Arno Zoller Band 9
Die Falle im Kosmos Der Abgrund öffnet sich vor der Erde. Die gigantischen Flotten der Laktonen und...
33 downloads
1488 Views
590KB Size
Report
This content was uploaded by our users and we assume good faith they have the permission to share this book. If you own the copyright to this book and it is wrongfully on our website, we offer a simple DMCA procedure to remove your content from our site. Start by pressing the button below!
Report copyright / DMCA form
Arno Zoller Band 9
Die Falle im Kosmos Der Abgrund öffnet sich vor der Erde. Die gigantischen Flotten der Laktonen und der Orathonen prallen in dem kleinen Raum des SolSystems aufeinander. Diese eine Schlacht kann den fast fünftausendjährigen galaktischen Krieg entscheiden. Gelingt es der orathonischen Flotte unter der Leitung von Sigam Agelon, die Laktonen über Terra zu schlagen, dann ist Lakton so geschwächt, daß es dem Moloch Orathon vollends zum Opfer fallen muß! In einer solchen Situation, in der es um das Schicksal eines unvorstellbar großen galaktischen Reiches geht, denkt niemand daran, sich Sorgen um die Erde zu machen. Rex Corda steht allein zwischen den kämpfenden Riesen. Er wirft sich mit ganzer Energie in den Kampf, um den Laktonen von der Erde aus zu helfen. Kann aber die Kraft eines einzelnen Mannes ausreichen, die machtvollen Orathonen zu schwächen? Fast sieht es so aus. Rex Corda hat keine Wahl. Wenn die Erde leben soll, dann müssen die Laktonen siegen. Auch Lakton weiß, was die Stunde geschlagen hat. Es schickt einen Mann an die Front, der die Laktonen in einen Begeisterungstaumel versetzt. Seine Persönlichkeit reißt die erschöpften Männer mit. Aber Jakto Javan geht es nicht nur um das Schicksal Laktons. Er weiß, daß Sigam Agelon der Herr über die orathonische Flotte ist. Diesen Gegner zu besiegen, bedeutet ihm noch mehr als das Schicksal des laktonischen Reiches! Jakto Javan kennt die Erde nicht. Terra ist für ihn irgendein Planet unter vielen Tausenden, die er gesehen hat. Der Schento Javan wird die Erde opfern, wenn er dadurch einen Sieg über Sigam Agelon erringen kann! Nur ein Mann tritt ihm entgegen, entschlossen die Erde zu retten - Rex Corda. Doch auch er gerät in „Die Falle im Kosmos". Terras Chance wird unendlich klein. Die wichtigsten Personen: Rex Corda . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Präsident der Vereinigten Staaten Sigam Agelon . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Oberbefehlshaber der Orathonen Jakto Javan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Laktonischer Führer Bekoval . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Laktone und Freund Rex Cordas
Die Schwärze des Weltraumes klaffte auseinander und gebar eine feurige Blume. Lichtpunkte blitzten auf, wurden zu langen gleißenden Linien und bohrten sich in den todwunden Koloß. Das laktonische Raumschiff der Trakon-Klasse brach langsam in zwei Hälften auseinander. Im letzten Drittel des größeren Bruchstücks glühte es weiß auf. Dann fetzten unzählige Splitter durch den Weltraum, mikroskopisch kleine Partikel bis zu Bruchstücken in der Größe eines zweistöckigen Hauses, Metallplatten, zerrissene Verstrebungen, Maschinenteile, seltsam verformte Ausrüstungsgegenstände und etwas, das lebte und mit Armen und Beinen um sich schlug, während es durch den Raum geschleudert wurde. Ein Laktone. Verzweifelt versuchte Vandour, mit Hilfe seiner Steuerdüsen, die sich auf dem Rücken seines Raumanzugs befanden, die kreiselnde Bewegung auszuschalten. Um ihn schienen die Sterne seltsame elliptische Bewegungen zu machen, die Strahlenbahnen der Raumminen waren zu unmöglich gekrümmten Linien verformt, und ein blaugrüner Planet schien einen hektischen Tanz um ein großes, gezacktes Splitterstück zu vollführen. Erst langsam erholte er sich von seinem Schock. Dann begriff Vandour, daß er sich rasend schnell von der Erde entfernte. Er versuchte, die aufsteigende Panik niederzukämpfen. Dann gelang es ihm, mit einigen hart dosierten Stößen die Kreiselbewegung auszugleichen. Das Pendeln der Arme und Beine, das vollkommen unbewußt geschehen war, hörte auf. Die Sterne wurden zu Punkten, die Erde zu einem Ball. Der Mars stand als dunkelrot glimmende Kugel vor ihm; die Venus war nicht zu sehen. Durch eine Bewegung seines Kopfes schaltete Vandour die Funkanlage ein.
Gleichzeitig versuchte er sich zu drehen, um mit seinen Düsen den rasenden Sturz zu stoppen. Unvermittelt setzte das Knacken ein. Vandour verzog schmerzhaft seinen Mund. Es dröhnte in der engen Kapsel des Raumhelms. Dann setzte ein unregelmäßiges Brummen ein, das die Metallteile des Raumanzugs vibrieren ließ. Vandour betätigte den Regler, aber die Lautstärke nahm nicht ab. Das Gerät mußte bei der Explosion des Schiffes beschädigt worden sein. Der Laktone wollte abschalten, um sich ganz der schwierigen Aufgabe widmen zu können, seinen rasenden Sturz zu stoppen, als die fremden Laute einsetzten. Orathonische Kommandos, verzerrt, aber eindeutig zu erkennen! Vandour blickte sich um. Der Mars hatte sich um ein Drittel seines scheinbaren Radius vergrößert. Dann wischte etwas dunkel über die rote Scheibe des Planeten, und Vandour zuckte zusammen. Mehr als er sie sah, konnte er die ungeheure Masse des orathonischen Hantelraumers ahnen. Und er raste direkt darauf zu. Jetzt die Düsen in Aktion zu bringen, war Wahnsinn. Die Energiedetektoren würden ihn im Bruchteil einer Sekunde geortet haben, und seine winzige Chance, zu überleben, war dahin. Wieder füllte unerträglicher Lärm die enge Kapsel des Raumhelms. Unaufhörlich bellte die harte orathonische Stimme ihre Befehle. Vandour begriff jetzt, daß er sich innerhalb des Bereichs der Bordsprechanlage des riesigen Hantelraumers befand. Die Stimme dröhnte. Störgeräusche zerhackten sie in ein mißtönendes Stakkato. Jetzt konnte der Laktone einzelne Worte verstehen. Er war nur ein einfacher Maschinist auf dem überschweren Trakonraumer gewesen, aber die
Kenntnis der orathonischen Sprache gehörte zu seiner Grundausbildung. In diesem gigantischen Krieg der beiden feindlichen Sternenreiche, der schon Jahrhunderte tobte, wurde die Sprache des Feindes den Kindern bereits eingehämmert. „Maschinenraum . . . Retraktion vorbereiten . . . Planquadrat 491-32, sekundärer Körper 3 Strich . . . keine Hyperfahrt . . . keine Hyperfahrt. . .!" Die eine Kugel des Hantelraumers wurde zu einer steilaufragenden dunklen Wand. Im Dämmerlicht der Sterne — die Sonne stand jetzt auf der anderen Seite — tauchten rote Schriftzeichen auf. Die Wandung dieses Kolosses schimmerte in kaltem Blau. Offenbar handelte es sich um einen Hantelraumer der Dorr-Klasse. Die Kugelwandung verdeckte die Sterne und die Planeten. Vandour schloß die Augen, als das lähmende Entsetzen ihn übermannte. In den nächsten Sekunden mußte er auf die Kugelwandung aufprallen, dachte er. Aber er wußte, daß es falsch war. Zuvor würde ihn der Schutzschirm in Atome zerblasen. Immer noch hatte der Laktone die Augen geschlossen. Er war alles andere als ein Feigling, aber es war einfach zuviel für ihn. Etwas in ihm zählte mechanisch die Sekunden, aber dieses Etwas war kalt und fremd, registrierte gleichzeitig die Todesfurcht, die kreatürliche Panik und das Zittern der Gliedmaßen. Und dieses Etwas hielt unauslöschlich in sich die zufällig aufgefangene Nachricht des orathonischen Kreuzers: „Retraktion . . . Planquadrat 492-32, sekundärer Körper 3 Strich l . . . keine Hyperfahrt", aber davon wußte Vandour nichts . . . Der Laktone riß die Augen auf. Der Hantelraumer hatte einen überraschenden Sprung getan und stand etwa drei Kilometer entfernt, in der Richtung des
System-Zentrums. Vandour atmete auf. Schlagartig war die Panik gewichen. Er versuchte, klar zu denken. Bitter erkannte er, daß sein Tod unausbleiblich sein mußte. Die Energie seiner Hilfsdüsen war nahezu erschöpft. Vielleicht konnte er seinen Fall stoppen, aber eine Rückkehr war unmöglich. Der Sauerstoff würde nie ausreichen. Oder er würde zuvor wahnsinnig werden. So oder so, es gab kein Entkommen, keine Rettung. Denn auch die Energie seines kleinen Senders war begrenzt; seine schwachen Hilferufe würden ungehört verhallen. Während Vandour hilflos durch den Raum trieb, wünschte er es fast, Minuten zuvor in den Energieschirmen des Hantelraumers einen schnellen Tod gefunden zu haben. Nichts konnte ihn retten. Oder gab es doch eine Hoffnung? Verzweifelt aktivierte Vandour das Relais, das bis zu seinem Tod den Notruf durch den Weltraum senden würde . . . * Es war die Stille, die alles gespenstisch erscheinen ließ. Die Kommandos kamen fast im Flüsterton, die Antworten waren kurz, trocken, leise. Das sanfte Brummen der Konverter, das Summen der Computer, das gedämpfte Anschwellen der Neutralisatoren waren ein Bestandteil der Stille geworden; niemand nahm diese Geräusche wahr. Scheinbar entspannt saß Jakto Javan vor dem Bildschirm, der eine ganze Front des großen Kommandoraums einnahm. Aber wer diesen Mann des laktonischen Imperiums kannte, der wußte, daß alles in ihm auf den Kampf konzentriert war. Doch nichts verriet sich davon in seinem Äußeren. Seine Ruhe strahlte auf die anderen Besatzungsmitglieder des Pithonraumers ab. Man wußte, daß dieser Mann blitzschnell seine Entscheidungen treffen konnte.
Jakto Javan war einer der vier Schentonen, die direkt unter dem SCHENNA, dem als Gott verehrten Führer des Laktonenreiches, standen. Seine persönliche Ansprache hatte die Wende in dieser Schlacht herbeigeführt, die vielleicht zum Schicksal der beiden Sternenreiche werden konnte. Nur zufällig wurde diese gigantische Schlacht innerhalb des Sol-Systems ausgetragen. Während Jakto Javan seine Kommandos mit ruhiger, beherrschter Stimme gab, verschwendete er keinen Gedanken an die Bewohner des einzigen bewohnten Planeten dieses Systems: an die Terraner. Wozu auch? Für ihn waren die Menschen nur eine Rasse unter Tausenden, ein Staubkorn unter Tausenden von Staubkörnern . . . Eine scharfe weiße Flamme schlug gegen die Schutzschirme des Laktonen-kreuzers. Eine geschlossene Phalanx von zwanzig leichten orathonischen Diskusraumern drang auf den laktonischen Giganten ein, der sich aus der Richtung des Jupiters näherte. Ein leichtes Lächeln umspielte die harten Lippen des laktonischen Flottenkommandanten, als er seine Befehle gab. „Waffenleitzentrale A-Feuer!" Dann kam der Befehl an den Piloten. Sofort tauchte der Raumer nach links. Seine gigantische Masse schnellte an einer Energiekugel vorbei, die das konzentrierte Feuer von fünf schweren Diskusraumern markierte. Aber während ein Diskus verglühend zerfiel, prallte ein Energiestoß der Orathonen am Schirm ab und ließ die Generatoren aufbrummen. Wieder spuckten die Waffenkugeln die Raumtorpedos gegen den Feind. Jakto Javan hob nur unmerklich die Stimme, als er befahl: ,,'Silent Mary' einsetzen!" Sofort fütterte ein Offizier den Computer. Der Lochstreifen ging direkt an
die Feuerleitzentrale. Der Raumgigant ändertes den Kurs. Um das Schiff herum explodierten die Raumminen. Die Schutzschirme glühten unter dem massiven Angriff auf. Aber sie hielten dem schweren Beschuß stand. Der Hauptholograf war eine tosende, dreidimensionale Hölle explodierender Super-Granaten. Immer noch war es verhältsnismäßig still im Kommandoraum. Die jäh aufblitzenden Lichterscheinungen warfen Reflexe auf die angespannten Gesichter der Laktonen. Dann erschütterte ein schweres Rollen das laktonische Raumschiff. Den Namen 'Silent Mary' — Stille Marie — hatte ein terranischer Spaßvogel in einem Anflug von grimmigem Humor geprägt. Die 'Silent Mary' war alles andere als still! Doch der Witz kam an. Die Laktonen behielten diesen Namen bei. Über die gesamte Länge des raketenförmigen Laktonen-Kreuzers schnellten die Waffenkugeln mit den gigantischen Raumtorpedos. Diesen Waffen konnten die Schutzschirme der orathonischen Diskusraumer keinen Widerstand entgegensetzen. Das kreischende Rollen verstärkte sich. Der Boden der Kommandozentrale bebte. Gleichzeitig heulten die Antriebsaggregate auf, die von der Automatik aktiviert wurden. Selbst bei einem Pithonraumer, der eine Länge von 4060 Meter hatte, konnte die Wucht des Abschusses eines 'Silent-Mary"Torpedos nicht kompensiert werden. Ein Ruck ging durch das Schiff, die Geschosse hatten sich von den Waffenkuppeln gelöst. Mit wachen Augen, dennoch scheinbar entspannt, beobachtete Jakto Javan das Kampfgeschehen. Dann riß es auch ihn von seinem Andrucksessel. Die Torpedos hatten eine feurige Lücke in die Front der orathonischen Diskusraumer gerissen. Zwei barsten
unter dem vernichtenden Anprall der mächtigen Geschosse auseinander; drei weitere taumelten, anscheinend flugunfähig, durch den Raum. Die Diskusraumer zogen sich zurück, aber dafür näherten sich drei Hantelraumer der Alakin-Klasse. Die schweren Hantelraumer hatten sich aus ihrem Verband in der Nähe des Mars gelöst und schossen heran. Die rote Beschriftung der Kugeln mit einem Durchmesser von 400 Metern schimmerte bösartig. Jakto Javan konnte mit einer einzigen Anweisung Dutzende von gleichstarken Schiffen um sich versammeln, aber ihn hatte das Kampffieber gepakt. „Zero-Strahler!" befahl er kurz. Die Feuerleitoffiziere wußten, was sie zu tun hatten. Der Zero-Strahler, auch im Jargon „Gladiator" genannt, warf ein Plastikgespinst mit Tausenden von kleinen, aber ungemein leistungsfähigen Energiekondensatoren in den Weltraum. Natürlich bildete das Netz keinen ernsthaften Widerstand, wenn die feindlichen Raumgiganten hindurchbrachen; genau genommen war es nicht zu spüren, aber die Kondensatoren saugten die Energie der Strahlstöße auf. Den Rest besorgten die Schutzschirme des laktonischen Schlachtschiffes. Die ersten Feuerkugeln der Orathonen rollten heran. Aber ihre Energien verpufften in den Schutzschirmen. Doch die laktonischen Waffenkuppeln, die pausenlos die todbringenden Raumtorpedos ausstießen, waren mit dem Netz der Energieabsorbatoren gekoppelt. Nahezu tausend dieser Raumtorpedos schossen gegen den Feind. Die Automatik-Spürköpfe suchten sich ihr Ziel. Die Explosionsenergien waren groß genug, um die Schutzschirme der Diskusraumer zu durchschlagen, aber den Hantelraumern hätten die Geschosse nichts anhaben können, wenn nicht ihr Taumeleffekt
eine Phasenverschiebung der Schutzschirme herbeigeführt hätte. Tausende von Torpedos verpufften in den Schutzschirmen der orathonischen Schlachtschiffe, aber die nächsten Geschosse trafen auf geschwächte und überforderte Schirme. Weißglühend verging eine Kopfkugel des nächsten Hantelraumers. Das Schiff taumelte antriebslos durch den Raum, eine breite Bahn von zerfetzten Materieteilchen hinter sich ziehend. Jakto Javan lehnte sich in seinem Andrucksessel zurück, während er aufmerksam den Bildschirm beobachtete. Vor Sekunden war die Meldung durchgekommen, daß sich zwei weitere laktonische Kreuzer der Trakon-Klasse hinter ihm befanden. Das war der Grund, daß der zweite Orathon-Kreuzer abdrehte und das Weite suchte. Aber die Schlacht im gesamten Sonnensystem tobte weiter. In diesem Augenblick kam die Nachricht von der Hauptschleuse. „An Kommandant Jakto Javan. Überlebenden von Schlachtschiff Trakon 7187 aufgefangen!" * Aufatmend stand der Laktone Vandour vor dem obersten Flottenkommandanten. Er wußte, daß er einen der legendären Schentonen vor sich hatte, die den verehrten Schenna von Angesicht zu Angesicht gesehen hatten. Seine Ehrerbietung war grenzenlos. Nie zuvor hatte er einem derart mächtigen Mann gegenübergestanden. „Vandour, Herr!" meldete er. In Jakto Javans breitem Gesicht zuckte kein Muskel. Er sah mit einem Blick, daß dieser Mann schwer angeschlagen war, daß er unheimliche Strapazen mitgemacht haben mußte. Zugleich leuchtete auf seinem Pult ein grünes Licht auf. Jakto Javan wußte
Bescheid. „Sprechen Sie!" forderte er ihn auf. Plötzlich wußte Vandour nicht mehr, was er sagen wollte. Aber eine Stimme, die scheinbar fremd aus seinem Innern kam, gab die entsprechende Antwort. „Unser Schiff wurde zerschossen. Ich trug einen Raumanzug, weil ich eine Außenreparatur ausführen wollte. Was aus den anderen wurde, weiß ich nicht. . ." Eine ungeduldige Handbewegung Javans forderte ihn auf, fortzufahren. „Bei meinem Sturz durch den Raum kam ich in unmittelbare Nähe eines orathonischen Schlachtschiffes. Ich war so nahe daran, daß ich über die Bordsprechanlage mithören konnte. Es war nur ein Befehl: 'An Maschinenraum . . . Retraktion vorbereiten . . . Planquadrat 491-32, sekundärer Körper drei Strich eins . . . keine Hyperfahrt. . .!' Die letzte Anweisung wurde wiederholt!" Sofort ging die Mitteilung in den Computer. Aber Jakto Javan hatte bereits einen Entschluß gefaßt. Er wußte jetzt, was er zu tun hatte. Vandour wollte gehen. Aber ein Wink Jakto Javans hielt ihn zurück. „Wissen Sie, um welche Raumschiffs-Klasse es sich bei diesem Schiff gehandelt hat?" fragte Jakto Javan. Vandour versuchte sich daran zu erinnern. Fast wie einen körperlichen Schmerz spürte er den scharfen Blick des obersten Flottenkommandanten. Aber er konnte sich nicht erinnern. Die Müdigkeit zerrte an ihm. Plötzlich antwortete wieder die fremde Stimme in ihm. Teilnahmslos lauschte Vandour. „Es handelte sich offensichtlich um ein Schiff der Dorr-Klasse. Aber der Kugeldurchmesser war weitaus größer als normal. Rote Beschriftung . . . „Danke. Das genügt!" Mit einer Handbewegung entließ Jakto Javan den Laktonen. Die Gedanken wirbelten durch sein Hirn. Er
wußte, daß der Orathone Sigam Agelon die feindliche Flotte befehligte. Und das war auch der Grund, warum Jakto Javan persönlich an der Schlacht teilnahm. Er kämpfte hier gegen seinen Todfeind. Sigam Agelon war es gewesen, der seinen Sohn bestialisch ermorden ließ. Er mußte diesen Mann bekommen. Es war eine rein persönliche Rache, die Jakto Javan bewegen hatte, den Oberfehl der Flotte im Sol-System persönlich zu übernehmen. Er wollte seinen Todfeind in die Knie zwingen. Und es schien Sigam Agelons Schiff zu sein, das Vandour ausmachen konnte! Javans Stimme klang ruhig wie immer. „Sondereinsatz. Unter Befehl von Tumon Garlan!" Tumon Garlan war der Befehlshaber der laktonischen Flotte gewesen, bevor Jakto Javan eingetroffen war. „Sondereinsatz. Abkommandiert werden zwanzig Kreuzer, die Agelons Dorr-Raumer ausfindig machen sollen. Offensichtlich befindet sich dessen Kreuzer zwischen Mars-Bahn und Asteroidengürtel. Kein Angriff. Sofort Position durchgeben. Höchste Dringlichkeit!" * Der gigantische Raum hatte die Form einer Arena. Er war kreisrund, und Hunderte von Sitzreihen schraubten sich schräg nach oben. Hier auf Khara befand sich die orathonische Zentrale, in der das Kampfgeschehen von der FAMILIE verfolgt wurde. Tausende von Technikern arbeiteten an der gewaltigen Aufgabe, das Kampfgeschehen aus den verschiedensten Teilen des Spiralarms auf den Kugelschirm zu übertragen, der in der Mitte der Arena schwebte. Aber keiner dieser Techniker war zu sehen. Dafür glichen die zwanzig Stockwerke unterhalb der Arena einem quirlenden, von
hektischem Leben erfüllten Bienenstock. Kilometerlange Wände wurden von unzähligen Holografen eingenommen, auf denen die Einzelbilder erschienen. Mächtige Computerbänke koordinierten die einzelnen Bilder und fügten sie zu jenem lückenlosen Kugelsystem zusammen, das in einer Höhe von nahezu zehn Metern über dem Grund der Arena schwebte. Die Arena war bis auf den letzten Platz von Adligen besetzt. Eine prächtig ausgestattete Loge auf halber Höhe der ansteigenden Sitzreihen war allerdings noch leer. Diese Loge war für Moga Agelon, dem Oberhaupt der FAMILIE und uneingeschränkten Imperator des orathonischen Sternenreiches reserviert. Innerhalb der Loge, in gebührender Entfernung des Thronsessels, befanden sich kleinere Sitze, die für die nächsten Familienmitglieder sowie für die Hauptfrauen vorgesehen waren. Der Gravo-Lift schwebte auf einer schimmernden Säule modulierter Energie nach unten. Das Raunen im gigantischen Rund der Arena verstummte. Einzelne Lichter blitzten auf der Riesenkugel in der Mitte auf. Die Plattform war jetzt innerhalb der Loge angelangt. Moga Agelon, ein Mann, dessen energische Ausstrahlung fast körperlich spürbar war, nickte den Orathonen zu und nahm auf seinem Sessel Platz. Nacheinander kletterten einige hohe Adlige sowie einige Frauen von der Plattform und begaben sich zu ihren Sesseln. Moga Agelon winkte mit der rechten Hand. Das Licht wurde schwächer und wich einem sanften Dämmern. Die Riesenkugel wurde von einem samtenen Schwarz erfüllt. Dann blitzten Lichtpunkte auf. Sterne wurden zu verwaschenen Linien. Das Bild konzentrierte sich, wurde klarer. Ein einzelner, anfangs unbedeutender Stern wurde zu einer mattblitzenden kleinen Sonne.
