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Seewölfe 247 1
Burt Frederick 1.
Capitan Juan Sanchez Sarmiento durchmaß den Raum mit unruhigen Schritten. Seine Bewegungen hatten die Gereiztheit einer Raubkatze im Käfig. Das prasselnde Kaminfeuer vermochte seine Nerven nicht zu beruhigen. Trotz der Wirren der zurückliegenden Geschehnisse hatte jemand Gelegenheit gefunden, die Holzscheite anzuzünden. Für den hochgewachsenen Spanier eine pure Ironie. Zu dem Zeitpunkt, als das Kaminholz von seinen Ordonnanzen bereitgelegt worden war, hatte die Zitadelle von Ferro noch ihren Erbauern gehört, den Repräsentanten der ruhmreichen spanischen Nation. Jetzt, von einem Tag auf den anderen, symbolisierte das verdammte Kaminfeuer, wie sehr sich die Verhältnisse auf Ferro geändert hatten. Da waren Bastarde, die sich erdreisteten, jenes wärmende Feuer zu entfachen, das eigentlich dem Kommandanten und seinem Offiziersstab vorbehalten war. Jawohl, Bastarde waren es, die sich hier ins warme Nest gesetzt hatten. Pöbel ohne einen Funken von Anstand und Gottesfurcht. Es war kühl an diesem Septembermorgen des Jahres 1591. Ferro, die westlichste und zugleich kleinste der Kanarischen Inseln, war mit dichtem Nebel umhüllt. Noch gab es kein Anzeichen dafür, daß sich die milchigen Schwaden auflösen und die grünen Hügel der Insel entblößen würden. Capitan Sarmiento blieb zum wiederholten Male vor einem der Fenster stehen, ballte die Hände zu Fäusten und wippte auf den Zehenspitzen. Der Nebel ersparte ihm den Blick auf den Hafen. Nur die „Sevillana“ lag dort noch an der Mole, überladen mit seinen am Leben gebliebenen Männern, deren Stolz von einer wilden Meute irischer Höllenhunde gebrochen worden war. Eben jene Meute hatte die beiden anderen Galeonen noch im Hafen versenkt, ehe sie auch nur Segel setzen konnten. In ihrer blindwütigen Entschlossenheit, mit der sie die Festung im Handstreich
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genommen hatten, waren diese Kerle wahrhaftig einem Rudel todesverachtender Wölfe gleich gewesen. Im hintersten Winkel seiner Gedanken mußte Sarmiento allerdings gestehen, daß Trägheit und übersteigerte Selbstsicherheit entscheidend zu dem Debakel beigetragen hatten. Vergeblich versuchte er, diesen Gedanken zu unterdrücken. Stimmen wurden laut. Rauhe Stimmen, begleitet von hallenden Stiefeltritten. Capitan Juan Sanchez Sarmiento drehte sich um. legte die Hände auf den Rücken und sah zur Tür, die von außen verriegelt worden war. Außerdem hatten sie einen Wachtposten aufgestellt. Auch das war eine Demütigung. Die irischen Bastarde hielten den stellvertretenden Kommandanten der Zitadelle für so unbedeutend. daß sie ihm nur einen einzigen Posten zugedachten. Und als gefährlich schätzten sie ihn offenbar auch nicht ein, denn sie hatten ihn nicht einmal in Ketten gelegt, geschweige denn gefesselt. Was sie draußen vor der Tür herumgrölten, verstand er nicht. Ihre keltische Sprache war so rauh und unkontrollierbar wie sie selbst. Der Riegel bewegte sich klirrend. Dann flog die Tür unter einem Fußtritt auf und krachte gegen die Innenwand aus Quadersteinen. Capitan Sarmiento bemühte sich, Haltung zu bewahren. Hochaufgerichtet blickte er der lärmenden Horde entgegen. Dank seines mittelblonden Haars und seiner beträchtlichen Körpergröße sah Sarmiento nicht aus wie ein typischer Spanier. Auf sein respekteinflößendes Äußeres war er stets stolz gewesen, unterschied es ihn doch von seinen meist kleinwüchsigen und schwarzhaarigen Landsleuten. Nun, Respekt war bei diesem wilden Haufen wohl das, was man am allerwenigsten erwarten konnte. Gestikulierend und durcheinanderredend quollen sie herein. Der eine überschrie den anderen. Sarmiento war versucht, ein überhebliches Lächeln aufzusetzen. Disziplin schienen sie ebenso wenig zu
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kennen wie all die anderen guten Eigenschaften eines rechtschaffenen Christenmenschen. Capitan Juan Sanchez Sarmiento fühlte sich in diesem Augenblick wie ein Fels, der die abendländische Kultur zu vertreten und einer Brandung zivilisationsferner Wildheit zu trotzen hatte. Sie verteilten sich im Raum. Sarmiento erschrak. Erst jetzt sah er. daß sie den Coronel mitbrachten. Zwei rothaarige Kerle mit breitflächigen Gesichtern, die von der Trunksucht gezeichnet waren, stießen den armen Mann herein und hielten ihn auf ein Zeichen ihres Anführers fest. Coronel Luis Adriano Barroso Rubio sah wie ein Schatten seiner selbst aus, das Gesicht bleich und eingefallen, die Augen stumpf und glanzlos. Sarmiento erschauerte. Welchen Wechsel diese eine Nacht für den Kommandanten von Ferro mit sich gebracht hatte! Er versuchte, dem Obristen mit seinem Blick Mut zuzusprechen, ihm zu signalisieren, es sei noch längst nicht alles verloren. Doch Sarmiento beschlich das Gefühl, daß Rubio ihn kaum wahrnahm. Der Anführer der Iren brüllte einen barschen Befehl. Sofort verstummte die Meute. Nur auf Lautstärke schienen sie zu reagieren. Aber immerhin, sie gehorchten. Sarmiento stellte es mit heimlichen Erstaunen fest. Brendan O’Connell, so hieß der Anführer, stieß die blonde Frau von sich, die sich eben noch an seinen Oberarm geschmiegt hatte. Ihr Name war Philomena O’Donovan. Mit einem Funkeln in den Augen zog sie sich zurück zum Kamin, wo sie mit trotzigem Gesichtsausdruck vorgab, die Wärme mehr zu genießen als die Nähe ihres Gefährten. Capitan Sarmiento kannte auch die Namen der übrigen Iren, die in der Meute Führungspositionen innehatten. Mit prahlerischem Stolz hatten sie sich nach der Besetzung der Zitadelle vorgestellt. Für einen weltgewandten Spanier waren irische Namen durchaus einprägsam. Bei. seinen bisherigen drei Reisen in die Neue Welt
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hatte Sarmiento jedesmal an der irischen Westküste Station gemacht. Zu den dortigen Handelshäusern der Iren pflegte Spanien gute Beziehungen. O’Connell, der Köpf der wilden Meute, hatte einen engen Vertrauten namens James Ryan. Ryan war offenbar Schatzmeister und persönlicher Berater in einer Person. Dann gab es noch die beiden Unterführer Mick Laragh und Liam O’Driscoll. Außer den beiden Kerlen, die den Coronel gepackt hielten, standen noch vier weitere in der Nähe der Tür. Sie gehörten zum Fußvolk, wie Sarmiento feststellte. „Guten Morgen, Don Juan“, sagte Brendan O’Connell mit spöttischem Grinsen. „Richtig so? Du hast doch nichts dagegen, wenn ich dich so nenne — oder? Die anderen stimmten ein glucksendes Gelächter an, verstummten aber sofort, als ihr Anführer herrisch abwinkte. Juan Sánchez Sarmiento zog die linke Augenbraue hoch und maß den Iren mit einem unerschrockenen Blick. „Ich könnte wohl nichts dagegen tun — Paddy.“ Es war, als hätte ein Donnerschlag die Männer getroffen. Sie starrten den Spanier an, entgeistert und ungläubig. Nur der Coronel, blaß und geistesabwesend, schien von allem nichts zu begreifen. Sarmiento empfand noch immer jene herausfordernde Art von Stolz. Wenn es auch Galgenhumor sein mochte, so kümmerte es ihn nicht. Stolz deshalb, weil er diesen Namen kannte, bei dem die Iren so empfindlich reagierten. Stolz auch, weil sein Englisch besser war als ihr von keltischen Brocken durchsetztes Kauderwelsch. O’Connell trat einen Schritt auf den Capitan zu. Der Anführer der irischen Freibeuter war untersetzt und breitschultrig, hatte rotblondes Haar und einen ebensolchen Vollbart. Er reckte den Kopf vor und blinzelte. „Wie war das eben, Don Juan?“ „Sie haben es sehr wohl verstanden, Mister O’Connell. Ich sehe keinen Grund, mich zu wiederholen.“
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O’Connell furchte die Stirn. Plötzlich wandte er den Kopf zur Seite. „Habt ihr das gehört?“ „Was?“ knurrte Mick Laragh, ein knochiger und hochgewachsener Mann. Sein bartloses Gesicht war mit Sommersprossen übersät, sein braunes Haar hatte einen rostroten Schimmer. „Was er gesagt hat, du Affe!“ O’Connell brüllte es. Laragh schwieg beleidigt. James Ryan räusperte sich. Er trug einen dunklen Spitzbart, war klein, drahtig und dunkelhaarig und hatte einen füchsischen Gesichtsausdruck. „Wenn ich richtig verstanden habe, Brendan. dann sieht er keinen Grund, dich noch einmal ,Paddy’ zu nennen.“ „Mhm. So war es wohl“, brummte O’Connell und wandte sich wieder dem Capitan zu. „Einmal ist schon zuviel, Don Juan. Ich sehe also keinen Grund, dir dafür nicht eine runterzuhauen.“ Ohne erkennbaren Ansatz schlug O’Connell blitzschnell zu. Seine flache Hand klatschte in das Gesicht des Spaniers. Unter der Wucht des Schlages stürzte Sarmiento zu Boden, doch kein Schmerzenslaut drang über seine Lippen. Als er sich auf die Seite rollte und aufrichten wollte, traf ihn ein Fußtritt von Liam O’Driscoll, einem schwarzhaarigen Riesen mit wildwucherndem Vollbart. Capitan Sarmiento schlug der Länge nach hin, und die Meute johlte vor Vergnügen. Dennoch gab der Spanier keinen Laut von sich, mit dem er seine Niederlage noch betont hätte. Die blonde Frau stieß sich vom Kamin ab und lief mit wehenden Röcken herbei. Sie war üppig gebaut, und ihre Oberarme konnten an Umfang mit denen eines Mannes leicht mithalten. Tief beugte sie sich über den am Boden Liegenden. Ihr mächtiger Busen war nahe vor seinem Gesicht und schien den Ausschnitt des Leinenhemds sprengen zu wollen. Sie tätschelte seine Wangen, daß es klatschte, und sie kicherte dabei. „Da gehen dir die Augen über, was, mein Junge? Wenn du jetzt könntest, wie du
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wolltest, was? Aber das wünsche dir nur nicht, denn du wärst nicht der erste, den Philomena O’Donovan auf dem Zahnfleisch kriechen läßt!“ Die Männer brüllten vor Vergnügen. Brendan O’Connell hielt sich prustend den Bauch. Die Rechte der Frau zuckte plötzlich vor, klemmte Sarmientos Nase zwischen Zeigefinger und Mittelfinger ein und drehte. Der Spanier schrie auf. Philomena O’Donovan richtete sich grinsend auf. „Seht ihr, ihr Lappen? Da muß erst eine schwache, kleine Frau zupacken, um so einen lausigen spanischen Olivenfresser zum Quieken zu bringen!“ Wieder johlten die Männer los. O’Connell schlug seiner Gefährtin begeistert auf das Hinterteil und trieb sie von dem Capitan weg. Zornrot im Gesicht richtete sich Sarmiento auf. Er rieb sich die Nase, die ein noch dunkleres Rot als seine Gesichtshaut angenommen hatte. Breitbeinig baute sich Brendan O’Connell vor ihm auf. „In Ordnung, Don Juan. Können wir jetzt ein paar vernünftige Töne von Mann zu Mann ausspucken?“ Sarmiento ließ die Hand sinken und atmete tief durch. „Sie treffen hier die Entscheidungen, Mister O’Connell. Ich habe keine andere Wahl, als das zu akzeptieren.“ „Das hast du schön gesagt, Don Juan. Wirklich, du hast den Nagel auf den Kopf getroffen.“ O’Connell trat einen Schritt zur Seite und deutete mit einer ausladenden Handbewegung auf den Coronel, der mehr in den Fäusten seiner beiden Bewacher hing, als daß er auf eigenen Füßen stand. „Sieh dir deinen armen alten Kommandanten an, Don Juan. Ist er nicht zu bedauern? Läufst du nicht er vor Mitleid, wenn du siehst, wie verdammt ihm die ganze Sache an die Nieren geht?“ „Es ist sehr leicht, sich an einem wehrlosen Mann zu vergreifen“, sagte Sarmiento ruhig.
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„Oh, komm mir nicht so!“ brüllte O’Connell. „Wir haben den Mann nicht mal mit dem kleinen Finger angefaßt. Ihr spanischen Scheißer müßt endlich mal lernen, von eurem hohen Roß runterzusteigen.“ Seine Stimme senkte sich unvermittelt zum Flüsterton. „Und ich warne dich, Amigo! Wenn du noch mal das Wort ,Paddy` in den Mund nimmst, breche ich dir jeden Knochen einzeln im Leib!“ Sarmiento preßte die Lippen aufeinander. Immer mehr gelangte er zu der Meinung, daß diese Kerle nicht ganz richtig im Kopf waren. So, wie sie sich aufführten, waren sie nichts anderes als ein gottloser Haufen. Mit welchem Recht traten sie für die Ehre ihres Schutzheiligen St. Patrick ein? Ganz sicher hieß jeder zweite oder dritte von ihnen Patrick, also Paddy, wie überall in Irland. Sie setzten sich über alle Maßstäbe hinweg, die für einen anständigen Christenmenschen galten. Deutete man das aber an, dann führten sie sich auf, als müßten sie ihre Kirche mit dem eigenen Blut verteidigen. Und das, obwohl eben jene Kirche bestimmt nichts mehr von ihnen wissen wollte. Ja, sie waren nicht ganz richtig, da oben unter der rotbehaarten Schädeldecke. Sarmiento verbiß sich in die Überzeugung, daß er es schlicht und einfach mit Verrückten zu tun hatte. „Zur Sache jetzt“, fuhr O’Connell fort. „Daß ihr von eurer hübschen kleinen Insel verschwinden müßt, ist wohl klar. Wir wollen das aber nicht so sang- und klanglos erledigen. Deshalb habe ich dir noch einmal deinen Kommandanten mitgebracht, Don Juan. Sieh ihn dir gut an. Vielleicht ist es das letzte Mal, daß du ihn so -na, sagen wir, so heil und in einem Stück siehst.“ Abermals stimmten die Iren johlendes Gelächter an, und wieder mußte O’Connell sie zum Verstummen bringen. . „Natürlich ist der Coronel noch Herr seiner Sinne. Damit du siehst, daß wir ihn nicht mißhandelt haben, soll er selbst erklären, wie ich mir die Sache vorstelle.“ Er gab
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den Bewachern des Obristen einen auffordernden Wink. „Los, laßt ihn reden!“ Capitan Sarmiento begriff den Sinn noch nicht. Stirnrunzelnd sah er zu, wie einer der beiden Bewacher dem Coronel einen Ruck gab. „He, Senor! Don! Wir wollen eine kleine Ansprache von dir hören! Sag deinem Capitan,, was unser Freund Brendan mit dir vorhat!“ Coronel Luis Adriano Barroso Rubio erwachte aus seiner Geistesabwesenheit. Der Kommandant der Zitadelle war von schlanker Statur und mittelgroß. Seine elegante Kleidung trug die Spuren der vergangenen Nacht, die er im Kerker zugebracht hatte. Sarmiento wußte, daß sein Vorgesetzter annähernd sechzig Jahre alt war. Rubios Haar war silbergrau, nur der schmale Oberlippenbart hatte noch die ursprüngliche dunkle Farbe. Coronel Rubio räusperte sich. Seine Stimme klang brüchig wie Herbstlaub. „Diese Männer“, begann er auf Spanisch, „haben einen Plan gefaßt, durch den sie ...“ „He, he!“ brüllte O’Connell. „Wenn hier geredet wird, dann Englisch! Das gefällt uns zwar auch nicht viel besser als euer Spanisch, aber wir verlangen ja nicht, daß ihr unsere Sprache sprecht. Also noch mal von vorn, alter Mann!“ Im blassen Gesicht des Coronels zuckte kein Muskel. „Diese Männer haben einen Plan“, wiederholte er. Sein Englisch war akzentbeladen. doch sonst korrekt. „Sie wollen damit ihre Herrschaft über die Zitadelle von Ferro sichern. Ich soll als Faustpfand dafür hierbleiben, daß keine spanische Galeone es wagen wird, die Festung anzugreifen. Das ist alles, Capitan.“ Sarmiento sperrte den Mund auf. Er brachte kein Wort hervor. Dieses Vorhaben der Iren war ungeheuerlich. Coronel Rubio brachte ein müdes Lächeln zustande. „Lassen Sie nur. Sarmiento. Sie brauchen sich nicht aufzuregen. Ich habe mein Leben gelebt. Dieses Schicksal ist für mich
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weniger schwer als für einen jungen Mann.“ „Schluß jetzt“. befahl O’Connell. „Das reicht.“ Er wandte sich dem Capitan zu. „Dein Kommandant hat noch eine Kleinigkeit vergessen, Don Juan. Du hast die Aufgabe, die Nachricht so schnell wie möglich weiterzuleiten. Du weißt, wo eure nächsten Stützpunkte sind. Dort wirst du allen maßgeblichen Leuten mitteilen, daß sie bloß nicht den Fehler begehen sollen, Ferro anzugreifen. Unter jedem Angriff würde nämlich euer lieber alter Coronel sehr zu leiden haben. Begriffen?“ „Ja“, sagte Capitan Sarmiento heiser. „Ich habe verstanden.“ Sein Blick traf sich mit dem seines Vorgesetzten, und sein Mitgefühl steigerte sich so sehr, daß er sich beherrschen mußte, um seine Empörung nicht herauszuschreien. Diese Iren wußten nicht, was sie taten. Die Einfachheit ihrer Gedanken spotteten jeder Beschreibung. Glaubten sie allen Ernstes, daß an ihre Drohung überhaupt zur Kenntnis nehmen würde? Die Zitadelle von Ferro hatte als westlicher Stützpunkt eine überragende strategische Bedeutung für Spanien. Vielleicht wuchs diese Bedeutung noch, wenn in den nächsten Jahren die Pläne verwirklicht würfen. nach denen der Seeweg nach Indien erschlossen werden sollte. Wie konnten diese Phantasten annehmen, daß ein einzelner Mann der manischen Krone wichtiger war als das große politische und wirtschaftliche Ziel? Im übrigen spielte Coronel Rubio als Offizier längst keine entscheidende Rolle mehr. Er war zu alt. Den Posten auf Ferro hatte er gewissermaßen als Gnadenbrot erhalten, und er wußte das selbst. Die eigentliche Arbeit hatte stets Sarmiento in seiner Funktion als stellvertretender Kornmandant geleistet. Persönlich tat Rubio dem Capitan leid. Mehr als das. Ließ er seine Überlegungen jedoch von seinem Denken als Offizier der spanischen Krone leiten, dann war dieser Mann bereits abgeschrieben.
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Old Donegal Daniel O’Flynn legte den Kopf in den Nacken und versuchte den Morgenhimmel zu erkennen. Dunstschwaden verhinderten es noch immer. Der Nebel wollte nicht weichen. Er hing wie eine zähflüssige Suppe über dem Atlantik. „Und ich sage euch, wir kriegen eine Flaute, bei der die Segel auf und nieder stehen! Verdammt, ich merke das in jeder Faser von meinem Holzbein. Dieses Kribbeln, dieses verfluchte Kribbeln ...“ Den alten Seebären störte es nicht, daß niemand hinhörte. Er wußte auch, daß sie sich alle eins grinsten. Es war immer das gleiche mit diesen jungen Kerlen. Nie nahmen sie ernst, was er ihnen prophezeite. Wenn es aber dann tatsächlich passierte, kriegten sie regelmäßig das große Schlottern. Immerhin hatte er die sieben Weltmeere schon befahren, als die meisten von ihnen noch in den Windeln lagen. Logisch also, daß er eine Menge mehr Geschichten kannte als alle zusammen auf der „Isabella VIII.“. Die Männer auf dem Achterdeck der schlanken Galeone gaben sich denn auch keine Mühe, ihr Grinsen zu verbergen. „Keine besondere Leistung“, meinte Ben Brighton, „bei diesem Luftzug auf eine Flaute zu tippen.“ Noch standen die Segel der „Isabella“ prall, aber ihre Fahrt hatte in den frühen Morgenstunden mehr und mehr nachgelassen. Die zuvor kabbelige See hatte sich auf beunruhigende Weise beruhigt. „Mal den Teufel nicht an die Wand, Ben.“ Philip Hasard Killigrew gab dem Schiffszimmermann die aufgerollten Zeichnungen zurück. Alle Instandsetzungsarbeiten, von Ferris Tucker geplant und peinlich genau festgehalten, waren erledigt. Nichts erinnerte mehr an die Narben, die die Galeone vor den Caicos-Inseln davongetragen hatte. Laut und deutlich fügte der Seewolf hinzu: „Für Schwarzmalerei und Zukunftswunder ist
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letzten Endes Old Donegal allein zuständig.“ Die Männer, die an der vorderen Schmuckbalustrade des Achterkastells standen, drehten sich nicht um. Der zornige Knurrlaut, der vom Besanmast herübertönte, war indessen nicht zu überhören. Old O’Flynn und die beiden Söhne des Seewolfs waren dort damit beschäftigt, Tauwerk aufzuschießen und die Nagelbank zu klarieren. Ferris Tucker deutete mit dem Daumen über die Schulter. Der Schiffszimmermann der „Isabella“ war ein rothaariger Riese mit einem Kreuz so breit wie ein Rahsegel. „Das mit dem Holzbein“, sagte er gedehnt, „würde ich schon glauben.“ Ben Brighton konnte sich ein Lachen nicht verkneifen. Der breitschultrige Erste Offizier und Stellvertreter des Seewolfs schüttelte den Kopf, daß die dunkelblonden Haare flogen. „Holz lebt nicht, Ferris. Es dehnt sich aus und zieht sich zusammen. Aber daß es lebt, kannst nicht einmal du mir erzählen.“ „Habe ich auch nicht behauptet“, entgegnete Tucker. „Es geht um etwas ganz anderes. Leute, denen irgendwo ein Körperteil fehlt - ein Arm oder ein Bein -, die haben manchmal die merkwürdigsten Schmerzen. Ich erinnere mich an einen Kerl in der ,Bloody Mary’ in Plymouth. Dem hatten sie schon vor zehn Jahren das rechte Bein abgesägt. Trotzdem juckte ihm regelmäßig der rechte große Zeh, den er gar nicht mehr hatte. Immer bei Wetterumschwung.“ „Phantomschmerzen.“ Hasard nickte. „So nennt man das. Eine bekannte Tatsache.“ „Hm“, brummte Ben Brighton. „Laß das den Alten bloß nicht hören, sonst kommt er aus dem Phantasieren nicht mehr heraus.“ Philip Hasard Killigrew nickte. Seine klaren blauen Augen blitzten amüsiert. Mit seiner Körpergröße von mehr als sechs Fuß überragte er die anderen Männer. Breite Schultern und schmale Hüften unterstrichen sein imposantes Äußeres, und seine schwarzen Haare hatten manchen verblüfft, der ihn für einen typischen Engländer hielt.
