Nr. 335
Die lebenden Toten Überfall auf das Wache Auge von Clark Darlton
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Nr. 335
Die lebenden Toten Überfall auf das Wache Auge von Clark Darlton
Die Erde ist wieder einmal davongekommen. Pthor, das Stück von Atlantis, dessen zum Angriff bereitstehende Horden Terra überfallen sollten, hat sich dank Atlans und Razamons Eingriffen wieder in die unbekannten Dimensionen zurückgezogen, aus denen der Kontinent des Schreckens urplötzlich materialisiert war. Atlan und Razamon, die die Bedrohung von Terra nahmen, gelang es allerdings nicht, Pthor vor dem neuen Start zu verlassen. Zusammen mit dem Kontinent und seinen seltsamen Bewohnern befinden sie sich auf einer ungesteuerten Reise ins Ungewisse. An eine Kursbestimmung von Pthor ist noch nicht zu denken, und so werden es Al gonkin-Yatta und seine exotische Gefährtin, die beiden Reisenden durch Zeit und Raum, die seit langem nach Atlan suchen und die den Arkoniden, als er noch auf der Erde weilte, nur knapp verfehlten, es schwer haben, sich weiter an seine Fersen zu heften. Der Arkonide ist jedoch kein Mann, der in Tatenlosigkeit verharrt. Während Odins Söhne nach dem Tod der Herren der FESTUNG ihre Herrschaftsansprüche auf Pthor geltend machen, beginnt Atlan, nach dem verborgenen Steuermechanismus des Kontinents zu suchen. Er stößt dabei auf DIE LEBENDEN TOTEN …
Die lebenden Toten
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Die Hautpersonen des Romans:
Korlo und Magel - Zwei Dellos erleben das Grauen.
Sigurd, Balduur und Heimdall - Die neuen Herren der FESTUNG.
Atlan - Der Arkonide besucht die unergründlichen Seen.
Thalia - Die Odinstochter bangt um Atlan.
Perquesch-Carrax - Ein lebender Toter.
1. Das schuppige Ungeheuer glich einer et wa anderthalb Meter hohen und fast zwei Meter langen Eidechse, aber der hohe und stark gebuckelte Rücken mit den senkrecht nach oben gerichteten Knorpelzacken ver wischte diesen Eindruck wieder. Auf seinen vier Beinen und von dem kräftigen Schwanz unterstützt, kroch der Salbir hinter seiner Beute her. Er kam nicht schnell voran, aber er wußte, daß seine Ausdauer jede Flucht ei nes Verfolgten schließlich zunichte machte. Seine Beute waren zwei Männer, deren Spur er vor drei Tagen entdeckt hatte. Seit dem der Kontinent Pthor die Erde verlassen und wieder die Reise durch Raum und Zeit angetreten hatte, gab es auf Pthor allerdings keinen richtigen Tag und keine echte Nacht mehr. Am ewig grauen Himmel standen we der Sonne, Mond noch Sterne. Die beiden verfolgten Männer hatten mehrmals Rast gemacht, und so war der Sal bir aufgerückt. Wenn sie ihre Richtung bei behielten, würden sie zu den »Unergründlichen Seen« gelangen. Sie mußten ihn schon seit längerer Zeit bemerkt haben, denn sie erhöhten ihr Marschtempo. Mehrmals entschwanden sie den Blicken des Salbirs, wenn sie eine Sen ke durchquerten oder Büsche die Sicht be hinderten. Aber so schnell verlor das Unge heuer keine Spur, und schon gar nicht in dem sandigen Steppengelände zwischen dem »Wachen Auge« und der »Senke der verlorenen Seelen.« Der Salbir hatte schon lange keine Beute mehr gemacht und war hungrig. Unter nor malen Umständen hätte er keine zwei Män ner verfolgt, die ihn leicht erlegen konnten.
Aber die beiden Verfolgten schienen keine ernsthaften Gegner zu sein, sonst hätten sie sich längst zum Kampf gestellt, anstatt zu fliehen. Salbire waren schon fast ausgestorben, es gab nur noch wenige Exemplare auf Pthor. Früher einmal waren sie in der Wüste Kalm lech zu Hause gewesen, aber die dort behei mateten großen Monstren hatten sie vertrie ben. Seither lebten sie vereinzelt im Gebiet nördlich des Taambergs. Beute zu finden war in dieser Gegend allerdings ein Glücks fall, denn sie war einsam und kaum be wohnt.
* Die beiden Männer hielten auf einem Hü gel an und sahen zurück. »Das Biest ist noch immer hinter uns her, Magel«, sagte der eine von ihnen und wisch te sich den Schweiß von der Stirn, obwohl es nicht sonderlich heiß war. »Das hat uns noch gefehlt!« »Es holt uns nicht ein, wenn wir weiterge hen, Korlo«, mahnte der andere. »Immer nach Westen, in Richtung der großen Senke, und bevor wir sie erreichen, biegen wir nach Norden ab.« »Es ist mir egal, wohin wir gehen«, mein te Korlo halb verzweifelt. »Die Herren der FESTUNG gibt es nicht mehr. Dafür haben andere ihren Platz eingenommen … und wer weiß, wie die sind …« »Die Odinssöhne«, murmelte Magel. »Nun komm schon, wir müssen weiter!« Das Gelände fiel flach ab. Sie verloren ih ren Verfolger für eine Weile aus den Augen, aber sie wußten, daß er unerbittlich auf ihrer Fährte bleiben würde. Trotzdem würden sie
4 bald ein paar Stunden Rast einlegen müssen, wenn sie nicht vor Erschöpfung umfallen wollten. Erste saftige Grasbüschel lösten das ver trocknete Steppengras ab und verrieten Bo denfeuchtigkeit. Vereinzelt wuchsen sogar kleinere Bäume. »Sind nicht hier irgendwo die unergründ lichen Seen?« fragte Korlo plötzlich und blieb stehen, indem er nach vorn deutete. »Man erzählt unheimliche Geschichten über sie.« »Ich weiß«, gab Magel zu, »aber Gerüch te bleiben Gerüchte. Außerdem soll die Ge gend hier nur nachts unsicher sein, und wir haben jetzt weder Tag noch Nacht. Geh end lich weiter!« Korlo sprach sich selbst Mut zu. Uner gründliche Seen oder nicht, die Gefahr hin ter ihnen war real. Vor ihnen glitzerte eine kreisrunde Was serfläche. Erst jetzt kam den beiden Män nern zu Bewußtsein, wie durstig sie nach dem langen Marsch waren. Als sie aus dem Garten der FESTUNG flohen, war ihnen keine Zeit geblieben, Lebensmittel oder Wasser mitzunehmen. Unterwegs hatten sie gerade soviel gefunden, um nicht zu verhun gern oder zu verdursten. Weit hinter ihnen hörten sie das Gebrüll ihres Verfolgers, doch ihr Vorsprung war immer noch beträchtlich. Das ferne Brüllen ging fast völlig in dem ständigen Rauschen unter, das Pthor auf sei ner Reise durch die Dimensionen von Raum und Zeit begleitete. »Keinen Schritt gehe ich mehr weiter«, sagte Korlo, als er den See erblickte. »Wir rasten am Ufer. Wenn du willst, kannst du ja weitergehen.« »Wir bleiben zusammen«, gab Magel ent schlossen zurück. »Aber du hast recht: Ein bißchen Schlaf wird uns guttun. Vor dem Salbir sind wir noch acht Stunden sicher, und wenn wir ausgeruht sind, vergrößern wir unseren Vorsprung wieder.« Sie gingen etwas schneller. Der Geruch des Wassers, den der Wind ihnen entgegen-
Clark Darlton wehte, gab ihnen neue Kräfte und aktivierte ihre letzten Reserven. Der Durchmesser des Sees betrug knapp fünfzig Meter. Das Ufer fiel senkrecht ab, und das Wasser stand fast bis zum oberen Rand. Weder Korlo noch Magel dachten an ir gendeine Gefahr, als sie sich zu Boden war fen und ihre Hände in das frische Naß tauch ten. Gierig tranken sie das eiskalte Wasser aus dem See, der genauso aussah, wie man alle unergründlichen Seen beschrieben hatte. Niemand vermochte zu sagen, wie sie einst entstanden waren, aber mit Sicherheit waren sie nicht natürlichen Ursprungs. Viel mehr schien sich hier ein Riese an die Auf gabe gemacht zu haben, in die Tiefen von Pthor Bohrlöcher zu treiben, die sich darin mit Wasser auffüllten. Aber das alles war jetzt den beiden egal, die, obwohl Dellos, die gleichen natürlichen Bedürfnisse wie jeder normale Mensch hat ten. Sie verzehrten ihre letzten Vorräte, tran ken sich noch einmal richtig satt und saßen dann, mit dem Rücken gegen einen Felsen gelehnt, unweit des Ufers im üppigen Gras. »Nun, Korlo, immer noch Angst vor dem See?« Magel streckte die Beine weit von sich und legte sich lang ins Gras. »Der Sal bir scheint aufgegeben zu haben.« »Der gibt niemals auf, Magel. In ein paar Stunden ist er hier.« »In ein paar Stunden sind wir längst wie der unterwegs – und zwar in Richtung Nor den. Dort ist das Eis geschmolzen, die über schwemmten Gebiete sind wieder trocken. Aber die Bewohner sind geflüchtet, wir dürften da sicher sein.« Korlo spürte, wie ihm die Augen vor Mü digkeit zufielen. Sein letzter Blick, bevor er sie endgültig schloß, galt dem See. Jetzt erst bemerkte er die schwache Lichtaura, die über der unbewegten Wasserfläche stand. Sie hatte die Form einer Kuppel und war in der Dämmerung deutlich zu erkennen. Er machte Magel darauf aufmerksam. »Ach was!« sagte dieser nach einem
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flüchtigen Blick. Er legte sich wieder hin. »Das Licht kommt aus dem Wasser – na und …? Hat es nicht gut geschmeckt, das Was ser? Dann soll es meinetwegen auch leuch ten.« Korlo erwiderte nichts. Die Unruhe in sei nem Innern stieg, aber er war viel zu er schöpft, um etwas zu unternehmen. Mit einem letzten Seufzer fiel er in einen bleiernen Schlaf. Magel schnarchte bereits. Etwa fünf Kilometer östlich kroch der Salbir auf der Spur der beiden Dellos ent lang.
* Die Odinssöhne Sigurd, Balduur und Heimdall saßen in einem während des Kampfes um die FESTUNG unbeschädigt gebliebenen Kommunikationsraum, um ihre nächsten Schritte zu beraten. »Es nützt uns überhaupt nichts, die ehe maligen Herren von Pthor beseitigt und selbst die Macht übernommen zu haben, wenn außer uns niemand Kenntnis davon er hält.« Sigurd sagte es mit unverkennbarer Bitternis in der Stimme. »Das Wache Auge, die Nachrichten und Ortungszentrale, ist ausgefallen, die Verbindung zu ihm wurde unterbrochen. Zugegeben, wir haben Dellos ausgeschickt, um die Kunde zu verbreiten, daß wir nun die Herren der FESTUNG und damit von Pthor sind, aber wir sind nicht einmal in der Lage nachzuprüfen, ob sie ih ren Auftrag nun ausführen oder nicht.« »Fraglich ist auch«, stimmte Balduur der pessimistisch klingenden Feststellung zu, »ob die Bewohner von Pthor unseren recht mäßigen Machtanspruch akzeptieren. Viel leicht glauben sie den Androiden nicht und rebellieren.« »Oder sie ignorieren uns einfach«, be fürchtete Heimdall. Es klopfte an der Tür. Der vierte Odins sohn – vielmehr die Odinstochter – trat ein. Thalia hatte es verstanden, ihr wahres Ge schlecht lange Zeit hinter der Maske Honirs
zu verbergen, aber nun war das Geheimnis endlich gelüftet worden. Sie spürte die Ab neigung der Brüder gegen sie, die Schwe ster, weil sie eine Frau war. Um so leichter mußte es ihr fallen, mehr als nur bloße Sympathie für den Fremden von der Erde, für Atlan, zu empfinden, der eine Frau wie ein gleichberechtigtes Wesen behandelte. »Was willst du, Schwester?« fragte Si gurd, als sie hereinkam und sich setzte, ohne dazu aufgefordert zu werden. »Dies ist ein Gespräch unter Männern.« »Es ist ein Gespräch der Kinder Odins«, berichtigte sie trocken. »Ihr scheint verges sen zu wollen, daß ich in der Vergangenheit genauso meinen Mann gestanden habe wie ihr. Erst jetzt, da ihr wißt, daß ich eine Frau bin, beginnt ihr auf mich herabzusehen. Ihr solltet euch schämen!« Sigurd ignorierte die Anklage. »Das Wache Auge muß so schnell wie möglich wieder aktiviert werden«, setzte er das Gespräch fort, so als sei Thalia über haupt nicht vorhanden. »Auf die Dellos kön nen wir uns nicht verlassen. Und schon gar nicht darauf, daß die Bewohner von Pthor uns ihre Ergebenheit bekunden, ohne durch Machtbeweise dazu gezwungen zu werden.« »Sehr richtig!« stimmte Heimdall zu. »Nur über das reibungslos funktionierende Wache Auge ist eine lückenlose Beobach tung und Kontrolle der Bevölkerung mög lich. Es sollte sich jemand darum küm mern.« »Und wer?« erkundigte sich Balduur. »Jemand von uns«, schlug Heimdall vor. Sigurd schüttelte den Kopf. »Auf keinen Fall! Wir drei müssen unter allen Umständen hier in der FESTUNG blei ben. Ich würde ja diesen Fremden vorschla gen, diesen Atlan, aber vielleicht sollten wir ihm nicht zu sehr vertrauen, obwohl er uns geholfen hat. Er verfolgt seine eigenen Zie le, das spüre ich, und sie haben nur wenig mit den unseren zu tun. Vielleicht weiß un sere Schwester mehr darüber zu sagen …?« Thalia warf ihm einen undefinierbaren
6 Blick zu. »Ihr seid meine Brüder, und Atlan ver traue ich. Wessen Spion also sollte ich wohl sein?« Sigurd schien durch die Antwort für einen Augenblick verwirrt zu sein, aber noch ehe er etwas erwidern konnte, klopfte es aber mals an der Tür. Heimdall öffnete. Es waren Atlan und seine beiden Begleiter. »Ich nehme an, daß es wichtige Dinge zu besprechen gibt. Vielleicht können wir euch helfen?« »Kommt herein!« forderte Sigurd ihn auf. Atlan, Razamon und das durch seinen Velst-Schleier vor einer Katastrophe ge schützte Antimaterie-Wesen Kolphyr betra ten den Raum und setzten sich auf die ange botenen Plätze. Sigurd wiederholte, was bisher bespro chen worden war und schloß: »Das Wache Auge muß aktiviert werden, das ist unsere erste Aufgabe.« Er nickte At lan zu. »Ja, ich weiß schon. Du befürchtest eine Katastrophe, wenn wir unsere Reise durch Zeit und Raum nicht kontrollieren können. Du möchtest die tief in der Kruste von Pthor gelegenen Antriebsanlagen aufsu chen, um sie in den Griff zu bekommen und das Ziel der Reise bestimmen zu können. Du weißt aber auch, daß wir das ablehnen müs sen. Ein solcher Eingriff könnte unabsehbare Folgen für uns alle nach sich ziehen und die von dir befürchtete Katastrophe erst recht bewirken. Vergiß also deinen Plan, Atlan!« Atlan nickte und schwieg, obwohl er von der Seite her Razamons auffordenden Blick fast körperlich spürte. Er wußte, daß es kei nen Sinn hatte, Sigurd überreden zu wollen. Auf der anderen Seite jedoch war er fest da von überzeugt, daß es früher oder später zu der von ihm befürchteten Katastrophe kom men mußte. Aber wie wollte er sie verhindern, wenn ihm die Söhne Odins ihre Unterstützung ver sagten? Ohne ihre Zustimmung konnte er nicht in die tief unter der Oberfläche befind lichen Anlagen gelangen. Und dieser Weg in die Tiefe begann in der FESTUNG.
Clark Darlton »Zurück zum Wachen Auge«, sagte Si gurd, als es still im Raum blieb. »Gibt es In formationen?« »Bis jetzt keine«, gab Heimdall Auskunft. »Alle Verbindungen sind unterbrochen. Die Revolte der Technos muß verheerende Fol gen gehabt haben.« Sigurd bekam plötzlich ganz schmale Au gen. »Ich glaube, daß ich einen Ausweg finden werde, Brüder. Aber laßt mir ein wenig Zeit, denn nichts darf überstürzt werden. Ohne genaue Planung erzielen wir nur Mißerfol ge.« Er stand auf, ein sicheres Zeichen da für, daß er die Zusammenkunft offiziell als beendet ansah. »Laßt uns allein, Freunde«, fuhr er dann fort und sah Atlan dabei an. »Wir müssen beraten. Thalia, du kannst ebenfalls gehen.« Odins Tochter erhob sich ruckartig und war noch vor Atlan und seinen beiden Be gleitern an der Tür. Dort drehte sie sich noch einmal um. »Du wirst noch sehr unter deinen Vorur teilen zu leiden haben, Sigurd. Ihr alle drei … Brüder!«
* »Ich muß mit dir reden«, flüsterte Thalia, als Atlan neben ihr war. »Allein.« »Komm in einer halben Stunde zu mir«, gab Atlan ebenso leise zurück. »Was sagte sie?« fragte Razamon, als Thalia in den Seitengang abgebogen war, der zu ihrem provisorischen Wohnraum führte. »Ihr versteht euch ja ganz gut, nicht wahr?« »Bist du vielleicht neidisch?« Atlan wuß te, daß sich seine Zuneigung für Thalia nicht mehr länger verheimlichen ließ. »Sie möchte mit mir reden.« »Rede nur mit ihr«, empfahl Razamon. »Und denke nur nicht, ich wäre neidisch. Außerdem bin ich ein besserer Diplomat, als du zu glauben scheinst. Immerhin ist Thalia die Schwester der Odinssöhne, und die stel len nun mal unser Problem dar.«
Die lebenden Toten »Das ist allerdings nur zu wahr«, stimmte Atlan zu. »Sie versperren uns den Zutritt zum Antrieb des Dimensionsfahrstuhls.« »Wir werden ihn finden!« versicherte Razamon und schlug zusammen mit Kol phyr eine andere Richtung ein. Atlan gelangte ohne weiteren Aufenthalt in den Raum, den er sich als Quartier in der FESTUNG ausgesucht hatte. Früher mochte er einem Techno, Dello oder einem anderen Androiden als Unterkunft gedient haben. Es würde nicht das erste Mal sein, daß er hier heimlich mit Thalia zusammentraf. Er hatte sie auch schon in ihren Räumen aufge sucht und wußte, daß sie seine Gefühle erwi derte. Kein Wunder, denn sie wurde von ih ren drei Brüdern mit einer Herablassung be handelt, die sie verbittern mußte. Es war nur zu natürlich, daß sie sich ihm zuwandte. Die Sorge um die Zukunft unterbrach sei nen Gedankengang. Die Erde lag nun weit hinter ihnen. Perry Rhodan mußte ihn und Razamon für alle Zeiten verschollen glau ben, aber die Gefahr, die dem Planeten von Atlantis-Pthor einst drohte, war vorerst ge bannt. Nicht jedoch die Gefahr, die Pthor selbst drohte. Er schrak zusammen, als Thalia die Tür leise öffnete und den Raum betrat. »Störe ich dich auch nicht, Atlan?« »Du störst mich niemals«, sagte er und ging ihr entgegen. »Das solltest du wissen. Komm, setz dich.« Sie nahm Platz und wirkte unschlüssig. Er half ihr: »Ich nehme an, du wolltest mir etwas mit teilen, was deine Brüder nicht unbedingt wissen müssen. Hier können wir unbesorgt darüber sprechen, es gibt keine Lauscher.« »Du bist zwar ihr Verbündeter, aber sie vertrauen dir nicht. Nun, da sie ihr Ziel er reicht haben, bist du überflüssig geworden. In dieser Richtung etwa denken sie …« »Sie irren sich gewaltig, Thalia. Ich ver stehe genug von Technik, um meine Schlüs se ziehen zu können. Pthor ist außer Kon trolle geraten, wer immer auch am letzten
7 und entscheidenden Hebel sitzen mag. Zu erst befürchtete ich, wir würden direkt in die geheimnisvolle Schwarze Galaxis zurück stürzen, die aber erst dann unser Ziel sein darf, wenn wir die Funktionsweise des Di mensionsfahrstuhls kennen. Dazu wäre es jetzt noch zu früh. Inzwischen nehme ich an, daß wir überhaupt kein Ziel haben. Wenig stens kein bestimmtes.« »Ich habe versucht, meinen Brüdern die Gefahr klarzumachen, in der wir uns befin den, aber sie hören nicht auf mich. Ihnen geht es in erster Linie darum, die Bevölke rung unter ihre Kontrolle zu bringen. Pthor, so glauben sie, kann man ruhig sich selbst überlassen. Sie lachen mich aus. Ich bin ja nur eine Frau.« »Ein Glück, daß du eine Frau bist«, sagte Atlan und lächelte, wurde aber sofort wieder ernst. »Der Zugang zu den unterirdischen Antriebsanlagen befindet sich irgendwo in nerhalb der FESTUNG, aber ohne die aus drückliche Erlaubnis deiner Brüder darf ich ihn nicht betreten. Du weißt das, und du weißt auch, daß ich es ohne diese Erlaubnis niemals tun würde, schon um dich nicht in Schwierigkeiten zu bringen.« »Natürlich weiß ich das, deshalb bin ich ja hier.« Ihr Gesicht hellte sich auf. »Aber dieses Verbot gilt doch nur für jenen Zu gang, der sich hier in der FESTUNG befin det – ist es nicht so?« Atlan betrachtete sie forschend. »Das stimmt, Thalia. Warum fragst du?« »Als ob du das nicht schon längst erraten hättest, mein Lieber. Aber freue dich nicht zu früh, denn es handelt sich eigentlich nur um ein Gerücht. Ich hörte es von Koy, dem Trommler. Koy meinte, es wäre nur logisch, wenn es noch weitere Eingänge zu den An triebsanlagen von Pthor gäbe.« »Wenn du mir verrätst, wo ich sie finden kann«, sagte Atlan langsam und mit Beto nung, »würdest du gegen die Interessen dei ner Brüder handeln. Sie würden dir das nie mals verzeihen.« »Ich weiß auch, daß du nicht nur dir selbst, sondern uns allen helfen willst. Wenn
8 ich also versuche, dir zu helfen, so ist das in meinen Augen kein Verrat an meinen Brü dern.« Er legte seine Hand auf ihren Arm. »Wenn du auch nur die geringsten Bedenken verspürst, dann schweige, Thalia. Ich werde diese Zugänge auch allein finden, wenn es sie gibt.« »Das glaube ich nicht, mein Freund. Wer käme schon auf die Idee, daß sie durch Was ser hindurch hinab in die Tiefe führen?« »Wasser?« vergewisserte sich Atlan er staunt. »Ja, du hast richtig gehört – durch Was ser! Etwa hundertachtzig Kilometer westlich von hier, noch vor der Senke der verlorenen Seelen, gibt es ein unbewohntes Steppenge biet. Es liegt, von hier aus gesehen, jenseits des Wachen Auges. In dieser Steppe befin den sich mehrere kleine Seen, alle kreisrund und – wie behauptet wird – unergründlich tief. Die Bewohner von Pthor meiden dieses Gebiet, denn dort ist es nicht ganz geheuer. Es spukt.« »Es gibt keine Geister!« »Vielleicht sind es auch keine, Atlan. Tagsüber droht dem Wanderer keine Gefahr, wenn er an den Ufern dieser Seen rastet, aber in der Nacht sollen unheimliche Wesen aus dem Wasser steigen und jeden töten, den sie fangen. Sie nehmen ihn mit in die Tiefe, und noch nie soll einer dieser Unglücklichen je wieder zurückgekehrt sein.« »Schauermärchen!« sagte Atlan über zeugt. »Vielleicht – vielleicht auch nicht …« »Und diese Seen«, kam Atlan wieder auf das eigentliche Thema zurück, »sollen in das Innere von Pthor führen?« »Koy vermutet es.« Atlan schwieg und dachte nach. Wenn an dem Gerücht mit den Seen etwas Wahres sein sollte, gab es einen Ausweg aus der Klemme, in der er sich befand. Die Odins söhne hatten ihm nicht verboten, nach ande ren Eingängen zum Antrieb zu suchen – wahrscheinlich deshalb, weil sie nichts von solchen Eingängen ahnten.