Die Riesenkugel inmitten der gigantischen Arena lieferte jetzt ein genaues Abbild des Solaren Systems. Im Mittelpunkt stand jetzt Sol, der Außenrand der Kugel wurde von der Pluto-Bahn markiert. Im Sol-System tobte die Raumschlacht. Mit steinernem Gesicht verfolgte Moga Agelon das Zurückweichen seiner Flotte. Hinter ihm beugte sich Angus, ein hoher Adliger und zugleich ein Ratgeber des obersten Orathonen, vor. „Soeben kam eine Nachricht durch den Hyperraum. Sigam Agelon will. . ." „Ich weiß", knurrte Moga Agelon. „Es ist ein Risiko. Das ist Sigams letzte Bewährung. Er hat schon zuviel Chancen leichtfertig vertan!" „Er wird die Laktonen zerschmettern", murmelte Angus unterwürfig. „Hoffentlich", knurrte Moga Agelon kurz. Flüchtig blickte er auf die roten Lichtpunkte, die sich auf den Mittelpunkt des Sonnensystems zu bewegten. Sekunden später erhob sich seine Plattform auf der leuchtenden Energiesäule. Wie ein Mann standen sämtliche Orathonen in der Arena auf. Moga Agelon nahm es nicht zur Kenntnis. Als er verschwunden war, setzte man sich wieder. Jetzt brandete Stimmengewirr auf. Alle waren sich darüber im klaren, was es für Sigam Agelon bedeutete, diese wichtige Schlacht zu verlieren. Er befand sich auf einem Bewährungseinsatz. Als dritter Sohn des Moga hatte er sich innerhalb der FAMILIE schon zu sehr hervorgedrängt. Sein brennender Ehrgeiz und sein unstillbarer Machthunger hatten ihn zu eigenmächtigen Handlungen verleitet, die der Moga nicht billigen konnte. Auch unter den anderen Adligen hatte sich Sigam Agelon durch seine Arroganz viele Feinde geschaffen. Die FAMILIE befand sich im Zwiespalt. Man gönnte persönlich Sigam einen Mißerfolg,
wenn auch ein Sieg der Laktonen der FAMILIE unerträglich wäre. Durch die Schwärze des Kugelinnern huschten die grellen Strahlenbahnen der Energiekanonen. Der allgemeine Rückzug der Orathonen war unverkennbar. Immer wieder wurden winzige Punkte zu helleuchtenden und dann verglimmenden Miniatursonnen. Doch auch die Laktonen mußten empfindliche Verluste hinnehmen. Erregt beugte sich Lady Santarra vor. Ihre kunstvoll in Rot und Grün unterteilten Augenbrauen zogen sich in einem Ausdruck des Schmerzes zusammen. „Warum laßt ihr das zu?" wandte sie sich an Angus. Ihre Stimme zitterte. „Warum laßt ihr zu, daß Sigam unterliegt? Er ist ein großer Mann! Ihr dürft nicht. . ." Angus sah sie spöttisch an. Seine olivgrüne Gesichtshaut schien im Halbdunkel der Arena zu phosphoreszieren. Sein Blick wanderte über den fließenden roten Stoff ihres Umhangs, der den grazilen Körper umschloß, und blieb auf der rechten Hand der Lady hängen, die auf der Armlehne ihres Thrones lag. Ein haselnußgroßer Stein zierte den kleinen Finger der Frau. Angeblich ein Geschenk des Moga. Aber Gerüchte bei Hof wollten etwas anderes wissen. Der Ring kam von der Erde, und Angus erinnerte sich sogar an den Namen des Steines, ein Diamant. Santarra war eine der Lieblingsfrauen des Moga, deshalb bequemte sich Angus zu einer Antwort. „Sigam wird nicht unterliegen. Er hat eine eigene Taktik. Vielleicht werden wir eingreifen, wenn es ihm nicht gelingt, die Laktonen zu vertreiben. Aber es wäre besser für Sigam, wenn er unsere Hilfe nicht benötigt. Er hat genug Zeit vertrödelt. . ." Haß flammte in den Augen der Lady auf, als Angus sich gleichgültig wieder
dem Geschehen innerhalb der Kugel zuwandte. Aber sie hielt sich zurück. Die grauen Federn auf dem mächtigen Haupt des Ratgebers hatten sich steil emporgerichtet. Santarra konnte das Zeichen deuten. Sie hatte genug gesagt, fast schon zuviel. Auch eine Lieblingsfrau des Moga konnte sich nicht alles erlauben. Beherrscht blickte sie auf den glänzenden Stein an ihrem Finger, bevor sie sich erhob. Licht durchzuckte den Raum der Arena. Auf der Bahn des vierten Planeten waren mehrere Punkte zugleich in einem brennenden Blitzschlag vergangen. * Sigam Agelon starrte den Bronzeroboter ungläubig an. Seine harten Augen unter den gestreiften Lidern blitzten. Die olivfarbene Gesichtshaut des orathonischen Befehlshabers hatte sich verdunkelt. „Unmöglich!" knurrte er. Der Bronzene antwortete nicht. Auf einen Wink Agelons gab der Roboter einen kurzen Befehl an die Holografenzentrale. Riesengroß erschien der um die Erde kreisende Himmelskörper auf dem Bildschirm. Sigam Agelon traute seinen Augen nicht. Blitzschnell war ein starker laktonischer Verband aufgetaucht, der mit seinem Sperrfeuer von schwersten Geschossen ein anscheinend unüberwindliches Hindernis bot. Der Plan Agelons drohte fehlzuschlagen. Die Laktonen waren ihm zuvorgekommen. Seine Absicht, mit Hilfe der Energiestation, die um den Mond kreiste, einen Schirm von gigantischen Ausmaßen zu bilden, schien fehlzuschlagen. Hunderte von schwersten laktonischen Kreuzern der Trakon-Klasse machten mit ihren Zero-Strahlern die orathonischen Geschosse unwirksam. Gleichzeitig rissen die „Silent-Mary"-
Geschosse Lücken in die heranrasenden orathonischen Hantelraumer. Auf Anweisung Agelons hatten sich die Hantelraumer nur sporadisch genähert, um bei den Laktonen nicht den Verdacht zu erregen, daß hier eine Konzentration der orathonischen Verbände beabsichtigt war. Jetzt wurde die wunde Stelle dieses Plans mit schmerzhafter Plötzlichkeit offenbar. Irgendwie waren ihm die Laktonen zuvorgekommen. Man hatte seinen Plan durchschaut, eine andere Möglichkeit gab es nicht. Verrat war undenkbar. Sigam Agelon würde nie dahinterkommen, daß ein hilflos durch den Raum taumelnder einzelner Laktone schuld am Mißlingen seines Plans hatte. Sigam Agelon handelte unverzüglich. Er war klug genug, um seine Lage genau einschätzen zu können. Er wußte, was er zu tun hatte. „Notruf. An Khara!" befahl er. Dann gab er die Nachricht durch, die seinen Ruf erheblich erschüttern würde. Er gab sich eine Blöße, indem er seine Unfähigkeit eingestand, die Laktonen mit eigenen Mitteln schlagen zu können. Aber er mußte jetzt seinen persönlichen Ehrgeiz der allgemeinen Sache unterordnen. Sofort ging die Nachricht verschlüsselt durch den Hyperraum. Sigam Agelon hoffte, daß man ihm weitere Flottenverbände schicken konnte. Brennende Wut erfüllte ihn. Diesen Mißerfolg konnte er nur schwer wiedergutmachen. Er hätte härter durchgreifen sollen. Terra existierte immer noch. Hier waren die Orathonen erstmals einem Planeten begegnet, dessen Rasse trotz ihrer offensichtlichen technischen Unterlegenheit schärfsten Widerstand leisteten. Dieser Planet mußte vernichtet werden. Plötzlich tauchte in Agelons Gedanken der Name Rex Corda auf, und wieder knirschten die Zähne wütend aufeinander. Er hatte diesen Mann
einmal in der Hand gehabt und seine offensichtliche Gefährlichkeit nicht erkannt. Dieser Fehler war schwerwiegend. Und er war nicht der einzige. Zu viele Fehler waren hier gemacht worden. Der Hantelraumer schüttelte sich unter einem schweren Schlag. Die Konverterbänke brummten auf, als sich der Gigant aus der Gefahrenzone zurückzog. Benommen taumelte Agelon gegen ein Armaturenpult. Ein Bronzeroboter sprang auf ihn zu, um ihn zu, stützen, aber mit einem mächtigen Stoß seiner breiten Fäuste schlug Sigam Agelon den Maschinenmenschen zurück. Schweratmend ließ sich der Gefiederte in seinen Sessel fallen. Der Treffer mußte die Energiefelder der Superschutzschirme empfindlich gestört haben. Mit zusammengebissenen Zähnen beobachtete Agelon, wie sich die Front der Laktonen vorwärtsschob. Gleichzeitig aber holten die Hantelraumer zum Gegenschlag aus. Im konzentrierten Feuer vergingen zehn Pithonraumer der Laktonen, aber Tausende von Raumtorpedos suchten sich mit den AutomatikSpürköpfen ihr Ziel. Sie verpufften wirkungslos in den Schutzschirmen der schweren Hantelraumer. Dutzende von Diskusraumern trieben zerfetzt durch den Raum. Der ganze Holografenschirm war eine flammende Hölle. Im Hintergrund stand die pockennarbige Oberfläche des Mondes. Pausenlos schlugen Raumschifftrümmer in die Staubebenen und Krater. Kilometerhohe Fontänen von Gesteinsbrocken und Lavastaub wirbelten empor. Von der um den Mond kreisenden orathonischen Energiestation kam kein Lebenszeichen mehr. Der glutende Strahl reinster Energie, der sie mit dem Zentralgestirn des Systems verbunden hatte, war abgelenkt worden und rich-
tete unter dem Verband der Orathonen grauenhafte Verwüstungen an. Dieses Schicksal hatte Sigam Agelon den Laktonen zugedacht. Aber sein Plan wurde ihm jetzt zum Schicksal. Überall tauchten jetzt die Hantelraumer auf. Immer noch waren die Orathonen in der Übermacht. Es gab eine Chance, die Laktonen aus dem System in den freien Raum zu treiben, aber mit jeder Minute wurde diese Chance geringer. Die im Raum befindlichen Supertransformer, die von Khara auf Sigam Agelons ersten Hilferuf ausgesandt worden waren, konnten nur zum Teil ihre Aufgabe vollbringen, die unvorstellbaren Energiemengen der Sonne abzuzapfen. Jede einzelne Transformerstation wurde von Hunderten von Laktonen-Kreuzern wie wütende Hornissen umschwärmt. Die Front des Krieges zog sich mitten durch das Sonnensystem. Aber trotz ihrer Überzahl hatte die orathonische Flotte der Kampfgeist verlassen. Sigam Agelon befand sich in einer unerträglichen Situation. Er mußte auf die Hilfe von Khara warten. Und so wartete Sigam Agelon, die Fäuste geballt, seinen Blick starr auf den Holografenschirm gerichtet. * Das warnende Knurren ließ ihn herumfahren. „Wo?" Nukleon setzte sich mit gesträubten Nackenhaaren auf. Der Blick des telepathisch begabten Hundes richtete sich auf die kleine Baumgruppe, deren verbrannte Äste schwarz und dürr gegen den gelblichen, von Wolkenfetzen bedeckten Himmel ragten. Dann sah auch Rex Corda die Bewegung. Der jüngere der beiden laktonischen Agenten, die ihn begleiteten, schob sich heran. Die
beiden Laktonen waren erst vor wenigen Tagen zu ihnen gestoßen. Der im Raum tobende Kampf zwischen den Laktonen und den Orathonen gewährte ihnen größere Bewegungsfreiheit auf der Erde. Jetzt erst hatten die beiden Agenten sich zum NORAD durchschlagen können. Sie hatten Rex Corda ein „Geschenk" mitgebracht. „Sylper", erklärte Corda mit einem Blick auf das düstere Gestrüpp. ,,Liebe, alte Freunde von uns!" John Haick lachte leise. Er hatte schon einmal Bekanntschaft mit jener seltsamen Raupenrasse gemacht, die in die Reihen der Hilfsvölker der Orathonen gehörte. „Können sie uns auf diese Entfernung wahrnehmen?" „Kaum", verneinte Corda. „Aber Nukleon mag diese Tierchen nun mal nicht!" Jetzt robbte auch der zweite Laktone heran. Sein glänzendes schwarzes Haar war staubüberzogen. Als er lächelte, zeigte er seine rötlichen Zähne. Er gestikulierte zu jenem „Geschenk" hinüber, das er Corda mitgebracht hatte. Hinter ihm erwachte der Metallkoloß zum Leben. Das Linsensystem auf der Oberseite des abgeflachten zylindrischen Körpers blitzte. Mit lautlosen Schritten näherte sich der laktonische Kampfroboter. „Noch nicht!" befahl Corda. „Wir dürfen uns nicht vorzeitig verraten!" Ein dunkler Schatten glitt über die Baumgruppe. Träge trieb ein Ätzer über sie hinweg. „Die anderen sind noch nicht soweit. Es fehlen noch fünf Minuten!" Corda sah auf seine Uhr. Sie befanden sich in unmittelbarer Nähe eines der wichtigsten orathonischen Nachschubzentren auf dem nordamerikanischen Kontinent. Aber das war nicht der Grund, warum sich Rex Corda an diesem Einsatz beteiligte.
Der eigentliche Grund war das „Geschenk" der laktonischen Agenten, die ungeheure Vernichtungsmaschine, der Kampfrobot, dessen Waffenkapazität auch gegen einen Diskus einen wirkungsvollen Angriff ermöglichte. Hier bot sich für Rex Corda und John Haick die Möglichkeit, eine dieser sagenhaften Kampfmaschinen der Laktonen aus nächster Nähe zu beobachten. Die Reaktionen dieses Kolosses aus Metall, Plastik und vibrierenden Energieschirmen würden eine um Jahrtausende überlegene Technik offenbaren. Rex Corda, der Repräsentant einer politisch zersplitterten und wirtschaftlich geschlagenen Erde, hatte nicht vor, sich wieder einmal für die Laktonen in Gefahr zu begeben. Sie würden beobachten und sich zurückhalten. Der junge Senator blickte auf die drohenden Türme der Fabrikanlage. Es war bekannt, daß in unmittelbarer Nähe Schlachtschiffe der Gefiederten lagen, vielleicht sogar innerhalb des Fabrikkomplexes. Was konnte also eine einzelne Kampfmaschine gegen das vereinte Waffenpotential von mehreren Schiffen der Featherheads ausrichten? Als der Schatten über ihnen auftauchte, heulte die Sirene auf. Der an- und abschwellende Ton lag dicht unterhalb der Hörbarkeitsgrenze und verursachte bohrende Kopfschmerzen. Nukleon bellte und schlug einen Haken nach links. Der orathonische Diskus über ihnen mußte senkrecht herabgeschossen sein. Keiner hatte ihn bemerkt. Aber auch die Spürgeräte der laktonischen Agenten mußten versagt haben, denn jetzt erst, viel zu spät, setzte das charakteristische scharfe Klicken ein, das die Größe des Energiefeldes über ihnen angab. Ungeheuer mächtig schwoll der dunkle drohende Kreis über den Männern an. Schmerzhafte Helligkeit brannte sich in die Netzhaut ein.
Aber der leuchtende Strahl aus dem Diskus, der fast den Boden berührte, hatte nicht ihnen gegolten. Offenbar hatte der orathonische Diskus den laktonischen Kampfroboter, der mit einer verblüffenden Schnelligkeit operierte, verfehlt, denn der Raumer schlug einen weiten Halbkreis und näherte sich dann erneut. Corda sah den mächtigen Körper der laktonischen Vernichtungsmaschine, die sich leicht nach hinten geneigt hatte. In unmittelbarer Nähe befanden sich die beiden laktonischen Agenten, die kaltblütig dem Diskus entgegensahen. Ein flammender Strahl zog eine dunkle Furche durch die Erde, aber ehe er die Laktonen erreichte, schoß etwas aus den Schlitzen auf der Brustseite des Kampfrobots hervor, das die Luft um den Diskus zum Vibrieren brachte. Gleichzeitig feuerten die beiden Laktonen mit ihren Energiestrahlern. Der Diskus taumelte. Heiße Blitze zuckten durch seine Schutzschirme. Sekunden später rollten dumpfe Explosionen von der anderen Seite des Geländes heran. Jetzt zeigte es sich, daß die beiden Laktonen recht gehabt hatten, als sie behaupteten, die für den Schutzschirm verantwortlichen Aggregate seien defekt. Die Erschütterungen in der Energiewand pflanzten sich bis in unmittelbare Nähe Cordas fort. Damit war der Beweis erbracht, daß der Schirm zu durchbrechen war. Trotzdem standen die Chancen nicht besonders günstig. Die Orathonen hatten die Angreifer zu früh entdeckt. Damit war die Situation eingetreten, vor der die kampfgewohnten Offiziere im NORAD gewarnt hatten. Krachende Explosionsblitze zuckten aus dem Leib des diskusförmigen Wachraumers. Corda sah, daß der Diskus sich rasch herabsenkte. Wieder und wieder fauchten die Energieschüsse des Roboters in den Metalleib.
„Ein hübsches Geschenk, diese Teufelsmaschine!" keuchte John Haick spöttisch. „Hoffentlich mißfallen wir ihr nicht auch mal. . ." Der Diskus feuerte ungezielte Energieschüsse ab, die die Laktonen zur Flucht zwangen. Währenddessen marschierte der Roboter auf die Energieschranke zu, den summenden Neutralisator auf den Schirm gerichtet. Das geschwächte Energiefeld zitterte und verlor seine intensive Farbe. Kreischend protestierten die Generatoren, die das Kraftfeld aufrechtzuerhalten versuchten. Seit dem ersten Angriff des Diskusraumers war knapp eine Minute vergangen. Jeden Augenblick konnte Verstärkung herankommen und den Kampf für die Orathonen entscheiden. In weiten Sprüngen näherten sich die laktonischen Agenten. Die untersetzten, muskulösen Gestalten bewegten sich mit einer ungeheuren Geschwindigkeit durch das hügelige Gelände. Um sie flogen Erdbrocken und Felsen in die Höhe, wo die Thermostrahlen des Diskus die Oberfläche trafen. Der Kampfrobot blieb stehen, drehte sich um und warf sich gleichzeitig zu Boden. Die Adjustierung der Zieleinrichtung mußte beschädigt worden sein, denn die Geschosse des Diskusraumers bohrten sich wirkungslos, wenn auch in gefährlicher Nähe, in die Erde. Dann richtete sich die Kampfmaschine empor. Über die Bodenwelle ragte der zylindrische, dunkel glänzende Körper. Durch das Fehlen des Kopfes, der von einem Linsensystem an der Oberkante des Rumpfes ersetzt wurde, wirkte die Kampfmaschine gespenstisch und gleichzeitig grauenhaft tödlich. Eine lange Spezialgranate fuhr auf den Diskus zu. Der Antigravitationsautomat im Innern des Metallkolosses schluckte den gewaltigen Rückstoß. Das Geschoß schlug eine klaffende Lücke in den Rumpf des orathonischen Raumers
und warf ihn zugleich zur Seite. Über der Festung tauchten drei weitere Diskusraumer auf. Gleichzeitig schwebten mehrere Ätzer heran und suchten flatternd nach dem Feind. Der Roboter erhob sich und jagte auf die kleine Gruppe zu, die jetzt bereit war, durch den neutralisierten Teil des Schutzschirmes in die Festung einzudringen. Im Laufen warf der Roboter einen Gegenstand in die Luft. Dann war er heran. Der Maschinengigant tauchte im Flimmern des neutralisierten Teils des Schirmes unter. Durch den Schleier der neutralisierten Energie sah Rex Corda, wie der Gegenstand — es handelte sich um eine SAT-Kugel — einen Augenblick in der rauchigen Luft verharrte. Dann schoß die Kugel, gesteuert von ihrem positronischen Gehirn, auf das nächste Ziel zu. Der gleißende Blitz brachte schmerzhafte Helligkeit. Der Boden zitterte, als die Trümmer eines Diskusraumers auf den Boden aufschlugen. Innerhalb des neutralisierten Energiefeldes drang Rex Corda vorwärts. In dem wogenden, dunstigen Blau sah er unter sich einen dunklen Schatten, der sich auf der verbrannten Erde dicht neben ihm und John Haick hielt: Nukleon. Corda wußte, daß sich dicht hinter ihm die Laktonen und der Roboter befanden. Corda warf sich voran, sah den nebelhaften Schatten außerhalb der Barriere und schoß, während er sich gleichzeitig zur Seite warf und einen warnenden Ruf ausstieß. Hinter sich hörte Corda ein splitterndes Krachen, dann war er durch die Barriere. Gleichzeitig tauchten die anderen auf. Keinen Augenblick zu früh. Denn das mächtige Energiefeld hatte sich wieder stabilisiert. Über Corda zischte ein gleißender
Strahl hinweg, während er auf die Erde prallte. Der Senator riß seine Waffe hoch und schoß auf die nächste schemenhafte Gestalt. In der nächsten Sekunde hatten sich seine Augen wieder auf das normale Licht eingestellt. Ein Whims wand sich in langsamen Zuckungen, während er zu Boden brach. Wieder ertönte ein berstendes Krachen. Corda zielte auf das nächste der heranstürmenden grillenartigen Wesen. Pfeifend brach das über zwei Meter hohe Insekt zusammen, aber diesmal war es John Haick, der einem tödlichen Schuß aus den glänzenden Waffen der Whims zuvorgekommen war. Auch die Laktonen feuerten pausenlos. Die Patrouille der fünf insektenartigen Wesen lag regungslos am Boden. Es schien, als sei der Überraschungsangriff geglückt. Aber in der nächsten Sekunde stob pfeifend ein weiterer Haufen der schwerbewaffneten Grillen heran. Hinter ihnen drängten sich Bronzeroboter. Glänzende Waffen zielten auf die Köpfe der Eindringlinge. Während Rex Corda, pausenlos feuernd, an der schimmernden Energieschranke entlangrannte, hörte er wieder das krachende Scheppern. Über die Schulter sah er den gigantischen Maschinenklotz, den Kampfroboter der Laktonen. Seine Brust war teilweise aufgerissen. Er bewegte sich ruckartig, raste rasselnd ein paar Schritte voran und knickte dann wieder ein. Wie in wilder Agonie machte die Kampfmaschine von allen ihren Waffen Gebrauch. Die Laktonen hatten sich zurückziehen können, während Nukleon und John Haick sich dicht hinter Corda befanden. Es war gut, daß sie für die nächsten Sekunden in Sicherheit waren, denn die wahnsinnig gewordene Kampfmaschine würde jetzt keinen Unterschied mehr
zwischen Freund und Feind machen. Pausenlos schlugen die Geschosse in den Metallkörper ein, aber der Roboter richtete in einem Tornado der Vernichtung eine grausame Verwirrung an. Längst waren seine Gliedmaßen unbrauchbar geworden, halb eingeknickt hockte der Kampfroboter am Boden. Doch er drehte sich rasend schnell nach allen Seiten. Aus seinen Brustschlitzen strömte die Vernichtung. Thermostrahler zerschmolzen die nächsten Fassaden und vernichteten zwei Ätzer, die sich säuretropfend über den Maschinenmenschen werfen wollten. SAT-Kugeln schnellten durch die rauchige, von brüllendem Lärm und dem schrillen Pfeifen der Whims erfüllte Luft. Ihre positronischen Spürköpfe suchten nach dem nächsten Opfer und senkten sich dann blitzschnell nach unten. Mit tödlicher Präzision schoß der Hitzestrahl aus der Höllenkugel hervor. Der positronische Spürkopf verfehlte nie sein Ziel. Rex Corda verschwand als letzter in dem engen Gang, der schmal zwischen zwei hohen, langgestreckten Maschinenhallen klaffte. Er sah, daß die beiden laktonischen Agenten in einem ähnlichen Gang hinter ihnen verschwanden, sah auch, daß sich jetzt Verfolger auf ihre Fersen hefteten. Aber etwas ließ Corda noch einen Augenblick verharren. Zwei Diskusraumer waren mit unglaublicher Geschwindigkeit heruntergetaucht und schossen über dem wahnsinnigen Robot dahin. Im Kreuzfeuer ihrer Strahler schrumpften die unkontrolliert pendelnden Arme des Maschinenmenschen wie schwelender Gummi zusammen. Der Körper knickte völlig ein. Wieder waren die Raumer nach einer engen Drehung heran. Ihre Antriebsaggregate ließen die Luft schrill aufheulen. Als sie über dem Kampfrobot waren
und erneut ihr todbringendes konzentriertes Feuer nach unten sandten, schoß plötzlich eine grelle Stichflamme in den Himmel, die die beiden Disken einhüllten. Der Roboter hatte den langsamen Reaktionsvorgang, der ihm die Antriebsenergie verlieh, blitzschnell ablaufen lassen und war zu einer kleinen Atombombe geworden, die alles um ihn in ihrem Gluthauch verschlang. Die Hallen bebten, Wände stürzten ein. Eine gewaltige Druckwelle brach sich in den Energieschirmen. Rex Corda sah mit geweiteten Augen auf den Trichter, der sich dort befand, wo eben noch der Robot gekniet hatte. Dann fühlte er, wie etwas an seiner Kombination zerrte. Nukleon hatte seinen Fang in den festen Plastikstoff des Schutzanzugs geschlagen. Knurrend trieb er Corda zur Eile an. Schrille Pfiffe ertönten, kaum daß das Grollen der erschütterten Luftschichten aufgehört hatte. Trampelnde Schritte näherten sich beängstigend schnell. Rex Corda rannte los, neben sich Nukleon. Eben verschwanden seine Gefährten in einer Quergasse. Die Laktonen hatten sich durch das Netz der engen Gassen vorwärts gekämpft und rissen jetzt John Haick mit sich. Im Laufen wandte Rex Corda seinen Kopf. Eben tauchten die Verfolger auf. Ein Bronzeroboter hob eine blitzende Waffe. Das schrille Pfeifen der Whims wurde lauter. Die Verfolger schoben sich heran. * Offensichtlich wollte man ihn fallen lassen. Sigam Agelon riß sich gewaltsam zusammen. Er durfte sich den hohen Offizieren gegenüber keine Blöße geben. Er wußte immer noch genau, was er
wert war. Wenn man auch über seine Bedeutung auf Khara anderer Meinung zu sein schien. Immer noch war kein Hyperfunkspruch über den Interkom durchgegeben worden. Nicht einmal eine Ablehnung, daß man seinem Gesuch um Hilfe nicht stattgeben konnte. Als das Schiff unter einem mächtigen Stoß schlingerte, riß Agelon die Augen auf. Er hatte minutenlang auf den Bildschirm gestarrt, ohne die tobende Raumschlacht wahrzunehmen. Um seinen Hantelraumer hatte sich jetzt ein enger Verband von schweren und schwersten Kreuzern gesammelt. In diesem Teil des Raumes, zwischen Marsbahn und Asteroidengürtel, tobte die Schlacht ihrem Höhepunkt entgegen. Die Laktonen waren im Vorrükken. Sie kämpften verbissen und trieben Hunderte von Einheiten der Featherheads zurück. Ein enger Ring laktonischer Kreuzer schloß sich um die Einheiten, die einen Kordon, um Sigam Agelons Schlachtschiff bildeten. Der tappende Schritt hinter ihm riß Sigam Agelon herum. Ein Bronzeroboter deutete eine Verneigung an und gab seine Meldung. „CX 453", schnarrte er. „Ein Bote von Khara. Er wird in wenigen Minuten . . ." Der oberste Flottenkommandant der Orathonen schoß förmlich aus seinem Andrucksessel empor. Dann zwang er sich zur Ruhe. Er durfte nicht zu erkennen geben, wie sehr er auf eine Nachricht gewartet hatte. Der Roboter machte eine Kehrtwendung. „Halt", befahl Agelon, „wo ist er?" „Der Bote aus Khara ist soeben in die Luftschleuse dieses Schiffes eingeflogen." Sigam Agelon war verwirrt, bemühte sich aber, seine Verwirrung nicht zu zeigen. Seine gemusterten Augenlider
zuckten. Nervös strich er sich über den leuchtend roten Stoff seines Umhangs. „Haben Sie keinen Spruch des Verbandes aufgefangen?" herrschte er den Funker an. „Warum gaben Sie nicht sofort die Nachricht weiter?" Mit einer leichten Bewegung reaktivierte der orathonische Nachrichtenoffizier den winzigen Kopfhörer. Entschuldigend fuhr er sich über die dunklen Federn seines massigen Schädels. „Es ist kein Funkspruch auf der Spezial-Welle gekommen. Ein Verband ist nicht gemeldet worden. Es ist nur ein kleines Kurierboot eingetroffen. Sigam Agelon traute seinen Ohren nicht. Sein kalter Haß auf die Laktonen, die sich Schritt für Schritt unter der Führung von Jakto Javan durch den solaren Raum vorwärts kämpften, war einer Wut auf die eigene FAMILIE gewichen. Moga Agelon, der mit einem Fingerschnalzen über Millionen von Leben entschied, hatte offenbar gegen ihn entschieden. Einen Augenblick dachte Agelon an Lady Santarra. Aber auch sie konnte nichts für ihn tun. Die hallenden Schritte des Kuriers näherten sich. Der prächtig gekleidete Orathone blieb in der Tür stehen, stieß einmal mit dem glitzernden Stab auf und verneigte sich. Agelon war eiskalt. Er beherrschte sich meisterhaft. Der Bote näherte sich. Sein grüner glitzernder Mantel war mit den Insignien der FAMILIE und mit leuchtend roten Streifen geschmückt. „Grüße des Moga Agelon, des Herrlichsten der Herrlichen!" „Ausgezeichnet!" knurrte Sigam Agelon. „Grüße der Lady Santarra. Sie ist um Euer Wohlergehen besorgt!" Das Gesicht des Kuriers war unbeweglich. Seine Augen blickten ehrerbietig und kalt.
