JOKER BOYS Band 1 Frank Bieringer
Die verrückten Jungs aus Purple City Kommen die drei Joker Boys in Willy’s Speiselok...
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JOKER BOYS Band 1 Frank Bieringer
Die verrückten Jungs aus Purple City Kommen die drei Joker Boys in Willy’s Speiselokal. Fragt der schwarze Kellner Nicky: »Wir haben frische Steaks, wie wollen Sie die haben?« Antwortet der dicke Lemmy: »Meins ein bißchen roh innen.« Sagt der dürre Snuffy in schöner Vorfreude auf sein Steak: »In die Pfanne, umdrehen, raus auf den Teller, klar?« »Klar«, sagt Nicky und wendet sich an den grimmig dreinschauenden Tornado-Jack: »Und Sie, Sir?« Der finstere Tornado-Jack leckt sich über die Lippen, daß seine Schnurrbartzipfel zittern, und sagt mit abgrundtiefer Kellerstimme: »Reintreiben, Beine zusammenbinden, auf den Teller, fertig!«
LEMMY Doc Walton, der etwas kleingeratene Doktor von Purple City, hatte den Verstand nicht im Revolver und auch nicht in den Muskeln, sondern dort, wohin ihn die Natur eigentlich verpflanzt hat, nämlich im Gehirn. Aber das war gar nicht so selbstverständlich, jedenfalls nicht in Purple City. Und im Augenblick, als Doc Walton vor dem riesigen Menschengebirge von Texas-Paul stand, da war der alte Doktor auch im Zweifel, ob es wirklich so sinnvoll war, wenn man zwar Grips im Hirn, aber sonst nicht allzuviel aufzuweisen hatte. Texas-Paul war ein schiefmäuliger Halunke mit einer schweren Messernarbe im Gesicht; ein Bursche, der Frauen und kleinen Kindern selbst noch in ihren Träumen Angst machte. Dieser Gigant von Mensch grinste so breit, daß Doc Walton zwei Reihen prächtiger, gelber Pferdezähne bewundern konnte. Aber im Augenblick kamen sie ihm eher wie Wolfszähne vor. Und dann röhrte es aus dieser Schlucht von Menschenmaul heraus: »Bezahlung willst du? Bezahlung? Wofür?« Und Doc Walton krähte mutig wie ein tapferes Schneiderlein: »Es ist für die Kugel, die ich dir vor einem Jahr rausgeholt hab’. Bis heute hast du es nicht bezahlt!« Texas-Paul nickte nur, als sei er plötzlich völlig damit einverstanden, daß der Doktor eine Bezahlung von ihm erwarten durfte. »Okay!« rief er. »Bezahlung sollst du bekommen. Ha, ha, ha!« Sein Lachen erinnerte an das Donnern in einem Sommergewitter. Urplötzlich fühlte sich der Doktor von der riesigen Pranke Texas-Pauls an der Jacke gepackt, hochgehoben und durch die Luft gewirbelt.
Der Traum des Menschen zu fliegen hatte auch den Doktor immer beschäftigt, denn er war ja ein Erfindergeist, wie alle, die den Verstand im Hirn haben. Und jetzt sollte er in den Genuß dieses einmaligen Vergnügens gelangen, denn er flog, er flog hoch durch die Luft, über die Straße hinweg, bis er in einer Anlage landete, die für diesen Zweck gar nicht gedacht gewesen war. Vor Jahren hatte es einmal in Purple City eine Feuersbrunst gegeben. Danach war von den Bürgern ein großer Teich angelegt worden, damit man beim nächsten Male das Wasser zur Verfügung hätte, was bei der Feuersbrunst gefehlt hatte. Und in diesen Teich plumpste der Doktor jetzt hinein wie eine bleierne Ente, versank sofort, während eine Fontäne gen Himmel spritzte. Und erst nach einer Weile tauchte der Kopf des alten Doktors wieder auf. Der Doc, ein perfekter Nichtschwimmer, prustete, hustete, kreischte um Hilfe und versank abermals. Jedwedes Geräusch ging jetzt in dem dröhnenden Gelächter von Texas-Paul unter. Dazu klopfte er sich noch mit der flachen Hand auf den Schenkel, daß es sich anhörte, als wolle ein Metzger das Rumpsteak einer sechzehnjährigen Kuh durch starkes Schlagen noch mürbe bekommen. Vor Lachen waren Texas-Paul, dem alten Halunken, die Tränen in die Augen getreten, so daß er kaum etwas sehen konnte. Und zugleich verspürte Texas-Paul Durst. Immer, wenn er sich so kolossal anstrengen mußte – und Lachen war für ihn eine kolossale Anstrengung –, dann verspürte er einen Durst und Heißhunger, den er auf der Stelle stillen mußte. Also scherte er sich einen feuchten Keks um das Schicksal des Nichtschwimmer-Doktors und stampfte mit der Eleganz eines Nilpferdes auf den Saloon zu. Der Doktor indessen war dem Tode näher als dem Leben. Doch da nahte Rettung in Gestalt eines zweiten
Menschengiganten, eines Fleischkloßes von zweieinhalb Zentner Gewicht: Lemmy. Jedem Kannibalen wäre das Wasser bei Lemmys Anblick im Munde zusammengelaufen. Das hätte für die Menschenfresser der Fidschiinseln eine über Monate reichende Vorratsbewirtschaftung bedeutet, wäre ihnen Lemmy in die Finger geraten. Fleisch für Dutzende. Lemmys Schweinsäuglein registrierten zwei Dinge auf der Stelle. Einmal den von ihm gefürchteten und zugleich gehaßten Texas-Paul und zum zweiten die Not des Doktors, demgegenüber Lemmy ein tiefes Mitgefühl empfand. Und weil Lemmy zwar ein großer starker Kerl war, aber das Gemüt eines Kaninchens besaß, war Mitleid im Augenblick seine stärkste Empfindung. Er war bereit dem Doktor zu helfen, koste es, was es wolle. Und obgleich er selbst auch nicht schwimmen konnte, nahm er jetzt Anlauf. Und es war so, als hätte sich ein ostafrikanisches Nilpferd in Bewegung gesetzt. Immer schneller wurde der Lauf, immer kürzer trippelten Lemmys Plattfüße. Und dann kam der Augenblick des Absprungs. Zweieinhalb Zentner Lebendgewicht erhoben sich in die Luft, verdrängten die Atmosphäre, wogten dem Wasser entgegen, und dann… platsch, erfolgte das Eintauchen. Es war wie ein Weltuntergang. Das Wasser, von Lemmys voluminösen Körperausmaßen urplötzlich verdrängt, schoß in einer Art Springflut dem Ufer entgegen, während da, wo Lemmy eingetaucht war, eine Art Krater entstanden zu sein schien. Und in dieser Springflut wurde der Doktor gen Land gewirbelt, von der Flutwelle angehoben und mitgetragen, um dann unsanft auf der kleinen Wiese niedergesetzt zu werden. Als Lemmy wieder auftauchte, rollte die Springflut zurück, der Doktor aber lag wie eine ertränkte Katze auf dem Rasen. Lemmy aber – Fett schwimmt bekanntlich oben – schaukelte wie eine Boje auf der Oberfläche des Wassers. Und seine mit
Wurstfingern bestückten Hände patschten und plantschten, so daß sich Lemmy auf eine geheimnisvolle Weise dem Ufer näherte, bis er an einer Stelle angelangt war, wo seine Füße Grund fanden. Und nun kam er heraus. Und zugleich sank der Wasserspiegel zurück zur ursprünglichen Höhe, während Lemmy triefend, aber mit dem strahlenden Blick des Siegers, aufs Trockene watschelte. Als er bei dem Doktor ankam, machte der gerade seine ersten Bewegungen. Lemmy nahm ihn mit der Linken, packte ihn einfach an der Kleidung und hob ihn hoch, als wäre er ein Kran. Er schüttelte ihn ein bißchen, und die letzten Wasserreste tropften von dem Doktor herunter, dann stellte ihn Lemmy wieder auf die Füße, blickte beglückt auf den alten Mann herab und meinte: »Noch mal Schwein gehabt, wie?« Im Hirn des Doktors, wo ja bekanntlich sein Verstand konzentriert war, reifte in diesen Sekunden ein tollkühner Racheplan. Rache, die er auf dem Umweg über Lemmy an Texas-Paul nehmen wollte. Und weil eine ganze Menge Verstand im Hirn des Doktors konzentriert war, hatte dieser Plan Hand und Fuß. »Ich danke dir, Lemmy«, krächzte der Doktor. »Komm mit in meine Praxis, ich will dich belohnen.« Lemmy dachte an eine Flasche Franzbranntwein oder dergleichen oder an jenen Hustensaft, den ihm der Doktor einmal vor Monaten gegeben hatte und der verdächtig nach Brandy geschmeckt hatte. Solche Hustensäfte mochte Lemmy sehr gut leiden. Überhaupt war er kein Kostverächter. Man sah es ihm auch an. So watschelten die beiden, der kleine, dürre Doktor und der Fleischkloß Lemmy, auf das Haus des Doktors zu, über dem in riesigen Lettern stand: Doktor P. P. Walton, Arzt und Krankenstation, erstes Haus am Platze mit eigenem Friedhof.
Und drinnen dann marschierte Doc Walton zu seinem großen weißen Medizinschrank, nahm etwas heraus, setzte sich Lemmy gegenüber an den Tisch und legte etwas hin. »Wir sind quitt«, sagte der alte Doktor und schob Lemmy die glänzende kleine Kugel zu, die bläulich im Schein der Sonne schimmerte, die durch die Fenster schien. »Du hast mir das Leben gerettet, sonst wäre ich ertrunken. Dafür schenke ich dir diese Kapsel. Schluck sie runter, und du wirst ein neuer Mensch.« Lemmy sah ihn mißtrauisch aus seinen runden Schweinsäuglein an. Es war völlig klar, er hatte nicht den Schatten eines Schimmers, was diese geheimnisvolle Kapsel bewirken konnte. Der liebe dicke Lemmy. Da saß er nun, starrte erst auf den alten Doktor und dann auf die blaue Kapsel. Er traute ja beiden nicht. Aber die Neugier zerfraß ihn beinah. »Schluck sie!« mahnte der Doc und nickte Lemmy zuversichtlich zu. Lemmy zögerte. »Und was passiert dann?« wollte er wissen. »Kennst du den Hund vom Schmied?« Lemmy nickte. »Ein feiger, immerzu kläffender Köter!« »Gewesen«, beteuerte der Doc. »Gewesen bis gestern. Er hat meine Kapsel gefressen, aus Versehen. Seitdem hat er siebzehn Leute gebissen. Das hebt mein Geschäft. Was sagst du jetzt?« »Was?« schrie Lemmy entsetzt. »Wenn ich die Kapsel schlucke, beiße ich Leute?« »Aber nein doch«, beruhigte ihn der Doc. »Du gibst TexasPaul nur endlich die fällige Abreibung. Wie oft hat dich der Kerl geärgert. Hast du das vergessen?« »Nein, nein, das hab’ ich nicht. Aber er ist viel stärker als ich!«
»Dummes Zeug! Groß bist du, und stark bist du. Bestimmt viel stärker als Texas-Paul. Nur Mut hast du keinen. Schluck diese Kapsel hinunter, dann hast du auch Mut!« Lemmy dachte an die vielen Demütigungen und Kränkungen, die ihm Texas-Paul zugefügt hatte. Ja, dachte er, Rache ist Blutwurst. Und dann nahm er die Kapsel. Schwupp! Weg war sie. Es dauerte ein paar Minuten, und der Doc sah interessiert zu, wie die Verwandlung mit Lemmy vor sich ging. Es begann mit den Augen. Aus den Schweinsäuglein wurden auf einmal grimmige Tigeraugen. Und das schlaffe, feiste Gesicht straffte sich plötzlich. Lemmys Kinn schob sich vor wie der Bug eines Windjammers im Passat. Die Brust reckte sich, als wollte sie das Hemd sprengen. Die eben noch schlaffen Muskelpakete an Lemmys Armen entwickelten sich zu angsterregenden Stahltrossen. Und dann stand er auf, schweigend; er nickte nur grimmig kurz zum Doc hin, dann stampfte er ins Freie. Das Haus erbebte unter seinen Tritten. Der Doc folgte ihm und beobachtete, wie Lemmy mit der Grazie eines schwarzen Spitzmaulnashorns genau auf den Saloon zustampfte. Der Doc verzog säuerlich sein Gesicht, als ihm einfiel, daß er gestern dem Salooner noch geschworen hatte, ihn und seine Kneipe wegen der letzten Preiserhöhung für Whisky zu boykottieren. Und wenn man weiß, daß Whisky die Hauptnahrung von Doktor Walton war, kann man das sogar verstehen. Und er war auch konsequent, unser Doktor. Er wartete draußen. Lemmy war indessen drin. Und die Pendeltür vollführte hinter ihm wilde Schwingungen, ehe sie endlich zur Ruhe kam. An der Theke standen ein paar Männer, Cowboys aus der Nachbarschaft, und auch Texas-Paul, dieser schiefmäulige Halunke.
Er würdigte Lemmy nicht mal eines Blickes. Und das war ein Fehler. Obgleich man annehmen konnte, daß er lebhaft darüber nachdachte, wie er den armen Lemmy mal wieder richtig zum Narren machen konnte. Er hätte besser an seine Verteidigung denken sollen. Und vor allem wäre es gut gewesen, ein wenig mehr über Menschen zu wissen. Aber wie gesagt, im Gegensatz zum Doktor hatte Texas-Paul den Verstand nicht im Hirn, sondern in den Muskeln. Und da war er nicht so besonders gut aufgehoben. Was da jetzt auf den schiefmäuligen Texas-Paul zukam, das war nicht das ängstliche Schweinchen Dick, das Lemmy sonst so vorstellte. Hier kam nämlich einer, der bereit war, ganze Wagenladungen von Catchern und Boxern zu verprügeln und zu Kleinholz zu verarbeiten. Schließlich sah Texas-Paul doch zur Seite. Nun hätt’ er ja begreifen müssen. Aber wie soll denn einer begreifen, der nicht viel mehr als getrockneten Hopfen im Hirn hat? Was tat er also? Er lachte. Bis jetzt hatte Lemmy noch vor, eine freundliche Unterhaltung mit Texas-Paul anzufangen. Nun aber, wo dieser schlitzohrige Tunichtgut seine quittegelben Pferdezähne zeigte, war Lemmy sauer. Und dann kam noch dazu, daß Texas-Paul eine Wolke Atemgold aus seinem Rachen blies, die eine Horde angreifender, vor Wut schäumender Büffel zu rasender Umkehr bewegt hätte. Und wie das alles so auf Lemmy einstürmte, da begann die blaue Kapsel erst so richtig zu wirken. Lemmy schoß aus dem Stand heraus eine Gerade ab, die Texas-Paul so wunderbar, so gestochen scharf auf die Kartoffelnase donnerte, daß aus der Kartoffelnase eine Tomatennase wurde, und zwar nach der Art, wie Tomaten sind, wenn man mit dem Fuß draufgetreten ist. Texas-Paul verdrehte die Augen, ging zwei Schritte zurück, blies Dampf ab, holte frische, mit Tabakrauch geschwängerte
Saloonluft in seine Lungen, und dann gab er seinem Affen Zucker. Er schoß vor, als hätte er Raketenantrieb. Lemmy sah ihn auf sich zurasen und hielt nur die Faust hin, die Texas-Paul zielgenau mit der Kinnspitze einnahm. Aber das hielt ihn nicht auf. Er fegte an Lemmy vorbei, der zur Seite gesprungen war, raste auf die Pendeltür zu, riß sie auseinander, und während sie wieder zuschwang, war Texas-Paul schon auf der Straße. Er überquerte sie mit überhöhter Geschwindigkeit und unter Mißachtung jeder Vorfahrt. Dann knallte es dröhnend. Denn Texas-Paul hatte nicht rechtzeitig bremsen können und war frontal gegen den Store geknallt. Während im Store die Leute durcheinander purzelten und entsetzt an einen unvermuteten Kriegsausbruch mit gleichzeitigem Erdbeben dachten, raffte sich Texas-Paul auf, zog seinen Kopf zwischen den Brettern hervor, machte kehrt, holte tief und nachhaltig Luft, spannte sämtliche Muskeln und trat den Rückweg in den Saloon auf dieselbe Weise an, wie er ihn verlassen hatte. Es war, als hätte der Pacific-Express ein Haltesignal übersehen. Texas-Paul donnerte durch die Schwingtür, fegte auf Lemmy zu, um ihn in ein Blatt Papier zu verwandeln. Und weil hinten die Wand war, konnte ihm das womöglich gelingen, wäre ihm sogar gelungen, aber Lemmy hatte mit der blauen Kugel nicht nur Kraft, sondern auch Beweglichkeit getankt. Lemmy machte einen Sprung nach rechts. Zweieinhalb Zentner frisches Fleisch, Fett und Knochen hoben ab und sausten durch die Luft, gerade noch rechtzeitig. Texas-Paul flitzte dicht vorbei. Und wie er so richtig Unterhalb von Lemmys rechter Faust war, ließ der dieses Monstrum fallen wie einen Vorschlaghammer. Das war ein Schlachtfest für Fortgeschrittene. Texas-Paul war schon in den tiefsten Träumen, so hatte es ihn erwischt.
Aber er rannte noch. Der eigene Schwung trieb ihn einfach weiter. Und so kam es, daß er im Schlaf die Wand des Saloons zu Schutt verwandelte und der Bauwirtschaft von Purple City wieder mächtig Auftrieb gab. Dies also war Lemmy, ein Mensch wie du und ich. TORNADO-JACK Jack war ein schwarzbärtiger kräftiger Bursche, der aussah, als könnte er nicht nur mit einer Hand ein Faß Whisky stemmen, sondern auch noch mit dem Revolver eine treffsichere und schnelle Kugel schießen. Das mit dem Faß Whisky mochte stimmen, wenn ihm dafür ein ordentlicher Schluck versprochen wurde. Und er mußte an diesem Tag besonders große Lust haben, seinen Körper in Bewegung zu setzen, denn Jack war immer auf der Flucht, und zwar vor der Arbeit. Was seine Schießkunst anbelangte, so trug er zwar einen mächtigen Revolver, den er aber allenfalls dazu benutzte, seine Kaffeebohnen zu zerschlagen oder dann und wann mal einen Krampen in einen Zaunpfahl zu hauen. Mit dem Schießen war das ein eigen Ding, zumal Jack Mühe hatte, einen BrahmaStier auf zehn Schritt Entfernung zu treffen. Und es war äußerst zweifelhaft, ob die total verrostete Kanone von ihm überhaupt noch einen Schuß abgab. Aber das hinderte Jack nun nicht daran, großsprecherisch so zu tun, als wäre er der König aller Revolvermänner. Und ganz besonders neigte Jack zu solcher Prahlerei, wenn er in ein Nest geriet, in dem er noch nie gewesen war, wo ihn folglich keiner kannte. Zu diesem Zweck hatte er sich einen Beinamen zugelegt, der von vornherein schon so etwas wie ein Unwetter, ein Donnergrollen und tödliche Gefahr signalisieren sollte: den Namen Tornado.
Er nannte sich also Tornado-Jack. Und der Teufel mochte wissen, was ihm erspart geblieben wäre, hätte er sich nicht diesen großmäuligen Zunamen zugelegt. Es war ein herrlicher, sonniger Tag mit strahlend blauem Himmel, als Jack in Purple City einritt. Und ein schöner Anblick war es auch, wie er, der finstere, schwarzhaarige Bursche mit seinem speckigem Hut auf dem Kopf und der ramponierten Kleidung auf der Haut so im Sattel hockte, den ein Lebewesen trug, das man nur mit Mühe als Pferd bezeichnen konnte. Es gehörte schon eine Menge Optimismus dazu, diesen wandelnden Kleiderständer zu den Einhufern zu zählen. Aber der Anschein trügte. Tornado-Jacks Nelly war ihr Futter wert. Und wenn es ums Futter ging, da konnte sie sich so gebärden wie Lemmy vor einer gefüllten Gulaschschüssel. Aber man sah es ihr nicht an. Im Gegenteil, auf ihren Rippen hätte man Klavier spielen können. Und der Schwanz sah aus wie der ausgediente Besen eines sizilianischen Straßenkehrers. Während Tornado-Jack also einritt und Nelly ihren Krokodilkopf in die Höhe warf und schnaubte wie eine UnionPacific-Lokomotive vor der Steigung, da tauchte aus dem Saloon der enge Busenfreund Texas-Pauls auf, der wirkliche Revolvermann Killer-Tom. Killer-Tom nun war kein Bluffer. Er gehörte nicht zu denen, die mit einem verrosteten Schießeisen herumliefen und große Sprüche klopften, im Grunde aber so harmlos waren wie eine Eidechse. Killer-Tom war in Wirklichkeit so gutmütig wie ein hungriger Wolf und so umgänglich wie eine gereizte Klapperschlange. Das wußte auch Lemmy, der rein zufällig in der Nähe stand und die Szene beobachtete. Bei Lemmy hatte nun die Wirkung der blauen Kapsel längst nachgelassen, was ja niemand wußte, vor allem nicht Texas-Paul, der Lemmy in weitem Bogen aus dem Weg ging. Lemmy genoß noch etwas die Nachwehen seines Ruhmes und hoffte im Grunde darauf, daß niemand auf
auf den Gedanken kam, ihn herauszufordern. Denn noch mehr von diesen blauen Kapseln schien der Doktor nicht zu haben. Immerhin konnte sich Lemmy lange genug in seinem Triumph sonnen und hatte eine ganze Serie von Freibieren abgestaubt, von einigen Mittagessen ganz zu schweigen, die der Wirt des Speisehauses spendierte, und die ausgereicht hätten, eine mehrköpfige Familie durch einen grimmigen und langen Winter zu bringen. Zu jenem Zeitpunkt kannte Lemmy Tornado-Jack noch nicht. Es war ihre erste Begegnung, und im Grunde war Lemmy nur gespannt, was nun weiter geschehen würde. Denn auf der einen Seite versperrte Killer-Tom dem einreitenden Fremden den Weg. Und es war abzusehen, daß Killer-Tom sich ein Späßchen machen wollte, wie er das gewöhnlich tat, wenn Fremde auftauchten. Das konnten ganz gefährliche Späßchen werden, wie sich Lemmy sagte, und wenn dieser Fremde nicht aufpaßte, dann lag er ganz plötzlich auf dem Friedhof und war mausetot, denn Killer-Tom hatte alles mögliche, bloß eines garantiert nicht: Humor. In absoluter Verkennung der Situation ritt nun Tornado-Jack weiter auf den lässig dastehenden Revolvermann zu, der die Daumen in seinen Gürtel gehakt hatte, auf den Absätzen wippte, daß die Sporen klingelten wie Totenglöckchen. »Verschwindest du jetzt aus meinem Weg oder soll ich dir Beine machen?« krächzte Tornado-Jack. Und sein krokodilköpfiger Klepper rollte mit den Augen, legte die Ohren an und bleckte seine Zähne, wie es Texas-Paul nicht besser gekonnt hätte. Killer-Tom machte schmale Augen, schluckte, daß sein Adamsapfel auf und nieder hüpfte, und meinte dann, ohne den Mund weiter als unvermeidbar zu öffnen: »Du willst es also wissen?« Tornado-Jack hatte es immer in seinem Leben wissen wollen, so auch diesmal. Nur eines wußte er auch nicht, das
wollte er auch gar nicht wissen, was Killer-Tom damit meinte. Nun war die Sache so, daß Killer-Tom ein gesuchter Mörder war. Der Sheriff hätte ihn ja gerne verhaftet, er hätte ihn schon verhaften wollen, nur getraut hatte er sich nie. So kam es, daß Killer-Tom frei herumlief, als sei er ein achtbarer und ehrbarer Bürger dieser Stadt. Auch das wußte Tornado-Jack nicht. Hätte er es gewußt, wäre er vielleicht mit Nelly spornstreichs aus der Stadt geflitzt. Aber die Unwissenheit machte ihn mutig, wie ja oft Unwissenheit und Mangel an Erfahrung der Ursprung von Mut sind. »Komm von deinem Klepper herunter, und dann tragen wir es aus, oder wie willst du es haben?« Tornado-Jack war bis jetzt mit Bluffs durchs Leben gekommen. Und weil er eben nicht begriff, daß dieser Mann dort vorn wirklich ein reißender Tiger war, so vertraute er wiederum auf seinen Bluff mit dem Revolver und dem grimmigen Getue. Er stieg deshalb aus dem Sattel, gab Nelly einen freundschaftlichen Klaps aufs Hinterteil. Und da Nelly ohnehin für Wasser und Ruhe mehr übrig hatte, als hier in der prallen Sonne zu stehen, marschierte sie zur nächsten Tränke und kümmerte sich im übrigen nicht mehr um die Männer. Es war totenstill auf der Straße. Und sogar Millers Promenadenmischungsterrier hielt die Klappe. Man hätte, so sollte es dann später in den Büchern stehen, eine Stecknadel fallen hören können. Es war nur niemand da, der auf den Gedanken gekommen wäre, Stecknadeln fallen zu lassen. Nur dieser Killer-Tom war da. Und natürlich sah er auch so aus, wie er war. Jetzt besonders. Und da endlich fiel bei unserem Freund Tornado-Jack der Groschen. Jetzt wurde aus seinem großsprecherischen Mut jäh Angst, denn das Gesicht, das er sah, bot einen Anblick, bei dem kleine Mädchen ihre Sommersprossen urplötzlich verloren und insgeheim den Schwur der ewigen Entsagung leisteten, um nur jenes Anblickes enthoben zu werden.
