Cyrano de Bergerac
Die Reise zum Mond Insel-Bücherei Nr.
Cyrano de Bergerac
Die Reise zum Mond
Insel Verlag
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Cyrano de Bergerac
Die Reise zum Mond Insel-Bücherei Nr.
Cyrano de Bergerac
Die Reise zum Mond
Insel Verlag
Originaltitel: Voyage dans la lune Aus dem Französischen übersetzt von Martha Schimper Nachwort von Falk Peter Weber
Erste Auflage © Insel Verlag Frankfurt am Main und Leipzig Alle Rechte vorbehalten Printed in Germany ---
ES
war Vollmond. Der Himmel war klar, und es war eben neun Uhr abends, als wir von einem Hause in Clamart, nicht weit von Paris, heimgingen, einige Freunde und ich, die wir bei dem jungen Cuigny gefeiert und gezecht hatten. Unser Geist mußte sich an den Steinen des Weges scharf gewetzt haben, denn nach welcher Seite er sich wenden mochte, immer gab’s eine Spitze; selbst der Mond, diese safrangelbe Kugel, die uns doch fern genug war, blieb davon nicht ausgeschlossen. Wir waren alle in den Anblick dieses großen Gestirns versunken, und bald wollte einer eine Dachluke am Himmel darin erkennen, durch die man einen Schimmer von der Glorie der Seligen sähe, bald meinte ein anderer, der an die alten Mären glaubte, Bacchus habe vielleicht da oben eine Wirtscha aufgetan und den Vollmond als Schild ausgehängt, dann versicherte ein Dritter, das sei das Plätteisen, mit dem Diana die Kragen Apollos auügle, indes wieder ein anderer rief, es könne wohl die Sonne selber sein, die am Abend ihre Strahlen abgelegt habe und nun im Negligé durch ein Loch schaue, was auf der Welt getrieben werde, wenn sie nicht da sei. »Und ich«, sagte ich zu ihnen, »der ich mich mit meiner Begeisterung euch anschließen möchte, ich glaube, ohne mich mit den spitzfindigen Phantasien zu belustigen, mit denen ihr die Zeit kitzelt, damit sie schneller läu, ich glaube, daß der Mond eine Weltkugel ist wie diese hier, der unsere als Mond dient.« Die Gesellscha lohnte mir mit läutern Gelächter. »Geradeso«, sagte ich, »lacht man jetzt vielleicht auf dem Mond einen aus, der behauptet, das hier sei eine Weltkugel.« Aber ich mochte, soviel ich wollte, anführen,
daß Pythagoras, Epikur, Demokrit und heutzutage Kopernikus und Kepler der gleichen Ansicht gewesen seien, ich brachte sie zu nichts anderm, als daß sie nur noch mehr lachten. Dieser Gedanke jedoch, dessen Kühnheit meine Ideenwelt völlig aus ihrer gewohnten Bahn lenkte, setzte sich, durch den Widerspruch nur bekräigt, so hartnäkkig in mir fest, daß ich den ganzen Rest des Weges schwanger ging mit tausend Definitionen des Mondes, die ich nicht in die Welt zu setzen vermochte, und indem ich diesen tollen Glauben durch ernsthae Überlegungen stützte, machte ich ihn mir sozusagen zur Überzeugung. Aber vernimm, Leser, das Wunder oder den Zufall, dessen die Vorsehung oder das Glück sich bedienten, um ihn mir zu bestätigen: Ich war an meiner Wohnung angelangt und eben, um mich vom Spaziergang auszuruhen, in mein Zimmer eingetreten, da fand ich dort auf dem Tisch ein Buch aufgeschlagen, das ich nicht da hingelegt hatte. Ich betrachtete es also noch einmal; es war eines der Werke von Cardanus *, und obwohl ich nicht die Absicht hatte, darin zu lesen, fiel mein Blick, wie von höherer Gewalt gelenkt, gerade auf eine Geschichte, die der Philosoph erzählt. Er schreibt, als er eines Abends bei Kerzenlicht arbeitete, habe er durch die geschlossenen Füren seines Zimmers hindurch zwei große Greise eintreten sehen. Nach vielerlei Fragen, die er an sie richtete, hätten sie geantwortet, sie seien Bewohner des Mondes, und danach seien sie verschwunden. * Die mit Stern gekennzeichneten Stellen sind in den Anmerkungen am Ende der Ausgabe erläutert.
Ich war so überrascht, sowohl ein Buch zu sehen, das sich von selber da hingelegt hatte, wie auch über den Zeitpunkt und die Buchseite, wo es mir offen in die Hände gekommen war, daß ich diese ganze Verkettung von Vorfällen als Einwirkung Gottes auffaßte, der mich dazu antreibe, den Menschen die Kenntnis zu vermitteln, daß der Mond eine Weltkugel ist. ›Wie‹, sagte ich bei mir selber, ›nachdem ich gerade heute über etwas gesprochen habe, fliegt ein Buch, das vielleicht das einzige auf der Welt ist, in dem dieser Stoff behandelt wird, aus meinem Bücherbrett auf meinen Tisch, wird vernüniger Überlegung fähig, so daß es sich eben an der Stelle öffnet, wo eine so seltsame Begebenheit erzählt wird, zieht meinen Blick wie mit höherer Gewalt darauf hin und vermittelt dann meiner Einbildungskra die Gedanken und meinem Willen die Pläne, die ich nun hege! – Zweifellos‹ fuhr ich fort, ›sind es die beiden Greise, die jenem Großen erschienen, selber gewesen, die mein Buch von meinem Platz genommen und es an dieser Seite aufgeschlagen haben, um sich die Mühe zu sparen, mir die Rede zu halten, die sie Cardanus hielten. – Aber‹, fügte ich hinzu, ›werde ich mir über diese Vermutung Klarheit schaffen können, wenn ich nicht dort hinaufsteige? Und warum nicht?‹ antwortete ich mir sofort. ›Prometheus war einstmals im Himmel, dort das Feuer zu rauben. Bin ich weniger kühn als er? Und hätte ich Grund, nicht auf einen glücklichen Erfolg zu hoffen?‹ Diesen Fieberideen folgte die Hoffnung, eine so schöne Reise wirklich zu unternehmen. Um zum Ziel zu kommen, schloß ich mich in ein recht abgelegenes Landhaus ein, und nachdem ich meinen Träumen mit einigen
Hilfsmitteln, die geeignet waren, mich dorthin zu tragen, geschmeichelt hatte, machte ich mich von da aus auf folgende Weise gen Himmel auf: Ich hatte rings an mir eine Menge Fläschchen voll Tau befestigt, und die Sonnenhitze, die sie anzog, hob mich so hoch empor, wie sie es mit den höchsten Wolken macht, daß ich mich schließlich etwa in der mittleren Himmelsregion befand. Aber da diese Anziehung mich mit zu großer Geschwindigkeit steigen ließ und statt daß ich mich nun, wie ich angenommen hatte, dem Monde näherte, schien er mir noch weiter entfernt als bei meiner Abfahrt; so zerbrach ich mehrere meiner Fläschchen, bis ich fühlte, daß mein Gewicht die Anziehung überstieg und ich mich gegen die Erde hinab senkte. Meine Überlegung war keineswegs falsch, denn einige Zeit danach fiel ich wieder auf die Erde, und der Zeit nach zu rechnen, zu der ich losgeflogen war, mußte es jetzt Mitternacht sein. Indes sah ich, daß die Sonne am höchsten über dem Horizont stand und es hier Mittag war. Ich überlasse es jedem, sich auszumalen, wie verblü ich war. Tatsächlich war ich es so gründlich, daß ich, im unklaren darüber, welcher Ursache ich dies Wunder zuzuschreiben habe, die Unverfrorenheit besaß, mir einzubilden, Gott habe, meine Kühnheit begünstigend, eine zweite Sonne am Himmel festgenagelt, um ein so hochsinniges Unternehmen zu erleuchten. Was mein Erstaunen noch vermehrte, war, daß ich das Land, in dem ich mich befand, durchaus nicht kannte. Da ich den Eindruck hatte, in gerader Richtung aufgestiegen zu sein, mußte ich doch an dem gleichen Ort wieder heruntergekommen sein, von dem ich losgeflogen war.
In meiner Ausrüstung wie ich war, ging ich auf eine Art von Strohhütte zu, wo ich Rauch bemerkte, und ich war ihr kaum auf Pistolenschußweite nahe gekommen, als ich mich plötzlich von einer großen Anzahl Wilder umringt sah, die gänzlich nackt waren. Sie schienen sehr überrascht über das Zusammentreffen mit mir, denn vermutlich war ich der erste, den sie je in Flaschen gekleidet gesehen hatten; und damit ja alle Deutungen, die sie dieser Ausrüstung hätten geben können, umgestürzt würden, sahen sie, daß ich beim Gehen kaum den Boden berührte. Sie wußten ja nicht, daß bei der geringsten Erschütterung meines Körpers die Kra der mittäglichen Strahlen mich mit meinem Tau emporheben würde und daß, obwohl meine Fläschchen nicht mehr so zahlreich waren, ich möglicherweise vor ihren Augen hätte in die Lu fortgetragen werden können. Ich wollte sie anreden; aber als hätte die Furcht sie in Vögel verwandelt, so sah der nächste Augenblick sie im nahen Walde verschwinden. Einen jedoch holte ich ein, dessen Beine offenbar seinen Mut im Stich gelassen hatten. Ich fragte ihn, ziemlich mühsam, denn ich war außer Atem, wie weit man von da bis Paris rechne, seit wann die Leute in Frankreich vollständig nackt gingen und warum sie so voll Schrecken vor mir davonliefen. Der Mann, mit dem ich sprach, war ein Greis von olivenbrauner Farbe, er warf sich mir zunächst zu Füßen, legte die Hände oben hinter dem Kopf zusammen, öffnete den Mund und schloß die Augen. Er murmelte längere Zeit zwischen den Zähnen, ich unterschied jedoch nicht, daß er irgend etwas deutlich ausgesprochen hätte, so daß ich seine Sprache für das heisere Lallen eines Stummen hielt.
Einige Zeit danach sah ich eine Kompanie Soldaten mit klingendem Spiel herankommen und bemerkte, wie zwei sich vom Zuge trennten, um mich zu besichtigen. Als sie auf Hörweite bei mir waren, fragte ich sie, wo ich sei. »Sie sind in Frankreich«, antworteten sie, »aber wer zum Teufel hat Sie in diesen Zustand versetzt, und wie kommt es, daß wir Sie nicht kennen? Sind die Schiffe angekommen? Wollen Sie dem Herrn Gouverneur davon Meldung machen? Und warum haben Sie Ihren Schnaps in so viele Flaschen verteilt?« Auf all das erwiderte ich, nicht der Teufel habe mich in diesen Zustand versetzt; sie kennten mich nicht, weil sie nicht jeden kennen könnten; ich hätte nicht gewußt, daß die Seine Schiffe nach Paris trage; Herrn Marschall de l’ Hôpital habe ich keine Meldung zu machen, und ich trüge keinen Schnaps bei mir. »Ho, ho«, riefen sie, mich am Arm packend, »Sie spielen den Witzbold? Der Herr Gouverneur wird Sie schon kennenlernen.« Während sie das sagten, führten sie mich zu ihrer Abteilung, und ich erfuhr von ihnen, daß ich tatsächlich in Frankreich war, aber in Neu-Frankreich *. Ich wurde also dem Vizekönig vorgestellt, der mich nach Heimat, Name und Stand fragte, und als ich ihn zufriedengestellt hatte, ihm den angenehmen Verlauf meiner Reise erzählend – sei’s nun, daß er es glaubte, sei’s, daß er sich nur so stellte –, hatte er die Güte, mir ein Zimmer in seiner Wohnung anweisen zu lassen. Ich war sehr froh, einen Mann getroffen zu haben, der höherer Einsicht fähig war und sich nicht wunderte, wenn ich ihm sagte, die Erde müsse sich während meines Höhenfluges gedreht haben, da ich zwei Meilen von Paris weg
angefangen hätte emporzusteigen und, gewissermaßen im rechten Winkel dazu, in Kanada heruntergekommen sei. Abends, als ich mich eben zu Bett legen wollte, kam er in mein Zimmer: »Ich würde Ihre Ruhe nicht gestört haben«, sagte er, »wenn ich nicht glaubte, daß jemand, der neunhundert Meilen in einem halben Tag hat zurücklegen können, dies vermochte, ohne müde zu werden. Aber Sie wissen noch nichts«, fügte er hinzu, »von dem amüsanten Streit, den ich eben Ihretwegen mit unsern Jesuitenpatres hatte. Sie behaupten unbedingt, Sie seien Magier, und alles, was Sie an Gnade bei ihnen erlangen können, ist, nur als Betrüger zu gelten. Und in der Tat, diese Bewegung, die Sie der Erde zuschreiben, ist das nicht eine recht ungereimte Behauptung? Der Grund, weshalb ich nicht eben sehr Ihrer Ansicht bin, ist, daß, wenn Sie auch erst gestern in Paris abgereist sind, Sie heute hier sein können, ohne daß die Erde sich gedreht hat. Denn sollte die Sonne, nachdem sie Sie mittels Ihrer Flaschen emporgehoben hat, Sie nicht auch hierher mitgeführt haben, da sie, nach Ptolemäus, Tycho Brahe und den heutigen Philosophen, sich vorwärts bewegt in einer schiefen Richtung zu der, in der Sie die Erde wandern lassen? Und dann, welchen einigermaßen wahrscheinlichen Grund hätten Sie, sich vorzustellen, die Sonne stehe still, da wir sie doch sich vorwärts bewegen sehen, und daß die Erde mit solcher Schnelligkeit um ihren Mittelpunkt sich drehe, da wir sie ruhig und fest unter unseren Füßen fühlen?« Ich antwortete: »Die Gründe, die uns zwingen, es zu vermuten, sind etwa folgende: Zunächst entspricht es dem gesunden Menschenverstand zu glauben, daß die
Sonne im Mittelpunkt des Weltalls Platz genommen habe, da alle Körper in der Natur dies ursprüngliche Feuer brauchen, daß sie also im Herzen dieses Königreichs wohne, um deren Bedürfnisse rasch befriedigen zu können, und daß die Ursache allen Werdens gleichmäßig zwischen die Körper, in denen sie wirkt, gesetzt sei; ebenso wie die weise Natur die Zeugungsorgane in den Menschen, die Kerne in den Mittelpunkt der Äpfel, die Steine mitten in ihre Frucht gesetzt hat; und ebenso wie die Zwiebel im Schütze von hundert Schalen, die sie einhüllen, den kostbaren Keim bewahrt, aus dem zehn Millionen neuer ihren Lebenssa zu schöpfen vermögen. Denn der Apfel ist ein kleines Weltall für sich, dessen Kern, wärmer als die anderen Teile, die Sonne ist, welche die Wärme um sich verbreitet, die ihre Weltkugel erhält; und der Keim in der Zwiebel ist in dieser kleinen Welt die kleine Sonne, die das Wachstum befördernde Salz dieser Masse erwärmt und ernährt. Dies also vorausgesetzt, behaupte ich, daß die Erde, die des Lichtes, der Wärme und der Einwirkung jenes großen Feuers bedarf, sich um es dreht, um in all ihren Teilen gleichmäßig dieser Kra, die sie erhält, teilhaig zu werden; denn es wäre gerade so lächerlich zu glauben, der große leuchtende Körper kreise um einen Funkt, mit dem er nichts zu tun hat, als sich vorzustellen, wenn wir eine gebratene Wachtel sehen, man hätte, um sie gar zu machen, den Herd um sie kreisen lassen. Andererseits wenn es an der Sonne wäre, diesen Frondienst zu leisten, dann könnte es auch scheinen, daß die medizinische Wissenscha des Kranken bedürfe, daß der Starke unter den Schwachen sich beugen, der Große dem Kleinen dienen müsse und statt daß ein Schiff der Küste einer Provinz
entlangsegle, man die Provinz um das Schiff spazieren lasse. Wenn es Ihnen Mühe macht, zu verstehen, wie eine so schwere Masse sich bewegen könne, so sagen Sie mir bitte, sind die Gestirne und die Himmel, die Sie als etwas so Dauerhaes sich denken, etwa leichter? Ferner ist es einfach für uns, die wir von der Kugelgestalt der Erde überzeugt sind, aus ihrer Gestalt auf ihre Bewegung zu schließen. Warum aber annehmen, daß der Himmel kugelförmig ist, da man es nicht wissen kann und, wo es doch, wenn er diese Gestalt nicht hat, bei jeder anderen sicher ist, daß er sich nicht bewegen kann. Ich halte Ihnen weder Ihre exzentrischen und konzentrischen Kreise noch Ihre Epizyklen * vor, die Sie alle nur sehr unklar entwickeln können und vor denen ich mein System behaupte. Wir wollen nur von den natürlichen Ursachen dieser Bewegung sprechen: Sie sind genötigt, Ihre Zuflucht zu dem Geiste zu nehmen, der Ihre Weltkugeln bewegt und regiert. Ich aber störe die Ruhe des höchsten Wesens nicht, das zweifellos die Natur vollkommen geschaffen hat und dessen Weisheit es zukommt, sie so vollendet zu haben, daß es sie, wenn in einer Hinsicht makellos, nicht in anderer mangelha gemacht hat, und ich finde also in der Erde die Kräe, die sie bewegen. Ich behaupte, daß die Sonnenstrahlen durch ihre Einwirkung sie in Drehung versetzen, da sie auf ihrem Wege daranstoßen, so wie wir eine Kugel in Drehung versetzen, wenn wir sie mit der Hand anstoßen –, oder daß die Dämpfe, die ständig aus ihrem Innern aufsteigen an der Seite, wo die Sonne sie beschaut, durch die Kälte der mittleren Region zurückgeworfen, auf sie zurückprallen und da sie sie nur in schräger Richtung treffen
können, sie notwendigerweise wie einen Kreisel drehen müssen. Die Erklärung der beiden anderen Bewegungsursachen ist noch einfacher; überlegen Sie bitte einmal …« Bei diesen Worten unterbrach mich Herr de Montmagny und sagte: »Ich möchte Sie lieber von dieser Bemühung entbinden. Auch habe ich über den Gegenstand einige Bücher von Gassendi * gelesen. Dagegen lege ich Ihnen die Verpflichtung auf anzuhören, was mir einmal einer unserer Patres, der Ihre Ansicht vertrat, antwortete. ›In der Tat‹, sagte er, ›denke ich mir, daß die Erde sich dreht, aber nicht aus den Gründen, welche Kopernikus anführt, sondern da das Höllenfeuer, wie uns die Heilige Schri lehrt, im Mittelpunkt der Erde eingeschlossen ist, so klettern die Verdammten, die der Flammenglut entfliehen wollen, um sich davon zu entfernen, an der Wölbung empor und versetzen so die Erde in Drehung, wie ein Hund ein Rad in Drehung bringt, wenn er darin eingeschlossen ist und läu.‹« Wir lobten eine Zeitlang den Eifer des guten Paters, und als wir damit fertig waren, sagte mir Herr de Montmagny, er wundere sich sehr, daß, wenn das System des Ptolemäus so wenig wahrscheinlich sei, es so allgemein angenommen worden sei. Ich antwortete ihm: »Die meisten Menschen, die nur nach den Sinnen urteilen, haben sich durch ihre Augen überzeugen lassen. Und ebenso wie der, dessen Schiff von Land zu Land fährt, selber still zu stehen glaubt und meint, das Ufer laufe weiter, so haben die Menschen, die sich mit der Erde um den Himmel drehen, geglaubt, der Himmel selber sei es, der sich um sie dreht. Fügen Sie noch den unerträglichen Hochmut der Menschenwesen hinzu, der ihnen die Überzeu
gung beibringt, die Natur sei nur für sie gemacht worden, als ob es wahrscheinlich wäre, daß die Sonne, ein Riesenkörper, der vierhundertvierunddreißigmal so groß ist wie die Erde, nur angezündet worden sei, um ihre Mispeln zu reifen und ihren Kohl Köpfe ansetzen zu lassen. Ich dagegen bin weit entfernt, der Unverschämtheit dieser ungebildeten Geschöpfe zuzustimmen, sondern ich glaube, daß die Planeten Weltkörper um die Sonne her sind und daß die Fixsterne auch Sonnen sind, die Planeten um sich haben; Welten also, die wir ihrer Kleinheit wegen und weil ihr geborgtes Licht nicht bis zu uns zu gelangen vermag, von hier aus nicht sehen. Denn wie sollte man sich vernünigerweise einbilden, daß diese riesigen Weltkugeln nur wüstes Land seien und, nur weil wir, ein Dutzend hochmütige Narren, da herumkriechen, daß unsere gebaut worden sei, allen zu befehlen? Wie, weil die Sonne unsere Tage und Jahre abzirkelt, muß man deswegen behaupten, sie sei nur aufgestellt worden, damit wir nicht mit den Köpfen an die Wände rennen? Nein, nein, wenn dieser sichtbare Gott dem Menschen Licht spendet, so geschieht das nur zufällig, so wie die Fackel des Königs zufällig auch dem Lastträger leuchtet, der gerade über die Straße geht.« »Aber«, sagte er »wenn, wie Sie versichern, die Fixsterne ebenso viele Sonnen sind, so könnte man von da schließen, daß die Welt unendlich ist, da es wahrscheinlich ist, daß die Völker der Weltkugeln, die um einen Fixstern herum sind, den Sie für eine Sonne halten, noch über sich andere Fixsterne entdecken, die wir von hier aus nicht zu erkennen vermögen, und daß es ewig so weitergeht.«
»Zweifeln Sie daran nicht«, entgegnete ich, »wie Gott die Seele hat unsterblich machen können, so hat er auch die Welt unendlich machen können, wenn es wahr ist, daß die Ewigkeit nichts anderes ist als eine Dauer ohne Auören, und die Unendlichkeit eine Ausdehnung ohne Grenzen. Und dann wäre Gott selber endlich, vorausgesetzt, daß die Welt nicht unendlich ist, denn er könnte nicht sein, wo nichts ist, und er könnte die Welt nicht vergrößern, wenn er nicht seiner eigenen Ausdehnung etwas hinzufügte und also anfinge zu sein, wo er vorher nicht war. Man muß demnach glauben, daß, wie wir von hier Saturn und Jupiter sehen, wir, wenn wir auf dem einen oder anderen wären, viele Welten entdecken würden, die wir von hier aus nicht wahrnehmen können, und daß das Universum in dieser Weise ins Unendliche gebaut ist.« »Wahrhaig«, sagte er, »Sie haben gut reden, ich kann eben dieses Unendliche absolut nicht begreifen.« »Nun denn«, erwiderte ich, »so sagen Sie mir, verstehen Sie das Nichts, das jenseits ist, besser? Keineswegs. Wenn Sie an dies Nichts denken, so stellen Sie es sich mindestens wie Wind oder doch wie Lu vor, und das ist doch etwas! Das Unendliche dagegen können Sie, wenn Sie es nicht im Ganzen begreifen, wenigstens in Teilen erfassen. Denn es ist nicht schwer, sich Erde, Feuer, Wasser, Lu, Sterne, Himmel vorzustellen. Das Unendliche ist nun nichts als ein Gewebe ohne Grenzen aus alledem; wenn Sie mich aber fragen, auf welche Weise diese Welten gemacht worden sind, in Anbetracht dessen, daß die Heilige Schri nur von einer spricht, die Gott erschaffen habe, so antworte ich, daß sie nur von unserer redet, weil das die einzige ist, bei der Gott sich die Mühe
machen wollte, sie mit eigener Hand zu erschaffen. Aber alle anderen, die man sieht oder nicht sieht, die im Blau des Weltalls hangen, sind nur der Abschaum der Sonnen, die sich reinigen. Denn wie könnten diese ungeheuren Feuer fortbestehen, wenn sie nicht an irgendeinen Stoff gebunden wären, der sie nährt? So also, wie das Feuer die Asche, von der es erstickt würde, weit von sich stößt, wie das Gold im Schmelztiegel, wenn es sich läutert, vom Markasit * sich löst, der sein Karat verringert, und wie unser Herz durch das Erbrechen von den unverdaulichen Launen, die es anfallen, sich befreit, so reinigt sich die Sonne täglich und speit Reste des Stoffes aus, der ihr Feuer nährt. Wenn sie aber diesen Stoff, der sie erhält, ganz aufgezehrt hat, dann – zweifeln Sie nicht daran – breitet sie sich nach allen Seiten aus, eine neue Weide zu suchen, und hält sich dabei an alle die Weltkugeln, die sie einst hervorgebracht hat, vor allem an die, denen sie zunächst begegnet: dann wir dieses große Feuer alle Körper wieder untereinander und stößt sie wieder aus, durcheinander, nach allen Seiten hin wie zuvor; und wenn es sich so nach und nach geläutert hat, so fängt es an, den kleinen Weltkugeln als Sonne zu dienen, die es erzeugt, indem es sie aus seiner Sphäre hinausschleudert. Das ist es zweifellos, was die Pythagoräer dazu führte, das Weltfeuer zu behaupten. Das ist kein lächerliches Hirngespinst. Hier NeuFrankreich, wo wir uns befinden, liefert dafür ein sehr überzeugendes Beispiel; dieser ausgedehnte Erdteil Amerika bildet eine Häle der Erde, und er war, obgleich unsere Vorfahren Tausende von Malen den Ozean durchschien, noch nicht entdeckt worden. Er war eben noch nicht da, ebensowenig wie viele Inseln,
Halbinseln und Berge, die auf unserer Erdkugel sich erst erhoben haben, als der Rost der Sonne, die sich säuberte, so weit geflogen war und sich in genügend schwere Knäuel verdichtet hatte, so daß er vorn Mittelpunkt unserer Erde angezogen wurde, möglicherweise nach und nach in winzigen Teilen, vielleicht auch plötzlich in einer einzigen Masse. Das ist gar nicht so unvernünig, so daß der heilige Augustinus dem auch zugestimmt haben würde, wenn die Entdeckung des Landes noch in seine Lebenszeit gefallen wäre. Dieser große Mann, dessen Geist vom heiligen Geiste erleuchtet war, versichert nämlich, daß zu seiner Zeit die Erde platt war wie ein Kuchen und auf dem Wasser schwamm wie die Häle einer zerschnittenen Orange. Wenn ich aber je die Ehre haben werde, Sie in Frankreich begrüßen zu können, so werde ich Sie mittels eines ausgezeichneten Fernglases, das ich besitze, beobachten lassen, daß gewisse dunkle Stellen, die von hier als Flecken erscheinen, sich bildende Weltkugeln sind.« Da mir am Ende dieser Rede die Augen zufielen, sah sich Herr de Montmagny veranlaßt, mir gute Nacht zu sagen. Tags darauf und an den folgenden Tagen führten wir ähnliche Gespräche. Aber da späterhin Schwierigkeiten in den Geschäen der Provinz unsere Beschäigung mit der Philosophie ins Stocken brachten, verfiel ich wieder um so eifriger auf den Plan, zum Monde aufzusteigen. Sobald er aufgegangen war, ging ich hinaus in den Wald, träumte und sann über die Durchführung und das Gelingen meines Unternehmens. Endlich, am Vorabend des Johannistages, als im Fort eine Sitzung abgehalten wurde, um zu beschließen, ob man den Wilden des Lan
