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Vorwort Die Idee zu dieser Arbeit entstand 1997 in Lima. Dort befaßte ich mich im Rahmen meiner Wahlstation bei der Defensoría del Pueblo del Perú erstmals intensiver mit Militärgerichten und Fragen des fairen Verfahrens. Im Jahr 2003 wurde die Arbeit von der Juristischen Fakultät der Heinrich-Heine-Universität als Dissertation angenommen. Der Nachtrag über die US-Militärkommissionen entstand im Frühjahr 2004. Dank gebührt meiner Doktormutter Frau Professor Dr. Dr. Juliane Kokott, LL.M. Herrn Professor Dr. Ralph Alexander Lorz, LL.M., danke ich für das Erstellen des Zweitgutachtens und für seine Laudatio im Mai 2004. Danken möchte ich außerdem jenen, die mit fachlichem Rat und persönlicher Unterstützung zum Gelingen dieser Arbeit beigetragen haben. Dazu gehören insbesondere meine Eltern, Frau Professor Dr. Beate Rudolf, Frau Dr. Monika Lüke, Herr Dr. Leo-Felix Lee und Frau Dr. Tanja Maier, Frau Anita Bucherer-Godeffroy und Herr Seckou Bâ. Euch und den hier nicht namentlich genannten anderen: vielen Dank! Mein besonderer Dank gilt schließlich den Direktoren des Max-PlanckInstituts für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht für die Aufnahme der Arbeit in diese Schriftenreihe. Jeanine Bucherer
Inhaltsverzeichnis Einleitung ................................................................................................. 1 A. Der Prüfungsmaßstab........................................................................... 4 B. Zum Vorgehen....................................................................................... 6
Kapitel 1: Hintergründe zur Militärgerichtsbarkeit ................... 7 A. Besonderheiten der Militärgerichte ..................................................... 7 I. Historischer Abriß......................................................................... 8 II. Beispiele militärgerichtlicher Modelle........................................ 11 1. Militärgerichte, die im Einzelfall einberufen werden ........... 11 a. Preußen ............................................................................... 12 b. Großbritannien / USA ...................................................... 12 c. Gegenüberstellung ............................................................. 14 2. Militärgerichte als ständige Gerichte ..................................... 15 a. Spanien................................................................................ 16 b. Peru / Kolumbien .............................................................. 17 c. Gegenüberstellung ............................................................. 18 3. Exkurs zur Militärgerichtsbarkeit in Deutschland ............... 18 4. Entwicklungstendenzen.......................................................... 20 B. Begründungsansätze für das Bestehen einer gesonderten Militärgerichtsbarkeit ......................................................................... 21
Kapitel 2: Militärgerichte als „Gerichte“ im Sinne der Verträge ........................................................................................... 25 A. Einleitung ............................................................................................ B. Der Gerichtsbegriff in EMRK, AMRK und IPBPR........................ I. EMRK........................................................................................... 1. Der Gerichtsbegriff allgemein ................................................ 2. Militärgerichte als „Gerichte“ im Sinne der Verträge ........... II. AMRK .......................................................................................... III. IPBPR ........................................................................................... IV. Bewertung.....................................................................................
25 27 27 27 29 32 33 35
Kapitel 3: Unabhängigkeit und Unparteilichkeit von Militärgerichten ........................................................................... 37 A. Allgemein ............................................................................................ 37
VIII
Inhaltsverzeichnis
I. Funktionen und Inhalte der Grundsätze ................................... II. Inhalt des Unabhängigkeitsgrundsatzes..................................... III. Inhalt des Unparteilichkeitsgrundsatzes .................................... IV. Fazit............................................................................................... B. Anwendung der Grundsätze in der Spruchpraxis............................ I. EMRK........................................................................................... 1. Frühe Fälle ............................................................................... a. Darstellung der Fälle.......................................................... b. Bewertung im Lichte hergebrachter Rechtsprechung..... 2. Britische Fälle .......................................................................... a. Darstellung der Fälle.......................................................... b. Bewertung .......................................................................... aa. Hierarchie ................................................................... bb. Auflösbarkeit des Gerichts........................................ cc. Schutzvorkehrungen.................................................. dd. Anschein ..................................................................... 3. Türkische Fälle ........................................................................ a. Zur Stellung des Militärrichters im System der Staatssicherheitsgerichte .................................................... b. Argumentation und Entscheidung ................................... c. Kritik der abweichenden Richter...................................... d. Kritik der Rechtsprechung von Gerichtshof und Kommission ....................................................................... aa. Allgemeine Kriterien der Unabhängigkeit: Ernennung, Amtsdauer, Unabsetzbarkeit................ bb. Besondere Kriterien der Unabhängigkeit: Beurteilungs- und Disziplinargewalt........................ cc. Objektive Unparteilichkeit und Unabhängigkeit: Der Militärrichter als Experte in Terrorismusangelegenheiten .......................................................... dd. Anschein ..................................................................... 4. Gesamtbewertung der EMRK-Rechtsprechung................... II. AMRK .......................................................................................... 1. Kommission im Berichtsverfahren......................................... a. Abhängigkeit von der Exekutive ...................................... b. Strafverfahren vor Militärgerichten gegen Zivilpersonen...................................................................... c. Strafrechtliche Verfolgung von Angehörigen der Streitkräfte vor Militärgerichten wegen Menschenrechtsverletzungen ............................................................. 2. Individualbeschwerdeverfahren ............................................. 3. Bewertung ................................................................................
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Inhaltsverzeichnis
IX
III. IPBPR ........................................................................................... 91 1. Menschenrechtsausschuß im Staatenberichtsverfahren........ 92 a. Allgemeine Kriterien ......................................................... 93 b. Strafverfahren vor Militärgerichten gegen Zivilpersonen...................................................................... 94 c. Strafrechtliche Verfolgung von Angehörigen der Streitkräfte vor Militärgerichten wegen Menschenrechtsverletzungen ............................................................. 97 2. Fakultativprotokoll ................................................................. 99 3. Fazit ........................................................................................ 100 IV. Gesamtbewertung ...................................................................... 101
Kapitel 4: Recht auf den zuständigen Richter – Grenzen militärstrafgerichtlicher Zuständigkeit .................... 103 A. Einleitung .......................................................................................... I. Hintergrund................................................................................ II. Entwicklungen im außervertraglichen Bereich........................ B. Ein Recht auf den zuständigen Richter? – Eine Bestandsaufnahme ............................................................................ I. AMRK ........................................................................................ 1. Berichte der Kommission ..................................................... a. Übersicht über die Entwicklung..................................... b. Bewertung ........................................................................ 2. Individualbeschwerdeverfahren ........................................... a. Die Beschwerde Genie Lacayo ....................................... b. Die Beschwerde Loayza Tamayo ................................... c. Die Beschwerde Castillo Petruzzi u. a. .......................... d. Die Beschwerde Cesti Hurtado gegen Peru................... e. Bewertung ........................................................................ II. IPBPR ......................................................................................... 1. Staatenberichtsverfahren ....................................................... 2. Individualbeschwerdeverfahren ........................................... a. Überblick über die Rechtsprechung............................... b. Bewertung ........................................................................ III. EMRK......................................................................................... C. Ein Recht auf den zuständigen Richter – Eigene Ansätze............. I. AMRK – autonome Auslegung des Merkmals „zuständig“... 1. Möglichkeit autonomer Auslegung...................................... 2. Maßstab autonomer Auslegung ........................................... a. Strafverfahren vor Militärgerichten gegen Zivilpersonen....................................................................
104 105 108 115 115 115 115 120 121 121 122 125 128 132 134 135 136 136 143 144 146 146 147 150 154
X
Inhaltsverzeichnis
aa. Vorgaben der Konvention – Rechtsstaatlichkeit (“rule of law”) .......................................................... bb. Rechtslage in den Vertragsstaaten........................... cc. Bewertung................................................................. b. Strafrechtliche Verfolgung von Militärangehörigen vor Militärgerichten wegen Menschenrechtsverletzungen ..................................................................... aa. Vorgaben der Konvention – Verbot der Straflosigkeit (“impunity”)...................................... bb. Rechtslage in den Vertragsstaaten........................... cc. Bewertung................................................................. 3. Ergebnis.................................................................................. II. IPBPR ......................................................................................... 1. Autonome Auslegung des Merkmals „zuständig“ ............. a. Auslegungsmaßstab ......................................................... b. Vorgaben des Paktes: Willkürverbot und Rechtsstaatsprinzip .......................................................... c. Tendenzen der Berichterstatter im Hinblick auf das Ergebnis der Beschränkung der militärgerichtlichen Zuständigkeit.................................................................... aa. Strafverfahren vor Militärgerichten gegen Zivilpersonen............................................................ bb. Strafverfolgung von Angehörigen der Streitkräfte vor Militärgerichten wegen Menschenrechtsverletzungen ................................................... 2. Fazit ........................................................................................ III. EMRK......................................................................................... 1. Ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal – Grundsätze der Herleitung .............................................................................. 2. Zuständiges Gericht als inhärentes Tatbestandsmerkmal... a. Strafverfahren vor Militärgerichten gegen Zivilpersonen.................................................................... b. Strafverfolgung von Angehörigen der Streitkräfte vor Militärgerichten wegen Menschenrechtsverletzungen ..................................................................... 3. Fazit ........................................................................................ IV. Gesamtbewertung ......................................................................
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Kapitel 5: Besondere Probleme im Kontext von Ausnahmezuständen ........................................................................ 189 A. Einleitung .......................................................................................... 189
Inhaltsverzeichnis
I. Allgemein.................................................................................... II. Auswirkungen des Ausnahmezustands auf die Justiz............. III. Allgemein zu Aufbau und Inhalt der Vorschriften.................. 1. Anwendungsbereich der Derogationsnormen .................... 2. Rechtsfolge und Schranken................................................... a. Absolute Schranke: Derogationsverbot ......................... b. Relative Schranken........................................................... IV. Die Bedeutung von Derogationen für die Errichtung von Militärgerichten bzw. die Erweiterung von deren Zuständigkeiten.......................................................................... B. Außervertragliche Entwicklungen .................................................. I. Erklärungen ................................................................................ 1. Minimum Standards of Human Rights Norms in a State of Emergency ......................................................................... 2. Siracusa Principles ................................................................. 3. Draft Declaration on the Independence of Justice.............. 4. Turku Declaration of Minimum Humanitarian Standards ................................................................................ 5. OSZE...................................................................................... 6. Fazit ........................................................................................ II. Berichterstatter und Sonderberichterstatter zum Ausnahmezustand...................................................................... 1. Berichterstatterin Questiaux................................................. 2. Sonderberichterstatter über Ausnahmezustände ................ 3. Sonderberichterstatter über Justiz und Anwaltschaft......... 4. Bewertung .............................................................................. C. Die Verträge im einzelnen ................................................................ I. Art. 4 IPBPR .............................................................................. 1. Staatenberichtsverfahren ....................................................... 2. Individualbeschwerdeverfahren ........................................... 3. Allgemeine Bemerkungen..................................................... 4. Das Projekt eines Zusatzprotokolls zum Pakt.................... 5. Bewertung .............................................................................. II. Art. 15 EMRK ............................................................................ 1. Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ............................................ 2. Andere völkerrechtliche Verpflichtungen ........................... 3. Bewertung .............................................................................. III. Art. 27 AMRK ........................................................................... 1. Inhaltliche Bestimmung der zum Schutz nicht derogierbarer Rechte wesentlichen Rechtsschutzgarantien – Gutachtenverfahren...............................................................
XI
189 192 195 195 197 198 200
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XII
Inhaltsverzeichnis
a. Rechtsschutzgarantien: Inhalt und Relevanz für Strafverfahren ................................................................... b. Verhältnismäßigkeitsprüfung .......................................... 2. Praxis zur Notstandsfestigkeit des Rechts auf ein faires Verfahren ................................................................................ a. Kommission im Berichtsverfahren ................................. b. Berichte der Kommission im Individualbeschwerdeverfahren ........................................................................... c. Individualbeschwerden vor dem Gerichtshof ............... 3. Bewertung .............................................................................. IV. Gesamtbewertung ......................................................................
230 233 233 233 237 239 240 241
Zum Schluß ein Ausblick ................................................................ 243 Nachtrag: Die Vereinbarkeit der USMilitärkommissionen mit Art. 14 Abs. 1 IPBPR ...................... 249 A. Einleitung .......................................................................................... B. Der Prüfungsmaßstab....................................................................... I. Anwendbarkeit der Genfer Konventionen .............................. II. Die Anwendbarkeit des IPBPR in Kriegszuständen............... C. Überblick über rechtlichen Rahmen, Aufbau, Verfahren und Zuständigkeiten der US-Militärkommissionen.............................. I. Der Rechtsrahmen der US-Militärkommissionen................... 1. Die Militärverordnung vom 13. November 2001 ............... 2. Die Durchführungsverordnungen ....................................... 3. Die Militärkommissionserlasse ............................................ II. Struktur, Verfahren und Zuständigkeiten der Militärkommissionen................................................................. 1. Struktur und Verfahren ......................................................... a. Zusammensetzung und Rollenverteilung mit Schwerpunkt erster Verfahrensabschnitt ....................... aa. Die Mitglieder der Militärkommissionen .............. bb. Die Bestallungsbehörde (Appointing Authority)................................................................. cc. Die Anklage.............................................................. dd. Die Verteidigung ...................................................... b. Zusammensetzung und Rollenverteilung mit Schwerpunkt zweiter Verfahrensabschnitt .................... aa. Die Revisionskammer (Review Panel) ................... bb. Die Letztentscheidung des Präsidenten ................. cc. Ausschluß weiterer Rechtsmittel ............................
249 252 252 257 259 259 260 261 261 262 263 263 263 265 266 268 269 270 272 273
Inhaltsverzeichnis
XIII
c. Anmerkungen................................................................... 2. Die Zuständigkeit der Militärkommissionen ...................... a. Persönliche Zuständigkeit ............................................... b. Sachliche Zuständigkeit ................................................... c. Zwischenbewertung......................................................... D. Bewertung der Militärkommissionen am Maßstab des Art. 14 Abs. 1 IPBPR .................................................................................... I. Unabhängigkeit und Unparteilichkeit – Aufbau, Zusammensetzung und Verfahren ............................................ 1. Einfluß der Exekutive – insbesondere des Verteidigungsministeriums ................................................... 2. Das Letztentscheidungsrecht des Präsidenten .................... 3. Die Rolle der Bestallungsbehörde........................................ 4. Die Mitglieder der Kommission........................................... 5. Einfluß der Genfer Konventionen ....................................... II. Recht auf ein zuständiges Gericht ............................................ E. Ergebnis .............................................................................................
273 274 274 275 278 278 279 281 282 283 284 286 287 288
Summary .............................................................................................. 291 A. Introduction ...................................................................................... B. Independence and Impartiality........................................................ I. ICCPR ........................................................................................ II. ECHR ......................................................................................... 1. “British Cases” ...................................................................... 2. “Turkish Cases”..................................................................... 3. Notes ...................................................................................... III. IACHR ....................................................................................... C. The Right to a Competent Court .................................................... I. Stock-taking................................................................................ II. Alternative Approach ................................................................ D. Additional Considerations............................................................... I. States of Emergency................................................................... II. The Compliance of US Military Commissions with Art. 14 Para. 1 of the U.N. Covenant on Civil and Political Rights ..........................................................................................
291 291 292 292 292 293 294 294 295 295 295 296 296
297
Literaturverzeichnis.......................................................................... 299 Sachregister.......................................................................................... 305
Abkürzungsverzeichnis Abs.
Absatz
AGMR
InteramerikanischereGerichtshofefüreMenschenrechte
AJCL
American Journal of Comparative Law
AJIL
American Journal of International Law
AKMR
InteramerikanischeeKommissionefüreMenschenrechte
AMRK
Amerikanische Menschenrechtskonvention
Anm.
Anmerkung
Art.
Artikel
Aufl.
Auflage
Bd.
Band
BGBl.
Bundesgesetzblatt
BVerfGE
EntscheidungssammlungedeseBundesverfassungsgerichts
BYIL
British Yearbook of International Law
bzw.
beziehungsweise
Denv. JILP
DenvereJournaleofeInternationaleLaweand Policy
d. h.
das heißt
D.L.
Decreto Legislativo
Dok.
Dokument
D.R.
Decisions and Reports
EGMR
Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte
EKMR
Europäische Kommission für Menschenrechte
ELRC
European Law Review Checklist
EMRK
Europäische Menschenrechtskonvention
EuGRZ
Europäische Grundrechte Zeitschrift
f.
folgende
Fed. Reg.
Federal Registry
Abkürzungsverzeichnis
XVI
ff.
fortfolgende
FS
Festschrift
GA
General Assembly
GG
Grundgesetz
GYIL
German Yearbook of International Law
HRLJ
Human Rights Law Journal
HRQ
Human Rights Quarterly
Hrsg.
Herausgeber
Hs.
Halbsatz
ICJ
International Commission of Jurists
ICLQ
International and Comparative Law Quarterly
ILA
International Law Association
I.L.M.
International Legal Materials
insb.
insbesondere
IPBPR
Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte
i. V. m.
in Verbindung mit
Kap.
Kapitel
Komm.
Kommentar
m. N.
mit Nachweisen
MRA
Menschenrechtsausschuß
MRKomm.
MenschenrechtskommissionedereVereinten Nationen
MRUnterKomm.
UnterkommissionefüreMenschenrechteeder UN-Menschenrechtskommission
m. w. N.
mit weiteren Nachweisen
Nr.
Nummer
Nrn.
Nummern
NZWehrR
Neue Zeitschrift für Wehrrecht
OAS
Organisation Amerikanischer Staaten
OR
Official Record
OSZE
Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa
Res. Leg.
Resolución Legislativa
Abkürzungsverzeichnis
XVII
Rev.
Revised
Rev. IIDH
RevistaedeleInstitutoeInteramericanoede Derechos Humanos
RJD
Reports of Judgments and Decisions
RUDH
Revue universelle des Droits de l’Homme
Rz.
Randzahl
S.
Seite, Satz
scil.
scilicet
Ser.
Serie
u. a.
und andere, unter anderem
U.N.
United Nations
Urt.
Urteil
US, U.S.
United States
v.
vom, versus
Verf.
Verfasserin
Vgl.
Vergleiche
z.
zum
z. B.
zum Beispiel
Ziff.
Ziffer
Einleitung Die vorliegende Arbeit untersucht die Vereinbarkeit der Militärgerichtsbarkeit mit dem Recht auf ein faires Verfahren gemäß Art. 14 Abs. 1 des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte, gemäß Art. 8 Abs. 1 der Amerikanischen Menschenrechtskonvention und gemäß Art. 6 Abs. 1 der Europäischen Menschenrechtskonvention. Die Problematik militärgerichtlicher Strafverfahren ist nicht nur auf einige wenige autoritäre Staaten ohne rechtsstaatliche Tradition beschränkt. Vielmehr sind Militärgerichte mit strafrechtlichen Kompetenzen weltweit stark verbreitet. Immer wieder waren sie Gegenstand der Kritik internationaler Spruchkörper und Gremien. Angeregt von der Arbeitsgruppe über willkürliche Haft und dem Sonderberichterstatter über die Unabhängigkeit der Justiz und Anwaltschaft wurde sogar eine “Sessional Working Group” der UN-Menschenrechtskommission errichtet, die derzeit eine Studie zum Thema Rechtspflege durch Militärgerichte und andere Sondergerichte erstellt. Ziel dieser Studie ist es, ein
Der Internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte wird folgend als Pakt oder IPBPR bezeichnet. Er ist veröffentlicht in UNTS 999, S. 171; BGBl. 1973 II, S. 1534.
Folgend auch AMRK. Veröffentlicht in: OAS, Official Records OEA/ Ser.K/XVI/I.I, Document 65, Rev.1, Corr.2.
Folgend auch EMRK. Veröffentlicht in: UNTS 213, S. 221. Siehe dazu insbesondere Kap. 1, A. II.
In ihrem Bericht aus dem Jahre 1999 führt die Arbeitsgruppe aus: “once again the Group feels bound to denounce the excesses of military justice, a regular cause of arbitrary detention and impunity for human rights violations.”, U.N. Dok. E/CN.4/2000, § 67. Sie fordert “the holding of a conference, if necessary at intergovernmental level, with a view to the promotion of agreements to limit the actual powers of the military justice system.”, ebenda, § 68.
Im Bericht über den Vor-Ort Besuch in Peru, U.N. Dok. E/CN.4/1998/ 39.Add.1, B.II. § 5, ist die Kritik zwar vorsichtiger formuliert, sie geht aber in dieselbe Richtung.
Vgl. MRUnterKomm., Report of the sessional working group on the administration of justice, U.N. Dok. E/CN.4/Sub.2/2000/44, Darstellung des Projekts auf S. 10-11, §§ 40-46. Der Zeitplan wird auf S. 11 in § 46 behandelt. Siehe auch den ersten Zwischenbericht aus dem Jahr 2001: U.N. Dok. E/CN.4/
Einleitung
2
besseres Verständnis der Regierungen für die Arbeit der Sonderberichterstatter zu schaffen, die sich mit der Problematik befassen. Darüber hinaus soll die Studie helfen, immer wieder festgestellte partielle Inkompatibilitäten von Militärgerichten mit internationalen Standards zu beheben. Die Arbeit der “Sessional Working Group” ist nur ein Beispiel für die allgemein festzustellende verstärkte Auseinandersetzung mit dem Thema Militärgerichte. Das gesteigerte Interesse beruht auf verschiedenen Faktoren. Wesentlich ist zum einen die politische Großwetterlage, zum anderen der Umstand, daß die internationalen Kontrollorgane zwischenzeitlich Selbstbewußtsein und Ansehen gewonnen haben. Sie scheuen sich weniger, auch politisch brisante Themen offensiv anzugehen. Daß Urteile gegen die Militärgerichtsbarkeit für Aufruhr sorgen können, bekam unlängst der Interamerikanische Gerichtshof im Fall Castillo Petruzzi u. a. gegen Peru zu spüren, ein Urteil, das später noch eingehend analysiert wird. Nicht nur befand der oberste peruanische Militärgerichtshof (Consejo Supremo de Justicia Militar), das internationalrechtliche Urteil könne wegen Verstoßes gegen Verfassungsrecht nicht vollstreckt werden. Die peruanische Regierung widerrief
Sub.2/2001/WG.1/CRP.3. Eine Zusammenfassung findet sich im Bericht des vorsitzenden Berichterstatters Yozo Yokota, U.N. Dok. E/CN.4/Sub.2/2001/7, §§ 28-39.
Vgl. MRUnterKomm., Report of the sessional working group on the administration of justice, U.N. Dok. E/CN.4/Sub.2/2000/44, § 43.
Zwischen 1978 und 1991 fanden 15 von 20 lateinamerikanischen Staaten zu einer Zivilregierung zurück, nachdem sie in der einen oder anderen Form einem autoritären Regime unterworfen gewesen waren. So J. Fitzpatrick, States of Emergency in the Inter-American Human Rights System, in: D. Harris, S. Livingstone, The Inter-American System of Human Rights, Oxford 1998, S. 370.
AGMR, Castillo Petruzzi u. a. gegen Peru, Ser. C Nr. 52, Urt. v. 30. Mai 1999, verfügbar unter: . Sofern bei Internetadressen kein Stand vermerkt ist, waren sie im August 2004 noch gültig. Die meisten Dokumente befinden sich auch im Archiv der Verfasserin.
Siehe Kap. 4, B.I.2.c.
Vgl. Consejo Supremo de Justicia Militar, Resolución de Sala Plena del Consejo Supremo de Justicia Militar, 11.06.1999, El Peruano, Normas Legales, 12.06.1999, S. 174138, 174140 f.
Einleitung
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in der Folge sogar auch ihre Unterwerfungserklärung unter die Jurisdiktion des Interamerikanischen Gerichtshofs. Die Bedeutung von Militärgerichten steigt insbesondere dann, wenn sich ein Staat innerer oder äußerer Bedrohung ausgesetzt sieht. Daß dies auch für die westlichen Demokratien gilt, zeigt die Reaktion der USA auf die Anschläge des 11. September 2001. Sie ist ein aktuelles und leider durchaus typisches Beispiel für staatliche Repressionsstrategien. Der am 13. November 2001 in Kraft getretene “Military Order” erlaubt Strafverfahren gegen ausländische Terrorismusverdächtige vor Militärgerichten. Die Frage, ob, und wenn ja inwiefern, die strafrechtliche Verfolgung wirklicher oder vermeintlicher Terroristen vor Militärgerichten zulässig ist, wird eines der Themen dieser Arbeit sein. Ziel der Einleitung ist es, die Eckpfeiler der Untersuchung zu erläutern. Dazu gehört eine Antwort auf die Frage, was sich hinter den Vorschriften verbirgt, die hier als Prüfungsmaßstab dienen. Darüber hinaus soll die Methodik der Arbeit erläutert und damit verbunden ein Ausblick auf die folgende Untersuchung gegeben werden.
Vgl. die Verbalnote der Ständigen Vertreterin Perus bei der OAS an den Generalsekretär der Organisation vom 01.07.1999, IV. 10. Mit diesem Schreiben erklärte Peru den sofortigen Widerruf seiner Unterwerfung unter die streitige Gerichtsbarkeit des Interamerikanischen Gerichtshofs, Res. Leg. N° 27152, El Peruano, Normas Legales, 08.07.1999 (Sonderausgabe). Siehe dazu auch den Aufsatz von D. Cassel, Peru Withdraws From the Court: Will the Inter-American Human Rights System Meet the Challenge?, in: HRLJ 20 (1999), S. 167. Zwischenzeitlich hat die peruanische Regierung ihre Unterwerfung unter die Jurisdiktion des Interamerikanischen Gerichtshofs erneuert.
US Military Order, 66 Fed. Reg. 57833 (Nov. 13, 2001); als Pressemitteilung abgedruckt unter: . Kritisch zu diesem Rechtsakt äußert sich beispielsweise der UN-Sonderberichterstatter über die Unabhängigkeit von Justiz und Anwaltschaft. In einer Presseerklärung der Vereinten Nationen heißt es unter anderem: “The Special Rapporteur also expressed deep concern about the implications of the order on the rule of law, and ‘the wrong signals it sent, not only in the United States, but around the world’.” Veröffentlicht unter: – Press releases (Stand: Februar 2002).
Einleitung
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A. Der Prüfungsmaßstab Prüfungsmaßstab sind vertragliche Vorschriften. Andere denkbare Maßstäbe der Vereinbarkeitsprüfung, wie Völkergewohnheitsrecht, allgemeine Rechtsgrundsätze oder nationales Recht finden, wenn überhaupt, nur am Rande Erwähnung. Warum gerade die drei ausgewählten Bestimmungen und warum ausschließlich deren erster Absatz? Die Auswahl beruht auf der Tatsache, daß IPBPR, AMRK und EMRK die bedeutendsten allgemeinen Menschenrechtsverträge sind. Ihre Betrachtung ist vor allem deshalb interessant, weil die Spruchpraxis der zugehörigen Kontrollorgane entscheidend zum Verständnis des Rechts auf ein faires Verfahren beiträgt. Dies gilt insbesondere für die Rechtsprechung des Interamerikanischen und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, die sich in den letzten Jahren intensiver mit militärgerichtlichen Strafverfahren beschäftigt haben. Was die zweite Teilfrage anlangt, die Frage also, warum die Untersuchung jeweils auf den ersten Absatz der Vorschriften begrenzt ist, sei vorausgeschickt, daß das Recht auf ein faires Verfahren eine Sammlung verschiedener, wenn auch zusammenhängender Rechte ist. Dazu gehören allgemeine organisatorische und verfahrensrechtliche Garantien sowie besondere Rechte des Angeklagten. Im Urteil Golder beschreibt der Europäische Menschenrechtsgerichtshof das Recht auf ein faires Verfahren als Rechte, die “taken together, make up a single right not specifically defined”. Folge des Zusammenwirkens der Teilgarantien ist, daß grundsätzlich, d. h. wenn nicht besonders schwere Verfahrensmängel vorliegen, erst nach einer Gesamtbetrachtung feststeht, ob ein Verstoß gegen die Fair Trial-Garantie vorliegt. Die Absätze 1 der hier maßgeblichen Vorschriften bestimmen den Anwendungsbereich des Rechts und machen Vorgaben zur Struktur des Gerichts. Für die hier interessierenden Fälle der strafrechtlichen Anklage sehen sie das Recht auf ein Verfahren vor einem unabhängigen, unparteiischen und, wie an späterer Stelle gezeigt werden soll, einem zuständigen Gericht vor. Sicherlich sind neben diesen Elementen auch
EGMR, Golder gegen Vereinigtes Königreich, Ser. A Nr. 18, § 28. Siehe dazu Kap. 4, C.
Art. 14. (1) IPBPR: Alle Menschen sind vor Gericht gleich. Jedermann hat Anspruch darauf, daß über eine gegen ihn erhobene strafrechtliche Anklage oder seine zivilrechtlichen Ansprüche und Verpflichtungen durch ein
Einleitung
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verfahrensrechtliche Besonderheiten für Militärgerichte typisch. Zu denken ist beispielsweise an summarische Verfahren, an Beschränkungen der Verteidigung u. a. Wenn die vorliegende Arbeit solche Gesichtspunkte nicht in die Untersuchung einschließt, bedeutet das nicht, daß sie unerheblich sind. Andere Gründe haben dafür gesprochen, die Arbeit auf Abs. 1 und dort auf die Merkmale Gericht, Unabhängigkeit, Unparteilichkeit und Zuständigkeit zu beschränken. Erstens erschien es sinnvoll, sich bei der folgenden Betrachtung an der Vorgehensweise der drei internationalen Spruchkörper zu orientieren. Diese haben sich schwerpunktmäßig mit Unabhängigkeit und Unparteilichkeit und nur am Rande mit Einzelheiten der verfahrensrechtlichen Ausgestaltung zuständiges, unabhängiges, unparteiisches und auf Gesetz beruhendes Gericht in billiger Weise und öffentlich verhandelt wird. Aus Gründen der Sittlichkeit, der öffentlichen Ordnung (ordre public) oder der nationalen Sicherheit in einer demokratischen Gesellschaft oder wenn es im Interesse des Privatlebens der Parteien erforderlich ist oder – soweit dies nach Auffassung des Gerichts unbedingt erforderlich ist – unter besonderen Umständen, in denen die Öffentlichkeit des Verfahrens die Interessen der Gerechtigkeit beeinträchtigen würde, können Presse und Öffentlichkeit während der ganzen oder eines Teils der Verhandlung ausgeschlossen werden; jedes Urteil in einer Straf- oder Zivilsache ist jedoch öffentlich zu verkünden, sofern nicht die Interessen Jugendlicher dem entgegenstehen oder das Verfahren Ehestreitigkeiten oder die Vormundschaft über Kinder betrifft. Art. 6 (1) EMRK: Jedermann hat Anspruch darauf, daß seine Sache in billiger Art und Weise öffentlich und innerhalb einer angemessenen Frist gehört wird, und zwar von einem unabhängigen und unparteiischen, auf Gesetz beruhenden Gericht, das über zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen oder über die Stichhaltigkeit der gegen ihn erhobenen strafrechtlichen Anklage zu entscheiden hat. Das Urteil muß öffentlich verkündet werden, jedoch kann die Presse und die Öffentlichkeit während der gesamten Verhandlung oder eines Teils derselben im Interesse der Sittlichkeit, der öffentlichen Ordnung oder der nationalen Sicherheit in einem demokratischen Staat ausgeschlossen werden, oder wenn die Interessen von Jugendlichen oder der Schutz des Privatlebens der Prozeßparteien es verlangen oder, und zwar unter besonderen Umständen, wenn die öffentliche Verhandlung die Interessen der Gerechtigkeit beeinträchtigen würde, in diesem Falle jedoch nur nach dem nach Auffassung des Gerichts erforderlichen Umfang. Art. 8 AMRK: Recht auf ein faires Verfahren. (1) Jede Person hat das Recht, bei der Erhärtung einer gegen sie gerichteten strafrechtlichen Anklage oder bei der Überprüfung ihrer Rechte und Verpflichtungen zivil-, arbeits-, steuerrechtlicher oder irgend anderer Natur, unter fairen Garantien und innerhalb angemessener Zeit durch ein zuständiges, unabhängiges und unparteiisches, vorher durch Gesetz geschaffenes Gericht angehört zu werden.
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militärgerichtlicher Prozeßordnungen befaßt. Hinzu kommt, daß z. B. die Ausgestaltung der besonderen Rechte des Angeklagten oder die Gewährleistung des Öffentlichkeitsgrundsatzes von Staat zu Staat sehr unterschiedlich ist. Insofern wäre es schwierig geworden, allgemeingültige Aussagen über internationalrechtliche Standards herauszuarbeiten zumal EMRK und AMRK sich in diesem Bereich stark auf autonome Auslegung durch Rechtsvergleich stützen. Ein eingehender Rechtsvergleich wäre aus Gründen der Materialsuche extrem problematisch geworden und hätte wegen der Masse der in Betracht zu ziehenden Staaten den Rahmen dieser Arbeit bei weitem gesprengt.
B. Zum Vorgehen Die Untersuchung ist in fünf Kapitel gegliedert. Das erste Kapitel dient der Einführung in Geschichte und Besonderheiten der Militärgerichtsgerichtsbarkeit. Kapitel 2, 3 und 4 beschäftigen sich – wie oben bereits erwähnt – mit Tatbestandsmerkmalen der Absätze 1 der Art. 14 IPBPR, Art. 8 AMRK und Art. 6 EMRK. Kapitel 2 fragt, inwiefern Militärgerichte Gerichte im Sinne der Verträge sind. Kapitel 3 widmet sich den Merkmalen der richterlichen Unabhängigkeit und Unparteilichkeit und Kapitel 4 behandelt das Merkmal der Zuständigkeit und insbesondere die Frage, inwiefern aus den Verträgen ein Recht auf den zuständigen Richter ableitbar ist. In diesem Zusammenhang präsentiert die Arbeit auch einen eigenen Forschungsansatz. Kapitel 5 rundet die Untersuchung ab. Weil Militärgerichte insbesondere in Situationen innerer oder äußerer Spannung besondere Bedeutung erlangen, beschäftigt sich dieser Teil der Arbeit mit der Frage, inwieweit das Recht auf ein faires Verfahren derogierbar ist. Die einzelnen Kapitel sind – mit Ausnahme der Einführung – nach den Verträgen gegliedert. Da diese im Hinblick auf die zu untersuchenden Merkmale vom Wortlaut weitestgehend identisch sind, wird jedes Merkmal dreimal analysiert. Im Vordergrund steht dabei die Auslegung durch die damit befaßten Spruchkörper, also den Menschenrechtsausschuß für den IPBPR, den Interamerikanischen Gerichtshof und die Interamerikanische Kommission für Menschenrechte für die AMRK und den Europäischen Gerichtshof sowie – bis zu ihrer Abschaffung – die Europäische Kommission für Menschenrechte für die EMRK. An die Darstellung der Spruchpraxis schließt sich jeweils eine Bewertung an. Im Rahmen einer Gesamtbewertung werden Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Vertragsauslegung herausgearbeitet und bewertet.
Kapitel 1: Hintergründe zur Militärgerichtsbarkeit Das erste Kapitel dient der Einführung. Es befaßt sich zunächst mit Besonderheiten der Militärgerichtsbarkeit. Die Darstellung besteht aus einem Überblick über die historische Entwicklung und aus Beispielen verschiedener Typen von Militärgerichten. Ein zweiter Teil geht dann der Frage nach, warum Staaten Militärgerichten strafrechtliche Kompetenzen übertragen.
A. Besonderheiten der Militärgerichte Die Frage der Vereinbarkeit von Militärstrafverfahren mit internationalen Garantien ist eng verknüpft mit der weiteren Frage, worin die Besonderheiten dieser Verfahren bzw. dieser Gerichte bestehen. Das leitet über zum Militärgerichtsbegriff, der dieser Arbeit zugrunde liegt. Das Militärgericht gibt es selbstverständlich genauso wenig, wie es das ordentliche Gericht gibt. Doch läßt sich das Besondere der Militärgerichte nur vor dem Hintergrund einer allgemeinen Vorstellung von ordentlichen, allgemeinzuständigen Gerichten begreifen. Zur Abgrenzung von Militärgerichten zu anderen Spruchkörpern kommen mehrere Kriterien in Betracht. Zunächst ließe sich überlegen, als Militärgerichte nur solche anzusehen, die diesen Namen tragen. Das erscheint indes wenig sinnvoll. Der Name ist zwar Indiz, aber kein notwendiges Merkmal. So wäre es ungeschickt, Revolutionsgerichte, die mit Militärangehörigen besetzt sind, des Namens wegen von der Untersuchung auszuschließen. Denn sie werden rechtlich dieselben Probleme aufwerfen wie ein als Militärgericht bezeichnetes Gericht mit derselben Funktionsweise. Sind dann vielleicht Militärgerichte nur solche, die mit Angehörigen der Streitkräfte als Richter besetzt sind? Traditionell sind militärgerichtliche Spruchkörper gemischt besetzt, können aber auch nur aus Angehörigen der Streitkräfte bestehen. Sitzen Angehörige der Streitkräfte als solche in einem Gericht, handelt es sich für die folgende Untersuchung um ein Militärgericht. Die Besetzung ist allerdings nur ein hinreichendes,
Siehe M. Alonso Olea/R. Calvo Ortega/L. Díez-Picazo (Hrsg.), Enjuiciamiento Criminal, 15. Aufl., Madrid 1994, S. 494.
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kein notwendiges Kriterium. Ist das Gericht ausschließlich mit zivilen Richtern besetzt, kann es dennoch ein Militärgericht sein. Ausschlaggebend sind in einem solchen Fall das anzuwendende Recht und der institutionelle Rahmen. Es muß sich also in jedem Fall um ein Gericht handeln, das aus der allgemeinen Strafgerichtsbarkeit ausgegliedert ist und das sich jedenfalls schwerpunktmäßig mit tatsächlichen oder vermeintlichen militärischen Delikten befaßt. Abschließend stellt sich die Frage, ob Militärgerichte zu ordentlichen Gerichten werden, wenn sie, beispielsweise im Rahmen einer Militärdiktatur, als einzige und damit allgemeine Strafgerichte eingesetzt werden. Die Antwort ist nein. Die Ersetzung ordentlicher Strafgerichte durch Militärgerichte stellt eine Perversion letzterer dar. Gerade deswegen ist sie jedoch für die Untersuchung interessant, weil sie hilft, die Frage zu beantworten, welchen Umfang die Jurisdiktion von Militärgerichten zulässigerweise haben darf und ob es so etwas wie einen genuin der ordentlichen, nicht spezialisierten Gerichtsbarkeit vorbehaltenen Bereich gibt. Zum besseren Verständnis werden im folgenden nach einem Abriß zur geschichtlichen Entwicklung verschiedene militärgerichtliche Modelle dargestellt.
I. Historischer Abriß Militärgerichte existieren, seit es stehende Heere gibt. Ihre Aufgabe besteht seit jeher vorrangig darin, die Disziplin innerhalb der Streitkräfte zu wahren. Ursprünglich war die Militärgerichtsbarkeit Ausfluß
So auch niedergelegt in der Präambel zur spanischen Ley Orgánica 4/1987. Sie ist abgedruckt in: M. Alonso Olea/R. Calvo Ortega/L. Díez-Picazo (Hrsg.), siehe Fußnote 18, S. 493.
Zur Geschichte: R. Müller, Der deutsche Militärrichter: Ein Rückblick mit Rechtsvergleichung, in: NZWehrR 8 (1966), S. 97 f. Für die spanische Militärgerichtsbarkeit die Präambel der Ley Orgánica 4/1987, abgedruckt in: M. Alonso Olea/R. Calvo Ortega/L. Díez-Picazo (Hrsg.), siehe Fußnote 18, S. 493.
Vgl. R. Parada Vázquez, Requiem por la justicia militar, in: J. Barnes Vázquez (Hrsg.), La justicia administrativa en el derecho comparado, Madrid 1993, S. 469, 470.
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der Kommandogewalt. Parada Vázquez formuliert den dahinterstehenden Grundsatz als „quien manda debe juzgar“, also: wer befiehlt, muß richten. Die Befehls- und Strafgewalt aus einer Hand wurde als Preis dafür angesehen, daß aus einer Horde Männer eine geordnete Streitkraft werden konnte. Wie zu sehen sein wird, stellt der Grundsatz der absoluten Verantwortung des Befehlshabers eines der zum Teil bis heute fortbestehenden Charakteristika der Militärgerichtsbarkeit dar. Die Beschränkung der Militärgerichtsbarkeit auf Angelegenheiten des Straf- und Disziplinarwesens erfolgte im Zuge der französischen Revolution und der napoleonischen Gesetze. Zuvor war der Kompetenzrahmen sowohl in persönlicher als auch in sachlicher Hinsicht weiter gesteckt. Der Militärgerichtsbarkeit unterstanden nicht nur die Angehörigen der Streitkräfte, sondern auch deren Familien. Zudem war die Militärgerichtsbarkeit nicht bloß Strafgerichtsbarkeit, sie nahm auch verwaltungs- und zivilrechtliche Funktionen wahr und war damit eine Art Standesgerichtsbarkeit. Mit der Zeit übte der Befehlshaber seine Strafgewalt nicht mehr alleine aus. Es bildeten sich militärgerichtliche Spruchkörper, die allerdings vom Status einer von der militärischen Institution unabhängigen „dritten Gewalt“ noch weit entfernt waren. So bestand der Verantwortungsgrundsatz insofern fort, als dem Befehlshaber das Recht vorbehalten war, das Urteil des Spruchkörpers zu bestätigen, damit es Wirksamkeit erlangte. Auch die weitere Eigenheit der Militärgerichtsbarkeit, daß die Richter dem Angeklagten im Rang stets übergeordnet sein müssen, steht mit der Vorstellung einer Einheit von Befehls- und Strafgewalt in Verbindung. Eine gute Illustration des Wesens der preußischen Militärgerichtsbarkeit gibt Laband. Er führt aus: „Die wesentliche Abweichung, welche für die Militärgerichte das charakteristische Merkmal bildet und sie zu allen anderen Gerichten in einen Gegensatz stellt, ist die Unterscheidung des Gerichtsherrn und des erkennenden Gerichts. Diese Trennung entspricht in ihrem staatsrechtlichen und organisatorischen Grundgedanken der der
Vgl. R. Müller, Der deutsche Militärrichter: Ein Rückblick mit Rechtsvergleichung, in: NZWehrR 8 (1966), S. 97. H. Dietz (Hrsg.), Handwörterbuch des Militärrechts, Rastatt 1912, Stichwort „Militärgerichte“ S. 501, 507.
R. Parada Vázquez, siehe Fußnote 21, S. 469, 470. Vgl. R. Parada Vázquez, siehe Fußnote 21, S. 469, 479.
So für Zivilsachen R. Müller, Der deutsche Militärrichter: Ein Rückblick mit Rechtsvergleichung, in: NZWehrR 8 (1966), S. 97, 99.
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mittelalterlichen Gerichtsverfassung eigenen Gegenüberstellung des Richters und der Urteilsfinder (Schöffen), wenngleich die Ausgestaltung und Durchführung dieses Prinzips in vielen Punkten eine andere ist. Die Militärgerichtsbarkeit ist in der militärischen Befehlsmacht enthalten, mithin ein Recht des Kontingentsherrn. Durch Übertragung einer militärischen Befehlshaberstelle überträgt der Kontingentsherr zugleich die Ausübung der Gerichtsgewalt. Gerichtsherr ist derjenige, welcher im Auftrage und in Vertretung des Kontingentsherrn der Träger der militärischen Gerichtsgewalt, des staatlichen Imperium ist, ebenso wie der Graf oder Vogt im Mittelalter der Träger der bürgerlichen Gerichtsgewalt war. So wie dieser aber „cum consilio“, „met ordelen“, richten sollte, so hat auch der Gerichtsherr die ihm zustehende Gerichtsgewalt nach den von den erkennenden Gerichten gefundenen Urteilen auszuüben. Der militärische Gerichtsherr gehört nicht zu dem Spruchgericht; er ist nicht der Vorsitzende desselben und nimmt an den Verhandlungen und der Urteilsfindung nicht teil; er gleicht aber dem Richter des mittelalterlichen Gerichts darin, das er das erkennende Gericht besetzt und beruft, mit der Entscheidung der einzelnen Sache beauftragt („um ein Urteil fragt“) und das gefundene Urteil bestätigt und für vollstreckbar erklärt („das Urteil ausgibt“). Auch übt er diejenigen richterlichen Befugnisse aus, in welchen sich die Herrschaft des Staates, die vis cogendi, betätigt; er verfügt die Vorführung des Beschuldigten ohne Ladung, die einstweilige Enthebung vom Dienst, die Verhängung der Untersuchungshaft und die Unterbringung in eine Irrenanstalt, die Beschlagnahme des Vermögens und die Vollstreckung der Strafe. Dagegen ist der Gerichtsherr nicht befugt, an den Untersuchungshandlungen teilzunehmen; er darf bei der Hauptverhandlung nicht anwesend sein und die erkennenden Gerichte sind hinsichtlich ihrer Verfügungen und Entscheidungen von dem Gerichtsherrn vollkommen unabhängig.“ Das hier geschilderte Gerichtsherrnsystem hat, so altertümlich es auch scheinen mag, mehr als nur historischen Wert. In Großbritannien beispielsweise existierte etwas Vergleichbares bis 1996. Da sich die weiteren Entwicklungen in den aktuell bestehenden Militärgerichtsmodellen niederschlagen, werden sie im nächsten Abschnitt behandelt.
Zitiert nach H. Dietz (Hrsg.), siehe Fußnote 22, S. 501, 507. Siehe dazu in Kap. 3, B.I.2.a.
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II. Beispiele militärgerichtlicher Modelle Wenn im folgenden von militärgerichtlichen Modellen die Rede ist, handelt es sich stets um deren Einsatz in Friedenszeiten. Erst im zweiten Teil, der sich mit Problemen des Ausnahmezustandes und der Frage beschäftigt, ob durch eine Derogation des Rechts auf ein faires Verfahren Kompetenzerweiterungen der Militärgerichtsbarkeit möglich sind, kommen auch Fragen des Kriegsrechts zum Tragen. Wie schon erwähnt, gibt es genau wie in der ordentlichen Gerichtsbarkeit viele unterschiedliche Typen von Militärgerichten. In der Literatur werden im wesentlichen zwei Modelle unterschieden: Gerichte, die für den Einzelfall einberufen werden, und solche, die als ständige Gerichte im Rechtssystem verankert sind. Die folgende Darstellung wird sich an dieser Zweiteilung orientieren, jedoch nicht ohne auf andere Differenzierungsmöglichkeiten hinzuweisen. Dazu gehören die Einteilung in Kriegs- und Friedensgerichte, eine Unterscheidung nach dem Umfang persönlicher und sachlicher Zuständigkeit oder eine Differenzierung nach organisatorischen Gesichtspunkten, insbesondere nach der Art der Besetzung der Gerichte. Diese Unterscheidungen sind sicherlich präziser als die oben angesprochenen Kriterien. Wenn die folgende Darstellung trotzdem der Differenzierung nach ständigen und ad-hoc einberufenen Gerichten folgt, dann um den Umfang der Ausführungen in Grenzen zu halten. Schließlich ist Ziel der Darstellung, einen Einblick in die Grundlagen der Untersuchung zu bieten. Es versteht sich daher, daß es sich hier nur um Beispiele handelt.
1. Militärgerichte, die im Einzelfall einberufen werden Militärgerichte, die im Einzelfall einberufen werden, sind verbreitet mit dem Begriff angelsächsisches Modell belegt. Ihre Verbreitung ist aber keineswegs auf Großbritannien und die USA beschränkt. Spanien zum Beispiel folgte einer Spielart des angelsächsischen Modells bis 1987 und
Vgl. Defensoría del Pueblo, Lineamientos para la reforma de la justicia militar en el Perú, Bericht Nr. 6, Lima 1997, S. 8 ff.; auch S. Abad Yupanqui, Garantías constitucionales: delimitando las fronteras de la justicia militar, in: J. Santistevan de Noriega (Hrsg.), Debate Defensorial Nr. 1, Lima 1998; ebenso D. Lovatón Palacios, Replanteamiento de la unidad y exclusividad jurisdiccionales en lo constitucional, laboral y militar, Lima 2001, S. 48 ff. Eine im Grundsatz feinere Einteilung findet sich bei G. Gómez Mendoza, Código de Justicia Militar, Lima 1997, S. 51.
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exportierte es – gemeinsam mit Portugal – nach Lateinamerika. Doch auch in Deutschland existierte dieses Modell.
a. Preußen In Deutschland bestand die Militärgerichtsbarkeit nach der Preußischen Militärstrafgesetzordnung aus Standgerichten, Kriegsgerichten, Oberkriegsgerichten und Reichsmilitärgerichten, die bis auf den Reichskriegsgerichtshof keine ständigen Gerichte waren, sondern vom Gerichtsherrn für den Einzelfall einberufen wurden. Sie bestanden im Regelfall, das heißt mit Ausnahme des Reichskriegsgerichts, aus Angehörigen der Streitkräfte. Der Gerichtsherr war der Oberbefehlshaber der Truppen bzw. eine von diesem dazu berufene Person. Ihm oblag es, die Richter, den Ankläger und den Verteidiger zu bestimmen, weiterhin erhob er Anklage und bestätigte das Urteil des Spruchkörpers, an dem er selbst nicht beteiligt war. Erst durch seine Bestätigung aber erlangte das Urteil Wirksamkeit. Die militärischen Richter waren dem Gerichtsherrn regelmäßig dienstlich unterstellt, also in ihrer dienstlichen Laufbahn von ihm abhängig. Die Jurisdiktionsgewalt des Gerichts war ratione personae grundsätzlich auf Militärangehörige im aktiven Dienst beschränkt. Die Jurisdiktion ratione materiae ging über die bloß militärischen Straftaten hinaus. Sie erfaßte alle strafbaren Handlungen, sowohl die während des aktiven Dienstes als auch die vor Dienstantritt begangenen.
b. Großbritannien / USA Großbritannien hat 1996 nach Urteilen des Europäischen Gerichtshofs wesentliche Aspekte seines Militärgerichtssystems geändert. Die alte Fassung, die dem vorbeschriebenen preußischen System ähnlich war,
Einzelheiten zu den Gerichten bei H. Dietz (Hrsg.), siehe Fußnote 22, S. 501, 502 f.
Vgl. H. Dietz (Hrsg.), siehe Fußnote 22, S. 501. Vgl. H. Dietz (Hrsg.), siehe Fußnote 22, S. 501, 502 f. Vgl. H. Dietz (Hrsg.), siehe Fußnote 22, S. 796, 798.
Vgl. H. Dietz, siehe Fußnote 22, S. 501, 504 und Stichwort „Militärstrafgerichtsbarkeit“ S. 537.
Hintergründe
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wird später noch Gegenstand der Darstellung sein. Hier geht es um die Fassung, die durch den Armed Forces Act 1996 eingeführt wurde. Die sog. “court-martials” werden wie zuvor im Einzelfall einberufen. Zuständig dafür ist der “court administration officer”, der anders als der preußische Gerichtsherr nicht Dienstvorgesetzter der Richter des Spruchgerichts ist. Er wird vom “Defence Council” berufen. Die Besetzung der Gerichte variiert je nach Art des “court-martial” und je nach Rang des Angeklagten. Der Präsident ist jedoch stets Offizier, seine Beisitzer sind Angehörige der Streitkräfte im aktiven Dienst. Rechtlich beraten wird das Gericht vom “Judge Advocate”, einem Juristen mit mindestens 5-jähriger Berufserfahrung, der vom “Judge Advocate General” bestellt wird. Er gehört nicht zum Spruchkörper und nimmt folglich auch nicht an den Urteilsberatungen teil. In den USA ist Grundlage der Militärgerichtsbarkeit der “Uniform Code of Military Justice”. Dieser sieht vor, daß “court-martials” vom “commanding officer” jeweils für den Einzelfall einberufen werden. Besetzt sind die Gerichte mit einem Militärrichter, der Offizier der Streitkräfte und Mitglied der Anwaltschaft eines Bundesstaates oder des höchsten Gerichts ist und der vom “Judge Advocate General” als Militärrichter zugelassen werden muß. Die weiteren Mitglieder des
Siehe dazu in Kap. 4, B.I.2.
Vgl. Armed Forces Act 1996, . Dieses Gesetz änderte den Army Act 1955, den Air Force Act 1955 und den Naval Discipline Act 1957.
Eingefügt als Art. 84 A des Army Act 1955, Art. 84 A des Air Force Act 1955 und Art. 53 A des Naval Discipline Act 1957.
Vgl. Art. 84 A des Army Act 1955, Art. 84 A des Air Force Act 1955 und Art. 53 A des Naval Discipline Act 1957.
Unterschieden werden der “general court-martial”, der “district” sowie der “field court-martial”.
Die fünfjährige Berufserfahrung gilt gemäß Art. 84 B des Army Act 1995 in der geänderten Fassung, ebenso Art. 84 B des Air Force Act 1955 und Art. 53 B des Naval Discipline Act 1957.
Vgl. 10 U.S.C.A. Subt. A, Pt. II Ch. 47, Refs & Annos UNITED STATES CODE ANNOTATED TITLE 10. Current through P.L. 107-56, approved 10-26-01.
Art. 22, 23, 24. Art. 26 (b).
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Spruchkörpers sind, wie in Großbritannien, aktive Militärangehörige. Der Militärgerichtsgewalt unterliegen grundsätzlich nur Angehörige der Streitkräfte im aktiven Dienst. Ein Kriterium der Konnexität des Delikts mit dem Dienst (“service connection”) gibt es zwar nach der neueren Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs nicht mehr. Jedoch wird die Zuständigkeit der “court-martials” restriktiv ausgelegt, weil es sich nicht um „Artikel III-Gerichte“, sondern um „Artikel IGerichte“ mit geringeren Rechtsstandards handele . So verfügten Artikel I-Gerichte nicht über unabhängige, auf Lebenszeit ernannte Richter und die Anklage wird nicht vor einer “grand jury” erhoben. Militärgerichtliche Verfahren gelten daher als “rough form of justice”. Seit 1983 kann der US Supreme Court Entscheidungen der Militärgerichte direkt überprüfen.
c. Gegenüberstellung Der Vergleich der preußischen mit den aktuellen britischen und USamerikanischen Militärgerichtsbarkeiten zeigt, daß bestimmte Grundmerkmale beibehalten worden sind, während andere Charakteristika vor dem Hintergrund verfassungsrechtlicher sowie internationaler Verpflichtungen Änderungen erfahren haben. Beibehalten worden ist in beiden Fällen die enge Anbindung der militärischen Richter an die Streitkräfte. In Großbritannien drückt sich diese Verbundenheit dadurch aus, daß der Spruchkörper selbst mit aktiven Militärangehörigen besetzt ist, die – wie historisch üblich – von einem Juristen beraten werden. In den USA ist der Jurist zwar als Richter am Spruchkörper beteiligt, dafür ist er aber kein ziviler, außerhalb der Streitkräfte stehen
Art. 25 (a) und (b) für general und special court-martials. Art. 2.
Siehe dazu US Supreme Court, Solorio v. United States, 483 U.S. 435, 107 S.Ct. 2924, 97 L.Ed.2d 364 (1987), rehearing denied 483 U.S. 1056, 108 S.Ct. 30, 97 L.Ed.2d 819 (1987), overruling O’Callahan v. Parker, 395 U.S. 258, 89 S.Ct. 1683, 23 L.Ed.2d 291 (1969) (zitiert nach J.E. Nowak/R.D. Rotunda, Constitutional Law, 5. Aufl., St. Paul 1995, S. 234 Fußnote 3).
Die Begriffe Art. I- bzw. Art. III-Gerichte beziehen sich auf die entsprechenden Vorschriften in der Bundesverfassung.
Vgl. J.E. Nowak/R.D. Rotunda, siehe Fußnote 45, S. 234. Zitiert nach D. Lovatón Palacios, siehe Fußnote 28, S. 55. Vgl. J.E. Nowak/R.D. Rotunda, siehe Fußnote 45, S. 234.
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der Jurist, sondern entstammt dem “legal corps” der Streitkräfte. Die Militärgerichtsbarkeit ist eine interne Angelegenheit der Streitkräfte. Juristen sind zwar an militärgerichtlichen Verfahren beteiligt. Die Angehörigen der Streitkräfte behalten jedoch die zahlenmäßige Übermacht und sind damit die eigentlichen Träger des Urteils. Entwicklungen zeigen sich in Großbritannien in der Ersetzung des Gerichtsherrn als Dienstvorgesetztem durch den “court administration officer”. Damit soll der Unabhängigkeit und der Unparteilichkeit des Gerichts Rechnung getragen werden. In beiden Fällen hat sich zudem die Möglichkeit durchgesetzt, in letzter Instanz den in das allgemeine Justizsystem eingegliederten Obersten Gerichtshof anzurufen.
2. Militärgerichte als ständige Gerichte Dieses Modell, das zuweilen als „kontinentales“ Modell bezeichnet wird, ist in noch größerem Ausmaß als das angelsächsische ein Sammelsurium von Gerichtstypen. Als Beispiel eines westeuropäischen Militärgerichts soll hier Spanien dienen. Dabei ist Spanien keineswegs der einzige europäische Staat, der über eine Militärgerichtsbarkeit verfügt. Hinweise auf das Bestehen von Militärgerichten finden sich in den Verfassungen von Belgien, Griechenland, Irland, Italien, Luxemburg, Portugal, von Bulgarien und Polen.
Vgl. die Koordinierte Verfassung Belgiens vom 17. Februar 1994, zuletzt geändert am 7. Mai 1999, Art. 157. In deutscher Übersetzung abgedruckt in: Die Verfassungen der EU-Mitgliedstaaten, 5. Aufl., München 2000, S. 1, 30.
Vgl. die Verfassung der Republik Griechenland, in Kraft getreten am 11. Juni 1975, zuletzt geändert am 12. März 1986, Art. 96 Abs. 4 a und b, Abs. 5. In deutscher Übersetzung abgedruckt in: Die Verfassungen der EU-Mitgliedstaaten, 5. Aufl., München 2000, S. 163, 200.
Vgl. die Verfassung der Republik Irland vom 1. Juli 1937, zuletzt geändert am 2. Dezember 1999, Art. 38. In deutscher Übersetzung abgedruckt in: Die Verfassungen der EU-Mitgliedstaaten, 5. Aufl., München 2000, S. 213, 239.
Vgl. die Verfassung der Republik Italien vom 27. Dezember 1947, zuletzt geändert am 20. Januar 2000, Art. 103 Abs. 3. In deutscher Übersetzung abgedruckt in: Die Verfassungen der EU-Mitgliedstaaten, 5. Aufl., München 2000, S. 249, 265.
Vgl. die Verfassung des Großherzogtums Luxemburg vom 17. Oktober 1868, zuletzt geändert am 2. Juni 1999, Art. 94 Abs. 1. In deutscher Übersetzung abgedruckt in: Die Verfassungen der EU-Mitgliedstaaten, 5. Aufl., München 2000, S. 277, 287.
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Neben dem spanischen Modell sollen Peru und Kolumbien einer abrißartigen Betrachtung unterzogen werden. Ursprünglich beeinflußt vom spanischen System, haben sie unterschiedliche Entwicklungen durchlaufen. Auf diese wird auch an anderer Stelle noch ausführlicher einzugehen sein. An dieser Stelle soll nur die Möglichkeit der organisatorischen Ausgestaltung und Zuständigkeit ständiger Militärgerichte skizziert werden.
a. Spanien Die spanische Verfassung von 1978 sieht in Art. 117 Abs. 5 vor: Das Prinzip der Einheit der Gerichtsbarkeit ist die Grundlage der Organisation und Arbeitsweise der Gerichte. Das Gesetz regelt unter Beachtung der Grundsätze der Verfassung die Ausübung der Militärgerichtsbarkeit im strikt militärischen Bereich und die Gerichtsbarkeit im Falle des Belagerungszustands. Diese verfassungsrechtlichen Vorgaben machten Änderungen des bis dahin bestehenden Militärgerichtssystems erforderlich. Ley Orgánica 9/1980 und Ley Orgánica 4/1987 dienten diesem Zweck. Seitdem sind Militärgerichte als ständige Gerichte jeweils zwei zu eins mit Militärjuristen und Angehörigen der Streitkräfte besetzt, wobei die Juristen dem Verteidigungsministerium unterstehen und außer als Richter auch als juristische Beamte eingesetzt werden. Sachlich ist die Zuständigkeit der Militärgerichte entsprechend den verfassungsrechtlichen Vorgaben auf den strikt militärischen Bereich beschränkt, wobei darunter solche
Vgl. die Verfassung der Republik Portugal vom 2. April 1976, zuletzt geändert am 20. September 1997, Art. 209 Abs. 4. In deutscher Übersetzung abgedruckt in: Die Verfassungen der EU-Mitgliedstaaten, 5. Aufl., München 2000, S. 401, 462 f.
Vgl. die Verfassung der Republik Bulgarien vom 12. Juli 1991, Art. 119 Abs. 1. In deutscher Übersetzung abgedruckt in: H. Roggemann, Verfassungen Mittel- und Osteuropas, Berlin 1999, S. 373, 398.
Vgl. die Verfassung der Republik Polen vom 2. April 1997, Art. 175 Abs. 1. In deutscher Übersetzung abgedruckt in: H. Roggemann, Verfassungen Mittel- und Osteuropas, Berlin 1999, S. 675, 716 f.
Siehe dazu insbesondere in Kap. 4.
Art. 65 Ley Orgánica 4/1987. Abgedruckt in: M. Alonso Olea/R. Calvo Ortega/L. Díez-Picazo (Hrsg.), siehe Fußnote 18, S. 519.
Vgl. R. Parada Vázquez, siehe Fußnote 21, S. 469, 510.
Hintergründe
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Delikte verstanden werden, die im Militärgesetz definiert sind. In letzter Instanz entscheidet die militärgerichtliche Kammer des Obersten Gerichtshofs (Tribunal Supremo), die ausschließlich mit Juristen – zivilen und militärgerichtlichen – besetzt ist.
b. Peru / Kolumbien Die peruanische Verfassung bestimmt in Art. 139 Abs. 1, daß die Militärgerichte neben dem ordentlichen Justizsystem stehen. Entsprechend verfügt der Oberste Gerichtshof – anders als im Fall Spaniens – nicht über eine umfassende Kassationsgewalt. Diese ist vielmehr beschränkt auf Urteile, in denen die Todesstrafe verhängt wurde. Gemäß Art. 173 der Verfassung erstreckt sich die Kompetenz der Militärgerichte grundsätzlich auf Amtsdelikte (delitos de función), die von Angehörigen der Streitkräfte und der Nationalpolizei begangen werden. Ausnahmsweise kann sich die Jurisdiktion aber auch auf Zivilpersonen erstrecken. So kann der Gesetzgeber bestimmen, daß Militärgerichte für Terrorismus und Vaterlandsverrat (traición a la patria) zuständig sind. Von dieser Kompetenz hat der Gesetzgeber während der Präsidentschaft Alberto Fujimoris weitreichend Gebrauch gemacht und im Mai 1999 das Delikt des „terrorismo agravado“ eingeführt, welches z. B. bewaffneten Raub als Form des Terrorismus definierte und damit eine Anklage vor den Militärgerichten ermöglichte. Das Gesetz wurde zwischenzeitlich aufgehoben. Die erste Instanz bilden deliktsabhängig die „Jueces Instructores“ bzw. die „Consejos de Guerra“. Sofern sie mit Juristen besetzt sind, gehören sie dem „Cuerpo Jurídico Militar“ an, die übrigen Mitglieder der Gerichte sind aktive Angehörige der Streitkräfte. Die kolumbianische Verfassung bindet anders als die peruanische Verfassung die Militärgerichtsbarkeit ausdrücklich in das allgemeine Justizsystem ein (Art. 116). Die Verfassung sieht darüber hinaus Beschränkungen der Jurisdiktion in persönlicher wie auch in sachlicher Hinsicht vor. Art. 213 Abs. 5 bestimmt, daß Zivilpersonen niemals der Militärgerichtsbarkeit unterworfen werden können. Art. 221 konkretisiert die Zuständigkeit auf Delikte, die von aktiven Angehörigen der Streitkräfte
Vgl. J. de Esteban/P.J. González-Trevijano, Curso de Derecho Constitucional III, Madrid 1994, S. 363. Interessant ist Art. 3 der Ley Orgánica. Dort heißt es: „Todo órgano judicial militar, en el ámbito de su competencia, será juez ordinario predeterminado por la ley“.
Vgl. J. de Esteban/P.J. González-Trevijano, siehe Fußnote 61, S. 364.
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(Fuerza Pública) in Ausübung des Dienstes (en relación con el mismo servicio) begangen werden. Letzteres Konnexitätsgebot war Gegenstand einer viel beachteten Entscheidung des kolumbianischen Verfassungsgerichts, welches unter anderem feststellte, daß schwere Menschenrechtsverletzungen niemals als in Beziehung zum Dienst stehend anzusehen seien. Zwei Jahre zuvor, 1995, hatte das Verfassungsgericht festgestellt, daß die Besetzung der „Consejos de Guerra“ mit aktiven Angehörigen der Streitkräfte gegen die verfassungsrechtlichen Gebote der Unabhängigkeit und der Unparteilichkeit verstößt.
c. Gegenüberstellung Gegenüber dem angelsächsischen Modell hat sich das Modell der ständigen Gerichte noch weiter von dem Prinzip des „quien manda debe juzgar“, also dem Verantwortungsprinzip, entfernt. An seine Stelle tritt das Erfordernis juristischer Sachkunde, also die Ersetzung von Armeeangehörigen durch juristisch vorgebildete Richter. Dies führt zur Angleichung der Militärgerichtsbarkeit an die Struktur der übrigen Gerichte.
3. Exkurs zur Militärgerichtsbarkeit in Deutschland In Deutschland, sowie zum Beispiel auch in Österreich oder in Slowenien, manifestiert sich eine weitere Tendenz. In diesen Staaten exi
Siehe dazu das Urteil C-358/97 der Corte Constitucional de Colombia vom 05. August 1997, veröffentlicht unter .
Siehe dazu das Urteil C-141/95 der Corte Constitucional de Colombia vom 29. März 1995, veröffentlicht unter .
Das Bundesverfassungs-Gesetz der Republik Österreich vom 10. November 1920, in der Fassung vom 7. Dezember 1929, zuletzt geändert am 13. August 1999 bestimmt in Art. 84: Die Militärgerichtsbarkeit ist – außer in Kriegszeiten – aufgehoben. Es ist veröffentlicht in: Die Verfassungen der EU-Mitgliedstaaten, 5. Aufl., München 2000, S. 317, 363.
Vgl. die Verfassung der Republik Slowenien vom 23. Dezember 1991 in der Fassung vom 14. Juli 1997, Art. 126: Die Gerichtsverfassung wird durch Gesetz geregelt. Ausnahmegerichte, in Friedenszeiten auch Militärgerichte, dürfen nicht gebildet werden. In deutscher Übersetzung abgedruckt in: H. Roggemann, Verfassungen Mittel- und Osteuropas, Berlin 1999, S. 899, 926.
Hintergründe
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stieren in Friedenszeiten keine Militärstrafgerichte. Die für die Bundesrepublik maßgebliche Vorschrift ist Art. 96 des Grundgesetzes. Die entscheidenden Absätze lauten: Abs. 2: „Der Bund kann Wehrstrafgerichte für die Streitkräfte als Bundesgerichte errichten. Sie können die Strafgerichtsbarkeit im Verteidigungsfalle sowie über Angehörige der Streitkräfte ausüben, die in das Ausland entsandt oder an Bord von Kriegsschiffen eingeschifft sind. Das Nähere regelt ein Bundesgesetz. Diese Gerichte gehören zum Geschäftsbereich des Bundesjustizministers. Ihre hauptamtlichen Richter müssen die Befähigung zum Richteramt haben.“ Abs. 3: „Oberster Gerichtshof für die in Absatz 1 und 2 genannten Gerichte ist der Bundesgerichtshof.“ Abs. 4: „Der Bund kann für Personen, die zu ihm in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis stehen, Bundesgerichte zur Entscheidung in Disziplinarverfahren errichten.“ Drei Punkte sollen hier hervorgehoben werden: Die ordentlichen Gerichte verfolgen sämtliche, auch militärische Straftaten. Die Richter müssen juristisch qualifiziert sein. Art. 96 Abs. 2 bestimmt den Bundesgerichtshof zum Obersten Gericht, um so die Einheit der Justiz zu wahren. Die Einbettung der Militärgerichtsbarkeit in das Justizsystem wird weiter dadurch gestärkt, daß die Gerichte dem Geschäftsbereich des Justizministers und nicht, wie zum Teil üblich, dem des Verteidigungsministers zugeordnet sind.
In der Weimarer Reichsverfassung von 1919 waren Art. 105 und insbesondere Art. 106 die wesentlichen Normen: Art. 105 lautete: „Ausnahmegerichte sind unstatthaft. Niemand darf seinem gesetzlichen Richter entzogen werden. Die gesetzlichen Bestimmungen über Kriegsgerichte und Standgerichte werden hiervon nicht berührt. Die militärischen Ehrengerichte sind aufgehoben.“ Art. 106 bestimmte: „Die Militärgerichtsbarkeit ist aufzuheben, außer für Kriegszeiten und an Bord von Kriegsschiffen. Das Nähere regelt das Reichsgesetz.“
Siehe dazu R. Wassermann, in: AK-GG, Bd. 2, Art. 96 Rz. 24 sowie R. Herzog, in: Maunz-Dürig, Komm. z. GG, Bd. V, Art. 96 Rz. 24. Für die spanische Rechtsordnung: M. Alonso Olea/R. Calvo Ortega/L. Díez-Picazo (Hrsg.), siehe Fußnote, 18, S. 495.
Vgl. R. Herzog, in: Maunz-Dürig, Komm. z. GG, Bd. V, Art. 96 Rz. 25.
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4. Entwicklungstendenzen Die vorhergehenden Beispiele haben gezeigt, daß Militärgerichte in mehrerlei Hinsicht von ordentlichen Strafgerichten abweichen können. Charakteristisch sind ihre besondere sachliche und üblicherweise auch persönliche Zuständigkeit. Hinzu kommt die besondere Zusammensetzung, auch wenn man einwenden mag, daß der Einsatz juristischer Laien auch in der ordentlichen Strafgerichtsbarkeit keineswegs unbekannt ist. Dort fungieren Schöffen oder Geschworene als Vertreter des Volkes. Tendenzen, die bei der Betrachtung nationaler Militärgerichtsbarkeiten im europäischen und lateinamerikanischen Raum zu erkennen sind, lassen sich zusammenfassen unter dem Stichwort „Stärkung des zivilen Elements“. Ein wesentlicher Gesichtspunkt ist die Integration der Militärgerichtsbarkeit in den verfassungsrechtlichen Rahmen der Justiz. Zudem fällt insgesamt der verstärkte Einsatz juristisch qualifizierter Richter in Militärgerichten auf. Parada Vazquez hat diesen Umstand verbittert, aber sehr anschaulich folgendermaßen formuliert: „En el sistema italo-español los juristas militares, antes invitados en la justicia castrense, consiguen, tras una asimilación formal con los cuerpos militares, hacerse con el santo y la limosna, con el control de la jurisdicción.“
Vgl. F. Fernández Segado, La Justicia Militar en el Derecho Comparado, in: Revista de Derecho General, Madrid, S. 336 (zitiert nach Defensoría del Pueblo, siehe Fußnote 28, S. 8). José Jimenez Villarejo führt aus: „Conviene recordar que ha sido un rasgo típico de la sociedad tradicional, del que perviven en la moderna no pocos residuos, en la particularidad, mayor o menor, de los ejércitos con respecto a la sociedad global. Una manifestación de dicho rasgo – cuya versión patológica sería un cierto grado de autonomía del mando militar en relación con el poder civil – es la existencia de un ordenamiento jurídico singular, de carácter fundamentalmente sancionador, que tiene como objetivo prioritario tutelar determinados valores – entre ellos, con marcado relieve, la disciplina – definidos y vividos como indispensables para la eficacia e incluso para la propia existencia de la institución castrense. La especialidad de este ordenamiento se ha subrayado, en no pocas ocasiones, con tanta fuerza que se ha rechazado la posibilidad de que su interpretación y aplicación se realice desde una instancia jurídica ajena de los ejércitos.“, Potestad disciplinaria militar y control jurisdiccional, Madrid: editorial COLEX 1991, 7-8 (zitiert aus: Defensoría del Pueblo del Perú, siehe Fußnote 28, S. 8).
Vgl. R. Parada Vázquez, siehe Fußnote 21, S. 469, 475.
Hintergründe
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B. Begründungsansätze für das Bestehen einer gesonderten Militärgerichtsbarkeit Der vorhergehende Abschnitt hat Militärgerichte und deren Besonderheiten beleuchtet. Die institutionelle Trennung sowie organisatorische (und verfahrensrechtliche) Abweichungen fordern zu der Frage heraus, weshalb es ihrer überhaupt bedarf. Können die allgemein zuständigen Strafgerichte diese Aufgaben nicht zufriedenstellend erledigen? Genau das, sagen die Befürworter von Militärgerichten. Das zentrale Argument zugunsten der Militärgerichtsbarkeit rankt sich um die Aufrechterhaltung der Disziplin des Verbandes. Nun ist die Wahrung der Disziplin kein Selbstzweck, auch wenn dies in den Begründungen der Verfechter manchmal so scheint. Die Disziplin ist wie jeher Mittel zum Zweck. Sie ist erforderlich, um die Streitkräfte als effizienten Kampfverband zu erhalten. Und damit ist sie Voraussetzung dafür, daß die Streitkräfte die ihnen in der Verfassung übertragenen Aufgaben – insbesondere die Verteidigung des Staates gegen äußere Gefahren – erfüllen können.
R. Beddard, The right to a fair trial in the services, in: ELRC Human Rights Survey 1998, HR/49 f. führt aus: “Discipline is a concept indelibly attached to the armed forces. It is expected that orders in the line of battle will be carried out without question and summary punishment for failure, even to the extent of death sentences, has been received as part and parcel of this culture. It is asserted that military discipline must be imposed at all times and that the chain of military command requires it. In most civilized countries of the world it is possible to find a special code of law which defines the rights and obligations of military personnel and this code, it is argued, requires a separate disciplinary and judicial system which may be operative promptly no matter where those concerned happen to be serving at the time. The exigencies of service life, ..., mean that the procedures should be clearly set down to provide for the speedy and fair application of justice. In addition to this there must not be forgotten the paternal role which the armed forces adopt towards those who serve within them.”
Vgl. F. Fernández Segado, La jurisdicción militar en la Constitución española de 1978. Su organización, su ámbito competencial, in: Universidad Nacional Mayor de San Marcos, Instituto Iberoamericano de Derecho Constitucional (Hrsg.), Jurisdicción Militar y Constitución en Iberoamerica (Libro homenaje a García Belaunde), Lima 1997, S. 154. Das spanische Verfassungsgericht hat zum Bedürfnis der militärischen Sondergerichtsbarkeit ausgeführt: „(l)os objetivos, tareas y fines propios de las Fuerzas Armadas (...) como organización bélica del Estado indispensable para las exigencias defensivas de la comu-
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Die Richtigkeit dieser Feststellung unterstellt, mag man einwenden, daß Strafgerichte allgemein nicht zentrale Instrumente zur Gewährleistung von Disziplin sind. Dem begegnen die Verfechter der Militärgerichtsbarkeit indes mit dem Argument der Besonderheiten des militärischen Lebens. Wichtig sei, daß die Strafe der Disziplin wegen jeweils auf dem Fuße folge. Dies gewährleisteten ordentliche Gerichte nicht in ausreichendem Maße. Ein wesentlicher Unterschied zwischen der ordentlichen und der Militärgerichtsbarkeit bestehe im übrigen auch darin, daß letztere der Effizienz der Streitkräfte Vorrang vor etwaigen Partikularinteressen oder -rechten gebe. Schließlich seien ordentliche Gerichte nur unzureichend in der Lage, die besonderen Bedürfnisse militärischer Ordnung zu bewerten. Deswegen bedürfe es eines Gremiums von Spezialisten, das sich aus den Reihen der Militärs selbst rekrutiere. Soweit es darum geht, die Befassung von Militärgerichten mit der Verfolgung von Terrorismusverdächtigen zu rechtfertigen, kommen weitere Rechtfertigungselemente hinzu. Sie lassen sich zusammenfassen in dem Wort Mißtrauen. So wird den ordentlichen Gerichten oftmals ein zu nachsichtiger Umgang mit den Angeklagten vorgeworfen sowie ein aM
nidad como bien constitucional, implican la necesidad de una vía judicial específica para el conocimiento y eventual represión de los delitos que los afecten.“, Tribunal Constitucional de España, Urteil 60/91 vom 14. März 1991, fundamento jurídico No. 3, in: Boletín de Jurisprudencia Constitucional No. 120, Madrid 1991, S. 10. So auch J.M. Rodriguez Devesa/A. Serrano Gómez, Derecho Penal Español, Parte Especial, 17. Aufl., Madrid 1994, S. 1284 und J. de Esteban/P.J. González-Trevijano, siehe in Fußnote 61, S. 363.
Vgl. R. Beddard, siehe Fußnote 72, S. 60.
Vgl. Aprodeh, Civiles no pueden ser juzgados por tribunales militares, in: Debate, Boletín de información y análisis, IV. trimestre 1989/I. trimestre 1990, S. 6, 7.
Siehe dazu D. Oetting, Beitrag zur Diskussion um die Wehrstrafgerichtsbarkeit, in: NZWehrR 12 (1970), S. 212. Das Bedürfnis nach Spezialisten wird auch von der Defensoría als das bedeutendste Argument zur Rechtfertigung der militärischen Sondergerichtsbarkeit genannt, siehe Defensoría del Pueblo del Perú, siehe Fußnote 28, S. 17. So auch R. Parada Vázquez, siehe Fußnote 21, S. 469, 505.
So auch Defensoría del Pueblo del Perú, siehe Fußnote 28, S. 13.
Hintergründe
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Mangel an Effizienz und Strenge. Weiter wird vorgebracht, die Streitkräfte verfügten über bessere Kenntnisse der subversiven Kräfte. Dieses Argument deutet bereits auf eine gefährliche Vermischung von Aktivitäten hin, auf die auch internationale Gremien immer wieder hinweisen. Zu beachten ist nämlich, daß die Streitkräfte üblicherweise repressiv tätig werden. Daraus ihre Kompetenz zur judikativen Tätigkeit herzuleiten, entspricht nicht rechtsstaatlichen Gepflogenheiten. Niemand würde der Polizei die Rechtsprechung in Strafsachen überlassen wollen, weil sie sich mit der (Verhinderung sowie) repressiven Verfolgung von Straftaten und deren Hintergründen, Tätern etc. am besten auskennt. Die hier zusammengefaßten Argumente werden bei der Frage der Vereinbarkeit von Militärgerichten mit völkerrechtlichen Standards relevant.
Siehe zum Beispiel die Ausführungen des Generals i.R. Mercado Jarrín in der Zeitung El Nacional vom 04. August 1989: „el Poder Judicial no ha tenido una respuesta efectiva en el juzgamiento de los implicados en terrorismo“, in: Aprodeh, siehe Fußnote 75, S. 9. Ähnlich wird auch im Bericht der Defensoría del Pueblo ausgeführt: „El argumento para cuestionar la revisión por parte de la Corte Suprema de las decisiones de los tribunales militares priorizó coyuntura al considerar que los delitos de terrorismo, en su modalidad agravada de traición a la patria, no debían ser revisados en casación por la Corte Suprema pues ello podía conducir a la expedición de indebidas órdenes de libertad de los procesados ante presiones de los magistrados.”, Defensoría del Pueblo del Perú, siehe Fußnote 28, S. 13. In dem periodischen Staatenbericht an den Menschenrechtsausschuß seitens Peru 1993 heißt es: “On the other hand it is considered that the reasons for which the military tribunals in cases brought against terrorists became necessary lie in the inability of the ordinary courts to carry out efficient work which, while administering justice adequately, will effectively punish those responsible for terrorist acts in Peru. It is for that reason that the necessity arises to remit cases of aggravated terrorism to the military courts, whose special characteristics enable them to develop an effective internal security system to the benefit of the military judges. All this makes it possible for them to carry out properly their work of trying terrorist offenders.”, MRA, Schlußbemerkungen zum Bericht Perus (1993), U.N. Dok. CCPR/C/83/Add. 1, § 224.
So zitiert die Tageszeitung Expreso in ihrer Ausgabe vom 28.03.1999 den ehemaligen peruanischen Kongreßabgeordneten Alberto Valencia, bei der zivilen Gerichtsbarkeit „aún existe el temor de aplicar penas drásticas“. Der Artikel ist abgedruckt unter: .
Kapitel 2: Militärgerichte als „Gerichte“ im Sinne der Verträge Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit der Frage, inwiefern Strafverfahren vor Militärgerichten dem in Art. 14 IPBPR, Art. 8 AMRK und Art. 6 EMRK gewährten Recht auf ein faires Verfahren entsprechen. Wesentlicher Bestandteil des Rechts auf ein faires Verfahren ist, daß ein Gericht über strafrechtliche Anklagen entscheidet. Deswegen soll an dieser Stelle gefragt werden, was die Verträge unter dem Begriff „Gericht“ verstehen und inwiefern Militärgerichte als Gerichte anerkannt werden.
A. Einleitung Weder der Pakt noch die EMRK oder die AMRK enthalten eine Legaldefinition des Begriffs „Gericht“. Das bedeutet allerdings nicht, daß sich deswegen der Gerichtsbegriff nach nationalem Recht bestimmt. Im Gegenteil, sämtliche der mit der Überwachung der genannten Verträge betrauten Organe verwenden für das Prüfen von Beschwerden bzw. das Erstellen von Berichten einen sogenannten autonomen Gerichtsbegriff, das heißt einen solchen, der nicht durch die Vorgaben des nationalen Rechts determiniert ist. Wie zu sehen sein wird, werden die diesem autonomen Begriff zugrundeliegenden Kriterien in der Spruchpraxis nur zum Teil sichtbar. Eine regelrechte Definition haben nur die Straßburger Organe entwickelt. In Ansehung der Vielzahl verschiedener Gerichtstypen und der unterschiedlichen Gerichtstraditionen ist eine solche Definition nicht unproblematisch. Das mag eine Passage aus dem Bericht des UN-Sonderberichterstatters Singhvi illustrieren:
Siehe dazu mehr in Kap. 4, C.
„Straßburger Organe“ steht für den Europäischen Gerichtshof und die Europäische Kommission für Menschenrechte, auch als Gerichtshof und Kommission bezeichnet. Seit Inkrafttreten des 11. Zusatzprotokolls am 01.11.1998 (BGBl. 1995 II, S. 579) hat der Gerichtshof auch die Aufgaben der Kommission übernommen, die abgeschafft wurde.
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“The institution of the judiciary is known and described by words such as courts, tribunals, conseil ... There are many courts which are described as tribunals. Most tribunals are judicial courts and function as such. Tribunals are quite different from special courts, although in certain regular jurisdictions, tribunals are courts of special or specialized jurisdictions. Special courts are also courts. In many countries, tribunals such as Fiscal tribunals, Revenue Boards, Customs and Excise Tribunals, Income Tax tribunals and Contentious Administrative tribunals perform traditional adjudicative functions. Generally, tribunals (with or without jurors or assessors) are judges of facts as well as of law. Members of judicial tribunals as well as members of many administrative tribunals are a part of the judiciary within the narrow sense of that term. Military tribunals perform judicial functions and are expected to adhere to the ethos of the judiciary.” Wegen der Vielzahl verschiedenartiger Spruchkörper, deren Existenzberechtigung nicht ohne weiteres von der Hand zu weisen ist, setzt die Definition des Gerichtsbegriffs ein hohes Maß an Abstraktion sowie eine Reduktion auf die elementaren Bestandteile voraus. Denn nur in Ansehung des vertraglich gebotenen Ziels, ein faires Verfahren zu gewähren, ist es gerechtfertigt, eine Harmonisierung von Rechts- und Gerichtstraditionen zu betreiben. Welche Auswirkungen kann nun der autonome Gerichtsbegriff auf die innerstaatliche Rechtsordnung haben? Allgemein sind zweierlei Abweichungen denkbar. Einerseits besteht die Möglichkeit, daß Spruchkörper, die nach innerstaatlichem Recht nicht als Gerichte angesehen werden, international Anerkennung als Gerichte erfahren. Andererseits können sich innerstaatlich anerkannte Gerichte international als „Nicht-Gerichte“ erweisen. Da die hier zu untersuchenden Militärgerichte innerstaatlich stets als Gerichte anerkannt werden, gewinnt allenfalls die zweite dieser Alternativen für die vorliegende Arbeit an Bedeutung.
MRUnterKomm., Schlußbericht des UN-Sonderberichterstatters L.M. Singhvi, The administration and the human rights of detainees: Study on the independence and impartiality of the judiciary, jurors and assessors and the independence of lawyers, U.N. Dok. E/CN.4/Sub.2/1985/18, § 11.
Militärgerichte als „Gerichte“
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B. Der Gerichtsbegriff in EMRK, AMRK und IPBPR Die Kontrollorgane waren in unterschiedlichem Maße gefordert, im Rahmen ihrer Spruch- bzw. Berichtspraxis Kriterien zu entwickeln, um das Vorliegen eines Gerichts im Sinne der Verträge nachzuprüfen. Wie bereits erwähnt, haben sich die Straßburger Organe in diesem Zusammenhang besonders hervorgetan. Sie waren in ihrer Rechtsprechungstätigkeit mit einer Vielzahl verschiedenartiger Spruchkörper konfrontiert und haben aufgrund dessen eine besonders detaillierte Spruchpraxis entwickelt, der sich die interamerikanischen Organe und der Menschenrechtsausschuß in den Grundsätzen angeschlossen haben.
I. EMRK Der deutsche Begriff „Gericht“ wird in den Originalversionen des Art. 6 EMRK nicht ganz einheitlich verwendet. In Absatz 1 Satz 1 der Vorschrift heißt es in beiden authentischen Sprachen “tribunal”. In Satz 2, im Zusammenhang mit der Einschränkung des Öffentlichkeitsgrundsatzes, wird „Gericht“ im Englischen mit “court”, im Französischen mit „tribunal“ bezeichnet. Die Variationen in der Bezeichnung haben soweit ersichtlich nicht zu Unterschieden in der Auslegung geführt. Das mag auch daran liegen, daß die Frage des Vorliegens des Gerichts regelmäßig im Rahmen des Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK behandelt worden ist.
1. Der Gerichtsbegriff allgemein Die Straßburger Organe haben den Begriff des Gerichts in Art. 6 Abs. 1 stets autonom bestimmt. Er korrespondiert mit einer weiten Auslegung des Anwendungsbereichs der Vorschrift, also der Merkmale „zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen“ und „strafrechtliche Anklage“. Dieses weite Verständnis führt dazu, daß sehr unterschiedliche Institutionen konventionsrechtlich als Gerichte angesehen werden, vor allem auch solche, die nach nationalem Recht Verwaltungsbehörden sind. Vor diesem Hintergrund vertritt der Gerichtshof in ständiger Rechtsprechung die Auffassung:
Die authentischen Sprachen sind gemäß der Schlußklausel der Konvention Englisch und Französisch.
2. Kapitel
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“The tribunal need not be a court of law of the classic kind, integrated within the standard judicial machinery of the country”. Das bedeutet jedoch nicht, daß die innerstaatliche Einordnung eines Spruchkörpers – im Regelfall als Teil der Exekutive – gänzlich unerheblich wäre. Der Gerichtshof geht sehr wohl davon aus, daß die Zuordnung einen wichtigen Hinweis auf die Natur des Organs gibt. Der von den Straßburger Organen entwickelte Gerichtsbegriff umfaßt alle justizförmigen, unabhängigen und unparteiischen Spruchkörper, die aufgrund eines geregelten und mit entsprechenden Garantien ausgestatteten Verfahrens nach Recht und Gerechtigkeit über zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen oder über strafrechtliche Anklagen entscheiden. Damit orientiert sich der Gerichtsbegriff der Straßburger Organe wesentlich an der Rechtsprechungsfunktion. Daneben spielen jedoch
EGMR, Campbell und Fell gegen Vereinigtes Königreich, Ser. A Nr. 80, § 76; British-American Tobacco Company Ltd. gegen Vereinigtes Königreich, Ser. A Nr. 331, § 77. In Ringeisen hatte der Gerichtshof unter anderem zu der Frage Stellung zu nehmen, ob die „Landesgrundverkehrskommission“ – nach österreichischem Recht eine Verwaltungsbehörde – den Anforderungen des Art. 6 Abs. 1 entsprach. Der Gerichtshof erklärte, diese sei ein Gericht im Sinne der Konvention “... as it is independent of the executive and also of the parties, its members are appointed for a term of five years and the proceedings before it afford the necessary guarantees.”, Ringeisen gegen Österreich, Serie A Nr. 13, § 95 (Verweise weggelassen).
Siehe z. B. EGMR, Belilos gegen Schweiz, Ser. A Nr. 132, § 65.
Zitiert nach J. Frowein/M. Peukert, EMRK-Kommentar, Art. 6, Rz. 122. Siehe auch EGMR, Sramek gegen Österreich, Ser. A Nr. 84, § 36.
In Belilos gegen Schweiz, Ser. A Nr. 132, 29, § 64 führt der Gerichtshof aus: “... a “tribunal” is characterized in the substantive sense of the term by its judicial function, that is to say determining matters within its competence on the basis of rules of law and after proceedings conducted in a prescribed manner. It must also satisfy a series of further requirements – independence, in particular of the executive; impartiality; duration of its members’ terms of office; guarantees afforded by its procedure – several of which appear in the text of Article 6 § 1 itself.” (Verweise weggelassen). So ähnlich auch in Sramek gegen Österreich, Ser. A Nr. 84, 17, § 36: “For the purposes of Art. 6, however, it comes within the concept of a “tribunal” in the substantive sense of this expression: its function is to determine matters within its competence on the basis of rules of law, following proceedings conducted in a prescribed manner.” So auch die Kommission in Sramek gegen Österreich, Ser. A Nr. 84, S. 27, 31, § 71: “... it must first be observed that it is not decisive for the qualification of a certain au-
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auch einige tragende formelle Kriterien, wie Unabhängigkeit und Unparteilichkeit, eine Rolle. Gerade die Einbeziehung dieser beiden Merkmale in die Definition des Gerichts bereitet Probleme, denn sie sind selbständige Tatbestandsmerkmale des Art. 6 Abs. 1 Satz 1. Hängt in einem Fall die Frage, ob ein Gericht vorliegt von Unabhängigkeit oder Unparteilichkeit ab, löst der Gerichtshof den Konflikt dahingehend, daß er das Vorliegen eines „Gerichts“ offen läßt und die Prüfung im Rahmen des geschriebenen Tatbestandsmerkmals, also zum Beispiel des Merkmals „unabhängig“, vornimmt.
2. Militärgerichte als „Gerichte“ im Sinne der Verträge Vorstehende allgemeine Erwägungen zeigen, daß Militärgerichte grundsätzlich als „Gerichte“ im Sinne der Verträge in Betracht kommen. In der Tat haben Kommission und Gerichtshof in den Fällen, in denen sie sich mit Militärgerichten oder mit den türkischen Staatssicherheitsgerichten befaßt haben, keinen Zweifel an deren Gerichtsqualität geäußert. Eine Ausnahme bildete das englische Gerichtsherrnsystem. Hier resultierten die Bedenken daraus, daß Entscheidungen des Spruchkörpers, um wirksam zu werden, der Bestätigung des Gerichtsherrn bedurften. Der Spruchkörper war also nicht in der Lage, selbst eine verbindliche Entscheidung in der Sache zu treffen. Im Fall Findlay gegen Vereinigtes Königreich führte der Gerichtshof zur bestätigenden Rolle des Gerichtsherrn aus:
thority as a “tribunal” within the meaning of Article 6 § 1 how it is classified in the domestic legal system. The only thing which matters is that it fulfills the substantive requirements of a tribunal, being an authority with power to decide legal disputes with binding effect for the parties. Although the exercise of certain discretionary powers is not extraneous to its functions it is nevertheless characteristic of a tribunal that its decisions are not primarily left to its discretion, but must be arrived at in orderly proceedings enabling it to establish the legally relevant facts, and to apply pre-existing legal regulations or principles to these facts.”
Vgl. EGMR, Le Compte, Van Leuven und De Meyere gegen Belgien, Ser. A Nr. 43, § 55: “The fact that it [Appeals Council] exercises judicial functions does not suffice. According to the Court’s case-law, use of the term “tribunal” is warranted only for an organ which satisfies a series of further requirements – independence of the executive and of the parties to the case, duration of its members’ term of office, guarantees afforded by its procedure – several of which appear in the text of Article 6 § 1 itself.” (Verweise weggelassen).
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“This is contrary to the well-established principle that the power to give binding decision which may not be altered by a non-judicial authority is inherent in the very notion of “tribunal” and can also be seen as a component of the “independence” required by Art. 6 § 1.” Trotz des Fehlens eines so elementaren Bestandteils wie der Fähigkeit, bindende Entscheidungen zu treffen, entzieht sich der Gerichtshof der Entscheidung über die Gerichtsqualität wie zuvor beschrieben, indem er das Problem unter dem Gesichtspunkt der Unabhängigkeit diskutiert. Das zeigt die Zurückhaltung des Gerichtshofs, einem Organ, das innerstaatlich als Gericht anerkannt ist, diese Qualität abzusprechen. Ungeachtet dieser Zurückhaltung ist kurz auf die Frage einzugehen, ob die Straßburger Organe zwischen ordentlichen und Sondergerichten
EGMR, Findlay gegen Vereinigtes Königreich, RDJ Nr. 30 (1997-I), S. 263, 282, § 77 (Verweise weggelassen).
Dazu ausführlicher bei den „britischen Fällen“ in Kap. 3, B.I.2.
Im Fall Lithgow u. a. begegnet der Gerichtshof dem Vorbringen, bei einem Schiedsgericht, welches über staatliche Entschädigungszahlungen wegen Nationalisierungsmaßnahmen zu entscheiden hatte, handele es sich um ein unzulässiges Sondergericht mit folgenden Ausführungen: “In the first place, they alleged that the Arbitration Tribunal was not a “lawful tribunal”, in that it was an extraordinary court, namely a tribunal set up for the purpose of adjudicating a limited number of special issues affecting a limited number of companies. The Court cannot accept this argument. It notes that the Arbitration Tribunal was “established by law”, a point which the applicants did not dispute. Again it recalls, that the word “tribunal” in Article 6 § 1 is not necessarily to be understood as signifying a court of law of the classic kind, integrated within the standard judicial machinery of the country (...); thus, it may comprise a body set up to determine a limited number of specific issues, provided always that it offers the appropriate guarantees. The Court also notes that, under the statutory instruments governing the matter, the proceedings before the Arbitration Tribunal were similar to that before a court and that due provision was made for appeals.”, EGMR, Lithgow u. a. gegen Vereinigtes Königreich, Ser. A Nr. 102, S. 72 f. § 201. Die Beschwerdeführer hatten das Argument des Sondergerichts auch vor der Kommission vorgebracht. Dort trugen sie vor, Art. 6 erlaube nur Gerichte “of general or specialised jurisdiction”. Die Kommission erklärt daraufhin, sie finde in Art. 6 keinen Hinweis darauf, daß für die Entscheidung über zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen nicht auch ein Gericht eingesetzt werden könne, welches für eine bestimmte Art von Fällen oder eine bestimmte Gruppe von Fällen in bezug auf eine bestimmte Rechtslage etabliert werden könne, vgl. EKMR, Lithgow u. a. gegen Vereinigtes Königreich, Ser. A Nr. 102, S. 86, 118, § 457.
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unterscheiden und wenn ja, welche Auswirkungen diese Unterscheidung hat. Zweifel an dem Sinn einer solchen Differenzierung könnten zunächst deswegen bestehen, weil auch die sogenannten ordentlichen Gerichte je nach Gerichtssystem unterschiedlich strukturiert sind. Mit Rücksicht darauf geben die Straßburger Organe keine positive Umschreibung des „ordentlichen“ Gerichts. Grundsätzlich handelt es sich um die allgemeinzuständigen Gerichte des Vertragsstaats. Dementsprechend folgte die Kommission dem Vortrag der türkischen Regierung im Fall Incal nicht, die Staatssicherheitsgerichte, die für die Staatssicherheit betreffende Delikte zuständig waren und aus zwei zivilen und einem militärischen Richter bestanden, seien ordentliche Gerichte. Eben die begrenzte Zuständigkeit des Gerichts und die Zusammensetzung, nämlich die Beteiligung eines militärischen Richters, waren nach Auffassung der Kommission maßgebend dafür, die Staatssicherheitsgerichte als besondere Gerichte (special courts) anzusehen. Was die Frage der Auswirkung anlangt, kommt der Feststellung, ein Gericht sei ein besonderes, Signalwirkung zu. Die Abweichung vom Normalen löst eine intensivere Untersuchung einzelner Tatbestandsmerkmale aus. Im Falle von Militärgerichten geht es dabei regelmäßig um die Merkmale der Unabhängigkeit und der Unparteilichkeit.
Sie führte in diesem Zusammenhang an, daß es sich um ein öffentliches Verfahren handele, in dem die Waffengleichheit der Beteiligten streng eingehalten werde und der Angeklagte seinen Verteidiger frei wählen könne, EKMR, Incal gegen Türkei, RJD Nr. 78 (1998-IV), S. 1580, 1585 § 61.
Die Kommission führt aus: “The Commission notes that the applicant was tried and convicted, on the basis of legal provisions, by a special court set up in order to try offences against the integrity and continuity of the State and of which one of the three members is a military judge.”, EKMR, Incal gegen Türkei, RJD Nr. 78 (1998-IV), S. 1580, 1585 § 63. In seinem abweichenden Votum stellt der Richter Gölcüklü in bezug auf ein Staatssicherheitsgericht in der Türkei fest: “(t)his type of “specialized” court is found in certain areas of the law in all countries, for example commercial and industrial courts.”, EGMR, Ciraklar gegen Türkei, RJD Nr. 94 (1998-VII), S. 3059 ff., abweichendes Votum des Richters Gölcüklü, S. 3076 f.
