Atlan - Die Abenteuer der SOL Nr. 628 Anti-ES - Bars-2-Bars
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Atlan - Die Abenteuer der SOL Nr. 628 Anti-ES - Bars-2-Bars
Die Retterin von Peter Terrid Die SOL in Bars-2-Bars Die Verwirklichung von Atlans Ziel, in den Sektor Varnhagher-Ghynnst zu gelangen, um dort den Auftrag der Kosmokraten zu erfüllen, scheint nun außerhalb der Möglichkeiten des Arkoniden zu liegen. Denn beim entscheidenden Kampf gegen Hidden-X wurde Atlan die Grundlage zur Erfüllung seines Auftrags entzogen: das Wissen um die Koordinaten von Varnhagher-Ghynnst. Doch Atlan gibt nicht auf! Im Bewußtsein, sich die verlorenen Koordinaten wieder besorgen zu müssen, folgt der Arkonide einer vagen Spur, die in die Galaxis Xiinx-Markant führt, wo die SOL in erbitterte Kämpfe verwickelt wird. Schließlich, gegen Ende des Jahres 3807 Terrazeit, eskaliert die Auseinandersetzung zwischen Anti-ES und Anti-Homunk auf der einen und Atlan und den Solanern auf der anderen Seite in einem solchen Maß, daß für die Kontrahenten die alles entscheidenden Stunden des Kampfes nahen. In höchster Not vollzieht die SOL den Sturz ins Nichts, der das Generationenschiff nach Bars-2-Bars führt, in die aus zwei ineinander verschmolzenen Galaxien bestehende Sterneninsel. Ein Triebwerksschaden, verursacht durch die besonderen kosmischen Verhältnisse, macht eine Landung auf dem Planeten der Anterferranter erforderlich – und dort bestätigt sich Tyari als DIE RETTERIN …
Die Hauptpersonen des Romans: Atlan und Tyari - Sie besuchen ihre Gegner. Myrrhn und Trappezaaz - Die Kommandanten der TEUCER im Widerstreit. Grynph - Ein junger Anterferranter. Hallam Blake - Ein lebendes Warnsignal. Vling - Ein Prezzarerhalter.
1. Cara Doz machte einen gelassenen, entspannten Eindruck. Die Pilotin der SOL schien sich keine Sorgen zu machen. Ihre Gelassenheit strahlte auf die restliche Zentralebesatzung aus, und das war gut so. Seit über zehn Tagen befand sich die SOL auf einem Flug ins Nirgendwo, noch dazu in einem uns völlig unbekannten Kontinuum, dessen dimensionsmathematische Grundlagen uns allen ein Rätsel waren. Die Forscher an Bord hatten auch mit SENECAS Hilfe nicht herausbringen können, was uns weitergebracht hätte. Infolgedessen war uns nichts anderes übriggeblieben, als den Dingen ihren Lauf zu lassen. Für einige an Bord bedeuteten diese Tage des Fluges Ruhe und Frieden. Nach den zahlreichen Abenteuern, die das Schiff zu bestehen gehabt hatte, tat eine solche Rast vielen gut. Anderen schlug es aufs Gemüt. Daran gewöhnt, von einer Gefahr und Krise in die nächste zu stolpern, waren diese Besatzungsmitglieder nur schwer zur Ruhe bereit. Allen voran Breckcrown Hayes zeigte sich mißmutig und ertrug die Wartezeit nur mit größter Anstrengung. Die Uhr, die seit dem Eintauchen der SOL in das fremde Kontinuum lief, zeigte eine Frist von zehn Tagen, sieben Stunden, sechzehn Minuten an, als die SOL mit einem Schlag in den Normalraum zurückfiel.
»Na also«, sagte Cara Doz lediglich. Bei den anderen wurden Rufe laut. Die erste Information lieferte uns der Panoramaschirm. Es waren Sterne sichtbar, der Zahl nach mußten wir mindestens einen Kugelhaufen erreicht haben. Die erste Frage war damit beantwortet. Es gab Sterne, Planeten und infolgedessen wohl auch die Rohstoffe, auf die die SOL immer wieder angewiesen war. Während wir noch die Sternkonfigurationen bestaunten, waren die Ortungseinrichtungen aktiv. Eines der zahlreichen Programme von SENECA sah vor, daß unmittelbar nach dem Auftauchen in einer unbekannten Region des Universums die Umgebung in einem groben Raster von den Energietastern erfaßt und optisch dargestellt wurde. Auf dem Schirm waren die Ergebnisse dieser Berechnungen zu sehen. Immer neue Sterne tauchten auf und begannen das Bild einer Galaxis anzunehmen. Die Auswertung der näheren Umgebung lief an. Feindliche Schiffe waren nicht zu sehen, allerdings bewegte sich in Flugrichtung der SOL ein eigentümliches Energiebild, dessen Parameter zum Teil in die mehrdimensionale Physik und Mathematik wiesen, also etwas für Spezialisten oder Positroniken. Gleichzeitig musterte SENECA seine und die Funktionstüchtigkeit der SOL durch. Alle Systeme liefen einwandfrei, das Riesenschiff war einsatzklar. Das zu wissen, beruhigte. Cara Doz übernahm die Steuerung der SOL und entfernte sie zunächst einmal von dem Energiegebilde, das uns doch ein wenig zu unheimlich schien, um in näheren Kontakt zu geraten. Gleichzeitig wertete SENECA unablässig eine gewaltige Fülle von Daten aus, die ihm von seinen zahlreichen Ortungs- und Meßsystemen zugetragen wurden. Natürlich wurde auch nach Bewegungen fremder Schiffe Ausschau gehalten – wir wollten frühzeitig wissen, wenn jemand mit uns Kontakt aufzunehmen wünschte.
Auf dem großen Schirm begann sich allmählich, Punkt für Punkt, eine astronomische Konstellation abzuzeichnen, die man nur als ungeheuerlich bezeichnen konnte. Wir waren danach nicht einfach in einer Galaxis herausgekommen. Es handelte sich vielmehr um zwei Galaxien, die einander durchdrangen – ein Anblick, wie er noch keinem an Bord der SOL jemals geboten worden war. Welche Kräfte am Werk gewesen waren, vermochten wir uns nicht vorzustellen. Allerdings bekamen wir eine ungefähre Ahnung, womit wir es zu tun hatten. Für mich, wie für jeden Solaner, war allein die SOL schon von ungeheuerlicher Größe. Mit einem Mond oder einem Planeten verglichen, mußte aber auch das Riesenschiff SOL eher winzig erscheinen. Und doch wußte ich, daß es technisch möglich war, auch ganze Planeten in Bewegung zu setzen. Arkon, die einzigartige Drillingskonstellation im Herzen des früheren Großen Imperiums, legte Zeugnis dafür ab; der Transport der Erde in den Mahlstrom der Sterne stellte eine ähnliche Glanztat dar. Das alles aber verblaßte angesichts der unglaublichen Leistung, eine ganze Galaxis in Bewegung zu setzen. Tyari stand in der Nähe. Ihr Gesicht wirkte wie eingefroren, als sie die Konstellation auf dem Schirm sah. Immer neue Lichtpunkte tauchten in der bildlichen Darstellung auf – jeder stellte eine Sonne dar, die von SENECA angemessen und höchstwahrscheinlich auch schon ausgewertet worden war, soweit das mit der Fernortung überhaupt möglich war. In jedem Fall verbesserten sich auf diese Weise von Minute zu Minute unsere kosmonautischen Möglichkeiten. »Bars-2-Bars«, murmelte Tyari. Dieses Gebilde war Tyaris Heimat, genauer gesagt der Anteil Bars an der Gesamtkonstellation. Die andere Galaxis hieß, auch das hatten wir erfahren: Farynt. Beide Galaxien zusammen bildeten das Phänomen Bars-2-Bars, das von allen Beteiligten als eine Art astronomischer und auch politischer
Scheußlichkeit angesehen wurde. »Ein Raumschiff ist aufgetaucht«, gab SENECA bekannt. Zur gleichen Zeit erschien ein Leuchtpunkt auf der entsprechenden Darstellung der Ortungsergebnisse. Das fremde Schiff kam mit recht hoher Fahrt herangeschossen. Die Ortungsergebnisse lagen nach kurzer Zeit vor – danach brauchten wir uns vor den Fremden nicht zu fürchten. Wenn die Raumfahrer über ähnliche Waffensysteme verfügen wie die SOL, dann waren sie schwerlich in der Lage, unsere dichtgestaffelten Defensivschirme zu durchdringen. Allerdings hatten wir auch schon die leidvolle Erfahrung machen müssen, daß auch kleine Raumschiffe mitunter über Waffensysteme verfügten, die uns erheblichen Schaden zufügen konnten. Natürlich wurde sofort versucht, mit den Fremden Kontakt aufzunehmen. Wir erhielten keine Antwort. Statt dessen begann das fremde Schiff einen sehr eigentümlichen Kurs einzuschlagen.
* »Angreifen? Bist du verrückt!« rief Myrrhn. »Dieser Riese ist uns völlig überlegen.« »Das werden wir erst wissen, wenn wir es erprobt haben«, stieß Trappezaaz hervor. »Ein solches Schiff kann nur aus der FaryntGalaxis kommen. Es sind Feinde, und wir müssen sie angreifen und vernichten!« »Ich gebe hier die Befehle!« erklärte Myrrhn. »Der Kommandant bin ich!« konterte Trappezaaz. Beide versuchten, Einfluß auf den Kurs des Forschungsschiffs zu nehmen – mit der Folge, daß TEUCER im Raum Manöver vollführte, die von den Fremden sicherlich angemessen wurden. Was man sich da drüben wohl vorstellen mochte, überlegte Grynph.
Er spürte, daß er wieder ein wenig Angst bekam. Dieses fremde Schiff war so ungeheuerlich groß, daß man TEUCER mehrfach in seinem Rumpf hätte unterbringen können. Es erschien Grynph fast unvorstellbar, daß eine so gewaltige Masse tatsächlich überlichtschnell gemacht werden konnte. »Ihr führt euch auf wie Narren«, stieß Grynph hervor. »Du halte dich da heraus!« Die beiden Streithähne hatten den Satz fast gleichzeitig und mit exakt dem gleichen Wortlaut ausgesprochen. Grynph zuckte mit den Schultern und überließ sie ihrem Streit. Während Myrrhn den Zivilisten an Bord befahl, Trappezaaz festzunehmen, forderte der wiederum die eigentliche Mannschaft von TEUCER auf, den Wissenschaftler in Arrest zu nehmen. Immerhin brachten es die beiden trotz aller Meinungsverschiedenheiten fertig, den allgemeinen Kurs des Forschungsschiffs so zu ändern, daß TEUCER hinter dem Schiffsriesen herflog – ein ziemlich kümmerlicher Jäger, wenn man die Proportionen des Opfers bedachte. »Sie werden uns auslachen«, murmelte Grynph. Trappezaaz hatte es geschafft, die Geschütze des Forschungsschiffs feuern zu lassen, begleitet vom Wutbrüllen des Wissenschaftlers. »Du wirst uns in den Untergang stürzen!« schrie Myrrhn, außer sich vor Zorn. »Was haben wir davon, wenn sie unser Schiff aus dem Raum blasen? TEUCER ist die letzte Hoffnung unseres Volkes.« »Eben weil das Schiff unsere letzte Hoffnung ist, müssen wir mit ihm diese Eindringlinge vernichten – schaffen wir das nicht, ist es um Anterf ein für allemal geschehen.« Der Streit zog sich hin. In der Zentrale des Schiffes kam es sogar zu einer handfesten Keilerei. Die Distanz zwischen den beiden Schiffen blieb gleich. Obwohl noch einmal TEUCERS Geschütze feuerten, reagierte man auf der anderen Seite nicht.
Für ein paar Augenblicke wurde es ruhig in der Zentrale. Das Riesenschiff schlug einen Haken, den Trappezaaz nur mit äußerster Beanspruchung der Schiffsmaschinen nachvollziehen konnte. Da auch Myrrhn daran interessiert war, den Kontakt zu dem Riesen aufrechtzuerhalten, hinderte er den Piloten nicht daran, die Verfolgung fortzusetzen. »Sie testen uns«, murmelte Myrrhn betroffen. »Sie ermitteln, was unser Schiff aushält.« »Unsinn!« schrie Trappezaaz triumphierend. »Sie fliehen vor uns!« »Lächerlich«, stieß Myrrhn hervor. Er gab seinen Widerstand auf. Männer, die sich auf Trappezaazs Seite geschlagen hatten, nahmen ihn in ihre Mitte. »Wir werden ihnen kräftig einheizen!« sagte Trappezaaz. Es war zu sehen, daß er einen Teil seiner geistigen Klarheit eingebüßt hatte. Offenkundig litt er unter einer Erscheinung, die als Farynt-Koller bezeichnet wurde. Sie äußerte sich darin, daß die Betroffenen für alle und jedes Übel, das sie betraf, die üble Galaxis Farynt und ihren verheerenden Einfluß auf die Bewohner, von Bars verantwortlich machte. In ihrer aktiven Form äußerte sie sich in aggressivem Verhalten gegenüber allem, was aus Farynt stammte oder dieser Abstammung verdächtigt wurde. Bei Trappezaaz zeigte sich dieses Syndrom mit erschreckender Deutlichkeit. Er hatte völlig die Kontrolle über die Lage verloren. Sein Verstand hätte ihm sagen müssen, daß er mit der TEUCER nicht die geringste Chance im Kampf mit dem Riesenschiff hatte. Zudem – das wurde Grynph immer deutlicher – verhielt sich der unbekannte Gegner sehr zurückhaltend. Nicht ein Schuß war von seiner Seite gefallen. Wieder schlug das Riesenschiff einen Haken, und wieder strapazierte Trappezaaz die Aggregate der TEUCER. Die Zeit, die TEUCER brauchte, um wieder Anschluß zu finden, stellte klar, wieviel stärker und schneller das fremde Schiff war – was dort mit scheinbarer Leichtigkeit vollführt wurde, ging bei der TEUCER an
die Leistungsreserven. »Bildet einen Block!« rief Trappezaaz. »Wir werden eine Bombe in das fremde Schiff teleportieren. Los, beeilt euch!« Es verging nicht viel Zeit, bis der Befehl ausgeführt wurde. Noch einmal versuchte Grynph, eine Stimme der Vernunft laut werden zu lassen. »Wäre es nicht besser, wenn wir versuchen würden, Kontakt aufzunehmen?« fragte er in die angespannte Stille hinein. »Mit dem Feind wird nicht verhandelt. Nehmt eine Bombe des stärksten Kalibers.« »Wenn das fremde Schiff zerstört wird, können wir es nicht mehr untersuchen«, gab Grynph zu bedenken. »Hast du an Bord irgend etwas zu sagen, Lausebengel? Hat dich jemand nach deinen Ansichten gefragt? Nein, dann halte den Mund.« Grynph schwieg beleidigt. Trappezaaz starrte auf den Bildschirm, der eine Projektion des Hantelschiffs abbildete. »Vernichten werden wir euch!« knirschte er, dann wandte er sich um. »Los mit der Bombe!« Praktisch im gleichen Augenblick, in dem der Körper von Bord der TEUCER verschwand, blitzte es auf der Projektion auf. Ein rasend schnell sich ausbreitender Feuerball entstand. Die Bombe hatte gezündet, und so gewaltig war ihre atomare Sprengkraft, daß alle Ortungssysteme für einige Augenblicke abgeschaltet werden mußten. Trappezaaz stieß einen Triumphschrei aus, der ihm auf den Lippen erstarb, als sich ein paar Sekunden später das Bild wieder stabilisierte – das Riesenschiff hatte seine Fahrt fortgesetzt, von einer Trefferwirkung konnte keine Rede sein. Ihre Schutzschirme sind besser als unsere, durchfuhr es Grynph. Jäh wurde ihm bewußt, daß er mitten in einem Raumgefecht steckte – und daß dieser Kampf sehr leicht zum Untergang der TEUCER führen konnte. In der nächsten Sekunde verschwand die Zentrale der TEUCER in
einem so grellen, alles überstrahlenden Licht, daß nichts mehr von den Einrichtungen und Menschen zu sehen war. In diesen Lichtorkan hinein gelten Schreie, dann das Heulen von Alarmgebern. Unwillkürlich riß Grynph beide Arme hoch, um seine Augen zu schützen. Es half nichts. Geblendet blieb er stehen, jemand torkelte gegen ihn, riß ihn von den Beinen. Schmerzlich hart prallte Grynph auf dem Boden auf. Der Vorfall benötigte nur die geringe Spanne einiger Augenblicke, aber er reichte aus, der Besatzung der TEUCER einen gehörigen Schrecken einzujagen. Als Grynph wieder auf die Beine kam, mit schmerzenden Knien und ebenfalls schmerzenden Augen, hatte Trappezaaz bereits zu einer Kursänderung angesetzt. Nach dem Lichtüberfall schien die Zentrale für geraume Zeit wie in Finsternis getaucht. Die Augen brauchten lange, bis sie sich von dem Lichtüberfall erholt hatten. »Schadensmeldung!« schrie Trappezaaz. »Ich verlange Schadensmeldungen!« Er bekam, was er verlangte – ein paar Meßinstrumente waren durchgeschmort, sonst war nichts geschehen. Der Gegner hatte sich lediglich mit einer Art Licht- oder Blendgeschoß zur Wehr gesetzt. Abdrehen, dachte Grynph. Nichts wie weg von hier. Die Lichtbombe war wohl als Warnung zu verstehen – als eine sehr sanfte Form der Warnung, wie Grynph fand. »Kurskorrektur nicht möglich, Schiff hängt fest in einem Fesselfeld!« Grynph sah, wie Trappezaaz schluckte, als er diese Meldung hörte. »Alle Kraft auf den Antrieb!« befahl er. »Voller Schub.« Die Ausführung dauerte nicht lange. An der Konstellation änderte sich nichts. Der Abstand zwischen der TEUCER und dem Riesenschiff vergrößerte sich nicht – im Gegenteil, er wurde zusehends geringer.
Als wären wir Spielzeug, dachte Grynph bitter. »Ortung eindeutig – Feindschiffe gesichtet.« »Nähere Angaben«, forderte Trappezaaz. »Ortung eindeutig – Feindschiffe aus Farynt.« Triumphierend drehte sich Trappezaaz herum. Er sah Myrrhn herausfordernd an. »Da hast du den Beweis – Feinde!« stieß er wütend hervor. Myrrhns Blick wanderte über den Schirm, von den plötzlich aufgetauchten Feindschiffen zu dem Raumkoloß, auf den die TEUCER langsam zudriftete, obwohl sie mit aller Triebwerkskraft gegen diesen Zugstrahl ankämpfte. »Das wird sich erst noch zeigen müssen«, sagte der Wissenschaftler. »Bis jetzt haben sie sich nur gewehrt, mehr nicht.« Trappezaaz stieß ein Gelächter aus, das Grynph Schauder über den Rücken laufen ließ. Offenbar hatte der Anterferranter immer noch nicht genug. »Töten wollen sie uns wohl nicht, wahrscheinlich haben sie vor, uns gefangenzunehmen – und das werden wir zu verhindern wissen.« Er redete Unfug und merkte es nicht. Grynph schloß die Augen. Es war ihm ein Rätsel, wie ein intelligenter Anterferranter wie Trappezaaz derart unvernünftig reden und handeln konnte. Vielleicht lag es daran, daß er eher bereit war zu sterben, als den Wahnsinn seiner Handlungsweise einzusehen. Wäre dies allein das Problem von Trappezaaz gewesen, Grynph hätte es mit einem Schulterzucken ertragen. So aber schickte sich der Pilot an, die anderen mitzuziehen in den tödlichen Strudel seiner wirren Kampfphantasien. »Macht die TEUCER verteidigungsklar«, schrie Trappezaaz. Er zeigte für einen Augenblick ein haßerfülltes Lächeln. »Sie werden sich ihr Eindringen teuer erkaufen müssen«, stieß er hervor.