des gegen die Irokesen helfen wolle, da war ich ganz allein auf der Kuppe eines kleinen Berges hinter unserer Ansiedlung, wo ich folgendes ausführte: Mit einem Apparat, den ich angefertigt hatte und mit dem ich dachte, mich erheben zu können, so hoch ich wolle, stürzte ich mich von der Höhe eines Felsens aus in die Lu. Aber da ich doch nicht die richtigen Maßnahmen getroffen hatte, purzelte ich unbarmherzig ins Tal hinunter. Ganz zerschlagen ging ich in mein Zimmer zurück, ohne jedoch den Mut zu verlieren. Ich nahm Ochsenmark und schmierte mir den ganzen Körper damit ein, denn ich war braun und blau von Kopf bis Fuß; und nachdem ich mich noch durch eine Flasche herzstärkender Essenz völlig gekräigt hatte, ging ich zurück, meine Maschine zu suchen. Ich fand sie aber nicht mehr, denn ein paar Soldaten, die in den Wald geschickt worden waren, Holz für den Scheiterhaufen zum Johannisfeuer, das abends angezündet werden sollte, zu fällen, waren zufällig darauf gestoßen und hatten sie nach dem Fort gebracht. Als man nach allerhand Erklärungsversuchen, was es sein könne, schließlich die Erfindung der Schwungfeder entdeckt hatte, sagten einige, man müsse viele Signalraketen daran befestigen, denn wenn deren schnelles Aufzischen sie dann recht hoch hinaureibe und die Schwungfeder ihre großen Flügel bewege, so würde jedermann die Maschine für einen Feuerdrachen halten. Ich suchte sie lange, und endlich fand ich sie mitten auf dem Platz von Quebec, als man gerade das Feuer daran legte. Der Schmerz, das Werk meiner Hände in einer so großen Gefahr zu treffen, riß mich so hin, daß ich hinzulief und den Soldaten, der anzündete, am Arm
packte; ich entriß ihm die Lunte und stürzte mich ganz wild in meine Maschine, um das Feuerwerk, von dem sie umgeben war, zu zerstören; aber ich kam zu spät, denn kaum stand ich mit beiden Füßen drinnen, so war ich auch schon in die Wolken aufgeflogen. Der furchtbare Schreck, der mich völlig versteinerte, lahmte jedoch die Fähigkeiten meines Geistes nicht so sehr, daß ich mich nicht nachher hätte an alles erinnern können, was mir in jenem Augenblick geschah. Man höre also, daß sobald die Flamme eine Reihe der Raketen verzehrt hatte – man hatte sie nämlich zu je sechs angeordnet mit einer Zündschnur, die an jedem halben Dutzend entlanglief –, die nächste Etage sich entzündet, dann wieder eine, so daß der brennende Salpeter die Gefahr entfernte, indem er sie vergrößerte. Da das Material aber offenbar abgenutzt war, so mißlang das Feuerwerk, und wie ich nur noch daran dachte, daß ich meinen Kopf auf dem irgendeines Berges verlieren würde, fühlte ich, ohne daß ich eine Bewegung gemacht hätte, daß ich weiter stieg, während meine Maschine mich verließ und ich sie zur Erde zurückfallen sah. Dies außergewöhnliche Ereignis schwellte mir das Herz in einer so wenig alltäglichen Freude, daß ich, entzückt, mich der sicheren Gefahr entronnen zu sehen, die Schamlosigkeit hatte, darüber zu philosophieren. Wie ich also mit Augen und Gedanken den Grund des Wunders zu entdecken suchte, gewahrte ich, daß mein Heisch aufgedunsen war und noch fettig von dem Mark, mit dem ich mich angestrichen hatte wegen der Quetschungen von meinem Absturz her. Der Mond war im Abnehmen, und in der Phase pflegt er das Mark der Tiere einzusaugen. * So bemerkte ich, daß er das, mit dem ich
eingerieben war, trank, und zwar mit um so mehr Gewalt, da er mir näher war und da keine Wolken dazwischen waren, die die Kra abgeschwächt hätten. Als ich, nach der Rechnung, die ich später darüber anstellte, mehr als drei Viertel des Weges von der Erde zum Monde zurückgelegt hatte, sah ich plötzlich meine Beine nach oben fallen, obwohl ich auf keinerlei Art gestürzt war. Auch hatte ich durchaus nicht bemerkt, daß mein Kopf von dem Gewicht meines Körpers belastet gewesen wäre. Ich erkannte ganz richtig, daß ich keineswegs gegen unsere Erde zurückfiel; denn wiewohl ich mich noch zwischen zwei Monden befand und sehr gut merkte, daß ich mich von dem einen entfernte in dem Grade, wie ich mich dem andern näherte, war ich völlig sicher, daß der größere unsere Erdkugel sei; sie war mir nämlich ebenso wie der andere nur mehr wie eine große Goldplatte erschienen, da nach ein oder zwei Tagen der Reise die entferntere Rückstrahlung von der Sonne die Unterschiede der Körper und der Atmosphären verwischte. Dies also erweckte in mir die Vorstellung, daß ich mich gegen den Mond zu senke, und ich wurde in dieser Ansicht noch bestärkt, als ich mich erinnerte, daß ich erst nach drei Vierteln des Weges angefangen hatte zu fallen. ›Denn‹, sagte ich mir, ›da die Masse hier geringer ist als unsere, muß der Umkreis ihrer Wirkungskra auch kleiner sein und ich infolgedessen die Anziehung ihres Mittelpunktes erst später gefühlt haben.‹ So stürzte ich also längere Zeit, wie ich wenigstens annehme, denn die Heigkeit des Sturzes hinderte mich, ihn genau zu beobachten; das Weitere, dessen ich mich nur entsinne, ist, daß ich mich unter einem Baume wiederfand, in drei oder vier ziemlich große Äste verstrickt,
die ich durch meinen Fall abgeschlagen hatte, und daß mein Gesicht ganz beschmiert war von einem Apfel, der sich dran zerquetscht hatte. Glücklicherweise war der Ort, wie man bald sehen wird, das irdische Paradies; und der Baum, auf den ich fiel, war gerade der Baum des Lebens. So läßt es sich auch denken, daß ich ohne diesen glücklichen Zufall tausendfach tot gewesen wäre. Ich habe seither o über das nachgedacht, was gewöhnlich behauptet wird, nämlich daß, wenn man sich von einer sehr hohen Stelle herabstürze, man erstickt sei, ehe man den Boden berühre. Ich habe aus meinem Abenteuer geschlossen, daß das nicht wahr ist oder daß der kräige Sa der Frucht, der mir in den Mund gelaufen war, meine Seele, die nicht weit weg war, in meinen noch ganz warmen und zu den Lebensbetätigungen noch aufgelegten Leichnam zurückgerufen haben müsse. In der Tat, sobald ich auf dem Boden war, verging mein Schmerz, sogar noch ehe er sich meinem Gedächtnis eingezeichnet hatte, und der Hunger, der mich auf der ganzen Reise sehr geplagt hatte, ließ mich nur eine leise Erinnerung daran empfinden, daß ich ihn verloren hatte. Als ich wieder auf den Beinen war und eben die Ufer des breitesten von vier großen Flüssen bemerkt hatte, die, ineinander mündend, einen See bildeten, da erfreute der unsichtbare Geist oder die Seele der einfachen Dinge, die sich in diese Landscha ausströmen lassen, meinen Geruchssinn; die kleinen Kiesel waren holprig und hart nur beim Anschauen; sie bemühten sich, sich weich zu machen, wenn man darüber ging. Ich traf zuerst auf einen Stern von fünf Alleen, deren Eichen wegen ihrer außerordentlichen Höhe ein Par
terre von Hochwald zum Himmel zu erheben schienen. Während ich meine Augen von der Wurzel zur Spitze wandern und vom Gipfel zum Fuße herabstürzen ließ, zweifelte ich, ob die Erde sie trage oder ob nicht sie selber die Erde an ihren Wurzeln angehängt trügen. Man konnte glauben, daß ihr Haupt, das stolz erhoben war, gleichsam gezwungen sich beuge unter der Schwere der Himmelskugeln, deren Last sie nur ächzend zu stützen vermochten. Ihre gen Himmel gebreiteten Arme schienen, ihn umfassend, von den Gestirnen den reinen Segen ihrer Einwirkung zu erflehen und sie zu empfangen, ehe sie noch etwas von ihrer Unberührtheit verloren hatte in der Ehe mit den Elementen. Da strömen allenthalben Blumen, die keinen anderen Gärtner haben als die Natur, einen wilden Du aus, der den Geruchssinn erregt und befriedigt; da lassen das Rot einer wilden Rose und das leuchtende Blau eines Veilchens unter Brombeerranken der Wahl keine Freiheit, sondern zwingen einen zu dem Urteil, daß sie beide schöner sind, die eine wie die andere; da faßt der Frühling alle Jahreszeiten zusammen; da sprießt keine Gipflanze, ohne daß ihre Geburt ihre Erhaltung im Stich läßt: da erzählen die Bäche den Kieseln ihre Reisen; da lassen tausend befiederte kleine Stimmen den Wald vom Schall ihrer Lieder widerhallen, und so viele der klangreichen Kehlen haben sich flatternd zusammengefunden, daß in diesem Walde jedes Blatt Stimme und Gestalt einer Nachtigall angenommen zu haben scheint. Das Echo hat so viele Freude an ihren Weisen, daß man meinen könnte, wenn man es sich wiederholen hört, es habe Lust, sie zu lernen. Zur Seite des Waldes dehnen sich zwei Wiesen, deren endloses heiteres Grün einen ungeheuren Smaragd bil
det. Das Durcheinander von Farben, die der Frühling hundert kleinen Blumen verleiht, verwischt ihre Töne ineinander, und die nickenden Blüten scheinen sich nachzulaufen, um den Liebkosungen des Windes zu entkommen. Man könnte diese Wiese für einen Ozean halten, aber da sie ein uferloses Meer ist, war mein Auge erschreckt, so weit gelaufen zu sein, ohne die Grenze zu entdecken, und sandte rasch mein Denken dahin, und mein Denken, das meinte, dort könne wohl das Ende der Welt sein, wollte sich überzeugen, ob vielleicht so zauberisch schöne Gegenden dem Himmel Veranlassung gewesen seien, mit der Erde sich zu verbinden. Mitten in dem so ausgedehnten und vollendet schönen Teppich strömt in silbernen Schaumwellchen ein ländlicher Quell dahin, seine Ufer kränzt er mit Rasen, den Gänseblümchen, Butterblumen und Veilchen schmücken. Und die Blumen, die sich rings herandrängen, scheinen miteinander zu wetteifern, wer sich zuerst spiegeln darf. Das Bächlein ist noch in der Wiege, denn es ist eben erst geboren, und sein junges glattes Gesicht weist nicht eine einzige Runzel auf. Die großen Bogen, die es macht, tausendmal auf seinem Wege wieder zurückkommend, beweisen, daß es nur sehr ungern sein Heimatland verläßt, und es stieß, als schäme es sich, in Gegenwart seiner Mutter gestreichelt zu werden, meine mutwillige Hand, die es berühren wollte, murmelnd und plätschernd zurück. Die Tiere, die dorthin ihren Durst zu löschen kamen und die verständiger sind als die auf unserer Welt, waren augenscheinlich verwundert, daß es am Himmel heller Tag war, während sie doch die Sonne bei den Antipoden sahen, und sie wagten nicht, über den
Rand sich zu beugen aus Angst, sie müßten ins Firmament fallen. Ich muß gestehen, daß ich mich beim Anblick so vieler schöner Dinge von jenen angenehmen Schmerzen gekitzelt fühlte, welche, wie man sagt, der Embryo empfindet, wenn die Seele in ihn einströmt. Der alte Pelz fiel mir ab, um neuem dichterem und feinerem Haar Platz zu machen. Ich fühlte, wie meine Jugend sich neu entflammte, mein Gesicht rosig wurde, meine natürliche Wärme sich sachte wieder mit dem Lebenssae mischte; kurz, ich rückte etwa um vierzehn Jahre im Alter zurück. Ich war eine halbe Meile durch einen Wald von Jasmin und Myrthen gewandert, als ich etwas, das sich bewegte, im Schatten hingestreckt sah. Es war ein Jüngling, dessen erhabene Schönheit mich fast zur Anbetung zwang. Er sprang auf, mich daran zu hindern: »Nicht mir«, rief er laut, »sondern Gott schuldest du diese Ehrfurcht.« »Sie sehen in mir jemand«, antwortete ich, »der von so viel Wundern überwältigt ist, daß ich nicht weiß, wo mit meiner Bewunderung beginnen. Denn erstens komme ich von einer Weltkugel, die Sie hier jedenfalls für einen Mond halten, und glaube auf einer anderen gelandet zu sein, die man bei uns zu Lande ebenso den Mond nennt; und da finde ich mich wieder im Paradiese, zu Füßen eines Gottes, der nicht angebetet sein will, eines Fremden, der meine Sprache spricht.« »Was du sagst, ist wahr, ausgenommen, daß ich ein Gott, sei; diese Erde hier ist der Mond, den ihr von eurer Weltkugel aus seht, und der Ort, wo du wandelst, ist das Paradies; aber es ist das irdische Paradies, in das nur sechs Personen jemals hineinkamen: Adam, Eva, Enoch, ich, der ich der alte Elias bin, der Evangelist Sankt Johan
nes und du. Du weißt, wie die beiden ersten daraus verbannt wurden, aber du weißt nicht, wie sie auf eure Erde gelangten. Höre also, daß, nachdem beide von dem verbotenen Apfel gekostet hatten, Adam, der fürchtete, Gott könne, durch seine Gegenwart erzürnt, seine Strafe vergrößern, den Mond, eure Erde, als den einzigen Zufluchtsort ansah, wo er sich vor den Verfolgungen seines Schöpfers bergen könne. In jener Zeit nun war die geistige Kra beim Menschen, weil sie noch nicht verdorben war weder durch Ausschweifungen noch durch rauhe Nahrungsmittel, noch durch Beschädigung infolge von Krankheiten, so stark, daß er, weil er von dem heigen Wunsche, in dies Asyl zu gelangen, erregt und die Masse seines Körpers durch das Feuer dieser Begeisterung leicht geworden war, dorthin getragen wurde, so wie man Philosophen, deren Geisteskra sehr stark auf irgend etwas gerichtet war, hat sehen in die Lu gehoben werden durch Entzückungen, die ihr ekstatisch nennt. Die Geisteskra der Eva, welche die Gebrechlichkeit ihres Geschlechtes schwächer und weniger heiß machte, wäre zweifellos nicht stark genug gewesen, daß sie durch die Anspannung ihres Willens das Gewicht der Materie überwunden hätte. Aber es war erst sehr kurz her, seit sie aus dem Körper ihres Gatten genommen war, und daher trug die Sympathie, die diese Häle noch an ihr Ganzes fesselte, sie ihm nach, wie er stieg, wie das Stroh dem Bernstein folgen muß, wie der Magnet sich gen Norden wendet, von wo er losgerissen worden ist. Und Adam zog das Werk aus seiner Seite an, wie das Meer die Müsse anzieht, die von ihm ausgegangen sind. Auf eurer Erde angelangt, ließen sie sich zwischen Mesopotamien und Arabien nieder. Die Israeliten kannten ihn unter dem
Namen Adam und die Heiden unter dem Namen Prometheus, von dem ihre Poeten behaupten, er habe das Feuer vom Himmel geraubt, weil er seine Abkömmlinge, mit einer ebenso vollkommenen Seele begabt, erzeugte wie die, mit der Gott ihn erfüllt hatte. So ließ der erste Mensch, um auf eurer Welt zu wohnen, die hier verödet zurück. Aber der Allweise wollte nicht, daß ein so glücklicher Aufenthaltsort unbewohnt bleibe; er ließ es zu, daß wenige Jahrhunderte später Enoch, den die Gesellscha der Menschen, deren Unschuld verderbt war, ärgerte, sie zu verlassen wünschte. Dieser Heilige hielt jedoch keinen Zufluchtsort für sicher vor der Gier seiner Brüder, die sich bereits über der Teilung eurer Erde umbrachten, außer jenem glückseligen Land, von dem Adam, sein Ahne, ihm so viel erzählt hatte. Jedoch wie hinkommen? Die Jakobsleiter war noch nicht erfunden! Die Gnade des Höchsten kam zu Hilfe. Denn sie ließ es geschehen, daß Enoch gewahr ward, daß das Feuer des Himmels herabfiel auf die Opfer der Gerechten und derer, die vor dem Angesicht des Herrn angenehm waren, nach dem Worte seines Mundes: ›Der Du vom Opfer des Gerechten ist bis zu mir emporgestiegen‹. Eines Tages, als diese göttliche Flamme gierig ein Opfer verzehrte, das er dem Ewigen darbrachte, füllte er mit dem entströmenden Rauche zwei große Gefäße, die er hermetisch verschloß, und befestigte sie sich unter den Achselhöhlen. Der Rauch, der das Bestreben hatte, geradewegs zu Gott emporzusteigen und durch das Metall nicht hindurchkonnte, trieb die Gefäße in die Höhe, und so nahmen sie den heiligen Mann mit sich. Als er bis zum Mond gestiegen war und einen Blick in diesen schönen
Garten getan hatte, da ließ ein gleichsam übernatürliches Freudengefühl ihn erkennen, daß dies das irdische Paradies sei, wo sein Ahne einst gewohnt hatte. Er löste sofort die Gefäße, die er wie Flügel um seine Schultern gebunden hatte, und zwar glücklich, daß er eben vier Klaer über dem Mond seine Schwimmblasen verließ. Die Höhe war jedoch noch beträchtlich genug, so daß er sich stark hätte verletzen können, wenn nicht sein Kleid, in dem der Wind sich fing, sich sehr aufgebläht und ihn auch die Glut des Feuers der Liebe noch getragen hätte. Die beiden Gefäße stiegen immerzu, bis Gott sie in den Himmel einfügte, und sie nennt ihr heute die Waage; sie zeigen uns täglich gut, daß sie noch voll sind von dem Due aus dem Opfer eines Gerechten, durch die günstigen Einwirkungen, die sie auf das Horoskop Ludwigs des Gerechten * ausübten, in dessen Geburtsstunde die Waage am Horizont erschien. Enoch war jedoch noch nicht in diesem Garten. Er kam erst einige Zeit später dahin. Das war, als die Sintflut hereinbrach; da stiegen nämlich die Wasser, unter denen eure Erde versank, zu einer so ungeheuren Höhe, daß die Arche in den Himmeln dahinschwamm neben dem Monde. Die Menschen sahen die Kugel durchs Fenster, aber die Rückstrahlung dieses großen undurchsichtigen Körpers wurde abgeschwächt, weil in der Nähe das Licht sich verteilt, und so glaubte jedermann, das sei ein Bezirk der Erde, der nicht ertrunken sei; nur eine Tochter Noahs namens Ahab behauptete, vielleicht weil sie beobachtet hatte, daß sie in dem Grade, wie das Schiff emporgehoben worden war, dem Gestirn sich genähert hatten, steif und fest, das wäre der Mond. Man mochte ihr, soviel man wollte, vorhalten, daß man das Senkblei ausgewor
fen und für fünfzig Ellen Wasser gefunden habe, sie antwortete, das Eisen sei wohl auf den Rücken eines Walfisches getroffen, den sie dann für die Erde gehalten hätten, sie sei jedenfalls ganz sicher, daß dies der Mond in eigener Person wäre, an dem sie landen würden. Kurz, da jeder für seinesgleichen stimmt, schlossen sich alle Frauen sofort ihrer Ansicht an. So werfen sie, obwohl die Männer es verbieten, das Rettungsboot ins Meer; Ahab war die verwegenste, sie wollte auch als erste das gefährliche Wagnis versuchen. Sie schwingt sich fröhlich ins Boot, und ihr ganzes Geschlecht wäre mit ihr gegangen, hätte nicht die große Woge das Boot vom Schiffe getrennt. Man mochte, soviel man wollte, nach ihr rufen, sie hundertmal mondsüchtig nennen, versichern, sie werde schuld sein, wenn man einstmals allen Frauen vorwerfen würde, sie hätten in ihren Köpfen ein Stück Mond, sie kümmerte sich nicht darum. Da schwämmt sie draußen fort von der Erde. Die Tiere folgten ihrem Beispiel, denn die meisten Vögel, die ihre Flügel stark genug fühlten, um die Reise zu wagen, waren ungeduldig über die erste Gefangenscha, mit der man ihre Freiheit unterbrochen hatte, und machten sich dorthin auf. Sogar von den Vierfüßlern begannen die mutigsten zu schwimmen. Es waren schon fast tausend ausgekommen, ehe die Söhne Noahs die Ställe schließen konnten, die das Gedränge der durchbrennenden Tiere offenhielt. Die meisten landeten in jener neuen Welt. Das Boot stieß an einen sehr anmutigen Hügel, wo die hochgemute Ahab ausstieg, und in ihrer Freude, tatsächlich erkannt zu haben, daß dies Land da der Mond war, wollte sie sich nicht wieder einschiffen, um zu ihren Brüdern zurückzugelangen. Sie ließ sich für einige Zeit in
einer Grotte häuslich nieder, und als sie eines Tages spazierenging und gerade in Gedanken abwog, ob sie unglücklich sei, die Gesellscha der Ihrigen verloren zu haben, oder ob sie sehr zufrieden sei, sah sie einen Mann, der Eicheln abschlug. Die Freude über eine solche Begegnung ließ sie ihm an den Hals fliegen. Auch er umarmte sie, denn der Alte hatte noch viel länger kein menschliches Angesicht gesehen. Es war Enoch, der Gerechte. Sie lebten zusammen, erzeugten Nachkommenscha, und hätten nicht die gottlose Natur seiner Kinder und der Hochmut seiner Frau ihn gezwungen, sich in die Wälder zurückzuziehen, so hätten sie ihre Tage bis zum Ende miteinander abgesponnen in all der Süßigkeit, mit welcher Gott die Ehe der Gerechten segnet. Hier in den entferntesten Schlupfwinkeln dieser schauervollen Einöden brachte der gute Alte in geläutertem Geiste Gott täglich sein Herz zum Opfer dar; da fiel eines Tages ein Apfel vom Baum der Erkenntnis, der, wie du weißt, in diesem Garten wächst, in den Fluß, an dessen Ufer er steht, und wurde dank der Wellen aus dem Paradies hinaus an einen Platz getragen, wo der arme Enoch, sein Leben zu fristen, fischte. Die schöne Frucht blieb im Netze hängen, er aß sie; sofort wußte er, wo das irdische Paradies ist, und auf geheimnisvolle Art, die du nicht zu begreifen vermagst, wenn du nicht wie er von dem Apfel der Erkenntnis gegessen hast, kam er dorthin, da zu wohnen. Jetzt muß ich dir noch erzählen, wie ich hierher gelangt bin: Du hast, denke ich, nicht vergessen, daß ich Elias heiße, denn ich habe es dir erst vorhin gesagt. Du erinnerst dich also, daß ich in eurer Welt war und mit Elisa, einem Juden wie ich, an den Ufern des Jordan
wohnte, wo ich bei den Büchern ein so friedvoll stilles Leben führte, daß es mir nicht einmal leid war um sein Dahinfließen. Je mehr jedoch mein Geist erleuchtet ward, um so heller erkannte ich auch, was ich noch nicht besaß. Niemals aber riefen die Priester mir Adam ins Gedächtnis zurück, daß ich nicht seufzen mußte in der Erinnerung an jene vollkommene Weisheit, die er besessen hatte. Ich verzweifelte daran, sie je erlangen zu können; da, eines Tages, nachdem ich ein Sühneopfer für die Schwachheiten meines sterblichen Wesens dargebracht hatte, schlief ich ein, und der Engel des Herrn erschien mir im Traum; sofort nach meinem Erwachen arbeitete ich eifrig an den Dingen, die er mir befohlen hatte. Ich nahm ein Stück Magnet, etwa zwei Fuß im Quadrat groß, und legte es in den Schmelzofen; nachdem es dann gut geläutert, geschieden und aufgelöst war, zog ich den Anziehungsstoff heraus, glühte das ganze Elixier aus und reduzierte es zu einem Stück von der Größe einer mittleren Flintenkugel. Im weiteren Verlauf dieser Vorbereitungen ließ ich einen sehr leichten Wagen aus Eisen bauen, und als mein Werk einige Monate danach fertig war, setzte ich mich in mein kunstvolles Fahrzeug. Du fragst vielleicht, wozu all diese Umstände? So höre, daß der Engel mir im Traum gesagt hatte, wenn ich eine vollkommene Erkenntnis, wie ich sie wünsche, erwerben wolle, müsse ich zum Mond emporsteigen, wo ich in Adams Paradies den Baum der Erkenntnis finden würde, weil, sobald ich von seiner Frucht gekostet habe, meine Seele erleuchtet würde von allen Wahrheiten, zu denen ein Geschaffener fähig ist. Das war also die Reise, für die ich meinen Wagen gebaut hatte. Kurz, ich stieg ein, und nachdem ich
schön fest und sicher auf dem Sitz war, schleuderte ich jene Magnetkugel sehr hoch in die Lu. Die eiserne Maschine nun, die ich absichtlich in der Mitte massiver als an den Enden geschmiedet hatte, wurde sofort aufgehoben, und zwar in vollkommenem Gleichgewicht, da sie immer an jener Stelle am stärksten vorwärts getrieben wurde. Sowie ich da angelangt war, wohin der Magnet mich anzog, schickte meine Hand ihn wieder auf die Reise.« »Aber«, unterbrach ich ihn, »wie schleuderten Sie Ihre Kugel so gerade über Ihr Gefährt, daß sie nie auf der Seite war?« »Ich sehe durchaus nichts Merkwürdiges bei diesem Abenteuer«, sagte er, »denn der in die Lu geworfene Magnet zog das Eisen ganz gerade an; und so war’s unmöglich, daß ich jemals daneben gekommen wäre. Ja sogar, wenn ich meine Kugel in der Hand hielt, hörte ich nicht auf zu steigen, weil der Wagen immer hinter dem Magneten, den ich über ihn hielt, herlief. Aber das Eisen hatte so ungeheure Eile, zu dem Magneten zu gelangen, daß es mir den Körper vierfach zusammenbeugte, so daß ich diese neugewonnene Erfahrung nur ein einziges Mal zu erproben wagte. Es war auch wirklich ein höchst staunenerregender Anblick, denn da ich den Stahl dieses fliegenden Hauses sehr sorgfältig poliert hatte, so strahlte er nach allen Seiten das Sonnenlicht so hell und leuchtend zurück, daß ich selber glaubte, in einem feurigen Wagen emporgetragen zu werden. Nachdem ich o und lange geworfen hatte, und dahinter her geflogen war, kam ich wie du auch an eine Grenze, von der aus ich gegen diese Weltkugel hier fiel, und weil ich in jenem Augenblick meine Kugel sehr fest in beiden Händen
hielt, so verließ mich meine Maschine nicht, da ihr Sitz sich an mich drückte, um dem nahe zu kommen, das ihn anzog; mir blieb einzig die Furcht, ich würde den Hals brechen; um mich aber davor zu sichern, warf ich meine Kugel wieder von Zeit zu Zeit in die Höhe, so daß meine Maschine, die natürlich wieder rückwärts gezogen wurde, mehr in Ruhe kam und die Gewalt meines Sturzes auielt. Als ich schließlich sah, daß ich dem Boden bis auf zwei- oder dreihundert Klaer nahe gekommen war, schleuderte ich meine Kugel nach allen Seiten hin in gleicher Höhe mit meinem Wagen bald dahin, bald dorthin, bis meine Augen das irdische Paradies entdeckten. Dann warf ich sie nach oben, meine Maschine folgte ihr, und so ließ ich mich fallen, bis ich erkennen konnte, daß ich nahe daran war, auf dem Sand aufzuschlagen; dann warf ich sie nur einen Fuß hoch über meinen Kopf, und dieser kleine Stoß mäßigte vollständig die Schnelligkeit, welche die Fallhöhe ihr verliehen hatte; so war mein Sturz nicht heiger, als wenn ich so hoch, wie ich selber bin, herabgestürzt wäre. Ich male dir das Erstaunen nicht aus, das mich beim Anblick der Wunder hier erfaßte, denn es war nicht anders als das, von dem ich eben auch dich überwältigt gesehen habe. Kur soviel, daß ich schon am folgenden Tag auf den Baum des Lebens traf, und durch ihn verhinderte ich, daß ich alt werde; er verzehrte bald die Schlange und ließ sie in Rauch ausströmen …« Bei diesen Worten sagte ich zu ihm: »Ehrwürdiger und heiliger Patriarch, ich wäre sehr froh zu erfahren, was Sie unter dieser Schlange, die verzehrt wurde, verstehen?« Er antwortete mir mit lachendem Gesicht so: »Ich vergaß, mein Sohn, dir ein Geheimnis zu entdek
