Ashley Lindisfarne
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Ashley Lindisfarne
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Vielen Dank an Anja Schierl, Redakteurin für „Hinter Gittern“ bei RTL, für ihren Einsatz und ihre Unterstützung bei der Entstehung dieses Buches.
© 2000 by Dino entertainment AG, Rotebühlstraße 87, 70178 Stuttgart Alle Rechte vorbehalten © RTL Television 2000. Vermarktet durch RTL Enterprises. © Grundy UFA TV Produktions GmbH 2000 Das Buch wurde auf Grundlage der RTL-Serie „Hinter Gittern – der Frauenknast“ verfasst. Die hier niedergeschriebenen Geschichten sind frei erfunden. Übereinstimmungen mit lebenden oder verstorbenen Personen sind nicht beabsichtigt und wären rein zufällig. Mit freundlicher Genehmigung von RTL Cheflektorat: Veronica Reisenegger Redaktion: Waltraud Ries Fotos: Stefan Erhard (Titel und Rückseite) Umschlaggestaltung: tab Werbung GmbH / Holger Stracker, Nina Ottow, Stuttgart Satz: Greiner & Reichel, Köln Druck: GGP Media GmbH, Pößneck ISBN: 3-89748-227-4 Dino entertainment AG im Internet: www.dinoAG.de Bücher – Magazine – Comics
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Mona Suttner wächst in einer wohlhabenden Familie auf. Mona bekommt alles was sie möchte, nur keine Zuwendung von ihren viel beschäftigten Eltern. Zuneigung, Geschenke und Komplimente holt sich die frühreife Schönheit von älteren Männern, die sich ihrem mädchenhaften Charme nicht entziehen können. Als sie den Bogen überspannt, ist ihr Weg ins Milieu vorgezeichnet...
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„Ist Papa zu Hause?“, wollte Mona wissen, kaum dass sie zur Tür herein war. Schulranzen und Jacke flogen in die Ecke beim Eingang, und sie stürmte ins Foyer. „Bist du denn schon da?“, kam die erstaunte Antwort aus der Küche. „Ja, wir hatten eine Stunde früher aus, und Charlottes Vater hat mich mitgenommen. Wo sind Mama und Papa?“ „Niemand ist da, nur ich.“ Helma, das Dienstmädchen, schaute um die Ecke. „Deine Eltern sind im Golfclub. Was für ein Glück, dass ich nicht schon unterwegs war, um dich abzuholen.“ Das kleine, blonde Mädchen zog einen Flunsch. „Im Golfclub? Alle beide? Aber warum denn?“, beschwerte sie sich. „Sie haben mir doch versprochen da zu sein, wenn ich aus der Schule komme! Ich habe heute Geburtstag!“ „Das haben sie natürlich nicht vergessen, und ich auch nicht. Komm in die Küche!“ Helma war sozusagen die „gute Seele“ des Hauses. Sie war Mitte Zwanzig und kümmerte sich um den gesamten Haushalt. Das Mädchen mochte sie gern, denn sie war hübsch und freundlich – und vor allem war sie immer da, was Mona von ihren Eltern nicht behaupten konnte. „Wenigstens Mama hätte da sein können“, maulte Mona, während sie sich an den Tisch setzte. Die Küche war groß und hell, die teure Einrichtung maßgenau und stilgerecht von einer Innenarchitektin eingepasst, wie alles andere in der herrschaftlichen Villa auch. „Sie werden sicher bald eintreffen“, versprach Helma. Sie präsentierte einen bunten, mit Baiserherzchen und 4
Marzipanblumen verzierten Kinderkuchen mit acht brennenden Kerzen darauf. „Ta-daa!“ Sie stellte den Kuchen auf den Tisch. „Alles Gute zum achten Geburtstag, Mona! Blas die Kerzen aus und wünsch dir was!“ „Meine Wünsche gehen ja doch nie in Erfüllung“, murmelte Mona. Sie machte kein begeistertes Gesicht, aber Helma zuliebe blies sie die Kerzen aus. „Psst, nicht verraten!“, warnte das Dienstmädchen und legte den Finger an den Mund. „Wünsche können nur in Erfüllung gehen, wenn man sie nicht laut ausspricht!“ „Das mach ich doch jedes Jahr, und es nutzt nichts.“ Mona zupfte eine Marzipanrose und kaute mit bissiger Miene darauf herum. „Nun sei doch etwas fröhlicher, schließlich wird man nicht alle Tage acht!“, rief Helma aufmunternd. „Das ist wirklich ein tolles Alter!“ „Ach, und wieso?“ „Du bist schon viel größer und verständiger als mit sechs oder sieben, und du darfst auch mehr.“ „Du meinst, ich kann endlich Auto fahren?“ „Na ja, das noch nicht, du kommst ja mit den Füßen noch gar nicht zu den Pedalen runter“, lachte Helma. Mona zog eine Grimasse, als sie vergeblich versuchte, weiterhin finster dreinzublicken. „Na siehst du, da zeigt sich doch schon ein Lächeln in deinen kleinen Grübchen! Schneiden wir den Kuchen an, dann wirst du dich noch besser fühlen!“ Wenn sie allein waren, aß Mona mit Helma zusammen in der Küche; ansonsten wurde die Familie im Esszimmer, das einen offenen Zugang zum Wohnzimmer hatte, bedient. Eine Außenwand des Wohnzimmers bestand nur aus Fenstern, vom Boden bis zur Decke. Man hatte von hier einen tollen Blick auf die weiträumige Terrasse mit dem
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angrenzenden Swimmingpool und dem regelmäßig von einem Gärtner gepflegten Garten dahinter. In der Ferne schimmerte der Berliner Fernsehturm durch den Verkehrsdunst. Auch von Monas Zimmer aus hatte man einen guten Rundblick; man konnte sogar die Mauer erahnen, die einen nie vergessen ließ, dass man in einer geteilten Stadt lebte. Für Mona hatte das keine Bedeutung, Berlin war für sie immer noch groß genug, um sich die Füße wund zu laufen. Ihr Vater hatte sie mal auf eine Aussichtsplattform mitgenommen und „hinüber“ schauen lassen. Ein breiter Streifen toten, grauen Landes zog sich wie ein ausgetrockneter Fluss zwischen der Mauer auf der einen und dem Stacheldraht auf der anderen Seite hindurch. Nicht mal die anpassungsfähigen Spatzen fühlten sich hier wohl, selbst Fliegen waren nur selten in diesem schauerlichen Niemandsland zu entdecken. Hinter dem Stacheldraht und den Wachtürmen auf der anderen Seite lagen hohe schäbige, graue Kastenhäuser, so weit das Auge reichte. Von der typisch städtischen Geschäftigkeit war dort nichts zu merken. Nach diesem Blick war für das Kind der Fall „drüben“ erledigt, sie interessierte sich nicht mehr dafür und wollte auch nicht wissen, wie es den Menschen dort erging. Oder dass einige von ihnen noch entfernt mit ihr verwandt waren. Das hatte sie wohl von ihrem Vater; er erwähnte seine Verwandten überhaupt nicht, und Mama erinnerte sich nur selten an irgendwelche Tanten oder Onkels, mit denen sie jedoch auch nichts mehr zu tun haben wollte. Eine Familie zu dritt reichte vollkommen aus.
Mona war ein hübsches Kind mit ihren hellen, langen Haaren, den großen blauen Augen und dem Schmollmündchen. Sie hatte rosige Wangen und ein liebreizendes Lächeln, das sie
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bewusst einsetzte, wenn sie etwas wollte. Von Anfang an hatte das Mädchen einen starken Willen besessen – und die nötige Ausdrucksstärke, ihn auch durchzusetzen. Als sie noch klein war, hatte sie geschrieen oder die Luft angehalten, bis sie blau anlief. Inzwischen war sie älter und hatte eine Menge dazugelernt; vor allem, indem sie andere beobachtete und nachahmte. Statt aufs Schreien verlegte sie sich auf Verführung – einen unschuldigen Blick in einem sehr traurig dreinschauenden Gesichtchen, das Mündchen leicht gespitzt. Wer konnte da schon widerstehen? Außerdem konnte sie (auf Kommando) herzzerreißend schluchzen, was niemand lange ertrug, auch wenn er sich noch so streng gab. Die Tränen trockneten aber schnell, wenn Mona ihren Willen bekam, und sie schenkte zur Belohnung und als Dank ihr strahlendes, ansteckendes Lächeln. Diese Künste setzte sie nicht nur zu Hause oder bei Erwachsenen ein, sondern auch in der Schule. Auf diese Weise entging sie den meisten Reibereien und war das beliebteste Mädchen der Klasse. Jeder wollte mit ihr befreundet sein. Natürlich auch, weil sie reich war und in bestimmten Momenten sehr großzügig sein konnte. Die Kinder rissen sich um ihre sommerlichen Einladungen, um sich einmal selbst wie kleine Prinzessinnen oder Prinzen in der weißgelben, mit Arkaden und Säulen umsäumten Villa fühlen zu können. Der Garten war riesig, mit einem grünen Rasen wie aus dem Bilderbuch, mächtigen Bäumen und blühenden Büschen und natürlich einem beheizten, nachts beleuchteten Swimmingpool. Neid kam eigentlich nur bei denjenigen Kindern auf, die nicht eingeladen wurden. Die anderen waren viel zu beschäftigt mit Staunen und Bewundern – und froh, zum auserwählten Kreis gehören zu dürfen. Natürlich waren alle darum bemüht, es sich mit Mona nicht zu verscherzen. Und das konnte schnell geschehen; Mona war äußerst empfindlich
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und nachtragend. Wer sie einmal als „Angeberin“ bezeichnet hatte, war ein für alle Mal unten durch. Und wer sich mit dem oder der von ihr Geächteten dann noch abgab, gleich mit. Den anderen verteilte sie großzügige Geschenke – Puppen, die sie nicht mehr mochte, Spielzeug, das sie langweilte, und Accessoires für das Outfit. Für sie waren diese Sachen nichts Besonderes mehr, aber für die anderen sehr wohl – noch dazu, wenn sie nichts dafür bezahlen mussten. Diese Bestechungen wirkten oft wahre Wunder, Freunde zu finden.
Zu diesem Geburtstag hatte Mona sich gewünscht, einmal nur mit den Eltern zusammen zu sein. In den Zoo zu gehen, oder ins Kino, irgendwas Gemeinsames eben. Reinhard Suttner war ein erfolgreicher Unternehmer, dessen Terminplan stets voll war. Und Constanze Suttner war in den Tennis- und Golfclubs sehr engagiert, hinzu kamen die regelmäßigen Damenkränzchen mit den Ehefrauen von Reinhards Geschäftspartnern. Da gab es dann doch einmal Momente, in denen die Kleine neidisch auf ihre Altersgenossinnen wurde – die erzählten häufig von Familienfeiern, bei denen es hoch herging. Wo jeder für den anderen jederzeit da war. Wo man einfach in den Arm genommen und gedrückt wurde… „Ich mag den Kuchen nicht!“ Mona warf die Gabel auf den Boden, und den Kuchen mitsamt Teller gleich hinterher. „Es ist doof, total doof!“ Mit einem versteckten Schluchzen rannte sie aus der Küche, durch die Eingangshalle und die breite Treppe hinauf in ihr Zimmer. Mit einem lauten Knall war die Tür zu. Helma betrachtete seufzend die Scherben und machte sich ans Saubermachen.
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Nach einer Viertelstunde ging sie hinauf zu Monas Zimmer und klopfte an. „Lass mich in Ruhe!“, erklang es gedämpft von innen. „Bitte, Mona, lass mich doch rein“, bat Helma. „Bist du mit mir böse?“ „Nein! Aber ich will niemanden sehen!“ „Nun komm schon! Wir sind doch Freundinnen und sollten immer miteinander reden können.“ Es folgte eine kurze Stille, in der das Dienstmädchen abwartete. Dann hörte sie, wie der Schlüssel von innen gedreht wurde. Sie öffnete die Tür. Mona lag auf dem Bett und starrte aus dem Fenster. Helma stellte ein Tablett auf dem Tisch ab. „Ich hab dir ein Schinkenbrot und ein Stück Kuchen raufgebracht, falls du doch was willst. Du hast ja noch gar nichts gegessen.“ „Hab keinen Hunger.“ „Aber wenn du nichts isst, wirst du ganz mager und läufst als Vogelscheuche rum.“ „Na und? Meinen Eltern würde es vermutlich nicht mal auffallen, wenn ich verhungere!“ „Da tust du ihnen aber Unrecht.“ Helma setzte sich an die Bettkante. Sie nahm die weiche Bürste vom Nachttisch und kämmte Monas Haare. „Deine Eltern lieben dich, das weißt du doch.“ Mona presste die Lippen aufeinander und schwieg. „Sie sind doch immer nett zu dir, oder?“, fuhr Helma fort. „Sie behandeln dich wie eine kleine Erwachsene.“ „Ich bin aber ein Kind!“, erwiderte das Mädchen trotzig. „Ich bin noch nicht erwachsen!“ „Ja, das stimmt schon. Trotzdem solltest du deine Eltern verstehen. Sie möchten so viel wie möglich mit dir zusammensein, aber es geht nun einmal nicht.“ Helma machte eine ausholende Geste. „Das alles hättest du nicht, wenn dein
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Vater nicht so viel arbeiten würde. Und du lebst doch gern hier, oder?“ Mona zuckte die Achseln. „Also, ich wäre meinem Vater ganz schön dankbar, wenn ich in so einem Luxus leben könnte“, fuhr Helma fort. „Und so viele Geschenke bekäme wie du! Du hast doch alles, was ein Mädchen sich nur wünschen kann! Du lebst wie eine Prinzessin!“ Mona funkelte die junge Frau an. „Du bist ja nur neidisch!“, fauchte sie. „Du würdest alles geben, um so viel zu haben, oder? Aber dann bist du auch allein, so wie ich! Mama ist lieber mit ihren Freundinnen zusammen als mit mir! Nicht mal an meinem Geburtstag ist sie für mich da! Und du… du bist doch nur nett zu mir, weil du von meinem Papa bezahlt wirst!“ Helma sprang auf. „Beleidigen lasse ich mich von dir nicht! Das Einzige, was dir fehlt, ist mal eine anständige Tracht Prügel, die dir deine Flausen und Überheblichkeit austreibt!“ Mona setzte sich langsam mit einem süffisanten Grinsen auf. Sie hatte Helma jetzt genau da, wo sie sie haben wollte. Sie selbst ließ sich weder provozieren noch einschüchtern. „Pass lieber auf, was du zu mir sagst!“, lächelte sie boshaft. „Ich werde alles Papa erzählen, und dann wirft er dich raus! Was dann?“ „Ich werde ihm die Wahrheit sagen!“, versetzte Helma. „Ich bin doch nicht dein Fußabtreter!“ „Du wirst ihm gar nichts sagen, weil Papa mir glauben wird und nicht dir! Und dann wird er dafür sorgen, dass du nirgends mehr eine Stellung kriegst, und das weißt du genau!“, gab Mona zurück. „Dann läufst nämlich du bald wie eine Vogelscheuche rum, wenn du kein Geld mehr hast! Also, wenn du bleiben willst, tust du, was ich sage!“
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Helma war deutlich anzusehen, wie sie innerlich kochte. Die Finger ihrer rechten Hand krümmten sich zusammen und öffneten sich wieder. Mona hatte keine Angst vor ihr; eher neugierig wartete sie ab, was geschehen mochte. Würde sie ihr tatsächlich eine Ohrfeige geben? Das wäre eine schöne Szene! Mona würde heulend im Golfclub anrufen und nach ihren Eltern verlangen. Und die ganze schreckliche Geschichte erzählen. Und ihre Eltern würden sofort kommen, sie trösten und den ganzen Nachmittag und Abend bei ihr bleiben, bis morgen früh. Selbstverständlich würde Mona morgen dann ihren Vater überreden, Helma zu verzeihen und zu behalten. Sie hatte keine Lust, sich auf jemand Neuen einzustellen. Und Helma war wirklich nett, sie ließ sich ziemlich viel gefallen. Auch jetzt. „Na gut“, stieß die junge Frau zwischen den Zähnen hervor. „Ich denke, du benimmst dich so, weil du wütend und traurig wegen deines Geburtstages bist. Das will ich dir zugute halten. Ich verzichte deswegen auch auf eine Entschuldigung von dir. Lassen wir’s dabei. Ich gehe wieder an die Arbeit. Deine Eltern kommen sicher bald.“ Fast enttäuscht sah Mona ihr nach, als sie schnellen Schrittes ging. Es wäre ihr beinahe lieber gewesen, wenn Helma ihr tatsächlich eine Ohrfeige gegeben hätte. Dann wären die Eltern schon auf dem Weg und würden sie bald trösten. Aber so blieb ihr nichts anderes übrig, als wie üblich zu warten. Natürlich könnte sie ein paar Hausaufgaben machen, aber das fiel ihr nicht im Traum ein. Gegen eine kleine Sachspende fand sich immer jemand in der Schule, der diese lästige Pflicht für sie erledigte. Was sollte sie jetzt also tun? Sich langweilen? In der Ecke hocken und schmollen? Immerhin war es ihr Geburtstag, und
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draußen war herrliches Wetter! Was könnte man alles anstellen! Aber allein? Auf keinen Fall! Nicht, dass Mona gern ein Geschwisterchen gehabt hätte. Das wäre ja nur Konkurrenz im eigenen Haus, und sie müsste noch mehr um die Aufmerksamkeit der Eltern kämpfen. Aber es könnte jemand da sein, den sie herumkommandierte, der alles tat, was sie wollte. Und vor allem immer da war, wenn sie nach ihm verlangte. Dann könnte sie genauso toll in der Familie feiern wie die anderen Mädchen und davon erzählen. Es wurmte sie, dass die anderen ihr da etwas voraus hatten, womit sie sich wichtig machen konnten. Alle Kinder feierten ihren Geburtstag, nur sie nicht! Die Welt war einfach ungerecht! Zur Strafe würde sie jetzt hier sitzen bleiben und warten, damit sie den Eltern den gehörigen Empfang bereiten konnte!
Als Mona die Warterei fast zu viel wurde, hörte sie endlich Schritte auf der Treppe. Sie hatte gerade noch Zeit, sich auf dem Bett zu drapieren und eine Leidensmiene aufzusetzen. Die Eltern sollten nur nicht glauben, dass sie sich amüsiert hatte! Es war allein ihre Schuld, dass Mona so unglücklich war! „Na, wo ist unser Geburtstagskind?“ Reinhard öffnete ohne anzuklopfen die Tür und kam mit seinem strahlendsten Lächeln herein, das er auch gern aufsetzte, wenn er ein Geschäft abschließen wollte. Er war ein großer, leicht übergewichtiger Mann mit schütteren dunkelblonden Haaren und hell blitzenden Augen, sein Schritt energiegeladen und dynamisch. „Sieh mal, was wir dir mitgebracht haben!“ Kein Wort der Entschuldigung; Monas nasse Wimpern wurden nicht einmal bemerkt. Sie kamen herein, als wäre es das Normalste, wenn nicht gar das Großartigste der Welt, die
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Tochter ohne schlechtes Gewissen stundenlang am Geburtstag allein zu lassen. Constanze betrat das Zimmer, eine zierliche, aristokratisch wirkende Dame von feiner Eleganz, mit lang über die Schulter fallenden goldblonden Haaren, blauen Augen und einem seidig schimmernden, vornehm blassen Teint. Sie lächelte, wenngleich etwas verzerrt. Der Grund dafür war leicht zu finden: Auf ihrem Arm zappelte ein Hundebaby! Mona bekam große Augen. Der Welpe winselte und versuchte verzweifelt, sich aus der Umklammerung zu befreien. Offensichtlich fühlte er sich bei Constanze überhaupt nicht wohl. Sein glattes Fell war rehbraun, das verknautschte Gesicht so voller Falten, dass man die Augen kaum sehen konnte. „Was ist das denn?“, fragte Mona entgeistert. Sie vergaß, dass sie eigentlich noch schmollte und ihre Eltern bestrafen wollte. Der kleine Welpe zog sie sofort in den Bann. Sie streckte die Arme aus und umfing das Hündchen vorsichtig. Es schniefte mit seiner kurzen Nase und leckte dann ihre Hand ab. Constanze seufzte erleichtert und strich mit ihren behandschuhten Händen das Kostüm glatt, sorgfältig jedes sichtbare oder auch unsichtbare Härchen wegzupfend. „Das ist dein Geburtstagsgeschenk!“, verkündete Reinhard großartig. „Ein Shar Pei, der seltenste Hund der Welt! Er ist etwas ganz Besonderes für ein ganz besonderes Mädchen!“ Mona drückte den Welpen an sich. Er hatte sich beruhigt und schmiegte sich mit wohligem Schnaufen an sie. „Danke“, sagte sie mit leuchtenden Augen. „Das ist wirklich ein tolles Geburtstagsgeschenk!“ „Deswegen hat es auch ein wenig länger gedauert“, erklärte Constanze lächelnd. Sie strich Mona über die Haare. „Wir mussten ihn noch abholen. Alles Gute zum Geburtstag, Mona,
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damit hast du bestimmt nicht gerechnet, nicht wahr? Hoffentlich kümmerst du dich gut um den Welpen!“ „Aber natürlich!“, versprach Mona. „Wir werden uns nie mehr trennen! Er ist ja so süß!“ Sie hatte sich eigentlich ein Pony gewünscht, aber das konnte sie nun mal nicht mit ins Bett nehmen. Ein kostbarer Hund war eigentlich die bessere Wahl, mit dem konnte sie überall hingehen und ihn vorzeigen. Er war von jetzt an ihr bester Freund und Spielgefährte, immer für sie da. Ein Traum war in Erfüllung gegangen. „Er heißt übrigens Napoleon“, berichtete der Vater. „Ich finde, der Name passt gut zu ihm.“ „Aber Reinhard, er ist doch noch viel zu klein, da kann man gar nichts über den Charakter sagen!“, lachte die Mutter. „Du kannst dir natürlich einen anderen Namen aussuchen, Mona.“ „Napoleon war doch mal ein Kaiser, oder?“, überlegte Mona. „Das find ich gut. Kaiser Napoleon!“ Die nächsten Tage war Napoleon überall mit dabei, wohin Mona auch ging. Wenn der Welpe nicht selbst lief, schleppte sie ihn, obwohl er schon ein ordentliches Gewicht hatte. Sie brachte ihren Vater dazu, den Hund mit zur Schule zu nehmen, wenn er sie mal abholte, damit alle ihn sehen konnten. Monika, Maria und Gaby waren natürlich die Ersten. Die drei waren so gleichermaßen vorlaut und geschwätzig und klebten so unzertrennlich aneinander, dass man sie fast für Drillinge hätte halten können. Sie kleideten sich gleich, steckten denselben Flitterkram in die blonden Haare, hatten dieselbe Frisur und sogar dieselben Gesten. Kaugummischmatzend begutachteten sie den Welpen, der sie neugierig und mit seinem hochgestellten Ringelschwanz wedelnd begrüßte. Sie fanden ihn „dufte“, „knorke“ und „schnafte“. „Mit dem dürfen wir doch bestimmt mal bei dir spielen, gell?“, fragte Monika. „Ja, mal schaun“, antwortete Mona ausweichend.
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„Das ist doch nicht dein Ernst?“, flüsterte ihr Vater ihr entsetzt ins Ohr. „Nee, die hab ich auch noch nie eingeladen“, wisperte Mona zurück. „Die sind doch doof.“ Aber man kam nicht an ihnen vorbei. Sie waren kräftig und furchtlos, und wenn sie mit vereinten Kräften auf jemanden losgingen, hatte der ziemlich schlechte Karten. Mona war ihnen anfangs natürlich ein Dorn im Auge gewesen, denn sie selbst stammten aus bescheidenen Verhältnissen. Aber als die „angeberische Kuh“ sie mit ein paar abgelegten Barbie-Puppen und Glitzerschmuck fürs Haar versorgte, schwenkten sie schnell um und behandelten Mona wie ein rohes Ei. Dann waren Monas Kameradinnen an der Reihe, die zu ihren Partys kommen durften, ein paar Jungs schlössen sich ebenfalls an. Monas Vater hatte sie schon öfter gesehen, konnte sich aber ihre Namen nie merken und fand, dass sie irgendwie alle gleich aussahen. Seiner Frau gegenüber hatte er einmal die Bemerkung gemacht, dass er es kaum erwarten könne, bis Mona die Grundschule endlich hinter sich hatte und auf eine Privatschule gehen konnte, wo das Niveau doch höher lag.
Napoleon war also für einige Zeit der erklärte Star, Monas kostbarster Besitz. Alle wollten Fotos von ihm haben und mit ihm spielen, und vor allem wollten sie wissen, was er gekostet hatte, und woher er genau kam. Als allerdings bekannt wurde, dass ein Schüler der fünften Klasse einen Kaiman in der Badewanne hielt, war der teure Hund schnell vergessen, und die Kinder wandten sich dieser ungewöhnlichen Errungenschaft zu.
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Mona zog sich verschnupft zurück. Als sie ihren Vater fragte, ob er ihr nicht einen Zoo kaufen könne, erstickte der beinahe an einem Lachanfall. „Weißt du, wie viel Arbeit ein Zoo macht? Was er kostet? In kürzester Zeit wären wir pleite! Was willst du denn mit all den Tieren anfangen, hm? Du hast doch Napoleon, reicht dir der nicht?“ Allerdings reichte er ihr. Und zwar bis über die Kopfhaut. Napoleon war fest dazu entschlossen, nicht stubenrein zu werden – was womöglich daran lag, dass niemand es ihm beibrachte, aber das konnte er schließlich nicht mitteilen. Mona hatte keine Lust, mindestens dreimal täglich mit ihm spazieren zu gehen. Wenn er sie zum Spielen aufforderte, und das tat er häufig, schubste sie ihn weg. Das war inzwischen eine lästige Gewohnheit geworden und nichts Neues, Aufregendes mehr. Das Mädchen war schwer zufrieden zu stellen, alles Neue war schnell verbraucht und konnte die Langeweile nicht vertreiben. „Ach, jetzt lass mich doch mal in Ruhe! Dauernd störst du mich! Ich mag jetzt nicht!“ Traurig trollte sich der kleine Hund – und setzte den nächsten Haufen im Wohnzimmer ab, um wenigstens ein bisschen Aufmerksamkeit zu bekommen. Vielleicht durfte er jetzt wenigstens mal in den Garten, um dort notfalls auch allein spielen und toben zu können? Weit gefehlt! Helma bekam einen Anfall und schrie Mona an, dass sie es satt habe, ständig Scheiße wegwischen zu müssen, und Mona wiederum versohlte den Welpen und sperrte ihn in seinem hölzernen Körbchen ein. Da drin musste er nachts nämlich schlafen, weil Mona sich so sehr von seinem Schnarchen im Bett gestört gefühlt hatte und Constanze wiederum nicht wollte, dass er frei herumlief. Napoleon hatte das Holz natürlich bald kurz und klein gebissen und büchste aus. Freudig wedelnd lief er zu seinem
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Frauchen und begrüßte es stürmisch, wobei er nicht wenig hechelte und sabberte vor Aufregung, was unweigerlich Spuren auf Kleidung und Polstern hinterließ. Der nächste Ärger war vorprogrammiert. Wenn Mona sich dann endlich doch mal mit dem Hund beschäftigte, folgte er gar nicht oder nur widerwillig. Er sah es nicht ein, wie ein aufgezogenes Spielzeug behandelt zu werden und verlangte nach einer konsequenten Erziehung und Beschäftigung. Mona wusste nichts davon, denn niemand hatte es ihr gesagt. Für sie war der Hund tatsächlich nicht mehr als ein knuffiges Spielzeug, das gefälligst alles mit sich machen lassen sollte. Als sie ihn einmal zu heftig am Bein zog und sich nicht um sein flehendes und schmerzvolles Winseln kümmerte, zwickte er sie aus Verzweiflung in den Finger, damit sie ihn endlich losließ. Der Finger blutete nicht einmal, aber das besiegelte Napoleons Schicksal endgültig. Mona ließ ihn von nun an ganz links liegen, Helma weigerte sich, zusätzlich zu ihren Aufgaben noch Hundemama zu spielen und Constanze ekelte sich vor dem „schmutzigen“ Tier, das das ganze Haus als Toilette benutzte. Eines Morgens war Napoleon aus dem Haus verschwunden und ward in dieser Gegend nie mehr gesehen. Er wurde nicht einmal verkauft, sondern landete nach wenigen Autominuten im Tierheim. (Wenigstens hatte er nach ein paar Tagen das sagenhafte Glück, eine junge Familie zu finden, die sich auf Anhieb in sein Knautschgesicht verliebte, ohne zu bemerken, was für ein kostbares Wesen sie da bei sich aufnahm; so nahm sein Schicksal die verdiente glückliche Wendung.)
Mona trauerte dem „bösen“ Hund nicht nach, und in der Schule gab sie die weitschweifige Auskunft, dass ihr Liebling
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an einer schrecklichen, seltenen Krankheit, die diese kostbaren Hunde öfter befällt, eingegangen sei und ließ sich gern trösten. „Bekomme ich jetzt ein Pony?“, fragte sie daheim ihren Vater. „Ich verhandle gerade über eine Beteiligung an einem Rennpferd“, antwortete dieser. „Du darfst dich bestimmt mal draufsetzen, und der Jockey führt dich herum. Du kannst in dem Reitstall Unterricht nehmen, und wenn es dir Spaß macht, bekommst du vielleicht mal ein eigenes Pferd.“ Damit hatte Mona wieder etwas zu erzählen in der Schule, was ihr die gewünschte Aufmerksamkeit einbrachte. Als sie aber das erste Mal ein Pferd von Nahem sah, war ihr Wunsch nach einem eigenen Pony gestorben. Diese riesigen Biester, die noch schwerer zu handhaben waren als ein Welpe – nein danke! Mona beließ es dabei zu erzählen, dass sie ein eigenes Rennpferd hatte, das sie pflegte, aber natürlich nicht selbst ritt, weil das ein Jockey erledigte. Das sicherte ihr immer noch genug Bewunderung.
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Mit zehneinhalb Jahren kam Mona schon in die Pubertät. Ihre Schamhaare fingen an zu sprießen, und ihr wuchsen winzige Brüste. Sie betrachtete sich im Spiegel und wunderte sich, was auf einmal mit ihrem Körper vor sich ging. Und sie merkte, dass einige Jungs nervös wurden, wenn sie in ihre Nähe kam. Sie bekamen rote Ohren und fingen an zu stottern. Mit den anderen Mädchen hatten die Jungs wie bisher keine Probleme. Sie machten sich über sie lustig, fanden sie doof und kindisch und fragten sich, wozu man überhaupt Mädchen brauchte. Bei ihr war das anders, und das gefiel Mona. Die Jungs wurden verlegen – und nett! „Hallo“, sagte sie auf dem Pausenhof zu dem dreizehnjährigen Markus. „Hast du zufällig einen Kaugummi für mich?“ Der Junge zog eine Grimasse und öffnete den Mund zu einer abfälligen Bemerkung, aber dann stockte er. Er starrte Mona an, als käme sie vom Mars. Sie legte den Kopf leicht schief, während sie unentwegt lächelte, und gab sich damit schutzbedürftig – ein Reiz, dem kein männliches Wesen, egal in welchem Alter, widerstehen konnte. Markus kramte in seinen Taschen und förderte ein ziemlich zerfleddertes Papier zutage, in dem sich tatsächlich noch ein unverbrauchter Kaugummi verbarg. „Hier“, sagte er und reichte den Kaugummi linkisch an Mona. „Und jetzt hau ab.“
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„Danke schön“, hauchte Mona. Sie wickelte den Kaugummi langsam aus und steckte ihn ebenso langsam in den Mund, ohne eine Miene zu verziehen. „Du bist sehr nett, Markus.“ Ihre Wangengrübchen zuckten, als sie sah, wie eine feine Röte sein Gesicht überzog. „Geh schon“, murmelte er und drehte sich abrupt weg. Laut schmatzend kehrte sie zu der wartenden Mädchengruppe zurück. Mit dem Finger zog sie den Kaugummi in die Lange. „Na bitte, hab ich euch doch gesagt!“, rief sie triumphierend. „Für mich ist das ein Kinderspiel!“ Sie hielt die Hand auf. „Los, her mit den Sachen, ihr habt die Wette verloren!“ „Das ist doch nicht zu fassen!“, rief Clarissa sauer. „Wie machst du das bloß immer?“ „Üben, üben“, antwortete Mona nachsichtig und betrachtete mit leuchtenden Augen ihre Schätze. Die konnte sie gleich wieder weiterverscherbeln, ohne ihren eigenen Besitz angreifen zu müssen. Damit ließen sich eine Menge Hausaufgaben bezahlen. „Ich hab dir doch gesagt, lass dich nie auf ‘ne Wette mit Mona ein“, wies Sandra ihre Freundin zurecht. „Die weiß genau, was sie will. Und was sie will, bekommt sie auch.“ „Richtig“, stimmte Mona freundlich zu. „Und wenn ich euch nicht bis aufs Hemd ausziehen soll, lasst ihr mich in Zukunft in Ruhe, klar? Ich kann ziemlich ungemütlich werden.“ Hoch erhobenen Hauptes stolzierte sie davon. Sie konnte sich denken, was hinter ihrem Rücken los war. Tina streckte ihr die Zunge raus, und Heidi murmelte: „Dich kriegen wir schon noch, du blöde Kuh.“ „Ach, die ist doch bloß ‘ne Angeberin“, winkte Clarissa ab. „Schneiden wir sie einfach ein paar Tage, dann kommt sie schon angekrochen.“ Da täuschte sie sich aber. Mona war sich selbst genug, sie brauchte niemanden. Von zu Hause her war sie es so lange
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gewohnt, sich allein zu beschäftigen, dass es ihr nichts ausmachte, wenn keiner mit ihr redete. Und sie wusste, dass sie die größere Ausdauer besaß – irgendwann würde eines der Mädchen schwach werden und sie um irgendetwas bitten. Obwohl alle nicht schlecht begütert waren, hatte Mona doch immer die ausgefallensten Klamotten, Accessoires, Spiel- oder Schulsachen. Ihre Eltern waren zwar nur selten da, lasen ihr aber jeden Wunsch von den Augen ab und überhäuften sie mit Geschenken. Es war immer mehr, als sie brauchte und schon nach kurzer Zeit uninteressant, wenn es die nächste Zuwendung gab. Mona wusste aber genau, was sie mit den verschmähten Sachen anfing – nicht einfach irgendwo auf dem Speicher verstauen und vergessen. Alles war zu etwas nutze. Irgendein Mädchen würde ihr sicher wieder schmeicheln und sie als „Freundin“ bezeichnen, und Mona würde sich huldvoll geben und die Kameradin für eine Weile gegen Sachzuwendungen herumkommandieren können. Wenn sie aufmüpfig wurde, wurde sie einfach wieder aus ihrem Kreis verbannt. Die nächste wartete mit Sicherheit.
Mona beobachtete einige von den ein oder zwei Jahre älteren Mädchen, die ebenfalls in die Pubertät kamen. Manche schienen nicht unbedingt glücklich darüber zu sein, versteckten ihren wachsenden Busen unter weiten Pullis und gaben sich betont burschikos, damit ja niemand merkte, was mit ihnen los war. Sie wollten weiterhin unbeschwert herumtoben und einfach nur Kind sein, ohne dieses hormonelle Wechselbad der Gefühle. Die Zehnjährige hingegen war glücklich darüber. Sie trug von nun an nur noch enge Pullis und kurze Röckchen, die ihre langen Beine gut zur Geltung brachten. Sie fühlte sich viel reiferund erwachsener als ihre gleichaltrigen
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Klassenkameradinnen und wollte sich auf diese Weise deutlich von ihnen abgrenzen. Die anderen wollten sie zwar lächerlich machen, aber Mona ließ sich dadurch nicht beirren. Die Natur ließ sich nicht aufhalten, und das Älterwerden auch nicht. „Ihr seid doch so dumme kleine Mädchen, die von nichts eine Ahnung haben“, verhöhnte sie die Klassenkameradinnen. „Spuckt lieber nicht so große Töne, solange ihr noch unterentwickelte Babys seid.“
Seit Beginn des Schuljahres ging sie auf diese Privatschule. Die Grundschule hatte sie mit Ach und Krach hinter sich gebracht, vor allem dank der Hilfsbereitschaft der Mitschüler und des väterlichen Sponsorings. Von Anbeginn hatte Mona keine Lust auf die Schule gehabt, noch weniger aufs Lernen, obwohl sie nicht dumm war. Gelegentliche Bemerkungen machten deutlich, dass sie über eine gute Auffassungsgabe verfügte und ohne großen Aufwand mindestens eine ZweierSchülerin sein könnte, wenn sie nicht so schrecklich faul wäre. Aber das Mädchen sah gar nicht ein, warum es lernen sollte, wenn es auch so ging. Es beschäftigte sich lieber damit, so schnell wie möglich erwachsen zu werden. Durch ihre Frühreife wurde ihr Lerneifer nicht gerade gesteigert, und das änderte sich auch im Verlauf des Schuljahres nicht. Sie wollte lieber vom Leben lernen; speziell über die männliche Spezies, die Mona durchaus anziehend fand. Denn hier bot sich eine ständige Abwechslung, immer ein neuer Reiz; das war alles viel besser als Teddys, Barbie-Puppen oder ein dummes Haustier, das nicht folgte. Wenn sie es richtig anstellte, waren die Jungs ein besseres Spielzeug als alles, was sie bisher gehabt hatte. Wo ein Hund nämlich Grenzen setzte, ging es bei ihnen erst richtig los. Man benötigte nur den entsprechenden
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Augenaufschlag und eine hilflose Haltung, schon kamen sie in Scharen herbeigeströmt und verwandelten sich in Kavaliere. Natürlich nicht alle. Es gab immer noch genügend Rüpel, die Mona instinktiv mied. Am besten waren die Schüchternen, vorzugsweise mit einer Brille, die konnten sich überhaupt nicht gegen sie wehren. Mit den Dicken hatte sie weniger Glück, die dachten zu sehr ans Essen und waren zudem sehr laut und aufdringlich. Markus wurde fast so was wie eine erste Liebe. Nach seiner anfänglichen Verschlossenheit fing er allmählich an, in der Pause auf Mona zu warten, um seine Kaugummis mit ihr zu teilen. Es war ihm inzwischen nicht mehr peinlich, mit ihr gesehen zu werden, obwohl sie „noch so klein“ war. Jeder hielt sie aufgrund ihrer Entwicklung für mindestens 12, und sie hütete sich, mit dem wahren Alter rauszurücken. „Essen wir mal in der Schul-Mensa ein Eis zusammen?“, fragte er unvermutet eines Tages. Normalerweise gingen die jüngeren Schüler dort nicht hin, weil sie nur vormittags Unterricht hatten. Mona blinzelte überrascht, dann lächelte sie strahlend. „Aber gern! In der großen Pause?“ Und so mischten sie sich mittags unter die Großen in der Mensa und löffelten ein Eis gemeinsam aus einem Becher. Da sie ziemlich verlegen waren und nicht recht wussten, worüber sie sich unterhalten sollten, schleckten sie in einem fort, bis der Becher unerwartet schnell leer war. Mona kicherte nervös. „Das Eis… äh… war sehr gut.“ „Ja… ähm.“ Markus versuchte, noch einen letzten Rest herauszukratzen. „Ich fand’s wirklich gut, du auch?“ „Ja.“ „Ja. Äh.“
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Schweigen. Sie wussten nicht, wohin schauen. Dann stand Mona auf. „Das können wir ja mal wieder machen, was meinst du?“ Markus sprang hoch. „O ja, gern! Ich meine, wenn du Lust hast… sag einfach Bescheid!“ „Ja, mach ich.“ Sie hob kurz die Hand und machte dann, dass sie wegkam.
Zu Hause erzählte sie Helma, dass sie zum ersten Mal mit einem Jungen Eis essen war. „Das ist ja toll!“, meinte die Haushälterin aufrichtig erfreut. „Gefällt er dir?“ „Wer?“ „Na, der Junge natürlich! Wie heißt er überhaupt?“ „Markus. Und er ist viel älter als ich, schon 13. Aber er will mich gern wiedersehen. Ich glaube, er mag mich.“ „Und du ihn auch?“ Mona hob die Schultern. „Er ist ganz nett. Aber ich bin nicht in ihn verliebt!“, erklärte sie mit Nachdruck. „Da ist gar nichts weiter.“ Helma lächelte. „Bring ihn doch mal mit, nach der Schule.“ „Warum sollte ich?“ „Na ja, wenn ihr Freunde werdet?“ Das Mädchen lachte abfällig. „Freunde? Ganz sicher nicht. Ich treffe mich nur so mit ihm, das ist alles.“ Helma betrachtete Mona nachdenklich. „Du bringst nie jemanden mit zum Hausaufgaben machen oder so. Hast du denn keine beste Freundin, um Geheimnisse auszutauschen?“ Mona schüttelte den Kopf. „Wenn ich Partys feiere, kommen doch viele.“ „Na ja, aber das ist doch nur ein oberflächlicher Spaß. Du brauchst doch jemanden zum Reden!“
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„Ich hab doch dich“, erwiderte das Mädchen abweisend. „Und manchmal Mama, wenn sie da ist.“ „Mona, es macht mich ganz traurig, dich so reden zu hören“, sagte Helma kopfschüttelnd. „Ich bin natürlich deine Freundin, und du kannst mit mir über alles reden. Aber du brauchst doch jemanden in deinem Alter. Denn ich bin sicher, dass du mir nicht alles anvertrauen willst, was dich bewegt. Immerhin bin ich fast dreimal so alt wie du, du könntest schon fast meine Tochter sein!“ „Ach, hab dich nicht so!“, schnappte Mona ärgerlich. „Was hast du nur immer mit deiner Gefühlsduselei? Du guckst zu viele Liebesfilme! Dabei hast du nicht mal selbst einen Freund!“ Helma zuckte zusammen. „Du bist ein richtiges Ekel, Mona!“, fauchte sie. „Immer, wenn ich nett zu dir bin, benimmst du dich wie ein Scheusal! Was hab ich dir denn getan?“ „Aber es ist doch die Wahrheit, oder?“ Monas Augen funkelten zornig. Dann lief sie auf ihr Zimmer. Helma entschloss sich daraufhin zu einem offenen Wort an ihre Arbeitgeberin: „Gnädige Frau, ich glaube, Mona ist unglücklich, dass Sie so oft außer Haus sind.“ „Ich weiß“, seufzte Constanze Suttner. „Ich wünschte wirklich, es wäre anders. Aber ich habe so viele Verpflichtungen, dass ich nicht weiß, wo mir der Kopf steht.“ „Können Sie Mona denn nicht mal mitnehmen?“ „Sie ist doch noch zu klein. Wenn sie 12 ist, ist das was anderes. Dann wird alles leichter.“ „Mit Verlaub, gnädige Frau, Mona braucht Sie aber jetzt auch.“ „Na schön, Sie geben ja doch keine Ruhe“, gab Constanze nach. „Wenn Sie meinen, sehe ich mal nach ihr.“ Sie stieg die Treppe hinauf und klopfte an Monas Tür.
