Roy Palmer Die Piratengaleere
1. Fausto Pereda, ein junger Sargento, schlank, stark, mit hellbraunen Augen und trotzig...
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Roy Palmer Die Piratengaleere
1. Fausto Pereda, ein junger Sargento, schlank, stark, mit hellbraunen Augen und trotzig aufgeworfenen Lippen und voller Ehrgeiz Pereda war außer sich vor Zorn. Er hielt die Hände geballt und schrie seine Leute an: »Beeilt euch, ihr Schlappschwänze, oder ich mache euch Beine!« Auf Fort San Sebastian und in ganz Cadiz war der Teufel los. Philip Hasard Killigrew, angeblich ein Spion der Engländer, hatte an diesem frühen Morgen des 29. Mai 1580 füsiliert werden sollen. Aber seine Leute hatten sich als Spanier verkleidet in die Festung geschlichen - wie, das blieb ein Rätsel und den Todeskandidaten dem Exekutionskommando vor der Nase weggeschnappt. Romeronde Zumarraga, der einzige Hauptbelastungszeuge im Prozeß gegen den zum Tode Verurteilten, hatte bei diesem Vorfall einen Kollaps erlitten. Es war nicht das erstemal gewesen, diesmal jedoch hatte ihn der Schlaganfall das Leben gekostet. Aber es war noch schlimmer gekommen. Sie hatten wie die Wilden gewütet, diese Befreier. Sie hatten den Teniente und den Festungskommandanten niedergeschlagen und unter den Soldaten aufgeräumt. Schließlich hatten sie auch noch ein Pulverfaß mit einer brennenden Lunte in den Pulverturm geworfen. Sie waren getürmt, mit einem Beiboot zu ihrer Karavelle hinüber, und Killigrew, dieser schwarzhaarige Himmelhund, hatte Salvador de Coria mit sich fortschleppen können den Generalleutnant und Beauftragten des Königs für das Festungswesen. Sargento Pereda hatte im allgemeinen Durcheinander den
Befehl erhalten, in der Waffenkammer nach dem Rechten zu sehen und vor allen Dingen den Waffenmeister zu suchen. Der war spurlos verschwunden. Wie vom Erdboden verschluckt. Dabei mußte gerade er ja wissen, warum bei der Hinrichtung Killigrews mit einem Mal die Musketen nicht mehr funktioniert hatten. Mit anderen Worten: Er war persönlich verantwortlich für diese Riesenschweinerei. Aber der Schlüssel zur Waffenkammer war nicht aufzutreiben gewesen. Keiner hatte ihn, niemand hatte ihn gesehen. Spurlos verschwunden! Das waren Tatsachen, die Peredas Gemüt erhitzten und zum Überkochen brachten. Er hetzte seine Untergebenen und brüllte sie an. Zwei Soldaten waren im Schweiße ihres Angesichts damit beschäftigt, die Tür zur Waffenkammer aufzubrechen, aber sie schafften es nicht. »Ihr Kanaillen«, fuhr Pereda sie wieder an. »Strengt euch an, bringt euch meinetwegen um, aber die verdammte Tür muß endlich auf!« Er trat einem von ihnen kräftig in den Hintern und da klappte es plötzlich. Unter Schreck und Schock verdoppelten sich die Kräfte des Soldaten. Die Tür flog auf. Die Soldaten stürmten in die Waffenkammer, allen voran natürlich Pereda. Der Waffenmeister war nirgends zu entdecken. Ein Feldbett, auf dem er geruht haben mußte, war leer. Pereda tigerte gereizt durch den Raum. Wahllos hob er ein paar Schußwaffen auf, Arkebusen, Musketen, Stein- und Schnappschloßpistolen. Sie waren samt und sonders unbrauchbar gemacht worden. Der Sargento fluchte in allen Tonarten. Er riß Schränke und Truhen auf. Aber jählings verharrte er vor einem Schrank, der sich beim besten Willen nicht aufzerren ließ. »Den Schlüssel her«, befahl er. »Sargento«, erwiderte einer der Soldaten zaghaft. »Wir haben keine Ahnung, wo der zu finden ist.« »Wieder verschwunden«, stieß Pereda wütend hervor. »Das ist ja wie verhext. Los, aufbrechen!«
Selbstverständlich bereitete es weitaus weniger Mühe, den Schrank zu öffnen, als die Tür der Waffenkammer. Ein Ruck mit einem dicken, vorn spitz zugefeilten Eisen, und der Holzschlag sprang auf. Sargento Fausto Pereda stand ganz unverhofft dem Waffenmeister gegenüber. Es war eine denkwürdige Begegnung. Der Sargento klappte den Mund weit auf. Der Waffenmeister blickte ihn mit hervorquellenden Augen aus dem Schrank heraus an. Er hockte eingepfercht und würgte. Mehr konnte er nicht tun, denn er war gefesselt und geknebelt worden. Sargento Pereda fand die Sprache wieder. »Madre de Dios. Heilige Mutter im Himmel, ist denn das zu fassen?« Er lief puterrot an, riß den unglücklichen Mann aus dem Schrank, drängte ihn auf die Soldaten zu und brüllte: »Befreit ihn von den Stricken, Hölle und Teufel. Steht nicht wie die Ölgötzen herum und glotzt.« Der Waffenmeister wurde in fliegender Hast seiner Fesseln und des Knebels entledigt. Er atmete ein paarmal tief durch, ließ die Arme baumeln, schaute den Sargento ergeben an und sagte: »Herzlichen Dank, ich dachte schon, ihr hättet mich vergessen.« Pereda stellte sich breitbeinig vor ihn hin und stemmte die Fäuste in die Seiten. »Fast wäre das passiert. Fast wäre nämlich nicht nur der Pulverturm des Forts, o nein, fast wäre ganz San Sebastian in die Luft geflogen und mit der Festung wir.« Er hob die Stimme wieder zu ohrenbetäubendem Geschrei. »Und du, Sohn einer Hure, wirst mir erklären, wie diese ganze Sauerei hat geschehen können. Rede!« Der Waffenmeister zitterte aus Angst vor dem, was ihm noch blühte. Aber er berichtete. Zunächst sprach er stockend, dann flüssiger. Er schilderte, wie ihn fünf Kerle überwältigt hätten. Zumarraga wäre bei ihnen gewesen, mit einem Knebel im Mund. Ja, sie mußten durch den geheimen Fluchtgang eingedrungen sein.
»Einer von ihnen, ein Dunkelblonder mit breiten Schultern, hat mich mit vorgehaltener Pistole überrumpelt«, sagte der Waffenmeister. »Er sprach ausgezeichnet Spanisch, das muß ich ihm zugestehen.« Der Sargento beugte sich vor, daß sich ihre Gesichter fast berührten. »Ausgezeichnet Spanisch, nicht wahr? Wie interessant. Damit willst du wohl überspielen, daß du Hund auf dem Feldbett gelegen und geschnarcht hast, wie?« Seine Stimme wurde leise, gefährlich leise. »Aber damit kannst du bei mir nicht landen.« »Ja-jawohl, Sargento.« »Weiter jetzt. Was taten diese Halunken?« »Sie berieten, ob sie zu dem Gefangenen vordringen sollten. Aber auf dem Weg dorthin standen zu viele Posten, und sie riskierten, überrascht zu werden. Außerdem, so sagten sie, befand sich der Schlüssel zum Kerker in der Tasche des Festungskommandanten.« »Woher die das wohl wußten?« sagte einer der Soldaten. Pereda kanzelte ihn mit einem kalten Blick ab. »Von Zumarraga natürlich, du Idiot.« Zu dem Waffenmeister gewandt, sagte er: »Also zerstörten sie die Schußwaffen. Auch die acht Musketen, die du heute in aller Frühe dem Füsilierkommando auszuhändigen hattest, ist es so, du Narr?« »Ja.« »Du Hasenfuß, warum hast du nicht versucht, sie zu überwältigen?« »Sie waren zu fünft!« »Du bist ein Feigling«, sagte Pereda voll Verachtung. »Du hättest um jeden Preis Lärm schlagen und dich opfern müssen. Für das Fort, für die Krone.« Der Waffenmeister war weit davon entfernt, jemals als Märtyrer für sein Vaterland aufzutreten, aber das äußerte er natürlich nicht. Er fuhr fort: »Sie bewaffneten sich selbst bis an die Zähne, diese Teufel. Dann verkleideten sie sich als
Spanier.« »Ja!« schrie der Sargento. »Und dann, um fünf? Du gabst die Musketen an das Hinrichtungskommandö aus. War das nicht die Gelegenheit, die Sache zum Platzen zu bringen?« »Nein«, beteuerte der Waffenmeister verzweifelt. »Diese Eindringlinge haben mir zugesetzt, die ganze Nacht über. Sie haben mich so eingeschüchtert, daß ich gar nicht an Widerstand dachte. Außerdem hielt einer von ihnen aus seinem Versteck heraus die Pistole auf meinen Rücken gerichtet, als die Füsiliere eintraten.« Einer der Soldaten lachte. »Ich weiß, daß die Männer des Kommandos sagten, der Waffenmeister habe gezittert. Er habe wohl Schiß wegen der bevorstehenden Exekution, hieß es.« Sargento Fausto Pereda nickte grimmig. »Und er hat die Hosen noch voll. Du wirst dich für deine Dämlichkeit rechtfertigen müssen, Freundchen. Es herrscht Alarmzustand in ganz Cadiz. Hier ist die Hölle ausgebrochen. Der Stadtkommandant hat den Ausnahmezustand verhängt, und ich kann bloß hoffen, daß er die Lage in den Griff kriegt.« Er hatte kaum ausgesprochen, da erschien ein Bote unter dem Türrahmen. »Sargento, Sie werden dringend vom Teniente verlangt.« Pereda warf dem Waffenmeister noch einen vernichtenden Blick zu, dann marschierte er hinter dem Boten her und meldete sich oben im Hauptgebäude der Festung bei dem Teniente, der hier vorläufig die Einsatzführung übernommen hatte. »Anordnung vom Stadtkommandanten«, sagte der Teniente. »Sie gelten als der beste Reiter der Garnison Cadiz, Sargento Pereda. Statt hier wertvolle Zeit zu vergeuden, brechen Sie sofort nach Algeciras auf. Lassen Sie sich vom Stallmeister das schnellste Pferd geben. Im übrigen haben Sie Sondervollmacht und können das Reittier wechseln, wo und sooft Sie wollen.« Er reichte ihm ein zusammengerolltes Dokument.
Pereda nahm es entgegen und steckte es zu sich. Er fühlte sich geehrt. Stolz warf er sich in die Brust und erwiderte: »Gut, Teniente. Und in Algeciras?« »Dort alarmieren Sie die Marinestation und veranlassen, daß unsere Kriegsschiffe auslaufen und die Meerenge von Gibraltar blockieren.« Pereda zog überrascht die Augenbrauen hoch. »Wir haben Grund zu der Annahme, daß die als irisches Handelsschiff getarnte Zweimastkaravelle dieses Spions Killigrew ins Mittelmeer durchbrechen will.« »Warum das? Für diesen Schurken läge doch weiß Gott nahe, sich sofort auf die Flucht nach England zu begeben«, sagte der Sargento verdutzt. »Dies ist nicht der Moment, dumme Fragen zu stellen«, erklärte der Teniente ärgerlich. Nach dem tollkühnen Handstreich der Engländer befand auch er sich in einer inneren Verfassung, die durch den kleinsten Funken zur Explosion gebracht werden konnte. Pereda lief blutrot an, salutierte und antwortete: »Natürlich nicht, Teniente. Zu Befehl, Teniente. Ich reite sofort los.« Der Teniente bereute seine barsche Entgegnung und bequemte sich nun doch zu einer Erläuterung. »Es wurde beobachtet, wie die Karavelle Kurs nach Süden nahm. Unsere Vorgesetzten wissen, warum sie die Möglichkeit in Betracht ziehen, Killigrew könne den Durchbruch ins Mittelmeer versuchen. Ich glaube, im Prozeß gegen ihn hat sich herauskristallisiert, daß er irgendwo in Nordafrika noch einen Verwandten hat. Genaues weiß ich aber auch nicht. Der Stadtkommandant hat natürlich bereits drei Kriegsgaleonen von hier auslaufen lassen, um die Karavelle zu verfolgen, aber ...« »... aber doppelt hält besser«, erwiderte Pereda. Er nahm wieder stramme Haltung ein. »Ich fliege, Teniente. Dieser falsche Ire wird sich noch wundern. Noch ist das letzte Wort
nicht gesprochen. Noch können wir das Urteil wenn auch mit Verspätung vollstrecken.« Er meldete sich ab, lief nach unten in den Hof und schrie innerhalb der nächsten Minuten mit dem Stallmeister und dessen Knechten herum. Reichlich verärgert zäumten und sattelten sie ihm »Aurora«, einen hochbeinigen braunen Andalusierhengst. Aurora übertraf an Schnelligkeit alle, auch den schönsten Rappen im Stall von Fort San Sebastian. * Die Zugbrücke senkte sich unter dem Rasseln der Ketten. Sargento Fausto Pereda trieb den Hengst bereits hinüber, als sie noch nicht ganz aufgesetzt hatte. Im Galopp jagte das Tier in östlicher Richtung auf die Stadt zu. Pereda sah nur Soldaten. Die Bürger hatten sich in ihre Häuser verkrochen und drückten sich hinter den Fenstern die Nasen an den Scheiben platt. Pereda sah im Vorbeireiten in den kleinen, ineinander verschachtelt wirkenden weißen und grauen Gebäuden Männer mit verzerrten, schadenfrohen, aber auch angsterfüllten Gesichtern. Er sah Frauen, die ihre Kinder von den Fenstern wegrissen. Zweimal wurde er von Patrouillen kontrolliert. Jedesmal sorgte er für einen Heidenaufstand und verschaffte sich Respekt. Er war der Sonderbeauftragte des Stadtkommandanten von Cadiz, ein Kurier der Krone mit hochbrisanten Meldungen für Algeciras. Man hatte vor ihm zu kuschen. Er wünschte sich, die ganze Welt möge ihn bei der Ausführung seines Auftrages beobachten. An der Kathedrale wandte er sich nach Südosten und ritt nun auf der schmalen Landzunge, dem Ausläufer der Insel Leon, auf San Jose und Puntales zu. Er ließ Fort Cortadura hinter sich. In rasendem Galopp jagte er bis nach San Fernando und
gönnte sich und dem Pferd keine Unterbrechung, bis sie das Ufer der Insel erreicht hatten. Pereda ließ sich übersetzen. Danach ging der wilde Ritt weiter. In Ciclana de la Frontera preschte er durch den Ort, ohne abzustoppen. Die Menschen schüttelten die Fäuste und wetterten hinter ihm her. Pereda kümmerte sich nicht darum. Er war bereit, das Äußerste seiner Energien zu liefern, um so schnell wie möglich in Algeciras zu sein. Er wußte, daß nach gelungenem Abschluß dieser Mission die Aussicht auf Beförderung wartete. Vielleicht würde man ihn sogar zum Teniente ernennen. Der Stadtkommandant von Cadiz war ein umsichtiger Mann voll strategischer Fähigkeiten, und es war bekannt, daß er die Opferbereitschaft und Selbstlosigkeit seiner Untergebenen gern großzügig honorierte. Um die Mittagsstunde hatte er fast Conil erreicht. Grell stach die Sonne auf seinen Kopf und seinen Rücken. Er nahm den Helm ab, ohne das Tempo zu verringern. Aurora hielt sich immer noch gut. Pereda war froh, den Andalusierhengst gewählt zu haben. Oft gingen die Meinungen darüber auseinander, welches das wertvollste Pferd im Stall des Forts San Sebastian war, aber ein Mann mußte sich strikt nach seiner Überzeugung richten. Und er, Pereda, war nun einmal felsenfest davon überzeugt, daß es keinen besseren Renner als diesen Braunen gab. Aurora stand der Schaum vor Maul und Nüstern. Pereda kümmerte sich nicht darum. Er nahm es erst richtig zur Kenntnis, als Aurora einen röchelnden Laut von sich gab, vorn in den Knien einbrach und ihn aus dem Sattel katapultierte. Der Sargento landete im Straßenstaub. Er überschlug sich zweimal, blieb auf der Seite liegen und krümmte sich. Etwas stach schmerzhaft in seine rechte Körperseite. Es war das Wehrgehänge des Degens. Fluchend brachte er sich in eine günstigere Lage, schüttelte sich und richtete sich wieder auf.
Aurora rappelte sich nicht auf. Er war auch in den Hinterläufen eingeknickt, streckte jetzt alle viere von sich und gab eine Reihe klagender Laute von sich. Ein Mann, der sein Tier liebt, hätte sich besorgt darum bemüht, ja, er hätte es gar nicht erst zum Zusammenbruch getrieben. Aber für Pereda gab es nur Disziplin und Karriere. Er schrie den Hengst an: »Willst du wohl aufstehen? Soll ich dir Beine machen?« Das nutzte nichts. Pereda zerrte an dem Hengst, um ihm hochzuhelfen, aber auch das fruchtete nichts. Wütend ließ er die Zügel schließlich sinken. Er war verzweifelt, die Zeit rann ihm zwischen den Fingern davon. Aber er sah ein, daß Aurora keinen Schritt mehr schaffte. Der Hengst war am Ende seiner Kräfte und stöhnte unter der zunehmenden Mittagshitze. Was sollte Pereda tun? Laufen? Es wäre das letzte gewesen, das er akzeptiert hätte. Erstens, weil es ihn viel zu langsam weiterbrachte. Zweitens, weil das Marschieren eines Sonderkuriers des Stadtkommandanten von Cadiz ganz und gar nicht würdig war. Die Lösung des Problems ergab sich von selbst. Aus Richtung Barbate näherte sich in einer dichten Staubwolke ein einzelner Reiter. Als er den Sargento und den daliegenden Hengst erblickte, verringerte er sein Tempo. Pereda kniff die Augen zusammen. Aus den Lidschlitzen gewahrte er, daß es sich um einen zivil gekleideten, nicht sonderlich großen Mann auf einem Apfelschimmel handelte. Es bestand die Gefahr, daß der Fremde sich zum Ausweichen entschloß. Man war nie sicher vor unliebsamen Überraschungen. Pereda setzte sich rasch den Helm auf. Er schwitzte darunter, aber er baute darauf, daß der Mann dort vor einem Unteroffizier Seiner Majestät Philipps II. von Spanien keine Furcht empfand. Pereda winkte ihm zu. Und dann tat er noch etwas. Er zückte
die Radschloßpistole und legte auf den Hengst an. Er krümmte den Finger um den Abzug. Das Rad lief surrend ab. Die sprühenden Funken zündeten die Ladung. Krachend brach der Schuß. Pulverqualm stob hoch, die Kugel schlug dem Hengst in den Schädel. Das Tier wieherte und bäumte sich auf, dann lag es still. »Aus«, sagte Pereda. Er nahm den kleinen Schlüssel für die Pistole zur Hand und zog den Radmechanismus wieder auf. In aller Ruhe lud er mit Pulver, Verdämmungspfropfen und Bleikugel wieder nach. Der fremde Reiter zügelte den Schimmel vor ihm. Betroffen schaute er auf den toten Andalusierhengst. Er war ein untersetzter, dickleibiger Mensch mit etwas unterlaufenen Augen und Ansatz zu Hängewangen und Doppelkinn. Dabei war er höchstens erst Ende der Zwanzig. »Gott im Himmel«, sagte er. »War das denn nötig? So ein wunderschöner Hengst ...« »Er hatte sich den linken Vorderlauf gebrochen«, log der Sargento. »So? Das sehe ich aber nicht.« »Wer sind Sie, Mann?« fragte Pereda arrogant. Aber noch eine Spur hochnäsiger erwiderte der übergewichtige Mann: »Pedro Ortuno de Alcala y Jimena, ältester Sohn des mächtigsten Adligen in dieser Provinz, Don Arturo Ortuno ...« »Schon gut«, schnitt Pereda ihm das Wort ab. »Sie stehen einem Spezialbeauftragten der Krone und des Stadtkommandanten von Cadiz gegenüber. Ich habe Meldungen von allergrößter Tragweite für Algeciras.« Ortuno saß ab und näherte sich mißtrauisch dem Tierkadaver. »Das mag stimmen. Aber zum einen verlangt mir das nicht den geringsten Respekt ab, zum anderen halte ich Sie für einen außerordentlich komischen Vogel, Sargento. Ich verstehe von Pferden ziemlich viel. Sehen wir doch mal, ob Sie diesen
herrlichen Braunen zu Recht oder verantwortungslos und kaltherzig abgeknallt haben.« Er kniete neben dem toten Tier nieder, untersuchte es kurz und richtete sich empört wieder auf. Der Sargento saß auf dem Apfelschimmel. »Tut mir leid, Hochwohlgeboren«, sagte er. »Aber ich muß Ihr Pferd beschlagnahmen. Sie kriegen es später wieder.« »Das wagen Sie nicht.« Ortuno griff zum Degen. Pereda hob nur die Radschloßpistole, spannte den Hahn und zielte auf ihn. »Ich an Ihrer Stelle würde hübsch vernünftig sein. Ich kenne mein Recht als Soldat. In Ausnahmefällen darf ich durchaus ein Reittier konfiszieren.« »Ich lege Beschwerde ein ...« »Tun Sie das. Adios.« Sargento Fausto Pereda preschte nach Südosten. Er ließ einen mörderisch fluchenden Ortuno zurück, der ihm die Pest an den Hals wünschte und ewige Blutrache schwor.