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Das Ziel der „Isabella“, die vor der afrikanischen Küste auf Nordostkurs segelte, war die Straße von Gibraltar. Im Mittelmeer, so hoffte Hasard, würden sie jener geheimnisvollen Seekarte auf den Grund gehen können, deren Zeichen ihnen bislang immer noch ein Rätsel waren. Jetzt allerdings, nachdem der handige Südwest über Nacht abgeflaut war, sah es nicht mehr so aus. als ob sie Gibraltar in einem zügigen Törn erreichen würden. Wie zur Bestätigung ließ das Großsegel plötzlich ein müdes Klatschen hören. Die Blicke aller Männer richteten sich nach oben. und da war sie, diese häßliche Wellenbewegung, die durch das Tuch lief. Noch einmal blähte es sich, als wollte es sich gegen das Unvermeidliche auflehnen. Aber dann folgte wieder jenes Klatschen, und es pflanzte sich wie eine ansteckende Krankheit auf die übrigen Segel fort. Großmars-, Fock- und Vormarssegel und schließlich auch das Lateinsegel am Besanmast stimmten in das Konzert ein, dessen schlagende Lautmalerei der gesamten Crew einen Schauer über den Rücken jagte. „Seht ihr!“ Old Donegal Daniel O’Flynn blickte die beiden Söhne des Seewolfs triumphierend an. „Habe ich nun recht gehabt oder nicht?“ „Natürlich, Mister O’Flynn“, sagte Hasard junior artig. „Du hast doch meistens recht, Sir“, fügte Philip junior hinzu. Der alte O’Flynn lächelte geschmeichelt. Die Zwillinge waren so ziemlich die einzigen an Bord, die seinen Geschichten noch immer mit Spannung lauschten. So störte es ihn wenig, daß er kaum noch erwachsene Zuhörer fand. Dafür entschädigte ihn die Begeisterung in den Augen der Jungen. Äußerlich ähnelten sich die beiden wie ein Ei dem anderen. Schlank und schwarzhaarig, hatten sie den unverwechselbar gleichen Gesichtsschnitt wie der Seewolf. In ihren Bewegungen waren sie geschmeidig wie Katzen, und schon jetzt, mit ihren knapp elf Lebensjahren, standen sie ihren Mann bei
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den kleinen Arbeiten, die sie zu verrichten hatten. Old O’Flynn lehnte sich an den Besanmast und würdigte die Männer bei der Schmuckbalustrade keines Blickes. „Wißt ihr“, sagte er zu den Zwillingen und senkte seine Stimme, wie im Verschwörerton, „ich kann euch sogar jetzt schon voraussagen, was als nächstes passiert.“ „Wirklich?“ Hasard junior sah ihn großen Augen an. „Was ist es? Bitte erzähl es uns, Sir.“ Philip junior hob Sir John, den karmesinroten Ara-Papagei, von der Nagelbank und setzte ihn auf seine Schulter, als müsse es auch der Vogel für die nun folgende Geschichte bequemer haben. Sir John wiegte sich hin und her, stieß ein heiseres Krächzen aus und plusterte sein Gefieder auf. Er fuhr mit dem Schnabel durch das Haar des Jungen und genoß es offenkundig, alle Aufmerksamkeit für sich zu haben. Denn Arwenack, der Schimpanse, hatte es vorgezogen, im Logis zu bleiben, wo der Rest der Crew noch mit der Morgenmahlzeit beschäftigt war. „Da gibt es nicht viel zu sagen“, begann der alte O’Flynn. „Es ist nur so, daß wir auch ohne Wind weiter auf Nordostkurs laufen werden.“ Die beiden Jungen sperrten den Mund auf. „Ohne Wind?“ fragte Hasard junior. „So ist es. Natürlich nur mit sehr geringer Fahrt. Aber euer Vater und alle anderen Schlaumeier werden nachher aus dem Staunen nicht mehr herauskommen. Wenn ich alles richtig mitgekriegt habe, sind wir nämlich nur noch ein paar Seemeilen von den Kanarischen Inseln entfernt. Und da gibt es so eine merkwürdige Erscheinung. Manche behaupten, es wäre eine ganz einfache Meeresströmung. Aber das ist es nicht allein. Ich habe von Sachen gehört, die hier passiert sind ...“ Old O’Flynn schüttelte sich und legte eine Pause ein, um die Spannung der Jungen zu steigern. Ihre Blicke hingen wie gebannt an seinen Lippen.
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„Da hat es mal einen spanischen Kapitän gegeben“, fuhr der Alte fort. „Ihr erinnert euch an Venezuela?“ Philip und Hasard nickten eifrig. Die Geschehnisse, in die die Isabella-Crew am Drachensund verwickelt gewesen war, lagen noch nicht allzu lange zurück. „Nun, der Name dieses Kapitäns ist mir entfallen. Spielt auch keine Rolle. Es muß jedenfalls schon zwanzig Jahre her sein, daß dieser Don am Orinoco eine Silberladung an Bord nahm. Vorher mußte er sich mit einem Eingeborenenstamm herumschlagen. Die Wilden wurden zwar besiegt, aber ihr Medizinmann verfluchte das Schiff, und er prophezeite, daß es vor einer fernen Küste ohne Winde in den Schlund der Hölle hinabgezogen würde. Nun ...“ Old O’Flynn räusperte sich krächzend und kratzte an seinem Holzbein. „Dieses verdammte Kribbeln will und will nicht aufhören.“ „Weiter!“ drängte Philip junior. „Nun, was soll ich sagen? Die spanische Galeone mit dem Bauch voller Silber geriet tatsächlich südwestlich der Kanarischen Inseln in eine Flaute. Und genau wie wir uns wundern werden, wunderte sich der Kapitän über diese merkwürdige Strömung. Er hat es in seinem Logbuch notiert. Es befand sich in seiner Kiste, die Jahre später von Seeleuten aus dem Wasser gefischt wurde. Mit seiner letzten Eintragung berichtete der Spanier, daß das Meer glatt wie ein Spiegel gewesen wäre und sich kein Lufthauch geregt hätte. Trotzdem soll da aber eine unerklärliche Macht gewesen sein, die das Schiff immer tiefer hinabzog. Von da an war die Galeone für alle Zeiten verschollen. Vielleicht gehört sie jetzt zu den Geisterschiffen, die manchmal in einer Sturmnacht irgendwo auf den Weltmeeren zu sehen sind.“ „Und wenn es nun die Bohrwürmer waren?“ wandte Hasard junior zaghaft ein. „Die können einen Schiffsrumpf doch auch so durchlöchern, bis ...“ „Nein, nein. Das hat der Kapitän alles überprüfen lassen. Ihr müsst euch nun mal damit abfinden, Leute, daß es zwischen
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Himmel und Erde gewisse Sachen gibt, für die unser menschlicher Verstand einfach zu armselig ist.“ Voller Genugtuung bemerkte Old Donegal Daniel O’Flynn, wie die Söhne des Seewolfs erschauerten. Eine Donnerstimme, die von der Kuhl herauftönte, riß sie aus ihren düsteren Gedanken. „Hurtig, hurtig, ihr faulen Rübenschweine! Das könnte euch so passen, was, wie? Erst den Bauch vollschlagen und dann nicht mehr mit dem Hintern hochkommen! Davor wird euch euer Profos bewahren, ihr Stinte! Schwingt die Pützen und schrubbt es euch von der Seele, was euch bedrückt! Wenn ich mich nicht gleich in den Decksplanken spiegeln kann, ziehe ich euch ...“ „... die Haut in Streifen von euren Affenärschen!“ fiel ein heiserer Chor von Männerstimmen ein. „Ho, ho! Ihr habt wohl euren spaßigen Tag!“ brüllte Edwin Carberry. Der Profos der „Isabella“ hatte sich beim Großmast aufgebaut und schob herausfordernd sein mächtiges Rammkinn vor. Er stemmte die Fäuste in die Hüften, wodurch seine bullige Statur noch eindrucksvoller wirkte. „Denkt ihr etwa, wenn der Wind stillsteht, heißt das für euch auch Stillstand, was, wie? Himmel, Arsch und Kabeljau, wenn ihr lausigen Bilgenratten glaubt, daß ihr euch auf die faule Haut legen könnt, dann wird euch gleich der Schlag treffen!“ Carberry blickte in die Runde. „He, Mister Roskill, das hab ich auch schon mal schneller gesehen! Sieht so aus, als ob deine lahmen Knochen nur noch für den Kombüsendienst taugen. Schaffst du’s noch, oder brauchst du Hilfe?“ Sam Roskill, der schlanke ehemalige Karibik-Pirat, lehnte am BackbordSchanzkleid und holte mit flinken Handbewegungen eine Leine ein, an deren Ende eine mit Seewasser gefüllte Pütz hing. Wie alle anderen arbeitete er mit unvermindertem Tempo weiter. Die lautstarken Sprüche des Profos’ waren für sie gewohnte Begleitmusik, und jedem einzelnen von ihnen hätte etwas gefehlt,
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wenn die Anfeuerungen des klotzigen Profos’ einmal ausgeblieben wären. „Da soll mir doch der Gehörnte persönlich in den Hintern treten“, fuhr Carberry grollend fort, „wenn ich es nicht hinkriege, daß sich dieser verrottete Kahn noch heute in ein sauberes und blitzblankes Schiff verwandelt!“ Die Männer mußten grinsen. Eine Begegnung zwischen Edwin Carberry und dem Gehörnten konnten sie sich mächtig gut vorstellen. Keine Frage, daß der letztere schon nach wenigen freundlichen Worten des Profos’ den Schwanz einziehen und verstört davonschleichen würde. Was nun Sauberkeit und Ordnung anbetraf, so bot die schlanke dreimastige Galeone ein stolzes Bild, hinter dem sich keiner der Seewölfe zu verstecken brauchte. Carberrys maßlose Übertreibung bezog sich auf die wenigen Sägespäne und Holzreste, die nach den Instandsetzungsarbeiten noch herumlagen. Seit sie die Kapverdischen Inseln hinter sich gelassen hatten, verfügten die Männer unter Philip Hasard Killigrew wieder über ein Schiff, das so schmuck war wie an seinem ersten Tag. Keiner von ihnen würde jemals den denkwürdigen Tag vergessen, als sie die achte „Isabella“ daheim in Old England in ihren Besitz übernommen hatten. Der beste Schiffbauer Englands hatte die 300Tonnen-Galeone entworfen und eine prachtvolle Konstruktion zustande gebracht. Die Kastelle waren wesentlich flacher, wodurch eine viel schlankere Linienführung als bei anderen Schiffen dieser Klasse erreicht worden war. Ins Auge stachen auch die drei überlangen Masten, die eine größere Segelfläche ermöglichten. Das Ruderhaus auf dem Quarterdeck hatte ein richtiges Ruderrad. Auch damit war die „Isabella“ den plumpen spanischen Galeonen weit voraus, die noch mit dem veralteten Kolderstock auf Kurs gehalten wurden. Letztlich gingen auch die Kanonen des Dreimasters über das herkömmliche Maß hinaus. Acht 17-Pfünder-Culverinen waren
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auf jeder Seite der Kuhl mit den Brooktauen festgezurrt. Die überlangen Rohre dieser Geschütze ermöglichten ein genaues Zielen auf mehr als eine Seemeile Distanz. Zusätzlich gab es auf der Back und auf dem Achterdeck je zwei Drehbassen — Hinterlader, die in beweglichen Gabellafetten gelagert waren. Philip Hasard Killigrew beobachtete die Entwicklung des Wetters voller Sorge. Längst schob die „Isabella“ nicht mehr den weißschäumenden Schnurrbart der Bugsee vor sich her. Und die bisher noch stolz geblähten Segel hingen wie übergroße schlaffe Lappen an den Rahen. Dem Seewolf und seinen Männern entging keineswegs, daß ihr Schiff in einer kraftvollen Meeresströmung stetig weiter nach Nordosten trieb. Keiner von ihnen war indessen geneigt, diese Tatsache einer übernatürlichen Erscheinung zuzuschreiben. 3. Capitan Juan Sánchez Sarmiento fröstelte, als sie ihn auf die Mole hinunterführten. Sein teures Offizierswams, bei seinem letzten Aufenthalt in Spanien von einem Schneider in Cadiz angefertigt, hatte sich die irische Meute unter den Nagel gerissen. Brendan O’Connell, der mit unverhohlenem Stolz neben Sarmiento und seinen beiden Bewachern schritt, warf ihm einen spöttischen Seitenblick zu. „Nicht mehr an die frische Luft gewöhnt, was, Don Juan? Aber warte nur ab, dir wird schon bald warm werden.“ Capitan Sarmiento begriff noch nicht. Seine seemännischen Kenntnisse waren begrenzt. Als Offizier der spanischen Landstreitkräfte hatte er sein Interesse stets auf das angestammte Metier konzentriert. Das war auch auf Ferro so gewesen, wo seine Hauptaufgabe darin bestanden hatte, die Ureinwohner der Insel unter Kontrolle zu halten. Mit ihrem lärmenden Stimmengewirr, das er nun schon zur Genüge kannte, begleiteten O’Connell und seine Männer den gefangenen Spanier wie in einem
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Triumphzug zur Mole. Dorthin hatten die Iren mittlerweile ihr Schiff verholt, eine dreimastige Galeone, der sie den vielsagenden Namen „Devil’s Backbone“ —“Rückgrat des Teufels“ — gegeben hatten. Zweifellos handelte es sich um eine ehemals britische Galeone, denn eigene Schiffe dieser Größe besaßen die Iren nicht. Ihre Leistungsfähigkeit im Schiffbauhandwerk beschränkte sich auf Fischerboote, wie Sarmiento verächtlich für sich selbst feststellte. Die Sichtweite betrug jetzt etwa eine halbe Seemeile, und noch immer hatte sich der morgendliche Dunst nicht vollends aufgelöst. Die Umrisse der „Sevillana“, die weiter draußen im Hafenbecken vor Anker lag, waren verschwommen. Erst jetzt sah Capitan Sarmiento, daß das Wasser glatt wie ein Spiegel war. An der Mole, nur einen Steinwurf von der Galeone der Iren entfernt, lag ein Beiboot der „Sevillana“. Die sechs Männer auf den Duchten, die die Riemen senkrecht aufgestellt hatten, gehörten zur Besatzung der spanischen Galeone. Während sie über die glitschigen Quadersteine des Kais gingen, warf Sarmiento einen Blick zurück. Nebelschwaden stiegen an den Mauern der Zitadelle hoch, dem Himmel entgegen. Die Zürnen waren ebenfalls nur verschwommen zu sehen, doch glaubte der Capitan bei den Festungsbatterien Silhouetten von Männern zu erkennen, die dort hantierten. Er dachte an Coronel Rubio, den O’Connells Schergen bereits wieder in den Kerker geworfen hatten. Armer alter Mann, dachte Sarmiento, du wirst die Sonne Spaniens bestimmt nie wiedersehen! Auf dem irischen Dreimaster herrschte Ruhe. Sämtliche Mitglieder der Crew schienen sich in die Festung begeben zu haben, die sich auf einem der Küste vorgelagerten Felsenhügel erhob. Der steinige Weg führte vom Haupttor der Zitadelle in mehreren serpentinenartigen Windungen zur Mole hinunter.
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O’Connell mußte seine Männer erneut mit Gebrüll zur Ruhe bringen, als sie oberhalb des Beiboots stehenblieben. „Jetzt paß auf, Don Juan.“ Er wandte sich grinsend an den Capitan. „Für dich sieht die Lage folgendermaßen aus: Deine Leute pullen dich jetzt zu eurer dicken spanischen Seekuh hinüber. Ihr habt insgesamt drei Beiboote zur Verfügung. Die könnt ihr mit so vielen Leuten besetzen. wie ihr wollt. Die Trossen sind schon vorbereitet, damit ihr euren Kahn aus der Flaute hinauspullen könnt.“ Mick Laragh, Liam O’Driscoll und die anderen stimmten grölendes Gelächter an. O’Connell brachte sie mit einer Handbewegung zum Schweigen. „Du brauchst dich nicht aufzuregen. Don Juan. So schlimm wird es nämlich nicht werden. Eure Seekuh ist eine ganze Ecke leichter geworfen, weil wir so freundlich waren, auch das letzte Gramm Pulver von Bord zu holen.“ Wieder wollten sich die Männer Lachen ausschütten. „Damit deine Leute nun aber beim Pullen nicht einschlafen“, fuhr O’Driscoll fort, „werden wir ihnen ein bißchen Feuer unter dem Hintern entfachen.“ Er deutete mit einer Kopfbewegung zur Zitadelle. „Bei der Gelegenheit können meine Leute nämlich eure Festungsbatterien ausprobieren. Ich hoffe, daß sie genau genug zielen und euch nicht aus Versehen doch noch einen eisernen Gruß verpassen.“ Capitan Sarmiento war blaß geworden. Erst jetzt wurde ihm in vollem Umfang klar, welche Konsequenzen die morgendliche Windstille für ihn und seine Männer bringen sollte. Es war eine mörderische Schinderei, einen 250Tonnen-Segler aus der Flaute zu rudern. Soviel wußte auch er von der Seefahrt. „Kurs Nordost müßt ihr einhalten“, grölte Liam O’Driscoll, „darauf werden wir schon achten, Amigo!“ „Wenn’s sein muß, bugsieren wir sie mit ihren eigenen Kanonenkugeln auf den richtigen Kurs!“ schrie Mick Laragh begeistert.
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Wieder setzte ein wildes Stimmengewirr ein. Abermals übertönten sie sich gegenseitig in ihrem von Schadenfreude erfüllten Triumph. Alles, was in den vergangenen Stunden geschehen war, was sich jetzt zum demütigenden Schlußpunkt zuspitzte, geriet für Capitan Juan Sanchez Sarmiento zur schlimmsten Niederlage seines Lebens. Einen Moment war er versucht, sich auf den höhnisch grinsenden Anführer der Iren zu stürzen und ihm den Hals umzudrehen. Gewiß hätte er es schaffen können, zumindest O’Connell auszuschalten und auf diese Weise Rache zu üben. Doch Sarmiento bekämpfte den aufwallenden Zorn, der wie eine verzehrende Glut in ihm zu lodern begann. Es brachte nichts ein. Während sich die Iren in johlender Freude ausschütten wollten, warf Sarmiento einen Blick zum Beiboot an der Mole. Die Männer von der „Sevillana“ schlugen die Augen nieder, als er sie ansah. Er mußte sich bezwingen, um seiner Wut nicht doch noch freien Lauf zu lassen. Diese Männer dort im Boot mußten mit ansehen, wie er die Niederlage hinnahm — scheinbar hinnahm, ohne auch nur an Gegenwehr zu denken. Es war seine Pflicht als Offizier, für die erlittene Schande Vergeltung zu üben. Nicht einmal er selbst durfte dabei Rücksicht auf den als Faustpfand gefangenen Festungskommandanten nehmen. Jene Vergeltung war jedoch nur möglich, wenn er jetzt vernünftig blieb. Er mußte versuchen, den nächsten Stützpunkt anzulaufen, das Schiff wieder zu bewaffnen und möglicherweise mit Verstärkung nach Ferro zurückzukehren. „Adelante, Don Juan!“ brüllte Brendan O’Connell und hieb dem Capitan auf die Schulter, daß dieser fast in die Knie ging. ,.Vorwärts jetzt! Laß das spanische Königreich nicht länger auf deine ehrenwerte Person warten. Und vergiß nicht, welche Botschaft du zu überbringen hast.“ Capitan Sarmiento wirbelte herum. Durch den jähen Ruck gelang es ihm mit
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Leichtigkeit, sich aus dem Griff seiner beiden Bewacher loszureißen. Sein Gesicht war zornrot. Mit jeder Faser seiner Sinne fieberte er danach, sich auf den irischen Rotschopf zu stürzen. Brendan O’Connells Miene verfinsterte sich. Seine Gefolgsleute bildeten einen drohenden Halbkreis. Die beiden Bewacher des Capitans zögerten. Sollten sie ihn wieder packen? Oder mußten sie O’Connell den Vorrang lassen, diese Angelegenheiten selbst zu erledigen? „Ich warte“, zischte der breitschultrige Ire. „Wenn du’s noch mal versuchen willst, Don Juan — dann los!“ Einen Moment starrte Sarmiento den Freibeuter zornfunkelnd an. Er war zweifellos in der Lage, es mit dem Iren aufzunehmen, wenn er sich nicht durch einen überraschenden und bösartigen Hieb von vornherein ins Hintertreffen bringen ließ. Aber es war sinnlos, das mußte Sarmiento abermals erkennen. Seine Wut erlosch so rasch, wie sie aufgeflammt war. Er entspannte seine Muskeln und ließ die Arme sinken. „Na also“, brummte O’Connell zufrieden. „Wozu willst du noch Beulen und Schrammen einstecken, wenn’s gar nicht sein muß?“ Er gab den Bewachern einen Wink. „Ab jetzt! Ins Boot mit ihm! Und denk dran, Don Juan: Laß deine Leute nach Nordosten pullen, bis ihnen die Zunge aus dem Hals hängt. Ihr habt genug Männer an Bord, damit ihr euch abwechseln könnt. Zuerst wirst du natürlich mit gutem Beispiel vorangehen. Komm nicht auf die Idee, gleich an Bord zu gehen!“ Wieder ertönte dieses grölende Gelächter, und es begleitete den hochgewachsenen spanischen Offizier auf seinem Weg über die Steinstufen, die zum Wasser hinunterführten. Er war froh, daß dieses vulgäre irische Weibsbild diesmal nicht auch noch dabei war, um sich an seiner Schmach zu weiden. Er hätte es nicht ertragen. Ihr Anblick wäre Grund genug gewesen, den Faden seiner Geduld und Vernunft doch noch zum Reißen zu bringen.
