Die verstoßene
Herzogstochter
von Günther Herbst scanned by : horseman kleser: Larentia Version 1.0
»Horrido!« Der ...
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Die verstoßene
Herzogstochter
von Günther Herbst scanned by : horseman kleser: Larentia Version 1.0
»Horrido!« Der Ruf der Jagdhelfer und das heisere Bellen der Hunde schallten durch den taufrischen Forst. Von der wilden Meute gehetzt, brach ein Rudel Hirsche aus dem Unterholz und rannte auf die Lichtung, wo die berittenen Jäger Lauerstellung bezogen hatten. Herzog Adalbert und seine Jagdgenossen hoben ihre Bogen. Die Pfeile lagen auf den Sehnen, warteten nur
darauf, losgeschnellt zu werden. Aber noch war es nicht soweit. Noch warteten die Männer, um das Rotwild näher herankommen zu lassen. Auch Otmar von Lützen hatte seinen Bogen in Anschlag gebracht. Das Augenmerk des Freigrafen richtete sich jedoch nicht auf die Hirsche, denn er jagte ein viel edleres Wild. Sein Pfeil war für einen Menschen bestimmt. Für Herzog Adalbert...
Wohlweislich hielt sich Otmar von Lützen ganz im Hintergrund. Nicht so weit entfernt von den anderen, um die Gefahr eines Fehlschusses heraufzubeschwören. Aber doch weit genug weg, um nicht der Aufmerksamkeit der Jagdgenossen ausgesetzt zu sein. Alles andere war eine Frage der Kaltblütigkeit und der Sicherheit des Auges. Blind vor Angst stob das Hirschrudel heran, witterte jetzt die wartenden Jäger und nahm eine schnelle Richtungsänderung vor. Noch näher würde das Rotwild also nicht kommen. Der Augenblick, in dem geschossen werden mußte, war gekommen. Herzog Adalbert war einer der ersten, die ihren Pfeil von der Sehne schnellen ließen. Ob er getroffen hatte, wußte Otmar von Lützen nicht. Und es war ihm auch von Herzen gleichgültig. Ihm ging es jetzt nur darum, daß er traf. Mit einem schnellen Blick in alle Richtungen prüfte er noch einmal, ob niemand auf ihn achtete. Beruhigt stellte er fest, daß er sich in dieser Hinsicht keine Sorgen zu machen brauchte. Das Jagdfieber hatte alle Männer gepackt. Sie hatten nur Augen für die Hirsche, kümmerten sich um nichts anderes. Ein triumphierendes Lächeln huschte über die dünnen Lippen des Freigrafen. Die Gelegenheit, auf die er schon so lange wartete, fiel ihm regelrecht in den Schoß. Jetzt galt es! Otmar von Lützen nahm Maß und spannte den Bogen mit der ganzen Kraft seiner starken Arme. Dann ließ er das Pfeilende los. Das hölzerne Geschoß mit der tödlichen Eisenspitze jagte zielsicher durch die Luft. Und es traf! Ganz deutlich sah Otmar von Lützen, wie der Herzog im Sattel seines Pferdes zusammenzuckte. Er sah, wie Adalbert schwankte und hilflose Bewegungen mit den Armen machte. Der Bogen entglitt seiner kraftlos gewordenen Hand, fiel auf den taufeuchten Wiesenboden. Der Freigraf wartete nicht ab, bis der Herzog vom Rücken seines
Reittiers stürzte. Zu dem Zeitpunkt, in dem das schreckliche Geschehen offensichtlich wurde, mußte er sich in einer Position befinden, die nicht den Schatten des leisesten Verdachts aufkommen ließ. Schnell gab der Freigraf seinem Pferd die Hacken zu spüren. Der Fuchs setzte sich sofort in Bewegung, brachte seinen Reiter auf eine Höhe mit mehreren anderen Jägern. Währenddessen hatte von Lützen auch nicht versäumt, einen zweiten Pfeil aus dem Köcher zu ziehen und auf die Bogensehne zu legen. Wenn ihn jemand fragte, konnte er treuherzig sagen, daß er noch gar nicht geschossen hatte, weil ihm kein sicheres Ziel vor die Pfeilspitze gekommen war. Jetzt endlich entstand Unruhe in der Jagdgesellschaft. Einige Männer hatten gemerkt, daß etwas Unvorhergesehenes geschehen war. »Um Gottes willen, der Herzog!« wurde eine schrille, entsetzte Stimme laut. »Der Herzog? Was ist mit dem Herzog?« »Er scheint... tot zu sein!« Tot! Otmar von Lützen hatte einige Mühe, seinen Triumph nicht sichtbar werden zu lassen. Er zwang Bestürzung in sein Gesicht, gab sich genauso verstört wie die anderen. »Was ... ist los? Herzog Adalbert tot? Aber das ist doch völlig unmöglich!« Alle Jagdgenossen lenkten ihre Pferde jetzt dorthin, wo sie den Herzog wußten. Freigraf Otmar von Lützen war einer derjenigen, die sich besonders beeilten. Ja, da war Adalbert. In verkrümmter Haltung lag er im Gras, die Beine angezogen, die Arme weit von sich gestreckt, mit dem Gesicht nach unten. Aus seinem Rücken ragte das Ende eines Pfeils. Rings um die Einschußstelle färbte sich sein mit Goldfäden durchwirktes Wams rot. Er bewegte sich nicht, lag vollkommen reglos da. Mehrere Männer sprangen aus den Sätteln, beugten sich über den am Boden Liegenden.
Auch Otmar von Lützen schwang sich vom Rücken seines Pferdes und trat eilig herbei. »Allmächtiger«, sagte er kopfschüttelnd. »Wie konnte das denn nur passieren?« Freigraf Baldur von Torstein, der unmittelbar neben ihm stand, blickte kurz hoch. »Meuchelmord!« stieß er hervor. »Irgendein gemeiner Hundsfott hat den Herzog ermordet!« Otmar von Lützen zuckte zurück, als habe ihn ein wuchtiger Hammerschlag getroffen. »Meuchelmord?« wiederholte er entsetzt. »Glaubt Ihr das wirklich, Freigraf?« »Natürlich!« »Aber warum? Wer sollte danach streben, unserem geliebten Landesherrn das Leben zu rauben?« Der bullige Mann zog die Mundwinkel schief. »Jemand, der sich selbst gerne zum Landesherrn aufschwingen möchte!« Otmar von Lützen spürte, wie ihm das Blut aus dem Gesicht wich. Ahnte Torstein etwas? Oder schlimmer noch - hatte er etwas gesehen? Der bullige Mann hatte den Nagel genau auf den Kopf getroffen. Nachfolger des Herzogs zu werden - eben dies war von Lützens Ziel. Nur aus diesem Grunde hatte er seinen Pfeil gegen Adalbert gerichtet. Baldur von Torstein schob das Kinn vor. »Ihr seid verstört, Lützen! Bin ich der Wahrheit auf der Spur?« Diesen unverblümten Worten konnte Otmar von Lützen nur eins entgegensetzen: Empörung. Er hob den Bogen, den er noch immer in der Hand hielt, und umfaßte den Pfeil mit den Fingern der anderen Hand. »Darf ich Euren Worten entnehmen, daß Ihr mich beschuldigt, den Herzog getötet zu haben?« fragte er drohend. Unwillkürlich trat der andere einen Schritt zurück. »Senkt den Bogen, Lützen! Seid Ihr des Teufels?« »Ich verlange eine Antwort! Und Ihr tut gut daran, Euch diese
Antwort recht zu überlegen!« »Es lag mir fern, Euch einem bösen Verdacht auszusetzen«, sagte Baldur von Torstein mit knirschenden Zähnen. »Meine Gedanken ergingen sich lediglich in grüblerischen Bahnen.« Er hat also nichts gesehen! begriff Otmar von Lützen. Und sofort nutzte er die günstige Gelegenheit, seinerseits zum Angriff überzugehen. Wenn es darum ging, für den kinderlosen Adalbert einen Nachfolger auf dem Herzogthron zu bestimmen, dann war Freigraf Baldur von Torstein sein schärfster Rivale. Es konnte also nur von Vorteil sein, wenn er den anderen ins Zwielicht setzte. Er ließ den Bogen nicht sinken und maß den bulligen Mann mit finsteren Blicken. »Könntet Ihr nicht derjenige gewesen sein, der seinen Pfeil gegen den Herzog richtete?« sagte er argwöhnisch. Nun war es an Baldur von Torstein, seiner Empörung freien Lauf zu lassen. Seine Miene verdüsterte sich, und auf der Stirn erschien eine tief eingekerbte Falte. »Ihr wagt es allen Ernstes, mir zu unterstellen...« »Hört auf mit dem fruchtlosen Gezänk, Ihr Herren«, sagte Freigraf Ulf von dem Walde, der dem Streit der beiden Jagdgenossen zugehört hatte. »Keine Sekunde zweifele ich daran, daß der Herzog Opfer eines bedauerlichen Unfalls wurde.« »Eines Unfalls?« echote von Lützen. Ulf von dem Walde nickte. »Ein Pfeil, der tatsächlich dem Wilde galt, verflog sich und traf unglücklich den Herzog. Ich bin überzeugt davon, daß niemand bewußt nach dem Leben unseres Herrn trachtete.« Jetzt ließ Otmar von Lützen langsam den Bogen sinken. »In der Tat«, sagte er, »so könnte es gewesen sein.« Er wandte sich an seinen Rivalen. »Verzeiht, Torstein. Gewiß wollte ich Euch nicht zu nahe treten, aber ...« »Nichts für ungut«, gab auch der bullige Freigraf klein bei. »Es war wohl der Schmerz über den Verlust unseres geliebten Herrn, der uns Unbedachtes über die Lippen kommen ließ.«
Der Streit war beigelegt, und kein Verdacht mehr lastete auf Otmar von Lützen. Dennoch fiel wenig später ein gallebitterer Tropfen in den Freudenbecher des Freigrafen. »Der Herzog lebt!« gellte plötzlich eine Stimme auf. »Seht doch, seine Augenlider bewegen sich!« Otmar von Lützen fiel es ungeheuer schwer, die Enttäuschung aus seinem Gesicht zu verbannen. * Schweratmend lag Herzog Adalbert in den Linnenkissen seines Fürstenbettes. In Rücken und Brust tobte ein rasender Schmerz, der so grausam war, daß er immer wieder dem Rand der Ohnmacht entgegentaumelte. Die Salben des Arztes hatten kaum für Linderung sorgen können. Der Herzog wußte, daß sein Lebensfaden bald abreißen würde. Der Pfeil, der ihn durchbohrt hatte, war sein Schicksal. Es hatte keinen Zweck, sich irgendwelche falschen Hoffnungen zu machen. Aber noch war er nicht bereit, von der Bühne des Lebens abzutreten. Bevor er ging, gab es noch etwas zu tun. Etwas, das er schon längst hätte tun sollen, wenn sein Herz nicht so verhärtet gewesen wäre. Jetzt aber, angesichts des nahenden Todes, fühlte er die Bereitschaft zum Verzeihen tief in sich. Es kostete ihn einige Mühe, die Augen zu öffnen und den Kopf leicht anzuheben. Wie durch einen Schleier nahm er die Personen wahr, die mit sorgenvollen Gesichtern sein Bett umstanden. Da waren Pankratius, der Arzt, und sein Leibdiener Erich. Und da war auch Leander, sein getreuer Hausmeier. Der Arzt hatte ein feuchtes Tuch in der Hand und wollte ihm damit über die Stirn fahren. Aber Adalbert wehrte ihn mit einer unwilligen Fingerbewegung ab. »Leander«, flüsterte er. Der im opferbereiten Dienst ergraute Hausmeier beugte sich sofort zu ihm nieder.
»Herr?« »Schicke alle anderen hinaus«, sagte der Herzog mit schwacher Stimme. »Ich möchte mit dir allein reden.« Es bedurfte keiner weiteren Aufforderung. Ohne Widerspruch zu erheben, verließen alle das Schlafgemach. Nur der Hausmeier blieb. Er schob ein weiteres Kissen unter den Kopf des Sterbenden, um ihm das Sprechen etwas zu erleichtern. »Leander, was wird werden, wenn ich nicht mehr unter den Lebenden weile?« begann der Herzog das Gespräch. »Aber, aber«, erwiderte der Hausmeier begütigend. »Ihr werdet nicht sterben! Ihr werdet Euch erholen und bald schon ...« »Machen wir uns nichts vor! Ich weiß recht gut, wie es um mich steht, und ich verlange von dir, daß du offen und ehrlich zu mir bist.« »Ja, Herr«, nickte der alte Mann bedrückt. »Also?« »Wenn Ihr ... nicht mehr seid, werden die Freigrafen des Landes um Eure Nachfolge streiten«, sagte Leander. »Ich fürchte, es wird sehr unfriedlich zugehen. Männer wie Baldur von Torstein und Otmar von Lützen sind nicht wählerisch, wenn es darum geht, ihre Pläne zu verwirklichen.« »Ja«, bestätigte der Herzog, »du sprichst das aus, was auch ich denke. Und deshalb ...« Er unterbrach sich. Das Sprechen fiel ihm schwer. Jedes Wort, das er von sich gab, verstärkte das höllische Stechen in seiner Brust. Es war erforderlich, eine kleine Ruhepause einzulegen. Dem treuen Leander entging das nicht. »Soll ich Pankratius herbeiholen, Herr?« »Nein, nein, es geht schon wieder«, wehrte der Herzog ab. Er zwang sich dazu, die Schwäche zu überwinden, die in seinem Körper tobte wie ein böses Tier. »Leander?« »Ja, Herr?« »Erinnerst du dich an Veronica?« »Veronica?« Der alte Mann tat so, als ob er den Namen niemals in
seinem Leben gehört hatte. Adalbert lächelte. »Keine Bange, Leander. Es war nicht meine Absicht, dich einer Prüfung zu unterziehen. Sehr wohl weiß ich, daß ich dir vor gut zwanzig Jahren befahl, Veronica zu vergessen. Diesen Befehl hebe ich jetzt auf.« Deutlich war dem alten Mann anzumerken, wie gerne er diese befreienden Worte hörte. »Und ob ich mich an Eure Gemahlin erinnerte!« sagte er aus tiefstem Herzen. »Vergebt mir, Herr, aber trotz Eurer Weisung habe ich sie stets im Angedenken gehalten!« »Du hast es mir all die Jahre übel genommen, daß ich sie damals verstieß, nicht wahr? Sie und das Kind!« »Es steht mir nicht zu, Euch etwas übel zu nehmen, Herr, aber ...« »Du warst immer der Überzeugung, daß ich ihr bitteres Unrecht zufügte, stimmt's?« »Dies kann und will ich nicht leugnen«, gestand Leander. »Nie konnte ich Eure Auffassung teilen, daß Euch die Herzogin untreu war und das Kind tatsächlich von einem anderen Mann stammte. Es war Euer Kind, Herr!« »Ich hatte meine Gründe, Gegenteiliges zu glauben«, sagte Adalbert leise. »Falsche Gründe, wenn Ihr mir erlaubt, dies so frei heraus zu sagen«, erwiderte der Hausmeier. »Mag sein, mag sein«, murmelte der Herzog. »Im Laufe der Jahre geriet meine damalige feste Überzeugung mehr und mehr ins Wanken. Ich gestehe, daß ich jedoch zu stolz war, meinen Meinungswandel offen zuzugeben. Jetzt aber... Leander, ich möchte wieder gutmachen, was ich vielleicht vorschnell an Unrechtem tat.« »Das ehrt Euch, denn es ist niemals zu spät, Reue zu zeigen«, sagte der alte Mann weise. »Weißt du, was aus Veronica und der kleinen Berthild geworden ist?« fragte der Herzog. Leander machte ein bekümmertes Gesicht. »Gerne würde ich Euch eine Antwort geben, die Ihr hören wollt. Aber ich kann es nicht. Mir
ist nicht bekannt, wohin sich Eure Gemahlin damals mit dem Kinde wandte.« »Aber sicher gibt es jemanden, der Bescheid weiß.« Der Hausmeier schüttelte den Kopf. »Ich fürchte nicht. Ihr gabt den Befehl, Eure Gemahlin zu vergessen. Und Ihr drohtet jedem schwere Strafe an, der sich um Mutter und Kind kümmern würde. Soweit ich weiß, wagte niemand, Eurem Befehl zuwiderzuhandeln.« Das Stechen in Adalberts Brust wurde heftiger. Und dieses Stechen kam gewiß nicht nur von der Pfeilwunde, sondern auch aus seinem kummervollen Herzen. »Veronica und Berthild müssen gefunden werden«, flüsterte er eindringlich. »Vor allem Berthild! Ich habe sie dazu ausersehen, mir auf den Herzogthron zu folgen. Wenn sie von meinem Blute ist, gebührt ihr die Herrschaftswürde. Und außerdem wäre dadurch dem Streit der Freigrafen um meine Nachfolge die Nahrung entzogen.« »Dies wäre eine vortreffliche Lösung«, pflichtete ihm der Hausmeier bei. »Aber ich weiß wirklich nicht...« »Tu alles, was in deiner Macht steht«, befahl der Herzog. »Laß Anschläge im ganzen Land anbringen. Laß Herolde in alle Richtungen ausschwärmen. Versprich demjenigen, der einen Hinweis auf den Verbleib Berthilds geben kann, die Erhebung in den Adelsstand. Wirst du dies alles tun, mein getreuer Leander?« »Ich werde es tun«, versprach der Hausmeier feierlich. »So wahr mir Gott helfe.« Erleichtert ließ sich der Herzog in die Kissen zurücksinken. Wenig später war er tief und fest eingeschlafen. Lautlos verließ der alte Mann das Schlafgemach, um die Weisungen seines Herrn in die Tat umzusetzen. * »Ja, ja, ja«, stöhnte die Schwarze Sitta leidenschaftlich. »Mehr, mehr, mehr!« Sie lag auf dem Rücken, das weiche Blätterlager unter sich. Ihre
geschlossenen Augenlider zitterten, die Lippen waren lustvoll geöffnet. Mit beiden Händen krallte sie sich in den nackten Rücken des Mannes über ihr. Daß ihre Fingernägel dort blutige Spuren hinterließen, machte ihr nicht das geringste aus. Eher war das Gegenteil der Fall. Das Blut verstärkte ihren Sinnesrausch nur noch. »Ich liebe dich, Sitta«, keuchte Rollf der Schinder. »Oh, wie ich dich liebe!« Und er tat sein Bestes, um diese seine Liebe zu beweisen. Die Kraft seiner Lenden schien unerschöpflich zu sein. Sitta geriet von einer Verzückung in die andere. »Sitta, Rollf!« Wie aus einer anderen Welt drang die Stimme an ihre Ohren. Bewußt nahm sie gar nicht wahr, daß jemand ihren Namen gerufen hatte. Sie hörte nur die Stimme ihres Blutes, und alles andere war ihr im Augenblick vollkommen gleichgültig. Anders jedoch ihr Liebhaber. Rollf der Schinder fuhr zusammen, als habe man einen Zuber Jauche über ihm ausgeleert. Mit einem bösen Knurren ließ er von dem Mädchen ab und sprang auf die Füße. Hastig griff er nach seinem Rock und schlang ihn sich um die Hüften. »Sohn eines alten Schweins!« fuhr er den Mann an, der grinsend im Höhleneingang stand. »Was fällt dir ein, hier so schamlos hereinzuplatzen?« »Halte die Luft an, Schinder«, sagte der Mann und reckte seine breiten Schultern. »Ich komme und gehe, wann ich will. Und du bist der letzte, der mich daran hindert. Und nun verschwinde! Ich habe mit Sitta zu reden.« Einen Augenblick lang sah es so aus, als ob Rollf der Schinder diese unverblümte Zurechtweisung nicht tatenlos hinnehmen würde. Er hob die rechte Hand und ballte die Faust. Dann aber ließ er die Hand wieder sinken, murmelte etwas Unverständliches vor sich hin und verließ mit bösem Gesicht die Höhle. Er hatte den Mut, sich offen gegen den Bandenführer aufzulehnen, doch nicht aufgebracht, wohl wissend, daß ihm das schlecht bekommen wäre.
