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Fassungslos hatte El Bayad verfolgt, wie zunächst Hamed, einer seiner besten Kämpfer, und...
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Seewölfe 153 1
Roy Palmer 1.
Fassungslos hatte El Bayad verfolgt, wie zunächst Hamed, einer seiner besten Kämpfer, und dann zwei andere Banditen neben ihm auf dem nach Süden weisenden Wehrgang der Berberburg zusammengesunken waren. Die anderen Männer — Burnusträger, Schwarze aus dem Inneren des Kontinents, wilde, furchterregende Gestalten — gerieten daraufhin in helle Panik. Plötzlich waren ihre Überlegenheit und der Hohn, mit dem sie auf den, der sich ihnen da zu nähern gewagt hatte, hinuntergeblickt hatten, wie weggeschwemmt. Sie erkannten, daß sie einen gewaltigen Fehler begangen hatten. Sie hatten diesen Gegner unterschätzt. Der Seewolf griff an. El Bayads Männer schossen auf einmal nicht mehr gezielt, sie feuerten nur noch planlos über den sonnendurchglänzten Südhang des Berges weg. Vorher schon hatten sie die Angreifer verfehlt, die sich jäh flach hingeworfen hatten und sich nun als kaum erkennbare Konturen die Anhöhe emporschoben — jetzt sirrten die Kugeln aus den Musketen und Arkebusen der Burgbewohner um viele Handspannen über die Rücken von Old Donegal Daniel O'Flynn und dessen acht Mitstreitern weg. „Tötet sie!“ schrie El Bayad. „Beim Scheitan, laßt euch doch von diesen Giaur, diesen verfluchten Ungläubigen, nicht ins Bockshorn jagen! Sie können uns nicht überwältigen, die Festung ist uneinnehmbar!“ Die Schüsse, die hinter ihm und seinen Kerlen im Inneren der Burg erklungen waren, schienen seine Worte Lügen zu strafen. Und gerade das war es, was den Banditen so sehr zusetzte: Sie hatten diesen gewitzten, kampferprobten Feind nicht nur vor sich, sondern auch im Rücken. Wieder raste eine Kugel der Gegner haarscharf über die Naturstein-zinnen des Wehrganges. Zu El Bayads Rechten brüllte ein Berber auf. Er ließ seine Flinte fallen
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und kippte rücklings von der Plattform in den Hof. Sie haben Wunderwaffen, dachte El Bayad entsetzt, anders kann es nicht sein, sie stehen mit dem Scheitan im Bunde! Er nahm eine der letzten noch geladenen Musketen zur Hand, legte ihren Schaft in eine Schießscharte zwischen zwei Zinnen und visierte die nur undeutlich wahrnehmbare Gestalt des Alten über den Lauf hinweg an. Dieser Alte — er hatte sich als „El Lobo del Mar“ ausgegeben, aber El Bayad begriff jetzt, daß er einem Schwindel aufgesessen 'sein mußte. Umso größer war sein Haß auf den Alten, der sich trotz seines Holzbeines mit außerordentlichem Geschick voranbewegte. El Bayad drückte ab. Die Muskete spuckte ihre Ladung aus, aber im selben Moment krachte auch unten am Hang eine Waffe. El Bayad sah den Mündungsblitz und duckte sich —keinen Augenblick zu spät, denn das Geschoß des Gegners fegte mit häßlichem Geräusch über ihn weg. Old O'Flynn hatte ebenfalls den Kopf eingezogen. El Bayads Kugel war nicht schlecht gezielt, sie riß ziemlich dicht hinter Donegals hölzernem Bein eine Staubfontäne hoch. „Hölle und Teufel“, zischte der Alte. „Wie viele Kerle sind denn das noch? Hat sich eine ganze Streitmacht in dem Nest versammelt?“ „Es müssen rund zwanzig sein“, sagte Gary Andrews rechts neben ihm. „Wenn der Neger uns die Wahrheit gesagt hat“, fügte Smoky hinzu, der links von Old Donegal lag und gerade den SchnapphahnRevolverstutzen nachlud, den er so erfolgreich gegen die Strandräuber eingesetzt hatte. Der alte O'Flynn schnitt eine gallige Grimasse. „Das walte Gott“, entgegnete er. „Sonst geht es diesem Hund noch dreckig.“ Er blickte zu Barun, dem Sudan neger. Dieser lag dicht neben Raschid, dem zweiten Gefangenen, den die Seewölfe unweit der Ankerbucht gefaßt hatten. Batuti hatte sich mit Barun verständigen können, und dieser hatte bereitwillig
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verraten, was er wußte, als Matt Davies ihm etwas mit seiner Eisenhakenprothese vorgegaukelt hatte. Old O'Flynn hatte Barun und Raschid mit seinem Tromblon vor sich her dirigiert, bis sie auf dem Südhang unterhalb der Berberburg gestanden hatten. Dann hatte Donegal El Bayad vorgelogen, er sei der Seewolf und er habe ihm ein Tauschgeschäft vorzuschlagen: die fünf gefangenen Seewölfe gegen Barun und Raschid. El Bayad war nur zum Schein darauf eingegangen. Er hatte Old O'Flynn in seine Festung locken und dann gleichfalls festsetzen wollen. Die Seewölfe konnten sich an ihren zehn Fingern abzählen, daß der heimtückische Berber dies versuchen würde, aber Old O'Flynn hatte durch sein geschicktes Ablenkungsmanöver ja nur Zeit gewinnen Wollen. Hasard war in der Zwischenzeit von Norden her in die Burg eingedrungen. Als der erste Schuß im Inneren des wuchtigen Gemäuers gefallen war, hatte Old O'Flynn Barun und Raschid kurzerhand in den Allerwertesten getreten, so daß diese gestrauchelt und gestürzt waren. So lagen sie auch jetzt noch da platt auf dem Bauch und die Hände auf den Hinterkopf gepreßt, um den kostbaren Schädel gegen umherschwirrendes Eisen und Blei zu schützen. Old O'Flynn hatte sich ebenfalls hingeworfen und das Tromblon, das er vorher demonstrativ fallen gelassen hatte, wieder aufgenommen. Daraufhin waren auch Smoky, Matt Davies, Gary Andrews, Batuti, Stenmark, Jeff Bowie, Luke Morgan und Bob Grey aus dem Steineichenund Zedernwald hervorgestürmt. El Bayad schleuderte die leergefeuerte Muskete in maßloser Wut von sich, zückte seine Pistole, zielte über die Mauer und drückte ab. Doch die Reichweite der Waffe war nicht groß genug, er verfehlte Old O'Flynn noch einmal. „Tötet sie!“ brüllte El Bayad. „Laßt sie nicht näher heran!“
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Er begann auf dem Wehrgang auf und ab zu laufen, packte seine Kumpane bei den Armen, zerrte an ihren Burnussen und schrie auf sie ein, um sie zur Vernunft zu bringen. Einem Mann schlug er ins Gesicht, doch auch das nutzte nichts. Jeder Versuch, die Ordnung wiederherzustellen, war sinnlos. Die Panik wuchs. Den Strandräubern war nach Flucht zumute, nur noch nach Flucht. Es ist aus, dachte der schwarzbärtige Anführer immer wieder, es ist alles aus, sie haben uns in der Zange, wir können nur noch aufgeben. Wieder peitschten im Inneren der Festung Schüsse auf. Schreie drangen herüber. El Bayad fuhr herum und sah einige Gestalten, die aus den Felsengängen hervortaumelten. Diese Männer liefen quer über den vorderen Hof und schrien wild durcheinander. „Die Gefangenen sind frei!“ „Thabek ist tot!“ „Sie haben Fagar überwältigt!“ Durch die Tunnel, die die Trakte der Festung miteinander verbanden, preschten nun auch einige Pferde in den Südhof. Sie schnaubten, stiegen auf und schlugen mit den vorderen Hufen. El Bayad stellte fest, daß sich unter den Tieren auch sein hochbeiniger Falbe befand. Der Schwarzbart hetzte über eine Steintreppe vom Wehrgang in den Hof hinunter. Einen seiner Kerle hielt er an den Schultern fest, schüttelte ihn wild und fuhr ihn an: „Wie konnte das geschehen? Sprich, du Hundesohn, oder ich vergesse mich!“ „Ein schwarzhaariger Mann“, stammelte der Bandit, ein Berber, der wie El Bayad zum Stamm der Idouska Oufella gehörte. „Er war plötzlich da, muß durch eins der Fenster der nördlichen Mauer eingestiegen sein ...“ „Unmöglich!“ schrie El Bayad. „Und doch muß es so sein“, beteuerte der Bandit. „Alle anderen Fenster wurden von uns bewacht. Ich schwöre dir, daß wir keinen Augenblick lang unaufmerksam waren, El Bayad, ich ...“
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„Warum habt ihr diesen dreckigen Hund nicht niedergeschossen?“ „Wir haben es versucht!“ „Ihr seid Versager!“ brüllte El Bayad und hob die Faust gegen seinen Kumpan. „Er hat eine Wunderflinte!“ rief der Bandit verzweifelt. „Eine Waffe, mit der er viele Schüsse rasch hintereinander abgeben kann!“ „Der Seewolf“, stieß EI Bayad erbleichend aus. „Das kann nur der Seewolf gewesen sein. Er hat einen Pakt mit dem Höllenfürsten geschlossen. Er ist im Besitz magischer Kräfte.“ Er ließ den Mann los, blickte sich wild um und mußte konstatieren, daß die letzten Verteidiger des südlichen Wehrganges ihre Stellung nicht halten konnten. Wieder brach ein Bandit zusammen. Aus der Öffnung des Felsenganges stolperte indes ein Mann im dunklen Burnus hervor. Er hob noch die Arme und öffnete den Mund, um etwas zu rufen, hatte aber nicht mehr die Kraft dazu. Er fiel und blieb reglos liegen. Durch den Gang näherten sich Schritte. El Bayad faßte seinen Plan und setzte ihn ohne Zögern in die Tat um. Er wandte sich an die letzten Getreuen, die sich in seiner Nähe befanden, und gab ihnen durch eine Gebärde zu verstehen, sie sollten die Pferde einfangen und das Tor öffnen. „Wir unternehmen einen Ausfall!“ schrie er ihnen zu. Sie schauten verstört drein, begriffen aber doch, daß es die letzte Chance war, die Haut zu retten und eventuell noch einige Angreifer auf die Reise ins Jenseits zu schicken. Hastig griffen sie nach den Zügeln der Tiere und führten auch El Bayad den hochbeinigen Falben zu. El Bayad schwang sich in den Sattel des wiehernden Pferdes und winkte wieder seinen Kumpanen zu. Zwei Kerle, die ebenfalls auf die Rücken ihrer Tiere gestiegen waren, steuerten auf das Tor zu. Sie lösten die hölzerne Verriegelung, hoben den Querbalken aus seiner Halterung und zerrten die beiden grob gezimmerten Flügel auf.
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Ein Bandit warf seinem Anführer eine geladene Muskete zu. El Bayad richtete sich im Sattel auf, schwang die Waffe und stieß einen gellenden Kampfruf aus. Dann gab er seinem Falben die Hacken zu spüren, setzte sich an die Spitze des kleinen Reiterpulks und jagte ins Freie. Staub wirbelte von den Hufen der Pferde auf. El Bayads hellgelber Burnus flatterte im Wind. Er war der zürnende Rächer, der immer noch in einem letzten Anflug von wilder Hoffnung daran glaubte, daß der Prophet und Allah ihm die Macht verliehen, die Ungläubigen von dem großen Dreimaster in der Bucht zu besiegen. * Hasard hatte immer wieder besorgt zu seinem Profos geblickt, als sie den Innenhof unterhalb der Moschee gestürmt hatten. Ed Carberry war zwar von den Banditen notdürftig verbunden worden, weil sie ihn noch für ihre verbrecherischen Ziele hatten ausnutzen wollen, aber der Blutverlust des verletzten rechten Armes war doch groß. So war es ein recht bleicher Profos, der mit einer von Fagar erbeuteten Pistole und seinem guten alten Schiffshauer auf die Banditen eindrang, der zwar vorgab, wieder prächtig in Form zu sein, der aber trotzdem jeden Augenblick einen Schwächeanfall erleiden und aus seinen Stulpenstiefeln kippen konnte. Gott sei Dank trat dies dann doch nicht ein. Es sprach für Carberrys Kondition, daß er trotz allem grimmig dabei mithelfen konnte, den Innenhof des Südtraktes zu räumen. Wenn er auch nur mit links dreinhauen konnte, er räumte auf, daß die Banditen das kalte Grauen kennenlernten. Dan O'Flynn war neben Hasard, als der letzte Bandit durch den Felsengang abrückte. Sie warfen sich einen Blick zu und stürmten dann den beiden Pferden nach, die ihren Artgenossen in den Südhof folgen wollten. Es waren die letzten zwei Tiere, die zur Verfügung standen —und diese Gelegenheit wollte sich der Seewolf
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nicht entgehen lassen. Auch nicht auf die Gefahr hin, einen deftigen Huftritt in den Unterleib verpaßt zu erhalten! Hasard stoppte einen grobknochigen Braunen, dessen Fell schweißbedeckt war und der erregt schnaubte. Der AraberSchimmel, den Dan zum Stehen brachte, benahm sich weniger nervös, aber auch er schien gegen Schüsse, die in seiner unmittelbaren Nähe abgefeuert wurden, allergisch zu sein. Hasard und Dan stiegen in die Sättel der Pferde. Der Seewolf drehte sich zu den nachdrängenden Freunden um — zu Ferris Tucker, Big Old Shane, Blacky und Carberry. „Folgt uns!“ rief Hasard. „Wir halten euch den Weg frei. Hoffen wir, daß Donegal und die anderen nicht zurückgeschlagen worden sind!“ Ferris lauschte dem Geschrei, das vom Südhof herüberwehte. „Hört sich nicht so an“, sagte er. „Aber wir können ja nicht sicher sein, daß alles geklappt hat. ehe wir nicht sehen, was los ist.“ Hasard trieb seinen Braunen voran. Er mußte sich flach auf dessen Widerrist ducken, um im Tunnel nicht mit dem Kopf gegen die Felsendecke zu stoßen. Hohl kehrte der Hufschlag als Echo von den Wänden zurück. Im Dunkel der Gänge rechnete Hasard damit, aus einem Hinterhalt heraus angegriffen zu werden. Den RadschloßDrehling hatte er leergeschossen, Zeit zum Nachladen stand nicht zur Verfügung. Deshalb hatte er sich den Drehling am Lederriemen über die Schulter gehängt und hielt nun die doppelläufige sächsische Reiterpistole im Anschlag. Seine schlimmsten Befürchtungen bestätigten sich nicht — die Banditen hatten im Tunnel keine Falle gestellt. Also war an ihrer kopflosen Flucht nichts Vorgetäuschtes gewesen, ihre Panik war echt! Hasard sah, wie das Dunkel hinter einer Gangbiegung jäh aufbrach. Die Sonne stach ihm in die Augen. Er ritt dem Geschrei, das im Südhof der Burg
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herrschte, entgegen und beschleunigte auf den letzten Yards die Gangart des Braunen. Im Galopp brach der Seewolf aus dem Felsengang hervor. Er preschte über den Hof und sah zu seinem Erstaunen, daß das Tor offenstand. Instinktiv hielt er darauf zu. Dan O'Flynn war dicht hinter ihm. Ferris, Shane, Blacky und der Profos erschienen soeben in der Öffnung des Tunnels. Sie feuerten auf die letzten Banditen, die die Festung verteidigten und Hasard und Dan aufhalten wollten. Hasard suchte El Bayad. Barun hatte den Schwarzbärtigen ausführlich beschrieben, und so stellte Hasard eins mit Sicherheit fest, obwohl er El Bayad noch nie Auge in Auge gegenübergestanden hatte: Der Kopf der Bande hatte die Flucht ergriffen. Der Seewolf entdeckte El Bayad und dessen letzte Mitstreiter, als er durch das offene Tor raste. In donnernder Kavalkade hielten die Banditen genau auf Old O'Flynn und die anderen acht Seewölfe zu. Sie wollten sie niederreiten, erschießen, mit Säbeln töten. Wie der Scheitan in Person wollte El Bayad unter seinen Feinden wüten. Hasard schlug dem Braunen die Hacken in die Weichen. * Als die Horde auf sie zuritt, fehlten Stenmark die Worte. Matt Davies preßte nur etwas hervor, daß wie „Himmel, Arsch“ oder „Himmelhunde“ klang, und Old O'Flynn murmelte: „Ja, da beißt mich doch der Wassermann.“ „Smoky“, zischte Luke Morgan. „Wann zum Teufel bist du endlich mit dem Nachladen der verflixten Knarre fertig?“ Smoky gab keine Antwort. Verbissen war er damit beschäftigt, auch die restlichen Kammern im Zylinder des SchnapphahnRevolverstutzens mit Pulver und Blei zu füllen. Auf Verdämmungspfropfen, die eigentlich zu einer perfekten Ladung gehörten, verzichtete Hasards Decksältester in der Eile. Es war schon ein
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Wunder, wenn er es fertigbrachte, die acht Kammern wieder vollzustopfen. Nur noch wenige geladene Feuerwaffen standen den neun Seewölfen zur Verfügung. Old O'Flynns Tromblon gehörte dazu. Der Alte fragte sich aber ernsthaft, ob es ihnen gelingen würde, allein mit der Blunderbüchse, mit Stenmarks Muskete und Matts und Lukes Pistolen die Attacke der Strandräuber abzuwehren. „Arwenack!“ rief Old Donegal. „Laßt sie heran, wartet auf mein Zeichen. Im richtigen Augenblick pusten wir sie von den Gäulen, verdammt noch Mal.“ „Arwenack!“ riefen die Männer. , Sie lagen rund zwanzig Yards vom Tor der Feste entfernt und konnten weder vor noch zurück. El Bayad und das halbe Dutzend Banditen, das sich mit dem Anführer auf die Rücken der Pferde geschwungen hatte, waren fast heran. Undenkbar war es für Old O'Flynn und seine Gruppe, jetzt bis zur Burg vorzustürmen — an dem Pulk konnten sie nicht vorbei. Genauso abwegig wäre es gewesen, Schutz im Steineichenwald zu suchen. Er lag zu weit entfernt. Mit anderen Worten, die neun Seewölfe konnten weder vor noch zurück. „Da ist ja Hasard!“ schrie Bob Grey plötzlich. „Er hat sich ein Pferd genommen und kommt uns zu Hilfe!“ „Dan folgt ihm!“ brüllte Stenmark, der die Sprache wiedergefunden hatte. „Sohn“, stieß der alte Donegal mit grimmigem Stolz hervor. „Dies ist ein großer Augenblick für die O’Flynns .“ „Ar-we-nack h brüllten die Seewölfe — und dann waren El Bayad und seine Kerle heran. Smoky hatte den Ladevorgang mit fliegenden Fingern abgeschlossen. Er hatte seine ganze Beherrschung aufbieten müssen, um jetzt nicht die Nerven zu verlieren. Aus den Augenwinkeln heraus gewahrte er, wie Old O'Flynn das Zeichen gab — und er schoß auf die Feinde. Der alte O'Flynn wich El Bayads Musketenschuß aus, indem er sich nach links überrollte. Kaum hatte er wieder die
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Bauchlage eingenommen, schwenkte er das Tromblon hoch und krümmte den Finger um den Abzug. Die Ladung spie aus der trichterförmig erweiterten Mündung hervor und erreichte zwei von El Bayads Kumpanen. El Bayad selbst war schon vorbei. Old O'Flynn blieb keine Zeit, sich zu dem Kerl umzudrehen und ihn aufs Korn zu nehmen. Das Tromblon war eine Waffe, mit der man auf kurze Distanz ganze Schiffsdecks leerfegen konnte. Die Wirkung der Ladung aus gehacktem Blei und Eisen war verheerend. Auch Stenmark, Matt und Luke feuerten nun - die Seewölfe empfingen ihre Gegner mit einer gebührenden Salve. Die meisten Kerle rutschten von den Sätteln, während ihre Pferde weiterliefen. Smoky schoß immer noch, als Donegal, der Schwede, Matt und Luke ihre leeren Waffen fortwarfen und zu den Säbeln griffen. Smoky betätigte den Abzug des Stutzens, drehte die Trommel mit der Hand, feuerte wieder, bewegte die Trommel. Es gab keinen Mechanismus, mit dessen Hilfe der Zylinder selbsttätig weiter glitt, aber Al Conroy, der erwiesenermaßen der größte Waffenexperte an Bord der „Isabella“ war, hatte einmal gesagt, daß man eine solche Vorrichtung vielleicht eines Tages erfinden würde. Smoky vollführte eine ruckartige Bewegung nach rechts und wollte auf den letzten Mann im Pulk der Banditen anlegen, da waren Hasard und Dan heran. Der Seewolf lenkte seinen Braunen so an der Stätte des Kampfes entlang, daß er nicht in Smokys Schußrichtung geriet. Dan jedoch richtete sich im Sattel auf und warf sich im Vorbeireiten auf den hintersten Banditen. Er riß ihn aus dem Sattel. Sie fielen beide zu Boden und balgten sich eine Weile miteinander. Dan bereitete der Keilerei schließlich durch einen gezielten Faustschlag gegen die Schläfe des Kerls ein Ende. Hasard hatte El Bayad keine Sekunde aus den Augen gelassen, seit er ihn entdeckt