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„Ja, was ist denn?“, klang es von innen abweisend heraus. Constanze trat ein. „Hallo, Mona. Ich wollte dich mal besuchen.“ „Das ist ja fein“, meinte Mona gelangweilt. Sie lag auf dem Bett und starrte auf ihren transportablen Fernseher. „Was macht dein Club?“ „Alles wie immer.“ Constanze setzte sich an die Bettkante. „Sag mal, hast du nicht Lust, morgen Nachmittag mit mir einkaufen zu gehen? Wir könnten nach ein paar hübschen neuen Sachen für dich schauen. Und anschließend gehen wir ins Kino oder Eis essen. Was meinst du?“ Mit einem Schlag war Monas Aufmerksamkeit geweckt. Sie setzte sich mit leuchtenden Augen im Bett auf. „Ehrlich? Gleich morgen? Das finde ich ganz toll, da habe ich sowieso schon um halb zwölf aus! Holst du mich von der Schule ab? Und kommt Papa auch mit?“ „Wir können ihn vorher im Büro besuchen, vielleicht geht er mit uns zum Mittagessen.“ „Versprochen?“ „Großes heiliges Ehrenwort“, lächelte die Mutter. „O Mama, das ist toll!“ Impulsiv umarmte Mona ihre Mutter und schmiegte sich an sie. „Vorsicht, Kleines, du zerdrückst mein Kostüm!“, mahnte Constanze sanft. „Nicht so stürmisch!“ Sie schob das Kind von sich weg. „Also, ich freue mich auf morgen.“
Die Mittagsglocke konnte Mona kaum abwarten, alle paar Minuten schaute sie auf die Uhr. Die Zeiger schienen nur zu kriechen – doch dann war es endlich soweit. So schnell sah man das Mädchen selten rennen, als wären Wespen hinter ihm her. Die Mutter wartete auf Mona im Auto. Auf dem Weg zum
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Firmengebäude redete Mona voller Aufregung ununterbrochen. Als sie durch den Haupteingang ins große Foyer schritten, empfand Mona Ehrfurcht. Sie war bisher erst einmal hier gewesen, vor mehreren Jahren, und konnte sich nicht mehr so recht daran erinnern. „Das ist ja riesig hier!“, flüsterte sie ihrer Mutter zu. Die Rezeptionistin begrüßte sie überschwänglich und bot Mona ein Bonbon an. „Dein Vater erwartet dich oben“, sagte sie freundlich. Instinktiv griff Mona nach der Hand ihrer Mutter, als sie in den Lift stiegen. Sie fuhren bis ins höchste Stockwerk hinauf und wurden beim Aussteigen schon von Reinhards Sekretärin in Empfang genommen. „Herzlich willkommen“, sagte sie zu Mona und reichte ihr die Hand. „Gefällt es dir bei uns?“ „Ja, es ist alles sehr groß und sieht wichtig aus“, nickte das Mädchen. „Wie behält Papa da nur den Überblick?“ „Hallo, mein kleiner Engel!“ Der Vater kam in diesem Moment aus dem Büro. „Dachte ich’s mir doch, dass ich deine Stimme hörte! – Rita, wir gehen essen. Ich bin in einer Stunde zurück.“ „Gut, Herr Suttner, dann ist gleich die Besprechung für den Holtz-Auftrag angesetzt. Ich werde wie immer alles vorbereiten.“ Die Sekretärin lächelte ihren Chef strahlend an. Mona schaute ihr interessiert nach, als sie hüftenschwingend zum Büro ging. „Die ist aber nett“, bemerkte sie. „Ja, sehr nett“, quetschte Constanze zwischen den Zähnen hervor. „Und so diskret“, fügte sie hinzu. Mona verstand nicht, was sie damit meinte, und fuhr fort: „Und sie bewegt sich toll! Ob ich das auch mal kann?“ „Du wirst das nicht nötig haben“, erwiderte Constanze schnell und nahm das Kind an der Hand. „Komm, dein Vater hat nicht viel Zeit.“
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Sie gingen gleich in die Pizzeria neben der Firma. Reinhard Suttner wurde ungeduldig, als Mona ewig die Speisenkarte studierte, und sah mehrmals auf die Uhr. „Willst du dich nicht endlich entscheiden?“ „Ja, Liebling, wir wollen doch noch einkaufen gehen“, meinte auch die Mutter. Mona war eigentlich nicht hungrig. Sie genoss es nur so sehr, einmal mit ihren Eltern fort zu sein. Schade, dass niemand von der Schule sie hier zusammen sitzen sehen würde. Dann hätten sie allen Grund, neidisch zu sein, weil Mona wirklich alles hatte. Alles Spielzeug, ein tolles Zuhause, und erfolgreiche Eltern, die trotzdem für sie da waren. Wenn es nur öfter so wäre! Sie entschied sich schließlich für Spaghetti Carbonara, und Reinhard bestellte mit dem Hinweis, dass es dringend sei. „Du kannst es wohl gar nicht erwarten, wieder zu Rita hinaufzukommen, wie?“, sagte Constanze spöttisch. „Liebling, was soll das?“, gab er zurück. „Du hast ja gehört, dass ich anschließend gleich einen wichtigen Termin habe, zu dem ich nicht zu spät kommen darf.“ „Aber ich kann schon verstehen, dass du öfter Überstunden machen musst.“ Mona hörte zu, verstand aber überhaupt nicht, worum es ging. „Ist es nicht toll, dass wir mal alle zusammen essen?“, plapperte sie glücklich dazwischen. „Vielleicht kann ich dir nachher bei der Arbeit helfen, Papa? Dann kannst du mal früher heimkommen!“ Reinhard sah seine Tochter überrascht an, dann lachte er. „Das ist sehr lieb von dir, Mona, aber du hast sicher mit der Schule genug Arbeit am Hals. Ich habe ja meine Leute, die mir helfen. Nur die Entscheidungen muss ich natürlich selbst treffen, und das kann ich oft nicht aufschieben.“
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Das Essen kam, und sie unterhielten sich über andere Themen, die auch Mona interessierten. Schneller als es ihr lieb war, war die Stunde um, und der Vater zahlte in großer Hast. „Esst ihr nur in Ruhe zu Ende, aber ich muss leider wieder nach oben.“ Er strich kurz über Monas Wange. „Ich habe das sehr genossen, Engelchen.“ „Mir hat’s auch gut gefallen, Vater. Können wir das nicht öfter machen, wenigstens einmal die Woche? Bitte!“ Mona zeigte ihren berühmten Augenaufschlag. „Das halte ich auch für eine gute Idee“, meinte die Mutter. „Damit du nicht vergisst, dass du eine Familie hast.“ Reinhard zögerte. „Also gut, sagen wir jeden Mittwoch um diese Zeit, einverstanden? Ich werde versuchen, wenigstens eineinhalb Stunden herauszuschlagen. Es ist sowieso gesünder, eine ordentliche Mittagspause zu machen.“ „Au ja, klasse!“ Mona klatschte begeistert in die Hände. „Darf ich dich dann immer im Büro abholen?“ „Ja, versprochen. Und jetzt muss ich wirklich los. Einen schönen Nachmittag, und räumt nicht das ganze Konto leer!“ Der Vater hastete davon. Mona schlenderte mit ihrer Mutter durch die Stadt und fand tausend Sachen, die sie anziehen und ausprobieren wollte. Es war richtig schön, als wären sie gute Freundinnen. Wenn sie von jetzt an jeden Mittwoch so verbringen konnte, wäre ihr Glück absolut perfekt! Gegen vier Uhr sah Constanze Suttner auf die Uhr. „Ach herrje, schon so spät! Und mir fällt gerade ein, dass ich den Tennisplatz gebucht habe! Komm, Mona, beeilen wir uns. Ich bringe dich heim, dann schaffe ich es gerade noch.“ „Och, Mama…“, nörgelte Mona enttäuscht. „Wir sind doch noch gar nicht fertig! Kannst du denn nicht absagen?“
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„Eine Privatstunde bei Kurt Stattler sagt man nicht einfach ab, es war schwierig genug, sie überhaupt zu bekommen!“, lehnte die Mutter ab. „Darf ich dann wenigstens mitkommen und dir zuschauen? Ich werde auch nicht stören!“ „Nein, das geht nicht, Schätzchen. Komm, wir kaufen dir noch ein Eis in der Waffel, das kannst du dann auf dem Heimweg schlecken. Wir holen alles nächsten Mittwoch nach, versprochen!“ Damit gab sich Mona zufrieden. Die Hauptsache war doch, dass sie endlich einen Tag in der Woche ihre Eltern für sich hatte. Natürlich gäbe es noch den Samstag oder Sonntag. Aber da schliefen die Eltern immer lange, und dann war Papa viel am Telefon, und Mama machte ihre Gurkenmasken und ausgedehnte Gymnastik. Oft kamen auch Freunde oder sogar Geschäftspartner vorbei, meistens ohne Kinder, sodass Mona weiterhin allein war. Da blieb nicht viel Zeit für gemeinsame Unternehmungen, der Tag war immer flugs um. Mona hasste daher die Wochenenden am meisten, denn dann hatte auch Helma frei, und sie konnte mit überhaupt niemandem reden. Sie hatte aber auch keine Lust, sich mit Klassenkameradinnen zu treffen, weil sie sie schnell langweilig fand. Im Grunde war ihr niemand gut genug. Allerdings, wenn der gemeinsame Familientag Mittwoch stattfand, warum nicht? Hauptsache, die Eltern kümmerten sich um sie!
So wartete Mona voller Erwartung auf den nächsten Mittwoch. Sie entwarf einen Plan, was sie alles gern machen wollte und legte ihn ihren Eltern vor. Jeden Tag erinnerte sie sie beim Frühstück daran, den wichtigen Termin nicht zu vergessen.
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Am Montag war noch alles klar. Mona erzählte großspurig in der Schule, was ihre Eltern mit ihr alles vorhätten. „Phh“, machte Clarissa abfällig. „Als wenn das was Besonderes wär’. Meine Eltern haben viel öfter Zeit für mich, und dann machen wir auch tolle Sachen.“ Mona wusste, dass das nicht ganz stimmte; Clarissa war ein „Schlüsselkind“, ein ganz neuer Begriff für Kinder, deren Eltern beide berufstätig waren – und das war bei vielen der Fall. Den Nachmittag verbrachte sie meistens bei Sandra. Aber eines war richtig: Ihre Eltern hatten das ganze Wochenende für sie Zeit. „Aber nicht unter der Woche, und das Wochenende zählt nicht!“, rief Mona. „Ich gehe zu meinem Papa ins Büro und helfe ihm, dann hat er mehr Zeit für mich!“ „Stimmt doch gar nicht!“, wollte Clarissa ihre Verteidigung abwerten. „Stimmt aber doch!“ „Nee.“ „Doch!“ „Nee.“ „Doch!“ „Hör doch auf!“ „Hör du doch auf!“ Kurz, bevor die Mädchen eine Rauferei anfingen, kam der Lehrer und beendete den Disput. Aber Mona nahm sich fest vor, Clarissa am Donnerstag einen Beweis zu bringen und ihr haarklein zu berichten, was sie am Mittwoch alles getan hatte. Am Dienstag kam der Vater ausnahmsweise mal früher heim. „Mona, ich hab eine schlechte Nachricht für dich“, sagte er mit seiner traurigsten Miene. Deshalb also war er früher da – weil er packen musste. Mona wusste sofort Bescheid. „Schon gut“, murmelte sie. „Du hast morgen keine Zeit.“
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Reinhard Suttner wirkte erleichtert über seine verständige Tochter. „Danke, dass du es so vernünftig aufnimmst, Engelchen. Ich muss leider dringend für ein paar Tage verreisen. Ich habe wirklich versucht, es auf Donnerstag zu verschieben, aber es ging einfach nicht. Es tut mir sehr Leid. Ich werde es dann nächsten Mittwoch wieder doppelt gut machen. Und ich bringe dir auch was Schönes aus Zürich mit!“ Mona nickte stumm. Dann sah sie zur Mutter. „Aber wir machen doch was zusammen, ja? Es bleibt dabei?“ „Aber natürlich, Schätzchen!“, antwortete Constanze und lächelte liebevoll. „Versprochen ist versprochen!“ Dabei warf sie einen finsteren Blick auf ihren Ehemann.
Doch am Mittwoch hielt Mona vergeblich Ausschau nach ihrer Mutter. Es wartete zwar ein Wagen auf sie, aber in dem saß Helma. „Was machst du denn hier?“, fragte Mona entgeistert. „Ich erklär’s dir unterwegs. Steig ein“, forderte die Haushälterin sie auf. Mona stieg ein und hoffte, dass niemand sie dabei sah, vor allem nicht Clarissa! Sie würde sie vor allen lächerlich machen, und sie würden sie als Lügnerin und Angeberin bezeichnen. „Was ist los? Wo ist Mama?“ „Eine ihrer Freundinnen, Frau Hübner, hat angerufen“, erklärte Helma. „Sie hat sich den Knöchel gebrochen, und deine Mutter musste dringend für sie einspringen. Sie lässt dir ausrichten, dass es ihr – “ „Furchtbar Leid tut, ich weiß“, unterbrach Mona ungehalten. „Es ist natürlich wieder alles andere wichtiger als ich. Bei Papa und bei Mama ist es immer dasselbe. Sie sind für jeden da und tun alles für andere. Aber ich bin ja nur ein lästiges Anhängsel.“
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„Wir können auch was unternehmen, das hat deine Mutter vorgeschlagen“, sagte Helma, ohne auf die letzte Bemerkung einzugehen. „Nein, danke. Ich hab keine Lust.“ Den Rest der Fahrt schwieg Mona, und nach der Ankunft ging sie gleich auf ihr Zimmer. Dort weinte sie sehr lange, bis ihre Augen rot und dick verschwollen waren. Als sie merkte, dass sie keine Tränen mehr hatte, setzte sie sich auf und betrachtete sich im Spiegel. „Das war das letzte Mal“, sagte sie zu ihrem verzerrten Spiegelbild. „Ich schwöre, dass ich nie mehr wegen so was weinen werde. Niemand darf mir mehr wehtun. Von heute an ist es mir egal, was meine Eltern machen, und ich will auch keine Freunde. Die tun einem doch nur alle weh, und das will ich nicht mehr. Wenn schon, dann tue ich den anderen weh!“
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Mona gab keinen Pfifferling mehr auf die Versprechungen ihrer Eltern, und sie fragte auch nicht mehr nach, ob sie jemals wieder Mittwochs Zeit für sie hätten. Sie wollte keine weitere Enttäuschung mehr erleben. Daher konzentrierte sie sich lieber darauf, mit den Jungs zu spielen. Die waren wenigstens aufmerksam und taten alles, was sie wollte. Mona wusste, dass sie hübsch war, und sie lernte zusehends, sich gut zu bewegen. So wagte sie sich eines Tages, als sie elf war, auch an echte Herausforderungen- speziell an einen Vierzehnjährigen, der Thomas hieß und so ziemlich das Sagen bei den unteren Klassen hatte. Er hatte lange, schwarze Haare und trug die enge, bunte Kleidung und die immens hohen Schuhe wie die Bay City Rollers, Gary Glitter oder die Osmonds. Er sah genauso aus wie ein Popstar, und so gab er sich auch: Als gehörte ihm die Welt. Die Mädchen standen natürlich auf ihn, und man sah ihn jede Woche mit einer anderen. Monas Klassenkameradinnen fanden ihn natürlich toll, und sie malten sich in kindlicher Fantasie aus, wie es wohl wäre, mit ihm Eis essen zu gehen. Oder vorn auf der Lenkstange seines Fahrrades mitfahren zu dürfen. Sie waren sich in einem Punkt einig: Dass alle älteren Mädchen für ihn nicht gut genug, albern und kindisch waren und sich aufführten wie Erwachsene, obwohl sie noch gar nichts zu bieten hatten. Allerdings konnten sie sich nicht einig werden, wen von ihnen Thomas erwählen würde – jede hielt sich selbst für die geeignete Kandidatin, und sie stritten sich darum, welche von 34
ihnen er schon mal „angeschaut“ hatte, und wie sich das weiterentwickeln würde. Natürlich kümmerte sich Thomas um keine von ihnen; Mona beachtete er ebenfalls nie, sie war ein „Baby“ für ihn und eher lästig als auch nur einen Blickkontakt wert. Sie nahm sich vor, das zu ändern. Es war natürlich nicht leicht, an ihn heranzukommen, denn Thomas stand selten allein. Und Mona war sich klar darüber, dass sie nur ausgelacht und weggescheucht wurde, wenn sie sich einfach zu seiner Gruppe dazustellte. Also musste es einen anderen Weg geben. Zunächst „umschlich“ sie ihr Opfer von weitem. Irgendwo musste Thomas doch einen schwachen Punkt haben, an dem sie ansetzen konnte. Mona war vernünftig genug zu wissen, dass es mit schmachtenden Blicken nicht getan war. Thomas hatte so viele Verehrerinnen, da konnte Mona mit ihren elf Jahren, auch wenn sie aussah wie 13, noch nicht mithalten. Schließlich kannte sie Thomas Tagesablauf fast besser als er selbst. Obwohl er schon einmal durchgefallen war, hatte er sich nicht gerade zu einem Musterschüler gewandelt. Er kam oft zu spät, schwänzte die eine oder andere Stunde und gab freche Antworten. Obwohl er auf einer Privatschule war, stand sein Verbleib auf wackligen Füßen, allzu viel durfte er sich nicht mehr erlauben. Noch dazu, da ihm nicht beizubringen war, dass er sich gefälligst die Haare zu schneiden und ordentlich zu kleiden hatte – Popstars hin oder her. So kam Mona eines Tages auf das geeignete Druckmittel: Immer zu Beginn der ersten Pause waren Thomas und einige seiner Kumpel nicht zu sehen; sie tauchten immer erst fünf Minuten vor Schluss auf dem Hof oder im Pausengang auf. Thomas war meistens der Letzte und intensiv mit seinen Haaren beschäftigt.
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Bestimmt taten sie etwas Verbotenes, etwas anderes konnte Mona sich nicht vorstellen. Aber wo waren sie? Sie verbrachte einige verregnete Tage damit, im Schulgebäude nach Thomas zu suchen. Während der Pausen durfte sie sich hier ja eigentlich nicht aufhalten, aber die Gefahr, einem Lehrer zu begegnen, war gering. Die waren froh, wenn sie sich in ihr Zimmer zurückziehen und eine Viertelstunde entspannen konnten, oder sie bereiteten sich auf die nächste Herausforderung vor. An einer staatlichen Schule mochte es schlimmer zugehen, aber auch an einer Privatschule war es nicht leicht, den Schülern beizukommen. Die Zeiten, in denen sie brav in der Bank gesessen hatten und nur nach Aufforderung redeten, waren lange vergangen. Paperflieger, Radiergummis und Schwämme flogen durch die Gegend, die Schüler schwatzten ununterbrochen oder heckten Streiche aus. Mona war bei solchen Aktionen nicht selten mit dabei oder gar die Wortführerin. Die zum Dienst verdonnerte Pausenaufsicht kontrollierte die Gänge nur kurz zu Beginn, dann zog auch sie sich ins Lehrerzimmer zurück. Im zweiten Stock ganz hinten glaubte Mona gedämpfte Stimmen zu hören. Hoffentlich waren das Thomas und seine Kumpels und keine Lehrer! Andererseits – sie konnte sich darauf herausreden, dass sie dringend aufs Klo musste, im Pausengang aber alles besetzt war… Da roch sie es. Rauch! Das war es also, die Jungs rauchten heimlich auf dem Klo! Blitzschnell versteckte sie sich um die Ecke und wartete, bis einer nach dem anderen herauskam. Das Herz schlug ihr bis zum Hals. Hoffentlich kam Thomas als Letzter! Sie wurde nicht entdeckt, obwohl sie das Gefühl hatte, dass man das laute Pochen ihres Herzens hören müsste. Doch die Jungs rechneten nicht damit, heimlich beobachtet zu werden.
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Sie sicherten ihrerseits den Gang und hasteten dann eilig die Treppe hinunter, damit sie nicht erwischt wurden. „Was macht Thomas nur so lange da drin?“, fragte sich Mona in Gedanken. „Wahrscheinlich kämmt er sich ewig die Haare! Wie kann man nur so eitel sein!“ Endlich kam Thomas heraus. So nahe war Mona ihm noch nie gewesen, und sie fand, er sah umwerfend aus. Nur die langen Koteletten fehlten, aber ihm wuchs noch kein Bart; er hatte gerade erst einen zarten Oberlippenflaum entwickelt. Er war schon fast an ihr vorbei. Mona musste sich zusammennehmen, jetzt oder nie! „Thomas! He, warte einen Moment!“, zischte sie aus ihrem Versteck heraus, gerade so laut, dass er es hörte. Ihr schlotterten die Knie, und sie wunderte sich über ihren eigenen Mut. Hoffentlich funkte jetzt niemand dazwischen! Er kam tatsächlich zurück und schielte um die Ecke. „Was willst du?“, herrschte er das Mädchen an. „Geh zu deiner Baby-Gruppe, ich hab keine Zeit für dich!“ Er wandte sich zum Gehen. Mona, die einen Moment verdattert und eingeschüchtert war, sah ihre Felle davonschwimmen und reagierte prompt: „Bleib hier! Ich muss mit dir reden!“ Er drehte sich zu ihr um, die Stirn gerunzelt. „Was willste denn? Haste keinen anderen zum Nerven?“ „Nein, ich will dich.“ Mona schluckte den Kloß in ihrer Kehle hinunter und verließ ihr Versteck. Langsam ging sie auf Thomas zu und setzte ein gewinnendes Lächeln auf. „Ich finde dich total gut.“ „Ja? Danke. Wenn du ein paar Jahre älter bist, können wir das Gespräch ja wiederholen. Aber jetzt lass mich – “ „Soll ich etwa zum Direktor gehen?“ Mona hatte die Frage schnell abgeschossen und ins Schwarze getroffen. Für einen Moment herrschte eisiges Schweigen.
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„Was meinst’n damit?“, fragte Thomas schließlich. Statt einer Antwort hielt Mona eine imaginäre Zigarette an den Mund und blies imaginären Rauch aus. „Ich weiß genau, was ihr da drin macht!“, sagte sie dann mit einer Kopfbewegung zum Klo. „Was glaubst du, was du für Ärger kriegst, wenn ich zum Scholten gehe?“ „Und du erst, du miese Petze! Du kannst doch gar nichts beweisen!“ „Das brauch ich doch gar nicht. Du stehst doch eh schon auf der schwarzen Liste. Was glaubst du wohl, wem sie glauben werden – mir oder dir? Außerdem brauchen sie bloß mal an deiner Kleidung zu riechen!“ Thomas zuckte die Achseln. „Na und? Was ist schon dabei! Alle rauchen doch, oder?“ „Ja, aber noch nicht mit 14, das ist streng verboten! Sonst würdet ihr doch nicht aufs Klo gehen, oder?“ Mona hatte jegliche Furcht verloren, als sie sah, wie auf gewühlt ihr Angebeteter war. Er konnte nichts, aber auch gar nichts gegen sie ausrichten. Sie hatte ihn in der Hand! Selbstsicher verschränkte sie die Arme vor der Brust. „Natürlich können mir noch ein paar Sachen mehr einfallen. Ich kenne dich ziemlich gut.“ In Thomas’ Gesicht hielten sich Wut und Furcht die Waage. „Was willste denn von mir?“, schnappte er. „Denkste, ich kann was mit ‘nem Baby wie dir anfangen? Da biste aber schief gewickelt!“ „Ich will aber trotzdem, dass du mit mir Eis essen gehst. Und ich will auf deinem Fahrrad mitfahren!“, stellte Mona ihre Forderungen. „Du bist doch total plemplem!“ Thomas schlug sich an die Stirn. „Ich geh nie und nimmer mit dir, klar? Such dir einen anderen Deppen!“ Erneut setzte er zur Flucht an.
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„Ich mach keine leeren Drohungen!“, rief Mona. Erschrocken schaute sie sich um, aber es blieb alles still. Gedämpfter fuhr sie fort: „Wir können ja ein Geschäft machen. Zwei Wochen lang, okay? Dann lass ich dich für immer in Ruhe. Aber zwei Wochen lang tust du, was ich will.“ Thomas schnaubte erbost durch die Nase. „Und wer gibt mir die Garantie, dass du nicht weitermachst?“ „Da musst du mir schon vertrauen.“ Mona grinste boshaft. „Wenn ich mit dir zufrieden bin ist alles okay. Es liegt ganz bei dir.“ „Aber zwei Wochen! Das ist so ‘ne lange Zeit! Eine Woche reicht doch!“ „Zwei Wochen, nicht einen Tag weniger“, beharrte Mona. „Ab heute.“ Sie konnte kaum fassen, was sie da sagte. Zwei Wochen lang würde der Traumtyp ihr gehören und alles tun müssen, was sie verlangte! Er schien tatsächlich zu viel Angst davor zu haben, dass sie petzte. Denn er gab nach. „Na gut. Aber wehe, du hältst dich nicht dran! Dann mach ich Hackfleisch aus dir, egal was dann passiert, klar?“ Mona wusste, wie weit sie gehen konnte. Sie durfte es natürlich nicht übertreiben, denn wenn sie Thomas zu sehr in die Ecke drängte, war er aus Verzweiflung sicher zu allem fähig – und das wollte sie nicht. Sie würde sich mit den zwei Wochen begnügen, aber jeden Tag davon auskosten. Sie wich dem Jungen in dieser Zeit keine Minute von der Seite und amüsierte sich königlich über die verdutzten Gesichter der anderen. Vor allem der älteren Mädchen! „Ich bin seine neue Freundin“, stellte sie sich vor. „Und ihr habt gar nichts mehr zu melden.“ „Thomas, das stimmt doch nicht, oder?“, wollte seine derzeitige Flamme wütend wissen.
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Was konnte er schon sagen? Mona verhinderte, dass er dem aufgebrachten Mädchen nachlief und ihr alles erklärte, um sie für zwei Wochen zu vertrösten. Ein kurzes Wort, ein Ruck am Arm, und er gehorchte. Ihre eigenen Klassenkameradinnen, allen voran Clarissa, zerrissen sich die Mäuler. Sie platzten fast vor Eifersucht und konnten es nicht fassen, was Mona schon wieder gelungen war. „Was will Thomas nur von dir?“, stellte Clarissa sie zur Rede. „Wieso will er ausgerechnet mit dir Händchenhalten? Jeder weiß doch, dass er auf die Älteren steht!“ „Aber jetzt steht er eben auf mich“, erwiderte Mona. „Solange es mir gefällt, werde ich seine Freundin sein.“ „Und was macht ihr zusammen?“ „Was geht dich das an?“ „Na ja, trefft ihr euch nach der Schule auch?“, wollte Sandra wissen. Sie war mehr neugierig als eifersüchtig, immer zwischen Bewunderung und Ablehnung gegenüber Mona hinund hergerissen. „Klar“, log Mona ohne mit der Wimper zu zucken. Clarissa grinste boshaft. „Auch am Mittwoch? Ich dachte, das ist dein toller Elterntag!“ „Die laufen mir schon nicht weg“, erwiderte Mona gelassen. Es war unmöglich, sie lächerlich zu machen, wohingegen Thomas die Hölle durchlitt. Sämtliche Freunde machten sich über ihn lustig, und die Freundinnen zeigten ihm die kalte Schulter. Er wagte es nicht mal mehr, zum Rauchen zu verschwinden. Zwei Wochen lang verhielt er sich weitgehend mustergültig gegenüber Mona. Er duldete sie ständig an seiner Seite, kaufte ihr Eis oder Schokolade und ließ sie auf dem Fahrrad mitfahren. Aber erließ keinen Zweifel darüber offen, dass er dies nicht aus Zuneigung tat – und auch nie eine entwickeln würde. Das machte Mona nichts aus; sie hatte festgestellt, dass Thomas trotz seines Outfits kein
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Außerirdischer war. Sicher war er ziemlich aufsässig, faul und ein Aufrührer, aber trotzdem ein Junge, der aus Angst vor Konsequenzen vor ihr spurte. Das steigerte ihre Achtung nicht gerade. Mona erkannte, dass es manchmal besser war, einem Traumbild nachzuhängen. Sie hatte jetzt zwar ihr Ziel erreicht, aber das Hochgefühl hatte nicht lange angehalten. Thomas langweilte sie bereits, weil er keine Herausforderung mehr darstellte. „Morgen sind die zwei Wochen um“, sagte Thomas zu ihr. „Und dann kannst du mir gestohlen bleiben.“ „Und wenn ich gern verlängern möchte?“, fragte Mona provokativ. Sie zuckte zusammen, als er seine Hand plötzlich an ihre Kehle legte. „Das überlegst du dir besser noch mal, du kleine Kröte“, zischte er. „Du hast mir schon viel kaputt gemacht, aber ich hab meinen Teil trotzdem eingehalten, weil ich nicht von dieser Schule fliegen darf. Wenn du jetzt aber Scheiße baust, ist mir alles wurscht, klar? Nicht einen Tag länger spiel ich deinen Affen!“ „Beruhig dich schon, ich hab ja nur Spaß gemacht!“, ächzte sie. „Denkst du, ich will auch nur eine Stunde länger mit dir Langweiler zusammen sein? Du ödest mich sowieso an! Also beenden wir das Ganze, meinetwegen heute schon.“ Thomas wich zurück. „Ist das dein Ernst?“, fragte er misstrauisch. „Ja, wieso nicht?“ Sie zuckte die Achseln. „Du bist vielleicht ein komisches Mädchen. Aber gut. Dann gehe ich jetzt, und hoffentlich kommst du mir nie mehr näher als zehn Meter. Ich kann dich wirklich nicht leiden, Mona. Du bist eine richtig verwöhnte Zimtzicke, der man nichts recht machen kann. Du bist launisch und nörgelig, und ich bin froh, dich endlich los zu sein.“
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„Und du bist ein Blödmann, der nie über die achte Klasse rauskommen wird!“, rief sie ihm wütend nach. „Und lass dir bloß nicht einfallen, über mich herzuziehen, dann wird es dir schlecht ergehen, das schwöre ich dir!“ Der Kerl traute sich ja allerhand! Niemand wagte es, so mit ihr zu reden! Am liebsten würde sie… „Nein, ich lasse ihn“, dachte sie. „Das bringt nichts. Er ist sowieso ein Doofmann, was könnte ich mit dem schon anfangen.“ Zu Clarissa und den anderen sagte sie aber: „Ich hab ihm heute den Laufpass gegeben, der Kerl ist einfach zu blöd!“ „Wahrscheinlich war es umgekehrt“, erwiderte ihre Intimfeindin Clarissa höhnisch. „Er wird endlich gemerkt haben, was er an dir hat.“ „Dafür wird er es bei dir nie herausfinden“, versetzte Mona mit zuckersüßem Lächeln. „Von kleinen Mädchen will er nämlich absolut nichts wissen.“
Ganz ohne männliche Begleitung wollte Mona aber auch nicht mehr sein, und so wandte sie sich ihrem ersten Opfer Markus wieder zu. Der zeigte sich allerdings ziemlich abweisend: „Ach, jetzt kennst du mich auf einmal wieder? In den letzten Tagen habe ich dich nur an diesem Angeber hängen sehen! Was ist los, hat er dich sitzen lassen?“ „Aber da war gar nichts“, beteuerte Mona mit unschuldigem Augenaufschlag. „Dafür hast du aber ziemlich laut herumposaunt, dass du seine Freundin bist! Denkst du, ich bin dein Fußabtreter oder so?“ „Ach, Markus, ich war eben dumm. Aber ich hab verstanden, dass Typen wie Thomas nur hohl in der Birne sind und nichts bringen. Du bist doch ganz anders. Es tut mir Leid, wenn ich
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dich verletzt habe.“ Sie zog einen Flunsch und machte ein betretenes Gesicht. „Ich kann ja verstehen, dass du mich nicht mehr magst. Aber ich mag dich noch, und wenn du doch mal wieder ein Eis mit mir essen willst, sag ich nicht nein.“ Markus war leichter zu handhaben; sie merkte, wie er schon wieder ins Schwanken geriet. Immerhin schaute ihn sonst kein Mädchen an, und Mona war sehr hübsch und bei vielen beliebt, auch wenn sie noch so jung war. Er mochte sie immer noch, und wenn sie so traurig schaute, brach ihm fast das Herz. „Na ja…“, meinte er zögerlich, „da ist ja nichts dabei, wenn wir mal ‘n Eis zusammen essen, oder? Schließlich sind wir nie richtig miteinander gegangen.“ „Nein, wir waren nur Freunde“, sagte Mona schnell. „Und ich war dumm, dass ich das nicht vorher kapiert hab. Also, ich muss jetzt gehen. Wir sehen uns ja dann.“ So war es richtig. Bereitschaft signalisieren und sich dann zurückziehen. Markus konnte da gar nicht anders, er musste anbeißen.
Bei all diesen Beschäftigungen vermisste Mona ihre Eltern kaum mehr. Sie fing auch an, nach der Schule noch ins Café zu gehen, oder mit Sandra in einen Jeansladen. Helma war das überhaupt nicht Recht, denn sie wusste nicht, ob Constanze damit einverstanden war – Mona kam nämlich nur dann nicht heim, wenn die Mutter nicht da war. Aber Mona wusste auch sie zu bestechen. Sie ließ Helma den Mercedes für Privatfahrten nehmen und gab ihr mittags immer mal zwei, drei Stunden frei, damit diese sich schnell mit ihrem neuen Freund treffen konnte. Sie verabredeten, was jede von ihnen aussagte, wenn sie einmal erwischt würden; von da an gab es keine Schwierigkeiten mehr.
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Es kam jedoch eine Zeit, da wurde aus der frühreifen Mona wieder ein ganz normales Kind. Sie vergaß sogar ihren heiligen Schwur, denn sie konnte einfach nicht dagegen an: Das war die Zeit, wenn an den Fenstern Schneeblumen gefroren, die ganze Stadt dick in Schnee und Eis eingepackt war und ihre Kameradinnen keine Zeit oder Lust auf die Stadt mehr hatten. Obwohl es gerade jetzt dort sehr schön war, mit den Weihnachtsmärkten, den leuchtenden Sternen in Schaufenstern, mit Weihnachtsmusik in den Kaufhäusern und frierenden Maroni-Verkäufern auf den Straßen. Es war die Zeit des Duftes nach Tannen und Orangen, Lebkuchen und Plätzchen und gemütlichem Aneinanderkuscheln vor dem Kamin oder mit einem Vorlesebuch bei Kerzenschein. Auf einmal stand Mona allein da; alle waren beschäftigt mit Weihnachtseinkäufen, Adventsfeiern mit Glühwein und Kinderpunsch und reihum Einladungen. Sie übertrafen sich selbst in ihren Erzählungen über die Größe des Christbaums und der Pracht des Weihnachtsschmucks. In der Schule wurden Sterne und Engel aus Holz und Glanzpapier selbst gebastelt und in Adventskränze gesteckt, ans Fenster oder an den Baum gehängt. Natürlich gab es auch im Haus der Suttners einen Weihnachtsbaum. Er war über zweieinhalb Meter hoch und perfekt gewachsen. Der Schmuck war farblich exakt auf die Einrichtung abgestimmt und von der Innenarchitektin angebracht worden, damit es keinen ästhetischen Knick gab. Mona durfte ihre gebastelten Sachen nur in ihrem Zimmer aufhängen, weil sie nicht allzu kunstfertig geraten waren. 44
Die meisten Kinder hatten meterlange Wunschzettel abgegeben und waren neugierig, was davon sie wohl bekommen würden – vermutlich wieder mal nicht das, wonach sie sich am meisten sehnten, aber trotzdem. Auf die Erwartung kam es an! Darüber musste Mona nicht nachdenken, sie bekam ihre Wünsche immer erfüllt, insofern sie eben machbar waren und nicht mit lebenden Tieren zu tun hatten. Aber diese Verantwortung wollte das Mädchen ohnehin nicht mehr auf sich nehmen. Es gab also keine Spannung in dieser Hinsicht, aber das war Mona auch nicht so wichtig. Sie hätte viel lieber mal einen Adventssonntag mit den Eltern bei schummrigem Kerzenschein verbracht. „Wenn du mir beim Plätzchenbacken hilfst, können wir Weihnachtsmusik auflegen, einen Tee-Punsch trinken und eine Kerze dazu anzünden“, schlug Helma vor. „Das wird uns viel Spaß machen!“ Mona betrachtete zweifelnd die aufgereihten Zutaten. „Ich weiß nicht, das ist doch alles ziemlich klebrig, oder? Kriege ich das von den Händen wieder runter?“ „Aber ganz leicht, außerdem kannst du den Teig von den Fingern lutschen“, meinte Helma fröhlich. „Ich gebe dir eine Schürze, und dann legen wir los!“ Aber fürs Handwerkliche war Mona nicht sehr zu haben. Sie mochte weder Stricken noch Nähen noch Basteln, und mit der Küche hatte sie auch nicht viel im Sinn. Außerdem kam bei allem doch keine richtige Weihnachtsstimmung auf, weil sie immer mit einem Ohr zur Haustür hin lauschte. Sie war Helma nicht böse, als diese meinte, sie käme auch gut allein zurecht. Gerade zur Weihnachtszeit aber waren die Eltern mehr in Stress denn je. Monas Vater musste noch dringende Geschäfte zum Abschluss bringen, weil zwischen Weihnachten und Neujahr praktisch alles lahm lag, mindestens zehn Tage, was
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für eine Verschwendung! Außerdem musste der Jahresabschluss durchgeführt werden, die letzten Rechnungen gestellt, und so weiter. Und Constanze hatte jede Menge bei den Veranstaltungen der Clubs und Vereine zu tun, zu denen sie Mona gelegentlich mitnahm. Abends waren die Eltern so geschafft und müde, dass sie nur noch die Füße hochlegen und ihre Ruhe haben wollten. Erst eine Woche vor Weihnachen hatte Constanze das Gröbste hinter sich und plante mit Mona den Heiligabend. „Wir könnten ein schönes Mittagessen machen, oder willst du lieber ausgehen?“ „Nein, ich möchte lieber daheim bleiben“, antwortete Mona schnell. „Aber wer macht das Mittagessen? Du kannst doch gar nicht kochen, Mama.“ Sie kicherte, als ihre Mutter ein gespielt entrüstetes Gesicht machte. „Zur Strafe sollte ich dich gleich drei Tage hintereinander bekochen!“ „O nein, bitte nicht! Ich will’s auch nie wieder sagen!“ Mona kreischte, als ihre Mutter sie kitzelte. „So ein freches Ding!“, lachte sie. „Aber im Ernst: Ich lasse uns was von Helma vorbereiten, sie kommt am 23. vormittags noch mal vorbei, weil sie dann Urlaub macht bis sechsten Januar. Einen Braten in die Röhre zu schieben, werde ich gerade noch fertig bringen.“ „Ja, solange er nicht verkokelt…“ „Wenn du mir dabei hilfst, wird nichts schief gehen… oder ich schiebe alles auf dich.“ Die Mutter faltete die Hände zusammen. „Danach werden wir die Kerzen am Baum anzünden und ein paar Weihnachtslieder singen. Wenn es dunkel ist, machen wir die Bescherung und setzen uns anschließend vor den Kamin. Für abends haben wir dann eine kalte Platte, die Helma ebenfalls vorbereitet. Um am Morgen
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des 25. fahren wir alle zusammen bis zum fünften Januar nach Davos zum Skifahren. Wie findest du das?“ „Davos… famos!“, kommentierte Mona glücklich. „Und wir fahren wirklich alle zusammen? Und machen alles gemeinsam?“ „Ja, Mona. Sicher werden wir das.“ „Hoffentlich gibt es dort kein Telefon“, murmelte Mona für sich. Sie kannte solche Ferien schon, auch vom Sommer: Sie fuhren in irgendein teures Hotel, in dem Papa dauernd am Telefon hing, und Mama an der Bar. Aber es war trotzdem immer noch besser als nichts, weil Mona von zu Hause wegkam und den anderen erzählen konnte, wo sie schon überall war. Aber wenn sie erst Skilaufen waren, gab es kein Telefon weit und breit, das Papa von ihr wegholen konnte. Sie musste also zusehen, dass sie so früh wie möglich am Skilift waren, und dann stand den gemeinsamen Ferien nichts mehr im Wege. Doch wie so oft kam alles anders. Noch am Heiligabend rannte Monas Vater zwischen Wohnund Arbeitszimmer ständig hin und her. Das wurde Constanze irgendwann zu viel. „Sag mal, haben deine Geschäftspartner keine Familien?“, rief sie ihrem Mann nach, als er wieder mal verschwand. „Ich telefoniere mit Amerika, dort feiern die erst ab morgen!“, gab er zurück. „Aber wir feiern heute! Nun komm schon, setz dich jetzt her zu uns, deiner Familie! Wir sind schließlich auch noch da!“, wurde Constanze laut. „Bald weißt du nicht mal mehr, wie deine Tochter heißt!“ Mona blieb der Bissen im Hals stecken. Sie wusste, was jetzt kam. Reinhard kam aufgebracht zurück. „Also schön, dann verzichtest du in Zukunft auf all das hier!“, schrie er los.
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„Keine Clubs mehr, keine Kränzchen, keine teuren Wagen und Accessoires, überhaupt nichts mehr! Wir ziehen in eine ZweiZimmer-Wohnung im Zooviertel und leben von der Sozialfürsorge! Dann sind wir immer zusammen, 24 Stunden am Tag! Willst du das?“ „Ach, werde doch nicht so dramatisch“, winkte Constanze wütend ab. „Es gibt für alles Grenzen! Das bedeutet noch lange nicht, dass dann gleich deine ganze Firma pleite geht!“ „Wenn du so viel davon verstehst, warum hast du nicht deine eigene Firma?“, schnappte Reinhard. „Aber nein, dir gefällt es ja viel besser, dich auf meinem Konto auszuruhen!“ „Und dir gefällt es in deiner Firma und auf deinen Geschäftsreisen besser als zu Hause!“ Das war der Zeitpunkt, zu dem Mona aufsprang. Es war ja nicht das erste Mal, dass sie diese Szene ausgerechnet an Heiligabend miterleben musste. Es war seit Jahren immer dasselbe. Spätestens im Ski-Urlaub ging es los. „Hört auf!“, schrie sie. „Warum müsst ihr Weihnachten immer nur streiten? Ich hasse euch, ich hasse euch beide!“ Und sie rannte schluchzend auf ihr Zimmer. Unten konnte sie die Eltern weiter streiten hören, bis zu ihrem Zimmer hinauf erscholl das Gebrüll. Schließlich aber wurde es ruhig. Dann vergingen nur ein paar Minuten, bis die Eltern bei ihr anklopften und reumütig ins Zimmer kamen und versprachen, es nie wieder zu einem Streit kommen zu lassen, nicht an Heiligabend. Auch dies spulte sich ab wie ein Film. Und Mona, traurig und verzweifelt, wie sie war, glaubte ihnen erneut, weil sie die Hoffnung einfach nicht aufgeben konnte. Natürlich war der Vater auch nicht die ganze Zeit in den Skiferien dabei, weil er mal eben nach New York fliegen musste; aber immerhin verbrachten sie ein paar Stunden gemeinsam an diesen Tagen. Dann staffierte der Vater seine Tochter aus und präsentierte sie stolz. Nach außen hin war das
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Bild der glücklichen Familie perfekt. „Das wirkt sich auch immer gut aufs Geschäft aus“, pflegte Reinhard Suttner zu sagen, und Mona nickte beifällig, obwohl sie keine Ahnung hatte, was genau das zu bedeuten hatte.