Geringschätzig lächelnd blickte ihm Hanns der Bär nach. Er war dreißig Jahre älter als der Schinder. Aber das änderte nichts an der Tatsache, daß er es noch immer mit jedem einzelnen seiner Leute aufnehmen konnte. »Mußtest du ihn so vor den Kopf stoßen, Ohm?« sagte die Schwarze Sitta vorwurfsvoll. Sie hatte sich aufgerichtet, dachte aber nicht daran, ihre Blößen zu bedecken. Fast herausfordernd reckte sie Hanns dem Bär ihre vollen Brüste entgegen. »Rollf der Schinder ist ein Dummkopf«, sagte der Bandenführer und zuckte mit den Schultern. »Aber er ist ein vortrefflicher Liebhaber«, erwiderte das Mädchen und lächelte katzenhaft. Wie zufällig fuhr sie mit den Handflächen über die Spitzen ihrer Brüste. Es war eine Bewegung, die selbst den keuschsten Mönch zum Schwanken gebracht hätte. Hanns der Bär lachte polternd. »Du bist ein Luder, Sitta!« »Und du bist ein Mann! Und von deinem Blut fließt kein Tropfen in meinen Adern.« »Wohl wahr«, nickte der Bandenführer. »Bisher hielt ich dich stets für die leibliche Tochter des Teufels. Nun aber sieht es so aus, als stammst du aus herzoglichem Geblüt!« Die Schwarze Sitta zog die geschwungenen Augenbrauen in die Höhe. »Was sagst du da?« Hanns der Bär kam näher und setzte sich neben der jungen Frau auf das Lager aus trockenen Blättern. Prüfend blickte er ihr in das hübsche Gesicht. »Ja«, sagte er. »Wenn ich dich so ganz genau anschaue ... Du siehst ihm in der Tat ähnlich!« »Wem sehe ich ähnlich, zum Teufel?« »Dem Herzog!« »Du meinst... Herzog Adalbert?« »Nämlichem«, nickte der Bandenführer. »Vieles spricht dafür, daß du wirklich seine Tochter bist.«
Die Schwarze Sitta lachte silberhell auf. »Du mußt verrückt geworden sein, Ohm! Erstens weiß jedermann im Lande, daß der Herzog keine Kinder hat...« »So hieß es bisher. Nun aber wissen wir es anders. Adalberts damalige Ehe ist nicht kinderlos geblieben. Er hatte eine Tochter dich, du kleines Luder!« Sitta wußte nicht mehr, was sie sagen sollte. Und wie immer bei solchen Gelegenheiten nahm sie Zuflucht zu Beschimpfungen, die sich aus ihrem hübschen Munde weitaus garstiger anhörten als aus dem zahnlosen Maul eines Sauhirten. Hanns der Bär ließ sie schimpfen. Ja, er hatte sogar seine Freude an ihrem Gezeter, bewies dies doch, daß sie ganz nach seiner Art geschlagen war, auch wenn er sie seinerzeit nur an Vaters Stelle als die seine angenommen hatte. Erst als ihr langsam die Luft wegblieb, bequemte er sich zu einer Erklärung. Er erzählte von dem herzoglichen Herold, der seinem Gewährsmann begegnet war, erzählte ihr von dem Aufruf Adalberts und allem, was damit in Zusammenhang stand. Die Schwarze Sitta konnte es noch nicht fassen. »Langsam, langsam«, sagte sie und bemühte sich dabei krampfhaft, ihre Aufregung zu unterdrücken. »Damals also jagte der Herzog sein Weib und ihr Neugeborenes davon. Schön und gut! Wie aber kommst du auf den Gedanken, daß ausgerechnet ich jenes Kind war, das die Herzogin auf ihren Armen trug?« »Der Zeitpunkt stimmt«, antwortete Hanns der Bär und zupfte an seinem struppigen Bart. »Es ist etwa zwanzig Jahre her, als ich dich damals im Walde fand - einen greinenden Säugling, halb erfroren und von allen verlassen.« »Und die Herzogin?« »Was weiß ich? Sie könnte dich im Wald ausgesetzt haben und ihres Weges gegangen sein. Sie könnte den Wölfen oder einem Bären zum Opfer gefallen oder in die Hände von Wegelagerern geraten sein. Ich war damals nicht der einzige Räuber im Lande.« Sekundenlang sagte die Schwarze Sitta kein einziges Wort. Dann
sprang sie plötzlich auf und tanzte in ihrer ganzen Nacktheit jauchzend in der Höhle umher. »So stimmt es also - ich bin des Herzogs Töchterlein! Und nun sucht mich mein geliebter Vater, um mich auf den Thron zu setzen!« Mit blitzenden Augen sah sie den Bandenführer an. »Worauf warten wir noch, Ohm? Auf zum Schloß!« Hanns der Bär grinste breit. »Du hast es verdammt eilig, was?« »Wer an meiner Stelle würde nicht...« »Wir sollten nichts überstürzen«, bremste Hanns der Bär ihren wilden Eifer. »Noch ist keinesfalls gewiß, daß du wirklich die Gesuchte bist!« »Aber du sagtest doch ...« »Ich sagte, daß du es sein könntest, mein Kind! Je länger ich jedoch darüber nachdenke, desto größer werden meine Zweifel.« »Wieso, zur Hölle?« »Ich komme langsam in die Jahre, wo einem das Gedächtnis schon mal einen Streich spielt«, sagte der Bandenführer. »Aber mögen die Erinnerungen auch verschüttet sein, gänzlich verloren sind sie dennoch nicht.« »Du sprichst in Rätseln, Ohm«, stieß das Mädchen hervor. »Oder du bist ein alter Narr, der nicht mehr ganz richtig im Kopfe ist.« Niemand außer ihr konnte es wagen, so mit Hanns dem Bär zu sprechen. Jedem seiner Männer hätte er zumindest das Nasenbein gebrochen, wenn sie ihm so unbotmäßig gekommen wären. Bei Sitta jedoch drückte er wie stets beide Augen zu. »Ich erinnere mich jetzt deutlich«, sagte er. »Du warst in jenen Tagen nicht das einzige Findelkind. Da war der Köhler Gislevert...»»Ein Junge namens Gislevert kann schlechterdings nicht die Tochter des Herzogs sein, oder?« »Laß mich gefälligst aussprechen«, erwiderte der Bandenführer, jetzt doch etwas verärgert ob der ständigen Unterbrechungen durch seine Ziehtochter. »Nicht Gislevert war das Findelkind. Vielmehr war er es, der das Kind bei sich aufnahm. Das Kind und die Mutter!« Die Schwarze Sitta wurde blaß. »Die ... Herzogin?«
»Das weiß ich nicht. Gislevert hat nie darüber gesprochen, wer die Frau war. So ich mich erinnere, ist sie auch alsbald gestorben.« »Und das Kind? Es war ein Mädchen, nicht wahr?« »Ja, es war ein Mädchen. Es wuchs bei Gislevert auf und entwickelte sich gar prächtig.« Die Schwarze Sitta war noch blasser geworden. »Diese kleine Köhlerschlampe will mir den Herzogsthron wegnehmen. Das lasse ich nicht zu! Wir müssen es verhindern, Ohm!« »Und wie machen wir das?« fragte der Bandenführer. »Wenn nicht du, sondern sie die richtige ist...« »Wir töten sie«, zischte Sitta entschlossen. »Sie und diesen Köhler! Eine Tote kann sich nicht als des Herzogs Tochter ausgeben, selbst wenn sie es tatsächlich ist. Und wenn die Nebenbuhlerin nicht mehr lebt, ist der Weg frei - für mich!« »Das wird gar nicht so einfach sein«, wandte Hanns der Bär ein. »Warum nicht?« funkelte ihn das Mädchen an. »Mir scheint fast, du willst überhaupt nicht, daß ich Herzogin werde! Du willst, daß ich weiterhin mit dir und deinen Wegelagerern hier im Wald lebe. Und auch deine Gründe sind mir vollkommen klar, Ohm. Einen besseren Lockvogel als mich wirst du so leicht nicht finden, stimmt's?« »Törichtes Kind«, sagte der Bandenführer. »Wie könnte ich nicht wünschen, daß du den Herzogthron besteigst? Glaubst du, ich habe große Freude daran, bis an mein Lebensende ein Räuber zu sein ständig auf der Flucht vor den Häschern? Die Stellung eines Hausmeiers auf dem Schloß würde mir viel besser gefallen.« »So, so, Hausmeier möchtest du also werden! Und was tust du, wenn ich statt deiner einen anderen zum Verwalter meines herzoglichen Besitzes mache?« »Dann bringe ich dich um!« Die Schwarze Sitta blinzelte, lächelte dann etwas gequält. »Du weißt selbst, daß ich dich niemals hintergehen würde, Ohm. Wenn du mich nicht als Säugling zu dir genommen hättest, wäre ich längst nicht mehr unter den Lebenden.« Der Bandenführer nickte. »Du tätest gut daran, dies niemals zu
vergessen!« »Kommen wir zurück auf diese Köhlerschlampe«, sagte das Mädchen. »Warum hast du Bedenken, sie aus dem Wege zu räumen?« »Es ist gewiß nicht mein weiches Herz, falls du das denkst. Die Schwierigkeit liegt ganz woanders.« »Und zwar?« Hanns der Bär seufzte. »Gislevert, der Köhler, lebt nicht mehr in unserer Gegend. Vor ein paar Jahren gab er seinen Meiler auf, nahm Frau und Kinder und zog auf und davon.« »Und du hast keine Ahnung, wo er abgeblieben ist?« »Nicht die geringste.« »Das ist dumm«, sagte die Schwarze Sitta finster. Dann hellte sich ihr Gesicht auf. »Oder auch nicht! Wenn die Köhlerschlampe nicht mehr im Lande ist, kann sie nicht als meine Rivalin um den Thron auftreten, richtig?« »Das Land ist groß, aber die Kunde vom Aufruf des Herzogs wird sich verbreiten wie ein Lauffeuer. Ich zweifele nicht daran, daß Gislevert davon erfahren wird, wo auch immer er jetzt lebt.« Das hübsche Gesicht der Schwarzen Sitta verzog sich zu einer Grimasse. »Dann müssen wir ihn finden, hörst du?« sagte sie schrill. »Ihn und seine verdammte Ziehtochter!« Hanns der Bär nickte bedächtig. * Roland hob verwundert die Augenbrauen, als Pierre unvermutet sein Pferd beschleunigte und mit ein paar Galoppsprüngen an ihm vorbeizog. »He, was ist los?« rief er den dicklichen Knappen an. »Hast du die Gewalt über deine Mähre verloren?« Es paßte überhaupt nicht zu Pierre, daß er sich beeilte. Er hatte es lieber gemütlich und ließ es in allen Lebenslagen gemächlich
angehen. Und daß er unterwegs die Spitze übernahm, kam so gut wie gar nicht vor. Vornan mochten Gefahren lauern, und diesen ging er sorgsam aus dem Wege, wenn es sich nur irgendwie einrichten ließ. Der Knappe wandte den Kopf. »Einem so famosen Reiter wie mir geht kein Pferd durch«, stellte er fest. »Aber ich spüre die Nähe eines Wirtshauses, und deshalb ...« »... beeilst du dich, damit dir um Gottes willen keiner etwas wegfrißt«, warf der Knappe Louis lachend ein. »Ritter Roland, warum schlagen wir uns eigentlich mit dem nutzlosen Kerl herum? Er denkt nur ans Essen und Schlafen und ist sonst zu nichts zu gebrauchen.« Der Ritter mit dem Löwenherzen schmunzelte. »Immerhin können wir in seiner Gesellschaft nicht verhungern. Und das ist ja auch schon etwas wert.« Der dickliche Knappe hatte in der Tat die Gabe, Eßbares mit unfehlbarer Sicherheit aufzuspüren. In dieser Beziehung hatte er die Witterung eines guten Jagdhundes. Auch diesmal war dies wieder der Fall. Roland sah das Wirtshaus noch gar nicht, von dem Pierre gesprochen hatte. Aber er bezweifelte nicht, daß es binnen kürzester Zeit tatsächlich am Straßenrand auftauchen würde. Er konnte nicht sagen, daß ihm das Wirtshaus unwillkommen war. Ein äußerst scharfer und anstrengender Ritt lag hinter ihm und seinen beiden Gefährten, und er hatte einen rechtschaffenen Hunger entwickelt. Außerdem blickte auch er einem weichen Nachtlager mit großem Behagen entgegen. Zwar hatte König Artus zu äußerster Eile gedrängt, als er ihm den Auftrag gab, zum Schloß Herzog Adalberts zu reiten. Die kommende Nacht jedoch durfte sicherlich noch der Muße und der Entspannung dienen. Wenn sich der Verdacht des Herrn von Camelot, daß man einen Mordanschlag auf den Herzog unternommen hatte, als wahr herausstellte, würde er in den nächsten Tagen sicherlich alle Hände voll zu tun haben und kaum zu viel Schlaf kommen. Es war so, wie Pierre gesagt hatte. Rechter Hand schälten sich aus dem Zwielicht der Abenddämmerung die verschwommenen Umrisse
eines einsamen Gebäudes hervor, die Kate eines Einsiedlers oder tatsächlich eine Herberge. Wenig später zügelten die drei Männer ihre Pferde vor dem Haus. Ja, es war eine Herberge, eine von jener Sorte, bei der der Gast nicht allzu viel Leibesvergnügen erwarten durfte. Das Gebäude bestand rundherum aus Holz und war mit gepreßten Strohschindeln bedeckt. Es sah ärmlich aus, wirkte aber ungemein sauber. Und der gepflegte kleine Gemüsegarten war gewiß auch mit viel Liebe angelegt worden. Roland und seine Begleiter waren noch nicht aus den Sätteln gestiegen, da wurden sie bereits willkommen geheißen. Ein grauköpfiger Mann mit stark gebeugtem Rücken trat aus dem Haus und begrüßte die Ankömmlinge mit freundlichen Worten. Aber es war nicht der alte Mann, der sofort Rolands ganze Aufmerksamkeit in Anspruch nahm. Diese Aufmerksamkeit zog das Mädchen auf sich, das in diesem Augenblick nach draußen kam. Was für das Haus galt, galt auch für die Kleidung der jungen Frau: ärmlich, aber sauber. Aber so wie auf einem Misthaufen auch eine herrliche Rose blühen konnte, so steckte in dieser unscheinbaren Kleidung ein gar prächtiges Geschöpf. Wonnevolle Rundungen an den richtigen Stellen, Beine so lang, daß man glaubte, sie würden gar nicht mehr aufhören, und dazu ein engelhaftes Gesicht, das von wallendem, rehbraunen Haar umschmeichelt wurde. Roland kannte sich aus mit dem schönen Geschlecht. Aber selbst unter hochgestellten höfischen Damen war ihm selten ein solches Fräulein begegnet. Auch Louis und Pierre starrten die junge Frau an und bekamen Stielaugen dabei. Die Blicke waren dem Mädchen sichtlich peinlich. Der artige Knicks, den sie jetzt machte, wurde begleitet von einem verlegenen Lächeln. »Bringt die Pferde in den Stall«, sagte Roland, um seine Knappen auf andere Gedanken zu bringen. »Ihr habt doch eine Unterkunft für unsere Reittiere?« vergewisserte er sich anschließend 'bei dem grauköpfigen Alten.
»Gewiß doch, Herr Ritter«, bestätigte der Herbergswirt. »Hier entlang, bitte schön!« Der Alte zeigte den Knappen den Weg und führte sie mit den Pferden ums Haus herum. Roland hatte unterdessen das Vergnügen, von dem Mädchen in die Gaststube geleitet zu werden. »Wie heißt du, schönes Kind?« fragte der Ritter mit dem Löwenherzen lächelnd. »Hilda«, sagte die junge Frau. »Und meine Eltern sind Gislevert und Maria.« »Freut mich, euch kennenzulernen. Ich bin sicher, wir werden uns wohlfühlen bei euch.« »Das hoffe ich auch, Herr Ritter«, sagte das Mädchen artig. »Meine Mutter ist eine vorzügliche Köchin, und auch unsere Betten gaben noch nie Anlaß zur Klage.« Roland wußte etwas, das zu seinem Wohlbefinden noch mehr beitragen konnte. Aber es war wohl verfrüht, schon jetzt davon zu reden. * Baldur von Torstein hieb mit der Faust auf den Tisch, so kräftig, daß Schüsseln und Becher hüpften. Seine Frau, die sich vor Schreck fast an einem Hühnerschenkel verschluckte, blickte ihn fassungslos an. »Bist du toll geworden, Mann?« »Keineswegs«, sagte der Freigraf und lachte dröhnend. »Ich hab's!« »Was hast du?« »Die Lösung«, sagte von Torstein. Und als er das Unverständnis in den Augen seiner Gemahlin sah, fuhr er fort: »Ich weiß jetzt, wie ich die Herrschaft über das Land antreten kann, ohne mich vorher mit Lützen auseinandersetzen zu müssen.« »Ich kann mir schon denken, wie du das machen willst«, erwiderte Emilia von Torstein spöttisch. »Du schickst ein paar Meuchelmörder
los und läßt deinen Rivalen umbringen.« »So eine Schurkerei traust du mir zu, Weib?« »Unbedingt!« »Hüte deine Zunge. Ich bin nicht bereit, weitere Ehrabschneidungen aus deinem Munde hinzunehmen!« Achselzuckend wandte sich Emilia von Torstein wieder ihrem Huhn zu. In Sekundenschnelle hatte der Freigraf seinen momentanen Ärger wieder vergessen. Nicht zuletzt auch deshalb, weil das, was er vorhatte, kaum weniger schurkisch war als ein Meuchelmord. »Wie alt ist unsere Tochter Martha?« wollte er von seiner Frau wissen. »Dreiundzwanzig Jahre natürlich!« »Nein! Sie ist erst zwanzig Jahre alt!« Emilia schüttelte heftig den Kopf. »Mann, ich werde doch wohl wissen, wann ich meine Tochter geboren habe!« Der Freigraf grinste. »Du hast sie gar nicht geboren!« »Wie? Ich habe sie nicht...« »Wir sind nicht die leiblichen Eltern unserer Tochter Martha. Das können wir auch gar nicht sein, denn Martha ist ein Findelkind!« Emilia von Torstein lachte. »Du bist wirklich toll! Jetzt zweifele ich nicht mehr daran.« »Ganz im Gegenteil«, sagte der Freigraf. »Selten war ich so klar bei Verstand wie in diesem Augenblick.« Er beugte sich vor und stützte den Kopf auf die Hände. »Du hast den Herold des Herzogs gehört?« »Natürlich. Adalbert sucht Frau und Kind, die er damals ...« Emilia von Torstein stutzte. Der Funke des Verstehens blinkte in ihren Augen auf. »Du willst doch nicht etwa behaupten ...« »Doch, genau das will ich«, sagte Baldur. »Im Grunde genommen ist alles ganz einfach. Damals, als Adalbert seine Gemahlin Veronica und ihren Wechselbalg mit Schimpf und Schande davonjagte, war ich noch ein kleiner Ritter ohne eigenen Herrschaftsbereich.« »Wem sagst du das?« warf seine Frau ein. »Martha und ich hatten
kaum genug zu beißen, während du ...« »Unterbrich mich nicht!« sagte der Freiherr scharf. »Jedenfalls war ich damals noch ein fahrender Ritter, dem eines Tages die unglückliche Veronica in die Arme lief. Gütig wie ich schon damals war, nahm ich Mutter und Kind in meine Obhut und ...« »Aber das ist doch lächerlich, Mann! Damals hattest du bereits mich und Martha!« Der Freigraf machte eine unwirsche Handbewegung. »Wer weiß das schon? Erst Jahre später kam ich in das Land des Herzogs. Mit dir und Martha, gewiß. Aber wer vermag heute zu sagen, daß Martha deine Tochter und nicht ein angenommenes Findelkind war?« »Und was ist aus Veronica geworden?« »Sie ist gestorben - an gebrochenem Herzen! Und da ich das Kind nicht allein versorgen konnte, nahm ich dich zum Weibe. So einfach ist das!« Wieder schüttelte Emilia von Torstein den Kopf. »Es ist, wie ich schon sagte: lächerlich! Du glaubst doch nicht ernsthaft, daß der Herzog ein Wort dieser abenteuerlichen Geschichte für bare Münze nimmt?« »Ich bin anderer Meinung. Wie es scheint, zerfließt Adalbert vor innerer Reue. Er wird überglücklich sein, wenn ich ihm seine verstoßene Tochter ans Sterbebett bringe.« »Und warum hast du das nicht längst getan?« Der Freigraf lachte. »Wie konnte ich? Weiß nicht jedermann, daß Adalbert befohlen hatte, seine ungetreue Gemahlin und den Wechselbalg ein für allemal zu vergessen? Ich wäre ein schlechter Getreuer meines Herrn gewesen, wenn ich seinen Befehl mißachtet hätte.« Emilia von Torstein machte ein ausgesprochen unglückliches Gesicht. Und das ärgerte ihren Gemahl. »Was jammerst du?« fuhr er sie an. »Möchtest du nicht die Mutter - die Ziehmutter - der neuen Herzogin werden? Wenn Martha auf dem Thron sitzt, beherrschen wir das Land, denn sie wird nur das tun, was ich ihr sage.«
»Daran gibt es keinen Zweifel, aber...« »Aber?« »Der Herzog wird dir nicht glauben», wiederholte Emilia. »Du hast keinerlei Beweise für deine Behauptungen. Schließlich könnte ja jeder kommen und ...« »Ich bin nicht jeder! Ich bin der Freigraf von Torstein, und mein Wort hat Gewicht. Und was die Beweise angeht...« Baldur lächelte listig. »Es werden sich sicherlich unter meinen Getreuen ein paar finden lassen, die die Wahrheit bezeugen können.« »Und Martha? Unsere Tochter hat ihren eigenen Kopf. Ich bin mir nicht sicher, ob sie sich auf diesen Handel einlassen wird.« Der Freigraf lachte. »Seit wann haben Findelkinder ihren eigenen Kopf? Sag mir das, Weib!« Emilia von Torstein seufzte nur noch ergeben. * Die schöne Hilda hatte nicht übertrieben: ihre Mutter war wirklich eine ganz ausgezeichnete Köchin. Was die brave Frau aus den einfachsten Zutaten hingezaubert hatte, grenzte schon ans Wunderbare. Selbst Louis, der ein ausgesprochener Feinschmecker war, hatte an ihrer Kochkunst nichts auszusetzen. »Du bist die geborene Köchin, gute Frau«, lobte er. Die Frau des Herbergswirts, die den Knappen an Leibesumfang bei weitem übertraf, lächelte erfreut. »Ihr werdet es nicht glauben, Herr«, sagte sie, »aber eigentlich bin ich gar keine richtige Köchin. Die meiste Zeit meines Lebens verbrachte ich im Wald, und es gab niemanden außer Mann und Kind, den ich zu beköstigen hatte.« »Im Wald?« wunderte sich Roland. »Bevor wir hier aufmachten, verdiente mein Mann unser Brot als Köhler. Als sein Rücken schlimmer und schlimmer wurde, mußten wir uns nach etwas anderem umsehen. Das Wirtshaus hat zwar nur selten Gäste, denn es liegt doch sehr abgelegen. Aber wir verhungern
nicht, und das ist die Hauptsache.« Roland beschloß im stillen, den braven Leuten mehr zu zahlen, als sie in ihrer Bescheidenheit wahrscheinlich verlangen würden. Vielleicht würde es ausreichen, ein schönes Stück Leinen zu kaufen, um der Haustochter einen hübschen neuen Kittel zu arbeiten. Apropos Haustochter. Die schöne Hilda machte sich sehr rar, ließ sich kaum in der Gaststube blicken. Das betrübte den Ritter mit dem Löwenherzen ungemein. Krampfhaft überlegte er, wie er es anstellen konnte, das Mädchen aus ihrem Hinterstübchen hervorzulocken, ohne dabei plump und aufdringlich zu wirken. Sein Freund Volker vom Hohentwiel hätte sicherlich einen eleganten Weg gefunden. Aber Volker, der in allen Landen bekannte Minnesänger und Ritter, begleitete ihn diesmal nicht. Der Freund hatte eine Einladung zu einem großen Sängerwettstreit im Frankenland bekommen. Und dieser Einladung war er selbstredend gefolgt. Während Roland noch grübelte und seine Gedanken dabei vom guten Landwein anspornen ließ, war es draußen vollends dunkel geworden. Die abendliche Kühle drang durch die Holzwände und kündete an, daß der nächste Winter nicht mehr fern war. Gislevert, der Wirt, sorgte jedoch für Abhilfe, indem er die Holzscheite im Kamin entzündete. Bald schon breitete sich wohlige Wärme in der Stube aus. Die Anstrengungen des langen Ritts und auch die herbe Schwere des Weins brachten es mit sich, daß Roland langsam ermüdete. Seinen beiden Knappen erging es nicht anders. Pierre war bereits am Tisch eingedöst und gab recht störende Pfeiftöne von sich. Auch Louis, der sonst ein Bündel von Energie und Tatkraft war, bekam mehr und mehr Mühe, die Augen offenzuhalten. Der alte Gislevert erwies sich als aufmerksamer Herbergsvater. »Soll ich den Herren das Nachtlager richten lassen?« erkundigte er sich mit einer leichten Verbeugung. Roland zögerte mit der Antwort. Wenn er jetzt zustimmte, schwanden alle Hoffnungen, das Lager mit der schönen Hilda teilen zu können, unwiderruflich dahin.