Killer-Tom, eine Name, mit dem ganze Güterzüge von Eltern ihre unartigen Kinder verschreckten, wenn die nicht folgen wollten. Killer-Tom, ein Name, bei dem Gesetzeshüter zu zittern begannen und sich wünschten, sie hätten nie einen Stern gesehen, geschweige denn getragen. Killer-Tom, genau das war der Name. Und Tornado-Jack fiel der Steckbrief ein, den er schon in so vielen Städten von Killer-Tom gesehen hatte. Killer-Tom, schon der Gedanke an ihn ließ Ärzte und Apotheker frohlocken. Wo er nämlich kam, da floß Blut, da gab es Arbeit. Und sofern die Ärzte nicht schon einen eigenen Friedhof hatten, wie Doc Walton, lebte von Killer-Tom noch ein ganzes Heer von Totengräbern. Killer-Tom, wo wären all die vielen Filmschreiber und Romanautoren späterer Zeit geblieben, hätte es ihn nicht gegeben. Das halbe Hollywood sollte viele Jahrzehnte danach vom Nymbus Killer-Toms existieren. Man hätte ihn vergolden können, ihn und seinen Revolver, diesen Killer-Tom, soviel Geld wurde mit seiner Legende hereingespielt. Killer-Tom, wo er war, da hatte der Westen noch sein altes Gesicht, da war er noch wild, da durfte er es noch sein. Also er sah schon ganz schön wild aus, dieser Bursche. Trotz seiner vielen Postkutschenüberfälle schien er enorm zu sparen. Jedenfalls gab es fürs Rasieren keinen Cent aus. Ja, und natürlich trug er schwarze Kleidung, tiefschwarze Kleidung. Sozusagen das schwärzeste Schwarz seines Lebens. Leder natürlich, echtes natürlich. Man wußte, was man sich schuldig war. Denn Leute, die den Revolver handhabten wie er, trugen immer schwarze Kleidung. Und die Kanone. Heiliger Strohsack, das war ein Bleischmeißer! Wenn wir einmal annehmen, Killer-Tom wäre auf Seiten der Konföderierten im Bürgerkrieg geritten, die wären ja in einem Zug durchgerannt bis nach Washington,
direkt vor Lincolns Schreibtisch im Weißen Haus. Aber KillerTom hat damals noch in die Windeln gemacht oder sonst wohin, jedenfalls war er seinerzeit noch nicht in der Lage, Killer-Tom zu sein. Und außerdem stammte er aus Illinois, und das lag bekanntlich im Norden. Und da liegt es sogar jetzt noch. Also dieser Killer-Tom kam nun gemessenen, ruhigen und unerhört festen Schrittes auf unseren Freund Tornado-Jack zu. Bei jedem Schritt klatschten die Holster mit den schweren Revolvern an die Schenkel. Wie die Krallen eines blutdürstigen Adlers schwebten die gewaltigen Pranken über den Griffen der Bauchperforationsgeräte. Die Augen hatte Killer-Tom bis auf einen kleinen Spalt geschlossen, so wie Gurken-Billy, wenn die Sonne auf sein Ladenfenster schien und er den Rolladen bis auf einen Schlitz herunterließ. Und dann die Sporen, meine Güte! Da lief es den Omas von Purple City vielleicht über den Rücken. Schon die ersten Töne, und im Saloon fror das Spülwasser ein. Und die kleinen Staubwolken, die unter den schweren Tritten Killer-Toms, beziehungsweise seiner Knobelbecher, hochstiebten, Mann, war das ein Bild. Die in Purple City hatten sechs Richtige, ohne daß es sie was kostete, dies alles sehen zu können. Und die standen natürlich alle hinter ihren Fenstern, glotzten durch die Scheiben und begannen zu wetten. Aber wetten war sinnlos. Stand da Tornado-Jack mitten auf der Straße, ein bißchen grün im Gesicht mit Falten in der zerknautschten Hose, und wer weiß, was er sonst noch alles da drinnen hatte. Und mit Schwitzflecken auf dem Hemd, so flitzten ihm die Schweißtropfen schierer Angst den Rücken herunter. Ja, und er hielt natürlich auch die Hand wie eine Kralle über seinem alten Kaffeebohnenklopfer. War nur die Frage, wohin das Ding schießen würde, wenn es überhaupt losging.
Tornado-Jack ging ein gewisser allerorten bekannter Körperteil mit einigen Metern auf Grundeis, sozusagen eins zu siebenundzwanzigtausend. Er machte auch keine schmalen Rolladenaugen wie Killer-Tom, sondern runde, die aussahen wir die Lampen einer Lokomotive, die gerade aus dem Tunnel kommt. Aber Jacky, der arme Kerl, hätte da schon hoffen können. Er wußte nur noch nicht, daß er einen Freund besaß. Einen, der ihm noch unbekannt war, und der tatsächlich einmal später sein guter Freund werden sollte. Und da war noch einer, der würde auch einmal sein Freund werden. Auch den kannte er nicht, obgleich er ihn vorhin gesehen hatte. Das war Lemmy. Lemmy empfand nicht nur Mitgefühl, es war auch eine Welle der Sympathie, die von seinem Herzen dem Tornado-Jacks entgegenschlug, eine Brücke bildete und Lemmy zwang, aus seiner stumpfsinnigen Lethargie heraus Aktivität zu zeigen. Und Lemmy handelte. Diesmal handelte er schnell. Er verschwand, für seine Verhältnisse wieselflink, um die nächste Ecke. Dann war dieser andere Freund, den wir noch nicht kennen, der aber eine ganz enorme Rolle in diesem Spiel innehatte. Und der war es auch, der die Wendung einleitete. Aber zunächst einmal nahm auf der Straße niemand Notiz von diesen Veränderungen. Vielmehr schien sich der Höhepunkt des Geschehens zu nähern; sollte es zur dramatischen Zuspitzung kommen, war abzusehen für jeden, der hinter den Fenstern klebte und sich die Nase plattdrückte, daß binnen weniger Minuten rotes Blut in den Staub der Straße fließen würde. Aber auf dieser Straße war zunächst etwas anderes. Etwas, das Killer-Tom mit seinen Geieraugen sofort erspähte.
Da lag nämlich so harmlos und nichtssagend ein herrliches Goldstück. Und da hatte Killer-Tom das Glitzern schon entdeckt. Da man für zwanzig Dollar in Gold unerhört viel zu saufen bekommt, damals wie heute, würde Killer-Tom sich bücken wollen, um dieses Goldstück aufzuheben. Und natürlich bückte er sich, denn wer das Zwanzig-Dollar-Stück nicht ehrt, ist des verrosteten Cent-Stücks nicht wert. Es kam also, wie es kommen mußte. Killer-Tom stierte auf das Goldstück, stand plötzlich wie angewurzelt da. Die Krallenhände schwangen nach vorn, der Oberkörper senkte sich zum Sturzflug, und jetzt bückte er sich, langte zu, wollte das Goldstück ergreifen, da passierte es, da geschah es, da ereignete sich, was später die Schlagzeilen der einschlägigen Presse füllte und was die Menschen zwischen Mexiko und Alaska von den Stühlen und Klosetts riß. Es geschah, und Killer-Tom konnte es nicht verhindern! Das Goldstück machte einen Satz von Killer-Tom weg! Killer-Tom stand einen Augenblick wie gelähmt, stand verkrümmt wie eine Katze, die der Schlag getroffen hatte! Und weil Killer-Tom schon immer bekam, was er bekommen wollte, wurde er hartnäckig. Er brauchte dieses Gold, Teufel noch eins! Er wollte es! Deshalb stolperte er gebückt vor, streckte die Hände erneut nach dem Gold aus. Und wieder passierte es! Das Goldstück machte wieder einen Satz, ziemlich genau auf Tornado-Jack zu, der nach wie vor dastand, als hätte er die Hosen gestrichen voll. Killer-Tom machte auch einen Satz. Mit wütendem Schnauben, wild wie ein durch Niespulver gereizter Kaffernbulle stiebte er nach vorn, wollte schnell zuschnappen, wollte das Gold.
Aber da ist es wieder weg. Diesmal ein paar Sprünge weit direkt vor Jacks Stiefelspitzen. Doch das sah unser Killer-Tom nicht. Der hatte nur Augen für gleißendes Gold. Gold, das er wollte. Das war jetzt auch eine reine Prestigefrage für ihn. Nicht, daß er das Geld, beziehungsweise das Gold, nicht hätte brauchen können. Killer-Tom konnte alles brauchen, wofür man kühle Blonde, kurze Klare und solche Sachen bekam. Es ging hier um mehr. Er wußte, daß es eine Niederlage sein würde, müßte er dieses vermaledeite Goldstück sausenlassen und sich wieder dem vor Angst schlotternden Jack zuwenden. Und so machte er wieder einen Satz und fiel dabei hin. Da lag er nun lang und hingestreckt auf der Hauptstraße von Purple City, sozusagen auf dem Broadway dieser so unmaßgeblichen Kuhquetsche. Er lag da und konnte nicht anders, streckte die Hände nach dem Goldstück aus, aber das machte wiederum einen Hopser und war verschwunden. Über Killer-Tom stand Tornado-Jack. Und da rief jemand von weiter hinten: »Fremder, Bruderherz, nun warte nicht, nimm deinen Kaffeeklopfer und mach ‘ne Notschlachtung! Schließlich stehen die Wetten inzwischen zwei zu hundertachtzig. Wir sind reiche Leute, wenn du dich ein bißchen beeilst!« Tornado-Jack schluckte. Man konnte richtig beobachten, wie es in seinem Hirn, oder das, was er dafür hielt, zu arbeiten begann. Aber irgendwie kam dann doch die richtige Idee. Er zog seinen verrosteten Colt, packte ihn am Lauf und gab Killer-Tom, der gerade treuherzig und erwartungsvoll zu ihm aufblickte, eine freundschaftliche Kopfnuß, deren Wirkung Killer-Tom aller weiteren Probleme entledigte. Er ging rasch und intensiv schlafen. Nun traten drei Männer auf den Plan, deren Existenz Tornado-Jack bisher gar nicht zur Kenntnis genommen hatte. Lemmy kannte er vom Ansehen.
Dann kam noch der füllige Sheriff um die Hausecke, und neben ihm noch ein hagerer und ausgemergelter Mann, der mindestens einen Kopf größer als Tornado-Jack war, und der fröhlich krähte: »Ich bin Snuffy!« Er nahm das Goldstück und den Zwirnsfaden, der daran hing, und gab die Münze dem Sheriff zurück, von dem er sie geliehen hatte. Danach machte der in Siegerlaune befindliche Sheriff Gebrauch von seinen Handschellen, eine Art Schmuck, die Killer-Tom immer schon als überflüssigen Prunk gehaßt hatte. Danach ging dieser bohnenstangenähnliche Mensch auf Tornado-Jack zu, klopfte ihm freundschaftlich auf die Schulter, boxte ihn gegen den Bauch und krähte fröhlich: »Hör auf zu zittern! Die Sache ist gelaufen. Ich sagte, daß ich Snuffy heiße, und du?« Da klickte bei Tornado-Jack endlich der Mechanismus, und er platzte heraus; »Ich dank’ dir auch, Snuffy. Ich bin TornadoJack.« »Na, wie ‘n Tornado hast du nicht ausgesehen«, meinte Snuffy. »War schon eher ‘ne Flaute, was?« »Dann wollen wir mal dem Sheriff helfen, Killer-Tom in gesiebte Luft zu bringen«, meinte Lemmy. »Und du, TornadoJack, kannst inzwischen neue Unterhosen anziehen. Komm nachher wieder und bring deinen Hut mit. Wir müssen die gewonnene Wette und die Belohnung für Killer-Tom kassieren!« SNUFFY Er hatte das Herz eines Lausbuben, war für jeden Spaß und jede Narretei zu haben. Auch für einen guten Schluck hatte er immer Zeit.
Im Grunde war er das, was man einen guten Kumpel nennt. Nur eines traf ihn hart und schmerzlich, nämlich jede Art von Beschäftigung, die nach Arbeit roch. Arbeit war ihm ein rotes Tuch, war ihm so verhaßt. Im Grunde noch viel verhaßter, als Jack oder Lemmy das empfanden. Und in diesem Punkt bestand eine Art Seelenverwandtschaft zwischen ihnen. Was sie am wenigsten verstanden war die Tatsache, daß es Leute gab, die sie darob verachteten, die sie Faulpelze, Tagediebe und Nichtstuer nannten. Für Snuffy war es ein besonders hoher Grad von Intelligenz, durchs Leben zu kommen, also zu existieren, ohne zu arbeiten. Arbeiten konnte seiner Meinung nach jeder. Dazu gehörte nichts. Dazu wäre der Dümmste imstande gewesen. Aber leben ohne zu arbeiten, das erschien ihm als eine besondere Kunst, die er bis zur Perfektion pflegte und genoß. Hatte nun Lemmy seinen Triumph gehabt, als es ihm gelungen war, Texas-Paul zu schlagen, so war Snuffy jetzt derjenige, den man in Purple City feierte. Und Snuffy langte hin, wo sich nur das geringste anbot. Er war nicht so verfressen wie Lemmy, denn seiner Meinung nach fraß die Dummheit, während die Intelligenz soff. Er also hielt sich an die flüssige Nahrung. Auch darin bewies er die Kunst des Genießens. Genießen lag ihm überhaupt. Und so konnte man in den nachfolgenden drei Tagen Snuffy nur in den frühen Morgenstunden so weit nüchtern antreffen, daß man ein Gespräch mit ihm führen konnte. Gegen Mittag hatte er schon das nötige Quantum intus, und abends verfolgte er das Geschehen nur noch durch Milchglasaugen. Am dritten Tage nun war die Großzügigkeit des Saloonkeepers endgültig erschöpft und damit auch Snuffys Kreditfähigkeit.
Aber Snuffys Durst war in den drei Tagen nicht kleiner geworden. Im Gegenteil, er hatte zugenommen. Und als er nun vor seiner letzten leeren Flasche saß und hinter einem ebenso leeren Glas, das er in den Fingern drehte, und mit trübem Blick und voller Sehnsucht hinüber zur Theke blickte, da schüttelte der Barkeeper, der hinter der Theke stand und Snuffys Blick erwiderte, nur den Kopf. Snuffy schluckte und wieder sprang sein Adamsapfel nach oben und unten wie ein Jo-Jo-Ball. Der Durst brannte, ja loderte in Snuffys Kehle. Er war ganz sicher, würde er jetzt nichts Flüssiges in diese Kehle hineingießen, müßte alles bei ihm innerlich verbrennen. Und dieser Durst, das wußte er genau, war nicht einfach dadurch zu löschen, daß man etwas so gefährliches wie Wasser trank. Es gab überhaupt nur ein Mittel, womit Snuffy seinen Durst löschen konnte: Brandy. Aber das Kopfschütteln des Wirtes sagte Snuffy genug. Auf eine normale Weise konnte er nicht an weitere Drinks gelangen. Es sei denn, er hätte plötzlich Geld besessen. Nur mit Gold oder Geld war ein Mann wie der Saloonwirt zu erweichen, weitere Brandys auzuschenken. Und da standen sie nun, die Flaschen in diesem großen prächtigen Regal mit dem gewaltigen Spiegel darin, standen und schillerten so schön goldbraun. Herrlichster Brandy! Snuffy lief das Wasser im Mund zusammen, der Speichel tropfte ihm über die Lippen. Er leckte sich mit der Zunge darüber und bekam Stielaugen ob dieser Farbenpracht, ob des Schillerns in den verlockenden, herrlichen Flaschen, zwischen denen sich das breite Gesicht des Saloonkeepers ausnahm wie ein matschiger Apfel zwischen lauter gleißenden Christbaumkugeln. Die Idee, die Snuffy jetzt hatte, wurde augenblicklich geboren, und der Durst war der Vater dieser Eingebung. »Wollen wir wetten«, sagte er zum Keeper, »daß ich schneller trinken kann als du?«
Der Keeper grinste ihn mißtrauisch an. »Du kannst mir viel erzählen«, meinte er. »Es kommt doch immer auf dasselbe raus. Du bist ein Schnorrer!« »Du willst es nur nicht zugeben, daß du es nicht so gut kannst wie ich«, meinte Snuffy. »Immer wenn ich etwas sage, denkst du, ich will schnorren. Ich will überhaupt nicht schnorren. Ich will dir zeigen, daß ich schneller trinken kann als du.« »Saufen kannst du. Dazu sagt kein Mensch mehr trinken«, meinte der Keeper und begann, seine Gläser abzuspülen. »Das ist keine Antwort und schon lange kein Beweis«, erwiderte Snuffy. »Also wollen wir’s nun ausprobieren oder wollen wir’s nicht?« »Gut«, sagte der Keeper, »probieren wir es mit Wasser aus.« Snuffy war es, als hätte ihm jemand Salzsäure eingeflößt. Er schüttelte sich und zuckte am ganzen Körper. Sein Gesicht verzog sich essigsauer, und dann meinte er gequält: »Ich hab’ von Trinken gesprochen, nicht von Ertränken. Wasser ist für mich das reinste Gift. Da bekomme ich Hautausschlag, das sollst du mal sehen.« »Ich würde es gern mal sehen«, meinte der Keeper und grinste schief. »Das glaub’ ich dir«, meinte Snuffy, »daß es dir Freude macht, wenn ich todkrank am Boden liege. Wovon soll ich dann leben?« »Wovon lebst du denn jetzt?« meinte der Keeper gehässig. »Das sind alles Ausfluchte. Du willst nur ablenken«, meinte Snuffy, »weil du nämlich längst nicht so schnell trinken kannst wie ich.« »Hast du eine Ahnung, mein Junge«, erwiderte der Keeper, »Das will ich dir zeigen.« Er goß sich aus einer dieser herrlichen, goldbraunen Flaschen eben diese wunderbare Flüssigkeit ein, schnupperte daran, und kann kippte er den Inhalt mit einem Ruck in die Kehle. »Och!« machte er und
wischte sich mit dem Handrücken die Lippen ab und sah Snuffy mit seinen kugelrunden Augen an. »Na, schneller geht’s ja nicht.« »Du hast gar keine Ahnung. So trinkt ein Stümper. Ich sehe es direkt. Und du bildest dir sogar noch etwas darauf ein«, meinte Snuffy. »Laß mich mal probieren.« Der Keeper zuckte die Schultern, als wollte er damit sagen: »Auf den einen kommt’s bei mir nicht mehr an.« Dann goß er das Glas voll. Es war dasselbe Glas, aus dem er selbst getrunken hatte. Snuffy nahm es, besah es von allen Seiten, schnupperte daran, und dann kippte er es ebenfalls mit einem Ruck runter. »Na und?« meinte der Keeper. »So kann ich es auch.« »Das war ja noch nicht die Wette. Ich habe nur das Glas geleert, weil es ja dein Glas ist«, meinte Snuffy. »Es ist dein Glas, und du hast es mir hingeschoben. Ich kann ja nicht aus deinem Glas zugleich mit dir trinken. Also muß es noch einmal gefüllt werden, und du mußt mir ein zweites füllen. Und dann geht’s los.« »Dafür brauchtest du’s ja nicht auszutrinken«, empörte sich der Keeper. »Warum hast du es mir dann hingeschoben?« wollte Snuffy wissen. Der Keeper wollte keinen Streit, und außerdem war er neugierig auf diese komische Wette. Er holte also ein zweites Glas, goß es voll, füllte auch sein eigenes wieder, und dann schob er Snuffy dessen Glas hin, zog das eigene heran und blickte Snuffy fragend an. »Und wie geht es jetzt weiter?« »Sobald jemand den Saloon betritt, das ist unser Zeichen. Dann trinken wir mit einem Zug aus. Und wer am schnellsten fertig ist, der hat gewonnen.« »Und um was geht es?« wollte der Keeper wissen. »Um den Rest der Flasche«, meinte Snuffy bescheiden.
»Hm«, machte der Keeper. »Dann hab’ ich ja nichts gewonnen, denn die gehört mir ja schon.« »Also gut«, meinte Snuffy, »wenn du gewinnst, schuld’ ich dir noch ein Pokerspiel.« Der Keeper machte schmale Augen. Snuffy war ein gefährlicher Spieler und das wußte hier jeder. »Aber nur um die Halben«, meinte er. »Wie du willst, das kannst du dann ganz allein bestimmen«, erwiderte Snuffy. In diesem Augenblick bebte die Erde, stampfte etwas heran, von dem Snuffy glaubte, das könnte nur Lemmy sein. Aber er irrte sich. Das Dröhnen des Bodens verriet, daß es mindestens drei Lemmys sein mußten, die solche Erdschwingungen verursachen konnten. Und jäh verdunkelte sich die Türöffnung. Der Keeper war so beeindruckt von diesem herannahenden Ereignis, daß er völlig das Trinken vergaß. Snuffy jedoch kippte den Inhalt seines Glases hinunter, packte sofort die Flasche und krähte: »Gewonnen!« In diesem Augenblick tönte es vom Salooneingang her: »Ihr Tagediebe, saufen, sonst könnte ihr weiter nichts, jeder Arbeit fernbleiben! Die Schamröte treibt es einem anständigen Menschen ins Gesicht!« Der Saloonkeeper starrte wie gebannt zur Schwingtür hin. Und nun tat es auch Snuffy. Was er sah, war wirklich ein Naturereignis. Ein Gebirge von Fleisch füllte die Türöffnung fast völlig aus. Mrs. Pimple! Der Saloonkeeper fürchtete drei Dinge im Leben: den Hurrikan, eine wildgewordene Mannschaft, die ihm den Saloon zerlegte, und Mrs. Pimple. Mrs. Pimple war nicht nur das gewaltigste, was der Keeper jemals an Mensch gesehen hatte, sie stellte darüber hinaus noch eine ungeheure Macht dar. Denn sie führte die vereinigten Frauenvereine von Purple City an.
Wenn irgendwo etwas geschah, ein Kind getauft, ein Mädchen verheiratet oder ein Opa begraben wurde, nichts ohne Mrs. Pimple. Die streitbare Mrs. Pimple sorgte auch dafür, daß die Männer, ganz besonders die Ehemänner, schön brav ihre Arbeit taten und dafür sorgten, daß es die Frauen gut hatten. Es war deshalb ganz natürlich, daß Kreaturen wie Snuffy ein Dorn im Auge von Mrs. Pimple waren. Snuffy jedoch fürchtete Mrs. Pimple niemals. Darin unterschied er sich völlig vom Keeper und von der Schar der Ehemänner, die brav und bieder das taten, was Mrs. Pimple von einem anständigen und ehrbaren Mann verlangte, die zwar heimlich diese Mrs. Pimple verfluchten und verdammten und über sie Witze rissen, die aber, wenn Mrs. Pimple auftauchte, sofort in Fliegerdeckung gingen, und nicht wagten, ihr nur einen einzigen bösen Blick zuzuwerfen. Der Keeper duckte sich auch schon, als bekäme er jeden Augenblick Schläge. Snuffy jedoch grinste Mrs. Pimple herausfordernd und frech an, goß sich nun zum dritten Male das Glas voll, denn die Flasche war ja sein eigen geworden, trank mit einem Zug, rülpste vernehmlich, daß es Mrs. Pimple durchfuhr, als hätte sie eben eine Kampferspritze bekommen. Dann klemmte sich Snuffy die Flasche unter den Arm, tippte mit der Rechten an die Hutkrempe und sagte zum Keeper: »Wir beiden sind ja quitt. Die Wette ging an mich.« Der Keeper reagierte überhaupt nicht, der starrte nur wie ein Frosch auf die Schlange, war völlig gebannt von der einrucksvollen Persönlichkeit Mrs. Pimples. Snuffy schlurfte auf Mrs. Pimple zu,die ja den Eingang total versperrte, undselbst wenn sie gewollt hätte, wäre es nicht möglich gewesen, Snuffy an sich vorbeizulassen, ohne daß sie zurück auf die Straße getreten wäre. Snuffy zog die Schwingtüre auf, stand nun vor Mrs. Pimple, und dort wirkte er wie ein Bleistift vor einem Kürbis.