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Brendan O’Connell und seine Ge- fährten traten an den Rand der Kaimauer und sahen zu, wie das Boot ablegte. Capitan Sarmiento hatte auf der Achterducht Platz genommen und die Ruderpinne ergriffen. Nicht ein einziges Mal wandte er sich um, während das Boot unter zügigen Riemenschlägen Fahrt aufnahm. „Adios, Don Juan!“ brüllte O’Conell. „Adios und gute Reise!“ fielen die anderen lautstark ein. Als das Boot etwa eine Kabellänge entfernt war, brachte O’Connell seine Männer zur Ruhe. „Fertig zum Feuern“, befahl er grinsend. Die Männer, die ihre Musketen bei sich hatten, griffen nach den Pulverhörnern, legten die schweren Waffen in die Armbeuge und streuten Zündkraut in die Pulverpfannen der Steinschlosse. Dann klickte es metallisch, als die Batterien geschlossen und die Hähne gespannt wurden. „Feuerbereit!“ meldete Mick LaBrendan O’Connell hatte seine großkalibrige Pistole gezogen und fertiggeladen. Für einen sorgfältig gezielten Schuß auf die Distanz einer guten Kabellänge reichte auch diese Waffe. „Ich will, daß unser Don auch tatsächlich gemeinsam mit den anderen pullt“, sagte er. „Also haltet nach Backbord. Legt an!“ Die Waffen flogen hoch. „Feuer!“ Fast auf den Schlag gleichzeitig schnappten die Flints auf den Reibstahl. Das Zündkraut entlud sich zischend und mit kleinen weißen Wolken. Einen Atemzug später krachten die Ladungen der Handfeuerwaffen, und aus den Läufen zuckten yardlange Mündungsflammen. Durch den verfliegenden Pulverrauch sahen die Freibeuter den Erfolg. Haarscharf an Backbord des Beiboots rissen die Kugeln hohe weiße Fontänen aus dem Wasser, und die Männer auf den Duchten zogen unwillkürlich die Köpfe ein. „Ho!“ rief Brendan O’Connell. „Jetzt haben sie hoffentlich begriffen, daß wir
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ihren Kurs noch immer kontrollieren können!“ „Wie wär’s?“ rief Mick Laragh übermütig. „Ich stanze denen glatt ein Loch ins Ruderblatt. Nur zum Spaß. He, wie wär’s damit, Brendan?“ O’Connell winkte ab. „Sie haben auch so die Hosen voll. Außerdem wissen wir, daß du der beste Schütze von allen bist, Mick. Du brauchst es uns nicht jeden Tag zu beweisen.“ Laragh schwieg und ließ den anderen ihr Grinsen. Gespannt beobachtete sie jetzt, was sich bei der spanischen Galeone abspielte. An Bord waren mittlerweile die Menschen zu erkennen, die sich auf der Kuhl drängten. Weitere befanden sich unter Deck, das wußten die Iren. Das Achterdeck war der Schiffsführung vorbehalten. Insgesamt hatte die „Sevillana“ mehr als 120 Menschen zu transportieren, die Crew mitgerechnet. Ihre Toten hatten die Spanier auf Ferro zurücklassen müssen. Die Überlebenden konnten nach Meinung von Brendan O’Connell froh sein, mit heiler Haut davonzukommen. Das Boot mit Capitan Sarmiento steuerte auf den Bug der Galeone zu. Von Backbord schoben sich nun auch die beiden weiteren Beiboote ins Blickfeld, von denen O’Connell gesprochen hatte. Sie nahmen die vorbereiteten Schlepptrossen auf und gingen auf Kurs. Sarmientos Bootsbesatzung folgte dem Beispiel. Befehle klangen über die Decks der „Sevillana“. Von der Luftfeuchtigkeit getragen, wehte kurz darauf auch deutlich das Knarren des Ankerspills herüber. Die Männer in den Booten stemmten sich in die Riemen. Der schwere Stockanker erschien über der Wasseroberfläche und schwebte pendelnd zum Ankergalgen hoch. „Seht mal, wie sie es eilig haben, unsere Dons!“ rief Liam O’Driscoll und stützte sich auf seine Muskete, deren Schulterstück auf dem feuchten Steinboden ruhte. Brendan O’Connell nickte nur. Er schob Daumen und Zeigefinger in den Mund und
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stieß einen gellenden Pfiff aus. Die Köpfe der Männer flogen herum. Gespannt spähten sie zu den Zinnen der Zitadelle, wo sich die Festungsbatterien auf den vier wuchtigen Ecktürmen befanden. Jede der Turmplattformen war mit zwei Vierundzwanzigpfündergeschützen bestückt. Ein langgezogender Pfiff tönte vom Turm an der nördlichen Ecke der Festung zurück. Draußen, vor der kleinen Bucht, die den natürlichen Hafen von Ferro bildete, nahm die „Sevillana“ mit unendlicher Trägheit Fahrt auf. Für die Iren war es keine Frage, daß den Bootsmannschaften schon nach den ersten Riemenschlägen der Schweiß in Strömen herunterlief. Vom Nordturm war ein knapper Befehl zu hören. Brendan O’Connell nickte zufrieden. Seine Männer, die dort oben postiert waren, arbeiteten zügig. Der Donner des ersten Vierundzwanzigpfündergeschützes hallte über die Bucht. Deutlich war sofort darauf das Rauschen der eisernen Kugel zu vernehmen. Die Männer auf der Mole hielten den Atem an. Der Einschlag erfolgte knapp achteraus. Ein paar Spritzer vom emporsteigenden Wasserschwall mußte die Männer auf dem Achterdeck der „Sevillana“ noch erreicht haben. In das Freudengebrüll der Freibeuter dröhnte der zweite Kanonenschuß, und wieder lag der Einschlag der Kugel so knapp wie zuvor hinter dem Ruderblatt der spanischen Galeone. Abermals stieß O’Connell einen Pfiff aus. Für den Augenblick reichte es. Es war nicht nötig, daß sie Pulver und Kugeln verschwendeten. Denn vorerst waren die Dons eifrig dabei, ihr plumpes Schiff aus der Flaute zu pullen. Erst wenn ihr Eifer nachließ, würde es an der Zeit sein, ihnen wieder ein bißchen auf die Sprünge zu helfen. 4.
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„Hört ihr das?“ rief der alte O’Flynn aufgeregt. Eilends humpelte er vom Besanmast nach Steuerbord und reckte den Kopf in die feuchte und unbewegte Morgenluft. „Na, hört ihr das nun endlich?“ Die Zwillinge folgten ihm und versuchten, die Kimm zu erspähen – ein immer noch hoffnungsloses Unterfangen. Zwar betrug die Sichtweite nun schon knapp zwei Seemeilen, doch es blieb das Gefühl, als hinge die „Isabella“ nach wie vor in einem Käfig aus Wattebäuschen fest. Ein Käfig, der sich lediglich ein wenig erweitert hatte. Philip Hasard Killigrew und Ben Brighton wechselten einen Blick. Auch ihnen war das ferne Donnergrollen nicht entgangen. Gutes verhieß es sicherlich nicht. Ob sich deshalb aber schon Unheil über dem Schiff zusammenbraute, war keineswegs gesagt. Denn die Flaute war immerhin allgemeingültig. Wer auch immer dort in der Nebelsuppe seine Geschütze abfeuerte, die Seewölfe würden wenigstens vorerst nicht mit aneinandergeraten. Hasard wandte sich an der Schmuckbalustrade um. „Bleib ruhig, Old Donegal! Noch brauchen wir nicht vor dem zu zittern.“ Ben Brighton lächelte versonnen und hob zum wiederholten Male das Spektiv. Vergeblich jedoch. In der Optik erschien der Nebel nur verdichtet und undurchdringlicher. „Oh, ihr solltet nicht zu leichtfertig sein!“ rief der alte O’Flynn und hob warnend die Rechte. „Ich sage euch, es ist das Grummeln der Hölle! Wir werden bereits erwartet, ich spüre es ganz deutlich.“ Die Zwillinge sperrten den Mund auf und konnten nichts weiter tun, als den alten O’Flynn entgeistert anzustarren. Sie wußten selbst nicht, was sie mehr aus der Fassung brachte - die Möglichkeit, daß Old Donegal wirklich recht hatte, oder die Unerschütterlichkeit, mit der er seine düsteren Prophezeiungen immer wieder an den Mann zu bringen suchte. Die beiden Jungen hatten genügend Verstand um zu begreifen, dass
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keineswegs sämtliches Geschehen auf dieser Welt von den Mächten der Finsternis bestimmt wurde. Ging es aber nach dem alten O’Flynn, dann bestand alles Leben nur aus Spuk und anderen geheimnisvollen Machenschaften des Höllenfürsten. O nein, eine gehörige Portion hatten die Menschen schon selbst mitzureden. Und ob der Gehörnte überhaupt irgendwann und irgendwo das Kommando führen durfte, das erschien Philip und Hasard immer fraglicher, je mehr sie sich mit Old O’Flynns düsteren Visionen befaßten. Schließlich war es niemand anders als ihr Vater, der eine Crew von rauhbeinigen Gesellen führte, die wie Pech und Schwefel zusammenhielten und so manches Mal mitten in die Hölle gesegelt waren, um dein Teufel einen schlechten Tag zu wünschen und ihn am Schwanz zu zwacken. „Wo spürst du es diesmal, Old Donegal?“ rief der Seewolf. „Wieder im Holzbein?“ „Ach, Unsinn.“ Der Alte wischte ärgerlich mit der Hand durch die Luft. „Nehmt mich nur alle weiter auf den Arm. Irgendwann fallt ihr dabei so gewaltig auf die Nase, daß ihr künftig mit Freude auf meine Warnungen hören werdet. Aber dann, o ja, dann werdet ihr vergeblich warten. Dann hat ein alter Mann nämlich auch seinen Stolz und hält den Mund.“ Die Zwillinge mußten sich abwenden, um ihre aufkeimende Heiterkeit zu verbergen. „Sei nicht gleich beleidigt, Old Donegal“, entgegnete der Seewolf und verkniff sich ein Grinsen. „Was sollten wir denn deiner Meinung nach tun?“ „Wer fragt mich schon nach meiner Meinung?“ „Ist das dein Ernst, Sir?“ „Natürlich.“ Der alte O’Flynn zog die Augenbrauen hoch. Er zeigte Anstalten, sich zur vorderen Schmuckbalustrade in Marsch zu setzen, voller Stolz, daß dort nun offenbar doch sein Ratschlag benötigt wurde. „Also, ich werde dir das mal erklären, Sir ...“
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„Ich höre dich gut, Old Donegal. Bleib, wo du bist. Du kannst dir die Mühe sparen.“ Der alte O’Flynn schnaufte. „Meinetwegen. Ich weiß, ihr jungen Stinte wollt lieber unter euch bleiben und auf den Rat eines erfahrenen alten Seemanns verzichten.“ „Himmel noch mal! Scheint so, als ob man bei dir jedes Wort auf die Goldwaage legen muß. Hören wir nun deine Empfehlung oder nicht?“ Der Alte grinste überlegen. So bedeutungslos war sein Wort also doch noch nicht. „Also!“ rief er. „Ich würde einen Treibanker werfen und notfalls noch ein Boot aussetzen und die ‚Isabella’ gegen diese verfluchte Strömung pullen lassen. Dann haben wir vielleicht eine Chance, diesem Schlund zu entrinnen, in dem schon etliche Schiffe vor uns verschwunden sind.“ „Danke, Old Donegal, vielen Dank.“ Der alte O’Flynn stutzte. „Ja, und?“ „Was meinst du?“ „Willst du keinen Befehl erteilen, Sir?“ „Ich werde darüber nachdenken.“ Old Donegal Daniel O’Flynn preßte die Lippen aufeinander und wandte sich empört ab. Wütend starrte er auf die glatte See hinaus. „Mußte das sein?“ wandte sich Ben Brighton an den Seewolf. „Der arme Kerl fühlt sich ja total verschaukelt.“ „Ich denke nicht“, entgegnete Hasard schmunzelnd. „Ich glaube, er ist schon zufrieden, wenn man ihm nur mal zuhört. Und eins muß man auch berücksichtigen, Ben: Zu seiner Zeit, als er in unserem Alter war, da haben sie tatsächlich noch an solche Geschichten geglaubt. Alles Geheimnisvolle, was sich auf den Meeren abspielte, war ein Werk des Teufels oder anderer finsterer Mächte.“ „Hm. Vielleicht hast du recht. Vor zwanzig, dreißig Jahren sah die Welt noch verdammt anders aus.“ Das ferne Donnergrollen war jetzt nicht mehr zu hören. „Was denkst du?“ fragte der Seewolf.’
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Ben Brighton sah ihn an. „Über das Höllengrummeln?“ „Genau das.“ „Nun, nach einem Seegefecht hörte es sich nicht an.“ „Ein Salut oder etwas Ähnliches?“ „Das klingt so, als ob du Spanier witterst.“ „Die Möglichkeit ist nicht auszuschließen. Immerhin müßten wir die Kanarischen Inseln passieren, wenn wir unseren ursprünglichen Kurs beibehalten.“ Der erste Offizier der „Isabella“ nickte. Es war nicht wegzudenken, daß sie zur Zeit völlig im Ungewissen schwebten. Der stundenlange Morgennebel verhinderte eine genaue Positionsbestimmung. Keine Hoffnung, den Jakobsstab einzusetzen. Weder der Himmel noch die Kimm, geschweige denn die Sonne waren zu sehen. „Besetzen wir den Großmars“, sagte Ben Brighton. „Einverstanden.“ Brightons energische Befehlsstimme hallte über Deck. „Bill!“ Auf der Kuhl und auf der Back waren die Männer weiter damit beschäftigt, für klar Schiff zu sorgen. Eine dritte Gruppe befand sich unter Führung des Stückmeisters Al Conroy in der Pulverkammer, wo es ebenfalls galt, Ordnung zu schaffen. Edwin Carberry wandte sich um. „Unser Moses sortiert das Schwarzpulver, Ben, Sir.“ „Dann schick ihn rauf in den Großmars, Ed.“ „Aye, aye, Sir.“ Der Profos stellte keine weiteren Fragen. Ihm und auch den übrigen Mitgliedern der Crew war der ferne Donnerhall nicht entgangen. Und jedem von ihnen¬ verursachte es Unbehagen, nicht zu wissen, auf was man zutrieb. Carberry trat an den Niedergang, der zu den Laderäumen hinunterführte. „Bill!“ dröhnte seine gewaltige Stimme. Die helle Antwort klang aus der Tiefe des Bauches der Galeone. „Laß Mister Conroy den Pulverstaub allein schlucken, Junge!
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Hurtig, hurtig, rauf in den Mars! Befehl vom Ersten!“ Wenige Augenblicke später war der schwarzhaarige junge Mann zur Stelle und enterte behände in den Wanten an Backbord auf. Er hatte seinen gewohnten Platz als Ausguck eben erreicht, als ihm Arwenack, der Schimpanse, mit hellem Keckern folgte. Eine gute Stunde verstrich in fast totaler Stille. Die Sicht verbesserte sich nur geringfügig; und kein Lufthauch bewegte die schlapp herabhängenden Segel der „Isabella“. Da fehlte das gewohnte Singen des Windes in Wanten und Pardunen ebenso wie das vertraute Rauschen der Bugsee. Nicht einmal das leiseste Knarren oder Ächzen war von laufenden und stehendem Gut zu vernehmen. Jegliches Leben schien aus der See gewichen zu sein. Old Donegal Daniel O’Flynn kauerte mißmutig auf einer Taurolle auf dem Achterdeck und hatte es aufgegeben, Erklärungen über Ursache und mögliche Folgen der geheimnisvollen Stille verlauten zu lassen. Ohnehin waren seine geduldigsten Zuhörer, Philip und Hasard, auf Anweisung ihres Vaters in die Kombüse getrollt, um dort dem Kutscher zur Hand zu gehen. Irgendwann in diesen Minuten, die sich zu Ewigkeiten zu dehnen schienen, gellte jäh die Stimme des Ausgucks. „Deck! Backbord voraus Land in Sicht!“ Alle Blicke wandten sich in die angegebene Richtung. Hasard und Ben Brighton hoben die Spektive. Nicht auf Anhieb fanden sie die Umrisse dessen, was Bill erspäht hatte. Es war wie eine mit schwachem Blei hingeworfene Zeichnung, konturenlos und fast ohne Übergang mit dem milchigen Dunst verschmolzen. Die Mauern der Zitadelle, die sich auf einem Felsenhügel vor der angrenzenden Insel erhoben, ließen sich eher ahnen, als zweifelsfrei erkennen. Doch kurz darauf hatten sie Gewißheit. „Das muß Ferro sein“, murmelte Ben Brighton. „Verdammt, wir treiben
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haargenau auf einen spanischen Stützpunkt zu.“ Der Seewolf traf eine schnelle Entscheidung. Die Entfernung betrug etwas mehr als eine Seemeile. Er gab den Befehl zum Ankern. Solange die Kalme anhielt, blieben sie wenigstens auf Distanz. Denn von den Festungsbatterien konnten sie nur mit äußerster Mühe erreicht werden. Es war wie ein Verharren vor der Höhle des Löwen. * „Donnerwetter“, sagte Brendan O’Connell nach einem langen Schluck. „Davon verstehen sie was, die Dons.“ Er hob das Kristallglas, kniff ein Auge zu und betrachtete die rubinrote Flüssigkeit, in der sich das Gegenlicht mit schillernden Reflexen brach. Träge streckte sich Philomena O’Donovan neben ihm auf dem Diwan, den sie vor den Kamin geschoben hatten. Das Feuer war erloschen. Mit den heraufziehenden Mittagsstunden war es draußen wärmer geworden, und die Sonne schickte ihre ersten vorsichtigen Strahlen durch den schwindenden Dunst. O’Connell hatte sich aufgesetzt. Auf seinem breiten Brustkasten leuchtete das rostrote Haar, das sich übergangslos von seinem Vollbart herab fortpflanzte. Genüßlich nahm er einen zweiten Schluck und ließ einen wohligen Laut hören. „Alle Achtung. An das Zeug kann man sich gewöhnen.“ „Rotwein“, sagte die blonde Frau verächtlich. „Das ist was für Weiber, wenn du mich fragst.“ Sie richtete sich halb auf, griff nach dem Zinnkrug, der neben dem Diwan stand und ließ sich die Hälfte des schäumenden Inhalts durch die Kehle rinnen. Sie setzte den Krug ab und wischte sich den Schaum mit dem Handrücken von den Lippen. „Ich bin mal gespannt, wie lange unser Biervorrat reicht. Die paar Fässer, die wir noch an Bord haben ...“ Er drehte sich um und tätschelte ihre Wange.
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„Da wirst du dich eben umstellen und dieses Weiberzeug trinken müssen, Phil.“ „Kommt nicht in Frage! Eher verschwinden wir von hier.“ Er lachte glucksend. „Das glaube ich nicht, Mädchen. Wenn, dann müßtest du erst mal freundlich bei mir anfragen. Vorläufig denke ich nicht daran, hier abzuhauen. Was glaubst du, wozu wir uns die Mühe bereitet haben, diesen Kasten zu erobern?“ „Das ist mir immer noch nicht ganz klar“, gestand Philomena bissig. O’Connell leerte sein Glas, stellte es auf den Tisch und nahm die Flasche auf. Mit dem Zeigefinger tippte er auf das verstaubte Siegel am Flaschenhals. „Hier, kannst du was entziffern?“ „Rioja“, brummte die Frau. „Was?“ „Rioja. Das Zeug stammt aus der Gegend an einem Fluß, der Rio Ojo heißt. Gibt’s auch in Irland. Die Dons bringen es nach Galway, für die besseren Leute.“ „Merkwürdig. daß ich’s noch nie probiert hab.“ „Du gehörst eben nicht zu den besseren Leuten.“ Philomena lachte schrill und meckernd. Er drehte sich ruckartig um, packte ihre nackten Oberarme und stieß sie auf die Decken zurück. „Damit du eins weißt“, herrschte er sie an, „ich kann mir soviel Rio -Rio ... von dem Zeug leisten, wie ich will.“ „Natürlich kannst du das.“ Sie kicherte. „Aber dazu mußt du den Dons erst eine Burg mitsamt Weinkeller abknöpfen. Zuhause in Galway kommst du an den edlen Rotwein gar nicht ran. Einen Galgenstrick wie dich läßt nämlich kein Lord oder Gentleman in sein feines Haus rein. Oder hast du das schon mal erlebt?“ Er wandte sich von ihr ab, schüttelte den Kopf und stützte das Gesicht in beide Hände. „Phil“, sagte er seufzend, „du bist ein hundsgemeines Luder. Sind wir nicht zusammen durch dick und dünn gegangen? „Sie setzte sich auf und strich sanft über seinen von Narben übersäten Rücken.
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„Nimm’s nicht tragisch, mein Kleine. Einmal Galgenstrick, immer Galgenstrick. Deshalb kann ich dich trotzdem gut leiden. Das weißt du verdammt noch mal.“ Er schüttelte ihre Hand ab und warf Kopf in den Nacken. „Ich bin Brendan O’Connell. Sag mir irgendeinen Namen. Irgendeinen verdammten irischen Lord. Wir segeln morgen nach Hause, und ich lasse den Kerl vor dir auf den Knien rutsch.“ Philomenia schob sich über den Diwan setzte sich neben ihn. „Hör mal zu, Brendan. Ich pfeife seinen kriechenden Lord. Du würdest mir allerdings einen großen Gefallen tun, wenn wir wirklich nach Hause segeln. Ich sehe jetzt kommen, daß ich es hier nicht aushalten werde.“ Er schlug ihr auf den Schenkel, daß es knallte. „Tut mir leid, Täubchen. Du wirst es noch eine Weile hier aushalten müssen. Ich sag’s nicht noch mal: Wir haben uns nicht umsonst so angestrengt. Sie verzog keine Miene. „Warum, zum Teufel, gibst du dich nicht damit zufrieden, diese lausige Burg auszuplündern und zu verschwinden?“ „Das will ich dir sagen“, Er grinste. „Ich warte auf den ersten fetten Brocken, der uns in die Arme läuft. Ein oder zwei spanische Handelsgaleonen, die nichtsahnend von der Neuen Welt hier einlaufen.“ „Die haben meistens Begleitschutz.“ „Na und? Wozu haben wir unseren Coronel Rubio? Der nette alte Kerl ist nicht mit Gold aufzuwiegen, sage ich dir.“ „Da bin ich mal gespannt“, murmelte Philomena. „Was soll das schon wieder heißen?“ „Genau das, was ich gesagt habe.“ „Also, du glaubst nicht daran?“ „Ich glaube nur das, was ich sehe. Und was ich gesehen habe, ist, daß dieser Capitan dein Don Juan -nicht sofort angefangen hat, um das Leben seines Vorgesetzten zu betteln. Das sagt wohl schon alles, oder?“ O’Connell lachte wegwerfend und schüttelte den Kopf.