„Schönen Dank", meinte der orathonische Flottenkommandant trocken. Draußen tobt die Schlacht. Die Laktonen dringen vor. Habt Ihr eine Nachricht für mich?" Der Kurier verneigte sich und reichte Agelon eine zusammengefaltete schwere Folie, die das Wappen der FAMILIE trug. Der Gefiederte warf wütend einen Blick auf das Dokument. Dann erstarrte er. Hastig überflog er das Blatt. Ein gefährliches Glitzern trat in seine Augen, als er sich über das Mikrofon beugte und mit klingender Stimme seine Befehle gab. Offiziere eilten herbei. Die Augen der hohen orathonischen Soldaten richteten sich verstört auf ihren Kommandanten, der mit einem siegessicheren Leuchten in den Augen den unfaßbaren Befehl gab: „Wir geben uns geschlagen! Wir ziehen uns zurück! Das betrifft jedes einzelne Schiff! Wir ziehen uns kämpfend zurück!" Wieder erschütterte ein schwerer Treffer die Schutzschirme und ließ den Raumgiganten wanken. Spöttisch lächelnd blickte Sigam Agelon seine hohen Offiziere an. „Aber", protestierte ein Offizier, „wir können jetzt nicht unsere Kampfpositionen aufgeben! Die Laktonen werden das System einnehmen. Ich meine . . ." Er verstummte unter Sigam Agelons hartem Blick. Die Stimme des obersten Orathonen klang leise, als er fragte: „Sie zweifeln an der Richtigkeit meines Befehls?" Einen Augenblick hielt der hohe Offizier seinem Blick stand, dann senkte er den Kopf. Die grauen Federn hatten sich aufgerichtet. Mit einem raschen Blick überflog Sigam Agelon die Runde. Überall war der Zweifel deutlich abzulesen. Der orathonische Flottenkommandant, Sohn des mächtigen Moga, nickte dem Kurier
zu. Während der Hantelraumer von den Stößen des feindlichen Angriffs durch den Raum getrieben wurde, stampfte der Bote von Khara mit seinem reichverzierten Stab auf, nahm die Folie mit dem Siegel des Moga auf und begann mit lauter Stimme zu lesen. * „Tumon Garlan an Jakto Javan. Die Orathonen fliehen. Sie bewegen sich auf die Grenzen des Systems zu. Sie kämpfen, aber sie ziehen sich eindeutig zurück. Der Befehl. . ." „Danke", unterbrach Jakto Javan, „den Befehl haben wir auch aufgefangen. Fast zu klar!" Er schaltete ab und lehnte sich einen Augenblick zurück. Aber alles war eindeutig. Den Orathonen blieb nichts anderes übrig, als zu fliehen. Überall wurden sie zurückgedrängt. Die Laktonen standen kurz vor der Erde. Große Verbände des Feindes waren eingeschlossen worden und wurden langsam aufgerieben. „Die letzten Reserven ins System", bellte der laktonische Kommandant. Die präzisen Angaben, wo die einzelnen Geschwader einzusetzen waren, überließ er seinen Sektionskommandanten. Jetzt war etwas anderes wichtig: „Ist das Schiff Agelons gefunden worden?" Sofort kamen die Meldungen. Manche verzerrt, durch die Energiefelder und explodierenden Schutzschirme bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt. Aber das Ergebnis war negativ. Es war den zwanzig leichten Raumern nicht gelungen, das Schlachtschiff des orathonischen Kommandanten ausfindig zu machen. Auch das war ein Grund, auch die letzten Reserven der laktonischen Flotte im solaren Raum in die Schlacht zu
werfen. Es gab nur einen Schluß: Agelons Schiff mußte sich bei der Hauptmasse der orathonischen Schiffe befinden. Ein dichter Pulk von orathonischen Hantelraumern drängte sich in dem Dreieck zusammen, das jetzt die Planeten Merkur, Venus, Erde bildeten. Auf den Befehl Javans schoß der Pithonraumer auf die Erde zu. Agelon durfte ihm nicht entkommen. Wie eine blutige Flamme loderte der Haß in Javan empor. Dann zwang er sich zur Ruhe. Er mußte seine persönliche Rache einen Augenblick zurückstellen. Seine Entschlüsse durften nicht von blindwütigen Emotionen diktiert werden. „Bringt Vandour her!" befahl er. Es entsprang einer Laune, den einfachen laktonischen Soldaten, dem der Zufall eine so wichtige Rolle in diesem kosmischen Spiel zugedacht hatte, zu sich zu rufen. Aber Jakto Javan verband eine besondere Absicht damit. Außerdem hielt er keinen seiner engen Mitarbeiter für abkömmlich. Es ging nur darum, einen Treffpunkt mit einem Eingeborenenführer abzumachen. Jakto Javan hatte keine Lust, sich von einem Primitiven seine Zeit stehlen zu lassen. Zwei Nachrichtenrobots in ihren dunklen Gewändern führten Vandour in die Zentrale. Jakto Javan nahm keine Notiz davon, daß sich der Mann inzwischen noch nicht erholt haben konnte. Auch sich selbst verlangte er das Äußerste ab. Der Laktone verneigte sich. Nach der allgemeinen Sitte zeigte er kurz die rötlichen Zähne. Jakto Javan trat einen Schritt vor. „Sie sind als Kurier im Sondereinsatz mit weitgehenden Vollmachten ausgestattet", sagte er ruhig. Vandour zuckte zusammen. Seine Augen glitzerten hektisch. Der intensive, herbe Körpergeruch
verstärkte sich. „Jawohl, Edler", sagte die ruhige, fremde Stimme, dessen Klang ihn immer wieder verwunderte. Jakto Javan betrachtete ihn aufmerksam. „Ihre Aufgabe ist es, den Eingeborenenführer Rex Corda zu finden und ihn zu mir zu bringen. Binnen vierundzwanzig Stunden wird mein Schiff auf der Erde sein. Bis dahin ist der Eingeborene zur Stelle. Die Agentenzentrale wird Sie informieren, wo der Eingeborene zu finden ist." Mit einer knappen Handbewegung wurde Vandour entlassen. Draußen führten ihn die Nachrichtenrobots zu einem grimmig dreinblickenden Sicherheitsoffizier mit eigenartig tiefliegenden kalten Augen. Die nächsten vier Stunden waren für Vandour alles andere als angenehm, aber er bekam die schnellste intensivste Schulung, die jemals bei der laktonischen Flotte verabreicht worden war. Als er aus dem Schulungsraum trat, brummte ihm der Kopf; trotzdem scheuchte er drei Nachrichtenrobots in den kleinen Raumer, kommandierte zwei Kampfrobots ab, gab seine kurze, präzise Meldung und verschwand mit seinem Schiff nach wenigen Minuten als ein verglimmender Punkt, der sich direkt auf die leuchtenden Strahlenbahnen der Raumschlacht zubewegte. * Das NORAD meldete sich. Pausenlos feuernd drückte der laktonische Agent die Antworttaste. Er zog sich hinter ein gigantisches Röhrensystem zurück und hatte für eine Sekunde Ruhe. Nur wenige Meter weiter sah er die regungslose Gestalt seines Gefährten. John Haick hatte versucht, den laktonischen Agenten in Deckung zu ziehen, aber es war bereits zu spät gewesen. Die
geballte Ladung einer Schockwaffe hatte den mächtigen Körper steil emporgerichtet, dann war der Laktone wie ein gefällter Baum zu Boden gebrochen. Plötzlich war der Schatten über ihm. Etwas verdunkelte die trübe Sonne. Instinktiv warf sich John Haick zur Seite. Die Geschosse seiner Waffe beschrieben einen leuchtenden Halbkreis, dessen flammende Bahn einen großen Teil des angreifenden Ätzers zerfetzten. Das Tier taumelte, schlug schwer gegen die steil aufragende Wand der Maschinenhalle und rutschte ein paar Meter dem Boden entgegen, bevor es sich wieder gefangen hatte. Die Säure hinterließ einen breiten hellen Streifen an der Wand. Ein winziger Tropfen der hochkonzentrierten organischen Säure des Monsters hatte Haick getroffen. Sofort fühlte er den brennenden Schmerz, wie sich die Flüssigkeit durch den rauhen Stoff seiner Kombination hindurch tief in die Haut einbrannte. Ein Schrei ließ den jungen Wissenschaftler herumfahren. Mit zusammengebissenen Zähnen jagte er die Geschosse in die zuckende Masse der beiden Pelzwesen, die sich über den laktonischen Agenten gebreitet hatten. Haick wußte, daß dem Laktonen nicht mehr zu helfen war. Aber auch für ihn sah die Lage nicht rosig aus. Wo war Rex Corda? Was war mit der anderen Agentenabteilung, die gleichzeitig von der anderen Seite den Energieschirm kompensierte? Wo war Nukleon? Ein weiterer Schuß des jungen Wissenschaftlers ließ den Ätzer taumelnd abdrehen. Das Tier würde bis zum Tode kämpfen, aber jetzt mußte es sich erst orientieren. Vielleicht hatte auch ihn der unmenschliche, peitschende Haß verlassen, aber immer noch war in dem primitiven Hirn das semibiotische Steuergerät, das dieses Tier zu einer blindwütigen Vernichtungsmaschine
machte. John Haick nutzte die wenigen Sekunden. Er schwang sich auf eine gewaltige Röhre, die schräg nach oben verlief, von kleineren Röhren wie von Schlangen umwunden. Geduckt raste er los, drohte abzurutschen, fing sich wieder und warf sich dann auf die glatte, geneigte Fläche, die zu beiden Seiten steil abfiel. Rechts befand sich die hohe Wandung einer fensterlosen Halle, während sich wenige Meter nach links ein weiterer langgestreckter Bau anschloß. Die Verfolger feuerten aus einem spitzen Winkel. Ihre Chance, zu treffen, war denkbar gering. Trotzdem pfiffen die tödlichen Geschosse unangenehm nahe um die Ohren des Wissenschaftlers. Haick fragte sich einen Augenblick erstaunt, warum sie keine Hitzestrahler einsetzten, die bereits durch ihre Sekundärwirkung für ihn tödlich sein würden. Aber offenbar scheuten sich die orathonischen Sklavenvölker, diese Waffen anzuwenden. Wieder lief John Haick ein paar Schritte. Das Rohr machte jetzt einen Knick nach oben, so daß er eine Steigung von fast dreißig Grad zu überwinden hatte. Unter sich hörte er das hohe, in den Ohren schmerzende Pfeifen der Whims. Die knallenden Schritte der Bronzeroboter näherten sich unaufhaltsam. Die Bronzenen hatten das Ende des Rohres erreicht und folgten Haick. Ihre harten, metallischen Stimmen waren deutlich zu hören. Dann gingen sie im Aufheulen der Sirene unter. Wie ein Schock raste der Schmerz durch den Körper des Wissenschaftlers. Blitzartig, von einem Moment auf den anderen, war der Boden unter ihm glühend heiß geworden. Das Rohr zitterte, als würde in ungeheuren Stößen Mengen einer unbekannten, heißen Flüssigkeit hindurchgepumpt.
John Haick wußte, daß er diese Qualen keine Minute länger aushalten konnte. Hinter ihm näherten sich die biegsamen, leuchtenden Metallkörper der Verfolger. Über ihm kreisten wie überdimensionale Geier die Schatten der Ätzer. Ein Diskus schoß fauchend heran. Halb im Unterbewußtsein nahm John Haick den Ruf wahr. Oder hatte er ihn überhaupt gehört? Die Hitze hatte sich durch die Sohlen der Armeestiefel hindurchgebrannt. Sofort waren seine Fußsohlen mit Blasen überzogen. Unbeholfen sprang Haick von der Röhre hinunter, klammerte sich an eine Metallverstrebung und hing einen Augenblick zwischen Himmel und Erde. Verzweifelt versuchte er, sich weiterzuhangeln, um wieder festen Boden unter den Füßen zu bekommen, aber die Kräfte schwanden beängstigend schnell. „Fallenlassen!" Die Dringlichkeit des Befehls veranlaßte John Haick, sofort zu gehorchen. Seine Finger lösten sich. Irgend etwas schlug mit einer feurigen Hand nach ihm und löschte sein Bewußtsein aus. Er fiel in dunkle, bodenlose Unendlichkeiten, stürzte durch die Schwärze des Raumes. Er hatte kein Gewicht, keinen Körper. Trotzdem fühlte er die Kraft in sich aufsteigen. Etwas riß ihn empor und gab ihm Halt. Helligkeit näherte sich, schmerzte in den Augen. Hatte er noch Augen? Es war heil, funkelte blau und grün und seltsam vertraut. Dann riß es ihm die Augen auseinander. Gleichzeitig kam der unerträgliche Lärm. Die Hitze stach wie mit tausend Nadeln. John Haick stöhnte. Er fühlte wieder seinen zerschundenen Körper, als er aus der Ohnmacht erwachte. „Gut, daß du gleich gesprungen bist", bemerkte Rex Corda beiläufig. Der dunkelblonde, große Mann kauerte hin-
ter der Barriere. Neben ihm hockten zwei laktonische Agenten. Weiter links kniete ein laktonischer Kampfrobot hinter einem verbogenen glühenden Gewirr von Streben. Sein gewaltiger kopfloser Oberkörper war steil emporgerichtet. Aus den Gitterschächten auf der Brust strömte die vernichtende Flut der Taumelgeschosse. John Haick rieb sich die Augen, als er die teilweise noch im Tode zuckenden Gestalten der orathonischen Sklavenvölker sah. Ein riesiger, auseinanderfließender Klumpen deutete darauf hin, daß dort einige Sylper ihr Ende gefunden hatten. Die grünen Raupenleiber verteilten sich in übelriechenden Klumpen am Boden. Hinter sich hörte der Wissenschaftler ein kurzes Bellen, dann fühlte er die feuchte Schnauze von Nukleon an der Hand. Das Tier freute sich offenbar, daß Haick wieder da war. Mechanisch strich der junge Wissenschaftler über das vor Erregung gesträubte Fell. Verständnislos sah er auf die Laktonen und den Kampfroboter. Rex Corda bemerkte seinen Blick. „Wach auf, Alter!" grinste er kurz zu seinem Freund hinüber. Aber seine blauen Augen blieben wachsam. „Das ist die zweite Gruppe. Erinnerst du dich nicht?" Langsam dämmerte es wieder bei John Haick. Benommen schüttelte er den Kopf. Dann riß es ihn auf die Füße, als Nukleon ein hohes, warnendes Bellen ausstieß. Der Kampfrobot hatte sich ebenfalls um 180 Grad gedreht. Die Wand der nächsten Halle glühte weiß auf, dann fiel eine rechteckige Platte nach draußen. Mehrere glänzende Köpfe wurden sichtbar. Dann ertönte ein donnerndes Rollen. Das herausgeschnittene Rechteck wurde von einer gewaltigen Mündung einge-
nommen, die sich langsam auf den laktonischen Kampfrobot richtete. Ein überstarker Schutzschirm ließ die Luft um die Waffe herum flimmern und machte zugleich die Geschosse der laktonischen Waffen wirkungslos. Offenbar wechselte der Schutzschirm dauernd die Phase, denn das Flirren und Flimmern der Luft wurde zu einem prächtigen Farbenspiel, dem allerdings keiner Geschmack abgewinnen konnte. Ein dauernd an- und abschwellendes Summen ergab eine nerventötende Begleitmusik. Nukleon jaulte, als die Ultrafrequenzen seine empfindlichen Ohren trafen. Plötzlich brach das Leuchten und das grauenhafte Summen ab. Eine Lichtwolke blendete die Männer einen Augenblick. Gleichzeitig erschütterte eine donnernde Explosion den Boden. Ein greller Blitz zuckte an der Stelle, wo sich eben noch der Kampfrobot befunden hatte. Aber auch die Waffen der laktonischen Agenten spien Feuer. Die Maschine schien auseinanderzubrechen, als sie das rasende Stakkato traf. Ehe sich der variable Schirm wieder voll aktivieren konnte, erschütterte ein Dröhnen die Halle, als die letzte SAT-Kugel des todgeweihten Kampfrobots ihr Ziel traf. Die Wand der Maschinenhalle splitterte. Ein gezackter Riß zog sich bis in eine Höhe von zwanzig Metern empor. Bruchstücke der zerfetzten Materie wurden wie Geschosse durch die gequälte Luft geschleudert. Aber sie prallten wirkungslos an den Schutzschirmen der drei orathonischen Disken ab, die sich majestätisch herabsenkten. * Die Sterne verblaßten. Das Sonnensystem war ein feuriges Inferno. Eine Materialschlacht von ungeheuren Aus-
maßen tobte im Solaren Raum. Die Hantelraumer der Orathonen drängten auf den Rand des Sonnensystems zu, während aus den sternenlosen Ebenen jenseits der Plutobahn ein Strom von schwersten laktonischen Kreuzern in das System drang. Überall entwickelten sich Einzelgefechte. Aber das Dreieck, das die Planeten Merkur, Erde und Venus bildeten, sah die schwersten Kämpfe. Ganze Geschwader stürmten in selbstmörderischen Manövern aufeinander zu. Auch hier waren die Gefiederten im Nachteil, da sie teilweise von den Energietransmittern in der Nähe des Mondes abgeschnitten waren. Ungläubig beobachtete Sigam Agelon, wie ein Hantelraumer nach dem anderen in einem grellen Lichtblitz verging. Die Verluste waren hier eins zu eins, aber die Laktonen drangen unaufhaltsam in das Innere des Systems ein. Der Befehl zum Rückzug aus dem Sonnensystem schien zu früh gegeben worden zu sein. Immer mehr Geschwaderkontingente verschwanden außerhalb des Systems im Hyperraum. Jetzt mußten die letzten Reserven eingesetzt werden. Die harte Stimme des rotgekleideten orathonischen Befehlshabers bellte auf. Sofort war Sigam Agelon von hohen Offizieren umgeben, die bereit waren, seine Befehle zu berechnen und an die Nachrichten- und Steuerzentrale weiterzuleiten. „Der Rückzug wird nicht gestoppt!" befahl der Gefiederte. „Aber wir ziehen sämtliche verbliebenen Reserven von der Erde ab. Jeder Diskus, jeder Hantelraumer hat umgehend zu starten. Mit sofortiger Wirkung!" Die Offiziere eilten an die Computer. Die einzelnen Befehle wurden ausgegeben. Sie galten den Nachschubzentren auf der Erde. Binnen kurzer Zeit würde sich kein Schiff der Gefiederten mehr
auf der Erde befinden. Sigam Agelon sah, daß der große Plan gelang, aber die Opfer waren ungeheuer. Und jetzt drohte ihm selbst die größte Gefahr. Es schien keine Lücke in der Front der angreifenden Laktonenschiffe zu geben. Agelon gab einen knappen Befehl. Die Offiziere wußten, was sie zu tun hatten. Sofort konzentrierte sich das Feuer der Hantelraumer auf einen Punkt. Die Laktonen waren abgelenkt. Sie mußten dem wütenden gesammelten Angriff der Hantelraumer begegnen. Mit nahezu Lichtgeschwindigkeit schoß das Schiff Sigam Agelons senkrecht zur Ekliptik des Systems davon. Einige der raketenförmigen Laktonenschiffe versuchten zu folgen, aber sie blieben zurück, da das Manöver zu überraschend kam. Agelons Hantelraumer verringerte die Geschwindigkeit, um sich zwischen den verbissen kämpfenden Pulks hindurchzuwinden. In diesem Augenblick fühlte Sigam Agelon, daß er seine Chance vertan hatte. Es konnte kein Zufall sein, daß plötzlich ein Geschwader von fast zwanzig feindlichen Kreuzern auftauchte, die dem Dorr-Giganten den Weg abzuschneiden suchten. Kein Zweifel, man hatte ihn erkannt. Man wußte, daß dieses Schiff mit seinem Superantrieb und den überschweren Schutzschirmen nur das Schiff des Kommandanten sein konnte. Sigam Agelon war sich klar darüber, daß man ihn lebend wollte. Verächtlich lächelnd schüttelte er den schweren Kopf. Kein Orathone würde sich lebend ergeben. Wie ein gereiztes Raubtier schwang der schwere Hantelraumer herum. Eine volle Breitseite brachte das Verderben unter die kleineren Schiffe. Drei taumelten steuerlos im Raum, ein viertes loderte auf wie eine Fackel. Dann trafen die ersten Treffer die Schutz-
schirme des Hantelraumers. Er mußte sich zum Kampf stellen. Und binnen weniger Minuten konnte der Feind Verstärkung erhalten. Dann war er auf Gedeih und Verderb den Laktonen ausgeliefert. Und seine Verbände rückten ab. Aus dem Maschinenraum kam eine Meldung. Die Energiebänke arbeiten nur mit halber Leistung. Mit knappen Worten forderte der Gefiederte eine Auskunft an. Um ihn herum wimmelten die hohen Offiziere, die die komplexe Verteidigung des Hantelraumers organisierten. Die Schiffsenergiestationen waren nicht defekt. Nur der Energienachschub der Transmitterfestung in der Nähe des Mondes war abgebrochen. Die Reserven würden nicht lange vorhalten. Erste Treffer ließen den Giganten wie einen Spielball im All herumspringen. Dann kam der erste schwere Stoß. Alle Energie wurde in die Schutzschirme gegeben. Die Antriebsaggregate liefen nur mit zehn Prozent Schub. Mit einem Blick übersah Sigam Agelon die Situation Ohne sich um die Proteste der Techniker zu kümmern, gab der Gefiederte den Befehl zum Eintauchen in den Hyperraum. Innerhalb des von Materie und Energie übersättigten Sonnensystems war das fast Wahnsinn. Das unkontrollierbare Raum-Zeit-Gefüge konnte in Fragmente zerreißen. „Hyperfahrt!" bellte die Stimme des Kommandanten noch einmal. „Keine Energien für Eintauchmanöver", kam fast lakonisch die Meldung vom Maschinenraum. „Keine Hyperfahrt möglich!" Die Worte glichen einem Todesurteil. Sigam Agelon zuckte zusammen. Keiner der Offiziere und Techniker wagte ihn anzusehen. Im gleichen Augenblick wirbelte ein ungeheurer Stoß, der nicht von den
Andruckneutralisatoren aufgefangen wurde, die Gefiederten durcheinander. Schreie gellten durch das Schiff. Etwas riß splitternd. Gleich darauf ertönte das schrille Heulen entweichender Luft. Die mächtigen Schutzschirme waren zusammengebrochen. Das Schiff war den schnell aufeinander folgenden Raumtorpedos wehrlos ausgeliefert. Wehrlos? Sigam Agelon brüllte in wilder Wut auf. Er war gegen eine Wand geprallt. Sein mächtiger Körper schmerzte, aber der Gefiederte konnte sich noch bewegen. Unter Aufbietung aller Kraft schleppte er sich über einen Haufen besinnungsloser Offiziere. Die Luft wurde dünner. Das Blut rauschte in den Ohren des obersten Kommandanten der orathonischen Flotte. Der Holograf funktionierte noch. Die Bordfunkanlage war ausgefallen, aber Agelon konnte erkennen, daß sich der Dorr-Raumer noch mit aller Kraft wehrte. Nur zwei der kleinen Kreuzer waren übriggeblieben. Auch sie schienen nahezu manövrierunfähig zu sein, aber sie feuerten aus allen Rohren. Ein unvorsichtiger Schritt brachte dem Orathonen zum Bewußtsein, daß nahezu keine Schwerkraft mehr herrschte. Das Schiff raste im freien Fall durch den Raum. Das künstliche Schwerefeld existierte nicht mehr. Vor Anstrengung traten Sigam Agelon fast die Augen aus dem Kopf, als er seinen schmerzenden Körper gegen die Wand zog. Er war nahezu bewußtlos, als er sich gegen das seltsam verbogene Metall preßte, seinen Körper entlang der Markierung schob und mit der geballten Faust gegen eine Erhebung der Wand schlug. Etwas klammerte sich blitzschnell um seine Brust und die Beine. Stahlkiefer schnappten krachend zusammen, und etwas Gläsernes schlug brutal über seinen breiten Schädel.