Dann aber wurde er einer Antwort fürs erste enthoben. Draußen vor der Tür wurde es plötzlich laut. Hufgetrappel, das Wiehern eines Pferdes und Stimmengewirr klangen auf. »Oh«, sagte Gislevert, »mich deucht, wir haben heute einen ausgesprochenen Glückstag. Die ganze Woche ließ sich kein einziger Gast blicken. Und heute herrscht ein Andrang, der alles wieder wettmacht.« Er eilte zur Tür, um die Ankömmlinge, bei denen es sich um eine größere Gruppe zu handeln schien, in Empfang zu nehmen. Seine Frau Maria machte sich unterdessen eifrig hinter dem Tresen zu schaffen. Pierre war durch den Lärm mittlerweile wieder wach geworden, und auch Louis' Augen hatten ihren schläfrigen Ausdruck verloren. Der schlanke, drahtige Knappe wurde auf einmal putzmunter. »He, Pierre, was meinst du«, sagte er. »Ob unter den Leuten, die da kommen, vielleicht ein paar sind, die wir für ein kleines Würfelspiel begeistern können?« Louis war sofort Feuer und Flamme. Neben Essen und Schlafen gehörte das Würfeln zu seinen Lieblingsbeschäftigungen. Vor allem dann, wenn er die Möglichkeit sah, arglosen Gemütern das Geld aus der Rocktasche zu ziehen. »Meine Kasse könnte eine Aufbesserung vertragen«, meinte er mit einem verdeckten Seitenblick auf Roland. »Bei dem kargen Lohn, den manche Ritter ihren Knappen zahlen ...« Roland lächelte nur ob dieser Anspielung. Er war gewiß kein reicher Mann. Aber wenn es darum ging, für das Wohl der Seinen zu sorgen, stellte er sich ganz bestimmt nicht knauserig an. Ein Mann wie Pierre allerdings, der jeden überflüssigen Denar gegen einen saftigen Schinken oder eine Hammelkeule eintauschte, wäre selbst in den Diensten eines Königs nicht zu Geld und Gut gekommen. Kurz darauf kamen die Ankömmlinge in die Wirtsstube herein. Es waren sechs, sieben, acht Männer. Nein, sieben Männer und eine Frau. Das Mädchen, jung und katzenhaft hübsch, war genau wie die Männer gekleidet und fiel deshalb erst beim zweiten Blick auf,
obwohl ihre fraulichen Linien eigentlich gar nicht zu übersehen waren. Roland konnte wirklich nicht sagen, daß ihm die späten Besucher sonderlich gefielen. Ganz gewiß handelte es sich nicht um Herrschaften des vornehmen Standes. Das genaue Gegenteil war der Fall. Diese Menschen entstammten der untersten Schicht. Es war ein wüster Haufen recht verkommener Individuen, zerlumpt gekleidet, ungewaschen und mit wild wucherndem Haupt- und Barthaar. Keine Frage, mit solchen Leuten hatte kein anständiger Mensch gerne etwas zu tun. Pierre und Louis waren zur gleichen Auffassung gekommen. Die Art und Weise, in der sie sich und ihren Herrn ansahen, sagte mehr als viele Worte. Auch die Ankömmlinge tauschten wortlose Blicke. Sie hatten ganz offenbar nicht erwartet, andere Gäste vorzufinden, waren von der Anwesenheit des Ritters und seiner beiden Knappen sichtlich überrascht. Grußlos setzten sie sich nach kurzem Zögern an einen großen Rundtisch und taten so, als seien Roland und die Seinen gar nicht in der Stube. Gislevert und seine Frau Maria waren alles andere als glücklich über den Besuch der wüsten Truppe. Beide ahnten wohl, daß Leute dieses Schlages statt mit barer Münze lieber mit frechen Reden und unverhohlenen Drohungen zu bezahlen pflegten. Anfänglich tuschelten die sechs Männer und das Mädchen nur leise miteinander. Roland konnte nicht verstehen, was sie sagten, obwohl er die Ohren mächtig spitzte. Laut wurden sie erst, als es darum ging, ihre Wünsche bei Gislevert anzumelden. Mit barscher Stimme verlangten sie Met und Fleisch. Mit unglücklicher Miene stand der Wirt an ihrem Tisch. »Mit Met kann ich dienen«, sagte er, »aber Fleisch ist nicht vorhanden. Zum Halten von Haustieren reicht es bei uns leider nicht.« Einer der Kerle lachte wiehernd. »Warum schlachtest du nicht deine Alte, Wirt? Sie ist fett genug, um uns allen zu einer guten
Portion Speck zu verhelfen!« Während die anderen in sein Gelächter einfielen, verfinsterte sich Gisleverts Miene noch mehr. Seine Frau wischte fahrig mit einem Lappen über den Tresen. »Grütze mit Kohl und feinen Kräutern kann ich anbieten«, sagte Gislevert beherrscht. »Behalte deinen Fraß«, wurde er angeherrscht. »Uns steht nicht der Sinn danach, vergiftet zu werden. Bringe uns nur den Met, aber ein bißchen plötzlich, ja?« Jetzt wurde der Wirt ärgerlich. Er stemmte die Arme in die Hüften und sagte: »Ich finde es gar nicht geziemend, mit einem alten Freund so rüde umzugehen, Hanns!« Der Mann, den er angesprochen hatte, ein älterer Bursche schon, der aber noch ungemein stark und kräftig wirkte, blickte hoch und kniff ein Auge zu. »Wir kennen uns?« »Gewiß doch«, sagte der Wirt. »Vor Jahren warst du öfter als einmal Gast in meinem Haus!« Der kräftige Mann musterte ihn scharf, lachte dann plötzlich. »Ich will verdammt sein - Gislevert, der Köhler!« »Eben dieser, ja.« Der mit Hanns Angesprochene wandte sich an seine Leute. »Begegnet dem Wirt von nun an mit gebührender Freundlichkeit, Diebsgesindel! Er ist ein alter Freund von mir, verstanden?« »Verstanden«, antworteten die anderen im Chor und grinsten. »Ich wußte gar nicht, daß du dich zum Schankwirt gemausert hast, Gislevert«, sagte der Kräftige. »Ernährte das Köhlerhandwerk seinen Mann nicht mehr?« »Der Rücken war's«, erwiderte der alte Mann. »Wenn man langsam in die Jahre kommt...« »Verstehe, verstehe«, nickte Hanns. »Als Wirt mußt du nicht die ganze Arbeit alleine machen. Deine Familie kann dir helfen, deine Frau und auch deine Tochter. Die Kleine ist doch noch bei dir?« Irrte sich Roland, oder war tatsächlich ein lauernder Unterton in
die Stimme des Mannes getreten? Gislevert schien es nicht bemerkt zu haben. Er nickte, war offensichtlich froh, daß die wüsten Gäste ihn nicht mehr wie einen niederen Leibeigenen behandelten. »Hilda ist erwachsen geworden«, sagte er. »Und sie ist mir eine große Hilfe.« Der kräftige Mann lächelte wie ein Raubtier. »Wie schön! Ich hoffe, ich werde noch das Vergnügen haben, deine Tochter begrüßen zu können, oder?« Gislevert nickte. »Ich hole sie gleich. Sie wird euch den Met bringen.« Der Wirt wandte sich vom Tisch ab und verschwand durch eine Tür in den rückwärtigen Räumen des Hauses. »Ritter Roland?« sagte Louis im Flüsterton. »Ja?« Der Ritter mit dem Löwenherzen wandte sich ihm zu. »Ich glaube, ich weiß, wer dieser Mann ist, den Gislevert mit Hanns ansprach.« »So?« »Man nennt ihn Hanns den Bär! Er gilt als einer der gefährlichsten und mörderischsten Räuber in den deutschen Landen!« Roland hatte den Namen noch nie gehört, aber das wollte nicht viel besagen. Er kannte sich in Räuberkreisen nicht so aus, ganz im Gegensatz zu Louis, der einst selbst ein Räuber gewesen war, bevor er dem wüsten Leben abschwor und als Knappe in Rolands Dienste trat. Der Ritter mit dem Löwenherzen verzog das Gesicht. »Es gefällt mir gar nicht, mit Mördern und Dieben unter einem Dach wohnen zu müssen. Und noch etwas will mir überhaupt nicht gefallen.« »Ja, Ritter Roland?« »Ich habe das Gefühl, daß dieser Hanns dem Wirt eine kleine Posse vorgespielt hat!« »Eine ... Posse?« »Er tat so, als habe er Gislevert erst später erkannt. In Wirklichkeit wußte er aber von Anfang an, wen er vor sich hatte!«
»Diesen Eindruck hatte ich allerdings auch«, sagte der Knappe. »Aber warum sollte Hanns der Bär so etwas tun?« »Ich weiß es nicht«, gab Roland schulterzuckend zurück. »Aber vielleicht werden wir es bald erfahren.« Das sollte er in der Tat... * Die meisten Burgen lagen auf einer Bergeshöhe, um es möglichen Feinden schwer, wenn nicht gar unmöglich zu machen, bei einem Sturmangriff erfolgreich zu sein. Das Schloß des Herzogs hingegen war mitten in einem kleinen Tal errichtet worden, frei zugänglich von allen Seiten. Zwar gab es nur zwei Wege, die in dieses Tal führten. Von einem sicheren Schutz konnte jedoch wahrlich nicht gesprochen werden. Im Grunde genommen war das Schloß beinahe eine Herausforderung. Dennoch hatte es nie jemand gewagt, ein feindliches Heer heranzuführen. Das sprach für die Stärke und die Macht des herzoglichen Geschlechts, von dem das Land länger als ein volles Jahrhundert uneingeschränkt regiert wurde. Derartige Gedanken gingen Baldur von Torstein durch den Kopf, als er mit seiner Tochter und mehreren seiner Getreuen in das Schloßtal einritt. Sein unbändiger Wunsch, selbst auf dem Schloß zu residieren und die Macht des Herzogs ausüben zu können, wurde immer stärker. Und wenn alles gutging, würde er vielleicht bald in der Lage sein, sich diesen Wunsch zu erfüllen. Es dauerte nicht mehr lange, dann schoben sich die Trutzmauern von Adalberts Herrschaftssitz ins Blickfeld der Ankömmlinge. Baldur von Torstein sah seine Tochter von der Seite an. Martha ritt neben ihm, und sie saß wie ein erbärmliches Häuflein Elend im Sattel ihres Pferdes. Es war offenkundig, wie sehr sie die Rolle haßte, die zu spielen er ihr aufgezwungen hatte. »Mache gefälligst ein heiteres Gesicht«, fuhr er sie an. »Eine Herzogin freut sich, wenn sie nach langen Jahren ihr angestammtes Geburtshaus wiedersieht!«
Martha wandte ihm den Kopf zu. Ihr knochiges Gesicht, das eine gewisse Pferdeähnlichkeit nicht verbergen konnte, wirkte unglücklich. »Muß es denn wirklich geschehen, Herr Vater? Warum darf ich nicht damit zufrieden sein, die Tochter eines Freigrafen zu sein? Und wenn ich eines Tages einen Mann aus höherem Geblüt heirate ...« »Welcher Mann aus höherem Geblüt sollte dich heiraten? Du bist häßlich wie die Nacht! Allenfalls als Herzogin wird jemand um deine Hand anhalten, begreife das endlich!« Martha begann herzzerreißend zu schluchzen, aber das berührte den Freigrafen nicht. Wenn er sich selbst gegenüber ganz offen war, dann empfand er keine Liebe für seine Tochter. Martha war ein reizloses, dummes und dabei auch noch widerspenstiges Pferd. Ihre ganze Sorge war, daß hoffentlich bald ein Edelmann kam und sie zur Frau nahm. Bisher war jedoch noch keiner gekommen, was Baldur nicht im geringsten wunderte. Mit einem plumpen Geschöpf wie Martha das Bett teilen zu müssen, war gewiß kein erbaulicher Gedanke. Seine Tochter spürte dies wohl selbst und hatte nur deshalb auf den Herzoginnenköder angebissen. Ansonsten hätte sie sich trotz Androhung arger Bestrafung glatt geweigert, sich seinen Wünschen zu fügen. »Unterlasse das Weinen«, befahl er. »Eine Herzogin ist zu stolz, um Tränen zu vergießen!« Krampfhaft bemühte sich Martha, mit dem Schluchzen aufzuhören. Es gelang ihr mehr schlecht als recht. Dem Freigrafen entging nicht, daß seine Getreuen kaum ihr Lachen verbeißen konnten. Und das machte ihn zornig. Immerhin war Martha seine Tochter. »Was gibt es zu grinsen?« schnauzte er seine Männer an. »Antworte, Gottlob!« Gottlob zu Ditzen, ein Ritter, der länger als ein Dutzend Jahre in Baldurs Diensten stand, wurde verlegen. »Ich bitte um Vergebung, Herr Freigraf. Wir ... äh ...« Der Getreue sprach nicht weiter, wußte nicht so recht, was er sagen
sollte. Baldur von Torstein drängte auch nicht weiter, ließ es dabei bewenden. Immerhin brauchte er seine Männer, vor allem Gottlob und den alten Knappen Markus, der es trotz seiner langen Dienstzeit nie bis zum Ritterschlag gebracht hatte. Gottlob und Markus waren die beiden, die beim Herzog bezeugen sollten, daß er die verstoßene Gemahlin Adalberts und ihr Kind damals in seine Obhut genommen hatte. Es war also nicht klug, die beiden jetzt zu verstimmen. Wenig später hatten der Freigraf und seine Begleitung das Schloßtor erreicht. Sie wurden sofort eingelassen, denn Baldur von Torstein war ein oft gesehener Gast im Hofe des Herzogs und galt als treuer und zuverlässiger Vasall. Wie gewohnt war alsbald der alte Leander zur Stelle. Der Hausmeier kümmerte sich um nahezu alles und war auch für Begrüßung und Empfang von Gästen zuständig. Er sorgte dafür, daß die Pferde der Ankömmlinge versorgt wurden und bat sie dann in die altehrwürdige Schloßhalle. Erst dort fragte er nach dem Begehr des Freigrafen und gab auch gleich eine Antwort auf seine Frage. »Gewiß seid Ihr gekommen, um Euch nach dem Befinden unseres geliebten Herrn zu erkundigen.« »Dies war in der Tat meine vordringlichste Absicht«, erklärte Baldur von Torstein und stellte dabei eine gefaßte Trauermiene zur Schau, die er hoffentlich durch eine gute Nachricht erhellen konnte. »Leider kann ich Euch nur einen betrüblichen Bescheid geben«, antwortete der Hausmeier. »Unserem Herrn geht es schlecht, sehr schlecht. Nur eins hält ihn überhaupt noch aufrecht: die Hoffnung, seine Tochter nach all den Jahren wieder in die Arme schließen zu können.« Baldur von Torstein lächelte. »Dieser Wunsch des Herzogs kann sofort in Erfüllung gehen!« Leander runzelte die Stirn, blickte ihn fragend an. »Ihr wißt, wo sich Berthild aufhält, Freigraf?« »Sie ist hier!« »Hier?« Baldur von Torstein machte eine weit ausholende Armbewegung
und zeigte auf seine Tochter. »Dort steht sie, Hausmeier!« Martha machte einen albernen Hofknicks, der so schwerfällig aussah, daß der Freigraf sich ihrer schämte. Der Hausmeier achtete jedoch gar nicht darauf. Dazu war er viel zu verblüfft. »Ich ... verstehe nicht«, erwiderte er. »Ich sehe dort nur Eure Tochter Martha!« Lächelnd schüttelte der Freigraf den Kopf. »Nach all den Jahren darf ich endlich die Wahrheit bekennen: Martha ist nicht meine Tochter. Sie ist das einzige Kind des Herzogs!« Die Verblüffung des Hausmeiers wuchs. »Bedaure, Freigraf, ich kann Euch leider nicht folgen. Würdet Ihr mir erklären ...« »Gewiß, mein lieber Leander, gewiß. Es trug sich zu vor zwanzig Jahren. Damals war ich noch ein fahrender Ritter, der in Begleitung seiner treuen Knappen Gottlob und Markus ...«, Baldur nickte den beiden zu, »... durch die Lande zog. Eines kalten Wintertages - die Luft klirrte vor Frost - übernachtete ich mit meinen Gefährten in einer armseligen Bauernkate. Und dort traf ich sie - eine junge, bleiche Frau, deren einst strahlende Schönheit der Gram zerstört hatte. Sie war krank, todkrank. Die Hustenanfälle, die sie quälten wie ein böses Tier, verrieten es auch dem Unkundigen. Sie wußte, daß sie sterben mußte und war froh, noch einmal Gelegenheit zu finden, mit einem Mann von Stande sprechen zu können. Nun, was soll ich noch viele Worte machen? Die junge Frau vertraute sich mir an, offenbarte mir, daß sie Veronica hieß und die verstoßene Gemahlin des Herzogs war. Und dann bat sie mich flehentlich, für ihr Kind zu sorgen, für die kleine Berthild, die nun ohne Vater und Mutter dastehen würde. Ich versprach es ihr, denn es war mir unmöglich, einer Sterbenden den letzten sehnlichen Wunsch abzuschlagen. Ich nahm die kleine Berthild zu mir und sorgte für sie. Da mir Veronica das zusätzliche Versprechen abgenommen hatte, niemandem zu verraten, wer das Kind wirklich war, da sie Verfolgungen von Seiten des Herzogs fürchtete, nannte ich die Kleine Martha und gab sie fortan als mein eigenes Fleisch und Blut aus. Nun aber, da unser Herr bereit ist zu
verzeihen, brauche ich nicht länger zu schweigen. Jetzt endlich kann die ganze Wahrheit ans Tageslicht!« Baldur von Torstein war mit sich selbst zufrieden. In seinen Augen hatte die ganze Lügengeschichte sehr echt und überzeugend geklungen, wenn er auch nicht leugnen konnte, daß sie genauso von einem fahrenden Sänger hätte stammen können. Aber was half's? Das Leben schrieb oft viel abenteuerlichere Geschichten, als sie sich ein Verseschmied ausdenken konnte. Erwartungsvoll blickte er den Hausmeier des Herzogs an. Ob der alte Leander seine Worte für bare Münze nahm? Zunächst sah es ganz und gar nicht danach aus. Tiefe Zweifel drückten sich im Mienenspiel des herzoglichen Vertrauten aus. »Mit Verlaub, Freigraf«, sagte er langsam, »es steht mir nicht zu, die Aufrichtigkeit Eurer Rede in Zweifel zu ziehen. Aber ob unser geliebter Herr sie glauben wird ...« Der Freigraf nickte. »Ich kann Eure Zweifel verstehen, aber auch leicht zerstreuen, mein lieber Leander. Der lebende Beweis steht vor Euch - meine Getreuen Gottlob und Markus! Sie waren dabei, als sich Veronica mir in ihrer Sterbestunde anvertraute. Damals verpflichtete ich sie zu ewigem Schweigen. Nun aber können sie ruhigen Gewissens sagen, was sie seinerzeit hörten und sahen.« »So ist es«, bestätigte Gottlob von Ditzen. »Bei meinem Leben, des Freigrafen Worte sind nichts als die reine Wahrheit!« »Die reine Wahrheit«, wiederholte der Knappe Markus und lächelte dabei dümmlich. Aber noch immer war der Hausmeier keineswegs überzeugt. Ein mißtrauischer Blick umfing die Gestalt Marthas. »Mit Verlaub gesagt, Freigraf, ich kann keinerlei Ähnlichkeit mit dem Herzog feststellen.« »Eine Tochter muß nicht immer auf den Vater kommen, mein lieber Leander!« »Auch der Herzogin sieht Ihre Toch ... sieht das Mädchen mitnichten ähnlich. Ich habe Veronica gekannt, müßt Ihr wissen, Freigraf. Und ich habe auch Berthild gekannt!«
Baldur von Torstein lächelte. »Wie alt war das Kind damals? Ein paar Tage, ein paar Wochen? Ich bitte Euch, Leander! Meint Ihr nicht, daß zwanzig Jahre einen Menschen von Grund auf verändern? Und wenn Ihr mich fragt - ich sehe die herzogliche Familienähnlichkeit durchaus. Die Stirn, die Nasenpartie ... Seht Euch Berthild ganz genau an!« Der Hausmeier tat dies. Martha ließ die Musterung verlegen über sich ergehen, stand da wie ein Pferd, das verkauft werden sollte. In der Tat hatte sie nichts von ihrem angeblichen Vater. Aber der Freigraf baute darauf, daß Adalbert in seinem Verlangen nach der Tochter zwischen Einbildung und Wirklichkeit keinen Unterschied erkennen würde, zumal sein klarer Blick durch seine körperliche Verfassung ohnehin getrübt sein mußte. »Warum lassen wir unseren geliebten Herrn nicht selbst alle offenen Fragen beantworten?« sagte Baldur lächelnd. »Gehen wir zu ihm und geben wir ihm Gelegenheit, die Stimme des Blutes sprechen zu lassen.« Der Hausmeier machte eine verneinende Kopfbewegung. »Zum derzeitigen Augenblick dürfte dies nicht möglich sein«, gab er zur Antwort. »Der Herzog befindet sich gegenwärtig in den Fängen des Wundfiebers und ist nicht ansprechbar. Sein Arzt Pankratius hofft jedoch zuversichtlich, daß das Fieber in ein, zwei Tagen abklingen wird. Wenn Ihr solange als Gäste auf dem Schloß verweilen wollt...« »Gewiß«, sagte der Freigraf. »Es liegt mir fern, unseren Herrn anzusprechen, wenn er nicht ganz Herr seiner Sinne ist. Glaubt Ihr, ich möchte mich um das Vergnügen bringen, das Glück in seinen Augen strahlen zu sehen?« Der alte Leander ging auf diese honigsüßen Worte nicht weiter ein. »Auch aus einem anderen Grund würde es sich gut treffen, wenn Ihr noch ein paar Tage wartet. Bis dahin dürfte auch die Anna wieder zurück sein.« »Die ... Anna?« »Die Anne war damals die Amme der kleinen Berthild. Sie wird
auf Anhieb sagen können, ob Eure ... ähem... Ziehtochter die richtige ist. Anna erinnert sich nämlich an ein unverwechselbares Merkmal, das sie bei dem Säugling damals feststellte.« Baldur von Torstein hörte sofort alle Kirchenglocken läuten. »Ihr kennt dieses Merkmal, mein lieber Leander?« erkundigte er sich wie nebenbei. »Ich kenne es nicht«, bekam er zur Antwort. »Nur Anna kennt es. Und der Herzog selbst natürlich.« »Natürlich«, murmelte der Freigraf, »natürlich.« Verdammt sei die Amme, damit hatte er nicht gerechnet. Selbstverständlich würde das Weib sofort feststellen, daß Martha auf gar keinen Fall des Herzogs Tochter war. Und wenn das geschah, fiel sein ganzer schöner Plan ins Wasser. Schlimmer noch, der Herzog würde den Betrugsversuch erkennen und daraufhin sicherlich hochpeinliche Maßnahmen in Erwägung ziehen. Das mußte unter allen Umständen vermieden werden! Aber wie? fragte sich Baldur von Torstein fieberhaft. Sehr schnell kam ihm ein Gedanke. Wenn es ihm gelang, die Amme in seine Gewalt zu bekommen, bevor sie zum Schloß zurückkehren konnte ... Sicherlich würde sie bereit sein, ihm das unverwechselbare Merkmal vorab preiszugeben - gegen guten Lohn oder aber unter Zwang! Es gab Mittel und Wege... »Ich kann Euch gar nicht sagen, wie froh ich bin, daß es diese Anna gibt, mein lieber Leander«, sagte er mit scheinheiliger Zufriedenheit. »Sie wird der Wahrheit zum Siege verhelfen.« »Das wird sie«, nickte der Hausmeier. Anschließend sorgte er dafür, daß die Gäste eine ihnen geziemende Unterkunft bekamen. Und dann hieß es warten... * Roland fühlte sich immer unwohler. Die verstohlenen Blicke, die die Räuber zu ihm und seinen beiden Gefährten hinüberwarfen, entgingen ihm ebensowenig wie ihr verschwörerisches Getuschel.