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„Davon verstehst du nichts, Mädchen. Don Juan ist Offizier. Und ein Offizier muß nach außen so tun, als oh ihn das alles nichts angeht. Täuschungsmanöver, verstehst du? Das gehört zu seinem Beruf. Wenn es wirklich aufs Ganze geht, wenn wir ihren Coronel auf die Turmzinnen stellen und ihm einen Säbel vor die Kehle halten, dann sollst du mal sehen, wie die Dons den Schwanz einziehen und davonschleichen. Der Mann ist immerhin Coronel. Da fehlt nur noch ein kleines bißchen bis zum General.“ „Ich lasse mich überraschen.“ „Himmel noch mal!“ O’Connell schmetterte die Faust auf den Tisch, daß die Rioja-Flasche zu torkeln begann. „Deine Quengelei geht mir langsam auf die Nerven. Kümmere dich gefälligst nicht um Männersachen, von denen du nichts verstehst!“ Philomena lächelte, verzog schnippisch den vollen Mund und legte den Arm um seine Schulter. „Hör nicht auf die dumme kleine Phil“, säuselte sie in sein Ohr. „Du wirst schon alles hinkriegen, was du dir vorgenommen hast. Da bin ich ganz sicher. Auf Weibergeschwätz sollte kein Kerl wie du was geben.“ Er lachte breit, zog sie an sich und drückte ihr einen Kuß auf. „Du hast den Nagel auf den Kopf getroffen, Täubchen.“ Er nahm sein Glas und füllte es erneut mit dem edlen spanischen Tropfen. Mit einem Ruck leerte er das Glas auf einen Zug. Schritte näherten sich draußen auf dem Gang. Ein hartes, ungeduldiges Klopfen folgte. „Brendan!“ O’Connell schlug erneut mit der Faust auf den Tisch. „Hölle und Verdammnis! Kann man nicht mal mittags seine Ruhe haben? Was ist los?“ „Ich bin’s, Mick. Eine wichtige Meldung. Wir kriegen Besuch.“ O’Connell zog die Augenbrauen zusammen. Mit einem wütenden Knurrlaut schnappte er seine Hosen und stieg hinein.
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Auf nackten Fußsohlen tappte er zur Tür und öffnete. Mick Laragh trat ein und steuerte sofort auf das Fenster zu. Philomena O’Donovan, die sich keine Mühe gab, ihre Blöße zu bedecken, beachtete er nicht. O’Connell folgte seinem Unterführer. Laragh beugte sich vor und wiegte den Kopf auf den Schultern. „Na, von hier aus kannst du’s nicht besonders gut sehen. Am besten, du kommst mit raus auf den Südturm. Scheint so, als ob da draußen ein Dreimaster vor Anker gegangen ist.“ „Was?“ schnappte O’Connell und schob das Kinn vor. „Wir haben seit heute morgen Flaute. Wie kann da irgendein verdammter Kahn aufkreuzen?“ Laragh drehte sich um und sah ihn an. „Es gibt zwei Möglichkeiten. Entweder liegt er schon länger da, und wir konnten ihn erst jetzt entdecken, weil sich der Nebel auflöst. Oder wir haben es mit einer Meeresströmung zu tun.“ „Ich sehe mir das an“, sagte O’Connell kurzentschlossen. „Geh schon vor, Mick.“ Laragh nickte und stürmte hinaus. Brendan O’Connell beeilte sich, seine Kleidung überzustreifen. Als er in die kniehohen Stulpenstiefel stieg, spürte er, daß er schwankte. Er mußte sich am Tisch festhalten. Der spanische Wein, den Philomena geringschätzig Weiberzeug genannt hatte, zeigte mehr Wirkung, als er selbst wahrhaben wollte. Ärgerlich verzog er das Gesicht, als er sah, daß die blonde Frau ihn forschend betrachtete. „Du bleibst hier“, befahl er, während er seinen Schiffshauer umschnallte und die einschüssige Steinschloßpistole unter den Gurt schob. „Ich bin bald zurück.“ „Glaubst du, daß du mit dem Problem so schnell fertig wirst’?“ „Wer redet von einem Problem?“ „Ein fremdes Schiff ist ein Problem.“ „Ha!“ O’Connell winkte ab. „Dazu brauchen wir nicht mal ein einziges Segel zu setzen, dumme Gans. So was erledigen wir mit den Festungsbatterien. Und zwar im Handumdrehen.“
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Er wandte sich ab und stapfte hinaus. ohne sie noch zu beachten. In dem Gängegewirr der Zitadelle kannte er sich inzwischen gut aus. Er durchquerte die große Halle, die sich im Zentrum der Burganlage befand. Das Licht der noch zaghaften Sonne fiel durch hohe Fenster. Überall in Wänden befanden sich eiserne Halterungen mit Pechfackeln, die abends angezündet wurden. Die Halle und auch die angrenzenden Räume waren leer. O’Connell verfügt, daß die eigentliche Burg ihm und seinen Stellvertretern vorbehalten blieb. Die übrigen vierzig Leute seiner Crew waren in jenen Quartieren untergebracht, in denen r die spanischen Soldaten gehaust hatten. Diese Unterkünfte gruppierten sich um den Innenhof der Zitadelle. Brendan O’Connell lief durch den düsteren Verbindungsgang zum Südturm und stieg die Steinstufen hoch. Oben, auf der von brusthohen Zinne umgebenen Plattform erwarteten ihn James Ryan, Mick Laragh und Liam O’Driscoll. Vier weitere Männer aus der Crew standen bei den beiden Vierundzwanzigpfündergeschützen. Die mächtigen runden Leiber der Kanonen waren nach Süden und Südwesten ausgerichtet. „Wo?“ rief O’Connell. James Ryan wandte sich zur Seite und reichte ihm ein Spektiv. Er deutete nach Süden, in eben jene Richtung, in die auch Laragh und O’Briscoll mit ihren Kiekern spähten. „Man kann es jetzt schon besser erkennen“, sagte Ryan. „Der Nebel löst sich wohl doch noch ganz auf.“ O’Connell lehnte sich auf eine der Zinnen, beugte sich vor und stellte das Spektiv ein. Erst nach einigem Suchen erblickte er die Umrisse des Dreimasters, von dem seine Unterführer gesprochen hatten. „Donnerwetter“, entfuhr es ihm. „So was sieht man selten. Wie ein Spanier sieht der nicht aus, oder?“ „Kaum“, entgegnete O’Driscoll wortkarg, ohne den Kieker abzusetzen.
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„Kann mir nicht vorstellen“, sagte Laragh gedehnt, „daß die Dons solche Schiffe zustande bringen.“ „Keine Beflaggung“, murmelte O’Connell. „Was kann das zu bedeuten haben?“ Mick Laragh ließ sein Spektiv sinken. „Angenommen, es ist kein Spanier. Dann dürfte er sich ziemlich unsicher fühlen, weil er ja keine Ahnung hat, daß diese Burg nicht mehr den Dons gehört.“ „Hm.“ Brendan O’Connell kratzte in seinem roten Bartgestrüpp. „Du meinst, wenn er ein Spanier wäre, hätte er nicht da draußen geankert? Das kann aber auch am Nebel liegen. Erwischen wir ihn eigentlich mit den Kanonen?“ „Schlecht“, erwiderte O’Driscoll. „Er ist knapp außerhalb der Reichweite.“ Der Anführer der Freibeuter brummte Unverständliches und konzentrierte sich wieder auf seine Beobachtungstätigkeit mit dem Spektiv. „Sieht so aus“, meinte er nach einer Weile, „als ob die Kerle da drüben auf dem Achterdeck genau das Gleiche tun wie wir. Leider kann man sie nicht genau erkennen. Also geht’s ihnen nicht besser als uns. Was meint ihr, sollen wir ihnen einen Schuß Salut vor den Bug knallen?“ O’Connell setzte seinen Kieker ab und blickte grinsend in die Runde. „Unsinn“, sagte James Ryan energisch. „Denk mal scharf nach, Brendan.“ „Das tue ich. Was kann es schon schaden, wenn wir ihnen verklaren, wer hier der Herr im Haus ist?“ „Eine Menge“, widersprach Ryan. „Erstens wissen wir über die Reichweite der Geschütze nicht genau Bescheid. Zweitens ist dieser Dreimaster da draußen unserem eigenen Schiff weit überlegen. Das sehe sogar ich, obwohl ich nicht das meiste davon verstehe.“ „Der kommt doch gar nicht an uns ran“, sagte O’Connell im Brustton der Überzeugung. „Wenn er’s tatsächlich riskieren sollte, schießen wir ihn mit den Festungsbatterien kurz und klein.“ „So geht das nicht, Brendan“, mischte sich Liam O’Driscoll mit dröhnender Baßstimme ein. „Wenn ich der Kapitän der
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Galeone wäre, würde ich auf einen Schuß vor den Bug verdammt sauer reagieren. Sobald es aufbrist, würde ich mich aus einem Winkel an die Zitadelle heranschleichen, in dem mich die Festungsgeschütze schwer erreichen können. Und dann würde ich die ,Devil’s Backbone’ in Stücke schießen. Anschließend die Festung selbst. Wenn mich nicht alles täuscht, ist der Dreimaster nämlich verteufelt gut bestückt.“ „James und Liam haben recht“, erklärte Mick Laragh. „Wir sollten uns nicht ohne Grund mit einem unbekannten Besucher anlegen.“ „Gut, gut.“ O’Connell nickte. „Ich kapiere das alles. Aber ihr vergeßt eins: Vielleicht hat der Bursche eine wertvolle Ladung an Bord. Und das ist es doch, warum wir uns überhaupt hier einquartiert haben, oder?“ „Richtig“, pflichtete ihm James Ryan bei. „Aber ein bißchen müssen wir auch die Lage berücksichtigen. Und da spielt die Flaute nun mal eine gewichtige Rolle.“ „In Ordnung“, knurrte O’Connell. „Warten wir also erst mal ab. Am meisten interessiert mich seine Nationalität. Wie kriegen wir die raus?“ Mick Laragh hob sein Spektiv noch einmal. „Kann nicht so schwierig sein“, sagte er dann. „Wenn ihr mich fragt, ist es auf keinen Fall ein Spanier oder Portugiese.“ „So weit waren wir schon“, entgegnete O’Connell. „Dann bleibt ja auch nicht viel mehr übrig.“ „Eben drum.“ Laragh grinste. „Für mich steht es fest, daß es ein Brite ist. Solche Schiffe bauen heutzutage nur die Engländer. Die haben die Spanier längst überholt.“ „Nehmen wir an, du hast recht, Mick“, sagte O’Connell lauernd. „Was liegt dann für uns auf der Hand?“ „Ich weiß, auf was du hinauswillst“, erwiderte Laragh. „Dir juckt es in den Fingern.“ Brendan O’Connell hob den Arm und schüttelte die Faust. „Dich läßt die Sache wohl kalt!“ brüllte er. „Mich nicht, mein Junge. Wenn es ein
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verdammter britischer Bastard ist, dann haben wir als gute Iren eine Pflicht zu erfüllen. Ist das klar?“ James Ryan hatte eine Weile sinnierend zu Boden geblickt. Jetzt hob er den Kopf. „Ich muß Brendan unterstützen“, sagte er. „Wenn wir Gewißheit haben sollten, daß es sich um einen Briten handelt, gibt es für uns nichts mehr zu überlegen. Wir müssen das Schiff versenken. Jeder von uns hat vielleicht eine andere Meinung über die Sache Irlands. Nicht jeder ist bereit, dafür Kopf und Kragen zu riskieren. Aber darin, daß jeder britische Unterdrücker den Tod verdient hat, wir uns wohl alle einig.“ „Genau das“, knurrte Brendan O’Connell. „Fällt dann noch ein bißchen Beute dabei ab, stimmt die Rechnung für uns. Oder ist jemand anderer Meinung?“ „Ich bin einverstanden“, sagte Liam O’Driscoll. „Aber nur, wenn wir genau wissen, woran wir sind.“ „Das ist auch meine Meinung“, erklärte Mick Laragh. „Bleibt nur noch die Frage“, sagte James Ryan, „wie wir es herauskriegen.“ Brendan O’Connell lachte breit. „Nichts einfacher als das, Leute! Wir besuchen unseren Besuch. In aller Freundschaft. Und Philomena nehmen wir dabei mit. Das erweckt immer einen guten Eindruck.“ James Ryan kniff die Augen zusammen. „Wenn wir wirklich so vorgehen“, meinte er gedehnt, „dann müssen wir verdammt genau überlegen, was wir sagen und tun.“ 5. „Deck!“ helle, alarmierende Stimme Bills zerriß die Stille an Bord der „Isabella“. Nahezu die gesamte Crew hatte sich nach der Mittagsmahlzeit aufs Ohr gelegt. Es gab buchstäblich nichts mehr, was man noch hätte tun können. Selbst Edwin Carberry fand kein Haar mehr in der Suppe. Die Galeone strahlte vor Sauberkeit und Ordnung, und es fehlte in der Tat nicht viel daran, und der Profos hätte die wüste Narbenlandschaft seines Gesichts in den
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Decksplanken als Spiegelbild sehen können. „Deck! Jolle von Steuerbord!“ Das unüberhörbare Organ des Moses brachte auch den letzten Mann an Deck auf die Beine. Der Kutscher und die Zwillinge stürmten aus der Kombüse und folgten den anderen, die sich bereits über das Schanzkleid lehnten. Philip Hasard Killigrew riß das Schott der Kapitänskammer auf und war mit wenigen langen Sätzen bei Ben Brighton auf dem Achterdeck. „Sieht so aus, als ob wir Besuch kriegen“, sagte der erste Offizier der „Isabella“ gelassen. Er deutete mit einer knappen Bewegung zu der Zitadelle und setzte den Kieker wieder an. Auch der Seewolf hob sein Spektiv. Die Umrisse der Zitadelle waren mittlerweile deutlicher zu erkennen. Der zunehmende Sonnensein ließ auch den natürlichen Hafen der Festung in hellerem Licht erscheinen. Die Jolle, die sich von dem an der Mole liegenden Dreimaster löste, erblickte Hasard auf Anhieb. Wie viele Männer auf den Duchten saßen, ließ sich nicht sofort feststellen. Die Entfernung war noch zu groß. Es mochten sechs oder acht sein. Das Boot glitt unter zügigen Riemenschlägen durch das immer noch spiegelglatte Wasser. Daran, daß es Kurs auf die „Isabella“ nahm, bestand kein Zweifel. „Hast du schon eine Ahnung, was das für Leute sind?“ fragte der Seewolf, ohne das Spektiv abzusetzen. „Spanier jedenfalls nicht“, erwiderte Ben Brighton. „Vielleicht ein zusammengewürfelter Haufen. Das wäre immerhin denkbar.“ Hasard nickte zustimmend. Er ließ die Jolle nicht aus den Augen und schwenkte die Optik von Zeit zu Zeit über die Mole und die angrenzenden Festungsanlagen. Dort rührte sich nichts, was Verdacht erweckt hätte. Daß mit der spanischen Zitadelle irgendetwas nicht stimmte, war Ben Brighton und ihm schon klargeworden, als
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sich die Sicht nur geringfügig gebessert hatte. Hatten die Spanier ihre Burg aus irgendeinem unerfindlichen Grund verlassen? Waren sie mit den Ureinwohnern der Insel in einen bewaffneten Konflikt geraten, und hatten sie deshalb nur eine Art Nachhut zurückgelassen? Letzteres ergab aber wiederum keinen Sinn, denn das Schiff an der Mole war eher von englischer als von spanischer Bauart. Es konnte sich aber auch um eine Beutegaleone handeln, ein englisches Handelsschiff, das die Dons erobert hatten. Welchen Zusammenhang ergaben aber die Kanonenschüsse, die vor etlichen Stunden zu hören gewesen waren? Fragen über Fragen, die sich nicht ohne weiteres beantworten ließen. Mit dem Gedanken an die unmöglich scheinende Vermutung wollten sich weder der Seewolf noch sein erster Offizier anfreunden. Es war zu unwahrscheinlich, daß sich die Spanier eine Festungsanlage wie die von Ferro so mir nichts dir nichts abknöpfen ließen. Die Jolle hatte sich mittlerweile bis auf acht Kabellängen genähert. Hasard zählte sechs Männer auf den Duchten und zwei weitere Personen auf der Achterducht. Bei ihnen handelte es sich um einen Mann mit rotblondem Haarschopf und eine Frau, deren blondes Haar im matten Sonnenlicht schimmerte. Eine Vermutung, die er noch nicht äußern wollte, keimte in Hasard auf. Die Crew der „Isabella“ verharrte schweigend, während sich die Jolle nun rasch näherte und sehr bald auch mit bloßem Auge zu erkennen war. Eine wild aussehende Schar war es, die dort in der Nußschale längsseits ging. Auf ein barsch gebrülltes Kommando stellten sie die Riemen senkrecht, und das Dollbord prallte mit einem dumpfen Laut gegen die Außenbeplankung der Galeone. Hasard zog die Augenbrauen hoch, als er das Kommando hörte. „Keltisch“, stellte er fest. „Also Iren“, folgerte Ben Brighton. „Du lieber Himmel!“
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Der Seewolf musterte ihn mit einem amüsierten Seitenblick. „Wie meinst du das?“ „Bei denen weiß man nie genau, woran man ist.“ „Eine Binsenweisheit, Ben, und sie stammt von Engländern. Ich wette, daß die Iren ähnliche Sprüche über unsere Landsleute bereit haben.“ „Darauf kannst du Gift nehmen. Die wünschen allen Briten seit Generationen die Pest an den Hals.“ „Zu Unrecht?“ Ben Brighton zog die Schultern hoch, aber antwortete nicht. Er folgte Hasard, der als erster den Niedergang zur Kuhl hinunterstieg. Edwin Carberry, Ferris Tucker und die anderen wichen ein Stück zur Seite, um dem Seewolf und seinem ersten Offizier Platz zu geben. „Das ist vielleicht ein Haufen von Stinkstiefeln“, bemerkte der Profos „Seht euch die bloß mal an.“ „Ein paar von den Kerlchen haben schon Stielaugen“, sagte Ferris Tucker nach einem kurzen Seitenblick. „Dieses Weibsbild hat sich genau ausgerechnet, daß wir sie zuerst von oben zu sehen kriegen.“ Hasard grinste. In der Tat hatte sich die üppige blonde Frau wohl absichtlich keine Mühe gegeben, die hervorquellende Pracht ihrer Oberweite zu verhüllen, indem sie einige zusätzliche Knöpfe ihres Leinenhemds schloß. Der Rotschopf erhob sich von der Achterducht, stemmte die Fäuste in die Hüften und legte den Kopf in den Nacken. „Ich bin Brendan O’Connell!“ brüllte er. „Und dies sind ein paar von meinen Leuten. Wir bitten den Kapitän dieses Schiffes, an Bord kommen zu dürfen,“ Sein Englisch klang schaurig rollend und guttural. „Wir sind einverstanden“, antworte der Seewolf, nachdem er sich durch Blicke mit seinen Männern verständigt hatte. „Mein Name ist Philip Hasard Killigrew. Ich bin der Kapitän der ,Isabella’.“
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Auf einen knappen Wink von Ben Brighton übernahmen es Sam Roskill, Bob Grey und Blacky, die Jakobsleiter abzufieren. Die Iren vertäuten ihre Jolle und begannen den Aufstieg. Breit und wuchtig, blieb Brendan O’Connell einen Moment auf den Decksplanken stehen und blickte in die Runde. „Hab’s mir gedacht, daß ihr Engländer seid“, sagte er dröhnend. „So ein wunderbares Schiff kriegen nur britische Schiffbauer zustande. Hab ich recht?“ Er streckte den rechten Arm aus und marschierte zur Begrüßung auf den Seewolf zu. „Sie sind der erste Ire“, entgegnete Hasard versonnen lächelnd, „den ich einen Engländer loben höre.“ O’Connell lachte grölend, hob die Arme und drehte die Handflächen nach außen. „Die Sache ist ein bißchen anders, Sir. Wir sehen aus wie Iren, wir reden wie Iren, und wir sind alle in Irland geboren. Aber unsere Heimat ist das Meer. Das Meer ist auch eure Heimat, denke ich. Also sind wir Landsleute, stimmt’s?“ Er lachte abermals und blickte beifallheischend in die Runde. Die Männer von der „Isabella“ grinsten nur. Edwin Carberry verzog das Gesicht, als hätte er eine Wette verloren und müßte eine Zitrone im Stück herunterwürgen. Mittlerweile hatten auch die übrigen Iren die Decksplanken der „Isabella“ erreicht. „Meine Leute“, verkündete O’Connell stolz und mit ausladender Handbewegung. „Da haben wir Philomena O’Donovan, meine Partnerin, James Ryan, unseren Schatzmeister, und dann noch die Unterführer Mick Laragh und Liam O’Driscoll. Die anderen gehören zur Mannschaft.“ „Danke für die Vorstellung“, entgegnete Philip Hasard Killigrew. „Bevor wir weiterreden, interessiert es uns am meisten, wie ihr auf diese spanische Zitadelle gelangt seid.“ Brendan O’Connell warf sich in die Brust. „Das will ich gern erklären, Gentlemen. Vorher möchte ich nur noch sagen, daß wir da unten im Boot ein Gastgeschenk haben.