Sigam Agelon sank in sich zusammen. Belebende Luft strömte in das Innere des Raumanzugs. Dann verlor der Gefiederte die Besinnung. Er hörte nicht mehr, wie ein letztes Mal die schweren Batterien des Hantelraumers eine vernichtende Salve in die beiden steuerlosen Angreifer jagte. Zugleich riß ein tangential auftreffender laktonischer Supertorpedo den Hantelraumer der Länge nach auf. Wie silberne Fische wurde eine Flut von Orathonen, Bronzerobotern und den verschiedensten Angehörigen der Sklavenvölker in den Raum geschleudert. Dann brach der Dorr-Raumer auseinander. Eine umeinanderkreisende Masse von Bruchstücken der laktonischen und orathonischen Schlachtschiffe trieb langsam auf das gleißende Gestirn der Sonne zu. * Hinter ihnen verlor sich die schräg ansteigende Wand im dichten Qualm. Jetzt sah Rex Corda, daß ihnen der einzige Weg versperrt war. Vor ihnen landeten die Diskusraumer. Von links näherte sich hinter einem pulsierenden Energieschirm eine weitere Strahlkanone, die offenbar durch einen Computer gesteuert wurde. Rechts war der Weg durch ein Gewirr von verbogenen Röhren versperrt. Und hinter ihnen ragte die Wand empor. Sie saßen in der Falle. Sanft setzten die Diskusraumer auf. Ihre Besatzungen ließen sich Zeit. Man hatte erkannt, daß man die Laktonen und die Terraner nicht ohne größere Verluste beseitigen konnte. Selbst die Ätzer hielten sich in sicherer Entfernung. Die formlosen Klumpen, die überall herumlagen und die den Ort markierten, wo eines dieser
grauenhaften Tiere im Hagel der laktonischen Geschosse sein Ende gefunden hatte, hielten sie von einem Angriff nicht ab. Aber sie hatten den strikten Befehl erhalten, nicht anzugreifen. Die Orathonen, die in der letzten Phase des Kampfes ihren MaterialNachschub verteidigten, hatten erkannt, daß sie eine andere Taktik verfolgen mußten. Hinter der Barriere hatte sich John Haick wieder gefangen. Er hielt ein schweres Laktonen-Gewehr in seiner Faust. Der Lauf lag in der Gabelung eines gesplitterten Rohres, aus dem langsam eine trübe, glühende Flüssigkeit quoll. Rex Corda nickte seinem Freund beruhigend zu. Trotzdem zitterte der junge Wissenschaftler vor Aufregung. Sie standen einer unschlagbaren Übermacht gegenüber. Und sie wollten ihr Leben so teuer wie möglich verkaufen. Rex Cordas Augen leuchteten in einem intensiven Blau, als er sich an den neben ihm knienden laktonischen Agenten wandte. „Sie könnten uns mit einem einzigen Energiestoß in Atome zerblasen. Aber sie wagen es nicht!" Überrascht wandte John Haick seinen dunklen Kopf. „Warum?" „Hinter uns befindet sich das Hauptgebäude mit der empfindlichen Steuerzentrale. Sie würden ihr eigenes Nachschubzentrum lahmlegen, wenn sie die Computer zerstören." John Haick grinste. „Einen besseren Platz konntet ihr euch gar nicht aussuchen!" Der andere Laktone stieß einen zischenden Laut aus. Erst jetzt sahen die Terraner, daß er aus einer Schulterwunde heftig blutete. Offenbar schien das dem Agenten nichts auszumachen. Mit seiner Waffe wies der Agent auf den nächsten Diskus, der von seinem flimmernden Schutzschirm in leuchten-
des Feuer getaucht war. Einen Augenblick schwand das Leuchten, und im Bruchteil einer Sekunde feuerten die Männer hinter der Barriere eine Salve ab. Wieder schloß sich die Energiemauer um den Diskusraumer. Ihr Schein war matter, das Flackern nicht mehr so intensiv und regelmäßig. Gleichzeitig erhob sich der Diskus, schoß schräg in die Luft und prallte gegen eine Wandung der Waffenfabrik. Glühende Bruchstücke wirbelten durch die Luft. Das Bersten und Tosen nahm den Männern den Atem. Instinktiv duckten sie sich hinter ihrer Verschanzung. Aber die dunkle, kreiselnde Wolke hatten alle gesehen. Sie näherte sich rasch. Plötzlich stand ein wütendes Brummen in der Luft. Umsonst beschrieben die Waffen der Verteidiger leuchtende Bogen durch die Masse der sich nähernden Insekten. Tausende der kleinen tödlichen Wesen starben, doch die Hauptmasse näherte sich unbeirrt. Byts! Kleine, geflügelte Schlangen, deren Biß in kurzer Zeit das Nervensystem lahmte. John Haick erschauerte. Mehr als einmal hatte er ein Opfer dieses orathonischen Sklavenvolks gesehen. Das einzelne Wesen war im Grunde harmlos, aber durch ihre zahlenmäßige Übermacht ließen sie jede Gegenwehr nutzlos erscheinen. Ein hohes, heiseres Bellen erinnerte die Männer an die Gegenwart Nukleons. Der Hund hatte sich aufgesetzt. Seine wachen Augen starrten auf die wirbelnde Wolke. Auch Rex Corda hatte sich halb aufgerichtet. Die Feinde starteten keinen weiteren Angriff. Es gab keine Gegenwehr, die einen Angriff der Byts abschlagen konnte. Das Summen wurde schriller, intensiver. Die ersten der insektenähnlichen
Wesen waren heran, um sich auf ihre Opfer zu stürzen. Jetzt machten die laktonischen Agenten einen verhängnisvollen Fehler. Mit einem schrillen Schrei wirbelte der eine seine Waffe über den Kopf und stürzte hinter der Deckung, unablässig feuernd, hervor. Sobald er aus der Deckung hervorstürzte, schwenkte ein Teil der gnadenlosen Angreifer ab und verfolgte den Agenten. Es war das erstemal, daß Rex Corda einen Laktonen sah, der von panischer Furcht erfüllt wurde. Aber er hatte keine Zeit, darauf zu achten. Stumm, den Kopf erhoben, blickte er auf die wirbelnde dunkle Wolke. Keuchend hockte neben ihm Nukleon. Der Blick des Hundes war ebenfalls starr und drohend. Mit einem wütenden Schrei erhob sich der zweite Agent. Beide rannten in einen Strahl reinster Energie, der aus der Mündung der Robotkanone gefeuert worden war. Das positronische Gehirn hatte sofort reagiert, als nicht mehr zu befürchten war, daß ein Angriff die wertvollen Computerbänke hinter der Wandung, vor der sich Rex Corda, Haick und Nukleon befanden, zerstören würde. Die Byts griffen nicht an! Die Wolke umschwirrte die Köpfe der Männer und des Hundes, aber keines der Tiere schlug seine winzigen Giftkrallen in ihre Opfer. Dann erhob sich der Schwarm. Er wurde zu einer fast kompakten Kugel, die laufend ihre Konturen änderte. Plötzlich glich die Masse der Insekten einem Ellypsoid, dann etwas, das entfernte Ähnlichkeit mit einem Hundekopf hatte. John Haick blickte auf Corda und Nukleon. Die Augen des Senators schienen Blitze zu schießen, und aus der Kehle des Hundes kam ein tiefes, rasselndes Knurren. Dann fühlte John
Haick, wie ihn bohrender Kopfschmerz fast besinnungslos werden ließ. Etwas erfüllte ihn mit Panik, ließ ihn fast aufspringen und in die Richtung rennen, in der die Laktonen den Tod gefunden hatten. Dann sank er stöhnend zur Erde nieder. Mit schreckgeweiteten Augen sah er, wie die Wolke der Insekten die Form eines Diskus angenommen hatte und sich langsam den beiden kreisenden orathonischen Schiffen näherte. Offenbar glaubte die Besatzung, daß die Insekten ihre Gegner erledigt hätten, denn der Energieschirm bei beiden Raumern verblaßte, eine Luke öffnete sich, und mehrere Bronzeroboter, gefolgt von bis an die Zähne bewaffneten Featherheads, sprangen heraus. In diesem Augenblick war der Schwarm der wütenden Insekten heran. Ein Gefiederter hob ein dunkles kleines Gerät in die Höhe. Ein anderer hielt etwas im Arm, das einem engmaschigen Käfig glich. Den erstaunten Gesichtsausdruck behielten sie auch in der Stunde des Todes bei. Normalerweise war das Gift der Byts nicht tödlich. Aber Tausende von blutdurstigen Insekten stürzten sich auf ihre Herren und fraßen sie bei lebendigem Leibe auf. Die Schleusen schlossen sich, der blaue Energieschirm flammte wieder auf. Die Disken erhoben sich. „Hinwerfen!" brüllte Rex Corda. John Haick war vor Entsetzen wie gelähmt. Der Senator riß seinen Freund zu Boden. Ein sengender Strahl peitschte über ihre Rücken. Jetzt nahmen die Featherheads keine Rücksicht mehr auf ihre Anlagen. Das Manöver hatte die Diskusraumer aus dem Schußwinkel gebracht. Heulend senkten sie sich wieder in die enge Schlucht zwischen den beiden Gebäuden. Von links rollte das Robotgeschütz
heran. Dann wurde die Luft von zwei kurz aufeinanderfolgenden Lichtblitzen erhitzt. Sekundenbruchteile später drohte das berstende Krachen die Trommelfelle zu sprengen. Rex Corda hastete ein paar Schritte zur Seite und riß seinen Freund hinter die Deckung eines riesigen Metallsplitters. In wenigen Sekunden aber würde sie so oder so die Vernichtungswelle überrollen. Plötzlich stand über den grauenhaften Geräuschen der Zerstörung ein schrilles, pfeifendes Geräusch, das zu einem dumpfen Dröhnen anschwoll. Die Atmosphäre zerriß, der Boden schwankte und warf die Trümmer von Maschinenteilen und Wandungssplittern durcheinander. Die Luft wurde zu einer glühenden, stickigen Hölle. Dann packte die beiden Männer eine Druckwelle von ungeheuren Ausmaßen, hob sie leicht empor und schleuderte sie mehrere Meter weit. Hantelraumer der Gefiederten waren in nächster Nähe gestartet. Es gab keine andere Erklärung. Und sie mußten mit ungeheurer Beschleunigung in das All gerast sein. Mühsam hob der Senator seinen Kopf. Er konnte sich nur schwer die Ereignisse zusammenreimen. Offenbar aber zog Sigam Agelon die letzten Reserven von der Erde ab. Obwohl der heiße Sturm seinen zerschundenen Körper hilflos hin und her taumeln ließ, gelang es Rex Corda, sich hochzurichten. Staub blendete ihn. Das Dröhnen riß nicht ab. Aber trotz seiner schmerzenden, verklebten Augen erkannte der Senator, daß ihre Angreifer verschwunden waren. Es gab keine andere Möglichkeit: Die Gefiederten hatten die Erde verlassen! Der Himmel über dem schmalen, jetzt zerklüfteten Spalt der Fabrikwände wurde dunkel, als sich ein Schatten
senkte. Dann fiel etwas schräg von oben, stoppte kurz über dem Boden und wurde von einem zweiten massigen Gegenstand gleicher Größe verfolgt. Zwei laktonische Kampfrobots standen in einem Gewirr von verkohlten, verbogenen Bruchstücken und leblosen Körpern. Die Bewegung hinter dem zackigen Bruchstück ließ die Kampfmaschinen herumwirbeln. Das Linsensystem auf der Oberseite ihrer kopflosen Metallkörper blitzte. Langsam, zu Tode erschöpft, kamen Rex Corda und John Haick aus ihrer Deckung hervor. Nukleon folgte ihnen. Der hängende Kopf des Schäferhundes berührte fast den Boden. Die drei achteten nicht auf die glitzernden fremden Waffen, die ihnen entgegendrohten. Der riesige Schatten über ihnen verschwand. Ein laktonisches Raumschiff hatte sich auf den Landeplatz innerhalb des ehemaligen Nachschubzentrums der Featherheads gesenkt. Sie waren gerettet. Gleichzeitig mit dem Rückzug der Featherheads waren die laktonischen Raumschiffe zur Erde vorgestoßen . . . Auf der Brust des ersten Robots vibrierte eine Membrane. „Folgen Sie uns!" knarrte die mechanische Stimme. „Der Kurier Vandour erwartet Sie!" Dann stampfte er voran. Der zweite Roboter wartete einen Augenblick, dann schloß er sich hinter den Menschen und dem Schäferhund an. * Die Stimme Jakto Javans bellte durch den Kommandoraum. Ein Nachrichtenoffizier sah einen Augenblick irritiert auf. „Sie geben keine Antwort mehr", sagte er dann. Der Offizier veränderte die Einstellung, aber nur knatternde
Statik kam über die Spezialfrequenz, „Anpeilen!" befahl Jakto Javan. Ein anderer Spezialist machte sich an die Arbeit. Dann beugte sich der Befehlshaber der Laktonen selbst über das leuchtende Band der Skalen. Achselzuckend erhob er sich wieder. „Versuchen Sie es! Zumindest bringt es uns in unmittelbare Nähe von Agelons Raumer!" „Sie haben sich offenbar gegenseitig vernichtet", meinte ein Offizier. Er legte dem Kommandanten eine Folie vor. Diese enthielt die zuletzt aufgefangenen Funksprüche und Raumkoordinaten. „Aus der letzten Nachricht geht hervor, daß Agelons Raumer schwer angeschlagen und steuerlos sich im freien Fall auf die Sonne zu bewegt." Jakto Javan wischte die Worte mit einer machtvollen Geste weg. Die rötlichen Zähne des Adligen blitzten. „Ich muß Sigam Agelon sehen. Bevor wir nicht seine Leiche gefunden haben, glaube ich nicht, daß er tot ist. Der Hantelraumer muß zu finden sein." Keiner wagte einen Einwand. Jeder wußte, daß es fast unmöglich war, zwischen unzähligen Raumschiffwracks den einen Hantelraumer zu finden. Die Koordinaten waren nur annähernd bekannt. Die letzte Explosion, die auch die beiden restlichen leichten Kreuzer vernichtet haben mußte, konnte den freien Fall durch das Sonnensystem in eine gänzlich andere Richtung gelenkt haben. Der Kommandant des Raumers stieß einen überraschten Ruf aus. Zusammen mit dem Navigationsoffizier nahm er eine Serie von raschen Einstellungen am Computer vor. Im selben Augenblick schüttelte eine Titanenfaust das laktonische Raumschiff der PithonKlasse. Jakto Javan wurde gegen eine Computerwand geworfen. Das Schiff ächzte und schwang herum. Der über vier
Kilometer lange Gigant wurde durch die Tiefen des Raumes geschleudert. Das Raumgefüge zerriß und verschluckte die Sterne. Schlagartig wurde es in der Kommandozentrale dunkel. Flackernd setzte die Notbeleuchtung ein. Erschreckte Rufe gellten durch das Chaos, das vor wenigen Sekunden die Kommandozentrale der laktonischen Flotte gewesen war. Als die Beleuchtung wieder einsetzte, wuchtete sich Jakto Javan grimmig hoch. Auf seiner hohen Stirn bildete sich eine steile Kerbe. „Diese Verrückten!" rief er wütend. Jeder wußte, was geschehen war. Am Rande des Sonnensystems war ein Geschwader von orathonischen Hantelraumern in den Hyperraum getaucht. Innerhalb eines Augenblicks hatte die freiwerdende unkontrollierbare Energie aus dem fünfdimensionalen Pararaum das Gravitationsgefüge des Sonnensystems empfindlich gestört. Der Sprung mußte in nächster Nähe stattgefunden haben. Das Schiff der Laktonen war von den gestörten Gravitationsfeldern über eine Distanz von mehreren Lichtsekunden geschleudert worden. Ein Offizier aus der Funkzentrale stürzte auf Jakto Javan zu. „Edler", keuchte er, „die orathonischen Transformerstationen sind verschwunden!" Der Holograf zeigte das Bild mit aller Deutlichkeit. Die Energiefestungen der Orathonen, die ihre Flotte noch teilweise mit Energie versorgen konnten, kreisten nicht mehr auf ihren weiten Bahnen um die Sonne. Dort hatten sie die Energie abgezapft. Sie konnten erst seit wenigen Minuten verschwunden sein, denn der wirbelnde Haufen von laktonischen Schiffen, der pausenlos die gigantischen Transmitter angegriffen hatte, war versprengt und zog sich jetzt
langsam zu den leeren Stellen im Raum zusammen, wo vor kurzem noch die Festungen der Orathonen gekreist hatten. Offenbar waren auch diese Schiffe durch das überraschend nahe Eintauchen der Orathonen in den Hyperraum angeschlagen worden. Aber immer noch befand sich der Hauptteil der orathonischen Flotte im solaren Raum. Doch die orathonischen Verbände zogen sich kämpfend weiter zum Rande des Sonnensystems zurück. Die Taktik der Gefiederten war unbegreiflich. Doch die Schlacht ging weiter. Auf Befehl Jakto Javans schoß sein Raumer auf die inneren Planeten zu. Der laktonische Kommandant, der mit höchster Genehmigung des SCHENNA den Flottenabschnitt im Sol-System übernommen hatte, brannte darauf, eine persönliche Rechnung zu begleichen. * Der Schmerz brachte ihn zu Bewußtsein. Das bohrende Pochen in seinem Kopf, die Nadelstiche, die in Wellen über seinen Körper zu rasen schienen, rissen ihn in eine Wirklichkeit zurück, die einem Alptraum glich. Sigam Agelon war zwischen zwei verformten Stahlträgern eingeklemmt. Die mächtigen Beine des Gefiederten waren gefühllos. Als der oberste Befehlshaber der orathonischen Flotte seine Augen über das Chaos wandern ließ, das die Kommandozentrale bildete, fiel ihm ein heller Streifen auf, der vor seinen Augen tanzte. Erst kurze Zeit später merkte er, daß das durchsichtige Material seines Raumhelms einen Sprung aufwies. Sigam Agelon schüttelte schwer seinen Kopf. Das Material des Helms war fast unzerbrechlich. Er mußte mit unvorstellbarer Wucht gegen die Wand geschlagen sein.
Es war so still, daß es in seinen Ohren dröhnte. Agelon kämpfte die Panik nieder, die in ihm aufzusteigen drohte. Der entscheidende Schlag gegen die Laktonen würde glücken, aber für ihn schien es kein Entkommen zu geben. Mühsam bewegte er seinen rechten Arm und zog den Strahler aus einer Tasche seines Raumanzugs. Dann schnitt er sich frei. Hilflos schwebte Agelon einen Augenblick später durch die zerstörte Kommandozentrale. Er stieß sich von der Decke ab, schaltete den Gravitationsregler ein und fand einen Augenblick später wieder Boden unter den Füßen. Erleichtert atmete er auf. Der zerstörte Raum hatte wieder die vertrauten Dimensionen angenommen. Langsam, da jeder Schritt schmerzte, bahnte sich der Orathone seinen Weg aus dem Kommandoraum. Mehr als einmal mußte er Trümmer und leblose Körper aus dem Wege räumen. Die Tür zum Gang wurde durch die gespenstisch aufgeblasenen Körper dreier Gefiederter versperrt. Die Leichen waren zu unförmigen Ballons aufgetrieben. Mit zusammengebissenen Zähnen räumte der Gefiederte das Hindernis beiseite. Der Weg durch das zerrissene Bruchstück seines ehemals stolzen Schlachtschiffes war ein Gang durch die Hölle. Überall schwebten die verformten Körper der orathonischen Besatzungsmitglieder herum und bildeten einen grauenhaften Anblick. Fragmente zerstörter Bronzerobots, zerfetzte Maschinenteile bedeckten den Boden oder hingen an den Wänden. Durch einen breiten gezackten Riß blickte Agelon in die Schwärze des Raumes. Da das Bruchstück des Hantelraumers langsam um seine Achse rotierte, sah Agelon Sekunden später den kochenden Glutball der Sonne. Sie hing wie das bösartige Auge
eines verwundeten Zyklopen in der Finsternis des Alls. Der Himmelskörper war riesengroß. Er schien ständig zu wachsen. Einen Augenblick gönnte der Gefiederte seinem zerschundenen schmerzenden Körper Ruhe. Das olivgrüne Gesicht des Featherhead war von weißen Flecken bedeckt. Ihm war plötzlich in seinem engen Raumanzug unerträglich heiß. Aber das mußte eine Täuschung sein. Um ihn herum herrschte die tödliche Kälte des Weltenraums, und die Heizung seines Anzugs sorgte für eine Temperatur, die für seinen Körper richtig war. Dann stieß er auf das Schott. Sprünge liefen über die glatte Oberfläche des hochwertigen Panzerplasts. Ungeheure Kräfte hatten hier an der ultraharten Legierung gezerrt. Als Agelon das Klopfen hörte, das sich durch Vibrationen über den Boden bis in seinen Raumanzug fortpflanzte, glaubte er einen Augenblick, von seinen überreizten Sinnen getäuscht worden zu sein. Aber dann wiederholte sich das Geräusch. Der Boden wankte unter den Füßen des Gefiederten. Agelon brach der Schweiß aus. Waren die Feinde schon heran und durchsuchten das Schiff? Der Flottenkommandant wußte, daß er das Schott nicht öffnen konnte. Auch wenn er die Möglichkeit gehabt hätte, würde er es nicht getan haben. Zu groß war die Wahrscheinlichkeit, daß er seinen Feinden in die Hände fiel. Er wußte, was er in diesem Augenblick zu tun hatte. Kämpfen. Kämpfen, bis zum letzten Atemzug. Im Tode so viel wie möglich Gegner mit sich nehmen! Der Orathone überlegte kurz, dann wandte er sich zurück, schaltete den Gravoregler aus, stieß sich kurz vom Boden ab und schwebte fünfzig Meter den Gang entlang.
Agelon zwängte sich durch den Riß, der die meterdicke Außenhülle auseinanderklaffen ließ, arbeitete sich hindurch und aktivierte sofort wieder den Gravoregler. Er wußte, welches Risiko er einging. Aber besser der Tod im Raum, als seinen Feinden in die Hände zu fallen. Die Schuhe setzten mit einem harten Geräusch auf der Außenhülle auf. Dieses Geräusch würde nur er selbst hören. Der Stoß war zu gering, um sich über die Oberfläche fortzupflanzen. Wenn Feinde da waren, konnte man ihn noch nicht bemerkt haben. Waren die Schläge nicht nur eine Einbildung gewesen? Agelon wußte es jetzt nicht mehr. Die Vibrationen konnten auch von Überlebenden seiner Besatzung verursacht worden sein. Langsam, vorsichtig einen Fuß vor den anderen setzend, arbeitete sich Agelon auf der glatten Hülle vorwärts. Um ihn kreisten die Sterne, eine optische Täuschung, die durch die Drehung des Raumers hervorgerufen wurde. Dann riß es den Gefiederten herum. Fast hätte er seinen Halt verloren. Etwa zwanzig Meter vor ihm glühte das Material der Wandung auf. Partikel der zerstörten HüHe rasten als glühende Materiefetzen in den Raum. Nach Bruchteilen von Sekunden hatten sie sich abgekühlt und wurden unsichtbar. Sigam Agelon griff nach seiner Waffe. Etwas schob sich langsam aus dem entstandenen Loch in der Wandung hervor, wurde größer und schwebte einen Augenblick frei im Raum. Agelon erkannte den massigen Körper sofort. Es war einer der großen Diskusraumer. Wütend brüllte Agelon auf, als ein flammender Strahl aus den Düsen des kleinen Schiffes fauchte. Einen Augenblick war der Featherhead wie betäubt von seinem Aufschrei der Enttäuschung
und der Wut, der sich schmerzhaft laut in der engen Kuppel seines Raumhelms gebrochen hatte. Alles stürzte in dem mächtigen Mann des orathonischen Imperiums zusammen, als das Schiff in den Raum schoß. Agelon fühlte sich klein und elend, ein Gefühl, das er bisher noch nicht kennengelernt hatte. Um ihn herum war die Schwärze des Alls, die trostlos kreisenden Sterne, das regelmäßig auftauchende, blutig-weiße Gestirn der sich vergrößernden Sonne. Er war verloren. Einen Augenblick drehte er hektisch an den Einstellungen seines Senders, aber das komplizierte Hochleistungsgerät hatte offenbar Schaden genommen und war unbrauchbar. Das also war das Ende. Langsam hob Agelon den Strahler und richtete ihn gegen seine Brust. Es gab keine Hoffnung mehr, kein Entkommen. Dann sah er aus der Richtung, in der das kleine Rettungsschiff verschwunden war, das Aufblitzen. Verzweifelt klammerte sich Agelon an eine fast unsinnige Hoffnung. Er schwenkte die Waffe, stellte sie durch einen Daumendruck auf Dauerfeuer und beschrieb über seinem Kopf feurige Kreise. Er spürte nicht mehr die Schmerzen durch seinen Körper rasen. Nur noch der Wunsch zu überleben war in ihm. Es war wirklich der Diskusraumer. Man hatte ihn bemerkt und war zurückgekommen. Wenige Sekunden später schwebte das kleine Raumschiff neben dem einsamen Orathonen auf der zerrissenen Außenhaut des Bruchstücks zu, das Stunden zuvor noch die Kommandozentrale der orathonischen Flotte gewesen war. Die Außenschleuse des Rettungsschiffes öffnete sich. Sofort hatte sich Agelon wieder gefangen. Sein breites, hartes Gesicht strahlte unbeugsamen Willen und töd-
liche Energie aus, als er in das Innere des kleinen Raumers kletterte. Als die Schleuse mit Luft gefüllt war, ließ er seinen zersprungenen Helm zurückschnappen. Sofort öffnete sich das Schott zum Inneren des Schiffes. Drei orathonische Offiziere machten eine zackige Ehrenbezeigung. Sigam Agelon winkte ab. Seine Augen glühten. „Sie hätten mich fast im Stich gelassen", sagte er fast sanft. Der größte Featherhead trat einen Schritt auf ihn zu. Er hielt den linken Arm in einem seltsamen Winkel schräg vom Körper ab. Offenbar war er verletzt. „Edler, wir . . ." „Warum ist das Schiff nicht nach Überlebenden abgesucht worden, bevor Sie starteten?" Die Orathonen starrten zu Boden. Sigam Agelon blickte die Offiziere kalt an. „Sollten wir hier herauskommen", sagte Sigam Agelon mit gefährlicher Ruhe, „werden Sie sich einem Militärgericht gegenüber verantworten müssen. Der Vorfall zeugt von grober Pflichtverletzung und darf nicht auf sich beruhen. Jetzt starten Sie!" Die Orathonen eilten davon. „Halt!" Die Stimme des obersten Befehlshabers ließ sie herumfahren. „Das Schiffswrack muß zerstört werden. Keine Spur darf von der Kommandozentrale zurückbleiben. Der verwundete Featherhead nickte, sah auf den Schirm und wirbelte dann in seinem Andrucksessel herum. „Edler, ein starker Verband von Laktonen . . ." Mit wenigen Sätzen war Agelon am Bildschirm. Der Holograf zeigte mit bestürzender Deutlichkeit einen kleineren Verband von laktonischen Schiffen. Aber auch ein einzelner Kreuzer wäre zuviel gewesen. „Starten!" befahl Agelon. Der kleine
Raumer schoß vorwärts. Noch hatte man sie nicht entdeckt. Einen Augenblick dachte Sigam Agelon an seine unverhüllte Drohung, die Offiziere wegen ihrer Fahrlässigkeit vor das Kriegsgericht zu bringen. Sie hatten ihm das Leben gerettet, aber dennoch würden sie hart bestraft werden. Doch der Gefiederte dachte keinen Augenblick daran, daß ihn die Offiziere möglicherwiese beseitigen könnten, um so der Strafe zu entgegen. Zu tief war in das Bewußtsein seines Volkes die Ehrfurcht gegenüber Angehörigen der FAMILIE eingeprägt worden. * Langsam schritt Rex Corda auf den Laktonen zu. Ebenso langsam folgten John Haick und Nukleon. Der Roboter war zur Seite getreten und verfolgte genau die Bewegungen. Das kantige Gesicht des Senators der Vereinigten Staaten von Amerika war durch Staub und Blut völlig unkenntlich geworden. Auch John Haicks Lächeln glich dem Grinsen eines Teufels. Die Kleidung der Männer hing in Fetzen herunter. Nukleons Fell war versengt. Über die Nase des Hundes lief eine breite, tiefe Schramme. „Vandour", stellte sich der Laktone vor, „ich begrüße Sie im Namen des Kommandanten der laktonischen Flotte, Jakto Javans!" Der hochwertige Translator des Kuriers ließ die Stimme fast menschlich erscheinen. „Rex Corda", sagte der Senator mit fester Stimme, „ich habe mich bei Ihnen zu bedanken!" Der Laktone schien zu lächeln. Rex Corda betrachtete ihn aufmerksam. Der Mann schien für einen Laktonen etwas zu große Ohren zu haben. Auch die Nase war gebogen, ein Zeichen, daß der Laktone nicht den obersten Familien
des laktonischen Planetenbundes angehörte. Doch etwas anderes fiel Rex Corda sofort auf. Dieser Mann reagierte eigenartig. Etwas war in ihm verborgen, das seine Gefühle unkontrolliert und widerspruchsvoll erscheinen ließ. Doch der Gedanke verschwand sofort wieder. Vielleicht waren durch die Strapazen der letzten Stunden die empathischen Fähigkeiten des Senators gestört worden. „Kommen Sie", sagte der Laktone und wies einladend auf das Innere des Kurierschiffes. „Sie müssen sehr müde sein!" Wieder kam dieses undefinierbare Etwas über Rex Corda. Der Laktone wirkte sehr sympathisch, aber zugleich hatte er etwas Fremdartiges, was Bekoval, Percip und die anderen nicht besaßen. „Stimmt", meinte John Haick, „Sie kamen im rechten Augenblick. Wir hatten schon unser Testament gemacht!" Der Laktone blickte sie einen Augenblick irritiert an. Dann wies er auf den Bildschirm, der eine ganze Wand des Kommandoraums einnahm. „Die Fabrik ist völlig lahmgelegt. Die Orathonen verlassen die Erde. Sie haben ganze Arbeit geleistet. Sie hatten Agenten unseres Volkes bei sich?" Die Frage kam beiläufig, aber Rex Corda horchte auf. „Sie sind gefallen", antwortete der Senator schließlich „Sie hätten mit uns gerettet werden können, aber ein Haufen dieser Byts hat sie außer Fassung gebracht!" Der Laktone nickte gedankenvoll. „Sie können mir nachher genau Bericht erstatten", sagte er ruhig, aber Rex Corda spürte das Mißtrauen hinter der Stirn des Fremden. Der Laktone war eine zwiespältige Persönlichkeit. Er wirkte irgendwie anders als die Laktonen, die sie bisher kennengelernt hatten.