Clark Darlton »Wie komme ich zu diesen Seen, Tha lia?« »Ich habe überlegt, was zu tun ist. Meine Brüder sind sehr daran interessiert, das Wa che Auge wieder in Betrieb nehmen zu kön nen. Sie werden also selbst gehen oder je manden schicken müssen. Da sie sich aber hier in der FESTUNG für unentbehrlich hal ten, könnte es doch sein, daß sie dir und dei nen Freunden den Auftrag geben, im Wa chen Auge für Ordnung zu sorgen. Und die Seen liegen, wie ich dir schon erklärte, jen seits des Wachen Auges.« »Man sollte ihre Überlegungen in diese Richtung zu lenken versuchen«, schlug At lan vor. »Das tat ich schon mehrmals, aber bis jetzt haben sie noch keinen Entschluß fassen können.« Früher oder später müssen sie es, dachte Atlan. Ohne das Wache Auge sitzen sie praktisch blind und taub in der FESTUNG. »Ich danke dir, Thalia. Du hast mehr für uns alle und Pthor getan, als du – aus der Sicht deiner Brüder – tun durftest. Aber es ist kein Verrat an ihnen. Übrigens scheinen sie es nicht gern zu sehen, wenn wir uns zu oft treffen. Ist das vielleicht Eifersucht?« Thalia schüttelte entschieden den Kopf. »Es ist höchstens verletzter Stolz und Miß trauen. Sie akzeptieren mich zwar nicht als gleichwertig, aber sie gönnen mich auch kei nem anderen.« »Sie können nichts dafür«, nahm Atlan die Söhne Odins in Schutz. »Sie wurden in diesem Sinn erzogen.« »Ist das vielleicht meine Schuld? Solange sie mich für ihren Bruder Honir hielten, be handelten sie mich mit Respekt und Ach tung. Nun trage ich keine Männermaske mehr, und schon hat sich ihre Einstellung geändert. Bin ich deswegen wirklich weni ger wert?« »Natürlich nicht! Ich bin sogar sehr froh darüber.« Sie gab sein Lächeln zurück. »Meine Brüder sorgten dafür, daß ich die Männer zu hassen begann. Du hast das
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rechtzeitig ändern können.«
* »Auf keinen Fall geht das so weiter!« donnerte Sigurd und hieb mit der geballten Faust auf den Tisch. »Dieses Getue unserer Schwester mit Atlan geht mir auf die Ner ven!« »Laß sie doch!« riet Balduur nachsichtig. »Sie ist nun mal eine Frau, und Atlan ist ein Mann.« »Du bist, wie immer, ungemein scharfsin nig«, wies Sigurd ihn zurecht. »Darum ist es ja wohl auch überflüssig, meine Gründe an zuführen. Unser Vater Odin hatte recht, als er den Frauen mißtraute. Sie taugen nichts.« »Immerhin sprichst du von unserer Schwester …« »Sei ruhig, Balduur! Du suchst von Natur aus immer nach Kompromissen, und das ist dein Fehler.« Heimdall lehnte sich vor und sah Sigurd an. »Sollten wir nicht lieber darüber reden, wie das Wache Auge wieder in Betrieb ge nommen werden kann? Ich halte das für wichtiger, als über Thalia und ihre Lieb schaften zu philosophieren.« »Heimdall hat recht!« rief Balduur zu stimmend. Sigurd nickte langsam. Sein erzürntes Ge sicht glättete sich, als sei ihm plötzlich ein rettender Gedanke gekommen. »Das Wache Auge und Thalia …! Das ist die Lösung!« »Ich verstehe kein Wort«, gab Balduur zu. »Kannst du auch noch nicht, Bruder. Aber in wenigen Sekunden wirst du alles begrif fen haben, darauf gehe ich jede Wette ein. Jemand muß sich um das Wache Auge küm mern, klar? Muß also nachsehen, was pas siert ist und warum die Verbindung zur FE STUNG unterbrochen wurde. Auch das ist klar, oder nicht?« »Völlig klar!« rief Heimdall und fügte schnell hinzu: »Und dieser Jemand wird un ser Schwesterlein sein! Damit schlagen wir
zwei Fliegen mit einer Klappe.« »Genial!« gab Balduur zu, schien aber über diese Lösung nicht übermäßig glück lich zu sein. »Ist ja auch von mir«, gab sich Sigurd nicht gerade bescheiden. »Eine Frau versteht natürlich nichts von Technik, aber das ist in diesem Fall auch gar nicht nötig. Sie soll nur nachsehen und dann berichten, das genügt. Außerdem kann sie in der Zwischenzeit nicht dauernd mit Atlan zusammenstecken.« »Der ist ganz schön hinter ihr her«, stellte Heimdall fest. »Oder sie hinter ihm«, meinte Sigurd. »Also: Wir sind uns einig. Ich stelle ihr ihre Windrose zur Verfügung, die wir vom Lichthaus holen ließen.«
* Thalia hatte nicht die geringste Ahnung, was ihre Brüder von ihr wollten, und Baldu ur schwieg beharrlich, als sie ihn fragte. Er knurrte etwas, das sich anhörte wie »du wirst schon sehen« und ging voran. Thalia hatte ein ungutes Gefühl. Wenn die Brüder mit ihr sprechen wollten, gab es im mer unangenehme Überraschungen. Ein wenig beklommen folgte sie Balduur durch die verzweigten Gänge. Er öffnete die Tür zu Sigurds Residenz und ließ ihr sogar den Vortritt. »Da bist du ja endlich!« rief Sigurd, als er sie erblickte. »Das hat ja eine Ewigkeit ge dauert.« »Ich kann nicht fliegen«, sagte sie bissig und setzte sich in den erstbesten freien Ses sel. »Was wollt ihr von mir?« Sigurd fing Balduurs warnenden Blick auf und beherrschte sich. Sein Gesicht verzog sich sogar zu einer freundlichen Grimasse. »Wir haben eine wichtige Aufgabe für dich. Wir würden uns schon selbst darum kümmern, aber leider sind wir, wie du wohl weißt, hier unentbehrlich. So dachten wir, daß du die einzig richtige Person bist, die …« »Was also ist es?« unterbrach sie ihn.
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Sigurd nahm sich zusammen und blieb ru hig. Mit wenigen Worten erklärte er ihr, worum es ging, und schloß: »Du brauchst nichts weiter zu tun als hin zufahren und nachzusehen. Laß dir von den Technos oder dem Gordy Vergan Deiselt, der das Kommando hat, berichten und ver suche herauszufinden, warum die Anlage außer Betrieb gesetzt wurde. Das ist alles. Komm aber so schnell wie möglich zurück, damit wir informiert sind und entsprechende Schritte unternehmen können.« Sie blickte ihre Brüder der Reihe nach an. Ihr Gesicht war ausdruckslos. »Und eine so wichtige Mission vertraut ihr mir an?« wunderte sie sich. »Steckt nicht etwas anderes dahinter?« »Was soll denn dahinter stecken?« Baldu ur bemühte sich, unbeteiligt zu wirken. »Ohne das Wache Auge erfahren wir nicht, was auf Pthor vor sich geht. Sigurd sagte ja schon, daß wir drei hierbleiben müssen. Dar um fiel unsere Wahl auf dich.« »Sehr schmeichelhaft«, kommentierte sie trocken. »Mit der Windrose kannst du in ein paar Stunden dort sein«, lockte Heimdall. »Kein Problem.« »Wir erwarten dich morgen oder über morgen zurück«, beendete Sigurd die Unter haltung. Als Thalia zur Tür ging, verriet ihre Mie ne nicht, was sie dachte. »Sie braucht mehr als einen Tag«, mur melte Sigurd befriedigt. »Es gibt keine Stra ße und das Gelände ist uneben. Wir sind sie mindestens für eine volle Woche los …«
* Nachdem Thalia berichtet hatte, schwieg Atlan längere Zeit. Dann meinte er: »Du hast recht, es wäre eine einmalige Gelegenheit für uns, die Geschichte mit den unergründlichen Seen nachzuprüfen. Aber wenn Sigurd erfährt, daß ich dich ohne sein Einverständnis begleite, wird er vor Wut to ben.«
»Er hat es aber auch nicht verboten«, gab sie schlau zu bedenken. »Dein Name wurde bei dem Gespräch kein einziges Mal er wähnt.« »Du hast ihn ja auch nicht gefragt, oder? Wo steht denn die Windrose?« »Draußen im Garten. Wir können sie un bemerkt erreichen und damit losfahren.« »Ich muß noch Razamon und Kolphyr in formieren.« Er legte den Anzug der Ver nichtung an, der auch »das goldene Vlies« genannt wurde. »In einer halben Stunde bin ich bei dir und hole dich ab.« Sie huschte davon. Atlan hakte die letzten Ösen ein, öffnete vorsichtig die Tür und sah hinaus auf den Gang. Bis zu den Wohnräumen der beiden Freunde war es nicht weit. Es war niemand zu sehen. Razamon blickte erstaunt auf, als Atlan ohne Ankündigung in sein Zimmer trat und die Tür schnell hinter sich zuzog. »Nanu? Gestiefelt und gespornt? Was soll das bedeuten?« Atlan klärte ihn hastig auf. Viel Zeit blieb nicht mehr. »Du sagst Kolphyr Bescheid. Den Odins söhnen gegenüber tut möglichst harmlos. Sagt ihnen, wenn sie nach meinem Verbleib fragen, daß ich Thalia begleitet habe, um ihr zur Seite zu stehen, falls es technische oder andere Probleme geben sollte. Ich handele also ganz in ihrem Sinn. Das Wache Auge muß wieder in Betrieb genommen werden.« »Und du willst in Wirklichkeit zu diesen Seen?« »Mit dem Anzug der Vernichtung kann ich so tief und so lange tauchen wie ich will. Ich muß herausfinden, was an der Geschich te wahr ist. Entdecke ich wirklich einen Zu gang zur Antriebsanlage, sind wir einen gu ten Schritt vorangekommen. Vielleicht ge lingt es uns dann auch gemeinsam, Pthors unkontrollierten Sturz durch die Dimensio nen zu stoppen.« »Ich lasse dich nur ungern allein gehen …« »In der Windrose haben zwar drei Perso
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nen Platz, aber es hat wenig Zweck, Sigurd und die anderen noch mehr zu reizen.« Razamon nickte. »Also dann – viel Glück! Du wirst es brauchen.« »Grüße Kolphyr«, erwiderte Atlan, dann war er schon wieder auf dem Gang. Thalia erwartete ihn bereits. »Jetzt ist die beste Zeit, unbemerkt die FESTUNG zu verlassen. In wenigen Minu ten sind wir unterwegs, und dann kann uns niemand mehr einholen.« Vorsorglich hatte sie einen Beutel mit Le bensmitteln und eine Flasche mit Wasser be reitgelegt. Atlan nahm beides und drängte zum Aufbruch. Ohne Zwischenfall erreich ten sie den Ausgang. Die Windrose stand an dem Ort, den Si gurd angegeben hatte. Atlan warf den Beutel mit den Vorräten auf den dritten Sitz des in neren Rades. Thalia nahm hinter den Kon trollen Platz und wartete, bis auch Atlan si cher saß. Mit wenigen Handgriffen aktivier te sie das seltsame Gefährt, das sich gehor sam in Bewegung setzte. Jede Deckung ausnützend, rollte das Rad durch den verwüsteten Garten, in denen nun keine Wachen mehr patrouillierten und sie aufhielten. Vorbei an den kleineren Pyrami den erreichte es endlich offenes Gelände. Thalia erhöhte die Geschwindigkeit. Atlan beugte sich seitwärts aus dem inne ren ruhenden Rad und sah zurück. »Wir haben jetzt Zeit, Thalia. Es gibt vor erst noch keine Verfolger.« »Sie würden es schwer haben, uns einzu holen.« Sie lachte. »Ich hätte nie gedacht, daß uns ausgerechnet Sigurd zu einem ge meinsamen Ausflug verhelfen würde.«
* Razamon schlenderte durch die verlasse nen Gänge und Kontrollräume der FE STUNG, wie er es in letzter Zeit oft getan hatte. Atlan und Thalia waren nun schon et liche Stunden unterwegs und hatten einen gehörigen Vorsprung. Bis jetzt war Atlans
Teilnahme an der Exkursion noch nicht be merkt worden. Razamon schrak aus seinen Gedanken hoch, als ihm plötzlich Balduur entgegen trat. Er hatte ihn nicht kommen hören. »Du siehst dich wieder einmal um?« frag te Odins Sohn nicht unfreundlich. »Alles ist ein unvorstellbares Chaos, aber nun sind wir die Herren der FESTUNG. Sobald wir alles unter Kontrolle haben, werden somit auch wir bestimmen, wohin die Reise geht.« »Das wird auch gut sein«, erwiderte Raz amon mit der gleichen Freundlichkeit. »Doch im Augenblick weiß keiner von uns, wohin die Reise geht. Das ist ja auch einer der Gründe, warum wir uns nicht zu sicher fühlen dürfen. Pthor rast auf unbestimmba ren Kurs durch Raum und Zeit, einem unge wissen Ziel entgegen. Vielleicht wartet dort die endgültige Vernichtung auf uns.« »Das glauben wir nicht«, widersprach Balduur und setzte sich auf einen Block aus Kunststoff, der einem nicht bekannten Zweck diente. »Die ehemaligen Herren der FESTUNG hatten sich gegen jede Gefahr abgesichert.« »Waren sie wirklich die eigentlichen Her ren?« fragte Razamon skeptisch. »Gibt es nicht welche, die über ihnen standen und da mit heute über euch? Wenn ja, dann ist die Partie noch lange nicht entschieden.« Balduur wich aus: »Niemand weiß das, aber es wäre immer hin möglich, daß deine Vermutung zutrifft.« Sie schwiegen eine Weile, jeder mit sei nen eigenen Gedanken beschäftigt, die aller dings unterschiedlicher Natur waren. Schließlich sagte Razamon: »Warum willigt ihr nicht ein, den Antrieb von Pthor zu untersuchen? Nur so könnten wir den Sturz unter Kontrolle bringen. Wenn wir nichts unternehmen, sind wir hilflos ei nem unbekannten Schicksal ausgeliefert.« »Es wäre gefährlich, Razamon, in die un terirdische Anlage einzudringen, denn wir kennen ihr Geheimnis nicht.« »Dann wird es Zeit, sich darum zu küm mern! Warum hört ihr nicht auf Atlan? Er
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versteht mehr von Technologie als ihr alle zusammen. Er könnte euch und damit uns allen helfen.« »Das erlaubt Sigurd nie, Heimdall und ich sind auch dagegen.« Er sah Razamon plötz lich scharf an. »Wo steckt er überhaupt? Ich habe ihn heute noch nicht gesehen.« »Er hat deine Schwester zum Wachen Au ge begleitet«, gab Razamon ruhig und gelas sen Auskunft. Balduur starrte ihn zehn Sekunden lang fassungslos an, ehe er die Sprache wieder fand. »Was sagst du da? Atlan ist zusammen mit Thalia in der Windrose unterwegs? Wer hat ihm das gestattet?« »Wer hat es ihm verboten?« lautete Raza mons Gegenfrage. Balduur holte tief Luft und stand auf. »Ich muß es sofort Sigurd und Heimdall berichten. Was will Atlan überhaupt beim Wachen Auge? Oder hat er nur ein Interesse daran, mit Thalia allein und ungestört zu sein?« »Letzteres ist auf jeden Fall ein Grund, denn die beiden verstehen sich ganz ausge zeichnet.« »Das wissen wir, es ist kein Geheimnis. Halte dich mit deinem Freund Kolphyr zur Verfügung. Wahrscheinlich werden wir et was unternehmen müssen …« Er ging davon, ohne eine Antwort abzu warten.
* Sigurd wurde blaß vor Wut und Enttäu schung, als er die Neuigkeit erfuhr. »Diese Weiber! Ich habe es ja immer ge sagt! Man kann ihnen keine fünf Meter weit trauen!« Er übersah, daß er die Hauptschuld an Thalias Handlungsweise trug. »Du verallgemeinerst«, warf Balduur ihm vor. »Außerdem ist doch alles nur halb so schlimm. Was kann Atlan schon ausrichten, abgesehen davon, daß er mit Thalia allein ist? Razamon behauptet, er verstünde sehr
viel von technischen Dingen. Vielleicht kann er uns bei der Instandsetzung des Wa chen Auges behilflich sein …« »Ich traue ihm nicht!« brüllte Sigurd un beherrscht. »Ihm nicht und Thalia schon gar nicht! Die beiden haben irgend etwas vor, darauf könnt ihr Gift nehmen!« »Vielleicht bist du zu mißtrauisch«, gab Heimdall zu bedenken. »Atlan hat uns ge holfen, die FESTUNG zu erobern und Ge fahr von dem Planeten Erde abzuwenden. Er ist wie wir daran interessiert, daß wir Pthors Kurs bestimmen können, und dazu gehört auch das Wache Auge. Außerdem will er den Hauptantrieb finden und kennenlernen. Vielleicht hofft er, beim Wachen Auge einen Hinweis zu entdecken.« »Schlimm genug!« Sigurd sah Balduur an. »Was schlägst du vor?« »Sie zu verfolgen hätte wenig Sinn. Wir tun am besten so, als hätten wir keine Ein wände gegen den gemeinsamen Ausflug.« »Wir können doch nicht einfach hier her umsitzen und nichts tun!« polterte Sigurd und fegte damit den Vorschlag seines Bru ders vom Tisch. »Die beiden müssen ständig beobachtet werden! Ich will wissen, ob sie tatsächlich zum Wachen Auge unterwegs sind, oder ob Thalia einer Liebschaft wegen ihren Auftrag vergessen hat.« »Schicken wir doch Fenrir hinterher«, schlug Balduur vor. »Sein Anblick wird Thalia an ihre Pflichten erinnern. Außerdem kann er ihnen zu verstehen geben, daß sie nur bis zum Wachen Auge fahren dürfen und dann wieder umkehren müssen.« Diesmal stimmte Sigurd zu, denn er hatte keine bessere Idee. Der Fenrirwolf war zu verlässig und treu, wenn er auch nicht unbe dingt jedes Wort verstand, das man sagte. Er begriff mehr mit seinem nahezu unfehlbaren Instinkt die Dinge, die man von ihm ver langte. Balduur allerdings behauptete stets, sich mit dem Wolf ohne Schwierigkeiten perfekt verständigen zu können. »Also gut, schicken wir Fenrir los!« Si gurd hatte sich nun völlig beruhigt. Er wirk te fast unbeteiligt. »Wir haben noch genug
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in der FESTUNG zu tun. Außerdem müssen wir uns um Atlans Freunde kümmern, die zurückgeblieben sind. Wir dürfen sie nicht mehr aus den Augen lassen. Kann ja sein, daß sie mehr über Atlan und seine Absichten wissen, als sie uns gegenüber zugeben.« »Ich kümmere mich schon um sie«, ver sprach Heimdall. »Aber laß mich noch hin zufügen, daß ich unserer Schwester keinen gegen uns gerichteten Verrat zutraue.« »Hoffentlich behältst du recht«, murmelte Sigurd.
2. Als Magel zum ersten Mal erwachte, wußte er sofort, daß irgend etwas nicht stimmte. Das sichere Gefühl einer drohen den Gefahr hatte ihn aus seinem Erschöp fungsschlaf geholt, so tief und fest dieser auch gewesen sein mochte. In der Ferne brüllte der Salbir. Er war nä hergekommen, daran bestand für Magel kein Zweifel, aber er war es nicht, der die Gefahr signalisierte. In drei Stunden vielleicht … Nebenan schnarchte Korlo. Lang ausge streckt lag er da im Gras, den Mund weit ge öffnet. Die zehntägige Flucht hatte seine letzten Kraftreserven aufgezehrt. Magel beschloß, ihn vorerst noch nicht zu wecken. Er wandte seine Aufmerksamkeit dem See zu, dessen runde und unbewegte Was seroberfläche durch die Dämmerung zu ihm herüberblickte. Nichts deutete auf eine Ge fahr hin. Alles blieb ruhig und still. Nur das gleichmäßige Rauschen unterbrach den trü gerischen Frieden der unheimlichen Land schaft, aber Magel hörte es kaum noch. Man gewöhnte sich mit der Zeit daran. Er lehnte sich wieder zurück und ver schränkte die Arme unter dem Kopf. Sein Gefühl mußte ihn getäuscht haben. Viel leicht war es auch nur ein Alptraum gewe sen, der ihn geweckt hatte. Die totale Über müdung war daran sicher auch nicht ganz unschuldig. Die Augen fielen ihm zu, und Minuten
später schnarchte er wieder mit Korlo um die Wette. Zwei oder drei Stunden vergingen. Der Salbir hatte seine Anstrengungen verdoppelt und kam so etwas schneller voran. Ab und zu trug ihm der Westwind die Witterung sei ner Beute zu. Sein Instinkt sagte ihm, daß sie schliefen und sich nicht fortbewegten. Er holte also auf. Aber noch etwas anderes verriet ihm der Wind: vor ihm war Wasser! Das kühle, fri sche Wasser der unergründlichen Seen! Und der Salbir hatte nicht nur Hunger, er hatte auch Durst. Als Magel zum zweiten Mal erwachte, gab er sich nicht mehr mit der Erklärung zu frieden, einer Täuschung zum Opfer gefallen zu sein. Er weckte Korlo. »Wir müssen weiter, Korlo! Wir müssen weg von dem See, hast du verstanden?« »Du träumst«, knurrte Korlo mißmutig und schlaftrunken. Er wälzte sich auf die an dere Seite, wurde aber von Magel zurück auf den Rücken gerollt. »Los, aufstehen! Ich kann den Salbir schon bald sehen. In zehn Minuten ist er hier!« Die Erwähnung des Ungeheuers wirkte auf Korlo wie ein Guß kalten Wassers. Er war sofort hellwach. »Wo?« »Drüben zwischen den Büschen muß er schon sein.« Korlo blickte in die angegebene Richtung, dann schüttelte er den Kopf. »Ich kann nichts sehen, du hast dich ge täuscht.« Über dem See lag noch immer die Lichtaura wie ein Nebelschleier, der von in nen heraus leuchtete. Aber das Licht kam aus dem Wasser. Es war so, als brenne auf dem angeblich nicht vorhandenen Grund des Sees ein Feuer, das nie erlosch. Durch den blassen Schein hindurch war plötzlich eine Bewegung zu erkennen, die beiden Dellos sahen es fast gleichzeitig. Die verschwommenen Umrisse des Schattens blieben allerdings undefinierbar.