Die Kerle und das schwarzhaarige Mädchen in ihrer Mitte hatten etwas vor, da gab es für ihn gar keine Frage. Seine Müdigkeit war längst verflogen, hatte äußerster Wachsamkeit Platz gemacht. Und was für ihn galt, galt auch für Louis und Pierre. Alle drei rechneten durchaus damit, daß die Räuber einen Überfall auf sie beabsichtigten. Schließlich war dies das Geschäft von Räubern. Und Roland und seine Knappen mochten in den Augen der wüsten Gesellen als ganz besonders lohnenswerte Opfer erscheinen, von deren Ausraubung sie sich einiges versprachen. Es dauerte nicht lange, dann erschien die Wirtstochter in der Gaststube. Sie trug ein großes Tablett mit Metbechern und brachte es zum Tisch der Räuber hinüber. Die sieben Männer und das schwarzhaarige Mädchen starrten ihr wie gebannt entgegen. Gebannt von ihrer Schönheit? Roland bezweifelte das. Insbesondere die Schwarzhaarige ließ ihn stutzig werden. Er hatte den Eindruck, daß es verzehrender Haß war, der in ihren Augen brannte. Einen Reim auf das seltsame Verhalten konnte er sich al lerdings beim besten Willen nicht machen. Hilda stellte die Becher auf den Tisch, schob jedem der Männer und auch dem Mädchen einen Becher hin. Sie tat es etwas hastig, so daß einer der Becher überschwappte. Sofort wurde sie von der Schwarzhaarigen giftig angekeift: »Was fällt dir ein, du kleine Schlampe? Kannst du nicht aufpassen, verdammtes Luder?« Roland schwoll der Kamm. Am liebsten wäre er aufgestanden und hätte dem dreisten jungen Weib Manieren beigebracht. Aber er konnte sich die Mühe sparen, denn die Schwarzhaarige wurde aus den eigenen Reihen zurechtgewiesen. »Mäßige dich, Sitta«, sagte Hanns der Bär nicht ohne Schärfe. »Unsere kleine Freundin hat den Met sicherlich nicht mit Fleiß verschüttet. Habe ich recht, Berthild?« »Bestimmt nicht«, sagte die Wirtstochter. »Außerdem heiße ich
Hilda, nicht Berthild. Ihr wißt das doch, Herr Hanns.« »Wirklich?« Der kräftige Mann sah zuerst das Mädchen, dann ihren Vater, der hinter den Tresen zurückgekehrt war, durchdringend an. Gislevert biß sich auf die Lippen und schaute vor sich auf die Bohlen des Fußbodens. Roland wurde nicht recht schlau aus dem Ganzen. Hilda oder Berthild - sie klangen verwandt, diese Namen, aber man konnte sie doch kaum verwechseln. Und doch hatte der Räuber genau dies getan, wider besseres Wissen offenbar und zum erkennbaren Mißfal len des ehemaligen Köhlers. Irgend etwas ging hier vor, das einem Uneingeweihten wie Roland verschlossen bleiben mußte. Die Wirtstochter zog sich wieder zurück und verschwand in den rückwärtigen Räumen. Die Räuber tranken ihren Met, steckten die Köpfe zusammen und flüsterten miteinander. Dabei huschten immer wieder verstohlene Blicke zum Tisch Rolands hinüber. Zu seinem Mißvergnügen verstand der Ritter mit dem Löwenherzen kein Wort von dem, was die Kerle und das freche Weibsbild redeten. Und auch als sie Gislevert zu sich riefen und leise mit ihm sprachen, blieb Roland der Inhalt der Unterhaltung verborgen. Als der Wirt den Tisch der Räuber wieder verließ, bestellte Roland noch drei Krüge Wein. Gislevert brachte sie und wollte gleich wieder gehen. Aber der Ritter mit dem Löwenherzen hielt ihn am Rockzipfel fest. »Was wollten die Männer von dir?« erkundigte er sich leise. Der Wirt schien verlegen. »Nichts weiter«, sagte er nach längerem Zögern. »Wir sprachen nur über die alten Zeiten.« »Über nichts sonst?« »N ... nein.« Er sagte nicht die Wahrheit, das war ganz offensichtlich für Roland. Aber natürlich konnte er den alten Mann nicht zwingen, mehr zu sagen, als er wollte.
»Haben der Herr Ritter noch einen Wunsch?« fragte Gislevert ehrerbietig dienernd. »Nein!« erwiderte Roland barsch. »Er lügt, nicht wahr?« meinte Louis, nachdem der Wirt wieder zum Tresen hinübergegangen war. »Aber warum?« Leider konnte ihm der Ritter mit dem Löwenherzen darauf keine Antwort geben. Es dauerte nicht mehr lange, dann wurde der Wirt wieder an den Tisch der Räuber gerufen. Etwas überraschend für Roland zückte der Anführer der wüsten Gesellen einen Brustbeutel, entnahm ihm mehrere Münzen und bezahlte Gislevert damit. Dann erhoben sich die Räuber von ihren Schemeln und verließen die Gaststube. Wenig später wurde hörbar, daß sie sich vom Schankhaus entfernten. Noch einmal versuchte Roland, etwas über das geheimnisvolle Getuschel in Erfahrung zu bringen. Aber Gislevert stellte sich weiterhin stur, gab nur ausweichende Antworten. Dabei wurde es allerdings immer offensichtlicher, daß er etwas verbarg. Nun, sollte er, sagte sich Roland schließlich. Er hatte anderes zu tun, als sich um die Geheimnisse von Schankwirten und Räuberbanden zu kümmern. Und da auch die schöne Hilda nicht mehr zum Vorschein kam, gab es eigentlich keinen Grund, noch länger in der Schankstube zu verweilen und den Schlaf hinauszuzögern. »Begeben wir uns zur Nachtruhe«, sagte er zu seinen beiden Knappen. Louis und Pierre hatten nichts dagegen. * »Neue Nachrichten, Herr!« Otmar von Lützen, der gerade dabei war, die dringend nötige Erneuerung einer schadhaft gewordenen Stelle der Burgmauer zu überwachen, war sofort voll bei der Sache. Für seinen Vertrauensmann vom Hof des Herzogs ließ er alles andere sofort stehen und liegen. »Ja, Meininger? Ich höre! Unser geliebter
Herr ist doch nicht etwa ... gestorben?« »Nein«, sagte sein Vertrauter beinahe betrübt, »mit einer solch erfreulichen Meldung kann ich leider nicht dienen. Es geht dem Herzog nicht gut, aber er lebt noch.« Der Freigraf nickte mürrisch, ließ sich durch diese Mitteilung aber nicht weiter verbittern. Zu oft hatte er sich schon darüber geärgert, daß er seinen Pfeil nicht einen Zoll mehr nach rechts plaziert hatte. »Was sonst gibt es an Neuigkeiten?« erkundigte er sich. »Baldur von Torstein ist zum Schloß gekommen«, teilte der treue Meininger mit. »Ah, sicher ist der Kerl da, um den Speichel des Sterbenden zu lecken«, vermutete Otmar von Lützen. »Es sieht danach aus, als ob er Ärgeres im Schilde führt, Herr! Er hat nämlich seine Tochter Martha mitgebracht und behauptet, daß es sich bei dem Mädchen tatsächlich um des Herzogs Kind handelt.« »Waaaaas?« »Es ist wahr, Herr!« »Dieser Schurke, dieser Lump, dieser Betrüger, dieser ...« Dem Freigrafen fehlten die Worte. »Und der Herzog ist auf diese dreiste Lüge eingegangen?« »Noch nicht«, berichtete Meininger. »Gegenwärtig erlaubt es der Zustand des Herzogs nicht, ihn mit irgend jemandem sprechen zu lassen.« »Das ist gut«, sagte Otmar von Lützen ein bißchen erleichtert. »Wenn ich mir vorstelle, daß diese dumme Pute Martha auf dem herzoglichen Thron sitzt... Hast du mir sonst noch etwas zu berichten?« »Nichts Wesentliches. Es sind zwar mehrere Personen ins Schloß gekommen, die sich als verstoßene Tochter des Herzogs ausgaben. Aber sie konnten samt und sonders als Erbschleicher entlarvt und gebührend bestraft werden.« Der Freigraf nickte. »So kehre zum Hof zurück. Und wenn sich etwas Neues ergibt...« »... werde ich Euch unverzüglich ins Bild setzen.«
Der Getreue machte eine Verbeugung und entfernte sich dann. Grüblerisch blickte ihm Otmar von Lützen nach. Noch tief in Gedanken versunken wandte er sich schließlich wieder der Erneuerung der Burgmauer zu, die trotz der abendlichen Dunkelheit eifrig fortgesetzt wurde. Der helle Schein eines lodernen Feuers erlaubte es den Männern, auch zur vorgerückten Stunde weiterzuarbeiten. Eine Weile später hatte Otmar von Lützen Gelegenheit, mit einem anderen seiner Vertrauten zu sprechen, die er ausgesandt hatte, um Erkundigungen einzuziehen. Und was er diesmal erfuhr, war schon mehr nach seinem Geschmack. »Wir haben uns unter dem Volk umgehört«, berichtete sein Gewährsmann. »Zwei junge Frauen, die in jener Zeit elternlos aufgefunden wurden, kämen vielleicht als Tochter des Herzogs in Frage. Bei der einen handelt es sich um eine Räuberbraut, die man die Schwarze Sitta nennt.« Der Freigraf verzog das Gesicht. »Eine Mörderin auf dem Herzogsthron - unser Land geht großen Tagen entgegen. Und die andere?« »Wurde von einem Köhler namens Gislevert in Obhut genommen! Wo sich die Weiber allerdings heute aufhalten ...« Der Gewährsmann zuckte die Achseln. Am besten wäre es, wenn sie in der Hölle braten! dachte der Freigraf hoffnungsvoll. Aber verlassen wollte er sich darauf lieber nicht. * Eine knappe Stunde etwa mochte vergangen sein, seit Roland eingeschlafen war, da schreckte er schon wieder hoch. Irgend etwas hatte ihn geweckt. Ein Geräusch? Ein Schrei? Roland war sich nicht sicher. In jedem Fall aber hatte es sich um etwas Verdächtiges gehandelt.
Er setzte sich auf dem Lager auf, lauschte angestrengt. Da war es wieder... huschende Schrittgeräusche, unterdrückte Männerstimmen. Roland zögerte keine Sekunde, sprang sofort aus dem Bett. Da die Stube nicht geheizt war, hatte er den größten Teil seiner Kleidung anbehalten. Deshalb war er jetzt sofort bereit, nach draußen zu eilen. Bevor er dies tat, hämmerte er an die Wand des Nebenraums, in dem seine beiden Knappen Unterkunft gefunden hatten. »Louis, Pierre!« rief er halblaut. »Ja, Ritter Roland«, bekam er sofort zur Antwort. »Wir sind bereits wach.« Der Ritter mit dem Löwenherzen lächelte flüchtig. Louis war ein Mann, auf den man sich verlassen konnte. Einen besseren Knappen hätte er sich gar nicht wünschen können. Er huschte zur Tür, nicht ohne vorher nach seinem Schwert zu greifen. Ein Ritter ohne Schwert war nur ein halber Ritter. Geräuschlos öffnete er, lauschte wieder. Die Gästezimmer lagen im ersten Stock des Holzhauses, während die Wirtsleute und ihre Tochter unten wohnten. Und dort unten ging etwas vor. Ein Poltern wurde laut, dann der Schrei einer Frau. Das genügte, um Roland zu äußerster Eile zu veranlassen. Er flog die Treppenstufen förmlich hinunter. Beinahe wäre er dabei gestürzt, denn im Haus war es so finster wie in einer tiefen Höhle. Mit einiger Mühe schaffte er es, den Fall abzuwenden. Wieder hörte er den Schrei... Er kam von rechts, da war er sich ganz sicher. Mit der Schwertspitze tastete er sich an der Wand entlang, fand eine Tür. Sofort stieß er die Tür auf. Ein kühler Luftzug schlug ihm entgegen. Das Fenster des Raums stand offen. Und im Rahmen dieses Fensters ... Schattenhafte Gestalten, die sich gegen den etwas helleren Hintergrund der Mondnacht abhoben. Gestalten, die zweifellos in ein Handgemenge verwickelt waren! Roland sprang in die Stube hinein, sein Schwert kampfbereit in der
Faust. »Halt!« rief er. Ein zerquetschter Fluch wurde laut. Dann kam es zu hastigen Bewegungen, die darauf hindeuteten, daß die Flucht durch das Fenster geplatzt war. Dazu wollte es der Ritter mit dem Löwenherzen nicht kommen lassen. Er stürmte auf das Fenster los. Jetzt konnte er etwas mehr sehen. Bei den Gestalten handelte es sich um drei Männer und eine Frau. Und die Frau war niemand anders als die schöne Hilda. Roland brauchte sich nicht lange zu fragen, wer die Männer waren. Sie gehörten zu der Räuberbande, deren unliebsame Bekanntschaft er am Abend gemacht hatte. Ganz offenbar hatten sich die Kerle nur zum Schein vom Wirtshaus entfernt, um dann später zurückzukommen. Wahrscheinlich weil sie abwarten wollten, daß alles im Haus eingeschlafen war. Und warum waren sie zurückgekommen? Um die Wirtstochter zu entführen! So sah es jedenfalls aus. Roland schätzte sich glücklich, daß er gerade noch im rechten Augenblick auf der Bildfläche erschienen war. Eine Minute später und er hätte nichts mehr ausrichten können. So jedoch ... Er wollte nicht das Risiko eingehen, das Mädchen mit dem Schwert zu verletzen. Deshalb ließ er die Waffe gedankenschnell fallen und stürzte sich mit bloßen Händen auf das Räuberpack. Er bekam den ersten Mann zu packen, riß ihn mit unwiderstehlicher Kraft von dem Mädchen weg. Der Kerl wehrte sich, versuchte, Roland seine geballte Faust ins Gesicht zu schlagen. Aber Roland verstand es, nicht nur mit dem Schwert umzugehen. Auch im Kampf ohne Waffen war er bestens bewandert. Der Räuber bekam es zu spüren. Blitzschnell nahm er den Kopf zur Seite, so daß der Hieb seines Widersachers ins Leere ging. Dann schlug er seinerseits zu. Er traf den Burschen seitlich am Kopf. Und die Wirkung seines Schlags war umwerfend - im wahrsten Sinne des Wortes. Der Mann kippte zur Seite und blieb
reglos liegen. Die beiden anderen schafften es in diesem Augenblick, durch das Fenster nach draußen zu gelangen. Mit ihrem Opfer! Roland bewies, daß man ihn nicht umsonst den Ritter mit dem Löwenherzen nannte. Er hatte nicht nur den Mut des edlen Wüstentiers, sondern auch dessen unvergleichliche Kampfkraft. Mit einem mächtigen Sprung setzte er den beiden Entführern nach. Mit federnden Knien kam er auf dem festgetretenen Erdboden vor dem Haus auf. Die Kerle hatten sich noch nicht weiter als zwei, drei Körperlängen von ihm entfernt. Diese Entfernung hatte Roland im Nu überbrückt. Ehe es sich die beiden Räuber versahen, krallten sich seine Hände in ihr struppiges und wahrscheinlich verlaustes Haar. Dann hämmerte er die beiden Köpfe mit einer ruckartigen Bewegung gegeneinander. Es gab ein dumpfes Geräusch und einen tiefen Stöhnlaut, der aus einem einzigen Mund zu kommen schien. Die beiden Körper wurden schlaff in Rolands Händen. Er ließ sie fallen wie zwei Säcke Hafer. Auch das Mädchen sank zu Boden. Roland war sofort neben ihr und ging in die Knie. »Bist du verletzt, mein Kind?« Die schöne Hilda seufzte. »Nein, ich ... glaube nicht.« Erleichtert atmete der Ritter mit dem Löwenherzen auf. Es war wohl nur Mattigkeit gewesen, die die junge Frau von den Beinen gebracht hatte. Ihm blieb jetzt nicht die Zeit, sich weiter um das Mädchen zu kümmern. Die drei Kerle, die er niedergeschlagen hatte, waren nicht die einzigen Gegner. Aus dem Haus hörte er Kampfgeräusche. Offenbar schlugen sich dort Pierre und Louis mit anderen Angehö rigen der Räuberbande herum. Und auch hier draußen vor dem Haus trieben sich noch zwei von ihnen herum. Sie kamen näher, dunkle Schatten, die fast mit der Wand des Hauses verschmolzen. »Schinder, bist du das?« drang eine Stimme voller Argwohn auf
Roland ein. Roland sprang hoch wie ein Pfeil, der von der Bogensehne schnellte. Mit drei, vier langen Sätzen hatte er die beiden Tunichtgute erreicht. »Das ... ist nicht der Schinder! Das ist ...« Weiter kam der Mann nicht. Roland ließ seine rechte Faust nach vorne fliegen und traf das Gesicht des Kerls mit der Gewalt eines Schmiedehammers. Der Kopf des Getroffenen flog zurück, als habe ihn ein Ochse getreten. Er kam nicht einmal mehr dazu, einen Wehlaut auszustoßen, so schnell versank er in der abgrundtiefen Schwärze einer lang anhaltenden Ohnmacht. Der zweite Räuber war gewitzter, machte eine blitzschnelle Bewegung. Im Licht des Mondes sah der Ritter mit dem Löwenherzen eine Messerklinge blinken. Mit einem Knurrlaut sprang ihn der Kerl an. Im letzten Augenblick gelang es Roland, dem hinterhältigen Stoß mit dem Messer auszuweichen. Der Räuber geriet ins Straucheln, schaffte es aber, sein Gleichgewicht zu bewahren. Er fuhr herum, wollte sogleich wieder mit der Klinge auf Roland los. Diesmal jedoch war der Ritter mit dem Löwenherzen vorbereitet. Er fing den zustoßenden Arm ab und riß ihn nach oben. Dann machte er eine halbe Körperdrehung, die der Angreifer wohl oder übel mitmachen mußte. Seinem Arm bekam das allerdings gar nicht. Der Mann stieß einen markerschütternden Schrei aus, als der Arm aus dem Schultergelenk sprang. Roland konnte es sich sparen, diesen Räuber niederzuschlagen. Er war ganz bestimmt kein ernstzunehmender Gegner mehr. Tatendurstig blickte sich Roland nach dem nächsten Kerl um. Aber er sah keinen mehr. Dafür wurde plötzlich Hufgetrappel laut, das sich schnell entfernte. Offenbar suchte der Rest der Räuberbande sein Heil in der Flucht. Dann hörte Roland die Stimme Louis'. Der Knappe war üblicherweise kein Mann, der sich so leicht aus der Fassung bringen
ließ. Jetzt jedoch schwang in seiner Stimme das helle Entsetzen mit. »Ritter Roland, kommt schnell! Es ist etwas gar Schreckliches geschehen!« Roland bekam ein drückendes Gefühl in der Gegend, wo der Magen saß. Er hatte eine ganz bestimmte, düstere Ahnung. Und nachdem er ins Haus geeilt war und die Kammer des Schankwirts und seiner Frau betrat, sah er seine Ahnungen bestätigt. »Wir sind zu spät gekommen«, sagte Pierre, der eine brennende Fackel in der Hand hielt. »Zwar konnten wir die Kerle und das junge Teufelsweib verjagen, aber das Entsetzliche war bereits geschehen...« Roland wandte den Blick ab. Er konnte den Anblick Gisleverts und Marias, die blutend dalagen, nicht länger ertragen. * Der Knappe Markus fühlte sich alles andere als wohl in seiner Haut. Sein Herr verlangte verdammt viel von ihm. Zuerst die verrückte Sache mit der falschen Zeugenaussage, Und nun auch noch das Unternehmen gegen die ehemalige Amme Anna Ochsenschwanz. Beide Angelegenheiten gingen ihm gegen den Strich und waren auch sicherlich nicht mit der ritterlichen Ehre in Einklang zu bringen. Aber was sollte er machen? Trotz seines fortgeschrittenen Alters hatte er die Hoffnung, eines Tages doch noch selbst in den Ritterstand erhoben zu werden, nicht aufgegeben. Und wenn ihm einer zum Ritterschlag verhelfen konnte, dann nur Freigraf Baldur von Torstein. Dies war für Markus Grund genug, allen Befehlen seines Herrn widerspruchslos Folge zu leisten, auch wenn er sie in seinem Innersten zutiefst ablehnte. Auf Geheiß des Freigrafen hatte er das herzogliche Schloß sofort wieder verlassen, nachdem es von Torstein gelungen war, unauffällig den derzeitigen Aufenthaltsort der Anna Ochsenschwanz festzustellen. Er hatte ein paar Männer um sich geschart, die dem
Freigrafen treu ergeben waren, und sich auf den Weg nach Mühlbach gemacht. In diesem kleinen Dorf hausten Verwandte der ehemaligen Amme, halbfreie Bauern, denen sie gelegentlich einen Besuch abstattete. Es war tiefe Nacht, als Markus und seine Helfershelfer Mühlbach erreichten. Wie die meisten Ansiedlungen dieser Art lagen die einzelnen Gehöfte und Katen weit auseinandergezogen und gruppierten sich lose um die Kirche als zentralen Mittelpunkt. Um diese Zeit lagen sämtliche Anwesen wie tot da. Mensch und Tier schliefen, nachdem sie einen anstrengenden Tag voll harter Arbeit und Mühsal hinter sich gebracht hatten. Das richtige Haus zu finden, bereitete den Männern keine Mühe. Es entsprach genau der Beschreibung, die Markus bekommen hatte ein Gehöft ganz am Rande des Dorfes, dessen hervorstechendes Merkmal eine überdurchschnittlich große Scheune war. Die vier Männer trafen sorgfältige Sicherheitsvorkehrungen. Gut hundert Klafter von ihrem Ziel entfernt stiegen sie von ihren Reittieren und leinten sie an einer kleinen Baumgruppe in unmittelbarer Nähe des Dorfbaches an. Um nicht erkannt zu werden, banden sie sich graue Tücher vor das Gesicht. Markus' Begleiter schienen Spaß an der Maskerade zu haben. Sie lachten und machten sich über ihr Aussehen lustig. Der Knappe selbst hingegen fühlte sich ganz und gar nicht heiter gestimmt. Mehr und mehr kam er sich vor wie ein gemeiner Wegelagerer. Am liebsten hätte er das Unternehmen abgeblasen, bevor es richtig begann. Aber natürlich tat er dies nicht. Das Wohlwollen des Freigrafen, das er sich unter keinen Umständen verscherzen wollte, gab letzten Endes den Ausschlag. Er verdrängte seine Gewissensbisse und tat, was getan werden mußte. Auf Schusters Rappen näherten sich die Vertrauten Baldur von Torsteins dem abgelegenen Gehöft. Die Gebäude lagen in völliger Dunkelheit. Nirgendwo brannte ein Licht. Allein der fahle Schein des fast runden Mondes ließ die Szenerie nicht stockfinster erscheinen. Aber es war nicht totenstill auf dem Gehöft. Als die Männer noch
fast zehn Klafter entfernt waren, schlug ein Hund an. Sein heiseres, wütendes Bellen hallte über den Hof und hätte einen Toten wieder lebendig machen können. »Verdammter Köter«, knurrte Markus. »Wir müssen ihn schnellstens zum Schweigen bringen.« Einer seiner Leute zückte einen Hirschfänger. »Das werden wir gleich haben!« Der Mann huschte davon und wurde von der Dunkelheit verschluckt. Markus und die anderen rückten unterdessen weiter gegen das Gehöft vor, langsam und vorsichtig, jederzeit darauf gefaßt, irgend jemandem in die Arme zu laufen. Weiter kläffte der Hund, laut und durchdringend. Nicht mehr lange allerdings. Sein Bellen brach urplötzlich ab, wich einem heiseren Gurgeln. Danach war Stille. Markus und die beiden anderen Männer erreichten den Hof. Der vierte, der den Hund erledigt hatte, gesellte sich wieder zu ihnen. Er blutete an der rechten Hand und schüttelte wütend den verletzten Arm. »Hoffentlich hat keiner gehört...« Den Rest des Satzes konnte sich Markus sparen. Eine dunkle Gestalt trat aus dem Haus, blickte sich,, suchend nach allen Seiten um und sah die Getreuen des Freigrafen sofort. Aber Markus war wachsam. »Packt ihn!« zischte er. Seine Begleiter verloren keine Zeit. In Sekundenschnelle waren sie bei dem Gehöftsbewohner. Vier starke Hände hielten seine Arme fest. Der Mann, der den Hund beseitigt hatte, setzte ihm den Hirschfänger an die Kehle. »Ein lautes Wort, und du bist tot!« »Ja«, kam die angstvoll gehauchte Antwort. Jetzt wurde offenbar, daß die vier Männer eine Frau in ihre Gewalt gebracht hatten, eine Frau, die aus der ersten Blüte heraus war, aber noch längst nicht zu den Alten gehörte. Anna Ochsenschwanz? fragte sich Markus hoffnungsvoll. Das
würde vieles erleichtern... »Wer bist du?« fragte er halblaut. »Amalia ... Ochsenschwanz.« Nicht die Amme also, stellte der Knappe leicht enttäuscht fest. Eine Schwester vielleicht oder sonst irgendeine Verwandte. »Wo finden wir Anna?« wollte er wissen. Die Frau zitterte, hatte die Augen weit aufgerissen. Die maskierten Männer erfüllten sie mit offenkundigem Entsetzen. »An ... na?« wiederholte sie stockend. »Was wollt Ihr von ...« »Antworte, sonst...« Der Mann mit dem Hirschfänger preßte die Klinge etwas stärker gegen den Hals der Frau und rief dadurch ein furchtsames Stöhnen hervor. »Anna ist... da!« Mit dem Kopf deutete die Frau auf ein Fenster, das durch vorgeschobene Holzladen gesichert wurde. »Dort schläft sie?« »Ja!« »Allein?« Ein krampfhaftes Nicken war die Antwort der verängstigten Frau. Daß sie ihre Verwandte dadurch ans Messer geliefert hatte, wurde ihr anscheinend im Augenblick noch gar nicht so richtig bewußt. Sie tat Markus beinahe leid. »Was machen wir mit ihr?« fragte der Mann mit dem Hirschfänger im Flüsterton. Markus überlegte. Amalia Ochsenschwanz laufenlassen? Das kam nicht in Frage, denn die Frau würde zweifellos Alarm schlagen, wenn sie sich wieder ein bißchen gefaßt hatte. Sie umbringen? Das widerstrebte ihm, aber wenn es keine andere Möglichkeit gab... Da kam ihm ein anderer Gedanke. »Wir nehmen sie mit«, entschied er. »Mitnehmen?« Der Mann mit dem Hirschfänger war von dem Gedanken gar nicht sonderlich angetan. »Aber wir können doch nicht...« »Ich erkläre es dir später«, sagte Markus kurz und knapp.
