Atombrand am Kongo von James Norton „Zubringerrakete S 22 ist überfällig.“ Mit besorgtem Ausdruck musterte Peter Hagen,...
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Atombrand am Kongo von James Norton „Zubringerrakete S 22 ist überfällig.“ Mit besorgtem Ausdruck musterte Peter Hagen, der junge Chefpilot der UNIVERSUM, das Gesicht des Flugplatzbediensteten, der in respektvoller Haltung zwei Schritt vor ihm stand. Ringsherum war der vielfältige Motorenlärm des Raketenflugfeldes von Aurora, der modernsten Großstadt der Welt, im Bergland östlich von Marrakesch. Hier starteten unablässig die großen Stratosphären-Raketenflugzeuge in alle Richtungen der Windrose, von hier aus verkehrten – nach einem auf die Minute genau berechneten Fahrplan – die Zubringerschiffe, welche die Verbindung zwischen der Erde und der Weltraumstation E I unterhielten. „Ich habe es auch schon festgestellt“, sagte Peter Hagen, „obwohl ich es kaum glauben kann. Der Zubringerdienst funktioniert seit Jahr und Tag wie ein zuverlässiges Uhrwerk. Sagen Sie mal“ – Peter hatte plötzlich einen bestimmten Verdacht – „hat die S 22 vielleicht die Station gar nicht verlassen?“ Der andere hob die Schultern. „Sorry, Sir, da fragen Sie mich zuviel. Der Chef beauftragte mich lediglich, Ihnen zu melden …“ „Schon gut. Kommen Sie!“ Durch den sinkenden Abend schritten die beiden Männer auf den riesigen Kontrollturm zu, der mit seinen Lichtern und farbigen Signalen zu einem Wahrzeichen der ganzen Stadt geworden war. Auf dem Flugfeld herrschte das übliche Gewimmel 3
von Menschen und Maschinen, aber Peters erfahrenem Blick entging es nicht, daß heute irgend etwas anders war. Eine unerklärliche Unruhe störte das gewohnte Bild. Der Himmel war seltsam fahl und trübe. Die Sonne stand – rot und riesengroß – dicht über dem Westhorizont. In der Luft schien es vor Spannung zu knistern. „Es wird ein Gewitter geben, oder einen Sandsturm“, meinte Peters Begleiter mit einem Blick nach oben. „Scheint mir auch so. Kommt allerdings etwas unvorbereitet. Hoffentlich schafft es die S 22 bis dahin noch – sofern sie überhaupt gestartet ist.“ Das Schicksal des außerplanmäßigen Zubringerschiffes, das auf so unerklärliche Art ausgeblieben war, machte Peter noch aus einem ganz besonderen Grund Sorge. Er erwartete nämlich mit der S 22 seine beiden Freunde und Kameraden Hein Dünnebier und Hugo Hansen zurück, die in der Mondbasis der UNIVERSUM wichtige Versuche ausgeführt hatten. „Die Sache ist mir unerklärlich, Sir“, empfing ihn Mister Sampson, der Wachhabende, auf dem Kontrollturm. Peter kannte den jungen Mann seit Jahren und schätzte ihn als zuverlässigen und umsichtigen Mitarbeiter. „Hat die S 22 nicht die üblichen Funkmeldungen gegeben?“ „Die Außenstation meldete den Start zur vorgesehenen Zeit, das heißt um 11.45 Uhr Stationszeit E I. Das Schiff ist bereits seit 35 Minuten überfällig.“ „Haben Sie versucht, das Schiff anzurufen?“ „Selbstverständlich, Sir. Es ist alles geschehen, was in solchen Fällen möglich ist. Leider ist der Funkverkehr seit drei Viertelstunden völlig gestört. Auch die Radarpeilungen versagen. Ich habe vorsichtshalber bereits Startverbot für den ganzen Platz gegeben. Wahrscheinlich ist wieder mal was besonders Tolles auf der Sonne los …“ Ein greller Blitz, augenblicklich von krachendem Donner ge4
folgt, riß ihm die Rede entzwei. An den Schalttafeln sprühten Funken. Sicherungen schlugen knallend durch. Tiefe Finsternis hüllte den Beobachtungsturm ein. Draußen war ohne jeden Übergang die Nacht hereingebrochen, viel zu früh für die tatsächliche Uhrzeit. Wieder zerriß ein blendender Blitz den Himmel. Das Schmettern des Donners zerrte an den Nerven der Männer. Für den winzigen Bruchteil einer Sekunde hatte Peter das Bild des Flugfeldes in sich aufgenommen: ein Tohuwabohu von abgestellten Raketenflugzeugen aller Arten und Größen und dazwischen herumstolperndem Bodenpersonal. „Notaggregate einschalten!“ befahl Sampson. „Alle Arbeiten auf dem Flugfeld sind einzustellen. Voralarm für die Feuerwehr! Scheinwerfer einschalten! Sämtliche Landebahnen, mit Ausnahme von Nr. XII, sind zu sperren.“ „Hoffentlich hat Hein mit der S 22 noch anderswo landen können“, meinte Peter Hagen. Er blickte auf den von Blitzen überzuckten Platz hinunter, an dessen Rand jetzt hier und da die ersten Lichtkegel der Scheinwerfer aufflammten. „Möchte in diesen Hexensabbat nicht drinstecken“, sagte Sampson schaudernd. „Wie konnte das nur so plötzlich kommen? Die letzten Wettermeldungen lauteten ganz anders, viel harmloser.“ „Da kommt einer!“ schrie einer der Männer an den Kontrolltischen. „Scheint eine Zubringerrakete zu sein.“ „Himmeldonnerwetter!“ schrie der Wachhabende. „Warum beachtet er die Signale nicht? Er steuert direkt auf Landebahn III zu.“ Hastig nahm Peter einen Feldstecher vom Tisch und blickte hindurch. Mit Entsetzen erkannte er in der Ferne, am Ende des Platzes, das schlanke Raketenflugzeug, das so überraschend aus dem Dunst aufgetaucht war und sich rasch auf den Boden senkte. Er 5
sah den schwerfälligen Rumpf des gewaltigen Stratosphärentransporters und neben ihm die beiden Tankwagen, die zusammen die Landebahn in der Mitte blockierten. Jetzt setzte das Zubringerschiff auf, raste direkt auf das Hindernis zu … Peter setzte das Glas ab und schloß die Augen. Jeden Augenblick mußte der Zusammenstoß erfolgen – jetzt … „Bravo!“ rief Sampson plötzlich, und die Männer an den Kontrolltischen und Schalttafeln stimmten ein Freudengeheul an, das den tobenden Donner noch übertönte. Peter riß die Augen wieder auf. Was er sah, schien ihm im ersten Moment unglaublich. Dem Piloten des landenden Zubringerschiffs mußte es in letzter Sekunde geglückt sein, den Raketenmotor wieder auf Vollschub zu bringen und das Fahrzeug dicht vor dem Hindernis emporzureißen. Gerade setzte es erneut auf und raste jetzt auf den Kontrollturm zu. „Warum er nur das Triebwerk nicht abschaltet?“ rief einer der Männer. „Gleich rammt er den Turm.“ „Keine Sorge“, tröstete Peter den Ängstlichen. Er hatte das Raketenfahrzeug bereits als die sehnlichst erwartete S 22 identifiziert und durchschaute das Manöver. „Der Motor dient jetzt zum Bremsen. Er arbeitet mit der neuen Strahlumlenkung.“ Wenige Schritte vor dem Fuß des Kontrollturms kam die Maschine zum Stehen. Sie war vom Beobachtungsraum aus jetzt nicht mehr zu erkennen. Dafür machten sich ihre Insassen auf andere Art bemerkbar. Während noch das Bodenpersonal über den Platz herangehetzt kam, hörte man schon Schritte über die Stiegen heraufklingen und das Donnergepolter einer schimpfenden Stimme. Ehe noch einer der Männer wußte, was geschah, flog die Tür auf. Ein kleiner, rundlicher Mann in Raumfahrertracht kugelte herein, dicht gefolgt von seinem endlos langen, strohblonden Begleiter, dessen Gesicht ein einziger stummer Vorwurf war. „Ihr Armleuchter!“ tobte der kleine Dicke. „Ihr jämmerlichen 6
Schlafmützen! Laßt uns da stundenlang in der dicken Waschküche herumkreuzen, bis der Sprit zu Ende ist …“ „… und antwortet nicht auf unsere Funksprüche“, warf der Lange düster ein. „Um ein Haar hätten wir uns euretwegen Hals und Beine gebrochen. Nicht wahr, Hein?“ Der Kleine nickte. „Hugo hat recht. Eine ganz verdammte Rücksichtslosigkeit, die ganzen Landebahnen zu verbauen und dann einfach alles unaufgeräumt liegenzulassen. Was habt ihr euch denn nur dabei gedacht, ihr komischen Weihnachtsmänner?“ „Hallo, Hein“, rief Peter Hagen und trat dem Aufgebrachten lächelnd entgegen. „Ich kann euren Zorn zwar verstehen, aber ihr tut dem guten Mister Sampson und seinen Männern bitter unrecht. Wir haben es hier – im wahrsten Sinne des Wortes – mit höherer Gewalt zu tun. Ich bin nur heilfroh, daß ihr noch einmal so gut davongekommen seid. War ’ne tolle Leistung, dein Landungsmanöver, alter Junge.“ Der kleine Raumschiffingenieur ergriff Peters Hand und schüttelte sie herzhaft. „Hallo, Peter! Melde mich zurück. Es hat alles bestens geklappt – bis auf diesen Schlamassel am Schluß. Warum habt ihr uns nur nicht rechtzeitig gewarnt?“ „Sampson hat sein möglichstes getan. Ich kann es bezeugen. Was eigentlich los ist, wissen wir selbst noch nicht. Wahrscheinlich extreme Strahlungsausbrüche auf der Sonne, die die Ionosphäre beeinflußt haben und …“ „Das ist ein Irrtum“, erklärte der lange Hugo sachlich. „Guten Abend übrigens, Peter –’n Abend, meine Herren! Zufällig habe ich kurz vor unserem Start im Observatorium von E I den Sonnenbeobachtungsbericht gelesen. Da oben ist alles in bester Ordnung. Nicht mal sonderlich große Fleckengruppen sind gemeldet.“ „Um so unverständlicher. Ist euch sonst beim Anflug nichts aufgefallen?“ 7
Hein kratzte sich nachdenklich am Kopf. „Zuerst war alles wie gewohnt. Aber als wir in die dritte Eintauchellipse übergingen, behauptete der Lange plötzlich …“ „Ich habe gar nichts behauptet“, entrüstete sich Hugo. „Ich kann beschwören, daß ich einen überirdischen Lichtblitz in der Tiefe sah – so hell, daß ich die Augen schließen mußte. Als ich wieder hinschaute, war da eine brodelnde Wolke, und fast im selben Moment sah die ganze Erdoberfläche aus, als wäre sie hinter einer trüben Glasschicht verborgen.“ „Wahrscheinlich wird es höchste Zeit, in der S 22 wieder mal die Fenster zu putzen“, meinte Peter spöttisch. „Das Bodenpersonal scheint nicht auf Draht zu sein.“ „Hugo hat recht“, ereiferte sich der kleine Ingenieur. „Es war ganz plötzlich nichts mehr zu erkennen. Habe so was mein Lebtag nicht gesehen. Auch die Radarpeilung versagte. Wir wußten überhaupt nicht mehr, wo wir waren. Auf unsere Funksprüche reagierte niemand. Wir kutschierten also unentwegt da oben herum, bis es höchste Zeit zur Notlandung wurde. In diesem Augenblick kriegten wir Aurora in den Infrarotdetektor.“ „Hm – sonderbar. Und wo tauchte dieser überirdische Blitz auf?“ Der lange Hugo trat an die große Wandkarte des afrikanischen Kontinents, die von den roten Linien der Flugstrecken netzartig überzogen war. Ohne lange zu suchen, stieß er mit dem Zeigefinger auf einen Punkt im tiefsten Innern, unweit des Äquators. „Hier war es –so wahr ich Hugo Hansen heiße.“ * Hugo Hansen, der lange Raumschiffunker im Dienst der UNIVERSUM, hatte mit großer Überzeugung gesprochen. Aber 8
Peter traute seiner Beobachtung nicht so recht. Mochte der Teufel wissen, welch einer optischen Täuschung der Lange zum Opfer gefallen war. Mit den rätselhaften Vorgängen in der Atmosphäre, an denen die S 22 um ein Haar zugrunde gegangen wäre, konnte es nichts zu tun haben. Nach wie vor war Peter der Ansicht, daß unverhoffte Strahlungsausbrüche auf der Sonne, die den irdischen Observatorien wohl entgangen waren, die Schuld daran trügen. Daran änderte auch die Tatsache nichts, daß die Kette unerklärlicher Naturerscheinungen in den nächsten Tagen nicht abreißen wollte. Am völlig klaren, heiteren Himmel ballte sich binnen weniger Sekunden finsteres Gewölk zusammen. Gewitter von nie erlebter Heftigkeit entluden sich, oftmals gefolgt von verheerenden Wolkenbrüchen. Es kam vor, daß selbst an heißesten Sommertagen die Temperatur innerhalb einer halben Stunde unter den Gefrierpunkt sank. Der ganze irdische Witterungsverlauf schien auf den Kopf gestellt zu sein. Die Meteorologen standen vor einem Rätsel. Blieben die Unwetterkatastrophen anfangs auf den Schwarzen Erdteil beschränkt, so griffen sie bald auf die angrenzenden Meere, auf Südeuropa und Asien über. Von überallher kamen Hiobsbotschaften, die von Schiffen in Seenot, von Flugzeugabstürzen und Überschwemmungen zu berichten wußten. In den Nachrichtendiensten der Presseagenturen und der Rundfunkgesellschaften nahm die allgemeine Wetterlage den ersten Platz ein. Sie drängte sogar das internationale Aufsehen um die Verleihung des Friedensnobelpreises an den Präsidenten von SüdKorea und um die fünfzehnte Ehescheidung des HollywoodFilmstars Daisy Davy in den Hintergrund. Der anfänglich geäußerte Verdacht, kosmische Einflüsse, seien am Werk, konnte nicht bestätigt werden. Die Sonne benahm sich recht manierlich, und auch von kosmischer Strahlung war nicht mehr zu verspüren, als man normalerweise gewohnt 9
war. So unglaublich es schien: Die Quelle der vernichtenden Naturerscheinungen mußte auf der Erde selbst zu suchen sein. Peter Hagen hatte in diesen Wochen wenig Zeit, sich um Wetterkatastrophen und dergleichen unfreundliche Dinge zu kümmern. Sein Chef, Generaldirektor Dixieland, hatte ihn nach der Außenstelle „Atlas III“ abkommandiert, in deren großer Montagehalle eine neuartige Satellitenrakete mit besonders leistungsfähigem Triebwerk ihrer Vollendung entgegenging. Peter nahm diese Vorfälle auch nicht weiter tragisch. Und als eines Tages schlagartig eine weltweite Wetterberuhigung eintrat, sagte er nur: „Ich habe es gleich gewußt, daß dieser Zauber sehr schnell zu Ende gehen würde.“ Doch allzubald sollte Peter erkennen, daß er mit seiner Vermutung auf dem Holzweg war … Es war an einem strahlend-klaren Sommermorgen, als er mit dem Jeep nach der Startstelle hinauffuhr, die in einem öden, steinigen Hochtal des Atlas-Gebirges lag. Schon von weitem erkannte, er den riesigen, tropfenförmigen Rumpf des Satellitenfahrzeugs, das auf seiner steil aufwärts führenden Startrampe lag. „Hallo, Peter!“ Der dicke Hein, schon im Raumfahreranzug, kam ihm entgegengestapft. „Schönes Wetter heute, was?“ „Du merkst aber auch alles, Hein, und gleich so schnell. Was macht unsere Rakete?“ „Alles o. k. Wir sind startbereit.“ „Dann komm. Ist Hugo schon an Bord?“ „Er wartet bereits. Übrigens“ – Hein machte ein säuerliches Gesicht – „schätze, da hat noch jemand was auf dem Herzen.“ Aus der Gruppe der Techniker, die mit den letzten Vorbereitungen beschäftigt waren, löste sich eine hagere Gestalt in weißem Mantel und kam winkend herbeigeeilt. Peter erkannte Dr. Lalande, den Leiter von „Atlas III“. 10
„Monsieur Hagen, wir müssen den Start verschieben. Das Observatorium von Kuka meldet radioaktive Wolken.“ Peter betrachtete den aufgeregten Stationschef kopfschüttelnd. „Wenn ich nicht irre, liegt dieses Nest in der Gegend des Tsadsees, ein paar Tausend Meilen von uns entfernt. Was geht uns das an, Doktor?“ „Ich fürchte, eine ganze Menge. So fängt es nämlich immer an. Zuerst wird irgendwo über Zentralafrika ein plötzliches Ansteigen der Radioaktivität gemessen, und plötzlich – wenige Augenblicke später – toben über dem ganzen Kontinent die fürchterlichsten Unwetter. Ich gehe jede Wette ein …“ „Aber das sind doch lauter unbewiesene Vermutungen.“ Nachdenklich betrachtete Peter den Stationsleiter, in dessen Gesicht es fortgesetzt nervös zuckte. „Selbst in jenen finsteren Tagen am Beginn des Atomzeitalters, als man allerorts noch mit Wasserstoffbomben und ähnlichen Scheußlichkeiten experimentierte, hat es keine Wetterkatastrophen von diesem Ausmaß gegeben. Heute, da die Auswertung der Atomenergie unter strenger Kontrolle erfolgt, kann davon erst recht nicht mehr die Rede sein. Glauben Sie doch nicht an solche Ammenmärchen.“ Ein bebrillter Jüngling trat auf die Gruppe zu, grüßte kurz und reichte Lalande ein Blatt Papier. Peter sah, daß es eine Wetterkarte war. Der Doktor wurde bleich. „Sehen sie selbst, Messieurs: Dies ist die augenblickliche Wetterlage. Wo vor fünfzehn Minuten noch ein ausgedehntes Hoch herrschte, toben jetzt überall Wirbelstürme und Wolkenbrüche. Timbuktu, Insala, Abuan – die Unwetterfront hat bereits die Südseite des Gebirges erreicht. Jeden Augenblick kann sie uns erreichen. Entschuldigen Sie mich, Messieurs!“ Lalande stürzte davon, gefolgt von dem bebrillten Meteorologen. Schreiend und winkend trieb er die Techniker und Arbeiter in die flachen Betonbunker, die am Rand des Versuchsfeldes lagen. 11
„Und was wird aus uns?“ fragte Hein Dünnebier. Peter hob witternd den Kopf und sog die Luft ein. Die Totenstille, die plötzlich über der ganzen Gegend lag, gefiel ihm nicht. War es nicht so, als verlöre die Sonne ihren Schein? Der noch eben so klare Himmel hatte sich von einer Sekunde auf die andere getrübt. Es schien tatsächlich etwas im Anzug zu sein. „Dicke Luft“, meldete sich Hein wieder. „Hast du Angst, Hein?“ „Frag das nicht noch mal, mein lieber Peter!“ „Na also. Ich meine, wir sollten uns nicht mehr länger bei der Vorrede aufhalten. Das Schiff ist startklar. In ein, zwei Minuten können wir schon unterwegs sein, und dann kann uns das tollste Unwetter nichts mehr anhaben. Warten wir dagegen, dann riskieren wir höchstens, daß der Sturm uns das Fahrzeug von der Startrampe wirft.“ „Richtig, Peter. Also: hinein!“ Die beiden rannten auf das Satellitenschiff zu und kletterten über die Leiter in die Einstiegluke. Im selben Augenblick, als sich die Tür hinter ihnen schloß, senkte sich eine Dunkelheit über den Talkessel, die kaum noch die Umrisse der mächtigen Rakete erkennen ließ. Sekundenlang regte sich nichts. Doch plötzlich flammte das ganze Tal auf – in einem unheimlichen, magischen Licht. Ein Krachen schmetterte gegen die Felswände, als sollte die Welt in Trümmer fallen. * „Ich muß leider sagen, Mister Gordon, daß ich mit dem Fortgang Ihrer Arbeit höchst unzufrieden bin. Nicht nur, daß die Versuche Hunderttausende verschlingen und dabei noch nicht das geringste positive Ergebnis gezeitigt haben. Es kommt mir 12
auch so vor, als befänden Sie sich mit Ihren Versuchen völlig auf dem falschen Weg. Mich jedenfalls sollte es nicht wundern, wenn Sie eines Tages ganz New Frisco in die Luft sprengten.“ John C. Middleton, der würdige, grauhaarige Manager, ging mit nervösen Schritten im Laboratorium Jim Gordons auf und ab, das in einem hypermodernen Bauwerk am Rande des Werkgeländes der EURAFRICA, unweit der Großstadt New Frisco am Ufer des Kongo, gelegen war. Der kleine, blaßblonde Atomforscher mit den wasserblauen, hin und her huschenden Äuglein, der an der Fensterbank lehnte, wich seinem erzürnten Blick aus. „Wir tun, was wir können, Sir, und daß wir auf dem richtigen Wege sind, sehen Sie doch an den gewaltigen Auswirkungen, die wir selbst mit den bisherigen, bescheidenen Versuchen erzielt haben.“ Middleton unterbrach jäh seine Wanderung und blieb vor Gordon stehen. Er faßte ihn beim Aufschlag seines Laborkittels und zog ihn zu sich heran. „Sie wollen sich wohl über mich lustig machen, junger Mann, wie?“ Drohend grollte die Stimme des Gewaltigen. „Das würde ich nie wagen, Sir.“ Jim Gordon zitterte vor Angst. „Es ist mir wirklich sehr ernst damit. Wir sind auf dem richtigen Weg. Jeder neue Versuch kann uns den erhofften Erfolg bringen.“ Der Manager ließ ihn los und setzte sich auf einen der Schemel, die überall vor den Arbeitstischen standen. „Pfuschwerk“, knurrte er, „nichts als Pfuschwerk. Wenn Professor Butterfield noch lebte, würden wir weiter sein.“ Er sprang wieder auf und trat auf einen Mann mit dunklem Haar und vorstehenden Backenknochen zu, dessen tiefliegende, weit auseinanderstehende Augen von dichten, in der Mitte zusammengewachsenen Brauen überschattet wurden. „Blackwood“, herrschte er ihn an, „daß Sie den Professor 13
