren. Er betätigte eine kleine Wählscheibe, programmierte die winzige Elek tronik auf einen vierstelligen Code und preßte die Aktivierungstaste nieder. Es vergingen nicht ganz zwei Sekunden, bis in unmittelbarer Nähe des SB das charakteri stische Flimmern eines Transmit-Feldes er schien. Toger brummte zufrieden, verstaute seinen Impuls-Geber wieder und tauchte, ohne zu zögern, in das Feld ein. Er rematerialisierte in einem langen und breiten, hellerleuchteten Gang, der mit dicken, schallschluckenden Teppichen ausgelegt war. Rasch schüttelte er den Schwindel ab, der ihn erfaßt hatte, und orientierte sich. Ruhig und
leer lag der Korridor vor ihm, niemand war in Sichtweite. Toger griff sich an die Brusttasche und verge wisserte sich, daß die Kombiwaffe noch an Ort und Stelle war, dann schritt er auf die dunkel gähnende Öffnung des zentralen Antigrav schachts zu, die mehrere Meter vor ihm lag. Eine Berührung des auf einer Kontrolltafel eingelassenen Sensors ließ das Licht aufflam men. Der SB warf noch einen prüfenden Blick hin ter sich, dann trat er in den Schacht hinein. So fort griffen die Kraftfelder nach ihm, bremsten seinen Fall so weit ab, daß er nur noch mit mä ßiger Geschwindigkeit hinabsank, kündigten ihm fluoreszierende Hinweise mit wechseln den Nummernfolgen das nächste Stockwerk und die entsprechende Wohneinheiten an. »Dreiundsiebzig, G-Sieben«, knurrte Toger, wartete, bis die Bezeichnung »63, G 1-24« auf tauchte, und trat dann rasch aus dem Schacht heraus. Auch auf diesem Gang befand sich außer ihm niemand. Das beruhigte den SB, obwohl er kaum etwas zu befürchten hatte. Wer sich ein mal innerhalb dieses Gebäudes befand, hatte, so mußte jedermann annehmen, auch die Legi timation dazu.
Wenige Augenblicke später hatte er die Wohneinheit Kubaikjews gefunden, und betä tigte den Melder. Kein Laut drang an seine Oh ren, aber er war sicher, daß der Linguist sei nen Ruf wahrnahm. Als er aber nach einer knappen Minute dennoch keine Reaktion regi strierte, runzelte er die Stirn und tastete er neut nach dem Melder. 20.45 Uhr. Hatte er sich getäuscht? Befand sich der Linguist noch an seiner Arbeitsstätte, in dem Institut außerhalb der Stadt? Unwahr scheinlich, fand Toger. Als es auch auf seinen zweiten Ruf hin still und die Tür verschlossen blieb, zuckte er mit den Achseln und holte erneut seinen ImpulsGeber hervor, der ihm schon wenige Minuten zuvor gute Dienste geleistet hatte. Er justierte das Gerät um, preßte es dann gegen eine be stimmte Stelle der Tür und betätigte die »ON«Taste. Gut, Kubaikjew war noch nicht zurückge kehrt, das war zwar ärgerlich, aber nicht wei ter besorgniserregend. Was lag näher als der Gedanke, in der Wohneinheit des Linguisten, wo er vor jeder Entdeckung sicher war, auf ihn zu warten? Früher oder später mußte er ja ein treffen… Mit einem kaum wahrnehmbaren Surren er
losch die elektromagnetische Sperre, und die Tür sprang auf. Toger trat rasch ein und schob sie hinter sich wieder ins Schloß zurück. »Guten Tag, Pjetr«, sagte eine freundliche Stimme. »Haben Sie einen schönen Tag ge habt?« Raman war schon bei den ersten Worten zu sammengezuckt, wirbelte herum und hatte plötzlich eine Waffe in der rechten Hand. »Was wünschen Sie zu speisen, Pjetr?« fuhr die Stimme höflich fort. »Ich habe auch heute wieder ein umfangreiches Auswahlprogramm für Sie bereit…« Toger atmete tief durch, lachte und ent spannte sich wieder. Das, was ihm einen sol chen Schrecken eingejagt hatte, war nichts an deres als die akustische Modulation des Wohnungscomputers gewesen, eines sehr sim plen Modells noch dazu, denn die Elektronik war offensichtlich nicht in der Lage, einen Ein dringling von dem wirklichen Hausherrn zu unterscheiden. »Licht«, sagte der SB und schickte sich an, den Strahler in die Tasche zu schieben, als ver borgene Leuchtkörper aktiv wurden und die Wohneinheit in matte Helligkeit tauchten. Als er das, was vor ihm lag, in aller Deutlichkeit sah, entsicherte er die Waffe wieder.
»Hm«, machte er und trat einige Schritte wei ter in den anschließenden Raum hinein, der offensichtlich gleichzeitig Wohn- und Arbeits zimmer war. Die Sitzelemente, die normaler weise wohl um den niedrigen Tisch gruppiert waren, standen kreuz und quer im Zimmer. Akten waren auf dem Boden zerstreut. Memo spulen und Folien häuften sich vor den geöff neten Schränken. »Es war also schon jemand vor mir da«, sagte Toger halblaut. Und dieser Jemand hat sich die größte Mühe gegeben, fügte er in Gedanken hinzu, soviel Unordnung wie möglich zu hin terlassen. Um zu erraten, was hier gesucht worden war, brauchte man nicht viel Verstand. Raman drehte sich nachdenklich um. Rätsel haft war aber dennoch, wieso diejenigen, die hier eingebrochen waren, sich ausgerechnet einen Zeitpunkt ausgesucht hatten, zu dem sie Gefahr liefen, von dem Linguisten überrascht zu werden. Nein, halt, dachte er, das ist eine übereilte Schlußfolgerung. Schließlich konnte er nicht wissen, wie lange das Geschehen schon zurücklag. Auch die deutlich sichtbaren Spuren ließen darauf kaum einen Rückschluß zu. Eine Frage stellte sich jedoch mit zwingender
Eindringlichkeit: Bestand ein Zusammenhang zwischen dem Einbruch und damit, daß Kubai kjew noch immer nicht anwesend war? Weite re Fragen drängten sich auf. Es war so gut wie sicher, daß keine gewöhnlichen Kriminellen für diese Unordnung verantwortlich waren. Dahinter konnte eigentlich nur der PSD stecken, zumal der Planetare Sicherheitsdienst auch ein handfestes Motiv hatte. Dieses Motiv bedeutete aber wiederum, daß der PSD entwe der dahintergekommen war, daß der Linguist eine bedeutsame Entdeckung gemacht hatte, oder aber, daß der Inhalt seiner Nachricht an das Sicherheitsbüro bekannt geworden war. All das zusammen jedoch hatte noch eine weitere, viel tiefer gehende Bedeutung. Wenn der PSD von der Nachricht Kubaikjews wußte und auch nur annäherungsweise von dem Kenntnis hatte, was er entdeckt hatte, dann be fand sich der Linguist in höchster Gefahr. Raman hatte eine unruhige Wanderung be gonnen und sah, mit schußbereiter Waffe, in die angrenzenden Räume hinein. Auch dort herrschte ein ähnliches Maß an Unordnung, wie er es bereits vom Wohnzimmer her kann te. Als er jedoch die Tür zum Hygienetrakt öffne te, blieb er wie angewurzelt stehen und atmete
tief durch. Das, was er sah, gab ihm zumindest Antwort auf eine seiner Fragen, obwohl es sei nen ganzen Auftrag komplizierte, wenn nicht unmöglich machte. Jetzt wußte er, warum nie mand auf die Betätigung des Melders reagiert hatte. Der Linguist lag, mit weit aufgerissenen Au gen und mit einem zu einer Grimasse verstei nerten Gesicht leblos in der Bademulde. * »Ich bin also zu spät gekommen«, sagte Toger und schüttelte erschüttert den Kopf. Wenn er von Terra aus einen direkten Liner genommen hätte – vielleicht wäre Kubaikjew dann jetzt noch am Leben. »Wenn, wenn«, knurrte er böse. Was gesche hen war, war geschehen. Es hatte keinen Zweck, sich Selbstvorwürfe zu machen, dazu war die Lage zu ernst, und dazu stand viel zu viel auf dem Spiel. Der Linguist war tot, und er war nicht auf na türliche Weise ums Leben gekommen, das stand fest. Ebenso sicher war jedoch, daß der PSD nicht direkt seine Finger im Spiel hatte. Kubaikjew hatte Selbstmord begangen! Die Tür, die zum Hygienetrakt führte, wies erhebli
che Schäden am Schloß auf. Kubaikjew hatte sich also eingeschlossen und sich kurz darauf das Leben genommen. Was aber, überlegte der SB, treibt einen Mann in den Tod, der ein Geheimnis in sich trägt, das er unbedingt demjenigen mitzuteilen gedachte, den er vorher unter Einsatz seines Lebens da von in Kenntnis setzte? Toger brauchte auch hier nicht lange zu über legen, um die Antwort zu finden, die die wahr scheinlichste war. Kubaikjew war an diesem Tag wie an jedem anderen pünktlich in seine Wohneinheit zu rückgekehrt. Hier aber mußte er unerwarteten Besuch erhalten haben – vom PSD –, der Ver dacht geschöpft hatte und ihn einer Befragung unterziehen wollte. Natürlich waren die Agen ten des PSD nicht durch und durch naiv. Wenn der Sprachforscher etwas wußte, das er vor ih nen verheimlichte, dann konnte das nur mit seiner Arbeit zusammenhängen, diese Schluß folgerung war logisch. Kubaikjew aber war ein Mann gewesen, der sich mit dem Gebaren von Sicherheitsdiensten und ihren Agenten nicht auskannte und sich daher leicht bluffen ließ. Aber ganz abgesehen davon, ob er geblufft worden war oder nicht: Der PSD hatte Mittel genug, um einen Mann
zum Sprechen zu bringen und von ihm die In formationen zu erhalten, die er wünschte. Und das mußte Kubaikjew auch gewußt haben. Er mußte sich darüber klar gewesen sein, daß er, wenn er sich einmal in den Händen des PSD befand, etwa unter einer Psycho-Sonde, niemals seine Entdeckung für sich behalten konnte. Und dieses Wissen mußte in seinen Augen so ungeheuer wichtig gewesen sein, daß er seine eigene Existenz vernichtete, nur um das Geheimnis nicht an den Falschen verraten zu müssen. Toger nickte bestätigend, als er seine Überle gungen noch einmal überprüfte. Sie waren stichhaltig, daran bestand kein Zweifel. Unter irgendeinem Vorwand hatte Kubaikjew sich in seinen Hygienetrakt zurückgezogen, die Tür abgeschlossen, die die PSD-Agenten, als schon alles vorbei war, aufgebrochen hatten. An schließend hatten sie die Wohnung durch sucht, in der Hoffnung, einen Hinweis darauf zu finden, was in Kubaikjews Gedächtnis ver ankert gewesen war. Was Raman nicht wußte, war, ob sie etwas gefunden hatten. Er hatte aber zumindest ern ste Zweifel, ob ihre Suche erfolgreich gewesen war. Sicher, der Linguist mochte nicht damit gerechnet haben, daß der PSD seine Wohnung
durchsuchte, dennoch konnte er kaum so un vorsichtig gewesen sein, hier eine entspre chende Information zu hinterlegen. Nein. Toger hatte den Linguisten zwar nicht übermäßig gut gekannt, aber er hatte ihn als einen vorsichtigen, manchmal zu vorsichtigen Mann in Erinnerung. Als sicher konnte ange nommen werden, daß Kubaikjew irgendwo auf Logannidaror einen Schlüssel hinterlegt hatte, der zu seinem Geheimnis führte – irgendwo, da war Toger sicher, nur eben nicht in seiner Wohneinheit. Der SB verließ den Hygienetrakt, schloß die Tür und ließ sich im Wohnzimmer in eines der Sitzelemente sinken. Er mußte erst seine Ge danken ordnen, bevor er die Wohnung verlas sen und ein neues Ziel, eine Basis finden konn te, von der aus es sinnvoll erschien, an der Erfüllung seines Auftrags weiterzuarbeiten. Er atmete tief durch und versuchte, seine Ge danken in die richtigen Bahnen zu lenken, als es ihm plötzlich kalt den Rücken hinunterlief. Vor seinem inneren Auge erschien noch ein mal das schreckliche Bild des toten Kubaikjew, der ihn mit gebrochenen Augen anstarrte. Das, was er als gegeben hingenommen hatte, nämlich die in der Bademulde liegende Leiche, begann nun, ihm ernsthafte Sorgen zu ma
chen. Die PSD-Agenten waren, als sie keinen Erfolg gehabt hatten, einfach verschwunden, und sie hatten den Toten natürlich liegen lassen. Aber sie würden ihrem Vorgesetzten Meldung ma chen. Und dieser Vorgesetzte würde, ob ihm das paßte oder nicht, dafür sorgen müssen, daß die Leiche verschwand. Daß die sterblichen Überreste Kubaikjews sich aber noch in dieser Wohnung befanden, konnte nur bedeuten, daß sich bald irgendein Polizeikommando auf den Weg machte – oder sich schon auf den Weg befand! –, um das Ver säumte nachzuholen. Togers Puls schnellte in die Höhe, als er seine Gedanken berichtigte. Nein, kein simples Poli zeikommando, sondern eine Einsatzgruppe von PSD-Agenten! In der Zwischenzeit mußte in der PSD-Zentrale längst die Meldung einge gangen sein, daß es dem unbewußten Agenten an Bord der »Sir Hickenworth« – Joshuah Wil born – nicht gelungen war, den centaurischen Sicherheitsbeauftragten namens Toger Raman auszuschalten, sich der SB demzufolge auf Lo gannidaror, besser gesagt, in Thalistan befin den mußte. Und auch das Ziel, das er hatte, war dem PSD bekannt: der Wohnsitz Pjetr Ku baikjews.