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hatte. Er jagte auf ihn zu und hatte ihn fast erreicht. Für einen Moment war er versucht, mit der doppelläufigen Reiterpistole auf den Bandenführer zu feuern. Doch dann überlegte er es sich anders. El Bayad hatte seinen Säbel gezückt, um damit auf die Seewölfe einzuhauen. Hasards Männer zogen sich jedoch geschickt aus der Reichweite der Klinge zurück. Jeder von ihnen hätte liebend gern das Duell mit dem Schwarzbärtigen angenommen, aber es stand Hasard zu, die entscheidende Auseinandersetzung mit dem Berber zu führen. Auch Smoky, der El Bayad mit einem Schuß aus dem Sattel hätte holen können, hielt inne und ließ den Stutzen sinken. El Bayads Falbe tänzelte auf den grobknochigen Braunen des Seewolfs zu. Hasard steckte sich in diesem Augenblick die Doppelläufige in den Gurt. Er vertauschte sie mit dem Degen, den er mit einer raschen Bewegung aus der Scheide zog. „Und jetzt zu uns, El Bayad!“ rief er auf spanisch. „Du sollst es bereuen, meine fünf Männer geschlagen und entführt zu haben.“ El Bayads braune Augen richteten sich auf das Gesicht des Seewolfes. „El Lobo del Mar - bist du das?“ „Ja.“ „Dann stirb!“ Unversehens ging der Berber zur Attacke über. Er hämmerte dem Falben die Hacken in die Flanken und drängte das Tier auf den Seewolf zu. Der Säbel surrte durch die Luft, als wolle er bizarre Muster hineinschneiden. Hasard verhielt sich völlig ruhig, und das schien El Bayad irgendwie zu irritieren. Schon als der Bandenführer bei seinem Gegner angelangt war, mangelte es seinem Ansturm an Vehemenz. Der Schrei, den er kehlig ausstieß, das Verzerrte in seinem Gesicht - all dies wirkte aufgesetzt und keineswegs überzeugend. El Bayads Haß reichte nicht aus, um Hasard aus der Fassung zu bringen. Hasard wehrte den Säbel mit einer einfachen Parade ab. Noch zweimal
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benutzte er seine Waffe, um die Klinge des Berbers zu blockieren, dann fintierte er, stieß nach und schickte El Bayad in die Reserve. Logisch war, daß die Säbelklinge stärker war Und Hasards Degen früher oder später zerbrechen mußte. Folglich trieb der Seewolf den Kampf voran und gab die Initiative nicht mehr aus der Hand. Wenn El Bayad auch nur zum Luftholen kam, konnte die Situation für Hasard äußerst kritisch werden. Klirrend kreuzten sich die Klingen, bis Hasard El Bayads rechte Hand verletzte und ihm durch eine blitzartige, kreisende Degenbewegung den Säbel aus den Fingern holte. Betroffen blickte El Bayad auf seine leere, blutende Rechte. Der Säbel war im Staub des Hanges gelandet -für den Berber befand er sich in unerreichbarer Ferne. 2. „Es ist aus, El Bayad“, sagte der Seewolf. „Steig von deinem Pferd und geh zu deinen Kumpanen, die wir gefangengenommen haben. Die meisten von ihnen sind verletzt, aber wir werden sie verarzten ...“ Weiter gelangte er nicht. El Bayad hatte unter den sandfarbenen Burnus gegriffen und das gebogene Messer zutage gefördert, mit dem er schon Ferris Tucker hatte zusetzen wollen. Ehe Hasard es verhindern konnte, huschte das Messer durch die Luft -auf seine Brust zu. Gedankenschnell ließ er sich vornübersinken, so tief, daß sein Gesicht die Mähne des Braunen berührte. Im selben Augenblick stieß der Bandenführer einen heiseren Schrei aus, ließ sein Pferd unter der Hand herumfahren und trieb es aus dem Stand heraus in einen wilden Galopp. Das Messer berührte Hasards Rücken, aber glücklicherweise nicht mit der scharfen Kante, sondern mit der, flachen Seite der Klinge. Dennoch riß es eine tiefe Spur in Hasards Hemd und Wams. und der
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Seewolf spürte ein feines Brennen auf seiner Rückenhaut. Smoky wollte auf den davonpreschenden El Bayad feuern. Aber Hasard richtete sich wieder im Sattel auf und rief: „Nicht, Smoky! Den Kerl greife ich mir!“ Auf Hasards Schenkeldruck hin galoppierte auch der Braune los. Dan O'Flynn schrie noch: „Paß auf, Hasard, vielleicht hat der Hund noch mehr verborgene Waffen!“ Aber das hörte der Seewolf kaum noch. Er war nicht versessen darauf, dem Anführer der Strandräuberbande einen Denkzettel zu verpassen, den hatte El Bayad ohnehin weg, nachdem er gut die Hälfte seiner Spießgesellen eingebüßt hatte. Aber ganz ungeschoren sollte der dreiste Hund nach seinem letzten Mordversuch nun auch wieder nicht entwischen. El Bayad floh nach Osten. Sein hochbeiniger Falbe war ein guter Renner, soviel hatte Hasard sofort gesehen. Aber auch der Braune war nicht zu verachten, wenn er auch äußerlich eher schwerfällig wirkte. Er war ausgeruht, der Seewolf konnte aus ihm herausholen, was in ihm steckte, sofern die Jagd nicht über eine zu große Distanz führte. Dies hing in erster Linie von Hasard ab. O ja, er konnte reiten, er hatte es in Cornwall beim alten Killigrew und bei Big Old Shane, seinem väterlichen Freund, gelernt. El Bayad brauchte sich nicht einzubilden, daß nur ein Berber richtig reiten konnte. Ein Mann wie Hasard konnte sich auch in dieser Hinsicht durchaus mit ihm messen, wenn er auch etwas aus der Übung war. El Bayad wandte sich im Sattel um. Zu seinem Entsetzen gewahrte er, wie der Seewolf schon auf dem Hang aufholte. Wütend hieb der Berber auf den Falben ein und trieb ihn zur .äußersten Leistung an. Der Weg führte vom Berghang in eine Schlucht, deren Grund mit Geröll übersät war. Hier mußte El Bayad das Tempo wieder verlangsamen. Er riskierte, sich mit seinem Tier zu überschlagen. Es brauchte nur einen einzigen Fehltritt zu tun, zu
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straucheln, und es war um sie beide geschehen. Selbst wenn der Berber dann seinen Hals rettete, ohne sein Pferd war er endgültig geliefert. Hasard gab gleichfalls darauf acht, sein Tier nicht zu gefährden. Er War aber immer noch so schnell, daß der Abstand zu dem Banditen weiterhin schrumpfte. Hinter dem Ausgang der Schlucht ging es über einen kurzen, nicht sonderlich steilen Hang auf ein Plateau hinaus, und auf dieser Ebene setzte das eigentliche Wettrennen ein: El Bayad trieb seinen Falben voran, bis diesem der weiße Schaum vor dem Maul und vor den Nüstern stand. Hasard hielt mit, achtete aber darauf, daß sich der grobknochige Braune nicht bis zum äußersten verausgabte. Er registrierte jetzt, daß der Braune die größere Ausdauer von den beiden Tieren hatte. Dies führte die Entscheidung herbei, als der Falbe kurz vor dem Ende des ausgedehnten Plateaus etwas zurückfiel. Immer rascher verringerte sich der Abstand von Reiter zu Reiter. El Bayad schickte wieder einen Blick über die Schulter zurück. Seine Züge waren eine einzige Grimasse. Er wußte keinen Ausweg mehr. Waffen hatte er jetzt tatsächlich nicht mehr, er konnte sich dem Seewolf nur mit den bloßen Fäusten stellen. Kurz vor ihrem unweigerlichen Zusammentreffen trachtete der Berber, nach rechts auszuweichen. Er wollte Hasard verwirren und in der Gegend, die er bis ins Detail kannte, durch eine Reihe von Tricks den Abstand wieder vergrößern, ja, den Feind sogar abhängen. Hasard reagierte jedoch sofort auf das Manöver. Er zog ebenfalls nach rechts, fing El Bayad ab und hechtete zu ihm hinüber. Sie wirbelten aus dem Sattel des Falben auf den harten, trockenen Untergrund. Hasard glaubte sämtliche Knochen im Leib knacken zu hören. Als er auf seinem Rücken landete, nahm der Schmerz höllisch zu. El Bayads Messer hatte wohl
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doch eine tiefere Wunde geschnitten, als er anfangs angenommen hatte. Sie balgten sich und gerieten an den Rand des Plateaus. El Bayad versuchte, Hasard die Faust ins Gesicht zu schmettern, doch Hasard stoppte sein Vorhaben im Ansatz. Er packte den Arm des Berbers und drückte ihn nach unten. El Bayad wälzte sich aufstöhnend über den Seewolf und riß ihn mit. Sie erlangten beide das Übergewicht und kollerten den Hang hinunter, der im Osten an das Plateau anschloß. Am Fuß des Hanges kämpfte Hasard sich frei. Er war als erster auf den Beinen und landete einen Schwinger unter El Bayads Kinn, als dieser sich anschickte, ebenfalls aufzustehen. El Bayad streckte sich auf dem Felsboden aus. Hasard näherte .sich ihm vorsichtig. Als er ihn fast erreicht hatte, nahm der Berber eine Handvoll Staub auf und schleuderte ihn nach dem Gesicht des Gegners. Hasard war auf der Hut und konnte ausweichen. El Bayad unternahm wieder einen Versuch, sich aufzurappeln, aber plötzlich war der Seewolf sehr dicht vor ihm und rammte ihm noch einmal die Faust unters Kinn. Es dröhnte in El Bayads Kopf, er sah sein Ich losgelöst von seiner Gestalt und verfolgte aus einiger Distanz, wie die Felsen sich auftaten, um seine sterbliche Hülle in finstere Schlünde hinabzureißen, dorthin, wo der Scheitan hauste. Ein schwarzer Vorhang fiel, und alles versank in bodenloser Finsternis. El Bayad kehrte ins Diesseits zurück und wünschte sich sofort, wieder in die düsteren Schluchten tauchen zu können. Dort gab es keinen Schmerz — hier jedoch war das quälende Pochen, das sich von seinem Kinn durch den ganzen Kopf und auch durch den Oberkörper zog. El Bayad schlug die Augen auf. Hasards Gesicht war über ihm. Ein hartes Lächeln hatte sich in die wettergegerbten Züge gekerbt, die eisblauen Augen glitzerten drohend.
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El Bayad schloß die Lider wieder. Wie sollte er seine ohnmächtige Wut bezwingen? „El Bayad“, sagte der Seewolf. „Steh auf und gehe nach Osten, immer in Richtung Mekka. Verschwinde, ehe ich es mir anders überlege.“ „Töte mich.“ „Nein. Es wäre der einfachste Weg; aber ich verachte es, mich mit deinesgleichen auf die gleiche Stufe zu stellen. Ich bin kein primitiver Totschläger, der alle seine Probleme mit brutaler Gewalt lösen zu können glaubt'', erwiderte Hasard in seinem fehlerfreien Kastilisch. „Gib mir ein Messer.“ „Das könnte dir so passen.“ „Ich töte mich selbst ...“ „Sieh mich an“, sagte der Seewolf. El Bayad tat es und gewahrte die doppelläufige Radschloßpistole, die auf seine Brust gerichtet war. „Ich lasse dich tanzen, wenn du nicht verschwindest“, fuhr Hasard fort. „Das wird dich endgültig davon überzeugen, daß es für dich besser ist, das Feld zu räumen. „Warum verschonst du mich?” „Ich verschone dich nicht“, antwortete Hasard. „Ich schicke dich barfuß und nahezu unbekleidet in Richtung Mekka, und das ist eine große Schande für einen gläubigen Muselmanen. Vielleicht greift man dich irgendwo auf. vielleicht schlägst du dich auch durch. Mir ist nicht daran gelegen, dich den Spaniern auszuliefern. Sie würden sich gewiß sehr darüber freuen, aber ich kann die Dons nicht leiden.“ El Bayad blickte an sich herab. Es stimmte, Hasard hatte ihn seines sandfarbenen Burnus und der aus Dromedarleder hergestellten weichen Schuhe beraubt. El Bayad hatte nur noch eine kurze Hose aus brüchigem weißen Stoff auf dem Leib. Er hatte keine Waffen mehr, keinen Einfluß, kein Geld — er war ein hilfloser Narr. Hasard trat einen Schritt zurück, hob die Pistole und zielte auf El Bayads Beine. „Geh. Versuche nicht, zur Berberburg zurückzukehren. Meine Männer und ich
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bleiben eine Weile dort. Wir bereiten dir einen heißen Empfang, wenn du es wagst.“ „Mein Burnus — meine Schuhe ...“ „Die Sachen nehme ich mit. Vielleicht vergrabe ich sie. Möglich auch, daß ich sie ins Wasser der Bucht werfe. Ich weiß es noch nicht. El Bayad.“ „Tu mir diese Schande nicht an.“ „Weißt du, welche Schande du meinen fünf Männern zugefügt hast?“ „Ich bereue es ...“ „Geh“; sagte Hasard noch einmal. El Bayad las die Entschlossenheit in den eisblauen Augen und zog es vor, es auf einen Versuch nicht ankommen zu lassen. Sein Leben und seine Gesundheit waren ihm nicht nur lieb, sondern auch heilig, und wenn der Seewolf auf seine Beine feuerte, würde er, El Bayad, zumindest einen schmerzhaften Streifschuß davontragen. Der Bandenführer erhob sich, ging nach Osten, beschleunigte seinen Schritt und wandte sich nicht mehr zu Hasard und den beiden Pferden um. „Gut“, sagte Hasard. „Du scheinst es begriffen zu haben, El Bayad.“ * Am Südhang vor der Berberburg ließ der Seewolf die Leichen der getöteten Banditen bestatten. Die Überlebenden, die von Jeff, Luke und Bob verbunden worden waren, jagte er ohne Waffen nach Westen davon. Diejenigen, die wegen ihrer Blessuren nicht mehr laufen konnten, durften ein Pferd mitnehmen. Danach hielt er eine kurze Lagebesprechung ab. Gary und Batuti schickte er als Boten zur „Isabella“. Ben Brighton, der jetzt das Kommando an Bord hatte, mußte darauf brennen, Einzelheiten über den Ausgang des Landunternehmens zu erfahren. Er hatte die strikte Anweisung, bis zum Einbruch der Dunkelheit damit zu warten, eventuell eine Nachhut zur Burg der Banditen zu schicken. Verstärkung war jetzt aber nicht mehr nötig, Ben sollte nur den Kutscher und ein
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paar andere zur Festung in Marsch setzen —mit Fässern, in denen Süßwasser an Bord der „Isabella“ gemannt werden sollte. Im nördlichsten Burghof hatte der Seewolf einen Brunnen entdeckt, aus dem sich das für die Weiterreise erforderliche Naß schöpfen ließ. „Damit wäre ein Problem gelöst“, sagte er, nachdem Gary und der Gambia-Mann gegangen waren. Bliebe noch die—Sache mit dem Stück Holz, das du zum Reparieren des Ruders brauchst, Ferris.“ Sie standen unweit des Steineichen- und Zedernwaldes, und Ferris Tucker wies sofort grinsend auf die mächtigen Bäume. „Hier werden wir wohl einen guten Ast schlagen können. Ich suche jetzt das richtige Stück aus, und wenn wir die Sache mit dem Wasser hinter uns gebracht haben, habe ich auch mein Holz zur Bucht geschleppt.“ „Gut. Shane!“ „Sir?“ „Hast du die Burg nach Waffen und sonstigen, hm, brauchbaren Gegenständen durchsucht?“ „Aye, Sir. Ich habe das, was die Hunde uns abgenommen hatten, in einem der Räume aufgestöbert —unsere Pistolen, Messer und Schiffshauer. Fagar, der hagere Bandit, hatte sich Eds Entermesser zugesteckt.“ „Ich habe es mir bereits wiedergeholt, falls du es noch nicht gemerkt hast“, entgegnete der Profos. Er klopfte dabei auf das Heft der Waffe. „Sonst noch was, Shane?“ wollte der Seewolf wissen. „Ein paar Araber-Flinten, die wir mitgehen läsen konnten. Und etwas Gold in Münzen und Schmuck, aber sehr wenig Zeug. Viel hat dieser El Bayad nicht zusammengerafft. Er hoffte wohl, mit dem Angriff auf unsere ‚Isabella' den Schlag seines Lebens zu landen.“ „Sicher. Shane, du vernichtest die Waffen, die es nicht wert sind, mitgenommen zu werden. Dan, die Pferde benutzen wir als Packtiere, um die Wasserfässer und das Holz zur Bucht zu transportieren. Später lassen wir sie dann frei.“ „Aye, aye, Sir.“
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„Hasard“, sagte Blacky plötzlich. „Du bist ja verletzt - am Rücken.“ „Nicht der Rede wert“, erwiderte der Seewolf. „Das ist nur ein Kratzer, auf den der Kutscher nachher eines seiner wundstillenden Mittel pinseln wird. Ed, wie geht es deinem Arm?“ „Schon bedeutend besser.“ „Trotzdem kriegst du von mir verordnet, sobald wir wieder an Bord sind“, sagte Hasard. Er trat auf seinen Profos, auf Dan O'Flynn, Blacky, Ferris und Shane zu. „Und jetzt erzählt mir mal, wie es geschehen konnte, daß El Bayad und seine Halunken euch zu überrumpeln vermochten. Na los, 'raus mit der Sprache.“ Ferris Tucker räusperte sich. „Also, es ist wohl meine Sache, die Angelegenheit zu erklären. Das war so. Wir - also, wir waren gerade mit dem Boot gelandet und wollten den Küstenstreifen ein wenig inspizieren, da - Hölle und Teufel, an allem ist doch nur die blöde Wette schuld.“ „Unsinn“, warf Big Old Shane sofort ein. „Das wäre uns auch so passiert. Diese Bastarde waren einfach zu viele - und sie hatten das Überraschungsmoment auf ihrer Seite.“ „Kann schon sein“, murmelte Carberry, dem das Ganze überhaupt nicht geheuer war. Hasard musterte seine Männer aus schmalen Augen. „Wette? Darf man erfahren, um was für eine idiotische Wette es sich da gehandelt hat?“ Ferris fuhr sich mit der Hand durch den Rotschopf. Es war eine echte Verlegenheitsgeste. „Äh - Carberry und Blacky behaupteten, die Gegend hier gehöre zur Wüste, in der es außer Sand auch noch eine Menge Felsen gebe, sonst aber gar nichts -keine Bäume, die man fällen, kein Wasser, das man trinken könne.“ „Ach.“ „Dan und Shane setzten dagegen.“ „Was du nicht sagst.“ „Jeder der vier warf zwei Perlen in den Topf, und ich war der Schiedsrichter.' „Und das Ergebnis?“ fragte Hasard mit überraschender Freundlichkeit.
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Ferris befeuchtete die Lippen mit der Zungenspitze. „Danach wollten wir dich ja eigentlich fragen. Von deinem Urteil hängt es ab, wer die Perlen gewinnt.“ „Ja“, sagte Carberry, der sich etwas näher herangeschoben hatte. „Diese Scheißgegend hier — gehört die nun zur Sahara oder nicht?“ Hasard blickte ihn an, und der Profos biß sich auf die Unterlippe. Diese Frage, Carberry, sagte er sich, hättest du wohl besser nicht gestellt. „Ed, die Burg hat einen offensichtlich gut funktionierenden Brunnen, und außerdem ist das Land nicht so vegetationsarm, wie wir gedacht haben“, erklärte der Seewolf mit einer Geste zum Wald hin. „Genügt das als Antwort nicht?“ „Äh -vielleicht befinden wir uns ja an einer Oase. Sir.“ Mühsam beherrscht entgegnete der Seewolf: „Nein. Dieses Gebirge ist die sogenannte Sierra del Haus, einer der nördlichsten Ausläufer des Rif-Gebirges. Erst viel weiter südlich, jenseits des Atlas', beginnt die Wüste. Zufrieden?“ „Hölle“, entfuhr es Carberry. „Dann hab ich ja verloren.“ „Tröste dich, ich auch“, sagte Blacky mit zaghaftem Grinsen. Dan O'Flynn und Big Old Shane lachten. „Na bitte!“ rief der ehemalige Schmied und Waffenmeister von Arwenack-Castle. „Unser Kapitän kennt sich aus. Ich hab's ja gleich gesagt, wir gewinnen. Ferris, rück die acht Perlen heraus, Dan und ich werden sie uns redlich teilen.“ „Du Stint“, sagte Ferris Tucker. „El Bayad hat mir die Perlen abgenommen, weißt du das nicht mehr? Haben die Banditen dir zu hart auf die Rübe gehauen?“ Hasard zog einen kleinen Lederbeutel aus dem Wams und warf ihn Big Old Shane zu. _El Bayad hatte sich die Perlen in den Burnus gestopft, und den Burnus hat er mir ja freundlicherweise überlassen, bevor er nach Mekka abmarschiert ist.“ „Sehr gut“, sagte Dan O'Flynn. „Danke, Sir.“ „Ja, danke, Sir“, sagte auch Ferris Tucker zerknirscht.