Im Beisein von Amalia Ochsenschwanz konnte und wollte er seine Überlegungen nicht offen ausbreiten. Dabei lagen diese eigentlich auf der Hand. Wenn nur Anna Ochsenschwanz verschleppt wurde, bestand durchaus die Möglichkeit, daß gescheite Köpfe einen Zusammenhang zwischen der Entführung und dem Wissen der Amme und des Herzogs Tochter sahen. Wenn jedoch noch eine zweite Frau verschwand, mochte es sich um die Tat von Räubern handeln, die sich ein paar Bettgenossinnen beschaffen wollten. Dies wäre nicht das erste Mal gewesen, daß dergleichen geschah. Während einer der Männer der Frau einen Stoffetzen in den Mund würgte und sie festhielt, näherten sich Markus und die beiden anderen dem Fenster, hinter dem Anna Ochsenschwanz' Stube lag. Die ehemalige Amme schien ebenso wie alle anderen Gehöftbewohner tief und fest zu schlafen. Offenbar hatte der Zwischenfall mit dem Hund nur die eine Frau hochschrecken lassen. Mit Hilfe des Hirschfängers war der Holzladen schnell und auch fast geräuschlos geöffnet. Der Vorhang aus rohem Tuch wurde zurückgeschlagen, und dann war der Weg in die Kammer frei. Ja, da war jemand. Im schwachen Licht des Mondscheins zeichneten sich die Umrisse einer schlafenden Gestalt auf dem Lager ab. Jetzt kam Bewegung in die Schlafende. Anscheinend hatte sie doch etwas gehört und war nun im Begriff, aufzuwachen. Der Mann mit dem Hirschfänger erkannte diese Gefahr sofort. Ohne daß Markus eine Anweisung geben mußte, war er neben dem Lager. Die Frau fuhr hoch. Und spürte im nächsten Augenblick den kalten Stahl der Klinge an ihrem Hals! Markus huschte herbei. »Anna Ochsenschwanz?« Die Frau, etwa so alt wie ihre Verwandte und noch sehr ansehnlich, war sprachlos vor Angst und Entsetzen. Erst auf Markus' erneute Frage brachte sie ein gequetschtes Ja hervor. Der Knappe machte keine langen Umstände. Auch diese Angehörige der Sippe Ochsenschwanz wurde geknebelt. Sie zu binden, erwies sich als überflüssig. Ihre Furcht war viel zu groß, um
sich zu wehren oder gar einen Fluchtversuch zu unternehmen. Wi derstandslos ließ sie sich von ihrem Lager hochzerren und durch das Fenster nach draußen bringen, wo ihre Verwandte bereits wartete. Noch immer regte sich nichts im Gehöft. Keiner der übrigen Bewohner ahnte, was geschehen war. Wenig später waren die vier Männer mit ihren beiden Gefangenen in der Dunkelheit verschwunden. * Fassungslos blickte die schöne Hilda auf ihre reglos daliegenden Eltern. Sie war so geschockt, daß sie noch nicht einmal Tränen vergießen konnte. »Warum nur?« fragte sie immer wieder mit fast tonloser Stimme. »Warum nur haben diese Menschen das getan?« Diese Frage konnte ihr Roland auch nicht beantworten. Es war offenkundig, daß Gislevert und seine Frau Maria im Schlaf überrascht und umgebracht worden waren. Die beiden hatten keine Gelegenheit gehabt, sich zu wehren, so schnell war der Tod gekommen. Es handelte sich ohne Frage um einen vorsätzlichen, genau geplanten Meuchelmord. Die Gründe, aus denen Hanns der Bär und seine Bande das Wirtsehepaar getötet hatten, lagen im verborgenen. Aber der Ritter mit dem Löwenherzen war fest entschlossen, Licht in das Dunkel zu bringen. Er verließ das Sterbezimmer, eilte wieder nach draußen. Eine Handvoll Räuber hatte er vorhin niedergeschlagen, bevor er durch die Alarmrufe aus dem Haus von den Kerlen abgelenkt worden war. Es mußte doch mit dem Teufel zugehen, wenn nicht mindestens noch einer des mörderischen Gesindels in seine Hände fallen würde. Wild blickte er sich nach allen Seiten um. Bei allen Erzengeln, wo waren die Schurken geblieben? Vor wenigen Minuten noch hatten sie bewußtlos auf dem Boden gelegen. Jetzt jedoch konnte er keinen einzigen mehr von ihnen ausmachen.
Dann sah er jenseits des Weges Bewegung. Mehrere Gestalten, nur höchst undeutlich zu erkennen, entfernten sich vom Schankhaus. Roland lief bereits. Sein Schwert war ihm vorhin entfallen, und er hatte bisher keine Gelegenheit gehabt, die Waffe wieder an sich zu nehmen. Aber das kümmerte ihn jetzt überhaupt nicht. Sein Zorn war so groß, daß er es auch mit einem Dutzend Räubern gleichzeitig aufgenommen hätte - mit blanken Fäusten. Mit großen Sätzen jagte er den Flüchtenden nach. Und es war ihm dabei auch völlig gleichgültig, ob sie sofort oder erst später auf ihn aufmerksam wurden. Rasch verkürzte er den Abstand, überraschend rasch sogar. Jetzt konnte er auch erkennen, wieso er so schnell näherkam. Drei Männer waren es, die das Weite suchten. Aber nur zwei von ihnen waren des Gehens mächtig. Der dritte hatte offensichtlich das Bewußtsein noch nicht wiedererlangt und wurde von den anderen beiden getragen. Es war sicherlich keine reine Freundestreue, die die Kerle zu ihrem Hilfsdienst veranlaßt hatte. Natürlich fürchteten sie, daß ein Zurückgelassener mehr ausplaudern würde, als für die anderen gut war. Ein solcher Gedankengang traf den Nagel auf den Kopf, denn er deckte sich voll und ganz mit Rolands eigenen Überlegungen. Inzwischen hatten die flüchtenden Räuber gemerkt, daß sich jemand an ihre Fersen geheftet hatte. Im Mondlicht war zu erkennen, daß sie die Köpfe zurückdrehten und dann ihre Fluchtanstrengungen verstärkten. Aber der Ritter mit dem Löwenherzen ließ sich nicht abhängen. Näher und näher kam er heran. Das merkten die Räuber nun auch. Fast ruckartig machten sie halt. Sie ließen ihren Spießgesellen zu Boden fallen und fuhren herum. Messer blitzten auf. Roland verhielt seinen Schritt. Er fürchtete diese beiden Männer nicht, aber er hatte auch nicht vor, sich leichtfertig in Gefahr zu begeben. »Kommt nur her, Herr Ritter!« stieß der eine hervor. »Einmal habt
Ihr uns überrascht. Ein zweites Mal wird Euch das nicht gelingen!« Langsam, ganz langsam jetzt, ging Roland auf die Räuber zu. Diese beiden und der eine, der bewegungslos auf dem Boden lag, waren die letzten, die noch nicht geflohen waren. Einen von ihnen mußte er haben, wenigstens einen. Geduckt wie große Katzen standen die zwei Meuchelmörder da, das Messer stoßbereit in der erhobenen Faust. Aber Roland ließ sich dadurch in keiner Weise beeindrucken. Furchtlos schritt er auf die üblen Gesellen zu. Die Räuber spürten diese Furchtlosigkeit. Und sie erinnerten sich wohl daran, wie übel der Ritter ihnen vorhin mitgespielt hatte. Sie bekamen es mit der Angst zu tun, wollten sich lieber doch nicht erneut auf ein Handgemenge mit diesem mächtigen Kämpfer einlassen. Deshalb versuchten sie, sich des Gegners auf eine andere Weise zu erwehren. Sie verständigten sich mit ein paar geknurrten Lauten. Dann bogen sie gleichzeitig den Arm zurück, ließen ihn dann wieder nach vorne schnellen. Die beiden Messer lösten sich aus ihren Fingern, jagten wie silberne Blitze auf Roland los. Der Ritter mit dem Löwenherzen sah die Messer im Mondlicht kommen. Sie waren zu schnell, um rechtzeitig zur Seite zu springen. Roland schaffte es noch gerade, Kopf und Oberkörper zur Seite zu reißen. Das eine Messer zischte haarscharf an seinem Ohr vorbei, so dicht, daß er den Luftzug spürte. Dem zweiten Geschoß jedoch konnte er nicht mehr ausweichen. Es traf seine Schulter, eine Handbreit über dem Herzen. Roland trug nicht wie gewohnt sein Kettenhemd, da er dieses abgelegt hatte, als er sich zur Nachtruhe begab. Dies zeitigte jetzt böse Folgen. Sein Oberkörper war ungeschützt. Ungehindert drang die Klinge in seine Schulter ein. Ein mörderischer Schmerz durchzuckte den Ritter. Ihm war, als würde sich glühendes, flüssiges Eisen in seiner Brust ausbreiten. Er strauchelte, wäre beinahe zu Boden gestürzt.
Die beiden Räuber stießen einen Triumphschrei aus. Sie sahen sich bereits als Sieger. Aber sie hatten ihre Rechnung ohne den Wirt gemacht. Roland achtete nicht weiter auf den schneidenden Schmerz, der in seiner Schulter tobte. Und auch die augenblickliche Schwäche, die ihn überkommen hatte, überwand er in Sekundenschnelle. Aufrecht und entschlossen ging er weiter auf die üblen Gesellen zu. Ja, er beschleunigte seine Schritte sogar noch, war den Kerlen jetzt zum Greifen nahe. Höllische Angst überkam die Räuber. Ein Mann, dem ein Messer tief in der Brust steckte und der dennoch ungebrochen weiterschritt, einen solchen Mann hatten sie noch nie erlebt. Er kam ihnen vor wie eine Gestalt, die nicht von dieser Welt stammte. Sie drehten sich auf dem Absatz um und rannten davon, als sei ein böser Geist hinter ihnen her. Schnell waren sie so weit entfernt, daß nur noch ihre hastenden Schritte von ihrer Gegenwart kündeten. Dann verklangen auch diese. Roland ließ sie laufen. Er hatte sein Ziel erreicht, denn der Bewußtlose war von seinen Spießgesellen zurückgelassen worden. Diesen Mann hatte er sicher. Jetzt spürte er den Schmerz in der Schulter wieder sehr deutlich. Am liebsten hätte er sich das Messer aus der Wunde gerissen. Aber das tat er nicht, wohl wissend, daß dies eine starke Blutung nach sich ziehen würde. Er biß die Zähne zusammen, bemühte sich, nicht auf die Pein zu achten. Er trat an den Mann heran, der auf dem Boden lag. Lebte der Geselle überhaupt noch, oder war er am Ende gar längst tot? Ja, er lebte noch. Als sich Roland zu ihm hinunterbeugte, fühlte er das Schlagen des Herzens. Lange würde es wohl nicht mehr dauern, bis er die Augen wieder aufschlagen konnte. Roland packte den Burschen unter Achseln und Knien und zerrte ihn hoch. Unwillkürlich stöhnte er auf, denn die Anstrengung bekam der Wunde ganz und gar nicht. Für eine Sekunde wurde ihm sogar regelrecht schwarz vor den Augen. Aber auch das ging wieder
vorbei. Es gelang ihm, den Bewußtlosen auf den Rücken zu nehmen. Dann machte er sich auf den Rückweg zum Haus. Louis kam ihm entgegen. Der Knappe stieß einen Entsetzensschrei aus, als er das Messer in der Schulter seines Herrn sah. »Ritter Roland, seid Ihr ...« »Halb so wild«, preßte Roland hervor. »Wenn du mir nur diesen Kerl abnehmen würdest...« Der Knappe griff sofort zu und packte sich den Räuber auf seinen eigenen Rücken. Gegen den Recken Roland wirkte sein sehniger, schlanker Körper beinahe schmächtig. Aber das sah natürlich nur auf den ersten Blick so aus. Tatsächlich war auch Louis ein Mann, der über die Stärke und Geschmeidigkeit eines Raubtiers verfügte. Wachsam blickte sich der Knappe nach allen Seiten um. »Keine Bange«, sagte Roland, »die Halunken haben alle das Weite gesucht. Und ich glaube, wir brauchen nicht damit zu rechnen, daß sie wiederkommen.« Gemeinsam gingen die beiden Männer zurück ins Haus. Pierre verschluckte sich fast, als er das Messer sah, das mittlerweile förmlich im Blut zu schwimmen schien. Auch das Mädchen erschrak zutiefst, vergaß im Augenblick sogar den Schmerz über den schrecklichen Verlust der Eltern. »Um Gottes willen, Herr Ritter. Ihr ... Ihr verblutet ja!« Dann zeigte sie, daß sie ein sehr gescheites und geschicktes Frauenzimmer war. Schnell hatte sie eine Schüssel Wasser und ein weißes, weiches Leinentuch geholt. Dann machte sie sich daran, den Ritter zu verarzten. Sie wurde blaß, als sie das Messer aus der Schulter zog. »Tut... es sehr weh?« »Überhaupt nicht«, erwiderte Roland lächelnd. »Wenn so zarte Hände zu Werke gehen ...« Das entsprach nicht so ganz der Wahrheit. In Wirklichkeit schmerzte seine Schulter höllisch. Aber er wäre lieber gestorben, bevor er das offen zugegeben hätte. Die Schmerzen wurden sogar noch schlimmer, als das Mädchen
die Wunde auswusch und ein bläuliches Pulver drauf streute. Aber das Pulver, bei dem es sich um Doppelsalz handeln mußte, tat unverzüglich seine Wirkung. Der Blutfraß kam fast zum Stillstand, so daß Hilda die Wunde gar prächtig verbinden konnte. In wenigen Minuten nur hatte sie die Arbeit getan. »Ist es so besser, Ritter?« »Viel, viel besser! Ich spüre fast gar nichts mehr!« antwortete Roland. Und in der Tat war eine spürbare Linderung eingetreten. Der stechende Schmerz war gewichen. Gegenwärtig spürte Roland nur noch einen dumpfen Druck und ein leichtes Ziehen. Er fühlte sich wieder so weit hergestellt, daß er sich um die wesentlichen Dinge kümmern konnte. Und dazu gehörte jetzt in erster Linie der gefangene Räuber. Noch immer war der Kerl, ein Bursche mit groben Gesichtszügen und wild wucherndem Bartwuchs, ohne Bewußtsein. Roland wollte aber auch nicht ausschließen, daß der Mann nur so tat, als sei er ohnmächtig, und in Wirklichkeit auf eine günstige Gelegenheit zur Flucht lauerte. Das wäre ihm allerdings nie gelungen, denn Louis paßte auf, als habe er seinen eigenen Augapfel zu bewachen. Roland hatte wenig Neigung, bis in alle Ewigkeit auf das Erwachen des Halunken zu warten. Er sorgte für Nachhilfe, indem er die Waschschüssel nahm und über dem Kerl ausschüttete. Das half sofort. Prustend und spuckend fuhr der Räuber hoch. Keine Frage, er hatte tatsächlich nur eine Posse vorgeführt. Das Messer hatte Rolands linke Schulter verletzt. Sein rechter Arm war deshalb in keiner Weise beeinträchtigt. Hart griff er zu und packte den Räuber an der Halskrause. »Ich habe ein paar Fragen an dich, Bürschchen!« sagte er mit drohender Stimme. Der Räuber zuckte mit den Augenlidern, machte aber den Mund noch nicht auf. »Warum habt ihr den Schankwirt und seine Frau umgebracht?« wollte Roland wissen. »Und warum wolltet ihr die Tochter des
Hauses gewaltsam verschleppen?« »Ich ... wir ...« »Ja?« »Ich ... weiß nicht.« »So, so, du weißt es nicht! Nun, wir wollen doch mal sehen...« Roland knautschte den schmutzigen Stoffetzen, der sich um den Hals des Mannes schlang, so zusammen, daß dem Kerl die Luft wegblieb. Er lief rot an und bekam ganz große, entsetzte Augen. »Aufhören«, ächzte er halb erstickt. Roland lockerte seinen Griff ein bißchen. »Nun?« »Glaubt mir, Herr Ritter«, quetschte der üble Geselle hervor, »ich weiß wirklich nicht genau, warum wir diesen Überfall unternommen haben. Wir hatten es nicht auf Beute abgesehen, das ist gewiß. Es ging irgendwie um ...«, er warf einen schnellen Blick auf Hilda, »...das Mädchen. Sitta sah in ihr eine Rivalin, die beseitigt werden sollte. Und ihre Eltern sollten ebenfalls sterben, um sie zum Schweigen zu bringen.« »Sitta«, sagte Roland, »ist das die schwarzhaarige Frau, die mit euch am Tische saß?« »Die Schwarze Sitta, ja. Sie ist die Ziehtochter von Hanns dem Bär, unserem Anführer.« »Rivalin«, wiederholte Roland sinnend. Er sah die Wirtstochter an. »Bist du dieser Schwarzen Sitta jemals in die Quere gekommen, mein Kind?« »Niemals«, antwortete das Mädchen mit den rehbraunen Haaren. »Ich habe das Weib nie in meinem Leben gesehen!« »Dann verstehe ich nicht...« »Ich verstehe es auch nicht«, sagte Hilda mit funkelnden Augen. »Bestimmt lügt dieser Schweinesohn!« »Nein, nein«, versicherte der Räuber. »Hanns der Bär hat uns weitgehend im Ungewissen gelassen. Das schwöre ich beim Leben meiner Mutter!« »Du lügst«, sagte Hilda wieder. »Und du bist einer von jenen, die meine Eltern auf dem Gewissen haben.« Während sie das sagte, griff
sie nach dem Messer, das sie aus Rolands Schulterwunde gezogen hatte. Der Anblick des Messers und die damit verbundene Todesahnung verlieh dem Räuber ungeahnte Kräfte. Mit einem mächtigen Ruck riß er sich los und rannte zur Tür. Aber er erreichte sie nicht. Pierre strafte seine Bequemlichkeit Lügen und streckte blitzschnell ein Bein aus. Der flüchtende Halunke stolperte darüber und schlug lang hin. Auf die Füße kam er nicht wieder, denn im nächsten Augenblick war Louis über ihm. Damit war die Flucht des Kerls ein für allemal beendet. * Der Knappe Markus wußte, daß höchste Eile geboten war. Der Freigraf erwartete ihn noch in dieser Nacht auf dem herzoglichen Schloß zurück. Und natürlich erwartete er auch, die Nachricht zu bekommen, auf die es ihm ankam. Markus blieb also nicht viel Spielraum. Anna Ochsenschwanz mußte ihr Geheimnis preisgeben. Unverzüglich ! Nur wenige Meilen von dem Dorf Mühlbach entfernt - Markus und seine Begleitung durchquerten gerade ein zwischen zwei Hügeln eingebettetes Waldstück - gab er auf einer kleinen, von Büschen und Bäumen geschützten Lichtung den Befehl zum Anhalten. Die Männer kletterten aus den Sätteln und hoben auch die Frauen von den Pferden. Anna und Amalia Ochsenschwanz waren noch immer völlig verstört. Verständlicherweise gewiß, denn ihre Entführer hatten die Gesichtstücher noch immer vorgebunden und waren während des Rittes eine Antwort auf die angstvollen Fragen ihrer Opfer schuldig geblieben. Nicht ohne Grund rechneten die unglücklichen Frauen mit dem Schlimmsten, wenn sie auch sicher von falschen Beweggründen ausgingen, die sie den Männern im stillen unterstellten. Die Nacht war kühl, unangenehm kühl. Da zu dieser Stunde und an dieser Stelle kaum Lauscher zu befürchten waren, entzündeten die
Männer ein Feuer. Brennholz dazu fanden sie in Hülle und Fülle. Schnell schlugen die Flammen hoch, sorgten für Licht und Wärme. Markus ließ die Verwandte der Amme ein Stück zur Seite führen und von einem seiner Helfershelfer bewachen. Dann wandte er sich Anna Ochsenschwanz zu. Angst loderte in den Augen der Frau hoch. Ihre Mundwinkel zuckten krampfhaft. »Du brauchst keine Angst vor uns zu haben«, sagte der Knappe freundlich. »Es liegt nicht in unserer Absicht, deine Frauenehre zu beflecken, wie du wohl fürchtest.« Die Frau sagte nichts, blickte ihn nur an. Ihre Angst hatte sie aber keineswegs verloren. »Ich will nur eine Auskunft von dir«, fuhr Markus fort. »Das ist schon alles.« »Was ... was für eine Auskunft?« Die Stimme Anna Ochsenschwanz' klang belegt und stockend. »Der Name Berthild ist dir vertraut?« kam Markus ohne weitere Umschweife zur Sache. »Berthild?« »Des Herzogs Tochter, ja!« »Ich ... ja, ich kannte sie. Damals, als sie noch ein unschuldiges kleines Kind war. Ich habe sie an meiner Brust gesäugt!« Markus nahm diese Antwort als ein gutes Zeichen. Immerhin, sie leugnete nicht, die Amme der Herzogstochter gewesen zu sein. »Gut«, sagte er, »sehr gut. Wenn du dich so klar erinnerst, dann wirst du auch noch wissen, daß die kleine Berthild ein unverwechselbares Körpermerkmal besaß. Was war das für ein Merkmal?« Erst jetzt schien der Frau klar zu werden, auf was er eigentlich hinaus wollte. Ein Schatten huschte über ihr Gesicht. »Ich ... ich weiß nicht, wovon Ihr sprecht, Herr«, antwortete sie unsicher. Es war offensichtlich, daß sie log. Nur zu genau wußte sie, was er meinte.