2. »Sie werden sich heftig wehren«, prophezeite Breckcrown Hayes. »Nach der Angriffslust zu schließen, die sie bereits gezeigt haben, steht das in der Tat zu befürchten«, gestand ich zu. »Aber unsere Bewaffnung ist besser. Tyari, was kann das für ein Schiff sein? Eines von Anterf?« Tyari machte eine Geste der Ratlosigkeit. »Sehen wir uns das Ding einmal aus der Nähe an, am besten von innen«, schlug ich vor. »Du willst an Bord gehen?« fragte Hayes, ein wenig verblüfft. »Ich möchte wissen, wer da ohne jede Warnung auf uns schießt«, erklärte ich. »Das kann sehr gefährlich werden«, murmelte Hayes und sah mich an. Ich wußte, daß er weniger an mich dachte als vielmehr an meine Begleiter. »Ich brauche ein paar Freiwillige«, erklärte ich und sah in die Runde. Das Enterkommando war rasch zusammengestellt. Eine der Personen war Hallam Blake, jener muntere Solaner, der von seiner Magengrube frühzeitig auf Gefahren aufmerksam gemacht wurde, bevor auch nur die ersten Konturen einer Bedrohung sichtbar waren. Ich sah ihn ein wenig spöttisch an. »Genug vom Kinderhüten?« fragte ich. Blake grinste zurück. »Nie«, sagte er. »Aber ich brauche Neuigkeiten für meinen Nachrichtendienst. Das SOL-Gespenst wird langsam langweilig.« Blake hatte einen Geist erfunden, der an Bord der SOL herumspukte, für allerlei Unfug verantwortlich war und inzwischen bei einigen Leuten als faule Ausrede im Schwange war. Ansonsten kümmerte sich der Solaner um seine Familie, eine bezaubernde Frau und zwei kleine Mädchen, die nach Aussehen und Temperament
ihren Eltern sehr treffend nachgeraten waren. »Was sagt der Para-Magen?« »Ganz normale Aufregung und entsprechende Angst, sonst nichts.« »Ich möchte euch begleiten!« Ich sah mich um. Tyari hatte gesprochen. Es wäre besser, sie hielte sich im Hintergrund, kommentierte der Extrasinn. Ich gab die Bemerkung an Tyari weiter. »Ich bestehe darauf«, sagte sie energisch. Dagegen war wenig zu machen. Befehlen konnte und wollte ich ihr nicht, und sie mußte schließlich besser wissen, was für sie gut und richtig war. Unser kleiner Trupp – insgesamt zehn Mann, dazu Tyari – verließ die Zentrale. Antigravlifts und Förderbänder brachten uns in die Außensektionen der SOL. In einer Schleuse lagen Kampfanzüge bereit, technisch hochentwickelte Monturen, die ihren Träger nicht nur mit Atemluft und Wärme versorgten, sondern auch über Antriebssysteme, Defensivschirme, Bewaffnung und allerlei hilfreiche Mikropositroniken verfügten. Ein rascher Blick in die Runde. Sämtliche Waffen waren auf betäubende Wirkung geschaltet – wir wollten keinerlei Blutvergießen. Es tat mir gut zu sehen, daß die Solaner von sich aus diese Entscheidung getroffen hatten – für mich war es ein Zeichen mehr, daß die Menschen, woher sie auch stammten, reifer geworden waren. Es hatte Zeiten gegeben, in denen Menschen ihren Gegnern nicht so rücksichtsvoll entgegengetreten waren – meist hatten sie sich damals untereinander bekämpft. Ich hatte einmal versucht, an Bord der SOL eine Art historischen Vortrag zu halten, war aber auf völliges Unverständnis gestoßen. Vor allem hatten die Solaner nicht begreifen wollen, aus was für abgeschmackten Gründen Menschen mit tödlichen Waffen aufeinander losgegangen waren. Ich hatte es schließlich aufgegeben – einem Terraner oder Solaner unserer Zeit war nicht mehr begreiflich zu machen, aus welchen Wurzeln der
Dreißigjährige Krieg in Europa erwachsen war. Vielleicht war es besser so. »Erinnerungen?« Hallam Blakes Stimme riß mich aus meinem sekundenlangen Grübeln. »Ein wenig«, sagte ich. Ich überprüfte die Kontrollen des Kampfanzugs. Vor Jahrzehntausenden war dieses Modell auf den Arkon-Welten entwickelt worden, dann hatten es die Terraner aufgegriffen und fortentwickelt. Die Leistungsfähigkeit aller Aggregate war seither erheblich gesteigert worden, an der Grundkonzeption hatte sich allerdings nicht sehr viel geändert. »Helme schließen.« Die Kommunikation klappte einwandfrei, die Atemluft war sauber und kühl. »Schleuse auf!« Die Mannschleuse öffnete sich, nachdem die Luft ins Innere der SOL gepumpt worden war. Wir konnten das fremde Schiff sehen. Eingehüllt in seine Schirmfelder trieb es neben der SOL durchs All, von starken Fesselfeldern gehalten. Ein Entkommen war ausgeschlossen – soweit wir die Technik der anderen abschätzen konnten. »Alles klar? Dann los!« Wieder einmal, wenn auch nur für sehr kurze Zeit, überfiel mich ein wenig Übelkeit, als wir den Bereich der Bordgravitation verließen und in die Schwerelosigkeit des Weltraums entlassen wurden. Die anderen brauchten für die Anpassung ein wenig länger, aber nach einer Minute hatten sich die Sinne daran gewöhnt. Unser Angriff konnte beginnen. Die miniaturisierten Triebwerke ließen uns zu dem fremden Schiff hinüberschweben. Nach wenigen Minuten erreichten wir die Zone, in der sich beide Schirmfelder berührten und teilweise energetisch durchdrangen – eine von Wirbeln durchtoste Zone aus Energie, die es zu
überwinden galt. Jetzt lag es an der Mannschaft der SOL, ob wir unbeschadet die Schirmfelder passieren konnten oder nicht – und an dem, was der Gegner unternahm. Die Individualschirme unserer Kampfanzüge waren hochwertig, aber beileibe nicht so stark, den Treffer eines Energiegeschützes überstehen zu können. Auf der anderen Seite waren sich beide Schiffe so nahe gekommen, daß das mögliche Geschützfeuer des Gegners höchstwahrscheinlich von unseren Schirmfeldern der SOL zurückgeworfen worden wäre – der größte Teil der Zerstörungskraft wäre dem Angreifer selbst entgegengeschlagen. Von der SOL aus wurden die Strukturlücken geschaffen, durch die hindurch wir die andere Seite erreichten. Nichts geschah. Auch in unseren Helmen war außer den normalen Geräuschen nichts zu hören – der Gegner reagierte nach wie vor nicht auf unsere Versuche, einen Funkkontakt herzustellen. Langsam schwebten wir an das fremde Schiff heran. Es war eine schlanke, dolchähnliche Konstruktion, ein sehr gut aussehendes Schiff wie ich fand. Schade, daß es zu aggressiven Zwecken benutzt wurde. Wir sammelten uns in der Nähe der Bordwand. »Anterferranter«, erklärte Tyari sehr leise. »Der Schriftzug bedeutet TEUCER, und das heißt soviel wie letzte Hoffnung.« »Aha«, hörte ich Hallam Blake sagen. »Meldung an Atlan – es liegt etwas in der Luft. Die da drüben haben irgendeine Teufelei in petto.« »Ag-mehn-dju«, murmelte Tyari. Bevor wir den Dialog fortsetzen konnten, geschah etwas – unmittelbar in unserer Nähe erschien ein Loch in der Bordwand. Die Anterferranter öffneten eine Schleuse. »Vielleicht haben sie eingesehen, daß wir ihnen nichts wollen.« »Leute, die ohne zu fragen gleich schießen, sind nach meiner Erfahrung von recht begrenzter Einsichtsfähigkeit«, gab ich zurück.
»Seid auf der Hut!« »Das werden wir!« versprach Hallam. »Sie wollen uns angreifen«, verkündete Tyari. »Ich kann es deutlich spüren. Es sind Anterferranter, ganz sicher.« Äußerst vorsichtig drangen wir in das Schiff mit Namen TEUCER ein. Es mußte schlecht um die Anterferranter bestellt sein, wenn sie ihre letzte Hoffnung im blindwütigen Schießen suchten. Die Schleuse war leer, und als sich das äußere Schott hinter uns schloß, war der Eindruck einer Falle nicht mehr zu übersehen. Rein theoretisch konnten sie uns in diesem Raum festhalten, bis uns buchstäblich die Luft wegblieb; in der Praxis hätten wir uns allerdings mit unseren Waffen einen Weg durch das Metall der Schleuse bahnen können. Ich blickte auf das Kombiinstrument am Handgelenk. Luft wurde in die Schleusenkammer gepumpt. »Aufgepaßt, Atlan!« rief Hallam. Der Gefahreninstinkt dieses Mannes erwies sich einmal mehr als unbezahlbar. Unser lebendes Warnschild, wie jemand Hallam getauft hatte, versagte auch in dieser Situation nicht. Statt der Anterferranter, die wir zu sehen gehofft hatten, erschienen plötzlich Roboter mit schußbereiten Waffen. Als hätten wir jahrelang nichts anderes gemacht, als uns auf einen solchen Fall vorzubereiten, spritzten wir auseinander, und das geschickterweise so, daß wir durcheinanderliefen. Dadurch verloren selbst die unglaublich schnellen Zielpositroniken der Roboter für kurze Zeit die Übersicht. Darauf eingestellt, nur das einmal angepeilte Ziel zu beschießen und nichts sonst, wurden sie von unserem Manöver verwirrt. Das gab uns die Zeit, im Springen, Fallen oder Laufen, die Einstellung unserer Waffen zu verändern und die ersten Schüsse abzugeben. Zwei der Maschinen wurden gleich beim ersten Schußwechsel zerstört und flogen krachend auseinander. Eines der Trümmerstücke setzte einen weiteren Robot außer Gefecht.
Blieben noch drei, und die eröffneten das Feuer auf uns. Ich spürte, wie ich den Boden unter den Füßen verlor, vor meinen Augen verschwand alles in grell aufstrahlender Helligkeit, und dann krachte ich gegen eine Wand. Halb betäubt sackte ich in mich zusammen. Die Helligkeit verschwand mit einem Schlag, und einen Herzschlag später hörte ich das Kreischen berstenden Metalls. Meine Begleiter hatten gerade noch rechtzeitig die verbliebenen Maschinen ausgeschaltet. »Das war knapp«, ächzte ich und kam wieder auf die Beine. Die Atemluft war aus der Schleusenkammer wieder abgesaugt worden während des Kampfes – also saßen wir fest. Ich verteilte unsere Leute in drei Gruppen. »Schneidet die Wand auf und versucht in den Nachbarraum zu kommen – aber geht nicht zu hastig vor – nebenan sollen die Anterferranter Zeit zur Flucht haben, bevor sie von einem Vakuumeinbruch überrascht werden.« Wir machten uns an die Arbeit. Mich wunderte, daß keiner auf die Idee kam, uns anzusprechen. Es gab einen deutlich erkennbaren Lautsprecher in der Schleusenkammer, aber er blieb stumm. Unsere Gegner schienen nicht gewillt, mit uns zu reden. »Durchbruch!« schrie Hallam plötzlich. Durch ein vergleichsweise winziges Loch sprühte der Sauerstoff aus einem Nachbarraum in das Vakuum der Schleusenkammer. Der enge Durchlaß ließ es zu einem Strömen werden, nicht zu einer explosionsartigen Ausdehnung der Luft. Auch an den anderen beiden Wänden erzielten wir einen Durchbruch, und zwei Minuten danach war die Schleusenkammer mit Luft gefüllt. Wenn die Anterferranter uns jetzt immer noch dem Vakuum aussetzen wollten, mußten sie einen beträchtlichen Teil ihres Schiffes opfern – ich nahm nicht an, daß man jeden noch so kleinen Raum vakuumfest abgeschottet hatte.
»Bjo!« rief ich. Der Mutant war schnell bei mir. Ich deutete auf das Innenschott der Schleuse, das sich wieder geschlossen hatte, nachdem die Roboter eingedrungen waren. »Wir werden es von Hand öffnen und uns den Weg mit einer Thermoladung freikämpfen«, bestimmte ich. »Und du wirst die Ladung werfen, nachdem du festgestellt hast, ob es auf der anderen Seite Lebewesen gibt.« »Ich kann niemand spüren«, sagte Tyari. »Ich auch nicht«, ergänzte Bjo. »Ich sehe aber trotzdem nach.« Was er für ein Risiko einging, war jedem von uns klar – standen jenseits des Schottes Roboter, dann gab es, wenn überhaupt, nur ein Lebewesen, das so bewegungsschnell war, daß es eine Thermoladung ins Ziel werfen konnte, ohne selbst einen Treffer abzubekommen. Aber selbst für einen Solaner wie Bjo Breiskoll war es ein selbstmörderisches Unterfangen – Kampfroboter waren unerhört reaktionsschnell, vor allem, wenn sie bereits mit entsicherten Waffen auf ihre Ziele warteten. Hallam Blake hatte sich neben Bjo an der Tür aufgebaut. »Fertig? Dann los!« Mit einem heftigen Ruck ließ Hallam die Tür auffliegen. Im gleichen Augenblick sah ich die Phalanx der Roboter, dann einen huschenden Schemen, der nur Bjo Breiskoll sein konnte, einen Herzschlag danach einen jäh aufschießenden Feuerball. »Tür zu!« Es war Bjos Stimme, und sie erklang aus dem Schleusenraum. Hallam warf sich gegen die Tür. Eine Feuerlanze schoß in die Schleuse und schwärzte eine Wand, der Lack platzte ab. Bjo stieß nur einen heftigen Atemzug aus, mehr sagte er nicht. »Sie wollten es zu gründlich machen«, sagte er dann. Wieder einmal hatten sich die Programmierer der Kampfroboter selbst ein Schnippchen geschlagen. Offenbar hatten die Maschinen dank ihrer Schnelligkeit den Auftrag bekommen, erst dann zu schießen, wenn eine große Zahl von Zielen erfaßt war – dazu aber
hatte es Bjo gar nicht erst kommen lassen. »Schirmfelder ein, und dann durch!« Wir öffneten das Schott, eine Arbeit, die wir gerade noch schafften, bevor sich das Metall von der draußen tobenden Hitze derartig verzogen hatte, daß es sich überhaupt nicht mehr öffnen ließ. Ein Glutorkan wehte uns entgegen, den wir ohne die Individualschutzschirme unserer Kampfkombinationen nicht eine Zehntelsekunde hätten ertragen können. Thermoladungen setzten blitzartig einige Milliarden Kilojoule an Wärmeenergie frei, genug, um einen Roboter vollständig zu verbrennen, wenn er im Zentrum des Glutballs stand. Wir stürmten durch die Glut und sahen zu, daß wir uns so schnell wie möglich aus deren Bereich entfernten. Auf dem Gang konnten wir die Alarmsignale hören, Feuerlöschrobots liefen uns entgegen. Wenn sie versuchten, mit Schaumteppichen oder Ähnlichem den Brand zu löschen, würden sie wenig Erfolg haben – sie konnten nur selbst dabei zerstört werden. Ich führte unsere kleine Truppe an. Sobald wir genügend weit vom Zentrum des Glutballs entfernt waren, öffnete ich die nächstbeste Tür und sah in den Raum dahinter. Ein Warenlager. Kisten und Ballen, Metallcontainer, mit Schriftzeichen bemalt, dazwischen schmale Gänge. »Nach oben!« sagte ich schnell. »Wir verstecken uns oben auf den Kisten!« »Glaubst du ernsthaft, daß dieses Versteckspiel hilft? Bei den modernen Ortungsmethoden?« »Warte es ab, Hallam«, sagte ich. Ich öffnete die Verschlüsse der Kampfkombination. Solange uns die Anterferranter mit Schiffsluft belieferten, konnten wir die Vorräte schonen – wer konnte wissen, wann wir wieder auf sie angewiesen sein würden. Noch immer war das Gellen der Sirenen nicht verstummt. Es hörte erst ein paar Sekunden später auf, aber da lagen wir alle schon flach
auf den Kisten und Ballen. Es dauerte nicht lange, dann hörten wir, wie eine Tür geöffnet wurde. Schrittgeräusche waren zu hören, die sich langsam näherten. Unwillkürlich hielt ich den Atem an. Die Schritte kamen näher. Der Strahl eines Handscheinwerfers strich durch den Raum. Es waren zwei Anterferranter. Sie waren etwas über zwei Meter groß, schlank und von annähernd humanoider Körperform mit zwei Armen, Beinen, Rumpf und Kopf. Der Körper war von dünnhaarigem Fell bedeckt, das in verwirrenden Mustern leuchtete. Ich hatte die Vermutung, daß der größte Teil dieser Farbenpracht auf Farbstoffe zurückzuführen war und sich je nach Mode und Laune des jeweiligen Anterferranters ändern konnte. Das Gesicht erinnerte ebenfalls an das eines Menschen, die Ohren waren spitz und behaart, außerdem waren in den Gesichtern Fühlhaare zu sehen, die mich an die Schnurrhaare von Katzen erinnerten. Die Augen waren recht groß, auch sie zeigten stark unterschiedliche Färbung. Die Lippen waren breit und zeigten vier rudimentäre Reißzähne. Die Sprache – wir bekamen nur einige wenige Laute zu hören – klang zischend bis knurrend. Alles in allem Geschöpfe, deren Aussehen keinerlei Anhaltspunkte für eingewurzelte Vorurteile und Abneigungen bot – was gelegentlich bei Insektenabkömmlingen der Fall war und anderen Intelligenzen, deren gestaltliche Ebenbilder auf der Erde zu den mißliebigen Kreaturen zählten. Die Bewegungen der beiden waren geschmeidig und kraftvoll, sie verrieten auch eine gehörige Portion Stolz. Ich hatte den Eindruck, daß die Anterferranter als Gegner nicht zu unterschätzen waren. Ich hielt den Paralysator schußbereit in der Hand, einen Finger an der Wirkungseinstellung. Eine zu geringe Dosis würde uns nur verraten, eine zu hohe gefährdete möglicherweise die Gesundheit der Betroffenen. Uns konnte, da wir auf Kontakt und Verständigung
aus waren, natürlich nicht daran gelegen sein, die Anterferranter zu verletzen oder gar zu töten. Es wäre ein sehr schlechter Einstand für ein Eröffnungsgespräch gewesen. Ich hob den Kopf. Auf einem anderen Kistenstapel in meiner Nähe sah ich Bjo. Ein Blickkontakt genügte. Mit einem Satz hatte ich den hinteren der beiden Anterferranter erreicht. Ich packte ihn am Hals. Neben mir sprang Bjo mit der für ihn charakteristischen Geschwindigkeit den verbliebenen Anterferranter an. Ich konnte nur hoffen, daß sich die äußere anatomische Ähnlichkeit auch ein wenig auf die inneren Bestandteile des Anterferranters übertrug, andernfalls konnte ich mit dem DagorGriff, den ich ansetzte, eine üble Überraschung erleben. Der blitzartig erschlaffende Körper bewies mir, daß die Nervenbahnen der Anterferranter nach ähnlichen Mustern verliefen wie bei Menschen und Arkoniden. Im Bruchteil einer Sekunde verlor der Anterferranter das Bewußtsein, seinem Kollegen ging es nicht besser. »Gelernt ist gelernt«, sagte ich zufrieden. »Wo eigentlich?« fragte Hallam Blake. »Galaktonautische Akademie von Iprasa«, antwortete ich unwillkürlich. Mehr als zehn Jahrtausende lagen zwischen jener ersten Trainingsstunde im Dagor-Kampf und diesen Ereignissen. Ich vermochte nicht zu zählen, wie oft mir das in Iprasa Gelernte schon genutzt hatte. Unser Ausbilder seinerzeit war von gnadenloser Sturheit und -Härte gewesen, getreu der strengen Disziplin der Flotte des Großen Imperiums. Ich hatte ihn anfangs gehaßt, weil er nicht die geringste Rücksicht auf meine Stellung genommen hatte. Später hatte ich ihm Dank gewußt … Wilst du in Alte-Kameraden-Sentimentalität verfallen? Der scharfe Impuls des Extrahirns riß mich in die Wirklichkeit zurück. Jetzt war wirklich nicht die Zeit, den alten Krieger zu
spielen. Die Ereignisse der nächsten Sekunde waren absolut nicht dazu angetan. Jemand schrie »Achtung!« dann machte es Peng auf meinem Hinterkopf und ich versank im Nichts.
3. Was in dem Gesicht wirklich vorging, konnte ich nicht abschätzen. Freundlich schien mir die Miene nicht. Der Anterferranter sah mich nach meinem Empfinden ausgesprochen feindselig an. Ich war gefesselt, hatte Kopfschmerzen und war umringt von Anterferrantern, einem ausgesprochen bunten Völkchen, wie die Pelzfarben zeigten. Von den Freunden war nichts zu sehen. Der Anterferranter redete auf mich ein. Noch halb benommen überließ ich es dem Extrasinn, den Sinn dieser Worte zu ertüfteln. Schon mehr als einmal hatte sich die Kombination eines fotografischen Gedächtnisses mit einem perfekt arbeitenden Logiksektor als eine Art organischer Translator bewährt. Da zudem die Anterferranter ebenfalls über positronisch arbeitende Übersetzungsanlagen verfügten, dauerte es nicht lange, bis eine anfänglich holprige, später immer flüssiger werdende Unterhaltung zustande kam. Die Anterferranter begriffen meinen Namen, stellten sich selbst vor – der Grimmige hieß Trappezaaz – und fragten nach dem Woher und Wohin. Ich versuchte Auskunft zu geben, so gut ich konnte und soweit es mein tosender Schädel zuließ. Auch ein Zellaktivator konnte die Wirkung einer Gehirnerschütterung nicht binnen weniger Minuten ausheilen lassen. Mein Schädel fühlte sich an wie eine Kesselpauke in einem Barockkonzert. Zudem blutete die Wunde heftig, hatte mir die Haare verfärbt und verklebt, und als ich mich zufällig in einem
spiegelnden Metallteil ansah, hätte ich mich selbst kaum wiedererkannt. In den nächsten Tagen würde ich mit einem prachtvollen blauen Auge herumlaufen – und natürlich mit dem Spott meiner Mitarbeiter rechnen müssen. Narr, statt geistreich sein zu wollen, solltest du dich lieber um das kümmern, was um dich herum geschieht! Ausnahmsweise befolgte ich die Weisung des Extrahirns nicht. Ich wußte nur zu genau, worum es ging – um mein Leben, und bis zu dem Zeitpunkt, da ich wieder Herr meiner geistigen Kräfte war, wollte ich mir die Angst lieber mit Sarkasmen vom Leibe halten. So achtete ich weniger auf das Gespräch als vielmehr auf die bunten Körper in meiner Umgebung. Ein junger Anterferranter blickte so verträumt ins Leere, daß es keiner kosmopsychologischen Studien bedurfte, um festzustellen, daß er entweder rauschgiftsüchtig war oder glücklich verliebt. Allmählich aber kehrten meine Lebensgeister zurück. »Wo sind meine Kameraden?« fragte ich. Die Antwort entsprach dem, was ich erwartet hatte. Verhörtaktik Unterstufe. »Hier stellen wir die Fragen. Antworte, warum greift ihr uns an?« »Keine Antwort, bevor ich nicht weiß, wo meine Freunde sind.« Zischend fragte der Anterferranter: »Du willst uns trotzen? Weißt du nicht, was wir dann machen werden?« »Umbringen, wie üblich«, antwortete ich. »Nur zu, bringen wir es wieder einmal hinter uns.« Wenn dieser Feldwebeltyp vom Planeten Anterf glaubte, leicht mit einem altgedienten Arkon-Admiral fertig werden zu können, sollte er sich täuschen. Ich war in zehntausend Jahren Erdendasein mehr als einmal verhört, durchleuchtet, befragt und in Dateneinzelteile zerlegt worden, und bisher hatte noch niemand aus mir eine Information herausbekommen, die ich nicht preisgeben wollte – nicht einmal der alte Fuchs Allan D. Mercant. »Wieder einmal?«
Treffer, konstatierte ich. »Ja, glaubt ihr denn, dies wäre das erste Mal für mich?« Die Augen des Anterferranters wurden noch eine Spur größer. Die hinter ihm Stehenden drängten ein wenig näher. »Du bist schon einmal getötet worden?« »Mehrfach«, behauptete ich dreist. »Habt ihr eine originelle Methode?« So, damit hatten sie zu tun. Ich brauchte Zeit. Mein Schädel fühlte sich noch immer entsetzlich an. Völlig klar war ich noch lange nicht. Der Unfug, den ich da zum besten gab, funktionierte nach einem uralten Trick – lüge so dreist und vor allem einfallsreich, daß es deinem Gegenüber die Sprache verschlägt. Dann weiß er nicht mehr, was er sagen soll. Und im Schwindeln hatte ich mich gründlich üben können, beispielsweise in Iprasa; seinerzeit hatte ich die abenteuerlichsten Ausreden auf Lager, um mein mehr oder minder regelmäßiges Verschwinden aus der Akademie zu entschuldigen. Als ich dort eingeliefert wurde zwecks Vorbereitung auf ein Leben als Imperator Arkons hatte ich immerhin schon einige recht turbulente Jahre eines wildbewegten Lebens hinter mir und verspürte keine Lust, mich länger einsperren und belehren zu lassen, als unumgänglich nötig war. »Und wenn man dich tötet, stirbst du nicht?« »Nicht richtig«, sagte ich und zeigte meine Zähne. »Ich nehme dann immer die Lebenskraft meines Mörders mit, verschwinde und rematerialisiere an anderer Stelle neu.« Trappezaaz sah ziemlich ratlos auf die Waffe in seiner Hand. Ich konnte ihm ansehen, daß er große Lust hatte, mich auf die Probe zu stellen – aber wohl nicht um diesen Preis. Jetzt saßen sie erst einmal in der Zwickmühle, und genau das war meine Absicht gewesen. Natürlich hatte ich kein Interesse daran, den Anterferrantern Schauergeschichten zu erzählen, die sie früher oder später durchschauen mußten – mit sehr unangenehmen Folgen für mich, wie sich voraussehen ließ.