Siehe dazu näher in Kap. 3.
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II. AMRK Die Spruchpraxis von Kommission und Gerichtshof im Rahmen der AMRK ist weniger differenziert als die der Straßburger Organe. Das liegt vor allem an der Art der Fälle, die vor die Organe gelangt sind. Daß „besondere Gerichte“ als Gerichte im Sinne des Vertrags in Betracht kommen, folgt für die AMRK schon aus dem Text der Konvention selbst. Art. 5 Abs. 5 AMRK bestimmt nämlich: Einem Strafverfahren unterworfene Minderjährige sind von Erwachsenen zu trennen und so schnell wie möglich vor besondere Gerichte zu bringen, so daß sie entsprechend ihrer Eigenschaft als Minderjährige behandelt werden können. Die Kommission hat sich in einer Vielzahl von Berichten mit Militärgerichten befaßt. Grundsätzlich anerkennt sie deren Gerichtsqualität auch ohne nähere Ausführungen zur Auslegung des Begriffs. Nur in einem Bericht zur Situation der Menschenrechte in Kolumbien hat sie Zweifel an der Gerichtsqualität der dortigen Militärgerichte aufgeworfen. Sie führt aus: “First, the military justice system may not even be properly referred to as a true judicial forum. The military justice system does not form part of the judicial branch of the Colombian State. Rather this jurisdiction is operated by public security forces and, as such, falls within the executive branch. The decision makers are not trained judges, and the office of the Prosecutor General does not fulfill its accusatory role in the military justice system.” Hier stellt die Kommission also darauf ab, daß die Militärgerichtsbarkeit nicht zur Judikative gehört, sondern in den Händen der Streitkräfte liegt. Die Zweifel an der Gerichtsqualität beziehen sich damit auf die Unabhängigkeit des Militärgerichts von der Exekutive. Wie die Straßburger Organe geht auch die Kommission davon aus, daß die Unabhängigkeit einer der fundamentalen Bestandteile eines Gerichts ist. Wie diese verneint sie üblicherweise nicht das Vorliegen des Merkmals „Gericht“, sondern stellt statt dessen eine Verletzung des Unabhängigkeitsund meist auch des Unparteilichkeitsgrundsatzes fest . In Individualbeschwerdeverfahren stand die Gerichtsqualität der Militärgerichte nie
Hervorhebung von der Verfasserin.
AKMR, Dritter Bericht zur Menschenrechtslage in Kolumbien (1999), Dok. OEA/Ser.L/V/II.102 Doc.9 rev.1, Kap. V, § 20.
Siehe vorhergehende Fußnote.
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in Frage. Bedeutung erlangte indes die Unterscheidung von ordentlichen und besonderen Gerichten. Über die mit der Signalwirkung einhergehende intensivere Kontrolle hinaus haben die interamerikanischen Organe auf der Basis dieser Unterscheidung Beschränkungen der militärgerichtlichen Zuständigkeit vorgenommen, die im einzelnen in Kapitel 4 dargestellt werden.
III. IPBPR Wie in Art. 6 EMRK, so sind auch in Art. 14 IPBPR in den Originalfassungen Wortlautunterschiede festzustellen. Art. 14 Absatz 1 Satz 1, der die Gleichheit vor Gericht garantiert, spricht in der englischen Fassung von “courts and tribunals”, in der französischen Fassung von „tribunaux et courts de justice“ und in der spanischen Originalfassung von „tribunales y cortes de justicia“. Satz 2 verbürgt jedermanns Anspruch, daß über eine gegen ihn erhobene strafrechtliche Anklage oder seine zivilrechtlichen Ansprüche und Verpflichtungen durch ein zuständiges, unabhängiges und auf Gesetz beruhendes Gericht in billiger Weise und öffentlich verhandelt wird. Der Begriff „Gericht“ der nicht autoritativen deutschen Fassung wird in diesem zweiten Satz ausschließlich mit „tribunal“ wiedergegeben. Im Satz 3, der den Öffentlichkeitsgrundsatz betrifft, unterscheiden sich dann der englische Wortlaut einerseits und der französische und spanische Wortlaut der Vorschrift andererseits. Während es im ersten “court” heißt, wird das Gericht in letzteren mit „tribunal“ wiedergegeben. Die Entstehungsgeschichte erhellt die Frage der Bedeutung der unterschiedlichen Verwendung der Begriffe nicht. Es sieht vielmehr so aus, als habe sich daran kein Streit entzündet, wenn auch die Begriffe in Vorarbeiten im Zusammenhang mit den Begehren nach Veränderungen anderer Tatbestandsmerkmale immer wieder variiert wurden. Nowak vertritt die Auffassung, bei systematischer Auslegung ergebe sich, daß “court” als Verweis auf das nationale Recht zu verstehen sei, während „tribunal“ auf eine autonome Auslegung gerichtet sei. Der Menschenrechtsaus
Kap. 4, B.I.
Die weiteren authentischen Fassungen, nach Art. 53 Abs. 1 IPBPR der chinesische und der russische Wortlaut, werden bei den hier anzustellenden Untersuchungen außer acht gelassen.
Vgl. M. Nowak, CCPR-Commentary, Art. 14, Rz. 8.
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schuß ist dieser Auffassung nicht gefolgt. Er hat in seiner Spruchpraxis keine erkennbare Differenzierung vorgenommen. In seiner Allgemeinen Bemerkung 13/21 zu Art. 14 führt er hierzu aus: “The provisions of article 14 apply to all courts and tribunals within the scope of that article whether ordinary or specialized. The Committee notes the existence, in many countries, of military or special courts which try civilians. This could present serious problems as far as the equitable, impartial and independent administration of justice is concerned. Quite often the reason for the establishment of such courts is to enable exceptional procedures to be applied which do not comply with normal standards of justice. While the Covenant does not prohibit such categories of courts, nevertheless the conditions which it lays down clearly indicate that the trying of civilians by such courts should be very exceptional and take place under conditions which genuinely afford the full guarantees stipulated in article 14.” Die Verwendung des Begriffs “court” ist hier evident nicht nationalstaatlich ausgerichtet. Es scheint vielmehr so, als bevorzuge der Ausschuß diesen Begriff schlicht. Die Inhalte der autonomen Auslegung des Gerichtsbegriffs sind in der Spruchpraxis des Menschenrechtsausschusses nicht klar erkennbar, und das, obwohl er sich insbesondere im Berichtsverfahren mit verschiedensten Typen von Gerichten befaßt hat. Dabei ging es um Spruchkörper, wie “Special
MRA, Allgemeine Bemerkung 13 zu Art. 14, U.N. Dok. HRI/GEN/1/ Rev.1, S. 14, § 4.
In seiner Allgemeinen Bemerkung führt der Menschenrechtsausschuß unter Ziffer 1 aus: “... All these provisions are aimed at ensuring the proper administration of justice, and to this end uphold a series of individual rights such as equality before the courts and tribunals ...” Unter Ziffer 3 heißt es: “The Committee would find it useful if, in their future reports, States parties could provide more information on the steps taken to ensure that equality before the courts, including access to courts, fair and public hearings and competence, impartiality and independence of the judiciary are established by law and guaranteed in practice.” (Hervorhebungen von der Verfasserin).
Siehe insofern die periodischen Berichte zu Chile, U.N. Dok. A/34/40, U.N. Dok. A/39/40, U.N. Dok. A/40/40, El Salvador U.N. Dok. A/39/40, Madagaskar U.N. Dok. A/33/00, Syrien U.N. Dok. A/34/40, Suriname U.N. Dok. A/35/40, Nicaragua U.N. Dok. A/38/40, Ägypten U.N. Dok. A/39/40, Senegal U.N. Dok. A/35/40, U.N. Dok. A/42/40 und Zaire U.N. Dok. A/42/40.
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Courts”, “Public Security Courts”, “Self-Management Courts”, “Comrades Courts”, “Sharia Courts”, “State Security Courts” und “Gun Courts” sowie Militär- und Revolutionsgerichte. Deren Gerichtsqualität hat er, soweit ersichtlich, nie in Frage gestellt. Einschränkungen ergeben sich daher wiederum nicht auf der Ebene des Gerichtsbegriffs selbst. Wie in EMRK und AMRK behandelt der Ausschuß Fragen der Unabhängigkeit oder Unparteilichkeit stets im Rahmen der geschriebenen Tatbestandsmerkmale.
IV. Bewertung Als Ergebnis läßt sich festhalten, daß die mit der Überwachung der Verträge betrauten Organe den Begriff des Gerichts weit auslegen. Insbesondere umfaßt dieser regelmäßig auch Militärgerichte. Fragen der Unabhängigkeit und der Unparteilichkeit, die in diesem Zusammenhang häufig auftreten, werden nicht auf der Ebene des Merkmals „Gericht“, sondern im Rahmen der jeweiligen Tatbestandsmerkmale gelöst.
Siehe z. B. U.N. Dok. CCPR/C/SR.84, § 28, Vincent-Evans zum Madagaskar-Bericht.
Siehe z. B. U.N. Dok. CCPR/C/SR.90, § 13, Tarnopolsky zum IranBericht.
Siehe z. B. U.N. Dok. CCPR/C/SR.98, §§ 50-51, Vincent-Evans zum Jugoslawien-Bericht.
Siehe z. B. U.N. Dok. CCPR/C/SR.155, § 15, Tomuschat zum Bericht der Ukraine.
Siehe z. B. U.N. Dok. CCPR/C/SR.200, § 8, Graefrath zum Iraq-Bericht. Siehe z. B. U.N. Dok. CCPR/C/SR.283, § 22, Opsahl zum Bericht Malis.
Siehe z. B. U.N. Dok. CCPR/C/SR.291, § 44, Vincent-Evans zum Bericht Jamaicas.
Dieser Punkt war auch bei der Untersuchung zu Art. 2 von Bedeutung.
Kapitel 3: Unabhängigkeit und Unparteilichkeit von Militärgerichten Der vorangehende Abschnitt deutete bereits an, daß die Grundsätze der Unabhängigkeit und der Unparteilichkeit für die Beurteilung von Militärstrafverfahren von zentraler Bedeutung sind. Maßgeblich dafür sind meist zwei Gründe: die Organisation und die sachliche Zuständigkeit der Militärgerichtsbarkeit. Sind Militärgerichte beispielsweise mit aktiven Angehörigen der Streitkräfte besetzt, führt dies zu einer besonderen Verflechtung dieser Gerichte mit der Exekutive. Dadurch können Zweifel an der Wahrung der gerichtlichen Unabhängigkeit entstehen. Was die sachliche Zuständigkeit anlangt, bestehen Probleme vor allem dann, wenn Militärgerichte Personen strafrechtlich verfolgen, für deren militärische Bekämpfung die Streitkräfte zuständig sind, oder wenn Gegenstand des Verfahrens ein nichtmilitärisches Rechtsgut ist, wenn also zum Beispiel der angeklagte Militärangehörige einen Zivilisten getötet hat. Der kommende Abschnitt wird die Spruchpraxis der Kontrollorgane von Europäischer Menschenrechtskonvention, Amerikanischer Menschenrechtskonvention und Internationalem Pakt zu Fragen der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit von Militärgerichten darstellen und sie kritisch beleuchten. Er beginnt mit einigen allgemeinen Bemerkungen zur Funktion und zum Inhalt der Tatbestandsmerkmale.
A. Allgemein I. Funktionen und Inhalte der Grundsätze Unabhängigkeit und Unparteilichkeit sichern gemeinsam, daß Gerichte als neutrale Dritte agieren. Sie gewährleisten Distanz und Neutralität und versetzen den Richter in die Lage, sein Fachwissen frei von sachfremden Einflüssen in den Entscheidungsgang einzubringen und die Gleichstellung der Parteien vor Gericht durch eine objektive, faire Verhandlungsführung sowie durch unvoreingenommene Rechtsanwen-
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dung zu wahren. Die Unabhängigkeit dient der Gewährleistung der organisatorischen Eigenständigkeit der Gerichte und schützt die „dritte Gewalt“ insbesondere gegen Einflußnahmen von außen. Klassischerweise versteht man unter „außen“ die Exekutive und in einem geringeren Maße die Legislative. Druck und Einflußnahme können aber auch von anderer Seite kommen. So schreibt der UN-Sonderberichterstatter über Justiz und Anwaltschaft Cumaraswamy: “The threat to judicial independence comes not just from the executive arm of Government nor from the legislature, but from organized crime, powerful businessmen, corporate giants and multinationals. The conduct of some within the judiciary and the legal pro-
Vgl. E. Träger, Der gesetzliche Richter: Aktuelle Fragen aus Verfassung und internationalem Recht, in: W. Fürst, R. Herzog, D. Umbach (Hrsg.), Festschrift für W. Zeidler, Bd. 1, Berlin, New York 1987, S. 123, 125 unter Verweis auf BVerfGE 52, S. 131, 156 f. Anläßlich einer vom Europarat organisierten Konferenz zum Thema „Garantien der Unabhängigkeit der Gerichte im Rechtsstaat“ im Juni 1997 haben die anwesenden Experten, Vertreter des Richterrats (“High Councils of Judges”) bzw. anderer Richtervertretungen, auf der Grundlage von Dokumenten des Europarats und insbesondere der Europäischen Menschenrechtskonvention eine Reihe von Mindestforderungen verabschiedet, die sie als rechtskulturunabhängig bezeichnen. So heißt es unter Nummer 1, die Unabhängigkeit sei kein Richterprivileg, sondern sei eine Garantie für die Beachtung der Menschen- und Freiheitsrechte der Bürger. Weiterhin wird auf die Bedeutung der Freiheit von äußerem Zwang, Druck sowie von Einflußnahme hingewiesen. Damit einher geht die Forderung nach Autonomie der Richterschaft im Hinblick auf Nominierung und Beförderung wie auch die Forderung einer Ernennung auf Lebenszeit als einen der fundamentalen Grundsätze. Gefordert wird zudem von den hauptamtlichen Richtern, daß sie eine juristische Ausbildung und eine zusätzliche Qualifizierung zum Richter durchlaufen, Council of Europe, Themis 3 (Varsovie.97) Concl., Guarantees of the independence of the judiciary in a state governed by the rule of law, Conclusions and Recommendations, S. 3 ff.
Vgl. beispielsweise H. Noor Muhammad, Due Process of Law for Persons Accused of Crime, in: L. Henkin (Hrsg.), The International Bill of Rights: Covenant on Civil and Political Rights, S. 138, 147 und K.S. Rosenn, The Protection of Judicial Independence in Latin America, in: Inter-American Law Review 19 (1987), S. 1, 7 sowie O.W. Fiss, The Limits of Judicial Independence, in: Inter-American Law Review 25 (1993), S. 57, 59, dort bezeichnet als “political insularity”.
Unabhängigkeit und Unparteilichkeit
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fession can threaten their own or each other’s independence. Hence the need for constant vigilance both within and without.” Im Falle der Militärgerichte rührt die Gefahr der Einflußnahme typischerweise von der Exekutive, aus dem Kreise der Streitkräfte selbst oder – vor dem Hintergrund politischen Drucks – unmittelbar oder mittelbar von Regierungsverantwortlichen. Man denke beispielsweise an eine Terrorwelle mit folgenreichen Attentaten. Die Einflußnahme Privater spielt demgegenüber keine nennenswerte Rolle. Terrorismusund Drogenstrafsachen werden vielmehr mit dem Argument auf Militärgerichte übertragen, daß sich die Sicherheit der zivilen Richter vor Repressalien und Rache nicht ausreichend garantieren läßt. Die Unparteilichkeit als das zweite Merkmal garantiert die Unvoreingenommenheit des Richters gegenüber den Parteien. Dies gilt jedenfalls im Grundsatz. Im Detail sind sowohl das Verhältnis von Unabhängigkeit und Unparteilichkeit zueinander als auch einzelne ihrer Bestandteile umstritten beziehungsweise unklar. Darauf wird an späterer Stelle zurückzukommen sein.
II. Inhalt des Unabhängigkeitsgrundsatzes Zentraler Inhalt des Unabhängigkeitsgrundsatzes ist der Gewaltenteilungsgrundsatz, das heißt, die institutionelle Trennung der Judikative von der Exekutive und der Legislative, als deren Folge der Judikative
MRKomm., Sonderberichterstatter über Justiz und Anwaltschaft, U.N. Dok. E/CN.4/1996/37, § 246.
Siehe dazu auch in Kap. 5, A. II.
Vgl. Van Dijk/van Hoof, Theory and Practice of the European Convention on Human Rights, 3. Aufl., Den Haag 1998, S. 451; P. Rädler, Independence and Impartiality of Judges, in: D. Weissbrodt/R. Wolfrum (Hrsg.), Right to a Fair Trial, Beiträge zum ausländischen öffentlichen Recht und Völkerrecht, Bd. 129, 1997, S. 727, 729. Gerade die Rechtsprechung der Straßburger Organe betont jedoch auch immer wieder die Unabhängigkeit von den Parteien als Bestandteil des Unabhängigkeitsgrundsatzes, insbesondere dann, wenn der Staat Partei des Verfahrens ist.
Larkins führt hierzu aus: “However, despite an almost universal consensus as to its normative value, judicial independence may be one of the least understood concepts in the fields of political science and law”, C.M. Larkins, Judicial Independence and Democratization: A Theoretical and Conceptual Analysis, in: AJCL 44 (1996), S. 605, 607.
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exklusive Kompetenzen zustehen und sie über eigene (exklusive) Amtsträger verfügt. Die Gewährleistung richterlicher Unabhängigkeit in sachlicher wie in persönlicher Hinsicht, läßt sich in verschiedenen Kriterien konkretisieren. Dazu gehören die Art und Weise der Ernennung der Richter, die Dauer ihrer Amtszeit sowie die Unab- und Unversetzbarkeit der Richter. Diese Kriterien gehören zu einem Kanon, der regelmäßig – in unterschiedlicher Intensität – von internationalen Kontrollorganen geprüft wird. Je nach Fallgestaltung können darüber hinaus weitere Gesichtspunkte eine Rolle spielen. Dazu gehören dienstliche Beurteilungen, bestimmte Weisungsbefugnisse von Vorgesetzten außerhalb des Richterdienstes, die Pflicht zur Rechenschaft gegenüber Vorgesetzten oder Bestimmungen über Disziplinarverfahren. Sind beispielsweise die Streitkräfte an der Ernennung eines Richters beteiligt, muß damit nicht notwendig eine Verletzung des Unabhängigkeitsgrundsatzes vorliegen. Zu untersuchen ist, welchen Umfang der Einfluß von außen tatsächlich für die Ausübung der richterlichen Tätigkeit hat, inwiefern er durch andere Umstände neutralisiert wird. In Betracht kommen zum Beispiel Absicherungen in Form von verfassungsrechtlichen oder strafrechtlichen Rechtsvorschriften. Die richterliche Unabhängigkeit ist kein Richterprivileg. Sie ist Voraussetzung für die Glaubwürdigkeit der Justiz und damit dafür, daß die Bürger den Gerichten Vertrauen schenken. Deswegen geht es insbesondere den Straßburger Organen nicht nur darum, daß die Einhaltung des Gebots richterlicher Unabhängigkeit abstrakt ist. Wesentlich ist
P. Rädler, siehe Fußnote 116, S. 727, 737.
Siehe hierzu die von der Mailänder UN-Konferenz 1985 erarbeiteten “Basic Principles on the Independence of the Judiciary”, die den Versuch unternehmen, Unabhängigkeit in einzelne Elemente aufzuspalten, Seventh Congress on the Prevention of Crime and the Treatment of Offenders, U.N. Dok.A/Conf.121/22/Rev.1.
So ausdrücklich Council of Europe, Themis 3 (Varsovie.97) Concl, Guarantees of the independence of the judiciary in a state governed by the rule of law, Conclusions and Recommendations, S. 3. Auch H.J. Faller, Die richterliche Unabhängigkeit im Spannungsfeld von Politik, Weltanschauung und öffentlicher Meinung, in: W. Fürst, R. Herzog, D. Umbach (Hrsg.), Festschrift für W. Zeidler, Bd. 1, Berlin, New York 1987, S. 81, 82.
So formuliert der EGMR beispielsweise in Incal: “What is at stake is the confidence which the courts in a democratic society inspire in the public and above all, as far as criminal proceedings are concerned, in the accused.”, RJD Nr. 78 (1998-IV), S. 1547, 1572, § 71 (Verweise weggelassen).
Unabhängigkeit und Unparteilichkeit
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insbesondere auch die Perspektive des Bürgers. Die richterliche Unabhängigkeit muß auch für ihn erkennbar sein. Der Europäische Menschenrechtsgerichtshof verwendet dafür in ständiger Rechtsprechung die aus der Magna Charta stammende Maxime “justice must not only be done it must be seen to be done”. Er fragt, inwiefern ein objektiver Beobachter berechtigte Zweifel an der Unabhängigkeit eines Gerichts hegen kann. An späterer Stelle wird zu sehen sein, daß der Rückgriff auf den objektiven Betrachter nicht unproblematisch ist. Er verwischt die Konturen zum Unparteilichkeitsgrundsatz und birgt vor allem die Gefahr, daß das Judiz der sogenannten billig und gerecht Denkenden an die Stelle faktisch begründeter Zweifel tritt.
III. Inhalt des Unparteilichkeitsgrundsatzes Der Unparteilichkeitsgrundsatz bezieht sich auf die „innere Einstellung“ des Richters zum Verfahren und zu den Parteien. Der Richter soll über den Parteien stehen und seine Entscheidungen ohne Ansehung der Person sachgemäß und nach bestem Wissen und Gewissen fällen. Zu Prüfungszwecken wird unterschieden zwischen subjektiver und objektiver Unparteilichkeit. Erstere steht dann in Frage, wenn es Anzeichen für die Voreingenommenheit eines bestimmten Richters gibt. Die subjektive Unparteilichkeit des Richters wird bis zum Beweis des Ge-
Die Kommission führt aus: “... A tribunal in the sense of Article 6 must be recognisable as an independent judicial organ by the individual who has no specific legal training. This requires an organisational structure clearly distinguishing the tribunal from a normal administrative authority.”, EKMR, Sramek gegen Österreich, Ser. A Nr. 84, S. 27, 32, § 74 (Verweise weggelassen).
Siehe zum Beispiel in EGMR, Campbell und Fell gegen Vereinigtes Königreich, Ser. A Nr. 80 § 79 (Board of Visitors); siehe auch Langborger gegen Schweden, Ser. A Nr. 155, S. 16 § 32.
In diesem Kapitel unter B.I.3.b-d.
Der UN-Menschenrechtsausschuß stellte zur Unparteilichkeit fest, diese verlange, daß “the judges must not harbour any preconceptions about the matter put before them, and that they must not act in ways that promote the interests of one of the parties.”, MRA, Karttunen gegen Finnland, Beschwerde Nr. 387/1989, U.N. Dok. CCPR/C/46/D/387/1989, § 7.2. Für die EMRK siehe Frowein/Peukert, EMRK-Kommentar, Art. 6, Rz. 129.
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3. Kapitel
genteils vermutet. Sie spielt für die vorliegende Arbeit keine Rolle. Erstens war in den hier zu behandelnden Fällen regelmäßig kein persönliches Fehlverhalten nachweisbar und zweitens ist die Parteilichkeit einzelner Richter für die hiesige Untersuchung im Grundsatz nicht erheblich. Individuelles Fehlverhalten erlangt erst dann Bedeutung, wenn sich herausstellt, daß es typisch, weil strukturell bedingt ist. Erst dann ließe sich argumentieren, daß es generell die Zulässigkeit von Strafverfahren vor Militärgerichten in Frage stellt. Sehr wohl maßgeblich sind demgegenüber Mängel der objektiven Unparteilichkeit, also Fälle, in denen ein objektiver Beobachter in der Person des Angeklagten oder einer anderen privaten Streitpartei – auch ohne im Verhalten eines einzelnen Richters liegende Anhaltspunkte – wegen der Zusammensetzung des Gerichts, aus organisatorischen oder verfahrensbedingten Umständen bzw. wegen der gleichzeitigen oder aufeinanderfolgenden Wahrnehmung bestimmter Aufgaben durch einen Richter berechtigte Zweifel daran haben kann, daß ihm das Gericht unvoreingenommen gegenübertritt. Im nationalen Recht regeln Befangenheitsvorschriften den Ausschluß bestimmter Personen, die wegen Nähe- bzw. Verwandtschaftsbeziehung oder Interessenkonflikten in bestimmten Verfahrenskonstellationen erfahrungsgemäß – d. h. ohne Ansehung der Person des Richters – keine Gewähr für die Unparteilichkeit bieten. Da die hier relevanten internationalen Verträge solche Befangenheitsvorschriften nicht ausdrücklich vorsehen, bedarf es der Einzelfallprüfung aus der Sicht eines objektivierten Betrachters.
Vgl. EGMR, Le Compte u. a. gegen Belgien, Ser. A Nr. 43, § 58; Albert und Le Compte, Ser. A Nr. 58, § 32. In Pullar gegen Vereinigtes Königreich führt der Gerichtshof zur Begründung aus: “The principle that a tribunal shall be presumed to be free of personal prejudice or partiality is long established in the case-law of the Court. It reflects an important element of the rule of law, namely that verdicts of a tribunal should be final and binding unless set aside by a superior court on the basis of irregularity or unfairness.”, EGMR, RJD Nr. 11 (1996-III), S. 783, 793, § 32.
Dieser Ansatzpunkt entstammt der Rechtsprechung der Straßburger Organe. Nur sie vertreten diesen so explizit. Die Rechtsprechung der interamerikanischen Organe sowie des Menschenrechtsausschusses leiten jedoch ebenfalls aus strukturellen Gegebenheiten Aussagen über die Einhaltung des Unparteilichkeitsgebotes ab. Sie lassen dabei ebenfalls einen objektiven Ansatz erkennen.
In den Worten des EGMR lautet die Formel: “... Secondly, it must also be impartial from an objective viewpoint, that is, it must offer sufficient guarantees to exclude a legitimate doubt in this respect.” Zu finden ist sie zum Beispiel in
Unabhängigkeit und Unparteilichkeit
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IV. Fazit Wesentlich ist die Feststellung, daß der Frage der Unparteilichkeit des Gerichts regelmäßig derselbe Sachverhalt zugrunde liegt, der für die Frage der Verletzung der Unabhängigkeit maßgeblich ist. Beide Male sind Grundlage der Entscheidung organisations- und verfahrensrechtliche Aspekte. Das hat Auswirkungen auf die vorliegende Arbeit, denn die Rechtsprechung prüft in der Regel beide Merkmale gemeinsam, so daß in bestimmten Bereichen die Trennung zwischen beiden Elementen verschwimmt.
B. Anwendung der Grundsätze in der Spruchpraxis Der folgende Abschnitt analysiert die Spruchpraxis der Kontrollorgane zu Problemen der Unabhängigkeit und der Unparteilichkeit im Rahmen von Strafverfahren vor Militärgerichten. Weil die Entscheidung trotz der Kriterienkataloge wesentlich von den Umständen des Einzelfalles abhängt, geht die Darstellung der rechtlichen Würdigung jeweils mit einem Überblick über den zugrundeliegenden Sachverhalt einher. Dabei spielen insbesondere die Situation des Beschwerdeführers und der Aufbau des Gerichts eine Rolle. Eventuelle Abweichungen der Spruchpraxis gegenüber derjenigen zu „nichtmilitärischen“ Fällen, die zivile Gerichte mit besonderer Zuständigkeit, wie beispielsweise berufliche Standesgerichte, und gemischte bzw. Laiengerichte betrafen, werden im Rahmen der Bewertung behandelt. Die Darstellung beginnt mit der EMRK, da die Straßburger Organe eine differenzierte Rechtsprechung entwickelt haben, die in ihren Grundsätzen von den interamerikanischen Organen und dem Menschenrechtsausschuß übernommen worden ist.
Findlay gegen Vereinigtes Königreich, RJD Nr. 30 (1997-I), S. 263, 281 § 73 und Incal gegen Türkei, RJD Nr. 78 (1998-IV), S. 1547, 1572 § 65.
Siehe zum Beispiel EKMR, Mitap und Müftüoglu gegen Türkei, RJD Nr. 6 (1996-II), S. 402, 422 § 93.
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I. EMRK Die Straßburger Organe haben sich im Laufe ihrer Rechtsprechungstätigkeit zunächst nur hin und wieder, eingehend erst seit Anfang der 90er Jahre, mit dem Phänomen der Militärgerichte auseinandergesetzt. Für die folgende Untersuchung werden drei Fallgruppen unterschieden. Die erste Gruppe bilden die „frühen Fälle“. Dort beschwerten sich Militärangehörige vor Militärgerichten über gegen sie verhängte disziplinarische Maßnahmen. Die Militärgerichte waren regelmäßig mit hauptamtlichen, zivilen Richtern sowie mit Angehörigen der Streitkräfte besetzt. Da die Kommission in einigen der Fälle feststellte, Art. 6 sei wegen des Nichtvorliegens einer „strafrechtlichen Anklage“ nicht anwendbar, wurde die Frage der Unabhängigkeit und der Unparteilichkeit nur in geringem Umfang überhaupt relevant. Der wohl bekannteste Fall dieser Epoche, in dem jedoch die Frage der Unabhängigkeit des Gerichts nur eine nebengeordnete Rolle spielte, war der Fall Engel u. a. gegen Niederlande.
Eine Ausnahme stellt die Beschwerde Dupuis dar. In diesem Fall war der Beschwerdeführer Wehrdienstverweigerer; EKMR, Dupuis gegen Belgien, Beschwerde Nr. 12717/87, D.R. 57 (1988), S. 196. In anderen Fällen, in denen die Beschwerdeführer Wehrdienstverweigerer waren, war jeweils nur Art. 5 Abs. 3 Gegenstand der Entscheidung. So in De Jong, Baljet und van den Brink gegen Niederlande, Ser. A Nr. 77; Van der Sluijs, Zuidervelt und Klappe gegen Niederlande, Ser. A Nr. 78; Koster gegen Niederlande, Ser. A Nr. 221; Duinhof und Duif gegen Niederlande, Ser. A Nr. 79.
So beispielsweise EKMR, Eggs gegen Schweiz, Beschwerde Nr. 7341/76, D.R. 15 (1979), S. 35, 48, § 79. Hier ging die Kommission davon aus, daß die Gerichtsbegriffe in Art. 6 Abs. 1 und Art. 5 Abs. 1 trotz des unterschiedlichen Anwendungsbereichs der Vorschriften gleichbedeutend sind. So auch in Otelo Saraiva de Carvalho gegen Portugal, Beschwerde Nr. 9208/80, D.R. 26 (1982), S. 262, 265, § 7 und X gegen Schweiz, Beschwerde Nr. 8778/79, D.R. 20 (1980), S. 240, 245 f., § 2. Ebenso Michele Borrelli gegen Schweiz, Beschwerde Nr. 17571/90, D.R. 75 (1993), S. 139, 151, § 1. Hier war im Gegensatz zum Fall Eggs der „auditeur en chef“ als letzte Beschwerdeinstanz durch ein Militärgericht ersetzt worden, welches von der Kommission nunmehr an Art. 5 Abs. 1 gemessen wird. Im Fall Manuel Rosa Recuerda gegen Spanien, Beschwerde Nr. 16615/90, D.R. 72 (1992), S. 228 war die Prüfung der Vereinbarkeit disziplinarischer Maßnahmen im Rahmen der Streitkräfte wegen eines Vorbehalts Spaniens ausgeschlossen.
Siehe EKMR, Engel u. a. gegen Niederlande, Ser. A Nr. 22.
Unabhängigkeit und Unparteilichkeit
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In den 90er Jahren gelangte dann erstmals eine Reihe von Beschwerden an den Gerichtshof, die eine eingehende Auseinandersetzung mit der Unabhängigkeit von Militärgerichten erforderlich machten. Dem lagen zwei sehr unterschiedliche Fallkonstellationen zugrunde. Die sogenannten „britischen Fälle“ (zweite Gruppe), angefangen mit Findlay gegen Vereinigtes Königreich, setzten sich mit der dominierenden Rolle des Gerichtsherrn (convening officer) auseinander, von der im vorherigen Kapitel bereits die Rede war. Die dritte Gruppe, die sogenannten „türkischen Fälle“, betrafen jeweils Zivilpersonen, die sich vor einem Staatssicherheitsgericht zu verantworten hatten. Diese Staatssicherheitsgerichte waren keine Militärgerichte im engeren Sinne. Es handelte sich vielmehr um Gerichte mit Zuständigkeit für Staatsschutzdelikte, die aus zwei zivilen und einem Militärrichter bestanden. Trotz dieser Sonderheiten werden die Staatssicherheitsgerichte entsprechend dem in der Einleitung beschriebenen weiten Militärgerichtsbegriff im folgenden als Militärgerichte behandelt. Das erscheint insbesondere deswegen angemessen, weil sich die Beschwerden stets auf den militärischen Richter bezogen und die Staatssicherheitsgerichte darüber hinaus im Hinblick auf die ihnen übertragenen Aufgaben den Typen von Militärgerichten entsprechen, mit denen sich die interamerikanischen Organe und der UN-Menschenrechtsausschuß zu befassen hatten. Ihre Behandlung ist deshalb sinnvoll, um Parallelen und Unterschiede der Systeme herauszuarbeiten.
1. Frühe Fälle Kennzeichnend für die „frühen Fälle“ ist, wie bereits erwähnt, daß die Militärgerichte stets über Militärangehörige in Ansehung ihres militärischen Dienstes urteilten. Es handelt sich also um die klassische Konstellation eines Militärgerichts, welches für die Aufrechterhaltung von Disziplin und Ordnung innerhalb der Streitkräfte zuständig ist. Die Kommission bzw. der Gerichtshof untersuchen die Unabhängigkeit der Gerichte – auf die Unparteilichkeit wird hier gar nicht eingegangen – anhand des obengenannten Kanons: Art und Weise der Ernennung der Richter, Dauer ihrer Amtszeit, sowie Unab- und Unversetzbarkeit der Richter. Wichtig für den Fortgang der Untersuchung ist es, die Bewertung bzw. die Problematisierung der einzelnen Merkmale im Gedächtnis zu behalten.
Siehe dazu in Kap. 2, B.I.2.
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3. Kapitel
a. Darstellung der Fälle In der Beschwerde Dupuis hatte sich ein belgischer Kriegsdienstverweigerer vor einem Militärgericht zu verantworten. Der Beschwerdeführer machte geltend, aufgrund seiner Zusammensetzung, seiner Verfahrensregeln und seines Ausnahmecharakters entspreche das Militärgericht nicht den Garantien der Unabhängigkeit und der Unparteilichkeit. Die militärischen Richter würden zwar in den Richterstand berufen. Sie seien jedoch abhängig von der Exekutive, da sie die richterliche Funktion jeweils nur für einen Monat ausübten und sich infolgedessen dem militärischen Milieu kaum entziehen könnten. Des weiteren argumentierte der Beschwerdeführer, er hege in seinem Fall berechtigte Zweifel an der Unparteilichkeit des Militärgerichts, weil er als Kriegsdienstverweigerer die Politik der nationalen Verteidigung in Frage stelle. Die Kommission verneinte einen Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 EMRK. Sie entschied, die Garantie der richterlichen Unabhängigkeit verlange nicht notwendig die Ernennung auf Lebenszeit oder die Unabsetzbarkeit. Wichtig sei, daß der Richter während der Ausübung seines Richterdienstes keinerlei Weisung unterliege. Im vorliegenden Fall seien die militärischen Mitglieder der Militärgerichte während der Dauer ihrer Amtszeit unabsetzbar gewesen. Darüber hinaus seien sie als Richter niemandem Rechenschaft über ihre Tätigkeit schuldig, selbst wenn sie als Angehörige der Streitkräfte grundsätzlich den Weisungen ihrer hierarchisch Vorgesetzten unterlägen. Ihre Unabhängigkeit sei weiterhin auch dadurch geschützt, daß die Einzelvoten aus der Entscheidung des Kollegiums nicht erkennbar seien.
Vgl. EKMR, Dupuis gegen Belgien, Beschwerde Nr. 12717/87, D.R. 57 (1988), S. 196, 201.
Vgl. EKMR, Dupuis gegen Belgien, Beschwerde Nr. 12717/87, D.R. 57 (1988), S. 196, 202.
Unabhängigkeit und Unparteilichkeit
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In der Beschwerde Sutter gegen Schweiz machte der Beschwerdeführer, gegen den ein militärstrafgerichtliches Verfahren durchgeführt wurde, geltend, das Gericht sei nicht unabhängig, weil die in erster Instanz zuständigen Divisionsgerichte (Tribunaux de Division) aus Militärangehörigen im aktiven Dienst bestünden, die von der Regierung auf Vorschlag des „auditeur en chef“ ernannt würden. Der Vorsitzende werde sogar unmittelbar vom „auditeur“ bestimmt . Die Kommission argumentiert wie im Fall Dupuis. Der Umstand, daß die Richter von der Regierung für eine Dauer von drei Jahren ernannt werden, beeinträchtige die Unabhängigkeit nicht. Diese verlange nicht notwendig die Er-
EKMR, Peter Sutter gegen Schweiz, Beschwerde Nr. 8209/78, D.R. 16 (1979), S. 166 ff. In drei weiteren Fällen, in denen es an einer für die Anwendbarkeit des Art. 6 erforderlichen strafrechtlichen Anklage fehlte, machte die Kommission im Rahmen der Prüfung des Vorliegens eines „zuständigen Gerichts“ im Sinne des Art. 5 Abs. 1 Ausführungen zur Unabhängigkeit nach den für Art. 6 geltenden Kriterien. In den Fällen Eggs (Eggs gegen Schweiz, Beschwerde Nr. 7341/76, D.R. 15, S. 35 ff.) und Santschi (Santschi u. a. gegen Schweiz, Beschwerden Nr. 7468/76, 7938/77, 8018/77, 8106/77, 8325/78 und 8778/79, D.R. 31, S. 5 ff.) war der „auditeur en chef“ nach Schweizer Recht letztinstanzlich für die Prüfung von Beschwerden gegen Disziplinarentscheidungen zuständig. Er war zwar von der Regierung ernannt und einem Ministerium unmittelbar untergeordnet (§ 67), das Schweizer Recht sah jedoch – was die Ausübung der Tätigkeit anlangt – die Unabhängigkeit der Militärjustiz vor (§ 68). Die Kommission führt aus: „Il n’y a pas lieu de suspecter et il n’a pas été allégué que, pour le traitement de tel ou tel cas particulier, l’auditeur en chef reçoive du Département militaire fédéral, des conseils ou instructions. Sans doute l’auditeur en chef, fonctionnaire soumis au statut général, peut-il être aisément muté par décision administrative, dans l’intérêt du service, et donc, le cas échéant, dans l’intérêt d’une mise en œuvre plus ou moins énergique des dispositions relatives à la discipline militaire. Mais il s’agit là d’une possibilité très théorique et peu déterminante en l’espèce.“ Im Fall Borrelli hatte sich die rechtliche Situation des schweizerischen Militärdisziplinarrechts insoweit geändert, als an die Stelle des „auditeur en chef“ ein Militärgericht getreten war. Die Gesetzesänderung war Folge der Feststellung der Konventionsverletzung in den Fällen Santschi u. a. und Eggs. Im Fall Borrelli (Michele Borrelli gegen Schweiz, Beschwerde Nr. 17571/90, D.R. 75 (1993), S. 139 ff.) erklärt die Kommission, daß die Verfahrensgarantien des Art. 5 Abs. 1 nicht notwendig den in Art. 6 Abs. 1 gewährten entsprechen müssen, ohne dies näher auszuführen.
Vgl. Peter Sutter gegen Schweiz, Beschwerde Nr. 8209/78, D.R. 16 (1979), S. 166, 168, § 1.
3. Kapitel
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nennung auf Lebenszeit, ebensowenig die Unabsetzbarkeit. Für wesentlich erachtete die Kommission – ähnlich wie bereits im Fall Dupuis – demgegenüber das Folgende: Ce qui est essentiel, c’est qu’il (sc. le juge) jouisse d’une certaine stabilité, fût-ce pour une période déterminée, et qu’il ne soit soumis, dans l’exercice de ses fonctions de juge, à aucune autorité. Or, rien n’indique que les juges ainsi nommés puissent être révoqués. Par ailleurs, même si, en tant que militaires, ils sont soumis à l’autorité de leurs supérieurs hiérarchiques dans leurs corps respectifs, lorsqu’ils siègent comme juges, ces officiers et soldats n’ont de compte à rendre à personne en ce qui concerne leur manière d’administrer la Justice. Garantie en termes généraux par l’article 183 ter de la Loi du 12 avril 1907 sur l’organisation militaire de la Confédération, leur indépendance se trouve encore protégée par le secret du délibéré. Zur vom Beschwerdeführer eingewandten Bestimmung des vorsitzenden Richters erklärte die Kommission, es habe sich ausschließlich um die Benennung des dafür vorgesehenen Ersatzrichters gehandelt. Gegenstand des Verfahrens im Fall Engel u. a. gegen Niederlande, dem letzten hier darzustellenden Fall, war die Zusammensetzung des in disziplinarischen Angelegenheiten letztinstanzlich zuständigen Obersten Militärgerichtshofs. Hier geht der Gerichtshof ohne weiteres davon aus, daß es sich bei dem Militärgerichtshof um ein unabhängiges und unpar-
Die Kommission führt aus: „Ces juges sont nommés pour trois ans par le Conseil fédéral, c’est-à-dire le Gouvernement. Cette procédure de nomination ne saurait, en elle-même, affecter l’indépendance du tribunal. L’indépendance d’un juge n’implique pas nécessairement en effet qu’il soit nommé à vie ni qu’il soit inamovible en droit, c’est-à-dire qu’il ne puisse recevoir de nouvelle affectation sans son consentement.“, Peter Sutter gegen Schweiz, Beschwerde Nr. 8209/78, D.R. 16 (1979), S. 166, 169, § 2 (Verweise weggelassen).
Vgl. Peter Sutter gegen Schweiz, Beschwerde Nr. 8209/78, D.R. 16 (1979), S. 166, 169, § 2.
Wörtlich heißt es: „Il est vrai que, dans la présente affaire, le grand juge a été désigné par l’auditeur en chef qui exerce par ailleurs à l’égard de cet officier de la justice militaire un pouvoir hiérarchique. Il s’agissait toutefois uniquement de remplacer le grand juge titulaire, qui avait déjà traité le dossier du réquérant à un autre titre, par son suppléant, régulièrement affecté au même Tribunal de Division par le Conseil Fédéral.“, Peter Sutter gegen Schweiz, Beschwerde Nr. 8209/78, D.R. 16 (1979), S. 166, 169 f., § 2.
Unabhängigkeit und Unparteilichkeit
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teiisches Gericht im Sinne des Art. 6 Abs. 1 handelt. Der Oberste Militärgerichtshof bestand aus sechs Mitgliedern, zwei zivilen und vier militärischen. Die zivilen Mitglieder mußten Richter des Obersten Gerichtshofs (Hooge Raad) oder des Rechtsmittelgerichts (Gerechtshof) sein. Sie wurden vom König auf gemeinsamen Vorschlag des Justiz- und des Verteidigungsministers ernannt. Ihre Amtszeit und die Gründe der Abberufung richteten sich nach den allgemeinen Vorschriften. Die militärischen Mitglieder des Gerichts wurden nach dem gleichen Verfahren ernannt wie die beteiligten zivilen Richter. Sie sind der Militärverwaltung keine Rechenschaft schuldig. Darüber hinaus ist das Amt des Militärrichters nach Auskunft der Regierung meist das letzte der militärischen Karriere.
b. Bewertung im Lichte hergebrachter Rechtsprechung Die dargestellten Beschwerden bestätigen zunächst, daß die Zusammensetzung von Gerichten aus hauptberuflichen zivilen und militärischen Richtern keinen grundsätzlichen Bedenken unterliegt. Dies entspricht der Spruchpraxis von Gerichtshof und Kommission zur allgemeinen Beteiligung von Laienrichtern. Nach ständiger Rechtsprechung sind „gemischte“ Gerichte nicht per se verboten, sie geben jedoch regelmäßig Anlaß zu einer intensiveren Nachprüfung des Vorliegens von Unabhängigkeit und Unparteilichkeit. Was diese Nachprüfung anbelangt, so greifen die hier dargestellten Entscheidungen auf die in den allgemeinen Erwägungen angesprochenen klassischen Kriterien zurück: die Art und Weise der Ernennung, die
Vgl. EGMR, Engel u. a. gegen Niederlande, Ser. A Nr. 22, S. 37, § 89. Die vom Gerichtshof letztlich festgestellte Verletzung des Art. 6 Abs. 1 kam dadurch zustande, daß der Oberste Militärgerichtshof in disziplinarischen Fällen nicht in öffentlicher Sitzung tagte.
Vgl. EGMR, Engel u. a. gegen Niederlande, Ser. A Nr. 22, S. 13, § 30.
Siehe dazu zum Beispiel EGMR, Langborger gegen Schweden, Ser. A Nr. 155, § 115 ff. Im Fall Langborger ergaben sich aus Sicht des Gerichtshofs berechtigte Zweifel des Beschwerdeführers an der Unabhängigkeit von Laienrichtern, weil diese Vertreter zweier Interessengemeinschaften waren, einer der Mietervereinigung und einer der Hauseigentümervereinigung. Diese Laienrichter hatten über die Klage des Beschwerdeführers mitzuentscheiden, mit der dieser Änderung seines Mietvertrages anstrebte, weil dieser eine von ihm nicht gebilligte Klausel enthielt, wonach Mietzinserhöhungen von einer Vereinbarung zwischen den in Frage stehenden Interessenvertretungen abhingen.
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3. Kapitel
Dauer der Amtszeit, die Unabsetzbarkeit sowie den Schutz gegen Beeinflussungen von außen. In der Anwendung dieser Kriterien bewegt sich die Kommission weitgehend im Rahmen der für „nichtmilitärische Fälle“ geltenden Rechtsprechung. Festhalten läßt sich folgendes: Die Ernennung von Richtern durch die Exekutive beeinträchtigt für sich genommen die Unabhängigkeit nicht, solange der Richter in der Ausübung seines Amtes nicht mehr von dem ernennenden Organ abhängt. Dieser Grundsatz wird von den Straßburger Organen allgemein vertreten. Er beruht wesentlich auf dem Umstand, daß sich die Ernennungsverfahren für Richter in den Vertragsstaaten weitgehend unterscheiden. Im Auge zu behalten ist er für die später darzustellenden türkischen Verfahren. Im Hinblick auf die Dauer der Amtszeit zeigt sich die Kommission in der Beschwerde Dupuis extrem großzügig. Zwar entspricht es der ständigen Rechtsprechung, daß Richter nicht auf Lebenszeit ernannt sein müssen. Kurze Amtszeiten können insbesondere dann berechtigt sein, wenn Vertreter bestimmter Berufsgruppen wegen ihrer besonderen Sachkunde in Entscheidungsgremien berufen werden. Die Amtszeit von einem Monat dürfte indes dem von der Kommission in Sutter aufgestellten Erfordernis einer „gewissen Stabilität“ nicht genügen. Dies gilt um so mehr in Militärgerichtsverfahren. Sofern sich Militärrichter im aktiven Dienst befinden, sind sie militärisch in ein besonderes hierarchisches Gefüge eingebunden. Kehren sie bereits nach kurzer Zeit wieder in das normale Militärleben zurück, mögen sie verlockt sein – wie Dupuis dies in seiner Beschwerde vorträgt – Einflüssen von außen zu entsprechen, und sei es um eines ungetrübten Zusammenlebens in der Truppe willen. Aus diesem Grund ist im militärgerichtlichen Bereich die Dauer der Amtszeit besonders wesentlich, sofern nicht die mi
So auch P. Rädler, siehe Fußnote 116, S. 727, 740; Frowein/Peukert, EMRK-Kommentar, Art. 6, Rz. 125; EGMR, Campbell und Fell gegen Vereinigtes Königreich, Ser. A Nr. 80, § 79; Sramek gegen Österreich, Ser. A Nr. 84, § 38.
Siehe dazu Frowein/Peukert, EMRK-Kommentar, Art. 6, Rz. 126.
Beispiele für die verschiedenen Verfahrensarten bei P. Rädler, siehe Fußnote 116, S. 727, 739 m. N.
Siehe dazu Frowein/Peukert, EMRK-Kommentar, Art. 6, Rz. 126.
Vgl. EGMR, Sramek gegen Österreich, Ser. A Nr. 84, §§ 24 und 39. Siehe auch Frowein/Peukert, EMRK-Kommentar, Art. 6, Rz. 126 mit Verweis auf die Beschwerde Sramek in Fußnote 533.
Unabhängigkeit und Unparteilichkeit
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litärischen Richter ausgebildete Militärrichter sind, die nach Ablauf der Amtszeit in die „Rechtsabteilung“ zurückkehren, sondern Laien. Die Besonderheiten militärischen Lebens hat die Kommission im Fall Dupuis nur unzureichend gewürdigt. Das zeigt sich auch in der strikten Trennung, welche sie in den Entscheidungen Dupuis und Sutter zwischen der Weisungsgebundenheit im militärischen und der Weisungsfreiheit im richterlichen Bereich trifft. Gerade in der Beschwerde Dupuis lag es nahe zu fragen, inwiefern die militärische Weisungsbindung in Ansehung der extrem kurzen Amtszeit faktisch in die richterliche Tätigkeit hineinwirkt. Die rein rechtlich fixierte, schematische Argumentation entspricht nicht dem Eindruck, den ein objektiver Beobachter in der Position des Angeklagten gewinnt.
2. Britische Fälle Wie einleitend erwähnt, betreffen die britischen Fälle allesamt das Gerichtsherrnsystem, die insbesondere früher verbreitete Organisationsform der Militärgerichtsbarkeit. Eines der bedenklichen Charakteristika dieses Systems wurde oben im Zusammenhang mit dem Gerichtsbegriff bereits aufgegriffen, der Umstand nämlich, daß der Gerichtsherr die Urteile des “court-martial” bestätigen muß, damit diese Wirksamkeit erlangen. Die zentrale Rolle des Gerichtsherrn stellt einen Sonderfall innerhalb der Entscheidungen zu Strafverfahren vor Militärgerichten dar. Im Hinblick auf die anzuwendenden Kriterien handelt es sich jedoch, wie zu zeigen sein wird, um klassische Probleme, vor allem der Unabhängigkeit.
a. Darstellung der Fälle Bei den britischen Fällen handelt es sich um die Beschwerden Findlay, Coyne, Hood, Smith und Ford sowie Moore und Gor-
EGMR, Findlay gegen Vereinigtes Königreich, RJD Nr. 30 (1997-I), S. 263.
EGMR, Coyne gegen Vereinigtes Königreich, RJD Nr. 49 (1997-V), S. 1842.
EGMR, Hood gegen Vereinigtes Königreich, [GC], RJD 1999-I, Beschwerde Nr. 27267/95, S. 465.
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3. Kapitel
don. Ein “court-martial”, wie er diesen Fällen zugrunde lag, war ein Strafverfahren vor einem für den Einzelfall einberufenen Militärgericht. Die Organisation des Verfahrens lag dabei in der Hand des “convening officer”, des Gerichtsherrn. Er berief das Gericht ein und behielt während der Dauer des Verfahrens das Recht, es wieder aufzulösen. Der Gerichtsherr fertigte die Anklage und entschied über die Art des Militärgerichtsverfahrens. Er hatte das Recht, die Mitglieder des Gerichts zu benennen, wobei sämtliche Richter, von denen keiner eine juristische Ausbildung besaß, der Befehlsgewalt des Gerichtsherrn unterstanden und ihm im Rang nachgeordnet waren. Neben der Berufung der Richter hatte der Gerichtsherr weiter das Recht, die militärischen Vertreter der Anklage zu benennen, die ohne seine Zustimmung nicht befugt waren, Anklagepunkte fallenzulassen oder aber minder schwere Delikte anzuklagen. Der Gerichtsherr war darüber hinaus verantwortlich dafür, Sorge zu tragen, daß der Angeklagte ausreichende Möglichkeit zur Vorbereitung seiner Verteidigung erhielt. Dazu gehörte beispielsweise, daß der Gerichtsherr die Zeugen der Verteidigung lud, soweit er diese für erforderlich (reasonably requested) erachtete. Auch die Benennung eines “judge advocate”, eines zivilen, erfahrenen Barristers als Berater in Rechtsfragen und als Aufsicht über den ordnungsgemä-
EGMR, Smith und Ford gegen Vereinigtes Königreich, Beschwerden Nrn. 37475/97 und 39036/97, Urteil vom 29. September 1999, veröffentlicht unter: .
EGMR, Moore und Gordon gegen Vereinigtes Königreich, Beschwerden Nrn. 36529/97 und 37393/97, Urteil vom 29. September 1999, veröffentlicht unter: . In den Urteilen Smith und Ford sowie Moore und Gordon verweist der Gerichtshof ausdrücklich auf seine Entscheidung Findlay, insbesondere was die Rolle des convening officer angeht. Er macht deutlich, daß es sich um “organisational defects” handelt, deren Fehlen nicht durch eine zweite Instanz geheilt werden könne (jeweils § 22 des Urteils).
Der Rechtsprechung nach spielt es – was die Rolle des convening officer anlangt – keine Rolle, ob ein general (Findlay) oder ein district (Coyne) courtmartial vorliegt.
Er berief den Vorsitzenden des Militärgerichts namentlich, die weiteren Mitglieder entweder namentlich oder aber er delegierte deren Benennung.
Im Fall Findlay waren sowohl der Vertreter der Anklage als auch der Verteidiger Angehörige der Second Scots Guards – des Regiments, dem der Angeklagte angehörte – und unterstanden beide der Befehlsgewalt des Gerichtsherrn, EGMR, Findlay gegen Vereinigtes Königreich, RJD Nr. 30 (1997-I), S. 263, 282 § 75.
Unabhängigkeit und Unparteilichkeit
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ßen prozessualen Ablauf des Verfahrens, war Aufgabe des Gerichtsherrn. Plädierte der Angeklagte auf nicht schuldig, verlief der Prozeß nach den Regeln des gemeinen Strafprozesses. Die Entscheidung über die Schuld trafen die Mitglieder des Spruchkörpers in Abwesenheit, die Entscheidung über das Strafmaß in Anwesenheit des “judge advocate”. Beide Entscheidungen bedurften, um Wirksamkeit zu erlangen, der Bestätigung des Gerichtsherren oder eines diesem übergeordneten Militärangehörigen. Dabei konnte der Gerichtsherr, der seine Entscheidung nicht öffentlich traf, den Spruch des Gerichts nach Belieben ändern. Vor dem Hintergrund dieser Verfahrensgestaltung machten die Beschwerdeführer geltend, wegen der zentralen Rolle des Gerichtsherrn seien dieser Art “court-martials” unvereinbar mit den Grundsätzen der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit. Entsprechend prüft der Gerichtshof, ob die Mitglieder des Gerichts in ausreichendem Maße unabhängig vom Gerichtsherrn waren und ob die Organisation des Verfahrens angemessene Garantien der Unparteilichkeit vorsah. Weil also das Vorliegen beider Garantien von denselben faktischen Voraussetzungen abhing, prüfte der Gerichtshof die Merkmale gemeinsam. Er referiert seine ständige Rechtsprechung zur Bestimmung von Unabhängigkeit und Unparteilichkeit eines Gerichts. Dann nennt er die mit
Eine detailliertere Beschreibung gibt R. Beddard, siehe Fußnote 72, HR/49 (S. 53 f.).
Vgl. EGMR, Findlay gegen Vereinigtes Königreich, RJD Nr. 30 (1997-I), S. 263, 282 § 75.
Die Kommission, die gleichsam verfährt, führt zur Begründung an, zwischen Unabhängigkeit und objektiver Unparteilichkeit bestehe in bestimmten Fällen ein Zusammenhang. Dies sei hier der Fall, wo es um “the structure and internal organisation of the court-martial system” gehe. So zum Beispiel EKMR, Findlay gegen Vereinigtes Königreich, RJD Nr. 30 (1997-I), S. 287, 291 §§ 92, 93.
Vgl. EGMR, Findlay gegen Vereinigtes Königreich, RJD Nr. 30 (1997-I), S. 263, 281 § 73. Anders als der Gerichtshof betont die Kommission, daß bei der Prüfung der Unabhängigkeit insbesondere die Unabhängigkeit von den Parteien zu würdigen sei. Als Merkmale nennt die Kommission jedoch wie der Gerichtshof die Art und Weise der Ernennung, die Amtszeit, den gegen mögliche Einflußnahmen von außen gebotenen Schutz und den Anschein der Unabhängigkeit, EKMR, Findlay gegen Vereinigtes Königreich, RJD Nr. 30 (1997-I), S. 287, 291 § 94.
Vgl. EGMR, Findlay gegen Vereinigtes Königreich, RJD Nr. 30 (1997-I), S. 263, 281 § 73. Beim objektiven Test verwendet die Kommission nicht die demokratische Gesellschaft als Anknüpfungspunkt, sondern “the confidence
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3. Kapitel
der zentralen Rolle des Gerichtsherrn zusammenhängenden Umstände, aus denen sich die Unvereinbarkeit des Gerichtsherrnsystems mit Art. 6 Abs. 1 ergibt: die Tatsache, daß die Richter sämtlich der Befehlsgewalt des Gerichtsherrn unterstehen; die Befugnis, das von ihm eingesetzte Militärgericht aufzulösen; die Notwendigkeit, das Urteil durch Bestätigung des Richterspruchs in Kraft zu setzen; der Umstand, daß die bestehenden Schwächen nicht durch Schutzvorkehrungen ausgeglichen werden. So sei die Rolle des “judge advocate” sehr schwach und der von den Mitgliedern des Gerichts geleistete Eid auf die Unabhängigkeit keine ausreichende Sicherheit; schließlich der Anschein der Abhängigkeit und Parteilichkeit des Gerichts, der sich aus dem Umstand ergibt, daß die Richter
which the court must inspire in the accused in criminal proceedings.”, siehe beispielsweise EKMR, Findlay gegen Vereinigtes Königreich, RJD Nr. 30 (1997-I), S. 287, 290 § 90.
Der Gerichtshof stellt über die zentrale Rolle des Gerichtsherrn hinaus fest, daß dieser in enger Beziehung zur Anklage steht, EGMR, Findlay gegen Vereinigtes Königreich, RJD Nr. 30 (1997-I), S. 263, 282 § 74.
Vgl. EGMR, Findlay gegen Vereinigtes Königreich, RJD Nr. 30 (1997-I), S. 263, 282 § 75.
Vgl. EGMR, Findlay gegen Vereinigtes Königreich, RJD Nr. 30 (1997-I), S. 263, 282 § 77. Siehe auch in Kap. 2, B.I.2.
Vgl. EGMR, Findlay gegen Vereinigtes Königreich, RJD Nr. 30 (1997-I), S. 263, 282 § 78. Ebenso auch EKMR, Findlay gegen Vereinigtes Königreich, RJD Nr. 30 (1997-I), S. 287, 293 §§ 103, 105. Die Regierung hatte unter anderem den Umstand der Einsetzung ad-hoc als Schutzvorkehrung gegen Beeinflussung von außen gepriesen, weil die Richter kein Interesse an der Verlängerung ihrer Amtszeit hätten (S. 289 § 85). Dem hielt die Kommission jedoch die ständige Rechtsprechung der Straßburger Organe entgegen, daß die Gewährleistung einer bestimmten Amtszeit ein wichtiges Element der Unabhängigkeit ist (S. 293 § 105).
Unabhängigkeit und Unparteilichkeit
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sämtlich der Befehlsgewalt des Gerichtsherrn unterstanden und ihm im Rang untergeordnet waren. Im Anschluß an die Urteile Findlay und Coyne änderte das Vereinigte Königreich seine Militärstrafgerichtsbarkeit. Der Armed Forces Act von 1996 schafft den Gerichtsherrn ab und verteilt dessen Kompetenzen auf andere Organe. Doch, wie ein jüngst am 26. Februar 2002 ergangenes Urteil zeigt, reichen diese Änderungen nicht. In Morris gegen Vereinigtes Königreich stellte der Gerichtshof eine Verletzung des Art. 6 Abs. 1 fest, weil die militärischen Beisitzer nicht ausreichend gegen Einflüsse von außen geschützt seien.
b. Bewertung Die Bewertung der „britischen Fälle“ seitens der Straßburger Organe ist eindeutig und generalisierbar: das für Militärgerichte jedenfalls in früheren Tagen verbreitete Gerichtsherrnsystem ist mit Art. 6 Abs. 1 EMRK in dieser Form unvereinbar. Das ist nicht weiter verwunderlich, hatte das Gerichtsherrnsystem doch gar nicht den Anspruch neutraler Dritter zu sein. Greift man noch einmal auf das Beispiel Preußens zurück, läßt sich dies an einem Auszug aus dem Handbuch des Militärrechts illustrieren. Dort heißt es bezogen auf die juristisch geschulten Militärrichter, die nicht wie die militärischen Beteiligten der Befehlsgewalt des Gerichtsherrn unterstanden und deswegen grundsätzlich mehr Freiheit als diese genossen: „Gleichmäßige und stete Überzeugungen, wie sie das Heer beherrschen, müssen hier äußere Garantien ersetzen. Die juristischen Mitglieder des erkennenden Gerichts können ein anderes Mal Untersuchungsführer oder Vertreter der Anklage sein und leben sich schon durch die regelmäßigen Vorträge beim Gerichtsherrn mehr oder we-
Vgl. EGMR, Findlay gegen Vereinigtes Königreich, RJD Nr. 30 (1997-I), S. 263, 282 § 76. Ebenso EKMR, Findlay gegen Vereinigtes Königreich, RJD Nr. 30 (1997-I), S. 287, 292 § 100.
Zu Merkmalen des Armed Forces Act siehe R. Beddard, siehe Fußnote 72, HR/49, S. 58 f.
Vgl. EGMR, Morris gegen Vereinigtes Königreich, Beschwerde Nr. 38784/97, Pressemitteilung 106, S. 3.
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niger in dessen Anschauungen ein. Alles dies liegt ganz im Sinne des Untersuchungsverfahrens.“ In den hier interessierenden britischen Fällen ist die Prüfung stark von den Besonderheiten des Gerichtsherrnsystems geprägt. Sie ist jedoch in ihren Grundsätzen der Straßburger Rechtsprechung nicht neu. Im folgenden werden die obengenannten entscheidungserheblichen Gründe der Reihe nach, vor allem vor dem Hintergrund hergebrachter Rechtsprechung, bewertet.
aa. Hierarchie Der Gerichtshof kritisiert, daß die Richter der Befehlsgewalt des Gerichtsherrn unterstehen. Die Kritik betrifft nicht das Richterverhältnis selbst. Er macht nicht geltend, die militärischen Richter seien als solche Weisungen des Gerichtsherrn unterworfen. Es geht vielmehr darum, daß sie außergerichtlich der Befehlsgewalt desjenigen unterstehen, der die Oberhoheit über das Verfahren in den Händen hält. Das Einwirken der Über- bzw. Unterordnung von Verfahrensbeteiligten ist den Straßburger Organen aus zwei gegen Österreich gerichteten Beschwerden bekannt. Im Fall Ettl u. a. gegen Österreich waren fünf dem Obersten Agrarsenat als Laienrichter angehörende Beamte des Bundeslandwirtschaftsministeriums dem vorsitzenden Richter – der ebenfalls Beamter war – in ihrer außergerichtlichen Tätigkeit dienstlich untergeben. Die Kommission führt dazu aus: “The independence of the tribunal can be even more doubted if all these civil servants belong to the same administration, or even the same administrative unit, making it likely that they will adopt the same views already for this reason. It is unacceptable that a relationship of hierarchical subordination should exist between the individual members of a tribunal. Even if it is limited to matters outside the competence of this tribunal, it cannot be excluded that the hier-
H. Dietz (Hrsg.), siehe Fußnote 22, Stichwort „Verfahren, militärgerichtliches“, S. 796 (798).
Siehe auch EKMR, Mitap und Müftüoglu gegen Türkei, RJD Nr. 6 (1996-II), S. 415, 425, § 106.
EKMR, Ettl u. a. gegen Österreich, Ser. A Nr. 117, §§ 21 ff. Vgl. EGMR, Ettl u. a. gegen Österreich, Ser. A Nr. 117, S. 18, § 36.
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archical structure will influence also the behaviour within the tribunal.” Die Kommission stellt hier eine Verletzung der Unabhängigkeit fest, nicht nur deren Anscheins. Zwar ist der Gerichtsherr in den „britischen Fällen“, anders als in Ettl u. a., formal nicht Mitglied des Spruchkörpers. Er ist jedoch dem Gericht eher zuzuordnen als anderen Verfahrensbeteiligten. Dies vor allem deshalb, weil er den Urteilsspruch bestätigt und damit de facto selbst die Richterrolle einnimmt. Anders, weil die Über-/Unterordnung nicht innerhalb des Gerichts, sondern zwischen Verfahrensbeteiligten bestand, war die Situation in Sramek gegen Österreich. Dort war einer der Laienrichter der Landesgrundverkehrsbehörde, die Gericht im Sinne des Art. 6 war, in seiner außergerichtlichen Tätigkeit Dienstuntergebener des Verfahrensvertreters des berufungsführenden Bundeslandes. Es handelte sich also um einen Fall der Befangenheit, wenn auch der Gerichtshof die Frage unter dem Vorzeichen der Unabhängigkeit prüfte. Er entschied, es gebe zwar keine Anhaltspunkte dafür, daß tatsächlich eine Einflußnahme stattgefunden habe, jedoch könnten in einem solchen Fall die Beteiligten objektiv gerechtfertigte Zweifel an der Unabhängigkeit dieser Person hegen, so daß das Gericht nicht mehr das in einer demokratischen Gesellschaft erforderliche Vertrauen einflöße.
bb. Auflösbarkeit des Gerichts Weiter kritisiert der Gerichtshof die Befugnis des Gerichtsherrn, das von ihm eingesetzte Gericht während der Dauer von dessen Tätigkeit aufzulösen. Auch diese Konstellation ist der EMRK-Rechtsprechung nicht völlig neu. Die Beschwerde Bryan gegen Vereinigtes Königreich betraf eine Abrißverfügung, die der Beschwerdeführer wegen des Vorwurfs illegalen Bauens erhalten hatte. Der für Rechtsbehelfe gegen solche Bescheide zuständige “planning inspector” gehörte der Verwaltung an und wurde vom “Secretary of State” ernannt, der diesen während
EKMR, Ettl u. a. gegen Österreich, Ser. A Nr. 117, S. 21, 28 § 99 (Hervorhebung von der Verfasserin).
Vgl. EGMR, Sramek gegen Österreich, Ser. A Nr. 84. Der Fall Sramek betraf kein Strafverfahren, sondern die Variante “civil rights and obligations”.
Vgl. EGMR, Sramek gegen Österreich, Ser. A Nr. 84, S. 19 § 41. Vgl. EGMR, Sramek gegen Österreich, Ser. A Nr. 84, S. 20 §§ 41, 42.
3. Kapitel
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des Verfahrens grundsätzlich auch wieder abberufen konnte. Der Gerichtshof entschied, allein die Möglichkeit der Abberufung stehe dem Grundsatz der Unabhängigkeit entgegen, selbst wenn der “Secretary of State” von seinem Recht in der Praxis nur selten Gebrauch mache.
cc. Schutzvorkehrungen Das leitet über zur Rolle der Schutzvorkehrungen. Deren Prüfung ist insofern bemerkenswert, als sie sinnvoller Weise voraussetzt, daß die festgestellten Schwächen grundsätzlich heilbar sind. Geht man davon aus, daß das Bestätigungserfordernis sogar die Gerichtsqualität des Spruchkörpers in Frage stellt, ist die Heilbarkeit ausgeschlossen. Entsprechend hat der Gerichtshof auch in van Hurk Schutzvorkehrungen nicht erwogen. Gleiches gilt für das Problem der Hierarchie. Der Verstoß gegen die Unabhängigkeit hängt davon ab, daß eine Identifizierung der Richter mit dem Willen des Gerichtsherrn nicht ausgeschlossen werden kann. Weder der Eid noch die Rolle des “judge advocate” vermögen daran etwas zu ändern. Das gilt um so mehr, als das Gericht keinerlei Stabilität genießt. Insgesamt kann die Prüfung der Schutzvorkehrungen nur als Abrundung der Feststellungen verstanden werden und nicht als ernsthafter „Rettungsversuch“ des Gerichtsherrnsystems. Die Rolle des “judge advocate” betrifft eigentlich ein anderes Problem: die Notwendigkeit juristischer Vorbildung von Mitgliedern des Gerichts. Anders als in den „frühen Fällen“ besaß kein Mitglied des Spruchkörpers juristische Vorbildung. Dabei betrafen beispielsweise die Anklagen in Findlay und Coyne durchaus schwerwiegende Delikte, und also den Kernbereich der „strafrechtlichen Anklage“. Die Kommission äußerte sich im Verfahren Findlay zu dem Problem. Sie führte aus: “The Government argue that the absence of a civilian judicial member does not of itself cast doubt on the independence of the court martial and refer to the Engel and Others v. the Netherlands judgment of 8 June 1976 where the Netherlands Supreme Military Court was considered by the Court to constitute an independent tribunal. However, the Commission recalls that in the Engel case the tribunal in question had to include as members two civilian jurists who were
Vgl. EGMR, Bryan gegen Vereinigtes Königreich, Ser. A Nr. 335-A, S. 15 f., § 38. Letztlich stellte der Gerichtshof keine Verletzung des Art. 6 Abs. 1 fest, weil der High Court als nächste Instanz die Anforderung der Fair TrialGarantie vollumfänglich erfüllte. Siehe S. 18 § 48 des Urteils.
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justices of the Supreme Court or the Court of Appeal and who were appointed by the Crown. By contrast the court martial in the present case contained no judicial members, no legally qualified members and no civilian members.” Die von den Straßburger Organen ansonsten begutachteten Spruchkörper sahen grundsätzlich eine Beteiligung hauptamtlicher – und also juristisch vorgebildeter Richter – vor. Viele dieser Fälle betrafen „zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen“. Was das Mehrheitserfordernis anlangt, ist die Rechtsprechung nicht ganz einheitlich. Einmal hält der Gerichtshof es für erheblich, daß die juristischen Richter die Mehrheit haben, dann wieder ist die Mehrheit der Laienrichter im Gremium unproblematisch. Das “board of visitors” in der Beschwerde Campbell und Fell bestand beispielsweise aus zwei Friedensrichtern, die nicht notwendigerweise Juristen sein mußten, sowie weiteren Laienmitgliedern. Hier monierte der Gerichtshof die Zusammensetzung nicht. Jedenfalls für den Kernbereich des Strafrechts erscheint es indes angesichts der Schwere der drohenden Grundrechtsbeeinträchtigungen höchst bedenklich, reine „Expertengerichte“ zuzulassen. Insofern darf die Begründung des Gerichtshofs, die Rolle des “judge advocate” sei zu schwach, wohl auch dahingehend verstanden werden, daß es an ausreichender juristischer Expertise fehlte.
EKMR, Findlay gegen Vereinigtes Königreich, RJD Nr. 30 (1997-I), S. 287, 293 § 104 (Verweise weggelassen).
Der Berufungsrat bestand aus zehn Ärzten (fünf Mitglieder und fünf Vertreter), die für einen Zeitraum von sechs Jahren von den Provinzialräten ernannt wurden, und zehn hauptamtlichen Richtern des Berufungsgerichts (Court of Appeal) (fünf Mitglieder und fünf Vertreter), die von der Königin ebenfalls für sechs Jahre ernannt wurden. Die hauptamtlichen Richter stellten den Vorsitzenden, der im Falle eines Patts die ausschlaggebende Stimme besitzt, und den Berichterstatter. Der Kassationshof (National Council) bestand aus zwanzig von den Provinzialräten ernannten Ärzten (zehn Mitglieder und zehn Vertreter) und 12 Ärzten, die von der Königin aus Vorschlagslisten der medizinischen Fakultäten ernannt wurden. Den Vorsitz hatte ein Richter des (Kassationshofs) Court of Cassation, EGMR, Le Compte, Van Leuven und De Meyere gegen Belgien, Ser. A Nr. 43, S. 14 §§ 26, 27.
Vgl. EGMR, Le Compte, Van Leuven und De Meyere gegen Belgien, Ser. A Nr. 43, S. 24 f. § 57.
Vgl. EGMR, Ettl u. a. gegen Österreich, Ser. A Nr. 117, S. 18 § 38.
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dd. Anschein Es bleibt der Aspekt des Anscheins. Der Gerichtshof stellt fest, daß die strukturellen Defizite nicht nur gegen die Unabhängigkeit wirken, sondern darüber hinaus den objektiven Betrachter in der Position des Angeklagten zu dem Schluß veranlassen, das Gericht sei weder unabhängig noch unparteiisch. Das verleitet zu der Frage, ob die gegen die Unabhängigkeit sprechenden Gründe nicht so eindeutig sind, daß sich ein Rückgriff auf den Anschein erübrigt. In der Tat bringt der Anschein im Hinblick auf die Unabhängigkeit bzw. hier deren Fehlen keine neuen Erkenntnisse. Was die Unparteilichkeit anbelangt, ist der Rückgriff auf den Anschein ebenfalls zweifelhafter Natur. Richtig ist, daß sich Aussagen über die „objektive Unparteilichkeit“ auf das äußere Erscheinungsbild des Gerichts beziehen können. Es kommt, um es zu wiederholen, darauf an, wie ein objektiver Beobachter in der Position des Angeklagten – also nach Laienperspektive – die Umstände beurteilen würde. Ist eine dem Gericht zurechenbare Person einem Mitglied des Spruchkörpers übergeordnet und diesem gegenüber grundsätzlich weisungsbefugt, läßt sich dies als Befangenheit verstehen, ohne daß tatsächlich eine Beeinflussung stattgefunden haben muß. Der Rückgriff auf den „Anschein“ statt auf den hergebrachten “objective test” birgt die Gefahr, daß statt der objektiven Anhaltspunkte, die gegen die Unparteilichkeit sprechen, potentielle Anschauungen des Angeklagten in den Vordergrund rücken. Wie insbesondere in den nun folgenden türkischen Fällen zu sehen sein wird, beeinträchtigt die relative Konturlosigkeit der Figur des Anscheins die Nachvollziehbarkeit der Begründung. Richter
Im Fall Belilos war der Einzelentscheider über Ordnungswidrigkeiten ein Beamter, der von der Stadtverwaltung ernannt wurde. Der Ernannte, ein Jurist des Polizeipräsidiums, war ein städtischer Beamter. Er war als Individuum in dieses Amt berufen worden und war Weisungen der Exekutive nicht unterworfen. Der Gerichtshof stellt in diesem Fall auf den Anschein ab und führt aus: “In Lausanne the member of the Police Board is a senior civil servant who is liable to return to other departamental duties. The ordinary citizen will tend to see him as a member of the police force subordinated to his superiors and loyal to his colleagues. A situation of this kind may undermine the confidence which must be inspired by the courts in a democratic society.”, EGMR, Belilos gegen Schweiz, Ser. A Nr. 132, S. 30 § 67. Im Fall Holm gegen Schweden lag ein Fall der Interessenkollision vor. Der Gerichtshof ging davon aus, daß der Beschwerdeführer wegen der politischen Zugehörigkeit der Jurymitglieder und der Verbindung zwischen dem Streitgegenstand und der Partei berechtigte Zweifel an der Unabhängigkeit des Spruchkörpers hatte, EGMR, Holm gegen Schweden, Ser. A Nr. 279-A, S. 16 § 33.
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de Meyer warnte in Findlay denn auch eindringlich davor, Entscheidungen auf der Basis des „Anscheins“ zu treffen: “Moreover, I would like to stress that, as a matter of principle, we should never decide anything on the basis of “appearances”, and that we should, in particular, not allow ourselves to be impressed by them in determining whether or not a court is independent and impartial. We have been wrong in the past, and we should not do so in the future.” Abschließend läßt sich feststellen, daß der Gerichtshof auf seine hergebrachten Kriterien zurückgegriffen hat, daß die Argumentation jedoch nicht immer ganz überzeugt.
3. Türkische Fälle Unter den „türkischen Fällen“ ist eine Gruppe von Beschwerden zu verstehen, die sich gegen Verfahren vor Staatssicherheitsgerichten richteten. Der erste vom Gerichtshof entschiedene Fall betraf die Beschwerde Incal gegen Türkei. Es folgten der Fall Ciraklar und da
EGMR, Findlay gegen Vereinigtes Königreich, RJD Nr. 30 (1997-I), Sondervotum des Richters de Meyer, S. 286.
Die Kommission hatte sich schon vorher im Fall Mitap und Möftüoglu kurz mit einem vergleichbaren Problem befaßt. Dort machten die Beschwerdeführer geltend, ein militärgerichtliches Verfahren (court-martial), welches auch nach Beendigung des Kriegsrechts gegen die beschwerdeführenden Zivilpersonen fortgeführt wurde, verstoße gegen die Grundsätze der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit, vgl. EKMR, Mitap und Möftüoglu gegen Türkei, RJD Nr. 6 (1996-II), S. 415 ff. Der Gerichtshof nahm zu diesem Problem nicht Stellung. Er vertrat die Auffassung, dieser Teil der Beschwerde falle ratione temporis nicht in seine Zuständigkeit, vgl. EGMR, Mitap und Möftüoglu gegen Türkei, RJD Nr. 6 (1996-II), S. 402, 410 § 28.
Vgl. EGMR, Incal gegen Türkei, RJD Nr. 78 (1998-IV), S. 1547. Der der Beschwerde zugrundeliegende Sachverhalt läßt sich wie folgt zusammenfassen: Der Beschwerdeführer, ein Anwalt, war zum maßgeblichen Zeitpunkt Mitglied des Exekutivkomitees der „Arbeiterpartei des Volkes“ (people’s labour party), HEP, in Izmir, einer Partei, welche zu diesem Zeitpunkt auch im türkischen Parlament vertreten war (§ 9). Maßgeblich für die spätere gerichtliche Verfolgung des Beschwerdeführers war die Entscheidung des Gremiums, Flugblätter zu verteilen, die bestimmte Maßnahmen der lokalen Behörden kritisierten, wobei sie diese als gegen die kurdische Bevölkerung gerichtet beschrieben (§ 10 mit Auszügen aus dem Flugblatt). Zur Verteilung kam es nicht, denn die örtlichen Behörden lehnten die Genehmigung der Verteilung als separatistische Propa-
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nach eine ganze Reihe von Urteilen: Gerger, Sürek und Özdemir, Sürek 1-4, Okçuo÷lu, Bașkaya und Okçuo÷lu, Karataș u. a. ganda, die geeignet sei, zum Widerstand gegen die Regierung anzustiften und kriminelle Handlungen zu begehen, ab und beschlagnahmten die Flugblätter nach einer einstweiligen Maßnahme des Staatssicherheitsgerichts (§§ 11-13). Der Beschwerdeführer wurde wegen des Textes der Flugblätter des Versuchs der Anstiftung zum Haß und zur Feindschaft durch Verwendung rassistischer Ausdrücke angeklagt (§§ 14, 15). Er wurde verurteilt; seine Berufung hatte keinen Erfolg (§§ 16-19).
EGMR, Ciraklar gegen Türkei, RJD Nr. 94 (1998-VII), S. 3059. Der Beschwerde Ciraklar lag folgender Sachverhalt zugrunde: Der Beschwerdeführer war zur maßgeblichen Zeit Student an der Universität Aegean (§ 7). Seine gerichtliche Verfolgung beruhte auf einer von Studenten organisierten, nicht genehmigten Demonstration zur Erinnerung an den Tod von sieben Studenten der Universität Istanbul 1978 und den Tod von Kurden im Norden Iraks 1988 (§ 8). Der Beschwerdeführer wurde gemeinsam mit anderen festgenommen und angeklagt wegen Teilnahme an einer nicht genehmigten Demonstration, gewaltsamem Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte und Verbreitung von separatistischer Propaganda (§ 10). Er wurde wegen der ersten beiden Anklagepunkte verurteilt (§ 14).
EGMR, Gerger gegen Türkei, Beschwerde Nr. 2419/94, Urteil vom 8. Juli 1999, verfügbar unter: . Der Beschwerdeführer ist Journalist. Er hatte zu einer Gedenkveranstaltung für Denis Gezmiș, Yusuf Aslan und Hüseyin Inan ein Grußwort geschrieben (§ 10 mit Auszügen aus dem Text der Schrift). Er wurde daraufhin vor dem Staatssicherheitsgericht in Ankara wegen Verbreitung von gegen die Einheit der türkischen Nation und die staatliche Integrität gerichteter Propaganda angeklagt (§ 11). Er wurde verurteilt und zwar mit einer Stimmenverteilung von zwei zu eins, wobei die zwei Stimmen von den zivilen Richtern stammten. Der Militärrichter erklärte in seinem abweichenden Votum, er habe eine andere (mildere) Vorschrift für einschlägig gehalten (§ 13).
EGMR, Sürek und Özdemir gegen Türkei, Beschwerden Nrn. 23927/94 und 24277/94, verfügbar unter: . Gegenstand des Verfahrens war zum einen der Abdruck eines Interviews mit dem Vorsitzenden der verbotenen Kurdischen Arbeiterpartei und des weiteren eine gemeinsame Erklärung von vier sozialistischen Organisationen (§ 10 mit Auszügen der Publikationen).
Die Urteile Sürek 1-4 beziehen sich sämtlich auf den Beschwerdeführer Kamil Tekin Sürek (s.o.). In Sürek 1 (Beschwerde Nr. 26682/95, RJD 1999-IV, S. 353) wurde der Beschwerdeführer wegen zweier Leserartikel gerichtlich verfolgt (§ 10). In Sürek 2 (Beschwerde Nr. 24122/94, verfügbar unter: ) war Gegenstand des innerstaatlichen Verfahrens die Veröffentlichung eines Berichts sowie eines Dialogs, an dem ein „Gendarme
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Gemeinsam ist all diesen Fällen, daß sie mit der Kurdenproblematik in Zusammenhang stehen. Die Staatssicherheitsgerichte sind in Art. 143 der türkischen Verfassung vorgesehen. Gemäß Art. 143 Abs. 1 der Verfassung von 1982 und dem insofern wortgleichen Abschnitt 1 des Gesetzes 2845 sind sie zuständig für die Verfolgung von Straftaten gegen die Republik, deren konstituierende Elemente in der Verfassung formuliert sind, von Straftaten gegen die territoriale Integrität des Staates oder die unteilbare Einheit der Nation oder gegen das freie demokratische Regierungssystem und von Straftaten, die unmittelbar die interne oder externe staatliche Sicherheit beeinträchtigen. Im Zusammenhang mit dem Strafverfahren gegen Commander“ beteiligt war, der dort namentlich genannt wurde (§ 10). In Sürek 3 (Beschwerde Nr. 24735/94, verfügbar unter: ) war ein Bericht zu behaupteten Aufstandsbewegungen in kurdischen Regionen Streitgegenstand (§ 14). In Sürek 4 (Beschwerde Nr. 24762/94, verfügbar unter: ) wurde der Beschwerdeführer wegen einer Veröffentlichung zu möglichen Ereignissen während des bevorstehenden Newrozfestes sowie einer in der ihm gehörenden Zeitschrift veröffentlichten Erklärung einer verbotenen Vereinigung juristisch strafrechtlich verfolgt (im Detail §§ 10-14).
EGMR, Okçuo÷lu gegen Türkei, Beschwerde Nr. 24246/94, verfügbar unter: . Der Beschwerdeführer, Ahmet Zeki Okçuo÷lu, wurde wegen der Verbreitung von gegen die Unteilbarkeit des Staates gerichteter Propaganda vor dem Staatssicherheitsgericht Istanbul angeklagt (§ 9) und verurteilt (§ 10).
EGMR, Bașkaya und Okçuo÷lu gegen Türkei, [GC], Beschwerden Nrn. 23536/94 und 24408/94, RJD 1999-IV, S. 261. Die Beschwerdeführer wurden wegen Verbreitens von gegen die Unteilbarkeit des Staates gerichteter Propaganda vor dem Staatssicherheitsgericht in Ankara angeklagt, jedoch in erster Instanz freigesprochen, weil es sich bei dem streitgegenständlichen Buch als Ganzem um ein akademisches Werk handele, welches keine Propaganda enthalte. Das Berufungsgericht wies auf bestimmte Textpassagen des Buches hin, hob das Urteil auf und verwies den Fall an die erste Instanz zurück. Daraufhin wurden die Beschwerdeführer in dem erneuten Verfahren wegen des angeklagten Delikts verurteilt. Diesmal bestätigte das Berufungsgericht das Urteil (Darstellung des Verfahrens in §§ 13-21).
EGMR, Karataș gegen Türkei, [GC], Beschwerde Nr. 23168/94, RJD 1999-IV, S. 81. Der Beschwerdeführer Hüseyin Karataș wurde wegen Verbreitens von gegen die Unteilbarkeit des Staates gerichteter Propaganda vor einem Staatssicherheitsgericht angeklagt (§ 9) und verurteilt.
Art. 143 Abs. 1 lautet in der englischen Übersetzung: “National Security Courts shall be established to try offences against the Republic, whose constitu-
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Abdullah Öcalan änderte die Türkei das Gesetz über die Errichtung von und das Verfahren vor Staatssicherheitsgerichten und das Gesetz über Militärrichter durch Gesetz Nr. 4390 vom 22. Juni 1999. Unter anderem sieht Artikel 7, Übergangsvorschrift 1 des Änderungsgesetzes vor: “The assignment of military judges and prosecutors at State Security Courts shall be terminated on the day of issuance of this Law; these officials may be assigned by the Minister of National Defense to duties commensurate with their respective ranks and seniorities at military courts or administrative offices pertaining to military justice.” Die Beteiligung von Militärrichtern besteht damit als Problem derzeit nicht mehr. Die hier referierten Beschwerden liegen vor diesem Zeitpunkt. Wie die britischen Fälle betreffen auch die türkischen Beschwerden regelmäßig nicht das persönliche Verhalten des Richters, sondern die Struktur des Gerichts. Die Beschwerdeführer machten im wesentlichen geltend, die Beteiligung des Militärrichters verstoße gegen Art. 6 Abs. 1, weil dieser sich weiterhin im aktiven Dienst befinde und damit in die militärische Hierarchie eingegliedert sei, die Militärverwaltung maßgeblichen Einfluß auf die Ernennung des Richters habe und dieser – mit der Möglichkeit der Verlängerung – für eine Amtszeit von vier Jahren ernannt werde,
ent qualities are enunciated in the Constitution, against the territorial integrity of the State or the indivisible unity of the nation or against the free democratic system of government, and offences which directly affect the State’s internal or external security.”
Die Änderungen sind in englischer Sprache abgedruckt in: I.L.M. 38 (1999), S. 1443 f. Siehe auch die Zulässigkeitsentscheidung des EGMR im Fall Öcalan, Abdullah Öcalan gegen Türkei, Beschwerde Nr. 46221/99, in: RUDH 2000, S. 467, 469.
I.L.M. 38 (1999), S. 1443, 1444.
Siehe zum Beispiel EGMR, Incal gegen Türkei, RJD Nr. 78 (1998-IV), S. 1547, 1570 § 62.
Siehe zum Beispiel EGMR, Bașkaya und Okçuo÷lu gegen Türkei, [GC], Beschwerden Nrn. 23536/94 und 24408/94, RJD 1999-IV, S. 261, 287 f. § 73.
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er der dienstlichen Beurteilung der Streitkräfte unterliege, die über sein Fortkommen entscheide, und daß er auch disziplinarrechtlich der Exekutive unterstehe, und die Beteiligung eines Militärrichters sich in einem Verfahren gegen Zivilpersonen vollziehe, ohne daß die angeklagten Delikte einen militärischen Zusammenhang aufwiesen. Wie üblich bei der Prüfung der Unabhängigkeit und der objektiven Unparteilichkeit spielen die Art und Weise der Ernennung und die Amtszeit, die Unenthebbarkeit, die Schutzvorkehrungen und der Anschein der Unabhängigkeit eine wesentliche Rolle. Obiger Aufführung entsprechend kommen hier die dienstliche Beurteilung, die militärische Disziplinargewalt sowie Zuständigkeitsfragen als zu prüfende Kriterien hinzu. Dabei werden Unabhängigkeit und objektive Unparteilichkeit wie zuvor zusammen geprüft, weil wiederum dieselben faktischen Umstände für die Beurteilung maßgeblich sind.
a. Zur Stellung des Militärrichters im System der Staatssicherheitsgerichte Die Militärrichter waren Angehörige der Streitkräfte im aktiven Dienst. Sie waren jedoch anders als die britischen Militärrichter Angehörige des “Military Legal Service”, durchliefen die gleiche juristische Ausbildung wie die zivilen Richter und verblieben nach Ablauf ihrer Amtszeit in diesem militärischen Zweig. Für die Ernennung der Militärrichter zuständig war ein Gremium bestehend aus dem Personalleiter (Personnel Director) und dem Rechtsberater des Generalstabschefs (Chief of Staff), dem Personalleiter (Personnel Director) und dem Rechtsberater des Stabschefs (Army Corps), dem der Richter unterstand, sowie der Leiter der Abteilung für Militärgerichtsangelegenheiten beim Verteidigungsministerium. Die Ernennung des Militärrichters bedurfte der Bestätigung des Staatspräsidenten und trug die Unterschriften des Verteidi-
Als Bedenken geäußert von EKMR, Incal gegen Türkei, RJD Nr. 78 (1998-IV), S. 1580, 1587 § 73. Die Beurteilung als Grundlage der Beförderung ist ausdrücklich festgelegt in Abschnitt 7 bis (Zusatz) des Gesetzes Nr. 357.
Vgl. EGMR, Ciraklar gegen Türkei, RJD Nr. 94 (1998-VII), S. 3059, 3072 f. § 38.
§ 62.
Vgl. EKMR, Incal gegen Türkei, RJD Nr. 78 (1998-IV), S. 1580, 1585
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gungsministers, des Premierministers und des Staatspräsidenten. Die Amtszeit betrug wie die der zivilen Richter dieses Gerichts vier Jahre und war verlängerbar. Die Militärrichter waren während ihres Dienstes verpflichtet, militärische Vorschriften (military regulations) und militärische Courtoisien (military courtesies) einzuhalten. Einflußnahmen auf Militärrichter in der Ausübung ihrer richterlichen Tätigkeit waren gemäß Art. 112 des Militärgesetzbuchs strafbar. Die Militärrichter wurden von der Militärverwaltung beurteilt. Diese Beurteilung war maßgeblich für die Beförderung. Die Richter hatten das Recht, ihre Beurteilungen einzusehen und deren Inhalt gegebenenfalls vor dem Obersten Militärverwaltungsgericht anzugreifen. Sie waren grundsätzlich unabsetzbar. Die Disziplinargewalt lag beim Verteidigungsminister.
b. Argumentation und Entscheidung Der Vorwurf des Einflusses der Exekutive auf den beteiligten Militärrichter war zentraler Bestandteil der Beschwerden. Wie zu zeigen sein wird, handeln Gerichtshof und Kommission die einleitend dargelegten Prüfungskriterien für Unabhängigkeit und Unparteilichkeit in den tür
Vgl. EKMR, Incal gegen Türkei, RJD Nr. 78 (1998-IV), S. 1580, 1586 f. § 71. Maßgebend für das dargestellte Verfahren der Ernennung sind Abschnitt 8 bis (Zusatz) und Abschnitt 16 (1) des Gesetzes Nr. 357 (Military Legal Service Act).
Vgl. EKMR, Incal gegen Türkei, RJD Nr. 78 (1998-IV), S. 1580, 1586 f., hinsichtlich der zivilen Richter § 70, hinsichtlich der Militärrichter § 71.
EGMR, Incal gegen Türkei, RJD Nr. 78 (1998-IV), S. 1547, 1570 § 63; EGMR, Ciraklar gegen Türkei, RJD Nr. 94 (1998-VII), S. 3059, 3071 § 35. Die Regierung trägt vor, die zivilen Richter würden ebenfalls dienstlich beurteilt. Siehe zum Beispiel: EGMR, Gerger gegen Türkei, Beschwerde Nr. 2419/94, verfügbar unter: , § 58. Diese Beurteilung dürfte jedoch von der Judikative selbst vorgenommen werden, nicht von den Militärbehörden.
Vgl. EGMR, Incal gegen Türkei, RJD Nr. 78 (1998-IV), S. 1547, 1570 § 63; Ciraklar gegen Türkei, RJD Nr. 94 (1998-VII), S. 3059, 3071 § 35; Bașkaya und Okçuo÷lu gegen Türkei, [GC], Beschwerden Nrn. 23536/94 und 24408/94), RJD 1999-IV, S. 261, 288 § 74 (Vortrag der Regierung); Sürek 2 gegen Türkei, Beschwerde Nr. 24122/94, verfügbar unter: , § 48.
Dies ist vorgesehen in Abschnitt 29 des Gesetzes Nr. 357.
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kischen Fällen ohne eingehende Bezugnahme auf die konkreten Umstände ab. Die Entscheidung basiert vielmehr auf der Figur des Anscheins, der insbesondere durch den Umstand beeinflußt wird, daß hier Strafverfahren gegen Zivilpersonen unter Beteiligung eines Militärrichters durchgeführt werden. Die folgende Darstellung orientiert sich am Aufbau der Entscheidungsgründe des Urteils. Der Gerichtshof stellt in einem ersten Schritt positive und negative Aspekte der Verankerung des Militärrichters dar. Dann leitet er über zur Prüfung des Anscheins. Der Gerichtshof bemerkt allgemein, der Umstand, daß die Militärrichter Mitglieder im aktiven Dienst der Streitkräfte sind, welche ihrerseits ihre Order von der Exekutive erhalten, sei problematisch. Die Einbindung der Richter in die militärische Hierarchie hatten einige Beschwerdeführer etwas zugespitzt dahingehend formuliert, die Militärrichter seien nicht in der Lage, eine Entscheidung zu treffen, die in Widerspruch zur Auffassung ihrer Vorgesetzten (commanding officers) stünde. Zur Ernennung stellen Gerichtshof und Kommission fest, daß anders als im Falle der zivilen Richter und des Staatsanwalts, die vom Obersten Richterrat (Superior Council of the Judiciary), also von der Judikative selbst, ernannt werden, die Entscheidung über die Ernennung der Militärrichter zu einem beachtlichen Teil bei den Militärverwaltungsbehörden liege. Indes, was die Ausübung ihres Amtes nach der Ernennung betrifft, vermerkt der Gerichtshof positiv, daß die Militärrichter den gleichen verfassungsrechtlichen Schutz wie die zivilen Richter genießen und – mit bestimmten Ausnahmen – wie diese nicht gegen ihren Willen aus dem Dienst entfernbar sind, daß sie in individueller Eigenschaft dem Spruchkörper angehören und daß sie vor Einflußnahme auf die Ausübung gerade ihres Amtes durch staatliche
Vgl. EGMR, Incal gegen Türkei, RJD Nr. 78 (1998-IV), S. 1547, 1572 § 68; Ciraklar gegen Türkei, RJD Nr. 94 (1998-VII), S. 3059, 3073 § 39.
Vgl. EGMR, Bașkaya und Okçuo÷lu gegen Türkei, [GC], Beschwerden Nrn. 23536/94 und 24408/94, RJD 1999-IV, S. 287, 288 § 73. Im Original heißt es: “The applicants were civilians and the participation of a military judge in their case could be viewed an interference by the army in a civilian domain.”
Vgl. EKMR, Incal gegen Türkei, RJD Nr. 78 (1998-IV), S. 1580, 1586
§ 70.
Vgl. z. B. EGMR, Incal gegen Türkei, RJD Nr. 78 (1998-IV), S. 1547, 1572 § 68 und Ciraklar gegen Türkei, RJD Nr. 94 (1998-VII), S. 3059, 3073 § 39. Zu den Bedenken der Kommission am Ernennungsverfahren EKMR, Ciraklar gegen Türkei, RJD Nr. 94 (1998-VII), S. 3079, 3082 §§ 47, 49.
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Behörden besonders strafrechtlich geschützt sind. Zudem fällt positiv ins Gewicht, daß die Militärrichter dieselbe juristische Ausbildung durchlaufen wie ihre zivilen Kollegen. Hingegen bemängeln Gerichtshof und Kommission, daß eine disziplinarische Verfolgung des Militärrichters durch den Verteidigungsminister rechtlich zulässig ist. Die Kommission kritisiert insbesondere, daß die rechtliche Absicherung der Unabhängigkeit in tatsächlicher Hinsicht in Konflikt steht mit den dienstlichen Beurteilungen durch die Militärverwaltung, die maßgeblich für das Fortkommen der Militärrichter sind. Die durchweg allgemein gehaltenen Erwägungen zu den rechtlichen und tatsächlichen Indizien möglicher Abhängigkeiten von der Exekutive genügen den Straßburger Organen nicht, um einen Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 zu begründen. Das zeigt auch die vom Gerichtshof vorsichtig formulierte Überleitung von den positiven zu den negativen Aspekten zum Anschein: “On the other hand, other aspects of these judges’ status make it [Unabhängigkeit und Unparteilichkeit] questionable.” Worin aber bestehen diese anderen Umstände? Zum Prüfungsmaßstab führt der Gerichtshof aus: “When applied to a body sitting as a bench, it means determining whether, quite apart from the personal conduct of any of the members of that body, there are ascertainable facts which may raise doubts as to its impartiality. As in regard to independence, appearances may be of some importance; it follows that when it is being decided whether in a given case there is a legitimate reason to fear that a particular body lacks impartiality, the standpoint of those claiming that it is not impartial is important. It is not, however, deci-
Vgl. EGMR, Incal gegen Türkei, RJD Nr. 78 (1998-IV), S. 1547, 1572 § 68; Ciraklar gegen Türkei, RJD Nr. 94 (1998-VII), S. 3059, 3073 § 39.
