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Howard Duff �
Es geht westwärts, � Jungs �
Crane glich jetzt genau dem, was Tom Madur, der Bahnmarshal, einmal gefürchtet hatte: einem wilden Tier. Er hatte den gleichen Ausdruck in seinen grüngrauen Augen, den Leroy, der Deputy, für den Bruchteil einer Sekunde zu Tode erschrocken registriert hatte. Danach hatte Leroy noch den Mund zu einem Schrei aufgerissen und die Rechte nach dem Revolver schnappen lassen. Es war die letzte Bewegung gewesen, die Leroy gemacht hatte, und Crane grinste diabolisch, als er sich an Leroys fassungsloses Staunen erinnerte. Im nächsten Augenblick verengten sich Cranes Lider noch mehr. Cranes Faust umklammerte den Revolver so heftig, daß seine Handknöchel weiß durch die Haut schimmerten, denn die Anbautür bewegte sich jetzt. Die Frau kam mit der Schultertrage und den beiden leer an den Kettenhaken hängenden Eimern wieder heraus. Einen Moment schien sie den Kopf zu heben und haargenau auf den Bretterzaun zu blicken, hinter dem Crane lauerte. Crane hatte das beklemmende Gefühl, daß sie zu dem Spalt sah, durch den er einäugig lugte, aber dann wandte sie den Kopf, und nun ging sie nach links. Die Frau mußte etwa vierzig sein. Sie war aschblond, schlank, beinahe so groß wie Crane und schritt quer über den Ranchhof. Zweifellos wollte sie in die Küche zurück, aus der sie vor weniger als zehn Minuten gekommen war, um mit der Trage zum Brunnen zu gehen und zwölf Eimer Wasser in den Anbau zu schaffen. Crane ließ die Frau nicht aus den Augen. Er fragte sich, ob sie allein war. Irgendwer – soviel verstand Crane von Spuren – mußte die Ranch gestern mit dem Wagen und zwei Rindern
verlassen haben, die er hinten angebunden hatte. Die Wagenfurchen waren vom gestrigen Gewitterregen verwaschen worden, also mußte der Wagen vor dem Nachmittag nach Nordosten davongerollt sein. »Ich wette, es ist ihr Mann gewesen«, wisperte Crane. »Ich habe gut dreihundert Rinder gesehen – gerade genug, um einen Mann beschäftigt zu halten, aber es kann noch ein Kerl hier sein. Sieht er mich, hat er vielleicht schneller ein Gewehr in der Hand als ich im Haus sein kann und knallt mich über den Haufen.« Crane verstummte schlagartig. »Kommst du, Mam? Frühstück ist fertig, wir können essen. Brennt das Feuer unter dem Kessel?« In Crane spannte sich alles, als die Frau am Vorbau stehenblieb und die Eimer auf die Holzbank stellte. Gleichzeitig trat das Mädchen in die Küchentür. Es konnte kaum zwanzig sein, hatte hellblondes Haar und ein graues, einfaches Kleid, vor das es eine blaue Schürze gebunden hatte. »Es brennt, obgleich das Holz ziemlich naß gewesen ist«, erwiderte die Frau. Sie legte die Trage, wobei die Ketten heftig klirrten, neben die Eimer auf die Bank, streckte sich und drückte die Hände in den Rücken. »Dein Vater hätte das Schuppendach doch besser schon im Herbst flicken sollen, aber du kennst ihn ja. Die Rinder gehen immer vor. Verdammt kühler Morgen, Kind.« »Es regnet wenigstens nicht mehr«, gab das Mädchen nach einem Blick zum Himmel zurück. »Sieht jedoch nicht danach aus, als verzögen sich die Wolken, oder glaubst du, daß wir die Wäsche draußen aufhängen können?« »Glaube ich nicht. Es wird wieder regnen, Kind. Dies ist ein verregnetes Frühjahr, zu kalt und frostig. Kann mich nicht erinnern, daß es in den sechs Jahren jemals so kalt um diese Zeit
gewesen ist.« Die Frau zog die Strickjacke fester um die Schultern, ehe sie an ihrer Tochter vorbei in die Küche trat. Einen Augenblick später schloß das Mädchen die Tür, während Cranes Blick nach rechts am Zaun entlanglief. Der Zaun endete gut fünfzehn Schritt vor dem Haus an niedrigen und noch nicht belaubten Büschen, neben denen ein schmaler, aufgeweichter Pfad her führte. Er trennte die Büsche vom Gartenland einiger vor kurzer Zeit umgegrabener Beete. »Verdammter Dreck«, sagte Crane bissig. Sein Hals schmerzte heftig, als er sprach, und die Furcht, daß er sich neben der Erkältung auch noch eine Grippe holen könnte, meldete sich wieder. »Dort muß ich kriechen, also werden Jacke und Hose wieder durch und durch naß. Die Hölle – warum ist an dem verdammten Gaul nur eine Decke und kein Regenumhang gewesen? Ich brauche trockene Sachen, und endlich eine Mahlzeit für meinen knurrenden Magen. Also los, besuchen wir die Frauensleute!« Tom Crane duckte sich und sah sich noch einmal nach seinem Pferd um. Er hatte es unter den Büschen in der Senke angebunden. Es stand dort, ließ den Kopf hängen, und war genauso fertig wie Crane, der es seit vorgestern Nacht ritt. Der Gaul war nicht mal schlecht, doch der ständige Regen hatte den Boden überall aufgeweicht, so daß das Tier oft nur mühsam vorangekommen war. Crane hatte sich und dem Gaul nur zweimal zwei Stunden Ruhe gegönnt. Er mußte sehen, daß er so schnell wie möglich nach Süden von der Bahnlinie fort kam. Der Schienenstrang der Union Pacific kam ihm wie eine Schlange vor, die ihm nur Unheil bringen konnte. »Sie werden Madur benachrichtigt haben«, knurrte Crane vor sich hin, indem er geduckt dem Ende des Zaunes näherkam. »Der verdammte menschliche Spürhund soll zwar in Po-
catello gewesen sein, aber dort ist er bestimmt nicht geblieben, wenn er von meiner Flucht gehört hat. Nur den nicht im Nacken haben. Immerhin kann er nicht vor dem Abend in Cokevüle gewesen sein – und nachts hat der auch vor Regen nichts sehen können. Nein, nein, der Kerl ist noch weit entfernt.« Das blieb Cranes einziger Trost. Die Unionleute hetzten ihm bestimmt Madur hinterher, weil er Leroy, den Bahndeputy, schwer mit den Handschellen getroffen hatte. Crane hatte so heftig zugeschlagen, daß Leroy mindestens eine Gehirnerschütterung davongetragen haben mußte. Der junge Deputy war wie ein nasser Sack zusammengefallen. Er hatte wie tot am Boden gelegen, und seitdem ging Crane der Gedanke nicht mehr aus dem Kopf, daß er ihn vielleicht erschlagen haben könnte. Der verfluchte Madur, dachte Crane wütend, hat es damals gesagt. »Mach nur so weiter, Crane, dann bringst du eines Tages noch jemand um, und wirst wie ein wildes Tier gejagt werden, bis man dich hat und deinen Hals ein Stück länger macht. Wie viele Jahre deines Lebens hast du nun schon im Jail verbracht, Mann? Du lernst es nicht, Crane, fürchte ich. Das nächste Mal, Mann, bekommst du fünf Jahre oder einen Strick.« Crane sank herunter und kroch los. Er fror leicht in seinen durchnäßten Sachen, doch das Frieren verlor sich, je weiter er robbte und sich hinter den Büschen her dem Haus entgegenschob. »Du bekommst mich nicht, Madur«, zischte er verbissen. »Diesmal ist das Wetter mit mir. Nur zwei Weiber auf dieser Ranch, Mann, mit denen werde ich leicht fertig. Ich habe sie gleich.«
* Crane wuchs neben der Tür hoch. Er hatte es nicht gewagt, einen Blick durch das Fenster zu werfen, preßte sich flach an die Hauswand und streckte dann die Linke nach dem Türdrücker aus. Noch einmal huschte Cranes wachsamer Blick zu den Hügeln empor, die das Tal begrenzten. Er sah die Bäume, den grauen Dunst, der aus ihnen kroch, aber er sah kein lebendes Wesen. Im nächsten Augenblick schloß sich Cranes Linke um den Türdrücker. Gleichzeitig hob er den Revolver an. Und dann riß er die Tür mit einem wilden Ruck auf. In derselben Sekunde wurden die Stimmen, die er gehört hatte, lauter. Das Mädchen und die Frau hatten sich über irgendeinen James unterhalten, der am nächsten Wochenende kommen wollte, und ihre Stimmen hatten Crane verraten, daß sie links von der Tür sitzen mußten. Als Crane wie ein Tiger in den Raum flog, wandte die Frau den Kopf, sperrte die Augen vor Schreck auf und ließ die Kaffeetasse fallen. Das Mädchen, den Rücken Crane zuwendend, kam nicht mehr dazu, den Kopf herumzunehmen. Crane glich einem von Kopf bis Fuß beschmutzten, vor Nässe triefenden Lobo, der knurrend auf friedlich am Frühstückstisch sitzende Leute zufegte. Und dann sah Crane etwas, von dem er keine blasse Ahnung gehabt hatte. Neben dem Außenkamin und am anderen Ende des langen Bohlentisches hockte jemand, es war ein Mann. Der Mann blickte Crane mit dem seltsamsten Ausdruck an, mit dem Crane jemals gemustert worden war. Den Bruchteil einer Sekunde lang hatte Crane das Gefühl, daß ihn die Augen eines Toten betrachteten, so starr und gänzlich unbewegt starr-
ten sie ihn an. Zugleich aber bemerkte Crane noch etwas: der alte Mann hielt ein rundes Brot vor der Brust und war dabei, mit einem großen Messer eine Scheibe abzuschneiden. Tom Crane, der hier nur eine Frau und ein Mädchen vermutet hatte, von denen er nur eine zu packen hatte, um Herr auf der Ranch zu sein, vergaß die beiden Frauen und flog mit einem riesigen Sprung hinter dem Stuhl her, auf dem die Frau saß. Im gleichen Moment riß der grauhaarige Alte das lange Messer mit der breiten Klinge aus dem Brotlaib und holte auch schon zum Wurf aus. In derselben Sekunde schrie die Frau links hinter Crane gellend auf, aber Crane war schon an ihr vorübergerast, und er sah nun die dritte Überraschung dieses Morgens vor sich. Der alte Graukopf hockte in einem Rollstuhl, einem einfachen Ding mit zwei gewöhnlichen Handwagenrädern und Armlehnen. »Du verdammter Narr, weg mit dem Messer!« Crane fauchte es, indem er vor dem Rollstuhl anlangte und seine Rechte nach vorn schnellte. Cranes wilder Hieb traf den Ellbogen des Alten mit derartiger Gewalt, daß das Messer aus der Hand des Mannes fiel. Der Alte sperrte zwar den Mund weit auf, schrie jedoch nicht, und er starrte Crane immer noch mit diesem seltsam toten, leeren Augenausdruck an. Alles, was Crane hörte, war ein dumpfer, hohler Laut, jedoch kein gellender Schrei, der den sicherlich schmerzhaften Hieb quittierte. Das lange Messer verschwand irgendwo hinter dem Alten, der nun den linken Arm mühsam hob. Der Arm zitterte, während Crane wie ein wilder Teufel den Rollstuhl packte, mit einem Fluch herumriß und schon hinter ihm war. Im gleichen Moment sah er die Frau nach der Blechkanne greifen und vom Stuhl aufspringen. Ehe sich die Frau umwen-
den konnte, verwandelte sich Crane in einen Rasenden. Daß nun beide Frauen schrien, nahm er kaum wahr. Er schleuderte den Rollstuhl mit dem Alten herum, stieß ihn vor sich her, und ließ ihn mit voller Wucht gegen den Stuhl prallen. Der hochlehnige Stuhl fuhr der Frau in die Seite. Der Anprall war so heftig, daß sie der Länge nach am Tisch herschoß. Die sicherlich noch halbvolle Blechkanne schlug auf die Tischplatte. Der Deckel sprang auf, und dann schoß der brühend heiße Kaffee dampfend hinaus. Crane sah nur noch, daß der Kaffee dort von der Platte schwappte, wo das Mädchen saß. Die heiße Kaffeebrühe klatschte dem Girl über den Schoß, während die Frau jetzt vom Tisch abglitt und mit einem durchdringenden Schrei zu Boden stürzte. »Euch will ich lehren«, keuchte Crane wütend. »Zur Hölle mit dir, Alter.« Fluchend ließ Crane den Rollstuhl noch einmal gegen den Lehnstuhl krachen. Das hochlehnige Ding klemmte die schreiende Frau ein, und gleichzeitig trieb der Stoß den Stuhl aus der Bahn. Der Weg für den Rollstuhl zur sperrangelweit aufstehenden Tür war frei. Das Mädchen, das jetzt aufgesprungen war, genau wie seine Mutter schrie und das Kleid mit beiden Händen von seinen Schenkeln abhielt, sah entsetzt, wie Crane einen wilden Satz mit dem schwankenden, knarrenden Rollstuhl machte, und ihm dann einen gewaltigen Stoß gab. Der Alte, die anscheinend gelähmten Beine auf einem Trittbrett am Stuhl gestellt, schoß mit rasender Geschwindigkeit auf die Tür zu. Der Rollstuhl schrammte mit dem linken Rad an der Tür entlang, schien quer herumfliegen zu wollen und prallte doch nur kurz an den rechten Türbalken. Danach sauste er hinaus, neigte sich, als die Räder die abgeschrägte Tür-
schwelle hinuntersausten und drohte zu kippen. Immer noch kam kein Schrei von den Lippen des Alten. Er fuhr jetzt, die Hände abwehrend vorgestreckt, als schösse er eine Rampe hinunter, über den Vorbau. Dann kam er an die Kante. Die Räder rasten über sie hinweg, und jetzt stürzte der Rollstuhl mit einem Krachen um. Das letzte, was Crane von dem Alten sah, ehe er herumwirbelte und sich der Frau zuwandte, war der in den Hof kollernde und hilflos liegenbleibende Körper. Crane, die wilde Bestie, schnellte jedoch nicht auf die Frau zu, sondern flog mit einem Sprung dem Girl entgegen. Seine schlanke, knochige Linke packte das schreiende Girl am Hals. Zugleich stieß er ihm den Colt in die Seite, riß es herum und verschwand hinter ihm, den Colt nun hochschwingend und drohend an den Kopf des Girls pressend. »Ruhig hier!« fauchte Crane messerscharf. »Verdammt, seien Sie schon ruhig, Madam, dann passiert dem Girl nichts. Sie sollen still sein, verflucht noch mal! Stehen Sie aufstehen Sie auf!« Die Frau blieb einen Augenblick auf Händen und Knien liegen. Sie schrie jetzt nicht mehr. Ihr Blick wanderte zuckend zwischen dem alten Mann und ihrer Tochter hin und her. Der Alte lag auf der Brust, die Arme andrückend und doch nicht in der Lage, sich mit seinen gelähmten Beinen erheben zu können. Dafür begann er nun zu kriechen, indem er sich nur mit den Armen vorwärtsschob. Er machte kehrt, doch es geschah quälend langsam. Das Mädchen sah die Frau in panischer Angst an, wagte es aber nicht, sich zu bewegen oder zu schreien. »Oh, mein Gott«, stammelte die Frau entsetzt. »Mister, was wollen Sie von uns, was haben wir Ihnen getan?« »Nichts, verdammt«, antwortete Crane barsch, indem er das
Girl fester packte und vor sich und dem Colt her schob, bis er aus der Tür blicken konnte, und dennoch die Frau im Auge behielt. »Tun Sie, was ich sage, Madam, dann passiert hier niemand etwas. Warum, zur Hölle, wollte er das Messer nach mir werfen? Der verdammte Narr hat mich umbringen wollen. Drehen Sie nicht durch, er kommt niemals auf den Vorbau, das schafft er doch nicht. Alter, blieb liegen. Ich werde den Frauensleuten schon kein Haar krümmen, wenn sie vernünftig sind. Liegenbleiben. Hörst du nicht, Mensch?« Der Alte hatte die Vorbaukante erreicht, und es war, wie Crane vorhergesagt hatte, er schaffte es nicht, über die Kante zu kriechen. »Mister, mein Vater ist von der Hüfte an gelähmt, und auch sein Hals ist seit dem Schlaganfall steif. Kann ich ihm wieder in den Stuhl helfen? Um Himmels willen, tun Sie meiner Tochter nichts an. Was immer Sie wollen, es wird geschehen. Mister, aber tun Sie dem Kind nichts.« »In Ordnung«, erwiderte Crane mit einem Grinsen. »Jetzt können wir vernünftig miteinander reden, schätze ich. Sie tun, was ich will, weil ich das Girl habe, in Ordnung. Lassen Sie sich nur nichts einfallen, Madam, sonst erleben Sie etwas, wovon Sie noch als Urgroßmutter Alpträume bekommen werden. Von mir aus gehen Sie hinaus und setzen Sie den Alten wieder in seinen Rollstuhl, aber sagen Sie ihm, daß er verdammt friedlich zu bleiben hat. Was ist das hier für eine Ranch, und wohin ist Ihr Mann gefahren?« Die Frau schien sich jetzt zu fassen. Sie wechselte einen stummen, aber dennoch vielsagenden Blick mit ihrer Tochter, ehe sie antwortete: »Dies ist die Watton Ranch. Ich bin Anne Watton. Das ist meine Tochter Grace, und der alte, gelähmte Mann, den Sie
brutal hinausgestoßen haben, Mister, ist mein Vater – Major Anthony McInnan. Mein Mann Jubal ist zur Stadt.« »Zu welcher Stadt?« knurrte Crane, als sie hinaus wollte. Er spürte, wie ihre Feindseligkeit jetzt, nachdem sie den ersten Schock überwunden hatte, von tiefstem Mißtrauen geprägt. Sie waren alle doppelzüngig wie die Schlangen, und es sollte nie wieder einer Frau gelingen, ihn auf die gleiche Weise, wie es Thelma gelungen war, hereinzulegen. »Reden Sie schon, wohin genau ist er?« »Nach Little Creek«, gab die Frau etwas zu hastig zurück. »Er bringt Rinder zum Verkauf fort und wird morgen zurückkommen.« Einen Augenblick versuchte sie, Crane so gleichmütig und beherrscht sie nur konnte, anzusehen, doch dann irrte ihr Blick ab, um sich auf den Alten draußen zu richten. In der nächsten Sekunde bemerkte sie Cranes heftige Bewegung. Zugleich hörte sie das Knacken seines Revolverhammers und das kurze Stöhnen ihrer Tochter. Als sie den Kopf wandte, erstarrte sie. Crane hielt den Revolver jetzt direkt an die Schläfe des Mädchens, während seine langen, knochigen Finger ihren Hals zusammenpreßten. Zudem hatte er dem Girl auch noch das linke Knie in den Rücken gerammt, und Grace Wattons Leib bog sich nach hinten, wobei ihr Gesicht krebsrot anlief. »Gelogen!« zischte Crane, giftig wie eine Sandviper. »Verdammt gelogen. Mich lügt keine Frau an, verstehen Sie mich nicht. Hereinlegen haben Sie mich wollen, denn er ist nicht nach Little Creek, Ihr Mann. Der Narr ist nach Woodruff hinüber. Ist er dorthin, oder ist er nicht, he? Ich zähle bis drei, dann drücke ich ab.« »Allmächtiger«, stöhnte Mrs. Watton. Sie war nun bleich wie ein Leichenhemd und wich vor Furcht und Grausen an die Tür zurück, sich verzweifelt an ihr festhaltend. »Nicht, Mister, tun
Sie es nicht, mein Mann ist nach Woodruff.« »Und er kommt heute noch zurück, richtig?« höhnte Crane. »Sie haben mich hereinlegen und mir vormachen wollen, daß er erst morgen kommt, damit ich vielleicht sorglos werde und mir einbilde, ich hätte reichlich Zeit, mich hier irgendwo auszuschlafen. Sie denken, ich bin beinahe am Ende und brauche unbedingt Ruhe, was? Ich sehe so aus, aber Sie irren sich, verstanden? Ihr Mann sollte eine Chance gewinnen, mich im Schlaf zu überraschen, haben Sie gedacht. Sie elende Närrin, noch so eine Hinterlist, und ich binde Sie mit mit dem Alten fest, ehe ich Ihre Tochter mit in den Stall nehme. Wollen Sie ihr Geschrei gern hören, he?« Mrs. Watton schloß entsetzt die Lider. Sie wußte nun, daß sie es nicht nur mit einem hartgesottenen, sondern auch teuflisch schlauen und listigen Mann zu tun hatte. »Mister«, konnte sie gerade noch herausbringen. »Mister, ich werde Sie nicht mehr belügen. Mein Mann ist nicht allein zur Stadt gefahren, unser Sohn begleitet ihn. Henry ist zwanzig Jahre alt…« Der Frau versagte die Stimme, und sie hielt sich mit letzter Kraft aufrecht, während Crane höhnisch grinsend zu dem an der Vorbaukante liegenden Alten blickte. Der alte Mann hatte die Hände auf die Bohlenkante gelegt und seinen Oberkörper so weit hochgestemmt, daß er Crane anblicken konnte. Cranes Grinsen erlosch erst, nachdem ihn der unheimlich starre und seltsam tote Blick des Gelähmten getroffen hatte. Crane schauderte es beim Anblick dieser seltsam starren Augen. Ihm war, als blicke ihn ein lebender Leichnam an. »Nun gut«, sagte er finster. »Sie werden mir genug Verpflegung für eine Woche zusammenpacken und für trockenes Zeug sorgen. Ich brauche auch einen regendichten Umhang. Die Pferde stehen im Stall wegen des Wetters, was?«
»Ja«, würgte Mrs. Watton hervor. »Nehmen Sie sich, was Sie benötigen, Mister.« »Ich habe nichts anderes vor«, antwortete Crane bissig. »Hier geschieht nur, was ich will, oder die Hölle ist los. Und jetzt holen Sie den alten Mann herein.« Crane wußte, daß er gewonnen hatte. Sobald die Frau den Alten hier hatte, würde er sie nach einem Strick schicken und danach den Alten und sie binden. Das Girl sollte bei ihm bleiben, damit es ihm alles zeigte, zuerst die Waffen, die es todsicher im Haus gab. War er damit fertig, würde er sie mit in den Stall nehmen und sämtliche Pferde hinaustreiben. Tom Crane grinste verstohlen vor sich hin, als sein Blick auf die Waschschüssel rechts neben dem Herd fiel. Eine Waschschüssel hatte ihm zur Freiheit verholten, so seltsam es war. Der Deputy Leroy würde nie mehr einem seiner Gefangenen erlauben, sich die Hände zu waschen, soviel stand für Crane fest. Der verdammte Narr, dachte Crane spöttisch, er hat ein selten blödes Gesicht gemacht als er merkte, welchen Fehler er begangen hatte. Und die hier werden noch blöder aussehen, sobald sie erkennen, daß ich mit allen Pferden verschwinde. * Das Mädchen fror jetzt vor Angst. Ihr Körper versteifte sich immer mehr, je näher Crane ihr kam. Er hatte zuerst den Alten an die Lehnen des Rollstuhles gefesselt und einfach den Besen durch die Handwagenräder gesteckt, so daß der Alte alles versuchen, aber nicht mit dem Stuhl losrollen konnte. Danach war die Frau an der Reihe gewesen. Er hatte ihr Gestammel mit einer Art inneren Behagens genossen, um alles in
der Welt ihrer Tochter nichts anzutun. Als er Grace dann die Arme auf dem Rücken gebunden, und sie wie ein Schaf an den gut zwei Schritt langen Strick genommen hatte, war die Frau vor Furcht einer Ohnmacht nahe gewesen. Grace schien jetzt ähnlich zu fühlen. Er hatte sie an den Balken der einen leeren Boxwand gebunden, in der Heu lag. Daß Crane erst das Girl angesehen und danach vieldeutig das Heu betrachtet hatte, mußte gewirkt haben. Grace Watton stand stocksteif an der Boxwand, und ihre Pupillen waren vor Angst geweitet. Irgendwie fühlte sich Crane nun völlig befriedigt. Es überkam ihn immer wie ein Rausch, sobald sich Frauen vor ihm fürchteten. Jedesmal, wenn er eine Frau in panische Angst versetzen konnte, empfand es Crane als einen Teil seiner Rache für das, was ihm Thelma angetan hatte. Sie mußte gewußt haben, daß er sie suchen würde, um sie für ihre Gemeinheit zu strafen. Darum war sie auch spurlos verschwunden. Mit vierzehntausend Dollar konnte sie überallhin geflüchtet sein, und manchmal stellte er sich vor, daß sie in Kalifornien in der Sonne saß, einen kühlen Drink schlürfte und sich verschluckte, sobald sie an ihn und sein gestohlenes Geld dachte. Vielleicht war Thelma auch nach dem Norden geflohen, und saß nun in Kanada, die trauernde, ehrbare Witwe spielend und nach dem nächsten Mann Ausschau haltend, der über ein genügend dickes Bankkonto verfügte. »Ich könnte sie umbringen!« Crane sagte es zischend aus seinen Gedanken heraus, das Girl nur noch schemenhaft wahrnehmend und völlig seinem Haß auf Thelma, dem Luder, nachhängend. Dann erst ließ ihn die zuckende Bewegung des Girls zusammenfahren, und er wußte wieder, daß er jetzt keine Zeit hatte, sich mit Thelma zu beschäftigen.
