Atlan - Im Auftrag der Kosmokraten Nr. 723 Der Erleuchtete
Die Mörderpflanze von Hans Kneifel Das Doppelspiel im Kraup...
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Atlan - Im Auftrag der Kosmokraten Nr. 723 Der Erleuchtete
Die Mörderpflanze von Hans Kneifel Das Doppelspiel im Kraupper-System Auf Terra schreibt man die Jahreswende 3818/19, als der Arkonide erneut eine plötzliche Ortsversetzung erlebt. Atlans neue Umgebung, das ist die Galaxis Manam-Turu. Und das Fahrzeug, das dem Arkoniden die Möglichkeit bietet, die Spur des Erleuchteten, seines alten Gegners, wieder aufzunehmen, ist ein hochwertiges Raumschiff, das Atlan auf den Namen STERNSCHNUPPE tauft. Das Schiff sorgt für manche Überraschung – ebenso wie Chipol, der junge Daila, der zum treuen Gefährten des Arkoniden wird. In den rund sechs Monaten, die inzwischen verstrichen sind, haben die beiden schon manche Gefahr bestanden – immer auf der Spur jener Kräfte, die schon an anderen Orten des Universums für Leid und Unfrieden verantwortlich waren. Während dieser Zeit in Manam-Turu hat Atlan schmerzliche Niederlagen hinnehmen müssen, aber er hat auch einige kleinere Erfolge für sich verbuchen können. So sind zum Beispiel die Weichen für eine Zusammenarbeit der verbannten Daila untereinander und mit den Bewohnern ihrer Ursprungswelt gestellt worden – was sich sicher positiv für den Freiheitskampf der Daila gegen die Mächte des Neuen Konzils auswirken dürfte. Gegenwärtig ist Atlan mit dem Aufspüren verbannter Daila im Kraupper-System beschäftigt. Dabei fällt er Fanatikern in die Hände – und ihn erwartet der Tod durch DIE MÖRDERPFLANZE …
Die Hauptpersonen des Romans: Atlan - der Arkonide soll geopfert werden. Chipol und Dyodora - Atlans Begleiter. Colemayn und Tuffelsyt - Die Suche nach Atlan führt sie ins Evdam-Tur-System. Ongalro - Ein alter Daila. Hyp-A-442 - Ein Roboter wird überlistet.
1. So eindringlich wie selten zuvor warnte der Extrasinn: Atlan! Sie spielen alle ein doppeltes Spiel! Die Hüter des Chlorophylls ebenso wie die Be wahrer der Ungebundenheit! Nur Chipol, die STERNSCHNUPPE und Mrothyr sind dir treu – aus bekannten Gründen! Ich ahnte, ja, ich wußte es! Dennoch war ich entschlossen, etwas zu tun, um die beiden Gruppen auf Kraupper zu einer eindeutigen Reaktion herauszufordern. Genau an diesem Punkt meiner Überlegungen sagte das Schiff halblaut, aber unmißverständlich: »Hilfe ist unterwegs, Atlan.« »Was für eine Art Hilfe?« fuhr ich auf. Ich erinnerte mich vage an den Hilferuf, den ich an die verschwundene ANIMA gerichtet hatte. »Es ist noch zu früh, einwandfreie Antworten geben zu können«, wich die STERNSCHNUPPE rätselhafterweise aus. Sie fuhr fort: »Überdies kommt gerade die junge Tochter Mondsohns. Sie scheint etliche Kräuter bei sich zu haben.« »Laß sie herein«, sagte ich. Chipol und ich beobachteten noch immer voller Argwohn die Bildschirme. Wir konnten lediglich die vielen Abläufe eines normalen Lebens erkennen. Die dritte Gruppe der Planetarier, offensichtlich die »schweigende Mehrheit«, ging unberührt von allen Zwistigkeiten ihren täglichen Arbeiten nach. Dyodora kam
herein, schenkte uns ein aufmunterndes Lächeln und hob einen bemerkenswert großen Korb aus Bastgeflecht hoch. »Ich habe alles bei mir. Wenn euer Freund nicht hoffnungslos innerlich vergiftet ist, werde ich für ihn etwas tun können.« »Wie schön. Kannst du garantieren?« Dyodora hob ihre reizenden Schultern. Ich war zu müde, um darin eine verführerische Geste erkennen zu können. Die Pausen, in denen ich mich erholt und gestärkt fühlen konnte, wurden immer kürzer. Ich wußte nicht, warum ich unter den stärker werdenden Depressionen litt. »Nach allem, was ich gesehen habe«, erwiderte Dyodora, »sind die Einzelheiten unserer Metabolismen miteinander verträglich. Unsere Kräuterabsude sollten helfen können.« »Brauchst du Chipol, damit er dir hilft?« »Gern. Er kann dabei etwas lernen.« Wir hatten vorher abgesprochen, daß der junge Daila ihr auf die Finger schauen sollte. Ich nickte. Zusammen mit Chipol verschwand Dyodora im Korridor, der zur Lazarettzelle führte. Ich setzte mich vor das Zentrum der Bildschirmanlage und wies die STERNSCHNUPPE an, den versprochenen Auftrag nach bestimmten Einschränkungen durchzuführen – aber zuerst mußte ich die Einzelheiten mit der jungen Frau absprechen. Sie kannte den Erdteil und die Landschaft, die für unseren Eingriff in Frage kamen. »Ich habe die Einzelheiten begriffen. Ich brauche nur noch deinen Startbefehl.« »Du wirst ihn bekommen.« Ich ging zu Mrothyr. Noch immer lag er im Tiefschlaf. Chipol und Dyodora hatten ihn halb entkleidet. Der Verband, den die Medorobots angelegt hatten, war entfernt worden. Die Raubtierzähne des Zyrphers schienen uns drohend anzufunkeln, denn Mrothyr atmete tief und langgezogen durch den offenen Mund. Der Haarschopf hatte sich erkennbar gelichtet. Dyodora
tränkte verschiedene Verbandsmaterialien mit tief farbigen Säften, deren strenger Pflanzengeruch den Raum augenblicklich erfüllte. Um den Mittelpunkt der Wunde, die entzündet und eitrig wirkte, schichtete sie verschiedene Lappen und legte schließlich ein großes Tuch über alles. Die Pflanzensäfte waren in glasierten Tonkrügen aufbewahrt worden. »Fertig?« fragte ich. Chipol nickte, und Dyodora gab zurück: »Die Säfte ziehen den Schmerz und die bösen Abfallstoffe des Körpers aus ihm heraus.« Möglicherweise hatte die Kraupperin nicht gemerkt, daß Chipol, ich und Mrothyr drei verschiedenen Sternenvölkern angehörten. Meine Vergiftung durch den Staub der Vandalblüten hatte der Zellschwingungsaktivator beseitigt. Aber ich fühlte noch die Nachwirkungen. Vermutlich hätte ich mich besser für einen langen Schlaf in meine Kabine zurückziehen müssen, aber ich mußte jeden Augenblick einen Angriff der hochtechnisierten Bewahrer erwarten. Mittlerweile war die Nachricht von dem bevorstehenden Eingriff in den Wasserhaushalt eines bestimmten Gebiets durch die geheimen Nachrichtenkanäle der Chlorophyll-Hüter in alle Richtungen gesickert. Sie warteten also auf den »Eingriff des Fremden«. Daß sie mich wegen der Bestrafung noch lange nicht aus den Augen verloren hatten, war mir klar. Ich wandte mich an Dyodora, die gerade ihre Hände in einem der blütenweiß gereinigten Tücher der STERNSCHNUPPE reinigte. »Ich brauche dich in der Zentrale. Du mußt mir zeigen, wohin wir zu fliegen haben.« Sie lachte begeistert, warf mir beide Arme um den Hals und rief: »Sofort! Endlich! Du wirst der Held der Hüter sein. Deine Strafe wird sicher milde ausfallen.« Ich fand an dieser Umarmung keine rechte Freude. Ich grinste schief und murmelte: »Das tröstet mich.«
Aufgeregt zog sie mich in die Zentrale. Kopfschüttelnd folgte uns der junge Daila. »Wir fliegen los, STERNSCHNUPPE«, sagte ich. »Nach Westen«, meinte Gelber Mondsohns Tochter. »Im Gebirge gibt es nördlich von hier tiefe Schluchten. Dorthin reichen die Geräte der Bewahrer nicht.« »Du bist bemerkenswert gut unterrichtet«, sagte ich. Als sei es das Selbstverständlichste auf dem Planeten, nickte sie und führte weiter aus: »Wir Hüter kennen unsere Welt. Besser als jeder andere.« »So ist es recht«, sagte Chipol. Das Raumschiff stieß fast lautlos senkrecht in die Höhe und wandte sich nach Westen. Es jagte mit eingeschalteten Schirmen auf den Hang zu, schlug einen Haken und blieb dicht an den Schrunden und Flanken des Gebirges. Als sich die erste breite Schlucht öffnete, wechselte die STERNSCHNUPPE abermals die Richtung und raste schräg auf den dunklen Boden zu. Die Geschwindigkeit nahm ab. Hin und wieder berührten die Schutzschirme den Stein und riefen Lawinen von Steinschlag und Geröll hervor. »Wo, genau, liegt unser Ziel?« fragte das Schiff. »In der westlichen Wüste. Du stößt auf einen mauerartigen Landabfall, wenn in dieser Richtung weitergeflogen wird.« Ich blickte Dyodora von der Seite an. Wie würde die Hilfe aus dem All aussehen? Was mich am meisten stutzig machte, war das Verhalten der Hüter. Nicht so sehr das der Bewahrer: sie warteten, planten lautlos und würden zu einem unbekannten Zeitpunkt mit aller Macht zuschlagen. Ich glaubte nicht, daß sich auf dem Planeten Kraupper noch ein einziges dieser Fledermauswesen, der Hyptons, befand. Daß hingegen einer ihrer »Stahlmänner«, ein höchstorganisierter Robot, das Verhalten der technisch orientierten Kraupper bestimmte, das war für mich (und den Extrasinn) eine Tatsache. Aber ebenso fühlte ich, tief im Innern meines träge gewordenen
Verstandes, daß ich im Begriff war, Fehler zu begehen. Im Schutz des Schiffes war ich sicher, und vielleicht konnte ich mit der angekündigten Hilfe zusammen wieder neuen Auftrieb schöpfen. Ich war matt und geschwächt; ein Kampfeinsatz, bei dem ich meine körperliche Stärke und Widerstandskraft brauchte, überstieg mein Können. »Wir befinden uns auf dem richtigen Kurs?« fragte das Raumschiff. »Der Kurs ist richtig. Warum muß das Raumschiff die Felsen zerbrechen?« »Die Alternative ist, daß du vielleicht getötet wirst«, sagte ich, weil die STERNSCHNUPPE auf eine Erwiderung verzichtete. »Und wir auch.« »Warum?« »Du stellst dumme Fragen, Schwester«, sagte Chipol herausfordernd. Die Geschwindigkeit des Raumschiffs war für die Enge der Schlucht zu hoch. Die STERNSCHNUPPE wurde langsamer und folgte in weitaus flüssigerem Flug den Windungen und Ecken der Schlucht. Es war so gut wie unmöglich, das Schiff hier anzugreifen. Etwa dreißig Minuten lang schwebte das Raumschiff nach Westen. Dann hob sich der Boden des Urstromeinschnitts, die Granitfelsen wichen zurück, und mit größerer Helligkeit sahen wir, daß die Wände der trogartigen Schlucht aus Sandstein bestanden. »Hier fängt die Wüste an. Geradeaus, aber leicht nach rechts«, sagte Dyodora. »Gehört.« Die STERNSCHNUPPE beschleunigte, als sie ins volle Licht des Vormittags hinausraste. Nur wenige Meter über dem Boden, der aus längs geriffeltem Sand bestand, schattenlos und in grellweißer Farbe, fegte der Diskus nach Westnordwest. Hinter dem Raumschiff wurde lockerer Sand in einer langgezogenen hochquellenden Wolke hochgewirbelt.
»Hier wird uns niemand beschießen können«, rief Dyodora fröhlich. »Wir haben sie ausgeschaltet. Es gibt noch keine WeltallStationen!« »Um so besser.« Die STERNSCHNUPPE wußte, welche Aufgabe uns gestellt worden war. Wir bewegten uns über ein Stück völlig leere Natur: Sandflächen, versteinerte Bäume, Dünen von jeder Form, die Wadis periodischer Wasserläufe, ab und zu tief eingedrückte Spuren irgendwelcher Fahrzeuge, und schließlich fern am Horizont ein einzelner, stumpfkegeliger Berg. Ich hatte ihn flüchtig aus dem unfreiwilligen Landeanflug gesehen, zu dem uns der Traktorstrahl der Bewahrer gezwungen hatte. »Jetzt müßte es scharf nach rechts, also nach Norden gehen, wenn ich nicht irre«, brummte ich. Aus fast unerklärlichem Grund fühlte ich mich immer schlechter. Das Schiff flog eine weit ausholende Neunzig-Grad-Kurve und bewegte sich über ein Stück Wüste, das völlig flach zu sein schien. »Woher weißt du das?« fragte Dyodora. Ich zuckte die Schultern. Die STERNSCHNUPPE ließ den aufgewirbelten Sand hinter sich und raste auf den Flußlauf zu. Die grünen Uferzonen und das Wasser bildeten eine unscharfe Linie vor dem Horizont. Dann stieß mich Chipol an und lenkte meine Blicke auf den Backbordschirm. »Ja!« rief die junge Frau. »Dort sind unsere Oasen. Und die Pflanze, die Gottheit des Ungeziefers.« In einer langgezogenen Senke erkannten wir grüne Flächen. Sie waren annähernd rund, und der markanteste grüne Punkt befand sich in ihrer Mitte. Der Höhenunterschied zwischen Wüste und Boden der Senke war beachtlich. »Und bis hierher wollt ihr das Wasser haben?« fragte Chipol und schüttelte ungläubig den Kopf. »Ja. Ihr werdet gefeiert, wenn ihr das schafft.« »Keine Sorge«, antwortete die Kunststimme des Schiffes. Wieder nahm die Geschwindigkeit ab, als wir uns dem Fluß näherten.
Instrumente und Belastungsanzeigen begannen zu flackern und auszuschlagen. Irgendwo schob sich ein Waffenprojektor aus dem Antriebsring. Regungslos schwebte die STERNSCHNUPPE über dem Flußufer. Aus dem Schilf stiegen langbeinige Vögel in großen Scharen auf. Kleinere Vögel flatterten um die Wipfel der Uferbäume. Mächtige Baumriesen ragten weit ins Wasser hinein, und an ihren Ästen hatten sich breite Wälle von Schwemmgut verfangen. Sie bildeten Mauern, an denen sich das Wasser schäumend brach und Wirbel sehen ließ. Zwischen den niedrigen Büschen schlug der breitgefächerte Kampfstrahl ein. Der Boden wurde innerhalb von Sekunden in rauchendes Gas verwandelt. Ein Loch mit gerundetem Boden entstand. Schäumend, gischtend und voll mitgewirbelter Pflanzenabfälle rauschte das Wasser in den Hohlraum, traf auf den glühenden Boden und verdampfte. Zusammen mit dem schwarzen Rauch ergab es eine riesige Wolke, die uns einhüllte. Das Schiff kletterte eine Handvoll Meter höher, als Dyodora schrie: »Ihr habt die Büsche verbrannt. Im Wasser verenden die Fische. Und die Wasserpflanzen sterben im heißen Wasser.« »Die Natur kennt kein Mitleid«, sagte ich scharf. »Der Schaden des einen ist der Pflanzenwuchs des anderen.« »Aber …«, begann sie erneut. Chipol schnitt ihr in hellem Zorn die Rede ab. »Wann merkst du endlich, daß du Unsinn redest, Dyodora?« schrie er. »Sei endlich still und sieh zu, wie wir den Oasen Wasser bringen.« Der Strahl fraß sich durch die Dampfwolken und tief in den Boden. Wir schwebten aus dem Dampf hervor und schwebten auf die Oasen zu, hinter uns das schäumende und gurgelnde Wasser. Der Kanal, etwa vier Meter tief und fünfzehn Meter breit, wurde von Sekunde zu Sekunde länger. Einige Minuten vergingen, ohne daß sich etwas änderte.
Der Kanal wurde länger, er folgte einigermaßen den wenigen Geländevertiefungen, und ich wunderte mich ein wenig, daß es das Schiff verstanden hatte, auch die Geländeunterschiede zwischen Fluß und Oasen zu berücksichtigen. Die Tiefe des künstlichen Bettes variierte. Als die Häuser, die riesigen Weiden, die Reihen irgendwelcher Kulturen und die Beregnungsanlagen unter uns lagen, führte die STERNSCHNUPPE einen großen Kreis aus und zog den Kanal in Windungen außen um die Oasen herum und wieder zurück in dasselbe Kanalbett. Der Strahl wurde ausgeschaltet. »Das war's«, sagte ich. »Und nun? Was willst du mehr?« »Nichts. Landet dort! Sie rennen schon herbei«, sagte Dyodora. Sie deutete auf die freie Fläche zwischen zwei Grünkreisen. Ich hatte bemerkt, daß sich einige der künstlichen Lebenszonen von den anderen deutlich unterschieden. Die Häuser wirkten moderner, es gab kaum die Reihen der Kulturpflanzen und keine Glasbauten oder Gewächshäuser aus Folienelementen. »In Ordnung«, sagte ich. »Landen wir. Was sagt die STERNSCHNUPPE dazu?« »Einiges: Mindestens drei Oasen gehören den Bewahrern. Erhebliche Energieemissionen.« »Weiter. Ist die Hilfe unterwegs?« »Droht die Gefahr eines Angriffs?« »Ich kann nichts messen. Es gibt keine Anzeichen. Die Schirme zeigen begeisterte Hüter.« »Das sage ich doch!« rief Dyodora. »Wir treiben hier den Anbau von garantiert naturgedüngten, giftstofffreien Pflanzen und Gemüsesorten.« »Wer ißt das Zeug?« fragte ich. »Es wird in die Städte geschafft und dort verkauft«, antwortete Dyodora. Die STERNSCHNUPPE senkte sich langsam auf den Sand hinunter. Ihre Landestützen versanken, einige hundert Meter vom Rand der Oase und ebenso weit von den peitschenschnurähnlichen
Ausläufern einer monströsen Pflanze entfernt, im hartgebackenen Sand. »Lasse die Schirme eingeschaltet, wenn der Energievorrat reicht«, wies ich das Schiff an. »Öffne eine schmale Strukturlücke. Möglicherweise wirst du mich unterstützen müssen.« »Ich habe begriffen.« Das Raumschiff warf einen schwarzen, runden Schatten. Ich steckte das Kommunikationsarmband an und schob den schweren Schockstrahler in die Schutzhülle. Dann wandte ich mich wieder an die junge Kraupperin. »Geh bitte hinaus und sage ihnen, daß wir das Wasser herbeigeschafft haben, und daß ich jeden weiteren Kontakt mit euch abbreche, wenn ich Vorwürfe wie ›Gesetzesbrecher‹ oder Ähnliches höre. Habe ich mich deutlich ausgedrückt?« »Ich bin hier draußen ohne Einflußmöglichkeiten«, erklärte sie. »Natürlich werde ich im Namen meines überaus bekannten Vaters ihnen sagen, was du für unsere Rückbesinnung auf den Ursprung getan hast.« »Herzlichen Dank.« Wir verließen das Schiff. Vor der Rampe hatten sich Hunderte Kraupper versammelt. Ihrem Aussehen nach waren es Hüter des Chlorophylls, aber ich vermutete eine ganze Menge Agenten der politischen Gegner unter ihnen. Etwa hundert Männer, die erst jetzt aus der Oase strömten, waren in farbige Kleider, Jacken und Röcke gehüllt. Alle möglichen Materialien, aus denen man derlei Aufputz überhaupt herstellen konnte, waren ohne Rücksicht auf Farbgefühl und Zweck miteinander kombiniert. Viele der jungen Männer, deren Spitzohr-Haarbüschel in den abenteuerlichsten Formen gerollt und gedreht waren, trugen lange Stöcke mit dunklen Kolben daran. Dyodora lief auf sie zu, breitete beide Arme aus und rief aufgeregt, daß nunmehr das lebenswichtige Wasser bis zur Oase geleitet
worden sei. Über der Wüste begannen Dampf, aufgewirbelter Sand und Rauch abzutreiben oder sich zu senken. Sonnenreflexe spielten auf dem Wasser des riesigen Ringkanals, das nun langsam zur Ruhe kam. Chipol und ich blieben am unteren Ende der Rampe stehen. Der junge Daila sagte: »Was hast du, Atlan? Du wirkst unentschlossen und müde.« »Ich weiß nicht recht«, antwortete ich. »Ich glaube, ich bin dabei, eine Depression zu überstehen.« »Was bedeutet das?« »Ich verstehe die Welt nicht mehr. Ich glaube, daß ich alles falsch gemacht habe. Mrothyr stirbt vielleicht, und wir haben kaum etwas erfahren und nichts geändert.« Der Logiksektor meldete sich. Dort geht etwas vor, das mir nicht gefällt. Sei wachsam, Arkonide! Dyodora sprach mit ihren Freunden. Aus dem Halbkreis wurde eine Mauer aus Planetariern. Sie drängten sich enger zusammen und rückten auf das Schiff zu. In ihrem Mittelpunkt stand die Gruppe, mit der die Tochter des Mondsohns sprach. Sie deutete auf mich, auf das Schiff und auf den Kanal. Ich blickte zwischen den Landestützen auf die Gottheit des Ungeziefers hinüber. Die Ausläufer der Pflänzenblätter fingen zu zittern an und bewegten sich. »Atlan!« rief Dyodora. »Sie wollen dich kennenlernen. Niemand will etwas von Strafe wissen.« Vielleicht waren unter den Arbeitern der Oasenpflanzungen auch einige ausgenutzte Daila. Ich blickte nachdenklich die raschelnden Wipfel von palmenartigen Bäumen an und legte die Hand um den Kolben der Waffe. »Bei dem geringsten Vorfall, Chipol, rennen wir zurück ins Schiff. Verstanden?« »Sie gefallen mir auch nicht«, entgegnete er und folgte mir hinaus durch den schmalen Spalt der Strukturöffnung. Vielleicht wurde die