Vgl. EGMR, Incal gegen Türkei, RJD Nr. 78 (1998-IV), S. 1547, 1572 § 68 und Ciraklar gegen Türkei, RJD Nr. 94 (1998-VII), S. 3059, 3073 § 39. Siehe auch EKMR, Ciraklar gegen Türkei, RJD Nr. 94 (1998-VII), S. 3079, 3082 § 48. Die disziplinarische Verfolgung ist vorgesehen in Abschnitt 29 des Gesetzes Nr. 357.
Bedenken in dieser Hinsicht äußert auch die Kommission in EKMR, Incal gegen Türkei, RJD Nr. 78 (1998-IV), S. 1580, 1587 § 73.
EGMR, Incal gegen Türkei, RJD Nr. 78 (1998-IV), S. 1547, 1572 § 68; EGMR, Ciraklar gegen Türkei, RJD Nr. 94 (1998-VII), S. 3059, 3073 § 39 (Hervorhebung von der Verfasserin).
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sive; what is decisive is whether the fear can be held to be objectively justified.” Wesentlich ist danach, daß die Zweifel an der Unparteilichkeit auf “ascertainable facts” basieren müssen. Gleiches gilt für die Unabhängigkeit, auch wenn der Gerichtshof dies nicht ausdrücklich formuliert. Wie sonst wollte er feststellen, daß die Zweifel des Angeklagten objektiv gerechtfertigt sind. Da der übliche Kriterienkatalog bereits abgehandelt ist, stellt sich die Frage, auf welche objektiven Umstände sich weitergehende berechtigte Zweifel stützen lassen. Im Fall Incal führt der Gerichtshof zwei Erwägungen an. Erstens bezieht er sich auf seine Prüfung der Meinungsfreiheit (Art. 10). Er kommt zu dem Schluß, daß das angebliche Propagandamaterial, welches Auslöser der Verfolgung vor dem Staatssicherheitsgericht war, nicht erkennbar staatssicherheitsrelevant gewesen sei, so daß die Voraussetzung für die Durchführung eines solchen Verfahrens in Wirklichkeit nicht bestanden habe. Erschwerend komme zweitens die Beteiligung eines Militärrichters an einem Strafverfahren gegen eine Zivilperson hinzu. Beide Umstände ließen es für einen objektiven Beobachter in der Situation des Angeklagten gerechtfertigt erscheinen, Zweifel an der Unabhängigkeit und der objektiven Unparteilichkeit des Staatssicherheitsgerichts zu hegen.
EGMR, Ciraklar gegen Türkei, RJD Nr. 94 (1998-VII), 3059, 3072 f. § 38. Verweise weggelassen. Die Bezugnahme auf die verobjektivierte Sicht des Angeklagten auch in Incal, EGMR, Incal gegen Türkei, RJD Nr. 78 (1998-IV), 1547, 1572 f. § 71.
Der Gerichtshof führt aus: “The Court notes, however, that in considering the question of compliance with Article 10 it did not discern anything in the leaflet which might be regarded as incitement of part of the population to violence, hostility or hatred between the citizens (see paragraph 59 above). Moreover, the National Security Court refused to apply the Prevention of Terrorism Act (Law no. 3713) (see paragraph 16 above).”, EGMR, Incal gegen Türkei, RJD Nr. 78 (1998-IV), S. 1547, 1572 f. § 72.
Im Fall Ciraklar stellt der Gerichtshof fest: “It is understandable that a civilian – such as Mr Ciraklar – prosecuted in a National security Court for offences regarded ipso facto as directed against Turkey’s territorial or national integrity, the democratic order or national security (...) should be apprehensive about being tried by a bench of three judges which included a regular army officer, who was a member of the Military Legal Service (...). Such mistrust does not, however, suffice for it to be held that there has been a violation of Article 6 § 1; regard must be had to the safeguards afforded to the applicant by the status
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Soviel zum Fall Incal. Während der Aspekt der begründeten Verfolgung vor den Staatssicherheitsgerichten in den weiteren Verfahren keine Rolle spielt, hat der zweite, die Teilnahme eines Militärrichters in Verfahren gegen Zivilpersonen, in Angelegenheiten, die keinen genuin militärischen Charakter haben, für die Feststellung einer Verletzung des Art. 6 Abs. 1 in sämtlichen Fällen entscheidendes Gewicht. Der Gerichtshof führt aus: “In addition, the Court attached great importance to the fact that a civilian had to appear before a court composed, even if only in part, of members of the armed forces”. Die Schlußfolgerungen des Gerichtshofs, die formelhaft in sämtlichen Urteilen wiederholt werden, zeigen, daß der Anschein der Abhängigkeit und Parteilichkeit sich allein auf die Beteiligung des Militärrichters stützt. Um so beachtenswerter sind daher die Schlußfolgerungen, die der Gerichtshof aus dieser Beteiligung zieht. “It follows that the applicant could legitimately fear that because one of the judges of the Izmir National Security Court was a military judge it might allow itself to be unduly influenced by considof the military judges who sit in National Security Courts.”, EGMR, Ciraklar gegen Türkei, RJD Nr. 94 (1998-VII), S. 3059, 3073 § 39.
EGMR, Incal gegen Türkei, RJD Nr. 78 (1998-IV), S. 1547, 1573 § 72.
Der Gerichtshof nimmt Bezug auf den Fall Incal sowie auf den Fall Ciraklar. Er führt aus: “In those judgments the Court noted that the status of military judges sitting as members of the National Security Courts did provide some guarantees of independence and impartiality. On the other hand, that certain aspects of these judges’ status made their independence and impartiality questionable: for example, the fact that they are servicemen who still belong to the army, which in turn takes its orders from the executive; the fact that they remain subject to military discipline; and the fact that decisions pertaining to their appointment are to a great extent taken by the administrative authorities and the army.”, EGMR, Gerger gegen Türkei, Beschwerde Nr. 2419/94, verfügbar unter: , § 60 (Verweise weggelassen). Wie im Urteil Gerger argumentiert der Gerichtshof standardmäßig auch in anderen Beschwerden, so z. B. in Bașkaya und Okçuo÷lu gegen Türkei, [GC], Beschwerden Nrn. 23536/94 und 24408/94, RJD 1999-IV, S. 261, 289 f. § 78-80; Sürek 2 gegen Türkei, Beschwerde Nr. 24122/94, verfügbar unter: , §§ 52, 53; Sürek 4 gegen Türkei, Beschwerde Nr. 24762/94, verfügbar unter: , §§ 72, 73. Auch die Kommission beruft sich standardmäßig auf Incal. So die Wiedergabe des Gerichtshofs in Bașkaya und Okçuo÷lu gegen Türkei, [GC], Beschwerden Nrn. 23536/94 und 24408/94, RJD 1999-IV, S. 261, 289 § 77.
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erations which had nothing to do with the nature of the case. The Court of Cassation was not able to dispel these concerns, as it did not have full jurisdiction. In conclusion the applicant had legitimate cause to doubt the independence and impartiality of the Izmir National Security Court. There has accordingly been a breach of Article 6 § 1.” Das Argument der Regierung, es bestünden keine substantiellen Anzeichen, daß Kollegen des Militärrichters, seine hierarchisch oder disziplinarisch Vorgesetzten oder die ihn ernennenden Institutionen eine Beziehung zu den Parteien oder ein wie auch immer geartetes erkennbares Interesse am Ausgang des Verfahrens gehabt hätten, verhallt ungeprüft. Der Gerichtshof geht sogar noch einen Schritt weiter. Er sieht keinerlei Veranlassung eine Änderung seiner Schlußfolgerungen in Erwägung zu ziehen, wenn der Militärrichter nachweisbar zugunsten des Angeklagten urteilt. Kann ein Angeklagter in einem solchen Fall berechtigterweise zu dem Schluß gelangen, daß ein Richter “unduly influenced” war? Immerhin hat er seine Entscheidung offensichtlich nicht dem militärischen Interesse der Terrorismusverfolgung untergeordnet. Dieser Art positive Anzeichen bestanden in zwei Fällen: Im Fall Bașkaya und Okçuo÷lu hatte der Militärrichter in einer Mehrheitsentscheidung gemeinsam mit einem der zivilen Richter für den Freispruch
EGMR, Incal gegen Türkei, RJD Nr. 78 (1998-IV), S. 1547, 1573 § 72 (Verweise weggelassen).
EGMR, Incal gegen Türkei, RJD Nr. 78 (1998-IV), S. 1547, 1573 § 73. In Ciraklar folgert der Gerichtshof fast wortgleich: “It follows that the applicant could legitimately fear that because one of the judges of the Izmir National Security Court was a military judge, it might allow itself to be unduly influenced by considerations which had nothing to do with the nature of the case. In other words, Mr. Ciraklar’s fears as to that court’s lack of independence and impartiality can be regarded as objectively justified.”, EGMR, Ciraklar gegen Türkei, RJD Nr. 94 (1998-VII), S. 3059, 3073 § 40.
Vgl. EGMR, Incal gegen Türkei, RJD Nr. 78 (1998-IV), S. 1547, 1570 § 63; Ciraklar gegen Türkei, RJD Nr. 94 (1998-VII), S. 3059, 3071 f. § 35; Bașkaya und Okçuo÷lu gegen Türkei, [GC], Beschwerden Nrn. 23536/94 und 24408/94, RJD 1999-IV, S. 261, 289 § 75; Sürek 2 gegen Türkei, Beschwerde Nr. 24122/94, verfügbar unter: , § 49; Sürek 4 gegen Türkei, Beschwerde Nr. 24762/94, verfügbar unter: , § 69.
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gestimmt. Im Fall Gerger basierte die Verurteilung des Beschwerdeführers auf den Stimmen der zwei zivilen Richter. Der Militärrichter hielt eine mildere Vorschrift für einschlägig. In diesen beiden Fällen wäre zu erwarten gewesen, daß der Gerichtshof prüft, welchen Einfluß das Verhalten des Militärrichters auf die sich aus strukturellen Defiziten ergebenden berechtigten Zweifel hat. Er hat dies jedoch nicht geprüft und ist unter Verweis auf seine Incal-Rechtsprechung bei der Standardformulierung geblieben. Was die Kommission anbelangt, gehen deren Bedenken in dieselbe Richtung wie die des Gerichtshofs. Sie kritisiert ebenfalls, daß Strafverfahren gegen Zivilpersonen unter Beteiligung von Angehörigen der Streitkräfte stattfinden. Sie fügt jedoch noch einen interessanten Gesichtspunkt hinzu, nämlich, daß der Verfahrensgegenstand ihrer Auffassung nach keinen Bezug zu militärgerichtstypischen Zuständigkeiten hat. Die Kommission führt aus: “The fact that a military judge participates in criminal proceedings against a civilian, in cases not in any way involving the internal order of the armed forces, highlights the unusual nature of these proceedings and can also be regarded as intervention by the armed forces in the non-military judicial domain, that is, a domain which should remain, in a democratic country, above any suspicion of dependence or partiality.”
Vgl. EGMR, Bașkaya und Okçuo÷lu gegen Türkei, [GC], Beschwerden Nrn. 23536/94 und 24408/94, RJD 1999-IV, S. 261, 289 § 75. Der Kassationshof hatte das Urteil jedoch aufgehoben und die Sache an das Staatssicherheitsgericht zurückverwiesen.
Vgl. EGMR, Gerger gegen Türkei, Beschwerde Nr. 2419/94, verfügbar unter: , § 13. Zu der besonderen Situation im Fall Gerger führt die Regierung nach Beschreibung des Gerichtshofs aus: “The Government added that in the present case neither the superiors of the military judge who had sat in the applicant’s case, nor the public authorities which had appointed him had had any interest in the proceedings or the outcome of the case. Indeed, the dissenting opinion of the military judge showed that his view of the case had been more favourable to Mr. Gerger than the view of the other two judges. Furthermore, the judgment of the National Security Court had been upheld by the Court of Cassation, in which only civil judges sat.”, EGMR, Gerger gegen Türkei, Beschwerde Nr. 2419/94, verfügbar unter , § 58.
EKMR, Incal gegen Türkei, RJD Nr. 78 (1998-IV), S. 1580, 1587 § 75; so auch in Ciraklar gegen Türkei, RJD Nr. 94 (1998-VII), S. 3079, 3082 § 51. In der Stellungnahme in Mitap und Müftüoglu gegen Türkei äußerte sich die
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Anders als der Gerichtshof entscheidet die Kommission die Verletzung des Art. 6 Abs. 1 nicht auf der Grundlage des Zuständigkeitsproblems. Sie stützt die Verletzung des Art. 6 Abs. 1 auf die hergebrachten Kriterien, wobei die Zurückhaltung in der Formulierung bemerkenswert ist. Die Kommission führt aus: “The Commission is of the view that, under the current legislation on the composition of National Security Courts, the manner of appointment and assessment of military judges raises a number of questions and may cast doubt on the image of independence which they should project. The Commission notes in this regard that military judges are accountable to their commanding officers in their capacity as military officers.” Ergo habe der Beschwerdeführer berechtigte Zweifel an der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit des Staatssicherheitsgerichts gehabt; diese seien durch objektive Faktoren gerechtfertigt gewesen.
c. Kritik der abweichenden Richter Die Sondervoten zu den türkischen Fällen wenden sich maßgeblich gegen die auf den Anschein gestützten Folgerungen des Gerichtshofs. Die Richter kritisieren, es mangele an diesen Anschein stützenden faktischen und rechtlichen Gesichtspunkten. So wenden sich im Fall Incal acht Richter in ihrem Sondervotum gegen die Auffassung des GeKommission in die gleiche Richtung, wenn auch vorsichtiger: “The Commission also notes that the applicants were prosecuted and convicted on the basis of legal provisions by which a military court may try a charge laid against civilians. This type of procedure is, in the Commission’s view, likely to raise questions regarding the concept of an impartial and independent tribunal within the meaning of Article 6 of the Convention.”, EKMR, Mitap und Müftüoglu gegen Türkei, RJD Nr. 6 (1996-II), S. 402, 422 f. § 94.
EKMR, Incal gegen Türkei, RJD Nr. 78 (1998-IV), S. 1580, 1587 § 74.
Vgl. EKMR, Incal gegen Türkei, RJD Nr. 78 (1998-IV), S. 1580, 1587 f. §§ 76, 77; so auch in EKMR, Ciraklar gegen Türkei, RJD Nr. 94 (1998-VII), S. 3079, 3083 §§ 52, 53.
Der Gerichtshof entschied den Fall Incal nach Regel 51 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs (Court A) in der Zusammensetzung als Große Kammer (20 Richter). Die Entscheidung zur Verletzung des Art. 6 Abs. 1 erging mit zwölf zu acht Stimmen. Die Beschwerde Ciraklar wurde anders als der Fall Incal von einer Kammer gemäß Art. 43 der Konvention und den maßgeblichen Vorschriften der Verfahrensordnung des Gerichts A entschieden. Die un-
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richtshofs, das Staatssicherheitsgericht erfülle wegen der Beteiligung eines Militärrichters nicht die Anforderungen an Unabhängigkeit und Unparteilichkeit. Erstens begründe nach bisheriger Rechtsprechung die Beteiligung des Militärrichters als Experte als solche einen Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 nicht. Es handele sich daher um einen Rechtsprechungswandel, der weitgehende Folgen für mit Laien besetzte Gerichte habe, weil er letztlich auf den Gerichtsbegriff zurückwirke. Zweitens, terschiedliche Zusammensetzung hatte Auswirkungen auf die Begründung sowie auf die Mehrheitsverhältnisse. Von den acht abweichenden Richtern im Fall Incal (Thór Vilhjálmsson, Gölcüklü, Matscher, Foighel, Sir John Freeland, Lopes Rocha, Wildhaber und Gotchev) sind in Ciraklar drei beteiligt. Im Fall Ciraklar finden sich zwei abweichende Voten, neben dem Gölcüklüs, der eine gesonderte Begründung abgibt, das Votum von Richter Lopez Rocha, der auf die Gründe im Votum zu Incal verweist. Der nunmehrige Vorsitzende Thór Vilhjálmsson hat sich in diesem Fall der Mehrheitsmeinung angeschlossen. Die Kommission war fast identisch zusammengesetzt wie im Fall Incal, nur daß statt B. Marxer im Fall Ciraklar A. Arabadjiev beteiligt war. Anders als in der Entscheidung Incal fiel die Stellungnahme im Fall Ciraklar jedoch nicht einstimmig aus. Vielmehr gab Richter Alkema hier ein Sondervotum ab. Im Fall Gerger und sämtlichen am gleichen Tag entschiedenen Beschwerden hatte sich die Besetzung wiederum geändert. Beteiligt sind nunmehr die Richter Wildhaber (Vorsitzender), Palm, Pastor Ridruejo, Bonello, Makarczyk, K ris, Costa, Tulkens, Stráånická, Fischbach, Butkevych, Casadevall, Greve, Baka, Maruste, Traja und Gölcüklü. Die Feststellung einer Verletzung des Art. 6 Abs. 1 erfolgte mit 16 zu einer Stimme. Richter Wildhaber, nunmehr Präsident, erklärt, sich der Mehrheitsmeinung angeschlossen zu haben. Das abweichende Votum stammt von ad-hoc Richter Gölcüklü.
In ihrem teilweise abweichenden Votum führen die Richter Thór Vilhjálmsson, Gölcüklü, Matscher, Foighel, Sir John Freeland, Lopes Rocha, Wildhaber und Gotchev aus: “In a number of cases the Court has acknowledged that a special court whose members include “experts” may be a “tribunal” within the meaning of Art. 6 § 1. The domestic legislation of the Council of Europe member States provides for many examples of courts in which professional judges sit alongside specialists in a particular sphere whose knowledge is desirable and even necessary in deciding certain cases, provided that all the members of the court can offer the required guarantees of independence and impartiality.”, EGMR, Incal gegen Türkei, RJD Nr. 78 (1998-IV), S. 1578. Ebenso äußert sich auch das Kommissionsmitglied Alkema in seinem Sondervotum zur Beschwerde Ciraklar, EKMR, Ciraklar gegen Türkei, RJD Nr. 94 (1998-VII), S. 3079, 3084.
Die Richter stellen fest: “The logical consequence of asserting the contrary would be to cease to consider that even specialized courts can be “tribunals” for the purposes of article 6 § 1, thus departing from the Court’s well-es-
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führen die abweichenden Richter aus, seien weder die Art und Weise der Ernennung, noch die Amtsdauer, die Beurteilung oder die disziplinarrechtlichen Regelungen außergewöhnlich; solcher Art Maßnahmen seien auch bei zivilen Richtern denkbar. Im Lichte der verfassungsrechtlichen Schutzvorschriften zur Gewährleistung der Unabhängigkeit der Militärrichter überzeuge deswegen der Verweis des Gerichtshofs auf den objektiven Anschein fehlender Unabhängigkeit und Unparteilichkeit nicht. Einen dezidierten Standpunkt vertritt der türkische Richter Gölcüklü. Er faßt seine Kritik im Fall Gerger in drei Punkten zusammen: Sie sei eine ungerechtfertigte Erweiterung der Theorie des äußeren Anscheins (theory of outward appearances); es genüge nicht auszuführen, es sei “understandable that the applicants ... should be apprehensive about being tried by a bench which included a regular army officer, who was a member of the Military Legal Service” und dann schlicht auf die Entscheidung Incal zu verweisen. Außerdem sei die Begründung
tablished case-law.”, EGMR, Incal gegen Türkei, RJD Nr. 78 (1998-IV), S. 1579. Ebenso äußert sich auch der Richter Gölcüklü in seinem abweichenden Votum zur Beschwerde Ciraklar. Vgl. EGMR, Ciraklar gegen Türkei, RJD Nr. 94 (1998-VII), S. 3076, 3077. Er führt aus: “To assert the contrary amounts to condemning the principle of having courts of mixed composition”.
Vgl. EGMR, Incal gegen Türkei, RJD Nr. 78 (1998-IV), teilweise abweichendes Votum der Richter Thór Vilhjálmsson, Gölcüklü, Matscher, Foighel, Sir John Freeland, Lopes Rocha, Wildhaber und Gotchev, S. 1578. In diesem Sinne äußert sich auch Richter Gölcüklü in seinem abweichenden Votum im Fall Ciraklar, vgl. EGMR, Ciraklar gegen Türkei, RJD Nr. 94 (1998-VII), 3076, 3077.
Vgl. EGMR, Incal gegen Türkei, RJD Nr. 78 (1998-IV), teilweise abweichendes Votum der Richter Thór Vilhjálmsson, Gölcüklü, Matscher, Foighel, Sir John Freeland, Lopes Rocha, Wildhaber und Gotchev, 1579. So auch der Richter Gölcüklü in der Beschwerde Ciraklar, vgl. EGMR, Ciraklar gegen Türkei, RJD Nr. 94 (1998-VII), S. 3076 § 77.
In seinem Sondervotum zum Fall Ciraklar wird er sehr deutlich: “By what right and on what point of fact can the Court state that the mere presence of a military judge (not a judge of the civil judiciary) necessarily has the effect that the judge in question will prompt the other two judges to reach an improper verdict? I regard that as a defamatory slur on both the two civil judges and the military judge.”, EGMR, Ciraklar gegen Türkei, RJD Nr. 94 (1998-VII), S. 3076, 3077.
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der Mehrheitsmeinung abstrakt und hätte zur Rechtfertigung einer umfangreicheren rechtlichen und faktischen Begründung bedurft.
d. Kritik der Rechtsprechung von Gerichtshof und Kommission Die Urteile verdienen im Ergebnis Zustimmung, in der Begründung so nicht. Wesentliche Kritikpunkte wurden in den abweichenden Voten angesprochen. Insbesondere bei der Prüfung des Anscheins materialisiert sich, was sich in den „britischen Fällen“ als Gefahr bereits andeutete. Die faktischen Grundlagen des „bösen Scheins“ bleiben im Dunkeln. Ist die Präsenz eines Militärrichters bei Gericht nach Auffassung des Gerichtshofs grundsätzlich bedenklich? Wohl kaum. Wie sonst läßt sich erklären, daß der Gerichtshof in den „frühen“ und den „britischen“ Fällen die Beteiligung von Angehörigen der Streitkräfte am Spruchkörper nicht kritisiert hat. Entsprechend lautet die Schlußfolgerung, daß die persönliche und sachliche Kompetenz der türkischen Staatssicherheitsgerichte für die Frage der Zulässigkeit der Beteiligung der Streitkräfte als Richter von entscheidender Bedeutung ist. Ziel des folgenden Abschnitts ist es, die in den Beschwerden angewandten Prüfungskriterien vor dem Hintergrund allgemeiner Rechtsprechung zu analysieren. Der Übersichtlichkeit wegen wird zunächst der Grundsatz der Unabhängigkeit behandelt, dann der Grundsatz der Unparteilichkeit und zum Schluß der „äußere Schein“.
Siehe statt vieler die Sondervoten des Richters Gölcüklü in Gerger gegen Türkei, Beschwerde Nr. 2419/94, verfügbar unter: <, § 15; Sürek und Özdemir gegen Türkei, Beschwerden Nrn. 23927/94 und 24277/94, verfügbar unter: , § 47 f. Das Kommissionsmitglied Alkema äußert in einem abweichenden Votum, bei mit nichtrichterlichen Experten besetzten Spezialgerichten sei nicht deren Mitwirken an sich fragwürdig. Vielmehr komme es darauf an, ob diese Experten befangen seien. Danach geht Herr Alkema auf die von der Kommission grundsätzlich geäußerten Bedenken ein. Er stellt fest: “In paragraph 51 the majority infers from the participation of a military judge in a penal procedure against a civilian, the exceptional character of this procedure. I agree, but in my opinion that circumstance alone is – in the light of the foregoing – not sufficient to conclude that there is a violation of Article 6 in the present case.”, EKMR, Ciraklar gegen Türkei, RJD Nr. 94 (1998-VII), S. 3079, 3084 f. Auf dieses abweichende Votum verweist er auch in der Beschwerde Kamil Sürek gegen Türkei (Beschwerde Nr. 26682/95, verfügbar unter: ), in der er als einziges Mitglied der Kommission von der Feststellung einer Verletzung des Art. 6 abweicht.
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aa. Allgemeine Kriterien der Unabhängigkeit: Ernennung, Amtsdauer, Unabsetzbarkeit Wie zuvor im Rahmen der „frühen Fälle“ erörtert, stellt die Beteiligung der Exekutive an der Ernennung von Richtern grundsätzlich keinen Behinderungsgrund für die Unabhängigkeit dar, solange der Richter nach seiner Ernennung in der Ausübung seiner richterlichen Tätigkeit frei ist. Auch hält sich die Amtsdauer mit vier Jahren im Rahmen dessen, was vom Gerichtshof üblicherweise als unproblematisch für das Stabilitätsinteresse angesehen wird. Man denke hier insbesondere an den Fall Dupuis, in dem die Kommission eine einmonatige Amtszeit als ausreichend angesehen hat. Die Unabsetzbarkeit war jedenfalls grundsätzlich gegeben und offensichtlich nicht weiter problematisch.
bb. Besondere Kriterien der Unabhängigkeit: Beurteilungs- und Disziplinargewalt Eingehender Prüfung hätten die Aspekte der dienstlichen Beurteilung und des Disziplinarwesens bedurft. Augenfällig ist, daß die Beurteilungs- und Disziplinargewalt über den Militärrichter außerhalb der Justiz, nämlich bei den Streitkräften, liegt. Das gibt zu der Frage Anlaß, ob insofern ein Verstoß gegen das Gebot gerichtlicher Unabhängigkeit vorliegt, als über die Instrumente der Beurteilung und Disziplinierung eine Art Rechenschaftspflicht ausgelöst wird. Bei rein rechtlicher Betrachtung ist dies zu verneinen, denn nach der unwidersprochenen Einlassung der türkischen Regierung beziehen sich Beurteilungs- und Disziplinargewalt ausschließlich auf die außergerichtliche Tätigkeit der Militärrichter. Doch, wie im Fall Dupuis argumentiert, greift es zu kurz, sich auf eine rein rechtliche Sichtweise zu beschränken. Hier hätte es der Feststellung bedurft, inwieweit die Beurteilungs- oder Disziplinargewalt faktisch in die Unabhängigkeit der Militärrichter eingreift.
Vgl. Frowein/Peukert, EMRK-Kommentar, Art. 6, Rz. 124 m. N.
So die Einlassung der türkischen Regierung z. B. in Incal gegen Türkei, RJD Nr. 78 (1998-IV), S. 1547, 1570 § 63.
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cc. Objektive Unparteilichkeit und Unabhängigkeit: Der Militärrichter als Experte in Terrorismusangelegenheiten Die abweichenden Richter gehen davon aus, daß eine Rechtsprechungsänderung stattgefunden hat, was die Zulässigkeit gemischter Gerichte betrifft. Üblicherweise versteht man unter einem gemischt besetzten Gericht ein solches, das außer mit juristisch vorgebildeten auch mit Laienrichtern besetzt ist. Die Laien sind entweder Vertreter des Volkes oder Experten. In Strafprozessen gehören sie regelmäßig zu ersterer Gruppe. In den Staatssicherheitsgerichten fungiert der Militärrichter dagegen ausweislich der Angaben der türkischen Regierung als Experte in Sachen Terrorismus. Seine Expertise soll daher rühren, daß die Streitkräfte über weitreichende Erfahrung in der Terrorismusbekämpfung verfügen. Es ist ein Argument, das – wie in der Einleitung erwähnt – vielfach bemüht wird, um die Beteiligung von Angehörigen der Streitkräfte als Richter in Strafverfahren zu legitimieren. Es überzeugt nicht. Bei näherem Hinsehen begründet gerade die Herkunft dieser Expertise den Verstoß gegen Unabhängigkeit und Unparteilichkeit. Hierauf wird sogleich zurückzukommen sein. Soweit ersichtlich, hat sich der Gerichtshof zur Frage der Zulässigkeit der Beteiligung von Experten als Richter im Strafprozeß bisher nicht grundsätzlich geäußert. In Fällen, die „zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen“ betrafen, hat er sie sehr positiv bewertet. So heißt es im Fall Ettl: “They were experts in their fields; such experts are needed in cases concerning land consolidation, which is an operation that raises issues of great complexity and affects not only the owners directly concerned but the community as a whole. The boards’ composition enables them to reach balanced decisions, having regard to the various interests at stake. Besides, domestic legislation of the Council of Europe’s member States affords many examples of tribunals in which professional judges sit alongside specialists in a particular sphere whose knowledge is desirable and even essential in settling the disputes within the tribunals’ jurisdiction.”
Siehe die Einlassung der türkischen Regierung z. B. in Incal gegen Türkei, RJD Nr. 78 (1998-IV), S. 1547, 1572 § 70.
EGMR, Ettl und andere gegen Österreich, Ser. A Nr. 117, S. 18 f. § 40. Diese Rechtsprechung hat er unter Verweis auf Ettl in Stallinger/Kuso aufrechterhalten. Dort führt er aus: “On that occasion the Court found that the fact that civil servants sat on account of their experience of agronomy, forestry and agri-
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Vergleichbare Äußerungen sind im Bereich der „strafrechtlichen Anklage“ nicht zu verzeichnen. Doch weder in den frühen noch in den britischen Fällen hat der Gerichtshof die Beteiligung militärischer Richter kritisiert. Gleiches gilt für die Beteiligung von Ärzten u. a. in den jeweiligen Ehrengerichten. Zu beachten ist allerdings, daß sich die Beteiligung der Laien in all diesen Fällen in einer Art autonomem Bereich abspielte. Im wesentlichen dienten die Spruchkörper der Aufrechterhaltung einer internen Ordnung. Die Beisitzer waren damit auch nur in begrenztem Umfang wirklich als Experten am Spruchkörper beteiligt, vielmehr repräsentierten sie das jeweilige „Fachvolk“. Dieser Aspekt kommt bei den Staatssicherheitsgerichten wegen der anderen sachlichen Zuständigkeit des Gerichts nicht zum Tragen. Letztlich trägt der Vergleich mit den gemischten Gerichten jedoch nicht. Üblicherweise besteht die Besonderheit gemischter Gerichte, wie oben erwähnt, darin, daß sie zum Teil mit Laien besetzt sind. Gerade das ist hier nicht der Fall. Der Militärrichter hat dieselbe juristische Ausbildung durchlaufen wie die zivilen Richter. Deswegen ist nicht von einer grundsätzlichen Änderung der Rechtsprechung zu gemischt besetzten Gerichten auszugehen, sondern davon, daß der Kern des Problems in einem anderen Gesichtspunkt liegt. Die Beeinträchtigung der Unabhängigkeit beruht auf einer personellen Verzahnung zwischen den Streitkräften und dem Gericht, die das Prinzip des Richters als unbeteiligtem Dritten durchbricht und die nicht dadurch geheilt werden kann, daß ein Gesetz diesem Richter im Rahmen seiner richterlichen Tätigkeit persönliche und sachliche Unabhängigkeit garantiert. Die Expertise signalisiert einen Interessenkonflikt, den die Interamerikanische Menschenrechtskommission – in diesem Fall unter dem Gesichtspunkt der Unparteilichkeit – wie folgt auf den Punkt bringt:
culture, could not give rise to doubts about the independence and impartiality of the boards (ibid.).”, EGMR, Stallinger u. Kuso, RJD Nr. 35 (1997-II), S. 666, 677 § 37. Die Kommission verfuhr in ihrem Bericht zu Stallinger/Kuso ebenso (ebenda, S. 685 § 48). Siehe auch Lughofer gegen Österreich, Beschwerde Nr. 22811/93, verfügbar unter: , § 18, ebenfalls ein Verfahren vor dem Agrarsenat.
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“the Military Courts composed of officers involved in the repression of the same crimes they are judging, do not offer sufficient guarantees of impartiality.” Der Militärrichter gehört einer Institution an, die militärisch und repressiv gegen bestimmte Personen vorgeht. Er ist als Experte dieser Institution am Staatssicherheitsgericht beteiligt, welches gegen ebendiese Personen Strafverfahren durchführt. Dieser Zielkonflikt zwischen Bekämpfung und Neutralität ist mit dem Grundsatz der Unabhängigkeit und der objektiven Unparteilichkeit unvereinbar. Der Gedanke ist den Straßburger Organen keineswegs fremd. Beispielhaft sind die Ausführungen der Richter Ganshof van der Meersch und Evrigenis in ihrem Sondervotum zum Fall Sramek: “We nonetheless consider that, as far as the requirements of the Regional Authority’s independence as a “tribunal” within the meaning of Article 6 of the Convention are concerned, the finding of a violation should be cumulatively grounded on the presence on the Regional Authority of three civil servants from the governmental services of the Land dealing with agricultural and forestry real property matters. Since these services were responsible for defining and implementing government policy in the area in which the disputed case arose, it would be hardly compatible with the principles of judicial independence and impartiality to confer on officials from these very services the task of deciding disputes where the Government was a party and its policies were subject to challenge. To our mind, it would be misconceived to require persons forming part of an apparatus responsible for implementing a given policy, subsequently to act, in situations of conflicting public duties, as independent and impartial judges in proceedings brought by the litigant to contest the basis in law of the application of that policy in his or her case. In such circumstances, there is an institutional lack of independence and impartiality. A system of this kind, if it were made generally applicable to the whole of the domain covered by Article 6, would be bound to have particularly negative consequences for the guarantees which, by virtue of the Convention, attach to both civil and criminal proceedings.”
AKMR, Bericht zur Menschenrechtslage in Argentinien (1980), Kap. VI, D 4. C; auch zitiert in: AKMR, Jahresbericht 1986-1987, Dok. OEA/Ser.L/V/ II.71, doc. 9, rev. 1, 1987.
Sondervotum der Richter Ganshof van der Meersch und Evrigenis, EGMR, Sramek gegen Österreich, Ser. A Nr. 84, S. 23.
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Nicht ganz so deutlich wird die Erwägung im Fall Belilos, wo ebenfalls ein potentieller Interessenkonflikt bestand. Der Einzelentscheider in Ordnungswidrigkeitenverfahren war Jurist des Polizeipräsidiums. Er war städtischer Beamter, aber als Richter Weisungen der Exekutive nicht unterworfen und grundsätzlich unabsetzbar während seiner vier Jahre dauernden Amtszeit. Der Gerichtshof führt unter dem Gesichtspunkt des Anscheins aus: “In Lausanne the member of the Police Board is a senior civil servant who is liable to return to other departamental duties. The ordinary citizen will tend to see him as a member of the police force subordinate to his superiors and loyal to his colleagues. A situation of this kind may undermine the confidence which must be inspired by the courts in a democratic society.” Diese Argumentation vermischt aber bereits den Gedanken des Interessenkonflikts mit dem des Anscheins eines solchen. Daß der Rückgriff auf den Anschein unglücklich ist, soll der kommende Abschnitt zeigen.
dd. Anschein Der Gerichtshof stützt sich in seiner Argumentation weitgehend auf den Anschein. Doch wird er seinem Anspruch, sich auf “ascertainable facts” zu stützen, nicht immer gerecht. Er stellt fest, ein objektiver Beobachter in der Situation des Angeklagten dürfe berechtigterweise annehmen, der Militärrichter sei “unduly influenced” gewesen. Damit knüpft er die Entscheidung über den Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 an die Umstände des Einzelfalls und nicht, wie oben dargestellt, abstrakt an das Bestehen eines Zielkonflikts in der Person des Militärrichters. Diese Vorgehensweise erweist sich in den Fällen Gerger sowie Bașkaya und Okçuo÷lu als nicht überzeugend. Wenn der Militärrichter für den Freispruch bzw. für eine mildere Strafe stimmt, worin besteht dann die berechtigte Überzeugung, er sei zum Nachteil des Angeklagten beeinflußt? Im Gegenteil, die Umstände widerlegen den Anschein. Deswegen ist es richtig, nicht auf den Anschein abzustellen. Es kommt nicht darauf an, ob der einzelne Richter seine Position ernst nimmt, genausowenig wie es in den britischen Fällen darauf ankam, ob der Gerichtsherr den Spruchkörper aufgehoben oder den Urteilsspruch geändert hat. Der abstrakt bestehende Zielkonflikt zwischen den Aufgaben der
Vgl. EGMR, Belilos gegen Schweiz, Ser. A Nr. 132, S. 29 f. § 66. EGMR, Belilos gegen Schweiz, Ser. A Nr. 132, S. 30 § 67.
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Streitkräfte der Terrorismusbekämpfung und der Neutralitätspflicht des Richters als Angehörigem dieser Organisation in „Terroristenprozessen“ beeinträchtigt für sich Unabhängigkeit und Unparteilichkeit des Gerichts.
4. Gesamtbewertung der EMRK-Rechtsprechung Die EMRK-Rechtsprechung ermöglicht wegen ihres ausgefeilten Kriterienkatalogs und des Umfangs der Rechtsprechung eine differenzierte Betrachtungsweise. Vergleicht man die Rechtsprechung der frühen und der britischen Fälle mit den türkischen zeigt sich, wie unterschiedlich die Bewertung der Beteiligung von Militärangehörigen an Strafgerichten je nach sachlicher und persönlicher Zuständigkeit des Gerichts ist. So dürfte es nicht zuviel spekuliert sein zu behaupten, daß die Beteiligung eines militärischen Richters unter Beibehaltung sämtlicher anderer Umstände wohl weitaus weniger problematisch gewesen wäre, hätte das Staatssicherheitsgericht Angehörige der Streitkräfte wegen militärischer Verfehlungen strafrechtlich verfolgt. Das Verbot der strafrechtlichen Verfolgung von Zivilpersonen vor Militärgerichten, wie es die Kommission bereits im Fall Mitap und Müftüoglu vorsichtig andeutete, läßt sich mit den Garantien der Unabhängigkeit und der Unparteilichkeit, so wie Gerichtshof und Kommission sie verstehen, nur unzureichend begründen. Es steht im Mittelpunkt des nächsten Kapitels über das Recht auf ein zuständiges Gericht.
II. AMRK Die interamerikanischen Organe, insbesondere die Kommission, waren vielfach aufgerufen, sich mit Fragen der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit von Gerichten, insbesondere auch von Militärgerichten, zu befassen. Die im Rahmen dieser Tätigkeit entwickelte Spruchpraxis ist weniger differenziert als die der Straßburger Organe. Sie stimmt jedoch
Wörtlich schreibt die Kommission: “The Commission also notes that the applicants were prosecuted and convicted on the basis of legal provisions by which a military court may try a charge laid against civilians. This type of procedure is, in the Commission’s view, likely to raise questions regarding the concept of an impartial and independent tribunal within the meaning of Article 6 of the Convention.”, EKMR, Mitap und Müftüoglu gegen Türkei, RJD Nr. 6 (1996-II), S. 415, 422 f. § 94 und nochmalige Bezugnahme in § 100.
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in ihren Grundannahmen mit denen der Straßburger Rechtsprechung überein. Zum Teil finden sich sogar ausdrückliche Bezugnahmen, wie im Bericht der Kommission zur Beschwerde 11.006 gegen Peru. Dort heißt es: “The right to be heard by an independent and impartial tribunal has been examined on a number of occasions by the Commission and by the European Court of Human Rights. Based on the jurisprudence established, certain criteria have developed to be used to determine whether, in a specific case, the independence and impartiality of the courts have been adversely affected and whether, as a result, the victim has been denied proper protection of his or her rights.” Der zitierten Passage folgt eine detaillierte, an der europäischen Rechtsprechung orientierte Prüfung. Dies bedeutet aber nicht, daß die Spruchpraxis der interamerikanischen Organe die Straßburger Rechtsprechung lediglich nachahmt. Was zum Beispiel Verfahren gegen Zivilpersonen vor Militärgerichten anlangt, verfolgen sie einen unter den internationalen Organen einzigartigen Ansatz. Interessant ist die Tätigkeit von Gerichtshof und Kommission auch deshalb, weil sie sich intensiv mit zwei Fallgruppen beschäftigt, deren eine in der bisherigen Untersuchung noch keine Rolle gespielt hat. Zum einen geht es um eine den „türkischen Fällen“ vergleichbare Konstellation, die der Strafverfahren gegen Zivilpersonen vor Militärgerichten. Zum anderen behandeln sie Fälle, in denen Militärangehörige wegen Menschenrechtsverletzungen vor Militärgerichten angeklagt werden. Kernproblem dieser zweiten Fallgruppe ist die Straflosigkeit. Die folgende Übersicht behandelt zunächst die Spruchpraxis der Kommission im Berichtsverfahren und dann die Individualbeschwerdeverfahren. Sie berücksichtigt vor allem solche Spruchpraxis, die sich unmittelbar mit einzelnen Elementen der Unabhängigkeit befaßt. Ein darüber hinausgehender Überblick über die Entwicklung der Spruchpraxis folgt im nächsten Kapitel.
AKMR, Jahresbericht 1994, Dok. OEA/Ser.L/V/II. 88, Doc. 9 rev., Bericht Nr. 1/95, S. 71, 95.
Siehe AKMR, Jahresbericht 1994, Dok. OEA/Ser.L/V/II. 88, Doc. 9 rev., Bericht Nr. 1/95, S. 71, 96.
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1. Kommission im Berichtsverfahren In einem Bericht zur Menschenrechtslage auf Kuba äußerte sich die Kommission zunächst allgemein zur Garantie der Unabhängigkeit der Gerichte und deren Bedeutung für den Schutz der Menschenrechte. Sie führte aus: “The effective observance of [judicial] guarantees is based on the independence of the judiciary, which derives from the classic separation of the three branches of government. This is the logical consequence of the very concept of human rights. In effect, to protect the rights of individuals against possible arbitrary actions of the state, it is essential that one of the branches have the independence that permits it to judge both the actions of the executive branch and the constitutionality of the laws enacted and even the judgments handed down by its own members. Therefore, the Commission considers that the independence of the judiciary is an essential requisite for the practical observance of human rights in general.” Diese überragende Bedeutung der Unabhängigkeit für die Menschenrechte allgemein und die Rechtspflege im Besonderen hat die Kommission in nachfolgenden Berichten immer wieder betont. Unter der Überschrift „notwendige Maßnahmen zur Effektivierung der Autonomie, Unabhängigkeit und Integrität der Angehörigen der Justiz“ veröffentlichte sie im Jahresbericht 1992-93 einen Kriterienkatalog, dem sich wesentliche Elemente der Unabhängigkeit entnehmen lassen. Dazu gehören die Garantie der Freiheit von Einmischung durch die anderen beiden Gewalten, Ämterstabilität (security of tenure) und die Unter
AKMR, Siebter Bericht zur Menschenrechtslage in Kuba (1983), Dok. OEA/Ser.L/V/II.61 Doc.29 rev.1, Kap. IV, A.2. In einem anderen Fall, im Bericht zur Menschenrechtslage in Chile 1985 argumentierte die Kommission, daß bestimmte Bestimmungen der Konvention implizit in der Deklaration enthalten seien. Sie führte aus: „Si bien Chile no es Estado Parte de la Convención Americana sobre Derechos Humanos, sus disposiciones pueden ser empleadas a fin de explicar los diversos aspectos de los derechos genéricamente protegidos por la Declaración Americana. En lo pertinente al derecho a la justicia y al proceso regular, esos derechos se encuentran reconocidos por el artículo 8 de la Convención Americana sobre Derechos Humanos.“, AKMR, Bericht zur Menschenrechtslage in Chile (1985), Dok. OEA/Ser.L/V/II.66 Doc.17, Kap. VIII. A.5., auch zitiert in: D. O’Donnell, Protección internacional de derechos humanos, Lima 1988, S. 157.
Siehe zum Beispiel AKMR, Bericht zur Menschenrechtslage in Chile (1985), Dok. OEA/Ser.L/V/II.66 Doc.17, Kap. VIII. A.7.
Unabhängigkeit und Unparteilichkeit
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stützung der Judikative dergestalt, daß sie in der Lage ist, die ihr übertragenen Aufgaben wahrzunehmen. Im Berichtsverfahren hat die Kommission vielfach Verstöße gegen Unabhängigkeit und Unparteilichkeit festgestellt. Nur teilweise untermauert sie diese jedoch derart mit Begründungen, daß sich daraus auf einen der EMRK-Rechtsprechung vergleichbaren Kriterienkatalog schließen läßt. Es folgt aus der Natur des Berichtsverfahrens, daß die Kommission die Vereinbarkeit militärgerichtlicher Strafverfahren mit der Konvention nicht gutachtenmäßig prüft, sondern statt dessen unmittelbar auf Schwächen und Unvereinbarkeiten hinweist. Die folgende Darstellung unterscheidet sich deswegen wesentlich von der der EMRK. Es folgen zunächst Beispiele der allgemein für die Struktur von Militärgerichten bedeutenden Kriterien. Diese betreffen im Regelfall die Garantie der Unabhängigkeit. Danach wird die Spruchpraxis zu Strafverfahren gegen Zivilpersonen behandelt, jedenfalls soweit als die Kommission diese unter den Gesichtspunkten der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit behandelt. Zum Schluß wird es um die zweite Konstellation gehen, die der Strafverfahren gegen Militärangehörige wegen Menschenrechtsverletzungen. Hier handelt es sich um ein vorwiegend der Unparteilichkeit zuzurechnendes Problem.
a. Abhängigkeit von der Exekutive Die Abhängigkeit der Militärgerichte von der Exekutive gehört zu den stetigen Kritikpunkten der Kommission. Sie kann sich darin äußern, daß die Richter dem Verteidigungsministerium unterstehen oder, wie im Chile-Bericht von 1985, darin, daß deren Unabsetzbarkeit nicht gewährleistet ist. Eine zentrale Rolle spielt auch die Einbindung von Richtern in die militärische Hierarchie. Im Kolumbienbericht von 1999 zum Beispiel zweifelt die Kommission daran, daß die Militärrichter jemals unabhängig sein können. Sie führt aus: “The members of the courts martial respond hierarchically to their superiors in almost all aspects of their lives as soldiers or police officers. Pursuant to the norms governing the public security forces, they are bound to follow the orders of their superiors or face severe
Vgl. AKMR, Jahresbericht 1992-93, Dok. OEA/Ser.L/V/II.83 Doc.14 corr.1, Kap. V. I.
Vgl. AKMR, Bericht zur Menschenrechtslage in Chile (1985), Dok. OEA /Ser.L/V/II.66 Doc.17, Kap. VIII, D.
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consequences. It is thus difficult, if not impossible, for these individuals to become independent and impartial judges free from influence of their commanders or other superiors.” Die Formulierung der Kommission ist unvergleichlich deutlicher als die Äußerungen der Straßburger Organe in den „türkischen Fällen“. Sie ist Ausdruck einer andersartigen Herangehensweise. Die Kommission – und wie zu sehen sein wird, ihr folgend auch der Gerichtshof – stellen weniger die technisch-juristische Argumentation in den Vordergrund. Längere Ausführungen zur Auslegung von Tatbestandsmerkmalen finden sich allenfalls in Gutachtenverfahren, rechtsvergleichende Analysen zur Absicherung einer progressiven Auslegung des Vertrages kommen ebensowenig vor. Statt dessen steht klar der „effet utile“ im Vordergrund.
b. Strafverfahren vor Militärgerichten gegen Zivilpersonen Die Problematik der Militärstrafverfahren gegen Zivilpersonen beschäftigt die Kommission seit dem Anbeginn ihrer Tätigkeit. Die grundsätzliche Unvereinbarkeit militärgerichtlicher Strafverfahren gegen Zivilpersonen mit Art. 8 Abs. 1 beruht wesentlich auf zwei Gründen, deren einer in der Kritik zur Rechtsprechung in den türkischen Fällen bereits zitiert wurde: das Argument des Zielkonflikts. Wie im Zusammenhang mit der EMRK-Rechtsprechung bereits erwähnt, betrifft der Interessenkonflikt nicht nur die Unparteilichkeit, sondern stellt darüber hinaus auch eine Verletzung des Unabhängigkeitsgrundsatzes dar. Das zweite Argument unterstellt, die Militärge
AKMR, Dritter Bericht zur Situation der Menschenrechte in Kolumbien (1999), Dok. OEA/Ser.L/V/II.102 Doc.9 rev.1, Kap. V, § 25.
So führt die Kommission beispielsweise in einem Bericht zur Menschenrechtslage in Argentinien aus: „... la Comisión, como se señaló anteriormente, ha recibido innumerables testimonios e informaciones, según las cuales los tribunales militares, compuestos por oficiales que se encuentran comprometidos en la represión de los mismos delitos que juzgan, no ofrecen garantías de suficiente imparcialidad. Ello se ve agravado de que siempre ante el tribunal militar la defensa del procesado se encuentra a cargo de un oficial militar, por lo que dicha defensa es asumida por quien también forma parte, con rígidos lazos de disciplina y dependencia, de la misma fuerza encargada de investigar y reprimir el acto que se le imputa al acusado.“, AKMR, Bericht zur Menschenrechtslage in Argentinien (1980), Dok. OEA/Ser.L/V/II.49 Doc.19, Kap. VI, D 4. c.
Unabhängigkeit und Unparteilichkeit
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richtsbarkeit sei eine funktionale Gerichtsbarkeit, die ausschließlich der Aufrechterhaltung von Disziplin und Ordnung innerhalb der Streitkräfte diene. Entsprechend überschritten die Streitkräfte ihren natürlichen Funktionsbereich (“overstep their natural role”), wenn sie Zivilpersonen wegen des Vorwurfs, einer subversiven Organisation anzugehören, strafrechtlich verfolgten; dies falle in die Zuständigkeit der Judikative. In einem Bericht von 1993 wird die Kommission auch darüber hinausgehend sehr deutlich: “By placing civilians under the jurisdiction of military courts, this law (D.L. 25659, Anm. der Verf.) is patently contrary to the rights and guarantees protected under articles 8 and 25 of the American Convention, specifically the right to a hearing by a competent, independent and impartial tribunal. The military court is a special and purely functional court designed to maintain disciplinary in the military and police and ought therefore to apply exclusively to those forces.” Die Kommission argumentiert mit der Ratio der Militärgerichtsbarkeit. Sie stellt keinen Rechtsvergleich an, um festzustellen, welchen Zweck Militärgerichte im Bereich der Vertragspartner verfolgen. Sie greift auf den historisch gewachsenen Kompetenzbereich zurück und setzt diesen als Standard. Die Passage zeigt, daß nach Auffassung der Kommission die Begrenzung der persönlichen und der sachlichen Kompetenz der Militärgerichte für deren Vereinbarkeit mit der Konvention von entscheidender Bedeutung ist. In der Folge empfahl sie denn auch den Mitgliedstaaten der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS), gemäß Art. 2 der Konvention gesetzliche oder andere Maßnahmen zu ergreifen, um sicherzustellen, daß Strafverfahren gegen Zivilpersonen wegen jeglicher strafbarer Handlungen vor ordentlichen Gerichten stattfinden, die den wesentlichen Garantien der Unabhängigkeit und der Unparteilichkeit genügen, und daß die militärgerichtliche Jurisdiktion auf “strictly military offences” beschränkt wird.
Vgl. AKMR, Jahresbericht 1993, Dok. OEA/Ser.L/V/II. 85, Doc. 9 rev.
AKMR, Jahresbericht 1993, Dok. OEA/Ser.L/V/II. 85, Doc. 9 rev., S. 507.
Siehe AKMR, Jahresbericht 1996, Recommendations to member states in areas in which steps need to be taken towards full observance of the human rights set forth in the American Declaration of the Rights and Duties of Man and the American Convention of Human Rights, veröffentlicht unter: , S. 761. Im Jahresbericht 1998 gibt die Kommission unter anderem Empfehlungen aus Follow-up-Berichten zur Menschenrechtssituation
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3. Kapitel
Ausgehend von dieser an der Ratio und dem gewachsenen Kompetenzbereich orientierten Argumentation, hat die Kommission ihre Spruchpraxis in den 90er Jahren weiterentwickelt und dabei einen bemerkenswerten Richtungswechsel vollzogen. Sie knüpft die Unvereinbarkeit von militärgerichtlichen Strafverfahren gegen Zivilpersonen mit der Konvention nicht mehr an einen Verstoß gegen Unabhängigkeit und Unparteilichkeit. An deren Stelle tritt die Figur des “natural judge” (juez natural), eine dem innerstaatlichen Recht entlehnte Rechtsfigur, eine Art internationalrechtlicher gesetzlicher Richter. Diese bedeutende Entwicklung bedarf einer eingehenden Darstellung und Würdigung. Weiteres zu diesem Thema soll deshalb dem folgenden Kapitel vorbehalten bleiben. Wichtig ist festzustellen, daß sich die Zuständigkeitsbeschränkung verselbständigt hat. Diese Loslösung stellt – wie im 4. Kapitel noch deutlicher zu sehen sein wird – einen der wesentlichen Unterschiede zur Rechtsprechung der Straßburger Organe dar.
c. Strafrechtliche Verfolgung von Angehörigen der Streitkräfte vor Militärgerichten wegen Menschenrechtsverletzungen Diese Konstellation hat, wie bereits angedeutet, im Rahmen der EMRK noch keine Rolle gespielt. Im interamerikanischen Bereich gehört sie zu den Standardproblemen der Militärgerichtsbarkeit. Gemeinsam ist dieser und der zuvor dargestellten Problematik, daß sich die Militärgerichtsbarkeit jeweils über den Bereich der internen militärischen Angelegenheiten hinaus erstreckt. Gegenstand der Verfahren sind hier Verletzungen der Rechte Dritter, also zum Beispiel die Tötung eines Zivilisten anläßlich einer militärischen Operation. Die Kommission steht dieser Art Verfahren kritisch gegenüber, weil sie der Erfahrung nach häufig mit der Straffreiheit des Angeklagten enden. Die Gründe für das Fehlschlagen der Strafgewalt veranschaulicht die Äußerung der Kommission im Kolumbienbericht 1999. Dort führt sie aus:
in den Vertragsstaaten wieder. In den Empfehlungen an Ecuador, die abgedruckt sind, heißt es: “That measures be taken, in compliance with Article 2 of the American Convention, to ensure that any alleged human rights violation is promptly and thoroughly investigated, and that any person implicated in the commission of such violation, whether a civilian or a member of a public security force, is submitted to the appropriate process of civilian justice.”, AKMR, Jahresbericht 1998, Dok. OEA/Ser.L/V/II.102 Doc.6 rev, Kap. V. § 9.
Siehe dazu weiter in Kap. 4, insbesondere vor A. sowie I. 1.a. und 2. c-e.
Unabhängigkeit und Unparteilichkeit
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“Also, throughout the proceedings in the military justice system, members of the military are engaged in judging their military colleagues, making impartiality difficult to achieve. Members of the military often feel bound to protect their colleagues who fight by their side in a difficult and dangerous context. This problem was raised by the Constitutional Court in its 1995 decision regarding the courts martial. Other Colombian State authorities have also noted that members of the security forces have “a deep-seated sense of esprit de corps” which is sometimes misinterpreted as requiring them to cover up or remain silent about crimes committed by fellow soldiers or police officers.” Besonders fragwürdig sind Verfahren, wenn während einer militärischen Operation Straftaten verübt werden und – wie in Kolumbien geschehen – der für die Operation verantwortliche “military commander” nachfolgend als Vorsitzender Richter des Militärgerichts agiert. Die Kommission nimmt aber nicht nur Menschenrechtsverletzungen von der militärgerichtlichen Jurisdiktion aus. In einem Länderbericht zu Nicaragua aus dem Jahr 1993 erklärte sie, die militärgerichtliche Jurisdiktion über von Armeeangehörigen begangene gemeine Straftaten verstoße gegen die Garantien der Unabhängigkeit und der Unparteilichkeit des Art. 8 Abs. 1. Zur Begründung führte sie aus: Replacing the normal jurisdiction of those courts with military justice has – both because military judges are subject to political power
AKMR, Dritter Bericht zur Situation der Menschenrechte in Kolumbien (1999), Dok. OEA/Ser.L/V/II.102 Doc.9 rev.1, Kap. V. § 26 (Hervorhebung im Original).
Siehe dazu AKMR, Dritter Bericht zur Situation der Menschenrechte in Kolumbien (1999), Dok. OEA/Ser.L/V/II.102 Doc.9 rev.1, Kap. V. § 24. Der von der Kommission in Bezug genommene Fall war der sogenannte Milchfall. Darin war die Kommission zu der Überzeugung gelangt, daß die Bundespolizei in Bogota Mitglieder der Dissidentenbewegung (bewaffneter Kampf) M-19 außergerichtlich hingerichtet hatte, als diese Milch in einem Bezirk im Süden Bogotas verteilten.
Siehe AKMR, Jahresbericht 1993, Dok. OEA/Ser.L/V/II.85, S. 442 ff.
Arslanian geht davon aus, daß die Durchführung von Verfahren vor Militärgerichten ausschließlich aufgrund des Umstands, daß der Täter ein Militärangehöriger ist, gegen die Garantie der Unabhängigkeit und der Unparteilichkeit des Gerichts gemäß Art. 8 Abs. 1 AMRK verstößt. Vgl. L.C. Arslanian, La jurisdicción militar en la opinión de la Corte Interamericana de Justicia, in: Revista IIDH 25 (1997), S. 101, 106.
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and because they are less well trained in the law – generally meant seriously undermining the guarantees to which all accused persons are entitled. Moreover, in many proceedings it is not unusual to find military or police officers as the only witnesses when charges are brought. The conclusion has to be drawn that such semblances of trials lack many of the basic elements of normal judicial proceedings.
2. Individualbeschwerdeverfahren Im Fall 11.084 kritisierte die Kommission den peruanischen “Special Military Court” als nicht „zuständiges, unabhängiges und unparteiisches“ Gericht. In Castillo Petruzzi u. a. gegen Peru, einem Fall, der im kommenden Kapitel ausführlich behandelt wird, ging es ebenfalls um ein Militärgericht, und zwar in der Konstellation von Verfahren gegen Zivilpersonen. Kommission und Gerichtshof argumentierten, der Umstand, daß die Mitglieder der Militärgerichte von der Militärverwaltung ernannt werden, führe dazu, daß sie bei der Ausübung ihrer richterlichen Tätigkeit von der Exekutive abhingen, und dies sei nur insoweit verständlich, als sich die Jurisdiktion auf die Verfolgung militärischer Delikte beschränke. Darüber hinaus geben sie – wie zuvor bereits im Staatenberichtsverfahren – zu bedenken, daß die Streitkräfte sowohl für die Verfolgung der vermeintlichen Terroristen als auch für deren spätere Aburteilung zuständig sind. Schließlich seien die Militärrichter trotz gewisser rechtlicher Absicherungen in der Praxis doch der militärischen Hierarchie unterworfen. In diesem Verfahren, dem ersten Individualbeschwerdeverfahren, in dem der Gerichtshof die Beschränkung der militärgerichtlichen Zuständigkeit fordert, greift er, wie zuvor die Kommission, auf die Figur des originär zuständigen Richters, den “natural judge”, zurück.
AKMR, Jahresbericht 1973, Dok. OEA/Ser.L/V/II.32 doc.3 rev.2, S. 34.
Vgl. AKMR, Jahresbericht 1994, Bericht Nr. 27/94, Fall 11.084 vom 30. November 1994, S. 113 ff.
AGMR, Castillo Petruzzi u. a. gegen Peru, Ser. C Nr. 52, Urt. v. 30. Mai 1999, verfügbar unter: , § 125 e.
AGMR, Castillo Petruzzi u. a. gegen Peru, Ser. C Nr. 52, Urt. v. 30. Mai 1999, verfügbar unter: , § 125 d.
AGMR, Castillo Petruzzi u. a. gegen Peru, Ser. C Nr. 52, Urt. v. 30. Mai 1999, verfügbar unter: , § 125 e.
Unabhängigkeit und Unparteilichkeit
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3. Bewertung Die interamerikanische Spruchpraxis zeigt, daß die dortigen Organe mit dem Phänomen der Militärgerichte wohlvertraut sind. Die Erfahrungen mit den zum Teil weitreichenden Kompetenzen dieser Gerichte und den daraus resultierenden Konsequenzen für Rechtsstaat und Menschenrechte sind sicherlich mitursächlich dafür, daß die Spruchpraxis pointiert deren Schwächen benennt und in bestimmten Fallkonstellationen ohne Zögern ihre Unvereinbarkeit mit der Konvention feststellt. Wesentlich ist insbesondere – wie im kommenden Kapitel deutlich zu sehen sein wird – die Fortentwicklung der Rechtsprechung in bezug auf Verfahren gegen Zivilpersonen. Auffallend ist, daß sich die Zuständigkeitsbeschränkung verselbständigt hat und daß die interamerikanischen Organe der Auffassung sind, ihre dezidierte Position zur Beschränkung der militärgerichtlichen Zuständigkeit auf ein anderes als das Merkmal der Unabhängigkeit stützen zu müssen.
III. IPBPR Auch im Rahmen des Paktes spielen Unabhängigkeit und Unparteilichkeit eine bedeutende Rolle. In González del Río gegen Peru führt der Menschenrechtsausschuß aus: “The Committee recalls that the right to be tried by an independent and impartial tribunal is an absolute right that may suffer no exception.” Das veranschaulicht die Bedeutung, die der Ausschuß den beiden Grundsätzen beimißt. Sowohl in Staatenberichten als auch im Rahmen von Individualbeschwerdeverfahren hat sich der Menschenrechtsausschuß vielfach mit Unabhängigkeit und Unparteilichkeit beschäftigt. Seine Spruchpraxis läßt allgemeine Kriterien erkennen; sie befaßt sich sowohl mit der Konstellation der Verfahren gegen Zivilpersonen als auch mit dem Problem der Straflosigkeit. Wie im Rahmen der
MRA, Miguel González del Río gegen Peru, Beschwerde Nr. 263/87, Entscheidung vom 28. Oktober 1992, U.N. Dok. CCPR/C/46/263/1987, § 5.2.
Zum zweiten Bericht des Libanon 1997 schreibt der Menschenrechtsausschuß: “The Committee expresses concern about the broad scope of the jurisdiction of military courts in Lebanon, especially its extension beyond disciplinary matters and its application to civilians. ... The State party should review the jurisdiction of the military courts and transfer the competence of military
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3. Kapitel
AMRK wird hier bezogen auf die beiden Bereiche nur die Spruchpraxis dargestellt, die sich auf die Merkmale der Unabhängigkeit und deren Anwendungsbereich bezieht.
1. Menschenrechtsausschuß im Staatenberichtsverfahren Die Aussagen des Menschenrechtsausschusses im Staatenberichtsverfahren sind grundsätzlich vorsichtiger formuliert als diejenigen der Interamerikanischen Menschenrechtskommission. Das kann angesichts der sehr viel heterogeneren Vertragsgemeinschaft nicht verwundern. Der Menschenrechtsausschuß greift auf verschiedene Kriterien zurück. Wie die Interamerikanische Kommission kritisiert auch der Menschenrechtsausschuß Straflosigkeit, soweit Militärangehörige Menschenrechtsverletzungen gegen Zivilpersonen begehen, und die militärgerichtliche Jurisdiktion über Zivilpersonen. Die den berichtspflichtigen Staaten vorgelegten Fragenkataloge zeigen deutlich das Interesse des Ausschusses an Details innerstaatlicher Regelungen in diesen Bereichen.
courts, in all trials concerning civilians and in all cases concerning the violation of human rights by members of the military, to the ordinary courts.”, MRA, Schlußbemerkungen zum Bericht Libanons, U.N. Dok. CCPR/C/79/Add.78, § 14. In den Schlußbemerkungen zum zweiten Bericht Boliviens 1997 stellt der Menschenrechtsausschuß fest: “... It also welcomes the information that military tribunals have no jurisdiction except within the military institution and that cases of human rights violations by members of the army and the security forces fall under the jurisdiction of civil courts.”, MRA, Schlußbemerkungen zum Bericht Boliviens, U.N. Dok. CCPR/C/79/Add.74, § 11. Im Fragenkatalog an die venezolanische Regierung heißt es unter § 11: “Please describe the jurisdictional competence of military courts and state whether they are competent to try civilians; please also explain the competence ratione materiae of those tribunals. What are the procedural safeguards in those cases?”, MRA, List of issues to be taken up in connection with the consideration of the third periodic report of Venezuela, U.N. Dok. CCPR/C/71/L/VEN.
Allgemeine Fragen zu Militärgerichten wirft der Nigeria-Bericht auf. Dort listet der Vorsitzende Aguilar folgende Fragekomplexe auf: “... (b) the need for a description of the constitution, membership and jurisdiction of special and military tribunals and courts and the law and procedure applied by them in criminal matters. The Committee also wished to know under what circumstances, if any, special tribunals had jurisdiction over crimes allegedly committed by citizens or over civil crimes allegedly committed by military officials; (c) the scope of measures to investigate cases of summary executions, dis-
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a. Allgemeine Kriterien Der Menschenrechtsausschuß hat eine Liste von Fragen entwickelt, mit deren Hilfe er die Einhaltung der Unabhängigkeit der Gerichte zu ermitteln sucht. Dabei geht es um die Art und Weise der Ernennung, um Amtsdauer, Disziplinierung und Unabsetzbarkeit sowie um Ausbildung und die Finanzierung. Im Hinblick auf Ernennungsverfahren sind zwei Kritikpunkte zu verzeichnen: die maßgebliche Mitwirkung der Exekutive und die nicht qualifikationsorientierte Auswahl. Die nach Auffassung des Ausschusses mangelhafte Auswahl kann darauf zurückzuführen sein, daß Richter tatsächlich nach Belieben ausgewählt werden, kritisiert werden aber auch Verfahren, in denen die Richter vom Volk gewählt und eben nicht im Zuge eines Bewerbungsverfahrens bestimmt werden, wie zum Beispiel in Armenien oder bestimmten Bundesstaaten der USA.
appearances, torture, rape and other inhuman and degrading treatment or punishment, arbitrary arrests and detention of persons by members of the army and security forces, or paramilitary and other armed groups; what measures had been taken to bring those found responsible before the courts, to punish those proven guilty, and to prevent the recurrence of such acts; (d) the extent of measures to ensure a strict separation of powers and the independence and impartiality of the judiciary ...”, MRA, U.N. Dok. CCPR/C/SR.1494, § 10.
Siehe zum Beispiel MRA, Schlußbemerkungen des Menschenrechtsausschusses: Slowakei, U.N. Dok. CCPR/C/79/Add. 79, § 18 und D. MacGoldrick, The Human Rights Committee: Its Role in the Development of the International Covenant on Civil and Political Rights, Oxford 1994, Art. 10.9, S. 401, mit Nachweisen auf S. 443 in Endnoten 54-71.
Siehe zum Beispiel MRA, Schlußbemerkungen des Menschenrechtsausschusses: Libanon, U.N. Dok. CCPR/C/79/Add. 78, § 15 und Slowakei, U.N. Dok. CCPR/C/79/Add. 79, §§ 12, 18.
Auf einen derartigen Umstand scheinen die Schlußbemerkungen zum Bericht des Sudan anzuspielen. Dort bemerkt der Ausschuß: “The Committee is concerned that in appearance as well as in fact the judiciary is not truly independent, that many judges have not been selected primarily on the basis of their legal qualifications ...”, MRA, Schlußbemerkungen des Menschenrechtsausschusses: Sudan, U.N. Dok. CCPR/C/79/Add. 85, § 21.
Vgl. MRA, Schlußbemerkungen des Menschenrechtsausschusses: Armenien, U.N. Dok. CCPR/C/79/Add. 100, § 8.
Vgl. MRA, Schlußbemerkungen des Menschenrechtsausschusses: Vereinigte Staaten von Amerika, U.N. Dok. CCPR/C/79/Add. 50; U.N. Dok. A/50/40, §§ 266-302, § 288.
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Was Einwirkungen während der Amtszeit der Richter anlangt, kritisierte der Menschenrechtsausschuß Einwirkungen des zuständigen Ministeriums, von regierungsdominierten Überwachungsorganen sowie unzureichende Maßnahmen gegen Drohungen. Darüber hinaus spielte das Element der Unabsetzbarkeit des öfteren eine Rolle. So kritisierte der Ausschuß zum Beispiel die Regelung Algeriens, die Richtern erst nach zehn Jahren Unabsetzbarkeit gewährleistet.
b. Strafverfahren vor Militärgerichten gegen Zivilpersonen Die militärgerichtliche Jurisdiktion über Zivilpersonen kritisiert der Menschenrechtsausschuß seit langem. Gemäß der Allgemeinen Bemerkung zu Art. 14 verstoßen Militärgerichte aber nicht per se gegen Art. 14 des Paktes. Verfahren gegen Zivilpersonen vor solchen Gerichten sind ausnahmsweise erlaubt. Diese Grundsätze waren lange Zeit Kern der Spruchpraxis des Ausschusses. In den letzten Jahren scheint sich
Vgl. MRA, Schlußbemerkungen des Menschenrechtsausschusses: Sudan, U.N. Dok. CCPR/C/79/Add. 85, § 21.
Vgl. MRA, Schlußbemerkungen des Menschenrechtsausschusses: Brasilien, U.N. Dok. CCPR/C/79/Add. 66; U.N. Dok. A/51/40, §§ 306-338, § 316.
Vgl. MRA, Schlußbemerkungen des Menschenrechtsausschusses: Algerien, U.N. Dok. CCPR/C/79/Add. 95, § 14. Ein anderer Fall, in dem der Präsident umfangreiche Zuständigkeiten für die Berufung und Absetzung der Richter des obersten Gerichtshofs hatte, war der Fall Sambias. Der Ausschuß führt aus: “The Committee is concerned that the proposals made by the Constitutional Review Committee in regard to the appointment of judges of the Supreme Court by the President after their retirement and the removal of Supreme Court judges by the President, subject only to ratification by the National Assembly without any safeguard or inquiry by an independent judicial tribunal, are incompatible with the independence of the judiciary and run counter to article 14 of the Covenant.”, MRA, Schlußbemerkungen des Menschenrechtsausschusses: Sambia, U.N. Dok. CCPR/C/79/Add. 62, § 16.
Vgl. MRA, Allgemeine Bemerkung 13, Artikel 14, U.N. Dok. HRI/GEN /1/Rev.1, S. 14.
So erklärt das Ausschußmitglied Evatt in der Diskussion des ersten Berichts Nigerias von 1998, Nigeria habe der Allgemeinen Bemerkung des Menschenrechtsausschusses zu Art. 14 keine Beachtung geschenkt, dernach Militärgerichte nur ausnahmsweise und unter Einhaltung der Garantien des Art. 14 Zivilpersonen strafrechtlich verfolgen dürften, vgl. U.N. Dok. CCPR/C/SR .1494, § 25.
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nun eine Entwicklung zu vollziehen. Zwar hat der Ausschuß nicht ausdrücklich von der Allgemeinen Bemerkung Abstand genommen. Indizien für die Änderung der Spruchpraxis ergeben sich aber aus dem Fehlen eines Verweises auf die ausnahmsweise bestehende Zulässigkeit von Verfahren gegen Zivilpersonen und der damit strikteren Formulierung des Verbots sowie ergänzend aus der Umschreibung der „Soll-Zuständigkeit“. Der Ausschuß verlangt eine Begrenzung der Zuständigkeit auf disziplinarische Angelegenheiten. Ursprünglich leiteten sich die Bedenken des Ausschusses gegen Militärstrafverfahren gegen Zivilpersonen aus den bereits bekannten, an Elemente des Unabhängigkeitsgrundsatzes anknüpfenden, Merkmalen ab. Das zeigen auch die Schlußbemerkungen zum Bericht Perus. Dort heißt es: “Under Decree Law 25, 659, cases of treason are tried by military courts, regardless of whether the defendant is a civilian or a member of the military or security forces. In this connection, the Committee expresses deep concern that persons accused of treason are being tried by the same military force that detained and charged them, that the members of the military courts are active duty officers, that most of them have not received any legal training and that, moreover, there is no provision for sentences to be reviewed by a higher tribunal. These shortcomings raise serious doubts about the independence and impartiality of the judges of military courts. The Committee emphasizes that trials of non-military persons should be conducted in civilian courts before an independent and impartial judiciary.” Dieser Art Ausführungen finden sich in den jüngeren Schlußbemerkungen nicht mehr; dabei geht der Ausschuß in den Schlußbemerkungen zu den Berichten der Slowakei und Polens sogar noch einen
Vgl. MRA, Schlußbemerkungen zum Bericht Libanons, U.N. Dok. CCPR/C/79/Add.78, § 14. Zum kamerunischen Bericht schreibt der Ausschuß beispielsweise: “The Committee is concerned about the jurisdiction of military courts over civilians and about the extension of that jurisdiction to offences which are not per se of a military nature, for example all offences involving firearms. ... The State party should ensure that the jurisdiction of military tribunals be limited to offences committed by military personnel.”, MRA, Schlußbemerkungen zum Bericht Kameruns, U.N. Dok. CCPR/C/79/Add. 116, § 21.
MRA, U.N. Dok. CCPR/C/79/Add. 67*, § 12.
Der Ausschuß führt aus: “The Committee further notes with concern that civilians may be tried by military courts in certain cases, including betrayal of
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Schritt weiter. Er empfiehlt jeweils Gesetzesänderungen, die Verfahren gegen Zivilpersonen vor Militärgerichten ausschließen. Ebenso äußerte er sich in den Schlußbemerkungen zum vierten Bericht Chiles. Der Ausschuß kommt zu dem Ergebnis: “The wide jurisdiction of the military courts to deal with all the cases involving prosecution of military personnel and their power to conclude cases that began in the civilian courts contribute to the impunity which such personnel enjoy against punishment for serious human rights violations. Furthermore, the continuing jurisdiction of Chilean military courts to try civilians does not comply with Art. 14 of the Covenant. Therefore: The Committee recommends that the law be amended so as to restrict the jurisdiction of the military courts to trial only of military personnel charged with offences of an exclusively military nature.” Gerade im Hinblick auf das letzte Beispiel stellt sich die Frage, ob die Äußerungen des Menschenrechtsausschusses Ausdruck eines veränderten Rechtsverständnisses sind. Schließlich könnte man den ersten zitierten Absatz auch dergestalt lesen, daß es der Menschenrechtsausschuß – ohne dies ausdrücklich zu sagen – abgelehnt hat, eine Ausnahme im Sinne der Allgemeinen Bemerkung anzunehmen. Mehrere Indizien sprechen jedoch dagegen. Im zweiten Absatz des Zitats formuliert der Menschenrechtsausschuß positiv, wie die Zuständigkeit der Militärgerichte auszugestalten ist. Ein Hinweis auf mögliche Ausnahmen fehlt. Darüber hinaus fällt der Unterschied in der Formulierung des Verbots State secrets, espionage and State security. Therefore: the Committee recommends that the Criminal Code be amended to prohibit the trial of civilians by military tribunals in any circumstances.”, MRA, Schlußbemerkungen zum Bericht der Slowakei, U.N. Dok. CCPR/C/79/Add.79, § 20.
Der Menschenrechtsausschuß formuliert: “The Committee is concerned at information about the extent to which military courts have jurisdiction to try civilians (art. 14); despite recent limitations on this procedure, the Committee does not accept that this practice is justified by the convenience of the military court dealing with every person who may have taken some part in an offence primarily committed by a member of the armed forces. These provisions of the Code of Criminal Procedure should be amended or repealed.”, MRA, Schlußbemerkungen zum Bericht Polens, U.N. Dok. CCPR/C/79/Add. 110, § 21.
MRA, Schlußbemerkungen zum Bericht Chiles, U.N. Dok. CCPR/C/79 /Add. 104, § 9 (Hervorhebung von der Verfasserin).
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der Straflosigkeit und des Verbots der Jurisdiktion über Zivilpersonen auf. Letzteres wird unumwunden als Verstoß gegen Art. 14 bezeichnet. Auffallend ist auch, daß sich der Ausschuß nicht mehr ausdrücklich auf den Unabhängigkeitsgrundsatz bezieht. Dies könnte dafür sprechen, daß sich die Spruchpraxis zur Zuständigkeitsbeschränkung, wie in der AMRK, verselbständigt.
c. Strafrechtliche Verfolgung von Angehörigen der Streitkräfte vor Militärgerichten wegen Menschenrechtsverletzungen Wie bereits erwähnt, hat die der Straflosigkeit geschenkte Aufmerksamkeit in den 90er Jahren wesentlich zugenommen. Mit ihr setzte sich der Menschenrechtsausschuß beispielsweise in den Berichten zu Kolumbien (1992 und 1997), zu Brasilien (1996) und zu Peru
Siehe das folgende Zitat.
Der Menschenrechtsausschuß schreibt unter der Rubrik “Principal subjects of concern” in den Schlußbemerkungen zum vierten periodischen Bericht zu Kolumbien 1997: “The Committee notes with great concern that impunity continues to be a widespread phenomenon and that the concept of service-related acts has been broadened by the Higher Adjudication Council to enable transfer from civilian jurisdiction to military tribunals of many cases involving human rights violations by military and security forces. This reinforces the institutionalization of impunity in Colombia since the independence and impartiality of these tribunals is of serious doubt. The Committee wishes to point out that the military penal system lacks many of the requirements spelled out in article 14, as exemplified by the amendments to article 221 of the Constitution, which allows active duty officers to sit on military tribunals and by the right of members of the military to rely on the defence of superior orders.”, MRA, Schlußbemerkungen zum Bericht Kolumbiens, U.N. Dok. CCPR/C/79/Add. 75, § 18.
In den Schlußbemerkungen zum ersten Bericht Brasiliens 1996 stellt der Menschenrechtsausschuß fest: “The Committee is concerned over the practice of trying military police accused of human rights violations before military courts and regrets that jurisdiction to deal with these cases has not yet been transferred to the civilian courts.” Und in § 323 führt der Menschenrechtsausschuß weiter aus: “The Committee welcomes ... the bill (PL 2801/92) that will transfer from the military to the civilian system of justice the competence to try members of the military police accused of human rights violations against civilians.”, MRA, Schlußbemerkungen zum Bericht Brasiliens, U.N. Dok. CCPR/C /79/Add. 66; A/51/40, §§ 306-338, § 315.
3. Kapitel
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(1992 und 1996) auseinander. Am Beispiel der Kolumbienberichte zeigt sich, daß die Kritik des Menschenrechtsausschusses 1997 gegenüber 1992 wesentlich deutlicher geworden ist. Hatte er 1992 noch formuliert: “... In that connection, the measures taken do not seem to be sufficient to guarantee that all members of the armed forces who abuse their power and violate citizen’s rights will be brought to trial and punished. Military courts do not seem to be the most appropriate ones for the protection of citizen’s rights in the context where the military itself has violated such rights.” So heißt es in den Schlußbemerkungen zum vierten Bericht Kolumbiens 1997: “The Committee also urges that all necessary steps be taken to ensure that members of the armed forces and the police accused of human rights abuses are tried by independent civilian courts and suspended from active duty during the period of investigation. To this end, the Committee recommends that the jurisdiction of military courts with respect to human rights violations be transferred to civilian courts and that investigations of such cases be carried out by the Office of the Attorney-General and the Public Prosecutor. More
In seinen Bemerkungen zum periodischen Bericht Perus 1992 äußert der Ausschuß im Hinblick auf die nach dem „auto-golpe“ Fujimoris am 05. April 1992 eingetretene neue Situation unter der Rubrik “principal subjects of concern”: “... In this respect, the Committee is deeply concerned with the absence of civilian control over the military and para-military groups, especially in the zones under their control, which in some cases amounts to impunity. In particular, the Committee regrets that they can be tried for acts of violence only under military law.”, MRA, U.N. Dok. CCPR/C/79/Add. 8, § 8.
In den “preliminary observations” zum Bericht Perus hat der Menschenrechtsausschuß folgende Empfehlung abgegeben: “The Committee urges the State party to take effective measures to investigate allegations of summary executions, disappearances, cases of torture and ill-treatment, and arbitrary arrest and detention, to bring the perpetrators to justice, to punish them and to compensate victims. If allegations of such crimes have been made against members of the security forces, whether military or civilian, the investigation should be carried out by an impartial body that does not belong to the organization of the security forces themselves. Persons convicted of such crimes should be dismissed and, pending the outcome of the investigation, be suspended from office.”, MRA, U.N. Dok. CCPR/C/79/Add. 67, § 22.
MRA, U.N. Dok. CCPR/C/79/Add. 2, § 5 (Hervorhebung von der Verfasserin).
Unabhängigkeit und Unparteilichkeit
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generally, the Committee recommends that the new draft Military Penal Code, if it is to be adopted, comply in all respects with the requirements of the Covenant. The public forces should not be entitled to rely on the defence of “orders of a superior” in cases of violation of human rights.” Diese Spruchpraxis führt der Ausschuß fort. Leider legt er nicht deutlicher den Bezug zum Unabhängigkeitsgrundsatz dar.
2. Fakultativprotokoll Insbesondere zu Beginn seiner Spruchpraxis hatte sich der Ausschuß mit Strafverfahren zu beschäftigen, die gegen Zivilpersonen vor Militärgerichten durchgeführt wurden. Die Individualbeschwerden richteten sich größtenteils gegen Uruguay, zu einem geringeren Teil gegen Kolumbien. In diesen frühen Entscheidungen, in denen zudem Verstöße gegen das Recht auf ein faires Verfahren offen zu Tage lagen, stellte der Menschenrechtsausschuß regelmäßig fest, die Beschwerdeführer hätten kein faires Verfahren gehabt, ohne gezielt den Verstoß gegen einzelne Tatbestandsmerkmale festzustellen oder auf die Problematik der Verfahren gegen Zivilpersonen näher einzugehen. So zum Beispiel im Fall Weinberger Weisz gegen Uruguay. Die Anklage gegen den Bruder des Beschwerdeführers, Ismael Weinberger, vor einem Militärgericht lautete auf “subversive association with aggravating circumstances of conspiracy against the Constitution”. Der Beschwerdeführer machte ausdrücklich geltend, die Militärrichter seien der militärischen Hierarchie unterworfen und erfüllten daher nicht die Anforderungen der Unabhängigkeit und der Unparteilichkeit. Aber der Menschenrechtsausschuß stellte am Ende lediglich allgemein fest, daß der Beschwerte “had no fair
MRA, Schlußbemerkungen zum Bericht Kolumbiens, U.N. Dok. CCPR/ C/79/Add. 76, § 34 (Hervorhebung von der Verfasserin).
Siehe dazu in Kap. 4, B.II.2.a. Siehe dazu in Kap. 4, B.II.2.a.
MRA, Luciano Weinberger Weisz gegen Uruguay, Beschwerde Nr. 28/1978, Entscheidung vom 29. Oktober 1980, Selected Decisions, U.N. Dok. CCPR/C/OP/1, S. 57 ff.; ebenfalls abgedruckt in: HRLJ 1 (1980), 243-248.
Vgl. MRA, Luciano Weinberger Weisz gegen Uruguay, Selected Decisions, U.N. Dok. CCPR/C/OP/1, S. 57, 58, § 2.
100
3. Kapitel
and public hearing”. Fragen der Unparteilichkeit haben im Individualbeschwerdeverfahren immer wieder eine Rolle gespielt. Dabei zeigt sich, daß der Menschenrechtsausschuß sehr zurückhaltend mit solchen Vorwürfen umgeht. Im Regelfall beschied der Ausschuß diese Art Beschwerden negativ und hob vor allen Dingen darauf ab, er sei keine Superrevisionsinstanz. Die geringe Strenge, mit welcher der Ausschuß die Fälle behandelt, führt dazu, daß er auch in relativ eindeutigen Fällen nicht zur Feststellung einer Verletzung des Art. 14 gelangt. Einer der wenigen Fälle, in denen der Ausschuß eine Verletzung der Unparteilichkeit feststellte, war die Beschwerde Karttunen gegen Finnland. Der Ausschuß stützte sich hier auf das nationale Recht, demzufolge ein Jurymitglied wegen Befangenheit hätte ausgetauscht werden müssen.
3. Fazit Der Vergleich der frühen Individualbeschwerden mit den jüngeren Äußerungen des Ausschusses im Berichtsverfahren zeigt deutlich eine Entwicklung. Der Menschenrechtsausschuß bezieht nach anfänglicher Zurückhaltung eindeutig Position gegen Verfahren gegen Zivilpersonen vor Militärgerichten und gegen Strafverfahren von Militärangehörigen wegen Menschenrechtsverbrechen. Damit leistet er einen beachtlichen Beitrag zur Allgemeingültigkeit der Verbote, die ansonsten als regionale Besonderheiten hätten angesehen werden können.
Vgl. MRA, Luciano Weinberger Weisz gegen Uruguay, Selected Decisions, U.N. Dok. CCPR/C/OP/1, S. 57, 60, § 16.
Siehe zum Beispiel MRA, J.K. gegen Kanada, Beschwerde Nr. 174/84, Jahresbericht 1985, S. 215, § 7.2; R.M. gegen Finnland, Beschwerde Nr. 301/88, Jahresbericht 1989, S. 300, § 6.4; Van Meurs gegen Niederlande, Beschwerde Nr. 215/86, Jahresbericht 1990, S. 55, § 7.1; Daniel Pinto gegen Trinidad und Tobago, Beschwerde Nr. 232/87, Jahresbericht 1990, S. 69, § 12.3; G.S. gegen Jamaica, Beschwerde Nr. 369/89, Jahresbericht 1990, S. 198, § 3.2.
Siehe zum Beispiel die Beschwerde McTaggart gegen Jamaica, Beschwerde Nr. 749/1997, Entscheidung vom 31. März 1998, U.N. Dok. CCPR/C/62/D /749/1997, § 6.3. Die genannte Auffassung vertreten auch S. Joseph/J. Schultz/ M. Castan, The International Covenant on Civil and Political Rights: Cases, Materials, and Commentary, S. 298, Rz. 14.36 m. w. N.
Vgl. MRA, Karttunen gegen Finnland, Beschwerde Nr. 387/1989*, Entscheidung vom 5. November 1992, U.N. Dok. CCPR/C/D/387/1989.
Vgl. MRA, Karttunen gegen Finnland, Beschwerde Nr. 387/1989*, Entscheidung vom 5. November 1992, U.N. Dok. CCPR/C/D/387/1989, § 7.2.
Unabhängigkeit und Unparteilichkeit
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IV. Gesamtbewertung Festzustellen ist zunächst, daß die Kontrollinstanzen der drei Verträge sehr ähnliche Bedenken im Hinblick auf Ernennung, Ämterstabilität, Disziplin und Beurteilung, das Problem der Hierarchie sowie die Beteiligung von Militärangehörigen an Strafverfahren hegen. Die Stärke der Rechtsprechung zur EMRK besteht darin, daß sie ein weites Spektrum von Fällen abdeckt. Dies hilft, die militärgerichtliche Jurisdiktion differenziert zu betrachten und die Bedeutung der persönlichen und sachlichen Zuständigkeit für die Vertragskonformität von Strafverfahren vor Militärgerichten zu erkennen. Was militärgerichtliche Strafverfahren gegen Zivilpersonen anlangt, ist festzustellen, daß sämtliche der Kontrollorgane diese im Ergebnis für konventionswidrig halten. Die Straßburger Organe rekurrieren dafür auf die Grundsätze der Unabhängigkeit und der Unparteilichkeit. Das bedeutet letztlich, daß das Verbot von Strafverfahren gegen Zivilpersonen von den äußeren Umständen abhängt, von der Struktur des Gerichts und der Organisation des Verfahrens. Die Spruchpraxis des Menschenrechtsausschusses und der interamerikanischen Organe geht die Problematik grundsätzlicher an. Für den Menschenrechtsausschuß läßt sich eine Tendenz dahingehend erkennen, sich von Unabhängigkeit und Unparteilichkeit zu lösen. Die tatsächliche Verankerung der Zuständigkeitsbeschränkung ist noch nicht klar ersichtlich. Die Spruchpraxis der interamerikanischen Organe zeugt am deutlichsten von einer Entwicklung, weg von der Bezugnahme auf äußere Umstände, hin zu einem grundsätzlichen Verbot von Verfahren gegen Zivilpersonen vor Militärgerichten. Dies geschieht im Wege der Anknüpfung der Zuständigkeitsbeschränkung an ein neues Merkmal, das des “natural judge”. Wie überzeugend die Begründung im einzelnen ist, wird im nächsten Kapitel zu untersuchen sein. Unabhängig davon ist der Ansatz der interamerikanischen Organe richtig. Die „türkischen Fälle“ haben verdeutlicht, daß Unabhängigkeit und Unparteilichkeit den Kern des Problems nicht treffen. Sie ermöglichen keine verallgemeinerungsfähige Aussage des Inhalts, daß Zivilpersonen per se nicht strafrechtlich vor Militärgerichten verfolgt werden dürfen, auch dann nicht, wenn dies im Ergebnis gewollt ist. Die Entscheidung über das Vorliegen eines Konventionsverstoßes bedarf stets der Rücksichtnahme auf die Umstände des Einzelfalls. So weicht der Europäische Menschenrechtsgerichtshof vom feststehenden Kriterienkanon auf den Anschein aus. In gleicher Weise rückte die Interamerikanische Kommission im Laufe der Zeit immer weiter von diesem Kriterienkanon ab, argumentierte mit der Ratio der
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3. Kapitel
Streitkräfte und anderen Gesichtspunkten, um später vollends auf den Rückgriff auf Unabhängigkeit und Unparteilichkeit zu verzichten. Der Interamerikanischen Kommission ist im Ergebnis zuzustimmen: Es geht bei der Zuständigkeitsbeschränkung um etwas wie das internationale Recht auf den gesetzlichen Richter. Die Frage ist nur, wie sich ein solches Recht dogmatisch herleiten läßt. Darauf soll das nächste Kapitel eine Antwort geben.
Kapitel 4: Recht auf den zuständigen Richter – Grenzen militärstrafgerichtlicher Zuständigkeit Das vorhergehende Kapitel hat gezeigt, daß die Vereinbarkeit militärgerichtlicher Strafverfahren mit dem Recht auf ein faires Verfahren dann problematisch ist, wenn sich die Zuständigkeit der Militärgerichte auf Angelegenheiten erstreckt, die über den Bereich der inneren Disziplin und Ordnung der Streitkräfte hinausgehen. Weiter haben die Untersuchungen gezeigt, daß die weitreichende Jurisdiktion zwar regelmäßig mit Problemen der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit einhergeht, daß diese Merkmale jedoch allein nicht ausreichen, um allgemein zu begründen, daß sich die militärgerichtliche Zuständigkeit nur auf einen beschränkten Bereich erstrecken darf. Das folgende Kapitel beschäftigt sich daher mit der Frage, ob es ein Recht auf den zuständigen Richter gibt, das expansive Zuständigkeiten der Militärstrafgerichtsbarkeit ausschließt. Vor Beginn der weiteren Untersuchung noch ein Hinweis zur Terminologie. Dieses Kapitel befaßt sich, wie gerade ausgeführt, mit dem Recht auf den zuständigen Richter bzw. das zuständige Gericht. Nachdem in der Gesamtbewertung zum vorangehenden Kapitel bereits vom “natural judge” als einem internationalrechtlichen gesetzlichen Richter die Rede war, stellt sich die Frage, worin der Vorzug der hier gewählten Terminologie besteht. Maßgeblich sind zwei Gesichtspunkte. Erstens ist der „zuständige Richter“, anders als der gesetzliche Richter in Deutschland oder der „juez natural“ (natural judge) im iberoamerikanischen Rechtsraum, nicht mit innerstaatlichen Anschauungen vorbelastet. Das ist insofern wichtig, als sich innerstaatliche Konzepte – wie zu sehen sein wird – nicht unbedingt eins zu eins auf das internationale Recht übertragen lassen. Hat die internationalrechtliche Rechtsfigur aber letztlich nur Ähnlichkeiten mit dem bekannten Konzept, ist die einheitliche Begrifflichkeit wenig hilfreich. Wichtiger ist ein zweiter Gesichtspunkt. Für den Rückgriff auf das Wort „zuständig“ spricht, daß es Tatbestandsmerkmal des Art. 14 Abs. 1 IPBPR und des Art. 8 Abs. 1 AMRK ist. Beide sehen das Recht auf ein zuständiges Gericht vor. Warum also ein ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal einführen?
4. Kapitel
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A. Einleitung Gerichtliche Zuständigkeiten werden gemeinhin nach drei Kriterien bestimmt, die auch die vorliegende Arbeit zugrunde legt: die Zuständigkeit „ratione personae“, „ratione materiae“ und „ratione loci“, also persönliche, sachliche und örtliche Zuständigkeit. Für die vorliegende Untersuchung sind vor allem die ersteren beiden von Bedeutung. Sie sind Hauptanknüpfungspunkte der Zuständigkeit von Militärstrafgerichten. Was die persönliche Zuständigkeit anlangt, so bezieht sich diese selbstverständlich auf Angehörige der Streitkräfte im aktiven Dienst. Verschiedene Rechtsordnungen sehen indes darüber hinaus vor, daß Militärstrafgerichte auch für bestimmte Delikte von Personen außerhalb des Kreises der Armeeangehörigen zuständig sind. In Betracht kommen pensionierte Militärangehörige, Wehrpflichtige, die sich ihrem Dienst entziehen, ziviles Personal der Streitkräfte oder Zivilpersonen ohne jeglichen Bezug zu den Streitkräften. Die Frage inwiefern solche Erweiterungen – insbesondere die Jurisdiktion über Zivilpersonen ohne Beziehung zum Militär – konventionsgemäß sind, stellt den Schwerpunkt der folgenden Ausführungen dar. Einige Rechtsordnungen sehen vor, daß Militärstrafgerichte für sämtliche Angehörigen der Streitkräfte vorgeworfenen Straftaten zuständig sind. Allein die Zugehörigkeit zum Verbund reicht demnach aus, um die militärgerichtliche Zuständigkeit „auszulösen“. Dahinter steht ein bestimmtes Bild der Streitkräfte: Soldaten und Offiziere üben nicht wie andere Bürger einen Beruf aus, der sie eben neben dem Beruf noch Bürger sein läßt. Sie sind ausschließlich Angehörige der Streitkräfte, bilden also quasi eine Parallelgesellschaft.
Beispiele für Armeeangehörige im Ruhestand, die Verfahren vor der peruanischen Militärgerichtsbarkeit ausgesetzt waren, finden sich im Bericht der Defensoría del Pueblo del Perú, siehe Fußnote 28, S. 34 dort in Fußnote 69.
Wie in Kap. 3, B.I. gesehen.
Siehe beispielsweise zur Rechtslage in Peru: G. Gómez Mendoza, siehe Fußnote 28, S. 33.
Siehe dazu im folgenden. Auch M.J. Yost, D.S. Anderson, The Military Extraterritorial Jurisdiction Act of 2000: Closing the Gap, in: AJIL 95 (2001), S. 446.
Diese Gefahr sieht das kolumbianische Verfassungsgericht sehr deutlich. Siehe Corte Constitucional de Colombia, Urteil vom 05. August 1997, C-358/ 97, S. 2, verfügbar unter: .
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Andere Rechtsordnungen knüpfen allein nach materiellrechtlichen Gesichtspunkten an. Im staatlichen Recht heißt es dann, die Militärstrafgerichtsbarkeit beziehe sich auf „militärische Delikte“ oder auf „strikt militärische Delikte“. Das kann heißen, daß die Militärgerichtsbarkeit auf echte Amtsdelikte, also solche, die nur von Amtsträgern begangen werden können, beschränkt ist. Die Strafgewalt kann sich aber auch auf das allgemeine Strafrecht erstrecken, auf unechte Amtsdelikte, oder sie kann – bei entsprechend extensiver Auslegung – gemeine Delikte mit umfassen. Bei der Forderung nach einer Beschränkung der Militärgerichtsbarkeit auf „militärische Delikte“ ist daher besondere Vorsicht geboten. Zwei Bereiche der Zuständigkeit, die sich im vorhergehenden Kapitel als problematisch erwiesen haben, werden folgend näher auf Bedürfnis nach und Möglichkeit der Beschränkung untersucht. Erstens geht es um die Beschränkung der militärgerichtlichen Zuständigkeit ratione personae auf aktive Angehörige der Streitkräfte. Zweitens sollen die Militärgerichte aber auch für die Gruppe der Armeeangehörigen nicht allzuständig sein. Nicht zuständig sein sollen sie für gemeine Delikte, d. h. solche, die von jedermann begangen werden können, und insbesondere von Angehörigen der Streitkräfte begangene Menschenrechtsverletzungen.
I. Hintergrund Die hier formulierten Forderungen basieren auf der Erfahrung typischer rechtsstaatlicher Defizite, die Militärgerichte in bestimmten Bereichen als ungeeignet für die Gewähr eines fairen Verfahrens erscheinen lassen. So betreffen militärgerichtliche Strafverfahren gegen Zivilpersonen typischerweise sogenannte Angelegenheiten der Staatssicherheit. Sie sind gerichtet gegen Oppositionelle, wirkliche oder vermeintliche Dissidenten oder Terroristen. Militärgerichte sollen in diesen Fäl
Siehe zum Beispiel eine Äußerung der Arbeitsgruppe über willkürliche Haft: “Another concern is the abuse of establishing special courts, but above all emergency courts, under various names, such as „Revolutionary Court” (one country), “Military Court” (three countries), “People’s Court” (two countries) or “Supreme Court of State Security” (one country). Admittedly courts of this kind do not seem to be strictly inconsistent with international rules. However, experience unfortunately proves (and the example of many cases submitted to the group shows) that in many states they are being used more and more, or even being established for the purpose, to try dissidents and opponents who are
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4. Kapitel
len schnelle Verfahren und hohe Verurteilungsquoten garantieren und stehen damit für Unnachgiebigkeit und Abschreckung: die harte Hand des Staates, der sich in einer Bedrohungssituation wähnt. Doch erfahrungsgemäß ist der Preis der harten Hand hoch. Justizirrtümer sind keine Seltenheit. Straflosigkeit, also genau das Gegenteil von hohen Verurteilungsquoten, geht erfahrungsgemäß mit der Zuständigkeit von Militärgerichten für von Angehörigen der Streitkräfte begangene Menschenrechtsverletzungen einher. Während die Militärjustiz bei internen Angelegenheiten then denied the guarantee to the right to be heard by an independent and impartial tribunal. The working group therefore shares the Commission’s concern, reflected in resolution 1992/31, about respect for the protection of all persons in the administration of justice, and it considers that the human right to be heard by an independent and impartial tribunal is the very essence to the right to justice.”, MRKomm., Arbeitsgruppe über willkürliche Haft, U.N. Dok. E/CN.4/ 1993/24, § 34. Siehe auch die zugehörigen Empfehlungen, insbesondere Empfehlung (b)(iii).