ken, das man dich nicht gelehrt haben kann. Höre also, daß, nachdem Eva und ihr Gatte von dem verbotenen Apfel gegessen hatten, Gott die Schlange, die sie dazu verführt hatte, um sie zu strafen, in den Körper des Menschen bannte. Es ist seitdem kein Menschengeschöpf zur Welt gekommen, das nicht zur Strafe für die Sünde seines Urvaters eine Schlange nährt, die von jener ersten abstammt. Ihr nennt sie den Darm und meint, sie sei zum Leben nötig. Erfahre nun aber, daß das nichts anderes sind als Schlangen, die in mehrfachen Verschlingungen ineinandergewunden sind. Wenn ihr euren Magen knurren hört, so ist das die Schlange, die pfei und die in ihrer angeborenen Gefräßigkeit, in der sie den ersten Menschen dazu verleitete, zuviel zu essen, ebenfalls zu essen verlangt. Denn Gott, der zur Strafe euch sterblich machen wollte wie die anderen Tiere, ließ dieses unersättliche Wesen von euch Besitz ergreifen, damit ihr erstickt, wenn ihr ihm zuviel zu essen gäbet, oder daß, wenn die ewig Hungrige mit den unsichtbaren Zähnen euch in den Magen beiße und ihr den Unterhalt ihr verweigert, sie schreie, wüte, das Gi, das eure Doktoren die Galle nennen, ausspeie und euch durch das Gi, das sie in eure Adern einflößt, so erhitze, daß ihr bald davon aufgezehrt seid. Kurz, um dir zu zeigen, daß eure Gedärme eine Schlange sind, erinnere ich dich daran, daß man in den Gräbern von Äskulap, Scipio, Alexander, Karl Martell und Eduard von England welche gefunden hat, die sich noch von den Leichnamen ihrer Wirte nährten …« Er schwieg eine Zeitlang, wie um sich zu erinnern, wo er stehengeblieben war, und nahm darauf wieder das Wort:
»Ich koste von der Frucht des Lebens nur von hundert zu hundert Jahren. Ihr Sa hat für den Geschmack eine gewisse Beziehung mit dem Weingeist. Es war, glaube ich, dieser Apfel, den Adam gegessen hatte, schuld, daß unsere ersten Vorväter so lange lebten, da in ihren Samen etwas von seiner Kra geflossen war, bis sie in den Wassern der Sintflut erlosch.« Der Baum der Erkenntnis steht gegenüber. Seine Frucht ist von einer Schale bedeckt, die Unwissenheit in jedem erzeugt, der davon genossen hat, und die unter der dicken Hülle die geistigen Kräe dieser gelehrten Speise bewahrt. Als Gott einst den Adam aus dem glückseligen Lande verjagt hatte, rieb er ihm aus Furcht, jener könne den Weg zurückfinden, das Zahnfleisch mit der Schale ein. Er war von da an mehr als fünfzig Jahre lang kindisch und vergaß alle Dinge so vollständig, daß er, wie auch seine Nachkommen bis auf Moses, sich nicht einmal an die Schöpfung erinnerte. Aber die Reste von der Kra dieser gewichtigen Schale verflüchtigten sich vollends in der Wärme und Klarheit des Geistes jenes großen Propheten. Ich wandte mich, glücklicherweise, an einen von den Äpfeln, den die Reife seiner Schale entkleidet hatte, und kaum hatte ihn mein Speichel befeuchtet, als mich auch schon die gesamte Philosophie der Welt an der Nase faßte; es war mir, als ob sich eine ungeheure Anzahl kleiner Augen in meinen Kopf hinein senkten, und ich wußte, wie man mit dem Herrn sprechen kann. Wenn ich seitdem über diese wunderbare Erhebung nachgedacht habe, so ist es mir wohl eingefallen, daß ich nicht durch die geheimen Kräe eines gewöhnlichen natürlichen Körpers die Wachsamkeit des Seraphs, den Gott zur Hut des Paradieses bestellt hat,
hätte besiegen können, sondern nur deshalb, weil er sich gern vermittelnder Ursachen bedient. Ich kam zu der Einsicht, er habe mir das Mittel, hier hereinzukommen, inspiriert, wie er sich der Seite Adams bediente, um ihm eine Frau zu erschaffen, obwohl er sie, geradesogut wie ihn, aus Erde hätte formen können. Ich ging lange im Garten spazieren ohne Gesellscha. Da aber der Pförtner-Engel des Ortes in erster Linie mein Hauswirt war, bekam ich schließlich Lust, ihn zu begrüßen. Eine Stunde Weges war für meine Reise genug, denn nach Verlauf dieser Zeit kam ich in eine Gegend, wo tausend Blitze, die sich in einen verschmolzen, einen blinden Tag erzeugten, der nur dazu diente, die Dunkelheit sichtbar zu machen. Ich hatte mich von diesem Abenteuer noch nicht ganz erholt, als ich einen schönen Jüngling vor mir sah, der sprach: »Ich bin der Erzengel, den du suchst. Ich habe soeben in Gott gelesen, daß er dir die Mittel hierherzukommen ins Herz gegeben und gewollt hat, daß du hier seines Willens wartest.« Er unterhielt mich von mancherlei Dingen und sagte unter anderem, daß dies Licht, das mich, wie es scheine, erschreckt habe, nichts Furchtbares sei, daß es sich fast jeden Abend entzünde, wenn er die Runde mache, denn um den Überraschungen durch Zauberer, die überall ungesehen eindringen, vorzubeugen, sei er gezwungen, mit seinem flammenden Degen Fechtübungen zu machen rings um das irdische Paradies, und dies Leuchten seien die Blitze, die sein Stahl erzeuge. »Die, welche ihr auf eurer Welt seht«, fügte er hinzu, »bringe ich hervor. Wenn ihr sie manchmal weit in der Ferne bemerkt, so ist das deswegen, weil die Wolken in einem entfernteren Himmelsstrich, die sich in der Verfassung
befinden, diesen Eindruck aufzunehmen, bis zu euch die leichten Bilder des Feuers zurückspringen lassen, so wie Dampf, der anders sich wendet, den Regenbogen erstehen zu lassen vermag. Ich lehre dich nicht mehr. Der Apfel der Erkenntnis ist ja nicht weit von hier; und sobald du davon gegessen hast, bist du ebenso gelehrt wie ich. Aber hüte dich besonders vor einem Mißgriff: die Mehrzahl der Früchte, die an dieser Pflanze hängen, sind in eine Schale eingeschlossen, und wenn du von dieser kostest, sinkst du unter den Menschen hinab, anstatt das, was drin ist, dich emporsteigen läßt auf die Höhe der Engel.« Soweit war Elias mit den Lehren gekommen, die der Seraph ihm gegeben hatte, als ein kleiner Mann sich uns näherte. »Das ist Enoch, vom dem ich dir berichtet habe«, sagte mein Führer leise zu mir. Wie er eben ausgeredet hatte, hielt Enoch uns einen Korb hin voll von ich weiß nicht was für Früchten, die Granatäpfeln ähnlich waren und die er an eben diesem Tage in einem abgelegeneren Gebüsch entdeckt hatte. Ich stope einige davon in meine Taschen auf Geheiß von Elias, während jener ihn fragte, wer ich sei. »Das ist eine Begebenheit, die einer langen Unterhaltung wert ist«, antwortete ihm mein Führer, »diesen Abend, wenn wir uns zurückgezogen haben, soll er uns selber die wunderbaren Einzelheiten seiner Reise erzählen.« Darüber gelangten wir zu einer Art Einsiedelei, die aus Palmzweigen gebaut war, die sehr erfinderisch in Myrthen- und Orangenbäume eingeflochten waren. Ich gewahrte dort in einem kleinen Verschlag Haufen einer so weißen, zarten Seide, daß sie für die Seele des Schnees
gelten konnte. Ich sah auch da und dort Spinnrocken aufgehängt, und ich fragte meinen Führer, wozu sie dienten. »Zum Spinnen«, antwortete er. »Wenn der gute Enoch von der Betrachtung ruhen will, so hechelt er den Flachs, oder er dreht den Faden daraus, oder er webt Leinen, aus dem Hemden für die elausend Jungfrauen geschnitten werden. Du bist doch schon manchmal in deiner Welt etwas Weißem begegnet, das im Herbste so um die Zeit der Aussaat in der Lu fliegt. Die Bauern nennen es Liebfrauenfäden. Das ist der Abfall, von dem Enoch seinen Flachs reinigt, wenn er ihn kämmt.« Wir hielten uns nicht länger auf und verabschiedeten uns auch nicht von Enoch, dessen Zelle die Hütte war; wir mußten ihn so bald verlassen, weil er von sechs zu sechs Stunden Gebete verrichtete, und es war gut schon so lange, seit er das letzte beendet hatte. Unterwegs bat ich Elias sehr, mir die Geschichte von den Himmelfahrten, die er angefangen hatte, fertig zu erzählen, und sagte ihm, er sei, wie ich glaube, bei der des heiligen Johannes, des Evangelisten, stehen geblieben. »Da du also nicht Geduld hast«, sagte er, »zu warten, bis der Apfel der Erkenntnis dich besser als ich alle diese Dinge lehrt, will ich sie dir mitteilen. Höre also, daß Gott …« Bei diesem Worte mischte sich, ich weiß nicht wie, der Teufel hinein. Jedenfalls konnte ich mich nicht enthalten, ihn zu unterbrechen, um zu scherzen: »Ich erinnere mich daran«, sagte ich, »Gott wurde eines Tages benachrichtigt, daß die Seele des Evangelisten schon so losgelöst sei, daß er sie nur noch durch Zusammenbeißen der Zähne zurückhalten könne. Da war die ewige Weisheit ob eines so unvermuteten Unfalls sehr
überrascht und rief: ›Weh, er soll den Tod nicht schmekken. Es ist ihm bestimmt, in Fleisch und Knochen ins irdische Paradies hinaufzukommen! Und doch ist die Stunde, für die ich seine Auebung vorausgesehen habe, fast verstrichen! Gerechter Himmel, was würden die Menschen von mir sagen, wenn sie wüßten, daß ich mich geirrt habe!‹ Wiewohl er so unentschlossen war, war der Ewige gezwungen, um seinen Fehler gutzumachen, ihn schnell dasein zu lassen, ohne die Zeit zu haben, ihn dahin kommen zu lassen.« Während dieser ganzen Rede schaute mich Elias mit Blicken an, die mich hätten töten können, wenn ich in der Lage gewesen wäre, durch etwas anderes als durch Hunger zu sterben. »Abscheulicher«, sagte er, sich etwas zurückziehend, »du hast die Frechheit, über die heiligen Dinge zu spotten! Zumindest würde das nicht ungerächt bleiben, wollte Gott nicht dich den Völkern als weithin bekanntes Beispiel seiner Barmherzigkeit lassen. Fort, Gottloser, hinaus von hier! Verkünde in dieser kleinen Welt und in der anderen, denn es ist dir bestimmt, dorthin zurückzukehren, den unversöhnlichen Haß, den Gott gegen die Atheisten hegt.« Kaum hatte er diesen Fluch geendet, so packte er mich mit der Faust und führte mich ungestüm nach der Pforte. Als wir zu einem großen Baum gekommen waren, dessen fruchtbeladene Zweige fast bis zum Boden sich neigten, sagte er: »Das ist der Baum des Wissens, von dem du unerhörte Erkenntnis hättest pflücken können, wärest du nicht so gottlos.« Noch hatte er nicht ausgeredet, da stellte ich mich ermattet und ließ mich gegen einen Ast fallen, von dem ich gewandt einen Apfel raubte. Es waren noch viele
Schritte nötig, bis ich den Fuß aus dem köstlichen Park hinausgesetzt hatte. Aber der Hunger quälte mich so heig, daß ich darüber vergaß, daß ich mich in den Händen eines zornentflammten Propheten befand. So zog ich einen der Äpfel hervor, mit denen ich meine Taschen dick vollgestop hatte; ich grub meine Zähne hinein; statt aber einen von denen zu nehmen, die mir Enoch geschenkt hatte, geriet meine Hand an den Apfel, den ich vom Baum der Erkenntnis gepflückt hatte und von dem ich unglücklicherweise die Schale nicht abgezogen hatte. Kaum hatte ich davon gekostet, so senkte sich dichte Nacht über meine Seele; ich sah meinen Apfel nicht mehr, nichts mehr von Elias bei mir, und meine Augen vermochten auf der ganzen Halbkugel keine einzige Spur des irdischen Paradieses mehr zu entdecken; aber trotz allem verlor ich nicht die Erinnerung an alles, was mir geschehen war. Wenn ich seither über diese seltsame Begebenheit nachgedacht habe, so stellte ich mir vor, daß jene Schale mich nicht ganz vertiert hatte, weil meine Zähne sie durchdrangen und so ein wenig von dem Sae aus dem Innern erwischten, dessen Kra die schlimme Wirkung der Hülle zerstreut hatte. Ich war sehr überrascht, mich ganz allein mitten in einer mir unbekannten Gegend zu finden. Und soviel ich auch meine Augen umherschweifen ließ, kein Geschöpf zeigte sich, sie zu beruhigen. Schließlich entschloß ich mich zu wandern, bis das Schicksal mich die Gesellscha irgendeines Tieres oder des Todes finden lasse. Ich ward erhört, denn schon nach einer halben Viertelmeile begegnete ich zwei sehr großen Tieren, von
denen eines vor mir stehenblieb, während das andere leichtfüßig zum Lagerplatz entfloh. Wenigstens meinte ich es, weil es kurz danach wiederkam in Begleitung von mehr als sieben- bis achthundert der gleichen Gattung, die mich umringten. Als ich sie in der Nähe unterscheiden konnte, sah ich, daß sie an Wuchs, Gestalt und Gesicht waren wie wir. Dies Abenteuer weckt in mir die Erinnerung an das, was ich einst meine Amme hatte erzählen hören von Sirenen, Faunen und Satyrn. Von Zeit zu Zeit erhoben sie ein so wildes Hohngelächter, das jedenfalls das Erstaunen über meinen Anblick hervorrief, daß ich geradezu dachte, ich sei eine Mißgeburt geworden. Eines der Tiere packte mich am Hals, wie es die Wölfe machen, wenn sie ein Lamm fortschleppen, warf mich auf seinen Rücken und trug mich in ihre Stadt. Dort war ich noch viel verwunderter, als ich erkannte, daß es tatsächlich Menschen waren, weil ich nämlich keinen sah, der nicht auf allen vieren ging. Als die Leute mich kleinen Kerl vorbeikommen sahen – die meisten von ihnen sind nämlich zwölf Ellen lang – und bemerkten, daß mein Körper nur von zwei Beinen getragen wurde, konnten sie nicht glauben, daß ich ein Mensch sei, denn sie waren der Ansicht, weil die Natur den Menschen wie den Tieren zwei Beine und zwei Arme gegeben habe, solle man sie auch gebrauchen wie jene. Ich habe späterhin darüber nachgedacht und fand in der Tat, daß diese Körperstellung nicht so verrückt ist, als ich mich nämlich daran erinnerte, daß unsere Kinder, solange sie noch von der Natur angeleitet werden, auf allen vieren gehen und sich erst auf zwei Beine erheben durch die Bemühung ihrer Wärterinnen,
die sie in kleine Laufwagen stecken und ihnen Riemen anbinden, um sie daran zu hindern, auf die viere zu fallen, in die einzige Lage, zu der die Gestalt unserer Masse hinneigt, um auszuruhen. Sie sagten also, wie ich mir seither habe übersetzen lassen, ich sei sicherlich das Weibchen von dem kleinen Tier der Königin. So wurde ich, als das oder etwas anderes, geradewegs zum Rathaus geführt, und ich merkte an dem Gebrumm und der Haltung des Volkes sowohl wie der Ratsherren, daß sie berieten, was ich sein könne. Als sie lange verhandelt hatten, bat ein Bürger, der seltene Tiere hielt, die Schöffen, mich seiner Obhut anzuvertrauen, solange bis die Königin mich holen lasse, damit ich bei meinem Männchen lebe. Man machte keinerlei Schwierigkeiten. Der Gaukler trug mich in seine Behausung, er richtete mich dazu ab, den Spaßmacher zu spielen, Purzelbäume zu schlagen, Grimassen zu schneiden, und des Nachmittags ließ er Eintrittsgeld erheben, wenn man mich sehen wollte. Endlich fügte es der Himmel, den meine Leiden rührten und der zürnte, den Tempel seines Herrn so geschändet zu sehen, daß eines Tages, als ich gerade an einem langen Seil festgebunden war, an dem der Schausteller mich zum Ergötzen der Gaffer Sprünge machen ließ, einer der Zuschauer mich, nachdem er sehr eingehend mich betrachtet hatte, auf griechisch fragte, wer ich sei. Ich war höchst erstaunt, hier so sprechen zu hören wie bei uns. Er fragte mich einige Zeit aus; ich antwortete und erzählte ihm in großen Zügen mein ganzes Unternehmen und den Ausgang meiner Reise. Er tröstete mich, und ich erinnere mich, daß er sagte: »Nun,
mein Sohn, du büßest endlich für die Unzulänglichkeiten deiner Erde. Es gibt gemeines Volk hier wie dort, das die Vorstellung von Dingen, an die es nicht gewöhnt ist, nicht leiden will. Dementsprechend wirst du behandelt; und wenn einer von hierzulande zu euch käme und die Kühnheit besäße, sich für einen Menschen auszugeben, so würden eure Doktoren ihn einsperren wie ein Monstrum oder wie einen Affen, der vom Teufel besessen ist.« Er versprach mir darauf, daß er bei Hofe von meinem Mißgeschick reden wolle. Und er fügte hinzu, daß sobald er mich gesehen habe, sein Herz ihm gesagt habe, ich sei ein Mensch, weil er nämlich einst in der Welt, aus der ich komme, gereist sei; meine Heimat sei der Mond, ich sei Gallier. Er aber habe in Griechenland gewohnt, und man habe ihn den Dämon des Sokrates genannt; nach dem Tode dieses Philosophen habe er in eben Epaminondas geleitet und gelehrt, dann sei er nach Rom gegangen, und die Gerechtigkeit habe ihn der Partei des jungen Cato zugeführt. Nach dessen Hingang sei er mit Brutus gewesen; da aber alle die großen Männer in jener Welt an ihrer Stelle nichts als das Bild ihrer Tugend zurückgelassen hätten, so habe er sich mit. seinen Gefährten teils in die Tempel, teils in die Einöden zurückgezogen. »Schließlich jedoch«, so schloß er, »wurde das Volk auf deiner Erde so stumpfsinnig und so grob, daß meine Gefährten und ich jegliche Freude, die wir vordem an ihrem Unterrichte gehabt hatten, verloren. Du hast selbstverständlich von uns reden hören, man nannte uns Orakel, Nymphen, Genien, Feen, Herdgötter, Lemuren, Laren, Vampire, Kobolde, Najaden, Inkubus, Schatten, Manen, Gespenster, Geister; und wir verließen eure Welt
unter der Regierung des Augustus, kurz nachdem ich dem Drusus, dem Sohne der Livia, der in Deutschland Krieg führte, erschienen war und ihm verbot, weiter vorzudringen. Es ist gar nicht lange her, daß ich zum zweiten Male hinkam. Vor etwa hundert Jahren bekam ich den Aurag, eine Reise dahin zu machen. Ich bin viel in Europa herumgestrei und habe mich mit Menschen, die du möglicherweise gekannt hast, unterhalten. So erschien ich unter anderen auch eines Tages Cardanus, als er arbeitete; ich lehrte ihn viele Dinge, und als Dank dafür versprach er mir, daß er der Nachwelt offenbaren werde, woher er die wunderbaren Dinge wisse, von denen er zu schreiben gedenke. Ich besuchte Agrippa, den Abt Tritheim, den Doktor Faust, La Brosse, Cäsar * und eine gewisse Geheimverbindung von jungen Leuten, welche die Allgemeinheit unter dem Namen der Ritter vom Rosenkreuz gekannt hat und die ich eine Menge Kunstgriffe und natürliche Geheimnisse lehrte, die sie jedenfalls beim Volke in den Geruch brachten, große Magier zu sein. Ich kannte auch Campanella *. Ich war’s, der ihm riet, als er in Rom in den Händen der Inquisition war, seine Gesichtszüge und seinen Körper auf die Grimassen und Stellungen derer abzurichten, deren Inneres zu kennen ihm nötig war, damit er in sich durch die gleiche äußere Zurichtung die Gedanken errege, die diese selbe Stellung in seinen Gegnern erzeugt habe, denn so könne er besser ihre Seele lenken, wenn er sie kenne. Er fing auf meine Bitte ein Buch an, das wir ›De sensu rerum‹ betitelten. Ebenso besuchte ich nachher in Frankreich La Mothe le Vayer * und Gassendi. Dieser letztere ist. ein Mensch, der ebensoviel in Philosophie schreibt, wie der erstere darin lebt; ich habe auch
eine Menge anderer Leute gekannt, die euer Jahrhundert geradezu wie Götter behandelt, aber ich habe in ihnen nichts gefunden als viel Geschwätz und viel Hochmut. Als ich dann von deinem Vaterland nach England hinüberging, um die Sitten seiner Bewohner zu studieren, begegnete ich einem Mann, der die Schande seines Vaterlandes ist. Denn es ist wahrhaig eine Schande für die Großen eures Staates, daß sie in ihm die Tugend, deren Sitz er ist, erkennen, ohne sie zu verehren. Um es kurz zu machen mit der Lobrede auf ihn, er ist ganz Geist, ganz Mut, und wenn jemandem diese beiden Eigenschaen, von denen einst eine einzige genügte, einen Helden zu bezeichnen, beilegen nicht sagen hieße: Tristan l’ Hermite *, so würde ich mich wohl gehütet haben, seinen Namen zu nennen, denn ich bin sicher, daß er mir nicht verzeihen würde, ihn so mißverstanden zu haben: aber da ich nicht erwarte, jemals in eure Welt zurückzukehren, will ich der Wahrheit dies Zeugnis meines Gewissens nicht vorenthalten. Wahrhaig, ich muß dir gestehen, als ich eine so hohe Tugend sah, fürchtete ich, sie könnte nicht erkannt werden. Deshalb suchte ich ihn zur Annahme von drei Fläschchen zu bewegen: das erste enthielt Talköl, das zweite Umwandlungspulver, das dritte trinkbares Gold, das heißt von jenem Pflanzensalz, von dem sich eure Chemiker ewiges Leben versprechen. Erwies sie jedoch zurück mit einer edleren Verachtung, als Diogenes die Huldigung Alexanders entgegennahm, da er ihn in seinem Faß besuchte. Kurz, ich kann zum Lobe dieses großen Mannes nichts weiter hinzufügen, als daß er der einzige Dichter, der einzige Philosoph, der einzige freie Mensch ist, den ihr besitzt. Das sind die bedeuten
den Menschen, mit denen ich gesprochen habe. Alle anderen, wenigstens die ich kannte, stehen so weit unter dem, was ein Mensch ist, daß ich Tiere gesehen habe, die etwas höher standen. Im übrigen stamme ich weder von eurer Erde noch von dieser hier her. Ich bin in der Sonne geboren. Aber unsere Welt ist manchmal übervölkert, weil ihre Bewohner sehr lange leben und weil es Kriege und Krankheiten kaum gibt, so senden unsere Beamten von Zeit zu Zeit Abteilungen in die Welten der Umgebung. Mir wurde befohlen, auf eure Erde zu gehen, und man ernannte mich zum Führer der Kolonie, die man mit mir dorthin sandte. Ich bin seitdem hierher übersiedelt aus den Gründen, die ich dir angegeben habe, und was mich veranlaßt, tatsächlich hier zu bleiben und nicht wieder fortzugehen, ist, daß die Menschen hier die Wahrheit lieben, daß man keine Pedanten findet, daß die Philosophen sich nur durch die Vernun überzeugen lassen und daß weder die Autorität eines Gelehrten noch die Majorität über die Ansicht eines Dreschers obsiegen, wenn der Drescher ebenso vernünige Gründe vorbringt. Kurz, man erachtet in diesem Lande nur die Sophisten und die Schönredner für sinnlos.« Ich fragte, wie lange sie lebten; da sagte er: »Drei- bis viertausend Jahre«, und fuhr folgendermaßen fort: »Um mich sichtbar zu machen, wie ich es eben jetzt bin, hauche ich mich, sobald ich fühle, daß der Leichnam, dessen Gestalt ich angenommen habe, nahezu verbraucht ist oder daß die Organe ihre Tätigkeit nicht mehr ausreichend ausüben, in einen jungen, erst kurz verstorbenen Körper. Obwohl die Bewohner der Sonne nicht so zahlreich
sind wie die dieser Welt, entledigt sich die Sonne doch öers ihrer, weil jenes Volk von sehr heißem Temperament, daher unruhig und ehrgeizig ist und viel Bewegungen verursacht. Was ich da sage, muß dich nicht erstaunen. Wenn unsere Weltkugel auch ungeheuer groß und eure nur klein ist, wenn wir auch erst nach viertausend Jahren sterben und ihr nach einem halben Jahrhundert, so wisse, daß wie es nicht so viel Kieselsteine gibt wie Erde, nicht so viel Pflanzen wie Kieselsteine, nicht so viel Insekten wie Pflanzen, nicht so viel Tiere wie Insekten, nicht so viel Menschen wie Tiere, es auch nicht so viel Dämonen geben darf wie Menschen, wegen der Schwierigkeiten bei Erzeugung einer so vollkommenen Zusammensetzung.« Ich fragte ihn, ob sie Körper seien wie wir; er sagte ja, sie seien Körper, aber nicht so wie wir, noch wie irgend etwas, das wir dafür hielten, weil wir Körper gewöhnlich nur das nennten, was man berühren könne. Im übrigen gäbe es in der Natur nichts, das nicht stofflich sei, und, obwohl sie dies selber seien, müßten sie doch, wenn sie uns sichtbar werden wollten, Körper annehmen, die dem entsprächen, was unsere Sinne wahrzunehmen imstande seien. Ich versicherte ihm, die Ansicht vieler Leute, die Geschichten, die man über sie erzähle, seien nur ein Ausfluß der Phantasien schwacher Menschen, rühre daher, daß sie mir in der Nacht erschienen. Er erwiderte mir, da sie gezwungen seien, die Körper, deren sie sich bedienen müßten, sich selbst in der Eile zu bauen, so hätten sie o nicht Zeit, sie für mehr als einen Sinn wahrnehmbar zu machen, entweder für das Gehör wie die Stimmen der