nicht vom Vulcan zurückgebracht haben, verzeihe ich Ihnen nie. Der Mann war einmalig. Sie wußten so gut wie ich, daß wir ihn nicht entbehren konnten.“ Gerard Blackwood, der persönliche Assistent des Managers, fläzte sich ungeniert zwischen Kolben und Reagenzgläsern auf einem Arbeitstisch nahe dem Fenster. „Habe getan, was ich konnte, Boß“, knurrte er. „Habe diesen Butterfield überall auf dem verdammten Planeten suchen lassen, aber …“ „Das ist nicht wahr!“ Die Männer drehten sich überrascht nach dem Klang der hellen Stimme um, die von der Tür hereintönte. Jim Gordon stolperte auf das junge Mädchen zu, das da so unerwartet erschienen war, und machte ein paar linkische Verbeugungen. „Oh, Miß Monica, ich freue mich …“ „Es ist nicht wahr“, wiederholte Monica Middleton und ging mit raschen Schritten an Gordon vorbei, ohne ihn eines Blickes zu würdigen. „Sie haben nichts unternommen, um Professor Butterfield zu finden. Sie haben mich sogar daran hindern wollen, ihn zu suchen * .“ Der finstere Assistent richtete sich gelangweilt aus seiner lässigen Stellung auf. „Was verstehen Sie davon, Miß Monica? Ich hatte Ihrem Vater vorm Start zum Vulcan versprochen, über Ihre Sicherheit zu wachen. Was ich getan habe, war also nur die Erfüllung meines Versprechens.“ „Ihre Sorge rührt mich noch nachträglich zu Tränen“, spottete Monica. „Leider kann ich mich jedoch nicht entsinnen, daß Sie sich viel um mich gekümmert haben. Wäre nicht Peter – ich wollte sagen: Mister Hagen – im letzten Augenblick noch aufgetaucht, und hätte er mich nicht aus den Höhlen des sterbenden Planeten gerettet – ich hätte die Erde nie wiedergesehen.“ *
siehe UTOPIA-Kleinband „Planet Vulcan“ von James Norton
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Blackwood schien das Thema nicht zu behagen. Er versuchte abzulenken. „Apropos Mister Hagen: Haben Sie Nachricht von ihm? Was treibt er Schönes? Sicher wieder unterwegs, auf Entdeckungsreisen im Weltraum – stimmt’s? Ja, so ein freies Leben möchte ich auch mal führen.“ Monica ließ sich nicht irreführen. „Bleiben wir doch beim Thema, Mister Blackwood! Professor Butterfield war das wichtigste Mitglied unserer Expedition. Sie wußten selbst am besten, daß er unersetzlich war. Um so unbegreiflicher ist es mir, daß Sie nicht besser auf ihn achtgaben. Übrigens meint Mister Douglas …“ „Was meint Douglas?“ fragte Blackwood scharf und wachsam. Unwillkürlich war er aufgesprungen. „Fred Douglas meint, Sie müßten mehr über Professor Butterfields Ende wissen. Er habe Sie an jenem Morgen auf Vulcan mit dem Professor fortgehen sehen. Aber zurückgekommen seien Sie später ohne ihn.“ Verdammt – dieser Douglas hatte sich also nur schlafend gestellt und hatte ihm nachspioniert. Der Teufel sollte den Kerl holen – mit seinem ewigen Lästermaul! Aber Gerard Blackwood ließ sich nichts von seinem Schreck anmerken.. „Mister Douglas soll sich gefälligst um seine Atomlokomotiven kümmern, und sonst gar nichts“, knurrte er böse. „Dieses ‚Transafrikanische Atombahn-Projekt’, an dem er nun schon seit undenklichen Zeiten herummurkst, kommt überhaupt nicht vom Fleck. Vielleicht wäre es an der Zeit, diese Aufgabe einem fähigeren Mitarbeiter zu übertragen.“ „Das lassen Sie bitte meine Sorge sein“, fuhr ihm Middleton ärgerlich dazwischen. Er fühlte sich nicht ganz unschuldig an der Verzögerung des Atombahnprojekts. Alle verfügbaren Kräfte und Mittel steckte er in das große Versuchsprogramm hinein, das eine neue, märchenhafte und unerschöpfliche Energiequelle erschließen sollte. Die zahlreichen anderen techni15
schen Großprojekte, die der mächtige Manager überall in der Welt verfolgte, kamen daneben zu kurz. Nun wandte er sich an seine Tochter. „Was hast du auf dem Herzen, Kind? Du weißt doch, daß dieser Teil des Werks nur von Angehörigen der Abteilung Gordon betreten werden darf.“ „Als Professor Butterfield noch hier regierte, durfte ich überall ein- und ausgehen“, sagte Monica bitter. „Ich weiß nicht, wodurch ich mir dein Vertrauen verscherzt habe, Daddy.“ „Vertrauen? Unsinn, Monica – du siehst das alles ganz falsch. Ich erkläre dir die Zusammenhänge, sobald ich etwas mehr Zeit habe. Es geht hier um Dinge, die … – na, kurz und gut: Je weniger Menschen davon wissen, desto besser für uns alle. Was gibt es also, mein Liebling?“ „Mister Douglas läßt dich bitten, an der ersten Probefahrt unserer Atomlok 1 teilzunehmen. Sie soll heute nachmittag um 16 Uhr bei den Fällen stattfinden.“ Der Manager sah seinen Assistenten fragend an. „Paßt das in unser Programm, Blackwood?“ „Ausgeschlossen, Sir. Für 15.15 Uhr ist der Beginn der neuen Versuchsreihe, mit verdoppelter Hilfsspannung, angesetzt. Ein Aufschub ist völlig unmöglich. Douglas soll seine Probefahrt um ein paar Tage verlegen.“ „Sie haben recht, Blackwood“, nickte der Manager. „Geh, Monica, und sag ihm, er möge sich noch etwas gedulden. Ich bin heute und in den nächsten Tagen leider nicht abkömmlich.“ Das junge Mädchen zögerte, als wollte es noch etwas sagen. Doch dann senkte es nur den Kopf und ging still hinaus. John C. Middleton wandte sich wieder seinen Mitarbeitern zu. „Der Vorwurf, den Sie Douglas machten, trifft in vollem Umfang Sie selbst, Blackwood – und Sie desgleichen, Gordon. Grinsen Sie nicht so dämlich, Menschenskind! Bilden Sie sich etwa ein, ich bezahlte Sie dafür, daß Sie hier tagaus, tagein nichts als Pfuschwerk produzieren? Reißen Sie sich gefälligst 16
zusammen, Mann, sonst werden Sie mich kennenlernen. Ich will jetzt endlich Ergebnisse sehen – zum Teufel noch mal!“ * „Dr. Lalande wünscht Sie zu sprechen, Herr Generaldirektor.“ Alexander Roland Dixieland, der Chef der UNIVERSUM, schaute – höchst verstimmt über die unwillkommene Störung – von seiner Beschäftigung auf. Vor ihm stand seine Privatsekretärin. Sie führte den freundlichen Namen Elvira Sonnenschein, und Ahnungslose mochten sich vielleicht in dem Glauben wiegen, Elvira sei ein junges, liebreizendes Geschöpf mit blondem Haar und strahlenden Märchenaugen. Eingeweihte hingegen wußten es besser, und es gab – soweit sich der Machtbereich des großen Raumfahrtunternehmens erstreckte – kaum einen, der nicht beim Klang dieses Namens zusammengezuckt wäre. Selbst Hunderttausende, ja Millionen Kilometer von Aurora entfernt, in der Mondbasis und in den Stützpunkten auf dem fernen Planeten Venus, sprach man ihren Namen nur mit Scheu aus. Denn Elvira Sonnenschein galt allgemein als das „Ohr“ des Generaldirektors, und niemand drang bis zum Beherrscher der UNIVERSUM vor, wenn seine Nase der strengen Dame nicht gefiel. Nur die wenigsten wußten allerdings, daß auch der mächtige Alexander Roland im stillen vor seinem Vorzimmerdrachen zitterte, wenn er seine Furcht auch hinter einer Fassade aus betont forschem Auftreten zu verbergen verstand. „Lalande soll warten“, nörgelte Dixieland. „Sie sehen doch, daß ich beschäftigt bin.“ „Ihre Totozettel können Sie auch später noch ausfüllen. Sie gewinnen ja sowieso nichts.“ Mit ihrem Adlerblick, dem nichts entging, hatte Elvira längst erkannt, womit sich ihr Chef gerade so angelegentlich befaßte. 17
Dixieland machte ein ertapptes Gesicht, schob die Tipscheine zur Seite und griff nach einem dickleibigen Aktenstück. „Also meinetwegen – herein mit ihm!“ Dr. Lalande, der Leiter von „Atlas III“, schien nur noch ein einziges Nervenbündel zu sein. Kaum war er in den Sessel gegenüber dem wuchtigen Schreibtisch gesunken, als er auch schon hervorsprudelte: „Es ist wirklich nicht meine Schuld, Monsieur. Ich wollte ihm die Startgenehmigung verweigern, aber er versuchte es auf eigene Faust. Und das angesichts des heraufziehenden Unwetters! Oh, diese Unvernunft!“ „Von wem sprechen Sie denn überhaupt, zum Donnerwetter?“ „Von wem?“ Lalande bekam ganz große, runde Augen. „Von Chefpilot Hagen natürlich. Er wollte heute früh mit der neuen Satellitenrakete starten und …“ „Und? So reden Sie doch schon, Mann! Was – um Himmels willen – ist denn passiert?“ „Das wissen wir selbst nicht genau. Im selben Augenblick, als Monsieur Hagen die Schubraketen zünden wollte, brach das Unwetter über ‚Atlas III’ herein. Vom Befehlsbunker aus sah ich, wie das Schiff von einer Explosion zerrissen wurde …“ Dixieland schloß die Augen. Ihm war plötzlich furchtbar schlecht. „Und – weiter …?“ „Monsieur Hagen und seine Kameraden Dünnebier und Hansen hatten Glück im Unglück gehabt. Die Spitze des Fahrzeugs war durch die Explosion einfach fortgeblasen worden. Wir fanden sie eine halbe Stunde später in einer Sandmulde halb vergraben und konnten die Insassen mit einiger Mühe befreien. Der Funker und der Ingenieur waren mit dem Schreck davongekommen. Monsieur Hagen hatte es schlimmer erwischt. Er liegt jetzt mit einer Gehirnerschütterung im Hospital.“ „Gott sei Dank“, atmete Dixieland auf. 18
Der Prüfstandleiter glaubte, falsch verstanden zu haben. „Wie meinen …?“ „Äh – ja richtig: Ein unverzeihlicher Leichtsinn von diesem Burschen, dem Hagen. Wie leicht hätte er das Genick brechen können. Ich werde ihm sein Kommando entziehen.“ Wütend schleuderte der Generaldirektor die brennende Brasilzigarre in den Papierkorb, eine Unart, die ihm selbst die strenge Elvira Sonnenschein noch nicht abgewöhnen konnte. „Sie werden so bald keinen Ersatzmann für ihn finden“, sagte Lalande vorsichtig. „Einen so tüchtigen Raumschiffkapitän, wie Monsieur Hagen, finden Sie in der ganzen Welt kein zweites Mal – höchstens in Abenteuerromanen.“ „Hm – stimmt auffallend. Werde mir die Sache noch mal überlegen. Hauptsache ist schließlich, daß Hagen mit dem Leben davongekommen ist. Aber sagen Sie mir nur, wie ist es überhaupt zu diesem Unfall gekommen?“ Lalande hob die Schultern. „Die radioaktive Wolke. Es ist immer dasselbe.“ „Fauler Zauber“, knurrte Dixieland. Er steckte sich eine neue Zigarre an und drückte auf den Sprechknopf des Tischmikrophons. „Miß Sonnenschein, organisieren Sie mir mal unseren Atomforscher. Ich erwarte ihn sofort.“ Was man der Dame Elvira auch sonst an Unliebenswürdigem nachsagen mochte – in der Erledigung solcher Aufträge war sie unübertrefflich, und ihre Fähigkeiten im Aufspüren und Herbeizitieren dringend gesuchter Personen grenzte ans Wunderbare. Es waren nicht mehr als acht und eine halbe Minute vergangen, als Professor Bengt Sörensen auch schon dem Generaldirektor in seinem Arbeitszimmer im 27. Stock des „Glaspalastes“ von Aurora gegenübersaß, etwas zerzaust und außer Atem vom rasenden Flug mit dem Robot-Kleinsthelikopter über die Dächer der Wüstenmetropole. „Sie wollten mich sprechen, Sir?“ 19
„Ich brauche eine klare Auskunft von Ihnen, Professor. Sehen Sie sich das mal an.“ Er hob einen roten Schnellhefter über die Tischplatte. „Sie finden darin die Berichte über verheerende Unwetterkatastrophen, die sich allein im Bereich unserer Werkanlagen in den letzten drei Wochen ereignet haben. Der Schaden, der uns dadurch entstanden ist, geht hoch in die Millionen. Allen Berichten gemeinsam ist die Feststellung, daß den Katastrophen stets ein sprunghaftes Ansteigen der Radioaktivität vorausging. Wie erklären Sie, als Fachmann, sich dieses Phänomen?“ Der Gelehrte rutschte verlegen in seinem Sessel hin und her. Man merkte ihm unschwer an, daß man in diesen Tagen wiederholt mit ähnlichen Fragen an ihn herangetreten war – mit Fragen, auf die er keine befriedigende Antwort wußte. „Es tut mir unendlich leid, Sir“, erklärte Sörensen nach längerem Räuspern, „aber ich kann Ihnen auch nichts Sicheres sagen. Diese unvermittelten radioaktiven Schauer sind einstweilen völlig rätselhaft. Um die wirklichen Gründe für das Phänomen zu erforschen, brauchten wir allerdings noch viel mehr Beobachtungsmaterial.“ „Grundgütiger Himmel!“ Der Generaldirektor rang die Hände. „Noch mehr Beobachtungsmaterial? Welchen Schaden müßten wir nach Ihrer Meinung noch erleiden, um ein Ergebnis von Ihnen zu hören? Sie sind wirklich ein Gemütsmensch, Professor.“ * Monica Middleton hatte alle Heiterkeit verloren, die sonst ihr Wesen so reizvoll und anziehend zu machen pflegte. Bedrückt und wortkarg schlich sie umher und ging ihrer Arbeit in Fred Douglas’ Abteilung nur noch lustlos nach. Es bedrückte sie, daß ihr Vater so geheimnisvoll vor ihr tat. Als einstige vertraute Mitarbeiterin des großen Atomforschers 20
Professor Butterfield, der fern im Weltraum, auf einem verlorenen Planeten, ein geheimnisumwittertes Ende gefunden hatte, glaubte Monica, ein wenig mehr Anrecht auf Vertrauen zu besitzen. Noch etwas anderes kam hinzu: Sie machte sich Sorgen. Sorgen um die geheimnisvollen Forschungsarbeiten, an denen im neuerrichteten Hauptlabor und in der riesigen Anlage des Kosmotrons pausenlos geschafft wurde. Sorgen um den Vater, der so merkwürdig verändert erschien, seit sie vom Vulcan zurückgekehrt waren und Gerard Blackwood ihm mit triumphierendem Lächeln einen schweren Bleibehälter überbracht hatte – den gleichen übrigens, den sie Monate vorher von New Frisco auf ihre Raumreise mitgenommen hatten. Sorgen schließlich um das ganze Werk, das in letzter Zeit immer wieder von unerklärlichen Bränden und Explosionen heimgesucht worden war. Sie sprach darüber eines Tages mit Fred Douglas, der gleich ihr zu den Mitarbeitern Professor Butterfields gehört hatte und jetzt damit beauftragt war, die Motoren für die Atomkraftlokomotiven der geplanten transafrikanischen Bahnlinie zu konstruieren. Douglas hatte nur hintergründig gelächelt. „Der arme Butterfield ist ausgezogen, den ‚Stein der Weisen’ zu suchen …“ „Den ‚Stein der Weisen’? So was gibt es doch gar nicht.“ „Wie man’s nimmt. Er suchte natürlich nicht jenes sagenhafte Mineral, mit dem die Alchimisten unedle Stoffe in Gold verwandeln und Krankheiten heilen wollten. Unser Professor wollte höher hinaus.“ „Und – hat er gefunden, was er suchte?“ „Er hat es gefunden“ erwiderte Douglas nach längerem Schweigen. „Aber er fand dabei den Tod. Und dann fiel der kostbare Schatz in die Hände der anderen, die ihn gar zu gern verwerten möchten, aber nicht wissen, wie sie es anfangen sollen.“ „Das verstehe ich nicht, Mister Douglas.“ 21
„Ich will versuchen, es Ihnen an einem Beispiel zu erklären. Kennen Sie das Märchen von dem armen Reichen, dem alles zu Gold wurde, was er berührte? Nun, jener Mann mußte trotz seines grenzenlosen Reichtums elend verhungern. In unserem Fall geht es nun nicht um Gold, sondern um Energie – um eine Energiequelle, die an unerschöpflichem Reichtum alles übertrifft, was je ein menschliches Hirn erträumte. Diese Energiequelle ist zwar vorhanden. Kollege Blackwood brachte sie aus den lieblichen Gefilden des Vulcan mit, und ich glaube auch zu wissen, wo sich die wunderbare Substanz befindet.“ „Sie meinen den Behälter mit dem Frisconium, den wir zum Vulcan mitnahmen?“ Fred Douglas nickte nachdenklich. „Ganz recht, Miß Monica. Als wir damals aufbrachen, befand sich eine Probe des künstlichen Elements Nr. 111, des Frisconiums, in dem Isolierbehälter. Wahrscheinlich wurde die Substanz auf Vulcan in dem von Professor Butterfield erfundenen Atomkondensator der unverfälschten Sonnenstrahlung ausgesetzt und hat irgendeine Umwandlung erfahren. Was der Behälter jetzt einschließt, ist nicht mehr die ursprüngliche Substanz. Der Teufel mag wissen, was es ist. Nennen wir es getrost ‚konzentrierte Sonnenenergie’.“ „Und – was soll nun damit geschehen?“ „Sie wissen, Miß Monica, daß es Professor Butterfields Ziel war, die ganze Energiewirtschaft der Erde auf eine neue Grundlage zu stellen. Es fehlte ihm zu Lebzeiten nur die geeignete Energiequelle. Jetzt ist sie da – aber seine Nachfolger wissen nicht damit umzugehen. Was auch immer sie mit der Substanz in Berührung bringen – es fliegt ihnen alles um die Ohren.“ „Aber das ist ja entsetzlich, Mister Douglas.“ „Es kann eines Tages entsetzlich werden, wenn diese Dilettanten sich nicht bald entschließen, ihre törichten Experimente einzustellen.“ Er lachte rauh und spöttisch auf. „Es ist wirklich 22
eine Tragikomödie. Da besitzen die Leute nun den kostbarsten Schatz, den es je auf Erden gab, und können nichts damit anfangen; denn der einzige Mensch, der die Gebrauchsanweisung kannte, lebt nicht mehr. Und der neunmalkluge Mister Blackwood hat leider vergessen, Professor Butterfield zu fragen, solange es noch möglich war.“ * Wenige Tage nach diesem Gespräch sollte Monica Middleton erneut mit den geheimnisvollen Experimenten in Berührung kommen, die das Denken und Handeln ihres Vaters und seiner Mitarbeiter so völlig erfüllten und die – wie Fred Douglas annahm, um den „Stein der Weisen“ des Atomzeitalters kreisten. Douglas hatte sie gebeten, einige Forschungsberichte für ihn aus dem Archiv zu holen. Um den Weg abzukürzen, ging Monica durch die Anlagen des Kosmotrons, dessen Hauptgebäude wie eine überdimensionale Käseschachtel wirkte. Das aufgeregte Hinundhereilen des ’Bedienungspersonals zeigte ihr, daß ein neuer Großversuch vorbereitet wurde. Ihre Aufmerksamkeit wurde durch eine seltsame Gruppe erregt, die gerade das Panzertor eines Bunkers im Hintergrund verließ und sich langsam dem Hauptgebäude näherte. Vier Gestalten, mit dicken Strahlenschutzpanzern bekleidet, schoben mit unendlicher Vorsicht einen Gummiwagen, auf dem ein Bleibehälter zu erkennen war. In nervöser Hast schwärmte ein Dutzend – meist farbiger – Werkschutzmänner um die Gruppe herum. Ihr Anführer eilte auf Monica zu. „Ausweis, bitte!“ Monica langte in die Tasche ihres Kittels und wies ihre Plakette vor. Der Werkschutzoffizier, der sie jetzt erkannte, hob die Hand grüßend an das Käppi. 23