Der laktonische Raumer gewann an Höhe. Auf dem Holografen zeichneten sich zwei weiße Linien ab, an deren Spitze ein dunkler Punkt saß. Rex Corda erkannte zwei der laktonischen Kampfrobots, die sich aus dem von den Orathonen aufgegebenen Nachschubzentrum erhoben. Jetzt lag der Gebäudekomplex tot und verlassen da. Die Fabriken produzierten nicht mehr, die orathonischen Raumer waren verschwunden. Sekunden später war ein scharfes Schnappen zu hören, als sich die schweren Metallkörper an die Außenwand des Kurierschiffes hefteten. „Wie haben Sie uns überhaupt gefunden?" erkundigte sich Rex Corda. Immer noch wußte er nicht genau, warum das laktonische Schiff gekommen war und warum die Orathonen die Nachschubbasis aufgegeben hatten. Aber er hatte sich schon bei der Landung des Laktonenschiffes seine Gedanken gemacht. „Wir fragten über das Kommandozentrum an, das Sie das NORAD nennen. Man informierte uns über Ihren Sondereinsatz." Der Laktone Vandour blickte Rex Corda voll an. Wieder hatte der Senator ein seltsames Gefühl. Dann konzentrierte er sich auf das wichtigste Problem. Der Laktone schien seine Gedanken erraten zu haben. „Wir werden die Fabriken jetzt zerstören. Wir benötigen sie nicht, und falls die Gefiederten zurückkommen, werden sie nur Trümmer und Ruinen vorfinden", bemerkte der Laktone fast beiläufig, während er an seinen Kontrollen Einstellungen vornahm. „Das werden Sie nicht", kam die scharfe Stimme John Haicks. Der junge Wissenschaftler hatte sich aufgerichtet. Nervös fuhr er sich mit der Rechten durch sein dichtes schwarzes Haar. Fast
bittend blickte er Rex Corda an. Der Senator wußte sofort, was sein Freund wollte. Er hatte die ganze Zeit daran gedacht. „Als Vertreter aller Nationen dieses Planeten lege ich schärfsten Protest gegen die Zerstörung der orathonischen Waffenfabrik ein, bevor nicht unsere Wissenschaftler die technischen Einrichtungen genauestens untersucht haben!" Verstehen glimmte in den Augen des laktonischen Offiziers auf. „Binnen weniger Wochen", fuhr der Senator fort, „ist unsere Erde verwüstet worden. Millionen von Menschen mußten sterben, weil zwei Rassen ihre Auseinandersetzung zufällig in diesem Raum der Milchstraße austragen!" Der Laktone blickte ihn starr an. Ruhig erwiderte Rex Corda den Blick des Offiziers. „Darum bitte ich Sie noch einmal, die Fabrik nicht zu zerstören. Sollten Sie meiner Bitte nicht nachkommen, werden wir uns bei Ihrer Admiralität beschweren" Der Laktone blickte irritiert auf. Wieder fühlte Rex Corda nichts. Seine empathischen Fähigkeiten schienen ihn verlassen zu haben. Dann wußte Rex Corda plötzlich, woran ihn der Offizier erinnerte. Der Mann wirkte, als sei ein untergeordneter Maschinist plötzlich in die gigantische Zentrale eines Kampfschiffes versetzt worden. Ein anderer Eindruck: Er schien wie ein einfacher Soldat, dem plötzlich verantwortungsvolle Aufgaben im Generalstab übertragen wurden. Erst später wußte Rex Corda, wie nahe er der Wahrheit mit seinen Vergleichen gewesen war. Der Laktone nickte langsam. Die Entscheidung schien ihm schwerzufallen. „Ich werde die Angelegenheit meinem Vorgesetzten melden. Die letzte Entscheidung liegt nicht bei mir!" Rex Corda schüttelte den Kopf.
Plötzlich war ihm der Gedanke gekommen, daß der Laktone nie diesen Vorfall melden würde. „Danke", sagte der Senator. Und dann lächelten die drei Männer, wie in einem plötzlichen geheimen Einverständnis. Der Sondereinsatz war beendet. Er war sinnlos geworden, mit dem Zeitpunkt, da die Orathonen die Fabrikanlagen aufgegeben hatten, um sich aus dem Sonnensystem zurückzuziehen. Aber wer hätte wissen können, daß alles so schnell gehen würde? * „Nichts?" „Nein, Edler!" Der Laktone am Massesucher schüttelte den Kopf. Dann wandte er sich Jakto Javan zu. Der laktonische Kommandant blickte starr vor sich hin. Er sah auf, als sich die Meldungen der Offiziere überstürzten. „Rückzug der Orathonen beschleunigt . . ." „Keine Verteidigung, nur noch regellose Flucht. . ." „Außerhalb des Systems . . ." „Sie tauchen in den Hyperraum . . ." Sofort hatte Javan seinen Entschluß gefaßt. „Verfolgen!" bellte seine harte Stimme. „Offensive! Nur noch auf Angriff fliegen!" Dann gab Jakto Javan den Befehl, ebenfalls zum Rande des Sonnensystems zu fliegen, um mit seiner Flotte die Orathonen aus dem System zu werfen und zu vernichten. Die Schlacht hatte vor wenigen Stunden aus Tausenden von kleineren Einzelkämpfen bestanden. Jetzt kam sie in der Nähe der Plutobahn zum Höhepunkt. Hier befand sich die Hauptmasse der fliehenden Hantelraumer. Laktonschiffe der Trakon- und Pi-
thon-Klasse hatten dort Hunderte von Hantelraumern eingeschlossen, die immer wieder den Versuch machten, auszubrechen. Aber auf engem Raum behinderten sich die mächtigen Schiffe gegenseitig. Nur einige Raumer konnten sich wirkungsvoll wehren. Aber gerade sie waren dem Sperrfeuer der Laktonen ausgesetzt. Einzelnen Schiffen gelang der Durchbruch. Aber die doppelte Anzahl verging im Hagel der „Silent-Mary"-Geschosse. Jakto Javan leitete persönlich die Kampfhandlungen. Er hatte es erreicht, aus der stark demoralisierten, in der Defensive befindlichen Flotte ein Heer von hart und zielbewußt operierenden Schlachtschiffen zu machen, die die Wende herbeigeführt hatten. Und jetzt flohen die Featherheads, tauchten in die schützende Unendlichkeit des Hyperraums und ließen Hunderte von gigantischen Schlachtschiffen zurück, die in ihrer ungünstigen geballten Position zur Bewegungsunfähigkeit verdammt waren. Die Orathonen schienen trotz ihrer Übermacht geschlagen. Ein überraschender, schwerwiegender Erfolg für die Flotte der Laktonen. Ein persönlicher Erfolg für Jakto Javan, der seinem ärgsten Gegner und persönlichen Feind eine Schlappe zugefügt hatte. Jakto Javan konnte triumphieren. Er hatte allen Grund dazu. Aber etwas fehlte. Wo war Sigam Agelon? War er tot? Ein unkenntlicher, zerfetzter Leichnam innerhalb eines Gewirrs von Trümmern? Oder war ihm die Flucht gelungen? Jakto Javan wußte es nicht. Keines der mittelgroßen Schlachtschiffe, die er auf die Fährte des Gefiederten gesetzt hatte, war zurückgekehrt oder hatte sich nach der abgerissenen Verbindung
wieder gemeldet. * Als sich die Plattform zur Loge hinuntersenkte, erhoben sich die Orathonen von ihren Sitzen. Aus dem Rund der Arena blickten die Gefiederten auf ihren Führer, den mächtigen Moga Agelon. Alle wußten, daß etwas Großes bevorstand. Die tausend roten Sitze der Arena waren bis auf den letzten Platz besetzt. In den Gängen drängten sich diejenigen, die keinen Platz bekommen hatten. Unvermittelt war das anfangs kleine Gefecht im System Sol zu einer Schlacht von größter Wichtigkeit geworden, fast von entscheidender Bedeutung. Die Anwesenheit Sigam Agelons, der die Flotte im solaren Raum kommandierte, fügte einen nicht zu übersehenden familienpolitischen Faktor hinzu. Die Gefiederten im gewaltigen Rund der Arena gehörten sämtlich zur FAMILIE, deren Macht das gesamte orathonische Imperium kontrollierte. Über zehntausend bewohnte Planeten gehörten diesem Sternenreich an, Welten von ungeheurem Reichtum und wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit. Es schien unfaßbar, daß diese blühenden Planeten, diese Fülle von Reichtum und Schönheit persönlicher Besitz der FAMILIE waren, aber es war eine seit Jahrhunderten feststehende Tatsache. Die Mitglieder der FAMILIE, es waren jetzt ungefähr achthundert, wurden wie Götter verehrt. Aber der oberste Herr war Moga Agelon, ein Gefiederter in der Blüte seiner Jahre; er hatte sechzig Umläufe des Planeten Khara erlebt. Das Streben der Featherheads nach Macht und Ausdehnung der Grenzen war ungeheuerlich. Nach allen Seiten drängten die Grenzen vor. Völker wurden unterworfen, bei Widerstand
vernichtet. Es war der alles verzehrende Wille zur Macht, der diese Rasse in einem schon Jahrhunderte währenden Eroberungstaumel trieb. Moga Agelon nahm auf seinem mit den Emblemen der FAMILIE besetzten Thron Platz. Gleichgültig blickte er auf die Kugel, die in der Mitte der Arena schwebte und das Sol-System darstellte. Er hatte schon Tausende solcher Systeme gesehen und vergehen lassen. Neben dem Thronsessel des Moga befand sich eine in der Luft schwebende Kristallplatte, über die eine leuchtende Kugel schwebte. Jeder Orathone im Rund der Arena wußte, was es mit diesem Gebilde auf sich hatte. Es war ein Schalter, der die neueste Waffe der Gefiederten aktivieren würde. Das Sol-System war das erste Ojekt dieser Waffe. Keiner wußte genau, worum es sich handelte. Die wildesten Vermutungen kursierten. Nur eines war gewiß: Die Laktonen würden keine Chance mehr haben. Das System war abgeschrieben, aber der größte Teil der gegnerischen Flotte war zugleich vernichtet. Auch Angus, der Vertraute des Moga, wußte nichts Genaues über diese Superwaffe, die jetzt vor ihrem ersten Einsatz stand. Er war wütend darüber, daß er nicht vom Moga ins Vertrauen gezogen worden war. Es war für ihn ein schwacher Trost, daß außer Moga Agelon und einigen wenigen auserwählten Technikern keiner von der Funktion dieser Superwaffe wußte. Es war dunkel in diesem gigantischen Raum. Nur die Kugel, deren hineinprojizierte Planetenabbilder schwach leuchteten, goß einen matten Schein auf die olivgrünen Gesichter der Gefiederten. Auf eine Handbewegung des Moga verstummte das Geflüster. Ein eiförmiger Gegenstand schwebte auf den Obersten Orathonen zu, ein
Mikrofon, das die mächtige Stimme bis in die obersten Reihen des ArenaRundes trug. „Orathonen! Es ist die Stunde der Entscheidung. In kurzer Zeit wird es keine laktonische Flotte mehr geben. Sie wird ausgelöscht werden. Wir. . ." Bewegung entstand hinter ihm. Ein Gerät begann zu ticken. Eine Folie flatterte heraus. Angus griff danach, aber die Hand des Moga riß sie an sich. Dennoch hatte Angus die ersten Zeilen erfaßt und vermochte sich sein Bild zu machen. Eine kleine Pause entstand, während Moga Agelon die Nachricht überflog. Dann erhob sich wieder seine gewaltige Stimme. „Wir kämpfen mit großen Verlusten. Aber auch der größte Verlust läßt unseren Kampf sinnvoll erscheinen: Die Vernichtung des Feindes, die Eroberung der Milchstraße!" Die Hand des Gefiederten zuckte vor. Sie schwebte sekundenlang in der Luft, die Handfläche nach oben. Dann wurde sie langsam zur Seite bewegt und trennte einen kaum wahrnehmbaren Energiefaden zwischen der in der Luft schwebenden Kristallplatte und der darüber befindlichen leuchtenden Kugel. Der Kontakt war unterbrochen, der Schalter umgelegt. Gespannt richteten sich die tausend Augen auf das Abbild des Planetensystems innerhalb der Projektionskugel. Etwas flimmerte und verschleierte die Sicht auf die innersten Planeten. Noch einmal hallte die Stimme des Moga durch das Rund der Arena. „Das Feld um das Planetensystem baut sich auf. Nach einem halben Planetenumlauf Kharas gibt es für uns keine laktonische Flotte mehr. Sie ist vom normalen Raum-Zeitgefüge abgeschnitten. Es gibt kein Entkommen. Das ist die Stunde der Entscheidung!"
Tausende von Stimmen brandeten jetzt auf und jubelten ihrem Herrscher zu. Moga Agelon erhob sich in dem allgemeinen Jubel. Er trat auf die Plattform. Der Energiezylinder bildete sich unter ihm und ließ den Gefiederten emporschweben. Die Blicke der Featherheads wanderten von der sich in der Luft erhebenden Säule zu dem milchigen Grün, das das Planetensystem umgab. Lady Santarra beugte sich vor. Nervös spielten ihre schmalen Finger mit dem Ring, auf dem der glasartige kostbare Stein von Terra prangte. Die gemusterten Augenlider der Frau zogen sich nervös zusammen, als sie sich an Angus wandte. „Was ist mit Sigam? Betraf die Nachricht ihn?" Angus beugte sich mit einem sardonischen Lächeln zurück. Seine breiten Gesichtszüge verhärteten sich, als er das schöne Gesicht der Lieblingsfrau des Moga sah. Sie zuckte wie unter einem heftigen Schlag zusammen, als er sie kalt musterte. Dann griff der Ratgeber des Moga nach der Folie, die das Oberhaupt der FAMILIE achtlos hatte fallenlassen, nachdem er die Nachricht gelesen hatte. „Sigam Agelon hat einen Notruf ausgeschickt, nachdem sein Schiff zerstört wurde. Dieser Notruf wurde von einem Hantelraumer aufgefangen, der sich in der Nähe des Rettungschiffes befand, in dem Sigam flüchtete." „Sigam Agelon befindet sich innerhalb des Systems?" Die Stimme der Frau war nur ein Flüstern. „Dann ist auch er . . . verloren . . .?" „Offenbar", äußerte Angus trocken. Die Augen der Frau verengten sich vor kalter Wut. „Ihr wollt ihn umbringen, was?" Die Erregung ließ ihr schönes Gesicht dunkel anlaufen. Angus fuhr zurück. Schon
waren andere Frauen aus der Loge des Moga und die Nächstsitzenden aufmerksam geworden. Angus winkte ab. „Keine Aufregung! Sigam bekommt das, was er verdient. Er hat seine Chancen gehabt, gute Chancen. Er hat sie nicht genutzt. Die Hälfte seiner Flotte ist zerschlagen. Das jetzige Projekt verschlingt ungeheure Energiemengen. Es wäre nicht nötig gewesen, wenn. . ." Die Stimme der Lady Santarra war jetzt ruhig geworden. Sie sagte nur: „Ihr alle haßt ihn. Sigam ist zu groß für euch. Er würde euch zur Seite fegen, wenn er hier wäre!" Angus lachte. „Sind Sie seine Frau, Lady Santarra?" Sie sah wieder auf den Ring und drehte langsam den glitzernden Stein. Ihre nächste Äußerung ließ Angus zusammenzucken. „Ich wünschte, ich wäre es", sagte sie. Langsam blickte sie zur Projektionskugel im gewaltigen Rund der Arena. Der grüne Schirm schien sich in seinen Konturen zu festigen. Das Kraftfeld um das Sol-System, der unvorstellbar große Schirm, würde in wenigen Stunden undurchdringlich geworden sein. * Vor ihnen wuchs der grüne Ball der Erde auf. Aber die Tatsache, daß er bald festen Boden unter den Füßen spüren würde, war ein schwacher Trost für Sigam Agelon. Die Enttäuschung zerrte immer noch an ihm. Es war alles so einfach gewesen. Der große Hantelraumer war wie ein Schemen vor ihnen aufgetaucht und hatte ihren Notruf empfangen. Er hatte sich ihnen sofort genähert. Aber wenige hundert Kilometer vor ihnen geschah das Entsetzliche. In einem spitzen Winkel hatten sich
drei Pithonraumer der Laktonen genähert. Ein Hagel von Raumtorpedos deckte den orathonischen Raumgiganten ein. Die Schutzschirme des Hantelschiffes hielten stand, aber das kleine Rettungsboot mußte fliehen, um nicht von den umherschwirrenden Materieteilchen getroffen zu werden. Als die blutigroten Feuerbahnen der überschweren 'Silent-Mary'-Geschosse den Hantelraumer eindeckten, wurden die Schutzschirme überlastet. Das Fehlen der Energiefestungen, die in den Hyperraum verschwunden waren, wirkte sich jetzt verhängnisvoll aus. Die Energiereserven des Hantelraumers reichten nicht mehr, hielten nicht dem dichten Hagel der Geschosse stand. In diesem Augenblick wußte Sigam Agelon, daß dies schon sein Ende bedeuten würde. Der fünfdimensionale Energiemantel, jene neueste Entwicklung der orathonischen Waffenforschung, würde sich in kurzer Zeit um das System schließen. Auch er war in der Falle gefangen. Mit grenzenloser Enttäuschung beobachtete der Flottenkommandant, wie der Raumer, der ein Entkommen bedeutet hätte, auseinanderbrach. Steuerlos trieben die massigen Kugeln durch den Raum, während der verhältnismäßig dünne Mittelsteg in Fragmente zersplitterte. Die nächsten Geschosse der laktonischen Übermacht ließen die Kugeln zerplatzen, als seien sie dünne Ballons. Während der Pilot des kleinen Rettungsschiffes in gewagten Manövern dem Hagel der Bruchstücke zu entgehen suchte, ahnte er nicht, daß jetzt die letzte Verbindung zum Orathonischen Sternenreich abgebrochen war. Die Laktonen würden sich bald in einer Falle gigantischen Ausmaßes befinden. Das Sol-System würde vom normalen Raum-Zeit-Gefüge abgeriegelt werden, aber auch sie saßen in dieser teuflischen Falle.
Dann schlug etwas ein, und die Gefiederten wurden durcheinandergewirbelt. Einen Augenblick taumelte der leichte Diskusraumer wie ein welkes Blatt im Sturm. Ein Splitter hatte ihn getroffen. Sigam Agelon wurde hart gegen die Wand geworfen. Aus dem Maschinenraum kam das Heulen der überforderten Antriebsaggregate, die Wandung knirschte und splitterte. Schotten rasteten dröhnend ein. Das Rettungsboot war angeschlagen, ein Teil der Maschinen war beschädigt, sie arbeiteten nur mit halber Leistung, aber der Pilot brachte das Schiff wieder auf Kurs. Die Erde näherte sich mit quälender Langsamkeit. Der Schmerz in Agelons gequältem Körper hatte ihn einen Augenblick besinnungslos werden lassen. Dann richtete sich der Gefiederte mit aller Anstrengung wieder auf. Wut und Enttäuschung zerbrachen ihn fast. Eine Sekunde kämpfte er mit dem Entschluß, den Befehl zur Auflösung zu geben, der das kleine Schiff in eine mittlere Atombombe verwandelt hätte. Aber der Gefiederte rang den Augenblick der Destruktion nieder. Es wäre Feigheit gewesen. Taumelnd erreichte er die Steuerpulte und starrte auf den Holografen. Neben ihm hing der Pilot mit schmerzverzerrtem Gesicht in seinem Andrucksessel. Sein rechter Arm war ausgerenkt und hing wie ein fremder Teil seines Körpers herunter. Der Co-Pilot hatte die Einstellungen übernommen, die das Schiff wieder auf Kurs brachten. Aber auch dieser Gefiederte, erinnerte sich Sigam Agelon, konnte nur einen Arm benutzen. Er war ebenfalls bei der Explosion des Schlachtschiffes verletzt worden. Bitter dachte Sigam Agelon, in welchem Zustand seine Mannschaft war.
Die beiden verletzten Piloten waren wie ein Symbol seiner Niederlage, ein Manifest seines Versagens. Der Holograf gab ein schlechtes Bild. Der Reaktor, der die Energien modulierte, um das Bild zu erzeugen, mußte ebenfalls schadhaft sein. Aber in den Augenblicken, in denen ein klares Bild aufblitzte, erkannte der Orathone, daß die Schlacht nahezu beendet war. Der Kampf hatte sich zum Rande des Sonnensystems verlagert. Das war die Schlußphase der Schlacht. Jetzt mußte der Energieschirm errichtet werden. Flüchtig dachte Agelon an die Zentrale in Khara, die ein Ausgangspunkt seines Machtstrebens gewesen war. Er dachte an Lady Santarra und an den Stein, den er ihr geschenkt hatte, als er das erste kleinere Gefecht gewonnen hatte und Terra in seine Gewalt bekam. Aber das war der Anfang vom Ende gewesen. Ein anderer Name zuckte durch das gequälte Gehirn des Gefiederten: Rex Corda. Ein Eingeborener, ein Primitiver, und doch ein Wesen, das wahrscheinlich maßgeblichen Anteil an seiner persönlichen Niederlage hatte. Rex Corda, ein Mann, der einfach nicht in das Bild paßte, das seine lange Erfahrung von den Männern primitiver Rassen geprägt hatte. Rex Corda! Agelon ballte die Fäuste. Er hatte diesen Primitiven in seiner Gewalt gehabt, hatte ihm einen semibiotischen Conductor einpflanzen lassen, und trotzdem war der Eingeborene seinem Machtbereich entkommen. Barg Terra ein Rätsel, dessen Auflösung ihm, Sigam Agelon, bisher versagt geblieben war? Es mußte so sein. Aber das Ende des Sonnensystems fiel mit seinem Ende zusammen.