Wenn Blicke töten könnten, wäre Snuffy jetzt in Grund und Boden gesunken, denn Mrs. Pimple sah ihn so flammend, so vernichtend an, daß Snuffy ganz bestimmt nicht mehr vorhanden gewesen wäre. Aber der Blick wirkte auf Snuffy überhaupt nicht. Nicht nur, daß Snuffy nicht wie ein Stück Blei über dem Feuer wegschmolz, sondern es ließ ihn einfach kalt. Allerdings ahnte er nicht, daß diese Mrs. Pimple in seinem Leben noch eine ganz besondere Rolle spielen sollte. Und nicht nur Mrs. Pimple, sondern noch jemand, dessen Krähen sie jetzt hörten. Ja, da krähte ein Baby, ein kleines Kind schrie. Mrs. Pimple reagierte darauf schneller noch als Snuffy. Und es war eigenartig, welche Verwandlung mit diesem wandelnden Fleisch- und Sprechvorrat vor sich ging. Ihr Gesicht verklärte sich, wurde weich. Die Augen rollten, und der Mund begann zu zucken. Und dann drehte sich der Kopf herum. Snuffy, der größer war als Mrs. Pimple, sah über ihren Kopf hinweg und entdeckte die Ursache dieses Geschreis. Da stand auf der Straße ein Eselswagen, vorn der Esel im Geschirr, dann der Pritschenwagen mit etwas Stroh. Und auf diesem Stroh lag ein Baby, Und das schrie aus Leibeskräften. »Aber nein!« stieß Mrs. Pimple hervor. Das hörte sich an, als hätte ein ganzer Chor gequälter Mütter diesen Aufschrei ausgestoßen. Und dann warf Mrs. Pimple auch ihre gewaltigen Körpermassen herum, brachte sie in Fahrtrichtung auf den Eselswagen, setzte ihr Cholesteringebirge in Schwung und wogte dann der Fahrbahnmitte zu, wo der Eselswagen stand. Snuffy fühlte sich völlig desinteressiert. Er hatte ja die Flasche unter dem Arm. Und die bedeutete ihm jetzt eine Menge mehr als irgend etwas anderes. Zielstrebig wollte er zum Mietstall marschieren, um dort in Gesellschaft des Pferdes Nelly die Flasche auszutrinken. Dort störte ihn keiner, dort
quatschte ihn keiner dumm an, da waren sie ganz einfach zu dritt, nämlich Nelly, Snuffy und die Flasche. Aber dazu kam er gar nicht. Denn plötzlich entdeckte Snuffy seinen Freund Tornado-Jack und das zweibeinige Schweinchen-Dick Lemmy. Die beiden hatten ihn natürlich längst gesehen, kamen eilig auf ihn zu, und Lemmy meinte mit seiner knautschigen Stimme: »Es ist etwas ganz Tolles passiert: Apachen!« »Was ist daran toll?« meinte Snuffy. »Apachen gibt es schon lange.« Lemmy deutete aufgeregt auf den Eselswagen, der jetzt von einem Dutzend Frauen umstanden war. Und Mrs. Pimples dröhnendes Organ übertönte das Schnattern der anderen. »Was meinst du, was ist daran Besonderes? Was hat denn dieses Baby mit den Apachen zu tun?« »Seine Eltern sind von den Apachen entführt worden. Nur das Baby haben die zurückgelassen und den Esel natürlich«, meinte Lemmy. Und Tornado-Jack nickte immer beifällig. Snuffy sah Tornado-Jack verwundert an und meinte: »Hast du ‘ne Feder im Genick? Was nickst du immer so?« Tornado-Jack rollte mit den Augen, sagte aber nichts. »Also paßt auf! Der Sache gehen wir nach. Sattelt eure Gäule, wir reiten los. Und dann, wenn es so ist, wie ich es mir denke, nehmen wir die Sache mal in die Hand. Apachen, daß ich nicht lache! Mein Gott, so was steckt doch unsereiner in die Tasche!« Und während die Frauen von Purple City lamentierend um den Eselswagen herumstanden und Mrs. Pimple Anweisungen gab, wie wohl das Baby am besten zu versorgen sei, rückten drei streitbare Mannen auf ihren stolzen Rössern aus der Stadt heraus. Voran Tornado-Jack, neben ihm der prächtige Lemmy, unter dessen Last sein Pferd schnaufte und stampfte, als hätte es eine Lokomotive im Sattel. Und auf der anderen Seite Snuffy, der wie ein Fragezeichen im Sattel hockte, hin und her
schaukelte und einen Grashalm vom linken zum rechten Mundwinkel balancierte. Aus schmalen Augen beobachtete Snuffy die Prärielandschaft und meinte: »Wenn mich nicht alles täuscht und ich nicht vom Affen gebissen worden bin, dann haben wir in einer halben Stunde den ersten Indianerabdruck gefunden. Und wenn wir die Spur haben, dann werden wir sofort damit anfangen, ihnen eine Falle zu stellen. Ich werde dafür sorgen, daß sie mir folgen und dann in die Falle hineinreiten. Also, ihr wißt Bescheid!« Lemmy sah ihn begriffsstutzig an. »Ich weiß überhaupt nicht Bescheid«, meinte er. »Ich kann mich auch nicht erinnern, daß du jemals über irgend etwas Bescheid gewußt hättest«, erwiderte Snuffy und blickte dann auf Tornado-Jack. »Aber du hast es sicher verstanden?« Tornado-Jack zuckte die Schultern. »Verstanden? Ja, was denn?« »Ich sage ja, man muß alles allein machen«, meinte Snuffy, »da sieht man es mal wieder. Nun gut. Ich werde also zu den Apachen reiten. Und dann werde ich dafür sorgen, daß sie mir folgen. Und ihr beide, ihr werdet im Canyon eine Falle anlegen, damit sie in diese Falle hineingeraten. Aber vorher müssen wir sie noch etwas durcheinanderbringen. Und ich sage ja, wir werden bald auf sie stoßen. Ich sehe Spuren dort vorn.« Tatsächlich konnten sie wenig später den Konvoi der Indianer sehen. Voran ritten die Krieger, dahinter kamen mit den Packtieren und Schleppschlitten die Frauen und Kinder. Und ganz am Schluß hatten sie einen Wagen. Aber das war kein Wagen, der den Indianern gehörte. Vielmehr sah er genau aus wie ein Farmerwagen. Und auf ihm befanden sich einige Kisten. Die waren mit Stricken festgezurrt. Auf dem Bock des Wagens aber saß ein Indianer, der die Zügel der Pferde hielt
»Das ist Jim Randalls Wagen«, meinte Lemmy. »Und weißt du auch, was drauf ist?« fragte er und sah Tornado-Jack an. Aber Tornado-Jack konnte nur die Schultern zucken. So genau war er mit den Verhältnissen in Purple City und Umgebung noch nicht vertraut. »Warum fragst du ihn? Er weiß es nicht. Frag mich!« meinte Snuffy. »Ich kann dir auch sagen, was drauf ist. Es sind Gewehre. Er hat doch die Gewehre transportiert für die Soldaten.« »Welche Soldaten?« fragte Lemmy. »Die Soldaten, die nächste Woche in die Stadt kommen sollen. Und die erhalten hier Gewehre. Und diese Gewehre sollte Randall mit seinem Wagen in die Stadt bringen und dem Sheriff übergeben. Die Indianer müssen das gewußt haben, denn jetzt haben sie die Gewehre. Aber nicht mehr lange.« »Warum nicht mehr lange?« fragte Lemmy einfältig. Und auch Tornado-Jack machte kein sehr geistreiches Gesicht. Snuffy grinste. »Wenn man mit Geist gesegnet ist wie ich, dann steht man über den vielen Dummen im Lande. Also auch über dir, Lemmy. Von dir, Jack, will ich noch nicht reden, weil ich noch nicht weiß, was du in deinem Schädel hast, ob nun Stroh oder das, was manche Gehirn nennen. Wir werden ihnen den Wagen natürlich abnehmen. Was denkt ihr denn?« »Aber wie?« fragte Lemmy. »Das laß meine Sorge sein. Also paßt mal auf, Männer!« Snuffy schnippte sich mit dem Finger den Hut ins Gesicht, machte eine kühne Handbewegung wie ein berühmter Feldherr und deutete dann auf die in der Ferne dahinschwindende Kolonne der Indianer. »Sie fahren genau in den Canyon.« »Dort können wir sie überfallen!« rief Lemmy. »Du Narr! Das sind mehr als zwanzig und wir sind nur drei.«
»Aber wollten wir…«, begann Tornado-Jack, doch Snuffy winkte herrisch ab. Jetzt war er es, der redete, und da durfte ihn niemand stören. »Wir werden sie nicht überfallen. Wir werden ihnen lediglich die Gewehre abnehmen, weil wir die genau dort brauchen, wo die Indianer sie hinbringen, nämlich im Canyon. Den Wagen lassen wir ihnen. Das werde ich alles regeln. Und jetzt, Jungs, mir nach. Sobald die Indianer den Canyon erreicht haben, müssen wir selbst auch schon da sein. Wir nehmen also den Umweg. Lemmy, du weißt, wohin wir da reiten müssen, so daß wir noch vor den Indianern am Canyon sind. Und nachher tut ihr nur, was ich sage.« Die beiden sahen ihn gläubig an. Tornado-Jack nickte, und Lemmy meinte ehrfurchtsvoll: »Du bist wirklich ein heller Kopf, Snuffy.« Snuffy nickte selbstbewußt und meinte geschmeichelt: »Na ja, ich war schon als kleines Kind sehr klug. Und so etwas steigert sich.« *** Der Indianer auf dem Wagen hatte sich in einen Poncho gehüllt und trug einen Topfhut mit einer Feder daran. Verkrümmt hockte er auf dem Wagenbock, hielt den Kopf nach unten, denn der aufwogende Staub, den die vielen Hufe vor ihm verursachten, nahm ihm fast den Atem. Der Wagen rumpelte, und das Gepolter schläferte den Mann ein. Plötzlich preßte sich etwas vor das Gesicht des Indianers und zugleich wurde die Staubwolke vor dem Wagen noch undurchdringlicher. Sie hüllte das Gefährt sekundenlang völlig ein. Und dann, als sich der Staub etwas legte, da saß wieder ein Mann auf dem Bock, zusammengekrümmt mit einem Topfhut auf dem Kopf und einem Poncho um die Schultern.
Wenn man etwas genauer hinblickte, konnte man sehen, daß dieser »Indianer« eine recht helle Haut im Nacken und im Gesicht zu haben schien. Auch die Hände waren gar nicht mehr so dunkel wie bei jenem Indianer vorhin. Und auf einmal war noch ein zweiter Mann auf dem Wagen, hinten auf der Pritsche hockte er. Er tat etwas ganz Eigenartiges. Er nahm eine Kiste, hob sie vom Wagen und ließ sie hinten herunterfallen. Dann nahm er die nächste und dann wieder eine, während wieder dicke Staubwolken hochwirbelten und den Wagen gänzlich einhüllten. Dann aber, als die letzte Kiste vom Wagen verschwunden war, drehte sich der »Indianer« auf dem Bock nur um, nickte beifällig, während der zweite Mann, der einen gewaltigen Schnauzbart trug, jetzt vom Wagen sprang und in dem Dunst des Staubes zurückblieb. Der Wagen rumpelte leer und leicht weiter, und die Pferde quittierten es damit voller Dankbarkeit, daß sie schneller gingen, ohne daß der Fahrer sie angetrieben hätte. Die lange Kette der Indianer, die mit ihrem Troß unterwegs waren, zog aus dem Canyon heraus, weiter auf offene Prärie, und immer noch ratterte der Wagen am Schluß. Und immer noch hockte jener Mann auf dem Bock. Doch plötzlich tauchte neben dem Wagen ein gesatteltes, reiterloses Pferd auf. Als es da in gleicher Höhe mit dem Wagenbock dahintrabte, da richtete sich der »Indianer« auf, streifte die Decke ab, die er sich umgehüllt hatte, schleuderte den Topfhut mit der Feder durch die Luft, stieß einen wilden Schrei aus und sprang mit einem Hechtsprung vom Bock direkt zum Sattel seines Pferdes, denn dieser »Indianer« war niemand anders als Snuffy. Sein wilder Schrei alarmierte die ganze Indianerschar. Und nun jagte Snuffy auf seiner Nelly dahin, raste in die Prärie hinaus, und die Indianer brauchten eine lange Zeit von Schrecksekunden, bis sie begriffen hatten, was sich hier tat, dann aber fegte die Schar von zwanzig Kriegern Snuffy nach.
Aber Snuffy war schnell. Seine Nelly zeigte den Rothäuten, was eine Harke ist. Und wer geglaubt hatte, dieser Kleiderständer sei nicht in der Lage, einen Zahn zuzulegen, der hatte sich ganz gewaltig ins Bein geschnitten. Der Vorsprung, den Snuffy herausholte, wurde immer größer. Und die Indianer merkten gar nicht, daß er in einem weiten Bogen ritt und jetzt wieder auf den Canyon zuhielt. Aber dann, noch weit vom Canyon, erreichte Snuffy eine Stelle, wo sich der Weg teilte. Da ging es nämlich im ausgetrockneten Flußbett weiter zum Canyon hin, aber ebensogut konnten seine Verfolger annehmen, er sei auf dem Postweg geritten, der hier das Flußbett kreuzte. Der Postweg führte nach rechts auf Purple zu, aber auf ihm ritt Snuffy nicht. Er jagte vielmehr das ausgetrocknete Flußbett entlang zum Canyon hin, wo seine Freunde bereits die Falle vorbereiteten. Die Schar der Krieger aber, als sie jene Stelle erreichte, wo der Weg den Fluß kreuzte, geriet in großen Zweifel. Der alte Häuptling kratzte sich am Kopf und auch an anderen Körperteilen, kam aber nicht zu der richtigen Eingebung, wohin denn wohl Snuffy geritten sein konnte. Und so sehr sie sich auch auf die Bäuche legten und millimeternahe am Boden nach Spuren suchten, sie wurden nicht schlau daraus, wohin Snuffy geritten sein mochte. *** Der Balken war so an die zehn Meter lang. Lemmy und Jack hatten die vierzig erbeuteten Gewehre nebeneinander darauf festgebunden. Indessen verlegte Snuffy die Schnur bis zu der Stelle, wo Lemmy das Seil quer über den Canyon gespannt hatte. Die Sache war einfach genial.
Und weil es Lemmy so richtig immer noch nicht kapiert hatte, erklärte es ihm Snuffy in seiner bekannt beherrschten und ruhigen Art folgendermaßen: »Du ausgesucht dämlicher Blödmann! Ich habe dir gesagt, daß sie von dort in den Canyon kommen. Sie werden wie verrückt hineinreiten, weil sie mich ja verfolgen wollen. Dich können wir nicht dazu nehmen. Dich halten sie glatt für ein entlaufenes Hausschwein. Also, sie kommen in den Canyon, knallen gegen das Seil, und was geschieht?« Lemmy sah ihn begriffsstutzig an. Snuffy nickte, als hätte er etwas anderes gar nicht erwartet. »Ich wußte es. Sieben Jahre in eine Klasse, mein Junge, und das kann nur eine Baumschule gewesen sein. – Also, wenn sie gegen das Seil knallen, wird es nach vorn gerissen und zieht dort den Stein vom Sims. Fällt er herab, zieht er die Schnur mit, die du eben an ihm festgemacht hast. Die Schnur aber läuft oben über die Rolle, die Jack angebracht hat. Und von da hierher. Und hier zieht sie einen Winkel. Und dieser Winkel bewegt eine lange Stange, und die wiederum bewegt sämtliche Abzüge an allen vierzig Gewehren nach hinten. Und damit werden alle Schüsse mit einem Male ausgelöst. Ist das in dein Grasmückenhirn vorgedrungen?« Lemmy nickte, obgleich es ihm so ganz noch nicht klar war. »Wird schon stimmen«, meinte er, »wenn du es sagst…« »Hör mal zu, geliebter Lemmy. Wenn sie kommen, und wenn sie hier in diese Falle rennen, können ja drei, vier oder fünf trotzdem ungeschoren davonkommen und kehrtmachen. Deshalb wirst du mit Jack dort hinten auf dem Felsen warten und ihnen mit dieser Flinte Saures geben.« »Saures?« »Ja, Saures! Ich habe sie mit Weinstein-Stücken geladen.« »Und die Gewehre hier, alle vierzig?« »Mit Cayenne-Pfeffer, dem schärfsten, den es gibt. Sie werden wie die Apachen tanzen.«
»Aber es sind doch Apachen, hat Jack gesagt«, meinte Lemmy verständnislos. »Eben drum! Und jetzt bewege dich, nimm die Flinte!« »Aber Jack sagt, sie wären sehr böse, die Apachen.« »Mit einer Ladung Cayenne-Pfeffer unter der Haut vergessen sie das wieder«, meinte Snuffy. Und dann gingen sie in Deckung. Snuffy, dem die ihn verfolgenden Apachen versprochen hatten, seine Haut an ihrem Wigwam zu rösten, hatte sich auf Nelly, seine Stute, gepflanzt und harrte der Dinge, die da kommen sollten. Und weil er überhaupt keine Sekunde daran zweifelte, daß die Apachen gleich auftauchen mußten, sah er sich nicht einmal um, als Hufschlag im Canyon erscholl. Er trieb Nelly an. Und weil Nelly von Streß nie etwas gehalten hatte, dauerte das seine Zeit. Snuffy bekam schließlich doch ihren Geländegang herein, und sie tat etwas für die Figur. Mehr aus Routine als aus Zweifel sah sich Snuffy um. Da wäre ihm doch verdammt der Kloß im Halse steckengeblieben, wenn er einen dort gehabt hätte. Das waren doch nicht die Apachen, Kreuzkieselanderwanddonnerlittchen! Das war doch Hedy Wonder, die schönste Frau zwischen der Sierra Nevada und den Sümpfen von Florida. Herrje, nun bleib doch stehen, Mädchen! Halte deinen Wagen, geliebtes Kind! Das alles wollte ihr Snuffy zuschreien, aber er brachte nichts davon heraus. Auch wenn es den Kloß gar nicht gab, der da im Halse stecken sollte. Doch eines tröstete Snuffy. Hedy war nicht allein. Neben ihr saß dieses Ungeheuer von Frau, diese Mrs. Pimple. Auch jetzt kam sie Snuffy wieder vor wie vier Frauen mit einem Kopf. Gegen sie war Lemmy ja direkt ein Skelett. Daß so etwas wie Mrs. Pimple auf einem Wagen sitzen durfte, den nur zwei Pferde zogen, grenzte bereits an Tierschinderei. Also das, das war ja…! Aber was tat denn Jack? O Jack, du
herrlicher Bruder, du wunderbarer Galgenvogel, diese Idee, wunderschön! Jack hatte nämlich von der Felsnase aus, auf der er stand, sein Lasso geschwungen. Und schwupp, da flog es schon um den kurvenreichen, so herrlich geformten Oberkörper der schönsten Frau zwischen der Beringsee und Kap Hoorn. Und noch mal, schwupp, da hatte doch Freund Jack mit Lemmys Hilfe die geliebte, angebetete mit einem so traumhaft schönen Leib beglückte Hedy in die Luft gezogen. Und Mrs. Pimple tat einen Schrei, der sich anhörte wie das Brunstgebrüll eines besonders großgeratenen afrikanischen Elefanten. Ja, und dann fuhr Mrs. Pimple, die vorhin Snuffy noch einen Lumpenkerl und Sittenstrolch geheißen hatte, ihrem wunderbaren Schicksal entgegen. Sie fuhr und fuhr, und ihre Pferde durchbrachen das Seil… Da geschah es! Über die Köpfe der Pferdchen hinweg fegten vierzig mal hundert Pfefferkörner vom schärfsten Cayenne-Pfeffer, auch Chili genannt, in die Cholesteringebirge der lieben Mrs. Pimple hinein. Ein Pfeffersteak war sie ja nun nicht, dazu war sie einfach zu sehr in Fett gepackt, aber vielleicht ein dänischer Rollbraten. Mrs. Pimple zuckte in die Höhe, breitete die Arme aus und machte einen Salto vom Wagen, um den sie die besten Kaskadeure aller Zirkusse dieser Welt beneidet hätten. Und dann tanzte sie! Es war himmlisch, fand Snuffy. Und er entsann sich all der bösen, bösen Verwünschungen, die Mrs. Pimple ausgestoßen hatte. Doch jetzt kam die Rache. Die blutdürstige Rache! Ergriffen sahen die drei zu, wie Mrs. Pimple in den Genuß von einem halben Kilo Pfeffer kam, das ihr auf die neueste medizinische Methode subkutan – also unter die Haut, wie der abgebrochene Medizinstudent sagt – ins saftige Fett ihres Astralleibchens geblasen worden war.
Und sie sang; es war zwar eine Melodie, die Snuffy noch nicht recht kannte, doch die hohen Töne zeigten den enormen Grad von Mrs. Pimples Stimmgewalt. Der Gedanke, dieses musikalische Genie auch materiell zu nutzen, drängte sich geradezu auf. Als sie aber nach einer halben Stunde immer noch sang und tanzte, meinte Lemmy gelangweilt: »Und wie stellt man die wieder ab?« *** Inzwischen hatte sich eine Menge, weitab vom Canyon, ereignet. Da nun der Häuptling der Apachen, Coyoten-Auge, der Annahme gewesen war, jene drei Männer, denen sie folgten, seien den Postweg zur Stadt geritten, raste also die ganze Indianerkavalkade auf das verschlafene Purple City zu. Und da andererseits in Purple City die meisten Männer unter der Führung des wackeren Sheriffs mit einem Aufgebot ritten, um die bedauernswerten Eltern des Babys aus der Hand der Indianer zu befreien, war zu jenem Zeitpunkt kein erwachsener Mann in der Stadt. Und der Sheriff war immer noch viele Meilen weit von Purple City entfernt damit beschäftigt, die Spur der Indianer zu entdecken. Rein zufällig hatte eine Rinderherde mittlerweile diese Spuren gekreuzt. Nun war dem Sheriff guter Rat teuer. Aber inzwischen hatten ja die vereinigten Frauenvereine von Purple City die Stadt fest in der Hand. Nur leider waren sie allesamt damit beschäftigt, sich gegenseitig Ratschläge zu erteilen, wie man das elternlose Baby aufziehen müßte. Und genau in dem Augenblick tauchte die Indianerhorde vor der Stadt auf. Völlig unbemerkt gelang es den Apachen, bis zu den ersten Häusern vorzudringen. Und sie wären weit schneller in die Stadt gekommen, hätten sie nicht ihrerseits Angst
gehabt, einer könnte auf sie schießen, denn ihnen kam das alles hier unheimlich still vor. Sie fürchteten in eine Falle zu tappen, wie Häuptling Coyoten-Auge sehr scharf und logisch folgerte. Aber es war dann doch keine Falle. Und sie hatten fast die Mitte der Stadt erreicht, dort, wo der Saloon stand, als rein zufällig Mrs. Smith aus dem Fenster schaute, aus dem Fenster des großen Wohnzimmers des Dr. Walton. Mrs. Walton war hier in der Stadt so etwas wie die Stellvertreterin Mrs. Pimples. Und da Mrs. Pimple nicht da war, hatte sie jetzt das Sagen. Sie wollte gerade einen neuen Vortrag darüber halten, ob man das Baby linksherum oder rechtsherum wickeln muß, als Mrs. Smith vom Fenster her kreischte: »Apachen!« Die Frauen, die eben noch festgestellt hatten, daß die wahre Zukunft Amerikas in die Hände der Frauen gelegt werden müsse, vergaßen augenblicklich ihre großen Töne. Einen Augenblick lang standen sie alle wie erstarrt mit offenen Mäulern, weit aufgerissenen Augen. Und dann plötzlich reagierten sie alle gleich. Sie kreischten wie am Spieß, stürzten los, rannten sich um. Die eine fiel, die andere flog darüber hinweg, sie rafften sich wieder auf, und in einer wilden Panik versuchten sie alle zugleich durch die Tür zu kommen. Solche großen und breiten Türen besaß Dr. Walton natürlich nicht. Und so wurde das Gekreische mit Schmerzensschreien vermischt, bis es endlich einer gelang, sich durchzuquetschen, sich zu befreien aus diesem Knoten. Und von da an begriffen wohl die anderen, daß es zu gleicher Zeit nicht gelang. Sie rannten alle los, und jede glaubte von der anderen, daß die sich um das Baby kümmern würde. Schließlich waren sie aus dem Raum heraus, und das Baby war wieder allein. Allein in einem großen Wäschekorb, den Mrs. Walton auf den Tisch gestellt hatte. Und da lag es nun und plärrte. Aber
niemand hörte es, denn die Frauen waren in ihrer Panik völlig mit sich beschäftigt. Rannten, stürzten, jagten durch den Hinterhof ins Freie. Und dann quollen sie alle zugleich über die kleine Brücke des Flusses hinweg, eine Brücke, die der Schmied vor Jahren einmal gebaut hatte, die aber mittlerweile vom Zahn der Zeit und vom Rost schwer angenagt war. Und als sie alle zusammen auf der Brücke waren, gab es einen großen Knall, und die Brücke brach zusammen, und die quiekenden und schreienden Frauen purzelten und platschten alle miteinander in die kühle Flut. Nun wäre das ja weiter nicht schlimm gewesen, zumal in jenen Tagen Körperhygiene ohnehin nur eine äußerst untergeordnete Rolle im Tagesablauf eines Westernbürgers gespielt hatte. Aber der Schreck saß den Frauen im Genick. Und als sie dann alle miteinander bis zum Hals im Wasser standen, tauchte plötzlich der halbnackte, fette und nach Tran stinkende Häuptling Coyoten-Auge auf, watschelte bis an den Rand des Flusses, blickte hinunter, rollte mit den Augen, als er die vielen Frauenköpfe gewahrte, schluckte, schüttelte sich, als müßte er einen bösen Geist von sich werfen, aber das, was er da sah, das wich nicht. Das war kein Spuk und kein Traum, dort schwammen, so kam es ihm jedenfalls vor, lauter Frauenköpfe auf dem Wasser. Und was für Frauenköpfe. Waren ihm die Weißen ohnehin schon unheimlich, noch unheimlicher waren ihm die Frauen von den Weißen, ganz besonders dann, wenn sie sich im mittleren Alter befanden und wie Donald Duck miteinander schnatterten und quakten. Genau in diesem Augenblick stießen alle Frauen wie auf ein geheimes Kommando hin einen spitzen, Mark und Bein durchdringenden Schrei aus. Coyoten-Auge traf es wie mit einem Tomahawk. Er sah sich um und stellte fest: Ich bin allein.