Grace Watton erschrak fast zu Tode, als sie Cranes finstere, giftige Worte vernahm. Sie wußte nicht, daß er Thelma und nicht sie meinte, und sie versuchte noch weiter zurückzuweichen. »Geht nicht, was?« fragte Crane höhnisch. »Zu dir komme ich noch, Miss. Und nun wollen wir mal die Pferde hinausschaffen, was? Ganz brauchbare Gäule habt ihr da. Ich wette, ich bekomme einen anständigen Preis für sie, wenn ich am Ziel bin.« Dies war auch nichts als ein Bluff. Sollten sie denken, daß er die Pferde verkaufen wollte. Es würde sie noch mehr verwirren und auf eine falsche Fährte locken. Immerhin wußte niemand besser als Madur, daß Crane über tausend Verbindungen verfügte, und überall Abnehmer für Pferde fand. Der Handel mit Pferden hatte Cranes Leben bestimmt, und ihn mehr als einmal ins Jail gebracht. Tatsächlich konnte auch Madur auf den Trick Cranes hereinfallen, und hatte er Cranes Spur verloren, würde er vielleicht bei Händlern nach Crane suchen und noch mehr Zeit einbüßen. Ich lege sie alle herein, dachte Crane grimmig, auch Madur findet mich nicht. Sein Gesicht verzog sich zu einem höhnischen Lächeln, als er dem ersten Pferd das Zaumzeug anlegte und es in den Gang führte. Die Wattons besaßen nicht mehr als fünf Reitpferde, genug für diese kleine Ranch und die geringe Anzahl Rinder, und Cranes Plan stand jetzt fest. Er würde die Pferde weit genug mitnehmen und sämtliche Waffen, die er im Haus gefunden hatte, irgendwo im nächsten Bach versenken, ehe er sich von drei der fünf Pferde trennte. Kam Jubal Watton mit seinem Sohn zurück, standen dem Rancher nur die beiden mit Sicherheit ermatteten Gespanngäule
zur Verfügimg. Mit ihnen konnte Watton keine Verfolgung aufnehmen, sondern er mußte zur nächsten mehr als zwölf Meilen entfernten Nachbarranch, um sich dort Reitpferde zu leihen. Dann jedoch lag die Nacht vor Watton, und er würde, falls es weiter so regnete, keine Spur von Crane mehr finden. Crane spuckte aus, als er mit dem Pferd aus dem Stall trat und es unter das Abdach des Schuppens brachte. Der Regen fiel jetzt nicht mehr nieselnd, sondern in dicken Tropfen, und die düster-graue Wand hüllte das Bear River Valley im Norden ein, woher die Wolken heranzogen. Regen war oft seine Rettung gewesen, damals bereits, als die Strecke über Kemmerer und am Bear Lake vorbei nach Pocatello gebaut worden war. Die Union Pacific hatte Tausende von Pferden gebraucht, um Material für die Trasse heranzukarren, und Crane hatte verdient wie nie zuvor, bis ihm Madur in die Quere gekommen war. Der verdammte Rechner Nick Molling, der Bahninspektor, hatte sich über die Anzahl Pferde gewundert, die Crane der Union Pacific verkauft hatte, obgleich er immer nur wenige in den Corrals von Crane bei seinen Besuchen gesehen hatte. »Das ist auch so ein verdammter, scharfäugiger Geier«, knurrte Crane bissig, als er den Rückweg zum Stall antrat. »Glaubt mir nicht, daß ich noch woanders Gäule stehen haben kann und sagt dem Hundesohn Madur, der solle mal ein Auge auf mich haben, damit der Bahn keine gestohlenen und umfrisierten Gäule verkauft würden. Und dieser Hund Madur sieht sich die Brandzeichen an. Na, da haben sie mich gehabt, das erste Mal.« Crane fluchte, dachte an die Zeit im Jail und daran, daß er endlich beschlossen hatte, von nun an ehrlich zu werden. Er hatte das Geld auch zusammen gehabt, um sich seinen Traum von einem prächtigen Saloon erfüllen zu können, in dem Thel-
ma die Männer anziehen und ausnehmen sollte. »Das Luder, das erbärmliche«, stieß Crane durch die Zähne. »Ein Glück, daß diese hinterhältige Schlange nicht gewußt hat, von wem ich die gestohlenen Gäule gekauft hatte, sie hätte das dem Sheriff sonst auch noch erzählt. Stiehlt mir meine vierzehntausend Harte, sagte dem Sheriff Bescheid, er solle sich mal meine Gäule und die Meldungen über gestohlene Pferde ansehen und verschwindet, während ich geschäftlich unterwegs bin. Wenn ich dich jemals erwische, Thelma, drehe ich dir den Hals um, aber ganz langsam.« Crane trat in den Stall, heftete seinen finsteren Blick auf Grace Watton und näherte sich ihr. Das Girl war nicht Thelma, aber Crane war überzeugt, daß es genauso falsch, hinterlistig und gemein sein konnte. Für Crane taugte keine Frau mehr etwas, sie waren alle grundschlecht. »Ich bin gleich fertig«, sagte er, Grace Watton lüstern anstarrend. »Dann wirst du den schönsten Spaß deines Lebens haben, das verspreche ich dir, Baby. Das wird eine Freude, die du nie vergessen wirst.« Er hatte nicht vor, Grace Watton anzurühren. Jede Frau widerte ihn seit Thelmas abgrundtiefer Gemeinheit an. Dennoch mußte er das Mädchen zu Tode ängstigen. Es hatte es nicht besser verdient. Grace Watton schloß die Lider und preßte die Lippen zusammen, so daß sie ganz weiß schimmerten. Sie stand jetzt schon Höllenqualen und Todesängste vor Crane aus. »Gesindel«, zischelte Crane vor sich hin, als er sich abwandte, um den zweiten Gaul zu nehmen. »Langhaariges Gesindel, falsch wie die Nacht. Müßt dafür alle büßen!« Crane trat in die nächste Box. Er würde Grace Watton jedesmal, ehe er einen Gaul herausholte, noch ein wenig mehr bü-
ßen lassen. Er legte dem nächsten Pferd das Zaumzeug an und führte es hinaus. * Er band es neben dem anderen an den Balken. Plötzlich hatte er das widerwärtige Gefühl in sich, daß ihm irgendein Unheil drohte. Es war ein so bedrückendes Gefühl, daß er sich sichernd umblickte und sogar, als das Unbehagen nicht weichen wollte, um die Pferde trat. Tom Crane wollte noch, um sich selbst zu beruhigen, einen Blick hinter den Schuppen werfen. Von dort war er auf die Ranch gekommen, dort gab es Deckungen genug, und wenn jemand kam, folgte er todsicher Cranes Spuren. Blödsinn, sagte Crane, mir kann gar keiner gefolgt sein. Und dann war es Crane, als bliebe ihm der Verstand stehen, und sähe er mit hellwachen Augen das Gespenst seiner Alpträume vor sich. Obwohl Crane beinahe überzeugt gewesen war, daß er sich nur etwas einbilde, hatte er zum Revolver gegriffen und die Waffe gezogen. Crane hielt den Colt schußbereit erhoben, als er an den Pferden vorbei war und um den Schuppen blicken wollte. Im gleichen Augenblick, in dem Crane um die Ecke lugte, sah er den Mann in der regennassen Ölhaut. Der Umhang, von dem der Regen lief, ließ den Mann noch breiter und größer wirken. Er war keine sieben Schritt entfernt. Crane war es, als setzten seine Gedanken aus. Dort stand, hart an die Giebelfront des Schuppens gepreßt, aber die Arme unter dem Umhang, Tim Madur, der Marshal. Er stand da, als hätte ihn die Hölle ausgespuckt.
Madur! Das war das einzige, was Crane denken konnte. Crane sah noch, daß Madurs Umhang sich bewegte, während der Revolver in Cranes Faust schon herumzuckte. Diesmal – und dessen war sich Crane sicher – hatte Madur keine Chance mehr. Er war ein toter Mann. Cranes Colt, der eigentlich Jim Leroy, dem Deputymarshal gehörte, richtete sich blitzschnell auf Madur. Der Daumen Cranes riß den Hammer zurück, und dann drückte der Pferdehändler auch schon ab. Er hatte den Colt mitten auf den Umhang gerichtet, doch im selben Moment, als er abdrückte, flog Madur von der Wand fort. Der Marshal schnellte so ungeheuer behende zur Seite, daß Crane die rasende Bewegung kaum noch durch die aus dem Colt schlagende Pulverwolke genau ausmachen konnte. Er war jedoch überzeugt, daß sein Schuß getroffen haben mußte. Dennoch sprang Crane um die Ecke zurück. Hatte er Madur nur angeschossen, war der Halunke doppelt gefährlich. Zurück und hinter die Pferde, schoß es Crane durch den Kopf. Kommt er um die Ecke, dann erledige ich ihn und gebe ihm den Rest. Crane wußte, daß am Schuppengiebel eine Regenlache war, hörte im Zurückspringen das Aufklatschen in der Lache und raste nun hart an den Pferden vorbei. Obgleich die Gäule durch den Schuß erschreckt worden waren und jetzt an den Halteleinen zerrten, kam Crane glatt an ihnen vorüber. Er sah sich dabei um, sah jedoch noch nichts von Madur und machte eiskalt neben den Pferden kehrt. Wieder Front zur Ecke machend, krümmte sich Crane zusammen, um unter den Pferdebäuchen hindurch augenblicklich feuern zu können, sobald Madur auftauchte. Crane war noch nicht ganz unten, als er auch schon den
Schatten kommen sah. Madur tauchte aber nicht aufrecht auf, wie Crane es erwartet hatte. Der Marshal kam im Hechtsprung hinter der Schuppenecke hervor. Das Prusten und Wiehern der Pferde und das Trampeln ihrer Hufe mußten die wenigen Schritte, die Madur bis zum Absprung getan hatte, übertönt haben. Crane handelte augenblicklich. Der Pferdehändler riß die Waffe hoch, feuerte sofort und wußte in der gleichen Sekunde, daß er Madur verfehlt hatte. Irgendwo schlug die Kugel in den Hof und riß eine Dreckfontäne hoch. Dann prallte Madur auch schon auf, doch diesmal war Crane vorbereitet, zielte kaltblütig und drückte ab. Er glaubte noch zu sehen, daß ihn Madur anstarrte, ehe er feuerte, und plötzlich warf sich der im Dreck hegende Marshal seitlich herum, er kollerte über den Boden. Dicht neben ihm schleuderte das Geschoß die nächste Fontäne in die Höhe, aber zugleich brach die Feuerlanze aus Madurs Revolver. Was dann geschah, kam Crane wie ein höllischer Traum und der Beginn aller Höllenqualen vor. Ein fürchterlicher Schlag schien Cranes rechte Schulter und den Oberarm zu treffen. Es war ein Hieb, der Crane auf der Stelle herumriß und ihn dann, weil er zusammengekrümmt dagestanden hatte, aus der Drehung hintenüberwarf. Als er hinschlug, in den Dreck klatschte und der Schmerz sich in ihn fraß, griff er aufstöhnend nach der rechten Schulter. Neben ihm und bedrohlich nahe tobten die Pferde, unter deren Bäuchen er hergefeuert hatte. Vor Angst, daß ihn die Hufe treffen könnten, wälzte und schob er sich wimmernd fort, einen Blick auf seinen rechten Arm werfend. Crane starrte auf seine leere Hand, die rechte Schulter mit der Linken umspannend. Drei Schritt neben sich sah er den Colt dort liegen, wo der Regen vom Abdach tropfte und eine
Rinne ausgewaschen hatte. Aus der Rinne und dem knöcheltiefen Wasser ragte der Colt mit dem Lauf gegen die Wölken. Er wollte sich zur Waffe schieben und hörte den scharfen Ruf. Dann sah er den Mann neben sich auftauchen, den er beinahe mit der gleichen Heftigkeit wie Thelma haßte. Madur war da, sprang an ihm vorbei und nahm den Colt auf, anderthalb Schritt vor Crane, der nun wimmernd liegenblieb und auf den der Regen fiel. Der Hund, dachte Crane voller Wut, da ist er, aber ich muß ihn getroffen haben. Sein Blick huschte über den glänzenden, nun mit Dreck beschmierten Umhang und erfaßte das Loch links auf Rippenhöhe. Blutest du, du Hund, dachte Crane, rieselt es dir über die Rippen in die Hose herunter? Warum stehst du noch, warum schwankst du nicht und gehst in die Knie? »Nun, Crane?« fragte Madur kühl. Er schlug den Umhang auseinander, um seinen Revolver ins Halfter zu stecken. Crane sah nun, was passiert war und hätte vor Enttäuschung schreien mögen, denn jetzt war das Loch im Umhang weit links außen, und Crane begriff, wohin die Kugel gegangen war. Als Madur rasend schnell zur Seite geflogen war, hatte ihn das Geschoß um eine Handbreit verfehlt. Es war durch den hochwehenden Umhang gefahren. »Du verfluchter Hund«, gurgelte Crane. »Bist du nicht mal angekratzt worden, nicht mal das. Zur Hölle mit dir, du Spürhund, du verdammter. Wie bist du nur so schnell hergekommen, wie hast du mich gefunden, meine Spur muß doch tot gewesen sein.« »Nicht tot genug«, sagte Madur eisig. »Manchmal macht jemand einen Fehler, und du hast einen gemacht, der dich um ein Haar an den Galgen gebracht hätte. Sie haben geglaubt,
daß sich Jim Leroy nicht mehr erholen und an deinen Hieben sterben würde, darum haben sie es Mister Jenkins gemeldet. Die Union Pacific reagiert empfindlich, wenn jemand einen ihrer Deputies erschlägt. Ich bekam eine Sonderlok, weil Mister Jenkins dich haben wollte. Deshalb bin ich ziemlich schnell in Cokeville gewesen.« »Eine Sonderlok?« ächzte Crane gehässig. »Du verdammter Hund bekommst alles, was du haben willst. Dann bist du mir also von Cokeville gefolgt?« »Wäre ich dann hier, zu Pferd?« fragte Madur spöttisch. »Nein, ich habe nur halten lassen, um bei Bertrand zwei schnelle Pferde auszuleihen. Zufällig hatte ihm Frank Collet ein halbes Dutzend prächtiger Gäule gebracht, die besser in der Stadt bei Bertrand als auf der Ranch Collets aufgehoben waren, solange Frank zur Pferdejagd war.« »Collet!« stieß Crane durch die Zähne. »Wieder mal Frank Collet mit seinen Kreuzzüchtungen. Dann mußt du bis Sage gefahren sein.« »Diesmal liegst du richtig«, lächelte Madur dünn. »Ich habe nicht mal drei Stunden gebraucht, bis ich deine Spur hatte. Nun mal los, Freundchen, aufstehen.« »Ich kann nicht, oh, mein Gott, es zerreißt mir die Schulter«, jammerte Crane. »Du Hund hast mir die Schulter zerschmettert.« »Laß sehen!« Das war alles, was Madur sagte. Der sehnige Bahnmarshal bückte sich, öffnete Cranes Jacke und sah sich die Verletzung kurz an. Die Kugel hatte Cranes Oberarm hoch oben getroffen, war aber durchgegangen und hatte die Schulter nicht verletzt. »Vorsichtig, sei doch vorsichtig, du Satan«, heulte Crane auf, als Madur die Jacke wieder zurückzerrte. »Ich komme um vor
Schmerzen.« »Ein Loch, das heilen wird. Du wirst sogar den Arm wieder ganz normal bewegen können, wenn du Glück hast«, murmelte Madur. »Hoch mit dir, ich helfe dir schon auf die Beine, Halunke. Wen hast du da im Stall, was für ein Girl?« Einen Moment blieb es still. Crane preßte die Lippen zusammen und starrte Madur nur bösartig wie ein wildes Tier, das nun in der Falle steckte, von unten her an. Dann meldete sich Grace Watton. »Hier ist Grace Watton, Mister. Und wer sind Sie?« »Tim Madur, Marshal der Bahn«, erwiderte Roy knapp. »Sind Sie gebunden, Miss?« »Ja, Sir. Sehen Sie zuerst im Haus nach meinem Großvater und meiner Mutter, ich glaube, ich kann mich selbst befreien. Wer ist dieser schreckliche Mann?« »Dieser widerwärtige Halunke heißt Thomas Crane und hatte einen Pferdehandel in Utah, als er das erste Mal mit gestohlenen Gäulen erwischt wurde. Danach verlegte er sich auf den Handel in Idaho und flog erneut auf. Schließlich fing er erneut in Wyoming an, Miss. Hat er Sie bedroht?« »Ja, Sir, das hat er.« »Nichts als Bluff, er hätte Ihnen nichts angetan«, antwortete Madur. Er trat in den Stall, ließ Crane liegen und sah nun Grace Watton in der Box stehen und am Strick nesteln. »Warten Sie, ich nehme das Messer, Miss. Oha, eine hübsche Gefangene, die sich Crane da ausgesucht gehabt hat.« Grace errötete, senkte den Blick, der Madur voller Neugierde entgegengeflogen war und erinnerte sich an das, was sie ab und an in der Evanston News gelesen hatte, die meist schon einige Wochen alt war, ehe sie von den Nachbarn den Weg zu ihnen gefunden hatte. Das also war Tim Madur, der Bahnmarshal, dessen Abenteu-
er überall im Land und in Bahnnähe bekannt waren. »Nicht so hübsch wie meine Schwester Nancy«, murmelte Grace verlegen. »Sie müßten sie kennen, Mister Madur, Mrs. Nancy B. Jones, Captain Britton Jones aus Fort Bridger ist mein Schwager.« »Sieh einer an«, meinte Madur lächelnd. Er zerschnitt hastig die Fesseln von Grace, trat zurück und sah, was er vermutet hatte: Crane war längst nicht entzwei genug, es nicht doch noch zu versuchen. Der Halunke kam gerade auf die Beine und wollte zu den Pferden taumeln, die sich wieder beruhigt hatten. »Crane!« Crane fuhr zusammen, als hätte man ihm eins mit einer Peitsche übergezogen, knickte ein und sank in die Knie. »Er kann ohne Hilfe aufstehen, wußte ich es doch«, stellte Madur trocken fest. »Hinsetzen und nicht rühren, Crane, sonst darfst du hinter meinem Gaul herlaufen, verstanden?« Madur wandte sich um, blickte Grace an und lächelte schon wieder. »Nancy Jones' Schwester, die Welt ist klein«, meinte er, Grace abschätzend musternd, die ihre Fesseln abgestreift hatte und nun ihre Handgelenke massierte. »Ich glaube beinahe, die kleine Schwester müßte in denselben Kleidern, die Nancy trägt, noch ein wenig hübscher aussehen. Nun gut, laufen Sie vor und befreien Sie Ihre Mutter und den Großvater, Miss Grace. War Crane rauhbeinig und hart?« »Er war beinahe brutal«, erwiderte Grace. »Er benahm sich wie ein wildes Tier. Wer weiß, was geschehen wäre, wenn. Sie nicht gekommen wären, Marshal.« Madur hatte sich abgewandt, war zur Seite getreten, um Grace vorbeizulassen, und drehte sich um. Sie stand vor ihm, war blutrot, hob blitzschnell die Arme, legte sie um seinen Nacken und küßte ihn mitten auf den Mund. Es war ein
schneller, aber fester Kuß, ehe er recht begriff, was sie tat. Dann flog sie auch schon zurück, hauchte: »Danke, das werde ich Ihnen niemals vergessen.« Im nächsten Augenblick lief sie mit wehendem Kleid hinab und durch den dichter werdenden Regen zum Haus. Erst unter der Tür blickte sie sich um, lächelte, hob die Hand und winkte. Und dann war sie verschwunden, in Madur das Gefühl zurücklassend, als hätte ihn die erfrischende Kühle kristallklarer Tautropfen beim Durchstreifen von Uferbüschen eines Flusses am frühen Morgen an den Lippen gestreift. »Ist das ein Mädchen«, brummelte Madur. »Na, wenn ich etwas länger bleiben könnte, aber ich kann nicht.« Grace Watton hätte ihm gefallen können, aber sicher war sie ein Mädchen, das trotz aller Impulsivität viel zu schade für ein flüchtiges Abenteuer war. Madur trat hinaus, sah Crane finster an und packte ihn am Kragen. »Hoch mit dir«, sagte er grimmig. »Du hast Leroy buchstäblich den Schädel eingeschlagen, doch er wird es überleben und wieder ganz gesund werden. Ist er es, wird er todsicher keinem Gefangenen, der sich eine dicke Bohnensuppe über die Hände schüttet, die Benutzung der Wascheinrichtung im Zug erlauben. Zeig mal die Hände her.« Madur betrachtete Cranes schlanke Hände und dachte an den üblen Trick, mit dem der Halunke den noch ziemlich unerfahrenen Jim Leroy hereingelegt hatte. Den Napf mit Bohnensuppe, den Leroy Crane geholt hatte, hatte der angeblich nicht halten können, da er gefesselt gewesen war und sich die Suppe über die Finger geschüttet. Daraufhin war ihm erlaubt worden, die angeblich verbrühten Hände zu kühlen und zu waschen. An die Schmierseife im Waschständer hatte Leroy nicht gedacht, und so hatte Crane sich einseifen und danach
seine glitschigen Hände mühelos aus den Handschellen ziehen können. »Ehe wir abreiten«, knurrte Madur finster, »hast du passende Schellen um die Handgelenke, Hundesohn. Hier gibt es eine Feldschmiede, ich werde dir ein Paar Maßhandschellen schmieden und die normalen um deine Fußgelenke schließen. Jede Wette, daß die Wattons auch noch eine Kette besitzen?« »Das – das kannst du nicht mit mir machen, ich bin verwundet, schwer verwundet«, stöhnte Crane erbleichend. »Wie soll ich das unterwegs aushalten, etwa noch mit auf den Rücken gefesselten Händen?« »Genau das«, gab Madur kalt zurück. »Crane, diesmal landest du im Statejail wegen versuchten Mordes. Das wird eine verdammt harte Nuß für dich, Mister.« Crane starrte ihn bösartig an, er fletschte buchstäblich die Zähne vor Wut und Haß. »Das Weib, das dreimal verfluchte Weibsstück«, gurgelte er. »Wenn ich das Luder jemals erwische, erwürge ich es mit diesen Händen. Vierzehntausend Dollar – auf und davon und mich in die Pfanne gehauen. Hätte ich mich doch nie mit der falschen Schlange eingelassen.« »Was erwartest du von einem ehemaligen Drei-Dollar-Girl?« spottete Madur. »Es ist kein Unterschied, ob sie einem Mann, der sie besucht, im Schlaf die Brieftasche leeren oder einen Narren, der sich einbildet, daß sie ihn lieben, um vierzehntausend Harte bringen.« »Das verfluchte Rabenaas«, entfuhr es Crane. »Ja, ja, hoffentlich komme ich ins Statejail. Du glaubst nicht, was man dort erfahren kann. Ich sage dir, ich werde eines Tages wissen, wo Thelma, das Luder, steckt. Und wenn ich herauskomme…« »Wirst du zehn Jahre älter und vielleicht etwas klüger sein, Crane«, unterbrach ihn Madur kühl. »Crane, zehn Jahre – und
jene, die dir die Pferde lieferten, laufen frei herum und machen sich einen guten Tag. Sie werden schnell wieder jemand finden, der ihnen die gestohlenen Gäule abnimmt. Wer hat dich beliefert, Crane?« »Geh zur Hölle!« stieß Crane bissig durch die Zähne. »Sollen sie sich einen guten Tag machen, von mir aus. Du wirst alles erleben, Hundesohn, aber eines niemals, daß Tom Crane wie ein Vogel singt und seine Freunde verpfeift. Niemals, hörst du?« »Dann laß mich raten«, murmelte Madur. »Außer ein paar kleinen Gaunern und Pferdedieben könnten nur drei große Halunken in diesem Geschäft in Frage kommen: James Hurdley, Keith Russel und Dean Malone.« Er beobachtete Crane scharf und sah, wie der beim ersten Namen schon zusammenfuhr und bei der Erwähnung der anderen beiden die Lippen fest zusammenpreßte. »Frage den Satan«, giftete Crane. »Von mir erfährst du so wenig wie der Sheriff oder sonst irgendwer.« »Also alle drei, aber es gibt keine Beweise«, stellte Madur fest. »Hurdley sitzt in Wyoming, Russel in Utah und Malone in Idaho. Und jeder scheint eine weiße Weste zu haben. Crane, sie werden dich vergessen und einen neuen Abnehmer für gestohlene Pferde finden, ehe du im Jail richtig warm geworden bist. Hat es sich gelohnt, Crane?« »Ich wollte aufhören, ob du das nun glaubst oder nicht«, knirschte Crane, vor Madur in Richtung Haus stolpernd. »Es ist die reine Wahrheit, ich hätte nie wieder ein gestohlenes Pferd gekauft, aber dieses Luder mußte kommen und…« »Dein Pech«, schnitt ihm Madur das Wort ab. »Nun geh schon schneller, Freundchen. Die Lok wartet auf uns in Sage. Am späten Nachmittag, Mister, sitzt du mit mir im Waggon und fährst nach Cokeville. Dort kommst du ins Jail, bis sie
dich aus Pocatello holen kommen.« Crane fluchte verbissen. Er würde noch vor dem Dunkelwerden im Jail sitzen, das ahnte er. * Da lag der Junge, wenn auch blaß, aber er war voll bei Verstand, das sah Madur sofort, und irgendwo in ihm wurde es warm. »Hallo, Jimmie«, sagte Madur sanft. Er trat an den Tisch, den sie neben das Bett geschoben hatten und drehte den Docht der Lampe etwas höher. »Na, nun geht es schon besser, was? Immer ruhig, Junge, brauchst nicht viel zu reden. Ich habe ihn erwischt, er war gerade dabei, fünf Pferde zu schnappen und auf Nimmerwiedersehen zu verschwinden, jedenfalls glaubte er das. Rede doch nicht, Jimmie.« Jim Leroy tat es dennoch, wenn auch flüsternd und etwas abgerissen. »Danke, Marshal. Isabel kam und sagte, du wärst drüben beim Sheriff und hättest Crane verwundet mitgebracht. Hat er auf dich geschossen?« »Ein wenig«, grinste Madur. Er hockte sich auf die Tischkante und stellte die Flasche Rotwein auf das andere Ende. »Die trinkst du mir nur schluckweise, klar? Soso, Isabel Rau, Doc Raus hübsche Tochter, pflegt sie dich gut?« Etwas Farbe schien in Leroys Gesicht zu schießen. Er war noch jung, kaum zweiundzwanzig und entsprechend verlegen. »Nettes Girl, Marshal, wirklich nett.« »Und eine perfekte Hausfrau«, griente Madur. »Wirst sehen, sie bringt dich schnell wieder auf die Beine. Hätte nicht übel Lust, Jimmie, ein wenig mit dir zu tauschen. So im Bett hegen und sich verwöhnen lassen, feine Sache.