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„Männer“, wandte sich der Seewolf an seinen Schiffszimmermann, an den Profos, den graubärtigen Riesen. Blacky und den jungen O'Flynn. „Wenn euch wieder mal der Spieltrieb packt und ihr ausgerechnet dann von irgendwelchen Halunken übertölpelt werdet - dann überlasse ich euch eurem Schicksal. verstanden?“ „Verstanden, Sir“, gaben die fünf gleichzeitig zurück. Damit war der Fall erledigt. Eine Standpauke brauchte der Seewolf seinen Männern nicht zu halten, die Sache wurmte sie auch so. Zwar war es nicht ausschließlich der Wette zuzuschreiben, daß El Bayad und dessen Kerle die fünf hatten verschleppen können, aber Carberry, Shane, Ferris, Dan und Blacky sahen ein. daß sie sich nicht gerade beispielhaft vorsichtig verhalten hätten, als sie an Land gegangen waren. 3. „Ein Spektiv! Man bringe mir ein Spektiv!“ Don Sirio de Alfas, seines Zeichens Admiral und Kommandant eines andalusischen Kriegsschiff-Geschwaders. beendete sein unruhiges Auf- und Abwandern auf, dem Achterdeck der „Inmaculada“ mit diesem Ruf. Der erste Offizier des Flaggschiffs trat näher und händigte Don Sirio das Fernrohr aus. Don Sirio musterte den Primero Official. bevor er das Spektiv vors Auge hob. „Senor“. sagte er. „Ich werde den Ausguck hart dafür zur Rechenschaft ziehen, falls er auf seinem Posten geschlafen hat.“ „Verzeihen Sie, Senor Almirante, Herr Admiral - aber ich glaube, der Mann hält wirklich die Augen offen. Ihm entgeht nichts.“ „Warum haben wir unsere Schiffe dann noch nicht wiedergefunden?“ „Ich weiß es nicht, Senor Almirante.“ „Diese Antwort entbehrt jeglichen Scharfsinns“, erklärte Don Sirio ungehalten. „Bitte verschonen Sie mich mit solchen Äußerungen, Primero.“
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„Senor“, sagte der Bootsmann, der mittlerweile auch nähergetreten war. „Unsere Reise scheint unter einem Unstern zu stehen, wenn ich mir die Bemerkung erlauben darf.“ In Don Sirios scharf ausgeprägten Zügen stand in aller Deutlichkeit zu lesen, wie wenig ihm auch diese Worte behagten, aber der Bootsmann fuhr ganz unbekümmert fort: „Erst der Sturm, dessen Ausläufer wir noch vor Gibraltar zu spüren kriegten — das Wetter hat uns zurückgeworfen und fast ganz vom Kurs abgebracht. Dann der Nebel, in den wir geraten -sind. Er hat unseren Verband aufgelöst und in alle Winde zerstreut. Wie ist so etwas. möglich?“ „Das, mein werter Bootsmann, fragen wir uns auch“, erwiderte Don Sirio de Alias gereizt. Er blickte jetzt durch das Spektiv und suchte angestrengt den gesamten Horizont ab. Aber da waren keine Mastspitzen, keine Flögel, die irgendwo über der Kimm munter im nun aus Südwesten wehenden Wind flatterten. „Nichts“, sagte der Admiral und ließ das Rohr sinken. „Man könnte fast meinen, das ginge nicht mit rechten Dingen zu.“ „Ja“, pflichtete der Bootsmann ihm sofort bei. „Acht schwere Kriegsgaleonen können doch nicht so einfach verschwinden.“ „Wir wissen, daß der Sturm ihnen keinen Schaden zugefügt hat“, versetzte der erste Offizier. „Ehe wir in die ersten Nebelbänke stießen, hatten wir noch Kontakt mit unserem Verband. Nun gibt es nur eine Möglichkeit: Die Schiffe müssen irgendwo aufgelaufen sein.“ „Was, alle acht?“ rief der Admiral. „Undenkbar! Zwei, drei, ja, vielleicht sogar vier Schiffe könnten unglücklicherweise auf ein Riff geraten oder auf Legerwall gedrückt worden sein, aber nicht alle.“ Der Bootsmann rieb sich das Kinn. „Ich könnte mir noch etwas anderes vorstellen; aber ich möchte nichts Unsinniges sagen ...“ „Heraus damit“, forderte Don Sirio ihn auf. „In unserer Lage müssen wir alle Punkte, auch die absurdesten, in Betracht ziehen.“
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„Im Nebel haben wir gegen den Westwind gekreuzt, Senor. Dies haben auch unsere acht Begleitschiffe. tun müssen, aber ich schätze, sie sind schneller gesegelt als wir. Mit anderen Worten, sie haben uns überholt — und wir verhalten uns jetzt völlig falsch, indem wir langsam weitersegeln und auf sie warten.“ Don Sirio de Alfas reichte seinem ersten Offizier das Spektiv zurück und trat an die vordere Schmuckbalustrade des Achterdecks. Er legte die Hände auf die hölzerne Leiste -und sann nach. Sein Blick wanderte dabei vom Großsegel, das sich im Wind blähte, über den Hauptmast und die Wanten, vom laufenden und stehenden Zeug bis auf die Kuhl hinab, wo das Schiffsvolk unter den Befehlen des Zuchtmeisters mit dem Aufklaren beschäftigt war. Die Soldaten, die zur Besatzung des Flaggschiffes gehörten, hatten ihre gewohnten Posten in der Nähe der Geschütze eingenommen und hatten ein waches Auge auf die Decksleute. Nie konnte man den Seeleuten, die durch die Bank alles andere als biedere und harmlose Zeitgenossen waren, völlig trauen. Die Soldaten hingegen waren einer anderen Art von Disziplin unterworfen — Gesetzen und Regeln, die zwingender waren und dem Geist wenig Spielraum ließen, in unerwünschte Sphären abzugleiten. Achtzig Geschütze führte die „Inmaculada“ auf zwei Batteriedecks vorwiegend 17-Pfünder-Culverinen, eine hervorragende Armierung also, die allein durch ihren Anblick imponierte und einem Gegner heiligen Respekt abverlangte. Ende 1585 war dieses Schiff, das mit vollständigem Namen eigentlich „La Virgen Inmaculada“, „Die unbefleckte Jungfrau“, hieß, in Malaga vom Stapel gelaufen, ein Galeonentyp, der von der Konstruktion her einige Neuheiten aufwies und vor allem durch seine große Verdrängung auffiel. Trotz ihrer mehr als vierhundert Tonnen war die „Inmaculada“ jedoch als Drei-, nicht als Viermaster, konzipiert und gebaut worden. Damit sie mehr Segelfläche als eine herkömmliche
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Galeone fahren konnte, hatte man ihre Masten jedoch etwas höher gebaut, so daß sie zusätzlich zu den über den unteren Segeln befindlichen Marssegeln auch Bramsegel am Fock- und Großmast setzen konnte. Die „Inmaculada“ war die AdmiralitätsGaleone der Andalusier - mit einem geheimen Auftrag unterwegs nach Cadiz. Die Engländer, so hieß es in einer fünffach versiegelten Depesche, die Don Sirio de Alfas zugestellt worden war, wollten Cadiz einen „Besuch abstatten“. Spanische Agenten hatten dies ermittelt, und aller Wahrscheinlichkeit nach würde nicht mehr viel Zeit vergehen, bis tatsächlich englische Schiffe vor der Bucht von Cadiz erschienen. Wann genau -das stand allerdings in den Sternen. Vier der Galeonen, die zu Don Sirios Verband gehörten, waren von Almeria nach Malaga abgezogen worden. Hier hatten sich die neun Segler versammelt und waren dann beinahe überstürzt mit Kurs auf die Straße von Gibraltar in See gegangen. Cadiz bereitete sich auf einen Angriff der Engländer vor. Die neun andalusischen Schiffe bildeten die Verstärkung. die Cadiz mit anderen Kriegsschiffen zusammen zur See hin abschirmen sollte. Die Zeit war kostbar. Don Sirio wußte schon nicht, wie er die durch den Sturm erlittene Verzögerung einholen sollte - und nun dies! Die „Inmaculada“ segelte nicht, sie dümpelte eher querab von Punta de Tarifa, und nach wie vor ertönte kein erlösender Ausruf des Ausgucks, die Nachzügler wären in Sicht. Da kam das, was der Bootsmann soeben ausgesprochen hatte, Don Sirios innerem Drängen schon eher entgegen. Wie nun, wenn die acht Schiffe des Geschwaders wirklich im Nebel an der „Inmaculada“ vorbeigezogen waren, ohne da ß die Besatzung des Flaggschiffs ihre Nähe auch nur geahnt hatte? In diesem Fall vergrößerte sich der Abstand vom Flaggschiff zum Rest des Konvois nur noch, und Don Sirio gewann durch sein
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abwartendes Verhalten nichts. aber auch gar nichts. Er wandte sich zu den Achterdecksleuten um. „Bootsmann“, sagte er. „Vielleicht haben Sie mir da unbewußt einen -vorzüglichen Ratschlag erteilt. Ich danke Ihnen.“ „Ich tue nur meine Pflicht, Senor Almirante.“ Der Admiral drehte sich wieder der Kuhl zu und rief: „Profos, wir setzen Vollzeug und halten den Kurs!“ „Si, Senor“, antwortete der Zuchtmeister. Er trieb die Männer mit barscher Stimme an und jagte sie über Deck und die Wanten hinauf. Escolano, der über seinen beiden Kameraden und besten Freunden Chence und Galindo in den Luvhauptwanten turnte, drehte sich kurz nach unten um und zischte: „Bald hat diese Plackerei ein Ende, das schwöre ich euch.“ „Hast du mit den anderen gesprochen?“ fragte Chence. „Ja. Wir werden nicht allein sein.“ „Der Himmel steh' uns bei, daß wir es schaffen“, sagte Galindo. Escolano sah, wie der Profos zu ihm hochblickte. Sofort wandte er das Gesicht wieder nach oben und hangelte weiter. Bald wirst auch du Hund uns nicht mehr schikanieren, dachte er, und keiner wird uns für das verfluchte Königreich verheizen. Bald! * Ferris Tucker hatte das Ruder der „Isabella VIII.“ repariert. Der Kutscher und ein paar Helfer hatten die Fässer mit dem Trinkwasser an Bord gemannt. Wenig später hatte Dan O'Flynn die Pferde, die als Packtiere gedient hatten, befreit und fortgescheucht, war dann als letzter Mann an Bord gegangen — und die Galeone verließ die Bucht. Die Segel wurden neu getrimmt, der Wind hatte gedreht und wehte frisch aus Südwesten. Mit westlichem Kurs verließen die Seewölfe das afrikanische Festland.
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„Wenn der Wind nicht wieder schralt, brauchen wir nicht zu kreuzen, um in den Atlantik zu gelangen“, sagte Hasard zu Ben Brighton. „Das bedeutet für uns eine erhebliche Zeitersparnis.“ „Ja. Hoffen wir, daß wir keinen fremden Schiffen begegnen, die uns wieder Verdruß bereiten könnten.“ „Wie die drei, die in die Bucht eindrangen?“ „Denkst du immer noch daran?“ „Manchmal. Ich wüßte zu gern, wer das war. Ich sage dir, das waren garantiert keine Spanier, Ben. Aber auch keine Piraten, die die Mittelmeerküsten verunsichern.“ „Sondern?“ fragte Ben. „Vielleicht Engländer ...“ „Was, hier? Das wäre ja ein Witz. Was sollten denn Engländer bei Ceuta verloren haben, wo es dort doch normalerweise von Dons nur so wimmelt?“ „Gegenfrage: Was hatten wir dort verloren?“ „Der Sturm war schuld daran, daß wir bis in die Straße von Gibraltar gedrückt wurden.“ „Siehst du Ben“, entgegnete der Seewolf mit geradezu verschmitzter Miene. „Und genauso könnte es auch einem kleinen Verband Ihrer Majestät, der königlichen Lissy, ergangen sein. Ja, es wäre wirklich ein Witz, wenn wir uns dort in der Bucht gegenübergelegen hätten, ohne daß der eine von dem anderen wußte, daß wir eigentlich Verbündete sind. Aber ich will das nicht zu sehr hervorheben. Ich kann mich auch täuschen.“ Ben hob die Schultern. „Wer sich an Bord der drei Schiffe befand, wird uns wohl immer ein Rätsel bleiben.“ Hasard blickte voraus. Eine leichte Dünung kräuselte die See. Die „Isabella“ lag hoch am Wind und segelte mit prallem Zeug über Steuerbordbug. Sie schien sich in ihrem Element wohlzufühlen, die schlanke Lady —allemal, seitdem sie in Tanger von ihrem Muschelbewuchs und den Algenbärten befreit worden war, die ihre Fahrt und Manövrierfähigkeit erheblich behindert hatten.
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So rauschte sie nun von der afrikanischen Küste zur spanischen Seite der Straße von Gibraltar hinüber. Hasard wußte, daß es gefährlich war, den Spaniern sozusagen in den Rachen zu segeln, aber er hatte keine andere Wahl. Selbst wenn der Wind auf Süden drehte, konnte er keinen strikten Westkurs halten, sondern war gezwungen, allmählich zur spanischen Küste hinüberzustaffeln. Bei „unliebsamen Begegnungen“, so hatte er sich vorgenommen, würde er versuchen, dem Gegner auszuweichen und ihm davon zu segeln. Er verließ sich auf die Schnelligkeit seiner „Isabella“. Heute herrschte ungewöhnliche Ruhe an Bord, die Männer wickelten alle Manöver mit größter Gelassenheit und ohne viele Worte ab. Das hatte einen ganz besonderen Grund: Carberry war nicht zugegen. Hasard hatte ihm „verordnet“, sich in die Koje zu packen und seine Armwunde durch eine gute Mütze voll Schlaf tüchtig auszukurieren. So fehlte das übliche Gebrüll des Profos'. Kein Fluch hallte über Deck, keins der vielen Schimpfwörter, mit denen Ed die Crew zu versehen pflegte, begleitete die Manöver. „Heute ist keine Stimmung an Bord“, sagte Matt Davies, als er gerade ein Fall an der Nagelbank der Kuhl klarierte. „Mann, hier ist überhaupt nichts los.“ Gary Andrews lachte. „Hast du Sehnsucht nach dem Profos?“ „Hab ich das gesagt?“ „Nein, aber ich hab's begriffen, daß du ohne den alten Meckerbeutel nicht leben kannst.“ Matt Davies hob drohend seinen Eisenhaken. „Nun hör aber auf, Gary. Ich bin doch nicht in den Profos verknallt wie in eine Jungfrau. Von mir aus kann er im Vordeck vergammeln, ich bin der letzte, der ihn ruft. Ich meine nur - es könnte doch einer mal einen Witz erzählen oder so.“ „Da war mal ein Spelunkenwirt, der hatte einen Papagei“, begann Jeff Bowie. „Halt“, knurrte Matt. „Den kennen wir schon.“
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„Wo steckt eigentlich Sir John?“ wollte Blacky plötzlich wissen. Jeff Bowie schaute auf und wischte sich mit dem Handrücken über die Nase. „Im Logis, beim Profos, wo denn sonst? Bist du etwa auf dessen dämliche Sprüche scharf'?“ „Quatsch'', sagte Blacky. Hasard hatte sich ihnen genähert, ohne da ß sie es bemerkt hatten. „Na schön“, sagte er hinter ihnen. „Keiner von euch will was von Ed und seinem Papagei wissen. Feine Kameraden seid ihr. aber lassen wir das. Was mich betrifft -ich sehe jetzt mal nach unserem Profos und erkundige mich nach seinem Wohlbefinden.“ „Moment mal, Sir“, erhob Matt einen schwachen Einwand. „Ich denke, Carberry schläft.“ „Ob er das wirklich fertigbringt'? Er ist doch sicher in Gedanken bei euch und malt sich aus, wie hier alles total schiefläuft.“ „Ja“, meinte Blacky grinsend. „Das kann ich mir auch lebhaft vorstellen. Kann ich mitgehen?“ „Wenn du deine Arbeit erledigt hast ...“ „Ich habe nach Strich und Faden aufgeklart, Sir.“ „Dann komm.“ Hasard blickte zu den anderen, die sich zu ihm umgedreht hatten. „Wer uns begleiten will, soll das tun, nur müssen natürlich genügend Männer für die Segelmanöver an Oberdeck bleiben.“ Mit diesen Worten schritt er auf das Vordecksschott zu und stieg zum Logis hinab. Nicht nur Blacky, auch Matt Davies, Jeff Bowie, Luke Morgan, Dan O'Flynn, Batuti, Shane, Stenmark und Will Thorne folgten ihm. Aus dem Mannschaftslogis erklang Gemurmel. Hasard blieb stehen, wandte sich um und legte den Finger gegen die Lippen. Er setzte seinen Weg fort, und seine Gefolgschaft bewegte sich auf den Zehenspitzen, um ja keinen Laut zu verursachen. „ ... und der Äquator ist eine hölzerne Schwelle, über die ein Schiff erst mal weg muß. Jungs“, tönte die tiefe Stimme im Logis. „Da steht auch ein Bretterzaun,
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mitten im Meer, und wenn man auf die andere Seite will, rumpelt und kracht es, daß man das Grausen kriegt und einem die Zähne klappern. Wollt ihr wissen, wie es auf der anderen Seite des Äquators aussieht? He, versteht ihr mich überhaupt nicht, oder was ist los?“ „Ja“, erwiderte eine Knabenstimme. Die Männer im Vordecksgang stießen sich mit den Ellenbogen an. Es war einer der Zwillinge. der diese Erwiderung gegeben hatte. Ob es nun Philip oder Hasard gewesen war, ließ sich beim besten Willen nicht feststellen, denn die Söhne des Seewolfs hatten nicht nur die gleichen Stimmen, sie ähnelten sich auch äußerlich wie ein Ei dem anderen. Wäre da nicht das Haifisch-Symbol gewesen, das der Schurke Baldwyn Keymis seinerzeit Philip auf das linke und Hasard auf das rechte Schulterblatt tätowiert hatte, man hätte die beiden Siebenjährigen überhaupt nicht auseinanderhalten können. Seit Tanger hatten sie sich einigermaßen gut an das Bordleben gewöhnt und sich sogar in die Crew integriert, soweit man dies überhaupt von Kindern verlangen konnte. Sie akzeptierten das Bordleben und hatten sich besonders mit Shane angefreundet, obwohl die sprachlichen Schranken immer noch groß waren. Philip und Hasard sprachen nur türkisch und persisch, und so fiel es auch dem Seewolf selbst schwer, ihnen auseinanderzusetzen, daß er ihr leiblicher Vater war. Er hatte damit begonnen, ihnen Sprachunterricht zu geben. Die Crew unterstützte ihn dabei, so gut es ging, aber natürlich beherrschten die Zwillinge erst ein paar englische Brocken, zu denen „Ja“ und „Nein“ gehörten. Carberry, soviel schienen sie inzwischen begriffen zu haben, war ein rauher Bursche, der einen weichen Kern in seinem Inneren verbarg. Man konnte prächtig mit ihm auskommen, wenn man nur wollte. Nach der Episode im Sturm - dem vorläufig letzten großen Streich, den die Jungen ausgeheckt hatten - hätte der Profos
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ja wirklich allen Grund gehabt, Philip und Hasard tüchtig zu versohlen. Der Seewolf hatte ihm hierin auch freie Hand gelassen, aber Carberry hatte auf eine Züchtigung verzichtet. Er brachte es einfach nicht übers Herz, die beiden übers Knie zu legen. Und sie benahmen sich seither ihm gegenüber ganz anders. Er redete im urwüchsigsten Cornwall-Dialekt auf sie ein, und sie nickten eifrig, entgegneten ihr „Ja“ und ihr „Nein“, manchmal auch „In Ordnung“ oder „Aye aye, Sir“, und viele türkische und persische Wörter. Nein, sie verstanden einander nicht. Philip und Hasard hatten keine Ahnung, wovon der Profos ihnen nun eigentlich erzählte. Aber darauf kam es nicht an. Sie waren drauf und dran, prächtige Kumpel zu werden, das war die Hauptsache. Im Sturm, der durch die Straße von Gibraltar getobt war, war Philip außenbords gegangen. Nur dank seines schnellen, todesmutigen Handelns hatte der Seewolf seinen Sohn aus den Fluten retten können. Der Schreck über diesen Vorfall saß den Zwillingen immer noch in den Knochen, und daher hielten sie sich jetzt meistens unter Deck auf, auch, wenn die See ruhig war. Sie mußten die Begebenheit erst richtig „verdauen“. So war es nur zu verständlich, daß sie dem Profos an seinem Krankenlager Gesellschaft leisteten. Carberry räusperte sich, als Hasard und die neun anderen Männer sich vorsichtig auf den Eingang des Logis' zuschoben. „Also, wo war ich stehengeblieben? Richtig — beim Äquator. Der Äquator, Jungs, ist ein Ding für sich, er ist schon manchem Segler zum Verhängnis geworden: Bei Nacht sollte man den Durchbruch schon gar nicht wagen, denn da geben sich der Wassermann, die Wassergeister und alle Dämonen der Hölle an dieser Ecke der Welt ein Stelldichein. Ja, ihr habt eben noch nicht hinter den Äquator geguckt, die Taufe steht euch noch bevor, aber wer weiß, wann ihr mal bis zum Äquator 'runterschippern könnt.
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Soll ich euch jetzt sagen, was dahinterliegt? Habt ihr denn wirklich keinen blassen Dunst, was einen Beachcomber, eine salzgewässerte Teerjacke dort erwarten kann?“ „Nein'', sagte Hasard, der ein paar Minuten eher zur Welt gekommen war als Philip. „Dann will ich es euch verraten“, sagte der Profos gedämpft und beugte sich mit Verschwörermiene zu ihnen vor. Sie saßen mit baumelnden Beinen auf der Koje ihm gegenüber und musterten ihn aus ihren großen eisblauen Augen. Carberry hatte den Faden seines haarsträubenden Seemannsgarns verloren und wußte nicht mehr weiter. Er mußte sich rasch etwas einfallen lassen — meinte er. Um den Denkvorgang zu beschleunigen, kratzte er sich angelegentlich an seinem Rammkinn. Es klang, als raspele jemand mit einer groben Feile über Eisen. Die Zwillinge fanden dieses Geräusch spaßig wie immer, sie sahen sich an und lachten. „Kichert nicht“, sagte Carberry düster. „Das mit den Geistern und Dämonen ist eine ernste Angelegenheit. Wollt ihr wissen, wie der Wassermann aussieht? Einmal hab ich ihn übers Schanzkleid kriechen sehen, eine Kreatur zum Fürchten, sage ich euch. Schlimmer als ein Tatzelwurm!“ Was ein Tatzelwurm eigentlich war, wußte auch der Profos nicht, aber er fand, daß das Wort sehr beeindruckend klang. „Der Wassermann“, fuhr er fort, „das ist ein Monstrum mit sooo einer Fratze.“ Er hakte sich die Zeigefinger in die Mundwinkel, zog sie auseinander, verdrehte die Augen und gab ein entsetzliches Knurren von sich. Philip und Hasard glucksten vor Vergnügen. Sie schlugen sich auf die Schenkel und fielen fast von der Koje. Carberry hatte eine Bewegung rechts neben sich wahrgenommen. Er wandte den Kopf und erblickte den Seewolf. Sichtlich verlegen nahm er die Finger aus dem Mund und setzte sich auf seiner Koje zurecht, um eine würdigere Haltung einzunehmen.
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„Ed“, sagte der Seewolf. „Ich glaube, das ist vergebliche Liebesmühe. Die Jungen verstehen dich ja doch nicht.“ „Sir - ich erteile ihnen doch Lektion.“ „In was, wenn man fragen darf?“ „In praktischer Seefahrtskunde.“ Dan O'Flynn trat ein, und hinter ihm schoben sich die anderen acht in das Mannschaftslogis. „Profos“, sagte Dan grinsend. „Nun sei doch mal ehrlich. Du bildest dir ein, zwei Dumme gefunden zu haben, die dir deine Schauermärchen abkaufen. Seit Bill dir nicht mehr glaubt, hast du ja auch keinen mehr, dem du die Märchen auftischen kannst. Aber eins ist mal sicher. Wenn Philip und Hasard dein Kauderwelsch wirklich kapieren würden, hätten sie dich längst als einen abgebrühten Lügenonkel hingestellt.“ „Das merkt doch ein Wickelkind, daß du fürchterlich flunkerst“, fügte Matt Davies hinzu. „Und ein Blinder mit dem Krückstock“, sagte Luke Morgan. „Und in der Kombüse wird die Milch sauer, so schlimm ist das, was du erzählst“, sagte Jeff Bowle. „Mann“, wandte Batuti ein. „Kutscher hat kein Milch in der Kombüse, Jeff.“ „Ist doch egal“, erwiderte Jeff. Carberry wies auf die Zwillinge, und zwar mit dem rechten Arm. „Sie verstehen mein Englisch, darauf könnt ihr Gift nehmen, ihr Himmelhunde.“ Wild blickte er die Zwillinge an. „Stimmt's oder habe ich recht'?“ „Ja“, sagte der kleine Philip fröhlich. „Na also“, sagte Carberry triumphierend. Der Seewolf trat näher auf seinen Profos zu und fragte: „Wie lange hast du eigentlich dazu gebraucht, um Spanisch zu lernen, Ed?“ „Äh, um ehrlich zu sein - ein paar Jahre, wenn mich nicht alles täuscht.“ „Und er kann es immer noch nicht .richtig“; sagte Big Old Shane. „Was, wie'?“ Carberry warf ihm einen lodernden Blick zu. „Was hast du hier eigentlich verloren, du krummbeiniger Eisenbieger? Und ihr anderen
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Rübenschweine? Was steht ihr hier 'rum? Ho, ich kann mir vorstellen, was für ein Saustall das Oberdeck ist und ...“ „Hasard hat es ja gesagt“, bemerkte Dan O'Flynn gelassen. „Unser Profos gönnt sich selbst keine Ruhe.“ „Wir wollten uns nach deinem Befinden erkundigen. Ed“, sagte Blacky. „Prächtig geht's mir“, röhrte Edwin Carberry. Er hob und senkte seinen wunden rechten Arm. „Seht ihr nicht, wie ich auf dem Damm bin? Der Kutscher hat mich mustergültig verarztet. Sir, ich weiß gar nicht, wieso ich hier noch sitze.“ „Um auf die Fremdsprachen zurückzukommen. Ed“, sagte der Seewolf sanft. „Du willst doch wohl nicht von den Zwillingen verlangen, daß sie im Handumdrehen Englisch lernen.“ „Ach wo, ich bin doch kein Unmensch.“ „Und die Jungs sind geduldige Zuhörer“, fügte Dan lachend hinzu. „Gib's doch zu, Ed, du bist froh, daß du hier unten hocken und deine Märchen an den Mann bringen kannst.“ „Sir“, sagte der Profos Mühsam beherrscht. „Ich beantrage, ans Oberdeck zurückkehren und diese Hammelherde seemännisch _zusammenstauchen zu dürfen. Ich kann es vor mir selbst nicht verantworten, daß Schlendrian und Faulenzerei einreißen.“ „Genehmigt“, erwiderte der Seewolf. Carberry atmete auf. In diesem Augenblick ertönte von draußen ein Ruf. „Deck! Mastspitzen Steuerbord voraus!“ Es handelte sich unverkennbar um Bills Stimme. „Da haben wir den Salat“, sagte Hasard. „Los, alle Mann nach oben. Sehen wir uns an, wer uns die Ehre seines Besuchs gibt.“ Carberry fing Sir John, den Aracanga, auf, der soeben von einer der oberen Kojen herunterflatterte. Er drückte ihn dem kleinen Philip in die Hände und sagte: „Ihr drei bleibt hier unten, verstanden? Rührt euch hier nicht weg, es kann nämlich Ärger geben. Kapiert?“ „Ja“. entgegnete Philip, der diesmal wirklich verstanden hatte. „Alle Mann von Bord“, krähte Sir John.