14 Der Schatten mußte aus dem See gekom men sein, und als er sich nun aufrichtete, stöhnte Korlo tonlos: »Das ist nicht der Salbir …« Das hatte Magel auch schon registriert, außerdem stieß das Ungetier in diesem Au genblick wieder sein bekanntes Gebrüll aus, sehr nah und rechts von dem Wesen, das aus dem See gestiegen war. »Ganz ruhig liegen bleiben, Korlo!« zi schelte Magel, vor Schreck und Entsetzen fast gelähmt. »Nicht bewegen!« Der verschwommene Schatten am ande ren Seeufer glitt lautlos nach rechts. Außer halb des Lichtscheins aus dem See war er noch schlechter zu erkennen, aber offen sichtlich handelte es sich um ein aufrecht gehendes Wesen, einem großen Menschen nicht unähnlich. Magel mußte unwillkürlich an die Schau ergeschichten denken, die man sich von den unergründlichen Seen berichtete. Es lief ihm eiskalt den Rücken herab. Die Geschichten waren also nicht erfunden. An den Seen spukte es … »Laß uns verschwinden!« hauchte Korlo angstschlotternd. Ehe Magel etwas erwidern konnte, hörten sie den Salbir wütend aufbrüllen und fau chen, dazwischen erklang ein schriller Schrei, der sich mehrmals wiederholte. Dann wurde das Brüllen zu einem lange zogenenen Heulen, das Schmerz und Furcht ausdrückte. In den kaum hundert Meter weit entfernten Büschen schien ein heftiger Kampf zu toben. Erdbrocken flogen in die Luft, und Zweige knackten, als sie gebro chen wurden. Ohne Zweifel ging es dort drüben um Leben oder Tod. »Das Ding aus dem See greift den Salbir an«, flüsterte Magel ungläubig. »Es muß al so stärker als ein Salbir sein.« »Ich will hier fort!« »Ich auch, aber nicht jetzt! Wer einen Sal bir angreift, hat auch keine Angst vor uns. Wenn wir jetzt entdeckt werden, sind wir rettungslos verloren.« Korlo sah wohl ein, daß sein Freund recht
Clark Darlton hatte. Er hielt den Mund und rührte sich nicht vom Fleck. Das jämmerliche Brüllen und Heulen des Salbirs wurde schwächer und verstummte schließlich. Dann drang wieder der schrille Kampfschrei des Unbekannten durch die fahle Dämmerung. Als sie kurz danach den Schatten wieder auftauchen sahen, hielten Magel und Korlo die Luft an. Undeutlich nur erkannten sie die aufrecht gehende Gestalt, die jetzt ein wenig nach vorn gebeugt ging und den toten Salbir hinter sich herschleppte. Der Jäger und seine Beute näherten sich dem Steilufer des Sees. Wieder unterbrach der schrille Schrei die Stille, und dann sahen die beiden Dellos, wie der Schatten den erlegten Salbir in hohem Bogen in den See warf. Das Schuppen tier klatschte ins Wasser und ging sofort un ter. Der Schatten aber nahm einen Anlauf und folgte dann mit einem Hechtsprung seiner versinkenden Beute. Lautlos fast glitt er un ter die Wasseroberfläche. Als sich der See wieder beruhigte, lag sei ne Oberfläche wieder wie flüssiges Blei un ter der Lichtaura. Sie verriet nicht, was unter ihr in der unergründlichen Tiefe geschah oder vorher geschehen war. Jetzt erst verlor Korlo die Nerven. Mit einem hysterischen Aufschrei sprang er auf die Füße und rannte in die Dämme rung hinaus, blind und ohne Ziel – außer mit der Absicht, so schnell wie möglich aus dem Bereich des unheimlichen Sees zu gelangen. »Warte doch!« rief Magel hinter ihm her, aber dann begann auch er zu laufen. Unter keinen Umständen wollte er allein hier zu rückbleiben. »Warte, ich komme doch mit …!« Die Angst vor dem Unbekannten und Un erklärlichen verlieh Korlo Flügel. Er wech selte die Richtung und rannte nach Osten, dorthin also, woher sie gekommen waren. Magel bemerkte es nicht, es wäre ihm jetzt auch egal gewesen. Ihm ging es nur darum, den Freund einzuholen, denn jeder
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für sich allein war verloren. Hinter ihm blieb die matt schimmernde Oberfläche des Sees zurück, unter der sich ein Geheimnis verbarg, das noch nie jemand zu lüften gewagt hatte. Vor ihm aber war wieder die Steppe und der immer noch in zügelloser Panik davon rennende und ununterbrochen brüllende Korlo.
* »Wenn das Gelände so bleibt, können wir in zwei Stunden beim Wachen Auge sein«, sagte Thalia, als Atlan eine entsprechende Frage stellte. »Oder willst du gleich zu den unergründlichen Seen fahren?« Er warf ihr einen dankbaren Blick zu. »Die Entscheidung muß ich dir überlas sen, denn du hast von deinen Brüdern einen Auftrag erhalten. Das Wache Auge ist sehr wichtig, aber vielleicht könnten wir uns wirklich erst bei der Rückfahrt darum küm mern.« »Immerhin liegt es auf unserem Weg.« Sie blieb noch unschlüssig und schien sich nicht entscheiden zu können. »Wir fahren direkt an ihm vorbei.« Die Landschaft veränderte sich nur wenig. Sie behielt ihren Steppencharakter, und im mer wieder zwangen größere Felsbrocken und Baumgruppen die Windrose zu Umwe gen, was unwiederbringliche Zeit kostete. Von einem Verfolger war nichts zu bemer ken. Der Antrieb des Fahrzeugs – energetische Felder zwischen den beiden Rädern – verur sachte kaum ein Geräusch. Atlans Augen hatten sich längst an das ständige Dämmer licht gewöhnt, doch er vermißte den wärme nden Schein der Sonne. Das ewige Rau schen des Zeitstroms, mit dem Pthor durch die Dimensionen stürzte, ging ihm allmäh lich auf die Nerven. Plötzlich deutete er nach vorn. »Da! Was ist das, Thalia?« Sie sah sofort, was er meinte, und verrin gerte das Tempo der Windrose.
Gegen den bleiernen Horizont hob sich ei ne menschliche Gestalt ab, die offensichtlich unbewaffnet war, zumindest trug sie nichts in den Händen. Sie wurde deutlicher, als die Windrose weiter auf sie zurollte. »Er kommt aus der Richtung des Wachen Auges«, murmelte Thalia verwundert. »Zu Fuß und allein!« Ihre Stimme verriet Befremden. »Vielleicht kann er uns einiges erzählen«, hoffte Atlan. »Dadurch sparen wir Zeit.« Der Mann, der ihnen entgegenschwankte, bemerkte sie jetzt und begann mit beiden Armen zu winken. Er mußte am Ende seiner Kräfte und total erschöpft sein. Seine Klei dung war zerrissen und hing in Fetzen an seinem ausgezehrten Körper herab. Als er feststellte, das man ihn gesehen hatte, blieb er stehen und ließ sich dann ein fach zu Boden fallen. Mühsam rappelte er sich dann wieder hoch und setzte sich, mit dem Rücken gegen einen Stein gelehnt. So erwartete er seine Rettung. Thalia hielt an und ließ Atlan zuerst aus steigen. Er gab dem Unbekannten zu trinken und wartete geduldig, bis er einige Bissen von dem geräucherten Speck herunterge schlungen hatte. Thalia hatte die Windrose in der Zwi schenzeit auch verlassen. »Wer bist du und woher kommst du?« fragte sie, als ihr das Warten zu lang wurde. »Ich bin Vergan Deiselt von der Familie Gordy aus Donkmoon. Ich war mit dem Kommando des Wachen Auges betraut wor den, aber ich habe versagt wie mein Vorgän ger Jastall Gornd. Ich erwarte die Strafe.« »Wir sind nicht hier, um dich zu bestra fen«, beruhigte ihn Thalia. »Was ist gesche hen? Berichte!« Deiselt war noch zu schwach, um zusam menhängend sprechen zu können. Immer wieder mußte er pausieren und neue Kräfte sammeln. Aber durch geschickte Fragen ver stand es Thalia, allmählich die ganze Ge schichte aus ihm herauszuholen. Die Technos im Wachen Auge hatten re voltiert und alle Gordys gefangengenommen
16 und eingesperrt. Nur ihm, Deiselt, war es ge lungen, rechtzeitig zu entkommen. Er hatte sich in einer der zahlreichen Anlagen ver steckt und hilflos zusehen müssen, wie die Technos damit begannen, die wichtigsten Einrichtungen des Wachen Auges zu de montieren. Thalia sah Atlan erschrocken an. »Das sind schlimme Nachrichten«, sagte der Arkonide erschrocken. »Das Wache Au ge ist für die Ortung und Steuerung von Pthor innerhalb der Raum- und Zeitkorrido re unentbehrlich. Wenn es für immer aus fällt, reicht unsere Phantasie nicht aus, sich die Folgen auch nur entfernt vorzustellen. Thalia, nun bleibt uns keine Wahl: Die Seen müssen warten!« »Und was ist mit dem da?« Sie deutete auf Deiselt. »Wir können ihn nicht hier al lein zurücklassen.« »Er kommt mit uns.« »Nein!« rief der Gordy entsetzt aus und streckte abwehrend die Hände aus. »Nicht zurück zum Wachen Auge! Lieber bleibe ich hier liegen und warte, bis ihr mich holt. Oder ich gehe allein weiter.« »Vielleicht mußt du dann zu lange war ten«, lehnte Thalia ab. »Und zu Fuß kommst du in deinem Zustand nie bis zur FE STUNG. Keine Sorge, dir kann nichts ge schehen, solange wir bei dir sind. Wir haben keine Angst vor den Technos.« Es kostete eine halbe Stunde, Deiselt zu überreden, dann erst erklärte er sich bereit, Thalia und Atlan zu begleiten. Als er endlich im dritten Sessel saß, betrachtete er die Windrose noch immer mit scheuen Blicken. Vielleicht hatte er davon gehört, daß einer der geheimnisvollen Odinssöhne das rollen de Doppelrad als Fortbewegungsmittel be nutzte. Aber er stellte keine Fragen und er gab sich in sein Schicksal. Thalia setzte die Windrose in Bewegung. Sie brauchte jetzt nur noch der deutlichen Spur Deiselts zu folgen, um die Richtung nicht zu verfehlen. Erst als die Anlagen des Wachen Auges am Horizont auftauchten, verringerte sie die
Clark Darlton Geschwindigkeit.
* Die Ortungsanlage von Pthor lag etwa sie bzig Kilometer östlich der Senke der verlo renen Seelen. Es handelte sich keineswegs um eine kompakt wirkende Anlage, sondern um in weitem Umkreis verstreute Einzelge bäude und kleine Stationen, die durch Stra ßen oder schmale Wege miteinander in Ver bindung standen. Dazwischen wucherte verwildertes Gras und wuchsen Baumgruppen und Büsche. Auf den ersten Blick wirkte das Wache Au ge, nur beherrscht von der vierzig Meter ho hen Zentralkuppel, in der sich Auswertung und Datenspeicherung befanden, verkom men und außer Betrieb. Von Thalia wußte Atlan, daß dieser Ein druck falsch war. Er entstand lediglich durch die Tatsache, daß man überflüssig geworde ne Bauwerke niemals abriß und durch neue ersetzte, sondern einfach stehen und verfal len ließ. Neue Anlagen entstanden in den Zwischenräumen oder draußen in dem noch unbebauten Gelände. »Sieht verlassen und tot aus«, stellte At lan trotzdem fest. »Eine Falle!« warnte Deiselt überzeugt. »Die Technos haben uns bemerkt und wol len uns überraschen. Sie werden uns viel leicht töten.« »Mit der Windrose können wir ihnen je derzeit entkommen«, beruhigte ihn Thalia. »Außerdem werden sie es nicht wagen, uns anzugreifen. Sie müssen wissen, daß die alten Herren der FESTUNG tot sind und die Odinssöhne übernommen haben.« Deiselt schwieg, keineswegs überzeugt. Thalia lenkte das Fahrzeug langsam und vorsichtig über die leeren Verbindungsstra ßen, vorbei an halb verfallenen Gebäuden und einer frisch demontierten Funkstation, von der nur noch die stählernen Verstrebun gen übriggeblieben waren. Die gesamte Ein richtung – Möbel, technisches Gerät und Ki sten mit Ersatzteilen – lag ungeordnet auf ei
Die lebenden Toten nem wirren Haufen daneben. »Sieht so aus, als hätten sie ihre Demonta getätigkeit plötzlich abgebrochen und wären einfach weggegangen«, murmelte Atlan vol ler Zweifel. »Außerdem ist niemand zu se hen. Dreihundert Technos können sich doch nicht in Luft aufgelöst haben …!« »Sie haben sich versteckt!« flüsterte Dei selt ängstlich. »Sie belauern uns. Jeden Au genblick werden sie über uns herfallen.« »Das Wache Auge scheint verlassen zu sein«, widersprach Thalia nüchtern. Es war mehr eine Feststellung als eine Vermutung. »Es gibt keine frischen Spuren. Was mag hier geschehen sein?« »Die Herren der FESTUNG werden die Technos bestrafen«, hoffte Deiselt. Er glaubte noch immer nicht an den inzwischen erfolgten Machtwechsel. »Vielleicht haben sie es schon getan …« »Unsinn!« Thalia verlor allmählich die Geduld. »Sie sind fortgegangen, das ist al les.« »Aber warum?« fragte Atlan, ohne eine Antwort zu erhalten. Eine Stunde lang durchsuchten sie die weit auseinanderliegenden Anlagen, und dann war es ausgerechnet Deiselt, der die wichtige Entdeckung machte. In einer der ausgeräumten Hallen fand er einen seiner Gordys. Der Mann war halb wahnsinnig vor Angst und hatte offenbar den Verstand verloren. Er blickte seinen ehemaligen Vorgesetzten mit weit aufgerissenen Augen an, ohne ihn an scheinend wiederzuerkennen. Dann schlug er beide Hände vor sein Gesicht und stieß sinnlose und unzusammenhängende Worte aus, mit denen sich nicht viel anfangen ließ. »Er muß einen furchtbaren Schock erlit ten haben«, stellte Atlan fest, der sich ver geblich bemühte, den Mann zu beruhigen. »Bring ihn zur Vernunft, Deiselt! Er muß dich doch erkennen!« »Seine Augen sind blicklos und leer. Er muß Schreckliches erlebt haben. Die Tech nos können Teufel sein …« »Vielleicht waren es nicht die Technos,
17 also versuche es!« riet Thalia streng. »Wir müssen herausfinden, was hier geschehen ist! Du kennst ihn, Deiselt. Er muß sich ein fach erinnern, wenn man ihm lange genug gut zuredet.« Deiselt gehorchte und beugte sich über den Verzweifelten, der ein Mitglied der großen Gordy-Familie war, und begann, auf ihn einzureden. Er tat es bedächtig und mit beruhigender Stimme, wie ein wohlwollen der Vorgesetzter, der einem Untergebenen Trost zuzusprechen versuchte. Die Methode schien Erfolg zu haben. Zuerst bestand die Antwort wieder aus ei nem sinnlosen Gestammel, aber dann began nen sich einige seiner Worte ständig zu wie derholen. Der Begriff »Überfall« kam mehr mals vor, aber weder Atlan noch Thalia konnten sich darauf einen Reim machen. Wer sollte das Wache Auge überfallen ha ben? Sicher schien nur zu sein, daß sowohl Technos wie auch ihre gefangenen Gordys die Ortungszentrale von Pthor zur gleichen Zeit und in übergroßer Eile verlassen hatten, ob freiwillig oder unter Zwang, das aller dings blieb noch offen. »Geister!« stöhnte der Gordy. »Gespenster! Sie kamen von Westen.« Der unter Schockeinfluß stehende sagte es mit einer Bestimmtheit, die vermuten ließ, daß er wieder bei Sinnen war und vernünftig denken konnte. Dann aber begann er wieder zu stammeln und sinnlose Worte zu mur meln. Der lichte Augenblick war vorüber. Es war nichts mehr mit ihm anzufangen. Als Deiselt ihn ungeduldig schüttelte, verlor er sogar das Bewußtsein. »Von Westen her …«, sagte Atlan lang sam und mit Betonung. Er zog Thalia beisei te, während Deiselt sich um seinen bewußt losen ehemaligen Mitarbeiter kümmerte. »Liegen im Westen nicht diese Seen, an de ren Ufern es manchmal nicht geheuer sein soll?« »Ja, die unergründlichen Seen – zu denen wolltest du doch. Spuk und Geister! Paßt das
18 nicht gut zusammen?« »Viel zu gut, Thalia! Die Wächter des Eingangs zur Antriebsanlage von Pthor …!« Er blickte sich um. Deiselt war noch immer mit dem Gordy beschäftigt. »Das hier hat Zeit bis später, wir können jetzt nicht viel unternehmen, um das Wache Auge zu akti vieren. Dazu werden Hilfskräfte gebraucht, denn es gibt viel zuviel Arbeit, alles wieder aufzubauen. Viel wichtiger ist es, den An trieb zu finden und unter Kontrolle zu brin gen.« »Die Seen …?« »Ja, wenn Koy recht behält.« Atlan beug te sich hinab zu Deiselt. »Wir müssen wei ter! Deinen Freund werden wir später abho len, wenn wir zurückkehren.« Deiselt schüttelte den Kopf. »Die Technos sind verschwunden, mein Platz ist wieder hier. Ich warte auf die Be fehle der Herren der FESTUNG, sie werden sich um mich kümmern.« Atlan sah ein, daß es wenig Zweck hatte, den Gordy von der neuen Sachlage zu über zeugen. Ehe er einen Entschluß fassen konn te, sagte Thalia: »Es ist gut, Vergan Deiselt, daß du dich an deine Pflichten erinnerst. Bleibe hier und warte auf unsere Rückkehr. Wir lassen dir einige Vorräte da. Es wird nicht lange dau ern.« Sie wartete keine Antwort ab, sondern nahm Atlans Hand. »Komm, wir haben nicht mehr viel Zeit zu verlieren. Meine Brüder müssen noch warten …« Sie hatten die Windrose auf der schmalen Straße stehen lassen, weil das übrige Gelän de zwischen den einzelnen Gebäuden mit demontierten Gegenständen bedeckt war. Atlan blieb plötzlich stehen und hielt Tha lia fest. Undeutlich war die Windrose gegen den düsteren Hintergrund eines Bauwerkes zu erkennen. Doch das war es nicht, was At lan stutzen ließ. Seitlich von dem Fahrzeug hatte er einen Schatten gesehen, der sich bewegte. Außer dem geschockten Gordy war es die einzige Bewegung gewesen, die er bisher im Wa chen Auge bemerkt hatte.
Clark Darlton »Kein Techno, kein Mensch!« flüsterte er Thalia zu. »Es könnte ein Tier sein …« Ihre Hand umklammerte unwillkürlich den Griff ihres Messers. Aber dann atmete sie erleichtert auf. »Es ist Fenrir, Balduurs Wolf. Du kennst ihn doch auch …« »Sehr gut sogar, er hat Razamon und mich lange Zeit begleitet. Komm, er bedeu tet keine Gefahr. Nur: Wie kommt er hier her?« »Man hat ihn uns nachgeschickt«, vermu tete Thalia sofort, die ihre Brüder nur zu gut kannte. »Sie haben von unserem Ausflug er fahren und wollen uns überwachen.« Vorsichtig näherten sie sich der Windro se. Es war tatsächlich Fenrir, der sie neben der Windrose erwartete. Seine Haltung war nicht drohend, aber abwartend. Atlan redete ihm gut zu, und auch Thalia begrüßte den Wolf mit einigen beruhigend klingenden Worten. Dann mahnte sie zum Aufbruch. Als Atlan die Windrose bestieg, kam Fenrir herbei und versuchte ihn abzudrän gen. Zum ersten Mal fletschte er die Zähne. »Was soll denn das?« wunderte sich Tha lia und wandte sich dem Wolf zu. »Laß den Unsinn, Fenrir! Das Wache Auge wurde von Unbekannten überfallen, die aus dem We sten kamen. Wir müssen herausfinden, wer diese Unbekannten waren. Hast du verstan den?« Fenrir knurrte, ließ aber von Atlan ab. Er streichelte über das Nackenhaar des Wolfes. »So ist es brav, Fenrir! Du kannst uns be gleiten, wenn du willst. Vielleicht werden wir deine Hilfe benötigen.« Er wußte nicht, ob Fenrir ihn verstanden hatte oder nicht, aber wenigstens konnte er nun ungehindert in das Innere des Rades klettern. Thalia kam nach und aktivierte den Antrieb. Langsam rollte die Windrose auf der Straße entlang, die nach Westen führte. Fenrir folgte ihr in einem Abstand von hundert Metern.
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Das Wache Auge blieb in der ewigen Dämmerung zurück.
3. Der Planet der Nobarcs umkreiste eine Sonne, deren Galaxis von der Erde aus gese hen nur ein winziger Lichtpunkt in den stärksten Teleskopen war. Der Planet besaß nur einen einzigen großen Kontinent, der ausschließlich von den Nobarcs bewohnt wurde. Eine andere intelligente Lebensform hatte sich nicht ent wickeln können, weil die Nobarcs mit ihren vielseitigen PSI-Kräften das verhinderten. Außer dem Kontinent gab es nur noch das Meer, ziemlich flach und ohne Inseln. Jede vulkanische Tätigkeit war schon seit Jahr millionen erloschen, so daß keine Verände rungen der Oberfläche mehr zu erwarten wa ren. Die Nobarcs hatten untereinander viele Kriege geführt, ehe sie sich einigten. Trotz dem wurde ihr Zusammenleben dadurch nicht leichter oder einfacher, da keiner von ihnen auf die ihm gegebenen Fähigkeiten verzichten wollte und sie ausübte, wann im mer er Lust dazu verspürte. So war es nur zu natürlich, daß es ständig Reibereien und Streitigkeiten gab, die von den zahlreichen Gerichten geschlichtet wer den mußten. Telepathen »belauschten« ihre Nachbarn und verbreiteten die unglaublich sten Gerüchte, Teleporter verübten Dieb stähle und verschwanden wieder spurlos, Telekineten machten sich einen Spaß daraus, öffentliche Fahrzeuge in Unfälle zu ver wickeln, um dann mit strahlendem Lächeln den Opfern zu Hilfe zu eilen. Die am meisten verbreitete PSI-Fähigkeit war jedoch das lediglich mit dem Bewußt sein ausgeteilte Paralysewunder. Wer diese Fähigkeit besaß, konnte Telepathen, Tele porter und Telekineten nach Belieben aus schalten und sie vorübergehend ihrer para normalen Kräfte berauben. Unter diesen Umständen hatte es jede Re gierung der Nobarcs sehr schwer, die öffent
liche Ordnung aufrechtzuerhalten. Es war nur zu natürlich, daß in diesen Regierungen stets die stärksten und mächtigsten Mutanten saßen. Das änderte sich mit einem Schlag, als ei nes Tages etwas Ungewöhnliches geschah. Schon immer hatte es Sagen und Gerüchte gegeben, daß ihr Kontinent in uralten Zeiten nicht der einzige auf dieser Welt gewesen sei. Draußen im Großen Ozean sollte es einst einen anderen gegeben haben, auf dem ein mächtiges Volk wohnte. Die Überliefe rungen bezeichneten diesen Kontinent als »Por«. Vor unbestimmter Zeit verschwand Por. Einige Versionen behaupteten, der ge heimnisvolle Kontinent sei im Meer versun ken, eine Strafe der Götter für das aus schweifende Leben der einstigen Bewohner. In anderen Sagen wiederum war die Rede von einer gewaltigen Katastrophe, einem Energieausbruch, der die ganze Insel ins Weltall hinausgeschleudert habe. Ein kleiner Mond in geringer Entfernung sei der Be weis. In Wirklichkeit jedoch gab es nicht ein mal einen Beweis dafür, daß dieser Konti nent Por überhaupt existiert hatte. Es gab nur wenige Nobarcs, die sich mit diesen alten Überlieferungen beschäftigten, die meisten hatten ganz andere Sorgen. Die Raumfahrt wurde niemals entwickelt, und selbst die normale Technik stand auf der un tersten Stufe. Das Volk der Nobarcs sta gnierte. Dann aber, wie bereits erwähnt, geschah das Unglaubliche. Von allen Seiten her näherte sich dem Kontinent eine fast hundert Meter hohe Flut welle, die sämtliche Küstengebiete zu über schwemmen drohte. Die Teleporter brachten sich leicht in Sicherheit und nahmen ihre nächsten Verwandten mit. Die anderen Mu tanten hatten es schwerer, höher gelegene Gebiete zu erreichen, und so blieb es nicht aus, daß fast die Hälfte der Bevölkerung in den anstürmenden Fluten des Ozeans den Tod fand.