Markus behielt seine Freundlichkeit bei. »Machen wir uns nichts vor, Anna Ochsenschwanz. Ich weiß alles! Und ich kann mir auch vorstellen, daß man dir am Hof des Herzogs befohlen hat, tiefstes Stillschweigen zu bewahren. Aber ich mache dir ein heiliges Ver sprechen: niemand wird jemals erfahren, daß du mir dein Geheimnis anvertraut hast. Du sagst mir jetzt, welches Merkmal die kleine Berthild hat. Gleich anschließend bringen wir dich und deine Verwandte zurück nach Mühlbach, und niemand wird wissen, daß wir uns überhaupt getroffen haben. Nun, ist das ein guter Vorschlag?« Die Frau zögerte, schüttelte dann den Kopf. »Nein«, sagte sie beinahe flüsternd, »ich darf es nicht sagen. Ich habe es geschworen! Und wenn ich meinen Eid breche, falle ich der ewigen Verdammnis anheim.« Noch einmal versuchte es der Knappe im Guten. »Dein Eid in hohen Ehren, Anna. Aber meinst du nicht, daß das hier eine Sinnesänderung wert sei?« Mit diesen Worten holte er einen kleinen Beutel hervor und schwenkte ihn hin und her. Das silberhelle Klingeln von Geldmünzen wurde hörbar. »Nun, Anna? Dieser Beutel gehört sofort dir, wenn du ...« »Nein! Ich verkaufe meine Seele nicht für alle Goldmünzen dieser Welt. Zu teuer müßte ich dafür in der jenseitigen Welt bezahlen!« Die freundliche Miene des Knappen war auf einmal wie weggewischt. »Nun«, sagte er, »wenn du die Freuden der diesseitigen Welt für gering erachtest... Wir wollen sehen, ob du auch ihre Schrecken nicht fürchtest!« Er gab den beiden Helfershelfern, die das Gespräch aufmerksam verfolgt hatten, einen Wink. »Reißt ihr die Kleider vom Leib!« Diesen Befehl brauchte er nicht zweimal zu geben. Die beiden Männer gehorchten sofort. Und ihr glucksendes Lachen verriet, daß sie es nur zu gern taten. Sie packten die Frau und legten Hand an sie.
Langsam, beinahe genüßlich fetzten sie der Frau die Kleidungsstücke vom Körper. Bald stand Anna Ochsenschwanz völlig nackt da. Ihr Wimmern und Flehen hatte die Männer nicht rühren können. Markus war erstaunt, welch prallen, gut erhaltenen Leib sie noch hatte. Ihre schweren, vollen Brüste hingen nur leicht nach unten, was um so erstaunlicher war, als sie ja früher fremder Frauen Kinder gestillt hatte. Die nächtliche Kälte ließ sie zittern. Ihr Körper überzog sich vom Kopf bis zu den Füßen mit einer Gänsehaut. Es gefiel dem Knappen gar nicht, was er jetzt tun mußte. Aber dann dachte er an den ersehnten Ritterschlag und hörte nicht auf die mahnende Stimme seines Gewissens. »Nun, willst du nicht lieber doch sprechen, Anna Ochsenschwanz?« Stumm schüttelte die Frau den Kopf. »Ich ... darf es nicht. Bei meiner Seele, habt Erbarmen, Herr!« Sie dauerte ihn zutiefst, aber er konnte und durfte ihr kein Erbarmen gewähren. Er beugte sich zum Feuer nieder und nahm einen brennenden Ast zur Hand, dessen dickes Ende noch nicht von den Flammen beleckt wurde. »Mir scheint, du frierst, Anna«, sagte er heiser. »Möchtest du dich etwas wärmen?« Ruckartig stieß er den Ast nach vorne und hielt ihn so, daß die züngelnden Flammen nur noch wenige Zoll vom Körper der Frau entfernt waren. Entsetzt schrie Anna Ochsenschwanz auf und versuchte zurückzuspringen. Aber das gelang ihr nicht. Die Helfer des Knappen hatten sie an den Armen gepackt und hielten sie unerbittlich fest. »Bitte, Herr«, flehte sie, »tut alles mit mir, nur das nicht. Tötet mich lieber!« »Du hast die Wahl«, antwortete Markus mit bemüht kalter Stimme. »Du brauchst mir nur zu sagen, was ich wissen will.« Einen Augenblick lang sah es so aus, als ob sie tatsächlich
sprechen würde. Aber das tat sie dann doch nicht. Sie preßte die Lippen fest aufeinander und schwieg. Der Knappe wollte die Flammen noch näher an ihren nackten Körper heranbringen, merkte aber, daß er dies nicht konnte. Er war nicht zum Folterknecht geboren, konnte seine inneren Skrupel nicht überwinden, auch wenn der Verstand ihm sagte, daß dies unbedingt erforderlich war. Er brachte es einfach nicht fertig, die unglückliche Frau, die jetzt mit entsagungsvoller Miene und geschlossenen Augen da stand, noch mehr zu quälen. Die beiden Helfershelfer merkten, was in ihm vorging. »Mangelt es dir an Entschlossenheit, Markus?« sagte der eine und lachte höhnisch. »Der Freigraf wird nicht entzückt von deiner lauen Feigheit sein!« Markus biß sich auf die Lippen, so fest, daß ein Blutstropfen hervortrat. Dieser Narr! Er hatte seinen Namen genannt und damit die ganze Maskerade hinfällig gemacht. Und er hatte auch den Freigrafen erwähnt. Die Amme wußte also jetzt Bescheid, wem sie dieses schreckliche nächtliche Erlebnis zu verdanken hatte. »Nun, Markus?« gab der Bursche noch immer keine Ruhe. »Wenn du dich nicht traust... Gib mir die Fackel! Ich werde keinen Augenblick zögern, den Wünschen unseres Herrn gefällig zu sein!« Verlangend streckte er die Hand aus. Der Knappe wußte, daß er keine Wahl hatte. Dem angestrebten Ziel so nahe zu sein und dann doch keinen Erfolg zu erzielen, das würde ihm Baldur von Torstein niemals verzeihen. Den ersehnten Ritterschlag konnte er für alle Zeiten vergessen. Mehr noch, der Freigraf würde ihn auch noch zusätzlich für seine Unbotmäßigkeit streng bestrafen. Mit einer müden Geste überreichte er dem Helfershelfer die lodernde Fackel. Wieder lachte der andere und packte den brennenden Ast mit fester Hand. Dann wandte er sich der zitternden Frau zu. »So«, sagte er heiter, »nun wollen wir doch mal sehen, ob du
deinen Schnabel nicht doch aufsperren wirst!« Anna Ochsenschwanz schrie gellend auf, begann dann herzzerreißend zu schluchzen. »Wartet«, stieß sie hervor, »ich... will sprechen!« Die Fackel wich zurück. »Das Erkennungszeichen der Herzogstochter ist...« Erneut stockte die Frau. »Sprich!« »Ein kleines Muttermal an der Innenseite ... des rechten Oberschenkels.« Fast lautlos hatte die Amme gesprochen. Wahrscheinlich stellte sie sich in Gedanken vor, wie unvergleichlich furchtbarer das Höllenfeuer im Vergleich zu den Flammen des Astes brennen würde. Der Helfershelfer sonnte sich in den Strahlen seines Triumphs. »Hast du gesehen, Markus? So muß man das machen!« Der Knappe goß Wasser in den Wein. »Du Narr«, raunte er ihm zu. »Jetzt kann sich die Amme leicht ausrechnen, in wessen Auftrag wir handeln. Du hast den Freigrafen erwähnt und mich mit meinem Namen angesprochen. Wozu wohl haben wir unser Gesicht verhüllt?« »Oh, Hölle und tausend Teufel«, stieß der andere hervor. »Das hatte ich nicht bedacht. Was tun wir nun?« Diesmal gab es keinen Ausweg, wußte Markus. Diesmal durfte er die Stimme seines Gewissens nicht beachten. »Es gibt nur eine einzige Möglichkeit«, sagte er mit Grabesstimme. Der andere begriff sofort. »Du meinst...« »Weißt du eine andere Lösung?« »Nein!« Der Helfershelfer ließ den brennenden Ast fallen und griff wieder nach seinem Hirschfänger. Gellend schrie Anna Ochsenschwanz auf. * »Was machen wir mit ihm?« fragte der Knappe Louis, während er
den Räuber mit starker Hand festhielt. »Er ist ein Mörder und hätte es verdient, auf dem schnellsten Weg in die Hölle befördert zu werden!« »Gnade!« schrie der Kerl mit dem wüsten Bart. »Ich bereue, was ich tat und...« »Schweig!« donnerte Roland. »Deine Reue ist genauso verlogen wie all das, was du uns erzählt hast.« Wieder beteuerte der Räuber leidenschaftlich, daß er die Wahrheit gesagt habe und wirklich nicht genau wisse, weshalb die Wirtsleute und ihre Tochter sterben sollten. Fast war Roland geneigt, ihm zu glauben. Und den anderen ging es nicht anders. Aber was sollte mit dem Halunken geschehen? Alle Anwesenden blickten auf Hilda, die das Messer nach wie vor in der Hand hielt. Sie starrte den Mann an wie ein Racheengel, der zur Erde herabgestiegen war. Plötzlich jedoch ließ sie das Messer sinken. »Er ist ein böser Mensch«, stellte sie mit leiser Stimme fest. »Und er ist mitschuldig am Tod meiner geliebten Eltern. Aber ich bin kein Richter. Mögen andere entscheiden, was aus ihm wird!« Sie ließ das Messer fallen, schlug die Hände vors Gesicht und begann lautlos zu weinen. Der Gedanke an das schreckliche Schicksal Gisleverts und Marias gab ihren Tränen neue Nahrung. Roland trat auf sie zu und legte ihr begütigend den gesunden Arm um die Schultern. Er sagte nichts, denn in einer solchen Situation gab es nicht viel zu sagen. Der tiefe Schmerz, den das Mädchen empfand, ließ sich durch Worte nicht lindern. Bald beruhigte sich die junge Frau wieder etwas. Sie wischte sich die Tränen aus den Augen und zwang sich sogar zu einem flüchtigen Lächeln, das sie schöner erscheinen ließ denn je. »Wer ist der oberste Gerichtsherr dieser Gegend?« erkundigte sich Roland. »Herzog Adalbert«, erwiderte Hilda. »Aber er hat die Gerichtsbarkeit in dieser Gegend dem Freigrafen Otmar von Lützen übertragen.«
»Gut«, nickte Roland. »Dann werden wir diesen Halunken dem Freigrafen übergeben. Wie weit liegt sein Sitz von hier entfernt?« »Die Lützenburg ist etwa in einem halben Tagesritt zu erreichen.« Nun erhob sich die Frage, wie der Rest der Nacht verbracht werden sollte. Sich wieder aufs Lager begeben und weiterschlafen? Dazu war niemand aufgelegt, insbesondere das Mädchen Hilda nicht. Unter einem Dach mit ihren ermordeten Eltern ... »Vielleicht sollten wir gleich zur Lützenburg aufbrechen«, schlug Roland vor. »Die Morgendämmerung ist ohnehin nicht mehr fern.« Sein Vorschlag fand allgemeine Zustimmung. Auch Hilda hatte nichts dagegen. Allein konnte sie das Schankhaus ihrer Eltern nicht weiterführen. Was nun aus ihr werden würde, wußte sie noch nicht. Vielleicht konnte sie auf der Lützenburg eine Anstellung finden. Das hoffte sie jedenfalls. Vor dem Aufbruch gab es noch eine traurige Pflicht zu erfüllen. Gislevert und Maria mußten beerdigt werden. Louis und Pierre übernahmen die Aufgabe, hinter dem Haus ein Grab auszuheben, in das die beiden Toten dann hinabgelassen wurden. Ein einfaches Holzkreuz, aus Baumästen zusammengefügt, schmückte die letzte Ruhestätte der Unglücklichen. Stumm nahm Hilda Abschied von ihren Eltern, ungestört von Roland und den Knappen. Dann war sie zum Aufbruch bereit. * Baldur von Torstein schlich auf leisen Sohlen durch das herzogliche Schloß. Er wurde dabei das Gefühl nicht los, daß dieses Tun stark unter seiner Würde war. Aber er konnte darauf jetzt keine Rücksichten nehmen. Der Zweck heiligte bekanntlich die Mittel, und wenn er sein angestrebtes Ziel erreichen wollte, dann blieb ihm jetzt gar keine andere Möglichkeit. Noch war alles ruhig im Schloß. Lange würde es allerdings nicht mehr dauern, bis der erste Hahn krähte, und bis dahin mußte er alles erledigt haben.
Von niemandem gesehen, kam er in dem Schloßflügel an, der den Frauen vorbehalten war. Als er an einer Tür vorbeischlich, hörte er dahinter keuchende Geräusche und ein glucksendes Lachen. Ein Lächeln huschte über seine Züge. Wie es schien, war er nicht das einzige männliche Wesen, das sich in fremde Gefilde begeben hatte. Er ging weiter, stand dann vor dem Raum, in dem er seine Tochter wußte. Prüfend blickte er sich noch einmal nach allen Seiten um. Befriedigt stellte er fest, daß nichts zu sehen und auch nichts zu hören war. Dann klopfte er an die Tür, die von innen verschlossen war. Er bekam keine Antwort. Martha hatte ihn offenbar nicht gehört, schlief weiter. Wahrscheinlich träumte sie von einem Mann, der endlich gekommen war, um ihrer Jungfräulichkeit ein Ende zu setzen. Wieder klopfte er, lauter als zuvor. Und wieder nahm seine Tochter keine Notiz davon. Langsam wurde er wütend. Diese Gans! Wußte sie denn nicht, daß sie ihre Zukunft verschlief? Und die seine auch! Er mußte das Risiko eingehen, daß auch in den benachbarten Räumen jemand aufmerksam wurde. Aber das ließ sich nicht ändern. Er mußte hinein zu Martha, unbedingt! Er ballte eine Faust und hämmerte gegen die Tür. Das Geräusch erschien ihm so laut wie ein Donnerschlag. »Martha, hörst du nicht?« Mehrere Sekunden vergingen, dann kam die ängstliche Stimme seiner Tochter: »Vater, seid Ihr das?« »Was dachtest du denn, alberne Gans - ein Verehrer vielleicht? Da kannst du verdammt lange warten. Los, mach endlich auf!« »Aber...« »Mach auf, sage ich!« Er stand wie auf glühenden Kohlen. Hoffentlich öffnete die dumme Pute bald! Das tat sie schließlich. Der Freigraf drängte sich durch die Tür, machte sie hinter sich wieder zu.
Verwundert starrte ihn seine Tochter an, mit einem Gesichtsausdruck, der ihn dazu reizte, ihr eine Maulschelle zu versetzen. Dümmlich war gar kein Ausdruck. Sie hatte ein Nachtgewand an, das ihr vom Hals bis zu den Fußsohlen reichte. Es war genauso formlos wie der plumpe Körper, den es verhüllte. Baldur von Torstein trat an den Tisch, auf dem eine brennende Fackel stand, und zog sich einen Schemel heran. Martha nahm unterdessen auf der Kante des Bettes Platz. »Um diese Zeit?« fragte sie. »Was wollt Ihr jetzt von mir, Herr Vater?« »Mein Getreuer Markus hat herausgefunden, welches unverwechselbare Körpermal die Tochter des Herzogs aufwies!« »Ach ja«, erwiderte Martha. Deutlich war ihr anzumerken, daß sie über diese Nachricht gar nicht glücklich war. Im stillen hatte sie wohl immer noch gehofft, daß ihr Vater seinen Plan fallen lassen würde. Aber da irrte sie sich gewaltig. Mehr denn je war der Freigraf gewillt, sie auf den Herzogsthron zu setzen. Und jetzt, da er den Schlüssel zum Erfolg kannte, sollte ihn keine Macht der Welt mehr daran hindern, sein Ziel zu erreichen. »Berthild besaß ein kleines Muttermal am rechten Oberschenkel. Und zwar an der Innenseite.« »Ich habe dort kein Muttermal«, erwiderte Martha. Sie schien erleichtert zu sein. Ihr Vater lächelte grimmig. »Noch nicht, Martha, noch nicht. Aber was nicht ist, kann ja noch werden ...« Er zog seinen Siegelring vom Finger und betrachtete ihn im Schein der Fackel. Befriedigt nickte er. Ja, die Gemme würde durchaus ihren Zweck erfüllen. Martha sah ihn fragend an. Das Unwohlsein stand ihr in großen Buchstaben im Gesicht geschrieben. »Was... wollt ihr mit dem Ring, Herr Vater?« »Die gravierte Platte eignet sich nicht nur zum Siegeln«, sagte der Freigraf langsam.
»Son ... dern?« »Zieh dein Gewand hoch«, verlangte Baldur von Torstein. »Ich soll...« Entsetzen zeichnete sich im Gesicht des dicklichen Mädchens ab. »Niemals!« Der Zorn übermannte den Freigrafen. »Was glaubst du, will ich tun, alberner Fratz? Dir Gewalt antun vielleicht? Ich bin dein Vater, vergiß das nicht! Also hoch mit dem Fetzen. So weit, bis der Oberschenkel frei ist!« Zögernd und zitternd kam Martha der Aufforderung nach. Ihr Bein war alles andere als ansehnlich. Die Fesseln waren zu breit, die Waden zu schwammig, die Knie zu eckig und die Schenkel zu fett. Ihr Vater konnte sich keinen Mann vorstellen, der an diesem Mädchen großen Gefallen finden würde. Es sei denn, sie war Herzogin! Dann sah auch ein Mann von Stande über vieles, über alles andere hinweg. »Und nun, Herr Vater?« Baldur von Torstein seufzte. Sie war so dumm, daß sie noch immer nicht begriffen hatte, auf was er hinaus wollte. Und vielleicht war es sogar besser, ihr vorher gar nichts zu sagen. Sie würde noch früh genug merken, was er vorhatte. »Mach die Augen zu, Martha«, sagte er geradezu freundlich. »Warum?« »Tu es!« Martha war es gewohnt, zu gehorchen. Zuerst leistete sie meistens Widerstand, dann aber gab sie stets klein bei. Auch diesmal war es so. Sie schloß die Augen. »Mißbraucht mein Vertrauen nicht, Herr Vater«, sagte sie mit leiser Stimme. »Natürlich nicht, mein Kind. Ich will ja nur dein Bestes!« Baldur von Torstein nahm den Ring mit spitzen Fingern und hielt ihn über die züngelnde Flamme der Kerze. Das Metall der Gravierplatte erhitzte sich sofort. Auch das Gold des Rings selbst wurde sehr schnell heiß, so heiß, daß der Freigraf die Hand am liebsten rasch wieder zurückgezogen hätte. Aber er beherrschte sich.
Was er von seiner Tochter verlangte, mußte er auch selbst erdulden können. Dann erschien ihm die Platte heiß genug. Er beugte sich über den Oberschenkel Marthas ... Ihr furchtbarer Schrei drang nicht nach draußen. Baldur von Torstein war umsichtig genug gewesen, seiner Tochter mit der freien Hand den Mund zuzuhalten. * Hanns der Bär war so wütend wie selten in seinem Leben. Der Zorn, der in ihm wühlte, hatte mehrere Gründe. Einmal konnte er sich selbst nicht verzeihen, daß er und alle seine Leute vor einem einzigen Mann das Hasenpanier ergriffen hatten, auch wenn er zugeben mußte, niemals einem so unvergleichlichen Kämpfer begegnet zu sein. Zum zweiten war er wütend auf seine Ziehtochter. Und ganz besonders auf zwei seiner Männer! Nach der Flucht aus dem Schankhaus hatte sich die ganze Bande mehrere Meilen entfernt an einem vorher verabredeten Ort im Wald wieder zusammengefunden. Alle bis auf einen. Der Stromer Karl fehlte, weil er von seinen Freunden im Stich gelassen worden war, vom Schinder und vom Roten Joseph. »Ihr blutigen Narren«, beschimpfte er die beiden. »Wie konntet ihr ihn nur zurücklassen?« »Das fragst du?« empörte sich der Schinder. »Bist du nicht selbst gelaufen wie eine Maus, die den Bussard über sich kreisen sieht?« »Ich habe aber niemanden in die Hände des Gegners fallen lassen wie ihr den Stromer Karl!« »Na und? Der Stromer war ohnehin zu nichts zu gebrauchen. Er war ein Feigling.« »Um so schlimmer«, sagte Hanns der Bär. »Wenn sich der Ritter ihn richtig zur Brust nimmt...« »Pha«, machte der Schinder, »was will der Stromer schon ausplaudern? Warum wir das Schankhaus heimgesucht haben? Das
weiß er ebensowenig wie wir alle. Oder hast du es ihm etwa gesagt?« »Nein. Und das war wohl auch gut so!« Der Bandenführer ging nicht näher auf dieses Thema ein. Er wollte nicht, daß seine Leute weitere Fragen stellten, die er ihnen doch nicht beantworten würde. Der Überfall auf das Schankhaus ging nur ihn und Sitta etwas an. Sitta! Auch mit seiner Ziehtochter hatte er noch ein Hühnchen zu rupfen. Er wandte sich dem schwarzhaarigen Mädchen zu. »Nun«, sagte er so leise, daß es die anderen nicht hören konnten, »wie fühlen sich deine Finger an - noch klebrig vor Blut?« Die Schwarze Sitta zuckte die Achseln. »Solange es nicht mein eigenes Blut ist, kümmert mich das wenig.« »Du bist ein mörderisches Luder!« »Das habe ich von dir gelernt, Ohm!« »Es war nicht nötig, den Köhler und seine Frau zu töten«, sagte Hanns der Bär. »Sie wollten gar nicht, daß ihr Findelkind den Herzogsthron besteigt!« »Das haben sie gesagt. Aber ob es stimmt...« »Ich bin davon überzeugt. Zeit ihres Lebens haben sie Hilda als ihr Kind angesehen. Das junge Frauenzimmer wußte nicht einmal, daß Gislevert und seine Frau nicht ihre richtigen Eltern waren. Sie hatte nicht die geringste Ahnung, daß sie vielleicht des Herzogs Tochter ist.« »Und jetzt, da die Alten tot sind, wird sie es auch gewiß nie erfahren«, sagte die Schwarze Sitta befriedigt. »Dafür habe ich gesorgt. Willst du mir deshalb einen Vorwurf machen, Ohm?« Hanns der Bär wußte, daß es keinen Zweck hatte, mit Sitta zu streiten. Seine Ziehtochter hatte ihren eigenen Kopf und verstand es immer wieder, sich gegen ihn durchzusetzen. Und nicht nur gegen ihn, sondern auch gegen andere. Im Grunde genommen war das sogar gut. Sitta hatte durchaus das Zeug, sich am Hof des Herzogs durchzusetzen und in die Rolle der Fürstentochter zu schlüpfen, selbst wenn sie es gar nicht war. Und wenn sie erst einmal zu Amt
und Würden gekommen war, dann brauchte auch er sich keine Sorgen zu machen. Das hoffte er jedenfalls. In jedem Fall mußte er aufpassen, daß sie ihn nicht eines Tages fallen ließ wie einen heißen Topf. Ein Verrat war ihr jederzeit zuzutrauen. Selbst ein Verrat an ihm. »Was tun wir jetzt, Ohm?« fragte sie. »Müssen wir uns noch länger mit diesem Gesindel herumschlagen?« Unwillig ließ sie ihre Augen von einem der Räuber zum anderen wandern. »Ich kann ihren Anblick nicht länger ertragen. Sie sind grob und unflätig. Und sie stinken!« Hanns der Bär verzog den Mund. »Bisher hast du dich in ihrer Gesellschaft recht wohl gefühlt, oder? Und hast du nicht noch gestern den Schinder als einen vorzüglichen Liebhaber gelobt?« »Das ist vorbei, Ohm! Von nun an werde ich mich nur noch Männern vom Stande hingeben.« Hanns der Bär lachte leise. »Du sitzt schon auf dem Thron, wie?« »Wenn wir uns nicht bald zum Schloß des Herzogs begeben, werde ich ihn nie besteigen können. Worauf warten wir noch? Dieser Wechselbalg eines Köhlers kann mir nicht mehr gefährlich werden. Folglich ...« Ihr Ziehvater nickte langsam. »Wir reiten zum Schloß - noch heute!« »Und was ist mit dem Schinder und den anderen?« Hanns der Bär lachte. »Was kümmert uns dieses Gesindel?« Die Schwarze Sitta erwiderte sein Lachen. »So gefällst du mir, Ohm. Wer weiß, vielleicht mache ich dich wirklich zu meinem Hausmeier!« * Die Sonne strebte ihrem Zenit entgegen, als Roland und seine Begleiter die Burg des Freigrafen von Lützen erreichten. Der Burgherr war sofort bereit, den Ritter mit dem Löwenherzen zu empfangen. Roland konnte nicht sagen, daß ihm Otmar von
Lützen sonderlich gefiel. Der Graf war ein irgendwie finster wirkender Mann. Sein stechender Blick und die harten Linien um Mund und Nase machten einen abweisenden Eindruck, auch wenn er sich jetzt Mühe gab, freundlich und höflich zu sein. Vielleicht war Roland aber auch nur voreingenommen. Von König Artus wußte er, daß von Lützen einer der Teilnehmer der Jagdgesellschaft gewesen war, bei der ein Pfeil Herzog Adalbert an den Rand des Grabes gebracht hatte. Ob es sich bei diesem fatalen Pfeilschuß um ein Mißgeschick oder den Versuch eines Meuchelmordes gehandelt hatte, sollte Roland im Auftrag des Herrn von Camelot herausfinden. Der Aufenthalt auf der Lützenburg kam ihm deshalb sehr recht. »Was führt Euch zu mir, Ritter Roland?« erkundigte er sich, während er den Gast mit einem Willkommenstrunk bewirtete. »Zwei Dinge sind es, die mich bewegten, Euch aufzusuchen«, erwiderte Roland. »Zum einen habe ich einen gemeinen Räuber und Mörder hergebracht, den ich Eurer Gerichtsbarkeit unterstelle.« »Ich sah, wie Ihr den Kerl meinen Getreuen übergabt. Was hat er verbrochen?« »Er war an der Ermordung eines Schankwirts namens Gislevert und seiner Frau Maria beteiligt.« Der Freigraf blinzelte. »Sagtet Ihr Gislevert?« »Ja, das sagte ich. Ihr kennt den Mann?« »Ein Köhler namens Gislevert ist mir bekannt«, sagte der Graf. »Dann handelt es sich offenbar um denselben Mann. Der Schankwirt arbeitete früher als Köhler.« »Wie der Zufall so spielt«, meinte Otmar von Lützen sinnend. »Sagt, Ritter Roland, nannte dieser Gislevert nicht eine Ziehtochter sein eigen?« »Ziehtochter?« wiederholte der Ritter mit dem Löwenherzen. »Ich weiß nur, daß die beiden eine Tochter mit Namen Hilda besaßen, und er hielt das Mädchen für sein leibliches Kind.« Der Graf beugte sich vor, sah Roland mit seinen stechenden Augen eigentümlich an.