Toger sprang auf und zückte erneut die Waf fe, die er wenige Minuten zuvor in die Tasche zurückgesteckt hatte. Was lag näher als die Vermutung, daß der PSD versuchen würde, das, was Wilborn an Bord des Starliners versäumt hatte, hier nach zuholen? * »So«, brummte Thorsten Magran und trom melte nervös mit den Fingern seiner rechten Hand auf die Schreibtischplatte. »Also gar nichts?« Ceron Layas, der sich, wenn sein Chef in der Nähe war, immer unsicher fühlte, schüttelte bedauernd den Kopf. »Wir haben die ganze Wohnung durchsucht, das Unterste zuoberst gekehrt. Nicht einen winzigen Hinweis darauf, was Kubaikjew dem Sicherheitsbüro mitteilen wollte, haben wir ge funden. Absolute Fehlanzeige!« Magran blickte den PSD-Agenten durchdrin gend an. »Sie haben den Linguisten zu stark unter Druck gesetzt, wie?« knurrte er, und obwohl es eigentlich eine Frage sein sollte, klang es aus dem Mund des PSD-Leiters von Logannidaror
mehr wie eine Feststellung, die keinen Wider spruch duldete. Layas setzte dennoch zu einer Erwiderung an, wurde jedoch von einer barschen Handbe wegung Magrans daran gehindert. »Kubaikjew hat Selbstmord begangen – und das in Ihrer unmittelbaren Gegenwart. Das, mein lieber Layas, wird für Sie mit Sicherheit nicht ohne Folgen bleiben. Sie hören von mir!« Das kam einem Hinauswurf gleich. Layas ver stand den Wink und beeilte sich, ihm Folge zu leisten. Als der Agent das Büro des Leiters verlassen hatte, lehnte sich Magran in seinem Sessel zu rück und brummte etwas Unverständliches. Kubaikjew war tot, daran war nichts mehr zu ändern, auch wenn der Verantwortliche dafür bestraft wurde. Und mit seinem Tod schien die einzige Möglichkeit dahin zu sein, das, was er entdeckt hatte, in Erfahrung zu bringen. Nein, sagte sich Magran und legte dabei die Stirn in Falten, der Druck, den Layas und sein Kollege Ganian auf den Linguisten ausgeübt hatten, konnte kein ausreichendes Motiv für den Freitod sein. Gut, die lückenlose Observa tion in den zurückliegenden Tagen hatte zwei felsfrei ergeben, daß Kubaikjew zunehmend nervöser und labiler geworden war. Offen
sichtlich hatte die Last dessen, was er wußte, an den Kräften gezehrt. Aber ein solcher Mann brachte sich nicht einfach um, wenn er sich ei nem Verhör gegenüber sah. Magran versuchte, sich in die Lage des Lin guisten zu versetzen. Er mußte gewußt haben, daß der PSD Mittel besaß, jede Information aus dem Hirn eines Menschen zu pressen. Und er mußte die Befürchtung gehabt haben, daß der Sicherheitsdienst von den entsprechenden Gerätschaften Gebrauch machte. Magran war sicher, daß das den Linguisten zu seiner Verzweiflungstat getrieben hatte. Sein Geheimnis – um was auch immer es sich dabei handeln mochte – war in seinen Augen so bedeutungsvoll gewesen, daß er jede Mög lichkeit hatte ausschließen wollen, dieses Wis sen in die Hände des PSD gelangen zu lassen. In einem plötzlichen Anfall aufwallender Wut hieb Thorsten Magran mit der geballten Faust auf die Schreibtischplatte. Er wollte auf springen, aber gerade in diesem Moment be gann ein kastenförmiges Gerät vor ihm aufge regt zu schnattern. Die Stirnseite wurde trübe, dann schälten sich codierte Buchstaben- und Zahlenkolonnen aus den Schlieren heraus. Magrans Wut, die ihn noch Sekunden vorher erfüllt hatte, war so schnell verschwunden, wie
sie entstanden war. Aus zusammengekniffenen Augen musterte er gespannt die schnell wech selnden Bildfolgen: Er kannte den Code sehr gut, brauchte daher also nicht extra einen De coder zu benutzen. Magran stieß pfeifend die Luft aus, als das Summen verebbte und die Frontseite des Ge räts wieder die ursprüngliche Form annahm. Einige Sekunden lang überlegte er ange strengt, dann schaltete er rasch eine Reihe von anderen Geräten ein und forderte Informatio nen an. Fünf Minuten später lag das Gewünschte in Form von Magnetmitteilungen vor ihm. »Wilborn hat also versagt«, knurrte er böse, wobei die Zornesader an seiner Schläfe gefähr lich anschwoll. »Schwachkopf!« Der centaurische SB war, getarnt als Marlon Viasco, wie er jetzt wußte, durch die Einreise registratur geschlüpft. Das kleine 3-D-Foto, das vor ihm auf der Platte lag, zeigte allerdings nur wenig Ähnlichkeit mit dem danebenliegen den Bildnis von Toger Raman. Magran nickte unbewußt. Das Sicherheitsbüro hatte seinem Mitarbeiter natürlich eine neue Identität ge schaffen. Neue ID-Karten waren überhaupt kein Problem, und mit synthetischem Fleisch konnte man einen Menschen in einen schein
bar völlig anderen verwandeln. Die rasche Ho telüberprüfung, die er ebenfalls angeordnet hatte und deren Ergebnis ihm vorlag, war ne gativ. Ein Mann namens Marlon Viasco hatte in Thalistan kein Quartier bezogen. Das konnte mehrere Bedeutungen haben. Zum einen war es möglich, daß Raman bei ei nem anderen, schon vor längerer Zeit nach Lo gannidaror eingeschleusten Agenten unterge kommen war, zum anderen, daß Raman sich unter einer weiteren Tarnidentität irgendwo hatte registrieren lassen. Eine andere Identität bedeutete aber auch ein geändertes Äußeres; auch das ließ sich relativ leicht bewerkstelli gen. Wie aber, fragte sich Magran stirnrunzelnd, soll man einen Mann finden, von dem man nicht weiß, wie er aussieht und wie er sich nennt? Sicher, man hätte alle Hotelneuzugän ge überprüfen können. Nur – eine solche Maß nahme, die gezwungenermaßen sehr umfang reich sein mußte, wäre dem SB mit Sicherheit aufgefallen, und er hätte sich rechtzeitig aus dem Staub machen können. Magran erhob sich aus seinem Sessel, schritt auf und ab und blieb dann plötzlich wie ange wurzelt stehen. Nein, es gab eine wesentlich effektivere Mög
lichkeit, mittels derer man den Centaurier endgültig – für immer – ausschalten konnte. Sie war zudem noch so einfach, daß sie damit eine erhebliche Aussicht hatte, erfolgreich zu sein. Ein leichtes Lächeln umspielte jetzt die Lip pen des PSD-Leiters. Was war das Ziel des SB? Natürlich Kubai kjew, von dem ja die Nachricht, die das Sicher heitsbüro aufgeschreckt hatte, gekommen war. Und Raman würde keine Zeit verlieren, um mit dem Linguisten zusammenzutreffen. Magran setzte sich wieder und grinste zufrie den. Niemand wußte, um was es sich bei dem Ge heimnis handelte, das Kubaikjew mit in den Tod genommen hatte. Was aber, wenn dem nicht so war? Wenn Ku baikjew irgendwo einen Hinweis hinterlassen hatte, einen Schlüssel, der zu dem Geheimnis führte? Und – wenn diese Annahme stimmte – war Toger Raman in der Lage, diesen Schlüssel zu finden? Thorsten Magran hatte eine Idee – und sie er schien ihm so genial, daß er über sich selbst er freut war. *
Toger wußte, daß ihm die Zeit im Nacken saß, aber er bemühte sich, den Drang, Aktivität zu entwickeln, um jeden Preis zu unterdrücken und kühl zu bleiben, so schwer ihm das auch fiel. Einen wesentlichen Vorteil hatte er gegen über dem PSD-Kommando, das sicher schon auf dem Weg war: Niemand wußte, daß er, ein bedeutungsloser Versicherungsmitarbeiter na mens Romen Glad, in Wirklichkeit Toger Ra man war. Niemand kannte seine neue Identi tät, sein neues Äußeres. Vorsichtig öffnete Toger die Wohnungstür und spähte durch den schmalen Spalt. Hell er leuchtet lag der breite Korridor vor ihm, nie mand war zu sehen. Rasch trat er auf den Gang hinaus und ver staute seine Waffe in der Tasche. Leise ließ er die Tür ins Schloß fallen, dann atmete er einige Male tief durch und schritt auf die Einstiegöff nung des nahen Antigravschachts zu. Er wollte versuchen, durch den Hauptein gang am Fuß des Gebäudes ins Freie zu gelan gen. Dort war zwar die Robotrezeption unter gebracht und mit lebhafterem Publikumsverkehr zu rechnen, aber gerade das bestätigte ihn in der Auffassung, dort, wo
ein unerkanntes Entkommen normalerweise unmöglich war, am ehesten einen Erfolg ver buchen zu können. Außerdem kontrollierte die Robotrezeption Ankömmlinge; diejenigen, die den Wohnturm verlassen wollten, hatten in der Regel ja auch die Berechtigung, sich hier aufzuhalten. Toger fluchte lautlos, als er sich in den Schacht fallen ließ und, von den Kraftfeldern gehalten, hinabsank. Er wußte noch nicht ein mal, worum es ging, und doch befand er sich fast seit Beginn seines Auftrags auf der Flucht. Ständig mußte er seine Aufmerksamkeit dar auf richten, nicht vom PSD gefaßt zu werden, statt, wie es eigentlich der Fall sein sollte, her auszufinden, was der Grund für Kubaikjews Nachricht an das Sicherheitsbüro war. Je tiefer er kam, desto belebter zeigten sich die Korridore und Aufenthaltshallen, in die er vom Schacht aus blicken konnte. Vielleicht wa ren die oberen Stockwerke noch nicht alle be legt; er zuckte mit den Achseln. Einige Minuten später hatte er das Erdge schoß erreicht und trat in eine weitläufige Hal le, die mit bequemen Sitzecken ausgestattet war. Annähernd siebzig Personen hielten sich hier auf, plauderten miteinander, lachten oder lauschten den Worten einer jungen Frau, die
als lebensechte Projektion von einer Wand herabsah. Die Spannung, die sich in dem SB aufgestaut hatte, entlud sich in einem erleichterten Seuf zen. Nirgendwo konnte er Uniformierte erken nen, keine Strahlwaffe war drohend auf ihn ge richtet. Nur einige Meter vor ihm befand sich, in ei nem weiten Halbkreis, die Rezeption, hinter deren hüfthohen Tischen drei menschlich wir kende Roboter diejenigen kontrollierten, die in das Gebäude getreten waren und den zentralen Antigravschacht zu benutzen gedachten, um höher gelegene Stockwerke zu erreichen. Und wie er schon richtig vermutet hatte, wurden die Personen, die, vom Schacht kommend, den Wohnturm verlassen wollten, nicht überprüft. Ein kurzes Lächeln stahl sich auf Ramans Ge sicht, dann steuerte er auf einen der Durchläs se auf der rechten Seite der bogenförmigen Re zeption zu und strebte anschließend dem Ausgang entgegen. Als er noch ein knappes Dutzend Meter von der breiten Doppeltür ent fernt war, die ins Freue führte, bemerkte er vor und hinter den Portalen zu unauffällig ge kleidete Männer, die sich bei den Austretenden diskret nach den ID-Karten erkundigten. In Togers Hirn klingelte eine Alarmglocke. Er
drehte sich gerade in dem Augenblick um, als ihn einer der Männer, die sicherlich dem Pla netaren Sicherheitsdienst angehörten, mit dem Blick streifte. Die Nackenhaare des SB richteten sich auf. Er wußte, daß er mit seiner plötzlichen Reakti on einen Fehler gemacht und nun die Auf merksamkeit des PSD-Agenten auf sich gezo gen hatte. Doch er konnte diesen Fehler nicht durch einen weiteren wiedergutmachen, lenk te seine Schritte also ohne Eile in die Richtung der Rezeption – und damit des Schachts – zu rück. »He, Sie!« Der Ruf war laut genug, um alle Anwesenden in der Halle die Köpfe wenden zu lassen. Bei Raman löste er einen Adrenalin-Stoß aus, der seinen Puls hämmern ließ. So groß die Versu chung auch war, er griff nicht nach seiner Waf fe, beschleunigte auch seine Schritte nicht. »Stehenbleiben, oder ich schieße!« Der unmißverständliche Befehl erzeugte noch ein Echo in seinen Ohren, als Raman be reits, von seinen Reflexen gesteuert, gehandelt hatte. Er warf sich zur Seite, nahm das hohle Singen eines abgefeuerten Schockers wahr und hörte den entsetzten Aufschrei einer Frau, die von einem Teil der freigewordenen Energie ge
troffen wurde. Noch im Fallen griff Toger nach seiner Waffe, riß den Arm mit dem entsicherten Strahler herum, als er aufgeprallt war, und betätigte den Auslöser. Der PSD-Agent stürzte wie ein gefällter Baum zu Boden, noch bevor er Gele genheit hatte, seinen Schocker ein weiteres Mal einzusetzen. Aber jetzt waren auch seine Kollegen aufmerksam geworden und zückten ihre Strahler. Es wurde Zeit für Toger, aus der Gefahrenzone zu verschwinden. Er sprang auf die Beine und stürmte los. Die Roboter der Rezeption summten empört, als er sich über die Tische schwang und in den Anti gravschacht warf. Sofort wurde er von den Gravitationsfeldern erfaßt und emporgehoben. Ein gleißender Energiefinger leckte nach ihm, verfehlte ihn aber um mehr als einen halben Meter. Jetzt feuern sie mit tödlicher Energie! fuhr es Raman durch den Schädel. Die Schonzeit ist vorbei! Eine Person, die sich in einem langen Schacht befand, bot ein vorzügliches Ziel, selbst für einen schlechten Schützen, dessen war sich der SB bewußt. Darum trat er auch, kaum daß er das erste Stockwerk erreicht hat te, aus den Kraftfeldern heraus auf den an
grenzenden Korridor. Er hatte nur noch eine einzige Chance, hier mit heiler Haut herauszukommen: Er mußte die Dachterrasse erreichen, einen der dort ge parkten Gleiter aufbrechen, wenn man ihm die Zeit dazu ließ, und in dem um diese Zeit sicher lich noch herrschenden Verkehrsgewühl von Thalistan untertauchen. Natürlich würden auch dort PSD-Agenten auf ihn warten, aber er hoffte auf das Überraschungsmoment, wenn er plötzlich vor ihnen materialisierte. Sie waren inzwischen sicher von ihren Kollegen im Erd geschoß benachrichtigt worden, aber sie konn ten nicht ahnen, daß er dazu in der Lage war, die Aktivierungs-Pole des Transmit-Feldes mit tels seines Impuls-Gebers zu überlisten. Toger hetzte den Gang entlang und achtete dabei nicht auf die Personen, die ihm erstaun te oder auch ärgerliche Rufe nachsandten. So lange es keine PSD-Agenten waren, interes sierten sie ihn nicht sonderlich… Bald hatte er die schottähnliche Tür gefun den, auf deren Frontseite ein Rettungssymbol prangte. Er preßte den Öffner in die Fassung, wartete nervös, bis sich das Hindernis beiseite geschoben hatte, dann trat er eilig in den Raum und schloß die Tür wieder. Rasch orientierte er sich. Die Nottreppe, an
deren Fuße er stand, reichte bis zu schwin delnden Höhen hinauf. Sie war zwar weniger dazu konstruiert, um hinaufzugelangen, mehr, um sich im Falle eines Brandes in Sicherheit bringen zu können, das heißt, das Erdgeschoß zu erreichen, aber das spielte keine Rolle. Sie stellte im Augenblick die einzige Möglichkeit für Raman dar, relativ sicher und unbeschadet zum Stockwerk direkt unter der Dachplattform zu kommen. Der SB lief los und legte ein zügiges Tempo vor. Wenn die PSD-Agenten erfuhren, daß er eine Nottreppe benutzte, war es wahrschein lich, daß ein oder zwei von ihnen ihm auf die sem Weg folgten, um ihm den Rückweg abzu schneiden, und die anderen versuchten, im Antigravschacht einige Stockwerke höher zu schweben und ihn dann irgendwo weiter oben zu erwarten. Seine Chance bestand darin, schneller zu sein als sie. Und dazu mußte er seine letzten Kraftreserven mobilisieren, denn die Steiggeschwindigkeit innerhalb des Schachts war nicht unerheblich. Der Schweiß brach ihm aus allen Poren, als er, Stufe um Stufe, alles von sich abverlangte. Der Atem ging keuchend und dröhnte in sei nen Ohren, aber seine pulsierenden Gedanken trieben ihn immer weiter. Wenn er eine Pause
machte und es seinen Gegenspielern gelang, schneller an Höhe zu gewinnen, war er so gut wie verloren. Über ihm schien sich die Treppe bis ins End lose auszudehnen. Einem raupenhaften Unge heuer gleich wand sie sich in die Höhe, gleich gültig gegenüber dem Wesen, das ihr trotzen wollte. Toger Raman hatte die Empfindlichkeit sei ner Sinne herabgesetzt, um soviel Energie wie möglich zu sparen. Doch auch so spürte er die Ermüdung noch deutlich, die in seinem Körper hinaufkroch, die Gelenke träge machte und die Muskeln und Sehnen erlahmen ließ. Mechanisch setzte er einen Fuß vor den ande ren. Aber jede weitere Stufe schien höher und steiler zu sein als die vorhergehende, und der Zeitpunkt, zu dem es ihm unmöglich war, ein Bein so weit zu heben, daß sein Fuß die näch ste Stufe berührte, war nicht mehr fern. Weit unter ihm, am Boden des gähnenden Schlundes, der ihn zu sich herabzusaugen drohte, erklangen Geräusche. Toger nahm sie gar nicht bewußt wahr. Der sengende Energie blitz jedoch, der dicht an ihm vorbeiraste, ließ ihn zusammenzucken und die Lethargie verlie ren, die ihn erfaßt hatte. Für einen Sekundenbruchteil hatte er innege
halten, dann aber hetzte er weiter, ohne auf die stechenden Schmerzen zu achten, die in seinen Beinen pochten. Selbst wenn ihn der Strahl getroffen hätte, tödlich wäre er auf kei nen Fall gewesen. Die Reichweite dieser Blitze war nur begrenzt, sie verloren unterwegs zu viel Energie in Form von Wärme an ihre Um gebung. Wie viele Stockwerke hatte dieser Wohnturm überhaupt? Der SB wußte es nicht. Er hatte nur das Gefühl, schon eine Ewigkeit unterwegs zu sein und noch einmal die gleiche Ewigkeit überwinden zu müssen… »Da ist er!« ertönte es plötzlich hinter ihm. Raman reagierte, ohne dabei zu denken. Ob wohl sein Körper vollkommen ausgelaugt zu sein schien, mobilisierte seine jetzt wieder ein setzende Reflexsteuerung neue Energien. Ein Energieblitz dröhnte fauchend an ihm vorbei, schlug in die Wand ein und verdampfte die Stahlplast-Beton-Mischung. Toger warf sich erneut zur Seite. Sein rechter Arm, dessen Hand immer noch die klobige Kombiwaffe um klammerte, ruckte herum. »Achtung!« brüllte unter ihm jemand. Ra man hatte seine Kiefer so stark zusammenge preßt, daß seine Lippen nur noch einen blut leeren Strich bildeten. Seine Waffe vibrierte
und spie unsichtbare, aber sehr wirkungsvolle Energieimpulse. Die beiden Männer unter ihm, die etwa zwanzig Meter entfernt waren, erstarrten in ihren Bewegungen, als sie von dem Schock erfaßt wurden, und kippten zur Seite. Toger schloß die Augen und wartete, bis sich sein Atem so weit beruhigt hatte, daß er wieder einigermaßen klar zu denken vermochte. Die beiden PSD-Agenten hatten sich zu früh ent schlossen, den zentralen Antigravschacht zu verlassen, um ihm von oben den Weg abzu schneiden. Hätten sie noch einige Stockwerke passiert, so hätten sie vermutlich Erfolg mit dieser Taktik gehabt. »Glück muß der Mensch haben«, keuchte To ger und konzentrierte sich darauf, die feurigen Schleier, die vor seinen Augen wallten, zu ver treiben. Jetzt konnte er sich eine kurze Pause gönnen. Nach einigen Minuten fühlte er sich so weit in Ordnung, daß er glaubte, den Weg fort setzen zu können. Inzwischen waren die PSDAgenten, die ihm von unten her folgten, etwas näher gekommen. Als er sich vorsichtig über das brusthohe Geländer beugte, konnte er sie etwa sechs Stockwerke unter sich erkennen. Es waren ebenfalls zwei, und sie bewegten sich langsam, schienen also mindestens so er
schöpft zu sein wie er selbst. Toger justierte rasch seine Waffe um, wählte die feinste Fokussierung und visierte dann, den Strahler auf dem Geländer und mit beiden Händen umfaßt, sein Ziel an. In dem Faden kreuz des elektronischen Suchers erschien die Projektion einer sich bewegenden Gestalt. Der SB wartete mit angehaltenem Atem, bis sie sich genau im Zentrum des Kreuzes befand, dann berührte er den Auslöser. Weit unter ihm schrie ein Mann erschrocken auf, warf die Arme nach hinten, verdrehte die Augen und stürzte zu Boden. Der andere Mann hielt einen Augenblick inne, sah überrascht nach oben und tauchte dann in die Deckung von überhängenden Stufen. Einer der Verfol ger war jetzt zumindest für einige Stunden au ßer Gefecht gesetzt. »Ruhe sanft«, zischte Toger zynisch, drehte sich um und eilte weiter die Stufen hinauf. Von Zeit zu Zeit vergewisserte er sich, daß der Abstand zu dem letzten aktiven, sich im Bereich der Nottreppe befindlichen PSD-Ange hörigen sich ständig vergrößerte. Offensicht lich war der Mann erheblich vorsichtiger ge worden oder aber so gut wie am Ende seiner körperlichen Leistungsfähigkeit. Etwa fünfzehn Minuten später, die Toger wie
fünfzehn Stunden erschienen, erreichte er das Ende der Treppe. Einige Augenblicke lang schöpfte er Atem und ruhte sich aus, dann öff nete er die Tür und spähte in den Korridor. Leer. Der SB nickte zufrieden, schlüpfte durch den Spalt und schloß die Tür hinter sich. Um ihn herrschte fast vollkommene Stille. Dennoch rauschte und dröhnte es in seinen Ohren wie von einer nahen Brandung. Und als er den Impuls-Geber aus der Tasche fischte, merkte er erst, wie erschöpft er war. Seine Fin ger weigerten sich, den Befehlen seines Hirns Folge zu leisten, und setzten seinen Bemühun gen, das Gerät zu justieren, erheblichen Wi derstand entgegen. Toger war sich in aller Deutlichkeit bewußt, daß er dringend eine längere Pause benötigte, in der er seine Kräfte regenerieren konnte. Aber er wußte auch, daß im Augenblick daran nicht zu denken war. Solange er sich innerhalb dieses Wohnturms befand, schwebte er in per manenter Lebensgefahr. Wie viele PSD-Agenten mochten auf der Dachplattform auf ihn warten? Er hatte keine exakte Vorstellung davon, vermutete aber, daß er es mit der Besatzung von einem oder auch zwei Gleitern zu tun haben würde.