Vor ihm die Frauenköpfe, die diesen eigenartigen, furchtbaren Schrei ausstießen, und hinter ihm kein Freund, keiner seiner Krieger. Und da packte Coyoten-Auge die Angst. Die Angst vor diesem Spuk, den er da gewahrte, und im übrigen vertrugen seine Nerven das Gekreische der Frauen nicht, das sich anhörte wie der Pfiff der Lokomotive, die unter Bronchitis leidet. Coyoten-Auge warf seine wabbelnden Körpermassen herum und setzte sich auf das Haus zu in Bewegung. Kurzum, er trat den Rückzug an. Und seine Flucht war nicht minder panisch als die der Frauen. Er stürmte zurück ins Haus, und da sah er auf dem Tisch den Korb mit dem Baby. Wütend und enttäuscht darüber, daß er keinen einzigen Mann, keinen, der im fairen Kampfe mit ihm streiten wollte, in Purple City gefunden hatte, packte er den Korb und dachte, vielleicht werden sie jetzt mitkommen, vielleicht werden sie jetzt mit mir kämpfen. Und als er dann auf der anderen Seite die Straße betrat, da wurde er von seinen Kriegern mit fanatischem Gebrüll empfangen. So stand er da, den Korb in den Händen mit dem schreienden Baby drin. Die Krieger schienen wohl anzunehmen, daß ihr Häuptling Coyoten-Auge diesen Korb mit dem Baby drin in einem harten Zweikampf erbeutet hatte. Auf ein Kommando hin nahmen zwei von ihnen CoyotenAuge den Korb ab, und dann holten sie das Baby heraus. Einer nahm es auf den Arm, und Minuten später preschte die ganze Kavalkade in wilder Jagd wieder aus Purple City heraus, denn nun war man fest entschlossen, die Männer, die diese Stadt nach Meinung von Coyoten-Auge schmählich und feige verlassen hatten, aufzuspüren und zum Kampf zu stellen. Da plötzlich entdeckte der Späher der Gruppe, der Unterhäuptling Falkennase, die Spuren eines Wagens. Und sofort stiebte die ganze Indianerschar mit wildem Gejohle dieser Wagenspur nach. Vorneweg Falkennase, der den
Pfadfinder bildete, und dann Coyoten-Auge und hinter ihm die anderen, die alle miteinander fest entschlossen waren, die Weißen zum alles entscheidenden Duell zu stellen. Einer dieser Krieger trug das Baby im Arm, das aus Leibeskräften schrie, bis es dann so viel Staub geschluckt hatte, daß es dazu gar nicht mehr imstande war. Und so fegte die Indianerhorde wie Lützows wilde verwegene Jagd auf den Canyon zu, erreichte ihn, und nun zog Falkennase, der die Szene als erster erspäht hatte, die Schnellbremse. Coyoten-Auge reagierte wie immer ein wenig langsamer, prallte mit seinem Pferd auf das von Falkennase auf und flog mit dem Gesicht gegen den Rücken des knochigen, hageren Kriegers. In dieser Situation war Coyoten-Auge leider nicht imstande, das wunderbare zu erblicken, was sich den Augen der anderen bot, die etwas umsichtiger gestoppt hatten. Da tanzte jemand mitten im Canyon. Und es war ein atemberaubender, ein wunderbarer Tanz mit Gesang. So schön und so faszinierend, daß die Krieger wie gebannt darauf starrten, sich bewundernd über die Lippen leckten und diese umfangreiche Gestalt, die sich dort im Kreise drehte und so herrliche Gesangstöne von sich gab, wie eine nackte Göttin bewunderten. Mittlerweile hatte auch Coyoten-Auge seine Gesichtspartie wieder so weit massieren können, daß er sich in der Lage befand, über die Schulter von Falkennase hinweg die tanzende und singende Mrs. Pimple zu betrachten. Die Apachen lauschten verzückt mit verklärten Blicken. Coyoten-Auge hielt die Hände über seinem umfangreichen Bauch gefaltet und murmelte in seiner Apachensprache: »Wie schön, ich muß sie haben.« Ich muß sie besitzen, dachte er. Und zugleich mit dieser Überlegung reifte der Entschluß, diese wunderschöne Sängerin, die so dick war wie
vier Frauen, wie einen Schatz zu erbeuten, mitzunehmen in sein Indianerdorf und seinen Frauen und Kindern vorzustellen wie ein Wunder der Natur. Denn so etwas hatte Coyoten-Auge noch nie erblickt. Ein Mensch konnte dick sein, er hatte schon viele dicke Menschen gesehen. Aber so einem VierfachMenschen war er noch nie begegnet. Und dazu einem, der so wunderschön tanzen konnte und so herrlich sang. Den Grund für die Verzückung von Mrs. Pimple kannte er freilich nicht. Aber er versprach sich einiges davon, sollte es ihm gelingen, diese herrliche Tänzerin, in der die Körper von vier Menschen vereint waren und die so wunderschön sang, mitzunehmen und für immer zu behalten. Die Weißen konnten nicht das alleinige Recht auf so etwas Herrliches haben. Aus diesem Grunde rief Coyoten-Auge mit schmetternder Stimme plötzlich: »Wir wollen sie erbeuten! Männer, mir nach!« Und dann stiebte die ganze Horde auf Mrs. Pimple zu. Und zurück blieb nur das Baby, das da in eine Decke gehüllt am Boden lag, jetzt nicht mehr schrie, sondern aus großen Augen auf diese verrückte Welt starrte, ohne zu begreifen, was da überhaupt geschah. *** Als Lemmy angesichts der Indianer wie ein Schwein quiekte und Jack grimmig wie ein Tiger grollte, hatte Snuffy wie immer schon den Plan, wie sie sich aus der Gefahr retten konnten. Und ganz besonders war Hedy, der Traum seiner schlaflosen Nächte, dabei Mittelpunkt all seiner Gedanken. Bevor Jack überhaupt begriffen hatte, umschlang Snuffy das verdattert dastehende und aus schreckgeweiteten Augen auf die Indianer blickende Mädchen. Er packte sie, riß sie mit und keuchte seinen beiden Partnern zu:
»Nichts wie weg! Los, rüber in die Höhle. Du, Lemmy, nimm die Gäule und reite ein Stück weg. Ich bring’ das Mädchen in Sicherheit!« Er stürmte los, und Hedy Wonder, die jetzt allmählich zu begreifen begann, ließ sich nicht mehr wie eine Puppe tragen, sondern rannte neben ihm her. Und während Snuffy das Mädchen in eine Höhle brachte und in die tiefe Finsternis dieses Verstecks hineinführte, jagten draußen Lemmy und Jack mit den Pferden vorbei. »Bleiben Sie hier«, flüsterte Snuffy. »Hier sind Sie sicher. Gehen Sie nicht hinaus. Wir holen Sie nachher hier weg. Keine Angst, es passiert Ihnen nichts.« »Oh, Sie sind so tapfer«, flötete das Mädchen, »so herrlich tapfer.« Snuffy grinste geschmeichelt. Am liebsten wäre er bei ihr geblieben, um ihr die Zeit zu vertreiben. Wie er das machen mußte, war ihm wohlvertraut. »Die Pflicht ruft!« rief er theatralisch und stürmte wieder ins Freie. Und während in der Schlucht Mrs. Pimple kreischte und schrie, erreichte Snuffy seine beiden Partner, die sein Pferd für ihn bereithielten. Er schwang sich in den Sattel und rief den beiden anderen zu: »Los, im Bogen um den Canyon herum! Und dann sind wir in ihrem Rücken.« »Bist du verrückt? Willst du sie angreifen?« rief Jack. »Blödsinn, sie werden nicht hinter sich gucken. Sie werden denken, wir sind vor ihnen. Und außerdem haben sie Mrs. Pimple. Und da haben sie was, das reicht für ein paar Tage.« Sie lauschten jetzt alle drei und hörten die Hilfeschreie und das Gekreische der dicken Frau, der die Indianer im Grunde gar nichts Böses wollten, im Gegenteil, für sie war sie so etwas wie eine Göttin, die sie verehrten, die sie nur für sich allein
besitzen wollten, deshalb auf einen Wagen verladen hatten, um sie mitzunehmen. Da ratterte das Gefährt schon, begleitet von den wilden Schreien der Indianer, den Canyon entlang. Mrs. Pimple ahnte das Allerschlimmste und schrie aus Leibeskräften. Aber gerade diese Schreie hielt Häuptling Coyoten-Auge für maßlose Begeisterung. Er und seine Männer stimmten in diesen Gesang ein, und so schrien sie dann im Chor, so sehr, daß es sogar die Geier am Himmel verschreckte und sie in eiliger Flucht davonstrebten. Während die ganze Indianerhorde mit Getöse den Canyon verließ und sich irgendwo in der Prärie verlor, trafen Snuffy, Lemmy und Jack an der Stelle ein, wo die Indianer das Baby zurückgelassen hatten, dessen Existenz bei ihnen wohl völlig in Vergessenheit geraten war, denn sie besaßen ja jetzt Mrs. Pimple. Eine Vierfach-Frau war sie, konnte nicht nur den Häuptling Coyoten-Auge begeistern, das trieb den ganzen Stamm in Verzückung. So etwas hatten sie noch nie gesehen. Es war, als hätten sie ein Wesen von einem anderen Stern erbeutet. Ihr Geschrei wurde leiser, entfernte sich mehr und mehr, und Snuffy blickte Jack an, sah dann auf Lemmy und schließlich auf das Baby, das am Boden lag, und meinte: »Träume ich das oder liegt da wirklich ein Baby?« »Es liegt wirklich eins da«, meinte Lemmy, rutschte von seinem Pferd, was die Stute mit einem dankbaren Wiehern quittierte. Und dann watschelte Lemmy auf das Baby zu, beugte sich etwas nach vorn, so daß man Angst bekommen mußte, daß er infolge seines dicken Bauches das Übergewicht bekam. Aber dann ergriffen seine Patschhände das Baby, hoben es sanft auf, und über das Mondgesicht Lemmys ging ein Honigbrot-Strahlen, daß Snuffy bissig meinte: »Du fühlst dich wohl Mutter, was?« »Nö«, meinte Lemmy, »aber es ist doch etwas Niedliches, oder?«
Jack, der wie immer ein grimmiges Gesicht machte, knurrte pessimistisch: »Wir bekommen noch einen Haufen Scherereien damit. Was sollen wir mit dem Baby?« »Wir können’s ja nicht einfach liegenlassen«, meinte Lemmy. »Und was sollen wir damit?« fragte Jack wieder. »Auf alle Fälle hat es Durst«, stellte Snuffy fest, praktisch, wie er nun mal veranlagt war. »Hast du nichts mehr in der Feldflasche?« meinte Lemmy naiv. »Du Idiot!« fuhr ihn Snuffy an. »Kleine Kinder trinken doch nicht aus der Feldflasche und schon gar nicht diese Brühe, die du dazu noch mit Fusel versetzt hast.« »Kleine Kinder trinken Milch, nicht wahr?« fragte Lemmy. »Natürlich trinken sie Milch!« bestätigte ihm Snuffy. »Ich kann mir ja vorstellen, daß du es von dir selber nicht mehr weißt. So was hast du doch schon mal gesehen, und zwar trinken sie es von der Brust der Mutter.« »Hier ist aber keine Mutter«, meinte Jack. »Am besten bringen wir es in die Stadt zu den Frauen. Die Apachen haben es von dort weggeholt« »Bis dahin ist es verdurstet«, erklärte Snuffy. »So lange können wir nicht warten, es hat Durst. Also versuch es schon mal, Lemmy, ob es nicht von deiner Flasche trinkt. Und wenn zehnmal ‘n bißchen Fusel drin ist, das macht ja nichts. Ein paar Tropfen, damit es uns nicht verdurstet.« »Ich habe auch noch eine Flasche mit klarem Wasser«, meinte Lemmy, ging zu seinem Pferd, schnallte mit einer Hand die Flasche los, packte den Korken mit den Zähnen und zog ihn heraus. Dann wollte er dem Baby die Flasche an den Mund setzen. Aber es war sehr schwierig. Lemmy schnaufte wie eine altersschwache Lokomotive, sah Jack hilflos an und machte
dabei Augen, daß er Snuffy irgendwie an einen liebeskranken Dackel erinnerte. »Es trinkt nicht!« stöhnte Lemmy gequält, und sein riesiges Mondgesicht war Zeugnis menschlichen Unglücks auf dieser Welt. Die riesigen Kohlenschaufelhände hielten das Baby, als könnte es jeden Augenblick in zwei Teile zerbrechen. Das Baby hatte Durst, ganz unzweifelhaft. Es schnuckelte mit dem kleinen Mund an Lemmys Hemdbrust herum. Und dieser Anblick brachte dann Snuffy auf die richtige Idee. »Jungs!« krähte er mit seiner unnachahmlichen Poseidonstimme. »Jungs, er muß die Brust freimachen. Lemmy, mein Freund, Brust raus, du wirst erschossen. Los, das Hemd aus!« »Brust? Ich habe doch, zum Teufel eins, keine Milch!« protestierte Lemmy, der wieder einmal nichts begriff. Sogar Jack hatte mit dem Begreifen seine Schwierigkeiten. »Warum soll er seine Brust…« »Er soll doch die Mutterbrust nur vortäuschen, du Idiot! Und wenn der Kleine…« »Der Kleine? Das Gesicht sieht wie von ‘nem Mädchen aus«, meinte Jack. »Quatsch, das kannst du doch am Gesicht gar nicht erkennen in dem Alter! Da müssen wir schon mal die Verpackung aufmachen, wenn wir das sehen wollen«, meinte Snuffy. »Das ist doch jetzt piepwurschtegal!« rief Lemmy. »Also, was soll ich machen?« Snuffy trat neben ihn. »Wenn die Kleine oder der Kleine denkt, jetzt kommt was, dann schnuckelt sie oder er doch bei dir an der Brust herum, und dann lassen wir durch einen Strohhalm etwas von dem Wasser in ihren oder seinen Mund laufen. Dann verschluckt sich das Baby auch nicht.« Jack nickte beifällig, und auch Lemmy schien nun endlich begriffen zu haben. Er öffnete sein Hemd, und da wurden dann
Snuffy und Jack des ungepflegten Urwaldes ansichtig, der sich vom gewaltigen Monte Specko, sprich Lemmys Bauch, bis hinauf zu den beiden kleineren Hügeln hinzog, von denen man im übrigen kaum etwas sehen konnte. Lemmy verfügte tatsächlich über eine verblüffend gut erhaltene Bewaldung. »Das muß er rasieren, ich werd’ das mal machen«, meinte Snuffy grinsend. »Nur über meine Leiche!« schrie Lemmy entsetzt, daß man seine herrliche Mannesbrust zum Kahlschlag verarbeiten wollte. »Ich rasiere grundsätzlich auch Leichen«, erwiderte Snuffy und machte sich an seiner Satteltasche zu schaffen. »Bei mir sieht es aber auch nicht besser aus«, meinte Jack, der sein Hemd geöffnet hatte und auf die Brust blickte. »Und bei dir, Snuffy?« Snuffy richtete sich, das Rasiermesser in der Linken, wieder auf. »Ich?« meinte er. Er öffnete sein Hemd. Und sie sahen zwar einen haarlosen Brustkorb, aber es war zugleich der Anblick eines mit Haut behängten Gerippes. Außer zwei vertrockneten Klingelknöpfen wies nichts darauf hin, daß Snuffy so etwas wie eine Brust zu haben schien. Im Gegenteil, es sah eher aus wie die Klaviatur eines Pianos. »Jetzt weiß ich endlich, wo ich meinen Hut aufhängen kann, wenn ich den mal absetze«, meinte Jack und begann polternd zu lachen. »Also, nur bei dir, Dicker. Du hast als einziger von uns eine Brust, die fast die von einer Frau sein könnte. Bis auf die Haare.« »Nimm das Kind, Jack, ich schreite jetzt zur Tat!« rief Snuffy und wedelte mit dem Rasiermesser in der Luft herum. »Ich trete dir in den Bauch, wenn du nur einen Schritt näher kommst. Hast du gehört, du verdammter Hund, du…« »Stillhalten, sonst wird alles abgeputzt«, meinte Snuffy. »Ja, sieh mal, wie schön das wird.« Und er begann zu rasieren.
»Wir machen der Kleinen einen richtigen Spielplatz in deinem Gemüsegarten, Lemmy. Und wie hell die Haut ist, fast weiß, Lemmy. Wie von einem Schweinchen.« »Verdammt, hast du mit dem Messer zuletzt Bäume gefällt? Es ist mir, als würdest du die Haare einzeln aus meiner Brust reißen«, keuchte Lemmy mit schmerzverzerrtem Gesicht. Snuffy nickte ergriffen. »Der arme, arme Lemmy. Wir werden ihm von seinen abgeschnittenen Haaren einen Tee machen müssen, damit sie ihm nachher wieder wachsen.« »Einen Tee?« fragte Lemmy und machte Augen wie Untertassen. »Einen Tee?« wunderte sich auch Jack. Aber wie immer spielte er den grimmigen Bullenbeißer, wenn er nicht ganz genau wußte, ob er verladen werden sollte. Snuffy blieb todernst. Und während er den Kahlschlag auf Lemmys Brustwarzen auf Rittergutsdimension brachte, erwiderte er: »Ja, drei Stunden in kochendes Wasser, dann mit Petersilie und Salz abschmecken, etwas Dill daran, Bohnenkraut, ein Quentchen Kürbis dranschneiden und schließlich ordentlich durchrühren.« »Und dann?« fragte Lemmy gespannt. Er merkte gar nicht mehr, wie stumpf Snuffys Messer war, als die Rodung fortgesetzt wurde. »Dann mußt du beten.« »Beten?« wunderte sich Lemmy. »Ja, beten ist wichtig. Du mußt beten, daß du den Kot von gelbgestreiften Heuschrecken findest. Nur der Kot von gelbgestreiften Heuschrecken hilft.« »Aha«, meinte Jack. »Heuschrecken! Igittigitt!« prustete Lemmy heraus. »Gelbgestreifte, Lemmy, nur gelbgestreifte«, mahnte Snuffy. »Man braucht etwa den von siebentausendeinhundertvierzehn Stück.«
»Von siebentausendeinhundertvierzehn«, wiederholte Lemmy andächtig. »Genauso ist es«, bestätigte Snuffy. »Und der Kot von denen wird mit dem Tee vermischt, das Ganze angetrocknet und dann auf die zarte Haut gebracht.« »Du meinst dahin, wo du jetzt jedes Haar einzeln abholzt?« fragte Lemmy. »Genau! Und dann mußt du wieder beten. Es wächst nämlich so toll, daß man nie genau im voraus weiß, wann’s damit aufhört. Aber Jack hat ja den Revolver.« »Was, zum Teufel, will Jack mit dem Revolver?« »Er muß das Wachstumskurumflitt aus den neuen Haaren herausschießen.« »Was sagst du?« »Wachstumskurumflitt. Das ist das Zeug, was deine Haare zum Wachsen treibt. Jack schießt einfach die Haare an den Spitzen weg, und dann hört das Gewachse wieder auf – so das müßte reichen – Jack, gib mir die Kleine. Ich werde sie fachgerecht anlegen. Meine Güte, wenn man bei euch nicht alles selber macht. Ihr könnt rein gar nichts!« Jack nickte ergriffen und gab ihm die Kleine. Aber da ging die wohl unsachgemäß verschlossene Windel auf und über Snuffys Hand ergoß sich ein saftig brauner Brei, dessen Geruch Snuffy volle drei Sekunden die Sprache verschlug. Und das wollte wirklich etwas heißen. Als er den Schock überwunden hatte, krähte er voller Unbehagen: »Meine Haut brauchst du nicht zu düngen. Bei mir wachsen sowieso keine Haare mehr auf der Hand. Warum, zum Teufel, du kleines, ungeratenes Weibsstück, machst du ihm nicht nachher auf seinen dicken Wildschweinbauch? Du hast doch gehört, daß er es vertragen kann, damit ihm die Haare wachsen. Aber mir über die Hand zu machen, nun, darüber reden wir noch.«
Er sah sich nach Jack um, der immer noch die Flasche hielt, fauchte ihn an: »Nun mach schon! Wenn es an der Brust nuckelt, mußt du den Strohhalm… O Himmel, jetzt hat er alles ausgeschüttet!« Und da Jack furchtbar lange brauchte, bis er merkte, daß das Wasser restlos im Sandboden verrann, war nun auch der letzte Tropfen Flüssigkeit aus der Flasche heraus, ehe Jack sie aufhob. Er starrte in die Öffnung, drehte die Flasche um, schüttelte daran, als müßte er sich überzeugen, daß sie nun wirklich leer war. »Du bist ein Idiot, Jack!« knurrte Snuffy. »Jetzt sehen wir fein aus. Was machen wir bloß?« Aber Lemmy, der Glückspilz, hatte diesmal die Lösung. Er deutete empor zum Felsen, wo ganz oben ein Dickhornschaf stand und zu ihnen herabspähte. »Schafsmilch!« schrie er. »Schafsmilch müssen wir haben!« Snuffy und Jack folgten seiner Blickrichtung, sahen das Schaf dort oben, und Jack meinte: »Ob die sich so einfach einfangen lassen?« »Einfach bestimmt nicht«, erwiderte Snuffy. »Aber wir brauchen Milch. Wir müssen dieses Schaf haben, damit die Kleine hier Milch bekommt.« »Und wenn es nun ein Bock ist?« fragte Jack. »Na, Böcke haben keine Milch«, erwiderte Snuffy gereizt. Lemmy grinste. »Ich habe ja auch keine und trotzdem hat das Baby gedacht, ich hätte welche. Guck mal, es nuckelt immer noch.« »Ach, hör auf! Jetzt müssen wir erst mal sehen, daß wir dieses Schaf erwischen. Und wo ein Bock ist, da ist auch ein Schaf. Also los, laß es ruhig noch ein bißchen an dir herumnuckeln… Wir müssen sehen, daß wir dieses Vieh dort oben erwischen.« »Als wenn das so einfach wäre!«
»Keiner wirft das Lasso besser als du«, meinte Snuffy und Jack schwoll vor Stolz die Brust ob dieses Lobes. »Mach deine Sache gut, Jack. Es kommt sehr auf dich an.« »Verdammt noch mal«, meinte Jack, »soll das heißen, daß ich allein…« »Ich sagte doch, niemand kann es besser als du. Lemmy und ich, wir würden die Sache nur verderben.« »Und was tust du?« »Ich werde in die Höhle gehen. Hedy Wonder ist ganz sicher schon verdammt einsam. Sie wird Angst haben. Ich werde sie herholen. Und ich will euch etwas sagen. Sie mag ein junges Mädchen sein und keine Erfahrungen haben, aber sie ist eine Frau. Und mit Kindern und Babys kann vor allem eine Frau umgehen.« »Und da hast du mir erst jedes Haar einzeln rausgerissen?« rief Lemmy. »Sie hat ja einen Busen, eine Brust für ein Baby.« »Hör mal«, rief Snuffy entrüstet, »willst du etwa zulassen, daß dieser kleine Balg an einer so formvollendeten Brust wie der von Hedy Wonder herumnuckelt?« »Aber sie hat eine richtige Brust«, meinte Lemmy. »Und bei mir, da ist das ja nur ein Bluff, eine Täuschung. Und außerdem hast du mir die ganzen Haare ausgerissen.« »Ich habe sie dir mit dem Messer abgeschnitten.« »Es hat sich angefühlt, als hättest du sie mir einzeln herausgezogen«, meinte Lemmy. »Ich werde jedenfalls gehen und nach ihr sehen«, meinte Snuffy und entfernte sich. Jack, der sich das Lasso umgehängt hatte, warf erst einen Blick hinauf zu dem Dickhornschaf, das immer noch da oben stand, dann einen auf Snuffy, und schließlich blickte er auf Lemmy, der das Baby hatte. Mit einer Kopfbewegung zu Snuffy hin meinte er: »Der ist vielleicht goldig. Der macht sich jetzt an die Kleine ran, scharf, wie er immer ist, und wir zwei Dummen, wir machen die ganze Arbeit.«
»Glaubst du wirklich, daß er das versucht?« meinte Lemmy naiv. »Und ob er das versucht. Aber ich bin ja ein Mensch. Ich kann keine kleinen Kinder leiden sehen«, meinte Jack. »Ich werde jetzt das Schaf einfangen.« »Und wenn es nun keine Milch hat?« überlegte Lemmy. »Jedes Schaf hat Milch, sofern es einmal ein Junges gehabt hat«, beharrte Lemmy, »Es könnte doch sein, daß es keine Milch mehr hat«, beharrte Lemmy. »Dann haben wir eben mit Zitronen gehandelt«, knurrte Jack. »Wieso mit Zitronen?« wollte Lemmy wissen. »Ach, hör auf!« fuhr ihn Jack an und stapfte davon. Indessen war Snuffy bei der Höhle angekommen, ging hinein, aber die Höhle war leer. »Hallo, Miß Hedy! Wo stecken Sie?« rief er. Niemand antwortete. Und so oft Snuffy den Ruf auch wiederholte, es war nur das Echo der eigenen Stimme, das er hören konnte. Schließlich verließ er die Höhle, blickte sich nervös um, konnte aber Hedy Wonder nirgendwo entdecken. Enttäuscht und besorgt zugleich kletterte er höher den Felsen hinauf, der hier eine Art Kamm bildete. Als er oben auf dem Grat angelangt war, konnte er weit ins Land sehen. So sah er zum Beispiel in der Ferne die Horde Indianer mit dem Wagen, neben dem sie her ritten, und die Staubwolke, die von vielen Pferdehufen emporgewirbelt wurde. Aber dann, als er nach rechts blickte, entdeckte er den Weiher. Es war ein kleiner Rest des großen Sees, der sich dort einmal befunden hatte und auch jedesmal wieder anschwoll, wenn die seltenen Regengüsse erfolgten. In diesem Weiher bewegte sich etwas.
Snuffy traute seinen Augen nicht. Da schwamm etwas, ein riesiger, rosaroter Fisch mit blondem Haar. Nein, zum Teufel, dachte er, das ist kein Fisch, das ist ein Mensch! Und was für einer. Himmel, sieht der gut aus! Und dann wurden Snuffys Augen wie Mikroskope. Er konnte die Einzelheiten erkennen. Was da schwamm, war nicht nur irgendein Mensch, sondern der Traum aller schlaflosen Nächte sämtlicher Männer zwischen Feuerland und dem Nordpol. Es war Hedy Wonder, die die Fluten da unten teilte, die kühn durch das tiefe Naß des Weihers schwamm, und in Snuffys Augen befand sie sich in höchster Lebensgefahr. Erschrocken blickte er hinab und meinte schon die riesigen Saugarme eines gewaltigen Kraken zu sehen oder die Dreieckflosse eines Haies, der Hedy Wonder packen und in die Tiefe reißen würde. Aber nichts dergleichen geschah. Sie schwamm einfach das kurze Stück bis zum anderen Ufer, kehrte um und schwamm wieder zurück. Und wie es schien, gefiel es ihr da unten in dem kühlen Naß. Und noch etwas entdeckte Snuffy. Sie hatte das Bündel ihrer Kleider am Ufer liegen. All ihre Kleider, denn Hedy war splitternackt, so, wie Gott sie erschaffen hatte. Es war zwar ein harmloser Weiher, und wenn sich Hedy Wonder hingestellt hätte, wäre ihr das Wasser höchstens bis zum Bauchnabel gegangen. Doch für Snuffy schwamm sie in einem wilden Meer von unendlicher Tiefe und voller Gefahren. In diesem Augenblick traf Snuffy den selbstlosen Entschluß, Hedy Wonder vor dem grausigen Tod des Ertrinkens oder des Zerfleischtwerdens von irgendwelchen unbekannten Untieren zu retten. Überlegt, getan, so jagte er tiefer und tiefer, rutschte schließlich sogar ab und kollerte das letzte Stück bis zum Ufer des Weihers, kam wieder auf die Füße, entledigte sich seines Hutes, nahm Anlauf und sprang mit einem kühnen Sprung so
elegant wie ein durch die Luft fliegender Sandsack ins Naß hinein. Es tat einen Planscher, das Wasser spritzte hoch, der Gischt glitzerte in der Sonne. Und dann versank Snuffy erst einmal bis zum Grund, wirbelte den angesammelten Morast hoch, kam wieder an die Oberfläche, prustete wie Neptun und spürte dann, daß dieses Gewässer so flach war, daß er bequem darin stehen konnte. Als er sich dann aufrichtete und wie Phoenix aus der Asche emporkam, da hörte er den spitzen Schrei der zu Tode erschrockenen Hedy Wonder, die sich ebenfalls aufgerichtet hatte und sich vergeblich bemühte, ihre Blößen mit den Händen zu bedecken. Bei dieser Gelegenheit stellte Snuffy, der Lebensretter, sehr realistisch fest, daß die ausgezogene Hedy Wonder noch beträchtlich attraktiver war als jene, die er angezogen kannte. Aber da er nun einmal die Rettung Hedys im Sinne hatte, stürzte er planschend auf sie zu, die sie sich jetzt entsetzt herumwarf und ans trockene Ufer zu retten versuchte. Aber in solchen Gewässern zeigte sich, daß die Storchenbeine unseres Freundes Snuffy doch erhebliche Vorzüge gegenüber normalen Gehwerkzeugen besaßen. Der bohnenstangendürre Snuffy holte Hedy sehr rasch ein, zudem noch vom absoluten Rettungswillen und der Nächstenliebe beseelt, und er ergriff sie an den Hüften, und ihr Geschrei war Musik in seinen Ohren, nahm er doch an, daß sie sich vor dem Tode des Ertrinkens fürchtete. Nun hatte er sie schon in den Armen liegen, ein wohliges Gefühl an seiner Heldenbrust, trug sie ans Ufer, triefend, aber glücklich. Um so überraschter war er, als er sie dann auf den Boden stellte und gerade erwartete, sie werde ihn nun mit Dankesbezeugungen überhäufen, als sie statt dessen ausholte
und ihm eine schmierte, daß er das Gefühl hatte, Ostern und Pfingsten fielen auf einen Tag. Als der Anflug einer Gehirnerschütterung von seinem Schädel wich, da war der herrliche Anblick wie ein Spuk verschwunden. Hedy Wonder hatte das Bündel ihrer Kleider gepackt und war hinter einen Busch geflüchtet. Von dort her kreischte sie dem verdattert dreinblickenden Snuffy zu: »Wehe, wenn Sie hierherkommen. Ich bringe Sie um!« Von solch schnödem Undank ernüchtert, grollte Snuffy: »Ich habe Sie retten wollen!« »Retten? Wovor?« fragte sie. »Sie wären ertrunken, ein Hai hätte Sie gefressen!« »In diesem Tümpel gibt es doch keine Haie«, meinte sie. »Und ob es welche gibt. Und Kraken gibt es hier und vieles andere mehr. Sie haben ja keine Ahnung. Und außerdem«, behauptete Snuffy, »soll es hier einen Geist geben. Der lebt vom Fleische junger Mädchen.« Er hatte sein Ziel erreicht. Sie schrie vor Entsetzen. »Und ich hab’ mein Leben riskiert, um Sie zu retten. Und nun haben Sie mir noch ins Gesicht geschlagen. Mir, einem so edel denkenden Menschen.« Snuffy redete noch eine ganze Weile weiter. Und seine Worte trieften vom menschlichen Unglück, von so viel Undank, waren eine einzige lodernde Anklage gegen das ihm widerfahrene Unrecht. Und alles blieb nicht ohne Eindruck. Hedy Wonder hatte ein Herz wie Butter, die vier Tage in der Julisonne gestanden hatte. Eben noch voller Zorn, zerfloß sie jetzt in Tränen des Mitgefühls, rang die Hände und bat Snuffy, den Unglücklichen, um Verzeihung. Snuffy wuchs in diesem Augenblick wie ein Grashalm, neben dem eine Kuh ihren Spinat hatte fallen lassen. Und über sein Gesicht ging ein Grinsen und verursachte viele unzählige Falten wie ein Teich, in den man einen Stein geworfen hatte.