Freudenfeier durch einen Vorstoß der Bewahrer der Ungebundenheit gestört – wer weiß? Ich blieb neben Dyodora stehen und schirmte meine Augen gegen das helle Licht über der Wüste ab. Wir standen außerhalb des Schattens, den das Raumschiff warf. Ich sagte laut: »Dieser herrliche Kanal ist ein Geschenk der fremden Raumfahrer an die Hüter des Chlorophylls. Ich erwarte keinen Dank. Bestenfalls möchten wir Verständnis haben und einige Antworten auf drängende Fragen.« Ein Teil der Männer rief zustimmende Bemerkungen. Einige junge Frauen warfen die Arme in die Höhe und lachten fröhlich, wie es schien. Einzelne »Danke!«-Rufe waren zu hören. Aus den hinteren Reihen sagte eine unangenehm klingende Stimme: »Mondsohns Tochter Dyodora macht gemeinsame Sache mit den Zerstörern des Sandgefüges. Niemals war hier ein Fluß!« »Verrückt!« murmelte der junge Daila und zog die Waffe halb aus der Schutztasche. Ich versuchte, diese dümmlichen Einwürfe im Kern zu ersticken und rief: »Dyodora weiß genau, was zu tun ist. Vor vielen Hunderttausend Jahren war diese Wüste blühendes Land. Es liegt an euch, diesen Zustand wieder herbeizuführen. Wasser ist ab jetzt genug da. Wir haben nicht einmal einen Schilfhalm am Fluß geknickt oder verbrannt.« »Und woher kommen die toten Fische?« »Sie sind ertrunken«, rief ich. »Hört mit diesen unsachlichen Fragen auf. Denkt lieber an die Bewahrer der Ungebundenheit. Sie werden versuchen, das Wasser unbrauchbar zu machen. Zwingt sie, Kläranlagen zu bauen!« Ich zeigte in die Richtung, in der ich dip anders ausgestatteten Pflanzeninseln gesehen hatte. Zwischen jenen Hütern, die dem
Geschehen zustimmten, schoben sich langsam die anderen Hüter, meist Männer, hindurch, die ihre merkwürdigen Lanzen schwangen. Noch mehr Unmutsrufe wurden laut. Die Zustimmenden zögerten. Ich war entschlossen, ins Schiff zurückzugehen und zu starten, noch ehe dieser ominöse Helfer eingetroffen war. »Wir haben schreckliche Dinge von den Verwüstungen in Hupishna am Blauwassersee gehört!« »Mondsohn hat von Verurteilung gesprochen!« »Macht den Fremden den Prozeß!« »Flußuferschänder!« »Biotopvernichter!« Ich wich zurück und zog die Waffe. Dyodora blickte ratlos um sich und versuchte, die Vordringenden zurückzuhalten. Mir wurde es unbehaglich. Der Sicherungshebel bewegte sich klickend. Vermutlich war es meine Niedergeschlagenheit, die mich am schnellen, aktiven Handeln hinderte. Ich wußte nicht, was ich von der Lage halten sollte. Die beiden uneinigen Gruppen und deren Mitglieder bildeten nunmehr klar erkennbar kleine Versammlungen, die erregt aufeinander einschrien. Sie stießen sich hin und her, einige der Kolben zuckten herunter. Schreie und Flüche ertönten. Dann entzündete jemand die dunkle Masse am Ende dieser seltsamen Fackeln. Schwarzer Rauch stieg brodelnd auf. »Bringt ihn zur Pflanze!« »Ihr seid verrückt! Unser wertvollster Verbündeter!« »Atlan! Sie wollen dich verurteilen!« Dyodora hatte ihren Widerstand aufgegeben und lief auf uns zu. Sie stolperte und wurde von Chipol aufgefangen. Ihre Füße rutschten im Sand aus und warfen mir die heißen, winzigen Körner in die Augen. Ich fluchte erstickt und rieb meine Augen. »Hierher, Atlan!« rief Chipol schrill. Jemand packte meinen Arm und zog mich zum Schiff. Dann fühlte ich, wie sich einige Körper
von hinten auf mich warfen. Ich tastete nach meiner Waffe; wieder schleuderte mir jemand ein paar Handvoll Sand ins Gesicht. Ich wehrte mich verzweifelt, hustete und zwinkerte mit tränenden Augen. Salziges Sekret kämpfte vergeblich gegen die winzigen Körner. Ein Lähmschuß dröhnte, dann hörte ich mehrere schrille Schreie. Ich wurde entwaffnet und zu Boden geworfen. Ein paar weiche Füße oder Sandalen nagelten meine Beine und Arme an den heißen Sand. In der Falle! schrie der Logiksektor. Meine eigene Entschlußlosigkeit war schuld daran, daß ich mich nun tatsächlich in der Gewalt der verrückten Hüter befand. Oder waren es die Eingeschleusten von der Gegenpartei? Langsam klärte sich mein Blick. Wie durch einen Schleier erkannte ich ein Dutzend jener phantastisch gewandeten »Krieger« der Hüter. Sie hatten ihre Fackeln entzündet, die üblen schwarzen Rauch verbreiteten. Eine hohle Stimme rief anklägerisch: »Verurteilt ihn zum Tod durch die Gottheit des Ungeziefers.« Die Mörderpflanze! »Mondsohns Tochter hat den Fremden geholfen. Sie hat sie eingeladen, unsere Natur zu zerstören!« Fremdenhaß! Xenophobie! »Und der Kleine ist ihnen hörig. Sieh nur, wie er um sie kämpft.« Ich richtete mühsam meinen Oberkörper auf. Mit dicken, offensichtlich handgedrehten Stricken aus Pflanzenfasern waren Chipols und Dyodoras Hände auf deren Rücken gefesselt. Einige Fäuste rissen mich hoch. Ich hatte auch das Funkgerät bei dem Kampf verloren. Auch ich wurde gefesselt. Warum griff die STERNSCHNUPPE nicht ein? Ich konnte mir nur denken, daß sie ein Massaker vermeiden wollte – um uns drei wogte eine vielhundertköpfige Menge von Planetariern. Mehr und mehr Fackeln schwelten. Ein Teil der Hüter stimmte langgezogene Gesänge an. Für mich lag ihre Verrücktheit
nicht im mindesten in der Tatsache begründet, daß sie ihre Natur gegen jeden Übergriff schützen wollten; im Gegenteil. Aber sie schienen, was sich hier zu meinem Schaden bewies, untereinander restlos uneinig zu sein. »Dyodora!« keuchte ich. »Was haben sie vor, deine Freunde?« »Noch ist nicht alles verloren«, schluchzte sie erstickt. »Die Pflanze tötet nur wirklich Schuldige.« Schierer Unsinn! befand das Extrahirn. Ich spuckte und hustete Sand aus Nase und Mund. Ich fühlte mich überrumpelt und gedemütigt von einem Gegner, den ich unterschätzt hatte. Ich zerrrte an den rauhen Stricken, die meine Handgelenke aufscheuerten. Dyodora war von den Vorfällen völlig überrascht. Sie war fassungslos. »Und jetzt?« fragte Chipol und trat einem Hüter mit aller Kraft gegen das Schienbein. Der Getroffene schrie auf. »Was passiert jetzt?« »Das werdet ihr gleich sehen, ihr fremden Verbrecher!« Die Hüter, die mit den blakenden Fackeln ausgerüstet waren, formierten sich. Sie begannen, eine lange Doppelreihe zu bilden, und schließlich zeigten die beiden Reihen auf die Blätter der Mörderpflanze. Es wurde ernst. Vorläufig hatten die Hüter des Chlorophylls den Wettlauf zum Raumschiff gewonnen – dachten sie. Ich vermochte nicht, den freien Willen der STERNSCHNUPPE zu beeinflussen. Wie würde das Raumschiff reagieren? Die Männer, die ihre funkensprühenden Fackeln schwangen, hielten die anderen damit in Schach. Die Doppelreihe schob sich auseinander. Wir standen an einem Ende, die Ausläufer der Pflanze mit dem riesigen, wie von Wurzelbögen gestützten Kelch im Mittelpunkt, war am anderen Ende zu erkennen. »Aber … die Vorwürfe sind absolut lächerlich! Niemand hört auf mich!« schluchzte die junge Frau. »Ich habe noch keine Vorwürfe gehört. Auch vermisse ich die
Gerichtsverhandlung.« Einer der halb verkleideten Fackelträger beugte sich zu uns herüber und polterte los: »Wir haben schon verhandelt, als ihr den Fluß geschändet habt. Die Verhandlung ist beendet.« »So ist's recht!« knurrte ich. Fieberhaft sann ich nach. Was konnte ich tun? »STERNSCHNUPPE! Eingreifen!« schrie ich und spuckte Sand. Das Schiff zeigte keine Reaktion. Ich fing an, in meinem Rücken nach den Enden und Knoten des doppelt fingerdicken Stricks zu tasten. Jeder von uns erhielt einen Stoß in den Rücken und wurde vorwärtsgetrieben. Die Pflanze schien zu spüren, daß sich Opfer näherten. Alle ihre Teile gerieten in stärkere Bewegung. Die Insektenschwärme und die Vögel, die über dem Mittelpunkt kreisten und flatterten, gaben ein lautes Summen und aufgeregtes Gezwitscher von sich. Die Sonnenstrahlen brachen sich auf kleinen, leuchtendroten Punkten, die wie klebriges Harz aussahen. Irgendwoher ertönte ein harter, donnernder Krach. Die Fackelträger zuckten zusammen und versuchten zu sehen, woher der Donnerschlag kam. Aber wir wurden weiter vorwärtsgestoßen. Wir husteten, weil ein plötzlicher Windstoß den ätzenden Rauch auf uns zutrieb. Aus dem wolkenlosen Himmel irgendwo hinter uns kam ein schneidendes Heulen. Es dauerte einige Sekunden lang, dann riß es ab und machte einem dunklen Brummen Platz. Die Hüter, die außerhalb der Doppelreihe standen, stoben auseinander. Einige von ihnen zeigten in die Richtung der Oase. »Die Bewahrer!« schrie jemand. Aber die Posten mit den rauchenden Fackeln standen eigensinnig da. Wir wurden weitergezerrt. Noch dreißig Schritte bis zu den ersten Blättern, deren lange Endfäden wie Peitschenschnüre durch die heiße Luft wirbelten. Dann geriet ein auffallendes Gerät in unsere Blicke; ein riesiger Gleiter oder ein Raumschiff. Es war gelb,
schwarz und silbern verziert und raste in einer engen Kurve heran. Es zog ebenso wie die STERNSCHNUPPE auf seinem rasend schnellen Flug eine Staubfahne hinter sich her und fegte dicht über die Riesenblüte der Todespflanze. Vor den Fackelträgern landete es und riß einen tiefen Graben in den Sand. In einer Sandwolke, die durch die Triebwerke und den Gegenschub noch höher und gewaltiger aufgewirbelt wurde, hielt das Schiff mit den kantigen Insektenformen an. Das Rechteck der Schleuse zeichnete sich deutlich ab. Ein hochgewachsener, breitschultriger Mann sprang mit einem gewaltigen Satz in den Sand und feuerte mit einem wuchtigen Gerät auf die ersten Fackelträger. Einige sanken in den Sand, andere versuchten zu flüchten, von allen Seiten ertönte wildes Geschrei. Ich erkannte den Fremden, noch ehe sich der Extrasinn meldete. »Colemayn!« schrie ich. Einige Hüter rannten auf uns zu. Ich sprang auf Chipol zu und stieß ihn zu Boden, als ich mich selbst fallen ließ. »Atlan! Endlich. Ins Schiff, schnell«, schrie Colemayn. Zwischen den beiden Raumschiffen, der Oase und der Pflanze, deren uns zugewandte Teile sich wie irrsinnig gebärdeten, herrschte binnen weniger Atemzüge ein vollendetes Chaos. Dyodora rannte auf uns zu und warf sich schützend über Chipol und halb über mich. Colemayns Lähmschüsse krachten und heulten. Schreiend stoben Flüchtende nach allen Seiten. Dyodora gelang es, den Knoten meiner Fesseln zu öffnen. Ich sprang auf die Beine und griff nach dem Vibratormesser im Stiefelschaft. Das Gerät summte auf. Zwei Schnitte, und die junge Frau und Chipol waren frei. Ein Hüter hastete mit geschwungener Fackel auf mich zu; ich wich aus, stellte ihm ein Bein und hebelte ihn mit einem Dagor-Griff zu Boden. Colemayn rannte auf uns zu, warf sich hin und her, zielte wenig und schoß ununterbrochen. »Das war knapp«, rief er und grinste breit. »Wollten sie euch an
die Wüstenlilie dort verfüttern?« Er verschlang Dyodora mit den Augen und zog mich flüchtig an sich. Dann feuerte er über meine Schulter nach einem Hüter. »Verdammt!« sagte er. »Du stehst da wie festgenagelt.« Ich setzte mich zögernd in Bewegung. Colemayn packte meinen Arm und wußte einige Augenblicke lang nicht, in welche Richtung wir zu rennen hatten – zur STERNSCHNUPPE oder zu seinem Vehikel. »Ich bin nicht gut in Form«, rief ich durch den Lärm seiner Schüsse. Aus einem Buggeschütz des fremden Schiffes fuhren dröhnend zwei Glutbahnen und schmolzen rauchende Furchen und Krater in den Sand zwischen uns und den anderen Hütern. Ich wurde, zusammen mit Chipol, Dyodora und Colemayn, zur Seite geworfen. Ich drehte mich um und sah … Die STERNSCHNUPPE startete, in den flirrenden Schutzschirm gehüllt, und während des Startes zog das Schiff die Landestützen ein. Ich war gelähmt. Colemayn bemerkte meinen Blick, schüttelte den Kopf und sagte hart: »Los, Arkonide! Wir haben nicht unbegrenzte Zeit.« »Ich kümmere mich um ihn«, meinte Chipol und faßte meine Hand. Er zog mich mit sich auf das fremde Schiff zu. Langsam löste ich mich aus meiner Erstarrung. Die STERNSCHNUPPE hatte sich offensichtlich, weil sie von den Geschehnissen überfordert worden war, in ihre eigene Gedankenwelt zurückgezogen. Ihre einzige Möglichkeit schien die Flucht zu sein. Also floh sie – irgendwohin, in den Raum hinaus. Wir flohen aus dem Inferno aus Qualm, Geschrei, Flucht und dröhnenden Schüssen auf das fremde Schiff zu. Colemayn trieb uns an. Er hatte die Hand Dyodoras gefaßt und konzentrierte sich darauf, ihr durch die Schleuse ins Schiff zu helfen. Immer wieder drehte er sich herum und suchte nach einem Gegner, der unsere Flucht behindern wollte. Chipol schwang sich ins Innere. Ich zwang mich dazu, nach
Colemayns Hand zu greifen und meine Muskeln zu spannen. Mit einem Satz ließ ich mich ins Innere ziehen. Hinter uns fauchte das Schott in den Rahmen. Eine auffallend kreischende Stimme schrie: »Ich schalte die Schirme wieder ein, Kileimeinn!« »In Ordnung, Partner«, meinte Colemayn und drückte uns nacheinander in auffallend bequeme Sitze. »Wir sind, so scheint's, im richtigen Moment gelandet.« »Sie schießen dich ab!« sagte Chipol. »So, wie sie es bei uns versucht haben.« »Ich weiß Bescheid. Wir fliegen zu den Bewahrern der Ungebundenheit.« Colemayn handelte mit bemerkenswerter Geschwindigkeit. Das Schiff startete mit zwei starken Rucken und riß sich aus dem Gewicht des Sandes los. Mit leisem Summen stieg es hoch, raste geradeaus, und Colemayns Arm zuckte hinüber zu dem Nebenpult, an dem ein zweiarmiges, vierbeiniges Pelzwesen mit glänzenden Metallteilen an den Gliedmaßen saß. Ich sah auf dem Frontschirm, wie zwei Glutbalken nacheinander schräg herunterzuckten und die vielfarbige Kelchblüte der Pflanze vernichteten. »Die Mörderpflanze«, bemerkte der Sternentramp in großer Gelassenheit, »wird niemanden mehr töten. Jedenfalls nicht in absehbarer Zeit.« Dyodora blickte in fassungslosem Entsetzen starr auf die Bildschirme. Dann schlug sie beide Hände vor ihr Gesicht und sank nach vorn. Ich schloß die Augen und fühlte mich unbeschreiblich schlecht.
2. Das Raumschiff flog dicht über dem Wüstenboden nach Westen. Bis
jetzt waren wir nicht beschossen worden, auch verfolgte uns kein anderes Schiff. Colemayn beherrschte das Schiff ausgezeichnet. »Das ist mein Kumpel Tuffelsyt. Er wollte dich unbedingt kennenlernen, Atlan.« Dumpf murmelte ich: »Diese Freude hat er nun. Zufrieden?« Tuffelsyt starrte uns aus großen, dunklen Augen an. Seine dünnen, hornigen Finger bewegten sich aufgeregt. Ich hatte zuletzt auf den Planeten Pharst und Aklard solche Wesen gesehen. »Wohin fliegen wir?« erkundigte sich Chipol sachlich. Noch immer saß Dyodora schweigend da und wagte nicht, sich zu rühren. »Endlich haben wir dich gefunden, Atlan. Ich weiß vieles von dir. Kileimeinn hat mir alles erzählt. Er weiß massenhaft Geschichten.« »Ich dachte, Sternentramp, du bist tot, in einem Lichtblitz zerrissen«, sagte ich. »Die Kosmokraten haben es sich wohl anders überlegt, als sie mich nach Manam-Turu schickten.« »Ich weiß selbst nicht, auf welche Weise ich die Galaxis Alkordoom verlassen habe«, sagte Colemayn und studierte eine Teilansicht des Planeten, die auf einem Schirm leuchtete. »Darüber reden wir später. Mit wem habe ich gesprochen?« »Das Schiff war es. Es sagte mir nur, daß Hilfe kommt.« »Es spricht also, wie ANIMA?« »Ja. Ich habe das Raumschiff mindestens einmal, als ich halbtot war, nach ANIMA rufen lassen, ohne zu wissen, was ich tat«, meinte ich. »Ich bin wohl jetzt in keiner besseren Verfassung.« »Das muß der erste Funkspruch gewesen sein, Tuffel«, sagte Colemayn und änderte die Flugrichtung. In rasender Geschwindigkeit zog die Landschaft unter uns hinweg. In der Ferne sah ich bizarr geformte Tafelberge hinter dem breiten Streifen eines Meeres oder eines mächtigen Stromes. »Du hast mich gesucht?« »Als gelte es mein Leben«, antwortete Colemayn. »Das muß ein Flug halbwegs quer durch die Galaxis gewesen
sein«, rief Chipol. »Und wie kam es, daß du mit deinem fabelhaften Raumschiff ausgerechnet jetzt gelandet bist … im letzten Moment?« Colemayn lachte fröhlich und dozierte in trockenem Tonfall: »Doch endlich, nach der schlimmen Trauer, hoff ich, die Freude ist von Dauer.« »Alter Reimeschmied«, brummte ich. »Du mußt wissen, ehrlicherweise, daß ich von einer Phase der Niedergeschlagenheit getroffen wurde. Sonst wären wir nicht in die Lage von eben gekommen. Dein Raumschiff und ihr, sie haben unser Leben gerettet.« »Nicht mein Raumschiff«, sagte Colemayn. »Echt von Kraupper!« kreischte aufgeregt der pelzige Kobold und sprang auf seinen vier kräftigen Beinen in die Höhe. »Organisiert. Wir wußten von dem Traktorstrahl.« Aufgeregt erzählte er, wie sie nach dem ersten Notruf das Planetensystem der Sonne Evdam-Tur angeflogen und sich hinter dem Mond Manicaa versteckt, dann die betrunkenen Kraupper, allesamt Mitglieder der Bewahrer-Kaste, bestohlen hatten. Immerhin besaßen die Ausgesetzten die Einrichtungen des Mondes und die NACHTJAGD. Der Sternenwanderer bremste das Schiff ab, noch ehe ich die Geschichte ganz begriffen hatte. Prüfend ruhten immer wieder Colemayns Blicke auf mir. »Ich verstehe. Was hast du jetzt vor?« »Wir landen gleich. Festhalten und Augen schließen«, sagte Colemayn aufgeräumt und heftete seine Augen auf die Kraupperin. »Wir haben eine kleine Pause nötig. Mitten im Gebiet von Bewahrern, und trotzdem unangreifbar.« Ein Tafelberg kam näher. Ich stand auf und beugte mich über die Kontrollen, während ich auf die Bildschirme sah. Die Berge waren Inseln in einem endlos wirkenden Meer; eine ganze Inselkette, die einen riesigen, geschwungenen Bogen bildete. Wir steuerten auf ein glattes Plateau zu, auf dem gigantische Felsbrocken lagen.