„Merci, Mademoiselle! Eigentlich darf der Bereich des Kosmotrons nur noch von Werksangehörigen mit dem neuen Sonderausweis betreten werden. Aber Sie gehören ja sowieso dazu. Verzeihen Sie bitte die Belästigung.“ „Selbstverständlich, Monsieur Bernard. Sie taten ja schließlich nur Ihre Pflicht. Zu Ihrer Beruhigung: Mein Besuch gilt gar nicht dem Kosmotron. Ich will zum Archiv hinüber und …“ „Bitte sehr.“ Monsieur Bernard verbeugte sich und gab den Weg frei. „Ich rate Ihnen aber, sich zu beeilen. Der Versuch wird in spätestens fünfzehn Minuten beginnen, und dann ist hier für lange Zeit alles unpassierbar.“ Monica hatte sich zwar nicht unnötig aufhalten wollen, aber sie war dann doch mit dem Archivverwalter in ein längeres Gespräch geraten, und in den unterirdischen Räumen des Aufbewahrungsortes der geheimsten Forschungsunterlagen der EURAFRICA mußte sie wohl den warnenden Heulton der Alarmsirenen überhört haben. Das kam ihr erst zum Bewußtsein, als sie leichtfüßig über den weiten Hof des Kosmotron-Komplexes eilte – und den Platz von allem Lebenden verlassen fand. Aus dem Hauptgebäude drang jetzt ein Summen, schwoll an zu einem Dröhnen und nervenzerreißenden Brausen. Der Erdboden begann zu zittern. Monica spürte einen furchtbaren Schreck. Sie wußte: Wenn im Verlauf des Versuchs irgend etwas schiefging – wenn an einer Stelle der gigantischen Anlage ein Ausbruch radioaktiver Strahlung erfolgte, dann ständen ihre Chancen, zu entkommen, denkbar schlecht. Sie begann zu laufen – mit zitternden Knien – irgendwohin … Vor ihren Augen tanzte alles. In ihren Ohren klang das Brausen fort. Dazwischen aufgeregtes Schreien, dessen Sinn sie nicht erfaßte. Aus dem Wirbel der Wahrnehmungen schälte sich das Bild 24
eines einzigen Bauwerks heraus. Es war nur mittelgroß und trug eine Kuppel, die wie ein Panzerturm aussah. Dort bin ich sicher, zuckte es dem jungen Mädchen durch den Sinn. Doch schon nach wenigen Schritten hielt Monica erschrocken inne. Die Kuppel zersprang im grellen Blitz einer Explosion. Monica sah noch, wie ein schillernder Feuerball emporschoß und gen Himmel jagte. Dann stürzte sie im Krachen eines grausamen Donners zu Boden. Halb benommen nur nahm sie die beiden Männer wahr, die – in ihren Schutzanzügen unheimlichen Gespenstern gleichend – plötzlich vor ihr standen. Sie fühlte sich von ungeschickten Fäusten emporgezerrt und über den Platz geschleift. Der Eingang eines Betonbunkers schluckte sie mit ihren Rettern auf. Als Monica wieder halbwegs zu sich gekommen war, bemerkte sie, daß man sie in den ihr wohlvertrauten Schalt- und Beobachtungsraum des Kosmotrons geschafft hatte. Sie vernahm vielfältigen Lärm und Stimmengewirr und plötzlich das Schelten ihres Vaters. „Ein purer Irrsinn, bei dieser Spannung zu experimentieren. Die Geschichte mußte einfach in die Luft gehen. Sie sind ein erbärmlicher Anfänger, Gordon. Lassen Sie sich Ihr Schulgeld zurückzahlen, Sie traurige Niete!“ Monica vernahm das klägliche Gestammel Jim Gordons, aber Middleton schnitt ihm das Wort ab und brüllte nur um so lauter. Schließlich legte sich Blackwood beschwichtigend ins Mittel. „In diesem Stadium der Versuche muß man stets mit Fehlschlägen rechnen, Sir. Wie mir scheint, ist der Schaden diesmal noch zu ertragen.“ „Sie denken nicht weiter als bis an den nächsten Absperrungszaun, Blackwood“, brüllte der Manager. „Aber daß dahinter auch noch Menschen leben, haben Sie offenbar vergessen. 25
Menschen, die sich ihre Gedanken darüber machen, woher die ständigen radioaktiven Ausbrüche wohl kommen mögen, die ihnen die Atmosphäre verpesten. Möchte nicht wissen, was für ein Rummel da draußen entsteht, wenn der Feuerball seine Wirksamkeit entfaltet, den unser tüchtiger Freund Gordon vorhin zusammengezaubert hat.“ „Was geht uns das an, Sir?“ „Ich fürchte, eine ganze Menge. Stellen Sie sich bloß nicht so albern an, Blackwood. Sie wissen ganz genau, was ich meine. Und wenn ich hier nicht bald einen Fortschritt sehe, mache ich euch die Bude dicht und jage euch allesamt zum Teufel. Diesmal mache ich Ernst. Verlaßt euch darauf!“ „Daddy!“ In den von Wut entstellten Zügen des Managers vollzog sich eine seltsame Wandlung. „Mein Kind“, sagte er zärtlich und schloß sie in die. Arme. „Du hast uns einen schönen Schreck eingejagt. Viel hätte nicht gefehlt, und die tödliche Strahlung hätte dich erfaßt. Wie konntest du nur so unvorsichtig sein?“ „Ich hatte den Alarm überhört, Daddy.“ „Das Versuchsgelände ist in letzter Zeit zu gefährlich geworden“, mischte sich Gerard Blackwood, an Middleton gewandt, ein. „Das ist kein Aufenthaltsort mehr für Ihre Tochter, Sir. Wäre es nicht besser, Miß Monica von ihren Pflichten zu suspendieren, bis wir unsere Versuchsreihe abgeschlossen haben?“ John C. Middleton nickte ihm dankbar zu. „Sie haben recht, Blackwood. Höre zu, mein Kind: Douglas wird auch eine Weile ohne deine Hilfe auskommen. Du nimmst jetzt den Urlaub, den du dir schon längst verdient hast. Es war verkehrt, daß du dich gleich nach der Rückkehr von euerer strapaziösen VulcanExpedition wieder in die Arbeit stürztest. Nun hänge mal alles an den Nagel, was mit New Frisco zusammenhängt, und fahre irgendwohin, wo du andere Eindrücke bekommst.“ 26
* „Das ist Santiago, Hein.“ Hein Dünnebier, der kleine, rundliche Ingenieur und Raketenpilot, warf nur einen flüchtigen Blick in die Tiefe, wo die Kapverdischen Inseln aus der Flut des Ozeans ragten. Er war ausgesprochen schlecht gelaunt und hielt mit seiner Meinung nicht hinter dem Berge. „Diese sture Testfliegerei hängt mir meterweit zum Hals heraus, Hugo. Was ist nur in den Chef gefahren, daß er auf die idiotische Idee verfiel, uns alte Weltraumhasen mit solchen Kindereien zu beschäftigen?“ „Es ist deine eigene Schuld, Hein“, belehrte ihn der lange Funker. „Du könntest schon seit vierzehn Tagen an Bord der ‚Pallas Athene’ zur Venus unterwegs sein, wenn du dich nicht selbst mit Händen und Füßen gesträubt hättest.“ „Hast du es etwa anders gemacht, he? Venus – alles schön und gut, aber was hätte Peter gesagt, wenn er eines Tages aus dem Krankenhaus gekommen wäre, und wir wären weit und breit nicht zu entdecken gewesen?“ „Du hast vollkommen recht, Hein. Übrigens – das ist Santiago, da unten.“ „Na, wenn schon. Warum sagst du das eigentlich mit solch komischer Betonung?“ „Weil es dich gewiß interessieren wird, wie die Insel heißt, auf der du in wenigen Minuten deine Bruchlandung praktizieren wirst.“ „Du bist wohl übergeschnappt, Langer? Wer spricht denn hier von Landen?“ „Wir beide, Hein. Es ist nämlich wieder mal dicke Luft. Die Funkverbindung ist schon ausgefallen. Die Geigergeräte registrieren wie verrückt.“ 27
„Die radioaktive Wolke – Teufel noch mal! Geht der Zauber schon wieder los?“ Es blieb dem Piloten nicht mehr viel Zeit zum Überlegen. Von einer Sekunde auf die andere hatte die Sonne ihren Glanz verloren. Die Luft wurde seltsam undurchsichtig. Schwarzes Gewölk stieg brodelnd im Südosten herauf und näherte sich mit beängstigender Schnelligkeit. Blitze zuckten und flackerten. „Das reinste ‚Riesen-Monster-Gala-Feuerwerk’, knurrte Hein und ließ den Raketen-Motor aufheulen. „Festhalten, Hugo! Hier hilft nur ein beschleunigter Sturzflug.“ Der lange Funker fügte sich ergeben in sein Schicksal. Ihm war, als stürze die Maschine geradenwegs in die Hölle hinein. Mit Riesenfäusten griffen die entfesselten Elemente nach dem Gebilde aus Menschenhand, schüttelten es und schleuderten es hin und her. Hugo fühlte sich hilflos hin und hergerissen. Verzweifelt klammerte sich sein Blick an die Gestalt des Kameraden, der verbissen den Steuerknüppel umkrampfte. Und plötzlich ein heftiger Stoß von unten. Wie ein Ball prallte die Maschine vom Boden ab, raste weiter, berührte den Boden ein zweites, ein drittes Mal. Dann ein schreckliches Splittern und Knirschen … Halb betäubt befreiten sich die Männer aus den Gurten. Die Kunstglashaube der Pilotenkabine klaffte weit offen, so daß sie rasch den Weg ins Freie fanden. Und das war gut so; denn schon schlugen die Flammen aus dem Heck und wurden vom Sturmwind zu einer brausenden Wand angefacht. Das Raketenflugzeug war gegen eine Düne gerast und völlig zu Bruch gegangen. Hein und Hugo machten, daß sie davonkamen. Der noch vor wenigen Minuten so strahlende Tag war einer sturmdurchtosten Finsternis gewichen. Die Wogen des Atlantiks schleuderten phosphoreszierenden Gischt an den Strand. Die beiden Raketenflieger flüchteten in der entgegengesetz28
ten Richtung. Nach einem Lauf, der ihnen endlos lang erschien, fanden sie – atemlos und zerschunden – in einer geschützt liegenden Fischerhütte Unterschlupf. * Nicht nur über die Kapverdischen Inseln hatte sich an diesem Tage das Unwetter mit vernichtender Wucht gestürzt. Aus hundert anderen Landstrichen und Seegebieten kamen erschreckende Katastrophenmeldungen. Stürme von nie erlebter Gewalt hatten im Mittelmeer den Schiffsverkehr stillgelegt und zahllose Fischereifahrzeuge zum Kentern gebracht. Am Blauen Nil war ein Staudamm gebrochen, und die entfesselten Wassermassen überfluteten Khartum, die Hauptstadt des Sudan. Die große Insel Madagaskar war von jeder Verbindung abgeschnitten. Die Großstädte Ägyptens, Südafrikas und die Häfen der afrikanischen Westküste sahen aus wie nach einem Bombenangriff. Aus dem Inneren des Kontinents drangen nur vereinzelte Meldungen. Ihr Inhalt war geeignet, die Hilfsorganisationen der ganzen Welt umgehend auf den Plan zu rufen. Bis nach Vorderasien und Mitteleuropa hinein waren die furchtbaren Folgen der Katastrophe zu spüren. Auch einzelne Städte der dichtbevölkerten amerikanischen Ostküste waren in Mitleidenschaft gezogen worden. Verhältnismäßig glimpflich war dagegen Aurora, die in Nordafrika gelegene Metropole der europäischen „Gesellschaft für Interplanetarischen Verkehr“, auch kurz unter dem Namen UNIVERSUM bekannt, davongekommen. Dabei blieb es allerdings rätselhaft, wem man dieses Glück zu verdanken hatte. War der Weg, den das Unwetter nahm, durch die Berge des Hohen Atlas aufgehalten worden? Oder waren die geheimnisvollen Strahlungsdeflektoren daran schuld, die Professor Sören29
sen vor einigen Tagen an den wichtigsten Punkten der Stadt und der Außenstellen auf hohen Gerüsten hatte anbringen lassen? Oder hatte einfach nur der Zufall die Hand im Spiel? Immerhin waren auch in den Anlagen der UNIVERSUM beträchtliche Schäden entstanden, und Generaldirektor Dixieland sah sich veranlaßt, über den gesamten Bereich der UNIVERSUM den Ausnahmezustand zu verhängen. Alle verfügbaren Kräfte wurden eingesetzt, um wenigstens den interplanetarischen Verkehr planmäßig weiterlaufen zu lassen. Meteorologen und Fachleute aller beteiligten Wissenschaften zerbrachen sich die Köpfe und suchten nach Erklärungen für das unheimliche Phänomen, das zu immer bedrohlicheren Formen anwuchs. Anders als bei den bekannten Hurrikanen, den gefürchteten Wirbelstürmen Westindiens, ließ sich hier der Weg, den die Katastrophe nahm, nicht verfolgen. Sie brach über die verschiedensten Orte der Erde fast zur gleichen Sekunde herein. „Diese Wetterstürze werden aus der Stratosphäre gesteuert“, erklärten die Wissenschaftler. Doch über die eigentliche Ursache vermochten sie noch immer nichts zu sagen. Die Allgemeinheit war mit ihrer Erklärung schnell bei der Hand. „Natürlich sind es die verfluchten Atomforscher, die uns das eingebrockt haben!“ Die Atomforscher! Das Stichwort war gefallen, und nur die wenigsten ahnten, wie nahe man damit der Wirklichkeit gekommen war. Der Sündenbock war gefunden, und die Menschheit zögerte nicht, ihm gründlich das Fell zu gerben. Unter der Devise „Schluß mit dem verbrecherischen Wahnsinn! Legt den Atomforschern das Handwerk!“ fanden überall Massenkundgebungen statt. Die Amtssitze der Internationalen Atom-Kommission wurden von der Menge gestürmt. In Amerika und England, in Frankreich, Belgien und Kanada legten Sa30
botageakte und Sprengstoffanschläge die Forschungsstätten und Atomenergiekraftwerke still. Einige Forscher von Weltruf, die in amerikanischen Städten von fanatisierten Demonstranten auf offener Straße erkannt wurden, konnten nur mit Mühe durch die Polizei vor der Lynchjustiz gerettet werden. In ihrer rasenden Wut bemerkten die Menschen gar nicht, daß sie vielfach Werte zerstörten, die nur ihrem eigenen Wohl dienten. Sie schütteten das Kind mit dem Bade aus. „Die Atomforscher sind an allem schuld. Schickt sie zum Teufel!“ * Dr. Arthur Maxwell, der Leitende Arzt der UNIVERSUM, ließ es sich nicht nehmen, sich täglich höchstpersönlich im Hospital von Aurora nach seinem Patienten Peter Hagen umzusehen, und Assistenzärzte und Pflegerinnen waren nicht wenig erstaunt, daß ihr sonst so schweigsamer Chefarzt oft stundenlang in angeregtem Gespräch am Krankenbett verweilte. Wie gewöhnlich, drehte sich das Gespräch auch heute wieder um die erschreckenden Naturkatastrophen der letzten Zeit. Mit knappen Worten gab der Arzt die Eindrücke wieder, wie sie ihm die aktuelle Fernsehreportage an diesem Morgen vermittelt hatte. „Es ist gerade so, als ginge die Menschheit der Endzeit entgegen“, schloß er seinen Bericht. Peter verzog das Gesicht. „Ich glaube nicht daran, Doktor, und erfahrungsgemäß sind die Menschen ein äußerst zähes Geschlecht. Sie werden auch solche Schicksalsschläge überwinden.“ „Vergessen Sie nicht, daß die Erdbewohner mit der Beherrschung der Atomenergie Mittel in die Hand bekommen haben, um sich selbst und alles organische Leben auszulöschen und ihren schönen Planeten in einen toten Stern zu verwandeln.“ 31
„Sie glauben also ernstlich, Doktor, daß der Ursprung all dieser Katastrophen auf der Erde selbst zu suchen sei?“ „Ich bin fest überzeugt davon. Man sollte den Atomforschungsstätten etwas auf die Finger schauen.“ „Sie werden sich kaum in die Karten gucken lassen. Und außerdem – wie stellen Sie sich eine wirksame Kontrolle all der zahllosen Forschungsstellen überhaupt vor?“ Dr. Maxwell wurde einer Antwort enthoben. Eine Krankenschwester trat ein und meldete zwei Besucher. Der Arzt blickte auf die Armbanduhr und ging zur Tür. „Habe mich mal wieder ganz abscheulich festgequatscht. Weiß gar nicht, was in mich gefahren ist. Good-bye, Mister Hagen. Bis morgen!“ Peter strahlte höchst vergnügt, als die beiden Besucher in der Tür erschienen. Hein, der kleine Raumschiffingenieur, kugelte förmlich ins Zimmer herein. Hinter ihm bückte sieh der lange Hugo tief und feierlich, um sich nicht am Türrahmen den Schädel einzurennen. In der Rechten trug er ein mächtiges Bündel in Zeitungspapier, das vermutlich einen Blumenstrauß für den Patienten enthielt. Aber er dachte gar nicht daran, sich davon zu trennen. Hein Dünnebier stürzte sich lärmend auf Peter und schüttelte ihm die Hand, daß er ihm fast den Arm ausgekugelt hätte. Hugo packte ihn am Kragen und zerrte ihn zurück. „Geht man so mit Kranken um, du Elefant im Porzellanladen?“ „Laß ihn nur“, lachte Peter. „Ich fühle mich gar nicht mehr so krank. Morgen bekomme ich erstmals wieder Ausgang.“ „Fein, Peter“, rief Hein Dünnebier unternehmungslustig. „Und wann starten wir zum Mond? Schätze, die Expedition ins Mare Solis ist längst fällig. Die Mondautos sind inzwischen fertiggestellt.“ „Na, dann kann’s ja bald losgehen. Setzt euch erst mal hin 32
und gießt euch was hinter die Binde. Hugo, was hast du mir denn da Schönes mitgebracht?“ „Oh, Verzeihung, ich hatte ganz vergessen …“ Der Lange wickelte die Zeitungsblätter auseinander und brachte einen Strauß herrlicher, frischer Blumen zum Vorschein. „Donnerwetter – wo habt ihr denn die wunderbaren Gladiolen her? Ihr hättet euch doch meinetwegen nicht so in Unkosten stürzen sollen. Hier hängt ja ein Zettel dran. Ist das nicht meine eigene Handschrift? Oh, ihr Halunken! Ihr habt die Blumen gestohlen – in meinem eigenen Garten!“ Die beiden Übeltäter blickten sich betreten an. „Hab’ ich dir nicht gleich gesagt, daß er es merken würde?“ meinte Hugo. Peter mußte sich das Lachen verkneifen, als er seine beiden Trabanten so verlegen dasitzen sah. In diesem Moment erschien die Schwester wieder in der Tür. „Sie haben wohl Geburtstag, Mister Hagen? Der Besucherstrom reißt einfach nicht ab. Soeben ist eine junge Dame eingetroffen. Sie kommt direkt aus Belgisch-Kongo.“ „Monica!“ rief Peter erfreut. Hein Dünnebier nahm die Gelegenheit wahr, sich aus der peinlichen Affäre zu ziehen. „Dann wollen wir nicht länger stören. Komm, Hugo, lassen wir die jungen Leute lieber allein. Weiterhin alles Gute, Peter!“ „Halt, hiergeblieben, ihr Drückeberger!“ Doch die beiden stürzten schon zur Tür. Fast hätten sie das braunlockige junge Mädchen umgerannt, das mit strahlenden Augen über die Schwelle schritt. * „Sie wollten mich sprechen, Sir?“ Nichts Gutes ahnend, ging Gerard Blackwood mit zögernden Schritten auf seinen Chef zu, der grimmig hinter dem Schreib33
tisch hockte. Draußen brütete die tropische Mittagshitze über der Flußniederung, doch die raffiniert ausgedachte Klimaanlage schaffte in dem luxuriös eingerichteten Privatbüro des Managers durchaus erträgliche Bedingungen. John C. Middleton wies schweigend auf einen Stuhl. „Ich habe hier die letzten Versuchsergebnisse“, begann er nach einer Weile. „Meine Geduld ist nunmehr zu Ende, Blackwood. Ich glaube nicht mehr an einen Erfolg dieser Experimente. Gordon hat mir eine lange, hochwissenschaftliche Litanei vorgejammert, die ich nicht verstanden habe. Wahrscheinlich hat er den Formelkram, den er mir da vorgezaubert hat, selbst nicht kapiert. Ich erwarte nun von Ihnen, daß Sie mir klipp und klar die Gründe für den Mißerfolg darlegen.“ Blackwood biß sich auf die Lippe. Das hatte er befürchtet. Nun galt es, Farbe zu bekennen. Er wußte, Middleton würde nicht gewillt sein, sich länger hinhalten zu lassen. „Wie Sie wissen, Sir“, begann er schließlich, „war Professor Butterfield der Meinung, daß wir eine Substanz von unbegrenzter Strahlungskraft gewinnen würden, wenn es uns gelänge, eine Probe des künstlichen Elements Frisconium ganz bestimmten Versuchsbedingungen zu unterwerfen.“ Middleton nickte ungeduldig. „Olle Kamellen, Blackwood. Fangen Sie nicht wieder bei Adam und Eva an, und fassen Sie sich gefälligst kurz.“ „Nun gut. Wir haben diese Strahlungsquelle jetzt, aber die Gebrauchsanweisung fehlt. Ich zweifle nicht daran, daß er sie kannte. Aber er hat sich wohlweislich gehütet, sie zu Papier zu bringen. Wir haben alle seine Aufzeichnungen genauestens verglichen, fanden jedoch nicht den geringsten Hinweis.“ „Sie hätten besser achtgeben sollen auf den Professor, Blackwood. Nun ist er tot, und niemand kennt sein Geheimnis.“ In das bedrückte Schweigen tropften die nachdenklichen 34