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Im Losstürmen drehte sich Carberry zu dem bunten Vogel um. „Eines Tages drehe ich dir wirklich den Hals um, du Schnarchhahn“, drohte er. 4. Sie befanden sich etwas mehr als zwanzig Meilen querab von Punta de Tarifa, wie der Seewolf im Ruderhaus nach einem Blick auf die Karten rasch feststellte. Es war ein klarer Nachmittag, die See war unverändert ruhig, der Wind hatte etwas weiter nach Süden gedreht. Dies waren Idealvoraussetzungen für ein Gefecht — kein Nebel, kein Seegang, keine Dunkelheit wurden zu schützenden Verbündeten der „Isabella“. Bill, der Moses, hatte die Mastspitzen vom Großmars aus gesichtet, und es verstrich nur wenig Zeit, bis die Seewölfe sich überzeugt hatten, daß sie es nicht mit einem einzelnen Segler, sondern mit einem ganzen Verband von fremden Schiffen zu tun hatten. Hasard ließ den Kieker sinken, den er vom Achterdeck aus nach Nordosten gerichtet hatte. „Sieben Galeonen, alles Dreimaster“, sagte er...Ein prächtiger spanischer Verband.“ „Ich fresse einen Schwabberdweil mit Stumpf und Stiel, wenn das harmlose Handelsfahrer sind“. meldete sich Old Donegal Daniel O'Flynn zu Wort. Er war zu Hasard. Ben, Shane, Smoky Ferris und Dan O'Flynn getreten und spähte argwöhnisch zu der unliebsamen Erscheinung an Steuerbord hinüber, die mittlerweile mit bloßem Auge zu erkennen war. Hasard pflichtete ihm bei: „Ich bin auch fast sicher. daß es sich um ein Kriegsgeschwader handelt.“ „Mit denen legen wir uns lieber nicht an“, sagte Shane. „Du hast es erfaßt“, erwiderte der Seewolf. „Der Verband ist eine Nummer zu groß für uns. Außerdem locken wir uns die komplette Armada auf den Hals, wenn wir so nah an der spanischen Küste ein Gefecht
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eröffnen. Ben!“ „Sir?“ „Wir brassen an und gehen so hoch wie möglich an den Wind. Carberry soll jeden Fetzen, meinetwegen auch sein Hemd setzen lassen, damit wir mehr Fahrt laufen.“ „Aye, Sir.“ Wenig später rauschte die „Isabella“ hoch an dem frisch aus Süd-Süd-West wehenden Wind in Richtung Atlantik dahin. Hart krängte sie nach Steuerbord. Hasard schaffte es, er legte mehr Abstand zwischen sich und die sieben spanischen Schiffe. „Sir!“ rief Bill. „Wenn mich nicht alles täuscht, geben die Dons uns Signale.“ „Kannst du sie lesen, Bill?“ „Leider nicht, Sir ...“ Hasard blickte noch einmal durch seinen Kieker, aber er konnte nicht entziffern, wie die spanische Botschaft lautete. Dazu war der Abstand zu den spanischen Schiffen bereits zu groß. „Wahrscheinlich fordern sie uns auf, uns zu erkennen zu geben“, sagte er zu seinen Männern auf dem Achterdeck. „Der Teufel soll sie holen.“ Er ahnte nicht, daß die Kapitäne der sieben andalusischen Kriegsgaleonen, die sich nach dem Nebel wiedergefunden hatten, der Überzeugung waren, in der „Isabella“ die „Inmaculada“ vor sich zu haben. Sie wollten sie durch ihre Zeichen zum Beidrehen bringen. Vergebens. Die „Isabella“ entfernte sich und verschwand hinter der Kimm. Sie war die schnellere. Die Schiffsführer des andalusischen Verbandes, die immer noch auf ihr achtes Begleitschiff warteten, gelangten ziemlich verdutzt allmählich zu der Ansicht, daß der mysteriöse Dreimaster im „Estrecho“ wohl doch nicht ihr Flaggschiff gewesen war. Wer dann? Sie grübelten darüber nach, gaben es aber bald auf, Theorien über die Herkunft, den Namen und die Bestimmung der fremden Galeone aufzustellen. Vielmehr verständigten sie sich jetzt untereinander und beschlossen, auf die „Inmaculada“, die offensichtlich im Nebel
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wohl doch weit hinter ihnen zurückgeblieben war, zu warten. Mit stark verringerter Segelfläche schob sich der Verband an Punta de Tarifa vorbei. * Auf der Kuhl der „Inmaculada“, unweit der vorderen Nagelbank, fand Escolano wieder die Gelegenheit, sich mit seinen Freunden zu verständigen. „Es ist soweit“, raunte er ihnen zu. „Wir können nicht länger warten. Wir befinden uns jetzt schon auf der Höhe von Barbate de Franco, das an der Mündung des Rio Barbate liegt. Morgen erreichen wir Cadiz.“ „Wir wissen nicht, was uns dort erwartet“, erwiderte der hochaufgeschossene Chenche, der aus Murcia stammte. „Bist du wirklich sicher, daß sie uns verheizen wollen?“ „Ja“, zischte Escolano. Er war ein schlanker, mit Muskeln bepackter Mann aus dem Herzen Andalusiens, ein echter Gitano mit krausem schwarzem Haar, dunklen Augen und bräunlichem Teint. Leidenschaft schwang in seiner Stimme mit, als er fortfuhr: „Diese Geheimnistuerei des Almirantes, diese bloßen Andeutungen des Profos', in Cadiz fänden eine Parade und ein Seemanöver statt — das ist bloßer Mummenschanz, um uns die Wahrheit vorzuenthalten. Ich sage euch, die Engländer greifen Cadiz an. Es gibt eine Schlacht, wie sie noch keiner gesehen hat.“ „Verflucht, ich will nicht krepieren“, murmelte der untersetzte Galindo. „Ich auch nicht“, sagte Chenche. „Meint ihr vielleicht, ich halte meinen Kopf für den König hin?“ raunte Escolano. „Niemals. Das wird ein Gefecht, aus dem wir nicht mehr zurückkehren. Die Engländer sind keine Anfänger, was die Seefahrt und den Kampf zur See betrifft, sie haben sich in den letzten Jahren mächtig gemausert. Die hauen uns die Jacke voll, ich schwöre es euch.“
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„Escolano“, wisperte Chenche. „Ich glaube dir, aber wie kannst du so genau wissen, daß die Engländer kommen?“ „Eine Wahrsagerin hat es mir in Malaga gesagt. Eine Gitana —ich vertraue ihr. Und ich sage euch, wir kriegen keine bessere Chance. das durchzuführen, was wir schon lange planen. Oder wollt ihr jetzt, da es ernst wird, kneifen?“ „Nein“, erwiderten sie gleichzeitig. „Wer ist außer uns noch dabei'?“ wollte Chenche wissen. „Juan, Carlos, Alberto und fünf andere, auf die wir uns verlassen können.“ Escolano nannte auch diese Namen, dann musterte er seine Komplicen erwartungsvoll. „Zu wenig“, erwiderte Galindo. „Elf Mann gegen eine Übermacht —wie sollen wir das schaffen'?“ „Wir haben das Überraschungsmoment auf unserer Seite“, sagte Escolano, während. er immer wieder nach achtern schaute, um sicher zu sein, daß der Profos sie nicht beobachtete. „Der Almirante, der Primero und der Segundo, der Bootsmann, der Profos und die anderen Hunde, die hier etwas zu sagen haben — sie alle sind vollauf damit beschäftigt. nach den verschwundenen Schiffen zu suchen.“ „Bald ist es dunkel“, flüsterte Chenche. „Dann haben sie keine Chance mehr, die acht Galeonen zu entdecken:' „Vielleicht glauben sie dann, der Verband sei Cadiz doch näher als wir“, meinte Galindo. „Das kann uns egal sein“: entgegnete Escolano. „Im Dunkelwerden schlagen wir zu. Und ihr werdet sehen, wie viele Überläufer sich auf unsere Seite stellen, sobald wir das Achterdeck gestürmt und den Almirante gepackt haben. Keiner der Soldados wird es wagen, das Leben Don Sirios aufs Spiel zu setzen. Mit dem Almirante als Geisel müssen diese Bastarde das Schiff räumen, dann gehört es uns.“ „Wir brauchen zwanzig Mann, um die 'Inmaculada' über den Atlantik in die Neue Welt zu steuern“, sagte Chenche.
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„Diese zwanzig Mann kriegen wir auch zusammen, verlaß dich darauf“, erwiderte der Gitano. „Ja, viele warten darauf, endlich frei zu sein.“ Galindo atmete unwillkürlich auf. „Wenn wir das schaffen, wenn uns dieser Schlag gelingt — por Dios, was wird das für ein Leben! Als Freibeuter in der Neuen Welt können wir tun und lassen, was wir wollen, dann kommandiert uns keiner dieser Bastardos mehr herum.“ „Wie lange träumen wir schon davon“, sagte Chenche. „Zu Hölle mit Spanien und dem König, der nie seinen verdammten Escorial verläßt.“ „Still“, zischte Escolano. „Seid ihr wahnsinnig?“ Sie schwiegen und wandten sich wieder ihrer Arbeit zu. Escolano ging wenig später zu Juan, Carlos, Alberto und den anderen fünf Verschwörern und unterrichtete sie über die Einzelheiten seines ebenso durch Einfachheit wie auch durch Kühnheit verblüffenden Planes. Die Schatten der Dämmerung krochen vom Festland her über die See, aber noch war das Ufer mit der Mündung des Rio Barbate zu erkennen. Don Sirio de Alfas ließ dicht unter Land segeln, weil er mittlerweile vermutete, daß zumindest ein paar Schiffe seines Verbandes im Nebel zwar an der „Inmaculada“ vorbeigelaufen, später jedoch gestrandet waren. Zum letztenmal an diesem Tag suchte er mit dem Spektiv die Küste ab. „Nichts, nichts und wieder nichts“; sagte er. „Das ist mir unerklärlich.“ „Das geht nicht mit rechten Dingen zu“, murmelte der Bootsmann, der schräg auf dem Achterdeck stand. „Schweigen Sie, Bootsmann“, sagte der Admiral. „Dies alles ist einem unglücklichen Zusammentreffen von Widrigkeiten zuzuschreiben. Statt abergläubische Sprüche zum besten zu geben, sollten Sie lieber darüber nachdenken, was wir noch unternehmen können, um unseren Verband wieder zu finden.“
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Er wandte sich dabei nicht zu seinen Untergebenen um, sondern widmete seine ungeteilte Aufmerksamkeit nach wie vor der Beobachtung der Küste - so konnte er nicht sehen, wie der Bootsmann dem Primero und dem Segundo Oficial einen bedeutungsvollen Blick zuwarf und die Schultern hob. Es hat alles keinen Zweck, wir geben besser auf, hätte der entmutigte Bootsmann gern gesagt, außerdem hätte er noch den pessimistischen Ausspruch „Ein Unglück kommt selten allein hinzugefügt - aber er unterließ es lieber, denn er wollte sich keine offene Rüge des gereizten Don Sirio einhandeln. Die Dunkelheit war ein Gigant, der mit lautlosen Schritten auf den Atlantik hinausstapfte. Auf der Galeone „Inmaculada“ wurden die drei Eisenlaternen angezündet, die den oberen Abschluß des Hecks bildeten. Damit war das Zeichen für Escolanos Aktion gegeben - ohne daß die Männer auf dem Achterdeck, die nun wieder ihre Meinung über das Schicksal der acht andalusischen Schiffe austauschten, auch nur etwas davon ahnten. * Zwischen den Soldaten an Bord des Zweideckers und dem „gemeinen Schiffsvolk“ bestand eine echte Kluft. Man behandelte sich wie Hund und Katze, die Soldaten schliefen in anderen Räumen als die Seeleute und stellten eine geschlossene Clique dar, kurz: Sie empfanden sich als etwas Besseres. Escolano empfand daher keine Skrupel, seine Navaja, das Messer, das er unter dem Wams verborgen hielt, gegen die Soldaten einzusetzen. Er hatte sich bis zum achteren Teil der Kuhl bewegt und verharrte nun neben Juan und Carlos, die an dieser Stelle die Steuerbordbrassen des .Großsegels bedienten. Der Profos hatte noch nicht bemerkt, daß Escolano den Platz, der ihm eigentlich in der Nähe der Back zugeteilt war, verlassen
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hatte. Der Zuchtmeister stand auf halber Höhe auf den Stufen des Backbordniederganges, der zum Achterdeck hinaufführte, und sprach mit dem Rudergänger. Diesen Augenblick nutzte Escolano. Wenn der Profos ihn erst sah und mißtrauisch wurde, war das Überraschungsmoment verspielt. Ein letzter Blick zu Juan, Carlos und Alberto, zu Chenche und Galindo. die vorn auf der Kuhl standen und herüberschauten — eine stumme Absprache, die keiner Worte bedurfte, weil alle Details festgelegt waren. Und Escolano, der reinblütige Gitano, handelte. Soldaten der spanischen Krone traten immer in ihrer vollen Montur auf. Auch drüben in der Neuen Welt, wo es sehr heiß sein sollte, verzichteten sie getreu der Vorschrift nie auf ihre Helme und Brustpanzer, wie Escolano von Leuten vernommen hatte, die drüben, in dem erstaunlichen Kontinent, gewesen waren. Diese Vorschrift war keinesfalls eine unsinnige Norm, denn nichts konnte einen Mann besser gegen Kugeln, Pfeile, Säbel und Messer schützen als solides Eisen. Es gab keinen Ersatz für die Coraza, die soldatische Rüstung. Aber Escolano Wußte, welches die wunden Punkte waren, wohin er die Navaja zu befördern hatte, um den Mann, den er zu seinem Todfeind erklärt hatte, ins Jenseits zu befördern. Der Soldat stand drei, vier Schritte von ihm entfernt vor dem Achterdecksschott. Ihn niederschlagen zu wollen, war von Anfang an ein zum Scheitern verurteiltes Unterfangen. Niemals hätte Escolano sich ihm nähern können, ohne daß der Soldat Fragen gestellt hätte. Einem einfachen Decksmann war der Zugang zum Achterkastell verboten. Die Hütte war tabu für ihn. Escolanos Versuch, sich in die Nähe des Uniformierten zu bringen, hätte unweigerlich Argwohn hervorgerufen. Aber genau diesen Mann wollte er überwältigen. Er hatte gewissermaßen eine Schlüsselposition inne, denn er war in
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diesem Moment der einzige Bewacher unmittelbar vor dem Achterkastell. Die Navaja glitt durch die Luft, als der Soldat seinen rechten Arm hob. Die Muskete hielt er in der linken Hand, mit der rechten wollte er den Mund abdecken, um sein Gähnen zu verbergen — und genau diese Geste war sein Verhängnis. Das Messer traf ihn. Escolano schlich auf den Soldaten zu, als dieser zusammensank. Ein Gitano verstand vorzüglich mit der Navaja umzugehen, sie wurde ihm gewissermaßen in die Wiege gelegt. Eiskalt und präzise hatte Escolano nicht nur die Flugrichtung, sondern auch die Wucht berechnet, mit der die Waffe ihr Ziel zu treffen hatte. Er wußte, welche Nerven gelähmt, welche Muskeln paralysiert wurden, wenn ein Mann auf diese Weise verletzt wurde. Er hatte keinen Zweifel daran, daß der Soldat die Muskete nicht mehr in Anschlag bekam. So war es. Der Helmträger stürzte ohne eine Geste der Abwehr, ohne einen Warnlaut. Escolano hatte ihn erreicht, ehe jemand außer Chenche, Galindo, Carlos, Juan und den anderen Verschwörern darauf aufmerksam wurde, was hier seinen Lauf nahm. Escolano fing den Soldaten auf, riß das Messer wieder an sich und stach noch einmal zu. Er ließ den Mann auf die Planken sinken, nahm ihm die Muskete aus der Hand und spannte deren Hahn. Juan und Carlos ließen von den Brassen ab. Auch die acht anderen Konspiranten standen sprungbereit. Der Profos auf dem Backbordniedergang wandte den Kopf, weil er aus den Augenwinkeln heraus eine ungewöhnliche Bewegung registriert hatte. Er sah den toten Soldaten vor dem Achterdecksschott liegen und Escolano mit der Muskete in den Fäusten. Die Waffenmündung richtete sich auf ihn, den Profos, aber er war in dieser Sekunde des Schocks unfähig, etwas zu unternehmen. Escolano drückte ab. Feurigrot stach der Mündungsblitz der Muskete auf den Profos
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zu. Ein unsichtbares Tier schien den Mann anzuspringen und niederzureißen. Er brach zusammen und fiel von den Niedergangsstufen auf die Kuhl. Escolano warf die Muskete weg, lief auf den Zuchtmeister zu, bückte sich und riß ihm die Pistole aus dem Hosengurt. „Halt!“ schrie einer der Soldaten weiter vorn auf der Kuhl. Zwischen zwei 17Pfünder-Culverinen stehend, brachte er seine Muskete hoch und feuerte auf den Gitano. Chenche und Galindo liefen nach achtern. Chenche wich an der Gräting nach rechts aus und hechtete auf den Soldaten mit der schußbereiten Muskete zu. Für den Uniformierten erfolgte der Angriff von hinten überraschend, er konnte nicht mehr zu Chenche herumfahren. Chenche benutzte wie Escolano das Messer, um den Soldaten ins Jenseits zu befördern. Es war ein kurzer, heftiger Kampf, ohne Kompromiß, von dem sich Chenche als Sieger mit der Muskete in den Händen erhob. Galindo rang einen anderen Soldaten nieder. Juan, Carlos und Alberto rasten wie die Teufel auf das Achterkastell zu, duckten sich und hoben mit einem mächtigen Satz von den Planken ab. Sie gelangten bis an die Schmuckbalustrade, die der Querabschluß des Achterdecks zur Kuhl hin war. Sie klammerten sich fest, schwan- gen die Beine hoch und enterten das Achterdeck. Escolano stürmte die Stufen des Niederganges hoch. Die Pistole des Profos' war ein recht ausgefallenes Modell mit einem Schnapphahn-Schloß, eine Waffe, von der der Gitano wußte, daß sie erstaunlich treffsicher wegen ihres langen Laufes war. Der Rudergänger hatte bestürzt vom Kolderstock abgelassen und zückte seine Pistole, um sie auf Juan zu richten. Escolano war schneller. Er hatte den Pistolenhahn gespannt und drückte ab. Aufschreiend fiel der Rudergänger neben den herrenlos gewordenen Kolderstock und verlor seine Pistole aus den Fingern. Carlos hatte Juan beim Vorstürmen
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überholt. Er warf sich neben dem Sterbenden auf die Planken und brachte die Waffe an sich. Betroffen blickten der Admiral Don Sirio de Alfas, der Primero, der Segundo, der Bootsmann und die anderen Offiziere, die sich auf dem Achterdeck befanden, auf das, was sich vor ihren Augen abspielte. Carlos hatte dem Rudergänger auch den Säbel abgenommen. Diesen warf er jetzt Escolano zu. Escolano fing den Säbel geschickt an seinem Heft auf. Er riß die Klinge hoch und schrie: „Almirante, ergib dich — du hast keine Chance gegen uns!“ 5. Der Bootsmann der „Inmaculada“ sah all seine düsteren Ahnungen mit einem Schlag bestätigt. Das Unheil hatte dieses Schiff gepackt und ließ es nicht mehr los. Der ungeheuerlichste aller Fälle war eingetreten — Meuterei. Es schien unabwendbar zu sein, daß der Zigeuner und die anderen wilden Kerle nun das gesamte Achterdeck vereinnahmten und ihr Werk blutig vollendeten. „Bastarde“, stieß der erste Offizier hervor. „Elende Hunde!“ brüllte der Zweite. „Keinen Schritt weiter!“ Don Sirio bewies jedoch, daß er das beste Reaktionsvermögen von allen hatte. Er warf sich in Deckung, zog seine Pistole und schrie: „Hinlegen! Alle Mann sofort hinlegen! Feuert auf diese Kerle!“ Er lag hinter der achtersten Luke der „Inmaculada“ und zielte sofort auf Carlos, der sich, um Escolano den Säbel zuwerfen zu können, halb von dem toten Rudergänger aufgerichtet hatte. In dem Moment, in dem Escolano den Säbel auffing und sich in triumphierender Pose hochreckte, betätigte der Admiral den Abzug seiner Pistole. Der Schuß brach und ließ eine weißliche Qualmwolke hochpuffen. Carlos feuerte in den Mündungsblitz hinein, traf aber nicht, weil Don Sirio sich gedankenschnell hinter die Luke duckte.