Siehe zu diesem Problem die Ausführungen des Sonderberichterstatters Cumaraswamy in seinem Bericht zur Situation der Justiz in Nigeria, MRKomm., U.N. Dok. E/CN.4/1997/62/Add.1, § 61.
Der Sonderberichterstatter Cumaraswamy nimmt in einem Bericht Bezug auf eine kolumbianische Statistik des Büros des Generalanwalts, derzufolge von 7.903 Urteilen, die im Zeitraum von Anfang 1992 bis Mitte 1994 von den Militärgerichten gefällt wurden, 4.304 mit einer Verurteilung endeten, wobei aber 4.103 von diesen Verstöße gegen interne Militärvorschriften betrafen; U.N. Dok. E/CN.4/1998/39/Add.2, § 131. Kritisch zu den vermeintlich hohen Verurteilungsquoten äußert sich auch die Interamerikanische Menschenrechtskommission in ihrem Bericht zur Menschenrechtslage in Kolumbien 1999, siehe AKMR, Dritter Bericht zur Menschenrechtslage in Kolumbien (1999), Dok. OEA/Ser.L/V/II.102 Doc.9 rev.1, Kap.V, §§ 18.
In Peru wurde eine Begnadigungskommission für Personen eingerichtet, die unter den Sicherheitsgesetzen fälschlicherweise verurteilt worden waren. Der peruanische Ombudsmann rechnete mit 5.000 Betroffenen. Menschenrechtsorganisationen gingen derweil von einer wesentlich höheren Zahl aus, wobei die Justizirrtümer nicht ausschließlich von Militärgerichten verübt wurden. So wiedergegeben im zweiten Bericht der AKMR zur Menschenrechtssituation in Peru, Dok. OEA/Ser.L/V/II.106 Doc.59 rev., § 122. Siehe zur Arbeit dieser Kommission auch den Bericht von G. Costa, Dos años de la Comisión Ad-hoc: resultados y perspectivas, in: J. Santistevan de Noriega (Hrsg.), Debate Defensorial, Nr. 1, Lima 1998, S. 127.
Siehe AKMR, Dritter Bericht zur Menschenrechtslage in Kolumbien (1999), Dok. OEA/Ser.L/V/II.102 Doc.9 rev.1, Kap. V, § 17. Zu der Erfahrung
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grundsätzlich funktioniert, versagt sie, sobald Außenstehende betroffen sind und damit das Gesicht der Streitkräfte nach außen in Gefahr ist. Die für dieses Phänomen nach der Auffassung von zwei Sonderberichterstattern der Vereinten Nationen verantwortlichen Gründe wurden im vorangegangenen Kapitel bereits genannt. Dazu gehört wesentlich der falsch verstandene Korpsgeist (esprit de corps). Das Verlangen, Fehler nicht nach außen dringen zu lassen, um das reine Gesicht der Institution zu wahren, ist keineswegs auf den militärischen Bereich beschränkt. Im Bereich der Militärgerichtsbarkeit wird es jedoch verstärkt durch weitere Elemente: Hierarchiebewußtsein und ein durch die militärtypische Gefährdung gefördertes Zusammengehörigkeitsgefühl.
internationaler Organe mit der Straflosigkeit durch Militärgerichte gehört auch die Äußerung der Interamerikanischen Menschenrechtskommission zur Menschenrechtssituation in Ecuador. In ihrem Jahresbericht 1998 führt die Kommission insofern aus: “... Similarly, the Commission has seen that in many instances, the military courts continue to act with impunity with regard to members of the armed forces who have committed human rights violations. Thus, the absence of an efficient justice system is still one of the major obstacles to the true enjoyment of human rights in the country.”, AKMR, Jahresbericht 1998, Dok. OEA/Ser.L/V/II.102 Doc.6 rev., § 70.
Siehe MRKomm., Gemeinsamer Bericht des Sonderberichterstatters über Folter, Nigel S. Rodley, und des Sonderberichterstatters über außergerichtliche, summarische und willkürliche Hinrichtungen, Bacr Waly Ndiaye, Besuch der Sonderberichterstatter in der Republik Kolumbien, U.N. Dok. E/CN.4/1995 /111, § 87. Diese führen aus, die Strafen fielen im Bereich der Verfahren wegen interner Vergehen extrem hart aus.
Der Sonderberichterstatter über Folter erkennt an, daß sich Regierungen, die mit Gewalt und Drogenhandel zu kämpfen haben, in einem besonderen Spannungsfeld befinden. Er schreibt: “Human rights violations are frequent in the context of operations of the security forces directed against the armed insurgency or drug-traffickers. The Special rapporteurs fully understand the difficulties faced by the Government when confronted with guerillas and other armed groups, both responsible for numerous acts of violence and clearly lacking respect for the lives and physical integrity of state agents and civilians. However, this does not justify excessive and arbitrary use of force on the part of the security forces. There is no excuse for extrajudicial, summary or arbitrary executions or torture, nor for their perpetuation through impunity.”, MRKomm., Gemeinsamer Bericht des Sonderberichterstatters über Folter, Nigel S. Rodley, und des Sonderberichterstatters über außergerichtliche, summarische oder willkürliche Hinrichtungen, Bacr Waly Ndiaye, Besuch der Sonderberichterstatter in der Republik Kolumbien, U.N. Dok. E/CN.4/1995/111, § 107.
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II. Entwicklungen im außervertraglichen Bereich Daher stellt sich die Frage, auf welche Art und Weise sich die für nötig gehaltenen Zuständigkeitsbeschränkungen verwirklichen lassen. Ausdrücklich gefordert sind Beschränkungen der militärgerichtlichen Jurisdiktion in keinem der drei hier relevanten Menschenrechtsverträge. Bevor untersucht wird, inwiefern sich persönliche und sachliche Beschränkungen der militärgerichtlichen Zuständigkeit durch Auslegung erreichen lassen, werden hier außervertragliche Entwicklungen nachgezeichnet. Ziel ist es, das Panorama sichtbar zu machen, vor dessen Hintergrund sich die vertraglichen Entwicklungen vollziehen. In Erklärungen anläßlich von Expertenkonferenzen sowie in Berichten von Sonderberichterstattern der Vereinten Nationen wird seit Mitte der 80er Jahre immer wieder gefordert, die militärgerichtliche Zuständigkeit zu beschränken. Mögen diese Dokumente nicht selbst rechtsverbindlich sein und mögen sie das Vertragsrecht nicht unmittelbar beeinflussen, so sind sie doch nicht völlig unerheblich. Sie sind Erkenntnisquelle insoweit, als die verbreiteten, von verschiedensten Gremien geäußerten Bedenken und die daraus gewonnenen Forderungen das Bestehen eines Problems und einer Lösung indizieren. Die Entwicklung im außervertraglichen Bereich besteht nur zum Teil darin, daß neue Zuständigkeitsbeschränkungen formuliert worden sind. Die Forderung nach einer Begrenzung der militärgerichtlichen Zuständigkeit auf aktive Angehörige der Streitkräfte und auf Angelegenheiten der Disziplin und der inneren Ordnung wurde schon in den 80er Jahren erhoben. Die Entwicklung besteht deshalb wesentlich in der Art der Formulierung, der Verbreitung der Forderungen und zum Teil eben darin, daß nicht mehr das Kriterium der gerichtlichen Unabhängigkeit als Anknüpfung dient. Wie oben bereits angedeutet, gewinnen Militärgerichte in besonderem Maße in Ausnahmezuständen an Gewicht. Gerade in solchen Situationen werden Kompetenzen erweitert – insbesondere auf Militärstrafverfahren gegen Zivilpersonen. Staaten, die diese „erweiterte Gerichtsbarkeit“ in Friedenszeiten unabhängig vom Bestehen eines Ausnahmezustands vorsehen, haben sie häufig aus Anlaß eines solchen eingeführt und dann institutionalisiert. Angesichts der besonderen Bedeutung
So ausgeführt im Bericht der UN-Berichterstatterin N. Questiaux, Study of the implications for human rights of recent developments concerning situations known as states of siege or emergency, U.N. Dok. E/CN.4/Sub.2/1982 /15, §§ 129-145.
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der Militärgerichtsbarkeit in Spannungssituationen kann es kaum verwundern, daß die Frage der Zuständigkeitsbeschränkung in der Auseinandersetzung mit Ausnahmezuständen besondere Beachtung erfahren hat. So hat die International Law Association beispielsweise 1984 die “Paris Minimum Standards of Human Rights Norms in a State of Emergency” verabschiedet. Art. 16 Abs. 4 der Prinzipien sieht vor: “Civil courts shall have and retain jurisdiction over all trials of civilians for security or related offences; initiation of any such proceedings before or their transfer to a military court or tribunal shall be prohibited. The creation of special courts or tribunals with punitive jurisdiction for trial of offences which are in substance of a political nature is a contravention of the rule of law in a state of emergency.” Vorsichtiger in ihrer Forderung sind die “Siracusa Principles on the Limitation and Derogation Provisions in the International Covenant on Civil and Political Rights”, die ebenfalls aus dem Jahr 1984 stammen. Dort heißt es in Ziff. 70 (f): “Although protections against arbitrary arrest and detention (Art. 9) and the right to a fair trial and public hearing in the determination of a criminal charge (Art. 14) may be subject to legitimate limitation if strictly required by the exigencies of an emergency situation, the denial of certain rights fundamental to human dignity can never be strictly necessary in any conceivable emergency. Respect for these fundamental rights is essential in order to ensure enjoyment of nonderogable rights and to provide an effective remedy against their violation. In particular: (f) civilians shall normally be tried by the ordinary courts; where it is found strictly necessary to establish military tribunals or special courts to try civilians, their competence, independence and impar-
Zitiert aus: R.B. Lillich, Current Developments, The Paris Minimum Standards of Human Rights Norms in a State of Emergency, in: AJIL 79 (1985), S. 1072, 1081.
Siehe MRKomm., U.N. Dok. E/CN.4/1984/4, auch abgedruckt in: ICJ, The Review 36 (1986), S. 48-55. Die Prinzipienerklärung entstand anläßlich eines Treffens von 31 Experten aus 17 Ländern in Syrakus im Frühjahr 1984, zu der die International Commission of Jurists, die International Association of Penal Law, die American Association for the International Commission of Jurists, das Urban Morgan Institute for Human Rights und das International Institute for Higher Studies in Criminal Sciences eingeladen hatten.
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tiality shall be ensured and the need for them reviewed periodically by the competent authority.” Der Grund für die vorsichtigere Formulierung der Ziffer 70 (f) dürfte darin liegen, daß das Expertentreffen von Syrakus das Ziel verfolgte, die im Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte im Falle des Ausnahmezustands geltenden Regelungen zu präzisieren. In bezug auf das faire Verfahren hatte sich der Menschenrechtsausschuß ebenfalls im Jahr 1984 in der Allgemeinen Bemerkung 13/21 zur Frage der militärgerichtlichen Jurisdiktion über Zivilpersonen geäußert. Die Formulierung “shall normally be tried” der Siracusa Principles stimmt mit Ziffer 4 des “General Comment” überein, der fordert, Zivilpersonen sollten nur ausnahmsweise und unter Einhaltung der Garantien des Art. 14 strafrechtlich vor Militärgerichten verfolgt werden. Eine weitere bedeutsame, häufig zitierte Erklärung stammt aus dem Jahre 1985: die “Draft Declaration on the Independence of Justice”. Sie wurde von der Unterkommission für den Schutz und die Förderung der Menschenrechte der Vereinten Nationen erarbeitet. Ihre Entwicklung zeigt deutlich die Vorbehalte von Staatenvertretern gegenüber der vorgeschlagenen Zuständigkeitsbeschränkung für Militärgerichte. In der ersten Version der Erklärung hieß es in Ziffer 5 (e): “The jurisdiction of military tribunals shall be confined to military offences committed by military personnel. There shall be a right to appeal from such tribunals to a legally qualified appellate court or tribunal.” Die militärgerichtliche Zuständigkeit sollte also sowohl ratione personae als auch ratione materiae beschränkt werden. In der Folge meldeten jedoch mehrere Staaten Bedenken gegen die Formulierung an. Ungarn schlug eine Umformulierung dahingehend vor, die Kompetenzen von Militärgerichten sollten auf ein Minimum beschränkt sein. Spanien forderte, die Passage “committed by military personnel” zu streichen. Auch Rumänien meinte, die Strafverfolgung von Zivilpersonen sollte für bestimmte Delikte vor Militärgerichten innerstaatlich möglich sein. Frankreich wandte sich schließlich dagegen, in jedem Fall ein Rechts
ICJ, The Review 36 (1986), S. 54.
MRA, Allgemeine Bemerkung 13, Artikel 14, U.N. Dok. HRI/GEN/1/ Rev.1 S. 14.
Die Unterkommission für Menschenrechte (Sub-Commission on Human Rights) hieß zum Zeitpunkt der Erklärung “Sub-Commission on the Prevention of Discrimination and Protection of Minorities”.
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mittel vor einem ordentlichen Gericht zu fordern. Der Sonderberichterstatter Singhvi erklärt daraufhin, die aufgestellten Prinzipien spiegelten neue Rechtsentwicklungen wider und seien einem Kompromiß zugänglich. Entsprechend lautete Ziffer 5 (f) der überarbeiteten Version der sogenannten “Singhvi principles”: “The jurisdiction of military tribunals shall be confined to military offences. There shall always be a right of appeal from such tribunals to a legally qualified appellate court or tribunal or a remedy by way of an application for annulment.” Inwiefern Prinzip 5 (f) materiellrechtlich hinter der Vorlage zurückbleibt, hängt von der Interpretation der “military offences” ab. Das Fehlen einer ausdrücklichen Beschränkung auf Militärangehörige ermöglicht indes eine extensive Auslegung dieses Begriffs. 1992 verabschiedete die Generalversammlung der Vereinten Nationen eine Resolution zum Schutz aller Personen gegen das Verschwindenlassen. Erfahrungsgemäß sind häufig Angehörige der Streitkräfte an dieser Art der Menschenrechtsverletzung beteiligt. Vor diesem Hintergrund fordert Art. 16. 2: “They [scil.: persons alleged to have committed acts of forced disappearance] shall be tried only by the competent ordinary courts in each State, and not by any other special tribunal, in particular military courts.” Schließlich sei noch das Prinzip 22 (b) der Johannesburger Prinzipien von 1995 erwähnt, welches wie folgt lautet:
Singhvi kommentiert die Änderungsbegehren wie folgt: “The question, therefore, boils down to whether military tribunals should be confined to military offences and should have jurisdiction over military personnel only and should be appealed. The positions taken in 5 (e), 5 (f) and 5 (g) largely reflect the new normative directions in this respect. It is however possible to accept as a matter of compromise the Hungarian, Mexican, Spanish, French and Romanian comments and suggestions to a large extent and to delete the words “committed by military personnel” in draft article 5 (f).”, MRUnterKomm., U.N. Dok. E/CN.4/Sub.2/1988/20, § 18, Draft declaration on the independence and impartiality of the judiciary, jurors and assessors and the independence of lawyers.
MRUnterKomm., U.N. Dok. E/CN.4/Sub.2/1988/20/Add.1, S. 5 § 5 (f). Vgl. G.A., U.N. Dok. A/RES 47/133 vom 18. Dezember 1992.
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“In no case may a civilian be tried for a security-related crime by a military court or tribunal.” Nicht nur in Erklärungen ist dem Bedürfnis nach einer Beschränkung der militärgerichtlichen Zuständigkeit immer wieder Ausdruck verliehen worden. Auch beispielsweise der Anti-Folterausschuß und verschiedene Sonderberichterstatter wie der Sonderberichterstatter über die Unabhängigkeit der Justiz, der über Folter, der über das Verschwindenlassen und die Arbeitsgruppe über willkürliche Hinrichtungen, haben das Problem der militärgerichtlichen Zuständigkeit regelmäßig und zunehmend kritisch aufgegriffen. Wie in Zusammenhang mit der Un
Die “Johannesburg Principles on National Security, Freedom of Expression and Access to Information” wurden 1995 anläßlich einer Konferenz verabschiedet, zu der Art. 19, the International Centre Against Censorship, in Zusammenarbeit mit dem Centre for applied Legal Studies of the University of Witwaterstrand, Südafrika, eine Gruppe von Experten eingeladen hatte. Zitiert aus dem Bericht des UN-Sonderberichterstatters Cumaraswamy, Bericht über den Vor-Ort Besuch in Peru, U.N. Dok. E/CN.4/1998/39/Add.1, II.B.5.
In den Schlußbemerkungen des Anti-Folterausschusses (CAT) zum zweiten periodischen Bericht zu Peru heißt es unter “subjects of concern”: “(b) The maintenance of the competence of military courts to try civilians ...”, CAT, U.N. Dok. A/53/44, § 202. Im Ergebnis ähnlich äußert sich der Ausschuß auch zum zweiten Bericht Guatemalas und zum ersten Bericht Venezuelas. Zu Guatemala heißt es unter der Rubrik “positive aspects”: “The restriction of military jurisdiction to essentially military crimes and misdemeanors and the consequent transfer to ordinary courts of all proceedings against members of the armed forces for ordinary crimes and similar acts; ...”, CAT, U.N. Dok. A/53/44, § 162 (e). In den Empfehlungen zum Bericht Venezuelas ist zu lesen: “The legislation in question must provide for the hearing and trial in the ordinary courts of any charge of torture, regardless of the body of which the accused is a member.”, CAT, U.N. Dok. A/54/44, § 142. Dabei enthält das Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe keine Vorschrift, die ausdrücklich eine gerichtliche Zuständigkeitsbestimmung für das Delikt der Folter trifft.
Der Sonderberichterstatter über Folter empfiehlt zum Beispiel nach einem Besuch in Mexiko 1997: “Cases of serious crimes committed by military personnel against civilians, in particular torture and other cruel, inhuman or degrading treatment or punishment, should, regardless of whether they took place in course of service, be subject to civilian justice.”, MRKomm., Bericht des Sonderberichterstatters Nigel S. Rodley, Besuch in Mexiko, Addendum, U.N. Dok. E/CN.4/1998/38/Add. 2, § 88 (j). Siehe auch die Ausführungen des Sonderberichterstatters Cumaraswamy, Vor-Ort Besuch in Peru 1998, U.N. Dok. E/CN.4/1998/39/Add. 1, B. II. 8. und C. V. Amnesty laws and impunity, Ziff. 2 und Besuch in Kolumbien, U.N. Dok. E/CN.4/1998/39/Add.2, § 7. Die Ar-
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tersuchung der Unabhängigkeit bereits erwähnt, ist insbesondere das Problem der Straflosigkeit in den letzten Jahren in den Blick der Öffentlichkeit getreten. Der für Fragen der Straflosigkeit von Menschenrechtsverletzungen eingesetzte Berichterstatter Joinet fordert in seinem überarbeiteten Abschlußbericht unter “Principle 31” (restrictions on the jurisdiction of military courts), die militärgerichtliche Jurisdiktion müsse auf “specifically military offences committed by military personnel” beschränkt sein. Eine interessante Entwicklung zeigen die
beitsgruppe über willkürliche Haft führt, ohne daß der Bericht selbst weiter auf die Problematik der Militärgerichte eingeht, aus: “Cases involving non-military victims, especially in the field of human rights, should be excluded from military jurisdiction”, U.N. Dok. E/CN.4, CN.4/2000/Add.2, § 103. Eine ausführliche Stellungnahme zur Zulässigkeit von Verfahren gegen Militärangehörige vor Militärgerichten findet sich in einem gemeinsamen Schreiben von Amnesty International und der International Commission of Jurists an den Präsidenten der Kammer für Disziplinarsachen des Consejo Superior de la Judicatura in Kolumbien betreffend den Fall Nydia Erika Bautista de Arrellano (Schreiben vom 21. Juli 2000, ). So nicht zutreffend dürfte die Aussage sein, daß „[d]esde larga data, el derecho internacional de los derechos humanos cuenta con un corpus iuris coherente sobre el procesamiento de militares responsables de violaciones a los derechos humanos, y en particular por casos de desaparición forzada de personas. El derecho internacional de los derechos humanos es claro en prescribir que en estos casos, son los tribunales de la jurisdicción civil o común, y no los tribunales castrenses, los que tienen la competencia para estos tipos de delitos.“, Schreiben von Amnesty International und der International Commission of Jurists vom 21.07.2000 an den Vorsitzenden der Disziplinarkammer des Consejo Supremo de la Judicatura von Kolumbien, S. 1 sowie Schreiben derselben Organisationen vom 04.08.2000 an den Präsidenten der Republik Argentinien, S. 2.
Vgl. MRUnterKomm., U.N. Dok. E/CN.4/Sub.2/1997/20/Rev. 1, Annex II. Im Wortlaut heißt es in Prinzip 31: “In order to avoid military courts, in those countries where they have not yet been abolished, helping to perpetuate impunity owing to lack of independence resulting from the chain of command to which all or some of their members are subject, their jurisdiction must be restricted solely to specifically military offences committed by military personnel, to the exclusion of human rights violations, which shall come under the jurisdiction of ordinary domestic courts or, where appropriate, in the case of serious crimes under international law, that of the international criminal court.” Im Text des Berichts heißt es: “Because military courts do not have sufficient statutory independence, their jurisdiction must be limited to specifically military infractions committed by members of the military, to the exclusion of human rights violations, which must come within the jurisdiction of the ordinary courts.”, ebenda § 38.
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Berichte des Berichterstatters Cumaraswamy und der Arbeitsgruppe über willkürliche Haft. Sie haben 1999 ausdrücklich die Allgemeine Bemerkung des Menschenrechtsausschusses kritisiert und sich dagegen gewandt, daß Strafverfahren gegen Zivilpersonen vor Militärgerichten ausnahmsweise zulässig sind. Cumaraswamy schreibt: “In regard to the use of military tribunals to try civilians, international law is developing a consensus as to the need to restrict dramatically, or even prohibit that practice. In this respect, the Committee on Human Rights, in its General Comment 13 on article 14 of the International Covenant on Civil and Political Rights, stated that while the Covenant does not prohibit military tribunals, the use of such courts to try civilians should be very exceptional and take place in conditions which genuinely afford the full guarantees of article 14. The Special Rapporteur has reservations on this particular general comment in the light of the current development in international law which is towards the prohibition of military tribunals trying civilians.” Die Arbeitsgruppe über willkürliche Haft schloß sich der Auffassung Cumaraswamys an. Beide schlugen vor, die Vereinten Nationen mögen eine Studie veranlassen, die sich mit dem Problem der Militärstrafgerichtsbarkeit befaßt. Wie in der Einleitung bereits erwähnt, hat die Unterkommission der Menschenrechtskommission zur Förderung und zum Schutz der Menschenrechte diese zwischenzeitlich in Angriff genommen. Ihr Berichterstatter Louis Joinet hat im August 2001 ein
MRKomm., U.N. Dok. E/CN.4/1998/39/Add. 1, B II 5 (Verweise weggelassen). Der Sonderberichterstatter stützt seine Argumentation zum Konsens allerdings auf die Paris und Johannesburg Rules, was wegen deren nichtstaatlicher Herkunft nicht überzeugt.
Siehe MRKomm., Arbeitsgruppe über willkürliche Haft, Bericht der Arbeitsgruppe, U.N. Dok. E/CN.4/1999/63, III C § 79. 1994 hatte die Arbeitsgruppe noch vertreten, daß die militärgerichtliche Jurisdiktion über Zivilpersonen nicht grundsätzlich unzulässig ist und hatte sich dafür auf die Allgemeine Bemerkung des Menschenrechtsausschusses bezogen, vgl. MRKomm. U.N. Dok. E/CN.4/1994/27, § 35. Ohne daß der Bericht über den Besuch in Indonesien selbst weiter auf die Problematik der Militärgerichte eingeht, formuliert die Arbeitsgruppe in Empfehlung 9: “Military tribunals: their competence should be limited strictly to offences committed under the Code of Military Justice by military personnel.”, MRKomm., U.N. Dok. E/CN.4/2000/Add.2, § 103.
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zweites Arbeitsdokument vorgelegt. Der Abschlußbericht soll im Jahr 2002 erscheinen.
B. Ein Recht auf den zuständigen Richter? – Eine Bestandsaufnahme Im folgenden wird in einem ersten Schritt die Rechtsprechung der Kontrollorgane zur Frage des „zuständigen Gerichts“ dargestellt und bewertet. Nach der Bestandsaufnahme wird ein eigener Ansatz Alternativen zu den von der Rechtsprechung vertretenen Lösungswegen aufzeigen.
I. AMRK 1. Berichte der Kommission Grundsätzliches zur Berichtstätigkeit der Kommission hat schon im Kapitel zur Unabhängigkeit Erwähnung gefunden. Bereits im Rahmen dieser Untersuchung zeigte sich im Umgang der Kommission mit den beiden hier maßgeblichen Fallgruppen eine Entwicklung von vorsichtiger Kritik zu scharfer Verurteilung. Die nun folgende Darstellung der Entwicklung wird zum Teil noch einmal auf Gesichtspunkte und Stationen zurückkommen, die im vorhergehenden Kapitel bereits beschrieben wurden. Dies ist notwendig, um die Neuerungen als solche zu begreifen.
a. Übersicht über die Entwicklung Wie bereits erwähnt sind die Äußerungen der Kommission, sei es in Form von Kritik oder in Form von Empfehlungen, eher apodiktisch, weil die Kommission ihre Feststellungen im Berichtsverfahren nicht im Wege der Auslegung herleitet. Die durchlaufene Entwicklung zeigt sich deswegen vor allem an der Wortwahl.
Siehe MRUnterKomm., Rapport intérimaire relatif à „l’administration de la justice par les tribunaux militaires“, U.N. Dok. E/CN.4/Sub.2/2001/WG.1 /CRP.3.
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4. Kapitel
Im Jahresbericht 1972 bedauerte die Kommission, daß Zivilisten der ordentlichen Gerichtsbarkeit entzogen werden. Im Kolumbienbericht von 1981 empfahl sie die Abschaffung von Militärstrafverfahren gegen Zivilpersonen, schränkte aber ein, daß, falls dies nicht möglich sei, die Jurisdiktion der Militärgerichte zumindest auf solche Delikte beschränkt sein sollte, die wirklich die Sicherheit des Staates betreffen (“that truly affect State security”). Im Bericht zur Menschenrechtssituation in Chile von 1985 sprach die Interamerikanische Menschenrechtskommission von Defiziten der Unabhängigkeit der chilenischen Militärgerichte. Diese Defizite verböten es, Militärgerichte in Friedenszeiten zu ordentlichen Gerichten zu machen und sie routinemäßig einzusetzen. In den 90er Jahren wurde die Kommission nachdrücklicher. Im Jahresbericht 1992/93 empfahl sie, die Verbrechen „Terrorismus und Vaterlandsverrat“ (traición a la patria) sowie andere Fälle von Menschenrechtsverletzungen von ordentlichen Gerichten aburteilen zu lassen, selbst solche Fälle, in denen die vermuteten Täter Angehörige der Streitkräfte waren. Sie kritisierte darüber hinaus auch die Erstrekkung der militärgerichtlichen Zuständigkeit auf Angehörige der Polizeikräfte. Im Jahresbericht 1993 stellte sie dann – wie im vorhergehenden Kapitel ausführlich zitiert – ausdrücklich fest, die Unterwerfung von Zivilisten unter die Militärgerichtsbarkeit sei “patently contrary to the rights and guarantees protected under articles 8 and 25 of the American Convention, specifically the right to a hearing by a competent, independent and impartial tribunal”. Die Militärgerichtsbar-
Vgl. AKMR, Jahresbericht 1972, Dok. OEA/Ser.L/V/II.27 Doc.11 rev., Kap. II.
Vgl. AKMR, Bericht zur Menschenrechtslage in Kolumbien, (1981), Dok. OEA/Ser.L/V/II.53 Doc.22, Recomendaciones, 1 b.
Vgl. AKMR, Bericht zur Menschenrechtslage in Chile (1985), §§ 139 f. und 143.
Vgl. AKMR, Bericht zur Menschenrechtslage in Chile (1985), §§ 139 f. und 143, zitiert aus: D. O’Donnell, Protección internacional de los derechos humanos, S. 163 f.
Vgl. AKMR, Jahresbericht 1992-1993, Dok. OEA/Ser.L/V/II. 83, Doc.14, corr.1, S. 515.
Vgl. AKMR, Jahresbericht 1992-1993, Dok. OEA/Ser.L/V/II. 83, Doc.14 corr.1., S. 193.
AKMR, Jahresbericht 1993, Dok. OEA/Ser.L/V/II.85, Doc. 9 rev., S. 487. Die Aussage bezog sich auf das peruanische Gesetz Nr. 25659.
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keit sei nämlich eine funktionale Gerichtsbarkeit, die ausschließlich der Aufrechterhaltung von Disziplin und Ordnung innerhalb der Streitkräfte diene. Die Streitkräfte überschritten ihren natürlichen Funktionsbereich (“overstep their natural role”), wenn sie Zivilpersonen wegen des Vorwurfs, einer subversiven Organisation anzugehören, strafrechtlich verfolgten; dies falle in die Zuständigkeit der Judikative. Spätestens seit diesem Bericht ist unmißverständlich klar, daß die Kommission die Jurisdiktion von Militärgerichten über Zivilpersonen für konventionswidrig hält. Interessant ist darüber hinaus, daß sich dieses allgemein formulierte Zuständigkeitsverbot auf einen Staat im Ausnahmezustand bezog. Im Länderbericht zu Nicaragua aus dem Jahr 1993 äußerte sich die Kommission zur militärgerichtlichen Jurisdiktion über von Armeeangehörigen begangene gemeine Straftaten. Diese verstießen gegen die Garantien der Unabhängigkeit und der Unparteilichkeit in Art. 8. Zur Begründung führt die Kommission aus: “Replacing the normal jurisdiction of those courts with military justice has – both because military judges are subject to political power and because they are less well trained in the law – generally meant seriously undermining the guarantees to which all accused persons are entitled. Moreover, in many proceedings it is not unusual to find military or police officers as the only witnesses when charges are brought. The conclusion has to be drawn that such semblances of trials lack many of the basic elements of normal judicial proceedings.” 1996 empfahl die Interamerikanische Kommission für Menschenrechte den Mitgliedstaaten der OAS, gemäß Art. 2 der Konvention gesetzliche oder andere Maßnahmen zu ergreifen, um sicherzustellen, daß Strafverfahren gegen Zivilpersonen wegen jeglicher strafbarer Handlungen vor ordentlichen Gerichten stattfinden, die den wesentlichen Garantien der
Vgl. AKMR, Jahresbericht 1993, Dok. OEA/Ser.L/V/II.85, Doc. 9 rev., S. 507. Die Kommission formuliert noch deutlicher: “...as this function is the proper purview of the judiciary.”
Siehe J. Kokott, The Inter-American System for the Protection of Human Rights, in: D. Weissbrodt/R.Wolfrum (Hrsg.), The Right to a Fair Trial, Beiträge zum ausländischen öffentlichen Recht und Völkerrecht, Bd. 129, 1997, S. 133, 161.
Vgl. AKMR, Jahresbericht 1993, Dok. OEA/Ser.L/V/II.85, Doc. 9 rev., S. 442 ff.
AKMR, Jahresbericht 1973, Dok. OEA/Ser.L/V/II.32, Doc. 3 rev.2, S. 34.
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Unabhängigkeit und der Unparteilichkeit genügen, und daß die militärgerichtliche Jurisdiktion auf “strictly military offences” beschränkt wird. Hier griff die Kommission also noch auf die Merkmale der Unabhängigkeit und der Unparteilichkeit zurück. 1998 änderte sich dies. Im Jahresbericht 1998 stützte die Kommission das Verbot von Kompetenzverschiebungen von ordentlichen auf Militärgerichte auf die Figur des „juez natural“ oder “natural judge”, ohne die Figur – die in der Konvention keine Erwähnung findet – näher zu erklären. Sie schreibt: “With regard to jurisdictional matters, the Commission reminds the member States that their citizens must be judged pursuant to ordinary law and justice and by their natural judges. Thus, civilians should not be subject to Military tribunals. Military justice has merely a disciplinary nature and can only be used to try armed forces personnel in active service for misdemeanors or offenses pertaining to their function. In any case, the special jurisdiction must exclude the crimes against humanity and human rights violations.”
Vgl. AKMR, Jahresbericht 1996, “Recommendations to member states in areas in which steps need to be taken towards full observance of the human rights set forth in the American Declaration of the Rights and Duties of Man and the American Convention of Human Rights”, verfügbar unter: , S. 761. Im Jahresbericht 1998 gibt die Kommission unter anderem Empfehlungen aus Follow-up-Berichten zur Menschenrechtssituation in den Vertragsstaaten wieder. In den Empfehlungen an Ecuador, die abgedruckt sind, heißt es: “That measures be taken, in compliance with Article 2 of the American Convention, to ensure that any alleged human rights violation is promptly and thoroughly investigated, and that any person implicated in the commission of such violation, whether a civilian or a member of a public security force, is submitted to the appropriate process of civilian justice.”, AKMR, Jahresbericht 1998, Dok. OEA/Ser.L/V/II.102 Doc.6 rev.
AKMR, Jahresbericht 1998, Dok. OEA/Ser.L/V/II.102 Doc.6 rev., Kap. VII, § 1 (Hervorhebung von der Verfasserin). Im Jahresbericht 1998 finden sich Äußerungen zur Frage der Militärgerichtsbarkeit an diversen anderen Stellen. So empfiehlt die Kommission im Kapitel über “The right to judicial recourse and the administration of justice”: “In accordance with the terms of the American Convention and its jurisprudence on this issue, the Commission recommends that the State take the internal measures necessary to limit the application of the special jurisdiction of police and military tribunals to those crimes of specific police or military nature, and to ensure that all cases of human rights violations are submitted to the ordinary courts.”, AKMR, Jahresbericht 1998, Dok. OEA/Ser.L/V/II.102 Doc.6 rev., § 64. Auch bei den Untersuchungen zum Recht auf Leben kommt die Kommis-
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Der „juez natural“ oder “natural judge” ist keine Erfindung der Interamerikanischen Kommission. Er ist eine Rechtsfigur, die zum Beispiel dem spanischen oder auch dem kolumbianischen Recht bekannt ist. In beiden Rechtsordnungen dient sie der Sicherung des gesetzlich vorherbestimmten und mit grundlegenden Garantien ausgestatteten Richters. Gemeinsamkeiten zwischen dem nationalen und dem internationalen Konzept sind durchaus erkennbar. Wegen der unterschiedlichen Struktur von nationalem und internationalem Recht stellt sich
sion wieder auf das Thema Militärgerichtsbarkeit zurück. Sie führt aus: “That the States act to ensure that claims alleging a violation of human rights by a member of the police or armed forces are promptly and thoroughly investigated, and in the appropriate case processed through the civilian judicial mechanisms.”, AKMR, Jahresbericht 1998, Dok. OEA/Ser.L/V/II.102 Doc.6 rev., § 72, auch § 80. Nachfolgend erscheint das Thema Militärgerichte auch im Zusammenhang mit dem Recht auf menschenwürdige Behandlung. Ihren Follow-up-Bericht zu Ecuador zitierend, der sich in diesem Zusammenhang maßgeblich mit der Situation von Häftlingen befaßte, führt die Kommission aus: “Adopting the internal measures necessary to limit the jurisdiction of special police and military tribunals to only those crimes of specific police or military nature; cases concerning torture and other mistreatment of detainees are to be submitted to the ordinary civilian courts”, AKMR, Jahresbericht 1998, Dok. OEA/Ser.L/V/II.102 Doc.6 rev., § 83. Um so erstaunlicher ist es, daß die Militärgerichte in den Schlußbemerkungen keine Erwähnung finden. Dort wird nur auf die mangelnde Effizienz der Rechtspflege und das Problem der Straflosigkeit hingewiesen. Beide stehen mit der Militärgerichtsbarkeit in Zusammenhang. Im Bericht zu Ecuador hat die Kommission die neue Verfassung zum Anlaß genommen, um im Rahmen einer Bestandsaufnahme Verbesserungen und Bedenken zusammenzustellen. Im Jahresbericht 1998 führt sie im Abschnitt „Empfehlungen“ aus: “With regard to the Armed Forces in particular, the Commission cannot but call the attention to the use of military tribunals to review cases involving issues ruled by ordinary law, amongst them those relating to the observance of individual rights. The Commission reiterates that military tribunals should be employed to address those cases involving internal discipline within the Armed Forces. The Commission recommends, emphatically, that the member States take the necessary measures to ensure that those members of the Armed Forces who commit common crimes be judged by ordinary courts and pursuant to ordinary law so as to ensure the right of the affected party to an impartial judge.”, AKMR, Jahresbericht 1998, Dok. OEA/Ser.L/ V/II.102 Doc.6 rev., Kap. VII § 3.
So für das spanische Verfassungsrecht J. Esteban, P.J. González-Trevijano, Curso de Derecho Constitucional II, Madrid 1993, S. 85. Für das kolumbianische Recht siehe z. B. Art. 16 des Gesetzes 522 von 1999 (Código Penal Militar), verfügbar unter: <www.cajpe.org.pe/rij>.
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aber die Frage, ob die Rechtsfigur des „juez natural“ ohne weiteres auf den internationalen Kontext übertragen werden kann. Aufschlußreich ist in diesem Zusammenhang, daß sich die Kommission in ihrem Bericht zur Situation der Menschenrechte in Kolumbien auf eine viel beachtete Entscheidung des kolumbianischen Verfassungsgerichts aus dem Jahr 1997 bezieht und feststellt, daß diese Entscheidung eine Auslegung der militärischen Jurisdiktion enthalte, die mit den Beschränkungen übereinstimme, welche nach internationalen Menschenrechtsstandards gefordert seien (“which should be placed on that jurisdiction pursuant to international human rights law”). Interessant ist diese Bezugnahme vor allem deswegen, weil das Verfassungsgericht mit dem „juez natural“ argumentiert hatte. Nach Würdigung der den Streitkräften verfassungsrechtlich übertragenen Aufgaben und Funktionen kam es zu dem Schluß, Militärgerichte könnten (nach kolumbianischem Recht) niemals zuständig für die Ahndung von Menschenrechtsverletzungen sein, denn in diesen Fällen fehle stets die in Art. 221 der Verfassung geforderte Beziehung zum Dienst. Die Entscheidung des Verfassungsgerichts bezog sich also – anders als die oben zitierte Aussage der Kommission – nicht auf Militärstrafverfahren gegen Zivilpersonen, die nach kolumbianischem Recht ausdrücklich verboten sind. Der gewichtigere Unterschied zwischen den beiden Konzepten des „juez natural“ besteht jedoch darin, daß die Interamerikanische Kommission der Struktur des internationalen Rechts wegen keine Verfassungsauslegung vornehmen konnte. Das Fehlen einer überzeugenden Herleitung wirkt auf den Inhalt des Konzepts zurück.
b. Bewertung Die Kommission hat mit ihrer Haltung zur Zuständigkeitsproblematik ganz wesentlich zur Schaffung eines Problembewußtseins in bezug auf
Siehe Corte Constitucional de Colombia, Urteil C-358/97 vom 05. August 1997, verfügbar unter: .
Vgl. AKMR, Dritter Bericht zur Menschenrechtslage in Kolumbien (1999), Dok. OEA/Ser.L/V/II.102 Doc.9 rev.1, Kap. V, § 31. Die Empfehlung unter Ziff. 6 desselben Dokuments scheint allerdings etwas zurückhaltender formuliert: “The State should take all measures necessary and consistent with its international legal obligations to ensure that the jurisdiction of the military justice system is limited to crimes truly related to military service. In this regard, the State should ensure that cases involving serious human rights violations are not processed by the military justice system.”
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Militärstrafgerichte beigetragen, und sie hat sicherlich legislative Entwicklungen in den Vertragsstaaten gefördert. Betrachtet man die in den 70er und 80er Jahren vorherrschende politische Situation in Lateinamerika, ist das Selbstbewußtsein der Kommission bemerkenswert. Daß diese Haltung keineswegs selbstverständlich war, wird um so deutlicher, wenn man im Vergleich die Entscheidungen des Menschenrechtsausschusses nach dem Fakultativprotokoll zu militärgerichtlichen Verfahren in Uruguay und Kolumbien sieht. Interessant ist, daß die Begründung der Kommission gewechselt hat – von der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit zum “natural judge”. Im Rahmen der Untersuchungen zu Unabhängigkeit und Unparteilichkeit im vorhergehenden Kapitel hat sich gezeigt, daß diese Tatbestandselemente möglicherweise nicht allein geeignet sind, die Beschränkung der militärgerichtlichen Zuständigkeit zu begründen. Insofern stellt sich die Frage, ob die Rechtsfigur des “natural judge” die Lösung bietet. Ausführlicher wird diese Frage im Anschluß an die Darstellung der Rechtsprechung im Individualbeschwerdeverfahren behandelt werden. Kritisch ist jedoch schon hier anzumerken, daß die Kommission ihre Rechtsauffassung nur spärlich begründet. Die Einführung eines ungeschriebenen Tatbestandsmerkmals wie des “natural judge” hätte einen größeren Begründungsaufwand erfordert. Zudem ist der Rückgriff auf die Ratio der Militärgerichtsbarkeit nicht überzeugend. Woraus ergibt sich, daß sie nur für Disziplin und Ordnung zuständig sein kann? Das kolumbianische Verfassungsgericht hatte die Möglichkeit, sein Ergebnis aufgrund einer systematischen Auslegung des Verfassungstextes zu finden, der den Streitkräften bestimmte Aufgaben zuweist. Wie die Kommission zu ihrem Ergebnis gelangt, bleibt hingegen offen.
2. Individualbeschwerdeverfahren a. Die Beschwerde Genie Lacayo Das erste Verfahren, in dem die Jurisdiktion der Militärgerichte ratione materiae eine Rolle spielte, war der Fall Genie Lacayo gegen Nicaragua. Die diesem Fall zugrundeliegende Konstellation war insofern atypisch, als der beschwerdeführende Vater Lacayo am Strafverfahren nur als Nebenkläger beteiligt war. Dies mag erklären, warum der Ge-
AGMR, Genie Lacayo gegen Nicaragua, Ser. C Nr. 30, Urt. v. 27. Januar 1995, verfügbar unter: .
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richtshof die Zuständigkeit der Militärgerichte nur am Rande thematisierte. Der 16-jährige Genie Lacayo wurde am 28. Oktober 1990 auf dem Weg nach Hause nach Überholen einer Militärkolonne von Angehörigen der Patrouille beschossen und erlag wenig später seinen Verletzungen. Gemäß den Verordnungen Nr. 591 und 600 wurden die Strafverfahren gegen die der Tötung des Minderjährigen beschuldigten Soldaten vor einem Militärgericht durchgeführt. Dagegen wehrte sich der beschwerdeführende Vater. Auch die Kommission kritisierte diesen Umstand. Der Gerichtshof untersuchte die Frage der Zuständigkeit ausschließlich im Hinblick darauf, ob ein Verstoß gegen den Grundsatz der „Gleichheit vor Gericht“ vorliege, was er im Ergebnis verneinte, weil nicht ersichtlich sei, daß der Vater als Nebenkläger – was seine prozessualen Rechte anlangt – gegenüber den Militärrichtern oder den Angeklagten benachteiligt werde (situación de inferioridad). Implizit lehnte es der Gerichtshof also ab, eine Beschränkung der Zuständigkeit von Militärgerichten zu prüfen oder gar zu postulieren.
b. Die Beschwerde Loayza Tamayo Das Verfahren Loayza Tamayo gegen Peru war das erste von drei Verfahren, in denen die Zuständigkeit der Militärgerichtsbarkeit eine zentrale Rolle spielt. Frau Loayza Tamayo, eine peruanische Professorin, war wegen „Vaterlandsverrats“ (traición a la patria) vor einem Militärgericht angeklagt. Die Zuständigkeit der Militärgerichtsbarkeit für Strafverfahren in diesen Fällen ergibt sich aus Art. 4 des Decreto-Ley N° 25.659. Frau Loayza wurde letztinstanzlich vom obersten Mili
Vgl. AKMR, Genie Lacayo gegen Nicaragua, Ser. C Nr. 30, Urt. v. 27. Januar 1995, verfügbar unter: , § 15.
Zitiert nach L.C. Arslanian, siehe Fußnote 258, S. 101, 103.
Siehe AGMR, Loayza Tamayo gegen Peru, Ser. C Nr. 33, Urt. v. 17. September 1997, veröffentlicht unter: .
Vaterlandsverrat (traición a la patria) ist keine Form des Hochverrats, wie die Bezeichnung vermuten läßt. Vielmehr handelt es sich um eine qualifizierte Form des Delikts „Terrorismus“. Die besondere Problematik des Delikts liegt in seiner Unbestimmtheit, die durch die Unbestimmtheit des Delikts „Terrorismus“ selbst und die damit verbundenen Abgrenzungsschwierigkeiten noch verstärkt wird. Die Zuständigkeit der Militärgerichtsbarkeit in Fällen des Vaterlandsverrats ergibt sich aus Art. 4 des Decreto-Ley N° 25659 vom 12./ 13.08.1992, veröffentlicht unter: .
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tärgericht wegen des Vorwurfs des Vaterlandsverrats freigesprochen. Jedoch endete das Verfahren damit nicht. Vielmehr ordnete das oberste Militärgericht die Fortdauer der Inhaftierung der Beschwerdeführerin an und verwies die Sache wegen des Vorwurfs des Terrorismus an die gemäß Decreto-Ley N° 25.475 für solche Verfahren ausschließlich zuständigen ordentlichen Gerichte. Die Kommission führt aus, die gesetzliche Regelung des Decreto-Ley N° 25.659 als solche stehe wegen ihrer Erweiterung militärgerichtlicher Zuständigkeit auf Zivilpersonen in Widerspruch zum „juez natural y competente“, ohne spezifische Gründe dafür zu nennen. Der Gerichtshof folgte der Auffassung der Kommission nicht, die in Decreto-
Die Beschwerdeführerin war von einer „Kronzeugin“, gemäß dem Ley de Arrepentimiento (Reuegesetz), Decreto-Ley N° 25.499, belastet worden. Ohne die Vorwürfe weiter nachzuprüfen, wurden Frau Loayza und ein Verwandter am 06. Februar 1993 festgenommen. Die Beschwerdeführerin befand sich zehn Tage lang in incomunicado-Haft, während derer sie nach den Feststellungen des Gerichtshofs mit dem Ziel gefoltert wurde, eine Selbstbeschuldigung der Mitgliedschaft in der Kommunistischen Partei Peru – Leuchtender Pfad (Partido Comunista del Perú – Sendero Luminoso) zu bewirken. Ein Habeas corpusVerfahren war nach der damaligen Rechtslage in Fällen des Vaterlandsverrats, dessen sie angeklagt wurde, nicht zulässig. Das Militärgericht erster Instanz (hier: Juzgado Especial de la Marina), welches mit anonymen Richtern (jueces sin rostro) besetzt war, sprach die Beschwerdeführerin am 05. März 1993 vom Vorwurf des Vaterlandsverrats frei. Der Consejo de Guerra Especial de la Marina verurteilte sie am 2. April 1993. Das Tribunal Especial del Consejo Supremo de Justicia Militar sprach sie vom Vorwurf des Vaterlandsverrats frei und verwies dieselbe Sache an die ordentlichen Gerichte wegen des Vorwurfs des Delikts „Terrorismus“, für das allein die ordentlichen Gerichte zuständig sind. Trotz des Freispruchs blieb die Beschwerdeführerin weiter inhaftiert. Am 10. Oktober 1994 wurde sie von einem „ordentlichen“, anonymen Gericht zu 20 Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. Der dem Urteil zugrundeliegende Sachverhalt ist in § 3 wiedergegeben.
Die Kommission führt aus: „Además, dicha señora fue acusada por el delito de traición a la patria regulado por el Decreto-Ley N° 25.659, de acuerdo con el cual las personas acusadas por ese delito deben ser juzgadas por jueces militares haciendo extensiva a civiles la jurisdicción militar, que es una instancia especial. Que dicha norma „se encuentra en abierta contradicción con el debido respecto a las garantías de la administración de justicia y el derecho a ser juzgado por el juez natural y competente“.“, AGMR, Loayza Tamayo gegen Peru, Ser. C Nr. 33, Urt. v. 17. September 1997, veröffentlicht unter: , Argumente der Kommission in § 37 A (Hervorhebung von der Verfasserin).
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Ley N° 25.659 getroffene Zuständigkeitsbestimmung verstoße per se gegen die Konvention. Er sah den Verstoß gegen Art. 8 Abs. 1 vielmehr darin, daß das oberste Militärgericht trotz des Freispruchs die Fortsetzung der Inhaftierung anordnete und eine Verweisung derselben Sache an die ordentlichen Gerichte wegen „Terrorismus“ aussprach. Damit habe das Gericht seine Kompetenzen nach nationalem, peruanischem Recht überschritten, weil die Ermittlung in Sachen „Terrorismus“ nach dem maßgeblichen Decreto-Ley N° 25.475 der Nationalpolizei und dem „Ministerio Público“ oblag. Das Verfahren vor den Militärgerichten spielte keine entscheidende Rolle, weil die Beschwerdeführerin wegen des Freispruchs nach Ansicht des Gerichtshofs insoweit nicht beschwert war. Nachstehendes Zitat zeigt, daß der Gerichtshof nicht auf den „juez natural“, sondern nur auf den „juez competente“, den zuständigen Richter, rekurriert und diesen Begriff als das Vorliegen der Zuständigkeit nach innerstaatlichem Recht auslegt. „En primer término, al aplicar los decretos-Leyes N° 25.659 (delito de traición a la patria) y N° 25.475 (delito de terrorismo) expedidos por el Estado, la jurisdicción militar del Perú violó el artículo 8.1 de la Convención, en lo que concierne a la exigencia del juez competente. En efecto, al dictar sentencia firme absolutoria por el delito de traición a la patria del cual fue acusada la señora María Elena Loayza Tamayo, la jurisdicción militar carecía de competencia para mantenerla en detención y menos aún para declarar, en el fallo absolutorio de última instancia, que „existiendo evidencia de la
Anders sehen dies die Richter Cançado Trindade und Jackman. Diese sind der Auffassung, daß trotz des Freispruchs der Beschwerdeführerin eine Verletzung der Konvention im Hinblick auf das militärgerichtliche Verfahren festzustellen war. Sie halten die Grundsätze der Unabhängigkeit und der Unparteilichkeit für verletzt, weil die Militärgerichte von Angehörigen der Streitkräfte besetzt sind, die der militärischen Hierarchie unterliegen, von der Exekutive ernannt sind und Urteile über Zivilpersonen fällen, die zudem keine Begründung enthalten, vgl. AGMR, Loayza Tamayo gegen Peru, Ser. C Nr. 33, Urt. v. 17. September 1997, veröffentlicht unter: , am Ende.
Der Begriff „competente“ findet sich auch in Art. 4 Abs. 2 und 6, 27 Abs. 6 und 25, wobei er in Art. 25 Abs. 2 a) den Hinweis mit sich führt “competent authority provided for by the legal system of the state”, also einen konkreten Verweis auf die nationale Rechtsordnung. In der Deklaration findet sich das Merkmal nicht.
Hervorhebung von der Verfasserin.
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comisión del delito de terrorismo dispone remitir los acusados pertinentes al Fuero Común y poner a disposición de la Autoridad competente a la referida denuncia“. Con esta conducta los tribunales castrenses actuando ultra vires usurparon jurisdicción e invadieron facultades de los organismos judiciales ordinarios, ya que según el mencionado Decreto-Ley N° 25.475 (delito de terrorismo), correspondía a la Policía Nacional y al Ministerio Público la investigación de ese ilícito y a los jueces ordinarios el conocimiento del mismo ....“
c. Die Beschwerde Castillo Petruzzi u. a. Hatte der Gerichtshof sich im Fall Loayza Tamayo noch auf einen Verstoß gegen innerstaatliches Recht zurückziehen können, war dies im Fall Castillo Petruzzi nicht mehr möglich. Der Beschwerde lag die Verurteilung von vier chilenischen Zivilpersonen durch peruanische Militärgerichte wegen „Vaterlandsverrats“ (traición a la patria) zugrunde. Diesmal waren die Beschwerdeführer also durch das militärgerichtliche Strafverfahren beschwert. Angesichts der eindeutigen Zuständigkeitsbestimmung nach peruanischem Recht kam ein Verstoß gegen innerstaatliches Recht nicht in Betracht. Die Kommission argumentierte wie zuvor in Loayza Tamayo, die Erweiterung militärgerichtlicher Zuständigkeit verstoße als solche gegen den „juez natural“. Sie stützte sich im vorliegenden Falle darauf, ein internationaler Konsens bestehe nicht nur hinsichtlich der Notwendigkeit, die Zuständigkeit von Militärgerichten zu beschränken, sondern auch dahingehend, die Jurisdiktion der Militärgerichte über Zivilpersonen zu verbieten, und zwar insbesondere in Ausnahmezuständen, wie er im vorliegenden Fall gegeben war. Zur Untermauerung dieser The-
AGMR, Loayza Tamayo gegen Peru, Ser. C Nr. 33, Urt. v. 17. September 1997, veröffentlicht unter: , § 61.
Siehe AGMR, Castillo Petruzzi u. a. gegen Peru, Ser. C Nr. 52, Urt. v. 30. Mai 1999, veröffentlicht unter: .
Wiedergegeben in AGMR, § 125 a). Dort heißt es: „Si bien a nivel internacional la intervención de tribunales militares no se ha considerado violatoria del derecho a un juicio justo, lo cierto es que ‘ha surgido un consenso internacional, no sólo sobre la necesidad de restringir(la) en todo lo posible, sino [además de] prohibir el ejercicio de jurisdicción militar sobre civiles, y especialmente en situaciones de emergencia’“.
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se nahm sie Bezug auf die Allgemeine Bemerkung 13 des Menschenrechtsausschusses, sowie auf ihren eigenen Jahresbericht 1993, in dem sie festgestellt hatte, daß die Unterwerfung von Zivilpersonen unter die militärgerichtliche Jurisdiktion den in Art. 8 und 25 der Amerikanischen Konvention garantierten „juez natural“ verletze. Erstmalig beschreibt sie in diesem Verfahren den Inhalt der Rechtsfigur des „juez natural“ näher: „ ...la figura del juez natural „impone la inderogabilidad y la indisponibilidad de las competencias; esto es, la reserva absoluta de ley y la no alterabilidad discrecional de las competencias judiciales“. En el caso peruano, el nomen iuris de traición a la patria es un elemento utilizado para „dar apariencia de legalidad a esta alteración discrecional“ y desplazar la competencia hacia el fuero militar, sustrayendo la misma al juez natural. La existencia del juez natural „no es dependiente exclusivamente de que haya una ley, [...] el juez natural es un concepto, que desde el punto de vista del derecho internacional, necesita satisfacer los requisitos del artículo 8, entre otros, de la Convención Americana... “
Ebenda, § 125 b).
Ebenda § 125 c), im Originaltext heißt es: „... la aplicación de la jurisdicción militar a civiles contradice la garantía del juez natural establecido en los artículos 8 y 25 de la Convención Americana“.
Die zitierte Passage ist dem Urteil des Gerichtshofs entnommen, der die Argumente der Kommission wiedergibt, vgl. AGMR, Castillo Petruzzi u. a. gegen Peru, Ser. C Nr. 52, Urt. v. 30. Mai 1999, erhältlich unter: , § 125 f.). Der Bericht der Kommission zum Fall Castillo Petruzzi (Bericht 17/97 vom 11. März 1997) ist in den Jahresberichten der Kommission nicht veröffentlicht. In der englischen Übersetzung lautet die Passage wie folgt: “the very concept of a tribunal previously established by law ‘means that judicial competence can be neither derogated nor removed; in other words, absolute adherence to the law is required and judicial competence may not be arbitrarily altered.’ In the case of Peru, the nomen iuris of treason is one element used to ‘cloak this arbitrary mutation in the guise of legality’ and to remove jurisdiction from the tribunal previously established by law to the military courts. But, ‘for a tribunal established by law to exist it is not sufficient that it be provided for by law; such a tribunal must also fulfill all the other requirements stipulated in Article 8 of the American Convention and elsewhere in international law’”.
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Der „juez natural“ ist also ein nach materiellen Kriterien autonom zu bestimmender „originär zuständiger Richter“. Unklar bleibt insoweit, wie sich die in Bezug genommenen maßgeblichen Vorgaben der Konvention bestimmen. Das Problem liegt nämlich gerade darin, daß unmittelbare Vorgaben fehlen. Der Gerichtshof schließt sich der Auffassung der Kommission über die Unzuständigkeit der Militärgerichte für Verfahren gegen Zivilpersonen im Ergebnis an. Anders als die Kommission argumentiert er jedoch nicht unmittelbar mit einem Staatenkonsens, der die Jurisdiktion über Zivilpersonen verbiete, sondern geht einen indirekten Weg über die Ratio der Militärgerichtsbarkeit. Verkürzt wiedergegeben stützt sich der Gerichtshof auf die Erwägung, verschiedene Staaten sähen eine Militärgerichtsbarkeit vor. Diese sei regelmäßig für die Aufrechterhaltung von Disziplin und Ordnung in der Truppe zuständig. Sie sei als funktionale Gerichtsbarkeit in ihrer Anwendung auf Militärangehörige beschränkt, die in Ausübung ihres Dienstes Disziplinar- oder Strafverstöße begingen. Militärgerichte seien deswegen nicht der natürliche Richter für Zivilpersonen („no es la naturalmente aplicable a civiles“). Diese seien nicht Mitglieder des militärischen Verbandes, ihnen seien keine militärischen Aufgaben übertragen, sie könnten dementsprechend auch nicht gegen militärische Pflichten verstoßen. Insofern stelle die Verschiebung der Strafverfolgungszuständigkeit für Zivilpersonen von den ordentlichen auf die Militärgerichte einen Entzug des „juez natural“, des originär zuständigen Richters, dar. Im Wortlaut heißt es: „La Corte advierte que la jurisdicción militar ha sido establecida por diversas legislaciones con el fin de mantener el orden y la disciplina dentro de las fuerzas armadas. Inclusive, esta jurisdicción funcional reserva su aplicación a los militares que hayan incurrido en delito o falta dentro del ejercicio de sus funciones y bajo ciertas circunstancias. En este sentido se definía en la propia legislación peruana (artículo 282 de la Constitución Política de 1979). El traslado de competencias de la justicia común a la justicia militar y consiguiente procesamiento de civiles por el delito de traición a la patria en este fuero, supone excluir al juez natural para el conocimiento de estas causas. En efecto, la jurisdicción militar no es la naturalmente aplicable a civiles que carecen de funciones militares y que por ello no pueden
Die zwischenzeitlich vorliegende englische Übersetzung des Urteils verwendet statt „juez natural“ den Begriff “previously established by law”, also ein Tatbestandsmerkmal. Wie diese Abweichung zustande kommt, läßt sich hier nicht weiter prüfen. Vorliegend wird der spanischen (Original-)Version gefolgt.
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incurrir en conductas contrarias a deberes funcionales de este carácter. Cuando la justicia militar asume competencia sobre un asunto que debe conocer la justicia ordinaria, se ve afectado el derecho al juez natural y, a fortiori, el debido proceso, el cual, a su vez, encuéntrase íntimamente ligado al propio derecho de acceso a la justicia.“ Der Gerichtshof nimmt damit ebenfalls an, daß es Vertragsstaaten verboten ist, bestimmte Zuständigkeitsbestimmungen vorzunehmen. Er formuliert dieses Verbot jedoch auf der Grundlage einer auf einem (rudimentären) Rechtsvergleich basierenden teleologischen Interpretation.
d. Die Beschwerde Cesti Hurtado gegen Peru Zeitlich als letzte der hier relevanten Beschwerden entschied der Gerichtshof den Fall Cesti Hurtado. Das Urteil erging nach der Erklärung Perus, die Unterwerfungserklärung unter die Jurisdiktion des Ge-
AGMR, Castillo Petruzzi u. a. gegen Peru, Ser. C Nr. 52, veröffentlicht unter: , § 128. In der übersetzten englischen Fassung lautet die Passage: “The Court notes that several pieces of legislation give the military courts jurisdiction for the purpose of maintaining order and discipline within the ranks of the armed forces. Application of this functional jurisdiction is confined to military personnel who have committed some crime or were derelict in performing their duties, and then only under certain circumstances. This was the definition in Peru’s own law (Article 282 of the 1979 Constitution). Transferring jurisdiction from civilian courts to military courts, thus allowing military courts to try civilians accused of treason, means that the competent, independent and impartial tribunal previously established by law is precluded from hearing these cases. In effect, military tribunals are not the tribunals previously established by law for civilians. Having no military functions or duties, civilians cannot engage in behaviors that violate military duties. When a military court takes jurisdiction over a matter that regular courts should hear, the individual’s right to a hearing by a competent, independent and impartial tribunal previously established by law and, a fortiori, his right to due process are violated. That right to due process, in turn, is intimately linked to the very right of access to the courts.” Interessant ist, daß in der englischen Übersetzung statt der wörtlichen Übersetzung des „juez natural“ auf ein Tatbestandsmerkmal des Art. 8 Abs. 1, nämlich “previously established by law” zurückgegriffen wird.
AGMR, Cesti Hurtado gegen Peru, Ser. C Nr. 56, Urt. v. 29. September 1999, veröffentlicht unter: .
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richtshofs in Individualbeschwerdeverfahren zu widerrufen, die Folge des Urteils Castillo Petruzzi war. Der Beschwerdeführer war ein pensionierter Angehöriger der peruanischen Streitkräfte. Er war nach seinem Ausscheiden aus der Armee in den Ruhestand als Geschäftsführer einer Sicherheitsfirma beratend für das peruanische Heer tätig. In Zusammenhang mit dieser Tätigkeit eröffnete die „Sala de Guerra del Consejo Supremo de Justicia Militar“ ein Ermittlungsverfahren gegen den Beschwerdeführer wegen der Vorwürfe des Ungehorsams (desobedencia contra el deber y la dignidad de la función), der Nachlässigkeit (negligencia) und des Betrugs (fraude) nach dem Militärstrafgesetzbuch. Die Streitkräfte beriefen sich für das Fortbestehen der militärgerichtlichen Zuständigkeit auf Art. 174 Abs. 2 der Verfassung, der bestimmt, daß an Militärs verliehene Grade, Ehrungen, deren Gehälter und Pensionen nur durch Gerichtsurteil aberkannt werden können. Dagegen stand Art. 173 der Verfassung. Dieser bestimmt in Abs. 1 Satz 1, daß Angehörige der Streitkräfte der Jurisdikti
Vgl. Resolución Legislativa N° 27152, Normas Legales, Sonderedition vom 7. August 1999. Der Erklärung zufolge sollte der Widerruf unmittelbare Wirkung haben. Der Gerichtshof verneinte diese sofortige Wirkung jedoch in zwei Verfahren, die bereits vor dem peruanischen Widerruf anhängig gewesen waren. Es handelt sich um die Beschwerden Ivcher Bronstein, Zulässigkeit, Ser. C Nr. 54, veröffentlicht unter: , § 54, und Tribunal Constitucional, Zulässigkeit, Ser. C Nr. 55, veröffentlicht unter: , § 53. Nach dem Sturz Fujimoris hat die neue peruanische Regierung mit Erklärung vom 31. Januar 2001 ihre Beziehung zum Interamerikanischen Gerichtshof retabliert. Die Erklärung ist veröffentlicht als Presseerklärung E-021/01 vom 31. Januar 2001 auf den Seiten der OAS, . Siehe auch Kapitel drei des zweiten Berichts der Interamerikanischen Kommission zur Menschenrechtslage in Peru, in: I.L.M. 40 (2001), S. 127, 130 ff.
Der Fall Cesti ist insofern kein Einzelfall. Weitere Beispiele für Armeeangehörige im Ruhestand, die Verfahren vor der peruanischen Militärgerichtsbarkeit ausgesetzt waren, finden sich im Bericht der Defensoría del Pueblo del Perú, siehe Fußnote 28, S. 34, dort in Fußnote 69.
Art. 174 lautet wie folgt: (1) Los grados y honores, las remuneraciones y las pensiones inherentes a la jerarquía de oficiales de las Fuerzas Armadas y de la Policía Nacional son equivalentes. La ley establece las equivalencias correspondientes al personal militar o policial de carrera que no tiene grado o jerarquía de oficial. (2) En ambos casos, los derechos indicados sólo pueden retirarse a sus titulares por sentencia judicial.
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on der Militärgerichte sowie dem Militärgerichtsprozeßgesetz (Código de Justicia Militar) wegen militärischer Delikte (delitos de función) unterliegen. Gemäß Satz 2 desselben Absatzes sind dessen Vorschriften auf Zivilpersonen nicht anwendbar, außer in Fällen des Vaterlandsverrats und des Terrorismus, sofern dies gesetzlich vorgesehen ist. Der Zuständigkeitsstreit führte dazu, daß der Oberste Gerichtshof, als höchstes ordentliches Gericht, einer Habeas corpus-Beschwerde stattgab und die Aufhebung des gegen den Beschwerdeführer seitens der Militärbehörden verhängten Haftbefehls anordnete. Der Consejo Supremo de la Justicia Militar erklärte die Entscheidung indes für nicht vollziehbar. Der Beschwerdeführer wurde später von einem Militärgericht zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt. Die Beschwerde Cesti Hurtado gab Kommission und Gerichtshof Gelegenheit, ihre „Castillo Petruzzi-Rechtsprechung“ zu bestätigen oder diese Fallkonstellation (pensionierter Militärangehöriger) von den anderen zu unterscheiden. Eher unerwartet entschied die Kommission jedoch über die richtige Auslegung peruanischen Rechts, um daraus –
Art. 173 Abs. 1 lautet im Originaltext: En caso de delito de función, los miembros de las Fuerzas Armadas y de la Policía Nacional están sometidos al fuero respectivo y al Código de Justicia Militar. Las disposiciones de éste no son aplicables a los civiles, salvo en el caso de los delitos de traición a la patria y de terrorismo que la ley determina. La casación a que se refiere el artículo 141 sólo es aplicable cuando se imponga la pena de muerte. Darüber hinaus sind die als „Militär“ anzusehenden Personen in Art. 321 und 322 des Código de Justicia aufgeführt. Pensionierte Angehörige der Streitkräfte sind dort nicht genannt. Der Código ist veröffentlicht unter: . Vor diesem rechtlichen Hintergrund ist die Argumentation nur aus dem Selbstverständnis des Militärs heraus zu verstehen. Beispielhaft dafür sei General Guido Guevara, der Vorsitzende des „Consejo de Justicia Militar del Peru“ zitiert. Dieser erklärte 1994, die Militärgerichtsbarkeit sei „como el polvo que se impregna en la bota del soldado, porque lo acompaña donde esté.“ Zitiert nach C. Azabache, De nuevo sobre la justicia militar, in: Comisión Andina de Juristas (Hrsg.), La Constitución de 1993: Análisis y comentarios II, Lima 1995, S. 153, 157 f. Zum Streit auch: Defensoría del Pueblo del Perú, siehe Fußnote 28, S. 35 f.
Eine Wiedergabe der Fakten findet sich in §§ 63-103 des Urteils.
Im Urteil heißt es: „De conformidad con lo expresado por la Comisión en el texto de la demanda, el señor Cesti Hurtado, al ser un militar retirado sin función castrense, es tenido por la legislación peruana como un ciudadano particular; además, el contrato de servicios realizados por la compañía del señor Cesti Hurtado y el COLOGE no constituye, en el marco jurídico peruano, vinculación que justifique el tratamiento de la víctima como militar. Por estas razo-
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sachlich durchaus überzeugend – die Unzuständigkeit der Militärgerichtsbarkeit nach nationalem Recht, und ergo einen Verstoß gegen den „juez competente“ zu folgern. Auch der Gerichtshof wich von bisherigen Argumentationsmustern ab. Er widmete der Frage der Zuständigkeit der Militärgerichte einen einzigen Absatz und stellte fest, der Beschwerdeführer habe nicht von Militärgerichten verurteilt werden dürfen, weil er zur Zeit des Verfahrens den Status eines Armeeangehörigen im Ruhestand gehabt habe. Das gegen ihn durchgeführte Gerichtsverfahren verstoße daher gegen das Recht, durch ein zuständiges Gericht angehört zu werden (derecho a ser oído por un tribunal competente). Hier bediente sich der Gerichtshof also nicht
nes, someter al señor Cesti Hurtado a un proceso ante jueces militares constituiría una interpretación extensiva del fuero militar y violaría en su perjuicio su derecho a ser sometido a un juez y a un fuero competente y su derecho a ser juzgado por un juez imparcial.“, AGMR, Cesti Hurtado gegen Peru, Ser. C Nr. 56, Urt. v. 29. September 1999, veröffentlicht unter: , § 144. In den Schlußanträgen geht die Kommission noch einmal auf das Zuständigkeitsproblem ein. In der Wiedergabe im Urteil heißt es: „... que cuando un oficial pasa a situación de retiro, el mismo ejercerá sus derechos y obligaciones políticas de acuerdo con la Constitución, sin ninguna limitación. Uno de los derechos civiles de las personas, es el de ser juzgado por un juez competente, imparcial, predeterminado por la ley, y no ser desviado de la jurisdicción que le corresponde, derechos que ‘se violan cuando se pretende que funcionarios militares juzguen a los militares retirados’. Además, la jurisdicción militar es una justicia de excepción, siendo la jurisdicción común la regla general, lo cual implica que la justicia militar debe ser susceptible de interpretación restrictiva y, en caso de duda, debe optarse a favor del fuero común u ordinario.“, ebenda, § 148.
Hier ist es ausschließlich der Vertreter des Staates, der in seinen Schlußanträgen mit der Erwähnung des „juez natural“ zitiert wird, siehe AGMR, Cesti Hurtado gegen Peru, Ser. C Nr. 56, Urt. v. 29. September 1999, veröffentlicht unter: , § 149.
Im Wortlaut heißt es: „En cuanto al proceso seguido en contra del señor Cesti Hurtado ante un órgano de la justicia militar, la Corte observa que dicha persona tenía, al tiempo en que se abrió y desarolló ese proceso, el carácter de militar en retiro, y por ello no podía ser juzgado por los tribunales militares. En consecuencia, el juicio al cual fue sometido el señor Cesti Hurtado constituye una violación al derecho a ser oído por un tribunal competente, de acuerdo con el artículo 8.1 de la Convención.“, AGMR, Cesti Hurtado gegen Peru, Ser. C Nr. 56, Urt. v. 29. September 1999, veröffentlicht unter: , § 151.
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der Figur des „juez natural“ oder des „juez competente“, sondern verwandte das Tatbestandsmerkmal des „zuständigen Gerichts“ in Art. 8 Abs. 1. Wegen der allgemeingehaltenen Formulierung bleibt unklar, ob der Gerichtshof den Verstoß gegen Art. 8 Abs. 1 wie in Castillo Petruzzi aus dem internationalen Recht herleitet oder ob er die Unzuständigkeit vorliegend, wie die Kommission, aus dem nationalen Recht ableitet. Die ausführliche Darstellung des innerstaatlichen Verfahrenshergangs, der Argumente und Normen, sowie der Umstand, daß der Gerichtshof sich mit keinem Wort gegen die Argumentation der Kommission wendet, sprechen für eine Entscheidung nach dem innerstaatlichen Recht.
e. Bewertung Kommission und Gerichtshof sind sich einig darüber, daß die Amerikanische Menschenrechtskonvention die Begrenzung militärgerichtlicher Zuständigkeit gebietet. In den Entscheidungen des Gerichtshofs stand bisher die Frage im Vordergrund, inwiefern der persönliche Zuständigkeitsbereich der Militärstrafgerichte erweiterbar ist. Die Argumentation legt aber nahe, daß der Gerichtshof Beschränkungen auch ratione materiae für geboten hält. Was das Ergebnis anbelangt, kann die Rechtsprechung der interamerikanischen Organe als gefestigt gelten. Anders verhält es sich im Hinblick auf den Weg dorthin. Argumentationen und Ansätze variieren, sie sind in ihrer Herleitung unklar und deswegen nicht überzeugend. Die Rechtsprechung kennt wesentlich drei Begriffe: den „juez competente“, den „juez natural“ und das „tribunal competente“. Die aus diesen entwickelte „Zuständigkeitsrechtsprechung“ läßt sich wie folgt skizzieren: Erstens, der Begriff „zuständig“ (juez bzw. tribunal competente) verweist in erster Linie auf das nationale Recht. Liegt ein Verstoß gegen innerstaatliche Zuständigkeitsvorschriften vor, liegt darin zugleich ein Verstoß gegen den zuständigen Richter, wobei die von Gerichtshof und Kommission ausgeübte Rechtskontrolle über eine reine Mißbrauchskontrolle hinausgeht. Das zeigt sowohl die Argumentation des Gerichtshofs im Fall Loayza Tamayo als auch die Argumentation der Kommission im Fall Cesti. Zweitens, um dem Gebot der „Zuständigkeit“ in Art. 8 Abs. 1 zu genügen, muß die innerstaatliche Zuständigkeitsordnung darüber hinaus ihrerseits den Vorgaben der Konvention entsprechen. Diese Fallgestaltung wird dann relevant, wenn sich ein Verstoß gegen innerstaatliches Recht nicht feststellen läßt. Sie stellt das eigentliche Rechtsprechungsproblem dar und an ihr entzündet sich
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hauptsächlich die Kritik. Dabei geht es nicht um den Umstand der Kontrolle an sich, sondern um das Vorgehen. Läßt man zunächst die Argumentation des Gerichtshofs in Cesti Hurtado außen vor, stellt sich die Frage, warum die interamerikanischen Organe den „juez competente“ und „juez natural“ bemüht haben. Statt dessen hätte ein Rückgriff auf das Tatbestandsmerkmal „tribunal competente“ nahegelegen. Mangels einer solchen tatbestandlichen Anknüpfung – beziehungsweise einer überzeugenden Erklärung, warum eine solche Anknüpfung nicht möglich ist – hängen die Begründungen des „juez natural“ in der Luft. Die Verwendung dieses Begriffs spricht für die Annahme, daß die interamerikanischen Organe ein ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal in den Art. 8 Abs. 1 hineinlesen. Weder der von der Kommission behauptete Staatenkonsens noch der vom Gerichtshof im Fall Castillo Petruzzi verfolgte stark verfassungsrechtlich geprägte Ansatz vermögen aber ein solches Merkmal überzeugend herzuleiten. Insofern steht zu hoffen, daß der Rückgriff im Fall Cesti auf das „tribunal competente“ eine Kehrtwende in Richtung einer autonomen Auslegung des Begriffs „zuständig“ bedeutet. Wie im Rahmen des eigenen Ansatzes zu zeigen sein wird, besteht kein Grund, eine autonome Auslegung des Tatbestandsmerkmals „zuständiges Gericht“ auszuschließen. Die Forderung nach größerer Stringenz der Begründung dient nicht der Befriedigung juristischer Eitelkeit. Extensive, menschenrechtsfreundliche Interpretation oder gar die Annahme inhärenter Merkmale zur Stärkung des Menschenrechtsschutzes können zur Zerreißprobe für das Verhältnis von Gerichtshof und Vertragsstaaten werden. Dies gilt insbesondere in Fällen mit (vermeintlich) staatssicherheitspolitischem Bezug, wie er militärgerichtlichen Fällen oft zugrunde liegt. Der Versuch Perus, sich nach der Entscheidung Castillo Petruzzi von der Jurisdiktion des Gerichtshofs im Individualbeschwerdeverfahren zu lösen, mag insofern als Signal dienen. Trinidad und Tobago hatten schon zuvor im Anschluß an die Entscheidung Pratt und Morgan die Konvention ge-
Der Rückgriff auf den „debido proceso“ im Urteil Castillo Petruzzi bestätigt, daß der Gerichtshof über die Auslegung des Tatbestandsmerkmals „zuständig“ hinausgegangen ist. Er schreibt: „Cuando la justicia militar asume competencia sobre un asunto que debe conocer la justicia ordinaria, se ve afectado el derecho al juez natural y, a fortiori, el debido proceso, el cual, a su vez, encuéntrase íntimamente ligado al propio derecho de acceso a la justicia.“
Siehe dazu unter C.I.
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kündigt, weil ihnen die Rechtsprechung des Gerichtshofs zu weit ging. Der Europäische Menschenrechtsgerichtshof hat in Entscheidungen wie Golder (inhärentes Recht auf Zugang zu den Gerichten) oder Belilos (Wirkung ungültiger Vorbehalte) besonderen Wert auf methodisch sauberes Vorgehen gelegt. Dieses Vorgehen hat den Gerichtshof nicht vor Kritik an seiner Entscheidungspraxis bewahrt und hat nicht immer jeden überzeugt, aber es hat vermieden, daß Urteile als politisch abgetan werden konnten, weil der Gerichtshof die Kritik auf sachlichtechnische Gesichtspunkte gelenkt hat. Daß der Interamerikanische Gerichtshof einem auslegungszentrierten Vorgehen nicht grundsätzlich abgeneigt ist, zeigen die Gutachtenverfahren, in denen er sich wesentlich präziser als hier mit der Auslegung befaßt.
II. IPBPR Der Pakt sieht in Art. 14 Abs. 1 Satz 2 wie die Amerikanische Menschenrechtskonvention das Merkmal „zuständig“ vor. Der Menschenrechtsausschuß hat jedoch daraus keine Rechtsprechung zur Zuständigkeitsbegrenzung von Militärgerichten entwickelt, die derjenigen der interamerikanischen Kontrollorgane vergleichbar wäre. Historisch zeigen die „travaux préparatoires“, daß die Aufnahme des Merkmals „zuständig“ lediglich eine Doppelung des ebenfalls festgeschriebenen Merkmals “previously established by law” darstellte. So heißt es:
Die Kündigungserklärung vom 26. Mai 1998 ist veröffentlicht unter: .
EGMR, Golder gegen Vereinigtes Königreich, Ser. A Nr. 18. EGMR, Belilos gegen Schweiz, Ser. A Nr. 132.
Siehe zum Beispiel die Gutachten zu Fragen des Ausnahmezustands, die in Kap. 5, B.III.1. behandelt werden.
Noor Muhammad führt zur Auslegung des Begriffs “competent” aus: “A “competent” tribunal implies that the accused is to be tried in a court whose jurisdiction had been previously established by law, not before improvised bodies arbitrarily set up or selected. The term “competent”, however, can also be interpreted to require that the tribunal satisfy “legal notions of competence, ratione materiae, ratione personae, and ratione loci,” and to require also that the judges be professionally qualified.”, H. Noor Muhammad, Due Process of Law for Persons Accused of Crime, in: L. Henkin (Hrsg.), The International Bill of Rights: The Covenant on Civil and Political Rights, S. 138, 147.
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“The use of the word ‘competent’ before ‘independent and impartial tribunal’ in paragraph 1 was intended to ensure that all persons should be tried in courts whose jurisdiction had been previously established by law, and arbitrary action so avoided.” Sondergerichte schienen besonders vor dem Hintergrund des Gleichheitsgrundsatzes problematisch. So äußerten der ukrainische und der sowjetische Delegierte, die Schaffung besonderer Gerichte für in Art. 2 Absatz 1 aufgeführte Personengruppen verstoße gegen Art. 14. Entsprechend findet sich im Bericht des dritten Ausschusses zur 14. Sitzung im Jahre 1959 zur Aufnahme des heutigen Satz 1 des Absatz 1 des Art. 14 (Gleichheit vor Gericht): “Most representatives considered that the greatest emphasis should be placed on the importance of that principle, even at the risk of repetition. It was essential to protect the parties in a trial against any discriminatory practice, by prohibiting inter alia, the establishment of special courts and summary procedures.”
1. Staatenberichtsverfahren Im Rahmen der Ausführungen zur Unabhängigkeit hat sich gezeigt, daß die Aussagen des Menschenrechtsausschusses im Staatenberichtsverfahren grundsätzlich vorsichtiger formuliert sind als diejenigen der Interamerikanischen Menschenrechtskommission. Ungeachtet dessen hat sich auch im Staatenberichtsverfahren des Paktes eine interessante Entwicklung vollzogen. Die den berichtspflichtigen Staaten vorgelegten Fragenkataloge zeigen deutlich das Interesse des Ausschusses an Details innerstaatlicher Regelungen in diesen Bereichen. Wie die Interamerikanische Menschenrechtskommission kritisiert auch der Menschenrechtsausschuß Straflosigkeit, soweit Militärangehörige Menschenrechtsverletzungen gegen Zivilpersonen begehen, und die militärge
U.N. Dok. A/2929, Kap. VI, § 77, zitiert aus: M.J. Bossuyt, Guide to the „Travaux Préparatoires“ of the International Covenant on Civil and Political Rights, S. 283 (Verweise weggelassen).
Zitiert nach M. Nowak, CCPR-Commentary, Kehl 1993, Art. 14, Rz. 6.
U.N. Dok. A/4299, § 51, zitiert aus: M.J. Bossuyt, Guide to the „Travaux Préparatoires“ of the International Covenant on Civil and Political Rights, Dordrecht 1987, S. 283 (Hervorhebung von der Verfasserin, Verweise weggelassen).
Vgl. MRA, U.N. Dok. CCPR/C/SR.1494, § 10.
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richtliche Jurisdiktion über Zivilpersonen. Er hat sich jedoch anders als die interamerikanischen Organe zur Begründung der allgemeinen Zuständigkeitsbeschränkung nicht auf ein dem “natural judge” vergleichbares Kriterium eingelassen. Insofern gibt es an dieser Stelle keine weitere Entwicklung darzustellen. Es bleibt bei den zuvor getroffenen Feststellungen. Erstens, das Gebot der Zuständigkeitsbeschränkung scheint sich zu verselbständigen, in dem Sinn, daß es in den Ausführungen nicht mehr konkret an bestimmte Elemente des Unabhängigkeits- bzw. des Unparteilichkeitsgrundsatzes geknüpft wird. Zweitens, der Menschenrechtsausschuß scheint sich von den Vorgaben seiner aus dem Jahr 1984 stammenden Allgemeinen Bemerkung 13 zu lösen. Ob sich diese Entwicklung durchsetzt, wird sich in der Neufassung der Allgemeinen Bemerkung zu Art. 14 zeigen, die derzeit überarbeitet wird.
2. Individualbeschwerdeverfahren Das Tatbestandsmerkmal „zuständig“ spielt im Verfahren der Individualbeschwerde keine Rolle. Wie im Zusammenhang mit Fragen der Unabhängigkeit und der Unparteilichkeit dargestellt, war der Menschenrechtsausschuß zwischen 1979 und 1984 mit einer Vielzahl von Fällen befaßt, in denen militärgerichtliche Strafverfahren gegen Zivilpersonen durchgeführt wurden. Nach 1994 hatte er nur noch sporadisch solche Fälle zu entscheiden.
a. Überblick über die Rechtsprechung Die Beschwerdeführer warfen die Frage der Zuständigkeit regelmäßig nicht auf. Sie wandten statt dessen Verstöße gegen Unabhängigkeit und Unparteilichkeit ein. Auffallend ist, daß die Feststellungen des Menschenrechtsausschusses sehr allgemein gehalten sind. Grund dafür ist einerseits, daß der Ausschuß erst relativ kurz vor den ersten Entscheidungen, am 21. März 1977, seine Arbeit aufgenommen hatte. Andererseits lag angesichts der den Beschwerden zugrundeliegenden Fakten die Verletzung des Rechts auf ein faires Verfahren auf der Hand.
Vgl. MRA, Schlußbemerkungen zum Bericht Libanons, U.N. Dok. CCPR/C/79/Add. 78, § 14; Schlußbemerkungen zum Bericht Boliviens, U.N. Dok. CCPR/C/79/Add. 74, § 11.
Vgl. M. Nowak, CCPR-Commentary, Introduction, S. XXII Rz. 12.
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Im Fall Massera gegen Uruguay standen Zivilpersonen, Luis María Bazzano Ambrossini, José Luis Massera und Martha Valentini de Massera wegen “subversive association” bzw. Beihilfe dazu vor Militärgerichten. In seiner Entscheidung vom 15. August 1979 geht der Menschenrechtsausschuß auf die Problematik des Verfahrens von Zivilisten vor Militärgerichten nicht konkret ein. Vielmehr verweist er allgemein auf “circumstances in which he was denied the requisite safeguards of fair trial”. Auch im Fall Lanza gegen Uruguay, betreffend Alcides Lanza Perdomo und seine Frau Beatriz Weismann de Lanza, fanden die Verfahren gegen die Beschwerdeführer wegen “subversive association” bzw. Beihilfe dazu vor Militärgerichten statt. Allein die uruguayische Regierung verweist darauf, die Beschwerdeführer seien vor das zuständige Gericht gebracht worden. Im Fall Torres Ramírez gegen Uruguay ordnete der nach nationalem Recht zuständige Militärrichter die Entlassung des Beschwerdeführers aus der Untersuchungshaft an; die Entlassung erfolgte jedoch erst zu einem späteren Zeitpunkt. In diesem Zusammenhang führt die uruguayische Regierung zur Zuständigkeit der Militärgerichte aus: “Act 14.068 on the Security of the State of 10 July 1972 places under the jurisdiction of the military courts persons who commit military offences, even if they are civilians, and this clearly explains why Mr. Torres, who was arrested for presumed subversive activities, was placed under their jurisdiction.” Hier stellte der Menschenrechtsausschuß „nur“ eine Verletzung des Art. 14 Abs. 3, der besonderen Rechte des Angeklagten, fest. Auch im Fall Millán Sequei-
MRA, Massera gegen Uruguay, Beschwerde Nr.5/1977, Entscheidung vom 15. August 1979, in: HRLJ 1 (1980), S. 209-215.
MRA, Massera gegen Uruguay, HRLJ 1(1980), S. 214 f.
MRA, Ana García Lanza de Netto, Beatriz Weismann, Alcides Lanza Perdomo gegen Uruguay, Beschwerde Nr. 8/1977, Entscheidung vom 3. April 1980, Selected Decisions, U.N. Dok. CCPR/C/OP/1, S. 45ff. Zusammenfassung abgedruckt in: HRLJ 1 (1980), S. 221-226.
Vgl. MRA, Lanza gegen Uruguay, S. 45, 46 § 8.
MRA, William Torres Ramírez gegen Uruguay, Beschwerde Nr. 4/1977, Entscheidung vom 23. Juli 1980, Selected Decisions, U.N. Dok. CCPR/C/ OP/1, S. 49 ff.; auch abgedruckt in: HRLJ 1 (1980), S. 226-231.
Vgl. MRA, William Torres Ramírez gegen Uruguay, Selected Decisions, U.N. Dok. CCPR/C/OP/1, S. 49, 51 § 12 iv.
Vgl. MRA, William Torres Ramírez gegen Uruguay, Selected Decisions, U.N. Dok. CCPR/C/OP/1, S. 49, 52, § 18.
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4. Kapitel
ra wurde der Beschwerdeführer nach seiner Verhaftung einem Militärrichter vorgeführt, weil auch er unter den “prompt security measures” inhaftiert worden war. Hier wird ebenfalls die Problematik der Militärgerichte bei der Entscheidung nicht erwähnt. Im Fall Grille Motta gegen Uruguay wurde der Beschwerdeführer von einem Militärgericht wegen “subversive association” und “attempt to undermine the morals of the armed forces” gemäß Art. 60 (5) und 58 (3) des Militärgesetzbuchs verurteilt. Hier findet gar keine Feststellung zu Art. 14 statt. Der Fall Weinberger Weisz gegen Uruguay betraf die Anklage gegen den Bruder des Beschwerdeführers, Ismael Weinberger, wegen “subversive association with aggravating circumstances of conspiracy against the Constitution” vor einem Militärgericht. Der Beschwerdeführer machte ausdrücklich geltend, die Militärrichter seien der militärischen Hierarchie unterworfen und erfüllten daher nicht die Anforderungen der Unabhängigkeit und der Unparteilichkeit. Aber auch hier stellt der Menschenrechtsausschuß am Ende lediglich allgemein fest, daß der Beschwerte “had no fair and public hearing”. Die Liste der UruguayFälle, in denen der Menschenrechtsausschuß mit der Problematik von Verfahren gegen Zivilpersonen vor Militärgerichten konfrontiert war, wird fortgeführt von Tourón, Buffo Carballal, Soriano de Bou-
MRA, Miguel A. Millán Sequeira gegen Uruguay, Beschwerde Nr. 6/1977, Entscheidung vom 29. Juli 1980, Selected Decisions, U.N. Dok. CCPR/ C/OP/1, S. 52 ff.; ebenfalls abgedruckt in: HRLJ 1 (1980), S. 231-236.
MRA, Alberto Grille Motta gegen Uruguay, Beschwerde Nr. 11/1977, Entscheidung vom 29. Juli 1980, Selected Decisions, U.N. Dok. CCPR/C/ OP/1, S. 54 ff., auch abgedruckt in: HRLJ 1 (1980), 237-242.
MRA, Luciano Weinberger Weisz gegen Uruguay, Beschwerde Nr. 28/1978, Entscheidung vom 29. Oktober 1980, Selected Decisions, U.N. Dok. CCPR/C/OP/1, S. 57 ff.; ebenfalls abgedruckt in: HRLJ 1 (1980), 243-248.
Vgl. MRA, Luciano Weinberger Weisz gegen Uruguay, Selected Decisions, U.N. Dok. CCPR/C/OP/1, S. 57, 58, § 2.
Vgl. MRA, Luciano Weinberger Weisz gegen Uruguay, Selected Decisions, U.N. Dok. CCPR/C/OP/1, S. 57, 60, § 16.
MRA, Lucía Sala de Tourón gegen Uruguay, Beschwerde Nr. 32/1978, Entscheidung vom 31. März 1981, Selected Decisions, U.N. Dok. CCPR/C/ OP/1, S. 61 ff., beachte insbesondere § 2.3 und § 12.
MRA, Leopoldo Buffo Carballal gegen Uruguay, Beschwerde Nr. 33/1978, Entscheidung vom 27. März 1981, Selected Decisions, U.N. Dok. CCPR/C/OP/1, S. 63 ff.
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ton und Pietraroia. Auch hier stellte der Menschenrechtsausschuß in keinem Fall ausdrücklich eine Verletzung des Rechts auf ein zuständiges Gericht fest. In Salgar de Montejo gegen Kolumbien wurde die Beschwerdeführerin von einem Militärgericht verurteilt, wobei die Beschwerde auf die Feststellung einer Verletzung des Rechts aus Art. 14 Abs. 5 – Überprüfung von Entscheidungen durch ein höheres Gericht – gerichtet war. Ebenfalls vor Militärgerichten fanden die Verfahren Altesor, Teti Izquierdo, Cubas Simones, Améndola Massiotti und Baritussio, Cámpora Schweizer, Angel Estrella, Larrosa Bequio,
Vgl. MRA, Esther Soriano de Bouton gegen Uruguay, Beschwerde Nr. 37/1978, Entscheidung vom 27. März 1981, Selected Decisions, U.N. Dok. CCPR/C/OP/1, S. 72 f., § 10.
Vgl. MRA, Alba Pietraroia gegen Uruguay, Beschwerde Nr. 44/1979, Entscheidung vom 27. März 1981, Selected Decisions, U.N. Dok. CCPR/C/ OP/1, S. 76, 79, § 13.2.
Vgl. MRA, Consuelo Salgar de Montejo gegen Kolumbien, Beschwerde Nr. 64/1979, Entscheidung vom 24. März 1982, Selected Decisions, U.N. Dok. CCPR/C/OP/1, S. 127, 129, § 9.2.
Vgl. MRA, Alice und Víctor Altesor gegen Uruguay, Beschwerde Nr. 10/1977, Entscheidung vom 29. März 1982, Selected Decisions, U.N. Dok. CCPR/C/OP/1, S. 105, 108, §§ 12.2 und 16.
Vgl. MRA, Ana María Teti Izquierdo gegen Uruguay, Beschwerde Nr. 73/1980, Entscheidung vom 1. April 1982, Selected Decisions, U.N. Dok. CCPR/C/OP/1, S. 132, 135, §§ 7.2 ff.
Vgl. MRA, Elsa Cubas Simones gegen Uruguay, Beschwerde Nr. 70/1980, Entscheidung vom 1. April 1982, Selected Decisions, U.N. Dok. CCPR/C/ OP/1, S. 130, 132, § 11.
Vgl. MRA, Carmen Améndola Massiotti und Baritussio gegen Uruguay, Beschwerde Nr. 25/1978, Entscheidung vom 26. Juli 1982, Selected Decisions, U.N. Dok. CCPR/C/OP/1, S. 136, 138 §§ 11, 12.
MRA, Cámpora Schweizer gegen Uruguay, Beschwerde 16/66, Entscheidung vom 12. Oktober 1982, Kurzzusammenfassung abgedruckt in: HRLJ 3 (1982), S. 217 f.
MRA, Angel Estrella gegen Uruguay, Beschwerde 74/1980, Entscheidung vom 29. März 1983, Kurzzusammenfassung abgedruckt in: HRLJ 5 (1984), S. 205 f.
MRA, Larrosa Bequio gegen Uruguay, Beschwerde Nr. 88/1981, Entscheidung vom 29. März 1983, Kurzzusammenfassung abgedruckt in: HRLJ 5 (1984), S. 205 f.
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4. Kapitel
Vasilskis, Estradet Cabreira, Almirati Nieto, Martínez Machado, Oxandabarat Scarrone, Viana Acosta, Manera Lluberas, Gómez de Voituret, Conteris, Cariboni und Berterretche Acosta statt, deren Beschwerden allesamt gegen den Vertragsstaat Uruguay gerichtet waren und die Zeit der Militärdiktatur betrafen. Auch hier warf der Ausschuß das Problem der Zuständigkeit von Militärgerichten für Straftaten von Zivilpersonen nicht auf.
MRA, Vasilskis gegen Uruguay, Beschwerde Nr. 80/1980, Entscheidung vom 31. März 1983, Kurzzusammenfassung abgedruckt in: HRLJ 5 (1984), S. 208.
MRA, Estradet Cabreira gegen Uruguay, Beschwerde Nr. 105/1981, Entscheidung vom 21. Juli 1983, Kurzzusammenfassung abgedruckt in: HRLJ 5 (1984), S. 209 f.
MRA, Almirati Nieto gegen Uruguay, Beschwerde Nr. 92/1981, Entscheidung vom 25. Juli 1983, Kurzzusammenfassung abgedruckt in: HRLJ 5 (1984), S. 210.
MRA, Martínez Machado gegen Uruguay, Beschwerde Nr. 83/1981, Entscheidung vom 4. November 1983, Kurzzusammenfassung abgedruckt in: HRLJ 5 (1984), S. 210 f.
MRA, Oxandabarat Scarrone gegen Uruguay, Beschwerde Nr. 103/1981, Entscheidung vom 4. November 1983, Kurzzusammenfassung abgedruckt in: HRLJ 5 (1984), S. 209 f.
MRA, Viana Acosta gegen Uruguay, Beschwerde Nr. 110/1981, Entscheidung vom 29. März 1984, Kurzzusammenfassung abgedruckt in: HRLJ 5 (1984), 212 f.
MRA, Manera Lluberas gegen Uruguay, Beschwerde Nr. 123/1982, Entscheidung vom 6. April 1984, Kurzzusammenfassung abgedruckt in: HRLJ 5 (1984), S. 213.
MRA, Gómez de Voituret gegen Uruguay, Beschwerde Nr. 109/1981, Entscheidung vom 10. April 1984, Kurzzusammenfassung abgedruckt in: HRLJ 5 (1984), S. 213 f.
MRA, Conteris gegen Uruguay, Beschwerde Nr. 139/1983, Entscheidung vom 17. Juli 1985, Kurzzusammenfassung abgedruckt in: HRLJ 7 (1986), S. 295.
MRA, Cariboni gegen Uruguay, Beschwerde Nr. 159/1983, Entscheidung vom 27. Oktober 1987, Kurzzusammenfassung in: HRLJ 11 (1990), S. 146.
MRA, Berterretche Acosta gegen Uruguay, Beschwerde Nr. 162/1983, Entscheidung vom 25. Oktober 1988, Kurzzusammenfassung in: HRLJ 11 (1990), S. 149.
Recht auf den zuständigen Richter
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Im Fall Fals Borda und andere gegen Kolumbien schließlich trug Professor Camargo, der die Beschwerde im Namen von vier kolumbianischen Staatsangehörigen erhoben hatte, vor, das “Statute of Security” (Dekret Nr. 1923 vom 6. September 1978), welches in bestimmten Fällen Strafverfahren gegen Zivilpersonen vor Militärgerichten erlaube, verstoße gegen Art. 14, da die Militärgerichte nicht zuständig, unabhängig und unparteiisch seien. Die Argumentation war also nicht fallspezifisch, sondern griff die Organisation und Zuständigkeit der Militärgerichtsbarkeit in Verfahren gegen Zivilpersonen grundsätzlich an. Der Menschenrechtsausschuß folgte diesem Ansatz nicht. Er führte aus: “The allegations as to breaches of the provisions of article 14 of the Covenant concerning judicial guarantees and fair trial, seem to be based on the premise that civilians may not be subject to military penal procedures and that when civilians are nevertheless subjected to such procedures, they are in effect deprived of basic judicial guarantees aimed at ensuring fair trial, which guarantees would be afforded to them under the normal court system, because military courts are neither competent, independent nor impartial. The arguments of the author in substantiation of these allegations are set out in general terms and principally linked with the question of constitutionality of Decree No. 1923. He does not, however, cite any specific incidents or facts in support of his allegations of disregard for the judicial guarantees provided for by article 14 in application of Decree No. 1923 in the cases in question. Since the Committee does not [deal] with questions of constitutionality, but with the question whether a law is in conformity with the Covenant, as applied in the circumstances of this case, the Committee cannot make any finding of breaches of article 14 of the Covenant.” Die Begründung zeigt, daß der Menschenrechtsausschuß die militärgerichtliche Jurisdiktion über Zivilpersonen nicht per se als Verstoß gegen Art. 14 ansieht. Vielmehr verlangt er die Darlegung spezifischer Defizi
MRA, Fals Borda u. a. gegen Kolumbien, Beschwerde Nr. 46/1978, Entscheidung vom 27. Juli 1982, Selected Decisions, U.N. Dok. CCPR/C/OP/1, S. 139 ff.