»Wie das?« fragte Chipol. »Ihr kennt euch gut aus.« »In einem Raumschiff der Bewahrer befinden sich gute Karten, und auf diesen sind die einzelnen Stellungen vermerkt. Auf diesem Berg befindet sich eine große Anlage. Hierher kommen die Hüter nicht, andererseits werden die Bewahrer ihre eigenen Stellungen nicht beschießen.« Das Schiff landete sanft wie eine Feder. Es wurde in eine riesige Höhle hineinbugsiert, die sich inmitten des vor Jahrtausenden heruntergebrochenen Riesenschutts auftat. Dort drehte Colemayn das Schiff mit dem Bug nach draußen und setzte ein zweites, letztes Mal auf. »Herzlich willkommen an Bord der TUFFEL ZWO«, sagte Colemayn und legte eine Serie Schalter um. »Danke«, knurrte ich. Er stand aus dem Pilotensitz auf, ging zu Dyodora und nahm ihr die Hände vom Gesicht. »Schönste …«, fing er an. Dann stockte er und hob die breiten Schultern. »Dyodora, Mondsohns Tochter«, half ich aus. »Der Name paßt haarscharf auf deine Schönheit«, meinte er mit seiner ebenso einschmeichelnden Stimme. »Warte einen Moment. Gleich wird ein hoffnungsfröhliches Lächeln deine unnachahmlichen Züge erleuchten.« Er holte aus einem Fach eine kantige Flasche, mehrere wohlgeformte Gläser und goß fünf davon in verschiedener Höhe voll. Die mit dem meisten Inhalt gab er mir beziehungsweise behielt er selbst. Er nahm Dyodoras Hand und legte ihre, schlangen Finger um das Glas. Verwirrt fragte sie: »Was ist das? Honiggesüßter Tee?« »So könnte man es nennen«, meinte er trocken. »Trink, und du fühlst dich gleich besser.« Voller Interesse betrachtete er die seidenweichen Haarbüschel auf ihren kleinen Ohren. Wir hoben die Gläser und tranken uns zu. Der Alkohol rann wie milder Früchtesaft durch die Kehle – und schien
im Magen zu explodieren. Ich sah, wie sich Colemayns bronzefarbenes Gesicht verzog. Ahnungslos nahm Dyodora einen tiefen Schluck. Dann zuckte sie zusammen, keuchte' auf und preßte die Hand auf ihren Magen. Schließlich, nach einem interessanten Mienenspiel, lächelte sie schwach und stieß hervor: »Du bist wirklich ein großer Kräuterkundiger, Kileimeinn oder Colemayn!« »Colemayn, der Sternentramp, Verehrer der Schönheit, Freund von Atlan und Tuffelsyts persönlicher Pilot.« Ich leerte das Glas und warf es Chipol zu. Er bemerkte, daß ich im Begriff war, meine trübe Stimmung zu überwinden. Ich versuchte nur, mich zu beherrschen, um Colemayn nicht zu verärgern oder Fragen zu provozieren, die ich nicht beantworten konnte und – wollte. Der junge Daila brachte das Glas gefüllt wieder zurück. Dyodoras Blicke gingen von mir zu Colemayn und zurück. Schließlich wandte sie ihr Interesse ausschließlich ihm zu. »Warum hast du das alles getan?« Colemayn berichtete, was ihn hierher gebracht hatte. »Atlan ist also dein Freund?« fragte Dyodora, nachdem sie Colemayns lange Ausführungen angehört hatte. Ich erhielt auf diese Weise eine Schilderung, die einer problemvollen Odyssee entsprach. Wir schienen mehr oder weniger gleichzeitig in Manam-Turu aufgetaucht zu sein, und jeder von uns beiden folgte den Notwendigkeiten seiner Aufgabe. Ich suchte EVOLO und den Erleuchteten, Colemayn suchte mich. Wieder einmal war ich von dem Gedanken fasziniert, daß ich ihn kannte, diesen Sternentramp. Trotz meines Zustands (der sich offensichtlich zu bessern schien!) war mir Colemayn aus irgendeinem Winkel meiner Erinnerungen seltsam vertraut. Tuffelsyt, der Naldrynne, schien mich wie ein seltenes Ausstellungsstück zu betrachten. Chipol seinerseits hatte sich in
eine Ecke zurückgezogen und schwieg, alles scharf beobachtend. »Ja. Mein Freund. Ich bin höllisch froh, daß wir uns getroffen haben. Endlich.« Für Dyodora schien nur noch Colemayn zu existieren. Tuffelsyt rief aufgeregt: »Du bist wirklich so, wie er sagte. Nur als Kämpfer scheinst du nicht viel zu taugen. Du weißt, daß er schwer krank war? Ein paarmal, nicht wahr, Partner?« »Krank?« fragte ich und genoß noch einen Schluck des KraupperGetränks. »Hin und wieder bekämpfe ich mit Erfolg und etlichen Tricks meine Alterserscheinungen«, klärte mich Colemayn auf. »Es gibt alte Esel und junge Esel. Die jüngeren sind gesünder.« »Da hast du recht. Und dieser Pharster will mich allen Ernstes fangen und verkaufen?« »Er wollte es. Vielleicht kommt er mit den Bewahrern ins Geschäft. Hast du das hier verloren?« Colemayn nahm mein Kommunikatorarmband von einem Pult und hob es hoch. Ich nickte und meinte: »Aber mein Schiff wird nicht antworten und nicht gehorchen. Vielleicht später.« Ich erfuhr, daß das Raumschiff der Bewahrer die Bezeichnung RAUHREIF hatte, recht schnell und wendig und voller erstklassiger Vorräte war. Eine schnelle Raumjacht für Ausflüge, an denen mehrere Personen teilnahmen. Die Bewaffnung bestand aus zwei kleinen Bugstrahlgeschützen und einigen Handwaffen. Colemayn unterbrach sein Tändeln mit Dyodora, die plötzlich unsere Verbrechen gegen die Natur völlig vergessen zu haben schien. Er fragte mich: »Was suchst du hier auf Kraupper? Was hast du vor?« In wenigen Worten umriß ich die verwirrende Problematik um EVOLO, den Erleuchteten, die Hyptons mit ihren Helfern, den Ligriden, die vielen Kämpfe und Auseinandersetzungen auf meiner
langen Irrfahrt und den undurchschaubaren Zustand auf Kraupper. »Wir hörten von einem Robot, der sich Hyp-A-Viervierzwo nennt«, sagte Colemayn. »Das überrascht mich nicht«, antwortete ich. »Diese HypMaschine wurde von den Hyptons hier zurückgelassen, vor weniger als einem Jahrzehnt. Er steuert eine große Anzahl anderer, hier gestrandeter Roboter unbekannter Herrschaft, und zusammen mit den Ideen seiner Herren beeinflußt er die Bewahrer der Ungebundenheit.« »Welch eine Bezeichnung. Sie halten sich für ungebunden, und in Wirklichkeit stehen sie unter dem Diktat der Fremden. Und überdies halten sie sich ebenso wie die Hüter – deren schönste Vertreterin du gerade anschwärmst – für die Klügsten dieses Systems. Sie ahnen nicht, daß sie manipuliert werden.« »Deswegen vertreten sie ihren Standpunkt auch so nachdrücklich«, sagte Colemayn. »Die falschen Propheten haben meist die stärksten Lungen.« »Jetzt weiß ich wieder, was ich am meisten vermißt habe«, murmelte ich. »Es waren deine klugen Sprüche und die holprigen Reime.« Colemayn stieß ein gedämpftes Lachen aus und hob die Hand. »Wenn ihr euch gut benehmt, werde ich eines meiner berüchtigten Abendessen für euch komponieren. In kurzer Zeit ist es dunkel. Und dann können wir in guter Ruhe darüber sprechen und beratschlagen, was wir tun!« »Falls wir etwas tun können.« »Bisher ist jedenfalls in der Auseinandersetzung zwischen uns und den Verbrechern nicht ein einziger Planetarier getötet worden«, beharrte Dyodora. »Obwohl wir allen Grund dazu hätten. Die vernünftigen Gesetze der Natur sind tausendfach verletzt worden.« »Meine schöne Tochter«, erklärte Colemayn mit der Abgeklärtheit seines unergründlichen Alters, »auch das wird kommen. Als nächstes erwarte ich, daß die Bewahrer sich melden. Nicht hier,
nicht heute. Es sei denn, wir kommen ihnen zuvor.« »Ich habe nicht die geringste Ahnung«, meinte ich nachdenklich, »was wir tun können. Das Chaos ist nicht zu entwirren.« »Das wird sich zeigen«, schloß Colemayn. Ich wandte mich an Tuffelsyt. »Gibt es in der RAUHREIF so etwas wie eine Warnanlage?« »Ist alles eingestellt, aktiviert, in Ordnung. Was meinst du, Kileimeinn, werden die Bewahrer für Atlan zahlen?« »Mit mir als Zugabe – einen ungeheuren Betrag«, sagte Colemayn zu seinem seltsamen Kopiloten. »Erinnere dich, was ich versprochen habe: Verkauf nur über deine Leiche.« »Man wird sehen«, rief Tuffelsyt kreischend. Ich ahnte, daß er offensichtlich noch immer mit diesem abwegigen Gedanken spielte. Colemayn hatte die Schleuse öffnen lassen. Die frische Luft des Planeten drang herein. Sie war kühl, sauerstoffreich und roch herrlich nach Salzwasser. Wenigstens diesen Vorteil hatte Kraupper. Mit einem betörenden Lächeln zog er Dyodora aus dem Schiff. Wir blickten ihnen nach. Kurze Zeit später sah ich ein Bild, das unter diesen Umständen mehr als verwirrend wirkte: Die ebene Fläche des Tafelbergs erstreckte sich bis zum Horizont. Über dem Meer stiegen langgezogene Wolken auf. Zwischen ihnen, halb unter der Waagrechten des Plateaus, schwebte dunkelrot und diffus die Sonne. Colemayn und Dyodora gingen Hand in Hand mitten in die halbierte Abendsonne hinein. Ihre Fußspuren zeichneten sich mit schwarzen Schlagschatten im Staub ab. Etliche Zeit später beobachtete ich kopfschüttelnd, wie Colemayn seine Pranke um Dyodoras Hüften legte. Sie lehnte sich schwer gegen ihn, dann küßten sie sich mit Hingabe und Ausdauer. Hämisch bemerkte dazu der Logiksektor: Auf diese Weise wird sie in naher Zukunft mehr von Colemayn reden als von Umweltsünden!
3. Gosen erwachte mit dröhnendem Schädel. Als er in den Spiegel schaute, erschrak er. Die Ohrhaarbüschel hingen schlaff herunter; die bleiche Haut schimmerte grünlich. Dizful, der Pilot der Jacht, kam aus dem Küchenteil des Hauses, roch nach einem teuren Gesichtswasser und schlug Gosen auf die Schulter. Gosen zuckte zusammen und drehte sich halb herum. Ihm wurde schwindlig. »Ausflug zu Ende, Techniker«, dröhnte Dizful. Er wirkte herausfordernd frisch und ausgeruht. »Heimflug droht.« »Noch nicht. Ich muß mich erst noch zurechtfinden«, stöhnte er und blickte durch die großen Scheiben hinaus. Die Umwelt unter der Kuppel hatte sich nicht verändert. Zwei schwarz gekleidete Daila waren mit der Pflege der Pflanzen beschäftigt und kümmerten sie sich um nichts anderes. »Laß dir nicht zuviel Zeit. Du weißt, daß wir im Rat gebraucht werden.« »Ja, schon gut.« Sie fühlten sich alle sieben, als würden sie aus einer tiefen Betäubung aufgewacht sein. Die Glieder schmerzten, sie bewegten sich langsam und waren überraschend durstig. Gosen duschte eiskalt und kochend heiß und ließ sich von der Automatik massieren. Dann aß er eine Kleinigkeit und dachte an die bevorstehenden Beratungen. Es ging natürlich um das fremde Raumschiff, dessen Mannschaft beabsichtigte, längere Zeit auf Kraupper zu bleiben. »So schlecht habe ich mich nachher schon lange nicht mehr gefühlt«, sagte Gath, eine der jungen Frauen. »Was habt ihr für schauerliche Getränke?« »Das beste, das es auf Kraupper gibt«, brummte Gosen. Er hatte den Ausflug organisiert. Er winkte Dizful und Haola herbei. »Seid ihr fertig?«
Der Pilot hielt eine Schale heißes Aufputschgetränk in den Händen. Er nickte. »Gleich. Wir machen die RAUHREIF startklar. Wer verständigt die Daila?« Die Kuppelstationen auf Manicaa dienten unterschiedlichen Zwecken. Es waren Observatorien vorhanden, Funkanlagen, verschiedene Bergwerke für seltene Erze und Mineralien, in denen Daila und Roboter schufteten. In der größten Kuppel, in der sich die sieben Kraupper befanden, herrschte hingegen tiefe Ruhe. Es war das Erholungszentrum für besonders wichtige Bewahrer der Ungebundenheit. »Machen wir. Es gibt verdammt viel aufzuräumen.« Mit gesenkten Köpfen saßen die Mitglieder am Frühstückstisch und dachten kaum an den Zeitvertreib. Sie wollten nichts anderes als die Augen schließen. Aber die Zeit drängte – sie waren schon viel zu lange hier. »Wir rufen euch, wenn wir das Vehikel startklar haben«, lachte Halpa und ging neben Dizful hinaus. Beide hatten dem Alkohol am wenigsten zugesprochen und waren einigermaßen klar. »Nicht zu laut«, knurrte Daylar verdrossen. Sie suchten ihre Ausrüstung zusammen; viel war es ohnehin nicht gewesen. Zuerst suchten sie einige Zeit nach den Waffen, dann gaben sie es auf. Vermutlich lag das Zeug im Schiff. Gosens Funkgerät summte durchdringend. Er schaltete es ein und hörte Haipas Stimme. Sie war fast tonlos vor Schrecken. »Kommt sofort! Jemand hat die RAUHREIF gestohlen. Das Schiff ist weg.« »Ich verstehe nicht … los, hinaus.« Sie sprangen auf und ließen alles stehen und liegen. Über den schmalen Pfad rannten sie auf die Schleuse zu, hinter der die RAUHREIF hätte stehen sollen. Gestohlen? Undenkbar! Erschrocken hoben tue Daila-Arbeiter die Köpfe und starrten den Herren nach.
Halpa und Dizful standen vor einem fremden Raumschiff. Es war ein vergleichsweise winziger Diskus mit einer geöffneten Schleuse, einer Art Einstiegsleiter und den Spuren von Reparaturen an der Außenhaut. Halpa bückte sich und versuchte, in die Schleuse hineinzuklettern. »Das kann doch nicht wahr sein! Waren es irgendwelche Hüter?« Ein völlig unbekannter Schiffstyp. Halb verblüfft, halb entsetzt blieben die Kraupper vor dem Raumboot stehen. Es war für weitaus kleinere Individuen gemacht worden. Halpa verschwand im Schiff und rief heraus: »Verdammt klein. Fremde Technik.« »Was ist da passiert?« »Jemand hat die Schiffe umgetauscht.« Gosen wanderte langsam um den Diskus herum. Er konnte keinerlei Spuren entdecken. Die Besatzung konnte nicht zahlreich gewesen sein. Sie, die sieben Kraupper, hatten den Überfall verschlafen, als habe man sie betäubt. Die RAUHREIF war offensichtlich ohne. Schwierigkeiten gestartet worden, denn es gab keine Beschädigungen am Material der Schleusenumrandung. »So ist es. Ein Umtausch. Aber warum?« fragte Dizful. Plötzlich waren sie nüchtern geworden. Natürlich waren sie nicht in Lebensgefahr; sie konnten hier warten, bis sie ein anderes Schiff abholte. Nötigenfalls mußten sie einen Mineralientransporter nehmen und nach Kraupper starten. Aber die Zeit drängte wirklich. »Dizful! Sieh nach, ob du das Schiff steuern kannst.« »Das habe ich schon überlegt.« »Dizful! Hilf mir«, rief die junge Technikerin aus dem Diskus. Der Pilot kroch durch die Schleuse. Kurz darauf flammten in den Innenräumen Lichter auf. »Passe ich noch hinein?« schrie Gosen. Er spürte, wie die Wut und die Enttäuschung in ihm wuchsen. Er würde zur Rechenschaft gezogen werden. Ihm fiel ein, daß er einen Teil der berechtigten Vorwürfe entkräften konnte, denn immerhin brachte er ein Stück
fremde Raumfahrttechnik mit zu den Bewahrern. Vielleicht konnte Hyp-A-442 die wichtigen Einzelheiten analysieren. »Vorläufig noch nicht. Alles ist für jemanden entwickelt, der knapp halb so groß ist wie unsereiner«, erscholl es hohl aus dem Schiffsinnern. »Aber vor den Kontrollen ist ein provisorischer Sitz. Für einen Normalgroßen.« Gosen schüttelte sich und bestieg die metallene Sprossenleiter. Er kroch durch einen kurzen Korridor und kam in die Pilotenkanzel. Einige Bildschirme waren mittlerweile eingeschaltet worden. Halpa bewegte vorsichtig einige Hebel, die nebensächlich aussahen. Die Decke war hier eine Handbreit höher als in den Gängen und winzigen Kammern. »Schafft ihr es?« fragte Gosen und musterte die Anlagen. Wieder flammten zwei Bildschirme auf. Kabel waren zerschnitten, der Pilot versuchte gerade, den Hauptschalter zu reparieren – oder ein mechanisches Teil, das genau so aussah. »Das dauert lange«, sagte der Pilot. »Geht zur Funkstelle und benachrichtigt den Planeten. Wir sind uns nur gegenseitig im Weg.« »Das werde ich wohl machen müssen«, murmelte Gosen verdrossen und verstand, daß sie Werkzeuge brauchten. »Ich sehe nach, was wir finden können.« Er kroch hinaus, gab ein paar Anordnungen und machte sich auf den Weg zu einer der Nebenkuppeln. Er traf nur zwei Roboter und ein paar Daila-Kolonnen. Er fragte, ob sich andere Schiffe oder Kraupper auf Manicaa aufhielten. »Niemand, nur zwei Lastschiffe«, lautete die Antwort. Gosen rannte jetzt. Er stob durch einen langen Verbindungsgang, hinein in die Rasterbauten der technischen Zentrale. Sie war voll in Betrieb, und überall gingen die Daila ihrer Arbeit nach. Er fand einige Werkzeugkisten und schickte die Männer damit zum Schiff. »Macht schnell!« drängte er. Er setzte sich vor die Geräte, wählte und schaute auf die Uhr. Auf dem Planeten war es – im Gebiet der Bewahrer-Insel – früher
Morgen. Er schilderte den Zwischenfall und erfuhr, daß die RAUHREIF über einer Oasengegend aufgetaucht, dort gelandet und eine der heiligen Pflanzen der Hüter zerstört hatte. Über diesen Zwischenfall herrschte ungeteilte Freude, aber dann hatte man das Schiff aus den Augen verloren. Sein Gesprächspartner, ein Funktechniker aus dem äußeren Kreis der wichtigen Bewahrer, erschreckte ihn mit der nächsten Information. »Das große Raumschiff, in dem der Weißhaarige in Hupishna landete, ist gestartet. Es raste davon, nicht zu erreichen für unsere Traktorstrahl-Batterien. Es scheint sich noch im Sonnensystem zu befinden, denn wir konnten keine Schockwelle anmessen. Hyp-A-Viervierzwo ist ebenfalls dieser Auffassung.« »Ich verstehe. Wir starten, sobald wir das fremde Schiff repariert haben.« »Ihr werdet erwartet. Wie war's in der Dschungelkuppel?« »Wie geplant. Bis auf diesen Schiffsdiebstahl.« »Nimm's leicht. Ihr bringt ein fremdes Schiff. Landet auf der Insel, ja? Ich bereite alles vor.« »Verstanden. Dank.« Gosen schaltete ab und beruhigte sich ein wenig. Binnen weniger Minuten war er wieder beim fremden Raumboot. Drei Männer arbeiteten inzwischen darin. Sie waren hervorragende Techniker; Daylar hatte einen Schacht geöffnet und arbeitete an den Antriebsmaschinen. »Bekommt ihr das Ding vom Boden weg?« »Es sieht nicht schlecht aus.« »Wie lange dauert es noch? Sie warten auf uns, Daylar!« drängte Gosen. »Einige Stunden mindestens.« Gosen stieß einen Fluch aus und zwängte sich wieder durch die Gänge. Er blickte kurz in die Pantry und einen Passagierraum hinein und fragte sich, wie sieben Personen sich auf dem Flug in diesen Diskus hineinpressen würden.
Er winkte den beiden Frauen, die ziemlich ratlos warteten. Er sagte, daß es noch Stunden dauern würde. Er brachte sie ins Haus und sagte ihnen, er würde sie holen oder rufen. Unruhig ging er auf und ab. Vom Raumboot her erfüllten klirrende Geräusche die Kuppel. Daylar, Halpa und Dizful hielten mit ihrer Arbeit inne. Der Pilot knurrte heiser: »Ich versuch's einfach. Ich meine, wir schaffen es.« Die Antriebsmaschinen liefen. Aus dem Unterschiff ertönte ein Ticken. Sie hatten unentwegt Leitungen geflickt, Schaltungen instandgesetzt und unzählige Versuche unternommen. Leise fauchend schloß sich die winzige Doppelschleuse. Das Ticken wurde lauter. Der Diskus schwebte in die Höhe und drehte sich um hundertachtzig Grad, so daß die Vorausschirme den Schleusenstollen zeigten. Langsam nahm das Raumboot Fahrt auf und driftete in leichtem Zickzackflug in die Schleuse hinein. Als es die Schirme passiert hatte und sich im Vakuum über der Mondoberfläche befand, meinte der Pilot: »Bestimmte Gesetzmäßigkeiten gibt es tatsächlich immer wieder. Ich glaube, ich bringe den Diskus hinunter nach Kraupper.« »Vermutlich wird dir Hyp einige aufmunternde Worte sagen.« Die Landestützen wurden eingezogen und wieder ausgefahren. Das Raumboot ließ sich leicht steuern. Es flog mit zunehmender Geschwindigkeit einen großen Kreis und kehrte wieder zum hell erleuchteten Eingang des Schleusenstollens zurück. »Nun? Zufrieden?« fragte Halpa. Sie kauerten in der Steuerkanzel und kontrollierten jeden einzelnen Zeigerausschlag. Auf einem Segment des Steuerpults begannen einige Leuchtfelder aufgeregt zu blinken. »Achtung. Das hat etwas zu bedeuten«, rief Halpa. Dizful setzte das Boot unmittelbar vor dem Schleuseneingang ab. Das Blinken wurde, ebenso wie das Ticken, schärfer und
nachdrücklicher. »Energieausfall?« rief der Pilot und zog an einigen Hebeln. Nichts veränderte sich. Das Schiff vibrierte kurz, dann stand es wieder ruhig da. Ratlos blickten sich die zwei Techniker und die Funkerin an. Das Ticken riß ab. Unwissentlich hatten die Kraupper die Selbstvernichtungsanlage der NACHTJAGD aktiviert; eine Schaltung, von der weder Tuffelsyt noch Colemayn eine Ahnung gehabt hatten. In einer Explosion wurde das Schiff halb zerfetzt. Die Kraupper starben binnen eines Sekundenbruchteils. Die Wucht der Detonation schleuderte Metallteile nach allen Seiten. Ein Schwarm von Trümmern jagte durch die Kuppelschleuse und tötete Gosen, der unmittelbar vor dem innersten Druckschirm stand. Die Bäume und Büsche schüttelten sich in einem kurzen, heißen Windstoß. Das Gefüge der Kuppel wankte sekundenlang. Dumpfer Donner brach sich an den Innenwandungen. Als die Frauen aus dem Haus stürzten, sahen sie gerade noch die letzten Reste von Flammen, Rauch und Sekundärexplosionen. Die Träger, einige gerundete Teile und die Landestützen des halb ausgeglühten Wracks hoben sich scharf gegen andere, glühende Flächen ab. Das fremde Raumschiff würde seine technischen Besonderheiten nicht mehr preisgeben.
* Mit einem bewundernden Seitenblick auf Colemayn begann Dyodora zu sprechen. »Ihr habt aus verschiedenen Quellen vieles erfahren über die Geschichte Krauppers. Einiges wußte nicht einmal mein Vater. Ich kann nicht verstehen, warum sich die Bewahrer von der Lebensweise so weit entfernen konnten. Schließlich haben wir einige
Jahrtausende lang nicht viel anders gelebt.« »Du kennst nicht die Wirkung von Hypton-Suggestionen«, sagte Atlan. Die Besatzung der RAUHREIF saß um den Tisch der Hauptkabine. Colemayn hatte aus den teilweise unbekannten Lebensmitteln des wohlgefüllten Magazins ein hervorragendes Abendessen zusammengestellt. Ohne es zu wissen, hatte Dyodora sogar echtes Fleisch gegessen. Atlan sprach weiter: »Es ist kaum möglich, ihnen zu widerstehen. Sie haben in den Verstand einer größeren Gruppe Kraupper eine bestimmte Idee eingepflanzt. Diese Frauen und Männer werden alles tun, um den Planeten in eine waffenstarrende Festung zu verwandeln. Der Umstand, daß ihr Hüter diese Pläne nicht billigt und ihr euch dagegen wehrt verlängert lediglich die Zeitspanne, die sie dazu brauchen.« »Und wie können wir sie überzeugen?« »Gar nicht. Ohne eine Gegenhypnose der Hyptons ist es nicht möglich. Das mußt du uns glauben«, sagte der Arkonide. Zwischen Dyodora und Colemayn hatte sich eine heftige Liebesbeziehung entwickelt. Beide waren von ihrem Gegenüber absolut hingerissen. Atlan hatte dies nicht erwartet, aber es störte ihn nicht. Chipol gähnte. Er war beruhigt, denn sein großer Freund schien wieder zu seiner alten Entschlossenheit zurückzufinden. Er sprach zumindest mit derselben Überzeugungskraft, die der Daila an ihm kannte. »Es fällt mir schwer, das zu glauben«, sagte die Kraupperin. Colemayn streichelte ihr prächtiges Haar. »Glaube ihm. Er hat absolut recht.« Sie hatten im Schutz der Dunkelheit und der riesigen Felshöhle lange diskutiert. Teller und Schalen waren geleert, in den Gläsern befanden sich Getränke. »Auch dieses Schiff, eine Vergnügungsjacht«, begann Dyodora wieder, »ist untypisch. Bis vor wenigen Jahren waren die Bewahrer
zurückhaltend und so wenig anspruchsvoll wie wir. Niemand kam je auf Kraupper auf den Gedanken, auf Kosten anderer kostbare Rohstoffe für einen solchen Zweck zu vergeuden.« »Das haben die Hyptons wahrscheinlich auch nicht gewollt und beabsichtigt«, warf Colemayn ein. Gutmütig grinsend hänselte er Tuffelsyt: »Willst du nicht einen Kraupper suchen und ihm ein günstiges Angebot machen?« »Noch nicht«, schrillte der Naldrynne. »Ich brauche erst einen interessierten Handelspartner.« »Jeder einzelne Bewahrer ist hinter Atlan und mir her«, berichtigte der Sternentramp. Mit seinen Knochenfingern winkte Tuffelsyt ab. »Zurück zu den Hyptons. Vielleicht könnten wir eine Änderung herbeiführen, wenn wir ihren Roboter, den Stahlmann AViervierzwei, finden und in seine Speicher eindringen.« »Er wird sich in der Zentrale der Bewahrer aufhalten, wenn es überhaupt einen Ort gibt, an dem man ihn mit Wahrscheinlichkeit erwarten darf«, sagte Dyodora. »Wo ist, deines Wissens nach, die Zentrale?« »In diesem Meer, weiter nach Westen. Die Insel nennt man seit einigen Jahren Adasi. Früher hieß sie Kleinod in der weißen Brandung.« Auffallend war, daß sich mit der zunehmenden Entfremdung beider Gruppen auch die Namen veränderten. Das Poetische der Naturreligion verschwand teilweise und machte kurzen, von Naturwissenschaften geprägten Bezeichnungen Platz. Adasi war der größte noch tätige Vulkan, in dessen Auswurfsmaterial die Bewahrer seltene Erze und Erden herausgruben. »Dann führt uns unser nächster Flug nach Adasi«, bestimmte Atlan. »Du planst einen Angriff, wie?« erkundigte sich Colemayn sarkastisch. »Tapferkeit ist glücklicherweise ein Anfall, der meistens schnell vorübergeht.«
Atlan lachte und hob das Glas. Chipol stand auf, gähnte wieder und zog sich in die kleine Kammer hinter der Pantry zurück. »Natürlich plane ich keinen Angriff. Vielleicht sollten wir Tuffelsyt ausschicken, der ihnen verrät, wie wir leicht zu überwältigen sind. Jedenfalls werden wir nicht monatelang hier warten, bis uns einzelne Parlamentäre besuchen.« »Aber diese Nacht bleiben wir doch noch hier?« flüsterte Dyodora und fuhr mit ihren schlanken Fingern über Colemayns haarige Unterarme. »Mit Gewißheit. Ich brauche auch eine gute Runde Schlaf«, versicherte der Arkonide. »Wie bist du eigentlich nach Manam-Turu gekommen, Colemayn?« Colemayn zögerte, dann erwiderte er: »Ich habe nicht die geringste Erinnerung daran. Plötzlich war ich auf einem Planeten. Auf Tuffeis Welt, am Rand der kalten Zone. Glücklicherweise mit meinem zerfledderten Rucksack. Und unterwegs ging mir der Kautabak aus. Wird Zeit, daß wir wieder in eine Gegend kommen, die von einer einschlägigen Zivilisation verdorben ist.« »Ich begreife«, meinte Dyodora schließlich. Sie schien lange nachgedacht zu haben. »Um den Einfluß dieser verderblichen Fremden und ihrer unsinnigen Ideen auszuschalten, müßten wir alle Bewahrer töten. Oder festnehmen und in Lager sperren. Wir schaffen dies niemals – und keiner von uns will es. Denn es sind Kraupper wie wir!« »Jetzt weißt du, was ein Dilemma ist. Was wiegt dagegen ein geknickter Strohhalm oder ein abgebrochener Ast?« setzte Colemayn dagegen. Dyodora hob die Schultern. Sie wußte auch keine Antwort. Atlan lehnte sich zurück, kreuzte die Beine und meinte plötzlich: »Wir fliegen zur Insel Adasi. Dort setzt ihr mich ab und versteckt euch wieder. Ich mache Maske; aus mir wird ein Kraupper. Dazu brauche ich nicht viel. Möglicherweise dringe ich bis zum inneren
Kern der Bewahrer vor, vielleicht sogar bis zu dem Stahlmann der Hyptons.« Der Sternentramp nickte bedächtig und strich dann mit zwei Fingern über seine Adlernase. »Ganz so abwegig ist die Idee nicht«, sagte er. Vielleicht waren die Fremden trotz aller Widrigkeiten in der Lage, die grotesken Auswüchse von zwei überzogenen Ideologien zurückzuschneiden. »Heute nacht geschieht nichts mehr«, erklärte Tuffelsyt und kletterte aus dem viel zu hohen Sessel. »Ich kann tadellos im Pilotensessel schlafen. Gleichzeitig übernehme ich den ersten Teil der Nachtwache. Danke. Nichts mehr zu trinken.« Sie sahen ihm nach, als er durch die Kabine trippelte und das Schott zur Pilotenkanzel hinter sich schloß. Colemayn schüttelte lange den Kopf und sagte schließlich: »Ich kann es noch immer nicht glauben. Er ist auf dem besten Weg, doch noch zu einem wertvollen Mitglied der galaktischen Gemeinschaft zu werden. Der erste Fall von charakterlicher Änderung, den ich in diesem Ausmaß erlebe. Wenn er nicht raffiniert schauspielert. Nicht wahr, meine Honigblüte?« Mit einem törichten Lächeln strahlte Dyodora ihn an.