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Ein ganzes Faß voll bestem irischem Bier. Vielleicht sind ein paar von euch so nett und hieven es hoch.“ „Klar doch!“ rief Smoky, der Decksälteste, nachdem er den Seewolf fragend angesehen und Zustimmung in dessen Miene gelesen hatte. „Wird sofort erledigt.“ „Also, die Sache mit der Zitadelle war so“, begann O’Connell und schilderte den Überfall seiner Horde auf den spanischen Stützpunkt. Philomena O’Donovan, neben den anderen ans Schanzkleid gelehnt, hatte Mühe, ihren Unwillen herunterzuschlucken, als die Männer das Bierfaß an Bord hievten. Wenn es etwas gab, das sie über den schwindenden eigenen Biervorrat hinwegtröstete, dann war es diese Crew eine Mannschaft von eisenharten Burschen. Das erkannte Philomena mit Kennerblick. Und verdammt, jeder einzelne von ihnen war schon einen ausgiebigen Blick wert. Allen voran natürlich der Kapitän, dieser schwarzhaarige Riese mit den breiten Schultern und den schmalen Hüften. Philomena hatte das Gefühl, daß sie in seiner Nähe dahinschmelzen würde wie Wachs. Denn er gehörte zu einer anderen Klasse als sie und war ihr zehnmal überlegen. Sie folgte seinen Gesten, als er begann, O’Connell und die anderen mit den einzelnen Männern seiner Crew bekanntzumachen. Ben Brighton, dieser verschlossen und beherrscht wirkende Mann, war nicht unbedingt Philomenas Geschmack. Anders schon Edwin Carberry, dieses Urvieh von einem Kerl. Die Augen der Irin leuchteten, als er zufällig in ihre Richtung sah und sein mächtiges Rammkinn herausfordernd vorreckte. Nicht übel auch dieser Schiffszimmermann Ferris Tucker. Wo dessen gewaltige Pranken zupackten, überlegte Philomena, mußte eine Frau so was wie den siebenten Himmel erleben. Und erst der Neger! Batuti, ein Mann aus Gambia, wie Killigrew sagte. Ein Bild von einem Mann.
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Philomena zwang sich, ihre Begeisterung nicht zu zeigen. Alle anderen waren auch nicht von Pappe: Smoky, der bullige Decksälteste, und Blacky, der schwarzhaarige Kämpfer mit den Fäusten, die wie Granit aussahen. Pete Ballie, der kleine und stämmige Rudergänger, war ein Draufgänger von Format, das erkannte Philomena auf Anhieb. Prachtvolle Kerle waren sie samt und sonders, und allein auf das Äußere kam es bei einem Mann letzten Endes auch nicht an. Das galt für den hageren Gary Andrews ebenso wie für den grauhaarigen Matt Davies, der anstelle der fehlenden rechten Hand eine Ledermanschette mit einem furchterregenden Eisenhaken trug. Philomena sah sofort, daß Davies eigentlich zu jung war für die grauen Haare. Von jener Nacht, die er in der Karibik auf einer Gräting treibend unter Haien verbracht hatte, wußte sie natürlich nichts. Doch sie ahnte, daß er durch ein Geschehen dieser Art vorzeitig ergraut sein mußte. Lange verweilte Philomenas Blick auf dem jungen Donegal Daniel O’Flynn, der schlank und hochgewachsen - sicherlich auch die vornehmsten Ladys gewaltig beeindruckt. Dann waren da noch der alte O’Flynn mit seinem bärbeißigen Gesicht, der Stückmeister Al Conroy sowie Jeff Bowie, der am linken Arm eine Hakenprothese wie Matt Davies trug, und Sam Roskill, Bob Grey, Luke Morgan, Stenmark, Will Thorne, Big Old Shane, der Kutscher, Moses Bill und die Zwillinge, die ihrem Vater wie aus dem Gesicht geschnitten waren. Philomena O’Donovan spürte, dass es mit den beiden Jungen eine besondere Bewandtnis haben mußte. Wenn ein Mann wie Philip Hasard Killigrew seine Söhne schon in diesem Alter zur See fahren ließ, dann war der Mutter dieser Jungen zweifellos ein grausames Schicksal widerfahren. Auch wenn sie die letzten Jahre unter einer Horde rauher Gesellen zugebracht hatte, verfügte Philomena immer noch über das typische weibliche Gespür für solche Zusammenhänge.
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Der Seewolf lud Brendan O’Connell und seine Begleiter ein, an der Mittagsmahlzeit auf der „Isabella“ teilzunehmen. Dazu blieben sie an Deck, denn die zunehmende Hitze hatte die Luft im Logis bereits zum Schneiden dick werden lassen. Nach dem schmackhaften Eintopf, den der Kutscher bereitet hatte, übernahm es Brendan O’Connell höchstpersönlich das Faß Bier anzuzapfen. Philip und Hasard schleppten alle verfügbaren Mucks heran und erhielten dennoch von ihrem Vater keine Genehmigung, das fast schwarze Gebräu mit dem cremefarbenen Schaum zu probieren. 6. Die Zeit verrann ohne jegliche Wetteränderung. Lediglich die Sonnenstrahlen nahmen an Intensität zu. Nachdem eine weitere Stunde verstrichen war, hatten sich auch die letzten Dunstschleier aufgelöst. Die Luft stand still wie in einem Backofen. Die Wasserfläche war spiegelglatt und leuchtend blau. Die Insel Ferro erhob sich mit sattem Grün. Etliche Männer aus der Isabella-Crew hatten sich wegen der Hitze bereits ihrer Hemden entledigt. Gemeinsam mit den Iren hatten sie sich in lockerem Kreis niedergelassen -auf Taurollen oder einfach auf den Planken der Kuhl rings um den Großmast. In der Mitte das Bierfaß, das bereits zur Hälfte geleert war, wie Brendan O’Connell durch prüfendes Anheben festgestellt hatte. Hasard und Ben Brighton lehnten am Backbordschanzkleid und beobachteten die muntere Runde, die sich durch zunehmende Lautstärke auszeichnete. Der Seewolf wußte indessen, daß ein Faß Bier seine Männer nicht von den Beinen werfen würde. Überdies wußte jeder von ihnen, daß sie sich einen Vollrausch nicht leisten durften. Dazu war die Lage noch lange nicht hinreichend geklärt. Sie ahnten auch, warum Hasard den Iren einen so ausgedehnten Aufenthalt an Bord
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gewährte. Es war wie ein gegenseitiges Abtasten. Jeder versuchte, die Absichten des anderen herauszufinden, ohne es wirklich zu äußern. Die anhaltende Flaute diktierte das Geschehen. Sobald Wind aufkam, konnten sie die Segel setzen und die Zitadelle von Ferro mitsamt den irischen Freibeutern kurzerhand aus ihren Gedanken verscheuchen. Die Windstille konnte aber Stunden oder sogar Tage anhalten. Was Brendan O’Connell und seine Meute in dieser Zeit ausheckten, war allerdings nicht vorherzusehen. Philomena O’Donovan, die neben ihrem rothaarigen Gefährten auf den Decksplanken hockte, führte das große Wort. Ihre Muck hatte sie schon zum wiederholten Mal mit Bier nachgefüllt. Sie stand dabei den Männern in keiner Weise nach. Die Seewölfe verhielten sich eher zurückhaltend. Was den Bierverbrauch betraf, hatte Philomena die meisten von ihnen schon übertrumpft. „Ruhe, ihr Kerls!“ rief sie mit einer ausladenden Armbewegung und lehnte sich gegen die Schulter ihres Gefährten. „Wir kennen uns schon lange genug, wie?“ Die Männer von der „Isabella“ brummten zustimmend. „Irgendwas hat unsere irische Lady jetzt im Sinn“, bemerkte Edwin Carberry trocken. „Nenn mich nicht Lady, du Stint!“ fauchte Philomena. „Du weißt genau, daß ich das nicht bin!“ O’Connell und seine Gefolgsleute lachten grölend. Der Profos schob sein Rammkinn vor, und die Augen funkelten in der Narbenlandschaft seines Gesichts. „Ho, ho, du schöne Rose, dir soll ich wohl die Haut in Streifen von deinem ...“ „Halt den Mund, Ed!“ fuhr Ferris Tucker feixend dazwischen. „So kannst du doch nicht mit einer Lady reden, verdammt noch mal!“ Carberry schlug sich in gespieltem Erschrecken die flache Hand vor den Mund. Jetzt war es an den Seewölfen, in Johlen auszubrechen.
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Philomena O’Donovan nutzte die Pause, um einen langen Schluck durch ihre Kehle rinnen zu lassen. „Wollt ihr eure irische Lady jetzt mal zu Wort kommen lassen?“ rief sie dann. Mit dem Handrücken wischte sie sich den Bierschaum von den Lippen. Brendan O’Connell hieb ihr begeistert auf die Schulter. „Na los, Lady, die haben dich alle gern, die Jungens!“ Philomena nahm einen erneuten Schluck. „Was ich sagen will, ist, daß wir uns lange genug kennen, damit ihr die Geschichte von Brendan O’Connell hören könnt. Das ist die Geschichte von dem lausigen Kerl hier an meiner Seite. Und die Leute im Westen Irlands erzählen sie, wenn sie abends in ihren Kaminen das Torffeuer angezündet haben und draußen der Wind heult. Na, ihr wißt schon, was für eine Stimmung ich meine.“ O’Connell grinste verlegen in seinen roten Bart. „Das war vor sechs Jahren in Galway“, fuhr Philomena fort. „Brendan und ich kannten uns damals noch nicht. Aber so, wie ich ihn heute kenne, weiß ich, daß jedes Wort wahr ist. Brendan, dieser Halunke, hatte also mit ein paar Freunden die Kutsche von einem verdammten irischen Lord überfallen und ausgeraubt. Hinterher hat er sich zu blöd angestellt, und sie haben ihn erwischt. Das Ende vom Lied war, daß er zum Tode verurteilt wurde. In Galway mußte er mit seinen Freunden aufs Schafott steigen, und der Henker hat ihnen allen den Kopf abgeschlagen. Auch ihm.“ Sie griff in seinen Vollbart und zog daran, daß sein Kopf sich hin und her bewegte. Stille. „Ja, und dann passierte es“, spann Philomena ihren Faden weiter. „Da tauchte so ein verrückter Quacksalber auf, der irgendeinen Vertrag mit dem Henker abgeschlossen haben mußte. Jedenfalls hatte der Kerl die Erlaubnis, sich die abgeschlagenen Köpfe anzusehen und einen auszusuchen. Der langen Rede kurzer Sinn: Dieser Quacksalber entschied
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sich für Brendan O’Connells Kopf und nahm seinen verlausten Körper gleich mit. Auf einem Karren wurde der ganze Kram abtransportiert. Kein Mensch dachte sich was dabei. In einer finsteren AlchimistenBude in Galway wurden dann Kopf und Rumpf wieder zusammengenäht, und es funktionierte. Hier seht ihr das Ergebnis!“ Philomena packte den Vollbart ihres Gefährten abermals und drückte ihm den Kopf weit in den Nacken. Zum Vorschein kam eine leuchtend rote Narbe, die sich durch das Bartgestrüpp in der Tat rings um den Hals O’Connells zog. Ryan, Laragh und O’Driscoll verzogen keine Miene. Die Seewölfe starrten schweigend auf die Narbe, bis Philomena ihren Griff löste. Brendan O’Connell feixte und setzte seine Muck an die Lippen. „Zu Anfang war das ganz schön komisch“, sagte er mit bereits schwerer Zunge. „Da lief immer das Bier an den Seiten raus. Als dann alles zugeheilt war, ging’s besser.“ Edwin Carberry brach das Schweigen. „Wirklich eine feine Geschichte“, sagte er mit dröhnendem Baß. „Nur eins würde ich noch gern wissen: Wenn das alles so gut geklappt hat, dann kannst du jetzt bestimmt deinen Kopf unter den Arm nehmen, falls er dir mal zu schwer wird.“ Donnerndes Gelächter von seiten der Seewölfe brandete über die Decks der „Isabella“. Brendan O’Connell und auch die anderen stimmten mit ein. Nur Philomena O’Donovan verzog das Gesicht. „Ihr nehmt die Geschichte nicht ernst“, beschwerte sie sich schmollend. „Ich finde das verdammt unfair, wenn man bedenkt, was der arme Kerl gelitten hat, solange er kopflos war.“ Wieder brüllten die Männer los. „Ich will dir mal was sagen, Lady“, prustete Edwin Carberry. „Du solltest diesen irischen Affenarsch nicht so anhimmeln. Der hat dich glatt verschaukelt. Was ihm passiert ist, hat meiner Meinung nach so ausgesehen: Da hat mal einer versucht, ihm die Kehle durchzuschneiden. Aber der gute Brendan
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O’Connell hat ein viel zu dickes Fell. Dafür ist jede Klinge zu stumpf.“ Erneutes Gejohle setzte ein. Nicht einmal O’Connell selbst nahm die Titulierung übel, mit der ihn der Profos der „Isabella“ bedacht hatte. Niemand sah indessen das kaum merkliche Aufglühen in seinen Augen, das, sofort wieder schwand. „Da wir bei Geschichten sind“, rief Ferris Tucker, „wie wär’s, Old Donegal? Jetzt bist du mal an der Reihe!“ „Richtig“, pflichtete ihm Ed Carberry bei. „Los, Old Donegal, jetzt kannst du mal so richtig vom Leder ziehen, und alle hören dir zu. Wann erlebst du das schon mal?“ Der alte O’Flynn, bis eben noch selbst von der allgemeinen Heiterkeit ergriffen, setzte eine verkniffene Miene auf. „Ihr könnt mich mal“, knurrte er. „Stell dich nicht an!“ drängte Smoky. „Du hast viel bessere Geschichten auf Lager!“ brüllte Matt Davies. „Wenn du loslegst, kriegt die irische Lady eine Gänsehaut!“ schrie Gary Andrews begeistert. Old Donegal O’Flynn schüttelte fassungslos den Kopf und erhob sich mit einem wütenden Ruck von seiner Taurolle. „Ihr seid wohl verrückt!“ giftete er. „Was ihr von mir hört, sind keine Schauermärchen. Das sind Tatsachen! Ich bin doch kein Zirkusnarr, der für euch den Affen spielt. Da könnt ihr euch einen anderen suchen!“ Abrupt drehte er sich um und humpelte zum Backbordschanzkleid. Dort lehnte er sich hinüber und starrte auf das Wasser. „Auf Kommando kann er’s nicht“, sagte Ed Carberry entschuldigend. „Das läßt sich nun mal nicht ändern.“ „Die süße kleine Phil hat noch mehr auf Lager!“ grölte Brendan O’Connell. „Keine Sorge, Männer, Langeweile gibt’s nicht, wenn sie dabei ist.“ Der alte O’Flynn wandte den anderen demonstrativ den Rücken zu. Hasard und Ben Brighton traten an ihn heran, während hinter ihnen das Stimmengewirr anhielt. „Weshalb so gereizt, Old Donegal?“ fragte der Seewolf halblaut.
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„Da soll man noch ruhig bleiben?“ entgegnete O’Flynn knurrend und ohne den Kopf zur Seite zu wenden. „Hier an Bord wird man sowieso schon dauernd auf den Arm genommen. Und wenn dann diese verrückten Iren auch noch anfangen, dann reicht’s mir eben. Wie lange sollen die eigentlich noch auf die Nerven gehen? Mir paßt das überhaupt nicht.“ „Wir haben unsere guten Gründe dafür“, sagte Ben Brighton, nachdem er sich vergewissert hatte, daß niemand von der johlenden Schar die Ohren spitzte. „Gute Gründe?“ fragte Old O’Flynn. „Diese rothaarigen Teufel haben eine ganze spanische Festung besetzt. Da sollte man schon ein bißchen vorsichtig sein.“ „Du hast völlig recht, Old Donegal“, sagte Hasard. „Ben und ich sind nicht so gutgläubig, wie du vielleicht denkst. Und hältst du alle anderen etwa für beschränkt? Jeder von unserer Mannschaft weiß, um was es geht.“ „Da bin ich aber nicht so sicher.“ „O’Connell hat selbst erzählt, daß sie den spanischen Festungskommandanten gefangengenommen haben“, erklärte Ben Brighton mit gedämpfter Stimme. „Den Iren ist überhaupt nicht klar, welches Risiko sie damit eingegangen sind. Wenn die Flaute vorbei ist, wird es hier bald mächtigen Ärger geben.“ „Und was haben wir damit zu tun?“ O’Flynn sah erst Ben Brighton und dann den Seewolf an. „Eine ganze Menge, wenn wir Pech haben“, entgegnete Hasard. „Erstens lege ich Wert darauf, die Iren unter Kontrolle zu haben. Und das kann ich am besten, wenn ihre wichtigsten Leute bei uns an Bord sind. Zweitens halte ich ihre Freundlichkeit für falsch. Und drittens können wir vielleicht das Schlimmste verhindern, sobald die Spanier einen Rachezug unternehmen. Es kann uns nämlich passieren, daß wir nicht rechtzeitig Land gewinnen, und dann stecken wir mitten im Schlamassel.“ Old Donegal Daniel O’Flynn blickte den Seewolf aus großen Augen an.
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„Donnerwetter“, entfuhr es ihm, und er senkte seine Stimme sofort wieder. „Das hätte ich nicht gedacht, daß du und Ben die Sache genau so seht wie ich. Wenn ihr mich fragt“, er deutete mit dem Daumen über die Schulter. „haben diese Halunken was vor. Eine hundsgemeine Sache. Sie wären keine Iren, wenn sie uns nicht wie die Pest hassen würden.“ Hasard klopfte ihm auf die Schulter. „Spiel jetzt nicht mehr den Beleidigten, Old Donegal. Halte Augen und Ohren offen, wie wir es auch tun. Einverstanden?“ „Na, meinetwegen.“ „Wir werden unseren Gästen noch etwas Gutes tun“, sagte Ben Brighton lächelnd. „Etwas aus unseren karibischen Vorräten.“ Ein Leuchten glitt über das verwitterte Gesicht des alten O’Flynn. „Eine gute Idee“, knurrte er, „wirklich eine verdammt gute Idee! Vielleicht erzähle ich denen doch noch eine Geschichte, damit sie mich für einen alten Trottel halten.“ Er blinzelte verschmitzt, wandte sich mit Verschwörermiene ab und kehrte zu den Männern zurück, die ihn mit Beifallsgebrüll empfingen. Der Seewolf begab sich für einen Moment in die Kapitänskammer. Mit einer verstaubten Flasche in der Hand erschien er wieder an Deck. „Herhören!“ rief er und hob die Flasche. „Wenn Besucher ein Gastgeschenk an Bord bringen, gehört es sich, daß man sich dafür revanchiert. Deshalb, und besonders für unsere Freunde aus Irland, gibt es jetzt einen guten Tropfen aus der Karibik.“ Die Männer der Isabella-Crew klatschten demonstrativ. „Aus der Karibik?“ entgegnete Philomena O’Donovan lauthals. Ihr Blick war noch immer klar. „Ist das nicht in der Neuen Welt?“ „So ist es“, erwiderte Hasard. „Profos!“ „Sir?“ Edwin Carberry sprang auf. „übernimm das Verteilen.“ „Aye, aye, Sir. Mit Vergnügen.“ Carberry entkorkte die Flasche, ließ sich wieder auf den Planken nieder und forderte den Anführer der Freibeuter mit einer
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Handbewegung auf, seine Muck herüberzureichen. Brendan O’Connells Augen waren bereits leicht glasig geworden. Dennoch ließ er sich bereitwillig einschenken. „Auf unsere gemeinsame Heimat! Auf die See!“ brüllte Carberry und reckte die Flasche hoch. „Trink, Mister O’Connell!“ „Auf die See!“ grölte der Ire mit schwerer Zunge zurück. Er setzte die zu einem Viertel gefüllte Muck an und leerte sie auf einen Zug. Die Wirkung war durchschlagend. O’Connell lief puterrot an, riß den Mund weit auf und rang nach Atem. Die Augen schienen ihm aus den Höhlen quellen zu wollen. Er versuchte zu sprechen, doch kein Laut, drang über seine Lippen. „Himmel noch mal!“. sagte Philomena O’Donovan staunend. „Was für ein Teufelszeug ist das?“ Edwin Carberry, Ferris Tucker und die anderen konnten ihre Heiterkeit nicht unterdrücken und brachen in schallendes Gelächter aus. „Rum“, sagte James Ryan schnarrend, nachdem die Gastgeber sich halbwegs beruhigt hatten. „Soweit ich gehört habe, gibt’s das hauptsächlich auf Jamaika. Ein verdammt scharfer Stoff.“ „Das sieht man.“ Philomena grinste. „Aber dieser alte Schwachlappen O’Connell kann sowieso nichts vertragen. Gib mal her, Profos Carberry! Laß deine irische Lady probieren.“ „Mit Vergnügen, Lady O’Donovan!“ Ed Carberry dienerte und goß ihr die Muck halbvoll. „Vorsicht!“ krächzte O’Connell, der plötzlich seine Stimme wiedergefunden hatte. „Ach, halt’s Maul“, knurrte seine Gefährtin, setzte die Muck an und kippte das harte Getränk herunter. Jäh fuhr sie kerzengerade hoch, und ihre Gesichtshaut färbte sich abwechselnd weiß und hellrot. Aber sie überwand es schneller als O’Connell. „Das ist was für ganze Kerls“, stellte sie mit einer Stimme fest, die plötzlich wie ein Reibeisen klang. „Nichts für einen
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Brendan O’Connell, der schon nach einem roten spanischen Schlabbertrank aus den Pantinen kippt.“ O’Connell, der an ihrer Schulter lehnte und mit offenbar tiefschürfenden Gedanken in seine Muck stierte, reagierte nicht auf die Beleidigung. Sein Geist war bereits in alkoholselige Fernen entrückt. Nicht so James Ryan und die beiden Unterführer Laragh und O’Driscoll. Während er ihnen ebenfalls den karibischen Muntermacher kredenzte, stellte Ed Carberry fest, daß sie jeder nur einen Schluck nahmen. Überhaupt hatten sie sich auch bei dem vorangegangenen Biergelage zurückgehalten. Wozu brauchten sie ihren klaren Kopf? Der Profos der „Isabella“ ließ sich nichts anmerken und fuhr fort, in dem Wechselspiel lautstarker Flachsereien mitzumischen. Die scheinbare Arglosigkeit und Bereitwilligkeit der Seewölfe hielt auch an, als James Ryan einige Zeit später vorschlug, weitere Männer aus der irischen Freibeutermannschaft gewissermaßen im Austausch an Bord zu holen. Brendan O’Connell hatte sich zu einem Schläfchen auf den Decksplanken ausgestreckt. Ryan, der seine Vertretung übernahm; ordnete an, daß ein zweites Faß Bier von der Galeone „Devil’s Backbone“ herübergeschafft wurde. Der Freundschaftsbesuch der Iren dehnte sich zu einem stundenlangen Gelage aus. Vergeblich versuchten Ryan und seine Freunde indessen, bei den Seewölfen Anzeichen von Alkoholwirkung zu erkennen. Nicht einmal der karibische Rum schien ihnen etwas anhaben zu können. 7. Die Dunkelheit brach übergangslos herein, ohne daß das Wetter umgeschlagen war und einen Hauch von Wind hervorgebracht hatte. Der blakende Schein der Öllaternen erhellte jetzt die Szenerie auf der Kuhl der „Isabella“.