Nun, reden wir von Crane, das wird interessanter für dich sein, denke ich. Zuerst muß ich dir noch was sagen, Junge. Auch wenn jemand Handcuffs trägt, die er nie im Leben abstreifen kann, wäscht er sich und gießt er dir das Seifenwasser in die Augen, bist du blind und er hat dich, verstanden? Du mußt immer ein bißchen weiter denken, so daran, was alles passieren könnte, wenn du nicht ständig auf der Hut bist. Sei beruhigt, niemand macht dir einen Vorwurf, daß dir der Kerl an den Kragen gehen konnte, auch Mister Jenkins nicht. Immerhin hast du schon etwas geleistet, als du ihn erkannt hast, obgleich er sich den Bart hatte stehen lassen. Der Kerl ist dem Sheriff durch die Lappen gegangen, dem Sheriff, vergiß das nicht, Junge. Aber du hast ihn erkannt im Zug, du, klar?« »Ja, Marshal, danke für das Lob, aber ich war leichtsinnig, ich mache so einen Blödsinn bestimmt nicht wieder, bestimmt nicht.« »Weißt du, Jimmie, wenn ich an die Fehler denke, die ich mal gemacht habe«, seufzte Madur. »Na, mit den Jahren wird man schlauer. Crane hat den ganzen Weg gejammert und geflucht. Das wechselte sich pausenlos ab. Der Kerl müßte so heiser sein, daß er keinen Ton mehr herausbrächte. Der Doc hat ihn verpflastert und die Wunde gesäubert. Als er mit dem Tupfer in dem Loch stocherte, fiel Crane mit einem greulichen Fluch in Ohnmacht. Er sitzt nun im Käfig und richtet vorläufig nichts mehr an. Sheriff Duncan ist ja gewarnt und paßt auf, daß der Kerl keine Chance zu irgend etwas bekommt. Übermorgen kommt Mister Jenkins hier durch. Er will nach Pocatello, irgendeinen Vortrag vor Bahnaktionären halten. Ich soll hier auf ihn warten, auch Ole Bronson und Bully Jackson, sein Heizer. Zwei Tage Zeit für mich, Junge, auch nicht übel, was?« »Zwei Tage Ruhe hast du mindestens verdient, Marshal«, flüsterte Jim Leroy. »Willst du Ole und Bully bestellen, daß ich
mich auch bei Ihnen bedanken möchte? Wenn sie dich nicht so schnell gefahren hätten…« »Hoho«, lachte Madur. »Junge, wünsche dir alles, nur keine sogenannte schnelle Fahrt mit den beiden Verrückten. Sie sind gerast, als hätten sie den Satan in den Kessel gestopft. Gut, ich richte es ihnen aus, aber trotz der schnellen 4-4-0-Lok Oles, Junge, ohne die ausgezeichneten Pferde Frank Collets hätte ich kaum eine Chance gehabt, diesen Halunken Crane noch zu stellen. Frank hatte die Pferde zu Bertrand gebracht, dem Mietstallbesitzer hier in der Stadt. Bertrand meint, Frank könnte schon von der Pferdejagd zurück sein. Ich werde die sechzehn Meilen zur Ranch hinausreiten und ihm seine Pferde zurückbringen. Ist verdammt lange her, daß ich Frank und seine Frau nicht mehr gesehen habe.« »Du willst reiten, statt dich auszuruhen?« fragte Leroy verwundert. »Marshal, hier in der Stadt ist immer etwas los, jedenfalls mehr als auf der Ranch eines Squawmannes, denke ich.« Madur runzelte jäh die Brauen, rutschte vom Tisch und schüttelte den Kopf. »Schlimm genug, wenn irgendwelche Idioten Frank Collet einen Squawmann nennen«, sagte er mürrisch. »Du solltest das nie tun, Junge. Ohne Collets Pferde hätte die Bahn diese Strecke kaum so schnell bauen können. Es ist völlige Narrheit, Collet wegen seiner Frau zu schneiden. Collets Vater trieb schon mit den Blackfeet und Crows Handel, und Frank lebte mehr unter Indianern als unter Weißen, mußt du wissen. Ganz logisch, daß er eine Indianerin heiratete. Hast du seine Frau jemals gesehen?« »Nein, Marshal«, erwiderte Leroy. »Tut mir leid, wenn ich ihn Squawmann genannt habe, sie nennen ihn doch alle so. Ist er dein Freund?«
»Ja«, gab Madur einfach zurück. »Ich denke, das ist er. Seine Frau ist die schönste Indianerin, die ich jemals gesehen habe. Als ich sie kennenlernte, war sie naß wie eine Katze, aber selbst da sah sie aus, daß man sich auf der Stelle in sie verlieben konnte. Weiß der Teufel, wenn Frank nicht gewesen wäre, hätte ich wohl alle meine Grundsätze vergessen. Er betete sie an, und ich brachte es verdammt nicht fertig, ausgerechnet ihm die Frau wegzunehmen. Jedesmal, wenn ich hier vorbeigefahren bin, habe ich aussteigen, mir ein Pferd nehmen und die beiden besuchen wollen, aber ich hatte nie genug Zeit. Ich habe sie jetzt beinahe zwei Jahre nicht mehr gesehen. Sie werden schon denken, daß ich absichtlich nicht komme. So, Junge, nun schlaf dich gesund, und nenne Frank nie mehr Squawmann, verstanden?« »Verstanden, Marshal«, nickte Leroy mühsam. »Tut mir leid, wenn ich dich geärgert haben sollte, das wollte ich wirklich nicht.« »Du hast es nicht besser gewußt, Junge«, gab Madur zurück. »Wenn du wieder soweit auf den Beinen bist, daß du reiten kannst, solltest du mal zu Collets versteckt in der Sublette Range hegenden Pferderanch hinausreiten. Da kannst du Pferde sehen, wie es sie nicht noch mal in Wyoming gibt – und nebenbei siehst du die schönste Frau in diesem Land. Vielleicht würdest du dann auch ganz gern Squawmann sein.« Madur klopfte Leroy sacht auf die Schulter. Dann ging er hinaus, sah Isabel Rau aus der Küchentür lugen und grinste: »Lady, verwöhnen Sie mir den Burschen nicht zu sehr. Nachher will der mir nur noch krank sein.« »Der arme, nette Junge«, seufzte Isabel, die braunhaarige Schönheit. »Marshal, Sie sollten ihm meine Pflege gönnen, um ein Haar wäre er tot gewesen.«
»Sicher, sicher, aber nun lebt er und starrt mit richtig hungrigen Augen zur Tür, ob seine Samariterin nicht bald erscheint«, frotzelte Madur. »Isabel, bringen Sie mich nur nicht um einen meiner besten Deputies. Der Junge ist ehrgeizig und will seinem Vater beweisen, daß er hart genug für dieses Leben ist. Die Leroys haben ihn in Watte gepackt, bis er es nicht mehr aushielt und den Palast in Omaha fluchtartig verließ. Als er sich bewarb, wußte niemand, daß er der Sohn des alten Averall Leroy war und hinter dem Alten zwei Millionen Union Pacific Gelder stecken. Ich nehme stark an, daß der alte Leroy übermorgen mit Ernest Jenkins, unserem Sicherheits-Chief, hier auftauchen wird. Eine andere Erklärung für Jenkins' Anweisung, daß ich hierbleiben soll, kann ich nicht finden. Jimmie ist der jüngste von zwei Leroysöhnen und soll von seiner Mutter maßlos verwöhnt worden sein. Haben Sie das gewußt?« »Oh, mein Himmel, nein«, stammelte Isabel Rau erschrocken. »Ich habe den Jungen für irgendeinen Ihrer Deputies gehalten, aber doch nicht für einen Sohn Averall Leroys. Großer Gott, er ist so nett und bescheiden…« »Und will sich beweisen, daß er ein Mann ist«, unterbrach Madur sie ernst. »Isabel, lassen Sie ihn nicht spüren, daß Sie von seiner Herkunft wissen. Er hat nie bevorzugt behandelt werden wollen, und ich habe ihm absichtlich manchmal Aufgaben gestellt, die ich anderen Deputies kaum gegeben hätte, die über so wenig Erfahrung verfügten. Verdammt, ich bin ziemlich hart und grob mit ihm umgesprungen, aber geholfen hat ihm genau das und sonst nichts. Nur keine Sonderbehandlung, verstanden?« »Um Gottes willen, nein«, stammelte Isabel. »Er ist so nett und höflich, dabei bescheiden, daß ich – mein Gott, Averall Leroys jüngster Sohn.«
»Und seine Mutter kommt todsicher auch mit«, brummelte Madur. »Sie hat aus Jimmie einen Super-Gentleman machen wollen, das weiß ich. Der Junge hat jedoch den dicken Schädel seines Vaters, zu seinem Glück. Der macht nur das, was er will, seitdem er einundzwanzig ist. Nächsten Monat wird er dreiundzwanzig, und ich wünsche ihm alles, nur keine dieser eingebildeten Ladies aus dem Osten, die seine Mutter wohl für ihn im Visier haben dürfte. Na, nun wissen Sie Bescheid, schätze ich.« Madur nickte Isabel Rau zu und machte, daß er hinauskam. Irgend etwas sagte ihm, daß zwei Leute, die sich gegenseitig nett fanden, eines Tages vielleicht entdecken, daß es sich gemeinsam besser und viel schöner leben ließ. Er kannte Averall Leroy, und er war sicher, daß dem Alten ein Mädchen wie Isabel tausendmal lieber sein würde als irgendeine dieser eingebildeten, hochnäsigen Ladies aus dem Osten. Vielleicht gingen Isabel und Jimmie demnächst im Mondschein spazieren. Roy Madur grinste. Der Gedanke an zwei Verliebte brachte ihn wieder zu Frank Collet und seiner Squaw zurück. Sie hieß »Yellow Moon«, also »Gelber Mond«, weil sie im Sommer zur Zeit des Honigmondes geboren worden war. Indianer gaben ihren Kindern zu oft Namen, die mit dem Wetter am Tag ihrer Geburt zusammenhingen. An Gelber Mond war nichts gelb. Sie hatte pechschwarzes Haar, eine bronzene Haut und dunkelbraune Augen, und sie hatte eine Figur und ein so ebenmäßig hübsches Gesicht, daß Madur sich vor vier Jahren beinahe vergessen hatte. Es ist verrückt gewesen, grübelte Madur, es war im Frühherbst oben in den Caribou Mountains. Ich hatte Frankie auf der Jagd begleitet, als wir von den Felsen über dem Salt River aus den Indianerjungen auf seinem Pony in den Fluß reiten sa-
hen. Der Bursche wagte es, obgleich der River Hochwasser führte, und irgend etwas sagte uns, daß er es nicht schaffen würde, deshalb jagten wir los und herunter. Tatsächlich kam einer dieser verdammten Baumstämme angeschwommen, packte den Gaul, den Jungen, und der verlor die Zügel. Das Pony kam ans Ufer, der Junge nicht mehr, sondern sauste mit der immer reißenderen Strömung auf die Klippen an den Fällen zu. Er wäre zerschmettert worden, hätten wir nicht unsere Lassos zusammengebunden, Frankie am Ufer mit Hilfe des Pferdes mich an dem Ding gehalten, und ich den Jungen herausgefischt. Es war kein Junge, sondern Yellow Moon. Madur blieb stehen und sah zum Himmel. Es regnete nicht mehr, die Sterne lugten durch die Wolken, und er lächelte, als er an das Gesicht dachte, das Frankie machen würde, wenn er spät nachts bei ihm auftauchte. Er ging los in Richtung Bertrands Mietstall und Corrals. Riß der Himmel richtig auf, würde er sogar bei Mondlicht auf der Collet-Ranch ankommen. In vier Stunden konnte er dort sein und endlich den besten Pferdejäger und -züchter wiedersehen, dem er jemals begegnet war. * Du großer Gott, dachte Madur entsetzt, das ist doch nicht wahr! Im gleichen Augenblick war es ihm, als schnürte ihm eine Würgeschlinge die Kehle zu. Was er im bleichen Licht des Mondes vor sich sah, ließ seinen Atem stocken und das höllische Frieren über seinen Rücken rieseln. Das, was Madur als umbestimmbaren Geruch schon vor mehr als einer Meile in die Nase gekommen war, war der vom Regen der letzten Tage
erstickte, verwaschene Odem des Feuers gewesen, das hier gewütet hatte. Die vier Stunden waren um und Madur befand sich am Ziel, doch er traute seinen Blicken nicht. Von der Ranch stand nichts mehr. Es war, als hätte das Feuer alles gefressen, was einmal mühsam vom alten Michel Collet und Frankie aufgebaut worden war. Das einzige, was noch in den Himmel der Tallichtung ragte, waren die vier mächtigen Eckbäume des ältesten Gebäudes, das einmal hier gestanden hatte. Lediglich die Westflanke des alten Blockhauses aus gewaltigen Baumstämmen, das Frank zuletzt als Lager gedient hatte, war noch zur Hälfte zu sehen. Man sah das Fensterloch, die schwarzen Balken mit ihren tiefen Brandnarben und die stumpfe Rechtecksäule jenes Kamines, an dem er mit Frank gehockt hatte. »Allmächtiger«, brachte Madur nach einem keuchenden erstickten Laut endlich hervor. »Das neue Haus, auf das Frankie so stolz war, der Schuppen, der Stall, aber…« Und dann packte Madur das schreckliche Würgen. Plötzlich wurde ihm klar, daß es ein so vernichtendes Feuer wie dieses unmöglich gegeben haben konnte. Das Blockhaus hatte nach Westen hin wie der Schuppen gelegen. Zwischen den beiden Gebäuden hatte sich ein mehr als vierzig Schritt breiter Hof ausgedehnt, während das neue Haus aus dicken, doppelwandig hochgezogenen Bohlen mit seinem verandaähnlichen Vorbau rechts nach Osten hin am Hang befunden hatte, höher liegend mit dem Stall als jene alten Gebäude, in die manchmal das Hochwasser, das durch das Tal gegurgelt war, eingedrungen war. Nur aus diesem Grund hatte Frank Collet Haus und Stall dort droben erbaut. Nach Norden hin, den Schutz der Steilflanke dieses Sacktales ausnutzend, lagen die Corrals und
Weiden. »Der Regen«, würgte Madur hervor. Einen Augenblick verschwand der Mond hinter Wölken, und die schlagartige Düsternis traf ihn wie eine direkte körperliche Pein, die nichts als Grausen und Bedrückimg auslöste. Der Regen hatte jedes Überspringen der Flammen verhindert. Da kann kein Funke geflogen sein, den nicht nach drei Schritten die Regentropfen löschten. Es ist gleichzeitig ausgebrochen, hier und da drüben. Und wenn Yellow Moon im Haus war und nicht mehr hinaus kommen konnte, weil irgendwer schoß… Der schreckliche Gedanke, daß dieser schöne Körper verkohlt in den Trümmern des Hauses liegen sollte, ließ Madur aufstöhnen. Danach aber riß er sich zusammen. Gleichzeitig trat der Mond wieder aus den Wolken, und er jagte dann, die beiden Pferde, die er an Longen hinter sich hatte, mitreißend, quer durch das Tal über den Hof zum Haus. Wann, dachte er, als er anhielt, sein Pferd an irgendeinen verkohlten, längst erkalteten Balken band und danach loslief, wann ist das passiert? Gestern, vorgestern schon? Da raucht nichts mehr, alles erkaltet, graue Asche, die der Regen zusammengepappt hat. Er stürmte um das Haus und sah den Zaun, der einmal weiß gewesen war – rote Pfosten, braunrot – dazwischen die langen Bretter mit ihrem leuchtenden Weiß, das nun schmutzig-grau wirkte und an einigen Stellen vom Feuer angenagt worden war. Das Feuer hatte selbst den kleinen Holzschuppen erfaßt, da war nichts als ein Haufen Asche, aus dem etwas ragte, die Ziehsäge. Der Marshal sah noch etwas, die liegenden Pfosten. Jetzt wußte er, was passiert war, daß es absichtlich getan worden war. Hier hatte jemand regelrecht gewütet. Dann war Madur dort, wo noch das Hausfundament aus dicken Steinen war,
über dem ein paar Balken kreuz und quer und verbrannt bis auf einen Rest lagen. Selbst die Hintertür aus dicken Bohlen hatte das Feuer fast ganz zerfressen. Die langen Fitschenbänder fielen klappernd zu Boden, als er über die Reste der Tür trat, sich hinter ihr bückte, weil der Gedanke in ihm saß, daß Yellow Moon vielleicht aus der Tür hatte laufen wollen und jemand geschossen hatte, sobald sie herausgekommen war. Madur riß halbverbrannte Bretter fort, stieg durch glitschige Asche, kam zum Herd, suchte das Fenster und irrte buchstäblich umher, aber da war keine verkohlte Leiche. Irgendwann war er an den Corrals und sah sie hier liegen, wie man sie getroffen hatte. Es waren nicht jene teuren Pferde, die Frank Collet ohnehin nicht hier ließ, wenn er zur Jagd aufbrach. Dennoch waren diese Pferde besser als jene, die man in jedem Mietstall kaufen konnte. In jedem Fall war das Kreuzblut, das Frank züchtete, ausdauernder und genügsamer als alles, was es sonst gab. Im ersten Corral lagen sieben Pferde, die Bäuche noch nicht aufgedunsen, weil es kühl gewesen war Zwei, drei lagen dort, wo der Corralzaun niedergerissen worden war, sie lagen übereinander, hatten wohl hinausrasen wollen, und jemand hatte hier draußen gewartet und geschossen. Die Patronenhülsen blinkten in der Gasse zwischen den vier Corrals im Mondlicht wie goldene Punkte. Überall fand Madur dasselbe, tote Pferde, niedergerissene Corralzäune, mit Axthieben zertrümmerte Tränktröge. Ein Wahnsinniger, dachte er verstört, nur ein Wahnsinniger kann so gehaust haben. Erschießt zwei Dutzend Pferde, zerschlägt die Tränktröge, verbrennt die Gebäude. Wer hat das getan? Der Wagen, der leichte Wagen – wo ist… Er machte kehrt, lief zum Schuppen zurück und fand den Wagen nicht. Also war Yellow Moon nicht hier gewesen, als
die Burschen gekommen waren. Sie fuhr den leichten Einspänner, während Frank, wenn er aufbrach, den schweren Wagen für die Stahlstangen und Fangzäune mitnahm. Manchmal fuhr Yellow Moon gleich mit, manchmal folgte sie Frank erst Tage später. »Die Spuren«, sagte Madur verbissen, »sind vom Regen verwaschen worden, aber der leichte Wagen hat schmale Räder, die Spuren müßten zu finden sein. Die Pferde sind drei Tage tot, das Feuer ist auch vor drei Tagen entstanden. Es müssen mindestens vier Mann hier gewesen sein. Überall und kreuz und quer die Hufspuren, wenn auch verwaschen, aber sie sind da, und die Kerle sind sicher in der Nacht gekommen, früh am Abend. Sie haben zuerst die Tiere erschossen und danach erst das Feuer gelegt. Das kann bei dem Regen der letzten Tage niemand gesehen haben. Die nächste Ranch ist zwölf Meilen entfernt, und Regen schluckt den Schall von Schüssen, tiefhängende Wolken lassen kein Feuer weiter als zwei Meilen sichtbar werden. Wer immer der Wahnsinnige gewesen ist, er muß es sich genau überlegt haben. Das war günstig für ihn. Wer haßt Frank so, daß er ihm das antun konnte? Der verfluchte Schuft hätte das nie gewagt, solange Frank zu Hause war. Frank ist kein Riese, er ist ein ganz normal gebauter Mann, der nur knapp hundertdreißig Pfund wiegt. Er ist der beste Zureiter, den ich kenne, aber er ist weder mit dem Colt noch mit den Fäusten schnell genug.« Frank hatte sich nie gern geprügelt, selbst dann nicht, wenn man ihn verächtlich einen Squawmann genannt und ihn mit noch anderen Gemeinheiten beleidigt hatte. Zweimal hatte er gekämpft, hatte Prügel bezogen und Madur, zugesehen, wie man ihn zusammengeschlagen hatte. Frank hatte immer den Grundsatz verfolgt, daß sein Ärger seine Freunde nichts an-
ging. So hatte ihn Madur liegen sehen und danach dem Kerl, der Frank zu Boden geschlagen hatte, die Hand auf die Schulter gelegt. »Mister, du bist sechzig Pfund schwerer als er. Ich bin es nicht, verstehst du?« Sie hatten Prügel bezogen, gewaltige Prügel, nachdem sie sich schon als Sieger gefühlt und auf den »Squawmann« gespuckt hatten. Herrgott, dachte Madur, wer soll dich denn als Squawmann beschimpfen, die dich kaum kannten, die hatten etwas gegen Indianer, aber sie würden doch nicht deine Pferde deshalb erschießen und dein Haus verbrennen. Warum bin ich zwei Jahre nicht mehr hier gewesen, warum hast du mir nichts von diesem tödlichen Ärger, den du irgendwann gehabt haben mußt, geschrieben, warum nicht? Ich wäre hergekommen, Frank, das weißt du doch, Mann. Bertrand, was hat Bertrand gesagt? »Er müßte zurück sein, Tun, er sprach von zwei Wochen höchstens, dann ließe er die Pferde abholen. Die zwei Wochen sind gestern vorbei gewesen.« Gestern, überlegte Madur, aber Frank ist nicht hier. Zwei Wochen, so lange hätte Yellow Moon Frank nicht allein gelassen. Er jagt mit keinem Weißen, er jagt mit Blackfeetindianern von Yellow Moons Stamm, und sie hat für alle gekocht, sie folgte Frank spätestens nach drei Tagen. Da stimmt nichts mehr. Tun Madur starrte auf die schwachen Eindrücke der Räder, die nach Osten aus dem Tal zu laufen schienen. Im Osten lag die Muddy Creek Ranch von Jessup, und der war kein Feind Franks, der bekam ab und zu ein Pferd. Dafür paßten er und seine beiden Leute auf die vielleicht sieben oder acht Zuchthengste und Stuten auf, die Frank, wenn er zur Jagd aufbrach, vorbei brachte.
Yellow Moon, grübelte Madur, könnte bei Jessup vorbeigefahren sein. Jessup muß doch auch darauf warten, daß Frank nach Hause kommt und seine Zuchttiere holt. Vielleicht weiß Jessup etwas über den Kerl, der Frank wie die Pest hassen muß? Madur überlegte nicht länger. Er saß auf, nahm die Pferde an die Longen und ritt los. Zuerst ritt er noch langsam und neben der schlecht sichtbaren Spur des Wagens her. Dann war er sicher, daß Yellow Moon den Umweg von etwa vier Meilen gemacht haben mußte, und bei Jessup vorbeigefahren war. Die Wagenspuren bogen nicht nach Norden ab, sondern liefen nach Osten weiter. »Jessup wird wenigstens wissen, ob Frank doch über die zwei Wochen hinaus auf der Jagd bleiben wollte«, sagte Madur gepreßt. »Weshalb sollte Yellow Moon sonst vorbeigefahren sein? Sie hat Bescheid gesagt, daß die Jagd länger dauert. Und irgendwer hat das gewußt und die Teufelei angerichtet.« Jim Madur ritt schneller. Er mußte Jessups Ranch kurz vor dem Morgengrauen erreichen. * Zuerst hatte der Hofhund wie rasend geblafft, als Madur herangekommen war. Danach hatte ihn Jessup durch die Schießscharte in der dicken Haustür angerufen, und die beiden Ranchhelps hatten sich im Bunkhaus gerührt. Schließlich war Jessup in der Küche mit offenem Mund und nichts als Schreck in den Augen auf die Bank gesackt. Und nun kam die Frau herein – schon ergraut, hager und leicht gebückt gehend, fröstelnd das Tuch zusammenziehend, das sie eilig über das billige Kleid und um die Schultern geworfen hatte. Irgendwo hinter ihr im Flur zeigten sich die verschlafenen neugierigen Gesich-
ter der beiden Jessuptöchter, die noch keine zehn Jahre alt waren. »Du großer Gott«, stammelte die hagere Frau. Ihr Gesicht war beinahe so grau wie ihr Haar. »Marshal, alles verbrannt? Kinder, geht wieder zu Bett, schnell, schnell.« »Ja«, sagte Madur düster. »Alles, Madam. Die Tiere erschossen, die Zäune niedergerissen, dort steht nichts mehr.« »Das gibt es doch nicht«, würgte Jessup. Er stand auf und rannte buchstäblich hin und her, immer wieder den Kopf schüttelnd. »Madur, wie gesagt, sie kam hier vorbei, sie war so freundlich und gelassen wie immer. Sie sagte, Frankie hätte einen guten Fang gemacht, und es könnte vielleicht zwei Tage länger dauern, aber dann kämen sie bestimmt und holten die Zuchttiere ab. Frank hätte eine schöne Stute dabei, sagte sie, die bekäme ich, das ließe er ausrichten.« »Was hatte sie auf dem Wagen, Jessup, hast du es gesehen?« »Ich weiß es nicht«, erwiderte der leicht verwachsene Rinderzüchter achselzuckend. »Marshal, sie hatte doch die Segeltuchplane über den Flachbordwagen gezurrt. Was darunter war, keine Ahnung. Mein Gott, wer soll so etwas tun, wer denn nur? Frank hat manchmal Ärger wegen der Squaw bekommen, ich meine, wegen seiner Frau, aber nie auf seiner Ranch, immer in der Stadt, wohin er auch immer mit ihr ritt. Im letzten Jahr, das weiß ich zufällig, waren sie in Soda Springs. Da hat er sie draußen im Camp bei den Pferden gelassen, um nicht wieder Ärger zu bekommen. Man rieb sich ja immer an ihm, wenn er mit ihr irgendwo in einer Stadt auftauchte. Ich weiß nicht mal, mit wem er Ärger hatte, Frank hat immer geschwiegen, der hat das zähneknirschend geschluckt, und es doch nicht nötig gehabt.« »Weiß nicht«, murmelte Mrs. Jessup. »Er hätte sich nur von ihr zu trennen brauchen, Marshal. Ich weiß, ich weiß, das hört
sich nicht gut an, aber es ist doch die Wahrheit, oder? Ich habe nie etwas gegen die Frau gehabt, ganz gewiß nicht. Sie hat mir nichts getan, niemand hier, aber…« »Ja«, sagte Madur düster. »Aber sie ist nun mal eine Blackfeet. Es ist schon schlimm, wenn ein Mann eine Mexikanerin nimmt, aber eine Indianerin, das stößt allen Leuten auf. Wenn Reverend Henderson nicht gewesen wäre, hätte es nicht einmal eine Heirat gegeben. Zwei Reverends weigerten sich, sie zu trauen. Reverend Henderson konnte in der ganzen Heiligen Schrift keine einzige Stelle finden, an der etwas von einer verbotenen Heirat zwischen einer Indianerin und einem Weißen stand. Nun gut, Jessup, tust du mir den Gefallen und schickst jemand in die Stadt zum Sheriff?« »Natürlich reitet einer meiner Männer hin«, nickte Jessup. »Ich reite mit den anderen hinüber zu Frankies Besitz und sehe mir die Schweinerei an. Verdammte Schweinerei, wer macht denn so etwas, was für ein Halunke bekommt das fertig?« »Irgendeiner ohne Gewissen«, brummte Madur. »Hat Yellow Moon gesagt, wo Frankie gejagt hat, wo er sein Camp hat?« »Sie wären oben am Pinnacle in Richtung Crow Creek hinüber, sagte sie«, erwiderte Jessup. »Den genauen Platz weiß ich nicht, aber das Wetter wird besser, du solltest die Stelle leicht finden können, Marshal.« »Sicher«, nickte Tun Madur. »Jessup, ich schreibe ein paar Zeilen für Ole Bronson auf, damit der Bescheid weiß, warum ich weiter reite und wahrscheinlich nicht zur rechten Zeit an der Station sein werde. Mein Boß, Mister Jenkins, kennt Frank und wird schon verstehen, daß ich ihm die Nachricht bringen muß. Er war Trauzeuge, als Frank und Yellow Moon heirateten. Der zweite Zeuge war ich, und ich fand, sie sah als Braut wunderbar aus.