4. Kraupper war ein schöner Planet. Ich hatte die Höhle und die riesigen Steintrümmer verlassen und war etwa zweihundert Schritt weit auf den Rand des InselTafelbergs zugegangen. Es herrschte tiefste Nacht. Über den Wellen hing ein Halbmond, und die Sterne des nahen Zentrums bildeten riesige Figuren am schwarzen Himmel. Eine schwache Brise strich über die senkrechten Hänge herauf und brachte Salzwassergeruch und das Rauschen und Donnern ferner Brandung herauf. Ich setzte
mich auf einen Steinbrocken und schaltete den Handscheinwerfer aus. Nachdenklich, Arkonide? fragte der Logiksektor. Dein Plan hat tatsächlich einige Aussicht auf Erfolg. Besonders dann, wenn du dich als hochqualifizierter Waffentechniker ausgibst. Ich dachte an die verschwundene STERNSCHNUPPE und an den Rebellen Mrothyr, der todkrank oder schon tot in der Krankenstation lag. Warum war das Schiff geflüchtet? War es »launisch« wie ANIMA? Überlastet? Überfordert? Bei der Vorstellung, als Bewohner dieses Planeten plötzlich aus dem Nichts aufzutauchen, war mir nicht wohl. Dann, während ich an andere Schwierigkeiten dachte, fiel es mir ein. Dieser Einfall ist grenzensprengend! rief in heller Begeisterung der Extrasinn. »Grenzensprengend!« wiederholte ich schaudernd. Meine innere Stimme bevorzugte unter dem Eindruck kraupperschen Alkohols seltsame Begriffe. Ich blieb wartend sitzen. Warten -. worauf? Letzen Endes auf eine Reaktion der STERNSCHNUPPE, die uns alle fortbrachte von Kraupper, diesem Planeten des inneren und äußeren Chaos. Ich war allein; an dieser Stelle war der Planet dunkel wie jede andere Welt im Urzustand. Die Stille war erfüllt von den Lauten der Natur. Ich stand auf und ging in die RAUHREIF zurück. Tuffelsyt steckte seinen kleinen Kopf durch den Spalt des Kabinenschotts und flüsterte im Diskant: »Colemayn und die Frau. Störe sie nicht, Atlan.« Mit seinen Klauenhänden deutete er auf den gegenüberliegenden Raum. »Ich habe nichts anderes vor als tief zu schlafen. Müde? Soll ich dich ablösen?« »Nein, noch nicht. Der Kleine kommt in ein paar Stunden.« Ich streckte mich auf dem breiten, bequemen Mehrfachsitz aus und löschte die Kabinenbeleuchtung. Die Probleme verdrängten
sich selbst in den Hintergrund. Endlich konnte ich einschlafen.
* Mit einer Mischung aus Gesichtswasser, irgendwelchen Gewürzen aus der Kombüse und Öl aus einem lecken Behälter im Maschinenraum, sowie mit einem Pinsel, den ich in der Duschzelle fand, praktizierte ich auf meinen Körper zwei hellbraune Streifen von den Schultern bis zu den Knöcheln. Colemayn warf einen langen Blick auf meine Maskenkünste, pfiff anerkennend und bemerkte mit breitem Grinsen: »Die Pigmentlinien sehen bei Dyodora weitaus besser aus. Dir fehlt doch eine Menge weibliche Eleganz, Atlan.« »Ich teile deine gute Laune«, gab ich lachend zurück. »Sie wird vergangen sein, wenn ich auf Adasi abgesetzt worden bin.« In den eingebauten Vorratsfächern hatten wir auch Kleidungsstücke gefunden. Ich versuchte, zwischen der eigenen Ausstattung und der Kraupper-Beute einen glaubwürdigen Kompromiß zu finden. Mein Haar war kürzer geworden und glänzte blauschwarz. Jetzt blieben nur noch die Ohren. Zwei Haarbüschel hatten wir aufgehoben und an einem Ende zusammengeklebt. Ich kam zurück in die Kabine. Meine Freunde brachen in ein lautes Gelächter aus, als ich mich setzte und auf die Ohren deutete. Colemayn kramte in seinem unergründlichen Rucksack. »Wir brauchen Klebstoff, elastisches Zeug, etwas Werkzeug …«, murmelte er und brachte verschiedene Dosen, Schächtelchen und Tuben zum Vorschein. Dyodora und die anderen suchten die unzähligen Fächer ab. Vor einer knappen Stunde war die Sonne aufgegangen. Wir schafften es! Ich kontrollierte den Fortschritt der Schminkarbeiten in Colemayns Taschenspiegel. Irgendwelches
Dichtmaterial aus dem Schiff wurde weich geknetet und geformt, das Haar wurde hineingepreßt und festgeklebt, dann befestigte Dyodora mit geschickten Fingern die winzigen Dreiecke auf den oberen Rändern der Ohren. Die Haare wirkten wie halb ruinierte Malerpinsel, aber ich sah einem Kraupper wirklich erstaunlich ähnlich. Der Verfremdungseffekt trieb einem weiteren Höhepunkt zu, als sie mir einen Mittelscheitel kämmten, die Haare vor und hinter den Ohren teilten und einen Teil der Brauen abrasierten. »Fertig. Du siehst aus wie der Bruder, den ich nie hatte«, stellte Dyodora fest. Die Nacht mit Colemayn hatte sie verändert; ihr geziertes, unechtes Benehmen war von ihr abgefallen wie eine zweite Haut. Ich trug die Bewaffnung eines Krauppers und das kleinste Funkgerät, das wir besaßen. Wir hatten ein kräftiges Frühstück eingenommen. Dabei hatte mir Dyodora berichtet, was sie und die Hüter des Chlorophylls über die Insel Adasi wußten. Sehr viel war es nicht. Ich würde improvisieren müssen und bereitete mich schon jetzt darauf vor. Colemayn schloß die Schleuse, setzte sich in den Pilotensitz und startete die RAUHREIF. Das Raumschiff schwebte einige Meter über die gewaltige Fläche und glitt dann hinunter, den Wellen und der Brandung um die Klippen entgegen. Wir flogen mit der Sonne im Rücken nach Westen, und sämtliche Warnsysteme waren eingeschaltet. »Denke daran, Atlan, daß in den Reihen der Bewahrer ebenso viele überzeugte Hüter sind wie umgekehrt. Überlege, was du sagst!« »Ich werde mich bemühen, Dyodora«, meinte ich. »Mein Ziel ist der Hypton-Robot. Übrigens, Colemayn … die STERNSCHNUPPE besitzt einen sogenannten Psi-Spürer. Da er auf Kraupper nicht anschlug, können wir voraussetzen, daß tatsächlich alle Daila hier ihre Mutanten-Fähigkeiten verloren haben.« »Ich weiß nicht, ob mich das tröstet«, bemerkte der junge
Weggefährte. »Es sind jedenfalls Tatsachen«, brummte ich. Das Schiff jagte dicht über den langgezogenen Wellen der Ozeandünung entlang. Ich wartete darauf, daß wir auf irgendeine Weise angegriffen wurden. Der trügerische Frieden dauerte schon viel zu lange. »Wo wollt ihr bleiben?« fragte ich Colemayn. Zwischen uns stand Dyodora und versuchte, auf den Vorausbildschirmen die Insel zu erkennen. »Weiß ich noch nicht. Es wird sich ein Versteck finden lassen. Nötigenfalls geht es zurück in die Höhle auf dem Plateau.« »Einverstanden.« Am Horizont tauchte ein stumpfer Kegel im Dunst über dem Wasser auf. Colemayn steuerte darauf zu und nahm die Geschwindigkeit zurück. Mehr Einzelheiten waren zu sehen. Die Insel war stark bewaldet, und wir konnten verschiedene Uferformen unterscheiden. Zwischen den unterschiedlichen Landschaftseinzelheiten tauchten immer wieder Gebäude auf. Teils wirkten sie wie Wohnhäuser, teils wie Festungsbauten. »Ich drehe eine schnelle Runde«, versprach Colemayn. »Vielleicht bietet sich ein besonders günstiger Platz an.« »Das wollte ich gerade vorschlagen«, antwortete ich. Die Insel Adasi war riesengroß und wie ein zerzaustes Fragezeichen geformt. Die RAUHREIF blieb so tief wie möglich über dem Wasser, und die schwach dimensionierten Schutzschirme waren aktiviert. Ein Flugplatz raste vorbei, die Gerüste eines kleinen Raumhafens wurden sichtbar und versteckten sich sofort wieder hinter Felsen, Bäumen und Hügeln. Parabolspiegel, Antennen und Gitterprojektoren wechselten in rascher Folge miteinander ab. Dennoch schien die Natur, soweit wir dies aus dem schnellen Flug heraus zu erkennen vermochten, nicht auf verbrecherische Weise ausgebeutet zu werden. Ich verzichtete darauf, Dyodora auf diesen Umstand
anzusprechen. Eine Zone aus steppenartiger Landschaft, durchsetzt mit Felsen, breitete sich hinter einem dichten Grüngürtel aus. »Dorthin, Colemayn«, sagte ich. Das Schiff ging in eine scharfe Kurve und huschte zwischen den Felsen und Baumgruppen auf den dunklen Rand der leicht hügeligen Fläche zu. Ich stand auf, schlug Colemayn schwer auf die Schulter und ging zur Schleuse. »Viel Glück!« riefen sie mir im Chor nach. Die innere Schleusentür öffnete sich, ich packte die Griffe und fühlte die Vibrationen des Schiffes in meinen Händen und unter den Sohlen. Die schwere Platte glitt zur Seite, das Schiff setzte behutsam auf. Ich sprang hinunter in den Sand, winkte kurz und rannte in die Deckung aus Felsen und ineinander verfilzten! Buschwerk. Sekunden später hatte die RAUHREIF gewendet und entfernte sich mit durchdringendem Summen. »Bringen wir's hinter uns, Arkonide«, sagte ich im Selbstgespräch und suchte nach einem Pfad durch das Unterholz. Du solltest als sicher voraussetzen, daß die Landung beobachtet wurde, sagte der Extrasinn. Darauf war ich vorbereitet. Ich brauchte nur einige Kilometer geradeaus zu gehen, dann stieß ich auf eine Zusammenballung von technisch betonten Gebäuden. »Du bist ein Kraupper!« sagte ich und kletterte auf einen Hügel. Ich entdeckte einen Pfad, der sich durchs Gelände schlängelte. Ringsherum waren sämtliche Gräser halb fingerlang geschnitten oder abgeweidet. Als ich einen Ausblick vom nächsten, höheren Hügel hatte, sah ich kleine Herden von schafähnlichen Tieren mit riesigen, einwärts gekrümmten Hörnern, die emsig weideten und das Gras kurz hielten. Ein Anblick, der den Cholorophyllikern gefallen hätte. Die Bewahrer bildeten eine starke Gruppe der Planetenbevölkerung. Sie hatten sicherlich auf der Insel die völlige Kontrolle, aber keinesfalls in den meisten anderen Teilen der Welt. Hier durfte ich genau die Form der Kultur und Zivilisation
erwarten, die von den Bewahrern wirklich für alle Teile des Planeten vorgesehen war. Ich hatte es nicht eilig, denn ich ahnte, was mich erwartete. Überdies hatte ich noch das Licht fast des ganzen Tages vor mir. Zuerst war der Pfad nichts anderes als eine ausgetretene Spur, dann mündeten andere Pfade dazu, es wurden Räderspuren und solche von Gleiskettenfahrzeugen sichtbar, und schließlich befand ich mich auf einer glatten Fläche, die sich im Schatten großer Bäume auf eine Anlage aus halbhohen Gebäuden zuschlängelte. Hinter den langgestreckten Hallen reckten sich Masten, Antennen und Projektoren hoch. Ich hatte das Gefühl, unablässig beobachtet zu werden. Ich trug Zuversicht und das Selbstbewußtsein eines Spions zur Schau, der das Monopol für eine einzigartige Nachricht besaß. Eine Mauer tauchte auf, wild überwachsen und voller Vogelnester und Blüten. Dann erhob sich in einer fast idyllischen Szene aus Pflanzen ein Tor, das aus farbigen, metallenen Röhrenelementen zusammengesetzt war. Dicke farbige Kabelstränge mündeten in die senkrechten Teile. Zwischen ihnen spannten sich hauchdünne Energieschirme. Ich wußte nicht, was ich davon halten sollte. Ich nahm einen Stein und warf ihn in den Schirm. Er polterte unzerstört auf der anderen Seite herunter. Ich ging hindurch und auf einige Kraupper zu, die aus einem Eingangstor herauskamen, Strahler in den Händen. Die Männer waren in schlichte, unaufwendige Uniformen gekleidet. Breite farbige Streifen quer über Brust, Ärmel und Rücken schienen Rangunterschiede auszudrücken. Schräg hinter ihnen, zwischen geparkten kleinen Gleitern, öffneten sich schmale Türen. Zwei klobige Roboter schwebten heraus. Die Kraupper zielten auf mich. Einer fragte in grobem Ton: »Wer bist du? Was willst du hier?« »Ich bin Gonozal«, antwortete ich ruhig und bohrte meinen Blick in ihre Augen. »Ich habe ein interessantes Angebot. Aber ich
verhandle besser mit eurem Chef.« »Angebot? Wir kaufen nichts.« »Mir werdet ihr diese Information abkaufen«, sagte ich laut. »Wenn ihr wißt, worum es sich handelt, werdet ihr euch ärgern, weil ihr euch soviel Zeit gelassen habt.« »Das mag möglich sein«, sagte der Mann mit dem gelben Streifen. »Mitkommen.« Ich hob die Schultern und sagte, während wir auf den Eingang zuschritten: »Stört euch nicht an dem Vorgang der ersten Kontaktaufnahme. Es sind ungewöhnliche Zeiten, und da passieren ständig unglaubliche Dinge.« Wir betraten einen Korridor, der mit metallenen Wänden schräg abwärts führte. Ein Roboter stellte sich innen neben dem geschlossenen Eingang auf. Einfache Beleuchtungskörper bildeten eine Reihe von Punkten. Unsere Schritte erzeugten harte Echos. »Wer führt hier das Kommando?« fragte ich, als wir in ein unterplanetarisches System von Wänden, Glasscheiben, Stegen und Hallen kamen. Ich war sicher, daß wir einen Teil der Schaltzentrale vor uns hatten. »Dongola wird mit dir sprechen. Er hat dich kommen sehen«, sagte der Kraupper mit dem roten Uniformstreifen. »Viele haben mich kommen sehen«, sagte ich. »Übrigens, wenn es euch interessiert – ich habe nicht vor, eine hohe Belohnung zu kassieren. Ich tue es, weil ich bestimmte Entwicklungen erkenne und begrüße.« »Dort findest du Dongola.« Der Uniformierte zeigte auf eine Plattform, die im Mittelpunkt der vielen Bildschirme einige Meter höher aufgebaut war. Von den Sesseln, Tischen und durch die Glasflächen waren alle Teile der Nachrichtenzentrale gut einzusehen. Eine Wand dieses Glaskäfigs bestand aus grob bearbeitetem Fels. Wir kletterten auf einen Steg, der quer durch die Halle in dieses Zentrum führte. Hinter mir
schloß sich eine einfache Metall-Glas-Tür. Dongola lehnte an der Vorderseite einer Steinplatte, die als Tisch diente. Ich blieb vor ihm stehen und fragte: »Ihr seid interessiert an dem weißhaarigen Fremden und seinem bemerkenswerten Raumschiff. Oder irre ich sehr?« Dongola war ein auffallend breitschultriger Mann mit langen, starr nach oben gereckten Ohrhaarbüscheln und zerfurchten Gesichtszügen. Seine Augen lagen in tiefen Höhlen. Er musterte mich schweigend und stellte schließlich die Gegenfrage. »Wie kommst du zu Schiff und Pilot?« Wahrheitsgemäß entgegnete ich: »Auf diesem Planeten gibt es niemanden, der den Kommandanten und das Raumschiff besser kennt als ich. Nicht einmal die Tochter von Mondsohn Dyodor, die zu ihm ins Schiff ging.« »Es fällt mir schwer, dir zu glauben. Wir Bewahrer brauchen das Schiff.« »Wir Bewahrer?« fragte ich und setze mich in einen der bequemen, aber schlichten Sessel. »Ich gehöre wohl auch dazu. Allerdings bin ich kein eingeschriebenes Mitglied. Die Überzeugung zählt, die Gesinnung.« Er grinste. Wohlwollend, wie ich. hoffte. »Gute Rede. Meinetwegen.« »Sagte ich ja. Wozu brauchen wir Bewahrer der Ungebundenheit das Raumschiff des Fremden? Nebenbei … es gehorcht auf einfache, gesprochene Anweisungen. Für die Steuerung gibt es so gut wie keinen Hebel. Ein denkendes Schiff.« Dongolas Haar war gekräuselt und von weißen Strähnen durchsetzt. Ohne daß er übertriebenen Wert auf Ausstrahlung oder Überzeugung zu legen schien, war er ein ernst zu nehmender, selbstbewußter Mann, der wußte, wovon er redete. Er ging um den Tisch herum und setzte sich. Hinter ihm schwang lautlos eine knapp zweimal zwei Meter große Steinplatte zurück und öffnete sich in ein pechschwarzes Stück Korridor oder in eine
Kammer. »Wir brauchen dieses Schiff, weil wir den Gegner im All nicht kennen. Wir bauen, wie inzwischen selbst der dümmste Hüter weiß, eine planetarische Festung.« »Die noch ausbaufähig ist. Das sagte schon mein exotischer Bekannter, der Kommandant des silberschimmernden Diskusschiffs, als der Traktorstrahl unterbrochen und die Zwangslandung unmöglich gemacht wurden.« »Wenn der nächste Neunjahresplan technisch machbar ist, haben wir es geschafft. Die Hüter haben diesen unglücklichen Zwischenfall verschuldet.« »Das weiß der Fremde. Weiter.« »Wir brauchen ein solches Schiff, um weit in die Galaxis vordringen zu können. Was uns fehlt, ist eine klare Definition des Feindes. Bisher hält er sich bedeckt. Wie können wir ihn erfolgreich bekämpfen, wenn wir seine Eigenschaften nicht kennen?« Es war, wie es schien, eine ehrliche und logisch fundierte Antwort. Als Kampfschiff gegen die Hüter würden sie es sicher nicht benutzen. Was versteckte sich in dem pechschwarzen Raum hinter dem Schreibtisch? »Dazu kommen einige Vorfälle und Geschichten«, führte ich weiter aus und bemühte mich, langsam und verständlich zu sprechen, »die das ganze kompliziert machen.« »Ich höre.« »Der unsichtbare Zuhörer, der mich aus seinem Versteck hervor begutachtet, soll sich zu uns setzen«, antwortete ich. Eine Gestalt schob sich lautlos zwischen den Felskanten hervor und blieb neben dem Steintisch stehen. Ein Stahlmann! Er glich in Größe und Aussehen jenen Robotern, die ich von Cairon und anderen Welten her kannte. Diese Maschine, ein mechanischer Helfer der Hyptons, sah eleganter und wertvoller aus. Logische Folgerung: das ist Hyp-A-Viervierzwei, sagte knapp der
Logiksektor. »Überrascht?« Ich versuchte, aus dem Klang der Stimme herauszuhören, welche Antwort der Bewahrer-Chef von mir hören wollte. Ich beschloß, mehr Wissen vorzutäuschen, als ein Kraupper gemeinhin über diesen Roboter haben durfte. »Das ist, wenn mich meine schwachen Augen nicht trügen, ein Roboter. Er steuert die anderen Maschinen und entwickelt für uns Bewahrer die unglaublichsten technischen Einzelheiten. Er weiß die Antworten auf alle Fragen. Auf fast alle Fragen, um genauer zu sein. Woher das Schiff kam, wußte er auch nicht – das jedenfalls weiß ich vom Kapitän des Diskus. Er nennt sich Atlan. Der Kommandant, nicht der Diskus. Den Namen des Schiffes kenne ich noch nicht.« Dieser Helfer der Hyptons konnte mit seinem Herren in direkter Verbindung stehen oder auch nicht. Ich hoffte, letzteres wäre der Fall. Wenn ich noch einen Beweis gebraucht hätte, daß die PostHypnotiseure auf Kraupper seit langem am Werk waren – hier stand der stählerne Beweis und musterte mich durch seine schwach leuchtenden Sehlinsen. Einzelne Ringe, in das dunkle Metall der humanoiden Körperform eingelassen, waren sicher nicht nur Verzierungen, sondern irgendwelche Sensoren. Die Gelenke an den Fingern und alle anderen Gelenke schienen aus biegsamen Metallstrukturen zu bestehen. Dieser Stahlmann drückte schön allein durch sein Aussehen und seine fließenden Bewegungen aus, daß er ein besonderes Exemplar war. »Atlan also«, sagte der Roboter. »Man wird sich den Namen merken müssen.« Gut gemacht! lobte der Extrasinn. Ich ersah aus dieser Bemerkung des Robots, daß Hyp-442 mit meinem Namen noch nichts anzufangen wußte. Denkbar war, daß er seit einigen Jahren unabhängig von seinen Herren operierte.