»Also zwei oder vier Mann«, murmelte der Centauri-Geborene und aktivierte seinen Ge ber. Nicht weit von ihm, nur einige Meter ent fernt, begann die Luft wie vor Hitze zu flim mern. Das Transmit-Feld stand. Toger verstaute den Impuls-Geber wieder und schritt mit zu schmalen Schlitzen zusam mengekniffenen Augen auf das Flimmern zu. Er zögerte kurz, dann setzte er zu einem Sprung an und warf sich direkt in die Energie schlieren hinein. Kurzer Schwindel packte ihn, er spürte den harten Aufprall auf eine rauhe Fläche und roll te sich, so schnell es ihm möglich war, zur Sei te. »Da ist er!« bellte eine Stimme. Toger verfluchte das Dämmerlicht, das hier herrschte. Seine Augen benötigten eine ihm viel zu lang erscheinende Adaptionsphase, um sich auf die geänderten Lichtverhältnisse ein zustellen. Währenddessen versuchte er, so schwer ihm das auch fiel, ständig in Bewegung zu bleiben. Geduckt rannte er auf einen ge parkten Gleiter zu, dessen Konturen er sche menhaft erkannte. Ein gleißender Energiefin ger leckte nach ihm, fuhr nur einige Zentimeter an seinem Rücken vorbei. Der SB spürte die sengende Hitze, biß aber hart die
Zähne zusammen, um keinen unkontrollierten Schmerzensschrei auszustoßen. Seine rechte Hand, die die Waffe umklam mert hielt, entwickelte plötzlich ein gespensti sches Eigenleben. Wie von selbst richtete sie den Strahler auf das Ziel. Hämmernde Schockimpulse verließen den Lauf, der schwach aufglomm, lähmten das Nervensy stem eines seiner Gegner und ließen ihn besin nungslos zu Boden stürzen. Toger hatte die Deckung des Gleiters erreicht und preßte sich so eng wie möglich an das küh le Material. Ein weiterer Energiestrahl schlug in das Metallplast ein und ließ die Karosserie dröhnen. Der SB wußte in diesen Sekunden, daß sein Schicksal so gut wie besiegelt war. Er hatte es hier mit mindestens zehn PSD-Agenten zu tun, die zudem noch frisch und ausgeruht waren. Er selbst aber bewegte sich dicht am Rand ei ner Erschöpfungsohnmacht… Mehrere Scheinwerfer warfen plötzlich ihre blendenden Lichtkegel in seine Richtung und tauchten den Gleiter, hinter dem er kauerte, in gleißendes, taghelles Licht. »Sie haben keine Chance mehr, Raman!« er tönte eine befehlsgewohnte Stimme. »Kom men Sie lieber freiwillig hervor, dann bleiben
Sie zumindest am Leben.« Der erste Satz stimmte, mußte sich Toger ein gestehen, die zweite Behauptung jedoch wagte er zu bezweifeln. Nein, wenn er in die Hände des Planetaren Sicherheitsdienstes fiel, brauchte er sich um seine Zukunft bald keine Sorgen mehr zu machen… »Holen Sie mich doch!« rief er mit brüchiger, aber entschlossener Stimme und feuerte. Ein schriller Schrei war die Folge. »Hören Sie«, fuhr die Stimme ärgerlich fort. »Wir haben hier eine tragbare schwere LK, und der Lauf zeigt genau auf den Gleiter, hin ter dem Sie stecken! Was, meinen Sie, passiert wohl, wenn ich den Auslöser hier vor mir betä tige?« Toger nickte langsam mit verbissenem Ge sicht. Er glaubte nicht, daß es sich um einen Bluff handelte, und wenn es stimmte, dann sah es in der Tat nicht gut für ihn aus. Die Laserka none konnte den Gleiter und auch ihn inner halb eines Sekundenbruchteils in Atome zer blasen. Der SB besaß genug Verstand, um einzuse hen, daß er das Spiel verloren hatte… *
Toger erhob sich zögernd, verließ seine Deckung und hob langsam die Arme in die Höhe. Die Scheinwerfer erfaßten seine Gestalt sofort, er kniff die Augen zusammen. »Gut, daß Sie Ihre Lage realistisch betrach ten«, fuhr einer der PSD-Agenten mit einem deutlich zufriedenen Tonfall fort. »Jetzt lassen Sie Ihre Waffe fallen!« Das Scheppern, als der Strahler den Boden berührte, erschien ihm wie ein apokalypti sches Donnergetöse. Resignation machte sich in Toger breit, auch wenn er sich Mühe gab, sie zu verdrängen und nach einem Ausweg zu su chen. Es war aussichtslos: es gab keinen. Mit lässigen Schritten schälte sich aus dem Dunkel jenseits des Bereichs der blendenden Scheinwerfer eine Gestalt heraus, mit unabläs sig auf ihn gerichteter Waffe, deren Fokussie rungsfeld sanft fluoreszierte. Um die Mund winkel des noch jungen Mannes spielte ein siegessicheres Lächeln. Einige Schritte vor dem Sicherheitsbeauftragten blieb der PSDAgent stehen und musterte ihn eingehend. »Ihre Bioplast-Ausstattung sieht aber arg mitgenommen aus, Raman«, sagte er zynisch, und Toger erkannte die Stimme wieder, die ihn zur Aufgabe aufgefordert hatte. »Sagen Sie, fühlen Sie sich eigentlich nicht wohl? Sie ma
chen so einen erschöpften Eindruck?« Der SB meinte, daß Sarkasmus seiner Situati on nicht angemessen war. »Schön, daß Sie sich freiwillig ergeben ha ben«, fuhr der Mann heiter fort. »Das hat uns eine Menge Mühe gespart. Aber Sie haben doch nicht ernsthaft an meine Versicherung geglaubt, Sie am Leben zu lassen, oder?« Das Lächeln verwandelte sich in ein gehässi ges Grinsen, als der Agent die Waffe hob und auf den Kopf des SB richtete. »Es ist nicht schade um Sie. So ein Dilettant…« Toger wollte gerade seine letzten Kraftreser ven aktivieren und sich auf den Mann stürzen, als sich plötzlich ein überraschter Ausdruck auf das Gesicht des PSD-Agenten stahl. Er riß die Augen weit auf und kippte dann wie in Zeit lupe nach hinten. Der Centaurier kam nicht dazu, die veränder te Situation richtig zu erfassen. Mit aufheulen den Triebwerken setzte ein schnittiger Gleiter zur Landung an. Der Einstieg klappte zur Seite, noch bevor das Gefährt die Oberfläche der Plattform berührt hatte, und der Kopf einer jungen Frau tauchte aus dem Innern. »Hierher!« rief sie, und blickte sich, mit ei nem angespannten Gesichtsausdruck, suchend
um. Toger war im ersten Augenblick so über rascht, daß er sich nicht vom Fleck rührte. »Nun machen Sie schon! Oder wollen Sie hierbleiben?« Das Stichwort genügte, um den SB endlich reagieren zu lassen. Ohne bewußt zu denken, taumelte er auf den Gleiter zu, dessen Aggrega te in Bereitschaft summten. Irgendwie schaffte er es auch, durch den Einstieg zu klettern, dann merkte er nur noch, wie die junge Frau die Maschine steil hochzog und mit höchsten Werten beschleunigte. * Als Toger Raman erwachte, bestand seine er ste Aktivität darin, zufrieden und behaglich zu lächeln. Dann aber überfiel ihn die Erinne rung, und er richtete sich ruckartig auf. Mit verwirrtem Gesichtsausdruck musterte er das Zimmer, in dem er sich befand. Er lag auf einer bequemen Konturliege, deren Polster sich seinem Körper angepaßt hatten. Rechts neben ihm, eingelassen in einer von seiner Po sition aus leicht zu erreichenden Konsole, er kannte er ein schmales Kontrollfeld mit meh reren, verschiedenfarbigen Sensoren. Er war sicher, daß bei ihrer Betätigung Schränke und
ähnliche Einrichtungen aus den Wänden fuh ren, die das eigentliche Mobiliar des Raumes ausmachten, im Augenblick für ihn aber ver borgen waren. Dicker, tiefroter Teppichboden erzeugte eine angenehme Atmosphäre. Eine einzelne Tür nahm er wahr, deren Fugen sich kaum von der Wand abhoben. Toger runzelte die Stirn und schwang seine Beine von der Liege. Dabei stellte er fest, daß er anstelle seines Zweiteilers nur eine kurze Hose trug, die ihm zudem noch eine Nummer zu groß zu sein schien. Eine junge Frau, deren Gesicht er nur sche menhaft in Erinnerung hatte, hatte ihn gerettet und hierhergebracht. Sie mußte die PSD-Agen ten mit starken Schockimpulsen gerade in dem Augenblick außer Gefecht gesetzt haben, als sie ihm das Lebenslicht auszublasen gedachten. Es war wirklich die allerletzte Sekunde gewesen, darüber war sich Toger Raman im klaren. Was ihn jetzt beschäftigte, war das Motiv seines Schutzengels. Was hatte ihm Martin Ferguson während der Einsatzbesprechung noch gesagt? Richtig, nicht nur er war damit beauftragt, zu versu chen, das herauszufinden, was Kubaikjew zu seiner dringenden Nachricht veranlaßt hatte. Ein zweiter SB arbeitete, unabhängig von ihm,
an der gleichen Aufgabe. Sollte die junge Frau…? Toger gähnte herzhaft, erhob sich und steu erte die Tür an. Auf die Betätigung des Öffners hin schwang sie auf und gab den Weg frei in einen reichhaltig ausgestatteten Hygieneraum. Als er in den Spiegel starrte, erschrak der SB. Der, der ihm da entgegenblickte, war nicht Ro men Glad, der Versicherungsangestellte, son dern Toger Raman, der Centauri-Geborene und Angehörige des Sicherheitsbüros von Ter ra. Erstaunt sah er an sich herunter. Jedes Gramm synthetischen Fleisches war ver schwunden, nicht ein einziger Rest war übrig geblieben. »Überrascht?« ertönte eine melodische Stim me. Toger drehte sich langsam um und blickte direkt in das Lächeln jener jungen Frau, der er sein Leben zu verdanken hatte. Sie war, von ihm unbemerkt, von der gegenüberliegenden Seite in den Hygieneraum getreten. Durch die geöffnete Tür blickte der SB in ein geschmack voll eingerichtetes Wohnzimmer. »Ein wenig, ja«, gab Toger zu und dachte dar an, daß er nur spärlich bekleidet war. »Wie ha ben Sie es geschafft, das Zeug runterzubekom men? Nur die oberste Schicht läßt sich leicht
lösen…« »Machen Sie sich darüber keine Gedanken«, entgegnete sie nonchalant. »Es war jedenfalls leider nötig. Ein Strahlschuß muß so dicht an ihrem Rücken vorbeigezischt sein, daß er dort die Struktur des Gewebes zerstört hat. Wenn Sie wüßten, wie Sie ausgesehen haben…« Toger nickte gedankenverloren. »Ich habe Ihnen etwas mitgebracht«, fuhr sie fort und reichte ihm ein Bündel Kleidung. »So können Sie sich jedenfalls nicht auf der Straße zeigen.« Raman brummte etwas Unverständliches, aber die junge Frau hatte den Hygieneraum be reits verlassen und die Tür geschlossen. Der SB duschte ausgiebig und kleidete sich dann an. Unterbewußt registrierte er, daß sein neu er Zweiteiler nicht nur elegant wirkte, sondern auch paßte. Als er zehn Minuten später das Wohnzimmer betrat, kroch ihm ein angenehmer Duft in die Nase. Erst jetzt merkte er überhaupt, wie hungrig er war. Er vergaß für den Augenblick die Fragen, die er auf der Zunge hatte, und machte sich statt dessen über die Mahlzeit her, die die junge Frau mit Hilfe der elektronischen Küche für ihn bereitet hatte.