2. Die Männer der ›Isabella VII.‹ hatten ihren Kapitän hochleben lassen, und es hatte eine Extraration Rum gegeben, mit der Hasard das Wiedersehen begossen hatte. Jetzt, nachdem sie Cadiz und damit das unmittelbare Feindgebiet hinter sich gelassen hatten, hatte er es sich und seinen Männern erlauben können, auf den Sieg anzustoßen. Und es war auch Zeit für eine schlichte, jedoch tief empfundene Äußerung gewesen. »Ich danke euch. Ihr habt mir das Leben gerettet.« »Jetzt hör aber auf«, sagte Carberry. »Das war doch nicht der Rede wert«, meinte Ben Brighton. »Wir sind schon durch dickeren Schlamassel gestampft, stimmt’s?«
»Allerdings«, sagte Matt Davies. »Wäre doch ein Witz, wenn wir nach allem, was wir zusammen so durchgestanden haben, mit dem gegenseitigen Dankeschönsagen anfangen würden. Das gäbe ja kein Ende mehr.« »Ohne unseren Kapitän wären wir alle längst als Haifischfutter geendet«, fügte Gary Andrews hinzu. Er sagte das sehr ernst, und er wußte, daß es nichts gab, mit dem Philip Hasard Killigrews bedingungsloser Einsatz für sie aufzuwiegen gewesen wäre. Er, Gary, trat geradezu selbstvernichtend für das Leben und Wohlergehen des Seewolfes ein, denn Hasard hatte ihn dem Teufel höchstpersönlich von der Schippe geholt damals, vor dreieinhalb Jahren, südlich der Azoren. Hasard war froh und gerührt zugleich. Eine solche Crew gab es kein zweites Mal. Jeder Schiffsführer konnte ihn darum beneiden, selbst Francis Drake. Gleichzeitig wurde Hasard aber auch von Skrupeln geplagt. Seine Männer gingen für ihn durchs Feuer, schön und gut. Aber hatte er das Recht, ihnen in diesem Fall soviel abzuverlangen? Er hätte sich schwere Vorwürfe gemacht, wenn auch nur einer von ihnen bei dem tollkühnen Befreiungsunternehmen im Fort San Sebastian verletzt worden wäre. Denn solange es darum ging, den Spaniern Gold, Silber und Juwelen zu entreißen und diese Reichtümer der königlichen Lissy daheim in England zur Verfügung zu stellen, war jeder noch so tolldreiste Einsatz gerechtfertigt. Aber hier? Hatte er es sich letztlich nicht selbst zuzuschreiben, daß er von Zumarraga in die Falle gelockt worden war und daß man Gericht über ihn gehalten, ihn als falschen Iren Philip Drummond entlarvt und ihm den Stempel des Spions und Bastards aufgedrückt hatte? Im Grunde genommen war ihm das alles ganz recht geschehen. Man spürte nicht ungestraft seiner Vergangenheit nach, stöberte Geheimnisse und haarsträubende Ungerechtigkeiten
auf, bohrte in längst vernarbten Wunden alles hatte seinen Preis. Eben. Dies waren seine persönlichen Belange. Durfte er seine Mannschaft da mit hineinreißen? Benahm er sich ihnen gegenüber nicht unverantwortlich? Er geriet in einen echten Gewissenskonflikt. Vielleicht hätte er sein ganzes Vorhaben anders aufrollen und anpacken sollen. Allein. Die Crew hätte in England bleiben können, beispielsweise in Sheerness bei der ›Isabella V.‹, die er, Hasard, der Königin geschenkt hatte. Gewiß, die Männer hätten das nie und nimmer akzeptiert. Sie folgten ihrem Kapitän, notfalls direkt in den Schlund der Hölle. Aber Hasard empfand dieses Argument sich selbst gegenüber als ziemlich billige Rechtfertigung. Doch er konnte nicht mehr umkehren. An diesem Punkt seiner Ermittlungen angelangt, mußte er unbedingt weiterforschen und herausfinden, was sich noch alles mit dem Namen Godefroy von Manteuffel verband. Soviel wußte er inzwischen: Er war nicht der Sohn von Lady Anne Killigrew und deren Mann Sir John, diesem alten Schlitzohr und Halunken! Sie hatte ihn nur großgezogen. Lady Anne hatte in jener stürmischen, fatalen Nacht des Novembers 1556 die Hansekogge ›Wappen von Wismar‹ im Hafen von Falmouth überfallen, die Besatzung umbringen lassen und den schreienden, strampelnden »Bastard« aus seiner Hängematte geholt und auf die Feste Arwenack gebracht zusammen mit dem Wein, den sie aus den Frachträumen der Kogge hatte abtransportieren lassen. Lady Anne war sehr gut zu ihm gewesen. Er liebte sie wie eine leibliche Mutter. Aber er war eben doch nur ein »halber« Killigrew. Und seine wahre Mutter? Oh, er kannte jetzt ihren Namen, aber er wünschte, niemals von dem Drama erfahren zu haben, das sich mit ihrem Schicksal verband. Sie, Graciela de Coria,
hatte beim Auslaufen der ›Wappen von Wismar‹ aus dem Hafen von Cadiz damals im Oktober 1556 in letzter Minute verhindern wollen, daß man ihren kleinen Sohn entführte. Es war mißlungen. Aus Gram darüber war sie wenig später gestorben. Die Schuld an dem Geschehen trug nicht etwa Hasards Vater Godefroy von Manteuffel, o nein. Die drei Brüder Gracielas hatten verlangt, daß er, der Mann aus dem Norden, der Fremde, der Unebenbürtige, zunächst fünf Jahre als Malteserritter abdiene, bevor er Graciela ehelichen durfte. Nun, von Manteuffel hatte es getan, wahrscheinlich hätte er jedes Opfer gebracht, denn er liebte - soweit Hasard vernommen hatte seine Graciela über alles. Zumarraga hatte Hasard verraten müssen, was weiter mit Godefroy von Manteuffel geschehen war. Er war dem Piraten Uluch Ali in die Hände gefallen. Ali hatte ein Lösegeld gefordert. Graciela hatte es gezahlt, doch ihre Brüder hatten Zumarraga, den Mittelsmann und Unterhändler in diesem verabscheuungswürdigen Geschäft, ersucht, sich das Geld in die eigene Tasche zu stecken. Zumarraga hatte es getan. Hasard hätte ihn deswegen am liebsten umgebracht. Aber jetzt hatte der alte Schurke ja, was ihm zustand: den Tod. Sie hatten Gracielas Ehe nicht gewollt, die drei Brüder de Coria. Sie hatten den kleinen »Bastard« mit der Kogge abgeschoben, wie sie auch Godefroy von Manteuffel ins Verderben zu jagen hofften. Die Sache mit den fünf Jahren Dienst als Ritter des Malteserordens war doch nur ein Vorwand gewesen! Selbstverständlich hatten sie darauf gehofft, daß er im Kampf mit Piraten sein Ende finden würde. Und so schien es ja auch gekommen zu sein. Wie hatte sich Uluch Ali denn wohl verhalten, nachdem er das Lösegeld nicht empfangen hatte? Hasard gab sich keinen falschen Hoffnungen hin. Sein Vater war tot. Bestimmt. Aber er wollte die Bestätigung dafür haben. Und er wollte noch ein Wörtchen mit
diesem Uluch Ali reden. Hasard wurde in seinen Grübeleien unterbrochen, als der Kutscher mit ziemlich mürrischer Miene die Kombüse im Vordeck verließ, über die Kuhl marschierte, zum Hauptdeck aufenterte und sich dem Backbordschott des Achterkastells zuwandte. Er trug einen Kübel mit heißem Wasser, Tücher und einige andere Utensilien seines Metiers als Feldscher bei sich. Hasard grinste. Er wußte ja, um was es ging. Er selbst hatte die Anweisung erteilt, Salvador de Coria die Gesichtswunde zu verarzten. Der Kutscher führte den Befehl natürlich äußerst ungern aus. Er hätte de Coria viel lieber in dessen eigenem Fett schmoren lassen, so, wie die Crew es mit dem elenden Halsabschneider und Halunken Romeronde Zumarraga getan hatte, nachdem sie ihn gepackt und entführt hatte. Hasard folgte dem Kutscher. Der Gang im Achterdeck war in diffuses Halbdunkel getaucht. Folgte man seinem geraden Verlauf bis zum Heck, so gelangte man in die Kapitänskammer, Hasards Allerheiligstem. Bog man nach links in einen Nebengang ab, stieß man auf die Kammer, in der der Gefangene untergebracht war. Salvador de Coria! Generalleutnant und Beauftragter des Königs Philipps II. für das Festungswesen, speziell für Küstenbefestigungen. Es war purer Zufall gewesen, daß er am Vortag von Hasards Exekution im Fort San Sebastian erschienen war. Als er von dem Prozeß und den rätselhaften Begleitumständen erfahren hatte, hatte sich de Coria unbedingt den Verurteilten im Kerker ansehen wollen. Ja, er hatte Hasard in die eisblauen Augen geschaut, und da hatte es in seinem Gehirnkasten gefunkt. Er hatte begriffen, wen er vor sich hatte - und hatte Hasard mit Beschimpfungen, Schmähungen und Hohn überhäuft. Aber er hatte sich mächtig ins Fleisch geschnitten. Denn es war kein am Boden zerstörter Todeskandidat gewesen, der ihm da aus der Zelle heraus Kontra geboten hatte.
Selbstmitleid? Hasard kannte es nicht. Todesangst? Hasard verachtete sie und spuckte seinen Peinigern und Widersachern ins Antlitz. De Coria hatte ihn zum Duell gefordert. Hasard hatte ihn daraufhin mit dem Degen halb ausgezogen und vor aller Augen gedemütigt. Die Crew wußte inzwischen auch, was für eine Prachttype dieser Spanier war. Und der Kutscher hätte ihm wohl gern das heiße Wasser ins Gesicht geschüttet, als er die Kammer betrat. Da saß er nun, bewacht von dem grimmigen Profos Edwin Carberry. Salvador de Coria, Hasards »Onkel«. Es war eine echte Ironie des Schicksals, diesen Schurken als Verwandten erkennen zu müssen. Der Kutscher wollte die Tür hinter sich zuschieben, aber Hasard drückte sich in den Spalt. »Entschuldige«, sagte der Kutscher überrascht. »Ich habe dich nicht gehört.« Carberry grinste wie ein Faun. »Er hat den Gang einer großen Wildkatze. Mir ist das auch schon passiert, Kutscher. Plötzlich hast du den Seewolf im Rücken und merkst es erst, wenn du dich umdrehst. Mann, wer möchte dich zum Feind haben; Hasard?« Das war ganz klar auf de Coria gemünzt. Carberry schoß einen Blick auf den Mann ab, in dem sich alles mischte: seine Verachtung, sein Zorn und sein Fluch über alle die, die sich gegen den Seewolf gewandt hatten. De Coria hockte auf seiner Koje. Er hatte sich mit dem Rücken in die Ecke gelehnt und schien unter Carberrys Worten mehr und mehr zu schrumpfen. Er war bereits über Fünfzig, doch das fortschreitende Alter hatte seiner Arglist und Verschlagenheit keinen Dämpfer aufgesetzt. Sein Gesicht war verlebt, unter den kalten dunklen Augen hoben sich
Tränensäcke ab. Da nutzten auch der Knebelbart und die schlank gebliebene Statur nichts: Die Spuren seines unlauteren Lebenswandels waren unverkennbar. Er war ein Schürzenjäger gewesen, der rund einem Dutzend Mädchen Kinder gemacht hatte, ohne sich im weiteren noch um die »Entehrungen« der Senoritas und deren Schicksale zu kümmern. Godefroy von Manteuffel, der alles andere als das im Sinn gehabt hatte, war von de Coria verdammt worden, doch Salvador de Coria selbst war das wandelnde Emblem der Unmoral und des Lasters. Er hatte aus dem Duell mit Hasard eine Degenschnittwunde quer übers Gesicht davongetragen. Sie machte ihm zu schaffen. Der Verband mußte dringend gewechselt werden. Der Kutscher setzte sich neben ihn auf die Kojenkante und sagte: »Also schön, ich muß dir eine neue Binde verpassen, Don Philipp von der traurigen Gestalt. Halt gefälligst still. Ed, assistierst du mir?« Carberry trat näher. »Klar tue ich das. Soll ich den Knaben festhalten?« »Lieber nicht, du brichtst ihm bloß die Knochen.« De Coria musterte sie aus flackernden Augen. »Ich weiß, was ihr wollt. Aber ich bin bereit. Ich werde euch beweisen, daß auch ein Mann meines Alters körperlichem Schmerz trotzen kann.« Carberry beherrschte inzwischen wie alle anderen Männer der Crew die spanische Sprache. Er hatte de Corias Äußerung also verstanden. »Du denkst, wir foltern dich? Bloß so, zum Vergnügen? Da irrst du dich aber, du Affenarsch. Ich breche dir nur die Knochen, wenn du irgendwelche Mätzchen versuchst.« Der Kutscher begann, den Verband abzunehmen und die Degenschnittwunde auszuwaschen. Hasard, der bis dahin lässig am Türrahmen gelehnt hatte, tat drei Schritte auf de Coria zu. Ihre Blicke trafen sich und verfingen sich ineinander.
»Meine Männer sind nicht aus dem gleichen Holz geschnitzt wie deine Landsleute und Verbündeten, Onkel«, sagte Hasard. Seine Worte waren von eisiger Höflichkeit. »Bei uns ist auch ein Gefangener noch ein Mensch, dessen Ehre geachtet wird, solange er nicht aufmüpfig wird.« De Coria schnitt eine qualvolle Grimasse, weil der Kutscher mit dem Auswaschen der Blessur begonnen hatte. Carberry hielt den Holzkübel mit dem Wasser. »Warum dies?« erwiderte de Coria gepreßt. »Warum hast du mich als Geisel genommen? Genügt es dir nicht, mich im Zweikampf gedemütigt zu haben?« »Wer hat mich denn herausgefordert, mein Lieber?« »Spar dir deinen Spott. Ich stehe zu meinen Niederlagen.« »Ausgezeichnet, das hätte ich gar nicht gedacht.« Hasard war immer noch höflich, aber er verhehlte seine abgrundtiefe Verachtung nicht. »Dann solltest du deinen Verstand auch weiterhin arbeiten lassen und ganz zwangsläufig zu der Erkenntnis gelangen, daß du für uns das großartigste Faustpfand bist, das man sich denken kann.« »Wegen etwaiger Verfolger?« »Nicht nur deswegen.« De Coria krümmte sich. Der Kutscher pinselte ihm einen Balsam gegen Entzündungen auf, ein scharfes, aber sehr wirksames Mittel. De Coria wollte den Kopf nach unten wegziehen, aber Carberry hielt ihn plötzlich an den Schultern fest. Da erstarrte er förmlich zur Säule. »Was hast du mit mir vor?« fragte er den Seewolf. »Deine Zukunft, ehrenwerter Generalleutnant, hängt maßgeblich davon ab, ob es mir gelingt, meinen Vater wiederzufinden - lebend.« De Coria keuchte heftig, verschluckte sich und hustete. Der Profos klopfte ihm auf den Rücken. Es dröhnte, Carberry und der Kutscher grinsten sich an - und der Spanier hörte auf zu
husten. Sie sprangen weiß Gott nicht sanft mit ihm um. Aber man konnte nicht leugnen, daß ihre ruppigen Methoden Wirksamkeit hatten. Hasard fuhr fort: »Falls ich jedoch den eindeutigen Beweis erhalte, daß mein Vater umgekommen ist, wird es für dich auch keine Zukunft mehr geben, Generalleutnant de Coria.« De Coria starrte ihn an. Seine Mundwinkel zuckten. »Das wagst du nicht. Das - das darfst du nicht. Du kannst dich nicht zum Richter über mich erheben, das übersteigt deine Kompetenz. Bedenke, daß ich einer der mächtigsten Familien des Königreiches Spanien angehöre.« Hasard beugte sich vor. »Godefroy von Manteuffel hätte durch die Lösegeldzahlung befreit werden können. Meine Mutter leistete sie. Aber du und deine beiden teuflischen Brüder, ihr habt sie unterschlagen. Nach meiner Auffassung von Recht ist das zumindest ein Mordversuch, von der Unterschlagung des Geldes meiner Mutter ganz zu schweigen.« Der Kutscher hatte den neuen Verband straff angelegt. De Coria wich jetzt an die Wand in seinem Rücken zurück. Der Verband quer über sein Gesicht behinderte ihn ein wenig beim Sprechen. »Was willst du?« sagte er dumpf. »Rache?« »Nein«, gab der Seewolf zurück. »Gerechtigkeit und Sühne.« »Das ist das gleiche!« »Hochwohlgeboren«, sagte Hasard leise. »Lege es aus, wie du willst. Lebt mein Vater?« »Ich weiß es nicht, wirklich nicht.« »Weißt du, was ich glaube?« »Daß er lebt ...« Hasards Stimme wurde noch leiser, fast senkte sie sich zu einem Flüstern. »Ich nehme an, daß er tot ist. Ich bin auf das Schlimmste vorbereitet.« »Warum bringt ihr mich nicht gleich um?« schrie de Coria.
Carberry wollte gegen ihn vorrücken, aber der Kutscher hielt ihn am Arm zurück. Hasard stand mit unbewegter, gemeißelt wirkender Miene vor der Koje und sagte: »Das könnte dir so passen. Nein, deine Stunde hat noch nicht geschlagen. Erst will ich Gewißheit. Denke aber daran, daß auch der Tod meiner Mutter durch die Ereignisse herbeigeführt wurde, durch eure Schuld! Denn ihr Lebenswille wurde mit meiner Entführung auf die ›Wappen von Wismar‹ 1556 von euch drei Brüdern brutal gebrochen. Allen voran stürmtest du ihr nach, packtest du sie, zwangst du sie zu etwas, in das sie aus freien Stücken niemals eingewilligt hätte. War es nicht so?« De Coria antwortete nicht. Vorläufig saß er nur noch da und blickte stumpfsinnig und resignierend vor sich hin. Hasard ließ sich nicht täuschen. Er wußte genau, welcher Haß und Widerstandsgeist in dem Mann kochten. »Ed.« »Sir?« »Zwei Wachen vor die Tür dieser Kammer. Du wirst an Oberdeck gebraucht.« »Aye, aye, Sir. Ich schlage Blacky und Batuti vor.« »Gut. Die Wache wird in jeweils zweistündigem Turnus abgelöst.« Hasard drehte sich um und trat in den Gang hinaus, und in diesem Augenblick stieß Dan O’Flynn oben im Hauptmars der Karavelle einen Schrei aus. Was er meldete, drang klar und deutlich bis in die Gänge des Achterkastells. »Segel ho! Mastspitzen Backbord achteraus!« »Das war ja zu erwarten«, sagte Hasard. Er lief los, nahm den Niedergang mit zwei Sätzen und stürmte auf das Quarterdeck. Ben Brighton stand bereits mit dem Kieker in der Hand oben auf dem Achterdeck. Neben ihm waren Big Old Shane, der alte Donegal Daniel O’Flynn und Ferris Tucker.
3.
Hasard klomm den Niedergang hoch, eilte ganz bis zur Heckbalustrade auf dem spitz nach achtern zulaufenden Achterdeck und schaute durch das Spektiv nach Norden. Bald waren die Maststengen und Stander zu erkennen, die sich aus nördlicher Richtung auf sie zuschoben. Kurze Zeit später waren auch die vollgetakelten Masten zu sehen, und der Seewolf begann zu zählen. »Es sind drei«, sagte er. »Drei Galeonen.« »Alles andere als Kauffahrteischiffe«, meinte Old O’Flynn. »Dreimal dürft ihr raten, welche Flagge sie führen.« »Natürlich sind es Spanier«, erwiderte Ben. »Der Teufel soll sie holen.« Es war Mittag, und der Wind hatte von West auf Nord gedreht. Die ›Isabella VII.‹ lief mit Südkurs platt vor ihm her. Es war die denkbar einfachste Sache, bei verhältnismäßig ruhiger See einen solchen Kurs zu segeln. Deswegen sprachen die Seewölfe in diesem Fall auch von einem »Schlabbertörn«. Aber die Spanier hielten den größten Trumpf in Händen. Sie hatten Galeonen unter sich, die als ausgesprochene Rahsegler vor dem Wind schneller waren als die ›Isabella‹ mit ihren Lateinersegeln an den langen Gaffelruten. So hatten sie sämtliches Zeug gesetzt, bis zum letzten Fetzen Tuch. Und sie holten bedenklich rasch auf. Ihre Umrisse wuchsen groß und größer aus der Kimm und wurden zu klaren Konturen. Stolzen Schwänen gleich pflügten sie die See und lieferten ein eindrucksvolles Bild von Stärke und Überlegenheit. »Die sind uns von Cadiz aus nachgeschickt worden«, sagte Ferris Tucker. »Haben die Dons denn noch nicht genug von uns?« Hasard lächelte ihm zu. »Sie können gar nicht anders, als uns
zu verfolgen. Es ist ihre Pflicht, und der Stolz spielt da natürlich auch eine Rolle. San Sebastian von einer Handvoll Korsaren überfallen! Denkt mal, wenn der König in Madrid davon erfährt - und auch noch hört, daß man die Feinde sang und klanglos hat abziehen lassen. Die Blöße dürfen sie sich nicht geben, die Dons. Außerdem müssen sie zumindest den Anschein erwecken, de Coria heraushauen zu wollen.« »Und wenn wir ihn an der Rahnock zappeln lassen?« fragte Big Old Shane. »Müssen sie dann nicht abdrehen? Sie können doch nicht riskieren, daß wir ihn töten.« »In der Beziehung sind ihnen selbstverständlich die Hände gebunden«, entgegnete Hasard. »Ich bin gespannt, wie sie den Konflikt lösen wollen. Aber eins ist gewiß. Ich überlasse dem Gegner nicht die Initiative. Ich handle, bevor er richtig zum Zug kommt.« Ben griff plötzlich in die Tasche und zog ein Schlüsselbund daraus hervor. In seinen Augen blitzte es vergnügt. Er holte aus und schleuderte die Schlüssel außenbords. Sie trudelten in das schäumende Kielwasser der ›Isabella‹ und verschwanden. Er blickte ihnen nur kurz nach. »Was soll denn das?« fragte Ferris Tucker. »Das waren die Schlüssel zur Waffenkammer von Fort San Sebastian«, sagte Ben. »Mir ist gerade eingefallen, daß wir die wohl kaum wieder gebrauchen werden. Schade, daß wir nicht dabeisein konnten, wie die Dons mit Ach und Krach die Tür aufbrachen und nach ihrem Waffenmeister suchten.« Sie lachten. Hasard blickte unterdessen wieder mit dem Spektiv zu den Kriegsgaleonen der Spanier. Sie segelten in Kiellinie und hielten direkt auf das Heck der ›Isabella‹ zu. Hasard konnte sich lebhaft vorstellen, wie es jetzt dort an Bord zuging. Die Offiziere und Stockmeister purrten die Mannschaften an die Geschütze und ließen gefechtsklar machen. Es herrschten Alarmzustand und Nervosität. Man wußte ja, daß man es mit einem Gegner zu tun hatte, an dem
man sich die Zähne ausbeißen konnte. Hasard mußte seinen Vorteil ausspielen. Was die Dons eigentlich zu tun gedachten, hatte dabei für ihn keine große Bedeutung. Egal, ob sie nun etwas zurückfielen und abwarteten, ob sie hinauszögerten und die Dunkelheit kommen ließen, ob erbitterte Verfolgung und Kampf bis aufs Messer oder hinhaltende Taktik unter Rücksichtnahme auf de Coria es spielte keine Rolle. Er mußte ihnen jetzt seine Raffinesse beweisen. Im übrigen hatte er vorläufig die Nase voll von ihnen und ihresgleichen. Die Spanier hatten ihm genug zugesetzt. Es war Zeit, einen Strich unter die Vorfälle in Cadiz zu ziehen. Natürlich, sie waren gut armiert, diese drei dicken Brocken. Er konnte ihre Stückpforten nicht zählen, aber er schätzte, daß die beiden kleineren Galeonen mindestens zehn bis zwölf an jeder Seite hatten. Das Führungsschiff des Verbandes war ein stolzer Dreimaster von gut neun Yards Breite und demnach fast vierzig Yards Länge. Er verfügte über zwei Batteriedecks, soviel konnte der Seewolf erkennen. Mindestens vierzig Geschütze hatten darauf Platz, und es bedurfte einer Besatzung von mindestens hundert Mann, ein solches Schiff zu manövrieren und im Gefecht einzusetzen. Die Übermacht war scheinbar vernichtend. Was bedeuteten schon die zwölf Culverinen und vier Drehbassen der ›Isabella‹? Waren sie nicht eine geradezu lächerliche Armierung im Vergleich zu den Geschützen des spanischen Verbandes? Hasard grübelte darüber nicht weiter nach. In anderen Situationen hatte ein ähnliches Kräfteverhältnis bestanden, ja, manchmal hatten die Seewölfe ihrem Gegner nur mit einer Schaluppe Paroli geboten. In der Karibik hatten sie einem Konvoi von sechsunddreißig Galeonen »Geleitschutz« gewährt - mit einer im Golf von Darien gekaperten Karavelle, der ›Isabella IV.‹. Immer hatten
sie ein höllisches Spiel auf Messers Schneide getrieben, und immar hatten weder ein überragendes Waffenarsenal noch das größere Schiff den Ausschlag gegeben, sondern ganz einfach nur die Erfahrung und Gerissenheit des Seewolfes und seiner Crew. Eins hatte die ›Isabella VII.‹ den spanischen Kriegsgaleonen voraus. Sie verfügte über die größere Wendigkeit. Hier waren die Lateinersegel von unschätzbarem Vorteil. Hasard wußte das auszunutzen. »Dan!« rief er zum Hauptmars hoch. Der junge Dan O’Flynn streckte den Kopf über die Segeltuchverkleidung hinaus. Neben ihm erschien Arwenack, der Schimpansenjunge. Sie teilten den luftigen Posten und waren nahezu unzertrennlich. »Wenn die Dons auf etwa vier Kabellängen heran sind, gibst du mir ein Zeichen, Dan, verstanden?« »Verstanden. Aye, aye, Sir.« Zu Ben Brighton, der als Bootsmann und Erster Offizier fungierte, sagte Hasard: »Ben, Pete Ballie soll die Ohren anlegen und sich zum Manövrieren bereithalten. Es kommt mir auf jede Sekunde an.« »Aye, aye.« Hasard schritt nach vorn an die Five-Rail, die den Querabschluß des Achterdecks zum Quarterdeck bildete. Er stützte sich auf die Handleiste, beugte sich etwas vor und rief zur Kuhl hinunter: »Profos, Schiff klar zum Gefecht! Die Hälfte der Crew an die Geschütze, die andere Hälfte klar für die Manöver!« Carberry legte mit dröhnender Stimme los: »Matt, Gary, Stenmark, Al und Jeff, an die Geschütze. Verdammt noch mal, ich brauche Blacky und Batuti, wer löst die beiden Himmelhunde unten vor der Kammer dieses Rübenschweins de Coria ab?« Old O’Flynn meldete sich freiwillig und verschwand im
Achterkastell. Blacky und Batuti stürmten auf Deck, und der Profos scheuchte sie an die Backbordculverinen auf der Kuhl. »Bewegt euch, ihr Kakerlaken!« brüllte er. »Soll ich euch die Haut in Streifen von euren Affenärschen ziehen? He, Kutscher, brauchst du eine Sondereinladung? Schläfst du? Himmel, Arsch und Zwirn, blas die Kombüsenfeuer aus und mach dir Dampf unter dem Achtersteven. Wir brauchen Sand auf Deck und Seewasser in den Kübeln, zum Abkühlen der Wischer. Muß man euch denn alles sagen, ihr Kanalratten, was, wie? Smoky, übernimm die Back, zur Hölle noch mal!« »In Ordnung.« Smoky stand längst an den beiden Drehbassen des Vorkastells. Der Kutscher hantierte auch mit der üblichen Schnelligkeit und Routine, und auch alle anderen wußten, welche Handgriffe zu tun waren. Sie hatten es ja oft genug geübt. Jeder an Bord konnte jeden ersetzen, selbst den Kapitän. Jeder wußte im Ernstfall, wie er sich zu verhalten hatte. Carberry hätte also nicht herumzuschnauzen brauchen. Aber das gehörte nun mal dazu, gewissermaßen als Begleitmusik. Wo gehobelt wird, fallen Späne, und wenn der Profos nicht brüllen konnte, war er nicht froh. Also ließ die Crew ihn brüllen. Sie hatte sich ja längst an seine Wortkaskaden, Flüche und Tiraden gewöhnt. Sam Roskill, Bob Grey, Buck Buchanan, Luke Morgan und Will Thorne standen an Schoten und Brassen zum Segelmanöver bereit. Big Old Shane hing sich den Köcher mit den Pfeilen um und prüfte die Spannung der Bogensehne. Ferris Tucker hatte die beiden Drehbassen des Achterkastells übernommen. Ben Brighton war an Hasards Seite und sagte: »Am Wind sind wir schneller und laufen mehr Höhe als jedes Rahschiff. Ich glaube, ich weiß, was du vorhast.« Hasard lächelte. »Wenn alles so klappt, wie ich es mir vorstelle, kriegen die Dons gleich das ganz große Zittern.« »Deck!« schrie Dan O’Flynn aus dem Großmars. »Der
Abstand zwischen den Dons und uns beträgt nur noch etwa siebenhundert Yards. Weniger als vier Kabellängen!« Hasard gab ihm ein Zeichen, daß er verstanden hatte. Ben Brighton wandte sich auf seinen Wink hin an Pete Ballie, den Rudergänger. »Wir gehen auf Westkurs«, sagte Hasard. Pete drückte gegen den Kolderstock. Carberrys Stimme polterte wieder los, und die Segel wurden dichter geholt. Die ›Isabella VII.‹ luvte an und lief mit etwa halbem Wind westwärts. Hasard verständigte sich wieder mit Ben. Ben leitete den Befehl weiter, und die Karavelle luvte noch weiter an, fast so, als wolle sie über Stag gehen. Hasard stand inzwischen an der Steuerbordseite des Achterdecks. Er blickte über das Schanzkleid und wartete auf die Reaktion der Spanier. Um seinen Mund spielte ein spöttischer Zug. Die ›Isabella‹ steuerte hart am Wind liegend Nordwestkurs über Backbordbug. Die großen, dreieckigen Lateinersegel waren so dicht wie irgend möglich geholt. Auf den Gefechtsstationen kauerten die Männer und harrten der Dinge, die da kommen mochten. Die drei Galeonen reagierten viel zu spät und zu langsam auf Hasards Manöver. Er sah sie an der ›Isabella‹ vorbeistreichen, blickte durch das Spektiv und gewahrte sogar, wie auf dem Führungsschiff der Kapitän oben auf dem Achterdeck herumgestikulierte. Er stauchte seinen Rudergänger und alle anderen gehörig zusammen; wie es den Anschein hatte. Aber das nutzte ihm gar nichts. Schwerfällig wie dicke Kühe nahmen die Galeonen ihre Vorschiffe näher an den Wind. Ja, sie schwenkten endlich auch nach Luv hoch, aber sie waren schon längst über Hasards Drehpunkt hinaus. Somit lag der Seewolf nun über ihnen - im Nordwesten - und hatte die Luvposition. Das bedeutete viel in einem bevorstehenden Gefecht. Es hieß, die höchste und beste
Karte in der Hand zu halten. Die erste, größte Galeone maß in der Länge wirklich gut und gern ihre vierzig Yards. Hasard ließ sie nicht aus dem Auge. Er wußte, wie baff die Spanier über seinen plötzlichen Ausfall waren, aber er war überzeugt, daß sie Münder und Augen noch mehr aufreißen würden. Denn mit dem Anluven nach Nordwest nicht genug - als die drei Galeonen jetzt danach trachteten, auf einen annähernden Parallelkurs mit der ›Isabella‹ zu gehen, sorgte der Seewolf für eine noch größere Überraschung. »Pete!« schrie er. »Ed, aufgepaßt da unten! He, ho, wir gehen durch den Wind auf Steuerbordbug!« Pete Ballie gehorchte augenblicklich. Die Crew hatte alle Hände voll zu tun, die Segel zur anderen Seite hin dichtzuholen und sie am Killen zu hindern - aber dann hatten sie sie über Stag, ihre ›Isabella‹, und führten sie schnell wie ein Paradepferd auf Nordostkurs. »Weiter«, befahl der Seewolf. »Abfallen jetzt. Dalli, Pete, keine Müdigkeit vorschützen.« Die Zweimastkaravelle fiel ab bis auf vor den Wind. Danach ließ Hasard halsen. Und nun segelten sie auf Backbordbug mit achterlichem Wind weiter und brausten förmlich auf die letzte Galeone der Spanier zu. Big Old Shane rieb sich die mächtigen Hände. »Jetzt gibt’s Zunder. O Mann, jetzt kriegen die Philipps den Hintern versohlt.« Matt Davies, Gary Andrews, Stenmark und Al Conroy knieten auf der Steuerbordseite der Kuhl neben den 17 Pfündern. Die Lunten brannten. Sie waren nur zu viert, aber sie würden die sechs Geschütze fast gleichzeitig zum Spucken bringen, das hatten sie sich geschworen. *
Edwin Carberry kniete hinter dem Schanzkleid der Steuerbordseite, und zwar am Niedergang zum Quarterdeck. Er drehte sich kurz um, blickte zum Achterdeck hoch und sah den Seewolf und Ben Brighton. Hasard bedeutete ihm durch eine Gebärde, auf keinen Fall Hast zu zeigen. Carberry winkte zurück. Der Profos lugte flach über das Schanzkleid weg und sah, wie sich die letzte Galeone der Spanier auf eine Höhe mit ihrer Karavelle drängte. Sie war ein stolzes Schiff, diese Galeone, und sie mußte erst vor kurzem im Dock gelegen haben und generalüberholt worden sein. Sie strahlte und funkelte nur so vor neuem Holz und frischer Farbe. Al, der dem Profos am nächsten war, sagte: »Eigentlich schade. Die Dons hätten diese Schöne lieber im Hafen von Cadiz liegen lassen sollen.« Carberry ließ die Galeone nicht aus den Augen. »Nur so, zum Angucken?« »Ja, das meine ich.« »Und du glaubst nicht, daß auch die Fische ihre Freude an so einer Schönen hätten?« »Mann, daran habe ich noch gar nicht gedacht.« Einen Augenblick noch, dachte Carberry, einen winzigen Augenblick noch. Dann, als sie das Heck der Galeone passiert hatten, stieß er den entscheidenden Ruf aus. »Feuer!« Die spanische Galeone mühte sich immer noch mit dem Anluven ab, aber über den Südwestkurs kam sie nicht mehr hinaus. Die Lunten senkten sich auf die Steuerbordgeschütze der ›Isabella‹. Knisternd fraß sich die Glut durch die Zündkanäle zum Zündkraut und ließ die Ladungen explodieren. Vehement stieß das Pulver die Kugeln aus den Läufen. Die Culverinen zuckten zurück. Zunächst waren es vier, aber in der nächsten Sekunde hatten Al und Gary, die jeweils zwei 17-Pfünder bedienten, auch die anderen beiden in
Funktion gesetzt. Stichflammen leckten aus den Mündungen und trieben die todbringenden Ladungen dicht über die Wasserfläche auf das Achterkastell der Galeone zu. Brooktaue fingen den Rückstoß der Kanonen auf und bremsten den Lauf der Lafetten. Pulverqualm stob hoch und breitete sich über Deck aus. Mittendrin hockten die Männer der ›Isabella‹ und sahen, wie ihre Geschosse in die Galeone stießen. Für die Spanier war es die Hölle. Nur eine Kugel heulte wirkungslos über das Deck des Schiffes und verlor sich im Wasser. Die anderen fünf waren Treffer. Hasards Männer brüllten »Hurra«, als sie den Besanmast der Galeone knicken sahen. Er war im wahrsten Sinne des Wortes abrasiert, und als er auf Deck niederkrachte und mit seinem Zeug außenbords ging, richtete er ein wahres Massaker an. Ein Offizier wurde außenbords gefegt, die Crew der ›Isabella‹ verfolgte es ganz deutlich. »O Mann!« rief Carberry. »Das war der Kommandant.« Der Rudergänger drüben auf der Galeone wurde von einer abgesplitterten Spiere getroffen. Sie durchbohrte ihn mit ihrem spitzen Ende, fegte ihn weg vom Kolderstock - und auch der wurde zu Kleinholz zertrümmert. Schreie tönten herüber. Auf dem getroffenen Schiff herrschte unvorstellbare Wuhling. Die Toten und Verletzten waren mehr, als der Seewolf erwartet hatte. Panik griff um sich, Zwei, drei Spanier sprangen in die See, weil sie Angst hatten, von wirbelnden Spieren erwischt zu werden. »Die Galeone ist führungs- und steuerlos«, sagte Hasard. »Um die brauchen wir uns vorläufig nicht mehr zu sorgen.« Die ›Isabella VII.‹ glitt an dem schwer beschädigten, nach Steuerbord krängenden Schiff vorbei und wandte sich den beiden anderen Galeonen zu. Das Gefecht war mit einem wahren Paukenschlag eröffnet worden. Hasard hatte jetzt nur noch zwei Gegner. Aber er stellte sich die Frage, inwiefern sie
überhaupt gewillt waren, sich mit den verdammten Engländern herumzuschlagen.