Orakel, oder für das Gesicht wie die Irrlichter und die Gespenster, oder für das Gefühl wie Inkubus und Alp, und da diese Masse nur etwas Verdichtetes von der oder jener Art sei, so zerstöre das Licht sie durch seine Wärme, wie man es Nebel dadurch auflösen sähe, daß es ihn ausdehne. All die schönen Sachen, die er mir auseinandersetzte, machten mich begierig, ihn über seine Geburt und seinen Tod zu fragen. Ob im Land der Sonne das Individuum auf dem Wege der Zeugung zur Welt komme und ob es sterbe infolge der Verwirrung seiner Leibesbeschaffenheit oder einer Auflösung der Organe. »Es ist zu wenig Zusammenhang«, sagte er, »zwischen euren Sinnen und der Erklärung dieser Geheimnisse; ihr bildet euch ein, daß das, was ihr nicht erfassen könnt, geistig sei oder überhaupt nicht sei; die Folgerung ist sehr falsch. Sie ist aber ein Beweis dafür, daß es im Weltall vielleicht eine Million von Dingen gibt, die, um von euch wahrgenommen zu werden, eine Million ganz verschiedenartiger Organe in euch erforderten. Ich, zum Beispiel, erkenne vermöge meiner Sinne die Ursache der Sympathie des Magneten für den Pol, der Ebbe des Meeres, was aus dem Tier wird nach seinem Tode; ihr dagegen könnt zu solchen hohen Erkenntnissen nicht kommen, weil euch die inneren Maße, die diesen Wundern entsprechen, fehlen, ebensowenig wie ein Blindgeborener sich die Schönheit einer Landscha, die Farbenkra eines Bildes, die Tönungen des Regenbogens vorstellen kann; oder er denkt sie sich bald wie etwas Greiares, bald wie eine Speise, bald wie einen Ton, bald wie einen Geruch. Wenn ich dir also erklären wollte, was ich beobachte mit den Sinnen, die dir fehlen, so würdest du es dir genauso
vorstellen als etwas, das man hören, sehen, tasten, riechen oder schmecken kann, und es ist doch nichts von alledem.« Soweit war er in seiner Rede gelangt, als mein Tierbändiger merkte, daß das Publikum anfing sich zu langweilen über unser Kauderwelsch, das es nicht verstand und für ein unartikuliertes Grunzen hielt. Er begann wieder eifrig an meinem Strick zu ziehen, um mich springen zu lassen, bis die Zuschauer mehr als genug gelacht und versichert hatten, ich besäße fast ebensoviel Verstand wie die Tiere bei ihnen, und heimgingen. Die Besuche, die der gefällige Dämon mir machte, milderten nun die Härte der schlechten Behandlung, die ich bei meinem Herrn ertragen mußte; mit anderen Leuten konnte ich mich ja nicht unterhalten, denn abgesehen davon, daß sie mich für ein fest in der Kategorie der unvernünigen Tiere wurzelndes Wesen hielten, kannte ich weder ihre Sprache, noch verstanden sie die meine; was war das also für ein Verhältnis! Es sind nämlich in diesem Lande nur zwei Sprachen in Gebrauch, der einen bedienen sich die Vornehmen, die andere ist dem Volke eigen. Die der Vornehmen besteht einfach aus verschiedenen unartikulierten Tönen, etwa wie unsere Musik, wenn keine Worte dabei sind. Und es ist sicherlich im ganzen eine sowohl sehr nützliche, wie sehr angenehme Erfindung; denn wenn sie vom Sprechen müde sind oder es verschmähen, ihre Kehle dafür herabzuwürdigen, so nehmen sie eine Laute oder irgendein anderes Instrument, mit dem sie sich ihre Gedanken ebenso leicht mitteilen können wie mit der Stimme, so daß sie manchmal bis zu fünfzehn oder zwanzig zusammenkom
men und über eine theologische Frage oder über die Schwierigkeiten eines Prozesses verhandeln durch ein Konzert, wie man sich’s klangschöner als Ohrenschmaus nicht wünschen könnte. Die zweite, die beim Volk in Gebrauch ist, besteht in Gliederbewegungen, aber nicht wie man sich das vielleicht vorstellen könnte, denn bestimmte Teile des Körpers bedeuten eine ganze Rede; zum Beispiel das Bewegen eines Fingers, einer Hand, eines Ohres, einer Lippe, eines Arms, eines Auges, einer Wange drücken schon, jede für sich, eine Ansprache oder eine Periode mit all ihren Gliedern aus; andere wieder bezeichnen nur einzelne Wörter, wie eine Falte auf der Stirne, die verschiedenen Muskelzuckungen, Umwenden der Hände, Aufstampfen, Armverdrehungen; sie haben nun die Sitte angenommen, ganz nackt zu gehen, und ihre Glieder, die gewohnt sind, ihre Geistesschöpfungen herunterzuzappeln, bewegen sich, wenn sie reden, so rasch, daß man nicht den Eindruck hat, ein Mensch spricht, sondern ein Körper zittert. Fast täglich besuchte mich der Dämon, und seine merkwürdigen Gespräche halfen mir über allen Ärger wegen meiner harten Gefangenscha hinweg. Endlich kam eines Morgens ein Mann, den ich nicht kannte, in meine Zelle, er leckte mich sehr lange, packte mich dann sehr vorsichtig mit dem Maule an der Schulter und warf mich mit einer seiner Pfoten, mit denen er mich stützte aus Angst, ich könnte mich verletzen, auf seinen Rücken, wo ich so weich und bequem saß, daß mich trotz des Schmerzes, wie ein Tier behandelt zu werden, keinerlei Lust anwandelte durchzubrennen; überdies laufen diese Menschen auf ihren vieren mit einer ganz anderen Ge
schwindigkeit als wir, da sie sogar die schnellsten Hirsche im Lauf einholen. Ich war jedoch außerordentlich traurig, daß ich nichts von meinem liebenswürdigen Dämon wußte, und am Abend des ersten Reisetages erging ich mich, kaum in der Nachtherberge angekommen, in der Küche des Wirtshauses, um auf das Essen zu warten, da kam plötzlich mein Träger, der ein sehr junges und ganz hübsches Gesicht hatte, auf mich zu, lachte mich an und schlang seine beiden Vorderbeine um meinen Hals. Nachdem ich ihn eine Zeitlang angestarrt hatte, sagte er auf französisch zu mir: »Was, du kennst deinen Freund nicht mehr?« Es läßt sich denken, wie baff ich war. Meine Verblüffung war in der Tat so groß, daß ich im Augenblick glaubte, die ganze Mondkugel, alles, was mir da passiert war und was ich dort sah, sei nur Zauber; der Tiermensch, der mir als Reittier gedient hatte, sprach weiter: »Du hast versprochen, die guten Dienste, die ich dir erwiesen hätte, kämen dir nie mehr aus dem Gedächtnis.« Ich hielt dagegen, daß ich ihn noch nie gesehen hätte. Schließlich sagte er: »Ich bin jener Dämon des Sokrates, der dich in deiner Gefangenscha unterhalten hat. Ich ging gestern, wie ich dir versprochen hatte, dem König von deinem Mißgeschick zu erzählen, und habe dreihundert Meilen in achtzehn Stunden zurückgelegt; denn ich bin mittags hier angekommen, dich zu erwarten!« »Aber«, unterbrach ich ihn, »wie ist das alles möglich, gestern waren Sie doch sehr groß, und heute sind Sie sehr klein; gestern hatten Sie eine schwache, gebrochene Stimme, und heute haben Sie eine klare, kräige; kurz, gestern waren Sie ein schneeweißer Greis, und heute sind Sie erst ein Jüngling? Was! Wie man bei uns zulande
von der Geburt zum Tode wandert, so wandern wohl die Wesen hier vom Tode zur Geburt, und man wird immer jünger, je älter man wird?« »Sobald ich mit dem Fürsten über dich gesprochen«, sagte er, »und den Befehl erhalten hatte, dich zu bringen, fühlte ich den Körper, in dessen Form ich mich gehüllt hatte, so erschöp von Müdigkeit, daß alle Organe ihren Dienst versagten. Ich erkundigte mich nach dem Weg zum Hospital, kam hin, und wie ich in das erste Zimmer eintrat, fand ich dort einen jungen Menschen, der eben seinen Geist aufgegeben hatte; ich trat an den Leichnam heran, und indem ich vorgab, eine Bewegung an ihm wahrgenommen zu haben, behauptete ich allen Dabeistehenden gegenüber, er sei nicht tot, seine Krankheit sei nicht einmal gefährlich, und ohne daß es einer beachtete, schlüpe ich gewandt in einem Hauch hinein. Mein alter Leichnam fiel auf den Rücken, ich erhob mich in dem jungen, man schrie über das Wunder, und ich lief, ohne irgend jemand darob zu beruhigen, sofort zu deinem Tierbändiger zurück, wo ich dich holte.« Er hätte mir noch mehr darüber erzählt, wenn man uns nicht zu Tisch gebeten hätte. Mein Führer brachte mich in einen sehr schön eingerichteten Saal, wo ich jedoch keinerlei Vorbereitung zum Speisen entdecken konnte. Eine so völlige Abwesenheit jeglichen Fleisches, während ich vor Hunger verging, veranlaßte mich zu fragen, wo gedeckt sei. Auf seine Antwort hörte ich aber gar nicht mehr, weil drei oder vier Knaben, Söhne des Wirtes, im selben Augenblick an mich herantraten und mich mit viel Höflichkeit bis aufs Hemd auszogen. Diese neue Art von Feierlichkeit setzte mich so in Erstaunen,
daß ich meine schönen Kammerdiener nicht einmal nach dem Grund dafür zu fragen wagte, und ich weiß nicht, wie ich meinem Führer, der fragte, womit ich beginnen wolle, die beiden Worte: »Eine Suppe« zu antworten vermochte. Sofort empfand ich den Geruch der kräigsten Brühe, die mir jemals vor die Nase gekommen ist: ich wollte von meinem Platze aufstehen, um mit. dem Nasenloch den Ursprung des lieblichen Dampfes zu suchen, mein Träger hielt mich aber ab: »Wo willst du hin?« sagte er, »wir gehen gleich nachher spazieren, jetzt ist Essenszeit. Iß deine Suppe fertig, dann lassen wir was anderes kommen.« »Wo zum Teufel ist die Suppe?« rief ich sehr zornig. »Haben Sie vielleicht gewettet, daß Sie alle heute Ihren Scherz mit mir treiben wollen?« »Ich dachte«, erwiderte er, »du hättest in der Stadt, aus der wir kommen, deinen Herrn oder sonst jemand seine Mahlzeit einnehmen sehen. Deswegen hatte ich dir nichts erzählt davon, wie man sich hierzulande ernährt; da du es aber nicht weißt, so erfahre, daß man hier nur vom Speisendampf lebt. Die Kunst des Koches besteht darin, in große, eigens dafür geformte Gefäße den Dunst, den das Fleisch ausströmt, einzufangen, und wenn man diesen nun aufgespeichert hat von verschiedenen Sorten, von verschiedenem Geschmack, je nach dem Appetit derer, die man speist, dann öffnet man das Gefäß, in welchem dieser Geruch eingesammelt ist, nach diesem entkorkt man ein anderes, darnach ein drittes, bis die Gesellscha ganz gesättigt ist. Wenn du nicht selber schon auf diese Weise gelebt hast, wirst du niemals glauben, daß die Nase, ohne Zähne und ohne Kehle, bei der Ernährung des Menschen den
Dienst des Mundes versehen könnte. Aber du wirst es durch die Erfahrung selber sehen.« Er hatte kaum ausgeredet, als ich empfand, wie nacheinander so viele angenehme und so nahrhae Dämpfe in den Saal einströmten, daß ich mich in weniger als einer halben Viertelstunde vollständig befriedigt fühlte. Als wir aufgestanden waren, sagte er: »Du muß dich darüber nun gar nicht so sehr wundern, denn du hast doch jedenfalls nicht so lange leben können, ohne zu beobachten, wie bei euch die Köche, Pastetenbäcker und Garköche, die weniger essen als die Leute einer anderen Berufsklasse, trotzdem viel dicker sind; wo sollte ihr Embonpoint * herkommen, wenn nicht von den Fleischdämpfen, in die sie fortwährend eingehüllt sind und die in ihren Körper eindringen und ihn ernähren? Die Menschen hier besitzen ja auch eine viel weniger gestörte und kravollere Gesundheit, weil die Nahrung fast keine Abgänge erzeugt, die ja die Ursache sozusagen aller Krankheiten sind. Du hast dich vielleicht gewundert, daß man dich vor dem Essen ausgezogen hat, denn das ist bei euch zulande nicht gebräuchlich. Aber hier ist es Sitte, und zwar deshalb, damit der Körper für die Dämpfe besser zugänglich ist.« »Was Sie da sagen«, antwortete ich, »hat viel für sich, und ich habe es ja einigermaßen eben an mir selbst ausprobiert. Aber ich muß leider gestehen, ich kann mich nicht so schnell der Roheit entwöhnen, und daher wäre ich sehr froh, wenn ich etwas Greiares zwischen die Zähne kriegen könnte.« Er versprach mir das, aber erst für den folgenden Tag, denn, meinte er, Essen so schnell nach einer Mahlzeit würde mir eine Verdauungsstörung verursachen. Wir unterhielten uns noch einige Zeit lang
und gingen dann in unsere Zimmer hinauf, uns schlafen zu legen. Oben an der Treppe trat ein Mann auf uns zu. Er sah uns aufmerksam ins Gesicht, und dann führte er mich in ein Gemach, dessen Boden drei Fuß hoch mit Orangenblüten bedeckt war, und meinen Dämon in ein anderes mit Nelken und Jasmin; da er mein Erstaunen ob dieser Pracht sah, sagte er, das seien die Betten in diesem Lande. Wir legten uns also jeder in seine Kammer schlafen, und sobald ich mich auf meinen Blüten ausgestreckt hatte, sah ich, beim Scheine von etwa dreißig großen Glühwürmchen, die in einer Kristallkugel eingeschlossen waren – andere Kerzen hat man hier nicht –, die drei oder vier Knaben, die mich beim Abendessen ausgekleidet hatten; der eine fing an, mich an den Füßen zu kitzeln, der andere an den Schenkeln, einer an den Seiten, einer an den Armen, und alle taten dies so liebkosend und zart, daß ich in weniger als einem Augenblick einschlummerte. Am nächsten Morgen bei Sonnenaufgang trat mein Dämon ein. »Ich will Wort halten«, sagte er, »du sollst solider frühstücken, als du gestern zu Abend gegessen hast.« Bei diesen Worten erhob ich mich, und er führte mich an der Hand hinter den Garten des Hauses, wo eines der Kinder des Wirtes uns erwartete mit. einer Waffe in der Hand, etwa wie unsere Flinten. Es fragte meinen Führer, ob ich ein Dutzend Lerchen wolle, denn die Affen – dafür hielt es mich – nährten sich doch von diesem Fleische. Kaum hatte ich ja gesagt, so drückte der Jäger los, und zwanzig oder dreißig Lerchen fielen uns, fertig gebraten, vor die Füße. Sofort fiel mir ein, was man sich bei uns erzählt von einem Lande, wo die Lerchen
schon gebraten herunterfallen. Zweifellos war einer von hier zurückgekommen. »Du brauchst nur zu essen«, sagte mein Dämon. »Sie besitzen die Kunst, unter die Mischung, die das Wild tötet, rup, brät, gleich die Sachen zu tun, mit denen man es würzen muß.« Ich hob einige auf und aß davon auf seine Aufforderung hin, und wahrhaig, ich habe nie zuvor in meinem Leben etwas so Köstliches gekostet. Nach diesem Frühstück machten wir uns zur Weiterreise fertig, und der Wirt nahm unter tausend Grimassen, mit denen sie nämlich Wohlwollen bezeugen, ein Blatt Papier von meinem Dämon entgegen. Ich fragte, ob dies ein Schuldschein über die Kosten der Zeche sei. Er antwortete nein, er schulde ihm nichts mehr, das seien Verse. »Wie, Verse«, erwiderte ich, »die Wirte sind also auf Verse aus?« »Das ist hier das Geld«, sagte er, »und unsere Ausgabe, die wir hier hatten, belief sich auf einen Sechser, den ich ihm eben gegeben habe. Ich würde nicht fürchten, in Verlegenheit zu kommen; denn wenn wir acht Tage lang hier schlemmen, können wir noch nicht einmal ein Sonett ausgeben, und ich habe deren vier bei mir und außerdem neun Epigramme, zwei Oden und eine Ekloge.« ›Aha‹, dachte ich, ›da haben wir das Geld, mit dem Sorel dein Hortensius im Francion * aufwarten läßt, wie ich mich erinnere. Hier hat er es zweifellos gestohlen. Aber von wem zum Teufel kann er es gehört haben? Es muß von seiner Mutter sein, denn ich habe sagen hören, sie sei mondsüchtig gewesen‹. Ich fragte meinen Dämon, ob diese zu Geld geprägten Verse immer dienten, sofern man sie abschreibe; er verneinte und fuhr folgendermaßen fort: »Wenn man welche gedichtet hat, so bringt sie
der Autor vor die Münzprüfungskommission, wo die vereidigten Dichter des Königreichs sich aualten. Dort prüfen die offiziellen Reimschmiede die Stücke, und wenn sie als gediegen befunden sind, schätzt man sie ab, nicht nach ihrem Gewicht, sondern nach ihrem Witz; wenn also einer Hungers stirbt, so ist das immer nur ein Schafskopf, und die Leute mit Geist können alle gut leben.« Ich war ganz entzückt und begeistert von der klugen Verfassung dieses Landes, und er sprach weiter: »Es gibt auch noch Leute, die auf eine ganz andere Art Wirtschaen führen. Wenn man von ihnen fortgeht, verlangen sie entsprechend den Kosten eine Quittung für die andere Welt, und sobald man sie ihnen gegeben hat, schreiben sie in ein großes Buch, das sie das Konto Gottes nennen, etwa so: Item, den Wert von soundso viel Versen an dem und dem Tag dem und dem ausbezahlt, den Gott mir sofort nach Erhalt der Quittung zurückerstatten soll aus dem nächsten Kapital, das sich findet. Wenn sie lebensgefährlich krank werden, dann lassen sie diese Bücher in Stücke hacken und verschlingen sie, denn sie glauben, daß Gott sie nicht lesen könne, wenn sie nicht so verdaut sind.« Diese Unterhaltung hinderte uns keineswegs weiterzuwandern, das heißt mein Träger auf vier Pfoten unter mir und ich rittlings auf ihm. Ich will nicht weiter im einzelnen die Begebenheiten berichten, die uns auf dem Wege auielten. Kurz und gut, wir langten in der Residenz des Königs an. Ich wurde geradewegs zum Palast geführt; die Großen empfingen mich mit etwas gemäßigterem Freudengeschrei als das Volk auf meinem Weg durch die Straßen. Aber ihr Schluß, ich sei zweifellos das Weibchen des
kleinen Tieres der Königin, war gleichwohl derselbe. Mein Führer erläuterte es mir so; er verstand jedoch dies Rätsel selber nicht und wußte nicht, was dies kleine Tier der Königin war. Aber wir wurden darüber bald aufgeklärt, denn der König befahl kurz darauf, man solle es bringen. Nach einer halben Stunde sah ich mitten in einer Herde Affen, die Halskrausen und kurze Hosen trugen, einen kleinen Mann eintreten, der fast genauso wie ich gebaut war, denn er ging auf zwei Beinen. Sowie er mich erblickte, sprach er mich mit einem ›Criado de vuestra merced‹ * an. Ich erwiderte seine Begrüßung in ungefähr gleichen Wendungen; – aber ach! – kaum hatten sie uns zusammen sprechen sehen, so hielten sie alle ihre Vermutungen für erwiesen; und diese Mutmaßung zeitigte auch gleich eine weitere Folge, denn derjenige von allen Anwesenden, der mit besonderer Gunst für uns sprach, beteuerte, unsere Unterhaltung sei ein Grunzen, das die Freude, wieder beisammen zu sein, aus einem natürlichen Instinkt heraus uns ausstoßen lasse. Der kleine Mann erzählte mir, er sei Europäer; er habe einen Weg gefunden, sich von Vögeln bis zur Mondkugel tragen zu lassen. Er sei der Königin in die Hände gefallen, die ihn für einen Affen gehalten habe, weil man zufällig in diesem Lande die Affen spanische Tracht tragen lasse, und da sie ihn, als er anlangte, so gekleidet fand, so habe sie nicht gezweifelt, daß er zu dieser Gattung gehöre. »Wahrscheinlich haben sie«, erwiderte ich, »nachdem sie alle Arten von Gewandung an ihnen ausprobierten, keine lächerlicheren als diese gefunden und sie deshalb so herausstaffiert, denn sie halten ja diese Tiere nur, um Spaß zu haben.«
»Das hieße«, sagte er, »die Würde unserer Nation nicht kennen, zu deren Gunsten allein das Weltall Menschen erzeugt, uns Sklaven zu schenken, und für welche die Natur nichts Lächerliches hervorbringen kann.« Er bat mich darauf sehr, ihm zu erzählen, wie ich habe das Wagnis unternehmen können, zum Mond aufzusteigen mit der Maschine, von der ich ihm gesprochen hatte. Ich antwortete, deshalb, weil er die Vögel mitgenommen habe, auf denen ich hatte herkommen wollen. Er lächelte über diesen Scherz; ungefähr nach einer Viertelstunde befahl der König den Wärtern der Affen, uns wegzuführen, mit der ausdrücklichen Verordnung, den Spanier und mich beisammen schlafen zu lassen, damit in seinem Königreiche unsere Gattung sich vermehre. Man führte Punkt für Punkt den Willen des Fürsten aus; ich war darüber sehr froh, denn ich freute mich, jemand zu haben, mit dem ich mich unterhalten konnte in der Einsamkeit meiner Tierexistenz. Eines Tages erzählte mir mein Männchen – denn man hielt mich für das Weibchen –, was ihn tatsächlich dazu getrieben habe, die ganze Erde zu durchwandern und sie schließlich zu verlassen und auf den Mond zu gehen, sei gewesen, daß er kein einziges Land habe finden können, wo Gedankenfreiheit herrsche. »Sehen Sie«, sagte er, »wenn Sie nur eine Mütze, eine Kappe oder einen Rock tragen, Sie mögen vorbringen, was Sie wollen, wenn es gegen die Prinzipien der abgestempelten Doktoren verstößt, so sind Sie ein Idiot, ein Narr oder ein Atheist. Man hat mich in meinem Vaterland vor die Inquisition bringen wollen, weil ich den eigensinnigen Pedanten zum Trotz darauf bestand, es
gäbe Leeres in der Natur, und ich kennte keine Materie in der Welt, davon eine schwerer sei als die andere.« Ich fragte ihn, durch welche Wahrscheinlichkeiten er eine so wenig anerkannte Ansicht stütze, was er mir in einer längeren Auseinandersetzung erklärte. Mit solchen Dingen etwa vertrieben wir uns die Zeit; der kleine Spanier war wirklich klug. Wir konnten unsere Gespräche jedoch nur in der Nacht führen, weil uns von sechs Uhr morgens bis abends die Menge Leute, die uns in unserem Aufenthaltsraume besichtigen kamen, abgelenkt hätte. Einige warfen uns Steine herein, andere Nüsse, andere Gras; es wurde nur von den Tieren des Königs gesprochen. Man servierte uns alle Tage zu bestimmten Stunden das Essen, und der König und die Königin machten sich ziemlich o die Mühe, höchst eigenhändig meinen Leib zu betasten, um zu sehen, ob ich nicht trächtig würde, denn sie brannten in einer außerordentlichen Begier, Nachkommenscha von diesen kleinen Tieren zu bekommen. Ich weiß nicht, war’s, daß ich besser als mein Männchen auf ihren Hokuspokus und ihre Töne aufmerkte, jedenfalls lernte ich ihre Sprache verstehen und ein bißchen radebrechen. Alsbald durcheilte das ganze Reich die Nachricht, man habe zwei wilde Menschen gefunden, die kleiner seien als die andern, weil die Einöde uns nur schlechte Nahrung geboten habe, und deren Vorderbeine nicht stark genug seien, daß sie sich darauf stützen könnten. Dieser Glaube schlug Wurzel, da er immer weiter ging, wiewohl die Priester im Lande sich dagegen auflehnten, indem sie erklärten, es sei eine schreckliche Gottlosigkeit zu glauben, daß nicht nur Tiere, nein, Ungeheuer zu ihrer Gattung gehörten.
»Es hätte noch viel eher Wahrscheinlichkeit«, fügten die weniger Leidenschalichen hinzu, »daß unsere Haustiere am Vorrecht der Menschlichkeit und der Unsterblichkeit Anteil hätten deswegen, weil sie in unserem Lande geboren sind, als eine mißgestaltete Bestie, die behauptet, von wer weiß wo auf dem Monde herzustammen. Und dann möge man doch den Unterschied beachten, der sich zwischen uns und ihnen zeigt: wir gehen auf allen vieren, weil Gott bei einem so kostbaren Ding nicht auf eine weniger sichere Stellung sich verlassen wollte; er fürchtete, es könnte dem Menschen Unglück zustoßen, daher nahm er sich selbst die Mühe, ihn auf vier Pfeiler zu setzen, damit er nicht fallen könne. Aber da er es unter seiner Würde hielt, sich in die Anfertigung dieser zwei Wilden einzumischen, überließ er sie der Laune ihrer Natur, die, um den Verlust eines so geringwertigen Dinges nicht besorgt, sie nur auf zwei Pfoten stützte.« »Nicht einmal die Vögel«, sagten sie, »sind so schlecht behandelt worden wie sie, denn die haben wenigstens Federn bekommen, damit sie ihren schwachen Beinen zu Hilfe kommen und sich in die Lu werfen können, wenn wir sie bei uns ausweisen; während die Natur diesen Mißgeburten die zwei Beine genommen und sie so in einen Zustand versetzt hat, daß sie unserm Gericht nicht entrinnen können. Zudem seht euch mal ein wenig an, wie ihr Kopf gen Himmel gewendet ist: so hat Gott, der sie in diese Lage gebracht hat, sie von allen Dingen abgeschnitten, denn die flehende Haltung bezeugt, daß sie im Himmel den, der sie geschaffen hat, suchen, um sich zu beklagen, und daß sie ihn um die Erlaubnis bitten, sich unsere Reste
anzueignen. Wir dagegen, wir hängen den Kopf nach unten, damit wir die Güter betrachten können, deren Herren wir sind, und weil es im Himmel nichts gibt, darnach wir in unserem glücklichen Zustande begehren könnten.« Ich hörte in meinem Verschlag alle Tage die Priester diese und ähnliche Reden führen; und schließlich banden sie das Gewissen des Volkes so schön auf diesen Glaubensartikel, daß festgesetzt wurde, ich könne höchstens als Papagei ohne Federn gelten; sie bekräigten die Überzeugten noch dadurch, daß ich gerade wie ein Vogel nur zwei Beine hätte; man steckte mich also auf ausdrücklichen Befehl der obersten Behörde in einen Käfig. Hier mühte sich nun alle Tage der Vogelwärter der Königin damit, mir die Sprache vorzupfeifen, wie man das hier mit den Staren tut. Ich war wahrhaig glücklich, da es mir wenigstens an Futter in meinem Vogelhaus nicht mangelte. Indessen lernte ich über dem dummen Geschwätz, mit dem die Beschauer mir die Ohren vollschrien, sprechen wie sie. Als ich erst einmal genügend geübt war in der Sprache, um meine meisten Einfalle ausdrücken zu können, erzählte ich ihnen fröhlich drauflos; schon vergnügten sich die Gesellschaen nur noch an meinen famosen Witzen, und man schätzte meinen Geist so sehr, daß die Geistlichkeit, sich gezwungen sah, einen Erlaß zu veröffentlichen, wonach es verboten war zu glauben, ich besäße Vernun, mit dem ausdrücklichen Befehl an alle Personen, welchen Standes und Ranges sie auch seien, sich zu denken, daß, wiewohl ich den Geistreichen spielen könne, es doch nur der Instinkt sei, der mich das tun lasse.