Beglückt ob ihres Mitgefühls, nahm Snuffy die schöne, inzwischen wieder bekleidete Hedy in die Arme, drückte sie an seine knochige Männerbrust und seufzte: »O ja, Sie haben mir übel mitgespielt. Aber ich vergebe Ihnen.« Hedy schaute zu ihm auf, und in ihren großen Augen stand die Bereitschaft, seine Züchtigung hinzunehmen. Und Snuffy war wiederum einmal entschlossen. Die Strafe für ihre Ungezogenheit folgte augenblicklich. Er preßte seine rissigen Lavalippen auf ihren Kirschmund, schlang seine knochigen Arme um ihre Schultern und klammerte die schöne Hedy so fest an sich, daß ihr die Luft ausging. *** Wie selbstverständlich hatte die schöne Hedy sich von dem Augenblick an mit dem Baby beschäftigt, seit sie von Snuffy zu den anderen geführt worden war. Und tatsächlich war es Jack gelungen, ein Dickhornschaf einzufangen. Und Glück über Glück, dieses Schaf hatte ein Euter voller Milch. Und wenn sie das Schaf auch an allen vier Beinen binden mußten, um es zu melken. Snuffy, der Könner, war es gewesen, dem dieses Melken schließlich gelang. Eine Menge von etwa einem halben Glas hatte er dem Euter entrungen, und diese Milch nun, verdünnt mit abgekochtem Wasser, flößte die schöne Hedy dem Baby ein. Sie brauchte dazu weder einen Strohhalm noch sonst irgend etwas, sondern lediglich ihren kleinen Finger. Und es war auch nicht nötig, daß sie dafür die Brust entblößte. Sie tauchte einfach ihren kleinen Finger immer wieder in die Milch und ließ das Baby am kleinen Finger lutschen. Schließlich ließ sie sogar etwas Milch über den Finger laufen, und das Baby saugte wie an der Brust seiner Mutter. Insofern war es keinem der drei Männer vergönnt zu erleben, wie Hedy etwa die Brust entblößte, um das zu tun, was sich die drei vorgestellt hatten.
Und nicht nur bei dieser Gelegenheit stellte sich heraus, daß Hedy ihren Kopf nicht nur dazu hatte, um einen Hut darauf zu setzen, sondern in ihm, zu Lemmys großem Erstaunen, sogar denken konnte. Ein Vorgang, der sich bei Lemmy äußerst selten abspielte. Daher der hohe Grad an Bewunderung. Hedy war nämlich auf die Idee gekommen, das Baby nicht nur zu stillen, sondern ihm auch einmal neue Windeln anzulegen. Zu diesem Zwecke mußte Lemmy sein Hemd hergeben, was er nur widerwillig tat. Denn dieses Hemd sollte nun fortan dem Baby als Windel dienen. Bei dieser Gelegenheit stellte sich heraus, daß dieses Baby, entgegen aller Prophezeiungen, kein Mädchen, sondern ein kleiner Junge war. Die drei Männer starrten beglückt auf das winzige Etwas, das einen Babyjungen von einem Babymädchen unterschied. »Jetzt sind wir zu viert«, meinte Lemmy triumphierend mit einem Seitenblick auf Hedy. »Bildet euch bloß nichts ein«, meinte Hedy. »Und sobald ich hier fertig bin, werden wir das Kind zurück in die Stadt bringen.« »Und ich habe gedacht, wir müssen zuerst mal nach der armen Mrs. Pimple suchen«, erklärte Jack. »Ja, die Ärmste«, erwiderte Hedy, »wir haben noch gar nicht richtig an sie gedacht.« »Stimmt«, gab Snuffy zu. »Legen wir jetzt eine Gedenkminute für Mrs. Pimple ein, und dann reiten wir in die Stadt.« »Was mag nur aus ihr geworden sein?« fragte Hedy. »Keine Ahnung. Tatsache ist nur«, erklärte Snuffy, »daß die Indianer sie nicht zerfleischt haben, sondern nur fortschleppten. Und es sah ganz so aus, als wären sie sehr glücklich, Mrs. Pimple zu besitzen.« »Das begreife ich nicht«, stellte Hedy fest. »Es gibt vieles im Leben«, meinte Snuffy, »das man nicht begreift und das trotzdem eine absolute Wirklichkeit ist. Wir
werden es herausfinden oder auch nicht. Aber auf alle Fälle wird es Mrs. Pimple guttun, wenn sie mal eine Weile bei den Indianern war.« »Wie kann man so etwas sagen?« empörte sich Hedy. »Diese arme Frau.« Lemmy schüttelte den Kopf. »Ich gönne es ihr. Sie ist ein verdammter alter Drachen.« »Nein, Lemmy, sie hat ein Herz wie Gold. Sie sieht nur so grimmig aus, weil sie so dick ist. Aber sie ist gut.« »Dann können sich die Indianer ja freuen. Ich hatte mir direkt Sorge um die Indianer gemacht«, meinte Jack. »Wir wollen hier keine Wurzeln schlagen, keine Familien gründen, sondern werden, sobald Hedy mit dem Einwickeln des Kindes fertig ist, in die Stadt reiten. Schließlich sind wir kein Kinderaufbewahrungsinstitut, sondern eine Mannschaft. Und was tust du, Hedy, wenn wir in der Stadt sind?« wollte Snuffy wissen. Jetzt war es Jack aufgefallen, daß Snuffy Hedy duzte. Er hob überrascht die Augenbrauen hoch, blickte erst Snuffy, dann Hedy an und meinte: »Kennt ihr euch schon länger?« »Länger nicht, aber besser«, erwiderte Snuffy. In Jack war die Eifersucht geweckt. Er machte sein grimmiges Revolvermanngesicht, die Augenbrauen zogen sich zusammen, die Lider senkten sich wie die Rolläden von Millers Store, und dann knurrte er unter seinem Schnauzbart hervor: »Da hab’ ich wohl noch ein Wörtchen mitzureden oder?« Seine Hand senkte sich wie eine Adlerkralle auf den Griff seines Revolvers, von dem, außer Hedy, alle anderen wußten, daß er gerade noch zum Kaffeebohnenzerschlagen taugte. »Vorsicht, Snuffy! Er wird wütend«, mahnte Lemmy. Und Snuffy, der genau wußte, daß sich Jack bei Hedy nur ins Bild setzen wollte, grinste verächtlich. Und in diesem Augenblick sah er die Reiter. Es war eine größere Gruppe, die aus Richtung Stadt kam.
»Wir kriegen Besuch«, meinte er. Und einer plötzlichen Eingebung folgend, sagte er zu Hedy: »Hör mal, Mädchen, versteck dich da hinter dem Busch mit dem Kind.« »Warum denn?« fragte Jack. »Ich kann nicht dafür, daß du immer ein halbes Jahr brauchst, bis du etwas begriffen hast. Aber jetzt halte deine Klappe und mach, was ich dir sage. Und du auch, Lemmy. Ihr habt weder ein Kind noch Hedy gesehen, klar?« »Wenn du es sagst«, meinte Lemmy. Jack sagte gar nichts. Aber sein Blick war ein einziger Vorwurf. Und Gott hörte sein Knurren. Es war das Aufgebot unter der Führung des Sheriffs, das heranstob, während Hedy sich versteckte. Und sie alle hofften, daß der Kleine nicht schreien möge. »Hallo, Männer!« schrie der Sheriff. »Wir sind verdammt hinter den Apachen her!« »Das ehrt euch«, erwiderte Snuffy. »Habt ihr keine Spur von ihnen gesehen?« fragte der Sheriff. Snuffy sah Lemmy an. »Hast du etwas von Apachen gesehen? Ich nicht.« Und das war das Stichwort für Lemmy. Lemmy schüttelte den Kopf, als hätte er das Wort Apachen noch nie in seinem Leben gehört, geschweige denn einen lebenden Apachen gesehen. »Apachen?« wiederholte er und kaute auf jedem einzelnen Buchstaben wie auf einem zähen Steak. »Und du? Hast du Apachen gesehen?« fragte Snuffy Jack. Tornado-Jack schüttelte den Kopf, daß die Spitzen seines mächtigen Schnauzbartes ins Wippen gerieten. »Apachen?« machte auch er. Bei ihm klang es, als handelte es sich um eine bösartige Krankheit. »Aber sie müssen doch, verdammt noch mal, hier gewesen sein!« meinte der Sheriff.
»Wenn sie hiergewesen wären, hätten wir sie ja gesehen. Was ist denn passiert?« »Sie haben die Eltern des Babys freigelassen, aber zum Teufel, das Baby haben sie mitgeschleppt. Und wir waren eben in Purple City. Und rein zufällig ist die Postkutsche angekommen. Und mit der Postkutsche ist der Vater von der jungen Frau angekommen, der Mutter des Babys. Das ist ein Millionär, versteht ihr? Das ist einer von den Rinderkönigen aus Texas, ein vielfacher Millionär. Er bietet zehntausend Dollar für die Wiederauffindung des Babys.« »Zehntausend Dollar!« wiederholten Snuffy, Lemmy und Jack im Chor. »Ja, verdammt! Wer das Baby wiederbringt und von den Apachen befreit, soll zehntausend Dollar kriegen. Nun sind wir ja verdammt hinter dem Baby her, versteht ihr?« »Verstehen wir«, meinte Snuffy. »Bei zehntausend Dollar wäre ich auch hinter dem Baby her.« »Da seht ihr es«, meinte der Sheriff, blickte sich zu seiner Männerschar um und rief: »Also, Männer, dann wollen wir mal…« In diesem Augenblick ertönte ein zaghaftes Krähen hinter einem der Büsche. »Was war das denn?« rief der Sheriff und hielt seine linke Hand trichterförmig hinter das linke Ohr. Snuffy machte ein Gesicht, als könnte er ein Stachelschwein nicht von einem Kinderpopo unterscheiden. »Was soll gewesen sein?« rief er. »Da war doch was, da hat doch was gekräht dort hinten. Es hörte sich an wie ein kleines Kind.« Snuffys Gesicht hatte ein paar Augenblicke lang das Aussehen von flüssigem Bims, Doch plötzlich entspannte es sich, und aus seinen Schalkaugen blitzte es. »Ach«, rief er lachend, »das meinst du. Ach, das sind doch diese Kimikazievögel.«
»Kimikazievögel?« wiederholte der Sheriff verwundert. »Noch nie davon gehört.« »Man wird alt wie eine Kuh und lernt immer noch was dazu«, deklamierte Snuffy mit erhobenem Zeigefinger und fügte hinzu: »Hierzulande nennt man sie auch Babyvögel, weil sie so schreien wie Babys. Sie sind sehr zutraulich. Aber leider haben die Apachen sie weitgehendst ausgerottet. Das ist schon schlimm, denn die Apachen, weißt du, Sheriff, für die ist das eine Delikatesse, die jagen die. Wenn die einen Kimikazievogel nur sehen, werden sie schon verrückt vor Gier, ihn zu fangen, zu rösten und aufzufressen. Es ist ein Jammer mit ihnen.« Snuffy, der vollendete Schauspieler, schüttelte in tiefster Trauer ob des Todes so vieler Kimikazievögel sein müdes Haupt und meinte, den Tränen nahe: »Es wird Zeit, daß wir um die Existenz der Kimikazievögel kämpfen. Schon deshalb müssen wir die Apachen zum Teufel jagen, schon deshalb.« »Also gut, wir haben keine Zeit zu verlieren. Es geht schließlich um zehntausend Dollar«, rief der Sheriff. Und er wandte sich seinen Männern zu. »Auf geht’s, Leute! Wir müssen weiter! Zehntausend Dollar und das Baby. Das ist ein Grund zum Kämpfen. Seid ihr bereit?« »Wir sind bereit!« brüllten die Männer. Und dann stiebten sie davon, ihrem Sheriff nach, der im Geiste schon mit dem Abzählen der zehntausend Dollar begonnen hatte. Als sich der Staub legte, und Hedy Wonder mit dem Baby auf dem Arm hinter dem Busch hervorkam, da blinzelte sie Snuffy zu und meinte: »Ganz schön schlau, du mußt es geahnt haben.« Selbstbewußt meinte Snuffy: »Geahnt? Gewußt! Das hab’ ich von meinem Vater«, erklärte er bescheiden. »Der hatte auch hellseherische Fähigkeiten.« »Du schneidest wieder auf«, behauptete Lemmy. Und Jack meinte dazu:
»Er spielt sich auf. Er macht sich wieder wichtig, unser Schlauberger.« »Ach nein!« rief Snuffy empört und beleidigt zugleich. »Schlauberger nennst du mich. Was hast du denn dazu getan? Was ist dir denn eingefallen? Du hättest doch gleich geschrien und gesagt: ›Hier, da habt ihr das Baby!‹ Was hätte der Sheriff gemacht? Er hätte gesagt: ›Mal schnell her damit! Fein hast du das gemacht, Jack. Du großer Tornado-Jack.‹ Und dann, wer hätte die zehntausend Dollar kassiert? Du vielleicht oder ich oder Hedy oder gar Lemmy? Keiner von uns. In die Röhre geguckt hätten wir. Aber jetzt, jetzt werde ich in die Stadt reiten. Und ich werde mit dem Alten verhandeln. Und dann werden wir ihm das Baby übergeben. Aber erst Geld auf den Tisch. Nur gegen Kasse bekommt er das Baby.« »Und wenn er nicht bezahlt, was machst du dann?« fragte Jack, der immer etwas pessimistisch war. »Dann kriegt er das Baby nicht, ganz einfach.« »Du kannst doch nicht einfach das Baby wieder mitnehmen? Das gehört doch seinen Eltern.« »Jetzt ist es zehntausend Dollar wert«, erklärte Snuffy. »Und wer es haben will, muß zehntausend Dollar bezahlen. So einfach ist das. Hätte der Alte nicht erzählen sollen, daß er zehntausend Dollar ausgeben will. Er hat ja schon den Sheriff und das Aufgebot verrückt gemacht.« »Also, wenn ihr mich fragt«, meinte Hedy, »dann sollte man ihm das Kind geben, wenn er das Geld hat. Aber man sollte es ihm auch geben, wenn er kein Geld hat.« »So ist nicht gewettet!« rief Snuffy. »Er hat zehntausend Dollar geboten, die muß er bezahlen. Das ist wie in einem Spiel. Wenn ich wette und verliere die Wette, muß ich bezahlen. Er wird die Wette verlieren.« »Worauf warten wir noch?« wollte Lemmy wissen. »Reiten wir jetzt oder harren wir aus, bis das nächste Aufgebot auftaucht?«
»Du kommst früh genug an deinen Drink«, erwiderte Snuffy. »Für deinen Anteil von den zehntausend kannst du dich vollaufen lassen. Was glaubst du, wieviel du für tausend Dollar Drinks kriegst?« Lemmy merkte es nicht gleich, aber Jack fiel es auf. »Hast du tausend gesagt? Er muß doch mehr als tausend kriegen! Wir sind vier, und es sind zehntausend Dollar. Und wenn man zehntausend Dollar durch vier teilt, kommt doch mehr raus als tausend?« »Das ist richtig. Aber wer hat dir gesagt«, korrigierte ihn Snuffy, »daß du zehntausend durch vier teilen mußt? Du mußt fünftausend durch vier teilen. Und selbst das ist nicht richtig. Paß mal genau auf. Der die Idee und der das Köpfchen hat, so wie ich, bekommt immer die Hälfte. Das sind fünftausend. Bleiben also noch fünftausend. Und weil Hedy etwas mehr getan hat als ihr, das seht ihr doch ein, sie hat immerhin das Baby gehalten, als das Aufgebot kam. Und sie war auch sonst verdammt schlau. Sie hat gewußt, wie man das Baby stillt. Das haben wir alle nicht richtig gemacht. Sie hat auch das Baby gewickelt. Und sie hat auch dafür gesorgt, daß das Baby fast ruhig war, während das Aufgebot hier herumgeschnüffelt hat. Ergo bekommt sie wiederum die Hälfte. Und die Hälfte von fünftausend sind zweitausendfünfhundert, bleiben also zweitausendfünfhundert. Und weil du ein klein bißchen schlauer bist und rechnen kannst, ohne daß du die Finger zu Hilfe nehmen mußt, oder wie Lemmy, wenn die Zahl über zehn hinausgeht, der die Schuhe ausziehen muß, um die Zehen zu Hilfe zu nehmen. Deswegen bekommst du erst einmal von zweieinhalbtausend die Hälfte. Das sind eintausendzweihundertfünfzig, bleiben noch mal eintausendzweihundertfünfzig übrig. Und da bekommt Lemmy tausend. Und die zweihundertfünfzig, die dann noch übrig sind, die werden für uns alle bereitgestellt für das Besäufnis, das heute abend stattfindet, wenn wir das Geld abgeholt haben.«
»Ich hab’ das immer noch nicht begriffen«, meinte Lemmy. »Ich bekomme also tausend.« »Du bekommst tausend. Ein verdammt großer Betrag«, bestätigte ihm Snuffy. Lemmy begann zu strahlen, und sein großes Mondgesicht schien sich augenblicklich zu verdoppeln. Die Ohren bekamen Besuch, so weit ging ihm der Mund auseinander. »Also ganze tausend!« wiederholte er. »Für dich ganz alleine, wenn wir das Geld bekommen«, versprach ihm Snuffy. »Menschenskind, bist du so blöd oder tust du nur so?« rief Jack. »Der will dich doch anschmieren. Dir stehen zweieinhalbtausend zu, ganz alleine für dich! Nicht bloß tausend. Er sackt sich fünftausend allein in die Tasche, und nur Hedy bekommt, was ihr zusteht. Mich schmiert er auch an.« »Aber tausend Dollar sind eine Menge Geld. Ich hab’ noch nie tausend Dollar besessen«, rief Lemmy. »Siehst du, Lemmy, du bist ein vernünftiger Mensch. Du weißt, wie gut ich es mit dir meine. Du bekommst tausend, das verspreche ich dir. Sobald wir das Geld haben, bekommst du tausend«, rief Snuffy. Lemmy nickte zufrieden. Schon die Tatsache, daß er es sich nicht mehr auszurechnen brauchte, welche Anteile ihm selbst zustehen, das beglückte ihn bereits. Denn mit dem Ausrechnen – da hatte Snuffy schon recht gehabt – gab es bei ihm einige Schwierigkeiten. Hedy blickte verwundert von einem zum anderen. Und schließlich meinte sie: »Also fünftausend Dollar ist wirklich ein Haufen Geld für einen alleine. Aber immerhin, ich sehe ein, von seinem Standpunkt aus hat Snuffy recht. Du hast wirklich ein schlaues Köpfchen, alle Achtung.« Sie strahlte ihn an, trat auf ihn zu, stellte sich auf die Zehenspitzen und gab ihm einen Kuß.
Lemmy drehte sich verlegen ab, sein Gesicht wurde rot wie eine überreife Tomate. Jack bekam wieder seine Stielaugen, wackelte mit den Ohren, und die Spitzen seines gewaltigen Schnauzbartes begannen zu beben. Das Baby aber, das etwas zwischen die beiden gequetscht wurde, begann wieder zu krähen, und Snuffy, dessen Ohren Kindergeschrei nicht gerade eine angenehme Melodie war, knurrte: »Also reiten wir endlich, damit wir an das Geld kommen! Und außerdem habe ich einen verdammten Durst.« Aber zugleich meinte er leise zu Hedy hin: »Wir nehmen uns das beste Zimmer im Hotel, was dieser alte Gauner anzubieten hat.« Hedy, eingedenk der fünftausend Dollar, die Snuffy allein für sich bekommen würde, nickte lächelnd und rechnete sich schon aus, daß zweieinhalbtausend Dollar und fünftausend Dollar zusammen siebeneinhalbtausend Dollar ergeben würden. Genug Geld, um den Saloon zu kaufen und daraus einen richtig heißen Schuppen zu machen! Und das nämlich hatte Hedy schon all die Jahre vorgehabt. Nun wollte sie es in die Tat umsetzen, denn daß sie die fünftausend Dollar von Snuffy binnen einer Nacht in die Tasche stecken würde, dessen war sie sich absolut sicher. Aber da hatte sie die Rechnung ohne den Wirt gemacht. OLD FIRESTONE Old Firestone hatte sein Vermögen nicht dadurch erlangt, daß er sich durch besondere Mildtätigkeit oder Nächstenliebe ausgezeichnet hätte. Der Großvater des Babys war deshalb zum Millionär geworden, weil er einmal von sprichwörtlichem Geiz beseelt wurde, andererseits aber ein ausgesprochenes Talent besaß, seinen Mitmenschen das Fell über die Ohren zu ziehen.