Wenn Sie vielleicht einen starken Kaffee hätten, Mrs. Jessup?« »Ich koche welchen, ist ohnehin bald hell und Zeit zum Aufstehen«, sagte die Frau. * Yellow Moon hob den Kopf und blickte in den Dunst der Regenschleier. Es war nicht mehr weit zu Frankie und Na-tameh, dem kleinen Bruder, der den großen Häuptling so sehr gebeten hatte, einmal mit Frankie auf die Jagd zu dürfen. Er ist ein guter Mann, mein Mann Frankie. Ich mag ihn sehr, aber er ist traurig. Sie machen ihn traurig, seine weißen Brüder, weil ich seine Frau bin. Der große Häuptling hat es damals vorhergesehen, aber ich habe nicht auf die Worte meines Vaters hören wollen. Ich bin mit dem Mann gegangen, der mich aus dem Wasser gezogen hat. Madur hat gesagt, Frankie hat es getan, ohne Frankie wäre ich tot gewesen. Sie lauschte in das Knarren der Räder hinein. Irgendwo in ihr saß eine seltsame bohrende Angst. Etwas bedrohte sie, das spürte sie. Madur, einmal möchte ich deine Hände spüren: Und dann würde ich gehen und dich nie wiedersehen, denn ich hätte alles gehabt, was ich mir wünsche. Du könntest nie eine Indianerin heiraten, du hast es gesagt, und ich habe dich verstanden. Frankie hat geglaubt, er kann es, und er hat sich geirrt, er ist nicht stark genug mir zu sagen, daß es sein Fehler gewesen ist. Ich muß es entscheiden. Madur, ich allein. Ich würde so gern mit dir über mich und Frankie reden, damit du es ihm beibringst, aber du kommst nicht, Madur. Ich habe niemand, mit dem ich reden kann, niemand außer dir, Madur. Yellow Moon wandte den Kopf, lauschte, hörte das Brüllen des Wassergeistes unten in der Schlucht und irgendwo das
Echo von Hufschlag. Sie hielt jäh an, aber da war das Echo nicht mehr, es war wohl das ihrer Pferde oder jenes des Ersatzponies, das sie hinten am Wagen angebunden hatte. Es ist nicht mehr weit, dachte sie erleichtert, bald werde ich bei Frankie und Na-tameh, dem kleinen Bruder sein. Frankie hat gesagt, er braucht die Decken und Plane, weil es zu viele Pferde sind, die er gefangen hat. Yellow Moon zog die Leinen links an, als vor ihr die Felsen aus dem Dunst tauchten. Gleich darauf begann der Wagen schneller zu rollen. Sie hatte das Seitental, das achthundert Schritt weit hinunter zum Crow Creek führte, erreicht. Dieses Tal hatte nicht so schroffe, steile Wände wie jenes des Crow Creek, vor dem es sich noch einmal gabelte. Die linke Gabelung war jedoch ein Blindtal, das vor einer Felswand endete. Hier war das Camp, denn das Tal ließ sich leicht sperren. Und dann hörte sie das Wiehern der Pferde voraus, kam um die Talbiegung, bog in die Gabelung ein und sah das Camp vor sich hegen. Dort stand der Wagen neben dem Zelt, und aus dem Zelt kam Frankie. Er legte die Hand über die Augen. Dann lief er los und riß im Laufen den Hut vom Kopf, während Na-tameh, der kleine Bruder, auf den schrillen Zuruf eines der anderen fünf Blackfeet reagierte. Na-tameh riß sein Pferd, das er hinter dem Zaun zuritt, auf den Hacken herum. Danach sprang er mit einem Riesensatz über den Zaun, landete auf allen vieren und lief dann zu den anderen. Die sechs Blackfeet blickten Yellow Moon und dem Wagen entgegen. Nun gingen sie los, traten unter die vom Wagen aus gespannte Plane und hockten sich nebeneinander auf das lange Brett. Sie wußten, Yellow Moon brachte die eingezuckerten, leicht säuerlich schmeckenden Früchte aus dem großen Steintopf mit. Yellow Moon würde wieder für sie kochen und das Essen ihre nur noch an einfache Kost gewöhnten Bäuche rand-
voll füllen. Dies war ein Grund, die Arbeit nicht mehr fortzusetzen. Frankie lief dem heranrollenden Flachbordwagen entgegen, und die sechs Blackfeet hockten auf der einen Seitenbohle des Wagens wie sechs Hühner auf der Stange. * Sie sah das Lachen auf Frankies Gesicht, sie sah das erleichterte, frohe Funkeln seiner Augen, so nahe war er schon. Und dann kam der Knall. Zuerst war nur der scharfe, peitschende Knall da, aber dann wurde aus ihm ein Rollen, das von links nach rechts durch das Tal hallte, zurückschlug und sich zu einem Grollen steigerte, in dem das Peitschen und schrille Hacken anderer Schüsse zum Inferno anwuchs. Die Frau auf dem Wägen sah ihren Mann straucheln, sein seltsames hohles und durchgedrücktes Kreuz und sein Gesicht, das im Rollen schon das Lächeln verlor. Einen Moment schien Frankie Collet die Hände heben und nach seiner Frau greifen zu wollen. Dann knickte er ein und fiel auf die Hände und Knie. Er lag so für einen Augenblick, in dem die Hölle im Tal losbrach und die Pferde hinter der Absperrung zu rasen begannen. Danach stemmte er sich auf, er stand wieder und hatte ein ungläubiges Staunen auf dem Gesicht. Die Squaw blickte über ihren Mann hinweg und sah den Wagen, das abgespannte Planendach und jenes Längskastenbrett, auf dem ihre sechs Blackfeet mit ihrem kleinen Bruder saßen. Yellow Moon blickte zu Na-tameh, dem Lieblingsbruder, der wie die anderen fünf Blackfeet auf der Bohle gehockt hatte. Na-tameh saß nicht mehr. Er hatte ganz außen gehockt und
kippte gerade nach vorn. Er fiel wie eine Puppe in das zertrampelte Gras, sich krümmend, als hätte er Schmerzen in der Seite. Da waren zwei andere, beide rechts außen – die ihm schon folgten und kopfüber nach vorn stürzten. Sie sah Wolfssohn, den hageren, listigen Krieger, der von der Kastenseite flog, sich duckte und unter den Wagen wollte. Er schnellte auf die Räder zu, als es ihn niederriß und seine hagere, sehnige Gestalt an das rechte Hinterrad rollte. Dort versuchte er aufzustehen. Er hielt sich an den Speichen fest, und zuckte zwei-, dreimal, als wären ihm die Krämpfe nach dem Genuß von schlechten Pilzen in den Leib gefahren. Als Wolfssohn sich krümmte, flog Yellow Moons Blick wieder zu Frankie hin, während ihre Hände schon die Leinen nach links rissen, um ihn nicht totzufahren. Frankie stand und sah sie nicht an. Er hatte sich etwas nach links gedreht, so daß er die linke Talwand sehen konnte. Ob er sie wirklich sah, wußte Yellow Moon nicht. Sie nahm nur noch wahr, daß er die Rechte hob, als wollte er auf irgend etwas auf der Talwand zeigen. Danach traf ihn etwas von dort, und er ging rückwärts, sich dabei immer tiefer bückend. Die Frau schrie, als er einknickte und sich jäh umwandte. Er wandte Yellow Moon den Rücken zu, kippte auf die Seite und lag plötzlich ganz still. In dieser Sekunde begriff die Frau, daß sie ihm nicht mehr hätte ausweichen müssen. Er war schon tot, tot wie Na-tameh, der kleine Bruder, tot wie Wolfssohn und Sha-lan-keh, tot wie Kleiner Elch und jener, unter den Wagen gekommen war und gerade starb. Da war nur noch einer, der jenseits des Wagens hochschnellte, sein Gewehr packte und dann wieder zu Boden ging. Er warf sich nach rechts unter die Deichselgabel, das Gewehr
hochreißend und irgendwohin zielend. Als er schoß, beschrieb der Flachwagen Yellow Moons bereits den Halbbogen, der die Kehre einleiten mußte. Einen Augenblick hatte die Squaw den linken Talrand vor sich und sah die grellen orangefarbenen Bälle zwischen Büschen, Bäumen und einzelnen Felsen. Es kam ihr vor, als blitzte es überall dort oben auf und zerrisse den grauen Dunstschleier des Regenvorhanges. Yellow Moon hatte den Wagen herumgebracht und blickte zurück, nun auf den Knien vor dem Sitzbrett liegend und sich ganz klein machend. Ihr letzter Blick schoß hinüber zu dem Krieger unter der Deichsel, und sie sah, daß die Holzsplitter aus der Deichsel gerissen wurden und wirbelnd über den Krieger hinwegschwirrten. Er schoß schon nicht mehr, der Krieger, er lag still, den Kopf auf dem Gewehr und die Linke unter der Waffe. Fort, dachte die Squaw, hinaus aus dem Tal, wenn ich es schaffe. Der Hufschlag vorhin, er war hinter mir. Da war ein Reiter, ich weiß es nun. Warum schießen sie nicht auf mich, warum schießen sie denn nicht? Die Frage beschäftigte sie einige Sekunden, daß sie nur noch über den Rand des Flachborders lugte. Vor ihr lag die Steigung, und der Wagen wurde jetzt schnell, weil sie die Leinen über die Kruppe des Pferdes sausen ließ, daß es klatschte. Yellow Moon sah sich nicht mehr um, obgleich nun kein Schuß mehr fiel und das Rollen und Dröhnen verebbt war. Sie wartete auch nicht mehr auf einen Knall, der ihr Pferd stürzen ließ, sie dachte nur noch an den Mann und dessen Leute, den Mann, der vor neun Tagen gekommen war und sein Gewehr auf Frankie gerichtet hatte: »Squawmann, dreckiger, du hast meine Wildpferde vor der Nase weggefangen. Das sind meine Pferde gewesen, ich habe
sie gejagt und dir sozusagen zugetrieben. Der schwarze Hengst, dieser Satan, sieh ihn dir an, dann siehst du die Lassospuren an seinem Mähnenkamm. Ich hatte ihn schon, er entkam mir nur noch einmal mit seinem verdammten Rudel Stuten und Hengste. Er ist dir direkt in die Arme gelaufen, gib es zu, Squawmann!« Der böse Mann, dachte Yellow Moon, er hat mich angestarrt, als hätte ich nichts an. Er hat schief gegrinst und mich von Kopf bis Fuß gemustert. Ja, er hat recht gehabt und wiederum doch nicht recht, denn die Lassonarben waren schon zwei Wochen alt, die der schwarze Hengst getragen hat. Er kann den Hengst gar nicht verfolgt haben, sonst hätten wir ihn und seine Leute bemerken müssen. Als ihm der Hengst entkommen war, muß er die Jagd nach ein paar Tagen aufgegeben haben. Vielleicht wußte der böse Mann, daß Frankie unterwegs war, und er ist Frankie mit seinen Leuten gefolgt, weil er sicher ahnte, daß Frankie den Hengst, hinter dem schon mancher Wildpferdfänger her war, fangen würde. Die Frau zuckte zusammen und sah den Schatten vor sich aus dem Dunst, der aus dem Tal die Steigung hochkroch und hier für schlechte Sicht sorgte, wie aus dem Nebel auftauchen. Der Reiter war da, derselbe Mann, der hinter ihr gewesen sein mußte. Und nun versperrte er ihr den Weg. Sie kam nicht mehr aus dem Tal. * Sie schrie nicht, als sie die Peitsche nahm und ausholte, sie sah sich nur blitzschnell um und konnte jene Talwand nur noch verschwommen ausmachen, von der das Blitzen gekommen war. Für jene, die dort lagen, mußte der Flachborder kaum noch zu sehen sein.
Gut, dachte die Squaw, die Tochter des großen Häuptlings, gut so. Der große Häuptling hat es immer wieder unseren Kriegern gesagt: »Manchmal ist es klüger zu fliehen, statt blindlings zu kämpfen. Es muß nicht Feigheit sein, wenn man flieht, weil die Flucht oft zu einer besseren Position führen und den Gegner in den Nachteil bringen kann. Flieht und sammelt alle Kräfte. Und dann kämpft, wenn ihr stark seid.« Stark sein, dachte die Squaw, ich bin nicht so stark wie ein Krieger, aber vielleicht bin ich ein bißchen klüger als alle Squaws, böser Mann. Dein Freund wird es vielleicht merken, der da vor mir lauert und wartet. Er wird mein Pferd anhalten wollen und ihm in das Zaumzeug greifen. Na-tameh war tot. Er hatte nicht mal die Chance zur Gegenwehr gehabt, denn Indianer durften die Reservation nur ohne Waffen verlassen. Das hatten sie auch getan, denn ihre Gewehre hatten sie nicht getragen, die hatte Frank Collet für sie auf den Wagen genommen. Ein Weißer konnte zwanzig Gewehre mitführen und sagen, daß sie ihm gehörten. Waffenlos waren seine Freunde, die Blackfeet, nicht gewesen, aber sie waren nicht mehr an ihre Waffen gekommen. Nur einer hatte das geschafft, und der eine war auch tot, tot wie Frank Collet, der Indianerfreund. Ich, dachte die Squaw, ich habe keine Waffe, wenn man mein Messer nicht als Waffe bezeichnen will. Ich bin die Frau eines weißen Mannes, aber ich habe keine Waffe tragen dürfen, weil ich Indianerin bin. Und nun kommst du, Stanton, du wartest vor mir und denkst, du kannst mich fangen. Die Peitsche zischte los, der Hieb traf das Pferd hart, das sich in die Sielen legte und den Wagen vorwärtsriß. Die Squaw sah den Mann Stanton jetzt keine achtzig Schritt mehr vor sich. Er hatte das Pferd quergedreht und zog es nun herum, neugierig
und etwas erstaunt den Kopf hebend, weil die Squaw jetzt auf das Pferd einschlug und der Wagen schneller wurde. Der Wagen, dachte die Squaw, kann umstürzen, aber ich werde es tun, ich muß es versuchen. Vielleicht komme ich heil herunter, wenn er umstürzt, doch ihn werde ich treffen, ehe es geschieht. Los, Brauner, lauf, lauf. Die Hiebe peitschten. Das Pferd, die grobe Behandlung nicht gewohnt, sprang buchstäblich im Geschirr, trommelte die Steigung empor. Fünfzig Schritt noch, als Stanton, der für den bösen Mann Malone die Pferde fortschaffte, die niemand sehen sollte, weil sie gestohlen waren, die Hacken hob. Stanton, der hagere, sehnige Mann, die rechte Hand Malones, starrte dem heranrasenden Wagen entgegen. Die Squaw, dachte Stanton, ist verrückt. Was will sie, durchbrechen, an mir vorbei? Na warte, Rothaut, das schaffst du nie. Drehst durch, he? Hast gesehen, wie dein Squawmann gestorben ist, und deine Brüder und Vettern in die Hölle sausten. Du wirst ihnen folgen, Squaw. Ich weiß nicht, wann. Vielleicht morgen oder übermorgen, wenn Malone genug von dir hat. Stanton grinste und nahm das Pferd sacht herum, bis es genau richtig stand, und er anreiten konnte, wenn der Wagen kurz vor ihm war. Dreißig Schritt noch, bis es soweit war. Die Squaw schlug unablässig auf das Pferd ein, hatte sich aufgestemmt und stand nun vor dem Sitzbrett. Und dann ließ sie die Peitsche jäh fallen. Sie griff beidhändig um die Leinen und schrie jetzt schrill. Es waren kurze, abgehackte Schreie, während sie den Wagen immer mehr nach rechts brachte. Das Pferd raste nun haargenau auf Stanton zu. Fünfzehn Schritt war die Squaw jetzt nur noch vor Stanton, der plötzlich begriff, was die Rothaut plante. Sie griff ihn an, diese Närrin. Sie wollte tatsächlich das Pferd
und den Wagen als Waffe benutzen und ihn rammen. Sie ist verrückt, dachte Stanton spöttisch. Das ist die nackte Verzweiflung. Glaubt sie wirklich, sie kann mich über den Haufen fahren, und ich würde mein Pferd nicht vor dem Wagen zur Seite reißen? Na los, Rothaut, das Spiel mache ich mit. Wenn du kurz vor mir bist mit deinem Wagen, reiße ich das Pferd zur Seite, komme an deine Wagenflanke und packe dich. Das Weib muß wahnsinnig sein. Zehn Schritt – acht, sechs, vier. Und da trat er zu, rammte dem Gaul mit aller Gewalt die Hacken in die Flanken, riß gleichzeitig die Zügel nach rechts. Das Pferd flog mit einem Satz vorwärts, ehe es der Wagengaul rammen konnte, schoß vor dem Wagen aus der Bahn und wirbelte dann herum. Stanton hörte den gellenden Schrei der Squaw und hielt ihn für einen Ausdruck der wütenden Enttäuschung, während sein Pferd herumfegte. Jetzt schoß er auf die Flanke des Wagens zu. In derselben Sekunde sah Stanton, daß sich die Squaw nach hinten auf den Sitz geworfen und beide Füße gegen die vordere Kastenwand gestemmt hatte. Was danach kam, geschah zu schnell, als daß Stanton es in jeder Einzelheit mitbekam. Er sah nur noch, daß sich die Rothaut ganz nach links duckte und zugleich an den Leinen riß. Danach schleuderte der wilde Ruck, mit dem die Squaw die Leinen hart angezogen hatte, und das Gespannpferd dem scharfen Zug gehorchte, den Wagen über das Geröll der Steigung. Das Vorderrad, auf dessen Höhe Stanton an den Wagen gewollt hatte, kam Stantons Pferd mit rasender Geschwindigkeit näher. Und dann passierte es auch schon. Das flirrende Speichenrund packte die Vorderhufe des Pferdes. Es krachte einmal dumpf, als das Vorderrad gegen Hufe,
Läufe und Brust des Reitpferdes prallte. Gleichzeitig schien der Anprall Stantons Pferd anzuheben. Der Gaul stieg, wollte abdrehen, als sich der Wagen über den Deichselbock drehte. Das Gefährt rutschte schleudernd auf der Stelle herum. Jetzt war es das Hinterrad, das das steilende Pferd Stantons erwischte. Im nächsten Augenblick spürte Stanton den schweren Schlag, der das Pferd traf. Der Gaul schien lotrecht in die Höhe zu fliegen, neigte sich in der folgenden Sekunde hintenüber, und Stanton verlor den Halt. Das Reitpferd stürzte über die Hinterhand auf den Rücken. Dies war das letzte, was Stanton begriff. Ehe er auch nur einen Fuß aus den Steigbügeln bringen konnte, rutschte er über die Sattelberge hinweg, geriet auf den glatten Rücken, sauste auf die Kruppe und sah den Hals und Kopf des trompetenhaft wiehernden, zu Tode erschreckten Pferdes hoch über sich. Er schrie, als er die geblähten Nüstern und vor Angst rollenden Augen des Pferdes sah, das den Schädel hin und her warf. Danach kam Stanton dem Boden rasend schnell näher und schlug auf. Es war, als krachten ihm hundert Buckelsteine in den Rücken. Er war rücklings auf das Geröll geprallt und brüllte, bis das Pferd über ihn stürzte. Stantons Geschrei erstickte in derselben Sekunde, in der die ganze Masse des Pferdes auf ihn prallte, und der Sattel mit seinem Horn seine Rippen eindrückte. Da schrie er nicht mehr. Der Schmerz war wie ein glühendes Schwert, das sich in seinen Leib bohrte. Eine Feuerwoge schien sich von seiner Brust aus in seinen Hals und weiter in seinen Kopf zu ergießen, bis sie unter seine Schädeldecke schlug. Das letzte, was Stanton noch merkte, ehe er die Besinnung verlor und sein Pferd von ihm rollte, war ein Gefühl des Be-
grabenwerdens. Er erstickte binnen einer Sekunde. Vor ihm, schlitternd, rutschend und sich hochstellend auf zwei Rädern, fuhr der Wagen vorbei. Er stand einen Moment so hoch, daß er zu kippen und umzuschlagen drohte. Doch dann sprang das Gespannpferd nach rechts, es riß den schüttelnden, in sich krachenden Wagen auf alle vier Räder zurück. Ein schweres Dröhnen ging durch das Gefährt, die Squaw lag vor dem Sitzbrett quer im Fußraum. Yellow Moons rechte Schulter war unter dem Sitz eingeklemmt worden. So lag sie sekundenlang, während der Wagen schon weiter die Steigung hinaufraste. Als Yellow Moon, ein Stechen in der Schulter und ein Brennen am rechten Ellbogen, auf die Knie kam, die Leinen noch in der Linken, die Rechte vom Haltebügel aus Rundeisen des Sitzes lösend, sah sie sich um. Sie sah das aufspringende Pferd und den Mann, der ihr baumlang vorgekommen war, winzig klein am Boden hegen. Der Mann Stanton, die rechte Hand des bösen Dean Malone, rührte sich nicht mehr. »Sei tot«, keuchte die Squaw, die nun nicht mehr die Frau des Weißen Frank Collet, sondern wieder ganz und gar die Blackfeet war, die nur das Gesetz des Auge um Auge, Leben um Leben und Tod um Tod kannte. »Sei tot, Ca-che-gun.« Ca-che-gun – schlechter weißer Mann. Der Ca-che-gun mußte tot sein, weil Na-tameh tot war. Aber der weiße Mann war nur ein Leben für ein Leben, ein Tod für einen Tod. Es würden noch viele weiße Männer sterben müssen, ehe die Rechnung der Blackfeet ausgeglichen war. »Ca-che-gun«, zischte die Squaw und jagte mit dem Wagen die Steigung hoch, war oben und sah sich argwöhnisch um. In der nächsten Sekunde erstarrte die Squaw. Sie sah die Schatten halbrechts aus dem Dunst brechen. Zwei, drei tauchten wie Schemen schräg hinter ihr auf.