»Dieses Mädchen, diese Hilda«, sagte er. »Ist sie ebenfalls ermordet worden?« »Zum Glück nicht! In letzter Minute gelang es mir, sie den Räubern zu entreißen und ihr Leben zu retten.« »So, so.« Täuschte sich Roland, oder nahm der Freigraf diese Nachricht mit Mißfallen auf? Fast schien es so, als hätte er es lieber gesehen, wenn auch des Schankwirts Tochter bei dem mörderischen Überfall umgekommen wäre. »Wo ist das Mädchen jetzt?« erkundigte sich Otmar von Lützen. »Hier.« »Hier auf meiner Burg?« »Ja«, nickte Roland. »Die junge Frau hat ihre Eltern verloren und steht nun ganz allein auf der Welt. Ich habe sie hergebracht, weil ich dachte, daß Ihr als ihr Landesherr vielleicht etwas für sie tun könntet.« Otmar von Lützen lächelte. Aber es war kein heiteres, freundliches Lächeln. »Gewiß, Herr Ritter«, sagte er, »ich betrachte es als meine vornehmste Pflicht, den Kindern meines Landes beizustehen, wenn sie unverschuldet in Not geraten sind. Ich werde mich des jungen Frauenzimmers sofort annehmen.« Er stand auf und betätigte einen Bronzegong, der an der Wand des Empfangsgemachs hing. Sofort erschien einer seiner Diener. »Herr Freigraf haben gerufen?« »Unser Gast, der edle Ritter Roland, ist in Begleitung eines Mädchens gekommen. Auch dieses Mädchen ist unser Gast. Bringe es unverzüglich zu mir.« Der Diener machte eine Verbeugung, die fast bis auf den Boden reichte, und entfernte sich wieder. »Ihr spracht von zwei Gründen, die Euch zu mir führten«, sagte Otmar von Lützen. »Darf ich auch den zweiten erfahren?« Roland beschloß, stracks auf sein Ziel loszugehen. Wenn der Freigraf etwas wußte... Vielleicht verriet er sich.
»Eigentlich bin ich ins Land gekommen, um einem Freund meines Herrn die besten Wünsche zu übermitteln«, sagte er. »Ach ja? Und wer ist Euer Herr?« »Ich bin ein Paladin König Artus'! Und der Freund, den ich aufsuchen sollte, ist Herzog Adalbert. Nun aber hörte ich, daß der Herzog im Sterben liegt.« »Wohl wahr«, erwiderte Otmar von Lützen seufzend. »Ein verirrter Pfeil bei der Jagd ...« »Man sagt, daß der Pfeil tatsächlich gar nicht irre geleitet, sondern mit Bedacht auf den Herzog gerichtet wurde.« »Sagt man das?« »Man sagt sogar noch mehr! Es könnte Eure Hand gewesen sein, die den mörderischen Pfeil auf die Reise schickte!« Jedwede Freundlichkeit war jetzt aus dem Gesicht des Freigrafen gewichen. Finster war seine Miene geworden, finster und drohend. »Wollt Ihr damit die Behauptung aufstellen, daß ich versucht habe, den Herzog umzubringen?« Abwehrend hob Roland die Hände. »Gott bewahre! Ich gebe nur weiter, was man erzählt. Ihr haltet das, was dem Herzog zugestoßen ist, also für einen Unglücksfall?« »Das habe ich nicht gesagt«, erwiderte der Freigraf nicht mehr ganz so finster. »Auch ich schließe die Möglichkeit eines Mordanschlages nicht aus.« »Habt Ihr einen Verdacht?« fragte Roland begierig. Otmar von Lützen wiegte den Kopf hin und her. »Man soll nicht leichtfertig Beschuldigungen aussprechen, aber...« »Aber?« »Ich könnte mir vorstellen, daß Freigraf Baldur von Torstein seine Hand im Spiel hat«, sagte von Lützen im Verschwörerton. »Baldur von Torstein!« »Ja.« »Habt Ihr Anhaltspunkte für Euren Verdacht?« Von Lützen schüttelte den Kopf. »Wenn ich Beweise hätte, wäre es kein Verdacht, sondern Gewißheit.«
»Da habt Ihr wohl recht«, sagte Roland. »Aber wie dem auch sei, ich werde alle Anstrengungen unternehmen, um die Wahrheit herauszufinden. Das bin ich König Artus schuldig!« Otmar von Lützen wollte noch etwas sagen, kam aber nicht mehr dazu. Der Diener, den er vorhin weggeschickt hatte, kehrte zurück mit Hilda. Das Mädchen war blaß und man sah ihr an, daß sie in den letzten Stunden viel geweint hatte. Auch der Kittel, den sie trug, gab nicht viel her. Dennoch war sie so schön wie der junge Morgen. Das schien auch der Freigraf zu finden. Er starrte sie mit großen Augen an, war sichtlich beeindruckt von ihrer äußeren Erscheinung. Aber da war noch ein Ausdruck in seiner Miene, ein Ausdruck, den Roland nicht deuten konnte. »Tritt näher, mein Kind«, sagte Otmar von Lützen und machte eine einladende Handbewegung. Hilda kam der Aufforderung nach. »Du bist die Tochter des Köhlers Gislevert?« Stumm nickte das Mädchen und blickte den Grafen unsicher an. Sichtlich fühlte sie sich in der Gegenwart des hohen Herrn unwohl. Roland nickte ihr aufmunternd zu. »Die leibliche Tochter?« »Ich ... ich verstehe nicht.« »Nun«, sagte Otmar von Lützen lächelnd, »es gibt leibliche Kinder und Kinder, die jemand an Kindes Statt annimmt.« »Gewiß bin ich ein leibliches Kind meiner Eltern«, erwiderte das Mädchen. »Mit Verlaub gefragt, Herr, wie kommt Ihr darauf ...« »Schon gut, mein Kind«, unterbrach sie von Lützen. »Offenbar hat man mich falsch unterrichtet. Ich wollte dir nur sagen, daß ich das wiedergutmachen werde, was diese Verbrecher deinen Eltern angetan haben. Fühle dich auf der Lützenburg ganz wie zu Hause. Bist du gut untergebracht worden?« »Man wollte mir im Gesindehaus ...« »Nichts da«, sagte der Freigraf. »Mit dem Gesinde sollst du nichts zu schaffen haben. Du bist mein Gast, und ich werde dafür sorgen, daß du einen eigenen Raum hier im Herrenhaus bekommst. Es soll
dir an nichts fehlen!« »Danke, Herr, vielen, vielen Dank!« Hilda konnte ihr Glück kaum fassen. Und auch Roland war einigermaßen erstaunt. Welche Veranlassung hatte der Freigraf, die einfache Tochter eines Schankwirts wie eine Dame von Stand zu behandeln? Das Mädchen war gekommen, um eine einfache Stellung anzunehmen. Und nun sah sie sich als Gast des Burgherrn. Roland wurde das dunkle Gefühl nicht los, daß Otmar von Lützen irgend etwas im Schilde führte. Noch hatte er keine Ahnung, was der Freigraf vorhatte. Aber er hoffte zuversichtlich, es bald herauszufinden. * Herzog Adalbert erwachte. Schreckliche Alpträume lagen hinter ihm. Er spürte die Hitze seines Körpers und wußte, daß vor allem das Fieber diese Alpträume hervorgerufen hatte. Für den Augenblick jedoch war sein Kopf halbwegs klar. Er blickte hoch und sah den treuen Arzt Pankratius neben seinem Lager stehen. Der Arzt hatte sofort erkannt, daß es seinem Schutzbefohlenen auf einmal besser ging. Seine sorgenvolle Miene hellte sich auf. »Dem Himmel sei Dank, Herr Herzog«, sagte er erleichtert. »Ich hatte schon befürchtet, daß Euch das Fieber nie wieder aus seinen Klauen freigeben würde.« Adalbert rang sich ein Lächeln ab. »Noch lebe ich, Pankratius. Gevatter Tod hat Mühe, einen alten Kämpfer wie mich in seine Gewalt zu bekommen.« Schon diese wenigen Worte hatten ihn ungemein angestrengt. Er fühlte, wie die Schwäche ihn wieder zu übermannen drohte. Gewaltsam kämpfte er dagegen an. Er brauchte seine ganze Kraft, um den Kopf ein bißchen anzuheben.
»Pankratius ...« »Schont Euch, Herr Herzog«, sagte der Arzt mahnend. »Sprecht nicht zu viel. Wenn Ihr Euch überanstrengt ...»Matt schüttelte Adalbert den Kopf. »Wer weiß, wieviel Zeit mir noch bleibt. Diese Zeit muß ich nutzen. Hole mir Leander!« »Aber...« »Kein >Aber<, Pankratius. Ich weiß, daß du es gut mit mir meinst. Dennoch befehle ich dir jetzt, Leander zu holen.« »Wie Ihr wünscht, Herr Herzog.« Pankratius erhob sich von seinem Schemel und verließ das Krankengemach. Dabei murmelte er irgend etwas Unverständliches vor sich hin. Es dauerte nicht lange, dann kehrte er zurück. Der grauköpfige Hausmeier folgte ihm auf dem Fuße. Leander kniete neben dem Lager nieder, während sich der Arzt etwas im Hintergrund hielt. »Ihr habt nach mir geschickt, Herr?« »Ja, Leander«, erwiderte der Herzog mit schwacher Stimme. »Sag mir eins: Ist die Suche nach meiner Tochter schon von Erfolg gekrönt worden?« »Ich weiß nicht, Herr«, sagte der Hausmeier zögernd. »Mehrere Weibsbilder waren bereits hier und behaupteten, Eure Tochter zu sein. Ihre Dummheit war noch größer als ihre Dreistigkeit. Wir konnten sie samt und sonders als Betrügerinnen entlarven.« »Also noch nichts«, gab der Herzog tief enttäuscht zurück. »Allerdings ist da noch jemand, der sich als Eure Tochter ausgibt«, sagte der Hausmeier langsam. »Jemand, der als Eure Tochter ausgegeben wird, genauer gesagt!« Dem Herzog war die eigenartige Betonung seines Getreuen nicht entgangen. »Noch ... eine Betrügerin?« fragte er. »Ich würde mir nicht anmaßen, den Freigrafen Baldur von Torstein rundheraus als Betrüger zu bezeichnen.« »Torstein?« wunderte sich der Herzog. »Was hat der Freigraf damit zu tun? Hat er das Mädchen hergebracht?«
»Ja.« »Das verblüfft mich«, sagte Adalbert. »Torstein hatte immer Gelüste, eines Tages selbst Herzog zu werden, und nach meinem Tode wäre er ein ernsthafter Anwärter. Daß er sich diese Möglichkeit nun selbst verbauen soll...« »Ich glaube nicht, daß er das tut«, erwiderte Leander. »Das Mädchen, das er hergebracht hat, steht ganz unter seinem Einfluß. Kein Wunder, lebt das junge Frauenzimmer doch schon sein ganzes Leben unter seiner Fuchtel.« »Du sprichst in Rätseln, Leander!« »Verzeiht, Herr, aber ich wollte Euch schonend vorbereiten. Das Mädchen, von dem ich spreche, ist Euch nämlich wohlbekannt. Es hört auf den Namen Martha!« »Martha?« echote der Herzog. »Heißt nicht Torsteins eigene Tochter ebenfalls Martha?« »Es handelt sich um ein und dasselbe Frauenzimmer!« »Du meinst...« Der Hausmeier nickte. »Der Freigraf behauptet, daß Martha nicht seine eigene Tochter ist, sondern daß er sie damals an Kindes Statt angenommen hat - aus der Hand Eurer Gemahlin Veronica!« Er berichtete in allen Einzelheiten, was ihm Baldur von Torstein erzählt hatte. Adalbert konnte es nicht fassen. »Das ist doch...« Ihm fehlten die Worte. Er spürte, wie ihm das Blut in den Kopf stieg, und die Schwäche in seinem Körper immer größer wurde. Der Arzt trat eilig herbei. »Ich sagte doch, daß Ihr Euch nicht aufregen sollt, Herr Herzog! Jede Anstrengung verschlechtert Euer Befinden und ...« »Nein«, sagte Adalbert, »ich will den Betrug Torsteins sofort entlarven! Holt ihn her. Und meine angebliche Tochter ebenfalls!« Noch einmal versuchte Pankratius, seinen Herrn von diesem Vorhaben abzubringen, konnte den Herzog jedoch nicht umstimmen. Leander ging, um Baldur und Martha von Torstein herbeizuholen. Der Freigraf und das Mädchen kamen.
Baldur von Torstein gab sich überschwänglich. »Herzog«, sagte er schon an der Tür, »ich kann Euch gar nicht sagen, wie ich mich freue, Euch wieder munter zu sehen.« Er eilte ans Bett Adalberts und griff nach der kraftlosen Hand seines Herrn. »Ich habe zu Gott gebetet, daß er Eure Genesung fügen möge. Und wie es aussieht, war mein Flehen nicht umsonst!« Adalbert war von seiner Überschwänglichkeit ganz und gar nicht angetan. Zu deutlich spürte er, daß Torstein unaufrichtig war, daß er ihm den Tod lieber morgen als übermorgen wünschte. Natürlich erst, nachdem das herzogliche Geblüt Marthas bestätigt worden war, verstand sich. Das aber würde gewiß nicht geschehen. Adalbert hatte keinerlei Zweifel daran, daß diese Martha keineswegs über das Muttermal verfügte, das allein sie als seine Tochter ausweisen konnte. »Leander berichtete mir, daß Ihr glaubt, Eure Tochter sei in Wirklichkeit meine Tochter, Torstein«, sagte er. »Ja, Herzog, so ist es«, bestätigte der Freigraf. »All die Jahre mußte ich die Wahrheit verschweigen. Nun aber, da Ihr ...« »Schon gut, mein lieber Torstein, schon gut. Ich könnte glücklich von dieser Welt abtreten, wenn sich Eure Worte als wahr erweisen würden. Martha soll nähertreten.« Torstein lächelte. »Vielleicht sollten wir uns schon alle daran gewöhnen, sie Berthild zu nennen. Dies ist schließlich ihr richtiger Name!« Er wandte sich an das Mädchen. »Komm her, Berthild, und begrüße deinen Vater!« Adalbert spürte, wie sein Blut in Wallung geriet. Die Dreistigkeit des Freigrafen kannte keine Grenzen! Was glaubte der Kerl, wen er vor sich hatte? Einen alten Mann, dem er Sonnenschein vorgaukeln konnte, obwohl es in Wirklichkeit regnete? Gewiß, er war schwach und dem Tode nahe. Aber seine Sinne waren noch nicht verwirrt. Und seine Augen verrichteten ebenfalls noch ihre Dienste. Das Mädchen trat ganz nahe ans Bett, ein dickliches junges Frauenzimmer, das einfältig und verlegen dastand und den Herzog
nicht im mindesten an den Säugling erinnerte, den er damals wahrscheinlich im falschen Glauben - verstoßen hatte. Nein, diese Martha war nie und nimmer seine Tochter Berthild! »Guten Tag, ... mein Vater«, sagte das Mädchen und drehte dabei fahrig die Hände hin und her. Adalbert ersparte sich eine Antwort auf diese neuerliche Dreistigkeit, die allerdings sicherlich nicht von dem Mädchen selbst, sondern von Torstein ausging. »Geht alle hinaus«, sagte er zu von Torstein, Leander und dem Arzt. »Ich möchte mit dem Mädchen allein sein.« Ohne Widerspruch zu erheben verließen die Männer das herzogliche Schlafgemach. Nur das junge Frauenzimmer blieb. Das Unbehagen stand ihr im Gesicht geschrieben. Deutlich war ihr anzumerken, daß sie am liebsten auch hinausgegangen wäre. »Zieh dein Kleid hoch«, sagte der Herzog. »So weit, daß ich deine Oberschenkel sehen kann.« Das Mädchen sagte nichts, wurde nur rot im Gesicht. Sie bückte sich, packte den Saum ihres Kleides und zog es bis zur Hüfte hoch. Ja, da war ein Muttermal - am rechten Schenkel. Berthild jedoch hatte ihr Mal am linken Bein gehabt. »Leander!« Auf den Ruf seines Herrn betrat der Hausmeier unverzüglich das Schlafgemach. »Laß Baldur von Torstein ergreifen und ins tiefste Verlies sperren«, befahl Adalbert. Deutlich war Leander anzumerken, daß er selten eine Anweisung seines Herrn so gerne entgegengenommen hatte wie diese. * Es war wieder Abend geworden. Roland, noch immer Gast des Freigrafen Otmar von Lützen, hatte sich tagsüber mit einer ganzen Reihe von Getreuen seines Gastgebers unterhalten. Obgleich er sich die größte Mühe gegeben hatte, die
Männer unauffällig auszufragen, war nichts dabei herausgekommen. Es gab keinen Hinweis darauf, daß der Freigraf den bewußten Pfeil auf den Herzog abgeschossen hatte. Ein paar andere Erkenntnisse hatte Roland jedoch gewonnen. Zunächst einmal war offenkundig, daß Otmar von Lützen mit Macht nach dem Thron des Herzogs strebte und sogar gute Aussichten hatte, im Falle von Adalberts Ableben von den anderen Freigrafen des Landes zum neuen Herzog ausgerufen zu werden. Ein Hemmnis stand seinen hoffnungsvollen Plänen jedoch im Wege: ein Mädchen namens Berthild, Tochter des Herzogs, von diesem jedoch vor zwanzig Jahren im zarten Kindesalter verstoßen. Diese verstoßene Tochter wollte Adalbert jetzt wiederhaben und zu seiner Nachfolgerin machen. Das Dumme war nur, daß anscheinend niemand wußte, wo sich diese Tochter jetzt aufhielt und ob sie überhaupt noch lebte. Oder doch? Berthild, Berthild ... Irgendwo hatte Roland diesen Namen in jüngster Zeit gehört. Aber er konnte sich gegenwärtig beim besten Willen nicht erinnern, bei welcher Gelegenheit das gewesen war. Und dann hatte er es plötzlich doch. Hanns, der Anführer der Räuberbande, hatte die Schankwirtstochter Hilda so angesprochen! Warum? Etwa weil sie die Tochter des Herzogs war? Nein, das war lächerlich! So sehr war Roland aber doch nicht von der Lächerlichkeit dieses Gedankens überzeugt. Ihm fiel ein, daß Otmar von Lützen dem Mädchen eigenartige Fragen gestellt hatte. Er hatte von leiblichen und angenommenen Kindern gesprochen und sie dabei ganz seltsam angesehen. Wenn nun Hilda tatsächlich nicht das leibliche Kind des Schankwirts, sondern ein Findelkind war? Dann lag es vielleicht doch im Bereich des Möglichen ... Roland beschloß, nicht lange nachzugrübeln, sondern sich mit Hilda ins Benehmen zu setzen. Wie vom Freigrafen zugesagt, hatte sie im herrschaftlichen Teil
der Lützenburg einen eigenen Raum bekommen. Diesen Raum suchte Roland jetzt auf. Er klopfte kurz an, wollte dann die Tür gleich öffnen. Aber das ging nicht, da sie augenscheinlich abgeschlossen war. »Hilda«, rief er halblaut. »Ja?« Die Antwort des Mädchens klang recht kläglich. »Seid Ihr das, Ritter Roland?« »Ich bin es. Laß mich ein, ich muß mit dir reden.« »Das kann ich nicht«, sagte das Mädchen. »Man hat mich eingeschlossen. Und auf mein Rufen hat bisher niemand gehört.« Der Ritter mit dem Löwenherzen zog die Stirn kraus. Eingeschlossen? Behandelte man so einen Gast? Sein Verdacht, daß der Freigraf Böses plante, verdichtete sich. »Holt mich hier raus, Ritter Roland«, ließ sich Hilda wieder vernehmen. »Ich ... habe Angst.« »Fürchte dich nicht, mein Kind«, sagte Roland beruhigend. »Niemand wird dir etwas zuleide tun.« Er überlegte, was er nun tun sollte? Die Tür aufbrechen, das Mädchen herausholen und dann schnellstens die Burg verlassen? Der Gedanke hatte fraglos einiges für sich. Bevor er jedoch daran gehen konnte, ihn zu verwirklichen, hörte er Schritte auf dem Gang. Schwere Schritte von mindestens drei Männern. Sein Gefühl sagte ihm, daß es besser war, wenn er von diesen Männern nicht gesehen wurde. »Warte auf mich, Hilda«, raunte er durch die Tür. »Ich komme wieder.« Dann huschte er auf leisen Sohlen davon, bog um die nächste Ecke des Gangs. Dort blieb er abwartend stehen. Die Schrittgeräusche kamen näher, hörten dann auf. Ein Schlüssel wurde ins Schloß gesteckt und knirschend herumgedreht. Im nächsten Augenblick schon hörte er den erschreckten Aufschrei einer Frau. Hilda! Wenn er sich nicht gewaltig irrte, hatten die Männer die Kammer
seiner Schutzbefohlenen aufgeschlossen und ... Es hielt ihn nicht länger auf seinem Lauscherposten. Entschlossen bog er wieder um die Ecke. Ja, er hatte sich nicht getäuscht. Das Ziel der Männer war Hildas Raum gewesen. Einer der gräflichen Getreuen stand noch draußen auf dem Gang, während die anderen den Raum des Mädchens betreten hatten. Und aus diesem Raum kamen Laute, die Roland in höchste Alarmstimmung versetzten. Der Mann, der draußen wartete, sah ihn jetzt. Bevor er jedoch irgend etwas unternehmen konnte, war Roland bereits an Ort und Stelle. Er hätte sich diese Frage sparen können. Ein Blick in den Raum sagte alles. Zwei Getreue des Freigrafen hatten Hilda gepackt und waren gerade im Begriff, sie gewaltsam nach draußen zu zerren. Schreien konnte das Mädchen nicht mehr, weil man ihr den Mund zugebunden hatte. Nur ein paar halberstickte Töne kamen unter dem Tuch hervor. Roland legte die rechte Hand auf den Knauf seines Schwerts und spannte alle Muskeln. »Laßt sie sofort los«, sagte er ganz ruhig. Die gräflichen Getreuen dachten gar nicht daran. Der Mann im Gang langte nach seinem Schwert und riß es aus der Scheide. Die anderen beiden taten es ihm nach. Sie gaben Hilda einen rohen Stoß, der das Mädchen zu Boden stürzen ließ. Im nächsten Augenblick hatten sie ihre Klingen gleichfalls in der Hand. Keiner der Männer sagte ein Wort, aber in ihren Gesichtern spiegelte sich kalte Entschlossenheit wider. Roland wußte, daß es ums Ganze ging. Er hatte gesehen, daß die Getreuen des Grafen dem Mädchen Böses antun wollten. Und mit diesem Wissen würden sie ihn nicht davonkommen lassen. Blitzschnell zückte auch er sein Schwert. Die gräflichen Getreuen konnten kommen. Und das taten sie dann auch. Wie ein Mann drangen sie auf den Ritter mit dem Löwenherzen ein.