Zeit wollte ich gewinnen, Minuten schinden. Irgendwo an Bord dieses Schiffes waren noch meine Freunde, vor allem Bjo und Tyari, die mich hoffentlich telepathisch anpeilen konnten. Waren auch sie gefangengenommen worden, sah es recht übel aus, aber ich ging von der Hoffnung aus, daß sie sich hatten in Sicherheit bringen können. »Nun gut«, stieß Trappezaaz hervor. »Töten werden wir dich vorläufig nicht. Wir haben andere Pläne.« Im Hintergrund flammte ein Bildschirm auf. Er zeigte das Gesicht von Breckcrown Hayes. Das war eine recht beachtliche Leistung der Anterferranter, gab ich zu. Funksendungen zu übertragen auf Lautsprecher, das war eine vergleichsweise einfache Angelegenheit. Mal kam der Klang verzerrt oder verfärbt in den Lautsprechern an, aber meist war der Text zu verstehen. Anders sah es mit den bildlichen Darstellungen aus. Die Anterferranter mußten eine recht hoch entwickelte Technik haben, entweder ziemlich parallel zu der unsrigen, oder aber besonders variantenreich. Jedenfalls hatten die Anterferranter dieses Problem gelöst – auf dem Monitor war ein gestochen scharfes Abbild von Breckcrown Hayes zu sehen. »Es freut mich, daß ihr Kontakt mit uns aufnehmen wollt«, sagte der High Sideryt. Ich vermute, daß er mich sehen konnte, denn ich saß im Erfassungsbereich der Aufnahmeoptik, aber in dem Gesicht des High Sideryt zuckte kein Muskel. Trappezaaz kam sofort zur Sache. »Ergebt euch«, stieß er hervor. »Bedingungslos!« Breckcrown Hayes tat das Klügste, was er nach meiner Einschätzung in dieser Lage machen konnte – er sagte gar nichts, sah den Anterferranter nur sehr ernst an. »Sonst werden wir ihn töten«, drohte Trappezaaz und deutete auf mich. Breckcrown Hayes zeigte sich gänzlich unbeeindruckt. »Aha«,
sagte er nur. »Ist das alles, was du zu sagen hast?« fauchte Trappezaaz. Er hob die Waffe, die er in der Hand hielt und richtete sie auf mich. »Du siehst übel aus, Atlan«, sagte Hayes und blickte einfach an dem Anterferranter vorbei. »Nichts Besonderes«, antwortete ich. »Eine Beule, ein paar Schrammen und ein fürchterlicher Brummschädel. Ansonsten geht es mir gut.« »Und was ist mit den anderen?« »Das will man mir nicht verraten«, antwortete ich. Hayes sah wieder auf Trappezaaz. »Ihr seid sehr schnell mit den Waffen bei der Hand«, stellte er ruhig fest. »Wir kämpfen um unsere Freiheit«, stieß Trappezaaz hervor. »Mit allen Mitteln.« »Und ihr fühlt euch durch uns bedroht?« »Alles, was aus Farynt kommt, diesem Pestgeschwür einer Galaxis, ist eine Bedrohung für uns aus Bars.« Die Stimme des High Sideryt war nach wie vor ruhig, als er sagte: »Wir kommen nicht aus der Galaxis Farynt.« »Pah«, stieß Trappezaaz hervor. »Wer soll das glauben? Woher sonst?« »Aus einer Galaxis, die Xiinx-Markant genannt wird. Ansonsten ist dieses Schiff unsere Heimat.« Trappezaaz machte eine heftige Armbewegung. »Du willst uns täuschen«, sagte er. »Aber das wird dir nicht gelingen. Ergebt euch, oder wir töten ihn.« »Das verbiete ich.« Alle Köpfe fuhren herum. Tyari war erschienen. Ich traute meinen Augen kaum. Tyari hatte ihre Kampfkombination ausgezogen und ließ ihre langen hellen Haare sehen. Sie war mit Sicherheit eine bemerkenswert attraktive Frau – ich mußte mich vorsichtig ausdrücken, denn schließlich war sie mir sehr ähnlich – aber der Effekt, der ihr Auftreten bewirkte, übertraf alles, was ich je erlebt
hatte. Die Anterferranter erstarrten förmlich. Es gab ein regelrechtes Prasseln, als ihnen die Waffen aus den Händen glitten und auf dem Boden landeten. Ihre Augen wurden groß und weit – sie sahen drein, als wären sie vom Schlag gerührt. Allerdings nicht jeder. Trappezaaz machte eine Bewegung. »Betrug!« heulte er auf. »Täuschung, Blendwerk!« Ich sah, daß er den Arm mit der Waffe bewegte. Nun war es Zeit für mich zu handeln. Ich kam hoch und warf mich nach vorn. Mit voller Wucht stieß ich gegen den Körper des Anterferranters, als der gerade auf Tyari anlegte. Der Schuß ging daneben und ließ einen Bildschirm zerplatzen. Zusammen krachten wir auf den Boden. Gefesselt konnte ich mich nicht richtig bewegen und landete auf dem Rücken, mein Hinterkopf krachte auf den Boden. Halb benommen von diesem neuerlichen Niederschlag blieb ich liegen. »Laßt ihn laufen!« hörte ich Tyari sagen. Vorsichtig richtete ich mich auf. Bjo eilte an meine Seite und durchschnitt mit seinem Vibratormesser meine Fesselung. Es schmerzte, als das Blut in die halb abgestorbenen Gliedmaßen zurückkehrte. Aber für Wehleidigkeiten war jetzt keine Zeit. Ich kam auf die Beine. Die Anterferranter gebärdeten sich, als sei ihnen ein Mysterium erschienen. Ähnliche Auftritte hatte ich bisher nur mit Gucky erlebt, wenn auch unter anderen Umständen. Einer der Anterferranter kam langsam näher und blieb vor Tyari stehen. Mit einer ehrfurchtsvollen Gebärde berührte er ihre Haare. »Du bist …?« »Tyari!« Der Anterferranter schloß wie überwältigt die Augen. »Wir haben auf dich gewartet, Tyari«, sagte er dann, ohne die
Augen zu öffnen. »Seit langer Zeit und mit großer Verzweiflung.« »Ich weiß«, antwortete Tyari. Vorsicht, warnte der Logiksektor. Mir war noch nie geheuer gewesen, wenn lebenden Wesen eine götzendienerähnliche Bewunderung entgegengebracht wurde. Eine Person und der um sie betriebene Kult hatten noch nie ein wirkliches Problem lösen können, dafür aber eine ganze Reihe neuer geschaffen. Vor allem Perry Rhodan hatte stets darauf geachtet, sich Mitarbeiter auszusuchen, deren Kritikfähigkeit in seiner Gegenwart nicht getrübt wurde. Speichellecker und überschwengliche Fanatiker hatte er stets verabscheut, und ich hatte es ähnlich gehalten. Tyaris Wirkung auf die Anterferranter war nicht zu übersehen. Offenbar wurde sie für eine Halbgöttin gehalten oder etwas Ähnliches. Ich nahm mir vor, sehr genau darauf zu achten. Der Anterferranter holte tief Luft, öffnete die Augen und sah Tyari noch einmal an. Sein Gesichtsausdruck hatte sich gewandelt. Er sah glücklich aus, sehr zufrieden und war offenkundig im Vollbesitz seiner Sinne. »Willkommen, Tyari«, sagte er. »Ich bin Myrrhn, Chefwissenschaftler auf Anterf. Dein Erscheinen hat uns vor einem schweren Irrtum bewahrt.« Es würde einige Zeit dauern, bis ich die Verhältnisse durchschaute, die in Bars-2-Bars herrschten, auch wenn ich vorinformiert war. Wichtig war vorerst nur, daß die Anterferranter bei Tyaris Anblick ihren blindwütigen Haß auf Farynt vergaßen und wieder klardenkend wurden. »Dies sind meine Freunde und Gefährten«, erklärte Tyari und stellte uns vor. Ich sah, daß ihre Mundwinkel leise zuckten, als sie meinen Namen nannte. Nach der neuerlichen Bodenberührung sah ich wohl noch weniger repräsentabler aus als vorher. »Könnte ich mich irgendwo säubern?« fragte ich in die Stille.
»Grynph«, bestimmte Myrrhn. »Zeige ihm eine Kabine.« Ein junger Anterferranter – ich erinnerte mich, es war der Junge mit dem verliebten Blick – trat auf mich zu. »Folge mir!« Er führte mich in einen Hygieneraum, mit sichtlicher Scheu erfüllt bei meinem Anblick. »Ich habe noch nie andere Lebewesen gesehen als die, die es auf Anterf gibt – höchstens Filme«, sagte er, während er mir die Einrichtung erklärte. Es gab einen verzierten Kasten, in dem Kleidungsstücke mit Ultraschall gesäubert wurden. Ich zögerte keinen Augenblick, schälte mich aus meiner blut- und staubverdreckten Kleidung und steckte sie in den fraglichen Kasten. Die segensreiche Erfindung einer Dusche war bis Anterf gedrungen, wie ich zufrieden feststellte. Das Gespräch mit Grynph setzte ich fort, während ich mir das heiße Wasser über den Leib rinnen ließ. »Bist du ein Bruder von Tyari?« fragte der Anterferranter, als allmählich aus meinem verdreckten Haupthaar wieder so etwas wie eine Frisur wurde. »Ich sehe ihr ähnlich, das ist alles«, antwortete ich. Die Reinigungsflüssigkeit roch ausgesprochen angenehm. »Warum fragst du?« »Wenn ihr keine Geschwister seid, wie ist es dann möglich, daß du bist … wie sie?« »In welcher Beziehung?« Der Kasten spie meine Kleider aus, perfekt gesäubert. Nach ersten Mißverständnissen ließ sich der Kontakt mit den Anterferrantern recht angenehm an. »Eure Ausstrahlung«, antwortete Grynph. »Bei Tyari ist sie viel stärker, aber du hast sie auch.« »Und was ist das für eine Ausstrahlung?« »Beruhigend«, lautete die Antwort. Sie kam nach langem Zögern. »Wir haben große Schwierigkeiten auf unserem Heimatplaneten. Unsere Zivilisation bricht auseinander. Daher haben wir das Schiff
auch TEUCER genannt. Die Gruppe, zu der ich gehöre, wird die Aktiven genannt. Ihr Ziel ist es, soweit ich es verstanden habe, die Wissende zu finden.« »Wer soll das sein?« »Ein Wesen, ein Geschöpf. Man hat mir erklärt, die Wissende könne aus gewissen paraenergetischen Partikeln oder so zusammengesetzt werden. Sie würde Anterf retten, sie sei das klügste und mächtigste Wesen, das es gibt. Und Tyari muß die Wissende sein, anders kann ich es mir nicht erklären. Wahrscheinlich hängt es mit Tyar zusammen, aber davon verstehe ich nichts. Ich bin nicht lange genug zur Schule gegangen.« Ich mußte lachen. »Wenn Tyari auf Anterf tatsächlich alles wieder ins Lot bringt, wirst du es nachholen können.« »Bei Tyar, nein!« entfuhr es dem jungen Anterferranter. »Nur das nicht.« Die Abneigung junger Lebewesen gegen Schulen schien buchstäblich universal zu sein. »Ich möchte viel lieber …« Er zögerte. »Nur zu«, forderte ich ihn auf. Der Spiegel zeigte mir, daß ich wieder einen halbwegs manierlichen Anblick bot. Das Auge würde allerdings ein paar Tage lang verfärbt bleiben. »Kann ich euer Schiff einmal sehen, von innen?« »Das wird sich bestimmt machen lassen«, versprach ich. In diese ausgesprochen friedliche Unterhaltung erklang ein Geräusch, das ich bereits kannte. Alarm.
4. Mit leisem Mißmut legte Vling den Fetisch zurück in sein Versteck.
Die Botschaft war unterwegs an die Freunde und Kampfgefährten. Fraglich war nur, ob sie etwas nutzte. Vor einigen Minuten war das Wecksignal ertönt. An Bord der AZZENAV begann der Dienstbetrieb der Tagschicht. Vling war Waffenleitoffizier des Flaggschiffs der Flotte, ein Dienst, der ihm nicht sonderlich behagte. Es verdroß ihn, den allgemeinen Wahnsinn auch noch dadurch zu unterstützen, daß er an so hervorragender Stelle diesem Wahnsinn Vorschub leistete. Aber es gehörte zur Planung der Prezzarerhalter, möglichst hohe und wichtige Funktionen im Staatsapparat der Beneterlogen zu besetzen, entsprechend ihren Fähigkeiten und Möglichkeiten. Da sich Vling schlechterdings nicht als Prezzarerhalter zu erkennen geben konnte, das wäre ein selbstmörderischer Verrat gewesen, mußte er dieser Aufgabe nachgehen. Der einzige Vorteil war der, daß er an der vordersten Front der Erkenntnis stand und so den anderen Prezzarerhaltern wichtige Informationen über die Zustände in Bars-2-Bars weitergeben konnte. Die Flotte, deren Flaggschiff die über tausend Meter durchmessende AZZENAV war, durchstreifte Feindesgebiet – Bars, die Galaxis, die samt ihren Bewohnern von allen Bewohnern Farynts verabscheut und gehaßt wurde. Vling trat auf den Gang. »Hurna sei mit dir«, grüßte ihn sein Kabinennachbar. »Ein wunderschöner Tag, nicht wahr?« Vling nickte nur. Hurna bedeutete in der benetischen Sprache soviel wie »der große Futtergeber« und war der persönliche neue Name, den sich der Kabinennachbar ausgedacht hatte. Gern hätte Vling gewußt, wer die Perversion in Gang gesetzt hatte, Prezzar in sein Gegenteil zu verkehren. Aprezzar, wie der Geist von Farynt nun von den Beneterlogen genannt wurde, bedeutete soviel wie »der immer neue Name«. Jeden Tag wurde ein neuer Name für die Gottheit erfunden,
und seit etlichen Jahren war es im Schwange, daß jeder einzelne sich einen solchen Namen ausdachte – einen, der seinen persönlichen Kontakt zu Aprezzar ausdrücken und vertiefen sollte. Daß der stets verfressene Nachbar sich für Hurna entschieden hatte, war daher nur logisch. Andererseits wurde bei Besprechungen und Tagesbefehlen oft ein anderer Name verwendet, und das hatte in der Vergangenheit und in der Gegenwart zu etlichen Mißverständnissen geführt. Nur sehr wenige lebende Wesen in Farynt kannten die wahren Zusammenhänge, und auch das nur in sehr beschränktem Umfang. Es waren exakt tausend Personen, die zu den Prezzarerhaltern gerechnet wurden, die meisten von ihnen recht alt, fast alle in hohen Positionen. Untereinander standen sie nur über ihre Fetische in Verbindung – ein faustgroßes Gerät, das absolut abhörsicher war und sich im Notfall selbst zerstörte. Vling betrat die Zentrale der AZZENAV. Die meisten Mitglieder der Zentralbesatzung waren anwesend, auch der Kommandant der ganzen Flotte, ein vierschrötig wirkender Beneterloge namens Urthan, der in seiner Flotte gefürchtet war, da er selbst zu Temperamentsausbrüchen neigte, bei seinen Untergebenen aber jede Abweichung von der Disziplin strengstens bestrafen ließ. Er sah Vling kommen und grüßte ihn zurückhaltend. Die beiden verstanden sich nicht sonderlich gut; vielleicht lag es daran, daß Vling dem Kommandanten keinerlei Angriffspunkte bot, möglicherweise auch daran, daß Vling erheblich älter war als Urthan, der seine außerordentlich schnelle Karriere in der Flotte höchstwahrscheinlich guten Beziehungen verdankte. »Gibt es Nachrichten?« fragte Urthan knapp. »Keine, Kommandant. Wir haben lediglich ein ungewöhnliches Naturschauspiel angemessen.« »Herzeigen!« Urthan betrachtete den Datenstreifen. »Ein Energiewirbel unbekannter Art? Was sagte der Borddenker
dazu?« »Er schlägt vor, daß wir uns die Sache einmal ansehen, falls nichts Wichtigeres zu erledigen ist.« »Hm«, machte Urthan. Vling nahm unterdessen seine Kampfposition ein. Anders als die abscheulichen Bewohner der Bars-Galaxis, die die Frechheit gehabt hatten, sich gegen die Völker von Farynt zu stellen, verwendeten die Beneterlogen keine mechanisch-positronische Intelligenz, sondern organische Denker, deren Funktionsweise sich allerdings nur wenig von der positronischer Anlagen unterschied. Auch sie mußten untereinander verkabelt und zusammengeschlossen werden, auch sie waren auf Energiezufuhr angewiesen, in diesem Fall auf organische Nahrungsmittel. »Rückfrage an EGEN, er soll bestimmen, was wir machen.« Es war typisch für Urthan, daß er sich Rückversicherung holte. Andere Kommandanten taten das auch. Jedes Farynt-Schiff konnte in Notlagen Kontakt zu EGEN aufnehmen und um Anweisung bitten, die in der Regel auch recht schnell kam. Allerdings war Vling und den anderen Prezzarerhaltern schon vor geraumer Zeit eines aufgefallen: Seltsamerweise führten die weisen Ratschläge des alles wissenden Herrschers über das Volk der Beneterlogen nicht dazu, daß die Beneterlogen die Auseinandersetzung mit den scheußlichen Völkern von Bars gewannen. Es sah eher danach aus, als sei EGEN daran interessiert, eine Art Machtgleichgewicht herzustellen, anders ließ sich eine ganze Reihe widersprüchlicher oder gar offenkundig falscher Entscheidungen nicht erklären. Die Prezzarerhalter hatten versucht, sich darauf einen Reim zu machen. Ihre Auffassung sah so aus: EGEN war gar nicht daran interessiert, den unnatürlichen Zusammenschluß Bars-2-Bars zu trennen. Sein Ziel schien vielmehr zu sein, eines fernen Tages die Herrschaft über das Gesamtgebilde zu übernehmen – und zwar allein und ausschließlich. Vling wußte aus vielen Kommunikationen mit dem Fetisch, daß
EGEN nicht selten eigene Schiffe regelrecht geopfert hatte, um den Gleichgewichtszustand nicht zu sehr aus der Balance zu bringen. Wahrscheinlich lag es in der Absicht des Herrschers, die Völker der Galaxien gegeneinander auszuspielen, um als Entscheidungsfaktor unentbehrlich zu sein. Bekannt war auch, daß diese Zusammenhänge nicht nur bei den Prezzarerhaltern besprochen wurden. Hinter der Hand wurde viel gemunkelt – aber nicht lange, denn der Arm des Diktators reichte weit. Vling hatte selbst erlebt, daß Leute spurlos verschwunden waren, und niemand unter den Prezzarerhaltern war so naiv, anzunehmen, man habe diesen Rebellen nur ein neues Betätigungsfeld zugewiesen. Höchstwahrscheinlich waren sie ermordet worden. Die Mehrheit der Beneterlogen aber wollte das nicht wahrhaben. Sie verehrten und fürchteten EGEN, der nicht selten auch Loge genannt wurde. Eine Heimatwelt der Beneterlogen hieß Beneter, die zugehörige Sonne, deren siebter Planet Beneter war, wurde Loge genannt und stand am äußersten Rand von Farynt. Niemand hatte jemals EGEN oder Loge zu Gesicht bekommen, es war auch sonderbarerweise kein einziger Beneterloge bekannt, von dem behauptet wurde, er habe Loge gesehen. Das gab dem Volk natürlich viel zu denken, und einige Verrückte wähnten sogar, der seltsame Name Loge für ein Lebewesen beweise, daß Loge entweder in der Sonne Loge saß oder – Gipfel der wüsten Spekulationen – mit der Sonne identisch war. Die Wahrheit kannte niemand, und die Aura des Geheimnisvollen, die Verschwundenen und viele andere Ereignisse und Tatsachen mehr ließen es den Beneterlogen geraten erscheinen, entweder keinerlei Interesse an den Tag zu legen oder doch wenigstens zu allem und jedem zu schweigen. »Anweisung von EGEN – nachsehen!« Damit war Urthan seine Verantwortung los. Wenn EGEN selbst