Der Kraupper deutete meinen verwunderten Blick richtig und tat so, als verkünde er mir ein großes Geheimnis. »Nur wenige kennen Hyp-A-Viervierzwei. Er ist das Geschenk der ratgebenden Götter an uns Bewahrer. Nicht aber an die Hüter des Chlorophylls!« »Sie würden ihn auch nur eingraben, um sein Material dem Planeten zurückzugeben«, lästerte ich und lachte kurz. »Zurück zu meinen Informationen.« »Dieser Atlan ist eine ungewöhnlich wichtige Person«, stellte ich fest. »Woher weißt du das?« »Ich schlich, als weder die Hüter noch die Bewahrer es sahen, nachts in sein Schiff. Ich gab ihm Informationen über die Gesellschaftsform unseres Planeten. Er bezahlte mit Informationen und edlen Getränken.« »Ihr habt euch angefreundet?« »So kann man es nennen. Er sucht nach einem Gegner, den er aus vielen Abenteuern kennt. Möglicherweise ist es der Feind, auf dessen Angriff ihr wartet.« »Das sagten die Götter!« erwiderte Dongola. Er war an meiner Geschichte brennend interessiert, daran gab es keinen Zweifel. Die Götter! Also hatten sich die Hyptons als göttliche Gesetzgeber eingeführt. Sie waren wirklich gerissen. »Er hat aber auch andere Freunde«, erklärte ich. »Diese Freunde versuchen schon seit langer Zeit, ihn zu treffen.« »Und sie trafen ihn auf Kraupper!« »Ja. Sie wußten, daß er in Not war. Ich konnte nicht verhindern, daß er das Schiff verließ und in der Oase überwältigt wurde. Weil die Freunde fürchteten, mit Traktorstrahlen auf dem Planetenboden zerschmettert zu werden, landeten sie auf Manicaa. Dort ließen sie ihr Schiff zurück und tarnten sich in der RAUHREIF.« »Und Gosen starb, als er versuchte, das fremde Raumschiff zu starten«, knurrte mein Gegenüber. Ich wußte: das hatte Colemayn
nicht geplant. Er hatte nichts davon gesagt, daß es im Schiff eine Sprengschaltung gab. Oder …? »Weißt du, was der Grund war? Konnten unsere Leute nicht mit dem Schiff umgehen?« »Fraglich. Die Daila berichteten, daß das Schiff eine Runde über dem Mond flog, landete und dann zerfetzt wurde.« Also doch eine Selbstvernichtungsanlage, erklärte der Logiksektor. »Das wollten Atlans Freunde nicht, soviel kann ich sagen«, antwortete ich. »Sie halfen ihm bei der Todespflanze. Einer von ihnen zerstörte in seiner Aufgeregtheit die Gottheit des Ungeziefers. Es tut uns Bewahrern nicht sonderlich leid, aber die Vernichtung des Symbols bringt natürlich die Hüter gegen die Fremden auf und gegen jeden, der ihnen hilft.« »Deswegen bist auch du in gewisser Weise gefährdet«, stellte der Chef ruhig fest. »Wir werden dich schützen, wenn es sich herausstellt, daß du wertvoll für uns bist. Wie kommen wir an Atlan und das Schiff heran?« »Über mich.« »Ist mir klar. Welches Vorgehen?« Ich hatte mir die betreffende Scheinerklärung bereits zurechtgelegt. »Atlans Sternenschiff zog sich zurück. Er besitzt ein Rufgerät. Mir sagte er, daß sich das Schiffest dann wieder zeigen wird, wenn es für Mann und Gerät keine Gefahr mehr gibt. Der Traktorstrahl beispielsweise ist eine solche Gefahr.« »Und wie kannst du Atlan dazu bringen, für uns den Gegner zu finden?« »Indem ich ihn bitte. Er muß überzeugt sein. Er kennt so unendlich viele andere Planeten, daß es nicht leicht sein wird, ihn zu motivieren. Aber ich habe den Eindruck, daß er für Freunde alles tut.« »Das hört sich gut an«, meinte Dongola. »Wie kannst du Atlan treffen? Wo? In welcher Zeit?«
»Er ist in der RAUHREIF. Die RAUHREIF hat sich versteckt. Ich weiß, daß sein Schiff verloren ist, wenn Atlan stirbt. Er muß ganz sicher sein. Im Vertrauen: Er hält die Ideologie der übertriebenen Rücksicht auf jedes Vogelei auch für reichlich fragwürdig.« »Ich möchte mit Atlan sprechen«, sagte der Roboter übergangslos. »Das läßt sich eventuell arrangieren«, erwiderte ich. »Er wird einwenden, daß er sich nicht sicher fühlt.« Nun wußte ich, wozu die Bewahrer der Ungebundenheit die STERNSCHNUPPE brauchten. Dongola hatte seine Absichten sicher ehrlich auf den Tisch gelegt. Dem Roboter hingegen war keine Sekunde lang zu trauen. Er würde mich und meine Freunde in eine Zwangslage bringen, auch wenn die STERNSCHNUPPE wirklich wieder landete. Sie würde keinem Daila, keinem Kraupper und erst recht nicht dieser Maschine gehorchen. »Wir garantieren es ihm«, sagte Hyp-A-442. »Einem Roboter wird er nicht glauben. Er verhandelt nur mit mir. Ob ich dir glaube, weiß ich nicht«, sagte ich. Wenn es nur so einfach gewesen wäre! Den Roboter zerstören, dann die Bewahrer überzeugen, daß sie keineswegs einem göttlichen Wort gehorchten! Sie würden weder Gonozal, dem falschen Kraupper, noch dem echten Atlan glauben. Was wir brauchten, waren wirkliche Hyptons, die diese Beeinflussung wieder rückgängig machten. Ich sagte mir, daß es das beste war, mit Colemayn und den anderen an Bord der STERNSCHNUPPE möglichst schnell wieder den Planeten zu verlasen. Dein endgültiges Fazit? wollte der Logiksektor herausfordernd wissen. Ich hob den linken Arm und zeigte auf den Armbandkommunikator. »Morgen bei Sonnenaufgang ist die nächste Sprechzeit. Bis zu diesem Zeitpunkt hält sich Atlan verborgen. Er sagt, wir haben nicht die nötigen technischen Mittel, ihn und sein Schiffchen zu finden,
wenn er es nicht will.« »Das bestätige ich. Es stimmt«, gab der Chef zu. »Es scheint wirklich ein Krieger zu sein, der mit allen Ölen gesalbt ist.« Der Kraupper stand auf und fragte: »Du kennst die Anlage von diesem Inselbezirk nicht?« »Nein. Ich bin aus Hupishna am Blauwassersee.« »Ich zeige dir, wo du schlafen und dich erholen kannst. Ich werde mit den anderen Verantwortlichen beraten. Später sprechen wir beide. Ich bin überzeugt, daß uns dein exotischer Freund einen wertvollen Dienst leisten kann.« »Wenn er will.« »Wir werden ihn überzeugen!« Er drückte auf einen Schalter. Ein gleich großer Felsblock drehte sich und ließ eine lichterfüllte Treppe erkennen. Sie führte aufwärts. Dongola winkte mir und stieg neben mir die hölzernen Stufen hinauf. Auch hier waren die alten Handwerkskünste deutlich zu erkennen. Die Bewahrer hatten sich also nicht in allem von der Naturreligion entfernt. Wir verließen die Anlage auf der Rückseite eines Felsens, der wie eine Granitkanzel über dem sorgfältig gepflegten Park hing. Ein großes Viereck flacher, aus Naturmaterialien hergestellter Häuser breitete sich aus. Ein Bach floß in vielen Windungen durch die Anlage. Ich sah einige einfache Schweberoboter und einige Gestalten, die den Garten betreuten. Der Chef zeigte auf die goldgelben Balken eines mit Tonziegeln gedeckten Hauses. »Dort findest du alles, was du brauchst. Ich sage ihnen, daß sie sich um dich kümmern. Ich komme später nach.« »Alles wird sich zu unserer Zufriedenheit klären lassen«, sagte ich, dankte und grüßte Dongola. »Bis später.« Ich ging hinunter in den Park und schaltete den Kommunikator ab. Colemayn im Schiff hatte hoffentlich jedes Wort verstanden. Was würde jetzt geschehen? Langsam bewegte ich mich durch den sorgfältig gepflegten Park.
Wieder ein Beweis dafür, daß die Bewahrer der Ungebundenheit sich an ihre Religion erinnerten, die die Grundlage ihres Lebens bedeutete. Natürlich arbeiteten auch hier einige Daila mit mürrischen Gesichtern und schmutziger Kleidung. »Ihr habt gute Arbeit geleistet«, sagte ich, als ich an ihnen vorbeikam. Von einem Kraupper schienen sie kein gutes Wort erwartet zu haben. Sie waren überrascht. »Wenn man acht Jahre lang arbeitet, muß man schließlich etwas sehen!« murmelte einer von ihnen unterwürfig. Ich gab mich – als Kraupper – leutselig. »Wie kommst du auf acht Jahre?« fragte ich. »Das solltest du besser wissen als ich.« »Nehmen wir an, daß ich lange in der Fremde war, auf anderen Planeten«, meinte ich. »Was geschah damals?« »Seltsame Dinge passierten.« Ein anderer stellte seine halbautomatische Heckenschere zu Boden und erklärte ungefragt: »Vorher gab es euch nicht. Euch, mit den Uniformen und den lärmenden Maschinen. Die Insel war schön und grün. Ohne Antennen und Kraftstationen.« »Ich glaube nicht, daß ich mich erinnere«, wich ich aus. »Seit dieser Zeit gebärdet ihr euch wie Verrückte. Der halbe Planet wird verändert.« »Wißt ihr, wer die Technik-Anhänger beeinflußt hat?« erkundigte ich mich. »Es waren Fremde, die aus dem Weltraum kamen. Niemand erinnert sich mehr an diese Zeit. Alles vergessen.« Wie ich es vermutet hatte. Wie es sich immer wieder darstellte. Hätte ich nicht den Roboter der Hyptons gesehen, müßte auch ich annehmen, daß die Bewahrer aus eigener Erkenntnis glaubten und handelten. »Zu gegebener Zeit wird man sich an vieles erinnern müssen«, sagte ich und schlenderte weiter.
»Niemand wird sich daran erinnern, wie es früher war«, stöhnte einer der Gartenarbeiter. »Nicht einmal wir Daila.« »Ihr habt euch den falschen Planeten ausgesucht«, meinte ich bekümmert. »Vielleicht findet ihr ein Schiff, das euch auf einen guten Daila-Ausweichplaneten bringt.« »Auch daran glaubt niemand.« Ich ging weiter, öffnete in dem bezeichneten Gebäude eine Tür und sah mich zwei jungen Bewahrerinnen gegenüber, von denen die eine Guropa hieß. »Hyp-A, unser Berater«, sagte Guropa, »hat dich angekündigt. Du sollst dich wohl fühlen.« Ich lächelte sie knapp an. »Genau das habe ich vor.« Sie brachten mich in einen gemütlichen Raum, der vom Sonnenlicht durchströmt wurde. Ich öffnete das Fenster und wartete – wieder einmal. Flucht war sinnlos; nicht ehe ich mit Dongola und dem Robot gesprochen hatte. Natürlich wollten sie die STERNSCHNUPPE, aber ich hatte sie hoffentlich davon überzeugt, daß das Schiff ohne den Kommandanten für sie sinnlos war. Ein wenig ziellos öffnete ich Fächer und Schränke. Ich entdeckte in einem Fach Gläser und Flaschen und suchte, bis ich das Etikett jener Flasche entdeckte, deren Inhalt mir schon an Bord der RAUHREIF geschmeckt hatte. Ich schenkte mir ein Glas halb voll, setzte mich bequem und legte die Beine auf den Tisch. Selbst der Gedanke, in irgendeiner Form in den technischen Anlagen herumzuhasten und dort Sabotage zu betreiben, war abwegig. Ich war wieder einmal sicher, daß sofortige Flucht das einzig Sinnvolle war. Aber: keine Flucht ohne STERNSCHNUPPE und – Colemayn. Ich wartete, tief in Gedanken versunken, und ich hoffte, daß meine Verkleidung noch einige Zeit glaubhaft bleiben würde.
5. Einen Teil der Wand nahm ein bemerkenswert großer Bildschirm ein. Ich folgerte daraus und aus anderen beobachteten Einzelheiten, daß innerhalb von weniger als einem Jahrzehnt nach Kraupper die besten und wirkungsvollsten Techniken vieler hochentwickelter und raumfahrender Zivilisationen »importiert« und angewendet worden waren – von den Hyptons, den Ligriden, dem Göttergeschenk-Roboter und den anderen Maschinen. Ich betätigte nacheinander die Tasten und sah zu, wie sich das Bild aufbaute. Es war zu hell; ich zog die schweren, handgewebten Wollteppiche vor die Glascheiben. Über den Rand des Glases hinweg beobachtete ich die Sendung und versuchte, Gesetzmäßigkeiten zu erkennen oder brauchbare Informationen. Die Bilder und der Kommentar ermüdeten mich; sie zeigten eine Sendung, die offensichtlich nur auf die Bewahrer der Ungebundenheit zugeschnitten war. Sonnen und Sterne, erklärende Texte, eine Karte des Planeten mit den Stützpunkten oder Zentren der Techniker, eine modellhafte Raumschlacht gegen einen niemals genau geschilderten oder definierten Feind. Dann kamen aktuelle Nachrichten. Ich widmete ihnen mehr Aufmerksamkeit. Ich erfuhr praktisch nicht viel mehr als lokale Geschehnisse. Wie erwartet, ging es meistens um die Auseinandersetzung zwischen Hütern und Bewahrern. Ich gähnte, ohne die Darbietung aus den Augen zu verlieren. Irgendwann wurde die Tür geöffnet, und Dongola trat ein. Hinter ihm schoben sich sieben entschlossen dreinblickende, bewaffnete Kraupper mit gelben Uniformstreifen in den kleinen Raum. Sie bauten sich entlang der Wand auf. »Ich hoffe, du empfindest keine Langeweile«, sagte der Chef dieses Bezirks. »Mäßiges Interesse«, sagte ich. »Wie geht es weiter mit unserem
Vorhaben?« »Einfach. Du versuchst morgen früh, so zeitig wie möglich, Atlan hierherzubringen. Mit seinem Schiff. Dann findet eine Versammlung statt. Wir alle werden versuchen, mit deinem Freund klarzukommen.« »Einverstanden«, sagte ich und hob grinsend das Glas. Sie alle sollten ruhig denken, daß der Alkohol mir zusetzte. »Die Bewahrer der Ungebundenheit werden durch das Schiff und vor allem durch Atlans Kenntnisse und Fähigkeiten einen großen Sprung nach vorwärts tun.« »So wird es sein. Das ist es, was wir wollen. Später wird dich HypA besuchen.« »Er ist willkommen.« Ich prägte mir das Aussehen und die Gesichter der Bewaffneten ein. Ich hatte kein gutes Gefühl. Der planetengroße Stützpunkt der Hyptons war so gut wie fertig, und meine Unsicherheit nahm zu. Was wollten sie wirklich? Hatten sie ein Konzept, oder gehorchten sie ihren lautlosen, nachhypnotischen Einflüsterungen, ohne daß sie einen Sinn darin sahen? Vermutlich letzteres, sagte trocken der Logiksektor. Ich hob die Hand und blickte Dongola direkt in die Augen. »Ich glaube nicht, daß der Fremde Atlan jedes Versprechen glaubt. So wie ich ihn einschätze, ist er oft enttäuscht und verletzt worden. Er vermag sicher zwischen guten und falschen Freunden zu Unterscheiden.« Dongola nickte. Er nahm seine Aufgab wirklich ernst und schien nicht an Betrug oder abenteuerliche Betrügereien zu denken. Aber er bekam seine Befehle vom Hypton-Roboter, und ihm traute ich alles zu. Ja, ich setzte es geradezu voraus. Unwillig schüttelte Dongola seinen breiten, zerfurchten Kopf. »Mit mir hat er keine Schwierigkeiten. Ich will nichts anderes, als endlich wissen, wer uns bedroht. Sonst nichts.« Ratlos breitete ich die Arme aus.
»Ich kann nicht für Atlan sprechen. Morgen früh, bei Sonnenaufgang.« Ich trank das Glas leer und nahm die Beine vom Tisch. »Bis dann.« Mich störten die Blicke von mindestens vier der Bewaffneten, mit denen sie mich musterten, als der Chef mit ihnen zusammen den Raum verließ.
* Mich warnte ein Instinkt davor, mich auszuziehen und unter die Decken zu kriechen. Ich blieb weitestgehend angekleidet, flüsterte kurz ein paar Worte in das Mikrophon des Kommunikators und hoffte, daß jeder, der sie auffing, mit ihnen nichts anfangen konnte, abgesehen von Colemayn, dem Sternentramp. Die Liege stand unter dem weit offenen Fenster, und ich genoß die kühle Nachtluft. Natürlich schlief ich ein. Trotz meiner Ratlosigkeit hatte ich keinerlei Alpträume. Ich wartete einzig und allein auf die Mitteilung Colemayns oder Chipols, daß sich die STERNSCHNUPPE gemeldet hatte. Mein weiteres Vorgehen stand fest. Ich würde nach der Unterhaltung mit Hyp-A Colemayn anfunken. Mit der RAUHREIF sollten sie mich dann abholen, und anschließend würden wir mit allen Kräften nach meinem Schiff suchen. Anschließend stand nichts anderes auf dem Programm als der schnelle Abflug von Kraupper. Zweimal wachte ich auf. Aus dem Park hörte ich die Laute des Windes, der Nachtvögel und der Insekten. Hin und wieder summte ein Gleiter in geringer Höhe über die Anlage. Meine Gedanken und Überlegungen drehten sich träge um verschiedene Themen. Ich fühlte mich annähernd zufrieden und ausreichend sicher und schlief wieder ein.
Ich schreckte hoch und erkannte noch, daß es dunkel war. Eine Detonation dröhnte in meinen Ohren. Dann fühlte ich einen harten Schlag, der meinen Körper lähmte. Mein einziger Gedanke war, daß jemand mit einem Paralysator auf mich gefeuert hatte. Dann schwand der letzte Rest meines Bewußtseins.
* Es war kaum etwas anderes zu hören als das Rascheln und Tappen von Sohlen. Hin und wieder ertönten scharf geflüsterte Kommandos. Vier Männer schleppten zwischen sich einen schweren, bewegungslosen Körper. Handscheinwerfer blitzten kurz auf. Den Gestalten warf sich niemand in den Weg. Sie liefen im Eilschritt durch die Korridore. Ab und zu streckte sich aus der Dunkelheit ein Arm aus und öffnete eine Tür oder schloß sie wieder. Schalter wurden gedrückt, und metallene Schotte schoben sich auf und zu. Dann summte ein Gleitermotor. Ein zweiter sprang an. Wieder ertönten unterdrückte Worte. Ein schwerer Körper wurde in die Rücksitze geworfen. Ein Gleiter startete, ohne seine Scheinwerfer eingeschaltet zu haben. Die zweite Maschine folgte nach einigen Sekunden. Die Maschinen summten durch den Park, huschten durch die Baumwipfel und schwebten dann über flachem Land. Das Licht des abnehmenden Mondes schimmerte schwach auf den kantigen Formen der Maschinen. Sechs Männer und eine bewußtlose Gestalt befanden sich in den Fluggeräten. Die Gleiter verließen den kontrollierten Bereich der ausgedehnten Anlage und jagten über die Steppe hinweg. Das Ende der Insel war
ihr Ziel. Die Piloten vermieden die Nähe einer jeden Wachstation. Sie flogen weite Kurven um die kleinen Farmen und die Verarbeitungsbetriebe. Je weiter sie sich vom Mittelpunkt der Insel entfernten, desto leerer wurde das Land. Urwald bedeckte den südlichen Teil der Insel; die Blätter schüttelten sich im Fahrtwind, als die tropfenförmigen Maschinen dicht über die Baumwipfel dahinrasten. »Wir haben ihn!« »Der Auftrag ist erfüllt.« »Ich bin gespannt, was die Verhandlung ergeben wird!« »Ruhe! Wir können geortet werden.« Dann hörten die Unterhaltungen wieder auf. Endlich steuerten die Gleiter auf eine kleine Sandfläche zu. Verborgen zwischen kantigen Felsnadeln stand ein kleines, zylindrisches Raumschiff. Einige sorgsam abgeschirmte Tiefstrahler beleuchteten die Triebwerke und den Einstieg. Die Gleiter setzten rechts und links der Rampe auf. Die bewegungslose Gestalt wurde in die Höhe gerissen und ins Schiff geschleppt. »Fertig?« »Ja. Wir fliegen sofort zurück. Unsere Tarnung darf nicht bekannt werden.« »Viel Glück.« Sofort starteten die Gleiter wieder, flogen eine enge Kurve und jagten zurück in die Richtung des Nachrichtenzentrums der Bewahrer. Minuten später startete das Raumschiff. Es war eine alte, zuverlässige Konstruktion. Es stieg auf, richtete seine Spitze dann waagrecht und raste davon, dem südlichen Pol entgegen. Dort gewann es mehr und mehr Höhe und durchstieß unbemerkt von den planetaren Ortungsantennen die Atmosphäre Krauppers. Das Ziel war der Planet Schryffan, der vierte dieses Systems. Der Bewußtlose an Bord war Gonozal-Atlan.
* Aufwachen! Gefahr! Du bist entführt worden! dröhnte das Extrahirn in ständiger Wiederholung. Mein Schädel schien unter den Worten widerzuhallen. Ich öffnete die Augen. Schwaches Licht ließ Nietenreihen, Blech und abblätterndes Isoliermaterial erkennen. Ich lag auf einer harten Pritsche. Meine Beine und Arme waren mit breiten Gurten an den Rahmen gefesselt. Raumschiff! Im Weltraum! zischte warnend der Logiksektor. Ich schloß die Augen und versuchte, anhand der Geräusche festzustellen, wo ich mich befand. Nach einer Weile unterschied ich die typischen Geräusche, die in einem Raumschiff zu hören waren; in einem Schiff älterer Bauart. Ich rüttelte an meinen Fesseln. Sie schienen mehr dafür da zu sein, mich vor Verletzungen während der Startphase zu schützen. »Das war's«, murmelte ich fatalistisch. »Und wer hat mich entführt? Wozu?« Mein Vorstoß ins Zentrum der Bewahrer schien zu Ende zu sein. Da ich mich freiwillig den Bewahrern gestellt hatte, auch in der Maske eines Krauppers, war es schwer denkbar, daß mich die Bewahrer entführt hatten. Also befand ich mich in der Gewalt der Hüter des Chlorophylls. Hatten sie meine Maske durchschaut? Unwahrscheinlich. Vermutlich hielten sie mich einfach für einen Verräter und einen Freund jenes Fremden, der die Gottheit des Ungeziefers vernichtet hatte. Du solltest mit dem Schlimmsten rechnen, warnte der Logiksektor. Du hast den Fanatismus der Hüter kennengelernt. Kaum hatte ich diese Gedanken verarbeitet, flammte das Licht auf. Die Kabine war gepflegt, aber heruntergekommen. Zwei Männer und eine junge Frau mit verschlossenen, humorlosen Gesichtszügen
standen in der Zelle. Schon auf den ersten Blick erkannte ich, daß es sich um Hüter handelte. Ihre Kleidung bewies es. »Du bist Gonozal, der Freund des Weißhaarigen!« sagte die Frau. Es war keine Frage, sondern eine knappe Feststellung. »Ich bin der Freund von Mondsohn Dyodor und leider euer Gefangener«, gab ich zurück. »Warum habt ihr mich entführt?« Wieder kam aus dem unbekannten Hintergrund meiner Erinnerung die Niedergeschlagenheit zurückgekrochen. Ich hatte sie verdrängt, nicht aber besiegt. Nichts konnte ich mir weniger leisten als Depressionen. »Du hast jenem Atlan geholfen.« »Auch Dyodora hat ihm geholfen. Auch sie vermag nicht einzusehen, warum ein Freund in den Rachen einer fleischfressenden Pflanze geworfen werden soll.« »Ihr habt eine Reihe von Verbrechen wider die Natur begangen. Dafür werdet ihr bestraft. Vorläufig haben wir nur dich in unserer Gewalt.« »Ihr seid zügellose Fanatiker!« bemerkte ich. »Wir sind Puristen, wenn wir an die Naturreligion denken. Sie wird seit langer Zeit unentwegt geschändet.« »Am meisten von den Krauppern selbst, von den Bewahrern«, sagte der Mann mit dem Steinbeil im Ledergürtel. »Und jeder Versuch, die beiden Gruppen zu versöhnen, muß scheitern. An eurer Sturheit nämlich. Was habt ihr beschlossen? Was geschieht mit mir?« »Deportation und Gefangenschaft bis zur Läuterung.« »Was bedeutet das im einzelnen?« »Gefangenschaft auf Schryffan. Fronarbeit zusammen mit anderen Ausgestoßenen.« »Ich verstehe«, bemerkte ich bitter. »Und zur Durchsetzung eurer Strafen benützt ihr die verfemte Raumfahrttechnik der Bewahrer.« »Es gibt keinen anderen Weg. Wir starten und landen umweltfreundlich.«
»Wie schön.« Jetzt kannte ich mein Schicksal. Meine Maske war noch nicht durchschaut worden. Zusammen mit anderen Verbrechern wider die Religion und den ausgestoßenen Daila würde ich auf dem vierten Planeten schuften müssen. Dies bedeutete keine unmittelbare Gefährdung des Lebens, aber ich konnte ab jetzt jeden Gedanken an eine Änderung der Verhältnisse auf Kraupper für alle Ewigkeiten vergessen. »Dann bist du mit dem Urteil einverstanden?« fragte die Frau hart. Ich versuchte ein Lächeln. »Bleibt mir etwas anderes übrig?« »Nein. Nichts.« »Warum dann deine Frage?« »Eine notwendige Formalität. Rechne damit, daß es bis zu deiner Läuterung viele Jahre dauern kann.« »Ich rechne mit dem Schlimmsten«, sagte ich. Vermutlich hatten sie Erschrecken, Zerknirschung und Winseln um Gnade erwartet. Aber ich rechnete mit Colemayns Entschlossenheit und mit der STERNSCHNUPPE. Und meine Sorge um Mrothyrs Zustand war nicht geringer geworden. »Wann landen wir?« fragte ich, und fügte hinzu, um die Fanatiker zu ärgern: »Ich bin euch gern bei der Landung behilflich.« »Das können wir selbst.« »Wir landen in ein paar Stunden. Dann ist für dich ein Lebensabschnitt beendet, der von Verstößen gegen ein rechtes, gesetzgewolltes Leben gekennzeichnet wurde.« »Zu gegebener Zeit wird sich auch dies ändern«, meinte ich prophetisch. Ich lehnte mich wieder zurück und schloß die Augen. Die folgenden Stunden vergingen schnell, obwohl ich gegen meine Gedanken und die lauernde, drohende Melancholie kämpfte. Beides machte mich handlungsunfähig und entschlußunwillig, und genau das konnte ich nicht brauchen.