Worte des Assistenten: „Vielleicht – gibt es doch einen, der mehr weiß als wir.“ Middletons Kopf fuhr hoch. „Und wer – wäre das?“ „Clyde Freshwater.“ „Freshwater?“ Der Manager kramte tief in der Rumpelkammer seines Gedächtnisses. Bei irgendeiner Gelegenheit mußte ihm der Name schon begegnet sein. Ja, richtig … „Freshwater – befand er sich nicht an Bord der unglücklichen ‚Titania’?“ „Ganz recht. Er befand sich unter den Überlebenden.“ „Und was ist mit ihm?“ „Viel weiß ich selbst nicht über den Mann. Er ist ein sonderbarer, alter Kauz. Privatgelehrter, Geologe oder so etwas. Lebt in Liverpool. Aber das ist alles nicht so wichtig. Wesentlich ist nur, daß dieser Freshwater ein intimer Freund unseres Professors war. Er nahm auf ausdrückliches Verlangen Butterfields an der Vulcan-Expedition teil, und die beiden hockten ständig zusammen. Wenn also jemand etwas weiß, dann kann nur dieser alte Krauter es sein.“ „Dann holen Sie ihn her – und zwar sofort!“ Gerard Blackwood grinste vielsagend. „Ich fürchte, Sir, Mister Freshwater würde meiner Einladung nicht Folge leisten. Mußte ihn damals auf Vulcan ein bißchen hart anfassen – im Interesse der Sicherheit aller, natürlich. Er hat das leider in die falsche Kehle gekriegt, und da er sehr nachtragend ist …“ „Sie scheinen mit aller Welt Stunk zu bekommen, Blackwood. Also, meinetwegen – ich erledige das selbst. Besorgen Sie mir sofort Freshwaters Adresse.“ * Clyde Freshwater war nicht einmal sonderlich überrascht, als ihm an diesem Tage ein Raketenpostbrief aus New Frisco ins 35
Haus geflattert kam. Er lächelte nur hintergründig, legte den Umschlag ungeöffnet zwischen Berge ungeordneter Papiere auf seinem altmodischen Arbeitstisch und widmete sich wieder dem Manuskript, das vor ihm auf der Schreibunterlage lag. Der bewußte Brief fiel ihm erst wieder ein, als ihn tags darauf John C. Middleton persönlich durch Blitztelegramm um die sofortige Beantwortung seines Schreibens bat. Freshwater brachte seine Arbeit in aller Ruhe zum Abschluß, öffnete dann den dünnen, schmalen Umschlag und überflog den engbeschriebenen Briefbogen. Wieder lächelte er. Das hatte er erwartet. Ein glänzendes Angebot! Teilnahme als Sachverständiger an einer eiligen Forschungsaufgabe. Bei erfolgreichem Abschluß der Arbeit eine Prämie in schwindelnder Höhe. In jedem Fall auch sonst ein fürstliches Honorar. Antrittstermin möglichst sofort. „Hahahaha! Das möchte euch so passen! Ja, ja, jetzt braucht ihr mich, ihr großprotzigen Herren! Ihr habt euch festgefahren, und nun soll er euch aus der Patsche helfen, der kleine, verachtete Clyde Freshwater, den man auf Vulcan herumgestoßen und gepeinigt hat, daß er nur rein zufällig mit dem Leben davongekommen ist. Nee, meine Herren, bei mir habt ihr kein Glück. Euer schmutziges Geld interessiert mich nicht im geringsten, und eure sogenannten Forschungsaufgaben auch nicht. Seht nur zu, wie ihr allein fertig werdet!“ Schmunzelnd und händereibend hüpfte das kleine Männchen in seiner verstaubten Studierstube auf und ab. Er kostete seinen Triumph bis zur Neige aus. Schließlich setzte er sich hin und entwarf die Antwort an John C. Middleton … Und der großmächtige Manager erlitt einen Tobsuchtsanfall, als er kurz danach das Telegramm aus Liverpool in den Händen hielt. Im Hauptquartier des Weltsicherheitsdienstes zu New York ging es zu wie in einem Taubenschlag. Vor wenigen Tagen hat36
te das Präsidium der Vereinigten Staaten von Europa der weltumspannenden Polizeibehörde einen geheimen Ermittlungsauftrag erteilt, und auch aus den USA und einzelnen anderen Staaten lagen ähnliche Anträge vor. Nach den Ausschreitungen der letzten Zeit, die sich gegen die Institute und Anlagen der Atomforschung richteten, war es der Polizei aller Länder schließlich gelungen, die Ruhe wiederherzustellen. Doch nun kam es darauf an, eine Wiederholung solcher Zwischenfälle zu verhindern – und das geschah wohl am wirksamsten dadurch, daß man mit allen verfügbaren Mitteln den Ursachen jener Naturkatastrophen nachging, die überhaupt die wilden Tumulte ausgelöst hatten. Präsident Antonio Torero, der Chef des Weltsicherheitsdienstes, sah sich vor eine Aufgabe gestellt, die ihm zunächst unlösbar erscheinen mußte. Er tappte völlig im Finstern. Die Fachwelt war außerstande, ihm auch nur den leisesten Fingerzeig zu geben. Doch das konnte den temperamentvollen Spanier nicht entmutigen. Er tat das einzig Richtige, das ihm im Augenblick möglich war: Er alarmierte seihe ganze, ausgedehnte Organisation und leitete eine Fahndungsaktion ein, die sich auf alles erstreckte, was irgendwie der Beobachtung würdig erschien. Der Erfolg war überwältigend. Innerhalb acht Tagen hatten die Agenten und Detektive des Weltsicherheitsdienstes nicht nur zwei steckbrieflich gesuchte Raubmörder, 123 Einbrecher von internationalem Rang und nahezu fünfhundert Rauschgifthändler mit ihrer gesamten Ware dingfest gemacht, sondern sie hatten auch eine Spur aufgedeckt, die dem Präsidenten wichtig genug erschien, um sie weiter verfolgen zu lassen. Antonio Torero übergab das ganze Material den zuständigen Ressortchefs und behielt nur ein einziges Protokoll zurück, das aus Austin in Nevada stammte. Torero wußte, daß sich dort in der Nähe ein kleineres Raumfahrtunternehmen befand, und tat37
sächlich waren es auch zwei Raumfahrer, von denen in der Meldung die Rede war. Der Präsident ging den Bericht noch einmal in allen Einzelheiten durch. Dann klingelte er seinem Sekretär. „Bringen Sie mir bitte die Akte ‚Titania’, Mitchell.“ Der Sekretär verschwand und kam gleich darauf mit einem schmalen Aktenbündel zurück. Mit gerunzelter Stirn blätterte Torero in den Dokumenten. „Nicht allzu aufschlußreich, Mitchell. Wie war doch das damals mit der ‚Titania’?“ Präsident Toreros Sekretär verfügte über ein geradezu beneidenswertes Gedächtnis. Er war das wandelnde Archiv für alle Vorgänge, mit denen sich sein Chef während der vergangenen zehn Jahre jemals zu beschäftigen hatte. Und die Affäre „Titania“ lag noch gar nicht so weit zurück. „Das Raumschiff ‚Titania’ wurde seinerzeit durch John C. Middleton gechartert“, repetierte Mitchell, „um eine Forschungsexpedition zum neuentdeckten Planeten Vulcan zu befördern. Die Expedition gelangte zwar ans Ziel, aber das Raumschiff verunglückte, und nur ein Teil der Passagiere konnte später durch Käpten Hagen, den Chefpiloten der UNIVERSUM, gerettet und zurückgebracht werden.“ „Wer waren doch noch die Geretteten?“ „Mister Blackwood, John C. Middletons rechte Hand, ferner die beiden Assistenten des verunglückten Professors Butterfield, Douglas und Gordon, sowie die Tochter des Managers. Dann noch ein Privatgelehrter aus Liverpool und schließlich zwei oder drei Schiffsoffiziere und ein paar Maschinisten.“ „Stimmt. Zwei von den Offizieren der alten ‚Titania’, Armstrong und Pickering, wurden beobachtet, wie sie in einem Lokal in Austin in weinseliger Stimmung Erinnerungen an die Vulcan-Expedition austauschten, die – ahem – reichlich verdächtig klangen.“ 38
Mitchell zuckte die Achseln. „Das glaube ich gem. Was eigentlich auf dieser abenteuerlichen Fahrt alles passiert ist, konnte nie völlig aufgeklärt werden. Die Verhandlung vor dem Internationalen Raumamt ist seinerzeit eingestellt worden. Böse Zungen behaupteten aber, man habe Middletons Dollars hinter den Kulissen klimpern hören.“ „Interessant. Sagen Sie mal, Mitchell: Ist eigentlich jemals etwas darüber bekanntgeworden, ob die überlebenden Expeditionsteilnehmer irgendwelches Forschungsmaterial vom Vulcan mitgebracht haben? Ich denke da an Gesteinsproben, seltene Metalle et cetera pp.“ „Nicht, daß ich wüßte – aber ausgeschlossen wäre es natürlich nicht. Wie kommen Sie zu dieser Frage, Sir?“ „Nun – dieser Armstrong, oder wie der Kerl heißt, hat solche Andeutungen gemacht, als ob die radioaktiven Katastrophen, die uns jetzt beschäftigen, irgendwie mit Vulcan zusammenhingen. Leider hat er später das Maul nicht mehr aufgetan, als unser Agent ihn ausholen wollte. Muß wohl Lunte gerochen haben, der alte Fuchs.“ Mitchell ließ sich auf einem Hocker nieder und vertiefte sich in die „Titania“-Akten, bis die Stimme seines Chefs ihn aufblicken ließ. „Auf jeden Fall müssen wir der Sache nachgehen. Alarmieren Sie die Fahndungsgruppe E, Mitchell. Die Leute sollen die jetzigen Aufenthaltsorte aller Überlebenden der ‚Titania’ ermitteln und die Betreffenden strengstens überwachen. Jede auffällige Wahrnehmung ist mir sofort zu melden. Caramba – wenn das die richtige Spur wäre …“ * Peter Hagen hatte am nächsten Tage tatsächlich „Ausgang“ bekommen, und da Monica den Wunsch geäußert hatte, einmal 39
eine „echt arabische Märchenstadt“ kennenzulernen, hatte er sich ans Steuer seines Schnellwagens geschwungen und war mit ihr nach dem nahegelegenen Marrakesch gefahren. „Würde mir lieber ein behaglicheres Ausflugsziel aussuchen“, hatte Hein Dünnebier gesagt. „Man hört in diesen Tagen nicht viel Gutes von da drüben. Die Herren Marokkaner sollen ziemlich aufgebracht sein. Zwar richtet sich ihr Zorn gegen die Atomforscher, aber für diese mittelalterlichen Holzköpfe ist Atomforschung, Raketentechnik und Weltraumfahrt natürlich alles das gleiche.“ „Keine Sorge, Hein“, hatte Peter lachend abgewehrt. „Ich gehe bekanntlich nie zu nahe heran. Du weißt, was für ein ängstliches Gemüt ich bin.“ „So siehst du aus, Peter. Na ja, dann mach’s gut. Der Lange und ich, wir werden inzwischen das UKW-Gerät belagern und mit dir in Verbindung bleiben. Wenn du uns brauchst, vergiß nicht, dich zu melden. Im übrigen: F.F.!“ „Was bedeutet denn das, Hein?“ „Eine Abkürzung: ‚Viel Vergnügen’ natürlich.“ Im nächsten Augenblick duckte sich der dicke Raumfahrtingenieur tief auf den Boden, um dem harten Gegenstand zu entgehen, den Peter nach ihm schleuderte. – Monica fühlte sich wie in einem Märchen aus Tausendundeiner Nacht, als sie den Wagen an einer geeigneten Stelle abgestellt hatten und sie nun an Peters Arm durch die Bazarstraßen der Medina schritt. Sie konnte kein Ende finden, die bunten Auslagen der Kaufleute und Handwerker zu bewundern, die ihre Arbeit teils in den kleinen Läden, teils auf der Straße verrichteten. Ein ohrenbetäubender Lärm lag über dem farbigen Bild des urwüchsigen Orients. Trommeln, Flöten und Tamburins mischten sich mit dem Geschrei der Händler und dem Brüllen der Dromedare und Esel zu einem mißtönenden Konzert. 40
Munter plapperte Monica drauflos und zog ihren Begleiter von einem Laden zum anderen. Peter antwortete zerstreut und einsilbig. Sein Blick wanderte über die Gesichter unter den Fes und Turbanen. Wie witternd, stieß seine Nase in die von unbeschreiblichen Gerüchen geschwängerte Luft. Dem jungen Mädchen fiel seine Schweigsamkeit schließlich auf. „Du sagst ja gar nichts mehr, Peter. Fühlst du dich nicht gut? Ach, natürlich, daran hätte ich denken müssen: Du bist ja noch nicht wieder ganz auf dem Posten. Dieser Lärm und das Gedränge müssen dir auf die Nerven fallen.“ „Sie fallen mir tatsächlich auf die Nerven“, murmelte Peter, ohne den Blick von der Menge zu wenden. „Allerdings aus einem ganz bestimmten Grund. Komm, Monica, ich glaube, es ist besser, wir gehen jetzt zum Wagen zurück.“ Ein Marokkaner im schmutzigen, zerrissenen Gewand eines Bettlers, der Peter schon eine ganze Zeit lang aufgefallen war, drängte sich heran und hielt ihm die schmutzstarrende Hand entgegen. „Bakschisch, Monsieur, Bakschisch …“ Während Peter noch in den Taschen ein paar lose Münzen zusammenkratzte, zischte der Bettler ihnen plötzlich in perfektem Französisch zu: „Sind Sie wahnsinnig, Monsieur? Wissen Sie nicht, daß es für Ihresgleichen glatter Selbstmord ist, in diesen Tagen in die Medina zu kommen? Das Volk ist maßlos aufgebracht gegen alles, was aus einem der bekannten Forschungszentren kommt, und die Kerle haben natürlich längst Ihren Wagen entdeckt und anhand des Nummernschildes festgestellt, daß Sie aus Aurora kommen. Versuchen Sie, so schnell und unauffällig wie möglich mit der Dame zu verschwinden. Vielleicht haben Sie Glück und können noch das Europäerviertel erreichen. Dort ist man zwar auch nicht gut auf Sie zu sprechen, aber die Behörden haben die Lage noch einigermaßen unter Kontrolle, und Sie dürften dort sicher sein.“ 41
Peter blickte den Alten mißtrauisch an. „Was für ein Interesse haben ausgerechnet Sie daran, uns zu warnen? Wer sind Sie überhaupt?“ Der Bettler flüsterte ihm ein paar Worte zu und ließ dann mit lauten Dankesworten die Münze in die Tasche seines zerlumpten Umhangs gleiten. Im nächsten Augenblick war er in der Menge untergetaucht. „Was hatte er dir denn so Wichtiges zu erzählen?“ erkundigte sich Monica. „Hat er uns etwa die Zukunft prophezeit?“ „Das hat er“, ging Peter auf ihren heiteren Ton ein. „Er hat uns furchtbare Prügel prophezeit, wenn wir hier nicht sofort verschwänden.“ „So ein unverschämter Lümmel! Und du hast ihm auch noch Geld gegeben?“ „Seine Warnung ist nicht mit Geld aufzuwiegen, Monica. Es war übrigens Inspektor Dulong von der hiesigen Kriminalpolizei. Da drüben steht unser Wagen. Nur gut, daß man ihn uns in der Zwischenzeit nicht entführt hat.“ Sie hatten kaum Platz genommen, als der Tumult losging. Ein hagerer, dunkelbrauner Eingeborener, mit fanatischen Zügen, sprang auf eine niedrige Mauer und wies mit ausgestrecktem Arm auf den Schnellwagen. Eine Flut unverständlicher Worte gellte in die Menge. Peter drückte den Starter. Aufheulend legte sich der Wagen in die Kurve und schoß in Richtung auf die äußeren Stadtbezirke davon. Im Rückspiegel sah Peter die brodelnde Menschenmasse, die rasch hinter ihnen zurückblieb. „So – die hätten wir abgehängt“, lachte Peter übermütig. „Peter!“ Erschrocken klammerte sich das junge Mädchen an seinen Arm. „Da – vor uns …“ Peter Hagen trat so unvermittelt die Bremse, daß der Wagen sich um ein Haar überschlagen hätte. Wie von unsichtbarer Hand kippte ein Lastwagen, der am Straßenrand gestanden hatte, 42
um und blockierte die Straße. Nur um Haaresbreite entgingen sie dem Zusammenstoß. Hinter dem umgestürzten Vehikel, aus den offenen Haustüren und aus Nebenstraßen zur Rechten und Linken quollen wild gestikulierende Menschen. Wüstes Geschrei erfüllte die Straße. Knüppel wurden geschwungen. Steine flogen. „Zieh den Kopf ein, Monica! Duck dich, so tief wie möglich!“ Wieder ließ Peter den Motor aufheulen. Rücksichtslos steuerte er den Wagen in die Menge hinein, die kreischend auseinanderstob. Ein junger Araber landete mit tollkühnem Hechtsprung auf dem Heck des Wagens. Peter fuhr herum und knallte ihm die Faust ins Gesicht. Der Junge überschlug sich und stürzte in den Straßenstaub. Durch ein unübersehbares Gewirr von Nebenstraßen ging die rasende Fahrt. Überall brandete ihnen das Wutgeheul der Menge entgegen, überall flogen Steine, stoben die Menschen vor dem Schnellwagen auseinander. Längst hatte Peter jede Orientierung verloren. Anstatt das Europäerviertel zu erreichen, war er wieder tief in die Eingeborenenstadt hineingeraten. Und plötzlich steckte er in einer Sackgasse. „Aus, der Traum“, knirschte er. Er lenkte den Wagen hinter eine niedrige Gartenmauer, die wenigstens etwas Schutz vor Steinwürfen und Schüssen bot, und forderte Monica auf, sich möglichst dicht an der Mauer niederzukauern. Brüllend wälzte sich die Masse der Angreifer heran. Peter holte die Pistole aus der Wagentasche und schob ein Magazin ein. Die Schüsse, die er über die Köpfe der Menge feuerte, brachten den Ansturm zum Stehen. Der Kugelwechsel mochte schon eine Viertelstunde angedauert haben, als Monica Peter am Ärmel zupfte. „Wie lange soll denn das noch so weitergehen, Peter?“ 43
„Ich fürchte, nicht mehr allzu lange“, knirschte Peter grimmig. „Meine Munition wird knapp.“ „Gibt es denn gar keinen Ausweg? Warum kommt die Polizei nicht, um uns zu helfen?“ „Auf die werden wir lange warten können. Sie kommt frühestens dann, wenn hier alles vorbei ist. Doch halt – daß ich daran nicht eher gedacht habe!“ „Was hast du vor, Peter?“ Peter Hagen antwortete nicht. Er kroch vorsichtig nach dem Wagen hinüber, der arg von Kugeln durchlöchert war, und machte sich am Funkgerät zu schaffen. „Gott sei Dank – es funktioniert noch!“ „Willst du die Wettervorhersage hören, Peter?“ „Ja, aber erst später. Jetzt will ich mich ein wenig mit dem langen Hugo unterhalten. Hoffentlich sitzt er am Kasten.“ * Als die Abenddämmerung über Marrakesch anbrach, setzte die aufrührerische Menge zum Sturm an. Angstvoll preßte Monica sich an ihren Beschützer. „Wir sind verloren, Peter. Deine Freunde haben uns nicht gefunden.“ Peter Hagen kniff die Lippen zusammen. Halb aufgerichtet, feuerte er über die Mauerkante. In das Toben der Anstürmenden mischte sich das Wehgeschrei der Verwundeten. Aber die heranbrandende Woge war nicht mehr zum Stillstand zu bringen. „Aus …“ Peter ließ sich zurücksinken. Er schloß Monica fest in die Arme. Jetzt würde das Ende kommen … Doch es kam anders, als die beiden verlassenen Menschen geglaubt hatten. Urplötzlich erstarb der Lärm in der engen Straßenschlucht. Sekunden tiefster Stille. Und dann, ein markerschütternder Schrei äußersten Entsetzens. 44
Peter und Monica sprangen auf. Ungläubig starrten sie auf das unerwartete Bild. Da stoben die Angreifer in panischer Flucht davon – heulend und sich gegenseitig in den Staub tretend. Doch wovor sie flohen, war nicht zu erkennen. „Peter – um Himmels willen!“ Schreckensbleich krallte sich Monicas Rechte in Peters Arm. Mit der freien Hand deutete sie zitternd zum verdunkelnden Abendhimmel über den flachen Dächern empor. Ein Phantom geisterte heran. Peter stockte der Herzschlag. Eine riesige, auf langem Hals wippende Metallkugel schwebte da oben, kam näher. Jetzt vernahm man deutlich Motorenlärm und das Rasseln von Ketten. „Hurra!“ brüllte Peter. „Monica, wir sind gerettet. Da kommt Hein mit seinen Leuten.“ Er sprang auf die Mauer und ruderte mit beiden Armen in der Luft herum. Um die Biegung kam jetzt ein flaches Raupenfahrzeug mit meterbreiten Ketten gekrochen. Auf einem hohen Gittermast trug es die riesige Kugel, deren Anblick Monica so erschreckt hatte. Peter sprang von der Mauer, nahm Monica bei der Hand und rannte mit ihr auf das seltsame Fahrzeug zu. „Was bedeutet das, Peter? Eine neue Geheimwaffe?“ „Keine Spur, Moni! Das ist eins von den Mondautos, die wir zur Zeit in Aurora erproben. Ein glänzender Einfall von Hein.“ Sekunden später hockten sie zusammen mit Hein und Hugo in der geräumigen Kugelkabine. Das Mondauto raste durch die fast dunklen Straßen, die jetzt völlig menschenleer dalagen. Wo ein Hindernis auftauchte, wurde es kurzerhand übersprungen. „Fast wären wir doch noch zu spät gekommen“, meinte Hein Dünnebier, der die Steuerung bediente. „Wir mußten euch suchen. Deine Positionsmeldung war leider nicht sehr genau gewesen, mein lieber Peter.“ „Tut mir leid, Hein, aber wir hatten uns in diesem vertrackten Straßengewirr völlig verfranst. Hätte ich nicht die Katubia in 45