dieses Unternehmen befahl, dann lag die Verantwortung für alles, was geschah, natürlich bei ihm. EGEN hat allein alle Dinge im Griff, den großen Überblick und letztlich auch die Verantwortung – was den einen, den Prezzarerhaltern beispielsweise, als Entmündigung einer ganzen Galaxis erschien, war den anderen bequeme Ausrede für eigene Faulheit oder Niedertracht. Niemals wäre es beispielsweise Urthan eingefallen, seine unerträglich harten Disziplinarstrafen auf die eigenen Schultern zu laden. Er verschanzte sich in jedem Fall auf Verantwortung von oben – je schwerer der Fall lag, um so höher die Dienststelle, die um Anweisung gebeten wurde. Währenddessen wurde in EGENS Namen, Auftrag und Verantwortung gestorben und getötet – und nur die Prezzarerhalter waren fest entschlossen, jeden einzelnen der zahlreichen Urthans später für seine Taten zur Rechenschaft zu ziehen. Urthan hätte solche Gedanken niemals verstanden. Er war in seinem speziellen Fachgebiet nicht einmal schlecht. So weit ging die Leichtfertigkeit Loges im Umgang mit seinem Volk nicht, daß er Nichtskönner in führende Positionen berufen hätte. Neben seiner Fachqualifikation war Urthan aber ein feiger, gewissenloser Leuteschinder, der nach oben so sehr buckelte und liebdienerte, wie er nach unten trat und quälte. In den nächsten Stunden bekamen die Denker zu tun. Die Nahrungsmittelzufuhr zu den denkenden Plasmaklumpen mußte erhöht werden. Nicht nur die AZZENAV mußte in Fahrt gebracht werden, es galt auch die Bewegungen des ganzen Flottenverbandes zu koordinieren. Da die ganze Sache recht harmlos aussah – was konnte an einem solchen Energiewirbel schon gefährlich sein, wenn man nicht zu nahe heranflog –, nutzte Urthan die Gelegenheit zu außerplanmäßigen Alarmübungen. Auf mehr als fünfzig Schiffen schrillten die Sirenen, wurden die Freiwachen auf die Stationen gescheucht. Fluchende Beneterlogen
stiegen in ihre Raumanzüge, hetzten durch die Gänge, bemannten Beiboote und schwitzten. Wie es Vling nicht anders erwartet hatte, ließ Urthan die Übung nicht voll durchlaufen, sondern gab Gegenbefehl – exakt in dem Augenblick, in dem die Beneterlogen gerade ihre Stationen eingenommen hatten. Danach wartete er noch einmal, bis die Mannschaften vermutlich ihre Quartiere wieder aufgesucht hatten – und gab erneut Alarm. An Bord der AZZENAV war man diese Quälereien bereits gewohnt und hatte sich darauf eingestellt – an Bord einiger anderer Schiffe gab es natürlich ein heilloses Durcheinander. Urthan nutzte die Gelegenheit zu einer Ansprache, und wenn er jemals eine Form von Brillanz aufgewiesen hatte, dann in der Kunst, seine Untergebenen durch ätzende Kommentare zu schikanieren. An diesem Tag gab er wieder einmal sein Bestes; die Unglücklichen ernteten zum Dank für ihre Schinderei nun auch noch giftigen Spott, der vermutlich in der schiffsinternen Rangfolge von oben nach unten an Schärfe zunehmen würde. Trotz dieser Spielereien zum Zeitvertreib eines launenhaften Kommandanten erreichten die Schiffe nach einigen Stunden Flug ihr Ziel. Sie erlebten eine Überraschung. Der Energiewirbel hatte sich inzwischen aufgelöst. Hinterlassen hatte er zwei Schiffe. Eines schlank, fast, dolchförmig, ein anderes … als Vling auf seinem Kontrollschirm die Abmessungen dieses Giganten ablas, mußte er schlucken. »Bei Loge!« stieß Urthan hervor. Vling konnte sehen, daß er erschrocken war. Der Schiffsriese mußte schon von der überaus harmlosen Sorte sein, wenn er in einem Kampf der Flotte der Beneterlogen nicht erheblichen Widerstand leisten würde. Widerstand aber hieß Kampf und Tod. Wenn auch Urthan
grundsätzlich nichts gegen einen heldenhaften Tod vor dem Feind einzuwenden hatte, so hatte er sich doch stets bemüht gezeigt, dieses Ausmaß von Heldenhaftigkeit nicht am eigenen Leibe erfahren zu müssen. »Rückmeldung an EGEN. Was sollen wir tun?« »Das Ding kommt aus Bars, ganz bestimmt«, sagte einer in der Zentrale. »Ruhe an Bord!« brüllte Urthan. Wenn er zu schreien begann, hatte er entweder bemerkenswert schlechte Laune oder Angst. Übellaunigkeit konnte es nicht sein, die hatte er gerade mit seinen Alarmmanövern gesättigt – es blieb also die Angst. »Schildere Aussehen des Fremden und die Lage sehr genau und frage nach genauen Anweisungen.« Vling grinste in sich hinein. Eine längere Anfrage und eine entsprechend länger ausfallende Antwort ergab nicht nur Bedenkzeit – je länger der Antworttext ausfiel, um so mehr Möglichkeiten gab es, einen solchen Text zum eigenen Vorteil auszudeuten. »Die Antwort ist da – angreifen, vernichten.« Vling sah, wie Urthan schluckte. Der Gefechtsalarm tobte durch die Räume des Schiffes. Zum dritten Mal wurden die Besatzungen binnen weniger Stunden auf Gefechtsposition geschickt – wie sich das auf die Kampfmoral auswirken würde, mußte sich herausstellen. Wahrscheinlich niederschmetternd. Urthan ließ eine Konferenzschaltung aller Kommandanten herstellen, dann gab er seine Anweisungen. Die Flotte sollte in zwei Angriffskeilen vorstoßen und den Gegner in die Zange nehmen. Ein dritter kleinerer Verband sollte derweil das umliegende Raumgebiet sichern. Vling entging nicht, daß einige Kommandanten verächtlich lächelten, als sich herausstellte, daß dieser Sicherungsverband von der AZZENAV angeführt werden sollte. »… als Eingreifreserve, für den Notfall«, erklärte Urthan. Er schien
gemerkt zu haben, was die anderen Kommandanten dachten, und machte einen unsicheren Eindruck. Vling stand auf. »Wo willst du hin?« »Ich besorge mir ein Medikament«, erklärte Vling. »In zwei Minuten bin ich wieder auf meinem Posten.« »Wehe, wenn nicht!« Die Flotte der Beneterlogen nahm ihre Angriffsposition ein. Vling entging nicht, daß der Gegner offenbar Versuche unternahm, Funkkontakt herzustellen, aber vergeblich. Keinem Beneterlogen wäre es eingefallen, jemals Kontakt herzustellen mit den widerwärtigen Bewohnern der Galaxis Bars – schließlich war alles Übel, was die Beneterlogen in den letzten Jahrhunderten erfahren hatten, hauptsächlich auf deren Wirkung zurückzuführen. »Vorstoß!« bestimmte Urthan. Die Schiffe rasten los, schwärmten BILD aus und umklammerten förmlich die gegnerischen Schiffe, die mit gleichbleibender Fahrt ihre Bahn durch den Weltraum zogen. Auf den Energietastern war zu erkennen, daß sich die Fremden in Schutzschirme gehüllt hatten, aber dem massiven Beschuß von fast vierzig Schiffen der Beneterlogen konnte diese Defensivbewaffnung schwerlich standhalten – obwohl Vling, der von diesen Dingen eine Menge verstand, angesichts des Schiffsriesen seiner Meinung nicht mehr so sicher war. Vling spürte, daß seine Innenhand feucht wurde, ein sicheres Zeichen, daß er sehr aufgeregt war. Es konnte nicht mehr lange dauern, bis die Spitze der Angriffsformation dem Ziel so nahe war, daß der Beschuß beginnen konnte. Vling spürte das starke Verlangen aufzustehen und den Kommandanten aufzufordern, den wahnwitzigen Angriff einzustellen. Denn ihm war längst klar, daß das Riesenschiff niemals aus Bars stammen konnte – nach allem, was von den Anterferrantern
bekannt war, brachten sie solche technischen Gigantleistungen einfach nicht fertig. Aus Farynt konnte das Schiff auch nicht stammen – es sei denn, es handelte sich dabei um ein streng geheimes Testschiff Loges. Aber Vling hatte die kurze Pause dazu genutzt, mit anderen Prezzarerhaltern Kontakt aufzunehmen, sie zu warnen und Instruktionen einzuholen. Vling war nicht gerade ein führender Kopf in den Reihen der Prezzarerhalter, aber von der Existenz eines solchen Raumgiganten hätte er sicherlich etwas gewußt. Daher blieb für den Prezzarerhalter nur eine Schlußfolgerung – das Riesenschiff in Hantelform war fremden Ursprungs. Fremde waren dort drüben, keine Gegner – wenigstens vorerst. Man hätte mit ihnen Kontakt aufnehmen sollen … Aber Vling blieb sitzen. Er hätte mit einer solchen Aktion seinen Status als Prezzarerhalter eingebüßt und hätte sich selbst töten müssen, um der Gefahr, seine Freunde und Gefährten zu verraten, mit absoluter Sicherheit entgehen zu können. »Feuer!« rief Urthan. Die ersten Einheiten eröffneten das Feuer. Auf den Schirmen der Energieortung waren die Treffer zu erkennen – sie zeigten keinerlei meßbare Wirkung. »Schiff nimmt Fahrt auf!« »Haha!« lachte Urthan. Dieser Narr vermutete wohl, daß die beiden fremden Schiffe Reißaus nahmen. Vling war sich da nicht so sicher. Immerhin war zu erkennen, daß die beiden Schiffe beschleunigten. Sie machten wohl Anstalten sich abzusetzen, aus welchen Gründen auch immer. »Hinterher!« ordnete Urthan an. Er wandte sich an den Piloten seines Flaggschiffs. »Wir folgen – in gehörigem Abstand.« Den letzten Halbsatz hätte er sich sparen können; Urthans Charakter war hinreichend bekannt. Niemand an Bord hatte mit einer tolldreisten Angriffsaktion gerechnet.
»Fremdschiffe stehen kurz vor Eintauchen in den Überraum!« »Beachtet mir die Peiler, ganz genau! Ich will wissen, ob sie wieder herauskommen.« »Bei Loge!« entfuhr es Vling. Mit einem Schlag waren die beiden fremden Schiffe verschwunden. Dort, wo sie vor einer Sekunde noch im Raum gehangen hatten, war nun eine violett leuchtende Energieaura zu sehen, ein zuckendes Bündel übergeordneter Energien, das sich rasend schnell ausbreitete. Die Energietaster schmorten durch – die Kräfte, die dort freigesetzt wurden, waren von den Instrumenten nicht mehr beherrschbar. Unsichtbare Gewalten griffen nach den angreifenden Schiffen der Beneterlogen und stießen sie aus ihren Bahnen. Über die Kommunikationsanlagen klangen Schreie des Entsetzens. Dann, mit noch lauterem energetischen Getöse als zuvor, tauchten die beiden Schiffe wieder auf. Urthan stieß einen Jubelruf aus. Jeder, der auch nur ein bißchen von Raumfahrt verstand, konnte auf den ersten Blick erkennen, daß der Schiffsriese angeschlagen war. Er torkelte förmlich durchs All. »Jetzt haben wir sie«, stieß Urthan hervor.
5. Grynph fühlte sich unbehaglich. Gerade noch hatte er das Tyari-Ebenbild Atlan bestaunt, ein sehr merkwürdig aussehendes Wesen, so ganz ohne Fell, von den paar Strähnen abgesehen, die zudem eine natürliche Farbe hatten, die bei den Anterferrantern kaum vorkam. Jetzt war er der Exote, und er fühlte sich auch als Fremdkörper. Das lag nicht etwa daran, daß er an Bord des Riesenschiffs, das SOL hieß, allgemein begafft und bestaunt worden wäre. Im
Gegenteil – man nahm ihn zwar zur Kenntnis, aber schien ihn nicht für besonders auffällig zu halten. Grynph zog daraus die Schlußfolgerung, daß die Solaner erheblich mehr verschiedenartige Lebensformen kennengelernt hatten als er und dem Stadium kleinlicher Vorurteile weitgehend entwachsen waren. Grynph kam sich irgendwie primitiv und rückständig vor. Sein Begleiter lachte nur dazu. »Warte nur, bis du auf Kinder stößt«, sagte er. »Die haben noch nicht so viel Erfahrung im Umgang mit Fremdintelligenzen, die sind offener und können noch staunen.« »Ihr habt Kinder an Bord?« Hallam Blake machte eine weitausholende Geste. »Dieses Schiff ist unser Zuhause. Hier leben wir mit unseren Familien, hier werden wir geboren, hier arbeiten wir, hier werden wir auch sterben.« »Aber das Schiff muß doch auf irgendeinem Planeten entstanden sein. Und ihr seid doch wohl auch nicht im Weltraum als Volk entstanden.« »Richtig, aber das ist lange her. Wir sind Solaner, Bewohner der SOL.« Grynph hatte den Eindruck, ein peinliches Thema berührt zu haben, und hielt sich mit weiteren Fragen zurück. Die TEUCER hatte Grynph schon sehr beeindruckt, nicht zuletzt der Größe wegen. Aber die Weiträumigkeit der SOL überstieg alle Erwartungen. Auf Grynph machte sie allerdings einen erschreckend kalten und unfreundlichen Eindruck. Es war ihm zu hell, die Wände zu glatt und zu hart. Es gab nirgendwo einen Winkel, in dem man sich verkriechen konnte. »Auch das gibt es«, erläuterte Hallam. »Aber nicht sehr oft. Hast du Hunger?« Grynph nickte. »Dann wollen wir zusehen, daß du etwas zu essen bekommst.« Das zu bewerkstelligen, erwies sich als ein wenig umständlich. Hallam führte Grynph in eine Medo-Sektion, wo ihm ein paar
Kubikzentimeter Blut abgezapft wurden. Aus der Blutprobe sollte erforscht werden, inwieweit Grynphs Metabolismus die Kost der Solaner verkraften konnte. »Im Notfall wird SENECA dafür sorgen, daß für dich spezielle Kost synthetisch hergestellt wird – für das Aroma übernehme ich aber keine Garantie.« Wenig später kehrte die Ärztin zurück, die die Untersuchung durchgeführt hatte. »Prächtig«, verkündete sie. »Gib ihm nur keinen Spargel zu essen.« »Keinen Spargel. Unser Freund verträgt kein Asparagin.« »Aha«, machte Hallam. »Asparagin ist eine Aminosäure, besonders reichlich vorhanden im Spargel, daher auch der Name. In größeren Dosen ist es für unseren Freund hier Gift – zum Glück steht Spargel ohnehin nicht auf der Speisekarte der Bordküchen.« »Ich werde meine Frau entsprechend instruieren«, erklärte Hallam. »Ist sonst noch etwas zu beachten?« »Und Vorsicht mit Alkohol. Die Anterferranter scheinen ihn nicht zu kennen – ein Gläschen würde unseren Freund erheblich aus dem Gleichgewicht bringen, ihn womöglich sogar mit einem Schlag süchtig machen.« »Ich werde meine Schnapsvorräte vor ihm verstecken«, gelobte Hallam. »Und was ist mit Bakterien und Viren – von ihm und von uns?« »Keine Gefahr, soweit wir das abschätzen können.« »Prächtig«, sagte Hallam und verließ mit dem jungen Anterferranter die Medo-Station. Auf dem Gang griff er sich plötzlich an den Magen. Grynph richtete den Solaner auf. »Was ist passiert?« fragte er besorgt. »Noch nichts«, sagte Hallam. »Bring mich zum nächsten Interkomanschluß.«
Zu Grynphs Erstaunen ließ sich Hallam Blake mit der Zentrale der SOL verbinden. Es war Breckcrown Hayes, der an den Apparat kam. »Was gibt es?« fragte er knapp. »Nur ein allgemeiner Hinweis«, sagte Hallam. Er war ein wenig bleich geworden. »Mein Magen hat sich wieder gemeldet.« »Gratuliere«, sagte Hayes ohne Spott. »Dein Magen scheint zu funktionieren. Wir bekommen gerade Besuch.« »Können wir in die Zentrale kommen?« Er trat ein wenig zur Seite, daß Hayes auch den jungen Anterferranter zu sehen bekam. »Einverstanden.« Nach diesem knappen Kommentar schaltete Hayes ab. Hallam Blake beeilte sich, mit Grynph die Zentrale der SOL zu erreichen. Was an Bord des Riesenschiffs allein an Technik benötigt wurde, um die inneren Entfernungen des Schiffes zu überbrücken, war gigantisch. Grynph begann langsam, die Solaner für Sendboten einer weit übergeordneten Macht zu halten, für Ausnahmewesen. Die Zentrale der SOL war von einer Größe, die Grynph buchstäblich den Atem verschlug. Was ihn ganz besonders beeindruckte war die Gelassenheit und Ruhe, mit der die Männer und Frauen, auch ein paar exotisch wirkende Geschöpfe waren darunter, ihrer Arbeit nachgingen. »Beneterlogen«, sagte Grynph sofort, als er die Schiffe sah, die sich der SOL näherten. »Offenbar eine ganze Flotte.«
* Das Geschehen brachte es mit sich, daß die Beneterlogen diese Milde des Gegners als Demütigung ansehen mußten. Urthan nahm – Vling hatte es nicht anders erwartet – seine Zuflucht zum letzten Mittel.
»Entscheid von Loge anfordern«, bestimmte er. »Ich schlage ein Selbstmordkommando der gesamten Flotte vor.« Natürlich spekulierte er auf einen Gegenbefehl – so tölpelhaft würde auch der unberechenbare Loge nicht sein, daß er eine ganze Flotte verschliß, ohne zu wissen, worum es überhaupt ging. »Entscheidung zustimmend – Angriff!« Urthan blieb schreckenssteif stehen, als er diese Worte hörte. Auf die Gesichter der Offiziere stahl sich ein kaum wahrnehmbares Lächeln. Beim Sternenlicht, durchfuhr es Vling. Was für ein Wahnsinn. Sie wissen, daß sie möglicherweise alle miteinander sterben müssen – aber sie tun es mit der Freude, ihrem Kommandanten zu zeigen, was wirklicher Mut ist. Gibt es wirklich keine andere Möglichkeit, eine Selbstbestätigung zu finden als diesen Aberwitz? Urthan schwieg, peinlich lange. Dann befahl er mit tonloser Stimme: »Wir greifen an!« Vling wandte sich seinen Waffenkontrollen zu. Für eine Mitteilung an die anderen Prezzarerhalter war jetzt keine Zeit mehr. Wahrscheinlich würden sie aus den Nachrichten erfahren, daß einer der Ihren umgekommen war. Höchstwahrscheinlich wurde dann ein anderer geeigneter Kandidat in den Rang eines Prezzarerhalters berufen, einer aus der großen Schar der Beneterlogen, die im Auftrag der Prezzarerhalter tätig waren, ohne dies wirklich zu wissen. Die lebensgefährliche Allgegenwart Loges ließ keine andere Lösung zu. Das Flaggschiff nahm Fahrt auf. Es zeigte sich, was Vling bereits seit langem vermutet hatte – im wirklichen Ernstfall erreichte die Besatzung des Flaggschiffs nicht annähernd die Schnelligkeit und Präzision, die auf anderen Schiffen erreicht wurden. Der stumpfsinnige Drill, den Urthan hatte praktizieren lassen, hatte aus der Besatzung einen Haufen Drückeberger gemacht. Die Männer hatten sich angewöhnt, genau das zu tun, was von ihnen erwartet wurde – aber keinen Handschlag mehr.