Und mit unnachahmlichem Spürsinn schnupperte er Geld. Er konnte blindlings diejenigen von denen unterscheiden, die Geld hatten oder keins. Leute, die nichts »an den Füßen« hatten, interessierten ihn überhaupt nicht. Hingegen konzentrierte er sein ganzes Interesse auf jene, von denen etwas zu holen war. Allerdings nur so lange, bis er das hatte, was er sich ersehnte. Und so wie Hedy Wonder im Geiste schon das Geld ausgab, was sie Snuffy aus dem Kreuze leiern wollte, so hatte Großvater Old Firestone ein goldiges, langes Texanerleben lang Dollar an Dollar anderen aus dem Portemonnaie gezogen und aneinandergereiht zu einem Riesenvermögen. Was nicht bedeutete, daß er etwa willens oder geneigt gewesen wäre, von dem Dollarsegen nur einen kleinsten Teil wieder an irgendwen zurückzugeben oder gar mit jemandem zu teilen. Schon in dem Augenblick, als er dem Sheriff das großartige Angebot mit der Zehntausend-Dollar-Belohnung gemacht hatte, war er fest entschlossen gewesen, nicht einen einzigen Cent für seinen Enkelsohn auszugeben. Denn er sagte sich ganz schlau und logisch, daß, brächte man ihm erst einmal das Baby, es ungesetzlich gewesen wäre, den Eltern die Rückgabe des Kindes zu verweigern. Das Baby, war es erst mal wieder da, würde also in jedem Falle zurückgegeben werden müssen. Das konnte ebensowenig der Sheriff verhindern wie jemand anderer. Was sollte ihm schon groß geschehen, wenn er nachher als Großvater mit leeren Händen dastünde und sagen müßte, es täte ihm furchtbar leid, aber er besäße nicht einen einzigen roten Cent, geschweige denn zehntausend Dollar. Und genauso geschah es. Als mit großem Hallo Snuffy, Hedy, Lemmy und Jack in der Stadt empfangen wurden und das Baby vor sich hertrugen wie ein geröstetes Spanferkel auf einem Tablett, als die vereinigten Frauenvereine in frenetisches Jubelgeschrei ausbrachen und sämtliche Tattergreise, die noch an Krücken oder Stöcken herbeihumpeln konnten, ihren Beifall
den Wackeren entgegenschrien, da stand natürlich auch Großvater Old Firestone auf dem Balkon des Hotels und nahm diese Parade ab wie ein Großmogul den Vorbeimarsch seiner Janitscharen. Die Eltern des Kindes kamen herbei. Und der überglücklichen Mutter wurde von Hedy das Baby in die Arme gelegt, großer Triumph, sogar der Saloonkeeper zeigte sich willig, eine Extraflasche unter der Theke hervorzuholen und noch auf der Straße Snuffy und seinen Freunden einzuschenken, bevor der Dursttod sie etwa zu Boden strecken konnte. Angesichts solch goldbraunen Saftes spürten die Männer jetzt im nachhinein erst einmal die gigantischen Strapazen, die sie hinter sich hatten. Und der große Durst zerrte und riß förmlich an ihrer Energie, an ihrer Kraft, so daß es höchste Eisenbahn wurde, daß jeder von ihnen sein Gläschen bekam. Nach Genuß dieses Lebenselexiers fühlten sich die drei auch dann wesentlich wohler, und Hedy hatte wohl insgeheim schon darüber nachgedacht, wie lange es dauern mochte, bis Snuffy so voll war, daß es ein leichtes sein würde, ihm die fünftausend aus der Brieftasche zu holen. Aber wie gesagt, da hatte sie nicht nur die Rechnung ohne den Wirt gemacht, sondern auch ohne Snuffy und ganz bestimmt ohne Old Firestone. Old Firestone stand nun oben auf dem Balkon. Und was war das nun für ein Mann. Er hatte eine Glatze, so spiegelblank, daß die Sonne davon reflektiert worden wäre und sich die Erde möglicherweise in eine Polarwüste verwandelt hätte. Aus diesem Grunde, um das zu verhindern, trug Old Firestone einen Hut. Als echter Texaner trug er nicht irgendeinen Hut, so einen herabgekommenen mit schmaler Krempe oder etwa eine Melone, die aussah, als wollte er pausenlos damit Wasser schöpfen, sondern so einen richtigen, gewaltigen, breitrandigen
Super-Texanerhut, dessen Krempe so gigantisch breit war, daß er einer mittleren Mäusefamilie gut und gerne als Autorennbahn gedient haben könnte. Allerdings gab’s zu jener Zeit noch gar keine Autos. Die mußten erst noch von den Herren Benz und Daimler erfunden werden. Da stand er nun da oben mit seinem riesigen Hut, der gewaltigen Schatten warf, einem ebenso riesigen Bart, schneeweiß und buschig, der bis zur Brust reichte, einer Samtweste, über der eine gewaltige Uhrkette hing, einer sogenannten Affenschaukel, und einem Prinz-Albert-Rock, der ein Vermögen gekostet haben mußte. Und seine Füße steckten in Stiefeln aus allerweichstem und teuerstem Leder, beste Qualität. Und natürlich besaß Old Firestone eine Reitpeitsche. Da er die Arme hinter dem Rücken verschränkt hielt, ließ er die Reitpeitsche wippen, als wollte er damit Forellen fangen. Und mit Stentorstimme donnerte er in die Tiefe aufs gewöhnliche Volk herab: »Schickt diese wackeren Menschen zu mir herauf!« Sein Schwiegersohn nahm sofort Haltung an und erwiderte pflichtschuldig: »Aber selbstverständlich, Papa!« Und seine Tochter, die wohl eine ganze Portion von ihm und seinen Eigenschaften abbekommen hatte, erklärte: »Wird alles erledigt, Papa!« Und sie blinzelte ihrem Erzeuger zu, und der blinzelte zurück. Vater und Tochter waren in absolutem Einverständnis. Die Tochter wußte, wie der Papa die Lebensretter anschmieren würde. Und dann standen Snuffy, Lemmy und Tornado-Jack vor dem großen Mann aus Texas, dem Multimillionär, dem Rinderkönig und dem Meister im Anschmieren kleiner Leute. Der Dicke kam mit ausgebreiteten Armen auf sie zu. Sein Gesicht strahlte, und er schmetterte ihnen entgegen: »Ihr seid die Größten! Ihr seid die tollsten Burschen, die ich je in meinem Leben gesehen habe!« Die Überschwenglichkeit, mit der er das sagte, machte Snuffy mißtrauisch. Aber noch bevor
er einen Gedanken zu Ende denken konnte, faßte der Millionär Snuffy und Lemmy am Arm, machte eine Kopfbewegung zu Jack hinüber und rief ihnen zu: »Laßt uns hinaus auf den Balkon treten! Die Leute wollen uns sehen, und ich habe ihnen etwas Wichtiges zu sagen.« »Das brauchen Sie denen nicht zu erzählen, das wissen die sowieso, was sie uns geben wollen«, sagte Lemmy. Und Jack lachte poltrig, wie es nun mal seine Art war. Snuffys Mißtrauen wuchs. Und er machte sich bereit, auch einen Schachzug mit einem Gegenzug zu beantworten. Der Großvater des Babys sah Lemmy an, warf Jack einen kurzen, musternden Blick zu und taxierte die beiden wohl auch richtig ein. Nur Snuffy sah er im Augenblick nicht, denn der wandte sich um, sah zurück auf den Diener des Dicken. Ein Mann, der von den Körperausmaßen etwa Snuffys Figur besaß. Der Millionär hatte ihn vorhin beiläufig Slim genannt. Doch Snuffy dachte nicht weiter über den Diener nach, trat mit auf den Balkon, und unten standen tatsächlich eine Menge Leute. Der Großvater des Babys ließ nun von Lemmy und Snuffy ab, streckte die Hände nach vorn aus, als wolle er die ganze Welt umarmen. »Meine Freunde!« rief er. »Ich habe euch eine großartige Botschaft zu überbringen. Ihr wißt ja, daß ich demjenigen zehntausend Dollar zahlen wollte, der mir mein Enkelkind gesund und munter zurückbringt. Diese drei großartigen Männer hier haben es vollbracht. Und hört, Freunde, was ich jetzt zu sagen hab’. Ich verdopple meine Belohnung. Ich verdopple sie, wenn diese drei Männer bereit sind, auch die arme, bedauernswerte Mrs. Pimple aus den Klauen der Indianer zu befreien. Wie kann ich mich der Rückkehr meines Enkelkindes freuen, solange ich weiß, daß ein anderer Mensch noch in der Gewalt, der brutalen, rücksichtslosen Gewalt möchte ich sagen, der Apachen ist.«
Die Leute klatschten wie verrückt, schrien durcheinander, warfen die Hüte in die Luft. Und auch Lemmy und Jack zeigten Begeisterung. Und Snuffy fragte sich, worüber sie begeistert sein mochten. Diese beiden Narren, dachte er. Merken sie nicht, daß dieser Geizkragen nicht bezahlen will, daß er einen Umweg sucht, daß er Zeit rausschinden möchte? Als sich das Klatschen und Geschrei legte, fuhr der Großvater des Babys fort: »Ihr hört also, daß ich zwanzigtausend Dollar an diese Männer zahle, wenn sie die arme, bemitleidenswerte Mrs. Pimple ebenso heil in die Stadt zurückbringen wie mein Enkelkind.« Er wollte nicht weitersprechen, und er brauchte es auch nicht, denn wiederum brach wilder Jubel los. Inzwischen war nun auch noch das Aufgebot in die Stadt eingekehrt, und die Männer beteiligten sich an dem Geschrei. Revolver wurden abgeschossen, Pferde wieherten, Männer- und Frauenstimmen schrien und dazwischen noch das Händeklatschen. Der dicke Millionär genoß den Triumph, der seinen Worten zuteil geworden war. Er lehnte sich zurück, lächelte huldvoll wie ein König zum Volk herab, doch dann zuckte er zusammen, denn plötzlich war Snuffy neben ihn getreten, tippte an die Hutkrempe und brüllte den Leuten unten zu: »Unser Freund ist ein großartiger Bursche. Wir haben allen Grund, ihm verdammt dankbar zu sein!« schrie Snuffy. Und er dachte: Der Teufel soll den Alten holen. Aber er sagte: »Ich möchte deshalb beweisen, daß ich auch großartig denken kann. Wir hatten unter uns die Prämie für das Zurückbringen des Babys aufgeteilt. Mein Freund Lemmy«, er deutete auf Lemmy, »sollte tausend Dollar bekommen für seine Arbeit. Der Anteil von Tornado-Jack beträgt etwas mehr, nämlich tausendfünfhundert Dollar.« Er warf dem einfältig grinsenden Jack einen kurzen Blick zu und wandte sich dann wieder ans Publikum. »Es ist nämlich so, daß Tornado-Jack eine etwas wichtigere Aufgabe erfüllt hat, als es darum ging, den Apachen
das Baby wegzunehmen. Und eine sehr wichtige Aufgabe, ich möchte sagen die wichtigste Aufgabe überhaupt, hatte Miß Hedy Wonder, ohne die das Baby verdurstet wäre. Denn ihr ist es gelungen, dem Baby die Milch einzuflößen, nämlich von einem Dickhornschaf, das mein Freund Jack fangen mußte, damit wir es melken konnten.« Wieder brach Jubel los. Das Publikum fand es begeisternd, wie die Männer für das Baby gesorgt hatten. Aber Snuffy wollte keinen Applaus. Er hatte etwas ganz anderes vor. Und bevor der dicke Millionär dazu kam, sich wieder einzumischen, fuhr Snuffy fort: »Wir hatten ursprünglich Miß Hedy Wonder einen Anteil von zweieinhalbtausend Dollar zugedacht. Ich für meinen Teil habe es mir anders überlegt. Ich habe mich entschlossen, die fünftausend Dollar, die nach Meinung meiner Partner und nach meiner eigenen Überzeugung mir zugestanden haben, Miß Hedy Wonder zu schenken, weil sie es war, die uns tapfer im Kampf gegen die Apachen unterstützt hat.« Wiederum brach lauter Jubel los, und Hedy Wonder, die da in der äußersten Reihe der Umstehenden zu Snuffy heraufschaute, wurde ganz rot vor Überraschung, vielleicht auch vor Scham. Auf alle Fälle wußte sie ganz genau, daß Snuffy übertrieb. Auf der anderen Seite fühlte sie sich sehr erleichtert, daß es ohne weitere Umstände gelungen war, die fünftausend Dollar zu bekommen. Und so sagte Snuffy: »Ich für meinen Teil hab’ also keine Ansprüche. Und ihr alle wißt, liebe Freunde, daß Mrs. Pimple nie mein Fall gewesen ist. Aber trotzdem werde ich losreiten, um sie zu suchen und sie zu befreien. Nur, ihr kennt mich ja alle, selbstlos wie ich bin, möchte ich natürlich kein Geld dafür. Ein Gentleman wie ich hält die Rettung einer Frau, auch wenn sie ein Monstrum ist wie Mrs. Pimple, für selbstverständlich. Nun gut, Freunde. Er möchte unbedingt etwas bezahlen. In diesem Falle wären es zehntausend Dollar für denjenigen, der ihm
Mrs. Pimple bringt. Ich hab’ mich dazu entschlossen, ihm Mrs. Pimple zu bringen. Und wie ich das mit meinen Helfern aufteile, ist ja meine Sache. Ich mache aber einen Vorschlag. Da ich die zehntausend Dollar nicht will, und ich auch weiß, daß meine Freunde sehr bescheiden sind…«, er blickte Tornado-Jack an und hatte Mühe, nicht laut aufzulachen, als er in dessen vorwurfsvolle Augen blickte. Und dann musterte er Lemmy, der völlig sprachlos den Mund aufriß, mit den Ohren wackelte und doch keinen Ton herausbrachte. Wäre ihm das gelungen, hätte es nur ein Ton wildesten Protestes sein können. Snuffy wandte sich wieder an die Leute. »Ihr seht, sie sind einverstanden. Wir möchten also kein Geld. Aber einen Wunsch haben wir, und den kann uns ein so stinkfeiner Mann wie dieser reiche Großvater des von uns wiedergefundenen Babys erfüllen. Ich wünsche mir, falls es mir gelingt, Mrs. Pimple ebenfalls noch zu befreien, weiter nichts, als dieses kleine Stück Land um den Baum der Gehängten herum.« Ein Raunen ging durch die Menge. Der Baum der Gehängten, das war so etwas. Dort sollte es spuken. Und da wuchs doch nichts. Es war Einödland, und wer wollte das schon haben. Für ein paar Dollar konnte man es bekommen. Der Millionär, der von der Legende des Baums der Gehängten nichts wußte, der auch das Land ringsherum nicht kannte, wandte sich fragend an den Wirt des Hotels, der zu ihm auf den Balkon heraufgeeilt war. Und der erklärte ihm rasch, um was es sich handelte. Und sagte schließlich: »Das Ganze ist höchstens zwanzig Dollar wert, mehr nicht.« »Und wie groß ist dieses Land?« fragte der Millionär. »Ach, das spielt keine Rolle«, meinte der Wirt. »Das kriegen Sie für zwanzig Dollar, so weit Sie sehen können vom Baum der Gehängten aus.« Snuffy hatte die letzten Worte gehört und meinte: »Ganz richtig! Wenn ich mich an den Baum der Gehängten stelle und von dort aus in die Runde blicke, so weit wie ich sehen kann,
dieses Land, das möchte ich. Und er hat recht, der Wirt«, fügte er hinzu. »Man bekommt es für wenig Geld. Keinesfalls brauchen Sie so viel, wie Sie angeboten haben.« »Ist gemacht!« rief der Millionär und hakte die Daumen in seine Weste. Dann wippte er auf den Absätzen, daß die Uhrkette hin- und herschwang wie ein Schiffstau im Sturm. »Also gut«, rief er, »wenn ihr mir Mrs. Pimple bringt, dann bekommt ihr dieses Land. Aber dann natürlich gibt es die zweite Belohnung nicht.« Nun war der Alte ein ziemlich harter Krieger. Er hatte vorhin schon Hedy Wonder gesehen, und seitdem waren in ihm Frühlingsgefühle geweckt, die sich nahezu von Minute zu Minute steigerten. Die Tatsache, daß dieses Mädchen siebeneinhalbtausend Dollar von ihm fordern würde, machte ihm keine Sorge. Er war gewohnt, mit Frauen umzugehen. Dieses Mädchen wird die siebeneinhalbtausend vergessen, wenn sie erst einmal glaubt, einen Bissen von dem Königreich bekommen zu können, das mir gehört, sagte sich der Millionär. Aber da sollte er sein blaues Wunder erleben. Er ahnte das nicht. Er war überhaupt sehr zufrieden mit sich und der Welt, denn seiner Meinung nach hatte er diese Bohnenstange total übertölpelt, und der Bursche, sagte er sich weiter, bildet sich am Ende noch was drauf ein, daß ich ihm ein Stück Wüste schenken werde, falls er diese Mrs. Pimple bringt. Snuffy verriet mit keiner Miene, was er dachte. Mit einem Pokergesicht winkte er seinen Freunden, und dann sagte er: »Hören Sie, Mister, die Kleinigkeit von tausend Dollar für Lemmy und von tausendfünfhundert für meinen Freund Tornado-Jack werden Sie ja wohl gleich auszahlen. Denen kann ich ja von der Wüste nicht viel abgeben. Und dann wären noch fünfhundert Dollar offen für allgemeine Spesen. Es wäre sehr freundlich, wenn Sie das gleich erledigten.« Snuffy hatte so laut gesprochen, daß es nicht nur jeder auf dem Balkon hörte, sondern auch auf der Straße. Dem Dicken
wurde das Gesicht rot. Er suchte nach Ausflüchten, aber der Jubel der Menge zwang ihn dann doch zu sagen: »Also gut, ihr könnt es euch gleich abholen.« »Wir wollen uns den Weg nicht zweimal machen«, sagte Snuffy. »Wir nehmen es gleich mit.« Fünf Minuten später hatten Lemmy und Tornado-Jack ihr Geld, und Snuffy selbst die fünfhundert Dollar Differenz, von denen er bei der Teilung erklärt hatte, daß man sie gemeinsam versaufen wollte. Die Tatsache, daß Lemmy tausend Dollar hatte, machte ihn selig. Und seine Schweinsäuglein waren vor Glück und Freude ganz klein. Tornado-Jack, der noch nie im Leben so viel Geld auf einen Haufen gesehen hatte, konnte den plötzlichen Reichtum gar nicht fassen. Er schluckte und schluckte, und dann beschloß er, sich von dem Geld oder einem Teil davon einen neuen Revolver zu kaufen. Diesmal einen, mit dem man nicht nur Kaffeebohnen zerhacken kann. Vielleicht einen, mit dem er seinem Ruf als gefährlicher Revolvermann möglicherweise noch gerecht wurde. Snuffy marschierte zielstrebig auf den Saloon los. Denn Durst war das einzigste, was er im Augenblick empfand. Und die fünfhundert Dollar in der Hosentasche drückten und zwickten geradezu wie eine Bürde. Er beschloß nicht nur, mit seinen Freunden zusammen einen zu trinken, sondern darüber hinaus auch ein gutes Essen zu bestellen und ein Spielchen zu machen. Aber bevor sie den Saloon erreichten, trafen sie auf Hedy Wonder. Sie war sehr in Eile, denn sie wollte ja schnellstens zu ihrem Schuldner, wollte sich die siebeneinhalbtausend Dollar auszahlen lassen und hatte deshalb wenig Zeit für Snuffy. »Er rennt dir doch nicht weg«, sagte Snuffy. »Komm doch erst mit uns. Wir trinken jetzt was und essen etwas gemeinsam,
machen ein Spielchen und erholen uns von all dem, was hinter uns liegt.« »O nein!« erklärte Hedy, deren Geldgier im Augenblick alles andere übertraf. Sie dachte daran, daß sie den Saloon kaufen wollte und dann Zeit genug haben würde, um viele, viele kühle Bierchen zu trinken oder all das, was ein Saloon noch bieten konnte. »Es tut mir leid, aber ich muß jetzt erst erledigen, was zu erledigen ist!« erklärte sie, lächelte Snuffy auf ihre Weise zu. Aber sie täuschte den großen, hageren Mann nicht darüber hinweg, was die Stunde geschlagen hatte. Seine Ahnung ward bestätigt. Er lachte nur und meinte: »Viel Spaß euch beiden, allen beiden.« Und er lachte noch, als Hedy schon längst über die Straße gelaufen war und Lemmy die Schwingtüren des Saloons aufstieß, während Tornado-Jack dröhnend brüllte: »Das einzige, was ich jetzt brauche, ist ein kühles Blondes!« Snuffy drehte sich noch einmal um und sah, wie Hedy Wonder drüben im Hotel verschwand. Sie werden sich gegenseitig die Hölle heiß machen, dachte er. Die werden sich die Augen auskratzen. Aber es macht nichts. Ich möchte nur wissen, wer Sieger bleibt. Am nächsten Morgen war auch diese Entscheidung gefallen. Aber sie sah ganz anders aus, als Snuffy sich das in seinen kühnsten Träumen vorgestellt hätte. *** Mit Männern hatte Mrs. Pimple immer Pech gehabt. Drei waren es gewesen, die den Mut fanden, sie zu ehelichen oder umgekehrt, die Mrs. Pimple geehelicht hatte. Alle drei waren vorzeitig verschieden. Den ersten hatte ein Stier zu Tode getrampelt, der zweite war beim Reinigen seines Revolvers ums Leben gekommen, und nur der dritte hatte einen ganz normalen Tod im Bett gefunden. Die so früh zur Witwe
gewordene Mrs. Pimple besaß natürlich noch alle Eigenschaften einer Frau. Und das einzigste, wonach sie sich wirklich sehnte, das war ein Mann. Mrs. Pimple fragte in ihrem gegenwärtigen Zustand nicht mehr: Wie ist er? Oder: Was ist er? Sondern nur noch: Wo ist er? Eingedenk dieser Tatsache war Mrs. Pimple nur am Anfang ihrer Gefangenschaft schockiert, aber nicht mehr, als sie dann im Zelt des großen Coyoten-Auges saß – er auf einem ganzen Stapel von Fellen wie auf einem Thron und sie wie ein zur Schlachtreife gefüttertes Mastschweinchen, an den Beinen zusammengebunden und mit den Händen an einen dicken Stein gefesselt, der wie ein Anker mitten im Zelt lag. Er blickte zu ihr herab voller Begierde, voller Besitzerstolz, die dickste Frau der Welt in seinem Zelt zu haben. Es kam ihm weniger darauf an, daß sie eine Frau war. In erster Linie interessierte er sich für das Phänomen, daß sie so eine dicke Frau war. Aber sie, die so lang der Männer entwöhnte Mrs. Pimple, sah in ihm durchaus den Mann. Er mochte zwar nicht mehr der Jüngste sein, das war sie selbst auch nicht, aber so als Mann stellte er etwas dar. Die Nase, sagte sie sich, könnte sie sich ja zuhalten dabei, denn Coyoten-Auge stank gottsjämmerlich nach ranzigem Fett. Und nicht nur das. Er roch aus dem Mund, daß, wenn er damit mitten in New York aufgetaucht wäre, sich die Weltstadt binnen weniger Minuten entvölkert hätte. Auch das allein war es nicht. Coyoten-Auge pflegte sich seine Haut einzureiben. Er war stolz auf diese Farben, auf diese Pracht von schmierigem Zeug, das er sich auf die Haut pappte. Aber noch viel stolzer war er auf das, was alles in seinen Haaren klebte. Und ganz besondere Freude machte ihm das Fett, mit dem er tagtäglich mehrmals seinen Bauch massierte. Das heißt, er massierte ihn nicht, er ließ ihn sich massieren. Er hatte seine Squaws, die das mit Hingabe verrichteten. Und wenn es heute heißt, der Beruf der erotischen Masseusen sei
eine Erfindung unseres Zeitalters, so ist hiermit bewiesen, wie wenig das zutrifft, denn zumindest Coyoten-Auge hatte längst erkannt, wie schön es sein kann, von den trangepflegten Händen seiner indianischen Schönheiten an gewissen Teilen seines Körpers massiert zu werden. Und nicht nur am Bauch. Mrs. Pimple ahnte wohl, wie stark die männliche Erotik von Coyoten-Auge war. Offenbar hatte sie einen feinen Instinkt dafür. Und so starrte sie ihn sehnsüchtig an, jedwede Furcht war wie ausgelöscht. Und das einzige, was sie noch schmerzte, das waren die vielen kleinen Stiche in der Haut, in denen nach wie vor Pfefferkörner brannten. Aber der mildtätige und nachsichtige Coyoten-Auge hatte bereits seinen Medizinmann alarmiert, und der war auf dem Wege, um Mrs. Pimple auch von dieser Drangsal zu befreien. Und wie Coyoten-Auge so mit nacktem, wie Speck glänzendem Oberkörper vor ihr saß, war Mrs. Pimple völlig darauf konzentriert, sich eine Möglichkeit auszudenken, diesen Mann für sich zu gewinnen. Denn mochte Coyoten-Auge nach ranzigem Fett stinken, und auch sonst mit allem möglichen beschmiert sein, schließlich war er ein Mann. Und ein Mann war das, wonach sich Mrs. Pimple sehnte. Sie hatte beschlossen, Coyoten-Auge zu lieben und verlangte nichts weniger, als von ihm geliebt zu werden. Mrs. Pimple durchströmte ein wonniges Glücksgefühl, als Coyoten-Auge sie ansah, die Hand in ihre Richtung ausstreckte und etwas sagte, das sie nicht verstand. Und sie strahlte ihn an, nickte und erwiderte: »Du hast recht, komm her, komm zu mir, ich gehöre dir.« Coyoten-Auge, der weder verstand, was sie sagte, noch was ihre Handbewegung bedeutete, schnippte mit den Fingern, damit jemand käme, der ihm den Dolmetscher holte. Aber Mrs. Pimple deutete das Fingerschnippen anders. Sie arbeitete sich in die Höhe, stemmte ihre Fleisch- und Fettmassen vom Boden hoch, so weit es der Strick, der ihre Hände mit dem
Stein verband, zuließ. Und dann stampfte sie mit infolge der Fesselung winzigen Schrittchen auf Coyoten-Auge zu, strahlte ihn immer noch an, streckte die zusammengefesselten Hände in seine Richtung und rief: »Befreie mich, Liebster! Befreie mich!« Coyoten-Auge ahnte Fürchterliches, obgleich er kein Wort verstanden hatte. Allein die Gesten und die Mimik dieser gewaltigen Überfrau schüchterten ihn ein. Frauen in dieser Vierfachdimension waren ihm unheimlich. Hatte er vorhin noch vor Freude gelacht, so ein Weltwunder an Frau zu besitzen, jetzt bekam er es mit der Angst. Er schrie etwas, das Mrs. Pimple nicht verstand und unmittelbar darauf stürzten vier seiner Krieger ins Zelt. Sie hatten ihre Gewehre dabei, aber was nützten die angesichts von Mrs. Pimple, die ja nicht kämpfen, die nicht töten, die nur lieben und geliebt sein wollte. Als sie die vier Männer sah, da mußte sie wohl geglaubt haben, Häuptling Coyoten-Auge traute sich allein nicht zu, Mrs. Pimple das notwendige Glück zu vermitteln und brauchte deshalb Verstärkung. Und Mrs. Pimple fand so viel Aufwand gar nicht schlecht. Sie fühlte sich verwöhnt, und ihre Phantasie gaukelte ihr viele freudige Augenblicke vor, die sie bestürmen würden, sollte das eintreten, was sie glaubte, daß sie nämlich nicht nur Coyoten-Auge, sondern auch noch von diesen vier Kriegern geliebt werden sollte. Und so ließ sie sich wieder zu Boden sinken und rief mit vor Wollust überschnappender Stimme: »O ihr wilden Jäger, nehmt euch, was euch gehört! Nehmt es euch, ihr wilden Jäger!« Weder Coyoten-Auge noch die vier Krieger schienen von Mut erfüllt. Vielmehr blickten sie völlig bedeppert auf dieses Gebirge von Frau und fragten sich, was die wohl von ihnen wollte. Aber dann tauchte der Dolmetscher auf, ein drahtiger junger Bursche, der eine Zeitlang bei den Weißen gelebt hatte. Er starrte erst auf die Frau, die am Boden lag und wollüstige Laute