Nach den Winterferien ging es in die Zielgerade zu den Zwischenzeugnissen. Mona hangelte sich immer gerade so durch; aber weil sie dieses stundenlange Sitzen und das Gefasel der Lehrer hasste, hatte sie nicht vor, durchzufallen und noch ein Jahr länger „abbrummen“ zu müssen. Trotzdem war ihr Aufwand nur minimal. Wenn sie es mit Mogeln schaffte, war es ihr am liebsten. Nichts hasste sie so sehr wie das Büffeln auf eine Schulaufgabe. Zum Glück waren die Lehrer an der Privatschule etwas nachsichtiger und schauten nicht immer genau hin, ob man einen Spickzettel hatte oder dem Nachbar mal eben über die Schulter schaute. Mona fand Lernen zu anstrengend, hatte aber überhaupt kein Problem, einen erheblichen Aufwand für die Kunst des Schummelns zu betreiben; vor allem reizte sie immer wieder das Spiel mit der Gefahr, entdeckt zu werden. Das trieb sie noch auf die Spitze. Sie brachte es fertig, ein Notenbuch aus der Aktentasche eines Lehrers zu stibitzen und verschwinden zu lassen oder sich Prüfungsaufgaben zu beschaffen. Weil sie so frech und herausfordernd war, gehörte sie längst zum „Kreis der üblichen Verdächtigen“, doch man konnte ihr nie etwas nachweisen. Sie hinterließ keine Spuren, und außerdem gab es stets genügend Zeugen, wo sie gewesen war. Jede Menge Sach- und auch Geldspenden machten dies möglich. Darauf folgende Erpressungsversuche scheiterten aber kläglich; Mona wusste sich zu wehren. Sie versteckte gefälschte Spickzettel so offensichtlich, dass diejenigen unweigerlich erwischt werden mussten. Oder sie verbreitete
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Gerüchte bei den berüchtigtsten Schlägern der Schule, die sich der Erpresser dann annahmen. „Sie ist glatt wie ein Aal“, zischte Clarissa, die im Lauf der Zeit immer mehr lernte, Mona zu hassen. Sie konnte jede Intrige versuchen, Mona setzte noch einen obenauf. Sie entschlüpfte jeder Falle und schien unverletzlich, was Freundschaften anging – weil sie keinen Wert darauf legte. Markus beispielsweise hielt sie sich wie ein Hündchen auf Abruf. Wenn sie Lust auf ein Eis hatte oder ihre Kameradinnen ärgern wollte, zog sie an der Leine; wenn sie seiner überdrüssig wurde, schickte sie ihn wieder weg. Der Jüngling missverstand das mit Freundschaft und freute sich sogar noch darüber, eine so „offene“, „kameradschaftliche“ Beziehung zu einem Mädchen zu haben, das ihm alle Freiheiten ließ. Außer, ihn schaute einmal eine an, was selten, aber immerhin vorkam. Dann wurde Mona fuchtig! Sie teilte niemals und mit niemandem. Sie gab oder nahm, aber sie allein entschied, in welche Richtung es ging. Markus war zu gutmütig oder auch zu dumm, dass er sich das auf Dauer gefallen ließ. Aber er war nur das erste Opfer einer langen Reihe, die sich in den folgenden Jahrzehnten bilden sollte. Und auch die Nachfolger würden sich gegen Monas Einfluss und Anziehungskraft nicht im geringsten wehren können. Mona wurde zwölf und war nun mitten in der Pubertät. Ihr Busen hatte sich zu hübscher, handlicher Größe entwickelt, und allmählich rundeten sich auch ihre Formen. Zum Glück blieb ihr Gesicht bisher von der peinigenden Akne verschont; wieder ein Grund mehr für Clarissa, Mona zu verabscheuen, denn sie wurde damit geradezu gesegnet. Das konnte sich natürlich in den nächsten vier Jahren noch leicht ändern, eine fortwährende Hoffnung für die Intimfeindin. Der Mutter entging die Wandlung nicht, und sie unternahm jetzt öfter was mit der Tochter gemeinsam. Mit dem Vater
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verhielt es sich wie immer, und Mona schaute mit Hoffnung und Bangen zugleich auf das nächste Weihnachten. Wenigstens einmal, ein einziges Mal in ihrem Leben wollte sie ein Weihnachten erleben wie aus dem Bilderbuch. Dafür war sie sogar bereit, auch die sechste Klasse zu bewältigen, um nur ja keinen Ansatzpunkt für eine Bestrafung zu bieten. Sie wollte, dass ihr Vater stolz auf sie war und das nicht nur in der Öffentlichkeit, sondern auch zu Hause zeigte. Immerhin kam Reinhard in den Tagen kurz vor Weihnachten öfter mal früher nach Hause. Er brachte sich zwar einen Haufen Arbeit mit, aber wenigstens war er da. Rita hatte nämlich Urlaub, und da gefiel es ihm nicht mehr so allein im Büro. Als Mona einmal nach ihrem Vater schauen wollte, hörte sie seltsame Laute aus seinem Arbeitszimmer – gedämpftes Kichern und schnell gewisperte Worte. Die Tür war nur angelehnt, und Mona schlich auf Zehenspitzen näher. Neugierig spähte sie durch den Spalt. „Jetzt müssen wir aber Schluss machen, Herr Suttner“, kicherte Helma leise. „Ich muss an die Arbeit zurück.“ „Gleich, Helma, es ist ja niemand da“, gab Monas Vater zurück. Helma lag halb auf dem Schreibtisch, im Arm von Reinhard Suttner. Ihre Bluse war offen, sein Gesicht darin verschwunden. Als es wieder auftauchte, war es ganz rot, und er schnappte nach Luft. Mona war drauf und dran, hineinzulaufen um zu sehen, ob alles in Ordnung war mit ihm. Doch da stand er schon auf, glättete die wenigen Strähnen seines Haares und schloss seine Hose. Helma knöpfte ihre Bluse zu und rutschte vom Tisch. „Warte, Helma“, hielt Monas Vater sie auf. „Ich hab da noch was für dich.“ Er reichte ihr eine schmale Kassette, die Mona schon bei Juwelieren gesehen hatte.
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Helma öffnete sie, und ihre Augen leuchteten auf. „Fröhliche Weihnachten“, sagte Herr Suttner. „Danke“, sagte Helma artig. „Zu Weihnachten werden Sie immer sehr anhänglich und sentimental, Herr Suttner. Richtig süß.“ „Du arbeitest ja auch sehr gut.“ „Und wie“, dachte Mona grimmig. „Schon seit Jahren.“ Es war nicht das erste Mal, dass sie so eine Szene beobachtete. Früher hatte sie sich nichts dabei gedacht und geglaubt, das sei ganz normal, und es wieder vergessen. Es hatte keine Bedeutung für sie besessen. Heute erinnerte sie sich daran und wusste es besser, und eine dunkle Wut erfüllte sie. Helma machte einen Knicks, was Mona total albern fand. Mit Kleinmädchenstimme sagte sie: „Also, dann noch mal vielen Dank und schöne Weihnachten, Herr Suttner, stets gern zu Diensten.“ Als sie auf die Tür zuging, verschwand Mona in einer Nische um die Ecke. Sie kochte vor Zorn. „Nichts wird sich jemals ändern, gar nichts. Mama plant den Urlaub in Davos, und Papa fährt irgendwo anders hin, wo er sich amüsieren kann, uns aber erzählt, wie viel er arbeiten muss.“ Aber diesmal würde sie ihm das nicht durchgehen lassen. Das war einfach einmal zu viel. Sie wollte natürlich nicht gleich mit der Tür ins Haus fallen. Es war ihr peinlich genug, diese Szene miterlebt haben zu müssen. Schließlich sah man die Eltern als etwas Besonderes an, und nicht als… na ja, wie es die Tiere eben so machten. Das tat weh, wenn der Vater vom Podest stürzte. Mona war wütend auf ihn und auf sich selbst, irgendwie fühlte sie sich schuldig. War sie zu oft kratzbürstig zu ihm gewesen, dass er nicht gern zu Hause war? Oder hatte sie ihm Mama weggenommen?
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Vielleicht wurde ja doch alles wieder gut, wenn Papa mit in die Ferien kam. Mona würde ganz besonders lieb zu ihm sein und alles für ihn tun. Dann würde er Helma bestimmt vergessen und sich daran erinnern, dass „Familie“ ein Wort mit Bedeutung war. Er würde Mama und seine Tochter umarmen, und nicht irgendeine Fremde, und wenn sie noch so lange bei ihnen im Haus arbeitete. Aber sie gehörte nicht zur Familie.
Der Heiligabend kam. Wie jedes Jahr planten Constanze und Mona, und Helma bereitete alles vor, bevor sie sich in die Ferien verabschiedete. Reinhard schien sich tatsächlich einmal zusammen zu reißen, doch dann kam wieder ein verhängnisvoller Anruf. Mona ging in der Diele an den Apparat, und eine englisch sprechende Stimme meldete sich. Sie verstand keine Silbe von dem Wortschwall, aber natürlich war es klar, dass jemand ihren Vater sprechen wollte. „One Moment“, sagte sie und war stolz auf sich, dass sie auf Englisch geantwortet hatte. „Vater, da ist jemand aus New York oder so für dich dran“, rief sie ins Wohnzimmer. „Soll ich sagen, dass du keine Zeit hast?“ Sie wusste zwar nicht wie sie das ausdrücken sollte, aber das spielte auch keine Rolle. Sie würde einfach einhängen, kurz warten und dann den Hörer leicht abheben, dass die Leitung besetzt war und kein Klingeln mehr durchkommen konnte. Warum hatte sie das nicht schon vorher gemacht? „Nein, um Himmels Willen, das ist wichtig!“ Reinhard kam aus dem Wohnzimmer gelaufen und riss ihr den Hörer aus der Hand, bevor sie etwas unternehmen konnte. Er plärrte auf Englisch ins Telefon und bedeutete Mona mit einer Kopfbewegung, dass sie gehen könne.
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Aber das Mädchen blieb stehen. „Häng bitte auf, Papa“, bat sie. „Wir wollen doch feiern. Du kannst ja von Davos aus anrufen.“ Reinhard starrte über sie hinweg ins Leere, vermutlich bis nach Amerika, und redete weiter auf den fernen Gesprächspartner ein. „Papa!“, drängte Mona. „Hör jetzt endlich auf! Du kannst ihm doch sagen, dass ihr später telefoniert!“ Der Vater legte die Hand auf die Muschel und herrschte die Tochter an: „Schluss jetzt! Siehst du nicht, ich telefoniere hier! Geh ins Wohnzimmer, ich komme gleich nach!“ Mona schluckte. „Papa, es wird was Schlimmes passieren, wenn du jetzt nicht kommst“, sagte sie eindringlich. „Ich bin wichtiger als dein blödes Geschäft.“ „One Moment“, sagte der Vater ins Telefon, dann hielt er erneut die Muschel zu. Seine Augen blitzten böse. „Mona, was erlaubst du dir für einen Tonfall? Das dulde ich nicht! Darüber werden wir gleich noch reden. Ab ins Wohnzimmer!“ Mona zögerte einen Moment. Dann trollte sie sich ins Wohnzimmer und setzte sich neben die Mutter mit verschränkten Armen auf die Couch. Ihr Gesicht sprach Bände. Constanze sprach kein Wort. Sie schüttete sich das zweite Glas Wein ein und steckte sich eine Zigarette an, was nicht sehr oft vorkam; normalerweise nur bei Festen, wenn sie ausgelassener war. Die Minuten vergingen schweigend, bis Reinhard endlich ins Wohnzimmer zurückkehrte. Er machte ein undurchschaubares Gesicht und blieb unwillkürlich stehen, als er die vereinte Front gegen sich sah. „Mona, dein Benehmen passt mir nicht“, kam er ohne Umschweife aufs Thema. „Du bist aufsässig und störrisch geworden – “
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„Wie kann dir das denn auffallen, du bist doch nie da!“, unterbrach Mona patzig. „Genau das meine ich“, versetzte der Vater streng. „Du wirst dich am Riemen reißen, oder hier werden andere Saiten aufgezogen!“ „Zunächst mal“, mischte sich Constanze ein, „hat Mona völlig Recht, wenn sie wenigstens am Weihnachtsabend ihren Vater uneingeschränkt für sich haben will. Das ist ein besonderer Tag für ein Kind, und das solltest du vielleicht mal respektieren.“ „Ach, jetzt spielen wir auf einmal die fürsorgliche Mutter“, bemerkte Reinhard sarkastisch. „Wie wär’s, wenn du dann auch mal deine erzieherischen Qualitäten aufwerten würdest?“ Mona biss sich auf die Lippen. Sie überlegte verzweifelt, was sie tun könnte. Keinesfalls wollte sie wieder Streit und Geschrei… zumindest nicht unwidersprochen. Sie hatte keine Lust mehr auf die ewigen Wiederholungen, die doch nichts brachten. „Ich glaube, du willst lediglich vom eigentlichen Problem ablenken.“ Constanze blieb kühl und distanziert und sog an ihrer Zigarette, bevor sie fortfuhr: „Dieser Anruf da eben hatte doch bestimmt was zu bedeuten.“ „Erst mal will ich – “ „Lass gefälligst das Kind jetzt raus. Ich kann Mona verstehen, und wenn du nur einen Funken Gefühl hättest, könntest du das auch. Schieb sie nicht vor! Ich glaube, dieser Anruf ist so zu verstehen, dass du wieder einmal verreisen musst, während wir in die Ferien wollten.“ Das befürchtete auch Mona. Reinhard zögerte einen Moment. „Ja“, gestand er dann. „Verstehst du, das hängt mit der Börse zusammen… und gerade zum Jahresende hin wird es immens wichtig, da kommt es auf jede Stunde an…“
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„Erklär es nicht mir“, schnitt Constanze ihm das Wort ab. „Sondern deiner Tochter.“ Sie deutete auf Mona. Dann drückte sie den Rest der Zigarette aus und trank das halbe Glas Wein leer. „Nur noch dieses eine Mal, Mona“, fing der Vater von Neuem an. „Bestimmt, ich ändere mich. Und es tut mir Leid wegen vorhin. Es ist… wenn ich so geschäftsmäßig bin, komme ich von der Schiene nicht so leicht runter. Wir können es uns doch jetzt richtig schön machen, und morgen bringe ich euch zum Zug…“ Jetzt hatte Mona genug, und zwar endgültig. „Hör doch auf mit deinen ewigen Versprechungen, du hältst sie ja doch nie!“, schrie sie ihren Vater an. „Dir sind doch alle anderen wichtiger als wir! Und wenn du dann mal da bist, mäkelst du dauernd an mir herum!“ „Mona, in diesem Ton lasse ich nicht mit mir reden!“ „Mir doch egal!“ Mona sprang auf, ihre Augen verschwammen. „Du kommandierst immer nur herum und führst dich auf wie ein Pascha, dabei bist du zu allen anderen netter! Sogar Helma hast du lieber als mich und Mama, jawohl!“ Reinhard wurde blass. Constanze setzte sich auf. „Wie meinst du das, Mona?“, fragte sie langsam. „Das Kind fantasiert“, stieß Reinhard hervor. „Ich habe niemanden lieber als euch beide.“ „Und doch hab ich’s gesehen, mit eigenen Augen, in deinem Arbeitszimmer!“, sprudelte es aus Mona hervor. Zornes- und Schamröte stiegen ihr ins Gesicht. „Ich hab noch nie gesehen, dass du Mama so umarmst, und du hast Helma was vom Juwelier geschenkt! Für Helma hast du Zeit, aber nicht für uns, und ich glaube dir kein Wort, nie mehr!“
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Sie wollte davonrennen, aber ihre Mutter hielt sie fest. „Augenblick, Mona. Du… du hast Helma und deinen Vater zusammen gesehen? Im Arbeitszimmer? Wann war das?“ Mona schluckte und schniefte. „Vor… vor ein paar Tagen.“ Sie starrte ihren Vater an. „Ich wollt’s ja nicht sagen, aber du hast mich gezwungen, weil du immer so gemein zu mir bist!“, schrie sie schluchzend. „Ich hab dir vorhin gesagt, du sollst auflegen, aber nie hörst du auf mich! Für dich bin ich doch gar nicht da, nur wenn du gerade mal Lust dazu hast! Aber ich bin kein Spielzeug! Und Mama soll das wissen, wie gemein du bist!“ In diesem Moment wirbelten die Gedanken nur so durch ihren Kopf. Sie hatte das Gefühl, einen schrecklichen Fehler begangen zu haben, andererseits aber fühlte sie sich im Recht. Und schließlich hatte sie Papa gewarnt. Er hatte nicht auf sie gehört, hatte sie sogar ausgeschimpft und wollte dann wie üblich die Ferien ohne sie verbringen – nein, damit war Schluss. Papa musste begreifen, dass Mona kein kleines Kind mehr war, sie ließ sich das nicht mehr gefallen. „Das geht zu weit“, sagte Reinhard Suttner heiser. Es sah so aus, als wollte er sich umdrehen und gehen. „Du gehst jetzt nicht weg“, sagte seine Frau scharf. „Jetzt nicht!“ Sie umfasste Monas schmale Schultern. „Sag mal, Mona“, fragte sie in ruhigem Tonfall, „hat Helma was dagegen gehabt? Ich meine, hat sie ihn ausgeschimpft oder so?“ Mona schüttelte den Kopf. „Nein, sie hat gekichert und einen Knicks gemacht, das war total blöd. Und sie hat das Geschenk mitgenommen.“ „Ist gut.“ Constanzes Stimme klang eine Spur brüchig. „Dann habe ich jetzt eine Bitte an dich: geh auf dein Zimmer. Dein Papa und ich haben was zu besprechen, was nur für erwachsene Ohren bestimmt ist. Dann komme ich zu dir rauf,
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und wir werden Weihnachten feiern, das verspreche ich dir. Einverstanden?“ Mona nickte. So endete es ja sowieso immer, und die Mutter würde nicht locker lassen, bis sie gehorchte. Also folgte sie lieber gleich – und setzte sich oben auf den Treppenabsatz, um diesmal nichts von dem Streit zu verpassen. Immerhin war sie nicht ganz unschuldig daran, und sie wollte wissen, wie es ausging.
„So“, sagte Constanze. „Das ist ja wohl der Gipfel. Jetzt treibst du’s auch noch in meinem Haus mit dieser Schlampe.“ „Das ist immer noch mein Haus – “ „Unser Haus. Und sei lieber still. Mona lässt sich eine Menge einfallen, aber das kam von Herzen. Und sie ist noch nicht alt genug, um sich in diesen Dingen großartig auszukennen. Sie hat erzählt, was sie gesehen hat – ihren Vater, der unser Dienstmädchen auf dem Schreibtisch bumst. So war’s doch, oder?“ „Constanze – “ „Ich bin immer noch nicht fertig.“ Bis jetzt war der Ton gesittet geblieben. Reinhard schwitzte wie ein in die Enge getriebenes Tier. Seine Selbstsicherheit war deutlich erschüttert, und er brachte nicht einmal mehr die Kraft für einen Zornesausbruch auf, um seine Schandtat zu verschleiern, zu leugnen und standhaft abzustreiten. „Ich weiß ja, was du mit Rita anstellst, und dass du auch auf deinen Reisen keinen Finger von den Röcken lassen kannst“, fuhr Constanze fort. „Ich hab geschwiegen, weil ich mich dieser Demütigung nicht öffentlich ausgesetzt sehen wollte. Ich hab einfach so getan, als wäre da nichts. Aber hier, in diesen Mauern… du schreckst wirklich vor nichts zurück.
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Wenigstens diesen Anstand hättest du haben können. Wenn schon nicht wegen mir, dann wegen deiner Tochter!“ „Jetzt lass mich doch endlich mal ausreden!“, meldete sich Reinhard energisch zu Wort. „Das Mädchen verdreht alles, weil es das nicht richtig versteht! Ich – “ Doch Constanze winkte ab. „Ich verstehe das schon, und ich will keine Ausflüchte hören. Sei doch jetzt ein Mann und stehe zu dem, was du tust. Dann könnte ich wenigstens noch ein bisschen Achtung vor dir haben.“ „Aber so war es doch nicht!“, unternahm Reinhard noch einen Versuch. Constanze stand auf und schüttelte den Kopf. „Wie jämmerlich du doch bist. Der große Firmenboss ist doch nichts weiter als ein kleines Arschloch. Seltsam, dass man diese Kategorie Mann vor allem in deiner Etage trifft. Ihr glaubt, die Fäden der Welt in der Hand zu halten und seid doch nichts weiter als erbärmliche kleine Wichser, die sich von jedem wackelnden Hintern beeindrucken lassen.“ Reinhard hob eine Augenbraue. „Fäkalsprache bin ich von dir gar nicht gewohnt“, meinte er beherrscht. „Und was hast du jetzt vor?“ „Nun, zunächst mal werde ich Helma einen Brief schreiben, dass ihre Dienste bei uns nicht mehr vonnöten sind. Als Abfindung hat sie ja dein Geschenk – oder die Geschenke. Natürlich werde ich ihr ein gutes Zeugnis schreiben, denn ich gebe mir keine Blöße. Dann werden Mona und ich Koffer packen und nach Davos fahren – noch heute. Ich werde Lillian fragen, ob sie uns zum Bahnhof fährt; und wenn wir keine gute Zugverbindung kriegen, bleiben wir bei ihr über Nacht. Wir werden am sechsten Januar zurückkommen, und am siebten gehe ich zum Anwalt. Der regelt dann alles Weitere.“ Constanze holte tief Atem. „Ich glaube, so weit habe ich alles.“
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„Constanze, so kannst du nicht gehen. Lass uns reden“, bat Reinhard. „Worüber denn?“ „Über uns. Immerhin sind wir eine Familie.“ „Schön, dass dir das zwischendurch einfällt. Aber da gibt es nichts mehr zu reden, Reinhard. Meine Geduld ist erschöpft.“ „Herrgott, man wird doch mal einen kleinen Fehler machen dürfen!“, begehrte er auf. „Bist du denn so vollkommen? Du machst doch aus einer Mücke einen Elefanten!“ Constanze lächelte. „Was immer du sagst, Reinhard. Flieg ruhig nach New York, vögle in der Gegend herum und mach deine Geschäfte. Wie du es immer tust. Wir sehen uns dann beim Anwalt wieder.“
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Mona war zunächst wie gelähmt. Sie hatte nicht gewollt, dass ihre Eltern sich trennten, sondern im Gegenteil endlich zur Vernunft kamen! Und dass sie Helma nie mehr wiedersehen sollte, gefiel ihr ganz und gar nicht. Wer weiß, wie die „Neue“ war! Vielleicht konnte man mit ihr nicht so leicht umspringen wie mit Helma. Außerdem war sie fast so was wie eine Freundin gewesen, oft die einzige Ansprechpartnerin. Aber es war nicht mehr zu ändern. Mona hatte nicht viel Zeit zum Grübeln und traurig sein, denn ihre Mutter war in Davos rund um die Uhr für sie da. Sie machten alles gemeinsam – Ski fahren, an die Bar gehen, Ausflüge mit bekannten Familien. Constanze erwähnte Monas Vater nicht ein einziges Mal, und er rief auch nicht an. Seltsamerweise fragte auch keiner der Bekannten nach ihm; anscheinend waren alle so daran gewöhnt, dass er fehlte, dass sie nichts Besonderes dabei fanden. Trotz des tragischen Anlasses waren es die schönsten Ferien, die Mona je hatte. Dennoch freute sie sich wieder auf ihr Zuhause. Auf der Rückfahrt sprach sie zum ersten Mal über das Vorgefallene: „Mama, wenn Papa verspricht sich zu bessern, bist du dann wieder gut mit ihm?“ „Es ist zu spät, Kindchen“, lautete die Antwort. Constanze griff in die Handtasche und steckte sich eine Zigarette in den Mund. „Was dein Papa getan hat, kann ich nicht so einfach verzeihen. Ich gehe morgen zum Anwalt, schon allein um dich zu schützen.“ „Aber, Mama…“ 61
„Glaub mir, Mona, es ist besser so.“ Es war seltsam, in ein stilles, leeres Haus zurückzukehren. Es war kalt, weil die Heizung fast abgedreht war, die Luft abgestanden. Fast zwei Wochen war hier niemand mehr gewesen. Dafür war der Anrufbeantworter (ein teures Gerät aus den Staaten, denn in Deutschland gab es diese Dinger noch gar nicht) voll – mit Geschäftspartnern, die fröhliche Weihnachten wünschten, ein paar von Constanzes Freundinnen, und einer schluchzenden Helma, die die Welt nicht mehr verstand. „Mama, können wir nicht wenigstens Helma – “, setzte Mona zu einem neuen Versuch an, verstummte aber unter dem Blick der Mutter. „Dieses Kapitel ist ein für alle Mal erledigt. Darum werde ich mich morgen auch gleich kümmern, dass wir so schnell wie möglich Ersatz bekommen.“ Die Mutter fuhr zusammen, als plötzlich das Telefon läutete. Sie hob ab, und Mona konnte von ihrer finsteren Miene ablesen, dass Papa dran war. „Du hast ja den Moment genau abgepasst. – Ja. – Gut. -Nein. – Interessiert mich nicht. – Morgen. – Macht nichts. -Ja. – Ist mir egal. – Nein, das will ich noch nicht. Erst, wenn ich – Ja. – Gut. Ich sag’s ihr. Tschüss.“ Sie legte auf. „Ich soll dich von deinem Vater grüßen.“ „Warum durfte ich nicht mit Papa reden?“, beschwerte sich Mona. „Das ist gemein!“ „Geh auf dein Zimmer“, erwiderte Constanze müde und zündete sich eine Zigarette an. „Die Ferien sind vorbei.“
Constanze brachte Mona am Morgen in die Schule und war noch unterwegs, als sie mittags heimkam. Sie hatte diesmal nicht aufschneiden müssen, so viel hatte sie zu erzählen- das mit den Eltern verschwieg sie natürlich. Das ging niemanden
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etwas an, nach wie vor waren sie wenigstens dem Anschein nach eine glückliche Familie.
Die juristischen Auseinandersetzungen der Eltern bekam Mona nicht unmittelbar mit, konnte sich aber das meiste aus Telefonaten mit Constanzes Freundinnen und ihren Erzählungen zusammenreimen. Insofern würde sich vermutlich gar nicht so viel ändern, wie es schien. Die Eltern hatten sich mit ihren Anwälten zu einem Beratungstermin getroffen. Dort wurde natürlich als Erstes die Frage gestellt, ob sie es nicht doch wieder miteinander versuchen wollten. Reinhard erklärte: „Ja, sehr gern. Ich bin auch zu einer Therapie bereit, damit wir diese Konflikte ein für alle Mal lösen können.“ Dafür hatte Constanze nur ein trockenes Lachen übrig. „Gut einstudiert“, lobte sie ironisch. „Aber vergiss es. Ich weiß, dass du höchstens einen Termin wahrnehmen wirst und dann nie mehr dafür Zeit hast. Das ist ja einer der Konflikte, ist dir das bewusst? Abgesehen davon kann ich mir nicht vorstellen, dass du die Finger von den Weibern lässt.“ „Frau Anwältin, bitte weisen Sie Ihre Mandantin an, sachlich zu bleiben“, schaltete sich Reinhards Anwalt sofort ein. „Das ist eine Tatsache“, schmetterte Constanze ihn ab. „Mein Mann trägt die alleinige Schuld an der Scheidung und muss daher für alles aufkommen. In erster Linie vertrete ich hier die Interessen meiner armen, unschuldigen Tochter Mona, vor deren Augen sich diese Dinge abspielten. Man stelle sich das mal vor!“ Der Anwalt schaute Reinhard Suttner eindringlich an. „Entspricht das der Wahrheit?“, fragte er.
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„Ich habe keine Ahnung“, erwiderte der. „Die Kleine muss sich das ausgedacht haben, weil sie sich über mich ärgerte. Mona ist bekannt dafür, dass sie einen gegen den anderen ausspielt, um ihren Willen durchzusetzen.“ „Also, das ist doch – “, wollte Constanze auffahren, wurde aber von ihrer Anwältin zurückgehalten. „Herr Suttner, solche Unterstellungen haben vor Gericht keinen Bestand. Herr Anwalt, weisen Sie Ihren Klienten darauf hin.“ „Aber echte Beweise sind es auch nicht!“, höhnte Reinhard. „Wenn Mona in den Zeugenstand muss, ist sie ausgeliefert! Hast du dir das überlegt, Constanze? Willst du das deiner armen, unschuldigen Tochter zumuten, die schmutzige Wäsche für dich zu waschen? Sicher, nach der Schuldfrage bin ich dran – aber nur gegen handfeste Beweise. Vermutungen reichen da nicht aus!“ Constanze sah ihre Anwältin an. Diese seufzte. „Tja, es wird an einem neuen Gesetz für ein gerechteres Scheidungsrecht gearbeitet. Es ist nämlich nicht immer so, dass die Schuldfrage tatsächlich für die Ehefrau und Mutter günstig ist.“ „Außerdem beanspruche ich das Sorgerecht für Mona“, fügte Reinhard hinzu. „Das kommt nicht in Frage!“, rief Constanze. „Du machst mein Kind nicht zum Politikum! Außerdem bekommt immer die Mutter das Sorgerecht, das weißt du!“ Er grinste. „Ich habe Zeit und Geld. Ich streite das aus, und wenn ich bis ins Fernsehen gehe. Das wollen wir doch mal sehen.“ Constanze sprang auf. „So kommen wir nicht weiter! Das hat keinen Sinn, ich gehe vor Gericht!“ „Ist ja gut, ist ja gut, ich wollte dich nicht ärgern!“, beschwichtigte Reinhard. „Wenn der Herr und die Frau
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Anwältin einverstanden sind, möchte ich gern mit meiner Frau kurz allein sprechen.“ Die Anwälte stimmten zögernd zu. Constanze sträubte sich, aber Reinhard zog sie ins Nebenzimmer. „Jetzt hör mal zu“, zischte er sie an, „du bist doch nur darauf aus, mich bis aufs Hemd auszuziehen. Aber da hast du dich geschnitten. Dir „zuliebe“ würde ich sogar meine Firma in den Sand setzen und von der Sozialfürsorge leben, nur damit du keinen Pfennig abkriegst! Im Gegensatz zu dir könnte ich damit leben – vielleicht setze ich mich sogar ins Ausland ab und fange neu an. Die Kontakte habe ich, und ich bin schneller weg, als du einmal blinzeln kannst! Also überleg dir gut, was du unternimmst!“ Constanze wurde bleich. Sie konnte sich nichts Schlimmeres vorstellen, als plötzlich arm zu sein und womöglich noch arbeiten gehen zu müssen. Natürlich wollte sie alles von Reinhard, schon als Entschädigung für die jahrelangen Demütigungen. Aber sie traute ihm diese Aktionen zu, dazu war er durchaus fähig. „Was schlägst du also vor?“, fragte sie langsam. „Na schön, endlich wirst du vernünftig. Punkt Eins: Ich werde zu Hause wieder einziehen.“ „Du spinnst wohl!“ „Ich werde dieses Haus nicht hergeben, um nichts in der Welt. Eher verkaufe ich es für eine Mark, aber dir überlasse ich es nicht! Glaube nicht, dass ich nicht auch auf die Tränendrüse drücke, wenn es um Sentimentalitäten geht. Ich werde um jeden Quadratzentimeter kämpfen, und allein die Gerichtskosten dürften den tatsächlichen Wert bald auffressen. Am Ende hat keiner von uns mehr was davon, und das hast du doch sicher nicht im Sinn.“ Constanze schloss die Augen. „Du mieses Schwein“, flüsterte sie.
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„Überleg doch mal“, lächelte er. „Wenn bekannt wird, was bei uns läuft, wirkt sich das unweigerlich auf die Geschäfte aus. Du weißt, wie konservativ die Geschäftsleute sind, speziell die Amerikaner. Außerdem bin ich gerade dabei, in den japanischen Markt einzusteigen, und diese Leute sind noch schlimmer. Wenn ich pleite gehe, gewollt oder ungewollt, bist du automatisch auch pleite. Um also gute Gewinne zu erzielen, brauchen wir den Anschein der heilen Welt, wie wir ihn bisher hatten. Du wirst mich tatkräftig bei Empfängen und Banketts unterstützen, denn jede verdiente Mark kommt auch dir zugute und erhöht deine Abfindung. Und das Beste dabei ist, dass Mona nach wie vor uns beide hat.“ „Und wie stellst du dir das Leben unter einem Dach vor?“ „Na hör mal, das Haus ist groß genug. Ich ziehe in den Trakt, wo mein Arbeitszimmer liegt, da muss ich nicht mal viel umbauen. Viel Platz brauche ich logischerweise nicht – nur ein Bett und ein Bad. Die Ankleide lasse ich oben im ersten Stock, sie ist ja offen zugänglich von der Treppe. Das Wohnzimmer werden wir gemeinsam nutzen, falls wir überhaupt mal gleichzeitig anwesend sind. Das wirst du schon ertragen können, denn viel wird sich ohnehin nicht ändern zwischen uns, oder?“ Constanze steckte sich eine Zigarette an. „Nein, wohl nicht. Ein Eheleben führen wir ja schon lange nicht mehr.“ Reinhard nickte. „Und so unsympathisch bin ich dir doch nicht, dass du meinen Anblick gar nicht mehr erträgst, oder?“, meinte er fröhlich. „Stell dir einfach anstelle meines Gesichtes eine Pfund- oder Dollarnote vor.“ „Und wie willst du das regeln?“ „Das Vertragliche sollen die beiden Geier draußen erledigen, sie sacken genug Geld ein. Wenn wir erst mal geklärt haben, wer was bekommt und der finanzielle Ausgleich geschaffen ist, können wir ganz still und heimlich die Scheidung angehen,
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in zwei oder drei Jahren. Bis dahin müsste ich so ziemlich alles unter Dach und Fach und auf diese Veränderung vorbereitet haben. Immerhin profitieren wir bis dahin auch steuerlich.“ „Und Mona wird mir zugesprochen.“ „Aber natürlich, was sollte ich allein mit einem Kind? Ich werde nur, wenn du nicht spurst, auf meine Vaterrechte pochen. Ich wünsche dir übrigens viel Vergnügen mit ihr. Sie ist ein ganz schön raffiniertes Früchtchen – immer gewesen.“ „Sie kommt eben nach dir“, erwiderte Constanze.
Damit war also alles klar. Mona staunte nicht schlecht, als der Vater wieder einzog und sich ein neues Schlafzimmer einrichtete. Die neue Haushälterin war inzwischen auch da – eine fünfzigjährige Frau mit üppigen Körperformen, die Reinhard garantiert nicht in Versuchung führen würde. Sie war zudem äußerst schweigsam, um nicht zu sagen mürrisch. Dafür aber arbeitete sie hervorragend und war so unauffällig wie ein Schatten. Mona merkte sehr schnell, dass sie die Freundschaft dieser alten Jungfer nicht gewinnen würde, was bedeutete, mit Bestechung kam sie nicht weiter. Aber das machte eigentlich nichts. Denn jetzt, da die Eltern nicht mehr eine Einheit waren, eröffneten sich ihr ungeahnte Möglichkeiten. „Ich bin am Wochenende zu einer Party bei Sandra eingeladen, da darf ich doch über Nacht bleiben, nicht wahr?“, sagte sie zum Vater. „Na, ich weiß nicht…“, zögerte der. „Mama hat’s aber erlaubt, wenn du auch zusagst“, fügte das Mädchen schnell hinzu. „Sie kennt Sandra.“ „Na gut, wenn sie es erlaubt hat. Aber jemand soll dich hinfahren und abholen!“
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Mona bedankte sich überschwänglich beim „besten Papi“ der Welt. Als nächstes folgte der Gang zur Mutter: „Mama, Vater hat mir erlaubt, dass ich am Samstag bei Sandra übernachten darf. Sie gibt eine Party. Papa meint, dass ich hingehen soll, damit ich mehr Freunde habe, weil er so wenig Zeit hat.“ Constanze überlegte kurz. „Na gut, warum nicht? Aber jemand soll dich hinfahren und abholen!“ „Ja, ja!“ Im Endeffekt ging sie schon am Freitag nach der Schule zu ihrer Freundin und traf erst am Sonntag Abend wieder zu Hause ein. Die aufgelösten Eltern stellten sie zur Rede, aber sie brach in Tränen aus und beteuerte, nichts anderes als das getan zu haben, was ihr von beiden erlaubt worden sei. Es sei gemein, immer die Probleme an ihr auszulassen, und wenn sie ihre Versprechen oder Zusagen dauernd vergäßen, könne sie schließlich nichts dafür. Weil sich keiner der beiden Elternteile mehr sicher war, was tatsächlich abgesprochen worden war – meistens hörten sie ja wirklich nur mit halbem Ohr hin –, schwiegen sie betreten und fühlten sich schuldig. Dieser Trick, so alt er auch sein mochte, funktionierte immer wieder in hundert verschiedenen Variationen. Mona konnte es nach Herzenslust ausnutzen, dass die Eltern sich weitgehend aus dem Weg gingen und selten mehr als ein paar höfliche Worte wechselten. So gesehen hatte Mona es nun fast besser als zuvor. Zu leiden hatte sie unter der Situation nicht allzu sehr, und ein herzliches Verhältnis mit vielen Umarmungen und Küssen hatte es ja früher auch nicht gegeben. Sie sah ihre Mutter jetzt sogar öfter als früher. Sie saß zu Hause auf dem Sofa, rauchte und trank Wein oder Champagner. Sie erlaubte Mona fast alles, Hauptsache, das Kind war zufrieden. Ein paar neue Jeans?
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Kein Problem. Kino am Donnerstagnachmittag? Auch gut. Kinderdisco am Samstagnachmittag? Warum nicht? Nur hielten diese sanften Stimmungen nicht auf Dauer; dann wieder konnte Constanzes Laune vollständig umschlagen, und sie verbot ihrer Tochter alles. Es war ein ständiges Auf und Ab, durch das Mona sich lavieren musste – aber sie besaß ein natürliches Talent, alle Klippen zu umschiffen. Mona entwickelte eine Menge Aktivitäten. Sie ging auf die 13 zu und wollte die Welt kennen lernen. In ihrer und den benachbarten Klassen bildeten sich die ersten Cliquen, und Mona mischte überall mit, so gut sie konnte. Weiterhin verstand sie es, beliebt zu sein, vor allem bei den Jungs. Sie rissen sich darum, sie auf dem Fahrrad oder sogar Mofa mitfahren zu lassen, wenn sie schon 15 waren, und sie zum Eis oder Kino einzuladen. Sie erlaubte ihnen sogar manchmal einen unschuldigen Kuss auf den Mund; mehr aber nicht. Als Markus mal versuchte, ihre Lippen zu öffnen und seine Zunge durchzustecken, gab sie ihm eine Ohrfeige und wischte sich angeekelt den Mund ab. So etwas Unhygienisches lag ihr ganz und gar nicht. „Du bist ja so was von frigide“, schimpfte Markus auf sie, der sich zum ersten Mal zur Wehr setzte. Allmählich wurde ihm dieses ewige Hin und Her zu dumm. Mona wusste nicht, was das Wort bedeutete, aber sie hatte eine Erwiderung parat: „Vielleicht solltest du einfach besser sein!“ Danach war Markus längere Zeit verschnupft; Mona hatte aber kein Problem damit, es gab genügend andere Jungs. Als sie sah, wie ihre Freundinnen mit der voranschreitenden Pubertät pummlig wurden, tanzte sie in der Kinderdisco fast bis zum Umfallen und trieb ausgiebig Ausdauer-Sport. Ihr Körper streckte sich allmählich nach oben, ging aber nicht in die Breite, sondern blieb schmal und sehnig.
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Damit blieb nicht mehr viel Zeit für Zuhause und vor allem fürs Lernen übrig, was sich sehr deutlich in den Noten zeigte. „Vater, Mama ist sauer auf mich, weil ich schlechte Noten habe“, sagte sie zu ihrem Vater. „Aber dabei gebe ich mir Mühe!“ „Na, das stimmt wohl nicht ganz“, meinte er lächelnd. „Du bist intelligent, aber stinkfaul. Dir ist alles andere wichtiger.“ „Es ist aber auch langweilig, immer dieses Gesülze. Ich würde viel lieber so was machen wie du“, umschmeichelte sie ihn. „Aber dafür muss man auch lernen, Mona, sonst ziehen einen die anderen über den Tisch.“ „Das könntest du mir doch beibringen! Darf ich mal bei dir mitarbeiten, wenn ich ein bisschen älter bin? Nur so, dass ich weiß, was ich später mal machen will.“ Reinhard stimmte lachend zu. „Aber nur, wenn du mir versprichst, mehr in der Schule zu tun! Wie sieht das denn sonst aus, als Tochter des Chefs!“ „Das braucht doch niemand zu wissen“, meinte Mona. „Aber ich werd schon irgendwie durchkommen.“ „Nichts anderes erwarte ich von dir.“ Mona sah das als Aufforderung, das Klassenziel mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln zu erreichen – vorwiegend den unerlaubten. Ihr Vater hatte schließlich selbst propagiert, dass im Krieg und im Geschäft alles erlaubt war, Hauptsache man kam zum Ziel. Er sei das beste Beispiel für Erfolg. Aus diesem Grund hatte er auch Constanze zu diesem Kompromiss überredet. Sie waren beide geldgierig genug, um persönliche Interessen hintanzustellen. Immerhin konnte er so weitermachen wie bisher und genoss die Freiheit in vollen Zügen, und es wäre ihm gleich gewesen, wenn Constanze ebenso gehandelt hätte.
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Doch sie sagte einmal zu ihrer Tochter: „Pass auf, mein Kind. Die Männer wollen nur Sex und Macht. Lass dich nie auf ihre Spiele ein, sonst gehst du unter oder endest so wie ich.“ „Aber Mama, wie meinst du das denn?“, rief Mona erschrocken. „Du wirst abhängig“, erklärte Constanze. „Irgendwann ist es zu spät.“ Mona fand, dass ihre Mutter ziemlich übertrieb. Es kam doch nur darauf an, dass man selbst die Fäden in der Hand behielt. Außerdem, was hatte die Mutter für ein Problem? Sie war wunderschön und reich, und sie war erwachsen und konnte damit tun und lassen, was sie wollte. Papa war auch noch da, und sie stritten überhaupt nicht mehr, zumindest nicht, wenn sie dabei war. Die Anwälte arbeiteten Schriftsätze und Verträge aus, die regelmäßig im Kamin landeten. Vor allem Constanze sah ihre Rechte nicht ausreichend gesichert. Ihre Anwältin schlug ihr einmal vor, einen Detektiv auf den ungetreuen Ehemann anzusetzen, damit die Schuld eindeutig belegt sei, dann hätte sie den Sieg in der Tasche. Aber Constanze war sich da nicht so sicher. Erstens wollte sie keine schmutzige Wäsche in der Öffentlichkeit, und zweitens war sie sicher, dass Reinhard seine Drohung wahrmachen und alles den Bach runtergehen lassen würde, nur um ihr eins auszuwischen. Es war also ersichtlich, dass die offizielle Scheidung sich noch hinziehen würde. Solange war Constanze bei öffentlichen Anlässen an Reinhards Seite, wie früher auch, gab sich charmant und zuvorkommend, um Geschäftspartner positiv zu stimmen. Es tröstete sie, dass Reinhard sie brauchte -aber ihr Selbstwertgefühl steigerte sich deswegen nicht. Sie hatte erkannt, dass sie sich verkaufte und verachtete sich dafür, aber deswegen konnte sie sich immer noch nicht aufraffen, den Zustand zu ändern. Stattdessen griff sie zu Alkohol und
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Zigaretten, beides benebelte so schön und machte den Tag richtig erträglich.