Die einzelnen Stationen meldeten in rascher Folge Gefechtsbereitschaft, aber Vling konnte an seinen Instrumenten mühelos ablesen, daß etliche Geschützstände zwar besetzt, bei weitem aber nicht einsatzklar waren. Erst etliche Minuten, nachdem das Schiff offiziell kampfklar gemeldet war, waren die einzelnen Stationen wirklich bereit. Urthan schien es seinen Untergebenen beweisen zu wollen. Er ließ das Flaggschiff an der Spitze des Pulks fliegen – und es war ihm anzusehen, wieviel Kraft und Beherrschung ihn das kostete. Der Kommandant hatte Angst, aber das ging keinem guten Kommandanten im Ernstfall anders. Übel daran waren nur die, die das vor ihren Männern zu kaschieren suchten und in diesem Bemühen einen Fehler nach dem anderen machten. Vling bereitete sich auf den Ernstfall vor. Seine Aufgaben waren recht vielfältig. Er mußte für die Energieversorgung der Geschütze sorgen, er bestimmte, welche Geschützstände zum Einsatz kamen. Ihm oblag es auch, die Schirmfelder in bestimmten, dem Feind zugekehrten Sektoren zu verstärken. Zusammenfassend bestand seine Aufgabe darin, die aktive Bewaffnung wie auch die Defensiveinrichtungen genau auf den Feind zu konzentrieren, selbstverständlich in engem Verbund mit dem Rechner des Schiffes – eine Aufgabe, die große Konzentration, innere Ruhe und sehr viel Übersicht erforderte. Dies war auch der Grund, warum auf diesen sehr verantwortungsvollen Posten ein vergleichsweise alter Beneterloge wie Vling berufen worden war – jüngere Leute neigten nicht selten zur Hektik, vor allem aber ließen sie sich nicht selten zur Selbstüberschätzung hinreißen und steigerten sich mitunter sogar in eine Art Kampfrausch hinein. Auf dem großen Schirm schien der Schiffsriese näher zu kommen. Sein Flug hatte sich stabilisiert, und der Gigant wurde umschwärmt von einer Flotte großer und kleiner Einheiten, die sich jetzt zu einem Pulk verdichteten und im nächsten Augenblick die Restflotte der
Beneterlogen frontal angriffen. Vling warf einen raschen Blick zur Seite. Urthan stand da wie angewurzelt. Er war kaum mehr fähig, ein Wort zu sprechen, ohne seine Furcht zu verraten. Vling entschloß sich zum Handeln. Mit einer Handbewegung entzog er fast allen Geschützen die Energie und verstärkte damit das Schirmfeld genau vor dem Feind. Für einen Angriff auf den Gegner blieb in diesen Augenblicken kaum mehr Energie übrig. Urthan bemerkte das natürlich. Froh, ein Ventil für seinen Zorn gefunden zu haben, wandte er sich zu Vling und öffnete den Mund. Im nächsten Sekundenbruchteil aber schwollen genau in Flugrichtung des Flaggschiffs eine Reihe künstlicher Sonnen an. Atomare Geschosse, dem heranjagenden Flaggschiff genau in die Flugrichtung gelegt. Rasend schnell schmolzen die Glutkugeln der einzelnen Fusionsbomben zu einem schier undurchdringlichen Energiewall an. Für Ausweichmanöver war es zu spät. Die Rechner des Gegners hatten präzise Arbeit geleistet. Vling hielt die Luft an. Das Flaggschiff raste mit voller Fahrt in die atomare Gluthölle hinein, und es war die Rettung der Besatzung, daß Urthan nicht mehr dazu gekommen war, eine Verzögerung des Fluges anzuordnen. Das Schirmfeld brach in dem Augenblick zusammen, in dem das Flaggschiff den Feuergürtel durchstieß. Vling hörte das Aufbrüllen von Explosionen, tief im Schiffsinnern. Aus den Instrumenten vor ihm sprühten Flammen auf, Rauch wirbelte ihm in die Augen. Durch den ganzen Schiffsrumpf ging ein so heftiger Ruck, daß die Andruckabsorber nicht mehr mitkamen – für ein paar Sekundenbruchteile zerrten Mannslasten an jedem Glied des Körpers. Vling spürte, wie ihm der Atem wegblieb. Es war seltsamerweise völlig ruhig in der Zentrale. Die Mannschaft, die Offiziere eingeschlossen, standen wie schreckensstarr. Nur das Schrillen der Sirenen und das Lärmen und
Toben der inneren Verwüstungen waren zu hören – Schreckensklänge, die den Untergang des ganzen Schiffes ankündigten. Im nächsten Augenblick waren die winzigen Jäger des Feindes da. Gleich ein Dutzend stürzte sich auf das Flaggschiff, das in diesem Augenblick verteidigungsunfähig war. Das Kreischen des Metalls war zu hören, wurde von der Außenhaut durch die ganze Metallkonstruktion des Schiffes getragen, als die ersten Treffer auf der äußeren Hülle angebracht wurden. Sie machten ihre Sache perfekt. Niemals zuvor hatte Vling bei Piloten der Beneterlogen so atemberaubende Flugkunststücke gesehen. Die Jäger stießen herab, feuerten mit äußerster Präzision auf alles, was über die Oberfläche des Schiffes hinausragte, drehten ab, vollführten akrobatische Wendungen – und stießen ein paar Sekunden danach wieder zu. Man konnte glauben, es mit Besessenen zu tun zu haben, aber Vling wußte, daß dem nicht so war. Längst hatte er begriffen, daß dieser Gegner zu stark war für die Flotte der Beneterlogen. Ein einziger Feuerschlag des Riesen hätte genügt, das Flaggschiff in Atomteilchen zu zerblasen – statt dessen wurde das Schiff von den Jägern verteidigungsunfähig geschossen, ohne daß bisher Verluste zu beklagen gewesen wären. Selbstverständlich feuerten die Schiffe der Beneterlogen zurück, und sie nahmen keine Rücksicht. Aber die Jäger waren viel zu flink und wendig, außerdem besaßen sie auch hervorragende Schirmfelder. Dann aber geschah es. Ein Schiff brachte einen Zufallstreffer an, einer der schwirrenden Leuchtpunkte verschwand von der Anzeige. Schmerzlich wurde Vling bewußt, daß dieses Verlöschen eines Lichtzeichens das Lebensende eines intelligenten Geschöpfs bedeutete – gleichgültig, ob es mit Beißzangen ausgerüstet war,
Tentakel verwendete oder sonstwie absonderlich aussah. Wie Piloten der Beneterlogen in einem solchen Fall reagiert hätten, wußte Vling – sie hätten jetzt rücksichtslos zugeschlagen und versucht, den Tod eines Kameraden zu rächen. Nichts dergleichen geschah. Die Jäger setzten ihre Attacken fort, und in diesem Augenblick bekam es Vling mit der Angst zu tun. Er begriff plötzlich, mit wem es die Beneterlogen zu tun hatten. Die Fremden aus dem großen Schiff dachten nicht daran, sich in einen wirklichen Kampf verwickeln zu lassen. Daß sie dazu in der Lage gewesen wären, stand außer Zweifel. Sie beschränkten sich aber darauf, die Beneterlogen nur ungefährlich zu machen – auch auf das Risiko hin, daß sie dabei Verluste hatten, die sie leicht bei vollem Einsatz ihrer Waffen hätten vermeiden können. In diesen Augenblicken bekamen die Beneterlogen nicht nur eine technisch-militärische Niederlage beigebracht, ihnen wurden auch moralische Ohrfeigen versetzt – dieser letzte Aspekt wurde allerdings nur von sehr wenigen bemerkt, hauptsächlich vom Prezzarerhalter Vling, den die gräßliche Ahnung beschlich, daß es die Beneterlogen nun mit einem Gegner zu tun hatten, der ihnen nicht nur technisch, sondern vor allem auch moralisch weit überlegen war. Die Jäger drehten ab. Das Flaggschiff der Flotte war nicht mehr als ein Schrotthaufen. Der Antrieb war defekt, die Schutzschirmprojektoren klebten als zerschmolzene Fladen an der Hülle, die Geschützstände waren völlig zerstört. Noch immer raste das Schiff mit der letzten Fahrtstufe vor dem Angriff weiter. Es entfernte sich rasch vom Schauplatz des Geschehens. »Die Flotte soll sich sammeln«, bestimmte Urthan. Er hatte lange Zeit geschwiegen. Jetzt klang seine Stimme mürbe, es war die eines gebrochenen Mannes. »Wir werden mit den Rettungsbooten zu den noch intakten
Schiffen übersetzen«, bestimmte Urthan. »Die Mannschaft soll sich dazu fertigmachen.« Er schrie nicht, brüllte nicht. Sein Befehl hatte eher den Klang einer Bitte. Es waren bittere Minuten, die folgten. Die Mannschaft verließ das wracke Schlachtschiff, stieg in die Rettungsboote und steuerte den Rest der Flotte an. Acht Schiffe waren übriggeblieben, sie allein waren nur noch voll einsatzfähig. Die anderen mußten aufgegeben werden. Urthan hatte den Befehl zur Selbstzerstörung gegeben. An Bord der acht verbliebenen Schiffe ging es chaotisch zu. Für eine derartige Massenversammlung waren die Schiffe viel zu klein. Auf allen Gängen, in allen Räumen standen, saßen oder lagen Angehörige der Flotte. Vielen saß der Schreck in den Gliedern, andere zeigten sich wuterfüllt. Vling suchte sich einen Platz in der Zentrale, als Offizier hatte er das Recht dazu. Auf den Schirmen waren die Detonationen zu sehen, mit denen die Wracks der Flotte zerstört wurden. Als Fackeln der Schmach standen sie im Raum, der nun wieder leer und verlassen wirkte. Der Schiffsriese hatte seine Beiboote und Jäger wieder an Bord genommen, und noch immer wurde von dort versucht, mit den Beneterlogen in Kontakt zu kommen – und noch immer wurden diese Kontaktversuche nicht beantwortet. Befehl unmittelbar von Loge, hieß es. Es konnte keine größere Dummheit geben, dachte Vling. Offenbar hatte keiner der Kommandanten den Mut, offen zu sagen, welches Debakel die Flotte erlebt hatte, daß sie mit einem neuen, völlig überraschenden Gegner gekämpft und eine schmachvolle Niederlage erlebt hatte. Mit dieser inneren Verlogenheit wird sich EGEN in seinem Reich selbst das Grab schaufeln, dachte Vling, und er empfand keine Befriedigung bei diesem Gedanken – denn er wußte: den furchtbaren Preis für das Ende dieses Kampfes und dieser Diktatur
würden die Beneterlogen zu zahlen haben. Wieder in Sicherheit, gebärdete sich Urthan nach kurzer Zeit wieder wie früher, selbstherrlich, überheblich, anmaßend. »Anfrage an EGEN: Was sollen wir tun?« Die Meldung, die er an EGEN durchgeben ließ, war ein Meisterwerk der Schönfärberei. Von überlegenen Waffen war die Rede, heimtückischer Angriff hieß es, heldenhafte Verteidigung bis zuletzt, taktischer Rückzug. Wenn Loge solche Meldungen bekam, war es kein Wunder, wenn seine Anweisungen oft widersprüchlich waren. Es fragte sich nur, wo dieser tödliche Kreislauf begonnen hatte. EGENS Befehl ließ nicht lange auf sich warten. Die Restflotte sollte einen Koordinatentreff aufsuchen, sich dort mit einer anderen Flotte vereinigen und versuchen, dem Gegner auf den Fersen zu bleiben. Urthan nickte befriedigt. Ihm war auch der Oberbefehl über die neue Flotte anvertraut worden. »Der Kampf geht weiter!« verkündete er prahlerisch. »Sieg oder Untergang.«
7. »Du wirkst mißmutig«, sagte Alyn, während sie das Essen servierte. Hallam stieß einen leisen Seufzer aus. »Wir haben einen Piloten verloren«, sagte er bedrückt. »Ich kannte ihn, ein feiner Bursche. Aber selbst, wenn ich ihn nicht gekannt hätte …« Grynph ließ seinen Blick von einem zum anderen wandern. Hallam hatte ihn mitgenommen in seine privaten Räume, in denen er mit seiner Familie lebte – einer recht anstrengenden Familie, wie Grynph erfahren hatte. Da gab es einen Säugling, der für Grynph noch ein wenig scheußlicher aussah als die normalen Solaner; Hallam hatte ihm allerdings erklärt, es handle sich zweifelsfrei um
das hübscheste Kleinkind, das jemals geboren worden war. Da er als Vater wohl besser informiert war, hatte Grynph ihm geglaubt. Das fragliche Kleinkind lag in einer hölzernen Schaukelkonstruktion und krähte vergnügt, während es gleichzeitig mit entnervender Beharrlichkeit eine Rassel betätigte. Dann gab es noch ein kleines Mädchen von drei Jahren, das blitzschnell herausgefunden hatte, daß Grynph kitzlig war. Seither machte sie sich einen Spaß daraus, ihre kleinen Finger Grynph in den Körper zu pieksen. Die Eltern vertraten den Standpunkt, daß Grynph erwachsen genug war, sich eines Kindes selbst zu erwehren, und griffen nicht ein. Grynph hatte den Spieß umgedreht, und so war binnen kurzem eine muntere Balgerei entstanden, die beiden Beteiligten viel Spaß gemacht hatte. »Wie geht es jetzt weiter?« wollte Alyn wissen. Ihre Haare waren sehr hell, für Grynphs Geschmack nahezu farblos. Hallam schien es zu gefallen. »Cara Doz will versuchen, mit sehr vorsichtigen Linearmanövern die SOL allmählich nach Anterf zu bringen. Wir hoffen, daß wir mit Hilfe von Tyari und Atlan dort die Möglichkeit bekommen, die Schäden zu reparieren.« »Und wenn nicht?« »Sieht es düster aus«, sagte Hallam trocken. Er blickte auf den Teller. »Was, bitte, ist das?« »Oktopus in Tomatensahnesauce«, antwortete Alyn. Hallam runzelte die Brauen. »Ich wußte gar nicht, daß wir an Bord einen Ozean haben«, sagte er und beäugte mißtrauisch den Teller. »Vor einiger Zeit saßen wir auf einem Wasserplaneten fest«, erklärte Alyn, während sie die Schüssel mit dem Reis auf den Tisch stellte. »Während dieser Zeit haben wir eine beachtliche Menge Meerestiere an Bord gebracht. Seither lagert das Zeug tiefgefroren in unseren Vorratskammern. Es schmeckt gut – mir jedenfalls.« Grynph, von Hallam angesteckt, betrachtete das Essen. Es sah bunt aus – weiße Fleischstreifen in einer roten Suppe, die grün
gesprenkelt war … »Fast wie Synthobrei«, murmelte Hallam und kostete. Über sein Gesicht glitt ein Ausdruck von Verklärung. »Nur wohlschmeckender, viel besser. Toll, wie du das gemacht hast. Manchmal frage ich mich, was ich an guten Taten vollbracht habe, daß der Himmel dich mir als Belohnung zugewiesen hat.« In Alyns Augen blitzte es. »Was heißt Belohnung für dich – du bist meine Bestrafung für Sünden in einem früheren Leben.« Aus Bewegung und Geräusch folgerte Grynph, daß die beiden sich amüsierten, aber er begriff den Scherz nicht. »Früheres Leben?« fragte er, während er vorsichtig kostete. Das Essen schmeckt anders als alles, was er gewohnt war. »Werdet ihr wiedergeboren?« Hallam machte ein versonnenes Gesicht. »Wie macht man solch einen Scherz einem Nicht-Solaner klar?« murmelte er. »Wahrscheinlich geht das gar nicht, ich werde es jedenfalls nicht versuchen. Nicht vor dem Essen jedenfalls.« Grynph war während der Mahlzeit still. Er versuchte sich das Aroma genau zu merken. Vielleicht, wenn er nach Anterf und zu Ashda zurückkehrte, konnte sie … dann wurde Grynph bewußt, daß er viele Lichtjahre von Anterf entfernt war, daß dort bürgerkriegsähnliche Unruhen tobten, daß täglich Anterferranter starben und daß überhaupt noch nicht feststand, ob er Ashda wiedersehen würde und sie bei ihm bleiben wollte. Plötzlich wollte ihm das Essen nicht mehr schmecken. »Heimweh?« fragte Alyn und sah ihn an. Grynph nickte und fühlte sich sehr elend. »Du kannst bei uns bleiben«, meldete sich Alysa gönnerhaft. »Dann ist hier dein Zuhause.« Die Kleine strahlte ihn an, und in diesem Augenblick wurde der Schmerz so stark, daß Grynph zu weinen begann. Alyn schloß ihn sanft in die Arme. Hallam sah lächelnd zu. »Ich glaube fast, ich möchte tatsächlich hier bleiben«, sagte Grynph, nachdem er sich
wieder beruhigt hatte. »Auf Anterf herrscht Chaos, ein Kampf jeder gegen jeden, man kann keinem vertrauen, überall ist nur Intrige und Verrat.« »Garantierte Glückseligkeit gibt es auch an Bord der SOL nicht«, meinte Hallam. »Und nach den Erlebnissen an Bord der TEUCER bin ich ziemlich sicher, daß sich auch auf Anterf die Verhältnisse ändern werden.« Das Gefühl der Behaglichkeit und Vertrautheit, daß er in Hallams Familie gewonnen hatte, hielt an. Grynph merkte es, als er zusammen mit Hallam die SOL durchwanderte. Die Solaner, die den beiden begegneten, lächelten meist, und Grynph hatte den Eindruck, als gelte sehr viel von dieser Freundlichkeit ihm. Das machte ihn mitunter ein wenig verlegen. »Jetzt werde ich dir die Antriebssysteme zeigen«, versprach Hallam. »Oder genauer gesagt das, was davon übriggeblieben ist.« Hallams Prognose erwies sich als zutreffend. Allein an der sich ständig mehrenden Zahl von Arbeitsrobotern, die den beiden über den Weg liefen, ließ sich ablesen, welche Schäden aufgetreten waren. In einem der zahlreichen Räume bekam Grynph dann die Folgen der Zerstörung zu sehen – verbogenes, geschmolzenes Metall, Kabelschlangen, die wirr auf dem Boden lagen, aufgeplatzte Schaltkästen. »Und ihr glaubt wirklich, daß ihr das reparieren könnt?« fragte Grynph entgeistert. Er verstand von Raumfahrttechnik fast gar nichts, und für ihn schien es unvorstellbar, in dieses Gewirr von Schrott wieder einen Sinn hineinzubringen. »Wir glauben«, antwortete Hallam. »Wir müssen sogar – davon hängt unser aller Leben ab. Und wir Solaner haben Dickschädel, so leicht geben wir uns nicht geschlagen, schon gar nicht von einer Technik, die wir selbst geschaffen haben.« »Eure Zuversicht könnten wir Anterferranter brauchen«, murmelte Grynph. Der nächstgelegene Interkomanschluß meldete sich. Einer der
Techniker ging hinüber und stellte die Verbindung her. Aus den Augenwinkeln heraus erkannte Grynph den High Sideryt Breckcrown Hayes. »Ist ein gewisser Hallam Blake in der Nähe?« rief der Techniker. Hallam eilte zum Interkom hinüber. »Wie hast du mich gefunden?« wollte er wissen. Hayes grinste. »Eine temperamentvolle junge Dame von knapp drei Jahren hat mich informiert, daß der Papa dabei sei, die SOL wieder heile zu machen.« Hallam lachte. Bei seinem Versuch, ihn zu erreichen, war offenbar Alysa an den Apparat gegangen. »Was kann ich tun?« fragte Hallam. Die Miene des High Sideryt wurde wieder ernst. »Cara will ein Linearmanöver wagen. Mein Vorschlag ist, daß du in der Nähe der Maschinen bleibst und Stop rufst, wenn sich dein Para-Magen meldet.« Hallam schüttelte den Kopf. »Ich glaube nicht, daß das viel Sinn hat«, gab er zu bedenken. »Ich habe keine Para-Fähigkeit. Ich halte es eher für eine wahrnehmungspsychologische Angelegenheit.« »Wie es funktioniert, interessiert mich im Augenblick nicht«, antwortete Hayes. »Hauptsache, es klappt überhaupt. Die Verantwortung für die ganze Angelegenheit trage selbstverständlich ich, nicht du. Bist du bereit, mitzuarbeiten?« »Selbstverständlich«, antwortete Hallam nach kurzem Zögern. »Kann ich hier bleiben?« »Du bist an der richtigen Stelle. Ich lasse diesen Kanal offen – wenn es zu mulmig wird, dann schreie. Wir werden dann das Linearmanöver sofort abbrechen.« »Einverstanden«, sagte Hallam. Er blieb in Sichtweite des Interkoms. Die Techniker und ein Teil der Roboter zogen ab. Es erschien Hallam fast unglaublich, daß dieser Schrotthaufen noch zu verwenden war. Möglicherweise waren die
Beschädigungen nur an der Oberfläche so schlimm, wie sie aussahen. Hallam horchte in sich hinein. Er verspürte ein wenig Angst; das war unter diesen Umständen verständlich. Was fehlte, war der seltsame dumpfe Druck in der Magengrube, der ihn etliche Male vor herannahenden Katastrophen gewarnt hatte. Bis zu diesem Tag hatte Hallam nicht genau begriffen, wie diese eigenartige Gabe überhaupt funktionierte – er nahm an, daß er eine besonders feine Wahrnehmung für menschliche Verhaltensweisen hatte. Leichte Veränderungen in der Stimmführung bei einem Gespräch verrieten ihm mitunter mehr über die Stimmung seines Gegenübers, als diesem möglicherweise bewußt war. Summierten sich solche Eindrücke über eine Reihe von Tagen hinweg, bekam Hallam allmählich Magenschmerzen. Bisher hatte dieses Instrument funktioniert – aber Hallam war felsenfest davon überzeugt, daß ihm diese feine Wahrnehmung keinen Unfall ersparen konnte. »Wir starten jetzt«, gab Hayes bekannt. Aus dem Innern des Maschinenparks erklangen geheimnisvolle Geräusche. Da Hallam sich nie für die Innereien eines WaringKonverters interessiert hatte, konnte er mit den Arbeitsgeräuschen wenig anfangen. Verheißungsvoll waren diese Klänge allerdings nicht. Hallam versuchte sich an das zu erinnern, was er einmal gelernt hatte. Die Masse eines bewegten Körpers vergrößerte sich, wenn dieser Körper beschleunigt wurde. Der Wert dieser Vergrößerung der Masse wurde nach einer Formel errechnet, in der die Geschwindigkeit des Lichts als Konstante eine große Rolle spielte. Während die Massenzunahme bei niedrigen Geschwindigkeiten technisch unerheblich war, wurde sie zum entscheidenden Problem bei Annäherung des fliegenden Körpers an die Lichtgeschwindigkeit. Dann allmählich wuchs die Masse allmählich ins Grenzenlose. Da zur Beschleunigung eines Körpers Energie
benötigt wurde, mußte jedes Quentchen Geschwindigkeitszuwachs in diesen Bereichen mit unvorstellbaren Energiemengen erkauft werden. Im Grenzfall, der praktisch nicht erreichbar war, hätte man zur Weiterbeschleunigung einer unendlich groß gewordenen Masse eine ebenso unendlich große Energiemenge aufbringen müssen. Vorher jedoch wurde der Waring-Konverter zugeschaltet. Er erzeugte ein überdimensionales Feld, das den Körper der SOL vor den Einflüssen des Normalraums und der übergeordneten Dimensionen abschirmte – und nur in dieser Zwischenzone zwischen den Dimensionen waren die Geschwindigkeiten erreichbar, die benötigt wurden, um interstellare oder gar intergalaktische Raumfahrt zu betreiben. Bis zu diesem Punkt hatte Hallam die Erklärungen im Unterricht verstanden. Der Rest war Dimensionsmathematik, und der hatte er noch nie viel abgewinnen können. »In ein paar Sekunden ist es soweit, Hallam!« »Ich bin gespannt!« gab Hallam zurück. Flüchtig sah er sich nach dem jungen Anterferranter um. Er hatte sich in eine Ecke des Raumes verzogen und sah fasziniert auf Hallam und die Maschinen im Hintergrund. »Jetzt!« Ein tiefer Orgelton klang auf, wurde lauter und schwoll an. Aus den Aggregaten begannen Funkenbündel hervorzusprühen. Anstatt aber auf den Boden zu fallen, verteilten sich die Leuchtpunkte allmählich im ganzen Raum. Einer berührte Hallam. Ein Prickeln durchrieselte seinen Körper, seine Nackenhaare richteten sich auf. Der Anblick war schreckerregend, aber Hallam spürte, daß keine tatsächliche Gefahr bestand. Grynph rollte entsetzt mit den Augen. Langsam füllte sich der ganze Raum mit den schwirrenden Leuchtpunkten. Sie schienen sich allmählich zu einem Bild zusammenballen zu wollen. »Allmächtiger!« hörte Hallam den High Sideryt ausrufen. »Weitermachen!« rief Hallam.