20 Erste Erkundungssprünge von Teleportern brachten die Ursache der Katastrophe ans Tageslicht. Mitten im Ozean, fast an jener Stelle, an der Por einst versunken sein sollte, befand sich ein neuer Kontinent. Er wurde von einer Glocke eingehüllt, die selbst von den Teleportern nicht durchdrungen werden konnte. Wie ein riesiges Ungeheuer lag die Insel im Meer und schien auf etwas zu war ten. Das Volk der Nobarcs folgte zum ersten Mal den Anweisungen der Regierung, die den Notstand ausgerufen hatte. Noch aber ahnte niemand, welche Schrecken in der na hen Zukunft auf sie warteten, bis die Invasi on erfolgte. Die Pforten der Hölle schienen sich geöff net zu haben, als Lebewesen unterschiedli chen Aussehens aus dem Meer auftauchten und den bisher isolierten Kontinent überfie len. Gegen die meisten von ihnen waren auch die fähigsten Para-Lähmer wehrlos. Sie setzten zwar ihre ungewöhnlichen PSIKräfte ein, erzielten aber nur selten Erfolge damit. Selbst die Teleporter fanden bald keinen Ort mehr, an dem sie sicher gewesen wären. Ganz zu schweigen von den anderen Nobar cs, die auf normale Fortbewegungsmittel an gewiesen waren. Als der Großteil der Bevölkerung ausge rottet war, zogen sich die Invasoren plötz lich zurück, so als wäre ihre scheußliche Ar beit beendet. Dafür tauchten humanoide We sen auf, die alle Überlebenden mit Waffen gewalt zusammentrieben. Auch hier versag ten die Para-Lähmer. Sie begriffen nicht, daß sie es mit Androiden zu tun hatten. Mit großen Schiffen wurden die Gefange nen über das Meer zu dem plötzlich aufge tauchten Kontinent gebracht, dessen Wölb mantel nun verschwunden war. In einem un wegsamen Gebiet mit kreisrunden Seen sie delte man sie gewaltsam an, stellte Wohn hütten und Lebensmittel zur Verfügung und teilte ihnen mit, daß sie von nun an die »Sklaven der FESTUNG von Pthor« seien. Pthor und Por – die Beziehung war herge-
Clark Darlton stellt! Die Nobarcs ergaben sich nach einigen Revolten in ihr Schicksal. Ihre einzige Hoff nung war, eines Tages von der großen Insel fliehen zu können. Aber auch diese Hoffnung zerschlug sich, als eines Tages die Sonne erlosch und eine graue Dämmerung über das ganze Land fiel. Es gab keine Nacht und keinen Tag mehr, und ein ständiges Rauschen wie von einem fernen Wasserfall erfüllte die Luft. Langsam nur erfuhren die Nobarcs, was gesehenen war und wo sie sich befanden. Zuerst überfiel sie Verzweiflung, aber dann brach der Haß durch und machte sie zu den bösartigsten Lebewesen auf Pthor. Ihre PSIFähigkeiten steigerten sich, statt zu verküm mern. Allerdings gab es fast nur noch ParaLähmer. Als Sklaven der Herren der FESTUNG hatten sie nichts anderes zu tun, als die run den Seen zu überwachen und dafür zu sor gen, daß sich ihnen niemand näherte. Und das taten die Nobarcs mit aller Gründlich keit, wobei sie keinen schonten, der das ab gegrenzte Gebiet betrat. Als auch die ersten Technos ihrem Ver nichtungswillen zum Opfer fielen, sahen die Herren ein, daß sie in Zukunft noch viel Är ger mit diesen widerborstigen Untertanen haben würden. Auch wurden ihnen die Para fähigkeiten allmählich unheimlich. Sie beschlossen, die Nobarcs zu verban nen. Diese Gelegenheit bot sich, als Pthor wie der einmal den Zeitstrom und die Dimensi onsfelder verließ, um auf einem bewohnten Planeten zu materialisieren. Die unbekannte Welt hatte mehrere Kontinente und befand sich noch halb im Urzustand. Riesige Wäl der bedeckten das Land, auf dem sich ge waltige Tiere tummelten und erste Men schen Mühe hatten, sich zu behaupten. Die Herren der FESTUNG sahen keine Veranlassung, ihre Horden der Nacht auf die unterentwickelte Bevölkerung loszulassen, die erst am Anfang ihrer Evolution stand. Aber die Nobarcs wurden auf einem der
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kleineren Kontinente ausgesetzt. Sie setzten dieser Evakuierung keinen Widerstand entgegen, nahmen von der neuen Heimat Besitz und erfreuten sich ihrer wiedergewonnenen Freiheit. Was sie nicht ahnen konnten, war, daß die Strahlen der hellgelben Sonne dafür sorgten, daß die kommende Generation sämtliche PSIFähigkeiten verlor. Die Nobarcs wurden normal – und sie blieben es für alle Zeiten. Nur das im Unterbewußtsein verankerte Böse brach immer wieder durch …
* Als Perquesch-Carrax erwachte, wußte er mit tödlicher Sicherheit, daß Pthor wieder einmal seine Reise ins Ungewisse angetreten hatte. Immer dann, wenn Pthor auf einem Planeten festsaß, schlief Perquesch-Carrax, oder besser gesagt: Er war tot. Tot wie alle anderen Nobarcs, die auf Pthor zurückgeblieben waren. Sie erwachten nur dann zu unheimlichem Leben, wenn der Dimensionsfahrstuhl sich in Bewegung setz te und die ewige Dämmerung die Landschaft einhüllte. Und mit ihnen erwachte dann auch das Böse. Kein Lebewesen war vor ihnen sicher, und selbst die Herren der FESTUNG hatten sich noch nie in dieser verrufenen Gegend rund um die unergründlichen Seen blicken lassen. Perquesch-Carrax fühlte, wie seine Kräfte sich normalisierten. Die anderen Nobarcs rührten sich noch nicht. Leblos schwebten sie in dem eiskalten Wasser des Sees, tief unter der Oberfläche, und warteten. Sie alle hatten ihre ursprünglichen Fähig keiten noch nicht verloren, und die Stunde ihres ersten Todes hatten sie vergessen, weil sie sie eigentlich niemals bewußt hatten erle ben können. Nur durch logisches Nachden ken war es Perquesch-Carrax gelungen, den damaligen Vorgang theoretisch zu rekon struieren. Er war gestorben, und sein Volk hatte ihn,
so wie auch die anderen Toten, in einem der vielen runden Seen versenkt. Es gab nur einen einzigen See, der nicht als Friedhof diente, weil sein Wasser zum Trinken und Kochen benutzt wurde. Solange die Nobarcs auf Pthor lebten, hat ten sie ihre Toten in den Seen versenkt, weil ihr Wasser eine unbekannte Substanz ent hielt, die jede Leiche für immer mumifizier te. Perquesch-Carrax wußte heute, daß diese Substanz noch mehr vermochte. Sie konser vierte auch das Bewußtsein der Toten, noch ehe es völlig erlöschen konnte. Er entsann sich noch des Tages, da er zum ersten Mal erwachte. Zuerst hatte er nicht gewußt, was gesche hen war und wo er sich befand, dann ent sann er sich seiner tödlichen Krankheit und erinnerte sich an das nahende Ende. Dann war er gestorben und in den See geworfen worden. Er wußte nicht, wie lange das schon her war, aber als er an die Oberfläche stieg und ans Land kletterte, herrschte eine trübe Dämmerung. Irgendwo in der Ferne rauschte ein Wasserfall. Da er annahm, nicht gestor ben zu sein, wollte er sein Volk suchen, aber er mußte feststellen, daß sich die Landschaft verändert hatte, so als sei inzwischen eine lange Zeit vergangen. Er fand keinen einzigen lebenden Nobarc. Die Erkenntnis dämmerte ihm erst dann, als andere »Leichen« aus den Seen kletterten – Nobarcs, von denen er wußte, daß sie vor ihm gestorben waren. Er selbst hatte einige von ihnen im See versenkt. Obwohl er keinen Hunger verspürte, er wachte in ihm die Lust zum Töten eines an deren Lebewesens. Natürlich würde er kei nen Nobarcs überfallen, ganz davon abgese hen, daß es nur lebendig-tote Nobarcs gab. Alle anderen mußten schon vor vielen Jah ren verschwunden sein. Nach dem ersten Mal war Perquesch-Car rax noch viele Male erwacht und hatte seine Wut und seinen Haß ausgetobt. Mit den an deren Nobarcs war er weit in die Steppe vor
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gedrungen, einmal sogar bis an den Rand der Wüste Kalmlech, wo sie reiche Beute machen konnten. Aber er wußte, daß es ge fährlich war, sich zu weit von den Seen zu entfernen, denn wenn Pthor auf einem Pla neten materialisierte und es Tag wurde, wür de er endgültig sterben. Langsam ließ er sich nach oben schwe ben, bis er den Wasserspiegel erreichte. Es war wie immer: Dämmerung herrschte, und in der Ferne war das beruhigende Rauschen, das für ihn Leben bedeutete. Ganz still ließ er sich treiben und wartete. Irgendwo in der östlichen Steppe hörte er Geräusche, so als nähere sich jemand den Seen. Dann bestätigte ein dumpfes Brüllen seinen Verdacht. Ein Ungeheuer bot sich als willkommene Beute an. Das Knacken der vertrockneten Äste und das Stampfen im Gras kam näher. Perque sch-Carrax wunderte sich, daß er noch allein im See schwamm, aber es kam öfter vor, daß sich seine Gefährten verspäteten oder über haupt in der Tiefe blieben. Als er das Monstrum endlich in der grau en Dämmerung erspähen konnte, erklomm er das Steilufer und bereitete sich auf den Angriff vor. Er verzichtete auf seine Fähig keit als Para-Lähmer und stürzte sich mit ei nem schrillen Kampfschrei auf den Gegner, ein echsenartiges Ungetier, das größer war als er selbst. Es wurde ein schneller Kampf, der mit dem Tod der Echse endete. Er packte das er legte Tier beim Schwanz und zog es hinter sich her, bis zum Ufer des Sees. Dort schleu derte er es mit einem triumphierenden Sie gesschrei ins Wasser und sprang hinterher, um sofort unterzutauchen. Seine Gefährten würden schon auf ihn warten, und wenn sie sahen, was er getötet hatte, würden auch sie auftauchen und jagen wollen.
* Magel holte Korlo ein und hielt ihn fest.
»Spare deine Kräfte, außerdem rennst du in die falsche Richtung. Wir wollten doch nach Norden.« »Dieses Gespenst!« Korlo stieß die Luft aus den überanstrengten Lungen und ließ sich zu Boden sinken. »Wo ist es?« »In den See gesprungen, wir werden nicht verfolgt. Nun reiß dich zusammen, oder wir sind verloren.« Korlos Augen versuchten, die Dämme rung zu durchdringen, die zwischen ihnen und den Seen lag. Er sah keine Bewegung, nur eine ferne Lichtaura und weiter nördlich noch andere. »Ob es wirklich ein Gespenst war, oder ein Geist?« »Ist doch dasselbe, Korlo. Es spukt hier, das wissen wir nun.« »Aber es hat das Ungeheuer erledigt, wir sind es los.« Auch Magel setzte sich hin. »Das ist richtig, aber ich weiß nicht recht, was mir lieber ist: das Gespenst oder der Salbir.« »Wir gehen ein Stück zurück nach Osten, ehe wir uns nach Norden wenden«, schlug Korlo plötzlich vor. »Wir machen einen großen Bogen um die Seen. Für nichts auf Pthor bringst du mich wieder in ihre Nähe.« »Einverstanden! Die Hauptsache ist, wir brechen gleich auf.« »Sobald ich wieder bei Atem bin …« Sie rasteten etwa zehn Minuten, ehe sie sich erneut in Bewegung setzten, um so schnell wie möglich eine größere Entfer nung zwischen sich und die unergründlichen Seen zu bringen. Vorerst marschierten sie in Richtung des Wachen Auges. Perquesch-Carrax war enttäuscht von der mangelnden Begeisterung seiner Gefährten über die mitgebrachte Beute. Erst als ihm die anderen von dem Überfall auf die Or tungszentrale der Herren berichteten, begriff er ihre Einstellung. Er selbst hatte den Überfall »verschlafen«. Zehn Nobarcs hatten schon vor Tagen ih
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ren See verlassen und waren durch die Step pe nach Osten gezogen. Der Haß auf die Herren von Pthor brannte in ihnen wie ein nie verlöschendes Feuer. Es genügte ihnen nicht, umherirrende Ungeheuer zu töten, sie wollten mehr. Sie wollten zerstören und vernichten. Aber so erschrocken die Technos im Wa chen Auge auch sein mochten, als die Ar mee der Gespenster auftauchte, so entschie den setzten sie sich auch zur Wehr, aller dings nicht lange. Als sie feststellen mußten, daß sie Tote nicht so leicht noch einmal töten konnten, ergriffen sie die Flucht. Die gefangenen Gordys nahmen sie mit. Sie wurden nicht verfolgt. Die Spukgei ster aus den unergründlichen Seen tobten sich in der halb demontierten Anlage aus, ehe sie so schweigend, wie sie gekommen waren, wieder in der Steppe untertauchten. Perquesch-Carrax kam der ungeheuerli che Gedanke, eines Tages die FESTUNG selbst anzugreifen und dort den aufgespei cherten Haß auszutoben, um danach viel leicht für immer Ruhe zu finden. Aber noch wagte er es nicht, seinen Plan den anderen mitzuteilen. Er beschloß, bald wieder nach oben zu steigen, allein und ohne Begleiter, um nach einer neuen Beute Um schau zu halten. Die Zeit der »Nacht« mußte genutzt wer den.
* Schon nach wenigen hundert Metern sah Atlan die Spuren. Es waren seltsame Spuren, die von We sten kamen und wieder dorthin zurück führ ten. Vor allen Dingen waren es keine ein heitlich aussehenden Spuren. Unwillkürlich mußte Atlan an die Horden der Nacht den ken. Er bat Thalia anzuhalten. »Bleibe hinter den Kontrollen sitzen, ich möchte nur die Spuren untersuchen. Sie ge fallen mir nicht.« Fenrir, der immer im gleichen Abstand
der Windrose gefolgt war, kam näher und beobachtete Atlan, der sich zum Boden hin abbeugte, um besser sehen zu können. Mit tastenden Fingern prüfte er die Umrisse der seltsamen Spuren, ohne zu einem Ergebnis zu gelangen. Sie gehörten zu keinem Lebe wesen, das ihm schon auf Pthor begegnet war. Er richtete sich wieder auf. »Die meisten gingen aufrecht«, sagte er zu Thalia, die ihn gespannt ansah. »Aber es waren keine Technos oder Gordys. Es müs sen jene gewesen sein, die das Wache Auge überfielen.« »Und sie kamen von Westen«, sagte Tha lia mit eigenartiger Betonung. »Von dort, wo die unergründlichen Seen sind.« Atlan nickte. Fenrir schnupperte am Boden entlang, als wolle er die Witterung der Unbekannten auf nehmen. Sein Nackenfell war gesträubt. Er knurrte leise. »Sie sind ihm nicht geheuer«, meinte Thalia, als Atlan neben ihr in den Sitz stieg. »Willst du noch immer zu den Seen?« »Jetzt erst recht! Geister hinterlassen kei ne Spuren, also muß es sich bei jenen, die das Wache Auge überfielen und die den an geblichen Spuk bei den Seen veranstalten, um Wesen aus Fleisch und Blut handeln.«
* »Pthor birgt viele Geheimnisse …« »Da stimme ich dir allerdings zu.« Atlan beugte sich seitlich aus dem Rad. »He, Fenr ir, es geht weiter. Ich bin jetzt ganz froh, daß du bei uns bist, alter Junge.« Die Windrose setzte sich wieder in Bewe gung. In dieser Gegend war Atlan vorher noch nicht gewesen. Im Süden kündigten erste Hügel die Vorläufer der Taamberge an. Zwi schen ihnen lagen flache Täler, deren spärli cher Grasbewuchs Wasser verriet. Die Spuren zogen sich weiter auseinander und wurden undeutlicher. Sie stammten von zehn oder einem Dutzend verschiedener
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Wesen. Atlan überlegte, wie es möglich sein konnte, daß so wenige Angreifer das Wache Auge überfallen und dreihundert bewaffnete Technos in die Flucht schlagen konnten. »Wie weit ist es noch, Thalia?« Sie zuckte die Schultern. »Woher soll ich das wissen? Ich bin noch nie in meinem Leben hier oder an den Seen gewesen.« »Den Spuren können wir bald nicht mehr folgen, weil der Sand lockerer geworden ist. Der Wind hat sie verweht, und auch Fenrir scheint die Witterung verloren zu haben.« »Immer nach Westen, dann kommen wir schon hin.« »Fragt sich nur, was uns dort erwartet …« Sie warf ihm einen erstaunten Blick zu. »Du warst es, der zu den unergründlichen Seen wollte, nicht ich«, erinnerte sie ihn ein wenig vorwurfsvoll. »Hast du das vielleicht vergessen?« Er schüttelte den Kopf. »Natürlich nicht, Thalia, entschuldige. Ich glaube, ich war mit meinen Gedanken ganz woanders.« Er deutete nach vorn. »Warum fährst du nicht schneller?«
* Magel und Korlo wären schon längst nach Norden abgebogen, wenn sie nicht gerade in dieser Richtung etwas Unheimliches gese hen hätten. Sie mochten etwa zwei Stunden mar schiert sein und hofften, die einmal einge schlagene Richtung beibehalten zu haben. Die Orientierung war nicht so einfach, weil die Sonne oder die Sterne fehlten. Magel wußte sich zu helfen. Immer wie der brach er von den vereinzelt wachsenden Büschen einen Zweig ab und steckte ihn als Markierung in den Boden. Zurückblickend erhielt er so eine Kontrolle, daß sie nicht im Kreis gingen, sondern in gerader Linie nach Osten. Korlo hatte seine alte Überlegenheit zu rückgewonnen. Er schritt rüstiger aus und trieb Magel immer wieder an.
»So, und nun biegen wir nach Norden ab, Magel. Du kannst also deine Stöckchen in dieser Richtung setzen …« Er ließ die erho bene Hand sinken, die nach Norden deutete. Unsicher kniff er die Augen zusammen, um besser sehen zu können, aber die trübe Däm merung verringerte die Sichtweite. »Was ist das dort …« Magel hatte es auch gesehen. Gegen den milchigen Horizont hob sich ein undeutlicher Schatten ab, der sich von Osten nach Westen bewegte. Er gehörte zu einer gut drei Meter hohen Gestalt, die auf recht ging. Magel warf sich zu Boden. »Leg dich hin, Korlo, dann sieht es uns nicht!« Dicht nebeneinander lagen sie im Sand und spähten durch die Grasbüschel, die nur wenig Deckung gaben. Der Unbekannte wirkte nun noch größer und unheimlicher. Seine Schritte waren unsicher, aber sie brachten ihn schnell voran. »Spürst du auch das Kribbeln im Nacken«, flüsterte Magel und wagte kaum zu atmen. »Es muß von dem Ding da kom men.« Korlo hatte seine Forschheit längst wieder abgelegt und zitterte vor Angst. »Sieht so ähnlich aus wie das Gespenst, das den Salbir tötete und in den See warf. Sie sind also auch hier …« »Es bemerkt uns nicht, wenn wir still sind«, warnte Magel. Sie blieben liegen und warteten solange, bis die schattenhafte Gestalt in der Dämme rung untertauchte. Ihr Ziel war zweifellos das Gebiet der unergründlichen Seen. »Ich glaube«, sagte Magel schließlich, als er sicher sein konnte, daß der Unheimliche weit genug entfernt war, »wir gehen weiter nach Osten. Was meinst du?« Korlo war sofort einverstanden.
* Fenrir hatte es aufgegeben, hinter der Windrose herzulaufen. Er erhöhte die Ge
Die lebenden Toten schwindigkeit und übernahm die Führung, so als wisse er genau, wohin Atlan und Tha lia wollten. Ab und zu, wenn sein Vorsprung zu groß wurde, hielt er an und versuchte, ei ne Witterung aufzunehmen. Spuren gab es längst nicht mehr, dazu war der Boden zu hart geworden. Auch wuchs mehr Gras, und die Büsche wurden häufiger. Thalia verringerte das Tempo, als Fenrir ganz gegen seine bisherigen Gewohnheiten zurückgelaufen kam und ein warnendes Knurren von sich gab. »Anhalten!« empfahl Atlan. »Er hat etwas entdeckt, das wir noch nicht sehen können.« Zu lange war Atlan mit dem Wolf zusam men gewesen, um ihn nicht zu kennen. Mehrmals hatte er ihm das Leben gerettet, doch das beruhte auf Gegenseitigkeit. »Sein Instinkt ist besser als unsere Au gen«, sagte Thalia und versuchte vergeblich, in der grauen Dämmerung eine Bewegung zu entdecken. Fenrir hielt vor der Windrose an und sah zurück nach Westen, von wo auch der Wind kam. Die Nase in die Luft gestreckt, jaulte er leise. »Fahr langsam weiter«, riet Atlan. »In der Windrose sind wir einigermaßen sicher. Ich bin überzeugt, daß uns jemand entgegen kommt.« Fenrir hielt sich nun dicht neben dem Ge fährt, das langsam weiterrollte, hinein in das ungewisse Dämmerlicht von Pthor. Es dau erte auch nicht lange, bis weiter vorn zwei menschliche Gestalten auftauchten, die ab rupt anhielten, als sie die Windrose erblick ten. Der eine von ihnen wollte sich zur Flucht wenden, wurde aber von dem anderen fest gehalten. Fenrir rannte weiter und umkreiste die beiden einsamen Wanderer mit gesträub ten Nackenhaaren und warnendem Knurren. Thalia hielt an. Atlan sah, daß die beiden Dellos unbewaffnet und ziemlich am Ende ihrer Kräfte waren. Er stieg aus und ging zu ihnen. »Wer seid ihr und wo kommt ihr her?« fragte er und versuchte, seiner Stimme einen
25 freundlichen Klang zu geben, um die beiden nicht noch mehr einzuschüchtern. Sie hatten offensichtlich Angst vor dem Wolf. »Das Tier tut euch nichts, wenn ich es ihm nicht befehle. Also, antwortet!« Korlo zitterte vor Angst und konnte nichts sagen. Magel hingegen glaubte dem Frem den, der genauso aussah, wie er sich immer einen der geheimnisvollen Göttersöhne vor gestellt hatte. Dazu das seltsame Gefährt, von dem er schon gehört hatte … »Wir sind aus der FESTUNG geflohen, als dort das Chaos ausbrach. Wir wollten nach Norden, um uns dort in Sicherheit zu bringen. Dabei kamen wir an den uner gründlichen Seen vorbei – dort geschehen gräßliche Dinge, Herr.« »Ihr wart bei den Seen?« Atlan lud die er schöpften Dellos ein, sich neben ihn auf einen Stein zu setzen. Fenrir hielt seinen Si cherheitsabstand. »Berichtet! Wie weit ist es bis zu ihnen?« »Wir sind ein paar Stunden gelaufen, da mit uns die Gespenster nicht einholten. Es spukt bei den Seen. Es war furchtbar.« Thalia hatte nun ebenfalls die Windrose verlassen und gesellte sich zu der Gruppe. Mühsam begann Magel zu berichten, im mer wieder von Atlans Fragen unterbrochen. Manchmal half Korlo aus, der sich zu erho len begann. Doch es dauerte fast eine Stun de, bis Atlan alles wußte, was er wissen wollte. Die Ungeheuer aus den Seen waren also mit jenen Wesen identisch, die das Wache Auge überfallen hatten. Wer aber konnte im Wasser leben und so weite Fußmärsche über Land unternehmen? »Wir wollen zu den unergründlichen Seen«, sagte er schließlich, nachdem er einen Blick mit Thalia gewechselt hatte. »Werdet ihr uns führen?« »Niemals kehren wir dorthin zurück!« rief Korlo entsetzt und sprang auf. Hastig setzte er sich wieder, als Fenrir knurrte und die Zähne fletschte. »Es ist zu gefährlich.« »Einer von euch könnte in unserem Fahr zeug Platz nehmen«, lockte Atlan. »Der an
26 dere kann hier warten oder weitergehen.« »Wir wollen uns nicht trennen«, lehnte nun auch Magel ab, obwohl er Vertrauen zu den Fremden hatte. »Außerdem hat Korlo recht: Wir wollen nicht wieder zu den Seen. Es ist zu unheimlich. Lieber wandern wir weiter nach Osten, bis wir einen Unter schlupf finden, in dem wir sicher sind.« »Wie sollen wir die Seen finden?« fragte Atlan. »Es ist einfach«, beeilte sich Magel zu sa gen. »Folgt nur den in den Boden gesteckten Ästen, sie führen euch hin. Ihr braucht uns überhaupt nicht.« Das sah Atlan ein. »Also gut, dann fahren wir allein weiter. Versucht, das Wache Auge zu erreichen, dort seid ihr in Sicherheit. Sollten die Mon stren wieder angreifen, dann versteckt euch dort. So schnell können sie euch dann nicht finden.« Er gab Fenrir einen kurzen Befehl. Der Wolf verstand sofort und unternahm nichts, als die beiden Dellos aufstanden, zum Ab schied nickten und weitergingen. Atlan und Thalia stiegen in die Windrose. »Nun können wir die Seen nicht mehr verfehlen, Thalia. Die beiden Dellos wären uns nur eine Belastung gewesen, aber ich mußte ihnen unsere Hilfe anbieten.« Fenrir lief wieder voran. »Was sind das für Wesen, von denen sie sprachen? Glaubst du wirklich, daß sie das Wache Auge angriffen?« »Sieht ganz so aus. Aber wer sie sind, vermag ich auch nicht zu sagen. Vielleicht von den Herren der FESTUNG eingesetzte Wächter zum Schutz der geheimen Eingän ge zum Antrieb. Aber warum sollten sie dann das Wache Auge überfallen? Das wäre ein Widerspruch.« »Sie revoltieren wie die Technos«, ver suchte Thalia eine Erklärung. »Möglich. Vielleicht finden wir es her aus.« Und wieder fuhren sie an einem der Äste vorbei, die Magel in den Boden gesteckt hat te.