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Carlos ließ die leergefeuerte Pistole des Rudergängers fallen und schloß die Arme auf groteske Weise, als wolle er irgendjemanden überwältigt umarmen. Er fiel vornüber und blieb reglos liegen, während Escolano, Juan, Alberto und Galindo, der nun ebenfalls über den Niedergang das Achterdeck erreicht hatte, wutentbrannt weiterstürmten. „Feuer!“ schrie Don Sirio de Alfas. Der Primero und ein anderer Offizier hatten nun auch die Waffen gezückt. Der Erste richtete seine Pistole auf den Gitano, schoß in der Aufregung aber um eine Handbreite an Escolanos Hals vorbei. Der andere Offizier hatte eine Muskete an sich gerissen, benahm sich etwas beherrschter und traf durch einen leidlich gezielten Schuß Juan. Juan brach zusammen und überrollte sich auf den Planken. Er wand und krümmte sich, und sein Wehklagen ließ den Haß seiner Kumpane noch höher auflodern. Don Sirio warf die leere Pistole weg, zog seinen Degen und erhob sich, um Escolano in Empfang zu nehmen. Über erbeutete Schußwaffen verfügten die Meuterer nun nicht mehr. Wenn sie siegen wollten, mußte dies im Nahkampf geschehen. Galindo blieb stehen, hatte plötzlich ein Messer in der Hand und schleuderte es auf den Segundo Official, der die Pistole auf ihn richtete. Das Messer war schneller als die Handlung des Offiziers. Mit einem erstickten Schrei fiel der Segundo, er landete auf dem Rücken und drückte doch noch ab, aber der hallende Schuß fuhr in den Abendhimmel, ohne etwas zu bewirken. Auf der Kuhl hatten sich die Soldaten hinter den Kanonen verschanzt. Sie hielten sich Chenche und die fünf anderen Meuterer vom Leib, belegten sie mit Musketen- und Tromblonfeuer und verhinderten, daß auch diese fünf das Achterdeck erreichen konnten. Zwei Meuterer brachen im Aufblitzen der Mündungsfeuer zusammen und blieben reglos liegen. Die Gruppe der Meuterer war in zwei winzige Abteilungen getrennt. Chenche,
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der sich von dem Geschütz, an dem er den Soldaten niedergestochen hatte, nicht mehr hatte fortrühren können, fühlte sich von einem eisigen Schreck durchfahren. Sie hatten den Anschluß verpaßt -und würden keine Gelegenheit mehr erhalten, den Sturm aufs Achterdeck doch noch zu vollenden. Er blickte sich um, suchte die übrigen Decksleute und hatte noch die Hoffnung, daß sich andere mutige Männer in einem spontanen Entschluß dem Komplott anschließen würden. Aber das war nicht der Fall. Das Schiffsvolk hatte sich erschrocken zurückgezogen und überließ den Kampf den Meuterern und den Soldaten. Hierbei gab weniger die Treue den Ausschlag, die die meisten Decksleute doch Don Sirio gegenüber empfanden, als vielmehr die Einsicht. daß das Unternehmen Escolanos heller Wahnsinn war -Selbstmord. Auf dem Achterdeck war nach den übrigen Offizieren der Bootsmann der einzige, der noch eine Schußwaffe zur Verfügung hatte. Diese Pistole hob er gegen Alberto, der gerade sein Messer auf den Primero schleudern wollte. Der Schuß raste über Albertos Schulter weg, er wurde lediglich zu einem Streifer, der sich brennend in die Haut des Meuterers grub - aber er verhinderte doch, daß Alberto den ersten Offizier tötete. Das Messer segelte an dem Primero vorbei übers Schanzkleid und verlor sich in der Dunkelheit. Don Sirio de Alfas und Escolano kreuzten die Klingen. „Gib auf!“ schrie der Gitano. „Streich die Flagge, Almirante! Ich zerschmettere deinen Degen!“ Don Sirio ließ sich nicht beirren. Der Stoßdegen mochte gegen den Säbel wie eine lächerliche Waffe anmuten, aber es kam darauf an, wie er geführt wurde. Auf diese Kunst verstand sich der Admiral vorzüglich. Escolanos Technik mit dem Säbel hingegen entbehrte zwar nicht der nötigen Entschlossenheit, aber es mangelte dem Mann erheblich an Stil und Finesse. Don Sirio blickte seinen Gegner an, sprach aber kein Wort. Zum erstenmal wurde er
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sich des Gesichtes dieses Gitanos richtig bewußt, vorher hatte er ihm nie echte Aufmerksamkeit geschenkt. Wer war dieser Mann? Ein Verrückter? Nein. Der Wunsch, sich gegen seine Befehlshaber zu wenden, mußte aufgrund nüchterner Überlegungen in ihm herangereift sein. Und erst heute, nach dem Nebel, schien diesem Schwarzhaarigen mit den wild glimmenden Augen der Moment günstig gewesen zu sein. Die „Inmaculada“ War losgelöst von Rest des Verbandes, kein anderes Schiff konnte ihr helfen. Man brauchte die AdmiralitätsGaleone also nur durch einen kühnen Handstreich in den Griff zu kriegen, dann konnte man den ganzen Rest der Mannschaft zum Teufel jagen und sich auf den Weg in den Atlantik hinaus begeben. Es wäre nicht das erste Mal gewesen, daß Meuterer einen Segler der spanischen Krone mit Kurs auf ferne Kontinente entführten und nie wieder gesehen wurden. Die harte Borddisziplin machte die Männer des Vorderdecks auf die Dauer zu Rebellen, es gärte und brodelte unterdrückt in ihren Reihen, und irgendwann einmal mußten diese Feuer und der Haß zum Ausbruch kommen. Steckte noch mehr dahinter? Ahnten die Männer, daß in Cadiz kein reguläres Manöver auf sie wartete, daß sie dort aller Wahrscheinlichkeit nach in einen Kampf gegen die Engländer geführt wurden? Don Sirio kam nicht dazu, diesen Gedanken weiterzuentwickeln. Escolano drang zu wild auf ihn ein. Wollte Don Sirio den Säbel nicht in die Schulter oder einen anderen Teil des Körpers erhalten, mußte er alle Register ziehen, die ihm im Fechten zur Verfügung standen. Er fintierte, entzog sich zwei, drei derben Hieben des Meuterers. brach dann in die Deckung des Gegners ein und trieb sie auf. In einer eleganten Parade jagte er Escolano quer über das Achterdeck. Galindo und Alberto standen ohne Waffen da und sahen sich den Offizieren gegenüber, die mit erhobenen Blankwaffen
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auf sie zurückten. Die beiden Meuterer wichen zurück. Auf der Kuhl waren zwei weitere Meuterer gefallen. Der letzte einsame Kämpfer hob die Hände, um sich zu ergeben. Chenche kauerte noch hinter dem 17Pfünder-Geschütz, verfluchte den feigen Hund, der nicht bis zum letzten Blutstropfen kämpfte, überlegte gleichzeitig aber, was er jetzt tun sollte. Ebenfalls kapitulieren? Nein, er dachte nicht daran. Aufstecken und die Arme über den Kopf heben, das bedeutete: Bordgericht, eine rasche Entscheidung, ein Urteil, das mit dem Tod durch Aufknüpfen oder Erschießen endete. Chenche sah durch einen Blick über das Kanonenrohr weg, daß auch auf dem Achterdeck eine Wende der Situation eingetreten war. Was so vielversprechend begonnen hatte, endete nun in einem tragischen Fiasko. Escolano, Galindo und Alberto wollte es nicht mehr gelingen, wenigstens den Admiral als Geisel zu nehmen. Nein, es war aussichtslos. Eben trieb Don Sirio den Gitano quer über Deck – Escolano kam nicht mehr zum Zug. Flucht, dachte Chenche, darin liegt deine letzte Chance. Er zögerte nicht. Bevor die Soldaten sich ihm zuwenden konnten, richtete er sich zwischen den festgezurrten Kanonen auf, flankte über das Schanzkleid und sprang außenbords. Ein Soldat riß die Muskete hoch und jagte dem Flüchtigen geistesgegenwärtig einen Schuß nach. Die Kugel erreichte Chenche jedoch nicht mehr. Sie stob dem Ufer entgegen, während der Meuterer an Steuerbord der Galeone in den Fluten landete und sich den Blicken derer, die über ihm ans Schanzkleid liefen, entzog. Auf dem Achterdeck sahen Galindo und Alberto alle ihre Hoffnungen schwinden. Sie hatten damit gerechnet, daß Chenche und die anderen auf der Kuhl siegen, daß sie nachrücken und als Verstärkung das Achterdeck erklimmen würden. Aber jetzt rückten stattdessen die Soldaten an und trieben sie in die Enge.
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„Sie haben uns in der Zange“, stammelte Alberto. „Santa Maria, steh uns bei.“ „Hör auf“, zischte der hartgesottenere Galindo. „Chenche ist getürmt. Wir müssen das gleiche tun.“ „Und Escolano?“ „Der soll sehen, wie er zurecht-. kommt ...“ „Auf sie!“ schrie in diesem Augenblick der erste Offizier. „Auf was warten wir noch?“ Er und die anderen Offiziere beschleunigten ihren Schritt, aber Galindo und Alberto warfen sich herum, hetzten an das Schanzkleid des Achterdecks und folgten Chenches Beispiel, ehe es zu spät war. Zwei, drei Schüsse krachten. Die Soldaten hatten von der Kuhl aus auf die Meuterer angelegt und gefeuert. Escolano gab nicht auf. Er stand mit dem Rücken gegen das Schanzkleid gelehnt und wehrte die Attacken des Admirals ab. Schweiß lief dem Gitano vom Gesicht über den Hals und näßte seine Brust. Die Verzweiflung, die ihn gepackt hatte, drohte in Panik umzuschlagen, doch er focht mit zusammengebissenen Zähnen. Immer noch glaubte er, die Lage könne sich zu seinen Gunsten ändern. Er klammerte sich an eine letzte, unverhoffte Chance, die nicht eintrat, wie ein Spieler, der nicht wahrhaben will, daß er sich in einer vernichtenden Pechsträhne befindet. Don Sirio de Alfas deckte den Schwarzhaarigen jetzt mit Streichen ein und gab ihm keine Chance zum Gegenangriff. Alles gipfelte in einer glänzenden Parade des FlaggschiffKommandanten, die so hart und vehement geführt war, daß Escolano endgültig die Kontrolle über seine Waffe verlor. Der Säbel löste sich wie durch Magie aus seinen Fingern und polterte an Deck. Der Handkorb bewegte sich noch leicht hin und her, dann lag der Säbel still. Escolano konnte sich auf die Planken werfen und die Waffe wieder an sich reißen, aber das war sein sicherer Tod. Tausend zu eins standen die Chancen des Admirals, den Meuterer rechtzeitig vorher
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durch eine Geste mit dem Stoßdegen zu bremsen. Escolano lehnte sich nach hinten, warf die Arme zurück und riß die Beine hoch. Er gewann das Übergewicht, überschlug sich in einem Salto und war mit diesem geradezu akrobatischen Sprung außenbords. Don Sirio führte einen Stoß mit dem Degen, der jedoch zu spät erfolgte. Der erste Offizier, der Bootsmann und die anderen Männer des Achterdecks konnten ebenfalls nichts mehr ausrichten, ganz zu schweigen von den Soldaten. Ein dumpfer Klatscher an Steuerbord verriet, daß Escolano in die See eingetaucht war. „Profos!“ schrie der Admiral. „Senor Almirante“, gab der Primero erschüttert zurück. „Der Profos lebt nicht mehr.“ Don Sirio wirbelte zu seinen Offizieren herum. „Senores, lassen Sie die Steuerbordgeschütze der oberen Batterie ausrollen und gefechtsklar machen. Wir gehen in den Wind und stoppen das Schiff.“ „Si, Senor“, antwortete der Bootsmann. „Die vier Schufte, die sich ins Wasser gerettet haben, versuchen schwimmend ans Ufer zu gelangen. Sobald ihre Köpfe aus dem Wasser tauchen, wird gefeuert!“ Don Sirio brüllte es, und der Bootsmann stürmte vor, prallte fast gegen die Schmuckbalustrade des Achterdecks und gab den Befehl an die Männer auf der Kuhl weiter. Die restliche Besatzung lief zu den Steuerbordgeschützen. Plötzlich waren auch wieder die Männer des Vordecks zur Stelle, um sich mit verbissenem Eifer an der Arbeit zu beteiligen. Die Stückpforten der 17-PfünderBatterie schwangen hoch, die Kanonen rollten rumpelnd aus. Drohend blickten ihre Mündungen auf den Uferstreifen, den man ahnen, aber nicht sehen konnte. Es war eine ausnehmend dunkle Nacht, der Mond schimmerte als dünne Sichel am Firmament und konnte kein Licht spenden, das die Sicht von Bord der AdmiralitätsGaleone aus bis zum Land ermöglichte.
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Don Sirio trat neben seinen Bootsmann. „Was ist?“ stieß er unbeherrscht aus. „Hat etwa noch keiner die Hunde entdeckt? So lange können die unmöglich unter Wasser bleiben.“ „Senor“, erwiderte der Bootsmann. „Die Leute sehen in dieser Finsternis nicht genug. Die Meuterer sind weit genug von der ,Inmaculada` fortgetaucht, um sich anschließend im Schutz der Nacht unseren Blicken zu entziehen.“ „Ein Boot abfieren!“ schrie Don Sirio. „Acht Mann entern ab, pullen den Halunken nach und bringen sie durch gezielte Musketenschüsse zur Strecke.“ „Sie, Senor“, ertönte die Antwort von der Kuhl. Der erste Offizier turnte den Niedergang hinunter, sorgte für eine prompte Ausführung des Befehles und übernahm somit die Funktionen des Profos. Bestürzt blickte Don Sirio zu dem toten Zuchtmeister, der die Stufen des Backbordniederganges zur Kuhl hinuntergerutscht war. Er wandte sich langsam um und ließ seinen Blick zu der Gestalt des getöteten Rudergängers wandern. Ein Offizier hatte den Kolderstock übernommen, ein anderer Achterdecksmann kümmerte sich gerade um den Segundo Official. „Der Feldscher“, sagte Don Sirio keuchend. „Wo, in aller Welt, steckt der Feldscher?“ Der Feldscher erschien fast im selben Augenblick auf dem Steuerbordniedergang, eilte zu dem zweiten Offizier, ließ sich neben diesem nieder und begann, die durch das Messer verursachte schwere Blessur zu verarzten. „Er wird durchkommen“, sagte er wenig später zu seinem Admiral. „Feldscher, wie viele Tote haben wir auf der Kuhl zu verzeichnen?“ wollte Don Sirio de Alfas wissen. „Zwei Soldaten. Ein dritter ist schwer verletzt, wird es bei angemessener Behandlung aber überstehen.“ Don Sirio sah zu Juan, der sich bislang unter Schmerzen auf dem Achterdeck gewälzt hatte.
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„Ich will, daß du auch diesen Mann durchbringst“, sagte Don Sirio. „Er muß genesen und wird anschließend vor ein Bordgericht gestellt. Er wird. gehängt oder erschossen, und allen, die ähnliche Absichten hegen wie er, wird es eine Warnung sein.“ Der Bootsmann schritt zu dem jetzt bewegungslos daliegenden Juan, beugte sich zu ihm nieder und stellte kurz darauf ohne sichtbare Bewegung fest: „Dieser Mann kann nicht mehr gerichtet werden. Er ist tot.“ „Aber wir haben noch einen anderen Meuterer“, erklärte der Feldscher, der sich immer noch um den zweiten Offizier kümmerte. „Er hat sich ergeben, als er vier seiner Kumpane auf der Kuhl fallen sah.“ Er hatte kaum ausgesprochen, da fiel auf der Kuhl ein Musketenschuß. Don Sirio, der Bootsmann und alle anderen außer dem Segundo und dem Feldscher fuhren herum und stürzten an die Balustrade. Ein Soldat stand mit rauchender Muskete da, ein anderer trat soeben neben die auf dem Bauch liegende Gestalt des elften Meuterers. Der erste Offizier rief zum Achterdeck hinauf: „Der Hund hat sich losgerissen und wollte fliehen. Er hatte es wohl bereut, sich ergeben zu haben.“ „Verdammt“, murmelte der Admiral. „Hier ist doch wirklich alles wie verhext.“ Die Meldung, die ihn wenig später von Bord des Beibootes erreichte, schien diese düstere Aussage erneut zu bestätigen. Der Suchtrupp im Boot hatte die vier flüchtigen Meuterer nicht finden können. Sie schienen sich in Luft aufgelöst zu haben. „Wahrscheinlich haben sie das Ufer erreichen können“, sagte Don Sirio de Alfas mühsam beherrscht. „Wir bemannen ein weiteres Boot und entsenden einen starken Trupp an Land. Wer die Meuterer als erster entdeckt, hat das Recht, sie auf der Stelle zu erschießen.“ 6. „Heute Nacht segeln wir an Cabo Trafalgar vorbei“, sagte der Seewolf. „Wir befinden
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uns nach meinen Berechnungen nicht mehr als fünfzehn Seemeilen von der Küste entfernt.“ „Das haben wir dem Wind zu verdanken, der einfach nicht weiter nach Süden drehen will“, entgegnete Ben Brighton, der neben Hasard in der Nähe des Ruderhauses auf dem Quarterdeck stand. „Wenn er nur weiter so munter bläst.“ Hasard blickte voraus und fragte sich, ob die Lichter, die er schwach in der Ferne funkeln sah, wohl von Häusern an der Küste stammten. „Hinter dem Kap Trafalgar verläuft die Küste nicht mehr in westlicher, sondern in nordwestlicher Richtung“, fuhr er fort. „Ab dort vergrößert sich unser Abstand zum heißverehrten Spanien also wieder. :Von dort an nehmen wir Kurs auf Cabo de Santa Maria.“ „Ich bin erst froh, wenn wir Cabo de Sao Vicente erreicht haben“, meinte Ben. Hasard hob die Hand. „Augenblick mal. Hörst du das auch, Ben?“ „Sicher. Das sind Schüsse, wenn mich nicht alles täuscht.“ Tatsächlich, auch Bill, der Ausguck, wies seinen Kapitän jetzt auf die Laute hin, und dann vernahm es die komplette Deckswache: Drüben, irgendwo an der Küste, wurde mit Musketen, Arkebusen oder anderen Flinten geschossen. Das klang auf diese Entfernung, als werfe jemand Fleischbrocken in siedendes Öl. „Sir“, sagte Carberry von der Kuhl her. „Ob sich die Dons jetzt gegenseitig die Hölle heiß machen?“ „Das weiß der Himmel.“ Hasard schaute zum Großmars auf. „Bill, kannst du durch den Kieker erkennen, was für Lichter wir Steuerbord voraus vor uns haben?“ „Das müssen die Hecklaternen eines großen Schiffes sein, Sir.“ „Ganz sicher?“ „Ihrer Anordnung nach ja.“ Hasard überzeugte sich durch einen Blick durchs Spektiv, daß Bill sich nicht irrte. Normalerweise war es unmöglich, mit der Optik im Dunkeln etwas zu identifizieren. Aber wenn man eine Lichtquelle anvisierte, konnte man sie zumindest
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vergrößert sehen und Einzelheiten ihrer Beschaffenheit auseinanderhalten. Jawohl, das waren die Hecklaternen eines Schiffes. Drei — das mußte ein großer Segler sein. „Was schert uns die Schießerei der Dons“, sagte Ben Brighton. „Wir wollen uns doch auf keinen Fall mit ihnen anlegen, oder? Wenn ich mich nicht irre, haben wir nur noch ein Ziel vor Augen: unseren Schatz heil nach England zu bringen.“ „Stimmt, Ben.“ „Aber du hast ein so merkwürdiges Gesicht, Hasard.“ Der Seewolf grinste. „Irgendwie sticht mich mal wieder der Hafer. würde zu gern nachsehen, was da los ist.“ „Darf ich mal offen meine Meinung sagen?“ „Das tust du doch meistens, Ben.“ „Ja. Wer sich mutwillig in Gefahr begibt, der kommt darin um.“ Hasard wandte den Kopf und musterte seinen Bootsmann und ersten Offizier, dessen Gesicht er in der Dunkelheit eben noch vor sich erkennen konnte. Die Seewölfe hatten die Achterlaterne ihrer „Isabella“ nicht angezündet, weil sie keine Neugierigen anlocken wollten, oder, wie Carberry es auf seine milde Art auszudrücken pflegte, weil sie nicht wollten, daß „die Dons ihnen bald am Hals saßen wie die Zecken am Hintern einer Kuh“. „Ben, überlege mal“, sagte Hasard. „Wir haben am Nachmittag einen starken spanischen Verband gesehen. Vielleicht steht der Rieseneimer, den wir jetzt vor uns haben, irgendwie mit diesem Geschwader in Verbindung.“ „Und wenn?“ „Es will mir nicht aus dem Kopf, daß die Schiffe, die zu uns in die Bucht bei Punta Almina gestoßen sind, Engländer gewesen sein könnten.“ „Und wenn?“ wiederholte Ben seine Frage. „Dann könnten sie durch den Wind aus Süd-Süd-West bis nach Spanien hinübergedrückt worden sein — wie wir. Und möglicherweise sind sie dabei den Dons in die offenen Arme gesegelt und
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kriegen jetzt deren überwältigende Gastfreundschaft zu spüren.“ Ben Brighton räusperte sich und erwiderte: „Das hört sich alles sehr, sehr vage an.“ „Ist es auch“, sagte Hasard. „Aber wir segeln trotzdem auf die Schüsse zu und schauen nach, was es damit auf sich hat, oder?“ „Du hast es erfaßt, Ben.“ „Sir“, sagte Carberry, der inzwischen den Niedergang von der Kuhl zum Quarterdeck hochgeklommen war und die Worte seines Kapitäns mitgehört hatte. „Warum sollten die Dons drei englischen Schiffen, die sie irgendwie festgenagelt haben, mit Musketenschüssen einheizen? Warum benutzen sie nicht ihre Kanonen?“ „Vielleicht spielt sich die Angelegenheit ja an Land ab.“ „Unwahrscheinlich“, meinte der Profos. „Männer“, sagte der Seewolf. „Denkt, was ihr wollt. Wenn sich die Gelegenheit bietet, den Dons im Vorbeifahren eins auszuwischen und dabei vielleicht sogar noch ein paar in die Klemme geratenen armen Teufeln zu helfen, dann tue ich das.“ Er wandte sich zum Ruderhaus um. „Pete, abfallen und Kurs nach Norden nehmen. Ed!“ „Kurs Norden“, echote der Profos. „Aye, Sir“, sagte Pete Ballie und bewegte das Ruderrad der „Isabella“ mit seinen schwieligen Händen. „Ihr Rübenschweine!“ fuhr Carberry die Wache auf der Kuhl an. „Habt ihr nicht gehört, was los ist? Kurs auf die Küste. ihr lahmen Heringe, schrickt weg die verdammten Schoten und stellt die Segel gerade! Wird's bald oder muß ich euch erst Feuer unter euren Affenärschen machen?“ Als der Narbenmann Atem schöpfte, rief der Seewolf ihm zu : „Ed, laß auch die übrigen Männer wecken. Wenn wir den Dons heute nacht einen Besuch abstatten, dann wollen wir es gebührend tun. Wer immer der Kahn dort ist — ich halte es für möglich, daß er nach Cadiz unterwegs ist, um sich dort zu einem Geleitzug zu gesellen, der in die Neue Welt aufbricht.“
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„Aye, Sir!“ rief der Profos aufgekratzt zurück. „Schon verstanden!“ Hasard blickte wieder seinen Ersten und Bootsmann an. „Ben, ich sehe nicht ein, warum wir die Neuspanien- oder TierraFerma-Flotte der Dons nicht ein wenig verringern sollen. Lassen wir jetzt mal meinen Gedanken an die mutmaßlichen Engländer ganz beiseite —. wir haben dort drüben, an der Küste im Bereich der RioBarbate-Mündung, ganz offensichtlich ein einzelnes Schiff vor uns, das wir mit einigem Geschick versenken könnten. Die sieben Galeonen von heute nachmittag hätten wir nie angreifen dürfen -das wäre Wahnwitz gewesen. Aber an den Kübel dort pirschen wir uns heran. „Sir“, entgegnete Ben Brighton. „Ein einziger Kanonenschuß, und wir haben halb Spanien im Nacken sitzen.“ Hasard grinste wieder. „Wer sagt dir denn, daß ich die Geschütze einsetzen will? Ich weiß doch am allerbesten, daß wir so dicht unter Land auf keinen Fall Lärm verursachen dürfen.“ „Du planst also kein Gefecht?“ „Nein.“ „Was dann?“ „Das denke ich mir aus, wenn ich über das Schiff dort näher Bescheid weiß, Ben.“ * Am Ufer hatten sie sich wiedergetroffen, waren dann sofort die Uferböschung hinaufgekrochen und hatten sich ins Landesinnere zurückgezogen. Escolano, Galindo, Chenche und Alberto waren triefend nasse, gehetzte Gestalten mit verzerrten Gesichtern, die jedem Bewohner der Küstenregion allein durch ihren Anblick den Schreck in die Knochen jagen und überall Mißtrauen und Ablehnung hervorrufen mußten. Auf Hilfe durften sie nicht hoffen. Sie waren auf sich allein gestellt und hatten nur noch ihre Messer, sonst keine Waffen. Sie konnten sich nur ungenügend verteidigen, wenn man sie jagte. In der Gegend kannten sie sich auch nicht aus und wußten nicht, wohin sie sich wenden
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sollten, ein Umstand, der ebenfalls erschwerend hinzukam. „Sie folgen uns nicht“, sagte Alberto keuchend. „Wir können stehenbleiben und verschnaufen. Hölle, ich habe eine Schulterwunde, die ich verbinden muß. Sie brennt wie Feuer.“ Escolano, der ganz vorn lief, drehte sich zu ihm um. „Sei still. Natürlich folgen sie uns. Glaubst du, der Almirante läßt uns ungeschoren entwischen?“ „Es hat zu viele Tote gegeben“, sagte Chenche schwer atmend. „Bereust du es?“ fragte Galindo. „Nein. Aber wir haben versagt.“ „Das konnte keiner von uns wissen“, entgegnete Escolano, ohne mit dem Laufen aufzuhören. „Wir haben hoch gesetzt, aber das Schicksal war gegen uns. Wir können noch froh sein daß wir unsere Haut gerettet haben.“ „Ja, noch ist nicht alles verloren“, pflichtete Galindo ihm bei. „Narren!“ Zischte Alberto. „Was bildet ihr euch denn ein? Wir sind jetzt Vogelfreie, auf die jeder schießen darf. Bald hetzt uns ganz Spanien, und wir haben keine Mittel, tim_ das Land zu verlassen. Wir haben ja nicht mal ein Boot.“ „Still!“ stieß Escolano wieder aus. Chenche mißachtete die Anordnung und entgegnete auf Albertos Bemerkung: „Wer sagt dir, daß es so bleibt? Wir könnten auch Glück haben und eine Schaluppe oder sogar ein kleines Schiff finden, das sich leicht entführen läßt. Dann sind wir fein raus. Aber wenn du nicht mitmachen willst, kannst du auch stehenbleiben und dich den Soldados ergeben, die uns jetzt nachstürmen, Alberto.“ „Ja, tu's doch“, sagte Galindo. „Du wirst ja sehen, was du dir einhandelst. Glaubst du im Ernst, der Almirante verzeiht dir?“ „Bis zum Almirante gelangst du gar nicht mehr“, fügte Chenche hinzu. „Der hat die Soldaten hinter uns hergeschickt, und sie brennen darauf, uns zu töten.“ „Sie wollen ihre Kameraden rächen, die wir aus dem Weg geräumt haben“, raunte der untersetzte Galindo, der sich nun direkt neben Alberto gebracht hatte, dem
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Komplicen zu. „Ein Zielschießen werden sie auf uns veranstalten, wenn sie uns entdecken. Vielleicht gibt es sogar eine Prämie für denjenigen, der uns niederschießt.“ „Ich will ihnen nicht in die Hände fallen“, keuchte Alberto. „Dann lauf“, drängte Chenche. Escolano führte sie. Sie gelangten auf eine flache Hügelkuppe und liefen gebückt darüber weg. Alle vier spähten über die Schulter zurück zum Ufer, konnten jedoch nur die drei Hecklaternen der „Inmaculada“ brennen sehen, mehr nicht. Der Gitano wandte sich nach Osten und ließ den Fluß Barbate hinter sich zurück. Vielleicht, so dachte er, rechnen die Soldados sich aus, daß wir den Fluß überqueren —vielleicht suchen sie zuerst dort, am Rio, nach uns. Traf das wirklich zu, konnten die Meuterer einen gewissen Vorsprung gewinnen. Escolano baute darauf, daß die Jäger sich irreleiten ließen. Er flehte in diesem Augenblick zum Himmel, daß sie zunächst an den Flußufern fahndeten und nicht etwa zwei Gruppen gebildet hatten, von denen die eine sofort nach Osten abgebogen war. Die Küstenregion war von vielen kleinen Hügeln durchsetzt, deren Kuppen wie sanfte Wogen zur See hin zu rollen schienen. In einer Senke zwischen zwei Erhebungen zeichnete sich schwach etwas Düsteres, Schemenhaftes vor dem dahinterliegenden, etwas helleren Hang ab, und Escolano steuerte instinktiv auf diese Erscheinung zu. Sie entpuppte sich auf die Distanz von wenigen Schritten als ein grober Steinbau. Eine flache, offenbar fensterlose, mit buckligen Schindeln gedeckte Hütte — sie stellte die erste menschliche Behausung dar, die die vier Meuterer in dieser Landschaft entdeckten. Escolano zog die Navaja und pirschte um das primitive Gebäude herum. Er langte an der Holzbohlentür an und stellte fest, daß kein Licht durch die Ritzen drang. Vorsichtig drückte er die Tür, die weder von außen noch von innen durch einen Riegel arretiert war, auf. Sie knarrte nur
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ein wenig, aber dieser schwache Laut konnte ausreichen, um etwaige Bewohner zu wecken und in Alarmzustand zu versetzen. Aber warum sind sie nicht schon vorher durch die Musketenschüsse geweckt worden? fragte der Gitano sich unwillkürlich. Er war darauf gefaßt, angegriffen zu werden. Jede Sekunde konnte ihn ein Mann aus dem Dunkel des Hütteninneren anspringen. Aber Escolano zog sich trotzdem nicht zurück, er wollte die Auseinandersetzung. Sein Atem ging rasch und unregelmäßig. Es war an der Zeit, irgendwo zu verschnaufen und neue Kräfte zu sammeln. wenigstens für ein paar Minuten. Kein Platz schien hierfür geeigneter zu sein als das Steinhaus. Er wurde angenehm überrascht. Kein Angreifer war da, um ihm den Zutritt zur Hütte zu verwehren. Es hatte sich, wie der Gitano nach einigem Umherschleichen und Herumtasten festgestellt hatte, auch niemand in einer Ecke verkrochen, um in einem günstigen Moment die Flucht antreten zu können. „Kommt“, zischte er seinen Kumpanen zu. „Hier ist niemand.“ „Eine unbewohnte Hütte?“ fragte Chenche gedämpft. „Nein“, erwiderte Escolano. „Hier ist die Bettstatt des Inhabers. und hier, im Kamin, glimmt noch ein bißchen Glut. Der Mann muß aufgestanden und geflohen sein, als er die Schüsse von Bord unseres Schiffes vernommen hat.“ „Irgendein närrischer Bauer oder Fischer, der vor lauter Angst die Hosen voll hat“, sagte Galindo verächtlich. „Er wird zu seinen nächsten Nachbarn getürmt sein.“ Escolano kauerte sich vor den Kamin und schürte die Reste der Glut auf, so gut es ging. Seine drei Begleiter rückten näher. Galindo schloß die Tür hinter sich. Stumm hockten sie sich vor die Feuerstelle. Chenche half Alberto, die Schulterwunde freizulegen. Alberto biß die Zähne zusammen, um nicht zu stöhnen. Diese Blöße wollte er sich vor den Kumpanen nicht geben.