Schon war der erste heran. Er führte einen wuchtigen Hieb, der Roland glatt in zwei Stücke gehauen hätte. Wenn er durchgekommen wäre ... Das aber war nicht der Fall. Roland blockte den Schlag mit seiner Klinge ab. Funken stoben, als sich das Metall aneinander wetzte. Im gleichen Augenblick machte Roland aus der Verteidigungsmaßnahme eine Angriffsattacke. Während der Gegner seine Waffe zurückzog, um - zu einem neuen Schlag auszuholen, führte er mit derselben Bewegung einen Stoß zur Brust des Gegners. Der Stoß traf voll. Hätte der Gegner kein Kettenhemd getragen, wäre er durchbohrt worden. So drang die Schwertspitze nur daumenbreit in seine Brust ein. Aber das genügte, um ihn außer Gefecht zu setzen. Aufstöhnend ließ er seine Waffe fallen - und preßte mit schmerzverzerrtem Gesicht beide Hände gegen die blutende Wunde. Die anderen beiden Gegner waren unterdessen nicht untätig geblieben. Nur mit einem schnellen Sprung rückwärts konnte sich der Ritter mit dem Löwenherzen ihrer wütenden Doppelattacke entziehen. Dabei wandte er eine List an, tat so, als sei er ins Straucheln geraten und würde den Boden unter den Füßen verlieren. Das machte die Gegner unvorsichtig. Der eine lachte triumphierend auf und holte weit aus, um dem vermeintlich handlungsunfähigen Widersacher den Garaus zu machen. Aber Roland war keineswegs handlungsunfähig. Er fand seinen festen Stand sofort wieder und führte einen mächtigen Hieb gegen den überraschten Gegner. Dieser kam nicht mehr dazu, eine Abwehr zu versuchen. Mit einem gurgelnden Aufschrei brach er zusammen. Rechtzeitig war Roland wieder bereit, den Angriff des dritten Gräflichen zu parieren. Dieser Mann, durch das Schicksal seiner Kampfesgenossen gewarnt, war vorsichtiger als die beiden anderen. Beherrscht führte er seine Angriffsschläge und gab sich die größte Mühe, bei der Verteidigung keine Blöße zu zeigen. Aber einem Schwertkämpfer wie Roland war er nicht gewachsen. Der Ritter mit dem Löwenherzen deckte ihn mit einer ganzen Serie
von Hieben ein, die so schnell aufeinander folgten, daß der Getreue von Lützens sehr bald die Übersicht verlor. Er konnte nicht vermeiden, seitlich am Unterarm getroffen zu werden. Damit hatte er keine Abwehrmöglichkeiten mehr. Es wäre Roland jetzt ein Leichtes gewesen, ihn zu entleiben. Aber der Ritter mit dem Löwenherzen gierte nicht nach anderer Männer Blut. Er begnügte sich damit, dem Gräflichen mit der flachen Seite des Schwerts einen Hieb zu versetzen, der den Mann augenblicklich ins Land der Träume versetzte. Der ganze Kampf hatte nur Sekunden gedauert. Aber er war alles andere als geräuschlos abgegangen. Es war zu fürchten, daß längst andere Burgbewohner aufmerksam geworden waren. Jeden Augenblick konnten neue Gegner auf der Bildfläche erscheinen. Roland kümmerte sich nicht weiter um den Mann, den er an der Brust verletzt hatte. Seine ganze Sorge galt jetzt der schönen Hilda. Das Mädchen hatte sich inzwischen von dem Mundtuch befreit und den Kampf von der Tür aus mit großen Augen verfolgt. »Komm«, sagte Roland drängend, »wir müssen hier weg!« Und als die junge Frau nicht sofort begriff, nahm er mit der Linken ihre Hand und zog sie mit sich den Gang hinunter. Seine Großzügigkeit, dem verletzten Mann das Leben zu lassen, rächte sich jetzt. In seinem Rücken begann der Gräfliche ein Geschrei, das nur deshalb nicht die ganze Burg alarmieren konnte, weil seine Brustwunde die Lautstärke begrenzte. Aber sein Rufen hatte dennoch den gewünschten Erfolg. Als Roland mit Hilda den Treppenabgang erreichte, der hinunter zur großen Halle führte, sah er den Weg versperrt. Sieben, acht Männer standen da. Und an ihrer Spitze stand Freigraf Otmar von Lützen. »Wie edel«, sagte der Burgherr spöttisch, »der Ritter rettet die bedrohte Jungfrau und setzt sein eigenes Leben dabei aufs Spiel. Aber tut er das wirklich? Seid vernünftig, Ritter Roland. Gegen meinen Willen werdet Ihr die Lützenburg niemals verlassen können. Darum übergebt mir das Mädchen, und ich vergesse, daß Ihr meine
Gastfreundschaft mißbraucht habt, und lasse Euch mit Euren Knappen ziehen!« Entsetzt stöhnte Hilda an Rolands Seite auf. Das Mädchen hatte jetzt wohl endgültig erfaßt, daß es um sie ging, wenn sie auch nicht verstand, aus welchem Grunde. Roland überlegte fieberhaft. In einem hatte der Freigraf zweifellos recht: diese Anzahl von Gegnern konnte er unmöglich bezwingen. Und auch der Hinweis auf seine beiden Knappen traf genau ins Schwarze. Wenn es sein mußte, würde von Lützen Louis und Pierre rücksichtslos als Geiseln gegen ihn einsetzen. »Nun, wie habt Ihr Euch entschieden?« wollte von Lützen wissen. »Mir scheint, mir bleibt nichts anderes übrig, als mich der Übermacht zu beugen«, sagte Roland scheinbar zerknirscht. »Sehr klug von Euch«, erwiderte der Freigraf spöttisch. »Und ich habe Euer Wort, daß meine Knappen und ich unbehelligt unserer Wege gehen können?« »Das habt Ihr!« Roland traute ihm nicht von einem Mundwinkel bis zum anderen. Aber diese Gedanken behielt er lieber für sich. »Bleib hier stehen«, raunte er dem Mädchen an seiner Seite zu. »Ich bin gleich wieder bei dir.« Und laut sagte er zu den Männern, die am Fuße der Treppe auf ihn warteten: »So sei es denn - ich ergebe mich!« »Kommt herunter«, befahl Otmar von Lützen. Roland nickte und setzte sich langsam in Bewegung. Fuß vor Fuß setzend, schritt er die Treppenstufen hinunter. »Werft Euer Schwert weg«, sagte der Freigraf streng, als Roland etwa die halbe Treppe bewältigt hatte. Roland blieb stehen. »Mein Schwert? Natürlich!« Aber der Ritter mit dem Löwenherzen dachte gar nicht daran, sich von seiner Klinge zu trennen. Wuchtig stieß er sich von der Stufe, auf der er gerade stand, ab. Wie ein Pfeil flog er durch die Luft geradewegs auf Otmar von Lützen zu. Der Freigraf war von dieser Tat des Ritters genauso überrascht wie
seine Getreuen. Bevor er richtig erfaßt hatte, was geschah, war es bereits zu spät. Roland prallte gegen ihn und riß ihn mit sich zu Boden. Hart schlugen beide Männer auf den Steinplatten der Halle auf. Roland war im Gegensatz zu von Lützen darauf vorbereitet. Deshalb hatte er sich viel rascher wieder in der Gewalt als der Freigraf. Bevor einer der umstehenden Männer etwas unternehmen konnte, hatte er Otmar von Lützen die Klinge seines Schwerts an die Kehle gesetzt. »Haltet Eure Getreuen zurück«, zischte er. »Sonst seid Ihr ein toter Mann!« Jetzt war sich der Freigraf bewußt, wie es um ihn stand. Aber er wollte es noch nicht wahr haben. »Ihr wagt es nicht...« »Und ob ich es wage!« fiel ihm Roland ins Wort. »Sagt selbst, was habe ich zu verlieren?« Otmar von Lützen begriff, daß er es lernst meinte. »Bleibt, wo ihr seid«, wies er seine Männer keuchend an. »Tut nichts, bevor ich es sage.« »Wie Ihr befehlt, Herr Freigraf«, sagte einer seiner Getreuen. Mit finsteren Blicken sahen die Männer den Ritter mit dem Löwenherzen an. Keiner jedoch hob eine Hand gegen ihn. Ohne die Übersicht zu verlieren, stellte sich Roland wieder auf die Füße und zog auch von Lützen mit hoch. Dabei verlor seine Klinge nicht für einen Herzschlag den Kontakt mit der Kehle des Burgherren. »Hilda«, rief er zur Treppe hoch. »Komm zu mir!« Und an den Freigrafen gewandt, fuhr er fort: »Oder sollte ich sie eher Berthild rufen?« »Berthild?« wiederholte von Lützen gedehnt. »Ich habe keine Ahnung, wovon Ihr sprecht, Ritter!« »Lügt nicht«, sagte Roland scharf. »Ihr haltet das Mädchen für die Tochter des Herzogs und wolltet sie beseitigen, damit sie Euch nicht den Weg zum Herzogsthron versperrt, nicht wahr?« Verstockt schwieg der Freigraf.
»Redet!« verlangte der Ritter mit dem Löwenherzen. Aber erst als er seine Aufforderung untermauerte, indem er die Klinge etwas kräftiger gegen den Hals des Freigrafen preßte, bequemte sich dieser zu einer Antwort. »Ja«, sagte er. Und er sagte es so leise, daß es nicht einmal die Männer verstehen konnten, die fünf Ellen von ihm entfernt standen. Roland aber genügte dieses kleinlaute Geständnis. Die Vermutungen, die er schon die ganze Zeit über gehabt hatte, bestätigten sich. Inzwischen war die junge Frau an seiner Seite. Sie wußte noch immer nicht so recht, was eigentlich geschah, blickte ihn nur verwirrt und angstvoll an. Anders Otmar von Lützen. Sein Blick war voller Zorn, ja voller Haß. Wenn der Freigraf jetzt gekonnt hätte, wie er wollte ... Zum Glück konnte er das nicht. Der Mann, der bestimmte, was geschah, war Roland. »Und nun holt meine Knappen«, befahl er. Diesmal brauchte er seinen Befehl nicht einmal zu wiederholen. Die Furcht saß dem Freigrafen an der Kehle - im wahrsten Sinne des Wortes sozusagen. Es dauerte nicht lange, dann waren Louis und Pierre ebenfalls zur Stelle. Die beiden stellten keine langen Fragen. Der Ernst der Situation war ihnen sofort klar, und für Erklärungen war auch später noch Zeit. »Und jetzt noch unsere Pferde«, sagte Roland. »Und ein geöffnetes Tor natürlich!« Jetzt regte sich doch ein gewisser Widerstand unter den Getreuen des Freigrafen. Die Männer erkannten, daß sie so gut wie frei waren, wenn sie einmal das Burggelände verlassen hatten. Die Männer flüsterten miteinander und warfen sich vieldeutige Blicke zu. Fraglos überlegten sie, ob sie nicht noch einen Versuch unternehmen sollten, ihren Herrn aus Rolands Händen zu befreien. Roland blieb ganz ruhig, lächelte sogar. »Es wäre sein Tod, und ihr hättet ihn verschuldet. Darum solltet ihr euch reiflich überlegen, was ihr tut!«
»Nichts werdet ihr tun«, sagte der Freigraf mit krächzender Stimme. Das gab den Ausschlag. Unbehindert konnten Roland, die beiden Knappen und das Mädchen die Lützenburg verlassen. Otmar von Lützen nahmen sie mit. Zu ihrer Sicherheit. Und um ihn zur Rechenschaft ziehen zu lassen. * Herzog Adalbert begann langsam, sich wie neugeboren zu fühlen. Wie es aussah, würde es ihm wider Erwarten doch noch gelingen, Gevatter Tod von der Schippe zu springen. Das Fieber war merklich zurückgegangen, und er spürte die Schwäche in seinen Gliedern lange nicht mehr so stark wie noch am gestrigen Tage. Pankratius war guten Mutes, daß er sehr bald endgültig über dem Berg sein würde. So fühlte sich der Herzog auch stark genug, wieder einmal eine junge Frau zu examinieren, die sich für seine Tochter ausgab. Leander führte das Mädchen und ihren Begleiter herein. Die junge Frau war hübsch, sehr hübsch sogar. Sie hatte ein Gesicht, das an eine wilde Raubkatze denken ließ, und ihr prächtig gewachsener Körper erinnerte den Herzog an jene Tage, in denen er selbst jung gewesen war. Der Mann an ihrer Seite war ein gewöhnlicher Bursche. Grobschlächtige Züge, kräftige Gestalt, aber wohl schon aus seinen besten Jahren heraus. Er gefiel Adalbert ganz und gar nicht. Aber das spielte natürlich keine Rolle. Es ging nur darum, herauszufinden, ob dieses Mädchen seine Tochter war oder nicht. Er winkte die beiden heran, und sie traten an sein Lager, das Mädchen zuerst, hinter ihr der Mann. »Wer seid ihr?« fragte der Herzog. »Man nennt mich Sitta«, sagte das Mädchen. »Und das ...«, sie zeigte auf den Grobschlächtigen, »... ist mein Ohm Hanns. Er ist der
Mann, der mich vor zwanzig Jahren im Wald fand und zu sich in seine... Köhlerhütte nahm.« Im Wald gefunden! Adalbert spürte einen Stich in der Herzgegend. Er war gewiß nicht davon überzeugt, daß dieses schwarzhaarige Mädchen Berthild war. Aber wenn es der Wahrheit entsprach ... Wieder machte er sich Vorwürfe für das, was er seiner Gemahlin Veronica damals angetan hatte. Ihr und dem Kind. »So, so«, sagte er, »du behauptest also, daß du in Wirklichkeit meine Tochter bist.« Die Schwarzhaarige schüttelte den Kopf. »Wie kann ich dies behaupten, Herr? Ich war damals nicht alt genug, um meine Eltern zu kennen. In jedem Fall aber bin ich ein Findelkind. Ob das Eure, Herr...« Sie zuckte die Achseln. Nicht ungeschickt, wenn sie eine Schwindlerin war, dachte der Herzog. Sie behauptete nichts, konnte also auch nicht als vorsätzliche Lügnerin entlarvt und dafür bestraft werden. Der Herzog musterte sie scharf, versuchte eine Familienähnlichkeit festzustellen. Auch Veronica hatte langes, schwarzes Haar gehabt und diesen stolzen Ausdruck im Gesicht getragen. Sollte er tatsächlich Berthild vor sich haben? »Geht hinaus«, sagte er zu den anwesenden Männern. »Nur Sitta bleibt hier.« Als er mit dem Mädchen allein war, forderte er sie auf, ihre Beine zu zeigen. Verwundert sah sie ihn an. »Aber Herr Herzog ...« Adalbert lächelte. »Du hast eine blühende Phantasie, mein Kind. Ich wollte eigentlich nur feststellen, ob du an deinem linken Oberschenkel ein Muttermal hast. Denn hast du dieses nicht, kannst du nicht meine Tochter sein.« Jäh blitzte es in den nachtdunklen Augen des Mädchens auf. »Ja, Herr, ich habe ein solches Muttermal!« Dann zeigte sie ihren linken Oberschenkel. Herzog Adalbert hielt die Luft an. Ja, da war das Mal, genau wie er
es in Erinnerung hatte. Dieses Mädchen war... Veronicas Tochter, da gab es gar keinen Zweifel. »Berthild«, flüsterte er. Das Mädchen stand da wie eine Statue, völlig bewegungslos und wie im Traum versunken. »Dann ... stimmt es also«, sagte sie langsam. »Ich bin wirklich Eure Tochter!« »Ja, Berthild, das bist du.« Herzog Adalbert war ganz eigenartig zumute. Da stand sie nun vor ihm, die junge Frau, die er krampfhaft gesucht hatte, weil er Versäumtes an ihr gutmachen wollte, weil er zutiefst bereute, was er damals in seinem Zorn getan hatte. Nun aber? Er fühlte nichts für dieses Mädchen. Es war ihm fremd, unsagbar fremd. Sie sah Veronica ähnlich, gewiß, ihm jedoch nicht. Sollte sein damaliger Verdacht, daß ihn seine Frau mit einem fahrenden Ritter betrogen und ihm die Frucht dieses Betrugs untergeschoben hatte, doch begründet gewesen sein? Seine Überlegungen wurden unterbrochen. Draußen auf dem Flur erhob sich plötzlich Getöse. Laute Stimmen und unverwechselbare Kampfgeräusche drangen an Adalberts Ohr. Und nicht nur das. Urplötzlich sprang die Tür des Schlafgemachs auf, als habe ein Pferd dagegen getreten. Hanns, der Begleiter Berthilds schoß regelrecht in den Raum hinein, mit dem Rücken zuerst. Er hielt ein langes, gefährlich aussehendes Messer in der Hand, mit dem er ohne Zweifel auf irgend jemanden losgegangen war. Und auch dieser jemand erschien jetzt im Blickfeld des Herzogs: ein junger Ritter, groß und stark und kühn. Sein Schwert steckte in der Scheide. Wie es aussah, kämpfte er mit den bloßen Fäusten gegen den grobschlächtigen Köhler. Berthild schlug erschrocken die Hand vor den Mund, als sie den Ritter sah. Ihr hübsches Katzengesicht verzog sich zu einer beinahe häßlichen Grimasse. Hanns hatte seine Gleichgewichtsstörungen jetzt überwunden. Mit dem Messer in der Hand stürzte er sich auf den Ritter, führte einen
mächtigen Stoß gegen dessen Körper. Aber der Ritter war wachsam. Er entging dem Messer mit einer pfeilschnellen Drehung, schlug dann seinerseits mit der Faust zu. Er traf Hanns seitlich am Kopf. Der Schlag war so mächtig gewesen, daß Hanns ins Torkeln geriet und ganz glasige Augen bekam. Da schlug der Ritter erneut zu. Hanns konnte diesen zweiten Hieb nicht mehr wegstecken. Wie vom Blitz getroffen, stürzte er zu Boden. Das Messer entfiel seiner Hand. Jetzt kamen auch Leander und Pankratius in den Raum. Und mit ihnen ein junges, schönes Mädchen mit haselnußbraunen Augen. Die beiden Männer wirkten irgendwie hilflos, wie von den Ereignissen überwältigt. Herzog Adalbert hatte seine Verwunderung ebenfalls noch nicht überwunden. Er wollte etwas sagen, kam aber gar nicht dazu. Der Ritter trat mit langsamen Schritten auf Berthild zu. »Teuflische Mörderin«, sagte er grollend, »habe ich dich endlich!« Berthild tat etwas Überraschendes. Mit haßverzerrtem Gesicht bückte sie sich hastig nach dem Messer, das ihrem grobschlächtigen Begleiter entfallen war. Und dann ging sie mit dem Messer auf den Ritter los. Der Ritter fing ihren Stoß ab, wollte dann ihren Arm festhalten. Aber das schwarzhaarige Mädchen kämpfte wie eine Katze. Sie riß sich mit einer heftigen Bewegung los und stieß sich dabei wider Willen das Messer in die eigene Brust. Entseelt sank sie zu Boden. Herzog Adalbert hatte eine Tochter gewonnen und gleich anschließend wieder verloren. * Es überraschte Herzog Adalbert selbst ein wenig, wie schnell er den Schmerz über den Tod Berthilds überwand. Ein Schmerz im eigentlichen Sinne war es eigentlich auch gar nicht, denn er hatte keine Liebe für die Tochter seiner Frau empfunden. Wie damals vor zwanzig Jahren war er wieder davon überzeugt, daß Veronica ihn
doch betrogen hatte und Berthild mitnichten von seinem Fleisch und Blute war. Wie konnte sie das auch sein - eine Räuberin und Mörderin? Im Grunde genommen war er dem Ritter Roland, dem Abgesandten seines alten Freundes Artus, sogar dankbar dafür, daß alles so gekommen war. Die Vorstellung, daß eine Frau mit blutbefleckten Händen auf den Herzogsthron gekommen wäre, entsetzte ihn zutiefst. Da war das Mädchen Hilda, das der Ritter Roland irrtümlicherweise für Berthild gehalten hatte, schon eher nach seinem Geschmack. Wenn sie seine Tochter gewesen wäre ... Adalbert lächelte. Wer wollte ihn eigentlich daran hindern, Hilda als sein Kind anzusehen? Schließlich war er der Herzog. Und was ein Herzog sagte, das geschah auch ...
ENDE
Das rothaarige
Luder
wollte alle Männer töten. - Zur Säule erstarrt, stand Ritter Roland ihr gegenüber. Er glaubte, seinen Augen nicht zu trauen. So ein wütendes Riesenweib hatte er in seinem Leben noch nicht gesehen. - Breitbeinig hatte sie sich vor Ritter Roland aufgebaut. Als sie das Schwert wie ein Turnierkämpfer schwang, wanderten Rolands Augen von den mächtigen Ausbuchtungen des Brustpanzers zu den gigantischen Oberarmen. Das Spiel der durchtrainierten Muskeln faszinierte ihn... Liebe Leser, wenn die derben Ausdrücke jener Zeit Sie nicht stören und Sie einen mit viel Spannung gewürzten AbenteuerRoman lesen wollen, dann holen Sie sich den Ritter-RolandBand 13! Ein Knüller, der Sie für nur 1,60 DM prickelnd unterhalten wird.