Als sie den Grauschimmel ausmachte, der in diesem Dunst aufzugehen schien, weil er grau-weiß war, wußte sie, daß dort Malone kam und sie einholen würde, weil das Pferd den Wagen nicht schnell genug fortbringen konnte. Der Mann Malone, von dem sie wußte, daß er immer ein Dieb gewesen war, der anderen Leuten die Pferde gestohlen und umgebrannt hatte, um sie Crane zu verkaufen, jagte seinen Grauschimmel schreiend an. Lebend, dachte die Squaw, lebend bekommst du mich nicht, Malone. Keine Viertelmeile, dann hast du mich eingeholt mit deinen Männern. Ich komme nicht mehr aus dem großen Tal des Crow Creek. Malone, du bekommst mich nicht lebend. Ihr Blick flog nach vorn, nachdem sie die Geschwindigkeit der Reiter abgeschätzt hatte. Sie wußte nun, daß die Pferde links und rechts neben dem Wagen sein mußten, ehe er vierhundert Schritt weit gekommen war. Und sie beschloß zu sterben. * Sie sah sich um und biß die Zähne zusammen, als die fünf Verfolger auseinanderritten. Nur der Grauschimmel blieb in der Mitte, sechzig Schritt hinter dem Wagen. Während zwei Mann nach links und zwei Mann nach rechts jagten. Das Manöver begann, an dessen Ende der Wagen zwischen den Männern stecken und die Squaw gefangen sein sollte. Der Wagen raste durch das Gras, mähte Büsche nieder, deren Zweige knackend zersplitterten. Ihr Kopf flog herum, ihr Blick erfaßte die Männer, die vierzig Schritt nur noch entfernt waren. Sie sah sie und schloß die Augen, sie atmete einmal tief durch, ehe sie jäh die Zügel nach
links anzog und spürte, wie der Wagen herumraste. Wie lange sie so fuhr, ob fünf, zehn oder mehr Schritt, sie wußte es nicht. Sie hörte nur das Schreien hinter sich, die sich überschlagende Stimme eines Mannes: »He, he, was macht die verdammte Rothaut denn? Bill, Bill, halte sie auf, da geht es zur Schlucht und in den Bach. Bill, schnell.« Schnell, dachte sie und riß die Lider wieder auf, schnell, Malone? Die Büsche, Malone, die Büsche sind zwischen mir und euch. Ich habe gewartet, Malone, bis ich mit dem Wagen in den Büschen steckte und ihr mich nicht mehr deutlich sehen konntet. Jetzt fahre ich auf den Bach zu, ich war nur fünfundzwanzig Schritt von der Schlucht entfernt. Malone, du kannst nicht schießen, denn die Büsche sind zwischen mir und dir und deinen Freunden, siehst du mich, Malone? Yellow Moon sah nach links und irgendwo hinter den schattengleich vorbeihuschenden Büschen für den Bruchteil einer Sekunde zwei Pferde. Dann raste der Wagen auch schon mitten durch den Busch, brach alles entzwei, jagte springend und stoßend über grasüberwachsene Felsplatten. Nun war das Brüllen so laut vor ihr, daß sie den Odem des Wassergeistes schon zu spüren meinte. Die Angst lähmte sie jetzt von Kopf bis Fuß, das Grausen ließ selbst ihre Gedanken ersterben. Der Geist saß dort unten, das wußte sie. Seine schrecklichen Fischaugen lauerten, seine Hände warteten fangbereit. Es war zuviel an Grausen für die Squaw. Sie schloß wieder die Augen, wußte die Kante keine zehn Schritt vor sich, der sie rasend schnell näher kam. Sieben Schritt, fünf, drei, zwei. Rumms! Der brüllende Knall kam von irgendwoher, als der Ruck durch den Wagen ging und das Pferd schaurigschrill trompe-
tete. Die Squaw konnte nichts denken, nur ihr Gefühl nahm wahr, was mit ihr geschah. Sie hatte die Leinen fahrenlassen und die Finger um die Eisenbügel des Sitzes gekrallt. Dann schlug der Wagen irgendwo in der Mitte auf, und Yellow Moon wußte, daß der Schlag von der Canyonkante herrührte. Danach packte etwas die Hinterräder. Es gab einen zweiten Schlag, der die Räder und damit das Heck des Wagens anhob. Nach dem Schlag kam nichts mehr, nur das Gefühl war in der Squaw, daß der Wagen jetzt fiel und fiel. Zugleich drang das Tosen wie Gedonner an ihr Ohr, und sie wußte, daß es das Triumphgebrüll des Wassergeistes war, mit dem er sie begrüßte. Yellow Moon war es, als käme ihr der kalte, feuchte Atem rasend schnell näher. Und dann war nichts mehr da als ein Klatschen, ein Stoß, der von vorn kam und das Sitzbrett samt der Squaw anhob. Sie wußte, daß sie gleich in die Arme des Geistes fallen würde, und die feuchten, glitschigen Schwimmhäute sie umfassen würden. Aus Yellow Moons Kehle brach ein Schrei: gellend und schrill, voller Todesangst und Grausen. Ihr Schrei erstickte, als sie kopfüber ins Wasser schoß und die Kälte sie packte. Sie schloß den Mund, wartete, denn der scheußliche, grauenhafte Griff mußte sie jetzt packen. Irgendwann, als sie den Zug an ihren Armen spürte, etwas sie anhob, und ihr Kopf wie durch ein Wunder aus dem Wasser tauchte, schnappte sie nach Luft. Danach erst begriff sie, daß sie die Sitzbank fest umklammerte und schwamm. Da riß die Squaw die Augen auf und sah die schäumenden, hüpfenden Wogen vor sich. Das Wasser war um sie, der Geist nicht da. Dort schwamm nur ihr Wagen, die Räder nach oben, das tote Pferd an der Deichsel, das auf der Seite lag und auf die Klippen zutrieb.
Die Squaw sah den Dunst über dem Wasser wie eine Nebelschicht hängen, während die Strömung sie und die Bank mit sich riß, vorbei am Wagen, der sich zwischen den Klippen festrammte. Yellow Moon schwamm und starrte auf die hochsteigenden, beinahe senkrechten Wände. Und dann, als sie schon hundert oder mehr Schritt getrieben worden war, die Wände sich hoch über ihr im Dunst zu verlieren schienen, tauchte vor ihr das dunkle Loch auf. Die Squaw erblickte den Felsblock, der von Wasser umspült wurde und vor einem gut fünf Schritt hohen und zwei Schritt breiten Spalt wie eine Stufe lag, auf die man leicht kommen konnte. Da gab sie der Bank einen Stoß nach links, schoß mit der reißenden Strömung dem Felsblock entgegen und wie von einem Schwung gepackt auf ihn. Als sie über ihn kroch, und der Spalt sich auftat, der Boden anstieg und trocken vor ihr lag, ließ die Squaw die Sitzbank fallen und kroch noch ein Stück, bis sie liegenblieb. Er hat nicht gewartet, der Geist des Wassers, dachte sie, er war nicht hier, um mich zu holen, er will mich überhaupt nicht mehr haben. Vielleicht mag er nicht mehr, weil Madur ihn besiegt hat? Ja, so wird es sein – Madur hat ihn besiegt, deshalb bin ich für immer sicher vor ihm. Ich habe eine Höhle, in der es ganz trocken ist und altes Schwemmholz hegt. Ich kann sogar ein Feuer machen, wenn Malone mich nicht mehr sucht, ich kann mich wärmen und meine Sachen trocknen, wenn ich will. Sie werden denken, daß ich ertrunken bin. Sie setzte sich auf. Ihr war klar, daß niemand ins Wasser hinunter konnte, denn dazu waren die Wände viel zu steil. Alles, was Malone sehen konnte, war der kopfüber in die Klippen gerammte Wagen mit dem toten Pferd. Erst eine Meile weiter nördlich kam man an den Bach, der jetzt ein reißender Fluß
war, herunter. Vielleicht würden sie dort warten, ob sie die Frau kommen sahen, tot und vom Wasser dahingetragen. Ja, dachte die Frau, deren Mann mit sechs Blackfeet gestorben war, sie werden hinreiten und vergebens auf mich warten. Sie werden sich sagen, daß ich tot sein muß, und vielleicht noch zwei Männer zurücklassen, falls mein Körper doch noch vorüberschwimmt, der sich irgendwo festgeklemmt haben könnte, oder unter dem Wagen liegt. Vielleicht lassen sie auch jemand herunter, lassen ihn ein Lasso an den Wagen legen und ziehen ihn so hoch, daß sie sehen können, ob ich unter dem Wagen liege. Irgendwann wird Malone es aufgeben und fortreiten, um sich Frankies Pferde zu holen. Er wird sie nehmen und zur Bahn treiben, wie er es immer getan hat, wenn er gestohlene und umgebrannte Pferde weit fortschaffen wollte. Die Squaw dachte angestrengt nach. Frankie hatte alle Verbindungen Malones gekannt und oft genug über die Geschäfte des Schurken gesprochen. Malone verkaufte die Pferde immer in Idaho. Dorthin kam Crane und übernahm sie. Oder Crawford, der andere Händler, kaufte sie ihm ab. »Diesmal«, flüsterte Yellow Moon, »hat Malone es noch leichter. Es sind ungebrannte Pferde, und da er unsere Krieger und Frankie umgebracht hat, kann er sie als seine Pferde verkaufen. Ich bin auch tot für Malone, also gibt es keine Schwierigkeiten für ihn. Er treibt sie zur Bahn, verlädt die ganze Wildpferdherde und steckt unsere Pferde zwischen die Wildpferde, wenn er selber verlädt. Malone hat sie immer nach Idaho gefahren oder treiben lassen. Diesmal braucht er nicht einmal treiben zu lassen, so sicher kann er sich fühlen.« Die Squaw saß ganz still und zusammengekrümmt in der Höhle. Etwas wußte Malone sicher nicht, daß keine siebzehn Meilen von hier eine kleine Horde Blackfeet zum Fischen der Flußlachse steckte. Der große Häuptling war noch mit dem
Stamm im Lager. Du weißt es bestimmt nicht, Malone, böser Mann, wie schnell und lange ich laufen kann. Vielleicht brauche ich auch nicht sehr weit laufen, wenn es nicht mehr regnet. Dann mache ich ein Feuer und gebe Signale. Und dann, Malone, werden überall Signale zum Himmel steigen, von denen du nichts siehst. Du kommst sicher noch zur Bahn und wirst auch noch deine Pferde verladen können, aber wie weit fährt das Feuerroß noch mit den Pferden Frankies, Malone? Die Squaw richtete sich mit funkelnden, blitzenden Augen hoch auf. Er fährt nicht weit, dachte sie triumphierend. Ich weiß, wie man ein Feuerroß anhalten kann, auch unsere Krieger wissen es. Ich brauche nur eine Handvoll Krieger, dann wird kein Feuerroß mehr fahren und du, Malone, mußt es verlassen und deine Mustangs durch die Berge treiben. Treibe in die Berge, Malone, ziehe durch sie mit Frankies Pferden. Nur weit wirst du nicht kommen, dann sind unsere Krieger da. Und dann stirbst du, Malone. Blut um Blut, Leben um Leben, Tod um Tod. Yellow Moon blickte mit glitzernden Augen auf das schäumende, gurgelnde Wasser hinaus. Und dann zischte sie es, wie es nur eine Indianerin so voller abgrundtiefem Haß und eiskalten Rachegedanken konnte: »Zahl mit dem Leben, Malone!« Genau das würde geschehen, sie wußte es. * Der Wind kam hart und böig, kühl und durch die Kleidung dringend. Der Wind schien eisig zu werden, und der Mann fror wie nie zuvor in seinem Leben. Das Frieren kroch von seinem Nacken aus bis tief in seinen Rücken, und er blieb in der
zusammengekrümmten Haltung sitzen, die Tiefe unter sich und das Wasser, das um den Wagen und die Büsche strömte. Du großer Gott, dachte der Mann Tim Madur, Allmächtiger, das Pferd ist tot gewesen, als es heruntergekommen ist und der Wagen auf es krachte, und Yellow Moon? Der Mann schloß die Augen, sah in seiner Vorstellung die Frau auf dem Sitzbrett hocken, sich anklammern und glaubte durch das Rauschen und Röhren unter sich den gellenden Schrei zu hören. Tot, dachte er, tot? Sie könnte Glück gehabt haben. Dort hinten im Tal sind die Felsgräber, liegen sechs Blackfeet, liegt Frankie, mein Freund. Jemand hat sie in aller Eile begraben, aber es kann kein Weißer getan haben. Da sind die Spuren, dort gibt es keine einzige Stahlstange mehr, ist der Fangzug verschwunden, hat jemand den Wagen fortgeschafft und zweihundert Schritt von ihr, in den Canyon stürzen lassen. Jene ritten Pferde mit beschlagenen Hufen, die anderen, die nach ihnen gekommen sind, haben Mustangs gehabt, und die Gräber in aller Hast über den sieben Toten aufgetürmt. Sie sind zu der Stelle geritten, an der man den Wagen in die Schlucht krachen ließ, sie haben dort nur nachgesehen. Niemand ist weiter am Rand der Schlucht entlanggeritten und hat nach Yellow Moon gesucht. Warum nicht? Madurs Verstand arbeitete und kam wieder zu dem gleichen Resultat: Yellow Moon war hier, Verfolger hinter sich, mit dem Flachborder in die Schlucht gerast, um nicht in die Hände jener unbekannten Schurken zu fallen. Wo und wie ist sie hinausgekommen, wie denn nur? grübelte Madur. Ich muß die Stelle finden. Er richtete sich auf und rannte zu seinen Pferden zurück, Frankies Pferden, die Frankie nie mehr sehen würde. Reiten, dachte Madur, hart am Rand der Schlucht reiten und
darauf achten, wo es ein Uferstück unten gibt, auf das sie sich gerettet, und danach die Wand hochgeklettert sein könnte. Sie muß es überlebt haben, sonst hätten die Indianer, die später hier waren, nach ihr gesucht. Kein Blackfeet ist am Canyon entlanggeritten, und das läßt nur einen Schluß zu, sie hat überlebt. Er ritt und fragte sich, wer die Weißen gewesen sein konnten. Die Halunken waren vor etwa anderthalb Tagen mit Frankies Mustangs aufgebrochen. Wohin? »Das sehe ich schon«, knurrte Madur. »Zuerst muß ich wissen, was aus Yellow Moon geworden ist. Hier oben hat es seit über dreißig Stunden nicht mehr geregnet. Der Regen müßte nachgelassen haben, nachdem Frankie noch keine sechs Stunden tot war. Das war eiskalter, gnadenloser Mord, ein schneller, brutaler Tod für sechs Indianer und Frankie, der nur einen überlebenden Zeugen hatte: Yellow Moon. Die Schießerei müßte bei dem Regen und den tiefhängenden Wolken keine vier Meilen weit zu hören gewesen sein, wenn überhaupt so weit. Wo sind die anderen Indianer hergekommen? Sie tauchten hier erst nach mehr als zehn Stunden auf. Ich muß suchen. Madur trieb die Pferde an, ritt nach Norden die Schlucht entlang und folgte dem Lauf des Wassers. Der Gedanke an die Steingräber ließ ihm keine Ruhe. Es war die Art, wie sie aufgetürmt worden waren, hastig und ohne jene sonst für Blackfeet typische Sorgfalt. Indianer taten das nur, wenn sie zwar ihrer Pflicht nachkommen, aber in aller Eile wieder fort wollten. Hier hatten sie einen guten Grund für die Hast gehabt, es hatte gegolten, die Mörder nicht aus den Augen zu verlieren. »Hufspuren«, zischte Madur, als die Doppelspur, kaum daß er von den Felsen war, vor ihm erschien. »Beschlagene Hufe,
zwei Pferde. Die Mörder sind hier entlanggeritten und haben auch nach Yellow Moon gesucht. Mal sehen, wie weit.« So war das also. Die Mörder waren nicht ganz sicher gewesen, ob Yellow Moon überlebt hatte, obgleich der Wagen zwischen den Klippen lag und man glauben konnte, daß er die Frau unter sich begraben und erschlagen haben mußte. Die Mörder hatten die Frau gesucht, aber sie gefunden? * Madur riß das Pferd zurück, flog aus dem Sattel und band das Pferd, an dem die anderen mit den Longen hingen, hastig an einem Busch fest. Dann rannte er los, denn hier kam kein Pferd mehr hoch. Er stürmte zu Fuß weiter und kam immer höher, bis er das kleine Plateau und die Felsklippen erreichte. Der Marshal sah nicht über die Höhenzüge, die Grate und Bergflanken hinweg, obgleich der Blick weit nach Norden, Osten und Westen reichte. Tim Madur starrte auf das Holz, das grüne Laub der Zweige, das sich unter der Hitze des kleinen Feuers gekrümmt und zum Teil verfärbt hatte. Mein Gott, dachte er, ein Signalfeuer. Sie hat es geschafft, sie ist viereinhalb Meilen weit von der Stelle aus, an der sie sich aus dem Wasser retten konnte, gelaufen und hier herauf gestürmt. Dann hat sie das Feuer entfacht, ihren Rock oder das Jagdhemd ausgezogen und Signale gegeben. Das ist es also. Sie hat die Blackfeet gerufen, und die sind gekommen und nun mit ihr hinter den Mördern her. Ich muß zurück, ich muß wissen, wohin die Banditen sind. Yellow Moon, was hast du an Signalen in den Himmel aufsteigen lassen? Madur rannte zurück, dabei jede Möglichkeit, die Yellow Moon gehabt hatte, durchdenkend. Wenn er an ihrer Stelle ge-
wesen wäre und gewußt hätte, daß andere Blackfeet in der Nähe waren, nur eine Handvoll, wie es aussah, hätte er dafür gesorgt, daß der ganze Stamm von der Nachricht erfuhr. Genau das mußte auch Yellow Moon getan haben. Der Stamm hat todsicher noch im Winterlager gesteckt, oder zumindest in der Reservation. Das müßten zwei Tagesritte sein. Also könnte der Stamm es jetzt erst erfahren haben, in dieser Stunde, wenig früher oder auch etwas später, überlegte Madur. Die Krieger könnten gerade aufgebrochen sein, oder sich im Aufbruch befinden. Allmächtiger, dreihundert Blackfeet-Krieger. Wenn die auf die acht Weißen losgehen… Tod, dachte Madur, Tod um Tod, Leben um Leben. Er merkte kaum, daß er sich in den Sattel schwang, die Pferde herumriß und sie anjagte. Er wußte nur eins, er mußte feststehen, wohin die Mörder mit den Pferden geritten waren. Hinter den Mördern vielleicht auch vor ihnen oder seitlich, ritten Blackfeet und ließen sie nicht aus den Augen. Die Mörder konnten mit den gestohlenen Mustangs schnell vorankommen, aber Blackfeet, die jeden Fuß dieses Landes kannten, mußten schneller sein. Irgendwo vor ihm, das begriff Madur mit einem schrecklichen Frösteln, hatte die Jagd der Indianer auf die Mörder begonnen. Irgendwo im Nordwesten brachen andere auf oder waren schon unterwegs, um der Handvoll Krieger zur Hilfe zu kommen. Hier bahnte sich ein Drama an, das mit Blut und Tod enden mußte. Wohin sind sie, dachte Madur, wohin? * Die Augen brannten ihm, die Müdigkeit überfiel ihn jetzt mit einer Gewalt, gegen die er kaum noch ankämpfen konnte.
Zwei Tage kaum geschlafen, nur ein wenig gedöst und ständig im Sattel, nur ab und zu die Pferde wechselnd, das hielt auch der härteste Mann kaum durch. Nicht schlafen, dachte Madur, du darfst nicht nachgeben. Mach dich munter, Mann. Er holte aus, schlug die Arme um den Oberkörper, neigte sich, bis er beinahe aus dem Sattel kippte und blieb mit dem Kopf nach unten hängen. Das Blut schoß ihm in den Kopf, die beste Medizin, um diese verfluchte bleierne Müdigkeit für einige Zeit zu vertreiben. Als er hochkam, den lotrechten Einschnitt jetzt deutlich sah, der vor ihm gerade noch verschwommen war, weil die Müdigkeit ihn wie durch einen Schleier hatte nach vorn starren lassen, jagte er weiter. Ich muß es gleich sehen, überlegte Madur, ich bin nicht durch das Tal geritten, durch das die Halunken mit den Pferden sind. Dies sind die Ausläufer des Dry Ridge. Vor mir müßte der North Hill auftauchen, oder ich will nicht länger Marshal sein, verdammt. Die Hölle, die Pest, ich bin nicht müde, ich bin munter, hellwach, munter, munter. Er schrie es und fluchte, weil das Kopfhängenlassen auch nicht mehr helfen wollte, und die bleierne Schwere wiederkehrte. »Mist, elender Mist, ich bin nicht müde, ich bin munter, munter.« Wenn ihn einer gehört hätte, er hätte nicht geahnt, mit welchen Mitteln er gegen die Schläfrigkeit ankommen mußte. Jetzt ging es hoch in den Einschnitt hinein. Er hatte den Weg abgekürzt, er war mitten über die Berge gejagt, um den Vorsprung, den die Halunken besaßen, kleiner zu machen. Eine andere Chance gab es nicht, denn er wußte seit Stunden, daß sie die Pferde an die Bahnlinie getrieben hatten.