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Immer häufiger waren die Männer jetzt zum Bugspriet unterwegs, von menschlichen Regungen getrieben. Old Donegal Daniel O’Flynn richtete es so ein, daß er auf einem dieser Wege dem Profos begegnete. Old O’Flynn stieß einen leisen Zischlaut aus, und Ed Carberry beugte sich zu ihm hinunter. „Ich werde mich leise und heimlich verdrücken, Ed“, flüsterte der Alte. „Falls es irgendjemandem auffallen sollte, fängst du am besten laut zu schreien an, wo euer Geschichtenerzähler bleibt. Wenn ich nichts von dir höre, weiß ich, daß keiner was gemerkt hat. In Ordnung?“ „In Ordnung“, entgegnete der Profos. Trotz seiner Stentorstimme gelang es ihm, ebenfalls zu flüstern. „Du merkst es im Holzbein, daß diese irischen Kanalratten was Hinterlistiges vorhaben, stimmt’s?“ „Du hast es erfaßt“, fauchte Old O’Flynn. „Wenn ich Alarm schreie, geht’s rund. Vielleicht zeigst du dann endlich mal so was wie Dankbarkeit.“ „Ist schon gut, Old Donegal. Wir passen auf, daß sie uns nicht zu schlau werden, diese Rübenschweine.“ Edwin Carberry wandte sich ab und stieg über den Niedergang auf die Kuhl zurück. O’Connell war mittlerweile wieder erwacht und hatte auch das Abendessen genossen, das der Kutscher und die Söhne des Seewolfs an Deck gebracht hatten. Außer Philomena O’Donovan, James Ryan und den beiden Unterführern waren sechs Männer aus der Freibeuter-Crew dabei – allesamt wild und verwegen aussehende Burschen wie O’Connell selbst. Der alte O’Flynn duckte sich und pirschte nach Steuerbord, an der Nagelbank vor dem Fockmast entlang. Trotz seines Holzbeins schaffte er es, sich völlig geräuschlos zu bewegen. In dem engen Raum zwischen Schanzkleid und mehreren Taurollen ließ er sich nieder, ohne sich noch zu rühren. Aufmerksam lauschte er dem Stimmengewirr, das von der Kuhl zu hören war. Doch die Warnung, die er mit Ed Carberry vereinbart hatte, blieb aus. Old O’Flynn
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atmete auf. Also war es den Iren nicht aufgefallen, daß er sich abgesetzt hatte. In der Tat hielt auch das Durcheinander der lautstarken Unterhaltung auf der Kuhl unverändert an. Der Seewolf hatte seine Söhne gemeinsam mit dem Kutscher in die Kombüse geschickt. Die Jungen hatten Order, nach dem Abwaschen und Aufräumen in die Kojen zu kriechen. Auch Hasard, so folgerte der alte O’Flynn, rechnete also mit Verdruß. Die Geduld O’Flynns wurde auf eine harte Probe gestellt. Seine Lage zwischen Taurollen und Schanzkleid war höllisch unbequem, doch er schaffte es mit zusammengebissenen Zähnen, keine unbedachte Bewegung und damit ein verräterisches Geräusch zu verursachen. Eine gute Stunde verstrich, bevor sich etwas tat. Old O’Flynn hörte die mittlerweile heisere Stimme von Philomena O’Donovan, die sich erhob und die anderen überschrie. „Liebe Freunde von der ,Isabella`! Für eine Lady ist es jetzt Zeit, sich zur Ruhe zu begeben. Ich will eure gemütliche Runde aber nicht beenden. Ich habe auch gemerkt, daß ihr viel Wert auf Gastfreundschaft legt. Wenn ihr einverstanden seid, werde ich deshalb noch ein paar von unseren Jungens herüberschicken. In dem Gemäuer da drüben ist es lange nicht so angenehm wie auf eurem hübschen Schiff!“ Übertrieben laut brüllten die Seewölfe Beifall und Zustimmung. „Lassen wir die kleine Phil ziehen!“ grölte Brendan O’Connell. „Irgendwann müssen Männer ja mal’ unter sich sein, was?“ Alles Weitere ging im Gewirr der Stimmen unter. Old O’Flynn riskierte es, den Kopf ein wenig zu heben, so daß er knapp über das Schanzkleid spähen konnte. Seine Beobachterposition war hervorragend, wie er zufrieden feststellte. An Land glommen kleine Lichtpunkte, die von den Fenstern und Zinnen der Zitadelle herrührten. Auch die Hecklaterne der IrenGaleone konnte Old O’Flynn zweifelsfrei erkennen. Er konzentrierte seine Aufmerksamkeit auf das, was sich nun
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längsseits der „Isabella“ an Steuerbord abspielte. Smoky war es, der eine Fackel über das Schanzkleid hielt, damit die irische Lady keinen falschen Schritt auf der Jakobsleiter tat. Vor ihr stiegen zwei Männer aus der Crew O’Connells in die Jolle hinunter. Nach Philomena O’Donovan folgten Mick Laragh und Liam O’Driscoll, die beiden Unterführer. Old O’Flynn spähte abermals zur Zitadelle hinüber. Aber dort schien sich nach wie vor nichts zu rühren. Warum gingen ausgerechnet die Unterführer von Bord? Nur, um die Frau zu begleiten? Mit Gefahren brauchte die reizende Lady nicht zu rechnen, überlegte Old O’Flynn. Es mußte also einen anderen Grund haben. Er zwang sich, es beim Beobachten bewenden zu lassen und keine voreiligen Vermutungen anzustellen. Die Jolle legte ab, und die Riemen tauchten ins Wasser. Philomena hatte sich auf der Achterducht niedergelassen und hielt die Ruderpinne, während die vier Männer pullten. Auf eine Laterne verzichteten sie, da die Lichter der Zitadelle ihnen offenbar als Orientierungshilfe genügten. An Bord befanden sich jetzt noch Brendan O’Connell, James Ryan und vier Männer aus der Freibeuter-Crew. Gemeinsam mit den Seewölfen schrien sie der Jolle Abschiedsworte nach und kehrten kurz darauf zu dem Bierfaß auf der Kuhl zurück. Old Donegal Daniel O’Flynn spähte der Jolle aus schmalen Augen nach. Bald wurde das Boot von der Dunkelheit fast völlig verschluckt, in rhythmischen Abständen waren nur noch die hellen Flecken auf der Wasseroberfläche zu erkennen, wenn die vier Riemenblätter eintauchten. Plötzlich stutzte der alte O’Flynn. Täuschte er sich? Nein, der Rhythmus der Riemenblätter war ins Stocken geraten. Nur noch zwei Männer pullten jetzt. Und die beiden anderen?
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Old O’Flynn glaubte, schattenhafte Bewegungen im Boot zu erkennen. Ganz sicher war er nicht. Doch im nächsten Moment gab es endgültige Gewißheit, als schwache Lichtreflexe eine geringfügige Bewegung der Wasseroberfläche anzeigten — etwa dort, wo jetzt der Bug des Bootes sein mußte. Abermals stockten die beiden Riemenblätter für einen Moment. Dann pullten die Männer weiter. Old Donegal Daniel O’Flynn zögerte nicht mehr. „Alarm!“ brüllte er, während er sich noch aufrappelte. „Alaaarm!“ Für die Länge eines Atemzuges herrschte Stille auf der Kuhl. Die Stimmen der Männer waren jäh abgebrochen. Old O’Flynn humpelte zur Nagelbank hinunter und beobachtete mit grimmiger Miene, was sich mittschiffs abspielte. James Ryan, der fuchsgesichtige Bursche, wich mit katzenhaften Bewegungen zum Schanzkleid zurück, um sich den Rücken freizuhalten. Es war wie ein Zeichen für die anderen. „Drauf jetzt!“ schrie Brendan O’Connell und riß die Pistole aus dem Gurt. Niemand bemerkte Dan O’Flynn und Batuti, die sich im nun entstehenden Gedränge absonderten und beim Niedergang zum Achterdeck eilends ihre Kleidung abstreiften. Nur mit ihren Entermessern an den Gurten schnellten sie blitzschnell über das Schanzkleid und mit elegantem Sprung hinunter in die dunklen Fluten. Der alte O’Flynn beobachtete es stolz und mit einem grimmigen Lächeln. Ja, die Crew des Seewolfs war hervorragend aufeinander eingespielt. Andeutungen genügten, wenn es galt, einen Verdacht zu äußern. Jeder einzelne dieser Männer unter dem Kommando von Philip Hasard Killigrew konnte im Handumdrehen zwei und zwei zusammenzählen und haargenau das richtige tun. Old Donegal Daniel O’Flynn war stolz darauf, zu dieser Crew und nicht zum alten Eisen zu gehören. Endlich hatte er ihnen
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bewiesen, daß seine Vermutungen doch noch von Nutzen waren. * Der Seewolf reagierte in dem Augenblick, in dem Brendan O’Connell seine schwere Steinschloßpistole zog. Mit einem federnden Satz schnellte Hasard auf den Rothaarigen Iren zu. Und es war das Zeichen für die anderen. Weder James Ryan noch die vier Männer der Freibeuter-Crew schafften es, ihre Waffen zu ziehen. Zu überraschend war der Angriff der Seewölfe. Zu überraschend die Tatsache, daß sie Verdacht geschöpft hatten und anscheinend zu wissen schienen, welche Teufelei Brendan O’Connell ausgeheckt hatte. Mit einem schmetternden Hieb fegte Hasard dem Anführer der Iren die Pistole weg. Sofort setzte er nach, während O’Connell aufschrie, ins Wanken geriet und verdutzt auf seinen schlaff herabhängenden Arm starrte. Die Pistole lag auf den Planken und ging irgendwo im Gedränge der Männer unter. Unbarmherzig trieb der Seewolf O’Connell von den anderen weg. Erst am Schanzkleid fand der Anführer der Freibeuter Halt und schüttelte sich, um die Benommenheit loszuwerden. Die winzige Verschnaufpause, die ihm der Seewolf gewährte, reichte ihm, um sich zu einem Gegenangriff zu sammeln. Ein donnernder Ruf ließ den Iren im selben Moment erschauern. „Ar, - we - nack!“ brüllte Edwin Carberry, der allen voran auf die Freibeuter eindrang und mit einem einzigen Fausthieb den fuchsgesichtigen Ryan fällte. Ryan knickte weg wie ein morscher Baum unter einer Orkanbö. „Ar - we - nack!“ stimmten die anderen in den alten Kampfruf derer von der Feste Arwenack in Cornwall ein. Es klang wie Donnergrollen, das sich über den Iren entlud. Verzweifelt setzten sie sich zur Wehr, denn im Handumdrehen hatte sich das Blatt gewendet. Aus den Angreifern, als die sie
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sich gefühlt hatten, waren hoffnungslose Verteidiger geworden. Auch die härtesten Burschen aus dem kleinen Haufen O’Connells hatten keine Chance, sich vor den eisenharten Fäusten von Ed Carberry, Ferris Tucker, Smoky und all den anderen zu schützen. Entsetzt mußten sie einsehen, daß Brendan O’Connells Rechnung nicht aufgegangen war. Es war ein Fehler gewesen, wenn sie gedacht hatten, die Isabella-Crew mit zwei Fässern Bier in einen leicht zu überwindenden Gegner verwandeln zu können. Kaltlächelnd wich der Seewolf den ungelenken Schlägen aus, mit denen O’Connell doch noch etwas auszurichten versuchte. Zu hemmungslos hatte der Ire das in sich hineingeschüttet, was er eigentlich den verhaßten Engländern zugedacht hatte. Hasard antwortete mit zwei, drei gnadenlosen Hieben, und O’Connell ruderte noch einmal haltsuchend mit den Armen, bevor er auf die Planken krachte. Auch auf der Kuhl hatten sich die Dinge mittlerweile geordnet. Inmitten seiner Gefährten sah sich Edwin Carberry suchend um, die mächtigen Fäuste in die Hüften gestemmt. „War das schon alles, was, wie? Haben diese Affenärsche etwa schon die Nase voll?“ Strahlend stieg Old Donegal Daniel O’Flynn vorn Niedergang der Back hinunter. Der Seewolf deutete nach außenbords. „Noch ist die Lage nicht geklärt“, sagte er. Old O’Flynn winkte ab. „Um Dan und Batuti habe ich keine Angst“, entgegnete er und warf sich in die Brust. * Sofort nach dem Eintauchen strebten Dan O’Flynn und Batuti mit kraftvollen Schwimmzügen voneinander weg. Vor dem matt erhellten Hintergrund der Zitadelle zeichneten sich alle Konturen über der Wasseroberfläche deutlich ab.
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Auf Anhieb erblickten sie das Boot, über dessen Dollbord nur noch drei menschliche Silhouetten aufragten. Die beiden anderen waren verschwunden. Sie mußten weggetaucht sein. Aber für die Distanz bis zur „Isabella“ konnte ihre Atemluft niemals ausreichen. Daß Batuti und Dan O’Flynn mit dieser Annahme recht hatten, bestätigte sich wenige Augenblicke später. Fastgleichzeitig tauchten zwei Köpfe - aus dem Wasser auf, zum Greifen nahe vor ihnen. Im matten Lichtschein waren der bärtige Liam O’Driscoll und das hellere Gesicht von Mick Laragh zweifelsfrei zu erkennen. Keuchend rangen sie nach Luft und sahen sich im nächsten Moment den Angreifern gegenüber. Der Gambianeger brauchte nur zwei, drei Schwimmzüge, um O’Driscoll zu erreichen. Nur noch aus den Augenwinkeln heraus sah Batuti, daß Dan vor Mick Laragh wegtauchte, dann konnte er sich nicht mehr um ihn kümmern. O’Driscoll stieß einen Wutschrei aus und brachte ruckartig den rechten Arm empor. In seiner Hand funkelte Metallenes, das ursprünglich als heimtückisches Werkzeug gedacht war. Batuti brauchte nicht zweimal hinzusehen, um zu erkennen, daß es sich um einen Bohrer handelte. Während des Zechgelages an Bord hatten die beiden Unterführer O’Connells der „Isabella“ in aller Ruhe ein paar gefährliche Löcher unter der Wasserlinie verpassen wollen. Batutis Zorn wurde bei diesem Gedanken angestachelt. Geschickt wich er dem Hieb aus, den ihm O’Driscoll mit dem Bohrer beizubringen suchte. Klatschend schlug der Arm des Bärtigen auf die Wasseroberfläche. Mit einem fast eleganten Bogen glitt Batuti von der Seite her auf ihn zu, schnellte mit dem Oberkörper halb aus dem Wasser und ließ beide Fäuste gleichzeitig niedersausen. O’Driscoll schaffte es nicht, auszuweichen. Der Hieb explodierte auf seinem Schädel. Batuti packte ihn rechtzeitig und kriegte auch den Bohrer zu fassen, bevor dieser versinken konnte. Er hielt den
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Bewußtlosen mit dem linken Arm und hakte den Bohrer unter seinem Gürtel fest. Falls erforderlich, würde das Werkzeug als einwandfreies Beweisstück dienen. Erleichtert sah der Gambianeger, daß auch Dan O’Flynn seine Aufgabe bewältigte. Gewandt umrundete der schlanke junge Mann den knochigen Mick Laragh, der sich im Wasser drehte, auf der Stelle trat und immer wieder vergeblich versuchte, seinen Gegner mit blindwütigen Hieben zu erwischen. Während Batuti den bewußtlosen O’Driscoll unter den Armen packte und in Rückenlage mit ihm zur „Isabella“ zurück schwamm, bereitete Dan O’Flynn dem Kampf ein schnelles Ende. Urplötzlich schoß er aus einer Kreisbewegung auf Laragh zu, als dieser einen erneuten Hieb ins Leere gelandet hatte. Und Dans eisenharte Fäuste trafen so zielgenau, daß Laragh ins Traumland befördert wurde, ehe er überhaupt begriff, welchen Fehler er begangen hatte. Auch Dan nahm seinen bezwungenen Gegner nun in sicheren Griff und strebte der Galeone entgegen. Auf dem Achterdeck stand Al Conroy an der Steuerbord-Drehbasse. Noch bevor Dan O’Flynn und Batuti mit ihren menschlichen Lasten die Jakobsleiter erreichten, senkte der Stückmeister der „Isabella“ die glimmende Lunte in das Zündloch. Sorgfältig hatte er visiert, und dumpf wummernd spie das schwenkbare Geschütz einen mehrere Yards langen Feuerstrahl aus. Die Kugel, die Al Conroy anstelle des sonst üblichen gehackten Bleis geladen hatte, rauschte haarscharf vor dem Bug der Jolle ins Wasser. Eine gischtende Fontäne stieg auf. Im Nachhall des Schusses war Philomenas Entsetzensschrei zu hören. Gary Andrews hangelte die Jakobsleiter hinunter und half Dan O’Flynn und Batuti, den Bewußtlosen die Leinen umzuschlingen, mit denen sie von den übrigen Männern an Bord gehievt wurden. „He, irische Rose!“ brüllte Edwin Carberry mit Donnerstimme. „Du kannst es dir jetzt
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noch überlegen, ob du zu uns zurückkehren willst. Wenn nicht, versenken wir dein Boot mit dem nächsten Schuß!“ Der Profos brauchte seine Aufforderung nicht zu wiederholen. Philomena O’Donovan riskierte es kein zweites Mal, sich der Zielsicherheit des schwarzhaarigen Stückmeisters auszusetzen. Sehr schnell tauchte die Jolle wieder in dem matten Lichtschein auf, der von der „Isabella“ nach unten fiel. Und Philomena feuerte die Männer an, als säße ihr der Leibhaftige persönlich im Nacken. „Wollt ihr wohl pullen, ihr Mistkerle! Verdammt noch mal, das habe ich schon schneller und besser gesehen!“ „Willkommen an Bord!“ rief Ed Carberry, als sie die Jakobsleiter erreicht hatten und mit Leichenbittermienen hochkletterten. 8. „Einen Begrüßungstrunk können wir diesmal leider nicht bieten“, sagte Philip Hasard Killigrew frostig. „Dort hinüber!“ Er deutete zum Großmast, wo Brendan O’Connell und seine Kumpane mit gesenkten Köpfen standen. Liam O’Driscoll und Mick Laragh, nur mit ihren Hosen bekleidet, hockten noch auf den Planken. Sie waren eben zu sich gekommen. Die Leinen, mit denen sie an Bord gehievt worden waren, dienten jetzt als Handfesseln. Mit schußbereiten Pistolen hielten Smoky, Blacky, Al Conroy, Sam Roskill, Bob Grey und Stenmark die Iren in Schach. Hasard und der Rest seiner Männer verharrten abseits, am Steuerbordschanzkleid. Moses Bill war in den Großmars aufgeentert, um festzustellen, ob sich bei der Zitadelle Verdächtiges tat. Doch vorerst mußten die Besatzer dort drüben noch im Ungewissen schweben. Solange sie keine Ahnung hatten, was mit ihrem Anführer geschehen war, durften sie keinen voreiligen Angriff riskieren. Philomena O’Donovan maß ihren rothaarigen Gefährten mit einem verächtlichen Blick, nachdem sie und ihre
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beiden Ruderknechte sich zu ihm gesellt hatten. „Du bist ein verdammter Versager, Brendan O’Connell!“ fauchte sie. „Für deine Dämlichkeit sollte man dir pausenlos in den Hintern treten.“ „Ruhe!“ schnauzte Ed Carberry, stapfte auf sie zu und baute sich breitbeinig vor ihr auf. „Hier wird nur noch mit Erlaubnis geredet. Ist das klar? Und wenn das nicht in deinen kleinen irischen Schädel hineingeht, Philomena O’Donovan, dann werde ich dich eigenhändig über’s Knie legen. Verstanden?“ Sie preßte die Lippen aufeinander, und für einen Moment starrte sie den Profos mit zornfunkelnden Augen an. Doch dann senkte sie den Kopf. „Na also“, knurrte Carberry. „Besser, du begreifst, daß du kleine Brötchen backen mußt. Andernfalls müßte ich dir nämlich doch noch die Haut in Streifen ...“ „Mister Carberry“, sagte der Seewolf energisch und konnte sich doch eines Lächelns nicht erwehren. „Egal, wie die Dinge stehen – wir haben zwei Minderjährige an Bord, und denen habe ich beigebracht, daß man in Gegenwart von Ladys keine Kraftausdrücke gebraucht.“ „Ladys?“ fragte Carberry. „Mit Verlaub, Sir, aber das ist doch wohl ein bißchen übertrieben, oder?“ „Kindern kann man solche feinen Unterschiede noch nicht verklaren. Also werden in dem Fall alle weiblichen Wesen über einen Kamm geschoren.“ „Aber die lieben Kleinen sind doch gar nicht an Deck, Sir.“ „Wollen wir wetten, daß sie hinter dem Kombüsenschott stehen und die Ohren gespitzt haben?“ „Ich sehe meinen Fehler ein“, seufzte der Profos ergeben. „Keine Kraftausdrücke in Gegenwart von Lady Philomena.“ Die Irin starrte den Seewolf und Ed Carberry abwechselnd an, und wenn ihre Blicke Dolche gewesen wären, hätten beide aus unzähligen Wunden blutend zu Boden sinken müssen. Hasard trat auf den Anführer der Freibeuter zu.
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„Ich erwarte eine Erklärung, Mister O’Connell.“ Die Worte des Seewolfs klangen schneidend. Brendan O’Connell sah ihn voller Zerknirschung an. „Was gibt es da zu erklären? Ihr wißt doch längst alles. Unsere Sache hat nicht geklappt. Fertig, aus. Meine -Männer und ich werden dem Tod gelassen ins Auge sehen. Ein Ire gönnt keinem Engländer die Freude, daß er ihn auf den Knien winseln sieht. Wenn ich nur darum bitten dürfte, Philomena zu verschonen. Sie ist eine Frau und ...“ „Halten Sie den Mund, O’Connell“, unterbrach ihn der Seewolf: „Ich habe bislang noch mit keiner Silbe erwähnt, was mit euch passieren wird. Was ich will, ist eine klare Antwort: Hatten Sie vor, unser Schiff zu versenken?“ Brendan O’Connell atmete tief durch. „Ja“, sagte er dann. „Warum?“ „Weil ihr Engländer seid.“ „Also gut“, sagte Hasard ruhig. „Ihr nehmt euch das Recht, alle Engländer zu hassen. Woher habt ihr dieses Recht? Woher wißt ihr, daß alle Engländer gleich sind?“ „Wir haben unsere Erfahrungen“, murmelte O’Connell niedergeschlagen. „Jeder Ire hat solche Erfahrungen mit den Unterdrückern, die unser Land ausbeuten. Erzählen Sie mir nicht, daß Sie davon noch nichts gehört haben, Sir.“ „Keineswegs. Wir kennen eure Probleme. Aber genug davon.“ Hasard schnitt mit der flachen Hand durch die Luft. „Wir werden die Angelegenheit folgendermaßen bereinigen: Sie liefern mir den spanischen Festungskommandanten aus. Und zwar jetzt gleich. Philomena O’Donovan, O’Driscoll und Laragh bleiben solange hier an Bord, bis Sie den Kommandanten herübergeschafft haben. Dann verschwinden Sie allesamt in die Festung, und wir wollen nichts mehr miteinander zu tun haben.“ O’Connels Unterkiefer klappte herunter. Auch seine Gefährten starrten den Seewolf ungläubig an.