Vgl. MRA, Fals Borda u. a. gegen Kolumbien, Beschwerde Nr. 46/1978, Entscheidung vom 27. Juli 1982, Selected Decisions, U.N. Dok. CCPR/C/ OP/1, S. 139, 142 § 9.2.
MRA, Fals Borda u. a. gegen Kolumbien, Beschwerde Nr. 46/1978, Entscheidung vom 27. Juli 1982, Selected Decisions, U.N. Dok. CCPR/C/OP/1, S. 139, 144 § 13.3.
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4. Kapitel
te in organisatorischer bzw. verfahrensrechtlicher Hinsicht. Eine autonome Interpretation des Merkmals “competent” findet nicht statt. Gegen die eigenständige Bedeutung spricht auch die Allgemeine Bemerkung zu Art. 14. Das Merkmal „zuständig“ selbst findet nur beiläufig Erwähnung. Es wird mit den anderen Tatbestandsmerkmalen aufgeführt. Spezifische Anforderungen sind nicht erkennbar. Die Ausführungen des Menschenrechtsausschusses zur Frage der Sondergerichte und Verfahren gegen Zivilpersonen vor diesen sind ebenfalls nicht eindeutig. Seine Bedenken scheinen zunächst weniger von der Zuständigkeit als solcher als von den Verfahrensgarantien auszugehen. Jedoch stellt sich die Frage, warum selbst im Falle der Gewährleistung sämtlicher Verfahrensgarantien des Art. 14 Zivilpersonen nur ausnahmsweise dem Verfahren vor Sonder-, und damit auch vor Militärgerichten, ausgesetzt werden sollen. Begnügt man sich nicht damit, die Aussage für schlicht widersprüchlich zu halten, läßt sie sich als – diplomatische – Forderung verstehen, die Zuständigkeit von Militärgerichten in Verfahren gegen Zivilpersonen auszuschließen. Den Schritt, ausdrücklich ein Verbot auszusprechen, ist der Menschenrechtsausschuß nicht gegangen. Er läßt den Staaten ein Hintertürchen offen, mag dieses rein auslegungstechnisch auch schwer zu begründen
Vgl. MRA, Allgemeine Bemerkung 13, Artikel 14, U.N. Dok. HRI/GEN /1/Rev.1, S. 14.
Ziff. 3 der Allgemeinen Bemerkung: “The Committee would find it useful if, in their future reports, States parties could provide more detailed information on the steps taken to ensure that equality before the courts, including equal access to courts, fair and public hearings and competence, impartiality and independence of the judiciary are established by law and guaranteed in practice. In particular, States parties should specify the relevant constitutional and legislative texts which provide for the establishment of the courts and ensure that they are independent, impartial and competent, in particular with regard to the manner in which judges are appointed, the qualifications for appointment, and the duration of their functions and the actual independence of the judiciary from the executive branch and the legislative.” (Hervorhebungen von der Verfasserin).
Dort heißt es unter § 4: “While the Covenant does not prohibit such categories of courts, nevertheless the conditions which it lays down clearly indicate that the trying of civilians by such courts should be very exceptional and take place under conditions which genuinely afford the full guarantees stipulated in article 14.”
Nach Chowdhury bezieht sich die Äußerung auf Situationen des Ausnahmezustands, vgl. S.R. Chowdhury, siehe Fußnote 599, S. 209 f.
Recht auf den zuständigen Richter
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sein. Deswegen ist es nicht überzeugend, wenn die Interamerikanische Menschenrechtskommission sich im Fall Castillo Petruzzi auf diese Allgemeine Bemerkung stützt, um den „juez natural“ herzuleiten. Aus jüngerer Zeit stammt die Beschwerde Polay Campos gegen Peru. Ihr lag ein Sachverhalt zugrunde, der in gewissem Maße dem Fall Castillo Petruzzi vor dem Interamerikanischen Menschenrechtsgerichtshof vergleichbar ist. Victor Alfredo Polay Campos war der Rädelsführer des Movimiento Revolucionario „Túpac Amaru“. Er wurde von einem Militärgericht wegen Vaterlandsverrats (traición a la patria) zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt. Obwohl sich auch in diesem Fall die Frage stellte, ob ein Militärgericht, hier sogar ein ad hoc-Gericht, für das Verfahren gegen einen Zivilisten zuständig sein konnte, behandelte der Menschenrechtsausschuß diese Frage nicht. Er beschäftigte sich ausschließlich mit dem Problem von Unabhängigkeit und Unparteilichkeit und den „gesichtslosen Richtern“ (jueces sin rostro).
b. Bewertung Die Spruchpraxis des Ausschusses im Rahmen des Individualbeschwerdeverfahrens ist für die Frage der Zuständigkeit von Militärgerichten für Zivilpersonen wenig ergiebig. Das liegt indes nicht am Unwillen des Ausschusses, sondern vielmehr an dem Umstand, daß es insoweit an
Siehe MRA, Polay Campos gegen Peru, Beschwerde Nr. 577/1994, Entscheidung vom 9. Januar 1998, U.N. Dok. CCPR/C/61/D/577/1994.
Die Verwendung des Begriffs „Zivilperson“ für den Anführer einer terroristischen Bewegung mag hier merkwürdig anmuten. Aber als Zivilist wird in dieser Arbeit jede Person verstanden, die nicht formal den Streitkräften zugehört.
Vgl. MRA, Polay Campos gegen Peru, U.N. Dok. CCPR/C/61/D/577/ 1994, § 8.8. Der Menschenrechtsausschuß führt aus: „... Como ya indicó el Comité en sus observaciones preliminares de 25 de julio de 1996 sobre el tercer informe periódico del Perú y en sus observaciones finales de 6 de noviembre de 1996 sobre el mismo informe, los juicios ante tribunales especiales integrados por jueces anónimos son incompatibles con el artículo 14 del Pacto. ... Además este sistema no garantiza un aspecto fundamental de un juicio justo de conformidad con el significado del artículo 14 del Pacto: el de que el Tribunal deba tanto ser, como parecer independiente e imparcial. En el sistema de juicios con „jueces sin rostro“, ni la independencia ni la imparcialidad de los jueces están garantizadas, ya que el tribunal, establecido ad hoc, puede estar compuesto por militares en servicio activo.“
4. Kapitel
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Beschwerden mangelt. Warum der Ausschuß den Fall Polay Campos nicht zum Anlaß genommen hat, sich erneut zur Frage der Zuständigkeit von Militärgerichten zu äußern, läßt sich nicht sagen. Der Beschwerdeführer hatte in diesem Punkt nicht insistiert. Jedoch hatte sich der Menschenrechtsausschuß zu anderen Rechtsfragen geäußert, die der Beschwerdeführer ebenfalls nicht erkennbar aufgeworfen hatte. Letztlich, so ist zu vermuten, wäre der Menschenrechtsausschuß über das in der Allgemeinen Bemerkung zum Ausdruck Gebrachte nicht hinausgegangen. In Anbetracht der gegenwärtigen Debatte um eine Neufassung der Allgemeinen Bemerkung ist die Zurückhaltung des Ausschusses wenig ermutigend.
III. EMRK In der EMRK fehlt das Merkmal „zuständig“, welches einen naheliegenden tatbestandlichen Anknüpfungspunkt für Zuständigkeitsbeschränkungen der Militärgerichte darstellt. Vor dem Hintergrund der unbefriedigenden Rechtsprechung in den „Türkeifällen“ stellt sich die Frage, ob andere Merkmale als Einfallstor in Betracht kommen. Art. 6 Abs. 1 fordert ein „auf Gesetz beruhendes Gericht“. Das bedeutet, daß die Gerichtsorganisation gesetzlich geregelt sein muß. Dies ist Grundvoraussetzung der Unabhängigkeit des Gerichts in einer demokratischen Gesellschaft. Im Zusammenhang mit Verfahren vor Sondergerichten bzw. Gerichten mit besonderer Zuständigkeit haben Beschwerdeführer wiederholt mit diesem Merkmal argumentiert. Im Fall X. und Y. gegen Irland wehrten sich die Beschwerdeführer dage
Der englische Originalwortlaut lautet: “... by an independent and impartial tribunal established by law”; im französischen Text heißt es: „... par un tribunal indépendant et impartial, établi par la loi ...“.
Im Bericht der Kommission in Stallinger u. Kuso gegen Österreich, RJD Nr. 35 (1997-II), S. 686 § 51 heißt es dazu: “In this respect the Commission recalls that Article 6 § 1 of the Convention does not require the legislature to regulate each and every detail in this field by formal Act of Parliament, if the legislature establishes at least the organisational framework for the judicial organisation.” In Sramek gegen Österreich verweist der Gerichtshof wegen des Merkmals des „auf Gesetz beruhenden Gerichts“ auf das Errichtungsgesetz, vgl. EGMR, Sramek gegen Österreich, Ser. A Nr. 84, § 36.
S. 70.
Vgl. EKMR, Zand gegen Österreich, Beschwerde Nr. 7360/76, D.R. 15,
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gen, daß die Strafverfahren gegen sie, statt vor den ordentlichen Strafgerichten, vor dem “Special Criminal Court” durchgeführt wurden, der im Zusammenhang mit den von der IRA verursachten Unruhen errichtet worden war. Die Entscheidung der Kommission aus dem Jahre 1981 ist deutlich: “In any case, as pointed out by the Government, the Convention does not guarantee an individual the right to trial in any specific domestic court.” Sofern das Sondergericht auf einer gesetzlichen Grundlage beruht, ist nach dieser Rechtsprechung weitergehendes Vorbringen gegen die Zuständigkeit erfolglos. In Beschwerden der Gruppe „britischer Fälle“ machten die Beschwerdeführer „auf Gesetz beruhend“ im Sinne eines Rechts auf Ständigkeit der Gerichte geltend. Der Gerichtshof entschied die Frage jedoch nicht, sondern zog sich darauf zurück, daß die Prüfung infolge des festgestellten Verstoßes gegen die Gebote der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit nicht erforderlich sei. Festzuhalten ist, daß „auf Gesetz beruhend“ sich in den Originaltexten jeweils eindeutig auf „Gericht“ bezieht. Andere Tatbestandsmerkmale, die sich interpretativ als Ansatzpunkt anböten, sind nicht ersichtlich. Doch gibt die Kommission in ihrem Bericht zur Beschwerde Ciraklar einen Hinweis darauf, wo das Problem im Falle der Zivilpersonen zu suchen ist: “The fact that a military judge participates in criminal proceedings against a civilian, in cases completely unrelated to the internal order
Die Beschwerdeführer waren vom Vereinigten Königreich nach Irland ausgeliefert worden. Sie machten vor der Kommission geltend, im Bericht des britischen Attorney General sei ausgeführt, die von ihnen begangenen Straftaten seien nicht politisch. Deswegen hätte nach der Auslieferung nicht nach dem “Offenses against the State Act 1939” vor dem Special Criminal Court gegen sie verhandelt werden dürfen.
EKMR, X. und Y. gegen Irland, D.R. 22, S. 51, 73, § 18.
Siehe zum Beispiel EGMR, Moore und Gordon gegen Vereinigtes Königreich, verfügbar unter: , § 25; EGMR, Smith und Ford gegen Vereinigtes Königreich, verfügbar unter: , § 26.
Siehe dazu EGMR, Moore und Gordon gegen Vereinigtes Königreich, verfügbar unter: , § 26; EGMR, Smith und Ford gegen Vereinigtes Königreich, verfügbar unter: , § 27.
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of the armed forces, highlights the unusual nature of these proceedings and can also be regarded as the armed forces intervening in the non-military judicial domain – a domain which, in a democratic country, should remain above any suspicion of dependence or partiality.” Der fehlende Sachbezug, den die Kommission hier kritisiert, wirft die Frage auf, ob ein dem Art. 6 Abs. 1 immanentes Willkürverbot einen Ansatz bietet, Beschränkungen der Militärstrafgerichtsbarkeit zu begründen.
C. Ein Recht auf den zuständigen Richter – Eigene Ansätze Im Rahmen eines eigenen Ansatzes werden nunmehr Wege aufgezeigt, die Zuständigkeitsbegrenzungen ratione personae und materiae auf der Grundlage des geltenden Rechts ermöglichen. Im Hinblick auf die tatbestandlichen Voraussetzungen sind zwei unterschiedliche Ansätze nötig: einer für die Amerikanische Menschenrechtskonvention und den Pakt, und ein anderer für die Europäische Menschenrechtskonvention. Im Falle von AMRK und Pakt wird, anknüpfend an den Begriff „zuständig“, der Versuch einer autonomen Auslegung unternommen. Dieser Weg ist bei der EMRK ausgeschlossen. Deswegen soll untersucht werden, ob sich das Recht auf ein zuständiges Gericht als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal in Art. 6 Abs. 1 verankern läßt.
I. AMRK – autonome Auslegung des Merkmals „zuständig“ Wie oben unter B. I. 2. e. festgestellt, befindet sich der Interpretationsprozeß der interamerikanischen Organe noch im Fluß. Es bleibt abzuwarten, wie sich der Rückgriff des Gerichtshofs auf den Begriff „zuständiges Gericht“ fortentwickelt. Die interamerikanischen Organe erkennen die autonome Auslegung als Art der Interpretation grundsätzlich an. Im folgenden soll deswegen
EKMR, Ciraklar gegen Türkei, Bericht der Kommission, RJD Nr. 94 (1998-VII), S. 3079, 3082 § 51 (Hervorhebung von der Verfasserin).
So beispielsweise zu Art. 13 Abs. 2 AMRK: AGMR, Gutachten Nr. OC5/85, Ser. A Nr. 5, verfügbar unter: .
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der Frage nachgegangen werden, inwiefern sich im Wege der autonomen Auslegung die Beschränkung militärgerichtlicher Zuständigkeit herleiten läßt.
1. Möglichkeit autonomer Auslegung Als “lawmaking treaties” sind Menschenrechtsverträge darauf gerichtet, bestimmte Standards in den nationalen Rechtsordnungen zu verwirklichen. Sie verwenden daher vielfach Begriffe, die dem innerstaatlichen Recht entlehnt sind und keine darüber hinausgehende originäre völkerrechtliche Bedeutung haben. Das gilt für den Begriff „zuständig“ ebenso wie für die Begriffe „Gericht“ und „strafrechtliche Anklage“. Anders als letztere hat jedoch der Begriff „zuständig“ keinen materiellen Gehalt, der einer eigenen völkerrechtlichen Definition zugänglich wäre. Er ist deswegen in besonderem Maße mit dem nationalen Recht verknüpft. Das schließt indes die Möglichkeit einer autonomen Auslegung nicht aus. Nur führt die Auslegung nicht zu einer Definition im Sinne einer positiv formulierten international verbindlichen Zuständigkeitsordnung. Im Gegenteil ist es mit Hilfe des Merkmals „zuständig“ allenfalls möglich, negativ bestimmte Fallgruppen als konventionswidrig zu identifizieren. Eine Gesamtschau dieser Fallgruppen mag darüber hinaus Aufschluß darüber geben, welche Arten der Anknüpfung von gerichtlichen Zuständigkeiten vertraglich Anerkennung finden. Auch im Verhältnis zur Zuständigkeit gilt: Um einen einheitlichen Schutzstandard zu gewährleisten ist es erforderlich, die Tatbestandsmerkmale nicht der Definitionsmacht der Vertragsstaaten zu überlassen. Geboten ist ein sog. „objektiver Ansatz“, dessen Kern die textorientierte, autonome Auslegung ist. Diesen Ansatz hat der Interamerikanische Gerichtshof im Gutachten zur Todesstrafe hervorgehoben und wie folgt begründet: „Este método de interpretación se acoge al principio de la primacía del texto, es decir, a aplicar criterios objetivos de interpretación. Además, en materia de tratados relativos a la protección de los derechos humanos, resulta todavía más marcada la idoneidad de los criterios objetivos de interpretación, vinculados a los textos mismos, frente a los subjetivos, relativos a la sola intención de las partes, ya que tales tratados, como lo dijo esta Corte, ‘no son tratados multilaterales del tipo tradicional, concluidos en función de un intercambio recíproco de derechos, para el beneficio mutuo de los Estados contratantes’, sino que ‘su objeto y fin son la protección de los derechos fundamentales de los seres humanos, independientemente de su na-
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cionalidad, tanto frente a su propio Estado como frente a los otros Estados contratantes.’“ Die autonome Interpretation des Merkmals „zuständig“ in Art. 8 Abs. 1 ist vor diesem Hintergrund geboten, weil die Erfahrung – insbesondere mit Militärgerichten – zeigt, daß die Zuweisung von Rechtssachen an ein Gericht Einfluß auf die Fairneß des Verfahrens hat und zwar auch unabhängig von der anzuwendenden Prozeßordnung. Die Bedeutung der Zuständigkeitsbestimmung erkennt auch die Konvention grundsätzlich an. Sie verlangt in Art. 5 Abs. 5 in bezug auf das Minderjährigenstrafrecht die Überweisung der Strafsachen an besondere Gerichte. Wie vom Interamerikanischen Gerichtshof ausgeführt ist Ausgangspunkt der Auslegung der Wortlaut der Vorschrift. Dieser entscheidet darüber, ob Raum für eine autonome, vom innerstaatlichen Recht losgelöste Interpretation vorhanden ist. Art. 25 Abs. 2 a) lautet zum Beispiel: „(2) Die Vertragsstaaten verpflichten sich: dafür Sorge zu tragen, daß jeder, der ein solches Rechtsmittel einlegt, sein Recht durch die nach den Rechtsvorschriften des Staates zuständige Stelle feststellen lassen kann;“
AGMR, Restricciones a la pena de muerte (arts. 4.2 y 4.4 Convención Americana sobre Derechos Humanos), Gutachten Nr. OC-3/83, Ser. A Nr. 3, verfügbar unter: , § 50. In der englischen Version lautet die Passage: “This method of interpretation respects the principle of primacy of the text, that is, the application of objective criteria of interpretation. In the case of human rights treaties, moreover, objective criteria of interpretation that look to the texts themselves are more appropriate than subjective criteria that seek to ascertain only the intent of the Parties. This is so because human rights treaties, as the Court has already noted, are ‘not multilateral treaties of the traditional type concluded to accomplish the reciprocal exchange of rights for the mutual benefit of the contracting States;’ rather ‘object and purpose is the protection of the basic rights of individual human beings, irrespective of their nationality, both against the State of their nationality and all other contracting States.’”
Art. 5 Abs. 5 lautet: „Einem Strafverfahren unterworfene Minderjährige sind von Erwachsenen zu trennen und so schnell wie möglich vor besondere Gerichte zu bringen, so daß sie entsprechend ihrer Eigenschaft als Minderjährige behandelt werden können.“
Hervorhebung von der Verfasserin.
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Die Formulierung der Vorschrift zeigt, daß die Konvention den Vertragsstaaten die Zuständigkeitsbestimmung überläßt, daß sie also deren Entscheidung anerkennt. Aus diesem Grunde kommt im Hinblick auf die Frage, ob die „zuständige Stelle“ gehandelt hat, nur eine eng begrenzte Willkürkontrolle in Betracht. Anders als in Art. 25 Abs. 2 ist weder in Art. 8 Abs. 1 noch in Art. 4 Abs. 2 Satz 1 und Abs. 6 Satz 2, Art. 6 Abs. 2 Satz 2, Art. 7 Abs. 6 Sätze 1 und 2, Art. 23 Abs. 2 und Art. 25 Abs. 1, 2 a) der Begriff „zuständig“ weiter spe
Der Text lautet in der deutschen Übersetzung: „In den Ländern, die die Todesstrafe nicht abgeschafft haben, darf sie nur für die schwersten Verbrechen und nur nach einem endgültigen Urteil verhängt werden, das von einem zuständigen Gericht und in Übereinstimmung mit einem eine solche Bestrafung androhenden und vor Begehung des Verbrechens verabschiedeten Gesetz gefällt wurde.“
Der Text lautet in der deutschen Übersetzung: „Die Todesstrafe darf nicht vollstreckt werden, während solch ein Antrag [Straferlaß, Begnadigung oder Strafmilderung, Anm. der Verf.] bei der zuständigen Behörde zur Entscheidung anhängig ist.“
In der deutschen Übersetzung heißt es: „Diese Vorschrift darf nicht in der Weise ausgelegt werden, daß sie in den Ländern, in denen die für bestimmte Verbrechen bestimmte Strafe Freiheitsentzug mit Zwangsarbeit ist, die Vollstreckung eines solchen von einem zuständigen Gericht gefällten Urteils verbietet.“
In der deutschen Übersetzung lautet die Bestimmung: „Jeder der seiner Freiheit beraubt ist, hat das Recht, ein zuständiges Gericht anzurufen, damit das Gericht unverzüglich über die Rechtmäßigkeit seiner Festnahme oder Haft entscheidet und seine Freilassung anordnet, falls die Festnahme oder Haft widerrechtlich ist. In Mitgliedstaaten deren Gesetze vorsehen, daß jeder, der sich von einer Freiheitsentziehung bedroht fühlt, das Recht hat, ein zuständiges Gericht anzurufen, damit es über die Rechtmäßigkeit solcher Bedrohung entscheidet, darf dieses Rechtsmittel nicht eingeschränkt oder abgeschafft werden.“
Art. 23 betrifft die staatsbürgerlichen Grundrechte. Abs. 2 der Vorschrift lautet: „Die Ausübung der Rechte und Möglichkeiten nach Absatz 1 darf nur von solchen gesetzlich geregelten Voraussetzungen abhängig gemacht werden, die Alter, Staatsangehörigkeit, Wohnsitz, Sprache, Bildung, Innehabung der bürgerlichen Ehrenrechte, Zurechnungsfähigkeit oder eine Verurteilung durch ein zuständiges Gericht in Strafsachen betreffen.“
In der deutschen Übersetzung lautet die Vorschrift: „(1) Jedermann hat das Recht, sich im Fall einer Verletzung seiner durch die Verfassung oder die Gesetze des betreffenden Staates oder durch diese Konvention anerkannten Grundrechte mit einer einfachen und sofortigen Beschwerde oder einem anderen effektiven Rechtsmittel an ein zuständiges Gericht oder gerichtsähnliches
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zifiziert. Dies ermöglicht, die nach innerstaatlichem Recht bestehende Zuständigkeitsordnung umfassender internationalrechtlich zu überprüfen.
2. Maßstab autonomer Auslegung Ist grundsätzlich geklärt, daß der Begriff „zuständig“ einer autonomen, vom innerstaatlichen Recht losgelösten Auslegung zugänglich ist, stellt sich die Frage nach dem Auslegungsmaßstab. In der Literatur zur Auslegung der Europäischen Menschenrechtskonvention wird verbreitet darauf verwiesen, die autonome Auslegung vollziehe sich wesentlich im Wege eines Rechtsvergleichs. Dem scheinen auch die Kommission und – nicht ganz so deutlich – der Gerichtshof im Urteil Castillo Petruzzi zu folgen. Ein Rechtsvergleich allein ist indes unzureichend. Dies ergibt sich aus zwei Erwägungen. Erstens darf ein Rechtsvergleich nicht außer acht lassen, daß es um die Auslegung der Konvention geht. Ist ein Tatbestandsmerkmal auslegungsbedürftig, spiegelt die Konvention in ihrer Gesamtheit die Werteordnung wider, vor deren Hintergrund sich die Auslegung vollzieht. Maßstab der autonomen Auslegung sind also in erster Linie die ausdrücklich verbürgten sowie die immanenten Werte
Organ zu wenden, auch wenn die Verletzung durch eine Person begangen wurde, die in Ausübung eines öffentlichen Amtes handelte. (2) Die Vertragsstaaten verpflichten sich: a) dafür Sorge zu tragen, daß jeder, der ein solches Rechtsmittel einlegt, sein Recht durch die nach den Rechtsvorschriften des Staates zuständige Stelle feststellen lassen kann; ...“ Art. 28 Abs. 2 spricht im Rahmen der Bundesstaatsklausel von den „zuständigen Organe[n] der Gliedstaaten“.
Differenzierte Aussagen zum Vorgehen bei der autonomen Auslegung betreffen vor allem die EMRK. So z. B. R. Bernhardt, Thoughts on the Interpretation of Human Rights Treaties, in: F. Matscher/H. Petzold (Hrsg.), Festschrift für G.J. Wiarda, Protecting Human Rights: The European Dimension, 2. Aufl., Köln, Bonn, Berlin u. a. 1988, S. 65, 67 und S. 70 f. Frowein führt aus, daß die Begriffe, die den Schutzbereich der Konventionsrechte umschreiben, in der Formulierung autonom, aber nicht ohne Beziehung zu den nationalen Rechtsordnungen und deren wertendem Vergleich verstanden werden können, vgl. Frowein/Peukert, EMRK-Kommentar, Einführung, Rz. 8. Wertender Rechtsvergleich auch F. Matscher, Methods of Interpretation of the Convention, in: R. St.J. Macdonald, F. Matscher, H. Petzold (Hrsg.), The European System for the Protection of Human Rights, Dordrecht 1993, S. 63, 73.
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der Konvention. Die Bedeutung dieser Feststellung liegt darin, daß die Auslegung eines Begriffs gegen die Anschauung der Mehrheit, in krassen Fällen sogar gegen die Anschauung der Gesamtheit der Vertragsstaaten, möglich ist. Das mag folgende hypothetische Konstellation illustrieren: unterstellt, die Gesamtheit der Vertragsstaaten würde über Nacht zu Diktaturen und nutzte Streckbänke und ähnliches, um Geständnisse zu erwirken. Müßte der Gerichtshof seine Rechtsprechung zu Folter, grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung diesem „Standard“ durch Auslegung der Tatbestandsmerkmale im Lichte geltender „Mehrheitsanschauungen“ anpassen? Die Antwort ist nein. Eine Gesamtschau aus Wortlaut, Systematik und Telos ergibt zweifelsohne, daß diese Praktiken unvereinbar mit der Konvention sind. Der Rechtsvergleich hat deswegen kein entscheidendes Gewicht. Er kommt allenfalls zum Tragen, nachdem der von der Konvention gesteckte Rahmen feststeht. Zweitens, an voranstehende Feststellungen anknüpfend, spricht gegen den Rechtsvergleich als allein entscheidenden Maßstab, daß die Ergebnisfindung sinnvoll kaum möglich ist. Die Kommission verwies in Castillo Petruzzi beispielsweise auf einen Konsens, der hinsichtlich des Verbots, Zivilpersonen strafrechtlich vor Militärgerichten zu verfolgen, bestehe. Ein echter Konsens im Sinne der Zustimmung aller Vertragsparteien konnte wegen der ablehnenden Haltung Perus nicht gemeint sein. Fest steht, daß divergierende Anschauungen über die Auslegung eines Tatbestandsmerkmals konventionstypisch sind. Sie machen die autonome Auslegung letztlich erst erforderlich. Aber die Begründung eines Ergebnisses unterhalb des Konsenses ist schwierig. Mathematische Formeln sind zur Ergebnisfindung kaum geeignet. Es liefe bei
Matschers Ausführungen können in diese Richtung verstanden werden. Er führt aus: “to summarize this point: autonomous interpretation is the appropriate method of interpretation for law-making agreements; in the case of the European Convention it leads to a harmonization of the standards of enforcement of fundamental rights in the various Member States, which is after all one of the objectives of the Convention itself, according to the Preamble. But even this method must be used by the interpreter with great care, because otherwise he runs the risk of creating so-called autonomous concepts which do not have any foundation in the Convention system itself.” (Hervorhebung von der Verfasserin), F. Matscher, Methods of Interpretation of the Convention, in: R. St.J. Macdonald, F. Matscher, H. Petzold (Hrsg.), The European System for the Protection of Human Rights, Dordrecht 1993, S. 63, 73.
Siehe R. Bernhardt, Evolutive Treaty Interpretation, Especially of the European Convention on Human Rights, in: GYIL 42 (1999), S. 11, 22.
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spielsweise dem Ziel eines Menschenrechtsvertrages, wirksamen Schutz vor Menschenrechtsverletzungen durch den Vertragsstaat zu gewähren, zuwider, den zu garantierenden Standard von der Rechtsauffassung eines “persistent objector” abhängig zu machen. Gerade was die Amerikanische Menschenrechtskonvention anlangt, läßt der in diesem Zusammenhang mögliche Vorwurf der Rechtsfortbildung gut kontern. Im zweiten Absatz der Präambel der Amerikanischen Menschenrechtskonvention ist die Rede davon, daß die wesentlichen Rechte des Menschen internationalen Schutz in Form einer Konvention verdienen, die den Schutz verstärkt oder ergänzt, den die Rechtsordnungen der amerikanischen Staaten bereitstellen. Die Konvention ist also nicht gehalten, beim Status quo des innerstaatlichen Rechts der Vertragsstaaten zu verharren. Dies muß gerade auch für Art. 8 der Konvention gelten, dem die Kommission unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des europäischen Gerichtshofs besondere Bedeutung beimißt. Bleibt die Frage, inwiefern die Mehrheitsauffassung der Vertragsstaaten eine entscheidende Rolle bei der Auslegung spielt. Unter demokrati-
Matscher führt aus: “... autonomous interpretation which is not sufficiently thought out and well-founded can also tilt over into a law-making process, which is not covered by the Convention.”, F. Matscher, Methods of Interpretation of the Convention, in: R.St.J. Macdonald, F. Matscher, H. Petzold, The European System for the Protection of Human Rights, Dordrecht, 1993, S. 63, 73.
Der vollständige Wortlaut des zweiten Absatzes der Präambel lautet in der deutschen Übersetzung: „In Anerkennung dessen, daß die wesentlichen Rechte des Menschen nicht seiner Zugehörigkeit zu bestimmten Staaten entspringen, sondern sich auf Merkmale der menschlichen Persönlichkeit gründen, und daß sie deshalb internationalen Schutz in Form einer Konvention verdienen, die den Schutz verstärkt oder ergänzt, den die Rechtsordnungen der amerikanischen Staaten bereitstellen.“
So führt die Kommission in bezug auf das Tatbestandsmerkmal der demokratischen Gesellschaft aus: “By the same token, the European Court of Human Rights, in analyzing Art. 6 (1) of the European Convention, which is similar to Art. 8 (1) of the American Convention, stated that ‘in a democratic society within the meaning of the Convention, the right to a fair administration of justice holds such a prominent place that a restrictive interpretation of Art. 6 para. 1 (art. 6-1) would not correspond to the aim and purpose of that provision.’ This approach is consistent with the emphasis which the Inter-American Court gives to due process in the context of a democratic society.”, AKMR, Reinaldo Figuereo Planchart gegen Venezuela, Fall Nr. 11.298, Bericht Nr. 50/00, § 85, veröffentlicht unter: .
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schen Erwägungen scheint der Mehrheitsgedanke prima vista bedenkenswert. Interessant sind insofern die Ausführungen von Bernhardt, dem ehemaligen deutschen Richter des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte. Er zeigt an Beispielen aus der Rechtsprechung, daß der Maßstab je nach Gegenstand variiert. Zum Teil rekurriert der Gerichtshof auf die mehr oder weniger stringente Anwendung der in Frage stehenden innerstaatlichen Rechtsnormen, in anderen Fällen steht die Rechtslage in anderen Mitgliedstaaten im Vordergrund. Bernhardt führt weiter aus: “Neither unanimity nor a simple majority of participating States is decisive; the tendencies in member States, as seen and reflected by the judges in Strasbourg and their collaborators and assistants, will finally decide whether an evolutive interpretation can take place.” Die Feststellung ist so ernüchternd wie realistisch. Richtig ist, daß sich die Wertung letztlich nicht durch Abzählen ersetzen läßt. Rechnerische Lösungen mögen bezogen auf einen bestimmten Zeitpunkt weniger angreifbar sein, sie verlieren ihre Legitimation aber auch durch Änderungen der innerstaatlichen Rechtslage in den Vertragsstaaten und bieten keine Gewähr dafür, daß die dahinter liegende Wertung den Geist des Menschenrechtsvertrages wirklich trifft. Folgt man dem, sind Betrachtungen der Rechtslage in den Mitgliedstaaten allein von Bedeutung, um Tendenzen festzustellen und damit die Legitimation der gefundenen Lösung zu untermauern. Sie sind ihrer Natur nach deklaratorisch, nicht konstitutiv. Trotzdem ist die Bezugnahme auf innerstaatliches Recht nicht ohne Wert. Die Offenlegung der Tendenzen hilft, die Staaten auf dem Weg der evolutiven Interpretation mitzunehmen. Ihre Bereitschaft, die Entscheidungen mitzutragen, ist entscheidend für das Funktionieren des Menschenrechtsschutzes. Aus vorstehenden Erwägungen ergibt sich für die hier zu beantwortende Frage, ob das Merkmal „zuständiges Gericht“ bestimmte Beschränkungen militärgerichtlicher Zuständigkeit ratione personae und materiae fordert, eine Untersuchung in zwei Schritten. Zunächst sind die für die Betrachtung wesentlichen Grundaussagen der Konvention zu identifizieren. Die so gewonnenen Aussagen werden dann der Rechtslage der Vertragsstaaten gegenübergestellt.
Siehe R. Bernhardt, siehe Fußnote 447, S. 11, 18 ff. R. Bernhardt, siehe Fußnote 447, S. 11, 22.
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a. Strafverfahren vor Militärgerichten gegen Zivilpersonen Die Unterwerfung von Zivilpersonen unter die Jurisdiktion von Militärgerichten wegen meist staatssicherheitsbezogener Delikte stellt eine Ungleichbehandlung einer bestimmten Gruppe von Zivilpersonen gegenüber der Allgemeinheit dar. Zur Begründung verweisen Staatenvertreter gerne auf die besondere Effizienz der Militärgerichte, auf die Sachkunde des Militärs im Kampf gegen die Subversion sowie darauf, daß zivile Gerichte wegen Bedrohungen von außen ihre Arbeit nicht zu verrichten vermöchten. Das mag zwar dem Grunde nach richtig sein, vermag aber den Schluß auf die Zuständigkeitserweiterung nicht zu rechtfertigen. Nicht nur ist die militärgerichtliche Effizienz oft rechtsstaatlich fragwürdig, die vorgebrachten Gründe sind auch nicht in der Lage, den Kern des Problems zu entschärfen. Sie vermögen es nicht, das Fehlen einer besonderen Beziehung zwischen dem Sondergericht und den seiner Jurisdiktion unterworfenen Personen zu begründen. Daß die Sachkunde des Militärs in Terrorismusangelegenheiten dafür nicht reicht, mag folgende hypothetische Annahme verdeutlichen: angenommen, ein Ehrengericht der Rechtsanwaltschaft verfügt über besondere Kenntnisse im Medizinrecht oder im Architektenrecht, darf es deswegen Ärzte bzw. Architekten disziplinarisch verfolgen? Die Antwort ist nein. Nicht allein die Sachkenntnis des Gremiums entscheidet. Sie vermag den Ruch von Willkür nicht zu entkräften. Sofern von der allgemeinen Gerichtsbarkeit abgewichen wird, muß vielmehr eine sachliche Beziehung zwischen der Gerichtsbarkeit und der Person hinzutreten. Deswegen ändert sich an der Bewertung auch nichts, wenn alle Zivilpersonen vor Militärgerichte gestellt würden. Das hier maßgebliche rechtsstaatliche Willkürverbot geht über das Gebot der bloßen Rechtsgleichheit hinaus.
In diese Richtung zielt wohl auch die Äußerung Alberto Bovinos: „La creación de tribunales con competencia militar significa el reconocimiento de las particularidades del régimen al que están sometidas las personas que ostentan condición militar, pero nada más que eso. La idea de que estos tribunales estén integrados por militares es tan absurda como la que postulara que los tribunales que juzgaran delitos económicos estén integrados por impresarios“, A. Bovino, Los tribunales militares y la Constitución de Guatemala, in: Procuradoría de los Derechos Humanos (Hrsg.), Los militares y la Constitución, Colección de Derechos Humanos, Nr. 3, Guatemala 1996, S. 35.
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aa. Vorgaben der Konvention – Rechtsstaatlichkeit (“rule of law”) Keines der Menschenrechtsorgane hat sich bisher in vorstehend beschriebener Weise geäußert. Insofern stellt sich die Frage, inwiefern sich aus der Konvention ein solches Konnexitätsgebot, das heißt, das Erfordernis einer bestimmten Beziehung zwischen Gericht und seiner Jurisdiktion unterworfenen Personen, herleiten läßt. Als Anknüpfungspunkt in Betracht kommen insbesondere das Rechtsstaatsgebot (“rule of law”) und das Willkürverbot. Ausdrücklich erwähnt ist die “rule of law” in der Konvention nicht. Trotzdem steht ihre Anerkennung als ein Fundament der Amerikanischen Menschenrechtskonvention außer Frage. Das bestätigt die Spruchpraxis der Konventionsorgane in diversen Berichten und Entscheidungen. Zwei sich ergänzende Grundlagen der “rule of law” lassen sich ausmachen. Herangezogen werden zum einen die in der Präambel und in der Auslegungsvorschrift Art. 29 c) genannte „repräsentative Demokratie“ sowie die Bezugnahme in Art. 15 Satz 2, Art. 16 Abs. 2, Art. 22 Abs. 3 und Art. 32 Abs. 2 auf die „demokratische Gesellschaft“. Darüber hinaus wird argumentiert, das Rechtsstaatsgebot sei den Menschenrechten selbst immanent. Die „Erklärung von Chile“, welche die Außenminister der OAS-Mitgliedstaaten 1959 verabschiedeten, unternahm den Versuch, die Charakteristika des demokratischen Systems zu definieren. An erster Stelle der Erklärung heißt es: “The Rule of Law must be assured through the separation of powers and review, by judicial bodies of the State, of the legality of acts of government.” Kommission und Gerichtshof haben
In der Präambel der Konvention heißt es einleitend: „[u]nter erneuter Bekräftigung ihrer Absicht, in dieser Hemisphäre ein System persönlicher Freiheit und sozialer Gerechtigkeit im Rahmen demokratischer Institutionen zu festigen, das sich auf den Respekt für die wesentlichen Rechte des Menschen gründet; ...“.
Art. 29 c) bestimmt: „Keine Bestimmung dieser Konvention darf dahingehend ausgelegt werden, daß sie c) andere Rechte oder Garantien ausschließt, die der menschlichen Persönlichkeit innewohnen oder sich aus der Regierungsform der repräsentativen Demokratie ergeben; ...“
Die Erklärung Chiles ist veröffentlicht in: General Secretariat of the Organization of American States, Inter-American System: Treaties, Convention, and Other Documents. Washington, D.C., 1981, Vol. 1. Das in dieser Arbeit verwendete Zitat entstammt folgender Quelle: AMRKomm, Walter Humberto Vásquez Vejerano gegen Peru, Fall Nr. 11.166, Bericht Nr. 48/00, Dok. OEA/ Ser.L/V/II.106 Doc.6 rev., Kap. III, C.5., § 27.
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in der Folgezeit immer wieder die innere Verbindung von Rechtsstaatsgebot zu Demokratie und Menschenrechten betont. Insbesondere in Zusammenhang mit dem Recht auf habeas corpus haben sie auf das Rechtsstaatsgebot Bezug genommen. So führt der Gerichtshof im Gutachten OC-9/87 aus: “... in a democratic society, the rights and freedoms inherent in the human person, the guarantees applicable to them and the rule of law form a triad. Each component therefore defines itself, complements and depends on the others for its meaning.” Im Bericht zur Beschwerde Walter Humberto Vásquez Vejerano gegen Peru stellt die Kommission darüber hinaus unter Bezugnahme auf die Gutachten 5/85, 6/86 und 9/87 im Zusammenhang mit Ausnahmezuständen fest: “The Inter-American Court has also held that ‘reference has already been made to the Rule of Law, representative democracy, and the
Vgl. z. B. AGMR, Cesti Hurtado gegen Peru, Ser. C Nr. 56, Urt. v. 29. September 1999, verfügbar unter: , § 121; Castillo Paez gegen Peru, Ser. C Nr. 34, Urt. v. 3. November 1997, verfügbar unter: , §§ 82, 83; Suárez Rosero gegen Ecuador, Ser. C Nr. 35, Urt. v. 12. November 1997, verfügbar unter: , § 65; Paniagua Morales u. a. gegen Guatemala, Ser. C Nr. 37, Urt. v. 8. März 1998, verfügbar unter: , § 164; Blake gegen Guatemala, Ser. C Nr. 36, Urt. v. 24. Januar 1998, verfügbar unter: , § 10; Castillo Petruzzi u. a. gegen Peru, Ser. C Nr. 52, Urt. v. 30. Mai 1999, verfügbar unter: , § 184. Dieselbe Aussage findet sich auch im Bericht der Kommission zur Beschwerde Fransisco Guarcas Cipriani gegen Guatemala. Die Kommission schreibt: “This simple and prompt recourse contemplated in Art. 25 constitutes one of the pillars, not only of the system, but of the rule of law in a democratic society, and plays an integral role in the protection of the most fundamental individual rights and freedoms.”, AKMR, Fransisco Guarcas Cipriani gegen Guatemala, Fall Nr. 11.275, Bericht Nr. 140/99, Dok. OEA/Ser.L/V/II.106 Doc.6 rev., Kap. III, C.5., § 37.
Die dem Zitat zugrundeliegende Aussage des Gerichtshofs entstammt dem Gutachten Nr. OC-9/87, Ser. Nr. 9, Judicial Guarantees in States of Emergency (Arts. 27 (2), 25 and 8 American Convention on Human Rights), § 35. Sie ist wiedergegeben in: AKMR, Reinaldo Figuereo Planchart gegen Venezuela, Fall Nr. 11.298, Bericht Nr. 50/00, Dok. OEA/Ser.L/V/II.106 Doc.6 rev., Kap. III, C.5., Fn. 21 zu § 85. Auf das Zitat wird auch in dem Bericht zur Beschwerde Víctor Manuel Oropeza gegen Mexiko, Fall Nr. 11.740, Bericht Nr. 130/99 in Fn. 21 Bezug genommen.
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regime of individual freedom and it has been observed that they are inherent in the Inter-American system, particularly the provisions for the protection of human rights contained in the Convention’.” Problematischer als die Feststellung, daß das Rechtsstaatsgebot überhaupt anerkannt ist, ist es, seinen Inhalt zu präzisieren. Es fordert schnelle und effektive Rechtsbehelfe gegen behauptete Verletzungen der Menschenrechte, Zugang zu den Gerichten, es verbietet, wie unten noch näher auszuführen sein wird, Straflosigkeit und Rechtswegverweigerung. Es verbietet Willkür, die geradezu das Gegenteil von Rechtsstaatlichkeit darstellt. Doch was ist Willkür? Zwei Ansätze kommen in Betracht. Im Sinne formeller Rechtsstaatlichkeit könnte Willkür schlicht das Fehlen einer gesetzlichen Grundlage meinen. Andererseits könnte das Willkürverbot aber auch darüber hinausgehend sachliche Anforderungen an die Rechtsgrundlage stellen. Der materielle Rechtsstaat sichert die Freiheitssphäre seiner Bürger durch Grundrechte, an die alle staatliche Gewalt, einschließlich des Gesetzgebers, gebunden ist. Der Begriff „willkürlich“ findet sich an verschiedenen Stellen der Konvention, so in Art. 4 Abs. 1 Satz 3 (Verbot willkürlicher Tötung), Art. 7 Abs. 3 (Verbot willkürlicher Inhaftierung) und Art. 20 Abs. 3 (Verbot des willkürlichen Entzugs der Staatsangehörigkeit). Mit dem fundamentalen Charakter der Rechte ist es unvereinbar, daß allein das Vorliegen irgendeiner gesetzlichen Grundlage ausreichen soll. Vielmehr ist in all diesen Fällen zu fordern, daß die Beschränkung der Grundrechte sachlich begründet ist, weil aus dem Kontext ersichtlich ist, daß
AKMR, Walter Humberto Vásquez Vejerano gegen Peru, Fall Nr. 11.166, Bericht Nr. 48/00, Dok. OEA/Ser.L/V/II.106 Doc.6 rev., Kap. III, C.5.
Siehe dazu das Urteil Golder gegen Vereinigtes Königreich, EGMR, Ser. A Nr. 18, § 35.
Siehe dazu M. Wolf, Gerichtsverfassungsrecht aller Gerichtszweige, 6. Aufl., München 1987, S. 9.
In der deutschen Übersetzung lautet die Bestimmung: „Niemand darf willkürlich getötet werden.“
Die Bestimmung lautet in deutscher Sprache: „Niemand darf willkürlich festgenommen oder gefangengehalten werden.“
Abs. 3 lautet in der deutschen Übersetzung: „Niemandem darf seine Staatsangehörigkeit oder das Recht, diese zu wechseln, willkürlich entzogen werden.“
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die Amerikanische Konvention einen materiellen Mindeststandard bei der Zuständigkeitsbestimmung verlangt.
bb. Rechtslage in den Vertragsstaaten Die Betrachtung der Rechtslage in den Vertragsstaaten zeigt, daß eine beachtliche Zahl von Vertragsstaaten der AMRK Strafverfahren gegen Zivilpersonen vor Militärgerichten verbietet. Interessant ist dabei festzustellen, daß gerade in Staaten, die im Zuge von Diktaturen oder Bürgerkriegen Erfahrungen mit dieser Art Jurisdiktion gemacht haben, das Verbot in der Verfassung betont wird. Von den derzeit 24 Vertragsstaaten der Amerikanischen Menschenrechtskonvention verfügen zwei, Panama und Costa Rica, über kein Militär. In Guatemala, Kolumbien, Nicaragua, Paraguay
Die Statistik findet sich im Internet unter . Trinidad und Tobago haben mit Schreiben vom 26. Mai 1998 ihre Vertragspartnerschaft der Amerikanischen Menschenrechtskonvention gekündigt. Gemäß Art. 78 Abs.1 der Konvention ist die Kündigung ein Jahr später wirksam geworden.
Verfassung von 1972, reformiert 1982 und 1994, Art. 305 Satz 1. Art. 12 der Verfassung von 1949.
Vgl. die Constitución Política de la República de Guatemala, 1985 con reformas de 1993 (Reformada por Acuerdo Legislativo No. 18-93 del 17 de Noviembre de 1993). ARTICULO 219.- Tribunales militares. Los tribunales militares conocerán de los delitos o faltas cometidos por los integrantes del Ejército de Guatemala. Ningún civil podrá ser juzgado por tribunales militares.
Die Verfassungsvorschrift ist umgesetzt in Art. 5 des Militärstrafgesetzes (Código Penal Militar), Gesetz Nr. 522 vom 12. August 1999; der Gesetzestext ist veröffentlicht unter: .
Vgl. die Verfassung von Nicaragua von 1987, teilweise geändert 1995 (darunter auch der folgende Artikel eingeführt): ARTICULO 93.- El Ejército de Nicaragua es una institución nacional, de carácter profesional, apartidista, apolítica, obediente y no deliberante. Los miembros del Ejército deberán recibir capacitación cívica y en materia de derechos humanos.
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und Mexiko verbietet die jeweilige Verfassung ausdrücklich Strafverfahren gegen Zivilpersonen vor Militärgerichten. Die Verfassungen von Haiti Los delitos y faltas estrictamente militares cometidos por miembros del ejército y la policía, serán conocidos por los tribunales militares establecidos por ley. Los delitos y faltas comunes cometidos por los militares y policías serán conocidos por los tribunales comunes. En ningún caso los civiles podrán ser juzgados por tribunales militares.
Vgl. die Verfassung Paraguays von 1992, Art. 174
Los tribunales militares solo juzgarán delitos o faltas de carácter militar, calificados como tales por la ley, y cometidos por militares en servicio activo. Sus fallos podrán ser recurridos ante la justicia ordinaria. Cuando se trate de un acto previsto y penado, tanto por la ley penal común como por la ley penal militar no será considerado como delito militar, salvo que hubiese sido cometido por un militar en servicio activo y en ejercicio de funciones castrenses. En caso de duda de si el delito es común o militar, se lo considerará como delito común. Sólo en caso de conflicto armado internacional, y en la forma dispuesta por la ley, estos tribunales podrán tener jurisdicción sobre personas civiles y militares retirados.
Vgl. die Verfassung Mexikos von 1917, Art. 13: „Nadie puede ser juzgado por leyes privativas ni por tribunales especiales. Ninguna persona o corporación puede tener fuero, ni gozar más emolumentos que los que sean compensación de servicios públicos y estén fijados por la ley. Subsiste el fuero de guerra para los delitos y faltas contra la disciplina militar, pero los tribunales militares en ningún caso y por ningún motivo, podrán extender su jurisdicción sobre personas que no pertenezcan al Ejército. Cuando en un delito o falta del órden militar estuviere complicado un paisano, conocerá del caso la autoridad civil que corresponda.“, veröffentlicht unter: – capítulo I (Stand: Februar 2002). Einfachgesetzlich ergibt sich das Verbot der militärgerichtlichen Jurisdiktion über Zivilpersonen aus Art. 57 des Militärgerichtsgesetzes (Código de Justicia Militar) von 1999, veröffentlicht unter: : Son delitos contra la disciplina militar: I.- Los especificados en el libro segundo de este código; II.- Los del orden común o federal, cuando en su comisión haya concurrido cualquiera de las circunstancias que en seguida se expresan: a).- Que fueren cometidos por militares en los momentos de estar en servicio o con motivo de actos del mismo;
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Haiti und El Salvador treffen zwar keine Aussagen zur Jurisdiktion über Zivilpersonen; sie bestimmen jedoch, daß Angehörige der Streitkräfte für bestimmte militärische Delikte der Militärgerichtsbarkeit unterliegen. Dies legt die Annahme nahe, daß die Aufzählung abschließend ist und Zivilpersonen der militärgerichtlichen Jurisdiktion nicht unterstehen. Die Verfassungen von Venezuela, Uruguay, und Brab).- Que fueren cometidos por militares en un buque de guerra o en edificio o punto militar u ocupado militarmente, siempre que, como consecuencia, se produzca tumulto o desorden en la tropa que se encuentre en el sitio donde el delito se haya cometido o se interrumpa o perjudique el servicio militar; c).- Que fueren cometidos por militares en territorio declarado en estado de sitio o en lugar sujeto a la ley marcial conforme a las reglas del derecho de la guerra; d).- Que fueren cometidos por militares frente a tropa formada o ante la bandera; e).- Que el delito fuere cometido por militares en conexión con otro de aquellos a que se refiere la fracción I. Cuando en los casos de la fracción II, concurran militares y civiles, los primeros serán juzgados por la justicia militar. Los delitos del orden común que exijan querrella, necesaria para su averiguación y castigo, no serán de competencia de los tribunales militares, sino en los casos previstos en los incisos (c) y (e) de la fracción II.
Vgl. die Verfassung Haitis von 1987, ARTICLE 267-3:
Military personnel are under the jurisdiction of a military court only for offenses and crimes committed in wartime or for violations of military discipline. They may not be discharged, placed on inactive service, placed on half pay, or retired early except with their consent. If such consent is not given, the party concerned may lodge an appeal with the court of competent jurisdiction.
Vgl. die Verfassung El Salvadors von 1982:
Artículo 216.- Se establece la jurisdicción militar. Para el juzgamiento de los delitos y faltas puramente militares habrá procedimientos y tribunales especiales. De las resoluciones de las Cortes Marciales se admitirán recursos en última instancia, ante el Comandante General de la Fuerza Armada, o ante el respectivo Jefe de Operaciones en campaña. Gozan del fuero militar los miembros de la Fuerza Armada en servicio activo por delitos y faltas puramente militares.
Vgl. die Constitución Política de la República Bolivariana de Venezuela (Vigente desde diciembre de 1999 – Gaceta Oficial Nº 36.860 del 30 de diciembre de 1999):
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silien treffen keine Aussagen über die der Militärgerichtsbarkeit unterstehenden Personen, sondern ausschließlich über die von diesen zu behandelnden, militärischen Delikte. Der Schluß liegt nahe, militärische Delikte als eine Art „Amtsdelikte“ zu verstehen. Es gibt jedoch Beispiele, die belegen, daß der Begriff „militärisches Delikt“ zuweilen sehr weit verstanden wird. Dies ist zum Beispiel nach dem brasilianischen Militärstrafgesetzbuch der Fall, das in bestimmten Fällen die Zuständigkeit über Zivilpersonen eröffnet. Bleiben die Verfassungen, die keine Aussagen zur Zuständigkeit der Militärgerichtsbarkeit enthalten. Dazu gehören die Verfassungen von Argentinien, Barbados, Bolivien, Chile, Dominica, der Dominikani-
Artículo 261. La jurisdicción penal militar es parte integrante del Poder Judicial, y sus jueces o juezas serán seleccionados por concurso. Su ámbito de competencia, organización y modalidades de funcionamiento, se regirán por el sistema acusatorio y de acuerdo con lo previsto en el Código Orgánico de Justicia Militar. La comisión de delitos comunes, violaciones de derechos humanos y crímenes de lesa humanidad, será juzgada por los tribunales ordinarios. La competencia de los tribunales militares se limita a delitos de naturaleza militar. La ley regulará lo relativo a las jurisdicciones especiales y a la competencia, organización y funcionamiento de los tribunales en cuanto no esté previsto en esta Constitución.
Vgl. die Verfassung Uruguays von 1997:
Artículo 253. La jurisdicción militar queda limitada a los delitos militares y al caso de estado de guerra. Los delitos comunes cometidos por militares en tiempo de paz, cualquiera que sea el lugar donde se cometan, estarán sometidos a la Justicia ordinaria.
Art. 124 der Verfassung: It shall be incumbent upon the Military Courts to process and adjudicate the military crimes defined by law. Veröffentlicht unter: (Stand: Februar 2002).
Art. 9 Abs. 3 des Código Penal Militar, Decreto lei N° 1.001 vom 21. Oktober 1969 in der Fassung von Lei N° 9.299, vom 7. August 1996, beide Texte veröffentlicht unter der Rubrik „Gesetzgebung“ auf den Seiten des „Senado Federal“, .
Das bolivianische Verfassungsrecht trifft keine Feststellungen. Das Organisationsgesetz der Militärgerichtsbarkeit ist nicht zugänglich. Dessen Art. 12 soll hier von Bedeutung sein und für einen Ausschluß der Gerichtsbarkeit für die Verfolgung von Zivilpersonen sprechen. Die einfachgesetzlichen Regelungen des Código Penal Militar, also der materiellen militärrechtlichen Strafvorschriften, sind widersprüchlich. Gemäß Art. 1, der sich nach seiner Überschrift auf die räumliche Anwendbarkeit des Gesetzes bezieht, unterfallen ihm auch
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schen Republik, von Ecuador, Grenada, Honduras, Jamaica und Surinam. Leider lassen sich auch hier nur in einigen Staaten Aussagen zum Verbot von Strafverfahren gegen Zivilpersonen treffen. Das einfache Recht Argentiniens schließt die Jurisdiktion der Militärgerichte über Zivilpersonen aus. In Chile ist die Durchführung von Strafverfahren gegen Zivilpersonen demgegenüber gemäß dem Militärstrafgesetzbuch – ebenso wie in Peru – in bestimmten Fällen möglich.
cc. Bewertung Die Betrachtung der Rechtslage ist in Ermangelung einfachgesetzlicher Quellen notwendig unvollständig. Tendenzen lassen sich aber durchaus ausmachen. Zwischen 1978 und 1991 kehrten 15 von 20 lateinamerikaZivilpersonen. So lauten Abs. 2 und 3: Este código se aplicará: 2) A los delitos cometidos por nacionales y extranjeros que, sin ser miembros de las Fuerzas Armadas, afecten materias y lugares militares. 3) A los delitos cometidos en el exterior por ciudadanos bolivianos o extranjeros, militares o civiles y cuyos efectos se produzcan en lugares sometidos a la jurisdicción militar, siempre que no hayan sido procesados en el exterior. Demnach könnte man bei einem Gleichlauf von materiellem und Prozeßrecht auf eine Strafverfolgung von Zivilpersonen vor Militärgerichten schließen. Andererseits heißt es in Art. 5 zur Anwendbarkeit ratione personae: „Las disposiciones de este Código se aplicarán a militares en servicio activo y personal civil pertenecientes a las Fuerzas Armadas de la Nación y que, en el momento del hecho, tengan más de 16 años de edad.“ Hiernach kommen als Zivilpersonen nur noch die zivilen Angestellten der Streitkräfte in Betracht.
Siehe die Verfassung Ecuadors von 1998.
Art. 275 der Verfassung von Honduras (Decreto N° 131 del 11 de enero de 1982): „Una Ley especial regulará el funcionamiento de los Tribunales Militares.“
Dem Gesetz Nr. 23.049 vom 09. Februar 1984 zufolge, welches ein Änderungsgesetz zum Militärgerichtsgesetz ist, besteht die Möglichkeit der Jurisdiktion von Militärgerichten über Zivilpersonen in Kriegszeiten. Der geänderte Art. 108 Abs. 2 lit c. lautet: „En tiempo de guerra, la jurisdicción militar es extensiva a: Los delitos cometidos por militares retirados, o por civiles, en los casos especialmente determinados por este código o por leyes especiales[.]“ Der Text ist veröffentlicht unter: (Stand: Februar 2002).
Gemäß Art. 3 und 7 des Código de Justicia Militar, zitiert nach Informationen der Comisión Andina de Juristas, unter: . Art. 79 der Verfassung sieht lediglich das Bestehen der Militärgerichte vor.
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nischen Staaten zu zivilen Regierungen zurück, nachdem sie autoritäre Herrschaft (in irgendeiner Form) durchlaufen hatten. Und gerade deren Verfassungen sehen die Beschränkung der militärgerichtlichen Jurisdiktion vor. Dieser Befund erlaubt eine autonome Auslegung des Begriffs „zuständiges Gericht“ im Lichte des rechtsstaatlichen Willkürverbots in dem Sinne, daß Militärgerichte keine Jurisdiktion über Zivilpersonen haben dürfen.
b. Strafrechtliche Verfolgung von Militärangehörigen vor Militärgerichten wegen Menschenrechtsverletzungen Das Problem der Straflosigkeit stellt sich, wie dargestellt, vor allem im Zusammenhang mit der Zuständigkeit von Militärgerichten für die Verfolgung von Menschenrechtsverletzungen, deren Angehörige der Streitkräfte beschuldigt werden. Wie der Vorsitzende der Kommission ausführte, “[r]espect for the rule of law cannot coexist with the impunity which results when human rights violations go unpunished.”
aa. Vorgaben der Konvention – Verbot der Straflosigkeit (“impunity”) Den Grundstein für die Behandlung des Problems der „impunidad“ hat der Interamerikanische Gerichtshof im Urteil Velasquez Rodríguez gelegt. Der Entscheidung lag das Verschwinden des Beschwerdeführers zugrunde. Problematisch war, daß sich staatliche Beteiligung nicht nachweisen ließ. Eine zurechenbare Verletzung der Konvention sah der Gerichtshof jedoch im „Nachtatverhalten“ des Staates Honduras und zwar konkret im Unterlassen von zur Aufklärung der Tat dienenden Maßnahmen. Die Pflicht, behauptete Konventionsverletzungen zu un-
Siehe J. Fitzpatrick, States of Emergency in the Inter-American Human Rights System, in: D.J. Harris, Stephen Livingstone, The Inter-American System of Human Rights, S. 371.
Vgl. AKMR, Submission of the Annual Report of the Inter-American Commission on Human Rights for 1998, by its chairman, Prof. Robert K. Goldman, before the Juridical and Political Affairs Committee of the Permanent Council, 29. April 1999, veröffentlicht unter der Rubrik “Speeches” auf der Seite der Kommission, verfügbar über (Stand: November 2001).
AGMR, Velásquez Rodríguez gegen Honduras, Ser. C Nr. 4, Urt. v. 29. Juli 1988, verfügbar unter: .
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tersuchen, gegebenenfalls eine strafrechtliche Verfolgung einzuleiten und die Täter zu bestrafen, leitete der Gerichtshof aus Art. 1 her. Danach verpflichten sich die Vertragsstaaten, die in der Konvention anerkannten Rechte und Freiheiten zu „garantieren“. Der Gerichtshof führt aus: „Der Staat ist verpflichtet, jede Situation zu untersuchen, die die Verletzung der durch die Konvention geschützten Rechte betrifft. Wenn der Staatsapparat so handelt, daß die Verletzung ungestraft bleibt und der volle Genuß jener Rechte des Opfers nicht so bald als möglich wieder hergestellt wird, dann hat der Staat seine Pflicht verletzt, allen seiner Herrschaftsgewalt unterstehenden Personen die freie und volle Ausübung jener Rechte zu garantieren. Das gleiche gilt, wenn er privaten Personen oder Gruppen erlaubt, zum Schaden der durch die Konvention anerkannten Rechte zu handeln.“ Dabei macht der Gerichtshof klar, daß es auf effizienten Schutz ankommt, und daß die Verpflichtung aus Art. 1 über das in Art. 2 niedergelegte Transformationsgebot hinausgeht. „Die Pflicht, die freie und volle Ausübung der Menschenrechte zu garantieren, ist nicht schon durch die Existenz eines Rechtssystems erfüllt, das dazu bestimmt ist, die Erfüllung dieser Verpflichtung zu ermöglichen, sie fordert vom Staat auch, sich so zu verhalten, daß
AGMR, Velásquez Rodríguez gegen Honduras, Ser. C Nr. 4, Urt. v. 29. Juli 1988, verfügbar unter: , § 166.
AGMR, Velásquez Rodríguez gegen Honduras, Ser. C Nr. 4, Urt. v. 29. Juli 1988, verfügbar unter: , § 176. Die deutsche Übersetzung ist der EuGRZ 16 (1989), S. 157, 172 entnommen.
Das wird auch an einer weiteren Äußerung des Gerichtshofs deutlich. Er führt aus: „Dieses Prinzip stimmt völlig mit der Natur der Konvention überein, die verletzt ist, wann immer öffentliche Gewalt dazu benutzt wird, die darin anerkannten Rechte zu verletzen. Wenn Akte der öffentlichen Gewalt, die die Autorität des Staates überschreiten oder nach dessen eigenen Gesetzen illegal sind, nicht als Verletzung der vertraglichen Pflichten des betreffenden Staates angesehen würden, wäre das in der Konvention vorgesehene Schutzsystem illusorisch.“, AGMR, Velásquez Rodríguez gegen Honduras, Ser. C Nr. 4, Urt. v. 29. Juli 1988, verfügbar unter: , § 171. Die deutsche Übersetzung ist der EuGRZ 16 (1989), S. 157, 171 entnommen.
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die freie und volle Ausübung der Menschenrechte wirksam sichergestellt wird.“ Seit der Entscheidung Velásquez Rodríguez hat der Gerichtshof seine Entscheidungspraxis bestätigt und über das „Verschwindenlassen“ hinaus erweitert. Er geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, daß aus materiellen Garantien in Verbindung mit Art. 1 die Pflicht zur Aufklärung von Menschenrechtsverletzungen sowie zur Verfolgung und Bestrafung der Täter folgt. Was folgt daraus für die Auslegung des Merkmals „zuständiges Gericht“ in Art. 8 Abs. 1? Die über Art. 1 hergeleitete Strafpflicht ist für Art. 8 unmittelbar relevant. Eine kohärente Auslegung der Konvention gebietet es, bei der Interpretation der prozessualen Garantien des Art. 8 das Verbot der Straflosigkeit zu berücksichtigen. Dies mag auf den ersten Blick verwundern, wirkt sich die „Strafpflicht“ doch scheinbar zum Nachteil des Angeklagten aus, obwohl ihn das „zuständige Gericht“ schützen soll. Selbstverständlich trügt der Schein. Art. 8 gewährleistet nicht Schutz vor Strafverfolgung, sondern den “due process of law”, also ein rechtsstaatliches Verfahren. Dazu gehört, daß einer Straftat Schuldige unter Gewährleistung der erforderlichen verfahrensrechtlichen und organisatorischen Vorkehrungen bestraft und Unschuldige freigesprochen werden. Über das von der Rechtsprechung entwickelte konkrete Verbot der Straflosigkeit hinaus können Verstöße gegen das Recht auf Zugang zu den Gerichten und das Verbot der Rechtsverweigerung gegeben sein. Das gilt vor allem für Amnestien für Angehörige der Streitkräfte für während einer bestimmten Zeit begangene Menschenrechtsverletzungen, wie sie zum Beispiel in Argentinien, Chile und Peru verabschiedet wurden.
AGMR, Velásquez Rodríguez gegen Honduras, Ser. C Nr. 4, Urt. v. 29. Juli 1988, verfügbar unter: , § 167. Die deutsche Übersetzung ist der EuGRZ 16 (1989), S. 157, 171 entnommen.
Siehe zum Beispiel zu Amnestiegesetzen AGMR, Barrios Altos, Ser. C Nr. 75, Urt. v. 14. März 2001, verfügbar unter: .
Siehe als neueren Fall AGMR, Barrios Altos, Ser. C Nr. 75, Urt. v. 14. März 2001, verfügbar unter: , §§ 42 ff.
Daß eine solche Auslegung Art. 1 nicht überflüssig macht und deswegen unzulässig ist, ist offensichtlich.
Siehe das Gesetz Nr. 23.492.
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Für die Vertragsparteien der “Inter-American Convention on Forced Disappearance of Persons”, die am 28.03.1996 in Kraft getreten ist, ergibt sich über die Auslegungsregel des Art. 29 b) der Amerikanischen Menschenrechtskonvention, daß für das Verschwindenlassen die militärgerichtliche Zuständigkeit ausgeschlossen ist. Art. 29 b) lautet: „Keine Bestimmung dieser Konvention darf dahingehend ausgelegt werden, daß sie den Genuß oder die Ausübung von Rechten oder Freiheiten einschränkt, die durch die Gesetze eines Vertragsstaates oder durch eine andere Konvention, der ein Vertragsstaat beigetreten ist, anerkannt sind.“ Ziel der Vorschrift ist es, Rechte zuzulassen, die über die Minimalstandards der Konvention hinausgehen. Art. IX Abs. 1 der Interamerikanischen Konvention über das Verschwindenlassen bestimmt, daß Strafverfahren gegen Personen, die sich wegen Verschwindenlassens vor Gericht zu verantworten haben, vor ordentlichen Gerichten stattfinden müssen. Die Vorschrift lautet: “Persons alleged to be responsible for the acts constituting the offenses of forced disappearance of persons may be tried only in the competent jurisdictions of ordinary law in each state, to the exclusion of all other jurisdictions, particularly military jurisdictions.” Die Präambel der Konvention betont darüber hinaus einmal mehr die Verbindung von Menschenrechten und der “rule of law”. Für Fälle des Verschwindenlassens verbietet sich damit eine Auslegung des Art. 8 Abs. 1 AMRK dahingehend, die Jurisdiktion von Militärgerichten zuzulassen.
Siehe dazu den Bericht der Kommission zur Beschwerde Carmelo Soria Espinoza gegen Chile, Fall Nr. 11.725, Bericht Nr. 133/99, § 61 zu “denial of justice” durch die chilenische Selbstamnestie und § 70 zum Recht auf Zugang zu den Gerichten. Der Bericht ist veröffentlicht unter: .
Die Gesetze Nr. 26479 und 26492 sind verfügbar unter: .
Vertrag A-60, veröffentlicht unter: . Vertragsstaaten der Konvention sind: Argentinien, Bolivien, Costa Rica, Guatemala, Mexiko, Panama, Paraguay, Peru, Uruguay und Venezuela (Stand: Juli 2002).
Dort heißt es: “Hoping that this Convention may help to prevent, punish, and eliminate the forced disappearance of persons in the Hemisphere and make a decisive contribution to the protection of human rights and the rule of law.”
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bb. Rechtslage in den Vertragsstaaten Die empirische Erkenntnis, daß Militärgerichte, sofern sie für Verfolgung von behaupteten Menschenrechtsverletzungen durch Angehörige der Streitkräfte zuständig sind, Straflosigkeit begünstigen, hat in Verfassungen der Vertragsstaaten ihren Niederschlag gefunden. Wie oben unter C. I. 2. a. bb. dargestellt, verfügen zwei der 24 Vertragsstaaten nicht über Streitkräfte. Verfassungsrechtlich ausdrücklich ausgeschlossen ist die Jurisdiktion der Militärgerichte über Menschenrechtsverletzungen in Venezuela. Die Verfassung Venezuelas verfügt darüber hinaus, daß auch von Angehörigen der Streitkräfte begangene gemeine Delikte nicht in die Zuständigkeit der Militärgerichte fallen. Die Verfassung von Kolumbien verbietet die Verfolgung von Menschenrechtsverletzungen durch Militärgerichte in ihrer Auslegung durch das dortige Verfassungsgericht. Dieses hatte erklärt, Art. 221 der Verfassung, in dem es heißt, Kriegsgerichte oder Militärtribunale befinden über die von Mit
Aus einer Entscheidung des Obersten Gerichtshofs (Corte Suprema de Justicia) von Venezuela aus dem Jahre 1998 – also vor Inkrafttreten der derzeit geltenden Verfassung – geht hervor, daß nach venezolanischem Recht aktive Angehörige der Streitkräfte für verschiedene allgemeine Straftaten, unter anderem den Handel mit „Sustancias Estupefacientes y Psicotrópicas“ vor Militärgerichten verfolgt wurden, wobei die dort zu verhängende Strafe ein Sechstel bis zu ein Drittel über der üblicherweise auszuwerfenden Strafe liegen sollte. Dabei spielt es keine Rolle, an welchem Ort oder in welcher Situation (Dienstbezug) die Tat begangen wurde. Begründet wird die durch die Bestimmung hervorgerufene Verschärfung wie folgt: „Igualmente se crea un artículo que sanciona al militar profesional que se encuentre incurso en los delitos tipificados en esta ley, fuere cual fuere su jerarquía y situación, pero con aumento de las penas de una sexta a una tercera parte, con penas accesorias contempladas en las disposiciones generales que impone la privación de la pensión de disponibilidad o retiro que la corresponda, de conformidad con la Ley Orgánica de Seguridad Social de las Fuerzas Armadas. Impone además las penas accesorias de degradación y anulación, ya que en el ordenamiento del Código de Justicia Militar, deben ser establecidas estas penas en forma expresa.“, zitiert aus Corte Suprema de Justicia, Venezuela, Entscheidung vom 10. März 1998, Nr. 105-96, abgedruckt unter: (Stand: Februar 2002). „Con esta norma se castiga severamente al militar de profesión por la altísima responsabilidad que tiene en la defensa de la soberanía nacional y le degrada porque su conducta es incompatible con los principios de la institución militar (arts. 16 R.C.D. N° 6 y 32 L.O.F.A.N.)“, zitiert aus Corte Suprema de Justicia, Venezuela, Entscheidung vom 10. März 1998, Nr. 105-96, abgedruckt unter: (Stand: Februar 2002).
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gliedern der Streitkräfte im aktiven Dienst und in Beziehung mit diesem Dienst begangenen Delikte, sei einschränkend dahingehend auszulegen, daß Menschenrechtsverletzungen niemals als in Beziehung zum Dienst stehend angesehen werden können. In Haiti erstreckt sich die Zuständigkeit der Militärgerichte ausschließlich auf das Disziplinarrecht. Die Verfassung von Nicaragua schließt die Zuständigkeit der Militärgerichte für gemeine Delikte ausdrücklich aus. In Paraguay, El Salvador, Uruguay und Brasilien bezieht sich die Kompetenz auf militärische Delikte. Das Brasilianische Militärstrafgesetzbuch bestimmt, daß vorsätzliche Straftaten gegen das Leben von Zivilpersonen keine militärischen Delikte sind. In Argentinien hat sich für sol
Art. 221 der Verfassung lautet vollständig und im Originaltext: „De los delitos cometidos por los militares en servicio activo y en relación con el mismo servicio, conocerán las Cortes Marciales o Tribunales Militares, con arreglo a las prescripciones del Código Penal Militar.“
Eine Beziehung zum Dienst weisen danach nur solche Delikte auf, die sich als quantitativer Exzeß einer ansonsten rechtmäßigen Maßnahme der Streitkräfte erweisen. Im Urteil heißt es: „... se dice que un acto tiene relación con el servicio cuando una vez iniciado legalmente un procedimiento propio de las actividades asignadas a la Fuerza Pública ocurre un exceso cuantitativo en el cumplimiento de la función, como sucede cuando el servidor público se excede en el uso de la fuerza que le está permitido legalmente ejercer; o cuando el militar subsume la conducta en un tipo penal, pero en estricto cumplimiento de un deber legal.“, Corte Constitucional de Colombia, Urteil vom 05. August 1997, C-358/97, Texto de Providencia, zur Frage der Vereinbarkeit von Art. 259, 260 der Militärstrafgesetzbuchs mit der kolumbianischen Verfassung, abgedruckt unter: , S. 1 von 17.
Art. 267 Abs. 3.
In Paraguay werden bestimmte gemeine Delikte als militärische Delikte anerkannt, wenn sie von einem Angehörigen der Streitkräfte im aktiven Dienst in Ausübung dieses Dienstes begangen werden.
Die Formulierung „delitos y faltas puramente militares“ scheint eine Erweiterung auf gemeine Delikte und Menschenrechtsverletzungen auszuschließen.
Siehe Art. 9 Paragráfo único des Código Penal Militar, Decreto lei N° 1.001 vom 21. Oktober 1969 in der Fassung des Änderungsgesetzes Lei N° 9.299, vom 7. August 1996 sowie Art. 82 des Código de Processo Penal Militar, Decreto-lei N° 1.002 vom 21. Oktober 1969, ebenfalls in der Fassung von Art. 2 Abs. 2 des vorstehend erwähnten Änderungsgesetzes, beide Texte veröffentlicht unter der Rubrik „Gesetzgebung“ auf den Seiten des „Senado Federal“, . Art. 9 CPM lautet: „Os crimes de que trata est artigo, quando dolosos contra la vida e cometidos contra civil, serão da competência da
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che Delikte, die nach dem Ende der Diktatur begangen wurden, eine differenzierte Rechtsprechung herausgebildet. Danach erstreckt sich die Zuständigkeit der Militärgerichte nur auf solche Straftatbestände, die nicht in gleicher Weise im allgemeinen Strafrecht bestehen. Das vorwerfbare Verhalten muß ein militärisches Delikt im engeren Sinne konstituieren, das heißt ein Delikt, welches “according to its essence affects the military discipline” und welches daher von jeglichen von einem allgemeinen Straftatbestand hervorgerufenen Folgen unterscheidbar ist. Argentinien, Bolivien, Costa Rica, Guatemala, Panama, Paraguay, Uruguay und Venezuela sind Vertragsparteien der “Inter-American Convention on Forced Disappearance of Persons”. Diese sind daher verpflichtet, jedenfalls die mit dem Verschwindenlassen zusammenhängenden Menschenrechtsverletzungen von der militärgerichtlichen Jurisdiktion auszunehmen. Anders ist hingegen die Rechtslage in Guatemala und Peru. Ein Reformvorhaben der Verfassung in Guatemala von 1998 sah vor, den Militärgerichten die Zuständigkeit für gewöhnliche Delikte, die von Angehörigen der Streitkräfte begangen werden, zu entziehen und diese Zuständigkeit auf militärische Delikte festzulegen. Das Reformpaket scheiterte jedoch im Referendum vom 16.05.1999. Das peruanische Militärstrafgesetzbuch sieht in Art. 324 vor, daß auch gemeine Delikte vor der Militärjustiz zu verhandeln sind, wenn sowohl der Täter als auch das Opfer Angehörige der Streitkräfte sind. In Peru wird „delito de función“ weit verstanden und schließt nach derzeitiger Praxis die
justiça comum.“ Die relevante Passage des Art. 82 lautet: „O foro militar é especial, e, exceto nos crimes dolosos contra la vida praticados contra civil, a ele estão sujeitos, em tempo de paz: ... Nos crimes dolosos contra la vida, praticados contra civil, a Justiça Militar encaminhará os autos do inquérito policial militar à justiça comun.“
Zitiert nach K. Ambos, Impunity and International Criminal Law – a case study of Colombia, Peru, Bolivia, Chile and Argentina, in: HRLJ 18 (1997) S. 1, 9.
Aus dem Bericht des Sonderberichterstatters Cumaraswamy, U.N. Dok. E/CN.4/2000/61/Add.1, §§ 32, 33.
Art. 324 lautet: „La jurisdicción militar conoce también de los delitos comunes cometidos en acto del servicio cuando agraviado e inculpado son militares, aplicándose las normas del Código Penal Común“. Kritisch dazu insbesondere im Lichte der Gleichheit vor Gericht: Defensoría del Pueblo del Perú, siehe Fußnote 28, S. 34.
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Verfolgung von Menschenrechtsverletzungen durch die Militärgerichtsbarkeit ein.
cc. Bewertung Wieder kann die Darstellung der Rechtslage nicht mehr als eine Tendenz zeigen. Sie erhebt nicht den Anspruch auf Vollständigkeit. In Anbetracht der sehr konkreten Vorgaben der Konvention in ihrer Auslegung durch den Gerichtshof kann der Befund aber klar als Bestätigung der Beschränkung der Militärgerichtsbarkeit angesehen werden, welche bei autonomer Auslegung zu berücksichtigen ist.
3. Ergebnis Im Ergebnis zeigt sich, daß es möglich ist, ohne eine bestimmte Ratio der Militärgerichtsbarkeit zu postulieren, zum Ergebnis zu gelangen, daß das Tatbestandsmerkmal „zuständiges Gericht“ nach autonomer Auslegung und im Lichte des materiellen Rechtsstaatsgebots der Konvention die Verfolgung von Zivilpersonen vor Militärgerichten und die Verfolgung von Militärangehörigen wegen nicht militärischer Delikte,
C. Azabache, De nuevo sobre la justicia militar, in: Comisión Andina de Juristas, La Constitución de 1993: Análisis y comentarios II, Lima 1995, S. 153, 157 f. schildert plastisch die hinter der umfassenden militärgerichtlichen Jurisdiktion stehenden Gründe. Er schreibt: „Aquella vez este alto funcionario (General Guido Guevara, Präsident des „Consejo de Justicia Militar del Peru“) afirmó que constituye delito de función todo crimen cometido durante la realización de un operativo planificado por las fuerzas de seguridad, sea cual sea el daño producido. En su opinión debe admitirse la ampliación del ámbito de acción de la justicia militar porque de lo contrario podríamos llegar a que un juez ordinario decida si una operación militar debe o no debe realizarse. La conclusión a que llega no es nueva: los jueces militares deben ser los únicos autorizados a conocer estos asuntos porque sólo ellos pueden evaluar adecuadamente las acciones realizadas durante los operativos de seguridad.“ In einem etwas anders gelagerten Fall, im Fall Leonor La Rosa, entschied der Oberste Gerichtshof Perus, daß die Militärgerichte zuständig seien über die angebliche Folter der Angehörigen des Armeegeheimdienstes durch andere eben solche Personen zu entscheiden, weil beide „Parteien“ Soldaten seien und sich die fragliche deliktische Handlung auf militärischem Gebiet abgespielt habe. Siehe Corte Suprema del Perú, Contienda de competencia 12-97, Entscheidung vom 18. Juli 1997, Sala Plena „C“, abgedruckt in: Defensoría del Pueblo del Perú, siehe Fußnote 28, Annex, 56.
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insbesondere Menschenrechtsverbrechen vor Militärgerichten, ausschließt.
II. IPBPR 1. Autonome Auslegung des Merkmals „zuständig“ Wie die Amerikanische Menschenrechtskonvention verwendet auch der Pakt das Merkmal „zuständiges Gericht“. Und wie dort findet sich auch im Pakt der Begriff des zuständigen Gerichts an mehreren Stellen, so etwa in Art. 6 Abs. 2 Satz 2 (Recht auf Leben) oder in Art. 8 Abs. 3 b) (Zwangs-, Pflichtarbeit). Da auch der Menschenrechtsausschuß die in der Konvention verwendeten Begriffe autonom, im Lichte der gesellschaftlichen Entwicklung in den Mitgliedstaaten auslegt und die Anwendbarkeit der Auslegungsregeln des Wiener Übereinkommens über das Recht der Verträge anerkennt, bietet sich eine systematische Auslegung an, welche den autonomen Sinngehalt des Merkmals „zuständiges Gericht“ berücksichtigt. Einen ersten Aufschluß darüber, wie der Begriff zu verstehen ist, können die beiden obengenannten Vorschriften geben. Auffallend ist, daß es sich bei den Normen um Elementarnormen handelt: das Recht auf Leben und das Verbot der Sklaverei sowie der Zwangsarbeit. Art. 2 Abs. 2 lautet: „In Staaten, in denen die Todesstrafe nicht abgeschafft worden ist, darf ein Todesurteil nur für schwerste Verbrechen aufgrund von Gesetzen verhängt werden, die zur Zeit der Begehung der Tat in Kraft waren und die den Bestimmungen dieses Paktes und der Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes nicht widersprechen. Diese Strafe darf nur aufgrund eines von einem zustän
Siehe dazu die Beschwerden Lovelace gegen Kanada, Beschwerde Nr. 24/1977, Jahresbericht 1983, 249, § 14; Gordon van Duzen gegen Kanada, Beschwerde Nr. 50/1979, Jahresbericht 1982, 150, § 10.2; Hertzberg u. a. gegen Finnland, Beschwerde Nr. 61/1979, Jahresbericht 1982, 161, § 10.3; Broeks gegen Niederlande, Beschwerde Nr. 172/1984, Jahresbericht 1987, 139 §§ 12.2 und 12.3.
Siehe MRA, J.B., P.D., L.S., T.M., D.P., D.S. gegen Kanada, Beschwerde Nr. 118/1982, Entscheidung vom 18. Juli 1986, U.N. Dok. CCPR/C/OP/1, S. 34, § 6.3. Bei der systematischen Interpretation (Art. 31 WÜRV) sind insbesondere die Regelungen der Art. 5, 46 und 47 des Paktes zu beachten.
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digen Gericht erlassenen rechtskräftigen Urteils vollstreckt werden.“ Im Falle der Todesstrafe hat also das Tätigwerden des zuständigen Gerichts fundamentale Bedeutung für die Konventionsmäßigkeit des Urteils. Gleiches gilt darüber hinaus für die weiteren Garantien des Art. 14. Daß diese nicht in Art. 6 Abs. 2 aufgeführt sind, ist historisch darauf zurückzuführen, daß die Menschenrechtskommission davon ausging, in solchen Fällen seien ohnehin die Garantien des Rechts auf ein faires Verfahren anwendbar. Die immanente Kohärenz des Normgefüges spiegelt sich auch in der Praxis des Menschenrechtsausschusses wider. So stellte der Menschenrechtsausschuß in mehreren gegen Kongo, Jamaika und Trinidad und Tobago gerichteten Beschwerden, die sämtlich Todesurteile betrafen, einen Verstoß gegen Art. 14 fest und folgerte daraus einen Verstoß gegen Art. 6 Abs. 2. Insofern steht fest, daß Rückschlüsse von Art. 6 Abs. 2 auf die Wortbedeutung in Art. 14 Abs. 1 möglich sind. Wenn in Zusammenhang mit Todesurteilen das Tätigwerden eines zuständigen Gerichts gefordert ist, wird die Konvention dies kaum als Verweis auf die Bestimmungen des nationalen Rechts der Mitgliedstaaten verstanden wissen wollen. Hätten die Verfasser nämlich nur den Fall von ad-hoc Gerichten im Blick gehabt, hätten sie das Merkmal “pre-established by law” aus Art. 14 übernehmen können. So spricht – wie in der AMRK – vieles dafür, daß nicht das Bestehen irgendeiner Rechtsgrundlage entscheidend ist, sondern, daß diese sachlich begründet sein muß. Was das Verbot der Zwangsarbeit anlangt, heißt es in Art. 8 Abs. 3 a) und b):
Hervorhebung von der Verfasserin. Vgl. M. Nowak, CCPR-Commentary, Art. 6, Rz. 28 m. N. in Fußnote 76.
Der Menschenrechtsausschuß schreibt in seiner ersten Allgemeinen Bemerkung zu Art. 6: “The procedural guarantees therein prescribed must be observed, including the right to a fair hearing by an independent tribunal, the presumption of innocence, the minimum guarantees for the defence, and the right to review by a higher tribunal.”, MRA, Allgemeine Bemerkung 6 zu Art. 6, U.N. Dok. HRI/GEN/1/Rev.1 S. 6 f., § 7. Die zweite Allgemeine Bemerkung befaßte sich mit Waffengewalt und Krieg, siehe Allgemeine Bemerkung 14 zu Art. 6, U.N. Dok. HRI/GEN/1/Rev.1 S. 18.
Siehe dazu M. Nowak, CCPR-Commentary, Art. 6, Rz. 28.
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a) Niemand darf gezwungen werden, Zwangs- und Pflichtarbeit zu verrichten. b) Buchstabe a ist nicht so auszulegen, daß er in Staaten, in denen bestimmte Straftaten mit einem mit Zwangsarbeit verbundenen Freiheitsentzug geahndet werden können, die Leistung von Zwangsarbeit aufgrund einer Verurteilung durch ein zuständiges Gericht ausschließt[.] Auch hier handelt es sich wieder um den Schutz eines fundamentalen Rechtes. Und auch hier ist unvorstellbar, daß die Konvention erlaubt, daß eine Berufsgerichtsbarkeit wie die der Ärzte oder Rechtsanwälte als zuständiges Gericht im Sinne der Vorschrift anerkannt wird, sollte es nach nationalem Recht zuständig sein. Nach alledem läßt sich festhalten, daß die Konvention, wie die Amerikanische Menschenrechtskonvention, einen materiellen Mindeststandard bei der Zuständigkeit verlangt. Somit stellt sich auch hier wieder die Frage, wie er sich herleiten läßt.
a. Auslegungsmaßstab Die im Zusammenhang mit der AMRK ausgeführten Grundsätze zum Auslegungsmaßstab sind auf den Pakt übertragbar. Auch hier kommt es entscheidend auf ausdrückliche und vertragsimmanente Wertvorgaben an. Bevor die Merkmale Willkür und Rechtsstaat untersucht werden, soll hier zunächst auf einen wesentlichen Unterschied des Paktes zur AMRK und dessen Auswirkung eingegangen werden: die Universalität des Paktes. Die größere Diversität der Vertragsstaaten weltweit geht mit uneinheitlicheren menschenrechtlichen Standards einher. Wurde im Falle der AMRK Bezug auf Tendenzen in den Vertragsstaaten genommen, ist Vergleichbares beim Pakt sinnvoll nicht möglich, von einer Auslegung nach dem „Mehrheitsrecht“ ganz zu schweigen. Wie zur AMRK festgestellt, ist dieser Rückgriff auf das Recht der Mitgliedstaaten deklaratorischer Natur. Das ergibt sich automatisch, wenn man anerkennt, daß die mathematische Berechnung zur Auslegung nicht taugt. Mehr als Tendenzen, deren Feststellung, wenn sie nicht gar zu offensichtlich sind, immer auch subjektiv gefärbt ist, bleiben dann nicht. Das hat nichts mit willkürlicher Auslegung zu tun. Sie muß selbstverständlich immer vom Wortlaut, der Systematik und Sinn und Zweck gedeckt sein. Trotzdem wäre es eine Illusion zu glauben, am Ende komme notwendig ein Ergebnis heraus. Dies ist insofern mißlich, als
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gerade beim Pakt, seiner weltweiten Geltung wegen, ein besonderes Bedürfnis besteht, die Vertragsstaaten bei der evolutiven Auslegung „mitzunehmen“. Fraglich ist daher, ob dieses Ziel auf anderem Wege erreicht werden kann. Zu denken ist beispielsweise an die Tätigkeit der thematischen Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen. Deren Aufgabe besteht zwar nicht darin, die Bestimmungen des Paktes auszulegen. Aber, wie bereits ausgeführt, dient das Heranziehen der innerstaatlichen Rechtsordnungen der Vertragsstaaten im Rahmen der AMRK und genauso der Rückgriff auf die Sonderberichterstatter im Bereich des Paktes nicht unmittelbar der Auslegung, sondern der Verifizierung des im Wege der Auslegung ermittelten Standards. Die Tätigkeit der Sonderberichterstatter und Arbeitsgruppen eignet sich hier, weil sie erstens in erheblichem Umfang zum Thema Militärgerichte – und zu weiteren Themen des Paktes – gearbeitet haben und ihre Feststellungen zweitens zur Bildung von Völkergewohnheitsrecht beitragen können. Gemäß Art. 38 Abs. 1 b) des IGH-Statuts ist Völkergewohnheitsrecht Ausdruck einer als Recht anerkannten Übung. Rudolf zufolge, können Handlungen und Rechtsbehauptungen thematischer Sonderberichterstatter zur Entstehung von Völkergewohnheitsrecht beitragen, sofern sie der Menschenrechtskommission zuzurechnen sind. Grundlage der Zurechnung ist der Umstand, daß die Sonderberichterstatter als Hilfsorgane der Menschenrechtskommission tätig werden. Grenzen der Zurechnung bestehen in zweifacher Weise. Erstens ist die Zurechnung begrenzt auf den Aufgabenkreis der Berichterstatter, so daß nur solche Akte als gewohnheitsrechtsbildend in Betracht kommen, die in einem inneren Zusammenhang mit den übertragenen Aufgaben stehen. Zweitens kann die Menschenrechtskommission die Bildung von Gewohnheitsrecht dadurch verhindern, daß sie ein bestimmtes Tätigwerden eines Berichterstatters rügt. Was die vorliegende Untersuchung anlangt, geht es nicht darum, im Hinblick auf die einzelnen Rechtsbehauptungen nachzuweisen, daß tatsächlich Gewohnheitsrecht entstanden ist. Statt eines umfangreichen Nachweises soll es hier ausreichen, daß bestimmte, von verschiedenen
Siehe B. Rudolf, Die thematischen Berichterstatter und Arbeitsgruppen der UN-Menschenrechtskommission: Ihr Beitrag zur Fortentwicklung des internationalen Menschenrechtsschutzes, Berlin u. a. 1999.
Vgl. B. Rudolf, siehe Fußnote 516, S. 51. Vgl. B. Rudolf, siehe Fußnote 516, S. 52.
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Berichterstattern vertretene Positionen von der Menschenrechtskommission grundsätzlich anerkannt werden. Der Anspruch der Untersuchung beschränkt sich also gewissermaßen, wie bei der Darstellung der innerstaatlichen Rechtsordnungen, darauf, Tendenzen herauszuarbeiten, die das Auslegungsergebnis untermauern.
b. Vorgaben des Paktes: Willkürverbot und Rechtsstaatsprinzip Aus den travaux préparatoires ergibt sich, daß die Schaffung besonderer Gerichte als problematisch unter dem Gesichtspunkt der Gleichbehandlung angesehen wurde. Wie bereits erwähnt, stehen Gleichheitsgrundsatz und Willkürverbot nicht unverbunden nebeneinander. Der Gleichheitsgrundsatz knüpft die Andersbehandlung bestimmter Personen oder Personengruppen gegenüber solchen, die sich in einer vergleichbaren Situation befinden, an das Vorliegen eines sachlichen Grundes. Er verlangt damit relative Gleichheit. Das Willkürverbot geht einen Schritt weiter. Es verlangt, daß staatliche Regelungen sachlich begründet bzw. begründbar sind. Damit kann ein Verstoß gegen das Willkürverbot auch dann vorliegen, wenn relativ sämtliche Personen gleichbehandelt werden, wenn also beispielsweise alle Zivilpersonen strafrechtlich vor Militärgerichten verfolgt werden.
Entsprechend findet sich im Bericht der 14. Sitzung des Dritten Ausschusses im Jahre 1959 zur Aufnahme des heutigen Satz 1 des Absatz 1 des Art. 14 (Gleichheit vor Gericht) folgende Bemerkung: “Most representatives considered that the greatest emphasis should be placed on the importance of that principle, even at the risk of repetition [A/C.3/SR.962, § 10 & 16 (I), §§ 14-15 (GB), § 17 (UkSSR), § 18 (PI), § 25 (YU); A/C.3/SR.963, § 12 (YV), § 18 (IR); A/C.3/SR. 964, § 1 (S), § 6 (R), § 13 (EC); A/C.3/SR. 965, § 6 (I), § 15-16 (SU), § 26 (HO); A/C.3/SR. 966, § 18 (GR), § 21 (PAK); A/C.3/SR.967, § 14 (MA)]. It was essential to protect the parties in a trial against any discriminatory practice, by prohibiting inter alia, the establishment of special courts and summary procedures [A/C.3/SR. 961, § 22 (UkSSR; A/C.3/SR. 962, § 26 (GH)].”; U.N. Dok. A/4299, § 51, zitiert aus M.J. Bossuyt, Guide to the „Travaux Préparatoires“ of the International Covenant on Civil and Political Rights, S. 283 (Hervorhebung von der Verfasserin).
Zu diesem Komplex gehört auch das Recht auf gleichen Zugang zum Gericht, welches der Menschenrechtsausschuß in seiner Spruchpraxis anerkannt hat, vgl. D. MacGoldrick, Art. 14 Rz. 10.3. Zu Zugang zum Gericht auch MRA, Bahamonde gegen Äquatorialguinea, U.N. Dok. CCPR/C/49/D/468/1991, § 9.4 und das Verbot der Rechtsverweigerung. Siehe z. B. MRA, Wright gegen Jamaica, Beschwerde Nr. 349/89, U.N. Dok. CCPR/C/55/D/439/1989, § 8.9.
4. Kapitel
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In diesem Sinne soll untersucht werden, inwiefern Willkürverbot und Rechtsstaatlichkeit als Prinzipien im Pakt verankert sind und inwiefern ihre Auslegung einen materiellen Zuständigkeitsbegriff zuläßt. Der Begriff „willkürlich“ findet sich in Art. 6 Abs. 1 Satz 3 (Recht auf Leben), Art. 9 Abs. 1 Satz 1 (Freiheitsentziehung), Art. 12 Abs. 4 (Einreise ins Heimatland), Art. 17 (Privatheit/Familienleben/Wohnung/Schriftverkehr/Ehre/Ruf). Es handelt sich also um durchaus ähnliche und ebenso fundamentale Rechte wie in der AMRK gesehen. Betrachtet man die Vorschrift über das Recht auf Leben näher, findet man in Abs. 1 das Gebot: „Niemand darf willkürlich seines Lebens beraubt werden.“ In Absatz 2 heißt es dann bezogen auf diejenigen Staaten, die die Todesstrafe nicht abgeschafft haben: „diese Strafe darf nur auf Grund eines von einem zuständigen Gericht erlassenen rechtskräftigen Urteils vollstreckt werden.“. Auch wenn das Verbot willkürlicher Tötung weiter greift als die Vollstreckung der Todesstrafe, läßt sich in diesem Zusammenhang argumentieren, daß das Zuständigkeitserfordernis der Umsetzung des Willkürverbots dient. In Individualbeschwerden zu Art. 6 Abs. 1 hat der Menschenrechtsausschuß das vorsätzliche Handeln staatlicher Organe für wichtig erachtet und er hat auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz abgestellt. Darüber hinaus hat er das Fehlen anerkannter Rechtfertigungsgründe, wie z. B. Notwehr, bemängelt. Hier findet sich damit ein Hinweis darauf, daß
Art. 6 Abs. 1 Satz 3 lautet: Niemand darf willkürlich seines Lebens beraubt werden.
Art. 9 Abs. 1 Satz 2 bestimmt: Niemand darf willkürlich festgenommen oder in Haft gehalten werden.
Art. 12 Abs. 4 sieht vor: Niemandem darf willkürlich das Recht entzogen werden, in sein eigenes Land einzureisen.
Art. 17 Abs. 1 lautet: „Niemand darf willkürlichen oder rechtswidrigen Eingriffen in sein Privatleben, seine Familie, seine Wohnung und seinen Schriftverkehr oder rechtswidrigen Beeinträchtigungen seiner Ehre und seines Rufes ausgesetzt werden.“
Hervorhebung von der Verfasserin.
Siehe zu den Diskussionen der Auslegung des Begriffs “arbitrary” bei der Ausarbeitung der Konvention M. Nowak, CCPR-Commentary, Art. 6, Rz. 12 ff.
Siehe M. Nowak, CCPR-Commentary, Art. 6, Rz. 15. Siehe M. Nowak, CCPR-Commentary, Art. 6, Rz. 14.
Recht auf den zuständigen Richter
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das Vorliegen eines sachlichen Grundes im Zusammenhang mit dem Willkürverbot entscheidende Bedeutung hat. Darüber hinaus sieht der Pakt in Art. 17 Abs. 1 ein weiteres Merkmal vor, welches Aufschluß über das Verständnis des Merkmals „willkürlich“ gibt. Hier stehen die Einschränkungen “unlawful” und “arbitrary” nebeneinander. Geht man davon aus, daß es sich nicht um eine Redundanz handelt, muß „willkürlich“ eine andere Bedeutung haben als das schlichte Fehlen einer Rechtsgrundlage bzw. der bloße Gesetzesverstoß. Diese Auffassung vertritt auch der Menschenrechtsausschuß. In einer Beschwerde mauritianischer Frauen führt er aus: “... there can be no question of regarding this interference as “unlawful” within the meaning of article 17 (1) in the present cases. It remains to be considered whether it is “arbitrary” or conflicts in any other way with the Covenant.” In dieser Entscheidung stellte der Menschenrechtsausschuß eine Diskriminierung der Beschwerdeführerinnen fest und ließ offen, ob darin auch ein Verstoß gegen das Willkürverbot zu sehen ist. Nowak geht indes davon aus, daß der Menschenrechtsausschuß damit implizit einen Verstoß gegen das Willkürverbot festgestellt hat. Er führt zur Auslegung von “arbitrary” aus, maßgeblich seien über die Rechtswidrigkeit hinaus die Elemente Ungerechtigkeit, Unvorhersehbarkeit und Unverhältnismäßigkeit sowie, daß der Akt von einem Staatsorgan begangen werde. Darüber hinaus schreibt Nowak, es müsse geprüft werden, ob “the specific act of enforcement had a purpose that seems legitimate on the basis of the Covenant in its entirety,...”. Die Betonung der Konvention als Gesamtheit als Maßstab stimmt mit dem hier gewählten Ansatz der kohärenten Auslegung überein. Er ermöglicht, unter Willkür auch das Bedürfnis nach sachlicher Begründung staatlicher Entscheidungen zu fassen. Aus dem Rechtsstaatsgebot ergeben sich keine darüber hinausgehenden Erkenntnisse. Im Pakt findet es ausdrücklich keine Erwähnung und
MRA, Shirin Aumeeruddy-Cziffra und 19 weitere mauritianische Frauen gegen Mauritius, Beschwerde Nr. 35/1978, Entscheidung vom 9. April 1981, U.N. Dok. CCPR/C/OP/1, S. 67, § 9.2.(b) 2 (i) 4.