ausstieß. Dann wandte er sich Coyoten-Auge zu, der mit einer herrischen Geste fragte: »Was will die denn?« Der Dolmetscher sah die Frau an und fragte: »Was du wollen von Häuptling?« »Ich liebe ihn«, stöhnte Mrs.. Pimple voller Hingabe. »Und er liebt mich auch, ich weiß es.« Der Dolmetscher schluckte, schloß einen Augenblick die Augen, biß sich auf die Lippen, um sicher zu sein, daß das alles kein Traum sein konnte. Und dann übersetzte er dem Häuptling. Der Häuptling mußte schlucken, starrte die Frau ungläubig an und fragte schließlich: »Lieben? Nun gut. Aber wie?« *** Es mußte auf irgendeine geheimnisvolle Weise Mrs. Pimple gelungen sein, den Häuptling davon zu überzeugen, daß die Liebe zwischen einem Hering und einem Wal technisch möglich ist. Häuptling Coyoten-Auge jedenfalls hatte diesen Lehrgang mit Auszeichnung bestanden. Er war zwar noch reichlich erschöpft, wirkte auch relativ apathisch, doch er lag an Mrs. Pimples Brust und versank förmlich darin. Und Mrs. Pimple strahlte, daß ihr Gesicht das übelste Unwetter eines Azorentiefs in die Flucht geschlagen hatte. Angesichts von so viel Glückseligkeit beschloß der gesamte Apachenstamm ein Fest zu feiern. Mit Hilfe des Dolmetschers war es Mrs. Pimple gelungen, dem Stamm mitzuteilen, daß sie von nun an nicht mehr Mrs. Pimple, sondern Mrs. CoyotenAuge sei und die Hochzeit zwischen ihnen beiden in Bälde vollzogen werde. Der Stamm nahm diese Nachricht mit so viel Gelassenheit entgegen, wie das ganz sicherlich in Großbritannien der Fall gewesen wäre, hätte man den Engländern mitgeteilt, der
Kronprinz habe eine Elefantenkuh geehelicht und erwarte Nachwuchs. Nun war Mrs. Pimple keinesfalls ein Typ, der sich alles gefallen ließ. Hatte sie es fertiggebracht, in Purple City die Frauenvereine zu vereinigen und sich selbst zur Präsidentin der vereinigten Frauenvereine küren zu lassen und war es ihr darüber hinaus gelungen, die Männer in Purple City zu unwichtigen Harlekinen zu entwürdigen, so war sie ganz sicher, daß es ihr im Handumdrehen möglich sein würde, in diesen unzivilisierten, heruntergekommenen Indianerstamm das zu bringen, was sie Ordnung nannte. Eingedenk dieser Tatsache begann sie schon vor ihrer in Kürze zu erwartenden Hochzeit mit Coyoten-Auge mit den Erziehungsmaßnahmen. Wenn man eine so wohltemperierte Stimme hat wie eine Kreissäge, dann nimmt es nicht Wunder, daß beim ersten Brunstschrei, den ein so lieber Mensch wie Mrs. Pimple ausstößt, sämtliche Bewohner des Indianerdorfes, und das waren ja immerhin über hundert, zusammenzuckten und auf die Knie stürzten, als sei das Jüngste Gericht über sie hereingebrochen. Die liebklingenden Laute aus dem schöngeformten Wolfsrachen der geliebten Mrs. Pimple waren es also, die dieses Apachenvölkchen vor die Wahl stellten, entweder zu tun, was Mrs. Pimple gestikulierend und mit ihren urigen Schreien nahelegen wollte oder aber das Gehör zu verlieren. Die Apachen entschieden sich fürs Nachgeben, aber das sollte ihnen bald leid tun. Zunächst einmal begann Mrs. Pimple damit, den völlig verblüfften Coyoten-Auge nach den Maßstäben weißer Zivilisation zu kleiden. Hatte es ihr vorher gefallen, das Muskelspiel am nackten Oberkörper des bronzehäutigen Häuptlings zu sehen, so war es ihr jetzt nicht mehr recht, daß dieses Anblickes auch andere Frauen teilhaftig wurden. Und die Eifersucht, die in einem so gewaltigen Körper wie dem von
Mrs. Pimple besonders weiten Raum fand, war die Mutter des Gedankens, als Mrs. Pimple dem armen Coyoten-Auge eine vor Urzeiten einmal erbeutete Militärjacke überzog. Es war, wie das Militärjacken so an sich haben, ein derber Wollstoff, der ordentlich kratzte, besonders auf bloßer Haut. Und das empfand auch Coyoten-Auge, der trotz seiner Muskeln doch recht empfindlich gegen solche Dinge war. Doch wie er sich auch sträubte und wand, er mußte diese Jacke tragen, und er wagte auch nicht, Mrs. Pimple zu widersprechen. Hatte man diese Elefantenfrau mit Gewalt in dieses Lager geschleppt, so bekam man jetzt zu spüren, wes Geistes Kind die liebe Mrs. Pimple in Wirklichkeit war. In ganz kurzer Zeit hatte sie es geschafft, daß sich auch die anderen Männer die Blößen verdeckten und wie Weiße mit Hemden und Jacken herumliefen. Und dann kam die Geschichte mit der Seife. Die Apachen hatten nämlich irgendwann einmal von Siedlern einen Karton mit Seife erbeutet. Ahnungslos, was man mit diesem verblüffenden Wunderwerk weißer Kunst anfangen konnte, hatten es sich die Frauen so angeeignet, doch benutzten sie Seife nicht etwa zum Händewaschen oder gar nach Indianerbräuchen so sündhaftem Tun wie dem Reinigen von Hals und Ohren, sondern sie raspelten sich die Seife in dünne Späne und streuten sie sich ins tiefschwarze Haar, auf daß es etwas angenehmer duftete als nach ranzigem Tran oder dererlei Dingen. Mrs. Pimple nun machte all diesem schönen Treiben ein Ende und lehrte den Stamm, sich mit Seife den Körper zu waschen. Der Einfachheit halber begann sie mit dieser Lehrzeit bei den Kindern. Diese Indianerkinder waren zuvor recht glücklich gewesen. Sie hatten unten am Bach gespielt, gescherzt, gelacht, und es mußte eine sehr schöne Zeit vergangen sein, bevor diese Elefantenfrau namens Pimple im Lager aufgetaucht war, denn
jetzt lachte niemand mehr unten am Bache. Jetzt kreischten, schrien, winselten die Kinder um Hilfe und Beistand, während die gewaltigen Wurstfinger Mrs. Pimples sie gepackt hielten und mit Seife schrubbten, als wären sie weiter nichts als alte Hemden. Ein brauner Körper nach dem anderen mußte daran glauben, wurde mit Seife eingerieben, ins Wasser getaucht und geschwemmt, wieder eingerieben und wieder abgewaschen und schließlich trockengerubbelt, daß den bronzehäutigen Kleinen Hören und Sehen verging. Aber Mrs. Pimple konnte auch Dinge, von denen die Apachen begeistert waren. Zum Beispiel vermochte sie aus Zucker Bonbons in einer Pfanne herzustellen. Zucker als auch Pfanne waren ebenfalls eine Beute der Indianer. Den Zucker wußten sie wohl zu nutzen, aber daß man mit Hilfe einer Pfanne und Feuer Bonbons herstellen kann, das wußten sie nicht. Und Mrs. Pimple machte reihenweise diese fladenartigen Bonbons, nach denen die Kinder fortan Schlange standen. Schlau, wie Mrs. Pimple war, gab es diese Belohnung nur, wenn zuvor eine Leistung erbracht wurde. Und mit missionarischem Eifer gewann Mrs. Pimple immer mehr Indianer dazu, sich zu waschen, sich zu kämmen und damit aufzuhören, den stinkenden Tran auf Haut und Haar zu schmieren. Kaum konnte sie da die allerersten Erfolge verzeichnen, bemühte sie sich, die Indianer das Beten zu lehren, dann begann sie sogar noch zu predigen. Zu diesem Zweck mußten sich alle Stammesangehörige auf dem großen, freien Platz zwischen den Zelten versammeln. Mrs. Pimple stellte sich auf einen eigens zu diesem Zweck zurechtgeschnittenen Holzklotz, und dann donnerte sie mit Stentorstimme über die Köpfe ihrer Lieben hinweg, die keinesfalls nur eine einzige Silbe von dem verstanden, was sie da schrie, die es aber schön fanden, zumal sich Häuptling Coyoten-Auge an den herrlichen Tanz seiner
Geliebten erinnerte, den sie seinerzeit im Canyon aufgeführt hatte. Trotzdem verwünschte Coyoten-Auge den Tag mehr und mehr, da er auf die wahnsinnige Idee gekommen war, Mrs. Pimple als Beute ins Indianerdorf zu schleppen. Jetzt hätte er sie am liebsten auf der anderen Seite der Erdkugel gesehen, beziehungsweise nicht gesehen. Der Tatendrang von Mrs. Pimple nahm von Minute zu Minute zu, und immer emsiger versuchte sie den Indianern nicht nur das Erfreuliche christlicher Religion, sondern im übrigen auch alles andere der amerikanischen Lebensweise zu zeigen. Nur begnügte sich Mrs. Pimple nicht damit zu zeigen, sondern wie ein Donnergott wogte und stampfte sie durchs Indianerdorf, predigte und hämmerte jedem einzelnen die großartige Lebensführung weißer Menschen ein. Ob die Indianer das besonders gut gefunden hatten, mochte eine andere Frage sein. Mrs. Pimple jedenfalls konnte sich nicht vorstellen, daß ein Indianer das, was sie ihm beibringen wollte, nicht gut fand. Es war nahezu unmöglich, sich Mrs. Pimples Tatendrang und missionarischer Berufung zu entziehen, jedenfalls nicht, solange man hier im Dorfe weilte und Mrs. Pimple auch da war. Da Coyoten-Auge nun schon nach ganz kurzer Zeit überhaupt nichts mehr zu bestellen hatte, sondern Mrs. Pimple eigentlich den Stamm zu führen begann und dies mit einer Überzeugungskraft ohnegleichen, sahen die Indianer vom ältesten Opa hinunter zum Frischgeborenen kaum eine Möglichkeit, Mrs. Pimple etwas zu verweigern. Und es war typisch, daß schon in wenigen Tagen die meisten Apachen englische Wörter gelernt hatten, wo hingegen Mrs. Pimple nicht eine einzige indianische Silbe beherrschte. Am achten Tag ihres Hierseins verschwanden dann auch die ersten drei Männer mit ihren Frauen und ihren Kindern klammheimlich bei Nacht und Nebel aus dem Lager. Am
nächsten Tag verkrümelten sich weitere zehn mit der gesamten Sippschaft, während andere mit Feuerwasser ihren Geist zu betäuben suchten. Auch Coyoten-Auge begann mehr und mehr heimlich zu trinken. Trinken war eigentlich nicht der richtige, Ausdruck. Man hätte saufen sagen müssen. Schon in den Morgenstunden verklärte sich sein Blick, gegen Mittag wurde er ausgesprochen trübe, und gegen Abend war es dann völlig ausgeschlossen, den mit Alkohol bis zum Stehkragen angefüllten Häuptling noch auf die Beine zu bekommen. Zunächst einmal merkte Mrs. Pimple das nicht, denn sie war viel zu sehr damit beschäftigt, anderen Menschen den American way of life beizubringen, als daß sie viel Zeit für ihren geliebten Coyoten-Auge gehabt hätte. Doch dann mußte es ihr auffallen. Als sie nämlich wieder einmal von gewaltiger Leidenschaft bemächtigt wurde und sich nach Liebe sehnte wie eine durstige Kuh nach der Quelle, da mußte sie feststellen, daß im großen Häuptlingszelt nicht ein stattlicher, kräftiger Mann ihrer harrte, der sie in seine muskulösen Arme schließen wollte, sondern statt dessen eine ausgesprochene Schnapsleiche herumlag, die außer rülpsenden und glucksenden Tönen nichts von sich gab und in fortgeschrittener Nachtstunde sogar noch das Nest beschmutzte. Es war der Tag und die Stunde, wo Coyoten-Auge erleben mußte, daß nicht nur kleinen Kindern der Hintern vollgehauen wurde, denn jetzt zeigte Mrs. Pimple, daß zur Liebe nicht nur die Zärtlichkeit, sondern mitunter auch ein starker Arm gehört. Kurzum, Coyoten-Auge bekam sie derartig, daß er am nächsten Tage nicht nur einen unheimlichen Kater empfand, sondern mit hängenden Ohren und einer Menge blauer Flecken vor die Reste seines Stammes trat. Und eigentlich hätte man ihn nicht mehr Coyoten-Auge nennen sollen, sondern Matschauge, denn beide Augen zeigten sehr deutliche Spuren eines Faustkampfes, in dem der Häuptling keinesfalls als Sieger hervorgegangen zu sein schien.
Nachdem der Stammesrest sich ausgiebig über das Aussehen des stolzen Apachenhäuptlings amüsiert hatte und der Rest von Respekt nun endgültig den Bach hinunterschwamm, formierten sich völlig ungeniert und am hellichten Tage weitere Flüchtlingskarawanen Mrs. Pimplegeschädigter Indianer. Mrs. Pimple wußte nun nicht, was der Aufbruch der Familien bedeutete. Sie nahm an, die wollten jagen gehen oder etwas dergleichen tun, denn ihr sagte natürlich niemand, was die Leute vorhatten. Und Coyoten-Auge war viel zu zerknautscht, um hier Mrs. Pimple Vorträge zu halten. Im Gegenteil, er empfand eine böse Schadenfreude und sagte sich nach dem Motto: »Schadet meiner Mutter gar nichts, wenn ich kalte Füße kriege, warum zieht sie mir keine warmen Strümpfe an«, daß die liebe Mrs. Pimple in Bälde mitten in einem völlig leeren Indianerdorf stehen würde. Das heißt, auch die Zelte wurden ja abgebrochen. Und waren es ursprünglich über vierzig gewesen, standen nun gerade noch sieben auf dem Platz. Auch Coyoten-Auge bereitete planmäßig und ohne übergroße Hektik den Rückzug in sichere Gefilde vor. Er sah sich unterstützt von seinen Brüdern und Schwestern, die in rührender Einmütigkeit alles taten, um Mrs. Pimple zu täuschen und Coyoten-Auge die Flucht zu ermöglichen. Und so kam es, daß ein Mann, den weder die amerikanische Kavallerie noch ganze Aufgebote von wackeren Cowboys und Siedlern hatte besiegen können, die Flucht, ja nachgerade eine panische Flucht antrat vor einer Waffe, die ein Jahrhundert später auch andere Kontinente der Erde in Furcht und Schrecken versetzen sollte: die Amerikanerin, die über vierzig ist, alles besser weiß, wie eine Vogelscheuche angezogen ist, bemalt wie ein Sioux auf dem Kriegspfad und von einem Weltverbesserungseifer beseelt ist, der mit einer Stimme wie Donald Duck alles niederredet und -schnattert, was sich ihm in
den Weg stellt. Und dagegen gab es weder zu Coyoten-Auges Zeiten noch heute eine wirksame Waffe. Das heißt, Coyoten-Auge hatte sich eine ausgedacht und hoffte, sich damit Mrs. Pimple einmal und für immer vom Hals zu schaffen. Und wie diese Geschichte ausging, ist ein Fall für sich, denn noch war es nicht soweit. Noch bastelte Coyoten-Auge an seiner Flucht, noch wiegte er Mrs. Pimple in Sicherheit, die vor einer bedeutend kleiner gewordenen Zuhörerschar predigte und predigte und sie alle immer wieder auf die Knie zwang, auf daß sie beteten und die gewaschenen Hälse kontrollierte und die Reste der Seife, die noch vorhanden war, verteilte und dafür sorgte, daß sie nicht mehr ins Haar geschmiert wurde, sondern die Ärmsten sie zum Waschen benutzten. Coyoten-Auge hatte nun einmal vor Jahren im Kampf mit Mexikanern einen Trick angewendet, bei dem er eine Flucht vorgetäuscht und die ihm nachfolgenden Mexikaner in eine Falle gelockt hatte. Ähnlich wollte er mit Mrs. Pimple vorgehen, denn er nahm an, daß sie, sollte sie sich plötzlich alleine wiederfinden, die Indianer verfolgen würde. Und hier nun beginnt Coyoten-Auges große militärische Strategie, in der er bewies, daß in ihm doch eine ganze Portion von einem großen Feldherrn steckte, weil er nämlich den Mut aufbrachte, Mrs. Pimple, die Allgewaltige, in die ewigen Jagdgründe befördern zu wollen. Die Sache war ganz einfach. Coyoten-Auge ließ von den letzten Getreuen seines Stammes eine gigantische Pumafalle anlegen. Das ist eine Fallgrube, in die man normalerweise spitze Pfähle schlägt, die von Gebüsch und Gesträuch verdeckt sind, was man über die Öffnung legt. Tritt nun der Puma versehentlich auf die Tarnung, bricht er ein und stürzt auf die Pfähle, die ihn elendiglich aufspießen. Für Mrs. Pimple hatte es Coyoten-Auge ein klein wenig humaner vor. Er wollte sie nicht aufspießen, weil er sich einfach nicht vorstellen konnte, was danach passieren würde.
Vielmehr ließ er ein großes Loch graben und es mit Wasser füllen, oben aber auch hier mit Reisig und Zweigen bedecken, daß man nicht sah, welch bösartige Falle darunter schlummerte. Und nun, in der Nacht, trat Coyoten-Auge die Flucht an. Mrs. Pimple, die ja keinen Alkohol trank, aber einen sehr tiefen Schlaf hatte, bemerkte das Verschwinden ihres Geliebten erst, als der sich schon weit entfernt befand. Und als sie sich dann erhob und aus dem Zelt stürmte, sah sie, daß nur noch dieses eine Zelt überhaupt da war und sie verloren im Mondlicht am Rande des großen, freien Platzes stand. Wutschnaubend wie ein angreifender Nashornbulle, packte Mrs. Pimple die notwendigsten Dinge und ganz besonders den Stock, mit dem sie schon immer die unwilligen Indianerkinder gezüchtigt hat. Sie beschloß, auch Coyoten-Auge damit zu züchtigen und ihm die Flötentöne beizubringen. Dann marschierte, sie los. Die Wildnis dröhnte unter ihren ruhig festen Schritten, der Boden zitterte, die Präriehunde, jene possierlichen Erdhörnchen, kamen entsetzt aus ihren Bauen, denn sie mußten annehmen, daß sich ein Erdbeben näherte. Aber Mrs. Pimple interessierte sich weder für Erdhörnchen noch für andere aufgeschreckte Wildnisbewohner, denen vor Angst alles mögliche zu schlottern begann, weil sie den Weltuntergang nahen glaubten. Mrs. Pimple interessierte sich nur für einen einzigen, und das war Coyoten-Auge. Sie wollte ihn finden, und sie wollte ihm zeigen, was es bedeutete, einer Mrs. Pimple den Gehorsam zu verweigern. Im übrigen hatte Mrs. Pimple auch noch einiges vor. Und sie fühlte sich schmählich enttäuscht von Coyoten-Auge, daß er ihre Pläne ins Wanken gebracht hatte, denn noch immer hatte die Hochzeitsfeier nicht stattgefunden. Und offiziell war sie noch immer nicht Mrs. Coyoten-Auge geworden. Das durfte man ihr nicht antun. Das hatte ihr keiner ihrer drei Ehemänner angetan.
Und Coyoten-Auge sollte auch nicht ungestraft davonkommen. Wie konnte er es wagen, sie sitzenzulassen! Auf dem Marsch durch die nächtliche Wildnis stimmte Mrs. Pimple ein fröhliches Lied an. Es war ein Kampflied der konföderierten Truppen im Bürgerkrieg, und sie kannte es rein zufällig von ihrem zweiten Mann. Und dieses Lied schmetterte sie nun in die Nacht. Das war für alle jene, die in der Wildnis ihr Zuhause hatten, wie der Auftakt zu einem Hurrikan. Plötzlich setzte eine panische Flucht nach allen Seiten ein, nur weg aus der Richtung, die Mrs. Pimple nahm. Die Tiere, ob Schlangen, Eidechsen, Pumas oder Dickhornschafe, alle jagten weg, bloß fort und nicht mehr umdrehen nach diesem urgewaltigen Monstrum, das da durch die Nacht stampfte. Und Mrs. Pimple arbeitete sich Schritt für Schritt dem Verhängnis entgegen. Und während sie sang vom Sturm auf die Schützengräben, und während in ihrem Lied etwas von einer stolzwehenden Fahne vorkam und von dem Trompetensignal, das der Hornist dem Feind entgegenschmetterte, da auf einmal trat der rechte Fuß dieser schwergewichtigen Dame ins Leere. Sie bekam das Übergewicht, stürzte durch die ach so dünne Decke aus Reisigund Strauchgezweig, stürzte, und dann tat es einen Klatsch, als würden vier Zentner vierzigprozentiger Sahnequark aus dem achtunddreißigsten Stockwerk des Empire-State-Hochhauses hinunter auf den Asphalt der Straße geworfen. Damit nicht genug. Da Mrs. Pimple mit ihren Körpermassen eine ganz ansehnliche Wassermenge verdrängte, schoß eine Springflut aus dem Loch heraus, und weißer Gischt glitzerte und schillerte im Mondlicht. Mrs. Pimple tauchte zunächst für einen kurzen Augenblick unter. Dann kam sie wieder hervor, prustete und spie unheimliche Mengen von Wasser aus sämtlichen Öffnungen ihres Kopfes. Und da Fett bekanntlich oben schwimmt, bestand keine Lebensgefahr für Mrs. Pimple, der jedoch der Schreck in
sämtlichen Gliedmaßen steckte. Sie stieß einen urigen Schrei aus, der die Erde erzittern, die Blätter rascheln, die Bäume sich schütteln und sämtliche Lebewesen in jähen Schreck verfallen ließ. Dann schrie sie wieder und wieder. Aber der von ihrem Eintauchen erzeugte Seegang in der Fallgrube führte dazu, daß ein Schwall Wasser gerade in dem Augenblick in ihren Mund stürzte, als sie zum dritten Male zu einem gewaltigen Urschrei ansetzte. So wurde aus dem Urschrei ein Urgurgeln und danach eine Fontäne, als Mrs. Pimple ausatmete. Der Wasserschwall, der aus ihrem Munde schoß, hätte der vereinigten Feuerwehr von New York und Washington alle Ehre gemacht. Damit wären die imstande gewesen, einen Großbrand binnen Sekunden zu löschen. Wie eine Boje schwamm Mrs. Pimple auf dem Wasser, und vergeblich versuchte sie mit ihren Wurstfingern Halt an der Böschung zu bekommen. Da bröckelte alles ab, und im übrigen waren die Arme Mrs. Pimples vielleicht stark genug, um einem Indianerjungen den Hosenboden zu versohlen oder CoyotenAuge in ein Matschauge zu verwandeln. Nur die eigenen Körpermassen damit irgendwo herauszuziehen, dazu waren diese Ärmchen nicht gemacht. Und so schwamm ihr herrlicher Astralleib in diesem Wasser, und es war nicht abzusehen, wie lange das der Fall sein würde. Am Anfang war nur der Schreck, dann kam die Wut. Das Gebrüll, das Mrs. Pimple nun ausstieß, erinnerte an den Zornesschrei eines Löwen mitten in der Sahara. Als aber immer noch nichts auf dieses Geschrei reagierte, als es sogar im Gegenteil rundum totenstill wurde, weil nämlich auch die letzte Grille und Ameise die Flucht ergriffen hatte, da fühlte sich Mrs. Pimple plötzlich einsam. Mit ihrer Einsamkeit kam die Wehmut. Und sie begann zu schluchzen. Sie schluchzte und schluchzte, und es hörte sich an
wie das Nebelsignal einer Heulboje an der Hafenausfahrt von San Francisco. Und so fanden sie die drei Joker-Boys Snuffy, Lemmy und Tornado-Jack. *** Sie hatten eine Woche benötigt, um das Indianerdorf zu finden. Kurz vor Mitternacht kamen sie dort an und fanden lediglich ein einziges und dazu noch leeres Zelt vor. Sie hatten sich vorgenommen, erst am Morgen weiterzureiten, doch da plötzlich hörten sie Mrs. Pimples Geschrei. Vielleicht war sie sehr weit weg, aber ihr Organ bewältigte auch größere Entfernungen spielend. »Da ist sie!« sagte Snuffy, setzte sich auf seine Nelly und ritt an. Tornado-Jack und Lemmy taten es ihm nach, und dann jagten sie hintereinander den Pfad entlang, den nicht nur die Indianer, sondern auch Mrs. Pimple genommen hatte. Und schließlich erreichten sie jene Fallgrube, die die Indianer liebevoll für Mrs. Pimples Erfrischung angefertigt hatten und in der sie nun plantschte und wogte wie ein nervenkranker Walfisch in einem Swimmingpool. Snuffy schnippte sich den Hut in die Stirn und kratzte sich nachdenklich am Hinterkopf. Und begleitet vom »Gesang« Mrs. Pimples meinte Snuffy: »Wie kriegen wir die hier raus? Wenn wir uns an den Rand stellen, bricht hier alles zusammen, dann sitzen wir selbst mit drin.« »Ich werfe ihr mein Lasso zu, dann ziehen wir sie an Land«, schlug Tornado-Jack vor, der ja ein hervorragender Lassowerfer war, wie wir alle wissen. Gesagt, getan. TornadoJack rollte das Lasso aus, und dann flog die Schlinge mit kühnem Schwung durch die Luft, legte sich blitzschnell um Mrs. Pimples Hals, und Tornado-Jack wollte gerade anziehen, da brüllte Snuffy:
»Bist du verrückt? Wir erwürgen sie ja! So geht es nicht. Wir können sie niemals am Hals rausziehen. Dann ist sie tot, bevor sie an Land ist.« Jetzt erst hatte Mrs. Pimple die Retter entdeckt. Nun, da die Schlinge um ihren Hals lag, weiteten sich ihre Augen voller Entsetzen, und sie wähnte wohl ihr letztes Stündlein gekommen. Das Plantschen ihrer Wurstfingerhände hörte auf, die Knödelarme verhielten sich still, und alles an Mrs. Pimple war nur noch baffes Erstaunen. Sie konnte nicht einmal sprechen. Und das fürwahr wollte etwas heißen. Und während die Männer noch darüber debattierten, auf welche Weise es möglich sein würde, Mrs. Pimple zu retten, fiel die Ärmste wieder in ihr Wehgeschrei, das die Lautstärke der Schiffssirene eines größeren Ozeanriesen hatte. Snuffy schrie ihr zu, sie sollte die Schlinge wieder über den Kopf streifen, aber das hörte sie nicht, denn seine Stimme ging in ihrem infernalischen Gebrüll unter. Doch schließlich hatte Lemmy sein Lasso geholt, und Jack rollte es abermals auf, machte die Schlinge besonders groß und wagte einen zweiten Wurf. Die Schlinge war tatsächlich groß genug angelegt, um über die Schultern von Mrs. Pimple zu fallen. Und dann zog Tornado-Jack die Schlinge mit einem Ruck zu, und das Seil grub sich ein in die diversen Fettschichten von Mrs. Pimples Oberarmen, und während es darin versank, begannen die drei schon am anderen Ende zu ziehen und zu ziehen, aber es war, als hätten sie versucht, mit bloßen Händen den Mount McKinley, den höchsten Berg der Staaten, zu verrücken. Aber sie gaben nicht auf. Sie zogen mit aller Kraft, fluchten, spuckten sich in sämtliche Hände und wurden dabei begleitet vom ohrenbetäubenden Brüllen aus Mrs. Pimples gewaltiger Kehle. Aber sie schafften es nicht. Sie konnten diese Supertonne von Mensch nur ein Stück dem Ufer entgegenbewegen, bis