4. Aldemiro Garcia Brabante, Kommandant auf der mittleren Galeone des Verbandes, begann zu toben. Er trampelte auf der Stelle, riß sich die Kopfbedeckung herunter und schleuderte sie quer übers Achterdeck. Keiner seiner Männer kam ihm in diesem Moment zu nahe. Alle wußten, wie gefährlich Brabante war, wenn er seine Wutanfälle hatte. »Diese Narren!« rief er. »Diese Anfänger, Landratten und Hasenfüße! Wie konnten sie sich so überfahren lassen? Verdammt, das geht nicht mit rechten Dingen zu!« Er meinte die Mannschaft der dritten Galeone. Fassungslos spähte er hinüber, sah den zerstörten Besanmast, die Männer, die außenbords stürzten und das Durcheinander auf Oberdeck. Brabante war außerstande, diese jähe Entwicklung zu begreifen. Ging das denn wieder los? Erst hatten die Engländer sich in Cadiz eingeschlichen und beinahe das ganze Fort San Sebastian in die Luft gejagt - und jetzt trotzten sie einer Übermacht von Galeonen. Mehr noch, sie fuhren eine Schleife, fielen dann dem Verband in die Seite und wüteten wie ein reißender Wolf. »Hexerei!« schrie Brabante. »Wahnsinn! Sie stehen mit dem Teufel im Bund!« Natürlich mußte er sich überzeugen, daß doch alles mit rechten Dingen zuging. Die Karavelle hatte ihre Wendigkeit voll zum Zug gebracht. Und jetzt - jetzt hielt sie auf ihn zu! Aldemiro Garcia Brabante rief seinen Ersten Offizier zu sich aufs Achterdeck. »Haben Sie eine Erklärung für die unglaubliche Schweinerei, die sich soeben vor unseren Augen abgespielt hat?« fragte er wutbebend.
»Nein, Senor«, antwortete der Erste. Er wußte nicht, wohin er blicken sollte. Brabante war in seinem Zorn unberechenbar. »Aber ich!« brüllte er zurück. »Hier liegen Kampfeswille und Order im Widerstreit, sonst hätte unser drittes Schiff sich niemals eine solche Breitseite überbraten lassen, ohne gleichzeitig ebenfalls Feuer und Tod aus allen Rohren zu speien. Will Ihnen das in den Kopf, Mann?« »Jawohl, aber Generalleutnant Salvador de Coria befindet sich als Gefangener auf der Karavelle. Und laut Befehl vom Stadtkommandanten in Cadiz darf ihm kein Leid geschehen.« Brabante hörte gar nicht richtig hin. Er hatte nur noch Augen für die Karavelle, für diesen tollen Hund von einem englischen Spion. Er forderte heraus. Er warf sich ihnen entgegen, ohne lange zu fackeln, und das mit einem so kleinen Kahn - es war der reine Hohn. Und da sollte er, Brabante, ruhig dastehen und warten, bis auch er an die Reihe kam? »Nein«, stieß er hervor. »De Coria mag der Krone kostbar und unersetzlich sein. Aber hier geht’s um unsere blanke Haut. De Coria zu schützen, ist eine unlösbare Aufgabe. Ich protestiere!« »Jawohl«, erwiderte der Erste wieder. Was blieb ihm anderes übrig? »Das Ganze stinkt zum Himmel!« »Aber der Verbandsführer ...« »Comandante Penasilico? Der soll mir den Buckel runterrutschen.« »Senor ...« »Schiff klar zum Gefecht«, schrie Brabante seinen Ersten Offizier an. »Wer Einwände hat, wird wegen Meuterei, Befehlsverweigerung und Feigheit vor dem Feind ohne Aburteilung an der Großrahnock aufgehängt. An die Geschütze, und zwar zackig. Wir zeigen diesen Hurensöhnen die Krallen.« Selten waren die Stückpforten der Galeone so schnell gefallen
und die Kanonen so hastig ausgerollt, gerichtet und geladen worden. Brabante hatte es satt, er ignorierte die Order. Ihm war der Kragen geplatzt, und wenn ein Mann seines Gemütes an diesem Punkt angelangt war, konnte ihn kein vernunftsmäßiger Einwand mehr erreichen. »Feuer!« In sein Brüllen mischte sich der Donner der Geschütze an der Backbordseite. Brabante sah gespannt zur Karavelle. Sie war schnell, sehr schnell. Sie befand sich beinahe auf gleicher Höhe mit seinem Kriegsschiff - aber, verflucht und zugenäht, dieser Satan von einem Kapitän mußte die Gefahr gerochen haben! Die Kugeln der spanischen Galeone heulten zur ›Isabella‹ hinüber, aber es wurde ein Schlag ins Wasser. Fontänen gischteten haushoch himmelan, eine richtige Wasserwand türmte sich auf, und Brabante erlitt fast einen Anfall. Im richtigen Moment hatte die Karavelle angeluvt und sofort gewendet. Mit Steuerbordbug hart am Wind nach Nordosten segelnd, entzog er sich dem mörderischen Schlag der mittleren Galeone. Er lief in Lee der letzten Galeone vorbei und präsentierte ihr diesmal seine Backbordbreitseite. »Dios«, jammerte Aldemiro Garcia Brabante. »Jetzt kriegt sie wieder was zwischen die Spanten. O Himmel, nein, laß es nicht geschehen!« Sein Stoßgebet wurde nicht erhört. Lärmend jagten die Backbordculverinen der ›Isabella VII.‹ ihre Ladungen zu der bereits angeschlagenen Galeone hinüber. Und Brabante entdeckte zu seinem hellen Entsetzen zwei große Männer oben in den Masten der Karavelle, die Brandpfeile auf das Schiff abschossen. Es war der Gipfel. Brabante hatte nicht geglaubt, daß es noch eine Steigerung des Unheils geben konnte, aber das trat nun ein. Die Brandpfeile stoben zischend in die Takelage des noch stehenden Groß- und Fockmastes der Galeone. Sie setzten die
Segel im Nu in Brand. Hoch loderte das Feuer auf und wurde zu einem drohenden, weithin sichtbaren Fanal. Brabante hob das Spektiv ans Auge. Die beiden Kerle dort drüben auf der Karavelle schienen in einem regelrechten Wettstreit zu liegen, wer wohl die meisten Pfeile zur Galeone sandte, wer am besten traf, wer der großartigste Schütze war. Einer war ein Riese von Mann mit grauem Haar und grauem Bartgestrüpp. Sein nackter Oberkörper war ein Berg von Muskeln. Aber der andere! Er schoß seine Pfeile vom Hauptmars aus ab - ein pechschwarzer Goliath, nur mit einer Leinenhose bekleidet. Und neben ihm turnten ein sehr junger Weißer und ein quirliges Vieh herum - ein Affe. »Die Hölle schickt euch«, sagte Brabante keuchend. »Warum verschluckt sie euch nicht wieder?« Ja, Big Old Shane und Batuti spickten die arg lädierte Galeone mit ihren Pfeilen. Und dann war es der GambiaNeger, dem der entscheidende Treffer gelang. Zwar geschah es aus Zufall, aber das minderte die Wirkung nicht herab. Er hatte mit seinem Brandgeschoß ein Pulverfaß auf dem Mitteldeck der Galeone erwischt. Es flog auseinander, wie von unsichtbaren Fäusten zerfetzt. Stichflammen zuckten zur Seite und nach oben, Rauch breitete sich aus. Die Spanier schrien. Wer noch kriechen konnte, der schleppte sich zum Schanzkleid und ließ sich außenbords fallen. Denn alle wußten, was nun folgte. Brabante stand auf dem Achterdeck der Nachbargaleone, trampelte wieder mit den Füßen, hielt sich die Ohren zu und stieß abwechselnd Flüche und Beschwörungen aus. Das Feuer hatte die Pulverkammern auf der dritten Galeone erreicht, und so kam, was kommen mußte. Eine Art Kettenreaktion nahm ihren Lauf. Pulverfaß um Pulverfaß explodierte im Schiffsbauch, der Donnerhall erfolgte im Stakkato. Die Galeone brach in der Mitte auseinander und stieg gleichzeitig aus den Fluten auf, als wolle sie sich jetzt in
den Himmel schwingen. Ein Gluthauch fegte über die See, gefolgt von der Druckwlle. In dem dröhnenden Inferno aus Feuer und Rauch wirbelten die Trümmerteile und die Menschenleiber. »Capitan!« rief der Erste Offizier auf der zweiten Galeone. Brabante fuhr herum und sah das Führungsschiff ihres Verbandes in Lee herangleiten. Fast wirkte es, als wollte es längsseits gehen. Brabante lief zur Backbordseite des Achterdecks, blickte hinüber und sah Comandante Penasilico toben. Auf beiden Schiffen herrschte wahnsinniger Zustand, aber Penasilico übertrumpfte alle, selbst Brabante. Er führte eine Art Veitstanz auf. Ohnmächtig vor Wut griff Penasilico nach einem Sprachrohr. Er hielt es sich vor den Mund und schrie: »Brabante! Sie gehören degradiert! Sie haben der Order zuwider gehandelt! Das ist - das ist Insubordination!« »Ungehorsam?« erwiderte Brabante mit überkippender Stimme. »Daß ich nicht lache. Sollen wir uns hier alle die Jacke vollhauen lassen?« »Was ist das für ein Ton gegenüber Ihrem Verbandsführer!« »Ich lasse mich nicht verheizen!« brüllte Brabante. »Ich befehle Ihnen, nicht mehr zu feuern!« »Bin ich denn verrückt?« »Capitan Brabante ...« »De Coria kann mir gestohlen bleiben«, unterbrach der aufsässige Kapitän. »Wir werden von diesen englischen Teufeln angegriffen, und ich zahle es mit gleicher Münze zurück.« »Meuterer!« »Feigling!« Penasilico taumelte, als habe ihn ein Fausthieb getroffen. »Was? Ich das ist Ihr Untergang, Mann. Verlassen Sie Ihr Schiff. Das Kommando übernehme ich.« »Den Teufel tue ich!« schrie Brabante.
»Das ist ein Befehl!« »Von dir nehme ich keine Befehle mehr entgegen, du hirnverbrannter alter Trottel!« Penasilico wurde abwechselnd rot und bleich und heulte: »Erster, ich erteile Ihnen hiermit das Kommando über Brabantes Schiff. Nehmen Sie den Meuterer fest.« Aldemiro Garcia Brabante fuhr zu seinem Ersten Offizier herum. Bevor der Mann etwas unternehmen konnte, zückte er seine reich verzierte Radschloßpistole und legte sie auf ihn an. »Erster, wenn Sie das wagen, sind Sie schon jetzt so gut wie tot. Herr auf meinem Schiff bin noch immer ich, und in Cadiz werden wir sehen, wer recht behält. Wollen Sie krepieren, Mann, durch einen Schuß aus meiner Waffe oder im Feuer der verfluchten Engländer?« »N-nein, Senor.« »Dann hören Sie auf mich. Die Männer bleiben auf Gefechtsstation. Klar bei Kartuschen, verstanden?« »Jawohl, aber Comandante Penasilico signalisiert uns.« Brabante hielt es zunächst für einen Trick, ihn abzulenken. Aber dann sah er, daß der Erste Offizier die Wahrheit gesagt hatte. Der Verbandsführer hatte tatsächlich ein Flaggensignal gesetzt: vom Gegner lösen und absetzen, aber Fühlung halten. Er verzichtete darauf, sich weiter mit Brabante herumzustreiten. Brabante hielt Penasilico für unfähig und reif fürs Altenteil. »Idiot«, sagte er. Kurzum, er kümmerte sich einen feuchten Kehricht um das Signal. Er war ein Draufgänger, und außerdem spielte hier auch wieder der vielzitierte Stolz des Spaniers eine Rolle. Brabante stammte aus Sevilla, er war ein Andalusier urwüchsigsten Geblütes mit ganz besonders großer Ehrauffassung. Ohne dem Führungsschiff zu folgen, nahm er Kurs auf den verhaßten Feind. Penasilico setzte sich nach Süden ab und zeigte ihnen beleidigt die Kehrseite seines prächtigen großen
Dreimasters. Brabante spuckte aus. Sollte er! Er wurde auch allein mit dem Engländer fertig. Die ›Isabella‹ segelte jetzt ostwärts. Brabante arbeitete sich methodisch an sie heran. Dann fing er wieder an zu fluchen, denn der Gegner ging erneut hart an den Wind, mit Kurs nach Nordost. Brabante konnte da unmöglich mithalten. Seine Galeone, fast doppelt so groß wie die Karavelle, war als Rahsegler glatt unterlegen. Soviel Höhe lief sie nicht. Brabante stellte dem dreisten Engländer in Kreuzschlägen nach. So wurde er immer weiter von der Führungsgaleone fortgelockt. Letzte brennende und schwelende Wrackteile in der See zeugten von dem Ende der dritten Galeone. Aldemiro Garcia Brabante schwor sich mit geballten Händen, daß ihm so etwas nie und nimmer widerfahren würde, seine Geschütze würden sprechen. Sie hatten die größere Reichweite als die Culverinen der Karavelle. Sie konnten knapp über 1600 Meter weit schießen, also beinahe eine Seemeile. Um jedoch eine einigermaßen genaue Treffsicherheit zu haben, mußte Brabante schon näher an die Karavelle heran. Vier Kabellängen würden ihm genügen. Auf diese Distanz traute er sich zu, dem Engländer einen empfindlichen Schlag zu versetzen. Aber es kam anders. Flammen stiegen von der Karavelle auf und schwirrten leicht zitternd im hohen Bogen zu der Galeone herüber. Die Männer des Seewolfes schossen wieder ihre Brandpfeile ab. * Salvador de Coria lauschte wie unter einem Bann dem Gefechtslärm. Sehen konnte er nichts, seine Kammer im Achterkastell der ›Isabella VII.‹ hatte kein Fenster. Er war also dazu verdammt, lediglich zuzuhören und sich in seiner
Phantasie auszumalen, was sich oben auf Deck und rund um die Karavelle abspielte. Er hockte auf seiner Koje und nagte an der Unterlippe. Was war geschehen? Nun, in Cadiz hatte man selbstverständlich sofort Verfolger auf die Fährte dieses Bastards Killigrew gehetzt. De Coria weigerte sich tief in seinem Inneren, ja er sträubte sich dagegen, den Bankert einen von Manteuffel oder gar einen de Coria zu nennen. Für ihn war er ganz einfach der Bastard. Ein Namenloser, der über die Meere irrte und nur Unheil anrichtete. Cadiz wollte ihn stellen. Cadiz wollte ihn, de Coria, aus der Klemme helfen. Das Gefecht war eröffnet und brandete hin und her. Bisher schienen auf der ›Isabella‹ keine Einschüsse zu verzeichnen zu sein. Dem begeisterten Grölen der Männer an Oberdeck nach verlief das Gefecht sogar ziemlich vorteilhaft für sie. Aber die Spanier mußten in der Überzahl sein, soviel hatte de Coria herausgehört. Früher oder später metzelten sie diese Piratenbande nieder. Aber dabei bestand eine Gefahr. Sie konnten auch ihn verletzen oder gar töten! De Coria wußte nicht, wie seine Landsleute sich die Lösung dieses Problems vorstellten, aber seine Gefühle schwankten zwischen Hoffnung und nackter Angst. Er horchte auf. Befehle wurden gerufen, offenbar war jemand ins Achterkastell gekommen, um dem Wachtposten vor der Tür etwas mitzuteilen. De Coria wischte sich den Schweiß von der Stirn. Was passierte jetzt? Hatten die Kerle etwas mit ihm vor? Die Tür flog auf und knallte gegen die Innenwand. De Coria sah auf den alten Mann, der ihn angrinste. Er hatte gehört, daß sie ihn Old O’Flynn nannten. Er hatte ein Holzbein, lief auf zwei Krücken und war eine eher groteske als furchteinflößende Figur. »Du sollst raufkommen«, sagte er auf spanisch. »Hasard will seinen Onkel sehen. Er befürchtet, du könntest dir bei dem
Geballer die Hosen vollmachen.« De Coria preßte die Lippen zusammen. Diese Beschimpfungen! Diese Erniedrigungen! Er hätte sich am liebsten Luft verschafft, herausgebrüllt, was er von ihnen hielt. Aber es war klüger, zu schweigen. Man mußte den Alten in Sicherheit wiegen. Ja, da war ein Hoffnungsschimmer! Wenn es de Coria gelang, diesen Burschen von den Krücken zu stoßen, zu überwältigen und ihm die Pistole aus dem Gurt zu reißen, war alles gewonnen. Dann brauchte er nur noch an Oberdeck zu stürmen und sich bis zum Schanzkleid durchboxen. Wer sich ihm in den Weg stellte, den streckte er nieder. Anschließend jumpte er außenbords und schwamm zu seinen Landsleuten hinüber ... »He«, sagte Donegal Daniel O’Flynn. »Beweg dich, du Saftheini. Ich will dich nicht wie eine Schnecke nach oben krauchen sehen. Willig, willig, im Laufschritt, sonst setzt es was.« De Coria schritt zur Tür. Er maß den Alten mit einem huschenden Blick. Old O’Flynns linke Krücke flog plötzlich hoch. Das untere Ende traf de Corias Brust und preßte ihn gegen den Türrahmen. De Coria keuchte entsetzt. In O’Flynns Augen funkelte es kampfeslustig. »Hör mal gut zu, du Salzhering. Ich hab den leisen Verdacht, daß du glaubst, mich übertölpeln zu können. Aber merke dir das eine. Ich bin flink mit der Pistole und dem Messer, meine Krücken sind zusätzliche Waffen, und im äußersten Notfall schnalle ich mir das Holzbein ab und lasse es über deinen Rücken tanzen. Klar? Kapiert?« »Kapiert«, flüsterte de Coria. Old O’Flynn grinste wieder. »Dann habe ich ja gut spanisch gelernt. Mann, was doch in so einen alten Querkopf noch alles reingeht.« Er gab den Spanier frei. Der hastete wirklich im Laufschritt
vor ihm durch die Gänge des Achterkastells und wunderte sich, wie ein Mann auf Krücken ihm derart schnell und gewandt folgen konnte. De Coria stolperte aufs Quarterdeck. Die grelle Sonne blendete ihn. Er legte schützend die Hand über die Augen. Oben im Hauptmars und Vormars war Bewegung. Er blickte hoch und gewahrte Shane, den graubärtigen Riesen, und Batuti, den Gambia-Neger, wie sie serienweises Brandpfeile von den Bogensehnen jagten. Verwirrt folgte er mit dem Blick der Zielrichtung der Geschosse. Er erschrak. Sie senkten sich drüben, drei bis vier Kabellängen in Lee der Karavelle, auf eine spanische Galeone nieder und ließen ihre Takelung in Flammen aufgehen. »Weiter!« rief Old O’Flynn. De Coria hatte Respekt vor dem Alten mit seinen Krücken. Überhaupt schien es an Bord dieses Teufelsschiffes keinen einzigen Mann zu geben, den er übertölpeln oder auf seine Seite ziehen konnte. Die Blicke der Crew begegneten ihm. Eisige Ablehnung und Verachtung bauten sich wie eine Mauer vor ihm auf. De Coria hastete aufs Achterdeck. Er hatte das Gefühl, jeden Moment Spießruten laufen zu müssen. Die Angst saß ihm im Nacken. Sie wuchs. Hinzu gesellte sich eine unerklärliche, dumpfe Ahnung, die in seinem Inneren gärte. Der Seewolf stand neben Ben Brighton an der Five-Rail. In ihrem Rücken befand sich Ferris Tucker, der die Handhabung der beiden achteren Drehbassen übernommen hatte. Hasards schwarze Haare wurden vom Nordwind zerzaust. Er stand mit etwas abgewinkelten Beinen und verschränkten Armen und schaute seinen Gefangenen wortlos an. Sein Gesicht war jung und doch schon alt, von Erfahrungen und allen Härten des Lebens unauslöschlich gezeichnet. Durchdringend war der Blick seiner eisblauen Augen, kühn und verwegen der Ausdruck seiner Miene. Breite Schultern
spannten sich unter seiner braunen Lederweste und dem weißen Hemd. »Generalleutnant«, sagte er, »ich habe dich an Deck holen lassen, um dir mal einen Rundblick zu gönnen. Bitte, fühle dich ganz wie zu Hause.« De Coria trat ans Schanzkleid. Achtern war die Galeone, aus deren Segeln das Feuer immer höher schlug. Weiter im Süden entdeckte er jetzt auch noch eine weitere spanische Galeone, aber die griff nicht ein, die suchte lediglich das Weite. Und zwischen dem mit Pfeilen beschossenen Schiff und der ›Isabella‹ trieben Wrackteile, traurige Überreste eines dritten Schiffes. De Coria entdeckte Leichen und Leichenteile, die zwischen den Trümmern auf den Wellen schaukelten, und wandte sich betroffen ab. Das war also die Explosion gewesen, die er unten in der Kammer vernommen hatte! Ihm war plötzlich hundeelend zumute. Dieser schwarzhaarige Bastard wollte ihm seine Gefechtskraft demonstrieren. Und es war ihm gelungen, o Hölle und Teufel, besser hätte ihm dieser Effekt gar nicht gelingen können. Big Old Shane und Batuti hatten mit ihren einfachen Waffen eine Treffsicherheit, die mit den Culverinen auf diese Distanz nie zu erreichen war. Und die Spanier? Nun, sie feuerten zwar aus vollen Rohren, und der Geschützböller, der über See rollte, nahm sich auch sehr imposant aus. Aber das war alles. Wieder stiegen Wassertürme hoch, entweder vor der Karavelle oder weit links und rechts von ihr. Zum guten Zielen war auch den Dons der Abstand zu groß. Shane und der Gambia-Neger hörten indes nicht auf zu schießen. Sie verfügten über genügend Munition. Das umständliche Nachladen wie bei den Kanonen und Bässen entfiel. »Das geht wieder ins Auge!« rief Dan O’Flynn, der im Hauptmars Batuti assistierte. »Ho, drüben auf der Galeone haben sie nicht genug Hände, um all die Brände zu löschen.«
Das stimmte. Dan genoß nicht umsonst den Ruf, der Mann mit den besten Augen an Bord der ›Isabella‹ zu sein. Er hatte richtig beobachtet, und er sah noch mehr: Der Wind wirkte auf die überall aufflackernden Feuer an Bord der spanischen Galeone wie ein Blasebalg. Er fachte sie mehr und mehr an. Die Männer, von einem geradezu wüst auftretenden Kapitän kreuz und quer über Deck gescheucht, begriffen, daß sie machtlos waren. Panik trat ein. »Hasard!« schrie Dan. »Das ist jetzt der richtige Augenblick!« »Aufgepaßt, Spanier«, sagte Hasard zu Salvador de Coria. De Coria hielt sich an der Five-Rail fest. Ihm war unsagbar schwach in den Knien. Das elende Gefühl schlug in richtige Übelkeit um, und gleichzeitig verdichteten sich all seine unterschwelligen Ahnungen zur Gewißheit. Der Seewolf ging mit der ›Isabella‹ auf Gegenkurs. Fast platt vor dem Wind schnürte sie mit prallen Segeln und steiler Bugsee auf die brennende Galeone zu. Carberry war mit Blacky und Jeff Bowie bei den Culverinen der Backbordseite, jeder hatte zwei zu bedienen. Als sie auf der richtigen Position angelangt waren in Luv der Galeone und auf gleicher Höhe mit ihr, gab Hasard den Feuerbefehl. Brüllend spuckten die 17-Pfünder ihre Ladungen aus. Drüben auf der Galeone bemühte sich Aldemiro Garcia Brabante vergebens, die Disziplin wiederherzustellen. Es gelang ihm nicht mehr, die Mannschaft an die Geschütze zu hetzen, die Panik vereitelte es. Sechs Kugeln fanden ihr Ziel, rissen Bordwand und Schanzkleid auf und trafen auch den Großmast. Brabante erkannte auf dem fatalen Höhepunkt der Auseinandersetzung, daß er wohl doch besser Penasilicos Befehl befolgt hätte. Aber jede Einsicht kam zu spät. Das Feuer fand auch hier seinen Weg in das Pulverdepot. Brabante sah noch eine glutige Welle aus dem Schiffsbauch aufsteigen, dann hob die Urgewalt der Explosion das Oberdeck
hoch. Es donnerte, alles platzte, krachte, splitterte, und Brabante fühlte sich in den Himmel emporgetragen. Er raste einem schwarzen Strudel entgegen. Dann trennte sich sein Geist vom Körper. Alles versank in tiefer Finsternis.