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„Das soll alles sein?“ entgegnete O’Connell mit fassungslosem Kopfschütteln. „Allerdings“, sagte Hasard und nickte. „Haben Sie etwas dagegen einzuwenden?“ „Ich begreife das nicht.“ Brendan O’Connell zog die Schultern hoch und ließ sie wieder sinken. „Wir haben versucht, euer Schiff zu versenken, und da wollt ihr uns so einfach laufenlassen?“ Der Seewolf lächelte kühl. „Sie meinen, ausgerechnet wir könnten so etwas doch nicht tun? Weil wir Engländer sind, nicht wahr?“ „Nun ja, also ..“ O’Connell fand keine Worte. Unvermittelt runzelte er die Stirn. „Wollen Sie etwa mit den Spaniern paktieren?“ „Aber darüber haben Sie eine falsche Ansicht, Mister O’Connell“, erwiderte Hasard. „Was Sie mit dem Coronel vorhatten, ist eine Schande. Ich habe die Möglichkeit, sein Leben ohne Blutvergießen zu retten, und ich nutze diese Möglichkeit. Das bedeutet noch lange nicht, daß ich mit irgendeinem Spanier gemeinsame Sache mache.“ „Ich verstehe das zwar nicht“, murmelte der Ire, „aber ich muß tun, was Sie verlangen.“ „Dann tun Sie es so schnell wie möglich“, sagte Hasard. „Nehmen Sie Ihre Männer, und pullen Sie hinüber. In einer halben Stunde will ich den Spanier an Bord haben. Dann können Sie Philomena und Ihre beiden Unterführer mitnehmen.“ „Das geht in Ordnung“, antwortete O’Connell gepreßt. „In einer halben Stunde.“ Die Seewölfe, die sie in Schach hielten, bildeten eine Gasse, als die Iren mit müden Bewegungen zum Schanzkleid gingen. Dann jedoch, als sie die Duchten der Jolle erreicht hatten, trieb O’Connell sie zur Eile an. Unter kraftvollen Riemenschlägen rauschte das Boot der Mole unterhalb der Zitadelle entgegen. Dort waren mittlerweile Fackeln zu sehen, die sich nahe der irischen Galeone unstet auf und ab bewegten.
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Weder Philomena O’Donovan noch Mick Laragh oder Liam O’Driscoll, redeten auch nur ein Wort während der Wartezeit. Dann, als Moses Bill die Jolle wieder in Sichtweite meldete, atmeten die drei Gefangenen auf. Nachdem das Boot längsseits gegangen war; nahm Brendan O’Connell dem Coronel die Handfesseln ab und forderte ihn mit einem Wink auf, die Jakobsleiter hinaufzusteigen. Hilfreiche Hände waren zur Stelle, als der alte Mann das Schanzkleid erreichte. Er war bleich und stand unsicher auf den Beinen. „Übernimm du das Weitere, Ben“, bat Hasard seinen ersten Offizier. „Aye, aye, Sir“, antwortete Ben Brighton und gab Order, die drei Gefangenen zu entlassen. Aufmerksam wurden die Iren beobachtete, als ihre Jolle schließlich ablegte. Hasard führte den Spanier in die Kapitänskammer und ließ ihn Platz nehmen. „Sie müssen nicht denken, daß ich ein privates Bündnis mit Spanien schließen möchte“, sagte der Seewolf. „Was hier zählt, ist allein das Gebot der Menschlichkeit.“ Coronel Luis Adriano Barroso Rubio sah ihn erstaunt an. „Sie beherrschen meine Sprache perfekt“, sagte er mit brüchiger Stimme. „Aber auch ohnedem merkt man ihnen an, daß Sie ein Mann von Kultur sind. Ich bin Ihnen zu großem Dank verpflichtet. Ich werde Ihnen dies nie vergessen.“ .Hasard ließ ein warmes Essen für den Coronel bringen und gab Anweisung, daß für die Nacht verstärkte Wachen eingeteilt wurden. * Dichter Nebel lag über der See, als die Morgendämmerung heraufzog. Die „Isabella“ war wie von einem mächtigen undurchdringlichen Wattebausch umgeben, der sich mit zunehmender Helligkeit von
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einem düsteren Grau in beinahe leuchtendes Weiß verfärbte. Luke Morgan und Stenmark, die auf dem Hauptdeck zur Wache eingeteilt waren, entging nicht der kühle Luftzug, der die Nebelschwaden in Bewegung brachte. Stenmark verständigte den Seewolf und den Ersten Offizier. Als Hasard und Ben Brighton auf das Achterdeck traten, empfanden sie keineswegs freudige Überraschung. „Sichtweite weniger als fünfzig Yards“, stellte der Seewolf fest. „Was hältst du davon, Ben?“ Der Erste blies die Luft durch die Nase und schüttelte den Kopf. „Gar nichts – bei dieser Andeutung von einer Brise.“ Hasard nickte. „Wir müssen abwarten. Und hoffen, daß wir etwas mehr Wind kriegen.“ „Es sieht ganz danach aus. Ich denke, daß wir in ein oder zwei Stunden Segel setzen können. Dann dürfte auch der Nebel nachgelassen haben.“ „Man soll den Tag nicht vor dem Abend loben“, sagte Hasard. Ben Brighton sah ihn lächelnd an. „Hast du dich von Old O’Flynn beeinflussen lassen?“ Der Seewolf lachte verhalten. „Ja, so hört es sich an. Aber ernsthaft, Ben: Du weißt, wie tückisch das Wetter in diesen Breiten sein kann. Es kann ebenso gut sein, daß wir in zwei Stunden wieder die schönste Windstille haben. Mit Vorhersagen sollte man hier vorsichtig sein.“ „Also warten wir ab.“ Auf dem Weg zur Kapitänskammer wandten sich die beiden Männer an Stenmark und Luke Morgan. „Wie war die Wache?“ fragte der Seewolf. „Habt ihr von der Zitadelle irgendwelche Geräusche gehört?“ „Nichts, Sir“, erwiderte Stenmark, "totale Stille.“ „Wahrscheinlich haben sie erstmal ihren Rausch ausgeschlafen“, fügte Luke Morgan grinsend hinzu. .
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„Spitzt die Ohren“, sagte Ben Brighton. „Es könnte sein, daß sie den Nebel ausnutzen wollen, um sich für die Niederlage zu rächen.“ „Aye, aye, Sir.“ „Ich glaube, Brendan O’Connell ist geheilt“, sagte Hasard, während sie auf seine Kammer zusteuerten. „Oder er versteht die Welt nicht mehr.“ „Zumindest ist das Bild durcheinandergeraten, das er bislang von den Engländern hatte.“ In der behaglichen Kapitänskammer der „Isabella“ lag noch der Duft von gebratenem Speck. Der Kutscher hatte ein besonders gehaltvolles Frühstück bereitet, nicht zuletzt, um dem spanischen Gast zu beweisen, welche Kombüsenkünste an Bord einer britischen Galeone gang und gäbe waren. Coronel Luis Adriano Barroso Rubio hatte seine Morgenmahlzeit beendet. Er sah erholt aus. Hasard und Ben Brighton setzten sich zu ihm an den Tisch. „Wie fühlen Sie sich, Coronel?“ fragte der Seewolf. Rubio lächelte matt. Die grenzenlose Müdigkeit, die noch am Vorabend in seinen Gesichtszügen gelegen hatte, war gewichen. „Wissen Sie, Sir Hasard, es ist wohltuend, die Umgebung von zivilisierten Menschen zu spüren.“ Rubio hatte mittlerweile von Ben Brighton erfahren, daß Philip Hasard Killigrew von Königin Elizabeth I. einen Kaperbrief erhalten hatte und zum Ritter geschlagen worden war. Ebenso wußte Rubio aber auch, daß Hasard keinen Wert darauf legte, mit dem Titel „Sir“ angeredet zu werden. Rubio tat es dennoch, um seinen Respekt und seine Anerkennung für diesen Mann auszudrücken, dem Menschlichkeit und Fairneß wichtiger waren als die primitiveren menschlichen Neigungen. Hasard erwiderte das Lächeln des spanischen Offiziers. „Nun, Coronel, wenn Sie Land und Leute in Irland kennen, werden Sie Brendan O’Connell und seine Männer vielleicht besser verstehen.“
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„Ich bin ein paarmal dort gewesen“, sagte Rubio. „Sie wissen, daß Spanien gute Handelsbeziehungen mit der Westküste Irlands unterhält. Ich verstehe durchaus die Probleme der Menschen, die dort leben. Aber sie werden nicht alle zu O’Connells, die morden und plündern und jegliche Achtung vor dem Leben verlieren.“ „Man müßte die Vergangenheit eines Mannes wie O’Connell kennen“, sagte Ben Brighton. „Ich glaube, nur dann könnte man seine Lebensweise begreifen.“ „Wie dem auch sei“, entgegnete der Coronel. „Er hat einen großen Fehler begangen, als er glaubte, mich als Druckmittel gegen meine Landsleute verwenden zu können. Sie verstehen, warum ich Ihnen dankbar bin. Sie haben mir das Leben gerettet.“ Hasard schüttelte energisch den Kopf. „Es war eine Gelegenheit, die sich zufällig ergeben hat. Wir haben nicht besonders viel Energie dafür aufwenden müssen, Coronel. Rechnen Sie mit einem Angriff auf die Zitadelle?“ „Natürlich. Der Zeitpunkt hängt nur davon ab, wie schnell es meinem Stellvertreter, Capitan Sarmiento, gelungen ist, Verstärkung zu holen. Der nächste Stützpunkt befindet sich auf der Insel Gomera, nordöstlich von hier. Entscheidend ist sicherlich, ob es Sarmiento gelungen ist, seine Galeone in eine andere Wetterzone rudern zu lassen. Sie wissen vermutlich, was sich abgespielt hat.“ „Ja“, sagte Ben Brighton, „O’Connell hat es uns brühwarm in allen Einzelheiten geschildert.“ Coronel Rubio beugte sich vor. „Bitte fassen Sie es nicht als Beleidigung auf, wenn ich Ihnen eine direkte Frage stellen möchte.“ Hasard lächelte kaum merklich. „Fragen Sie, Coronel. Wir brauchen uns gegenseitig nichts vorzumachen.“ Rubio nickte erleichtert. „Was gedenken Sie zu tun, Sir Hasard? Werden Sie einer möglichen Begegnung mit spanischen Galeonen ausweichen? Oder werden Sie meine Person als eben
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jenes Druckmittel verwenden, wie es auch der Ire vorhatte?“ „Ich verstehe Ihre Gedanken“, entgegnete der Seewolf. „Wenn der Wind ausreichen sollte, werden wir versuchen, keinem Ihrer Landsleute in die Quere zu geraten. Dann würden wir Sie auf einer der Nachbarinseln an Land bringen, und zwar an einem unbewohnten Küstenstrich.“ „Und wenn dennoch eine solche Begegnung stattfindet?“ „Dann müssen wir nach Lage der Dinge entscheiden. Das Spiel mit dem Faustpfand wird es jedenfalls nicht geben. Sie haben selbst darauf hingewiesen, Coronel, daß Ihre Landsleute einen solchen Handel nicht akzeptieren würden.“ 9. Capitan Juan Sánchez Sarmiento befand sich in einem selten erlebten Überschwang von Gefühlen. Seine blendende Laune resultierte aus verschiedenen glücklichen Umständen, die sich seit der schmählichen Vertreibung von Ferro ergeben hatten. Auf dem Achterdeck der Galeone „Sevillana“ genoß es Sarmiento, sich die feinen Schwaden aus Gischt und verfliegendem Nebel um das Gesicht wehen zu lassen, die vom Bug her hoch getragen wurden. Die „Sevillana“ segelte unter Vollzeug auf Südwestkurs über Backbordbug. Der anfangs schwache Wind aus Westnordwest war zu einer handigen Brise aufgefrischt, und die Galeone lief zufriedenstellende Fahrt. Das zunehmende Spiel der Schaumkronen auf den Wellen war ein Anblick, der den Capitan in höchstem Maß erfreute. Zeigte es doch, daß mit einer neuerlichen Flaute nun offenbar doch nicht zu rechnen war. Nicht minder erhebend war für Sarmiento auch die Tatsache, daß im Kielwasser der „Sevillana“ die Galeonen „Fidelidad“ und „Bizarriá“ folgten. Heimathafen dieser beiden Dreimaster war der spanische Stützpunkt auf der Insel Gomera.
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Juan Sanchez Sarmiento dachte mit Genugtuung an jene glücklichen Umstände zurück. Er hatte den Männern an Bord der „Sevillana“ keine Ruhepause gewährt, nachdem sie die Zitadelle von Ferro auf so demütigende Weise hatten verlassen müssen. Bis in die Nacht hinein hatte er sie in die Beiboote gescheucht und pullen lassen. Es war eine mörderische Schinderei für die Leute gewesen, aber es hatte sich gelohnt. Gegen Mitternacht waren sie in eine andere Wetterzone geraten und hatten immerhin vor einem mäßigen Nordwest kreuzen können. Ein weiterer glücklicher Umstand waren die beiden Galeonen „Fidelidad“ und „Bizarria“ gewesen, die sich zwanzig Seemeilen südlich von Gomera auf einer Kontrollfahrt befunden hatten. Beide Galeonen waren neben der Decksmannschaft mit jeweils vierzig Seesoldaten besetzt, die unter dem Befehl eines Capitans standen, der sich an Bord der „Fidelidad“ aufhielt. Sarmientos Offizierskamerad hatte sofort zugestimmt, zu einer Vergeltungsaktion gegen die irischen Besatzer auf Ferro aufzubrechen. Weil aller guten Dinge immer noch drei waren, hatte nun auch der Wind aufgefrischt, und der Nebel verflüchtigte sich mehr und mehr. Der Kapitän der „Sevillana“, ein schlanker und hochgewachsener Mann namens Francisco Rovira-Lopez, wandte sich von der Balustrade des Achterkastells ab und trat auf Capitan Sarmiento zu. In seiner Rechten hielt Rovira-Lopez das auseinandergezogene Spektiv. „Wir nähern uns Ferro“, erklärte er. „Bei normaler Sicht müßten wir den nördlichen Teil der Insel bereits erkennen können.“ „Dann wollen wir kein Risiko eingehen“, sagte Sarmiento. „Es wäre immerhin möglich, daß die Iren überall auf der Insel Posten aufgestellt haben. Signalisieren Sie der ,Fidelidad`, daß wir jetzt nach unserem vereinbarten Plan verfahren.“ „Si, mi Capitan“, antwortete Rovira-Lopez und gab die Anordnung an seinen Ersten Offizier weiter.
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Befehle hallten über die Decks der „Sevillana“. Bald darauf änderte die Galeone ihren Kurs nach Südosten. Mit Genugtuung sah Capitan Sarmiento, daß nun auch die „Fidelidad“ und die „Bizarria“ nach Südwesten abdrehten und bei raumem Wind über Backbordbug segelten. Weil die „Sevillana“ für eine beträchtliche Zeitspanne vor dem Wind zu segeln vermochte, das hatte Rovira-Lopez berechnet, würde sie die größere Entfernung ausgleichen können, die sie bei ihrem Kurs rund um die Insel zurückzulegen hatte. Für den Fall, daß die „Fidelidad“ und die „Bizarria“ dennoch zu früh in Sichtweite der Zitadelle gelangen sollten, hatten sie vereinbart, daß beide Galeonen in Wartepositionen gingen, bis auch die „Sevillana“ anlangte. Dann, so folgerte Sarmiento, stand dem Vorhaben nichts mehr im Weg, die Iren gehörig in die Zange zu nehmen und ihnen den unverschämten Überfall mit gleicher Münze zurückzuzahlen. * Als der auffrischende Wind auch die Küstengewässer südlich der Insel Ferro erreichte, war für die Männer an Bord der „Isabella“ die Zeit der Untätigkeit vorbei. Befehle klangen über die Decks, und wieselflink enterten die Männer in den Wanten auf, um die aufgetuchten Segel zu lösen. Philip Hasard Killigrew hatte seinen Platz auf dem Achterdeck eingenommen. Ben Brighton stand vorn bei der Schmuckbalustrade und gab seine Kommandos. Das Ankerspill drehte sich kreischend, während sich als erstes das Blindesegel unter der bereits handigen Brise füllte. Klatschend und schlagend senkte sich nun auch das Focksegel. Auf der Kuhl und auf dem Achterdeck standen die Männer an den Brassen bereit, um die Rahen in die erforderliche Stellung zu bringen. Der Seewolf hatte entschieden, den Bug durch den Wind drehen zu lassen, um dann auf Südostkurs zu gehen. Es war sinnvoller,
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die Insel an ihrer Ostseite zu passieren und dann auf Nordkurs zu gehen, als jetzt mühsam gegen den Wind zu kreuzen. Pete Ballie wartete in seinem Ruderhaus darauf, das Steuer unter seinen großen Fäusten wirbeln zu lassen. Der Anker hatte mittlerweile die Wasseroberfläche erreicht und pendelte unter dem Ankergalgen. Nach der Blinde standen jetzt auch das Focksegel und das Fockmarssegel steif wie ein Brett. Der Bug der schlanken Galeone begann nach Nordosten zu schwenken. Die verhängnisvolle Meldung erfolgte in diesem Moment, als noch rege Betriebsamkeit herrschte. „Deck!“ ertönte Bills gellende Stimme aus dem Großmars. „Deck! Galeonen Backbord voraus! Zwei Galeonen! Es sind — Spanier!“ Hasard und Ben Brighton rissen die Spektive hoch. Die Sicht war mittlerweile passabel auf etwa acht Kabellängen. Über diese Distanz hinaus ließen sich Umrisse nur schemenhaft erkennen, wie auch die Zitadelle von Ferro. Dort hatte sich die ganze Zeit über nichts gerührt. Und auch weiterhin verhielten sich die Iren still. Sie hatten endgültig darauf verzichtet, den Seewölfen Schwierigkeiten zu bereiten. Stattdessen nun die Spanier! Hasard mußte sich selbst eingestehen, daß er nicht so frühzeitig mit ihnen gerechnet hatte. Er erfaßte sie mit der Optik des Kiekers. Wie zwei große und drohende Schatten schoben sie sich aus der Nebelwand heraus. Zwei Galeonen, breit und schwerfällig scheinend. Da sie unter Vollzeug vor dem Wind segelten, liefen sie dennoch beträchtliche Fahrt. Die Bugseen, die sie vor sich herschoben, waren wie mächtige weiße Schnurrbärte. Der Seewolf traf eine schnelle Entscheidung. „Laß alle Segel setzen, Ben. Kurs Südost. Wir versuchen, ihnen zu entwischen.“ „Aye, aye, Sir.“ Ben Brightons energische Befehlsstimme hallte aber die Kuhl. Es waren keine Fragen zu stellen, keine Diskussionen erforderlich.