Mona gewöhnte es sich an, zu kommen oder zu gehen, wie es ihr beliebte. Der Mutter war das gar nicht recht, aber irgendwie besaß sie nicht die nötige Autorität. Sie verlangte von Mona, pünktlich von der Schule nach Hause zu kommen, und einen Tag früher zu fragen, ob sie noch zu einer Freundin zum Lernen dürfe. Im Laufe der Zeit waren Sandra und Mona sich nähergekommen; Sandra war von eher ruhiger Art, bewunderte Mona und tat so ziemlich alles, was diese von ihr verlangte. Clarissa hatte inzwischen ihre eigene Clique und Sandra sozusagen abgelegt, die ihr zu langweilig war. Daher hängte sie sich gern an Mona, die wiederum nichts dagegen hatte, mit jemandem zusammen zu sein, der sie anhimmelte. Sandra war immer gut als Alibi – wenn Mona sagte, dass sie zu ihr zum Lernen ging, konnte Constanze ja nichts dagegen haben. Dass Mona in Wirklichkeit im Café oder im Kino war, musste ja nicht bekannt werden. Doch einmal kontrollierte Constanze ihre Tochter per Telefon, und die ahnungslose, nicht vorgewarnte Sandra sagte die Wahrheit, dass Mona nicht bei ihr sei. Als die Tochter dann nach Hause kam, wartete die Mutter schon wutschnaubend auf sie. „Ist lügen jetzt modern, oder wie sehe ich das?“, fiel sie gleich mit der Tür ins Haus. „Wieso?“, fragte Mona unschuldig zurück. „Was ist denn jetzt schon wieder los?“ „Das musst du fragen! Du bist überhaupt nicht bei Sandra gewesen! Also: Wo warst du?“ Mona zog die Nase hoch. „Diese dumme Kuh“, murmelte sie. „Der werd ich was flüstern.“
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„Ich habe dich gefragt, wo du warst!“ „In der Stadt, im Kaufhaus. Was machst du für einen Aufstand? Da ist doch nichts dabei!“ „Ich glaube dir kein Wort!“ „Aber es ist die Wahrheit!“ „Und warum hast du mich vorher angelogen?“ „Weil du es mir nicht erlaubt hättest, ganz einfach!“ „Allerdings nicht. Und ab sofort werde ich andere Saiten in diesem Haus aufziehen, mein Fräulein: In Zukunft bringe ich dich wieder zur Schule und hole dich ab. Und ich werde deine Hausaufgaben überwachen. Das wollen wir doch mal sehen, ob du dich nicht zu benehmen lernst!“ Mona gab noch nicht klein bei. „Das finde ich gemein! Nur weil du frustriert bist, musst du es an mir auslassen! Du kannst mich mal!“ Damit rannte sie auf ihr Zimmer und schlug krachend die Tür zu. Constanze wusste nicht mehr weiter und hielt sich abends an ihren Noch-Ehemann: „Ich muss dich stören, aber du musst ein ernstes Wort mit deiner Tochter reden. So geht es nicht mehr weiter.“ „Was hab ich denn damit zu tun?“, wehrte Reinhard entsetzt ab. „Immerhin ist sie auch deine Tochter! Denkst du, du kannst die Verantwortung einfach so ablegen?“ „Ach, auf einmal willst du das Sorgerecht wieder teilen, oder was?“ „Ich will nur, dass du mit ihr redest! Ich komme nicht mehr zu ihr durch!“ Constanze erzählte die Geschichte, und Reinhard erklärte sich widerwillig bereit, mit Mona ein Wörtchen zu reden. Er rief die Tochter ins Wohnzimmer herunter und stellte sie zur Rede.
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„Was soll das, dass du frech zu deiner Mutter bist? Du entschuldigst dich bei ihr, und zwar sofort!“ Mona war einen Moment überrascht, die Eltern wieder als Einheit zu finden – gegen sie. Aber sie fing sich schnell. „Ich wüsste nicht, weswegen! Dauernd spioniert sie hinter mir her, und sie behauptet, dass ich lüge!“ „Das tust du doch auch!“, rechtfertigte sich Constanze. „Du hintergehst mich, wo du nur kannst.“ „Außerdem ist das kein Spionieren, ich bin deine Mutter und habe die Sorgfaltspflicht! Du bist noch nicht mal 13 und meinst, du kannst tun und lassen, was du willst, aber so geht das nicht! Und am meisten leiden deine schulischen Leistungen darunter!“ „Woher willst du das denn wissen?“ gab Mona zurück. Constanze rieb sich den Nasenrücken. „Ganz einfach, dein Klassenlehrer hat mich angerufen. Du störst den Unterricht, bist frech und faul. Wie soll das weitergehen?“ „Aber du kannst mich nicht einsperren! Alle dürfen raus, nur ich nicht!“, beklagte sich Mona bitter. „Und als Ausrede benutzt du meine Noten!“ „Langsam“, mahnte der Vater. „Niemand sperrt dich hier ein. Aber wenn du schlechte Noten hast, musst du solange zu Hause bleiben, bis du es dir wieder leisten kannst!“ „Dann verliere ich ja alle meine Freunde!“, rief Mona. „Die machen sich ohnehin schon lustig über mich!“ Tränen Schossen in ihre Augen. „Ich finde das ungerecht!“ „Jetzt hör aber mal zu“, fing Reinhard streng an, aber Mona unterbrach ihn. „Denkt ihr, das ist so leicht für mich?“, schrie sie ihre Eltern an. „Nie sind wir eine normale Familie! Aber da ist es euch schon recht, dass ich lüge, oder? Warum nehmt ihr nicht mal Rücksicht auf mich?“ „Aber Mona…“, fing Constanze hilflos an.
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„Nein!“ Monas Stimme schnappte über zu einem Kreischen, und sie stampfte mit den Füßen auf. „Ihr seid rücksichtslos und gemein! Wenn ihr mich gar nichts mehr machen lasst, werde ich allen erzählen, wie es wirklich bei uns aussieht!“ „Das wirst du nicht!“ Constanze wurde weiß im Gesicht. „Das geht niemanden etwas an.“ „Aber ganz bestimmt nicht!“, pflichtete Reinhard finster bei. „Das überlegst du dir noch mal gut.“ „Dann lasst mich zu Sandra gehen und spioniert nicht dauernd hinter mir her!“, gab Mona schluchzend zurück. „Wenn ihr nicht gemein zu mir seid, werde ich nichts sagen. Wenn ihr aber gemein zu mir seid, kann ich auch gemein sein.“ Damit lief sie zurück auf ihr Zimmer. Erst oben wischte sie sich hastig die Tränen ab und grinste zufrieden. Sie beherrschte diese Tobsuchtsanfälle inzwischen aus dem Effeff, konnte sie beliebig an- und ausschalten. Es war knapp gewesen, aber wieder einmal hatte sie sich gut heraus gewunden und die Schuld von sich geschoben. Und die Eltern waren viel zu besorgt, dass etwas an die Öffentlichkeit dringen würde, dass sie sicher alles tun würden, um Mona zufrieden zu stellen. So war es richtig, so gehörte es sich auch! Wenn die Eltern glaubten, sie auf einmal bevormunden zu können, hatten sie sich getäuscht. Sonst war es ihnen doch auch ziemlich egal gewesen, was Mona tat. Weshalb sollte sich das nun ändern?
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Mit 13 Jahren sah Mona aus wie 16. Sie trug lange, glatte blonde Haare, umrahmte ihre großen blauen Augen mit dunklem Kajal und lackierte sich die Finger- und Zehennägel in rot oder schwarz, wenn sie in die Kinderdisco ging. Beim Tanzen war sie nie Mauerblümchen, sondern umschwärmt; wenngleich sie sich auch weiterhin spröde gab und niemanden näher an sich heranließ. Es gefiel ihr, mit den aufwallenden Gefühlen der Jungs zu spielen und sie dann fallen zu lassen. Was hinter ihrem Rücken dann über sie geredet wurde, war ihr egal. Sie kümmerte sich nie darum, was andere über sie dachten, und tat immer nur das, was sie wollte. Wie sie es von klein auf gewohnt war. Ein neuer Lebensabschnitt zeichnete sich allerdings ab, als wieder mal auswärtige Geschäftspartner zu den Suttners nach Hause kamen. Mona sprang nach dem Läuten an die Tür; neugierig war sie natürlich, was da für wichtige Herrschaften kommen mochten. Drei Männer standen draußen, alle mindestens so entsetzlich alt wie Papa. Einer war klein und dick, der andere lang und dünn, der dritte sah eigentlich ganz normal aus. „Guten Tag“, sagte der Dicke, „wir sind mit Herrn Suttner verabredet.“ „Das ist mein Papa“, sagte Mona und lächelte gewinnend. „Dann bist du also seine Tochter“, meinte der Dünne. „Du bist aber ein hübsches Mädchen.“ „Ein sehr hübsches Mädchen“, fügte der Dicke hinzu. „Bitte, kommen Sie herein.“ Mona gefiel, was sie hörte. Sie wollte noch mehr davon. Sie führte die Herren zu Papas 76
Arbeitszimmer; der Raum war fast so groß wie das Wohnzimmer und bot auf einer großen braunen Ledergarnitur Platz für viele Leute. Die Wände waren alle mit Holzregalen vollgestellt, in denen Bücher oder Geschäftsunterlagen standen. In der Nähe des Fensters stand der riesige, schwere Holzschreibtisch. „Mein Vater kommt gleich.“ Reinhard war noch gar nicht da, vermutlich steckte er irgendwo im Stau und verfluchte gerade das Großstadtleben. Die Haushälterin brachte unaufgefordert ein Tablett mit Kaffee, Erfrischungsgetränken und kleinen Kuchenstückchen. „Willst du dich zu uns setzen?“, fragte der Normale. Mona zögerte. „Ich weiß nicht…“ Das hatten Erwachsene sie noch nie gefragt. Normalerweise konnten sie sie gar nicht schnell genug loswerden. „Erzähl uns doch, was du so machst“, forderte der Normale sie auf. Mona zuckte die Achseln. „Ich gehe zur Schule.“ „Aber bestimmt nicht mehr lange, so groß, wie du schon bist“, vermutete der Dicke. Monas Herz machte einen Sprung. Sie hielten sie für älter! Diesen Irrtum würde sie natürlich nicht so schnell aufklären. „Na ja… ich arbeite daran“, wich sie mit einem schelmischen Lächeln aus. „Das fällt dir wohl schwer, so hübsch wie du bist; da gibt es sicher jede Menge Abwechslung!“, sagte der Dicke augenzwinkernd. „Bestimmt hast du einen Freund.“ „Nein, zur Zeit nicht.“ „Aber doch Verehrer!“ Mona lachte. „Das natürlich schon!“ Sie drehte den Kopf, als sie Schritte hörte. „Oh, da ist Vater! Komm rein, deine Gäste sind schon da!“
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Reinhard Suttner machte ein überraschtes Gesicht beim Eintreten. „Ich hoffe, du hast dich anständig benommen, Mona!“ Seine Gäste lachten. „Aber natürlich, sie ist ein ganz reizendes Mädchen“, sprach der Dünne für die anderen. „Warum haben Sie sie uns nur so lange vorenthalten? Wir haben gar nicht gewusst, dass Sie schon eine so große Tochter haben.“ „Nun, Mona ist gerade 13“, gab Reinhard sehr zu Monas Missfallen die Wahrheit preis. „Wirklich? Das sieht man ihr aber gar nicht an! Kompliment! Sie müssen sehr stolz auf sie sein!“, entgegnete der Dicke verblüfft. Dennoch zwinkerte er Mona erneut zu, als sie Anstalten machte zu gehen. „Auf Wiedersehen, mein Fräulein. Vielleicht unterhalten wir uns ein anderes Mal wieder.“ „Ja, in Ordnung. Wiedersehen.“ Mona schenkte allen Dreien ein strahlendes Lächeln und ging. „Das ist ja toll“, dachte sie auf dem Weg in ihr Zimmer. „Bisher war ich immer Luft für die Erwachsenen.“ Sie kam sich gleich ungeheuer wichtig und bedeutend vor. Diese Welt reizte sie von nun an, das war eine ganz neue, spannende Herausforderung!
Schon zwei Wochen später kam das Trio wieder, und brachte Mona kleine Geschenke mit: Eine Pralinenschachtel und einen kleinen Blumenstrauß. Mona bedankte sich mit ihrem perfekten Honiglächeln und merkte, wie in den Augen der Männer etwas aufleuchtete. „Aber nicht alle Pralinen auf einmal essen!“, warnte der Dünne mit erhobenem Zeigefinger. „Sonst siehst du so aus wie mein Kollege hier.“ Er deutete auf den Dicken, und alle lachten, Mona eingeschlossen.
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„Ich treibe viel Sport, da darf ich schon mal ein bisschen was naschen“, meinte sie kokett. „Vielen Dank noch mal, das wäre wirklich nicht nötig gewesen!“ „Aber das gehört sich doch so“, widersprach der Normale. „Der Frau des Hauses bringt man immer etwas mit.“ „Also, das ist eigentlich Mama“, erklärte Mona nun doch etwas verlegen. Diese vielen Komplimente machten sie ganz schwindlig. „Aber wenn sie nicht da ist, bist du ihre Vertretung, und damit ist es nur rechtens.“ Wenn man es so betrachtete, stimmte das natürlich. Außerdem war Mama ohnehin schon ziemlich alt, 39 oder so, und damit für solche Sachen gar nicht mehr geeignet. Papa war ja noch älter, und Mona fand es immer ziemlich peinlich, wenn er einen auf jugendlich machte. Die Eltern sollten einfach einsehen, dass sie zum alten Eisen gehörten; vieles kapierten sie schlicht nicht mehr und meinten, das mit übertriebener Autorität ausgleichen zu können. Von den Bedürfnissen der Jugendlichen hatten sie aber keine Ahnung, deshalb gab es auch so häufig Zoff. Da war es doch richtig schön, mal andere Erwachsene zu treffen, die einen wie gleichberechtigt behandelten. Da fühlte man sich endlich mal ernst genommen. Und das war echt toll. Viel besser als die affigen Kameraden in der Schule, die zum Teil so richtig albern und kindisch waren, sich aber wie die Größten fühlten. Keiner von denen konnte Papis Geschäftspartnern auch nur annähernd das Wasser reichen. Mona langweilte sich schon lange mit ihnen, gab sich aber mangels anderer Gelegenheit mit ihnen ab. Doch das sollte sich jetzt ändern.
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„Sag mal, Papa, darf ich dich mal im Büro besuchen?“, fragte sie eines Tages harmlos. „Jederzeit, das weißt du doch. Aber es wird dich langweilen, denn da wird gearbeitet, und niemand hat Zeit, sich um dich zu kümmern“, antwortete der Vater. „Aber da kann ich dich wenigstens mal ein bisschen öfter sehen. Und vielleicht gehen wir mal zum Mittagessen, was meinst du? Vor vielen Jahren hast du mir das einmal in der Woche versprochen.“ „Ja, ich weiß, und irgendwie kam immer was dazwischen. Also, treffen wir folgende Vereinbarung: Du besuchst mich, und wenn ich Zeit habe, gehen wir essen. Und wenn nicht, gehst du wieder, ohne sauer zu sein. Einverstanden?“ Natürlich war Mona damit einverstanden. „Weißt du, ich möchte Rita auch ein bisschen über die Schulter schauen, darf ich? Vielleicht kann ich auch was helfen, Briefe verpacken oder so.“ Reinhard betrachtete seine Tochter prüfend. „Es ist dir also immer noch Ernst, dass du was bei mir lernen willst?“ „Ja, klar“, strahlte Mona. „In zwei Jahren mache ich mit der Schule Schluss, und dann will ich bei dir einsteigen.“ „Willst du nicht vielleicht doch das Abi machen?“ „Papa, du weißt doch, dass ich mit dem Lernen immer auf Kriegsfuß stehe, und Mama wird stinksauer. So ist es doch besser.“ Wozu brauchte sie überhaupt einen Abschluss? Immerhin war sie die Erbin ihres Vaters, sein einziges Kind. So reich wie er war, hatte sie bestimmt bis an ihr Lebensende ihr Auskommen. Aber es schadete natürlich nichts, ein wenig in seine Welt hineinzuschnuppern und wenigstens Interesse zu heucheln, damit er es sich nicht mal anders überlegte.
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Wenn Rita nicht von Monas Anwesenheit begeistert war, ließ sie es sich zumindest nicht anmerken. Sie erklärte dem Mädchen, was sie so alles machte. Als Mona bat, ihr helfen zu dürfen, bekam sie kleinere Aufgaben wie Post eintüten und frankieren. Als sie den Berg Papiere rund um den Schreibtisch betrachtete, meinte Mona: „Was machst du denn damit?“ „Ach, das gehört alles mal abgelegt“, seufzte die Sekretärin. „Aber ich hab einfach keine Zeit dazu.“ „Könnte ich das nicht machen?“ „Na, ich weiß nicht… das ist nicht so einfach…“ „Erklär’ es mir doch.“ Mona wollte eine langwierige Beschäftigung, um immer einen Grund für ihre Anwesenheit im Büro zu haben. Ihren Vater sah sie zwar nur selten, aber dafür lernte sie jeden Geschäftspartner und Kunden kennen. Es waren fast immer Männer, nur ganz selten mal eine Frau. Die kam meistens im ganz strengen Kostüm, mit straff zurückgekämmten und hochgesteckten Haaren und ebenso strenger Miene. Wie Mama wirkten diese Frauen überhaupt nicht, eher sehr männlich. „Was sind das für welche?“, flüsterte sie Rita zu. „Erfolgreiche Geschäftsfrauen“, lautete die Antwort. „Sie müssen ziemlich viel aufgeben, um sich zu behaupten, deswegen wirken sie so herrisch.“ So wollte Mona keinesfalls werden, diese Frauen schaute bestimmt kein Mann mehr an. Erfolg – gut und schön, aber sie würde das anders machen. Besser. „Sag mal, Rita, hast du eigentlich was mit Vater?“, fragte sie einmal völlig unvermittelt. Die Sekretärin errötete bis unter die Haarwurzeln. „Das ist eine ziemlich indiskrete Frage, findest du nicht?“ „Ich bin Papas Tochter, das interessiert mich eben.“ „Ich finde nicht, dass dich das was angeht, Fräulein Naseweis.“
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„Also hast du.“ „Würdest du damit aufhören? Sonst kannst du gleich heimgehen.“ „Alles klar. Und läuft das immer noch?“ Mona konnte sehr hartnäckig sein, und Konventionen waren ihr dabei ziemlich egal. Auch, dass sie andere damit heftig vor den Kopf stieß. „Mona!“ Rita funkelte das Mädchen wütend an. „He, kein Problem, ich will nur wissen, wie das so ist. Wirklich.“ „Sag mal, spinnst du?“ „Ich kann halt nicht verstehen, was du von so einem alten Knacker wie meinem Vater willst.“ Rita blinzelte. „Dein Vater ist 43!“, sagte sie. „Er ist im besten Alter.“ „Aber du bist doch viel jünger als er“, hielt Mona ihr entgegen. „Was bringt dir das ein?“ „Ich beende jetzt dieses Gespräch, Mona, und wenn du nicht sofort damit aufhörst, schicke ich dich heim“, warnte Rita energisch. „Dann erzähle ich Papa, dass du gemein zu mir warst und sorge dafür, dass er dich rauswirft.“ „Das wollen wir doch mal sehen.“ „Ja, genau.“ Mona stemmte herausfordernd die Hände in die Seiten. „Soll ich gleich zu ihm reingehen?“ Sie machte Anstalten, aufzustehen. „Warte!“, bat Rita schnell. „Du… du machst das wirklich, oder?“ Mona grinste. „Ich kann das ziemlich gut, weißt du.“ „Du bist eine frühreife kleine Hexe.“ Rita starrte unglücklich auf ihre Schreibmaschine. „Du kennst überhaupt keinen Anstand.“ „Ich will doch nur wissen, wie du das machst… und was es dir bringt“, beteuerte Mona. „Sag’s mir doch bitte, ich erzähle es bestimmt nicht weiter.“ 82
„Warum nur willst du das wissen?“ „So halt.“ Rita seufzte. „Manchmal bekommt man mehr Geld und ein paar Vergünstigungen. Aber meistens bringt einem das nur Ärger ein, und es führt zu nichts. Ich hab’s jedenfalls schon lange beendet. Das ist alles. Und jetzt mach dich weiter an die Ablage.“ Mona war fürs Erste zufrieden. Es war immer gut, so viele Informationen wie möglich zu sammeln. Den Geschäftspartnern entging natürlich nicht, dass Mona öfter im Büro war. „Du bist aber fleißig“, lobte sie der eine oder andere. „Warum spielst du nicht draußen mit anderen Kindern?“ „Ich helfe meinem Vater gern, ich finde es wirklich toll hier“, antwortete Mona. Sie beherrschte inzwischen einen besonderen Wimpernaufschlag und eine Variante ihres liebreizenden Lächelns, die jeden Besucher dazu animierte, ihr bei seinem nächsten Termin etwas mitzubringen. Sie wurde mit Komplimenten überschüttet und bei ihrem Vater gelobt. Mona gefiel es täglich besser im Büro. Da rührte sich etwas, es war die große Welt, und die wurde ihr nie langweilig. Sie konnte es gar nicht mehr begreifen, wie aufgeregt sie vor ein paar Jahren gewesen war, als sie und Mama zu Besuch gekommen waren. Ehrfürchtig war sie gewesen – und heute war es etwas ganz Normales, Alltägliches. Weil sie die Tochter des Chefs war, mussten alle vor ihr spuren und durften sie nicht einfach wegjagen. Das war natürlich eine besonders feine Sache. Dementsprechend stürmte sie manchmal direkt in Papas Büro, ohne aufgehalten werden zu können, obwohl Reinhard Suttners Zorn über eine gestörte Besprechung berüchtigt war. Natürlich schimpfte er nicht seine Tochter aus, sondern Rita, die sie hindurchgelassen hatte.
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Wieder einmal platzte sie einfach herein. Papa war nicht allein, ein ziemlich großer, grauhaariger, gut situierter Mann rannte vor seinem Schreibtisch auf und ab. Er war ziemlich erregt, seine Stimme laut und barsch. Papa machte ein merkwürdig hilfloses Gesicht. Obwohl sie die Worte nicht verstand, hatte Mona mit einem sekundenschnellen Blick erfasst, dass ihr Vater in Schwierigkeiten steckte. Der Mann verstummte, als er das Mädchen bemerkte. Mona reagierte impulsiv; der Mann war viel älter als Papa (obwohl das kaum möglich schien) und legte bestimmt noch Wert auf die alten Formen. Sie machte einen Knicks. Und sagte mit glockenheller Stimme: „Oh, entschuldigen Sie vielmals. Ich wollte nicht stören, aber ich hatte eine so gute Nachricht für meinen Papa, dass ich einfach nicht warten konnte!“ „Oh, das… das macht doch nichts“, stotterte der ältere Mann. „Wer ist denn diese bezaubernde junge Dame?“ „Das ist Mona, meine Tochter“, stellte Reinhard sie vor. Seine Augen waren groß und rund, und er schnitt hinter dem Rücken des Mannes Grimassen zu Mona. Sie lächelte strahlend und reichte dem Gast anmutig die Hand. „Freut mich sehr. Und entschuldigen Sie nochmals, mein Papa kann wirklich nichts dafür. Es ist nur so toll…“ „Was denn, mein Kind?“, wollte der Mann wissen. Er ergriff vorsichtig ihre Hand, sein Druck war warm und weich. Zum ersten Mal in ihrem Leben fühlte Mona ein elektrisierendes Kribbeln in der Hand. „Oh, ich habe eine Eins in Englisch geschrieben!“, verkündete sie großartig. „Und das musste ich gleich meinem Vater erzählen, er hat mir doch so dabei geholfen!“
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„Das ist ja wirklich großartig!“, freute sich der Mann. Er drehte sich zu Reinhard um, der gerade noch sein entgeistertes Gesicht gegen eine glückstrahlende Miene wechseln konnte. „Sie müssen unglaublich stolz auf Ihre nicht nur bildhübsche, sondern auch gescheite Tochter sein!“ Er wandte sich wieder an Mona. „Nun, dann möchte ich natürlich einer Belohnung nicht im Wege stehen. Suttner, was halten Sie davon, wenn ich Ihre Tochter zum Eis einlade, und wir beide besprechen den Rest in angenehmer Atmosphäre?“ Reinhard Suttner erhob sich. „Aber sehr gern, lieber Freund!“ „Sehr gut. Ich rufe nur schnell in meinem Büro an. Ich warte draußen auf Sie, und natürlich auf dich, junge Dame.“ Er verschwand nach draußen. Mona wartete, bis die Tür zu war, dann hielt sie sich die Hand vor den Mund und gackerte los. „Mona, was hat das alles zu bedeuten?“, fragte ihr Vater leise. „Hast du wirklich eine Eins geschrieben?“ „Quatsch“, winkte sie lässig ab. „Wofür hältst du mich? Das fiel mir nur gerade so ein.“ „Warum tischst du so eine Lügengeschichte auf?“ „Weil ich dir helfen wollte, Papa. Der Mann hat ziemlich böse ausgesehen – und du besorgt.“ „In der Tat.“ Reinhard Suttner kam um den Schreibtisch herum. Mona hob halb die Arme in Erwartung einer Umarmung, aber so weit ging er doch nicht. „Kleines, du hast mich wirklich gerettet. Peter Strassner ist mein bedeutendster Kunde, ein schwerreicher, aber sehr schwieriger Mann. Aber ich glaube, er hat sich jetzt etwas beruhigt… dank dir. Mona, ab sofort darfst du jederzeit in mein Büro kommen und meinen Hals retten. Ich glaube, du besitzt ein einzigartiges Talent.“ „Weiß ich, Papa“, meinte Mona selbstsicher. „Es wird Zeit, dass du das endlich merkst.“
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Mona kam sich sehr reif und erwachsen vor, als sie zum Eis essen geführt wurde. Peter Strassner behandelte sie wie eine junge Dame, zuvorkommend und aufmerksam. Reinhard Suttner hockte daneben und fragte sich, ob er den Mann noch kannte. Strassner lebte seit längerer Zeit allein, seine beiden Kinder waren erwachsen und aus dem Haus, die Frau mit ihrem Tennislehrer abgehauen, und er konzentrierte sich nur aufs Geschäft. So hatte er diesen normalerweise zurückhaltenden, verschlossenen Mann noch nie erlebt. Mona schob schließlich den Eisbecher von sich. „Ich kann nicht mehr“, gestand sie. „Willst du noch was zu trinken?“, fragte Peter Strassner sofort. „Nein danke, das ist sehr nett, aber es reicht“, lehnte Mona ab. „Ich muss dann auch nach Hause, Mama wird schon auf mich warten. Oder brauchst du mich heute noch, Papa?“ „Nein, geh ruhig“, antwortete der Vater. „Ich helfe Papa nämlich im Büro“, erklärte Mona dem Gastgeber. „Damit ich mich später mal so gut auskenne wie er. Das macht mir viel Spaß.“ „Das finde ich ja ganz toll. Vielleicht machen wir dann auch mal Geschäfte miteinander?“, schmunzelte Strassner. Mona musste über diese Bemerkung lachen, denn bis sie soweit war, war dieser ihrer Ansicht nach fast betagte Mann garantiert schon im Altersheim. „Na, dann werden wir uns ja noch öfter sehen. Auf Wiedersehen, Mona.“ Er reichte Mona die Hand, die sie errötend nahm und verlegen kicherte. „Auf Wiedersehen, Herr Strassner. Wiedersehen, Papa!“ Dann lief sie davon und vergaß in diesem Moment ganz, dass sie sich wie eine junge Dame benehmen wollte.
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Mona war schwer beeindruckt. Am liebsten hätte sie Sandra gegenüber damit angegeben, aber irgendwie hielt sie es für besser, diese Geschichte für sich zu behalten. Sie wusste schließlich nicht, was sich daraus entwickelte und wollte sich nicht in Widersprüche verstricken. Aber sie hielt sich jetzt regelmäßig im Büro auf und durchstöberte heimlich die Terminkalender, um herauszubekommen, wann Peter Strassner das nächste Mal kam. Seit ihrer „Lebensrettung“ war der Vater äußerst wohlwollend und hatte nichts dagegen, dass sie bei ihm herumlungerte und mit ihrem unschuldigen KindfrauenCharme den Besuchern den Kopf verdrehte. So bauten sich negative Emotionen gar nicht erst auf, und man konnte in Ruhe zu einem für beide Seiten zufriedenstellenden Abschluss kommen. Constanze Suttner war über diese neue Vater-TochterBeziehung gar nicht glücklich. Sie fühlte sich von allem ausgeschlossen und einsam. Die Tochter war ihr in wenigen Monaten über den Kopf gewachsen, sie war überhaupt keine Autoritätsperson mehr für sie. Frustriert schottete sich Constanze allmählich auch von ihren Freundinnen ab und war mehr zu Hause als unterwegs, bei einer Flasche Champagner und Zigaretten. Hin und wieder telefonierte sie, aber das war auch schon alles.
Eines Tages hatte Mona endlich Glück. Peter Strassner hatte sich angesagt – aber sie ging nicht ins Büro. So leicht wollte 87
sie es ihm nicht machen. Sicher erwartete er, sie zu sehen; oder im Gegenteil, er hatte sie inzwischen schon wieder vergessen. Gleichwie, Mona würde sich ihm im richtigen Moment in Erinnerung bringen. Den Hauseingang beobachtend, versteckte sie sich. Das Warten wurde lang und nervtötend, aber es lohnte sich – irgendwann sah sie ihn herauskommen. Sie zog den Kopf halb ein, stellte eine Miene zur Schau, als wäre sie in Gedanken versunken, und lief die Treppe hinauf. Erst kurz vor dem Mann verhielt sie und schaute auf. „Oh, Herr Strassner!“, rief sie erstaunt. „Beinahe wäre ich in Sie hineingerannt!“ Er blieb stehen und starrte sie einen Moment überrascht an, dann lächelte er. „Mona, was für eine nette Überraschung! Ich komme gerade von deinem Vater.“ „Och, Sie… Sie gehen schon?“ Mona zeigte tiefste Enttäuschung. „Das ist aber schade. Ich hatte noch SportTraining, deswegen bin ich heute so spät dran. Ausgerechnet heute! Und bestimmt haben Sie es eilig.“ Strassner zögerte sichtlich. Sein Blick glitt über sie hinweg, die Beine entlang. Sie trug ein enges Shirt, einen kurzen Jeansrock und war barfuß in den Turnschuhen. „Ach was, eine halbe Stunde kann ich schon erübrigen“, überlegte er dann. „Komm, gehen wir ins Café.“ Monas Herz machte einen Riesenhüpfer. Die erste Hürde war tatsächlich genommen! Sie setzten sich in eine ruhige Ecke, und Strassner bestellte für sich einen Kaffee und für Mona einen Eisbecher. „Das ist aber nett, dass ich dich trotzdem noch treffe“, sagte er. „Ich habe dich oben schon vermisst – und mich offen gestanden schon auf ein Wiedersehen gefreut.“
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„Ich freue mich auch sehr“, gab Mona aufrichtig zu. „Wissen Sie, Sie sind sehr nett. Sie behandeln mich nicht so wie alle anderen.“ Er lächelte. „Nun, wie behandeln sie dich denn?“ „Na ja, als ob ich noch ‘nen Schnuller tragen würde“, antwortete Mona. „Ich bin aber kein Baby mehr!“ „So siehst du auch nicht aus, sondern wie eine junge Dame. Ich würde dich auf Anhieb auf 15 oder 16 schätzen.“ „Danke schön.“ „Ich weiß aber, dass du erst 13 bist. Dein Vater hat es mir gesagt. Du bist für dein Alter ziemlich weit entwickelt.“ Mona lächelte kokett. Natürlich wusste er, wie jung sie war, und es kümmerte ihn wenig. Sie merkte deutlich, dass er an ihr interessiert war; seine Augen ruhten in einer Weise auf ihr, die ihr einen warmen Schauer den Rücken hinunterrieseln ließ. Und das schon beim zweiten Treffen! „Weißt du, ich hätte gern mal eine Tochter gehabt wie dich“, fuhr Strassner fort. „Leider habe ich nur zwei missratene Söhne, die sich auf meine Kosten in der Welt herumtreiben. Ein Mädchen wäre ganz anders gewesen.“ „Mädchen sind immer anders“, meinte Mona altklug. „Sie entwickeln sich schneller als Jungen und sind vernünftiger.“ „Das weißt du also schon?“ Er lachte. Sie freute sich, dass er sich amüsierte. So viel Interesse und Aufmerksamkeit hatte sie bei einem Erwachsenen noch nie erlebt. „Na ja, es heißt ja nicht umsonst, dass Frauen schon nach der Geburt fertig sind.“ „Ein bisschen entwickeln wir uns schon“, versetzte sie schelmisch. Unwillkürlich schob sie die Schultern ein wenig zurück, damit sich ihr kleiner, fester Busen besser abzeichnete. „Du bist eine sehr kokette, raffinierte kleine Dame.“ Strassner rührte in seinem Kaffee und trank in langsamen Schlucken, keinen Blick von ihr lassend.
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Mona löffelte angelegentlich ein wenig Eis aus dem Becher, achtete aber darauf, nicht zu viel auf den Löffel zu laden. Nichts wäre schlimmer, als wenn ihr der ganze Batzen herunterfiel oder sie sich den Mund verschmierte. Sie wollte unbedingt weiterhin als erwachsen gelten. „Haben Sie ein großes Haus?“, wollte sie wissen. Strassner schüttelte den Kopf. „Nein, da kam ich mir allein zu verloren drin vor. Ich habe ein Penthouse in Wilmersdorf, mit Blick über die Stadt. Es ist vor allem abends sehr reizvoll, auf das Lichtermeer zu schauen. Vielleicht besuchst du mich mal dort?“ Das war nun schon ziemlich weit vorgegriffen. „Ich weiß nicht“, meinte Mona zögerlich. „Das erlauben mir meine Eltern bestimmt nicht.“ „Nun, sie müssten es ja nicht unbedingt erfahren. Weißt du, ich würde mich wirklich freuen, dich ein wenig öfter zu sehen. Dann hab ich auch so was wie eine Tochter, wie ich es mir immer gewünscht habe.“ „Eigentlich hab ich ja noch Eltern…“ „Dann sind wir eben nur Freunde, einverstanden?“ Strassner hielt ihr die Hand hin. „Du kannst Peter und du zu mir sagen.“ Mona war so verblüfft, dass sie sich einen Moment nicht rührte. Das ging aber schnell! Aber es war sicher nicht schlecht, einen Freund wie Peter zu haben. Natürlich durfte sie niemandem davon erzählen, weil das bestimmt Ärger gab. Sie ergriff seine Hand. „Also gut… Peter.“ Ein komisches Gefühl, zu einem so viel Älteren Du zu sagen. Jahrelang hatte man ihr eingetrichtert, dass man nicht zu Fremden einfach Du sagte, sondern höflich Sie, und jetzt war wieder alles anders! Natürlich duzte sie sich auch mit Rita, aber die war ja noch keine 30, und da war das Verhältnis irgendwie anders. Peters Zeigefinger strich ihre Handfläche entlang, das kitzelte und erregte sie auf eine seltsame Weise, dass ihre Brustwarzen hart
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wurden. Das hatte sie noch nie erlebt. Ein unglaubliches Gefühl, absolut unbeschreiblich! Machtvoll und stürmisch zugleich. Das Herz schlug ihr bis zum Hals hinauf, und sie musste mehrmals schlucken, weil ihre Kehle trocken war. Sie konnte kaum in Peters graublaue Augen schauen, sein Blick beunruhigte sie und verstärkte die Erregung zugleich. „Ich… glaube, ich muss jetzt gehen“, stieß sie hervor. „Wann sehen wir uns wieder?“, wollte er wissen. „Bald“, antwortete sie. „Wenn du das nächste Mal hier bist…“ Er runzelte die Stirn. „Das dauert zu lange, Mona. Können wir uns nicht mal in der Stadt treffen? Das ist auch besser als hier im Café, so nah bei der Firma deines Vaters. Du willst doch sicher auch nicht, dass uns jeder zusammen sieht, oder?“ Sie schüttelte den Kopf. „Es sollte besser ein Geheimnis sein.“ „Also gut, dann treffen wir uns in einer Woche… wann hast du mal mittags früher Schluss?“ „Mittwochs.“ Der Stundenplan hatte sich in den Jahren kaum geändert. „Prima.“ Peter nannte das Café „Hintertreppe“ in Zentrumsnähe, leicht mit der U-Bahn zu erreichen. „Wir treffen uns dort um 14 Uhr.“ Er studierte seinen Terminkalender und nickte. „Ja, das passt.“ Mona fühlte ihre Handflächen feucht werden. Noch nie hatte sie so etwas Aufregendes erlebt, es war wie ein wunderbares Abenteuer. „Ich werde da sein“, versprach sie. „Ganz bestimmt.“ Die Tage bis zum Treffen verbrachte Mona im Zustand reger Erwartung. Sie malte sich stundenlang aus, was wohl alles geschehen würde; schon von der Begegnung an. Sie überlegte, was sie anziehen sollte, und übte an ihrem „Erwachsenen-
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Gang“. Danach studierte sie Gestiken und Tonfall ein, um so perfekt wie möglich zu sein. Nach Schulschluss hielt Markus sie einmal auf. „Ich sehe dich überhaupt nicht mehr“, beschwerte er sich. „Ich habe viel zu tun“, erwiderte sie ausweichend. „Ich muss lernen.“ „Was für ein Unsinn!“, widersprach er. „Du kannst mir nicht erzählen, dass du auf einmal anfängst zu büffeln!“ Sie zuckte gelangweilt die Achseln. „Es ist ein Freund, oder? Du hast einen Neuen“, sprach er die Vermutung aus, die ihm auf dem Herzen lastete. „Hab ich nicht“, stritt sie ab. Er fasste sie an den Schultern und schüttelte sie leicht. „Ich glaub dir kein Wort! Nie mehr hast du Zeit, ständig rennst du nach der Schule gleich weg, und in den Pausen weichst du mir aus! Ich bin doch nicht blöd, Mona!“ „He, lass mich los!“ Wütend riss sie sich von ihm los. „Spinnst du? Mach das nie wieder!“ Er wich zurück. „Du kannst einen aber auch zum Wahnsinn treiben!“, verteidigte er sich. „Irgendwann reißt sogar mir der Geduldsfaden! Immer spielst du nur herum, nie wirst du mal ernst! Sind wir Freunde oder nicht?“ „Wir sind wie immer, was willst du?“ „Sag es! Sind wir Freunde oder nicht?“ „Also gut, wenn du es nicht anders willst: Nein!“, schleuderte sie ihm ins Gesicht. „Offen gestanden, nervst du mich. Wie ein Hund läufst du hinter mir her, das ist doch öde!“ Seine Augen wurden feucht. „Also hast du ‘nen anderen!“ „O Mann, wenn du dann endlich Ruhe gibst, na schön, ich hab ‘nen anderen. Zufrieden?“ Für eine Minute herrschte Stille. Dann wollte Markus mehr wissen: „Er ist aber nicht von unserer Schule, oder? Das würde
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man doch sehen. Von welcher Schule ist er? Und was ist an ihm so toll, dass du mich abblitzen lässt?“ Mona lachte kurz auf. „Markus, du bist total beschränkt. Mit so ‘nem Babykram geb ich mich doch nicht mehr ab. Was soll ich mit einem Schuljungen? Da komme ich ja vom Regen in die Traufe! Das macht nun wirklich keinen Sinn!“ „Das… das verstehe ich nicht.“ Markus war ehrlich verwirrt. „Mona, du sprichst in Rätseln.“ „Quatsch“, schnappte sie. „Ich hab nur besseren Zeitvertreib, verstehst du? Nicht so beschränkt wie hier. Das ist doch alles Pipi. Und jetzt nerv mich bitte nicht mehr.“ Sie drehte sich um und stolzierte davon. Wirklich, diese Welt war nicht mehr ihre. Der war sie ein für alle Mal entwachsen.
Das Wetter war am Mittwoch auf Monas Seite; herrlicher Sonnenschein und sommerliche Temperaturen. Beschwingt machte sie sich nach der Schule auf den Weg zur „Hintertreppe“ in der Nähe des Ku’damms und traf dort pünktlichst ein. Draußen waren ein paar Tische mit Sonnenschirmen aufgestellt, und Mona nahm den letzten freien Platz in Besitz. Als der Kellner kam, bestellte sie eine Cola und kam sich dabei wie eine Dame von Welt vor. Sie setzte ihre violette Sonnenbrille auf und beobachtete die Umgebung mit Argusaugen. Eine halbe Stunde verging. Die Cola war längst leer, und Mona musste notgedrungen die nächste bestellen. Der Kellner sah sie forschend an. „Wartest du eigentlich auf jemanden?“ „Ja, natürlich!“ „Auf wen denn?“
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Das ging ihn eigentlich nichts an. Aber Mona wollte nicht zu sehr auffallen. „Auf meinen Vater“, antwortete sie schnell. „Er trifft sicher gleich ein.“ Doch er kam auch in der nächsten Viertelstunde nicht. Mona schaute alle paar Sekunden auf die Uhr und wurde immer nervöser. „Also so etwas“, dachte sie wütend, „meine erste richtige Verabredung, und ich werde versetzt!“ Na, dem würde sie was erzählen! Glaubte er, sie wie ein Hündchen behandeln zu können, das auf Pfiff Männchen machte? Sie wartete noch eine Viertelstunde, dann war die Stunde um. Genug Limit, fand Mona. Irgendwann war Schluss. Als der Kellner das nächste Mal vorbeikam, hielt sie ihn auf. „Zahlen, bitte!“ „Kommt dein Vater nicht?“ „Sehen Sie ihn hier irgendwo?“ „Willst du bei deiner Mutter anrufen?“ „Nein, sie sind geschieden. Ich sehe meinen Papa nicht sehr oft, aber jetzt mag ich nicht mehr warten.“ Mona stand auf. „Ich fahre heim.“ „Tut mir Leid für dich“, sagte der Kellner mitfühlend. Auf einen Schlag wandelte sich seine Miene. „Vergiss ihn doch einfach, wenn er sich so wenig um dich kümmert…“ „Das werde ich auch machen“, dachte sich Mona. Sie schenkte dem Kellner ein herzliches Lächeln und machte sich auf den Weg.
Sie war kaum angekommen, da klingelte schon das Telefon. „Ich gehe hin!“, rief sie ins Haus, ohne zu wissen, ob jemand sie hörte. Peter Strassner war tatsächlich dran und schien ihre Stimme gleich zu erkennen. „Mona, es tut mir Leid.“ Sie schwieg. 94
„Bist du noch dran?“ „Mh-hm.“ „Es war ein sehr wichtiger Termin, den ich nicht verschieben konnte. Ich bin nicht mal dazu gekommen, dort anzurufen. Bitte glaube mir, es ging nicht anders.“ Mona antwortete nicht. „Bitte, sag doch was!“ „Der Kellner hat gesagt, dass man seine Tochter nicht so behandeln soll“, fauchte sie. „Bitte? Ich verstehe nicht.“ „Na ja, das hast du doch gesagt, oder? Dass ich wie deine Tochter bin. Aber wenn du so bist, bist du auch nicht besser als mein eigener Vater.“ Damit legte sie auf. Das war vielleicht ein Fehler, aber sie war viel zu wütend. Peter sollte nicht glauben, dass sie sich auf diese Weise behandeln ließ. Entweder machte er es wieder gut, oder sie wollte ihn nie wiedersehen.
Instinktiv verhielt sich Mona genau richtig. Peter Strassners pädophile Ader war erwacht und hungerte nach mehr von dieser kleinen Lolita, halb Kind, halb Frau, gleichzeitig unschuldig und raffiniert. Natürlich gestand er sich das nicht ein; er redete sich ein, nicht mehr als ein „väterlicher“ Freund zu sein, der eine Tochter gefunden zu haben schien, nach der er sich immer sehnte. Im Verlauf eines einzigen kurzen Augenblicks hatte sie sein Leben vollständig verändert. Vielleicht ging es deshalb so schnell, weil er schon länger allein lebte und emotional wie auch seelisch vereinsamt war. Monas wirbelnder Auftritt war wie der erste Sonnenstrahl nach langen, dunklen Wintertagen gewesen; man hungerte ihm entgegen und wurde überwältigt, wenn es endlich soweit war.
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Peter Strassner versuchte zuerst, das Mädchen zu vergessen. Er redete sich ein, was denn so Besonderes an ihr sei; ein frühreifes Kind, aber schließlich hatte er es nicht einmal richtig kennen gelernt. Dennoch erschien immer wieder dieser erste Augenblick vor seinem geistigen Auge, er ging ihm nicht mehr aus dem Sinn. Er musste wieder an das Mädchen herankommen. Er wagte es nicht noch einmal anzurufen; außerdem war er sicher, dass Mona gleich wieder auflegen würde. Er musste sie sehen und dazu überreden, sich noch einmal zu verabreden. Doch so einfach war das nicht, schließlich hatte er viele Termine. Notgedrungen musste er warten, bis er wieder mit Monas Vater verabredet war. Ob sie wohl dort sein würde? Wenn nicht, musste er irgendwie herausbekommen, wo er sie finden konnte! Mona war einige Zeit beleidigt, doch dann wurde ihr klar, dass sie sich damit nur selbst schadete. Peter Strassner war etwas ganz anderes als die unbeholfenen und linkischen Jungs, die sie sonst umschwärmten. Er war ein erwachsener Mann, der sich tatsächlich für sie interessierte, sonst hätte er nicht angerufen und sich entschuldigt. Sie fühlte sich sehr geschmeichelt, und es gefiel ihr, so begehrt zu sein. Wenn sie das jetzt gleich wieder aufgab, hatte sie außer dem langweiligen Schulalltag keine Abwechslung mehr. Und sie durfte nicht vergessen, dass Peter mindestens genauso viel zu tun hatte wie ihr Vater. Schließlich musste er Geld verdienen. Geld, von dem er ihr schöne Geschenke machen konnte. Es könnte wie im Märchen sein – der König und die Prinzessin… Sie war im Büro, als Peter das nächste Mal kam. Er zeigte ein strahlendes Lächeln, als er sie sah, und sie lächelte zurück. „Wie geht es dir?“, fragte er.