5. Ed Carberry riß sich die Mütze vom Kopf und schleuderte sie hoch. Er hieb Blacky auf die Schulter, daß es krachte, führte einen Tanz auf, tapsig wie ein Bär, und schrie: »Hurra, Sieg, wir haben es den Schweinepriestern mal wieder gezeigt!« Die gesamte Crew johlte wie verrückt. Sie konnte sich aus ihren Deckungen aufrichten. Die Galeone würde nie wieder feuern, und Wrackteile flogen auch nicht mehr durch die Luft. Es war kaum zu glauben, aber wahr: Keiner war verletzt. Nicht immer hatten ihre Gefechte einen so triumphalen Abschluß gefunden. Der schwärzeste Tag war es für sie gewesen, als Hasard vor der Küste von Portugal seinen Alten, Sir John, aus einer schon verlorenen Schlacht gegen eine Übermacht von Spaniern herausgehauen hatte. Damals hatte ihn bei der Explosion der letzten gegnerischen Karavelle eine halbe Spiere schwer am Kopf verletzt - ein bitterer Preis. Aber heute bestand aller Grund zum Jubeln! Der Kampf war vorüber, der Weg frei. Die Männer balgten sich auf Deck und grölten, was das Zeug hielt. Hasard ließ sie gewähren. »Ben«, sagte er. »Diese Prachtburschen haben sich zwei Extrarationen Rum und Whisky verdient.« »Aye, aye, Sir. Und was machen wir mit de Coria?« Hasard blickte sich überrascht zu seinem »Onkel« um. Dem war die bittere Erkenntnis auf Gemüt und Magen geschlagen. Er hatte begriffen, daß hier ein eisenharter Mann eine ebenso eisenharte Mannschaft führte. Diese Männer fürchteten weder Tod noch Teufel.
Etwas davon hatte de Coria schon bei dem Duell mit Hasard eingesehen. Hasard hatte mit ihm im Kerker des Forts San Sebastian die Klingen gekreuzt, und dabei hatte der Spanier die Niederlage seines Lebens erlitten. Vor den Augen der Bewacher war er offen gedemütigt worden. Aber da hatte er die Überlegenheit dieses Philip Hasard Killigrew noch nicht in ihrer Vollkommenheit erfaßt. Das war jetzt jedoch der Fall. De Coria hatte das große Zittern gekriegt. Er lehnte sich weit über. Sein Magen stülpte sich aus, er opferte außenbords. Ben Brighton wollte zu ihm laufen, doch jetzt war auch Carberry auf dem Achterdeck angelangt, um dem Seewolf die Hand zu schütteln. Er blieb stehen, sah de Coria und kriegte große Augen. »Jetzt wird doch alles verrückt, Himmel, Arsch und Zwirn, ist das vielleicht eine Art, über Bord zu spucken und das schöne Schiff zu bekleckern?« Er sprang zu dem Spanier, packte ihn und bugsierte ihn nach Lee. Hier drückte er seinen Kopf über das Schanzkleid und hielt ihn am Kragen fest, damit er beim »Opfern« nicht etwa in die See kippte. »Nach Lee wird gekotzt, du Rübenschwein«, knurrte der Profos. »He, hast du etwa an unserer Bordverpflegung herumzumeckern, was, wie? Das ist eine Beleidigung für den Kutscher. Mann, benimmst du dich zu Hause etwa auch so? Ein feiner Edelmann bist du mir.« Salvador de Coria keuchte, hob den Kopf, wandte ihn und schaute Carberry von der Seite an. Der Profos sagte: »Na, ist alles ‘raus?« »Gurrgghhh«, machte de Coria. Carberry drehte ihm schleunigst wieder den Kopf nach unten. »Das könnte dir so passen, du Stinktier, mich auch noch vollzuspucken!« *
Am Spätnachmittag nahm die ›Isabella VII.‹ Kurs auf die Gibraltarstraße. Das Führerschiff des zerschlagenen spanischen Verbandes, die vierzig Yards messende Galeone, war außer Sicht geraten. Am Schauplatz des Gefechts wiegten sich die Trümmer und die anderen Relikte auf den Wellen. Schwelende Holzteile wurden alsbald durch die Fluten gelöscht. Nach und nach zerstreuten sich die Überreste in alle Himmelsrichtungen, verloren sich in der offenen See, trieben aber auch zum Land hin, wo sie an die Strande von Andalusien geschwemmt werden würden. Vielleicht trieben auch Leichen ans Ufer. Sie würden von der ganzen Grausamkeit des Kampfes zeugen und wieder einmal davon künden, wie furchtbar es enden konnte, sich mit dem Seewolf anzulegen. Der Sargento Fausto Pereda erreichte Algeciras in der Nacht zum 30. Mai. Er hatte außer dem Andalusierhengst Aurora den Apfelschimmel von Pedro Ortuno de Alcalay Jimena und ein anderes, auf ähnliche Weise »requiriertes« Pferd zuschanden geritten. Abgekämpft, schweißbedeckt und mit verdrossener Miene gelangte er an das Tor der Marinestation. Die Sondervollmacht öffnete ihm den Weg in den Innenhof. Hier saß er ab und begab sich schleppenden Schrittes zu dem Befehlshaber der Garnison. Er hieß Capitan Arduin de Durango und war ein hagerer Mann um die Fünfzig, ohne Bart, ohne Perücke und durch und durch asketisch wirkend. »Capitan«, stieß Pereda hervor. »Sie müssen sofort die Straße von Gibraltar sperren. Sofort!« »Langsam«, erwiderte de Durango. »Und immer schön der Reihe nach. Wer schickt Sie und um was geht es, Sargento?« Pereda salutierte, kriegte die Hacken aber nicht ganz ordnungsgemäß zusammen und geriet fast aus dem Gleichgewicht. Er schwankte und ruderte mit den Armen. Vor Verlegenheit lief er rot an. De Durango zeigte ein dünnes Lächeln. »Haben Sie - getrunken, Sargento?«
»Nein, Senor. Der Ritt von Cadiz hierher war mörderisch. Heute früh um acht Uhr bin ich aufgebrochen.« De Durango zog überrascht die Augenbrauen hoch. »So? Donnerwetter. Setzen Sie sich, Sie haben es nötig. Ja, ich nehme auch Platz. Und jetzt berichten Sie, Sargento.« Pereda schilderte die Vorfälle in Cadiz und stellte den Seewolf dabei als eine Art mordendes Monstrum in menschlicher Gestalt dar. Am Ende sagte er aufgeregt: »Es besteht aller Grund zu der Annahme, daß dieser Philip Drummond alias Killigrew ins Mittelmeer durchzubrechen versucht. Es ist unsere Pflicht, das zu verhindern.« »Selbstverständlich ist es das.« »Sein Schiff ist eine Zweimastkaravelle, und er tarnt sich als irischer Kauffahrer. Er ist ein Freibeuter und Spion, der mit außerordentlicher Verwegenheit und Bravour vorgeht und kaltblütig seine Chancen zu nutzen versteht.« Capitan Arduin de Durango legte die rechte Hand auf den Tisch und pochte mit dem Mittelfinger auf die Platte. Das Geräusch und die Ruhe, die von diesem Mann ausging, strapazierten Peredas Nerven. Er rutschte unruhig auf seinem Stuhl herum. »Es müssen Kriegsschiffe auslaufen und die Meerenge blockieren«, sagte der Capitan. »Aber wenn es zur offenen Konfrontation mit dem Gegner kommt, was wird dann aus Generalleutnant Salvador de Coria?« »Man muß eben mit äußerster Vorsicht operieren, um sein Leben nicht zu gefährden.« »Ist das auch die Order für die drei Kriegsgaleonen, die der Karavelle bereits folgen?« »Ich ... ich hoffe.« »Sie sind ein Witzbold, Sargento. Ich kenne de Coria und schätze ihn als Freund. Ich will nicht, daß ihm auch nur ein Härchen gekrümmt wird, verstanden?« »Jawohl.«
Fast hätte Pereda wieder die Hacken zusammengeschlagen. Er nickte eifrig, als hinge de Corias Wohlergehen tatsächlich von ihm persönlich ab. Der Capitan erhob sich. Da schnellte auch Pereda von seinem Stuhl hoch. »Also gut«, sagte de Durango. »Ich veranlasse, daß ein Verband von drei Kriegsgaleeren sowie vier Kriegsgaleonen und zwei Schaluppen Wartestellung in der Straße von Gibraltar bezieht.« »Auch Schaluppen, Capitan?« »Als Avisos natürlich. Sonst noch Fragen, Sargento?« »Wann erreichen die Schiffe ihre Positionen?« »In den frühen Morgenstunden, denn ich lasse sie unverzüglich auslaufen.« »Der Stadtkommandant von Cadiz wird Ihnen sehr verbunden sein«, versicherte Fausto Pereda. De Durango lächelte wieder dünn. »Das glaube ich. Er zählt ebenfalls zu meinen Freunden. Gehen Sie jetzt, Sargento. Meine Leute werden Ihnen ein Lager zuweisen, auf dem Sie sich von den Strapazen des Rittes erholen können.« »Capitan ...« »Was ist noch?« Pereda trat von einem Fuß auf den anderen. »Ein gewisser Arturo Ortuno de Alcalay Jimena - gehört er auch zu Ihrem engsten Bekanntenkreis?« »Nein, der nicht. Wieso?« »Ich habe seinem Sohn das Pferd weggenommen, als mein Hengst zusammenbrach.« Pereda nahm stramme Haltung ein und hob den Kopf. »Capitan, ich hielt dies für meine Pflicht und mein Recht, denn in einem Fall wie diesem gelten die Gesetze des Ausnahmezustandes. Der junge Pedro Ortuno wird sich jedoch beschweren. Er wird Ersatz verlangen, und ich, Sargento Fausto Pereda, erkläre schon jetzt feierlich, daß ich für alles geradestehe, falls man entscheidet ...« Der Capitan machte eine Ausnahme. Es war sonst gegen
seine Prinzipien, aber er klopfte Pereda auf die Schulter und erwiderte: »Lassen Sie sich deswegen keine grauen Haare wachsen. Wir deichseln das schon. Die Hauptsache ist jetzt, daß der zum Tode verurteilte Killigrew wieder gefangengenommen wird, um endlich exekutiert zu werden.« * In der Nacht vom 31. Mai auf den 1. Juni 1580 segelte die ›Isabella‹ mit dem Atlantikstrom und bei hartem Nordwestwind durch die Straße von Gibraltar. Ben Brighton blieb die ganze Zeit über auf den Beinen. Er kannte die Passage und erwies sich als hervorragender Lotse. Die See war kabbelig. Gischt sprühte vom Bug und von den Bordwänden der Karavelle hoch und hüllte die Gestalten der Männer auf Oberdeck ein. Manchmal nahm der Wind zu und heulte in Luvwanten und Pardunen. Der Himmel war wolkenverhangen, daher war an eine Positions- und Kursbestimmung mit Hilfe der Sterne nicht zu denken. Ben Brighton navigierte also nach Gefühl und mit Gott, aber nicht das war es, was ihm eigentlich zu schaffen machte. Er war besorgt wegen des Wetters. Er traute dem Braten nicht. Schön, in der Meerenge war es immer bewegt bis stürmisch, aber alle Zeichen deutefen darauf hin, daß die Wetterlage umschlagen und sich in einen brüllenden Sturm verwandeln konnte. Ben und die anderen hatten ganz gewiß kein Verlangen danach. Erst in der Biskaya, auf dem Weg nach Cadiz, hatten sie ihre Kräfte mit einem gewaltigen Sturm gemessen. Mit Ach und Krach waren sie bis nach Vigo an der Nordwestküste von Galizien gelangt. Sie hatten sich in den Hafen verholt, sich als Iren ausgegeben und dann ein paar angenehme Tage verbracht. Es war der verdiente Lohn nach der Hölle des Sturmes
gewesen. Die ›Isabella VII.‹ hatte ins Dock gemußt. Jetzt war sie fix und fertig überholt, und Bootsmann Ben Brighton wünschte sich, daß sie’s auch noch eine Weile blieb. Eine Gestalt löste sich aus dem Backbordschott des Achterkastells. Ben sah sie, weil er an der hölzernen Querbalustrade stand und gerade nach unten aufs Quarterdeck schaute. Die Gestalt entpuppte sich als der Seewolf. Er sagte ein paar aufmunternde Worte zu Pete Ballie, wandte sich dann dem Achterdeck zu und enterte über den Niedergang auf. »Ben«, sagte er. »Ich kann einfach nicht schlafen, verflixt und zugenäht. Erzähl mir einen Witz, vielleicht bringt mich das auf andere Gedanken.« »Mir ist nicht zum Scherzen zumute«, entgegnete Ben düster. »He, warum denn so niedergeschlagen? Ist was nicht in Ordnung?« »Das Wetter. Es könnte umschlagen. Es könnte sich was zusammenbrauen.« Hasard hielt die Nase in den Wind. »Nicht unbedingt. Der Wind könnte auch abflauen und die See wieder ruhiger werden. Außerdem bewegen wir uns nach Osten, und im Mittelmeer verziehen sich die Wolken. Da wartet ein blütenfrischer Morgen mit strahlendblauem Himmel auf uns.« »Du unverbesserlicher Optimist. Die Meerenge von Gibraltar ist unberechenbar. Hier lauern so einige Tücken.« Hasard grinste. »Hör mal, das größte Übel, an das ich im Moment denke, sind die Dons. Versetze dich doch mal in die Lage der Leute von Cadiz. Die haben uns nicht nur die drei Kriegsgaleonen nachgehetzt. Die haben noch mehr unternommen, um uns zu stellen.« »Tja. Sie könnten beispielsweise einen oder mehrere Boten nach Algeciras geschickt haben und alles, was dort im Hafen an verfügbaren Schiffen ankert, mobilisiert haben. Aber ob die Meldung in der kurzen Zeit schon eingetroffen ist ...«
Hasard nickte. »Ich habe einen Blick auf die Karten geworfen und darüber nachgedacht. Ein guter Reiter, der mehrfach das Pferd wechselt, könnte es schaffen.« »Das heißt, wir müssen auf der Hut sein.« Ben riß die Augen weit auf und sah den Seewolf entsetzt an. »Verdammt, da ist es ja glatter Wahnsinn, so dicht unter der spanischen Küste zu segeln. Warum hast du mich nicht eher darauf hingewiesen?« »Bewußt nicht. Die Dons nehmen sicherlich an, wir wollen uns auf der afrikanischen Seite durch die Straße mogeln. Deswegen, wenn wirklich ein Aufgebot besteht und es bereits in See gegangen ist, werden sie drüben bei Ceuta auf uns lauern.« Ben mußte nun auch lachen. »Ja, eine Wahnsinnstat wie diese trauen sie uns nun wohl doch nicht zu. Es läge auch wirklich nahe, den Weg an Ceuta vorbei zu wählen.« »Es ist so eine Angewohnheit von mir, immer das Gegenteil vom Naheliegenden zu tun«, antwortete Hasard. »Das ist dir in den Jahren, die wir zusammen sind, doch bestimmt aufgefallen. Und, ganz ehrlich, Ben, sind wir dabei vielleicht schlecht gefahren?« »Nein. Ganz und gar nicht.« Hasard blickte hoch und sah, daß die Wolkendecke stellenweise aufriß. Mal zeigte der Mond sekundenlang sein fahles Antlitz, mal glitzerten Sterne in den Wolkenlöchern. Der Nordwest blies unvermindert hart, doch das konnte ihm nur recht sein. Er blieb bei seiner Meinung, das Wetter würde sich nicht verschlechtern. Er drückte sich und seiner Crew die Daumen, daß sich diese Vorhersage bewahrheitete. Dan O’Flynn hatte die ganze Nacht oben im Mars verbringen wollen, aber das hatte Hasard glatt untersagt. Dan brauchte genauso dringend Schlaf wie all die anderen, die er in die Kojen geschickt hatte. Die Deckswache bestand aus Ben Brighton und Pete Ballie, Matt Davies und Ferris Tucker auf der Kuhl, Smoky auf der Back sowie Gary Andrews, der mal
wieder seine Funktion als Fockmastgast versah. »Ich hab so ein blödes Gefühl«, fing Ben Brighton wieder an. »Hör doch auf zu unken«, sagte Hasard. »Was ist denn los mit dir?« »Meine Ahnungen haben mich noch nie getrogen.« Hasard zeigte die weißen Zahnreihen. »Mann, Ben, du wirst doch hoffentlich nicht jetzt schon alt und nörgelig, was?« Gegen ein Uhr nachts war es soweit. Die ›Isabella‹ befand sich Süd-südost querab von Tarifa. Alles schien ruhig zu sein, aber Gary Andrews sichtete plötzlich einen Schatten in der Dunkelheit vor ihnen. Wie ein großes Schemenwesen hob er sich gegen die Wasserfläche vor ihnen ab, leicht nach Steuerbord versetzt. Gary stieß einen Pfiff aus. Smoky schaute zu ihm hoch. »Was gibt’s, Gary?« »Siehst du denn nichts? Bist du blind? Wir kriegen Besuch.« »Von wo? Wen? Was?« »Eine Schaluppe. Gib das weiter.« Gary Andrews richtete sich plötzlich steil vorn Vormars auf. »Ja, ist denn das die Möglichkeit? Hat uns der Knabe nicht gesichtet? Der läuft uns ja genau vor den Bug!« »Holla!« rief Smoky zur Kuhl. »Schaluppe voraus!« Matt, Ferris, Ben, Pete und Hasard vernahmen es. Pete Ballie unternahm auf Hasards rasche Anweisung hin noch ein kühnes Manöver, um der Schaluppe auszuweichen. Aber so wendig die Karavelle war, es nutzte nichts mehr. Die Schaluppe war vor dem Vorsteven der ›Isabella‹, die Männer konnten ihren mit Großsegel und Fock getakelten einzigen Mast sehen. Dann geschah es. Es begann mit einem Scharren und Knirschen. Dann krachte es. Jemand schrie gellend auf, ein anderer fluchte. Die Spanier hatten erst jetzt spitzgekriegt, was da ohne Licht durch die Finsternis auf sie zugebraust war. Ihre Schaluppe war einer der Aviso aus dem Algeciras Verband. Der Verbandsführer hatte
sie als einziges Schiff seines Aufgebotes nach Norden hin aufklären lassen. Jetzt war es für die Besatzung zu spät, dem Verband vor Ceuta Zeichen zu geben. Krachend bohrte sich der Bug der ›Isabella‹ in den Leib der Schaluppe. Er zermalmte sie, hieb sie in zwei Stücke, fegte die Wrackteile zu den Seiten weg und katapultierte die Mannschaft außenbords. Sie tauchten unter, schluckten Wasser, kamen wieder hoch und sahen den Feind wie einen düsteren Riesen an sich vorbeigleiten. Schnell hatte er passiert und wurde von den Schatten der Nacht verschlungen - so lautlos und unheimlich, wie er auch aufgetaucht war. Hasard und Ben waren am achteren Schanzkleid und versuchten, im Wasser etwas zu erkennen. Ob es Tote gegeben hatte, vermochten sie nicht zu erkennen. Sie sahen nur noch ganz kurz die sinkenden Trümmer der Schaluppe und hier und da aus den Wogen ragende Köpfe. »Mein Gott«, sagte Ben. »Wir haben sie glatt untergemangelt.« »Deine Ahnungen, Ben«, erwiderte der Seewolf. »Du hattest mit der Unkerei also doch recht. Aber es lebe der gesunde Optimismus. Die Schaluppe ist abgesoffen, ohne noch Lichtsignale abgeben zu können. Der Kriegsverband, der uns abfangen soll, existiert, aber wir stehlen uns an ihm vorbei.« Ferris Tucker war nach vorn gestürzt, hatte sich von der Back aus auf die Galionsplattform begeben und beugte sich nun weit außenbords. Vorsichtshalber hatte er sich festgebunden. Hasard, Ben, Matt und Smoky gesellten sich zu ihm. Sie sprachen kein Wort. Wenn der Bug der ›Isabella‹ bei dem Zusammenprall in Mitleidenschaft gezogen worden war, so war das kein kleines Problem. Wie sollte Ferris, der rothaarige Schiffszimmermann, ein solches Leck mitten in der Nacht ausbessern? Wohin sollten sie sich verholen, um einigermaßen ruhig für eine solche Reparatur zu liegen? Ferris richtete sich wieder auf, drehte sich um - und grinste.