* Ich wußte so gut wie nichts über die Lebensumstände auf dem vierten Planeten. Aber aus den heulenden, donnernden und gurgelnden Geräuschen, die durch die Bordwände hereindrangen, aus den stärker werdenden Vibrationen schloß ich, daß Schryffan eine Atmosphäre besaß. Das alte Raumschiff rumpelte förmlich dem Landepunkt entgegen. Die Teile der Kabineneinrichtung schwankten und federten. Ich wurde auf der Pritsche herumgeschleudert, aber die breiten Gurte verhinderten, daß ich zu Boden krachte. Dann setzte das Schiff auf, federte drei-, viermal schwer in den Landestützen und kam mit einem knirschenden Krach zum Stehen. Zwei Bewaffnete befreiten mich von meinen Fesseln. Ich kam auf die Füße und fragte: »Keinen Raumanzug? Habt ihr Frischluft auf Schryffan?« »Nein. Für alles ist gesorgt.« »Ihr macht mich neugierig.« Über eine rostige Metalltreppe ging es abwärts. Alle Räume waren so klein und eng, daß der Gedanke an Gegenwehr oder Flucht erst gar nicht aufkam. In einer zerbeulten Schleuse bekam ich eine Gesichtsmaske. Sie bestand aus Ohrstopfen, einer eng anliegenden Brille und einem Vorratsgerät samt Filter. In einer kugelförmigen Druckpatrone befand sich wohl komprimierte Atemluft von Kraupper. »Hinaus, Gonozal. Die Verbannten warten schon auf euch.« Hinter mir verließen sieben oder acht andere Kraupper das Schiff. Ich gewöhnte mich schnell an die Maske und schaute mich um. Es war heller Tag – für den vierten Planeten: die Sonne Evdam-Tur stand wie ein auffallend großer Stern über einem trostlosen Talkessel. Ich sah zu meiner Überraschung, daß über dem gesamten Tal eine Konstruktion aus Folie und offensichtlich steinernen
Pfeilern gespannt war. »Weiter!« Vom Schiff führte eine verwahrloste Treppe abwärts. In diesem Teil der Abdeckung befanden sich Tore und riesige Teile von grob ausgeführten Mauern. Dahinter sah ich grüne Pflanzen. Ein kreischender Schiffskran schwenkte versiegelte Ballen und Kisten abwärts. Eine lange Schlange von Frauen und Männern in Lumpen und zerschlissenen Uniformen schleppte die Last aus dem Laderaum durch schleusenartige Türen abwärts. »Schneller!« Es war der Beginn eines grausigen Traumes. Die Hüter des Chlorophylls versuchten etwas, das keinen Erfolg haben würde, weil sie mit einer Technologie operierten, die der Aufgabe keineswegs gewachsen war. Ich ging in der Reihe der anderen Ausgestoßenen hinunter, tauchte durch einen zerfledderten Folienvorhang und kam in das abgeschirmte Tal hinein. Die Rampe führte in einer Spirale abwärts zu einer Wohnanlage, die in einen Hang hineingebaut war. An jeder denkbaren Stelle befanden sich gemauerte Behälter. Sie waren voller Erde, irgendwelcher unbekannter Materiahen und vergleichsweise großer, grüner Gewächse mit vielen Blättern. Wieder bekam ich einen Stoß in den Rücken. »Hinunter!« Als wir die unterste Ebene der Schlucht erreicht hatten, wußte ich mehr. Es war die Version eines neuen Paradieses für die Hüter des Chlorophylls. Jeder verfügbare Platz in den unendlichen Reihen der gemauerten Terrassen war voller Setzlinge in unterschiedlichen Größen. Ein riesiger, nutzloser Versuch in Landschaftsgärtnerei. Ich nahm meine Maske ab und schloß den primitiven Hahn der Druckkugel. Zwei Daila kamen auf uns zu. Sie schienen das Empfangskomitee zu sein. »Das Wort .Willkommen' klingt an dieser Stelle nicht gerade
positiv. Aber wir alle haben keine Wahl.« »Vorläufig habe ich vor, euch zu helfen«, sagte ich. »Allein schon deswegen, weil die Gemeinschaft der Verurteilten, Ausgestoßenen und so weiter dem einzelnen keine andere Wahl läßt. Wie habt ihr es geschafft, hier eine atembare Luft zu erzeugen?« »Mit Hilfe der vielen Pflanzen.« »Ein Sturm, ein Meteoreinschlag oder nur ein bißchen Materialermüdung«, meinte ein anderer Verbannter, »oder eine falsche Landung dieses rostigen Raumschiffs, und alles ist hin! Und wir auch.« »Du sagst es, Kumpel«, bemerkte ich und versuchte, die Trostlosigkeit ringsum im richtigen Licht zu sehen. »Die Gashülle draußen ist mäßig aggressiv. Ohne Maske kann man einige Minuten überleben. Wir haben keine andere Wahl, als zu arbeiten. Anders überlebt keiner von uns.« Wir bildeten eine lockere Gruppe. Jeder strahlte tiefste Niedergeschlagenheit aus. Uns Neuankömmlingen wurden zwei Räume zugewiesen; fensterlos und mit einer Folientür wegen der fragwürdigen Sicherheit, mit einer Entlüftung, die aus einer von innen verschließbaren Klappe bestand. Ölschalen brannten mit winzigen Flammen. Das Öl stammte aus gepreßten Nüssen, deren trockenes Mark als Nahrungsmittel diente. Hier lebten mehr als vierhundert Daila und andere Ausgestoßene. Bevor ich die Tür schloß, packte ich einen Daila am zerrupften Ärmel und fragte: »Gibt es hier eine Funkanlage?« »Nur eine automatische Station. Sie sendet Peiltöne für die seltenen Raumschiffe aus.« »Außerhalb des Tales«, fragte ich bedrückt. »Kann gar nicht anders sein.« »Richtig. In der Nähe des Landeplatzes.« »Ich habe verstanden. Also … fangen wir an, uns das Abendessen zu verdienen. Los! Was sollen wir tun, Daila?«
»Seht ihr das Gerüst?« Er zeigte auf den massigen Stumpf eines Pfeilers, der etwa siebenhundert Meter entfernt war. Dort reckte sich ein Gerüst in die stickige, feuchte Luft, zusammengesetzt aus abenteuerlichen Stangen, Planken und Riemen, Lianen und steinernen Bruchstücken. »Schwer zu übersehen.« »Geht dorthin und helft ihnen. Wie gesagt«, schilderte der alte, weißhaarige Daila mit hoffnungsloser Stimme, »niemandem bleibt etwas anderes übrig. Wenn ihr Fragen habt – hier weiß jeder dasselbe.« Wir deponierten die Masken in den karg ausgestatteten Räumen und gingen zu den Frauen und Männern, die am Sockel einer neuen Stützsäule arbeiteten. Je mehr ich von dieser größenwahnsinnigen Anlage sah, desto mehr wunderte ich mich: die Notwendigkeit zu überleben zwang die Ausgestoßenen dazu, unentwegt neue Techniken zu entwickeln. Zement konnten sie nicht herstellen, weil dazu Feuer, Hitze und Sauerstoff notwendig waren, also klebten sie jeden Stein auf den anderen. Die Säule wuchs um mehrere Handbreit, bis wir dort eintrafen. Wir nannten unsere Namen, schilderten kurz unsere Verbrechen und wurden in der Schicksalsgemeinschaft schweigend akzeptiert. Man drückte uns Werkzeuge von schwer überbietbarer Primitivität in die Hände, und wir fingen zu arbeitan an. Drei seltsame Tage lang. Die Tage und Nächte waren um mindestens sechs Stunden kürzer als auf Kraupper. Im Tal existierten seltsame Maschinen und Geräte, die dem Einfallsreichtum der deportierten »Bewahrer« entstammten und zum geringsten Teil den Ausrüstungsgegenständen, die aus dem Raumkreuzer der Hüter kamen. Sie erzeugten durchaus reines Trinkwasser und verwandelten das Brauchwasser in Dünger und in Feuchtigkeit für die Pflanzen. Riesige Windflügel, die sich ununterbrochen in der aufsteigenden Warmluft über unseren Quartieren knarrend und quietschend drehten, betrieben gurgelnde
Pumpen. Ich fand zwei wagemutige junge Männer und versuchte, eine Serie von Einzelteilen zu finden oder herzustellen. »Was hast du vor? Oder besser: warum wollt ihr euch umbringen?« erkundigte sich der alte Daila, der eine Führerrolle innehatte. »Ich bin entschlossen, diesem Spektakel hier ein Ende zu bereiten. Dazu brauche ich das Funkgerät der Hüter.« Er begriff und antwortete nach langem Zögern: »Wenn ihr schnell seid, dauert es eine halbe Stunde bis zum Sender. Eine halbe Stunde Rückweg. Wie lange es dauert, die Anlage aufzubrechen und mit diesen Teilen«, er zeigte auf das Sortiment von handgemachten Schaltern, Klemmen und Werkzeugen, »zu verändern, kann niemand ahnen. Eine volle Maske bringt eine Viertelstunde, nicht mehr.« »Wenn du uns helfen willst, sammle Masken. Wir bringen sie alle wieder zurück – leer!« sagte ich. Nur mit ununterbrochener Arbeit und der Entschlossenheit, zu fliehen, hatte ich meine Depressionen einigermaßen erfolgreich bekämpfen können. Ich mußte die STERNSCHNUPPE oder Colemayn erreichen, und zumindest vom Sternentramp wußte ich, daß er nach mir suchte. »Ich weiß, daß euch niemand zurückhalten wird!« meinte Ongalro, aber im enttäuschten Verhalten des Daila gab es keine Veränderung. Er schien, wie die meisten Talbewohner, mit seinem Leben abgeschlossen zu haben. »Das weiß ich.« Wir bettelten uns Kleidungsstücke zusammen, verschiedene Schnüre und andere Hilfen. In der freien Zeit rannten wir vor die letzte Öffnung in der Sperrmauer und versuchten, jeden Schritt unseres Weges genau zu analysieren. Wir brauchten schließlich einen halben Tag, um uns zu entscheiden. Die kalte, ferne Sonne war gerade über den reifbedeckten Bergen aufgetaucht. Noch immer hielt meine Maskerade. Ich hob meine
Atemmaske hoch und schärfte meinen beiden Mitstreitern ein letztesmal ein, was sie zu tun hatten. »Wir schaffen es«, sagte Tortov. »Keine Sorge. Wenn du den Rest in Ordnung bringst?« »Ich brauche nur Zeit«, antwortete ich. »Und natürlich Glück. Von beidem reichlich.« »Gehen wir«, meinte Yulino und setzte seine Maske auf. Die Preßluft zischte in den Atemraum. Wir öffneten den breiten Klebestreifen der Folie und sprangen nacheinander hinaus in die Kälte der feindlichen Atmosphäre. Über einen fast unkenntlichen Pfad rannten und kletterten wir auf einen rostigen Würfel zu, dessen Farbanstrich fast völlig abgeblättert war. Daneben stach der Mast in die Höhe, der einen schalenförmigen Reflektor an der Spitze trug. Hundert Schritte lang spürten wir nichts. Dann sickerten die Kälte und das stechende Gasgemisch durch die Kleidung. Wir hatten sie mit Laub und Lumpen ausgepolstert und an vielen Stellen verschnürt. Das Luftpolster war wichtig; es schützte uns zumindest eine Weile. Geröll klirrte kalt unter unseren Sohlen. Wir rutschten im Sand aus, und die Reservemasken klapperten auf unseren Schultern. Ich atmete die abgestandene Preßluft, schwang mich an der Spitze unserer Gruppe auf eine Steinplatte und rannte mit langen Schritten schräg abwärts. Bisher hatten wir uns auf Gebiet bewegt, das wir von unserem Aussichtspunkt her kannten. Jetzt federte ich hinunter in eine schmale Schlucht. Sie war mit feinem Kies gefüllt. Ich rannte, als ginge es um mein Leben. Noch immer hatte ich genügend Luftvorrat. An meinem Gürtel klapperten die Werkzeuge und die Ersatzteile. Am Ausgang der felsigen Schlucht, die sich mit einem gelblichen Nebel zu füllen begannen, drehte ich mich herum und sah, daß Tortov und Yulino mir gefolgt waren. Halte dich nicht unnütz auf, warnte der Logiksektor. Ich winkte kurz und spurtete weiter. Ich konzentrierte mich
darauf, den Zeitpunkt nicht zu versäumen, in dem ich die Maske wechseln mußte. Große Steinplatten, die lose übereinander lagen und bei jedem Tritt schwankten, lösten das Geröll ab. Ich balancierte weiter und sah Schritt um Schritt den Würfel und das Rohr des Antennenmastes größer werden. Hoffentlich, sagte ich mir, waren die Schlösser oder Riegel der automatischen Station ebenso verrottet wie die Außenschichten. Jetzt kam eine Schicht aus dunklem Sand, an deren gegenüberliegendem Ende zwischen wuchtigen Steinblöcken die Station sich in eine Vertiefung duckte. Noch immer reichte mein Luftvorrat. Ich erreichte den Metallcontainer, stützte mich einige Sekunden lang an die Seitenwand und suchte die Oberfläche nach Klappen, Öffnungen oder irgendwelchen Schrauben ab. Ich entdeckte drei deutlich markierte Deckel, die mit Flügelschrauben verschlossen waren. Die zwei Helfer kamen näher. Ich packte die erste Schraube, die etwa halb handgroß war. Sie bewegte sich nicht. Ich zog den Steinhammer aus dem Gürtel und führte gezielte Schläge gegen die Metallteile. Sie bewegten sich langsam. Als die Kameraden den Sender erreichten, schienen sie begriffen zu haben, was sie tun mußten. Auch sie versuchten, die Klappen zu öffnen. Die Zusammensetzung des Gases machte aus dem wuchtigen Schlägen unwirklich helle, weithin klirrende Geräusche. Die letzten Windungen der Schrauben führte ich mit den Händen aus. Die Kälte biß durch die dünnen Handschuhe. Nacheinander schlugen die Schrauben in den Sand. Ich bückte mich und sah, daß verschiedene Kabel und Schaltkästen unterschiedlicher Größe und Farbe in diesem Hohlraum zugänglich waren. An dieser Stelle, das begriff ich nach ein paar Sekunden, konnten wir nur zerstören, aber nicht manipulieren. Ich richtete mich auf und fühlte ein erstes Schwindelgefühl.
Die Luft! mahnte der Logiksektor. Mit fliegenden Fingern löste ich den Knoten, der die nächsterreichbare Maske an dem Band hielt. Ich hob sie hoch, drehte den Ventilhahn auf und sah, wie sauerstoffreiche Luft in das atmosphärische Gas hinaus pfiff. Ich wechselte die Masken aus. Das flexible Material der zweiten Maske war eiskalt, und die ersten Atemzüge lösten einen Hustenanfall aus. Mittlerweile hatten auch die zwei Kraupper die Fächer geöffnet. Ich lief zu ihnen hinüber und spähte in die Vertiefungen hinein. Das größere Loch in der Verkleidung befand sich vor einem Montageschacht. Ich unterschied eine Reihe von kastenförmigen Elementen, die wie Energiezellen mit je zwei Polen aussahen. Du bist richtig, unterstrich der Extrasinn meine Überlegungen. Ich schob die Kameraden zur Seite, machte die verabredete Geste und schmetterte meinen Hammer gegen die Verkleidung eines Sammelschalters. Sie splitterte herunter. Es ging noch einfacher, als ich gedacht hatte. Die Gefahr, daß die Hüter mit dem Raumschiffsfunk mein Signal ebenfalls empfingen, war groß, aber dagegen konnten wir nichts tun. Ich nahm ein kleineres Werkzeug, das aus Holz und bronzeähnlichem Metall bestand. Als ich es über die Pole der Sammelschaltung preßte, zuckten prasselnde Blitze auf. Hoffentlich war das Funkgerät der RAUHREIF besetzt! Hoffentlich hörte die STERNSCHNUPPE so aufmerksam zu wie bisher! Im einfachen Zeichenalphabet morste ich: 4 ter planet / schryffan /atlan abholen / schnellstens / dringend Jedes Zeichen löste weitere Funkenbündel aus. Ich war einigermaßen sicher, daß diese Störungen über den Sender der Anlage gingen. Eine Möglichkeit, den Erfolg unmittelbar zu kontrollieren, hatte ich nicht. Aber ich hatte noch Zeit. Ich legte eine Pause ein, hob die Hände und machte den Kameraden Zeichen, daß ich die Lage optimistisch beurteilte, und
daß sie ihre Masken wechseln sollten. Dann wiederholte ich einen Teil der simplen Botschaft. entführt / achtung / hueterschiff / schnellstens / 4. planet ruft Sternschnuppe / abholen atlan Als ich meinen Oberkörper wieder aus dem Schacht zog, sah ich, daß die zwei Kraupper die Masken ausgetauscht hatten und wartend dastanden. Ich packte einen bei der Schulter, zeigte auf die Sperrmauer des Tales und gab ihm einen aufmunternden Stoß. Er begriff und rannte in mäßigem Tempo los. Meine Absicht war, daß er uns auf den letzten Metern half, falls wir in Schwierigkeiten gerieten. Einige Sekunden lang schwankte ich, ob ich ihm folgen oder weitermachen sollte. Der Luftvorrat war überaus großzügig bemessen – ich entschloß mich, noch eine Botschaft abzuschicken. Auch daß ich ein Schiff der Bewahrer anlockte, hatte ich einkalkulieren müssen. Abermals ein Faktor, der mich niedergeschlagen stimmte; also überwand ich diese kurze Phase, indem ich handelte. ruf an Sternentramp und Sternschnuppe / dringend / arkoniden suchen und abholen /schnell /peilsender auf 4. planeten schryffan / ende Dann nahm ich den Kraupper am Arm, und zusammen liefen wir los. Wir blieben in unserer eigenen Spur, die sich deutlich in den reifbedeckten Steinen abzeichnete. Sandfläche, schwankende Steinplatten und der dichte Nebel in der Felsenschlucht folgten aufeinander. Wir tasteten uns entlang der schartigen Wände, kletterten aufwärts und befanden uns dann wieder auf dem Pfad. Fünfzig Schritte vor der Folie stand Yulino und winkte uns. Einmal schob mich der Kraupper, dann streckte ich den Arm aus und zog ihn zu mir heran. Wir erreichten, ohne die Masken wechseln zu müssen, den wartenden Kameraden. Er stützte und als wir nahe der Entladerampe der Raumschiffsplattform auf die Mauer zuliefen und mit den Schultern gegen den Stein prallten. Dann öffnete sich die Folie. Wir taumelten in den feuchtwarmen Brodem hinein und
rissen die Masken von den Gesichtern. Die abgestandene, aber sauerstoffreiche Luft brannte in unseren Lungen. Die Wärme prickelte auf der Haut. Das Gas, das wir in der Kleidung hereingeschleppt hatten, verflüchtigte sich und stank fürchterlich. Eine kleine Gruppe nahm uns in Empfang, aber keiner jubelte. Nur in einigen Gesichtern sahen wir die ersten Anzeichen einer neuen Hoffnung. Ich zog die Handschuhe aus und sagte zu Ongalro: »Wir haben getan, was wir konnten. Es kann sein, daß sich die Ereignisse jetzt überstürzen.« »Ich fürchte, daß jeder Zwischenfall uns nur schaden kann, aber nicht nützt.« »Da bin ich anderer Meinung«, murmelte ich und merkte, daß meine Knie zitterten. Langsam wankten wir hinunter in unser Wohnquartier, während wir auf die Fragen bereitwillig Antworten gaben. Die Sonne, inzwischen fast in der Mittagsstellung, strahlte durch die Folie und traf die Blätter der hellgrünen Pflanzen. Ich spürte die Anstrengungen und merkte, daß der Zellschwingungsaktivator warme, pulsierende Strömungen durch meinen Körper schickte. Ich setzte mich schwer auf meine Pritsche und sagte: »Ich muß ein paar Stunden Ruhe haben. Ich will mich nicht vor der Arbeit drücken, Ongalro. Sagt es mir sofort, wenn sich ein Schiff nähert.« »Schlafe ruhig. Ob dieser Wald einen Tag früher oder später fertig ist, spielt keine Rolle.« Ich zerrte die ausgestopfte Kleidung von meinem Körper, streckte mich aus und zog die dünne Decke über mich. Plötzlich schüttelte mich ein eiskalter Anfall wie vor dem Ausbruch eines Fiebers. Wieder einmal war ich an einem Punkt angelangt, der mein Ende bedeuten konnte. Meine Möglichkeiten, mich dagegen zu wehren, waren auf steinzeitliche Waffen beschränkt. Ich begann den Augenblick zu verfluchen, an dem ich beschlossen
hatte, die Koordinaten von Kraupper anzufliegen.