* Tausende von Kilometern hoch schossen die Prozuberanzen aus der Sonne Alpha Centauri in den Raum. Staubstürme von ungeheuren Ausmaßen wurden auf den unbewohnten Planeten dieses erdnahen Systems hervorgerufen. Die Natur wehrte sich! Die Hand eines Giganten hatte nach der Sonne Alpha Centauri gegriffen. Seine Finger hatten an den Kräfteströmen des Gestirns gezerrt, hatten Milliarden von Energie-Einheiten von dem glutflüssigen Ball abgezogen. Transmitterfestungen führten einen rasenden Tanz um die sich aufbäumende Sonne auf. Glutbahnen flüssiger Energie lösten sich aus der Sonne und schossen auf die Stationen zu. Dröhnende Kondensatoren, übersättigte Kraftfelder verteilten den Energieansturm wandelten ihn um und leiteten ihn in den Hyperraum ab. Die kilometerdicken Glutbahnen tauchten ins Nichts, verschwanden. Unermeßliche Energiemengen waren dazu notwendig, um das „Loch" im Weltraum geöffnet zu halten. Mit mehrfacher Lichtgeschwindigkeit jagte der Strom der freien Energie durch den fünfdimensionalen Pararaum. Mehrere Lichtminuten außerhalb der Plutobahn schwebte ein starker Verband von orathonischen Spezialraumern im All. Die gigantischen Energieanlagen, die durch einen einzigen mächtigen Kraftstoß den Zugang zum Hyperraum ermöglichten, waren bei diesen Schiffen um ein Vielfaches verstärkt worden. Techniker der Gefiederten saßen angespannt vor den Computerbänken. Ein Millionstel Grad Abweichung würde den Strahl an den Auffangstationen vorbeirasen lassen. Die mächtigen Hantelraumer hatten
einen Ring gebildet, dessen Radius dreihundert Kilometer betrug. Die Position war auf den letzten Milli-Grad festgelegt worden. Gleichzeitig begannen die durch einen Computer koordinierten Energieanlagen zu arbeiten. Das Nichts öffnete sich. Längst waren die sackförmigen Auffangstationen hinter dem Ring der Sternenschiffe auf Position gebracht worden. Ihre Öffnung deutete auf das „Loch". Nacheinander meldeten sich jetzt die einzelnen Verteiler, deren Spinnennetz von Kraftströmen die zukünftige Energieblase markierten. Mit einem Schlag war der leuchtende Strahl aufgetaucht. Wie eine kompakte Masse stand der Energiestrom im Raum. In Sekundenbruchteilen hatte er die Entfernung aus dem „Loch" bis zu den sackförmigen Auffangstationen überbrückt. Es gab jetzt keine Frage mehr, ob sich eventuell noch Schiffe der Orathonen im solaren Raum befänden. Selbst wenn die Techniker gewußt hätten, daß der direkte Nachkomme des Moga, Sigam Agelon, sich noch im System befand, wäre es unmöglich gewesen, die Aktion abzubrechen. Von den Hantelraumern, deren Energieeinheiten das „Loch" im Weltraum aufrechterhielten, wirkte es, als griffe ein gigantisches, bösartiges Insekt nach dem Sol-System. Der Strahl wurde gebrochen, abgestoppt und unterteilt. Einzelne Spinnenfinger tasteten sich zu den Verteilern und wurden zu jener grünen fünfdimensionalen Energiewand umgeformt, die das System mit eiserner Faust zusammenhalten sollte. Die Energieblase schloß sich. Sekundenlang war das gesamte System von einem flackernden Leuchten umgeben. Jetzt verdickte sich der Strom der glutflüssigen Energie, die aus dem „Loch" hervorschoß. Langsam rückten
die Schiffe auseinander, der Ring wurde größer. Die Spinnenfinger wurden stärker. Aus dem flackernden Leuchten wurde ein milchiger grüner Schein, der den Eindruck einer unbeschreiblichen großen, kompakten Kugel vortäuschte. Die Techniker in den Hantelraumern außerhalb des systemgroßen Schirmes jubelten. Erstmalig war es gelungen, dieses Superkraftfeld zu bilden und aufrechtzuerhalten. Mit einem Schlag war der größte Teil der laktonischen Flotte eingeschlossen worden. Es war unmöglich, zu entkommen. Die kosmische Falle war zugeschlagen. * Die kosmische Falle war zugeschlagen. Irrenhaus. Mit vor Schreck geweiteten Augen verfolgten die Offiziere das unfaßbare Geschehen. Die Holografen lieferten ein genaues Bild der Geschehnisse, aber die Folgerungen vermochte keiner zu ziehen. Die sofort eintreffenden Notrufe der in vorderster Linie dahin jagenden Schlachtschiffe der Laktonen gaben einen grausigen, aber deutlichen Kommentar. „Vor uns eine grüne Energieschranke. . . versuchen auszu weichen . . ." „Eine Mauer im All. . . wir stürzen auf sie zu . . . kein Zurück . . ." „Notruf . . . die Schiffe zerschellen . . . versuchen, tangential. . ." Alle Meldungen brachen ab. Hunderte von laktonischen Schlachtschiffen verglühten an dem grünen Schirm. Eine Panik brach aus. In ihren wilden Versuchen, den Kurs zu ändern oder abzustoppen, gab es ein wirres Durcheinander in der Schlachtordnung der Laktonen. Die meisten Schiffe der Orathonen waren entkommen, bevor sich der Kugelschirm gebildet hatte, aber viele hatten es nicht geschafft. Gemeinsam mit ihren Verfolgern waren sie
gefangen. An den Grenzen des Sonnensystems war der Weltraum von den Stürmen entfesselter Energie erfüllt. Ein Fanal des Todes schloß seinen Ring um die Sonne. Immer wieder versuchten die raketenförmigen laktonischen Raumgiganten, gemeinsam den Schirm zu durchstoßen. Jetzt flackerte die Energieblase an mehreren Stellen, wo sie die Wucht einiger kilometerlanger Schlachtschiffe getroffen hatte. Aber der Schirm hielt und verstärkte sich weiter. Einen Augenblick stand Jakto Javan regungslos, wie versteinert vor der Holografenwand, die auf Hunderten von kleinen Schirmen das unfaßbare Geschehen zeigte. Der herbe Geruch, der sich bei großen Erregungszuständen um die Laktonen bildete, erfüllte die Kommandozentrale. Dann straffte sich die breite Gestalt des laktonischen Kommandanten. Der Adlige hatte sich wieder in der Gewalt. „Zurück!" bellte seine harte Stimme. „Rückzug! Jeder Angriff auf die Energiebarriere wird gestoppt!" In jedem Raumschiff der laktonischen Flotte dröhnte die befehlsgewohnte Stimme Jakto Javans auf. Die Kommandanten kamen wieder zur Besinnung. Man hatte erkannt, daß man in der Falle saß, daß es im Augenblick kein Entkommen gab. Klaustrophobie! Einen Augenblick hatten sich die laktonischen Kommandanten wie in einer engen Mausefalle gefühlt. Es war wie die Agonie eines wilden Tieres, das wieder und wieder, mit dem Schädel gegen die Gitterstäbe eines Käfigs rennt. Die Kreuzer schwenkten ab und zogen sich zurück. Jakto Javan lehnte sich einen Augenblick benommen gegen das Pult vor den Holografen. Seine Augen preßten sich
zusammen. Die Mundwinkel zuckten. Keiner der anwesenden Generale wagte, ihn anzusehen. Sie hatten geglaubt, einen Sieg errungen zu haben, und mußten erkennen, daß sie in der Falle saßen, in einer Falle von kosmischen Ausmaßen. Der laktonische Kommandant richtete sich empor. Seine Faust schoß hoch und schmetterte gegen den nächsten Holografen, der deutlich das Bild der grünen Energieschranke gezeigt hatte. Die Scheibe zerbrach klirrend. Blut tropfte von der Faust des Adligen. „So werden wir auch die Schranke zerschmettern!" brüllte er und sah sich herausfordernd in der Kommandozentrale um. Dann beherrschte sich der massige Laktone wieder. Ein Zittern durchlief seinen mächtigen Körper, als er die Mundwinkel zu einem verzerrten Grinsen verzog. „Jetzt können die Herren Wissenschaftler mal zeigen, was sie können", knurrte er. * Wie ein Ballon blähte sich der blaugrüne Ball vor ihnen auf. Unruhig schritt der Gefiederte im Steuerraum des schwer angeschlagenen Rettungsschiffes auf und ab. Der Diskus hatte bei der Vernichtung des Hantelraumers schwere Schäden davongetragen. Teilweise hatten die vier Offiziere die Koordinierung des Antriebs wieder herstellen können. Dennoch konnte man sich keine harten Manöver mehr leisten. Der Diskus schlingerte, als er die ersten Schichten der irdischen Atmosphäre berührte. Krampfhaft hielt sich Sigam Agelon fest. Dann taumelte er zu einem Schalensessel. Der Gefiederte an den Kontrollen blickte sich kurz um. Seine gemusterten Augenlider zuckten.
„Wir stürzen zu schnell", stieß er hervor. „Die Antriebskapazität. . ." Mit einem Fluch sprang Sigam Agelon von seinem Schalensessel auf. Ein Schlingern des Raumers schleuderte ihn zur Seite. Agelon warf sich herum, stieß den Offizier von den Kontrollen weg und warf sich in den Andrucksessel. Mit einem Blick überflog er die Skalen. Deutlicher aber als die tanzenden Zeiger verriet das unheimliche Heulen der vorbeistreichenden Luftmassen, daß ihre Fallgeschwindigkeit viel zu hoch war. Sie würden als rotglühender Meteor auf der Erdoberfläche auftreffen. Der Befehlshaber der orathonischen Flotte riß den Diskus in die Höhe. Das Material ächzte. Durch das Dröhnen der Aggregate hörte er ein Stöhnen. Er wandte sich nicht um, sondern konzentrierte sich auf die Skalen. Noch ein Ruck ließ den Raumer emporschnellen. In einem weiten Bogen durchstieß der Diskus den obersten Rand der Exosphäre und schnellte wieder in den Raum empor. Die Gravitation der Erde zerrte an dem kleinen Raumer. Flüchtig blickte sich der Gefiederte um. Der Schalensessel hinter ihm hatte sich aus seinen Verankerungen gelöst und war durch die Riesenfaust des Andrucks bis an die Computerbänke geschleudert worden. Der eine Offizier lag bewegungslos unter den Trümmern des Andrucksessels. Wieder erfüllte ein hohles Stöhnen die kleine Steuerzentrale. Der Offizier bemühte sich, freizukommen. Gnadenlos aktivierte wieder der Gefiederte die Antriebsaggregate. Die Maschinen brüllten auf und übertönten das Stöhnen des verletzten Featherhead. Eine gewaltige Faust, stärker als beim ersten Eintauchen, preßte den Adligen in den Schalensessel. Die Gravitationsneutralisatoren funktionierten nur
teilweise. Schlingernd tauchte der Diskus wieder in die obersten Luftschichten ein. Sigam Agelon verfolgte mit diesen gewagten Manövern einen wahnwitzigen Plan. Er hatte den defekten Diskus in eine Kreisbahn um die Erde gezwungen und versuchte jetzt, die überhohe Geschwindigkeit durch das Eintauchen in die Exosphäre zu verringern. Das Risiko war groß. Der überbeanspruchte Diskus konnte zerbrechen, die Maschinen ausfallen. Aber der Gefiederte sah darin seine einzige Möglichkeit. Er wußte, daß seine Chancen denkbar schlecht standen. Mit einem defekten Schiff, dessen Antriebsaggregate nur mit einem Drittel ihrer Normalleistung arbeiteten und dessen Andruckneutralisatoren jetzt völlig ausgefallen waren, schoß er geradewegs in den geöffneten Rachen des Feindes. Das Jaulen der vorbeistreichenden Luftschichten verebbte. Erst jetzt bemerkte der Gefiederte, wie heiß es in dem kleinen Raum geworden war. Die Luft brannte in den Lungen des Außerirdischen. Verächtlich wandte er sich seinen Offizieren zu. Offenbar hatte er die größten Schwächlinge bei sich. Zwei waren verletzt, der dritte krallte seine Hände um den Hals und zog rasselnd die Luft ein. Die Geschwindigkeit hatte sich merklich verringert. Im freien Raum kühlte sich die Wandung des Raumers schnell wieder ab. Bei jedem Eintauchen ging Agelon tiefer. Das Rettungsschiff war schwer angeschlagen. Es bockte bei jedem Manöver. Bis jetzt war kein feindliches Schiff in unmittelbare Nähe gekommen. Agelon wußte, daß er sich bei einem etwaigen Angriff kaum verteidigen konnte. Die Bordwaffen des Rettungsschiffes waren Spielzeuge gegenüber den
mächtigen Geschütztürmen der Feinde. Bei einer Entdeckung durch die Massedetektoren der Laktonen wäre das Ende unausbleiblich. Sigam Agelon zuckte zusammen, als der mächtige Schatten eines laktonischen Raumgiganten quer über den Bildschirm wischte. Im gleichen Augenblick schlug seine Hand auf die Kontrollen. Das Licht verlosch in dem kleinen Raum. Verächtlich hörte Agelon den Schrei hinter sich. Offenbar glaubte der Offizier, daß das Schiff endgültig versagt habe. Doch Sigam Agelon hatte nur den Antrieb abgeschaltet und jegliche Energiezufuhr unterbunden. Wie ein Stein fiel der Diskus in die Tiefe. Das war die einzige Möglichkeit, den Raumer zu täuschen. Wenn jetzt die Massedetektoren des laktonischen Schlachtschiffes anschlugen, dann war der Diskus nur eines der vielen Bruchstücke, die wie ein tödlicher Regen auf die gequälte, zernarbte Oberfläche Terras aufschlugen. Wieder steigerte sich die Geschwindigkeit des Rettungschiffes. Unter ihnen breitete sich eine weite blaue Fläche aus. Der Atlantische Ozean. Wolkenfetzen wischten an den Sichtschirmen vorbei. Der Heckschirm zeigte, daß der Kreuzer sie nicht verfolgte. Offenbar hatte man sie nicht einmal bemerkt. Die Hand des Gefiederten zuckte vor und riß an den Kontrollen. Stotternd setzte der Antrieb wieder ein. Es klang wie der Schrei eines zu Tode gemarterten Wesens. Wimmernd strich die Atmosphäre vorbei. Der Diskus ächzte in allen Verstrebungen. Aber auch Sigam Agelon war am Ende seiner Kräfte. Auf dem sich biegenden Boden der Steuerzentrale verschob sich sein Andrucksessel bedenklich. Eine würgende Faust hatte den Magen des Gefiederten ergriffen und
schien ihn zu einem kleinen Ball zusammenzupressen. Die Hitze machte ihn fast wahnsinnig. Sein vom Andruck zu einer bösartigen Fratze verzerrtes Gesicht troff vor Schweiß. Er achtete nicht auf das anschwellende Stöhnen hinter ihm. Dann zerbrach etwas in Sigam Agelon. Für einen Moment schloß er die Augen. Dann schien sein Schädel zu bersten, als er schwer auf das Steuerpult schlug. Seine Hände glitten schlaff von den Kontrollen. Sigam Agelon rutschte aus dem Andrucksessel. Er hing schräg in den magnetischen Verankerungen, die seinen Körper umspannten. Dann sank er innerhalb der Gurte tiefer. Bis zur Hälfte lag sein seltsam verdrehter Körper schlaff'auf dem Boden. Sein Atem ging stoßweise und setzte aus, als ihm ein Gurt die Luft abdrückte. Aus leeren Augen blickte der Offizier, den es aus seinem Andrucksessel gerissen hatte, auf den Adligen. Er fühlte, wie das Schiff wieder fiel. Einen Augenblick kämpfte der Gefiederte mit der Übelkeit. Vor seinen Augen tanzten Schleier, als er sich zur Seite rollte. Wie ein Feuerschlag zuckte der Schmerz durch seinen verletzten Arm, und er sank wieder zusammen. Der Diskus war in eine Sturmfront geraten. Das kleine Raumschiff trieb jetzt schräg auf die blaue Fläche des Meeres zu. Der Orathone schlitterte über den geneigten Boden und schlug schwer mit seinem eckigen Kopf gegen das Metall des Steuerpults. Augenblicklich waren die dunklen Federn auf seiner Stirn von Blut getränkt. Warm rann es über das kantige, von Schmerz verzerrte Gesicht. Der harte Schock brachte den Gefiederten wieder zur Besinnung. Er blickte sich in der Steuerzentrale um. Leblos lagen die Körper seiner drei Gefährten auf dem Boden, der von Rissen überzogen war.
Dann sah er auf Sigam Agelon, dessen Gesicht fast schwarz war. Der Gefiederte drohte zu ersticken. Die Finger des Offiziers krallten sich um die harte Kante des Steuerpults. Er wollte sich emporziehen, aber die Fingernägel brachen ab. Aufstöhnend fiel er zurück. Unter Aufbietung seiner letzten Kraftreserven nutzte er den schräg nach oben wirkenden Andruck aus, stemmte sich gegen Steuerpult und Andrucksessel und kam in die Höhe. Der Gefiederte fiel über den Adligen. Seine blutenden Finger rissen die Gurte auf, die Sigam Agelon die Kehle zu zerquetschen drohten. Langsam glitt der Adlige zu Boden. Seine Züge belebten sich etwas, verloren von ihrer tödlichen Farbe, aber er erwachte nicht aus seiner Bewußtlosigkeit. Der Offizier ließ sich in den Sessel fallen. Eine eiskalte Hand griff nach seinem Herzen, als er die Oberfläche heranrasen sah. Schon waren die langen dunklen Linien der rollenden Wogen zu erkennen. Der Bildschirm zeigte die Oberfläche des Meeres scheinbar aus einer Entfernung von nur wenigen hundert Metern. Die Faust des Featherhead hieb auf die Kontrollen. Die Aggregate erwachten zu neuem Leben. Der Sturz verlangsamte sich, aber die Oberfläche des Meeres näherte sich rasend schnell. Verzweifelt blickte der Orathone auf die dunkle Wasserfläche. Auch hier unten tobte der Sturm und ließ den kleinen Raumer herumwirbeln. Aber die aufgewühlten Luftmassen hatten zugleich den rasenden Sturz vermindert. Nirgends war Land zu sehen. Es war schon fast dunkel, und jagende Wolken verdeckten den Mond. Während der Gefiederte mechanisch die Kontrollen betätigte, um das Taumeln des Diskus zu vermindern, sah er den Lichtstrahl. Etwas blitzte auf, eine grelle Flamme, die zugleich wieder erlosch. Wieder tauchte das Blitzen auf.
Der Diskus näherte sich in einem ungünstigen Winkel. Deswegen konnte der zu Tode erschöpfte Orathone nicht erkennen, was dieses Aufblitzen hervorbrachte. Natürlich waren ihm der Sinn und die Funktion eines Leuchtturms unbekannt. Aber eines wußte er. Wo sich dieses Licht befand, mußte Land sein! Der Offizier riß den Diskus wieder empor, als ihn eine Bö gegen das Meer drängte. Dann sah er unter sich ein mattes Schimmern. Deutlich konnte er auf dem Bildschirm die Schaumkronen der Wellen erkennen, die sich an einer mit hohen Pflanzen bewachsenen Küste brachen. Der Diskus taumelte der Oberfläche der Insel entgegen und bohrte sich tief in den weißen Sand des Strandes. Palmen knickten ein; rauschend senkten sich die Wipfel. Dann war es totenstill in dem kleinen Rettungsschiff. Schwankend erhob sich der Offizier, drückte auf den Knopf, der den Öffnungsmechanismus der Luftschleusen aktivierte und wankte über den kurzen Gang ins Freie. Der Wind ließ ihn frösteln und brachte ihn zugleich völlig zur Besinnung. Der Offizier wußte nicht, daß in diesen Breitengraden normalerweise ein mildes Klima herrschte. Wie im Traum nahm er alles hin: Das Rauschen der Brandung, die phosphoreszierende See das Heulen des Sturmes über ihm, der die Palmwipfel zerfetzte und das ferne, ganz ferne Aufblitzen des Leuchtturms. Der Gefiederte sank auf den eiskalten, feuchten Sand des Strandes. Die Erdoberfläche schien sich zu heben und zu senken, aber bevor ihn die Übelkeit übermannte, riß eine Bewußtlosigkeit die letzten Reste seiner gequälten Empfindungen hinweg. *
„Schon mal besseres Wetter erlebt!" knurrte Rex Corda. Er hatte einen Scherz machen wollen, aber tiefe Sorge klang in seiner Stimme mit. Über die verwüstete Oberfläche der Erde rasten die Stürme, die durch die Landung der gigantischen Schlachtschiffe der Laktonen verursacht wurden. Der junge Senator der USA, den das Schicksal zum Repräsentanten von Terra erwählt hatte, lehnte an der Tür seines rot-weißen Sonnengleiters. Neben ihm stand John Haick. Die Haare der beiden Männer flatterten im Sturm. John Haick grinste freudlos. „Offenbar haben sich unsere lieben Laktonen wieder einmal die Erde als Treffpunkt ausgesucht. Was wirst du tun?" „Ich werde alles versuchen, um die Erde vor weiteren Verwüstungen zu bewahren", äußerte Rex Corda ernst. Er blickte auf den kleinen laktonischen Kreuzer, in dessen Innern Vandour, der Kurier Jakto Javans, verschwunden war. Die Luke des Raumers öffnete sich. Die dunkle, humanoide Gestalt eines Nachrichtenroboters erschien und näherte sich schnell den Männern. „Folgen Sie mir!" Die Stimme war völlig ausdruckslos. Rex Corda und John Haick folgten dem Maschinenmenschen. Sie hatten nach, der Eroberung des orathonischen Nachschubzentrums sofort alle verfügbaren Wissenschaftler aus dem NORAD zur Waffenfabrik beordert. Nicht alles war zerstört worden. Die Fabrik erwies sich als eine wahre Fundgrube für die irdischen Wissenschaftler, die hier zum erstenmal Gelegenheit hatten, die Technik der Gefiederten in Ruhe zu studieren. Das Raumschiff war für laktonische Begriffe verhältnismäßig klein. Trotzdem ragte es über zweihundert Meter in den grauen, von jagenden Wolkenfetzen bedeckten Himmel empor. Ein Gravo-Lift brachte die beiden
Männer und den Nachrichtenrobot zur Luftschleuse, die sich in halber Höhe des raketenförmigen Raumers befand. Corda hatte den treuen Nukleon zurückgelassen. Der Schäferhund hatte sich auf dem Rücksitz des Sonnengleiters zusammengerollt und war eingeschlafen. Als die beiden Männer, zusammen mit dem Roboter, einen Gravoschacht hinaufschwebten, dachte Rex Corda an den Kurier. Vandour schien ein Rätsel in sich zu bergen. Er war breitschultrig, untersetzt und energiegeladen wie alle Laktonen, denen sie bisher begegnet waren. Dennoch war dieser Mann anders. Rex Corda wußte, daß John Haick keinen Unterschied zu anderen Vertretern dieser Rasse empfand; der Senator hatte es seiner empathischen Begabung zu verdanken, daß er etwas tiefer sehen konnte. Was hinter der Stirn des Kuriers schlummerte, konnte er nur ahnen. Aber was wußten sie überhaupt über die Laktonen? Wie ein Blitzschlag war der Konflikt zwischen Laktonen und Orathonen über die Erde gekommen. Die Erde stand völlig unvorbereitet einem Kampfgeschehen von galaktischen Ausmaßen gegenüber. Es war eine zweifelhafte Ehre, daß sich die beiden feindlichen Völker mit der Supertechnik ihrer perfekten Kriegsführung ausgerechnet das Sonnensystem für eine Entscheidungsschlacht ausgesucht hatten. Jetzt war die Erde ein Chaos. Nicht nur äußerlich. Aber die Steinwüsten, die mit ihren glasigen Trichtern die Plätze markierten, wo sich einmal blühende Städte befunden hatten, waren beispielhaft für den Konflikt, der unter den Völkern der Erde tobte. Rex Corda war der Repräsentant dieser geschlagenen Erde. Für diese Auszeichnung konnte er sich herzlich bedanken. Diesem Mann lag nichts an äußeren Ehren. Aber er mußte sehen,
wie trotz der gewaltigen Katastrophe, die über die Erde hereingebrochen war, die Völker immer noch um die politische Vorherrschaft rangen. Es war reiner Irrsinn. Aber die Politik gehorchte schon seit alters her nicht den Gesetzen der Logik. Es waren nicht immer die besten Männer, die sich an die Spitze stellten. Macht, das war das Schlagwort. Macht über Menschen und Materie. Aber war das nicht alles bedeutungslos gegenüber der Katastrophe, die in wenigen Wochen aus der sich vom Atomkrieg erholenden Erde einen geschlagenen Planeten gemacht hatte? Der Roboter trat mit einer geschickten Bewegung aus dem Schacht. Blendende Helligkeit überflutete die beiden Freunde, als sie aus dem Gravo-Schacht in den Gang traten. Nicht zum erstenmal stand Rex Corda in der Kommandozentrale eines Raumschiffes der Außerirdischen. Aber immer wieder war er tief beeindruckt von der technischen Perfektion, die ihn umgab. Allein mit der Entwicklung des Holografen, der ein dreidimensionales, völlig naturgetreues, farbiges Abbild der Umwelt lieferte, degradierten die Laktonen die Entwicklung des Farbfernsehens zu einem Kinderspielzeug für Unterentwickelte. Auf dieser Ebene lag auch die Chance, die sich der Erde bot. Die Supertechnik der Laktonen konnte Jahrhunderte der irdischen Wissenschaft überbrücken. Daraufhin zielte auch Rex Corda ab. Der Erde war ein unermeßlicher Schaden zugefügt worden. Vielleicht konnte man — gewissermaßen durch die Hintertür — wenigstens einen Teil wiedergutmachen. Laute einer fremden Sprache gellten durch den Kommandoraum. Aus einem Schalensessel erhob sich der Offizier Vandour. Offensichtlich war er sehr erregt. Jetzt erst fiel Rex Corda auf, daß die Stirn des Kuriers ungewöhnlich tief