Matt Davies seufzte. »Der grinst und wir zittern.« Ferris ließ sie noch ein wenig zappeln, dann lachte er dröhnend los. Er hieb sich auf beide Knie. »Wir haben nichts abgekriegt. Der Vorsteven hat gehalten. Man könnte meinen, er ist aus Eisen und nicht aus Holz. Ich habe nur ein paar Kratzer gesehen, sonst keine Beschädigungen.« »Na, dann ist ja alles klar, und wir haben freie Bahn«, sagte Hasard. »Paßt bloß auf, daß wir Kurs halten und nicht auflaufen.« Während sie an Gibraltar vorbeisegelten, sah der Seewolf südlich auf seiner Steuerbordseite Feuerblitze. Gefechtslärm drang herüber. Der Nordwestwind blies dagegen an und dämpfte ihn stark. Eigentlich war nicht mehr zu vernehmen als ein schwaches, unrhythmisches Wummern. Ben trat neben ihn. »Was meinst du, wer liegt sich da in den Haaren?« »Ich weiß es nicht. Ich hoffe, die Spanier sind in das Gefecht verwickelt. Was auch immer, es verhilft uns zum ungesehenen Durchbruch. Wir haben es geschafft, Ben. Wir können auf Algier zusteuern.«
6. Sargento Fausto Pereda hatte es sich nicht nehmen lassen wollen, bei der Jagd auf den verhaßten englischen Freibeuter mit dabeizusein. Statt sich also in der Garnison von Algeciras aufs Ohr zu legen, hatte er es fertiggebracht, sich mit an Bord der zweiten Schaluppe des zum Auslaufen fertigen Verbandes zu stehlen. Ja, er war mit hinausgefahren, müde zwar, aber immer noch von Eifer und Ehrgeiz getrieben. Was würde wohl der Stadtkommandant von Cadiz sagen, wenn er hörte, daß sein bester Reiter keine Mühe gescheut hatte, um direkt am Feind zu bleiben? Bestimmt war ihm die Beförderung sicher. Gelang
es, diesen Killigrew zu erwischen und diesmal vor ein schußbereites Füsilierkommando zu stellen, würde er, Pereda, mindestens Teniente werden. Wenn nicht noch mehr. Mit ihm befanden sich noch zwölf Männer an Bord der zweiten Schaluppe. Sie waren mit Musketen, Arkebusen, Pistolen, Hieb- und Stichwaffen bis an die Zähne bewaffnet. Außerdem verfügte die einmastige Schaluppe über zwei Drehbassen, eine am Bug und eine am Heck. Pereda wußte: Wenn sie als Aviso die Karavelle sichteten, dann konnten allein sie ihr schon ganz höllisch zusetzen, falls die Galeeren und Galeonen nicht so rasch zur Stelle waren. Sie kreuzten westlich von Ceuta vor dem Nordwestwind und hielten angestrengt Ausschau nach allem, was sich bewegte. Der Schiffsführer hieß Marzoco. Pereda erklärte ihm mehrfach, wie man sich seiner Meinung nach im Ernstfall verhalten müsse. Schließlich, nach ein Uhr, sagte er: »Marzoco, finden Sie nicht, daß wir zu weit östlich treiben?« »Tun wir das?« »Ich habe so den Eindruck. Verstehen Sie, wenn wir uns der ersten Schaluppe zu weit nähern, ist doch praktisch der Zweck verfehlt, das Eintreffen der Engländer von zwei unterschiedlichen Punkten aus zu bemerken.« Mühsam beherrscht antwortete Marzoco: »Sag mal, wer hat eigentlich das Kommando auf diesem Schiff?« Er war ein massiger Mann mit schwarzem Vollbart. Allein bei seinem Anblick konnte man das Fürchten lernen, aber Pereda war viel zu sehr verbissen in das Ziel, um das Funkeln in Marzocos Augen zu sehen. »Sie natürlich«, erwiderte er also. »Aber ich habe Killigrew und seine Teufelsmannschaft kennengelernt, ich weiß, was zu tun ist, um sie auch wirklich zu stellen. Ich kann Ihnen eine Menge guter Ratschläge geben, mein Lieber.« Marzoco packte ihn an den Aufschlägen seiner Kleidung und
zog ihn zu sich heran. »Weißt du was, Freundchen? Du gehst mir allmählich auf die Nerven. Erst schleichst du dich hier ein, obwohl du gar keinen Befehl dazu hast. Dann willst du auch noch herumkommandieren. Ich stopfe dir das Maul, wenn du nicht aufhörst, kapiert?« »J-jawohl«, stammelte Pereda. »Wir sind vom Kurs ab und segeln zu weit in die Straße hinein«, meldete der Ausguck. »Capitan, es ist der verflixte Wind, der uns zu weit versetzt.« Marzoco ließ Pereda los. Der Sargento grinste wissend und überlegen. Das brachte den Schaluppenführer noch mehr in Wut. Er meckerte herum, trieb seine Leute an, gab mehr oder weniger sinnvolle Kommandos und bedachte sie mit den ausgefallensten Schirnpfworten. Dann aber wurde er unterbrochen, denn der Ausguck stieß einen Ruf aus. »Schiffbrüchiger Steuerbord voraus!« Marzoco, Pereda und die anderen stürzten an die Steuerbordreling und zum Bug, lehnten sich über und sahen, wie eine Gestalt aus der Nacht auf sie zutrieb. Es war ein Mann, und er klammerte sich verzweifelt an einem Balken fest. Sie nahmen ihn in Lee über. Dann klappte Marzoco den Mund erst richtig auf, weil er den Mann erkannt hatte. Er gehörte zur Besatzung der ersten Schaluppe. »Ich weiß nicht, ob ich mich noch lange gehalten hätte«, stieß der bedauernswerte Mann hervor. »Ein Glück, daß ihr euch uns so weit genähert habt.« »Es war nicht beabsichtigt«, warf Sargento Fausto Pereda forsch ein. »Was ist denn überhaupt geschehen? Wie konntest du über Bord gehen? Haben deine Kameraden nichts bemerkt? So rede doch, Mann.« »Das will ich ja«, entgegnete der Schiffbrüchige keuchend. »Die Karavelle - wir sind mit ihr zusammengestoßen. Sie segelte ganz dicht unter der spanischen Küste auf Gibraltar zu.
Wir sichteten sie erst im letzten Augenblick, und da war die Kollision nicht mehr zu vermeiden. Sie überfuhren uns regelrecht, diese Hunde.« Er erzählte - zunehmend aufgeregt was sich im weiteren abgespielt hatte. Für eine Weile trat Stille ein. Die Schaluppe hob und senkte sich auf der Dünung. Das Pfeifen des Windes, das Knarren der Gaffelruten und Blöcke und das Schmatzen und Klatschen des Wassers an den Bordwänden waren die Untermalung der stummen Szene. Capitan Marzoco sagte schließlich: »Hölle und Teufel, da treiben also die anderen armen Kerle noch in der See. Verflucht, es ist unsere Pflicht, sie einzusammeln. Es ist das erste, was wir jetzt tun müssen.« Pereda begehrte auf. »Und die Karavelle? Wollen wir die etwa nicht verfolgen?« »Verfolgen? Du bist ja nicht bei Trost.« »Wir müssen sie stellen!« schrie der Sargento. »Noch können wir es schaffen. Aber wenn die englischen Bastarde erst durch die Meerenge hindurch sind, finden sie tausend Schlupfwinkel und können sich uns mit Leichtigkeit entziehen.« »Hör auf!« brüllte Marzoco zurück. »Das einzige, was wir in der Richtung tun können, ist, dem Verband ein Lichtsignal zu geben.« »Und dann?« »Dann überlassen wir es den Galeonen und Galeeren, die Freibeuter zu jagen. Dazu sind sie schließlich da.« »Nein!« Pereda war außer sich. »Ich protestiere! Wir sind am nächsten dran. Wir ...« Weiter gelangte er nicht. Marzoco knallte ihm einfach die Faust unters Kinn. Pereda taumelte zurück, strauchelte über eine Taurolle und ging rücklings zu Boden. Er war nicht bewußtlos. Er stöhnte nur, rieb sich das Kinn und blickte den Capitan aus erschrockenen Augen an. Marzoco kümmerte sich nicht um ihn. Er veranlaßte jetzt,
eine Pechfackel anzuzünden und die erforderlichen Signale zu geben. Als hätte er es berufen, zuckten vor Ceuta plötzlich Lichtblitze auf. Aber das waren keine Signale - das war Kanonenfeuer! Grollend tönte der Geschützdonner herüber. Marzoco fluchte, stürzte ans Heck und versuchte vergebens, etwas durch das Spektiv zu erkennen. »Die Karavelle«, sagte Fausto Pereda. Seine Augen hatten einen fanatischen, anomalen Ausdruck. »Sie greifen an.« »Unsinn«, sagte einer der Soldaten neben ihm. »Die kann doch nicht fliegen.« »Der Hundesohn Killigrew kann alles. Er ist vom Satan besessen«, flüsterte der Sargento. Der Soldat tippte sich mit dem Finger gegen die Stirn. »Du spinnst ja.« Marzoco drehte sich zu seiner Besatzung um. »Das sind algerische Piraten, sage ich euch. Die haben vorgehabt, Ceuta zu überfallen und zu plündern, aber sie haben sich die Nase gestoßen. Unser Verband heizt ihnen ein und schickt sie zu den Fischen.« »Sie hassen uns«, sagte der Rudergänger. »Es ist ihnen ein Dorn im Auge, daß Ceuta Spanien gehört. Hoffentlich haben sie unser Signal nicht bemerkt, sonst fallen sie über uns auch noch her.« Fausto Pereda wandte in diesem Augenblick als einziger den Kopf und sah den gewaltigen Schattenriß, der schräg vor dem Bug der Schaluppe aus der Nacht wuchs. Er schob sich auf sie zu und schwang zum Längsseitsgehen herum. Wilde, buntkostümierte Gestalten richteten sich hinter dem Schanzkleid des Schiffes auf. »Die Karavelle!« schrie Pereda. »Sie wollen über uns herfallen!« Marzoco und die anderen fuhren herum. Sie stürzten an die Drehbassen, aber es war schon zu spät, um die Geschütze zum Einsatz zu bringen, Das fremde Schiff war heran. Bordwand
rieb sich an Bordwand. Wortfetzen einer unbekannten Sprache drangen herüber, dann enterten die Piraten über. Marzoco und seine Männer zückten die Waffen. Schüsse krachten, Degen und Säbelklingen blinkten, und ein erbitterter Nahkampf entfesselte sich. Sargento Fausto Pereda focht wütend und draufgängerisch, aber er war zu verwirrt und zu müde, um gegen diese bärtigen, wüsten Kerle zu bestehen. Als ihm ein Pirat die Säbelklinge in den Leib stieß, begriff er noch, daß sie nicht die Engländer, sondern die Algerier vor sich hatten. Sie wollten die Schaluppe, wollten sich als Spanier tarnen und durch die feindlichen Linien schleichen, um doch noch in Ceuta einzufallen. Spanier und Piraten kämpften verbissen und schlachteten sich gegenseitig ab. Pereda sah und hörte nichts mehr vom weiteren Verlauf der furchtbaren Metzelei. Er war auf die Planken der Schaluppe gesunken. Selbst im Moment seines Todes träumte er noch von der Beförderung, die er sich redlich verdient hatte.
7. Der Seewolf hatte mit seiner Vorausschau auf das Wetter recht behalten. Im Mittelmeer erwarteten sie Sonne, Ruhe und Beschaulichkeit. Auch am 5. Juni, fünf Tage nach dem Durchbruch, spannte sich ein fast wolkenloser Himmel über der ruhigen, blaugrünen See. Hin und wieder kräuselte sich das Wasser unter einer leichten warmen Brise, die von Süden wehte. Die ›Isabella VII.‹ hatte Kurs auf die winzige Insel Alboran genommen. Gegen Mittag tauchte sie an der östlichen Kimm auf. Zu diesem Zeitpunkt hatte Hasard die Erlaubnis gegeben, den gefangenen Generalleutnant de Coria für eine Stunde aufs Achterdeck zu lassen. Sam Roskill, der gerade als Wachtposten vor de Corias
Kammer eingeteilt war, führte den Mann aus dem Achterkastell und überließ ihn auf dem Quarterdeck Buck Buchanan, der als Ablösung ausgewählt war. Buck geleitete de Coria aufs Achterdeck. Er war einer der ehemaligen KaribikPiraten an Bord der ›Isabella‹, ein großer, breitschultriger Engländer mit semmelblondem Haar und hellen Augen. Manchmal war er etwas schwer von Begriff, aber er besaß ausgezeichnete Kämpferqualitäten. Er ließ de Coria nicht aus den Augen. Allein sein Blick verriet, was auch er von diesem »Onkel« Hasards hielt, und was er tun würde, wenn de Coria eine Dummheit wagte. Hasard sah zu de Coria. Der schritt grußlos an ihm vorbei. Sie wechselten dieses Mal keine Worte. Was zu sagen war, war gesprochen worden. Im übrigen verzichtete Hasard darauf, Salvador de Coria zu verspotten. Er beschränkte sich darauf, weiterhin eisige Verachtung gegen ihn zu wahren. Dan hatte das Erscheinen von Alboran gemeldet. Der Seewolf zog das Spektiv auseinander, hob es ans Auge und betrachtete die Insel durch die Optik. In seinem Rücken waren de Coria und Buck Buchanan. De Coria hielt den Kopf leicht in den Nacken gelegt. Er schien die Sonne zu genießen. Den Gesichtsverband hatte er inzwischen abnehmen können. Die Sonnenstrahlen schienen seiner Verletzung jetzt gutzutun. Ob er über den Aufenthalt auf Deck wirklich erfreut war, war seiner Miene nicht zu entnehmen. Er wirkte gleichgültig und apathisch. Hasard sagte: »Wir haben noch genügend Proviant, Trinkwasser und Munition an Bord. Wir statten Alboran keinen Besuch ab. Außerdem dürfen wir nicht vergessen, daß die Insel spanischer Besitz ist und es sich bis hierher herumgesprochen haben könnte, wer wir wirklich sind.« Buck Buchanan trat einen Schritt vor. »Du meinst, die Dons haben uns überholt? Das kann doch nicht angehen.« »Das nicht. Aber beispielsweise könnte die Alarmmeldung
von Algeciras nach Malaga weitergetragen worden sein, und zwar auf dem Landweg. Von dort aus gibt es bestimmt regelmäßigen Schiffsverkehr von und zu der Insel.« »Ach, so ist das.« Buck Buchanan kratzte sich am Kopf und überlegte, was wohl aus dem spanischen Verband geworden sein mochte, der sich vor Ceuta mit den Piraten herumgeschlagen hatte. In diesem Augenblick der Unachtsamkeit war es de Coria gelungen, sich von hinten an den kleiderschrankgroßen Mann zu pirschen. Er nutzte seine Chance. Schon lange hatte er alle seine Überlegungen, Pläne und Hoffnungen auf ein Objekt konzentriert - auf die Pistole in Bucks Gurt. Für ihn war es die einzige Waffe, die er erbeuten konnte, falls es überhaupt jemals gelang. Eine flinke Bewegung, ein Zupacken, ein Zurückweichen - de Coria hatte die Pistole. Es handelte sieh um ein etwas ausgefallenes Modell mit Miquelet-Schloß. Buck war immer sehr stolz darauf gewesen. Jetzt, beim Herumfahren, mußte er erleben, wie de Coria höhnisch grinsend auf ihn anlegte und den Hahn spannte. Es knackte. »Keine Scherze, wenn dir dein Leben lieb ist«, sagte der Spanier. Hasard wirbelte auch herum. Er erschrak zutiefst. Das war es also! Salvador de Coria hatte geschauspielert, indem er sich abwesend und gleichgültig verhalten hatte. Und er, Philip Hasard Killigrew, war auf diesen billigen Trick hereingefallen. De Coria hielt die Pistole etwas weiter nach rechts. Er zielte auf Hasard. Seine Stimme klang leise und drohend, seine Augen drückten allen Haß der Welt aus. »So. Jetzt wendet sich das Blättchen. Ein Schritt, eine falsche Bewegung, ein Ausfall gegen mich, und ich drücke ab. Du weißt, daß ich nicht zögern werde, dich abzuknallen, Bastard.« »Das ist mir klar. Aber du bist wahnsinnig, de Coria. Du hast
einundzwanzig Männer gegen dich. Du kannst mich niederstrecken, aber danach werden sie über dich herfallen und es dir mit gleicher Münze zurückzahlen. Ist es das, was du willst?« De Coria lachte hämisch. »Nein. Ich befehle, ein Boot auszusetzen. Ich will auf die Insel gebracht werden. Und selbstverständlich nehme ich dich als Geisel mit, Killigrew. Ich warne dich. Ich warne euch alle!« Er hob die Stimme. »Wenn auch nur einer aufmuckt, befördere ich Killigrew mit einem sauberen Schuß ins Jenseits und hole so nach, was das Exekutionskommando von Cadiz leider versäumt hat.« Er blickte wild um sich, dann richteten sich seine Augen wieder auf den Seewolf. »Du Bankert! Du Sohn einer Hure und eines deutschen Hurenbocks, das hättest du nicht gedacht, wie? Aber du hast dich in deiner grenzenlosen Eitelkeit überschätzt. Da kann kommen, was will, ein spanischer Adliger wird sich auf die Dauer nicht von einem dahergelaufenen Bastard unterdrücken und beschimpfen lassen.« Buck Buchanan stand die ganze Zeit über völlig verdattert. Es war unfähig, etwas zu äußern. Er konnte überhaupt nicht fassen, daß er sich die Pistole aus dem Gurt hatte reißen lassen. »Lumpenhund«, sagte de Coria zu Hasard. »Aufgeblasener Oberhalunke einer Horde von verlausten Galgenvögeln. Sieh sich einer dieses Pack an. Gegen Spanien wollt ihr kämpfen, damit eure verwanzte Königin euch über den grünen Klee lobt. England ist ein Armenhaus, kein Wunder, bei solchem Gesindel an Bord seiner Schiffe. Es ist ein Kinderspiel, euch zu überlisten, es wird immer so sein, und eines Tages ist England eine Kolonie Seiner Majestät Philipps II.!« Er wurde sehr unflätig, der saubere Senor Generalleutnant. Hasard und seine Männer standen wie erstarrt. Weniger de Corias Schmähungen setzten ihnen zu, als vielmehr die Sorge um das Schicksal ihres Kapitäns. Da war nichts zu machen, daran ließ sich nicht mehr rütteln, de Coria hatte sie fest in der
Hand. Sie würden das Beiboot abfieren und ohnmächtig vor Zorn und Haß zusehen müssen, wie de Coria mit Hasard auf Alboran an Land ging ... Buck Buchanan nannte sich im stillen ein Riesenroß. Deine Schuld, dachte er, jetzt sieh zu, wie du wieder rauskommst aus dem Schlamassel! Verflucht noch mal, du hast dir die Suppe eingebrockt und mußt sie selbst wieder auslöffeln. Seine Stirn war tief gefurcht. Seine Augenbrauen zogen sich zusammen, seine Miene wurde wutverzerrt. Er zog die Schultern ein bißchen hoch, streckte die Hand aus und sagte zu de Coria: »Gib das her. Gib mir die Pistole wieder.« Der Spanier grinste. »Du bist wohl übergeschnappt, du häßlicher Affe.« »Gib das her, hab ich gesagt!« Buck brüllte es. Er hatte den Eindruck, tief in seinem Inneren brenne etwas durch. Er stellte sich zwischen Hasard und Salvador de Coria, hielt nach wie vor die Hand ausgestreckt und stapfte auf den Spanier zu. »Rück sie wieder raus, die Pistole, wenn du keinen Ärger haben willst, sage ich. Du hast gar nichts kapiert, verfluchter Hund. Du hast hier keine feigen Säcke vor dir, die vor einem Schwein wie dir die Schwänze einziehen. Gib’s auf, nimm Wind aus den Segeln.« Das war eine lange Rede für einen schweigsamen, unbeholfenen Mann wie Buck Buchanan. Er wußte selbst, daß er in der freien Rede nicht allzu gewandt war, aber in diesem Moment sprudelte er die Worte nur so heraus. »Stehenbleiben!« rief de Coria schrill. Buck hörte es kaum. Er schritt weiter und weiter und war nur noch von dem einen Gedanken beseelt: Er mußte die Pistole wiederhaben! Er mußte diesen Kerl stoppen. Er mußte! De Corias Keifen prallte von ihm ab. Buck hob auch den anderen Arm und war schon nahe dran, de Coria zu packen und niederzuringen, da gingen bei dem die Nerven durch.
Er krümmte den Zeigefinger um den Abzug. Buck hörte es krachen, sah einen Blitz auf sich zurasen und sah auch noch den weißen Pulverqualm, der vor der Pistole mit dem Miquelet-Schloß hochpuffte. Merkwürdig, er schreckte gar nicht zusammen! Er fing das Bleigeschoß mit der Brustpartie seines mächtigen Körpers auf und wunderte sich, wie wenig Schmerz er empfand. Er hörte die Männer schreien, aber irgendwie mußte er Kork in den Ohren haben, denn es tönte wie aus weiter Ferne. Buck tat noch einen Schritt auf de Coria zu. Er hieb ihm die Faust ins Gesicht, dann fiel er ihm entgegen. Der Widerstand, den ihm der Körper des Mannes bot, stoppte seinen Sturz. Buck umfing den zappelnden de Coria und hob ihn hoch. Er hielt ihn wie in einen Schraubstock gepreßt, schüttelte ihn und schmetterte ihn auf die Decksplanken. Buck Buchanan fiel endgültig. In seiner linken Brusthälfte bohrte und brannte etwas, und er erinnerte sich, daß der Kutscher ihm mal gesagt hatte, dort säße das Herz. Edwin Carberry, der auf dem Niedergang an der Backbordseite des Achterdecks gestanden hatte, raste quer über das Deck auf de Coria zu. Diesmal brüllte er nicht. Diesmal schlug er nur, und jeder Hieb seiner gewaltigen Fäuste war eisenhart und erbarmungslos. Salvador de Coria brach unter diesem Hagel von Schlägen zusammen. Er krümmte sich, wand sich wie ein Aal, jammerte um sein Leben, aber der Profos hörte nicht auf, auf ihn einzuprügeln. Er war nahe daran, den Spanier totzuschlagen. Hasard beugte sich über Buck Buchanan. Blut quoll aus der Wunde und näßte Bucks Hemd, der Stoff sog sich mehr und mehr voll, und schließlich färbte sich auch das Deck unter Buck dunkel. »Hasard«, flüsterte er. »Sprich jetzt nicht, Buck. Du brauchst Ruhe. Du hast dich großartig verhalten, aber die Wunde ist nicht zu
unterschätzen.« Hasard suchte verzweifelt nach Worten. »Der Kutscher holt dir die Kugel heraus und legt dir einen feinen Verband an, ja? Natürlich mußt du die Zähne zusammenbeißen. Aber du kriegst eine anständige Ration Rum, damit es nicht allzu weh tut. Kutscher, Hölle, Kutscher, wo steckst du?« Der Kutscher war heran und kniete sich ebenfalls neben Buck hin. Bucks Stimme war heiser und kaum noch zu verstehen. »Ihr ihr braucht jetzt kein Theater zu spielen. Ich bin kein - kein Schnellmerker gewesen, o Himmel, ich - weiß es ja. Hasard, es war mein Fehler. Verzeih mir die Unachtsamkeit ...« »Ruhig«, sagte der Seewolf. In seiner Kehle war ein Würgen, in seinen Augen brannte es. Er sah zum Kutscher, aber der schüttelte kaum merklich den Kopf. »Kein - Schnellmerker«, wiederholte Buck mühselig. Es war die allerlängste und letzte Rede in seinem Leben. »Aber - ich weiß, daß es aus ist mit ... mir. Hasard ... mein Beuteanteil - gib ihn den Freunden.« Er brachte ein gequältes Grinsen zustande. »Sie ... sollen ihn sich teilen ich kann damit ... jetzt ... ja ... doch nichts mehr ...« Sein Kopf sank zurück, sein Blick wurde starr. Hasard drückte ihm die Augen zu. »Der Herr sei deiner Seele gnädig«, sagte er leise. Das Brennen in seinen Augen nahm noch zu, und er glaubte in diesem Augenblick wirklich, den Verstand zu verlieren. O ja, er war nur ein einfacher Seemann gewesen, dieser Buck Buchanan, nur ein Korsar und Freibeuter, ein Schnapphahn zur See, aber was für ein Mann! Für Hasard wäre er nicht mit Gold aufzuwiegen gewesen, wie alle Männer der Crew unersetzlich waren. Und jetzt hatte Buck die Augen für immer geschlossen. Hasard erhob sich. Er war tief erschüttert. Er wankte ein wenig. Dann traf sein Blick Salvador de Coria, und sein Körper straffte sich.