der Nähe über den Dächern aufragen sehen – ich hätte euch nicht einmal ungefähr unseren Standort angeben können.“ „Nur gut, Peter, daß ihr euch diese Teufel wenigstens so lange vom Leibe halten konntet.“ „Gewiß – nur nenne sie nicht Teufel, Hein. Sie halten uns für die Schuldigen an all den rätselhaften Katastrophen der letzten Zeit. Die wahren Teufel, die uns das eingebrockt haben, sitzen ganz woanders.“ „Dann glaubst du jetzt also auch, daß die Ursachen auf der Erde zu suchen sind?“ „Ich bin überzeugt davon. Höchste Zeit, sich darum zu kümmern und den Schuften das Handwerk zu legen.“ * Zwei unauffällig gekleidete Herren gingen zu abendlicher Stunde langsam durch eine schwach beleuchtete Vorstadtstraße von Liverpool. Sie hatten die Mantelkragen hochgeschlagen und die Hute tief in die Stirn gezogen, und ein aufmerksamer Beobachter hätte wohl im Zweifel sein können, ob sie es wegen des kalten Nieselregens taten, oder ob sie verhindern wollten, daß man sie erkannte. Doch die wenigen Passanten, die hin und wieder sichtbar wanden, schenkten ihnen nicht die geringste Beachtung. Jeder von ihnen war an diesem Abend nur bestrebt, dem unfreundlichen Wetter so schnell wie möglich zu entrinnen und sich an den behaglichen Kamin daheim zu flüchten. Unter einer Straßenlaterne blickte einer der beiden schweigsamen Wanderer auf die Armbanduhr und wies dann mit einer leichten Kopfbewegung nach einem Hause auf der gegenüberliegenden Straßenseite hinüber, in dessen erstem Stockwerk zwei einsame Fenster in der dunklen Front erleuchtet waren. „Schon beinahe elf Uhr, Herr Kommissar“, sagte er verwun46
dert. „Unser seltsamer Vogel wird seinen Gewohnheiten untreu. Er liegt doch sonst um diese Zeit längst im Bett.“ Der andere zuckte die Achseln. „Das besagt schließlich nicht viel. Wahrscheinlich liest er irgendeinen spannenden Kriminalroman und kommt nicht davon los.“ „Wer weiß, Herr Kommissar, vielleicht erlebt er bald selbst einen. Es wäre gerade so die richtige Stimmung dafür.“ Schnuppernd sah er die dunkle, regennasse Straße entlang, die jetzt still und verlassen war. Nur fünfzig Schritt entfernt zur Rechten parkte eine unbeleuchtete Limousine am Straßenrand. Der Kommissar warf ihm einen verweisenden Blick zu. „Sie sollten sich auf Tatsachen beschränken, Smith, und daraus Ihre logischen Schlußfolgerungen ableiten. Stimmungen taugen für Poeten und Verliebte, aber nicht für einen Kriminalbeamten im Dienst.“ „Jetzt geht er schlafen, Herr Kommissar.“ Hinter den Fenstern des ersten Stockes war das Licht erloschen. Der Kriminalkommissar stellte es mit Befriedigung fest. „Dann dürfte unser Dienst für heute beendet sein. Es ist nicht anzunehmen, daß Mister Freshwater heute nacht noch Besuch erhält. Und außerdem liegt ja Sergeant Richards – als neuer Untermieter getarnt – im Erdgeschoß auf der Lauer. Gehen wir also.“ Aber Clyde Freshwater tat ihnen nicht den Gefallen. Im Treppenhaus flammte plötzlich Licht auf. Ein Schlüssel drehte sich kreischend im Schloß, und gleich darauf trat der kleine Privatgelehrte aus der Haustür, einen großen Briefumschlag in der Hand. Er ließ die Tür halb offen und setzte sich mit kurzen, hüpfenden Schritten in Bewegung. „Er geht zum Briefkasten an der Straßenkreuzung“, stellte der Kommissar fest. „Kein Grund für uns, hier noch länger zu warten. Ich fühle ohnehin einen Schnupfen nahen.“ 47
Der junge Polizeibeamte folgte seinem Vorgesetzten nur zögernd. Er schaute der grotesken Erscheinung Freshwaters noch einmal nach, und so kam es, daß seine Aufmerksamkeit plötzlich auf die Limousine gezogen wurde, die fast unhörbar, mit abgeblendeten Lichtern, vorbeiglitt. „Achtung, Herr Kommissar! Mir scheint, da ist etwas faul.“ Der Kriminalbeamte hatte schon eine unfreundliche Bemerkung auf der Zunge, verschluckte sie jedoch und starrte überrascht auf die Szene, die sich in Sekundenschnelle vor ihren Augen abwickelte. Der Wagen hielt mit sanftem Ruck neben dem an der Bordkante hüpfenden Freshwater. Im nächsten Moment war er von unsichtbaren Händen hineingezerrt. Der Schlag knallte zu. Aufheulend raste die Limousine davon und verschwand in einer Seitenstraße. Der Kommissar tobte wie ein Rasender. „Gekidnappt! Und das unter den Augen der Polizei.“ Eine Sturzflut von ohnmächtigen Flüchen folgte seinen Worten. Smith handelte besonnener. Er tat das einzige, was noch zu tun übrigblieb. Er setzte die Trillerpfeife an die Lippen und alarmierte sämtliche Streifen des Bezirks. Sekunden später lief die Fahndung nach dem flüchtigen Fahrzeug auf vollen Touren. Doch als man die Limousine im Morgengrauen in einem abgelegenen Teil des Hafens einsam und verlassen wiederfand, war man um keinen Schritt weitergekommen. * Die Versammlung, die an diesem Morgen im Kleinen Sitzungssaal des „Glaspalastes“ zu Aurora hinter verschlossenen Türen tagte, glich einem Kriegsrat. Zwar führte der würdige Alexander Roland Dixieland unbestritten den Vorsitz, aber das große 48
Wort führten die Kommandeure der Sicherheitsorganisationen. Und es hatte den Anschein, als wären sie einander nicht sonderlich grün. Da war Antonio Torero, der Präsident des Weltsicherheitsdienstes, der extra von New York im Sonderflugzeug hergekommen war, begleitet von seinem „lebenden Notizbuch“, dem Sekretär Mitchell. Und der hagere, schweigsame Captain Edward G. Dreadnought war mit seinem Assistenten, dem Kommissar Bill Cunning, erschienen. Es war seine Aufgabe, über die Sicherheit innerhalb der UNIVERSUM zu wachen, und er sah es nicht gern, wenn ihm von anderen Dienststellen ins Handwerk gepfuscht wurde. Unter den weiteren Teilnehmern sah man Professor Bengt Sörensen, an der Spitze eines Gremiums von Sachverständigen, sowie Peter Hagen, der sich am Vortage zum Dienstantritt zurückgemeldet hatte und von Generaldirektor Dixieland aufgefordert worden war, der Sitzung beizuwohnen. Peter war es zwar anfangs unklar, warum man Wert auf seine Anwesenheit legte, doch als das Stichwort „Titania“ fiel, horchte er interessiert auf. Mit lebhaften Gesten beendete gerade Präsident Torero seine Ausführungen. „So wurde mein Verdacht geweckt, und ich veranlaßte sofort alles Notwendige, um die Überlebenden der alten „Titania“ zu beschatten und unauffällig auszuholen. Bei den paar Maschinisten, die noch greifbar waren, verliefen die Versuche ergebnislos. Armstrong und Pickering befanden sich bereits wieder auf Fahrt, als die Forschungsaktion anlief, und konnten noch nicht vernommen werden. Butler, der Funkoffizier der ‚Titania’, soll vor einiger Zeit verstorben sein …“ „Er verunglückte vor acht Wochen auf dem Mond tödlich“, erinnerte sich Mitchell. Captain Dreadnought grinste spöttisch. „Also war die ganze 49
Aktion ein Schlag ins Wasser – was auch gar nicht anders zu erwarten war.“ „Moment mal, Captain!“ Der Präsident hob den Zeigefinger und machte ein äußerst pfiffiges Gesicht. „Das Wichtigste kommt noch: Heute nacht wurde ein gewisser Freshwater in Liverpool von Gangstern entführt. Er ist seither spurlos verschwunden.“ „Traurig für ihn. Vermutlich will man Lösegeld von ihm erpressen.“ „Reingefallen, Captain“, rief Torero triumphierend. „Dieser Freshwater gehört nämlich ebenfalls zum Kreis der Verdächtigen. Er war der intime Freund des auf Vulcan verunglückten Professors Butterfield. Sein Verschwinden zu diesem Zeitpunkt ist zumindest mehr als auffällig.“ „Wollen Sie am Ende behaupten, Mister Freshwater sei der Kerl, der uns das Wetter verdürbe, und er sei nun der Lynchjustiz zum Opfer gefallen und in aller Stille liquidiert worden? Ihre blühende Phantasie in Ehren, Sir, aber da mache ich nicht mit.“ „Das verlangt auch niemand von Ihnen, Captain. Sie befinden sich mit Ihrer Vermutung völlig auf dem Holzweg. Clyde Freshwater wußte irgend etwas, und deshalb hat man sich seiner bemächtigt. Hier ist die Spur, die zu des Rätsels Lösung führen kann.“ „Hm – nicht schlecht. Schade nur, daß Sie die Spur verloren haben, Sir.“ „Pah, das wäre die erste, die wir nicht wiederfänden. Sie unterschätzen die Fähigkeiten des Weltsicherheitsdienstes.“ „Hoffen wir’s. Eine Frage übrigens: Wenn Sie schon die Überlebenden der ‚Titania’ unter die Lupe nehmen – warum dehnen Sie Ihre Nachforschungen nicht auch auf New Frisco aus, wo meines Wissens mindestens vier aus diesem Personenkreis leben? Noch dazu die wichtigsten, wie mir scheint. Es dürfte zweifellos aufschlußreicher sein, die Wissenschaftler der 50
Vulcan-Expedition unter Beobachtung zu stellen, als irgendwelche unbedeutenden Randfiguren.“ Peter Hagen horchte auf. Das Argument des Captains war einleuchtend, aber er glaubte auch zu wissen, warum der Weltsicherheitsdienst um John C. Middletons Besitzungen einen großen Bogen machte. Es waren immer wieder die Dollarmilliarden des großen Managers, die hinter den Kulissen klimperten und ihm von vornherein eine Sonderbehandlung sicherten. Der Präsident wand sich wie ein Aal. „Sie müssen verstehen – ahem – daß wir Mister Middleton nicht unnötig reizen möchten. Er ist immerhin einer der mächtigsten Männer des Erdballs, und er würde es wahrscheinlich entsetzlich übelnehmen, wenn der Weltsicherheitsdienst sich in seine Angelegenheiten mischte.“ Peter hatte nur halb zugehört. Wie gebannt hatte er auf die große Wandkarte des Schwarzen Erdteils und der angrenzenden Gebiete gestarrt, auf der man mit roten Kreisen alle diejenigen Stellen gekennzeichnet hatte, an denen sich in letzter Zeit Wetterkatastrophen ausgetobt hatten. Und plötzlich fiel es ihm wie Schuppen von den Augen … Langsam erhob er sich und schritt auf die Karte zu. Er hörte gerade noch, wie Präsident Torero sagte: „Und außerdem möchte ich meine Hand dafür ins Feuer legen, daß John C. Middleton mit der ganzen Sache nicht das geringste zu tun hat. Seine eigenen Großprojekte sind viel zu sehr in Mitleidenschaft gezogen worden, als daß …“ „Entschuldigen Sie, daß ich Sie unterbreche“, ließ sich Peter Hagen vernehmen. „Bitte, Gentlemen, betrachten Sie doch einmal aufmerksam die roten Markierungen auf dieser Karte. Fällt Ihnen an der Anordnung nichts auf?“ Schweigen – und plötzlich Captain Dreadnoughts überraschter Ausruf: „All devils! Sie haben’s erfaßt, Mister Hagen.“ 51
Mit raschen Schritten eilte auch er an die Wandkarte, nahm ein Lineal und ein Stück Kreide und begann, Punkt für Punkt miteinander zu verbinden. Vor den Augen der Zuschauer entstand eine Fülle schnurgerader Linien, von Osten nach Westen, von Norden nach Süden und in alle möglichen Richtungen der Windrose verlaufend. Alle diese Linien schnitten sich in einem gemeinsamen Punkt … … und dieser Punkt lag im innersten Afrika, am Äquator, unweit der Stanley-Fälle! „Fällt Ihnen noch immer nichts auf, Gentlemen?“ rief der hagere Captain triumphierend. Krachend schlug er Peter auf die Schulter. „Bravo, Mister Hagen! Das haben Sie gut gemacht!“ „Caramba!“ stieß Antonio Torero zwischen den Zähnen hervor. „Genau in diesem Punkt liegt New Frisco. Aber das kann natürlich auch ein Zufall sein.“ „Merkwürdiger Zufall, wie Sie wohl zugeben müssen“, bemerkte Captain Dreadnought anzüglich. „Jedenfalls ist noch nicht bewiesen, daß Middleton etwas damit zu tun hat.“ „Es ist Ihre Aufgabe, den Beweis zu erbringen, Herr Präsident.“ Antonio Torero schwieg. Er sah sich in die Enge getrieben. Gewiß, der Verdacht, der auf den mächtigen John C. Middleton fiel, war mehr als offenkundig. Doch was würde geschehen, wenn es ihm nicht gelang, ihn als den Schuldigen an all den furchtbaren Katastrophen zu überführen? Es wäre um seine Stellung geschehen, und er wäre erledigt – ein für allemal. Aber plötzlich schlich sich wieder ein pfiffiges Lächeln in seine Züge. Lebhaft wandte er sich an Generaldirektor Dixieland. „Sie waren so liebenswürdig, uns die Unterstützung der UNIVERSUM anzubieten, Sir.“ „Selbstverständlich. Was kann ich für Sie tun?“ 52
„Beauftragen Sie Ihren Geheimdienst mit der Überwachung von New Frisco. Ich glaube, es wird Ihren Leuten leichter sein, bei der EURAFRICA einzusickern, ohne zu viel Aufsehen zu erregen, als es meinen Beamten möglich wäre. Sie haben immerhin gewisse Berührungspunkte mit Middletons Organisation. Bei Bedarf würde Ihnen natürlich der ganze Apparat des Weltsicherheitsdienstes zur Verfügung stehen.“ Dixieland wechselte einen raschen Blick mit seinem Sicherheitschef, der ihm aufmunternd zunickte. „Einverstanden. Wir können die Vereinbarung gleich anschließend in unserer Rechtsabteilung aufsetzen lassen. Sie übernehmen die Sache also, Captain. Sehen Sie zu, daß Sie damit klar kommen, bevor die nächste Katastrophenwelle über uns hereinbricht.“ Captain Dreadnought richtete sich zu seiner ganzen, achtunggebietenden Größe auf. „Werde mein möglichstes tun, Sir“, schnarrte er. „Allerdings reicht mein Mannschaftsbestand für diese Aufgabe nicht aus. Ich mache daher von meinem Recht Gebrauch, in besonderen Fällen den Notstand zu erklären und aus dem Werkspersonal der UNIVERSUM zusätzliche Hilfskräfte einzustellen. Fürs erste“ – er blickte rasch zur Seite – „ernenne ich Mister Hagen zum Hilfskommissar z. b. V.“ Peter überlegte kurz. Der ehrenvolle Auftrag kam ihm etwas überraschend. Einerseits verspürte er keine große Lust, an einem Unternehmen gegen John C. Middleton teilzunehmen – nicht, weil er ihn gefürchtet hätte, aber schließlich handelte es sich um Monicas Vater, und Peter wußte nur zu gut, wie sehr das junge Mädchen an ihm hing. Andererseits durften hier persönliche Gefühle keine Rolle spielen. Dazu stand zu viel auf dem Spiel. Und außerdem wäre es vielleicht das beste, in den kommenden Tagen in Monicas Nähe zu sein. Diese Erkenntnis gab den Ausschlag. „Angenommen, Captain“, grinste Peter. „Ich mache natürlich 53
gern mit. Gestatten Sie mir, Ihnen, als meinem neuen Chef, gleich ein Gesuch vorzulesen?“ „Selbstredend“, brummte der Captain gönnerhaft. „Ihr Gesuch ist bereits genehmigt.“ „Herzlichen Dank, Captain.“ „Oh, keine Ursache. Ja – ahem – worum haben Sie mich denn überhaupt gebeten?“ „Um Urlaub. Ich denke, acht Tage werden genügen.“ Ein wieherndes Gelächter schallte durch den Saal. Der Sicherheitschef zog ein säuerliches Gesicht. „Sie fangen ja gut an, Mister Hagen.“ Peter ließ sich nicht beirren. „Tut mir leid, wenn ich Sie gleich zu Anfang enttäuschen muß, Captain. Aber Sie müssen verstehen: Ich habe dringende Familienangelegenheiten zu regeln.“ „Oh, das wußte ich nicht. Herzliches Beileid! Ist jemand in Ihrer Verwandtschaft gestorben?“ „Das weniger, Captain. Aber ich gedenke mich zu verloben.“ * Bereits am Nachmittag des folgenden Tages entstieg Peter Hagen auf dem Flugplatz von New Frisco der fahrplanmäßigen Maschine und mußte sofort ein Trommelfeuer mißtrauischer Fragen von Seiten der Beamten des Werkschutzes der EURAFRICA über sich ergehen lassen. Lächelnd gab er Auskunft, und schließlich öffnete ihm Monicas schriftliche Einladung, die er wohlweislich mitgebracht hatte, alle Türen. „Seid ihr hierzulande alle so mißtrauisch?“ fragte er den schwarzen Taxichauffeur, der ihn in rasender Fahrt zum Wohnsitz des Managers fuhr. Der Schwarze drehte sich kurz um und zeigte grinsend die prächtigen Zähne. „Erst neuerdings, Monsieur, seit die da drü54
ben“ – er wies mit einer Kopfbewegung gegen den Akazienhain, hinter dem die Werkanlagen liegen mußten – „seit die Atomzauberer verrückt spielen. Sie wittern in jedem Fremden einen Spion. Besuchen Sie Monsieur Middleton geschäftlich?“ „Nein, privat“, entgegnete Peter. Der Schwarze maß ihn mit einem ungläubigen Blick, stellte jedoch keine weiteren Fragen. Bald darauf hielten sie vor der pompösen, palastähnlichen Villa, die einem der reichsten und mächtigsten Männer der Welt als Wohnsitz diente. John C. Middleton war nicht zu Hause, und Monica war ausgeritten. Peter war erstaunt. „Ausgeritten – jetzt, während der Arbeitsstunden? Hat Miß Monica ihren Dienst denn noch nicht wieder angetreten?“ Der Haushofmeister, der den Besucher mit geschmeidiger Höflichkeit empfangen hatte, hob die Schultern. „Sie hatte wohl die Absicht, aber Mister Middleton hat es nicht dulden wollen. Er meinte, die Luft drüben im Werk wäre ihr zur Zeit nicht zuträglich.“ Peter dankte für die Auskunft und schlenderte durch den Park, der in seiner tropisch-üppigen Pracht etwas Bedrückendes hatte, in der Richtung davon, aus der Monica zurückerwartet wurde. Er mußte sich gestehen, daß er sich New Frisco – nach Monicas Erzählungen – anders vorgestellt hatte. Die Luft gefiel ihm nicht. Es lag viel Geheimnistuerei und Mißtrauen darin. Peter beschloß, Gleiches mit Gleichem zu vergelten und wachsam zu sein. Als er aus dem Schatten eines kleinen Gehölzes trat, in dessen Baumkronen die Affen lärmten, und der mächtige Strom vor seinen Augen lag, sah er eine Reiterin auf feurigem Rappen am Ufer herangesprengt kommen. Er vertrat ihr den Weg und breitete die Arme aus. Jäh zügelte sie das Pferd. „Peter!“ Im nächsten Augenblick war sie aus dem Sattel und lag in seinen Armen. 55