Sie haben sie verladen, dachte er. Das geht schnell, denn auf jeder Station stehen immer einige Waggons für Vieh, weil überall Vieh transportiert wird.Waggons sind immer schnell zur Hand, nur ein Zug, der kann zehn, zwölf Stunden auf sich warten lassen. Los, weiter, Madur, du Schlafmütze, du Schwächling, du elender. Reiß dich am Riemen. Mensch, du hast doch schon ganz andere Sachen geschafft. Vorwärts, durch den Einschnitt und nach Westen blicken. Da muß der Hügel sein, da muß – das ist er. Er schrie es so laut, er sah den North Hill rechts vor sich und wußte, daß er mindestens drei Stunden herausgeholt hatte. Keine vier Meilen weiter südlich lag Georgetown mit seiner großen Station. »Ich komme hin«, keuchte Madur. »Das schaffe ich auch noch. Die Halunken haben zwei oder drei Waggons gemietet, wetten? Dann sind sie mit dem nächsten Zug abgefahren. Der nächste Zug für sie, welcher war das? Sind sie nach Westen weiter, konnten sie die Waggons an den Pocatello Expreß anhängen lassen. Wollten sie nach Süden herunter, mußten sie den Siebenunddreißig nehmen, der bis nach Green River durchgeht. Moment, die Fahrzeiten, wie sind die Fahrzeiten?« Es war, als hätte die verfluchte Müdigkeit schon sein Gehirn ausgehöhlt. Er konnte nicht mehr denken, hatte die Fahrzeiten vergessen. Nein, nein, der Pocatello Expreß mußte vor elf Stunden in Georgetown gehalten haben. Und der Siebenunddreißiger? »Langsam«, keuchte Madur. »Sie kreuzen sich bei Bancroft auf der Dreierspur. Dann müßte der Green River Zug anderthalb Stunden nach dem Pocatello Expreß in Georgetown gewesen sein. Neuneinhalb Stunden, gut, gut! Der nächste Zug, wann kommt der denn? Denk doch nach, du Idiot, denk
doch.« Herrgott, war denn sein Gehirn ausgeblasen worden, hatte er gar keinen Verstand mehr im Schädel? Das war doch nicht zu glauben, er hatte, ausgerechnet er, den Fahrplan nicht mehr im Kopf. »Idiot!« Bin ich, dachte er müde, bin ich ganz bestimmt. Was geht es mich an, ob dreihundert Blackfeet die Reservation mit Waffen verlassen, gegen das Bundesgesetz verstoßen und acht Mörder killen? Was, zur Hölle, hab' ich denn damit zu tun? Der nächste Zug kommt in sechs Stunden, Mensch, du hast doch noch ein bißchen Gehirn im Schädel, was? Sechs Stunden. Madur wollte in einer halben Stunde in Georgetown sein. Dort wußte man, wohin die Pferde verladen worden waren, und wer sie verladen hatte, wetten? * »Marshal, um Gottes willen…« Brennan war es, der Stationsleiter, der gerade um die Ecke getrottet kam, und wie erstarrt stehenblieb, als er Madur aus dem Sattel rutschen sah. Madur schoß wie ein angeschlagener Boxer gegen die Mauer, blies die Luft wie ein Nilpferd, das auftauchte, schnaufend aus und grinste schief. »Bin bloß müde«, ächzte Tim Madur. »Wer hat Wildpferde hergetrieben und verladen, raus damit, Brennan.« »Allmächtiger, was nicht in Ordnung?« »Mensch, wer, zur Hölle.« »Dean Malone, Marshal«, japste Brennan erschrocken, der Madur sonst nicht so rauhbeinig kannte. »Er hat drei Waggons gemietet und sie an den Pocatello Expreß anhängen lassen. Sie sind sieben Stunden fort.«
»Sieben Stunden, weshalb?« »Ein Erdrutsch bei The Narrows hatte die Strecke blockiert, Marshal, alle Züge haben Verspätung gehabt.« »Sieben Stunden bloß«, stöhnte Madur. »He, jemand soll die Gäule versorgen. Hast du Nachricht von Ole Bronson?« »Nein«, erwiderte Brennan kopfschüttelnd. »Ich weiß nur, daß der Green River Hochwasser hatte, die Strecke unterspült worden ist, und alle Züge aus dem Osten erst morgen durchkommen.« »Mensch«, keuchte Madur. »Dann müßte Ernest Jenkins am Green River festliegen? Geht der Telegraph wenigstens?« »Klar, der ging zuerst wieder. Warum fragst du?« »Gib Ole Nachricht. Er soll sofort mit der Lok herkommen, sofort und mit Volldampf. Ich muß dem Pocatello Expreß nachjagen. Benachrichtige alle Stationen bis nach Pocatello. Sie sollen melden, wo Malone seine Gäule auslädt, verstanden? Aber Vorsicht dabei, Malone darf nichts davon riechen.« »He, Marshal«, schnaufte Brennan. »Hat der was ausgefressen? Er hat die Waggons bis nach Burley gemietet. Scheint nach Burley zu wollen.« »So, scheint er?« murmelte Madur, und schien im Stehen einzuschlafen. »Moment, Crane ist im Jail, also bliebe doch nur noch einer übrig, dem er die Gäule verkaufen könnte: Sam Crawford. Der hat seine Corrals nicht in Burley, der hat sie in Rockland. Aha, so soll das laufen.« »Was soll laufen?« »Das Ausladen«, sagte Madur gähnend. »Der Halunke, der blutige, lädt in Bannock Siding aus, wette ich, wenn er überhaupt hinkommt. Dann treibt er zu Crawford. Und keiner weiß, daß er zu dem ist. So macht der Hundesohn das also. Na, er kommt nicht hin.« Er schwankte davon und dachte irgendwie doch noch an die
Handvoll Blackfeet. Die Handvoll war nicht wichtig, wichtiger waren die dreihundert, die es von der Reservation aus nicht allzu weit bis an die Bahnlinie hatten. Sie würden den Zug stoppen. »Brennan!« »Ja, Marshal?« Der davonschwankende Marshal blieb stehen und glotzte Brennan an. Seine Lider drohten ihm zuzufallen. »Gib mal an alle Stationen im Norden durch, daß sie den Expreß warnen. Sollten Indianer den Zug stoppen wollen, soll er halten und die Indianer tun lassen, was die wollen, verstanden?« »Was?« »Ja, gib es durch, an alle Stationen bis Pocatello!« »Ich werde verrückt, die Indianer sollten den Zug stoppen? Bist du sicher, daß sie das tun werden?« »Verdammt noch mal, das kann passieren, also tu, was ich sage, Mann. Hölle und Pest, ich schlafe im Gehen ein.« Er taumelte weiter. Bis Ole mit der Lok hier sein konnte, blieben ihm drei Stunden Schlaf. Das war genug. Sollten die Blackfeet sich Malone doch holen. * Die Mustangs blieben mit zitternden Flanken und Schaumflocken vor dem Mund stehen. Sie pumpten röchelnd nach Luft. Sie waren durch den Diamond Canyon gehetzt worden, hatten die Bahnstrecke bei Manson Siding und der winzigen Station seitlich liegenlassen. Dann war die Squaw, die wie eine Weiße gekleidet war, losgegangen, während die anderen fünf Blackfeet in ihrem Versteck verschwunden waren. Die Frau war auf die Station gekommen und hatte gefragt, wann der Pocatello
Expreß käme, und man hatte es ihr gesagt. Danach war sie gegangen, eine Indianerin in Stiefeln, langem Rock und einem Männerhemd, über dem sie eine Weste getragen hatte. Sie hatten ihr nachgeblickt, und sie hinter dem Hügel verschwinden sehen, aber nichts von den dort versteckten Blackfeet gewußt. Die Frau sprang von ihrem zitternden Pferd, das von Manson Siding aus fünfundzwanzig Meilen in weniger als vier Stunden gelaufen war. Neben der Frau saß der ältere Blackfeet ab, den sie »Der-den-Fisch-fängt« nannten. Sein Vater hatte schon so geheißen, nun hieß er so und versorgte mit seinen Gehilfen den Blackfeetstamm mit Fischen. Wenn »Der-den-Fisch-fängt« aufbrach, um die Lachse zu fangen, nahm er sein Werkzeug mit. Es war kein großartiges Werkzeug, mit dem er die Lachsfallen baute. Man brauchte nicht viel dazu, nur ein gutes Beil, ein langes Messer, das beinahe wie ein Schwert aussah. Mit dem schlug er armdicke Äste durch, zur Not konnte er auch Bäume mit ihm fällen. Die Squaw sah den älteren Indianer an und hob stumm die Hand. Sie zeigte auf die nackten braunen Baumstämme, die gleich einem Gitterwerk aus dem Wasser ragten. Der-den-Fisch-fängt schluckte einmal schwer. Er wußte nicht, was ein Pylon-Pfeiler war, und daß so ein Ding ein ganzes Stück einer Brücke stützte. Er wußte nur, daß die Weißen böse wurden, wenn man an ihre Brücken, den singenden Draht, die Schwellen oder jene Eisenbänder ging, auf denen ihre Feuerrösser vom Morgen bis zum Abend fuhren. »Gelber Mond, weißt du, was man macht?« fragte Der-denFisch-fängt mit einem Würgen in der Kehle. »Die Weißen, denen das Feuerroß gehört, werden die Pferdesoldaten aus Fort Hall holen und die Blackfeet suchen, um sie zu töten. Gelber Mond weiß?« »Ja«, nickte sie. »Gelber Mond weiß es, aber Gelber Mond
sagt, daß keine Pferdesoldaten kommen werden, weil Gelber Mond mit Madur sprechen wird. Er wird uns verstehen und die Pferdesoldaten nach Hause schicken.« Der-den-Fisch-fängt glaubte der Squaw nicht ganz, aber sie war die Tochter des Chiefs und kannte die Weißen viel besser als alle Blackfeet zusammen. »Du sagst es«, murmelte er. Danach ging er los und trug das lange Riesenmesser wie ein Ritter sein Schwert vor der Schlacht getragen haben mochte. Er wog die Waffe, mit der man jemand mühelos den Kopf vom Rumpf trennen konnte, in den sehnigen Händen und blieb an dem besonders dicken Baumstamm stehen. Die Brücke lief über den Portneuf River. Sie kreuzte ihn von rechts nach links, beschrieb dabei einen leichten Bogen und stand im gurgelnden Wasser, das den Indianern bis zur Brust ging. »Klettert hoch«, sagte die Squaw mit funkelnden Blicken. »Ihr müßt die Stämme, die wie Finger von diesem großen Stamm abgehen, alle durchschlagen.« »Du sagst es«, wiederholte der Fischfänger. Er stieg in die Verstrebungen, die den mächtigen Pylonpfeiler wie ein Kasten im Geflecht umgaben. Er sah die rostbraunen Köpfe der dicken Bolzen und war nun drei Schritt hoch über dem gurgelnden Wasser, und dicht unter den SchweDen und Schienen. Zwei seiner Gehilfen hockten sich rittlings auf die Streben wie die Affen und schwangen die Beile. Der vierte Blackfeet war auf die Brücke gestiegen, legte sich hin, weil niemand weit und breit zu sehen war, preßte sein Ohr an die glänzende Schiene. »Hörst du was, Kleiner Bisam?« Der kleine Bisam, der stolz darauf war, daß er eine Otter mit bloßer Hand fangen und wie ein guter Bisambursche tauchen konnte, verneinte, während das Krachen der Beilhiebe und das
Sausen und Klatschen des langen Messers einsetzte. »Gut«, sagte die Squaw gelassen. »Paß weiter auf, damit wir unter der Brücke ins Wasser tauchen können, wenn sich jemand nähert.« Die Squaw lächelte. Es war ein eisiges, triumphierendes Lächeln. Sie wußte, was geschehen würde, wenn die Weißen, die das Feuerroß lenkten, die Arbeit der Indianer sahen. Die Weißen würden sich fragen, warum der Zug gestoppt worden war, und wer die Schuld daran hatte. Sie würden schnell auf die wilden Mustangs und Malone kommen. Und dann würden sie fluchen und sagen, er solle sich zur Hölle scheren, ehe hier am Zug die Indianer erschienen und vielleicht alle Weißen umbrachten. Malone, du bist schon tot, dachte die Squaw voller kaltem Haß, du weißt es nur noch nicht. Das Hacken der Beile steigerte sich. Die Blackfeet arbeiteten stumm und verbissen, während die Squaw ihren Gedanken nachhing, und an den Mann dachte, der für die Sicherheit der Bahn verantwortlich war. Du wirst kommen, Madur, dachte die Frau. Und dann wirst du uns suchen, aber nur mich finden. Und ich werde dir berichten, wie dein Freund Frankie gestorben ist. Ich weiß, du wirst mich und die Krieger verstehen. Irgendwann klatschte der erste Strebenbalken ins Wasser, wurde herausgezogen und unter die Büsche geschoben. Derden-Fisch-fängt kam zu ihr, um zu fragen, ob es nicht leichter wäre, wenn sie versuchten, die Bolzen herauszuschlagen. Sie nickte nur, blieb sitzen und fragte sich, was jene vielen Leuten, die im Feuerroß saßen, ihr und den Blackfeet angetan hatten. Sie hatten kein Recht, Unschuldige zu töten. Nein, dachte die Squaw, sie haben mir nichts getan, also werde ich dafür sorgen, daß das Feuerroß langsam von den Schie-
nen stürzt. »Ich höre etwas«, schrie Kleiner Bisam aufgeregt. »Gelben Mond, das Eisen spricht, das Eisen spricht.« Da flog sie hoch, jagte in langen Sprüngen zu ihm und preßte das Ohr an die Schienen, die nun sprachen. Ein Zug näherte sich, doch sie konnte die Richtung nicht bestimmen. »Fort!« zischte sie, all ihre Pläne jäh gefährdet sehend. »Das Feuerroß kommt. Vielleicht haben sie mich in der Manson Station belogen. Alles unter die Büsche, versteckt euch, schnell.« Sie kroch mit Kleiner Bisam unter einen Busch, lugte durch die Zweige und sah endlich die Rauchwolke im Westen und nicht, wie sie gefürchtet hatte, im Osten. »Ein anderes Feuerroß«, zischte sie Kleiner Bisam zu. »Es kommt von Sonnenuntergang, nicht von Sonnenaufgang. Die Weißen in Manson haben nicht gelogen.« Ihr Blick saugte sich an dem mächtigen Pfeiler fest, als der Zug wenig später über die Brücke donnerte. Vielleicht kam es ihr nur so vor, aber sie glaubte zu sehen, daß er stark zitterte, obgleich erst zwei der Stützbalken fehlten. Dann war der Zug fort, und sie kauerte neben dem Busch, die Furcht in sich, daß noch ein Zug kommen könnte, und sie dann die Stützen bereits entfernt hatten. Der richtige Zug mußte entgleisen. Es darf kein anderes Feuerroß kommen, dachte sie beklommen. Nangbozo, halte jedes andere Feuerroß auf, laß nur dieses eine von Sonnenaufgang erscheinen, in dem Malone sitzt. Ich will nur Malone, Nang-bozo. Ich will Malone. * Manchmal fielen Arthur Peacock die Augen zu, wenn das rhythmische Stampfen der Maschine zu einer einschläfernden Melodie wurde. Dann griff er in den Kasten, in dem seine per-
sönlichen Sachen lagen und holte das Heftchen heraus. Es war ein schönes Heft, das auf der Titelseite den Herrn Jesus zeigte, wie er vor der strahlenden Sonne stand, die Hand mit dem Kreuz segnend erhoben, darunter stand der Name seiner Glaubensgemeinschaft, der Arthur Peacock nun schon seit Kindesbeinen angehörte. Es standen so viele schöne Berichte in dem Blättchen: einige von der Heidemission im finsteren Afrika, andere über die guten Taten, die Mitglieder der Gemeinschaft vollbracht hatten. Da gab es die Bibelwortauslegung und das Gebet der Woche, für jeden Tag ein Morgen- und ein Abendgebet. Und dann noch irgendwo den Spendenaufruf für die armen Aussätzigen im Heiligen Land. Wenn er dann las, wie schrecklich es den Armen dort erging, überkam Arthur Peacock, den frommen Gläubigen, die wahre Not und Pein und das große Mitleid. Es wäre alles viel schöner für Arthur gewesen, wenn es Slim O'Tate nicht gegeben hätte, seinen Feuermann. Der Mensch hielt nichts von dem frommen Blättchen und noch weniger von Spenden für die Armen oder Hilfe für jene, die im Elend saßen. Slim meinte doch wirklich, die Faulen wären selbst an ihrem Unglück schuld. Und wenn Arthur ihm dann vorlesen wollte, daß es unverschuldet in Not gekommene Menschen gab, die dringend der christlichen Nächstenliebe und der tätigen Hilfe bedurften, war es mit Slims Laune ganz vorbei. Arthur sah hoch und zu Slim hinüber, der sich auf die Putzlappenkiste gehockt hatte. Slim O'Tates Kopf wackelte von einer Seite zur anderen, denn Slim schlief schon wieder einmal. Er konnte zu jeder Zeit und überall schlafen, er war ein Wunder an Schlaffertigkeit. Man hätte Slim auch auf den Fänger vorn an der Lok setzen und ihm sagen können, daß er zu schlafen hätte.
Er hätte geschlafen und wäre nicht heruntergefallen. Der Mensch, dachte Arthur Peacock beleidigt, dieser Mensch, dieser unglückselige. Da lese ich ihm von den kleinen, armen Schwarzen vor, und er pennt. Ist denn das zu glauben? Arthur Peacock schüttelte empört den Kopf. Er hatte die Hand am Regulierhebel, als die Lok mit den sechs Waggons um die Kurve fuhr. Sein Blick flog über die Schienen und weiteten sich jäh. Arthur Peacock vergaß sein frommes Blättchen und beinahe noch den schlafenden Slim O'Tate. Die Schienen glänzten im Schein der tiefstehenden Sonne. Es sah aus, als liefen sie zusammen, wo die Kurve aufhörte. Dort sah er die Baumstämme hegen, abgeschälte, braun gestrichene Stämme, die sich nacheinander und quer über die Schienen gelegt auf der Strecke auftürmten. »Gerechter Gott«, entfuhr es Arthur Peacock. »Slim, wach auf!« Er schrie und schob den Hebel blitzschnell ganz zurück. Sein frommes Blättchen, das er in der Linken gehalten hatte, flog auf den berußten Boden des Führerstandes der Lok. Dann packte die Linke den Bremshebel und riß ihn herum. »Slim, Slim!« O'Tate kam hoch, das tierisch-heisere Gebrüll Peacocks in den Ohren. Im gleichen Augenbhck begannen die Bremsen zu greifen, daß das höllische Kreischen einsetzte und O'Tate nach vorn schoß. Er flog gegen das Wasserstandsmanometer, stieß sich am Handrad den Schädel und hörte durch das infernalische Kreischen Peacocks schrilles Geschrei: »Baumstämme auf den Schienen, Baumstämme, ein Hindernis, Slim. Halt dich fest, Mann, halt dich fest.« Hinter ihm knallten die Kupplungen der Waggons zusammen, flogen Kisten, Kasten und Koffer, Reisetaschen und
schließlich Reisende durcheinander. Da schoß ein junger Bursche, der einer dicken Frau gegenüber gehockt und ihren im Schlaf weit offenen Mund bestaunt hatte, der Dicken vor den Riesenbusen. Die Dicke kreischte, als wollte man ihr ans nackte Leben. Drüben hob es die junge Frau aus, die sich zwei Stunden mit ihrem Mann gestritten und dann nur noch giftige Blicke geworfen hatte. Sie sauste an ihrem Mann vorbei und knallte mit dem Kopf gegen die Sitzlehne. DasFeuerroß jagte schaukelnd und schüttelnd mitten in den Haufen Stützen hinein. Es fegte sie fort, denn der Fänger tat seine Arbeit. So sah es Arthur Peacock, der im wahrsten Sinn des Wortes am Bremshebel hing und ein Stoßgebet zum Himmel schickte, daß sich kein Baumstamm verkeilte, in die Schwellen gerammt wurde, und sie wegfegte. »Arthur – Arthur«, brüllte Slim O'Tate in dieser Sekunde los. Er hatte drei, vier Sekunden mit weit aufgerissenen Augen und sperrangelweit geöffneten Mund dagestanden, der Heizer O'Tate, bis er endlich fähig war zu schreien. »Arthur, das sind Verstrebungsstämme der Brücke. Arthur, die Brücke, die Brücke!« Als er es schrie, flog gerade eine Verstrebung an Arthur vorbei. Dann sah Slim O'Tate die Brücke und den mächtigen Pylonpfeiler, der das Ding sozusagen ganz allein tragen mußte. Slim O'Tate glotzte den Pfeiler an, der keine hundertfünfzig Schritt vor ihm aus dem Bett des Portneuf Rivers aufragte. Vor Jahren hatte Slim einmal das erste Schaf gesehen, das vor seinen Augen geschoren worden war. Es war dick und rund gewesen – nachher ein mageres, dürres Etwas, sozusagen nackt und erbärmlich klapperig. Der Pylonbaumstamm hatte auch wie ein Schaf voller Wolle ausgesehen. Nun lag er nackt und bloß vor Slim O'Tates Augen. Er sah gerade schrecklich in seiner hochragenden Einsam-
keit aus. »Der Pfeiler«, gurgelte es rechts von Slim. Es klang, als drückte jemand dem frommen Arthur die Kehle zu. »Oh, mein Gott, hilf.« Nein, nein, dachte Slim O'Tate entsetzt, darauf verlasse ich mich lieber nicht. Alle Teufel, wir haben noch zuviel Fahrt, wir kommen nicht zum Stehen, das schaffen wir nie. Raus hier. »Spring ab, Arthur, spring ab!« Slim brühte es, riß die Halbtür auf, sah die Aufschüttung, den Damm und die Büsche und dort unten den River. Und dann stieß er sich ab, sprang von der Lok, begann schon in der Luft zu laufen, aber da war der verdammte Busch, in den er mit strampelnden Beinen geriet. Die Zweige rissen ihn die Beine weg, so daß er sich überschlug und kopfüber die Aufschütung heruntersauste. Irgendwann sah Slim OTate Wasser auf sich zukommen. Er klatschte hinein, hatte noch Glück, daß er nicht auf die Steine im Flußbett geriet und sauste ein Stück durch das Wasser, das sich über ihm schloß. Als er auftauchte, im Fluß stand, und das Wasser aus seinen Augen rieb, sah er wegen des Schienenbogens die Lok schräg von der Seite. Slim O'Tate mußte plötzlich an die Geschichte des braven Captain Saunders denken, der auf der Brücke seines brennenden Schiffes gestanden hatte, das von den Passagieren verlassen worden war. Genauso stand Arthur Peacock auf seiner Lok und fuhr ins Verderben. Er stand steif und aufrecht, beide Hände am Bremshebel, im Führerstand. Unter den Rädern seiner Lok dröhnten die Schienen, erzitterten die langen Trägerbalken der Brücke. Du großer Geist, dachte Slim O' Tate, du bist verrückt, Arthur, spring doch, spring. Er sprang nicht, er glaubte vielleicht an ein Wunder. Er wuß-
te, daß die Lok kaum noch Fahrt machte und gleich zum Stehen kommen würde. Sie rollte nur noch mit den Vorderrädern, während die Doppelbacken der Hinterräder festgefressen waren, und die Räder von der Masse Gewicht der Waggons über die Schienen gedrückt wurden, stehend und funkensprühend. Slim O'Tate sah den mächtigen Pfeiler ganz langsam nach rechts sinken. Er neigte sich zur Seite, während sich die Längsträger verschoben, und die Schienen zu singen begannen. Dann flogen die ersten Schienennägel aus den Schwellen. Ein Knarren erhob sich, das von einem irren Kreischen begleitet wurde, als die Schienen am Hauptpfeiler ausrissen und gegeneinanderrieben. Der Pfeiler sank um, die Schienen neigten sich ins Wasser. Sie tauchten ein und schienen abwärts zu weisen. Und abwärts glitt nun auch die Lok. Sie fuhr, als hätte es irgendwer genauso geplant, bedächtig ins Wasser hinein. Die Vorderräder verschwanden zuerst, denn sie waren klein. Danach tauchte der Fänger unter. Das Kesselvorderteil schob sich nach, und das erste große Rad verschwand bis zur Achse. Dann stand die Lok, sie sank nur ganz langsam tiefer, bis das Wasser in den Führerstand eindrang und gurgelnd um Arthur Peacocks Knöchel schwappte. Danach gab es einen kurzen Ruck, der die Lok so tief sinken ließ, daß das Wässer über Peacocks Knie stieg. In dieser Stellung rührte sich die Lok nicht mehr. Hinter ihr war der Tender, auf dem die Holzkloben nach vorn gerutscht waren. Danach kam der Packwagen des Pocatello Expreß und der erste Personenwagen. Es sah aus der Sicht von Slim O'Tate so aus, als machte der Schienenstrang einen Katzenbuckel. Tate hörte das Schreien der Passagiere und das Wiehern der in den drei Waggons eingepferchten Pferde. Er sah Männer und Frauen von den Plattformen springen und nach vorn laufen. Und immer noch stand Arthur Peacock stocksteif auf sei-
ner Lok, als wollte er für alle Zeiten so stehenbleiben. Peacock blickte nach vorn über den Fluß und sah sein Heftchen schwimmen. Das erst riß ihn aus der Starre, in der er auf sein vermeintliches Ende gewartet hatte. Er stieg aus der Lok ins Wasser, das ihm bis an den Hals reichte. Allmächtiger, dachte Slim O'Tate, wer hat das getan? Wer immer es gewesen ist – hätte er die Streben nicht auf die Schienen gepackt, wären wir ahnungslos mit der üblichen Geschwindigkeit über die Brücke gefahren. Sie wäre unter uns mit einem Krachen zusammengebrochen, und der ganze Zug mit allen Passagieren ins Wasser gestürzt. Es hätte mindestens fünfzig Tote gegeben, vielleicht auch noch mehr. O'Tate begann im kalten Wasser zu frieren. Er stieg ans Ufer, rannte an den schreienden, verrückt spielenden Leuten vorbei, bis er Peacock die Hand reichen und ihn aus dem Wasser ziehen konnte. In dieser Sekunde schrie der Sergeant, der mit vier Mann im zweiten Waggon gesessen und nach Fort Hall gewollt hatte, laut auf und zeigte schräg nach oben zum Brückenteil, das vom anderen Ufer aus hoch in die Luft ragte und stehengeblieben war, als der Pfeiler sich geneigt hatte. Dort oben steckte das, was bisher niemand beachtet hatte. Es war ein Indianerspeer. Der Wind ließ die Bänder am Speerschaft flattern, und den Sergeant und seine vier Mann zu den Waffen greifen. »Indianer, das sind Indianer gewesen. Vorsicht, vielleicht sind sie noch ganz in der Nähe! Alles in den Zug, zurück in die Waggons, schnell, schnell!« Geschrei setzte ein, steigerte sich zum Gebrüh, als jeder versuchte, vor dem anderen in die Waggons zurückzukommen, und hinter den Wänden Schutz zu finden. Indianer, dachte Slim O'Tate und rannte mit Peacock in den
Packwagen, wo er auf den Controller und den Bremser stieß, die bereits geduckt unter den Fenstern kauerten. Indianer legen doch keine Streben auf die Gleise und warnen uns damit. Indianer hätten das nie getan, oder? Es wurde langsam ruhig, bis völlige Stille herrschte, und alles auf das entnervende Angriffsgeheul der Indianer wartete. Doch es rührte sich nichts. Schließlich traute sich der Sergeant mit zwei Mann hinaus, während seine anderen beiden Leute sicherten. Der Sergeant stieg zuerst auf das Waggondach, von dem aus er einen weiten Überblick hatte. Er sah nirgendwo eine Bewegung, er sah nur die zweite Lanze. Sie steckte dort, wo die Büsche zurücktraten und die Lichtung rechts am Ufer wie ein kahler Fleck schimmerte. Irgendwann hatte jemand dort gelagert und ein Feuer gemacht. Das Gras war verbrannt, der Boden kahl. »Paßt auf«, knurrte der Sergeant scharf. »Da steckt eine zweite Lanze im Boden. Phillips, Short, mitkommen!« Sie gingen los, die Gewehre im Hüftanschlag, und den Zeigefinger am Abzug, doch es blieb still in den Büschen. So kamen sie zur Lichtung und starrten auf die Lanze, und den an einer Stehe völlig geglätteten Boden. Sie sahen die Hufspuren und die Eindrücke von Mokassins in der abgeschabten, lockeren Erdschicht neben dem Fleck. Dort hatte jemand etwas eingeritzt. Er mußte ein Messer genommen haben, um den Namen und das Wort hinzuschreiben. Das Wort stand zuerst da, es hieß Tod. Dann kam der Name, den der Sergeant wie buchstabierend las: Malone! »Tod Malone«, wiederholte der Sergeant verstört. »Wer, zum Teufel, ist Malone? Hier haben Mustangs gestanden, das sind Indianer gewesen, aber welcher Indianer kann schon schreiben? Dennoch – hier steht es: Tod Malone. Verdammt noch mal, wer ist dieser Malone?«
»Sergeant, ich glaube, der Bursche, der die Wildpferde in Georgetown verlud, heißt Malone«, meldete Phillips. »Wildpferde, das sind doch Mustangs, oder, Sergeant?« »Verflucht!« Das war das einzige Wort, das der Sergeant herausstieß, ehe er kehrtmachte und zum Zug zurückhastete. »Malone!« brüllte er dort los. »He, wo ist Malone?« »Hier«, sagte jemand aus dem letzten Waggon, an den man die drei Viehwaggons angehängt hatte. »Ich bin Malone. Was willst du, Mann?« »Du hast Pferde in Georgetown verladen, Wildpferde, Mustangs?« »Sicher, habe ich, ich bin Wildpferdjäger, das weiß der Zugbegleiter und manch anderer hier. Das ist nicht mein erster Transport, Sergeant. Ist was dabei, Mann?« »Sicher nicht«, gab der Sergeant finster zurück. »Wenn die Wildpferde von dir gefangen worden sind. Oder wurden sie vieheicht von Indianern gefangen, denen du sie dann abgenommen hast, Malone? Wie hast du sie ihnen abgenommen, mit Gewalt? Wieviel Indianer hast du dabei umgebracht, Mensch?« Sie sahen die Blicke, die Malones Männer jäh austauschten, alle sahen es. »Also?« fragte der Sergeant messerscharf, als Malone sich auf die Lippen biß und schwieg. »Mann, gib es zu, du hast Indianer umgebracht, um an die Pferde zu kommen. Deshalb haben sie dafür gesorgt, daß die Brücke einstürzte und der Zug hier festliegt. Das muß der Grund gewesen sein, du hast Indianer getötet, Kerl.« »Na und?« schnaubte Malone wütend. »Ich habe den lausigen Blackfeet die ganze Wildpferdherde in die Arme getrieben. Ohne mich und meine Leute hätten sie die Herde nie er-
wischt. Als ich dann meinen Anteil verlangte, weigerten sich die schmutzigen Rothäute, ihn herauszurücken. Es kam zum Streit, so einfach ist das gewesen, Sergeant. Ich lasse mich nicht von lausigen Rothäuten betrügen. Die wollten es nicht anders haben, klar? Verdammt noch mal, was sind denn ein paar dreckige Indianer?« Ein wütendes Gemurmel lief von Waggon zu Waggon. Irgend jemand schrie gleich darauf, und ehe der Sergeant Malone antworten konnte: »Malone, du bist oft genug verdächtigt worden, ein Pferdedieb zu sein, aber niemand hat es dir jemals beweisen können. Die Höhe, Mann, weißt du, wie nahe wir hier der Reservation sind? Dort hausen mindestens achthundert Indianer, und wenn die herkommen, dann gnade uns Gott. Ich habe verdammt keine Lust in diesem festliegenden Zug darauf zu warten, daß er von Blackfeets angegriffen und in Brand gesteckt wird, nur weil du verdammter Narr hier bist. Geh zur Hölle, Malone, sieh zu, wo du mit deinen gestohlenen Pferden bleibst. Ich habe nie einen Indianer umgebracht und bestohlen. Die Pest, Malone, sollen die Frauen und Kinder in diesem Zug für deine Schurkerei bezahlen? Sergeant, der Kerl soll seine Gäule nehmen und verschwinden, dann kommen auch keine Indianer mehr.« Im nächsten Augenblick war die Hölle los. Frauen schrien, Männer brüllten Verwünschungen und forderten, Malone solle sich zum Teufel scheren. Malone stand da, bleich geworden wie seine Leute und die Hand am Revolver. »Ich habe bezahlt!« schrie er los. »Hölle und Verdammnis, ich habe meinen Platz im Zug genauso bezahlt wie ihr. Ich habe das Recht auf einen Platz im Zug erworben.« »Nun gut«, fauchte der Sergeant, indem er sein Gewehr auf
Malone richtete. »Den Platz kannst du haben, aber gebunden, Mister. Und wenn dann die Indianer auftauchen, werde ich mir anhören, was sie für eine Geschichte zu erzählen haben. Stimmt deine nicht, hast du sie hinterrücks überfallen und umgebracht, damit du ihre Pferde nehmen konntest, Mister, werde ich keine Hand rühren, um dich zu verteidigen.« »Sollen sie ihn haben!« schrie eine Frau mit schriller, überkippender Stimme. »Sergeant, ehe wir hier alle sterben, bei lebendigem Leib vielleicht verbrannt werden, müssen Sie den Strolch und sein Gesindel ausliefern. Niemand kann verlangen, daß wir wegen eines blutigen Mörders unser Leben opfern. Mörder – Mörder, fort mit dir, scher' dich zur Hölle mit deinem Packzeug!« »Verdammtes Weib!« knirschte Malone giftig. Er sah sich zu Smiley, einem seiner Männer um, der etwas keuchte. »Was willst du, Smiley?« »Die Squaw – das verdammte Frauenzimmer muß überlebt haben«, keuchte Smiley, bleich bis in die Lippen. »Dean, Mann, laß uns verschwinden, solange wir noch Zeit haben. Bleiben wir hier und kommen die Blackfeet, haben wir keine Chance mehr. In diesem Zug sind gut dreißig bewaffnete Männer. Die werden den Teufel tun und für uns den Hals hinhalten, die liefern uns glatt aus, Mann. Dean, überlege doch: Wenn uns mehr als zwei Dutzend Blackfeet im Nacken gehockt hätten, wären wir unterwegs angegriffen worden. Die hätten uns glatt kalt gemacht, Mann. Laß uns zusammenpacken und mit den Gäulen verschwinden, noch ist Zeit. Sehen wir erst nach, wie viele Rothäute hier gewesen sind, dann wissen wir, was auf uns wartet.« Dean Malone wandte den Kopf und starrte den Sergeant finster an.