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„Wirklich nur ein harmloser Streifer“, stellte Chenche nüchtern fest. „Du kannst ihn ausbrennen oder sonst irgendwie säubern, wenn du Angst vor dem Wundfieber hast. Weiter brauchst du aber nichts zu tun.“ „Willst du ein Stück Holzkohle?“ fragte Galindo. „Nein“, antwortete Alberto. Escolano grinste. „Seht mal nach, ob ihr hier irgendwo Schnaps findet. Damit kannst du deine Schulter einreiben, Alberto, aber wehe dir, wenn du dabei schreist. Im übrigen tut uns ein ordentlicher Schluck aus der Flasche gut.“ Galindo hatte sich erhoben. Das dämmrige Licht, das vom Kamin ausging, half ihm beim Suchen. Tatsächlich zerrte er aus einem roh zusammengezimmerten Schrank eine angestaubte Flasche hervor. Er entkorkte sie, grinste und sagte: „Das ist Apfelschnaps.“ „Her damit“, verlangte Escolano. Sie tranken, Alberto desinfizierte mit verbissener Miene seine leichte Blessur, und Galindo streifte weiter in dem einzigen Raum der Steinhütte hin und her und forschte nach Waffen. „Nichts“, schloß er seine Suche ab. „Nicht mal ein Messer. Wenn der Kerl, dem diese Bude gehört, eine Flinte hat, so hat er sie mitgenommen.“ „Das ist anzunehmen“, meinte der Gitano. „Und noch was. Die Bauern -und Fischer der Küste rotten sich garantiert zusammen und versuchen herauszukriegen, was es mit den Schüssen auf sich hat, die sie gehört haben. Dabei treffen sie unweigerlich mit den Soldaten zusammen, und dann werden sie mithelfen, die Meuterer aufzustöbern.“ „Diese Drecksäcke“, murmelte Chenche. „Aber es stimmt. Wer versteckt schon Leute wie uns?“ „Keiner“, sagte Galindo. „Wir brauchen Pferde - oder ein Boot, um von hier wegzukommen. Finden wir nichts, sind wir geliefert.“ Escolano blickte zu seinen Mitstreitern auf. „Nehmen wir mal an, der Hüttenbesitzer ist ein Fischer, dann muß er auch ein Boot
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haben. Wenigstens eine lächerliche Nußschale. Wir suchen sie.“ „Du willst zur Küste zurück?“ fragte Alberto entgeistert. „Ja. Wir sind weit genug von der Stelle entfernt, an der die gottverfluchte ,Inmaculada` jetzt bestimmt vor Anker gegangen ist.“ „Wir könnten noch eine Weile hierbleiben“, schlug Galindo vor. „Hier vermutet uns vorläufig keiner. Wenn wir die Glut ganz löschen, können wir außerdem jeden Neugierigen, der seinen Kopf zur Tür 'reinsteckt, überrumpeln.“ „Aber wenn die Soldaten anmarschieren, sitzen wir in der Falle“, belehrte ihn der Gitano. „Nein, wir dürfen hier nicht länger verweilen. Los, wir treten die Glut aus und laufen zur Küste.“ Er stand auf. „Unsere Kleider sind noch nicht trocken“, sagte Alberto. Der Schwarzhaarige warf ihm einen aggressiven Blick zu. „Du kannst bleiben, wenn du willst. Und noch was. Ich zwinge keinen, sich mir anzuschließen. Jeder von euch kann tun, was er will.“ Alberto rappelte sich auf. „Es war nicht so gemeint. Gehen wir. Je eher wir unsere Flucht fortsetzen, desto besser.“ „Ist das deine ehrliche Meinung?“ erkundigte sich der Gitano lauernd. „Ja. Wirklich.“ „Dann ist es gut“, sagte Escolano. „Ich dachte schon, die eine Niederlage reicht dir nicht, Alberto.“ 7. Ohne Licht hatten sich die Seewölfe mit der „Isabella“ in den Schutz einer Landzunge begeben, die sich, von Hügeln bedeckt, zwischen sie und das fremde Schiff schob. Das war kein leichtes Stück Arbeit gewesen. Laufend hatten die Männer die Wassertiefe ausloten müssen, ständig hatte die Gefahr bestanden, auf eine Untiefe zu laufen. Jetzt atmeten sie auf. „Der Abstand zu der großen Galeone beträgt knapp eine halbe Meile“, sagte der Seewolf, der jetzt auf der Kuhl stand. zu
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seinen Männern. „Wir können ihre Achterlaternen nicht mehr sehen, und das ist gut so, denn es bedeutet, daß auch die Männer auf der Galeone nichts von unserer ‚Isabella' erkennen können.“ „Zumal wir keine Lichter gesetzt haben“, meinte der alte O'Flynn. „Die müssen schon Argusaugen haben. um in dieser Finsternis auch nur eine unserer Mastspitzen zu erkennen. He, Sohn, kneif mal die Augen zusammen und schick einen Blick zu dem Hampelmännern 'rüber kannst du ihre Masten sehen?“ „Nein“, erwiderte Dan O'Flynn. „Wirklich nicht.“ „Solange keiner von uns herumbrüllt, ahnen die nichts von unserer Anwesenheit“, raunte Big Old Shane. Carberry ließ einen grollenden Laut vernehmen. „Hör mal, wieso glotzt du mich dabei so an, Shane?“ „Ach, das ist Zufall ...“ „Hasard“, sagte Ferris Tucker. „Glaubst du immer noch, wir haben einen Rieseneimer der Dons vor uns? Könnte es nicht doch möglich sein, daß wir wieder diesem — diesem Geistersegler begegnet sind, mit dem wir uns um ein Haar in der Bucht bei Punta Almina geschlagen hätten?“ „Der kreuzte nicht allein auf, vergiß das nicht, Ferris.“ „Vielleicht hat er sich inzwischen von seinen Begleitschiffen getrennt.“ „Möglich wär's“, entgegnete der Seewolf. „Aber ich halte es trotzdem für unwahrscheinlich. Den Hecklaternen dieses Seglers nach zu urteilen, ist er bedeutend größer als jenes Flaggschiff in der Bucht bei Punta Almina.“ Er musterte seine Männer. „Fiert jetzt das Boot so leise wie möglich ab. Wir pullen mit einem Spähtrupp an Land und pirschen uns bis zur Landzunge. Vielleicht kriegen wir auf diese Weise heraus, mit wem wir das Vergnügen haben. Ferris, du begleitest mich und nimmst vorsichtshalber ein paar Höllenflaschen mit. Die setzen wir aber nur im äußersten Notfall ein, verstanden?“ „Aye, Sir. Nach wie vor gilt die Devise: So wenig Lärm wie möglich verursachen, nicht wahr?“
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„Ja“, sagte Hasard. „Shane, Ed, Dan, Matt und Batuti, ihr kommt auch mit. Shane und Batuti, sorgt dafür, daß ihr ausreichend Pfeile mit dabeihabt. Pfeil und Bogen könnten heute nacht zu unseren wichtigsten Waffen werden.“ „Weil keinen Lärm machen“, versetzte der schwarze Herkules aus Gambia lächelnd. Hasard wandte sich an Ben Brighton. „Ben, du übernimmst wie üblich das Kommando über die ,Isabella', während ich abwesend bin, Unsere Lady ist klar zum Gefecht. Haltet die Augen offen. Schick von mir aus außer Bill noch Gary Andrews als Ausguck in den Vormars hinauf, damit ihr jede Bewegung des Gegners auf jeden Fall mitkriegt.“ „In Ordnung.“ Damit wandte der Seewolf sich ab. Wenig später dümpelte das Beiboot an der Bordwand der „Isabella“. Die sieben Männer enterten an der Jakobsleiter ab und nahmen auf den Duchten Platz. Sie griffen zu den Riemen; stießen sich von der Bordwand ab und pullten mit leisem, gleichmäßigem Schlag dem Land entgegen. Hasard als Bootsführer hatte den Platz auf der achteren Ducht inne und bediente die Ruderpinne. Sie landeten und schlichen unter Einhaltung aller erdenklichen Vorsichtsmaßnahmen am Ufer entlang. Das erste, auf das sie stießen, war ein flaches, langgestrecktes Boot, das von seinem Eigentümer bis zur Böschung geschleppt worden war und von dort aus zu den Seewölfen herübergrüßte. Hasard nahm das Fahrzeug in Augenschein. Er entdeckte in seinem Inneren einen kurzen Mast, der mit einem kleinen Gaffelsegel versehen war, sowie einen Packen Netze. „Dan“, flüsterte Hasard. „Du bleibst hier und gibst uns ein Zeichen, sobald sich jemand nähert. Es könnte sein, daß der Besitzer des Fischerbootes nachschaut, ob mit seinem Kahn noch alles in Ordnung ist, nachdem die Schüsse gefallen sind. Was es mit den Musketenschüssen auf sich hat, kriegen wir ja vielleicht gleich heraus.“
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„Piraten könnten die große Galeone mit Schaluppen überfallen haben“, raunte Big Old Shane. „Piraten?“ fragte Ferris. „Hier, an der gut bewachten spanischen Küste?“ „Vielleicht Araber, die Gott weiß was riskieren, um den Dons eins auswischen zu können.“ „Das wäre eine Möglichkeit“, meinte Hasard. „Aber wieso hat die Galeone die Piratenschiffe dann nicht verfolgt, nachdem sie den Angriff zurückgeschlagen hat?“ „He!“ wisperte der Profos. „Wer sagt uns denn, daß die Dons gesiegt haben? Die Galeone liegt vor Anker, und es könnte wahrhaftig angehen, daß ihre Besatzung von Freibeutern niedergemetzelt worden ist und jetzt die Piraten das Kommando auf dem Kübel führen.“ „Und in diesem Fall bleiben die Kerle so seelenruhig vor der Küste liegen, da doch jeden Augenblick andere Schiffe der Spanier erscheinen könnten?“ fragte der Seewolf zweifelnd. „Nun“, sagte Carberry. „Da ist auch was dran. Aber vielleicht warten sie ja auf jemanden.“ „Auf uns“, knurrte Matt Davies. „Das wird ein Empfang, Freunde.“ Hasard strebte jetzt weiter voran und näherte sich der Landzunge. Er legte sich auf den Bauch, robbte bis zur höchsten Kuppe hinauf und wartete darauf, daß auch seine Männer eintrafen. Dann betrachtete er das fremde Schiff, dessen Hecklaternen jetzt in aller Deutlichkeit wieder zu erkennen waren. Goldfarben schimmerte das Licht, sein Schein reichte auf diese Entfernung durchaus aus, um Einzelheiten der Aufbauten des Seglers sehen zu können. „Eine imposante Heckpartie“, raunte der Seewolf. „Ein schönes Schiff von ungewöhnlicher Größe –mit zwei Batteriedecks, wenn ich mich nicht irre.“ „Du irrst dich nicht“, sagte Ferris Tucker. „Das ist tatsächlich ein Rieseneimer, vor dem man Respekt haben muß. Über den Daumen gepeilt, meine ich, der hat mehr
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als vierzig, nein, mehr als fünfzig Geschütze.“ „Und wenn es noch mehr sind?“ zischelte Matt Davies. „So dicke Brummer bauen die Dons doch nicht“, erwiderte Shane. „Und daß es ein Spanier ist, daran gibt es keinen Zweifel mehr. Ich kann deutlich die Flagge sehen, die der Bursche auf Halbmast am Besan flattern läßt.“ „Auf Halbmast?“ wiederholte der Profos. „Es hat Tote an Bord gegeben“, murmelte der Seewolf. „Aber Schaluppen oder andere kleine Wasserfahrzeuge, wie sie von Piraten benutzt werden, kann ich nirgends entdecken. Nur drüben am Ufer, da scheinen zwei Boote zu liegen.“ „Ja, ich sehe sie jetzt auch-, sagte Ferris Tucker. „Hölle. in der Dunkelheit kann man sie aber wirklich mehr ahnen als richtig sehen. Könnten das nicht Beiboote der Galeone sein'?“ „Ja, das ist drin. Und was die Kanonen des Spaniers betrifft, man kann die Stückpforten zwar nicht zählen, weil das Licht vom Heck nicht bis zum Vorschiff scheint, aber bis zur Mitte der Kuhl komme ich doch. Und allein bis dort zähle ich zwanzig Stückpforten.“ „Das gleiche noch mal auf der anderen Schiffsseite, und es sind vierzig“, sagte Shane. „Wenn man sich ausmalt, wie weit die Geschütze bis weiter vorn auf den Decks stehen, dann - Teufel auch, dann muß der Kahn mindestens sechzig Kanonen mit sich herumschleppen.“ „Das Alter der Galeone schätze ich auf zwei bis drei Jahre“, sagte Hasard. „Die Dons haben neue Schiffe gebaut, während wir auf Weltreise waren, und es scheint Beachtliches dabei entstanden zu sein.“ „Mann“, flüsterte Ferris ehrfurchtsvoll. „Was sind unsere zwanzig Geschütze gegen die Batterien dort? Nichts! Der Bruder könnte uns mit einer einzige Breitseite in Stücke schießen.“ „Das hängt davon ab, wie gut er manövrieren kann“, entgegnete der Profos. „Dem husten wir was, Ferris. Du läßt dich aber auch leicht beeindrucken.“
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„Ed“, sagte der Seewolf. „Ich hätte auch meine Bedenken, es mit diesem Schiff aufzunehmen. Man darf seine Möglichkeiten nie überschätzen. Nur unter einigen Voraussetzungen könnten wir ein Gefecht mit der Galeone wagen.“ Der Profos grinste. Hasards Lust, den Spaniern eine Schlappe beizubringen, hatte wie ein Funke auf ihn übergegriffen. „Beispielsweise, wenn wir die Luvposition hätten und mit Karacho auf den Don zurauschen würden, während er noch vor Anker liegt.“ „Ich will keine Schlacht, Ed, wie oft soll ich das noch sagen.“ „Sir“, antwortete der Profos, der gerade so schön im Zug war, fast empört. „Du Willst doch wohl nicht sagen, daß wir zu dem dicken Jonny schwimmen und versuchen, ihn heimlich anzubohren? Das geht schief, ich schwöre es dir, das geht in die Hose, und wenn wir's noch so geschickt anfassen ...“ „Still“, sagte der Seewolf. Der Wind trug einen hellen Laut zu ihnen herüber, den sie jetzt alle vernahmen und als den Ruf eines bekannten Nachtvogels identifizierten. „Das ist Dan“, flüsterte Big Old Shane. „Er hat was gesehen.“ „Nichts wie hin“, zischte der Profos. „Batuti. du bleibst als Posten auf der Landzunge“, sagte der Seewolf zu dem Gambia-Mann. Dann hatte er sich auch schon umgedreht und huschte den Hang des Hügels hinunter. Ferris, Shane, Carberry und Matt Davies folgten ihm. * Die Dunkelheit war wie ein gigantischer Mantel aus schwarzem Samt, der sich über die See und die Küste Südspaniens gelegt hatte. Man mußte Löcher hineinbrennen, um etwas erkennen zu können - nicht einmal die kleinen Wellen hatten in dieser Nacht sie silbrigen Lichter, die ihnen sonst der Mond aufsetzte. So sah Escolano, der seinen kleinen Trupp wieder anführte, das Fischerboot erst sehr
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spät unterhalb der Uferböschung liegen. Und noch später entdeckte er den Mann, der das Fahrzeug bewachte - und das Schiff mit den hohen Masten, das unweit der Landzunge vor Anker gegangen war. „Al diablo“, zischte er. „Die Soldaten sind schneller als wir gewesen, sie sind schon da.“ Abrupt blieb er stehen. Galindo und Chenche trafen neben ihm ein, dann huschte auch Alberto heran. Sie kauerten sich in das Strandgras, dessen Halme vom Wind, der über die Meerenge hinwegstrich, bewegt wurden. „Nein, das ist kein Soldado“, berichtigte sich Escolano jetzt. „Der Bursche dort trägt weder einen Helm noch einen Brustpanzer.“ „Das ist ein gewöhnlicher Decksmann“, wisperte Galindo. „Von dem Schiff?“ wollte Alberto wissen. „Sicher“, zischte Chenche. „Woher denn sonst?“ „Das ist nicht die ,Inmaculada`.“ „Alberto hat recht“, flüsterte der Gitano. „Das ist ein fremder Kahn. Je länger ich ihn mir anschaue, desto überzeugter bin ich, daß er weder zu unserem Verband gehört, noch daß er überhaupt ein Spanier ist.“ „Teufel, wer ist das nur?“ raunte Chenche. „Vielleicht ein Engländer“, meinte Alberto. Escolano zückte seine Navaja. „Wer auch immer, es ist mir egal. Es scheint nur der eine Bewacher bei dem Fischerboot zu stehen. Den räume ich aus dem Weg.“ Er schlich weiter und war auf schätzungsweise ein Dutzend Schritte an Dan O'Flynn heran, als dieser den Gitano bemerkte. Sofort ließ Dan den Ruf des Nachtvogels vernehmen. Escolano sah, wie der Gegner jenseits des Bootes in Deckung ging und offensichtlich eine Waffe wie einen Säbel oder ein Entermesser zückte. Escolano schleuderte die Navaja, das ungemein scharfe Messer der Zigeuner von Andalusien. Die Klinge bohrte sich in den Bootsrumpf, weil Dan O'Flynn sich in diesem Augenblick am Dollbord festklammerte, sich sinken ließ und somit die ihm
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gegenüber befindliche Bootsseite hochdrückte. Zitternd steckte das Messer in der Außenhaut des Bootes. Escolano zerdrückte einen Fluch auf den Lippen. Er wollte Chenche, Galindo und Alberto ein Zeichen geben, sie sollten sich mit ihren Messern auf den jungen Mann stürzen, aber dann kam doch alles völlig anders, als er es sich ausmalte. Dan hatte vor, mit dem Cutlass, den er aus seinem Gurt hervorgezogen hatte, aus seiner Deckung zu springen und sich mutig auf die unversehens aufgetauchten Feinde zu werfen. Aber da waren auch der Seewolf und seine vier Begleiter heran. „Was ist los?“ fragte Hasard. Dan wies nur stumm auf die im Boot steckende Navaja und dann auf den Bereich oberhalb der Böschung, wo jetzt die vier Meuterer wie vorn Donner gerührt verharrten. Hasard, Ferris, Shane, der Profos und Matt Davies liefen weiter, an Dan O'Flynn und dem Fischerboot vorbei. Der ehemalige Schmied von Arwenack-Castle legte einen Pfeil an die Bogensehne, spannte die Sehne und wollte auf den zuvorderst stehenden Mann schießen. Hasard gab ihm jedoch ein Zeichen, nur über die Köpfe der vier Unbekannten zu schießen. Der Pfeil schwirrte von der Sehne, nachdem Shane die Zielrichtung korrigiert hatte. Nur um etwas mehr als eine Spanne huschte er über Escolano und Alberto weg, die sich instinktiv duckten. „Da haben wir's“, stöhnte Alberto in panischem Entsetzen. „Hier scheint es ja von Kerlen zu wimmeln.“ „Töten wir sie“, zischte Chenche. „Sie sind in der Übermacht“. stieß Galindo hervor. „Und sie haben Schußwaffen, mit denen sie uns mühelos erledigen können.“ „Es war ein Fehler, hierher zu laufen“, sagte Galindo heiser. „Fliehen wir“, drängte Escolano nun. „Nichts wie weg von hier.“ Er warf sich als erster herum und begann zu laufen. Seine Kumpane taten das gleiche, ohne ihre Messer, sie nun wie lächerliche Spielzeuge im Vergleich zu der Ausrüstung des
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Gegners wirkten, noch in Richtung auf das Fischerboot zu schleudern. Hasard dachte nicht daran, die vier Kerle entwischen zu lassen — nicht nach diesem heimtückischen Mordanschlag auf Dan O'Flynn. Er klomm die Uferböschung hoch, hetzte durch das Strandgras und verringerte durch einen Spurt die Distanz zwischen sich und dem langsamsten Gegner. Als er neben ihm war, brachte er ihn durch einen einzigen Hieb zu Fall. Alberto überschlug sich auf dem weichen Untergrund und hob das Messer gegen Matt Davies, der ihn in diesem Augenblick ansteuerte. Hasard stürmte weiter. Escolano, Galindo und Chenche konnten nicht mehr die Kondition haben, wie sie der Seewolf hatte. Nur noch ein Stück flohen die drei durchnäßten, erschöpften Gestalten in Richtung Binnenland, dann hatte Hasard auch sie erreicht. Galindo dachte, der fremde Mann mit dem schwarzen Haar würde nun seine Radschloßpistole ziehen und damit auf sie feuern. Deshalb trachtete er; ihm sein Messer in den Leib zu rammen. Hasard war auf der Hut. Er blockte ab, wich aus, hatte plötzlich Galindos Arm zu fassen und drehte ihn mit einem Ruck um. Galindo verlor nicht nur das Messer aus der Hand, er taumelte auch Shane, Ferris und dem Profos entgegen, während hämmernder Schmerz in seinem Arm ihn aufstöhnen ließ. Hasard hieb Chenche die Faust in den Nacken, ehe dieser das Messer zum Einsatz bringen konnte. Chenche stürzte. Der Seewolf hetzte an ihm vorbei, stürmte noch zwei oder drei Sätze voran und sprang dann Escolano an. Sie gingen beide zu Boden, wälzten sich fluchend und traktierten sich mit Faustschlägen. Matt Davies hatte Alberto das Messer aus der Hand getreten. Er bückte sich, verpaßte dem Meuterer eine schallende Ohrfeige und zeigte ihm dann seine Eisenhakenprothese.