„Daß du endlich gekommen bist, Peter! Ich habe mich so nach dir gesehnt.“ „Ich mich nicht weniger nach dir, Monica. Wir haben uns auch seit einer Ewigkeit nicht mehr gesehen. Mindestens sechs Tage …“ Sie lachte und gab ihm einen herzhaften Kuß. „Von jetzt an lasse ich dich nie wieder fort, Peter – wenigstens nicht für so lange.“ „O Moni, wohin soll das führen? Bedenke, daß ich im Hauptberuf Raumschiffkapitän bin, und Weltraumreisen dauern nicht nur Tage, sondern Monate.“ „Macht nichts, Peter. Dann werde ich Stewardeß auf deinem Kahn und begleite dich auf allen deinen Reisen.“ „Bis ans Ende der Welt?“ „Bis ans Ende der Welt und noch viel weiter“, wiederholte Monica ernst und küßte ihn wieder. Schließlich machte sie sich behutsam los. „Komm jetzt, Peter, wir wollen ins Haus zurück, bevor uns die Moskitos auffressen.“ * Erst gegen Abend kehrte John C. Middleton aus dem Werk zurück. In seiner Begleitung befand sich Blackwood. Peter hatte den Eindruck, daß beide Männer ungewöhnlich verkrampft und abgespannt wirkten. Gerard Blackwood war schweigsam und düster wie stets, solange Peter das zweifelhafte Vergnügen hatte, ihn zu kennen. „Nett, daß Sie unserer Einladung endlich gefolgt sind, Mister Hagen“, sagte der Manager zerstreut. „Sie haben uns lange warten lassen.“ „Es geschah ohne böse Absicht“, versicherte Peter. „Wie Sie ja wissen, mußte Ich zwischendurch Ihr unternehmungslustiges 56
Töchterchen vom Vulcan zurückholen und hatte infolgedessen wenig Zeit.“ „Ich werde Ihnen nie vergessen, was Sie für uns getan haben, Mister Hagen.“ Zum ersten Mal glaubte Peter, einen Schimmer von Wärme in der Stimme Middletons wahrzunehmen. Aber die versorgten, gealterten Züge des Managers blieben seltsam abwesend und maskenhaft. Nach der Abendmahlzeit, die in nervöser Hast eingenommen wurde, zog sich Middleton mit seinem Assistenten in sein Arbeitszimmer zurück. „Sie müssen mich entschuldigen, Mister Hagen, aber wir haben noch eine dringende Arbeit zu erledigen. Bis morgen also. Ich hoffe, Sie bleiben doch länger bei uns. Monica würde sich gewiß sehr freuen.“ „Ich habe mir ein paar Tage Urlaub genommen. Allerdings hätte ich die Gelegenheit gern benutzt, um auch Ihre Forschungsinstitute kennenzulernen. Wie Sie sich denken können, interessiert mich alles brennend, was irgendwie mit dem Fortschritt der modernen Technik zusammenhängt.“ Middleton und sein Assistent wechselten einen stummen Blick. „Ihr Wunsch soll erfüllt werden, Mister Hagen“, erklärte Blackwood, und seine Stimme klang spöttisch. „Wir bearbeiten zur Zeit das Großprojekt der transafrikanischen Atombahnverbindung. Wenden Sie – sich nur vertrauensvoll an Fred Douglas. Er wird Ihnen alles zeigen, was es bei uns zu sehen gibt.“ * „Ich würde Ihnen gern alles zeigen, was New Frisco zu bieten hat, Mister Hagen“, sagte Fred Douglas am anderen Morgen, als Peter ihn in Begleitung von Monica in seinem Institut besuchte, „aber leider hat man mich mit meiner Arbeit aufs tote 57
Gleis abgeschoben. Zu den eigentlichen Forschungsarbeiten habe ich selbst keinen Zutritt.“ „Aber erlauben Sie mal“, protestierte Peter, scheinbar ungläubig. „Sie haben mir da soeben Ihre prächtige Atomlok vorgeführt, geradezu ein Wunderwerk der Technik – und das nennen Sie ‚auf dem toten Gleis stehen’?“ „Ganz recht – da steht sie auch und verrottet allmählich, genau so, wie die paar Schienen, die man inzwischen gelegt hat, um wenigstens den Schein zu wahren …“ „Das sind aufrührerische Reden, Mister Douglas, die Ihnen Blackwood wahrscheinlich nie vergeben würde“, lachte Monica. „Na, stimmt es etwa nicht? Kein Mensch in New Frisco interessiert sich in Wirklichkeit für das Projekt. Alles, was wir mühsam geschaffen haben, ist zum allmählichen Verrotten verurteilt – vorausgesetzt, daß uns diese Pfuscher da drüben nicht eines Tages sowieso in die Luft sprengen – mit ihren kindischen Experimenten.“ Peter horchte auf. „Von was für Versuchen reden Sie eigentlich, Mister Douglas?“ „Na, Käpten, tun Sie doch bloß nicht so, als wüßten Sie nicht Bescheid. Sollte Ihnen damals, bei der Abfahrt vom Vulcan, der dicke Bleibehälter nicht aufgefallen sein, den Blackwood wie seinen Augapfel bewachte?“ „Tatsächlich“, sann Peter. „Ich erinnere mich daran. Allerdings erfolgte unser Aufbruch, wie Sie wissen, unter etwas dramatischen Begleitumständen. Ich konnte mich nicht darum kümmern, was jeder einzelne an Bord geschleppt brachte, und später habe ich nicht mehr daran gedacht. Was war denn eigentlich in diesem ominösen Behälter drin?“ „Der ‚Stein der Weisen’“, verkündete Fred Douglas geheimnisvoll. „Hallo! All devils!“ Douglas hatte wirklich alle Ursache zu seinem Schreckensruf. Ein scharfer Knall drang von draußen herein, gefolgt von 58
einem unterirdischen Gepolter. Irgendwo hörte man Fensterscheiben zerspringen. Der Boden schwankte, wie bei einem Erdbeben. Monica flüchtete sich schreckensbleich in die Arme Peters, der sekundenlang um sein Gleichgewicht kämpfte. „Was – war denn das?“ stotterte er. Fred Douglas beförderte mit einem Fußtritt ein kostbares Messinginstrument in die Ecke, das vom Tisch gefallen und zerbrochen war. „Der ‚Stein der Weisen’“, grinste er. „Ja, ja – der läßt nicht mit sich spaßen. Wie gesagt: Die sprengen eines Tages noch ganz New Frisco in die Luft.“ „Moment mal!“ Peter löste Monicas Hände von seinen Schultern und stürzte ans Fenster. Mit einem Satz war er draußen und hastete über den einsamen Hof der Stelle zu, an der hinter den flachen Dächern der benachbarten Laborgebäude farbiger Rauch in die Höhe stieg. Werkschutzmänner versuchten, ihm den Weg zu vertreten. Er stieß sie zur Seite und rannte weiter – um ein langgestrecktes, einstöckiges Gebäude herum. Überall ertönte jetzt das Wimmern der Sirenen. Jetzt tat sich ein weiter Platz vor ihm auf. Aus einem der Bauwerke, die ihn einrahmten, schlugen haushohe Flammen. Männer in Asbestanzügen strömten durch den Eingang, trugen Verunglückte und Gegenstände aller Art heraus. In der Ferne vernahm man die Signale der heranrasenden Löschzüge und Ambulanzwagen. Ehe er es sich versah, war Peter mitten in dem Trubel drin und stolperte in den Gängen des brennenden Gebäudes herum. Qualm und Hitze und die überall umherliegenden Trümmer machten ihm die Orientierung unmöglich. Plötzlich fühlte er sich von rohen Fäusten gepackt und hinausgezerrt. Eine Flut von Fragen und Beschimpfungen prasselte auf ihn hernieder. Peter stand wie betäubt inmitten des Haufens aufgebrachter Werkschutzmänner, die schreiend auf ihn einredeten. 59
Offenbar verkannten sie die Situation. Plötzlich unterbrach eine laute, rauhe Stimme den Lärm. „Wen habt ihr denn da erwischt?“ „Es ist der Saboteur, der an allem schuld ist, Sir“, rief einer der Männer. „Wir bekamen ihn im Eingang zum Schaltraum C zu fassen.“ „Unsinn!“ verteidigte sich Peter. „Ich hörte die Detonation, als ich drüben bei Mister Douglas war, und kam herüber, um zu helfen – und sonst gar nichts.“ „Ah, Käpten Hagen“, sagte Gerald Blackwood gedehnt. Sein rauchgeschwärztes Gesicht sah noch finsterer als gewöhnlich aus. „So, so – helfen wollten Sie? Das überlassen Sie besser denen, die es angeht. Es empfiehlt sich nicht für Fremde, sich innerhalb des Sperrgebiets ertappen zu lassen. Schätze, es dürfte besser für Sie sein, außerhalb der Warnungsschilder zu bleiben. Ich wäre untröstlich, wenn Ihnen etwas zustieße.“ * Das waren ja reichlich seltsame Dinge, die in den geheimnisvollen Forschungsanlagen am Ufer des Kongo vorgingen! Allein mit seinen Gedanken, ging Peter Hagen im schwachen Schein des zunehmenden Mondes auf dem schmalen Fußweg spazieren, der parallel zur breiten Betonstraße dem Flußufer folgte. Er ließ noch einmal die Eindrücke der beiden ersten Tage, die er in New Frisco verbracht hatte, vor seinem geistigen Auge Revue passieren. Ein großzügig angelegtes Forschungszentrum, in dem – nach außen hin wenigstens – das großartige transafrikanische Atombahnprojekt seiner Vollendung entgegenreifte. In Wirklichkeit jedoch wurde hinter den Kulissen dieser Planung an ganz anderen Dingen gearbeitet, und diese Dinge schienen unheimliche Gefahren zu bergen. Worauf diese Experimente letzten Endes 60
hinausliefen, war Peter noch nicht ganz klar. Monica hatte gewisse Andeutungen gemacht, und auch Douglas schien einiges zu ahnen oder zu wissen, aber all das ergab noch keine klaren Anhaltspunkte. Was sollte denn dieses Geschwätz vom „Stein der Weisen“? So etwas war doch reine Utopie. Unwillkürlich hatte Peter den Schritt von dem schmalen Pfad fortgelenkt. Plötzlich stieß er auf eine niedrige Mauer. Gedankenlos kletterte er darüber hinweg und fand sich gleich darauf in einem Park wieder, der in tiefster Stille lag. Nicht einmal der Laut eines Nachtvogels war zu hören. Nach einigen Minuten ragte plötzlich die Silhouette eines Hauses vor dem nächtlichen Wanderer auf, das ihm irgendwie bekannt vorkam. Ja, richtig: Er war bei Tage mit Monica vorübergekommen, und sie hatte ihm erklärt, daß hier Gerard Blackwood wohnte. Das Haus des Assistenten John C. Middletons lag in tiefer Finsternis. Nur aus dem Fenster der angebauten Garage drang schwacher Lichtschein. Beter wollte schon vorübergehen, als ihn die Stimmen aufhorchen ließen, die gedämpft aus dem Anbau drangen. Die eine, tiefe Stimme klang höhnisch und rauh, die andere war schrill und ging von Zeit zu Zeit in ein klägliches Wimmern über. Was ging hier vor? Hinter der Garage lagen alte Kisten und leere Kanister in wüstem Durcheinander. Peter stieg auf eine leere Kiste und lugte vorsichtig durch die Fensteröffnung. Der schwache Lichtschein stammte von einer Taschenlampe, die einer der beiden Männer, die sich hier zu nächtlicher Stunde ein Stelldichein gaben, in der Hand hielt. Seine Gestalt wirkte im Halbdunkel wuchtig und riesengroß. Peter konnte sein Gesicht nicht erkennen, da er dem Mann genau auf den Rücken sah. Der andere, auf den der Lichtkegel der Taschenlampe fiel, war ein kleines, ältliches Männchen. Wild gestikulierend redete 61
er unausgesetzt in einem winselnden Tonfall auf sein Gegenüber ein. Peter hatte den Kleinen sofort wiedererkannt. Das war doch Clyde Freshwater, der englische Privatgelehrte, den er seinerzeit – zusammen mit den anderen Überlebenden der „Titania“ – von Vulcan gerettet hatte. Erst kürzlich war ihm sein Name wieder begegnet. Hatte nicht Präsident Torero berichtet, Freshwater sei entführt worden? Peters Aufmerksamkeit wurde jetzt völlig durch die Unterhaltung in Anspruch genommen, deren Ohrenzeuge er so unverhofft geworden war. „Sie können sich Ihr Jammergeschrei sparen“, grollte die höhnische Stimme. „Versuchen Sie doch nur nicht, sich länger zu verstellen. Es gelingt Ihnen sowieso nicht. Wir wissen genau, daß Ihr Freund Butterfield Ihnen sein Geheimnis anvertraut hat. So für nichts und wieder nichts habt ihr zwei alten Knaben doch nicht während der ganzen Vulcan-Fahrt die Köpfe zusammengesteckt.“ „Wir – wir plauderten über Philosophie …“ „Hahahaha! Butterfield als Philosoph! Eine dümmere Ausrede ist Ihnen wohl nicht eingefallen, was?“ „Aber ich verstehe wirklich nicht, was Sie überhaupt von mir wollen!“ „Das wissen Sie sehr wohl, mein Lieber. Sie sind ein ganz Hartgesottener. Aber – keine Sorge! – ich habe schon ganz andere Burschen weich gekriegt. Sie verlassen dieses Loch nicht eher, als bis Sie den ‚Forschungsauftrag’ ausgeführt haben, den wir Ihnen großzügigerweise erteilt haben. Hier sind Federhalter und Papier. Wenn ich Sie das nächste Mal besuche, möchte ich den Bericht fertig sehen. Und merken Sie sich – Teufel noch mal! Was war denn das?“ Es war Peter, der ihn zu seinem überraschten Ausruf veranlaßt hatte. Die morsche Kiste, auf der er stand, war plötzlich 62
zusammengekracht, und der heimliche Lauscher landete mit großem Lärm inmitten des Stapels rostiger Kanister. Erschrocken rappelte er sich auf. Er hörte das Kreischen eines Torschlosses. Schritte näherten sich. Zwei Schüsse peitschten durch die Nacht. Der Lichtkegel einer Taschenlampe geisterte durch die Büsche. Irgendwo in der näheren Umgebung schlug ein Hund an. Peter war sehr schnell vom Boden hoch. Er rannte, so schnell ihn die Füße nur tragen konnten. * Antonio Torero, der Präsident des Weltsicherheitsdienstes, hätte sich gar zu gern aus der Sache herausgehalten. Die EURAFRICA war für ihn ein heißes Eisen, und der mächtige Manager John C. Middleton genoß in der ganzen Welt einen Einfluß, der es nicht geraten erscheinen ließ, ihm ins Gehege zu kommen. Als jedoch eine neue Welle verheerender Naturkatastrophen über die Erde hereinbrach und der Ruf nach einer Kontrolle der Atomforschungsstätten immer lauter wurde, mußte der Präsident schließlich in den sauren Apfel beißen. An der Spitze einer sechsköpfigen Delegation internationaler Fachleute flog er höchstpersönlich von New York an den Kongo. Wie befürchtet, war der Empfang in New Frisco alles andere als herzlich. John C. Middleton zeigte sich äußerst verstimmt. „Kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, was mir die Ehre Ihres Besuchs verschafft, Herr Präsident. Oder kommen Sie etwa nicht in dienstlicher Eigenschaft?“ „Doch – gewiß.“ Torero fühlte sich gar nicht wohl in seiner Haut. „Bitte, verstehen Sie das nicht falsch, Sir. Meine Behörde hat von den Regierungen nahezu sämtlicher Nationen den dringenden Auftrag erhalten, sich über die derzeitigen Arbeiten der großen Atomforschungsstätten zu informieren. Das Auftreten 63
der ‚radioaktiven Wolke’ im Zusammenhang mit den Unwetterkatastrophen läßt immerhin gewisse Vermutungen zu. Natürlich können wir im Zuge dieser Untersuchung keinen Betrieb auslassen.“ „Selbstverständlich nicht. Ich beneide Sie nicht um Ihre Aufgabe, Herr Präsident.“ John C. Middletons Gesicht war eisiger Hohn. Torero erhob sich. „Wir möchten Ihnen nicht länger zur Last fallen, Sir, als unbedingt erforderlich ist. Wenn Sie also gestatten …“ „Bitte sehr. Wir haben in New Frisco keine Geheimnisse. Wie Ihnen wohl bekannt sein dürfte, bauen wir zur Zeit Atomkraftlokomotiven. Mein Assistent Blackwood wird Sie und Ihre Begleiter herumführen. Ich darf mich jetzt wohl zurückziehen. So long.“ – Als Antonio Torero gegen Abend von der Besichtigung der Institute und Werkanlagen nach dem Flugplatz zurückkehrte, schwirrte ihm der Kopf von all den unbekannten Apparaturen, die er zu sehen bekommen, und von den unverständlichen Erläuterungen, die Blackwood gegeben hatte. Er mußte sich gestehen, daß er genauso klug war wie zuvor. Anscheinend gab es hier nichts, das einen Verdacht gerechtfertigt hätte – sofern man nicht alles als verdächtig bezeichnen wollte, was irgendwie mit Atomphysik zu tun hatte. Der Präsident warf seinen Begleitern einen ratlosen Blick zu. Doch selbst die Fachleute zuckten nur die Achseln. Im Flughafengebäude gab es noch einen kurzen Aufenthalt. Plötzlich entdeckte Torero unter den Wartenden die hochgewachsene Gestalt Peter Hagens. Der junge Mann schien in die Betrachtung der Flugstreckenkarte vertieft zu sein und ihn gar nicht bemerkt zu haben. „Hallo, Mister Hagen! Wie geht’s? Sie wollen doch nicht schon wieder abreisen?“ 64
„Pst! Nicht so auffällig, Sir. Es braucht sich in New Frisco nicht gerade herumzusprechen, daß wir uns kennen.“ „Warum nicht?“ fragte der Präsident, dämpfte jedoch die Stimme und wandte sich halb ab. „Wir sind hier sowieso auf der falschen Beerdigung.“ Peter grinste verhalten. „Sie haben sich ja ganz schön Sand in die Augen streuen lassen. Es war eben ein Fehler, die Untersuchung so auffällig durchzuführen.“ „Hm – ich konnte leider nicht anders handeln. Haben Sie des Rätsels Lösung schon?“ „Langsam, langsam, Sir! Sie sollten wissen, daß das nicht so einfach ist. Aber ich habe immerhin erfolgversprechende Spuren gefunden.“ „Caramba! Erzählen Sie!“ „Das hätte noch keinen Wert. Sobald ich meiner Sache sicher bin, greife ich zu. Sagen Sie Captain Dreadnought, er solle seine Streitmacht im Alarmzustand halten. Solange ich mich jeden Morgen und Abend telefonisch in Aurora melde, um mich nach dem Befinden meiner Erbtante Julia zu erkundigen, die zur Zeit im Hospital liegt, ist hier alles in Ordnung.“ „Ausgezeichnet. Werde mir den Namen der Dame merken. Und wenn Ihr Anruf eines Tages ausbleiben sollte?“ „Dann – Vorsicht, Sir! Wir werden beobachtet.“ „Darf ich bitten, Herr Präsident?“ In Gerard Blackwoods rauher Stimme schwang wieder ein Schimmer von Spott mit. „Ihr Flugzeug startet in fünf Minuten.“ In den nächsten Tagen gelang es Peter nicht, irgend etwas wahrzunehmen, das seinen Verdacht bestätigt hätte. Die Anlagen der geheimen Forschungsabteilungen blieben hermetisch abgesperrt. Der junge Raumschiffkapitän hatte das Gefühl, auf Schritt und Tritt von unsichtbaren Augen verfolgt zu werden. Und als ex es eines Nachts wagte, einen Erkundungsvorstoß in 65
Blackwoods Park zu unternehmen, fand er die Garage leer und tadellos aufgeräumt. Am Abend darauf ging er mit Monica im Garten ihrer väterlichen Villa spazieren. Der Vollmond verbreitete silbernes Licht, Über dem Boden webten jedoch dichte Nebelschwaden, die vom Flußufer heraufgekrochen kamen. Das junge Mädchen zog fröstelnd die Schultern zusammen und hakte sich bei Peter ein. „Ich traf vorhin Blackwood“, sagte sie unvermittelt. „Er erzählte mir von einem Flugzeugabsturz in unserer nächsten Nachbarschaft.“ „Scheußlich“, sagte Peter nur. Er dachte nicht weiter darüber nach. Zu viele Flugzeuge waren in den letzten Wochen im Zusammenhang mit den rätselhaften Naturkatastrophen abgestürzt. Man stumpfte allmählich gegen solche Meldungen ab. „Die Maschine wurde heute nachmittag aus dem Kongo geborgen. Den Absturz selbst hat niemand beobachtet. Von den Insassen wurde nichts mehr gefunden. Sie müssen wohl ertrunken sein.“ „Das ist anzunehmen. Die armen Kerle.“ „Ich hatte gedacht, es würde dich interessieren, Peter, zumal es eine von euren Maschinen sein soll – aus Aurora.“ „Donnerwetter – kannst du mir den Lageplatz angeben? Ich muß mir das Wrack unbedingt ansehen. Heute abend noch.“ „Dann aber bitte ohne mich. Ich friere nämlich ganz abscheulich.“ Peter begleitete Monica bis an den Garteneingang der Villa, gab ihr einen Gutenachtkuß und ging dann eilig zum Flußufer hinunter – in der Richtung, die sie ihm gewiesen hatte. Das war ja eine merkwürdige Geschichte. Wie kam eine Maschine der UNIVERSUM nach New Frisco, das doch weit abseits aller von dieser Gesellschaft unterhaltenen Luftverbindungen lag? Monica mußte sich geirrt haben. Oder sollte Captain Dreadnought – entgegen jeder Vereinbarung – die Ma66