De Coria war bewußtlos. Blacky und Stenmark waren bei Carberry und hinderten ihn daran, den Kerl tatsächlich totzuschlagen. »Er wird leben«, sagte der Seewolf. Seine Stimme war belegt und brüchig, sie kam ihm selbst fremd vor. »Es wäre ein zu geringer Preis für seine Tat, jetzt das Zeitliche zu segnen.« Carberry richtete sich auf. »Werfen wir ihn den Haien zum Fraß vor!« »Nein.« Carberry stand mit hängenden Armen, ein häßlicher, narbiger Mann, der sich für jeden einzelnen der Crew würde in Stücke hauen lassen. »Ich habe dem Schwein zwei Zähne ausgeschlagen und die Nase schiefgesetzt. Meinst du, das genügt? Er soll leiden. Er soll spüren, wie es ist, wenn man einen Menschen quält.« Hasard schüttelte wieder den Kopf. »Willst du dich so weit erniedrigen? Das hieße, sich der Methoden seiner Art zu bedienen. Legt ihn in Ketten und sperrt ihn in die Vorpiek.« »Aye, aye, Sir«, erwiderte Carberry, aber ganz recht war es ihm nicht. Hasard blieb neben dem toten Buck Buchanan stehen. Da war nun eingetreten, wogegen er sich gestäubt hatte. Er jagte seiner Vergangenheit nach, und einer seiner Männer hatte dafür mit seinem Blut bezahlen müssen. Nein, Buck trug keine Schuld. Er, Hasard, hätte diesem durchtriebenen de Coria den Auslauf nicht gestatten dürfen. Er hätte umsichtiger sein müssen. Er überhäufte sich selbst mit Vorwürfen und schalt sich einen Narren. Hatte er denn überhaupt das Recht, diese tapferen und geradlinigen Männer an sein persönliches Schicksal zu binden? Was hatten sie damit zu tun, daß er seinen Vater suchte, noch dazu in einer den Christen feindlichen Umwelt? Es konnte weitere Schwierigkeiten geben, nicht nur mit
Salvador de Coria oder dessen Landsleuten. Jedes Meer hatte seine Gefahren, auch das Mittelmeer. Hasard sah vor seinem geistigen Auge Schlachtgetümmel, Männer seiner Crew, die unter Schüssen und Hieben des Gegners fielen. In diesem Augenblick, einem der schrecklichsten seines Lebens, hatte er die Vision, in hundert Fallen zu laufen und tausend Intrigen zu unterliegen. Jetzt war er der Pessimist, und dabei hatte er Ben Brighton vor ein paar Tagen noch wegen seiner Unkerei aufgezogen. Ja, hatte er denn geglaubt, er könne seine Crew sicher und unbeschadet durch dieses Abenteuer führen? Wieder machte er sich die bittersten Vorhaltungen. Das war eben die Kardinalfrage: Hätte er wirklich mit der Crew nach Cadiz und jetzt ins Mittelmeer segeln dürfen? Wäre es nicht richtiger gewesen, das Unternehmen allein durchzuführen? Er wußte die Antwort nicht und war zutiefst deprimiert. Er gab sich Mühe, diese Schwäche vor der Mannschaft nicht zu zeigen. Jeder Mann geriet wahrscheinlich mehrere Male in seinem Leben in eine Gewissenskrise. Aber wenn er der Kapitän eines Schiffes war, mußte er diese Probleme in sich hineinfressen, verdauen und die Lösung selbst finden. Vor der Crew durfte er sich keine Blöße geben. Es hätte ihren Glauben in ihn empfindlich erschüttert. Hasard blickte Carberry und Blacky nach. Sie schleppten de Coria weg. Auf der Kuhl banden sie ihn unter Mithilfe von Stenmark und Ferris Tucker zunächst mit Tampen an Armen und Beinen - damit er beim Wachwerden nicht strampeln konnte. Sie gingen kein Risiko mehr ein. Sie trauten ihm durchaus zu, daß er auf dem Weg zur Vorpiek zu sich kam und ihnen wegschlüpfte, obwohl es sein Tod gewesen wäre. De Coria hatte nichts mehr zu verlieren. Hasard verfolgte, wie sie ihn durch das Steuerbordschott ins Vordeck zerrten. Sie waren voll Ingrimm und Haß. Sie würden ihr ganzes Können darauf verwenden, ihn sachgemäß in der
Vorpiek festzuketten. Und Hasard wußte, daß er richtig entschieden hatte. In der Vorpiek waren schon ganz andere Kerle weichgeklopft worden. Außerdem konnte immer noch der Fall eintreten, daß er de Coria als Pfand benötigte. Denn ein Funke Hoffnung, Godefroy von Manteuffel doch lebend anzutreffen, war noch in Hasard, Trotz allem. Sein Blick glitt über die versammelte Crew. Schweigend, teils betroffen, teils fassungslos, hatten sich die Männer auf Kuhl und Quarterdeck versammelt. »Will«, sagte der Seewolf. »Sir?« »Du nähst Buck Buchanan in eine Segeltuchbahn. Der Kutscher wird dir helfen.« »Aye, aye, Sir.« Will Thorne, der Segelmacher der ›Isabella‹, und der Kutscher besorgten sich das Segeltuch und das übrige Zubehör zur Durchführung dieser traurigen Pflicht. Dann begaben sie sich an die Arbeit. Eine Viertelstunde später waren alle auf Oberdeck, auch wieder Carberry, Blacky, Stenmark und Ferris Tucker, und Hasard leitete das Bestattungszeremoniell ein. Buck Buchanans Körper ruhte in der Segeltuchbahn und war zusätzlich mit Ketten beschwert worden. Sie hatten ihn auf eine Holzplatte gebettet, von der aus sie ihn übers Schanzkleid in die See gleiten lassen würden. Hasard trat am Backbordschanzkleid dicht neben den Toten hin. »Buck«, sagte er in die Stille. »Wir haben keine Trommler und keine Fanfarenbläser, und wir dürfen auch keine Böllerschüsse abgeben, weil wir uns im Feindgebiet befinden. Aber ich weiß, daß du es verstehen würdest. Wir haben auch keinen Kaplan an Bord. Ich selbst übernehme dessen Funktion, doch im Sprechen von Gebeten habe ich keine Übung. Aber auch das war dir ja bekannt. Ich glaube, das Allerwichtigste für dich ist die Gewißheit, daß
dein Name und die Erinnerung an dich in unseren Herzen fortlebt - und daß wir dich nie vergessen werden. Unsere Gedanken und Wünsche begleiten dich auf der Fahrt, die du angetreten hast. Es wird ein guter Törn sein, und dort, wo die Reise endet, werden wir uns wohl eines Tages alle wiedertreffen. So nimm diesen braven und tapferen Mann denn auf, Herr im Himmel, und sei seiner Seele gnädig.« Er gab den Trägern einen Wink. Es waren die fünf jetzt noch an Bord verbliebenen ehemaligen Karibik-Piraten: Jeff Bowie, Sam Roskill, Bob Grey, Luke Morgan und Will Thorne. Sie hoben die Holzplatte an ihrem Ende an. Der Leichnam rutschte außenbords, stürzte an der Bordwand in die Tiefe und wurde in Lee von den kristallklaren Fluten aufgenommen. Allmählich entzog sich das Segeltuch ihren Blicken. Erschüttert verharrten sie noch eine Weile am Schanzkleid. Jeder einzelne von ihnen hatte mit etwas Überwältigendem in seinem Inneren zu kämpfen, jeder hatte einen Kloß im Hals. Batuti, der seine Gefühle oft am temperamentvollsten von allen abzuladen pflegte, wischte sich dicke Tränen von den Wangen. Niemand lachte ihn deswegen aus.
8. Das Wetter schlug auch im weiteren Verlauf ihrer Fahrt nicht um, aber dennoch waren es keine erfreulichen Stunden und Tage, die der Seewolf fortan verbrachte. Die meiste Zeit hing er seinen Gedanken nach. Er saß jetzt oft in der Kapitänskammer, tief in seine düsteren Überlegungen verstrickt, von seinen Grübeleien gleichsam geplagt. Seine Männer sprachen ihm keinerlei Verantwortung für Bucks Tod zu. Buck Buchanan hatte so handeln wollen, und er hatte die Konsequenzen dafür getragen.
Auch in seiner Todesminute hatte er es nicht bereut, in de Corias Kugel gelaufen zu sein. Ben Brighton sagte im Gespräch mit der Crew: »De Coria hätte, einmal auf der Insel Alboran angelangt, den Seewolf garantiert getötet. Wir konnten das nicht zulassen. Buck hat stellvertretend für jeden von uns gehandelt.« »Ich hätte es ebenfalls getan«, pflichtete Gary Andrews ihm bei. »Verdammt, daß ich überhaupt noch lebe und nicht vor dreieinhalb Jahren krepiert bin, habe ich einzig und allein Hasard zu verdanken.« »Ganz abgesehen davon«, sagte Blacky, »Hält ein Seemann für seinen Kapitän jederzeit den Kopf hin, wenn er von ihm überzeugt ist.« »Wir sollten Hasard das noch mal sagen«, erklärte Dan O’Flynn. »Ja, das finde ich auch«, fügte sein Vater hinzu. Big Old Shane schüttelte den Kopf. »Nicht nötig. Er weiß, wie er über uns zu denken hat. Laßt ihn in Ruhe. Über den toten Punkt muß er selbst hinwegkommen. Es ist der einzige Weg.« Ja, Hasard war all dies bewußt. Trotzdem verschonte er sich nicht und hielt sich immer wieder vor, was schon in Cadiz der Crew alles hätte zustoßen können. Lohnte der Einsatz? Welchen Preis war die Gewißheit über seine Herkunft, seine Eltern, seine Familie eigentlich wert? Manchmal sagte er sich, daß es besser gewesen wäre, er hätte in dem Glauben weitergelebt, ein Killigrew zu sein. Dann schweiften seine Gedanken wieder zu Gwen ab. Gwendolyn Bernice, geborene O’Flynn. Sie saß daheim in England, von Sir Anthony Freemont in dessen Landhaus versteckt, und wartete auf seine Rückkehr. Inzwischen mußte ihr rein äußerlich die Schwangerschaft anzusehen sein, denn im September würde sie ihr Kind zur Welt bringen. Hasard wünschte sich, bei ihr sein zu können.
Er hatte sie nicht mitgenommen, um sie nicht zu gefährden. Wenigstens so klug war er gewesen! Am 8. Juni unterbrach ein neues Ereignis Hasards Brüten. Die ›Isabella‹ lief Kurs Ost, Richtung Oran an der Küste von Algerien. Der Wind fiel immer noch von Süden ein, nicht allzu stark, jedoch kräftig genug für die dichtgeholten Lateinersegel der Karavelle. Die See war ruhig. Dan O’Flynn beugte sich plötzlich aus dem Hauptmars, gestikulierte und rief: »Deck, Deck, aufwachen und Ohren spitzen!« »Lauselümmel«, versetzte Matt Davies gallig. »Den sticht wohl mal wieder der Hafer. Aber wenn er sich einbildet, er könnte uns ärgern, hat er sich gewaltig getäuscht.« »Steuerbord voraus«, meldete Dan, »eine Galeere mit einem Mast und Lateinersegel an langer Gaffelrute.« Al Conroy kauerte neben Matt. Sie waren mit dem Ausbessern einer Geschützlafette beschäftigt. Al grinste. »Siehst du, er wollte uns nur auf etwas aufmerksam machen. Daß du auch immer gleich denken mußt, er will uns auf den Arm nehmen.« »Ich hab meine Gründe. Dan und Arwenack - du wißt doch, was für ein Gespann das ist.« Der Seewolf, Ben Brighton, Shane, Old O’Flynn und Ferris Tucker waren auf dem Achterdeck und blickten zu Dan auf. Von der Galeere konnten sie noch nichts sehen. Aber Dan rief jetzt bereits: »He, ich kann schon die Riemen zählen. Zwölf an jeder Seite. Auf der vorderen Plattform stehen zwei Kanonen.« Hasard überlegte kurz, dann sagte er: »Kurs beibehalten, Pete, paß auf, daß dir das Schiff nicht aus dem Ruder läuft.« »Aye, aye, Sir.« »Profos, Schiff klar zum Gefecht.« »Aye, aye.« Carberry turnte in die Kuhl hinunter und rieb sich die Hände. »Also los. Möglich, daß die Galeere uns nichts
Schlechtes will. Möglich aber auch, daß sie Ärger sucht. Man kann ja nie wissen. Heda! Auf was wartet ihr noch, ihr Rübenschweine? Soll ich euch die Haut ...« »Nein«, erwiderte Blacky. »Nicht schon wieder. Laß dir doch endlich mal was Neues einfallen.« »Mann, duck dich!« brüllte Carberry. »Werdet bloß nicht frech, ihr vom Esel im Galopp verlorenen Mißgeburten, sonst lasse ich euch an der Rahnock zappeln oder zum Auspeitschen auf die Gräting binden!« Matt Davies zuckte die Achseln. »Er lernt’s doch nicht mehr. Immer die gleiche Litanei.« Hasard verfolgte durch den Kieker das Verhalten der Galeere. Plötzlich verhärteten sich seine Züge. »Da schau mal einer an. Ben, Shane, ihr anderen - der Bursche fällt ab, fährt eine Halse und geht jetzt auf Parallelkurs zu uns.« »Vielleicht hat er noch keine Karavelle gesehen«, entgegnete der alte Donegal Daniel O’Flynn. »Oder er will was auf die Jacke haben. Das kann er haben. Er braucht bloß Bescheid zu sagen.« »Jedenfalls hält er die Geschwindigkeit mühelos«, sagte der Seewolf. »Unter Segel und von seinen vierundzwanzig Riemen angetrieben, ist er ganz hübsch flink.« Shane stieß einen Fluch aus. »Wie kriegen wir denn nun heraus, was er will? Ich finde, der benimmt sich reichlich blödsinnig. Wer ist das bloß?« »Sehen wir ihn uns mal genauer an.« Hasard wandte sich nach vorn. »Männer, wir luven an und staffeln an die Galeere heran.« Die Crew vollzog das Manöver mit der üblichen Schnelligkeit und Präzision. Dann staunten die Männer nicht schlecht: Die Galeere ging genau in den Wind, barg das Segel und zog mit verstärkten und schnelleren Riemenschlägen nach Süden ab. Da konnte Hasard beim besten Willen nicht mithalten. Gerade in Manövern wie diesen lag ja der große Vorteil von
Rudergaleeren. Er gab also Befehl, wieder auf den alten Kurs zu gehen. Kaum war das geschehen, rief Dan O’Flynn über ihren Köpfen: »Hol’s der Teufel, die Scheißkerle folgen uns wieder. Und, das muß der Neid ihnen lassen, ihre Manöver sind sogar ziemlich exakt.« Das stimmte. Es erwies sich auch weiterhin, denn immer, wenn Hasard mit seiner ›Isabella‹ auf die Galeere zudrehte, lief sie ab. Sie kehrte aber immer dann wieder zurück, wenn die Karavelle wieder ihren alten Kurs segelte. »Da wird doch der Hund in der Pfanne verrückt«, wetterte Old O’Flynn. »So eine lästige Klette. Müssen wir uns das gefallen lassen?« Hasard grinste. Er hatte die dunklen Gedanken vorläufig verdrängt. Jetzt stach ihn der Hafer. In seinen eisblauen Augen tanzten tausend Teufel. »Natürlich nicht. Wir kriegen ihn schon noch zu fassen, den Schlaumeier. Profos, die Segel aufgeien lassen. Wir bleiben liegen und harren der Dinge, die da kommen oder nicht kommen.« Wieder beobachtete er durch den Kieker. Natürlich, er hatte schon damit gerechnet: Die Galeere antwortete mit der gleichen Taktik. Auch sie verharrte. Hasard verhielt einige Zeit. Nichts tat sich. Es war zum Einschlafen. Er steckte das Spektiv weg, legte den Kopf in den Nacken und formte die Hände zu einem Schalltrichter. Er legte sie an den Mund und rief zu Dan O’Flynn hoch: »Dan, laß die Witzbolde nicht aus den Augen. Ich will jede Veränderung in ihrem Benehmen sofort erfahren.« »Geht in Ordnung!« Der Seewolf wandte sich wieder den Männern auf dem Achterdeck zu. »So wie ich diese Burschen einschätze, halten sie zunächst nur Fühlung an uns. Vielleicht warten sie auf Verstärkung.« Ben Brighton kräuselte die Lippen, dann antwortete er:
»Jedenfalls weicht uns dieser Fremde dauernd aus. Das läßt nur einen Schluß zu. Er hat keine freundlichen Absichten.« »Meiner Meinung nach kann es eine spanische Galeere sein oder ein Schiff nordafrikanischer Piraten«, sagte der alte O’Flynn. Shane feuchtete den Finger an, hielt ihn in die Luft und sagte: »Und jetzt schläft auch noch der Wind ein, verdammt.« Hasard lächelte. Die gewohnte Verwegenheit stand wieder in seinem Gesicht. »Es ist Nachmittag, Freunde. Bevor die Dunkelheit naht, könnte die Galeere ihre Riemenüberlegenheit ausspielen. Es ist sozusagen die Probe aufs Exempel. Jetzt sehen wir ja, ob sie den Schneid hat, auf Tuchfühlung heranzukommen.« Nein, ein Hasenfuß schien der Kapitän der Galeere nicht zu sein! Er setzte sich wieder in Bewegung. Die Galeere umfuhr in einem weiten Bogen die Zweimastkaravelle und näherte sich ihr von achtern. Längst war die ›Isabella VII.‹ gefechtsbereit, längst hatten auch Al Conroy und Ferris Tucker die beiden Drehbassen auf dem Achterdeck besetzt. Sie stellten die Gabellafetten hoch, spähten über die Läufe und hielten die Bassen stets in Zielrichtung auf die Galeere. »Shane und Batuti!« rief Hasard. »Kommt hierher nach achtern und stellt euch mit Pfeil und Bogen bereit.« Er blickte zu Ben Brighton. »Ich will’s endlich wissen, Ben. Es wäre idiotisch, die Galeere bis auf Enternähe heranzulassen.« Shane, der ehemalige Schmied und Waffenmeister von Arwenack, stand mit seiner Waffe bereit. Die Lunte brannte, er brauchte nur noch den ersten Brandpfeil zu entzünden. Von der Kuhl rückte Batuti an. In seinem Gesicht stand ein teuflisches Grinsen. »Diesmal Batuti fixer als Shane«, sagte er. »Nimm den Mund nicht zu voll«, gab Shane lachend zurück. »Fertig?« sagte Hasard. »Dann los, zeigt den Kerlen, was wir
von ihrer hinterhältigen Weise halten, harmlose Seefahrer zu belästigen.« Shane und Batuti schossen die ersten Pfeile gleichzeitig ab. Zischend stiegen sie auf, tanzten der Nachmittagssonne entgegen, senkten sich dann und sausten auf die Galeere hinunter. Hasards bewährte Bogenschützen legten neu an und ließen Pfeil um Pfeil von den Sehnen schwirren. Die Galeere wurde mit einem wahren Hagel von Feuerlanzen eingedeckt. »Hoppla, da sind die Kameraden ja«, rief Dan O’Flynn. »He, seht mal, wie es auf dem Kahn plötzlich von Gestalten wimmelt!« Der Seewolf hatte ebenfalls den Kieker vor dem Auge und verfolgte durch die Optik, wie die Männer der Galeere ihre Gefechtspositionen einnahmen. Sie tobten förmlich auf die von vorn nach achtern verlaufende Kampfbrücke und stimmten ein Heidengeschrei an. Da war keine einzige spanische Rüstung zu sehen, kein Helm, der in der Sonne blinkte, keine prunkvollen Uniformen der Offiziere Philipps II. - nein, das waren wilde Gestalten mit Hals- und Kopftüchern, struppigen Barten, langem Haupthaar. Einige waren halbnackt, andere hatten sich mit bunten Gewändern angetan, und sie schwangen ihre Waffen. Piraten! Shanes und Batutis Brandpfeile setzten ihr aufgegeites Segel, die Gaffelrute und den Mast in Flammen und entfachten auch auf Deck Feuerherde. Aber das hielt diese Kerle nicht ab, anzugreifen. Sie pullten heran. Ihr Geschrei schwoll an. Sie benahmen sich wie die Besessenen. »Al, Ferris!« rief Hasard. »Feuer!« Al Conroy und Ferris Tucker hatten die Bassen mit Akribie gerichtet. Sie stellten sie in den Lafetten fest, zündeten die Lunten und warteten den richtigen Augenblick ab. Als die ›Isabella‹ die Galeere in direkter Kiellinie vor ihrem Heck hatte, brüllten die Geschütze los und schleuderten dem Feind ihre Ladungen entgegen.
Die Männer der ›Isabella‹ standen wie gebannt. Sie duckten sich, lugten achteraus, warteten ab - und dann johlten sie los. Al und Ferris hatten ganze Arbeit geleistet. Die Kugeln der Drehbassen schlugen prasselnd in das Holz der Galeere. Volltreffer! Auf der Galeere war der Teufel los. Und trotzdem krebste sie weiter auf die ›Isabella‹ zu. Hasard drehte sich um und schrie: »Alle Mann nach achtern und die Musketen anlegen! Wir kriegen sie ja doch nicht vor unsere Breitseiten.« Shane stieß einen grollenden Laut aus. »Ja, bei der Flaute sind wir ins Hintertreffen geraten, sonst hätten wir diese frechen Hunde längst in Fetzen geschossen.« * Binnen Sekunden drängten sich die Männer auf dem Achterdeck und hielten die Musketen, Arkebusen und Tromblons bereit. Auch diese Gefechtstaktik war erprobt, es bedurfte keiner Erläuterungen, keiner Befehle. Eine Hälfte Männer würde feuern, die andere die leergeschossenen Waffen entgegennehmen und gleichzeitig fix und fertig geladene Zweitbüchsen austeilen. Waren die abgefeuert, mußten die ersten Waffen in Windeseile wieder nachgeladen sein. Die Galeere glitt heran. »Feuer frei«, sagte der Seewolf. Läufe schoben sich über das Schanzkleid. Finger krümmten sich um Abzüge, Stein- und Luntenschlösser setzten sich in Betrieb und jagten Kugeln und gehacktes Blei und Eisen aus den Mündungen zu dem Feindschiff hinüber. Das Achterdeck der ›Isabella‹ hatte sich in eine feuerspeiende Plattform verwandelt. Ferris und Al hatten inzwischen die Drehbassen nachgeladen. Sie zündeten wieder, und zwei Ladungen gehacktes Blei
zersägten der Galeere den Mast. Der krachte schwer auf die Kampfbrücke. Die lange Gaffelrute taumelte, gewann das Übergewicht und schlug ins Wasser. Damit war die Manövrier und Bewegungsfähigkeit der Galeere beeinträchtigt. Denn die Gaffelrute behinderte den Riemenschlag an der Steuerbordseite. Das Geschrei der Piraten tönte in den Ohren der Seewölfe. Sie selbst konzentrierten sich stumm und verbissen auf ihre Aufgabe. Waffen wurden in fliegender Hast ausgetauscht, dann brach eine neue donnernde Salve aus den Läufen und prasselte zwischen die wüsten Gestalten der Galeere. Das Schiff war noch näher gerückt. Jetzt fanden auch die Tromblons von Hasard ihren Einsatz. Das Tromblon oder Blunderbuss, wie man auf englisch sagte, war eine kurzläufige Flinte, deren Lauf vorn trichterförmig ausgeweitet war. So erzeugte die Waffe auf geringe Entfernung eine enorme Streuung. Sie war mit Schrot geladen und diente in erster Linie der Abwehr von Entermanövern. Ihre Reichweite war kurz, ihre Wirkung verheerend. Da nutzte den Piraten alle Gegenwehr nichts mehr. Sie rannten gegen eine Barriere an, eine dröhnende, spuckende, todbringende Mauer, die für sie alle die Hölle bedeutete. Die Galeere sackte vorn weg. Gebrüll und Hilferufe waren aus ihrem Inneren zu vernehmen. Hasard stutzte. Das waren die Rudersklaven. Handelte es sich etwa um Christenmenschen? »Al, Ferris!« rief er. »Wartet. Vorläufig feuern nur noch die Handwaffen.« »Aye, aye, Sir.« Hasard entging nicht, wie achtern auf der Galeere in aller Hast ein Boot abgefiert wurde. Die Taue rutschten den Piraten aus den Händen, das Boot klatschte ins Wasser. Fünf Kerle, schwarzhaarige Araber, sprangen hinein und pullten davon, als säßen ihnen alle Teufel der Hölle im Nacken.
Hasard mußte grinsen. Da lief etwas schief. Die Kerle waren sich untereinander nicht einig. Es gab nur das eine Boot, und die an Bord der Galeere Zurückgebliebenen gerieten jetzt in schwere Bedrängnis. Sie brüllten, fluchten und schüttelten die Fäuste hinter den Flüchtigen her. Sie sprangen außenbords und schwammen wie die Verrückten hinter dem Boot her. Im Nu war die Galeere wie leergefegt. »Die Ratten verlassen das sinkende Schiff«, sagte Edwin Carberry grimmig. Der Vergleich war treffend. Der Mut hatte die Gegner endgültig verlassen. All ihre Bestrebungen liefen jetzt nur noch darauf hinaus, das Beiboot zu erreichen. Die fünf Männer im Boot hingegen pullten wie die Verrückten, um dem Zugriff ihrer wutschnaubenden Kumpane zu entgehen. Hasard stand am achteren Schanzkleid der ›Isabella‹ und blickte unausgesetzt zur Galeere hinüber. Ihr Vorsteven senkte sich immer tiefer ins Wasser. Sie war im Begriff abzusaufen. »Die Rudersklaven sind einem furchtbaren Tod ausgeliefert«, sagte Hasard. »Ben, Ferris, Shane - rasch, das Beiboot aussetzen!«
9. Das Beiboot wurde in aller Eile abgefiert. Hasard enterte an der Jakobsleiter ab, gefolgt von Ferris Tucker, Ed Carberry, Smoky, Blacky, Jeff Bowie und Luke Morgan. Hasard übernahm die Ruderpinne, seine sechs Männer die Riemen. Sie stießen sich von der Bordwand der ›Isabella‹ ab und pullten zur Galeere hinüber. Der Seewolf wußte, daß ihnen wenig Zeit blieb, die Sklaven zu befreien. Ja, sie riskierten sogar, selbst mit in die Tiefe gerissen zu werden, wenn die Galeere plötzlich kenterte und sank. Aber das Risiko kalkulierteer mit ein.