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„Danke, gut“, antwortete sie. „Und Ihnen?“ Sie war stolz darauf, dass sie sich nicht verplapperte. „Viel Arbeit, wie immer. Aber dein hübscher Anblick versüßt solche Tage.“ Mona schlug geschmeichelt die Augen nieder. „Einen schönen lag noch.“ Eine Viertelstunde später sagte sie zu Rita, dass sie jetzt ginge. Natürlich wartete sie unten wieder heimlich mit klopfendem Herzen. Sie glaubte, in Peters Augen gelesen zu haben, dass er sie immer noch gern treffen wollte. Es war ein Risiko, aber das musste sie eben eingehen. Als er schließlich kam, trat sie kurz aus der Ecke hervor und winkte ihm. Er sah sich um und kam dann hastig zu ihr. „Sind wir noch Freunde?“, flüsterte er. „Ja“, antwortete sie. „Morgen um zwei Uhr in der ,Hintertreppe’, und wehe, du versetzt mich wieder!“ Dann lief sie davon.
Diesmal kam Peter Strassner pünktlich. „Kleine Prinzessin!“, sagte er leise zu ihr. „Ich freue mich sehr, dich wiederzusehen.“ Er umarmte sie und drückte ihr einen Kuss auf die Wange. „Ich mich auch… Papa“, sagte sie. Nach dem Eis gingen sie noch ein wenig spazieren. Peter nahm sie dabei ganz selbstverständlich an der Hand. „Mona, du machst einen ganz neuen Menschen aus mir“, sagte er. „Ich habe viel bessere Laune, und das wirkt sich gut auf die Geschäfte aus. Weißt du, ich bin im Grunde ein sehr einsamer Mann. Du bist so jung und voller Leben und zeigst mir, dass das Leben aus mehr besteht als nur aus Arbeit. Ich bin sehr froh, dass wir Freunde geworden sind. Ich hoffe, dass wir uns ab jetzt öfter sehen und uns richtig gut kennen lernen.“
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„Ja, das möchte ich auch gern“, antwortete Mona glücklich. „Aber vielleicht sollten wir nicht jedem davon erzählen, was meinst du?“, schlug er vor. Sie schüttelte den Kopf. „Auf keinen Fall.“ Er nickte erleichtert. Zum Abschied umarmte er Mona wieder väterlich. „Bis bald, kleine Prinzessin. Ich freue mich schon darauf.“
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Peter Strassner und Mona verbrachten so viel Zeit wie möglich miteinander. Sie gingen oft in den Zoo oder im Park spazieren, und Mona genoss die Aufmerksamkeit, saugte jedes Kompliment wie ein Schwamm auf. Es tat ihr so gut, dass Peter sie häufig umarmte und ihre Haare oder Wange streichelte. Solche Zärtlichkeiten hatte sie früher von ihren Eltern kaum je bekommen, daher hatte sie viel nachzuholen. Peter brachte ihr kleine Geschenke mit und erfüllte ihr jeden Wunsch. Manchmal versetzte er sie, dann gab sie sich spröde und ließ ihn ein paar Tage zappeln, bevor sie sich wieder am geheimen Treffpunkt zeigte. Es gefiel ihr, ihn auf diese Weise zu schikanieren, und er ließ es sich willig gefallen. Mit der Zeit fing er an, sie zu verändern. Er staffierte sie neu aus und verlegte die Treffen auf immer spätere Stunden, um mit ihr in Lokale zu gehen und sie dort mit allen möglichen teuren Leckereien zu verwöhnen. Natürlich konnte sie die Kleidung nicht mit nach Hause nehmen, und auch nicht den Silber-Schmuck, den er ihr schenkte, damit die Eltern nicht misstrauisch wurden. Das waren sie ohnehin schon. Mona tauchte immer seltener im Büro ihres Vaters auf, ging aber keineswegs nach der Schule gleich nach Hause. Manchmal ging sie auch am Nachmittag nochmals fort, ohne zu sagen wohin. Mit der Mutter gab es deswegen jedes Mal Krach, aber das störte Mona nicht. Weder hatte sie ein schlechtes Gewissen, noch ließ sie sich einschüchtern. Ihrer Ansicht nach hatte ihre Mutter überhaupt nichts mehr zu melden. „Nur, weil du dich
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zu Hause langweilst, brauchst du mich nicht einzusperren!“, schrie sie Constanze an. „Ich bin deine Mutter!“, pochte Constanze auf ihrem Recht. „Das hat dich doch früher auch nicht interessiert!“, gab Mona zurück. „Fang jetzt nicht mit dem Rumerziehen an!“ „Mona, ich verbiete dir – “ „Ist mir doch egal!“ Manchmal mischte sich auch der Vater ein; Mona fand aber immer eine Möglichkeit, ihren Willen durchzusetzen. Und sei es, dass sie einfach heimlich durch das Fenster abhaute und irgendwann wiederkam. Constanze konnte unternehmen, was sie wollte, Mona entglitt ihr mehr und mehr. Sie fing an, sich wie eine Erwachsene zu benehmen – kaufte sich Stöckelschuhe, goss sich zu Hause ungeniert ein Glas aus der Champagnerflasche ein und zündete sich eine von Constanzes Zigaretten an. „Du bist wohl verrückt geworden!“, schrie die Mutter. Sie, die früher immer so beherrscht gewesen war, verlor zusehends die Nerven. „Du bist noch nicht mal 14!“ „Aber da ist es nicht mehr lang hin, liebe Mutter“, gab Mona frech zurück. „Kapier doch endlich, dass es heutzutage anders ist! Alle rauchen oder trinken, wir sind viel früher reif! Denkst du, ich habe Lust wie eine Landpomeranze daherzukommen und mich lächerlich zu machen?“ Constanze war selten nüchtern genug, um mit entsprechenden Argumenten aufwarten zu können. Sie schrie lediglich in der Gegend herum und wiederholte sich endlos, was Mona keineswegs auch nur einen Funken Respekt einflösste. Sie kam und ging, wie sie wollte und gab nie eine Antwort, wohin sie ging und mit wem sie sich traf. Constanze wäre ja nie auf die Idee gekommen, dass ein „väterlicher“ Freund dahinter steckte. Sie ging davon aus, dass ihre Tochter sich mit anderen Jugendlichen in irgendwelchen
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Discos herumtrieb. Davon gab es in Berlin ja nicht wenige, und die Alterskontrollen wurden nur sehr nachlässig durchgeführt. Als sie sich einmal an verschiedene Mütter von Monas Klassenkameradinnen wandte, konnten die ihr allerdings nicht weiterhelfen. Natürlich redete sie nicht direkt darüber, dass sie mit ihrer Tochter nicht mehr fertig wurde. Sie stellte an sich harmlose Fragen, um wenigstens ein paar Anhaltspunkte zu finden; zu sehr schämte sie sich, ihr Versagen zugeben zu müssen. Doch sie hatte Pech; die Mädchen waren schon lange nicht mehr mit Mona zusammen, und einen Freund hatte sie offensichtlich auch nicht. Zumindest nicht an dieser Schule. Constanze blieb nichts anderes übrig, als zu versuchen, mehr Kontrolle über die Tochter zu bekommen, indem sie sie von der Schule abholte. Doch Mona nannte ihr entweder falsche Zeiten, oder sie setzte sich einfach rechtzeitig ab. Manchmal war sie gar nicht an der Schule, was Constanze durch einen Anruf des Direktors erfuhr. „Wenn du so weitermachst, schicke ich dich ins Internat!“, warnte Constanze eines Tages schließlich. Dafür hatte Mona nur ein müdes Lächeln übrig. „Da bin ich nach zwei Stunden wieder draußen, und dann kannst du mich mal suchen!“
Mona war unverändert glücklich. Irgendwie schafften sie und Peter es, dass ihnen niemand auf die Spur kam. Berlin war groß, und sie wechselten oft die Treffpunkte. Außerdem kannte er jede Menge Lokale, in denen man ungestört dinieren konnte, und in denen sich auch andere gut situierte Herren mit jungen Mädchen aufhielten. Peters Aufmerksamkeiten erlahmten nie, im Gegenteil. Er umarmte Mona häufig und schmiegte sie an sich, er küsste ihr
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Gesicht und knabberte an ihrem Ohr. Seine Hände streichelten sie zärtlich. Ihr Herz klopfte jedes Mal dabei, und ein Schauer nach dem anderen jagte ihren Rücken hinunter. Es war immer wieder neu und aufregend, vor allem, als Peter anfing, sie auf den Mund zu küssen, ganz weich und warm. Irgendwann öffnete das Mädchen ganz selbstverständlich die Lippen, und es kam zum ersten Zungenkuss ihres Lebens. Das gefiel ihr außerordentlich gut. Es war wie in einem der Liebesromane, die sie jetzt seitenweise verschlang, und in ihren Tagträumen sah sie Peter als „Liebhaber“, der feurig um die Angebetete – also sie – warb. Sie konnte es kaum mehr er warten, dass seine Berührungen intensiver wurden und auch an Stellen kamen, die vorher tabu waren. Würde es so sein wie im Roman, wo diese Sachen immer ausführlich mit blumigen Worten beschrieben wurden? Würde sie sich auch so fühlen wie die Heldin? „Du bist so wundervoll“, flüsterte Peter in ihr Ohr. „Ich kann gar nicht mehr von dir lassen.“ Das stimmte, er war der unverfälschten, unschuldigen sexuellen Anziehungskraft des Mädchens voll erlegen und fieberte dem Abend entgegen, an dem er ihre Unschuld voll auskosten würde. Er merkte, dass ihr seine Berührungen gefielen, und gab sich von nun an besondere Mühe, ihre Sinnlichkeit zu reizen, so dass sie mehr wollte. Für Mona war diese Affäre ein Spiel, ein gelebter Roman. Für Peter Strassner war es bitterernst. Er war dem Mädchen verfallen; sie verkörperte alles – Tochter, Geliebte, ein Geschöpf, das er nach seinen Vorstellungen formte und gestaltete. Es war ein göttliches Gefühl von Macht, die kein anderer besitzen konnte. Mona gehörte nur ihm, und nur er würde ihre Unschuld auskosten. Deshalb ließ er sich auch ihre Launen gefallen, die er kokett fand, schließlich war sie immer noch ein Kind; wie Wachs war er in ihren Händen, wenn sie
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ihm ihr Lächeln schenkte und sich kleinmädchenhaft gab, während ihre kleine Hand in seinen Haaren spielte. Sie traute sich noch nicht sehr viel, aber das würde sich mit der Zeit schon geben, wenn er ihr erst das Liebesspiel richtig beigebracht hatte. Lehrmeister und Gott zu sein war das erhebendste Gefühl seines Lebens.
Schließlich konnte Peter Strassner Mona überreden, ihn doch einmal bei sich zu Hause zu besuchen. Sie war gerade 14 Jahre alt geworden, und ihre heimlichen Treffen dauerten nun schon über ein halbes Jahr. Der Herbst war eingezogen, mit launischem, regnerischem Wetter, das sie zum Ausharren in den Lokalen zwang, und das wurde ihm zu langweilig. „Ich will dich mal ganz für mich allein haben, ohne die ständigen Argusaugen um uns herum“, erklärte er seinen Wunsch. „Die Öffentlichkeit macht mich immer nervös, und ich kann mich nicht richtig entspannen.“ Mona fand das sehr aufregend. Bestimmt würden sie sich dann leidenschaftlich küssen, und sie würden Champagner trinken und das Kaminfeuer anzünden. Oder sie würden Arm in Arm auf der Terrasse seines Penthouse stehen und die Lichter von Berlin betrachten, und Peter würde es bedauern, dass sie noch so jung war, weil er sie gern heiraten wollte. Bestimmt wurde es der romantischste Abend ihres Lebens. Schade nur, dass sie es niemandem würde erzählen können. Aber Sandra oder die anderen würden sowieso nicht kapieren, wovon sie redete, sie waren ja noch solche Kinder. An diesem Abend schlich sie sich heimlich aus ihrem Zimmer davon. Peter hatte ihr Geld für ein Taxi gegeben, das sie sicher zu ihm bringen sollte.
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Entsprechend des Anlasses hatte sie sich besonders ausstaffiert. Ihr Herz schlug wild, als sie mit dem Aufzug in den obersten Stock hinauffuhr. Peter Strassner erwartete sie bereits an der Tür, zog sie in seine Arme und küsste sie – schon der erste leidenschaftliche Kuss, den sie sich so ausgemalt hatte. Damit konnte nichts mehr schief gehen! Eng umschlungen gingen sie durch die Wohnung, er zeigte ihr alles. Am tollsten war das Wohnzimmer mit einer Art Fenstergalerie, die wirklich einen atemberaubenden Ausblick bot, wenn man sich auf das riesige Sofa, in dem man halb versank, setzte. Champagner und zwei Gläser standen bereit, einige Kerzen verbreiteten ein warmes Licht. Mona setzte sich auf das Sofa und prostete Peter zu. Bereits nach den ersten Schlucken rückte er ihr immer näher. „Du siehst ganz besonders hübsch heute aus“, machte er ihr Komplimente. „Einfach unwiderstehlich, sehr sexy.“ Er küsste sie auf den Mund, am Hals. Seine Hände streichelten sie. Er zog die Bluse aus dem Rock und berührte die Haut auf ihrem Bauch. Seine Hände zitterten leicht, und er stöhnte leise. Mona lehnte sich zurück und hielt ganz still, sie fand es auf- und erregend. Seine Hand glitt immer weiter nach oben, schob den BH beiseite und legte sich auf ihre nackte Brust, wo seine Finger einen wahren Tanz vollführten. Mona war vom Champagner ganz benebelt und hatte das Gefühl, auf einer Wolke zu schweben. Ihr Herz raste wild. „Komm“, flüsterte er heiser. „Komm.“ Er stand auf und hob sie auf seine Arme. Neugierig, immer noch in der Romantik eines Liebesromans gefangen, umschlang sie mit den Armen seinen Hals und ließ sich küssen. Sie merkte kaum, dass er sich in Bewegung setzte, Richtung Schlafzimmer.
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Auch dort brannten Kerzen, als wäre alles so geplant gewesen. Peter legte Mona auf dem Bett ab und fuhr fort, sie zu streicheln. Währenddessen zog er sie langsam aus, sie unablässig liebkosend und küssend. In Mona regte sich plötzlich leiser Widerstand. Es gefiel ihr zwar sehr gut, was er da machte, aber andererseits ging das jetzt irgendwie weiter, als sie wollte. Sie genierte sich ein wenig, dass er sie einfach auszog; kein Mann hatte sie bisher nackt gesehen. Er kannte keine Zurückhaltung mehr in seinen Zärtlichkeiten, das war erregend und unheimlich zugleich. Was hatte er nur vor? Wenn sie nur nicht den Champagner so schnell getrunken hätte, sie war gar nicht mehr klar im Kopf, ihre Bewegungen fahrig und schwach. Erst nach einiger Zeit merkte sie, dass er auch nichts mehr trug und seinen großen, heißen Körper an sie presste. Er stöhnte und keuchte und flüsterte Liebesworte, die sie auf einmal nicht mehr romantisch, sondern ziemlich lächerlich fand. „Nein“, sagte sie und versuchte, ihn wegzuschieben. „Hör auf. Ich mag nicht mehr.“ „Mona, ich habe so lange auf diesen Augenblick gewartet“, wisperte er in ihr Ohr. „Sei nur ganz ruhig, es wird wunderschön, ich verspreche es dir. Es wird dir Spaß machen, du wirst gar nicht mehr genug bekommen…“ „Ich will aber jetzt nach Hause“, widersprach sie und stemmte sich gegen ihn. „Ich hab morgen Schule. Hör auf, ich mag das nicht.“ Doch er schien sie nicht zu hören. Er machte weiter, trotz ihrer immer heftigeren Gegenwehr. Aber sie hatte keine Chance, allein sein Gewicht hielt sie schon unten. Mona schrie laut auf, als sie plötzlich einen brennenden Schmerz zwischen ihren Beinen fühlte. Sie glaubte, auseinander gerissen zu werden. Es tat entsetzlich weh. Sie
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schrie und flehte, doch Peter war wie von Sinnen. Er schwitzte wie ein Schwein, keuchte und schnaufte, und sie empfand Angst und Ekel. So mochte sie diesen Mann nicht mehr, er war abstoßend und widerwärtig. „Nein!“, kreischte sie. „Aufhören, bitte, ich will heim! Mama! Mama!“ Irgendwann war es endlich vorbei. Peter löste sich von ihr und fiel ächzend auf die andere Seite des Bettes. Mona lag still und wie erstarrt, sie war sicher, dass nichts an ihrem Körper mehr heil war. Sie starrte blind zur Decke hoch, das Gesicht tränenüberströmt. „Mona?“, fragte er schließlich leise. „Kleiner Liebling, ist alles in Ordnung?“ Als er versuchte, ihre Wange zu streicheln, kehrte das Leben in sie zurück. Sie bäumte sich auf und schlug nach ihm. „Rühr mich nicht an!“, schrie sie. „Fass mich nie wieder an! Das ist ekelhaft! Du bist widerlich!“ Sie merkte, wie ihr Magen sich umdrehte. Sie schaffte es gerade noch ins Bad und übergab sich dort schluchzend und würgend. Als sie sich danach im Spiegel betrachtete, war sie entsetzt über sich selbst. Die kostbare Schminke war völlig verschmiert, ihre Haare wirr und verschwitzt. Sie sah überhaupt nicht mehr wie eine „Geliebte“ aus, sondern wie ein ängstliches kleines Mädchen, das dem Schwarzen Mann begegnet war. Wimmernd betrachtete sie ihre blutverschmierten Schenkel, die immer noch von der Anstrengung zitterten. Sie stieg unter die Dusche, stellte sie so heiß wie möglich ein, und blieb mindestens eine Viertelstunde darunter. Erst dann hatte sie sich einigermaßen beruhigt, aber der Schmerz war leider noch nicht vergangen. Als sie aus dem Bad kam, wartete Peter auf sie. Er hatte einen Bademantel angezogen und machte ein verzweifeltes Gesicht. „Mona, du wusstest doch, dass es so kommen
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musste“, versuchte er sich zu verteidigen. „Ich konnte einfach nicht mehr anders, ich liebe dich…“ „Aber ich wollte es nicht!“, schrie sie ihn an. „Warum hast du nicht aufgehört? Es hat so furchtbar wehgetan, es war überhaupt nicht schön!“ „Mona, das ist nicht so einfach. Ich bin ein Mann…“ „Ach, lass mich in Ruhe!“ In aller Hast zog sie sich an. „Ich bring dich nach Hause.“ „Nein! Wenn du mich noch mal anfasst, schreie ich so laut, dass es jeder im Haus hört!“ Sie wich angeekelt vor ihm zurück. „Du… du Schwein!“ Bevor er sie zurückhalten konnte, war sie aus der Wohnung. Sie rannte aus dem Haus, als wären Dämonen hinter ihr her; es kümmerte sie nicht, dass längst finstere Nacht war und ein Mädchen in ihrem Alter und Aufzug vielleicht nicht mehr allein durch unbekannte Straßen laufen sollte. Sie wollte weg, nur weg, von diesem entsetzlichen Erlebnis und dem Schmerz. Ohne auf den Weg zu achten rannte sie die Straßen entlang, bis jeder Atemzug wehtat. Die kühle, feuchte Luft brannte in ihren Lungen. Irgendwann entdeckte sie eine U-Bahn-Station. Eine halbe Stunde später kam sie zu Hause an, schlich in ihr Zimmer und warf sich dann angezogen aufs Bett. Ein Weinkrampf schüttelte sie und spülte den letzten Rest unschuldiger, unverdorbener Kindheit aus ihr heraus. Vorbei waren die unbeschwerten, sonnigen Kindertage; sie hatte das Gefühl, einen finsteren Pfad betreten zu haben, der keine Umkehr mehr erlaubte. Vertrauend auf die Romantik eines Liebesromans oder Films war sie einen Schritt zu weit gegangen. Was sie für ein unschuldiges Spiel gehalten hatte, war plötzlich zu bitterem Ernst geworden.
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„Mama hat Recht gehabt“, dachte sie verzweifelt. „Nie wieder lasse ich mich von einem Mann anfassen.“ Der Gedanke rief gleich wieder ein Würgen hervor, doch ihr Magen war leer, und sie nahm sich zusammen. Niemand durfte auch nur erahnen, was mit ihr los war. Irgendwann schlief sie ein.
Zwei Wochen lang war Mona wie verwandelt. Sie ging regelmäßig zur Schule und kam nach Schluss gleich nach Hause. Im Unterricht war sie auffallend still, und sie lächelte sogar kurz mal Markus an. Markus, der so linkisch gewesen war, dass er bei seinem ersten unbeholfenen Kuss beinahe seinen Kaugummi an sie verloren hätte. Auf einmal waren ihre Altersgenossen Mona lieb und teuer; sie standen auf einer anderen Seite des Pfades, einer Abzweigung, die hell und rein war. Sie hielten sich schon für rebellisch, wenn sie nur über die Zeit hinaus in der Disco blieben oder die Eltern mal anschwindelten, dass sie zum „Lernen“ gingen, in Wirklichkeit aber eine spontane Party feierten, bei der es zu harmlosen Fummeleien kam. Vielleicht, wenn sie sich jetzt wie sie verhielt, konnte Mona den Pfad doch noch einmal verlassen und wieder unbeschwert sein. Selbst zu Hause war sie auf einmal so brav, dass Constanze sie misstrauisch ansah und wissen wollte, was los sei. Sie bohrte so lange, bis es mit Monas Sanftmütigkeit vorbei war und sie ihre Mutter anschrie, sie gefälligst in Ruhe zu lassen. Damit war Constanze zufrieden, ihre Tochter war doch noch „normal“, es bestand kein Anlass zur Sorge. Nach zwei Wochen konnte Mona wieder ganz normal sitzen und sich bewegen. Der Schmerz war völlig vergangen, obwohl sie schon beinahe Angst gehabt hatte, daran sterben zu müssen.
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Den Aufklärungsberichten der BRAVO, die sie regelmäßig Clarissa geklaut hatte und bei sich sammelte, ohne sie allzu genau gelesen zu haben, entnahm sie jetzt, dass es dem Mädchen beim ersten Mal immer sehr wehtat und kein Vergnügen bot. Ihre Panik legte sich aber kaum, als sie darüber nachlas, was nun in ihrem Körper geschah. Am schrecklichsten war die Vorstellung, dass sie schwanger sein könnte. Der Weg in die Apotheke, um sich einen Test zu besorgen, war das Naheliegendste; aber sie traute sich nicht, weil sie keine Aufmerksamkeit erregen wollte. Sie konnte auch niemanden sonst schicken, da sie mit keinem darüber sprechen durfte. Diese zwei Wochen waren eine schreckliche Zeit, in der das Mädchen Höllenqualen durchlitt. Vor lauter Kummer aß sie kaum noch, dafür aber trieb sie Sport wie eine Verrückte und machte beispielsweise Dauerlauf, bis sie vor Erschöpfung halb umkippte. Es war fast so, als könnte sie damit allem davonlaufen – vor allem ihren Gedanken. Mona war entsetzlich einsam. Mehrmals setzte sie dazu an, mit ihrer Mutter zu reden, bremste sich aber rechtzeitig. Bisher hatte sie alles allein durchgestanden, also musste sie da auch jetzt durch. Solange sie nicht schwanger war, war doch alles in Ordnung. Irgendwann verging auch der Schmerz, das hatte sie gelesen. Sie war nicht allein mit diesem Problem, viele Mädchen machten etwas Ähnliches durch. Beim Schlafengehen klammerte Mona sich an die Zeitungen, um sich selbst zu trösten, dass sie nicht wirklich allein war.
Kaum war der körperliche Schmerz weg, regte sich auch ihr Geist wieder. Sie vergaß ihre guten Vorsätze. Sie hatte sich erholt und war gesund und munter. Auch ihre Periode war pünktlich gekommen.
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Sie musste jetzt fast über sich selbst lachen. „Wie ein Kleinkind habe ich herumgeplärrt, wegen was denn?“ Im Grunde genommen war nichts geschehen, was nicht sowieso eines Tages auf sie zugekommen wäre. Es war nur zu früh gewesen, und vor allem gegen ihren Willen geschehen. Aber damit konnte sie umgehen lernen. Das brachte Mona zusehends in Wut, als sie aufhörte, sich selbst zu bemitleiden. Jemand hatte es gewagt, sich gegen sie durchzusetzen, ihr etwas aufzuzwingen! Und noch dazu war es Peter gewesen, der normalerweise sprang, wenn sie nur mit dem Finger schnippte. Stets war er Wachs in ihren Händen gewesen, hatte sich um den Finger wickeln lassen und alles für sie getan. „Dafür wirst du büßen“, dachte sie. „Niemand macht so was ungestraft mit mir. Ich werde mich rächen!“ Nichts blieb mehr übrig als nur dieses eine Gefühl.
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Bevor Mona jedoch etwas unternehmen konnte, kam ihr Vater hinter diese Affäre. Und zwar, wie es oft so zugeht, rein zufällig. Mona war bei ihm im Büro, aus keinem bestimmten Grund. Vielleicht hoffte sie unterbewusst, Peter zu treffen und ihn irgendwie zu blamieren. Sei Tagen schmiedete sie an Racheplänen, aber ihr fiel nichts Elegantes ein. Einfach hinzugehen und ihn anzuschreien erschien ihr zu kindisch. Es musste einen anderen Weg geben, einen, den dieser Mann nie mehr vergessen sollte. „Du bist lange nicht mehr hier gewesen“, stellte Reinhard fest. „Ich muss zugeben, es hat was gefehlt. Eine Menge Leute haben sich nach dir erkundigt.“ Da fühlte Mona sich geschmeichelt. „Vor allem Peter Strassner wollte wissen, wie es dir geht. Er tut ja ganz so, als wärst du seine Tochter, ein wenig nervig ist das allmählich schon. Früher hab ich kaum ein Wort aus ihm herausbekommen, und jetzt hält er sich scheinbar für ein Familienmitglied.“ Mona war zufrieden. Also hatte er ein schlechtes Gewissen, sehr gut. Wenigstens hatte er es nicht gewagt, plötzlich bei der Schule aufzutauchen oder so. Sollte er ruhig im eigenen Saft schmoren. Reinhard rieb sich die Schläfen. „Ach, ich hab Kopfweh heute. Muss am Wetter liegen. Hast du zufällig ein Aspirin dabei, sonst frage ich Rita…“ „Ich schau mal.“ Mona öffnete ihre Tasche, aber versehentlich am falschen Ende, und der gesamte Inhalt ergoss
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sich über den Schreibtisch des Vaters. „Herrje, tut mir Leid, Vater!“ Er lachte. „Du bist anscheinend auch davon betroffen. Warte, ich helfe dir.“ „Ich hab’s gleich.“ Mona hielt die Tasche auf und schob einfach die Sachen vom Tisch hinein; in diesem voluminösen Beutel herrschte ohnehin stets Unordnung. Dann merkte sie, dass der Vater auffallend still war. Sie sah auf und wurde blass. Er hielt ein Foto in der Hand und machte ein sehr nachdenkliches Gesicht. Mona brauchte nicht lange zu überlegen, sie trug nur ein einziges Foto bei sich. Es war von ihr und Peter, an einem Abend in ihrem Lieblingslokal geschossen. Peter hatte es verhindern wollen, aber Mona wollte unbedingt dieses Foto haben. Sie hatte versprochen, es nirgends offen liegen zu lassen. Wer hätte auch ahnen können, dass sie sich mal so ungeschickt anstellen würde! Das Foto war nicht verfänglich, aber ihr Vater war schließlich nicht dumm. Er hatte nie erfahren, dass Mona sich mit seinem Geschäftspartner traf, also konnte das kein harmloser Anlass sein. „Was hat das zu bedeuten, Mona?“, fragte er langsam. „Was denn?“, fragte sie unbeteiligt zurück, während sie den Rest in ihre Tasche warf. „Nein, ich habe kein Aspirin. Soll ich Rita Bescheid geben, dass – “ „Hier geblieben, Mona. Ich bin weder dumm noch blind. Ich verlange eine Erklärung von dir für dieses Foto.“ Er hielt es der Tochter hin. Mona warf einen kurzen Blick darauf. „Ach, das!“, sagte sie achselzuckend. „Das hatte ich schon ganz vergessen, ich wollte es längst wegwerfen.“ Sie war ein Muster an Beherrschung.
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Das Lügen ging ihr inzwischen glatt von den Lippen, als wäre es nichts. Aber natürlich ließ ihr Vater sich nicht so leicht abspeisen. Es kam also darauf an, dass sie nicht die Fassung verlor. „Du bist mit Peter Strassner darauf. Seltsam, weil wir gerade von ihm gesprochen haben.“ Reinhard runzelte die Stirn. „Wann hast du dich mit ihm getroffen? Und weshalb weiß ich nichts davon?“ „Er hat mich mal eingeladen, nach einem Termin bei dir. Wir sind uns zufällig begegnet, und das war’s. Wirklich, Papa, da ist überhaupt nichts dabei.“ „Mona, du kannst mir erzählen, was du willst, aber das ist ein Abendlokal. Und weder deine Garderobe noch diese Schminke habe ich je tagsüber an dir gesehen. Was läuft da zwischen euch?“ Sie machte ein verwundertes Gesicht. „Was sollte denn laufen? Nichts, ich – “ „Zum Donnerwetter!“, schrie Reinhard los. „Du bist wohl verrückt geworden? Du treibst dich mit diesem Mann herum, der dein Großvater sein könnte? Du siehst aus wie eine Nutte!“ Mona wurde tiefrot. Obwohl sie sich für abgebrüht hielt, trafen manche Beleidigungen trotzdem einen empfindlichen Nerv. „Papa, das ist gemein!“ Er betätigte die Sprechanlage. „Rita, in der nächsten halben Stunde keine Gespräche und keine Störungen, von niemandem, verstanden?“ Dann stand er auf und kam um den Tisch herum. Mona blieb stehen, sie hatte keine Angst, sondern wollte wissen, was er jetzt vorhatte. Im nächsten Moment ruckte ihr Kopf unsanft zur Seite von der Wucht der schallenden Ohrfeige, die ihr Vater ihr verpasste. „Du Miststück! Du Luder! Das also treibst du nach der Schule! Eine Schande bist du! So habe ich dich nicht erzogen!“, fiel er zornbebend über sie her.
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Mona hielt sich die brennende Wange, vor Schmerz schossen ihr die Tränen in die Augen. Ab er sie war weder ängstlich noch eingeschüchtert. „Ich hab gar nichts Schlimmes gemacht!“, schrie sie zurück. „Du bist es doch, der schmutzig denkt!“ „Halt’s Maul, oder ich verpasse dir noch eine!“, brüllte er. Zum Glück war sein Büro schallgedämmt, damit niemand bei den Besprechungen heimlich lauschen konnte. „Nur zu!“, forderte sie ihn kampfbereit auf. „Vielleicht brauchst du das ja!“ Sie hatte ihren Vater noch nie so erlebt, und er hatte sie auch noch nie geschlagen. Mona war daher völlig überrascht gewesen, doch jetzt war sie auf alles gefasst. Und fest entschlossen, keinen Millimeter zu weichen. Ihr Widerstandsgeist war jetzt erst recht angestachelt. Was glaubte er eigentlich, wer er war? „Offensichtlich habe ich das die ganzen Jahre über versäumt!“, ereiferte sich Reinhard Suttner weiter. „Aber ich hätte nie geglaubt, dass du zu so was fähig wärst! Kennst du denn gar keinen Anstand? Besitzt du keinen Stolz, dass du dich einfach so wegwirfst? Wie viel hat er dir dafür gegeben, hm? Hast du es so nötig, bist du so arm?“ Mona schüttelte den Kopf. „Du kapierst das ja sowieso nicht!“, warf sie ihrem Vater vor. „Peter war einfach nur nett zu mir! Er hat mir gesagt, dass er sich immer eine Tochter wie mich gewünscht hat!“ „Die er dann vögelt?“, brüllte Reinhard. „Aber so war’s doch gar nicht!“, log sie. „Er war für mich da und viel netter und aufmerksamer als du!“ „Hör auf mit deinen Lügen!“, donnerte der Vater. „Sieh dich doch mal an auf dem Bild! Sieht so ein Teenager aus? Wie eine billige Schlampe kommst du daher! Schämen solltest du dich, noch mehr als ich mich für dich bereits schäme!“
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Diese Worte trafen Mona tief. Sie hatte sich sehr hübsch und erwachsen gefunden, und nun schämte sich ihr Vater für sie. Das war das Letzte, was sie wollte. Trotz allen Kummers hatte sie sich immer gewünscht, dass ihr Vater stolz auf sie war. Er meinte bitterernst, was er sagte, sie sah es an seinem angeekelten Gesicht. Und „billig“ hatte er sie auch noch genannt. Diesmal flossen echte Tränen. „Das ist nicht wahr!“, schluchzte sie. „So bin ich nicht!“ Sie war sicher kein Unschuldsengel, sondern viel raffinierter und schlauer als die meisten anderen. Sie würde sich vom Leben nicht unterkriegen lassen. Aber „billig“… „Schlampe“… das tat wirklich weh. „Deine Mutter hat schon Recht“, setzte er noch einen drauf. „Sie hat schon vor längerer Zeit eine solche Andeutung gemacht, und ich habe ihr nicht geglaubt. Andernfalls hätte ich dich damals gleich ins Internat gesteckt, was ich jetzt bereue, versäumt zu haben.“ „Nein, Vater!“, rief sie erschrocken. „Ich werd’ Peter sowieso nicht mehr sehen! Es ist überhaupt nichts mehr!“ „Ja, so allmählich kann ich mir zusammenreimen, was da geschehen ist“, schnappte der Vater. „Na warte, dieses Schwein werd ich drankriegen. Mit einer Minderjährigen! Das Gericht wird mir aus der Hand fressen! Der wird seines Lebens nicht mehr froh, das schwöre ich dir!“ In diesem Moment wurde Mona kühl und gelassen. Sie vergaß die Beschimpfungen und den Schmerz darüber. Wenige Worte hatten genügt, um ihren scharfen Verstand zu wecken und persönliche Gefühle – außer einem, das sie schon die ganze Zeit beschäftigte –, bedeutungslos werden zu lassen. „Wieso… wieso Gericht?“, fragte sie mit zitternder Stimme. „Was denkst du, was ihr da tut?“, schnaubte ihr Vater. „Das ist ungesetzlich!“
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„Werde… werde ich dann auch bestraft?“, wollte sie besorgt wissen. Reinhard schüttelte den Kopf. „Natürlich nicht, Mona, gerade für deinen Schutz ist ja das Gesetz geschaffen worden! Unzucht mit Minderjährigen nennt man das im harmlosesten Fall. Aber du wirst vor Gericht die Wahrheit sagen, was genau passiert ist – und dass es gegen deinen Willen geschah!“ Das stimmte ja ab einem bestimmten Punkt. Aber darüber sprechen würde Mona niemals, schon gar nicht in der Öffentlichkeit. Den Spießrutenlauf in der Schule konnte sie sich bereits jetzt lebhaft vorstellen. Niemand durfte mehr über sie wissen als sie zuließ. Und das war nicht viel – jeder sollte sie für unüberwindlich halten, damit sie nicht verletzt werden konnte. Zuletzt hatte Peters Verhalten sie wieder gelehrt, wohin es führen konnte, sich jemandem zu öffnen. In ihr reifte ein anderer Gedanke. „Papa, mir ist doch gar nichts passiert“, wiederholte sie ihre Beteuerung. „Willst du damit sagen, dass er sich dir nie genähert hat?“, fuhr er erneut auf. Sie zog einen Flunsch und sagte mit Kleinmädchenstimme: „Na ja, ich hab gedacht, das tut er, weil er mich gern mag. Und ich fand’s gut, weil du mich nie in den Arm nimmst. Ich hab mich richtig geborgen gefühlt, und ich konnte mit ihm über die Schule reden und so.“ Das saß, aber diesmal in der anderen Richtung. Im Stillen lächelte Mona höhnisch. Für mehrere Augenblicke schwieg Reinhard Suttner. Dann zischte er leise: „Dem schlag ich die Zähne ein.“ „Aber Papa, ich will nicht vor Gericht! Ich schäme mich so!“ Sie schlug die Hände vors Gesicht.
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„Mona, die Tour zieht bei mir nicht“, meinte der Vater ruhig. „Dann hättest du dich vorher schon geschämt, bevor du dich so aufnehmen lässt.“ Das war wohl ein wenig des Guten zu viel gewesen. Nun, das machte nichts, sie lernte ziemlich schnell. Ein zweites Mal würde ihr das nicht mehr passieren. „Papa, ich will aber trotzdem nicht vor Gericht“, sagte sie beherrscht und sah ihn direkt an. „Und wenn du ehrlich bist, du auch nicht. Sonst hättest du doch die Scheidung von Mama längst durchgezogen.“ Reinhard war einen Moment verblüfft. „Das ist ja wohl was anderes! Er hat dich missbraucht! Meinethalben war ich nie ein guter Vater, aber das werde ich nicht dulden!“ „Papa, du brauchst Peter doch für deine Geschäfte. Denkst du, das hat er mir nicht erzählt? Und es ist in letzter Zeit deswegen gut gelaufen, weil er mich gern hat. Dafür solltest du mir eigentlich dankbar sein!“, drehte sie den Spieß um. Als sie sah, wie seine Stirn sich erneut umwölkte, fuhr sie schnell fort: „Es wäre doch dumm, wenn du deswegen alles verlierst. Ich meine, mir ist wirklich nichts passiert.“ Es war eine Sache, mit der sie allein fertig werden musste und konnte. Umso mehr, da sie ihrem Ziel, sich zu rächen, immer näher kam. „Peter hat jetzt bestimmt Angst, und das sollten wir ausnutzen. Das ist doch viel besser als das dumme Gericht.“ „Was hast du vor?“ „Ich werde zu ihm gehen und ihm sagen, dass ich dir alles erzähle, wenn er nicht spurt.“ Seine Augen weiteten sich. „Das ist Erpressung!“ Sie zuckte die Achseln. „Er soll bezahlen. Und du gibst mir was davon ab.“ Reinhard Suttner schwieg lange. Er kehrte zu seinem Platz zurück, setzte sich in den wuchtigen Leder-Chefsessel und rieb
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sich die Augen. Dann betrachtete er das Bild auf dem Tisch, das die fünfjährige Mona und ihre Mutter im Zoo zeigte. Beide lachten unbeschwert in die Kamera, während hinter ihnen ein Kamel gemütlich kaute. „Ich hätte nie gedacht, dass so etwas aus dir wird.“ „Was?“, fragte Mona herausfordernd. „Dass ich nach dir gerate? Denkst du, ich weiß nicht Bescheid über dich? Peter hat mir so einiges erzählt. Du solltest lieber endlich mal stolz auf mich sein und mich als vollwertigen Menschen, nicht als irgendein Ausstellungsstück, das bei blöden Empfängen herumgereicht wird, anerkennen!“ „Du bist doch erst 14…“ „Alt genug! Ich hab ziemlich früh gelernt, erwachsen zu werden, und Peter hat mir dabei geholfen. Was ist jetzt, willst du sentimental werden oder ein Geschäft machen?“ Reinhard Suttner presste die Lippen aufeinander. „Du… du machst es einem nicht leicht.“ „Denkst du, mir gefällt das?“, erwiderte sie. „Du schlägst mich und machst mir Vorwürfe, die nicht stimmen, nur um dein schlechtes Gewissen zu beruhigen! Du warst es doch, der mich vernachlässigt hat! Kannst du es mir verdenken, dass ich mich nach Ersatz umsehe?“ „Wie weit hast du’s wirklich mit ihm getrieben?“, verlangte er Auskunft. „Und sag mir endlich die Wahrheit, Mona.“ „Nicht so weit, wie du es mit Rita getrieben hast“, antwortete sie höhnisch. Die letzten zwei Wochen Zurückgezogenheit hatten ihr wirklich sehr gut getan. Sie hatte die gesamte Aufklärungsserie mehrmals durchgeackert und dabei einen Eifer entwickelt, den sie für die Schule noch nie übrig gehabt hatte. Nun wusste sie sehr gut Bescheid über Sex und was daraus wurde. In Zukunft würde sie alle Fäden in den Händen halten und andere herumspringen lassen. Das mit Peter war eine Lehre, die sie
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nie mehr vergessen – und die nie mehr passieren würde. Nie wieder würde sie einem Menschen vertrauen und sich von ihm irgendwohin locken lassen, wo sie ihm ausgeliefert war. Nie wieder würde sie versuchen, aus Tagträumen Wirklichkeit werden zu lassen. Das nahm sie sich fest vor. Reinhard Suttner zuckte zusammen. „Was hat sie dir erzählt?“, fragte er heiser. Sie hob die Schultern und grinste vielsagend. „Ist das von Bedeutung? Jedenfalls brauchst du vor mir nicht den empörten Vater zu spielen.“ Sie griff nach ihrer Tasche. „Ich werde mit Peter sprechen. Und du überlegst dir, was ich dafür kriege. Sonst werde ich Mama gegenüber mal aus Versehen was fallen lassen.“
Mona schob ihre Pläne nicht auf die lange Bank. Sie fuhr nach Hause, zog ein kurzes Röckchen, Kniestrümpfe und eine Rüschenbluse an, darüber einen karierten Mantel, den sie seit drei Jahren im Schrank hängen hatte. Einen Moment lang überlegte sie, ob sie Zöpfe flechten sollte, aber das wäre übertrieben. Ein wenig kindlich war schon recht, aber mit 14 war sie kein so kleines Mädchen mehr. Peter sollte in ihr wieder die Kindfrau sehen, in die er sich verliebt hatte. „Was machst du denn?“ Constanze stand plötzlich in der Tür. „Gehst du auf einen Maskenball?“ Darüber musste Mona lachen. „Mein Klassenleiter hat um eine ordentliche Aufmachung gebeten, weil der Schulrat morgen einen Rundgang macht. Ich wollte Sandra vorführen, was ich anziehe.“ „Dann bist du jetzt wieder mit Sandra zusammen?“ „Hin und wieder. Sie ist manchmal eine schreckliche Langweilerin, aber eigentlich ganz nett. Ich komme nicht zu spät zurück.“
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In diesem Aufzug fuhr sie direkt in Peter Strassners Büro und fragte bei der Empfangssekretärin nach, ob er denn da sei. „Er hat sehr viel zu tun. Worum geht es denn?“, wollte die junge Frau wissen. „Ich bin Mona Suttner. Herr Strassner kennt mich, er macht Geschäfte mit meinem Papa, und um so was geht es. Ich soll nur schnell was bringen.“ Sie hielt einen braunen Umschlag hoch. „Du kannst mir den Umschlag geben.“ „Papa hat aber gesagt, ich soll ihn persönlich übergeben. Wie ein Bote oder so. Er wartet solange auf mich.“ Die Sekretärin lächelte. „Na, also gut. Einen Moment.“ Nach einem kurzen Telefonat durfte Mona hinauf. Die Chefsekretärin führte das Mädchen in Peters Büro und schloss die Tür. „Mona!“, rief er. „Was machst du hier? Wie siehst du denn aus?“ Sie setzte eine weinerliche Miene auf. „Peter, ich bin ganz schnell gekommen! Papa will mich wegschicken, ganz weit fort ins Internat!“ Peter machte ein erschrockenes Gesicht. „Aber – aber warum denn?“, stammelte er. „Ich weiß auch nicht, was genau passiert ist, aber es ist so schrecklich! Er hat gesagt, dass er nicht mehr genug für mich da sein kann, weil er noch mehr arbeiten muss!“ Krokodilstränen stürzten aus ihren Augen. „Er sagt, dass möglicherweise das Geschäft mit dir den Bach runtergeht und wir in Schwierigkeiten kommen! Ich soll in eine staatliche Schule!“ Er fuhr sich durch die grauen Haare. „Mona, hat er irgendwas über uns rausgekriegt?“
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Sie schüttelte den Kopf. „Nein, woher denn? Und ich werd’s ihm auch nicht sagen, aber du musst verhindern, dass er mich wegschickt!“ „Kind, wie soll ich das denn machen? Wir sind ja nicht mal befreundet und verkehren nur auf geschäftlicher Ebene miteinander.“ „Ich dachte, du hast mich gern!“, heulte Mona los. „Was hab ich dir denn getan?“ Peter Strassners Verzweiflung wurde immer größer. „Na ja, vielleicht ist es besser, wenn wir uns eine Weile nicht mehr sehen… weil…“ „Du hasst mich!“, plärrte sie. „Ich hab’s gewusst, du hasst mich, dabei bist du mein einziger Freund! Zumindest dachte ich das! Jetzt hab ich gar niemanden mehr!“ „Mona, um Himmels Willen, beruhige dich doch.“ Peter kam zu ihr und nahm sie in die Arme. Sanft wiegte er sie. „Natürlich hab ich dich lieb, wie denn auch nicht, kleine Prinzessin! Ich dachte nur wegen dir, dass es so besser ist.“ „Du magst mich ja gar nicht mehr sehen“, schluchzte sie an seiner Brust. „Sonst würdest du mich nicht ins Internat schicken! Aber ich werd da drin durchdrehen, ich will nicht eingesperrt werden!“ „Aber niemals, Mona. Ich weiß nur nicht, wie ich das verhindern soll!“ „Vielleicht, wenn du – “ Sie sprach nicht zu Ende. Wie erwartet, sah Peter sie verzweifelt an. „Wenn ich – was?“ „Vielleicht kannst du Vater helfen?“, fuhr Mona fort. „Er braucht dich doch!“ „Na ja, aber ich muss doch auch meine Interessen wahren, Mona“, sagte Peter zögernd. „In letzter Zeit hat er die Konditionen ziemlich hochgeschraubt, das habe ich dir ja mal erzählt. Es war nie leicht mit ihm, und – “
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„Aber irgendwie musst du ihm helfen, Peter!“ Mona schniefte und sah bittend zu ihrem väterlichen Freund hoch. „Wenn du das nicht tust, schicken sie mich weg, und ich weiß nicht, was ich dann tun werde! Irgendwann, wenn ich durchdrehe und einen Anfall kriege, werde ich alles verraten, ich weiß es genau! Und das will ich doch nicht!“ Strassner wurde weiß wie ein Laken. „Ich auch nicht“, flüsterte er. „Das darf auf keinen Fall geschehen, Herzchen. Und es wäre auch sehr ungerecht dir gegenüber. Vielleicht… vielleicht kann ich doch was tun. Solange dein Vater es nicht übertreibt.“ „Wenigstens das sollte ich dir wert sein!“, warf sie ihm vor. „Immer machst du schöne Worte, und dann ist nichts dahinter!“ „Schon gut, schon gut, ich tue ja alles, nur beruhige dich und sei wieder ein fröhliches Mädchen.“ Er legte eine Hand unter ihr Kinn und hob es zu sich an. „Versprochen? Es wird alles wieder gut.“ Mona versuchte ein Lächeln unter Tränen. Dann putzte sie sich die Nase und wischte das Gesicht ab. Ihre Augen waren nicht einmal leicht angeschwollen, aber das merkte Peter nicht. „Ich gehe jetzt lieber wieder. Vielen Dank auch, Peter. Das werd ich dir nie vergessen.“ Sie warf ihm eine Kusshand zu. Auf der Straße unten musste sie an sich halten, um nicht laut loszulachen. „Wie Wachs“, dachte sie. Damit war alles erledigt. Ihr Vater würde sie nicht noch einmal niedermachen, wenn er nicht wollte, dass sie ihr Wissen an Mama weitergab. Und Peter würde spuren aus Angst davor, was sie ihrem Papa alles verraten könnte. Damit war das Ziel der Rache erreicht. Und sie würde auch noch davon profitieren.