6. Ideologien verhalten sich zum wirklichen Leben wie die Beschreibung eine sguten Getränks zum Getränk selbst. Nirgendwo habe ich das so nachdrücklich erleben müssen wie auf Kraupper, der Welt der beiden Extreme. Im Namen des Gesetzes und/oder der Religion betreiben die Planetarier eine Prinzipienreiterei, die zwar galoppiert, aber niemandem nützt. Verbohrtheit ist Gesetzestreue! Unwissen ist Verbrechen! Vernunft ist Chaos! Und, wieder einmal stecken Atlan und ich mitten darin. Aber … wo ist Atlan? (Colemayns Sternentagebuch)
* Nach den vielen Jahren des Alleinseins, der langen Reise durch unterschiedliche Gegenden des Universums, nach der Sorge um Atlan und den Anfällen meiner mir durchaus bekannten, aber dennoch lästigen Krankheit – nach all diesen Widrigkeiten war Dyodora die exzellenteste Abwechslung und Medizin, die ich alter Planetenwanderer mir wünschen konnte. Ihre Zuneigung, körperlich wie geistig, war süperb. Ich genoß jede Minute, in der ich mit der schwarzhaarigen Tochter Mondsohns zusammen sein konnte. Ihr ging es nicht anders; abgesehen von einem kräftigen Schluck Alkohol war ich das erste außergewöhnliche Erlebnis ihres jungen Lebens. Ich besaß den unersetzlichen Vorteil, kein Kraupper zu sein. Mit mir konnte sie sprechen wie mit einem unsichtbaren Götzen oder einem imaginären Bruder. Dennoch ließ die kleine Mannschaft der RAUHREIF keine Sekunde in ihrer Aufmerksamkeit nach. Wir hörten die erste Unterhaltung des perfekt getarnten Atlan in der Bewahrer-Zentrale
mit. Wir wechselten, nachdem er wieder allein war, mit ihm einige Worte, und am Ende der Nacht erlebten wir bruchstückhaft mit, wie Atlan überfallen und verschleppt wurde. Einige Minuten später war die RAUHREIF gestartet, verfolgte den Kurs der Gleiter und den Start des Raumschiffs mit. Ich wandte mich an meine bunt zusammengewürfelten Raumfahrer-Kameraden und sagte: »Der Kursrechner meint, daß sie Atlan auf den vierten Planeten, nach Frustfrost, bringen.« »Nach Schryffan also. In das Tal der Verbannten!« flüsterte die unvergleichliche Dyodora. Ich schloß grimmig: »Bis er dort gelandet und untergebracht ist, denn sein Leben werden sie nicht antasten, handeln wir hier. Diesmal keine Plänkeleien, Freunde. Colemayn ist gesund, entschlossen und sehr wirkungsvoll.« »Hoffentlich, Kileimeinn!« kreischte Tuffelsyt. Er sah es wieder als seine Aufgabe an, Atlan zu suchen, zu finden und in ein günstiges Verkaufsangebot umzuwandeln.
* Schlagartig war Colemayns Gesichtsausdruck ernst geworden. Er blickte sich in der Raumschiffskabine um und deutete auf Dyodora. »Schluß mit dem guten Leben«, sagte er in ebenso ernstem Tonfall. »Ich habe eine Reihe von Fragen.« »An mich?« fragte die Kraupperin. Sie war über den jähen Stimmungswechsel ihres Geliebten erschrocken. »Ja. Du kennst den Planeten am besten. Wie viele Raumschiffe haben die Hüter des Chlorophylls?« »Nur eines. Einen uralten Frachter. Er ist normalerweise sorgfältig versteckt.« »Also nicht schnell, kaum bewaffnet und nicht von ausgebildeten
Raumfahrern gesteuert?« »Mit Schiff und Mannschaft würde ich keine Raumschlacht riskieren«, erklärte Dyodora schulterzuckend. »Raumfahrt auf Kosten der Natur widerspricht unserem Ethos.« »Keine Vorträge, bitte«, sagte der Sternentramp hart. »Wie viele Raumschiffe haben die Bewahrer der Ungebundenheit?« Auch jetzt brauchte Dyodora nicht lange zu überlegen. Sie begann an ihren Fingern abzuzählen. »Ein Dutzend Frachter. Sie sind auf drei Raumhäfen verteilt. Keiner davon liegt in unserer Nähe. Nicht mehr als zwanzig Jachten, so ähnlich wie dieses kleine Raumschiff. Sie können an jedem Platz des Planeten starten und landen. Die vier schweren Schlachtschiffe befinden sich noch in den Docks, sind also noch nicht fertig geworden. Sie sind ein Teil der abwegigen Strategie der Bewahrer …« »Schon gut. Also können uns nur kleine Schiffe gefährlich werden«, bestimmte Colemayn barsch. »Wir starten. Tuffelsyt und Chipol – ihr werdet mir helfen müssen.« »Einverstanden. Wir greifen sofort an.« Die RAUHREIF flog auf die Insel zu, von der Atlan fortgebracht worden war. Sämtliche Ortungsschirme waren eingeschaltet. Während des Fluges manipulierte Colemayn mit den beiden kleinen Geschützen und mit dem Projektor des Traktorstrahls. Sein Ziel war hoch angesetzt. Er wollte mit dem Roboter der Hyptons verhandeln. Wie das vor sich gehen sollte, war ihm völlig unklar. Er hoffte, mit etwas Glück und viel Improvisation durchzukommen. Er instruierte seine Helfer. »Ich habe die Geschütze genau eingepegelt. Ihr beobachtet rechts und links die Szenerie. Wenn uns jemand angreifen will, macht ihr es unmöglich. Ich will keine Verletzten oder gar Toten.« »Verstanden! Endlich, wie früher«, schrie der Pharster mit seiner durchdringenden Stimme. »Wir sind noch nicht gesehen worden«, sagte Dyodora. Sie kauerte
auf dem Notsitz und kontrollierte die Ortungsschirme. Ab und zu zeigten sich am äußersten Rand der Sichtfelder kleine Echos. Es war nicht auszumachen, ob andere Schiffe die RAUHREIF suchten, oder ob es sich um normale Flugbewegungen handelte. »Recht so. Könnten wir auch nicht brauchen«, knurrte Colemayn. Der Berater der Bewahrer, Hyp-A, war eine Schlüsselfigur. Auch wenn er eine besonders gute und selbständig arbeitende Maschine war – er blieb ein Robot mit allen Nachteilen und Vorteilen. Colemayn kannte beides ausreichend. Das Problem war, die Maschine aus dem unterplanetarischen Versteck herauszulocken. »Hört zu!« sagte Colemayn drängend. »Natürlich haben sie einen Kraupper namens Gonozal entführt. Atlan ist für die Bewahrer noch hier, in diesem Raumschiff. Ich werde seine Stimme sein. Ohne Bild, klar?« »Klar.« Die RAUHREIF näherte sich der Insel. Im ersten Licht der aufgehenden Sonne breitete sich die Strandlinie mit ihren herrlichen Buchten aus. Dyodora wollte ihren neuen Freunden wieder eine glühende Schilderung der Schönheiten Krauppers geben, aber Colemayn winkte nach den ersten Worten ab. Colemayn steuerte direkt auf die Gebäude zu, die sich im Schutz von Felsen und im Wald halb verborgen noch in den langen Schatten zu verstecken schienen. Die Geschwindigkeit nahm ab; die RAUHREIF kurvte auf einen großen Innenhof zu. Seine Lage war von Gonozal-Atlan geschildert worden. Die Funkanlage wurde aktiviert. Leise murmelte der Sternentramp, offene Verwunderung zeigend: »Sie scheinen ihr Wort zu halten. Kein Abwehrfeuer, keine Waffen, die sichtbar auf uns gerichtet sind.« Die Laderaumklappen schoben sich zurück. Summend erwachte die Traktorstrahlanlage zum Leben. Der Projektor schwenkte auf und ab. Die Knöpfe der Regler lagen nahe der Nullschaltung. »Nicht anrühren. Das mache ich«, sagte Colemayn, bog das Mikrophon vor seine Lippen und blickte seine Gefährten reihum an.
Er holte tief Luft und sagte: »Hier spricht der Fremde. Wir haben Wort gehalten und sind hier. Mir wurde versprochen, daß der Chef Hyp-A-Viervierzwei mit mir spricht. Ich bitte um Antwort. Hier spricht Atlan.« Er brauchte nicht lange zu warten. Aus sämtlichen Eingängen der Anlage kamen Kraupper gerannt. Fast alle waren vollständig angezogen und bewaffnet. Sie bauten sich entlang der Mauern auf, aber sie hatten Befehl, nichts zu unternehmen. Der Roboter handelte mit erwarteter Schnelligkeit. »Hier spricht Hyp-A-Vierhundertzweiundvierzig«, sagte er mit unverkennbar klarer Maschinenstimme. »Du bist Atlan?« »Ja. Und meine Zeit wird knapp. Wir sollten uns bald einig werden!« »Das ist auch meine Absicht. Eröffnen wir den Dialog.« »Eröffnen wir. Eine Einschränkung bitte. Ich bin nicht ganz gesund. Ich sehe schrecklich aus und bitte um Verständnis, daß ich mich nicht zeige.« »Diese Einschränkung habe ich nicht.« Die RAUHREIF hing einige Meter über dem Mittelpunkt der riesigen Gartenanlage. Das Schiff drehte sich langsam über der Stelle. Die Schleuse war geschlossen, nichts rührte sich. Die Situation war spannungsgeladen, aber noch stabil. »Die Bewahrer sind daran interessiert, das Sternenschiff zu bekommen. Zumindest für einige Zeit. Der Zweck kann als bekannt vorausgesetzt werden. Wie stehst du dazu?« »Gegen bestimmte Leistungen bin ich durchaus bereit dazu. Die Innenräume des Schiffes lassen allerdings nur eine begrenzte Anzahl von, nun, sagen wir, Beobachtern zu.« »Das ist kein Hinderungsgrund.« Tuffelsyt stieß Colemayn an. Er zeigte auf den Steuerbordschirm. Dort zeichneten sich Bewegungen ab. Vor einer Plattform aus Systemteilen öffnete sich in der Felsenkanzel eine anscheinend wuchtige Steinplatte. Im ersten klaren Sonnenlicht erschien dort die
metallene Gestalt des Stahlmanns. »Ich habe das Schiff im Augenblick nicht zur Verfügung«, wich Colemayn aus. »Überdies wird es nicht hier auf Kraupper landen, sondern an einer Stelle, an der es durch energiereiche Traktorstrahlen nicht zwangsgelandet werden kann.« »Auch das ist ohne Schwierigkeitenzu akzeptieren«, antwortete der Roboter. »Das Schiff gehorcht nur mir«, sagte Colemayn. »Dir hingegen gehorchen die Kraupper. Von den Krauppern wurde Gonozal entführt und auf den Planeten Frustfrost oder Schryffan gebracht.« »Das muß ich bestätigen«, sagte Hyp-A. »Es waren Hüter des Chlorophylls.« »Wer auch immer. Ich brauche diesen Mann.« »Das ist einfach zu bewerkstelligen. Wir holen ihn.« »Einverstanden. Willst du mit mir in der RAUHREIF nach Frustfrost fliegen?« »Das wäre zu überlegen«, entgegnete der Vertreter der Wesen aus der Galaxis Chmazy-Pzan. »Nichts dagegen einzuwenden.« Colemayns Sorge um Atlan war nicht eine Sekunde lang verschwunden gewesen. Sie war Teil seiner Gedanken. Seit dem Auftauchen des Robots hatte der Sternentramp schweigend mit sich gekämpft. Jetzt sah er seine einzige Chance. Er griff nach der Steuerung des Traktorstrahls und richtete den Projektor auf den Roboter. Seine Hand griff nach der Regelung. Während er den Hebel nach vorn stieß, sagte er: »Ich denke, wir wickeln den Vorgang auf meine Weise ab.« Das energiereiche Traktorfeld traf den Metallkörper. Er wurde unvermittelt nach vorn gerissen, streifte klirrend und krachend das Geländer aus Metallrohren und schlug gegen einen Pfeiler. Dann richtete Colemayn den Zugstrahl aus, und der humanoide Körper löste sich aus den Verstrebungen. Die Plattform wurde hart von schweren Vibrationen geschüttelt, dann zog Colemayn die Regler zurück und ignorierte die aufgeregte Stimme des Roboters. Der
Körper streifte mit dröhnendem Krachen den Rahmen des Laderaums und schlug in die Festhaltevorrichtungen. Sofort stieg die RAUHREIF mit aufheulenden Triebwerken senkrecht höher. Die Laderaumklappen schlossen sich; Metall kreischte, als die Hydraulik ihre volle Kraft entwickelte. »Wehren sie sich?« fragte Colemayn, während er die RAUHREIF beschleunigte und versuchte, ohne große Umwege den Kurs nach der Stadt Hupishna zu programmieren. »Nein. Sie sind überrascht und wie gelähmt«, antwortete Chipol. »Dein Plan ist aufgegangen.« »Noch nicht ganz. An anderer Stelle wären wir damit nicht durchgekommen.« »Du hast mich in eine schlechte Lage gebracht«, sagte der Robot über Funk. »Meine Körperstruktur hat empfindlich gelitten.« »Du bist nicht der einzige, der leidet«, sagte Colemayn wenig entgegenkommend. »Wir werden diesen unglücklichen Vorfall schnell einer endgültigen Klärung zuführen.« Das kleine, auffällig aussehende Schiff raste mit Höchstgeschwindigkeit nach Osten. Noch immer wurden sie nicht verfolgt. Aber auf den Ortungsschirmen wurden die Echos deutlicher und zahlreicher. Noch waren keine kritischen Distanzen unterschritten worden Colemayn hatte ganz richtig geschätzt – von einer schlagkräftigen Organisation waren die Bewahrer noch weit entfernt. »Dein Vater wird sich freuen«, sagte er. »Und möglicherweise steigen wir auch in der Wertschätzung der anderen Hüter.« Sein Ziel war, Atlan zu finden und mit der STERNSCHNUPPE dieses Sonnensystem so schnell wie möglich zu verlassen. Möglicherweise ließ sich für die Daila noch eine Verbesserung ihres erbarmungswürdigen Zustands herbeiführen. »Ich werde euch helfen, so gut ich es kann«, sagte Dyodora. Wieder wandte sich Colemayn an den Robot. »Ich weiß, daß die Hyptons dich als Berater und Organisator
zurückgelassen haben. Diese Rolle kannst du auch in Zukunft behalten. Aber es wird alles andere als einfach sein.« »Ich bin zu jeder Form sinnvoller Zusammenarbeit ermächtigt worden«, antwortete Hyp-A-442. Colemayn lachte kurz. »Es wird dir nichts anderes übrigbleiben.« Das Raumschiff jagte durch eine langgezogene Wolkenbank, die über dem Küstengebiet des Kontinents lag. Die Berge rückten näher heran. Dyodora kontrollierte den Kurs, und nach ihren Anweisungen korrigierte der Sternentramp die Flugrichtung. Nach einiger Zeit tauchte das Zielgebiet am Horizont auf. »Auf einzelne Grashalme werde ich bei der Landung allerdings keine Rücksicht nehmen«, sagte Colemayn. »Hast du eine Möglichkeit, über Funk mit deinem Vater zu sprechen?« »Nicht, wenn er nicht eines der Geräte eingeschaltet hat. Vielleicht hat ihm ein Verbindungsmann inzwischen etwas über uns gesagt.« »Die Gerüchte sind schnell auf Kraupper, wie?« »Wir hatten genügend Zeit, geheime Pfade zu entwickeln. Und es gibt, wie überall, Übereifrige und Gleichgültige.« »Daß gerade du das sagst, stimmt mich heiter«, brummte Colemayn gutmütig und steuerte die RAUHREIF in einem weiten Bogen über den See auf die Stadt zu. »Mehr nach Backbord«, sagte Dyodora. »Denke daran, daß mein Vater nur beratende, aber nicht befehlende Funktion hat.« »Zusammen mit dem Robot wird er jedenfalls mehr durchsetzen können«, meinte Colemayn. Auf dem Monitor des Funkgeräts zeichneten sich wilde Störungsfelder ab. Einige Sekunden später sagte der Pilot: »Chipol! Speichere diese Sendung. Irgend etwas hat sie zu bedeuten. Das Ganze hat einen bestimmten Rhythmus.« »Mache ich.« Aufgeregt rief die Kraupperin: »Lande dort vor dem Haus. Auf der Kiesfläche! Achtung, der heilige Baum der Galsordfrüchte! Mach die Schleuse auf.«
»Eines nach dem anderen. Zuerst kümmere ich mich um unseren unfreiwilligen Gast.« Er hielt das Schiff nach einem hastigen Bremsmanöver über dem Vorplatz in der Luft an. Der Laderaum wurde geöffnet, und der Traktorstrahl hob den reichlich mitgenommenen Körper aus der Maschine heraus und setzte ihn vor der langen Holztreppe von Dyodoras Elternhaus ab. Aus einigen verborgenen Gelenken tropfte eine schillernde Flüssigkeit. Als sich Hyp-A aufrichten wollte, taumelte er und schlug schwer in den Kies. »Du siehst, Atlan, was du angerichtet hast. Meine Herren werden dich mit harten Sanktionen bedenken.« »Selbst die Hyptons, mein Freund, hängen niemanden, bevor sie ihn nicht haben«, verkündete Colemayn. »Bitte, hole deinen Vater, schönste Tochter.« Er lächelte sie warm an; sie gab das Lächeln begeistert zurück und verließ die Steuerkanzel. Tuffelsyt und Chipol blieben wachsam an den Waffen, als das Schiff sich in den aufknirschenden Kies senkte. Dyodora rannte auf das Haus zu und kümmerte sich nicht um den zerbeulten Körper, der durch den Untergrund schob und immer wieder versuchte, eine würdige Haltung einzunehmen. Mondsohn Dyodor kam die Stufen herunter und zog seine Tochter an seine Brust. »So«, sagte Colemayn. »Ein weiterer Schritt. So ganz erfolglos waren wir nicht.« »Jedenfalls holen wir jetzt endlich deinen Freund!« rief Tuffelsyt. »In Kürze!« versprach Colemayn, schnallte sich eine Waffe um und verließ das Schiff. Neben dem Roboter blieb er stehen. Ein Metallarm und ein Bein waren so gut wie zerstört. Breite Schrammen waren auf dem Körper zu sehen. Der Kopf war intakt, und die Zerstörungen an den anderen Gliedmaßen hielten sich in Grenzen. Colemayn starrte den Stahlmann an und sagte dann entschlossen: »Die Hyptons werden die beiden politischen Gruppen niemals
restlos entzweien können. Du wirst einen langen Dialog mit den Hütern halten. Wenn sie dich vernichten wollen, wirst du dich nicht wehren können. Der legendäre Feind, ihn gibt es nicht. Deine Schwierigkeiten, den Krauppern zu erklären, daß sie ihren Planeten nach dem Plan der Paralogik-Psychohypnotiseure zu einer kosmischen Festung auszubauen, möchte ich nicht haben.« »Du bist nicht Atlan«, sagte der Robot. »Nein. Aber ich bin ebenso entschlossen, deinem verderblichen Unfug ein Ende zu bereiten. Sage es deinen Vorgesetzten, wenn du wieder einmal mit ihnen in Verbindung stehst.« Selbstbewußt begrüßten sich die beiden Männer. Colemayn blickte Dyodora lange in die Augen und erklärte: »Sage deiner Tochter, an welcher Stelle auf Frustfrost wir den Fremden finden können. Oder komme selbst mit. Der Konflikt zwischen Hütern und Bewahrern wird wohl entschärft werden können. Frage den Roboter. Er ist an allem schuld.« Bedächtig schüttelte der würdevolle Kraupper seinen mächtigen Schädel. »Meine Tochter soll mit euch fliegen. Ich rufe meine Vertrauten zusammen und kümmere mich um die Aussagen dieses … Dinges.« »Er wird dir ein verständlicher, aber unbequemer Gesprächspartner sein«, versicherte Colemayn. »Überdies: halte dein Funkgerät eingeschaltet. Es kann sein, daß wir wichtige Nachrichten für euch Hüter haben. Wahrscheinlich werden euch die Bewahrer überfallen, um ihren Götterboten wieder zu erbeuten. Lauter Ärger, alles nur wegen der Hyptons!« Er schüttelte die Hand des Alten, bot Dyodora galant den Arm und versuchte einigermaßen gutgelaunt einen Reim zu entwickeln. »Mit Freuden fliegen wir nun fort, nach Frustfrost, einem Zauberort.« »Es ist ein ungemütlicher Ort«, meinte Dyodora. »Und dort werden uns die Bewahrer schnell fassen können.« »Nicht, wenn wir noch ein bißchen Glück haben«, versicherte er
und zog sie ins Schiff. Die RAUHREIF startete, die Laderaumklappen schlossen sich. Tuffelsyt und Chipol spielten dem Sternentramp, während das Raumschiff durch die Atmosphäre stieg, die aufgegangenen Störungssignale vor. Sie hatten drei kurze Sendungen empfangen. »Natürlich krachte es in jedem Empfänger, der zufällig eingeschaltet war«, sagte sich Colemayn, betrachtete die optisch kenntlich gemachten Striche, Punkte und Pausen und begriff schließlich. »Atlan!« sagte er voller Begeisterung. »Er hat es wieder einmal geschafft. Ich weiß nicht, was er da zusammenbastelte, aber das sind Nachrichten in dem ältesten Kode, den Atlan von mir gelernt hat.« Er holte sich eine Tastatur heran und schrieb einen Buchstaben nach dem anderen. Schließlich fing er an, laut vorzulesen: »Vierter Planet Schryffan. Atlan abholen, schnellstens, dringend. Entführt. Achtung, Hüterschiff. Schnellstens. Vierter Planet ruft STERNSCHNUPPE. Abholen Atlan und so weiter. Aha! Peilsender.« »Wir kommen, Atlan!« schrie der Pharster begeistert. »Wir holen dich dort raus!« »Mangels Raumanzug wird unser Kampfgeist erheblich geschwächt sein«, schwächte Chipol ab. »Nun, man wird sehen. Ich rechne unter anderem mit der STERNSCHNUPPE.« Zuverlässig und kraftvoll arbeiteten die Triebwerke des kleinen Schiffes. Der Kursspeicher hatte vorzüglich gearbeitet. Während der Planet Kraupper mit der Mondsichel hinter den Raumfahrern verschwand, schälten sich erste Umrisse der kargen Welt vor ihnen aus der Schwärze. Schryffan, so erfuhren sie von Dyodora, war der alte, klassische Name. Frustfrost hieß er aus unerklärlicher Ursache seit der Spaltung beider Gruppen. »Hast du noch irgendwelche Fragen wegen des zerbeulten Roboters?« erkundigte sich Colemayn. Er hatte Dyodora berichtet, was er über die Hyptons und ihre Fähigkeiten wußte. »Hyp-A wird Atlan und uns als akute Gefahr einstufen«, sagte sie.
»Aber er hat offensichtlich nicht gewußt, was Atlan bisher gegen seine Herren ausrichten konnte.« »Daraus schließen wir, daß er keine Verbindung mit ihnen hat. Vielleicht senden die Fledermauswesen nur, wenn sie ihm neue Instruktionen geben wollen.« »Aber er hat viel geschafft. Er baute eine hochtechnische Zivilisation auf«, unterstrich der junge Daila. »Ein Beweis ist dieses vorzügliche Raumschiffchen.« »Du hast völlig recht«, pflichtete Colemayn ihm bei. »Was weißt du über Frustfrost, meine Honigblüte?« Sie hörten aufmerksam zu, was die Kraupperin erzählte. Sie wußte längst nicht alles, aber aus ihren Worten mußten Chipol, Tuffelsyt und Colemayn entnehmen, daß Atlan und seine zwangsweise in diesem Tal angesiedelten Leidensgenossen unter schaurigqualvollen Bedingungen lebten. Selbst Dyodora versprach sich von diesem Projekt, das zur Umformung des Planeten dienen sollte, nichts oder nur sehr wenig. »Ein Teil der Hüter ist wirklich besessen!« stellte Colemayn schließlich fest. »Um Frustfrost zu planetoformen, braucht es eine Großtechnik ganz besonderer Art. Dazu fehlen euch noch Jahrhunderte der Entwicklung. Und ein ganzes Raumschiff voller Hyp-Roboter!« »Ich sehe das ein. Aber die anderen nicht!« Dyodora zuckte mit ihren wohlgeformten Schultern. Colemayn stützte seine Arme auf das Instrumentenpult und blickte schweigend die Rundung des Planeten an. Krater, Bergzüge, eisbedeckte Ebenen und dünne Schleier aus unbekannten Kristallen zeichneten sich ab. Frustfrost war der richtige Name für diese abstoßende Planetenwelt.