schine zu einem Erkundungsflug an den Kongo eingesetzt haben? Peters Gedankengang erfuhr eine jähe Unterbrechung. Aus den Nebelschwaden zur Rechten und zur Linken tauchten plötzlich zwei vermummte Gestalten auf – Araber, ihrer Kleidung nach zu urteilen – und vertraten ihm den Weg. Ehe er noch eine Bewegung ausführen, einen Schrei ausstoßen konnte, hatten sie sich auf ihn gestürzt, ihn zu Boden geworfen und ihm einen Sack über den Kopf gestülpt. Peter fühlte sich emporgehoben und unsanft über den Boden gezerrt. „He, paß doch auf, du Trottel“, flüsterte eine ihm wohlbekannte Stimme. „In die andere Richtung – zum Fluß hinunter! Wir geraten den Strolchen sonst direkt in die Arme!“ „Verflucht und zugenäht! Du hast recht, Hein. Da kommen die Strauchdiebe schon.“ Peter hörte das Trampeln näherkommender Schritte. Dann ein heiseres Kommando und vereinzelte Schüsse. Die beiden Araber hatten ihn aufgehoben und schleppten ihn durch dorniges Gestrüpp, das ihm Kleidung und Hände zerriß. Endlich legt man ihn nieder und zog ihm den Sack vom Kopf. „Pst, Peter, verhalte dich ruhig“, sagte einer der Wegelagerer. Peter richtete sich auf. „Hein und Hugo! Das hatte ich mir fast gedacht. Was, zum Teufel, soll diese Maskerade?“ „Still doch, zum Donnerwetter!“ zischte der Kleine, der in seiner maurischen Tracht aussah wie ein Pfannkuchen auf Beinen. „Wenn die Schufte uns erwischen …“ „Von wem redest du überhaupt?“ „Von dem halben Dutzend Gangster, die Blackwood gemietet hat, dich umzulegen. Sie hatten dir fünfzig Schritt weiter stromabwärts einen Hinterhalt gelegt. Leider konnten wir dich nicht mehr rechtzeitig warnen. So blieb uns nichts anderes übrig, als ihnen zuvorzukommen.“ 67
„Heißen Dank, Jungens! Das habt ihr gut gemacht. Aber wie kommt ihr überhaupt hierher?“ „Mit dem Hubschrauber“, verkündete der lange Hugo harmlos. „Aha, und dann seid ihr in den Kongo geplumpst, wie?“ „Kein Gedanke! Wir sind gelandet, wie sich’s gehört, und haben dann die Maschine in den Fluß rutschen lassen. Womöglich hätte man uns sonst gesucht und – verdammt, da kommen sie zurück! Sie suchen das Flußufer ab.“ „Dann sollen sie wenigstens etwas finden“, grinste der dicke Hein. „Sag, Peter, könntest du dich von deiner Jacke trennen?“ „Wenn es sein muß … Sehr vorteilhaft sieht sie nicht mehr aus. Ihr seid nicht gerade zartfühlend mit mir umgegangen.“ Rasch zog er die Jacke aus und warf sie in das Gestrüpp, das bis weit in den Fluß hineinwucherte. Dann folgte er den Freunden, die bereits stromabwärts durch das Wasser wateten. Hinter ihnen zurück blieben Fackelschein und aufgeregtes Rufen. Nach einigen hundert Metern stiegen die Freunde wieder ans Ufer. Sie schüttelten sich wie nasse Hunde, und setzten dann rasch ihren Weg fort. Plötzlich kam die Gegend Peter bekannt vor. Die Umrisse eines Gebäudes ragten aus dem Nebel. Es war die Villa Gerard Blackwoods. „Hier hinein, Peter.“ Hein Dünnebier dirigierte den Freund durch ein halboffenes Tor und schloß es lautlos, nachdem auch Hugo Hansen eingetreten war. Peter war sofort im Bilde. „Ihr seid wohl nicht recht bei Trost, was? Direkt in die Höhle des Löwen …“ Der dicke Hein lachte. „Keine Sorge, Peter! Hier sucht man uns zuallerletzt.“ *
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„Wir müssen sie suchen, Captain.“ Es kam nicht gerade häufig vor, daß der wohlbeleibte Alexander Roland Dixieland sich in den dreizehnten Stock des „Glaspalastes“ verirrte, wo die Diensträume des Sicherheitsdienstes der UNIVERSUM lagen. Und Captain Dreadnought war sich denn auch der Größe des Augenblicks völlig bewußt. „Vermutlich meinen Sie unser kostbares Kleeblatt, die Herren Hagen, Hansen und Dünnebier?“ erkundigte er sich höflich. Dixieland schleuderte die brennende Zigarre in den Papierkorb des Sicherheitschefs. Hier, wo er sich außer Reichweite seiner strengen Vorzimmerdame wußte, konnte er es sich ja leisten. „Ihr Scharfsinn ist einzigartig, Captain. Sagen Sie mir lieber, was geschehen soll. Es handelt sich um unsere drei besten Männer. Alle drei sind spurlos verschwunden.“ „Ich glaube, ihr Verschwinden ist noch kein Grund zur Beunruhigung, Sir. Hansen und Dünnebier haben uns sowieso nicht erzählt, wohin sie reisen wollten – obwohl ich da gewisse Vermutungen habe. Und was Kapitän Hagen anbetrifft, so ist er schon mit schwierigeren Aufgaben fertig geworden. Vergessen Sie nicht, er befindet sich in New Frisco, um sich zu verloben.“ „Vielleicht ist gerade das die schwierigste Aufgabe, die ihm je unterlaufen ist“, entgegnete der Generaldirektor düster. „Seit drei Tagen hat er sich nicht mehr gemeldet.“ „Aber, ich bitte Sie, Sir! Das besagt doch nicht viel. Verliebte junge Leute haben meist andere Dinge im Kopf, als sich täglich zweimal nach dem Befinden ihrer alten Tante zu erkundigen.“ „Sie mögen sagen, was Sie wollen, Captain, – mir gefällt diese Sache nicht. Ich kenne Hagen als absolut zuverlässigen Menschen. Er hätte sich unbedingt an unsere Abmachung gehalten, wenn er nicht – daran gehindert worden wäre.“ „Hm.“ Der lange Dreadnought machte ein finsteres Gesicht. Er trat ans Fenster und blickte grübelnd in die Tiefe, wo der 69
Verkehr um die Grundfesten des großen Verwaltungsgebäudes brodelte. „Ein schöner Rücken kann zwar auch entzücken“, knurrte Dixieland ärgerlich, „aber der Ihrige dürfte darauf kaum Anspruch erheben. Ich will endlich eine vernünftige Antwort hören, Captain, was Sie zu unternehmen gedenken.“ Der Sicherheitschef drehte sich langsam ins Zimmer zurück. „Verzeihung, Sir“, grinste er. „Ich bin gerade dabei, mir den Fall zu überlegen.“ „Sie scheinen aber eine verdammt lange Leitung zu haben, Verehrtester. Was gibt es da überhaupt zu überlegen? Wie wäre es, wenn wir nach New Frisco flögen und den Leuten mal ein wenig auf den Zahn fühlten?“ „No, Sir – das läge gewiß nicht in Hagens Sinn. Jeder offizielle Besuch in New Frisco trägt nur dazu bei, das Mißtrauen der EURAFRICA-Leute zu vermehren. Schon Toreros Besuch, der im übrigen ein völliger Schlag ins Wasser war, hätte besser unterbleiben sollen. Wenn man diesen gerissenen Burschen auf die Spur kommen will, muß man behutsamer vorgehen.“ „Und verliert dabei am Ende seine tüchtigsten Mitarbeiter. No, Captain, da mache ich nicht mit. Ich erwarte von Ihnen, daß Sie etwas unternehmen, und zwar sofort.“ Captain Dreadnought kaute auf den Spitzen seines Schnurrbarts, der seinem Gesicht etwas ungemein Martialisches gab. „Also gut, Sir“, entschied er endlich. „Ich werde Kommissar Cunning nach New Frisco schicken.“ * Das einzige, was dem Betrachter an Bill Cunnings Erscheinung auffallen konnte, war – so paradox es klingen mag – seine Unauffälligkeit. Cunning, ein Beamter in mittlerem Alter, wirkte wie der Pro70
totyp des gesetzten Bürgers. Sein Gesicht war bartlos und völlig nichtssagend, mit beinahe etwas weichlichen Zügen. Stets war er mit dem landesüblichen, hellen Anzug bekleidet, der leicht zerknittert und durchgeschwitzt war. Ein abgegriffener Tropenhelm zierte sein Haupt. „Ich muß sofort Mister Hagen sprechen“, erklärte der Kommissar, als er nach seiner Ankunft in New Frisco Middletons Haushofmeister gegenüberstand. „Eine dringende Familienangelegenheit …“ „Sorry“, unterbrach ihn der Bedienstete. „Mister Hagen –‚ äh – ist leider nicht da. Ich werde Sie zu Mister Blackwood führen.“ Gerard Blackwood, der den Besucher im Arbeitszimmer des Managers empfing, machte ein finsteres Gesicht. Dem erfahrenen Kriminalisten schien es, als lägen in seinen Zügen Mißtrauen, Bosheit und eine gehörige Portion von schlechtem Gewissen miteinander in Widerstreit. „Wilson, in Firma Hunter & Hunter, Ltd., Rechtsanwälte in Aurora“, stellte sich Cunning vor, einer plötzlichen Eingebung folgend. „Ich habe Mister Hagen im Auftrag meiner Chefs eine betrübliche Nachricht zu überbringen. Seine Tante, Miß Dannenbaum …“ Blackwood winkte ungeduldig ab. „Sie können Mister Hagen leider nicht sprechen. Er befindet sich – ahem – nicht mehr bei uns.“ Der Besucher riß die Augen auf. „Nicht mehr in New Frisco? Ja, wo steckt er denn jetzt?“ „Ich kann es Ihnen leider nicht sagen“, erwiderte Blackwood. „Mister Hagen verließ uns vor ein paar Tagen, ohne sein Reiseziel anzugeben. Wir nahmen an, er sei längst wieder in Aurora.“ „Sie lügen, Mister Blackwood!“ Cunning fuhr überrascht herum. In der Tür stand eine junge Dame und blickte den Assistenten mit flammenden Augen an. Der Kommissar stand auf und verbeugte sich. 71
„Sie wollten Mister Hagen sprechen?“ wandte sich das junge Mädchen an ihn. „Er ist leider verschwunden. Wir fürchten, daß er bei einem nächtlichen Spaziergang in den Fluß stürzte. Man fand seine Jacke am Ufer.“ In Cunning erwachte das Interesse des Detektivs. „Wo ist die Jacke? Darf ich sie mal sehen?“ „Gern.“ Monica eilte hinaus und kam gleich darauf mit dem stark ramponierten Kleidungsstück zurück. Bill Cunning nahm es ihr ab und prüfte es gewissenhaft. „Das geht doch wohl zu weit“, brummte Blackwood. „Ich denke, Sie seien in einer Erbschaftsangelegenheit gekommen, Mister …“ „Cunning, Kommissar Cunning“, vollendete der Besucher gedankenlos. „Sagen Sie, Madame, befand sich diese Jacke bereits in einer ähnlichen Verfassung, als Sie Mister Hagen zum letzten Mal sahen?“ „Aber erlauben Sie mal! Peter – das heißt: Mister Hagen – pflegte stets äußerst sorgfältig gekleidet zu gehen.“ „Ich weiß. Dann kann er also nur das Opfer eines Verbrechens geworden sein. Er wurde überfallen und hat sich zur Wehr gesetzt. Dabei ging seine Jacke in Fetzen. Die Banditen warfen ihn in den Kongo, vergaßen aber, die Spuren ihres Verbrechens zu tilgen.“ „Jetzt langt’s aber“, donnerte Blackwood. „Sie sind wohl übergeschnappt, Herr? Wer sind Sie denn nun in Wirklichkeit, Sie angeblicher Büroangestellter?“ „Kommissar Cunning aus Aurora. Sie scheinen schwerhörig zu sein, wie? Ha – was sehe ich? Da sind ja sogar Blutflecke in dem Stoff. Das ist Mord, meine Herrschaften. Ich muß sofort den Sicherheitsdienst verständigen.“ „Was müssen Sie?“ schrie Blackwood in rasender Wut. „Verschwinden müssen Sie, und sonst gar nichts. Raus, sage ich. Raus mit Ihnen! Sonst lasse ich Sie festnehmen.“ 72
„Sie wollen mich also daran hindern, einen Mordfall aufzuklären, der sich auf dem Gebiet der EURAFRICA zugetragen hat“, stellte der Kommissar sachlich fest. „Interessant …“ Blackwood fühlte, daß er zu weit gegangen war. „Die Untersuchung des Falles ist allein Sache der Polizei von New Frisco. Und nun verlassen Sie uns, bitte.“ Cunning verbeugte sich höflich vor Monica und stülpte den Tropenhelm auf den Kopf. Dann schritt er würdevoll zur Tür. Das Korpus delikti, Peters zerrissene Jacke, nahm er mit. „Auf ein baldiges Wiedersehen, meine Herrschaften!“ * Captain Dreadnought sah aus wie der leibhaftige Mord, als der Kommissar seinen Bericht beendet hatte. „Das sind ja schöne Geschichten, Cunning. Mister Dixieland wird außer sich sein. Ich muß gestehen, daß auch ich es noch gar nicht fassen kann. Peter Hagen tot? Es ist einfach nicht auszudenken.“ „Das einzig Positive ist, daß wir nun den Beweis für unsere Vermutungen in der Hand haben. Hagen muß etwas entdeckt haben. Er wußte zu viel, und deshalb mußte er verschwinden. Was sagen Sie übrigens zu meinem Beweismaterial?“ Dreadnought warf einen mißbilligenden Blick auf das zerrissene Kleidungsstück. „Sie hätten es lieber in New Frisco lassen sollen. Die dortige Polizei hätte es für ihre Ermittlungen gebraucht.“ „Hahahaha!“ Der Kommissar lachte schallend auf. „Ich kann Ihnen ganz genau sagen, wie diese Ermittlungen ausgehen, Captain. Die Geschichte verläuft im Sande. Dafür sorgen schon Middletons blanke Dollars.“ Der Captain mußte seinem Untergebenen im stillen beipflichten. 73
Wer würde es schon wagen, Untersuchungsergebnisse zutage zu fördern, die für den mächtigen Manager gefährlich werden könnten? „Haben Sie eine Spur von Hansen und Dünnebier gefunden?“ Der Kommissar lächelte vielsagend. „Dazu hat man mir leider keine Gelegenheit mehr gegeben.“ Das Telephon klingelte. Ein Transozeangespräch aus New York wurde gemeldet. Am anderen Ende war das Präsidium des Weltsicherheitsdienstes. „Hallo, Captain“, rief Antonio Torerb. „Haben Sie Nachricht von Peter Hagen?“ „Nur indirekt“, gestand Dreadnought bedrückt. „Einer meiner Beamten konnte in New Frisco ermitteln, daß Hagen ermordet wurde.“ „Herzliches Beileid!“ sagte der Präsident, aber es hörte sich beinahe heiter an. „Da weiß ich Besseres zu berichten. Eins unserer Patrouillenflugzeuge fing über Zentralafrika Funkmeldungen auf, und ein anderes bestätigte sie wortwörtlich. Sie schienen von einem sehr schwachen Sender zu stammen, waren aber doch deutlich wahrnehmbar. Der Sender funkte auf der Welle des Sicherheitsdienstes.“ „Na, und?“ „Also, zunächst einmal das Wichtigste: Peter Hagen und seine Freunde leben. Sie halten sich in New Frisco versteckt und überwachen alles, was dort vorgeht.“ „Großartig! Mir fällt ein ganzer Felsblock vom Herzen. Sie müßten es eigentlich bis New York poltern hören.“ „Ach so, Captain – dachte, es wäre ’ne Störung in der Leitung gewesen. Und nun passen Sie mal gut auf: Irgend etwas Arges bereitet sich da am Kongo vor. Ein neuer Großversuch oder etwas Ähnliches, dessen Folgen alles Bisherige übertreffen würden. Hagen will Middleton einen Warnungsschuß vor den 74
Bug geben, aber es ist unwahrscheinlich, daß er Erfolg damit hat.“ „Wahrscheinlich nicht. Aber was dann?“ „Dann sind Sie an der Reihe, Captain. Schlagen Sie rasch und gründlich zu, und bereiten Sie dem gefährlichen Zauber ein Ende. Hagen wird Sie auf jeden Fall verständigen. Halten Sie sich bereit!“ * Monica Middleton nahm all ihren Mut zusammen, als sie auf die Tür zum Arbeitszimmer ihres Vaters zuging und nach kurzem Zögern anklopfte. Der Manager war an diesem Nachmittag ungewöhnlich früh nach Hause gekommen. Er sah erschöpft und fast verzweifelt aus und schien kaum Notiz von seiner Umwelt zu nehmen. Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, hatte er sich in seinem Zimmer eingeschlossen. Noch zweimal mußte Monica klopfen, ehe sich schleppende Schritte von drinnen näherten und der Schlüssel langsam herumgedreht wurde. „Vater!“ Mit einem einzigen Blick hatte das junge Mädchen das Bild des Zimmers in sich aufgenommen, das sich in einem Zustand grausiger Unordnung befand. Akten und Pläne aller Art türmten sich auf dem Schreibtisch, lagen auf dem Teppich herum oder hingen aus den Schränken heraus. Kalter Zigarettenrauch lastete schwer in der verbrauchten Luft. Asche und Stummel lagen massenhaft auf dem Boden verstreut. Und mitten in dem Durcheinander lagen halbgeleerte Flaschen herum. „Daddy – das darfst du doch nicht!“ Hasch hatte Monica die Tür hinter sich zugezogen. Jetzt schmiegte sie sich angstvoll an den Mann, der mit glasigem Blick schwankend vor ihr stand. 75
John C. Middleton strich seiner Tochter mit einer fahrigen Handbewegung über die braunen Locken. „Ach, Kind – es ist ja doch – alles egal …“ „Sprich nicht so, Daddy“ flehte Monica. „Es ist niemals alles egal. Ich kenne deine Sorgen zwar nicht – du hast mir ja keinen Einblick mehr in deine Pläne gewährt –, aber ich ahne doch so einiges. Und ich bitte dich um alles in der Welt: Gib diese Versuche auf, ehe du dich selbst und uns alle ins Unglück stürzt. Du hast andere, nützlichere Aufgaben genug. Und du bist vermögend genug, um die Opfer verschmerzen zu können, die du schon dafür bringen mußtest.“ Eine Zornader schwoll auf der Stirn des Managers. Seine Stimme klang drohend. „Das hat dir wohl dieser Hagen eingeredet, was?“ Viel hätte nicht gefehlt, und Monica hätte sich verraten. Sie stand tatsächlich in Peters Auftrag hier. Nicht einen Augenblick hatte sie an seinen gewaltsamen Tod glauben müssen. Schon am Morgen nach seinem rätselhaften Verschwinden hatte ein Araber bei ihr vorgesprochen – offenbar einer von den neuen Arbeitern, die Blackwood in Algerien angeworben hatte, seit die einheimischen Arbeitskräfte nicht mehr ausreichten – und hatte ihr angeblich eine Bestellung von Fred Douglas überbracht. Doch als sie den Umschlag öffnete, fand sie einen Brief von Peter Hagen, der sie über alles unterrichtete und sie zugleich um strengste Verschwiegenheit bat. Seither trafen sie sich allmorgendlich bei ihrem Ausritt am Flußufer. An diesem Morgen hatte ihr nun Peter alles offenbart, was er bisher über die Vorgänge hinter den Kulissen der EURAFRICA erfahren hatte. Sie waren sich darüber klargeworden, daß alles versucht werden müßte, um die verhängnisvollen Experimente unverzüglich zu unterbinden. „Es ist – ich wollte sagen: es war – nicht allein Peters Ansicht“, wich Monica aus. „Alle Welt spricht von nichts anderem 76
mehr. Die Öffentlichkeit macht dich für all die Naturkatastrophen verantwortlich, die in letzter Zeit so viel Schaden angerichtet haben.“ „Es wird wohl halb so schlimm sein, Kind. Sollte durch unsere Versuche wirklich Schaden angerichtet worden sein, so wende ich ihn in voller Höhe ersetzen. Ein Abbruch der Arbeiten kommt gar nicht in Frage. Wenn du wüßtest, was wir damit anstreben, würdest du nicht so unüberlegt sprechen. Wir wollen der Menschheit eine neue Energiequelle erschließen, die unerschöpflich ist, wie die Sonne selbst. Das Goldene Zeitalter wird anbrechen, wenn es uns gelingt!“ Middleton hatte sich in eine Begeisterung hineingeredet, die seinen Äugen einen fanatischen Glanz verlieh. Monica betrachtete ihn zweifelnd. „Und all die unschuldigen Menschen, die bereits ihr Leben lassen mußten, wenn die Katastrophen über sie hereinbrachen, die von New Frisco ihren Ausgang nahmen? Was würdest du sagen, wenn zum Beispiel – auch ich unter den Opfern wäre?“ Das Gesicht des Managers wurde bleich wie ein Leintuch. Er griff sich ans Herz und wich ein paar Schritte zurück. „Was du da sagst, Kind …“ „Es ist die reine Wahrheit, Vater. Höre auf mit diesem Wahnsinn! Es darf nicht noch mehr Unheil entstehen.“ Schon glaubte Monica, ihre Mission zu einem glücklichen Ende geführt zu haben, als von der Tür her ein diskretes Räuspern erklang. Gerard Blackwood war unbemerkt eingetreten. Er stand da, mit einem triumphierenden Grinsen, wie der böse Geist in eigener Person. „Bitte, die Störung zu entschuldigen, aber es ist äußerst wichtig. Freshwater hat sich endlich bequemt, zu reden. Er hat uns Professor Butterfields ‚Gebrauchsanweisung’ verraten.“ Im Gesicht des Managers ging eine abgründige Veränderung vor. Der weiche Ausdruck, den Monicas Worte in ihm hervor77