Indessen teilte die Erklärung, was ich sei, die Stadt in zwei Lager; die Partei, die auf meiner Seite stand, wurde von Tag zu Tag größer. Schließlich verlangten trotz des Anathemas und der Exkommunikation, womit die Propheten das Volk zu schrecken suchten, meine Jünger eine Versammlung der Stände, damit über diese Glaubensspaltung entschieden würde. Lange dauerte die Beschlußfassung über die Wahl derer, die stimmen sollten; aber die Schiedsrichter beruhigten die Erregung dadurch, daß sie die Interessierten an Zahl einander gleichstellten. Man trug mich, wie ich ging und stand, in den Gerichtssaal, wo ich von den Examinatoren gründlich ins Verhör genommen wurde. Sie fragten mich außer anderen Dingen auch aus der Philosophie: Ich setzte ihnen, völlig in gutem Glauben, auseinander, was mich einst mein Meister gelehrt hatte, aber es kostete sie wenig, es mir mit vielen Gründen, die sehr überzeugend waren, zu widerlegen. Als ich mich ganz in die Enge getrieben sah, führte ich als letzte Zuflucht die Sätze des Aristoteles an, die mir aber auch nicht mehr nützten als jene Sophismen; denn mit zwei Worten deckten sie mir deren Unrichtigkeit auf. »Aristoteles«, sagten sie, »hat die Grundtatsachen seiner Philosophie angepaßt, statt seine Philosophie den Grundtatsachen anzupassen. Auch hätte er diese Grundtatsachen vernüniger beweisen sollen, als es die von den anderen Sekten machten; aber das konnte er nicht. Daher wird der gute Herr es nicht übelnehmen, wenn wir uns bestens dafür bedanken.« Da sie schließlich sahen, daß ich nichts anderes pfiff, als daß sie nicht gelehrter seien als Aristoteles und daß
man mir untersagt habe, mit Leuten zu streiten, die die Grundtatsachen leugneten, faßten sie alle einstimmig den Beschluß, ich sei kein Mensch, sondern möglicherweise eine Art Strauß, im Hinblick darauf, daß ich wie er den Kopf aufrecht trage: und so befahl man dem Vogelwärter, mich wieder in meinen Käfig zu bringen. Ich brachte meine Zeit ganz vergnüglich hin, denn, da ich ihre Sprache nun richtig beherrschte, erlustigte sich der ganze Hof damit, mich zum ›Schwatzen‹ zu bringen. Die Damen der Königin, abgesehen von anderen, stopen immer irgendwelche Brocken Brot in meinen Korb, und die niedlichste von allen hatte eine Freundscha für mich gefaßt: sie war so entzückt, als ich ihr die Mysterien unserer Religion entdeckte, und besonders als ich ihr von unseren Glocken und unsern Reliquien erzählte, daß sie mir mit Tränen in den Augen versicherte, wenn ich mich je in der Lage befände, in meine Welt zurückzufliegen, so werde sie mir frohen Herzens folgen. Eines Morgens erwachte ich plötzlich sehr früh. Ich sah sie an die Stäbe meines Käfigs trommeln. »Freu dich!« sagte sie zu mir. »Gestern in der Beratung wurde Krieg gegen den großen König X. beschlossen. Ich hoffe, in der Unruhe der Vorbereitungen, und während unser Herrscher und seine Untertanen fort sind, wird man die Gelegenheit, dich zu retten, herbeiführen können.« »Wie, Krieg?« unterbrach ich sie. »Gibt es denn zwischen den Fürsten dieser Welt Streitigkeiten wie zwischen denen der unsrigen? Bitte, bitte, erkläre mir, wie sie kämpfen!« »Wenn die nach den Wünschen der beiden Parteien erwählten Schiedsrichter die Zeit, die für die Rüstung
gewährt wird, die für den Ausmarsch, die Zahl der Kämpfenden sowie Tag und Ort der Schlacht festgesetzt haben, und all das so gleichmäßig, daß in einem Heere auch nicht ein einziger Mann mehr ist als im andern, so werden alle verkrüppelten Soldaten auf einer Seite in eine Kompagnie eingereiht; wenn man nun handgemein wird, so achten die Generale darauf, sie den Krüppeln der Gegenseite gegenüberzustellen; die Riesen haben die Kolosse vor sich; die Fechter die Gewandten; die Tapferen die Mutigen; die Kralosen die Schwachen; und wenn einer es unternehmen wollte, einen andern als den ihm bestimmten Feind zu treffen, so würde er als Feigling verdammt, sofern er nicht den Nachweis erbringen könnte, daß es irrtümlich geschehen ist. Ist die Schlacht geschlagen, so zählt man die Verwundeten, die Toten und die Gefangenen; Flüchtlinge gibt es nämlich nicht. Wenn die Verluste auf beiden Seiten gleich sind, so ziehen sie Hälmchen, wer sich als Sieger erklären darf. Wenn aber ein Reich seinen Feind auch in gutem Kampf überwunden hat, so ist damit noch fast nichts erreicht, denn da sind andere Heere, die gering sind an Zahl, Gelehrte und geistvolle Männer, von deren Redegefecht Sieg oder Unterwerfung der Staaten völlig abhängt. Ein Gelehrter wird einem Gelehrten, ein Geistreicher einem Geistreichen, ein Kluger einem Klugen gegenübergestellt. Übrigens wird der Sieg, den ein Staat in dieser Form erringt, für drei in offener Gewollt erlangte Siege gerechnet. Nach der feierlichen Verkündigung des Sieges wird die Versammlung aufgelöst, und das siegreiche Volk wählt als König entweder den der Feinde oder seinen eigenen.«
Ich konnte mich nicht halten, ich mußte lachen über diese peinlich gewissenhae Art, Schlachten zu schlagen; und ich führte als Beispiel einer viel kravolleren Politik die Gepflogenheiten in unserem Europa an, wo der Monarch sich hüte, irgendeinen seiner dem Sieg günstigen Vorteile aufzugeben; darauin sprach sie so zu mir: »Sag mir, begründen eure Fürsten ihre Rüstungen nur durch das Recht des Stärkeren?« »Allerdings«, erwiderte ich, »und durch die Gerechtigkeit ihrer Sache.« »Warum aber«, führt sie fort, »wählen sie dann nicht unverdächtige Schiedsrichter, um versöhnt zu werden? Und wenn sich herausstellt, daß der eine ebensoviel Recht hat wie der andere, so bleiben sie, wie sie waren, oder sie spielen eine Partie Riquet um die Stadt oder die Provinz, deretwegen sie Streit haben? Aber während sie mehr als vier Millionen Menschen, die besser sind als sie, die Köpfe einschlagen lassen, machen sie in ihrem Zimmer schlechte Witze über die Umstände, diese Narren umzubringen; – jedoch es ist ein Irrtum, die Kühnheit eurer braven Untertanen so zu schelten; sie tun gut, für ihr Vaterland zu sterben. Die Sache ist wichtig! Denn es handelt sich darum, der Vasall des Königs zu sein, der eine Halskrause trägt, oder dessen, der einen Überschlagkragen trägt.« »Nun, und bei euch«, entgegnete ich, »wozu all diese Umstände in eurer Kampfweise? Wäre es nicht genug, daß die Heere gleiche Stärke haben?« »Du hast gar kein Urteil!« antwortete sie. »Würdest du nach deiner Lehre glauben, wenn du deinen Feind im Felde besiegt hättest im Einzelkampf, ihn in ehrlichem Kampfe besiegt zu haben, wenn du ein Panzer
hemd anhättest und er nicht; wenn er nur einen Dolch hätte und du einen Stoßdegen; wenn er einarmig wäre und du hättest beide Arme? Und dann mit aller Gleichheit, die ihr euren Fechtern so sehr anempfehlt, kämpfen sie nie als ganz Gleiche miteinander; denn der eine ist groß, der andere klein von Gestalt; der eine geschickt, während der andere noch nie mit einem Degen umgegangen ist; der eine kräig, der andere schwach; und wenn sogar diese Mißverhältnisse ausgeglichen wären, daß sie gleich groß, gleich geschickt und gleich stark wären, einer wie der andere, so wären sie immer noch nicht gleich, denn der eine hätte vielleicht mehr Mut als der andere; unter dem Schütze davon, daß dieser brutale Kerl die Gefahr nicht achtet, daß er gallensüchtig ist, daß er mehr Blut oder ein engeres Herz hat, mit all diesen Eigenschaen, die den Mut ausmachen – und als ob das nicht, so gut wie ein Degen, eine Waffe wäre, die sein Feind nicht hat –, damit maßt er sich an, sich wild auf jenen zu stürzen, ihm Schrecken einzujagen und dem armen Mann, der die Gefahr voraussieht, dessen Leidenscha in einem Magenkatarrh erstickt ist und dessen Herz zu weitläufig ist, als daß es alle die Lebensgeister zusammenfassen könnte, die nötig sind, das Eis zu sprengen, das man Feigheit nennt, diesem armen Mann das Leben zu nehmen. Ihr lobt dann den Mann, daß er seinen Feind getötet hat, wo er im Vorteil war, und indem ihr seine Kühnheit lobt, lobt ihr ihn für eine Sünde gegen die Natur, da ja seine Kühnheit den Zwist hervorru. Vor einigen Jahren wurde man bei der Behörde für Kriegführung vorstellig, um Bestimmungen herbeizuführen, die die Schlachten vorsichtiger und gewissen
haer regelten; der Philosoph, der das Gutachten abgab, sprach nämlich folgendermaßen: ›Sie denken, meine Herren, daß Sie die Vorteile zweier Feinde gut gegeneinander abgewogen haben, wenn Sie zwei gleich starrsinnige, gleich große, gleich geschickte und gleich mutige Leute ausgewählt haben. Das ist aber noch nicht genug, da der Sieger schließlich durch Gewandtheit, durch Kra und durch Glück überlegen sein muß. Wenn es durch Gewandtheit geschieht, dann hat er jedenfalls seinen Gegner an einer Stelle getroffen, wo der es nicht erwartete; oder schneller, als es wahrscheinlich war; oder er stellte sich, als wolle er ihn auf einer Seite treffen, und fiel ihn von einer anderen her an. Dies alles jedoch heißt hinters Licht führen, betrügen, verraten. Wenn er den Triumph durch Kra errungen hat, halten Sie dann seinen Feind für besiegt, da ihm Gewalt geschehen ist? Sicherlich nicht. Ebensowenig, wie Sie sagen, daß ein Mensch den Sieg verloren habe, wenn er einem Bergsturz erlegen ist, da er ja nicht die Macht hatte, ihn zu gewinnen. Genauso ist dieser nicht Sieger geworden, weil er sich in jenem Augenblick nicht in der Verfassung befand, den Gewalttätigkeiten seines Gegners Widerstand zu leisten. Ist es durch Zufall geschehen, daß er seinen Feind niedergeworfen hat, so muß man das Glück, nicht ihn krönen. Er hat nichts dazu beigetragen. Und der Besiegte ist nicht tadelnswerter als ein Würfelspieler, der auf siebzehn Punkte hin deren achtzehn werfen sieht.‹ Man gestand ihm, daß er recht habe; aber es wäre nach dem, was dem Menschen erkennbar sei, unmöglich, Ordnung darin zu schaffen, und es sei besser, eine kleine Ungehö
rigkeit zuzulassen, als sich in hundert andere, die mehr Bedeutung hätten, zu verlieren.« Sie erzählte mir für diesmal nicht mehr, da sie Scheu davor hatte, ganz allein mit mir so früh am Tage angetroffen zu werden. Nicht als ob in diesem Lande Unkeuschheit ein Verbrechen gewesen wäre! Im Gegenteil, außer den überführten Verbrechern hat jeder Mann Macht über jede Frau; und ebenso könnte eine Frau den Mann, der sie verschmäht hat, vor Gericht ziehen; aber sie wagte nicht, mich zu besuchen, so daß es bekannt wurde, weil, wie sie mir sagte, die Priester beim letzten Gottesdienst gepredigt hatten, es seien hauptsächlich die Frauen, die aussprengten, ich sei ein Mensch, um unter diesem Vorwand das abscheuliche Verlangen zu verbergen, das sie beherrsche, sich mit den Tieren zu vermischen, und schamlos mit mir widernatürliche Sünden zu begehen. Das war die Ursache, daß ich sie lange nicht sah, weder sie noch irgendeine von dem Geschlecht. Indessen mußte irgend jemand die Streitigkeiten über die Erklärung meines Wesens neu angefacht haben, denn als ich nichts anderes mehr dachte, als daß ich in meinem Käfig sterben würde, holte man mich noch einmal ab zu einer Sitzung. Ich wurde also in Gegenwart einer großen Menge Höflinge über einige Punkte aus der Physik gefragt, und meine Antworten befriedigten, wie ich glaube, in keiner Weise; denn durchaus nicht im Tone eines Beamten setzte mir der, welcher den Vorsitz führte, weitläufig seine Ansichten über den Bau der Welt auseinander. Sie schienen mir sehr klug; und wäre er nicht bis auf ihren Ursprung zurückgegangen, den er als von Ewigkeit her behauptete, so hätte ich seine Philosophie viel vernunvoller als die unsrige gefunden; aber
sowie ich ihn ein Hirngespinst aufstellen hörte, das dem, was der Glaube uns lehrt, so völlig widersprach, fragte ich ihn, was er der Autorität von Moses entgegenhalten könne, und dieser große Patriarch habe ausdrücklich gesagt, daß Gott sie in sechs Tagen erschaffen habe. Der unwissende Kerl lachte nur, statt zu antworten; da konnte ich mich nicht enthalten, ihm zu sagen, daß ich, weil er dahin komme, anfinge zu glauben, ihre Weltkugel sei doch nur ein Mond. »Aber«, sagten sie alle zu mir, »Sie sehen hier Erde, Wälder, Flüsse, Meere; was wäre dann das alles?« »Ganz gleich«, entgegnete ich, »Aristoteles versichert, das sei nur der Mond, und wenn Sie in den Schulen, wo ich studierte, das Gegenteil behauptet hätten, so hätte man Sie ausgepfiffen.« Darauf ein großer Ausbruch des Lachens; man braucht nicht zu fragen, ob infolge ihrer Unwissenheit, und man führte mich in meinen Käfig zurück. Den Priestern aber wurde gemeldet, ich habe gewagt zu sagen, der Mond sei eine Weltkugel, von der ich herkäme, und ihre Weltkugel sei nur ein Mond. Sie glaubten, das gäbe ihnen einen ausreichend gerechten Vorwand, um mich zum Wassertode zu verurteilen; auf diese Weise nämlich wurden die Atheisten aus der Welt gescha. Sie erhoben insgesamt zu diesem Ende Klage beim König, der ihnen Gerechtigkeit zusagte; es wurde befohlen, daß ich wiederum auf das Arme-SünderStühlchen gebracht würde. So kam ich also zum drittenmal aus dem Käfig. Der höchste Geistliche nahm das Wort und sprach gegen mich. Ich erinnere mich nicht an seine Rede, weil ich zu bestürzt war, um die Töne seiner Stimme geordnet auf
zunehmen, und weil er sich für seine Ansprache eines Instrumentes bedient hatte, dessen Klang mich verwirrte: es war eine Trompete, die er ganz mit Absicht gewählt hatte, damit die Gewalt des kriegerischen Tones die Geister für meinen Tod erhitze, und um durch diese Erregung zu hindern, daß die vernünige Überlegung ihren Dienst tue, wie das bei unseren Heeren geschieht, wo das Schmettern der Trompeten und Trommeln den Soldaten daran hindert, über Wert und Wichtigkeit seines Lebens nachzudenken. Als er gesprochen hatte, erhob ich mich, meine Sache zu verteidigen; aber ich wurde dessen enthoben durch ein Geschehnis, das man gleich hören wird. Wie ich schon den Mund offen hatte, warf sich ein Mensch, der sich mit großer Mühe durch die Menge gedrängt hatte, dem König zu Füßen und schob sich lange auf dem Rükken hin und her vor ihm. Dieses Benehmen wunderte mich nicht, denn ich wußte seit langem, daß dies die Stellung war, in die sie sich begeben, wenn sie öffentlich sprechen wollen. Ich unterdrückte nun meine Ansprache, und die folgende bekamen wir von ihm: »Gerechte, hört mir zu! Ihr könnt diesen Menschen, diesen Affen oder Papagei nicht deshalb verdammen, weil er gesagt hat, der Mond sei eine Weltkugel, von der er herkomme. Denn ist er ein Mensch, mag er nun auch nicht vom Monde gekommen sein, hat er da nicht, weil jeder Mensch frei ist, die Freiheit sich zu denken, was er will? Wie, könnt ihr ihn zwingen, nur eure Anschauung zu haben? Ihr mögt ihn wohl mit Gewalt dazu bringen, zu sagen, der Mond sei keine Weltkugel; aber er wird es trotzdem nicht glauben. Denn damit er etwas glauben soll, müssen sich seinem Geiste gewisse stärkere Mög
lichkeiten für das Ja als für das Nein zeigen. Wenn ihr ihm diese Wahrscheinlichkeit nicht verscha oder sie sich seinem Geiste nicht selber bietet, so wird er zwar sagen, er glaube, aber er wird es deswegen nicht glauben. Nunmehr muß ich euch beweisen, daß er nicht verurteilt werden darf, wenn ihr ihn in die Kategorie der Tiere einreiht: Denn angenommen, er ist ein Tier ohne Vernun, wieviel Vernun hättet ihr selbst dann, wenn ihr ihn beschuldigt, sich gegen sie vergangen zu haben? Er hat behauptet, der Mond sei eine Weltkugel. Nun, die Tiere handeln nur nach einem von der Natur ihnen gegebenen Instinkt; also ist es die Natur, die es sagt, und nicht er. Daß diese weise Natur, welche die Erde und den Mond gemacht hat, selber nicht wissen sollte, was er ist, und daß ihr, die ihr davon keine Kenntnis habt, als was ihr ihr verdankt, es sicherer wüßtet, das zu glauben wäre recht lächerlich. Aber selbst wenn die Leidenscha euch dazu brächte, eure ersten Grundansichten zu leugnen, und ihr annähmet, die Natur leite die Tiere nicht, so errötet zum mindesten darüber, daß ihr euch durch die Launen eines Tieres so beunruhigen laßt. Wahrhaig, ihr Herren, wenn ihr einen Mann in reiferem Alter tre, der bei einem Ameisenhaufen die Polizeiaufsicht führen wollte, bald einer Ameise, die ihre Gefährtin zu Fall gebracht hätte, eine Ohrfeige gäbe, bald eine andere ins Gefängnis steckte, die ihrer Nachbarin ein Kornkörnchen geraubt hätte, bald wieder eine, die ihre Eier verlassen hätte, vor Gericht zöge, würdet ihr ihn nicht für verrückt halten, da er Dinge betreibt, die zu sehr unter seiner Würde sind, und sich einbildet, Tiere zur Vernun zu zwingen, die deren Gebrauch nicht kennen?
Wie nennt ihr, hochehrwürdige Priester, also das Interesse, das ihr an den Launen dieses kleinen Tieres nehmt? Gerechte, ich habe gesprochen.« Sobald er geendigt hatte, erfüllte eine starke Beifallsmusik den ganzen Saal; und nachdem alle Ansichten eine gute Viertelstunde lang durchgesprochen worden waren, erklärte der König: Hinfort sei ich als Mensch anzusehen und als solcher in Freiheit zu setzen; die Strafe des Ertränktwerdens sei in eine schimpfliche öffentliche Abbitte zu mildern – eine einfache, nicht ehrenrührige gibt es nämlich in diesem Lande nicht –, in welcher ich öffentlich meine Lehre, der Mond sei eine Weltkugel, widerrufen solle, und zwar wegen des Ärgernisses, das die Neuheit dieser Anschauung in den Seelen der Schwachen hätte erregen können. Nach Verkündigung dieser Verfügung führt man mich aus dem Palast, kleidet mich zur Schande sehr prächtig, dann trägt, man mich auf den erhöhten Sitz eines prächtigen Wagens, ich werde von vier Fürsten, die man eingespannt hatte, gezogen, und man zwingt mich, an den Straßenecken der Stadt folgendes laut zu sprechen: »Volk, ich erkläre, daß dieser Mond hier kein Mond, sondern eine Weltkugel ist, und daß jene Weltkugel dort keine Weltkugel, sondern ein Mond ist. Das ist, was ihr nach dem Gutdünken der Priester glauben sollt.« Nachdem ich das gleiche auf den fünf großen Plätzen der Stadt ausgerufen hatte, sah ich plötzlich meinen Anwalt vor mir, der mir die Hand hinstreckte, um mir beim Absteigen zu helfen. Ich war sehr überrascht, als ich bei näherem Hinsehen erkannte, daß es mein Dämon war.
Eine Stunde lang umarmten wir uns, und er sagte: »Komm jetzt mit mir nach Hause, denn wenn du nach einer schimpflichen Abbitte an den Hof zurückkehren wolltest, so würde man dich dort scheel ansehen. Übrigens muß ich dir sagen, daß du noch bei den Affen wärst wie dein Gefährte, der Spanier, wenn ich nicht überall bei Zusammenkünen die Vollwertigkeit und Stärke deines Geistes verkündigt und gegen die Propheten eifrig zu deinen Gunsten um die Protektion der Großen geworben hätte.« Ich wurde mit Danken erst fertig, als wir in sein Haus eintraten. Er erzählte mir bis zum Essen, welche Triebfedern er in Bewegung gesetzt hatte, die Priester zu zwingen, trotz der scheinbar gewichtigsten Bedenken, mit denen sie das Gewissen des Volkes beschwatzt hatten, zu gestatten, daß es ihn höre. Wir saßen vor einem hellen Feuer, denn es war kalte Jahreszeit; und er wollte fortfahren, mir zu erzählen – denke ich – was er getan hatte, solange ich ihn nicht gesehen hatte. Aber man meldete uns, daß das Abendessen fertig sei. »Ich habe«, fuhr er fort, »für diesen Abend zwei Professoren von der hiesigen Akademie gebeten, mit uns zu speisen. Ich werde sie auf die Philosophie bringen, die sie in dieser Welt hier lehren. Zugleich wirst du den Sohn meines Hauswirtes sehen. Er ist ein junger Mann von soviel Geist, als ich nur je einem begegnet bin, und er wäre ein zweiter Sokrates, wenn er nur sein Licht ein wenig in Ordnung halten könnte und nicht im Laster die Gnadengaben erstickte, mit denen Gott ihn ständig heimsucht, und nicht aus Prahlerei den Gottlosen spielte. Ich habe mich hier eingemietet, um die Gelegenheiten, ihn zu belehren, auszuspähen.« Er schwieg, wie um nun mir meinerseits die
Freiheit zu lassen zu reden; dann machte er ein Zeichen, daß man mir den schmählichen Schmuck, in dem ich noch glänzte, abnehmen solle. Fast im gleichen Augenblick traten die beiden Professoren, die wir erwarteten, ein. Wir begaben uns alle vier zusammen in das Speisezimmer, wo wir den jungen Menschen, von dem er mir gesprochen hatte, schon essend fanden. Sie begrüßten ihn mit großer Förmlichkeit und behandelten ihn mit einer so tiefen Ehrfurcht wie etwa ein Sklave seinen Herrn. Ich fragte meinen Dämon nach dem Grunde, und er antwortete mir, das geschehe wegen seines Alters, denn in dieser Welt bezeugten die Alten den Jungen alle mögliche Achtung und Ehrerbietung; wie ja auch die Väter ihren Kindern gehorchten, sobald diese nach dem Ausspruch des Senats der Philosophen vernünig geworden seien. »Du wunderst dich«, fuhr er fort, »über einen Gebrauch, der dem bei euch geltenden so sehr entgegengesetzt ist? Aber er läu durchaus nicht der gesunden Vernun zuwider; denn sage mir nach bestem Wissen und Gewissen, wenn ein junger warmblütiger Mensch imstande ist zu denken, zu urteilen und zu handeln, ist er nicht fähiger, eine Familie zu regieren, als ein gebrechlicher Greis? Dieser schon stumpf gewordene arme Kerl, dein unter dem Schnee von sechzig Wintern die geistige Schwungkra eingefroren ist, läßt sich nur von dem Vorbild der glücklichen Erfolge leiten. Dabei ist es doch das Glück, das sie dazu gemacht hat, wider alle Regeln und die Vorkehrungen der menschlichen Klugheit, Urteilsfähigkeit hat er auch nur wenig, obwohl die allgemeine Ansicht in eurer Welt das als Mitgi des Greisenalters erklärt; um sie darüber aufzuklären, soll sie erfahren.
daß das, was man bei einem Greise Klugheit nennt, nichts anderes ist als sinnlose Furcht, wilde Angst davor, irgend etwas zu unternehmen, das ihm unangenehm werden könnte. Wenn er also, mein Sohn, nicht gewagt hat, einer Gefahr sich auszusetzen, in der ein junger Mensch zugrunde ging, so war’s nicht, weil er die Katastrophe voraussah, sondern er hatte nicht genug Wärme in sich, dieses edle Feuer zu entzünden, das uns wagen läßt; und die Kühnheit jenes jungen Menschen war so gut wie ein Unterpfand für den Ausgang seines Vorhabens, denn jene Glut, die uns eine Handlung rasch und leicht ausführen läßt, war es, die ihn dazu trieb, sie zu unternehmen. Was nun das Handeln anlangt, so würde ich deiner Einsicht Unrecht tun, wenn ich mich bemühen wollte, sie erst durch Beweise zu überzeugen. Du weißt, daß die Jugend allein zu Taten geeignet ist; und falls du je nicht ganz davon überzeugt sein solltest, so sag mir bitte, ob, wenn du einen mutigen Mann hochachtest, dies nicht darum geschieht, weil er dich an deinen Feinden oder deinen Unterdrückern rächen kann. Warum nimmst du noch Rücksichten auf ihn, wenn nicht aus Gewohnheit, sobald ein Bataillon von siebzig Jahren sein Blut in Eis verwandelt hat und all die edle Begeisterung, die die Jungen für die gerechte Sache erwärmt, in ihm hat erfrieren lassen? Wenn du dem Starken nachgibst, ist’s nicht, damit er dir verpflichtet sei für einen Sieg, den du ihm nicht streitig machen kannst? Warum sich ihm unterwerfen, wenn Schlaeit seine Muskeln aufgelöst, seine Adern entkräet, seine Lebensgeister verflüchtigt und das Mark aus seinen Knochen gesogen hat? Wenn du eine Frau verehrst, ist’s nicht wegen ihrer Schönheit? Warum solltest du deine Kniefälle fortsetzen, nachdem
das Alter aus ihr ein Gespenst gemacht hat, das den Lebenden den Tod vor Augen hält? Und endlich, wenn du einen geistvollen Menschen liebst, so ist’s darum, weil er mit seinem beweglichen Geiste in eine verwickelte Angelegenheit eindrang und sie entwirrte, weil er durch seine Rednergaben eine Versammlung auch von feinstem Goldwert unterhielt; weil er die Einsichten, die ein einziger Gedanke vermittelt, durchzudenken vermag und weil nie eine schöne Seele etwas heiger wünschte als ihm zu gleichen. Und dennoch setzest du deine Huldigung noch fort, wenn die Abnützung der Organe ihn blöd und schwerfällig gemacht hat und er in Gesellscha durch seine Schweigsamkeit eher als die Statue eines Herdgottes denn als ein vernunbegabter Mensch erscheint. Ziehe also daraus den Schluß, mein Sohn, daß es besser ist, die jungen Leute mit dem Regiment der Familie zu betrauen als die Greise. Sicherlich wäre es sehr einfältig, wenn du denken wolltest, Herkules, Achilles, Epaminondas, Alexander und Cäsar, die alle jünger als vierzig Jahre gestorben sind, hätten nur die gewöhnlichen Ehrbezeugungen verdient, während man einem alten Faselhans Weihrauch streuen muß, nur weil die Sonne neunzigmal seine Ernte in die Ähren wachsen ließ. Aber, wirst du sagen, alle Gesetze in unserer Welt lassen eifrig die Ehrfurcht ertönen, die man den Greisen schulde. Das ist wahr. Aber es sind auch alle die, welche diese Gesetze eingeführt haben, Greise gewesen, die fürchteten, die Jungen könnten sie mit Recht aus dem Besitze der Oberhoheit verdrängen, die sie erzwungen hatten, und sie haben wie die Gesetzgeber in den falschen Religionen aus dem, was sie nicht beweisen konnten, ein hehres Geheimnis gemacht. Ja
aber, wirst du sagen, dieser Greis ist mein Vater, und der Himmel verspricht mir ein langes Leben, wenn ich ihn ehre. Wenn dein Vater, mein Sohn, nichts befiehlt, was den Eingebungen des Allerhöchsten zuwiderläu, dann gebe ich dir es zu; andernfalls aber schreite über den Leib des Vaters, der dich erzeugte, trample auf den Schoß der Mutter, die dich empfing. Denn ich sehe keine Wahrscheinlichkeit für die Einbildung, daß der feige Respekt, den lasterhae Eltern eurer Schwäche entrissen haben, dem Himmel so angenehm sei, daß er euch dafür den Lebensfaden verlängert. Wie, macht der Kratzfuß, mit dem du den Hochmut deines Vaters kitzelst und nährst, ein Geschwür, das du an der Seite hast, aufgehen, stellt er deinen Lebenssa wieder her, heilt er einen Degenstoß, den du durch den Magen bekommen hast, oder zerbricht es dir einen Blasenstein? Wenn das so ist, dann haben die Ärzte sehr unrecht, daß sie nicht, anstatt der höllischen Arzneien, mit denen sie das Leben der Menschen verpesten, gegen die Blattern drei Verbeugungen morgens nüchtern, vier ›Dankeschön‹ nach dem Mittagessen und zwölf ›gute Nacht, lieber Vater und liebe Mutter‹ vor dem Einschlafen verordnen. Du wirst mir entgegenhalten, daß du ohne ihn nicht da wärest. Das ist wahr, aber er wäre auch ohne deinen Großvater nie gewesen und dein Großvater nicht ohne deinen Urgroßvater; und ohne dich hätte dein Vater keine Enkel. Als die Natur ihn das Licht erblicken ließ, geschah’s auf die Bedingung, daß er das, was sie ihm lieh, zurückgeben werde. So gab er dir also nichts, da er dich erzeugte; er löste nur seine Schuld ein! Auch möchte ich gern wissen, ob deine Eltern an dich dachten, als sie dich erzeugten? Ach, keineswegs. Und trotzdem glaubst du,
ihnen für ein Geschenk verpflichtet zu sein, das sie dir, ohne daran zu denken, machten? Wie, weil dein Vater so zuchtlos war, daß er den schönen Augen ich weiß nicht welches Geschöpfes nicht widerstehen konnte, so daß er den Handel abschloß, um seine Leidenscha zu befriedigen, und da du das Resultat ihrer Manscherei bist, so verehrst du diesen Wollüstling wie einen der sieben Weisen Griechenlands? Was, weil jener andere, der Geizhals, die reichen Güter seiner Frau um die Gebühr eines Kindes kaue, soll dies Kind nur auf den Knien mit ihm reden? So tat dein Vater gut daran, den Weibern nachzulaufen, und jener andere, geldgierig zu sein; denn sonst würden weder du noch er je geworden sein. Aber ich möchte gern wissen, ob er, wenn er sicher gewesen wäre, daß seine Pistole eine Ratte tri, geschossen hätte? Gerechter Gott, was macht man nicht dem Volk in eurer Welt weis! Du hast, mein Sohn, von dem irdischen Baumeister nur deinen Körper; deine Seele kommt aus den Himmeln, er konnte sie geradesogut in eine andere Scheide stecken: dein Vater wäre vielleicht als dein Sohn geboren worden, wie du als seiner geboren bist. Weißt du sogar, ob er dich nicht gehindert hat, eine Krone zu erben? Dein Geist hatte vielleicht den Himmel verlassen mit der Absicht, den König von Rom im Leibe der Kaiserin zu beseelen; unterwegs begegnete er zufällig deinem Embryo. Um den Weg zu kürzen, zog er da ein. Nein, nein, Gott hätte dich nicht aus der Berechnung, die er von den Menschen gemacht hatte, ausgestrichen, wenn dein Vater als kleiner Bube gestorben wäre. Aber wer weiß, ob du nicht heute das Werk irgendeines tapfern Kapitäns wärest, der dich an seinem Ruhm wie an seinen Gütern hätte teilnehmen lassen. So bist du vielleicht dei