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Alberto saß benommen da und hielt sich das schmerzende Gesicht. Wie durch einen Schleier gewahrte er den scharfgeschliffenen Haken, der unmittelbar vor seiner Nase war. „Ich kann dich damit töten“, sagte Matt Davies auf spanisch. „Ich gebe dir einen guten Rat: Streich die Flagge, Amigo.“ „Bitte nicht zuschlagen“, erwiderte Alberto. Carberry hatte Galindo gepackt. Er rammte ihm die Faust unters Kinn und hielt ihn dann fest, damit der Meuterer nicht zu Boden sank. Chenche konnte sich nicht mehr erheben, Big Old Shane war über ihm und stellte ihm den Stiefel auf die Körperflanke. Gleichzeitig hantierte er so unmißverständlich mit Pfeil und Bogen, daß Chenche wirklich glauben mußte, der graubärtige Riese würde ihm aus nächster Nähe einen Pfeil ins Herz setzen. Hasard balgte sich immer noch mit Escolano. Er bemerkte rechtzeitig, daß der Gitano ihm das Messer aus dem Hosengurt zu ziehen gedachte und reagierte darauf. Eine blitzartige Körperdrehung des Seewolfs vereitelte den Versuch des Meuterers. Hasard wich auch dem Knie des Kerls aus, das seinen Unterleib treffen sollte, dann setzte er dem Zweikampf ein Ende, indem er die Knöchel seiner rechten Hand gegen Escolanos Schläfe schlug. Escolano brach zusammen. Als er wieder zu sich kam und die Augen aufschlug, blickte er in die Doppelmündung von Hasards sächsischer Reiterpistole. Er wandte den Kopf, und gewahrte Galindo, Chenche und Alberto, die im Strandgras von den Begleitern dieses Schwarzhaarigen mit den hellen Augen in Schach gehalten wurden. „Wer bist du?“ fragte Escolano gepreßt. „Was willst du von mir?“ „Damit du klar siehst“, entgegnete der Seewolf. „Ich stelle hier die Fragen.“ „Du bist kein Spanier ...“ „Und du? Ein Andalusier vielleicht, wie ich deiner Aussprache entnehme, aber die Herkunft spielt keine Rolle“, sagte Hasard
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frostig. „Weißt du, was ich mit Strandräubern und Meuchelmördern tue?“ „Ich wollte den Mann nicht töten“, behauptete Escolano. „Frag meine Kameraden. Wir wollten nur das Boot, nichts weiter. Gehört es euch?“ „Hasard“, sagte Big Old Shane. „Er scheint es immer noch nicht kapiert zu haben. Soll ich ihm beibringen, daß er hier nur Antworten zu geben hat?“ Der Graubart hatte dies zwar auf spanisch gesagt, aber der Akzent in seiner Stimme, der ihn als Ausländer auswies, war dabei natürlich nicht zu überhören.“ „Ihr seid alle keine Spanier“, flüsterte Escolano. „Ich sage, ihr kommt aus dem Norden. Und ihr habt euch bis an die Landzunge gepirscht, um die ,Inmaculada' zu belauern.“ „Ist das die große Galeone?“ fragte der Seewolf. „Ja. Wir haben euch bei eurem Vorhaben gestört, nicht wahr?“ „Andalusier, was weißt du noch über das Schiff?“ fragte Hasard. „Rede, oder ich richte dich hin - und dabei ist es mir egal, ob die Männer der ,Inmaculada' mich hören oder nicht.“ Das entsprach natürlich nicht der Wahrheit. Aber Hasard trat so hart und überzeugend auf, daß Escolano wieder um sein Leben zu bangen begann. „Wir stammen von dem Schiff“, erklärte der Gitano. „Ich kann dir alles bis in die letzten Details berichten -wie die ,Inmaculada` armiert ist, woher sie kommt, wohin sie unterwegs ist. Sie ist die andalusische Admiralitäts-Galeone.“ „Ich möchte Wirklich wissen, warum du das so bereitwillig preisgibst“, entgegnete Hasard mißtrauisch. „Wir haben gemeutert und wollten das Kommando an uns reißen“, sagte Escolano mit leicht verzerrter Miene. „Wir waren es satt, schikaniert zu werden. Und wir wollten uns nicht verheizen lassen. Verstehst du das?“ „Nein. Ich hege auch keine Sympathien für Meuterer.“ „Aber du willst die ,Inmaculada` versenken, ich sehe es dir an“, erwiderte
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Escolano, ohne mit der Wimper zu zucken. „Ich helfe dir dabei - zu einer Bedingung.“ „Steh auf“, sagte Hasard. „Wir gehen ein Stück ins Hügelland, dann stirbst du, Meuterer. Du hast es ja nicht anders gewollt. Du glaubst, mir Bedingungen stellen zu können? Daß ich nicht lache.“ „Ich bin dein Verbündeter“, stieß der Gitano fast flehentlich hervor. „Ich werde es dir beweisen. Wir können einen Pakt schließen, wenn du mir gestattest, das Fischerboot zu nehmen und damit davonzusegeln.“ „Ihr kommt mit zu uns an Bord und seid unsere Gefangenen“, sagte der Seewolf. „Das einzige Zugeständnis, zu dem ich bereit bin, lautet: Wir setzen euch weiter nördlich irgendwo an Land, damit ihr nicht gerade eurem Admiral in die Hände lauft. Ihr solltet froh sein, daß ich euch nicht an ihn ausliefere.“ „Das würdest du nie wagen.“ „Soll ich es dir beweisen?“ Escolano trat der Schweiß auf die Stirn. „Nein. Der Almirante Don Sirio würde uns standrechtlich erschießen lassen, um die fehlgeschlagene Meuterei und den Tod seiner Männer zu vergelten.“ „Ihr habt nichts mehr zu verlieren“, sagte der Seewolf. „Und alles zu gewinnen. Ich füge mich deinen Anweisungen.“ „Dann sprich.“ Escolano, der Gitano, begann zu erzählen. 8. Die „Inmaculada“ lag beigedreht jenseits der Landzunge und schwojte an ihrem Buganker. Die Segel hingen im Gei. Der Admiral Don Sirio de Alfas wartete auf die Rückkehr der Soldaten an Bord. Die Toten und Verletzten waren geborgen und in das Vordeck der Galeone geschafft worden. Nichts zeugte jetzt mehr von dem Kampf, der an Oberdeck stattgefunden hatte, wenn man von dem Fehlen von insgesamt sechzehn Männern. darunter Profos und Rudergänger, absah. Drei Soldaten hatten ihr Leben lassen müssen, der Segundo und ein paar andere
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konnten noch von Glück sprechen, daß sie nur verletzt worden waren. Sieben Meuterer waren getötet worden, vier Kerlen war die Flucht an Land gelungen dies war das traurige Fazit eines Aprilabends 1587, den Don Sirio niemals vergessen würde. Er schritt auf dem Achterdeck auf Und ab, die Hände auf dem Rücken gekreuzt. Immer wieder blickte er zum Ufer, aber dort waren keine Gestalten zu sehen, keine Lichtzeichen, die er mit den Soldaten vereinbart hatte, für den Fall, daß sie die vier Meuterer als Gefangene herbeischleppten. Es wehten auch keine Schußgeräusche herüber, die auf eine drastischere Bereinigung der Angelegenheit schließen ließen. Gefangennahme oder sofortige Hinrichtung - Don Sirio ließ seinen Männern bei der Wahl freie Hand. Nur mußten die Soldaten die Flüchtigen in dem dunklen, unbekannten Gelände erst gefunden haben, um zur Vollstreckung schreiten zu können. Die Minuten verstrichen. Die Spannung wuchs. Dann meldete sich plötzlich der Ausguck im Großmars mit einem Ruf. „Senor Almirante - Lichtzeichen an Steuerbord!“ Don Sirio wandte sich um. Zunächst nahm er an, der Ausguck, der ohnehin bald abgelöst werden sollte, habe sich in seiner Müdigkeit vertan. Die Steuerbordseite der Galeone wies auf die offene See hinaus, und es schien völlig ausgeschlossen zu sein, daß von dorther Signale erfolgten. Aber jetzt gewahrte auch der Admiral die Blinkzeichen, die dadurch verursacht wurden, daß das Besatzungsmitglied eines Schiffes eine Laterne zudeckte und den Stoff in vorher festgelegten Intervallen wieder hob. „Senor“, stieß der erste Offizier überwältigt aus. „Das sind ja die geheimen Zeichen, die nur die Mannschaften unserer Schiffe untereinander kennen!“ „Senor!“ rief der Ausguck. „Eine Galeone unseres Verbandes hat zu uns zurückgefunden!“
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„Ja“, sagte Don Sirio, der den Blick nicht mehr von den Blinkzeichen in der Nacht nahm. „Sie erklärt uns, sie sei die ,Santa Agata`. Sie verlangt nach einer Erwiderung. Capitan Villena muß auf unsere drei Achterlaternen aufmerksam geworden sein, und er hofft natürlich inständig, eins unserer neun Kriegsschiffe vor sich zu haben. Bootsmann!“ „Senor?“ antwortete der Bootsmann vom hintersten Bereich des Achterdecks. „Teilen Sie Capitan Villena mit, daß dies die ,Inmaculada' ist und wir darauf warten, ihn begrüßen zu können. Er soll mit seinem Schiff dicht heransegeln, auf Rufweite.“ „Si, Senor!“ Der Bootsmann ging unverzüglich an die Arbeit. Don Sirio, die Offiziere, die Deckswache und auch der Ausguck waren derart in die Beobachtung des Schiffes vertieft, das sich ihnen näherte, daß sie keinen Blick zum Ufer warfen und folglich nicht verfolgten, was dort im selben Moment geschah. * Stockfinster war die Nacht, und sie würde es auch bis zum Anbruch des neuen Tages bleiben, denn keine Wolkenbänke, die einen runden Mond verdeckten, konnten plötzlich aufbrechen und das Antlitz des Erdtrabanten freigeben. Es war eine wolkenlose Nacht, und die verschwindend dünne Mondsichel, die keinerlei Helligkeit schuf, wirkte fast wie ein Hohn auf den Mann, der als Wachtposten bei den zwei Beibooten der „Inmaculada“ zurückgeblieben war. Unruhig wandte der Soldat den Kopf, als er knirschende Schritte vernahm. Sie näherten sich von der Böschung her. Der Posten hob die Muskete und spannte den Hahn. „Wer da?“ fragte er. „Parole!“ „Cartagena“, erwiderte eine etwas dumpfe Männerstimme. Der Soldat atmete auf und ließ die Waffe wieder sinken. „Jorge, bist du es?“ „Ja. Kann ich jetzt zu dir hinmarschieren,
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ohne von dir über den Haufen geschossen zu werden?“ „Natürlich“, sagte der Posten. Jorge war einer der Soldaten, die ins Landesinnere aufgebrochen waren, um nach den flüchtigen Meuterern zu suchen. Der Wächter der Boote glaubte, seine Stimme deutlich erkannt zu haben. Die Schritte bewegten sich wieder knirschend voran, und der Posten erkannte eine Gestalt, die sich näherschob. Wie ein Schemen wirkte diese Gestalt, und man konnte ihre Einzelheiten auch nicht erkennen, wenn man die Augen zusammenkniff. „Warum bist du zurückgekehrt?“ wollte der Posten wissen. „Der Teniente, der unseren Haufen befehligt, hat mich losgeschickt, damit ich dem Almirante eine Botschaft überbringe.“ „Habt ihr die Bastarde geschnappt? Aber es waren keine Schüsse zu hören.“ „Sie sitzen in einer Steinhütte fest. Wir haben sie umzingelt und können sie ausräuchern, wenn wir wollen. Der Teniente will aber noch einmal von Don Sirio hören, ob er die Hunde gleich erschießen lassen soll - oder ob wir sie lebend bringen sollen.“ „Los, wir steigen ins Boot und pullen zum Schiff“, sagte der Wachtposten. Er drehte sich um, legte die Muskete in das eine Beiboot und faßte das Dollbord an, um das Boot von seinem Liegeplatz in tieferes Wasser zu schieben. Jorge war neben ihm. Eine Hand schob sich vor den Mund des Postens, gleichzeitig knallte etwas gegen seine Schläfe, daß er wirbelnde Bilden in vielen Farben sah und das Gefühl hatte, unter einer Zentnerlast begraben zu werden. Alle Wahrnehmungen wurden von einem brüllenden Strudel mitgerissen. Der vermeintliche Jorge fing den bewußtlosen Posten auf und legte ihn behutsam neben dem Boot auf den Strand. Er wandte sich zur Böschung hin um ein großer, breitschultriger Mann mit zerzaustem schwarzen Haar und eisblauen Augen, deren kühn entschlossenen
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Ausdruck man im Dunkeln nur schwer zu erkennen vermochte. Hasard stieß ein unterdrücktes Zischen aus. Daraufhin glitten mehrere Gestalten auf die Boote zu. darunter Ferris Tucker, Shane, Carberry und einer, der die Finsternis als geradezu perfekte Tarnung benutzte: Batuti. Hasard entledigte den besinnungslosen Posten seines Helms und Brustpanzers. Die Hosen und das Schoßwams ließ er ihm, ebenso die Stiefel. Ferris kniete sich neben den Überwältigten, verschnürte ihn sorgfältig zu einem Paket und legte ihm auch einen Knebel an. Aus eigener Kraft konnte der Spanier sich nicht befreien. Ohne auch nur ein Wort zu verlieren, schoben die Seewölfe das eine Boot ins Wasser. Sie kletterten an Bord, nahmen auf den Duchten Platz und griffen zu den Riemen. Smoky war der sechste Seewolf, der die „Isabella“ verlassen hatte, um diese „Kriegslist“ durchzuführen. Er saß mit der Pistole im Anschlag Escolano gegenüber und ließ ihn nicht aus den Augen. Hasard brachte seinen Mund dicht neben Escolanos Ohr. „Ich hoffe, du versuchst nicht, uns hereinzulegen. Wenn es ein falsches Zeichen ist, zu dem du uns geraten hast, sind wir alle verloren - du an erster Stelle.“ „Ich habe nicht gelogen“, sagte der Gitano verhalten. „Dreimal eine Fackel hin- und herschwenken - das ist das Signal einer Bootsmannschaft an den Admiral, daß alles in Ordnung sei.“ „Gut. Shane, zünde die Fackel an.“ „Aye, Sir.“ Der graubärtige Riese ließ sich von Ferris assistieren. Shane hielt die Pechfackel, Ferris schlug Feuerstein und Feuerstahl aneinander, so daß der notwendige Funke entstand. Nach dem zweiten Versuch stieg knisterndes Feuer von dem präparierten Ende der Fackel auf. Big Old Shane wartete, bis sich die Flamme genügend entwickelt hatte, dann hob er die Fackel über den Kopf und bewegte sie auf die besprochene Weise hin und her.
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Auf der „Inmaculada“ war es der Ausguck im Großmars, der sich gerade wieder herumgedreht hatte und nun das Signal sichtete. „Senor Almirante“, rief er sofort. „Fackel am Ufer - die Soldaten kehren zurück.“ Überwältigt wandte Don Sirio de Alfas sich der Backbordseite seines Schiffes zu. Er sah gerade noch, wie die Fackel wieder erlosch, wunderte sich aber nicht darüber, wieso die Soldaten die Flamme nicht am Leben erhielten. Dies war ein zu großartiger Moment, um sich mit nichtigen Kleinigkeiten zu befassen. „Teniente!“ rief der Admiral selbst zu dem Boot hinüber. „Sind Sie das?“ „Si, Senor“, schallte es zurück. „Sie haben die vier Hunde gefaßt?“ „Si, Senor Almirante.“ „Ohne Schußwechsel?“ „Es war nicht erforderlich, zu feuern, Senor.“ „Sie haben sich also ergeben, als sie die Übermacht auf sich zurücken sahen“, murmelte Don Sirio. Laut erwiderte er: „Teniente, ich beglückwünsche Sie zu diesem Erfolg. Und ich muß sagen, daß es augesprochen korrekt von Ihnen ist, die Kerle meinem Urteil zu überantworten. Sie hätten allen Grund gehabt, sie niederzuschießen - und doch haben Sie es nicht getan. Kompliment, Teniente.“ „Danke, Senor.“ Irgendwie kam es Don Sirio so vor, als hätte die Stimme des Teniente einen etwas belegteren Klang als gewöhnlich, doch auch dem maß er keine Bedeutung bei. Er nahm ganz einfach nur an, die innere Anspannung und die Freude über den positiven Abschluß seiner Aktion hätten die Stimme des Mannes verändert. Er ahnte nicht, welch peinlichem Irrtum er erlegen war. Der Seewolf war es, der die Stimme des Teniente nachgeahmt hatte - er war derjenige unter den Männern der „Isabella“, der die spanische Sprache am besten beherrschte. Shane hatte die Fackel einfach in die Fluten getaucht, um die -Flamme zu ersticken. So glitt das Boot auf die
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„Inmaculada“ zu und schickte sich an, längsseits zu gehen und auf die ausgebrachte Jakobsleiter loszusteuern. Hasard, der sich als spanischer Soldat maskiert hatte, richtete sich im Bug des Bootes auf. Auf den Platz auf der Achterducht hatte er diesmal verzichtet, weil er der erste sein wollte, der die andalusische Admiralitäts-Galeone enterte. Der Posten im Großmars der Galeone konnte in der stockfinsteren Nacht nicht genug erkennen, um sich darüber klarzuwerden, daß das zweite Beiboot am Ufer zurückgeblieben war. Andernfalls hätte er jetzt, da doch alle Männer an Bord der „Inmaculada“ annahmen, der komplette Trupp Soldaten kehre in beiden Booten zum Schiff zurück, sicherlich den Verdacht geschöpft, es sei etwas faul oberfaul. * Nachdem die „Isabella“ ihren Liegeplatz verlassen hatte und ein Stück auf die offene See hinausgesegelt war, um sich dann platt vor den Süd-Südwest-Wind zu legen, hatte Ben Brighton auf der Back eine große Laterne anzünden lassen, die er eigens für dieses Unternehmen vom Achterkastell herübergeschafft hatte. Galindo, Chenche und Alberto standen, von Matt Davies, Jeff Bowie und Luke Morgan bewacht, auf dem Vordeck. Galindo kannte alle Signale, die zwischen dem Admiral und den Kapitänen des andalusischen Verbandes vereinbart worden waren, denn er hatte an Bord der „Inmaculada“ die Funktion des Signalgasten versehen und sowohl Flaggen- als auch Lichtzeichen zu den anderen acht Schiffen hinübergegeben. So sagte er Dan O'Flynn, der das Abdecken und Enthüllen der Laterne übernommen hatte, in welchen Abständen er zu blinken hatte. Etwas später übersetzte er, was die Signale zu bedeuten hatten, die von der „Inmaculada“ gegeben wurden. „Heransegeln auf Rufweite'', wiederholte Ben Brighton. „Ausgezeichnet, das kommt
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unserem Plan hervorragend entgegen. Wir sind also die ,Santa Agata', und mein Name wäre demnach Capitan Villena?“ „Ja“, antwortete Galindo. „Fein. Der Capitan Villena wird sich vertun und etwas weiter als auf Rufweite an die Prachtgaleone heransegeln.“ „Aber dann werden die Dons natürlich mißtrauisch“, gab Old Donegal Daniel O'Flynn zu bedenken, dem vor lauter Kampfeifer schon ganz kribbelig zumute war. „Sie werden uns einen Schuß vor den Bug setzen, schätze ich, und ein Gefecht ist dann unabwendbar.“ „Hasard will sie ablenken und verwirren“, sagte Den. „Das ist unsere Chance, bei der ,Inmaculada' längsseits zu gehen und sie zu entern.“ „Wenn das bloß klappt“, murmelte der Alte. „Hölle, wenn das bloß hinhaut. Ein paar Musketenschüsse wären nicht schlimm, aber wenn die Kanonen sprechen, ist der Donner bis weithin zu hören — und wir holen uns die halbe, ach was, die ganze Armada auf den Hals.“ „Damit könntest du ausnahmsweise mal recht haben“, meinte sein Sohn. „Ach, ausnahmsweise, was?“ giftete Old Donegal. „Ich habe immer einen Riecher für die Dinge gehabt, merk dir das, und ich kann manchmal sogar in die Zukunft sehen.“ Matt Davies grinste. „Ja, man kann Angst vor dir kriegen. Du mußt mit dem Wassermann verwandt sein, -Donegal.“ „Männer“, sagte Ben Brighton. „Schräg hinter der ,Inmaculada' habe ich eine Fackel aufleuchten sehen. Das sind Hasard und die anderen. Sie haben das Boot also zu Wasser bringen können und pullen jetzt auf den Kahn zu. Es wird ernst, Leute. Herhören - von jetzt an wird nicht mehr gesprochen, und wenn jemand was Wichtiges zu sagen hat, tut er das gefälligst auf spanisch, verstanden?“ „Aye, Sir“, brummte der alte O'Flynn. „Äh, ich meine natürlich, si, Senor.“ 9.