Mrs. Pimples Knie oder sonst ein Körperteil an den Rand stießen. Von nun an schien es unmöglich, sie aufs Trockene zu befördern, zumal sie auch noch in wilder Panik mit den Füßen stampfte, wodurch sie immer wieder bis zur Mitte der Fallgrube zurückbewegt wurde. Aber schließlich hatte Snuffy die rettende Idee. TornadoJack, der große Lassowerfer vor dem Herrn, warf ein drittes Lasso, und auch das schloß sich um die Oberarme und ging darin unter. Die Enden aber von beiden Lassos wurden an die Sattelhörner von Snuffys Nelly und Tornado-Jacks Gaul verschlungen, verknotet, und schließlich führten Lemmy und Tornado-Jack die Tiere wie Pferde vor einem Pflug landwärts. Und was Männerarme nicht vermochten, das gelang nun den Pferden, die all ihre Kräfte einstemmten und schließlich die liebe Mrs. Pimple wie einen gestrandeten Wal aus dem Wasser zogen, an Land setzten und dabei so in Schwung gekommen waren, daß sie in voller Fahrt weiterbrausten, und so kam es, daß Mrs. Pimple den einmaligen Genuß einer Rutschpartie erleben sollte. Es war wirklich, als hätten die braven Gäule einen Wal an Land gezogen, und sie liefen und liefen, drehten sich nicht mehr um, rannten, denn die glitschige Mrs. Pimple war nun selbst zum gewaltigen Geschoß geworden und drohte die beiden Pferde mit eigenem Schwung einzuholen. Da aber nahte Rettung: ein Baumstumpf. Und gegen den prallte Mrs. Pimple, daß die Erde zitterte, die Pferde aber stemmten sich in panischer Furcht wieder ein, das Seil war stramm und… da hing Mrs. Pimple fest, das Seil schnitt sich tief bei ihr ein und sie schnaubte wie eine Lokomotive, unmittelbar bevor der Kessel platzt. »Schneid das durch, schneid das durch!« schrie Snuffy Lemmy zu. Aber Lemmy war ja nun selbst nicht der Beweglichsten einer. Als er sich in Richtung auf Mrs. Pimple in Marsch gesetzt hatte, wäre es um ein Haar schon zu spät
gewesen. Da aber hatte Tornado-Jack eingegriffen. Er, der jetzt statt eines Kaffeebohnenklopfers einen regelrechten, richtigen Revolver besaß, tat, was getan werden mußte mit einer männlichen, überwältigenden Selbstverständlichkeit, die einfach atemberaubend war und einen größeren Zuschauerkreis, wäre hier einer anwesend gewesen, von den Stühlen gerissen hätte. Er nämlich feuerte, schoß, und tatsächlich zerfetzte das Geschoß die straff gespannte Seilschnur. Und im gleichen Augenblick lockerte sich wieder die Schlinge und frische, herrliche Luft strömte in die zusammengepappte Lunge von Mrs. Pimple, auf daß sie wieder Kraft schöpfte und genügend Druck bekam, neue trommelfellzerstörende und markerschütternde Schreie ausstoßen zu können. »Das hättest du lieber bleiben lassen«, murmelte Snuffy, aber niemand hörte ihn. Sie lag da wie ein Wal, den ein Orkan aufs Trockene gespült hatte, schlachtreif, fix und fertig, total erschossen. Snuffy wäre am liebsten auf ihr emporgeklettert und hätte sich auf ihren Bauch gestellt wie ein Sieger nach der Schlacht. Aber das ließ er bleiben, aus Angst davor, daß aus Mrs. Pimple plötzlich die Luft entweichen könnte wie aus einem prallgefüllten Ballon. Es dauerte ungefähr eine Stunde, da hatte sich Mrs. Pimple so weit erholt, daß sie sich aufzusetzen in der Lage fand. Inzwischen war die Sonne aufgegangen, und die wärmte die durchgefrorene Mrs. Pimple wieder auf. Und als Snuffy, Lemmy und Tornado-Jack schon an einem hübschen Lagerfeuer saßen und in verträumter Romantik ihr Frühstück aßen und ihren Kaffee tranken, da erwachte Mrs. Pimple zu neuem Leben. Vergessen war die Drangsal, war die Not, vergessen war alles Schlimme der letzten Nacht. Sie, das Ungeheuer von Loch Ness, erwachte zu neuen Taten. Und sie stand auf, schnaubte wie ein erzürntes Walroß, schnupperte
dann den lieblichen Kaffeeduft und stampfte mit unnachahmlicher Grazie auf das Feuer zu, daß der Boden bebte. »Jungs!« rief sie, daß Lemmy den Kopf einzog, als hätte es über ihm gedonnert. »Jungs, ich habe euch zu danken!« Vor diesem Augenblick hatte sich Snuffy die ganze Zeit gefürchtet. Und er war ganz überwältigt, als Mrs. Pimple noch hinzufügte: »Kommt zu mir, ich muß euch einen Dankeskuß geben.« Snuffy verdrückte sich mit einer gemurmelten Entschuldigung und dem Hinweis darauf, daß er dringend etwas besorgen müßte, was unaufschiebbar sei. Auch TornadoJack konnte rechtzeitig entkommen und nur Lemmy, das kleine Schweinchen-Dick, blieb sitzen und starrte zu Mrs. Pimple empor wie das Kalb zu seinem Metzger. Und dann fühlte er sich emporgezogen, wurde an diesen Himalaja einer mütterlichen Brust gepreßt, daß er glaubte, ersticken zu müssen. Aber die Krönung war dann der Kuß, den sie ihm unmittelbar neben das Ohr pflanzte, daß Lemmy den sicheren Eindruck gewann, vor seinem Ohr sei eine größere Bombe explodiert. Und zugleich spürte er einen Schmerz auf der Haut, als wäre ihm dort in aller Liebe ein Schmiedehammer draufgeschlagen worden. Doch zu seinem überwältigenden Glück ließ ihn Mrs. Pimple wieder los, und er fiel auf seinen weichgepolsterten Allerwertesten, während sich Mrs. Pimple umsah, um ihre Art Dank auch den beiden anderen zuteil werden zu lassen. Die jedoch beobachteten diese menschgewordene Katastrophe aus sicheren Verstecken durch die Zweige der Büsche. Der Kuß, den sie Lemmy geben konnte, hatte zugleich ihre Liebesgefühle und die Sehnsucht nach einem Mann wieder in Mrs. Pimple geweckt, und sie hoffte, daß sie, die von Coyoten-
Auge so schmählich Enttäuschte, nun doch noch fand, was ihr in dieser Nacht nicht beschieden gewesen war. Wenn sie aber Lemmy so ansah, wirkte er nicht wie etwas, das ihr das zu geben imstande wäre, was sie erwartete. Eher schon gefiel ihr Tornado-Jack. Sie hatte ihn ausersehen, ihr das Glück an diesem Tage zu bescheren. Leider verspürte Tornado-Jack eher Lust, einen Alligator zu lieben als Mrs. Pimple. Snuffy jedoch hatte viel zuviel Geschäftssinn, um die Gelegenheit, die sich hier anbot, ungenützt verstreichen zu lassen. Als er nun diesen »Wo-ist-er-Blick« in Mrs. Pimples Augen richtig zu deuten wußte, da trat er hinter seiner Deckung hervor und rief: »Mrs. Pimple, Sie werden sehnlichst von einem Manne erwartet, der Sie seit Jahren anbetet, der Sie inniglich liebt und der sich nach Ihnen sehnt. Er hat uns ein Geschenk gemacht, wenn wir Sie heil und gesund zu ihm bringen, auf daß er Sie heiraten könnte. Er hat uns allen gesagt, wie sehr er Sie liebt und daß er nichts mehr ersehnt als Ihre Liebe.« Das war Musik in Mrs. Pimples Ohren, und sie reckte ihre gewaltige Brust, auf daß sofort ein scharfer Luftzug entstand, der Snuffy fast umgedrückt hätte. Und dann schnaubte sie mit ihrer lieblichen Stimme: »Ich brauche einen Wagen!« An alles hatten die drei gedacht, nur nicht an einen Wagen. Aber auch diesmal hatte Snuffy, der Schlagfertige, die richtige Idee: »Wir bauen Ihnen eine Schleppbahre«, versicherte er ihr, »und Sie werden sanft wie in Abrahams Schoß nach Purple City gebracht.« Gesagt – getan. Lemmy nahm Maß, Tornado-Jack war schon dabei, Bäume umzuschlagen, und Snuffy zeichnete noch an seinem kühnen Konstruktionsplan. Dann gewann Gestalt, was sich in Snuffys Hirn vorbereitet hatte. Eine gewaltige Schleppbahre wurde gebaut, und nur drei Pferde konnten imstande sein, so ein Monstrum von Bahre mit einer derartigen
Last zu ziehen. Damit das riesige Gewicht der Mrs. Pimple Snuffys Nelly nicht zu Boden schmettern würde, hatte man ganz besonders lange Baumstangen gewählt und Nelly ans alleräußerste Ende gebunden, während Mrs. Pimple an den anderen Enden dicht über dem Boden liegen mußte. Diese Schleppbahre nun, an der rechts und links zusätzlich noch Jacks und Lemmys Pferd gebunden waren, diente zum Abtransport von Mrs. Pimple. Dann zog man los. Als man auf die offene Prärie kam, quollen dicke Staubwolken unter den hinteren Kufen der Schleppbahre empor und senkten sich über Mrs. Pimple hernieder wie Paniermehl über ein Wiener Schnitzel. Und so sah dann Mrs. Pimple beim Einmarsch ins von Jubel erfüllte Purple City aus wie eine überdimensionale Kalbshaxe, die auf südamerikanische Art mit Ei und Semmelmehl paniert war und die man in Öl gebraten hatte. In Purple City war alles auf den Beinen, was Beine hatte. Und wieder stand der Multimillionär aus Texas oben auf seinem Balkon, reckte die buntbestickte Weste mit der Affenschaukel-Uhrkette ins strahlende Sonnenlicht und zog die buschigen Brauen zusammen, als ihm nun klarwurde, daß man ihn endgültig zur Kasse bitten würde. Denn mittlerweile war es den vereinten Kräften mehrerer Bürger gelungen, Mrs. Pimple von der Panierung zu befreien. Und die vereinigten Frauenvereine von Purple City näherten sich mit Chorgesang und Kriegsgebrüll, was auf Mrs. Pimple wie eine Wiederbelebungsspritze wirkte. Im übrigen, weil wir gerade von der Spritze reden, war auch noch Doc Walton gekommen, der sich, wie es nun einmal die Pflicht eines Arztes ist, angelegentlich um das Wohlergehen der armen Mrs. Pimple kümmerte. Und weil er schon immer ein raffinierter Mensch von Geblüt gewesen war, gelang es ihm doch tatsächlich, eine von diesen phantastischen blauen Kapseln, seine vorletzte, die er besaß, Mrs. Pimple in den Mund zu stecken, ohne daß sie es merkte. Nämlich genau in
dem Augenblick, da sie zu einem urigen Begrüßungsschrei angehoben hatte, schleuderte er ihr die blaue Kapsel geschickt in den Rachen, und sie verschwand im unergründlichen Schlund von Mrs. Pimple, um sich irgendwo im Magen aufzulösen und dann das zu bewirken, was schon einmal Lemmy zum Übermann gemacht hatte. Nur wirkte sie bei Mrs. Pimple völlig anders. Er, der kluge Doktor, dessen pharmazeutische Künste seiner Zeit weit voraus waren, hatte diese blauen Kapseln so abgestimmt, daß sie sich genau auf die Hormone eines Mannes oder einer Frau einstellten. Bei Mrs. Pimple war die Wirkung einmalig. Was ohnehin in Mrs. Pimple so schon stark entwickelt war, wurde nun zum ausgesprochenen Liebesterror. Und da sich Mrs. Pimple ganz auf denjenigen konzentrierte, von dem man ihr erzählt hatte, er liebe sie inniglich, würde sich in kürzester Zeit in Purple City etwas abspielen, von dem man noch in dreitausendvierhunderteinundzwanzig Jahren reden sollte. Snuffy schwenkte seinen Hut, ritt bis unter den Balkon, blickte zu dem großen und mächtigen Texaner empor und rief: »Sir, ich bringe Ihnen die Frau Ihres Lebens.« Der Texaner machte schmale Augen, schluckte und wollte gerade zu einer Entgegnung anheben, von der nie jemand erfahren würde, ob es Dankesworte oder etwas anders waren, da hatte sich Mrs. Pimple von der Schleppbahre erhoben. Von der Wirkung der Pille beflügelt, stürzte sie auf den Eingang des Hotels zu, jagte die Treppe empor, daß die Balken bebten und das ganze Haus ins Wackeln geriet, und dann auf einmal tauchte sie oben in der Tür des Balkons auf, den sie aber sicherheitshalber nicht betrat. Nur ihr Arm schoß hinaus auf den verdatterten Texaner zu, auf diesen Millionärsgroßvater, packte ihn, riß ihn an sich, und danach sahen die Zuschauer auf der Straße nur noch ein zitterndes, ächzendes und in allen Fugen wackelndes Haus, von dessen Dach die Schindeln rutschten, dessen Glasscheiben
klirrten, als wäre darin die Schlacht von Waterloo im Gange. Und vor Entsetzen stürzten der Hotelier und sein ganzes Personal ins Freie. Händeringend blickte der Hotelier auf sein Haus zurück, und der Koch, den Löffel in der Rechten, rief in panischem Entsetzen: »Das Jüngste Gericht bricht herein!« Snuffy aber stand mit verschränkten Armen, lächelte voller Genugtuung und wartete auf den Ausgang des Geschehens, als die Tochter, jene Mutter des Babys, vor ihn hintrat, auf die Knie fiel, und ihn händeringend anflehte: »Machen Sie dem ein Ende, ich bitte Sie! Ich gebe Ihnen alles, was Sie wollen! Bitte machen Sie dem ein Ende!« Snuffy wußte genau, warum sie bettelte. Denn sie wußte als einzige außer ihrem Vater, daß er nie hatte zahlen wollen. Aber nun wollte Snuffy seine Rache auskosten. Und dann dachte er wieder an Hedy Wonder. Die hatte auch noch eine Abreibung verdient. Und er fragte die Tochter des Texaners: »Wo ist Hedy Wonder? Ist Sie nicht mehr bei Ihnen?« Die Frau schüttelte den Kopf. »Nein. Sie ist im Saloon und trinkt. Das tut sie schon seit dem Tag, als Sie und Ihre Freunde weggeritten sind.« »Er hat sie also betrunken gemacht, daß sie ihr Geld nicht verlangen kann. Nun gut, jetzt wird er zahlen.« »Sicher wird er zahlen«, erklärte die junge Frau. »Er wird alles tun, was Sie wollen. Nur befreien Sie ihn von diesem Monstrum, von diesem Ungeheuer von Mensch, dieser Mrs. Pimple!« Snuffy überlegte gerade, wie er das anstellen konnte, als Doc Walton neben ihn trat, ihn mit den Ellenbogen anstieß, kicherte und ihm zuraunte: »Ich habe ihr auch eine blaue Kapsel gegeben.« Jetzt fiel es Snuffy wie Schuppen von den Augen. Das also ist es, dachte er, warum sie wieder so schnell auf den Beinen gewesen ist. Er sah den Doktor an und fragte: »Gibt es ein Gegenmittel?«
»Sicher gibt es das«, bestätigte Doc Walton. »Aber wollen wir uns das Vergnügen selbst wegnehmen, was sie uns bietet?« Snuffy dachte an den Trick und seine Rache. »Doch, Doc, wir müssen sie wieder abstellen. Wie macht man das?« fragte er. Walton kramte eine kleine, grünschimmernde Kapsel aus der Tasche und sagte: »Hiermit. Wenn sie das nimmt, wird sie ganz normal. Dann wird sie ausgesprochen harmlos.« »In Ordnung, geben Sie her«, entschied Snuffy, winkte seinen Freunden, und zu dritt stürmten sie ins Hotel. Unter ihren Füßen bebte der Boden. Als sie die Treppe, hinauf stürmten, rechneten sie jeden Augenblick mit dem Einsturz des Gebäudes. Doch dann waren sie oben. Die Tür stand weit offen, im Zimmer sah es aus, als hätte eine größere Treibherdenmannschaft damit begonnen, das Hotel in Einzelteile zu zerlegen. Irgendwo in diesem Trümmerhaufen wälzte sich Mrs. Pimple mit dem völlig am Boden zerstörten Texaner herum. Und dieser Mann, der dem Grabe näher schien als dem Leben, schickte einen gequälten, hilfeheischenden Blick den Männern entgegen, die da eingetreten waren. Aber Mrs. Pimple, die wohl fürchtete, ihres Vergnügens beraubt zu werden, richtete sich auf wie eine Nashornkuh, die ihr Junges verteidigt, und zugleich stieß sie einen Brunstschrei aus, daß es Snuffy und seine Freunde fast von den Füßen riß. »Wie stopfen wir der die Pille in den Mund? Die beißt uns ja glatt die Hand ab«, meinte Lemmy. Auch da wußte Snuffy Rat! Wozu hatte Tornado-Jack seinen phantastischen neuen Revolver, und wozu war er so ein erstklassiger Schütze. Also, kurz entschlossen gab Snuffy Tornado-Jack einen Wink, ließ sich den Revolver geben, nahm eine Patrone heraus, brach das Geschoß von der Hülse und stopfte die Kapsel auf den Treibsatz. Dann lud er neu und sagte
zu Tornado-Jack: »Ziel auf die mittelste Mandel, wenn sie den Rachen aufreißt, und dann drück ab!« Und sie riß den Rachen auf, hatte gerade in der rechten Hand eine mit Brandy gefüllte Flasche, die sie ganz offensichtlich nur zu dem Zweck ergriffen hatte, um sie dem nächsten der drei Männer auf den Kopf zu schmettern. Von dem in der Ecke zusammengesunken hockenden Texaner hatte sie völlig abgelassen. »Schieß erst, wenn ich’s sag’!« rief Snuffy, wandte sich an den Millionär und fragte: »Wieviel ist Ihnen Ihre Ruhe wert? Dreißig- oder vierzigtausend?« Es traf den Ärmsten wie ein Schwert, als er diese Beträge hörte. Aber die Angst vor Mrs. Pimple war größer, und er winselte: »Zwanzigtausend.« »Du bist zu geizig«, rief Snuffy, »jetzt kostet es dreißigtausend. Und wenn du noch zögerst, kostet es dich das Doppelte. Also?« »Ich bin einverstanden«, krähte der so klein gewordene, mächtige Mann, während Mrs. Pimple jetzt so richtig Schwung nahm mit ihrer Flasche, um sie Snuffy aufs Haupt zu donnern. Snuffy lächelte und sagte mit einer unnachahmlichen Eiseskälte zu Tornado-Jack: »Drück ab, mein Freund und Bruder!« Und Tornado-Jack schoß. Die grüne Kapsel flog genau, wie von Snuffy gewünscht, in Mrs. Pimples gewaltigen Rachen, als sie ihn gerade besonders weit aufriß, klatschte gegen die mittelste Mandel, die Snuffy als Ziel angegeben hatte, und dann versank sie – wie schon die blaue Pille – im Schlund. Die Wirkung kam augenblicklich. Mrs. Pimple erstarrte in ihren Bewegungen, ließ den Arm mit der Flasche sinken. Ihre eben noch grauenerregenden Züge entspannten sich, aus ihrem grimmigen Blick, der dem eines fleischgierigen Tigers entsprochen hatte, wurde plötzlich der eines ängstlichen Lämmchens. Und alle Härte und Straffheit ihres Körpers floß
jetzt wie Harzer Käse, der drei Wochen in der Sonne gestanden hatte. Mrs. Pimple sank auf die Knie, rang ihre Wurstfinger ineinander und flehte um Gnade und Nachsicht. Snuffy aber nutzte wieder die Gunst der Stunde und sagte zu Lemmy: »Und du holst jetzt den Reverend, denn wie ich unsere beiden hier kenne, sind sie sich einig geworden und werden nicht mehr länger darauf warten wollen, Mann und Frau sein zu können.« Nacktes Entsetzen zeichnete das Antlitz des Texaners, als er dies vernahm. Doch Snuffy tröstete ihn. »Ich bin ein großzügiger Mensch. Ich kann Mrs. Pimple natürlich wieder verwandeln, daß sie so wird, wie sie vorhin war. Das würde ich tun, wenn du, mein lieber Freund, ihr nicht das Jawort gibst. Auf der anderen Seite will ich euch auch ein Hochzeitsgeschenk vermachen, und zwar ist es die Wüste draußen am Galgenbaum, soweit das Auge blicken kann. Diese Wüste, die du mir erst geschenkt hast, mein lieber Freund aus Texas, sollt ihr beide als Hochzeitsgeschenk erhalten, und dort könnt Ihr euch ein Haus bauen und seid ganz allein mit euch und eurer Leidenschaft.« »Und das Geld?« fragte Tornado-Jack. »Das Geld wird er uns willig auszahlen«, erklärte Snuffy. »Nicht wahr, mein Freund?« Der Millionär nickte ergriffen, und Snuffy fuhr fort: »Er braucht es ja nicht mehr draußen, wo er sein neues Heim bauen wird, draußen in der Wüste. Da braucht er kein Geld. Aber wir hier, wir müssen noch viele Brandys trinken, und leider gibt der Saloonwirt uns die nicht umsonst. Also Freunde, warten wir auf den großen Augenblick, da der Reverend kommt.« Mrs. Pimple war glücklich. Der Texaner war es nicht, aber den fragte niemand mehr, der hatte nur noch Angst, daß sich Mrs. Pimple möglicherweise wieder zurückverwandeln würde
in jenes Ungeheuer, das über ihn hergefallen war und von ihm geliebt werden wollte. Jetzt allerdings war sie eine sehr anlehnungsbedürftige, verschmuste Mrs. Pimple. Wenn sich der Texaner die Sache richtig überlegte, war ihm Mrs. Pimple gar nicht mehr so unsympathisch. Eine halbe Stunde später hätte er darüber denken können, wie er wollte. Er zögerte noch ein einziges Mal, bevor er ja sagte, aber da brauchte Tornado-Jack nur mit seiner Hand an den neuen Revolver zu schlagen, und der Texaner sprudelte sein williges »Ja!« heraus, daß es dem Reverend in den Ohren dröhnte. Die Trauung ging schnell und rasch, und anschließend verkündete Snuffy vom Balkon aus den vielen Zuhörern unten auf der Straße, was sich hier im Hause Großes getan hätte. Die Verkündung der Hochzeit löste so viel Jubel aus, daß die Einwohner von Purple City auf der Straße tanzten, bis auf Hedy Wonder, die sich in den hintersten Winkel des Saloons verkrochen hatte und in ein leeres Glas stierte, hinter einer ebenso leeren Flasche saß und seit einer Stunde etwa stumm geworden war, aber von dem Saloonbesitzer keinen einzigen Drink mehr bekommen konnte, der sie zurückversetzt hätte ins Reich der Träume. Da tauchte Snuffy auf. Snuffy, der strahlende Held von Purple City und den umliegenden Dörfern. Er kam herein in den Saloon mit der Ausstrahlung eines Siegers, trat vor Hedy Wonder an den Tisch und sagte gönnerhaft: »Die ganze Stadt tanzt vor Freude und du nicht. Darf ich um ein Tänzchen bitten?« Und da sprang Hedy Wonder vom Stuhl auf, warf sich dem zufrieden lächelnden Snuffy an die knochige Brust, daß sie sich fast dabei den Kiefer gebrochen hätte. Aber dann fühlte sie sich von seinen sehnigen Armen umschlungen, legte den Kopf in den Nacken und strahlte Snuffy beglückt an, während ihre
herrlichen, wohlgeformten Lippen ein zartes »Ich liebe dich, Snuffy!« in seine Ohren hauchte. *** Das jungvermählte Paar, der Millionär und die wie ein Honigkuchenpferd strahlende Mrs. Pimple, verließ zwei Tage später Purple City, und auch das Baby und seine Eltern reisten nach Texas ab. Und so war Purple City um eine große Attraktion ärmer geworden, zumal das Hochzeitspaar nicht in der Wüste wohnen wollte, wie Snuffy es vorgeschlagen hatte. Vielmehr kehrten sie in die Heimat des Bräutigams zurück, nämlich nach Texas auf die große Ranch. Und nun stand fest, daß Mrs. Pimple in ihrer neuen Heimat Texas den Bewohnern dort auf der Ranch und in der weiteren Umgebung Sitte und Anstand einer ordentlichen Lebensführung beibringen sollte, wie es nun einmal dem Wesen einer Mrs. Pimple entsprach. Diese Tatsache gereichte auch dem Häuptling CoyotenAuge zu der begründeten Hoffnung, daß er und seine Stammesangehörigen in Zukunft friedlich an jener Stelle weiterleben konnten, die sie noch vor kurzem fluchtartig verlassen hatten. Und Coyoten-Auge schwor sich auch, nie mehr die Weißen anzugreifen oder gar ein Baby zu rauben, noch sonst dererlei Dinge zu tun, die ihn anschließend mit einer so fürchterlichen Waffe konfrontieren würden, wie die Weißen sie in der Person Mrs. Pimples besaßen. Hedy Wonder hatte sich tatsächlich den Saloon gekauft und war nun die größte Nutznießerin vom Dollarsegen der drei Joker-Boys. Snuffy machte sich schon ernste Gedanken, Hedy Wonder zu heiraten. Und auch Hedy war bereit, mit Snuffy den Bund der Ehe einzugehen. Snuffy aber, der den klugen Rat eines weisen und erfahrenen Mannes schätzte, ritt hinaus in die Wildnis zu Coyoten-Auge. Die beiden trafen sich, und Coyoten-Auge
wurde von Snuffy um den Rat gebeten, was zu tun sei, wenn man heiraten wolle. Und Coyoten-Auge sagte ihm dieses: »Suche im Lande deiner Väter das schönste, klügste und reichste Mädchen aus, das du finden kannst. Und dann, mein Bruder, rüste alles zum großen Fest der Hochzeit. Lade alle deine Freunde, deine Schwestern und Brüder, Eltern und Anverwandte ein. Spare nicht mit gutem Trank und bester Speise. Doch dann, wenn der Augenblick der Vermählung naht, dann geh in deinen Stall und sattle das schnellste und beste deiner Pferde und reite, so schnell du kannst, in die entgegengesetzte Richtung.« ENDE
Joker Boys erscheint im Wolfgang Marken Verlag GmbH & Co., Eintrachtstraße 110-118, 5000 Köln 1, Fernruf 1648-1. – Anzeigenleitung: Josef Neuen. Verantwortlich für den Anzeigenteil: Jochen Gebhard. Anzeigen-Preisliste 29 vom 1.7.1979. – Alleinvertrieb für Österreich: Pressegroßvertrieb Satzburg, Niederalm 300, A-5081 Anif. – Druck: Buchdruckerei und Verlag Georg Koenig GmbH & Co., 5000 Köln 1. – Unsere Romanserien dürfen in Leihbüchereien nicht verliehen und nicht zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden; der Wiederverkauf ist verboten. Alle Rechte vorbehalten. Für unverlangt eingesandte Manuskripte keine Gewähr. – Printed in Germany. – Dieser Roman ist von der Selbstkontrolle deutscher Romanheft-Verleger geprüft und freigegeben.