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Wenn sie es recht bedachte, machte das den schmerzlichen Verlust ihrer Unschuld mehr als wett. Bei einem anderen wie beispielsweise Markus wäre überhaupt nichts dabei herausgesprungen, und es hätte sicher nicht weniger wehgetan. Als sie ins Büro ihres Vaters zurückkam, sah sie zu ihrem Erstaunen jemand völlig Fremden auf Ritas Platz sitzen. „Wer sind Sie denn?“, fragte sie geradeheraus. „Ich bin nur eine Vertretung“, antwortete die ältliche Dame, „von unten aus der Buchhaltung, bis Ersatz da ist.“ „Und wo ist Rita?“ „Sie musste ganz plötzlich weg. Ich glaube, sie hat eine schlechte Nachricht bekommen, die Arme, sie war ganz verweint.“ „Und wann kommt sie wieder?“ „Ich weiß es nicht, aber sie hat ihre persönlichen Sachen mitgenommen.“ „Er hat sie rausgeworfen“, dachte Mona. „Da hat Papa aber nicht lang gefackelt.“ Für einen Moment tat Rita ihr Leid, denn eigentlich war es ihre Indiskretion gewesen, doch dann zuckte sie innerlich die Achseln. Entweder Rita oder sie – so war das Leben.
Mit Peter Strassner verabredete sich Mona aber nicht mehr, und er hatte viel zu viel Angst vor Entdeckung, um auf sie zuzukommen. Aber sie sah ihm deutlich an, wie sehr er litt. Er nahm ab, sein Gesicht fiel ein und wurde fahlbleich. Manchmal, wenn er glaubte, sie merke es nicht, sah er sie wie ein trauriges altes Hündchen an, das auf die Straße geworfen worden war und sich nach einer Streicheleinheit sehnte. „Gut“, dachte sie. „Geschieht ihm recht.“ Sie wusste nicht, dass auch Liebe eine Sucht war – und die Einzige, die schon im Verlauf eines einzigen Augenblicks
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abhängig machen konnte und damit vielleicht sogar die Schlimmste von allen war. Im Prinzip konnte man niemals davon geheilt werden, da es keine Chance gab, der Versuchung aus dem Wege zu gehen. Und der Entzug wurde nicht nur zur seelischen, sondern nicht minder zur körperlichen Qual. Je nach Veranlagung konnte das monate- oder jahrelang anhalten und den Einstieg für weitere Drogen und Süchte bieten. Niemand war dagegen gefeit. So war auch der abgebrühte Geschäftsmann seinem Schicksal begegnet; er war fast um sein Leben abhängig von der Kindfrau und verzehrte sich in wilder Verzweiflung nach ihr. Er hungerte nach einem Blick, einer zarten Berührung nur, die ihm zeigte, dass sie zumindest einen Teil seiner Gefühle erwiderte. Um sie überhaupt einmal zu Gesicht zu bekommen, ging er auf alle Forderungen Suttners ein. Das Geschäft war perfekt.
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Monas Vater ließ sich nicht lumpen. Er eröffnete für seine Tochter ein Konto und zeigte ihr die erste Einzahlung. Das Aufleuchten ihrer Augen stellte ihn zufrieden. Und ließ einen Plan in ihm reifen. „Sag mal, Mona, du rennst immer noch jeden Abend fort“, sagte er einmal im Büro zu ihr. Sie hatte ihre regelmäßigen Besuche inzwischen wieder aufgenommen; vor allem an den Tagen, wenn Strassner kam, um ihn leiden zu sehen. „Ja, in die Disco“, antwortete sie und funkelte ihn an. „Willst du es mir etwa verbieten? Das ist Mama schon nicht gelungen.“ Sie war es gewohnt, auszugehen. Natürlich trug sie jetzt nicht mehr die Fummel von Peter; diese hatte sie in den Müll geworfen und den Schmuck an der Schule verkauft. Wie eine „billige Schlampe“ wollte sie nicht mehr daherkommen, dann schon lieber in der typischen sexy Aufmachung eines Teenagers. Auch damit ließen sich genügend Verehrer aufreißen. Natürlich fing sie mit keinem etwas Ernsteres an, sie konnten ihr alle nicht genug bieten. Aber für die Disco reichte es gerade so. Manche von den Mädels standen ja auf ein paar RockerJungs, aber für die hatte Mona nicht mal ein müdes Lächeln übrig. Die waren ihr wirklich zu primitiv und dumm, keineswegs so cool, wie sie sich gaben. Pöbeln und andere blöd anmachen oder einschüchtern, das war nicht ihr Fall. Mindestens zwei Stufen unterhalb der Sprosse, die sie auf der gesellschaftlichen Leiter zu erklimmen dachte.
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„Nein, ich dachte nur, dass du die Zeit vielleicht nutzbringender verbringen könntest“, erwiderte der Vater. Das erweckte Monas Neugier. „Wie meinst du das?“ „Na ja, du wirst 15, bist hübsch und kannst dich benehmen. Du machst einen guten Eindruck auf meine Geschäftspartner. Willst du mich nicht mal anstelle deiner Mutter zu einem Abendessen begleiten?“ „Meinst du das im Ernst? Aber was sagt Mama dazu?“ „Ich werde sie nicht um Erlaubnis bitten. Sie hat mich die letzten beiden Male beinahe blamiert, weil sie so betrunken war. Außerdem macht sie keinen besonders glücklichen Eindruck, und das wiederum wirkt sich schlecht aus auf meine Geschäfte. Wer möchte schon mit einem Miesepeter zusammen an einem Tisch sitzen? Du würdest eine frische Abwechslung in die Runde bringen.“ Monas Augen leuchteten auf. „Das wäre toll, Vater!“ Er nickte. „Aber nur unter einer Bedingung, Herzchen: Ich suche aus, was du anziehst, und du wirst dich nicht aufdonnern, sondern dezent schminken – und dezent verhalten, verstanden? Und wenn ich dir ein Zeichen gebe, lässt du dir ein Taxi rufen und verlässt uns höflich. Du wirst eine perfekte Tochter sein.“ „Sonst noch was?“, fragte sie gelangweilt. „Bei so vielen Bedingungen…“ „Ja, da ist noch was“, unterbrach er. „Wenn du es gut machst, wird dein Guthaben auf dem Konto entsprechend wachsen. Damit hast du Geschäft und Vergnügen verbunden.“ Mona brauchte nicht lange darüber nachzudenken. Das war doch die große Welt, nach der sie sich sehnte! Sie konnte Kontakte knüpfen, und wer weiß, vielleicht mehr solche „Freunde“ finden wie Peter Strassner, die sie verwöhnten und alles für sie taten. Gleichzeitig förderte sie die Geschäfte ihres Vaters, sodass der ihr sicher keine Vorwürfe mehr machen würde. Schließlich war sie auch in naher Zukunft erwachsen,
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seit die Volljährigkeit von 21 auf 18 herabgesetzt worden war. Dann könnte sie richtig bei ihrem Vater einsteigen, einen eigenen Schreibtisch bekommen, zwei oder drei Sekretärinnen herumkommandieren und als seine Erbin vorgestellt werden. Dass dabei die schulischen Leistungen absolut ins Stolpern gerieten, war natürlich absehbar. Während die Mutter ihre ewigen Schimpftiraden losließ, zahlte der Vater der Schule großzügige Summen für Renovierungen, Lehrmittel und so weiter, und die Versetzung war garantiert. Damit könnte sie sogar das Abitur machen. Reinhard Suttner hatte erkannt, dass er seine Tochter nicht zum Lernen zwingen konnte; es war sinnvoller, ihre Talente nutzbringend einzusetzen. Warum sollte sie später nicht in seiner Firma mitarbeiten? Sie war schließlich nicht dumm. Und auch Tellerwäscher waren mal Millionäre geworden. Constanze Suttner betrachtete das gute Verhältnis zwischen Vater und Tochter voller Bitterkeit aus der Ferne. Sie fühlte sich von allem ausgeschlossen. Die Anwältin schlug ihr vor, endlich Nägel mit Köpfen zu machen, aber dafür brachte sie die Kraft nicht mehr auf. Sie hatte resigniert und sich mit dem Leben abgefunden, das sie jetzt führte – bis elf Uhr morgens schon die erste Flasche Champagner, und dann mal sehen, was der Tag so brachte. Immerhin ging sie jetzt wieder öfter außer Haus und kehrte nach und nach zu ihren alten Gewohnheiten zurück. Zu den Clubs, um unter Leuten zu sein – Sport trieb sie nur noch selten –, und zu den Kränzchen, um sich mit den anderen unglücklichen Gattinnen auszutauschen. Als sie ihren Mann nicht mehr begleiten musste, war sie sehr erleichtert, andererseits aber auf die Tochter eifersüchtig. Reinhard kleidete Mona neu ein, und sie sah jedes Mal wie eine bezaubernde junge Dame zwischen 18 und 20 aus, verführerisch und blühend. In den letzten Monaten war sie
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schlagartig gewachsen, über ihre Mutter hinaus, und entwickelte sich zu großer, schlanker, ein wenig herber Schönheit. Mona nahm also ihren Platz ein, und mit großem Erfolg, wie Constanze hörte. Nun gut, warum auch nicht. Diese Essen waren ihr schon lange über, immer dieses hohle Geschwätz, das falsche Lachen. Mona hörte nicht auf sie, also musste sie selbst ihre Erfahrungen machen. Für Constanze war es die Gelegenheit, sich mal nach etwas anderem umzusehen. Sie hatte genug Freundinnen, die Ideen für Abwechslungen hatten. Es war Zeit, dass sie an sich selbst dachte; Mona brauchte sie nicht mehr, außerdem war ihr Vater jetzt für sie da.
Irgendwann merkte Mona, dass diese Geschäftsessen sich stets wiederholten und keine Abwechslung mehr boten. Sie spielte die brave Tochter und verzog sich, sobald der Vater das Zeichen machte. „Wie langweilig“, dachte sie. „Da muss doch mal mehr passieren.“ Noch dazu bekam sie keinen richtigen Kontakt zu den Leuten. Dabei hätte sie es sich gewünscht, dass sie mal zu einem Empfang oder einer Party eingeladen würde, wo sie nach einem geeigneten Opfer, ähnlich wie Peter Strassner, Ausschau halten konnte. Immer nur sittsam zu sein wie ein Standbild war auf Dauer nichts, da war es in den Discos spannender. Sie wollte mit den Männern spielen, Geschenke erhalten und sie ausnutzen, wie sie es gewohnt war. Ein alles verändernder Abend verlief dann nicht ganz nach den Wünschen des Vaters, das merkte sie deutlich an seinem Verhalten. Bisher war nicht direkt über das Geschäft gesprochen worden, aber Mona verstand sich inzwischen gut darauf, Leute zu beobachten.
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Zwei Männer waren anwesend, ein übergewichtiger, rotgesichtiger Mann Anfang 50 und ein sehr viel jüngerer, der den ganzen Abend über keinen Blick von ihr ließ. Er sah nicht einmal schlecht aus; jedoch erwiderte sie die Blicke selten und nur sehr kurz. Auf Reinhards Fragen antwortete er nur einsilbig und kühl. Mona merkte, wie ihr Vater immer nervöser wurde. Sie wusste, dass es um sehr viel ging – irgendwas mit dem japanischen Markt, und die beiden boten eine gute Chance, groß einzusteigen. Die beiden schienen aber überhaupt nicht empfänglich für seinen Charme und seine Witze. Steif wie Denkmäler hockten sie am Tisch, nippten an ihrem Essen und kippten einen Gin Tonic nach dem anderen in sich hinein. Der Jüngere glotzte Mona an, der Dicke schmatzte und schwitzte. Auch nach zwei Stunden am Ende des Dinners war die Stimmung immer noch unterkühlt, an der Grenze der Peinlichkeit, wie zu Beginn. Schließlich musste Reinhard auf die Toilette. Mona hatte fast Mitleid mit ihm. Zum Glück musste sie nicht reden oder unterhalten, nur freundlich sein und lächeln. Es sah ganz so aus, als kämen sie heute gemeinsam früher nach Hause. Dann konnte sie sich immer noch in die enge Levi’s schmeißen und einen in der Disco draufmachen. „Wenn der nicht bald das Glotzen aufhört, schütte ich ihm mein Glas ins Gesicht“, dachte sie, während sie strahlend zurücklächelte. „Jetzt reicht es allmählich. Ist schon egal, das Geschäft ist ohnehin den Bach runter.“ „Wenn Sie bei uns bleiben, werden wir Ihrem Vater morgen die Verträge zukommen lassen“, sagte der Glotzer plötzlich zu ihr. Mona war so verdattert, dass sie sich nicht rührte. Hatte sie das jetzt richtig verstanden?
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„Es wird auch Ihr Schaden nicht sein“, fügte der Dicke hinzu und richtete seine Schweinsäuglein das erste Mal auf sie. „Wir haben Sie den ganzen Abend beobachtet. Sie tun so, als wären sie noch jungfräulich, aber natürlich sind Sie das nicht mehr. Sie verstehen Ihr Handwerk ausgezeichnet, und das reizt meinen Partner und mich.“ „Das ist so unsere Art, Geschäfte zu machen“, setzte der Jüngere den Faden fort. „Wir haben uns längst über Ihren Vater informiert und glauben, das Risiko eingehen zu können. Dementsprechend interessiert uns sein Verkaufsgeschwätz nicht mehr. Aber Sie. Sie wären sozusagen die Bedingung für den Abschluss.“ „Die einzige, möchte ich hinzufügen“, sagte der Dicke. „Sie brauchen keine Sorge zu haben, meine Liebe, wir werden behutsam mit Ihnen umgehen. Aber wir können uns ein erhebliches Vergnügen mit Ihnen vorstellen. Wenn Sie zu unserer Zufriedenheit kooperieren, wird unser Fahrer Sie sogar noch vor Mitternacht nach Hause bringen.“ „Ihr Vater kommt zurück“, meldete der Jüngere. „Zugegeben, unser Ansinnen ist ein wenig merkwürdig, da Sie Suttners Tochter sind. Aber eine Escort-Dame wäre kein Anreiz mehr für uns, uns geht es um Sie. Wie entscheiden Sie sich?“ Reinhard Suttner traf ein, ohne den letzten Satz gehört zu haben. „Darf ich Ihnen noch etwas bestellen?“, fragte er. „Nein danke, wir sind hier fertig“, lehnte der Dicke ab. „Wir werden uns morgen wieder sprechen. Fahren Sie ruhig nach Hause.“ Reinhard nickte. „Komm, Mona. Ich lasse uns ein Taxi kommen.“ Mona schüttelte den Kopf. „Ich komme noch nicht mit, Vater.“ Er starrte sie an. Dann sagte er einen Ton schärfer: „Das war keine Bitte.“
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Sie lächelte, holte sich eine Zigarette aus der Packung des Jüngeren, ließ sie sich anzünden und lehnte sich zurück. „Es gefällt mir hier sehr gut, und diese beiden Herren sind amüsant. Geh du nur, ich komme bald nach. Sie haben versprochen, mich nach Hause zu bringen.“ „Das ist ja wohl selbstverständlich“, versprach der Dicke. „Sie können sich auf uns verlassen, Suttner. Wir sehen uns morgen früh um acht Uhr in Ihrem Büro. Seien Sie bitte pünktlich.“ Auf Reinhards Gesicht spiegelte sich der Widerstreit an Emotionen, der in ihm tobte. Mona beobachtete ihn gespannt, ob er es auf ein Fiasko ankommen lassen würde, nur um seine Vatergefühle zu demonstrieren. Sie fühlte sich dabei erregt, ein Schauer lief ihr den Rücken hinunter. Wie viel Macht besaß sie inzwischen schon? Sie fühlte die Blicke des jüngeren Mannes, als ob er sie schon auszöge. Sie sollten bloß probieren, sie hereinzulegen, dann würden sie eine böse Überraschung erleben! Ein wenig Angst war natürlich auch im Spiel. Seit jenem ersten Mal hatte Mona keinen Mann mehr an sich herangelassen. Würde es wieder wehtun? Aber diesmal wusste ja, worauf sie sich einließ. Vor allem ihr Konto würde davon profitieren. Und irgendwann musste es schließlich wieder passieren, sie wollte ja keine Nonne werden. Ihre Klassenkameradinnen träumten ja vom ersten Mal mit einem, den sie liebten. Pfui Spinne! Nicht mal beim zweiten Mal. Liebe? Gab’s nur in Büchern, sicher nicht in Wirklichkeit. Liebe tat nur weh. Sie sah es ja an Peter Strassner, der an schwerstem Liebeskummer wegen ihr litt. Zum Glück war ihr dies bisher erspart geblieben, und sie würde dafür sorgen, dass sich das auch in Zukunft nicht änderte. „Ist schon okay“, sagte sie mit ihrem liebreizendsten Lächeln.
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Reinhard Suttner hatte bestimmt noch nicht viele demütigende Situationen erlebt; aber diese dürfte eindeutig den Höhepunkt darstellen. Er wollte auf das Geschäft nicht verzichten, um nichts in der Welt. Nur dieses eine Mal noch, dann hatte er sich ein für alle Mal saniert… Er ging.
Die beiden Herren verloren keine Zeit. Sie brachen umgehend mit Mona in ihre Suite im selben Hotel auf. Niemand sah sie merkwürdig an, dass sie ein derart junges Mädchen mit aufs Zimmer nahmen. Ab einer bestimmten Preislage wurden keine Fragen mehr gestellt. Außerdem übergab der Dicke dem Portier einen Hunderter auf die Antwort einer belanglosen Frage. Schon im Aufzug zog der Jüngere Mona an sich und schob seine Hand in ihren Ausschnitt. Sie keuchte auf, als er ihre Brustwarze zusammendrückte. „Du bist ein geiles Luder“, flüsterte er in ihr Ohr. „Das hab ich sofort gemerkt. Wahrscheinlich bist du schon ganz feucht zwischen den Beinen, weil du es nicht mehr erwarten kannst.“ Er fing an, sie abzuknutschen, und sie wunderte sich, dass sie überhaupt nichts empfand. Nicht mal Ekel, es war ihr einfach gleichgültig. Nur, als er ihren Mund küssen wollte, drehte sie den Kopf weg. „Nicht auf den Mund!“, warnte sie. „Wenn du das Geschäft willst, auch auf den Mund!“, schnappte er, hielt ihren Kopf fest und presste seine Lippen so heftig auf sie, dass die feine Haut platzte und blutete. Er zerrte das Mädchen geradezu aus dem Lift und drängte es in das Zimmer; bevor Mona sich recht umschauen konnte, lag sie schon auf dem Bett, und er riss ihr die Kleider halb vom Leib. „Hübsch bist du, das muss man dir lassen“, lobte der Mann. „Lange Beine, ein schöner Busen, eine perfekte Figur, wenn sie erst richtig ausgereift ist. Du hast alles, um einen Mann so
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geil zu machen, dass er schon in der Hose kommt. In den Kleidern hast du nicht zu viel versprochen.“ Der Dicke beteiligte sich nicht direkt daran, er machte es sich in einem Sessel bequem, öffnete die Hose und legte seine Hand bereit. „Und jetzt erwarte ich, dass du dein Bestes gibst und nicht zurückhaltend bist“, gab der Jüngere heißatmige Anweisungen. „Es geht um mehrere Hundert Millionen, mein kleiner Schatz, und da erwarte ich eine entsprechende Gegenleistung.“ Mona hatte nicht vor ihm zu erklären, dass sie theoretisch sehr kokett sein konnte, aber in der Praxis so gut wie keine Erfahrung hatte. Schließlich wollte sie ihn manipulieren und nicht umgekehrt. Also wandte sie einfach das an, was sie so aus Film und Literatur kannte; das würde sicher schon genügen. Meistens gaben diese Typen nämlich nur an und brachten gar nichts, zumindest hatte sie es so gehört.
Kurz nach Mitternacht brachte eine Hotel-Limousine Mona nach Hause. Sie war ein wenig derangiert, aber zufrieden. Der Mann hatte sich ausgetobt, und sie hatte kaum etwas gespürt. Es war sogar interessant gewesen, sein Schnaufen und Stöhnen mitzuerleben; wie lächerlich er doch auf einmal wirkte, trotz all seiner Millionen und seiner Macht. Es war kein Problem gewesen, ihn zufrieden zu stellen, und der Dicke war sich selbst genug, solange er was zu sehen bekam. Als sie ging, nahm sie den beiden das Versprechen ab, den Vertrag abzuschließen und es sich nicht plötzlich anders zu überlegen. „Wissen Sie“, sagte sie freundlich draußen auf dem Gang, „ich bin erst 14.“ Vergnügt sah sie, wie beiden das Gesicht auseinander fiel. „Dein Vater hat gesagt, du bist 16!“, zischte der Dicke. „Und du siehst aus wie 18!“
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„Tja, es war eben gelogen. Ich habe ihn darum gebeten, wissen Sie, sonst nimmt mich doch überhaupt niemand ernst. Also, eine schöne Nacht!“ Der Vater war noch auf und erwartete sie, als sie hereinkam. „Was denkst du dir eigentlich dabei?“, flüsterte er zischend. „Wenn ich eine Nutte brauche, bestelle ich eine! Meine eigene Tochter gibt sich her für…“ „Einen Fünf-Jahres-Vertrag“, unterbrach sie. „Mit der Option auf Verlängerung. Was die Investitionssumme betrifft, darfst du das Feld mit beinahe so viel Nullen füllen, wie du willst.“ Er blinzelte. „Wie bitte?“ „Du hast schon richtig gehört. Alles, was sie wollten, war ich. Du hättest dir deine Anstrengungen den Abend über sparen können. Sie waren froh, als du gingst. Ich war sozusagen nur die kleine Zugabe, um das Geschäft unter Dach und Fach zu bringen. Was willst du also?“ „Mona, du bist – “ „Ob ich’s jetzt mit ‘nem 15-Jährigen oder 40-Jährigen treibe, ist doch piepegal, oder?“, schnappte sie. „Denkst du, ich lebe wie eine Nonne, nur weil du auf einmal väterliche Anwandlungen kriegst? Das bringt mich schon nicht um. Und ich weiß schon, was ich mache und will. Also denk dran, wenn du morgen den Vertrag unterschreibst – und dann eine Überweisung auf mein Konto machst!“ „Bist du so blöd, oder tust du nur so?“ Reinhard Suttner stand auf und näherte sich ihr mit wuchtigen Schritten. „Du bist noch minderjährig! Weißt du, für wie viele Jahre ich ins Gefängnis gehe, wenn das bekannt wird? Weshalb, glaubst du, habe ich dich immer so früh nach Hause geschickt? Natürlich macht es einen Unterschied, wenn du vögelst!“ „Ach so, das ist es also?“, gab sie hohnlächelnd zurück. „Du machst dir Gedanken um deinen guten Ruf, nicht um die zarte Seele deiner Tochter? Da hab ich wohl wieder mal was falsch
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verstanden. Da bin ich aber froh, dass wir das rechtzeitig klären konnten! Von mir aus verrottest du im Gefängnis, heißgeliebter Vater, aber keine Angst, von mir erfährt keiner was. Ich schaufle doch nicht mein eigenes Grab. Und die anderen werden auch wohlweislich schweigen. Und wer sonst so beobachten mag, ist selbst Schuld… es gibt keine Beweise. Also, geh beruhigt schlafen, Alter. Und träum von den Millionen, die deine Tochter dir gerade verdient hat!“
So leicht kam Reinhard Suttner aber nicht darüber hinweg. Er wandelte sehr gefährlich auf Messers Schneide, und wenn Mona derart skrupellos war, ihren Körper für ein gutes Geschäft einzusetzen, dann kannte sie auch keine Hemmungen, ihn irgendwann hinzuhängen, wenn sie sich einen Vorteil davon versprach. Und er hatte keine Lust, seine Geschäfte künftig hinter Gittern auszuführen. Keine Frage, seine liederliche Tochter war einen Schritt zu weit gegangen. Woran auch immer das liegen mochte, ob sie wirklich von ihren Eltern zu wenig Liebe erfahren hatte und deshalb davon ausging, dass man nur glücklich werden konnte, wenn man „geschäftlich“ damit umging; oder ob es einfach in ihrer Natur lag, Sex gezielt zum Erreichen ihrer Ziele einzusetzen – er musste das abstellen. Zumindest so lange, bis sie volljährig war. Er glaubte nicht, dass Mona sich noch ändern würde; er hielt sie für durch und durch verdorben. Aber eine Chance sollte sie noch bekommen. Doch zuerst das Geschäft. Er war bereits um sieben Uhr im Büro und bereitete alles für die beiden Herren vor. Sie erschienen um Punkt acht Uhr, und im Gegensatz zu gestern Abend zeigten sie eine äußerst freundliche Miene. Der vorherige Abend wurde ausgeschwiegen, es ging ausschließlich um die Verträge. Man
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kam zu einer für beide Seiten zufriedenstellenden Übereinkunft, nach nur einer Stunde, als die übrige Firma erst allmählich erwachte. Mittags rief Mona von der Schule aus an, ob alles in Ordnung sei. „Aber ja, Schätzchen“, versicherte der Vater. „Und ich bekomme meine Belohnung?“ „Ganz sicher.“ Fragte sich nur, ob sie das auch wirklich als Belohnung empfand. Es dauerte nur ein paar Telefonate, während Reinhard nach seiner Frau suchen und sie mit dem Firmenchauffeur ins Büro bringen ließ. „Was ist denn los?“, fragte sie misstrauisch. „Sind wir jetzt pleite?“ „Ganz im Gegenteil“, verkündete er. „Wir werden bald reich sein, Schätzchen. Und ich will dir noch was sagen: Vergiss diese dämliche Scheidung. Es läuft doch ganz gut, oder? Und inzwischen ist eine Menge Gras über die Sache gewachsen. Wenn du mir noch eine Chance gibst, wird vielleicht alles besser. Danach kannst du’s dir immer noch anders überlegen. Was hältst du davon?“ „Ist was mit Mona?“, fragte sie daraufhin. „Darauf komme ich gleich. Reden wir zuerst über uns. Rita ist weg, zu Hause gibt’s auch keine Versuchung, und ich komme vor lauter Arbeit ohnehin kaum zu was. Was hältst du davon, wenn ich dich Weihnachten mit in die Staaten nehme?“ „Das heißt, ich soll wieder ihren Platz einnehmen, wie?“ „Nun… ja“, gab Reinhard zu. „Liebling, es tut mir alles unendlich Leid. Ich war ja völlig hirnvernagelt. Du hast immer in allem Recht gehabt, sie ist ein richtiges kleines Luder geworden. Ich habe alles versucht, aber sie hört einfach nicht auf mich.“ Constanze hob die Brauen. „Und?“
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„Und deshalb bin ich entschlossen, sie ins Internat zu bringen“, antwortete Reinhard. Seine Frau setzte sich auf. „Jetzt noch?“ „Ja, ich habe eines gefunden, das sie auch unterm Jahr aufnimmt… gegen eine entsprechende Spende natürlich. Ich habe den Fall so geschildert, dass Mona dringend Hilfe braucht, wir aber nicht mehr zu ihr durchdringen können. Und dass jeder Tag zählt, weil ich Angst habe, dass sie in die Drogenszene rutscht.“ Constanze seufzte. „Wenigstens das ist sie noch nicht. Aber trotzdem habe ich keine Nerven mehr. Sie kommt und geht, wie sie will… ich schaffe das nicht mehr länger. Ich bin so froh, dass du endlich vernünftig geworden bist. Schließlich ist sie noch ein Kind und keine kleine Erwachsene.“ „Es ist ein streng katholisches Mädchen-Internat, fast an der Zonengrenze, ziemlich abgeschieden“, erklärte Reinhard. „Die Schülerinnen werden dort hart an die Kandare genommen. Ich glaube, das ist das Einzige, was Mona noch zur Vernunft bringen kann. Wir müssen uns vorwerfen, dass wir nie hart genug durchgegriffen haben.“ „Und wann bringen wir sie hin?“ „Morgen früh. Wir brauchen nicht mal viel zu packen, weil die Kleidung dort gestellt wird. Alle sollen gleich aussehen und sich in Bescheidenheit üben. Aber verrate nichts, sonst haut sie uns heute Abend ab!“ Constanze schüttelte den Kopf. Dann lächelte sie. „Wollen wir nicht Essen gehen?“
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Der nichts ahnenden Mona wurde in der Früh eröffnet, dass die Eltern sie heute in die Schule bringen würden, weil sie danach gemeinsam etwas vorhätten. „Was ist denn mit euch los?“, fragte sie geradeheraus. „Ihr seid irgendwie verändert!“ „Na ja, wir… wir wollen es vielleicht noch mal miteinander versuchen“, antwortete Constanze ein wenig verlegen. „Ehrlich?“ Mona bekam runde Augen. Sie wusste nicht so recht, ob sie das gut finden sollte. Bedeutete das, dass sie ihren Vater nicht mehr begleiten durfte? Wurde sie dann wieder aufs Abstellgleis geschickt? Oder bedeutete das noch mehr Freiheit als früher? Keine mäkelnde Mutter mehr, oder ein Vater, der auf einmal mit der Erziehung anfangen wollte? Reinhard sah auf die Uhr. „Wir müssen los.“ „Aber… ich hab heute doch erst um zehn…“ „Wir wollen dir vorher noch schnell was zeigen, Mona. Komm, beeilen wir uns, damit du nicht zu spät kommst.“ Sie fuhren los, und Mona war total gespannt, was die Eltern ihr wohl zeigen wollten. Sie konnten sich ruhig Zeit lassen, sie hatte es nicht eilig, in die verhasste Penne zu kommen. Sie wunderte sich, dass es immer weiter der Stadtgrenze zuging, zu den vielen weitläufigen Naherholungsgebieten mit Badeseen und idyllischen Wald- und Parkanlagen. Die Siedlungsgebiete wurden kleiner, und die Zonengrenze rückte immer näher. Sie riss die Augen auf, als sie plötzlich ein großes Tor passierten, auf dem „Christlich-katholisches Mädchen-Internat zu den Heiligen Schwestern“ stand. 138
„Was… was hat das denn zu bedeuten?“, stotterte sie. Constanze drehte sich zu ihr um. „Das bedeutet, dass wir eine Drohung endlich wahr machen und du dein Leben ändern wirst. Du hattest jede Menge Chancen, die du nicht genutzt hast. Vielleicht nimmst du uns jetzt mal ernst.“ „Ihr spinnt ja wohl!“, schrie sie auf. „Da bleib ich nie im Leben! Das könnt ihr vergessen!“ Ihr Vater machte die Tür auf und zerrte sie aus dem Auto. „Das hättest du dir vorher überlegen sollen.“ „Das könnt ihr mit mir nicht machen! Ihr werdet es bereuen!“, verlegte sie sich aufs Drohen, aber es half nichts. Die Eltern ließen sich nicht so aufs Geratewohl unter Druck setzen, und Mona musste einsehen, dass sie im Moment verflixt schlechte Karten hatte. Sie wurden von drei Schwestern im Nonnengewand erwartet, die nicht gerade den Eindruck herzlicher Güte machten, den man vielleicht erwartete. Die Äbtissin und Direktorin des Internats war nicht viel besser; eine hagere, verknöcherte, strenge Frau, die Mona mit einem Blick zu durchschauen schien. „Wir haben eine große Ausnahme für Ihre Tochter gemacht“, eröffnete sie das Gespräch. „Aber nachdem es so dringlich klang…“ In Mona regte sich leise Hoffnung. Wenn sie sich jetzt genug aufführte, flog sie vielleicht gleich wieder raus, und alles wurde gut. Sie würde den Eltern versprechen, sich zu bessern, und eine Zeitlang die brave Tochter spielen, bevor sie allmählich zu ihren alten Gewohnheiten zurückkehrte. Es war unmöglich, dass sie hinter diesen kalten Mauern versauern sollte! „Gebt euch keine Mühe, ich bleibe nicht hier!“, keifte sie los. „Wenn es sein muss, zünde ich die Schule an!“
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Internate mochten keine Querulanten, weil sie die anderen auf dumme Ideen brachten. Wenn Mona nur genug drohte, würde selbst diese verknöcherte alte Schachtel das erkennen. „Auf gar keinen Fall werde ich Stoff nachlernen, und ich will mein eigenes Zimmer!“, fuhr sie mit den Drohungen fort. Der Vater seufzte. „Habe ich Ihnen zu viel erzählt?“ Die Äbtissin lächelte kalt. „Ich glaube, Sie sind wirklich in letzter Minute gekommen, Herr Suttner.“ Sie richtete ihren stechenden Blick auf das Mädchen. „Alle unsere Schülerinnen haben Probleme, Mona. Durch unsere strenge Disziplin und den festen Tagesplan lernen sie, sich einzufügen und über ihre Taten nachzudenken. Wir können allen helfen, selbst den hoffnungslos scheinenden Fällen. Aber ich bin sicher, dass du jetzt nur aus Angst so sprichst. In Wirklichkeit steckt in dir ein ängstliches kleines Mädchen, das sich reifer gibt als es ist. Wir werden dir helfen, und bald wirst du als glücklicher Mensch mit einem guten Abschluss diese Schule wieder verlassen und deine Eltern stolz auf dich machen.“ Mona machte ein entsetztes Gesicht. Genau das Gegenteil war eingetreten! Was sollte sie jetzt machen? Die Unschuldige spielen? Das abgeschobene Kind? Wo blieb ihr Schutzengel, der sie hier herauspaukte? Wie hatte Papa das nur so schnell geschafft? Sie hatte ja absolut keine Chance gehabt, sich darauf einzustellen oder überhaupt den Braten zu riechen! Was für eine ungerechte Welt war das nur? Sicher hatte er es mit Geld arrangiert, wie er es immer machte. Mit Geld konnte man selbst kleine Wunder bewirken. Wieder mal eine Lektion, die sich Mona gut merken würde. „Alles Gute, Mona“, sagte Constanze zu ihrer Tochter. „Es mag dir grausam erscheinen, aber glaub mir, wir wollen wirklich nur das Beste für dich.“
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Mona stand wie gelähmt da, als der elterliche Wagen abfuhr. Sie konnte es einfach nicht fassen. „Komm.“ Eine der Schwestern packte sie fest bei der Hand. „Wir zeigen dir die Räume, und dann gehst du gleich in den Unterricht. Wir lassen nicht gleich am ersten Tag schon den Schlendrian einkehren.“ Willenlos ließ Mona alles mit sich geschehen. Erst, als sie sich in der lächerlichen Schuluniform sah, brach sie in hysterisches Gelächter aus. „Von wann sind diese Klamotten? 1756?“, rief sie. „Das ist ja voll peinlich!“ „Niemandem wird es auffallen, weil alle dieselbe Kleidung tragen“, meinte die Schwester. Sie rubbelte mit einem kalten Waschlappen über Monas Gesicht und wusch ihr grob die Schminke ab. „Lass dir gesagt sein, dass wir wenig Wert auf Äußerlichkeiten legen. Versuche nicht, hübscher als die anderen zu sein, das wird dir schlecht bekommen. Vor Gottes Antlitz seid ihr alle gleich.“ Mona erkannte sich nicht wieder, sie sah aus wie eine verheulte Dreizehnjährige. Es war der schrecklichste Anblick ihres Lebens, fand sie. Ihre Eltern waren verrückt, kein Zweifel! Den ganzen Unterricht hindurch überlegte sie, wie sie von hier abhauen könnte. Als sie dann endlich aufs Zimmer durfte, durchsuchte sie ihre Sachen auf Zigaretten, aber es war natürlich alles konfisziert worden. Selbst das Geld hatte man ihr abgenommen. Die anderen Mädchen beachteten sie nicht sonderlich, sie waren ziemlich verschlossen und redeten auch untereinander wenig. Wenn Mona Fragen stellte, bekam sie kaum Antworten, bis sie schrie: „Seid ihr alle bescheuert? Haben sie euer Gehirn operiert, oder was?“ „Halt lieber die Klappe“, sagte eines der Mädchen schließlich. „Das bringt nämlich nichts. Hier geht es schlimmer zu wie in einer Kaserne, glaub mir.“
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Das erfuhr Mona schnell. Nur ein falscher Blick, und sie wurde zum Bodenschrubben, Fensterputzen, Kloreinigen und was sonst noch alles abkommandiert. Die demütigendsten und anstrengendsten Arbeiten schienen gerade gut genug für sie – vor und nach der Schule, natürlich. Schon nach zwei Tagen hatte sie aufgerissene Hände, Schwielen an den Knien und weinte vor Müdigkeit. Dazu musste sie ohne Ende Gebete und Gottesdienste über sich ergehen lassen. Sie hatte noch nie in eine Bibel geschaut, geschweige denn je einen Putzlappen in der Hand gehabt. Die Schwestern wurden nicht müde, ihr diese „wichtigen“ Dinge beizubringen. Als sie einmal in den Spiegel schaute, brach sie in hemmungsloses Schluchzen aus. Stumpfes Haar, bleiche, eingefallene Wangen, glanzlose Augen. Kein Mann würde sie je mehr anschauen. Daran waren nur die Eltern schuld. Als dieser Gedanke wie ein Blitz durch ihr Gehirn schoss, entfachte er ihren Widerstandsgeist und ihren Rachedurst. Diese blöden alten Weiber wollten sie fertig machen, nur weil sie Spaß haben wollte? So weit kam’s noch! „Niemand macht mich fertig“, schwor sich Mona. „Sobald ich kann, haue ich hier ab!“ Dabei war es gar nicht so schlecht, zum Arbeitsdienst verdonnert zu sein, weil sie auf diese Weise das Gebäude gut kennen lernte. Natürlich gab man ihr keine Schlüssel in die Hand, und es war immer eine Schwester als Aufsicht dabei. Aber eins nach dem anderen, sie würde es nicht übereilen.
Nach einer Woche kannte Mona sich schon recht gut aus. Ihre Bandagen wurden etwas gelockert, und sie durfte auch mal wie die anderen zu einer Freistunde in den Hof. Dort durften sie dann Völkerball spielen oder in der Bibel lesen, wie aufregend.
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Alles Weitere war streng verboten; doch Mona sah sich aufmerksam um. Vom Hof aus ging es in den Garten; zunächst eine kleine Parkanlage, und dahinter lagen die Gemüsegärten. Zwischen den Gemüsegärten und der Welt draußen lag nur ein Maschendrahtzaun, mehr nicht. Ständig patrouillierten dort Schwestern und achteten darauf, dass niemand dem Zaun zu nahe kam. Eines Tages traute Mona ihren Augen kaum. Auf der Straße kam ein alter Kleinlaster herangerumpelt, mit einer offenen Ladefläche, auf der sich Pflanzen und Gartengeräte stapelten. Zwei Männer stiegen aus – ein Grauhaariger und ein sehr junger Bursche, bestimmt noch nicht mal 20! Monas Herz machte einen Hüpfer. „Der Kleine da“, dachte sie, „ist meine Fahrkarte nach draußen.“ Männer waren hier natürlich Mangelware; Sonntags kam der Pfarrer zur Messe, und dann gab es nur noch einen fetten, ständig besoffenen Hausmeister, der sich um die Elektrosachen kümmerte, und die beiden Gärtner, Herr Berghammer und sein Geselle Heiner. Mona hatte einmal den Pfarrer angelächelt, doch der hatte so verbiestert zurückgeschaut, dass sie ihn gleich von der Liste der möglichen Fluchthelfer abhaken konnte. Der Hausmeister war so abstoßend, dass sie ihn gar nicht erst in Erwägung zog. Blieben also nur die Gärtner, und da war natürlich Heiner der leuchtende Kandidat. Mona bekam schnell heraus, wann die beiden zu tun hatten. Der Winter war dieses Jahr ziemlich schneefrei und trocken, sodass es immer was zum umgraben, schnippeln und pflegen gab. Außerdem transportierten sie dürre und kaputte Pflanzen ab; der Laster war eigentlich immer voll. Heiner schaute nie hoch; er schien sich nicht für diese biederen Mädchen zu interessieren. Auf die Ferne bemerkte er Mona nicht, also musste sie ihm näherkommen.