An den Instrumenten konnte er ablesen, daß keiner der Meßwerte in einen Gefahrenbereich hingewachsen war – was immer auch gemessen wurde. Das Bild vor Hallams Augen wurde deutlicher. Eine sich langsam drehende Scheibe formte sich, dann eine andere. Sie glitten aufeinander zu. Und dann begriff der Solaner. Grynph stieß ein Ächzen aus. Er deutete auf das Energiegebilde in dem Raum. »Bars-2-Bars!« stöhnte er. Aus dem dumpfen Orgelton war inzwischen ein lauter, ohrenbetäubender Klang geworden. Die Frequenz stieg langsam in die Höhe. Es war tatsächlich eine bildliche Darstellung zweier ineinander geschobener Galaxien, gebildet aus Abermillionen leuchtender Punkte. Hallam hatte nicht die geringste Ahnung, was das zu bedeuten hatte – er ahnte aber, daß die schweren Schäden an den Lineartriebwerken höchstwahrscheinlich etwas mit der seltsamen Konstellation der beiden Galaxien zu tun hatte. Gab es hier möglicherweise einen Schlüssel zur Lösung des Rätsels Bars-2-Bars? Vielleicht konnten sich später Forscher mit dem Problem auseinandersetzen. Im Augenblick war nur wichtig, daß die schwer angeschlagenen Aggregate keinen weiteren Schaden nahmen. Die Bewegung der beiden Mikrogalaxien aufeinander zu hörte auf. Das Bild stabilisierte sich. Dann begann es zu schrumpfen. Der Abstand zwischen den Leuchtpunkten verringerte sich immer mehr. Aus dem Gewirr flimmernder Punkte entstand langsam ein hell strahlender Ball aus Energie. »Wir haben Probleme, Hallam«, rief der High Sideryt. Er mußte schreien, damit Hallam ihn in dem Getöse überhaupt verstand. »Was für Probleme?« schrie Hallam zurück. »Steuerung reagiert träge!«
Das war die Stimme von Cara Doz gewesen. »Wie äußerst sich das?« fragte Hallam. »Die Impulse werden langsamer übertragen, die SOL reagiert mit immer größerer Verzögerung.« »Sollen wir stoppen?« »Von mir aus nicht«, rief Hallam dem High Sideryt zu. Grynph hatte sich in den entferntesten Winkel des Raumes gekauert. Wie hypnotisiert sah er zu, wie sich der leuchtende Ball in der Mitte des Raumes verdunkelte. Aus dem Feuerball wurde ein hellblauer Schemen, der auseinanderfaserte, während es im Innern gleichzeitig Kontur gewann. Hallam war gespannt, welcher Anblick sich ihm als nächstes bieten würde. Die Verdichtung schritt fort. Es sah so aus … »Ein Kopf!« murmelte Hallam. Das Lärmen der Maschinen war so laut, daß er die eigene Stimme kaum hören konnte. Sehr langsam, aber deutlich erkennbar, schälte sich aus dem diffusen Hintergrund eine Kontur hervor, die Gestalt eines Menschenkopfs. Einzelheiten wurden sichtbar. »Zunehmende Steuerprobleme!« meldete Cara Doz. »Lufterneuerung teilweise zusammengebrochen!« lautete eine andere Meldung. Sie kamen jetzt in bestürzend rascher Folge. Das Licht war in einigen Sektionen ausgegangen, Wasserpumpen standen still. Schotte ließen sich nicht mehr öffnen. »Hast du Kontakt zu Atlan?« schrie Hallam. »Nur über Funk«, gab der High Sideryt zurück. Das Bild flackerte heftig. Auch hier gab es die ersten Ausfallerscheinungen. »Versuche, ihn das sehen zu lassen, was ich sehen kann«, rief Hallam. »Ich ahne, daß wir eine Spur gefunden haben!« »Wird gemacht!« Hallam starrte fasziniert auf den Kopf. Die Gestalt war jetzt deutlich zu erkennen. Es war ein Männerkopf, der Schädel eines alten, mageren Mannes.
Die Backenknochen traten stark hervor, die Augen lagen in tiefen Höhlen. Von dem kurzgeschorenen Haar hing eine Strähne in die Stirn mit den starken Querfalten. Von der schmalrückigen Nase zog sich rechts und links eine scharfe Falte hinunter zu den Mundwinkeln. Anzeichen für starke Sorgen oder eine Magenerkrankung, wahrscheinlich beides, dachte Hallam. Der untere Teil des Gesichts wurde von einem gekräuselten Bart umrahmt, er ging von den Wangen aus, umrahmte Mund und Kinn. Unter der Unterlippe gab es einen Bartstreifen, der Raum zwischen diesem Streifen und dem Kinn war glattgeschoren. Es war das Gesicht eines Mannes, der Not und Entbehrung erlebt zu haben schien. Das Gesicht drückte Trauer aus. »Hier Atlan, was gibt es?« »Kannst du damit etwas anfangen?« fragte Hallam. Im gleichen Augenblick meldete sich sein Magen mit schmerzhafter Deutlichkeit. Auf dem Schirm war Atlans Gesicht zu sehen, von Bildstörungen zerrissen, mit dem Ausdruck der Fassungslosigkeit in den Zügen. »Abschalten!« schrie Hallam. »Sofort abschalten!« Er kippte zur Seite. Der Schmerz in seinen Eingeweiden ließ für einen Augenblick nach, kam dann verstärkt wieder. Im nächsten Augenblick war der Spuk verschwunden. Der Schmerz verschwand so schnell, wie er gekommen war. »Schiff gehorcht wieder einwandfrei«, klang die Stimme von Cara Doz auf. »Atlan, was war das? Hast du es erkennen können?« »Das habe ich«, sagte der Arkonide. Sein Gesicht spiegelte seine Betroffenheit wider. »Und?« »Ich kenne dieses Gesicht«, sagte Atlan leise. »Ich habe viele Stunden mit diesem Mann geredet. Es ist sehr lange her.« »Wie lange?«
Der Arkonide lächelte verhalten. »Jahrtausende«, sagte er. »Wer war der Mann?« drängte Hayes. »Seneca«, antwortete Atlan.
8. »Lucius Annaeus Seneca, Philosoph der römischen Stoa, Erzieher und Berater des Imperators Nero Claudius Augustus Germanicus«, murmelte Atlan noch immer tief betroffen. »Er mußte auf Befehl des Kaisers Selbstmord verüben, einer der größten Denker des römischen Reiches.« »Und Namenspatron für die Biopositronik an Bord der SOL«, fuhr Cara Doz fort. »Jetzt begreife ich auch, warum die SOL nicht mehr reagieren wollte – auf irgendeine geheimnisvolle Weise muß … ich weiß nicht, wie ich mich ausdrücken soll … SENECA muß gleichsam in den Linearantrieb hineingesogen worden sein. Fragt mich nicht, wie das technisch möglich sein soll. Ich halte aber den Hinweis, den Hallam gesehen hatte, für äußerst bedeutungsvoll.« Hallam schwieg. Ihm saß noch ein wenig der Schreck in den Gliedern. »Wie sehen die Daten jetzt aus?« wollte Atlan wissen. Er hielt sich noch immer an Bord der TEUCER auf. Er, Hayes, Cara Doz, Hallam und der junge Anterferranter waren durch Konferenzschaltung miteinander verbunden. »Das Manöver ist einigermaßen glatt verlaufen. Die Abweichungen vom geplanten Ort des Wiedereintritts in den Normalraum sind zwar erheblich – längere Flüge möchte ich so nicht machen –, aber für eine Reihe kürzerer Flüge würde es ausreichen.« »Wir können also Anterf anfliegen?« fragte Atlan. »Ja«, lautete die einfache Antwort der Emotionautin. »Mit gewissen Vorbehalten, was das Reisetempo angeht.«
»Man wird uns dort bereits sehnsüchtig erwarten. Vor allem Tyari und dich, Atlan«, sagte Grynph. »Und es wird auch höchste Zeit – wenn dort nicht bald etwas geschieht, gibt es keine Möglichkeit mehr, unser Volk vor dem Untergang zu bewahren.« »Wie viele solch kurzer Flüge werden wir noch brauchen bis zum Heimatplaneten der Anterferranter?« wollte Atlan wissen. »Vier Etappen, besser fünf«, sagte Cara Doz. »Hat einer von euch sich mit SENECA in Verbindung gesetzt?« fragte der Arkonide weiter. »Ich habe mit SENECA gesprochen. Die Biopositronik kann sich an nichts erinnern. Der Vorfall – sofern überhaupt tatsächlich geschehen und nicht nur ein Phantasiebild – sei ihm nicht bekannt.« »Ich weiß, was ich gesehen habe«, versetzte Hallam. »Wir alle haben das Phänomen wahrgenommen. Es hat, das ist meine feste Überzeugung, etwas mit dem astrophysikalischen Phänomen der beiden ineinander verkeilten Galaxien zu tun.« Die Ruhe und Gelassenheit, mit der Atlan dieses Problem ansprach, erstaunte Grynph, aber er begriff rasch, daß er von seinen neuen Freunden nicht erwarten konnte, daß sie wie jeder normale Anterferranter nur mit Abscheu und Widerwillen an die Galaxienkonstellation dachten. Wir werden viel lernen müssen, durchfuhr es ihn. »Was machen die rebellischen Anterferranter der TEUCER?« fragte Hayes. »Dieses Problem haben wir gelöst. Die zwanzig Prozent, die sich von Tyaris Auftreten nicht beeindrucken ließen, waren wenigstens Vernunftgründen zugänglich. Sie stehen nun auf unserer Seite, nachdem wir ihnen glaubwürdig versichert hatten, daß wir auf ihrer Seite stünden. Der Kampf mit den Beneterlogen hat sie sehr beeindruckt. Wir müssen allerdings aufpassen – ich habe den Verdacht, daß ein paar von ihnen die Gelegenheit nutzen werden, an Bord der SOL ein wenig herumzuschnüffeln, um unsere Technik zu kopieren.«
»Das halte ich für sehr wahrscheinlich«, sagte Grynph und nahm damit dem Vorwurf, den nur er hatte hören können, ein wenig die Spitze. »Eine verständliche Handlungsweise«, sagte Atlan lachend. »Die Solaner würden in einer entsprechenden Lage nicht anders reagieren.« »Sorgen machen mir die Beneterlogen«, sagte Cara Doz. »Unsere Ortung hat uns gezeigt, daß sie sich an einem Ort mit einer neuen Flotte getroffen haben.« »Und was machen sie dort?« »Sie warten ab. Ich vermute, daß wir mit dem defekten Lineartriebwerk sehr deutliche Spuren unseres Kommens und Gehens hinterlassen werden. Wem dem so ist, werden wir die Beneterlogen auf geradem Weg nach Anterf locken.« »Das darf nicht passieren«, stieß Grynph hervor. »Wir haben fast keine Möglichkeit, uns gegen einen Angriff zu wehren.« »Wir werden euch helfen«, versprach Breckcrown Hayes. »Ihr allein?« fragte Grynph knapp. Breckcrown Hayes nickte langsam. Der High Sideryt zeichnete sich unter anderem dadurch aus, daß er Kritik nicht nur vertragen konnte, sondern sie für sich selbst und das Schiff auch nach Kräften benutzte. Grynphs Einwand hatte ihn beeindruckt. »Ich schlage vor, daß Atlan zusammen mit Tyari und unserem jungen Freund einen Space-Jet besteigen und Anterf anfliegen.« Cara Doz schwieg einen Augenblick lang, dann fuhr sie fort: »Dabei gibt es natürlich das Risiko mit dem Linearantrieb. Keiner kann voraussagen, ob die Triebwerke der kleineren Einheiten nicht ähnliche Ausfallerscheinungen aufweisen wie die SOL selbst. Zu Hilfe kommen könnten wir euch in diesem Fall kaum.« »Ich bin dafür, es zu wagen«, erklärte Hallam Blake. »Ich habe auch ein gutes Gefühl dabei.«
* Grynph schnallte sich auf dem Sitz fest. Zum ersten Mal sah er eine Space-Jet von innen. Es war ein sehr kompakter Flugkörper in Diskusform, wie geschaffen für solche Ausflüge. Es gab an Bord Platz und Vorräte genug für einige Personen, und der Raum war nicht so begrenzt, daß man es nicht geraume Zeit hätte aushalten können. Es war wirklich erstaunlich, was die Solaner technisch zuwege gebracht hatten. Außer Hallam waren noch Atlan und Tyari an Bord. Diese beiden betrachtete Grynph mit einer Mischung aus Verehrung und Unbehagen. Hallam saß neben dem jungen Anterferranter, während Atlan die Steuerung der Space-Jet übernehmen wollte. Das Fahrzeug wurde aus dem Hangar katapultiert und schoß in den Raum hinaus. Auf den Schirmen war zu sehen, daß der Weltraum in der näheren Umgebung des Schiffes leer war. Aber irgendwo dort draußen lauerte die Flotte der Beneterlogen. Atlan beschleunigte das Schiff und leitete den Linearflug ein. Das Manöver gelang ohne die geringsten Schwierigkeiten. Vielleicht lag es daran, daß der Sprung recht kurz ausgefallen war. Jedenfalls breitete sich in der Space-Jet Zufriedenheit aus. »Damit steht dem Flug nach Anterf nichts mehr im Wege«, sagte Atlan zufrieden. Grynph fragte sich, was dieser Mann mit Anterf und seinen Problemen zu tun haben konnte. Äußerlich unterschied er sich nicht nur von den Anterferrantern, was ganz normal war, sondern auch von den Solanern, obwohl er offenkundig zu ihnen gehörte. Was Grynph am meisten beeindruckte, war die frappierende Ähnlichkeit zwischen Atlan und Tyari – es war allerdings nicht ersichtlich, woher diese Ähnlichkeit kam. Vielleicht fand sich in absehbarer Zeit auch für diese Frage eine einleuchtende Erklärung – wenn nicht, würde man mit dem Phänomen leben müssen, ohne es erklären zu können.
»Im Zweifelsfall haben wir noch einen Verbündeten«, sagte Tyari plötzlich. »Wen?« wollte Atlan wissen. »Ein Beneterloge namens Vling. Er war Waffenleitoffizier auf dem Flaggschiff der Flotte, die uns angegriffen hat. Er gehört, wie mir seine Gedanken verraten haben, zu einer Gruppe, die sich Prezzarerhalter nennt.« »Wann hast du das festgestellt?« wollte Atlan wissen. »Während des Gefechts«, antwortete Tyari ruhig. »Seltsam«, murmelte Atlan. »Bjo und Sternfeuer haben mir nichts davon gesagt, obwohl auch sie versucht haben, telepathischen Kontakt zu den Beneterlogen aufzunehmen.« »Es ist so, du kannst mir glauben.« »Das tue ich«, sagte der Arkonide lächelnd. Er setzte den Flug nach Anterf fort. Die nötigen galaktonautischen Unterlagen hatte er sich aus den Datenspeichern der TEUCER besorgt. Das nächste Linearmanöver dauerte etwas länger als das erste, auch dieser Flug verlief ohne Störungen. Das gab Atlan die Hoffnung, daß die verheerenden Schäden am Antrieb der SOL auf ein einmaliges Phänomen zurückzuführen waren, möglicherweise eine Dimensionsüberlagerung, die von dem rätselumwitterten Anflug auf Bars-2-Bars herrührte. Ganz genau würde man das vielleicht niemals herausbringen können – immerhin, die Space-Jet flog problemlos, und in Grynph breitete sich ein Gefühl freudiger Erwartung aus. Ein bißchen Angst war auch dabei – würde er Ashda noch antreffen, wenn er nach Anterf zurückkehrte? »Achtung!« sagte Hallam plötzlich. »Ein Schiff ist aufgetaucht – ein Kugelschiff!« »Beneterlogen«, stieß Grynph hervor. Er konnte das Schiff auf den Bildschirmen sehen. »Jetzt wird es knifflig«, stieß der Arkonide hervor. »Der Bursche ist gefährlich nahe!« Zu welcher Flotte das Schiff der Beneterlogen gehörte, ließ sich
nicht feststellen. Offenkundig war nur, daß die Beneterlogen alles, was sich in Bars-2-Bars im Raum bewegte und nicht zu ihren Flotten gehörte, sofort als feindlich ansahen. Das Kugelschiff spaltete sich auf – aus der Kugel wurden acht Kugelsegmente, die getrennt voneinander damit begannen, Jagd auf die Space-Jet zu machen. Atlan sagte etwas in einer Sprache, die Grynph nicht verstand. Dem Tonfall nach handelte es sich um handfeste Verwünschungen. Mit höchsten Werten jagte die Space-Jet durch das All. Atlan, der offenbar eine Neigung hatte, seine Gegner durch Verblüffung zu besiegen, schlug zunächst einige Haken, bei denen er den Salven der Beneterlogen nur knapp entging, dann steuerte er unmittelbar auf eines der Teilschiffe zu. Er will die Beneterlogen rammen, durchfuhr es Grynph. Er erstarrte fast vor Schreck. »Achtung!« rief Atlan. Grynph hatte in den letzten Sekunden genau aufgepaßt. Offenbar leitete Atlan ein Linearmanöver ein. Und der Kurs führte schnurgerade auf das Kugelsegment zu … Für einen winzigen Sekundenbruchteil tauchte die Space-Jet in den Linearraum ein, dann gab es einen furchtbaren Schlag. Metall kreischte auf, aus dem Unterteil des Diskusschiffes erklangen Donnergeräusche. »Glück gehabt«, murmelte Atlan. Auf dem Schirm war zu sehen, daß das Schiff-Teilstück der Beneterlogen stark beschädigt war – eine Ecke war völlig abrasiert, stand in weißer Glut. »Du bist einfach durch sie hindurchgeflogen!« murmelte Hallam bleich. »Das geht, wenn man Glück hat«, erklärte Atlan. Die Beneterlogen waren von seinem Manöver geschockt. Sie stellten die Verfolgung ein und kümmerten sich um das havarierte Teilstück. »Rhodan ist einmal mit einem Forschungsschiff, dem ersten, das
einen Kalup an Bord hatte, durch eine Sonne gerast – rein versehentlich.« »Und?« »Er hat es überstanden. Nur das Schiff kam in einem sehr merkwürdigen Winkel unserer Galaxis heraus – Mitten im Heimatsystem der Akonen. Aber das ist sehr lange her.« »Wie lange?« Atlan lachte. »Mehr als ein Jahrtausend«, antwortete er. Grynph fröstelte. Wollte der Weißhaarige damit andeuten, daß er älter war als eintausend Jahre? Grynph begann zu ahnen, daß die Solaner und ihre Anführer nicht minder geheimnisvoll waren als die Konstellation Bars-2-Bars oder die Person der Wissenden, Tyari. Und es erfüllte Grynph mit Stolz, daß er einer der ersten Anterferranter war, der mit diesen Wesen zusammengekommen war. »Und jetzt nach Anterf!« sagte Atlan. Er leitete den Linearflug ein. Grynph stieß einen Seufzer der Erleichterung aus, als er die heimatliche Sonne auf den Schirmen auftauchen sah. Barsanter stand 38 000 Lichtjahre vom Zentrum der Galaxis entfernt, also weit genug von der Kollisionsfläche der beiden Galaxien, um vor Angriffen der Beneterlogen gesichert zu sein, zumal niemand wußte, wie viele Völker es zwischen Anterf und dem Zentrum von Bars noch gab. Bisher hatten die Beneterlogen Anterf noch nicht gefunden, und ein einziges Sternensystem in einer Galaxis aufzustöbern, war eine Kunst, die beherrscht sein wollte. Da es auf Anterf kaum noch Raumfahrt gab, war die Gefahr einer Entdeckung besonders gering – auszuschließen aber war sie nicht. »Barsanter!« murmelte Tyari. Sie wirkte sehr ruhig. »Du kennst unsere Sonne?« fragte Grynph. Tyari lächelte. »Ich kenne sie«, sagte sie. Zu weiteren Erklärungen ließ sie sich nicht herab. Grynph hatte grenzenloses Vertrauen zu der Frau, schließlich war sie mit Sicherheit die lange gesuchte Wissende – aber
einen leisen Anflug von Unbehagen konnte er nicht unterdrücken. Tyari blieb ihm ein Rätsel, und der Blick, den Atlan der Frau zuwarf, deutete an, daß sie auch für die Solaner ein Rätsel war. »Anterf ist der innerste Planet«, erklärte Grynph. »Wir können auch auf Gaturf oder Zumptorf landen.« »Wir fliegen Anterf an«, entschied Atlan. Er setzte zu einem kleinen Linearsprung an, der die Distanz zwischen der Bahn des äußersten Planeten und der Ökosphäre des Sonnensystems überbrücken sollte. Grynph versuchte sich vorzustellen, was jetzt auf Anterf geschehen konnte. Höchstwahrscheinlich war das Auftauchen des Schiffes registriert worden, und nun stand Narrm, der Chef der Raumfahrt vor einer schweren Entscheidung. Grynph verbesserte sich – so wie die Dinge auf Anterf standen, gab es nichts zu entscheiden. Mit Sicherheit würde die Mehrzahl der Anterferranter ohne nachzudenken die Space-Jet als Einheit des Feindes klassifizieren und sofort angreifen. »Man ist ziemlich aufgeregt dort unten«, erklärte Tyari plötzlich. »Man vermutet, daß wir aus Farynt kommen.« Mit einem Handgriff aktivierte Atlan die Schirmfelder der SpaceJet. Grynph wußte, daß es mit der planetaren Verteidigung nicht eben zum Besten stand, aber er traute den Männern und Frauen um Narrm zu, daß sie sehr wohl in der Lage waren, ein so kleines Schiff wie die Space-Jet wirkungsvoll anzugreifen. »Kannst du von hier aus Einfluß auf sie nehmen?« fragte Atlan. »Keinen, es sei denn, sie stellten Funkkontakt zu uns her.« »Das werden wir versuchen. Hallam, übernimmst du diese Aufgabe?« Der Solaner nickte und machte sich an die Arbeit. Seine Rufe blieben vorläufig ohne Antwort. Mit ziemlich hoher Fahrt flog Atlan den Planeten an. Grynph deutete auf den Mond. »Seleterf«, erklärte er. »Dort steht eine große Positronik, wenn wir
die wieder in Gang bekämen, wäre viel gewonnen.« »Wir werden sehen, was sich machen läßt«, versprach Atlan. Er drosselte die Fahrt. So bot er natürlich eine weit bessere Zielscheibe als zuvor – vielleicht begriffen die Anterferranter den Unterschied. Grynph begann zu schwitzen. Es war ein scheußliches Gefühl, möglicherweise von den eigenen Leuten unter Beschuß genommen zu werden. Außerdem war da noch Dwin mit seiner verbrecherischen Gruppe – und wenn die Erkenner des Wahren, wie sie sich selbstverblendet nannten, herausbekamen, wer sich da Anterf näherte, würden sie mit Sicherheit zu einem Angriff ausholen. Grynph spürte, wie seine Handflächen feucht wurden. Die Space-Jet drang langsam in die Lufthülle des Planeten ein. Auf Grynphs Vorschlag suchte sich Atlan als Ziel den Raumhafen von Karn-Ant aus, den er in einer weitgeschwungenen Kurve anflog. Es war dunkel über diesem Teil von Anterf. Jetzt bot der Planet einen kärglichen Anblick – nur wenige Leuchtkörper waren zu sehen, ab und zu ein paar Feuer. Kaum zu glauben, daß Anterf Entstehungsplanet und Heimat eines großen Sternenvolks sein sollte. »Kontakt!« meldete sich Hallam Blake triumphierend. »Sie funken uns an.« Grynph erlaubte sich einen leisen Seufzer der Erleichterung. »Bildverbindung!« forderte Atlan. Auf einem der großen Monitoren stabilisierte sich ein Bild. Narrm wurde sichtbar, der Chef der Raumfahrt von Anterf. »Heiliges Sternenlicht!« rief er aus. Grynph lächelte nur; die wichtigste Schlacht um Anterf war geschlagen.