nem Vater für das Leben, das er dir gab, nicht mehr zu Dank verpflichtet, als du es dem Piraten wärest, der dich auf die Galeere gebracht hätte, weil er dich fütterte: Und ich will sogar, daß er dich als Fürst, als König erzeugt hätte. Ein Geschenk ist nicht verdienstlich, wenn es gegeben wurde, ohne daß der es wünscht, der es empfängt. Man gab Cäsar den Tod, man gab ihn Cassius; indessen ist Cassius dem Sklaven, von dem er ihn erlangte, Dank schuldig, nicht aber Cäsar den Mördern, die ihn ihm aufzwangen. Hat dein Vater etwa nach deinem Willen sich erkundigt, als er deine Mutter umarmte? Hat er dich gefragt, ob du es billigst, dieses Jahrhundert zu sehen, oder lieber ein anderes abwarten wolltest? Ob du damit zufrieden wärst, der Sohn eines Dummkopfs zu sein, oder ob du den Ehrgeiz hättest, von einem tapferen Manne abzustammen? O weh, du, den die Geschichte einzig anging, warst der einzige, dessen Ansicht man nicht hörte! Vielleicht wenn du damals anderswo als in der Stammrolle der Ideen der Natur eingesperrt gewesen wärst und dein Geborenwerden dir zur Wahl freigestanden hätte, würdest du zur Parze gesagt haben: ›Mein liebes Fräulein, ergreifen Sie eines anderen Spindel; ich bin schon recht lange im Nichts, aber ich möchte lieber noch hundert Jahre dabei verbleiben, nicht zu sein, als daß ich heute werde und es morgen bereue.‹ Indessen du mußtest hierher kommen. Du mochtest noch soviel schreien, um in das lange und schwarze Haus, aus dem man dich weggerissen hatte, zurückzukehren, man tat, als glaube man, du verlangtest zu trinken. Dies, mein Sohn, sind so ungefähr die Gründe, um derentwillen die Väter vor ihren Kindern Ehrfurcht haben. Ich weiß wohl, daß ich mich etwas mehr, als die
Gerechtigkeit es fordert, auf die Seite der Kinder gestellt und zu ihren Gunsten ein wenig gegen mein Gewissen gesprochen habe; aber da ich den Hochmut richtigstellen wollte, mit dem die Väter der Schwachheit ihrer Kleinen Trotz bieten, war ich genötigt, es wie die zu machen, die einen krummen Baum aufrichten wollen: Sie krümmen ihn nach der anderen Seite, damit er zwischen den beiden Verzerrungen wieder gleichmäßig gerade werde. So habe ich die Väter veranlaßt, die tyrannische Unterwürfigkeit, die sie sich angemaßt haben, zurückzugeben, und habe ihnen viel, das ihnen gehörte, genommen, damit sie sich ein andermal mit dem begnügen, was ihnen zusteht. Ich weiß auch, daß ich durch diese Verteidigung bei allen Alten Anstoß erregt habe; aber sie mögen daran denken, daß sie Söhne sind, ehe sie Väter werden, und daß es unmöglich ist, daß ich nicht sehr auch zu ihrem Vorteil gesprochen hätte, da sie nicht unter einem Kohlkopf gefunden worden sind. Und schließlich, was auch geschehen könnte, wenn meine Feinde den Kampf gegen meine Freunde eröffneten, ich habe nur mein Gutes; denn ich habe allen Menschen einen Dienst geleistet und nur der Häle geschadet.« Das Essen konnte es nicht mehr erwarten, aufsteigen zu dürfen. Wir streckten uns also auf sehr weiche, mit Decken belegte Polster aus, wo die Dämpfe zu uns kamen, wie damals in dem Gasthaus; ein junger Diener nahm den ältesten unserer Philosophen und führte ihn in einen besonderen kleinen Saal; mein Lehrmeister rief ihm nach: »Kommen Sie wieder hierher zu uns, sobald Sie gegessen haben.« Der Philosoph versprach es. Diese Schrulle, allein zu essen, machte mich neugierig, nach dem Grunde zu fragen. »Er mag«, sagte er mir,
»den Geruch von Fleisch nicht, ja nicht einmal den von Kräutern, wenn sie nicht von selber gestorben sind, denn er hält sie für fähig, Schmerz zu empfinden.« »Ich wundere mich nicht so sehr«, erwiderte ich, »daß er sich des Fleisches enthält und aller Dinge, die sinnliches Leben haben, denn in unserer Welt haben die Pythagoräer und ebenso einige heilige Einsiedler diesen Grundsatz geübt. Aber daß man nicht wagen sollte, zum Beispiel einen Kohlkopf abzuschneiden, aus Angst, ihn zu verwunden, das kommt mir ganz lächerlich vor.« »Ich dagegen«, sagte mein Dämon, »finde viel Wahrscheinlichkeit in seiner Anschauung. Denn, sag mir, ist dieser Kohlkopf, von dem du redest, nicht ebensogut ein Geschöpf Gottes wie du? Habt ihr nicht alle beide gleicherweise Gott und das Nichtsein als Vater und Mutter? Hat sich Gottes Verstand nicht von Ewigkeit her mit seiner Geburt befaßt so gut wie mit deiner? Er scheint sogar viel eifriger für die der Pflanze als des Vernunbegabten gesorgt zu haben, da er die Erzeugung eines Menschen der Laune seines Vaters anheimgegeben hat, der je nach Belieben ihn erzeugen kann oder nicht. Mit solcher Härte wollte er jedoch gegen den Kohl nicht verfahren; statt es also dem Gutdünken des Vaters zu überlassen, den Sohn hervorzubringen, zwang er, als sei er mehr besorgt gewesen um den möglichen Untergang des Kohlgeschlechtes als des Menschengeschlechtes, jene, ob sie wollten oder nicht, einander das Leben zu geben; und im Gegensatz zu den Menschen, die in ihrem Leben höchstens zwanzig erzeugen können, bringen sie ihre vierhunderttausend pro Kopf hervor. Dabei zu behaupten, Gott habe trotzdem den Menschen mehr geliebt als
den Kohl – wir kitzeln uns einfach, um uns zum Lachen zu bringen. Er ist der Leidenscha nicht fähig und vermag also weder jemand zu hassen noch zu lieben; und wenn er Liebe empfinden könnte, so hätte er eher zärtliche Gefühle für den Kohl, von dem du sprichst, der ihn nicht zu beleidigen vermag, als für den Menschen, dessen künige Beleidigungen er schon vor Augen hat. Denk dir noch dazu, daß der Mensch nicht ohne Sünde zur Welt kommen kann, da er ein Teilchen des ersten Menschen ist, der ihn schuldig gemacht hat; wir wissen aber sehr wohl, daß der erste Kohlkopf nicht seinen Schöpfer im irdischen Paradies beleidigte. Wenn man nun sagt, wir seien nach dem Bilde des obersten Wesens gemacht und der Kohl nicht? Wenn das wahr wäre, so haben wir, da wir unsere Seele, durch die wir ihm glichen, befleckten, diese Ähnlichkeit ausgelöscht, denn es gibt nichts, das Gott mehr entgegengesetzt wäre als die Sünde. Wenn also unsere Seele nicht mehr sein Abbild ist, gleichen wir ihm auch durch die Füße, die Hände, den Mund, die Stirn und die Ohren nicht mehr als der Kohl durch seine Blätter, seine Blüten, seinen Stengel, seinen Strunk und seinen Kopf. Glaubst du nicht in der Tat, daß wenn diese arme Pflanze reden könnte, sie, wenn man sie abschneidet, so sprechen würde: ›Mensch, lieber Bruder, was habe ich dir getan, das den Tod verdient? Ich wachse nur in den Gärten, und man findet mich nie in der Wildnis, wo ich in Sicherheit leben könnte; ich verschmähe es, das Werk anderer Hände als der deinen zu sein. Kaum bin ich daraus hervorgegangen, so erhebe ich mich, darein zurückzukehren, von der Erde, ich blühe auf, strecke dir die Arme entgegen, biete dir meine Kinder im Samen dar, und zum Dank für
meine Höflichkeit läßt du mir den Kopf abschneiden!‹ Diese Rede würde der Kohl halten, wenn er sich ausdrücken könnte. Wie nun, weil er sich nicht beklagen kann, ist darum gesagt, daß wir ihm alles Übel antun dürfen, was er nicht verhindern kann? Wenn ich einen Elenden finde, der gefesselt ist, darf ich ihn töten, ohne daß es ein Verbrechen wäre, weil er sich nicht wehren kann? Im Gegenteil! Seine Schwachheit würde meine Grausamkeit noch schlimmer machen; denn mag dies klägliche Geschöpf auch noch so arm und von allen unseren Vorteilen entblößt sein, es verdient nicht den Tod. Was! Von allen Gütern des Seins besitzt es nur das Leben, und wir entreißen es ihm. Die Sünde, einen Menschen zu morden, ist nicht so groß, weil er eines Tages wieder neu leben wird, als einen Kohlkopf abschneiden und ihm das Leben zu nehmen, ihm, der kein zweites mehr zu erhoffen hat. Du vernichtest die Seele des Kohls, da du ihn sterben läßt. Aber wenn du einen Menschen tötest, so bringst du ihn nur an einen anderen Wohnsitz. Und ich behaupte viel mehr: Da Gott, der gemeinsame Vater aller Dinge, seine Werke mit gleicher Zärtlichkeit liebt, ist es nicht billig, daß er seine Wohltaten in gleicher Weise unter uns und die Pflanzen verteilt? Es ist wahr, wir kamen zuerst zur Welt; aber in Gottes Familie gibt es kein Erstgeburtsrecht. Wenn also die Kohlköpfe nicht mit uns teilhaben an dem uns verliehenen Rechte der Unsterblichkeit, so ward ihnen zweifellos ein anderes Vorrecht, das so groß ist, daß es sie für seine kurze Dauer entschädigt. Es ist vielleicht ein allumfassender Verstand, vollkommene Kenntnis aller Dinge in ihren Ursachen, und darum auch hat der weise Urheber ihnen nicht Organe, die unseren gleichen, zugeschnitten, deren höchste Lei
stung nur ein einfaches, schwächliches und o unrichtiges Nachdenken ist, sondern andere viel kunstreicher gearbeitete, stärkere und zahlreichere, mittels derer sie ihre spekulativen Gespräche halten. Du fragst vielleicht, ob sie uns niemals etwas von diesen erhabenen Gedanken mitgeteilt haben? Aber, sage mir, haben uns nicht die Engel ebensowenig wie sie je etwas gelehrt? Da es kein inneres Verhältnis, keine Beziehung, keine Übereinstimmung gibt zwischen den geringen geistigen Fähigkeiten des Menschen und denen jener göttlichen Wesen, so könnten die geistvollen Kohlköpfe sich anstrengen, soviel sie wollten, uns die verborgene Ursache der merkwürdigen Begebenheiten zum Verständnis zu bringen, uns fehlen die Sinne, die fähig wären, diese erhabenen Einsichten aufzunehmen: Moses, der größte der Philosophen, da er, wie ihr sagt, die Kenntnis von der Natur aus der Quelle der Natur selber schöpe, versinnbildlichte diese Wahrheit, als er vom Baum der Erkenntnis sprach. Er wollte uns unter diesem Gleichnis lehren, daß einzig die Pflanzen die vollkommene Weisheit besitzen. Gedenke doch daran, o du hochmütigstes aller Tiere, daß wenn auch ein Kohlkopf, den du abschneidest, kein Wort sagt, er darum nicht weniger denkt; aber das arme Pflanzenwesen hat nicht wie ihr Organe, mit denen es brüllen kann; keine zum Zappeln, keine zum Weinen; es hat aber trotzdem welche, mit denen es sich über das Unrecht, das ihr ihm antut, beklagen kann, mit denen es die Rache des Himmels auf euch herabzieht. Wenn du mich fragst, wieso ich weiß, daß die Kohlköpfe diese schönen Gedanken haben, so frage ich dich, wieso du weißt, daß sie sie nicht haben? Und daß so einer nicht nach eurem Vorbild etwa abends, wenn er sich schließt,
sagt: ›Ich bin, Herr Kohlkopf Krise, Ihr ergebenster Diener, Kohlkopf Cabus.‹« Soweit war er gerade mit seiner Rede, als der junge Diener unseren Philosophen wieder zurückbrachte. »Was, Sie haben schon gegessen?« rief mein Dämon ihm zu. Er bejahte es, um so mehr, als ihm der Physiognom erlaubt habe, von unserem zu kosten. Der junge Hausherr wartete nicht erst ab, daß ich ihn nach der Erklärung des Geheimnisses fragte, sondern sagte: »Ich sehe wohl, daß diese Lebensweise Sie in Erstaunen setzt. So hören Sie, daß, wiewohl man in Ihrer Welt seine Gesundheit viel nachlässiger behandelt, das System dieser hier nicht gering zu achten ist. In allen Häusern ist ein Physiognom von Staats wegen angestellt, der etwa das ist, was man bei Ihnen zulande einen Arzt nennt, abgesehen davon, daß er nur die Gesunden anleitet und die verschiedenen Arten, wie man uns behandeln muß, nur aus dem Verhältnis, der Form und der Gleichheit unserer Glieder, aus den Linien des Gesichtes, der Farbe des Fleisches, der Zartheit der Haut, der Beweglichkeit der Masse, dem Ton der Stimme, der Färbung, Stärke und Festigkeit des Haares schließt. Haben Sie nicht einen ziemlich kleinen Mann beobachtet, der Sie so lange betrachtet hat? Das war der Physiognom von hier. Seien Sie versichert, daß er nach der Körperbeschaffenheit, die er bei Ihnen erkannte, die verschiedene Ausströmung für Ihr Mittagessen festgesetzt hat. Beachten Sie, wie weit das Polster, auf das man Sie sich legen ließ, von unseren Lagern entfernt ist; zweifellos hat er Ihre Beschaffenheit als von der unsern ganz verschieden eingeschätzt, da er nicht wünschte, daß der Geruch, der aus den kleinen Gefäßen unter unsern
Nasen ausströmt, sich bis zu Ihnen hin ausbreite, oder daß der Ihrige bis zu uns dampfe. Sie werden heute abend sehen, daß er die Blumen für Ihr Bett mit dergleichen Umsicht auswählt.« Während dieser ganzen Rede machte ich meinem Gastgeber Zeichen, er möchte doch die Philosophen auf irgendein Kapitel der Wissenscha, die sie dozierten, zu bringen suchen. Er war mir zu wohlgesinnt, als daß er nicht sofort die Gelegenheit dazu herbeigeführt hätte: ich will also weder die Gespräche noch die Bitten erzählen, die die Sendboten der Abhandlung darstellten; auch waren die Nuancen vom Lächerlichen zürn Ernsten zu unmerkbar, als daß man sie wiedergeben könnte. So viel also, Leser, daß der Letztgekommene der Doktoren, nachdem von mehreren anderen Dingen gesprochen worden war, fortfuhr, in einem längeren Vortrag auseinanderzusetzen, daß es unendliche viele Welten gäbe. Als er endigte und der zweite Philosoph sah, daß unsere Augen, die sich alle vereint auf die seinigen richteten, ihn aufforderten, nun seinerseits zu sprechen, sagte er: »Meine Herren, ich sehe, daß ihr begierig seid, dieses kleine Tier, das uns ähnlich ist, etwas von der Wissenscha, die wir eloxieren, zu lehren. So will ich jetzt eine Abhandlung vortragen, die ich ihm mit großem Vergnügen vorlege, wegen der Aufschlüsse, die sie für das Verständnis unserer Physik bietet. Es ist die Erklärung des Anfangs der Welt von Ewigkeit her; aber da ich jetzt schleunigst an meinen Blasebälgen arbeiten lassen muß – denn morgen ohne Aufschub reist die Stadt ab –, so entschuldigt ihr mich wohl für den Augenblick, wobei
ich verspreche, auf alle Fälle, sobald sie wieder beisammen ist, euch zu befriedigen.« Auf diese Worte rief der Sohn des Hausherrn seinen Vater, und als er da war, fragte die Gesellscha ihn, wieviel Uhr es sei; der Biedermann antwortete, acht Uhr. Da sagte sein Sohn in vollem Zorn: »Da komm her, Schlingel, hatte ich dir nicht befohlen, uns um sieben zu benachrichtigen? Du weißt, daß die Häuser morgen fortgehen, daß die Mauern schon weg sind, und dabei schließt dir die Faulheit sogar den Mund zu.« »Herr«, erwiderte der Biedermann, »es wurde vorhin, während ihr schon bei Tisch wart, ein ausdrückliches Verbot, früher als übermorgen abzureisen, verkündigt.« »Ganz gleich«, antwortete er, ihm einen Schlag versetzend, »du sollst blind gehorchen, dich nicht in meine Anordnungen einmischen und nur an das denken, was ich dir befohlen habe; schnell, hol dein Bild her.« * Als es gebracht wurde, packte der Jüngling es beim Arm und prügelte es eine gute Viertelstunde lang. »Da, da, du Tunichtgut«, fuhr er fort, »zur Strafe für deinen Ungehorsam will ich, daß du heute jedermann zum Gespött dienst, und zu dem Zweck befehle ich dir, den Rest des Tages nur auf zwei Beinen zu gehen.« Der arme alte Mann ging ganz in Tränen hinaus, und sein Sohn fuhr fort: »Meine Herren, ich bitte Sie, die Streiche dieses Hitzkopfs zu entschuldigen. Ich hoe etwas Gutes daraus machen zu können, aber er mißbraucht mein Wohlwollen. Ich glaube wirklich, daß dieser Kerl mich noch unter den Boden bringt; er hat mich wahrhaig schon mehr als zehnmal auf den Punkt gebracht, meinen Fluch über ihn zu sprechen.«
Wiewohl ich mir auf die Lippen biß, hatte ich doch große Mühe, das Lachen zu unterdrücken über diese umgekehrte Welt; um daher diese burleske Pädagogik, die mich schließlich hätte doch losplatzen machen, abzubrechen, bat ich ihn, mir zu sagen, was er unter der Reise der Stadt, von der er gesprochen habe, verstehe, ob die Häuser und die Mauern wanderten. Er antwortete: »Unter unseren Städten, mein lieber Freund, gibt es bewegliche und seßhae. Die beweglichen, wie zum Beispiel die, in der wir uns eben befinden, sind folgendermaßen gebaut: Der Architekt baut jeden Palast, wie Sie sehen, aus einem sehr leichten Holz; darunter bringt er vier Räder an; in eine der Mauern setzt er zahlreiche große Blasebälge inwendig hinein, deren Rohre in einer horizontalen Linie durch das letzte Stockwerk hindurch von einem Giebel zum anderen gehen. Wenn man nun die Städte irgendwo anders hinschleppen will, denn man wechselt in jeder Jahreszeit das Klima mit ihnen, dann entfaltet jeder auf der einen Seite seines Hauses eine Menge großer Segel vor den Blasebälgen; wird nun mit denen eine Sprungfeder verbunden, um sie spielen zu lassen, dann werden ihre Häuser durch die fortgesetzten Lustöße, welche diese Windungetüme ausspeien, in acht Tagen, wenn man will, mehr als hundert Meilen weit fortgetrieben. Die zweiten, die wir seßhae nennen, sind folgendermaßen gebaut: Die Häuser gleichen beinahe Ihren Türmen, außer daß sie von Holz sind und daß in der Mitte eine große starke Schraube hindurchgeht, die vom Keller bis zum Dach reicht, damit man sie nach Belieben aufwärts und abwärts bewegen kann. Die Erde ist nun
ausgehöhlt so tief, wie das Gebäude hoch ist, und das Ganze ist so angelegt, daß die Leute, sobald der Frost die Lu zu durchkälten beginnt, ihre Häuser versenken, indem sie sie auf den Grund der Grube hinabdrehen; mit großen Fellen, mit denen sie den Turm wie auch die Höhlung ringsum bedecken, schützen sie sie vollständig vor den Unbilden des Wetters. Sobald aber die sanen Frühlingslüe es mildern, steigen sie wieder zum Tag empor mit Hilfe der großen Schraube, von der ich gesprochen habe.« Er wollte, glaube ich, hier seine Lunge ausruhen lassen, als ich das Wort ergriff: »Meiner Treu, Herr, ich hätte nie geglaubt, daß ein so geschickter Maurer Philosoph sein könne, wenn ich Sie nicht selber als Zeugen dafür hätte. Da man nun aber noch nicht heute abreist, so hätten Sie wohl noch Muße, uns diesen Anfang der Welt von Ewigkeit her zu erklären, auf den Sie uns vorhin Hoffnung machten. Ich verspreche Ihnen zum Dank dafür, daß ich, sobald ich wieder auf dem Mond bin, von wo ich gekommen bin, wie mein Hofmeister« — ich bezeichnete ihm den Dämon — »Ihnen bezeugen wird, dort Ihren Ruhm ausstreuen werde, indem ich die schönen Dinge erzähle, die Sie mir sagen. Ich sehe wohl, daß Sie über dieses Versprechen lachen, da Sie nicht glauben, daß der Mond eine Welt ist, und noch weniger, daß ich einer seiner Bewohner bin; aber ich kann Ihnen auch versichern, daß die Völker jener Welt dort, die diese hier nur für einen Mond halten, sich über mich lustig machen werden, wenn ich sage, daß unser Mond eine Weltkugel ist und die Felder hier aus Erde sind und daß Sie Menschen sind.« Er antwortete mir nur durch ein Lächeln und sagte:
»Da wir gezwungen sind, wenn wir zum Ursprung dieses großen Alls zurückgehen wollen, drei oder vier Ungereimtheiten in Kauf zu nehmen, so ist es wohl vernünftig, den Weg zu wählen, auf dem wir am wenigsten stolpern. Das erste Hindernis, das uns auält, ist die Ewigkeit der Welt; und da der Geist der Menschen nicht stark genug ist, sie zu erfassen, und sich auch nicht vorstellen kann, daß dies große Weltall, das so schön, so wohl geordnet ist, von selber geworden sein könne, so haben sie ihre Zuflucht zur Schöpfung genommen. Aber ähnlich wie einer, der sich in den Fluß taucht aus Furcht, er könne vom Regen naß werden, retten sie sich aus den Händen eines Zwerges in das Mitleid eines Riesen. Und sie retten sich nicht einmal davor; denn diese Ewigkeit, die sie der Welt nehmen, weil sie sie nicht verstehen konnten, geben sie Gott, als ob es ihnen leichter wäre, sie in dem einen statt in dem andern sich zu denken. Diese Ungereimtheit also oder der Riese, von dem ich sprach, ist die Schöpfung; denn sagen Sie mir bitte, hat man je begriffen, wie aus nichts etwas werden kann? Zwischen dem Nichts und auch nur einem Atom besteht ein so unendlicher Unterschied, daß auch das spitzfindigste Gehirn darein nicht eindringen kann. Um also diesem Labyrinth von Unerklärbarkeit zu entgehen, muß man neben Gott eine ewige Materie annehmen, und dann braucht man keinen Gott mehr anzunehmen, da die Welt ohne ihn werden konnte. Aber, werden Sie sagen, wenn ich Ihnen die ewige Materie zugebe, wie hat sich das Chaos von selber geordnet? Oh, ich werde es Ihnen erklären.« Er wollte fortfahren; aber da trat der alte Hausherr ein, und das erinnerte unseren Philosophen ans Heim
gehen; er brachte nämlich die Kristallkugeln voll Glühwürmchen, um den Saal zu erhellen; aber da diese kleinen Insektenfeuer viel von ihrem Lichte verlieren, wenn sie nicht frisch gesammelt sind, so leuchteten jene, die schon zehn Tage alt waren, kaum noch. Mein Dämon wartete gar nicht erst, bis das der Gesellscha unbequem wurde, sondern stieg in sein Zimmer hinauf; er kam alsbald mit zwei Eisenkugeln wieder herunter, die so hell strahlten, daß jedermann sich wunderte, wieso er sich die Finger nicht verbrenne. »Diese unverbrennbaren Fackeln«, sagte er, »dienen uns besser als unsere Würmchenknäuel; es sind Sonnenstrahlen, die ich von ihrer Hitze gereinigt habe. Sonst hätten die ätzenden Eigenschaen ihres Feuers ihr Sehvermögen verletzt, indem sie es geblendet hätten. Ich habe ihr Licht aufgefangen und es in die durchsichtigen Kugeln hier, die ich halte, eingeschlossen. Das braucht Ihnen nicht ein Gegenstand großer Bewunderung zu sein, denn es ist für mich, der ich auf der Sonne geboren bin, nicht schwieriger, ihre Strahlen, die der Staub jener Welt sind, zu verdichten, als es für Sie ist, Staub oder Atome aufzusammeln, die pulverisierte Erde von dieser Welt hier sind.« Als man das Lob dieser Sonnenkinder geendet hatte, schickte der junge Hauswirt seinen Vater, die Philosophen heimzugeleiten, denn es war spät, mit einem Dutzend Würmchenkugeln, die an seine vier Beine gehängt waren. Wir andere, nämlich der junge Hausherr, mein Lehrer und ich, gingen nach der Anordnung des Physiognomen schlafen. Dieser legte mich diesmal in ein Zimmer voll Veilchen und Lilien und ließ mich wie gewöhnlich zum Einschläfern kitzeln.
Am folgenden Morgen gegen neun Uhr sah ich meinen Dämon eintreten. Er erzählte mir, er komme vom Schloß, wohin Z., eine der Damen der Königin, ihn beschieden habe. Sie habe sich nach mir erkundigt und erkennen lassen, daß sie in der Absicht verharre, mir Wort zu halten, nämlich daß sie mir gern folgen werde, wenn ich sie mit mir in die andere Welt nehmen wolle. »Es hat mich sehr erbaut«, fuhr er fort, »als ich erkannte, daß der Hauptantrieb für ihre Reise war, Christin zu werden. So hab ich ihr versprochen, ihr mit allen Kräen bei ihrem Vorhaben behilflich zu sein und zu diesem Zweck eine Maschine zu erfinden, die drei oder vier Personen zu tragen vermag, in die ihr miteinander steigen könnt; gleich von heute ab will ich mich ernstlich an die Ausführung dieses Unternehmens machen. Deshalb lasse ich dir zu deiner Unterhaltung, solange ich nicht bei dir bin, ein Buch da. Ich habe es einst aus meinem Geburtsland mitgebracht; es ist überschrieben ›Die Staaten und Reiche der Sonne‹; ich gebe dir auch dies hier, das ich noch höher einschätze; es ist das ›Große Werk von den Philosophen‹ das einer der hervorragendsten Köpfe auf der Sonne verfaßt hat. Er beweist darin, daß alle Dinge wahr sind, und legt dar, wie man tatsächlich auf dem Gebiet der Dinge die Wahrheiten jedes Gegensatzes vereinigen kann, wie zum Beispiel, daß weiß schwarz ist und schwarz weiß, daß man sein und nicht sein kann zu gleicher Zeit, daß es einen Berg geben kann ohne Tal, daß das Nichts etwas ist und daß alle Dinge, die sind, nicht sind. Beachte aber, daß er alle diese unerhörten Paradoxa ohne die geringste verfängliche oder sophistische Begründung beweist. Wenn du genug gelesen hast, kannst du Spazierengehen oder dich mit unserem
jungen Hausherrn unterhalten. Sein Geist hat viele Reize; das einzige, was mir an ihm mißfällt, ist, daß er gottlos ist. Wenn er dir aber mit seinen Redereien Ärgernis erregt oder deinen Glauben ins Wanken bringt, so unterlasse es ja nicht, mir sie sofort vorzutragen. Ich werde dir die Schwierigkeiten lösen. Ein anderer würde dir anbefehlen, den Umgang aufzugeben; aber da er äußerst eitel ist, so bin ich überzeugt, er würde diese Flucht als Niederlage auffassen und sich vorstellen, unser Glaube habe keine Vernungründe, wenn du dich weigerst, seine anzuhören. Gedenke frei zu leben!« Er verließ mich mit diesem Worte, denn das ist das Adieu, mit dem man sich dortzulande von jemand verabschiedet, wie ›Guten Tag‹ oder ›Ihr Diener, mein Herr‹, ausgedrückt werden durch die Höflichkeit: ›Liebe mich, Weiser, da ich dich liebe.‹ Kaum war er mir aus den Augen, als ich mich daran machte, meine Bücher eingehend zu besehen: die Kästchen, das heißt die Einbände schienen mir von bewundernswert reicher Ausführung. Der eine war aus einem einzigen Diamanten geschnitten, der ganz unvergleichlich viel leuchtender war als unsere; der zweite schien nur eine ungeheure Perle, die in zwei Teile gespalten war. Mein Dämon hatte die Bücher in die Sprache jener Welt übersetzt; aber da ich von ihrem Druck noch nicht gesprochen habe, will ich weiter über die Beschaffenheit der beiden Bände sprechen. Beim Öffnen des Kästchens fand ich darin etwas aus Metall, das ungefähr unseren Uhren glich, voll von irgendwelchen kleinen Federn und nicht mehr wahrnehmbaren Maschinen. Das ist wirklich und wahrhaig ein Buch; aber ein wunderbares Buch, das weder Blätter
noch Buchstaben hat. Kurz, es ist ein Buch, zu dem, daraus zu lernen, die Augen unnötig sind, man braucht nur Ohren. Wenn also einer zu lesen wünscht, spannt er mittels einer großen Menge aller Art kleiner Nerven die Maschine und dreht den Zeiger auf das Kapitel, das er hören möchte. Sofort kommen aus dieser Nuß wie aus dem Mund eines Menschen oder aus einem Musikinstrument deutlich und unterschieden alle Töne hervor, die bei den vornehmen Mondbewohnern der Ausdruck der Sprache sind. Nachdem ich über diese wunderbare Erfindung, Bücher zu machen, nachgedacht hatte, wunderte ich mich nicht mehr, daß die jungen Leute mit sechzehn bis achtzehn Jahren in diesem Lande mehr Kenntnisse besitzen als die Graubärte bei uns. Denn wie sie lesen können, sobald sie sprechen können, so sind sie nie ohne Lektüre; im Zimmer, beim Spaziergang, in der Stadt, auf der Reise, zu Fuß, zu Pferd können sie in den Taschen oder am Bogen ihres Sattels angehängt dreißig solcher Bücher haben, an denen sie nur eine Feder zu spannen brauchen, um ein einzelnes Kapitel zu hören oder mehrere, wenn sie gerade Lust haben, ein ganzes Buch zu vernehmen. So hat man unauörlich alle großen Männer, Lebende und Tote, um sich, die einen mit lebendiger Stimme unterhalten. Das Geschenk beschäigte mich über eine Stunde; aber schließlich ging ich in die Stadt spazieren, nachdem ich es in Form von Ohrgehängen an mir befestigt hatte. Da ich eben die Straße, die unserem Haus gegenüber einmündet, durchschritten hatte, begegnete ich am anderen Ende einer ziemlich zahlreichen Schar trauriger Leute.