Vgl. MRA, Shirin Aumeeruddy-Cziffra und 19 weitere mauritianische Frauen gegen Mauritius, Beschwerde Nr. 35/1978, Entscheidung vom 9. April 1981, U.N. Dok. CCPR/C/OP/1, S. 67, § 9.2.(b) 2 (i) 3, 8.
Vgl. M. Nowak, CCPR-Commentary, Art. 17, Rz. 14. Vgl. M. Nowak, CCPR-Commentary, Art. 17, Rz. 12.
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auch mit dem Begriff der Demokratie sind seine Verfasser sparsam umgegangen. Der Menschenrechtsausschuß hat im Staatenberichtsverfahren immer wieder auf das Rechtsstaatsgebot zurückgegriffen, ohne aber detailliert auf dessen Inhalte einzugehen.
c. Tendenzen der Berichterstatter im Hinblick auf das Ergebnis der Beschränkung der militärgerichtlichen Zuständigkeit Verschiedene Sonderberichterstatter haben die Beschränkung der militärgerichtlichen Zuständigkeit gefordert und zwar sowohl was das Verbot von Verfahren gegen Zivilpersonen angeht, als auch was Verfahren gegen Angehörige der Streitkräfte wegen Menschenrechtsverbrechen anbelangt. Einige prägnante Äußerungen und Feststellungen haben bereits Eingang in die Untersuchung gefunden.
aa. Strafverfahren vor Militärgerichten gegen Zivilpersonen Hier ist insbesondere der Berichterstatter über die Unabhängigkeit der Richter und der Anwaltschaft zu nennen. Sein Engagement in der Sache war mit ausschlaggebend dafür, daß die Unterkommission für Menschenrechte eine Studie zu diesem Thema in Auftrag gegeben hat. Die Arbeitsgruppe über willkürliche Haft hat verschiedentlich Verstöße gegen das faire Verfahren behandelt. Dabei geht es sowohl um Verfahren, in denen Gerichte den Grundsätzen der Unabhängigkeit und der Unparteilichkeit nicht genügt haben, als auch Fälle, in denen ein Sondergericht etabliert wurde.
bb. Strafverfolgung von Angehörigen der Streitkräfte vor Militärgerichten wegen Menschenrechtsverletzungen Was diese Konstellation anlangt, haben Sonderberichterstatter jeweils bezogen auf das von ihnen zu bearbeitende Recht bzw. Phänomen ge
Der Begriff der demokratischen Gesellschaft findet sich in Art. 14 Abs. 1 Satz 3, Art. 21 und 22.
Siehe zum Beispiel MRA, El Salvador, U.N. Dok. CCPR/C/79/Add.34,
§ 3.
Einleitung, Fn.6. Siehe dazu ausführlich B. Rudolf, siehe Fußnote 516, S. 274 ff.
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fordert, die Militärgerichtsbarkeit zu beschränken, so zum Beispiel der Sonderberichterstatter über extralegale Hinrichtungen und der Sonderberichterstatter über Folter. Ausdrücklich verurteilen sie die Zuständigkeit von Militärgerichten für solche Fälle, etwa in ihrem gemeinsamen Bericht nach einem Besuch in Kolumbien, der bereits Erwähnung gefunden hat. Darüber hinaus haben sich auch der Berichterstatter über Richter und Anwaltschaft und die Arbeitsgruppen über Verschwindenlassen und über willkürliche Haft in diesem Sinne geäußert. Die Menschenrechtskommission hat diesen Äußerungen nicht widersprochen.
2. Fazit Die Untersuchungen haben gezeigt, daß der Pakt das Willkürverbot kennt. Er verwendet dieses in Zusammenhang mit fundamentalen Rechten. Betrachtet man die Auslegung, ist erkennbar, daß sich hinter dem Willkürverbot Grundprinzipien des demokratischen Rechtsstaats verbergen, darunter auch das Gebot eines sachlichen Grundes für staatliche (Eingriffs-)Regelungen. Im Sinne der Kohärenz des Paktes sind diese Wertvorgaben übertragbar und bei der Auslegung anderer Tatbestandsmerkmale zu berücksichtigen. Es erscheint insofern möglich, den Willkürgedanken bei der Auslegung des Merkmals „zuständig“ zu berücksichtigen und infolgedessen zu dem Ergebnis der Beschränkung der militärgerichtlichen Zuständigkeit auf interne militärische Angelegenheiten zu gelangen. Das Ergebnis läßt sich zudem zusätzlich durch
Siehe U.N. Dok. E/CN.4/1994/7, § 697.
Siehe U.N. Dok. E/CN.4/1990/17; U.N. Dok. E/CN.4/1995/34, § 926 (g); U.N. Dok. E/CN.4/1996/35/Add.2, § 76 (a); U.N. Dok. E/CN.4/1998/38/ Add.2, § 88.
Vgl. MRKomm., Gemeinsamer Bericht des Sonderberichterstatters über Folter, Nigel S. Rodley, und des Sonderberichterstatters über außergerichtliche, summarische oder willkürliche Hinrichtungen, Bacr Waly Ndiaye, Besuch in Kolumbien, U.N. Dok. E/CN.4/1995/111, § 77.
Siehe U.N. Dok. E/CN.4/1998/39/Add.2, §§ 170-176; U.N. Dok. E/CN. 4/1998/38/Add.1, § 133; U.N. Dok. E/CN.4/1998/39/Add.1, § 78.
Siehe U.N. Dok. E/CN.4/1992/18, § 367; U.N. Dok. E/CN.4/1993/25, § 46; U.N. Dok. E/CN.4/1991/20/Add.1, § 166.
Siehe U.N. Dok. E/CN.4/1999/63, § 79; U.N. Dok. E/CN.4/1999/63/ Add.2, § 179 f.
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die seit längerer Zeit verbreitete und einhellige Feststellung der thematischen Sonderberichterstatter und Arbeitsgruppen der Vereinten Nationen legitimieren, die eine autonome Auslegung des Paktes in diesem Sinne stützen.
III. EMRK In AMRK und Pakt war Anknüpfungspunkt der Untersuchung jeweils das in Abs. 1 von Art. 8 bzw. von Art. 14 benannte Merkmal „zuständig“. Art. 6 EMRK sieht dieses Merkmal nicht vor. Insofern ist die Ausgangslage, was die Frage der Beschränkung der militärgerichtlichen Zuständigkeit ratione materiae und ratione personae betrifft, schwieriger. In Ermangelung eines ausdrücklichen Tatbestandsmerkmals bleibt nur zu untersuchen, ob das Gebot des zuständigen Gerichts als ungeschriebenes, Art. 6 Abs. 1 inhärentes Merkmal anzusehen ist. Einfallstor solcher inhärenten Merkmale ist der Begriff des “fair hearing”.
1. Ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal – Grundsätze der Herleitung Im Urteil Golder hat der Gerichtshof das Vorliegen eines solchen ungeschriebenen, Art. 6 Abs. 1 inhärenten Merkmals angenommen und dieses hergeleitet. In diesem Fall ging es um die Frage, ob die Konvention ein Recht auf Zugang zum Gericht gewährt. Der Gerichtshof beginnt seine Erwägungen wie folgt: “Again, Art. 6 § 1 does not state a right of access to the courts and tribunals in express terms. It enunciates rights which are distinct but stem from the same basic idea and which, taken together, make up a single right not specifically defined in the narrower sense of the term. It is the duty of the Court to ascertain, by means of interpretation, whether access to the courts constitutes one factor or aspect of this right.” Das Fehlen der ausdrücklichen Erwähnung des im Streit stehenden Rechts auf Zugang zum Gericht schließt dessen Existenz nicht aus. Maßgeblich ist die Auslegung. Deren Regeln ergeben sich dabei aus Art. 31-33 des Wiener Übereinkommens über das Recht der Verträge.
EGMR, Golder gegen Vereinigtes Königreich Ser. A Nr. 18, § 28. Die Regeln kodifizieren Gewohnheitsrecht.
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In der Argumentation des Gerichtshofs vermischen sich Elemente der Systematik mit solchen des Telos. Mit ausschlaggebend für den Gerichtshof bei der Anerkennung des Rechts auf Zugang zu den Gerichten im Fall Golder war, daß die Vertragsstaaten – gälten die Fair TrialGarantien nur für anhängige Verfahren – den Individuen diese Rechte durch Verweigerung des Rechtswegs vorenthalten könnten. Abschließend führt der Gerichtshof aus: “Taking all the preceding considerations together, it follows that the right of access constitutes an element inherent in the right stated in Art. 6 § 1. This is not an extensive interpretation forcing new obligations on the Contracting States: it is based on the very terms of the first sentence of Article 6 § 1 read in its context and having regard to the object and purpose of the Convention, a lawmaking treaty, and to general principles of law.”
2. Zuständiges Gericht als inhärentes Tatbestandsmerkmal Nun stellt sich die Frage, ob nach ähnlichen Erwägungen wie in Golder hier das Recht auf ein zuständiges Gericht mit dem Inhalt des Verbots der Jurisdiktion von Militärgerichten über Zivilpersonen und der Jurisdiktion ebendieser Gerichte über nichtmilitärische Delikte von Militärangehörigen begründet werden kann. Maßgeblich dafür ist das Ergebnis der systematischen und der teleologischen Auslegung. Betrachtet man die engere Systematik, nämlich die Norm des Art. 6 Abs. 1, läßt sich ein Golder vergleichbares Argument der Umgehung nicht finden. Denn unter Ausweitung der Lehre vom äußeren Anschein haben die Straßburger Organe in den türkischen Fällen das Verbot militärstrafgerichtlicher Verfahren gegen Zivilpersonen erreicht. Und auch die andere Fallkonstellation, das Problem der Straflosigkeit, ließe sich im Ergebnis über den Grundsatz der Unparteilichkeit erzielen. Eine Lücke, die das Bestehen eines inhärenten Tatbestandsmerkmals rechtfertigt, besteht trotzdem. Denn wie gesehen war die Argumentation des Gerichtshofs letztlich nicht überzeugend. Der Rückgriff auf das Argument mit dem „bösen Schein“, welches unbefriedigend ist, wenn Militärrichter zugunsten des Angeklagten votiert
Vgl. EGMR, Golder gegen Vereinigtes Königreich, Ser. A Nr. 18, § 35.
EGMR, Golder gegen Vereinigtes Königreich, Ser. A Nr. 18, § 36 (Verweise weggelassen).
Kap. 3, B.I.3.d.
182
4. Kapitel
haben, läßt aber das Unbehagen der Richter über das Fehlen einer sachlichen Beziehung zwischen Militärgericht und Gerichtsunterworfenem erkennen. Es läßt sich rechtlich besser fassen, wenn man es als willkürliche Ausübung militärgerichtlicher Jurisdiktion versteht. Aus dem Vergleich mit der Golder-Rechtsprechung ergeben sich zwei wesentliche Feststellungen. Einerseits ist die Herleitung des inhärenten Merkmals aus der Sicht der Golder-Rechtsprechung problematisch, weil es zu seiner Begründung einer weiterreichenden, nämlich über den Text des Art. 6 hinausgehenden, systematischen Analyse bedarf. Diese ist zwar zulässig, weil die Konvention, wie der Gerichtshof aus der Auslegungsvorschrift des Art. 31 der Wiener Vertragsrechtskonvention schließt, als Einheit anzusehen ist. Allerdings wird man grundsätzlich davon ausgehen müssen, daß die Darlegungslast größer wird, wenn sich die Anhaltspunkte für das Bestehen eines inhärenten Merkmals nur im weiteren Umfeld der relevanten Norm befinden. Andererseits, und das ist die zweite Feststellung, reduziert sich die Darlegungslast dadurch, daß im Ergebnis keine über die bisherige Auslegung hinausgehende Berechtigung geschaffen wird. Hier geht es eher um ein dogmatisch sauberes Herleiten des Ergebnisses denn um eine Ausweitung des Schutzumfangs. Betrachtet man die weitere Systematik, fällt auf, daß die EMRK insgesamt sparsam mit dem Begriff „zuständig“ umgeht. Das Merkmal „zuständiges Gericht“ findet sich in Art. 5 Abs. 1 Satz 2 a) (Freiheitsentziehung). Darüber hinaus ist unter Buchstabe c) von der zuständigen Gerichtsbehörde und unter Buchstabe d) von der zuständigen Behörde die Rede. Die Freiheitsentziehung ist also in besonderem Maße vom Tätigwerden eines zuständigen Organs abhängig. Vor diesem Hintergrund ist interessant, daß das Merkmal „zuständig“ – anders als in der AMRK und dem Pakt – in Art. 2 Abs. 1, in dem es um die Voraussetzungen für eine rechtmäßige Vollstreckung der Todesstrafe geht, fehlt. Es wäre eine eklatante Verkennung der Werteordnung, würde man aus diesem Fehlen schließen, bei der Vollstreckung der Todesstrafe reiche der Spruch irgendeines Gerichtes aus. Vielmehr ist das Merkmal des „zuständigen Gerichts“ als Strukturprinzip in alle Normen hineinzulesen, die eine gerichtliche Entscheidung verlangen.
Vgl. EGMR, Golder gegen Vereinigtes Königreich, Ser. A Nr. 18, § 30.
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a. Strafverfahren vor Militärgerichten gegen Zivilpersonen Hinsichtlich der Zuständigkeit der Militärgerichte für Zivilpersonen hat die Analyse der „Türkeifälle“ zweierlei gezeigt: einerseits das Unbehagen der Straßburger Organe darüber, daß die Staatssicherheitsgerichte unter Beteiligung eines Militärrichters für die strafrechtliche Verfolgung von Zivilpersonen zuständig sind, andererseits aber auch, daß dieses Problem mit den Kriterien der Unabhängigkeit und der Unparteilichkeit nicht zufriedenstellend lösbar ist. Äußerungen der Kommission in den Türkeifällen weisen in Richtung Willkürverbot. Sie führt beispielsweise im Bericht zur Beschwerde Ciraklar aus: “The fact that a military judge participates in criminal proceedings against a civilian, in cases completely unrelated to the internal order of the armed forces, highlights the unusual nature of these proceedings and can also be regarded as the armed forces intervening in the non-military judicial domain – a domain which, in a democratic country, should remain above any suspicion of dependence or partiality.” Ausdrücklich bemängelt sie nicht die fehlende Beziehung zwischen dem Angeklagten und dem Gericht, sondern sie geht davon aus, daß die Militärgerichtsbarkeit per se auf Fragen der Disziplin und Ordnung beschränkt ist. Sie geht damit argumentativ einen ähnlichen Weg wie der Interamerikanische Gerichtshof im Fall Castillo Petruzzi. Der Begriff „willkürlich“ kommt als Tatbestandsmerkmal in der EMRK nicht vor. Ausschlaggebend dafür dürfte die Unbestimmtheit des Rechtsbegriffs sein. Statt seiner bemüht sich die EMRK um eine Auflistung der Umstände, unter denen die Beschränkung des jeweiligen Rechts konventionsgemäß ist. Im Zuge der Ausarbeitung der Konvention ersuchte das Ministerkomitee des Europarates das Expertenkomitee (committee of experts) um Auslegung des Begriffs “arbitrary”. Die Experten hielten vier Merkmale für wesentlich: Rechtswidrigkeit, Ungerechtigkeit, Unvorhersehbarkeit (capriciousness) und Unverhältnismäßigkeit. Es handelt sich also um grundlegende, der Rechtsstaatlichkeit immanente Umstände, in die sich
EKMR, Ciraklar gegen Türkei, RJD Nr. 94 (1998-VII), S. 3079, 3082 § 51 (Hervorhebung von der Verfasserin); in der Wortwahl geringfügig abweichend auch in Incal gegen Türkei, RJD Nr. 78 (1998-IV), S. 1580, 1587 § 75.
Siehe Nowak, CCPR-Commentary, Art. 6, Rz.13 unter Hinweis auf CE Dok. H(70) S.7, 10 ff.
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4. Kapitel
das Erfordernis einer sachlichen Begründung von Sonderzuständigkeiten unproblematisch einreihen läßt. Auf das Rechtsstaatsgebot hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte im Fall Golder in Anwendung des Art. 31 Abs. 2 des Wiener Übereinkommens über das Recht der Verträge zurückgegriffen. In der Präambel der Konvention ist von der „Vorherrschaft der Gesetze“ die Rede, in der Präambel der Satzung des Europarats von der „Herrschaft des Rechts“ und in Art. 3 Satz 1 ebendieser Satzung heißt es: „Jedes Mitglied des Europarates erkennt den Grundsatz der Vorherrschaft des Rechts und den Grundsatz an, daß jeder, der seiner Hoheitsgewalt unterliegt, der Menschenrechte und Grundfreiheiten teilhaftig werden soll“. Der Gerichtshof hat ausgeführt, daß unter Berücksichtigung der “rule of law” eine Entscheidung über zivile Ansprüche und Verpflichtungen ohne ein Recht auf Zugang zu den Gerichten kaum vorstellbar ist. Auf die Bedeutung der Rechtsstaatlichkeit kommt der Gerichtshof in späteren Entscheidungen und in Zusammenhang mit unterschiedlichen Garantien immer wieder zurück. Darunter sind die Fälle Engel u. a., Malone, Kruslin, Huvig und
Vgl. EGMR, Golder gegen Vereinigtes Königreich, Ser. A Nr. 18, § 34. Aus Art. 31 Abs. 3 c) leitet der Gerichtshof her, daß das Verbot der Rechtsverweigerung als allgemeiner Rechtsgrundsatz gemäß Art. 38 Abs. 1 c) des IGHStatuts bei der Auslegung zu berücksichtigen ist. Ebenda, § 35.
Der 5. Absatz der Präambel der EMRK lautet in der deutschen Überset-
zung: „... entschlossen, als Regierungen europäischer Staaten, die vom gleichen Geiste beseelt sind und ein gemeinsames Erbe an geistigen Gütern, politischen Überlieferungen, Achtung der Freiheit und Vorherrschaft des Gesetzes besitzen, die ersten Schritte auf dem Weg zu einer kollektiven Garantie gewisser in der Universellen Erklärung verkündeten Rechte zu unternehmen.“
Siehe die Satzung des Europarates vom 05. Mai 1949, UNTS 87, S. 103. Vgl. EGMR, Golder gegen Vereinigtes Königreich, Ser. A Nr. 18, § 34.
Vgl. Engel u. a. gegen Niederlande, Ser. A Nr. 22, § 69: “The Court considers that the words “secure the fulfilment of any obligation prescribed by law” concern only cases where the law permits the detention of a person to compel her to fulfil a specific and concrete obligation which he has until then failed to satisfy. A wide interpretation would entail consequence incompatible with the notion of the rule of law from which the whole Convention draws its inspiration.” (Hervorhebung von der Verfasserin).
In EGMR, Malone gegen Vereinigtes Königreich, Ser. A Nr. 82, § 67 heißt es: “The Court would reiterate its opinion that the phrase “in accordance with
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aus jüngster Zeit Brumarescu gegen Rumänien, um nur einige zu nennen. Bei der Beurteilung von Abhörregelungen zum Schutz der inneren und äußeren Sicherheit haben Kommission und Gerichtshof betont, daß die Präambel das Funktionieren der Demokratie als Grundlage der Freiheitsrechte bezeichnet. Deswegen wird eine Abwägung im Rahmen von Art. 8 als erforderlich angesehen, bei der der Schutz der demokratischen Gesellschaft insgesamt zu berücksichtigen ist. In Klass gegen Deutschland, einem der „Abhörfälle“, macht der Gerichtshof Ausführungen, die besonders prägnant und für die hiesige Diskussion dienlich sind. Der Gerichtshof stellt fest: “One of the fundamental principles of a democratic society is the rule of law, which is expressly referred to in the Preamble of the Convention. The rule of law implies, inter alia, that an interference by the executive authorities with an individual’s rights should be subject to an effective control which should normally be assured by the judiciary, at least in the last resort, judicial control offering the best guarantees of independence, impartiality and proper procedure.” Der Gerichtshof drückt aus, daß Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und effektiver Rechtsschutz unmittelbar zusammenhängen. Gerade in Anbetracht dieses Zusammenhangs und der Verknüpfung des Willkürverbots mit dieser Trias erscheint es angebracht, das Merkmal der Zustänthe law” does not merely refer back to domestic law but also relates to the quality of the law, requiring it to be compatible with the rule of law.”
Siehe EGMR, Kruslin gegen Frankreich, Ser. A Nr. 176-A, S. 20 § 27. Siehe EGMR, Huvig gegen Frankreich, Ser. A Nr. 176-B, S. 36, 54 § 29.
Siehe EGMR, Brumărescu gegen Rumänien, [GC], Beschwerde Nr. 28342/95, RJD 1999-VII, S. 201, 222 § 61. Der Generalanwalt hatte nach rumänischem Recht die Möglichkeit, die Aufhebung eines rechtskräftigen Urteils zu beantragen – und zwar unbefristet. Der Gerichtshof schreibt: “The right to a fair hearing before a tribunal as guaranteed by Article 6 § 1 of the Convention must be interpreted in the light of the Preamble to the Convention, which declares, among other things, the rule of law to be part of the common heritage of the Contracting States. One of the fundamental aspects is the principle of legal certainty, which requires, inter alia, where the courts have finally determined an issue, their ruling should not be called into question.”
Siehe EGMR, Klass u. a. gegen Deutschland, Ser. A Nr. 28, § 28, ebenso die Kommission in dieser Sache, Beschwerde 5029/71, S. 30 f. § 68, abgedruckt in: EuGRZ 1977, S. 419, 421.
EGMR, Klass u. a. gegen Deutschland, Ser. A Nr. 28, § 55.
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4. Kapitel
digkeit im Sinne einer Begrenzung militärgerichtlicher Zuständigkeit in Art. 6 Abs. 1 hineinzulesen.
b. Strafverfolgung von Angehörigen der Streitkräfte vor Militärgerichten wegen Menschenrechtsverletzungen Im Hinblick auf das Verbot der Straflosigkeit folgt der Gerichtshof der Rechtsprechung der interamerikanischen Organe. Im Verfahren McCann u. a. gegen das Vereinigte Königreich hat der Gerichtshof erstmalig unter Rückgriff auf Art. 1 der Konvention eine Pflicht zur Vornahme effizienter Untersuchungsmaßnahmen beim Verdacht einer Tötung durch staatliche Bedienstete angenommen. Diese Rechtsprechung hat er in den Fällen Kaya und Kilic, beide gegen die Türkei gerichtet, die ebenfalls Fälle der Tötung betrafen, fortgeführt. Wie im Zusammenhang mit der Amerikanischen Menschenrechtskonvention ausgeführt, entspricht es einer kohärenten Auslegung der Konvention, Art. 6 Abs. 1 im Lichte des Verbots der Straflosigkeit auszulegen.
3. Fazit Wie in den anderen Konventionen läßt sich auch für die EMRK im Wege der kohärenten Auslegung des Vertrages das Ergebnis erzielen, über ein hier inhärentes Merkmal der Zuständigkeit zu einer Reduktion des Zuständigkeitsumfangs der Militärgerichte zu gelangen. Was das Verbot von Verfahren gegen Zivilpersonen betrifft, hat insbesondere das Merkmal der Rechtsstaatlichkeit und dessen besondere Beziehung zu Art. 6 Bedeutung. In bezug auf das Problem der Straflosigkeit zeigen sich Parallelen zwischen der Rechtsprechung der europäischen und der inter-
EGMR, McCann u. a. gegen Vereinigtes Königreich, Ser. A Nr. 324, S. 49 § 161: “The obligation to protect the right to life under this provision (Art. 2), read in conjunction with the State’s general duty under Art. 1 of the Convention to “secure everyone within their jurisdiction the rights and freedoms defined in [the] Convention”, requires by implication that there should be some form of effective official investigation when individuals have been killed as a result of the use of force by, inter alios, agents of the State.”
Vgl. EGMR, Kaya gegen Türkei, Beschwerde Nr. 22535/93, verfügbar unter: , § 102.
Vgl. EGMR, Kilic gegen Türkei, Beschwerde Nr. 22492/93, verfügbar unter: , § 75.
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amerikanischen Organe. Hier wäre es konsequent, wenn sich das aus Art. 1 abgeleitete Gebot strafrechtlicher Verfolgung angesichts der Wirkungsweise von Militärgerichten in Art. 6 fortsetzte.
IV. Gesamtbewertung Sämtliche der drei Kontrollorgane stimmen darin überein, daß im Ergebnis eine Beschränkung der militärgerichtlichen Zuständigkeit auf interne militärische Angelegenheiten geboten ist. Das Merkmal der Zuständigkeit bietet insofern einen verheißungsvollen Ansatz. Anders als über Unabhängigkeit und Unparteilichkeit läßt sich über eine autonome Auslegung der Zuständigkeit eine grundsätzliche Beschränkung erreichen. Nur die interamerikanischen Organe haben bisher einen derartigen Weg eingeschlagen. Ihre Spruchpraxis ist noch im Fluß. Die Figur des originär zuständigen Richters vermag nicht zu überzeugen. Sie entstammt als gesetzlicher Richter dem nationalen Recht und läßt sich – mangels dezidierter Vorgaben zur Gerichtszuständigkeit – nicht ohne weiteres auf das internationale Recht übertragen. Insofern bleibt abzuwarten, ob sich die neuere Rechtsprechung des Interamerikanischen Gerichtshofs als autonome Auslegung des Tatbestandsmerkmals „zuständig“ bestätigt. Als Anknüpfungspunkte der Auslegung kommen das Willkürverbot und das Rechtsstaatsprinzip in Betracht. Beide gehören zum Fundament der Konventionen und sollten sich deshalb – geht man von der Kohärenz der Konventionen aus – in jeder Norm widerspiegeln. Vor diesem Hintergrund und in Anbetracht der engen Verbindung zwischen Rechtsstaatlichkeit und fairem Verfahren ist es geboten, das Merkmal der Zuständigkeit unter Bezugnahme auf diese Fundamentalnormen auszulegen.
Kapitel 5: Besondere Probleme im Kontext von Ausnahmezuständen A. Einleitung An verschiedenen Stellen zuvor war bereits die Rede davon, daß Militärgerichte in Situationen an Einfluß und damit an Bedeutung gewinnen, in denen sich der Staat innerer oder äußerer Bedrohung ausgesetzt sieht. Unter bestimmten Voraussetzungen werden solche Situationen als Ausnahmezustände bezeichnet. Dann finden Art. 4 IPBPR, Art. 27 AMRK und Art. 15 EMRK Anwendung. Ihre Bedeutung besteht darin, daß die Vertragsstaaten in solchen Situationen befugt sind, Menschenrechte über das übliche Maß hinaus zu beschränken.
I. Allgemein Der Europäische Menschenrechtsgerichtshof führte in der Entscheidung Klass gegen Deutschland aus: “Some compromise between the requirements of defending democratic society and individual rights is inherent in the system of the Convention.” In der Tat sehen die Konventionen ein System aus Berechtigungen und Schrankenbestimmungen vor, um so einen Interessenausgleich zwischen den Rechten des einzelnen und den Interessen der Allgemeinheit zu ermöglichen. Die Verträge gehen davon aus, daß dieses System in bestimmten Situationen der Anpassung bedarf, weil ein Staat seine demokratische Verfassungsordnung und elementarste Menschenrechte unter Umständen nur schüt
EGMR, Klass u. a. gegen Deutschland, Ser. A Nr. 28, § 59.
So führt Nowak aus: “International law is thus faced with the task of finding a middle course between the recognition of the legitimate right of sovereign States to defend their constitutional, democratic order and the prevention of misuse of the right to emergency merely to maintain de facto positions of power.”, siehe M. Nowak, CCPR Commentary, Art. 4, Rz. 3.
Hartman führt aus: “No derogation is legitimate unless it is clearly aimed in good faith at the preservation of democratic institutions and return to their full operation at the earliest opportunity”, J. Hartman, Working Paper for the
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zen kann, wenn er bestimmte Menschenrechte über das übliche Maß hinaus beschränkt. Doch um der Demokratie oder des Schutzes elementarster Rechte willen andere Menschenrechte zu beschneiden, ist heikel. Geht man davon aus, daß der vertragsrechtliche Normalzustand ein Gleichgewicht zwischen den Interessen der Allgemeinheit und denen des einzelnen herstellt, müssen Anpassungen zu systemischen Unwuchten führen. Ausnahmezustände sind anfällig für Perversionen. Erweiterte Eingriffsmöglichkeiten in Menschenrechte, gar Suspendierungen bestimmter Rechte und institutionelle Verschiebungen, welche die Befugnisse der Exekutive zu Lasten der anderen Gewalten erweitern, führen bestenfalls zu einem labilen Gleichgewicht. Wie Zimmermann plastisch formuliert, lassen sich Ausnahmezustände als Lackmustest für den Schutz der Menschenrechte begreifen.
Committee of Experts on the Article 4 Derogation Provision, in: HRQ 7 (1985), S. 89, 92 und S. 121. Das Sekretariat der Europäischen Menschenrechtskommission stellt in einer Publikation fest, daß die Möglichkeit der Außerkraftsetzung von Rechten in Ausnahmesituationen den “overriding rights of the State to protect its democratic institutions” dient, siehe Case-Law Topics, Nr. 4, “Human Rights and their limitations”, Straßburg 1973, 3, zitiert nach Van Dijk/ van Hoof, siehe Fußnote 116, S. 731.
Siehe MRUnterKomm., Sonderberichterstatter über Ausnahmezustände, 8. Bericht, U.N. Dok. E/CN.4/Sub.2/1995/20, § 21.
Bezugnehmend auf die Rechtsprechung des Gerichtshofs in der Beschwerde Klass u. a. gegen Deutschland führt Martens in seinem abweichenden Votum zur Beschwerde Brogan aus: “Of course, in combatting terrorism, the State Parties to the Convention have to respect the rights and freedoms secured therein for everyone. I subscribe to that and I am aware of the danger of measures being taken which, as the Court has put it, may undermine or even destroy democracy on the ground of defending it.”, Ser. A Nr. 145-B, S. 48 § 3. Er zitiert das Urteil Klass u. a. gegen Deutschland, Ser. A Nr. 28, § 49.
Hartman stellt zutreffend fest, daß Ausnahmezustände gerne dazu benutzt werden, Regime im Sattel zu halten, die die Unterstützung der Bevölkerung längst verloren haben, oder solche zu stabilisieren, die mit unlauteren Mitteln an die Macht gelangt sind, siehe Fußnote 567, S. 89, 91.
Siehe dazu MRUnterKomm., N. Questiaux, Study of the implications for human rights of recent developments concerning situations known as states of siege or emergency, U.N. Dok. E/CN.4/Sub.2/1982/15, S. 33.
A. Zimmermann, The Right to a Fair Trial in the Situations of Emergency and Questions of Emergency Courts, in: David Weissbrodt, Rüdiger Wolfrum (Hrsg.), The Right to a Fair Trial, Beiträge zum ausländischen öffentlichen Recht und Völkerrecht, Bd. 129, S. 747. So auch D. MacGoldrick, The Human
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Die Rechtsstaatlichkeit ist auch in Ausnahmezuständen zu wahren und immer wieder wird betont, daß die Bekämpfung von Aufständischen und Terroristen, überhaupt die Bewältigung von Krisen, in Übereinstimmung mit den Menschenrechten zu geschehen hat. Beispielsweise führt der Menschenrechtsausschuß in seinen Schlußbemerkungen zum dritten Staatenbericht Perus aus: “In the Committee’s view, although the State has both the right and the duty to adopt vigorous measures to protect its population against terrorism, such measures must not violate the rights protected by the Covenant.”
Rights Committee, Art. 4, Rz. 7.2. Der Sonderberichterstatter Singhvi stellt fest: “A crisis is always a testing time for the judiciary. In the sway of the battle of rights and remedies, the judiciary has to preserve its equipoise in preserving and performing its jurisdictional role. Sometimes even that might be construed as an impediment by an authoritarian executive with or without the backing of the legislature. That is when the independence of the judiciary is besieged by social and political forces inimical to it, irrespective of what it does or does not do. Sometimes as having assumed a jurisdiction which is not vested in it, sometimes it is criticised for having exceeded its jurisdiction and sometimes it is questioned as an irresponsible institution which cannot be permitted to impose its will or wisdom on the people or their elected and accredited representatives.”, L.M. Singhvi im Schlußbericht: “The administration of justice and the human rights of detainees: Study on the independence and impartiality of the judiciary, jurors and assessors and the independence of lawyers”, U.N. Dok. E/CN.4/Sub.2/ 1985/18, § 147.
Den Umstand betont auch der Sonderberichterstatter über Ausnahmezustände, wenn er ausführt: “Contrary to a belief which is too widely held, states of emergency are not tantamount to the rule of the arbitrary. They are an institution of the rule of law involving a series of measures designed to come into force only when a crisis situation arises and which remain in reserve during ordinary periods. Therefore, whatever the political dimension which may be attributed to a given state of emergency, its legal nature is such that the acts which constitute it (proclamation, ratification, etc.) and the measures which are adopted when it is in force (suspension or restriction of certain rights, etc.) must lie within the framework of the principles governing the rule of law and are thus subject to controls. The precedent and the jurisprudence of the various international bodies for the protection of human rights are unanimous in this respect.”, MRUnterKomm., Sonderberichterstatter über Ausnahmezustände, Leandro Despouy, 8. Bericht, U.N. Dok. E/CN.4/Sub.2/1993/23/Rev. 1, IV. A. 1., § 51.
MRA, Schlußbemerkungen des Menschenrechtsausschusses: Peru, U.N. Dok. CCPR/C/79/Add. 72, § 3. Die Interamerikanische Menschenrechtskommission führt aus: “Second, recognizing that governments have an obligation to
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Fakt ist jedoch, daß schwere Menschenrechtsverletzungen, eben auch solche elementarster Rechte, geradezu charakteristisch für Ausnahmezustände sind.
II. Auswirkungen des Ausnahmezustands auf die Justiz Ausnahmezustände berühren regelmäßig die Tätigkeit der Justiz. Erhält die Exekutive zusätzliche Eingriffsbefugnisse, damit sie Gefahren wirksam begegnen kann, geht dies typischerweise mit verstärkten Eingriffen in Rechtspositionen der Bürger einher. Das erhöht die Gefahr von Rechtsverletzungen. Als Ausgleich des Machtzuwachses der Exekutive bedarf es daher in Ausnahmezuständen einer starken Justiz. Denn, wie Chowdhury zutreffend ausführt: “The role of the judiciary in protecting individuals against repression and abusive exercise of emergency powers is one of the best guarantees for a rule of law in a state of emergency.” Typischerweise bewirken Ausnahmezustände jedoch das Gegenteil. Der Kompetenzzuwachs der Exekutive setzt sich fort in einer Schwächung der Justiz. Verantwortlich dafür sind Aufweichungen strafprozessualer Garantien, beispielsweise durch die Erlaubnis mehrtägiger „incomunicado“-Haft, Beschränkungen der Verteidigung und
maintain order, the IACHR insisted that emergency measures be confined to ‘extremely serious circumstances’ and never involve suspension of non-derogable rights. Only governments lacking broad popular support would resort to state terrorism; democratic governments maintain the rule of law when confronting terrorism.”, AKMR, Bericht zur Menschenrechtslage in Argentinien (1980), verfügbar unter: , § 25-7, zitiert nach J. Fitzpatrick, siehe Fußnote 484, S. 370, 382.
So auch D. MacGoldrick, The Human Rights Committee, Art. 4, Rz. 7.2 und J. Hartman, siehe Fußnote 567, S. 89, 91 sowie C. Ledure, Garanties minimales contre la détention arbitraire et pour le droit à un procès équitable en période d’exception, in: Revue Belge de Droit Internationale XXVII (1994), S. 632, 633. Eine Aufzählung typischer Menschenrechtsverletzungen findet sich im 4. Bericht des UN-Sonderberichterstatters Despouy, U.N. Dok. E/CN.4/ Sub.2/1991/28/Rev.1, § 27.
S.R. Chowdhury, siehe Fußnote 599, S. 141. Vgl. S.R. Chowdhury, siehe Fußnote 599, S. 130.
Incomunicado-Haft bezeichnet die Inhaftierung einer Person unter Ausschluß jeglichen Kontakts zur Außenwelt, also beispielsweise zu Verwandten, zu einem Arzt oder einem Verteidiger.
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direkte Eingriffe in den Justizapparat, die seiner Straffung und Effizienz dienen sollen. Typisch sind die Ernennung „zuverlässiger“ Richter, die Gewähr für die Kooperation mit der Exekutive bieten, sofern die Gerichte sich nicht in Selbstbeschränkung üben, und vor allem Kompetenzverschiebungen von ordentlichen auf Sonder-, insbesondere auf Militärgerichte. Die Frage der Gründe für Zuständigkeitsveränderungen zu Lasten der ordentlichen Gerichte wurde zum Teil schon in der Einleitung zum Recht auf den zuständigen Richter behandelt. Hier werden deswegen nur einige ausnahmezustandsspezifische Gründe nochmals aufgegriffen. Verbreitet ist das Argument, es fehle an Möglichkeiten, die ordentliche Justiz gegen Angriffe von außen zu schützen und so zu gewährleisten, daß sie ihre Arbeit unabhängig und unparteiisch verrichten könne. So
Eine Studie der International Commission of Jurists zählt elf typische Derogationen des Rechts auf ein faires Verfahren auf, siehe International Commission of Jurists, States of Emergency: Their Impact on Human Rights, 1983, S. 424-427. Auf die Gefahr durch Übergriffe der Exekutive auf die Justiz macht auch Stavros aufmerksam. Er führt aus: “The principal threat to independence arises in such situations from executive interference with the competence and composition of emergency courts. The review, consequently, of international human rights organs must focus on freedom from instructions in practice, on the extent to which the jurisdiction of emergency tribunals is clearly defined, to the extent to which government authorities are allowed to order the transfer or suspension of trials and to interfere with the empanelment of the bench, and finally on the finality of the awards of emergency tribunals.”, S. Stavros, The Right to a Fair Trial in Emergency Situations, in: ICLQ 41 (1992), S. 343, 354.
Dazu AKMR, Bericht zur Menschenrechtslage in Chile (1985), Dok. OEA/Ser.L/V/II.66 Doc.17, Kap. VIII, B. c.
Siehe MRUnterKomm., N. Questiaux, Study of the implications for human rights of recent developments concerning situations known as states of siege or emergency, U.N. Dok. E/CN.4/Sub.2/1982/15, § 153. Die Ausweitung der Militärgerichtsbarkeit ist ausführlich dargestellt in AKMR, Situation der Menschenrechte in Chile (1985), Dok. OEA/Ser.L/V/II.66 Doc.17, Kap. VIII, §§ 104 ff., vor allem § 138. Chowdhury beschreibt in diesem Zusammenhang vier typische Vorgehensweisen. S.R. Chowdhury, siehe Fußnote 599, S. 131. So ähnlich auch C. Ledure, siehe Fußnote 575, S. 632, 669.
In Guatemala wurden während der Herrschaft von General Ríos Montt geheime Spezialgerichte eingeführt. Zur Begründung hieß es: „Que para proteger la orden, la paz y la seguridad públicas, se hace necesario dictar la ley que garantice una rápida y ejemplar administración de justicia, en el juzgamiento de delitos que atenten contra estos valores.“, AKMR, Bericht zur Menschenrechts-
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fehlt in nordirischen “Diplock Courts” die Jury, weil befürchtet wurde, die IRA setze Jurys unter Druck. In Kolumbien und Peru reagierte man mit gesichtslosen, d. h. anonymen Richtern und erweiterte die Kompetenzen der Militärgerichte. Die Umstrukturierung der Justiz ist allerdings nicht nur ultima ratio zum Schutz der Richter. Vielfach ist sie Ausdruck des Mißtrauens gegenüber dem Funktionieren der ordentlichen Gerichte im Ausnahmezustand, wobei „Funktionieren“ verstanden wird als die „Effizienz“, welche die Exekutive in ihrem Kampf gegen die Gefahr für geboten
lage in Guatemala (1983), Dok. OEA/Ser.L/V/II.61 Doc. 47, Kap. IV, Abschnitt C §§ 4, 8. Die geheime Arbeit dieser Gerichte wurde damit erklärt, daß es die persönliche Integrität der Amtsträger und des zivilen Personals zu sichern gelte, um sie und ihre Angehörigen vor Repressalien und Rache zu schützen. Der Bericht veranschaulicht die damit einhergehenden Mißbrauchsgefahren.
Ledure zufolge war es das Ziel der Diplock Courts, eine höhere Verurteilungsrate in Verfahren gegen Terroristen zu erzielen, siehe C. Ledure, siehe Fußnote 575, S. 632, 649.
1991 hat Kolumbien bedeutende Änderungen in seinem Strafrechtssystem vollzogen. Eine der besonders interessanten Veränderungen war dabei die Errichtung von Geheimgerichten zur Verhandlung von Drogen- und Terrorismussachen. Letztlich haben diese Gerichte zwar eine erhöhte Verurteilungsrate erreicht, und sie mögen, durch das Gewähren von Anonymität, auch Richter geschützt haben, aber dies – wie sich zeigt – zu einem hohen Preis, nämlich zu dem der Preisgabe grundlegender strafprozessualer Rechte. Zudem ist festzustellen, daß diese Gerichte auch zu politischen Zwecken benutzt worden sind, um legitime politische Opposition zu unterdrücken, indem sie als vermeintlicher Terrorismus deklariert wird. Ursprünglich wurden die Sondergerichte 1984 als sogenannte “Courts of Public Order” errichtet, um der zunehmenden durch Drogenhandel geschürten Gewalt im Land Herr zu werden. 1987 wurde deren Zuständigkeit erweitert und schloß nunmehr auch politische Delikte ein. War dieses Sondergerichtssystem ursprünglich für den Ausnahmezustand, das heißt als temporäre Erscheinung konzipiert, erhielten sie durch die neue Strafprozeßordnung vom 30. November 1991 permanenten Charakter, siehe M.R. Pahl, Concealing Justices or Concealing Injustice?: Colombia’s Secret Courts, in: Denv. J.I.L.P. 21 (1993), S. 431, 432-34.
So trat in Peru am 23. Mai 1999 das Decreto Legislativo 895 in Kraft, welches bestimmte Delikte als schwere bzw. besondere Form des Terrorismus definiert. Diese fallen damit in die Kompetenz der Militärgerichte. Mit Urteil vom 17. November 2001 hat das peruanische Verfassungsgericht diese Dekrete für verfassungswidrig erklärt. Informationen dazu unter: .
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hält. Militärgerichte genießen den Ruf, dem Anspruch nach Effizienz durch zügige Abwicklung von Verfahren und Härte im Strafmaß in besonderem Maße zu entsprechen.
III. Allgemein zu Aufbau und Inhalt der Vorschriften Folgend wird der Frage nachgegangen, ob die staatliche Befugnis, im Ausnahmezustand von Vertragspflichten abzuweichen, Auswirkungen auf die rechtliche Würdigung der Zulässigkeit von Strafverfahren vor Militärgerichten hat. Die Antwort auf diese Frage hängt davon ab, inwiefern das Recht auf ein faires Verfahren derogierbar, das heißt besonderen Beschränkungen zugänglich ist. Der nach Verträgen gegliederten Untersuchung ist ein kurzer Überblick über die Struktur der Vorschriften sowie ein Überblick über außervertragliche Entwicklungen vorangestellt, um den völkerrechtlichen Hintergrund zu beleuchten.
1. Anwendungsbereich der Derogationsnormen Der Anwendungsbereich wird hier nur kursorisch behandelt, weil er für die vorliegende Arbeit nur begrenzt von Interesse ist. Selbstverständlich ist von Bedeutung, unter welchen faktischen Umständen Abweichungen von den vertraglichen Verpflichtungen zulässig sind. Die Zulässigkeit von Strafverfahren vor Militärgerichten hängt jedoch letztlich entscheidend von Art und Umfang der erlaubten Derogationen ab. Der Anwendungsbereich läßt sich unterteilen in materielle und verfahrensrechtliche Tatbestandsmerkmale sowie in begleitende Unterrichtungspflichten. Materiell verlangen IPBPR und die EMRK, daß ein
Hartman formuliert drastischer, in Wirklichkeit habe die Übertragung solcher Verfahren oftmals eher den Zweck, “of consolidating military rule over all branches of government than out of real concern that civilian courts are endangered”, siehe Fußnote 567, S. 89, 107. Garro berichtet aus Argentinien, daß Richter Todesdrohungen erhielten, von denen man meinte, sie gingen zu behutsam mit angeklagten Terroristen um oder sie untersuchten zu gewissenhaft mögliche Menschenrechtsverletzungen an Zivilisten, die der Subversion beschuldigt wurden; siehe A.M. Garro, The Role of the Argentine Judiciary in Controlling Governmental Action under a State of Siege, in: HRLJ 4 (1983), S. 311, 316 mit ausführlichen Nachweisen über die Quellen in Fußnote 13.
Art. 4 Abs. 1 IPBPR: „Im Falle des öffentlichen Notstands, der das Leben der Nation bedroht ...“
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Notstand vorliegt, der das Leben der Nation bedroht. Die Alternative des Krieges, welche die EMRK zusätzlich aufführt, bezieht der Pakt in den Begriff des Notstandes ein. Die AMRK bestimmt Art. 27 Abs. 1 etwas ausführlicher: „Im Falle eines Krieges, einer öffentlichen Gefahr oder eines anderen Notstandes, der die Unabhängigkeit oder die Sicherheit eines Vertragsstaates bedroht ...“. Inhaltlich ergeben sich daraus indes keine entscheidenden Abweichungen. Dies gilt um so mehr, als Ausnahmezustände in der Praxis ganz überwiegend wegen wirklicher oder vermeintlicher Gefahren für die innere Sicherheit aufgrund von bewaffneten Aufständen verhängt wurden. Nach der Konzeption der Verträge ist der Ausnahmezustand eine temporäre Erscheinung, also die Ausnahme, nicht die Regel. Die Praxis sieht indes anders aus. Statistiken des Sonderberichterstatters Despouy zeigen, daß in einer erheblichen Anzahl von Fällen von einer überschaubaren Phase staatlicher Selbstverteidigung nicht die Rede sein kann. Ausnahmezustände ziehen sich über Jahre und Jahrzehnte hin.
Art. 15 Abs. 1 EMRK: „Im Falle eines Krieges oder eines anderen öffentlichen Notstandes, der das Leben der Nation bedroht ...“
Das Merkmal Krieg wurde im IPBPR weggelassen, weil man die Möglichkeit eines Krieges nicht besonders hervorheben wollte. Schließlich sei es Aufgabe der Vereinten Nationen, Kriege zu verhindern. Siehe: M. Nowak, CCPR-Commentary, Art. 4, Rz. 10. Das sollte jedoch keineswegs ausschließen, daß Art. 4 auch im Falle des Krieges anwendbar sei, siehe ebenda Rz. 12.
So J. Fitzpatrick, siehe Fußnote 484, S. 371, 376. Der Begriff des „öffentlichen Notstands“ wurde auf Antrag El Salvadors hinzugefügt, um Ausnahmerecht während Naturkatastrophen zu ermöglichen, ebenda.
So zum IPBPR Nowak, CCPR-Commentary, Art. 4 Rz. 14. Zur AMRK schreibt Fitzpatrick: “In practice, emergency suspension of rights in the Americas since the drafting of Article 27 derives more often from real or purported threats to internal security, than from international armed conflict, territorial dismemberment or natural disaster.”, siehe Fußnote 484, S. 371, 376.
Vgl. MRA, Allgemeine Bemerkung 5, Artikel 4, § 3. U.N. Dok. HRI/ GEN/1/Rev.1, S. 5. Ebenso schreibt Despouy, es bestehe die Vermutung, daß der Ausnahmezustand von relativ kurzer Dauer sei, siehe MRKomm., Sonderberichterstatter über Ausnahmezustände, L. Despouy, 4. Bericht, U.N. Dok. E/CN.4/Sub.2/1991/28/Rev.1, Annex I, S. 31, 43.
In seinem Bericht 1995 schreibt der Sonderberichterstatter Despouy, unter Bezugnahme auf seine Erfahrungen der letzten 10 Jahre, markiere man die Staaten, die einen Ausnahmezustand in diesem Zeitraum ausgerufen bzw. ihn dann wieder aufgegeben haben, auf einer Erdkarte, umfasse diese drei Viertel der Erde. Dabei lasse sich auch feststellen, daß die Ausrufung der Ausnahmezu-
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Diese Verschleppung oder Institutionalisierung von Ausnahmezuständen führt zur Verfestigung institutioneller Verschiebungen. Für den Bereich der Justiz kann das bedeuten, daß beispielsweise die militärgerichtliche Jurisdiktion über Zivilpersonen zum Normalfall wird, obwohl sie eigentlich als Maßnahme der Selbstverteidigung gedacht war. Was die verfahrenstechnische Seite anlangt, fordert der IPBPR, daß der öffentliche Notstand amtlich verkündet ist. Ansonsten sehen sämtliche Verträge begleitende Unterrichtungspflichten vor. Begleitend bedeutet, die Mitteilungspflichten sind nicht wie die Pflicht der amtlichen Verkündung im Pakt so konstruiert, daß sie unmittelbar für und gegen die Rechtmäßigkeit von Derogationsmaßnahmen wirken. Gefordert wird, unverzüglich den Generalsekretär der betreffenden Organisation, also OAS, Vereinte Nationen bzw. Europarat, über die getroffenen Maßnahmen zu informieren und mitzuteilen, wenn der Ausnahmezustand beendet ist.
2. Rechtsfolge und Schranken So wie beim Anwendungsbereich folgen die drei Verträge auch hinsichtlich der Rechtsfolgen demselben Schema. Sie legen einen Katalog stände systemunabhängig ist und Staaten wie die USA genauso betrifft wie die Russische Föderation oder China, siehe MRKomm., Sonderberichterstatter über Ausnahmezustände, L. Despouy, 8. Bericht, U.N. Dok. E/CN.4/Sub.2/ 1995/20, § 11. Siehe zum Umfang auch die Staatenliste in: E/CN.4/Sub.2/ 1999/31.
Art. 4 Abs. 3 IPBPR: Unverzügliche Unterrichtung der Vertragsstaaten über den Generalsekretär der Vereinten Nationen über die außer Kraft gesetzten Vorschriften und die Gründe dafür sowie über das Ende der Derogation. Art. 27 Abs. 3 AMRK: Mitteilung an den Generalsekretär der OAS darüber, welche Bestimmungen außer Kraft gesetzt wurden, die Gründe dafür und das Außerkrafttreten der Derogationen. Art. 15 Abs. 3 EMRK: Der Generalsekretär des Europarats ist eingehend über die getroffenen Maßnahmen und deren Gründe zu unterrichten. Darüber hinaus ist der Generalsekretär auch über den Zeitpunkt in Kenntnis zu setzen, in dem die Derogation beendet ist.
Art. 4 Abs. 1 IPBPR: Außerkraftsetzen von Rechten nach dem „Umfang, den die Lage unbedingt erfordert ..., vorausgesetzt, daß diese Maßnahmen ihren sonstigen völkerrechtlichen Verpflichtungen nicht zuwiderlaufen und keine Diskriminierung allein wegen der Rasse, der Hautfarbe, des Geschlechts, der Sprache, der Religion oder der sozialen Herkunft enthalten.“ Art. 15 Abs. 1 EMRK: „... kann jeder der Hohen Vertragsschließenden Teile Maßnahmen ergreifen, welche die in dieser Konvention vorgesehenen Verpflichtungen in dem
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von Rechten fest, die niemals derogierbar sind. Die Beschränkung bzw. Suspendierung der anderen Rechte ist unter zwei bzw. drei Voraussetzungen zulässig: Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes, Beachtung anderweitiger völkerrechtlicher Verpflichtungen und – im Pakt und in der AMRK – Beachtung des Diskriminierungsverbots.
a. Absolute Schranke: Derogationsverbot Die Frage der Zulässigkeit militärgerichtlicher Strafverfahren in Ausnahmezuständen wäre einfach zu beantworten, hätten die Verträge das Recht auf ein faires Verfahren als solches in den Katalog nicht derogierbarer Rechte aufgenommen. Das ist jedoch nicht geschehen. Die Aufzählungen zeigen, daß der Katalog der EMRK am kürzesten, der des Paktes eine Spur ausführlicher und der der AMRK als des jüngsten der Verträge am ausführlichsten ist. Zwei Prinzipien lassen sich für die
Umfang, den die Lage unbedingt erfordert, und unter Bedingungen außer Kraft setzen, daß diese Maßnahmen nicht in Widerspruch zu den sonstigen völkerrechtlichen Verpflichtungen stehen.“ Art. 27 Abs. 1 AMRK: „... kann dieser Maßnahmen ergreifen, die seine Verpflichtungen nach dieser Konvention außer Kraft setzen, soweit und solange die Lage es unbedingt erfordert und vorausgesetzt, daß diese Maßnahmen seinen sonstigen Verpflichtungen nicht zuwiderlaufen und keine Diskriminierung aufgrund von Rasse, Hautfarbe, Geschlecht, Sprache, Religion oder sonstiger Herkunft enthalten.“
Art. 15 Abs. 2 EMRK: Art. 2 (Recht auf Leben) außer bei Todesfällen, die auf rechtmäßige Kriegshandlungen zurückzuführen sind, oder Art. 3 (Verbot der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung), Art. 4 Abs. 1 (Verbot der Sklaverei oder Leibeigenschaft) und Art. 7 (Verbot rückwirkender Strafgesetze).
Art. 4 Abs. 2 IPBPR: Art. 6 (Recht auf Leben), Art. 7 (Verbot der Folter oder grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe), Art. 8 Abs. 1 und 2 (Verbot der Sklaverei und der Leibeigenschaft), Art. 11 (Verbot der Inhaftierung wegen vertraglicher Verpflichtungen), Art. 15 (Verbot rückwirkender Strafgesetze), Art. 16 (Recht auf Anerkennung der Rechtsfähigkeit).
Art. 27 Abs. 2 AMRK: Art. 3 (Recht auf Anerkennung der Rechtsfähigkeit), Art. 4 (Recht auf Leben), Art. 5 (Recht auf menschenwürdige Behandlung), Art. 6 (Freiheit von Sklaverei), Art. 9 (Verbot rückwirkender Strafgesetze), Art. 12 (Gewissens- und Religionsfreiheit), Art. 17 (Rechte der Familie), Art. 18 (Namensrecht), Art. 19 (Rechte des Kindes), Art. 20 (Recht auf Staatsangehörigkeit) und Art. 23 (Staatsbürgerliche Grundrechte). Dasselbe gilt für die zum Schutz dieser Rechte wesentlichen Rechtsschutzgarantien.
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Aufnahme von Rechten in den Katalog nicht derogierbarer Rechte festmachen: Erstens fallen überragende Rechtsgüter darunter, die in jeder Situation zu schützen sind, so z. B. das Recht auf Leben und das Recht auf menschenwürdige Behandlung. Daneben wurden Rechte aufgenommen, von denen anzunehmen ist, daß es ihrer Natur wegen keinen Grund gibt, sie im Ausnahmezustand abzubedingen. Dazu gehört beispielsweise das Namensrecht. Oraá kritisiert jedoch überzeugend, daß keiner dieser beiden Gesichtspunkte konsequent durchgeführt wurde. Einerseits fehlen bestimmte Rechte, die elementar und in Ausnahmezuständen gefährdet sind. Dazu gehören z. B. ein Mindestschutz für Inhaftierte und zumindest Kerngarantien des fairen Verfahrens. Andererseits finden sich Rechte in den Aufzählungen, die nicht ganz so fundamental sind und bei denen sich keineswegs ohne weiteres sagen läßt, sie seien notstandsrelevant. Wenn auch die Nichtaufnahme vielfach bedauert worden ist, bleibt als Fazit für die vorliegende Arbeit, daß Art. 14 Abs. 1 IPBPR, Art. 8 Abs. 1 AMRK und Art. 6 Abs. 1 EMRK grundsätzlich derogationsfähig sind. Allein Art. 27 AMRK bedarf in diesem Zusammenhang besonderer Betrachtung. Zwar schützt auch er das Recht auf ein faires Verfahren nicht als solches. Aber er bestimmt, daß die Rechtsschutzgarantien, die zum Schutz der im Katalog des Art. 27 Abs. 2 aufgeführten nicht derogierbaren Rechte wesentlich sind, ebenfalls nicht abdingbar sind. Es bedarf deswegen der Untersuchung, inwiefern Art. 8 AMRK zu den
S.R. Chowdhury, Rule of Law in a State of Emergency, S. 144. J. Oraá, Human Rights in States of Emergency in International Law, Oxford 1992, S. 94. Für die AMRK benennt Fitzpatrick drei grundlegende Prinzipien, siehe Fußnote 484, S. 371, 376.
Vgl. J. Oraá, siehe Fußnote 599, S. 94. Siehe J. Oraá, siehe Fußnote 599, S. 94.
Siehe dazu im einzelnen J. Oraá, siehe Fußnote 599, S. 95 ff. Dieser Auffassung schließt sich Klein an. C. Klein, Protection des droits de l’homme en circonstances exceptionnelles, in: Academy of European Law (Hrsg.), Bd. 3 Tlbd. 2 (1992), S. 91, 138.
So z. B. D. O’Donnell, Les Normes Internationales des Droits de l’Homme en Matière de Droit Pénal, de Procédure et de Dérogation, in: Daniel Prémont (Hrsg.), Droits Intangibles et États d’Exception – Non Derogable Rights and States of Emergency, Brüssel 1996, S. 142, 144 und 157, der sich aus Gründen der Einheitlichkeit des Standards im Friedens- und Kriegsvölkerrecht dafür ausspricht, wenn nicht alle, so zumindest einen Großteil der Verfahrensgarantien für nicht derogierbar zu erklären.
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„wesentlichen Rechtsschutzgarantien“ zählt. Abgesehen von der vorstehend beschriebenen Klausel können sich Beschränkungs- und Suspensionsverbote nur aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit oder den anderen völkerrechtlichen Pflichten ergeben.
b. Relative Schranken Die Forderung nach der Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes, der Vereinbarkeit mit anderen völkerrechtlichen Verpflichtungen und des Diskriminierungsverbots zeigt, daß das Fehlen eines Rechts im Katalog nicht derogierbarer Rechte nicht gleichzusetzen ist mit dessen freier Verfügbarkeit. Derogationen von elementaren strafverfahrensrechtlichen Garantien sind schwerlich oder gar nicht zu rechtfertigen. Unter welchen Umständen soll beispielsweise der Verzicht auf ein zuständiges, unabhängiges und unparteiliches Gericht als Maßnahme zur Verteidigung von Demokratie und Menschenrechten unbedingt erforderlich sein? Gründe sind nicht vorstellbar. Der Rechtsstaat führte sich damit ad absurdum. Er begäbe sich auf das Niveau derer herab, die ihn angreifen. Neben dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz hat sich vor allem das Erfordernis der Vereinbarkeit mit anderen völkerrechtlichen Verpflichtungen als Anknüpfungspunkt für die Beschränkung von Derogationen herauskristallisiert. Solche anderen Verpflichtungen können sich aus Verträgen, aber auch aus Gewohnheitsrecht oder aus allgemeinen Rechtsgrundsätzen (Art. 38 Abs. 1 IGH-Statut) ergeben. Von besonderer Bedeutung sind hier die verfahrensrechtlichen Garantien des humanitären Völkerrechts.
IV. Die Bedeutung von Derogationen für die Errichtung von Militärgerichten bzw. die Erweiterung von deren Zuständigkeiten Das Fallmaterial der vorherigen Teile betraf bereits des öfteren Situationen, in denen jedenfalls de facto ein Ausnahmezustand vorlag. Insofern mag der Eindruck entstehen, die Frage der Zuständigkeit von Militärgerichten im Ausnahmezustand sei bereits geklärt. Daß dem nicht so ist, hat folgenden Grund: Bisher ging es um Situationen, in denen zum Teil zwar ein Ausnahmezustand, sei es de lege oder de facto, vorlag, in de
Art. 4 Abs. 1 IPBPR, Art. 15 Abs. 1 EMRK und Art. 27 Abs. 1 AMRK.
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nen der Staat aber keine Derogationen vorgenommen hatte. In solchen Fällen bleibt es beim üblichen Maßstab, hier also Art. 14 IPBPR, Art. 8 AMRK, Art. 6 EMRK. Die Bestimmungen über den Ausnahmezustand werden dann relevant, wenn ein Staat von bestimmten Menschenrechten derogiert hat. Nur dann stellt sich die Frage, ob sich die vorgenommenen Beschränkungen innerhalb des erlaubten Rahmens bewegen. Um solche Konstellationen geht es im folgenden Abschnitt.
B. Außervertragliche Entwicklungen Im Rahmen des Anwendungsbereichs ist angeklungen, daß Ausnahmezustände nicht immer den vertraglichen Vorstellungen entsprechen. Sie sind weltweit verbreitet, langwierig und komplex. Insbesondere hat sich herausgestellt, daß die Bedeutung der Rechte auf persönliche Freiheit und auf ein faires Verfahren bei der Ausarbeitung der Bestimmungen über den Ausnahmezustand unterschätzt wurde. Die Nichtaufnahme in den Katalog nicht derogierbarer Rechte hatte das Ziel, Flexibilität zu gewährleisten. Die Vielzahl von Teilrechten des Rechts auf ein faires Verfahren wurden nicht sämtlich als so tragend angesehen, daß sie um jeden Preis aufrechtzuerhalten seien. Insbesondere sollte die Öffentlichkeit des Verfahrens in Ausnahmezuständen beschränkbar sein. Außervertraglich wurde in Erklärungen und Berichten versucht, im Wege von Richtlinien die Teilgarantien festzulegen, deren Beschränkung verboten ist. Insbesondere der Questiaux-Bericht hat darüber hinaus einen wichtigen Beitrag für ein differenziertes Verständnis von Ausnahmezuständen geleistet. Die folgende Darstellung umfaßt Erklärungen verschiedener Gremien und Stellungnahmen von Berichterstattern der Vereinten Nationen, um zu klären, welche (Teil-) Rechtsgarantien sie als nicht derogierbar ansehen.
I. Erklärungen Fünf Erklärungen werden hier herausgegriffen und in chronologischer Reihenfolge dargestellt. Sie beschäftigen sich ausschließlich oder jedenfalls zum Teil mit Problemen des Ausnahmezustandes und nehmen da
So unter Hinweis auf die Travaux préparatoires S. Stavros, The right to a fair trial in emergency situations, in: ICLQ 41 (1992), S. 343, 347 m. w. N.
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bei Bezug auf die Übertragung von Kompetenzen von ordentlichen auf besondere Gerichte.
1. Minimum Standards of Human Rights Norms in a State of Emergency Die “Minimum Standards of Human Rights Norms in a State of Emergency” der ILA wurden mit dem Ziel verabschiedet, die Vorgaben des Ausnahmezustands zu konkretisieren und so dazu beizutragen, daß nicht derogierbare Rechte auch tatsächlich nicht abbedungen werden. Von besonderer Bedeutung für die hiesige Untersuchung sind Abschnitte der Teile B und C. In Teil B (Emergency powers and the protection of individuals: general principles) unter Nummer 3 (c) heißt es zum fairen Verfahren: “The guarantees of the independence of the judiciary and of the legal profession shall remain intact. In particular, the use of emergency powers to remove judges or alter the structure of the judicial branch or otherwise to restrict the independence of the judiciary shall be prohibited by the constitution.” Der zugehörige Kommentar zeigt, daß gerade die Einsetzung von Militärgerichten als Bedrohung für die Unabhängigkeit der Gerichte im Ausnahmezustand angesehen wird. Dort heißt es: “Besides, a dual system of courts is not unusual: military tribunals for political suspects without guaranteed safeguards of fair and public trial on the one hand, and the ordinary courts for non-political offences on the other. The creation of special courts, though sought to be justified on various pretexts, such as to expedite trial, are more often than not guided by [such motivations] as the desire to influence the outcome. A dominant motive in such cases tends to be political victimization.” Im darauf folgenden Teil C der Erklärung werden nicht derogierbare Rechte und Freiheiten im einzelnen behandelt. Zwei Vorschriften sind hier relevant: Art. 7 und Art. 16.
R.B. Lillich, siehe Fußnote 311, S. 1072-1081. Siehe R.B. Lillich, siehe Fußnote 311, S. 1072. R.B. Lillich, siehe Fußnote 311, S. 1072, 1075.
ILA, Report of the Sixty-First Conference, Minimum Standards of Human Rights in a State of Exception, S. 56, 71.
Ausnahmezustände
203
Artikel 7 betrifft das Recht auf ein faires Verfahren und zwar für die Konstellation der strafrechtlichen Anklage. Die Aufzählung, die in
Der Text des Art. 7 lautet:
“Everyone charged with a penal offence shall be entitled to the following minimum guarantees of fair trial in full equality and without discrimination. 1. The right to be informed promptly and in detail of the charge against him. 2. The right to have adequate time and facilities for the preparation of one’s defence. This right shall include: (a) at least minimum communication with a counsel of one’s choice, and (b) the right of an indigent defendant to have free legal assistance in every case where the interests of justice so require. 3. The right to be present at one’s trial, which should be conducted in a language comprehensible to the defendant. 4. Such trial should be held in public but, if attendance at such trial is restricted in any way, such restrictions shall not apply to the members of the family of the defendant. 5. The defendant has the right to be presumed innocent until proven guilty according to law. 6. No one shall be held guilty of any criminal offence on account of any act or omission which did not constitute a criminal offence, under national or international law, at the time when it was committed. Nor shall a heavier penalty be imposed than the one that was applicable at the time when the criminal offence was committed. If, subsequent to the commission of the offence, provision is made by law for the imposition of a lighter penalty, the offender shall benefit thereby. 7. Nothing in this article shall prejudice the trial and punishment of any person for any act or omission which, at the time when it was committed, was criminal according to general principles of law recognized by the community of nations. 8. No person shall be prosecuted for the same offence more than once, or for a similar offence based upon the same facts that has resulted in a conviction or acquittal. 9. No person accused of any offence shall be compelled to be witness against himself. 10. Any establishment of a criminal offence or infliction of a punishment based on general principles arising out of religious or other sources, which contravene the aforesaid norms, shall be considered a gross violation of international law. 11. Every person has a right to be tried by a tribunal which offers the essential guarantees of independence and impartiality. 12. The right to appeal shall always be guaranteed.
5. Kapitel
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der folgenden Fußnote wiedergegeben ist, beinhaltet einen Großteil der in Art. 14 IPBPR, Art. 8 AMRK und Art. 6 EMRK genannten Rechte. Für die hiesige Untersuchung besonders interessant ist Ziffer 11. Dort heißt es: “Every person has a right to be tried by a tribunal which offers the essential guarantees of independence and impartiality.” Das Merkmal „zuständiges Gericht“ fehlt also. Warum, zeigt der Kommentar, der in seiner Begründung mit dem allgemeinen Teil übereinstimmt. Unter Bezugnahme auf die Studie der International Commission of Jurists wird ausgeführt, daß Elemente des fairen Verfahrens besonders häufig suspendiert werden, darunter die gerichtliche Unabhängigkeit und Unparteilichkeit, verursacht durch den Einsatz von Militärgerichten zur Verfolgung von „Sicherheitsdelikten“. Das Fehlen des Merkmals „zuständig“ beruht also auf der gängigen Spruchpraxis internationaler Organe, die Forderungen nach Beschränkung der Jurisdiktion an Unabhängigkeit und Unparteilichkeit festmachen. Begründet wird das Derogationsverbot wesentlich mit drei Argumentationslinien. Erstens könne die Beschränkung der aufgeführten Garantien unter keinen Umständen dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz entsprechen. Zweitens verstießen Derogationen dieser Rechte gegen andere völkerrechtliche Verpflichtungen und drittens wird a maiore ad 13. The right to obtain attendance and examination of defence witnesses shall never be denied; nor shall the right to cross-examine all witnesses who appear at the trial, or to test the veracity of the evidence of those persons who do not attend or appear at the trial, ever be denied.”
Zum Teil werden die Rechte etwas zurückgenommen, wie das Recht auf Öffentlichkeit des Verfahrens und das Recht auf Vorbereitung der Verteidigung. Andere Rechte dagegen, wie die Unschuldsvermutung oder das Recht auf Revision, sind unbeschränkt gewährt. Das Recht auf Bereitstellung eines Dolmetschers fehlt ganz. Dafür findet sich eine besondere Klausel zu Straftaten aus religiösen oder anderen Hintergründen.
R.B. Lillich, siehe Fußnote 311, S. 1072 (1079).
Siehe ILA, Bericht der 61. Konferenz, Minimum Standards of Human Rights in a State of Exception, S. 56, 84.
Vgl. ILA, Bericht der 61. Konferenz, Minimum Standards of Human Rights in a State of Exception, S. 56, 84.
Nach Auffassung der ILA fallen darunter vertragsrechtliche und gewohnheitsrechtliche Verpflichtungen. Letztere werden sehr weit verstanden. Sie sollen sich auch auf solche “emerging norms” erstrecken, die von der Staatengemeinschaft schon als “binding principles or as candidate rules for future legal recognition” anerkannt sind, vgl. ILA, Bericht der 61. Konferenz, Minimum Standards of Human Rights in a State of Exception, S. 56, 67. Der von der ILA
Ausnahmezustände
205
minus gefolgert, daß Anforderungen, die im bewaffneten Konflikt als Mindeststandard eines fairen Verfahrens gefordert werden, erst recht gelten müßten, wenn die Situation sich als weniger gravierend darstelle. Diese Argumentationslinien haben breite Anerkennung gefunden. Die zweite Vorschrift, die hier relevant ist, ist Art. 16 (Right to a Remedy). Er setzt sich mit Sonder- und damit mit Militärgerichten auseinander. Ziffer 4 lautet: “Civil courts shall have and retain jurisdiction over all trials of civilians for security or related offences; initiation of any such proceedings before or their transfer to a military court or tribunal shall be prohibited. The creation of special courts or tribunals with punitive jurisdiction for trials of offences which are in substance of a political nature is a contravention of the rule of law in a state of emergency.”
verwandte Katalog hat in den Genfer Konventionen bzw. deren Zusatzprotokollen seinen Niederschlag gefunden, insbesondere Art. 6 Abs. 2 des zweiten Zusatzprotokolls, welches sich auf interne bewaffnete Konflikte bezieht, und Art. 75 Abs. 4 des ersten Zusatzprotokolls, welches internationale bewaffnete Konflikte betrifft.
Vgl. ILA, Bericht der 61. Konferenz, Minimum Standards of Human Rights in a State of Exception, S. 56, 85.
T. Meron, On the Inadequate Reach of Humanitarian and Human Rights Law and the Need for a New Instrument, in: AJIL 77 (1983), S. 589 sieht den Anwendungsbereich in Ansehung der Entstehungsgeschichte eher eng. Für einen weiteren Anwendungsbereich hingegen S. Stavros, The Right to a Fair Trial in Emergency Situations, in: ICLQ 41 (1992), S. 343, 350, der davon ausgeht, daß die Herstellung des Zusammenhangs regelmäßig keine große Schwierigkeit darstellen wird.
Der Text der übrigen Absätze des Art. 16 lautet vollständig: “1. The institution of an independent and impartial judiciary is essential for ensuring the rule of law, particularly in time of emergency. 2. Judicial guarantees essential for the protection of the rights aforesaid must be secured by every state in its constitution or by law. 3. All ordinary remedies as well as special ones, such as habeas corpus or amparo, shall remain operative during the period of emergency with a view to affording protection to the individual with respect to his rights and freedoms which are not or could not be affected during the emergency, as well as other rights and freedoms which may have been attenuated by emergency measures.” Zitiert aus R.B. Lillich, siehe Fußnote 311, S. 1072, 1081.
5. Kapitel
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Die ILA-Prinzipien sprechen sich also für die Beschränkung der Zuständigkeit von Militärgerichten aus.
2. Siracusa Principles Die ebenfalls von Völkerrechtsexperten erstellten Siracusa Principles sind als Konkretisierung der Auslegung von Art. 4 des Paktes konzipiert. Mit dem Recht auf ein faires Verfahren befassen sich insbesondere drei Prinzipien. In Prinzipien 60 und 70 geht es um den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, in Prinzip 67 um die anderen völkerrechtlichen Verpflichtungen. Unter Ziffer 60 heißt es in bezug auf die nicht derogierbaren Rechte: “The ordinary courts shall maintain their jurisdiction, even in a time of public emergency, to adjudicate any complaint that a non-derogable right has been violated.” Diese Regelung wird komplementiert durch Prinzip 70: “Although protections against arbitrary arrest and detention (Art. 9) and the right to a fair and public hearing in the determination of a criminal charge (Art. 14) may be subject to legitimate limitations if strictly required by the exigencies of an emergency situation, the denial of certain rights fundamental to human dignity can never be strictly necessary in any conceivable emergency. Respect for these fundamental rights is essential in order to ensure enjoyment of nonderogable rights and to provide an effective remedy against their violation. In particular: (e) any person charged with an offence shall be entitled to a fair trial by a competent, independent and impartial court established by law; (f) civilians shall normally be tried by the ordinary courts; where it is found strictly necessary to establish military tribunals or special courts to try civilians, their competence, independence and impartiality shall be ensured and the need for them reviewed periodically by the competent authority”.
Siehe die Siracusa Principles on the Limitation and Derogation Provisions in the International Covenant on Civil and Political Rights, in: ICJ, The Review 36 (1986), S. 47-55. Der Text der Prinzipien von Syrakus ist ebenfalls in einem Dokument der Menschenrechtskommission abgedruckt (U.N. Dok. E/CN.4/ 1985/4, Annex).
ICJ, The Review 36 (1986), S. 47, 53.
Ausnahmezustände
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Art. 60 und 70 heben die Notstandsfestigkeit solcher Rechtsbehelfe hervor, die der Sicherung nicht derogierbarer Rechte dienen. Insofern orientieren sie sich an der Regelung des Art. 27 AMRK. Allerdings ist die Erreichung dieses Ziels im Rahmen von Art. 4 wegen der Formulierung des Katalogs notstandsfester Rechte nur über den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz möglich. Die Forderungen der Syrakus-Prinzipien sind insofern schwächer als die der ILA, weil die Zuständigkeit von Militärgerichten (in bestimmten Bereichen) nicht per se ausgeschlossen wird. Schwierigkeiten bereitet die Regelung in Ziffer 70 durch den wiederholten Rückgriff auf den Schutz nicht derogierbarer Rechte. Denn Strafverfahren sind keine Rechtsbehelfe oder Verfahren, die der Sicherung notstandsfester Rechte dienen – jedenfalls nicht unmittelbar. Deswegen wäre es konsequenter gewesen, hätten die Prinzipien deutlich gemacht, daß auch unabhängig von den in Ziffer 60 genannten Mechanismen bestimmte Verfahrensrechte, die Inbegriff der Menschenwürde und Voraussetzung der Rechtsstaatlichkeit sind, in Ausnahmezuständen Geltung verlangen und daß ihre Derogation deshalb per se unverhältnismäßig ist. Prinzip 67 betrifft die Vereinbarkeit mit anderen völkerrechtlichen Verpflichtungen. Es greift eine Argumentation auf, die in den Bericht von Questiaux Eingang gefunden hatte, nämlich den Rückgriff auf die Genfer Konventionen. Prinzip 67 lautet: “In a situation of non-international armed conflict a state party to the 1949 Geneva Conventions for the protection of war victims may under no circumstances suspend the right to a trial by a court offering the essential guarantees of independence and impartiality (Article 3 common to the 1949 Conventions). Under the 1977 additional Protocol II, the following rights with respect to penal prosecution shall be respected under all circumstances by states Parties to the Protocol: ...” Die Siracusa Principles verweisen darauf, daß das humanitäre Völkerrecht bestimmte Maßstäbe für interne und internationale Konflikte bereitstellt. Sie machen jedoch weder den Schritt, die im gemeinsamen Art. 3 getroffenen Regelungen als Völkergewohnheitsrecht für allgemeinverbindlich zu erklären, noch wagen sie einen Erst-recht-Schluß für solche Konflikte, die in ihrer Intensität hinter den Anwendungsvor
Es folgt die Aufzählung der im 2. Zusatzprotokoll niedergelegten Verfahrensrechte.
5. Kapitel
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aussetzungen der Genfer Konventionen und ihren Zusatzprotokollen zurückbleiben.
3. Draft Declaration on the Independence of Justice In der Draft Declaration on the Independence of Justice von 1985, die im Rahmen der Unterkommission zur Verhinderung von Diskriminierungen und zum Schutz von Minderheiten erarbeitet wurde, wird das Problem des Ausnahmezustands in Ziffer 5 behandelt. Buchstabe c) beschreibt allgemein die Bedingungen, unter denen Derogationen zulässig sind. Buchstabe d) (i) betrifft Verfahrensgarantien. Er lautet: “In such times of emergency: (i) Civilians charged with criminal offences of any kind shall be tried by ordinary civilian courts by way of habeas corpus or similar procedures so as to ensure that the detention is lawful as well as to inquire into allegations of ill-treatment.” Hier zeigt sich, daß die Notstandsfestigkeit des ordentlichen Gerichts sich, anders als der Satzbeginn vermuten läßt, nicht auf Strafverfahren als solche bezieht. Die Prinzipien fordern die Aufrechterhaltung der Zuständigkeit von ordentlichen Gerichten ausdrücklich nur für Habeas Corpus oder ähnliche der Sicherung nicht derogierbarer Rechte dienende Rechtsbehelfe.
4. Turku Declaration of Minimum Humanitarian Standards Die wiederum von Völkerrechtsexperten erarbeitete Erklärung Turku stellt einleitend fest, daß internationale Menschenrechte humanitäres Völkerrecht Menschen während interner Konflikte Ausnahmezuständen nicht ausreichend schützen. Die Erklärung
von und und ver-
Dort heißt es: ”(c) Some derogations may be permitted in times of grave public emergency which threatens the life of the nation but only under conditions prescribed by law, only to the extent strictly consistent with internationally recognized minimum standards and subject to the review by the courts.”
MRUnterKomm., U.N. Dok. E/CN.4/Sub.2/1985/18/Add.5, Annex II.
Wegen des Textes der Deklaration, siehe das Arbeitspapier der Unterkommission zur Verhütung von Diskriminierung und zum Schutz von Minderheiten, U.N. Dok. E/CN.4/1995/116. Die Turku Declaration wurde anläßlich eines Expertentreffens in Abo/Turku, Finnland im Jahr 1990 verabschiedet.
Fünfter Erwägungsgrund.
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folge das Ziel, anwendbare Prinzipien zu bestätigen und weiter zu entwickeln. Zu den in der Folge abgedruckten Rechten, die nicht derogierbar sein sollen, gehört Art. 9. Er lautet: “No sentence shall be passed and no penalty shall be executed on a person found guilty of an offence without previous judgment pronounced by a regularly constituted court affording all the judicial guarantees which are recognized as indispensable by the community of nations.” Es folgt eine beispielhafte Aufzählung elementarer Rechte, darunter die Unschuldsvermutung und besondere Rechte des Angeklagten. Unabhängigkeit und Unparteilichkeit fehlen interessanterweise in der Aufzählung. Es ist aber nicht davon auszugehen, daß sie absichtlich weggelassen wurden. Vielmehr belegen die weiteren Erklärungen die Feststellung, daß Unabhängigkeit und Unparteilichkeit allgemein unter die unverzichtbaren Garantien subsumiert werden.
Neunter und zehnter Erwägungsgrund. Die Aufzählung lautet wie folgt: “In particular:
a)
the procedure shall provide for an accused to be informed without delay of the particulars of the offence alleged against him or her, shall provide for a trial within reasonable time, and shall afford the accused before and during his or her trial all necessary rights and means of defence;
b)
no one shall be convicted of an offence except on the basis of individual penal responsibility;
c)
anyone charged with an offence is presumed innocent until proved guilty according to law;
d)
anyone charged with an offence shall have the right to be tried in his or her presence;
e)
no one shall be compelled to testify against himself or herself or to confess guilt;
f)
no one shall be liable to be tried or punished again for an offence for which he or she has already been finally convicted or acquitted in accordance with the law and penal procedure;
g)
no one shall be held guilty of any criminal offence on account of any act or omission which did not constitute a criminal offence, under applicable law, at the time when it was committed.”
5. Kapitel
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5. OSZE Interessant ist schließlich auch die sogenannte Moskauer Erklärung der OSZE aus dem Jahr 1991. Sie befaßt sich ausführlich mit Fragen des Ausnahmezustands. Jedoch geht sie hinsichtlich des Rechts auf ein faires Verfahren nicht über die etablierten Standards hinaus. So verweist Prinzip 28.6 auf die vertraglich für nicht derogierbar erklärten Garantien und in Prinzip 28.8 heißt es: “The participating States will endeavour to ensure that all legal guarantees necessary to uphold the rule of law will remain in force during a state of emergency. They will endeavour to provide in their law for control over the regulations related to the state of public emergency, as well as the implementation of such regulations.” Die Klausel ist zwar interpretationsfähig. Sie ist aber erkennbar nicht darauf angelegt, besondere Strafverfahrensgarantien zu gewähren. Vielmehr sollen solche Rechtsbehelfe bereitgestellt werden, die die Überprüfung der Rechtmäßigkeit sowohl der Verhängung des Ausnahmezustands als auch der in diesem getroffenen Maßnahmen ermöglichen.
6. Fazit Die Erklärungen lassen zwei Tendenzen erkennen. Sie stimmen im wesentlichen darin überein, daß sie die Aufrechterhaltung der gerichtlichen Zuständigkeitsordnung im Ausnahmezustand fordern. Die ordentlichen Gerichte sollen gestärkt werden. Des weiteren – und damit einhergehend – verweisen die Erklärungen auf einen unantastbaren Kernbestand des Rechts auf ein faires Verfahren. Zu diesen Mindestgarantien sollen Unabhängigkeit und Unparteilichkeit gehören. Das Merkmal „zuständig“ wird zum Teil mit genannt. Es ist aber nach der geltenden Spruchpraxis nicht davon auszugehen, daß ihm dabei eine eigene, über die ersten beiden Tatbestandsmerkmale hinausgehende, Bedeutung beigemessen wird.
Vgl. OSZE, Dritte Konferenz zur menschlichen Dimension der OSZE, Moskau, I.L.M. 1991, S. 1670, 1684.
OSZE, Dritte Konferenz zur menschlichen Dimension der OSZE, Moskau, I.L.M. 1991, S. 1670, 1684.
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II. Berichterstatter und Sonderberichterstatter zum Ausnahmezustand Mehrere Berichterstatter der Vereinten Nationen haben sich seit den 80er Jahren kontinuierlich mit Fragen des Ausnahmezustands befaßt. Wie zu zeigen sein wird, hat das Recht auf ein faires Verfahren und haben Militärgerichte in diesem Zusammenhang eine bedeutende Rolle gespielt.
1. Berichterstatterin Questiaux Der Questiaux-Bericht aus dem Jahr 1982 wurde bereits angesprochen. Er analysiert die Vorschriften des IPBPR, der AMRK und der EMRK, andere Dokumente der Vereinten Nationen sowie innerstaatliche Quellen. Die besondere Bedeutung des Berichts besteht in der Analyse der Varianten von Ausnahmezuständen und typischen Exzessen. In Zusammenhang mit den Exzessen kommt die Berichterstatterin immer wieder auf Militärgerichte und das Recht auf ein faires Verfahren zurück. Sie betont die Bedeutung der ordentlichen Gerichte, die in Ausnahmezuständen typischerweise von Militär- oder anderen Sondergerichten zurückgedrängt bzw. abgelöst werden. Die Analyse des Questiaux-Berichts mündet in Empfehlungen. Zum fairen Verfahren führt die Berichterstatterin aus:
MRUnterKomm., Sonderberichterstatterin N. Questiaux, Study of the implications for human rights of recent developments concerning situations known as states of siege or emergency, U.N. Dok. E/CN.4/Sub.2/1982/15.
Siehe zu den Quellen der Untersuchung §§ 12-21. Siehe § 165.
So führt sie beispielsweise aus: “With regard to the ordinary courts, their competence should be systematically promoted. There is, however, no room for undue optimism, because, under perverted emergency regimes, the ordinary guarantees, although they may continue to exist de jure, are often rendered ineffective by the persecution of lawyers, witnesses, family members, and even judges referred to above.”, U.N. Dok. E/CN.4/Sub.2/1982/15, § 194.
So zum Beispiel: “The judicial power is placed under control. Two methods are generally used to secure the co-operation of the judicial power. One consists in appointing “reliable” judges, the other in reducing the powers of ordinary courts in favour of those of emergency courts. In the first case, security of tenure is sometimes detained in principle but can be acquired only after a period of probation.”, U.N. Dok. E/CN.4/Sub.2/1982/15, § 153, auch § 155.
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“While it may be accepted, although not approved, that in exceptional circumstances, a detainee’s right to education and culture may not be fully respected, it is not logical that the right to a fair trial should not cover a minimum of inalienable rules, particularly since we have noted that the absence of such rules almost always encourages systematic violations of human rights.” Diese Empfehlung äußert sich zwar nicht zum „Wie“ der Umsetzung. Sie unterstreicht jedoch den Zusammenhang zwischen mangelhaftem Rechtsschutz und schweren Menschenrechtsverletzungen. Damit liefert sie indirekt eine Antwort auf die Frage, ob bestimmte Derogationen vom Recht auf ein faires Verfahren verhältnismäßig sind.
2. Sonderberichterstatter über Ausnahmezustände Der Sonderberichterstatter über Ausnahmezustände wurde 1985 als Folge einer Empfehlung des Questiaux-Berichts eingesetzt, um Ausnahmezustände einer ständigen Überwachung zu unterziehen. Zu den Quellen seiner Untersuchung zählt der Sonderberichterstatter unter anderem die Spruchpraxis der Kontrollorgane von Menschenrechtsverträgen sowie die Rechtsprechung des IGH. Mit dem Recht auf ein faires Verfahren hat sich der Berichterstatter immer wieder befaßt. In seinem vierten Bericht stellt er Richtlinien für die Entwicklung von gesetzlichen Regelungen für Ausnahmezustände (Guidelines for the development of legislation on states of emergency) auf. In Richtlinie 7, die mit dem Titel „Rechte und Freiheiten, die von Maßnahmen im Ausnahmezustand nicht angetastet werden dürfen“ überschrieben ist, heißt es unter Buchstabe (d):
U.N. Dok. E/CN.4/Sub.2/1982/15, Abschnitt 45 B.
Siehe MRUnterKomm., N. Questiaux, Study of the implications for human rights of recent developments concerning situations known as states of siege or emergency, U.N. Dok. E/CN.4/Sub.2/1982/15, § 20.
Einzelheiten dargestellt im 10. Bericht, U.N. Dok. E/CN.4/Sub.2/1997/ 19, § 12.
Vgl. 10. Bericht, U.N. Dok. E/CN.4/Sub.2/1997/19, § 18.
Vgl. MRUnterKomm., Sonderberichterstatter L. Despouy, 4. Bericht, U.N. Dok. E/CN.4/Sub.2/1991/28/Rev. 1, Annex I, S. 31 ff.
Die Originalüberschrift lautet: Rights and liberties which may not be affected by emergency measures.
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“the right of persons accused of an offence ... to a fair trial before a competent, independent and impartial court, ...” Die Begründung der Richtlinie ist allgemein gehalten. Der Berichterstatter führt aus, über die Garantien, die wegen ihres Verhältnisses zu anderen notstandsfesten Rechten nicht derogierbar seien, hinaus seien auch solche Rechte als nicht derogierbar anzusehen, deren Beschränkung niemals dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entsprechen könne. Die Spruchpraxis vertraglicher Kontrollorgane habe dazu beigetragen, Rechte zu identifizieren, die – obwohl nicht in den Katalogen notstandsfester Rechte aufgeführt – in Ausnahmezuständen maßgeblich gefährdet seien. In Anlehnung an die Kataloge des humanitären Völkerrechts, insbesondere Art. 75 des zweiten Zusatzprotokolls, hält der Sonderberichterstatter alle, abgesehen von den folgenden Teilgarantien, für notstandsfest. Derogierbar sind demnach nur das Recht auf ein zügiges Verfahren, das Recht auf ein öffentliches Verfahren, das Recht Zeugen zu befragen (cross-examine), und das Recht, in gleicher Weise wie die Anklage Zeugen zu laden. Dafür, fast sämtliche Teilgarantien des Rechts auf ein faires Verfahren notstandsfest zu machen, führt der Sonderberichterstatter zwei Gründe an: “... the lack of any proven need for derogation from these guarantees, on the one hand, and the consequences which trial without full respect for them entails for the defendant, on the other.” Für die Kompetenz von Militärgerichten relevant ist darüber hinaus Richtlinie 9 (a) (iv). Danach soll die Kompetenz der ordentlichen Gerichte in Ausnahmezuständen uneingeschränkt fortbestehen. Die Beibehaltung der Kompetenzordnung und des normalen Funktionierens der Justiz sei erforderlich, um zu gewährleisten, daß die Exekutive nicht
MRUnterKomm., 4. Bericht, U.N. Dok. E/CN.4/Sub.2/1991/28/Rev. 1, Annex I, S. 31, 39. Hervorhebung von der Verfasserin.
Siehe MRUnterKomm., 4. Bericht, U.N. Dok. E/CN.4/Sub.2/1991/28/ Rev. 1, Annex I, S. 31, 40.
Siehe MRUnterKomm., 4. Bericht, U.N. Dok. E/CN.4/Sub.2/1991/28/ Rev. 1, Annex I, S. 31, 40.
Siehe MRUnterKomm., 4. Bericht, U.N. Dok. E/CN.4/Sub.2/1991/28/ Rev. 1, Annex I, S. 31, 41.
Siehe MRUnterKomm., 4. Bericht, U.N. Dok. E/CN.4/Sub.2/1991/28/ Rev. 1, Annex I, S. 31, 43.
MRKomm., Sonderberichterstatter L. Despouy, 4. Bericht, U.N. Dok. E/ CN.4/Sub.2/1991/28/Rev. 1, Annex I, S. 31, 43.
5. Kapitel
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“a law unto itself” werde, indem sie Ausnahmeregelungen ohne jegliche Kontrolle nach Belieben auslegt und anwendet. Insgesamt hält der Berichterstatter fest: “it also reflects the accumulated experience of competent international bodies that transferring criminal competence from ordinary courts, which are independent and impartial, to special or military courts, has consequences which are difficult to control and tend to go far beyond those which are formally recognized. When competence over security related offences committed by civilians is transferred to special courts, for example, theoretically the only rights affected may be certain procedural guarantees, but in practice the lack of guarantees, together with the dependence and partiality of the tribunal, too often cumulates in denial of the elemental right to a fair trial, and even tolerance of violations of non-derogable rights, such as the use of torture. Similarly, when emergency measures are used to deprive independent and impartial courts of competence over officials charged with violations of human rights, experience demonstrates that removal of this vital safeguard in effect creates a climate of impunity which encourages widespread and indiscriminate violations of human rights.” Diese Analyse, die der Auffassung Questiaux’s entspricht, findet in späteren Berichten wiederholt Erwähnung, ebenso die Betonung der Bedeutung der ordentlichen Gerichte. Zwischenzeitlich sieht Despouy Anhaltspunkte dafür, daß der Menschenrechtsausschuß Art. 14 den Charakter eines nicht derogierbaren Rechts einräume. Er bezieht sich dabei zum einen auf die vertraulichen “summary records” des Menschenrechtsausschusses in der Entscheidung Zelaya gegen Nicaragua, die weiter unten näher behandelt wird, zum anderen verweist er auf
Vgl. MRUnterKomm., 4. Bericht, U.N. Dok. E/CN.4/Sub.2/1991/28/ Rev. 1, Annex I, S. 31, 48.
MRUnterKomm., 4. Bericht, U.N. Dok. E/CN.4/Sub.2/1991/28/Rev. 1, Annex I, S. 31, 87.
Siehe MRUnterKomm., 10. Bericht, U.N. Dok. E/CN.4/Sub.2/1997/19,
§ 151.
MRUnterKomm., 10. Bericht, U.N. Dok. E/CN.4/Sub.2/1997/19, § 112.
MRA, Zelaya gegen Nicaragua, Beschwerde Nr. 328/1988, U.N. Dok. CCPR/C/51/D/328/1988.
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einen nicht näher definierten Staatenbericht, in dem der Ausschuß Abweichungen von Art. 14 in toto für unzulässig erklärt habe.
3. Sonderberichterstatter über Justiz und Anwaltschaft Der Sonderberichterstatter Cumaraswamy hat sich vor allem in Berichten zu Peru zu Fragen des Rechts auf ein faires Verfahren im Ausnahmezustand geäußert. Allgemein führt er aus, verschiedene internationale Instrumente legten fest, daß das Recht auf ein Verfahren vor einem zuständigen, unabhängigen und unparteiischen Gericht auch für den Fall des Ausnahmezustands Geltung behalte. Speziell zu Art. 14 IPBPR heißt es in diesem Zusammenhang: “Although the International Covenant on Civil and Political Rights explicitly states that the guarantees contained in Art. 14 do not constitute a non-derogable right, implicitly there is a violation of Art. 14 if the accused is not afforded a due process of law which includes the right to a fair hearing by a competent, independent and impartial tribunal.” Und im gleichen Bericht wirft er der peruanischen Regierung vor: “it suspended fundamental rights that are non-derogable even during a state of emergency, principally the right to due process and the right to have an independent and impartial tribunal to hear one’s case.” Wie die anderen Berichterstatter, geht auch der Berichterstatter Cumaraswamy davon aus, daß die ordentlichen Gerichte den Anforderungen
In seinem Jahresbericht 1997 schreibt der Sonderberichterstatter über Ausnahmezustände: “Likewise the Committee when considering the report of a State Party, pointed out that measures adopted by a Government to combat terrorism should not affect the exercise of the fundamental rights set out in the Covenant, and in particular articles 6, 7 and 9. Regarding article 14, the Committee said that no derogation whatsoever from any of its provisions was possible.”, U.N. Dok. E/CN.4/Sub.2/1997/19, § 111.
Siehe U.N. Dok. E/CN.4/1998/39/Add.1, II. B. 3. U.N. Dok. E/CN.4/1998/39/Add.1, II. B. 3. U.N. Dok. E/CN.4/1998/39/Add.1, II. B. 2.
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5. Kapitel
der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit am besten entsprechen. Ansonsten ergeben sich aus seinen Äußerungen keine neuen Impulse.
4. Bewertung Die dargestellten Berichte und Erklärungen belegen einmal mehr, daß die Einsetzung besonderer Gerichte in Zeiten des Ausnahmezustands – insbesondere Militärgerichte – ein verbreitetes Phänomen ist. Anders ist die Aufmerksamkeit, die diesem Problem gewidmet wird, nicht zu erklären. Darüber hinaus zeigt das Material, daß Erweiterungen der Strafgewalt von Militärgerichten, vor allem deren Jurisdiktion über Zivilpersonen, auch im Ausnahmezustand völkerrechtlich problematisch sind. Das Verbot der Ersetzung oder der Beschneidung der Kompetenz ordentlicher Gerichte wird – sofern überhaupt Bezug genommen wird – mit den Merkmalen der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit in Verbindung gebracht. Demnach müßten diese Teilgarantien gewohnheitsrechtlich notstandsfest sein. Diese Auffassung wird in der Literatur zum Beispiel von Meron vertreten. Die dogmatische Herleitung des Verbots wird nicht immer klar. Zum Teil wird einfach jede Derogationsmöglichkeit verneint, zum Teil wird die Verhältnismäßigkeit verneint und schließlich wird zum Teil a maiore ad minus auf das Kriegsrecht verwiesen.
In seinem Bericht von 1993 führt der Berichterstatter unter den Empfehlungen an die Staatengemeinschaft aus: “(b) Governments should make serious efforts to bring their laws into line with the principles of international human rights instruments, more particularly in the following respects: ... (iii) The existence of special or emergency courts to try dissidents or opponents. The very existence of such courts points to distrust of the regular judges, who afford the best guarantee – albeit not always adequate – of impartiality and independence ...”, U.N. Dok.E/CN.4/1993/24, § 43.
Dafür: T. Meron, Human rights and humanitarian norms as customary law, Oxford 1989, S. 95-97. C. Ledure, siehe Fußnote 575, S. 632, 679.
Ausnahmezustände
217
C. Die Verträge im einzelnen Im folgenden Abschnitt werden nunmehr die Auswirkungen des Ausnahmezustands auf das Recht auf ein faires Verfahren bzw. konkret auf die Zulässigkeit von Strafverfahren vor Militärgerichten untersucht.
I. Art. 4 IPBPR Der Umstand, daß Art. 14 grundsätzlich der Derogation unterliegt, ist vielfach als unglücklich und dem Geist des Art. 4 Abs. 1 widersprechend bezeichnet worden. Der französische Entwurf, der als Grundlage des Art. 4 diente, enthielt zunächst über die später im Pakt verankerten nicht derogierbaren Rechte auch Art. 9 und Art. 14. Letztlich mögen vor allem zwei Gründe gegen die Aufnahme des Art. 14 in den Katalog gesprochen haben: erstens, daß er stets als Einheit behandelt wurde, und zweitens, daß die Delegierten beim Ausnahmezustand vor allem den Fall des Krieges vor Augen hatten. Letztere Vorstellung führte zu der Argumentation, man müsse die Vorschriften der Genfer Konventionen, die in solchen Fällen anwendbar seien, nicht wiederholen. Darüber hinaus hielt man es gerade in kriegerischen Situationen für geboten, einem Staat die Möglichkeit zu lassen, von den üblichen Strafverfahrensregeln abzuweichen. Wie in den vorherigen Kapiteln geht die folgende Darstellung auf die Spruchpraxis in Staatenberichtsverfahren und Individualbeschwerdeverfahren ein. Darüber hinaus werden die Allgemeine Bemerkung zu Art. 4 und das Projekt eines Zusatzprotokolls thematisiert.