war. Vandour wirkte wie ein Neandertaler. Seine gedrungene, eckige Figur, die ungewöhnlich langen Arme drängten den beiden Menschen einfach diesen Vergleich auf. Hastig sprudelte der Laktone ein paar Worte hervor, dann besann er sich darauf, daß er seinen Translator nicht eingeschaltet hatte. „ . . . befiehlt Sie zu sich. Jakto Javan legt großen Wert darauf, mit Ihnen ein Abkommen zu treffen. In kurzer Zeit wird die gesamte laktonische Flotte auf Terra landen. Wir benötigen Ihre formelle Zustimmung!" „Eigenartig!" grinste Rex Corda. „Die mächtigen Laktonen brauchen die Zustimmung eines primitiven Eingeborenenführers!" Auch Vandour verzog jetzt die Lippen. Dann trat er einen Schritt näher heran. Die Stimme aus seinem Translator war kaum mehr als ein Flüstern. „Vielleicht ist es besser, wenn ich Sie vorbereite, bevor Sie Jakto Javan, dem Erleuchteten unter der Gnade des SCHENNA, gegenübertreten. Wir haben eben die Meldung erhalten, daß wir in einer Falle gefangen sind. Die Orathonen. . ." Mit kurzen Worten umriß der Laktone das Verhängnis, das über dem SolSystem schwebte. „Unmöglich!" keuchte John Haick. Dem Atom-Wissenschaftler wollte es nicht in den Kopf, daß ein Kraft-Schirm ein ganzes Sonnensystem umschließen konnte. Die Nachricht war in doppelter Hinsicht niederschmetternd. Verdeutlichte sie doch, wie sehr die irdische Wissenschaft noch in den Kinderschuhen steckte. Dazu kam die quälende Ungewißheit. Was sollte aus Terra werden, wenn nicht einmal die Laktonen einen Weg wußten, um der Falle zu entrinnen? *
Das laktonische Raumschiff der Pithon-Klasse ragte steil in den grauen Himmel. Die ungeheure Masse ruhte auf acht ungeheuer großen Landetellern, die einen Durchmesser von über hundert Metern hatten. Dennoch hätte der Betonboden des ehemaligen Flugplatzes von Washington die gigantische Belastung nicht ausgehalten, wenn nicht unausgesetzt die Gravos des Superraumers in Betrieb gewesen wären. Die Spitze des Raumschiffes verschwand in den Wolken. Die Flammen der Bremsdüsen hatten die gesamte Fläche des Platzes schwarz gefärbt. Über die schwarze Ebene zog eine seltsame Prozession. Zwanzig bis an die Zähne bewaffnete Chinesen schritten langsam einem im Schrittempo rollenden, prunkvoll vergoldeten Wagen voran, in dem ein weißhaariger Mann auf einem kostbaren seidenen Teppich thronte. Tsien Hsia, Marschall und Parteisekretär der kommunistischen Partei Chinas, ließ sich von einem Leibwächter eine Zigarette anzünden, die er sorgfältig in eine lange elfenbeinerne Spitze steckte. Um ihn herum dampfte der Beton. Es war kaum eine Stunde vergangen, seitdem sich das Raumschiff Jakto Javans auf das Betonfeld gesenkt hatte. Tsien Hsia war vorzüglich informiert. Auf seinem ausgezeichnet funktionierenden Geheimdienst basierte seine Macht. Die Prozession stoppte, als sich eine Barriere von schwerbewaffneten AA-2Robots um das Schiff stellte. Würdevoll stieg Tsien Hsia aus seinem goldenen Wagen und stelzte auf die Kampfroboter zu, die mit ihren breiten, kopflosen Körpern eine drohende, waffenstarrende Mauer bildeten. Einen Meter vor einem dieser Maschinengiganten blieb der Marschall
stehen. Seine strähnigen weißen Augenbrauen hoben sich, als er mit lauter Stimme verkündete: Der Marschall und Repräsentant des mächtigsten Volkes von Terra wünscht eine Audienz beim Flottenkommandanten unserer Befreier, der Laktonen!" Der Marschall trat einen Schritt vor. Sein ohnehin schon rotes Gesicht verdunkelte sich noch um eine Schattierung, als der Maschinengigant, der den Chinesen um einen halben Meter überragte, keinen Schritt wich. Endlich kam eine blecherne Stimme aus dem Sprechgitter des Kampfrobots. „Der Flottenkommandant ist für Sie nicht zu sprechen. Bitte, verlassen Sie das Flugfeld!" Tsien Hsia erstarrte. Dann trat er einen Schritt auf den Kampfrobot zu. Seine Stimme klang schrill. „Als Repräsentant des bedeutendsten . . ." Eine eiserne Hand wischte über das Gesicht des Chinesen. Unwillkürlich fuhr er zurück, konnte aber nicht verhindern, daß ihn die Pranke des Roboters streifte. Der Marschall taumelte und stürzte. Haßerfüllt blickte er auf den Giganten, der drohend über ihm emporwuchs. Zwei Männer seiner Leibgarde waren hinzugeeilt, um dem Marschall aufzuhelfen, aber wütend wischte er die hilfreichen Hände weg. Zitternd stand der Marschall auf. Tsien Hsia richtete sich schweratmend hoch. Sein lang wallendes kostbares Gewand war staubig und beschmutzt. Die Demütigung, die er vor Angehörigen seines Volkes erhalten hatte, wühlte in seiner Brust wie ein glühendes Messer. In diesem Augenblick nahm sich der Marschall vor, jeden Augenzeugen dieser Begebenheit liquidieren zu lassen. Ein Schatten senkte sich auf den schwarzgebrannten Beton des ehemaligen Flughafens. Tsien Hsia fuhr
herum und gewahrte das kleine Raumschiff, das langsam landete und auf wippenden Landetellern zum Stillstand kam. Das Raumschiff war innerhalb der durch die Roboter gebildeten Kette niedergegangen. Fassungslos blickte der chinesische Marschall auf den Gravo-Lift, der sich langsam dem Boden näherte. Auf der leuchtenden Plattform, die über einer Säule schimmernder Energie schwebte, standen zwei Menschen und ein Laktone. Wütend wandte sich der Marschall ab, als ihm Rex Corda zehn Meter über dem Erdboden freundlich zuwinkte. Zusammen mit John Haick und dem laktonischen Kurier stieg der junge Senator der USA von der Plattform, nickte Tsien Hsia noch einmal kurz zu und legte die wenigen Meter bis zum GravoLift des Pithonraumers zurück. Die wütend zerstampfte Zigarette brannte ein Loch in den kostbaren Teppich des vergoldeten Wagens, als der Marschall sich in die Polster warf und das Kommando gab, was seine Leibwächter veranlaßte, auf der Stelle kehrtzumachen. Der Marschall krallte seine manikürten Finger in das seidene Kissen. Mit aller Klarheit wurde ihm bewußt, was für eine lächerliche Figur er hier abgegeben hatte. Und er schwor sich bei den Geistern seiner Ahnen, sich an Rex Corda zu rächen. * Rex Corda verhielt, als ihm die vertraute, massige Gestalt entgegentrat. Auch John Haick strahlte über das ganze Gesicht. Fatlo Bekoval, der laktonische Agent, war für die beiden Freunde ein guter Bekannter. Die zusammen bestandenen Gefahren hatte die so verschiedenen Angehörigen beider Rassen fast zu
Freunden werden lassen. Tatsache war, daß aus der anfangs gehegten Verachtung Bekovals für die Terraner fast so etwas wie Verständnis für die ungerechte Situation, in der sich die Erde befand, geworden war. In den letzten Wochen hatte der Laktone gelernt, daß Erfindungsgeist, Mut und Entschlossenheit nicht vom Stande der technischen Entwicklung abhingen. Er hütete sich deshalb, die verhältnismäßig junge Rasse der Terraner als Primitive einzustufen. Nach der freundschaftlichen Begrüßung verdüsterten sich die Züge des Laktonen sofort wieder. Bekovals breites, kraftvolles Gesicht war von tiefer Sorge gezeichnet. „Seid ihr wirklich so hilflos oder tut ihr nur so?" erkundigte sich Rex Corda. Der massige Laktone bleckte freudlos die rötlichen Zähne. Offenbar wußte der junge Senator der USA über die Lage schon Bescheid. Einen Augenblick starrte Bekoval vor sich hin. „Dieser Zug der Gefiederten kam völlig überraschend", bekannte er. „Entweder es gelingt uns, in den nächsten Tagen die Energieblase zu zerschlagen, oder . . ." Er machte eine bezeichnende Bewegung mit der Hand. „Die theoretischen Grundlagen sind uns sehr wohl bekannt. Aber sprechen Sie mit einem unserer Wissenschaftler darüber!" Erst jetzt bemerkte Rex Corda, daß der laktonische Agent einen gravoplastischen Verband um den rechten Oberarm trug. Auf seine Frage lachte Bekoval dröhnend. „Das? Mein Raumer wurde mir zusammengeschossen! Dabei gab's eine kleine Schramme. Nicht der Rede wert!" Mit der für ihn typischen Tollkühnheit hatte der Laktone sich mit einem orathonischen Diskus ins All gewagt, eine Energiestation zerschlagen und ein Rudel Verfolger an der Nase herumge-
führt, als er von einem Wrackteil auf den Mond floh. Für diesen Mann war der Kampf nichts Ungewöhnliches. Er war ein hoher Offizier in der laktonischen Flotte. Der Laktone stieß den Nachrichtenrobot zur Seite und ging den beiden Terranern voran. Rex Corda dachte flüchtig an den Kurier. Aber Vandour war sofort verschwunden, als sie das Raumschiff Jakto Javans betreten hatten. Sie fanden den obersten Laktonen in der Kommandozentrale. Hunderte von Holografen zeigten die verschiedensten Gebiete der Erde, auf denen Raumschiffe landeten oder Trupps von Laktonen mit Arbeitsrobots damit beschäftigt waren, die zerstörten Nachschubzentren der Gefiederten zu untersuchen. Aber der größte Holograf, vor dem Jakto Javan mit seinen höchsten Militärs stand, zeigte eine grüne Färbung, hinter der schwach die Sterne glitzerten. Im Hintergrund bemerkte Corda den Agenten Percip. Der Laktone hob die Hände und lächelte ihnen zu. Jakto Javan wandte sich um. Er trug einen weiten, lebhaft gemusterten Umhang. Auf seinen Schultern glitzerten Edelsteine. Das Gesicht des Mannes war hart. Seine Haut wirkte wie gegerbtes Leder. Auf den ersten Blick war die ungeheure Ausstrahlung dieses Mannes fühlbar. Rex Corda schloß sekundenlang die Augen. Plötzlich spürte er einen leichten Kopfschmerz. Er blickte auf und sah Jakto Javan näher kommen. Dieser Laktone verfügte über ein derart großes Selbstbewußtsein, daß er den Raum mit einem Blick beherrschte. Und dieses Selbstbewußtsein entsprang nicht einer Anmaßung. Jakto Javan, einer der Adligen, die direkt unter dem verehrten SCHENNA stand und ihn von Angesicht zu Angesicht gesehen hatten, verfügte über eine unermeßliche Macht.
Darum wußte Rex Corda das etwas geringschätzige Lächeln des Befehlshabers der laktonischen Flotte richtig zu deuten. Der Agent Percip näherte sich von der Seite und sagte ein paar Worte in dem charakteristisch rollenden Singsang, mit dem sich die Laktonen verständigten. Der Translator auf der Brust Jakto Javans wurde betätigt. Bei den ersten Worten der unheimlich tiefen, rollenden Stimme verstummten die letzten Geräusche in der Kommandozentrale. Die Offiziere und Techniker wandten sich den beiden Terranern zu, die aufrecht vor dem Flottenführer der Laktonen standen. „Ich begrüße Sie, Senator Corda!" Der junge Senator der USA deutete eine Verneigung an. Er versuchte sich auf die Worte Javans zu konzentrieren, aber dumpfer, beharrlicher Schmerz hämmerte in seinem Hirn. John Haick sah seinen Freund erstaunt an. Dessen gespannte Miene war ihm nicht entgangen. Endlich sagte Rex Corda: „Als Vertreter der freien Völker dieser Erde begrüße ich Sie, Jakto Javan!" Der Laktone nickte befriedigt. Der Eingeborene vor ihm schien zweifellos recht intelligent zu sein, aber er war eben ein Primitiver. Und mit Vertretern unterentwickelter Völker ließ sich Jakto Javan nie in lange Unterhaltungen ein. „Bekoval teilte mir mit, daß Sie der Vertreter der Terraner sind. Gut. Vandour, der Kurier, hatte den Auftag, Sie zu suchen und zu meinem Raumer zu bringen. Das ist geschehen. Er konnte Sie sogar, wie man mir mitteilte, unterstützen. Es freut mich, daß wir Ihnen behilflich sein konnten!" Plötzlich lag nackter Hohn in den Worten des Laktonen. Rex Corda fragte sich, was das zu bedeuten hatte. In einer Ecke des Raumes stand der Kurier
Vandour, schien sie aber nicht zu bemerken. Seine Augen starrten teilnahmslos ins Leere. Corda strich sich über die Stirn, um die bohrenden Kopfschmerzen zu vertreiben, aber der Schmerz pochte beharrlich hinter der hohen Stirn des Senators. „Was wollen Sie von uns?" fragte Corda plötzlich. Verblüffung zeichnete sich auf den Zügen des Laktonen ab. Er zog die schweren Augenbrauen zusammen, die sich wie dunkle Raupen über seine Stirn wanden. Jakto Javan war es nicht gewöhnt, daß man ihn ungefragt ansprach. „Ich erwarte von Ihnen eine formelle Zusage, daß ich Ihre volle Unterstützung habe. In den nächsten Stunden wird meine gesamte Flotte auf diesem Planeten landen. Wir brauchen Rohstoffe, Maschinenteile und Energie. Energie erhalten wir von Ihrem Zentralgestirn, aber die anderen Dinge . . ." „Nein", sagte Rex Corda ruhig. Der Laktone trat einen Schritt zurück. Maßlose Verblüffung ließ ihn die Luft scharf einziehen. Die beiden Menschen rochen den bitteren Geruch der Sekretion, den die Laktonen in Zuständen der Erregung absonderten. „Nein", wiederholte Rex Corda. „Erwarten Sie im Ernst, daß ich auf Ihre Forderung so ohne weiteres eingehe? Ich kann Ihnen nicht die Zustimmung dazu geben, daß Ihre gesamte Flotte auf diesem Planeten in den nächsten Stunden landen wird. Die Erde ist verwüstet. Millionen sind zugrunde gegangen oder sind obdachlos geworden, weil die Hantelraumer der Orathonen die gesamte klimatische Struktur unseres Planeten zerrissen haben. Jetzt wollen Sie das gleiche wiederholen. Das ist unmöglich und unverantwortlich!" Eine Ader zuckte an der Schläfe Jakto Javans. Die rötlichen Zähne schnappten wütend zusammen. Drohend erhob der Laktone seine
gewaltige Faust. Rex Corda wich nicht zurück. Im Bruchteil einer Sekunde überblickte er den Raum. Er sah den entsetzten Ausdruck in Bekovals Augen, fühlte die rätselhafte Gleichgültigkeit des Kuriers, hörte den stoßweisen Atem John Haicks neben sich. Die Gesichter der Offiziere und Techniker waren zu starren Masken geworden. „Tun Sie das nicht", sagte Rex Corda sanft. Die Faust des Laktonen zuckte herunter. Aber mitten in der blitzartigen Bewegung stieß Jakto Javan einen leisen Schrei aus. Es war ein rasselndes, überraschtes Knurren, das tief aus der Kehle kam. Im gleichen Augenblick fiel der Arm des Laktonen schlaff herunter. Ungläubig starrte Jakto Javan seine Hand an. „Das sind keine Argumente", bemerkte Rex Corda. „Sie können einen Mann nicht schlagen, nur weil er eine andere Meinung hat!" Der Senator lächelte jetzt. Der Kopfschmerz, der vor einer Sekunde noch zu quälender Intensität angewachsen war, war wie weggewischt. Jakto Javan trat einen Schritt zurück. Seine Augen schossen Blitze. „Sie werden das tun, was ich verlange!" sagte er wütend. „Ich werde das tun, was ich verantworten kann", korrigierte ihn Rex Corda. Jetzt zeigte sich Jakto Javans diplomatisches Können. „Gut", sagte er in normaler Lautstärke, „wir werden Ihnen entgegenkommen, soweit wir können. Uns liegt nichts daran, die Erde in einen Trümmerhaufen zu verwandeln. Aber", die Stimme schwoll wieder an, „wir werden tun, was wir tun müssen. Es ist Ihr Pech, daß die Entscheidungsschlacht in diesem Sonnensystem stattgefunden hat. Verstehen Sie, Pech, mehr nicht.
Wir nehmen uns das, was wir brauchen!" Die Mundwinkel des Senators der USA zuckten. Mit Mühe konnte er ein Lachen unterdrücken. Deutlicher konnte der Oberbefehlshaber der laktonischen Streitkräfte seine moralische Niederlage wohl nicht eingestehen. „Dann ist das Ganze also eine Farce", bemerkte Corda ruhig. „Was soll diese Verhandlung, wenn Sie ohnehin eine vorgefaßte Meinung haben? Sie nehmen sich, was Sie brauchen, was? Gut, dann brauchen Sie auch meine Zustimmung nicht!" „Das ist eine Drohung!" Hinter dem obersten Laktonen entstand eine Bewegung. Der Agent Percip war vorgetreten und näherte sich Jakto Javan. Halblaut sprach der Agent auf den mächtigen Laktonen ein. Zuerst hatte sich Javan unwillig umgewandt, aber beim Anblick Percips war er merklich ruhiger geworden. Jakto Javan wandte sich wieder Corda zu. Percip blickte den Senator an. Es schien einen Augenblick, als habe er beruhigend genickt. Aber das konnte eine Täuschung gewesen sein. „Sie sind ein hartnäckiger Verhandlungspartner", bemerkte Javan. „Aber leider nur ein Primitiver!" John Haick zuckte zusammen. Rex Corda blieb ruhig. Er fühlte, daß der Laktone Luft ablassen mußte. „Ich nehme an, Sie wissen, was Sie sagen", fuhr der Kommandant fort. „Ich werde Ihnen entgegenkommen. Nur zwanzigtausend Raumschiffe bekommen eine Landegenehmigung. Rex Corda blieb fest. „Zehntausend!" Es war deutlich zu sehen, welche Mühe es Jakto Javan bereitete, nicht den jungen Senator einfach festsetzen zu lassen, der mit seiner schlanken Gestalt vor dem bulligen Kommandanten fast gebrechlich wirkte.
Plötzlich drehte sich der Kommandant um und verließ den Raum. Die Offiziere und Techniker sahen verblüfft ihrem Flottenführer nach. „Verschwinden Sie lieber", meinte Bekoval, der auf die beiden Menschen zugetreten war, „Sie haben Javan zu sehr brüskiert." In seiner Stimme schwang eine Warnung mit, als er zu Corda sagte: „Ich würde nicht noch einmal versuchen, bei unserem Flottenkommandanten Ihre besonderen Fähigkeiten anzusetzen. Das wäre Ihr Ende, Rex Corda!" Der Senator nickte ernst. „Es mußte sein. Dieser Mann mag ein fähiger Flottenführer sein, aber er ist zu rücksichtslos. Ich spreche für die Erde, und darum muß ich alle Mittel einsetzen. Jedes eurer Superschlachtschiffe, das auf Terra landet, fügt unserem Planeten unermeßlichen Schaden zu. Vergeßt nicht, daß wir mit euch gekämpft haben und auch weiter kämpfen werden. Dafür können wir Gegenleistungen und Anerkennung erwarten." Bekoval winkte ab und schritt aus dem Raum. Die beiden Freunde und Percip schlossen sich ihm an. Sie sprangen auf ein breites ErgBand, das sie zum nächsten GravoSchacht brachte. „Tsien Hsia, der Chef der AU, ersuchte vorhin um eine Audienz bei Jakto Javan", äußerte Percip, als sie in den Schacht traten. Der Lift ließ die Männer in die Tiefe schweben. „Ich weiß", sagte Rex Corda, „offenbar ist er abgewiesen worden." „Das nächste Mal wird er empfangen werden!" Die Augen des Senators blickten auf den laktonischen Agenten, der trotz seiner jungen Jahre großen Einfluß auf den Flottenkommandanten haben mußte. Erst später sollte Corda erfahren, daß Percip einer der ersten Familien am Hofe des SCHENNA entstammte.
Percip nickte ernst. „Corda, Sie sind als Sprecher und Bevollmächtigter der Erde von Jakto Javan anerkannt worden. Aber Sie haben ihn in Zorn gebracht. Das vergißt er nicht. Für ihn sind Sie der Führer eines unbedeutenden Planeten. Vergessen Sie das nicht!" * Die Luft in der weiten Halle, deren Decke sich in der Dunkelheit verlor, war warm und trocken. Ein leiser Wind fächelte durch die Blätter der großen Pflanzen, die an der Stirnseite des rechteckigen Raumes einen wuchernden Urwald von grausamer Schönheit bildeten. Schwer und süß trieb das leise Wehen den Duft von exotischen Gewürzen durch die Halle. Der rote, weite Umhang des Moga Agelon blähte sich. Von hinten wirkte der Gefiederte wie ein aus Stein gemeißeltes Standbild. Der Orathone hatte die Arme vor der Brust verschränkt. Breit und unglaublich eckig ragten seine ausladenden Schultern zur Seite. Der Mantel flatterte. Außer dem leisen Zwitschern der Vögel bildete das gedämpfte Schlagen des Stoffes das einzige Geräusch in der weiten Halle. Lady Santarra erhob sich von ihrem Sitzkissen. Vorsichtig setzte sie einen ihrer winzigen Füße vor den anderen. In einem der großen Spiegel bemerkte der Moga befriedigt die trippelnden Schritte, die den adligen orathonischen Frauen ihren Reiz verliehen. Im Alter von fünf Jahren wurden in einer feierlichen Zeremonie den Mädchen der höchsten Familien die Sehnen der Füße gekürzt. Es war eine Auszeichnung; die Qualen der darauffolgenden Jahre wurden gern ertragen. Aber die Opfer jener grausamen Prozedur konnten sich nur langsam und trippelnd bewegen. Für einen orathonischen Adligen ver-
körperte eine trippelnde Frau das höchste Schönheitsideal. Auf Frauen, die normal gehen konnten, blickte er verächtlich herab. Ihnen fehlte das Letzte, was eine Frau begehrenswert macht. Moga Agelon wandte sich um. Sein Gesicht war unbewegt. Langsam näherte sich Lady Santarra und brach vor seinen Füßen zusammen. Befriedigt blickte der Moga auf sie herunter. „Also das willst du!" Die Stimme hallte im Raum und ließ die exotischen Vögel auf den riesigen, fleischigen Blättern erschrocken schweigen. Die Stimme der Frau war leise, aber fest. „Ja, Moga, ich bitte für Sigam Agelon!" Lady Santarra schwieg, dann hob sie langsam den Kopf. Keine Gefühlsregung ließ sich auf dem Gesicht des Herrschers über Milliarden Orathonen und unzähligen Sklavenvölkern erkennen. Dieser Mann hatte alle Macht in seiner Hand. Niemand vermochte sich dem Einfluß der FAMILIE, deren Oberhaupt er war, zu widersetzen. „Du bittest für ihn?" In einer flehenden Gebärde erhob die Frau beide Hände empor. An dem Ringfinger ihrer rechten Hand blitzte ein heller Stein. „Er ist dein Sohn, Moga." „Ich weiß", kam die unbewegte Stimme des Adligen. „Glaubst du, ich habe das vergessen?" Die letzten Worte klangen sanft, zu sanft. Ein lauernder Unterton färbte den trockenen Spott in der Stimme des obersten Orathonen, als er fortfuhr: „Ihr habt als Kinder schon zusammen gespielt, erinnerst du dich?" „Ja", flüsterte die Frau. Sie war am Hofe des Moga unter den Frauen mit den meisten Machtbefugnissen ausgestattet. Normalerweise ließen die Featherheads ihren Frauen keine Handlungsfreiheit. Sie waren Sklaven, Spielzeuge, dazu geschaffen, ihren Herren
die Mußestunden angenehm zu vertreiben. Aber nicht mehr. Man trennte sich von einer Frau wie von einem neuen Privatraumer, für den man die Kredite nicht mehr bezahlen konnte. Mit einem Bedauern, das nicht tiefer ging als ein Schulterzucken. Lady Santarra senkte den Kopf. Sie schrie erschreckt auf, als im nächsten Augenblick die gewaltige Hand des Moga herabschoß, nach ihren Fingern griff und brutal den Ring abriß. Blut tropfte von der Hand der Frau und färbte das kostbare Gewand. „Grüße von Terra!" höhnte der Gefiederte. Mit einer spielerischen Handbewegung preßte er die kostbare Fassung des hellen Steines zu einem formlosen Klumpen zusammen und warf das Schmuckstück in die sich wiegenden Blätter. „Nein!" Lady Santarra sprang auf. Fassungslos starrte sie auf ihre Hand. Dann stürzte sie auf den Moga zu. Mit einer leichten Drehung seines Armes schleuderte sie der Gefiederte zu Boden. Die Frau rutschte mehrere Meter auf die Barriere der Pflanzen zu und blieb schluchzend auf dem glatten Boden liegen. Aus ihrer gebrochenen, verletzten Hand floß Blut und tropfte auf den Boden. „Ich hätte dich nicht für so dumm gehalten", lächelte Moga Agelon. „Für Sigam warst du ein Werkzeug, mit dem er glaubte, mich einmal vom Thron stoßen zu können. Du spioniertest mir nach. Verrietest meine Geheimnisse. Du bist es nicht wert. Ich verstoße dich!" Der gellende Schrei der Frau brach sich an den Wänden. Es war ein Schrei, der den schlanken Körper schüttelte. Wachen waren herabgetreten. „Führt sie ab!" befahl Moga Agelon. „Sie lebt schon jetzt nicht mehr!" Er hatte die uralte Formel ausgesprochen, mit der die Gefiederten ihre Frauen verstießen.
Der grauenhafte, gequälte Schrei verstummte, als eine der Wachen seine gewaltige Faust über den Mund der Frau schloß. Sie schien zu ersticken. Die Augen der ehemaligen Lieblingsfrau des Moga drangen fast aus ihren Höhlen, dann brach sie besinnungslos zusam» men. Eine der Wachen warf die Frau wie ein Bündel Lumpen über die Schulter. Die Featherheads machten eine Ehrenbezeigung vor ihrem Herrscher und marschierten aus der Halle. Nachdenklich blieb das Oberhaupt der FAMILIE zurück. Er dachte nicht an Lady Santarra, deren Tod für ihn schon seit mehreren Khara-Tagen festgestanden hatte, sondern an Sigam Agelon, seinen Sohn. Der brennende Ehrgeiz hatte Sigam zu einem Rebellen werden lassen. Dazu kam noch, daß er seine Chancen im Sol-System offenbar vertan hatte. Es war das ungeschriebene Gesetz der Orathonen, daß jeder nur einen Fehler einmal machen konnte. Zu einem zweiten Mal bekam er keine Gelegenheit mehr. Gesetz? Recht? — Moga Agelon lächelte amüsiert in sich hinein. Er war das Recht, er war das Gesetz! Die Faust des Gefiederten stieß in die Höhe. Sofort senkte sich ein kleiner, eiförmiger Gegenstand und schwebte vor seinem Munde. „Angus", sagte er. Der kleine, breitschultrige Gefiederte schien hinter der nächsten Absperrung gewartet zu haben. Im gleichen Augenblick stand er in der Dunkelheit des Eingangs zur Halle und verneigte sich. „Die Unterlagen über den Schlachtverlauf im Sol-System." Angus zögerte einen Augenblick. Er sah auf das Blut am Boden, aber seine Miene blieb unbewegt. „Jawohl, Moga", dienerte er und verschwand in der Dunkelheit.