Vier von ihnen trugen auf ihren Schultern eine Art Sarg, der schwarz verhüllt war. Ich erkundigte mich bei einem Zuschauer, was dieser Zug bedeute, der dem Trauergepränge meines Heimatlandes ähnlich war; er antwortete, der Bösewicht W., der des Neides und der Undankbarkeit überführt worden war, sei gestern verschieden, und der oberste Gerichtshof habe ihn vor mehr als zwanzig Jahren schon verurteilt, eines natürlichen Todes und in seinem Bett zu sterben und dann nach seinem Tode begraben zu werden. Ich fing an zu lachen über diese Antwort, und da er mich fragte, warum, erwiderte ich: »Sie setzen mich in Erstaunen durch die Erklärung, daß, was ein Zeichen des Segens in unserem Lande ist wie langes Leben, ein friedlicher Tod, ein feierliches Begräbnis, hier als strenge Strafe dient.« »Wie, Sie sehen die Beerdigung als Zeichen des Segens an«, entgegnete mir der Mann, »was, beim Himmel, können Sie sich etwas Abscheulicheres denken als einen Leichnam unter den Würmern, von denen er überläu? Der Gnade der Kröten überlassen, die ihm die Backen benagen? Kurz, die Pest in den Körper eines Menschen gekleidet! Lieber Himmel! Nur die Vorstellung davon, obwohl man tot ist, ein Tuch auf dem Gesicht zu haben und auf dem Munde einen Erdhaufen, das benimmt mir schon den Atem! Der Elende, den Sie da tragen sehen, ist außer zu der Schmach in eine Grube geworfen zu werden, noch dazu verdammt worden, daß seinem Leichenzuge hundertundfünfzig Freunde von ihm anwohnen müssen, und ihnen ist befohlen zur Strafe dafür, daß sie einen Neider und Undankbaren geliebt haben, bei seinem Leichenbegräbnis mit einem traurigen Ge
sicht zu erscheinen; und wenn die Richter nicht Mitleid gehabt und sein Verbrechen zum Teil dem geringen Maß an Geist, das er hatte, zugeschrieben hätten, so hätten sie jenen befohlen, dabei zu weinen. Außer den Verbrechern wird jedermann verbrannt. Das ist ein höchst schicklicher, reinlicher und sehr vernüniger Gebrauch; denn wir glauben, daß wenn das Feuer das Reine vom Unreinen geschieden und mit seiner Wärme durch Sympathie jene natürliche Wärme, die die Seele bildete, gesammelt hat, es ihr die Kra gibt, immerzu emporzusteigen, so daß sie bis zu einem Stern sich erhebt, dem Lande gewisser Völker, die unstofflicher und geistiger sind als wir, weil ihre Beschaffenheit übereinstimmen und teilhaben soll an der Reinheit der Weltkugel, auf der sie wohnen, und daß diese ursprüngliche Flamme, die an der Feinheit der Elemente jener Welt sich noch geläutert hat, nun einen der Bürger jenes entflammten Landes bildet. Das ist jedoch noch nicht unsere schönste Art der Beisetzung. Wenn einer unserer Philosophen in ein Alter kommt, da er seinen Geist schwächer werden und die Bewegungen seiner Seele durch das Eis seiner Jahre erstarren fühlt, versammelt er seine Freunde zu einem prächtigen Festmahl. Nachdem er dann die Beweggründe auseinandergesetzt hat, die ihn zu dem Entschluß brachten, von der Natur Abschied zu nehmen, die geringe Hoffnung, die er hat, seinen schönen Leistungen noch etwas hinzufügen zu können, erweist man ihm entweder Gnade, das heißt, man verordnet ihm zu sterben, oder man gibt ihm den strengen Befehl, am Leben zu bleiben. Wenn man also mit Stimmenmehrheit sein Leben in seine Hände gegeben hat, dann bezeichnet er
denen, die ihm die Liebsten sind, Tag und Ort: sie purgieren sich und enthalten sich vierundzwanzig Stunden lang des Essens. Wenn sie dann in der Wohnung des Weisen angelangt sind, so treten sie, nachdem sie der Sonne geopfert haben, in das Gemach, wo der Edle sie auf einem Paradebett erwartet. Jeder eilt nach der Reihe zur Umarmung, und wenn es an den kommt, den er am liebsten hat, so küßt er ihn zärtlich, stemmt ihn an seinen Magen, legt seinen Mund auf den des anderen und taucht mit der rechten Hand, die er frei hat, einen Dolch sich ins Herz. Der Freund löst seine Lippen nicht von denen des Freundes, bis er fühlt, daß er verschieden ist. Dann zieht er ihm das Eisen aus der Brust, schließt mit seinem Mund die Wunde, trinkt so sein Blut und schlür immerzu, bis er keines mehr davon trinken kann. Sofort folgt ihm ein anderer, und man trägt jenen zu Bett; wenn der zweite gesättigt ist, legt man ihn schlafen, um dem dritten den Platz frei zu geben; wenn schließlich die ganze Gesellscha befriedigt ist, führt man jedem nach vier oder fünf Stunden ein sechzehn- bis siebzehnjähriges Mädchen zu, und drei oder vier Tage lang, während sie die Wonnen der Liebe genießen, werden sie nur mit dem Fleische des Toten ernährt, das man sie ganz roh essen läßt, damit, wenn aus diesen Umarmungen etwas zum Leben erweckt wird, sie versichert sind, daß es ihr Freund ist, der wieder auflebt.« Ich ließ dem Manne keine Zeit mehr, weiter zu reden, ließ ihn stehen und setzte meinen Spaziergang fort. Obwohl ich ihn nur ziemlich kurz ausdehnte, so brachte ich doch soviel Zeit mit den Einzelheiten der Schauspiele, die ich da genoß, und mit dem Besuche einiger Plätze in der Stadt zu, daß ich erst mehr als zwei
Stunden später, als das Essen fertig war, zurückkehrte. Man fragte, warum ich so spät gekommen sei. »Das war nicht mein Fehler«, antwortete ich dem Koch, der sich beklagte, »ich habe mehrmals auf der Straße gefragt, wieviel Uhr es sei, aber man hat mir nur damit geantwortet, daß man den Mund aufmachte, die Zähne zusammenbiß und das Gesicht schief drehte.« »Was«, rief die ganze Gesellscha, »Sie wissen nicht, daß man Ihnen damit zeigte, wieviel Uhr es war?« »Meiner Treu«, entgegnete ich, »sie konnten, soviel sie wollten, ihre großen Nasen der Sonne aussetzen, bis ich das erfahren hätte!« »Das ist eine Annehmlichkeit«, sagte man, »die ihnen dient, ohne Uhr auszukommen; denn mit ihren Zähnen bilden sie ein so richtiges Zifferblatt, daß, wenn sie jemand die Zeit anzeigen wollen und die Lippen öffnen, der Schatten der Nase, der darauf fällt, wie auf einem Zifferblatt das anzeigt, worum der Wißbegierige in Sorge ist. Und damit Sie wissen, warum hierzulande alle Leute große Nasen haben, so hören Sie, daß, sobald eine Frau niedergekommen ist, die Patin das Kind zum Prior des Seminars bringt. Und genau nach einem Jahr versammeln sich die Sachverständigen, wenn dann seine Nase kürzer befunden wird als ein bestimmtes Maß, das der Syndikus hat, so wird es für stumpfnasig erklärt und in die Hände der Priester gegeben, die es entmannen. Sie fragen möglicherweise nach dem Grund dieser Grausamkeit; wie es geschehen kann, daß wir, bei denen Jungfräulichkeit ein Verbrechen ist, Leute mit Gewalt enthaltsam machen? So erfahren Sie, daß wir es tun, nachdem wir seit dreißighundert Jahren beobachtet haben, daß eine große Nase * als Aushängeschild ein Merk
mal ist, das sagt: hier wohnt ein geistvoller, kluger, höflicher, freundlicher, hochherziger Mensch mit feinem Sinn; und daß die kleine das Wahrzeichen der gegenteiligen Laster ist. Daher macht man aus den Stumpfnasen Eunuchen, weil der Staat lieber keine Kinder von ihnen will als Kinder, die ihnen ähnlich sind.« Er sprach noch, als ich einen ganz nackten Menschen eintreten sah. Ich setzte mich sofort und bedeckte mich, um ihm Ehre zu erweisen, denn das sind die größten Ehrfurchtsbezeugungen, die man hierzulande für jemand haben kann. »Das Königreich«, sagte er, »wünscht, daß Sie die Verwaltung benachrichtigen, ehe Sie nach Hause abreisen, da ein Mathematiker soeben dem Rate versprochen hat, vorausgesetzt, daß Sie nach Ihrer Rückkehr in Ihre Welt eine bestimmte Maschine, die er Ihnen angeben wird, bauen wollen, die zu einer stimmt, die er hier bereithalten wird, so werde er jene Welt hierher ziehen und mit unserer Weltkugel vereinen.« Sobald er draußen war, wandte ich mich an den jungen Hausherrn: »Bitte belehren Sie mich darüber, was dies Bronzestück bedeutet, die Nachbildung des Teiles, das zu zeigen man sich gewöhnlich schämt, das am Gürtel dieses Mannes hängt?« Ich hatte damals viel gesehen bei Hof, als ich im Käfig lebte. Aber da ich sozusagen immer von den Damen der Königin umgeben war, fürchtete ich, die Achtung zu verletzen, die man ihrem Geschlecht und ihrer Stellung schuldet, wenn ich in ihrer Gegenwart das Gespräch auf einen so anstößigen Gegenstand gelenkt hätte. Er antwortete: »Die Weibchen hier sind ebensowenig wie die Männchen so undankbar, daß sie rot werden beim Anblick dessen, das sie hervor
gebracht hat; und die Jungfrauen schämen sich nicht, an uns in Erinnerung an ihre Mutter Natur das einzige, das ihren Namen trägt, zu lieben. Die Binde, mit der dieser Mann geehrt ist, an der als Medaille das Bild eines männlichen Gliedes hängt, ist das Sinnbild des Edelmannes und das Wahrzeichen, das den Vornehmen vom Bürgerlichen unterscheidet.« Diese Seltsamkeit schien mir so absonderlich, daß ich mich kaum enthalten konnte zu lachen. »Der Gebrauch scheint mir recht außergewöhnlich«, sagte ich zu unserem kleinen Hausherrn, »denn in unserer Welt ist es das Wahrzeichen des Adels, den Degen zu tragen.« Aber er rief, ohne in Bewegung zu geraten: »Oh, kleiner Mann, die Vornehmen Ihrer Welt sind also darauf aus, mit einem Instrument zu glänzen, das einen Henker kennzeichnet, das nur gemacht ist, uns zu zerstören, kurz der geschworene Feind alles Lebendigen, und im Gegensatz dazu ein Glied zu verbergen, ohne das wir in der Reihe dessen, das nicht ist, stünden: den Prometheus jedes Lebewesens und den, der unermüdlich die Schwächen der Natur ausbessert. Unglückliches Land, wo die Wahrzeichen der Zeugung schmählich sind und die der Vernichtung ehrend! Sie nennen jedoch dies Glied den Teil, den zu zeigen man sich gewöhnlich schämt, als ob es Ruhmvolleres gäbe, als Leben zu geben, und Schmachvolleres, als es zu nehmen.« Während dieses ganzen Gespräches ließen wir nicht ab, zu Mittag zu speisen, und sobald wir uns erhoben hatten, gingen wir in den Garten an die Lu. Die Lage und die Schönheiten des Ortes boten uns eine Zeitlang Unterhaltung; aber da die edelste Begierde, die mich damals kitzelte, war, eine Seele, die sich so hoch über das
Gemeine erhob, zu unserer Religion zu bekehren, ermahnte ich ihn tausendmal, den schönen Geist, womit der Himmel ihn begabt habe, nicht in den Schmutz des Irdischen zu ziehen; er möge aus dem Gewühl der Tiere diesen Geist herausziehen, der fähig sei der Anschauung Gottes; kurz, er möge ernstlich darauf bedacht sein, sein unsterblich Teil eines Tages der Freude lieber als der Pein vereint zu sehen. »Wie«, erwiderte er mir, in Lachen ausbrechend, »Sie halten Ihre Seele für unsterblich und darin bevorzugt vor der der Tiere? Ehrlich gesagt, mein lieber Freund, Ihr Hochmut ist recht unverschämt. Und wo leiten Sie bitte diese Unsterblichkeit zum Nachteil jener der Tiere her? Vielleicht, weil wir mit vernünigem Denken begabt sind und sie nicht? Erstens leugne ich das, und ich werde Ihnen beweisen, wenn Sie wünschen, daß sie mit Vernun denken wie wir. Aber selbst wenn es wahr wäre, daß die Vernun uns als Mitgabe zugeteilt und als Vorrecht einzig unserer Gattung vorbehalten wäre, muß man darum behaupten, Gott müsse den Menschen noch durch die Unsterblichkeit reicher machen, weil er ihn schon mit der Vernun verschwenderisch beschenkt habe? Ich muß also nach dieser Rechnung heute jenem Armen eine Pistole * schenken, weil ich ihm gestern einen Taler gab. Sie sehen selber, wie falsch dieser Schluß ist und ob im Gegenteil ich nicht ungerecht bin; statt dem hier eine Pistole zu geben, sollte ich lieber dem anderen einen Taler geben, da er nichts von mir erhalten hat. Daraus muß man schließen, daß Gott, tausendmal gerechter als wir, nicht alles auf die einen ausgegossen haben wird, um für die anderen nichts übrigzulassen. Wenn man das Beispiel der älteren Söhne Ihrer Welt her
anzieht, die auf ihren Anteil sozusagen alle Güter des Hauses nehmen, so ist das eben eine Schwäche der Väter, die ihrem Namen Dauer verleihen wollen und gefürchtet haben, er gehe unter oder verliere sich in der Armut. Aber Gott, der des Irrtums nicht fähig ist, hat sich gehütet, einen so großen zu begehen; und dann, da es in Gottes Ewigkeit kein Vorher und kein Nachher gibt, so sind die Nachgeborenen bei ihm nicht jünger als die älteren Söhne.« Ich verschweige nicht, daß diese Überlegung mich verwirrte. »Sie gestatten mir wohl«, sagte ich zu ihm, »daß wir mit diesem Gegenstand abbrechen, denn ich fühle mich nicht stark genug, Ihnen zu antworten. Ich will mir die Lösung dieser Schwierigkeit bei unserem gemeinsamen Lehrer holen.« Ich stieg sofort, ohne eine Antwort von ihm abzuwarten, in das Zimmer des Dämons hinauf und trug ihm ohne alle Umschweife vor, was man mir eben entgegengehalten hatte in bezug auf die Unsterblichkeit unserer Seelen; er antwortete mir folgendes: »Mein Sohn, dieser junge Leichtfuß, der leidenschalich darauf aus ist, dich zu überreden, es sei nicht wahrscheinlich, daß die Seele des Menschen unsterblich sei, weil Gott, der sich der gemeinsame Vater aller Wesen nennt, ungerecht wäre dadurch, daß er eine Gattung bevorzugt und alle anderen ganz allgemein dem Nichts oder dem Unglück dahingegeben habe, diese Gründe blenden wirklich ein wenig aus der Ferne. Und obwohl ich ihn fragen könnte, wieso er wisse, daß, was für uns gerecht ist, auch gerecht sei für Gott; wieso er wisse, daß Gott nach unserer Elle gemessen werde; wieso er wisse, daß unsere Gesetze und Gebräuche, die nur eingeführt worden sind, unserer Ordnungslosigkeit abzuhelfen,
auch dienen, der Allmacht Gottes die Stücke vorzuschneiden, übergehe ich alle diese Dinge nebst dem, wie über diesen Punkt unsere Kirchenväter miteinander göttlich übereingestimmt haben, und will dir ein Geheimnis entdecken, das noch nicht enthüllt worden ist. Du weißt, mein Sohn, daß aus Erde ein Baum wird, aus einem Baum ein Schwein, aus einem Schwein ein Mensch. Können wir nun nicht glauben, da alle Wesen in der Natur dem Vollkommensten zustreben, daß sie trachten, Menschen zu werden? Weil diese Wesenheit das Schlußergebnis aus der schönsten Mischung und das beste Ausgedachte ist, was es in der Welt gibt, weil sie das einzige ist, das die Verbindungen zwischen dem tierischen Dasein und dem des Engels herstellt. Um zu leugnen, daß diese Verwandlungen eintreten, muß man schon ein ganz Gescheiter sein. Sehen wir nicht, daß ein Pflaumenbaum durch die Wärme seines Keimes wie mit einem Munde den Rasen, der um ihn her ist, aufsaugt und in sich aufnimmt? Daß ein Schwein diese Frucht verschlingt und zu einem Teil seiner selbst werden läßt? Und daß ein Mensch, der das Schwein verzehrt, dies tote Fleisch wieder erwärmt, in sich einfügt und das Tier unter einer viel edleren Gattung wieder aufleben läßt? So war der hohe Geistliche, den du mit der Mitra auf dem Haupte siehst, vor nur sechzig Jahren ein Büschel Kraut in meinem Garten. Da nun Gott der gemeinsame Vater aller seiner Geschöpfe ist, ist es da nicht sehr glaublich, wenn er sie alle gleich liebhat, daß, nachdem durch diese Seelenwanderung, die vernunvoller als die pythagoräische ist, alles, was fühlt, alles, was lebt, kurz die gesamte Materie durch den Menschen hindurchgegangen ist, daß dann jener große Tag des Gerichtes kommt, mit dem
die Propheten die Geheimnisse ihrer Weisheit endigen lassen?« Ich stieg sehr befriedigt wieder in den Garten hinab und begann meinem Gefährten vorzutragen, was mein Lehrmeister mich gelehrt hatte, da erschien der Physiognom, um uns zur Speisung und in den Schlafraum zu geleiten. Ich verschweige die Einzelheiten davon, denn ich wurde gespeist und zur Ruhe gebracht wie am Tage vorher. Kaum war ich am nächsten Tage auf, so ging ich, meinen Gegner zu wecken. »Es ist ein ebenso großes Wunder«, sagte ich, zu ihm tretend, »einen starken Geist wie den Ihrigen im Schlaf begraben zu finden, wie ein Feuer untätig zu sehen.« Er lächelte über diese üble Schmeichelei. »Nein«, rief er in einem aus Liebe leidenschalichen Zorn aus, »werden Sie niemals Ihren Mund so wie Ihre Vernun von diesen Ausdrücken wie Wunder, die in die Fabeln gehören, abwenden? Diese Bezeichnungen machen einem Philosophen Unehre. Da der Weise nichts in der Welt sieht, das er nicht begrei und als begreiar erachtet, so soll er alle diese Ausdrücke wie ›Wunder‹, ›übernatürliche Ereignisse‹ verabscheuen, die die Dummen erfunden haben, um die Unzulänglichkeit ihres Verstehens zu entschuldigen.« Ich glaubte nun von Gewissens wegen verpflichtet zu sein, das Wort zu ergreifen, um ihn von seinem Irrtum zurückzubringen. »Wenn Sie«, erwiderte ich, »auch nicht an Wunder glauben, so geschehen darum doch welche, und zwar viele. Ich habe mit eigenen Augen welche gesehen. Ich habe mehr als zwanzig Kranke gekannt, die auf wunderbare Weise geheilt wurden.«
»Sie behaupten es«, fuhr er fort, »daß diese Leute durch ein Wunder geheilt worden seien; aber Sie wissen nicht, daß die Kra der Phantasie imstande ist, alle Krankheiten zu heilen, wegen eines gewissen natürlichen Balsams, der alle Eigenschaen enthält, die all denen jedes Übels, das uns angrei, entgegengesetzt sind; und unsere Phantasie sucht, durch den Schmerz benachrichtigt, an jener Stelle das besondere, geeignete Mittel, das sie dem Gi entgegenstellt, und heilt uns so. Daher kommt es, daß ein geschickter Arzt unserer Welt dem Kranken rät, lieber einen unwissenden Arzt zu nehmen, den er für geschickt hält, als einen geschickten, den er für unwissend hält, weil er daran denkt, daß unsere Phantasie, die an unserer Gesundheit arbeitet, sofern man ihr nur ein wenig durch Mittel nachhil, fähig ist, uns zu heilen. Daß aber die kräigsten zu schwach wären, wenn die Phantasie sich nicht damit abgeben würde. Wundern Sie sich, daß die ersten Menschen Ihrer Welt soviel hundert Jahre lebten, ohne die geringste Kenntnis von der Medizin gehabt zu haben? Ihre Natur war stark, der allumfassende Balsam nicht zerstreut durch das Apothekerzeug, mit dem Ihre Ärzte Sie aufreiben. Um anzufangen gesund zu werden, brauchten sie es nur heig zu wünschen und sich vorzustellen, sie seien geheilt; sofort tauchte ihre lautere, kravolle und gespannte Phantasie sich in dies Lebensöl, wandte das Wirksame auf das Leidende an: Und fast in einem Augenblick waren sie so gesund wie zuvor. Auch heutzutage kommen noch erstaunliche Kuren zustande, aber die Allgemeinheit schreibt sie dem Wunder zu. Ich für meine Person glaube davon überhaupt nichts, und mein Grund ist der, daß es leichter geschehen kann, daß alle,
die das behaupten, sich täuschen, als das leicht zu machen wäre. Nun habe ich folgende Frage an Sie: Der Fieberkranke, der geheilt wurde, hat, wie es wahrscheinlich ist, während seiner Krankheit sehr heig gewünscht, gesund zu werden; er hat Gelübde getan. Nun mußte er notwendigerweise sterben, in seinem Übel verbleiben oder gesund werden. Wenn er gestorben wäre, hätte man gesagt, Gott hat ihn für seine Leiden entschädigt; man wird ihm sogar vielleicht boshaerweise eine zweideutige Auslegung unterschieben und sagen, er habe den Kranken seinem Gebete entsprechend von all seinen Übeln geheilt. Wenn er krank geblieben wäre, hätte man gesagt, er habe keinen Glauben. Aber weil er gesund geworden ist, ist das ein ganz offensichtliches Wunder. Ist es nicht wahrscheinlicher, daß seine Phantasie, durch den heigen Wunsch nach Gesundheit angereizt, ihre Tätigkeit ausgeübt hat? Ich will nämlich, daß er davongekommen sein soll. Viele sind es von diesen Herren, die etwas gelobt haben, wie viele mehr sehen wir, die mitsamt ihren Gelübden elendiglich zugrunde gegangen sind?« »Aber zum wenigsten«, entgegnete ich ihm, »wenn das, was Sie von dem Balsam sagen, wahr ist, ist das ein Zeichen von der Vernünigkeit unserer Seele, da sie, ohne sich der Instrumente unserer Vernun zu bedienen, noch sich auf die Mitwirkung unseres Willens zu stützen, selber, als ob sie außerhalb von uns wäre, das Wirksame auf das Leidende einwirken läßt. Also wenn sie, von uns getrennt, vernünig ist, muß sie notwendigerweise geistig sein. Und wenn Sie zugeben, daß sie geistig ist, so ziehe ich den Schluß, daß sie unsterblich ist, da der Tod im Lebewesen nur durch die Veränderung
der Formen eintritt, deren allein die Materie fähig ist.« Darauf sprach der junge Mensch, der sich im Bett aufrecht gesetzt hatte und mich ebenfalls sitzen ließ, etwa in der Weise: »Daß die Seele der Tiere, die körperlich ist, stirbt, darüber wundere ich mich nicht, im Hinblick darauf, daß sie nichts ist oder sein kann als ein Zusammenklang von vier Eigenschaen, eine Kra des Blutes, ein Verhältnis gut zusammengestimmter Organe; aber ich wundere mich sehr, daß die unsere, mit Geist begabt, unkörperlich und unsterblich, gezwungen sein soll, aus uns hinauszugehen aus der gleichen Ursache, welche die eines Ochsen zugrunde gehen läßt. Hat sie einen Pakt mit unserem Körper geschlossen, daß sie, wenn er einen Degenstich ins Herz, eine Bleikugel ins Gehirn, einen Flintenschuß durch den Körper bekommt, sofort ihr durchlöchertes Haus verläßt? Dann würde sie erst noch o ihren Vertrag nicht einhalten, denn manche sterben an einer Verwundung, von der andere wieder davonkommen; jede Seele müßte eine besondere Abmachung mit ihrem Körper getroffen haben. In Wahrheit ist sie, die nach dem, was man uns glauben macht, soviel Geist hat, sehr versessen darauf, eine Wohnung zu verlassen, wenn sie auch sieht, daß man ihr bei ihrem Auszug von da ihre Behausung in der Hölle bezeichnet. Und wenn die Seele geistig und für sich selber vernünig wäre, wie behauptet wird, so daß sie ebenso fähig wäre, Verstand zu besitzen, wenn sie von unserer Masse getrennt ist, wie wenn sie mit ihr bekleidet ist, warum können sich dann die Blindgeborenen mit all den schönen Vorzügen dieser verstandbegabten Seele nicht einmal vorstellen, was Sehen ist? Warum hören die Tauben nicht? Ist es deshalb, weil sie noch nicht durch
den Tod aller Sinne beraubt sind? Wie, ich könnte also meine rechte Hand nicht gebrauchen, weil ich eine linke habe? Man führt, um zu beweisen, daß sie nicht ohne die Sinne wirken kann, wiewohl sie geistig ist, das Beispiel eines Malers an, der kein Bild machen kann, wenn er keinen Pinsel hat. Ja, aber man kann nicht sagen, daß der Maler, der nicht ohne Pinsel arbeiten kann, wenn er zwar Pinsel hat, aber noch seine Farben, seine Stie, seine Leinwand, seine Schalen verloren hat, es dann besser machen könnte. Ganz im Gegenteil! Je mehr Hindernisse sich seiner Arbeit entgegenstellen, um so unmöglicher ist es ihm zu malen. Indessen will man behaupten, diese Seele, die nur unvollkommen wirken kann, weil sie im Laufe des Lebens eines ihrer Werkzeuge verloren hat, könne nachher vollkommen arbeiten, wenn sie nach unserem Tode sie alle verloren hat. Wenn man uns wieder vorsingt, sie brauche diese Instrumente nicht, um ihre Tätigkeit auszuüben, so singe ich dagegen, man müsse also die Dreihundert * prügeln, die so tun, als sähen sie nicht das Geringste.« »Aber«, sagte ich, »wenn unsere Seele stürbe, wie Sie, ich sehe es wohl, schließen wollen, dann wäre also die Auferstehung, die wir erwarten, nur ein Hirngespinst? Denn Gott müßte sie wieder erschaffen, und das wäre keine Auferstehung.« Er unterbrach mich mit einem Kopfschütteln. »Meiner Treu«, rief er, »wer hat Sie mit diesem Ammenmärchen eingewiegt? Was, Sie, ich, mein Dienstmädchen sollen auferstehen?« »Das ist durchaus«, erwiderte ich, »keine Geschichte, die zum Vergnügen erfunden ist, sondern eine unzweifelhae Wahrheit, die ich Ihnen beweisen werde.«
»Und ich«, sagte er, »werde Ihnen das Gegenteil beweisen. Um also anzufangen, setze ich zunächst voraus, daß Sie einen Mohammedaner verspeisen. Sie wandeln ihn infolgedessen in Ihre Substanz um. Ist das nicht wahr? Der verdaute Mohammedaner geht zum Teil in Fleisch, zum Teil in Blut, zum Teil in Samen über. Sie umarmen Ihre Frau, und aus dem Samen, der ganz aus dem mohammedanischen Körper gezogen ist, werfen Sie einen netten kleinen Christen in die Form. Ich frage: Wird der Mohammedaner seinen Körper bekommen? Wenn die Erde ihm ihn wiedergibt, wird der kleine Christ den seinen nicht bekommen, da der ganze Kerl nur ein Teil von dem des Mohammedaners ist. Wenn Sie sagen, der kleine Christ wird den seinigen bekommen, so wird Gott also dem Mohammedaner das entziehen, was der kleine Christ nur aus jenem des Mohammedaners bekommen hat. Also muß es unbedingt dem einen oder dem anderen am Körper fehlen. Sie werden mir vielleicht antworten, Gott werde Materie wieder erschaffen, um den, der nicht genug hat, zu ergänzen? Ja, aber da hält uns eine andere Schwierigkeit auf: Der verdammte Mohammedaner steht auf, und Gott gibt ihm einen ganz neuen Körper, weil der kleine Christ ihm seinen gestohlen hat, da nun der Körper allein wie die Seele allein den Menschen nicht ausmacht, sondern nur beide zusammen zu einem einzigen Gegenstand vereinigt, und da der Körper und die Seele wesentliche Bestandteile des Menschen sind, einer wie der andere, so ist das, wenn Gott dem Mohammedaner einen anderen Körper als seinen knetet, nicht mehr das gleiche Individuum. So verdammt Gott einen anderen Menschen als den, der die Hölle verdient hat: so war dieser Körper