*
Enttäuscht, schweigend und voll tiefen Unbehagens hefteten sich ihre Blicke auf die Bildschirme und, durch die Sichtflächen, auf die Wirklichkeit unter dem Raumschiff. Trostlose Öde, von einer weit entfernten, kalten Sonne erhellt, aber kaum erwärmt, breitete sich in furchtbarer Regellosigkeit aus. »Gräßlich!« bemerkte Colemayn nach einer langen Zeitspanne. »Diejenigen von euch, denen das hier einfiel, sind wirklich verrückt.« Dyodora kannte ihn inzwischen gut genug und schwieg. Die RAUHREIF schwebte auf mehrere Gebirgszüge zu. Die höchsten Punkte der Gipfel waren von dünnem Rauhreif bedeckt. Zwischen den Hängen, die an einer Stelle ein riesiges V bildeten, spannten sich die weit durchhängenden Schirme der Folie. Die schwache Sonne verwandelte sie in silberne Spinnennetze, und durch die Schicht hindurch schimmerten winzige, flackernde Lichter. Auf dem vergrößernden Vorausschirm erschien das Landegerüst, dann zeigten sich die Mauer und verschiedene Rampen und Tore. Inzwischen hatten Colemayn und seine Helfer erfahren, daß man einige Minuten im dünnen Gas der Lufthülle überleben konnte, wenn man eine Druckmaske benützte und Luftvorräte mitbrachte. Ein Weg, der ihnen nicht möglich war. Colemayn schluckte einen ausdrucksvollen altarkonidischen Fluch herunter und entschied: »Wir müssen warten, bis Atlan herauskommt.« »Es bleibt uns nichts anderes übrig«, sagte Dyodora. »Es tut mir leid.« »Vom Landeplatz bis zum Eingang sind es nur fünfzig Meter!« warf Chipol ein. »Da es hier eine dünne Gashülle gibt, können wir akustische Signale geben.« »Kluger Bursche!« lobte ihn Colemayn. Die RAUHREIF senkte sich dem Landekreis entgegen. Alle Scheinwerfer blinkten in voller Lichtstärke. Tuffelsyt fand einen Schalter und ließ begeistert eine Sirene aufheulen. Ohne zu wissen, daß er Signale gab, morste er
einen wirren Begriffssalat. Chipol feuerte mehrmals mit dem Geschütz gegen eine Bergflanke und löste Steinschläge aus, die schwerlich zu überhören waren. Dann senkte sich das Schiff auf den schmutzigen Platz, dessen Oberfläche verschmort und voller Druckspuren war. »Falls jetzt dort jemand geschlafen haben sollte. nun ist er wach geworden!« kreischte Tuffelsyt und drückte ununterbrochen den Alarmknopf. Colemayns Gefühle erlebten, ohne daß es einer der anderen merkte, einen wilden Sturm. Dort war Atlan, keine zweihundert große Schritte entfernt. Diesmal würden sie kein solches Risiko mehr eingehen und zusammenbleiben. Wo blieb dieses verdammte Diskusschiff, das Wunderwerk der Kosmokraten? Der Hilferuf Atlans hatte an Deutlichkeit nichts fehlen lassen. Der Bildschirm der Steuerbordseite zeigte in allen Einzelheiten und überaus deutlich den Großteil der wuchtigen Mauer und die Öffnungen darin. Nach einer unangemessen langen Zeit zeigte sich ein Kopf zwischen den Bahnen der starren Folie. Die Maske mit kleinen runden Augengläsern und einem kugelförmigen Mundstück, aus dem Atemluft wie aus einem undichten Ventil entwich, ließ nicht zu, daß man den Träger erkannte. »Man hat von uns Notiz genommen«, sagte Colemayn und bewegte den Finger auf dem Schalter des Landescheinwerfers, der sich jetzt auf diese Öffnung richtete. »A.t.l.a.n.«, morste er. »K.o.m.m.« Die äußere Schleusentür glitt auf, das warme, einladende Licht schaltete sich ein. Schweigend warteten die Insassen der RAUHREIF. Längst hatte sich der erste Beobachter wieder zurückgezogen. Das jaulende Wimmern der Sirene hörte auf. Colemayn hob seine langen Beine und legte die Füße auf die Lehne des Kopilotensitzes. Sorgenvoll bemerkte er: »Dieses verdammte Raumschiff kommt nicht. Dafür werden bald
die bewaffneten Heere der Bewahrer auftauchen. Natürlich wegen dem Roboter. Und die Hüter kommen auch hierher, weil wir Gefangenenbefreiung betreiben. Ich erwarte das vollkommene Chaos, und zwar in Kürze.« Dyodoras Gesicht ließ erkennen, daß auch sie besorgt war. Vielleicht weniger wegen Atlan, denn dieses Problem löste Colemayn. Aber sie dachte an Colemayns Aussage, zusammen mit Atlan das Sonnensystem bald zu verlassen. Der Planetenwanderer schien ihre Gedanken zu erraten oder wenigstens nachvollziehen zu können, denn er griff schweigend nach ihrer Hand und küßte ihre Fingerspitzen. Plötzlich rief der junge Daila: »Achtung!« Nacheinander zwängten sich zwei Gestalten durch den Folienvorhang. Die Masken verhinderten, daß man sie erkannte, aber aus Bewegungen und Größe schloß Colemayn, daß einer von ihnen Atlan sein könnte. »Tuffel!« sagte er. »Geh zur Schleuse und bringe deinem neuen Freund ein großes Glas dieses Getränks mit dem kaum auszusprechenden Namen.« »Schon unterwegs.« Die beiden Männer rannten und hasteten über glitschige Planken und kletterten über steinerne und verwitterte Holzstufen. Ihr Ziel war unverkennbar das Schiff. Colemayn ließ die Finger Dyodoras los und senkte seine Hände über die Schaltungen der Schleuse. Er wartete eine Minute, dann zeigte ihm der Monitor, daß beide Ankömmlinge die Schleuse betreten hatten. Die Metallplatten schlossen und öffneten sich, und ein bestialischer Geruch nach Faulgasen drang in die Kabine. »Atlan?« schrie Colemayn auf und stürzte in den Aufenthaltsraum. Keuchend rissen sich die Ankömmlinge die Masken von den Gesichtern. Es waren Atlan … und ein Daila mit narbigem, zerfurchtem
Gesicht. Ein alter, ausgemergelter Mann. »Ja. Am Ende schlimmer Tage«, sagte Atlan. »Ihr seid gerade zur rechten Zeit gekommen. Meine Stimmung ist unterhalb des Nullpunkts.« »Hier! Trink! Wird dich aufheitern! Mach schnell!« kreischte Tuffelsyt und verlängerte seinen Arm, bis das Glas dicht vor Atlans Gesicht war. Kurz, kräftig und wortlos faßten sich Colemayn und der Arkonide um die Schultern. Dann nahm Atlan das Glas, und wortlos holte Tuffelsyt ein zweites für den Daila. »Willkommen, du Ausgestoßener!« lachte der Sternentramp. »Mann! Wir sind froh wie seit Tagen nicht mehr.« »Ich auch. Gibt es Spuren oder Nachrichten von der STERNSCHNUPPE?« »Null! Sie scheint sich spurlos aufgelöst zu haben«, brummte Colemayn. »Was können wir für euch tun? Dusche? Hunger? Durst? Musik?« Der Daila winkte ab und wandte sich an Chipol. Atlan schien ihn vorbereitet zu haben. Er sagte mit brüchiger, leidenschaftsloser Stimme: »Wenn ihr überhaupt etwas tun könnt, dann versucht, dieses Tal aufzulösen. Bringt alle hinunter nach Kraupper. Sie werden die schlimmsten Arbeiten ausführen … aber nicht hier. Es ist die Hölle!« Dyodora senkte den Kopf. »Ehe du weiterfragst«, erklärte Colemayn und spürte voller Erleichterung, daß die Klimaanlage die Reste des Gases angesogen und ausgefiltert hatte, »ich habe den Roboter entführt, ein wenig verbeult und zur Befragung bei den Hütern abgeliefert. Bei Dyodoras Vater, um es genau zu sagen. Das Problem, in der Höhle des Löwen mutig und tatkräftig zu erscheinen, löste ich zusammen mit diesen drei erstklassigen Kämpfern.« Der alte Daila war in die weichen Polster gesunken, nippte an dem Getränk und schien noch nicht zu glauben, was er erlebte. Atlan fühlte sich sichtlich unbehaglich; er gierte förmlich nach einer
Dusche und frischer Kleidung. Er zerrte an dem Dreieck seines rechten Ohrläppchens und riß es schließlich ab. »Warum kommt die STERNSCHNUPPE nicht?« stöhnte er auf und entfernte die zweite Korrektur seines Aussehens. Es war schmerzhaft. »Ein leistungsfähiges Funkgerät steht dir zur Verfügung«, erklärte Chipol und deutete auf die Steuerkanzel. »Der gemorste Notruf«, sagte der Arkonide ärgerlich. »Er müßte genügt haben!« »Vielleicht beschäftigt sich die STERNSCHNUPPE mit Mrothyr und ist nicht ansprechbar?« Colemayn war unschlüssig, was er zunächst tun sollte. Er ging in den Steuer räum, warf einen langen Rundblick auf die Monitoren und fand seine Befürchtungen bestätigt. Es wimmelte förmlich von Raumschiffen, die auf den vierten Planeten zujagten. Schweigend zählte er sieben einzelne Echos. »Meine lieben jungen Freunde, in Gefahren gestählt und in vielerlei Listen erprobt«, begann er und lächelte verlegen, »in einer Stunde wird es hier von Raumschiffen wimmeln wie in einem Ameisenhaufen. Mit den armseligen Feuerspeiern dieser RAUHREIF können wir genau eine Minute kämpfen. Hat einer von euch einen konstruktiven Einfall?« »Null!« meinte Chipol. Tuffelsyt schüttelte entnervt seinen haarigen Schädel. Der Daila saß überwältigt und kaum ansprechbar da, und selbst Atlan schien nicht zu wissen, was zu tun war. »Wäre die STERNSCHNUPPE da, wüßte ich, was wir tun«, sagte er. »Hilft es, Dyodora, wenn wir versuchen, mit ihnen zu diskutieren?« »Ein Versuch kann nicht schaden«, sagte sie matt. »Vielleicht hören sie auf mich. Eines der Schiffe ist sicherlich der alte Frachter, der dich hierher transportiert hat.« Atlan zeigte zum Schott. »Versuch's!« bat er. »Ich ziehe mich um. Zehn Minuten Zeit, mehr
brauche ich nicht.« Colemayn blickte ihm nach und sagte sich verzweifelt, daß er den Arkoniden nur wenige Male derartig niedergeschlagen erlebt hatte. Von dem Schiff der Hüter ging wohl kaum eine Gefahr aus, aber sechs Schiffe der Bewahrer – das konnte gefährlich werden. Wütend brummte er: »Und es wird gefährlich werden!« Er winkte Tuffelsyt, deutete auf die Flasche und fühlte sich elend. Der Pharster zeigte sich von seiner gewinnenden Seite und brachte ein Tablett mit Gläsern und die Flasche. Schweigend, fieberhaft nachdenkend, nahm der Sternentramp mehrere kräftige Schlucke. Dann rief er hinüber zu Dyodora: »Schillerndster aller Schmetterlinge! Sage deinen Leuten und den anderen, daß wir uns bedroht fühlen. Sie sollen in respektvollem Abstand landen. Sonst eröffnen wir das Wirkungsfeuer auf die Folie des künstlichen Himmels im Tal. Massenmord ist die Folge. Wer uns zu dieser Verzweiflungstat treibt, hat den Tod von … wieviel?« Tonlos murmelte der alte Daila: »Mehr als vierhundert!« »Du kennst die Zahl. Wir töten sie alle! Mach's so dramatisch wie möglich. Unter uns: Wir beabsichtigen nicht, die Folie auch nur anzuritzen. Alles klar, Geliebte?« » Ich werde dich niemals begreifen. Ich tue, was du willst.« »Hilf ihr mit dem Funkgerät, Chip!« bat Colemayn und suchte aus den gefüllten Vorratsschränken das Bequemste und Beste heraus, das er für seinen Freund finden konnte. Chipol und Dyodora fingen an, ihre Botschaften auszustrahlen, und die Stimme der jungen Frau wurde schriller und drohender, je mehr Antworten aus den Funkanlagen der Bewahrer-Schiffe kamen. In wenig mehr als dreißig Minuten würde das erste Schiff hier herangeschwebt sein. Atlan kam aus der Dusche, und sogar die Farbe aus seinem Haar hatte er herauswaschen können. Aber er war nicht im geringsten erheitert. Tiefe Niedergeschlagenheit sprach aus seinem schmalen,
scharfgeschnittenen Gesicht. »Einen Versuch mache ich noch«, sagte er und nahm ein Glas. »Dann erst weiß ich, daß ich nicht mehr auf die STERNSCHNUPPE zu warten brauche.« »Akzeptiert!« Dyodora bewies in diesen Minuten, daß sie eine geschickte Lügnerin sein konnte, wenn sie mußte. Ihre Drohungen klangen glaubwürdig. Ihr Name und der ihres Vaters war jedem Bewahrer bekannt. Das, was sie hinausschrie, überzeugte jeden. Hoffentlich ging Colemayns Versuch auf: . selbst die hartnäckigsten Bewahrer schreckten davor zurück, am Tod so vieler »Andersgläubiger«, schuld zu sein. Nacheinander versprachen die Kommandanten der Schiffe, in großem Abstand von der Schutzmauer und dem Tal zu landen. Weniger Vernunft war bei dem Kommando des HüterFrachtraumers zu bemerken. Schließlich, nachdem er sich mit Colemayn und Tuffelsyt unterhalten hatte, gab sich der Arkonide einen Ruck. »Jetzt spreche ich Klartext«, sagte er mürrisch. »Es wird sie alle nicht freuen.« Trotz seiner Verzweiflung oder gerade deswegen ging er entschlossen in die Steuerkanzel, nahm nach einigen Sekunden das Mikrophon und sagte, nachdem er sah, daß alle fremden Schiffe auf den Sender geschaltet hatten: »Hier spricht der Fremde, den ihr mit dem Traktorstrahl herunterholen wolltet. An die Bewahrer: Gerade jetzt verrät der Roboter einer Rasse, die euch alle manipuliert, wie dieses Verbrechen vor sich ging. Und zwar spricht er mit Mondsohn Dyodor. Er wird den Hütern bestätigen, was sie schon immer vermutet haben. Der Drang, diesen Planeten in eine kosmische Festung aufzurüsten, kommt nicht von euch. Er ist das Werk von verbrecherischen Fremden. Dyodor und seine Tochter können euch sagen, wie diese Fremden vor einigen Jahrzehnten und zum
letztenmal erfolgreich vor rund acht Jahren vorgegangen sind. Ihr sogenannten Bewahrer der Ungebundenheit seid alles andere als ungebunden. Ihr seid geknechtete, willenlose Marionetten!« Er machte eine Pause und beruhigte sich wieder. »Den Hütern sage ich, daß auch sie zu schwachsinnigen Reaktionen neigen. Dieses Tal der Zwangsarbeiter ist das Beispiel ihrer Dummheit. Es wird niemals funktionieren. Wendet euch an die Daila, die bei euch Asyl gefunden haben. Sie können euch beibringen, wie man einen Planeten richtig bewohnt. Ich werde, wenn alle Schiffe gelandet sind, die Folie beschädigen. Die Luft entweicht. Wenn ihr nicht alle Ausgesetzten in die Schiffe hineinlaßt, werden sie alle sterben. Sterben sie, werden die Hüter von den Bewahrern einen hohen Blutzoll fordern und umgekehrt. Ich reise ab. Ihr seid alle verrückt! Ihr wißt nicht, was ihr tut, denn andere haben euch ihre Gebote des Lebens aufgeschwätzt. Eines Tages wird der Bann von euch abfallen, und dann werdet ihr euch zu Tode schämen! Ich will und werde nichts ändern …« Er hörte auf, starrte einige Zeit auf den mittleren Ortungsschirm und sah das unverkennbare Echo. Die STERNSCHNUPPE kam! »Ihr alle habt vor euch die Phase der Erkenntnis. Hört auf das Stammeln des zerbeulten Roboters, der eine Maschine ist und kein Götterbote. Die Götter, an die ihr Bewahrer glaubt, sind Verbrecher. Ich wiederhole: Sie sind Fremde, die jeden Planeten der Galaxis Manam-Turu unterjochen werden, wenn man sie zu nahe an sich heranläßt. Das ist alles, was ich zu sagen hatte. Glaubt es oder nicht. Besser wäre, ihr würdet alle zu Dyodor gehen und zuhören, was der HypA zu sagen hat. Es ist die furchtbare Wahrheit.« Dann wählte er eine andere Frequenz und sagte der STERNSCHNUPPE, daß sie in der Nähe dieses Schiffes landen und mit einer Sonde Raumanzüge zum gelb-silberschwarz gezeichneten Schiff schicken sollte.
* Die Schiffe von Kraupper umstanden in einem unregelmäßigen Halbkreis den Landeplatz der STERNSCHNUPPE und der RAUHREIF. Colemayn, Atlan und Chipol hatten die leichten Raumanzüge angezogen. Bedächtig verstaute der Sternentramp zwei volle Flaschen in den Oberschenkeltaschen seines Anzugs. Im Schiff herrschte rege Betriebsamkeit. Chipol sagte zu Tuffelsyt: »Und dich packen wir in diesen Plastiksack. Es dauert nur Minuten. Wir tragen dich bis zur Schleuse.« »Ausgezeichnet! Gehen wir! Kileimeinn muß sich von Dyodora verabschieden.« »Sofort.« Vom Schiff der Hüter kamen drei Gestalten in ungefügen Raumanzügen auf die RAUHREIF zu. Das Kosmokratenschiff hatte eben durchgesagt, daß im Zustand Mrothyrs eine Änderung zum Schlechten eingetreten war, aber daß um sein Leben noch nicht gezittert werden mußte. Colemayn im Raumanzug, den Helm unter dem Arm, war mit Dyodora in der Nebenkabine verschwunden. Atlan legte die Hand im vakuumdichten Handschuh auf die Schulter des Daila und erklärte eben: »Ongalro! Ich werde im Schutz des Diskusschiffs warten. Wenn ihr alle das Tal verlassen habt, zerstöre ich die Abdeckung. Nicht eher. Hast du verstanden? Wendet euch an die Hüter, an Dyodor und die Tochter. Auf alle Fälle habt ihr ein besseres Leben als hier. Mehr kann ich für euch nicht tun.« Erschüttert murmelte der alte Daila: »Das ist ohnehin mehr, als wir erwartet haben. Ich bin zu alt, um dir richtig danken zu können. Wir werden dich niemals vergessen.« »Schon gut«, winkte Atlan ab, schob eine schwere Waffe in eine
Tasche und winkte Chipol. »Gehen wir!« Sie verließen die Schleuse, hoben Tuffelsyt in einem transparenten Plastiksack zwischen sich hoch und gingen auf die gegenüberliegende Rampe des Diskusschiffes zu. Eine der drei Gestalten löste sich aus der Gruppe und näherte sich den Landestützen der STERNSCHNUPPE. Chipol erreichte die Rampe, zog Tuffelsyt zu sich heran, und als er zu Colemayn und Dyodora hinüberwinkte, begann der Kraupper plötzlich zu rennen. Er wirkte wie ein Betrunkener. Aber seine Bewegungen waren schnell und kraftvoll. In seiner Hand befand sich plötzlich ein kantiger Gegenstand. »Er will etwas von dir!« sagte Chipol zu Atlan, der mit hängenden Schultern dastand und dem Heranrennenden entgegenschaute. »Schon möglich«, murmelte Atlan. Der Planetarier war bis auf vierzig Meter herangekommen. Der Gegenstand in seinen Händen war eine Waffe. Lange Glutbalken lösten sich von dem Projektor und schlugen rund um den Anfang der Polrampe ein. Tuffelsyt befreite sich aus dem Sack, rutschte einen Meter über die Rampe hinunter und stieß sich mit seinen vier Beinen ab. Im selben Augenblick, als ein Feuerstrahl zwei Meter über dem Boden auf Atlan zuschoß, sprang der Pharster senkrecht in die Höhe. Der Schuß traf ihn voll. Der verstümmelte Körper schlug schwer zwischen Atlan und Chipol auf die Laufplanke. Neben Colemayn riß sich Dyodora los, packte dessen Waffe und rannte auf das Geröllfeld zwischen beiden Schiffen hinaus. Sie richtete die Waffe auf den Kraupper und feuerte unentwegt, die Finger um den Abzug gekrallt. Tuffelsyt starb zufrieden. Niemand sah den friedlichen Ausdruck seines fellbedeckten Gesichts. Die Blitze trafen den Körper seines Mörders. Aus sämtlichen Lautsprechern kamen entsetzte Ausrufe. Wie ein Rasender stürmte Colemayn auf das Diskusschiff zu. Atlan stand wie gelähmt da. Chipol, Colemayn und Dyodora zogen ihn ins Schiff hinein. Er war wie bewußtlos. Später türmten
Hüter und Bewahrer über die beiden Toten einen Hügel aus wuchtigen Steinbrocken. Dann erst landete das erste Schiff und errichtete einen halbtransparenten Schlauch zwischen den Folientoren und der Schleuse.
* Colemayn war ehrlich gerührt, als Dyodora in der Schleuse der STERNSCHNUPPE sagte: »Ich kümmere mich um alles. Kümmere du dich um Atlan. Ist es dir ernst, wenn du sagst, du kommst wieder?« »Ich werde alles tun, um einmal hierher zu kommen. Überall hinterlasse ich Freunde«, sagte er, obwohl er sicher sein mußte, daß ihr Verständnis gespielt war. »Vergiß nie, was diese wenigen Tage für dich und mich bedeutet haben.« Sie küßten sich ein letztesmal, obwohl jeder wußte, daß sie sich niemals wiedersehen würden. »Wohin fliegt ihr?« Colemayn schüttelte den Kopf. »Wir flüchten von Kraupper beziehungsweise Frustfrost. Irgendwohin. Wir haben nichts verändern können.« Dyodora deutete auf den Monitor. Die Verbannten aus dem Tal, von Hütern des Chlorophylls hierher geschafft, wurden von Schiffen der Bewahrer aufgenommen. »Ihr habt viel bewirkt. Vielleicht merken wir es erst in einem Jahrhundert. Vielleicht früher, möglicherweise niemals. Es soll dir so gut gehen, ›Kileimeinn‹, wie es mir einige Tage lang erging.« »Ich danke dir, Honigschmetterling«, sagte er ernst und wartete, bis die junge Frau das Schiff verlassen und zu dem alten Frachter zurückgekehrt war. Dann erst bat er die STERNSCHNUPPE, zu starten. Seine Sorgen kamen alle zurück, als er den zentralen Raum betrat und erfuhr, daß die Depressionen sich über Atlan gesenkt
hatten wie eine Energieglocke. Das Schiff raste davon. Jetzt hatte Colemayn die Verantwortung für alles. Wenn er ehrlich zu sich selbst war, dann gestand er sich ein, daß er sich das Zusammentreffen mit Kristallprinz Atlan aus dem Geschlecht der Gonozal ganz anders vorgestellt hatte. Schweigend und voller bitterer Gedanken widmete er sich der neuen Aufgabe. Und … er kannte nicht einmal das Ziel der nächsten Etappe. Nur fort von diesem Planeten, dachte er. Möglichst schnell und so weit, wie es sinnvoll erschien.
ENDE
Nach Atlans glücklicher Rettung durch den Weltraumtramp blenden wir um nach Aklard, dem Ursprungsplaneten der Daila. Dort ist ein Roboter zurückgeblieben, der es sich in den Kopf, beziehungsweise die Positronik gesetzt hat, den Arkoniden zu suchen. Mehr zu diesem Thema schreibt Falk-Ingo Klee im nächsten Atlan-Band. Der Roman erscheint unter dem Titel: ROBOTERSCHICKSAL