Sie musterte ihn interessiert und mit einem Lächeln, das ihn zu irritieren begann, sagte aber kein Wort. Erst als sie ihm eine Aromazi garette reichte und sich selbst eine angezündet hatte, sprach sie ihn an. »Hat’s geschmeckt?« »Wunderbar, danke. Sagen Sie, wie lange habe ich eigentlich geschlafen?« Sie zuckte mit den Achseln. »Na, so an die zwanzig Stunden, denke ich.« Toger erschrak, ließ sich aber nichts anmer ken. Zwanzig Stunden! Es mußte längst eine planetenweite Fahndung nach ihm eingeleitet worden sein. Und er hatte nun seine Tarnung verloren. »Hm«, machte er nachdenklich und schaute sein Gegenüber an. Sie mochte vielleicht fünf undzwanzig Jahre alt sein, hatte dunkle, fast bläulich schimmernde Haare, die ihr bis auf die Schultern fielen, und ein schmales Gesicht, das von großen, anscheinend immer ein wenig belustigt dreinblickenden Augen beherrscht wurde. »Ich verdanke Ihnen viel«, stellte er fest. »Aber… ich weiß immer noch nicht, mit wem ich es eigentlich zu tun habe…« »Oh, entschuldigen Sie, Toger – ich darf Sie doch so nennen? Mein Name ist Tyla
Genorra.« »Sagen Sie, Tyla«, Toger lehnte sich zurück, sog an seiner Zigarette und blies den Rauch in Richtung Decke, »warum haben Sie mich ge rettet?« Er bohrte seinen Blick fest in ihre Augen, um ihre Reaktion auf diese Frage festzustellen. Sie lachte und sah ihn amüsiert an. »Sie brauchen mich nicht zu prüfen, Toger. Ich sage Ihnen auch so, wer ich bin.« Sie erhob sich und schritt zu einem niedrigen Sideboard, auf dem eine Tasche deponiert war. Während sie ihre Zigarette ablegte, öffnete sie mit der anderen Hand die Verschlüsse und griff hinein. Dabei stellte sie sich nicht sonderlich ge schickt an. Die Tasche kippte um und gab einen Teil ihres Inhalts preis. Es war das übli che kosmetische Zubehör, ohne das offensicht lich keine Frau auskam oder auszukommen glaubte. Eine unscheinbare Karte aber fiel her unter und landete auf dem Teppich, mit der be druckten Seite nach oben. Deutlich erkannte Toger das dreidimensionale Foto von Tyla, da neben eine Reihe von persönlichen Angaben. Darunter aber waren drei Symbole einge stanzt, von denen jedes in einer anderen Farbe schimmerte.
Der SB erstarrte zu völliger Bewegungslosig keit. Er kannte diese Symbole. Sie stellten drei Buchstaben dar, vor denen er inzwischen ge hörigen Respekt hatte: PSD. »Was ist mit Ihnen los, Toger?« fragte Tyla und hob die Augenbrauen. Dann folgte sie sei nem Blick und sah auf den Boden, wo ihr PSDAusweis lag. »Ach das«, lachte sie und hob die ID-Karte auf. »Das ist meine Tarnung, und eine echte noch dazu. – Haben Sie wirklich geglaubt, ich könnte…? Na hören Sie, warum hätte ich Sie dann wohl retten sollen?« Toger mühte sich ein Lächeln ab, das jedoch unecht wirkte. »Aber ich will Ihnen den Beweis liefern«, fuhr Tyla fort, jetzt ein wenig ärgerlich, wie es schien, »daß ich, wie Sie, dem Sicherheitsbüro angehöre.« Sie hatte inzwischen in der Tasche das gefun den, was sie suchte, einen kleinen elektroni schen Schlüssel, der wie ein hauchdünner Splint aussah. Mit ihm öffnete sie ein Wand fach, das er vorher nicht wahrgenommen hat te, und entnahm einer Kassette einen beschrie benen Briefbogen aus simplem Papier, das längst vergilbt war. »Hier, lesen Sie.«
Toger nahm das Schreiben an sich und über flog die ersten Zeilen. Dann runzelte er verle gen die Stirn. »Hm, ich finde Ihre Liebesbriefe zwar recht interessant, aber…« »Reden Sie keinen Unsinn! Nehmen Sie das hier zur Hilfe.« Sie reichte ihm einen elektronischen Leser, dessen Optik er auf die Zeilen richtete. »Aha«, machte er und nickte. In den Worten, die sich zu scheinbaren Liebesbeteuerungen zusammenreihten, waren Mikropunkte ver borgen, die die eigentliche Botschaft enthiel ten. Sie beinhalteten eine Empfehlung des Si cherheitsbüros, die von Martin Ferguson persönlich unterzeichnet war. »Okay«, sagte Toger entschuldigend. »Jetzt ist alles klar.« »Hoffentlich«, meinte Tyla und verstaute den Brief wieder in dem Fach. »Die Mikropunkte sind sicherer als eine konventionelle ID-Karte, das werden Sie wohl einsehen.« Sie setzte sich wieder und zündete sich eine neue Zigarette an. »Was ist eigentlich schiefgegangen in dem Gebäude?« Toger zuckte mit den Achseln. »So ziemlich alles«, gab er zurück und be
richtete ihr von den Geschehnissen, von denen sie nichts wissen konnte. »Kubaikjew ist also tot«, stellte sie nachdenk lich fest. »Das kompliziert die Sache aller dings.« »Das ist noch gelinde ausgedrückt. Haben Sie eigentlich mit dem Linguisten sprechen kön nen?« Sie schüttelte den Kopf. »Nein. Ich hatte die Aufgabe, quasi Ihre Rückendeckung zu über nehmen, sobald Sie auf Logannidaror eintref fen. Es hätte auch kaum Sinn gehabt, wenn ich mich mit ihm in Verbindung gesetzt hätte. Er hätte mir nicht über den Weg getraut.« »Ja, das kann sein«, gab Toger zu und lehnte sich weit zurück. »Sie wissen also auch nichts, was uns weiterhelfen könnte?« Wieder schüttelte Tyla bedauernd den Kopf. »Absolut nichts. Ich bin nur auf Vermutun gen angewiesen, genau wie Sie auch.« »Wie jeder!« verbesserte Raman ironisch. »Niemand, nicht das Sicherheitsbüro und auch nicht der PSD, weiß, worum es eigentlich geht. Merkwürdig. Da kämpfen Menschen miteinan der, da müssen Männer sterben, ohne daß ir gend jemand weiß, was der eigentliche Grund dafür ist. Kubaikjew war die Schlüsselfigur, aber er ist tot und kann uns nicht mehr hel
fen.« »Wir vermuten nur«, sagte Tyla, »daß Kubai kjew während der Arbeit mit den Strukturzei chen der Unbekannten eine Entdeckung ge macht hat, die ihm eminent bedeutend erschien. Da es um die Strukturzeichen geht, von denen man glaubt, oder besser gesagt, hofft, daß sie Wissen, technisches Wissen, beinhalten, kann man weiter vermuten, daß es dem Linguisten gelungen ist, einen Teil dieser Informationen zu übersetzen und zu ent schlüsseln. Kubaikjew ist zwar ein wenig naiv gewesen, war aber wiederum auch nicht so weltfremd, daß er, einer Nebensächlichkeit wegen, sein Leben aufs Spiel setzte. An seiner Entdeckung muß also wirklich etwas dran sein.« »Und das nimmt auch der PSD an«, fügte To ger hinzu. »Nun, von Kubaikjew erfahren wir jedenfalls nichts mehr. Die Frage ist, ob er eine Sicherheitsmaßnahme ergriffen hat, gerade für den Fall seines Ablebens.« »Was meinen Sie?« »Ich glaube, daß der Linguist irgendwo eine Nachricht hinterlassen hat, einen Schlüssel oder etwas in der Art, der zu seinem Geheim nis führen kann. Nur – wo?« Tyla Genorra machte ein skeptisches Gesicht
und schürzte die Lippen. Toger verkniff sich ein Grinsen, als er den Ausdruck auf ihrem Antlitz sah. »Sie nehmen an, Sie glauben, Sie vermuten«, sagte sie mit einem ironischen Unterton. »Das ist wenig Konkretes. Außerdem kann ich Ihre Überzeugung nicht teilen. Einem Hinweis, gleich welcher Art, der irgendwo hinterlegt wird, haftet immer das Risiko der Entdeckung durch Unbefugte an. Nein, ich kann mir nicht vorstellen, daß Kubaikjew so gehandelt hat. Er wußte, daß seine Informationen nur dann vor einer Entdeckung sicher waren, wenn er sie unter allen Umständen für sich behielt und keine Aufzeichnungen machte.« »Ihre Überlegungen sind richtig. Aber auch, wenn Kubaikjew der festen Überzeugung war, mir seine Entdeckung mitteilen zu können, muß er die Möglichkeit einkalkuliert haben, in dem Zeitraum, bis ich auf Logannidaror ein traf, ums Leben zu kommen, durch einen Un fall oder etwas Ähnliches. Der Linguist hat so viel riskiert, um uns zu benachrichtigen, daß er bestimmt an diese Möglichkeit gedacht hat. Gut, er konnte sich sagen, daß, wenn er tot war, sein Geheimnis ohnehin keinen Schaden mehr anrichten konnte. Aber wenn er über diesen Punkt genau nachgedacht hat, dann
mußte er eine nicht unbeträchtliche Wahr scheinlichkeit dafür einräumen, daß es irgend wann einmal – der Zeitraum spielt kaum eine Rolle – einem seiner Institutskollegen gelingen würde, einen ähnlichen Erfolg bei der Überset zung der Strukturzeichen zu erzielen wie er. Und dann ist niemand da, der das Sicherheits büro hätte benachrichtigen können. Nein, Ku baikjew hat eine Vorsichtsmaßnahme genau für diesen Fall ergriffen, da werde ich mir im mer sicherer.« »Sie meinen, Kubaikjew hatte die Wahl zwi schen zwei Risiken?« »Genau«, bestätigte Toger mit einem nach drücklichen Nicken. »Er mußte wählen zwi schen der Gefahr, daß sein Hinweis von dem Falschen gefunden wurde, und der, daß im Fal le seines Ablebens die Entdeckung, die er ge macht hatte und dann mit in den Tod nahm, ohne Kenntnis des Sicherheitsbüros oder der Interstellaren Wissenschaftlichen Vereinigung dem Militärrat des Fünf-Sonnen-Bundes in die Hände fiel.« Er machte eine kurze Pause, erhob sich ruck artig und begann eine unruhige Wanderung durch das Wohnzimmer. Tyla beobachtete ihn, ohne ihn aber bewußt wahrzunehmen. »Wo aber versteckt ein Mann eine Nachricht
für uns«, überlegte er, »der rund um die Uhr unter Beobachtung steht?« Tyla zuckte mit den Achseln, schüttelte den Kopf und runzelte die Stirn. »Während seines Klinikaufenthalts auf Darranga hat er dazu kaum Gelegenheit ge habt, außerdem wäre eine dort versteckte Bot schaft auch unsinnig, da sie für mich relativ leicht erreichbar sein muß. In Frage kommt ei gentlich nur dieser Planet, Logannidaror, ge nauer gesagt, diese Stadt, Thalistan.« Er blieb plötzlich wie angewurzelt stehen und drehte sich langsam zu Tyla um. »Wo könnte ein Mann wie Kubaikjew«, fragte er leise, »einen Hinweis hinterlegt haben? Drei Bedingungen mußten erfüllt sein: Erstens mußte die Einrichtung des Verstecks für ihn relativ leicht zu bewerkstelligen gewesen sein – er stand unter Bewachung –, zweitens mußte es ein Ort sein, der quasi über jeden Verdacht erhaben ist, und drittens mußte dieser Ort für mich leicht auffindbar sein. Na?« Tyla blickte ihn erstaunt an und zuckte er neut mit den Achseln. »Es gibt nur einen Ort, der allen drei Bedin gungen gerecht wird: das Forschungsinstitut!« Die junge Frau betrachtete ihn einige Sekun den lang sprachlos, dann lachte sie humorlos.