»Ferris«, sagte er. »Hast du Hammer und Meißel dabei?« »Ja, natürlich.« »Wir müssen schnell sein, schnell wieder Blitz.« »Ja«, erwiderte Ferris grimmig. »Was mich betrifft, ich packe zu und haue rein, so fix ich kann.« Sie hatten das Feindschiff erreicht und legten an der Steuerbordseite an, wo die Gaffelrute quer auf den Riemen lastete. Die Galeere lag bedenklich tief. Sie konnten das Boot bis über die zwölf langen Riemen hinwegdirigieren, und das Dollbord des Bootes war fast auf gleicher Höhe mit dem Steuerbordschanzkleid der Galeere. »Festmachen hat keinen Sinn«, sagte Hasard. »Unser Boot würde mit in die Tiefe gezogen werden. Luke, du bleibst hier und paßt auf, daß du nicht abtreibst.« »Aye, aye, Sir.« »Halten wir die Augen offen«, sagte Hasard noch, dann turnte er als erster über das Schanzkleid und arbeitete sich bis auf die Kampfbrücke vor. Er blickte nach achtern über das Schiff und konnte nun bis in den Rumpf auf die Ruderbänke sehen. Ausgemergelte Gestalten mit eingefallenen Gesichtern hockten dort, bewegten sich in ihren Ketten, daß es rasselte, und schauten zu ihm auf. Er hörte ihre Flüche, und er vernahm auch ihr Bitten und Flehen. Hier und da flackerten noch Feuer an Bord der Galeere. »Ed, zu mir!« rief Hasard. »Ferris, du kletterst gleich nach unten. Smoky, Blacky, Jeff, löscht die Brandherde.« Rege Aktivität setzte ein. Die Männer trampelten die Feuer einfach aus. Wo die Flammen gar zu hoch schlugen, löschten sie mit Seewasser. Glücklicherweise befanden sich an Bord des Beibootes zwei Kübel und eine Segeltuchpütz, die jetzt eingesetzt wurden. Hasard hatte sich mit dem Profos bis zum Achterdeck der Galeere vorgeschoben, als hoch oben auf der Poop der Kopf eines Mannes erschien.
Es war ein schwarzhaariger Kerl mit wildwucherndem Bartgestrüpp und Ohrringen - ein Muselmane. Und er richtete eine Muskete auf sie. Sein Gesicht war verzerrt, seine Augen schienen aus den Höhlen quellen zu wollen. Hasard, duckte sich und griff gleichzeitig zur Pistole. »Ed, nichts wie runter!« schrie er. Carberry bewies Geistesgegenwart. Er ließ sich fallen, riß im Sturz aber den Seewolf mit. Beide schlugen sie hin, rollten auf der abschüssigen Kampfbrücke nach Steuerbord und verfingen sich in dem Durcheinander von Plankentrümmern, Spieren, Segeltuch und Tauen. Es krachte. Die Muskete spuckte ihre Ladung aus. Hasard feuerte ebenfalls. Er hatte wie üblich die doppelläufige sächsische Reiterpistole, die er einem bretonischen Freibeuter abgenommen hatte. Sein erster Schuß ging fehl, weil der schwarzbärtige Pirat rasch den Kopf zur Seite nahm. Dann beging der Bursche aber eine Torheit. Er zeigte sich wieder, wollte wohl sein Messer werfen - und rechnete dabei nicht mit der Schußbereitschaft des Seewolfes. Jetzt erwies sich der große Vorzug der doppelläufigen Radschloßpistole. Hasard drückte kaltblütig ab. Diesmal traf er voll. Der Kopf des Gegners zuckte zurück. Über der Nasenwurzel zeichnete sich ein schwarzes Loch ab. Der Pirat erhob sich halb, tat einen wankenden Schritt und kippte dann über die Querbalustrade. Mit dumpfem Schlag landete er auf der Kampfbrücke. Hasard trat neben ihn hin und beugte sich über ihn. »Tot«, sagte er. Carberry hetzte unterdessen mit gezückter Pistole zum Achterkastell hoch und suchte nach weiteren Feinden. Er fand keine mehr. Er kehrte zurück und sagte: »So ein Mist. Das hätte ins Auge gehen können. Wer hätte gedacht, daß sich noch einer von diesen Höllenhunden an Bord befindet? War der denn blöd?«
Hasard nahm dem toten Muselmanen etwas ab, das an einer Kette an dessen Hals baumelte. Er betrachtete es. Es war eine Art Amulett, ein länglicher Gegenstand mit Drachenmaul, dessen Sinn und Zweck ihm nicht klar war. Er steckte es ein. »Ed, warum hast du mich mit zu Boden gerissen?« fragte er. »Du machst mir Spaß«, erwiderte der Profos. Seine Miene war gequält. »Sag mal, wolltest du das gehackte Blei aus der kreuzverfluchten Muskete etwa voll in die Schnauze kriegen? Ich schwöre dir, genauso wäre es dir ergangen, denn sogar ich habe ja noch was von der Ladung einstecken müssen.« Er drehte sich um und zeigte dem Seewolf seine Kehrseite. Carberrys Beinkleid wies an der Sitzfläche mehrere kleine Risse auf. Hasard sah genauer hin und stellte fest, daß sein Profos etwa zehn Schrotkörner in dem kostbaren Körperteil stecken hatte. Es war nicht zum Lachen, aber er konnte sich trotzdem ein Grinsen nicht verkneifen. »Verflixt«, sagte er. »Los, sehen wir zu, daß wir hier so schnell wie möglich fertig werden. Drüben auf der ›Isabella‹ soll der Kutscher dir die Dinger herauspullen.« Carberry wandte sich wieder um. »Hör mal, so zimperlich bin ich nun auch wieder nicht. Bloß muß ich die nächsten Tage im Stehen futtern und auf dem Bauch pennen.« »Ed.« »Sir?« »Danke.« Hasard wies noch einmal auf den Toten. »Entweder hat er bei der Flucht den Anschluß verpaßt, oder er wollte uns absichtlich eine Falle stellen. Vielleicht war er der Kapitän des Haufens. Sein Haß gegen uns muß gewaltig gewesen sein. Er rechnete sich wohl aus, noch einen oder zwei von uns mit auf die Reise ins Jenseits zu nehmen, aber angesichts der Übermacht war sein Tod von vornherein besiegelt.«
Hasards Männer hatten bei dem Schußwechsel herbeieilen wollen, dann aber bemerkt, daß der kurze Kampf sich zu Hasards und Carberrys Gunsten entschieden hatte. So hatten sie weiter ihre Aufgabe versehen. Die Brände waren gelöscht. Ferris Tucker war im Schiffsbauch bei den Galeerensklaven und mühte sich ab, sie von ihren Ketten loszumeißeln. Auf den Bänken waren je zwei Mann angekettet, die jeweils einen Riemen zu bedienen hatten. Ihr Jammern und Fluchen war abgeebbt. Jetzt starrten sie den rothaarigen Riesen an. Ihre Augen glänzten. In ihren Blicken mischten sich panische Todesangst und die Hoffnung auf Rettung. Smoky und Blacky stiegen ebenfalls hinunter und beteiligten sich an der beschwerlichen Arbeit. Es waren halb verhungerte, bis auf die Knochen abgemagerte Männer, die da zusammengedrängt hockten und auf ihre Befreiung warteten. Sie waren nur noch Schatten ihrer selbst. Insgeheim fragten sich Ferris, Smoky und Blacky, wie sie überhaupt die Galeere noch hatten voranbringen können. Ferris hieb mit Hammer und Meißel auf die Ketten ein, als ginge es um sein eigenes Leben. Er schickte die Männer, die er bereits aus der Gefangenschaft erlöst hatte, nach oben. Der fünfte, dem er die eisernen Fesseln sprengte, war ein blonder Mann mit trüben grauen Augen. Er wirkte wie ein Greis, aber er mochte bedeutend jünger sein. Er sah Ferris an und sagte: »Engländer?« »Ja. Und du?« »Niederländer. Ich habe Englisch auf einem irischen Kauffahrer gelernt. Vor Malaga wurden wir von den Piraten überfallen und auf diese verfluchte Galeere verschleppt. Mein Gott, ich bin euch ja so dankbar.« »Hör auf«, sagte Ferris. »Ich weiß, was es heißt, auf so einem Kahn zu schuften und zu schmachten. Ich war selbst mal eine Zeitlang Galeerensklave und mit mir ein Teil unserer Crew. Ich kann dir also nachempfinden, was du durchgemacht hast.«
Der Holländer lächelte schwach. »Trotzdem. Danke. Ich werde dir nie vergessen, was du für mich getan hast. Übrigens, ich heiße Eike.« Er streckte ihm die Hand entgegen. Ferris drückte sie vorsichtig, er hatte Angst, sie zu zerquetschen. »In Ordnung, ich bin Ferris. Und jetzt schieb ab nach oben, Kamerad, damit die erste Bootsladung rüber zur ›Isabella‹ pullen kann.« Der Holländer Eike richtete sich von der Bank auf und wankte zum Niedergang, der nach oben, in die Sonne, in die Freiheit führte. Er stolperte an Smoky und Blacky vorbei, die ebenso verbissen wie der Schiffszimmermann schufteten. Der Schiffsraum war von dem metallischen Klingen der Hämmer und Meißel erfüllt. Eike schloß sich seinen Leidensgenossen an, die gleichfalls bereits ihrer Ketten entledigt worden waren. Sie tappten unsicher voran und taumelten dabei auch an den Sklaven vorbei, die im Gefecht ihr Leben gelassen hatten. Andere, die auf den Bugruderbänken, waren ertrunken. Eike zählte achtzehn Tote. Sie gelangten nach oben, setzten sich zu Luke Morgan in das Beiboot und pullten zur ›Isabella VII.‹ hinüber. Drüben wurden sie von Ben Brighton und den anderen Männern der Crew in Empfang genommen. Ben wollte Luke ein paar Männer schicken, die ihm beim Zurückpullen zur Galeere halfen, aber Luke lehnte ab. »Jch brauche Platz«, rief er zur Karavelle hoch. »Da drüben sind noch ziemlich viele arme Teufel, die in Sicherheit gebracht werden müssen.« So kehrte er zur Galeere zurück. Dort war mittlerweile die nächste Gruppe Sklaven befreit worden. Wieder unternahm Luke mit ihnen die kurze Fahrt zur ›Isabella‹. Es setzte ein richtiger Pendelverkehr ein. Die Aktion ging mit immer größerer Eile von statten, denn die. Galeere nahm mehr und mehr Wasser über. Nach einer halben Stunde waren neunundzwanzig Männer
von ihrem bitteren Los befreit und vor dem grausamen Tod durch Ertrinken bewahrt worden. Luke kehrte gerade wieder mit dem leeren Beiboot von der Karavelle zurück. Hasard stand bei Ferris und assistierte ihm. Sie mußten nur noch dem dreißigsten Mann im Heck der Galeere loshelfen, dann hatten sie es geschafft. Smoky und Blacky waren vom Seewolf nach oben geschickt worden. Sie standen bei Carberry und Jeff Bowie und traten von einem Bein auf das andere. Immer wieder blickten sie besorgt in den Schiffsbauch. Luke war heran, er ging mit dem Boot längsseits. »He, was habt ihr Rübenschweine?« grollte der Profos. »Müßt ihr mal aus der Hose?« »Wir saufen hier ab«, entgegnete Blacky. »Und Hasard und Ferris haben keine Chance, noch aus dem Ruderraum rauszusteigen.« Carberry schnaubte grimmig. »Mal doch nicht den Teufel an die Wand. In ein paar Sekunden haben sie auch den letzten Sklaven befreit, und dann geht’s ab und diese Scheißgaleere kann uns mal.« Smoky blickte zum Bug und sah, wie er jetzt schneller absackte. Es gurgelte und sprudelte. Das Knacken und Knarren in den Schiffsverbänden und das langsame Abrutschen des zerstörten Mastwerks samt laufendem und stehendem Gut nahm sich nervtötend aus. »Endlich!« rief Jeff Bowie. Hasard und Ferris stiegen mit dem letzten lebenden Sklaven nach oben. Sie hatten ihn bei den Armen gepackt und schleppten ihn mit. Carberry, der den Gelassenen gemimt hatte, fieberte inzwischen auch vor Ungeduld. In rasender Eile stiegen sie alle in das Beiboot, griffen nach den Riemen und pullten, was das Zeug hielt. Hasard hatte wieder den Platz an der Ruderpinne eingenommen. Der dreißigste Befreite hockte ihm zu Füßen und blickte auf die Galeere. Plötzlich hob er die
Hand. »Da! Seht doch« Er sagte es auf spanisch. Er war Spanier, auf der Galeere hatten sich Sklaven der verschiedensten Nationen befunden. Alle, sowohl die Männer im Beiboot als auch die auf der Karavelle, sahen, wie die Galeere endgültig in den Fluten verschwand. Sie hob den Achtersteven an, bis ihr Rumpf fast vertikal stand. Das Rauschen und Gluckern nahm zu, es schäumte um den ramponierten Holzleib. Allmählich tauchte das an der Oberfläche verbliebene Heck immer tiefer ein. Dann verschwand es und ließ nur ein paar Wellenringe zurück, die sich gleichmäßig zu den Seiten verteilten und in der See verliefen. Die Galeere sank auf den Grund des Meeres und diente nur noch achtzehn Toten, bedauernswerten Männern, deren Leiden nun ein Ende hatte, als Sarg. Hasard und die anderen begaben sich mit dem dreißigsten Sklaven an Bord der Karavelle. Das Beiboot wurde eingeholt und mit Laschings festgezurrt. Hasard inspizierte die dreißig Geretteten. Sie hatten sich auf der Kuhl versammelt - um Jahre gealterte, zerschundene Männer, die eher wandelnden Toten als richtigen Menschen glichen. Sie waren Spanier, Portugiesen, Italiener, Niederländer und Deutsche. Es hatte sich herausgestellt, daß sich sogar zwei Russen unter ihnen befanden. Einer der Sklaven trat plötzlich vor und blickte Hasard erstaunt an. »Mon Dieu«, sagte er. »Du bist Franzose?« erwiderte Hasard. »Sprichst du auch Englisch? Vor einiger Zeit hatten wir auch einen Franzosen in unserer Mannschaft, Jean Ribault. Leider ist er nicht mehr bei uns, so daß wir niemanden zum Dolmetschen haben.« In etwas holprigem Englisch erwiderte der Mann: »Das ist nicht weiter schlimm. Ich kann dir auch so erklären, warum ich dich einfach anspreche, Kapitän.« Er leckte sich die spröden
Lippen. Sein Haar war kurz, seine Gesichtshaut bleich und wie pergamenten. Er richtete sich stolz auf, als er jetzt fortfuhr: »Ich bin ein französischer Malteserritter, Kapitän. Du wirst fragen, was dich das angeht. Nun, es - es ist verblüffend, aber du erinnerst mich dem Aussehen nach an einen früheren deutschen Waffenbruder.« Hasard stand wie vom Donner gerührt.
10. Alle Augen richteten sich auf ihn. Es war ein dramatischer Augenblick. Hasard spürte sein Herz bis zum Hals klopfen, aber er gab sich Mühe, äußerlich keine Erregung zu zeigen. »Das überrascht mich aber«, sagte er lächelnd. »An wen denn?« »An Godefroy von Manteuffel.« Hasard mußte sich beherrschen, jetzt nicht damit herauszuplatzen, daß er der Sohn dieses von Manteuffel war. Nein, er wollte diese Karte nicht ausspielen, er hielt es für besser, die Tatsache zu verheimlichen. Wenn er sich unwissend stellte, konnte er wahrscheinlich mehr über seinen Vater aus dem Franzosen herausholen. Denn wenn jener erst wußte, daß sein Waffenbruder Hasards Vater war, verschwieg er vielleicht die Wahrheit. Sie konnte grausam sein. Sie konnte verletzend, erschütternd, niederschmetternd ausfallen, Und der Takt gebot, so etwas einem Sohn vorzuenthalten. Aber Hasard wollte wisssen, wie es um seinen Vater stand. »So ein Zufall«, sagte er ruhig. »Wo steckt denn dieser Mann, der mir ähnlich sehen soll?« »Auf dem Schiff des algerischen Piraten Uluch Ali. Zu dessen Piratenflotte gehörte auch unsere Galeere.« Hasard fiel es schwer, den folgenden Satz auszusprechen. »Nun, dieser Godefroy von Manteuffel könnte inzwischen in
irgendeiner Schlacht gefallen sein.« Der Franzose schüttelte den Kopf. »Das glaube ich nicht. Wir haben Uluch Ali noch vor einer Woche gesehen. Er hatte seine sämtlichen Schiffe in einer versteckten Bucht versammelt und hielt Kriegsrat mit seinen Kumpanen. Da habe ich von Manteuffel gesehen. Wir konnten uns nicht begrüßen, aber ich habe ihn deutlich von Schiff zu Schiff erkannt.« Hasard hatte den Eindruck, sein Herz vollführe einen Sprung. »Er ist also auch ein Galeerensklave?« »Ja, das ist er.« »Ich hoffe, Uluch Ali eines Tages zu begegnen«, sagte Hasard. »Er ist ein Teufel, dem das Handwerk gelegt werden muß.« »Und Godefroy von Manteuffel?« fragte der französische Malteserritter. »Du kennst ihn also?« »Nein.« »Wirklich nicht?« »Ich habe ihn noch nie in meinem Leben gesehen«, erklärte Hasard was ja auch wirklich stimmte. Die Crew schwieg dazu. Sie wußte, daß ihr Kapitän seine guten Gründe hatte, wenn er sein Geheimnis nicht aller Welt mitteilen wollte. Immerhin würden sich die befreiten Sklaven nicht ewig an Bord der ›Isabella‹ befinden, und der eine oder andere konnte das hier Gehörte später gegen ihn verwenden. »Merkwürdig«, sagte der Franzose leise. »Ich hätte schwören mögen, du bist ein Verwandter von ihm. Wie man sich täuschen kann.« »Es gibt erstaunliche Zufälle«, meinte Hasard. Damit war ihr Gespräch vorläufig beendet. In den nächsten Stunden drehte sich alles darum, die befreiten Galeerensklaven zu versorgen. Der Kutscher kümmerte sich um ihre schwärenden Wunden. Teils hatten sie sie schon vorher unter den Peitschen der Piraten davongetragen, teils hatten sie sie im Gefecht mit der ›Isabella‹ durch umherfliegende Bleistücke
und Holzsplitter erlitten. Der Kutscher und die Männer, die ihm halfen, waren geradezu rührend um die armen Teufel bemüht. Zum Schluß wuschen sie sie sogar. Und sie gaben ihnen zu essen und zu trinken. Carberry wurde auch verarztet. Der Kutscher betrachtete sich eingehend seine Sitzfläche und sagte: »Ed, die Hosen ‘runter.« »Was, hier, vor versammelter Mannschaft? Ich bin doch nicht bescheuert, du dreimal verfluchter Kombüsenhengst und Quacksalber.« »Gehen wir nach vorn, auf die Back.« Carberry schüttelte störrisch den Kopf. »Kommt nicht in Frage. Da steh ich ja wie auf dem Präsentierteller. Glaubst du, ich will mich vor versammelter Mannschaft lächerlich machen, was, wie?« »Nein«, erwiderte der Kutscher mit mühselig erzwungener Geduld. »Aber die Bleikörner müssen aus deinem Sitzfleisch heraus, das leuchtet dir doch ein, oder?« »Erledige das unter Deck, Kutscher.« »Ed, da habe ich nicht genug Licht. Da sehe ich nicht, was ich tue. Und du willst doch nicht unnötig Schmerzen leiden, was, wie?« »Nimm mich bloß nicht auf den Arm«, sagte Carberry drohend. »Wollen wir jetzt zur Sache kommen?« »Gehen wir auf die Galionsplattform. Da sind wir ungestört.« Der Kutscher verzog den Mund. »Hört sich ja fast so an, als gingen wir zu einem Stelldichein. Also schön, ich bin einverstanden.« Arwenack, der Schimpansenjunge, hatte den Hauptmars verlassen. Er turnte über die Großgaffelrute nach Steuerbord, ließ sich an einer Schot nach unten gleiten und sprang in Höhe des Unterlieks des Segels auf die Hauptwanten. Von dort aus kletterte er behende aufs Schanzkleid, lief in Richtung Vorschiff und beobachtete interessiert, wie Carberry und der
Kutscher zur Back abschoben. Sie suchten die Galionsplattform auf. Der Profos überzeugte sich vorher eingehend, daß ihnen auch ja keiner von der Crew nachblickte. Arwenack übersah er. Auf der Galionsplattform machte Carberry sich endlich frei und grinste zufrieden. »Hier sind wir gegen Blicke abgeschirmt. Du bist der Feldscher, Kutscher, du darfst meinen Hintern ruhig sehen. Jeder Arzt ist ja schließlich auch daran gewöhnt, nackte Leute zu sehen.« »Mann«, sagte der Kutscher. »Du stellst dich an wie eine Jungfrau. Hast du etwas Angst?« »Angst? Wovor?« »Vor den Schmerzen.« »Mußt du mich operieren?« »Ach, Quatsch. Aber es wird zwicken, wenn ich dir die Bleidinger heraushole. In den Oberschenkeln hast du auch welche stecken. Hat der Pirat dich von hinten erwischt, oder wie kam das?« »Nein, wir warfen uns hin. Die Ladung aus seiner Muskete strich ziemlich tief über uns weg, und da muß ich wohl den Hintern zu hoch gereckt haben.« »Verstehe. Du kannst noch froh sein, daß es praktisch nur ein Streifer ist, sonst hätte ich dir vielleicht was amputieren müssen.« »Den Achtersteven?« »Ja. So was gibt’s.« Carberry war bleich geworden. »Kutscher«, sagte er gepreßt. »Fang bloß an. Und zieh mir nicht die Haut in Streifen ab.« Der Kutscher mußte lachen. Er kauerte hinter Carberry, bediente sich eines kleinen Instrumentes, das er Pinzette nannte, und pulte in mühsamer Kleinarbeit Bleistück um Bleistück aus des Profos edler Kehrseite. Carberry biß die Zähne zusammen. Nein, er wollte nicht fluchen. Aber dann, als es allzu sehr weh tat, legte er doch los - ohnedem ging es bei
ihm ja doch nicht ab. Der Kutscher hoffte die ganze Zeit über nur inständig, daß Carberry nicht noch etwas anderes von sich gab, denn in seiner derzeitigen Position hätte das geradezu fatale Folgen haben können. Auf dem Vorderabschluß der Back tauchte plötzlich eine kleine Gestalt auf. Der Kutscher bemerkte sie nicht, er war zu vertieft in seine Tätigkeit. Aber Carberry! Er wandte den Kopf, kniff die Augen zusammen und identifizierte den Störenfried als Arwenack. »Hau ab, du Affe«, sagte er. Arwenack keckerte belustigt. Er fletschte die Zähne und klatschte in die Pfoten. Er schien zu grinsen und sich königlich zu amüsieren. Edwin Carberrys Miene verfinsterte sich. »Hör zu, du Affenarsch. Ich weiß, daß du mich verstehst. Du bist lange genug bei uns, um mich zu kennen. Wir können dich hier im Moment nicht gebrauchen. Also, dreh ab und troll dich, oder es setzt was.« Arwenack blieb. Er schnatterte noch lauter. Irgendwo in seinem Rücken rief jemand seinen Namen. Es war Smoky. Carberry wurde unruhig, wollte weg und nach dem Affen greifen. Der Kutscher hielt ihn fest. »Mensch, Ed, halt jetzt bloß still, sonst geht was schief. Nur noch eine Minute Geduld, dann habe ich es geschafft.« Es kniff und piekste in Carberrys Sitzgelegenheit. Er preßte die Lippen zusammen und verkniff sich ein Stöhnen. Dann fluchte er wieder verhalten los, aber nicht zu laut, um nicht noch mehr Zuschauer anzulocken. Arwenack hüpfte unterdessen auf der Balustrade der Back herum. Er quiekte und gluckste, vollführte einen Salto und klatschte wieder in die Hände. Smoky trat neben ihn. Matt Davies und Al Conroy waren nun auch zur Stelle. Alle drei betrachteten die ergötzliche Szene. »Was ist das, Ed?« fragte Matt schleppend.