9.
»Wir werden uns umbenennen!« verkündete Narrm. »Künftig werden wir uns die Diener der Wissenden nennen.« Tyari lächelte verhalten. In dem Augenblick, in dem Narrm sie auf dem Bildschirm entdeckt hatte, war der Kampf beendet gewesen. Die Führer der Aktiven, ohnehin stets auf der Suche nach der Wissenden, hatten sich ohne Ausnahme auf die Seite Tyaris geschlagen, auch wenn sie noch nicht recht wußten, was nach Tyaris Erscheinen aus Anterf werden sollte. Die ersten Effekte aber waren zu spüren. Die Stimmung war lockerer, teilweise heiter, mitunter gar euphorisch. Jeder war fest davon überzeugt, daß der schier unaufhaltsame Niedergang der Anterferranter mit Tyaris Erscheinen beendet war, daß ein neuer Aufstieg bevorstand. Diese Zuversicht ließ jede Arbeit leichter von der Hand gehen, und das wiederum trug dazu bei, die allgemeine Stimmung noch mehr zu heben. »Bei aller Freude, jetzt müssen wir handeln!« sagte Shorrn, Sicherheitschef von Anterf. »Der Gegenschlag der Erkenner wird nicht lange auf sich …« Er hatte den Satz noch nicht ganz beendet, als der Boden von einer Explosion erschüttert wurde. Greller Feuerschein brach durch die Fenster und riß die Landschaft aus der Dämmerung eines kühlen Morgens. Narrm stürzte zum Fenster. »Was habe ich gesagt!« rief er aus. »Sie haben zugeschlagen.« Ein Wachtposten stolperte herein, das Gesicht gezeichnet von Verlegenheit. »Was ist passiert?« Der Mann sah Narrm unsicher an. »Ein Bombenanschlag«, sagte er, schwer nach Luft ringend. »Ich bedauere melden zu müssen, daß das Schiff zerstört worden ist, mit dem unsere Gäste gekommen sind.«
»Wir werden den Verlust verschmerzen können«, sagte Atlan. Ihm wurde, wie Grynph nicht entgangen war, fast soviel Aufmerksamkeit und Respekt gewidmet wie Tyari. Mit einer Handbewegung wies Narrm den Posten aus dem Raum. Draußen gellten die Warnanzeigen der Feuerlöschzüge. Gleiter fegten vorbei, aufgeregte Stimmen schwirrten durcheinander. »Die SOL wird in wenigen Tagen Anterf erreichen«, verkündete Atlan. »Mit ihren technischen Hilfsmitteln wird es sicherlich leichter fallen, die Anterferranter wieder in Schwung zu bringen. Wir werden unsere Reparaturrobots zur Verfügung stellen, kurz alles, was die SOL zu bieten hat …« »Und das ist nicht wenig«, rief Grynph dazwischen und schämte sich sofort für sein vorlautes Mundwerk. »Wollen wir solange warten?« fragte Tyari. »Jeden Tag, den wir verstreichen lassen, wird Dwin dazu benutzen, neue Anschläge durchzuführen. Und jeder Anschlag wird Opfer kosten. Mit Materialverlusten wird es nicht getan sein – es wird Leben kosten.« »Dann schlagen wir sofort zu!« schlug Narrm vor. »Wir haben die Pläne in den Schubladen liegen. Diese Verbrecher werden, wenn sie nicht bis ins Mark verdorben sind, Tyari anerkennen – damit werden wir Dwin mit Sicherheit ausschalten können.« Narrm sah auf die Uhr. »In einer Stunde können wir einsatzbereit sein. Wir haben alles zusammengekratzt, was wir noch aufbieten können. Es ist wenig, ich weiß …« Atlan durchbrach mit einem Lächeln die Entschuldigung des Anterferranters. »Für die Situation sind andere zur Rechenschaft zu ziehen, ganz bestimmt nicht die Anterferranter. Ich für meinen Teil habe keine Lust, untätig herumzusitzen, bis die SOL eintrifft – ich stimme Narrms Vorschlag zu. Tyari?« Die geheimnisvolle Frau nickte nur. Grynph lächelte. Wenn er sich dem Unternehmen anschloß, und
das hatte er vor, würde er bald Ashda wiedersehen. Er freute sich darauf und hatte gleichzeitig ein wenig Angst davor. »Dann gib deine Befehle, Narrm. Wie kommen wir nach Terf?« »Ich habe alle Gleiter zusammenziehen lassen. Damit werden wir die Männer nach Terf bringen. Und dann geht es Dwin an den Kragen!« Die ersten Häuser tauchten auf. »Unruhig?« fragte Hallam. Grynph nickte. Er hielt – wieder einmal – eine moderne Energiewaffe in der Hand, und verspürte nicht die geringste Lust sie einzusetzen. Anders als Narrm und vielleicht auch Atlan, war er kein Kämpfer – er hätte es vorgezogen, die Erkenner auch ohne Waffengewalt zur Aufgabe zu zwingen. Aber es waren in diesem Fall die Erkenner des Wahren, die die Spielregeln diktierten. Hinter dem führenden Gleiter, in dem Narrm, Tyari, Atlan, Hallam und Grynph saßen, schwebte eine kleine Armada von Gleitern über das Land. Fast siebentausend kampffähige Männer und Frauen hatte Narrm zusammengezogen für dieses Unternehmen. Es war ein riskantes Spiel, auf das er sich eingelassen hatte. Schlug dieser Angriff fehl, dann war Karn-Ant von allen Kräften entblößt und stand Dwin offen. Es gab nur zwei Möglichkeiten für die Diener der Wissenden – entweder setzten sie sich an diesem Tag durch, oder Anterf war verloren, eine wohlfeile Beute für die Erkenner des Wahren und ihr tyrannisches Regime. Die Chancen standen gut, nicht zuletzt dank Tyari, von deren Erscheinen sich vor allem Narrm eine schlagartige Wende erhoffte – aber ein gewisses Restrisiko blieb, und diese verbleibende Gefahr bedeutete den Untergang Anterfs. Ein diktatorisches Regiment des geheimnisvollen Anführers Dwin und seiner brutalen Schergen hätte Anterf innerlich so gelähmt, daß an eine erfolgreiche Gegenwehr gegen die Beneterlogen nicht mehr zu denken war. »Ausschwärmen!« bestimmte Narrm. Er sprach in ein kleines
Handfunkgerät, angeblich mit abhörsicherer Frequenz. Terf sah noch öder und verlassener aus, als Grynph es in Erinnerung hatte. Zu allem Überfluß setzte in diesem Augenblick auch ein feiner Nieselregen ein, der den Eindruck der Trostlosigkeit wirkungsvoll unterstrich. Kaum zu glauben, daß dies einmal eine blühende, pulsierende Stadt gewesen war. Ein Trümmerfeld, weniger baulich als sozial. Die Mehrzahl der Häuser stand noch, aber die leeren Fenster grinsten die Ankommenden höhnisch an, es erinnerte an die leeren Augenhöhlen von Totenschädeln, ein Anblick, der auch hartgesottene Gemüter beeindruckte. Kein Wesen war auf den Straßen zu sehen. Ein geplünderter Lastengleiter, ein heruntergebranntes Haus, eine Lichtzeichenanlage, die sinnlos ihr Programm herunterspulte – ein Irrwitz in einer Stadt, die keinen Verkehr mehr kannte, den man hätte regeln können. »Laßt mich heraus«, sagte Grynph plötzlich. Der Gleiter hatte den Stadtbezirk erreicht, in dem er zuletzt gelebt hatte. Irgendwo dort draußen konnte Ashda sein. Grynph spürte in diesem Augenblick, daß ihm Atlan und Tyari, daß ihm Anterf und seine Probleme völlig gleichgültig waren. Er wollte Ashda wiedersehen, und er wollte sie fragen, ob sie bereit war, mit ihm zusammenzuleben – alles andere verblaßte vor diesem Wunsch. »Wie du willst«, sagte Narrm. Seine Stimme hatte einen scharfen, verweisenden Unterton. Grynph lächelte nur. Auch damit konnte man ihn von seinem Wunsch nun nicht mehr abbringen. Er sprang aus dem Gleiter. Nur ein paar Sekunden hielt das Fahrzeug an, dann fuhr es weiter. Es war ein kleiner Abschied – vielleicht würde Grynph diese Leute niemals wiedersehen. Es kümmerte ihn nicht. Er rannte los. Irgendwo mußte Ashda sein. In dem Bezirk von Terf, in dem Grynph zuletzt gehaust hatte,
waren wenige Veränderungen zu verzeichnen. Vielleicht lag es daran, daß hier schon soviel verwüstet war, daß es für plündernde Banden nichts mehr zu holen gab. Bald hatte Grynph seine frühere Behausung gefunden. Es gab sie noch. Ashda fand er nicht, wohl aber Spuren ihrer Anwesenheit. Sie hatte es mit Eifer und Geschick fertiggebracht, das frühere Notloch in eine gemütliche Wohnhöhle zu verwandeln – Grynph kannte den Raum kaum wieder. Er wagte nicht, ihren Namen zu rufen. Höchstwahrscheinlich war sie auch gar nicht in der Nähe. Langsam kehrte Grynph zur Straße zurück. Die Kolonne der Gleiter war bereits vorbeigezogen. Vermutlich begann jetzt der große, zentrale Angriff auf die Unterkünfte der Erkenner des Wahren, und Grynph hoffte inbrünstig, daß Narrms Leute diesen Kampf siegreich bestehen würden. Grynph trabte dem Stadtzentrum zu. Er hatte es nicht eilig, sich ins Getümmel zu stürzen. Es schmerzte ihn, daß er Ashda nicht gefunden hatte, und er malte sich in den schwärzesten Farben aus, wie trostlos und einsam sein Leben verlaufen mußte, wenn er sie nicht wiederfand. Nur sehr langsam stieg ihm ins Bewußtsein, daß er sich müßigen Spekulationen hingab und sich selbst das Gemüt mit katastrophischen Erwartungen verdüsterte. Jetzt war deutlich zu hören, daß der Kampf entbrannt war. Detonationsgeräusche waren zu hören, Rauchschwaden wälzten sich in die Höhe. Offenbar wehrten sich die Erkenner des Wahren erbittert. »Ah, sieh an!« Grynph fuhr herum. Ihm quollen fast die Augen aus dem Kopf. Wie aus dem Nichts gezaubert waren hinter ihm sieben Gestalten erschienen, vermummt und schwer bewaffnet. Grynph erkannte sie trotzdem sofort wieder – sie hatten zu der Truppe gehört, die das Waffenarsenal geplündert hatte.
Er wagte nicht, sich zu rühren. Eine Mündung zeigte genau auf seinen Körper. »Du kannst uns helfen, Freundchen«, sagte der Anführer. Seine Stimme wurde durch ein Mundtuch stark gedämpft, aber der drohende Unterton war gut zu hören. Grynph wußte, daß es um sein Leben ging. »Du wirst aufpassen, daß uns niemand stört«, wurde Grynph befohlen. »Und versuche ja nicht, uns hereinzulegen.« »Ganz bestimmt nicht«, stotterte Grynph. Jetzt saß er in einer üblen Falle, und er hatte nicht die geringste Ahnung, wie er da wieder herauskam. Zwei weitere Kämpfer erschienen, und nun verstand Grynph auch, woher die Leute kamen – per Ag-mehn-dju hatten sie sich abgesetzt. Es wurden immer mehr. Die Anführer hatten die Köpfe zusammengesteckt und berieten, was zu tun war. Verzweifelt sah Grynph sich um – was sogar zu seinem Auftrag paßte. Er hoffte, daß irgend jemand ihm zu Hilfe kam, aber alle Lebewesen, die in seinem Blickfeld erschienen oder neu auftauchten, gehörten zu den Erkennern des Wahren. Bald waren es fast fünfzig Mann – wobei die zweite Hälfte dieses Trupps, wie Grynph genau sehen konnte, sich von der ersten Gruppe hatte herholen lassen. Die Erkenner des Wahren, ohnehin dafür bekannt, schamlos im Umgang mit dem Ag-mehn-dju zu sein, hatte sich einen erschreckend guten Trick einfallen lassen. In Gruppen von annähernd fünfzig Leuten konnten sie überall und jederzeit zuschlagen – der eine Teil der Gruppe sorgte jeweils dafür, daß der andere seinen Bestimmungsort erreichte. Bei einer maximalen Reichweite des Ag-mehn-dju von fast einhunderttausend Kilometern konnten sie mit diesem Verfahren überall auf dem Planeten auftauchen, Schrecken und Verwirrung verbreiten und sich in Windeseile wieder zurückziehen, lange bevor ihnen geschulte Kämpfer entgegengestellt werden konnten.
Bei einigen tausend Aktiven, über die die Erkenner höchstwahrscheinlich verfügten, ergab das eine Streitmacht von Guerillas, die der Zivilisation der Anterferranter den Gnadenstoß versetzen konnte. Ganz besonders zum gegenwärtigen Zeitpunkt – es gab weder die Energie noch die Einrichtungen, um alle wichtigen Gebäude und deren Einrichtung unter einem undurchdringlichen Energieschirm einzuschließen. Hier ein Kraftwerk, dort ein Lebensmitteldepot, dann ein Raumschiff – nirgendwo auf Anterf konnte man vor diesen Banden sicher sein, selbst wenn sie von der ganzen Bevölkerung verabscheut wurden. »Hier greifen wir an!« bestimmte der Anführer der Gruppe. »Das wird ihnen eine Lehre sein.« Mit lauter Stimme fuhr er fort: »Wir verschwinden, Männer. Zielort ist Stützpunkt einundvierzig. Beeilt euch.« Grynph bemerkte zu seinem Entsetzen, daß er es mit geschulten Leuten zu tun hatte. Einer der Männer nach dem anderen wurde per Ag-mehn-dju an das unbekannte Ziel teleportiert. »Nehmt den da mit«, sagte der Anführer und wies auf Grynph. »Laßt ihn nicht entkommen, wenn nötig, erschießen!« Grynph dachte an die Waffe, die er wie beiläufig in der Hand hielt. Sie jetzt einzusetzen, kam einem Selbstmord gleich – vielleicht gab es an anderer Stelle eine bessere Möglichkeit. Ag-mehn-dju beförderte ihn in eine düstere Halle, in der gerade die ersten Leuchtkörper aufflammten. Sobald er dort erschien, wurde wieder eine Waffe auf ihn gerichtet – an Entkommen war nicht zu denken. Die Halle füllte sich rasch. Es waren insgesamt sieben verschiedene Gruppen, die sich zusammenfanden – eine Streitmacht von fast vierhundert Mann, mehr als genug, um Narrms Männern erheblich zuzusetzen. Der Anführer von Grynphs Gruppe schien zugleich der
Oberbefehlshaber dieser Streitmacht zu sein, wahrscheinlich der Nachfolger des Dunklen. Und eines fiel Grynph noch auf – dieser Anführer besaß ein zusätzliches Sprechfunkgerät, das er recht häufig benutzte. Was er sagte, konnte Grynph nicht verstehen – aber er las aus der Mimik und der Körperhaltung des Anführers ab, daß er sich mit einer Person unterhielt, die das Recht und die Macht hatte, ihm Befehle zu geben. Wahrscheinlich Dwin persönlich, dachte Grynph. Er versuchte sich näher heranzuschieben, aber die Waffe, die auf ihn wies, bedeutete ihm, dort zu bleiben, wo er war. Grynph fühlte sich elend. Er ahnte, daß es nicht so glimpflich abgehen würde wie in den letzten Minuten. »So, jetzt zu dir!« Grynph erschrak. Er versuchte, sich von seinem Schrecken so wenig wie möglich anmerken zu lassen, aber er rechnete damit, daß ihm das nicht gelang. In der Tat, soweit es die vermummten Züge erkennen ließen, flog ein verächtliches Lächeln über das Gesicht des Anführers. »Ich weiß von nichts«, schwätzte Grynph los. »Ich kann auch nichts sagen.« »Das wird sich zeigen«, bekam er zu hören. »Freundchen, versuche nicht, uns zu betrügen. Du warst an dem Überfall auf den Raumhafen Karn-Ant beteiligt, die Sache ist fehlgeschlagen und wir hätten fast einen unserer besten Männer verloren. Dann warst du bei dem Unternehmen Seleterf dabei, und wieder ist die Sache schiefgegangen. Der Anführer ist tot, unsere Leute gefangengenommen. Und wieder bist nur du es, der die Sache lebend und frei überstanden hat.« »Zufall«, sagte Grynph hastig. »Reiner Zufall. Ich kann nichts dafür.« Eine Hand griff nach seinem Kinn und hob es ein wenig an. Der Anführer der Erkenner sah Grynph lange ins Gesicht. Grynph schluckte heftig. Er hatte nicht die leiseste Ahnung, wie er sich in
dieser Lage verhalten sollte. Er hatte Angst, die wollte er aber nicht zugeben. Irgend etwas Gescheites, das ihm helfen konnte, wollte ihm nicht einfallen. Und zu sagen, daß er wütend war auf diese Männer, wagte er ebenfalls nicht. »Wir werden es herausbekommen«, sagte der Chef der Gruppe. »Wenn ich ein Gegner von euch wäre, würde ich doch nicht so einfach in der Stadt herumlaufen, wo ihr mich jederzeit finden könnt.« »Hört sich logisch an!« sagte einer aus der Runde. »Lügen hören sich immer logisch an, sonst bestünde keine Chance, daß jemand sie glaubt. Also, wo hast du gesteckt?« Grynph überlegte einen Augenblick lang – dann entschloß er sich, ganz einfach die Wahrheit zu sagen. Glauben würde man ihm ohnehin nicht. Natürlich gab sich Grynph einige Mühe, seinen Bericht möglichst langatmig und verwirrend zu machen. Das war auch nötig, denn er versuchte nach Kräften, seine eigene Rolle in den Geschehnissen herunterzuspielen – wenn er offen zugab, auf Seiten der Aktiven zu stehen, war sein Leben nichts mehr wert. Wie leichtfertig und kaltherzig die Erkenner mit dem Leben umsprangen, war ihm noch in bester Erinnerung. »Der Bursche will uns verkohlen«, klang es in der Runde auf. »Macht Schluß mit ihm!« »Abwarten, berichte weiter, Junge!« Grynphs Bericht endete mit einer Lüge. »Ich bin einfach abgehauen, nachdem ich mir eine Waffe besorgt hatte. Ich hatte einfach keine Lust mehr, das alles ist mir viel zu gefährlich. Ich wollte zu meiner Freundin …« Das hämische Gelächter machte Grynph wütend und beschämte ihn zugleich. Man nahm ihn nicht ernst. »Sieh an, der Kleine hat eine Freundin …« sagte der Anführer gedehnt. »Ist es etwa dieses Mädchen …?« Er schnippte mit den Fingern. Wenig später wurde Ashda in den
Raum geführt. Sie war gefesselt. Das Gesicht, mit dem sie Grynph musterte, sprach von Verachtung und Wut. »Wie …?« stammelte Grynph erschreckt. »Wir haben uns die Mühe gemacht, nach deinem Versteck zu suchen – und das haben wir gefunden. Ich rate dir, deine Geschichte nochmals zu überdenken und uns die Wahrheit zu sagen.« »Es ist die Wahrheit«, stieß Grynph trotzig hervor. Sein Blick suchte den von Ashda, aber sie wich ihm aus. »Ich glaube dir nicht«, sagte der Anführer. Er hatte, wie Grynph jetzt sehen konnte, eine auffallende Narbe an der Nase. »Und wir wollen die Wahrheit wissen. Unter allen Umständen. Du weißt, was das heißt?« »Ich kann es mir vorstellen«, sagte Grynph. Eisiger Schrecken erfüllte ihn. Wahrscheinlich würden sie ihn jetzt verprügeln oder noch Ärgeres tun. Grynph war noch nie sehr tapfer gewesen, wenn es um das Ertragen von Schmerzen ging, und schon jetzt merkte er, wie die Angst allein an seiner Festigkeit zu nagen begann. Der Anterferranter mit der Narbe lachte boshaft. »Dir werden wir nichts tun«, sagte er langsam. Er sprach jedes Wort sehr sorgfältig aus. Grynph begriff. Sie wollten sich Ashda vornehmen … Unwillkürlich stieß er einen Fluch aus. »Was soll ich machen«, sagte er. »Egal, was ich sage – wie will ich es euch beweisen? Ich kann euch jede nur denkbare Geschichte erzählen – beweisen kann ich davon nichts.« »Du bleibst bei der ersten Version?« »Hm«, machte Grynph. »Eines habe ich noch hinzuzufügen.« »Schon besser. Rede!« »An Bord der SOL gibt es ein Wesen, das für uns Anterferranter sehr wichtig werden wird. Um sie nicht zu gefährden, habe ich sie bisher nicht erwähnt.« »Und wer soll dieses Wesen sein?« Grynph lächelte.