»Unmöglich! Das Institut ist von oben bis un ten von der PSD-Abteilung, in der ich tätig bin, untersucht worden. Mit negativem Ergebnis.« »Das mag sein«, sagte Toger und nickte lä chelnd. »Aber ich glaube trotzdem, daß wir auf der richtigen Spur sind. Ich habe da eine Ver mutung…« * Tyla Genorra befand sich schon seit einem halben Jahr auf Logannidaror in Diensten des PSD. Vorher war sie auf einer anderen Welt des Fünf-Sonnen-Bundes eingesetzt gewesen und hatte sich dort in langer, mühseliger und auch gefährlicher Arbeit das Vertrauen des Si cherheitsdienstes erworben. Die Geduld hatte sich gelohnt. Tyla besaß, obwohl sie natürlich innerhalb dieses vergleichsweise kurzen Zeit raums nicht sehr hoch in der Hierarchie stei gen konnte, beste Verbindungen – zu einfluß reichen Personen und geheimen Ausrüstungsbetrieben des PSD. Es war den beiden Sicherheitsbeauftragten klar, daß die Konsequenz aus Togers Vermu tung eindeutig war. Sie mußten das For schungsinstitut unter die Lupe nehmen. Bei dieser Suche konnte ihnen der PSD-Ausweis
Tylas nicht viel helfen. Auch Angehörige des Si cherheitsdienstes wurden, wenn sie mit ihrem Ausweis Zutritt zum Institut forderten, regi striert und die so gewonnenen Daten einer Zentralstelle mitgeteilt. Dort aber konnte leicht nachgeprüft werden, ob eine PSD-Agen tin namens Tyla Genorra überhaupt eine dienstliche Anweisung zu einer solchen Aktion besaß. Die Lösung ihres Problems bot sich ihnen förmlich an. Wer mit einer Besichtigungsgrup pe den Teil des Instituts betrat, der zu einem Museum ausgebaut war, in dem Folien der Un bekannten ausgestellt waren, wurde nicht überprüft. Nur besaß dieser Trakt leider keine Verbindung zum eigentlichen Institut, in dem die Forschungsarbeiten durchgeführt wurden. Ebenso unmöglich war es, sich einschließen zu lassen und während der Nachtstunden zu ver suchen, sich gewaltsam einen Durchgang zu verschaffen. Elektronische Sicherungen und die Wachmannschaft ließen jeden Gedanken daran unsinnig erscheinen. Wahrscheinlich hätte Toger ein erhebliches Risiko auf sich nehmen müssen, um dennoch ins Institut zu gelangen, wenn Tyla nicht Zu gang zu den Versorgungsanlagen des PSD ge habt hätte. Es dauerte nur wenige Stunden,
dann hatte sie zwei Transmit-Anzüge besorgt, die wie normale Kleidungsstücke aussahen, mittels denen der jeweilige Träger aber dazu in der Lage war, kurze Para-Durchgänge zu be werkstelligen, innerhalb einer Distanz von etwa ein- bis zweihundert Metern. Die mitge führten Energieerzeuger und -speicher besa ßen allerdings ein beträchtliches Gewicht. Schon daher war die Einsatzfähigkeit der An züge begrenzt. Nach jedem Durchgang brauch te man annähernd zehn Minuten, um die Ener giemenge zu speichern, die für einen neuen Sprung notwendig war. Sie hatten einen groben Plan abgesprochen, nach dem sie zu handeln gedachten. Er wies große Lücken auf, die nur durch Improvisation zu schließen waren. Die Umstände der jeweili gen Situation mußten bestimmen, wie sie sich im einzelnen zu verhalten hatten. Als sich die Dämmerung über diesen Teil Lo gannidarors senkte, brachen sie auf. Toger versuchte, das ungute Gefühl, das er dabei empfand, zu unterdrücken. Eine einzige Poli zeikontrolle konnte genügen, um zumindest ihn in die Hände des PSD fallen zu lassen. »Ist die Ausstellung jetzt überhaupt noch ge öffnet?« erkundigte sich Raman ein wenig zweifelnd, als sie sich, in Tylas Gleiter sitzend,
in einem der höchsten Luftkorridore dem In stitut näherten. Die junge Frau warf einen prü fenden Blick auf ihren Chrono. »Wir kommen rechtzeitig«, beruhigte sie den Centaurier. »Um diese Zeit findet noch eine letzte Führung statt.« Toger nahm ihre Erwiderung mit einem Brummen zur Kenntnis. Es war ein eigenarti ges Gefühl, in einen bequem sitzenden Anzug gekleidet zu sein, mit dessen Hilfe man sich in einem selbsterzeugten Transmit-Feld einen Para-Durchgang schaffen konnte, der ihn ohne Zeitverlust bis zu zweihundert Meter weit zu transportieren vermochte. Das Sicherheitsbü ro verfügte nicht über diese Art von Ausrü stung. Sollte man schleunigst einführen, dach te Raman erbittert. Etwa zwanzig Minuten später landeten sie vor dem Institut und verließen den Gleiter. To gers Unruhe stieg sprunghaft, als er die be waffneten Uniformierten sah, die, wahrschein lich auf exakt eingeteilten Routen, am Gebäudekomplex entlangmarschierten. Wenn einer von ihnen ein Hologramm eines gewis sen Toger Raman besaß und zufällig einen Blick in seine Richtung warf… »Lassen Sie sich nichts anmerken«, hauchte Tyla ihm zu und lächelte bezaubernd. »Wir
kommen genau richtig. Sehen Sie die Personen vor dem Eingangsportal? Die letzte Führung muß unmittelbar bevorstehen.« Der SB schuf einen interessierten Ausdruck auf seinem Gesicht und folgte Tyla, die bereits auf den Eingang zusteuerte und sich unter die Wartenden mischte. Wenige Minuten später trat ein elegant gekleideter Mann durch das Portal, begrüßte die etwa dreißig Personen und forderte sie auf, ihm zu folgen. Tyla warf Raman einen kurzen Blick zu, und der Centauri-Geborene atmete erleichtert auf. Die junge Frau schien recht zu behalten. Offen sichtlich wurden diejenigen, die lediglich die Ausstellung zu besuchen gedachten, nicht kon trolliert. In der Empfangshalle wandten sie sich nach links, schritten breite Korridore entlang und gelangten bald durch ein weiteres Portal in eine Halle, die mit Zwischenwänden unterteilt war. An den Wänden prangten Bild- und Text tafeln, die die ausgestellten Relikte einer ural ten intelligenten Rasse erläuterten. Ihr Führer plauderte dazu in einem kameradschaftlichen Ton, aber es war ihm doch anzumerken, daß dieser Vortrag nicht sein erster war. Toger mußte unwillkürlich lächeln, als er die Züge der gespannt lauschenden Touristen mu
sterte. Ganz sicher waren die Hinterlassen schaften der Unbekannten, die in diesem Mu seum der breiten Öffentlichkeit zugänglich wa ren, von geringem wissenschaftlichem Wert, denn sonst hätten sie sich noch in den Händen der Forscher befunden, die in diesem Gebäude ihrer Arbeit nachgingen. Gewissermaßen han delte es sich hier also um »Ausschuß«, der für niemanden von Wert war, höchstens für Sammler. Dennoch konnte sich auch Toger bald einer Spur von Faszination nicht entziehen. Eine der drei Unbekannten-Statuen, die hier auf Logan nidaror im Katakombensystem gefunden wor den waren, bildete einen Mittelpunkt des Mu seums. Die leisen Gespräche um ihn herum verstummten, als sich alle Blicke auf das etwa hüfthohe Artefakt konzentrierten. Niemand wußte, was diese Statuen darstellen sollten, niemand vermochte zu sagen, wie alt sie über haupt waren. Die C-14-Analyse hatte hier kläg lich versagt, ebenso wie alle anderen gängigen Methoden der Altersbestimmung. Man nahm an, daß diese Hinterlassenschaften einige zehntausend Jahre alt waren. Wenn sich die Wissenschaftler auch nicht auf eine Jahreszahl hatten einigen können, in einem Punkt waren sie alle derselben Meinung: Als die Statuen von
den Unbekannten geschaffen worden waren, hatte der Mensch noch in Höhlen gehaust! Und zu dieser Zeit hatten sich die Unbekannten schon auf einer Zivilisationsstufe befunden, die man mit II+ charakterisiert hatte. Es muß te etwa die gleiche Zeit gewesen sein, zu der dieses rätselhafte Volk die Galaxis verlassen hatte oder aber Opfer einer Katastrophe von unvorstellbarem Ausmaß geworden war. Ein schmerzhafter Stoß in seine Rippen riß Toger Raman aus seiner Erstarrung. Tyla mu sterte ihn erstaunt. »Sind wir nun hierhergekommen, um uns die Ausstellung anzusehen oder…« »Schon gut«, raunte Raman und sah sich rasch um. Die Touristengruppe und ihr Führer waren hinter einer Trennwand verschwunden, die erläuternde Stimme klang dumpf und leise. »Wohin?« »Wenn ich die architektonischen Daten die ses Komplexes richtig im Kopf habe«, entgeg nete sie leise, »dann müßten sich zwanzig Me ter unter uns von außen verriegelte Lagerräume befinden. Für uns ideal. Dort kön nen wir warten, bis sich der Publikumsverkehr gelegt hat und die Wissenschaftler ihre Arbeit beendet haben.« »In Ordnung«, brummte Toger, griff in seine
Tasche und stellte an einem Knopf Entfernung und Richtung ein. Er sah sich noch einmal prü fend um, dann betätigte er einen verborgenen Auslöser. Um ihn herum begann die Luft zu flimmern, er spürte einen kurzen Schwindel und schüttelte diese Empfindung unwillig ab, als er sich in einem nur schwach beleuchteten Raum wiederfand. Dicht neben ihm remateria lisierte Tyla, die sich den Nacken massierte und ihm zuwinkte. Sie ließen sich auf dem Boden nieder und warteten. * Toger Raman hatte nicht geglaubt, in einer solchen Situation schlafen zu können. Als sein Chrono jedoch erst sanft, dann immer ein dringlicher zu vibrieren begann, merkte er, daß er doch eingenickt war. 24.00 Uhr, die Ausgangssperre wurde wirk sam. Sofort war er hellwach, tastete in der Dunkelheit nach Tyla und weckte sie. »Es ist soweit«, sagte er knapp und sah sche menhaft, wie sie nickte. Um diese Zeit konnte sich so gut wie niemand mehr im Institut auf halten, außer den Angehörigen der Wach mannschaft, die aber ihre Aufmerksamkeit na
turgemäß auf die Umgebung des Komplexes richteten, nicht aber auf das Innere. »Wissen Sie, wo genau das Büro Kubaikjews liegt?« Wieder ein Nicken. »Ziemlich genau. Neunzig Meter, Winkel zweiunddreißig Grad.« Toger justierte seinen Transmit-Anzug auf diese Daten, wartete das Signal Tylas ab und betätigte dann den Auslöser. Sie rematerialisierten in einem Arbeitsraum, der mit einer beeindruckenden Vielfalt elek tronischer Anlagen ausgestattet war. Durch eine breite Glasfront drang ein Teil der Licht fülle herein, mit der die Quarzlampen die Um gebung des Instituts ausleuchteten. Tyla setzte dennoch die Polarisation der Fen ster in Funktion, wartete, bis kein einziger Lichtstrahl mehr in den Raum drang und schaltete dann die Innenbeleuchtung ein. »Da wären wir«, sagte sie lapidar und breite te die Arme aus. »Jetzt sind Sie an der Reihe.« »Nicht ganz«, widersprach Toger und starrte mit gerunzelter Stirn auf die Vielzahl der Be dienungselemente. »Können Sie mit diesen In strumenten umgehen?« »Hm, ich glaube schon. Sagen Sie mir nur, was ich tun soll.«
Der SB blickte sich suchend um. »Sie sind ganz sicher, daß wir hier ungestört bleiben?« Die junge Frau lächelte wieder in ihrer spötti schen Art. »So ziemlich. Um diese Zeit ist das Risiko, hier entdeckt zu werden, sehr gering, eigent lich vernachlässigbar. Allerdings sollten wir uns trotzdem beeilen…« Raman verstand den Hinweis und machte eine zustimmende Geste. »Gut«, sagte er nachdenklich und ließ sich in den breiten Sessel vor dem Schreibtisch sin ken. »Fangen wir an.« »Womit?« »Lassen Sie mich nachdenken. Ich bin sicher, daß Kubaikjew hier irgendwo seinen Hinweis hinterlegt hat. Er muß sehr gut verborgen sein, sonst hätte der PSD ihn bei der Durchsuchung längst gefunden.« Er blickte die junge Frau an. »Was, glauben Sie, eignet sich besser als Ver steck als eine der Folien der Unbekannten?« Tyla war für einige Sekunden perplex. »Sie sind ja verrückt!« preßte sie dann abfäl lig zwischen den Zähnen hervor. »Sehen Sie«, grinste Toger. »Sie glauben auch nicht daran. Und gerade das macht es noch wahrscheinlicher.«
Er zögerte einen Augenblick. »Hm, die Elektronengehirne hier im Institut speichern alle Arbeitsvorgänge, bei denen sie hinzugezogen werden?« »Ja. Das ist so üblich, um eine spätere Kon trolle zu ermöglichen. Warum?« »Wunderbar. Dann fordern Sie doch bitte mal eine Übersicht an, welche UnbekanntenFolien Kubaikjew sich in den letzten Tagen hat kommen lassen.« Tyla machte ein erstauntes Gesicht, folgte aber seiner Bitte. Mittels mehrerer Tasten drücke schaltete sie die Terminals ein, deren Kontrollen summend erwachten. Alle Anzei gen leuchteten in einem beruhigenden Grün; es gab also keine energetische Sperre, die eine Benutzung dieser Anlagen in der Nacht verhin derte. Der Schirm eines Monitors flackerte auf, dann stabilisierte sich das Bild und vier Zeilen mit Zahlen- und Buchstabenkombinationen er schienen. »Sechzehn Folien«, murmelte Toger und schüttelte den Kopf. »Die können wir unmög lich alle in dieser Nacht kontrollieren.« Tyla sah ihn groß an, sagte aber nichts. »Moment mal«, flüsterte der Centaurier plötzlich. »Hat eine der Folien irgend etwas
Besonderes an sich, das sie von allen anderen unterscheidet?« »Nicht daß ich wüßte… Halt, doch! Auf einer Pressekonferenz hat Kubaikjew einen teilwei sen Übersetzungserfolg gemeldet.« Sie überlegte kurz und berührte einige Sen soren. »Die Folie, die die Strukturzeichen enthält, die Kubaikjew übersetzt hat, ist tatsächlich un ter den sechzehn angegebenen!« »Ein Wink mit dem Zaunpfahl«, kommen tierte Toger. »Gibt es hier ein internes Trans portsystem?« »Aber natürlich.« Sie wußte schon, worauf der Centaurier hin auswollte, und gab der Elektronik einen ent sprechenden Befehl. Auf dem Monitor glomm ein Bereitschaftssymbol auf. Nur wenig später glitt das Gewünschte, in ei nem glänzenden Behälter verpackt, aus einer sich plötzlich öffnenden Klappe in der Schreib tischplatte. »Und jetzt wollen wir doch sehen, ob ich mit meiner Vermutung recht behalte«, brummte er, öffnete den Behälter und nahm die hauch dünne Folie vorsichtig heraus. »Wie alt soll die sein?« »Mehrere zehntausend Jahre«, versicherte
Tyla und sah ihm gespannt zu. »Kaum zu glauben. Sie sieht aus, als käme sie gerade aus der Produktion.« Das vor ihm liegende Relikt der Unbekannten maß etwa zwanzig Zentimeter im Quadrat und bestand aus einem Material, das an Kunststoff erinnerte, obwohl es wesentlich elastischer war. Eigentlich wirkte die Folie unscheinbar, die mittelblaue Farbe wies an keiner Stelle auch nur den geringsten Unterschied auf. Das Geheimnis war die molekulare Struktur… Tyla nahm ihm die Folie ab und schob sie be hutsam in ein spezielles Lesegerät, das extra für diesen Zweck konstruiert war. Auf der ge genüberliegenden Wand flammte eine große Projektionsfläche auf, deren Farbschlieren bald den charakteristischen Strukturzeichen Platz machten. Toger starrte die Botschaft einer uralten Ras se lange an, aber schließlich brach Tyla das Schweigen. »Na, was ist…« »Nun werden Sie nicht nervös. Sie glauben doch wohl nicht, daß wir so schnell Erfolg ha ben, oder? – Haben Sie schon einmal diese Strukturzeichen betrachtet?« »Mehr als einmal.« »Hm. Stellen Sie irgendeinen Unterschied
fest, ich meine, können Sie eine Manipulation erkennen, oder etwas in der Art?« Sie schüttelte zögernd den Kopf. »Nein.« »Nun, ich glaube auch kaum, daß es Kubai kjew übers Herz brachte, an diesen Zeichen et was zu verändern. Außerdem ist es zweifelhaft, ob er dazu überhaupt in der Lage war.« »Worauf wollen Sie hinaus?« Tyla wurde jetzt zunehmend unruhiger, aber Raman wink te nur ab. Er zog die Folie vorsichtig aus dem Schlitz des Geräts heraus, achtete nicht darauf, daß die Projektionsfläche wieder verblaßte, und legte sie auf die metallene Platte eines Multi-Prüfers, dessen Bedienung er kannte. »Wozu soll das gut sein?« »Leitfähigkeitstest«, sagte er und betätigte die Kontrollen. Zitternd setzte sich ein Skalen zeiger in Bewegung und verharrte dann an ei ner bestimmten Marke. »Auch nichts«, knurrte er. »Die elektrische Leitfähigkeit hat in jedem Punkt der Folie den gleichen Wert. Mal sehen, wie es sich mit der Absorption von bestimmten Wellenlängen ver hält.« Wieder setzte der SB eine Reihe von Testprogrammen in Funktion, aber auch diese Untersuchungen führten nicht zu dem ge wünschten Erfolg. »Ich glaube«, sagte Tyla langsam, »Ihr Gefühl