»Eine Fleischbeschau?« Smoky rieb sich die Nase, dann rief er: »He, Ed, wir kriegen heute abend einen richtig blanken, runden Vollmond zu sehen.« »Ihr miesen Typen«, sagte der Profos. Er preßte die Fäuste zusammen, daß das Weiße an den Knöcheln hervortrat. »Ihr Kakerlaken, ihr Stinkstiefel, ihr von euren Vätern im Suff gezeugten Affen! Habt ihr denn gar kein Verständnis für einen Verwundeten?« »Natürlich«, sagte Al ernst. »Und ich gebe dir sogar einen guten Rat. Wenn der Kutscher fertig ist, reibst du dir den Hintern am besten mit einer ordentlichen Ration Whisky ein. Das kühlt und heilt. Ich meine, wenn ich dein Heck so sehe - er ist schon einen Schnaps wert.« »Gesengte Säue!« brüllte Carberry. »Kanalratten! Hurenböcke! Pißameisen! Ich werde euch zeigen, was es heißt, einen Carberry anzustänkern. Kutscher!« Dem Kutscher dröhnte es in den Ohren. »Ja?« sagte er verdattert. »Bist du fertig mit dem Gefummel?« »Sehr wohl, Euer Ehren.« Carberry riß sich die Hosen hoch und rannte los. Er stürmte die Back hoch, aber da waren Smoky, Matt und Al schon verschwunden. Blieb nur noch Arwenack. Carberry wollte sich auf ihn stürzen. Arwenack bleckte die Zähne, hüpfte von der Balustrade hoch und kriegte ein Fall zu fassen. Er hangelte daran empor, bevor der Profos zur Stelle war. Carberry stellte sich zwar noch auf die Zehenspitzen und fingerte in der Luft herum, aber da hatte der Schimpansenjunge bereits die Gaffelrute des Focksegels erreicht. Er neckte den Profos von dort aus noch eine Weile, dann interessierte ihn die Sache nicht mehr. Er kehrte kurz zu Dan O’Flynn in den Hauptmars zurück, langweilte sich aber auch hier. Schließlich enterte er von neuem ab. Diesmal begab er
sich direkt auf die Kuhl. Neugierig beäugte er die dreißig ehemaligen Galeerensklaven, die sich gerade an der von Stenmark, Batuti, Luke Morgan und Will Thorne ausgeteilten Verpflegung gütlich taten. Er krabbelte von Mann zu Mann und betrachtete forschend die Gesichter. Eike, der Holländer, tätschelte ihm den Kopf und kraulte ihm den Nacken. Der französische Malteserritter streichelte ihn auch. Eigentlich war niemand unter den dreißig, der etwas gegen Arwenack einzuwenden hatte. Nur einer musterte den Affen mit einem Ausdruck des Ekels und der Abneigung. Arwenack guckte ihm in den Eßnapf und in die Trinkwassermuck. Vom ersten Augenblick ihrer Begegnung an waren die beiden sich Spinnefeind. Ein Urinstinkt warnte Arwenack vor diesem Mann - und gleichzeitig fühlte er sich geradezu angestachelt, diesen Menschen zu ärgern. Er rückte ihm dicht auf den Leib. Der Mann stieß ihn weg. Arwenack ließ nicht locker. Er wollte den Mann am Ohr zupfen, ihm ein Haar ausrupfen oder sonstwelchen Schabernack anstellen. Aber da ertönte ein schriller Pfiff aus dem Hauptmars. Dan rief ihn. Das bedeutete, er hatte einen Leckerbissen für ihn. Arwenack vergaß den unliebsamen Galeerenmann und enterte in aller Eile in den Hauptwanten auf. Der Mann war ein regelrechtes Gerippe, mager bis auf die Knochen, abgezehrt. Faltige, ledrige Haut spannte sich über seinen Jochbeinen und den anderen Gesichtsknochen und erfüllte die Höhlungen mit schlaffen Runzeln. Er trug einen fahlblonden Bart und seine Haupthaare waren lang und struppig. Niemand erkannte ihn, auch der Seewolf nicht. Niemand las aus dem kalten Blick seiner blaßblauen Augen, daß er ein alter Bekannter der Crew der ›Isabella‹ war. Ein alter Feind. Früher war sein Gesicht fleischig gewesen. Früher hatte er ganz und gar anders ausgesehen und war nach seiner Meinung
eine stattliche Erscheinung gewesen. Sein Schicksal hatte ihn gezeichnet und ihm eine neue Physiognomie aufgeprägt - die eines alten Mannes. Er hatte erkannt, daß dieses neue Gesicht eine ausgezeichnete Maske war. Und er hatte sich gehütet, sich Philip Hasard Killigrew und seinen Männern zu erkennen zu geben. Früher war er Hauptmann der Elisabethanischen Armee gewesen. Aber man hatte ihn degradiert. Zu Unrecht, wie er sich immer wieder eingeredet hatte. Er vergaß, daß er ein Verräter und spanischer Spion gegen England geworden war und welchen Schaden er der Krone zugefügt hatte. Im Augenblick dachte er nur daran, daß es ihm trotz mehrfachen Versuches nicht gelungen war, diesen Bastard Killigrew zum Straucheln zu bringen, daß sich jetzt aber die Gelegenheit bot, das Versäumte nachzuholen. Trotz aller Qual und Entbehrungen waren Bosheit und Tücke in diesem Mann nicht unterdrückt und ausgelöscht worden. Im Gegenteil. Seine negativen Charaktereigenschaften hatten nur für die Zeit der Gefangenschaft auf dem Grund seiner schwarzen Seele geschwelt jetzt flackerten sie neu auf! Ein brutaler Schläger war er gewesen, lärmend und bombastisch war er aufgetreten, als er noch ein freier Mann gewesen war. Tatsächlich hatte er sich als jämmerlicher Feigling demaskiert. Die Fassade war von ihm abgefallen wie ein alter, schäbiger Mantel. Der Seewolf hatte ihn entlarvt, und gerade deshalb haßte er ihn so, genau wie sein Bruder, der noch daheim in England weilte und Friedensrichter von Plymouth war. Isaac Henry Burton schwor Hasard und seinen Männern in diesem Augenblick bittere Rache. Er legte ein Gelübde vor sich selbst ab. Es lautete: Wirf ihnen Knüppel zwischen die Beine, sooft du kannst, Isaac, vereitele ihre Pläne. Liefere sie an den Feind aus! Der Seewolf ahnte nicht, welches Verhängnis er sich an Bord
geholt hatte. Hätte er auch nur den geringsten Verdacht gehabt, wer dieser fahlblonde Mann war, er hätte ihn schleunigst auf offener See ausgesetzt. Hasard stand wieder auf dem Achterdeck. Er hatte sich entschlossen, nach Norden zu segeln. »Wir setzen die befreiten Männer bei Cartagena ab«, sagte er zu Ben und den anderen in seiner Nähe. »Was bleibt uns anderes übrig? Für uns sind diese Männer Fremde. Ihr Schicksal hätte uns gleichgültig sein können, aber die Menschlichkeit gebietet uns, ihnen jetzt soweit wie möglich zu helfen.« »In diesem Sinn sind sie Schiffbrüchige«, pflichtete Ben ihm bei. Ferris Tucker sagte: »Daß sie die Hölle hinter sich haben, steht wohl außer Frage. Es ist ein Wunder, daß sie überhaupt noch leben. Wir können ihnen was Gutes tun, wenn wir so viel Proviant wie möglich von unseren Vorräten abzweigen und sie ein bißchen aufpäppeln.« Er sah auf die Kuhl, wo die dreißig befreiten Männer teils auf dem Rand der Gräting, teils gegen das Schanzkleid gelehnt hockten und Essen in sich hineinschaufelten. Sein Blick streifte Isaac Henry Burton, ohne auf ihm zu verharren.
11. Zwei Tage später, am 10. Juni 1580, fand Burton durch Zufall einen Verbündeten an Bord der ›Isabella‹. Die dreißig ehemaligen Galeerensklaven durften sich selbstverständlich frei an Bord bewegen. Für die meisten hieß das, mit zuzupacken, wo es zu helfen galt, ganz gleich, ob es nun um Deckarbeit oder Kübelschrubben in der Kombüse ging. Für Burton bedeutete es hingegen mehr oder weniger, seine Nase in Dinge zu stecken, die ihn nichts angingen.
Der Haß brachte ihn fast um. Die Erinnerung wurde wieder wach, die Ereignisse liefen in seinem Gedächtnis ab, als hätten sie sich gestern abgespielt. Killigrew! Ihm und seinen Männern hatte er es zu verdanken, daß er unter Anklage gestellt worden war. Bei dem Irland-Unternehmen im Dezember 1576 war er wegen Feigheit vorm Feind degradiert worden und nach einigen Zwischenfällen sogar eingesperrt worden. Er! In Plymouth war er dann desertiert und auf Umwegen nach Spanien gelangt. Eine Fügung des Schicksals hatte es gewollt, daß er dort wieder mit seinem Todfeind Philip Hasard Killigrew zusammengetroffen war. Killigrew und sein Begleiter Brighton hatten als Mörder von Estoban Rizzio verhaftet werden sollen, aber dann waren sie den Soldaten, die Burton auf sie gehetzt hatte, doch noch entgangen. Die Flucht war ihnen gelungen. Was sollte er, Isaac Henry Burton, nun tun? Den Seewolf offen angreifen? Ihm ein Messer in1 die Brust rammen? Nein, das war nicht sein »Stil«. Er wollte anders vorgehen. Körperlich war er noch viel zu sehr geschwächt, um einen Kampf gegen den Seewolf durchzustehen. Und überhaupt, seine Fähigkeiten lagen auf anderem Gebiet. Er streifte durch das Schiff. Manchmal, wenn ein Besatzungsmitglied in der Nähe war, paßte er höllisch auf und tat dann meistens so, als sei er mit Aufklaren beschäftigt. Auch vor den anderen ehemaligen Galeerensklaven war er auf der Hut. Denen traute er nicht. Zunächst hatte Burton sich noch gewundert, daß er nicht erkannt worden war. Als er aber in einem der Schiffsräume einen Spiegel entdeckte, blickte er hinein und begriff. Er erkannte sich ja selbst kaum wieder! Nach dem ersten Schreck über seinen beklagenswerten Zustand sagte er sich, daß er eine bessere Tarnung gar nicht erlangen konnte. Der Crew gegenüber hatte er sich als Spanier ausgegeben. Seine einstigen Mitgefangenen wußten ebenfalls nichts von
seiner dunklen Vergangenheit. Er hatte sie ihnen wohlweislich verschwiegen und viel lieber irgendwelche bombastischen, nichtssagenden Geschichten aufgetischt, wie er den Piraten von Uluch Ali in die Hände gefallen war. Es zahlte sich jetzt aus, keinem der Sklaven jemals die Wahrheit eröffnet zu haben. Keiner hegte einen Verdacht gegen ihn. Die Leidensgenossen hatten natürlich längst alle begriffen, daß man sich auf einem englischen Schiff befand. Sie hatten aber keinen Haß gegen ihre Retter. Nein, sie bewunderten diesen Seewolf sogar noch. Für Burton bedeutete das, daß er sie gleichfalls zu verachten hatte und nicht auf sie zählen konnte. Meuterei? Ha, diese Burschen würden den Teufel tun, die Kommandogewalt über die Zweimastkaravelle an sich zu reißen! Burton spürte mit jeder Faser, daß er es gar nicht erst zu versuchen brauchte, sie umzustimmen. Er schlich kreuz und quer durch das Schiff und entdeckte an ebenjenem 10. Juni den Gefangenen in der Vorpiek. Die Vorpiek hatte eine gewisse Anziehungskraft auf Burton. In so einem Loch, dem Vorhof zur Hölle, hatte er schmachten und schmoren müssen. Alles Killigrews Schuld! Burton fühlte, daß die Vorpiek eine sozusagen magische Ausstrahlung auf ihn hatte, denn nichts wünschte er sich sehnlicher, als den Seewolf in dem stinkigen Verschlag dahinsiechen zu sehen. Eine Wache stand nicht vor dem Querschott der Piek, also konnte Burton sich ganz ungestört bewegen. Er hatte Kettengerassel und ein Stöhnen vernommen. Er kniete sich vor das Schott. Vorsichtig klopfte er mit den Fingerknöcheln gegen das Holz. »Fahr zur Hölle«, sagte jemand auf spanisch. Die Stimme klang schwach, aber es mangelte ihr nicht an Überzeugungskraft. Wer immer der Gefangene war, er haßte Killigrew, die Crew und alles, was ihn in diese Lage gebracht hatte.
»Ich bin ein Freund«, erwiderte Burton gedämpft. »Ich will dir helfen.« »Geh, zum Teufel mit deinen Tricks, Engländer.« Burton grinste. Der Mann war nach seinem Geschmack. Er traute dem Braten nicht. Er schien gerissen genug zu sein, und der Aufenthalt in der Vorpiek hatte seinen Widerstandswillen nicht brechen können. Das war Wasser auf Burtons Mühlen. Er spürte, daß er einen Verbündeten gefunden hatte. »Warte«, raunte er. »Ich komme wieder.« Er strolchte wieder eine Zeitlang auf und unter Deck umher, fand aber keinen Schlüssel zu dem Schloß am Riegel des Schottes unten vor der Piek. Aber es gelang ihm, ein kleines Holzstecheisen aus der Werkzeugtruhe von Ferris Tucker zu entwenden. Er kehrte zur Vorpiek zurück und stocherte damit im Loch des Vorhängeschlosses herum. Schließlich gelang es ihm, das Ding aufzuwürgen. Er schob den Riegel beiseite, öffnete das Querschott und kroch in das finstere Loch. Natürlich stank es erbärmlich, und daran trug nicht allein der Gefangene die Schuld. Unter der Gräting schwappte fauliges Bilgewasser. Bei jeder Abwärtsbewegung des Vorschiffes schwappte die Brühe nach vorn, trat durch das Holzgitter nach oben und näßte dem Festgeketteten die Füße und noch einiges mehr. Ratten gab es selbstverständlich auch. Ein besonders dickes Exemplar huschte vor dem Eindringling Burton davon. Burton verharrte auf allen vieren vor dem Gefangenen. Er betrachtete ihn, soweit es das wenige durchs offene Schott eindringende Licht zuließ. Er sagte seinen Namen, und darauf vernahm er auch, wie der fremde Mann hieß: Salvador de Coria. Sie erzählten sich gegenseitig, was sie erlebt hatten. De Coria begriff, daß es sich um keine Falle handelte, um ihm irgendwelche Geheimnisse zu entlocken. Zwei Halunken hatten sich gesucht und gefunden. »Mein Freund«, sagte de Coria. Es klang fast feierlich. Nur
der Gestank und der Schmutz in der Vorpiek verliehen der Bedeutung der Stunde ein unangenehmes Attribut. »Deine Geschichte bewegt mich zutiefst«, versicherte de Coria. »Ich verspreche dir hoch und heilig, daß ich dir deine verlorengegangene Ehre wiederverschaffe, wenn du mir hier heraushilfst. Wir Edelmänner, wir müssen zusammenhalten. Ich habe Macht und Einfluß in Spanien. Du hast es vernommen: Ich bin Generalleutnant und Beauftragter des Königs für das Festungswesen. Meine Familie hat Einfluß und genießt großes Ansehen bei Hof.« »Es ist eine Schande, daß man dich hier eingepfercht hat, de Coria.« »Wie hast du das Schloß aufgekriegt?« Burton erklärte es ihm. Dann grinste er und fuhr fort: »Ich nehme dich beim Wort. Du weißt, wer ich bin und was ich getan habe, ich habe dir nichts verschwiegen. Mein Herz schlägt für Spanien.« De Corias Stimme vibrierte, als er auf dieses pathetische Bekenntnis antwortete: »Und ich werde deinen Ruf in Spanien festigen. Offenbar hat man dich damals trotz der großen Dienste, die du meinem Land erwiesen hast, nicht genügend geachtet. Dies ist deine Chance, Isaac Henry Burton. Ich werde dich unter meine Fittiche nehmen.« Der Haß gegen den Seewolf verband sie. Burton wußte, daß er jetzt, da er nicht mehr allein auf verlorenem Posten stand, etwas Handfestes gegen den Todfeind unternehmen konnte. »Gut, de Coria. Ich besorge noch mehr Werkzeug. Wir werden vielleicht einige Zeit brauchen, aber ich befreie dich von den Ketten.« Salvador de Coria kamen fast die Tränen. Burton zog sich wieder zurück. In der folgenden Nacht raffte er zusammen, was er an Werkzeug finden konnte. Er versteckte es. Er mußte danach vierundzwanzig Stunden warten, erst dann konnte er wieder zu de Coria schleichen. Natürlich brachte er nach jedem
Besuch in der Vorpiek das Vorhängeschloß wieder so am Schott an, daß keiner etwas bemerken konnte. In mehreren heimlichen Aktionen gelang es ihm. Er feilte de Coria die Eisenmanschetten durch. So konnte der Spanier sie jederzeit ablegen. Außerdem beschaffte Burton zwei Pistolen und Munition dafür. Noch etwas hatte Burton gefunden, und zwar in einer Backskiste: Perlen! Die größten hatte er eingesteckt. Über diesen Fund sagte er allerdings nichts. Es war besser, in dieser Beziehung keinen Mitwisser zu haben. »Du bist ein Fuchs«, sagte de Coria. »Ich beglückwünsche uns zu der Stunde, in der wir uns begegnet sind. Nun, ich sagte schon: ein Bastard wie dieser Killigrew kann einem spanischen Edelmann auf die Dauer nicht trotzen.« »Nun der Plan«, flüsterte Burton in das Stockdunkel der Vorpiek. »Wir überrumpeln den Seewolf, diesen Hund, sobald die spanische Küste bei Cartagena erreicht ist und die ehemaligen Galeerensklaven an Land gebracht werden. Ich habe gehört, daß Killigrew diese Sache in der Nacht erledigen will, um bei deinen Landsleuten kein Aufsehen zu erregen.« »Das kann ich mir vorstellen. Der Vorfall von Cadiz hat sich bestimmt herumgesprochen. Wer diese Bande von Freibeutern sichtet, jagt sie wie tolle Hunde. Nichts können diese Teufel weniger gebrauchen als unliebsame Fragen irgendwelcher Augenzeugen. Die Nacht ist ihr Verbündeter und Schutzpatron.« »Auch der unsere«, sagte Isaac Henry Burton. * Der entscheidende Augenblick nahte in der Nacht vom 12. auf den 13. Juni. Die ›Isabella VII.‹ warf dicht unter der Küste von Spanien, etwa zehn Meilen westlich von Cartagena, den Anker.
Hasard stand mit verschränkten Armen auf dem Achterdeck. Der Wind umfächelte seine schwarzen Haare, stellte sie ein wenig auf, spielte mit ihnen. Ruhig verfolgte er, wie das Beiboot ausgesetzt wurde. Carberry und Blacky standen am Backbordschanzkleid der Kuhl bereit, um den ersten Schwung ehemaliger Galeerensklaven in das Boot hinabzubegleiten und mit überzusetzen. Es sollten jeweils zehn der Geretteten an Land gebracht werden. »Kapitän Killigrew«, sagte der Profos förmlich. »Die Leute wollen sich von dir verabschieden.« Hasard mußte sich wohl oder übel auf die Kuhl begeben. Er ahnte, was jetzt kam, und es behagte ihm nicht. Er liebte keine großen Szenen. Er mochte es auch nicht, wenn die Männer seiner Crew ihn nach einer siegreichen Schlacht auf die Schultern hoben und in einer Art Triumphzug herumtrugen. Aber die einstigen Sklaven des Uluch Ali waren vor Freude und Dank wie von Sinnen. Alle wollten sie ihrem Lebensretter die Hand schütteln, der französische Malteserritter, Eike, der Holländer, und all die anderen. Eike verstieg sich sogar dazu, vor Hasard auf die Knie zu fallen und ihm die Hand zu küssen. Hasard zog ihn behutsam wieder hoch. »Laß das. Das ist nicht nötig.« »Wir werden dir das nie vergessen, Seewolf«, sagte Eike. »Es lebe der Seewolf«, versetzte der Malteserritter - und die anderen wiederholten es im Chor, nicht laut, weil sie nicht an Land gehört werden wollten und durften, aber dafür um so ergriffener. Isaac Henry Burton handelte. In dem allgemeinen Abschiedsdurcheinander fiel es nicht auf, wie er sich ins Vordeck stahl und zur Vorpiek hinabeilte. Als er zurückkehrte, war er nicht allein. Salvador de Coria befand sich in seiner Begleitung. Aber auch das wurde nicht zur Kenntnis genommen. Es war zu dunkel, und außerdem hielten weder Hasard noch die Crew es für erforderlich, die
ehemaligen Gefangenen der Piraten zu zählen. Der erste Törn Männer war bereits an Land gepullt worden. Das Beiboot, nur von Carberry und Blacky bewegt, kehrte zum Schiff zurück. Hasard war immer noch auf der Kuhl und verabschiedete sich von der zweiten Zehnergruppe. Die Männer enterten ebenfalls nach unten. Wieder löste sich das Beiboot von der Bordwand der ›Isabella‹. Die Schläge der Riemen nahmen sich noch für eine Weile schwach aus, dann waren sie nicht mehr zu hören, wie auch das Boot von der Finsternis verschluckt worden war. In diesem Moment spürte Hasard etwas in seinem Rücken zweifachen Druck! Eine rauhe Stimme hinter ihm sagte: »Das sind zwei Pistolen, Bastard. Seig aufs Achterdeck. Wenn nicht, knallt es.« Hasard hatte keine Wahl. Dem Tonfall der Stimme war zu entnehmen, daß es dem Mann ernst mit dem Befehl war. Also setzte er sich in Marsch. Aber wer war der Kerl? Über die Schulter erkannte Hasard einen der befreiten Spanier. Es war der Mann mit dem blaßblonden Haar. Er hatte einen Komplicen - de Coria! Hasard war entsetzt und betroffen. Er stellte sich gar nicht erst die Frage, wie sein sauberer Onkel aus der Vorpiek hatte entweichen können. Das spielte jetzt keine Rolle. Es zählte nur eins: Sie hatten ihn ganz schön eingeseift. Sie gingen an Ben Brighton, an Shane, dem alten O’Flynn und anderen Männern der Crew vorbei. Keiner wagte einzugreifen. Sie alle waren perplex und total überrumpelt. Da war zum zweiten Male binnen kurzer Zeit eine so vertrackte Lage eingetreten, de Coria übernahm das Kommando; de Coria, diesmal mit einem Mitstreiter, drohte, den Seewolf kaltblütig über den Haufen zu schießen. Was blieb ihm anderes übrig, als zu gehorchen? »Verdammt«, sagte Shane. »Das hätte ich nicht gedacht. Verflucht und zugenäht, daß einer der befreiten Spanier ein
solcher Drecksack sein könnte und so was wagt, hätte ich nicht für möglich gehalten.« Burton hielt Hasard immer noch die Pistole ins Kreuz gepreßt. Salvador de Coria drehte sich jetzt um und deckte den Komplicen. Er schritt rückwärts, zielte auf die Mannschaft und ließ keinen aus dem Auge. Sie handelten sehr geschickt, diese beiden Lumpen. Aber dann trat eine Wende ein. Plötzlich ging alles sehr, sehr schnell. Etwas Dunkles huschte von oben auf Hasard und seine Bezwinger herab Arwenack, der Schimpanse. Er fiel genau auf Burton und klammerte sich an dessen Kopf fest. Burton schrie und drückte ab. Hasard duckte sich und wirbelte gleichzeitig herum. Der Schuß pfiff bedrohlich nahe an ihm vorbei, ging aber ins Leere. Hasard packte Burton, riß ihn zu sich heran und schlug ihm die Waffe aus der Hand. Arwenack gab den Kerl frei. Salvador de Coria indessen hatte einen Fehler begangen. Als nämlich der Affe Burton angegriffen hatte, war er herumgefahren. So hatte er der Crew den Rücken zugewandt. Stenmark war wie von der Bogensehne geschnellt losgestürmt, und jetzt war er bei dem Spanier. Stenmark hatte ihm am nächsten gestanden, als das Drama seinen Lauf genommen hatte. Er hatte geistesgegenwärtig nach einem Belegnagel greifen können. Den zog er Salvador de Coria jetzt über. Er schlug so heftig zu, daß de Coria augenblicklich mit einem Wehlaut zu Boden sackte und nicht wieder aufstand. Stenmark trat ihm auf die Hand. Die Pistole entglitt den Fingern de Corias, der Schwede stieß mit einem Fuß dagegen, und sie schlidderte über Deck. Die Crew brüllte Beifall. Hasard hatte Burton zu Boden gerissen. Er stellte ihn wieder auf die Beine, trieb ihn mit ein paar erbarmungslosen Schlägen zum Schanzkleid, hob ihn an den Hüften hoch und warf ihn in hohem Bogen außenbords. Wieder johlten die Männer der
›Isabella‹. Burton tauchte mit einem Klatscher ins Wasser. Hasard beugte sich noch über das Schanzkleid und sagte: »Der Teufel soll dich holen, du Hund.« Die letzten neun Galeerensklaven waren empört über die Handlungsweise des fahlblonden Mannes. Von de Coria wußten sie ja nichts und erwähnten ihn auch nicht weiter, als sie sich bei Hasard entschuldigten. »Es tut uns mächtig leid, daß das passieren mußte«, sagte einer von ihnen. »Es ist nicht eure Schuld«, erwiderte der Seewolf. »Dieser Kerl - wer ist das?« »Wir kennen nicht einmal seinen Namen«, sagte einer der ehemaligen Gefangenen. »Er hat sich uns gegenüber immer sehr zurückhaltend benommen. Hätten wir geahnt, was für ein Dreckstück er ist, hätten wir ihm schon frühzeitig den Hals umgedreht.« »Macht euch jetzt keine Gedanken mehr darüber. Es ist glimpflich abgegangen.« Hasard kochte vor Wut, aber es wäre ungerecht gewesen, diesen Zorn an ihnen auszulassen. Er ließ die neun übersetzen. Als dann das Beiboot zurück und aufgeholt war, ließ er die Segel setzen und südlichen Kurs nehmen. Er wartete, bis Salvador de Coria aus seiner Bewußtlosigkeit in die Wirklichkeit zurückkehrte. Stöhnend erhob.sich der Mann. Hasard stand breitbeinig vor ihm und fixierte ihn kalt. »Rede. Wie ist dieses Komplott zu stände gekommen?« De Coria wollte nicht mit der Sprache heraus. Da schoß Hasards Faust vor. Sie traf de Coria am Kinn und fällte ihn. Er kannte kein Erbarmen. »Rede!« De Coria berichtete stockend - aus Angst, diesmal totgeprügelt zu werden. Erschüttert vernahm Hasard, daß er ausgerechnet dem Verräter und Schuft Isaac Henry Burton
sozusagen das Leben gerettet hatte. Er hatte ihn sogar zweimal vor einem gerechten Ende bewahrt - einmal auf der Galeere, und jetzt, indem er ihm die Rahnock erspart hatte. Denn dort hätte er unzweifelhaft gebaumelt, wenn seine Identität vorher bekannt geworden wäre. Der Seewolf war erbost wie selten zuvor. Kein Mann der Crew wagte, eine Frage zu stellen, einen Rat zu geben, etwas Aufmunterndes zu äußern. Salvador de Coria stand zitternd vor Hasard. Er glaubte, seine letzte Stunde hätte geschlagen. Aber Hasard fand zu seiner Beherrschung zurück. De Coria wurde wieder in die Vorpiek gebracht und in Eisen gelegt. Er wußte, daß seine Zukunft düsterer denn je aussah ...
Der Malteserritter von Roy Palmer Der Seewolf enterte als erster an der Spitze seiner Männer die Piratengaleere. Was er sah, ließ sein Herz stocken. Uluch Ali, der Pirat von Algier, stand mit geschwungenem Morgenstern über einem weißhaarigen Riesen, in dessen Granitgesicht eisblaue Augen leuchteten. »Vater!« schrie Hasard und setzte mit einem Sprung auf die Kampfbrücke der Galeere. Der weißhaarige Riese wirbelte herum. Sein Blick suchte Philip Hasard Killigrew, und ein Aufblitzen der Erkenntnis erhellte sein hartes Gesicht, in dem die Runen wie eingemeißelt wirkten. In diesem Moment sauste der Morgenstern nach unten ...