zuchtlos, so hat dieser Körper verbrecherisch all seine Sinne mißbraucht, und Gott wir, um diesen Körper zu strafen, einen anderen ins Feuer, der unbefleckt, der rein ist, der niemals seine Organe zur Ausführung des leisesten Unrechts hergegeben hat. Und was noch dazu sehr lächerlich ist: Dieser Körper hätte Hölle und Paradies ganz zugleich verdient. Denn soweit er Mohammedaner ist, muß er verdammt sein, soweit er Christ ist, muß er gerettet werden; so kann Gott ihn nicht ins Paradies tun, ohne ungerecht zu sein, weil er mit der Glorie die Verdammung lohnt, die er als Mohammedaner verdient hatte; und er kann ihn nicht in die Hölle werfen, ohne ungerecht zu sein, weil er mit dem ewigen Tod die Seligkeit lohnt, die er als Christ verdient hatte. Er muß also, wenn er billig sein will, diesen Menschen ewig verdammen und retten.« Da nahm ich das Wort und antwortete ihm: »Ich habe nichts zu erwidern auf Ihre sophistischen Beweise gegen die Auferstehung. Soviel steht fest, daß Gott es gesagt hat, Gott, der nicht lügen kann.« »Nun, nicht so schnell«, entgegnete er, »Sie sind schon bei ›Gott hat es gesagt‹. Zuerst muß bewiesen werden, daß es einen Gott gibt. Denn ich für meine Person leugne ihn ganz rundweg.« »Ich werde mich nicht damit abgeben«, sagte ich zu ihm, »Ihnen die einleuchtenden Darlegungen vorzutragen, deren die Philosophen sich bedient haben, um ihn einzuführen. Man müßte alles das wiederholen, was die vernünigen Menschen je geschrieben haben. Ich frage Sie nur, welche Unbequemlichkeit Sie auf sich laden dadurch, daß Sie es glauben. Ich bin ganz sicher, daß Sie mir keine einzige vorschützen können; da es also unmög
lich ist, etwas anderes als nur Nutzen davon zu haben, warum wollen Sie sich nicht davon überzeugen? Denn wenn es einen Gott gibt, so haben Sie, wenn Sie das nicht glauben, sich verrechnet, und außerdem sind Sie noch dem Gebote, das uns befiehlt, an ihn zu glauben, ungehorsam; und wenn es keinen gibt, so sind Sie auch nicht besser daran als wir.« »Allerdings«, antwortete er, »bin ich besser daran als Sie: Denn wenn es keinen gibt, darin sind Sie und ich gleich im Spiel. Im Gegenteil aber, wenn es einen gibt, habe ich etwas, von dem ich nicht glaubte, daß es vorhanden sei, nicht beleidigen können, da man, um zu sündigen, es entweder wissen oder wollen muß. Sehen Sie nicht, daß ein Mann, mag er auch noch so wenig weise sein, sich nicht beleidigt fühlt, weil ein Lastträger ihn beschimp habe, wenn der Lastträger gemeint hat, er tue es nicht, ihn für einen anderen gehalten hat, oder wenn es der Wein war, der ihn reden machte? Würde mit größerem Rechte Gott, der unerschütterlich ist, über uns zornig werden, weil wir ihn nicht gekannt haben, da er selber uns die Mittel, ihn zu erkennen, versagt hat? Aber wahrhaig, mein kleines Tierchen, wenn der Glaube an Gott uns so notwendig wäre, kurz, wenn er uns das ewige Leben einbrächte, hätte dann nicht Gott selber uns allen Erkenntnis eingeflößt, so hell wie die Sonne, die sich vor niemand verbirgt? Denn vorzugeben, er habe unter den Menschen Verstecken spielen wollen, wie die Kinder ›Guckuk, da da‹ machen, also bald sich vermummen, bald sich zeigen, einigen sich verbergen, um anderen sich zu offenbaren, das hieße einen Gott zurechtmachen, der entweder töricht oder bosha wäre, in Anbetracht dessen, daß, wenn es durch
die Kra meines Geistes geschah, daß ich ihn erkannt habe, er das Verdienst daran hat, nicht ich, um so mehr, als er mir eine Seele oder Organe geben konnte, die dumm waren und mich ihn verkennen ließen. Und wenn er mir im Gegenteil einen Geist gegeben hätte, unfähig, ihn zu erkennen, so wäre das nicht meine Schuld gewesen, sondern die seine, da er mir einen so lebhaen hätte geben können, daß ich ihn erfaßt hätte.« Diese teuflischen und lächerlichen Ansichten erweckten mir einen Schauder über den ganzen Körper. Ich begann jetzt den Mann mit etwas mehr Aufmerksamkeit zu betrachten und war verblü, in seinem Gesicht ich weiß nicht was Schreckliches zu bemerken, das ich noch nicht beobachtet hatte: Seine Augen waren klein und tiefliegend, die Hautfarbe schwarzbraun, der Mund groß, das Kinn haarig, die Nägel schwarz. Ach Gott, dachte ich sofort, der Elende ist verdammt für dies Leben; und möglicherweise ist es sogar der Antichrist, von dem in unserer Welt soviel geredet wird. Ich wollte ihm jedoch meine Gedanken nicht enthüllen, da ich seinen Geist sehr hoch schätzte, und wahrhaftig hatten die günstigen Blicke, mit denen die Natur seine Wiege betrachtet hatte, mir einige Freundscha für ihn eingeflößt. Ich konnte mich indes nicht so weit im Zaume halten, daß ich nicht losplatzte mit Verwünschungen, die ihm ein schlimmes Ende androhten. Aber er überbot meinen Zorn und rief: »Ja, durch den Tod …« Ich weiß nicht, was er zu sagen beabsichtigte, denn es klope indessen an die Türe unseres Zimmers, und ich sah einen großen, schwarzen, ganz behaarten Mann eintreten. Er kam an uns heran, packte den Got
teslästerer, und nur mit seiner Körperkra entführte er ihn durch den Kamin. Das Mitleid, das ich für das Geschick des Unglücklichen empfand, veranlaßte mich, ihn zu umfassen, um ihn den Klauen des Äthiopiers zu entreißen. Aber der war so stark, daß er uns beide auob, so daß wir in einem Augenblick in den Wolken waren. Nun war es nicht mehr Nächstenliebe, die mich veranlaßte, ihn eng zu umklammern, sondern die Angst zu fallen. Nachdem wir ich weiß nicht wieviel Tage den Himmel durcheilt hatten, ohne daß ich gewußt hätte, was mit mir würde, erkannte ich, daß ich mich unserer Welt näherte. Schon unterschied ich Asien von Europa und Europa von Afrika, schon konnten meine Augen, da ich tiefer gekommen war, sich nicht mehr über Italien hinaus krümmen, da sagte mir mein Herz, dieser Teufel bringe zweifellos meinen Wirt in die Hölle mit Leib und Seele, und daher reise er durch unsere Erde, weil die Hölle in ihrem Mittelpunkt ist. Ich vergaß jedoch diese Überlegung und alles, was mir geschehen war, seit der Teufel unser Gefährt war, bei dem Schreck, den mir der Anblick eines Berges ganz in Feuer einflößte, den ich sozusagen berührte. Da ich dies feurige Schauspiel sah, schrie ich auf: »Jesus Maria!« Noch war ich kaum mit dem letzten Buchstaben zu Ende, da fand ich mich ausgestreckt im Heidekraut auf der Spitze eines kleinen Hügels und zwei oder drei Hirten um mich, die Litaneien hersagten und italienisch zu mir sprachen. »Oh«, rief ich da aus, »Gott sei gelobt! Ich habe also endlich Christen in der Welt des Mondes gefunden. He, sagt mir, Freunde, in welcher Provinz eurer Welt bin ich jetzt?«
»In Italien«, antworteten sie mir. »Wie«, unterbrach ich, »gibt es ein Italien auch in der Welt des Mondes?« Ich hatte noch so wenig über den Vorfall nachgedacht, daß ich noch nicht bemerkt hatte, daß sie italienisch mit mir sprachen und ich ihnen ebenso antwortete. Als ich mich nun ganz zurecht gefunden hatte und nichts mehr mich hinderte zu erkennen, daß ich wieder in diese Welt zurückgekehrt war, ließ ich mich führen, wohin jene Landleute mich bringen wollten. Ich war jedoch noch nicht einmal an den Toren von … angelangt, als alle Hunde der Stadt sich auf mich stürzten, und hätte die Angst mich nicht in ein Haus gejagt, wo ich Schranken zwischen uns legte, so wäre ich unfehlbar verschlungen worden. Eine Viertelstunde später, als ich mich in dem Hause ausruhte, hörte man ringsum einen wahren Hexensabbat von allen Hunden, ich glaube, des Königreichs; man sah sie dort von der Dogge bis zum Bologneserhündchen, die heulten mit fürchterlicher Heigkeit, als wenn sie den Jahrestag ihres ersten Adam begangen hätten. Diese Begebenheit erregte bei allen Leuten, die sie sahen, keine geringe Verwunderung; aber sobald ich meine Phantasie auf diesen Umstand hingelenkt hatte, stellte ich mir sofort vor, daß jene Tiere so wild auf mich waren wegen der Welt, von der ich herkam. »Denn«, sagte ich zu mir selber, »da sie gewöhnlich den Mond anbellen um des Schmerzes willen, den er ihnen von soweit her macht, haben sie sich zweifellos auf mich stürzen wollen, weil ich nach dem Monde rieche, dessen Du sie ärgert.« Um mich nun von dieser schlimmen Lu zu reinigen, setzte ich mich auf einer Terrasse ganz nackt der Sonne
aus. Ich erging mich dort vier oder fünf Stunden lang, nach deren Ablauf ich wieder herunter stieg; und die Hunde, welche die Einwirkung, die mich zu ihrem Feind gemacht hatte, nicht mehr fühlten, kehrten jeder nach Hause zurück. Ich erkundigte mich im Hafen, wann ein Schiff nach Frankreich abgehe, und als ich an Bord war, war mein Geist nur darauf gerichtet, die merkwürdigen Erlebnisse meiner Reise wiederzukäuen. Ich bewunderte tausendmal die Vorsehung Gottes, der jene von Natur gottlosen Menschen an einen Ort weggerückt hatte, wo sie seine Lieblinge nicht verderben konnten, und sie für ihren Hochmut gestra hatte, indem er sie ihrem Eigendünkel überließ. Ich zweifle auch nicht daran, daß er es bis jetzt aufgeschoben hat, ihnen das Evangelium predigen zu lassen, weil er wußte, daß sie es mißbrauchen würden und daß dieser Widerstand nur dazu gereichen würde, sie eine viel strengere Bestrafung verdienen zu lassen in der andern Welt.
Nachwort War er verrückt (Lanson) oder ein Phantast (Faguet)? Gewiß ist, daß unserem Autor, der eigentlich HectorSavinien Cyrano heißt, außergewöhnliche Charakterzüge zugestanden werden müssen. Als Cyrano am . März in Paris geboren wird, hat der Dreißigjährige Krieg gerade begonnen. Innenpolitisch ist Frankreich zerrissen, weil der junge König Ludwig XIII. noch eines Vormundes bedarf und der partikularistisch gesinnte französische Hochadel jetzt nichts unversucht läßt, bereits verloren geglaubtes politisches Terrain zurückzugewinnen, um damit die alten Machtpositionen gegen die königliche Zentralgewalt zu restaurieren. Kardinal Richelieu war es, der ohne weitere Rücksichten dieses Ringen beendet, indem er sowohl die einflußreiche protestantische Fraktion (Hugenotten) als auch die katholische adlige Opposition mit List und Courage niederzwingt. Seine glückliche Hand führt das Staatsruder dahin, daß sich Frankreich zur stärksten militärischen, wirtschalichen, kulturellen und damit politischen Macht in Europa entwickeln kann. Erklärtes außenpolitisches Ziel ist, die bisherige Vormachtstellung des Hauses Habsburg zurückzudrängen. Den inneren Frieden stellt der Kardinal her, weil er einerseits den im Verlaufe der über einhundert Jahre schwelenden Religionskriege verrohten, ungebildeten Landadel durch Kultur bei Hof domestiziert, andererseits jedoch sehr nachhaltig den bürgerlichen Dritten Stand fördert. Dadurch sehen sich die aufmüpfigen Vertreter der Hoch
aristokratie in eine Außenseiterposition gedrängt. Andererseits erfreut sich der Bürger des Wohlwollens durch den Ersten Minister Frankreichs vor allem dort, wo für das Gemeinwesen und die Stärkung des Königtums Vorteile entstehen: im Staatsapparat. Der Bürger wird in der Verwaltung, in der Finanz, in der Justiz beamtet, und er kann bei entsprechender Leistung zu den höchsten Ämtern aufsteigen, ja selbst die sozialen Standesschranken scheinen nicht mehr unüberwindbar. Wer sich dem König gegenüber loyal verhält, kann durchaus ein Adelspatent (käuflich) erlangen. Wen würde es da wundern, daß nicht in erster Linie die mehr oder weniger schlecht besoldeten Staatsdiener in den Ersten Stand aufsteigen, sondern jene Schichten, die dem fleißigen Erwerbsbürgertum (Elias) angehören. Immerhin vergrößert sich der ›Amtsadel‹ rapide, wird aber vom sogenannten Schwert- oder Geburtsadel kaum ästimiert. Zu unterschiedlich sind die Wertvorstellungen in bezug auf Vergangenheit und Zukun. Cyrano entstammte einer solchen Familie des jungen Amtsadels, und er ist zeit seines Lebens stolz auf diese Herkun. Alle anderen aristokratischen Gruppen, deren Lebensinhalt immer nur der Krieg war, können gegenüber diesem noblen Konkurrenten im gesellschalichen Paradigma weder vom Weltbild noch von der Lebensart zu einem Handlungskonsens finden. Von Cyranos Kindheit und Jugend ist kaum etwas bekannt, nur so viel, daß er das College Beauvais und das Jesuitenkolleg Clermont in Paris besucht. Mit Vergnügen muß er den Vorlesungen des Epikuräers Gassendi gelauscht haben. Dessen materialistische Prinzipien sollten dann auch für Cyranos literarisches Werk von nach
haltiger Bedeutung sein. Übrigens tri er an diesem Ort unter den zahlreichen adligen Mitschülern auch die beiden Bürgerkinder Chapelle und Molière. Es beginnen Jahre der Unrast: Eskapaden, Jugendstreiche, Duelle, Abenteuer in munterer Folge. Das Verlangen nach Zerstreuung ist von seinem Ungestüm und Tatendrang befördert. Schließlich läßt sich Cyrano bei den Soldaten rekrutieren. Mit einundzwanzig Jahren liegt er sehr schwer verwundet, und damit ändert sich zwangsläufig sein bisheriger Lebenswandel. In Paris sieht man ihn in libertinistischen Zirkeln zwar weiterhin den Genüssen des Lebens frönen, jedoch zunehmend interessiert an kulturellen und sozialen Fragen, die er literarisch umsetzen möchte. Seine Begegnungen mit den anti-idealistisch orientierten Schristellern und mit Furetière, der ihn einmal den ›Bürgermeister im Reiche der Idyllen‹ genannt hat, bringt möglicherweise die Entscheidung zugunsten der Feder. Bevor von seinem Prosawerk die Rede ist, sollte ein Wort zum dramatischen Schaffen gesagt sein, weil Cyrano in den unterschiedlichsten Gattungen gewirkt hat. Die entsprechende Karriere nimmt ihren Lauf mit dem Trauerspiel ›Der Tod der Agrippina‹, einem Stück, das er selbst eine ›philosophische‹ (gassendistische) Tragödie nennt. So originell sein Einfall gewesen sein mag, unter dem Mantel der Historie die bestehende Ordnung zu blasphemieren, es trägt ihm wenig Sympathien beim Publikum ein. Und dieses eaterpublikum setzt sich – wenigstens in der ersten Häle des . Jahrhunderts – doch vorwiegend aus den beiden oberen Ständen zusammen. Tallemant des Réaux, ein Chronist aus dieser
Zeit, verrät uns in seinen ›Historiettes‹, was er von Cyrano und dessen Stück hält: ›Ein Narr namens Cyrano hat ein fürchterliches Stück verfaßt (…) wirklich, ist das ein Quatsch!‹ Mehr Gespür für den Geschmack der Zeit entwickelt Cyrano ein Jahr später, als er eine Komödie auf die Bühne bringt, die sogar Molière inspiriert. Aber während das Stück Cyranos Opfer der Zeitläue geworden ist, überdauerte die Inspiration alle Spielpläne: ›Die Streiche des Scapin‹. Bereits im Jahre beginnt Cyrano mit der Abfassung seiner ›Histoire comique des états et empires de la lune‹ (Komische Geschichte der Staaten und Reiche des Mondes), einem satirischen Prosawerk, das unter dem Eindruck der Astronomen Galilei und Kopernikus, wohl auch infolge des direkten Erlebnisses des gerade beendeten furchtbaren Kriegs, entsteht. In ihm ist die Auflehnung gegen die cartesische Philosophie ebensowenig zu übersehen wie in dem Text von den ›Staaten und Reichen der Sonne‹, die wie der erste Titel auch postum veröffentlicht werden. Die ursprünglich normative Forderung, das sprachliche Kunstwerk habe seinen Gehalt historisch auszurichten, wird hier glatt ignoriert. Der determinierende Faktor ist in Cyranos Epik vielmehr in der Kra eines Genies zu suchen, das sich über die Niederungen der Geschichte erheben will. Die Flugmaschinen und Ballons stehen zwar vordergründig für technischen Fortschritt, sind jedoch letztendlich Vehikel beim produktiven Überschreiten der begrenzten sozialen Wirklichkeit. Damit findet das nonkonformistische Erzähler-Ich wiederum zu neuartigen geschichtlichen Einheiten. Uns bleibt heute zu fragen, wie diese geschichtlichen Einhei
ten des . Jahrhunderts und die im Werk des Autors angelegte Allgemeingültigkeit zueinanderpassen. Nach den Wirren und Verheerungen, die die Religionskriege in Frankreich (übrigens auch psychisch) angerichtet haben, ist die Sehnsucht der Menschen nach Frieden und Glück verständlich. Die Mehrzahl der Autoren dieser Literaturepoche versucht, dem Leserbedürfnis entweder mit den AmadísAbenteuern oder der entrückten Bukolik zu entsprechen. Eine andere Flucht aus der Wirklichkeit dieser Welt ist der Versuch, eine utopische Gesellscha in der Fiktion zu begründen. Cyrano entscheidet sich mit seinem Werk für letzteres. Das utopische Denken empfängt seine Anstöße in den kulturell hochentwickelten Stadtkommunen der italienischen Renaissance. Es ist jener Herd progressiver Anschauungen, dessen Aktivitäten vor allem die bürgerliche Denkweise begünstigt hat, und diese ist durch die Leistung der bekannten Rationalisten (Hobbes, Descartes) vervollkommnet worden. Ungeachtet dessen kann sich Cyrano schon an direkten Vorläufern orientieren: erscheint Campanellas ›Sonnenstaat‹, und veröffentlicht Godwin seinen ›Mann im Mond‹. Damit ist in der Literatur der Grundstein für ein ganz neues Genre gelegt, das sich eigentlich bis heute unbestrittener Beliebtheit erfreut, denkt man nur an die modernen Science-fiction-Werke. Im . Jahrhundert sind die utopischen Romane an ein politisch-soziales Programm mit didaktischem Anspruch gebunden, welches meistens eine Oppositionsbewegung als Ursprung erkennen läßt. Neben den religiösen werden ebenso die Fragen der Sprachreform erörtert. Welche herausragende Bedeutung die Sprachproblematik
zu dieser Zeit hat, zeigt sich vordergründig am heigen Streit der Puristen mit den libertinistisch gesinnten Schöngeistern, denen jegliche Einschnürung abhold ist. Wie ideologiebeladen jedoch dieser Fragenkomplex tatsächlich ist, wird deutlich, wenn man einräumt, daß mit der Konsolidierung des Staates Kräe mobilisiert werden, die sich die Schaffung einer Nationalsprache zur Aufgabe machen, Cyrano geht dem Dissens recht schnurrig aus dem Wege, indem er seine Mondbewohner gar nicht erst in den Streit verwickelt, sondern sie auf die traditionelle Methode der menschlichen Verständigung einfach verzichten läßt. Sie kommunizieren optisch und akustisch miteinander, scheinen mithin der Spezies hienieden vieles voraus zu haben. Beeindruckend lesen sich immer wieder die Passagen, in denen der Autor seine technischen Wunderwerke vorstellt, mit deren Hilfe er zum Sturm auf die Himmelskörper ansetzt. Die Mondbewohner stehen dieser Phantasie um nichts nach, denn wir erfahren beispielsweise, daß sie die Bücher nicht lesen, sondern mit Hilfe eines Phonographen abhören können. Raketen und Reisen ins Universum, fahrende Städte und viele andere mysteriöse Technologien sind vor dem Auge des Lesers ausgebreitet. Von ihrer zeitgenössischen Originalität haben sie für uns noch nichts eingebüßt, wie eben auch die Frische der Darstellung bewirkt, daß uns die Lektüre nicht langweilt: Das Buch hat uns noch eine Botscha zu übermitteln, ist also nicht auf bloßes philologisches Interesse festgelegt. Es mag angehen, daß es hin und wieder Werke gibt, die bei ihrem Erscheinen nicht auf ein spezifisches Publikum zu beziehen sind, sondern den vertrauten Horizont literari
scher Erwartung so völlig durchbrechen, daß sich eine Leserscha dafür erst langsam formieren kann. Bei Cyrano ist das nicht der Fall, denn der ›neue‹ Erwartungshorizont hat schon eine ›allgemeine‹ Geltung erlangt, und die Macht des ästhetischen Kanons kann sich insofern erweisen, als immer mehr (bürgerliche) Leser beginnen, die vielbändigen idealistischen Erfolgswerke zum Beispiel der Madeleine de Scudéry allmählich als veraltet zu empfinden und ihnen ihre Gunst zu entziehen. Dieser Konflikt entsteht zwischen der in Regeln festgelegten epischen Vision und einer sich unauebbar verändernden Wirklichkeit mit ihren sozialen Imponderabilien und Implikationen. Cyranos früher Tod (), den eine durch ein fallendes Holzscheit verursachte und nie verheilte Wunde bewirkt, unterbricht jäh seine Arbeit: Das schmale Lebenswerk ist unvollendet geblieben. Die Bewertung dessen, was er uns hinterlassen hat, sollten wir behutsam und differenziert vornehmen. Durch die geistige Übertragung der diesseitigen Verhältnisse auf den entfernten Planeten wird der ganze Sinn der Utopie freilich anzuzweifeln sein. Denn ›reale‹ Utopie kommt nur dann zustande, wenn die tatsächlichen Bedingungen in der Phantasie überflügelt werden können. Der Wunsch nach einer Begegnung mit höherentwikkelten Wesen ist ein ›Rückfall in die unerfahrene Kindheit des Menscheit‹ (Krauss), als noch ständig das Bedürfnis nach dem Umsorgtsein, nach dem Geborgensein in der schützenden religiösen Welt der Großen vorhanden war. Der Status der Unmündigkeit, wenn auch ephemer, ist in dieser Konstellation nicht zu verdrängen.
Vielfach wurde angenommen, Cyrano habe in seinen Büchern lediglich die christlichen eologen verspotten wollen. Richtiger ist, daß im ./. Jahrhundert ein scharf geführter Disput zu Fragen der Exegese durchaus üblich war. Von unserem Autor ist bekannt, wie sehr er selbst von einem tiefen und unerschütterlichen Glaubensbekenntnis erfüllt gewesen ist. Ganz im Gegensatz zu seinen Erzählungen hat er stets an einem ehernen Obrigkeitsprinzip im wirklichen Leben festgehalten. Diese Disjunktion läßt nur den einen Schluß zu, daß sich das Anliegen seiner Werke über die angenommenen Grenzen erhebt, daß sich hinter den finsteren Dämonen, mit denen er im ständigen Kampf steht, hinter den wütenden Mondbewohnern, die ihn hinrichten möchten, eher der Abscheu vor dem allgemeinen Mangel an Toleranz verbirgt. Wie überhaupt die Frage nach der Toleranz zunehmend Gegenstand der Frühaulärung werden wird, findet sie schließlich in Voltaire ihren perfekten Sachwalter. Darf Cyrano aus diesem Grund einen Platz unter den Frühaulärern einnehmen? Seine phantastischen Kapriolen dienen ihm vorerst als schmückendes Beiwerk, vielleicht auch als provozierendes Element, zumal da das Verhältnis ›Autor-WerkLeser‹ neu zu bestimmen ist. Die Utopie als Methode in der Literatur verliert dann ihre Daseinsberechtigung, wenn der Mensch weiter und unabsehbar den Weg zu neuen Ufern beschreitet. Je mehr sich der Horizont des Individuums erweitert, desto eklatanter zeigt sich die Ohnmacht der Phantasie gegenüber den wirklichen Resultaten. Hoffnung und Utopie sind aufs engste miteinander verbunden, aber die Kalkulierbarkeit der rechnergestützten Astronau
tenprojekte fegt heute die letzte Reminiszenz unseres liebevoll bewahrten Kindheitstraums hinweg. Weil Bewunderung einer nüchternen Analyse immer mehr weichen muß, weil Neugier den bloßen rationalen Denkstrukturen zum Opfer fällt und weil Erbauung dem exakten Algorithmus im Wege steht, schauen wir wehmütig zurück auf jene historischen Perioden, da sich noch neue phantastische Welten auaten. Falk Peter Weber
Anmerkungen Cardanus: eigtl. Hieronymo Cardano (–), italienischer Mathematiker. Das Werk, auf das Cyrano hier anspielt, lautet: ›De subtilitate‹ (). Neu-Frankreich: umfaßte das Gebiet um den SanktLorenz-Strom; im . bzw. . Jh. von französischen Fischern für Frankreich entdeckt (die heutige Gegend von Quebec und Montreal); endgültige Kolonisation dann zu Anfang des . Jh., wurde die Kolonie durch den Frieden von Paris an England abgetreten. Epizyklen: in der historischen Astronomie ein Begriff, wonach ein Stern einen Kreis beschreibt, dessen Mittelpunkt selbst wiederum sich auf der Peripherie eines anderen Sternkreises befindet. Gassendi, Pierre (–): französischer Philosoph, Astronom; einer der Begründer des philosophischen Materialismus der Neuzeit; Cyrano besuchte in Paris die Vorlesungen Gassendis. Markasit: Mineral, das zu den einfachen Sulfuriden gehört. Mark der Tiere: Aberglaube früherer Jahrhunderte. Ludwigs des Gerechten: Gemeint ist Ludwig XIII., dem hier vom Autor gehuldigt wird. Cäsar: Einige Kommentatoren bringen mit diesem Namen Nostradamus in Verbindung, der aber mit Vornamen Michel hieß. In der Literatur ist lediglich der Maler Cäsar Nostradamus nachweisbar. Wahrscheinlicher ist, daß Cyrano hier den während der
Herrscha Ludwigs XIII. berüchtigten Abenteuerer Cäsar meint. Agrippa: Gemeint ist Cornelius Agrippa von Nettesheim (–), der deutsche Arzt, Philosoph und Okkultist. Abt Tritheim (–) oder latinisiert rithemius, Johannes, eigtl. Heidenheim: deutscher Humanist, Abt des Klosters Sponheim und Sankt Jakob in Würzburg; bekannt geworden durch die Fälschungen in seinen Geschichtswerken und seine okkulten Werke. La Brasse oder La Broce, Gui de (gest. ): berühmter französischer Mediziner und Botaniker; Begründer des Jardin des plantes (des späteren Naturkundlichen Museums in Paris); soll in einen Hexenprozeß verwickelt gewesen und darauin gehängt worden sein. Ritter vom Rosenkreuz: Mitglieder einer Geheimgesellscha im . Jh., deren Anliegen die Verbesserung der Kirche war. Campanella, omas (–): italienischer Philosoph; in seinen Schrien beschäigt er sich neben philosophischen emen auch mit Naturwissenscha, Astronomie, Astrologie, Medizin, eologie und Staatswissenscha; zu seinen bekanntesten Werken gehören ›De sensu rerum et magia‹ () und ›Civitas solis‹ (). La Mothe le Vayer, François de (–): französischer Schristeller und Philosoph. Tristan l’ Herimite, François (–): französischer Dichter und Romancier. Embonpoint: frz. Wohlbeleibtheit. Körperfülle.
Sorel … Hortemius … Francion: Gemeint ist der Roman ›Vraie histoire comique de Francion‹ () des französischen Schristellers Charles Sorel (–). Criado de vuestra merced: span., Ihr Diener, Euer Gnaden. Man ist der Meinung, daß es sich bei dem Spanier um Domingo Gonzales handelt, den Held des englischen utopischen Romans ›e Man in the moone‹ () von Francis Godwin (–). Der Roman ist bereits ins Französische übersetzt worden und hat ohne Zweifel Cyrano inspiriert. hol dein Bild her: Hier handelt es sich um den alten Aberglauben, daß das, was dem Bild geschieht, auch der Person widerfährt. Noch im . Jh. wurden die Bilder von Verurteilten, deren man nicht habha geworden war, vom Henker verbrannt, das heißt ›in effigie‹. Pistole: spanische Goldmünze. die Dreihundert: Anspielung auf die dreihundert Blinden, für die Ludwig IX. der Heilige das Hospital ›Quinze-Vingt‹ gründete.