hat Sie im Stich gelassen. Ich kann mir auch beim besten Willen nicht vorstellen, daß eine Botschaft Kubaikjews, deren Träger diese Folie ist, nicht schon längst entdeckt worden wäre.« »Aber ich«, entgegnete der SB entschieden. »Alle Strukturzeichen der Unbekannten-Folie sind längst registriert und über die E-Gehirne dieses Instituts jederzeit abrufbar. Außerdem sind die Folien alle genauestens untersucht worden. Es besteht also eigentlich kein Grund dazu, warum sich einer der hier tätigen Lingui sten mehr als nötig mit den Folien selbst be schäftigen sollte, wenn doch die nach wie vor nicht entschlüsselten Zeichen ihm auf viel be quemere Art zur Verfügung stehen.« Er lehnte sich in dem Sessel zurück und blickte Tyla ernst an. »Ich bin jetzt sicher, Ku baikjew hat eine der Folien benutzt, ob es gera de diese ist, ist ungewiß. Aber es gibt so unge heuer viele Möglichkeiten, Zeichen darauf zu verstecken. Die Strukturzeichen selbst kom men kaum in Frage, elektrische Leitfähigkeit und Wellenabsorption haben wir kontrolliert. Was gibt es noch? Eine ganze Menge: Molekül stärke, Temperaturbeständigkeit und -leitfä higkeit, chemische Beeinflußbarkeit in unzäh ligen Variationen, es ist gar nicht aufzuzählen, und zu den meisten Methoden müssen Kubai
kjew ohnehin die Mittel gefehlt haben. Welche Methode aber ist einfach und gleichzeitig nar rensicher?« Tyla zuckte nur mit den Achseln, sie glaubte ohnehin nicht an einen Erfolg. »Wenn Sie schon alle Möglichkeiten ins Auge fassen«, sagte sie, »dann könnte es doch auch sein, daß Kubaikjew in seiner Übersetzung eine Nachricht für uns hinterlassen hat.« Toger merkte, daß Tyla ihren Einwand nicht ernst meinte, antwortete aber dennoch. »Nein. Erstens war der Linguist kein CodeSpezialist, und zweitens mußte er damit rech nen, daß gerade diese erste gelungene Überset zung Gegenstand aller Forschungen und Un tersuchungen wird.« Plötzlich kniff er die Augen zu schmalen Schlitzen zusammen. »Versuchen wir es doch einmal anders herum«, sagte er gepreßt. »Wel che Untersuchungen dieser Folien würden die Wissenschaftler unter allen Umständen ver meiden?« »Nun, Untersuchungen, durch die die Folien beschädigt oder irgendwie beeinträchtigt wer den könnten. Nicht nur die Folien, speziell die Strukturzeichen natürlich.« »Richtig. Angenommen, Kubaikjew hat einen Weg gefunden, diese Folie so zu präparieren,
daß seine Entdeckung, die Nachricht also, nur mittels einer Bestrahlung ›sichtbar‹ gemacht werden kann, die den Informationsträger be schädigen könnte? Dann könnte er sicher sein, daß niemand seiner Kollegen seine Botschaft fände.« »Ich verstehe…« »Sie glauben immer noch nicht, daß wir et was finden?« erkundigte sich Raman lächelnd. »Lassen Sie sich überraschen…« Er programmierte den Multi-Prüfer erneut. Eine weitere metallene Platte senkte sich auf die Folie herab, Schutzleisten verbargen sie vor ihren Blicken. Knisternd erhellte sich ein Monitor. »Sie wollen doch nicht ernsthaft das Risiko eingehen…« »Doch!« unterbrach er sie. »Und ob ich das werde. Es steht zuviel auf dem Spiel!« Die elektronische Automatik des Geräts folg te den eingegebenen Befehlen und fuhr das Programm ab. Der Prüfer begann erst kaum wahrnehmbar zu summen, ein Geräusch, das sich bald zu einem hellen Singen steigerte. Auf dem Bildschirm des Monitors erschien eine stilisierte Darstellung der Folie, verschiedene Farben symbolisierten die Meßergebnisse. »Sie zerstören etwas«, hauchte Tyla, »das ge
schaffen wurde, als der Mensch noch mit Steinwerkzeugen arbeitete.« Toger brummte nur und starrte auf die An zeigen. Röntgenstrahlen geringer Intensität, etwas energiereicheres UV-Licht, Gammastrahlen: Die Farbe der Darstellung veränderte sich nicht, nicht einmal geringfügig. Der SB preßte die Lippen hart aufeinander. Es schien tatsäch lich so, als wären seine Bemühungen umsonst. Das konnte, das durfte nicht sein! »Nichts!« stöhnte er kopfschüttelnd. Über sein Gesicht huschte ein verbissener, fast ver zweifelter Ausdruck. Seine Finger tasteten er neut über die Kontrollen, als das bereits einge gebene Programm abgelaufen war. Wieder begann der Multi-Prüfer aufgeregt zu zirpen. Toger warf einen raschen Blick auf seinen Chrono und erschrak. Bereits drei Stunden lang beschäftigte er sich nun schon damit, den vermeintlichen Hinweis zu suchen – ohne bis her auch nur den Hauch einer Spur zu finden. Sicher, das Risiko, hier entdeckt zu werden, war gering, aber es vergrößerte sich mit jeder Sekunde, die verstrich. Der Centaurier fühlte, daß ein Anflug von Panik in ihm aufwallte. Hatte er den Linguisten überschätzt? War die Vermutung, daß er Vorbereitungen für den
Fall seines Ablebens getroffen hatte, falsch? Der eigene Tod war etwas, das die meisten Menschen nicht zu akzeptieren bereit waren… Toger war so sehr in das Muster seiner eige nen Gedanken verstrickt, daß er beinahe den kurzen Reflex übersehen hätte, der auf dem Monitor aufgeblinkt war. Seine rechte Hand ruckte vor und betätigte die Stop-Taste, das Bild erstarrte. »Haben Sie es endlich satt?« fragte Tyla zy nisch. Raman blickte mit ausdruckslosem Ge sicht zu ihr auf. »Haben Sie es auch gesehen?« »Was?« »Den Reflex eben.« Plötzlich war die Langeweile und die Ver drossenheit aus dem Antlitz der jungen Frau wie weggewischt. Ihre Augen sprühten Interes se. »Sie meinen…« »Vielleicht habe ich mich geirrt«, schränkte Toger vorsichtig ein. »Aber das werden wir gleich sehen.« Er wies die Automatik des Prüfers an, das Programm zurückzufahren, und legte einen Finger auf die Stop-Taste, um sofort reagieren zu können. Er konzentrierte sich vollständig auf die farbige Darstellung der Folie, ein wenig
nervös, aus Angst, er könnte etwas übersehen. Als das winzige Pünktchen aufflackerte, zuck te sein Finger ganz von allein in Richtung Ta ste. Wieder erstarrte das Bild. »Na?« murmelte Toger, und darin lag sein ganzer Triumph. Prüfend blickte er auf die Kontrollen. »Sehen Sie? Energiereiche kosmische Strah len, das ist der Schlüssel.« »Kann dieser… Reflex dort nicht auch eine andere Bedeutung haben?« Tyla war noch im mer die Skepsis in Person. »Kaum.« Er berührte mehrere Sensoren und vergrö ßerte den Ausschnitt, in dem der Punkt schim merte. Ein zufriedenes Lächeln umspielte sei ne Lippen. »Ja, das ist es. Kubaikjew muß irgendeine Substanz benutzt und damit die Folie präpa riert haben, die für kosmische Strahlen nicht in dem gleichen Maße durchlässig ist wie das Material der Folie selbst. Der Reflex ist nichts anderes als ein Absorptions-Mikropunkt!« »Sie scheinen tatsächlich recht zu haben…« »Und ob!« Kubaikjew war nicht sonderlich geschickt ge wesen, aber seine Kenntnisse hatten ausge reicht, um einigermaßen leserliche Zeichen so
anzubringen, daß sie so gut wie unauffindbar waren. Toger starrte gebannt auf die Mitteilung, die in dem Code gehalten war, den sie beide da mals auf Fargas benutzt hatten, einer recht einfachen Art der Verschlüsselung. Er prägte sich die Zeichen und ihre Folge gut ein, eine Vorsichtsmaßnahme, die gerechtfertigt war, wie sich nach einigen Augenblicken heraus stellte. Tyla stieß einen überraschten Laut aus, als die Schrift verschwamm, dann immer mehr verblaßte und schließlich ganz verschwand. Raman wechselte auf maximale Bildgröße – der Reflex, der ihn aufmerksam gemacht hatte, war nicht mehr da. »Was war das?« stieß die junge Frau fast atemlos hervor. »Noch eine Sicherheitsmaßnahme. Die Sub stanz, die Kubaikjew für seine Zwecke benutzt hat, löst sich unter dem Einfluß kosmischer Strahlen rückstandslos auf. So bleiben für die jenigen, die seine Botschaft entdecken, nur we nige Sekunden, um sie auch aufzunehmen.« »Ich habe die Zeichen gesehen – aber nicht verstanden. Was sollte das?« Toger stutzte und wandte sich langsam zu ihr um.
»Hm«, machte er und sah sie durchdringend an. »Er hat einen Code benutzt, einen einfa chen noch dazu. Sie müßten ihn eigentlich ken nen.« Tyla machte einen verwirrten Eindruck. »Nein«, widersprach sie. »Konnten Sie sich die Nachricht merken?« »Natürlich. Das gehört…« Das, was er noch hatte sagen wollen, blieb ihm im Halse stecken, als er plötzlich in die ge fährlich flimmernde Mündung eines Strahlers starrte. Seine Kinnlade klappte herunter, er sah zu Tyla auf, deren Gesichtsausdruck sich nun grundlegend gewandelt hatte. Arroganz war ein Zug, den er bisher an ihr noch nicht beobachtet hatte. Toger schluckte, als langsam die Erkenntnis in sein Bewußtsein sickerte. »Also doch«, stieß er brüchig hervor, den Blick nicht von der Waffe wendend. »Was haben Sie denn gedacht!« sagte Tyla spitz. »Sie scheinen den PSD gewaltig zu unter schätzen. Haben Sie das Mikro-Schreiben von Ihrem Martin Ferguson wirklich für echt ge halten?« Sie lachte, und das ärgerte den Centaurier am meisten. »Ich muß mich bei Ihnen bedanken. Sie ha
ben uns die Sache wirklich leichtgemacht. Na türlich haben auch wir vermutet, daß Kubai kjew irgendwo einen Hinweis hinterlegt hat, aber wahrscheinlich hätten wir ihn ohne Sie nicht gefunden. Nun ja, zwar kennen wir noch nicht den eigentlichen Inhalt dieser Botschaft, aber es gibt ja auch Psycho-Detektoren, nicht wahr?« Toger war wie gelähmt. Als ihn der Schock strahl erfaßte, konnte er noch nicht einmal einen Schrei ausstoßen. Mit weit aufgerissenen Augen kippte er aus dem Sessel, den Aufschlag auf den Boden spürte er schon nicht mehr… * »Sie haben wirklich gute Arbeit geleistet«, sagte Thorsten Magran anerkennend und nick te Tyla Genorra zu. »Und Sie können sicher sein, daß ich das nicht vergesse!« Die junge Frau sagte keinen Ton, sie wußte, wie man mit dem PSD-Leiter von Loganni daror umgehen mußte, um Erfolg zu haben, das heißt, innerhalb einer kurzen Zeit mög lichst viele Stufen in der Rangordnung empor zuklettern. Sie blickte Magran kühl an, be herrscht, ohne eine Spur von Emotion. »Kubaikjew hat also tatsächlich einen Hin
weis hinterlassen«, sagte er und lehnte sich da bei zurück. Seine Finger spielten mit einem Memo-Stift. »Und Raman hat sie für uns ge funden. Der Plan ist aufgegangen, ohne jede Einschränkung.« »Vielleicht eine«, widersprach Tyla leise, ohne den Blick von ihrem Vorgesetzten abzu wenden, der sie unaufdringlich musterte. Ma gran verkörperte Macht, und das machte ihn in ihren Augen nicht nur interessant. »Er hat die Nachricht gefunden, ja, aber wir kennen sie noch nicht. Sie steckt in seinem Ge dächtnis.« »Das«, sagte Magran mit einem angedeuteten Lächeln, »ist nicht weiter schlimm. Wir haben Möglichkeiten genug, auch von ihm die Infor mationen zu erhalten, die wir wünschen. Und ich mache mir auch keine Sorgen darüber, ob es uns gelingt, den Code, in dem die Botschaft des Linguisten gehalten ist, aufzubrechen. Un sere Decodierungs-Spezialisten haben schon schwierigere Dinge bewältigt.« Tyla nickte. »Was geschieht eigentlich mit dem Sicher heitsbeauftragten, wenn wir das Gewünschte haben?« Magran sah sie einen Augenblick nachsichtig an.
»Das liegt doch auf der Hand, oder nicht? Ra man ist ein gut ausgebildeter SB. Was sich ein mal in sein Gedächtnis eingebrannt hat, ist zwar – unter gewissen Umständen – abrufbar, aber so gut wie nicht mehr zu löschen. Und wir können es uns kaum leisten, ihn mit seinen In formationen einfach laufenzulassen. Nein, für Toger Raman ist hier auf Logannidaror End station!« Tyla Genorra nickte erneut, sie hatte nichts anderes erwartet. * Sein Geist kämpfte sich nur mühsam bis zur Ebene der Bewußtheit hoch. Das erste, was To ger in aller Deutlichkeit spürte, waren die na genden und pochenden Schmerzen, die seinen ganzen Körper durchfluteten, keine einzige Zelle ausließen und ihren Ursprung irgendwo in seinem Hinterkopf zu haben schienen. Ein seltsames Geräusch drang an seine Ohren, und er brauchte einige Minuten, bis er merkte, daß es sein eigenes Stöhnen war. Mit seinem Erwachen war auch sofort die Er innerung da. Diesmal gab es keine Momente, in denen der Geist für einige Sekunden wie der eines Neugeborenen war. Die Resignation, die
sein Denken einhüllte, ließ die Schmerzen un wichtig und erträglich werden. Er hatte ver sagt, und zwar auf der ganzen Linie! Er versuchte, die Augenlider zu heben, was ihm nach einigen vergeblichen Versuchen auch gelang. Um ihn herum war alles gleißend hell, ein Licht, das den Schmerzen neue Nahrung zukommen ließ. Seine Netzhäute gewöhnten sich jedoch überraschend schnell an die Licht verhältnisse, und auch die farbigen, wallenden Schleier vor seinen Pupillen verflüchtigten sich. »Sie haben eine gute Konstitution«, sagte ein ausdrucksloses Gesicht über ihm. Die grauen Augen hinter der Brille musterten ihn kalt. »Wie fühlen Sie sich?« »Urlaubsreif«, gab Toger in einem Anflug von Galgenhumor zurück. Seine Stimme hatte da bei einen merkwürdigen Tonfall, der ihn unbe wußt die Stirn runzeln ließ. »Das wundert mich nicht«, entgegnete das Gesicht. »In Ihren Adern kreist ein Psycho-Se rum, und das hat einige Nebenwirkungen.« Toger versuchte, einen Arm zu heben und stellte dabei fest, daß er gefesselt war. Als er seinen Kopf bewegte, sah er die breiten Stahl klammern, die Hand– und Fußgelenke um spannten. Daß er nicht einen Fetzen Kleidung
am Körper trug, störte ihn weniger. In seiner Situation waren Empfindungen wie Scham Lu xus. Ein stämmiger Mann schob sich in sein Ge sichtsfeld, dessen Alter nicht genau zu bestim men war. Er konnte genausogut vierzig wie auch sechzig Jahre alt sein. Der Ausdruck, der auf seinem Gesicht lag, vermittelte Autorität. »Sie werden mich nicht kennen«, sagte er langsam und mit angenehm klingender Stim me. »Mein Name ist Thorsten Magran. Ich bin der Leiter des Planetaren Sicherheitsdienstes von Logannidaror.« Toger war nicht überrascht, er hatte etwas Ähnliches erwartet. »Aber diese junge Dame hier ist Ihnen sicher keine Unbekannte mehr.« Tyla Genorra trat an die Seite Magrans und warf ihm ein bezauberndes Lächeln zu. Raman empfand merkwürdigerweise keinen Zorn und schob es auf das ihm injizierte Psy cho-Serum. Aber ich werde euch enttäuschen müssen, dachte er mit versteinertem Gesicht. Nur mit dieser Droge allein werdet ihr keinen Erfolg haben! Er wußte nicht, ob Magran telepathisch be gabt war, bezweifelte es aber. Dennoch mußte er ihm zugestehen, ein erstaunliches Einfüh
lungsvermögen zu besitzen. »Machen Sie sich übrigens keine Hoffnun gen«, verkündete er, »daß Sie unseren Bemü hungen widerstehen könnten. Das Serum ist Ihnen nur zu dem Zweck verabreicht worden, um uns die Arbeit zu erleichtern. Wir wissen natürlich, daß Sie darauf nicht sonderlich an sprechen.« Erst jetzt bemerkte der SB die glitzernde, haubenartige Konstruktion, die etwa zwei Me ter über seinem Schädel schwebte und an meh rere rechts und links von ihm installierte Elek tronik-Bänke angeschlossen war. Toger konnte es nicht mit letzter Gewißheit sagen, aber er vermutete, daß das der Psycho-Detektor war, der ihm schon von Tyla angekündigt worden war. Die Arbeitsweise dieser Gehirnsonden, wie sie manchmal genannt wurden, war unter schiedlich, das Resultat immer gleich: Keine Information, und mochte sie auch noch so tief verborgen sein, konnte diesem Gerät entge hen. Wenn sich die Haube über seinen Schädel senkte und ihm das Bewußtsein raubte, floß nicht nur das Geheimnis Kubaikjews in den Speicher, sondern das gesamte Wissen, das in seinem Gedächtnis verankert war, einschließ lich aller Informationen über das Sicherheits büro.