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4. Magel und Korlo schleppten sich durch die Steppe und hielten sich streng nach Osten, um das Wache Auge nicht zu verfeh len. Am Ende des zweiten Tages – durch den fehlenden Wechsel von Hell und Dunkel nur eine vage Zeitannahme – tauchten vor den beiden Dellos in der Dämmerung die ersten Außenbauten der Ortungsanlage auf. Magel hielt an. »Wir dürfen da nicht einfach so hineinge hen«, warnte er. »Der Fremde berichtete von Kämpfen und Überfällen.« »Wir haben lange kein lebendes Wesen mehr gesehen. Außerdem finden wir dort bestimmt Lebensmittel. Ich bin halb verhun gert.« »Ich mahne ja auch nur zur Vorsicht, das ist alles.« Sie gingen weiter, immer zur Flucht be reit, die ihnen wahrscheinlich im Ernstfall nichts genützt hätte. Sie waren viel zu er schöpft, um noch schnell oder weit laufen zu können. Das erste Gebäude, das sie erreichten, war total zerstört. Die Trümmer sahen aus, als hätte hier ein Orkan gewütet und alles nie dergerissen. Aus aufgebrochenen Kisten und Metallbehältern quollen Ersatzteile und la gen verstreut am Boden herum. Die schmale Verbindungsstraße, die weiter nach Osten führte, war mit Mauerresten bedeckt. Korlo suchte in den Trümmern nach Eß barem, fand aber zu seiner maßlosen Enttäu schung nichts dergleichen. »Wir müssen weiter«, sagte Magel, der die nächsten Gebäude nur mit Mühe in dem fahlen Dunst ausmachen konnte. »Komm schon!« Korlo gab seine nutzlose Suche nur un willig auf, folgte aber dann dem vorange henden Magel. Eine Seitenstraße führte zu einer größeren Station, deren Dach abmon tiert worden war. Die Bauteile lagen unge ordnet im Vorgarten.
Die lebenden Toten Magel pirschte sich vorsichtig an den Ein gang heran und blickte durch das weit geöff nete Tor. Im Innern der riesigen Halle stan den noch einige intakte Anlagen, von denen er allerdings nicht wußte, welche Funktio nen sie ausführten. Eine Treppe führte hinab unter die Oberfläche. »Im Notfall wäre dies ein gutes Ver steck«, sagte er zu Korlo, der zögernd her beigekommen war. »Aber wir müssen wei ter, hier gibt es bestimmt nichts zu essen.« Da sie in jedes Gebäude hineinsahen, dau erte es verhältnismäßig lange, bis die hohe Zentralkuppel in der vor ihnen liegenden Dämmerung auftauchte. Bis hierher schie nen die Angreifer nicht gekommen zu sein, denn obwohl alle Anzeichen auf eine geord nete Demontage hinwiesen, war von mutwil ligen Zerstörungen nichts zu sehen. Schweigend und mit dem Gefühl, sich ständig in Gefahr zu befinden, durchsuchten sie die Station. Die technischen Anlagen schienen von der Demontage nicht betroffen worden zu sein, aber offensichtlich fehlte je de Energiezufuhr. Weder Magel noch Korlo konnten mit den komplizierten Anlagen und Kontrollständen etwas anfangen, außerdem interessierten sie sich nicht dafür. Sie such ten Nahrungsmittel. Ein Lift funktionierte nicht, aber es gab Treppen, die nach unten und nach oben führ ten. Sie entschieden sich für den Keller. Hier lag eine Energie-Verteilerstelle, aber keine der vielen Kontrollampen brannte. Mühsam nur fanden sich die beiden Dellos in der Finsternis zurecht, und es konnte als wahres Wunder bezeichnet werden, daß sie in der Tat genau das fanden, was sie such ten. In einem Raum waren Kisten unterschied licher Größe bis zur Decke gestapelt. Ob wohl sie auch Ersatzteile und technische Ge räte enthalten konnten, öffnete Korlo eine von ihnen mit viel Mühe, nachdem sie das schwere Ding bis zum Rand der Treppe ge schleppt hatten, wo sie besser sehen konn ten. Lebensmittelkonserven! Alle ihre Sorgen und Nöte vergessend,
27 brachen sie die Dosen und Haltbarkeitspäck chen auf und stopften in sich hinein, was nur ging. Mit dem Sättigungsgrad stieg auch ihr Wohlbefinden und ihr Sicherheitsgefühl. Korlos meist nur unterschwellig vorhande ner Mut gewann wieder die Oberhand. »Was immer auch hier passiert sein mag, wir scheinen nun die alleinigen Herren des Wachen Auges zu sein. Was es doch für Glückszufälle gibt! Zuerst das Chaos in der FESTUNG, und nun das hier. Auf Pthor scheint sich einiges zu ändern, vielleicht so gar zu unserem Vorteil. Wir sollten das aus nützen.« »Ich bin froh«, entgegnete Magel ruhig, »daß wir noch leben, ich denke jetzt nicht an neue Abenteuer. Ich denke in erster Linie an meine Sicherheit. Ob wir die hier auf die Dauer haben, wage ich zu bezweifeln.« »Pah!« Korlo deutete auf die geöffnete Kiste. »Wir haben Lebensmittel für den Rest unseres Lebens, und Wasser werden wir auch noch finden. Es gibt bestimmt Reser voire. Fragt sich nur, wo man sie anlegte.« Magel schüttelte den Kopf. »Glaubst du denn im Ernst, es würde sich niemand um das Wache Auge kümmern? Außer der FESTUNG ist es die wichtigste Anlage, die Pthor besitzt. Wer immer auch Pthor jetzt regieren mag, er wird ohne das Wache Auge nicht auskommen können. Wir müssen also damit rechnen, daß sich bald je mand darum kümmert. Und bis dahin müs sen wir weit von hier fort sein.« Korlo starrte ihn fassungslos an. »Soll das heißen, daß du dies alles …« er deutete auf die Kiste und dann zurück in den Gang, wo sie die Lebensmittel entdeckt hat ten, »… im Stich lassen willst? Du mußt verrückt sein!« »Logisches Denken war nie deine Stär ke«, gab Magel zurück und begann damit, Konzentratpäckchen und Dosen in einem Beutel zu verstauen, den er in einem anderen Gebäude gefunden hatte. »Ich jedenfalls werde von nun an meine Rationen ständig bei mir tragen, damit ich unabhängig bin. Ich würde dir das auch raten.«
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»Du willst wirklich fort von hier?« »So schnell wie möglich!« »Auch ohne mich – falls ich es vorzöge zu bleiben?« Magel nickte. »Auch ohne dich, Korlo, und zwar aus den eben aufgeführten Gründen.« Korlo begann, sich ebenfalls einen klei nen Vorrat zurechtzulegen. »Wir werden es uns besser noch überle gen, aber wie auch immer: Ich bin auf jeden Fall dafür, daß wir zusammenbleiben.« »Einverstanden«, sagte Magel und erhob sich vom Treppenabsatz. »Sehen wir uns weiter um.« Als sie nach oben gingen, sahen sie gegen die matte Helligkeit der in der Kuppelhalle noch lichtärmeren Dämmerung eine Gestalt stehen, die sie zu erwarten schien. Magel hielt erschrocken an. Korlo schrie auf und wäre fast gestürzt. Die Gestalt des Unbekannten winkte mit beiden Armen. »Kommt herauf, ihr Diebe! Es gibt nur diesen Ausgang.« Magel hatte seine erste Überraschung überwunden. Seine Befürchtungen erfüllten sich schneller, als er gedacht hatte. »Wer bist du?« fragte er, ohne die Auffor derung zu befolgen. »Kommt schon!« lautete die Antwort. »Wir werden über alles sprechen. Ich bin nicht da, um ein Urteil über euch zu spre chen.« Magel gab dem zitternden Korlo einen Schubs und nahm die nächste Stufe. Den Sack mit den Vorräten trug er in der linken Hand, um die rechte für alle Fälle sofort frei zu haben. Beim Näherkommen sah er, daß der Un bekannte ein Gordy sein mußte.
* Vergan Deiselt hatte seinen Mitarbeiter in einem unversehrt gebliebenen Wohnquartier untergebracht und ihn mit Medikamenten und Lebensmittel versorgt. Mehr konnte er
im Augenblick nicht für ihn tun. Stundenlang war er dann durch das Wa che Auge gestreift, um die durch den An griff verursachten Schäden festzustellen. Sie waren nicht so schlimm wie die Demontage durch die Technos. Es konnte Wochen dauern, bis die Or tungsanlage wieder voll einsatzbereit war. Aber zu seiner Enttäuschung waren keine neuen Befehle aus der FESTUNG eingetrof fen. Die Funkverbindung zu ihr war noch immer unterbrochen, so daß er keinen Kon takt auf diesem Weg aufnehmen konnte. An den Machtwechsel glaubte er noch im mer nicht, obwohl vieles auf ein solches Er eignis hindeutete. Es schien ihm unwahr scheinlich, daß eine schon so lange beste hende Herrschaft von einem Tag auf den an deren beseitigt werden konnte. Sein Platz je denfalls war hier im Wachen Auge, was im mer auch geschehen war. Als er zu der Zentralkuppel ging, bemerk te er die beiden Dellos, die sich dem Tor nä herten. Aus sicherer Deckung heraus beob achtete er sie und verfolgte ihren Weg. Aus einer Mischung von Gutmütigkeit und Ver ständnis störte er sie nicht bei ihrer hastigen Mahlzeit, erwartete sie aber bei der Rück kehr aus dem Keller. »Wie ich sehe, habt ihr Hunger gehabt. Wo kommt ihr her?« Magel und Korlo sahen, daß der Gordy nicht bewaffnet war. Das stärkte ihre Zuver sicht, doch nicht in eine Falle geraten zu sein. Außerdem fühlten sie sich nicht schul dig. Ihre Lebensmittelbeschaffung konnte nicht einmal als Plünderei bezeichnet wer den. Magel berichtete von ihrer Flucht aus der FESTUNG und dem beschwerlichen Marsch nach Westen bis zu den unergründlichen Seen, von ihrem Abenteuer dort, ihrer ge glückten Flucht und der Begegnung mit der Windrose. Deiselt unterbrach ihn kein einziges Mal und wartete, bis Magel schwieg. »Die Windrose – in ihr war ein Mann und eine Frau. Begleitet wurden beide von einem
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Wolf – ist das richtig?« Magel bestätigte. »Er sah aus wie ein Göttersohn«, fügte er noch hinzu. »Vielleicht ist er auch einer. Nun zu mir …« Ausführlich informierte nun Deiselt die beiden Dellos, enthüllte ihnen das Geheim nis der vorgenommenen Demontage und re konstruierte den Hergang des danach erfolg ten Überfalls, dessen Zeuge er nicht mehr wurde. »Ich bin nun hier und erwarte die Anordnung der Herren der FESTUNG. Was ihr über die Vorgänge dort berichtet habt, ist sehr beunruhigend.« »Warum können wir nicht hier bleiben?« fragte Korlo. »Das geht nicht. Es besteht keine Anord nung, die eine Anwesenheit von Dellos ver fügen würde. Geht zurück zur FESTUNG, dort gehört ihr hin. Der Weg ist nicht weit.« »Wir werden uns nach Norden wenden«, sagte Magel entschlossen. »Gebt uns genü gend Lebensmittel und Wasser mit, dann lassen wir dich allein.« Damit war Deiselt einverstanden. Er trieb sogar noch einen kleinen zweirädrigen Kar ren auf, den er den Dellos zur Verfügung stellte. Damit ließen sich die Vorräte besser und leichter transportieren. Der Abschied war kurz und ohne Senti mentalität. Für Deiselt waren die Dellos nichts anderes als menschliche Roboter mit einem Stückchen Seele, deren Schicksal ihn nicht sonderlich berührte. Er sah ihnen nach, wie sie in nördlicher Richtung in der Däm merung untertauchten.
* Thalia hielt die Windrose an, als sie von einem flachen Hügel aus in die weite Senke hinabblicken konnten, in der die unergründ lichen Seen lagen. Im ersten Augenblick fühlte sich Atlan an kleine Mondkrater erinnert, die sich mit Wasser gefüllt hatten. Dann dachte er an vulkanische Kraterseen, wie er sie oft genug auf der Erde gefunden und besucht hatte.
Auch sie besaßen diese charakteristisch run de Form. Aber nichts in der Landschaft deutete dar auf hin, daß es hier einmal Vulkane gegeben hatte. »Also das sind sie, die unergründlichen Seen«, murmelte er, mehr zu sich selbst als zu Thalia. »Mit einiger Phantasie könnte man sie in der Tat als verborgene Eingänge in die Unterwelt bezeichnen. Zu dumm nur, daß die Sicht so schlecht ist. Einzelheiten der weiteren Umgebung sind kaum zu er kennen.« Fenrir stand rechts von der Windrose auf einem Buckel, die Schnauze hoch in die Luft gestreckt. Er nahm Witterung auf. »Er riecht das Wasser«, sagte Thalia. »Es soll gut und trinkbar sein.« »Wohl der einzige Vorteil der Seen«, meinte Atlan spöttisch. »Wahrscheinlich …« Sie zögerte, dann fragte sie: »Und was nun?« Er blieb sitzen und spürte die Wärme ih res Körpers neben sich. »Ich weiß es noch nicht. Auf jeden Fall dürfen wir die sogenannten Gespenster nicht vergessen, die in den Seen hausen sollen, al so werden wir uns ihnen nicht weiter nähern. Trinkwasser haben wir noch genug. Ich schlage vor, daß wir uns hier oben auf dem Hügel ein gutes Versteck suchen, in dem wir auch die Windrose unterbringen können, und die Senke eine Zeitlang intensiv beob achten. Natürlich so, daß wir nicht bemerkt werden können. Sollten diese Gespenster wirklich existieren, müßten sie früher oder später zum Vorschein kommen.« Sie sah sich suchend um. »Es wird schwer sein, hier ein Versteck zu finden. Ich sehe nur ein paar Büsche und Gras. Die Felsen sind viel zu klein, als daß man schützende Höhlen in ihnen vermuten könnte.« Aber Atlan wußte, wovon er sprach. Dicht vor dem Kamm des flachen Hügels hatte er eine kleine, aber gut drei Meter tiefe Mulde erspäht, in der die Windrose gut Platz finden würde. Von den Seen her jedenfalls war sie
30 nicht einzusehen. Nach Osten zu war sie of fen, so daß die Windrose gut hineinfahren konnte. »Dort«, sagte er nur und deutete auf die Senke. Thalia begriff sofort. Geschickt lenkte sie die Windrose in die natürliche Garage hinein und schaltete den Antrieb aus. Rechts und links des Fahrzeugs blieb genügend Platz für die beiden Menschen und den Wolf. Das Gras war trocken und warm. Fenrir gehorchte sofort, als Atlan ihn rief. Vorsichtig nahm er aus seinen Händen das geräucherte Stück Speck und legte sich an den Rand der Mulde, um es in Ruhe zu fres sen. Thalia kletterte aus der Windrose und reckte sich. Während sie sich die Füße ver trat, sagte sie: »Wir sind am Ziel, aber wie lange sollen wir hier untätig warten?« Er gesellte sich zu ihr, nachdem er noch einmal vorsichtig über den Rand der Mulde nach Westen gespäht und nichts Verdächti ges bemerkt hatte. »Es ist nicht meine Absicht, uns beide un nötig in Gefahr zu bringen. Die letzten Er eignisse haben bewiesen, daß in dieser Ge gend Lebewesen hausen, die nicht gerade als friedfertig zu bezeichnen sind. Da es nur we nig natürliche Verstecke gibt, könnten sie sich tatsächlich in den Seen verbergen. Das ist es, was ich herausfinden muß.« »Und wie?« Sie hatte sich hingesetzt und kramte in den Vorräten. »Indem wir hier warten, bis etwas geschieht?« Er schüttelte den Kopf. »Du wirst hier bei der Windrose bleiben und sie zu einer schnellen Flucht bereithal ten. Ich schlage sogar vor, daß du sie um drehst, um zeitraubende Manöver zu vermei den. Ich selbst werde in Begleitung von Fenrir zu den Seen hinabgehen und sie mir aus der Nähe ansehen. Sobald ich eine Ge fahr bemerke, komme ich zurück.« »Laß Fenrir bei mir«, bat sie, und zum er sten Mal schwang Furcht in ihrer Stimme mit. Damit war Atlan einverstanden. Er aß ein
Clark Darlton wenig und nahm einen Schluck Wasser. Nach einem kurzen Moment des Zögerns beugte er sich zu der neben ihm sitzenden Thalia hinüber und küßte sie auf die Stirn. »Lege dich an den Rand der Mulde, dann kannst du meinen Weg verfolgen. Und er schrick nicht, wenn ich in einem der Seen ein Bad nehme. Mein Anzug schützt mich, ich kann damit sehr lange tauchen.« Sie griff erschrocken nach seinem Arm. »Nein, bitte nicht!« »Ich bin hier, das Geheimnis der Seen zu ergründen, Thalia. Ich werde vorsichtig sein, das verspreche ich dir. Solltest du inzwi schen angegriffen werden, fliehe mit der Windrose in sichere Entfernung. Von dort aus beobachte weiter, was geschieht.« Sie sah ein, daß sie ihn nicht halten konn te. Zärtlich schmiegte sie sich an ihn. »Sei vorsichtig«, bat sie mit Tränen in den Augen. »Ich möchte dich jetzt nicht mehr verlieren. Ich … ich …« »Schon gut, ich weiß, was du sagen willst.« Er streichelte ihr Haar. »Es geht mir genauso. Halte Fenrir zurück und laß ihn erst los, wenn eins von diesen Gespenstern auftaucht. Er wird damit fertig werden.« Er sah noch einmal hinab in die große Senke mit den kreisrunden Seen, konnte aber dort keinerlei Bewegung feststellen. Das Gebiet schien bar jeden Lebens zu sein. Die Oberflächenspiegel der Seen, es moch ten ein gutes Dutzend sein, lagen wie Blei in der grauen Dämmerung. Er kroch über den Rand der Mulde und richtete sich auf. Ohne besondere Hast ging er dann den Abhang hinab, hielt sich dabei aber dicht an die links sparsam verstreuten Felsbrocken, die ein wenig Deckung nach Süden boten. Einer der Seen lag ein wenig abseits. Er war kleiner als die anderen, und sein Was serspiegel reichte bis zum obersten Rand des senkrecht abfallenden Ufers. Außerdem un terschied er sich von den anderen dadurch, daß er einen schmalen Abfluß besaß. Aller dings versickerte der kleine Bach bereits nach wenigen Metern im Sand.
Die lebenden Toten Atlan mußte unwillkürlich an eine Art Tränke denken, wenn er auch keine Spuren entdecken konnte. Er blieb stehen und sah zurück. Oben auf dem Hügel war alles ruhig und still, aber er vermeinte, Thalias Kopf zwi schen den Grasbüscheln bemerken zu kön nen. Sie war gut getarnt, wie er es ihr gera ten hatte. Fenrir blieb unsichtbar. Er ging weiter, bis er am Ufer des Sees stand. Das Wasser, obwohl beim Ausfluß klar wie Kristall, wirkte absolut schwarz. Viel leicht rührte daher die Bezeichnung »unergründliche Seen«. Daß sie sich nicht unbegrenzt in die Tiefe Pthors fortsetzten, war Atlan klar. Aber es interessierte ihn, was auf ihrem Grund war. Er schloß das elastische Gesichtsteil der Helmkappe, das ihn endgültig von der Au ßenwelt isolierte. Sofort setzte die geheim nisvolle Luftzufuhr ein, die ohne jede tech nische Erklärung blieb. Der Anzug war und blieb ein einziges Geheimnis. Atlan spürte nicht, wie kalt das Wasser war, als er die Beine zuerst in den See glei ten ließ. Dann ließ er den Körper folgen, und als seine Hände das Ufer losließen, sank er langsam in die Tiefe. Das Tageslicht, so grau es auch sein mochte, verdämmerte nur zögernd, dann wurde es dunkel um ihn. Er wußte nicht, wie lange und wie tief er sank, aber dann stießen seine herabhängen den Füße gegen den Grund. Fünfzig Meter, hundert Meter …? Er hätte es nicht zu sagen vermocht. Aus der schwarzen Lichtlosigkeit war ei ne schwache Dämmerung geworden, ähnlich der glockenförmigen Aura, die über allen anderen Seen gestanden hatte, nur nicht über diesem. Atlan konnte natürlich nicht ahnen, daß er ausgerechnet jenen See gewählt hatte, den einst die Nobarcs als Trinkwasserreservoir genutzt hatten. Der Seegrund war fest und gab nicht nach, so als bestünde er aus Fels – oder aus Beton.
31 Die Dämmerung kam nur von einer Stel le. Atlan, der nichts von einem sicherlich vorhandenen Wasserdruck bemerken konn te, wandte sich ihr zu. Da der See an der Oberfläche nur einen Durchmesser von knapp zwanzig Meter hatte und die Ufer wände senkrecht nach unten abfielen, mußte er nicht weit gehen. Er war praktisch ge wichtlos. Der Wasserwiderstand war gering. Zu seinem Erstaunen kam das Licht aus einer mannshohen ovalen Öffnung in der Uferwand. Er brauchte sich nicht zu ducken, um in sie eintreten zu können, aber er kam nicht weit. Bereits nach zwei Metern stand er vor ei ner silbrig schimmernden Fläche, die den Gang abschloß. Sie erinnerte ihn sofort an die Luke einer Luftschleuse in Raumschif fen, aber er konnte keine Kontrollen ent decken. Seine tastenden Hände verrieten ihm, daß die glatte Wand aus Metall be stand. Was mochte dahinter liegen? Der Antrieb von Pthor? Also stimmten die Gerüchte doch, die man sich über die Seen berichtete, die alles andere als unergründlich zu sein schienen. Aber was nun? Unschlüssig verharrte er noch eine Weile vor dem unüberwindlichen Hindernis und begann sich zu wundern, daß noch keiner der geheimnisvollen Wächter aufgetaucht war, die den Überfall auf die beiden Dellos und das Wache Auge durchgeführt hatten. Ein ungewisses Gefühl nahender Gefahr be wog ihn schließlich dazu, den Rückweg an zutreten. Er verließ den zwei Meter tiefen Gang und stieß sich dann kräftig mit den Beinen ab, um mit ziemlicher Geschwindigkeit der Oberfläche des Sees entgegenzusteigen. Schwimmbewegungen halfen nach. Als sein Kopf den Wasserspiegel durch stieß, öffnete er sofort das Gesichtsteil der Helmhaube. Hastig schwamm er zum Ufer und zog sich an Land. Sein erster Blick galt dem Hügel. Zu seiner Beruhigung sah er Thalia zu ihm herabwinken.
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Aber dann sah er noch etwas anderes, das ihn sofort zur höchsten Eile veranlaßte.