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Angesichts der Möglichkeit, daß weitere spanische Schiffe in aller Kürze auftauchen konnten, war Hasards Entschluß auch nach Ben Brightons Meinung der einzig richtige. Die Männer in den Fußpferden der Großmastrahen arbeiteten mit fliegender Hast. Jeder Handgriff saß, war tausendfach geübt. Knatternd rauschte das Großsegel nach unten und füllte sich. Dann das Großmars fiel. Die „Isabella“ ging auf Kurs. Zuletzt wurde das Besansegel gesetzt. Unablässig ertönten Edwin Carberrys anfeuernde Sprüche von der Kuhl her. Den Männern war es wie eine gewohnte Begleitmusik, die ihnen die harte Arbeit erleichterte. Längst waren sie mit affenartiger Geschwindigkeit in den Wanten abgeentert und waren nun zum Anbrassen bereit. Keiner von ihnen blickte zurück. Es genügte die Gewißheit, daß ihnen ein unerwarteter Gegner im Nacken saß. Der Seewolf allein hatte die notwendigen Maßnahmen zu treffen, und es bestand kein Zweifel daran, daß er das Richtige tun würde. Die Männer vertrauten ihm, und sie gingen für ihn durchs Feuer. Hasard und Ben Brighton begaben sich nach Backbord hinüber, um die beiden Spanier im Blick zu behalten. Noch sah es so aus, als würden die fremden Galeonen aufholen. Die Distanz war auf sieben Kabellängen zusammengeschmolzen. Bislang befanden sich die Spanier noch oberhalb des Festungshafens von Ferro. Sehr rasch gewann die „Isabella“ an Fahrt. Der Vorteil ihrer schlanken Bauweise würde sich jetzt im Handumdrehen zeigen. Der Seewolf war zufrieden. Sie hatten es geschafft. Den beiden Spaniern würde es nicht gelingen, über sie herzufallen und sie solange in ein Gefecht zu verwickeln, bis möglicherweise Verstärkung eintraf. Hasard ließ das Spektiv sinken. Im selben Augenblick gellte Bills erneuter Alarmruf. „Deck! Noch eine spanische Galeone! Backbord voraus!“
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Der Seewolf und sein Erster Offizier wirbelten herum. Abermals holten sie die Einzelheiten mit ihren Spektiven näher heran. Der Dreimaster schälte sich aus der Nebelwand heraus und segelte mit halbem Wind über Backbordbug auf Kurs Südwest. Hasard fiel es wie Schuppen von den Augen. Dieses war ein präzise abgesprochener Plan. Die dritte Galeone hatte jetzt vermutlich beginnen wollen, gegen den Wind nach Nordwesten zu kreuzen. Gemeinsam mit den beiden anderen war es dann ihr Ziel gewesen, die Festung von Ferro anzugreifen und Brendan O’Connells Träume von der sicheren Beute zu zerstören. „Schiff klar zum Gefecht“, sagte Hasard kurzentschlossen. „Wir greifen an.“ „Aye, aye, Sir!“ rief Ben Brighton. „Schiff klar zum Gefecht.“ Er eilte an die vordere Schmuckbalustrade des Achterkastells, um den Befehl weiterzugeben. Hasard hob den Kieker erneut. Der Spanier hatte sein Vorhaben, zu kreuzen, offenbar aufgegeben. Zweifellos hatte er die „Isabella“ ebenfalls rechtzeitig genug erspäht, um sich darüber im klaren zu sein, daß er gegen den Wind keine Chance hatte, es mit der Galeone der Seewölfe aufzunehmen. Mit voller Fahrt rauschte die „Isabella“ mittlerweile auf Südostkurs. Auf der Kuhl entstand Wuhling. Ein Gedanke durchzuckte unvermittelt den Seewolf. Er drehte sich um und erfaßte die beiden Galeonen mit der Optik des Spektivs. Sie waren jetzt nahezu höhengleich mit dem Hafen vor der Zitadelle. Und sie setzten die Verfolgung der „Isabella“ fort. „Ben!“ rief Hasard. „Sie glauben, daß sie es mit den Iren zu tun haben!“ Ben Brighton wandte sich um. „Natürlich“, entgegnete er. „Von unserer Anwesenheit konnten sie ja nichts wissen.“ Der Seewolf nickte. Daß an der Mole unterhalb der Zitadelle eine weitere Galeone englischer Bauart lag, bemerkten die Spanier, die aus
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Nordwesten heranrauschten, wahrscheinlich noch nicht einmal jetzt. Der Nebel war noch dicht genug, um die Einzelheiten verschwimmen zu lassen. Überdies konzentrierten sie sich zweifellos auf die Verfolgung der „Isabella“. Ein verhängnisvoller Fehler, wie sich später herausstellen sollte. Hasard widmete seine Aufmerksamkeit wieder der dritten Galeone, die soeben im Begriff war, nach Süden abzudrehen. Der Dreimaster war nur geringfügig kleiner als die „Isabella“ – schätzungsweise 250 Tonnen. Wesentlich plumper und gedrungener gebaut, hatte der Spanier jedoch keine Chance, selbst vor dem Wind dem Schiff des Seewolfs zu entkommen. Die Entfernung betrug noch etwa sechs Kabellängen und schmolz jetzt, während der Halse des Spaniers, sehr schnell zusammen. „Alle Mann auf Gefechtsstation!“ rief Ben Brighton schneidend. „Aye, aye, Sir“, brüllte Edwin Carberry von der Kuhl zurück. „Alle Mann auf Gefechtsstation!“ Der Hinweis, daß höchste Eile geboten war, erübrigte sich. Mehr als einmal waren der Seewolf und seine Crew mitten in die Hölle gesegelt, und schon beim Anblick der dritten spanischen Galeone hatten sie keine Illusionen mehr darüber gehabt, was jetzt bevorstand. Jeder einzelne von ihnen wußte, daß jede Sekunde kostbar war. Das scheinbare Durcheinander trog. Jede Bewegung der Männer war aufeinander abgestimmt, und beim Klarieren der Geschütze auf dem Hauptdeck gab es nichts, was nicht auf Anhieb klappte. Auch die Söhne des Seewolfs kannten ihre Aufgaben. Wieselflink hasteten sie über die Decksplanken, schafften Pützen mit Wasser herbei, streuten Sand aus und trugen zu guter letzt die Kohlebecken aus der Kombüse, die zum Zünden der Lunten bestimmt waren. Al Conroy und Big Old Shane stürmten auf das Achterkastell und schleppten Pulverhörner sowie Kugeln und gehacktes Blei für die Drehbassen heran. Vorn auf
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der Back erledigten Smoky und Gary Andrews die gleiche Aufgabe. Die Entfernung zu dem Spanier, der nach Südosten zu entrinnen versuchte, hatte sich auf vier Kabellängen verringert. Inzwischen war auch der Namenszug am reichverzierten Heck der Galeone zu entziffern. „Sevillana“, buchstabierte der Seewolf und ließ den Kieker sinken. Schon mit bloßem Augen waren die Details jetzt gut zu erkennen. „Für ein Mädchen aus Sevilla ist sie ein bißchen dick“, sagte Ben Brighton lächelnd. Al Conroy und Big Old Shane hatten ihre Ladearbeit auf dem Achterdeck beendet. Al!“ rief Hasard. „Sir?“ Der schwarzhaarige Stückmeister war mit wenigen Schritten bei ihm. „Ich möchte, daß du ihm den ersten Schuß verpaßt. Wenn es geht, wollen wir unsere Breitseiten für die anderen aufheben.“ Der Seewolf deutete nach achtern. Die Distanz zu den beiden Verfolgern hatte sich beträchtlich vergrößert. Die Galeonen befanden sich jetzt querab vor dem Hafen der Zitadelle. „Verstanden, Sir“, sagte Al Conroy und eilte los. Wenig später war er bei Smoky und Gary Andrews auf der Back und übernahm die Drehbasse an Backbord. Er stieß den rechten Arm hoch, zum Zeichen für den Seewolf, daß er feuerbereit war. Inzwischen waren auch die acht Stückpforten an der Backbordseite der „Isabella“ geöffnet worden. Die Geschützmannschaften harrten sprungbereit aus. Sämtliche 17-PfünderCulverinen waren geladen und bereit, ihren verderben bringenden Eisenhagel auszuspeien. Noch drei Kabellängen. Die Galeone des Seewolfs schob sich unaufhaltsam von Steuerbord achteraus an die „Sevillana“ heran. Selbst ohne Spektiv waren jetzt die Silhouetten der Offiziere auf dem Achterdeck der spanischen Galeone zu erkennen. Die „Sevillana“ verfügte achtern nur über eine Drehbasse,
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wie Hasard feststellte. Auch dort stand ein Mann bereit, um das schwenkbare Geschütz abzufeuern. Noch schien dem Spanier die Entfernung zu groß für einen sicheren Schuß. Zeit für Al Conroy, seine besonderen Fähigkeiten unter Beweis zu stellen. Hasard gab das Zeichen. „Vordere Backbord-Drehbasse Feuer!“ brüllte Ben Brighton. Im selben Atemzug hallte Kanonendonner von der Insel herüber. Für den Seewolf und seine Männer blieb keine Zeit sich darum zu kümmern. Das Geschehen überschlug sich. Sorgfältig visierte Al Conroy und senkte die Lunte in das Zündloch. Die Drehbasse brüllte auf und stieß einen mehrere Yards langen Feuerstrahl aus ihrer Mündung. Der Einschlag erfolgte mit Bersten und Splittern. Wieder der Kanonendonner von der Zitadelle. Hasard und Ben Brighton nahmen die Spektive, um das Ergebnis des Schusses von Al Conroy auszuspähen. Der Stückmeister lief bereits zur vorderen Drehbasse an Steuerbord, während Smoky und Gary Andrews das abgefeuerte Geschütz nachluden. Jubelgebrüll erklang auf der „Isabella“, als alle sahen, welchen Meisterschuß Al Conroy hingezaubert hatte. Das Ruderblatt der „Sevillana“ hing schief und bestand in seinem oberen Drittel nur noch aus weißfaserigen Splittern. Auf dem Achterkastell der spanischen Galeone herrschte Zustand. Befehle wurden geschrien, und der Mann an der Drehbasse senkte die Lunte. Al Conroy feuerte einen Atemzug später. Der brüllende Klang beider Schüsse vereinte sich zu einem gemeinsamen Nachhall. Die Kugel von der „Sevillana“ lag zu kurz und riß lediglich eine Fontäne vor dem Bug der „Isabella“ hoch. Al Conroy indessen, der diesmal gehacktes Blei geladen hatte, verbuchte einen weiteren Erfolg.
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Unter der prasselnd einschlagenden Ladung wurde das Besansegel des Spaniers in tausend Fetzen zerrissen. Die Männer stimmten den Kampfruf an. „Ar — we — nack! Ar — we — nack!“ Wie Donner brauste es zu der spanischen Galeone hinüber. Noch hatten sie die Chance, durch die Segeltrimmung auf Kurs zu bleiben. „Batuti!“ rief Ben Brighton. „Los jetzt!“ Der herkulische Gambianeger, der mit seinem mannsgroßen Bogen auf der Back bereitstand, hob den Arm zum Zeichen, daß er verstanden hatte. Mit geübtem Griff legte er den ersten Brandpfeil auf die Bogensehne. Während Batuti begann, Brandpfeil um Brandpfeil abzuschießen, wechselte Al Conroy von einer Drehbasse zur anderen und feuerte Ladung um Ladung ab. Eine seiner Kugeln riß die Gabellaffette der achteren Drehbasse des Spaniers aus ihrer Halterung. Der Mann dahinter wurde zurückgeschleudert, schien aber nicht ernsthaft verwundet zu sein. Die Entfernung zwischen den beiden Galeonen war auf zwei Kabellängen zusammengeschmolzen. Dem Spanier gelang es nicht mehr, beizudrehen. Überdies deckte ihn jetzt die „Isabella“ mit ihrer beträchtlichen Segelfläche ab. Das Tuch des Großsegels auf der „Sevillana“ fing Feuer. Rasend schnell fraßen sich die Flammen höher. Unter einem Hagel gehackten Bleies war auch das Focksegel in Fetzen zerrissen. Kurz darauf, als Batuti mit einem seiner Brandpfeile auch noch das Großmarssegel traf, stimmten die Seewölfe Jubelgebrüll an. Die „Sevillana“ war endgültig manövrierunfähig und hatte keine Chance mehr, trotz allem noch eine Breitseite auf das Schiff des Seewolfs abzufeuern. Die Seesoldaten, die auf der spanischen Galeone schon ihre Arkebusen in Schußposition gebracht hatten, hatten jetzt alle Hände voll zu tun, um gemeinsam mit den Decksleuten die zahlreichen kleinen Brandherde zu löschen.
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Hasard ließ eine Halse einleiten. Blitzschnell waren seine Männer auf ihren Stationen, und das Heck der „Isabella“ schwenkte nach Backbord durch den Wind. Erst jetzt fand der Seewolf Zeit, sich dem Geschehen vor der Zitadelle zu widmen. Der Anblick gab keine Rätsel auf. 10. Brendan O’Connell hatte aus den Festungsbatterien das Feuer auf die beiden Galeonen eröffnen lassen, als diese den Hafen in sieben Kabellängen Entfernung passierten. Die „Bizarria“, die der Küste am nächsten gewesen war, mußte auf Anhieb stark beschädigt worden sein. Die „Fidelidad“, die lediglich den Besanmast verloren hatte, war glimpflicher davongekommen und rauschte nun mit Kurs Südost vor dem Wind auf die Seewölfe zu. Die Halse war nahezu beendet. „Steuerbordgeschütze feuerbereit!“ befahl der Seewolf und beobachtete seelenruhig weiter, was sich vor der Zitadelle abspielte. Die „Fidelidad“ war noch gut acht Kabellängen entfernt, und niemand an Bord ahnte vermutlich von der übergroßen Reichweite der Culverinen. über die der Seewolf verfügte. Brendan O’Connell und seine Crew waren mit ihrer „Devil’s Backbone“ ausgelaufen. Wie ein Raubvogel hatte sich die irische Galeone auf die offenkundig manövrierunfähige „Bizarria“ gestürzt und ging bereits längsseits. Wildes Gebrüll wehte herüber. In der scharfen Optik erkannte Hasard das Flirren der Enterhaken, die in hohem Bogen über das Schanzkleid des Spaniers flogen und sich festkrallten. Schüsse aus Musketen und Arkebusen peitschten und vermischten sich mit dem helleren Klang von Pistolen, als O’Connells Freibeuter die „Bizarria“ enterten. Auf beiden Seiten schien es erheblich Verluste zu geben, doch mußte Hasard feststellen, daß O’Connells Männer
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ihr Handwerk verstanden. Die Spanier hatten keine Chance. „Steuerbordgeschütze feuerbereit!“ meldete Edwin Carberry dröhnend von der Kuhl der „Isabella“. Die „Fidelidad“ rauschte noch immer im Direktkurs auf die Galeone des Seewolfs zu. Ein grimmiges Lächeln kerbte sich in die Mundwinkel Philip Hasard Killigrews. Der neue Kurs der „Isabella“ lag an, und für die Steuerbordbreitseite hing jetzt alles vom richtigen Moment ab. Die Spanier auf der „Fidelidad“ verrechneten sich und hielten es trotz der offenen Stückpforten der englischen Galeone noch nicht für erforderlich, sich gegen diese Gefahr zu wappnen. Nun, nach den kriegstechnischen Maßstäben ihres Landes verfügte ein Schiff von der Größe der „Isabella“ eben nicht über 17-Pfünder-Culverinen mit überlangen Rohren. „Feuer!“ brüllte der Seewolf. Die Männer an den Geschützen reagierten blitzschnell, senkten die Lunten haargenau im selben Moment und schnellten beiseite, um dem Rückstoß auszuweichen. Der Donner war ohrenbetäubend. Hart krängte die Galeone nach Backbord über, die Geschütze rumpelten auf ihren Lafetten zurück, bis sie von den Brooktauen aufgefangen wurden. Von mächtigen Pulverladungen getrieben, rasten die acht 17-Pfünder-Kugeln auf die „Fidelidad“ zu, dicht über der Wasserlinie. Der Pulverrauch, der außenbords von den Stückpforten hochwaberte, verflog schnell genug. Während die Geschützmannschaften in fliegender Hast nachluden, konnten die übrigen Männer an Bord der „Isabella“ das Ergebnis der Breitseite beobachten. Zwei Kugeln rauschten vor dem Bug des Spaniers ins Wasser. Mindestens zwei oder gar drei trafen ihn unterhalb der Wasserlinie. Der Rest riß weitere Fontänen an Backbord und Steuerbord auf. „Ar - we - nack!“ brüllten Hasards Männer begeistert. „Ar - we - nack!“
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„Pete, zwei Strich Steuerbord!“ befahl der Seewolf. Er kannte jetzt keine Nachsicht mehr. Die spanische Galeone war durchaus noch in der Lage, ihm erheblichen Schaden zuzufügen. Der Erfolg mußte von durchschlagender Wirkung sein. „Zwei Strich Steuerbord liegt an, Sir!“ rief Pete Ballie aus dem Ruderhaus. „Steuerbordgeschütze feuerbereit!“ erklang die nächste Meldung von der Kuhl. Hasard wartete, bis er die Galeone der Spanier im spitzen Winkel hatte. „Feuer!“ brüllte er abermals. Und wieder entluden sich die acht Culverinen an Steuerbord mit urwelthaftem Donnern. Das Triumphgebrüll der Isabella-Crew wollte kein Ende nehmen. Alle acht 17-Pfünder-Kugeln hatten diesmal getroffen, und die meisten Einschüsse lagen unterhalb der Wasserlinie. Sehr schnell zog die „Fidelidad“ Wasser, und ihr Bug neigte sich bereits der Tiefe zu. Die Männer an Bord mußten höllische Eile aufwenden, um die Beiboote abzufieren. Viele retteten sich mit einem entschlossenen Sprung in die Fluten. Es bestand keine Gefahr für sie. Die manövrierunfähige „Sevillana“ war nicht weit entfernt. Hasard ließ Nordkurs steuern und Fockmarssegel und Großmarssegel aufgeien. Von dem sinkenden Spanier drohte keine Gefahr mehr. Mit nachlassender Fahrt rauschte die „Isabella“ an ihm vorbei. Augenblicke später ließ der Seewolf sämtliches Tuch bergen. Auf seinen Befehl wurde ein Treibanker ausgebracht. Einen Moment beobachtete Hasard das Geschehen vor der Insel, während achteraus die „Fidelidad“ unaufhaltsam sank. Brendan O’Connell und seine Meute kehrten von der „Bizarria“ bereits auf das eigene Schiff zurück. Das Ergebnis des Enterns mußte enttäuschend für die Iren gewesen sein. Keine reiche Beute, wie sie womöglich erwartet hatten. Da es sich um ein Kriegsschiff handelte, das lediglich für
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Überwachungszwecke im Bereich der Kanarischen Inseln eingesetzt wurde, befanden sich verständlicherweise keine Reichtümer an Bord. Es würde nie zu ergründen sein, was O’Connell veranlaßt hatte, in die Auseinandersetzung zwischen den Seewölfen und den Spaniern einzugreifen. Es blieb eine unbeantwortete Frage, denn O’Connell ließ sämtliche Segel setzen und hielt mit seiner Galeone ohne Umschweife auf die Mole bei der Zitadelle zu. Die „Bizarria“, der von den Festungskanonen sowohl der Großmast als auch der Fockmast weggeschossen worden waren, trieb nach Südosten ab. Mit Bordmitteln würde dieses Schiff nicht instand zu setzen sein. Die Spanier mußten es entweder aufgeben oder sich von der „Sevillana“ in Schlepp nehmen lassen. Während die „Fidelidad“ ihr geschmücktes Heck dem Himmel entgegenreckte, erreichten bereits die ersten Schiffbrüchigen die „Sevillana“. Dort war die Jakobsleiter abgefiert worden. Der Kapitän ließ weitere Boote aussetzen, um die Schwimmenden aufzunehmen. * Der Anblick des sinkenden Schiffes ging jedem einzelnen Mann aus der IsabellaCrew unter die Haut. Die Galeone, deren Heck sich immer weiter anhob, erinnerte an ein lebendes Wesen, das sich noch einmal verzweifelt gegen sein unvermeidliches Schicksal aufbäumte. Dann, als schien dieses Wesen plötzlich seinen letzten Widerstand aufzugeben, rauschte es mit jäh zunehmender Geschwindigkeit in die Tiefe. Das Wasser begann zu brodeln. Strudel entstanden, dann schlugen die Fluten über dem prunkvollen Heck zusammen. Hasard drehte sich um und hob noch einmal das Spektiv. Die „Devil’s Backbone“ hatte mittlerweile die Mole erreicht. Brendan O’Connell wollte den Engländern nicht noch einmal gegenübertreten. Nach
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seinem Empfinden schien alles gesagt zu sein, was gesagt werden mußte. O’Connell und seine Männer wußten nun, daß sie sich in der Zitadelle nicht auf Dauer einquartieren konnten. Wahrscheinlich begannen die Iren daher schon jetzt, ihre Sachen zusammenzuraffen. Sie mußten erkennen, daß es besser war, wenn sie zu ihrer vielgepriesenen Heimat, der See, zurückkehrten. Philip Hasard Killigrew schob das Spektiv zusammen und wandte sich seinem Ersten Offizier zu. „Wir wollen uns nicht mehr allzu lange aufhalten, Ben. Laß der spanischen Galeone ein Signal geben und dann das Beiboot abfieren.“ „Aye, aye, Sir“, erwiderte Ben Brighton, der sofort verstand, ohne eine Gegenfrage stellen zu müssen. Hasard betrat die Kapitänskammer, während die Befehle über Deck hallten. Coronel Luis Adriano Barroso Rubio stand aufrecht vor dem Tisch. Sein Uniformwams hatte er zugeknöpft, sein Gesicht sah aus wie gemeißelt. „Ich bin auf alles gefaßt, Sir Hasard”, sagte er tonlos. Der Seewolf schüttelte den Kopf und legte dem alten Mann die Hand auf die Schulter. „Für Sie ist jetzt alles vorbei, Coronel. Was draußen geschehen ist, werden Sie ertragen können. Sie sind Offizier. Folgen Sie mir bitte.“ Coronel Rubio zog überrascht die Augenbrauen hoch. „Wie soll ich das verstehen?“ „Sie werden jetzt zu Ihren Landsleuten zurückkehren. Das ist alles.“ Philip Hasard Killigrew stieg gemeinsam mit dem Coronel in das Beiboot hinunter, in dem bereits Ferris Tucker, Gary Andrews, Dan O’Flynn und Stenmark auf den Duchten saßen. Auch von der „Sevillana“, die inzwischen alle Schiffbrüchigen aufgenommen hatte, war ein Beiboot abgefiert worden. Von kräftigen Riemenschlägen getrieben, glitt es den Männern der „Isabella“ entgegen. Der Mann, der auf der Achterducht saß, trug Offiziersuniform.
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Hasard half dem Coronel, sich auf die freie Ducht niederzulassen. Dann übernahm er selbst die Ruderpinne und gab das Kommando zum Ablegen. Etwa auf halber Entfernung zwischen den beiden Galeonen trafen sich die Beiboote. Keiner der Spanier war bewaffnet, und alle packten zu, um Dollbord an Dollbord zu ziehen, nachdem sie die Riemen eingeholt hatten. Hasard und Coronel Rubio standen auf. Der Offizier im Beiboot der „Sevillana“ tat es ihnen nach. „Das ist Capitan Juan Sánchez Sarmiento“, erklärte Rubio, „mein Stellvertreter als Kommandant der Zitadelle von Ferro. Und dies“, der Coronel deutete freudig lächelnd auf den Seewolf, „ist der Mann, dem ich mein Leben verdanke, Sir Philip Hasard Killigrew.“ Sarmiento deutete eine Verbeugung an. „Unsere Auseinandersetzung ist beendet, Sir Hasard. Die Dinge haben sich auf eine Weise verwickelt, die niemand von uns voraussehen konnte. Hätten wir gewußt, daß Sie den Coronel an Bord hatten ...“ „Es ist überflüssig, darüber Worte zu verlieren, Capitan“, entgegnete der Seewolf. „Ich bin froh über die Gelegenheit, Ihnen den Coronel übergeben zu können. Es erspart uns, ehrlich gesagt, weiter Schwierigkeiten, wenn wir ihn in
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spanischem Hoheitsgebiet an Land bringen müßten.“ Capitan Sarmiento nickte. „Wir sind Ihnen zu Dank verpflichtet, Sir Hasard. Trotz allem.“ Der Seewolf verabschiedete sich mit einem Händedruck von dem Coronel, bevor Sarmiento ihm in das Boot hinüberhalf. Philip Hasard Killigrew verschwendete indessen keine Zeit mehr. Sofort nach seiner Rückkehr an Bord ließ er alle Segel setzen und ging endgültig auf Kurs Südost. Der Wind aus Westnordwest hatte noch zugenommen, und so gewann die „Isabella“ rasch an Fahrt. Zurück blieben zwei manövrierunfähige spanische Galeonen, von denen die eine innerhalb weniger Tage abermals mit Menschen überladen war. Zurück blieben die irischen Freibeuter auf Ferro, denen es ihr unstetes Leben nicht ersparen würde, sich nun nach einem neuen Platz umzusehen, an dem sie sich vorübergehend niederlassen konnten. Sich noch einmal mit Sarmiento anzulegen, wagten sie nicht, denn die „Sevillana“ hatte noch ihre Geschütze und eine große Zahl von gut bewaffneten Seesoldaten. Zurück blieb die Insel Ferro, deren Grün mehr und mehr verblaßte, bis es vom Dunst über der Kimm verschluckt wurde...
ENDE