»Setzen Sie nur den Detektor ein«, sagte To ger so klar wie möglich. »Versuchen Sie nicht, uns zu bluffen«, unter brach ihn Tyla. »Sie besitzen keinen Selbst mordbefehl und auch keine Möglichkeit, sich auf irgendeine andere Art das Leben zu neh men. Schließlich sind Sie Überlebensspezialist, und wenn Sie etwas in der Art versuchten, würden sofort Ihre Reflexe wirksam. Nein, in Ihrem Hirn existiert nur eine Hypnosperre, eine starke zwar, aber die läßt sich durchbre chen.« Magran breitete die Arme aus und sah ihn groß an. »Sie sehen, Raman, Ihre Lage ist nicht gerade rosig. Ich würde sogar sagen, sie ist ausgespro chen schlecht. Und in Anbetracht dieser Situa tion ist es doch eigentlich nur vernünftig, wenn Sie uns die Mitteilung Kubaikjews freiwillig überließen. Sie wissen ja, daß eine Befragung mit dem Psycho-Detektor einige Risiken birgt – für Sie in diesem Fall.« Toger nickte langsam, fast gegen seinen Wil len, und preßte die Lippen zusammen. Schweißperlen entstanden auf seiner Stirn, als sein Blick wieder auf die über ihm schwebende Haube fiel. »Also?«
Die Stimme des PSD-Leiters war noch immer höflich, fast freundlich, und das verunsicherte ihn, obwohl er wußte, daß das Taktik war. »Also gut«, stöhnte er und nannte lange Wortkombinationen. »Es ist ein Code«, erklär te er anschließend. »Aber ich kenne den Schlüssel nicht.« »Das glaube ich Ihnen sogar«, gab Thorsten Magran zurück und trat einige Schritte näher an ihn heran. »Aber Sie nehmen doch wohl nicht an, daß wir auf Ihre Phantasie-Worte hereinfallen!« Er räusperte sich kurz. »Hören Sie gut zu, Toger. Ganz offensichtlich verkennen Sie noch immer Ihre Lage. Ich will Ihnen eine ehrliche Chance geben, der Haube zu entgehen. Wir bekommen die Informatio nen in jedem Fall. Sie können nur den Weg wählen…« »Versuchen Sie doch nicht, mich zu bluffen!« stieß Toger wutentbrannt hervor. »Ganz gleich, ob ich jetzt rede oder unter dem Detek tor: Wenn Sie die Informationen haben, dann bin ich für Sie ohnehin ohne jeden Wert. Ich mache mir keine Illusionen hinsichtlich mei nes Schicksals.« Tyla Genorra setzte zu einer Erwiderung an, aber Magran stoppte sie mit einem scharfen
Seitenblick, bevor sie überhaupt begonnen hat te. Dann sah er den Centauri-Geborenen offen an und nickte langsam. »Ich sehe, Sie sind Realist. Nun gut, Toger, Sie haben natürlich recht. Hm, fast tut es mir leid…« Mit der rechten Hand gab er ein Zeichen. Ra man sah aus vor Schrecken geweiteten Augen, daß sich die haubenähnliche Konstruktion des Psycho-Detektors surrend in Bewegung setzte und langsam auf ihn zuschwebte. Ein irisieren des Licht begann auf ihn herabzustrahlen und hielt seinen Blick unverrückbar fest. Toger wußte nicht, was in diesen Sekunden mit ihm geschah. Sein Verstand hatte ihm ge sagt, daß es keine Chance mehr gab, dem Ende zu entgehen. Seine Emotionen jedoch wider sprachen dieser Erkenntnis energisch. Obwohl er sich vorgenommen hatte, diese Augenblicke mit stoischer Gelassenheit zu ertragen, bäumte sich sein Körper auf, versuchten seine Mus keln und Nerven, die Stahlklammern zu bre chen. Als ihn die Haube jedoch fast erreicht hatte, erlahmte sein instinktiver Widerstand. Sein Körper entspannte sich, seine Gedanken ver siegten langsam und machten bohrenden Im pulsen Platz, die seltsamerweise nicht einmal
unangenehm waren. Irgendein Rest klaren Be wußtseins wollte sich wehren, aber die Flut be ruhigender Wellen schwemmte ihn hinweg… * Irgend etwas stimmte nicht, dachte Toger und schlug die Augen auf. Sein Blick fiel auf eine niedrige, weißgetünchte Decke, die ohne jede Unebenheit zu sein schien. Ohne zu wis sen, wonach er suchte, drehte er den Kopf. Der Raum war nicht übermäßig groß, maß viel leicht fünfzehn Quadratmeter. Und er war ohne jede Einrichtung, von der Liege, auf der er sich befand, einmal abgesehen. Er runzelte die Stirn und erhob sich. Dabei stellte er fest, daß er eine weite, einfach ge schnittene Hose trug, aus einem Stoff, der un angenehm rauh war. Das Hemd war von ähnli cher Art und ebenfalls in einem unscheinbaren Grau gehalten. Eine einzige Tür führte aus dem Raum, und sie schien aus massivem Stahlplast zu beste hen. Toger schüttelte die letzten Überbleibsel des Verhörs ab und stellte ein wenig verwundert fest, daß er noch bei Verstand war. Befragun gen mit Gehirnsonden, gleich welcher Kon
struktionsart, konnten bei den Unglücklichen, an denen sie angewandt wurden, leicht blei bende Schäden hinterlassen oder gar zu völli ger Idiotie führen. Der SB konzentrierte sich und versuchte, Ordnung in seine Gedanken zu bringen. Für Sekunden entstand in ihm die Idee, eine kom plizierte mathematische Aufgabe zu lösen, um dadurch herauszufinden, ob er wirklich noch normal war, aber dann sagte er sich, daß ihn auch dabei sein Unterbewußtsein betrügen konnte. Nein, das würde ihm keinen sicheren Beweis liefern, aber allein seine Überlegungen ließen ihn mit großer Sicherheit vermuten, daß sein Hirn noch in gewohnter Weise funktio nierte. Jedenfalls hatte er noch von keinem Geisteskranken gehört, der sich über seinen ei genen Geisteszustand Gedanken machte… Raman versuchte, die erneut in ihm aufwal lende Resignation zu unterdrücken, was ihm nur unvollständig gelang. Er stützte seinen Kopf auf die angewinkelten Arme und preßte die Lippen zusammen. Dieser Auftrag hatte von vornherein unter einem schlechten Stern gestanden. Der Zeitdruck, der umfangreiche Vorsichtsmaßnahmen verhinderte, der über raschende Anschlag an Bord des Starliners… Er hätte von Anfang an eine ganz andere Tak
tik wählen sollen. Sein Verhalten war durch schaubar und voraussehbar gewesen, und das war es letztlich, was ihn in diese Lage gebracht hatte. Die Entdeckung, die Pjetr Kubaikjew ge macht hatte, befand sich jetzt in den Händen derjenigen, die sie auf gar keinen Fall hatten erhalten sollen. Und er selbst hatte keine Mög lichkeit mehr, das, was einmal in seinem Ge dächtnis verankert gewesen war, dem Sicher heitsbüro mitzuteilen. Er war es gewesen, der es dem PSD erst ermöglicht hatte, an das Ge heimnis heranzukommen. Und jetzt kannte er nicht einmal mehr die Wortkombinationen. Toger schauderte, wenn er daran dachte, was das alles für Folgen haben konnte… Aber ganz gleich, was nun auch geschah, er würde es nicht mehr miterleben. Sein Tod war beschlossene Sache, und eigentlich wunderte er sich darüber, daß man ihn nicht längst be seitigt hatte. Wahrscheinlich wollte man aber zunächst das, was man durch den Psycho-De tektor von ihm erfahren hatte, einer genauen Prüfung unterziehen. Thorsten Magran hatte auf ihn einen umsichtigen Eindruck gemacht. Der PSD-Leiter würde kaum das Risiko einge hen und ihn beiseite schaffen lassen, ohne ex akt zu wissen, daß seine Informationen richtig
waren. Von einem Toten waren keine Korrek turen zu erwarten. Toger hatte demnach noch eine kurze Gal genfrist, aber er wußte nicht, ob er sich dar über freuen sollte. Als er ein Geräusch vor der schweren Tür hörte, zuckte er gegen seinen Willen zusam men und schwang seine Beine von der Liege. Ein dumpfes Brummen ertönte, und die Tür schob sich schwerfällig beiseite. Helles Licht flutete in die Zelle und blendete ihn. Drei hochgewachsene Männer standen in der jetzt freigegebenen Öffnung, mit Strahlern in den Händen, deren Mündungen auf ihn ziel ten. Toger zuckte mit den Achseln, stand auf und strich sich über das Hemd. »Ist es soweit?« fragte er. Er spürte jetzt kei ne Angst mehr, auch keine Wut – nur Enttäu schung und die plötzliche, irrationale Hoff nung, dem Unvermeidlichen doch noch entrinnen zu können. Einer der Männer nickte kaum merklich und winkte mit der Waffe. Toger setzte sich in Be wegung. Als er die Uniformierten passierte, machte er nicht einmal den Versuch zu fliehen. Drei Männer mit drei feuerbereiten Waffen waren auch für einen centaurischen Überle bensspezialisten entschieden zuviel.
Er wußte nicht, wo er sich befand. Tyla hatte ihn im Institut geschockt, und danach war er in einem Verhörraum des PSD aufgewacht. Durch den Psycho-Detektor war sein Denken erneut ausgeschaltet worden, und jetzt befand er sich offensichtlich in einem Gefangenen komplex. Ob er noch in Thalistan war, ver mochte er nicht zu sagen. Der Korridor, der an seine Zelle angrenzte, war breit und hell erleuchtet. Toger erkannte deutlich die vielen Türen auf beiden Seiten, die zu anderen Räumen führten. Wie viele Schicksale haben sich hier schon erfüllt? dachte er, Und wie viele warteten dort noch, in dumpfem Schmerz, ohne jede Hoff nung? Der SB konzentrierte sich und spürte, wie et was von seiner alten Kraft zurückkehrte. Un willkürlich straffte sich sein Körper. Er sollte sterben, weil er im Weg und ein Sicherheitsri siko war. Aber ganz so leicht wollte er diese Ar beit seinen Henkern nicht machen. Was hatte er schon zu verlieren? Gar nichts. Einer seiner drei Wächter marschierte vor ihm, die anderen befanden sich zwei oder drei Meter hinter ihm. Er konnte sie nicht sehen, nahm die auf ihn gerichteten Waffen aber fast körperlich wahr.
Nein, hier hatte er tatsächlich keine Chance. Sicherlich hatten die Uniformierten Erfahrung darin, Delinquenten auf ihrem letzten Gang zu begleiten, und dann wußten sie auch von der Verzweiflung, die die jeweiligen Gefangenen erfaßt hatte. Bei der geringsten verdächtigen Bewegung, die er machen würde, konnte sich hinter ihm ein Finger krümmen, um einen Sensor zu berühren. Er selbst würde wahr scheinlich gar nicht einmal bewußt merken, daß dann sein Befreiungsversuch fehlgeschla gen war. »Wohin bringen Sie mich eigentlich?« Toger versuchte, seiner Stimme einen mög lichst gleichgültigen Tonfall zu geben, war sich aber nicht ganz sicher, ob es ihm auch gelun gen war. Der erwünschte Erfolg stellte sich je doch nicht ein. Die Uniformierten ließen sich nicht aus der Reserve locken und ignorierten seine Worte einfach. Sie näherten sich einer wogenden Energie sperre, die, auf den ersten Blick betrachtet, wie ein nebliger Vorhang wirkte. Toger wußte aber, daß dieses Hindernis wesentlich wirksa mer war als ein Doppelschott aus extrem ge härtetem Stahl. Wer in diese Energieschleier hineingeriet, wurde nicht nur einfach ge schockt, er wurde innerhalb eines Sekunden
bruchteils getötet. Der Uniformierte, der vor dem SB marschier te, holte einen schimmernden Impuls-Geber hervor und richtete den Abstrahler gegen das obere Ende der Sperre. Knisternd fiel der Energievorhang zusammen und gab ihnen den Weg frei. Der Wächter winkte, und Toger er hielt einen schmerzhaften Stoß in den Rücken, der ihn vorwärtstrieb. Als sie eine unsichtbare Trennlinie überschritten, bauten sich hinter ihnen die wogenden Schleier wieder auf. Raman registrierte unterbewußt, daß ein Entkommen aus diesem Komplex ohne ent sprechende technische Hilfsmittel so gut wie unmöglich war. Sicherlich gab es noch ganz andere Sicherheitsvorrichtungen, die er gar nicht ohne weiteres als solche erkannte. Die Resignation kehrte zurück. Selbst wenn er seine drei Bewacher überwältigte, was hatte er damit gewonnen, wenn er hier nicht heraus kam? Vor einer fugenlos scheinenden Wand blie ben sie stehen. Wieder benutzte der Wächter vor ihm seinen Impuls-Schlüssel. Die Luft um sie herum begann plötzlich zu flimmern, dann spürte Toger den kurzen Entmaterialisations schock und schüttelte, jenseits des massiven Metalls, den Kopf.
Die Umgebung hatte sich vollkommen verän dert. Der Raum, in dem sie sich jetzt befanden, war etwa vierzig Quadratmeter groß und mit einem gemusterten Teppich ausgelegt, der schon ausgetreten wirkte. Die Einrichtung be stand aus einem halbmondförmigen, langgezo genen Schreibtisch, hinter dem zwei Männer mit kühl blickenden Augen saßen, umgeben von elektronischen Schaltleisten, die monoton summten. Einer seiner Begleiter holte eine Magnetfolie aus seiner Jackentasche und reichte sie an die Sitzenden weiter, die sie begutachteten. Eine Kontrollstelle, dachte Toger. Seine Ab sicht, doch noch einen Fluchtversuch zu wa gen, versiegte langsam. Jetzt hatte er bereits fünf Männer gegen sich, und er befürchtete, daß seine Wächter ihn von diesem Raum aus direkt mittels eines Transmit-Feldes zu seiner Exekutionsstätte beförderten. Wenn das auch ein Raum ohne jeden Ein- und Ausgang war, der nur durch einen energetischen Durchgang zu erreichen war, dann hatte er tatsächlich nicht die Spur einer Chance mehr. Niemand der Männer sagte ein Wort. Die Mienen seiner drei Bewacher wirkten wie ver steinert. Die Szene erschien irgendwie unwirk lich. Toger schluckte.