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Sie spielte Völkerball. Dabei stellte sie sich so ungeschickt an, dass der Ball unweigerlich mal in seiner Nähe landete. „Huch!“, rief sie kleinmädchenhaft und kicherte albern. „Wie dumm von mir!“ Bevor jemand reagieren konnte, setzte sie dem Ball nach und hob ihn auf, als er fast an den jungen Mann stieß. „Oh, Entschuldigung, habe ich dich getroffen?“, redete sie ihn an. Er hob den Blick – und erstarrte. Mona hoffte, dass sie nicht zu hässlich wirkte. Auch auf die Gefahr hin, entdeckt zu werden, hatte sie einen Hauch Farbe an die langen Wimpern gebracht, damit sie ihre großen blauen Augen besser zur Geltung brachten. Und sie hatte die Haare frisch gewaschen und nur mit einem lockeren Band zusammengefasst, das sich jetzt löste. Mit einem strahlenden Lächeln stand sie vor Heiner. „Hallo“, sagte sie mit schüchterner Stimme. „Ich bin Mona, und du?“ „Hei – Heiner“, stotterte er fassungslos. „Ich hab dich noch nie gesehen.“ „Oh, du hast nur nicht Ausschau gehalten“, erwiderte sie mit kokettem Augenaufschlag und drehte sich leicht. „Von hinten sehen wir alle gleich aus.“ „Mona, was ist denn?“, rief die wartende Erzieherin streng. „Ich komme schon! Ich habe mich nur bei Heiner entschuldigt!“, gab sie zurück. „Ich würde dich gern wiedersehen“, flüsterte sie dem verwirrten Jungen zu. „Heute Abend um elf im Hof, ja?“ „Das geht nicht, wir sind nicht so lange da“, gab er hastig zurück. „Wenn es dir nichts bedeutet, bleibst du eben weg“, wisperte sie mit enttäuschtem Blick. Dabei strich sie mit dem Zeigefinger leicht über ihre Lippen und schob ihre Brust vor. „Du wirst es nicht bereuen…“ Dann sprang sie davon.
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Heiner machte es möglich. Offensichtlich kannte er sich auf dem Gelände hervorragend aus, denn er fand einen Weg, sich unbemerkt einzuschleichen. Mona wiederum kannte inzwischen die Wege, sich aus dem Schlafsaal zu schleichen. Es war eine mondhelle Nacht, und die Dachgiebel warfen lange Schatten auf den Hof, in denen man gut dahinhuschen konnte, ohne entdeckt zu werden. Aus einer Ecke ertönte plötzlich ein „Pssst!“, und Mona sprang sofort in die sichere Deckung. Mit den Händen tastete sie sich vor und gluckste unterdrückt, als sie einen warmen Arm fühlte. „Das ist ganz schön verrückt!“, wisperte der junge Mann. „Ich weiß eigentlich gar nicht, warum ich das mache!“ „Ich werd’s dir zeigen!“, antwortete sie. Dann küsste sie ihn so leidenschaftlich, dass ihm Hören und Sehen verging, und verraufte mit ihren Fingern seine Haare. „Wow“, ächzte er, als er wieder nach Luft geschnappt hatte. „Du kannst das aber gut. Ich dachte immer, ihr Internatsmädels lebt wie Nonnen…“ „Das mag vielleicht für die anderen gelten, aber ich bin hier völlig fehl am Platz“, erklärte Mona. „Deshalb musst du mir auch helfen, dass ich hier rauskomme.“ „He, kommst du immer so schnell zur Sache?“, beschwerte Heiner sich. „Ich meine, schon mit dem Treffen heute…“ „Du bist doch da, oder? Und ich schenke dir dafür auch was Schönes.“ „Ja? Was denn?“ Monas Stimme war nur noch ein Hauch: „Mich…“ Sie packte Heiners Hand und legte sie auf ihre Brust. „Also… also, das geht jetzt wirklich zu schnell…“, protestierte er verzweifelt.
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Sie kicherte unterdrückt. „Du hast es noch nie gemacht, oder?“ „Na hör mal, ich bin älter als du…“ „Aber trotzdem hast du’s noch nie gemacht. Dein Alter lässt dich wahrscheinlich nie raus, und die Mädchen hier trauen sich nicht… aber jetzt hast du die einmalige Gelegenheit dazu!“ Sie führte Heiners Hand unter ihr Nachthemd, zu ihrem nackten Busen. „Das gefällt dir doch, oder?“ Er keuchte vor Erregung, seine Finger zitterten. Nach einem kurzen Zögern stürzte er sich geradezu auf Mona, schob ihr Hemd hoch und ließ feuchte Küsse auf sie herniederprasseln. Er zuckte zusammen, als sie seine Hose öffnete und in seine Unterhose glitt. „Aber hallo“, wisperte sie. „Das ist ja ‘ne Schande, so jemanden so lange zu verstecken…“
Die Fluchtvorbereitungen dauerten nicht mehr lange. Der unschuldige Heiner war Mona absolut verfallen und verzehrte sich jede Sekunde nach ihr. Sie hatte ihm nicht nur die Unschuld genommen, sondern ihm auch gezeigt, wie viel Vergnügen so ein fester Mädchenkörper einem saftstrotzenden jungen Mann bieten konnte. Das war viel besser als Pornos unter der Matratze und feuchte Träume in der Nacht. Heiner dachte nicht über mögliche Folgen nach, er würde alles tun, was Mona verlangte, solange sie ihn weiter an sich ranließ. Er konnte verstehen, dass sie aus dem Internat raus musste, dass sie andere Kleider und Schminke brauchte, um glamourös wie ein Star aufzutreten. Seiner Ansicht nach war es unfassbar, wie man so ein Juwel einsperren konnte. Sie heckten gemeinsam einen Plan aus, wann eine Flucht am günstigsten war. Es musste an einem Tag sein, an dem mehr
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Verkehr auf der Straße war und weitere Lieferungen im Internat eintrafen. Zu packen hatte Mona ja nichts, denn sie war mit nichts gekommen. Und das bisschen abgenommene Geld hatte sie sowieso längst abgeschrieben. Schließlich wartete auf der Bank eine Menge Kohle auf sie, mit der sie einige Zeit auskommen konnte. „Wirst du zu deinen Eltern zurückgehen?“, fragte Heiner sie. „Niemals“, sagte sie fast wild. „Die haben mir das hier angetan. Ich war ihnen immer nur im Weg, die sollen bleiben, wo der Pfeffer wächst!“ Mittwoch war ein guter Tag. Da war ein ständiges Kommen und Gehen, die Erzieherinnen waren beschäftigt, und die Mädchen hatten nachmittags mehr Freizeit als sonst. Heiner wollte den Boden rechen und alles auf eine Plane sammeln. Im günstigen Moment würde er Mona mit einwickeln und auf den Laster legen. So kam es auch. Der Gärtner war damit beschäftigt, mit dem Hausmeister ein Glas Selbstgebrannten zu probieren, und Heiner arbeitete wie sonst auch. Mona hielt sich immer irgendwo in der Nähe auf und wartete mit Argusaugen. Jetzt war die Uniform von Vorteil, man konnte die Mädchen auf den ersten Blick und von Ferne kaum auseinanderhalten, und Zählen schon gleich gar nicht. Die Erzieherinnen waren damit beschäftigt, die Lieferanten zusammenzuschimpfen oder ihren Anteil zu bunkern. Schließlich war Heiner so weit; ein ziemlicher Haufen lag auf der Plane, der Mona zusätzlich Schutz bieten würde. Noch einmal sicherte sie nach allen Seiten, dann kroch sie blitzschnell unter Blätter und trockenes Geäst, das sie überall piekste, aber das wollte sie gern auf sich nehmen. Heiner wickelte sie in Windeseile ein, achtete aber darauf, dass Mona
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noch Luft bekam und sich auch aus eigener Kraft befreien konnte. Dann zog er die Plane Richtung Wagen. Aber er schaffte es nicht, sie allein hinaufzuheben. Vermutlich hätte er es auch ohne Monas zusätzliches Gewicht nicht geschafft. Mona betete, dass er nicht auf einmal den Schwanz einzog. „He, Meister!“, rief Heiner. „Ich schaff das nicht! Können Sie mir kurz helfen, bitte?“ „Heiner, du bist doch blöd!“, rief der Meister zurück. „Ach, dieser Junge“, beklagte er sich beim Hausmeister, „nie kann er mal selbstständig arbeiten, dauernd muss ich ein Auge auf ihn haben. Es ist wirklich ein Kreuz mit der Jugend von heute.“ „Meine Rede“, pflichtete der Hausmeister mit schwerer Zunge bei, „wir war’n noch ganz andere Kerle, damals.“ Gemeinsam hievten sie die volle Plane auf die Ladefläche. „Meine Herren, Heiner, du hast ja ein Tonnengewicht geladen!“, schimpfte der Meister. „Da hebt man sich ja ‘nen Bruch!“ „Es ist ja droben. Ich bin dann fertig“, erklärte Heiner. „Ja, ja, ich komm gleich.“ Mindestens 15 Minuten nervenaufreibendes Warten vergingen. In dieser Zeit könnte alles geschehen. Doch keine der Befürchtungen trat ein. Der Meister warf Heiner den Schlüssel zu. „Hier, fahr du mal besser.“ Heiner hatte seinen Führerschein seit einem halben Jahr, aber es war das erste Mal, dass er fahren durfte. Das klappte ja bestens. Damit war klar, dass Monas Flucht richtig war, wenn es so wenig Widerstand gab. Er rollte auf die Straße hinaus und achtete darauf, nicht zu sehr in Schlaglöcher zu fahren. Als das Haus längst außer Sicht war, an der nächsten größeren Kreuzung, hielt er plötzlich an.
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Meister Berghammer, der kurz eingenickt war, fuhr hoch. „Was’n los“, murmelte er schlaftrunken. „Nichts, Meister, ich hab da nur ‘n komisches Geräusch gehört. Ich guck schnell mal nach.“ Heiner stieg aus, spähte nach allen Seiten und half Mona dann aus der Plane. Er gab ihr eine Plastiktüte, in der er ihr eine saubere Jeans und ein weißes T-Shirt von sich mitgebracht hatte. „Hier“, wisperte er. „Und ich hab meiner Schwester ‘nen Lippenstift und Wimperntusche geklaut, bloß Spiegel hab ich keinen gefunden…“ „Heiner, wann geht’s denn endlich weiter?“, beschwerte sich der Meister vorn. „Mach doch endlich zu, Junge!“ „Ja, gleich, Meister! Ist kein Problem, alles in Ordnung!“ „Du bist ja so süß“, hauchte Mona und verabreichte Heiner noch einen kurzen, aber heißen Zungenkuss, bevor sie vom Laster sprang. „Autsch, ich habe wahrscheinlich überall blaue Flecken!“, lachte sie leise. „Hoffentlich kommt bald ein Wagen, bevor die merken, dass du weg bist“, meinte er besorgt. „Ach was, das klappt schon“, winkte sie ab. „Ich bin ein Glückskind, weißt du? Weil ich dich gefunden hab.“ Er sah sie zögernd an. „Sehn wir uns mal wieder?“ „Aber bestimmt!“, versprach sie. „Sobald ich mich in der Gegend wieder blicken lassen kann! Mach’s gut, Heiner, und vielen Dank, das werd ich dir nie vergessen!“ Das tat sie auch nicht, weder im positiven noch im negativen Sinne. Wenn er mal einen Gefallen von ihr brauchte, würde er sie nur bitten müssen. Sie wollte niemandem etwas schuldig bleiben, um sich nicht in seine Hand zu begeben. Sie versteckte sich in einem Busch auf der Verkehrsinsel in der Mitte der Kreuzung, und Heiner fuhr weiter. Herr Berghammer schlief schon wieder; er würde später sicher keinen verlässlichen Zeugen abgeben.
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In aller Hast zog Mona sich um und verpasste sich aufs Geratewohl ein kleines Make-up. Solchermaßen gewappnet, wartete sie im Busch verborgen auf ein Auto, das sie mitnehmen würde.
Einige Autos kreuzten ihren Weg, aber ihr gefiel keines. Natürlich achtete sie auf einen Wagen aus der Richtung des Internats, aber die waren wohl immer noch zu beschäftigt. Und wahrscheinlich würden sie dort erst mal das ganze Gelände absuchen, weil sie nicht glauben konnten, dass jemandem die Flucht gelungen war. Das Warten wurde lange, und Mona sehnte sich nach einer Zigarette. Richtig süchtig danach war sie eigentlich nicht, aber es verkürzte die Wartezeit und Langeweile doch erheblich. Außerdem fing sie an zu frieren, als der Adrenalinpegel allmählich wieder sank. Doch dann kam er. Sie erkannte ihn schon von weitem, ein , rotes Porsche Cabrio, nicht allzu schnell, vermutlich auf einer Kaffeefahrt. Trotz der nicht gerade sommerlichen Temperaturen war das Verdeck offen – und es saß nur eine Person darin. Genauer gesagt, ein Mann. Mona verließ ihren Busch und stellte sich an den Straßenrand; den ersten Knopf der Jeans geöffnet, die frierenden, steil hervortretenden Brüste heraus gereckt, ein Daumen lässig in die Tasche gehakt, den anderen nach oben gereckt. Ihre blonden Haare spielten im Wind. Sie lächelte. Der Porschefahrer hielt bereits fünf Meter vor ihr, und sie legte die Entfernung in anmutigen, wiegenden Schritten mit schwingenden Hüften zurück. „Hi“, sagte sie mit strahlendem Lächeln. „Zufällig habe ich Ihre Richtung. Darf ich mitfahren?“
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„Wie soll’s jetzt weitergehen?“, stellte Mona sich die Frage aller Fragen. Nachdem sie aus dem Internat abgehauen war, hatte sie versucht, ein paar Tage bei Peter Strassner unterzukriechen. Er war allerdings nicht erfreut über ihren Besuch. „Mona, ich bin gerade dabei, von dir loszukommen“, sagte er. „Du kannst nicht bleiben.“ „Bitte, nur für kurze Zeit, bis ich was anderes gefunden habe!“, hatte sie gebettelt. „Peter, ich bin total pleite und weiß nicht, wohin!“ „Wie wär’s zu deinen Eltern?“ „Bist du verrückt? Die stecken mich doch gleich wieder in den Knast!“ „Mona, es ist ein Internat!“ „Noch schlimmer als der Knast! Weißt du, was die da alles von mir verlangen? Es ist unglaublich! Das halt ich nicht aus!“ Peter rieb sich das Kinn. „Mona, ich kann dich nicht aufnehmen, ich mache mich strafbar. Deine Eltern müssen wissen, wo du bist.“ „Peter, das kannst du nicht tun! Hab ich nicht immer zu dir gehalten?“ Ihre Augen schimmerten feucht. Sie streichelte seinen Arm und schmiegte sich dann plötzlich an ihn. „Außerdem wollen die mich gar nicht mehr haben, die sind viel zu beschäftigt miteinander! Warum meinst du, haben sie mich abgeschoben?“ Er seufzte. „Also schön, du kannst zwei Tage bleiben. Dann muss ich verreisen.“ „Kann ich nicht die ganze Zeit hier bleiben?“ 151
„Nein, das geht nicht. Und du wirst die zwei Tage die Wohnung nicht verlassen, verstanden? Und du wirst auch nicht telefonieren! Ich komme sonst in Teufels Küche.“ „Ich tue alles, was du willst!“, versprach sie glücklich. Sie hatte erst mal zwei Tage Zeit gewonnen, danach konnte sie weiter sehen. Bestimmt konnte sie Peter überreden, ihr weiter zu helfen. Er hatte doch viel Erfahrung, sicher wusste er einen Ausweg. Und die Eltern sollten sich ruhig Sorgen machen; schließlich waren sie an allem Schuld. Aber nach zwei Tagen machte Peter Ernst. Er packte seinen Koffer und erklärte Mona, dass sie weder hier bleiben noch mitkommen könne. Er schien sogar froh zu sein, dass er abreiste und damit aus dem Schneider war. Er setzte Mona kurzerhand auf die Straße und redete ihr eindringlich zu, zu den Eltern zurückzukehren und in Ruhe mit ihnen zu sprechen. „Es geht hier nicht um einen Weltuntergang, mein Kind. Dieses Problem kann gelöst werden, und ich bin sicher, dass deine Eltern dir noch eine Chance geben, wenn du endlich vernünftig wirst.“ „Du bist eben auch nicht besser!“, zischte sie wutentbrannt. „Wenn mir was passiert, bist du schuld daran!“ Er schüttelte den Kopf. „Mona, du hast dir das meiste selbst zuzuschreiben. Ich gebe zu, dass ich dich vielleicht zu früh als Erwachsene behandelt habe, aber alles, was danach kam, lag in deiner Entscheidung. Dass du es jetzt mit jedem Kunden deines Vaters treibst, kannst du sicher nicht auf mich schieben.“ Sie wurde blass. Woher wusste er das? War er deswegen so abweisend und „geheilt“ von ihr? Hatte sie in seinen Augen endgültig die Unschuld verloren und war damit uninteressant für ihn geworden? „Dann gib mir wenigstens Geld!“, verlangte
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sie. „Ich bin total pleite, oder willst du, dass ich ‘nen Penner vögle, damit ich unter seine Zeitung kriechen darf?“ Er machte ein trauriges Gesicht. „Mona, du warst mal so liebreizend. Es tut mir weh, dich so reden zu hören.“ Aber er griff in seine Tasche und gab ihr ein paar Scheine. „Hier, mehr habe ich nicht flüssig, ich muss erst noch zur Bank. Leb wohl, Mona, und denk noch mal über alles nach.“ Er küsste sie auf die Stirn und stieg in das wartende Taxi. Mona biss sich auf die Lippen. Dann fuhr sie zu ihrer Bank, um ihr Konto leer zu räumen. Damit konnte sie eine Weile untertauchen. In irgendeiner Disco fand sie bestimmt ein paar Leute, die Platz in ihrer WG hatten. Doch sie erlebte eine böse Überraschung. „Tut mir Leid, das Konto existiert nicht mehr“, eröffnete ihr der Kundenberater der Bank. „Aber… aber das ist doch mein Konto, das kann doch nicht einfach…“, stotterte sie. Doch der Mann nickte. „Sie sind noch minderjährig und gesetzlich nur beschränkt geschäftsfähig, ein Erziehungsberechtigter kann jederzeit ein neues Konto für Sie einrichten oder auflösen, wie es ihm beliebt. Bei einem Sparbuch wäre das etwas anderes. Anscheinend hat man versäumt, Sie hierüber aufzuklären. Wer hat Sie denn beraten?“ Mona gab keine Antwort mehr. Wie in Trance verließ sie die Bank und taumelte die Straße entlang. Ihr Vater hatte sie reingelegt und ihr hart erarbeitetes Geld an sich gerissen. „Dieses Arschloch!“, dachte sie verbittert. „Das werde ich ihm heimzahlen!“ „Guten Tag, mein Fräulein“, sprach unvermittelt eine fremde Stimme in ihre Gedanken. „Hast du einen Ausweis dabei?“
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Sie schaute auf. Zwei Polizisten standen vor ihr. „Warum das denn?“, fragte sie patzig. „Solltet ihr nicht lieber ein Verbrechen oder so verhindern?“ Der eine Polizist lächelte. „Um so etwas Ähnliches geht es ja. Wir haben einen Anruf von der Bank erhalten. Deine Eltern sind schon seit Tagen verzweifelt auf der Suche nach dir. Wie es aussieht, kannst du Hilfe brauchen. Komm, wir bringen dich nach Hause.“ Der andere nahm sanft, aber unnachgiebig ihren Arm. „Komm, Mona. Mach uns keine Schwierigkeiten.“ Aber sie widersetzte sich. „Was soll das?“, rief sie. „Dazu habt ihr kein Recht! Lasst mich sofort los, ich will nicht mit!“ Hilfesuchend schaute sie sich um. „Hilfe, ich werde entführt! Das sind keine Polizisten, sondern Kidnapper! Bitte helft mir doch!“ „Nur die Ruhe“, sagte der Polizist. „Wir sind nicht deine Feinde.“ Der andere aktivierte den Funk im Auto und meldete, dass die Eltern informiert werden sollten. „Sie tun mir weh!“, keifte Mona. „Lassen Sie mich doch endlich los!“ „Wir steigen gleich ein, dann lasse ich dich in Ruhe“, versetzte der Polizist. „Ja, toll!“, schrie sie und schaute an ihm vorbei. „Ich werd hier wie ein Verbrecher festgehalten, und da vorn klaut ein Radfahrer ‘ner Omi die Handtasche!“ Sie deutete mit der freien Hand in die angebliche Richtung. Der Polizist sah sich automatisch kurz um – vielleicht zwei Sekunden. Diese winzige Zeit genügte, um ihn abzulenken. Mona riss sich von ihm los und trat ihm heftig gegen das Schienbein. Dann flitzte sie im höchsten Tempo davon. Sie wusste, dass sie nicht leicht einzuholen war, im Spurt war sie immer sehr gut gewesen. Um die Ecke war das KaDeWe, da
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drin fanden sie sie niemals. Sie sauste hinein, nahm die erste Rolltreppe und verschwand in der Kofferabteilung. Hier verschnaufte sie erst mal und gab sich dann den Anschein von Harmlosigkeit. Über eine Stunde stromerte sie im Kaufhaus herum, klaute ein paar nicht zu auffällige Anziehsachen, die sie gegen ihre derzeitigen vertauschte, und wagte schließlich den Weg nach draußen. Kein Polizist weit und breit. Mona kramte nach ein paar Münzen und rief dann zu Hause an. „Mona“, meldete sich. Die Mutter war dran. „Du hast Nerven“, sagte sie. „Kannst du dir nicht vorstellen, dass wir uns Sorgen um dich machen?“ „Und warum hetzt ihr dann die Polizei auf mich?“ „Kannst du mir verraten, wie wir dich sonst finden sollen?“ „Ihr gebt euch eben keine richtige Mühe“, schnauzte Mona. „Außerdem wollt ihr mich ja gar nicht. Und Papa ist ein Dieb, sag ihm das!“ „Mona, komm jetzt nicht auf die Tour! Mach dich sofort auf den Weg nach Hause, dann reden wir über alles.“ „Was gibt’s denn da zu reden? Ihr habt mich doch ohnehin abgeschrieben! Warum sonst steckt ihr mich in so eine Anstalt?“ „Damit du erkennst, was du falsch machst! Dein Vater hat mir alles erzählt, und ich schäme mich für dich! Du… du bist eine Hure!“ „Fein, Mama, endlich mal rückst du mit der Wahrheit heraus. Und weißt du was? Das ist mir scheißegal. Ich komme nie wieder nach Hause, sondern bestimme selbst über mein Leben. Ihr könnt mich alle mal.“ Damit hängte sie ein. Sie atmete tief durch, ihr Herz raste. Sie wusste, dass das ihr letzter Anruf bei den Eltern gewesen war. Sie gehörten ab jetzt der Vergangenheit an, genauso wie die Schule und alle so genannten Freunde. Das lag hinter ihr.
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Sie ging in ein Café, um darüber nachzugrübeln, wie es weitergehen sollte. Das Geld reichte gerade für zwei oder drei Tage, wenn sie einen kostenlosen Unterschlupf fand. Aber wohin sollte sie dann gehen? Sie kannte ja niemanden. Sie musste jetzt schon sehr gut nachdenken, damit sie nicht gleich wieder von irgendwelchen Bullen verknackt wurde und am Ende noch in einer Besserungsanstalt landete. Tja, aber was sollte sie machen? „Entschuldige bitte, wenn ich dich anspreche“, erklang eine freundliche, irgendwie vornehme Stimme über ihr. Sie schaute auf. Eine etwa fünfzigjährige, gut situierte, wohlgenährte Frau stand an ihrem Tisch und lächelte sie an. „Du siehst aus, als könntest du einen Kaffee vertragen.“ Mona deutete auf ihre leere Tasse. Die Frau setzte sich ohne weitere Umstände neben sie, sie war vollbepackt mit Einkaufstüten. „Ach, es ist ein Kreuz“, klagte sie. „Immer muss ich zu viel kaufen. Ich brauche eine Pause. Darf ich dich zu einem zweiten Kaffee einladen?“ „Warum das denn?“, fragte Mona misstrauisch. „Nun, weil junge Mädchen in der Regel nicht besonders flüssig sind, und ich außerdem glaube, dass das eine geschäftliche Besprechung wird.“ Mona runzelte die Stirn. Tickte die Alte noch ganz richtig? Was wollte die von ihr? „Einen kleinen Moment.“ Die Frau hatte ihre Tüten endlich platziert und fummelte in ihrer Handtasche. Sie reichte Mona eine glitzernde Visitenkarte. „Annagreta Karlsson, Casting“ stand groß drauf; in der unteren Zeile war „Modelagentur Lebmann und Partner“ mit Adresse und Telefonnummer angegeben. „Meine Aufgabe ist es, nach unverbrauchten, jungen und hübschen Gesichtern auf der Straße Ausschau zu halten“,
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erklärte Frau Karlsson. „Momentan bin ich zwar eigentlich außer Dienst, aber eine Gelegenheit lasse ich deswegen nicht einfach verstreichen. Du hast ein sehr hübsches Gesicht und eine tolle Figur, was ich so sehen kann. Hättest du nicht Lust, mal ein paar Probeaufnahmen zu machen? Natürlich nur unverbindlich, aber du wärst nicht die Erste, für die das der erste Schritt auf die Karriereleiter ist.“ „Wie… Sie machen die Aufnahmen?“ Frau Karlsson deutete auf die Visitenkarte. „Wir haben eine Agentur, die Models vermittelt, und zwar überallhin in die Welt. Vorwiegend für Modemagazine, aber natürlich auch für Modeschauen und all so was. Komm doch einfach mal vorbei und schau dir alles in Ruhe an. Wir arbeiten sehr seriös, sind also keine Mädchenhändler oder so was. Würde dich das interessieren?“ Mona hob die Schultern. Was hatte sie schon zu verlieren? „Ach, weißt du was? Wenn du gerade nichts vorhast, könntest du mich doch gleich begleiten!“, schlug die Frau vor. „Sie verlieren nicht viel Zeit, wie?“ „Man muss immer schneller als die Konkurrenz sein, und gerade Berlin ist ein sehr heißes Pflaster. Was ist, begleitest du mich?“ Warum eigentlich nicht? „Okay.“ „Prima! Du kannst Annagreta zu mir sagen, wie alle Mädchen.“ „Aber ich gehöre doch noch gar nicht dazu…“ „Oh, das geht oft schneller als man ahnt“, lachte Annagreta. „Und in Wirklichkeit habe ich natürlich nur jemanden gesucht, der mir beim Tragen hilft. Bist du so nett, Kleine? Wie heißt du überhaupt?“ „Mona.“ „Ein hübscher Name! Da werden wir gar keinen Künstlernamen für dich brauchen!“
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Die Agentur besaß ein modernes Gebäude in der Nähe vom Ku’damm, höchst exquisit eingerichtet. Das Mädchen am Empfang war schon so wunderhübsch, dass Mona sich fragte, wie die anderen, die als Models eingesetzt wurden, erst aussehen mochten. Eine Menge Mädchen schwirrten herum, und alle lächelten Mona freundlich an und grüßten Annagreta fröhlich. Sie schien so was wie die „gute Seele“ zu sein. Mona sollte eine Weile warten, dann kehrte Annagreta mit guten Nachrichten zurück: „Du hast Glück! Karl, unser Chef, hat gerade ein paar Minuten übrig. Du brauchst keine Angst zu haben, ich gehe mit hinein.“ Ein wenig beklommen war Mona schon, als sie das riesige, eher wie ein Wohnzimmer eingerichtete Büro betrat. Irgendwie war das alles wie im Film. Karl Lebmann war ein gutaussehender, großer Mann mit einem charmanten Lächeln. „Du hast Recht, Annagreta, sie ist wirklich sehr hübsch. Völlig unverbraucht und natürlich, genau das, was wir suchen.“ Er ging um Mona herum, der diese „Fleischbeschau“ einerseits ziemlich peinlich war, andererseits fühlte sie sich geschmeichelt. „Wie alt bist du?“, wollte er wissen. „16“, log Mona. „15“, korrigierte er. „Höchstens.“ Er besaß einen Kennerblick. „Können wir Schwierigkeiten mit deinen Eltern bekommen?“ Sie schüttelte den Kopf. „Die haben mich gerade rausgeschmissen. Ich bin für mich selbst verantwortlich.“ Die beiden tauschten einen wissenden Blick. „Das ist ja alles sehr schön“, meinte Karl und ließ sich hinter seinem Schreibtisch nieder. „Eigentlich müssten wir deine Eltern benachrichtigen, aber wir können uns darauf hinausreden, dass du uns falsche Angaben gemacht hast. Einverstanden?“
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Mona nickte. Hauptsache, sie musste nicht mehr zurück. „Nun, es sieht folgendermaßen aus. Als Erstes machen wir ein Foto-Shooting und stellen eine Mappe von dir zusammen, die wir dann entsprechend anbieten“, erklärte der Inhaber der Model-Agentur. Monas Augen leuchteten auf. „Und dafür gibt es Geld?“ Er lachte. „Nun, zunächst mal kostet es Geld – und zwar nicht wenig. Wir müssen einen guten Fotografen bezahlen, die Filmentwicklung, die Werbung… da kommt einiges zusammen.“ Annagreta nickte. „Das ist leider so. Man muss erst was bringen, bevor man einnimmt.“ „Aber… aber ich habe doch kein Geld!“, stotterte Mona enttäuscht. „Aber das macht gar nichts“, lächelte Karl. „Wir geben dir die Möglichkeit, Geld zu verdienen, bis die ersten Aufträge hereinkommen. Mein Partner betreibt einen Privat-Club in der Nähe, und darüber ist noch eine Wohnung frei. Du kannst am Tresen arbeiten und dir ein tolles Trinkgeld verdienen, das dich im Nu aus dem Gröbsten rausbringt. Natürlich darfst du niemandem dein wahres Alter verraten, du verstehst?“ „Auf keinen Fall“, nickte Mona. „Aber die Wohnung, wie viel kostet die?“ „Nichts, solange du in der Bar arbeitest. Das gehört dazu und ist in unseren Kreisen üblich. Da du vorwiegend abends arbeitest, hast du tagsüber genug Zeit für Aufnahmen und vor allem Sport und Körperpflege. Natürlich musst du auch Diät halten. Die Mädchen werden dir Tipps geben.“ Karl stand auf. „Damit sind wir uns einig, nicht wahr?“ Mona war ein wenig schwindlig, das ging doch alles sehr schnell. Aber andererseits war das doch genau die Chance, auf die sie gehofft hatte. Sie war eben ein Glückskind.
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Die Bar war weitläufig und schummrig, mit einer kleinen Bühne und jeder Menge Polster, Vorhänge und Holz. Die Wohnungen darüber erreichte man über die Nebentreppe; sie waren klein, aber wenigstens hatte man ein Zimmerchen mit einer Kochgelegenheit und einem nett eingerichteten Bad für sich. Mona entschloss sich, das Angebot erst mal anzunehmen, bis sie etwas anderes gefunden hatte – oder die ersten Aufträge kamen. Denn sie hatte keineswegs vor, länger als unbedingt notwendig in einer Bar zu versauern. Was natürlich stimmte, waren die Arbeitszeiten. Sie war es ja gewohnt, bis in die Puppen aufzubleiben, und dabei noch Geld einzunehmen war nicht das Schlechteste. „Natürlich helfen wir dir bei der Kleidung“, versprach Annagreta, die Mütterliche. „Du kannst ja nicht immer in denselben Klamotten herumlaufen. Das kannst du dann auch mit deinem Verdienst an der Bar in bequemen Raten abstottern.“ Am Abend ging es dann schon los; Susi, die so was wie eine feste Einrichtung war, erklärte Mona alles und ließ sie eine halbe Stunde zuschauen, bevor sie sie „an die Front“ schickte. Zum Glück kannte sie die wichtigsten Cocktails von zu Hause her, und auch, wie man sie zubereitete. Natürlich brachte sie die ersten Bestellungen durcheinander, aber die Gäste waren geduldig mit ihr und machten ihr Komplimente. Als sie am frühen Morgen völlig kaputt in die Federn kroch, hatte sie fast 100 Mark Trinkgeld beisammen – eine runde Sache. Sie nahm sich fest vor, viel mehr einzunehmen, wenn sie erst richtig eingearbeitet war. Die Bar selbst war nicht übler als andere, die sie kannte. Schräge Musik, Animierdamen hockten am Tresen und warteten auf Kundschaft, die Männer waren alle austauschbar – dumm, geil und spendierfreudig. Karls Partner Hans ließ sich
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hin und wieder zur Kontrolle blicken. Er gab Mona einen Klaps auf den Po und spornte sie an, so weiterzumachen. Die Wochen vergingen wie im Flug. Mona war schon sehr gespannt darauf, ob ihre Mappe bei den Kunden ankam, und fragte jeden Tag in der Agentur nach. Doch Annagreta hatte leider immer nur Absagen, doch sie sprach ihr Mut zu. „Bei den meisten dauert es mindestens ein halbes Jahr, bis der erste Auftrag mal reinkommt, das ist ganz normal. Die Kunden greifen immer erst zum Altbewährten, aber auch du wirst noch an die Reihe kommen.“ Am Monatsende wartete Mona gespannt auf ihre Abrechnung. Da sie nirgends gemeldet war, dürfte es ein hübsches Sümmchen ergeben. Ihr Gesicht wurde allerdings lang, als sie nur ein paar Scheine in die Hand gelegt bekam. „Was, das ist alles?“ „Was passt dir denn nicht?“, fragte Otto, der Zahlmeister. Er hatte immer eine glimmende Zigarette im Mundwinkel und war ein ziemlich schmuddliger Typ. „Glaubst du, wir hätten keine Ausgaben gehabt? Erst mal muss das Zimmer abgezogen werden.“ „Aber ich dachte, das wäre umsonst!“ „Umsonst ist der Tod, Kindchen. Du hast das falsch verstanden. Das Zimmer ist im Gehalt mit drin, so rum stimmt es. Also wird es logischerweise abgezogen, klar? Zweitens: Du bist noch in der Ausbildung. Du kannst noch nichts, außerdem verschüttest du ziemlich viel und schmeißt andauernd die Gläser runter. Drittens brauchst du Berufskleidung. Das kostet alles, capito? Wenn du erst mal alles abbezahlt hast, sieht das ganz anders aus. Aller Anfang ist schwer.“ Das merkte Mona. Es war gar nicht so einfach, schnell zu Geld zu kommen, auch wenn man es mit den Männern gut konnte. Gemein war auch, dass sie nicht das ganze Trinkgeld behalten durfte, obwohl es doch ihr gehörte. Sie schaffte es nur
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mit Müh und Not, trotzdem was zu bunkern. Aber sie musste jederzeit darauf gefasst sein, dass ihr Zimmer durchsucht wurde. Daher mietete sie ein Schließfach bei der Bank an; es kostete nicht viel, und niemand kontrollierte es. Jede Mark steckte sie dort hinein, denn sie bekam das Gefühl, als würde sie sie irgendwann nötig brauchen.
Eines Tages ging das Ganze noch einen Schritt weiter. Mona merkte, dass einige Mädchen fehlten. „Hoffentlich beschwert sich da niemand“, meinte sie zu Susi. Doch die kaute nur weiter ihren Kaugummi und zuckte die Achseln. Susi war alles völlig egal, sie machte ihren Job und kümmerte sich um keinen anderen. „He, Mona“, sagte Hans zu ihr, als er hinter den Tresen kam. „Hast du keine Augen im Kopf?“ Sie schaute ihn groß an. „Wieso denn? Hab ich eine Bestellung vergessen?“ „Quatsch.“ Er deutete auf einen Mann am anderen Ende der Bar, der allein vor seinem Bier und Korn saß. „Der Typ hockt da seit mindestens einer Viertelstunde allein. Denkste, der kommt nur zum Saufen hierher? Bei den Preisen kann er besser woandershin gehen. Also, kümmere dich gefälligst um ihn.“ „Ich? Ja, wie denn?“ Mona war von den Socken. Das meinte er doch nicht Ernst? „Mädel, ich frag mich langsam, ob ich nicht einen totalen Fehlgriff getan habe“, schnauzte Hans sie an. „Wie alle anderen natürlich auch! Hast ja Zeit genug gehabt, von denen zu lernen!“ „Ja, aber… das ist doch deren Sache… ich mach doch die Bar, hat Annagreta gesagt…“, stammelte sie. Das Herz schlug ihr bis zum Hals. „Susi ist doch auch immer – “
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„Jetzt hab ich aber genug!“ Hans packte sie am Arm und zerrte sie in den hinteren Raum. Dort gab er Mona eine Ohrfeige. Sie hielt sich an einem Regal fest und starrte ihn aus aufgerissenen Augen an. „Ich bin der Chef hier und bestimme, was läuft, verstanden? Du springst, wenn ich es verlange. Und vor allem hältst du dein Maul. Du hast hier überhaupt nichts zu sagen, und ich kann es auf den Tod nicht ausstehen, wenn mir eine von euch Nutten widerspricht.“ In Monas Augen schossen Tränen. „Ich bin keine Nutte! Ich arbeite hier als Bardame! Ich such mir was anderes!“ Darüber konnte Hans nur lachen. Und ehe Mona sich versah, lag sie am Boden und er auf ihr drauf. Trotz ihrer verzweifelten Gegenwehr vergewaltigte er sie ausgiebig und so lange, bis ihre Schreie endlich versiegten. Endlich ließ er von ihr ab, stand auf und knöpfte sich die Hose zu. „So, Kleine, jetzt noch mal von vorn: Du gehst raus und kümmerst dich um den Kunden. Und wenn er dich ficken will, gehst du in eins der Hinterzimmer neben den Klos. Du wirst ihm vorher den Preis nennen und alles vorher kassieren. Danach lieferst du alles schön brav bei mir ab, und wir sind wieder die besten Freunde. Und lass dir gesagt sein: Du gehst nirgendwo ohne meine Erlaubnis hin. Lass dir nicht einfallen, abzuhauen oder so. Ich finde dich überall. Solange du Schulden bei mir hast, wirst du arbeiten bis zum Umfallen, kapiert?“ Mona kapierte. Sie war auf eine Schlepperin hereingefallen, die darauf spezialisiert war, streunende Mädchen wie sie einzufangen und zu verkaufen. Sie war es nicht mal wert, drüben in der „Agentur“ zu arbeiten, wahrscheinlich weil sie zu jung war und keine Papiere hatte.
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Sie glaubte Hans jedes Wort; er drohte nicht umsonst. Ihr ganzer Körper schmerzte von der Misshandlung, das wollte sie nicht noch einmal durchmachen müssen. Er warf ihr einen Waschlappen ins Gesicht. „Mach dich frisch, und dann an die Arbeit!“
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Nach anfänglichen Schwierigkeiten und Ekel gewöhnte Mona sich schnell ein. Es war schließlich nicht das erste Mal. Die meisten Freier waren nett, eher schüchtern, und schnell mit der Sache fertig. Kaum einer verlangte etwas Außergewöhnliches; am häufigsten war der Blow-Job gewünscht. Mona lernte schnell und wurde routiniert. Sie konzentrierte sich nur auf ihr Ziel, so bald wie möglich hier rauszukommen. Sie perfektionierte ihre Künste und verstand es, die Freier so zu verwirren, dass sie nicht selten ein hübsches Trinkgeld springen ließen, das Mona an allen möglichen Stellen versteckte. Von da holte sie es sich irgendwann und schaffte es in das Schließfach. Ihre anfängliche Angst vor Hans verflog schnell. Selbst, wenn er sie einmal einfach nur aus Spaß schlug, wischte sie lediglich das Blut ab und machte mit der Arbeit weiter. Solche Wunden heilten schnell, sie konnten ihr nicht wirklich etwas anhaben. Hans war nur ein schmieriger Zuhälter, sie aber besaß Klasse. Und die würde sie in dieser Kaschemme nicht länger verbrauchen als unbedingt notwendig. Doch da trat Stefano in ihr Leben. Er war groß, mit braunen Locken, feurigen dunklen Augen und einem hinreißenden Lächeln. Ein Süditaliener, der aber schon lange mit seiner Familie in Berlin lebte. Er hatte wohl irgendwelche Geschäfte mit Hans zu erledigen, denn er führte sich nicht wie ein normaler Kunde auf. Schon eher wie einer, der irgendwelche Aktien am Club hatte. Mona begegnete ihm, als sie gerade hinter dem Tresen Drinks mixte. Er schaute sie an und sagte mit weicher, leicht 165
singender Stimme: „Jemanden wie dich hätte ich hier nicht erwartet.“ Sie schaute zurück, und in diesem Moment war es um sie geschehen. Trotz aller guter Vorsätze hatte die Liebe Mona eingeholt, ausgerechnet an diesem Ort. „Und ich nicht jemanden wie dich“, gab sie höchst unprofessionell zur Antwort. Von da ab sah sie Stefano sehr oft. Hans traute sich nichts zu sagen; offensichtlich gab es auch für ihn jemanden, dem er gehorchen musste. Er nahm es zähneknirschend hin, dass Stefano sein bestes Mädchen mit Beschlag belegte und sich auch tagsüber mit ihr verabredete. Bald klebten sie aneinander. Stefano umwarb sie auf eine Weise, die sie noch nie erlebt hatte. Noch dazu, da er ein junger, äußerst vermögender Mann war und wissen musste, wie sie ihr Geld verdiente. Aber das sollte seinen Worten nach ohnehin bald Vergangenheit sein. „Ich werde dich meiner Familie vorstellen“, sagte er eines Tages, als sie sich gerade vom Liebesspiel erholten. „Sie werden keine Bedienung akzeptieren“, zögerte sie. „Red keinen Unsinn, Mona, du hast so viel Klasse! Man merkt doch, dass du aus gutem Haus stammst, über Bildung und Niveau verfügst. Sie werden dich lieben! Du bist genau die Richtige für mich, die einzige Frau, die ich will.“ „Stefano, es wäre so schön“, flüsterte sie. „Ich liebe dich und wünschte, ich könnte immer mit dir zusammen sein. Aber ich kann einfach nicht daran glauben, zu oft sind meine Träume wie Seifenblasen zerplatzt…“ Doch Stefano war guter Dinge. Als Italiener schob er die Dinge nicht auf die lange Bank; er war Mona begegnet, sie war die Frau seiner Träume, basta. Es war ihm völlig klar, dass sie sobald wie möglich Hochzeit feierten, und zwar unten in
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Sizilien, wo ihr jugendliches Alter von 15 Jahren kein Hindernis darstellte. Mona schwebte selbst im siebten Himmel. Zum ersten Mal musste sie erstaunt feststellen, dass auch eine Frau etwas beim Sex empfinden konnte. Stefano war ein unglaublich rücksichtsvoller und zärtlicher Liebhaber, der sich viel Zeit nahm und Mona sehr viel lehrte. Vor allem, sich fallen zu lassen und alles hinauszuschreien. Sie hatte sich längst für abgebrüht gehalten, doch Stefano war sie verfallen. Sie liebte ihn mit jeder Faser ihres Herzens und wollte jede Minute mit ihm zusammen sein. Sie waren ein ideales Paar. Also stimmte sie zu, als Stefano ein Treffen mit seiner Mutter Sofia auf neutralem Boden veranlasste. Doch natürlich wurde es zu einem Fiasko. Wie alle italienischen Mütter war Sofia äußerst eifersüchtig und kritisch. Ohne Frage war ihre Meinung in Familienangelegenheiten ausschlaggebend und sie wollte offensichtlich mit Monas Gewerbe nichts zu tun haben, auch wenn Stefano mit dem Club Geschäfte machte. Als Stefano auf die Toilette ging, beugte sie sich nach vorn und sprach die ersten Worte dieses Nachmittags: „Bilde dir bloß nicht ein, in meine Familie einheiraten zu können, du billige kleine Nutte“, sagte sie scharf, wohlmoduliert, mit einem leichten Akzent. „Mein Stefano wird eine Aristokratin heiraten, ein anständiges katholisches Mädchen, das uns Ehre machen und gute Söhne schenken wird.“ Mona musste schwer schlucken. Die kalte Überlegenheit dieser Frau machte ihr schwer zu schaffen. Sie hatte es zwar geahnt, aber dennoch traf es sie tief – noch dazu, da sie gehofft hatte, aus dem Milieu rauszukommen. „Stefano liebt mich aber“, erwiderte sie so ruhig wie möglich. „Und ich liebe ihn auch aufrichtig, das müssen Sie mir glauben.“
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„Stefano ist ein junger Heißsporn, der sich die Hörner abstoßen muss“, versetzte Sofia. „Ich habe nichts dagegen, dann wird er in der Ehe zufrieden sein. Du hingegen liebst natürlich sein Geld und seine Verbindungen. Doch du wirst es nie bekommen. Die beiden sind einander schon seit den Kindertagen versprochen, an der Hochzeit ist nicht zu rütteln. Er wird sie bald wiedersehen, sie ist ein bezauberndes, wunderschönes Mädchen und passt perfekt zu ihm. Er wird sie lieben und dich in der nächsten Sekunde vergessen.“ „Wollen Sie das nicht lieber Stefano überlassen?“ „Ich weiß, was gut für meinen Sohn ist. Er ist noch so jung und braucht eine starke Hand, die ihn führt. Ich darf dich jetzt bitten zu gehen. Ich habe noch einiges mit meinem Sohn zu besprechen.“ Sofia machte eine abweisende Handbewegung. Mona blieb nichts anderes übrig als zu gehorchen. Dieser Frau widersprach man nicht so einfach. Verzweifelt sah sie sich nach Stefano um, doch er war noch nicht in Sicht.