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Das Beiboot schor längsseits der „Inmaculada“. Don Sirio de Alfas schritt in Begleitung seines ersten Offiziers und es Bootsmanns auf die Kuhl, dorthin, wo die Jakobsleiter am Schanzkleid belegt war. Er wollte es sich nicht entgehen lassen, den Teniente als erster an Bord willkommen zu heißen und auch den vier Meuterern einen „gebührenden Empfang“ zu bereiten. Die meisten Männer des Flaggschiffes lehnten immer noch am Steuerbordschanzkleid und blickten zu der heransegelnden Galeone, von der jeder annahm, es sei Wirklich die vermißte „Santa Agata“. Viele Fragen gab es an den Kapitän und die Besatzung des Dreimasters zu richten - wo die anderen sieben Schiffe steckten, ob die „Santa Agata“ nach dem Nebel überhaupt noch Kontakt zu dem Verband gehabt hatte und anderes mehr. Don Sirio wollte sich über das Schanzkleid der Backbordseite beugen, um einen Blick auf das Boot zu werfen, aber es war bereits zu vernehmen, wie jemand an der Jakobsleiter aufenterte - sehr rasch. Der erste Offizier lächelte. „Unser Teniente kann es kaum abwarten, einen genauen Bericht zu geben. Por Dios, ich kann ihm nachfühlen, wie ihm zumute ist.“ Ein spanischer Helm schob sich über das Schanzkleid, ein Kopf erschien, dann ein Oberkörper mit dem unvermeidlichen Brustpanzer, und die Gestalt des Mannes schwang sich über das Schanzkleid. Don Sirio erkannte, daß dies weder der Teniente noch einer der anderen Soldaten war, denn die Gesichter der Männer wußte er genau auseinanderzuhalten. „Madre de Dios“, hauchte nun auch der erste Offizier. Und der Bootsmann griff mit einem üblen Fluch zur Pistole. Der Seewolf wollte sich sofort den Admiral greifen, wurde daran jedoch durch den Primero und den Bootsmann gehindert. Während Don Sirio entsetzt zurückwich, warfen sich diese beiden Männer dem Feind entgegen. Hasard verpaßte dem ersten Offizier einen Schwinger unter das Kinn, dann riß er sein
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linkes Bein hoch und hieb dem Bootsmann die Stiefelspitze gegen den Waffenarm. Der erste Offizier strauchelte und fiel. Hasard widmete sich dem Bootsmann, der die Pistole verloren hatte. Ehe der Mann seinen Säbel zücken konnte, schmetterte Hasard ihm die Handkante gegen den Kopf, wie er es bei Sun Lo, dem Mönch von Formosa, gelernt hatte. Diese Art Kampfmethoden wandte er nur an, wenn es unbedingt nötig war, denn Sun Lo hatte ihm ans Herz gelegt, keinen Mißbrauch damit zu treiben. Aber in diesem Fall war es durchaus gerechtfertigt, daß er sich mit „chinesischem Boxen“ Luft verschaffte. Don Sirio taumelte rückwärts, fing sich und drehte sich zu seiner Mannschaft um, die noch wie benommen dastand. Hinter Hasard kletterten Ferris Tucker, Big Old Shane, der Profos, Batuti und Smoky an Bord der andalusischer! Galeone. Smoky hatte Escolano gefesselt und auf einer Ducht des Bootes sitzen lassen. „Verrat!“ rief Don Sirio. „Schlagt diese Hunde zurück! Feuert!“ Die Soldaten hoben ihre Musketen. „Senor!“ brüllte der Ausguck. „Die ‚Santa Agata' steuert zu nah an uns heran. Wir ...“ „Zum Teufel mit der ‚Santa Agata'!“ schrie der Admiral. Er zog seine Pistole. die er nach der Auseinandersetzung mit den Meuterern selbstverständlich hatte nachladen lassen. Er spannte“ den Hahn und legte auf Hasard an, auf diesen schwarzhaarigen Teufel, der wie ein Besessener über die Kuhl fegte und mit Händen und Füßen brettharte Hiebe und Tritte austeilte. Carberry hatte zwei spanische Decksleute niedergeschlagen und war jetzt an einer Nagelbank angelangt. Er riß zwei Belegnägel heraus, schwang sie und warf sie auf den Admiral. Der erste sauste an Don Sirio vorbei und traf den Helm eines Soldaten, daß es nur so schepperte, der zweite Koffeynagel erwischte den Admiral am Kopf. Don Sirio stöhnte, ließ die Pistole langsam sinken und hatte plötzlich nicht mehr die Kraft, den Abzug zu betätigen. Er streckte
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sich mit schmerzendem Kopf auf den Planken aus und verlor die Pistole aus den Fingern, wurde aber nicht ohnmächtig. Die „Isabella“ war ein bizarrer Schatten, der aus der Dunkelheit hervorwuchs und anluvend längsseits der „Inmaculada“ ging. Plötzlich war die Nacht von einem seltsamen Surren erfüllt - es war das Geräusch der Enterhaken, die von den Seewölfen gewirbelt wurden. Bedrohlich nah war die „Isabella“ ihrem Gegner, und dann flogen die Enterhaken. Sie krallten sich hinter das -Schanzkleid der „Inmaculada“, die Distanz zwischen den beiden Schiffen schrumpfte auf ein Nichts zusammen. Trotz der von Ben Brighton vorsorglich ausgebrachten Fender lief eine Erschütterung durch beide Galeonen. Den Ausguck der Spanier riß es fast aus dem Großmars. Er schrie auf, fing sich dann aber wieder und riß seine Pistole aus dem Gurt, um damit auf einen dieser „Bastardos“ zu feuern, die unten auf der Kuhl seines Schiffes wüteten. Die Seewölfe enterten. Sie taten es in gespenstisch anmutender Stille. Kein Kampfgebrüll, kein „Arwenack“ ertönte, die Männer handelten getreu des Befehls, keinen Lärm zu verursachen. Die Soldaten und Decksleute des andalusischen Flaggschiffes waren entsetzt und irritiert. Sie begannen, sich zu verzetteln. Keinem gelang es, die Muskete oder die Pistole abzufeuern - diese Fremden waren einfach zu schnell. Shane und Batuti verzichteten darauf, Pfeil und Bogen zu benutzen. Sie droschen mit mitgebrachten Knüppeln auf die Gegner ein. Carberry verfeuerte die letzten Belegnägel. Ferris und Shane trieben eine Bresche in die Menge der Gegner, indem sie nach der auf Formosa erlernten Weise „boxten“. Sie arbeiteten sich bis zu den von der anderen Schiffsseite anrückenden Kameraden vor. Ein paar Soldaten brachten doch noch ihre Musketen in Anschlag, aber sie wagten nicht, zu schießen, weil sie in dem Getümmel ihre Kameraden gefährdeten.
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Unschlüssig standen sie da - und dann waren die Seewölfe auch schon heran. Eine handfeste Keilerei nahm ihren Lauf. Der Ausguck im Großmars hatte sich Hasard als Ziel ausgesucht. Im Schein der Schiffslaternen konnte er seine Gestalt gerade gut genug erkennen. Als Hasard vor der Gestalt von Don Sirio verharrte, wollte der Ausguck abdrücken. Aber plötzlich flatterte ihm etwas Buntes ums Gesicht, etwas, das ganz fürchterlich auf englisch und auf spanisch fluchte und obendrein auch noch mit einem kräftigen, gebogenen Schnabel loshackte. Daß es ein Vogel war, begriff der Spanier noch - daß es sich jedoch um einen Aracanga handelte, der von Carberry auf den Namen Sir John getauft worden war, sollte er nie erfahren. Drüben in den Hauptwanten der „Isabella“ hing ein schwarzer Kamerad, der im Gefecht zum Verbündeten des sonst von ihm mit Eifersüchteleien bedachten Sir John wurde. Arwenack, der Schimpanse! Der Affe schwang einen Belegnagel. beförderte ihn mit Elan durch die Luft zum Großmars des Gegners hinüber -und er traf auch. Gurgelnd sank der Spanier zusammen. Die Pistole entglitt seinen Fingern, sauste in die Tiefe und knallte einem Soldaten auf den Helm. Arwenack bleckte die Zähne, keckerte und klatschte begeistert in die Vorderpfoten. „Affenärsche und Rübenschweine“, krakeelte Sir John. Dann segelte er in tiefere Regionen, zu neuen Taten bereit. Auf dem Deck des stolzen Andalusiers gab es aber nicht mehr viel zu tun. Da hatten die Seewölfe ganz erheblich „aufgeräumt“, da zogen sich die letzten Soldaten und Decksleute von Don Sirio in Richtung Vordeck zurück, da führte der Seewolf persönlich jetzt die Entscheidung herbei. Don Sirio wälzte sich zwar auf die Seite, rappelte sich dann auch noch auf. Aber den Stoßdegen konnte er nicht mehr ziehen. Hasard war bei ihm, packte ihn von hinten und hielt ihm das Messer an die Gurgel. „Die Flagge streichen, Almirante“, sagte er. „Es hat keinen Zweck mehr, du bist endgültig verloren.“
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„Wer - wer bist du?“ „Ach, niemand von Bedeutung“, erwiderte Hasard mit schiefem Lächeln. „Einige nennen mich El Lobe del Mar - den Seewolf.“ „Der Seewolf“, wiederholte Don Sirio de Alfas stammelnd. „Und das -das mir ....“ „Sag deinen Männern, sie sollen ihre Waffen wegwerfen“, forderte Hasard seinen Gefangenen auf. „Und zwar höllisch schnell, sonst geht es dir schlecht, mein Freund.“ Don Sirio befolgte diesen Befehl. Seine letzten kampffähigen Männer hielten inne und richteten ihre erschütterten Blicke auf ihren gescheiterten Admiral und auf diesen schwarzhaarigen Draufgänger, der ihn mit dem Messer in der Faust festhielt. Sie ließen die Musketen und Pistolen. die Säbel und Degen fallen. Danach hoben sie die Hände. „Sehr schön“, sagte Hasard. „Ferris, Shane, Ed, ihr anderen - sammelt bitte die Waffen ein und fesselt unsere Freunde.“ „Aye, aye, Sir“, sagte der Profos grinsend. „Nichts lieber als das.“ „Lobo del Mar“, preßte der Admiral hervor. „Wir haben Tote und Verletzte im Vorschiff untergebracht. Ich appelliere an dein Gewissen. Verschone die verwundeten Männer, habe Respekt vor den Toten, die im Kampf gegen Meuterer gefallen sind.“ „Almirante“, entgegnete Hasard. „Darauf hast du mein Ehrenwort.“ „Danke.“ „Nicht dafür. Ihr könnt eure Toten und Verletzten mit an Land nehmen, wenn wir euch aussetzen.“ . „Du willst mein Schiff — als Prise?“ „Du hast es erfaßt, Senor.“ „Wir haben keine Ladung“, erwiderte Don Sirio. „Dies ist ein Kriegssegler.“ „Die Admiralitäts-Galeone der Andalusier, die acht andere Schiffe als Flaggschiff anführt“, vervollständigte Hasard. „Ich bin über alles informiert. Wie lautet dein Auftrag, Almirante? Du. willst doch nach Cadiz, oder?“ „Darüber gebe ich keine Auskunft. Du kannst mich foltern, aber ich werde die
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größten Schmerzen ertragen und sterben, ohne ein Wort zu verraten.“ Hasard glaubte es ihm. Er hatte einen stolzen und mutigen Mann vor sich, den er keinesfalls unterschätzte. Aber Escolano hatte ausgeplaudert, welche Vermutungen er hatte, und auch die Wahrsagerin erwähnt, die ihn vor Cadiz gewarnt hatte. „In Cadiz erscheinen bald die Engländer“, sagte Hasard dem Admiral auf den Kopf zu, obwohl er es nicht genau wußte und sich auf bloße Vermutungen nicht verlassen mochte. „Ich bin auch ein Engländer, Amigo, und deshalb werde ich dein Prachtschiff benutzen, um Cadiz in Schutt und Asche zu legen.“ Das saß. Don Sirio glaubte, den Verstand zu verlieren. Ohnmächtig vor Wut schloß er die Augen, öffnete sie dann wieder und antwortete mit brüchiger Stimme: „Ich glaube dir nicht. Und mein Auftrag lautet anders.“ „Wirklich? Nun, wir werden ja sehen.“ Hasard wandte den Kopf, denn er hatte eine Bewegung auf der Back der „Isabella“ wahrgenommen. Tatsächlich —er sah gerade noch, wie ein paar Gestalten zusammensanken und Matt, Jeff und Luke sich grinsend aufrichteten. Matt Davies rief: „Alles in Ordnung. Sir.“ „Was war denn los, Matt?“, „Diese Himmelhunde dachten, sie könnten uns überwältigen. Sie nahmen wohl an, der Moment wäre günstig, und sie könnten sich die ‚Isabella' unter den Nagel reißen.“ „Weit gefehlt“. sagte Luke Morgan lachend. „Wir haben ihnen die Pistolenkolben über die Schädel gezogen. Die werden ganz schöne Kopfschmerzen haben, wenn sie aufwachen.“ Hasard nickte und ließ seinen Blick über das Oberdeck der „Inmaculada“ wandern. Ja, dies war ein prächtiges Schiff, das mußte den Spaniern der Neid lassen. Wenn die „Isabella“ auch nach fortschrittlicheren Konzeptionen gebaut worden war als diese Galeone, wenn sie auch hundertmal ihre hohen Masten, ihre' sehr flachen Kastelle und alles in allem eine größere Manövrierfähigkeit hatte — Hasard konnte
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nicht umhin, die „Virgen Inmaculada“ zu bestaunen. Ihre Kuhl war mehr als doppelt so groß, verglichen mit der Kuhl der „Isabella“. Das Achterdeck und sogar das Vordeck waren so geräumig, daß Hasards komplette Crew darauf bequem Platz fand. Und dann die Geschütze — allein vierzig waren es auf dem Oberdeck. Hinzuzählen mußte man jene, die sich auf dem unteren Batteriedeck befanden. Hasard hatte keinen Zweifel mehr daran, daß es ebenfalls vierzig waren. Eine Galeone mit achtzig Kanonen! Keins dieser Geschütze schien ein geringeres Kaliber zu haben als der bewährte 17Pfünder! Hasard hielt sich bildhaft vor Augen, was für eine Festung zur See dieses Schiff in einer Schlacht sein mußte. Für Augenblicke war er versucht, die „Inmaculada“ mit einem Prisenkommando zu bemannen und bis nach England hinauf mitzunehmen. Der Wert dieses Dreimasters war immens, er würde eine echte Bereicherung der englischen Flotte darstellen. Aber dann sagte er sich auch, daß er nicht genügend Männer zur Verfügung hatte. um die „Isabella“ und die „Inmaculada“ gemeinsam auf diesen Törn zu schicken. Zweiundzwanzig Männer fuhren auf der „Isabella“, die Zwillinge Philip und Hasard natürlich nicht mitgerechnet. Höchstens die Hälfte seiner Crew konnte Hasard entbehren —aber elf Mann waren nicht genug, um ein Schiff wie die „Inmaculada“ zu segeln. Trotzdem, wenn er auch auf die Prise verzichten mußte, wollte er Don Sirio de Alfas doch wenigstens im ungewissen darüber lassen, was mit seinem „Rieseneimer“ geschah. Hasards Männer hatten die Spanier gefesselt. Ferris und Ben traten auf ihren Kapitän zu. „Sir“, sagte Ben Brighton. „Wir können jetzt das zweite Beiboot vom Ufer herüberholen. Außerdem hat die Galeone ein drittes Boot, so daß ich annehme, eine einzige Tour genügt, um die komplette Besatzung an Land zu befördern.“
Die Galeone des Admirals
„Ja“, erwiderte der Seewolf. Er ließ Don Sirio los, drehte ihn um, daß sie sich in die Augen blickten und sagte: „Senor Almirante, der Augenblick des Abschieds ist gekommen. Es tut mir aufrichtig leid, daß wir uns trennen müssen, aber das läßt sich nun mal nicht anders einrichten.“ „Ich warte auf den Rest des Verbandes“, sagte der Admiral zornbebend. „Ich werde dich hetzen, bis ich dich stellen und im Gefecht vernichten kann.“ Hasards Züge verhärteten sich. „Don Sirio, du solltest froh darüber sein, daß ich dich und deine Leute mit Nachsicht behandle. Aber auf deine Dankbarkeit kann ich wohl nicht hoffen.“ „Nein“, entgegnete der Admiral aus Andalusien. Hasard hob die Schultern und ließ sie wieder sinken. „Keiner kann eben aus seiner Haut heraus. Das gilt für jeden von uns. Wenn wir uns noch einmal begegnen, Almirante, werde ich keine Rücksicht nehmen.“ * Hasard hätte die „Inmaculada“ vor der Küste versenken können, aber er bemannte sie doch mit einem Prisenkommando und ließ nach Mitternacht die Anker lichten. In trautem Einvernehmen segelten die „Isabella“ und das Flaggschiff der Andalusier am Wind mit nordwestlichem Kurs in die Nacht davon. Das Fischerboot hatte der Seewolf auch mitnehmen lassen, es war auf dem Achterdeck der „Isabella“ festgezurrt. Eigentlich hätte er allen Grund gehabt, Esculano. Galindo, Chenche und Alberto zum Teufel zu jagen, zumal die drei Meuterer auf dem Vordeck der „Isabella“ einen Überrumpelungsversuch unternommen hatten. Aber er ließ wieder das Gebot der Fairneß obenan stehen. Als die „Isabella“ und die „Inmaculada“ auf Hasards Befehl hin im Morgengrauen fern der spanischen Küste verhielten, ließ der Seewolf das einmastige Fischerboot abfieren und entließ die vier Meuterer.
Roy Palmer
Seewölfe 153 44
„Ein bißchen Proviant befindet sich an Bord des Bootes“, sagte er zu Escolano, bevor dieser als letzter abenterte. „Ihr könnt segeln, bis ihr die Azoren oder irgendwelche anderen Inseln erreicht. Ihr schafft es.“ „Du willst mir die ,Inmaculada' wirklich nicht überlassen?“ fragte der Gitano noch einmal. „Niemals.“ „Eines Tages geht es auch mit dir zu Ende“, zischte der schwarzhaarige Mann. Damit verschwand er außenbords. Carberry wollte wutentbrannt hinter ihm her, aber Hasard bremste ihn durch eine Geste. „Das ist nun der Dank dieses Rübenschweins“. brauste der Profos auf. „Was bildet der sich eigentlich ein? Wie kommt der bloß darauf, wir könnten ihm die Galeone überlassen?“ „Nachdem wir den Posten an Land überwältigt hatten, hat er mir im Boot diesen Vorschlag gemacht“, erklärte Hasard. „Mit dem Fischerboot wollte er sich plötzlich nicht mehr zufriedengeben. Escolano pochte darauf, daß erst er mir die Möglichkeit gegeben hätte, das Flaggschiff der Andalusier zu entern. Ich habe sein Angebot aber abgelehnt und ihn daraufhin fesseln und knebeln lassen.“ „Damit hast du den Stolz eines Gitanos verletzt“, sagte Ben Brighton. Carberry blickte sie verständnislos an. „Aus diesen elenden Dons wird nicht mal der Teufel schlau“, brummte er. „Aber wenn die vier Halunken nicht schleunigst sehen, daß sie sich verholen, werfe ich ihnen noch eine Höllenflasche ins Boot, das schwöre ich.“ „Ed, das tust du nicht“, sagte der Seewolf. „Das ist ein Befehl.“ „Aye, Sir“, sagte der Narbenmann. Das Fischerboot segelte wirklich davon. Die vier Amotinados blickten sich nicht mehr nach den Seewölfen um. Von der „Inmaculada“ löste sich die letzte Jolle, die als Beiboot an Bord verblieben war. Ben, Ferris und die acht anderen Männer, die das Prisenkommando gestellt hatten, saßen darin.
Die Galeone des Admirals
Ferris Tucker richtete sich von seiner Ducht auf, legte die Hände als Schalltrichter an den Mund und rief: „Alles in Ordnung, Sir, wir haben den Kahn tüchtig angebohrt!“ Minuten darauf befand sich wieder die vollzählige Crew an Bord der „Isabella“. Hasard ließ die Segel setzen, sein Schiff nahm Fahrt auf und ließ die langsam sinkende „Virgen Inmaculada“ hinter sich zurück. Hasard blickte achteraus. Die Galeone der Andalusier krängte jetzt stark nach Backbord. Bald würden ihre unteren Räume so hoch mit Wasser gefüllt sein, daß sie entweder kenterte oder den Bug oder das Heck aus den Fluten hob — und dann dauerte es nicht mehr lange, und sie verschwand ganz in der See. „Eigentlich tut es mir in der Seele weh, das schöne Schiff zu versenken“, sagte Hasard zu seinen Männern auf dem Achterdeck. „Aber ich habe keine andere Wahl.“ „Was wird Don Sirio deiner Meinung nach tun?“ fragte Big Old Shane. „Er Wird, sobald er die Möglichkeit dazu hat, nach seinem Schiff suchen. Er glaubt nicht, daß wir es versenkt haben. So versucht er. uns zu hetzen und uns die ,Inmaculada' wieder abzujagen.“ „Da kann er lange durch die Gegend segeln“, sagte Ben Brighton. „Wir nehmen jetzt doch direkten Kurs auf Cabo de Sao Vicente. nicht wahr?“ „Ja. Don Sirio de Alfas wird viel Zeit verlieren - wertvolle Zeit, schätze ich.“ * Endlich, am Vormittag dieses Tages, trafen die sieben Kriegsgaleonen des andalusischen Verbandes an der Mündung des Rio Barbate ein. Wo das achte Schiff sich befand, war immer noch ein Rätsel, auch die Kapitäne der sieben Dreimaster wußten es nicht. Eine Ironie des Schicksals war es. daß ausgerechnet die „Santa Agata“ unter Capitan Villena als erstes Schiff am Ort des Geschehens eintraf.
Roy Palmer
Seewölfe 153 45
Die Nachricht. daß an Bord der „Inmaculada“ eine Meuterei stattgefunden hätte und das große Schiff dann entführt worden wäre, hatte sich an Land rasch herumgesprochen. Bauern und Fischer waren zusammengelaufen, Fischer in Schaluppen und Booten hatten die „Santa Agata“ als erste gesichtet und ihr Zeichen gegeben. Während die übrigen sechs Galeonen nach und nach eintrafen. ließ Kapitän Villena ankern und ging an Land. Er trat auf Don Sirio de Alfas zu, einen abgekämpften, verbiesterten Mann mit tiefen Schatten unter den Augen, der sich in diesem Moment aus der Gruppe seiner Offiziere löste. Die erste Frage, die Villena seinem Admiral stellte, lautete: „Senor Almirante, wo ist Ihr Schiff?“
Die Galeone des Admirals
„Senor“, sagte Don Sirio mühsam beherrscht. „Einem englischen Bastardo ist es durch einen gemeinen Trick gelungen, mir die ,Inmaculada' wegzunehmen.“ „Und wo steckt sie jetzt?“ „Capitan!“ schrie der Admiral. „Wenn ich das wüßte. wäre ich schon ein gewaltiges Stück weiter. Sie nehmen mich jetzt an Bord der ,Santa Agata', verstanden? Und dann suchen wir die Hunde, notfalls bis zum Ende der Welt, kapiert?“ „Si, Senor“, stammelte Villena. Weder de Alfas noch Villena ahnten, daß sie noch Tage nach dem Verbleibs der „Inmaculada“ forschen sollten — und daß sie dadurch den Anschluß an das verloren, weswegen sie schleunigst nach Cadiz beordert worden waren ...
ENDE