Erst jetzt stellte er fest, daß ihn einer der Kontrolleure aufmerksam musterte, zwar kalt, aber mit unverhohlenem Interesse. »In Ordnung?« erkundigte sich einer der Uniformierten knapp. Ein kurzes Nicken war die Antwort, dann wurden die Folien zurück gereicht. Während der Mann vor dem SB sie wieder in seiner Jackentasche verstaute, zwin kerte der Kontrolleur, der ihn angestarrt hat te, plötzlich. Irgend etwas in Raman schien auf ein solches Zeichen gewartet zu haben. Seine Reflexe sprachen an und reagierten mit auto matenhafter Sicherheit. Als wäre ihm plötzlich der Boden unter den Füßen weggezogen wor den, stürzte er nieder, wirbelte herum und brachte die beiden hinter ihm stehenden Wächter mit blitzartigen Bewegungen zu Fall. Einem von ihnen gelang es noch, die Waffe auszulösen, aber der grelle, fauchende Strahl raste weit über ihn hinweg und schlug kra chend gegen das Stahlplast der gegenüberlie genden Wand. Toger wußte nicht, was um ihn herum gesch ah. Seine Nackenhaare richteten sich wie unter elektrischer Spannung auf, als unsichtbare, aber energiereiche Schockimpulse durch den Raum peitschten, auf Nervensysteme trafen, Männer bewußtlos niederstürzen ließen. Für
einige Augenblicke herrschte tosender Lärm in der Kontrollstelle, dann plötzlich – Raman konnte nicht sagen, wieviel Zeit vergangen war – war wieder Ruhe. Langsam, wie in Trance, erhob sich der SB und sah sich um. Die Männer, die ihn von sei ner Zelle hierhergebracht hatten, lagen in selt sam verrenkten Stellungen am Boden, mit weit aufgerissenen Augen. Einer der beiden Kon trolleure lag über dem Schreibtisch, mit herab baumelnden Armen. Sein Kollege hatte noch eine klobige Waffe in der Hand und sah sich zufrieden um…. »Ich verstehe nicht…«, brachte Toger müh sam hervor. »Seien Sie froh, daß Sie noch leben!« lautete die Antwort. Der Mann hantierte an einem Kontrollpult, sprang dann rasch über den Schreibtisch hinweg, griff den wie versteinert wirkenden SB am Arm und zog ihn zu einer markierten Stelle. »Nur zu Ihrer Information«, stieß der Mann breit grinsend hervor. »Der echte Sicherheits beauftragte auf Logannidaror bin ich!« Toger hatte diese Information noch nicht ganz verdaut, als ihn der Schwindel einer Transmission erfaßte und sie in einem Raum rematerialisierten, der offensichtlich Unifor
men verschiedener Größen beinhaltete. Ohne zu zögern, steuerte sein Kollege auf einen niedrigen Schrank zu, öffnete ihn und zog zwei Kleidungsstücke hervor, die Toger schon kannte: Transmit-Anzüge. »Sagen Sie…« »Wir haben nicht viel Zeit«, unterbrach ihn der vermeintliche Kontrolleur. »Mit Sicherheit ist jetzt schon Alarm ausgelöst worden.« Einen Augenblick zögerte er. »Schade, jetzt ist meine Tarnung aufgeflogen. Und dabei habe ich mir solche Mühe gegeben.« Er wurde sofort wieder ernst, als sie sich die Anzüge überstreiften. »Mein Name ist übrigens Thor Albego – da mit Sie wissen, bei wem Sie sich bedanken können. Hat verdammt schlecht für Sie ausge sehen, Toger.« Der Centaurier hatte sich inzwischen wieder einigermaßen gefaßt. Er akzeptierte die plötzli che Lageveränderung als das, was sie war: als einen Ausweg, als die erhoffte Möglichkeit, dem PSD zu entkommen. »Warum haben Sie sich eigentlich nicht eher eingeschaltet?« fragte er, und es klang noch ein wenig benommen. »Das hätte vieles ver mieden…« »Wie denn? Sie machen sich keine Vorstel
lung davon, wie hier selbst die Angehörigen des Sicherheitsdienstes überwacht werden! Und außerdem wußte ich, daß Sie, wenn Ihr Einsatz schiefging, früher oder später hier lan den würden.« »Besteht die Chance an die Unterlagen her anzukommen, die der Psycho-Detektor aufge zeichnet hat?« Albego sah ihn groß an. »Sie sind wohl wirklich lebensmüde, was? Das, was man von Ihnen erfahren hat, liegt jetzt in einem energetischen Safe, und der be findet sich wiederum direkt in der Zentrale. Da kommen Sie selbst mit einer Hundertschaft nicht lebend hinein!« Er schüttelte nachdrücklich den Kopf. »Nein, was Magran von Ihnen erfahren hat, das können Sie ihm jetzt nicht mehr nehmen!« »Aber…« »Kein Aber. Seien Sie froh, daß Sie noch le ben.« Raman folgte den Justierungsanweisungen, die ihm Albego gab. Auf sein Nicken hin betä tigte er den Aktivierungsknopf. Er wußte nicht, wohin es ging, aber der überaus starke Schwindel, der plötzlich nach ihm griff, ließ ihn vermuten, daß Albego einige Änderungen an diesen Transmit-Anzügen vorgenommen
hatte. Normalerweise erlaubten sie nur Durch gänge bis maximal zweihundert Meter, dies mal jedoch mußten sie eine erheblich weitere Strecke zurückgelegt haben. Als sich die Schleier vor seinen Augen gelegt hatten, sah Toger, daß sie sich in einem ver gleichsweise kleinen Hangar befanden, auf dessen Gravokatapult eine schnittige ZweiMann-Yacht lag, die Nase nach oben gerichtet. »Sie sind gut vorbereitet«, gab er anerken nend zu. Thor nickte nur und öffnete ein Schott. »Hinein mit Ihnen. Mit diesem Luxusdamp fer kommen wir zwar nicht nach Terra, aber das ist auch gar nicht nötig. Außerhalb dieses Sonnensystems befindet sich ein terranischer Patrouillenkreuzer, dessen Kommandant über unseren Einsatz informiert ist.« Es ging alles so glatt, daß Toger die Wirrnisse und Schrecken, die er durchgemacht hatte, un wirklich und schemenhaft erschienen. Als das Katapult ihr Schiff aus dem Hangar schleuder te und Thor mit mörderischen Werten be schleunigte, dachte der Centaurier schon nicht mehr daran, daß er noch einmal mit dem Le ben davongekommen war. Er hatte versagt, und das machte alles andere nebensächlich.
* Als Toger Raman vor der holzgetäfelten Tür stand, die in Martin Fergusons Domizil führte, atmete er noch einmal tief durch. Seine Unsi cherheit und Nervosität, die er während des Fluges nach Terra abgelegt zu haben glaubte, kehrten plötzlich mit vehementer Kraft zu rück. Es war das erste Mal, daß der Auftrag, den er vom Sicherheitsbüro erhalten hatte, un erledigt geblieben war. Ja, es schien sogar, als hätte er mit seinem Eingreifen etwas heraufbe schworen, das das Kräftegleichgewicht, die Ausgewogenheit zwischen den einzelnen Ster nenstaaten erheblich zu stören, wenn nicht gar umzustoßen vermochte. Er hatte sich benutzen lassen, war in den Händen des Planetaren Si cherheitsdienstes von Logannidaror nicht mehr als eine Marionette gewesen, eine Schachfigur, die man nach Belieben bewegt und eingesetzt hatte. Toger gab sich einen Ruck, öffnete die Tür und trat in das unscheinbare Büro, in dem die Fäden des terranischen Sicherheitsbüros zu sammenliefen. Ferguson saß hinter seinem Schreibtisch, sah bei seinem Eintreten nur kurz auf, brummte etwas Unverständliches
und deutete auf einen der breiten Sessel, in de nen Besucher Platz zu nehmen pflegten. »Guten Morgen«, sagte Raman vorsichtig und ließ sich in die Polster sinken. Ferguson sah erneut auf, nickte und schob einen Stapel Magnetfolien beiseite. »Da sind Sie ja«, entgegnete er mit seiner so noren Stimme. »Ich habe schon auf Sie gewar tet.« Er nahm eine der Folien von dem Stapel her unter und drehte sie zwischen seinen Händen hin und her. »Ich habe Ihren Bericht hier vorliegen«, fuhr der etwa sechzigjährige Mann fort, »und auch gelesen. Es sind aber noch einige Fragen offen geblieben.« Der Vorsitzende des Sicherheitsbüros blickte den Centauri-Geborenen aufmerksam an. »Aber bevor wir hierüber sprechen«, er hob die Folie hoch, »bin ich Ihnen noch einige Er klärungen schuldig, die Ihnen Ihren Auftrag in einem etwas anderen Licht erscheinen lassen.« Toger hob erstaunt die Augenbrauen und sah seinen Chef fragend an, der jetzt einen Sensor berührte und sich dann wieder zurücklehnte. Hinter dem SB öffnete sich die Tür. »Ich möchte Ihnen jemanden vorstellen«, er klärte Ferguson, und ein Lächeln umspielte da
bei seine Mundwinkel. Toger drehte sich langsam zu dem Eintreten den um – und erstarrte. »Guten Tag, Mr. Raman«, sagte der gutgeklei dete Mann, kam einige Schritte näher und reichte ihm die Hand. »Es liegt zwar schon et was länger zurück, aber ich glaube, Sie erin nern sich noch an mich…« »Pjetr Kubaikjew!« stieß Toger fassungslos hervor. »Wie…?« »Keine Angst«, beruhigte ihn der Linguist und ließ sich dabei in den zweiten Besucher sessel sinken. »Sie haben keine Halluzinatio nen. Ich bin echt und erfreue mich bester Ge sundheit.« »Aber ich habe Sie gesehen, in Ihrer Wohn einheit. Tot!« Während Kubaikjew in stoischer Gelassen heit lächelte, schüttelte Ferguson nachdrück lich den Kopf. »Das war ein programmierter Bio-Roboter, ein erstklassiger noch dazu. Nein, unterbre chen Sie mich nicht. Ich kann verstehen, daß Sie jetzt verwirrt sind, darum hören Sie mir am besten gut zu. – Hm. Es begann in der Tat alles damit, daß Mr. Kubaikjew in dem For schungsinstitut auf Logannidaror eine Ent deckung machte, die, milde ausgedrückt, von
ungeheurer Bedeutung ist. Pjetr war sich des sen bewußt, und er konnte sich auch vorstel len, was geschehen würde, wenn diese Infor mation in die falschen Hände fiel. Ja, Sie vermuten ganz richtig: Es handelt sich tatsäch lich um eine vollständig gelungene Überset zung von Strukturzeichen – aber dazu später. Pjetr erinnerte sich an Sie, Toger, aber er wuß te auch, daß er es niemals schaffen würde, von Logannidaror aus eine Nachricht an uns zu senden, ohne daß sie vom PSD aufgefangen wird. Nun, er verursachte, wie Sie schon wis sen, an sich selbst einen schweren Herzscha den, der ihm einen Aufenthalt auf Darranga einbrachte. Dort gelang es ihm, mit einem un serer Verbindungsleute in Kontakt zu treten und besagte Nachricht an uns zu senden.« Ferguson machte eine kurze Pause. Toger runzelte die Stirn: Das, was sein Chef bis jetzt gesagt hatte, war ihm mehr oder weniger be kannt. »Wir wußten natürlich, daß Kubaikjew auch auf Darranga überwacht wurde, und konnten nicht ganz sicher sein, ob die Nachricht an uns nicht vom PSD abgefangen wurde. Ein zweiter Punkt kam hinzu – Kubaikjew ist zwar ein sehr leistungsfähiger intuitionistischer Linguist, aber wer konnte schon mit Sicherheit aus
schließen, daß der Militärrat des Fünf-SonnenBundes, nachdem er Verdacht geschöpft hatte, nicht alle Kräfte darauf konzentrierte, den Vorsprung Kubaikjews wettzumachen? Es gibt im Institut eine Reihe von weiteren Intuitioni sten, die zwar nicht so begabt sind wie Kubai kjew, aber dennoch mit einkalkuliert werden mußten. Und die Entdeckung durfte auf gar keinen Fall in die Hände des Militärrats gelan gen.« Ist sie doch aber! wollte Toger einwenden, doch Ferguson ließ ihm keine Gelegenheit dazu. »Wir entschlossen uns zu einer umfassen den, gutdurchdachten Aktion«, fuhr der SBLeiter fort, »die den Rat erstens beschäftigen und zweitens auf die falsche Spur locken sollte, alles mit dem Ziel, die herrschenden Kreise des Fünf-Sonnen-Bundes so lange abzulenken, bis wir die Informationen Pjetrs verwertet und der Interstellaren Wissenschaftlichen Vereini gung zugestellt hatten. Nun, ich glaube, das ist uns in vollem Umfang gelungen!« »Ich verstehe immer noch nicht ganz…«, wandte Raman leise ein. »Ein Bio-Roboter mit dem Erscheinungsbild Kubaikjews und seiner ID-Schablone, die Füh len und Denken des Originals simulierte, ist
anstelle des Linguisten nach Logannidaror zu rückgekehrt. Während der echte Kubaikjew längst auf Terra war und mit unseren Wissen schaftlern zusammenarbeitete, sind Sie in den Einsatz geschickt worden, zugegebenermaßen etwas unvorbereitet. Und gerade diese Tatsa che hat den PSD in Sicherheit gewiegt, mußte er doch annehmen, daß das, was Kubaikjew für so ungeheuer wichtig hielt, noch in seinem Besitz und uns unbekannt war. Das Interesse richtete sich demzufolge auf Sie und den ver meintlichen Linguisten.« »Ich hätte umgebracht werden können!« em pörte sich Toger. »Sie sind Überlebensspezialist«, entgegnete Ferguson sanft. »Wozu eigentlich? – Nun, zwar existierten einige Unsicherheitsfaktoren in un serem Plan, aber es waren auch Vorsichtsmaß nahmen ergriffen worden, eine davon hieß Thor Albego. Weiter: Der Bio-Roboter war so programmiert, daß er, wenn er vom PSD unter Druck gesetzt wurde, demonstrativ Selbstmord beging. Dadurch konzentrierte sich das gesam te Interesse auf Sie. Und wenn Sie zu diesem Zeitpunkt noch lebten – wovon ich natürlich ausging –, dann waren Sie von Stunde an so gut wie unantastbar. Schließlich mußten Sie den Hinweis finden, den Kubaikjew extra für
diesen Fall hinterlegt hatte.« »Na, ich hatte nicht den Eindruck…« »Darauf kommt es nicht an. Ich bin jedenfalls überzeugt, daß der PSD Sie in dem Wohnturm hätte ausschalten können, wenn er das wirk lich gewollt hätte. Und der Einsatz einer Agen tin, die sich als Ihre Kollegin tarnte, verleiht dieser Vermutung eine große Wahrscheinlich keit. Nun, wenn wir auch nicht genau diese Entwicklung voraussehen konnten, wußten wir doch, daß es sich in einer ähnlichen Weise – einmal ganz abstrakt gesagt – abspielen wür de. Und wir wußten auch, daß Sie, wenn Sie die Nachricht gefunden hatten, in die Hände des PSD fallen würden – mit großer Wahrschein lichkeit zumindest. Mit Ihnen übrigens auch die Nachricht, und darauf kam es an.« »Hm, jetzt verstehe ich allmählich. Natürlich konnten Sie dem PSD nicht einfach falsche Da ten zuschieben, das hätte Verdacht erregt. Aber wenn das Sicherheitsbüro so hinter einer Information her war, dann mußte sie wichtig sein, nicht wahr?« »Exakt richtig. Voraussetzung dazu war na türlich auch, daß Sie von den tatsächlichen Vorgängen keine Ahnung haben durften – der Einsatz eines Psycho-Detektors war zumindest wahrscheinlich, wenn man Ihrer einmal hab
haft geworden war.« »Und Thor war die Sicherheitsreserve für mich?« Ferguson nickte. »So ist es. Schließlich konn ten wir Sie nicht einfach fallenlassen.« »Das freut mich zu hören«, gab Thor ironisch zurück. »Aber jetzt möchte ich endlich wissen, um was es bei der ganzen Sache eigentlich ge gangen ist!« Ferguson warf dem Linguisten einen kurzen Blick zu. Kubaikjew wandte sich dem Centauri er zu. »Ich will Sie nicht mit dem detaillierten Text langweilen, den ich übersetzt habe«, erklärte er. »Das Wichtigste: Die Unbekannten haben in der entsprechenden Folie eine exakte und konkret definierte Koordinatenangabe ge macht, wo eine ihrer sogenannten Reservewel ten zu finden ist. Wir wissen nicht genau, was diese Bezeichnung zu bedeuten hat. Aus der Angabe geht aber einwandfrei hervor, daß die Reservewelt, deren Koordinaten wir inzwi schen umgerechnet haben, ein Archiv birgt, das das gesamte Wissen dieser Rasse beinhal tet. Stellen Sie sich das vor! Das gesamte Wis sen einer Zivilisation, die sich in der Über gangsstufe vom Typ II zu III befand!« »Zudem«, fügte Ferguson hinzu, »sollen sich
nach den Angaben auf dieser Reservewelt tech nische Großanlagen befinden, was immer dar unter zu verstehen ist. Es können Raumschiffe sein oder etwas anderes, Unvorstellbares. Ich hoffe, Sie sehen ein, daß dieses Wissen nie mals in die Hände machthungriger Politiker fallen durfte, unter keinen Umständen! Toger, wenn Ihnen dieser Auftrag vielleicht auch et was hart erschien, er war gerechtfertigt, glau ben Sie mir.« Raman nickte nur. Ein Archiv! Er wußte selbst, was das für die Menschheit bedeutete… »Der Militärrat des Fünf-Sonnen-Bundes hat also falsche Daten?« vergewisserte er sich. Ku baikjew brummte zustimmend. »Nur in gewisser Weise. Wir mußten die Sa che natürlich so echt machen wie nur irgend möglich, um sie auch glaubwürdig erscheinen zu lassen. Der PSD weiß jetzt, worum es geht, nur die angegebenen Koordinaten sind falsch.« Der Centauri-Geborene machte ein skepti sches Gesicht. »Hoffentlich beschäftigt es den Militärrat lange genug, bis er merkt, daß die Daten mani puliert sind.« »Das hoffen wir auch«, bestätigte Ferguson. »Aber ganz sichergehen können wir nicht. Wir
können die Informationen, die wir jetzt haben, auch nicht einfach galaxisweit veröffentlichen, wie ich mir das vorgestellt hatte, bevor ich wußte, worum es wirklich geht. Nein, wenn es abstraktes, technologisches Wissen wäre, das von uns erst umgesetzt werden muß, wäre das ein Ausweg gewesen. Es handelt sich aber um ein Archiv – und niemand kann ahnen, was diese Reservewelt sonst noch alles bergen mag. Denken Sie nur an Raumschiffe und derglei chen.« Ferguson schüttelte den Kopf und sah Toger und Pjetr ernst an. »Wir müssen diese Reser vewelt als erste erreichen, sonst ist das Gleich gewicht der Kräfte nicht mehr nur in Gefahr, sondern unwiederbringlich verloren! Der Fünf-Sonnen-Bund wird andernfalls eine Vor machtstellung erringen, von deren Ausmaß wir uns keine Vorstellung machen können. Und das unter der Führung eines offenen ag gressiven Regimes…«
ENDE