»Nun gut«, sagte er barsch. »Ich gehe freiwillig, Sergeant, aber eins sage ich dir, ich werde mir dein Gesicht merken. Zur Hölle, seit wann hilft die Armee den verdammten Rothäuten und nicht den Weißen? Daran wirst du noch denken, Mann, das schwöre ich dir.« »Noch eine Drohung«, grimmte der Sergeant, »und du wirst nie mehr eine herausbringen, verdammter Halunke. Mein Name ist Allan, damit du dir nicht nur mein Gesicht zu merken brauchst. Du findest mich in Fort Hall, Mister, aber wenn du kommst, dann bring deinen Sarg nur gleich mit. Ich fürchte nur, du wirst nie in Fort Hall auftauchen.« »Geh zum Satan!« fluchte Malone. »Los, Leute, holt die Pferde aus den Waggons, weil man uns hier nicht haben will, und sich vor ein paar lausigen Indianern fürchtet. Das wollen Weiße sein, pfui Teufel!« Er wandte sich ab und ging fluchend zum ersten Waggon, um die Tür aufzuhaken. Seine Männer folgten ihm mit verbissenen Mienen. Sogar Stanton erschien, seltsam steif und aufrecht gehend mit der straff bandagierten Brust. »Sergeant«, murmelte der Zugbegleiter, der wie viele andere Männer den Zug verlassen hatte, um zuzusehen, was für Pferde Malone aus den Waggons brachte. »Malone wird schon seit Jahren verdächtigt, hin und wieder irgendwo Pferde zu stehlen. Erst vor einigen Tagen hat Marshal Madur Tom Crane, einen betrügerischen Pferdehändler, erwischt, der einen unserer Deputies halbtot geschlagen hatte. Crane steht im Verdacht, von Malone Pferde gekauft zu haben, aber auch dafür gibt es keine Beweise. Teufel, hätte ich mir die Gäule in Georgetown nur richtig angesehen. Wahrscheinlich sind einige Indianerponies darunter, Mustangs der von Malone umgebrachten Indianer. Ich sage ja…«
Der Zugbegleiter schwieg abrupt und schnappte dann nach Luft. Unter den Mustangs, die Malones Männer aus den Waggons jagten, steckten Pferde mit beschlagenen Hufen. Das Blitzen der Hufe sehend, flog der Blick des Zugbegleiters augenblicklich auf die Hinterhand jener Pferde. »Was ist, was hast du, Mann?« fragte der Sergeant, als der Zugbegleiter sich an den Hals griff. »Teufel, was ist?« »Da, ich habe zwei Pferde gesehen, die den C-Brand tragen, und den einen Gaul kenne ich zudem genau. Es ist das Reitpferd Frank Collets, des Squawmannes, der für seine Pferdezucht überall bekannt ist. Wie kommt Malone an Collets Reitpferd? Allmächtiger, Collet nimmt nur Indianer auf die Jagd mit. Er hat die Tochter von Chief Camiche geheiratet. Sergeant, da stimmt etwas nicht. Malone hat Collet einmal verprügelt, als er sich ruhig Squawmann nennen ließ, und ihn stehenlassen wollte. Freiwillig würde Frank Collet einem Kerl wie Malone niemals ein Pferd verkaufen.« »Collet?« schnappte der Sergeant. »Ja, ich habe von ihm gehört, er hat bei den Verhandlungen der Armee mit den Blackfeet gedolmetscht. Unser Colonel reitet ein Collet-Pferd. Moment mal, Malone, was sind das für Pferde? Malone, verdammt, halt an, Mann, halte an, Mensch.« Malone riß sein Pferd herum, verschwand blitzschnell hinter der Masse, der aus den Waggons springenden Pferden und tauchte auch nicht wieder auf. Zwei seiner Männer jagten hinter den Pferden her, so daß sich das ganze Rudel binnen einer halben Minute um mehr als zweihundert Schritt entfernte. »Pferde der Collet-Ranch«, keuchte der Zugbegleiter. »Sergeant, der verdammte Schuft kann sie nur gestohlen haben. Da fällt mir ein, daß Marshal Madur ein guter Freund Frank Collets ist. Madur müßte in Cokeville sein, und ich werde dafür sorgen, daß er die Nachricht sofort erhält, nachdem die Draisi-
ne von Broxon Siding hier ist. Die Telegrafenleitung ist seit dem Einsturz der Brücke tot, und wenn auch der Expreß nicht kommt, der in Broxon Siding angemeldet war, fahren sie dort mit einer Draisine genauso los wie von der anderen Seite, von der Pebble Station. Sie haben keine Verbindung mehr miteinander.« Der Sergeant starrte den Zugbegleiter mit offenem Mund an. Dann schlug er sich mit der Hand vor den Kopf und ächzte: »Die zwei in den Boden geritzten Worte: Tod Malone. Mein Himmel, die Squaw Collets. Wenn Collets Squaw nicht schreiben kann, wer sonst? Verdammt, Mann, hättest du doch die Pferde mit Collets Brandzeichen früher entdeckt. Da verschwindet Malone mit den Pferden. Der Halunke wäre mir nicht entkommen.« »Auf den warten die Indianer«, schnaufte der Zugbegleiter. »Und wenn die ihn nicht erwischen, dann wird Madur sich um ihn kümmern. Niemand entkommt ihm, Sergeant. Könnte ich ihm nur Nachricht geben. Es dauert todsicher mehr als eine Stunde, ehe der Telegraph den Einsturz der Brücke melden kann. Bevor Madur Bescheid weiß, ist es bestimmt dunkel. Und ehe ein Bauzug hier ist, vergeht mindestens ein Tag. Sie werden alle Züge nach Pocatello für die nächsten vier, fünf Tage nach Süden umleiten müssen, oder sie richten einen Pendelverkehr bis zur Brücke ein. Die Hölle soll den verdammten Malone verschlingen, der Kerl hat uns was eingebrockt, für das er gar nicht genug bezahlen kann.« * »Madur – Madur!« Was, zum Teufel, dachte Madur wütend, will man schon wieder von mir? Laßt mich schlafen, ihr Narren.
»Marshal, wach auf!« »Warum schreist du so?« fragte Madur mürrisch und blinzelte aus einem Auge Brennan, den Stationer, schläfrig an. »Was gibt es, Mann, hast du alles besorgt?« »Ja, Marshal«, erwiderte Brennan ächzend. »Vor zwei Minuten ist die Nachricht gekommen, die Brücke über den Portneuf River ist von Blackfeets zum Einsturz gebracht worden. Der Pocatello Expreß liegt im River, nur die Maschine. Niemand ist etwas passiert, aber auf der Strecke geht die nächsten Tage nichts mehr. Malone hat mit seinen Pferden den Zug zwei Stunden vor Einbruch der Dunkelheit verlassen, und ist nach Süden davongeritten. Unter den Pferden sind welche mit dem Collet-Brand gewesen.« Madur hatte den Kopf leicht angehoben, blinzelte Brennan an, und der Stationer traute seinen Ohren nicht, als Madur gähnend fragte: »Mehr ist nicht passiert? Das habe ich mir beinahe gedacht. Nur auf die Brücke wäre ich nicht gekommen. Klar doch, sie mußte den Zug stoppen und die Strecke blockieren, schlaues Mädchen. Wann ist Ole mit der 4-4-0 hier?« »In einer Stunde, Marshal. He, Marshal, ist das alles, was du zu einer von Indianern zum Einsturz gebrachten Brücke zu sagen hast?« »Ja«, sagte Madur wie im Halbschlaf und drehte sich auf die andere Seite. »Besser eine Brücke kracht zusammen, als daß ein Zug voller Leute von Indianern angegriffen wird, und es hundert Tote gibt. Ich werde das Ernest Jenkins klarmachen müssen. So etwas ist ja keine Reklame für die Union Pacific. Tote bei einem Indianerüberfall senken die Passagierziffern für Wochen. Laß mich schlafen, bis Ole hier ist, Brennan.« »Du willst nichts tun?« »Ich tue doch was«, knurrte Madur. »Ich schlafe, Mensch.
Raus mit dir, ich brauche meinen Schlaf.« Brennan schlich auf Zehenspitzen hinaus, schloß leise die Tür und blickte in das fassungslose Gesicht des Stationstelegrafisten. »Unglaublich«, stammelte der Telegrafist verstört. »Der Marshal der Union Pacific schläft ruhig weiter. Ist das zu fassen?« »Das verstehst du nicht«, klärte ihn Brennan auf. »Ich habe es auch nicht gleich begriffen, aber nun weiß ich es, Mann. Das ist echte Kaltblütigkeit. Madur könnte ja doch nichts tun, denn er hat keine Lok zur Hand, mit der er hinfahren könnte. Immerhin hat er vorausgesehen, verstehst du das? Er weiß vorher, was passiert, Mann. Verstehst du jetzt, warum sie ihn zum Marshal gemacht haben?« »Ruhe!« Madur feuerte seinen Stiefel gegen die Tür, hörte gleich darauf die Tür klappen und danach nichts mehr. Ehe er wieder einschlief, dachte er an Ole Bronson und Bully Jackson, den riesigen Heizer. Und wenn der Kessel platzt, dachte er, Bully, du feuerst, daß die Lok wie vom Atem des Teufels angetrieben über die Schienen sausen wird. Und du, Ole, wirst einen neuen Rekord aufstellen dürfen. Ich wette, ihr beide schafft das, und vielleicht schafft ihr auch mich, was? Ich habe es noch niemand gesagt, aber wenn ich euch zwingen muß, eure Lok bis an die äußerste Grenze auszufahren, stehe ich höllische Angst aus. Das wird eine Fahrt, die ich nie vergessen werde. Hoffentlich komme ich nicht zu spät, Gelber Mond. Du kennst den Halunken Malone nicht gut genug. Der Schurke ist schlau wie der Teufel und voller List und Heimtücke wie dessen verdammte Großmutter. Paßt du nicht auf, Gelber Mond, steckst du mitten in einer Falle Malones. Paß gut
auf, Gelber Mond, schöne Squaw, sonst bist du tot. * Der Mond schien auf den Creek, und das glitzernde Wasser, in das nun die ersten Pferde preschten. Es war ein fahler, seltsam verhangener Mond, bleich hinter Wölkenschleiern und mit einem riesigen Hof, der zu zerfließen schien. Sie ritten schon die vierte Stunde, und sie waren schnell vorangekommen, aber die Angst war immer noch da, obgleich nichts passiert war. Malone hatte sie erst stur nach Süden, dann jedoch im scharfen Knick zwei Meilen nach Osten geführt. Dort hatte er gehalten, und sie hatten gelauscht, sich die Augen beinahe aus dem Kopf gesehen. Keine Bewegung, kein Indianer. Ahes tot und still. Malone hielt jetzt seitlich der durch das Wasser jagenden Pferde, neben denen Smiley herritt, das Gewehr in der Faust, den Blick auf die Schatten zwischen den Bäumen gerichtet. Unmittelbar hinter Smiley kam Bouvier, ständig mit dem Pferd in Bewegung, immer pendelnd und kein Ziel bietend. Dann wechselten sie wortlos, Bouvier war nun vorn, Smiley hinter ihm. »Nie stur reiten«, hatte Malone düster gesagt. »Ihr bildet Zweiergruppen, einer vorn, der andere hinter ihm. Jeder paßt auf den anderen auf. Und wechselt die Position dauernd, bleibt nur nicht stur neben den Gäulen. Wechseln, das ist wichtig. Die lausigen Rothäute sind da, die können mich doch nicht täuschen. Wir machen einen Gewaltritt, weil wir das können, denn wir haben mehr als genug Pferde. Die haben die roten Paviane todsicher nicht. Darin liegt unsere Chance. Wir werden sie abschütteln, jedenfalls sollen sie das glauben. Die
Squaw ist dabei, das ist das einzige, was mich krank macht. Man kann nie ausrechnen, was im Kopf eines Weibes vorgeht. Aber vielleicht schaffe ich das doch. Wir werden schon sehen.« Wir werden schon sehen, dachte Nickelson, der im Augenblick ganz hinten ritt und sah, daß Malones Gaul ansprang. Ja, wir werden sehen, Malone. Ich habe es dir gesagt, als du mit der blöden Idee angekommen bist. Laß die Finger davon, Mann, habe ich gesagt. Jetzt haben wir den Mist. Nickelson zog den Gaul nach links, sah Monday kurz die Hand heben, zurückfallen. Sie wechselten die Position. Malone kam jetzt an Nickelsons Flanke, ehe sie durch den breiten Bach waren. »Seht euch dauernd um, achtet auf jede noch so kleine Bewegung, Nickelson.« »Ja«, sagte Nickelson mürrisch. »Wie lange geht das gut?« »Bis sich die Affen melden«, knurrte Malone finster. »Sie wollen, daß wir uns zu sicher fühlen, glaube ich. Vielleicht lassen sie uns noch eine Stunde treiben, vielleicht auch zwei, aber irgendwann tauchen sie auf.« Malone jagte vorwärts, Monday kam gleich darauf, als sie am anderen Ufer und zwischen den Bäumen waren. Das Getrappel der vielen Hufe hallte wie ein Dröhnen durch den Wald. Nickelson wußte, daß dieses Dröhnen weit zu hören war, daß jemand es, weit abgesetzt, umgehen konnte. Danach brauchte sich ein Angreifer nur auf die Lauer zu legen, die Herde kommen zu lassen und auf den letzten Mann hinten warten. Mist, dachte Nickelson, ich bin der letzte Mann. Den letzten beißen die Hunde, heißt es. Teufel, ist das ein dichter Wald. Da müssen wir nun durch und sehen kaum den Vordermann, wenn er drei Längen entfernt ist. Ich sage dir, Monday, es ist
ein beschissenes Gefühl, wenn man den letzten Mann machen muß. Er sah sich um, aber da war nichts. Als er den Kopf wandte und Monday erblickte, ritt der stur geradeaus, der Narr. Und dann… Er schrie nicht, der Mann Monday, obwohl er den Schmerz noch spürte und den Mund aufriß. Es war nur ein Röcheln, das aus Mondays Mund drang, während ihn der Schmerz sonst lähmte. Im Rücken saß er, war hineingefahren, und hatte nicht einmal gezischt, als er kam. Der Pfeil saß in Mondays Kreuz. Er ritt seltsam steif und sah die Bäume verschwimmen. Es war, als fíele düsterer Schatten über sie. Dann war die Lähmung fort, sein Körper knickte zusammen, kippte zur Seite, fiel gegen einen Baum und wurde aus dem Sattel gefegt. Nickelson sah es und warf sich jäh zur Seite, das Pferd herumreißend und losbrüllend. In derselben Sekunde griff das Schwirren nach ihm. Es kam mit einem seltsam hohen Ton, zischte haarscharf an ihm vorbei und jagte in den nächsten Baum an seiner Flanke. Der Pfeil steckte im Stamm, wies mit dem Schaft nach oben. Oben, schoß es Nickelson durch den Kopf, auf dem Baum, in den Zweigen. Sein Gewehr stach empor, zeigte auf die Nadeln der Konifere, hatte die ungefähre Richtung, aber noch kein Ziel. Doch dann sah er das Wippen des Nadelzweiges, glaubte den dunklen Schatten zu erkennen. Feuer schlug aus der Mündung des Gewehres, ein Blitz spaltete jene ungewisse Helligkeit im Waldesschatten. Gleichzeitig drehte Nickelsons Gaul, stob herum, als ihn die Hakkentritte anjagten. Die Blackfeet waren da, das war alles, was Nickelson begriff.