»Tyari, die Wissende!«
10. Überall war das Prasseln und Knattern von Bränden zu hören. Die Erkenner des Wahren wehrten sich mit aller Hartnäckigkeit, und sie verstanden ihr Handwerk bestens. Nicht nur, daß sie sich geschickt verteidigten, sie gingen auch immer wieder zum Angriff über. Überfallartig tauchten sie auf, meist hinter unseren Linien. Sie schlugen zu, und wenn Verstärkung für unsere Leute kam, waren sie schon wieder verschwunden. Unser Nachschub drohte zusammenzubrechen. Sie hatten es vor allem auf die Gleiter abgesehen, auf denen wir Waffen, Sprengmaterial und Ähnliches lagerten. Immerhin – die meisten, die während des Kampfes Tyari zu sehen bekamen, streckten sofort die Waffen. Bei meinem Anblick wurden sie zumindest ratlos. So betrachtet, waren wir recht erfolgreich. »Wenn wir nur wüßten, wo die Zentrale des Gegners ist«, murmelte Narrm in meiner Nähe. »Das werden wir bald wissen«, sagte Tyari. Immer wieder hatte sich die geheimnisvolle Frau zurückgezogen und sich für kurze Zeit konzentriert. Sie schien eine telephatische Fährte zu verfolgen. »Und woher?« »Sie haben Grynph gefangengenommen«, berichtete Tyari. Der Helm, den sie trug, war angesengt – ein Streifschuß hatte sie nur knapp verfehlt. »Und er hat ihnen alles erzählt, was er erlebt hat – sie drohten ihm damit, seine Freundin zu mißhandeln.« »Und?« »Mein Erscheinen hat die Erkenner verwirrt. Grynph und Ashda sollen zu Dwin gebracht werden. Sobald sie dort sind, werden wir uns des gleichen Mittels bedienen – wir werden, das ist mein
Vorschlag, einen kleinen Trupp per Ag-mehn-dju genau dort absetzen, wo ich Grynph aufgestöbert habe. Dann sind wir mitten in Dwins Hauptquartier. Sobald wir ihn ausgeschaltet haben, ist der Kampf vermutlich beendet.« »Hoffentlich«, wünschte ich. »Es hat Tote gegeben auf beiden Seiten, und jeder ist einer zuviel.« »Einverstanden«, sagte Narrm. »Wie viele Leute?« Ich überlegte nicht lange. »Tyari, Hallam, ich …« »Ich komme auch mit«, sagte Narrm sofort. »Dann vier, mehr nicht«, bestimmte ich. »Kannst du eine Gruppe bilden, die so groß ist, daß wir gleichzeitig am Ziel auftauchen können?« »Das wird sich machen lassen«, versprach Narrm. »Wann wird es soweit sein, Tyari?« »In wenigen Minuten«, sagte die Frau und lächelte. »Noch etwas – die SOL ist gerade im Barsanter-System angekommen.« »Hast du Kontakt zu Bjo?« »Sternfeuer.« »Die SOL soll so schnell wie möglich kommen und Kampfroboter hierherschicken. Am besten wird es sein, wenn das Schiff unmittelbar über Terf eine Warteschleife fliegt – wenn die SOL die Erkenner nicht beeindruckt und zur Aufgabe bringt, dann weiß ich es nicht.« »Wird geschehen«, versprach Tyari. »In zwei Minuten ist es soweit – dann müssen wir los.«
* Die Waffe in seinem Rücken war deutlich spürbar. Grynph wußte, daß eine Bewegung genügte, und er war tot. Einen Augenblick lang spielte er mit dem Entschluß, diesen Weg zu gehen – er war mit
Sicherheit einfacher und weniger schmerzvoll als das, was er sich in seiner Phantasie ausmalte. Dann aber siegte die Neugierde. Der Narbennasige hatte angekündigt, daß man ihn mit Ashda zu Dwin führen würde – und diese geheimnisumwitterte Persönlichkeit wollte Grynph unbedingt kennenlernen. Seine Phantasie schlug Purzelbäume. Er sah sich schon, wie er mit einer geschickten Körpertäuschung seinen Bewacher ausmanövrierte, ihm die Waffe entriß und dann Dwin gefangensetzte und dessen Geheimnis lüftete. Ein Rippenstoß zeigte ihm deutlich den Unterschied zwischen Wunschtraum und Wirklichkeit. »Vorwärts!« Grynph hatte nicht die leiseste Ahnung, wo er sich befand. Es war, wie er vermutete, eine Räumlichkeit unter der Erde. Nackter, unverschalter Beton war zu sehen, Leuchtstoffröhren, Kabel an den Wänden. Das ganze sah dem Unterbau eines öffentlichen Verwaltungsgebäudes ähnlicher als einem Wohnquartier. Und doch mußte hier Dwins Hauptquartier sein. Grynph schielte zu Ashda hinüber. Sie sah an ihm vorbei und stürzte Grynph damit in einen neuen Anfall der Verzweiflung. Mit seinem jämmerlichen Auftreten hatte er sich wahrscheinlich die letzten Chancen bei ihr verscherzt, und daß er alle Geheimnisse ausgeplaudert hatte, ließ sie vermutlich noch verächtlicher von ihm denken. Obendrein war sie nur durch seine Schuld in all diese Verwicklungen hineingeraten. Es war eine elende Zwickmühle, in der Grynph steckte. Schlimmer noch – er hatte nicht einmal die Möglichkeit, zwischen zwei üblen Alternativen zu wählen. Er konnte gar nichts mehr tun. Wie zum Spott hatte man ihm sogar seine Waffe gelassen – offenkundig nahm man Grynph als Kämpfer nicht ernst. Während Grynph in seiner Phantasie alle Erfahrungen der Verzweiflung, der Angst und der Wut durchmachte, durchschritten
die Männer einen langen Korridor. Vergeblich hielt Grynph nach einem Hinweis Ausschau, der ihm verraten hätte, wo er sich befand. Es hatte einmal solche Hinweise gegeben, aber sie waren entfernt worden. »Nach links!« Der Schmerz kam plötzlich von hinten. Erst ein Geräusch, dann ein furchtbarer Schmerz, der sich ins Rückenmark fraß. Grynph stöhnte auf. Hinter ihm polterte etwas. Als er sich umdrehte, sah er zweierlei. Eine Gruppe von vier wohlbekannten Gestalten stand im Gang, und zwischen Grynph und den Freunden lagen die Wachen betäubt am Boden. »Tut mir leid, Grynph«, sagte Hallam. Er hielt den Paralysator in der Hand. »Ich habe dich in der Aufregung mit erwischt.« »Macht nichts«, log Grynph, der den Schmerz noch deutlich spürte. »Hauptsache, ihr seid überhaupt gekommen.« »Irgendwo ist hier Dwin«, sagte Ashda. Zum ersten Mal gönnte sie Grynph ein Lächeln, und das ließ den Schmerz des Paralysatorstreifschusses sofort abklingen. »Das wissen wir. Kommt, wir suchen ihn.« Tyari hob die Hand. »Schiffe der Beneterlogen sind ins System eingedrungen.« Atlan murmelte eine Verwünschung. »Kann die SOL damit fertig werden?« »Nachricht von Bjo – sie werden wieder die Beiboote ausschleusen. Damit wollen sie die Beneterlogen vertreiben.« »Wir suchen derweil weiter nach Dwin!« bestimmte der Arkonide. »Vorwärts!« Die Gruppe blieb beisammen. Es konnte noch Wachen oder versteckte Roboter geben, die jeden Augenblick auftauchen konnten. Grynph spürte sein Herz schnell schlagen – und seltsamerweise fühlte er sich sogar wohl dabei. Er nahm Ashda bei der Hand und zog sie hinter sich her.
Plötzlich blieb Narrm stehen und riß die Augen weit auf. »Wißt ihr, wo wir stecken?« Tyari lächelte, die anderen schüttelten die Köpfe. »Im Untergrund von Karn-Ant«, stieß Narrm hervor. »Wir hatten den Feind die ganze Zeit in unmittelbarer Nähe, nur ein paar hundert Schritt entfernt.« »Dieser Dwin ist gerissen, das muß man ihm lassen«, murmelte Hallam. »Suchen wir ihn!« Jede Tür, jedes Schott wurde geöffnet. Von Dwin fehlte jede Spur. Es war, als habe er sich in Luft aufgelöst. »Weißt du genau, wo wir sind?« fragte Atlan plötzlich. »Sehr genau«, antwortete Narrm. »Hast du zufällig den Plan im Kopf?« wollte der Arkonide wissen. »In groben Zügen«, antwortete Narrm verwundert. »Warum willst du das wissen?« »Versuche mir den Plan zu schildern, Stück für Stück!« »Wozu soll das gut sein?« »Später! Erkläre!« Grynph wurde aus dem, was Narrm zu erklären versuchte, nicht schlau, aber Atlan schien einiges damit anfangen zu können. Er hörte sehr aufmerksam zu, nickte ab und an und schien gründlich nachzudenken. »Gut«, sagte er schließlich. »Jetzt weiß ich, was ich wissen wollte. Wozu Logiksektor und fotografisches Gedächtnis nicht gut sind – wir sind nämlich die ganze Zeit an einem Raum vorbeigelaufen, den Narrm in seinem Plan erwähnt hatte. Er muß hier irgendwo zur Rechten liegen – und irgendwo muß es auch einen Zugang geben. Sucht danach!« Die Suche erwies sich als mühsam. Schaltungen konnten auch bei den Anterferrantern auf kleinstem Raum untergebracht werden. Eine, positronische Türverriegelungsautomatik ließ sich in der Größe eines Stecknadelkopfes unterbringen. »Augenblick«, sagte Tyari plötzlich.
Sie schwieg minutenlang, als sie die Augen wieder öffnete, lachte sie. »Die SOL treibt die Beneterlogen aus dem System«, verkündete sie. »Auch dieser Kampf um Anterf ist ein Sieg für uns.« Narrm stieß einen Seufzer der Erleichterung aus. »Ich habe Bjo gerade einen Tip gegeben«, erzählte Tyari weiter. »In einem der Schiffe sitzt nämlich der Prezzarerhalter Vling, von dem ich euch berichtet habe. Bjo wird versuchen, ihn gefangenzunehmen – ich bin sicher, es wird ihm gelingen.« »Um so besser. Dann werden wir bald mehr über die Beneterlogen wissen. Aber noch haben wir Dwin nicht.« »Der Kampf in Terf geht weiter. Die Erkenner wehren sich mit unglaublicher Verbissenheit – es wird höchste Zeit, daß wir ihren Befehlshaber ausschalten.« »Wir werden versuchen, deinen Wunsch zu erfüllen, Narrm!« »Er ist ganz in der Nähe«, sagte Tyari. »Ich kann ihn spüren. Seine Gedanken sind erfüllt von Haß. Kaum vorzustellen, daß ein Anterferranter sein eigenes Volk so hassen kann.« »Beeilen wir uns.« Die Suche ging weiter. Es war schließlich Grynph, der aus purem Zufall den Eingang entdeckte. Ihm war aufgefallen, daß eine einzige Lampe in einer ganzen Reihe ein wenig schräg an der Wand hing. Als er sie gerade rückte – Ashda grinste angesichts von soviel Ordnungsliebe, die sonst nicht eben typisch war für Grynph –, öffnete sich der Beton. Mit schußbereiten Waffen stürmten die Männer in den Raum. Es war eine Schaltzentrale, wie man sie in Raumschiffen finden konnte. Viel technisches Gerät, Monitoren, Sichtschirme, Schalter, sogar eine recht große Positronik waren zu sehen. Und Dwin. Er mußte ein Geräusch gehört haben, vielleicht hatte ihn auch ein Instinkt gewarnt. Er kehrte den Eindringlingen den Rücken zu, aber plötzlich bewegte er sich, und in seinen Händen lag eine Waffe. Wohin sein Blick zielte, war im ersten Sekundenbruchteil klar – mit haßerfüllten
Augen fixierte er Tyari, hob die Waffe … Als einziger war Atlan in der Lage, zu reagieren. Er hatte nicht viel Zeit zu zielen. Er reagierte nur, schoß und traf. Dwin brach zusammen. »Er wollte mich töten«, sagte Tyari nach einigen Sekunden des Schweigens. »Er wußte, daß er sofort danach würde sterben müssen – er glaubte es zumindest –, aber dennoch wollte er nur eines, mich töten!« Sie gingen zu dem reglosen Körper hinüber. Tyari sah auf den Leichnam herab. »Ein Bheynder! Ich ging von der Annahme aus, daß dieses Volk längst ausgestorben ist.« »Ich möchte wissen, wie er es fertiggebracht hat, sich nach Anterf zu schleichen, wie er als Bheynder es geschafft hat, Anhänger zu rekrutieren. Ich begreife es einfach nicht!« »Dieses Geheimnis werden wir nie ergründen«, sagte Atlan. »Dwin ist tot, es tut mir leid, nicht nur, weil wir ihn jetzt nicht mehr befragen können.« »Immerhin – wir haben Erfolge zu verzeichnen«, sagte Narrm. Er trat ans Fenster. Draußen waren die Anterferranter an der Arbeit, unterstützt von den Solanern und deren Maschinenpark. Narrm lächelte. »Wir haben Tyari bei uns«, sagte er. »Allein das wird uns schon weiterhelfen. Fast achtzig Prozent der Anterferranter sind zu ihr übergeschwenkt, der Rest wird sich im Lauf der Zeit sicherlich auch noch von dem Optimismus anstecken lassen. Dwin und seine Bande sind wir los, vor einer Stunde wurden die letzten Erkenner des Wahren – was für ein Name für die Verblendeten – festgenommen und eingesperrt. Ich nehme an, daß unsere Gerichte milde mit ihnen verfahren werden – zum größten Teil handelt es sich um arme Verführte.« »Vor Angriffen aus dem Weltraum sind wir auch sicher«, verkündete Breckcrown Hayes. »Die Beiboote der SOL überwachen das System.«
»Wir danken euch dafür«, sagte Narrm. »Mit Dank wird es nicht getan sein«, sagte Hayes trocken. »Wir werden eure Hilfe kräftig in Anspruch nehmen müssen. Bei optimaler Planung kann die SOL frühestens in drei Wochen wieder voll einsatzklar sein – und auch dazu werden wir Glück brauchen.« »Unsere Hilfe ist euch sicher«, gab Narrm bekannt. Er hatte inzwischen ein inoffizielles Amt als Regierungschef übernommen, und es galt als sicher, daß er sehr bald darin auch offiziell würde bestätigt werden. Seine Aufgaben waren nicht leicht. Zunächst einmal galt es, Anterf wieder in Schwung zu bringen. Wichtig dafür war, daß die Großpositronik auf dem Mond Seleterf wieder aktiviert wurde. Zu diesem Problem wollten die Spezialisten an Bord der SOL jede erdenkliche Hilfe leisten. Auch hier war Optimismus angebracht. Anders sah es mit der Raumfahrt der Anterferranter aus. TEUCER stand im Hangar auf Seleterf. Dort wurden die geringfügigen Beschädigungen behoben, die der kurze Kampf an Bord hervorgerufen hatte. Als Grynph daran dachte, mußte er lächeln. »Was gibt es? Laß uns teilhaben!« »Ein seltsamer Gedanke«, sagte Grynph. »TEUCER steht auf dem Mond und wird repariert.« »Das wissen wir.« »Die Schäden stammen größtenteils vom Kampf zwischen Anterferrantern und Solanern.« »Und?« »Ich finde es toll, daß die Kämpfer sich angefreundet haben, noch bevor die Schußlöcher geflickt sind. Ob wir das mit den …« Er vollendete den Satz nicht. Einen Augenblick lang lastete drückendes Schweigen auf der Runde. »Wir wollen es jedenfalls versuchen«, sagte Atlan schließlich. Grynph dachte an die fast einhundert Welten in Bars, die von den
Anterferrantern kolonisiert worden waren. In den Wirren der letzten Jahrzehnte waren die Kontakte zusammengebrochen, niemand wußte, wie es auf diesen Welten aussah – ob es sie überhaupt noch gab. Auch dies wieder in geordnete Bahnen zu lenken, würde viel Arbeit, Schweiß und Mühen kosten. Über allem aber schwebte noch immer als unsichtbare Drohung der Angriff der Beneterlogen oder anderer Farynt-Völker. Es würde mit ziemlicher Sicherheit nicht der letzte Zusammenstoß dieser Völker sein – und der Gedanke schmerzte doppelt, wenn man ausgerechnet in diesem Augenblick daran dachte, wie schnell Freundschaft möglich war, wenn beide Beteiligten sich ernsthaft darum bemühten. »Ich schlage vor, wir besprechen nun die Politik der nächsten Wochen«, sagte Narrm. Grynph zwinkerte Ashda zu. Die beiden entfernten sich aus dem Raum. »Damit will ich nichts mehr zu tun haben«, sagte Grynph, als sie im Freien standen. »Mir genügt es. Ich möchte hier bleiben, in KarnAnt. Und ich möchte bei dir bleiben.« Mehr zu sagen wagte er nicht. Ashda sah ihn an. »Gut, daß du damit angefangen hast«, sagte sie schließlich. »Ein anständiges Mädchen darf so etwas nicht.« »Pah«, sagte Grynph und legte einen Arm um ihre Schulter. »Ich glaube, auch das wird sich allmählich ändern!« Atlan und Narrm sahen sich an und lachten. Sie hatten am Fenster den Abmarsch des verliebten Paares verfolgt. In diesem Augenblick strahlte der erste grelle Lichtschein in den Raum und überstrahlte den ganzen Raumhafen. Die Riesenkugeln der SOL glänzten farbig. »Was denn, schon wieder ein Angriff!« ächzte Narrm erschrocken. Hallam Blake und Atlan lachten nur. »Keine Sorge«, sagte Atlan. »Kein Angriff – nur ein Feuerwerk.
Nach unserer Zeitrechnung beginnt in diesem Augenblick ein neues Jahr. Das Jahr 3808 unserer Zeitrechnung.« »Vielleicht wird es besser als das letzte«, murmelte Hallam, dann dachte er daran, daß im vergangenen Jahr seine Tochter geboren worden war – so schlecht konnte es demnach nicht gewesen sein. »Auf das nächste«, sagte er und freute sich über die private Doppeldeutigkeit.
ENDE
Trotz der jüngsten Erfolge in Richtung einer Normalisierung der Verhältnisse auf Anterf bleibt noch vieles zu tun. Atlan erkennt dies ganz klar – und um den Anterferrantern zu helfen und um seine eigenen Pläne bezüglich Bars-2Bars zu fördern, unternimmt er den Vorstoß nach Seleterf. Dort erwartet ihn DER GEIST DER POSITRONIK … DER GEIST DER POSITRONIK – unter diesem Titel erscheint auch der Atlan-Band der nächsten Woche. Als Autor des Romans zeichnet Kurt Mahr.