* Thalia verbrachte angstvolle und nerven zermürbende Minuten. Sie sah Atlan in den See steigen und ver schwinden. Schon Sekunden später hatte sich der Wasserspiegel wieder beruhigt und verriet nicht mehr, daß unter ihm ein Men sch weilte und vielleicht in eine unergründli che Tiefe hinabsank. Sie ließ den See nicht aus den Augen, und so entging ihr eine Bewegung seitlich, wo die übrigen Seen lagen. Drei Nobarcs waren es, die einem von ihnen entstiegen und sich in östliche Richtung in Bewegung setzten. Auch Fenrir, der geduckt in der Mulde lag, nahm keine Witterung auf und verriet mit keiner Geste eine Gefahr. Außerdem kam der Wind noch immer von Westen. Den ersten drei Nobarcs folgten ein paar andere, die ebenfalls nach Osten gingen. Ih re Bewegungen waren schwerfällig und un beholfen, aber sie kamen trotzdem relativ schnell voran. Thalia sah auch nicht, daß sie die ersten drei allmählich einholten und so eine Gruppe bildeten, die später, längst au ßer Sichtweite, ausschwärmte und sich ver teilte. Als die Nobarcs Stellung bezogen, riegel ten sie den Fluchtweg nach Osten ab. Thalia atmete erleichtert auf, als sie Atlan aus dem See steigen sah. Er blickte in ihre Richtung. Sie erhob sich halb aus ihrer Deckung und begann zu winken, um ihm zu zeigen, daß alles in Ordnung sei. Dann sah sie, wie Atlan zu rennen anfing, auf ihren Hügel zu. Fenrir kroch auf den Muldenrand und be gann zu knurren. Er sah in eine ganz andere Richtung als Thalia, die das Knurren für ei ne Art Begrüßung hielt, die nur Atlan gelten konnte. Als sie ihren Irrtum erkannte, war es fast zu spät …
5. Perquesch-Carrax stand nicht mit den an deren Nobarcs in ständiger Verbindung. Überhaupt war der Kontakt zwischen den le benden Toten sehr locker und entstand nur dann, wenn ein gemeinsames Unternehmen unerläßlich wurde. Zum Beispiel der Über fall auf das Wache Auge. Als er sich entschloß, wieder an Land zu gehen, geschah das aus eigener Initiative heraus und ohne Kenntnis dessen, was eini ge andere Nobarcs inzwischen beobachtet und beschlossen hatten. Langsam stieg er zur Oberfläche empor. Noch ahnungslos kletterte er das Steilufer empor und stand dann im Gras. Gewohn heitsgemäß sah er sich zuerst einmal nach allen Seiten um, konnte aber nichts Bemer kenswertes entdecken. Es war reiner Zufall, daß er sich nach Osten wandte und damit be gann, den Hügel zu ersteigen. »Sein« See lag nördlich von jenem, in den Atlan getaucht war, also erreichte er den Fuß des Hügels, hinter dem Thalia auf der Lauer lag, etwa dreihundert Meter weiter nördlich. Als Perquesch-Carrax von dort aus nach Sü den blickte, sah er den oberen Teil der Windrose und den Kopf der Göttertochter. Beute! Nur dieser Gedanke beherrschte ihn und ließ ihn handeln. Ohne sonderliche Vorsicht wandte er sich nach Süden und ging auf dem Kamm des Hügels entlang, wobei sich sein mißgestalte ter Körper gut gegen die Horizontdämme rung abhob. Das war auch der Grund, wa rum Atlan ihn sofort entdeckte, als er aus dem Wasser gestiegen war. »Thalia!« rief er entsetzt, als er das Mon strum sah, das nur noch hundert Meter von dem Versteck entfernt war. »In die Windro se! Schnell! Ich hole dich schon ein!« Thalia sah in diesem Augenblick das blei che Ungeheuer, aber der Schreck lähmte sie so, daß einige Sekunden verstrichen, ehe sie handeln konnte. Sie sprang auf, war mit ei
Die lebenden Toten nem Satz hinter den Kontrollen ihres Fahr zeuges und schaltete den Antrieb ein. Lang sam rollte die Windrose aus ihrer Deckung und hielt sich ein wenig nach Süden, um At lan Gelegenheit zu geben, sie schneller ein zuholen. Fenrir gehorchte dem Befehl Thalias und rannte hinterher, ohne sich um den schrillen Kampfschrei Perquesch-Carrax' zu küm mern, der seine Anstrengungen, die sicher geglaubte Beute zu fassen, verdoppelte. Atlan erreichte die mit halber Kraft dahin rollende Windrose und schwang sich in den Sitz. Nach einigen tiefen Atemzügen sagte er: »Geschafft, der holt uns nicht mehr ein! Es gibt sie also doch, diese Gespenster.« Er holte tief Luft. »Und den Eingang zum An trieb von Pthor – ich habe ihn gefunden.« Thalia antwortete nicht. Der Schreck saß ihr noch zu sehr in den Gliedern. Mehrmals sah sie sich um und stellte zu ihrer Erleichte rung fest, daß das sie verfolgende Monstrum zurückblieb, die Verfolgung jedoch nicht aufgab. Zu ihrem Befremden verringerte es sogar sein Tempo, als habe es sich plötzlich die Sache anders überlegt. Fenrir lief nun in großen Sprüngen direkt neben der Windrose her. Er bremste mit al len Vieren, als Thalia ohne jede Ankündi gung abrupt anhielt. Atlan verlor fast den Halt und stemmte sich mit beiden Händen gegen das vor ihm angebrachte Schutzpol ster. Dann sah er, warum Thalia gestoppt und die Fahrt unterbrochen hatte. Gegen den gleichbleibend dämmerigen Horizont, der jede Fernsicht begrenzte, ho ben sich fast zwei Dutzend unterschiedlich große Schatten ab. Sie hatten einen weiten Halbkreis gebildet und damit eine vorzüg lich angelegte Sperre. »Die Abstände sind zu groß, um uns auf halten zu können«, rief Atlan, als er die Schrecksekunde überwunden hatte. »Wir müssen mitten durch sie hindurch – mit Höchstgeschwindigkeit.« Thalia nickte und ließ das Fahrzeug wie
33 der anrollen. Die Unbekannten rückten in Fahrtrichtung sofort dichter zusammen, um den Durchbruch zu vereiteln, aber Thalia wechselte mehrmals die Richtung, um die Gegner zu täuschen und zur ständigen For mationsveränderung zu zwingen. Fenrir, der das Tempo mithielt, begann plötzlich erbärmlich zu jaulen und wurde langsamer. Atlan beugte sich seitlich aus der Windrose. »Fenrir, was ist los! Komm mit! Nicht zu rückbleiben!« Aber seine Aufforderung nützte nichts, der Wolf blieb zurück. Es war, als sei er ge gen eine unsichtbare Mauer gestoßen, die ihn nicht durchlassen wollte. Sekunden später spürte es auch Atlan. Ein dumpfer Schmerz legte sich plötzlich wie ein Ring um seine Stirn und drohte, ihm den Kopf zusammenzupressen. Die paraly sierenden Impulse kamen unregelmäßig und von verschiedenen Seiten, die sich jedoch nicht bestimmen ließen – außer, daß sie von vorn kamen. Von dort, wo die Unbekannten warteten. »Anhalten, Thalia!« rief er verzweifelt. »Sie haben irgendwelche hypnotischen Fä higkeiten! Wir müssen zurück!« »Zu den Seen?« keuchte sie entsetzt. »Ja, zurück! Da ist nur einer von ihnen! Beeile dich, oder wir sind verloren!« Nun zögerte Odins Tochter nicht mehr länger. Sie wendete die Windrose, erhöhte die Geschwindigkeit und folgte Fenrir, der nur noch undeutlich als verschwommener dunkler Fleck in der Dunstdämmerung zu erkennen war. »Sollte mir irgend etwas passieren, Tha lia, dann versuche südlich oder nördlich durchzubrechen und zur FESTUNG zurück zugelangen. Unterrichte Razamon und Kol phyr, was geschehen ist. Du kannst auch deine Brüder unterrichten, wenn du das für richtig hältst.« »Ich bleibe bei dir!« erklärte sie fest. Sein Gesicht wurde hart und verschlossen. »Das wirst du nicht, meine Liebe! Wenn das richtig ist, was ich vermute, kannst du
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mir nicht helfen. Begreife doch, Thalia, wir haben es mit einem Gegner zu tun, der über paranormale Fähigkeiten verfügt. Wir sind eben gegen eine Mauer hypnosuggestiver Impulse geprallt. Wenn Fenrir das früher spürte, so nur deshalb, weil sein Nervensy stem empfindlicher als das unsere ist.« Er sah in Fahrtrichtung. »Kannst du ihn übri gens noch sehen?« Sie sah ebenfalls nach vorn und schüttelte den Kopf. »Er muß schneller sein als wir. Vielleicht ist er schon bei den Seen. Gleich erreichen wir den trennenden Hügel und damit unser altes Versteck.« »Es ist nichts mehr wert«, sagte Atlan grimmig. »Wohin soll ich fahren?« Der unheimliche mentale Druck war längst verschwunden, ebenso die Gestalten am östlichen Horizont. Sie waren zurückge blieben. »Den Hügel hinauf, links an unserer Mul de vorbei, und dann mit Höchstgeschwindig keit hinab in die Ebene, an den Seen vorbei und später nach Norden. Eine halbe Stunde danach wird nach Osten abgebogen, in Rich tung FESTUNG.« Atlan schwieg einen Au genblick, dann fügte er ernst hinzu: »Dieser Kurs gilt auch dann für dich, wenn ich nicht mehr dabei sein sollte.« Sie nickte. Sie begann zu ahnen, was At lan plante.
* Perquesch-Carrax sah in hilfloser Wut, wie das seltsame Gefährt mit seinen Insas sen die Mulde im Hügel verließ und mit stei gender Geschwindigkeit in östlicher Rich tung davonfuhr. Es war so schnell, daß er jeden Gedanken an eine Verfolgung sofort aufgab. Noch niemals hatte er seine Kräfte umsonst verschwendet. Er sah aber auch das vierbeinige Wesen, das neben dem Fahrzeug herlief und es be gleitete. Also gehörte es zu den beiden In sassen.
Er blieb stehen und konzentrierte sich, aber bald mußte er erkennen, daß die Entfer nung bereits zu groß geworden war. Seine paralysierende Fähigkeit erreichte die Flüchtlinge nicht mehr. Na gut, sie waren ihm entkommen, aber das war noch lange kein Grund, alle Hoff nungen aufzugeben. In dieser Graunacht hat te er bereits einmal Beute gemacht, und schon wieder waren Fremde aufgetaucht. Es würden sicherlich nicht die letzten sein. Aber es war noch zu früh, wieder in den See hinabzutauchen. Gemächlich näherte er sich dem Versteck des Fahrzeugs und untersuchte es. Viel fand er nicht, aber es gab Anzeichen dafür, daß die beiden Fremden längere Zeit hier ver weilt hatten. Sein Anblick hatte sie er schreckt, aber wenn er sie nicht verfolgte, kehrten sie vielleicht wieder zurück. Langsam ging er ein Stück den Hügel nach Westen zu hinab, bis er hinter einem größeren Felsbrocken Deckung fand. Er würde warten.
* Fenrir jagte, von panischem Entsetzen ge packt und alle seine Pflichten vergessend, nach Osten, auf den Hügel zu. Er nahm die sanfte Steigung, ohne die Geschwindigkeit zu verringern, und erreichte den Kamm. Rechts lag die Mulde, in der er mit den an deren gerastet hatte. Ohne sich aufzuhalten, rannte er weiter, in die riesige Senke mit den Seen hinab. Er roch das Wasser und verspürte Durst. Doch dann tauchte plötzlich rechts von ihm hinter einem Felsen ein verschwomme ner Schatten auf. Jetzt erst bekam er die Witterung, sie war widerlich und er schreckend. Trotzdem entschloß er sich zum Angriff. Mit einem scharfen Haken änderte er sei ne Laufrichtung und schoß auf den Fremden zu, der unbeweglich neben dem Felsen stand und ihm mit blicklosen Augen entgegensah. Fenrir rannte mit voller Wucht in die
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mentale Paralysemauer hinein und wurde re gelrecht zurückgeschleudert. Noch während er durch die Luft flog, raste der Schmerz durch seinen Körper und lähmte seine Glie der. Den Aufschlag spürte er schon nicht mehr. Er rollte ein Stück und blieb wie leblos liegen. Perquesch-Carrax kümmerte sich nicht um den Wolf. Er verschwand wieder hinter seinem Felsen.
* Die Windrose erreichte den Hügelkamm, hinter dem Fenrir schon vorher verschwun den war. Atlan war davon überzeugt, ihn nun wieder sehen zu müssen, aber er konnte ihn nirgendwo entdecken. Erst als Thalia an hielt, glaubte er, einen dunklen Punkt weiter unterhalb des Hügels zu erkennen. Das mußte der Wolf sein. Er lag zwischen einigen Felsen und bewegte sich nicht. »Fahr weiter, Thalia.« Er deutete schräg nach vorn. »Dorthin, da liegt Fenrir.« Thalia betätigte die Kontrollen, die Wind rose setzte sich wieder in Bewegung. Sie fuhr nicht besonders schnell, da zu viele Steine herumlagen und Hindernisse bildeten, die umfahren werden mußten. Immerhin nä herte sie sich nun dem dunklen Fleck, der jetzt einwandfrei als Fenrir identifiziert wer den konnte. Plötzlich spürte Atlan wieder den bohren den Schmerz im Kopf. Rein instinktiv schloß er das Gesichtsteil seines Anzugs – und sofort ließ der mentale Druck nach. Aber damit war Thalia nicht geholfen. Ehe Atlan es verhindern konnte traf sie die volle Wucht der Paraimpulse und warf sie gegen die Kontrollen. Bereits halb be wußtlos klammerte sie sich an den Fahrthe bel. Atlan wollte sich zu ihr hinüberbeugen, um sie festzuhalten, aber es war bereits zu spät. Die Windrose machte einen regelrechten Satz nach vorn und schleuderte Thalia aus dem Sitz. Der Gurt riß aus der Halterung.
Odins Tochter flog in hohem Bogen aus dem Gefährt und landete zu ihrem Glück im dichten Gras, das den Aufprall milderte. Atlan versuchte, die Windrose unter Kon trolle zu bringen, aber er kannte sich mit dem Gefährt nicht so gut aus, wie es not wendig war. Außerdem raste es nun mit ho her Geschwindigkeit dahin, vorbei an dem reglosen Fenrir und hinab in die große Sen ke mit den Seen. Er wagte einen Blick zurück und sah, wie sich hinter einem Felsen eine Gestalt erhob und mit unbeholfenen Schritten dorthin wankte, wo Thalia bewußtlos im Gras lag. Er verdoppelte seine Anstrengungen, die Windrose zu lenken, und ein erster Erfolg seiner Bemühungen zeigte sich, als die Ge schwindigkeit nachließ. Wenigstens in die ser Hinsicht hatte er den richtigen Bedie nungshebel erwischt. Die Entfernung war inzwischen so groß geworden, daß er keine Lust verspürte, den ganzen Weg bis zum Ort des Geschehens zurückzulaufen, außerdem würde er dann zu spät kommen. Das Ungeheuer war nicht mehr weit von der hilflosen Thalia entfernt. Endlich hatte er die Windrose zum Stehen gebracht, aber sie ließ sich nicht wenden. In seiner wütenden Verzweiflung sprang Atlan aus dem Sitz und versuchte, das riesige Rad auf der Stelle zu drehen. Aber so sehr er sich auch dagegenstemmte, es gelang ihm nicht. Ihm blieb keine andere Wahl, als es noch einmal mit den Kontrollen zu versuchen. Er zog den Fahrthebel ein winziges Stück heraus, so daß die Windrose noch langsamer als mit Schrittgeschwindigkeit voranrollte. Nacheinander versuchte er dann die restli chen Kontrollen, bis er endlich eine schwa che Richtungsänderung registrieren konnte. Er verstärkte sie. In großem Bogen rollte das Rad herum, und als Atlan die Seen und die Felsen rechts davon wieder vor sich sah, konnte er ohne Schwierigkeiten den Kurs korrigieren. Er atmete erleichtert auf. Vorsichtig erhöhte er wieder die Ge schwindigkeit. Fenrir lag noch immer reglos
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am alten Platz. Das bleiche Ungeheuer tapp te in Richtung Thalia, die sich eben wieder aufrappelte und versuchte, auf die Beine zu gelangen. Als sie das Monstrum erblickte, streckte sie abwehrend beide Hände aus, aber sie schien wie gelähmt zu sein. Statt zu fliehen, wartete sie, bis das über mannsgroße Wesen sie erreichte und sie wie einen Sack über die kräftigen Schultern warf. Atlan sah es mit Schrecken, aber er wagte es nicht, das Tempo der Windrose weiter zu vergrößern. Er war froh, sie einigermaßen in der Gewalt zu haben und nicht laufen zu müssen. Hoffentlich würde er sie auch wie der anhalten können. Er veränderte ein wenig die Richtung, um dem Ungeheuer den Weg zu den Seen abzu schneiden, auf die es nun mit seiner Beute zustrebte. Thalia war verloren, wenn sie un ter die Wasseroberfläche gezerrt wurde, denn schließlich besaß sie nicht den Anzug der Vernichtung. Als Atlan einsah, daß er nicht mehr recht zeitig eintreffen würde, packten ihn Wut und Verzweiflung. Es hatte zu lange gedauert, bis er mit den Kontrollen der Windrose ver traut war. Er hatte dabei wertvolle Zeit ver loren. Immer noch mehr als hundert Meter von einem der Seen entfernt, dessen Oberflä chendurchmesser fünfzig Meter betragen mochte, mußte er hilflos mitansehen, wie das Monstrum mit seiner Beute ins Wasser sprang. Mit einem Ruck hielt er die Windrose an und sprang aus dem Sitz. Abermals begann er zu laufen …
* Thalia wußte nicht, was geschehen war. Sie hatte den furchtbaren Schmerz ge spürt, der plötzlich durch ihren ganzen Kör per raste, dann erst das Ungeheuer hinter dem Felsen auftauchen sehen. Ihre Glieder begannen zu erlahmen, aber sie klammerte sich am Fahrthebel fest, riß
ihn nach vorn und verlor dann den Halt. Sie fiel seitwärts aus dem Sitz und damit aus der Windrose. Sie fühlte den Aufschlag im Gras und verlor für Sekunden das Bewußtsein. Als sie die Augen wieder aufschlug, sah sie das Gefährt mit Atlan davonrasen. Gleichzeitig sah sie aber auch das Mon strum, das sich ihr langsam näherte. »Fenrir!« rief sie in ihrer Verzweiflung, aber der Wolf, nur fünfzig Meter von ihr entfernt, rührte sich nicht. Alle viere von sich gestreckt, lag er zwischen einigen Fel sen. Neue Hoffnung keimte in ihrem Herzen, als sie sah, daß Atlan die Windrose zum Ste hen brachte, schließlich wendete und zu rückkam. Aber da war das Ungeheuer auch schon bei ihr. Ihr Fluchtversuch scheiterte an der fehlen den Kraft und an einem neuerlichen Paraly seschock, der sie wie ein Hammerschlag traf. Halb ohnmächtig nahm sie noch wahr, daß sie aufgehoben und davongeschleppt wurde, auf einen der unergründlichen Seen zu. Als das Monstrum sprang, holte sie noch einmal tief Luft, um nicht sofort ertrinken zu müssen. Die Windrose war nur noch hundert Meter entfernt. Atlan rannte auf den See zu, das Gesichtsteil seines geheimnisvollen An zuges wieder geschlossen. Dann schlug das eisige Wasser über ihr zusammen. Aus der anfänglichen Dämmerung wurde schnell völlige Dunkelheit. In den Ohren spürte sie den zunehmenden Wasserdruck. Ihre Lungen drohten zu platzen, und sie ließ ein wenig Luft ab. Ihre Befreiungsversuche hatte sie längst aufgegeben, um Kräfte zu sparen. Sie wußte nicht, wie lange ihr Ent führer es unter Wasser und ohne Luftzufuhr aushalten konnte. Sie jedenfalls höchstens noch eine Minute. Über ihr war eine Erschütterung, als habe jemand einen riesigen Stein ins Wasser ge worfen, dann leuchtete ein Licht auf.
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Das konnte nur Atlan sein.
* Atlan erreichte den See knapp zwanzig Sekunden später als Thalia und ihr Entfüh rer. Er nahm die kleine Lampe aus der Tasche des Anzuges und knipste sie an, dann erst hechtete er ins Wasser und beschleunigte das Absinken durch entsprechende Schwimmstöße. Der Schein der nicht besonders starken Lampe reichte nur wenige Meter weit. Atlan durchquerte während des Sinkens immer wieder den See, um die Gesuchten nicht zu verfehlen. Seiner Schätzung nach mochte die Wassertiefe etwas zwanzig Meter betra gen, als er sie endlich entdeckte. Es war höchste Zeit. Ohne zu zögern, schwamm er auf das Monstrum zu und packte es mit der rechten Hand. In der linken hielt er die Lampe und richtete den Schein genau in die aufgerisse nen Augen, die ihm ausdruckslos entgegen blickten. Das unbekannte Wesen aus den Tiefen des Sees wurde durch seine sich nun wieder wehrende Beute arg behindert und fand kaum Gelegenheit zur Gegenwehr. Als es Atlans Finger am Hals spürte, ließ es Thalia los. Odins Tochter verlor keine Sekunde. Mit einigen kräftigen Stößen verschwand sie nach oben. Atlan sah ihr nicht nach, sondern konzen trierte seine ganze Aufmerksamkeit auf den Gegner, der nun beide Hände frei hatte und sich ihm zuwandte. Die Taschenlampe muß te geopfert werden. Langsam sank sie in die schwarze Tiefe, bis ihr Schein von der Fin sternis verschluckt wurde. Der Gegner war noch kräftiger, als Atlan befürchtet hatte, aber seine paralysierenden Schockimpulse durchdrangen nicht den Schutz des Anzugs, den Atlan trug, was den Gegner wahrscheinlich verwirrte und unsi cher machte. Jedenfalls gelang es Atlan,
einen der beiden zugreifenden Arme zu packen und umzudrehen. Es gab einen unter Wasser unhörbaren Knacks, als der Knochen gebrochen wurde. Atlan stellte zu seiner Erleichterung fest, daß der Druck des anderen Armes nachließ. Mit einem Ruck befreite er sich und trat mit den Füßen gegen den Körper des Gegners, der daraufhin zurückwich. Noch bevor er sich endgültig von dem Ungeheuer lösen konnte und nach oben stieg, wurde er an den Füßen festgehalten. So schnell also gab das Wesen aus dem See nicht auf. Sein Versuch, sich durch einen kräftigen Ruck von der zupackenden Klaue zu befreien, schlug fehl. Da er von der Luftzufuhr an der Oberflä che unabhängig war, blieb ihm Zeit genug, sich wie ein Bogen zu spannen und nach un ten zu beugen. Seine vorgestreckten Hände erwischten den zum Töten entschlossenen Feind an der Schulter. Seine Finger bohrten sich mit aller Macht in das weiche, nachgiebige Fleisch. Er fühlte kaum einen Widerstand und hatte den Ein druck, als dringe zuerst die rechte und dann die linke Hand völlig in den Körper des an deren ein. Die Umklammerung an den Füßen ließ nach. Atlan zog sie an und stieß sie dann kräftig zurück. Diesmal löste sich die Umklammerung völlig. Mit zwei Schwimmstößen brachte er sich in Sicherheit, er stieg schnell der Oberfläche entgegen. Als er über sich die runde Däm merung sah, wußte er, daß er vorerst dem Monstrum entkommen war. Sein Kopf tauchte aus dem Wasser. Schnell öffnete er den Gesichtsschutz, um besser sehen zu können. Thalia zog sich gerade an dem Steilufer empor und schleppte sich einige Meter weit, um dann kraftlos ins Gras zu sinken und lie genzubleiben. Wahrscheinlich war sie wieder ohnmäch tig geworden.
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Atlan kletterte ebenfalls aufs Land und kümmerte sich um sie. Thalia atmete gleich mäßig, aber sehr schwach. Das Abenteuer hatte sie ziemlich mitgenommen und er schöpft. Eine Mund-zu-Mund-Beatmung er schien Atlan in diesem Augenblick ange bracht. Er stützte sich mit den Ellenbogen ab und preßte seinen Mund gegen den ihren. Mit den Händen bearbeitete er ihren Brustkorb, um die künstliche Atmung zu fördern. Als sie die Augen aufschlug und dicht über sich die seinen sah, schlang sie ihre Ar me um seinen Nacken. Sie war wieder lebendig.