gerufen hatten, verschwand und machte einem rücksichtslosen, fanatischen Leuchten Platz. Middleton stürzte sich auf den Assistenten und packte seine Schultern. „Blackwood – ist das wahr?“ Gerard Blackwood nickte nur siegesgewiß. Der Manager war wie verwandelt. „Los, Mann – schnell, meinen Wagen! Wir fahren ins Werk. Bereiten Sie alles für den entscheidenden Großversuch vor!“ * Noch am gleichen Abend erschien Monica im Versteck der drei Freunde und berichtete atemlos vom Mißlingen ihrer Mission. „Jetzt ist es soweit, Peter“, meinte Hein Dünnebier bedeutungsvoll. „Jeden Augenblick kann die Bombe platzen.“ Der lange Hugo machte sich bereits an seinem Funkgerät zu schaffen. „Wenn wir Schwein haben, ist gerade eine Staffel vom Weltsicherheitsdienst in der Nähe, die den Funkspruch nach Aurora weitergeben kann. In Direktverbindung schaffen wir’s nicht.“ Der Funker hatte Glück. Seine Meldung wurde aufgefangen. Sekunden später wußte man in Aurora bereits, was sich am Ufer des Kongo vorbereitete. Captain Dreadnought gab Alarm. Auf dem großen Raketenflugfeld im Norden der Stadt standen die Staffeln der modernen Raketen-Transporter startbereit. Die Abteilungen des Werksicherheitsdienstes warteten auf ihren Einsatzbefehl. Doch zunächst stieg nur ein einziges Flugzeug auf: eine schnelle Kuriermaschine, die Professor Sörensen nach New Frisco brachte. Der erfahrene Fachmann sollte sich noch einmal persönlich vom Stand der Dinge überzeugen, ehe man es wagen durfte, den ganzen Apparat des Weltsicherheitsdienstes gegen ein privates Unternehmen aufzubieten. 78
Professor Sörensen wurde bereits auf dem Flugplatz von New Frisco festgenommen. Es gelang ihm nicht, zu Middleton oder auch nur bis zu Gerard Blackwood vorzudringen. Erst als er absolut nicht nachgeben wollte, ließ der Werkschutzleiter den Gelehrten unter starker Bewachung ins Werk schaffen. Auch hier war es nur Jim Gordon, mit dem er sprechen konnte. Der einstige Assistent Professor Butterfields hörte sich Sörensens Bedenken mit überlegenem Lächeln an und antwortete mit einer wegwerfenden Gebärde. „Wir stehen unmittelbar vor Abschluß unserer Versuchsreihe, Professor. Es ist das große, entscheidende Experiment. Es wird und muß uns gelingen – und dann wird die Welt ein Wunder erleben, wie es die kühnste Phantasie sich nie und nimmer erträumt hätte. Der ‚Stein der Weisen’ wird das Goldene Zeitalter für die Menschheit eröffnen.“ Sörensen hielt Jim Gordon für einen Dilettanten. Seine schwülstige Ausdrucksweise widerte ihn an. Aber er zwang sich zu einer sachlichen Frage: „Wenn ich richtig orientiert bin, experimentieren Sie mit extrem energiereichen Strahlungen. Ich hoffe, daß Sie alle erforderlichen Vorsichtsmaßnahmen ergriffen haben, um jede Gefährdung der Allgemeinheit auszuschließen. Wie Ihnen bekannt sein dürfte, hat man die Naturkatastrophen der letzten Zeit verschiedentlich mit Ihren Versuchen in Zusammenhang gebracht.“ „Albernes Geschwätz“, fuhr Gordon auf. „Ich bin überrascht, daß ein Gelehrter von Ihrem Rang sich überhaupt damit abgibt. Sie riskieren Ihren Ruf als Wissenschaftler, Professor.“ „Das lassen Sie getrost meine Sorge sein, junger Mann. Ich wäre Ihnen sehr verbunden, wenn Sie mich über den Stand Ihrer Sicherheitsvorkehrungen unterrichten würden.“ Jim Gordon kaute gelangweilt auf den Fingernägeln. Jetzt flog ein unverschämtes Grinsen über seine ausdruckslosen Züge. 79
„Aha – verstehe schon – wollen wohl ein bißchen Werkspionage treiben, wie?“ Mit zwei, drei Schritten war er an der Tür, riß sie auf und winkte dem draußen wartenden Werkschutzbeamten. „Hallo, Duclaux – der Herr Professor wünscht zu gehen.“ * „Hinausgeworfen hat mich der Affe“, beendete Professor Sörensen seinen Grimmbericht. „Einfach hinausgeworfen. Und ich weiß auch, warum.“ Im Hauptquartier Captain Dreadnoughts, im „Glaspalast“ zu Aurora, herrschte Hochspannung. Vor dreißig Minuten war Präsident Torero mit einem Teil seines Stabes und einer Fallschirmeinheit aus New York eingetroffen; und eine Viertelstunde später meldete sich auch Sörensen – wutgeladen – wieder zurück. „Sollen wir?“ fragte der hagere Captain, mit einem Blick auf den Präsidenten, und zog das Tischmikrophon zu sich heran. Antonio Torero war noch immer unentschlossen. „Ich weiß nicht so recht Unser Professor ist doch im Grunde genommen genauso klug aus New Frisco zurückgekehrt, wie er zuvor war …“ „Oho“, protestierte Sörensen. „Ich bin sogar restlos im Bilde. Die Sache ist oberfaul. Dennoch – wir könnten alles verderben, wenn wir im unrechten Augenblick eingriffen. Hören Sie, Gentlemen: Im Wirrwarr meines Aufbruchs in New Frisco war plötzlich ein Arbeiter neben mir, der sich mit ‚Peter Hagen’ vorstellte. Er erklärte mit hastigen Worten, daß er noch einmal versuchen wollte, die Durchführung des neuen Experiments zu verhindern. Sollte es ihm nicht gelingen, würde er das Alarmsignal geben.“ Das Tischtelephon schrillte. Der Captain hob ab. Seine Züge strafften sich. 80
„Peter Hagen hat das Zeichen gegeben, Gentlemen.“ Er drückte auf einen Knopf und hob das Mikrophon. „Großalarm!“ * „Alles klar zum Großversuch, Sir.“ Mit wichtiger Miene ging Jim Gordon dem Manager entgegen, der in Begleitung seines Assistenten den Schaltraum des Hauptlabors durch die Panzertür betrat. Das helle Licht der Kugellampen fiel auf die zahllosen Schalter und Anzeigegeräte, welche die Wände ringsum bedeckten. Es ließ die Gesichter der sechs Ingenieure bleich und maskenhaft hervortreten, die in gespannter Aufmerksamkeit vor den Instrumenten und Fernsehgeräten saßen. John Middleton nickte den Anwesenden zerstreut zu. „Fangen Sie an, Gordon.“ Auf einem der Fernsehschirme konnte man erkennen, wie ein schwerer Bleibehälter in der Versuchskammer von einem Gummiwagen abgeladen wurde. Die sechs Männer, die in ihren schweren Strahlenschutzanzügen aussahen wie Wesen aus einer anderen Welt, zogen sich mit dem Gefährt eilig zurück. Jim Gordon betätigte einen Druckknopf. Dichte Dämpfgläser schoben sich vor die Fernsehoptik. Dennoch wichen die Beobachter geblendet zurück, als jetzt der Bleibehälter von stählernen Roboterhänden geöffnet und die strahlende Substanz herausgezogen wurde. „Der ‚Stein der Weisen’!“ gellte eine schrille Stimme. „Hahahaha!“ Grausig hallte es in dem bunkerähnlichen Schaltraum wider. „Halten Sie gefälligst den Mund, Freshwater!“ knurrte Blackwood böse. „Sonst …“ Ängstlich kroch das Männchen auf seinem Stuhl im Hintergrund in sich zusammen. 81
„Mit was für Material arbeiten Sie?“ Der Manager deutete auf den Stapel mittelgroßer Kugeln, der im Halbkreis um das strahlende Element aufgebaut war. „Ich verwende Uran 238, Sir“, erwiderte Gordon. Middleton legte das Gesicht in besorgte Falten. „Ein etwas kostspieliger Stoff – und unter Umständen nicht ganz ungefährlich.“ „Freshwater hat es uns gesagt“, erklärte Blackwood. „Er hat alle diese Angaben von Professor Butterfield bekommen. Die Kammer wird jetzt evakuiert und dann mit atomarem Wasserstoff und Ozon gefüllt.“ Jim Gordon schaltete die Luftpumpen ein. In diesem Augenblick flog die schwere Panzertür auf. Ein hochgewachsener, junger Mann stürzte herein, heftig bemüht, zwei Werkschutzmänner abzuschütteln, die wie Kletten an ihm hingen. Ein Haufen anderer drängte hinter ihm herein. „Aufhören!“ brüllte der Eindringling. „Mister Middleton, stoppen Sie den Versuch sofort! Haben Sie denn noch immer nicht begriffen, daß das purer Wahnsinn ist? Sobald Sie die Spannung anlegen, fliegt ganz New Frisco in die Luft.“ Der Manager starrte entgeistert auf die Erscheinung. „Mister Hagen! Oh, da wird sich meine Tochter aber freuen. Wir dachten, Sie wären ertrunken.“ „Denken ist Glückssache, Sir. Nochmals: Lassen Sie den Versuch abbrechen, ehe es zu spät ist.“ „Ich denke gar nicht daran“, brauste Middleton auf. „Was bilden Sie sich eigentlich ein, junger Mann?“ „Luftdruck auf 20 Millimeter gesunken“, meldete einer der Meßtechniker. „Das genügt“, entschied Gordon. „Pumpen stop! Ozon einströmen lassen – danach Wasserstoff!“ Peter hatte plötzlich das Empfinden, als sei er unter eine Kinderschar geraten, die ahnungslos mit hochbrisanter Munition 82
spielte. Doch ehe er noch ein weiteres Wort hervorbringen konnte, hörte er Blackwoods höhnische Stimme: „Raus mit dem Kerl! Bringt ihn auf Nummer Sicher! Wir sprechen uns noch, Hagen. Jetzt habe ich keine Zeit für Sie.“ Dumpf fiel die schwere Tür ins Schloß … Die wackeren Werkschutzmänner hatten alle Hände voll zu tun, um ihren ungebärdigen Häftling zu bändigen. Sie waren so beschäftigt, daß sie die beiden arabischen Arbeiter gar nicht bemerkten, die sich vor dem Bunker herumdrückten. Und als die Tränengasbombe in ihrer Mitte mit dumpfem Knall explodierte, war es bereits zu spät. * „Hugo!“ brüllte Peter Hagen immer wieder. „Hugo!“ Halbblind und tränenüberströmt torkelte er zwischen den Freunden dahin, die ihn nach wenigen Schritten in ein parkendes Auto stießen und mit ihm davonbrausten. „Bin ja da“, brummte der lange Funker und duckte sich respektvoll unter den schlechtgezielten Pistolenkugeln der Werkschutzmänner. „Wo brennt’s denn?“ „Fahrt wie die Teufel, Jungens! Hugo muß Aurora alarmieren. Sofort! Es geht um Sekunden..“ „O. K., Peter.“ Hein Dünnebier, der am Steuer saß, gab Gas … Im Schaltraum hatten die Versuchsvorbereitungen ihren Fortgang genommen. Im Augenblick, als die Gase in die Versuchskammer einströmten, leuchtete der ganze Raum in einem magischen, bläulichen Licht auf. Die Zeiger der Fernanzeigegeräte schossen sprunghaft in die Höhe. Die Geiger-Zähler gebärdeten sich wie verrückt. Middleton, Gordon und die Techniker wechselten besorgte Blicke. Der Manager schaute sich nach Freshwater um, der mit einem undeutbaren Lächeln in seinem Stuhl hockte. 83
„Sind Sie auch sicher, Mister Freshwater, daß alles in Ordnung ist?“ Die Stimme des Managers klang heiser. Freshwater rührte sich nicht. Gerard Blackwood verlor die Geduld. „Natürlich ist alles in Ordnung. Spannung anlegen, Miller!“ „Moment mal!“ Middleton fiel dem Techniker in den Arm. „Wie hoch müssen wir hinaufgehen, Gordon?“ „Eine Million Volt“, flüsterte der Gefragte, seltsam geistesabwesend. „Ist das nicht doch – etwas gewagt?“ „Wir müssen weitermachen, Sir“, drängte Blackwood. „Fangen Sie an, Miller! Gehen Sie allmählich zunächst bis auf 500 000 Volt.“ Der Techniker gehorchte. Monoton klang seine Stimme in die atemlose Stille: „Fünfzigtausend Volt – hunderttausend – hundertfünfzigtausend …“ Auf dem Bildschirm rührte sich nichts. Plötzlich gellte ein irrsinniges Gelächter durch den Raum. Alle fuhren erschrocken herum. Clyde Freshwater war von seinem Sitz aufgesprungen und tanzte mit grotesken Sätzen hin und her. „Ihr Narren – ihr Idioten! Habt euch doch von mir aufs Glatteis führen lassen. Hihihihi! Jetzt ist es aus mit euch – aus, sage ich. Aus!“ „Zweihunderttausend“, zitterte Millers Stimme vom Schaltpult her. In diesem Augenblick zuckte ein greller Blitz über den Bildschirm. Ein fürchterlicher Stoß warf die Menschen im Schaltraum durcheinander. Das Licht erlosch. Und dann rollte ein Höllenlärm heran, als sollte die Welt untergehen. Als die gigantische Explosionswolke aus den Werkanlagen der EÜRAFRICA brodelnd in den Himmel stieg, befand sich Peter Hagen mit seinen Freunden bereits auf dem Rückweg. Sie 84
hatten von ihrem Unterschlupf aus Aurora alarmiert, waren in die Strahlenschutzanzüge geschlüpft, die Hein und Hugo in kluger Voraussicht „organisiert“ hatten, und rasten nun mit äußerster Fahrt über die schnurgerade Betonstraße dahin. Vor Middletons Villa ließ Peter halten. „Monica!“ gellte sein Ruf durch den sinkenden Abend. Der Haushofmeister kam ratlos aus der Haustür gestolpert. „Oh, Mister Hagen, Sie hier? Miß Monica ist nicht da.“ „Nicht da? Wo ist sie denn, zum Teufel?“ „Sie ist ins Werk gefahren – wollte zu Mister Middleton, wie sie sagte.“ „Fahr zu, Hein!“ Der Wagen schoß davon, dem unheimlichen, wabernden Rauchpilz entgegen. Da war eine Sperrkette von Werkschutz und Polizei. Hein ließ das Boschhorn aufheulen. Die Männer spritzten auseinander. Fliehende kamen ihnen entgegen, in Autos oder zu Fuß. Sie retteten sich in letzter Sekunde vor dem rasenden Vehikel. Vor einem zusammengebrochenen Gebäude, dessen Trümmer über den Fahrdamm verstreut lagen, bremste Hein scharf. „Schluß, meine Herren! Wir müssen zu Fuß weiter. Wohin willst du eigentlich, Peter?“ „Zum Hauptlabor! Kommt, weiter.“ Im Zentralteil der gewaltigen Werkanlagen empfing sie ein Bild völligen Durcheinanders. Mehrere Gebäude waren eingestürzt oder standen in Flammen. Feuerwehr und Werkschutz kämpften machtlos gegen das Tohuwabohu am Schreiende Menschenmassen rasten kopflos hin und her. Peter bekam einen Polizeioffizier zu fassen. „Wo ist Mister Middleton?“ Der Angeredete starrte ihn verständnislos an und zuckte die Achseln. Peter rannte weiter. Vor dem, Eingang des Kosmotrons stieß er unvermittelt auf Monica. 85
„Peter!“ Sie taumelte auf ihn zu und sank in seine Arme. „Peter – wir müssen Vater herausholen. Er steckt noch im Bunker. Niemand wollte mir helfen.“ Peter winkte seinen Freunden. Sie fanden das Tor des Beobachtungsbunkers von Trümmern blockiert und brauchten eine gute halbe Stunde, um es freizulegen. Peter schlüpfte hinein. Als er zurückkehrte, war sein Gesicht kreidebleich. „Nur Middleton ist mit dem Leben davongekommen“, berichtete er. „Alle anderen …“ Ein Beben lief durch den Boden. Krachend stürzte ein Laborhaus zusammen, das knapp fünfzig Schritt von ihnen entfernt stand. An einem Dutzend Stellen zugleich öffnete sich der Boden und spie Flammen und Rauch. Peter hob Monica in seine Arme. „Kümmert euch um Middleton, Hein! Wir treffen uns vor dem Hauptlabor.“ Auf dem freien Platz vor dem Laboratorium staute sich eine ratlose Menschenmasse. Aus allen Richtungen strömten die Flüchtlinge zurück. „Wir sind ringsum eingeschlossen“, berichtete der Polizeioffizier. „Überall bricht Feuer aus dem Boden. Die Häuser, die Wälder, selbst die Steine brennen. Weiß der Teufel, was diese Idioten da zusammengebraut haben.“ Blitzartig wurde Peter klar, was geschehen war. Die strahlende Substanz mußte bei der Explosion in den Erdboden eingedrungen sein und dort ihr Vernichtungswerk vollführen. Er selbst und alle ringsum – sie standen auf einem Vulkan, der sie jeden Augenblick verschlingen konnte. „Stein der Weisen“, hatte Fred Douglas den mörderischen Stoff genannt. Fred Douglas? Ein jäher Gedanke schoß Peter durch den Kopf … „Alle mal herhören!“ Gerade in diesem Augenblick brachten Hein und Hugo den verunglückten Manager angeschleppt. Ein Wutschrei ging durch die Menge. „Schlagt ihn tot, den Schuft! Er ist an allem schuld!“ 86
„Ruhe!“ donnerte Peter. „Wenn wir hier noch länger warten, sind wir allesamt verloren. Kommt mit – zur Abteilung Douglas!“ Die Männer folgten seinem Befehl – froh, daß in dieser Hölle aus Flammen und Panik endlich einer das Kommando übernahm. Kaum hatte sich der Platz geleert, als der Boden barst und eine mächtige Feuersäule in den Himmel schoß. Fred Douglas’ Abteilung hatte bislang verhältnismäßig wenig gelitten. Rasch entwickelte ihm Peter seinen Plan. Der Physiker schlug sich mit der flachen Hand an die Stirn. „Daß ich nicht selbst daraufgekommen bin …“ Minuten später verließ ein seltsamer Zug das brennende Werkgelände. Eine Schlange von Güterwagen, mit Menschen vollgestopft, raste in atemberaubendem Tempo durch den in hellen Flammen stehenden Wald. Sie wurde gezogen von Douglas’ Atomkraftlokomotive, die ihre Jungfernfahrt mit Glanz bestand. Auch der Unterbau, in starker Betonkonstruktion ausgeführt, hielt stand. Als der Boden schließlich auch hier schmolz und Urwald und Schienen verschlang, waren die Flüchtlinge in Sicherheit. Vor ihnen wimmelte die Ebene von Captain Dreadnoughts Streitkräften. Sie waren vollauf mit der Evakuierung der Wohngebiete von New Frisco beschäftigt, die erst nach und nach von der Vernichtung ergriffen wurden. Ebenso plötzlich, wie der Atombrand ausgebrochen war, erlosch er auch wieder. War die Kraft der strahlenden Substanz aufgezehrt – oder war sie auf eine Schicht im Boden gestoßen, die ihrem weiteren Zerstörungsweg einen Riegel vorgeschoben hatte? Niemand vermochte es zu sagen. * Peter Hagen hatte Monica in einem Farmhaus an den StanleyFällen, das dem Manager gehörte, zurückgelassen. Sie wollte 87
dort ihren Vater gesundpflegen, der sich bereit erklärt hatte, sich nach seiner Wiederherstellung vor dem Internationalen Gerichtshof zu verantworten und für jeglichen Schaden aufzukommen, den er durch seine Versuche verschuldet hatte. Er selbst flog mit seinen Getreuen nach Aurora zurück, um sich bei Generaldirektor Dixieland zurückzumelden. „Nun“, empfing ihn der Chef gutgelaunt, „haben Sie den Zweck Ihrer Reise erreicht?“ „Ich glaube“, erwiderte Peter sinnend, „ich kann soweit zufrieden sein.“ Alexander Roland Dixieland erhob sich wuchtig. „Dann darf ich Ihnen also zur Verlobung gratulieren?“ Peter stand da wie ein begossener Pudel. „Nein, Sir, – nein, noch nicht! Daran habe ich vor lauter Aufregung gar nicht mehr gedacht.“ Ende
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Sie lesen im nächsten 68. UTOPIA-Kleinband
Welt in Flammen van James Norton Eine neue Welle unerklärlicher Naturkatastrophen sucht die Erde heim. Vulkane speien Tod und Verderben, der Boden schmilzt, Städte sinken in Schutt und Asche. Panik ergreift die Menschheit. Die Welt steht in Flammen! Sind es unbekannte Mächte aus dem Weltall, die ihr Vernichtungswerk auf der Erde vollführen? Ist es die Erde selbst, die ungeahnte Kräfte der Zerstörung entfesselt? Ein namhafter Atomforscher findet des Rätsels Lösung – und eine Handvoll kühner Männer bricht auf, um den Weltbrand einzudämmen. Nie zuvor erlebte Abenteuer gilt es im Kampf mit den entfesselten Naturgewalten zu bestehen, ehe die Gefahr für die Erde und Menschheit gebannt ist. Ereignis reiht sich an Ereignis im 68. UTOPIA-Kleinband. UTOPIA-Kleinbände erscheinen vierzehntäglich Science Fiction-Zukunftsromane, 48 Seiten, Preis –,50 Pf UTOPIA-Großbände erscheinen monatlich Science Fiction in deutscher Sprache, 100 Seiten, Preis 1,– DM Wissenschaftliche Zukunftsromane des XX. Jahrhunderts UTOPIA-Krimi erscheinen monatlich Utopisch-phantastische Kriminalromane, 100 Seiten, Preis 1,– DM Die bisher erschienenen UTOPIA-Großbände Science Fiction, UTOPIA-Kleinbände, Jim Parkers Abenteuer im Weltraum und UTOPIAKrimi sind, soweit nicht vergriffen, noch zu beziehen und auf den Bestellzetteln ersichtlich.