Am Abend kreuzte Stefano in der Bar auf, er war außer sich. Er versicherte Mona, dass er sie liebe und auch gegen den Willen seiner Mutter heiraten werde. „Wir laufen weg, Mona, einfach irgendwo anders hin! Wir sind jung, gesund, und wir lieben uns. Was kann uns schon passieren?“ „Deine Familie wird dich nicht einfach gehen lassen“, gab Mona zu bedenken. „Sofia ist mächtig genug, dich überall aufzuspüren.“ „Aber ich bin ihr Sohn, kein Verbrecher! Sie wird einsehen müssen, dass sie Liebe nicht erzwingen kann. Wenn ich dich nicht bekomme, will ich keine haben!“ Da gab Mona nach. Sie schmiegte sich an ihren Geliebten und war glücklich. Die Dinge nahmen eine gute Wendung, und es war doch nicht schlecht, zu lieben und geliebt zu werden.
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Sie merkte jetzt erst, dass die ganze Zeit über etwas gefehlt hatte in ihrem Leben, das Geld nicht ausfüllen konnte. Mit Stefano wegzulaufen und irgendwo ganz neu anfangen, das wäre die Erfüllung aller Wünsche. Die Welt war groß und brauchte nur erobert zu werden. Sie verabredeten einen Tag, bis dahin musste Stefano alles vorbereitet haben. Mona konnte es kaum mehr erwarten. Sie sang leise vor sich hin, während sie ihre wenigen Habseligkeiten zusammenpackte. Erstaunt sah sie auf, als jemand die Tür öffnete. Jetzt schon? Sie hatten sich doch erst in zwei Stunden verabredet! Aber es war Hans, höhnisch lächelnd. „Stefano kommt nicht“, meldete er. „Er wird nie mehr kommen. Seine Mutter hat ihn nach Italien geschickt, wo er auf Brautschau gehen soll. Pech für dich, Kleine.“ Mona schloss für einen Moment die Augen. „Du lügst“, flüsterte sie. „Welchen Grund hätte ich? Die Summe, die er mir geboten hat, hätte ich niemals ausgeschlagen. Tja, und damit sind wir schon beim eigentlichen Problem.“ Er schloss die Tür hinter sich und schubste Mona aufs Bett. Langsam machte er die Hose auf und ließ sie fallen. „Da Stefano dich im Stich lässt, entgeht mir natürlich ein nicht unerheblicher Gewinn. Das bedeutet, dass deine Schulden weiter anwachsen. Selbstverständlich wirst du das abarbeiten müssen.“ „Du spinnst wohl!“, schrie sie. „Was hab ich damit zu tun? Außerdem, wie viel hast du von Sofia kassiert, dass du uns an sie verraten hast? Du mieses Schwein! Ahh!“ Er schlug ihr zweimal heftig ins Gesicht, ihr Kopf schleuderte von einer zur anderen Seite. „Los, zieh dich aus und mach die Beine breit“, verlangte er keuchend. „Wir wollen
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doch mal sehen, ob wir dich nicht endlich zur Räson bringen, du aufsässiges Luder!“
Wochen vergingen wie ein böser Traum. Mona weinte in jeder freien Minute. Sehnsüchtig wartete sie darauf, dass Stefano sich gegen seine Mutter durchsetzte und zu ihr zurück kam. Doch ihre Hoffnung war vergebens. Sie hatte ihre große Liebe gefunden und schon wieder verloren. Doch es kam noch schlimmer. Eines Tages bei der Routineuntersuchung beim Frauenarzt, die Hans regelmäßig verlangte, stellte dieser fest: „Junge Dame, Sie sind schwanger.“ Sie sprang fast vom Stuhl. „Was?“ Ungläubig starrte sie den Mann an. „Das ist nicht Ihr Ernst!“ Er aber nickte. „Machen wir einen Ultraschall.“ Er stellte ein paar Fragen, machte die Untersuchung und stellte fest: „Sie sind bereits über die 16. Woche hinaus. Es wird ein Mädchen, und wie es aussieht, ist es gesund.“ „Aber das ist doch nicht wahr!“, schrie Mona unter Tränen. „Machen Sie es weg, sofort! Ich kann kein Kind bekommen, ich – “ „Tut mir Leid, das ist zu spät. Warum sind Sie denn nicht früher gekommen? Haben Sie nie Beschwerden gehabt?“ Sie schüttelte den Kopf. „Ich hab doch nicht mal zugenommen! Wenn mir mal schlecht war, dann nur kurz… und ich habe geraucht und Champagner getrunken…“ Der Arzt seufzte. „Es steht mir fern, Ihnen Vorhaltungen zu machen, aber dafür sind Sie ebenfalls zu jung, nicht nur für ein Baby. Soll ich mit Ihren Eltern sprechen?“ „Nein, das kommt nicht in Frage. Ich muss jetzt gehen.“ In aller Hast raffte sie ihre Sachen zusammen und floh aus der Praxis.
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Blind lief sie durch die Straßen. Was sollte sie jetzt machen? Ein Kind, und es war zu spät für eine Abtreibung, was für eine Katastrophe! Warum hatte sie nicht früher auf ihren Körper geachtet? Hans würde das Baby mit Sicherheit aus ihr rausprügeln, wenn er davon erfuhr! „Das ist doch alles nicht wahr!“, wimmerte sie leise vor sich hin. Von wem das Kind wohl war? Wie würde es aussehen? Ein Mädchen, hatte der Arzt gesagt. Stefano hatte mal gesagt, dass er sich ein Mädchen wünschte, viel lieber als einen Jungen. „Stefano!“, schluchzte sie verzweifelt. „Stefanoooo!“
Mona fuhr zum Haus der Monettis. Sie kannte die Adresse, war aber bisher noch nicht dort gewesen. Tapfer läutete sie und rief in die Sprechanlage, dass sie dringend Stefanos Mutter sprechen müsse. Es ginge um Leben und Tod. Sofia Monetti ließ sich immerhin dazu herab, sie zu empfangen. „Was gibt es?“, fragte sie barsch. „Ich dulde solche Überfälle nicht, es wirft ein schlechtes Licht auf unser Haus.“ „Ich bekomme ein Kind von Stefano“, platzte Mona heraus. In den kalten Augen flammte kurz etwas auf. „Das ist völlig unmöglich“, widersprach Sofia bestimmt. „Du irrst dich.“ „Nein, es ist wahr! Ich habe es nachgerechnet, und nur Stefano kommt infrage!“, beteuerte sie. „Hast du irgendeinen Beweis?“ „Beweis? Aber… nein… ich…“ „Nun, mein Kind, gerade in deinem Beruf solltest du über die Verhütung genauestens Bescheid wissen“, schmetterte Sofia sie ab. „Wie kann man nur so dumm sein! Aber wenn du nun glaubst, dass du uns Forderungen stellen kannst, hast du dich
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getäuscht. Das Baby wird von irgendeinem deiner Freier sein, damit haben wir nichts zu tun.“ „Aber es geht mir doch nicht um Geld!“, schluchzte Mona. „Stefano muss es erfahren! Ist er denn nicht hier?“ „Er ist für lange Zeit in Italien und gerade dabei, eine Familie zu gründen. Ich werde ihn nicht mit den Problemen einer Nutte behelligen.“ Sofia packte Mona am Arm und schob sie unsanft zur Tür. „Geh jetzt und belästige uns nicht mehr. Und lass dich hier nie wieder blicken! Dies ist ein anständiges Haus!“ „Aber bitte, bitte, sagen Sie es Stefano doch!“, schrie sie auf dem Weg nach draußen. „Er muss wissen, dass er Vater ist! Sagen Sie ihm, es ist ein Mädchen, und ich werde es Jule nennen! Bitte!“ Die Tür schlug hinter ihr zu. Was hatte sie denn erwartet? Dass diese alte Hexe sich schlagartig in eine liebende Oma verwandeln würde? Heulend kehrte sie auf die Straße zurück, sie wusste nicht mehr ein noch aus. Wo sollte sie jetzt noch hin? Es blieb doch bloß der Privat-Club. Zumindest, bis es unübersehbar war, musste sie dort noch arbeiten und so viel Geld wie möglich für sich und das Kind horten. Sie würde sich einschnüren und musste hoffen, dass sie weiterhin so gesund blieb und keine Beschwerden kamen. Mit der Kleidung bekam sie das schon hin; bei den Freiern zog sie sich ohnehin nie ganz aus, und die würden auf ihren Bauch sowieso am wenigsten achten.
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Es ging länger gut, als Mona geglaubt hatte. Zum Glück ließ Hans sie weitgehend in Ruhe; nachdem er sich ein paar Mal sein „Recht“ geholt hatte, war sie ihm schnell langweilig geworden. Noch dazu, da sie sich endlich gefügig zeigte. Das tat sie alles wegen des Kindes. Sie ging heimlich weiter zum Frauenarzt und ließ sich informieren, dass es ihrer kleinen Jule gut ging. So viel Kummer ihr dieses Kind auch bereitete, freute sie sich doch darauf. Sie gab die Hoffnung immer noch nicht auf, dass Stefano rechtzeitig zurückkäme. Eines Morgens erwachte sie mit Krämpfen. Sie konnte kaum aufstehen und fühlte sich sterbenskrank. „Was ist denn los mit mir?“, dachte sie ängstlich. Der Geburtstermin war noch nicht angesagt. „Hoffentlich ist alles in Ordnung!“ Sie schnürte sich wie immer ein, obwohl sie inzwischen deutlich zugenommen hatte. Sogar Susi hatte sie einmal darauf angesprochen, doch sie hatte abgewinkt: „Zu viel Champagner, zu wenig Zigaretten. Wahrscheinlich Babyspeck oder so. Krieg ich schon wieder in den Griff.“ Den ganzen Tag über schonte Mona sich, doch es wurde und wurde nicht besser. Als es dann Zeit für die Bar war, schlich sie unter großen Schmerzen hinunter, um prompt hinter der Theke zusammenzubrechen. Halb ohnmächtig bemerkte sie Hans und Susi um sich herum. „Ich hab dir doch gesagt, dass sie schwanger ist!“, sagte Susi. „Da, schau dir das an! Was meinst du, woher der Bauch kommt, bei dem bisschen, was die Kleine zu sich nimmt?“
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„Scheißdreck!“, schrie Hans los. „Verdammtes Miststück, du blödes Luder!“ „Ich brauche einen Arzt“, flüsterte sie. Sie konnte nur noch verschwommen sehen, krümmte und wand sich vor Schmerz. „Bitte, helft mir doch.“ „Helfen? Ja, das werd ich dir. Aber so, dass du es nie wieder vergisst!“ Dann wurde alles dunkel.
Als sie wieder zu sich kam, fand Mona sich in einer völlig fremden Umgebung wieder. Es stank nach Desinfektionsmitteln, und es war unangenehm hell. Blinzelnd schaute sie sich um. Als sie sich aufrichten wollte, fuhr ein solcher Schmerz durch ihren Körper, dass sie unwillkürlich aufschrie. „Na, sind wir wieder da?“, erklang eine heitere Stimme an ihrem Bett. Endlich konnte sie den Blick scharf stellen. Eine junge Frau im Arztkittel, mit roten Locken und fröhlichen Sommersprossen. „Wo… wo bin ich?“, fragte Mona verdattert. „Im Anna-Hospital in Kreuzberg“, gab die Ärztin Auskunft. „Ich bin Dr. Kaspari. Passanten haben dich auf der Straße gefunden und den Notarzt gerufen. Du warst übel zugerichtet.“ Mona hob die Arme. Das tat weh. Alles tat weh, selbst die Bewegung der Augenlider. Arme, Beine, alles war dick eingewickelt. Aus dem rechten Arm hingen Infusionsschläuche heraus. „Au“, flüsterte Mona. „Ich stelle das Schmerzmittel ein wenig höher“, sagte die Ärztin mitfühlend. „Was ist mit meinem Kind?“ Mona legte die Hände auf den Bauch.
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„Da ist alles Ordnung, keine Angst. Du hattest ein paar Frühwehen, aber die konnten wir abstellen. Dem Baby geht es gut, obwohl es auch ein paar Schläge abgekriegt hat.“ Dr. Kaspari strich über Monas Haare. „Du hast keine Papiere bei dir gehabt. Willst du uns sagen, wer du bist?“ Mona schüttelte langsam den Kopf. „Aber wir sollten doch wenigstens deine Eltern benachrichtigen.“ „Ich habe niemanden.“ „Hast du Angst, dass man dich hier findet?“ „Nein. Ich glaube, das ist vorbei.“ Hans hatte sie rausgeworfen, nachdem er ihr eine gründliche Abreibung verpasst hatte. Schließlich konnte sie für lange Zeit kein Geld mehr verdienen; außerdem wollte er keinen Ärger. Der Fall Privat-Club war damit endlich und entgültig erledigt; das war auch eine Lösung. „Kann ich sonst noch was für dich tun?“ „Nein, danke. Die Schmerzen vergehen wieder. Nichts bleibt.“ Sie sah zum Fenster hinaus. Ein strahlend blauer Himmel, Sonne, ein blühender Park. Ein herrlicher Sommertag, den sie früher unbeschwert genutzt hatte, um so lange im Swimmingpool zu bleiben, bis die Haut schrumplig wurde. „Nichts“, wiederholte sie leise.
Die nächsten Tage verbrachte Mona zwischen Schlafen und Dahindämmern. Sie hatte keine ernsthaften Verletzungen davongetragen, nur überall schwarzblaue Hämatome und Prellungen. Jule verhielt sich still, bedingt durch die Mittel, die Mona aber unbedingt brauchte. Jeden Tag wurde sie per Ultraschall untersucht, und es ging ihr sehr gut. Sie sah jetzt schon wie ein fertiges Menschlein aus und nuckelte häufig am
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Daumen. Nicht mehr lange, dann war sie auf der Welt. Und dann? „Guten Tag, mein Kind. Ich bin Bruder Konrad, der katholische Fürsorger dieser Station.“ Ein großer, weißhaariger Mann kam zu Besuch. Er besaß große Arbeitshände und gütige blaue Augen. „Man hat mir deine Geschichte berichtet, und ich bin hier, weil ich dir gern helfen möchte.“ „Mir helfen?“ Mona stieß einen verächtlichen Laut aus. „Wie denn?“ „Nun, du bist nicht die Einzige, die Probleme hat“, versetzte Bruder Konrad freundlich. „Beispielsweise willst du uns deinen Namen nicht nennen. Ich kann verstehen, dass du Angst hast. Und solange du nicht gesund bist, werden wir auch nicht die Polizei informieren. Aber du musst an die Zeit danach denken, und an“, er deutete auf ihren Bauch, „dein kleines Mädchen.“ Er hatte Recht. Außerdem schwafelte er nicht siebengescheit daher wie die meisten anderen Erwachsenen. Er schien sich wirklich für ihre Probleme zu interessieren. Vielleicht kannte er die Lösung? „Verrätst du mir wenigstens dein Alter?“, fragte Bruder Konrad. „16“, antwortete Mona. Sie kam sich aber viel älter vor. „Und du hast kein Zuhause?“ „Nein. Ich weiß nicht, wo ich von hier aus hin soll.“ „Nun, ich hätte da einen Vorschlag. Ich arbeite mit einem Frauenhaus zusammen. Da könnten du und dein Kind unterkommen. Du wirst auf viele Gleichgesinnte treffen, die ein ähnliches Schicksal traf. Dort wird man dir helfen, dein Leben in die Hand zu nehmen. Du könntest sogar deinen Schulabschluss nachholen.“ Darüber konnte Mona nur lachen. „Bruder Konrad, auch wenn ich Sie jetzt schockieren mag: Ich bin eine Nutte, und
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mein Kind ist ein Bastard. Können Sie es sich vorstellen, dass ich wieder mit Zöpfchen und Kniestrümpfen herumlaufe? Ich hab die Penne früher schon gehasst. Mir liegt nichts an der Welt, die Sie mir nahe legen wollen. Ich will nur Geld – so viel Geld, dass ich alles damit machen kann. Niemand soll mir mehr Vorschriften machen oder mich so zurichten wie jetzt.“ Bruder Konrad schaute nicht schockiert, aber kummervoll. „Möchtest du keine Familie?“ „Hab ich alles probiert“, prustete Mona. „Sie sehen, wohin es mich gebracht hat.“ Bruder Konrad streichelte ihre Hand. „Du kannst ja darüber nachdenken. Ich komme morgen wieder, und wir sprechen weiter, einverstanden?“ Sie nickte. Auf einmal fühlte sie sich getröstet.
Mona dachte nach, und zwar intensiv. Seit beinahe drei Jahren befand sie sich nun auf diesem Weg, der bisher statt aufwärts nach unten gegangen war. Das musste sie ändern, das stand fest. Aber wieder ein braves Mädchen spielen? Niemals. Sie war an ihr ausschweifendes Leben gewöhnt, und sie hatte mit den Freiern – mal abgesehen von der lästigen Pflicht im Hinterzimmer- auch viele lustige Stunden erlebt. Niemand wollte wissen, wer sie war oder woher sie kam. Sie war einfach nur Mona und tat, was sie wollte. Sie war mit 16 immer noch blutjung, um den nächsten Anfang zu wagen. Und sie war schön und perfekt im Sex. Da draußen liefen Hunderte reicher Männer herum, die nur darauf warteten, ihr Geld in den Ausschnitt zu stecken. Sie musste es diesmal eben anders anpacken – auf eigene Faust. Als Edelnutte, die nur in den feinsten Kreisen verkehrte. Da kam sie nicht nur schnell ans große Geld, sondern auch an jede Menge Informationen, die sie sammeln und nutzen konnte. Männer waren im Bett ja so
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geschwätzig. Sie taten alles, um bewundert zu werden. Auf diese Weise würde Mona an Macht kommen, ohne im Vordergrund stehen zu müssen. Aber wohin mit Jule? Sie konnte das Kind nicht mitnehmen, und das kam auch nicht in Frage. Aus Jule sollte ein anständiger Mensch werden. Sie sollte in einer Familie aufwachsen, in der das Geld nicht die erste Rolle spielte, sondern Geborgenheit und Liebe. Wo die Eltern Zeit und Verständnis hatten. Jule sollte das möglich sein, was Mona verwehrt war, weil sie nicht mehr zurückkonnte. Als Bruder Konrad wiederkam, setzte Mona ihm ihren Plan auseinander. Nach einiger Diskussion ließ er sich überzeugen, dass das die beste Lösung war und versprach, ihr bei den Formularen behilflich zu sein. Und er wollte dafür sorgen, dass die Polizei nicht auf einmal hereinschneite und unangenehme Fragen stellte. Er war zu sehr Profi um zu ahnen, dass Mona andernfalls Dummheiten machen würde und sich und das Baby gefährdete. Wenn Mona überhaupt noch etwas empfinden konnte, so liebte sie Bruder Konrad. Er war so gütig und wissend, ein echter Freund, der keine Forderungen oder Fragen stellte, sondern nur helfen wollte. Sie konnte es kaum glauben, dass es einen Menschen wie ihn gab. Auch die Ärzte und das Pflegepersonal waren sehr nett. Anscheinend war das AnnaHospital eine Anlaufstelle für Fälle wie sie. An Stefano dachte Mona kaum mehr. Er hatte sie schmählich im Stich gelassen. Nachdem der Schmerz des Liebeskummers allmählich verebbte, verbannte sie ihn nach und nach aus ihrem Gedächtnis und dem Herzen. Sie würde es ihm nie verzeihen, dass er seiner Mutter gehorcht hatte. Wäre Stefano noch hier gewesen, wäre natürlich alles anders. Er wäre ein Vater für Jule, und sie würden ein geregeltes
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Leben führen. Aber so war Mona allein verantwortlich, und das genügte nicht. Jule sollte beides haben – Vater und Mutter. Mona dachte nicht einmal darüber nach, ob Stefano tatsächlich Jules Vater war oder nicht. Jeder konnte es sein, sogar Hans. Aber dafür konnte ihr Kind nichts. Bruder Konrad brachte alle Papiere und half beim Ausfüllen. Mona hatte sich inzwischen gut erholt und sollte bald entlassen werden. Bevor es jedoch dazu kam, setzten die Wehen erneut ein, und diesmal war Jule nicht mehr aufzuhalten. Am 8.8.79 erblickte sie krähend das Licht der Welt – ein wunderhübsches Baby, das Mona die Tränen in die Augen trieb. Bruder Konrad ließ es sich nicht nehmen, ein Polaroid-Foto zu schießen. „Du brauchst doch eine Erinnerung an dein Mädchen!“ Bei dem Antrag auf die Geburtsurkunde gab Mona endlich ihren Namen an. „Ich heiße Mona Suttner, und mein Kind Jule.“ „Und was soll ich beim Vater eintragen?“, fragte die Hebamme. „ Ein Freier“, antwortete Mona in ihrer nüchternen, direkten Art. „Also unbekannt“, murmelte die Schwester, ohne schockiert zu sein. Ebenso wie Mona war sie Profi. Sie durfte Jule noch den ganzen Nachmittag über im Arm halten, dann wurde sie von Bruder Konrad abgeholt. Er löste das Klinikarmband von dem kleinen Ärmchen und gab es Mona. „Das solltest du auch aufbewahren.“ Mona sah den beiden hinterher. Ein paar Minuten lang schüttelte sie ein Weinkrampf, dann war es vorbei. Sie hatte das Beste für ihre Tochter getan. Aber jetzt musste sie sich beeilen. Von Bruder Konrad wusste sie, dass das Jugend- und Sozialamt bald auf der Matte stehen würden. In aller Eile raffte sie ihre Sachen zusammen
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und flüchtete aus der Klinik. Erst später stellte sie fest, dass sie das Polaroid-Foto verloren hatte. Aber sie bewahrte den Namens-Anhänger auf, und eine kleine Rassel, die Bruder Konrad ihr aus einer Laune heraus gegeben hatte.
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Mona machte sich gleich in Kreuzberg auf die Suche nach einer geeigneten Wohnung. Wie Annagreta klapperte sie alle Cafés ab, um eine Gleichgesinnte zu finden, mit der sie sich zusammentun konnte. Denn allein ein „Geschäft“ aufzuziehen, erschien ihr zu riskant – außerdem brauchte sie jemanden, der den Mietvertrag unterschreiben konnte. Sie hatte Glück. Zufälligerweise befand sich Gun-Britt in einer ähnlichen Lage. Sie war 19 Jahre alt, ihr Freund hatte sie auf die Straße gesetzt, sie war pleite und gerade erst clean geworden. Sie kannte sich im Straßenstrich aus und war schon halb wieder auf dem Weg dorthin, verzweifelt wie sie war. Aber genau das sollte sie nie mehr, ebenso wenig an die Nadel. Mona redete ihr das erfolgreich aus und gab ihr eine neue Perspektive. Es war sozusagen eine Rettung in letzter Sekunde, und Gun-Britt folgte der stets sachlichen, willensstarken Mona von da an wie ein Schatten. Das Mädchen plünderte den Banksafe, und sie mieteten eine Wohnung in einem Haus an, in dem keine Fragen gestellt wurden und jeder sich nur um sich selbst kümmerte. Es dauerte nicht lange, bis sie die ersten Kunden fanden – in Cafés, in Hotellobbys, in Stehkneipen. Sie arbeiteten tagsüber, wenn die Geschäftsleute zwischendrin statt einer Mahlzeit nach einem Quickie verlangten, und wurden erstaunlich fündig. Da liefen sie auch weniger Gefahr, verjagt zu werden, oder einem Zuhälter aufzufallen. Immerhin arbeiteten sie ohne Schutz auf eigene Rechnung, das war immer eine gefährliche Gratwanderung.
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Irgendwann kamen die Zuhälter ihnen dann doch mal auf die Spur. Mona und Gun-Britt wurden verprügelt, bis sie nicht mehr aufstehen konnten, und ihr ganzes Geld, das noch nicht auf die Bank gebracht worden war, wurde ihnen abgenommen. Gun-Britt war am Boden zerstört, sie kannte solche Szenen nur zu gut. Sie wollte nachgeben, aber Mona war weit davon entfernt. Sie ging in einen der Fitnessclubs, die zu dem Zeitpunkt anfingen, von Amerika aus hier Fuß zu fassen, und meldete sie beide an. „Das hält uns zudem fit und schlank“, erklärte Mona. Aber es ging ihr nicht nur darum. Zum einen konnte man dort ebenfalls Kunden-Kontakte knüpfen, zum zweiten konnte sie sich nach einem geeigneten Body-Guard umsehen. Und sie fand Shayela, eine über einsachtzig große AfroAmerikanerin, die mit einem G. I. verheiratet gewesen war und nach der Scheidung in Berlin hängen geblieben war. Sie war ein pechschwarzes Muskelweib, das einen persönlichen Spind im Club besaß, der vollgeklebt war mit Bildern von Arnold Schwarzenegger und zwei schwarzen Bodybuildern, die sich der Wahl des „Mr. Olympia“ stellten. Shayela redete man nicht einfach so an. Trotzdem schaffte Mona es durch ihren Charme und der richtigen Bemerkung über die Männer zum richtigen Zeitpunkt, Kontakt zu ihr herzustellen. Außerdem war sie sehr hartnäckig. Shayela grunzte irgendwas. Das nächste Mal warf sie Mona ihr Handtuch nach, das sie vergessen hatte. Und beim dritten Treffen kam sie auf die beiden jungen Frauen zu: „Sagt mal, ihr beiden, warum seid ihr eigentlich hier?“ Sie hatte eine tiefe, rollende Stimme, die allein schon furchteinflößend genug war. „Wieso?“, fragte Mona höflich. „Na, ihr wackelt mit dem Hintern herum, als wolltet ihr ihn loswerden, taxiert jeden Schwanzträger auf die Ausbeulung seines Geldbeutels und macht Übungen mit Gewichten, die ein
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Hamster stemmen könnte. Ich hab ja schon viel erlebt, aber noch nie zwei so naive Nutten. Wenn ihr euch durchsetzen wollt, müsst ihr Selbstverteidigung lernen, anders wird das nichts mit euch.“ „Ich hab ‘ne viel bessere Idee“, meinte Mona. „Du steigst bei uns ein.“ Gun-Britt wurde bleich und rempelte die Freundin an. „Biste verrückt?“, zischelte sie. „Ich?“ Shayela lachte kehlig. „Wieso sollte ich?“ „Na ja, zum einen kannst du damit auf ziemlich leichte Weise ‘ne Menge Kohle machen“, erklärte Mona. „Zum zweiten darfst du nervige Schwanzträger verprügeln.“ „He, ich bin keine Nutte, klar?“ „Nee, natürlich nicht. Aber du könntest dafür sorgen, dass wir in Ruhe unserer Arbeit nachgehen können.“ „Ich brauch keine Arbeit.“ „Klar brauchst du, du hängst doch dauernd hier rum. Reicht dir die Kohle als Trainer für lahme Weißärsche oder fürs Aerobic? Du könnest beides machen. Wir müssten nur unsere Arbeitszeit abstimmen. Und bei uns ist alles Cash. Damit kannst du mal dein eigenes Studio aufbauen.“ Shayela entblößte zwei Reihen schneeweißer Zähne. „Du bist ja ‘ne ganz Fixe, Kleine. Okay, wir können’s ja mal probieren.“
Nun waren sie zu dritt. Gun-Britt wollte umziehen, aber Mona wollte zuerst noch weiter Geld sammeln, um einen guten Grundstock zu haben. „Wir werden uns vergrößern“, versprach sie der Freundin. „Wir ziehen was ganz Tolles auf, aber du musst noch ein bisschen Geduld haben.“
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Shayela war ganz zufrieden mit ihrer Arbeit. Sie konnte herumhängen, sich über die dämlichen Wichser amüsieren und einen Aufmüpfigen schnell zur Räson bringen. Irgendwie fraß sie einen Narren an den beiden jüngeren Frauen, die so rührend naiv und schutzbedürftig wirkten. Darüber hinaus blieb ihr immer noch genug Zeit fürs Studio. Aufdringliche Zuhälter gab es bald keine mehr, nachdem Shayela Wache hielt. An dieser Frau kam keiner vorbei, und wer es doch versuchte, konnte anschließend seine Knochen auf der Straße einsammeln. Der Aufwand, zwei Nutten in den eigenen Stall zu bringen, war damit zu groß geworden; das war es nicht wert. Zudem knüpfte Mona immer bessere Kontakte. Sie wurde es nie müde, Informationen zu sammeln. Die Hotelportiers und Türsteher wurden geschmiert, und Mona war überall gern gesehen, weil sie den Hotels auch Stammgäste brachte. Ihre Ansprüche, wem sie zu Diensten sein wollte, wurden immer höher geschraubt, und sie konnte es sich leisten. Eines Tages sagte ein Geschäftsreisender aus New York zu ihr: „Ich finde deine Gesellschaft sehr angenehm. Du bist nicht nur fürs Bett gut, sondern man kann dich auch zum Essen mitnehmen. Ich lebe zwar jetzt in New York, bin aber immer noch oft in Berlin. Es wäre mir angenehm, wenn ich hier so etwas wie eine zweite Heimat hätte; diese Hotelzimmer sind auf Dauer erdrückend. Außerdem möchte ich nicht jedes Mal von vorne mit einer Begleitung anfangen.“ Mona nickte und lächelte. Menschen waren Gewohnheitstiere. Deswegen hatten sie auch einen festen Kundenstamm. „Ich mache dir einen Vorschlag: Ich werde dir eine Wohnung zur Verfügung stellen, in der du leben kannst. Wenn ich nicht da bin, kannst du tun und lassen, was du möchtest; ich habe nur die Bedingung, dass du mir uneingeschränkt zur
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Verfügung stehst, wenn ich in Berlin bin, und selbstverständlich immer gute Laune hast. Natürlich erhältst du ein Taschengeld während meiner Abwesenheit, um deinen Lebensstandard zu sichern. Ich möchte eine Luxusfrau, keine Putzfrau. Aber dass dir trotzdem eines klar ist: Ich bin glücklich verheiratet und bleibe es auch. Ich will nur angenehme Gesellschaft.“ Monas Augen leuchteten auf. „Ich glaube, das ließe sich machen.“ Das war ja genau das, worauf sie gewartet hatte! Aber das durfte sie sich natürlich nicht anmerken lassen. Man musste eben nur Geduld haben! In ein paar Wochen konnte sie ihren Führerschein machen – alles bestens. Sicher war der Mann ihr bei der Auswahl des Autos behilflich. Dann konnte sie ihn auch standesgemäß vom Flughafen abholen. „Mädels!“, stürmte sie bei der Rückkehr herein. „Wir verbessern uns!“
Die „Wohnung“ war ein Penthouse mit einem riesigen Wohnzimmer, in dem ein ganzes Apartment Platz gehabt hätte, drei Schlafzimmern, zwei Bädern, separate Toiletten, mit Küche und Bar. Die Einrichtung war vom Feinsten. „Wow!“, riefen Gun-Britt und Shayela unisono. „Der Kerl muss ja märchenhaft reich sein!“ „Glaub schon“, meinte Mona vergnügt, „außerdem braucht er das Ding hier für die Steuer. Und das Beste ist: Wir haben alle drei Platz. Shayela, du bist zur Privatsekretärin befördert. Du sollst dich um die Termine und alles Drumherum kümmern, während Gun-Britt und ich der Arbeit nachgehen.“ „Und wenn Herbert kommt?“
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„Dann müsst ihr für die Zeit halt ins Hotel verschwinden, ist das ein Problem?“ Das war es natürlich nicht. Sie verstanden sich alle drei sehr gut, und ein Leben in Luxus war sicher das Erstrebenswerteste, was sie sich vorstellen konnten. Gun-Britt konnte ihr Glück gar nicht fassen. Vor wenigen Jahren war sie halb in der Gosse gelegen, und heute ging sie zum Juwelier und kaufte sich 18Karat-Goldketten! „Mona, ohne dich wäre ich wahrscheinlich schon tot!“ Überglücklich umarmte sie die Freundin. „Natürlich müssen wir zusammenhalten“, sagte Mona. Auch Shayela war es sehr zufrieden. Sie liebte es, die beiden anderen zu verwöhnen und zu umsorgen; sie hatte genau ihren Platz gefunden. Nach dem Umzug machte sie sogar einen Kochkurs und fing an, den Kunden kleine Köstlichkeiten anzubieten. Natürlich sprach es sich herum, welche Genüsse einem bei Mona und ihren Gefährtinnen zuteil wurden. Sie konnten es sich leisten, den Kundenkreis immer erlesener zu gestalten. Eine geheime Kartei mit allen Informationen wurde angelegt, wo nicht nur die Vorlieben, sondern auch die schmutzigen kleinen Dinge drinstanden, die die Gäste ausplauderten. Man wusste nie, wofür es mal gut war. Hotels brauchten sie nur noch selten aufzusuchen, das Telefon stand praktisch nicht mehr still; bis Shayela sich beklagte, dass sie keine Zeit zum Kochen mehr hätte. Mona machte sich unverzüglich auf die Suche nach Verstärkung und fand eine 17jährige, die aus dem Waisenhaus ausgerissen war. Aber anders als Mona bei Annagreta zog die kleine Irmela das große Los. Sie bediente das Telefon, unterstützte Shayela, und wenn doch einer der Gäste mal nach ihr verlangte, konnte sie sich ein Zubrot verdienen.
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Einzig die Buchhaltung gab Mona nicht aus der Hand. Niemand bekam Einsicht in die Finanzen, doch waren die Mädchen alle so zufrieden, dass sie keine Fragen stellten. Mona behielt logischerweise den Löwenanteil für sich und erklärte den anderen, dass sie dafür auch für alle Ausgaben aufkäme. Sie hatte stets den genauen Überblick und achtete darauf, dass keine zu sehr über die Stränge schlug.
Herbert war jahrelang sehr zufrieden mit ihr, denn Mona verwöhnte ihn aufs Beste, wenn er anwesend war. Natürlich war die zweite Telefonleitung dann gesperrt, damit niemand anrufen konnte, und alle Termine verschoben oder die Treffen mit Kunden ins Hotel verlegt. Von der Organisation her klappte alles perfekt. Eines Tages aber hatte ihr Stammfreier eine schlechte Nachricht: „Liebes Kind, ich werde das Penthouse verkaufen. Die steuerlichen Abschreibungen sind ausgeschöpft, und meine Arbeit ist hier ziemlich getan.“ „Das bedeutet unseren Abschied?“, fragte Mona entsetzt. Er lachte. „Nun, du brauchst keine Angst zu haben. Ich gebe dir eine großzügige Abfindung, die dich für einige Zeit über die Runden bringen wird. Das Auto, die Pelze und den Schmuck darfst du natürlich auch behalten. Und wenn du möchtest, bin ich dir beim Kauf einer eigenen Wohnung behilflich. Es gibt erhebliche Investitionshilfen hier in Berlin, sodass du eine schöne Sache zum Spottpreis bekommen kannst, wenn du es richtig anstellst.“ „Herbert, das wäre fantastisch!“, jubelte sie aufrichtig begeistert. Er hielt sein Versprechen. Sie schauten sich einige Gelegenheiten an, aber Mona wollte etwas Großes, mit vielen
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Zimmern. Und am besten in einem Haus, in dem man auch ein Büro mieten konnte. „Du willst wohl einen Escort-Service aufziehen?“, vermutete Herbert. Mona nickte. „Es wird Zeit, dass ich mich vergrößere. Ich will das richtig große Geld machen und reich werden! Erfahrungen habe ich ja inzwischen genug, und mit 23 bin ich nicht mehr zu jung, aber auch noch nicht zu alt. Ich habe so viele Kontakte, warum soll ich den anderen den Kuchen überlassen?“ „Das hast du Recht.“ Er öffnete seine Brieftasche. „Hier, das ist die Adresse eines Maklers, der dir dabei behilflich sein wird. Du brauchst ihm nur meinen Namen zu nennen, dann kannst du ihm vertrauen.“ Herbert verabschiedete sich für immer und bedankte sich bei Mona für die schöne Zeit. Mona raste vom Flughafen ins Hotel und brüllte schon in der Tür: „Wir eröffnen eine ModelAgentur!“ Sie hatte ja ein passendes Vorbild. Sie würde es einfach genauso machen wie Annagreta – eine Tarnfirma, die den Escort-Service dahinter verschleierte. Nur würde sie die Mädchen, die nicht gemeldet werden mussten und blutjung waren, dann nicht in eine üble Bar abschieben. Sie sollten es gut haben, wenn sie bei ihr arbeiteten. Denn dann arbeiteten sie willig, das ergab zufriedene Kundschaft, und das wiederum mehrte den Reichtum. Sie setzte sich mit dem Makler in Verbindung. Die anderen drei wurden beauftragt, nach Büro- und „Geschäfts“Einrichtungen zu suchen und die üblichen Orte nach geeigneten Mitarbeiterinnen abzuklappern. Als die Büroräume gefunden waren, waren die Visitenkarten schnell gedruckt. Gun-Britt, Shayela und sogar die kleine, aber raffinierte Irmela waren jetzt fürs „Casting“ zuständig.
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Mona stellte sich eine Mischform vor – einen Begleitservice, der mit auf das Zimmer des Gastes ging, aber auch Dienste im Haus. Das bedeutete, dass zu der ersten bald weitere Wohnungen hinzukommen mussten. Außerdem mussten die Mädchen ja irgendwo untergebracht werden. Und Immobilien waren immer eine gute Kapitalanlage. Durch die Förderungen der Stadt Berlin zahlte sich das sehr viel schneller aus als anderswo. Mona war nun voll und ganz Geschäftsfrau. Sie trug jetzt die teuren Kostüme wie jene Frauen, die sie einst im Büro ihres Vaters bewundert hatte; aber ohne so androgyn zu werden wie diese. Das wäre bei ihrem Spezialgebiet auch fehl am Platz gewesen. Die ganze Zeit über dachte sie nie an ihre Eltern. Erstaunlicherweise traf sie sie auch nie zufällig. Inzwischen war sie erwachsen, besaß Papiere und ein gutes Leumundszeugnis. Sie brauchte niemanden mehr. Auch an Baby Jule dachte sie nie mehr; sie hatte es ebenso wie Stefano aus dem Gedächtnis gestrichen. Diese Vergangenheit war ein für alle Mal abgeschlossen. Sie konzentrierte sich nur auf die Zukunft und war mit vollem Einsatz dabei. Vor lauter Arbeit kam sie ohnehin nicht zum Nachdenken. Der Aufbau einer Firma, gerade einer solchen, die einen seriösen Hintergrund benötigte, nahm sehr viel Zeit in Anspruch. Es musste alles wasserdicht sein, denn Mona hatte kein Verlangen, jemals ins Gefängnis zu kommen. Und man wusste ja nie, wie sich die Politik auf einmal änderte, da nützten auch gute Kontakte nichts. Als Erstes war die Model-Agentur eingerichtet, damit sie so schnell wie möglich die ersten Bewerbungsgespräche führen konnte. Das Geschäft musste umgehend anlaufen, die Konkurrenz war groß.
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Außerdem wurden Fotografen benötigt, Dekorateure, Einkäufer für Klamotten und so weiter. Und Mona brauchte eine rechte Hand. Keine ihrer drei Freundinnen war dafür geeignet. Sie brauchte jemanden von außen, der vertrauenswürdig war und alle heiklen Dinge, vor allem die Buchhaltung, im besten Sinne erledigte. Jemanden, der sonst mit dem Geschäft nichts zu tun hatte oder zur Konkurrenz erwachsen konnte; der aber, was Finanzen betraf, ein Profi war. Sehr heikel, sehr schwierig. Mona stellte sich auf eine lange Suche und irgendwann einen Kompromiss ein. Sie setzte eine ganz besondere Anzeige in die Zeitung und wartete ab.
Eine Menge Leute kamen, aber um Himmels Willen, einer ungeeigneter als der andere. Nichts war dabei, was Mona sich auch nur annähernd vorstellen konnte. Dann war nur noch ein Bewerber übrig, nein, eine Bewerberin. Nur ein kurzes Schreiben: „Bin genau die Richtige, Tel – “, das war’s. Mona hatte angerufen, es war eine Bar gewesen, und ließ dort ausrichten, dass sie einen Termin frei habe. Warum sie das getan hatte, wusste sie nicht. Aber irgendwie reizte sie dieser Abreißzettel. Eine Frechheit für eine Bewerbung, und dann auch noch die Nummer einer Bar anzugeben; aber schließlich ging es um keinen alltäglichen Job. „Also dann“, dachte sie, „da bin ich ja mal gespannt.“ Die Tür flog mit Schwung auf, und ein Weib wie eine Walküre stand auf der Schwelle. Mit schwarzen, aufgetürmten Zigeunerhaaren, greller Schminke, bunter Kleidung, billigern Modeschmuck und… und einem Bartschatten. Und eindeutig
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männlich-markanten Waden, auch wenn sie sorgfältig rasiert waren. „Hallo, Schätzchen!“, flötete und hauchte das Wesen vom anderen Stern mit absichtlich hoch gestellter Stimme. „Ich bin Gina, und ich kann Buchhaltung bis zur Bilanz machen, verliere nie den Kopf im Trubel, kenne ein paar Gesetze und kann so schlimme, kleine Sachen verstecken, die nicht jeder finden soll, das ist sogar meine Spezialität. So was brauchst du doch, gell? Und wie es sich so trifft, bin ich gerade auf Jobsuche. Und da dachte ich mir, wir sollten uns einfach mal zusammentun und darüber plaudern.“ Über Monas Gesicht glitt ein helles Strahlen. „Hallo, Gina“, sagte sie lächelnd und deutete auf den Stuhl vor sich. „Ich freue mich wirklich sehr, dich kennen zu lernen!“
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