Siehe D. O’Donnell, Commentary by the Rapporteur on Derogation, in: HRQ 7 (1985), S. 23, 32.
Darüber hinaus auch noch die Art. 12 und 13. Art. 9 und 14 wurden vor der Abstimmung über den Vorschlag von der französischen Delegation aus der Vorlage entfernt.
Vgl. J. Oraá, siehe Fußnote 599, S. 89 und 91.
So zum Beispiel das Argument von Roosevelt, U.N. Dok. E/CN.4/SR. 196, 6, zitiert nach J. Oraá, siehe Fußnote 599, S. 115.
Vgl. S.R. Chowdhury, siehe Fußnote 599, S. 205.
5. Kapitel
218
1. Staatenberichtsverfahren Im Staatenberichtsverfahren hat Art. 4 kein rechtes Profil gewonnen. Das liegt nicht etwa an mangelndem Interesse oder mangelnder Aufmerksamkeit des Menschenrechtsausschusses. Der Ausschuß nutzt das Staatenberichtsverfahren, um sich über die innerstaatliche Rechtslage zu informieren. In dem an Venezuela gerichteten Fragenkatalog heißt es zum Beispiel: “Has the basic law referred to in the Third Transitional Provision, No. 2, on states of emergency been promulgated? If so, please explain what legal norms govern states of emergency in Venezuela in order to verify their compatibility with Art. 4 of the Covenant. If not, please explain how states of emergency are currently regulated.” Antworten auf diese Fragen ermöglichen es dem Menschenrechtsausschuß festzustellen, ob ein Staat beispielsweise gegen nicht derogierbare Rechte verstößt. Nicht gelöst sind damit solche Fälle, in denen sich ein Vertragsstaat im Ausnahmezustand befindet und nur die relative Schranke, die der Verhältnismäßigkeit, eingreift. Die Hauptschwierigkeit besteht dann darin, zuverlässige und detaillierte Informationen über die faktische Lage vor Ort zu erhalten, um die Situation angemessen bewerten zu können. Darüber hinaus wird auch das anwendbare Recht einer größeren Wandelbarkeit unterliegen. In den Schlußbemerkungen zu Algerien wird deutlich, daß die Arbeit des Menschenrechtsausschusses durch Informationsdefizite behindert wird. Der Menschenrechtsausschuß äußerte Zweifel an der Einhaltung des fairen Verfahrens (due process), insbesondere in Ansehung von Verfahren vor Militärgerichten. In den Empfehlungen beschränkt sich der Menschenrechtsausschuß dann auf den Hinweis, bestimmte Rechte (Recht auf Leben, Folterverbot, Gewissens- und Meinungsfreiheit) seien nicht derogierbar. Die Frage des fairen Verfahrens wird hier nicht noch einmal in Betracht gezogen. In den Schlußbemerkungen zum Bericht Ägyptens äußert sich der Menschenrechtsausschuß zu den Strafverfahren vor Militärgerichten, die gemäß dem Notstandsgesetz (Emergency Act) stattfanden. Nach Äußerungen der Besorgnis zur Befugnis des Staatspräsidenten, Strafverfahren an die Staatssicherheitsgerichte zu verweisen, führt der Menschenrechtsausschuß aus: “... military courts should not
MRA, List of issues: Venezuela, CCPR/C/71/L/VEN, § 6.
Vgl. MRA, Schlußbemerkungen zum Bericht Algeriens, U.N. Dok. CCPR/C/79/Add.1, § 5.
Vgl. MRA, Schlußbemerkungen zum Bericht Algeriens, U.N. Dok. CCPR/C/79/Add.1, § 7.
Ausnahmezustände
219
have the faculty to try cases which do not refer to offences committed by members of the armed forces in the course of their duties.” Leider steht diese Äußerung etwas im Raum, denn der Menschenrechtsausschuß bezieht seine Feststellung nicht konkret auf Art. 4.
2. Individualbeschwerdeverfahren Das Herangehen des Ausschusses an Ausnahmezustände hat im Individualbeschwerdeverfahren vorsichtig begonnen. In den bereits behandelten Uruguay- und Kolumbienfällen wird eine der Schwierigkeiten deutlich, mit denen sich der Ausschuß besonders in Ausnahmezuständen konfrontiert sieht: Er muß sich Klarheit über die Situation vor Ort verschaffen, ohne die Möglichkeit zu haben, sich im Wege eines Besuchs ein eigenes Bild zu machen. Die Aufklärung wurde vielfach dadurch erschwert, daß sich die betroffenen Vertragsstaaten pauschal auf das Vorliegen besonderer Umstände beriefen. Konsequent entschied der Ausschuß in Landinelli Silva et al. und Salgar de Montejo, pauschale Behauptungen reichten nicht, um den im Pakt übernommenen Verpflichtungen zu entgehen. Inhaltlich gewann Art. 4 ansonsten kein Profil. 1992 erging die Entscheidung in González del Río gegen Peru. Sie betraf keinen Fall des Ausnahmezustands. Trotzdem wird sie zuweilen herangezogen, um zu begründen, daß das Recht auf ein unabhängiges und unparteiliches Gericht nicht derogierbar ist. Denn der Ausschuß führt aus: “The Committee recalls that the right to be tried by an independent and impartial tribunal is an absolute right that may suffer no
MRA, Schlußbemerkungen zum Bericht Ägyptens, U.N. Dok. CCPR/ C/79/Add.23, § 9.
Vgl. MRA, Jorge Landinelli Silva gegen Uruguay, Bericht Nr. 34/1978, Selected Decisions, U.N. Dok. CCPR/C/OP/1, S. 65 ff.
Vgl. MRA, Consuelo Salgar de Montejo gegen Kolumbien, Bericht Nr. 64/1979, Selected Decisions, U.N. Dok. CCPR/C/OP/1, S. 127 ff.
Siehe MRA, Jorge Landinelli Silva gegen Uruguay, Beschwerde Nr. 34/1978, Selected Decisions, U.N. Dok. CCPR/C/OP/1, S. 65, 66 § 8.3. Die Erklärung der uruguayischen Regierung ist in § 6 abgedruckt. Desgleichen äußert sich der Menschenrechtsausschuß auch in Consuelo Salgar de Montejo gegen Kolumbien, Bericht Nr. 64/1979, Selected Decisions, U.N. Dok. CCPR/C/ OP/1, S. 127, 129 § 10.3. Siehe zur Frage der Darlegungslast auch J. Oraá, siehe Fußnote 599, S. 120 f.
5. Kapitel
220
exception.” Diese Äußerung zeigt einmal mehr, welche Bedeutung der Menschenrechtsausschuß Unabhängigkeit und Unparteilichkeit beimißt. Jedoch ist zweifelhaft, ob der Ausschuß auch den Ausnahmezustand von seiner Aussage mit umfaßt wissen wollte, denn in erster Linie ging es dem Ausschuß darum festzustellen, daß der Umstand, daß ein Prozeß von politischer Bedeutung ist, keine Abweichungen von Verfahrensgarantien erlaubt. Als besonders bedeutsam wird weiterhin die Entscheidung Zelaya gegen Nicaragua aus dem Jahr 1994 eingeschätzt. Roberto Zelaya Blanco war 1979 von einem Volksgericht (Tribunal Especial Primero) wegen offener Kritik an der marxistischen Orientierung der Sandinisten zu einer langjährigen Gefängnisstrafe verurteilt worden. Während dieser Zeit befand sich Nicaragua im Ausnahmezustand. Die Regierung hatte sich jedoch in ihrem Vorbringen nicht auf den Ausnahmezustand berufen bzw. die Notwendigkeit spezifischer Maßnahmen geltend gemacht. Der Menschenrechtsausschuß stellte in der Entscheidung eine Verletzung des Art. 14 fest: “As to the author’s allegations that he was denied a fair trial, the Committee finds that the proceedings before the Tribunales Especiales de Justicia did not offer the guarantees of a fair trial provided for in article 14 of the Covenant. In particular, the Committee observes that the author’s allegation that he was repeatedly put under duress to sign a confession against himself, in contravention of article 14, paragraph 3 (g), has not been contested by the State party.” De Zayas geht davon aus, der Menschenrechtsausschuß habe die Derogation nicht berücksichtigt, weil sich die nicaraguanische Regierung
MRA, Miguel González del Rio gegen Peru, Beschwerde Nr. 263/1987, U.N. Dok. CCPR/C/46/D/263/1987, § 5.1.
Vgl. MRA, Zelaya gegen Nicaragua, Beschwerde Nr. 328/1988, CCPR/ C/51/D/328/1988, § 2.1.
Siehe die Erklärung Nicaraguas gemäß Art. 4 (3) IPBPR, abgedruckt in: M. Nowak, CCPR-Commentary, Anhang, S. 789. Aus der Erklärung geht nicht hervor, welche Rechte während des Ausnahmezustands außer Kraft gesetzt wurden. Demgegenüber derogiert die nicaraguanische Regierung mit Erklärung vom 14. April 1982 ausdrücklich von Art. 14, siehe ebenda.
MRA, Zelaya gegen Nicaragua, Beschwerde Nr. 328/1988, CCPR/C/51/ D/328/1988, § 10.4.
Ausnahmezustände
221
nicht ausdrücklich darauf berufen habe. Der Ausschuß sei zurückhaltend, Staaten die Möglichkeit einzuräumen, Kernrechte (“core rights”) auszuschließen. Der Autor fügt hinzu, aus den vertraulichen “summary records” gehe die Auffassung des Ausschusses hervor, Derogationen von Verfahrensrechten, die zur Durchsetzung nicht derogierbarer Rechte erforderlich sind, nicht zuzulassen. Auf eben diese vertraulichen Dokumente hatte sich – wie erwähnt – auch der Sonderberichterstatter Despouy in mehreren seiner Berichte bezogen. Der Inhalt der “summary records” läßt sich nicht nachprüfen. Für die dargestellte Auffassung des Ausschusses spricht aber die Allgemeine Bemerkung Nr. 20 zu Art. 7 (Verbot der Folter oder grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe) von 1992. Darin führt der Menschenrechtsausschuß aus, um von Verletzungen des Art. 7 abzuschrecken, sei es wichtig, daß Geständnisse oder Zeugenaussagen (statements), die durch Folter oder anderes verbotenes Verhalten erwirkt wurden, in gerichtlichen Verfahren keine Verwendung finden. Damit erkennt der Ausschuß die Bedeutung einer verfahrensrechtlichen Absicherung notstandsfester Rechte an. Die grundsätzlich erhöhte Darlegungslast staatlicherseits, wenn zentrale Aspekte des fairen Verfahrens von Beschränkungen im Ausnahmezustand betroffen sind, ist für den Einsatz von Militärgerichten nur begrenzt relevant, weil der Menschenrechtsausschuß diese auch in Friedenszeiten nicht für per se unzulässig hält. Da Strafverfahren aber
Siehe A. de Zayas, Derogations and the Human Rights Committee, in: Non-Derogable Rights and States of Emergency, S. 225, 229.
Siehe A. de Zayas, Derogations and the Human Rights Committee, in: Non-Derogable Rights and States of Emergency, S. 225, 229.
Die ursprüngliche Aussage stammt von L. Despouy, U.N. Dok. E/CN.4/ Sub.2/1997/19, § 112.
Vgl. MRA, Allgemeine Bemerkung 20, Artikel 7, § 12, U.N. Dok. HRI/ GEN/1/Rev.1, S. 30 ff.
In den Allgemeinen Bemerkungen zu Artikel 6 (MRA, Allgemeine Bemerkung 6, U.N. Dok. HRI/GEN/1/Rev.1, S. 6 und Allgemeine Bemerkung 14, ebenda, S. 18) finden sich keine entsprechenden Ausführungen. Diese datieren allerdings von 1982 bzw. 1984 und darüber hinaus sind die für die Verhängung der Todesstrafe zu beachtenden Mindestanforderungen unmittelbar in Art. 6 Abs. 2 niedergelegt. Zu Art. 8, 11, 15 und 16 gibt es soweit ersichtlich keine Allgemeinen Bemerkungen. In der zu Artikel 18 (MRA, Allgemeine Bemerkung 22, ebenda, S. 35) finden sich keine entsprechenden Ausführungen.
So auch A. Zimmermann, siehe Fußnote 572, S. 747, 760.
5. Kapitel
222
nicht unmittelbar dem Schutz nicht derogierbarer Rechte dienen, dürften sich insofern keine nennenswerten Neuerungen für Strafverfahren vor Militärgerichten ergeben.
3. Allgemeine Bemerkungen Die Allgemeine Bemerkung zu Art. 4 stammt aus dem Jahr 1981. Sie erschöpft sich in einer Wiederholung der wesentlichen Anforderungen des Art. 4. Demgegenüber stellt der Ausschuß – wie bereits mehrfach erwähnt – in seiner Allgemeinen Bemerkung zu Art. 14 zwei Jahre später fest, daß Strafverfahren gegen Zivilpersonen vor Militärgerichten ausnahmsweise zulässig sind. Die Formulierung läßt zwar nicht mit letzter Sicherheit darauf schließen, daß „ausnahmsweise“ sich auf Fälle des Art. 4 bezieht. Angesichts der dem Menschenrechtsausschuß zu dieser Zeit vorliegenden Berichte und Individualbeschwerden liegt dieser Schluß jedoch nahe.
4. Das Projekt eines Zusatzprotokolls zum Pakt Um Art. 9 (Recht auf Freiheit und Sicherheit) und 14 IPBPR den Status nicht derogierbarer Rechte zu verleihen, legte die Unterkommission zur Verhinderung von Diskriminierungen und zur Förderung von Minderheiten den Vertragsstaaten des Paktes ein drittes Zusatzprotokoll vor, das jedoch nicht angenommen wurde. Die Kommentare zu diesem Protokoll lassen Bedenken in mehrerlei Hinsicht erkennen: Zum Teil wird bemängelt, daß Vorbehalte ausgeschlossen sind; dies werde eine breite Akzeptanz des Protokolls verhindern. Andere sind der Auffassung, daß nicht sämtliche Teilgarantien des Art. 14 so elementar sind, daß Art.
MRA, Allgemeine Bemerkung 5 zu Artikel 4, U.N. Dok. HRI/GEN/1/ Rev.1, S. 5.
Siehe in Kap. 2, B.III.
Siehe D. O’Donnell, Protección internacional de derechos humanos, Lima 1988, S. 161.
Siehe MRUnterKomm., U.N. Dok. E/CN.4/Sub.2/1993/24, Annex II.
Vgl. MRUnterKomm., Bericht des Generalsekretärs, U.N. Dok. E/CN.4/ Sub.2/1994/26, Kommentar Kroatiens, I. A. § 2, Kommentar Ägyptens, I. C. § 2, Kommentar Spaniens, I.I. § 4. Spanien stellt ausdrücklich fest, daß es in Ansehung der spanischen Verfassung in ihrer derzeit geltenden Fassung nicht in der Lage sei, das Zusatzprotokoll (vorbehaltslos) zu ratifizieren, siehe §§ 13, 14.
Ausnahmezustände
223
14 in seiner Gesamtheit notstandsfest sein sollte. Dieser Auffassung ist auch der Menschenrechtsausschuß. Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz verweist schließlich auf ein entscheidendes Defizit des Protokolls. Es führte aus: “However, we would like to point out that there may be a certain danger in doing this by way of an optional protocol because this may give the impression that the non-derogability of fundamental judicial guarantees is optional. States which do not ratify may well then derogate from these standards arguing that the protocol does not bind them. It may be useful, therefore, to study whether there may be some other way to make it clear that certain essential guarantees are already non-derogable in order to respect in fact the nonderogable character of the right to life and prohibition of torture and inhuman treatment.” Die Diskussionen zum Zusatzprotokoll zeigen, daß der Weg, jedenfalls bestimmte Teilgarantien des Art. 14 notstandsfest zu machen, sinnvollerweise nur über eine Auslegung der relativen Schranken führen kann.
5. Bewertung Der Kommentar des Menschenrechtsausschusses belegt, daß dieser Teilrechte des Art. 14 für nicht derogierbar hält. Angesichts der Bedeutung, die der Ausschuß Unabhängigkeit und Unparteilichkeit beimißt, ist davon auszugehen, daß sie zu diesen Kernrechten gehören. In der Tat ist nicht vorstellbar, wie der Verzicht auf Unabhängigkeit und Unparteilichkeit einen wirksamen Beitrag zur Überwindung des Ausnahmezustands liefern kann. Dogmatisch führt der Weg über den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Dieser Weg ist insofern problematisch, als er eine effektive internationa
Vgl. MRUnterKomm., Bericht des Generalsekretärs, U.N. Dok. E/CN.4/ Sub.2/1994/26, Kommentar Dänemarks, I. B. § 4, Kommentar der Niederlande, I.G. § 3.
Der Ausschuß führt aus: “The Committee is also of the view that it would simply not be feasible to expect that all provisions of article 14 can remain fully in force in any kind of emergency. Thus, the inclusion of article 14 as such to the list of non-derogable provisions would not be appropriate.”, MRUnterKomm., Bericht des Generalsekretärs, U.N. Dok. E/CN.4/Sub.2/ 1994/26, Kommentar des Menschenrechtsausschusses, II. A. § 3.
U.N. Dok. E/CN.4/Sub.2/1994/26, Kap. II, Abschn. B, § 2.
5. Kapitel
224
le Kontrolle voraussetzt. Diese Schwäche wird sich zwar nicht ausräumen lassen. Bedenkenswert ist aber als erster Schritt der Vorschlag von Oraá, die Darlegungslast für die Staaten und die Transparenz für die Kontrollorgane durch Richtlinien zu erhöhen.
II. Art. 15 EMRK Die Rechtsprechung der Europäischen Kommission und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zur Gewährleistung des Rechts auf ein faires Verfahren im Ausnahmezustand ist spärlich. In keinem dieser Fälle haben die Straßburger Organe Art. 6 in toto oder bestimmte Teilgarantien für nicht derogierbar erklärt. Als Anknüpfungspunkte dienen wiederum der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und die anderen völkerrechtlichen Verpflichtungen. Verfahren, in denen Art. 15 relevant wurde, betrafen regelmäßig Art. 5, das Recht auf persönliche Freiheit. Die Rechtsprechung zu Art. 5 ist jedoch insofern interessant, als sie sich auf Art. 5 Abs. 3 bezieht, also auf das Recht, unverzüglich einem Richter oder einem anderen, gesetzlich zur Ausübung richterlicher Funktionen ermächtigten Beamten vorgeführt zu werden. Sie gibt Aufschluß über die Bedeutung der gerichtlichen Kontrolle der Exekutive.
1. Verhältnismäßigkeitsgrundsatz Zu den wenigen Entscheidungen, die sich mit den Gewährleistungen des Art. 6 im Ausnahmezustand befassen, gehören die „griechischen Fälle“. Die Kommission kam zu der Überzeugung, daß die Beibehal-
Vgl. J. Oraá, siehe Fußnote 599, S. 107.
In der Beschwerde Irland gegen Vereinigtes Königreich standen die Vereinbarkeit bestimmter gegen vermutete Terroristen angewendeter „Verhörtechniken“ mit Art. 3 (Recht auf menschenwürdige Behandlung) sowie die Derogation von Art. 5 im Vordergrund. In bezug auf Art. 5 Abs. 3 führte der Gerichtshof aus, ein Verstoß gegen das Gebot der Verhältnismäßigkeit sei nicht feststellbar. Ohne abschließend über die Anwendbarkeit desselben zu entscheiden befand der Gerichtshof, der gerichtliche Rechtsschutz habe jedenfalls insoweit außer Kraft gesetzt werden dürfen als die Derogation gemäß Art. 5 Abs. 3 i. V. m. Art. 15 reiche, vgl. EGMR, Irland gegen Vereinigtes Königreich, Ser. A 25, § 235.
Ausnahmezustände
225
tung der militärischen Sondergerichte (extraordinary court-martials) der griechischen Militärdiktatur der Lage nach nicht unbedingt erforderlich war. Sie stellte daher eine Verletzung des Art. 6 fest. Zimmermann zufolge impliziert diese Aussage, daß die Kommission bei Vorliegen einer schwerwiegenderen Situation durchaus bereit gewesen wäre, diese Gerichte als mit Art. 15 vereinbar zuzulassen. Viel spricht dafür. Denn wie zuvor gesehen, fällt der resolute Umgang mit Militärgerichten den Straßburger Organen bis auf den heutigen Tag schwer. In der Beschwerde Lawless gegen Irland spielten Militärgerichte am Rande eine Rolle. Die Beschwerde betraf die Verhängung der Schutzhaft (internment) gegen mutmaßliche IRA-Aktivisten während eines von der Republik Irland ausgerufenen Ausnahmezustands. Zur Rechtfertigung der Schutzhaft verwies die irische Regierung darauf, daß die Alternative, Verfahren gegen Verdächtige vor Sonderstrafgerichten und Militärgerichten, einen schwerer wiegenden Eingriff dargestellt hätte. Mehrere Mitglieder der Kommission gingen auf dieses Vorbringen ein und unterstrichen den gravierenden Eingriff, den die Einsetzung von Sondergerichten bedeute. Der Gerichtshof argumentierte, die Einsetzung solcher Gerichte sei nicht in gleicher Weise geeignet wie die Schutzhaft. Damit war leider die Verhältnismäßigkeitsprüfung beendet. Zuverlässige Aussagen darüber, inwiefern militärgerichtliche Strafverfahren im Ausnahmezustand zulässig sind, lassen sich diesen Entscheidungen nicht entnehmen. Folgt man dem in Kapitel 3 dargelegten Ansatz der Verfasserin, kommt eine Übertragung von Zuständigkeiten an Militärgerichte auch in Ausnahmezuständen nicht in Betracht. Die Verfolgung von Zivilpersonen vor Militärgerichten ist und bleibt willkürlich, stützt sie sich doch nur auf das – unzutreffende – Effizienzargument. Sie widerspricht damit einem zentralen Gebot der Rechtsstaatlichkeit, von dem auch im Ausnahmezustand keine Abweichung erlaubt ist. Im folgenden soll nun der Versuch unternommen werden, über diese grundsätzliche Erwägung hinaus aus den allgemeinen für die Verhältnismäßigkeit von Derogationen aufgestellten Kriterien und der Rechtsprechung zu Art. 5 Abs. 3 Schlußfolgerungen auf die Zulässigkeit von Militärgerichten im Ausnahmezustand zu ziehen.
Vgl. EKMR, Jahrbuch 12 (1969), S. 149, § 328. Siehe A. Zimmermann, siehe Fußnote 572, S. 747, 757. Vgl. EGMR, Lawless gegen Irland, Ser. A Nr. 3, S. 58 § 36.
5. Kapitel
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In Brannigan und McBride gegen Vereinigtes Königreich waren die Beschwerdeführer in Nordirland zwischen sechs Tagen 14 Stunden und 30 Minuten bzw. vier Tagen sechs Stunden und 25 Minuten inhaftiert, ohne einem Richter vorgeführt zu werden, und die ersten 48 Stunden davon ohne Kontakt zur Außenwelt. Nachdem der Gerichtshof in Brogan festgestellt hatte, eine Inhaftierung von vier Tagen und sechs Stunden ohne Vorführung an einen Richter verstoße gegen Art. 5 Abs. 3, derogierte das Vereinigte Königreich von Art. 5. Insofern galt es hier, die Administrativhaft unter Berücksichtigung des Art. 15 zu beurteilen. Da der Gerichtshof davon ausgeht, daß die richterliche Kontrolle von Freiheitsbeschränkungen zu den fundamentalen Garantien des Rechtsstaats gehört, ist die Herangehensweise für Art. 6 interessant. Der Gerichtshof gewährt den Vertragsstaaten in ständiger Rechtsprechung eine weite Einschätzungsprärogative bei der Beurteilung der Frage, ob ein Ausnahmezustand vorliegt und welche Maßnahmen zu dessen Überwindung erforderlich sind. Seine Kontrolle orientiert sich an drei Kriterien: der Natur der von der Derogation betroffenen Rechte, den Umständen, die zum Ausnahmezustand geführt haben, und der Dauer des Ausnahmezustands. Während die beiden letzteren wesentlich von den Umständen des Einzelfalls abhängen, läßt erstgenannter Faktor eine allgemeine Feststellung zu. Geht man davon aus, daß die Natur eines Rechts geprägt ist von dessen Bedeutung im Rahmen der Konvention, sind bei Derogationen von Art. 6 – genauso wie bei Art. 5 – hohe Maßstäbe anzulegen. Der Gerichtshof hat stets betont, daß das Recht auf ein faires Verfahren in einer demokratischen Gesellschaft von überragender Bedeutung ist. In der Entscheidung Brannigan und McBride hielt der Gerichtshof die Beschränkung des Art. 5 für mit Art. 15 vereinbar, trotz des hohen Schutzguts, trotz Belegen, daß habeas corpus als Schutzmechanismus faktisch nicht existierte und obwohl sich der Nordirlandkonflikt und die Ausnahmegesetzgebung seit Jahr
Vgl. EGMR, Brogan gegen Vereinigtes Königreich, Ser. A 145-B, S. 27, 56
§ 62.
Dazu Van Dijk/Van Hoof, siehe Fußnote 116, S. 731 ff.
Siehe EGMR, Brannigan und McBride gegen Vereinigtes Königreich, Ser. A Nr. 252-B, § 43. So auch in Aksoy gegen Türkei, RJD Nr. 26 (1996-VI), S. 2260, § 68.
Siehe dazu Frowein/Peukert, EMRK-Kommentar, Art. 6, Rz. 3 m. N.
Vgl. Third Party Intervention of Liberty, Interrights and the Committee on the Administration of Justice, S. 9 f. (Kopie im Archiv der Verfasserin).
Ausnahmezustände
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zehnten hinziehen. Der Gerichtshof erwägt das Für und Wider. Aber vor allem ist die Entscheidung geprägt von einem demokratischen Grundvertrauen in das Vorgehen der britischen Regierung in einer für sie schwierigen Situation. Was Militärgerichte anlangt, wäre für eben dieses Grundvertrauen kein Platz mehr. Das Fehlen von Unabhängigkeit und Unparteilichkeit eines Gerichts – wie sie der Gerichtshof allgemein festgestellt hat – läßt sich nicht durch Schutzmechanismen abfangen. Soweit der rechtliche Gesichtspunkt. Darüber hinaus ist zudem zu bedenken, daß die verlängerte Administrativhaft zu den gängigen Reaktionen auf Terror und Gewalt gehört. Sie dient der Verfolgung eines einzelnen Verbrechens ebenso wie der Nachrichtengewinnung allgemein. Der Einsatz von Militärgerichten ist als Reaktion auf Terror und Gewalt demgegenüber im heutigen Europa eher unüblich. Das dürfte nicht ohne Auswirkungen auf die Haltung des Gerichtshofs bleiben. Vielmehr lautet die Prognose: Je weiter sich ein Staat von den üblichen Formen der „Konfliktbewältigung“ entfernt, desto kritischer wird die Haltung des Gerichtshofs sein. Dafür sprechen auch die gegen die türkischen Staatssicherheitsgerichte gefällten Entscheidungen. Zwar spielte in diesen Fällen Art. 15 keine Rolle, weil die türkische Regierung ihre Derogation zu Art. 6 zurückgezogen hatte. Der Gerichtshof hätte aber zumindest auf das Vorbringen der Türkei eingehen können, die Staatssicherheitsgerichte seien wegen der angespannten politischen Situation erforderlich gewesen.
2. Andere völkerrechtliche Verpflichtungen Die Frage des Widerspruchs zu den anderen völkerrechtlichen Verpflichtungen hat in der Spruchpraxis der Straßburger Organe bisher ebenfalls nur eine untergeordnete Rolle gespielt. Der Gerichtshof zeigt sich zurückhaltend. Insbesondere gibt es keine Rechtsprechung zu den aus dem humanitären Völkerrecht gewonnenen Mindestgarantien
Die türkische Regierung hatte auf der Grundlage der Dekrete Nr. 424 und 425 vom 10. Mai 1990 durch Schreiben an den Generalsekretär vom 6. August 1990 von verschiedensten Garantien, unter ihnen auch Art. 5 und 6, derogiert. Mit Schreiben vom 5. Mai 1992 informierte der Ständige Gesandte der Türkei den Generalsekretär des Europarates, von den Derogationen werde nur die Art. 5 betreffende aufrechterhalten, siehe EGMR, Aksoy gegen Türkei, RJD Nr. 26 (1996-VI), S. 2260, 2270 f., §§ 31, 33.
Siehe Pettiti/Tavernier, La Convention européenne des droits de l’homme, Art. 15, S. 500.
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für ein faires Verfahren. Mit dem Verhältnis der Konvention zum humanitären Völkerrecht haben sich die Straßburger Organe ausschließlich in der Staatenbeschwerde Zyperns gegen die Türkei beschäftigt. In diesem Fall unterließ es die Kommission, eine mögliche Verletzung des Art. 5 EMRK weiter zu untersuchen, nachdem sie festgestellt hatte, daß das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (ICRC) die Kriegsgefangenen regelmäßig vor Ort besucht habe. Rensmann geht im Anschluß an diese Entscheidung davon aus, daß die Kommission das III. Genfer Abkommen als lex specialis ansah und sie dem ICRC die ausschließliche Überwachung der in der Genfer Konvention niedergelegten Garantien zubilligt. Daraus sollte jedoch nicht geschlossen werden, daß der Gerichtshof die Konvention, und damit seine Jurisdiktion, bei Anwendbarkeit des humanitären Völkerrechts unangewendet läßt. Zu erwarten ist vielmehr, daß er die Vorgaben der Genfer Konventionen als Auslegungshilfe verwendet.
EKMR, Zypern gegen Türkei, Beschwerde Nrn. 6780/74 und 6950/75, Bericht v. 10.07.1976, C.o.E. Dok. 45.82306.2, S. 108 f. Rensmann verweist auch auf den gerade anhängigen Fall Zypern gegen Türkei, in dem sich die Kommission in ihrem Bericht der Prüfung der von Zypern angeführten Normen des humanitären Völkerrechts enthalten habe, Zypern gegen Türkei, Beschwerde Nr. 25781/94, Bericht der Kommission v. 08.07.1999, §§ 161, 286. Verfügbar unter: .
Vgl. T. Rensmann, Menschenrechtsschutz im Inter-Amerikanischen System: Modell für Europa?, in: Verfassung und Recht in Übersee, 33 (2000), S. 137, 152 mit weiteren Nachweisen in Fußnote 86.
Aus der Entscheidung Akdivar gegen die Türkei wird man keine Rückschlüsse ziehen können. Dort war der Gerichtshof nicht auf das humanitäre Völkerrecht eingegangen, obwohl er die Situation als “severe civil strife” charakterisierte. Im Zusammenhang mit der Rechtswegerschöpfung führt der Gerichtshof aus: “... that the situation existing in South-East Turkey at the time of the applicants’ complaints was – and continues to be – characterised by significant civil strife due to the campaign of terrorist violence waged by the PKK and the counter-insurgency measures taken by the Government in response to it. In such a situation it must be recognized that there may be obstacles to the proper functioning of the system of the administration of justice. In particular, the difficulties in securing probative evidence for the purposes of domestic legal proceedings, inherent in such a troubled situation, may make the pursuit of judicial remedies futile and the administrative inquiries on which such remedies depend may be prevented from taking place.”, EGMR, Akdivar u. a. gegen Türkei, RJD Nr. 15 (1996-IV), S. 1192, 1211f., § 70. In Zusammenhang mit der Rechtswegerschöpfungsregel hätte die staatliche Pflicht, Gerichte zur Verfügung zu stellen, nur beiläufig Bedeutung gehabt. Hier geht es nicht um die Fest-
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Von Art. 4 IPBPR als anderer Verpflichtung sind wegen der zurückhaltenden Praxis des Menschenrechtsausschusses keine neuen Impulse für die Zulässigkeit von Strafverfahren vor Militärgerichten zu erwarten. Es ist offensichtlich, daß der Gerichtshof sich nur sehr vorsichtig mit Art. 15 Abs. 1 a. E. auseinandersetzen wird.
3. Bewertung Eine Prognose dahingehend, ob der Gerichtshof eine Derogation von Art. 6 zulassen und Militärgerichte als Maßnahme zur Bewältigung eines Ausnahmezustands anerkennen würde, ist nicht mit Sicherheit zu treffen. Zu erwarten ist, daß der Gerichtshof den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz eher bemühen wird als die „anderen völkerrechtlichen Verpflichtungen“. Die Bedeutung, die er Unabhängigkeit und Unparteilichkeit beimißt, spricht dafür, daß der Einsatz von Militärgerichten in Verfahren gegen Zivilpersonen auch im Ausnahmezustand unzulässig ist.
III. Art. 27 AMRK Wie zuvor mehrfach erwähnt, unterscheidet sich Art. 27 AMRK von den Art. 4 IPBPR und Art. 15 EMRK darin, daß Art. 27 Abs. 2 Satz 2 die zum Schutz der nicht derogierbaren Rechte wesentlichen Rechtsschutzgarantien ausdrücklich für nicht derogierbar erklärt. Die Formulierung „zum Schutz dieser Rechte wesentlichen Rechtsschutzgarantien“ geht auf einen Vorschlag der Vereinigten Staaten zurück. Wäh-
stellung einer Konventionsverletzung durch den Staat, sondern es kommt darauf an, ob der Beschwerdeführer aus rechtlichen oder faktischen Gründen gehindert war, bestehende Rechtsmittel auszuschöpfen.
Art. 4 wurde von den Beschwerdeführern im Fall Brannigan und McBride geltend gemacht. Dabei ging es um die Verpflichtung von Vertragsstaaten des IPBPR, Ausnahmezustände offiziell zu proklamieren, was nach der EMRK nicht erforderlich ist. Der Gerichtshof prüft hier nur die Plausibilität des Arguments und weist es zurück, nachdem er festgestellt hat, daß es nicht seine Aufgabe ist, eine autoritative Auslegung des Art. 4 IPBPR zu geben, vgl. Brannigan und McBride gegen Vereinigtes Königreich, Ser. A Nr. 258-B, S. 27, 56 § 68.
So auch van Dijk/van Hoof, siehe Fußnote 116, S. 741. Vgl. J. Oraá, siehe Fußnote 599, S. 91-94.
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5. Kapitel
rend der Ausarbeitungsphase variierte die Liste nicht derogierbarer Rechte zwischen dem sehr restriktiven Konzept der EMRK und einem Maximum von 17 Rechten, die eine Empfehlung des auf interamerikanischer Ebene eingesetzten Sonderberichterstatters für Ausnahmezustände favorisierte. Berichte bestätigen, daß sich die Verfasser der Amerikanischen Menschenrechtskonvention weitaus intensiver mit Fragen des Ausnahmezustands befaßten, als dies in den Vorarbeiten zum Pakt und der EMRK der Fall war.
1. Inhaltliche Bestimmung der zum Schutz nicht derogierbarer Rechte wesentlichen Rechtsschutzgarantien – Gutachtenverfahren Anders als in vielen anderen Bereichen, in denen die Kommission Entscheidungen vorbereitet oder gar vorweggenommen hat, war für die Auslegung der zum Schutz von notstandsfesten Rechten wesentlichen Rechtsschutzgarantien insbesondere ein Gutachten des Gerichtshofs von Bedeutung.
a. Rechtsschutzgarantien: Inhalt und Relevanz für Strafverfahren Die uruguayische Regierung hatte dem Gerichtshof zwei Fragen zur Auslegung vorgelegt: Erstens, welche Rechtsschutzgarantien sind als „wesentlich“ im Sinne des Art. 27 Abs. 2 Satz 2 anzusehen? Zweitens, welche Beziehung besteht zwischen den „wesentlichen Rechtsschutzgarantien“ des Art. 27 Abs. 2 Satz 2 und Art. 8 (faires Verfahren) und 25 (Amparo)? Nach Art. 7 Abs. 6 (Habeas Corpus), der als wesentliche Garantie ebenfalls in Betracht gekommen wäre, fragte die uruguayische Regierung nicht, weil sich der Gerichtshof mit diesem Rechtsbehelf be-
Es handelt sich um die Studie von Daniel Hugo Martins, La Protección de los Derechos Humanos frente a la Suspensión de las Garantías Constitucionales o ‘Estado de Sitio’, Dok. OEA/Ser.L/V/II.15, doc.12 (1966).
Das wird auch dadurch bestätigt, daß eine Studie zum Thema Ausnahmezustand in Auftrag gegeben wurde (siehe vorhergehende Fußnote).
Siehe dazu auch L. Valiña, Inalienable rights within the framework of the Inter-American system of human rights, in: D. Prémont (Hrsg.), Non-Derogable Rights and States of Emergency, Brussels, S. 269 ff.
Ausnahmezustände
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reits im Gutachten 8/87 ausführlich befaßt hatte. Bezugnehmend auf letztgenanntes Gutachten beschreibt der Gerichtshof allgemein, was unter den „wesentlichen Garantien“ zu verstehen ist. Es handele sich um solche Rechtsbehelfe, die üblicherweise (ordinarily) die umfassende Ausübung nicht derogierbarer Rechte gewährleisten und deren Verweigerung oder Beschränkung den umfassenden Genuß dieser Rechte gefährde. Der Charakter als justizielle (judicial) Garantie impliziere die Notwendigkeit der aktiven Teilnahme eines unabhängigen und unparteiischen Spruchkörpers (judicial body), der befugt ist, über die Rechtmäßigkeit von Maßnahmen zu entscheiden, die während des Ausnahmezustands getroffen worden sind. Die prozessuale Absicherung materieller Rechtsgarantien sei ein Grundprinzip der Konvention. Gemäß Art. 1 Abs. 1 seien die Vertragsstaaten verpflichtet, die Konventionsrechte und -freiheiten zu wahren und den ihrer Hoheit unterstehenden Personen die umfassende Ausübung dieser Rechte und Freiheiten zu sichern. Komplementär dazu gewähre Art. 25 Abs. 1 das Recht auf einen Rechtsbehelf gegen behauptete Verletzungen u. a. von Konventionsrechten. Art. 8, also das Recht auf ein faires Verfahren, stelle selbst keine „wesentliche Rechtsschutzgarantie“ dar. Denn Art. 8 sei kein Rechtsbehelf. Er sei Ausdruck des “due process of law” und beschreibe diejenigen Verfahrensvoraussetzungen (prerequisites), die zu beachten sind, damit
AGMR, Habeas corpus in emergency situations (Arts. 27 (2), 25 (1) and 7 (6) American Convention on Human Rights), Gutachten Nr. OC-8/87, in: HRLJ 9 (1988), S. 94 ff.
Vgl. AGMR, Judicial Guarantees in States of Emergency (Arts. 27(2), 25 and 8, American Convention of Human Rights). Gutachten Nr. OC-9/87, Ser. A Nr. 9, in: HRLJ 9 (1988), S. 204, 207 § 20. Die Originalfundstelle lautet: AGMR, Habeas corpus in emergency situations (Arts. 27 (2), 25 (1) and 7 (6) American Convention on Human Rights), Gutachten Nr. OC-8/87, § 29, in: HRLJ 9 (1988), S. 94, 100.
Vgl. AGMR, Judicial Guarantees in States of Emergency (Arts. 27(2), 25 and 8, American Convention of Human Rights). Gutachten Nr. OC-9/87, Ser. A Nr. 9, in: HRLJ 9 (1988), S. 204, 207 § 20. Die Originalfundstelle lautet: AGMR, Habeas corpus in emergency situations (Arts. 27 (2), 25 (1) and 7 (6) American Convention on Human Rights), Gutachten Nr. OC-8/87, § 30, in: HRLJ 9 (1988), S. 94, 100.
Vgl. AGMR, Judicial Guarantees in States of Emergency (Arts. 27(2), 25 and 8, American Convention of Human Rights). Gutachten Nr. OC-9/87, Ser. A Nr. 9, in: HRLJ 9 (1988), S. 204, 208 § 22-24.
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von einer wirksamen und angemessenen Rechtsschutzgarantie die Rede sein kann. Diese sollten im großen und ganzen auch während des Ausnahmezustands anwendbar sein. Als wesentliche Rechtsschutzgarantien nennt der Gerichtshof drei Kategorien von Rechtsbehelfen, mit dem Hinweis, diese Aufzählung sei nicht abschließend: Habeas corpus als Rechtsbehelf gegen Beschränkungen der persönlichen Freiheit des Inhaftierten, gegen Beeinträchtigungen des Rechts auf Leben und des Rechts auf menschenwürdige Behandlung, Amparo als Rechtsbehelf zum Schutz der anderen Konventions- und der verfassungsrechtlichen sowie der einfachgesetzlichen Rechte der Vertragsstaaten, und schließlich solche namenlosen Rechtsbehelfe, die aus Art. 29 c, aus dem Grundsatz der repräsentativen Demokratie, ableitbar sind und die, um der Erhaltung der Rechtsstaatlichkeit willen, die Rechtmäßigkeit von im Ausnahmezustand getroffenen Maßnahmen sichern. Was bedeutet dieses Gutachten für die Frage der Derogierbarkeit des Art. 8 und konkret für die Zulässigkeit von Strafverfahren vor Militärgerichten? Es bedeutet, wie ausdrücklich vom Gerichtshof festgestellt, daß Art. 8 nicht zu den derogationsfesten Rechtsschutzgarantien gehört. Art. 27 Abs. 2 Satz 2 verlangt, daß ein wirksamer Rechtsbehelf gegeben sein muß – d. h. ein solcher, der wesentliche Verfahrensgarantien
Vgl. AGMR, Judicial Guarantees in States of Emergency (Arts. 27(2), 25 and 8, American Convention of Human Rights). Gutachten Nr. OC-9/87, Ser. Nr. 9, in: HRLJ 9 (1988), S. 204, 208 §§ 27, 28.
Vgl. AGMR, Judicial Guarantees in States of Emergency (Arts. 27(2), 25 and 8, American Convention of Human Rights). Gutachten Nr. OC-9/87, Ser. A Nr. 9, in: HRLJ 9 (1988), S. 204, 208 § 29.
Vgl. AGMR, Judicial Guarantees in States of Emergency (Arts. 27(2), 25 and 8, American Convention of Human Rights). Gutachten Nr. OC-9/87, Ser. A Nr. 9, in: HRLJ 9 (1988), S. 204, 211 § 40.
Dies gilt, obwohl das Recht auf persönliche Freiheit, welches der klassische Anwendungsbereich der Habeas corpus-Garantie ist, nicht im Katalog verankert ist. Bemerkenswert ist, daß der Gerichtshof Habeas corpus über das Recht auf Haftprüfung hinaus auf den Schutz vor Folter und Schutz des Rechts auf Leben – klassischerweise Fälle des Verschwindenlassens – erweitert hat. So auch C.M. Cerna, The Structure and Functioning of the Inter-American Court of Human Rights (1979-1992), in: BYIL 63 (1992), S. 188, 189.
Vgl. AGMR, Judicial Guarantees in States of Emergency (Arts. 27(2), 25 and 8, American Convention of Human Rights). Gutachten Nr. OC-9/87, Ser. A Nr. 9, in: HRLJ 9 (1988), S. 204, 211 § 31-35.
Ausnahmezustände
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des Art. 8 beachtet –, der darüber entscheidet, ob Art. 8, soweit er nicht suspendiert ist, verletzt ist. Ergo: Der Umfang der Derogationsfähigkeit des Art. 8 bzw. von dessen Teilgarantien richtet sich nach relativen Schranken des Art. 27 Abs. 1. Die Untersuchung führt also, wie bei den anderen Verträgen, weiter zum Verhältnismäßigkeitsgrundsatz.
b. Verhältnismäßigkeitsprüfung Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung wird dann die Aussage des Gerichtshofs über die Bedeutung der „due process-Garantien“ relevant. Wenn die in Art. 8 aufgeführten Prozeßgarantien Voraussetzung eines wirksamen und angemessenen Rechtsschutzes sind, ist schwer nachvollziehbar, wie sie derogierbar sein sollen. In diese Richtung weist auch die Aussage des Gerichtshofs, die Garantien müßten im großen und ganzen auch während des Ausnahmezustands anwendbar sein. Angesichts der überragenden Bedeutung, die der Gerichtshof Unabhängigkeit und Unparteilichkeit beimißt, gehören diese sicherlich zu dem nicht derogierbaren Kern. Gleiches wird darüber hinaus in der neueren Rechtsprechung auch für die Zuständigkeit gelten. Dafür läßt sich Art. 25 Abs. 1 (Amparo) anführen. Dieser gehört zu den über Art. 27 Abs. 2 geschützten Rechtsgarantien. Danach hat jedermann das Recht, sich wegen der Verletzung von innerstaatlichen oder von Konventionsrechten an ein zuständiges Gericht oder gerichtsähnliches Organ zu wenden. Dies bedeutet aber nichts anderes, als daß das zur Entscheidung berufene Organ unabhängig und unparteiisch sein muß – also gerade kein Militärgericht sein darf.
2. Praxis zur Notstandsfestigkeit des Rechts auf ein faires Verfahren a. Kommission im Berichtsverfahren Die Interamerikanische Menschenrechtskommission hat, anders als der Menschenrechtsausschuß, schon früh Sonderberichte eingefordert, die sich mit Ausnahmezuständen beschäftigen. Zunächst ging die Kommission ausschließlich auf das staatliche Verhalten ein, ließ also das Verhalten Aufständischer unbeachtet. Später änderte sie ihre Haltung, blieb jedoch dabei, daß
Der erste Länderbericht stammt aus dem Jahr 1962 und betrifft Kuba.
5. Kapitel
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“under no circumstances should a sensitivity toward the activities of armed irregular groups leading to violations of human rights be used as justification for the violations of human rights by governments themselves.” Von Beginn an spielte das Recht auf ein faires Verfahren eine Rolle. Die Frage der Möglichkeit einer Derogation von Art. 8 aber war zunächst irrelevant. In Berichten von 1968 und 1978 betont die Kommission die Aufrechterhaltung des “due process of law”, ohne jedoch auf Einzelheiten einzugehen. Bereits erwähnt wurde der Bericht zur Menschenrechtslage in Argentinien von 1980. Die Militärjunta hatte die Jurisdiktion der Militärgerichtsbarkeit stark erweitert, so daß sie einerseits Personen erfaßte, die subversiven Verhaltens angeklagt wurden, andererseits wurde sie über die Militärangehörigen hinaus auch auf Polizeiangehörige und Beamte des Strafvollzugsdienstes ausgedehnt. Die Kommission führt aus: „La circunstancia apuntada, y el hecho de que civiles sean sometidos a la jurisdicción militar dentro de la legislación de excepción imperante, importa una seria limitación al derecho de defensa inherente al debido proceso.“ Diese letztlich doch vorsichtige Bewertung setzt die Kommission in ihrem Bericht zur Menschenrechtslage in Kolumbien fort. Dort waren Militärgerichte während des Ausnahmezustands ebenfalls – deliktsspezifisch – für die Verfolgung von Zivilpersonen wegen bestimmter Delikte zuständig. Im Anschluß an die Analyse mehrerer Verfahren,
AKMR, Bericht zur Menschenrechtslage in Peru (1993), Dok. OEA/ Ser.L/V/II.85 Doc.9 rev., § 44.
Die Kommission führt aus: “the suspension of constitutional guarantees in emergency situations is compatible with the system of representative democratic government (...) only if the right to due process of law is protected.”, Inter-American Yearbook of Human Rights 1968, S. 61.
Siehe AMRK, Ten Years of Activities 1971-1981 (1982), S. 337; dort findet sich ein Verweis auf den Bericht zur Menschenrechtssituation in Uruguay, Dok. OEA/Ser.L/V/II. 43 doc 19 corr. 1, S. 45.
Siehe AKMR, Staatenbericht zur Menschenrechtslage in Argentinien (1980), Dok. OEA/Ser.L/V/II.49 Doc.19, Kap. VI, C 1.
AKMR, Staatenbericht zur Menschenrechtslage in Argentinien (1980), Dok. OEA/Ser.L/V/II.49 Doc.19, Kap. VI, C 2.
Siehe AKMR, Staatenbericht zur Menschenrechtslage in Kolumbien (1981), Dok. OEA/Ser.L/V/II.53 Doc.22, Kap. V, C 1.
Ausnahmezustände
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welche die Kommission bei ihrem Besuch in Kolumbien intensiv untersucht hatte, kommt sie zu dem Schluß, daß die Zuständigkeit der Militärgerichtsbarkeit auf Delikte erweitert worden ist, die nach ihrer Auffassung im Kompetenzbereich der ordentlichen Gerichte verbleiben sollten, da diese „ofrece mayores garantías procesales en orden al debido proceso.“ In der Zeit nach den Gutachten nimmt die Interamerikanische Kommission für Menschenrechte auf diese Entscheidungen Bezug, zunächst aber wiederum ohne konkrete Aussagen zur Derogationsfähigkeit des Art. 8. Eine Entwicklung zeigt sich im Bericht zur Menschenrechtslage in Ecuador aus dem Jahr 1998. Die Kommission kritisiert, daß die Militärgerichte im Falle des Ausnahmezustands eine stark erweiterte Zuständigkeit genießen, unter anderem auch über bestimmte von Zivilpersonen begangene Delikte. Sie stellt dazu fest: “In the Commission’s opinion, a rule of this nature, giving military courts full jurisdiction to try civilians for the crimes referred to, is incompatible with and in contravention of Article 27 (2) of the American Convention, which states that there are some rights and freedoms that cannot be suspended under any circumstance, including the ‘judicial guarantees essential for the protection of such rights’.”
AKMR, Staatenbericht zur Menschenrechtslage in Kolumbien (1981), Dok. OEA/Ser.L/V/II.53 Doc.22, Kap. V, G 7.
Siehe zum Beispiel: “It should be pointed out that the Inter-American Court of Human Rights generically identifies the judicial guarantees essential for the protection of non-derogable rights during states of emergency: habeas corpus as covered in Article 7 (6), amparo and any other effective recourse before the courts in accordance with article 25 (1), and all judicial procedures inherent in the democratic form of government and specified in the domestic law of the State Parties to the Convention as set forth in Article 29 (c), all of which are to be exercised within the framework and in accordance with the principles of due process of law as set forth in Article 8.”, AKMR, Jahresbericht 19921993, Dok. OEA/Ser.L/V/II.83 Doc.14 corr.1, Kap. V, Areas in which steps need to be taken towards full observance of the human rights set forth in the American Declaration of the Rights and Duties of Man and the American Convention on Human Rights, S. 207, 209 f.
Vgl. AKMR, Jahresbericht 1998, Dok. OEA/Ser.L/V/II.102 Doc.6 rev., § 46. Die Kommission führt hier weiter aus: “In this regard, the Inter-American Court of Human Rights has ruled that the essential judicial guarantees are among others those listed in Articles 7 (6), 8, 25 of the American Convention; in connection with this, the Commission refers to its jurisprudence maintaining
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Die Aussage der Kommission ist insofern erstaunlich, als der Gerichtshof – wie zuvor gesehen – zwischen Rechtsbehelfen, also “judicial guarantees”, und Verfahrensgarantien trennt. Wegen dieser Unterscheidung hat der Gerichtshof Art. 8 als solchen gerade nicht unter Art. 27 Abs. 2 gefaßt, sondern erklärt, daß die dort niedergelegten Verfahrensgarantien bei der Gestaltung der Rechtsbehelfe zu beachten sind. Die Kommission folgt deswegen nur scheinbar dem argumentativen Weg des Gerichtshofs. Jedoch bleibt festzuhalten, daß sie – unter Rückgriff auf Art. 27 Abs. 2 – die Kompetenz von Militärgerichten über Zivilpersonen sowie über von Militärangehörigen begangene Menschenrechtsverletzungen auch im Ausnahmezustand für konventionswidrig hält. Diese Auffassung bestätigt sie noch einmal im Ecuadorbericht des darauf folgenden Jahres.
that the proper jurisdiction for dealing with acts committed by civilians belongs to the civil courts and not to military tribunals and that the latter are only competent to deal with crimes committed by members of the military while on active duty.”
Die Kommission führt aus: “In this particular case, the terms of the National Security Law are especially incompatible with and in breach of the American Convention, in that they imply a suspension of rights that cannot be suspended in any circumstances, such as the judicial guarantees enshrined in Articles 8 and 25 of the American Convention. This is because giving the military criminal courts immediate jurisdiction over a wide range of situations involving civilians undermines the right to a trial before an independent, impartial court: this is because the armed forces play a dual role – first, they are active agents during the state of emergency and, second, the military courts administer justice with regard to actions affecting civilians that are not an inherent part of military functions. The Commission urges the Ecuadorian State to ensure that crimes involving civilians – and especially those alleging violations of basic rights by soldiers or police officers during the state of emergency – are dealt with by civil courts and not by military courts in accordance with the rules of due legal process set forth in Articles 8 and 25 of the American Convention and, when applicable, to ensure that the perpetrators are punished and the victims receive restitution for the human rights violations suffered.”, AKMR, Jahresbericht 1998, Kap. V, §§ 47-49.
Siehe AKMR, Jahresbericht 1999, Dok. OEA/Ser.L/V/II.106 Doc.6 rev. In Ecuador waren Unruhen infolge von sozialen und ökonomischen Problemen, von denen insbesondere die Ureinwohner (indígenas) betroffen waren, ausgebrochen. Der Präsident rief in diesem Zusammenhang für die Provinz Guayas den Ausnahmezustand aus. Bestandteil der Maßnahmen war unter anderem die Inkraftsetzung des Gesetzes zur nationalen Sicherheit (Ley de Seguridad Nacional). Diesem Gesetz zufolge mußte sich jede Zivilperson, die der
Ausnahmezustände
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Was die „anderen völkerrechtlichen Verpflichtungen“ anlangt, finden sich Ausführungen dazu im Kolumbienbericht von 1999. Die Kommission setzt sich extensiv mit Pflichten der Parteien nach humanitärem Völkerrecht auseinander, die sie als “key customary restraints and prohibitions applicable during all internal armed conflicts” bezeichnet. Bestimmungen zum fairen Verfahren spielen in diesem Zusammenhang keine Rolle.
b. Berichte der Kommission im Individualbeschwerdeverfahren Interessante Entwicklungen zu den „anderen Verpflichtungen“ lassen sich aus Entscheidungen ableiten, in denen sich die Kommission mit dem humanitären Völkerrecht und dessen Beziehung zu dem „Recht der Menschenrechte“ auseinandersetzte. Die Entscheidungen betrafen allesamt nicht das Recht auf ein faires Verfahren. Sie stellten auch keine Auslegung der „anderen völkerrechtlichen Verpflichtungen“ gemäß Art. 27 Abs. 1 AMRK dar. Jedoch läßt die Argumentation Rückschlüsse darauf zu, wie die Kommission das humanitäre Völkerrecht gegebenenfalls anwenden würde. In der Beschwerde Coard et. al. gegen USA entschied die Kommission über die Inhaftierung von (vermeintlichen) Begehung einer Straftat während des Ausnahmezustands angeklagt wurde, vor den Militärgerichten verantworten (§ 45). Noch in der chronologischen Darstellung der Ereignisse – hier bezogen auf den Ausnahmezustand im Juli 1999 – schreibt die Kommission: „La garantía del juez natural fue quebrantada, pues se sometió a la Justicia Militar a la mayoría de los detenidos durante las protestas, sin las garantías del debido proceso. La aplicación de normas de la Ley de Seguridad Nacional, para procesar civiles, con arreglo al Código Militar, viola el derecho a ser juzgado por tribunales independientes e imparciales. Por otro lado, los tribunales militares pasan a ejercer la justicia sobre hechos que no son propios de la jurisdicción militar y que afectan a civiles.“ (§ 50) In der Bewertung formuliert die Kommission: „Como ya ha sostenido la Comisión, el sometimiento de civiles a tribunales militares es incompatible y violatorio del artículo 27 de la Convención, ya que supone una suspensión de „las garantías judiciales indispensables para la protección de [los] derechos“, garantías no suspendibles por mandato de la Convención.“ (§ 70).
Siehe Dritter Bericht zur Menschenrechtslage in Kolumbien, Dok. OEA/ Ser.L/V/II.102 Doc.9 rev.1, Kap. II und IV.
Vgl. Dritter Bericht zur Menschenrechtslage in Kolumbien, Dok. OEA/ Ser.L/V/II.102 Doc.9 rev.1, Kap. IV, §§ 32 ff. und folgende Abschnitte.
Vgl. Dritter Bericht zur Menschenrechtslage in Kolumbien, Dok. OEA/ Ser.L/V/II.102 Doc.9 rev.1, Kap. IV, §§ 81 ff.
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Aufständischen durch die US-amerikanischen Streitkräfte während einer militärischen Aktion in Grenada 1983. Grundlage der Entscheidung war vorrangig die Amerikanische Erklärung der Rechte und Pflichten des Menschen. Die Situation war aber dergestalt, daß – jedenfalls auch – humanitäres Völkerrecht anwendbar war. Die Kommission erklärte, ihre Zuständigkeit für die Auslegung der Erklärung schließe nicht aus, daß sie sich auch auf andere internationale Rechtsquellen beziehe. Zum Verhältnis von Menschenrechten und humanitärem Völkerrecht führt sie aus: “First, while international humanitarian law pertains primarily in times of war and the international law of human rights applies most fully in times of peace, the potential application of one does not necessarily exclude or displace the other. There is an integral linkage between the law of human rights and humanitarian law because they share a “common nucleus of non-derogable rights and a common purpose of protecting human life and dignity,” and there may be a substantial overlap in application of these bodies of law. Certain core guarantees apply in all circumstances, including situations of conflict, and this is reflected, inter alia, in the designation of certain protections pertaining to the person as peremptory norms (ius cogens) and obligations erga omnes, in a vast body of treaty law, in principles of customary law, and in the doctrine and practice of international human rights bodies such as this Commission. Both normative systems may be thus applicable to the situation under study.” Unter Bezugnahme auf das Gutachten OC 10/89 führt die Kommission aus: “An international instrument must be interpreted and applied within the overall framework of the juridical system in force at the time of the interpretation.” Sind also beide Normgefüge anwendbar, bleibt die Frage, wie sie sich zueinander verhalten. Hier lautet die Antwort der Kommission, das humanitäre Völkerrecht modifiziere als lex specia-
Vgl. AKMR, Coard u. a. gegen USA, Bericht Nr. 109/99, § 38, Dok. OEA/Ser.L/V/II.106 Doc.6 rev.
AKMR, Coard u. a. gegen USA, Bericht Nr. 109/99, § 39, Dok. OEA/ Ser.L/V/II.106 Doc.6 rev.
AKMR, Coard u. a. gegen USA, Bericht Nr. 109/99, § 40, Dok. OEA/ Ser.L/V/II.106 Doc.6 rev.
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lis den Gewährleistungsumfang der einschlägigen Menschenrechte. In der jüngsten Spruchpraxis geht die Kommission sogar noch einen Schritt weiter. In den Beschwerden Abella gegen Argentinien und Ribón Avilán gegen Kolumbien wendet sie die Regeln des humanitären Völkerrechts nicht als Auslegungshilfe, sondern direkt an. Für dieses Vorgehen bringt sie vor, die Konvention enthalte keine Vorgaben über die Grenzen zulässiger Gewalt in solch bewaffneten Konflikten. Wende sie das humanitäre Völkerrecht nicht an, müsse sie sich der Würdigung von Menschenrechtsverletzungen gerade dort verschließen, wo sie massiv auftreten. Wie Rensmann richtig darlegt, überstrapaziert die Kommission das Argument des effet utile. Der effektiven Durchsetzung hätte sie auch im Rahmen der Auslegung Rechnung tragen können. Überzeugender ist vielmehr der Weg über die „sonstigen völkerrechtlichen Verpflichtungen“. Hier bleiben die Konventionsrechte Anknüpfungspunkt, während die Normen des humanitären Völkerrechts sozusagen als „Schranken-Schranke“ fungieren.
c. Individualbeschwerden vor dem Gerichtshof In Individualbeschwerden vor dem Gerichtshof hat die Frage der Notstandsfestigkeit des Rechts auf ein faires Verfahren bisher nur untergeordnete Bedeutung gehabt. Die Praxis eröffnet keine weiteren interpretatorischen Ansätze. Interessant ist, daß die peruanische Regierung in der Beschwerde Castillo Petruzzi geltend machte, die Unterwerfung von Zivilpersonen unter die Militärgerichtsbarkeit sei im Lichte des
Vgl. AKMR, Coard u. a. gegen USA, Bericht Nr. 109/99, § 42, Dok. OEA/Ser.L/V/II.106 Doc.6 rev.
AKMR, Juan Carlos Abella gegen Argentinien, Bericht Nr. 55/97, Fall 11.137, Jahresbericht 1997, Kap. III.
AKMR, Arturo Ribón Avilán u. a. gegen Kolumbien, Bericht Nr. 26/97, Fall 11.142, Jahresbericht 1997, Kap. III.
Vgl. AKMR, Juan Carlos Abella gegen Argentinien, Bericht Nr. 55/97, Fall 11.137, 22.12.1997, Jahresbericht 1997, Kap. III. AKMR, Arturo Ribón Avilán u. a. gegen Kolumbien, Bericht Nr. 26/97, Fall 11.142, Jahresbericht 1997, Kap. III, verfügbar unter: .
Vgl. T. Rensmann, siehe Fußnote 701, S. 137, 153. Siehe T. Rensmann, siehe Fußnote 701, S. 137, 154.
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Art. 27 Abs. 1 zu untersuchen. Der Gerichtshof ging auf dieses Argument nur am Rande ein. Schließlich befand sich das Recht auf ein faires Verfahren nicht unter den gemäß der peruanischen Verfassung außer Kraft gesetzten Rechten. Insofern hätte es dieser Aussage strenggenommen nicht bedurft. Der Gerichtshof führt im Zusammenhang mit der Untersuchung der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit unter Bezugnahme auf das Gutachten OC-8/87 aus: „Este Tribunal ha señalado que las garantías a que tiene derecho toda persona sometida a proceso, además de ser indispensables deben ser judiciales, lo cual implica la intervención de un órgano judicial independiente e imparcial, apto para determinar la legalidad de las actuaciones que se cumplan dentro del estado de excepción“. Die Ausführungen hatten keine Auswirkung auf den „juez natural“. Habeas Corpus dient, nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs, dazu, die Rechtmäßigkeit der Haft, den Schutz des Rechts auf Leben und auf menschenwürdige Behandlung zu gewährleisten. Der Rechtsbehelf ist stets auf die Überprüfung des Handelns von Hoheitsorganen gerichtet. Demgegenüber dient das Strafverfahren der Prüfung, ob ein Bürger eine strafbare Handlung begangen hat und nicht vornehmlich dazu, im Ausnahmezustand getroffene Maßnahmen zu überprüfen. Trotzdem ist die Aussage des Gerichtshofs nicht ohne Belang. Sie bestätigt einmal mehr die elementare Bedeutung von Unabhängigkeit und Unparteilichkeit. Ohne sie kann von gerichtlichem Rechtsschutz keine Rede sein.
3. Bewertung Die Spruchpraxis der interamerikanischen Organe ist unter den drei Kontrollorganen der hier begutachteten Verträge die rigideste. Wie schon zuvor beim „juez natural“ fällt auf, daß Gerichtshof und Kommission großen Wert auf den „effet utile“ legen. Bemerkenswert ist auch die unterschiedliche Spruchpraxis von Kommission und Gerichtshof im Hinblick auf das Verhältnis von Art. 27 Abs. 2 und Art. 8.
Vgl. AGMR, Castillo Petruzzi u. a. gegen Peru, Ser. C Nr. 52, Urt. v. 30. Mai 1999, § 126 c), verfügbar unter: .
Vgl. AGMR, Castillo Petruzzi u. a. gegen Peru, Ser. C Nr. 52, Urt. v. 30. Mai 1999, § 86.5, verfügbar unter: .
AGMR, Castillo Petruzzi u. a. gegen Peru, Ser. C Nr. 52, Urt. v. 30. Mai 1999, § 131, verfügbar unter: .
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IV. Gesamtbewertung Obwohl Militärgerichte in Ausnahmezuständen besonders verbreitet sind und dabei über eine problematische, weil erweiterte Jurisdiktion verfügen, haben die Vorschriften der Verträge über den Ausnahmezustand in der Spruchpraxis der Organe vergleichsweise geringe Bedeutung gehabt. Das liegt daran, daß Art. 4 IPBPR, Art. 15 EMRK und Art. 27 AMRK nicht allein an das Bestehen eines Ausnahmezustands anknüpfen, sondern daran, daß Staaten in solchen Situationen von bestimmten Rechten derogieren. Bisher scheinen Staaten, die über Militärgerichte verfügen und die diese für die Terroristenverfolgung einsetzen, es nicht für nötig zu halten, von dem Recht auf ein faires Verfahren zu derogieren. Deshalb fehlt es an umfangreicher Spruchpraxis. Das könnte sich aber ändern, und zwar dann, wenn die zunehmend striktere Spruchpraxis, wie sie beispielsweise bei den interamerikanischen Organen erkennbar ist, die Einstellung der Vertragsstaaten unbeeinflußt läßt, Militärgerichte in Ausnahmezuständen für mehr als disziplinarische Angelegenheiten einzusetzen. Das Verbot einer Derogation vom Recht auf ein faires Verfahren läßt sich in allen drei Verträgen nur über die relativen Schranken, im Regelfall über den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz erzielen. Einen differenzierten Ansatz dazu haben nur die Straßburger Organe entwickelt. Die Einschätzungsprärogative, die diese den Vertragsstaaten gewähren, trägt dem Umstand Rechnung, daß die Situation vor Ort und die zu ihrer Überwindung erforderlichen Maßnahmen von außen nur schwerlich zu beurteilen sind. Sie ist aber auch eine Konzession an diese Staaten, denn in Gefahr sind Staaten ohnehin nur wenig zur Kooperation bereit. Wichtig ist in jedem Fall, situationsunabhängig den konventionsimmanenten Mindeststandard festzulegen und zu verteidigen. Zu diesem Mindeststandard müssen die grundlegenden Anforderungen an ein faires Verfahren gehören, also jedenfalls Unabhängigkeit, Unparteilichkeit und auch die Zuständigkeit. Alles andere würde bedeuten, wesentliche Elemente der Rechtsstaatlichkeit zu opfern. Was Militärgerichte anlangt, folgt daraus, daß deren Einsatz zur strafrechtlichen Verfolgung von Zivilpersonen auch durch Derogation vom Recht auf ein faires Verfahren nicht zu rechtfertigen ist.
Zum Schluß ein Ausblick Verstoßen Strafverfahren vor Militärgerichten gegen das Recht auf ein faires Verfahren, wie es in AMRK, EMRK und Pakt gewährleistet ist? Es kommt darauf an. Nicht vereinbar mit diesem Recht sind Strafverfahren gegen Zivilpersonen und solche gegen Angehörige der Streitkräfte wegen Menschenrechtsverletzungen. Das haben die Kontrollorgane der drei Verträge mehr oder weniger deutlich herausgearbeitet und das ist auch das Ergebnis der vorliegenden Arbeit. Weil die Ergebnisse der Untersuchung im Laufe der Arbeit immer wieder in Zwischen- und Gesamtbewertungen zusammengefaßt worden sind, soll an dieser Stelle auf eine nochmalige Zusammenfassung verzichtet werden. Statt dessen wird ein Ausblick die Untersuchung abrunden. Die Zuständigkeit der Militärgerichtsbarkeit soll auf innermilitärische Angelegenheiten, auf Disziplin und Ordnung beschränkt sein. Aber was sind “strictly military offences” und welche Delikte umfaßt die Gewährleistung von Disziplin und Ordnung? Hier eine Präzisierung vorzunehmen erscheint sinnvoll, um zu befördern, daß Staaten ihr Rechtssystem an den international rechtlichen Vorgaben ausrichten, und um ein Mindestmaß an Rechtssicherheit zu gewährleisten. Dabei geht es nicht um eine Änderung der drei hier betrachteten Verträge, sondern um Richtlinien, die Eingang in außervertragliche Dokumente wie die UN-Studie oder vertragsbezogen beispielsweise in eine Allgemeine Bemerkung des Menschenrechtsausschusses finden könnten. Theoretisch sind mehrere Möglichkeiten denkbar, um den Kompetenzkreis von Militärgerichten näher zu bestimmen. Ein Ansatz könnte darin bestehen, konkret Delikte zu identifizieren, deren Verhandlung vor Militärgerichten zulässig bzw. unzulässig ist. Innerstaatlich hat es Ansätze gegeben, Delikte durch Auslegung von Verfassungs- oder einfachgesetzlichen Bestimmungen von der Zuständigkeit der Militärgerichtsbarkeit auszuschließen. Damit einher geht eine Katalogisierung von Delikten in Gruppen. So wird beispielsweise unterschieden zwischen rein militärischen Delikten, sog. militarisierten Delikten, gemischten Delikten und gemeinen Delikten, zu denen dann auch Menschenrechts-
Zum Begriff siehe Defensoría del Pueblo del Perú, siehe Fußnote 28,
S. 27.
Zur Definition siehe L.C. Arslanian, siehe Fußnote 258, S. 101, 105.
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Ausblick
verletzungen zählen. Der Reiz der Zuordnung von Delikten in bestimmte Gruppen besteht darin, die Gefahr der Militarisierung von allgemeinen Straftaten zu vermeiden, wie sie gerade in Zeiten besonderer Bedrohung verbreitet ist. In Peru beispielsweise wurde im Wege eines Sicherheitsgesetzes bewaffneter Raub zu schwerem Terrorismus (terrorismo agravado) umdefiniert, weil bei Terrorismusdelikten qua Verfassung auch gegen Zivilpersonen vor Militärgerichten verhandelt werden darf. Eine Liste einzelner Delikte aufzustellen, ist international aber kaum durchführbar. Sie setzte letztlich eine Vereinheitlichung der nationalen Delikte voraus oder jedenfalls eines einheitlichen Sprachgebrauchs. Deswegen verspricht ein anderer Ansatz mehr: der der Leitlinien. Beispiele dafür gibt es bereits. Diese entstammen zum Teil dem nationalen Recht, zum Teil verstehen sie sich aber auch unmittelbar als internationale Vorgabe.
Azabache zufolge gibt es zwei Deliktstypen, die vor Militärgerichten verhandelt werden können: (a) solche Delikte, die nach allgemeinem Strafrecht nicht strafbewehrt sind und (b) „aquellas que están previstas como delitos, si los delitos resultan de mínima entidad criminal al ser comparados con las graves faltas militares con ocasión de las cuales se realizaron. En este caso serían „absorbidos“ dentro de las faltas militares“, C. Azabache, siehe in Fußnote 509, S. 153, 167.
Vgl. Decreto Legislativo No. 895 (Ley contra el terrorismo agravado) vom 23. Mai 1998, .
Ambos beispielsweise unterbreitet einen Vorschlag für die Formulierung der Zuständigkeit von Militärgerichten: Artículo 1° La competencia de la jurisdicción militar se extiende a las faltas del servicio de carácter militar en sentido estricto. Por faltas del servicio de carácter militar en sentido estricto se entienden todos los hechos que son cometidos por miembros de las fuerzas armadas y que violan exclusivamente un bien jurídico o intereses militares. Artículo 2° Los hechos que violan también un bien jurídico, o intereses de carácter civil, son, en principio, de competencia de la jurisdicción penal ordinaria. Una competencia de la jurisdicción militar puede sólo excepcionalmente justificarse cuando los intereses militares son más preponderantes que los civiles. Los hechos que solamente violan un bien jurídico, o intereses de carácter civil o un bien jurídico general de un alto valor, se atribuyen a la jurisdicción penal ordinaria. Se trata especialmente de hechos en contra de la vida, la integridad
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Die peruanische Menschenrechtsorganisation Coordinadora Nacional de Derechos Humanos unternahm beispielsweise eine Definition des in der peruanischen Verfassung verankerten Amtsdelikts (delito de función) und führte aus: „El delito de función importa, entonces, todo acto que cometan militares o policiales, que tiene un nexo de causalidad con la actividad militar (o policial), que viola un deber militar y, consecuentemente, lesiona un interés militar. A esto hay que agregar que tales actos lesivos deben encontrarse tipificados en el Código de Justicia Militar (no puede haber delito ni pena sin una ley previa que lo determine así).“ corporal, la salud, la autodeterminación sexual y la libertad, incluyendo sobre todo los crímenes internacionales de universal reconocimiento (genocidio, crímenes contra la humanidad y crímenes de guerra). Artículo 3° Alternativa 1: Los hechos, cometidos por personas civiles, son exclusivamente de competencia de la jurisdicción penal ordinaria. Alternativa 2: Los hechos, cometidos por personas civiles, son en principio de competencia de la jurisdicción penal ordinaria. Excepcionalmente, podrá ser de competencia de la jurisdicción militar un hecho punible cometido por un civil, si se trata de una falta de servicio militar en el sentido del art. 1° inc. 2°, y el autor, con plena libertad para decidir, se encuentra vinculado a la estructura de las fuerzas armadas, de modo tal que al seguir un proceso ante la jurisdicción ordinaria se pondría en peligro la capacidad funcional de las fuerzas armadas, K. Ambos, Impunidad y derecho internacional, 2. Aufl., Argentinien 1999, S. 234 f.
Coordinadora Nacional de Derechos Humanos, Proyecto de Ley: delitos de función, Proyecto de Ley modificatorio del Decreto Ley N° 25662 (ohne Datumsangabe), im Archiv der Verfasserin. Aus der Bezugnahme auf Artikel 282 der peruanischen Verfassung ergibt sich, daß es sich um einen Änderungsvorschlag von vor 1993 handelt, also dem Zeitpunkt, an dem die neue Verfassung in Kraft getreten ist. Die von der Coordinadora hier vorgetragenen Bedenken und Vorschläge haben durch die Verfassungsänderung aber keineswegs an Bedeutung verloren, denn der Begriff des „delito de función“ ist in die neue Verfassung in Art. 173 übernommen worden.
Coordinadora Nacional de Derechos Humanos, En nombre de los inocentes. La legislación sobre terrorismo y traición a la patria, propuestas de modificación, Lima 1993, S. 5. Umgesetzt in den Gesetzesvorschlag sind diese Ausführungen zur Begründung in Art. 2, der lautet: „Los miembros de las Fuerzas Armadas o de la Policía Nacional, en situación de actividad, en el ejercicio de sus funciones, que incurran en la comisión de los
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Als Kriterien lassen sich danach ableiten: es muß sich um einen aktiven Angehörigen der Streitkräfte handeln, das Delikt muß eine Beziehung zum Dienst aufweisen, eine Dienstpflicht und ein militärisches Interesse verletzen. Zudem muß es als Delikt im Militärstrafgesetzbuch kodifiziert sein. Vergleichbare Faktoren finden sich auch in anderen Vorschlägen zur Begrenzung der Militärgerichtsbarkeit. Die Beschränkung auf aktive Angehörige der Streitkräfte rechtfertigt sich aus dem Umstand, daß nur sie der militärischen Disziplin und Ordnung unterliegen, letztlich, weil nur sie militärische Pflichtverletzungen begehen können. Die Begrenzung sichert zugleich, daß Zivil-
actos tipificados como delitos militares en el Código de Justicia Militar, cometen delito de función. El juzgamiento en tales casos corresponde al Fuero Privativo Militar. En ningún caso se consideran delitos de función los que se cometan contra la vida, el cuerpo y la salud, contra la libertad sexual, contra el patrimonio, así como las torturas y los malos tratos a los detenidos, el arresto arbitrario y la desaparición forzada de personas. Estos delitos serán juzgados en el Fuero Común.“ (S. 6).
So zum Beispiel in: Aprodeh, siehe Fußnote 75, S. 7. In einem von Aprodeh veröffentlichten Artikel werden die Voraussetzungen wie folgt zusammengefaßt: „... se deberá tener en cuenta los siguientes aspectos concurrentes en el momento de la ejecución del acto: 1) la calidad de militar del autor del hecho, sin perjuicio de que la ley delimita con mayor o menor amplitud, las personas a quienes se ha de atribuirse tal cualidad; 2) la vinculación del acto delictivo con la función militar; 3) el acto debe ser violatorio de un „deber jurídico militar“; 4) es indispensable la existencia de una lesión o perjuicio para los intereses de las Fuerzas Armadas (o Fuerzas Policiales) y que este interés o valor tengan carácter esencial o predominantemente militar. A todos estos aspectos, hay que añadir el hecho que el acto considerado delictivo debe estar previsto en el Código de Justicia Militar.“ Siehe auch L.C. Arslanian, siehe Fußnote 258, S. 101, 104. Nach Arslanian sind „delitos esencialmente militares“ solche, die (1) den Bestand der militärischen Institution gefährden, (2) ausschließlich in Militärstrafgesetzbüchern unter Strafe gestellt sind und die (3) ausschließlich von Angehörigen der Streitkräfte begangen werden können.
Anders Aprodeh, siehe Fußnote 75, S. 7.
Azabache geht sogar noch einen Schritt weiter und verlangt das Handeln gegen einen Befehl. Diese Einschränkung soll sich aus der ratio ergeben, nämlich daraus, daß die Militärgerichtsbarkeit die Disziplinierung innerhalb des Militärs gewährleisten soll, das heißt, die Durchsetzung der Befehle, vgl. C. Azabache, siehe Fußnote 509, S. 153, 166.
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personen nicht der Militärgerichtsbarkeit unterliegen, auch dann nicht, wenn die – unter Umständen im Militärstrafgesetzbuch benannten – Delikte, wie zum Beispiel Hochverrat, auch von Zivilpersonen begangen werden können. Damit ist gewährleistet, daß eine sachliche Beziehung zwischen Gerichtsunterworfenem und Gericht besteht und der erste Problemfall, Verfahren gegen Zivilpersonen, gelöst. Auf der passiven Seite bedarf es der Verletzung eines militärischen Rechtsguts, welches positivrechtlich im Militärstrafgesetzbuch oder in einer anderen der jeweiligen Rechtsordnung entsprechenden Form verankert ist. Die Bestimmung der militärischen Interessen und Rechtsgüter stellt insofern ein Problem dar, als diese nicht von Natur vorgegeben sind und je nach Anschauung und politischer Lage variieren mögen. Hier wiederum eine Verknüpfung mit der „militärischen Pflicht“ zu suchen, ist nur bedingt hilfreich. Denn grundsätzlich lassen sich zwei Arten militärischer Pflichten unterscheiden: die genuinen und die vorwiegend militärischen Pflichten. Erstere lassen sich auch als echte Amtsdelikte bezeichnen, also solche, die nur von Angehörigen der Streitkräfte begangen werden können. Sie bestehen typischerweise in Pflichtverstößen gegen die militärische Disziplin, wie Ungehorsam, Beleidigung eines Vorgesetzten. Die sog. vorwiegend militärischen Pflichten, deren Einbeziehung in die militärgerichtliche Jurisdiktion problematisch ist, zeichnen sich dadurch aus, daß sie nicht spezifisch militärisch sind, aber ihre Begehung im militärischen Kontext besonders schwer wiegt, wie das beispielsweise bei Spionage der Fall sein soll. Nur erstere Gruppe ermöglicht eine einigermaßen sichere Abgrenzung. Die zweite Fallgruppe, die die Qualität des Täters, die Qualität der Verletzung etc. in Betracht zieht, kann schnell zum Einfallstor besonderer militärischer Interessen werden, die zur Aufrechterhaltung einer weitgehenden Jurisdiktion der Militärgerichtsbarkeit über Angehörige der Streitkräfte führt, also auch einer solchen, die in den Aufgabenbereich ordentlicher Gerichte fällt. Dem besonderen Schweregrad läßt sich unabhängig davon Rechnung tragen, etwa bei der Strafzumessung. Das dritte Element, „in Ausführung des Amtes“, im Gegensatz zu „bei Gelegenheit“ dient ebenfalls der Beschränkung dessen, was als militärisches Interesse in Betracht kommt. Die Unterscheidung hat insbeson
Siehe in diesem Sinne für Peru: G. Gómez Mendoza, siehe Fußnote 28,
S. 35.
S. 35.
Siehe in diesem Sinne für Peru: G. Gómez Mendoza, siehe Fußnote 28,
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dere das kolumbianische Verfassungsgericht in seinem Urteil vom 05.08.1997 (C-358/97) zur Interpretation des Art. 221 der Verfassung betont. Das Verfassungsgericht verlangt das Bestehen eines eindeutigen Zusammenhangs zwischen dem Verbrechen und der dienstlichen Tätigkeit, das heißt, der strafbare Akt muß sich als Exzeß oder Machtmißbrauch darstellen, der in Zusammenhang mit einer Tätigkeit steht, die unmittelbar zu den “intrinsic military functions” der Streitkräfte gehört. Ziel des Merkmals „in Ausführung des Amtes“, also der Forderung eines sachlichen Zusammenhangs zwischen der Tat und der Gerichtsbarkeit, war die Eingrenzung auf bestimmte militärische Pflichten. Hier zeigt sich deutlich eine Verbindung zum Willkürverbot. Der Ansatz hat aber durch eine zweite damit verbundene Regel weitergehende Bedeutung. Das Gericht formuliert, bestimmte Verbrechen können niemals Akte darstellen, die in Zusammenhang mit dem militärischen Dienst stehen, wie zum Beispiel Folter, willkürliche Tötung etc. Diese Klarstellung ist vor allem dann von Bedeutung, wenn auch „vorwiegend militärische Pflichtverletzungen“ zur Verhandlung vor Militärgerichten zugelassen werden. Die Aussage des kolumbianischen Verfassungsgerichts ist normativ gemeint. Folter kann zwar faktisch mit dem militärischen Dienst in Verbindung stehen, etwa, wenn ein Vorgesetzter sie angeordnet hat. Normativ verstanden lehnt die Aussage es jedoch zutreffend ab, diesen faktischen Zusammenhang als sachlichen Grund für die Zuständigkeit von Militärgerichten zu betrachten. Wichtig ist, die Spruchpraxis dogmatisch auf eine feste Grundlage zu stellen und sie durch positive Vorgaben weiter zu konkretisieren, wie sie die vorliegende Arbeit vorschlägt. Dann gewinnt auch der französische Spruch, Militärjustiz hat mit Justiz soviel zu tun, wie Militärmusik mit Musik, eine neue Dimension. Die Militärgerichtsbarkeit kann immer nur einen Ausschnitt des Justizsystems belegen. Dort aber hat sie durchaus ihren berechtigten Platz.
Vgl. U.N. Dok. E/CN.4/1998/39/Add.2, § 148.
Nachtrag: Die Vereinbarkeit der US-Militärkommissionen mit Art. 14 Abs. 1 IPBPR A. Einleitung Seit dem Abschluß der Recherche für die vorstehende Arbeit – sie beruht im wesentlichen auf Material aus der Zeit bis Ende 2001 – haben sich hinsichtlich der Vereinbarkeit von Strafverfahren vor Militärgerichten mit internationalem Recht interessante Entwicklungen vollzogen. Besonders die Einsetzung der US-amerikanischen Militärkommissionen zur strafrechtlichen Verfolgung von Taliban- und Al Kaida-Kämpfern hat die Diskussion um Strafverfahren vor Militärgerichten neu ent-
So hat beispielsweise der Europäische Menschenrechtsgerichtshof erste „britische Fälle der 2. Generation“ entschieden. Das sind solche, die sich auf die Zeit nach der Änderung des Armed Forces Act von 1996 beziehen. Siehe Morris gegen Vereinigtes Königreich, Beschwerde Nr. 38784/97, RJD 2002-I, 387 ff.; Cooper gegen Vereinigtes Königreich, Beschwerde Nr. 48843/99, Urteil vom 16. Dezember 2003 und Grieves gegen Vereinigtes Königreich, Beschwerde Nr. 57067/00, Urteil vom 16. Dezember 2003. Darüber hinaus fällte der Gerichtshof zwischenzeitlich eine Reihe von Entscheidungen zu türkischen Staatssicherheitsgerichten – siehe dazu die Rechtsprechungsübersicht unter – und weitere Entscheidungen zu türkischen Militärgerichten, wie zum Beispiel die Entscheidung im Fall Alfatli und andere gegen Türkei (betreffend den Beschwerdeführer Mahmut Memduh Uyan), Beschwerde Nr. 32984/96, Urteil vom 30. Oktober 2003. Die “Sessional Working Group” der UN-Menschenrechtskommission zum Thema „Militärgerichte und andere Sondergerichte“ veröffentlichte Folgeberichte, so den Bericht des Sonderberichterstatters Emmanuel Decaux vom 27. Juni 2003, U.N. E/CN.4/Sub.2/2003/4. In diesem finden sich Hinweise auf ein Seminar zum Thema Militärgerichte, welches die International Commission of Jurists unter Schirmherrschaft des Hochkommissariats für Menschenrechte der Vereinten Nationen durchführte, und auf eine Veröffentlichung, die auf einem internationalen Seminar der International Society for Military Law and the Law of War basiert, sowie ein Dokument des Europarats: Committee of Experts for the Improvement of Procedures for the Protection of Human Rights (DH-PR) on judicial proceedings before military tribunals in Member States (DH-PR (2002) 009 rev. of Sept. 2002).
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Nachtrag
facht. Mittlerweile sind die rechtlichen Voraussetzungen für die Durchführung der Strafverfahren geschaffen. Zudem verkündete das Verteidigungsministerium am 3. Juli 2003 die Entscheidung des Präsidenten, sechs in Guantánamo-Bay inhaftierte Personen auf der Basis der Militärverordnung vom 13. November 2001 strafrechtlich zu verfolgen. Im Februar 2004 wurden erste Anklagen erhoben. Für wei
Die Diskussionen betreffen die Vereinbarkeit der Militärverordnung sowohl mit Verfassungsrecht als auch mit internationalem Recht. Ein Überblick über eine Reihe von Veröffentlichungen zum Thema findet sich bei Rahmatullah Khan, The U.S. Military Tribunals to Try Terrorists, in: ZaöRV 62 (2002), S. 293 ff. Hingewiesen sei auch auf die im folgenden nicht behandelten Texte, darunter die Beiträge von Orentlicher und Goldman, When Justice goes to War: Prosecuting Terrorists Before Military Commissions, in: Harvard Journal of Law and Public Policy 25 (2002); Nilendra Kumar, Prosecuting Terrorists: a case for use of military justice apparatus, in: The Indian Journal of International Law 42 (2002), S. 187 ff.; Johan Steyn, Guantánamo Bay: The Legal Black Hole, in: International and Comparative Law Quarterly 53 (2004), S. 1 ff.; Christopher M. Evans, Terrorism on Trial: The President’s Constitutional Authority to Order the Prosecution of Suspected Terrorists by Military Commission, in: Duke Law Journal 51 (2002), S. 1831 ff.; Laura A. Dickinson, Using Legal Process to Fight Terrorism: detentions, military commissions, international tribunals, and the rule of law, in: Southern California Law Review 75 (2002), S. 1407; Neal K. Katyal und Laurence H. Tribe, Waging War, Deciding Guilt: trying the Military Tribunals, in: The Yale Law Journal 111 (2002), 1259.
Zu den betroffenen Häftlingen gehören die Briten MoAzzam Begg und Feroz Abassi sowie der australische Staatsangehörige David Hicks. Gemäß einer Vereinbarung zwischen den USA und Australien werden die Gefangenen australischer Nationalität zwar vor Militärkommissionen strafrechtlich verfolgt. Australien erhielt aber zusätzliche Zusicherungen: keine Todesstrafe, Medienöffentlichkeit, Erlaubnis des Beiseins der Familien und ausländischer anwaltlicher Unterstützung. Siehe zur Entscheidung des Präsidenten die Pressemitteilung des United States Department of Defense Nr. 48 vom 03. Juli 2003, die unter verfügbar ist.
Siehe dazu die Pressemitteilung Nr. 122-04 des US-Verteidigungsministeriums vom 24. Februar 2004. Angeklagt wurden die in Guantánamo Inhaftierten Ali Hamza Ahmed Sulayman al Bahlul (Jemen) und Ibrahim Mahmoud al Qosi (Sudan) wegen der Verabredung zur Begehung von Kriegsverbrechen. Einzelheiten zu den Anklagen sind im Internet unter und veröffentlicht. Die vorgenannte Pressemitteilung ist im Internet auf den Seiten des Verteidigungsministeriums unter nachzulesen.
Nachtrag
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tere Beschuldigte wurden Pflichtverteidiger bestellt. Diese Entwicklungen sind Anlaß genug, der Frage nachzugehen, ob die Militärkommissionen dem Recht auf ein faires Verfahren entsprechen. Wie die Dissertation, befaßt sich auch dieser Nachtrag nicht mit sämtlichen Facetten des Rechts auf ein faires Verfahren. Er behält den Fokus auf ausgewählte Strukturmerkmale bei, nämlich auf die Tatbestandsmerkmale unabhängiges, unparteiisches und zuständiges Gericht. Doch geben die US-amerikanischen Militärkommissionen Anlaß, Probleme zu beleuchten, die über die in der Dissertation behandelten Aspekte hinausgehen. Im Mittelpunkt steht dabei die Frage, welchen Einfluß die Genfer Konventionen auf die Bewertungen der Vereinbarkeit der Kommissionen mit dem in den Menschenrechtsabkommen garantierten Recht auf ein faires Verfahren haben. Die Regeln des humanitären Völkerrechts könnten in zweierlei Weise von Belang sein. Sie könnten im Rahmen ihres Anwendungsbereichs Anwendungsvorrang haben. Immerhin trifft Art. 84 des III. Genfer Abkommens über die Behandlung der Kriegsgefangenen vom 12. August 1949 Aussagen zur Zulässigkeit von Strafverfahren vor Militärgerichten. Sofern kein Anwendungsvorrang festzustellen ist, stellt sich die weitere Frage, inwiefern das Genfer Recht gegebenenfalls Einfluß auf die Auslegung der Menschenrechtskonventionen hat.
Siehe die Pressemitteilung Nr. 961-03 des US-Verteidigungsministeriums vom 18. Dezember 2003. Danach bestellte die Bestallungsbehörde (Appointing Authority) für den in Guantánamo inhaftierten Salim Ahmed Hamdan (Jemen) den Chefverteidiger Air Force Col. William Gunn und dieser beauftragte Navy Lt. Cmdr. Charles Swift mit der Verteidigung in diesem Fall. Die Pressemitteilung ist im Internet auf den Seiten des Verteidigungsministeriums unter nachzulesen.
Abgedruckt in: UNTS 75, S. 135; BGBl. 1954 II, S. 838. Art. 84 des III. Genfer Abkommens bestimmt:
„Ein Kriegsgefangener darf nur vor ein Militärgericht gestellt werden, außer wenn die Rechtsvorschriften des Gewahrsamsstaates ausdrücklich die Zivilgerichte zur Aburteilung eines Mitglieds der Streitkräfte des Gewahrsamsstaates für die gleiche strafbare Handlung wie die von Kriegsgefangenen begangene als zuständig erklären. Auf keinen Fall darf ein Kriegsgefangener vor ein Gericht gestellt werden, das nicht die allgemein anerkannten wesentlichen Garantien der Unabhängigkeit und der Unparteilichkeit bietet und dessen Verfahren ihm insbesondere nicht die in Art. 105 vorgesehenen Rechte und Mittel der Verteidigung gewährleistet.“
Nachtrag
252
B. Der Prüfungsmaßstab Von den für die Arbeit ausgewählten Prüfungsmaßstäben – Art. 14 Abs. 1 IPBPR, Art. 8 Abs. 1 AMRK und Art. 6 Abs. 1 EMRK – kommt hier ausschließlich die erstgenannte Bestimmung in Betracht. Der Pakt ist für die Vereinigten Staaten am 08. September 1992 in Kraft getreten. Demgegenüber haben die Vereinigten Staaten von Amerika die Amerikanische Menschenrechtskonvention zwar am 1. Juni 1977 unterzeichnet, jedoch bislang nicht ratifiziert. Wenn die Inter-Amerikanische Menschenrechtskommission am 12. März 2002 trotzdem einstweilige Maßnahmen gegen die Vereinigten Staaten in Zusammenhang mit der Feststellung des Rechtsstatus der in Guantánamo Inhaftierten erließ , tat sie dies auf der Grundlage der Deklaration der Rechte und Pflichten des Menschen.
I. Anwendbarkeit der Genfer Konventionen Auch wenn also die Genfer Konventionen hier nicht unmittelbar Prüfungsmaßstab sind, ist es aus obengenannten Gründen für die weitere Untersuchung erforderlich, festzustellen, wie weit ihr Anwendungsbereich reicht. Die folgende Darstellung beschränkt sich dabei auf wesentliche Punkte. Ausgangspunkt der Überlegungen ist Abschnitt 1 (a) der Militärverordnung vom 13. November 2001. Dort heißt es: “International terrorists, including members of Al Quaida, have carried out attacks on United States diplomatic and military personnel and facilities abroad and on citizens and property within the United States on a scale that has created a state of armed conflict that requires the use of the United States Armed Forces.”
Siehe Office of the United Nations Commissioner for Human Rights, Status of Ratifications of the Principal International Human Rights Treaties, Stand: 02. November 2003. Das Dokument ist im Internet unter verfügbar.
Vgl. AKMR, Signatures and Current Status of Ratifications, American Convention on Human Rights, unter (Stand: April 2004).
Abgedruckt in: Human Rights Law Journal 23 (2002), S. 15 f.
Nachtrag
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Die Militärverordnung geht also davon aus, daß sowohl die Anschläge vom 11. September als auch der Konflikt in Afghanistan als bewaffnete Konflikte anzusehen sind. Damit kongruent ist die Zuständigkeitsbeschreibung der Militärkommissionen. Sie erstreckt sich ratione materiae auf Kriegsverbrechen und “other applicable laws” und ratione personae auf zwei Personengruppen: erstens, behauptete aktuelle und ehemalige Mitglieder von Al Kaida, sofern sie eine andere als die US-amerikanische Staatsbürgerschaft besitzen, sowie zweitens, weitere Personen ausländischer Staatsangehörigkeit, denen die Beteiligung an gegen die Vereinigten Staaten gerichteten Akten vorgeworfen wird bzw. die wissentlich solchen Personen Unterschlupf gewähren. Die Weigerung der Vereinigten Staaten, den in Guantánamo Inhaftierten einen nach Genfer Recht eindeutigen Status zuzubilligen, stieß verbreitet auf Kritik. Am 7. Februar 2002 präzisierte der Pressesprecher des Weißen Hauses die Auffassung der US-Regierung zur Anwendbarkeit der Genfer Konventionen und zum Status der in Guantánamo Inhaftierten wie folgt: “(1) the 1949 Geneva Convention on the treatment of prisoners of war, to which both Afghanistan and the United States are parties, applies to the armed conflict in Afghanistan between the Taliban and the United States; (2) that Convention does not apply to the armed conflict in Afghanistan and elsewhere between Al Quaida and the United States; (3) neither captured Taliban personnel nor captured Quaida personnel are entitled to be prisoners of war (POWs) under that Convention; and (4) nevertheless, all captured Taliban and Quaida personnel are to be treated humanely, consistently with the general principles of the Convention, and delegates of the International Committee of the Red Cross may privately visit each detainee.” Die Genfer Konvention über den Schutz von Kriegsgefangenen ist also nach Auffassung der US-Regierung ausschließlich auf den Konflikt mit den Taliban in Afghanistan anwendbar, wobei die Talibankämpfer per se nicht in den Genuß des Kriegsgefangenenstatus kommen.
Vgl. Abschnitt 1 (e) und Abschnitt 2 (a).
Wiedergegeben in: George H. Aldrich, The Taliban, Al Quaeda, and the Determination of Illegal Combatants, in: American Journal of International Law 96 (2002), S. 891 f.
254
Nachtrag
Diese Rechtsauffassung begegnet erheblichen Bedenken. Zutreffend ist, daß die Anschläge vom 11. September 2001 – und zwar unabhängig von der Dimension der Gewaltanwendung – kriegsrechtlich nicht relevant sind. Gem. Art. 2 Abs. 1 findet das Genfer Abkommen über die Behandlung von Kriegsgefangenen Anwendung in allen Fällen eines erklärten Krieges oder eines anderen bewaffneten Konflikts, der zwischen zwei oder mehreren der Hohen Vertragsparteien entsteht, auch wenn der Kriegszustand von einer dieser Parteien nicht anerkannt wird. Al Kaida erfüllt diese Kriterien nicht. Nur wenn man davon ausginge, daß die Taliban die Anschläge verübten und Bin Laden ein Mittäter war, ließen sich die Verbrechen in Übereinstimmung mit dem humanitären Völkerrecht als Kriegsverbrechen qualifizieren. Folge dieser Erkenntnis ist, daß die Militärverordnung ratione materiae an den Hauptadressaten in wesentlichen Teilen vorbeiläuft. Der Einsatz amerikanischer Truppen in Afghanistan, beginnend am 07. Oktober 2001, führte einen internationalen bewaffneten Konflikt herbei, auf den die Genfer Konventionen zweifelsfrei anwendbar sind. Allerdings läßt sich die Auffassung, die Taliban-Streitkräfte seien samt und sonders “unlawful combatants” und also nicht Kriegsgefangene und auf Al Kaida fänden die Genfer Konventionen keine Anwendung, so nicht halten.
Zum Teil wird fälschlicherweise das Vorliegen eines “armed conflict” gleichgesetzt mit “armed attack” in Art. 51 der Charta. So von der American Bar Association Task Force on Terrorism and the Law, Report and Recommendations on Military Commissions, January 4, 2002, verfügbar unter , S. 1, 8.
So auch Jordan J. Paust, There is No Need to Revise the Laws of War in th Light of September 11 , Veröffentlichung der Task Force on Terrorism der American Society of International Law, , S. 1 f.; George H. Aldrich, siehe Fußnote 769, S. 893. Zum Status der Taliban im Lichte der Resolutionen des UN-Sicherheitsrats Rüdiger Wolfrum und Christiane Philipp, Die Taliban – ein Subjekt des Völkerrechts?, in: Sabine von Schorlemer (Hrsg.), Praxishandbuch UNO: Die Vereinten Nationen im Lichte globaler Herausforderungen, Berlin u. a. 2003, 139 ff.