* Erst jetzt konnte sich Atlan davon über zeugen, daß sie keine Verletzung erlitten hatte. Sie spürte nirgendwo Schmerzen, war aber total erschöpft. Atlan lehnte sie mit dem Rücken gegen einen Felsen. »Ich muß mich um Fenrir kümmern«, sagte er. »Bleibe ruhig hier sitzen und versu che nicht aufzustehen. Ich bin gleich wieder da.« Der Wolf lag knapp achtzig Meter ent fernt und schien noch immer bewußtlos zu sein. Atlan hoffte, daß es nichts Schlimme res war. Er bückte sich und untersuchte das Tier. Es atmete schwach. Kurz entschlossen wuchtete er Fenrir in die Höhe und schleppte ihn zur Windrose, wo er ihn mit einiger Mühe in den hinteren Sitz bugsierte. Zusammengerollt fand der Wolf genügend Platz. Als Atlan sich umwandte, um auch Thalia zu holen, sah er oben auf dem Hügel ein Dutzend Gestalten auftauchen, die ihm so fort bekannt vorkamen. Es mußten die glei chen Lebewesen sein, die ihnen vorher den Weg nach Osten abgeschnitten hatten. Aus dem See weiter links stieg gerade das Monstrum, das Thalia entführt hatte. Es ent deckte sein Opfer sofort. Atlan wußte, daß es nun auf Sekunden an kam.
»Thalia! Kannst du aufstehen?« Sie antwortete nicht, bemühte sich jedoch, auf die Beine zu gelangen. Aber auch die Monstren auf dem Hügelkamm blieben nicht untätig. In breiter Front kamen sie herbeige rannt, um ihrem gerade dem See entstiege nen Artgenossen beizustehen. Längst hatte Atlan den Helm wieder ge schlossen, um nicht paralysiert zu werden. Thalia kroch ihm auf allen vieren entgegen, weil sie nicht mehr die Kraft besaß, sich voll aufzurichten. Sie spürte bereits die ersten lähmenden Schockwellen. Atlan war bei ihr, als die ersten nur noch zwanzig Meter entfernt waren. Im Laufen bückte er sich, packte Thalia und zerrte sie hoch. Brutal fast hielt er sie fest und schleif te sie ein Stück mit sich, ehe es ihm gelang, sie auf die Arme zu nehmen. Die Verfolger holten schnell auf – viel zu schnell. Thalias Körper hatte sich zuerst versteift, nun wurde er plötzlich ganz schlaff. Zum zweiten Mal hatte sie das Bewußtsein verlo ren oder war paralysiert worden. Atlan konnte sich nicht daran erinnern, jemals in seinem Leben mit einer solchen Last auf den Armen so schnell gelaufen zu sein. Die Windrose schien Ewigkeiten entfernt zu sein, dabei waren es nur noch wenige Schrit te. Ein Stein traf Atlan in den Rücken, aber statt ihn aufzuhalten feuerte er ihn nur noch mehr an. Ohne jede Rücksichtnahme warf er Thalia in die Windrose hinein, auf den zwei ten Sitzplatz. Gleichzeitig wurde er von hin ten von mehreren Händen ergriffen und zu rückgezerrt. »Thalia!« rief er verzweifelt. »Thalia, fahr doch los …!« Aber Odins Tochter konnte ihn nicht hö ren. Zusammengesunken lag sie auf ihrem Platz vor den Kontrollen der Windrose. Atlan wehrte sich gegen die Übermacht der schrecklich aussehenden Seebewohner, die ihn von der Windrose wegschleppten und umringten. Mit ihren Fäusten schlugen
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sie auf ihn ein, als sie bemerkten, daß ihre paralysierenden Schockimpulse keine Wir kung auf ihn hatten. Das mochte auch der Grund dafür sein, daß sie sich nicht mehr um die Windrose und Thalia kümmerten. Der seltsame Fremde, über den sie keine Gewalt besaßen, interessierte sie mehr.
* Perquesch-Carrax mußte erkennen, daß ihm seine Beute nicht mehr entwischen konnte. Er verlangsamte sein Tempo und sah, daß der Fremde von dem Gefährt ge trennt und eingekreist wurde. Der paralysier ten Frau und dem reglosen Wolf schenkte er keinen Blick. Als er die Gruppe erreichte, schlug er mit einem Wutschrei den Arm eines anderen Nobarcs zur Seite, der gerade einen großen Stein auf den Kopf des Fremden niedersau sen lassen wollte. »Wir brauchen ihn lebend!« Das aber war nicht ganz so einfach, wie er sich das vorgestellt hatte. Der Fremde wehr te sich mit unheimlicher Kraft gegen die Ge fangennahme. Immer wieder gelang es ihm, seine Peiniger abzuschütteln und gewaltige Faustschläge auszuteilen. Zwei der Nobarcs lagen bereits am Boden und krümmten sich vor Schmerzen. Es war offensichtlich, daß der Fremde zu dem Gefährt wollte, in dem die Frau lag. Das mußte unter allen Umständen verhindert werden. Perquesch-Carrax sprang mit einem Rie sensatz von hinten auf Atlans Schulter und warf ihn durch sein Gewicht zu Boden. Mit seinem gesunden Arm hielt er ihn fest, bis die anderen Nobarcs endlich begriffen und sich auf den Gestürzten warfen, um ihn zu überwältigen. Die konzertierte Aktion hatte Erfolg. Atlan gelang es zwar, den einen oder an deren Nobarcs abzuschütteln, aber die Über macht war zu groß. Er spürte, wie seine Kräfte erlahmten.
Er hatte keine Ahnung, was sie von ihm wollten, aber er war sicher, daß sie ihn mit hinab auf den Grund eines der Seen nehmen würden. Solange das geschmeidige Ge sichtsteil seines Anzuges verschlossen blieb, konnte ihm nichts passieren. Er rollte sich auf den Rücken, ohne den Versuch zu machen, aufzustehen oder zu fliehen. Kräftige Arme hielten ihn fest, aber er sah die entstellten und bleichen Gesichter über ihm. Er schauderte zusammen, als er daran dachte, daß Thalia in die Gewalt die ser Ungeheuer fallen könnte. Thalia! Vorsichtig drehte er den Kopf, bis er die Windrose erblickte. Thalia lag noch immer hinter den Kon trollen, begann sich aber gerade zu rühren. Wahrscheinlich ließ die Wirkung der Schockwellen nach, und im Augenblick kümmerte sich auch niemand um sie. Wenn es ihr gelang, den Fahrthebel an sich zu ziehen, würde die Windrose davon rollen, auch wenn Thalia dann wieder be wußtlos wurde. Niemand würde sie dann noch einholen können. »Thalia!« rief er, und er sah, wie sie müh sam den Kopf hob. Einer der Nobarcs schlug ihm mit der Hand auf den Mund. »Thalia! Fahr los! Kümmere dich nicht um mich jetzt! Hol Razamon und Kolphyr! Ich …« Weiter kam er nicht. Perquesch-Carrax preßte ihm mit aller Kraft die flache Hand auf den Mund, ob wohl er nicht ahnen konnte, was Atlan sagte. Die anderen Nobarcs schienen das für ein Zeichen zur erneuten Balgerei zu halten, denn sie begannen wieder auf ihren Gefan genen einzuschlagen, der sich mit heftigen Fußtritten gegen die neuerliche Attacke zur Wehr setzte. Trotz seiner wenig beneidenswerten Lage keimte ein Hoffnungsschimmer in ihm auf, als er sah, wie Thalia sich mühsam in ihrem Sitz aufrichtete und die Hände auf die Kon trollen der Windrose legte. Aber sie zögerte noch. Sie mußte Atlans Worte vernommen und verstanden haben, aber sie wollte ihn
40 nicht im Stich lassen. »Du sollst losfahren!« brüllte er und schleuderte einen Nobarc in hohem Bogen von sich, um sofort wieder unter den ande ren begraben zu werden. Diesmal packten sie ihn an Armen und Beinen und schleiften ihn durch das Gras auf den nächsten See zu. Atlan war klug ge nug, sich nicht mehr sonderlich zu wehren. Er schonte seine Kräfte. Außerdem sah er, daß sich die Windrose in Bewegung setzte und zwischen den Felsen verschwand. Das Ufer des Sees war steil und gut zwei Meter hoch. An einigen Stellen gab es pri mitiv angelegte Stufen, die den Nobarcs das Aussteigen erleichterten. Vier von ihnen hielten Atlan fest, als sie mit ihm ins Wasser sprangen. Die anderen folgten, ohne daß sie sich um die davonrol lende Windrose gekümmert hätten. Atlan spürte das Wasser über sich zusam menschlagen, dann versank er abermals in einem der unergründlichen Seen, von denen er bereits wußte, daß sie alles andere als un ergründlich waren. Es dauerte lange, bis er Boden unter den Füßen spürte. Seine Gegner ließen ihn nicht los, wenn sie auch etwas unvorsichtiger wurden. Hier fühlten sie sich sicher. Ihr Ge fangener konnte ihnen nun nicht mehr ent wischen. Das schimmernde Licht kam aus einem Seitengang, der waagrecht in die Wandung des Sees hineinführte. Atlan sah die glän zende Metallwand. Es war sein Ziel gewesen, den Antrieb von Pthor zu finden, und wie es schien, war er diesem Ziel nun sehr nahe. Allerdings unter ganz anderen Umstän den, als er es sich vorgestellt hatte. Sie zerrten ihn bis vor die metallene Wand, und noch während er überlegte, was nun wohl geschehen würde, begann sich die Wand in der Mitte zu teilen. Sie schoben ihn in die dahinterliegende Kammer und versetzten ihm einen Schlag, der ihn bewußtlos machte.
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6. Thalia kam sich wie eine Verräterin vor, als sie Atlans Aufforderung befolgte und den Fahrthebel betätigte. Sofort setzte sich die Windrose in Bewegung und rollte an der kämpfenden Gruppe vorbei, aber entgegen ihren Befürchtungen kümmerte sich keines der Ungeheuer um sie. Alle waren nur mit dem rasenden Atlan beschäftigt. Sie fuhr nur hinauf bis zu den schützen den Felsen und hielt an. Hinter ihr begann sich Fenrir zu regen und leise zu jaulen. »Sei ruhig und bleib liegen!« befahl sie scharf. Fenrir winselte kläglich und gehorchte. Thalia kletterte aus dem Sitz und über zeugte sich davon, daß man die Windrose von den Seen her nicht sehen konnte. Hinter Felsen geduckt, beobachtete sie, was weiter unten in der Senke geschah. Atlan wurde gepackt und davongeschleift. Sie unterdrückte den unwillkürlich aufstei genden Impuls, aufzuspringen und ihm zu Hilfe zu eilen, weil sie wußte, wie sinnlos dieser Versuch sein mußte. Sie konnte nur in ohnmächtiger Verzweif lung zusehen, wie die unheimlichen Wesen mit ihrem Opfer ins Wasser sprangen und versanken. Die übrigen folgten, und wenig später lag die Oberfläche wieder so ruhig da wie zu vor. Nichts verriet mehr, was vorgefallen war, und vor allen Dingen verriet sie nicht, was nun unter ihr geschah. Thalias Gefühle waren nicht zu beschrei ben. Angst um den geliebten Atlan ver mischte sich mit Ärger darüber, daß sie sei nen Befehl befolgt hatte und geflohen war. Doch nun war es zu spät für jeden Ent schluß. Wenn es überhaupt eine Chance für einen Befreiungsversuch gegeben hatte, dann war sie vertan. Auf der einen Seite war sie froh, nicht verfolgt zu werden, auf der anderen aber be unruhigte sie gerade diese Tatsache.
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War Atlan für die Unheimlichen so wich tig, daß sie auf jeden anderen Gefangenen verzichten konnten? Und wenn ja, warum? Fenrir winselte lauter. Er bemühte sich, auf die Beine zu kommen, was ihm schließ lich auch gelang. Ehe Thalia es verhindern konnte, sprang er aus der Windrose und humpelte ihr entgegen. Er lahmte auf dem rechten Vorderlauf. Sie untersuchte den Fuß. Der Knochen schien unverletzt zu sein, also war es nur ei ne Prellung. »Wir können hier nichts mehr tun, Fenr ir«, sagte sie und kraulte sein Fell. »Wir fah ren zurück in die FESTUNG. Razamon wird schon wissen, wie wir Atlan helfen können. Die Ungeheuer werden es nicht wagen, ihn zu töten. Sie haben etwas anderes mit ihm vor.« Fenrir schien sie verstanden zu haben. Gehorsam sprang er auf seinen Sitz und roll te sich zusammen. Thalia stieg nun auch zu und fuhr an. Oben auf dem Hügel hielt sie zum letzten Mal an, um zu den Seen hinabzublicken. Nichts rührte sich dort. Es war so, als hätte es diese bleichen Ungeheuer, die lebenden Leichen glichen, nie gegeben. Aber Thalia wußte, daß sie nicht geträumt hatte. Mit einem entschlossenen Ruck zog sie den Fahrthebel wieder vor. Sie wurde in die Polster gedrückt, als die Windrose Fahrt aufnahm und nach Osten rollte.
* »Und ich sage euch, da ist etwas faul an der ganzen Geschichte!« rief Sigurd mit zorngerötetem Gesicht. »Sie hätten längst wieder hier sein müssen! So weit ist es nun auch wieder nicht bis zum Wachen Auge.« »Es ist eine ganz schöne Strecke«, gab Balduur zu bedenken. »Außerdem können wir nie wissen, was ihnen unterwegs begeg net.« »Am liebsten würde ich selbst nachse
hen«, meinte Heimdall. Die drei Söhne Odins saßen in der FE STUNG, und doch waren sie wie blinde Hühner in einem Käfig, den sie nicht kann ten. Keine der vielen Nachrichtenverbindun gen funktionierte, und von den ausgeschick ten Dellos war noch kein einziger mit einer Botschaft zurückgekehrt. »Keiner von uns wird die FESTUNG ver lassen«, befahl Sigurd seinen Brüdern. »Und ich verspüre auch keine große Lust, in dieser Situation einen der Freunde Atlans loszu schicken.« »Dann sitzen wir hier fest«, knurrte Bal duur. Das wußte Sigurd selbst, aber er sah keine andere Möglichkeit. »Vielleicht hätten wir doch auf Atlan hö ren sollen«, wagte Heimdall zu sagen. »Ich meine das mit der Untersuchung des Antrie bs. Es könnte wirklich so sein, daß wir end los zwischen den Dimensionen umherrasen. Wir müssen Pthor kontrollieren, nicht nur seine Bewohner.« Sigurd knurrte nur, gab aber keinen Kom mentar. »Wer weiß«, trug nun auch Balduur zur Diskussion bei, »ob Pthor, wenn überhaupt, ziellos daherrast? Vielleicht wurde ein Ziel programmiert, von dem wir nichts wissen. Atlan mag recht haben, wenn er besorgt ist, aber vielleicht ist seine Sorge auch unbe gründet. Schließlich wissen wir doch, daß auch die ehemaligen Herren der FESTUNG nur Handlanger einer höheren Macht waren – und damit werden wir es automatisch auch.« »Du meinst«, ging Sigurd auf die Ausfüh rungen seines Bruders ein, »daß wir ohnehin nichts ändern könnten, ob wir nun eine ge wisse Kontrollfunktion übernehmen oder nicht?« »Ja, das meine ich. Wir können die Be wohner von Pthor kontrollieren, mehr aber auch nicht.« Sigurd versank in tiefes Nachdenken. Die Möglichkeit, selbst kontrolliert zu werden, paßte ihm überhaupt nicht.
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»Übrigens«, stellte er säuerlich fest, »sind die Eingänge zum Antrieb verschüttet, so weit sich das bisher feststellen ließ. Eine Diskussion darüber erübrigt sich also.« Heimdall stand langsam auf. »Ich werde mich um unsere Freunde küm mern, damit sie nicht so einsam sind«, gab er bekannt. »Sie sollen sich nicht von uns beobachtet fühlen, aber ich halte es für gut, wenn man sie im Auge behält.« »Wir sind uns einig«, gab Sigurd seine Zustimmung.
* Razamon durchstreifte die FESTUNG, wobei er sich insbesondere natürlich für das Hauptgebäude, die große Pyramide, interes sierte. Es gab mehrere Zugänge in die »Kelleranlagen«, jene Räume also, die sich unter der Oberfläche befanden. Beim Kampf um diese Anlagen hatte es besonders viel Zerstörungen gegeben, viele Gänge waren durch Trümmerstücke blockiert und unbe gehbar. Dellos hätten wochenlang arbeiten müssen, um sie wieder freizulegen. Razamon streifte ziellos durch das Laby rinth, stieß immer wieder auf unüberwindli che Hindernisse und fluchte. Er versuchte sich auszureden, daß er sich um Atlan und Thalia Sorgen machte, die schon längst hät ten zurück sein müssen. Und schon gar nicht wollte er sich selbst gegenüber zugeben, daß seine einsamen Wanderungen durch das Chaos der FESTUNG nur der Ablenkung galten. Selbst im Traum hätte er nicht daran ge dacht, den Eingang zur Antriebsanlage zu entdecken. Balduur hatte ihn einmal hier unten gese hen und ihm geraten, wieder nach oben zu gehen. Wenn er Bewegung brauche, solle er sich im Garten umsehen, außerdem sei die Luft da besser. Razamon hatte kein Interesse daran, das Verhältnis zu Odins Söhnen noch weiter ab kühlen zu lassen. Im Grunde waren sie Ver-
bündete, daran konnte auch das gegenseitige Mißtrauen nichts ändern. Aber Razamon wußte auch, daß einer von ihnen fast ständig unterwegs war, um ihn oder Kolphyr zu überwachen. Das Rauschen des Zeitstroms war in den unterirdischen Hallen nicht so deutlich zu vernehmen wie an der Oberfläche. Dafür glaubte Razamon ein anderes Geräusch zu hören, das er nicht zu identifizieren ver mochte. Außerdem schien es unregelmäßig zu sein. Einmal wirkte es wie das ferne Stampfen mächtiger Maschinen, die irgendwo tief in der Kruste von Pthor liefen, dann wieder war es nur eine ferne und kaum spürbare Vi bration unter den Füßen. Das Geräusch dazu konnte Einbildung sein. Was Razamon unbewußt suchte, war die Ursache. Ein wenig verloren stand er in einem grö ßeren Raum und ließ den Schein seiner Lampe über die von der Decke herabge stürzten Felsbrocken und Metallverstrebun gen wandern, die überall herumlagen. Er schaltete das Licht aus, als er Schritte hörte. Aber der andere hatte auch Licht, und der Kegel erfaßte Razamon sofort und blieb ste hen. »Wir sehen es nicht gern«, sagte Heim dall, »wenn du hier unten herumstöberst, Razamon. Wir haben dir das nun schon oft genug zu verstehen gegeben.« »Die Zeit wird lang, Heimdall, und das Warten auf Atlan unerträglich. Ich brauche eine Beschäftigung. Ich nehme doch nicht an, daß ihr Verrat fürchtet?« Heimdall richtete den Schein der Lampe gegen die zerklüftete Decke, um Razamon nicht weiter zu blenden. Er setzte sich auf einen Stein. »Wir fürchten keinen Verrat, aber wir wollen auch nicht, daß durch Versehen eine uns unbekannte Maschinerie in Gang gesetzt wird, die eine Katastrophe verursachen könnte. Noch kennen wir die Geheimnisse der FESTUNG zu wenig, um auch ihre Ge
Die lebenden Toten fahren zu erahnen.« »Sei unbesorgt, Heimdall, ich rühre nichts an. Ich vertreibe mir nur die Zeit.« »Und dein Freund Kolphyr? Ihn trafen wir noch nie hier.« »Er fürchtet eine Verletzung seines VelstSchleiers. Die geringste Lücke dieser Haut würde unser aller Ende bedeuten, das weißt du so gut wie ich. Kolphyr ist ein Antimate rie-Wesen, vergiß das nie! Er bleibt aus Rücksicht auf uns alle in seinem Wohn raum.« »Sehr klug von ihm«, gab Heimdall zu. »Was meinst du … warum kehrten Atlan und Thalia noch nicht zurück?« Razamons Gesicht verriet Sorge. »Ich weiß es nicht. Es muß etwas gesche hen sein, von dem wir nichts ahnen. Viel leicht hat man sie überrumpelt und hält sie im Wachen Auge fest.« »Das ist auch unsere Vermutung.« »Und warum unternehmt ihr nichts?« Heimdall schüttelte den Kopf. »Wir müssen warten, Razamon. Außer dem haben wir alle Hände voll zu tun, die Bevölkerung unter Kontrolle zu bringen. Die ausgeschickten Dellos kehrten nicht zu rück.« »Dann habt ihr auch nichts anderes zu tun als zu warten.« »Das ist genug!« Es entstand eine Pause. Razamon wunder te sich, daß Heimdall ihn so schonend be handelte, statt ihn sofort in den oberen Teil der FESTUNG zu schicken. Vielleicht war er froh, mal mit jemand anderem als nur mit seinen Brüdern reden zu können. »Wir sollten einen ständigen Beobach tungsposten in der Spitze der Pyramide ein richten«, schlug Razamon vor, um das Ge spräch nicht einschlafen zu lassen. »Da alle anderen Kontrollfunktionen lahmgelegt sind, wäre das von Vorteil.« »Balduur hält sich oft dort oben auf. Wir haben nichts dagegen, wenn auch ihr dort Ausschau haltet. Wenigstens ist uns das lie ber, als das sinnlose Herumstöbern hier un ten.«
43 Razamon nickte. »Also gut, dann werde ich ihn ablösen.« Heimdall blieb sitzen. »Du findest den Weg allein, nicht wahr? Ich bleibe vorerst hier.« Razamon verstand die Anspielung, schal tete seine Lampe ein und trat den Rückzug an. Er hatte keine Lust, sich mit Heimdall zu streiten. Bevor er in den Beobachtungsraum stieg, suchte er Kolphyr auf, um ihm von seiner Begegnung mit Odins Sohn zu berich ten.
* Thalia fuhr ohne Unterbrechung bis zum Wachen Auge, wo sie nach kurzem Suchen den Gordy Vergan Deiselt fand, der sie mit Respekt empfing. Er berichtete, daß kein neuer Überfall erfolgt war und von der FE STUNG noch keine neuen Anordnungen eingetroffen seien. Thalia hielt es für sinnlos, ihm die neue Lage noch einmal zu erklären, informierte ihn jedoch, was inzwischen geschehen war. Der verwundete Gordy, so teilte Deiselt ihr dann mit, sei auf dem Weg der Besserung und habe die Wesen genau schildern kön nen, die das Wache Auge überfallen hatten. Die Beschreibung deckte sich vollkommen mit jener Thalias. »Sie haben meinen Begleiter entführt«, wiederholte sie. »Ich muß in die FESTUNG, um Hilfe zu holen. Es ist gut, daß wir dich hier in der Ortungsanlage wissen, und so bald sich die Möglichkeit ergibt, werden wir dir Hilfe schicken.« »Ich warte«, sagte Deiselt ergeben. Fenrir hatte sich inzwischen soweit erholt, daß er die Windrose verlassen und nebenher laufen konnte. Deiselt gab ihm Futter, von dem in den Lagern genügend vorhanden war, und auch Thalia ergänzte ihre Vorräte. Sie winkte Deiselt zum Abschied zu und setzte die Windrose in Bewegung. Fenrir lief voran und sicherte, aber es war kaum damit zu rechnen, daß sie hier einem lebenden We sen begegneten.