Sie mußten einen Riegel gebildet haben, an dem die Mörder vorbeireiten mußten. »Links schwenken, links!« Malones brüllender Schrei war da. Gleichzeitig drehte Salter durch, der einen Schatten zu sehen glaubte und blindlings draufhielt. Salter schoß wie ein Rasender, indem er sich absetzte und die Schreie seiner Partner durch den Wald gellten, die die Herde nach Osten davontrieben. Der Pfeil für Salter kam aus einer anderen Richtung als jener, in die er feuerte. Es war Salters Glück, daß er gerade um einen Baum preschte. Der Pfeil packte Salters offene Jacke, durchbohrte den linken Jackenflügel, hatte so viel Kraft, daß er die Jacke spannte. Es war, als zerrte jemand an ihr. »Links, links absetzen!« Herum, dachte Salter, bloß raus hier, absetzen, schnell. In diesem Augenblick schrie Murphy und starrte entsetzt auf sein linkes Bein. In dem steckte ein Pfeil, hatte den Schenkel durchbohrt und an den Sattel genagelt. Murphy floh, sah Nickelson wie einen Irren davonpreschen und spürte ein höllisches Brennen bis in den Unterleib. Halbrechts hatten sich einige Pferde vom Rudel gelöst und verschwanden im Dunkel des Waldes auf Nimmerwiedersehen, aber niemand folgte ihnen. Keiner wollte dorthin zurück, wo die Blackfeet gelauert hatten. Mein Gott, dachte Nickelson, wenn wir stur geritten wären und nicht dauernd gewechselt hätten – die hätten drei, vier von uns glatt erwischt. Monday, wo bist du? Einen habe ich erwischt, der hat für dich bezahlt, Monday, einer weniger. Im Wald lag der erste Mörder, während die anderen davonkamen, wenn auch einer einen Pfeil im Schenkel stecken hatte, und ein anderer wimmerte. Stanton, dessen Brust bandagiert
war. Stanton war gegen einen Ast geprallt, hatte ihn gegen die bandagierte Brust bekommen und war nach vorn gesunken. »Oach, oach, meine Brust, meine Brust, meine armen Rippen.« »Reiß dich zusammen«, fauchte Malone. »Hoch mit dir, Mann, aufrichten, sonst bekommst du gleich keine Luft mehr. Setz dich auf, Mensch.« Er riß ihn hoch, als Stanton nicht hören wollte und sah sich um. Wartet, dachte Malone, wartet, ihr lausigen Rothäute. Jetzt weiß ich, daß ihr hier seid und glaubt, wir würden in panischer Furcht vor euch davonreiten. Jeder würde sehen, daß er aus dem Wald kommt, in dessen Dunkelheit ihr einen nach dem anderen erwischen könnt. Das ist eure Art zu kämpfen, im Schutz der Bäume und aus dem Hinterhalt. Ihr müßt es tun, ihr seid zu wenige, auch das weiß ich jetzt genau. Wenn ihr an meiner Stelle wäret, dann würdet ihr so schnell wie möglich aus dem Wald jagen, hinaus aus der Portneuf Range nach Süden und den Cottonwood Creek herunter. Ich kenne mich hier aus, ich weiß, wie ich herauskomme. Ich muß durch den Creek, das geht mit einer Pferdeherde am schnellsten. Nun gut, tue ich euch den Gefallen. Jetzt habt ihr Zeit, könnt euch absetzen und euch vor uns auf die Lauer legen. Unten am Creek kommt die nächste Falle, was? Malones Gesicht verzog sich zu einer höhnischen Fratze. Jetzt wußte er, was er zu tun hatte. Noch eine halbe Meile, dann waren sie am Oberlauf des Cottonwood Creek. Und den mußten sie hinunterjagen mit der Herde. Malone riß sein Pferd herum, winkte Smiley und Bouvier zu halten, und die Pferde rennen zu lassen. »Stanton, reite weiter, bleib an der Herde.«
»Ja«, lallte Stanton. »Tue ich, Dean. Oach, diese Schmerzen.« »Reite, Mann, reite, ich sorge für die lausigen Blackfeets. Die erleben was.« Als Salter zu ihnen stieß, Nickelson heranjagte und Murphy erschien, dem der Pfeil aus dem Bein ragte, hatte Malone seinen Plan schon fertig im Kopf. »Murphy, hör zu, jage die Pferde nach Süden zum Cottonwood Creek. Du mußt es mit Stanton allein schaffen. Haltet sie im Bachtal, da können sie euch nicht davonlaufen und sich zerstreuen. Kümmere dich nur um die Herde und mach Lärm für sechs Mann, reite dauernd von hinten nach vorn und wieder zurück. Stanton soll brüllen für zwei, wenn er kann. Nicht anhalten, immer den Bach hinunter. Die lausigen Affen sind rechts von uns, die jagen schon los, um uns den Weg abzuschneiden. Macht euch keine Sorgen, sie packen euch nicht. Ehe sie das schaffen, erwischen wir sie, verstanden?« »Gut«, ächzte Murphy. »Bist du sicher, daß es klappt?« »Jeder würde aus dem Wald wollen«, knurrte Malone. Er sah noch, daß Murphy den Pfeil abschnitt, sich ein altes Hemd um den Oberschenkel schlang, nachdem er den Pfeil stöhnend herausgerissen hatte und winkte dann den anderen. Links, dachte Malone, im Bogen nach links und dann vor die Herde. Rechts sind die Blackfeet, die richten sich nur nach dem Hufgeräusch, und das der Herde übertönt alles andere. Wartet, ihr verlausten Rothäute, ihr werdet euch bald wundern. Nicht mit Dean Malone, der serviert euch ab, wetten? * Weiße, das wußte die Squaw, mochten keinen Kampf im Wald und dort, wo ständig ein Hinterhalt lauern konnte. Weiße
kämpften lieber im offenen Gelände, wo man den Feind sah, seine Bewegungen rechtzeitig erkannte. Die Squaw lauschte und hörte das Trommeln der Hufe schon weit hinter sich. Jetzt hatten sie noch vier Krieger, denn »Derdie-Sonne aufgehensieht«, war tot. Doch bald würden die anderen kommen, viele, die der große Häuptling führte, Camiche, der Vater, dessen jüngster Sohn Na-tameh umgebracht worden war. Camiche würde kommen, und die Zahl der Mörder nicht mehr groß sein, weil seine Tochter schon Rache genommen hatte. »Hopo ka-he!« rief die Squaw dem Fischfänger zu. »Vorwärts, reiten!« Sie hetzten die Mustangs durch den Wald, hielten sich auf dem Höhenzug und hatten genug Vorsprung gewonnen. Dennoch jagten die Blackfeet weiter, um dorthin zu kommen, wo das verfilzte Buschgelände lag. Dorther hatten die Weißen vor Jahren, als sie die singenden Schienen für das Feuerroß gelegt hatten, die Schwellen geholt. Sie hatten das Holz am Cottonwood Creek geschlagen, die Kronen der Bäume zurückgelassen, zwischen denen die Büsche hochgewachsen waren. Dort wucherte das Dikkicht, in dem man verschwinden, untertauchen konnte, für den Gegner nicht zu packen war. »Hopo ka-he!« Die Squaw preschte neben Der-den-Fisch-fängt her und jagte den Hang hinunter, kam nun in das Quertal, durch das ein Seitenarm des Cottonwood Creek floß. Der Bachzufluß hatte Geröll vom Cottonwood Peak mitgebracht und eine zwanzig Schritt breite Mulde geschaffen. Steine, Kies und Büsche, während die Bäume zurücktraten, dehnten sich auf mehrere hundert Schritt Länge aus. Malone, dachte die Squaw, du fliehst, du willst hinaus aus dem unheimlichen Wald, das habe ich gewußt. Noch zweitau-
send Schritt, dann sind wir dort, wo die Holzfäller damals gewesen sind. Von dort aus ist es nicht weit bis zum offenen Gelände, Malone. Du wirst dich schon beinahe in Sicherheit wähnen, ehe du stirbst. Der Mustang der Squaw jagte über das Geröll, kam nun in die Rinne, die das Wasser geschaffen hatte, und war an den Büschen vorbei. Das Wasser spritzte hoch, vielWasser, gut hüfttief in der Mitte der vielleicht zehn Schritt breiten Rinne. Der Mustang bäumte sich auf, brach stampfend hindurch, kam aus dem Kiesbett hoch. Weiter! Der-den-Fisch-fängt war neben der Squaw, jagte durch die Mulde dem südlichen Hang entgegen. Das Brüllen spaltete die Nacht und die Dunkelheit unter den Bäumen am Hang. Die Feuerblitze zuckten los, nachdem der erste Blitz das Dunkel mit seinem Schlaglicht erhellt hatte. Die Squaw schrie und spürte, daß der Mustang einknickte. Das Tier brach im vollen Galopp zusammen, raste mit dem Kopf voran gegen den Boden. Irgend etwas hob Gelber Mond aus. Sie wurde vom Pferd gewirbelt, sah den Busch, schoß mitten in seine Zweige und brach durch sie, bis der Boden ihr entgegenkam, und der Aufschlag ihren Körper herumschleuderte. Aus dem Kollern sah sie Der-den-Fisch-fängt. Der Fischfänger hielt die Arme ausgebreitet, als wollte er jemand umarmen. Vielleicht wollte er nach dem bleichen, verhangenen Mond greifen, als er sich hintenüber neigte und rücklings von seinem Mustang kippte: Rechts schrie Kleiner Bisam gellend und wurde blitzschnell ganz klein auf seinem Pferd, das er herumriß. Es traf das Pferd in der Flanke und ließ den Mustang an einen Baum krachen. Da hob es den Kleinen Bisam aus und ließ ihn fliegen. Er über-
schlug sich, kam auf die Beine, schnellte hoch. Die Squaw sah den Sprung, den Kleiner Bisam tat und das seltsame Schlenkern seiner Arme. Kleiner Bisam griff im erneuten Stürzen um das Stammende eines Baumes. Er schien sich hochziehen zu wollen, während die Schüsse rasten. Danach flog er, als hätte ihn eine Riesenfaust getroffen, vom Baum fort. Die Squaw lag flachgepreßt am Boden und sah entsetzt, wie Kleiner Bisam starb. Von rechts nach links jagte ein Mustang den Hang empor, sprang mit einem Satz und allen vieren in die Luft, den Rücken krümmend und dann zusammenkrachend. Gelber Mond packte das Grausen. Sie schob sich sacht zurück, sie wollte unter den Busch und Deckung finden. Hier war Schatten, hier sah man sie vielleicht nicht. Sie blickte sich um und sah Mato, den besten Fischspeerwerfer, schräg hinter dem nächsten Busch hegen und den Bogen hochreißen. Mato schoß den Pfeil gegen den Hang und die Bäume ab, ehe er sich blitzschnell fallen ließ. Er war keine sechs Schritt entfernt, als er den Pfeil losjagte und irgendein Schrei gellend und schrill vom Hang herkam. Danach war die Hölle los. Die Squaw hätte in den Boden kriechen mögen, weil das wilde Hämmern der Schüsse zum Furioso wurde, und die Geschosse keine zwei Handbreit über sie hinwegpfiffen. Es war ein höllisches Konzert aus pfeifenden, grell heulenden Kugeln, die in den Busch fetzten. Querschläger prallten unter irren Mißtönen von den Steinen hinter dem Busch ab. Mato kollerte ins Freie und blieb endlich liegen wie der andere, der unten am Wasser lag und noch versucht hatte, sich durch den Bachzufluß zu retten. Er hatte hineinspringen und im Wasser davonschwimmen wollen. Jetzt lag er dort am Rand
des Bacharmes. Er war nicht ins Wasser gekommen, aber sein Blut fand den Weg dorthin und färbte das Wasser rot. »Na, dann wollen wir mal«, sagte der Mann am Hang. »He, Salter.« Salter antwortete nicht. Salter lag auf der Seite. Er hatte sich auf die Knie erhoben, rechts am Baum vorbei angeschlagen und wie ein Rasender nach unten gefeuert. Der Blackfeet unten, der nicht ins Wasser gekommen war, hatte drei Kugeln Salters bekommen. Dafür hatte Salter etwas zu weit um den Baum gelugt und den Pfeil knapp unter dem Brustbein erwischt. Er lag jetzt auf dem Rücken, die Beine angezogen, die Hände um den Pfeilschaft gekrallt. Malone sah noch, daß Salter die Beine streckte und fluchte los. »Hölle und Teufel, Smiley, sieh nach ihm!« Malone ging los, er ging nicht schnell, als er sich der Squaw näherte, und sein Gewehr im Hüftschlag auf sie gerichtet hielt. Von links kam Nickelson den Hang herunter, rechts setzte sich Bouvier in Bewegung. Die Squaw sprang auf, als Malone nur noch fünfzehn Schritt entfernt war. Gelber Mond schrie und wandte sich zur Flucht. Malone lachte höhnisch, sein Gewehrlauf ruckte etwas, dann brüllte der Schuß los und jagte links neben der zum Bach rennenden Squaw in den Boden. Malone ließ sein Gewehr fallen und hetzte der Frau nach, die an dem toten Krieger vorbei ins Wasser sprang. Malone lachte, denn er war schneller und konnte weiter springen als die Squaw. Ehe sie in der Mitte des Bachzuflusses war, stieß sich Malone zu einem Riesensprung ab. Er landete hinter ihr im Wasser, warf sich blitzschnell zur Seite, als ihr rechter Arm hochfuhr
und das Messer in ihrer Faust blinkte. Sein wilder Hieb fegte Gelber Mond das Messer aus der Faust, sein nächster Schlag traf ihren Kopf und schleuderte sie ins Wasser. Danach packte er sie von hinten wie eine Katze, warf sich mit ihr in seichteres Wasser und stieß sie, sich auf ihren Rücken knieend, tief herunter. »Habe ich dich, du Bestie?« keuchte Malone. »Ich nehme dich mit. Mal sehen, ob Camiche es dann wagt, über uns herzufallen.« Malone lachte höhnisch. Malone riß die Squaw mit sich aus dem Wasser, winkte Bouvier heran und ließ den Gelber Monds Hände auf dem Rücken binden. »Das ist unser Pfand«, sagte Malone grinsend. »Wir treiben weiter und aus dem Wald in freies Gelände, bis wir im Stock Valley sind. Dort erst machen wir Rast, nachdem wir auf den Treasureton Hill getrieben haben. Von dort oben soll uns erst mal jemand herunter holen, Bouvier, was?« »Wollen wir die Pferde wirklich mitnehmen, Dean?« fragte Bouvier mürrisch. »Ohne sie kommen wir schneller voran, Mann.« »Je mehr man zum Tauschen hat, desto besser ist es«, brummte Malone. Bouvier zuckte die Achseln. Er kannte diese Gegend und das Wetter. Der Dunst stieg jetzt schon überall aus dem Wald. In wenigen Stunden würde es Nebel geben, den erst die Sonne am Vormittag vertreiben konnte. Bis dahin würden sie jedoch längst hoch oben auf dem Treasureton Hill stecken. Nebel, dachte Bouvier, verdammt, was sieht man schon im Nebel? Na gut, wenn Malone meint, daß uns nichts in die Quere kommen kann? *
Er riß die Pferde zurück und blickte auf den am anderen Ufer liegenden Toten. Der Blackfeet lag dort, die Arme ausgestreckt und sich jäh aus dem Nebel schälend, der aus dem Wasser stieg. »Großer Gott«, ächzte Madur. Er trieb das Pferd an, bückte sich, berührte den Toten und wußte genug. Der Blackfeet war keine volle Stunde tot. »Da liegt ja noch einer.« Zwei Tote, drei, vier tote Mustangs und eine Schleifspur im Geröll. »Oh, mein Gott«, stöhnte Madur. »Er hat Yellow Moon, der Satan. Verdammt, was nun? Wo sind sie hin, bestimmt in freies Gelände. Ein Glück, daß er die Wildpferde hat und die eine breite, deutlich sichtbare Spur hinterlassen. Was wird er mit Yellow Moon anfangen?« Madur brauchte nicht lange zu überlegen. Malone hatte nun eine Geisel. Dieser schlaue, ausgekochte Schurke schien wirklich zu glauben, daß er ein Geschäft mit Camiche machen konnte. Malone dachte zu sehr wie ein Weißer. »Du Narr!« keuchte Madur. »Ein Indianer mag seine Tochter noch so sehr lieben, aber sie bleibt zweitrangig für ihn. Wenn es nicht anders geht, opfert er sie seiner Rache. Du verdammter Idiot, das hilft dir gar nichts. Wenn Chamise kommt, dann kannst du ruhig deinen Revolver nehmen, ihm zeigen, daß er an Yellow Moons Kopf sitzt, aber das wird ihn dann nicht kümmern. Du bist tot, Malone, du Narr.« Madur starrte in den dichter werdenden Dunst. Nebel, dachte er, Nebel? Was sieht man im Nebel, Malone? Du Hundesohn, das ist die Chance für mich. Madur sah eine. Und er war nicht der Mann, der eine Chance nicht nutzte.
* »Verdammte Suppe!« fluchte Smiley los. Der Zweig kam aus dem Dunst, ehe er sich ducken konnte. Das Ding klatschte ihm mitten ins Gesicht. »Verfluchter Dreck!« »Halt's Maul!« knurrte Malone von vorn. »Meinst du, ich sehe mehr? Mich hat das Mistding auch erwischt, aber ich kann mich beherrschen. Wir müßten gleich am Stockton Creek sein, wenn ich mich nicht in der Richtung geirrt habe. Das ist immer noch das Tal.« »Scheiß-Tal!« knirschte Smiley giftig. »Wenn die Gäule nicht den Bäumen ausweichen würden, wären wir längst vor hundert geprallt. Die Gäule kommen jedoch unter den Zweigen durch, wir nicht, verdammt.« »Dann duck dich, du Idiot«, meldete sich Bouvier mürrisch. »He, Nickelson?« »Ja«, meldete sich Nickelson drüben. Er war an der Ostflanke der Herde wie Murphy und Stanton, der scheußlich fror, sich aber weitaus besser fühlte. »Was ist, Mann?« »Hörst du was? Das Rauschen des Stockton Creek müßte zu hören sein.« »Höre nichts«, kam Nickelsons Antwort von drüben. Der Dunst teilte sich für einige Sekunden, und sie sahen sich über die Köpfe der nur noch trottenden Pferde hinweg. Ein seltsamer Anblick, diese aus dem Dunstschleier ragenden Pferdehälse mit ihren dicken Köpfen. »Sind wir wirklich noch richtig, Malone?« »Kann mich nicht irren«, erwiderte Malone bissig. »Das Tal führt nach Südosten. Es muß wieder auf den Cottonwood Creek stoßen. Der macht nach sieben Meilen einen Bogen nach Osten. Wo der Bogen ist, müssen wir nach rechts abbiegen, ge-
nau nach Süden. Dann kommen wir an den Oberlauf des Treasureton Creek. Den zwei Meilen herunter und dann scharf nach Westen abbiegen, schon sind wir am Anfang des Hügels.« »Schon«, maulte Smiley, der den Nebel haßte, die Feuchtigkeit und Nässe, die in die Kleidung kroch, nicht mochte. »Schon ist gut. Scheißwetter, dreckiges.« »Du hast auch immer was zu meckern, Mann«, knurrte Bouvier. Er hatte das Pferd an der Leine und sah den Rücken der Frau vor sich, die festgebunden auf dem Gaul hockte, und die ganze Zeit kein Wort gesagt hatte. Der Gaul lief an der Longe, die Smiley in der Linken hielt. »Wir sind in zwei, drei Stunden am Ziel, oder, Dean?« »Sicherlich.« Die Squaw schwieg, aber sie hörte alles. Sie blinzelte nach vorn, sah Malone in den aufsteigenden Nebelschwaden verschwinden und hatte nur ein kleines, verächtliches Zucken um die Mundwinkel. Irgendwo weit hinter ihnen trabten Mustangs durch den Nebel, sie fühlte sie. Sie wäre gern wieder zu ihrem Stamm zurückgekehrt. Niemand dort hätte sie mißachtet, weil sie eine Zeitlang die Squaw Frank Collets, des weißen Pferdejägers, gewesen war. Sie hätte bei ihren Leuten gelebt und vielleicht eines Tages einen guten Blackfeet gehabt. Der Traum ihres Lebens wäre ihr geblieben, ein schöner Traum. Madur, dachte die Squaw, du hättest mein Herz besessen für mein ganzes Leben. Niemand außer mir hätte es jemals erfahren. Madur, Mann, den ich liebe und dem ich einmal hätte gehören wollen – wo bist du, Madur? Der Nebel kam und umwogte sie. Links war das Klatschen der Hufe, das Prusten der Wildperde. Vor ihr lief die Longe in
den Nebel hinein, war Smileys Pferd nur ein Schemen, die Kruppe gerade noch einigermaßen deutlich zu sehen. Hinter ihr ritt Bouvier, der schlanke Mann mit den zusammengewachsenen, borstigen und pechschwarzen Brauen. »Dean, he, Dean!« Nickelson war es, der jetzt rief. »Was ist, Nickelson?« »Ich höre ein Rauschen vor uns, Dean.« »Teufel, dann habe ich mich doch nicht geirrt, was?« schnaufte Malone triumphierend. »He, wird es lauter?« »Ja, ja, es ist direkt vor uns, Dean.« »Paß auf, am Bach müssen Felsen kommen, da stehen auch hohe Bäume.« »Ich passe auf.« Die Hufe klopften plötzhch hell und klingend. »Felsen. Dean, Felsen.« »Gut, sehr gut. Dahinter kommt der Creek, kann nicht tief sein, vielleicht am Ufer glitschig, achte darauf.« »Hast recht, Dean, glitschiges Ufer, verdammt.« Das Pferd schnaubte nervös, Steine kollerten, Wasser plätscherte. »Tief, Nickelson?« »No, hüfttief, mehr nicht, bin schon mitten drin, Dean.« »Sagte ich doch, Mann, wie ich das wieder gemacht habe, was? Ich hab's im Urin, verdammt!« Er lachte, und die Squaw haßte ihn noch mehr. Er war ein Teufel, er hatte keine Seele. Hinter ihr polterten die Hufe von Bouviers Pferd einen Augenblick. Dann ruckte es an den Händen der Squaw, das Seil spannte sich kurz und heftig an. Und dann kam das Pferd Bouviers näher, der Kopf tauchte neben ihr auf, der Hals schob sich heran.
Bouvier kam. Von vorn ertönte Malones Stimme: »He, paß auf, Smiley, Felsen links, Ast rechts und tiefhängend.« »In Ordnung, Dean.« Die Squaw wandte den Kopf, als eine Hand nach ihrem Oberarm griff und das leise Zischeln direkt hinter ihr war. Es war, als setze der Herzschlag der Squaw aus. Madur! Die Hand umklammerte ihren linken Unterarm. Madur beugte sich hinüber und hob ihr die Arme an. Das leise Geräusch zerfasernden Hanfes erklang. Das Herz der Squaw raste, hämmerte so schnell und wild wie nie zuvor in ihrem ganzen Leben. Es war, als wollte es ihren Kopf platzen lassen. Kein anderer Gedanke war in diesem Kopf, als der eine: Madur ist da. Madur ist gekommen. Er sah sie an und lächelte. Und dann beugte er sich tief herunter, führte das Messer unter die Beinfesseln. Im gleichen Augenblick passierte es. »He, Brouvier, paß auf, Felsen links, Ast rechts und tiefhängend.« Der Felsen kam schon, wuchs wie ein Gigant hoch, während die Squaw die Arme nach vorn brachte, die ihr nicht gehorchen wollten, weil sie steif von der Fesselung geworden waren. Madur, dachte sie entsetzt, der Felsen, du reitest gegen ihn. Vorsicht, du schaffst es nicht mehr, meine Beinfesseln zu zerschneiden. In derselben Sekunde schnellte Madurs Pferd vorwärts, schien direkt gegen den Felsblock prallen zu wolen. Dann erst begriff die Squaw, was er beabsichtigte. Seine Rechte mit dem Messer fuhr nach dem Seil, an dem Gelber Monds Pferd hing und mit dem Gaul von Smiley verbunden war. Er durchschneidet das Seil, dachte die Squaw erleichtert, er
hat es erkannt. O nein, er hat das nicht tun wollen, er hat mich vom Pferd heben und den Strick gar nicht zerschneiden wollen, damit der Mörder Smiley nicht merkte, daß er ein reiterloses Pferd weiter an der Longe hinter sich her zog. Das geht jetzt nicht mehr, das Seil fällt zu Boden. Wenn sich Smiley jetzt umblickt, sieht er das herabhängende Seil. Madur packte ihr Pferd blitzschnell am Zaumzeug, hielt es zurück, drehte sein Pferd, auf dem gerade noch Bouvier gehockt hatte, in die andere Richtung. »Komm«, zischte Madur. »Komm, kleine Squaw.« Im gleichen Moment schrie Smiley schrill los: »Verflucht, das Seil! Dean, Dean, schnell, hier ist…« In der nächsten Sekunde wieherte Smileys Pferd grell und schmetternd. Trockene Zweige zerbrachen knackend unter den Hufen, deren Gepolter etwas verriet, Smiley riß den Gaul herum, Smiley kam und… »Dean, Dean, das Weib ist weg, das Weib ist – verflucht!« Der Schatten tauchte aus dem Nebel auf. Madur warf sich vor die Squaw, riß jäh den Revolver hoch. Das Brüllen war direkt über Gelber Mond. Madur feuerte rasend schnell. Dann schrie Smiley so durchdringend und schrill, daß die Frau unter Madurs schützendem Körper das trompetenhafte Wiehern des Pferdes nicht vernahm. »Aaaah!« Der Schrei stand im Nebel, ein Körper fiel dumpf zu Boden, während die Squaw fühlte, wie Madurs Arm sie umschloß, das Pferd, das rechts neben ihr war, gegen ihr Pferd prallte. O nein, dachte sie, Madurs Pferd ist getroffen, es fällt zu Boden. Ihr Gaul knickte beinahe ein, als Madur sich auf ihn warf und gleichzeitig Gelber Mond von sich schob. Er saß plötzlich hinter ihr und schlug dem Pferd die Hacken in die Weichen.
»Smiley, Smiley!« Malones Stimme war ganz nahe, ehe das Pferd herumkommen konnte. Dann ging es an, jagte los und zurück. »Nickelson, Murphy, Stanton, hierher, kommt herüber, schnell, schnell! Da – da jagt der Gaul davon. Verfluchtes…« Das Gewehr brüllte, durch das Pferd ging beim zweiten oder dritten Krachen ein wilder Ruck. »Die Hölle!« hörte sie Madur knirschen. »Das Pferd ist getroffen. Jetzt wird es knapp! Festhalten, kleine Squaw, fest an mich klammern, wir müssen herunterspringen. Paß auf, jetzt.« Sie spürte, wie sie hochgehoben wurde und in den Nebel flog, während Madurs linker Arm sie umschlang. Ihr war so schwindlig, daß sie den Aufprall kaum spürte und nicht begriff, daß ihre Fußfesseln noch von Madur zerschnitten worden waren. Jetzt kollerten sie über den Boden ins Gras, dann riß Madur sie auch schon empor. »Komm!« Die Spuren im feuchten Gras, dachte Madur beklommen. Mein lieber Mann, wenn ich nicht zu den Pferden komme, wenn ich… Da waren die Schreie, da jagte jemand, der vorne in der Herde geritten war, nicht erst im Bogen nach links herum zu dem schreienden Malone hinüber, nein, Nickelson jagte seinen Gaul, weil Malone sich nach rechts zu entfernen schien, in diese Richtung. Er raste durch den Bach zurück, zuckte jäh zusammen, als er das Schnauben von Pferden hörte. Es war rechts vor ihm, und er dachte, daß Bouvier dort steckte. »He, Mann, wo…« Im nächsten Augenblick sah er die drei Pferde direkt vor sich, sperrte verstört die Augen auf, doch handelte er in einem Moment. Nickelson riß die Zügel des angebundenen Pferdes
an sich, trieb seinen Gaul an und machte kehrt. Er preschte in den Bach zurück und brühte: »Ich habe drei Pferde erwischt, alle gesattelt, Dean, alle unter Sattel. Dean, Dean, ich habe drei Pferde!« Der Mann blieb jäh stehen, riß die Squaw an sich und blickte sie wie erstarrt an. »Großer Gott«, stieß Madur durch die Zähne. »Meine Pferde. Jetzt wird es hart, kleine Squaw. Komm mit, schnell, komm mit.« Er riß sie mit sich fort, hörte den brüllenden Ruf hinter sich: »Hier ist eine Fußspur! Murphy, Murphy, Stanton, jagt die Herde weiter, schnell, jagt sie weiter! Nickelson, her zu mir! Hier ist jemand gelaufen, wir haben es nur mit einem Kerl zu tun!« »Komm, komm«, keuchte Madur. »Zum Bach, schnell.« »Mußt du kämpfen?« »Ja«, sagte er zähneknirschend. »Keine Angst, kleine Squaw, sie fangen uns nicht.« Nein, dachte sie, ich habe keine Angst. Du bist bei mir, wie kann ich da Angst haben? Nickelson jagte heran, sah Malone vor sich, der zu Boden deutete. Im Gras war die Spur ganz deutlich zu sehen, die sich zum Bach hinzog. »Du rechts, ich links, zehn Schritt Abstand. Nach Gehör halten«, zischte Malone. »Der Kerl hat nur eine Chance: das Wasser. Verflucht, wer mag das sein? Beschlagene Pferde? Was für ein Brand…« Das Wort erstickte ihm im Hals, als er den Brand sah, das C. »Cohet«, würgte Malone. »Aber das ist doch – der ist doch tot, der ist doch…« Sie ritten auseinander, hörten sich, als sie in Richtung Bach vorstießen.
Malone ritt geduckt, das Gewehr schußbereit in beiden Händen, das Pferd nur mit den Hacken lenkend. Rechts war Nickelson, er hörte die Pferde. Und dann tauchte der Schatten vor ihm auf, der erste Felsen lag ihm im Weg. Rechts herum, dachte Malone, näher zu Nickelson, was? Das rauscht vor mir, ich sehe den Baum, gleich bin ich um den Felsblock. »Malone!« Die Stimme war rechts, klang eiskalt und riß Malone herum. Sein Gewehr flog mit, ruckte hoch, zielte auf den Baum, an dem der Mann lehnte, den Colt in der Linken, die Rechte erhoben. Er schrie nicht mehr, der Mörder Malone, er sah eine Flamme. Aus seinem Gewehr brach eine Feuerlanze, als er abdrückte und im Todeskrampf die Muskeln sich anspannten. Der Mann am Baum duckte sich blitzschnell, jagte los, hörte die Pferde nun unmittelbar vor sich und sah den heranrasenden Schatten. »Dean, Dean, wo…« Nickelson riß die Waffe hoch und schoß, als er den Schatten ausmachte. Er feuerte sofort, schoß zu schnell, sah den Schatten kleiner werden und den Feuerstrahl vom Boden aus steil auf sich zustechen. Der Schmerz kam und fraß sich in seine Brust, und er sah mitten im Nebel die Sonne, deren Feuerball die Schleier zerfetzte und sengend heiße Strahlen in seine Augen schoß. Dies war das letzte, was er sah. Der Körper schlug kurz vor Madur auf, lag still und stumm neben den Pferden, die stampfend, wiehernd stiegen, weil Madur einem ins Zaumzeug gesprungen war. »Dean?« Der Ruf kam irgendwoher und irrte wie klagend durch den
Nebel. »Dean – Nickelson?« Der Ruf verlor sich. Nur die Pferde schnaubten, und die Squaw kam durch das kniehohe, taufeuchte Gras zu dem Mann, der mit der Hand das erste Pferd hielt und den anderen Arm hob. Dein Arm, Madur, dachte die Squaw, dein Arm hält mich an deiner Brust. Ich bin bei dir, Madur, Mann meines Traumes. Ich werde mit dir reiten und sagen, daß ich müde und schwach bin, denn ich bin eine Frau, Madur, mein Mann. Und dann werden wir einen trockenen Platz suchen, und du wirst mir ein Lager machen, Madur, Mann meines Traumes. Der Arm zog sie herum, und ihr Gesicht, dieses schmale, schöne Gesicht mit den großen dunklen Augen voller Sehnsucht hob sich. »Es tut mir leid, kleine Squaw«, sagte der Mann Madur. »Ich habe nicht schneller kommen können. He, kleine Squaw, was soll…« Es muß kein trockener Platz sein, dachte die Squaw. Ich liebe dich, Madur, Mann meines Traumes, siehst du es in meinen Augen? Meine Augen, Madur, lügen nicht, wenn auch mein Mund schweigt. Du hast es all die Jahre gewußt, nicht wahr, Madur? Aber da war Frankie, dein Freund, und ein anständiger Mann nimmt seinem besten Freund niemals die Frau fort, denn sonst kann er in keinen Spiegel mehr sehen. »Du«, sagte Madur ganz erschrocken. »Kleine Squaw, weißt du, was du tust?« »Ja«, flüsterte sie und hatte schon beide Arme um seinen Nacken gelegt. »Ja, Madur. Ich habe ein Geschenk für dich, Mann meines Traumes, der nie vergehen wird, wo immer ich auch sein werde, und so lange ich auch lebe. Du hast es immer gewußt, ja,
Madur?« »Oh, mein Gott, ja, kleine Squaw. Aber…« »Nein«, sagte sie und zog sein Gesicht zu sich herunter. »Kein Aber, Madur. Ich mache dir ein Geschenk, mehr will ich nicht.« Ein Geschenk, dachte Madur. Meine kleine Squaw, meine schöne, kleine Squaw. ENDE