Siehe Jordan J. Paust, Antiterrorism Military Commissions: Courting Illegality, in: Michigan Journal of International Law 23, S. 1, 29. Die Beschuldigten Moussaoui und Reid wurden vor ordentlichen Gerichten angeklagt.
So auch Jordan J. Paust, Antiterrorism Military Commissions: Courting Illegality, siehe Fußnote 772, S. 5.
Nachtrag
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Wer Kriegsgefangener ist, bestimmt Art. 4 des Dritten Genfer Abkommens. Wesentlich ist Art. 4 A Nrn. 1 und 2, der wie folgt lautet: Kriegsgefangene im Sinne des vorliegenden Abkommens sind die in Feindeshand gefallenen Personen, die einer der nachstehenden Kategorien angehören: 1. Mitglieder von Streitkräften einer am Konflikt beteiligten Partei, sowie Mitglieder von Milizen und Freiwilligenkorps, die in diese Streitkräfte eingegliedert sind; 2. Mitglieder anderer Milizen und Freiwilligenkorps, einschließlich solcher von organisierten Widerstandsbewegungen, die zu einer am Konflikt beteiligten Partei gehören und außerhalb oder innerhalb ihres eigenen Gebietes, auch wenn dasselbe besetzt ist, tätig sind, sofern diese Milizen oder Freiwilligenkorps einschließlich der organisierten Widerstandsbewegungen a) eine für ihre Untergebenen verantwortliche Person an ihrer Spitze haben; b) ein bleibendes und von weitem erkennbares Unterscheidungszeichen führen; c)
die Waffen offen tragen;
d) bei ihren Kampfhandlungen die Gesetze und Gebräuche des Krieges einhalten; (...) Während Angehörigen der Streitkräfte immer der Kombattanten- und Kriegsgefangenenstatus zusteht, müssen Angehörige von Milizen und
Vgl. Art. 44 Abs. 1 des 1. Zusatzprotokolls zu den Genfer Abkommen vom 12. Dezember 1977. Anders – unter Hinweis auf den Umstand, daß die USA das 1. Zusatzprotokoll nicht ratifiziert haben – Ruth Wedgwood, Al Quaeda, Terrorism and Military Commissions, in: American Journal of International Law 96 (2002), S. 328, 335. Wedgwood geht davon aus, daß weder Al Kaida noch die Taliban die Voraussetzungen des Art. 4 der 3. Genfer Konvention erfüllen. Sie führt aus: “The Taliban also fail to qualify as lawful combatants or prisoners of war, under the test of the Third Geneva Convention. In particular, they have abetted Al Quaeda’s flagrant violation of the laws of war, and this assistance was condemned by the Security Council in Resolution 1373. Any claim that the Taliban are a “regular army” exempted from these qualifying conditions stumbles on the explicit language of the precedent 1907 Hague Rules of Land Warfare and the 1874 Brussels Declaration. It would make little sense to exempt a supposed “army” from the requirement of distinguishing themselves from civilians and reciprocally obeying the laws of war. The Commentary to the Third Geneva Convention notes that these “material characteristics”
Nachtrag
256
Freiwilligenkorps, die nicht zu den Streitkräften eines kriegsbeteiligten Staates gehören, dafür zusätzliche Kriterien erfüllen. Wichtig ist, daß ein Kombattant seinen Kombattantenstatus nicht etwa dadurch verliert, daß andere Mitglieder seiner Einheit oder der Streitkräfte Kriegsverbrechen begehen. Auch ist die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppierung für sich genommen kein Kriegsverbrechen. Die pauschale Aussage, die Taliban und Al Kaida seien “unlawful combatants” ist daher wie Paust bemerkt “both intellectually and legally deficient”. Die Angehörigen der afghanischen Taliban-Streitkräfte, die von amerikanischen Truppen festgenommen wurden, sind Mitglieder der Streitkräfte einer am Konflikt beteiligten Partei im Sinne von Artikel 4. Die Tatsache, daß die USA die Taliban-Regierung nicht anerkannt hatten, ist gem. Artikel 4 A Nr. 3 nicht entscheidend. Entsprechend hat das IKRK allen Angehörigen der Talibanstreitkräfte den Kriegsgefangenenstatus zugesprochen. Sofern Verbände von Al Kaida in die TalibanStreitkräfte integriert worden sind, kommen auch sie in den Genuß der Rechte des Dritten Genfer Abkommens. Inwiefern Personen, die Al Kaida ansonsten zugerechnet werden können, die Anforderungen des Art. 4 A Abs. 1 Nr. 2 erfüllen, mag zweifelhaft sein. Sie sind aber jedenfalls nicht vollends schutzlos. Uneinigkeit besteht nur darüber, wie der Status genau verankert ist. Nach Auffassung des IKRK gibt es keinen intermediären Status. Personen, die
are prerequisite to even qualifying as “armed forces” and “regular armed forces”.” (Verweise weggelassen).
Die Voraussetzungen des Verlusts des Kombattantenstatus legt Art. 44 Abs. 2, 3, 4 des 1. Zusatzprotokolls zu den Genfer Abkommen fest. Auch Jordan J. Paust, siehe Fußnote 771, S. 8.
Vgl. Jordan J. Paust, siehe Fußnote 771, S. 8.
Vgl. Jordan J. Paust, siehe Fußnote 771, S. 8. In diesem Sinne auch George H. Aldrich, siehe Fußnote 769, S. 897.
Nach Art. 4 A Nr. 3 zählen zu den Kriegsgefangenen auch Mitglieder regulärer Streitkräfte, die sich zu einer von der Gewahrsamsmacht nicht anerkannten Regierung oder Autorität bekennen.
Siehe Jordan J. Paust, siehe Fußnote 771, S. 9.
Siehe dazu auch Jim Davis, A Cautionary Tale: Examining the Use of Military Tribunals by the United States in the Aftermath of the September 11 Attack in Light of Peru’s History of Human Rights Abuses Resulting From Similar Measures, in: Georgia Journal of International & Comparative Law 31 (2003), S. 423, 450.
Nachtrag
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nicht Kriegsgefangene sind, werden zu geschützten Personen unter der 4. Genfer Konvention. Frowein zweifelt an deren Anwendbarkeit, hält in diesem Fall aber den gemeinsamen Art. 3 als Mindestgarantie für anwendbar. Festzuhalten ist, daß die Genfer Konventionen auf die in Afghanistan gefangengenommenen Personen anwendbar sind. Somit ist als nächstes zu klären, in welchem Verhältnis die Vorgaben des humanitären Völkerrechts und die Menschenrechtsabkommen stehen.
II. Die Anwendbarkeit des IPBPR in Kriegszuständen Früher ging man davon aus, daß die Begründung eines Kriegszustands zwischen zwei Staaten alle vertraglichen und diplomatischen Beziehungen automatisch beende oder zumindest aussetze. Diese strikte Trennung gilt heute nicht mehr. Vielmehr gilt es im Wege der Auslegung zu ermitteln, ob die vertragliche Vereinbarung – hier der Pakt – auch im Falle des Krieges Anwendung finden soll. Aufschluß über die Anwendbarkeit des Paktes im Kriegszustand ist von Art. 4, der Bestimmung über Ausnahmezustände, zu erwarten. Abs. 1 der Vorschrift lautet wie folgt: „Im Falle eines öffentlichen Notstands, der das Leben der Nation bedroht und der amtlich verkündet ist, können die Vertragsstaaten Maßnahmen ergreifen, die ihre Verpflichtungen aus diesem Pakt in dem Umfang, den die Lage unbedingt erfordert, außer Kraft setzen,
Vgl. J. Pictet (Hrsg.), Kommentar zu Art. 4, IV Geneva Convention (1958), zitiert nach: Dinah Shelton, The Legal Status of the Detainees at Guantánamo Bay: Innovative Elements in the Decision of the Inter-American Commission on Human Rights of 12 March 2002, in: Human Rights Law Journal 23 (2002), S. 13, 14.
Siehe Jochen Abr. Frowein, Der Terrorismus als Herausforderung für das Völkerrecht, ZaöRV 62 (2002), S. 879, 896 f.
Siehe A. McNair, The Effect of War upon Treaties, 1943, zitiert nach: Stefanie Schmahl, Der Menschenrechtsschutz in Friedenszeiten im Vergleich zum Menschenrechtsschutz im Krieg, S. 71, in: Humanitäres Völkerrecht: politische, rechtliche und strafgerichtliche Dimensionen, Jana Hasse, Erwin Müller, Patricia Schneider (Hrsg.), DSF Bd. 133, Baden-Baden 2001.
Siehe Stefanie Schmahl, siehe Fußnote 783, S. 71.
Nachtrag
258
vorausgesetzt, daß diese Maßnahmen ihren sonstigen völkerrechtlichen Verpflichtungen nicht zuwiderlaufen ...“ Art. 4 Abs. 1 IPBPR nennt den „öffentlichen Notstand“, ohne diesen Begriff weiter zu präzisieren. Darin unterscheidet er sich von den entsprechenden Bestimmungen der anderen beiden Verträge, d. h. der EMRK und der AMRK. Art. 15 Abs. 1 EMRK nimmt ausdrücklich auf den Fall des Krieges Bezug. Er bestimmt: „Im Falle eines Krieges oder eines anderen öffentlichen Notstandes ...“. Gleiches gilt für Art. 27 Abs. 1 AMRK. Hier lautet die Formulierung: „Im Falles eines Krieges, einer öffentlichen Gefahr oder eines anderen Notstandes ...“. Das Fehlen des Begriffs „Krieg“ ist indes weder darauf zurückzuführen, daß der Pakt im Kriegsfalle nicht anwendbar sein sollte. Die „travaux préparatoires“ zeigen, daß er 1952 mit der Überlegung gestrichen wurde, eine Organisation wie die Vereinten Nationen, die sich dem Frieden verschrieben hat, solle davon absehen, die Möglichkeit des Krieges zu erwähnen. Das Ergebnis bestätigt die Allgemeine Bemerkung Nr. 29 des Menschenrechtsausschusses zu Art. 4 aus dem Jahr 2001. Darin heißt es: “During armed conflict, whether international or non-international, rules of international humanitarian law become applicable and help, in addition to the provisions in article 4 and article 5, paragraph 1, of the Covenant, to prevent the abuse of a State’s emergency powers. The Covenant requires that even during an armed conflict measures derogating from the Covenant are allowed only if and to the extent that the situation constitutes a threat to the life of the nation.” Und unmißverständlich äußert sich der Menschenrechtsausschuß schließlich auch in seinen abschließenden Bemerkungen zum Staatenbe-
Vgl. Joan Fitzpatrick, Human Rights in Crisis: The International System for Protecting Rights During States of Emergency, Procedural Aspects of International Law Series Bd. 19, Philadelphia 1994, S. 56 unter Hinweis auf U.N. Doc. E/CN.4/SR.127 (1949) und U.N. Doc. E/CN.4/SR.330 (1952).
Siehe Marc J. Bussuyt, Guide to the „Travaux Préparatoires“ of the Covenant on Civil and Political Rights, Dordrecht 1987, S. 86. So auch Subrata Roy Chowdhury, Rule of Law in a State of Emergency: The Paris Minimum Standards of Human Rights Norms in a State of Emergency, London 1989, S. 22.
MRA, Allgemeine Bemerkung Nr. 29, abgedruckt in: HRI/GEN/1/Rev.6, S. 186 § 3.
Nachtrag
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richt Israels. Dort heißt es unter “principal subjects of concern and recommendations”: “The Committee reiterates its view, previously spelled out in paragraph 10 of its concluding observations on Israel’s initial report (CCPR/C/79/Add.93 of 18 August 1998), that the applicability of the regime of international humanitarian law during armed conflict does not preclude the application of the Covenant, including article 4 which covers situations of public emergency which threaten the life of the nation.” Was die Inhalte anlangt, bestimmt Art. 4 Abs. 1, daß die getroffenen Maßnahmen den sonstigen völkerrechtlichen Verpflichtungen des Vertragsstaats nicht zuwiderlaufen dürfen. Zu diesen sonstigen völkerrechtlichen Verpflichtungen gehören insbesondere auch die Regeln des humanitären Völkerrechts. Sie fungieren somit als SchrankenSchranke. Die Anwendbarkeit des Art. 14 Abs. 1 IPBPR steht damit außer Frage.
C. Überblick über rechtlichen Rahmen, Aufbau, Verfahren und Zuständigkeiten der US-Militärkommissionen I. Der Rechtsrahmen der US-Militärkommissionen Der Rechtsrahmen der US-Militärkommissionen ist dreigliedrig. Er besteht aus der von Präsident Bush erlassenen Militärverordnung (Mili-
MRA, Abschließende Bemerkungen zum Bericht Israels vom 21. August 2003, U.N. Dok. CCPR/CO/78/ISR., § 11.
Vgl. MRA, Allgemeine Bemerkung Nr. 29, abgedruckt in: HRI/GEN/1/ Rev.6, S. 186, 188 § 9.
So auch Jochen Abr. Frowein, Der Terrorismus als Herausforderung für das Völkerrecht, ZaöRV 62 (2002), S. 879, 903; Jordan J. Paust, siehe Fußnote 772, S. 12; American Bar Association Task Force on Terrorism and the Law, Report and Recommendations on Military Commissions, January, 4, 2002, verfügbar unter: , S. 1, 16; Daryl A. Mundis, The Use of Military Commissions to Prosecute Individuals Accused of Terrorist Acts, in: American Journal of International Law 96 (2002), S. 320, 328.
Nachtrag
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tary Order), Durchführungsverordnungen (Military Commission Orders) und Erlassen (Military Commission Instructions).
1. Die Militärverordnung vom 13. November 2001 Am 13. November 2001 erließ Präsident Bush eine Militärverordnung (Military Order) mit dem Titel “Detention, Treatment, and Trial of Certain Non-Citizens in the War Against Terrorism”. Diese Verordnung ermächtigt den Verteidigungsminister, Vorschriften zu erlassen, um Angehörige der Al Kaida wegen der Verletzung des Kriegsrechts oder anderer anwendbarer Rechtsvorschriften (other applicable laws) zu verfolgen; ebenso Personen, denen terroristische, gegen die Vereinigten Staaten gerichtete Handlungen vorgeworfen werden, und Personen, die diesen Unterschlupf gewähren. Die Militärverordnung legt in Abschnitt 4 (c) die Rahmenbedingungen fest, die der Verteidigungsminister bei nachgeordneten Regelungen zu beachten und gegebenenfalls zu präzisieren hat. Dazu gehört: (1) military commissions to sit at any time and place, consistent with such guidance regarding time and place as the Secretary of Defense may provide; (2) a full and fair trial, with the military commission sitting as triers of both fact and law; (3) admission of such evidence as would, in the opinion of the presiding officer of the military commission (or instead, if any other member of the commission so requests at the time the presiding officer renders that opinion, the opinion of the commission rendered at that time by a majority of the commission), have probative value to a reasonable person; (...) (5) conduct of the prosecution by one or more attorneys designated by the Secretary of Defense and conduct of the defense by attorneys for the individual subject to this order; (...) (8) submission of the record of the trial, including any conviction or sentence, for review and final decision by me or by the Secretary of Defense if so designated by me for that purpose.
Military Order wird im folgenden in den Fußnoten mit MO abgekürzt, Military Commission Order mit MCO und Military Commission Instruction mit MCI.
US Military Order, 66 Fed. Reg. 57833 (Nov. 13, 2001).
Nachtrag
261
2. Die Durchführungsverordnungen Auf der Grundlage der Militärverordnung erließ das US-Verteidigungsministerium am 21. März 2002 zwei Verordnungen über Militärkommissionen (Military Commission Orders). Die Verordnung “Procedures for Trials by Military Commissions of Certain Non-United States Citizens in the War against Terrorism” enthält grundlegende Bestimmungen zu Zuständigkeiten und Verfahren vor den Militärkommissionen. Die zweite Militärkommissionsverordnung mit dem Titel “Designation of Deputy Secretary of Defense as Appointing Authority” bestimmt den Vizeverteidigungsminister Dr. Paul Wolfowitz zur Bestallungsbehörde (Appointing Authority). Nachfolgend ergingen zwei weitere Militärkommissionsverordnungen: Nr. 3, “Special Administrative Measures for Certain Communications Subject to Monitoring” und Nr. 4, “Designation of Deputy Appointing Authority”.
3. Die Militärkommissionserlasse Auf der Grundlage der Militärkommissionsverordnung Nr. 1, Abschnitt 7 A, ergingen am 30. April 2003 acht Erlasse (Military Commission Instructions): No. 1, Military Commission Instructions, No. 2, Crimes and Elements for Trial by Military Commission,
MCO Nr. 1 vom 21. März 2002, Procedures for Trials by Military Commissions of Certain Non-Citizens in the War against Terrorism, .
Verteidigungsminister Donald Rumsfeld änderte diese Entscheidung später zugunsten von John D. Altenburg Jr. Siehe die entsprechende Pressemitteilung des US-Verteidigungsministeriums Nr. 989-03 vom 30. Dezember 2003, verfügbar unter .
MCO Nr. 3 vom 5. Februar 2004, Special Administrative Measures for Certain Communications Subject to Monitoring und MCO Nr. 4 vom 30. Januar 2004, Designation of Deputy Appointing Authority. Beide Dokumente sind im Internet unter nachzulesen.
Die “Military Commission Instructions” sind sämtlich im Internet auf den Seiten des US Department of Defense, unter: veröffentlicht.
Nachtrag
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No. 3, Responsibilities of the Chief Prosecutor, Prosecutors, and Assistant Prosecutors, No. 4, Responsibilities of the Chief Defense Counsel, Detailed Defense Counsel, and Civilian Defense Counsel, No. 5, Qualification of Civilian Defense Counsel, No. 6, Reporting Relationships for Military Commission Personnel, No. 7, Sentencing, No. 8, Administrative Procedures. Nachfolgend, am 26. Dezember 2003, erging ein weiterer Erlaß: Military Commission Instruction No. 9 – “Review of Military Commission Proceedings”. Im Rahmen der Darstellung von Struktur, Verfahren und Zuständigkeiten der Militärkommissionen wird sich zeigen, daß die Erlasse von großer Bedeutung sind. Um ein Beispiel vorwegzunehmen: erst Erlaß Nr. 2 legt die Delikte fest, für deren Verfolgung die Militärkommissionen zuständig sind.
II. Struktur, Verfahren und Zuständigkeiten der Militärkommissionen Mit den vorstehend beschriebenen Verordnungen und Erlassen hat das Verteidigungsministerium die für die Durchführung von Strafverfahren vor Militärkommissionen erforderlichen rechtlichen Voraussetzungen geschaffen. Um festzustellen, inwiefern die US-Militärkommissionen den Anforderungen eines zuständigen, unabhängigen und unparteiischen Gerichts im Sinne von Art. 14 Abs. 1 Satz 2 IPBPR entsprechen, ist eine eingehende Betrachtung der Struktur, des Verfahrens und der Zuständigkeit der Kommissionen erforderlich. Der folgende Abschnitt beleuchtet wesentliche Faktoren, wie die Rollenverteilung der am Verfahren beteiligten Akteure, die Art und Weise der Ernennung und Abberufung und die persönliche und sachliche Zuständigkeit.
Annex B wurde am 5. Februar 2004 geändert.
Nachtrag
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1. Struktur und Verfahren Gemäß Abschnitt 2 der Militärkommissionsverordnung Nr. 1, werden Militärkommissionen für den Einzelfall einberufen. Das entspricht der Typik des angelsächsischen Modells. Das Verfahren vor den Militärkommissionen ist mehrstufig. Es besteht aus einer Hauptverhandlung, einem obligatorischen Revisionsverfahren und der abschließenden Entscheidung des Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika bzw. des Verteidigungsministers. Der Komplexität des Verfahrens entsprechend ist eine Vielzahl von Akteuren an dem Verfahren beteiligt: die Bestallungsbehörde (Appointing Authority), die Mitglieder der Militärkommission, die Anklage, die Verteidigung, die Revisionskammer, der Verteidigungsminister und der Präsident der Vereinigten Staaten.
a. Zusammensetzung und Rollenverteilung mit Schwerpunkt erster Verfahrensabschnitt Der erste Verfahrensabschnitt bezeichnet die Phase von der Einsetzung des Gerichts und der Berufung der Beteiligten bis zur Urteilsfindung. Zu den Beteiligten gehören hier die Bestallungsbehörde, die Mitglieder der Militärkommission, die Anklage und die Verteidigung.
aa. Die Mitglieder der Militärkommissionen Gemäß Abschnitt 4 A (2) der Militärkommissionsverordnung Nr. 1 besteht jede Militärkommission aus mindestens drei und nicht mehr als sieben Mitgliedern; die Anzahl im Einzelfall bestimmt die Bestallungsbehörde. Sie beruft die Mitglieder der Kommission sowie deren Stellvertreter, die sämtlich Offiziere der Streitkräfte der Vereinigten Staa-
Dort heißt es: “In accordance with the President’s Military Order, the Secretary of Defense or a designee (“Appointing Authority”) may issue orders from time to time appointing one or more military commissions to try individuals subject to the President’s Military Order and appointing any other personnel necessary to facilitate such trials.”
Siehe dazu Abschnitt B.II.1 b der Einleitung zur Dissertation. Vgl. MCI Nr. 8 vom 30. April 2003, Abschnitt. 3 A 1). Vgl. MCO Nr. 1 vom 21. März 2002, Abschnitt 4 A (1).
Nachtrag
264
ten sein müssen. Ansonsten ist die Ernennung davon abhängig, daß die Bestallungsbehörde sie für fähig erachtet, die mit dem Amt einhergehenden Aufgaben zu erfüllen. Die Bestallungsbehörde ist auch befugt, die Mitglieder aus triftigem Grund (good cause) abzusetzen, wobei die inhaltlichen Anforderungen von “good cause” nicht näher definiert werden. Die Bestimmung über die Ernennung und Abberufung der Kommissionsmitglieder in Erlaß Nr. 8 veranschaulicht eindringlich das Ausmaß des Einflusses der Bestallungsbehörde. Dort heißt es: “In accordance with reference (a) [Military Commission Order No. 1], the Appointing Authority shall appoint at least three but no more than seven members and one or two alternate members. The Appointing Authority may remove members and alternate members for good cause. In the event a member (or alternate member) is removed for good cause, the Appointing Authority may replace the member, direct that an alternate member serve in the place of the original member, direct that proceedings simply continue without the member, or convene a new commission. In absence of guidance from the Appointing Authority regarding replacement, the Presiding Officer shall select an alternate member to replace the member in question.” Dem Vorsitzenden der Kommission (Presiding Officer), der von der Bestallungsbehörde bezeichnet wird und ein juristischer Stabsoffizier (judge advocate) der Streitkräfte der Vereinigten Staaten sein muß, obliegt es, die Bestallungsbehörde zu informieren und ihr gegebenenfalls zu empfehlen, ein Mitglied aus dem Richtergremium zu entfer
Im englischen Originaltext lautet die Formulierung “commissioned officer of the United States armed forces (“military officers”)”. Siehe: MCO Nr. 1 vom 21. März 2002, Abschnitt 4 (3).
Vgl. MCO Nr. 1 vom 21. März 2002, Abschnitt 4 (3). Vgl. MCO Nr. 1 vom 21. März 2002, Abschnitt 4 (3).
MCI Nr. 8 vom 30. April 2003, Abschnitt 3 A 1) (Hervorhebung von der Verfasserin).
Für den Begriff “judge advocate” gibt es mehrere deutsche Übersetzungen. In Alfred Romain, Hans Anton Bader, B. Sharon Byrd, Wörterbuch der Rechts- und Wirtschaftssprache, Teil I, Englisch-Deutsch, S. 423 werden folgende Übersetzungen angeboten: Militärstaatsanwalt, Militärrichter, (US) auch juristischer Stabsoffizier.
Vgl. MCO Nr. 1 vom 21. März 2002, Abschnitt 4 (4).
Nachtrag
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nen. Die Mitglieder der Militärkommission unterstehen während ihrer richterlichen Tätigkeit weiter ihren Dienststellen (parent commands). Ihren Dienstvorgesetzten ist aber untersagt, die richterliche Tätigkeit zum Gegenstand von Beurteilungen zu machen. Im Anschluß an die Hauptverhandlung entscheiden die Mitglieder der Militärkommission über Schuld und Strafmaß. Wie weiter unter Ziffer 2 zu sehen sein wird, bedarf die Entscheidung der Kommission um rechtswirksam zu werden der Bestätigung, wobei sie auch inhaltlich nicht bindend ist.
bb. Die Bestallungsbehörde (Appointing Authority) Im vorhergehenden Abschnitt deutete es sich bereits an: die Bestallungsbehörde spielt im Verfahren vor den US-amerikanischen Militärkommissionen eine zentrale Rolle. Als Bestallungsbehörde fungiert der Verteidigungsminister oder eine von diesem zu benennende und diesem unterstehende Person (designee). De facto bestimmte der US-Verteidigungsminister zunächst seinen Stellvertreter Dr. Wolfowitz zur Bestallungsbehörde. Zwischenzeitlich änderte er diese Entscheidung und berief John D. Altenburg Jr., einen im Jahr 2002 in Ruhestand getretenen Generalmajor (major general), der in seiner letzten Position “assistant advocate general for the Department of the Army” war. Die Pressemitteilung, mit der das Verteidigungsministerium die Ernennung bekannt gibt, weist ausdrücklich darauf hin, daß Altenburg dieses Amt als Zivilist ausübt. Außer den Mitgliedern der Militärkommission ernennt die Bestallungsbehörde auch die Dolmetscher und verfügt das Zurverfügungstellen
Vgl. MCI Nr. 3 vom 30. April 2003, Abschnitt 3 A 3).
Der Originaltext lautet: “Commission members shall continue to report to their parent commands. The consideration or evaluation of the performance of duty as members of a military commission is prohibited in preparing effectiveness, fitness, or evaluation reports of a commission member.”, MCI Nr. 6 vom 30. April 2003, Abschnitt 3 A 8).
Vgl. MCO Nr. 1 vom 21. März 2002, Abschnitt 6 F und G. Vgl. MCI Nr. 6 vom 30. April 2003, Abschnitt 3 A 1).
Siehe US Department of Defense, Pressemitteilung Nr. 989-03 vom 30. Dezember 2003, im Internet nachzulesen unter .
Vgl. MCO Nr. 1 vom 21. März 2002, Abschnitt 5 J.
Nachtrag
266
von Dokumenten und Zeugen zugunsten der Verteidigung, soweit sie dies für ein faires Verfahren für erforderlich erachtet. Sie läßt die Anklage zu und überweist sie der Militärkommission zur Hauptverhandlung. Die herausragende Rolle der Bestallungsbehörde wird noch an einem weiteren Beispiel deutlich. So führt der Vorsitzende grundsätzlich die Hauptverhandlung, aber: “the Presiding Officer shall certify all interlocutory questions, the disposition of which would effect a termination of proceedings with respect to a charge, for decision by the Appointing Authority. In addition, the Presiding Officer may certify other interlocutory questions to the Appointing Authority as the Presiding Officer deems appropriate.” Die Militärkommission kann in entscheidenden Fragen also nicht selbständig agieren.
cc. Die Anklage Die Anklage besteht aus dem Chefankläger (chief prosecutor), Anklägern (prosecutors) und Assistenzanklägern (Assistant prosecutors). Ersterer muß der Qualifikation nach juristischer Stabsoffizier sein. Er wird vom “General Counsel” des Verteidigungsministeriums ernannt und wacht über die Aktivitäten der Anklage. Darüber hinaus ernennt er – jeweils im Einzelfall – Ankläger und Assistenzankläger (assistant prosecutors), die die Anklage vorbereiten und im Verfahren vertreten. Sie sind entweder juristische Stabsoffiziere der US-amerikanischen Streitkräfte oder “special trial counsel” des Justizministeriums.
Vgl. MCO Nr. 1 vom 21. März 2002, Abschnitt 5 H. Vgl. MCO Nr. 1 vom 21. März 2002, Abschnitt 3 A. MCI Nr. 3 vom 30. April 2003, Abschnitt 4 A.
Vgl. MCO Nr. 1 vom 21. März 2002, Abschnitt 4 B (1) und MCI Nr. 3 vom 30. April 2003, Abschnitt 3 B 1).
Vgl. MCI Nr. 3 vom 30. April 2003, Abschnitt 3 B 1). Vgl. MCI Nr. 3 vom 30. April 2003, Abschnitt 3 B 3 f). Vgl. MCI Nr. 3 vom 30. April 2003, Abschnitt 3 B 9).
Vgl. MCO Nr. 1 vom 21. März 2002, Abschnitt 4 B (2) und MCI Nr. 3 vom 30. April 2003, Abschnitt 3 C 1).
Nachtrag
267
Der Chefankläger untersteht dem “Deputy General Counsel (Legal)” des Verteidigungsministeriums und weiter dem “General Counsel” des Verteidigungsministeriums. Die Ankläger und Assistenzankläger unterstehen dem Chefankläger und weiter dem “Deputy General Counsel (Legal)” des Verteidigungsministeriums. In diesem Zusammenhang erscheint es angebracht näher zu erläutern was mit „dienstlich unterstehen“ (report) gemeint ist. Diese Ausführungen gelten für jegliches „Unterstehen“ außer im Fall der Mitglieder der Militärkommissionen. Im Erlaß Nr. 6 Abschnitt 3 A heißt es wie folgt: “Individuals appointed, assigned, detailed, designated or employed in a capacity related to the conduct of military commission proceedings conducted in accordance with references (a) and (b) shall be subject to the relationships set forth below. Unless stated otherwise, the person to whom an individual “reports”, as set forth below, shall be deemed to be such individual’s supervisor and shall, to the extent possible, fulfill all performance evaluation responsibilities normally associated with the function of direct supervisor in accordance with the subordinate’s Military Service performance evaluation regulations.” Unter “Responsibilities of Supervisory/Reporting Officials” heißt es darüber hinaus: “Officials designated in this Instruction as supervisory/reporting officials shall: 1)
Supervise subordinates in the performance of their duties.
2) Prepare fitness or performance evaluation reports and, as appropriate, process awards and citations for subordinates. To the extent practicable, a reporting official shall comply with rated subordinate’s Military Service regulations regarding the preparation of fitness of performance evaluation reports and in executing related duties.” Die dienstliche Unterordnung besteht also in der Aufsicht im Rahmen der militärischen Ordnung und in dienstlichen Beurteilungen.
Vgl. MCI Nr. 6 vom 30. April 2003, Abschnitt 3 A 3) und MCI Nr. 3 vom 30. April 2003, Abschnitt 3 B 2).
Vgl. MCI Nr. vom 30. April 2003, Abschnitt 3 A 4), MCI Nr. 3 vom 30. April 2003, Abschnitt 3 B 7) und 8).
MCI Nr. 6, vom 30. April 2003.
Nachtrag
268
Im Bereich der Sonderaufgaben (Special Duties) stößt man wieder auf die Bestallungsbehörde. Im Erlaß Nr. 3 heißt es: “The Prosecution shall perform all other functions, consistent with references (a) and (b), as may be directed by the Appointing Authority or the General Counsel of the Department of Defense.”
dd. Die Verteidigung Die Verteidigung ist nach dem gleichen Muster wie die Anklage organisiert. Sie besteht aus einem Chefverteidiger (chief defense counsel) und abgeordneten Verteidigern (Detailed Defense Counsels). Ersterer muß ein juristischer Stabsoffizier (judge advocate) der Streitkräfte der Vereinigten Staaten sein. Er wird – wie sein Gegenpart auf der Anklageseite – vom “General Counsel” des Verteidigungsministeriums ernannt und wacht über die Anstrengungen der Verteidigung, verhindert Interessenkonflikte und fördert die angemessene Vertretung der Angeklagten. Er stellt im Einzelfall einen oder mehrere Offiziere, die ihrerseits juristische Stabsoffiziere der amerikanischen Streitkräfte sind, ab. Die detachierten Verteidiger haben die Aufgabe, den Angeklagten im Rahmen des geltenden Rechts und ohne Ansehung ihrer persönlichen Auffassung über dessen Schuld mit glühendem Eifer (zealously) zu verteidigen. Der Chefverteidiger untersteht dem “Deputy General Counsel (Personnel and Health Policy)” des Verteidigungsministeriums und weiter dem “General Counsel” des Verteidigungsministeriums. Die abgeordneten Verteidiger unterstehen dem Chefverteidiger und
MCI Nr. 3 vom 30. April 2003, Abschnitt 4 C. Vgl. MCI Nr. 4 vom 30. April 2003, Abschnitt 3 A. Vgl. MCI Nr. 4 vom 30. April 2003, Abschnitt 3. B 1). Vgl. MCI Nr. 4 vom 30. April 2003, Abschnitt 3. B 1).
Vgl. MCO Nr. 1 vom 21. März 2002, Abschnitt 4 C (1) und MCI Nr. 4 vom 30. April 2003, Abschnitt 3 B. insbesondere 3) und 9).
Vgl. MCO Nr. 1 vom 21. März 2002, Abschnitt 4 C (2).
Vgl. MCO Nr. 1 vom 21. März 2002, Abschnitt 4 C (2), MCI Nr. 4 vom 30. April 2003, Abschnitt 3 B 10).
Vgl. MCI Nr. 6 vom 30. April 2003, Abschnitt 3 A 5), auch MCI Nr. 4 vom 30. April 2003, Abschnitt 3 B 2).
Nachtrag
269
weiter dem “Deputy General Counsel (Personnel and Health Policy)“ des Verteidigungsministeriums. Im Zusammenhang mit den Sonderaufgaben kommt – wie bei der Anklage – die Bestallungsbehörde ins Spiel. Erlaß Nr. 4 führt insoweit aus: “The Office of the Chief Defense Counsel shall perform such other functions, consistent with references (a) and (b) and the mission of the Office of the Chief Defense Counsel, as may be directed by the Appointing Authority or the General Counsel of the Department of Defense.” Der Angeklagte kann einen anderen als den benannten Pflichtverteidiger wählen. Dieser muß aber ein Offizier sein, der juristischer Stabsoffizier der amerikanischen Streitkräfte ist. Er kann zusätzlich, nicht aber an Stelle des Militäranwalts, einen zivilen Verteidiger verpflichten.
b. Zusammensetzung und Rollenverteilung mit Schwerpunkt zweiter Verfahrensabschnitt Im Anschluß an die Entscheidung der Militärkommission wird eine Gerichtsakte (record of trial) gefertigt, welche vom Vorsitzenden beglaubigt und dann der Bestallungsbehörde oder – sofern der Verteidigungsminister als Bestallungsbehörde fungiert – der Revisionskammer (Review Panel) zugeleitet wird. In ersterem Fall überprüft die Bestallungsbehörde, ob die Akte vollständig (administratively complete) ist
Vgl. MCI Nr. 6 vom 30. April 2003, Abschnitt 3 A 6), MCI Nr. 4 vom 30. April 2003, Abschnitt 3 B 6) und 7).
MCI Nr. 4 vom 30. April 2003, Abschnitt 4 B. Vgl. MCI Nr. 4 vom 30. April 2003, Abschnitt 3 C 1). Vgl. MCO Nr. 1 vom 21. März 2002, Abschnitt 4 C (4) und (3) (b).
Vgl. MCO Nr. 1 vom 21. März 2002, Abschnitt 4 C (3) (b); MCI Nr. 4 vom 30. April 2003, Abschnitt 3 D zum “Selected Detailed Defense Counsel” und E zum “Qualified Civilian Defense Counsel”.
“Record of Trial” wird in der Militärkommissionsverordnung Nr. 1 Abschnitt 6 H (1) wie folgt definiert: “Each Commission shall make a verbatim transcript of its proceedings, apart from all Commission deliberations, and preserve all evidence admitted in the trial (including any sentencing proceedings) of each case brought before it, which shall constitute the record of trial”.
Vgl. MCO Nr. 1 vom 21. März 2002, Abschnitt 6 H (1).
Nachtrag
270
und leitet diese entweder an die Revisionskammer weiter oder verweist den Fall zur weiteren Bearbeitung (for any necessary supplementary proceedings) zurück an die Kommission.
aa. Die Revisionskammer (Review Panel) Die Revisionskammer besteht aus mindestens drei Offizieren, von denen mindestens einer Erfahrung als Richter haben muß. Ihre Mitglieder unterstehen dem Verteidigungsminister, von dem sie für einen Zeitraum von in der Regel höchstens zwei Jahren ernannt werden. Eine zweite Amtszeit ist ausgeschlossen. Der Verteidigungsminister ist befugt, Mitglieder der Revisionskammer aus triftigem Grund (good cause) abzuberufen. Der Erlaß Nr. 9 gibt eine weite Definition für triftige Gründe: ““Good cause” includes, but is not limited to, physical disability, military exigency, or other circumstances that render the member unable to perform his duties.” Die Mitglieder der Revisionskammer legen einen Eid bzw. eine eidesstattliche Erklärung ab. De facto hat das US-Verteidigungsministerium vier Personen mit „zivilem Hintergrund“ für diese Positionen benannt. Sie werden für einen
Vgl. MCO Nr. 1 vom 21. März 2002, Abschnitt 6 H (2) und MCI Nr. 9 vom 26. Dezember 2003, Abschnitt 3.
Vgl. MCI Nr. 9 vom 26. Dezember 2003, Abschnitt 4 A, B. Vgl. MCI Nr. 6 vom 30. April 2003, Abschnitt 3 A 7). Vgl. MCI Nr. 9 vom 26. Dezember 2003, Abschnitt 4 B und B 2). Vgl. MCI Nr. 9 vom 26. Dezember 2003, Abschnitt 4 B 1) c. MCI Nr. 9 vom 26. Dezember 2003, Abschnitt 4 B 2).
Vgl. MCI Nr. 9 vom 26. Dezember 2003, Abschnitt 4 B 4). Der Eid wird vom Verteidigungsminister, dem “General Counsel” des Verteidigungsministeriums oder einer anderen zur Abnahme von Eideserklärungen befugten Person abgenommen. Er lautet: “Do you (swear) (affirm) that you will faithfully and impartially perform, according to your conscience and the rules applicable to the review of trials by military commission, all the duties incumbent upon you as a member of this Review Panel (so help you God)?”.
Es handelt sich um Griffin B. Bell, ehemals Justizminister (US attorney general) und Richter am US Court of Appeals for the Fifth Circuit; Edward G. Biester, Richter am Court of Common Pleas of Bucks County, ehemals Justiz-
Nachtrag
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Zeitraum von ca. zwei Jahren zu Generalmajoren der Armee (Army major generals) ernannt. Erlaß Nr. 9 bestimmt bezogen auf Zivilpersonen: “With regard to the internal operations of a Review Panel, civilians appointed as officers shall have the same authority, duties and responsibilities as any other member of the armed forces serving on the Review Panel.” Die Revisionskammer – die automatisch an jedem Verfahren beteiligt ist – überprüft, ob ein entscheidungserheblicher Rechtsfehler (material error of law) vorliegt. Im Rahmen der Prüfung berücksichtigt sie den Inhalt der Akte sowie schriftliche Vorbringen der Anklage und der Verteidigung. Sie kann nach Ermessen die Beteiligten zu dem Vorbringen anhören. Außerdem kann insbesondere das Heimatland des Angeklagten amicus curiae-Eingaben stellen. Kommt die Mehrheit der Mitglieder zu der Überzeugung, daß ein entscheidungserheblicher Rechtsfehler vorliegt, verweist die Revisions-
minister von Pennsylvania und Mitglied des US-Repräsentantenhauses; William T. Coleman, Jr., ehemals Verkehrsminister (secretary of transportation) und schließlich Frank Williams, Oberrichter am Rhode Island Supreme Court. Siehe dazu die entsprechende Pressemitteilung des US-Verteidigungsministeriums Nr. 990-03 vom 30. Dezember 2003. Sie ist im Internet nachzulesen unter .
Siehe die Pressemitteilung des US-Verteidigungsministeriums Nr. 990-03 vom 30. Dezember 2003. Gemäß dem Militärkommissionserlaß Nr. 9, Abschnitt 4 B 2) wird die Amtszeit für jedes Mitglied der Revisionskammer gesondert festgelegt und soll grundsätzlich zwei Jahre nicht überschreiten.
MCI Nr. 9 vom 26. Dezember 2003, Abschnitt 4 B. Vgl. Abschnitt 4 C. b. führt Regelbeispiele von Rechtsfehlern auf: (1) A deficiency of error of such gravity and materiality that it deprives the accused of a full and fair trial; (2) Conviction of a charge that fails to state an offense that by statute or the law of armed conflict may be tried by military commission pursuant to references (a), (b), and (g); (3) Insufficiency of the evidence as a matter of law; and (4) A sentence that is not consistent with Section 6(G) of reference (a).
Vgl. MCI Nr. 9 vom 26. Dezember 2003, Abschnitt 4 C. 4) b. Vgl. MCI Nr. 9 vom 26. Dezember 2003, Abschnitt 4 C. 4) c.
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kammer den Fall zurück an die Bestallungsbehörde. Sofern die Revisionskammer die Auffassung vertritt, daß die Anklage ganz oder in Teilen fallenzulassen ist, verfügt die Bestallungsbehörde entsprechend. Andernfalls verweist die Bestallungsbehörde die Schlußfolgerungen der Revisionskammer an die Militärkommission zurück “for proceedings consistent with those conclusions”. Stellt sie mit der erforderlichen Mehrheit keinen entscheidungserheblichen Rechtsfehler fest, leitet die Revisionskammer den Fall mit einer Empfehlung zur weiteren Verfügung dem Verteidigungsminister zu. Zu jedem Schuldspruch (finding of Guilty) gibt sie eine Empfehlung dahingehend ab, ob er bestätigt, verworfen oder in einen milderen Schuldspruch (finding of Guilty to a lesser-included offense) geändert werden soll. Die Aufhebung eines Schuldspruchs kann sie unabhängig vom Vorliegen eines entscheidungserheblichen Rechtsfehlers empfehlen. Bezogen auf das Strafmaß gibt sie ebenfalls Empfehlungen ab, die von der Bestätigung über die Strafmilderung, Umwandlung und den Aufschub der Strafe bis zu deren Aussetzung reichen.
bb. Die Letztentscheidung des Präsidenten Die Gerichtsakte samt den Empfehlungen der Revisionskammer wird dann dem Verteidigungsminister zugeleitet, der die Sache nach Prüfung entweder zurückverweist oder sie zur weiteren Verfügung an den Präsidenten der Vereinigten Staaten weiterleitet, sofern ihm die Letztentscheidung nicht von diesem übertragen wurde. Dem Präsidenten
Vgl. MCO Nr. 1 vom 21. März 2002, Abschnitt 6 H (3)und MCI Nr. 9 vom 26. Dezember 2003, Abschnitt 4 C. a.
Vgl. MCI Nr. 9 vom 26. Dezember 2003, Abschnitt 4 C. a. (1). Vgl. MCI Nr. 9 vom 26. Dezember 2003, Abschnitt 4 C. a. (2).
Vgl. MCO Nr. 1 vom 21. März 2002, Abschnitt 6 H (3) und MCI Nr. 9 vom 26. Dezember 2003, Abschnitt 4 C. b.
Vgl. MCI Nr. 9 vom 26. Dezember 2003, Abschnitt 4 C. b. (1). Vgl. MCI Nr. 9 vom 26. Dezember 2003, Abschnitt 4 C. b. (2). Vgl. MCO Nr. 1 vom 21. März 2002, Abschnitt 6 H (5). Vgl. MCI Nr. 9 vom 26. Dezember 2003, Abschnitt 5, 6.
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der Vereinigten Staaten obliegt grundsätzlich die Letztentscheidung. Die entsprechende Passage lautet: “After Review by the Secretary of Defense, the record of trial and all recommendations will be forwarded to the President for review and final decision (unless the President has designated the Secretary of Defense to perform this function). If the President has designated the Secretary of Defense, the Secretary may approve or disapprove findings or change findings of Guilty to findings of Guilty to a lesser-included offense, or mitigate, commute, defer, or suspend the sentence imposed or any portion thereof. ...” Das heißt, der Präsident ist in seiner Entscheidung frei. Beschränkungen unterliegt nur der Verteidigungsminister, wenn ihm die Letztentscheidungsbefugnis übertragen wurde.
cc. Ausschluß weiterer Rechtsmittel Rechtsmittel gegen die Entscheidung des Präsidenten sind gesetzlich ausgeschlossen. Abschnitt 7 (b) der Militärverordnung vom 13. November 2001 bestimmt: With respect to any individual subject to this order -(1) military tribunals shall have exclusive jurisdiction with respect to offenses by the individual; and (2) the individual shall not be privileged to seek any remedy or maintain any proceeding, directly or indirectly, or have any such remedy or proceeding sought on the individual’s behalf, in (i) any court of the United States, or any State thereof, (ii) any court of any foreign nation, or (iii) any international tribunal.
c. Anmerkungen Auffallend an den Militärkommissionen ist vor allem die zentrale Rolle der Exekutive. Die ausgeprägte Rolle der Bestallungsbehörde und die Letztentscheidungsbefugnis des Präsidenten erinnern an die “courtmartials”, die Gegenstand der Entscheidungen der Europäischen Kommission und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in den
Vgl. MCO Nr. 1 vom 21. März 2002, Abschnitt 6 H (6) und MCI Nr. 9, Sec. 6. Beschränkungen der Entscheidungsbefugnisse sind ausdrücklich nur bei der Übertragung an den Verteidigungsminister vorgesehen.
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„britischen Fällen“ waren. Entsprechend werden gerade die Erwägungen in den „britischen Fällen“ im Rahmen der Bewertung von Bedeutung sein. Interessant ist darüber hinaus, daß das Verteidigungsministerium sich im Laufe der Zeit um Zugeständnisse an zivile Elemente bemüht hat. Es hat in einer Änderung des 9. Militärkommissionserlasses die Position der zivilen Verteidiger verbessert, das Review Panel mit Zivilpersonen besetzt und als Bestallungsbehörde im zweiten Anlauf gleichfalls eine Person ernannt, die zwar den Streitkräften nahe steht, aber weder diesen noch der Exekutive angehört. Die weiteren Untersuchungen werden jedoch zeigen, daß diese Zugeständnisse die bestehenden Bedenken nicht ausräumen können.
2. Die Zuständigkeit der Militärkommissionen Im Rahmen der Dissertation wurde erörtert, daß die Zuständigkeit von Militärgerichten ratione personae und materiae für die Beurteilung von deren Vereinbarkeit mit Art. 14 Abs. 1 IPBPR eine Rolle spielt. Deswegen soll hier die Zuständigkeit der Militärkommissionen jedenfalls kursorisch dargestellt werden.
a. Persönliche Zuständigkeit Aussagen zur persönlichen Zuständigkeit der Militärkommissionen finden sich – wie einleitend bereits erwähnt – in Abschnitt 2 (a) der Militärverordnung vom 13. November 2001. Diese bestimmt: (a) The term “individual subject to this order” shall mean any individual who is not a United States citizen with respect to whom I [the president] determine from time to time in writing that: (1) there is reason to believe that such individual, at the relevant times, (i)
is or was a member of the organization known as al Quaida;
Siehe dazu Kap. 2, B.I.2. der Dissertation. Diesen Vergleich zieht auch APV Rogers, The Use of Military Courts to Try Suspects, in: International and Comparative Law Quarterly 51 (2002), S. 967, 979.
Siehe dazu unten unter D.I. Siehe dazu unten unter D.I.
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(ii) has engaged in, aided or abetted, or conspired to commit, acts of international terrorism, or acts in preparation therefor, that have caused, threaten to cause, or have as their aim to cause, injury to or adverse effects on the United States, its citizens, national security, foreign policy, or economy; or (iii) has knowingly harbored one or more individuals described in subparagraphs (i) or (ii) of subsection 2 (a)(1) of this order; and (2) it is in the interest of the United States that such individual be subject to this order. Die persönliche Zuständigkeit erstreckt sich also grundsätzlich auf zwei Personengruppen: behauptete aktuelle und ehemalige Mitglieder von Al Kaida, sofern sie eine andere als die US-amerikanische Staatsbürgerschaft besitzen sowie weitere Personen ausländischer Staatsangehörigkeit, denen die Beteiligung an gegen die Vereinigten Staaten gerichteten Akten vorgeworfen wird bzw. die wissentlich solchen Personen Unterschlupf gewähren. Buchstaben (ii) und (iii) sind darauf gerichtet, die Taliban zu erfassen. Festzustellen ist allerdings, daß die Verordnung keinerlei dahingehende Beschränkung vornimmt. Es wäre also möglich, daß sich auch Personen, die im Irak Anschläge auf amerikanische Truppen ausüben, künftig vor den Militärkommissionen zu verantworten haben.
b. Sachliche Zuständigkeit In Zusammenhang mit der sachlichen Zuständigkeit ist interessant zu sehen, an welcher Stelle der Normenhierarchie die Definition der Delikte vorgenommen wird. Die Militärverordnung bestimmt nur, daß die Militärkommissionen für behauptete Verletzungen des Kriegsrechts und anderer anwendbarer Gesetze (other applicable laws) zuständig sein sollen. Abschnitt 3 B. der Militärkommissionsverordnung Nr. 1 wiederholt dies. Erst der Erlaß Nr. 2, “Crimes and Elements for Trials by Military Commissions” definiert die in Betracht kommenden Delikte. Diese sehr späte Festlegung ist wohl damit zu erklären, daß die Vorschriften angeblich nur den Bestand an völkerrechtlich anerkannten Straftaten wiedergeben oder in den Worten des Erlasses Nr. 2: “These crimes and elements derive from the law of armed conflict, a body of law that is sometimes referred to as law of war. They constitute violations of the law of armed conflict or offenses that, consistent with that body of law, are triable by military commissions. Be-
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cause this document is declarative of existing law, it does not preclude trial for crimes that occurred prior to its effective date.” Ob dem tatsächlich so ist, mag bezweifelt werden. Schon der Erlaß selbst unterscheidet zwischen Kriegsverbrechen und anderen Straftatbeständen. Zu den Kriegsverbrechen gehören danach folgende Tatbestände: das vorsätzliche Töten geschützter Personen, Angriffe auf Zivilpersonen, auf zivile Objekte sowie auf geschütztes Eigentum, Plünderung, Angriff ohne Schonung, Geiselnahme, der Einsatz von Gift oder entsprechender Waffen, die Benutzung geschützter Personen sowie geschützten Eigentums als Schutzschilder, Folter, schwere Körperverletzung, Verstümmelung, Verrat und Perfidie, mißbräuchliche Verwendung der Parlamentärflagge und geschützter Symbole, erniedrigende Behandlung eines toten Körpers und Vergewaltigung. Die „anderen Delikte“ sind: das Entführen oder in Gefahr bringen von Schiffen oder Flugzeugen, Terrorismus, Tötung von Personen so
MCI Nr. 2 vom 30. April 2003, Abschnitt 3 A. Willful killing of protected persons (Abschnitt 6 A 1). Attacking civilians (Abschnitt 6 A 2). Attacking civilian objects (Abschnitt 6 A 3). Attacking protected property (Abschnitt 6 A 4). Pillaging (Abschnitt 6 A 5). Denying quarter (Abschnitt 6 A 6). Taking hostages (Abschnitt 6 A 7). Employing poison or analogous weapons (Abschnitt 6 A 8).
Using protected persons as shields (Abschnitt 6 A 9), using protected property as shields (Abschnitt 6 A 10).
Torture (Abschnitt 6 A 11). Causing serious injury (Abschnitt 6 A 12). Mutilation and maiming (Abschnitt 6 A 13). Use of treachery and perfidy (Abschnitt 6 A 14).
Improper use of flag of truce (Abschnitt 6 A 15), improper use of protective emblems (Abschnitt 6 A 16).
Degrading treatment of a dead body (Abschnitt 6 A 17). Rape (Abschnitt 6 A 18). Hijacking or hazarding a vessel or aircraft (Abschnitt 6 B 1).
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wie Zerstörung von Eigentum durch einen nichtprivilegierten Kriegsbeteiligten, Unterstützung des Feindes, Spionage, Meineid oder Falschaussage und Behinderung der Rechtspflege bezogen auf Militärkommissionen. Um den Bezug zum bewaffneten Konflikt sicherzustellen, wird tatbestandlich gefordert, daß “the conduct took place in the context of and was associated with armed conflict”. Über diesen Umweg werden nach Auffassung von Kritikern Delikte, die bislang der ordentlichen Gerichtsbarkeit unterlagen, so z. B. Terrorismus und Entführung, in den Kompetenzbereich der Militärgerichte gezogen. Die Ausweitung der Jurisdiktion der Militärkommissionen rührt aber nicht nur von der Auswahl der Tatbestände, sondern auch von dem sehr weiten Verständnis des oben erwähnten Konnexitätserfordernisses. Die Definition lautet wie folgt: “Elements containing this language require a nexus between the conduct and armed hostilities. ... This element does not require a declaration of war, ongoing mutual hostilities, or confrontation involving a regular national armed force. A single hostile act or attempted act may provide sufficient basis for nexus so long as its magnitude or severity rises to the level of an “armed attack” or an “act of war”, or the number, power, stated intent or organization of the force with which the actor is associated is such that the act or attempted act is tantamount to an attack by an armed force. Similarly, conduct undertaken or organized with knowledge or intent that it
Terrorism (Abschnitt 6 B 2).
Murder by an unprivileged belligerent (Abschnitt 6 B 3), destruction of property by an unprivileged belligerent (Abschnitt 6 B 4).
Aiding the enemy (Abschnitt 6 B 5). Spying (Abschnitt 6 B 6). Perjury or False Testimony (Abschnitt 6 B 7). Obstruction of Justice Related to Military Commissions (Abschnitt 6
B 8).
Das gilt nicht für die letzten beiden Delikte.
Lawyers Committee for Human Rights, Briefing Paper “Trials under Military Order: A Guide to the Final Rules for Military Commissions”, S. 5, 10, veröffentlicht unter .
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initiate or contribute to such hostile act or hostilities would satisfy the nexus requirement.” Hier werden die Anforderungen an einen bewaffneten Konflikt herabgestuft, so daß auch insofern mehr als fraglich ist, ob Erlaß Nr. 2 seinem Anspruch, ausschließlich bestehendes Recht wiederzugeben, tatsächlich gerecht wird.
c. Zwischenbewertung In der Zuständigkeitsordnung der Militärkommissionen spiegelt sich das einleitend dargestellte diffuse Bild zum Status der in GuantánamoBay inhaftierten Personen wider. Es wird immer wieder Bezug auf das Genfer Recht genommen, aber es wird nicht konsequent verfolgt, sondern den besonderen Umständen angepaßt, die sich aus dem Kernanliegen ergeben: die strafrechtliche Verfolgung von Terroristen.
D. Bewertung der Militärkommissionen am Maßstab des Art. 14 Abs. 1 IPBPR Angesichts der dargestellten Eigenheiten der US-Militärkommissionen stellt sich die Frage, wie diese im Lichte des im Pakt verbürgten Rechts auf ein faires Verfahren zu bewerten sind. Art. 14 Abs. 1 Satz 2 IPBPR bestimmt: Jedermann hat Anspruch darauf, daß über eine gegen ihn erhobene strafrechtliche Anklage (...) durch ein zuständiges, unabhängiges, unparteiisches und auf Gesetz beruhendes Gericht in billiger Weise und öffentlich verhandelt wird. Nach Auffassung des Menschenrechtsausschusses verstoßen Militärgerichte nicht per se gegen Art. 14. Der Menschenrechtsausschuß untersucht deren Vereinbarkeit mit Art. 14 anhand der Tatbestandsmerkmale „unabhängig“ und „unparteilich“. Maßgeblich für die Entscheidung der Übereinstimmung oder des Verstoßes sind eine Reihe von Kriterien, die weiter unten näher zu beleuchten sind.
MCI Nr. 2 vom 30. April 2003, Abschnitt 5 C.
Vgl. MRA, Allgemeine Bemerkung 13 zu Art. 14, U.N. Dok. HRI\GEN\ 1\Rev.1, S. 14, § 4.
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In seiner Spruchpraxis hatte sich der Menschenrechtsausschuß vor allem mit Strafverfahren vor Militärgerichten gegen Personen zu befassen, die nicht dem Militär angehören und also nach dem Verständnis der hiesigen Untersuchung als Zivilpersonen einzustufen sind. Die Spruchpraxis ist insgesamt weniger ausdifferenziert als die des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofs. Doch lassen sich in der Wertung insofern Übereinstimmungen feststellen, als ein mit Angehörigen der Streitkräfte als Richter besetztes Gericht in Verfahren gegen Angehörige derselben – jedenfalls in gewissem Rahmen – den Anforderungen des Art. 14 entsprechen kann. Richtet ein identisch zusammengesetztes Gericht über Zivilpersonen, werden beide Spruchkörper einen Verstoß feststellen. Weil sich der Europäische Gerichtshof intensiv mit den Besonderheiten des angelsächsischen Modells der Militärgerichte befaßt hat, ist davon auszugehen, daß der Menschenrechtsausschuß grundsätzlich auf diese Rechtsprechung Bezug nehmen wird. Grundsätzlich deshalb, weil eine detaillierte Auseinandersetzung mit einzelnen Strukturmerkmalen der Militärkommissionen eher im Individualbeschwerdeverfahren zu erwarten ist. Die Vereinigten Staaten von Amerika haben das 1. Zusatzprotokoll zum Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte jedoch nicht ratifiziert. Für die Bewertung sind vor allem Struktur und Verfahren der USMilitärkommissionen von Bedeutung, also Faktoren, die klassisch unter die Kriterien der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit fallen. Die Zuständigkeit der Militärkommissionen in persönlicher und sachlicher Hinsicht wird ebenfalls zu berücksichtigen sein. Sie hat allerdings eher komplementären Charakter.
I. Unabhängigkeit und Unparteilichkeit – Aufbau, Zusammensetzung und Verfahren Die Aussage des Menschenrechtsausschusses in der Beschwerde González del Río gegen Perú illustriert die Bedeutung, die der Spruchkörper Unabhängigkeit und Unparteilichkeit beimißt:
Siehe Office of the United Nations Commissioner for Human Rights, Status of Ratifications of the Principal International Human Rights Treaties, Stand: 02. November 2003. Das Dokument ist im Internet unter verfügbar.
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“The Committee recalls that the right to be tried by an independent and impartial tribunal may suffer no exception.” Die Kriterien, die der Menschenrechtsausschuß zur Feststellung der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit anlegt, spiegeln sich in der Allgemeinen Bemerkung zu Art. 14 wider. Dort heißt es in Ziffer 3: “In particular, States parties should specify the relevant constitutional and legislative texts which provide for the establishment of the courts and ensure that they are independent, impartial and competent, in particular with regard to the manner in which judges are appointed, the qualifications of appointment, and the duration of their terms of office; the conditions governing promotion, transfer and cessation of their functions and the actual independence of the judiciary from the executive branch and the legislative.” Das sind wesentlich Faktoren, die auch der Europäische Menschenrechtsgerichtshof für seine Beurteilung nach Art. 6 Abs. 1 EMRK als entscheidend betrachtet. Im folgenden werden einige dieser Faktoren untersucht werden. Ein wesentlicher Gesichtspunkt wird der Einfluß äußerer Faktoren sein – und zwar besonders der Einfluß der Exekutive. Hier geht es um den Einfluß von Präsident und Verteidigungsministerium allgemein, um den Einfluß des Präsidenten im konkreten Verfahren und um die Rolle der Bestallungsbehörde. Bezogen auf letztere beide Aspekte geht die Diskussion mit der Frage einher, welche Person oder welcher Spruchkörper in dem komplexen Verfahren „das Gericht“ ist. Die Antwort erscheint auf den ersten Blick offensichtlich: die Militärkommission. Aber kann ein Spruchkörper Gericht sein, der im Rahmen der Hauptver-
MRA, González del Río gegen Peru, Beschwerde Nr. 263/87, Entscheidung vom 28. Oktober 1992, U.N. Dok. CCPR/C/46/263/1987, § 5.2.
MRA, Allgemeine Bemerkung 13 zu Art. 14 (Twenty-first session, 1984), Compilation of General Comments and General Recommendations Adopted by Human Rights Treaty Bodies, U.N. doc. HRI\GEN\1\Rev.1 at 14 (1994). Siehe zu den Kriterien im Berichtsverfahren auch Kap. 2, B.III.1.a. der Dissertation.
In der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zu Militärgerichten spielen vor allem die Schutzvorkehrungen gegen externen Einfluß (existence of guarantees against outside pressures) eine Rolle. Darüber kommt in bestimmten Fällen auch dem Anschein der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit aus der Sicht eines objektiven Beobachters in der Rolle des Angeklagten maßgebliche Bedeutung zu.
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handlung keine verfahrensbeendenden Entscheidungen treffen kann und dessen Urteil nicht bindend ist?
1. Einfluß der Exekutive – insbesondere des Verteidigungsministeriums Unabhängigkeit und Unparteilichkeit stellen sicher, daß Gerichte als neutrale Dritte agieren können. Dazu gehört die Gewährleistung der organisatorischen Eigenständigkeit der Gerichte und der Schutz vor Einflußnahmen von außen. Die umfassenden Kompetenzen der Exekutive – des Verteidigungsministeriums und des Präsidenten – stellen einen Verstoß gegen den Unabhängigkeitsgrundsatz dar. Zunächst erließ der Präsident die Militärverordnung, in der er den Verteidigungsminister ermächtigte, die für die Verfahren vor Militärgerichten erforderlichen weiteren Militärkommissionsverordnungen und Erlasse zu verabschieden. Die Rahmenbedingungen wie sachliche und persönliche Zuständigkeit, Zusammensetzung der Kommissionen und Verfahren liegen damit komplett in den Händen der Exekutive. Der Präsident entscheidet, ob die Strafverfolgung gegen eine bestimmte Person vor einer Militärkommission betrieben wird. Der Verteidigungsminister ernennt die Bestallungsbehörde, die ihrerseits mit mannigfaltigen Kompetenzen ausgestattet und dem Verteidigungsministerium dienstlich unterstellt ist. Das Ministerium ernennt Chefankläger und Chefverteidiger und beide Seiten unterstehen dem Ministerium, wenn auch unterschiedlichen Abteilungen. Das Ministerium ernennt des weiteren die Mitglieder der Revisionskammer und kann diese aus triftigem Grund wieder abberufen. Schließlich ist der Verteidigungsminister gegen Ende des Verfahrens unmittelbar an der Entscheidung beteiligt. Und am Ende schließt sich der Kreis, indem der Präsident der Vereinigten Staaten die Letztentscheidung in der Sache trifft. Die Militärkommissionen wie auch das Verfahren liegen in den Händen der Exekutive. Diese Abhängigkeit bedingt, daß den Militärkommissionen ein wesentliches Attribut fehlt, das der Europäische Menschenrechtsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung wie folgt formuliert:
Siehe auch Kap. 2, A.II. der Dissertation.
So auch Detlev F. Vagts, Which Courts Should Try Persons Accused of Terrorism?, in: European Journal of International Law 14 (2003), S. 313, 322.
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“(...) that what is at stake is the confidence which such tribunals in a democratic society must inspire in the public and above all, as far as criminal proceedings are concerned, in the accused.”
2. Das Letztentscheidungsrecht des Präsidenten Die Letztentscheidung des Präsidenten der Vereinigten Staaten ist der Bestätigung des Gerichtsherrn (confirming officer) in den „britischen Fällen“ vor dem Europäischen Menschenrechtsgerichtshof vergleichbar. Auch dort bedurfte der Richterspruch, um Wirksamkeit zu erlangen, der Bestätigung einer Person, die nicht zum Spruchkörper gehörte. Ebenso wie der Präsident der Vereinigten Staaten war der Gerichtsherr nicht verpflichtet, den Spruch des Gerichts in der vorgefundenen Form zu bestätigen. Er war vielmehr befugt, die Entscheidung des Gerichts abzuändern. In Findlay gegen Vereinigtes Königreich führte der Gerichtshof zum Bestätigungserfordernis aus: “This is contrary to the well-established principle that the power to give binding decision which may not be altered by a non-judicial authority is inherent in the very notion of “tribunal” and can also be seen as a component of the “independence” required by Art. 6 § 1.” So verhält es sich auch hier. Die Letztentscheidungsbefugnis des Präsidenten der Vereinigten Staaten ist unvereinbar mit der wesentlichen Eigenschaft eines Gerichts, ein Urteil zu fällen, über dessen Rechtskraft allenfalls ein weiteres Gericht entscheidet. Die hier vorliegende Konstellation unterscheidet sich wesentlich von der im Fall Cooper gegen Vereinigtes Königreich. Dort entschied der Gerichtshof, daß die Entscheidung der “Reviewing Authority”, die er als „Nicht-Gericht“ einstufte, und die den Urteilsspruch des Gerichts abändern konnte, nicht ipso iure zur Unvereinbarkeit mit Art. 6 Abs. 1 EMRK führe. Ausschlaggebend war insofern, daß die “Reviewing Authority” nach Auffassung des Gerichtshofs nicht die Letztentscheidung in der Sache
Siehe EGMR, Grieves gegen Vereinigtes Königreich, Beschwerde Nr. 57067/00, Urteil vom 16. Dezember 2003, § 71 m. w. N.
EGMR, Findlay gegen Vereinigtes Königreich, RDJ Nr. 30 (1997-I), S. 263, 282, § 77 (Verweise weggelassen).
Vgl. EGMR, Cooper gegen Vereinigtes Königreich, Beschwerde Nr. 48843/99, Urteil vom 16. Dezember 2003, § 40 f. zu Struktur und Kompetenzen der “Reviewing Authority”.
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traf. In letzter Instanz entscheide vielmehr der Court-Martial Appeal Court, also ein Gericht. Inwiefern diese Argumentation überzeugt, mag dahinstehen. Für den vorliegenden Fall ist jedenfalls klar: im Verfahren vor den US-Militärkommissionen gibt es keine „Heilung“ durch ein höheres Gericht, das den Anforderungen des Art. 14 Abs. 1 IPBPR in vollem Umfang entspricht. Die Bewertung ändert sich auch nicht für den Fall, daß der Präsident seine Letztentscheidungsbefugnis – mit Einschränkungen – auf den Verteidigungsminister überträgt. Denn es bleibt dabei, daß ein „Nicht-Gericht“ seine Entscheidung an die Stelle des Gerichts setzt und daß die Frage, ob ein Strafmaß schwerer oder geringer wiegt, letzten Endes im Ermessen dieses „Nicht-Gerichts“ steht.
3. Die Rolle der Bestallungsbehörde In einem weiteren Punkt eignen sich die „britischen Fälle“ als Orientierungshilfe: bei der Bewertung der Rolle der Bestallungsbehörde. Die Zweifel des Gerichtshofs an der Unabhängigkeit der britischen “courtmartials” beruhten wesentlich auf den vielen Funktionen des “convening officer” und dem Umstand, daß er trotz seiner verfahrensleitenden Kompetenzen nicht dem Spruchkörper angehörte. Er spielte eine entscheidende Rolle in der Anklage, ernannte die Mitglieder des Militärgerichts, die ihm im Rang untergeordnet waren und ihm dienstlich unterstanden. Er konnte das Gericht auflösen. Wie oben ausgeführt wurde der Urteilsspruch nur mit seiner Zustimmung wirksam. Die Bestallungsbehörde vereinigt zwar nicht sämtliche der vom Gerichtsherrn wahrgenommenen Kompetenzen. Trotzdem ist ihre Rolle mit dem Unabhängigkeitsgrundsatz unvereinbar. Sie beeinträchtigt wesentliche Funktionen des Gerichts. Obwohl Verwaltungsbehörde, hat sie verfahrenslenkende Kompetenzen. Die Bestallungsbehörde läßt die Anklage zu, überweist sie zur Hauptverhandlung an die Kommission und entscheidet anstelle des Vorsitzenden über verfahrensbeendende Handlungen im Rahmen der Hauptverhandlung. Sie ernennt und ent-
Vgl. EGMR, Cooper gegen Vereinigtes Königreich, Beschwerde Nr. 48843/99, § 131. In Morris gegen Vereinigtes Königreich war der Gerichtshof noch davon ausgegangen, daß die Rolle der Reviewing Authority das Verfahren „unheilbar“ beeinflußte, siehe EGMR, Morris gegen Vereinigtes Königreich, RJD (2002-I), S. 387, 414 §§ 73 ff.
So auch das Argument in Morris gegen Vereinigtes Königreich, RJD (2002-I), S. 387, 414 §§ 75.
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läßt die Mitglieder der Militärkommission. Dabei ist sie befugt, unter bestimmten Umständen die Kommission aufzulösen und eine neue zu bestimmen. Sie ist für das Einbringen von Beweismitteln verantwortlich und kann sowohl der Anklage als auch der Verteidigung Sonderaufgaben übertragen. Im Nachverfahren ist ihre Rolle zwar weniger umfangreich. Sie ist aber doch von erheblicher Bedeutung, denn die Bestallungsbehörde – nicht die Militärkommission – verwirft das Urteil ganz oder teilweise, wenn die Revisionskammer zu dem Schluß kommt, daß die Anklage insoweit nicht aufrechterhalten werden kann. Der Verstoß gegen die Unabhängigkeit liegt also auch hier darin begründet, daß der Spruchkörper dem Einfluß von außen ausgesetzt ist. Dabei ist es unerheblich, daß die Bestallungsbehörde anders als in den „britischen Fällen“ nicht unmittelbar den Streitkräften angehört. Sie ist dem Verteidigungsminister dienstlich unterstellt, in ihrer Amtsführung also nicht unabhängig und wie die Auswechslung zeigt, auch nicht unabsetzbar. Schließlich ist trotz der verfahrensentscheidenden Funktionen für die Position keine juristische Ausbildung vorgeschrieben.
4. Die Mitglieder der Kommission Wesentliche Schwächen der Militärkommission wurden in Zusammenhang mit den zuvor beschriebenen Beteiligten bereits erörtert. Zwar vollzieht sie die Hauptverhandlung und fällt eine Entscheidung, sie ist aber durch die anderen Beteiligten und das mehrstufige Verfahren in wesentlichen Rechten beschnitten. Außer diesen Mängeln, die den äußeren Einflüssen geschuldet sind, ergeben sich bei der Betrachtung der üblicherweise in diesem Zusammenhang verwendeten Kriterien – Ernennung, Abberufung, Amtsdauer, dienstliche Beurteilungen u. a. – weitere Bedenken. Im Zusammenhang mit Ernennungsverfahren kritisiert der Menschenrechtsausschuß zweierlei: die maßgebliche Mitwirkung der Exekutive und die nicht qualifikationsorientierte Auswahl. Ersterer Mangel ist hier gegeben. Bezogen auf die Auswahl der Mitglieder bestehen insofern Bedenken, als die Kriterien aufgrund derer die Bestallungsbehörde zu der Einschätzung kommt, daß eine bestimmte Person in der Lage ist das Richteramt auszuüben, nicht transparent sind.
Siehe Nachweise in Kap. 2, B.III.1.a. der Dissertation.
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Der Umstand, daß die Mitglieder der Kommissionen ad-hoc für ein bestimmtes Verfahren ernannt werden, läßt es besonders dringlich erscheinen, sicherzustellen, daß sie in der Ausübung ihres Amtes frei sind. Hier fällt negativ ins Gewicht, daß die Mitglieder der Kommission während ihrer richterlichen Tätigkeit weiter ihren Dienststellen (parent commands) unterstehen. Wenn auch ihre Dienstvorgesetzten die richterliche Tätigkeit nicht zum Gegenstand von Beurteilungen machen dürfen, bleibt doch eine gewisse Nähe zu den Dienststellen bestehen. Beachtlich ist dabei auch, daß von den Kommissionsmitgliedern nur der Vorsitzende juristische Vorbildung besitzen muß. Die Stellung des Vorsitzenden der Militärkommission ist dabei durch die Eingriffsmöglichkeiten der Bestallungsbehörde geschwächt. Sie entspricht in keiner Weise der Rolle des “judge advocate”, eines vom Lordkanzler ernannten juristisch qualifizierten Zivilisten, den der Europäische Menschenrechtsgerichtshof in Cooper gegen Vereinigtes Königreich als bedeutende Garantie für die Unabhängigkeit des Gerichts lobte. Besonders problematisch ist schließlich die Befugnis der Bestallungsbehörde, Mitglieder der Kommission abzusetzen. Nicht nur ist die Unabsetzbarkeit allgemein wichtige Voraussetzung dafür, daß die Richter ihre Aufgaben einflußfrei ausführen können. Im vorliegenden Fall reichen für die Absetzung „triftige Gründe“. Bezogen auf die Mitglieder der Militärkommissionen ist keine Definition der “good cause” ersichtlich. Sollte sie inhaltlich der für die Abberufung der Mitglieder der Revisionskammer geltenden Regelung entsprechen, die lautet ““Good cause” includes, but is not limited to, physical disability, military exigency, or other circumstances that render the member unable to perform his duties.” ist sie kaum geeignet sicherzustellen, daß Mitglieder – hier der Revisionskammer – angemessen gegen Einflußnahmen von außen geschützt sind.
In Morris gegen Vereinigtes Königreich, (RJD 2002-I), S. 387, 413 § 70 führt der Gerichtshof aus: “Although the Court does not consider that the ad hoc nature of their appointment was sufficient in itself to render the make-up of the court martial incompatible with the independence requirements of Article 6 § 1, it made the need for the presence of safeguards against outside pressures all the more important in this case”.
Vgl. EGMR, Cooper gegen Vereinigtes Königreich, Beschwerde Nr. 48843/99, Urteil vom 16. Dezember 2003, § 117.
MCI Nr. 9 vom 26. Dezember 2003, Abschnitt 4 B 2).
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Das obligatorische Revisionsverfahren kann die aufgezeigten Mängel des Hauptverfahrens nicht heilen, weil keine neuerliche Hauptverhandlung durchgeführt wird.
5. Einfluß der Genfer Konventionen Die Untersuchung der Struktur und des Verfahrens hat eine Reihe von Mängeln gezeigt, die unter den üblichen Umständen dazu führen, daß die Militärkommissionen als mit Art. 14 unvereinbar angesehen werden müssen. Gravierend ist vor allem die Politisierung der Verfahren durch den Einfluß des Verteidigungsministeriums und des Präsidenten der Vereinigten Staaten. Ändert sich diese Einschätzung soweit die Genfer Konventionen anwendbar sind? Die Antwort ist klar nein. Auch das Genfer Recht verlangt, daß grundlegende Anforderungen an ein faires Verfahren eingehalten werden. Zu diesen Garantien gehören der Unabhängigkeits- und der Unparteilichkeitsgrundsatz. Art. 84 Abs. 2 des Dritten Genfer Abkommens nimmt ausdrücklich auf diese Grundsätze Bezug und bestimmt: „Auf keinen Fall darf ein Kriegsgefangener vor ein Militärgericht gestellt werden, das nicht die allgemein anerkannten wesentlichen Garantien der Unabhängigkeit und der Unparteilichkeit bietet und dessen Verfahren ihm insbesondere nicht die in Artikel 105 vorgeschriebenen Rechte und Mittel der Verteidigung gewährleistet.“ Gleiches ergibt sich für alle anderen Beteiligten aus den gewohnheitsrechtlich geltenden, im gemeinsamen Art. 3 verbürgten Mindestgarantien. Verboten sind danach Verurteilungen und Hinrichtungen ohne vorhergehendes Urteil eines ordentlich bestellten Gerichtes, das die von den zivilisierten Völkern als unerläßlich angesehenen Rechtsgarantien bietet. Führt man sich vor Augen, daß die Militärkommissionen einerseits Todesurteile fällen können, daß andererseits die Letztentscheidungsbe
Vgl. Abschnitt 4 der Militärverordnung, mit dem Titel: “Authority of the Secretary of Defense Regarding Trials of Individuals Subject to this Order”, bestimmt: (a) Any individual subject to this order shall, when tried, be tried by a military commission for any or all offenses triable by military commission that such individual is alleged to have committed, and may be punished in accordance with the penalties provided under applicable law, including life imprisonment or death.
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fugnis des Präsidenten bei Anwendung der Rechtsprechung des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofs zur Verneinung des Merkmals „Gericht“ führt, kann kein Zweifel daran bestehen, daß die Militärkommissionen den von den zivilisierten Völkern als unerläßlich angesehenen Rechtsgarantien nicht entsprechen.
II. Recht auf ein zuständiges Gericht Die Untersuchung der Spruchpraxis des Menschenrechtsausschusses im Rahmen der Dissertation ergab, daß dieser Strafverfahren vor Militärgerichten für unvereinbar mit Art. 14 IPBPR hält, wenn sie sich entweder gegen Zivilpersonen richten oder wenn es um die Strafverfolgung von Angehörigen der Streitkräfte wegen Menschenrechtsverletzungen geht. Letztere Fallgruppe betraf dabei stets solche Fälle, in denen mit Vertretern der Streitkräfte besetzte Militärgerichte dazu aufgerufen waren, behauptete Straftaten der eigenen Truppe zu ahnden. Bezogen auf die Jurisdiktion ratione personae spielt die Reichweite der Genfer Konventionen, besonders des Dritten Genfer Abkommens über den Schutz von Kriegsgefangenen, eine Rolle. Dogmatisch ist davon auszugehen, daß der Menschenrechtsausschuß das humanitäre Völkerrecht – anders als die Inter-Amerikanische Menschenrechtskommission – nicht selbst zum Gegenstand der Prüfung machen, sondern bei
(b) As a military function and in light of the findings in section 1 [hier legt der President die Gründe für die Einsetzung der Militärgerichte dar, Anmerkung der Verfasserin], including subsection (f) thereof, the Secretary of Defense shall issue such orders and regulations, including orders for the appointment of one or more military commissions, as may be necessary to carry out subsection (a) of this section. (c) Orders and regulations issued under subsection (b) of this section shall include, but not be limited to, rules for the conduct of the proceedings of military commissions, including pretrial, trial, and posttrial procedures, modes of proof, issuance of process, and qualifications of attorneys, which shall at a minimum provide for ... [es folgt eine Aufzählung].
Siehe dazu Kap. 2, B.III. der Dissertation.
Siehe z. B. die Entscheidung der Kommission vom 12. März 2002, abgedruckt in: Human Rights Law Journal 23 (2002), S. 15, 16 mit Hinweis auf den Fall Abella. Ausführlich zur Spruchpraxis der Kommission auch Thilo Rensmann, Menschenrechtsschutz im Inter-Amerikanischen System: Modell für Eu-
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der Auslegung des Paktes berücksichtigen wird. Dafür sprechen die eingangs zitierten Formulierungen aus den Schlußbemerkungen zum Staatenbericht Israels. Personen, die als Kriegsgefangene in den Anwendungsbereich der Dritten Genfer Konvention fallen, haben Anspruch darauf, vor ein Militärgericht gestellt zu werden. Damit ergibt sich aus dem Umstand, daß Militärkommissionen tätig werden, isoliert betrachtet kein zusätzlicher Mangel. Allerdings entsprechen die Militärkommissionen materiellrechtlich den Anforderungen des Art. 84 nicht. In allen anderen Fällen wird der Menschenrechtsausschuß bei seiner Spruchpraxis bleiben, daß die Strafverfolgung von Personen, die nicht Angehörige der Streitkräfte sind, vor ordentlichen Gerichten erfolgen muß. Die Militärkommissionen bestätigen die Bedenken, die der Menschenrechtsausschuß in seiner Allgemeinen Bemerkung zu Art. 14 bezogen auf Verfahren gegen Zivilpersonen artikuliert: “Quite often the reason for the establishment of such courts [military or special courts, Anm. der Verfasserin] is to enable exceptional procedures to be applied which do not comply with normal standards of justice.”
E. Ergebnis Zusammenfassend läßt sich feststellen, daß die Militärkommissionen weder den Anforderungen des Art. 14 IPBPR noch den Anforderungen
ropa?, in: Verfassung und Recht in Übersee 33 (2000), S. 137 ff. und Liesbeth Zegfeld, Commission interaméricaine des droits de l’homme et droit international humanitaire: commentaire sur l’affaire de Tablada, in: Revue Internationale de la Croix-Rouge LXXX (1998), S. 543 ff.
Siehe oben unter B.II.
Die Regelung, Kriegsgefangene vor Militärgerichten strafrechtlich zu verfolgen, sollte den rechtlichen Gegebenheiten in einer Vielzahl von Ländern Rechnung tragen. So Jean S. Pictet (Hrsg.), La Convention de Genève relative au traitement des Prisonniers de Guerre (Commentaire), Genf 1958, S. 436; Walter Meier, Die Bestimmungen über das Kriegsverbrechens- und Besatzungsstrafrecht in den Genfer Abkommen zum Schutze der Kriegsopfer von 1949, Winterthur 1964, S. 103.
Siehe den Text des Art. 84 in Fußnote 764.
MRA, Allgemeine Bemerkung 13 zu Art. 14, U.N. Dok. HRI\GEN\ 1\Rev.1, S. 14 § 4.
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der Genfer Konventionen entsprechen. Der Fall der US-Militärkommissionen belegt, daß die Problematik militärgerichtlicher Strafverfahren nicht auf einige wenige autoritäre Staaten beschränkt ist. Vielmehr ist ihre Einrichtung – gepaart mit weiteren verfahrensrechtlichen Besonderheiten – nach wie vor eine verbreitete Reaktion auf Bedrohungen von innen oder außen, denen sich ein Staat ausgesetzt sieht.
So auch Jim Davis, A Cautionary Tale: Examining the Use of Military Tribunals by the United States in the Aftermath of the September 11 Attack in Light of Peru’s History of Human Rights Abuses Resulting From Similar Measures, in: Georgia Journal of International & Comparative Law 31 (2003), S. 423, 449. Harold Hongju Koh, The Case Against Military Commissions, in: American Journal of International Law 96 (2002), S. 337, 339. Anders: Ruth Wedgwood, Al Quaeda, Terrorism and Military Commissions, in: American Journal of International Law 96 (2002), S. 328, 332.
Summary A. Introduction Military tribunals have existed ever since standing armies became customary. While their primary objective has generally been to maintain order and discipline within the forces, their structure, their jurisdiction and trial procedures have varied in the course of time as well as according to legal traditions and circumstances in general. As will be seen below, jurisdictional matters in particular are at the heart of the analysis. The study focuses on three Conventions: the European Convention on Human Rights (ECHR), the Inter-American Convention on Human Rights (IACHR) and the International Covenant on Civil and Political Rights (ICCPR). It undertakes to analyse the conformity of military courts with the right to a fair trial based on the jurisprudence of treatybased supervisory organs, i.e.: the European Commission and the European Court of Human Rights, the Inter-American Commission and Court of Human Rights as well as the U.N. Human Rights Committee. A look at the jurisprudence reveals that over the years international supervisory bodies have dealt with a variety of questions of a structural as well as of a procedural nature. Two categories of cases stand out, the first one being of major importance for all three treaties: trials against civilians before military tribunals and trials against members of the armed forces accused of human rights violations. Supervisory bodies tend to deal with those issues in the context of the elements “independence” and “impartiality”. However, as will be seen below, there have been interesting developments within the last couple of years.
B. Independence and Impartiality The principles of independence and impartiality guarantee that courts act as neutral thirds. To establish whether a tribunal complies with the requirements, all of the supervisory bodies recur to a – more or less similar – set of criteria such as the manner of appointment of its members, their term of office and security of tenure to establish whether a tribunal can be considered as independent. The following will give a brief outline of the existing case-law.
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I. ICCPR In the 70ies and 80ies, the U.N. Human Rights Committee rendered “views” in a number of individual complaints against Uruguay, and to a lesser extent against Colombia, in which civilians invoked the violation of the right to a fair trial because of having been tried before military tribunals. Without further elaboration, the U.N. Human Rights Committee found the trials to infringe the right to a fair trial. In its General Comment of April 12, 1984, the Human Rights Committee acknowledged that the trials by military tribunals could present serious problems under Article 14 (1) of the International Covenant on Civil and Political Rights, but concluded only that such trials “should be very exceptional and take place under conditions which genuinely afford the full guarantees stipulated in article 14”. More recent country reports may be interpreted to indicate that the Committee draws back from that cautious approach. On this note, the Committee states in the concluding remarks to its fourth country report on Chile that “the continuing jurisdiction of Chilean military courts to try civilians does not comply with Art. 14 of the Covenant” and that as a consequence the respective laws ought to be amended so as to restrict their jurisdiction. The same demand can be found in the fourth report on Columbia with regard to human rights violations presumed to have been committed by members of the military forces.
II. ECHR Up until the 90ies, the so-called Strasbourg organs dealt with military tribunals only sporadically and primarily in the context of the maintenance of discipline and order within the armed forces. The situation changed when Commission and Court were confronted with complaints against the United Kingdom and Turkey.
1. “British Cases” At the focus of attention of the “British cases” was the outstanding role of the convening officer prior to the coming into force of the 1996 Armed Forces Act. The convening officer played an important role at all stages of the trial. In the pre-trial phase, he decided which charges should be brought and which type of court-martial was most appropriate, he convened the court-martial and appointed its members – all sub-
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ordinate in rank to him – as well as the prosecuting and defending officers. During the trial he procured the attendance at trial of the witnesses for the prosecution and those “reasonably requested” by the defence. Lastly, the convening officer acted as confirming officer, meaning that the decision of the court became effective only upon being ratified by him, and he had the power to vary the sentence imposed as he saw fit. In view of those and other features, the Court concluded that the defendant’s right to a hearing before an independent and impartial tribunal had been violated. Some aspects of the “British cases”, for instance the ratification requirement, are of interest for the assessment of the US military commissions.
2. “Turkish Cases” The “Turkish cases” are of a different nature. They concern trials against civilians before Turkish State Security Courts. Up until 1999, those courts were composed of two civilian and one military judge (the latter was then replaced by a further civilian judge). The State Security Courts’ jurisdiction comprises “political offences” such as offences against the Republic, against the indivisible unity of the nation and offences which directly affect Turkey’s internal or external security. At the centre of attention of the Court’s assessment in those cases was the military judge. The Court observed positively that the military judges followed the same professional training as their civilian counterparts. On the other hand, it criticised that military judges remained subject to military discipline and assessment reports and that the army’s administrative authorities played an important role in the judges’ appointment. However, having weighed up those and other facts, the Court was unable to reach a decision. As a consequence, it turned to a further criterion, namely the question as to whether the State Security Court presented an appearance of independence. In this context, it attached great importance to the fact that a member of the armed forces participated in a trial against a civilian and concluded “that the applicant could legitimately fear that because one of the judges (...) was a military judge it might allow itself to be unduly influenced by considerations which had nothing to do with the nature of the case.” As the Gerger case illustrates, the Court’s line of argument is not wholly satisfying. In Gerger, it was established that the military judge voted against the majority of the two civilian judges for a lighter pen-
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alty. In view of those circumstances, it is difficult to perceive how the above “appearances” could come into play. How could the applicant have had legitimate cause to doubt that the military judge was unduly influenced? Lamentably, however, the Court followed the line of arguments set out above without giving in-depth consideration to the particular circumstances of the case.
3. Notes The Strasbourg organs’ jurisprudence highlights that “independence and impartiality” are key issues where – as in the British cases – it’s a matter “solely” of structural deficiencies. Trials against civilians before military courts raise questions that go beyond the military courts’ structure. Here the central problem lies in the conflict between the military’s task in the fight i.e. against terrorism and the military’s judicial duties. It is for this reason that the traditional approach of applying criteria such as security of tenure or the manner of appointment is not wholly convincing when it comes to arguing jurisdictional restrictions.
III. IACHR The Inter-American Commission first dealt with military courts in country reports. Its line of argument at the beginning of the 90ies centred on military courts being purely functional courts designed to maintain discipline within the forces. Consequently, trials against civilians were considered to overstep the military courts’ “natural role”. In the Tamayo case, the Inter-American Commission went a step further. It found the trial against Loayza Tamayo, a civilian tried before a Peruvian military court, to be “contrary to the natural and competent judge”. Interestingly, the notion “competent” appears in the wording of Article 8 para. 1, however, not as “competent judge” but as “competent tribunal”. The Inter-American Court followed the Commission’s line of argument. It found that the trial contravened the right to a competent judge (juez competente). Given the facts of the case, it remained uncertain as to whether that decision was founded on internal Peruvian law or whether it indicated a paradigm shift from “independence and impartiality” to a somewhat undefined element “competent judge”. As will be seen below, the latter interpretation was correct.
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C. The Right to a Competent Court The International Covenant as well as the Inter-American Convention expressly provide for a right to a trial before a competent court. The following section outlines the further jurisprudence of the InterAmerican organs and thoughts of an alternative approach.
I. Stock-taking Following the above-mentioned Tamayo case, the Inter-American Court of Human Rights rendered a further judgement in Castillo Petruzzi and others. The application challenged convictions by Peruvian military courts of four Chilean nationals for the crime of “treason against the fatherland” (traición a la patria). The Court ruled that military proceedings were contrary to the “juez natural” (the natural judge), a right implied in the right to a fair trial. As regards its content, the Court explained that judicial competence may not be arbitrarily altered. In the eyes of the Court, the nomen iuris of treason was used to “cloak this arbitrary mutation in the guise of legality” and to remove jurisdiction from the ordinary to the military courts. The idea of a court’s “natural competencies” is intriguing. The concept of “natural judge” is known in constitutional law, and it has indeed been used to restrict military courts’ competencies. However, given that international human rights law doesn’t provide for a framework equivalent to national constitutions and that armed forces have no predefined role, it seems difficult to transfer that concept. In Cesti Hurtado, finally, the Court had the opportunity to confirm its Castillo jurisprudence. However, it didn’t. Instead of falling back on the concepts of the “competent” or “natural” judge, this time the Court relied on the wording “competent tribunal” Again, it remains somewhat unclear whether this implies a deliberate turning away from the “inherent rights-approach” or whether it is due to the particular circumstances of the case.
II. Alternative Approach In the next step, the study undertakes to develop an alternative approach. The idea is to derive a jurisdictional restriction ratione materiae
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by way of autonomous interpretation of the notion “competent tribunal”. The first task is to define a benchmark. Generally speaking, it would be possible to conceive “competent” as a renvoi to the respective national law. However, in that case it would be redundant. Neither does the majorities’ perspective provide a reliable basis for interpretation. The content of the right to a “competent tribunal” has to be inspired by the Conventions’ intrinsic values and standards. It must reflect and be coherent with their core principles. “Competent”, “arbitrary” and “unlawful” appear at various points in the Conventions. The rule of law, the prohibition of arbitrary actions and effective legal protection are key concepts and have been filled with meaning in prior jurisprudence. Based on those considerations, the study proposes an alternative line of argument for the restriction of military courts’ competencies.
D. Additional Considerations Two other issues are being analysed: questions arising in the context of emergency situations and the compliance of US military commissions with Art. 14 ICCPR.
I. States of Emergency States of emergency typically affect the judiciary. The executive obtains additional powers while at the same time – purportedly to enhance the judiciary’s “efficiency” – judicial standards are lowered. As set out above, international bodies consider trials against civilians by military courts as incompatible with the right to a fair trial. In the context of states of emergency, the question arises as to whether the State parties’ right to derogation alters that assessment. In neither of the three conventions is the right to a fair trial – as such – mentioned in the list of non-derogable rights. Therefore, their derogability depends on the two correctives incorporated in the conventions: the principle of proportionality and other international obligations. The study comes to the conclusion that core rights such as the right to an independent and impartial tribunal and the rule of law are not at the State parties’ disposal.
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II. The Compliance of US Military Commissions with Art. 14 Para. 1 of the U.N. Covenant on Civil and Political Rights Lastly, the study investigates the compliance of the US military commission with Article 14 of the International Covenant on Civil and Political Rights. A closer look at the structure of the commissions reveals similarities with the court-martials in the British cases. Not only the dominant role of the appointing authority, but the overall influence of the executive, starting with the issuing of orders establishing the commissions and ending with the president of the United States taking the final decision is disturbing and incompatible with the exigencies of Art. 14 para. 1 ICCPR.
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Sachregister Al Kaida: 249, 253 f., 256, 260, 291 Allgemeine Bemerkung – zu Art. 4: 217, 222, 258, 280 – zu Art. 6: 172, 221 – zu Art. 7: 221 – zu Art. 14: 34, 94, 110, 114, 142 f., 222 Amtsdelikt, siehe auch militärisches Delikt: 17, 105, 161, 245, 247 Amtszeit, Dauer der: 46, 49, 50 f., 66, 77, 81 Anschein: 54, 57, 60 f., 65, 67 f., 70, 73, 75 f., 81, 101, 181 Arbeitsgruppe über willkürliche Haft: 1, 112, 114, 178 f. Argentinien – Berichte: 80, 86, 192, 234 – Verfassung: 161, 168 Bașkaya: 62, 71 Befangenheit: 42, 57, 60, 100 Belilos: 81, 134 Castillo Petruzzi u. a.: 90, 125 ff., 143, 150 f., 183, 239 Cesti Hurtado: 128 ff., 132 f. Chile – Berichte: 85, 96, 116, 292 – Verfassung: 161 f. Cooper: 249, 282, 285 Court-Martial – Großbritannien: 13, 51 f., 53, 58 f., 283 – USA: 13 f.
Coyne: 55, 58 Cumaraswamy, siehe auch Sonderberichterstatter: 38, 114, 215 Despouy, siehe auch Sonderberichterstatter: 196, 214, 221 Disziplin innerhalb der Streitkräfte – Begrenzung der Zuständigkeit: 19, 117, 121, 127, 168, 183, 245 f. – Grund für Militärstrafgerichtsbarkeit: 8, 21 f., 45, 87, 103, 108, 117 Disziplinargewalt: 65 f., 77 f. Draft Declaration on the Independence of Justice: 110, 208 Dupuis: 46 ff., 50 f., 77 Ecuador – Berichte: 107, 118 f., 235 f. – Einzelfälle: 156 – Verfassung: 162 Effizienz – der Militärgerichte: 154, 194 f., 225 – der Streitkräfte: 22 f., 193 Eid: 54, 58, 270 Einfluß von außen: 40, 284 Engel u. a.: 44, 48, 58, 184 Erklärungen – Draft Declaration on the Independence of Justice: 110, 208
306
– Johannesburger Prinzipien: 111 f., 114 – Paris Minimum Standards: 109 – Singhvi-Principles: 25 f., 111, 191 – Siracusa-Principles: 109 f., 206 f. – Turku Declaration: 208 f. Ettl u. a.: 56 f., 78 Fals Borda: 141 Findlay: 29, 45, 51 ff., 55, 58, 61, 282 Genfer Abkommen, siehe auch Genfer Konventionen: 228, 254 ff., 286 f. Genfer Konventionen, siehe auch Genfer Abkommen: 207 f., 217, 228, 251, 252 ff., 286 ff. Gerger: 72, 75, 81 Gerichtsherr – Befehlsgewalt: 52, 54 ff. – Großbritannien: 15, 29, 45, 51 ff. – Preußen: 12 – US-Militärkommissionen: 282 f. Gleichheit vor Gericht: 33, 122, 135 Golder: 4, 134, 181 f., 184 González del Río: 91, 219, 279 Guantánamo: 250, 252 f., 278 Hierarchie, militärische: 58, 64, 67, 85, 90, 99, 101, 107 Incal: 31, 61 ff., 69 f., 73 f. Interessenkonflikt: 42, 79 ff., 86, 268 Johannesburger Prinzipien: 111 f., 114
Sachregister
Joinet: 113 f. Judge Advocate – Großbritannien: 13, 52 ff., 58 f. – USA: 13, 264, 268 Juez competente: 124, 131 ff. Juez natural, siehe auch natural judge: 88, 103, 118 ff., 123 ff., 127 f., 132 f., 237, 240 Kolumbien – Berichte: 32, 85, 88 f., 97 ff., 116, 120, 179, 234 f., 237 – Einzelfälle: 139, 141, 239 – Verfassung: 17 f., 119 ff., 158, 167, 248 Kombattant: 255 f. Konnexitätsgebot: 14, 18, 155, 277 Korpsgeist: 107 Kriegsgefangene: 228, 251, 253 ff., 286 ff. Lacayo: 121 f. Laienrichter: 49, 56 f., 59, 78 Loayza Tamayo: 122 ff. Militärangehöriger im aktiven Dienst: 64 ff., 104 f., 108, 168, 246 Militärisches Delikt: 130, 160, 168, 245 f. Natural judge, siehe auch juez natural: 88, 90, 101, 103, 118 f., 121, 136 Neutralität, richterliche: 37, 55, 80, 82, 281 Nicaragua – Berichte: 89, 117 – Einzelfälle: 121 ff., 214, 220 f. – Verfassung: 158, 168 Objektiver Beobachter: 41 f., 51, 60, 69, 81
Sachregister
Paris Minimum Standards: 109 Peru – Berichte: 95, 97, 191, 215, 234 – Einzelfälle: 83, 90 f., 98, 122 ff., 143, 155 f., 169, 219 – Verfassung: 17, 162 Questiaux: 201, 207, 211 f., 214 Richter, gesetzlicher (internationaler), siehe auch juez natural und natural judge: 88, 102 f., 187 Singhvi-Principles: 25 f., 111, 191 Siracusa-Principles: 109 f., 206 f. Sonderberichterstatter der UN – über Ausnahmezustände, siehe auch Questiaux und Despouy: 196, 214, 221 – über Justiz und Anwaltschaft, siehe auch Cumaraswamy: 38, 114, 215 Sondergericht, siehe auch Special Court: 1, 30, 135, 142, 144 f., 154, 178, 211, 225 Special Court, siehe auch Sondergericht: 26, 31, 34, 87, 109, 111, 135, 145, 202, 205 f., 214 Sramek: 41, 57, 80, 144 Staatssicherheitsgericht, türkisches: 29, 31, 45, 61 ff., 82, 183 Sutter: 47, 50 f. Taliban: 249, 253 f., 256, 275 Turku Declaration: 208 f.
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Unabsetzbarkeit: 46, 48, 50, 66, 77, 81, 85, 93 f., 284 f. Uruguay – Berichte: 234 – Einzelfälle: 99 f., 137 ff., 219 – Verfassung: 160 f., 169 Velasquez Rodríguez: 163 ff. Verschwindenlassen: 111 f., 165 f., 169 Weinberger Weisz: 99 f., 138 Zelaya: 214, 220 Zielkonflikt: 80 f.
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