44 Seit Atlan von den »Gespenstern« ent führt worden war, hatten sich Thalias Ge fühle für ihn verstärkt und intensiviert. Sie wußte nun mit Sicherheit, daß sie ihn liebte und daß es mehr als nur Freundschaft war, die sie beide verband. Auch gegen den Wi derstand ihrer Brüder würde sie alles tun, um ihn zu retten. Razamon und Kolphyr würden ihr beiste hen, auch das wußte sie. Mit Rücksicht auf Fenrir konnte sie nicht mit Höchstgeschwindigkeit fahren, und der Wolf weigerte sich, in der Windrose Platz zu nehmen. Das hatte er nur am ersten Tag ih rer Rückfahrt getan, weil er nicht laufen konnte. Einmal machten sie am Rand einer Baum gruppe Rast. Thalia schlief einige Stunden, von Fenrir bewacht. Dann brachen sie wie der auf. Endlich – wie es schien nach einer Ewig keit – kam die FESTUNG in Sicht. Zuerst die Spitze der großen Pyramide, dann die der anderen. Nichts schien sich dort verändert zu ha ben. Trotzdem verringerte Thalia das Fahrt tempo noch mehr und näherte sich nur lang sam der verwüsteten Umgebung und dem ehemaligen Garten. Hier gab es genügend Verstecke für eventuelle Gegner, vielleicht zurückgekehrte Dellos oder Technos, die sich nicht an die neuen Herren gewöhnen wollten. Aber Fenrir war in dieser Hinsicht zuver lässig. Nach allen Richtungen sichernd, hielt er den Abstand zur Windrose. Und dann blieb er plötzlich stehen und drehte sich um. Sein Gesichtsausdruck verriet, daß er etwas entdeckt hatte. Thalia fuhr ein Stück weiter und hielt an. Die Hand auf den Fahrthebel gelegt, beob achtete sie Fenrir, der mit gesträubtem Fell auf einige Büsche blickte, in denen es sich zu regen begann. Dann brachen drei Gestalten aus der Deckung hervor und schwangen Knüppel und Eisenstangen.
Clark Darlton Es waren Dellos – seelenlose Organ-Ro boter.
* Razamon hielt sich nun schon seit drei Stunden im Beobachtungsraum der Pyrami denspitze auf und begann sich schrecklich zu langweilen. Der Blick in das trostlose Ge lände nach Westen zu war eintönig und ohne Abwechslung. Obwohl er ziemlich weit se hen konnte, entdeckte er noch keine Spur von der zurückkehrenden Windrose. Einmal sah er einen Dello schleichen, aber da er annahm, es handele sich um einen der ausgeschickten Boten, maß er seiner Be obachtung weiter keine Bedeutung zu. Der Androide würde sich wahrscheinlich bei den neuen Herren der FESTUNG melden und ih nen Bericht erstatten. In kleinen Schlucken trank er von der weinähnlichen Flüssigkeit, die er in einem der Vorratslager gefunden hatte. Der Krug ging allmählich zur Neige, und es wurde Zeit, daß Kolphyr oder einer der Göttersöh ne ihn ablöste. Da sah er die Bewegung am Horizont. Zuerst war es nur ein winziger Punkt, der allmählich größer wurde, bis Razamon si cher sein konnte, daß es sich um die Wind rose handelte. Er verspürte eine ungeheuere Erleichte rung bei ihrem Anblick, wenngleich er die Insassen noch nicht erkennen konnte. Aber Fenrir lief voran, das schien ihm ein gutes Zeichen zu sein. Es spielte keine Rolle, daß Odins Söhne den Wolf gewissermaßen als Bewachung für Atlan und Thalia nachge schickt hatten; Atlan hatte ein gutes Verhält nis zu dem sonst so mißtrauischen Wolf. Erst als das Gefährt näherkam, mußte Razamon feststellen, daß sich in ihm nur ei ne Person befand. Atlan oder Thalia …? Er wischte den Gedanken beiseite, daß et was schiefgegangen sein könnte. Wahr scheinlich war einer der beiden – Thalia oder Atlan – beim Wachen Auge zurückge
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blieben, um dort für Ordnung zu sorgen. Schon wollte er seinen Beobachtungspo sten verlassen, um den anderen die Neuig keit mitzuteilen, als er sah, daß Fenrir ste henblieb. Dann hielt auch die Windrose an, obwohl sie noch gut einen Kilometer von der FE STUNG selbst entfernt war. In den Büschen rechts war Bewegung, dann erschienen drei bewaffnete Dellos – es mußten Dellos sein! – und stürmten mit lau tem Gebrüll auf Fenrir und die Windrose zu. Razamon sah noch, daß Fenrir den Dello ab fing, der Thalia angreifen wollte, dann raste er die Stufen hinab zum unteren Teil der Py ramide, um Kolphyr und Odins Söhne zu alarmieren.
* Der seitlich ausgescherte Angreifer schlug mit seinem Holzknüppel nach Fenrir, der ge schickt auswich und ihn mit gefletschten Zähnen ansprang. Der Androide verlor das Gleichgewicht und stürzte zu Boden. Thalia sah nicht hin, als der Wolf ihm die Kehle durchbiß. Der organische Roboter starb, ohne einen Laut von sich zu geben. Die beiden anderen jedoch ließen sich da von nicht abschrecken. Der eine schwang den Eisenstab und stürzte sich von hinten auf Fenrir, der andere hatte Thalia entdeckt und rannte gleichzeitig auf die Windrose zu. Odins Tochter konnte sich jetzt nicht um den Wolf kümmern, sie mußte an ihre eige ne Sicherheit denken – und sie besaß keine Waffe. Nur eine einzige: die Windrose! Drüben am Fuß der großen Pyramide er schienen zwei Gestalten und begannen zu rennen, aber sie waren noch viel zu weit ent fernt, um rechtzeitig zur Stelle sein zu kön nen. Doch allein der Gedanke, daß Hilfe nah war, gab Thalia den Mut, dem wütenden Angriff des Dello zu begegnen. Sie visierte den auf sie zu Laufenden re gelrecht an und zog den Hebel vor. Die
Windrose setzte sich gehorsam in Bewegung und reagierte auf die Steuerkontrollen mit der gewohnten Präzision. Der Dello wich seitwärts aus, als er die Gefahr erkannte, aber Thalia folgte ihm mit verbissenem Zorn. Sie hatte nicht vor, ihn zu töten, aber sie wollte ihn verjagen, um Fenrir dann zu helfen, der in arge Bedrängnis geraten war. Der Dello schlug einige Haken und ge wann damit Zeit und Vorsprung. Auch er mußte inzwischen die herbeieilende Verstär kung bemerkt haben, denn abrupt wechselte er die Richtung und lief zu seinem Gefähr ten zurück, der mit dem Wolf mehr als ge nug beschäftigt war. Thalia sah, daß Fenrir dem ersten Schlag mit der Eisenstange ausweichen konnte, aber damit war die Gefahr für ihn nicht abgewen det. Der Dello entwickelte eine neue Kampf taktik, indem er die Stange wie ein wildge wordener Kreisel schwenkte und so keinen Angriffspunkt mehr bot. Der andere Dello griff Fenrir von hinten an. Thalia konnte schon das Rufen Razamons hören, der schnell näherkam, dicht gefolgt von Kolphyr, der nicht ganz so beweglich war. Aber sie würden zu spät eintreffen, wenn sie nicht sofort etwas unternahm. »Zurück, Fenrir!« rief sie so laut sie konn te. »Zurück!« Der Wolf zögerte, dann wich er zurück. Den neuen Gegner bemerkte er fast zu spät. Zum Glück besaß dieser nur ein klobiges Stück Holz, keine Eisenstange. Der hinter hältig geführte Schlag traf Fenrir aufs Hin terteil, zum Glück nicht ins Kreuz. Das Tier spürte den Schmerz, wußte aber instinktiv, daß es nicht ernsthaft verletzt worden war. Ehe der Dello erneut zuschla gen konnte, machte es einen Riesensatz und warf den Angreifer mit dem Aufprall zu Bo den. Der Unglückliche erlitt das gleiche Schicksal wie sein Vorgänger. Thalia kümmerte sich um den dritten. Abermals visierte sie den Stabschwingen
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den an und fuhr direkt auf ihn zu. Das äußere Rad der Windrose war einen halben Meter breit und trug das gesamte Ge wicht des Gefährts. Wer darunter geriet, wurde unweigerlich zerquetscht. Thalias Zorn war groß genug, dem dritten Dello kein Pardon zu gewähren. Dieser wie derum hatte die Näherkommenden auch ge sehen und wußte, daß er ihnen nicht mehr entkommen konnte. Aber wenn es ihm ge lang, die Frau rechtzeitig zu erwischen, konnte er sich mit ihr als Geisel in Sicher heit bringen. Er schwang noch immer seine Eisenstan ge, als er der Windrose entgegenlief.
7. Als Razamon den Söhnen Odins die Neu igkeit überbrachte, reagierten sie unter schiedlich. Während Sigurd mit einem fast gleichgül tigen »Na und!« die Angelegenheit kom mentierte, rief Balduur: »Es könnte Thalia sein, und wir müssen ihr helfen.« »Besorgt ihr das!« riet Heimdall und sah Razamon dabei an. Razamon packte der Zorn, aber er enthielt sich jeden Kommentars. Mit einem Ruck drehte er sich um und raste zu Kolphyr, der natürlich keine Sekunde zögerte, dem Insas sen der Windrose zu Hilfe zu eilen, ganz gleichgültig, ob es nun Atlan oder Thalia sein mochte. Ohne jede Waffe rannten sie los, sich auf die Kraft ihrer Fäuste und ihr Glück verlas send. Dabei gewann Razamon schnell einen Vorsprung, den Kolphyr nicht aufzuholen vermochte. Mit seinen scharfen Augen konnte Raza mon die Vorgänge bei der Windrose gut ver folgen. Der erste Gegner wurde von Fenrir erledigt, dann fuhr das große Rad hinter ei nem zweiten her, der dann den Wolf angriff. Die Windrose selbst kümmerte sich um den dritten Dello. Razamon bekam kaum noch Luft, aber er
schonte sich nicht. Jede Sekunde konnte ent scheidend sein. Immerhin hatte er bereits Thalia erkannt, und seine Sorge um das Schicksal Atlans stieg beträchtlich. Fenrir erledigte den zweiten Gegner und setzte zur Verfolgung des dritten an, hielt aber jäh im ersten Satz inne. Auch Razamon erkannte, daß Thalia kei ne Hilfe mehr benötigte. Er blieb stehen. Kolphyr holte ihn ein. »Thalia! Und ich hielt sie immer für sanftmütig …« Die Windrose verringerte ihre Geschwin digkeit nicht und wich auch nicht aus, als der letzte Dello mit der Eisenstange auf sie zurannte und versuchte, Thalia von der Seite her anzugreifen. Aber die Tochter Odins kannte sich mit den Kontrollen bestens aus und parierte jede Bewegung des Gegners. Wo immer sich dieser auch befand und von welcher Seite er auch anstürmen mochte, er sah immer nur das rollende Rad vor sich – und die Entfernung verringerte sich von Se kunde zu Sekunde. Solange, bis es keinen Ausweg mehr gab. Razamon setzte sich wieder in Bewegung, als die Windrose den Dello überfuhr und auf der Stelle tötete. Das Gefährt hielt an. Thalia stieg aus und taumelte Razamon erschöpft entgegen. Er fing sie mit den Armen auf, ehe sie zu Boden stürzen konnte. »Ich habe … ich habe getötet«, stöhnte sie entsetzt. Er strich ihr über das Haar. »Es war nur ein Roboter«, sagte er so ru hig wie möglich. »Was ist mit Atlan?« »Später«, flüsterte sie erschöpft und schloß die Augen. »Ich glaube, ich kann jetzt nicht mehr …« Kolphyr kam herbei. »Leg sie in die Windrose, wir fahren da mit in die Festung zurück. Ich habe keine Lust, auch nur noch einen Schritt zu Fuß zu gehen.« Fenrir stand regungslos da und sah zu, wie Razamon Thalia auf dem hinteren Sitz
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verstaute, Kolphyr in den zweiten half und dann selbst einige Mühe hatte, sich hinter die Kontrollen zu zwängen. »Zurück zur FESTUNG!« rief Razamon dem Wolf zu, der sich gehorsam dem Befehl fügte und hinkend voranlief. »Bringe den drei Brüdern die frohe Botschaft, daß ihre Schwester zurückkehrt.« Er zog den Fahrthebel vor, und als die Windrose sich in Bewegung setzte und die Richtung stimmte, wandte er sich um. Thalia schien bewußtlos geworden zu sein. Zusammengesunken lag sie in ihrem Sitz, die Augen geschlossen und nur schwach atmend. Die Antwort auf die Frage, was mit Atlan geschehen war, würde noch einige Zeit auf sich warten lassen …
* Balduur erwartete sie bei der großen Pyra mide, dem Hauptgebäude der FESTUNG. »Wir wünschen mit Thalia zu sprechen«, sagte er. Razamon hielt die Windrose an und deu tete nach hinten. »Sie muß total erschöpft sein. Sieh nur, gerade erwacht sie aus ihrer Bewußtlosig keit.« Thalia schlug die Augen auf und lächelte schwach, als sie Balduur erkannte. Sie muß te seine Worte gehört haben, aber auch die Razamons. »Odins Kinder waren schon immer sehr ungeduldig«, meinte sie und versuchte, ihrer Stimme Stärke zu verleihen. »Sie werden kaum warten, bis eins von ihnen sich von den Strapazen erholt hat. Teile Sigurd und Heimdall mit, daß ich in einer halben Stunde mit Razamon und Kolphyr im großen Saal erscheinen werde.« »Wir wollten dich allein sprechen und …« »Die beiden werden mich begleiten«, un terbrach sie ihn. Er verbarg sein Erstaunen und nickte. »Gut, wie du willst. In einer halben Stun
de!« Er drehte sich um und verschwand im In nern der Pyramide. Razamon half Thalia aus der Windrose. »Warum willst du, daß wir dabei sind, wenn du mit ihnen redest?« »Weil ich keine Lust habe, die ganze Ge schichte zweimal zu erzählen.« Sie lächelte. »Das ist ein Grund, Razamon!« Sie geleiteten sie zu ihrem Wohnraum und versprachen, sie in einer halben Stunde abzuholen. Fenrir legte sich auf den Gang und hielt vor ihrer Tür Wache.
* »Also, Schwester, was ist geschehen? Was ist mit dem Wachen Auge?« Thalia wirkte erschöpft und am Ende ihrer Kräfte, aber das überlegene Grinsen auf den Gesichtern ihrer Brüder mobilisierte ihre letzte Reserven. Vor ihnen wollte sie keine Schwäche zeigen. »Nach der Revolte der Technos erfolgte ein Überfall auf die Ortungszentrale. Die Technos und Gordys flohen, lediglich Ver gan Deiselt und ein anderer blieben zurück.« »Überfall? Von wem?« fragte Sigurd er staunt. »Ich berichte der Reihe nach«, wies Tha lia ihn zurecht und ließ sich dann nicht mehr unterbrechen. Sie schloß: »Jene, die das Wa che Auge überfielen und wahrscheinlich auch Gefangene verschleppten, sind diesel ben, die Atlan entführten und mit sich hinab in die Tiefe eines der unergründlichen Seen schleppten. Ich weiß nicht, was danach ge schah, ich weiß nur, daß wir Atlan helfen müssen.« Sigurd bemühte sich, seine Befriedigung nicht zu zeigen. »Er wird längst ertrunken sein, Schwester. Ob diese Seen nun unergründlich sind oder nicht, sie enthalten auf jeden Fall Wasser.« »Der Anzug der Vernichtung schützt At lan vor dem Ertrinken!« »Trotzdem! So wie du die Geschichte er zählt hast, kennen diese bleichen Lebewesen
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kein Erbarmen. Was immer wir auch unter nähmen, wir kommen zu spät. Niemand kann Atlan mehr helfen.« Das klang so endgültig, daß Thalia beina he ihre stolze Haltung verloren hätte. Nur mit Mühe behielt sie ihre Fassung. »Ich bin zu erschöpft, sonst würde ich selbst sofort zu den Seen zurückkehren. Die Feinde Atlans sind auch die euren, vergiß das nicht, Sigurd! Die Seebewohner haben das Wache Auge überfallen und fast zer stört, Atlan wollte nichts anderes, als sie da für bestrafen. Und ihr wollt ihm nun nicht helfen …?« »Weil es sinnlos wäre«, redete Sigurd sich heraus. »Er kann nicht mehr leben, weil zuviel Zeit verging.« Thalia wußte nicht, ob ihre Brüder jemals von dem Gerücht gehört hatten, das man sich über die Seen und ihr Geheimnis zuflü sterte. Vielleicht wäre Sigurd eher zu einem Kompromiß bereit gewesen, wenn er es kannte, aber sie hielt den Mund und sagte nichts. Razamon nutzte die entstandene Pause. »Ich werde mich um Atlan kümmern«, sagte er entschlossen. »Und wenn mich nie mand begleitet, dann gehe ich eben allein.« Sigurd warf seinen Brüdern einen fragen den Blick zu und las in ihren Mienen Ein verständnis. Er nickte. »Wir haben nichts dagegen einzuwenden, Razamon, wenn du die Windrose nimmst«, gestattete er großzügig. »Damit erreichst du dein Ziel schneller und leichter.« »Vielen Dank, Sigurd. Ich werde sobald wie möglich aufbrechen.« »Ich begleite dich natürlich«, stellte Kol phyr fest. »Damit ist der Fall wohl erledigt«, been dete Sigurd die gemeinsame Beratung.
* Kolphyr schloß die Tür hinter sich und stellte den Lederbeutel auf den Boden. »So, da sind die Vorräte, Razamon.« Razamon knöpfte gerade seine braune
Felljacke zu, schlüpfte in den Lederrock und legte den breiten Gürtel um. »Hast du den Wein nicht vergessen?« »Drei Krüge – für den ärgsten Durst.« Razamon grinste, aber nur für eine Sekun de. Dann nahm die Sorge um Atlan ihm wie der die gute Laune. »Es wird schwer sein, den Weg zu den Seen zu finden.« Kolphyr strich behutsam über seinen Velst-Schleier, der wie eine natürliche Haut straff seinen ganzen Körper umspannte. »Ich traf Thalia eben auf dem Gang. Sie hat mich gebeten, dir zu bestellen, daß wir nicht aufbrechen sollen, ehe sie noch einmal mit uns gesprochen hat. Sie wird vorbei kommen.« Das konnte Razamon nur recht sein. Sie war die einzige, die ihm den Weg zu den Seen genau beschreiben konnte. Er verspürte wenig Lust, sich in der Wildnis jenseits des Wachen Auges zu verirren. »Es ist dir doch klar, warum die Brüder so schnell mit unserem Plan einverstanden wa ren?« fuhr Kolphyr fort. Razamon nickte. »Natürlich ist mir das klar, und ich habe auch nichts dagegen. Sollen sie ruhig glau ben, Atlan für immer los zu sein, ich bin da anderer Meinung. Und ich nehme an, auch Thalia hat da so ihre Vermutungen. Sie liebt Atlan, das ist kein Geheimnis mehr, aber sie hätte sich bestimmt ganz anders benommen, wenn sie nicht einen Hoffnungsschimmer für ihn sähe. Sie ist erschöpft, aber keines wegs verzweifelt.« Es klopfte an der Tür. Es war Thalia. Sie ließ sich auf das breite Lager Raza mons sinken und lehnte sich mit dem Rücken gegen die mit Fell bespannte Wand. »Ich habe noch einmal mit meinen Brü dern gesprochen und den Eindruck gewon nen, daß sie ganz zufrieden mit der Lage sind. Wenigstens Balduur, so dachte ich, könnte zu überreden sein, euch zu begleiten, aber auch er gibt vor, hier unentbehrlich zu sein. So werdet ihr allein gehen müssen.« »Fahren!« berichtigte Kolphyr trocken.
Die lebenden Toten »Natürlich«, gab sie zu. »Mit der Windro se. Laßt mich euch den Weg erklären, es ist nicht schwierig, wenn auch die Himmels richtungen schwer zu bestimmen sind. Es gibt jedoch bestimmte Hinweise, die von der Natur selbst stammen. Ich habe da meine Er fahrungen.« »Wie meinst du das?« erkundigte sich Razamon wißbegierig. Sie lächelte schwach. »Pthor wurde lang genug von der Sonne des Planeten Terra beschienen, um die Pflanzenwelt entsprechend zu beeinflussen. Mittags stand sie im Süden, weil Pthor nörd lich des Äquators im Ozean lag. Noch heute ist zu sehen, wie sich schnell wachsende Pflanzen damals nach Süden neigten. Es dauerte lange, bis sie sich an das ewige Dämmerlicht und das Fehlen von Tag und Nacht gewöhnt haben.« Razamon zog anerkennend die Augen brauen in die Höhe. »Ausgezeichnet beobachtet, Thalia. Das kann uns von großem Nutzen sein. Wenn wir uns westwärts halten, sagtest du, errei chen wir unbedingt die Senke mit den Seen?« »Ja, am Wachen Auge vorbei.« Sie zöger te. »Ihr wollt gleich los?« »War das nicht auch dein Wille?« fragte Razamon erstaunt. »Doch, natürlich. Trotzdem möchte ich euch beide bitten, noch einen Tag zu warten, vielleicht weniger.« Sie sah Razamon an. »Ich habe meine Gründe dafür, aber frage mich bitte nicht danach.« »Atlan befindet sich bereits mehrere Tage in der Gewalt dieser unheimlichen und un berechenbaren Wesen«, erinnerte er sie. »Findest du nicht auch, daß jede Sekunde kostbar ist?« Zu seiner Verblüffung schüttelte sie den Kopf. »Nein, jetzt nicht mehr.« »Willst du damit andeuten, daß du die Hoffnung aufgegeben hast, Atlan zu retten?« »Natürlich nicht, Razamon, das weißt du doch. Du mußt Vertrauen zu mir haben. Ich
49 würde bestimmt nichts tun, was Atlan scha den könnte, aber ich fühle nun, daß es auf ein paar Stunden mehr oder weniger auch nicht mehr ankommt. Bereitet die Reise in aller Ruhe vor, während ich mich von den Strapazen erhole. Dann sehen wir weiter. Geht nicht, bevor ich abermals mit euch ge sprochen habe. Wollt ihr mir das verspre chen?« Razamon zögerte, aber dann sah er Kol phyr unmerklich nicken. »Also gut«, entschied er sich schweren Herzens. »Wir sind einverstanden. Wir ver lassen die FESTUNG nicht eher, bis du mit uns gesprochen hast. Aber laß uns nicht zu lange warten!« fügte er hinzu. Als sie gegangen war, starrte Razamon lange gegen die geschlossene Tür. »Was meinst du?« fragte er dann. »Warum dieses seltsame Verhalten, das im Gegensatz zu jeder Vernunft zu sein scheint.« »Sie hat einen Plan«, vermutete Kolphyr. »Und sie will ihn noch für sich behalten. Da sie die Situation besser kennt als wir, bin ich dafür, auf sie zu hören. Vielleicht hat auch jenes Gerücht, wonach sich auf dem Grund der Seen der Eingang zu der Antriebsanlage befinden soll, etwas damit zu tun.« So logisch das auch klingen mochte, es konnte Razamons Bedenken nicht zerstreu en. Die innere Unruhe und Sorge um Atlan blieb. Am liebsten hätte er den Beutel mit den Vorräten geschnappt, wäre in den Gar ten zur Windrose gelaufen und mit ihr losge fahren. Aber er hatte Thalia sein Wort gegeben, vorher noch einmal mit ihr zu sprechen … »Also gut, wir werden warten«, sagte er schließlich und sah zu, wie Kolphyr einen der Weinkrüge aus dem Beutel kramte. »Aber nicht zu lange, darauf kannst du dich verlassen.« »Nimm einen Schluck, das beruhigt«, riet Kolphyr und reichte ihm den Krug. »Ein paar Stunden Schlaf würden auch nicht schaden.« Razamon nahm einen langen Schluck und
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Clark Darlton
reichte den Krug zurück. Dann bückte er sich, um seine Schnürstie fel wieder auszuziehen. Später, als Kolphyr ihn verlassen hatte und er lang ausgestreckt auf seinem Bett lag, überdachte er die ganze Situation noch ein mal. Allzu große Hast, das wußte er aus Er fahrung, hatte sich schon oft genug als un vorteilhaft erwiesen. Aber galt diese Erfah rung auch für den jetzt eingetretenen Fall? Er bezweifelte es, konnte sich aber nicht zu einer endgültigen Entscheidung durchrin gen, denn es gab zwei gute Gründe dagegen: Thalia war dabei gewesen, als die frem den, unheimlichen Seebewohner Atlan ver schleppten. Sie kannte die Umstände, außer-
dem waren seit diesem Ereignis bereits Tage vergangen. Auf einen mehr kam es nicht mehr an. Der zweite Grund erschien Razamon stichhaltiger: Thalia liebte Atlan. Sie würde demnach nichts tun, was ihm schaden könn te. »Möchte wissen«, murmelte er kurz vor dem Einschlafen, »was für eine Trumpfkarte sie im Ärmel ihrer klapprigen Rüstung ver steckt hält …«
E N D E
ENDE