* Der gedrungene, mit einer zerrissenen Uniform bekleidete Featherhead hinkte über den Strand. Die Füße der massigen Gestalt tauchten tief in den weichen, bunten Sand ein. Es war wärmer geworden. Der Sturm, der eine für die tropischen Breiten unvorstellbare Kälte mit sich geführt hatte, war vorübergezogen und hatte entwurzelte Bäume, abgerissene Palmblätter und an den Strand geschwemmte tote Meerestiere zurückgelassen. Der orathonische Offizier hatte das Ufer erreicht. Das Wasser schimmerte kristallklar. Mit einem gierigen Ausdruck blickte der Gefiederte über die endlose Fläche des Ozeans. Dann stürzte er vorwärts. Seine Hände krallten sich in den feuchten lockeren Sand. Er neigte den Kopf tief hinunter und trank in tiefen Zügen das klare, schimmernde Wasser. Im selben Augenblick fuhr er zurück und spuckte die Flüssigkeit wieder aus. Ungläubig starrte er auf die spiegelnde, glatte Fläche vor ihm. „Salzig, was, du Narr?" hörte er die vertraute, kalte Stimme hinter sich. Der Orathone warf sich herum. Eine Welle benetzte die Kleidung des Knienden. Kopfschüttelnd trat Sigam Agelon näher, während sich der Offizier schuldbewußt erhob. Der rote Umhang des Gefiederten hing lose von den Schultern. Nur Angehörige der FAMILIE durften rot, die bevorzugte Farbe des Moga, tragen. Kein anderer Orathone, außer den achthundert Mitgliedern der FAMILIE hätte es gewagt, auch nur einen Tupfer Rot auf seiner Kleidung zu zeigen. „Ich wollte herausbekommen, ob das Wasser trinkbar ist", sagte der Offizier. „Ich weiß, daß ich keinen ausdrückli-
chen Befehl hatte. Aber unsere Vorräte . . ." „Und jetzt denkst du, daß du dafür ausgezeichnet wirst, was?" höhnte der Gefiederte. Die breite Gestalt Sigam Agelons war nur 1,65 Meter groß. Die Schwerkraft seines Heimatplaneten Khara betrug das Anderthalbfache der irdischen. Auf Terra verfügte der Gefiederte also über beträchtlich höhere Kräfte als ein Terraner. Der Oberbefehlshaber der geschlagenen und doch siegreichen orathonischen Flotte schien über den weichen Sand des Strandes zu schweben, als er zum Diskus zurückging. Das Rettungschiff hatte sich tief in den weichen Sand gebohrt. Es war inmitten einer kleinen Gruppe von Palmen und hohen Büschen niedergegangen. Die Blüten verströmten einen fremdartigen süßen Geruch, der sich quälend auf die Lungen der Gefiederten legte. Sigam Agelon hustete. Die drei anderen Offiziere verhielten nicht in ihrer Beschäftigung, als der Mann im roten Mantel zu ihnen trat. Der Diskus mußte verschwinden. Und auch die Gefiederten durften von etwaigen Suchkommandos der Laktonen, mit denen in Kürze zu rechnen war, nicht bemerkt werden. Vorerst machte sich Sigam Agelon um die Zukunft keine Sorgen. Wenn es ihnen gelang, fürs erste unentdeckt zu bleiben, würden sich die orathonischen Agenten, die sich noch auf der Erde befinden mußten, schon melden. Zuerst hatten sie den Diskus auf den Grund des Meeres versenken wollen, aber eine Untersuchung des Rettungsschiffes hatte gezeigt, daß dieser Plan undurchführbar war. Breite, gezackte Risse zogen sich über die Oberfläche. Der Diskus war noch flugfähig, aber er konnte nicht mehr ins All vordringen.
Vermutlich konnte er auch nicht die notwendige Anfangsgeschwindigkeit entwickeln, um dem Gravitationsbereich der Erde zu entfliehen. Dann war noch die Energiemauer da. Sigam Agelon wußte, daß sich längst die grüne Energieblase um das gesamte Sonnensystem geschlossen hatte. Die Laktonen saßen in der Falle. Der Gefiederte grinste teuflisch, als er an Jakto Javan dachte. Der Adlige, dessen größte Sorge dem SCHENNA galt, steckte mit in dieser Falle. Der SCHENNA. Agelon lachte laut, und die Offiziere wandten die Köpfe und starrten ihren Führer neugierig an. Sigam Agelon kümmerte sich nicht um seine Untergebenen. Für ihn war das Regierungssystem der Laktonen, das auf der Verehrung des gottgleichen SCHENNA basierte, nichts weiter als eine lächerliche Angelegenheit. Ein alter Mann, der weise Redensarten von sich gab und das Handeln dem Adel überließ. Auch Orathon wurde von einem Feudalsystem beherrscht, aber hier war der Mann an der Spitze ein ganzer Kerl. Jemand, vor dem Tausende von Planeten zitterten. Milliarden von Orathonen, unzählige Sklavenvölker. Nur einer nicht, dachte Sigam Agelon. Nur einer hielt diesem Mann stand. Das war er, der Sohn des Moga. Bei ihm liefen schon unzählige Fäden zusammen. Er wurde verehrt, gehaßt, aber respektiert. Er würde zurückkommen, man würde ihn zurückholen. Das glaubte Sigam Agelon zu wissen. Mit Lady Santarre hatte er den größten Erfolg errungen. Praktisch unter der Nase des Moga hatte er seine Lieblingsfrau abspenstig gemacht. Und sein Vater ahnte nicht einmal etwas. Sigam Agelon blickte auf die Offiziere, die mit ihren Strahlern ein tiefes Loch in die Erde schnitten. Diese Narren, dachte er. Sie waren hohe Offiziere,
aber verglichen mit ihm, Sigam Agelon, waren sie unbedeutende Würmer. Ein Tritt seiner Stiefel würde sie vernichten. Würmer! Sigam Agelon spuckte in den Sand. Er wußte nicht, daß sich in diesem Augenblick, Tausende von Lichtjahren entfernt, der schöne Körper der Lady Santarra unter den Stromstößen der orathonischen Folterwerkzeuge wand. * „Die Konferenz muß stattfinden!" Der große Versammlungsraum im NORAD quoll von Menschen fast über. Der gesamte militärische und wissenschaftliche Stab hatte sich um Rex Corda versammelt. Neben Rex Corda standen die Generale Jake Dingel und Abel Th. Emerson. Letzterer war der Kommandant des NORAD, ein schwarzhaariger, breitschultriger Mann von 57 Jahren. Er richtete sich zu seiner imponierenden Größe von nahezu 1,90 Metern auf. „Was soll denn diese Konferenz überhaupt, Corda?" fragte er. „Im Augenblick machen die Chinesen und Afrikaner wieder Ärger. Aber das ist ja schon ein Dauerzustand. Wenn Sie von Jakto Javan als Repräsentant und Sprecher der Erde anerkannt sind, ist doch alles in Ordnung!" „Schon mal was von Politik gehört, Abel?" erkundigte sich General Jake Dingel. „Über dein dauerndes Säbelrasseln scheinst du von diplomatischen Feinheiten nicht mehr viel zu wissen!" Emerson brauchte einen Augenblick, um die Anspielung zu begreifen. Er hatte in den letzten Monaten mit einer kleinen, aber gut ausgebildeten Truppe in Sondereinsätzen die letzten Reste der orathonischen Forts zerschlagen. Dabei hatten ihnen die Waffen und Kampfrobots der Laktonen wertvolle Dienste geleistet. Die Laktonen wußten
allerdings nicht, daß sofort nach der Eroberung der Fabriken und Agentennester, bei denen darauf geachtet wurde, so wenig wie möglich zu zerstören, irdische Wissenschaftler die technische Hinterlassenschaft der Gefiederten analysierten. „Meine Herren!" Rex Corda brachte die beiden zum Schweigen. „Es handelt sich hier nicht um diplomatische Schachzüge. Es geht vielmehr darum, daß Tsien Hsia und Randa Evariste Kalunde uns aus rein persönlichem Eigennutz verdrängen wollen. Jakto Javan hat den Chinesen einmal abgewiesen. Ich weiß nicht, ob das nächste Mal nicht einen Erfolg Hsias bringt. Die beiden sind gefährlich. Gefährlich und dumrn. Sie scheinen immer noch nicht begriffen zu haben, daß wir alle in der Falle sitzen, zusammen mit den Laktonen!" „Vielleicht wissen sie nicht einmal von der Energieblase", vermutete John Haick. „Unmöglich", wandte Jake Dingel ein. „Ihr Spionagesystem funktioniert vorzüglich. Vielleicht haben sie Funkmeldungen der Flotte aufgefangen. Die Meldungen während des Chaos, als die Laktonenschiffe gegen die Mauer rasten, waren deutlich genug!" „Der Zweck", fuhr Corda fort, „dieser Störversuche von selten der Afrikaner und Chinesen ist offensichtlich. Sie wollen die Situation ausnutzen, um zur unumschränkten Weltherrschaft zu gelangen. Mit den Laktonen als Verbündeten sind die USA kein Hindernis mehr für sie. Der Sinn dieser Konferenz ist also, die anderen Völker genau zu informieren." Jake Dingel strich sich über die Halbglatze. Der General blickte den jungen Senator zweifelnd an. „Sie werden versuchen, Ihnen persönliche Motive unterzuschieben", knurrte er.
Rex Corda nickte. „Es wird bei einem Versuch bleiben. Ich habe mich nicht als Weltherrscher aufgespielt. Durch Zufall bin ich zum Sprecher der Erde geworden. Wenn mir die Herren Kalunde und Hsia Machtgelüste unterstellen, wird es Ärger geben. Die Konferenz muß stattfinden!" * Der raketenfömige Pithonraumer schwebte in einer Entfernung von nur wenigen hundert Kilometern vor der grünen Energiebarriere. Das gigantische, über vier Kilometer lange Sternenschiff stand — relativ zur Sonne — bewegungslos im Raum. Tumon Garlan, der Flottenkommandant, der vor dem Eintreffen Jakto Javans die laktonische Flotte befehligt hatte, stand in der Kommandozentrale des Raumriesen. Unverhältnismäßig viele Wissenschaftler wimmelten in der Zentrale herum. Die Militärs verfolgten ihre Aktionen mit wachsamen Augen. Auf Befehl Javans hatte Tumon Garlan das Schiff mit Meßgeräten und einer Sonderausrüstung vollstopfen lassen, die auf der Erde entwickelt worden war. Man holte zum ersten Schlag gegen die Energieblase aus. Die Flotte der Laktonen stand in Alarmbereitschaft. Sollte die Zerstörung des Energieschirmes gelingen, wollten die Laktonen sofort nachstoßen. Tumon Garlan stand in einer direkten Verbindung zu Jakto Javan. Das Gesicht des laktonischen Adligen blickte in voller Lebensgröße aus dem Holografen, der dem Hauptschirm genau gegenüberstand. „Was machen die Herren Wissenschaftler?" fragte Javan. Garlan lächelte gequält. „Sie halten noch Kriegsrat ab. Einen Augenblick, bitte!"
Jakto Javan nickte. Er schien an dem Bild vorbeizublicken. In Wirklichkeit sah er — in seinem Raumschiff auf der Erde sitzend — an der Holografenkamera vorbei und beobachtete den Bildschirm, der die Zentrale des Forschungsraumers zeigte. Eine steile Falte bildete sich, als er die Wissenschaftler in ihren phantastischen Bekleidungen sah. Nie waren Wissenschaftler von größerem Mißtrauen umgeben als bei den Laktonen. Jedes dieser hochgezüchteten Genies lebte in hermetisch abgeschlossener Einsamkeit. Jeder Schritt dieser Männer wurde überwacht, damit sie nicht etwa Gelegenheit hatten, mit ihren Kenntnissen die Macht im Reich an sich zu reißen. Die Militärs trauten ihren Wissenschaftlern praktisch alles zu. Sie versuchten gar nicht erst, ihre Abneigung gegen die disziplinlosen, exzentrischen Gestalten zu verbergen. Nur bei seltenen Gelegenheiten kamen die Wissenschaftler zusammen. Denn auch einen Kontakt unter den einzelnen Forschungsgruppen verhüteten die strengen Sicherheitsmaßnahmen der laktonischen Militärs. Sie lebten in goldenen Käfigen, hatten jeden nur erdenklichen Komfort. Aber außer den stumpfen Gesichtern ihrer Bewacher und den Kollegen der kleinen Forschungsgruppen hatten sie keine Gesellschaft. Man hatte eine Anzahl der Forschungsgruppen zur Entscheidungsschlacht in das Sol-System geflogen, aber auch dort wurden sie streng abgeriegelt und hatten keinen Kontakt miteinander. Jetzt aber, wo die gigantische grüne Energieblase jedes andere Problem in den Schatten stellte, besannen sich die laktonischen Militärs auf ein Grundprinzip der Wissenschaft: Koordination. Zusammenarbeit! „Khouon!" bellte die Stimme Tumon Garlans. Der schwarzhaarige Wissenschaftler wandte den Kopf. Er trug sein Haar zu
millimeterkurzen Stoppeln geschnitten. Khouon näherte sich langsam. Er war für die laktonischen Verhältnisse lächerlich dünn. Allerdings war er weit über 100 Jahre alt. „Wie weit sind Ihre Leute?" knurrte General Garlan. „Es wird langsam Zeit, daß wir anfangen. Hätten Sie nicht auf der Erde alles vorbereiten können?" Der Wissenschaftler bleckte die rötlichen Zähne. „Es ist alles vorbereitet worden", sagte er ruhig. „Sie hatten uns ja immerhin 24 Stunden Terra-Zeit gelassen!" Der Spott in seiner Stimme war unverkennbar. Das breite Gesicht des Kommandanten verzog sich ärgerlich. Wenn es nach ihm ging, dann gehörten diese alten Narren längst zum Teufel gejagt! „Also, los, Khouon", meldete sich jetzt Jakto Javan. „Erstatten Sie Bericht!" „Die Voruntersuchungen sind abgeschlossen. Wie wir vermuteten, beziehen die Gefiederten die Energie von der nächsten Sonne, Alpha Centauri. Und zwar geht sie direkt durch den Hyperraum." Das Gesicht Jakto Javans wurde unheimlich groß, als er sich der Holografenkamera entgegenbeugte. Dann ließ sich der Flottenkommandant wieder in seinen Schalensessel zurücksinken. „Unmöglich!" brüllte er. Auch Tumon Garlan war herumgefahren und starrte den alten Wissenschaftler feindselig an. „Wissen Sie überhaupt, was Sie da sagen, Mann?" Der Wissenschaftler sah ihn derartig intensiv an, daß Garlan den Blick senkte. „Es gibt keine andere Erklärung", stieß Khouon erregt hervor. „Halten Sie uns Wissenschaftler für Narren?" Garlan wollte den alten Wissenschaftler bei den leuchtenden Aufschlä-
gen seiner Jacke packen, aber Jakto Javans schneidende Stimme ließ ihn zurückfahren. „Beherrschen Sie sich, Garlan! Und Sie, Khouon, können sich auch etwas mäßigen — Weiter!" In kurzen Zügen berichtete der Wissenschaftler, was die optischen und gravometrischen Messungen ergeben hatten. Die Orathonen hatten tatsächlich eine Möglichkeit gefunden, einen derartig konzentrierten Strahl reiner, kompakter Energie durch den Hyperraum zu senden. — Es war unmöglich, durch das normale Universum einen Energiestrahl über derartige Entfernungen zu senden. Alpha Centauri stand über zwei Lichtjahre von Sol entfernt. Schon auf der Hälfte des Weges wäre der Strahl auseinandergeflossen. Er würde sich hyperbelförmig auseinanderziehen. Auch die Orathonen kannten keine Methode, dem sogenannten „Zerfaserungseffekt" zu begegnen. „Ich selbst", schloß Khouon seine Ausführungen, „habe an einem System gearbeitet, einen Energiestrahl durch den Pararaum zu schicken. Vielleicht erinnern Sie sich an das von mir geleitete Experiment im unbewohnten System CYV65" „Allerdings", knurrte Jakto Javan, „die Explosion kam auf Ihr Konto!" „Das Experiment ist mißlungen", fuhr Khouon unbeirrt fort, „weil es uns unmöglich war, zu bestimmen, wo genau der Energiestrahl aus dem Pararaum auftauchen würde. Unglücklicherweise kam noch eine energetische Rückkopplung . . ." „Halten Sie keine Vorträge, Mann!" knurrte Tumon Garlan. „Sehen Sie lieber zu, daß das hier nicht auch ein ,mißlungenes Experiment' wird. Was macht Ihr Gerät?" - Tumon Garlan meinte eine Kugel von fast 200 Metern Durchmesser, die neben dem Pithonraumer in festen Ver-
ankerungen schwebte. „Wir können anfangen", sagte Khouon einfach. Er machte eine Verneigung in Richtung Jakto Javans und ging zu den anderen Wissenschaftlern. Verächtlich blickten die Militärs auf das bunte Gewimmel. Was sie am meisten ärgerte, war die Tatsache, daß man ihre Hilfe unbedingt brauchte. Dann kam Khouon zurück. Geistesabwesend strich er sich über die kurzen Stoppeln, bevor er sich an Jakto Javan wandte. Als erstes wird die Kugel Messungen durchführen. Dichte der Energiewand, Phasenlänge, Durchlässigkeit von kleinsten Materieteilchen." Jakto Javan winkte ab. Die Einzelheiten interessierten ihn im Augenblick nicht. Gespannt verfolgte er auf seinem Schirm das Bild aus der Kamera der Kugel, die sich langsam dem Feld näherte. Das gleiche Bild war in der Kommandozentrale des Pithonraumers zu sehen. Die Männer sahen das grüne Leuchten näher kommen. Auch die Sterne dahinter wurden deutlicher. „Das Feld ist lichtdurchlässig. Das haben schon die ersten Beobachtungen ergeben", äußerte Tumon Garlan. „Leider ist das für uns völlig nutzlos. Eine Nachricht, die vielleicht in hundert Jahren auf Ferga ankäme, würde uns herzlich wenig nützen." Auch wenn es uns gelingt, eine Nachricht durch den Hyperraum zu schicken, ist der Erfolg gleich Null, dachte Jakto Javan. Wer sollte ihnen noch zur Hilfe kommen? Die wenigen Einheiten, die noch verblieben waren, bildeten einen starken Kordon um den Planeten Ferga, dem Sitz des SCHENNA. Er sorgte sich um diesen alten Mann, der, zu Lebzeiten als Gott verehrt, mit seiner Güte und Weisheit das laktonische Imperium zusammenhielt. Der SCHENNA war kein Heiliger, kein salbadernder Priester. Er
konnte auch unerbittlich und hart sein. Der unerbittlich geführte taktische Krieg bewies es. Die erregte Stimme des alten Wissenschaftlers ließ Jakto Javan auffahren. Auf dem Bild hatte sich nichts verändert. Bewegungslos stand die Forschungskugel wenige hundert Meter vor der grünen Energieschranke. Aber auf dem anderen Schirm standen beide Männer eng zusammen. Ihre erregte Transpiration konnte Jakto Javan fast körperlich spüren. „Was ist los?" schrie der oberste Befehlshaber. Der Schrecken auf den weißen Gesichtern hatte ihn aus seinem Sitz emporgetrieben. Khouon starrte einen Augenblick geistesabwesend auf den Holografen. Dann sagte er schwer. „Schento, die Messungen ergeben, daß der Schirm auch nicht mit Hyperflug durchdrungen werden kann. Er ist fünfdimensional!" „Sie werden einen Weg finden, den Schirm zu sprengen", sagte Jakto Javan ernst. Der Wissenschaftler nickte. „Was nun?" wollte Tumon Garlan wissen. „Die Forschungskugel wird wieder eingeholt. Die Ergebnisse, besonders was die kleinsten Materiepartikel betrifft, müssen ausgewertet werden." Tumon Garlan lachte höhnisch auf. „Haben Sie diesen alten Narren gehört, Jakto Javan?" brüllte er, „wir sitzen in der größten Falle der Geschichte. Wir sind eingeschlossen, und was tut dieser Wissenschaftler? Er untersucht seine Materiepartikel, anstatt wirklich etwas zu unternehmen!" „Beruhigen Sie sich", schnappte Jakto Javan. „Was wollen Sie damit sagen?" „Daß das Militär nicht abwarten wird, bis die Wissenschaftler etwas unternehmen. Gewalt gegen Gewalt, das ist unsere Methode. Aus diesem Grunde habe ich in die Forschungskugel einige von unseren 'wissenschaftlichen Objek-
ten' eingebaut. Und jetzt wollen wir die Energiemauer auf unsere Art untersuchen!" „Nein", sagte Khouon heftig, „das werden Sie nicht!" Tumon Garlan schlug dem alten Wissenschaftler vor die Brust. Der Mann taumelte und stürzte. Plötzlich hatte der Kommandant des Schiffes einen Energiestrahler in der Hand. „Weg von den Kontrollen, meine Herren!" kommandierte er. Die Wissenschaftler traten von den Steuergeräten zurück. Automatisch erhoben sich die Hände, als einige Soldaten auf sie zutraten. Offiziere des technischen Dienstes drängten die letzten Assistenten Professor Khouons zur Seite. „Was haben Sie vor, Garlan?" erkundigte sich Jakto Javan. Ein amüsiertes Lächeln hatte um seine Mundwinkel gespielt, als er sah, wie sein Flottenkommandant mit den Wissenschaftlern umsprang. Auch Jakto Javan war der Meinung, daß man den Wissenschaftlern zu viel Freiheit gab. „Die Wandung der Forschungskugel besteht aus drei Meter dickem Panzerplast. Die Dicke der Wandung wurde von mir angeordnet, angeblich aus Sicherheitsgründen. In Wahrheit wollte ich die Kugel zu einer Granate gigantischen Ausmaßes machen! Der Sprengwert könnte einen Planeten von der Größe der Erde zerreißen." „Genial!" schnappte Jakto Javan. „Idiotisch", brummte Professor Khouon. „So was kann auch nur einem Soldaten einfallen!" Der drohend auf ihn gerichtete Strahler eines Soldaten ließ den alten Wissenschaftler nicht verstummen. „Jakto Javan", rief er, „hier spricht Khouon!" Er mußte sich mit Namen melden, da ihn Garlan nicht vor die Holografen treten ließ. „Ich warne Sie vor diesem Experiment! Befehlen Sie Garlan, wenigestens zu warten, bis wir
unsere Ergebnisse ausgewertet haben!" „Damit ihr verdammten Wissenschaftler meinen Plan zunichte machen könnt, was?" brüllte Tumon Garlan. „Los, abfahren!" Die Techniker hatten die Forschungskugel wieder bis zum Pithonraumer zurückgezogen und ließen sie jetzt losschnellen. In rasender Geschwindigkeit näherte sie sich der Energieschranke. Gleichzeitig zog sich der Raumer zurück. „Beim Auftreffen zerplatzt die Kugel, die Sprengladung wird aktiviert!" Tumon Garlans Stimme war ein heiseres Flüstern. Dann überschlug sich seine Stimme. „Jetzt!" Aber der Schirm, der durch die Kamera des zum Geschoß gewordenen Forschungsschiffes ungeheuer nah herangekommen war, wurde nicht vernichtet. Während durch die Wissenschaftler ein Schrei des Entsetzens ging, blickte Tumon Garlan mit ungläubigem Staunen auf den Bildschirm. Die Energieschranke schien rasend schnell zurückzuweichen. Dann hatte auch er begriffen. Aber es war zu spät. Der riesige Pithonraumer verging in einer grelleuchtenden Glutwolke, als die Kugel, von der Wandung des grünen Schirms wie ein Gummiball abgeprallt, zurückraste und den Raumgiganten voll traf. Stöhnend vergrub Jakto Javan sein Gesicht in den Händen. Der Schirm, der das Innere des Raumschiffes gezeigt hatte, war im Augenblick der Explosion dunkel geworden. Aber der andere Schirm, der von einem Beobachtungssatelliten aus den Pithonraumer in seiner vollen Größe gezeigt hatte, gab das violette Fanal wider, das langsam nur verblaßte. Der Raumer existierte nicht mehr. Aber der Schirm hatte gehalten. Durch den grünen Schein schimmer-
ten matt die Sterne. * Tsien Hsia strich sich über die strähnigen weißen Augenbrauen. Sein rotes, rundes Gesicht glänzte zufrieden. Der Marschall der Asiatic Union, die die frühere Sowjetrepublik mit China und Ost- und Südostasien vereinigte, war zugleich Chef der Kommunistischen Partei Chinas. Der weißhaarige, 43 Jahre alte Herrscher über Milliarden von Menschen liebte es, von einem prunkvollen Zeremoniell umgeben zu sein. Abgesehen von seinen beiden Leibwächtern, deren eigentliche Aufgabe darin bestand, Tsien Hsia dauernd mit Zigaretten zu versorgen, standen hinter ihm zehn Männer aus seiner schwarzgekleideten Elitetruppe. Der chinesische Marschall beobachtete, wie die letzten Gesandten im kleinen Sitzungsraum Platz nahmen. Dann ließ er sich von einem Leibwächter eine Zigarette reichen, befestigte sie sorgfältig in einer goldenen Zigarettenspitze und nickte dann Randa Evariste Kalunde, dem Präsidenten der Organisation Africaine, gnädig zu, der behäbig neben ihm Platz genommen hatte. „Wie ich sehe, ist der Vertreter der USA nicht anwesend", lächelte Kalunde gewinnend. Aus seinem tiefschwarzen Gesicht blitzten grellweiß die Zähne. „Nun, dann müssen wir eben ohne ihn anfangen!" „Sollte man etwa vergessen haben, die Amerikaner einzuladen?" fragte Gomez, der Vertreter der European United States. Der Spanier lächelte, aber seine Augen blickten ernst. Die Versammlung bestand zur Hauptsache aus Chinesen und Afrikanern. Sofort konzentrierten sich die feindseligen Blicke auf den kleinen Mann, der sich verlegen über den Schnurrbart strich. Die hellbraune Haut
des Spaniers hatte sich plötzlich weiß gefärbt. Erst jetzt sah er, in welche Versammlung er sich begeben hatte. Er hob entschuldigend die Schultern. „Muy bien! Ein Versehen vielleicht?" „Zweifeln Sie die Rechtmäßigkeit dieser Versammlung an?" peitschte die scharfe Stimme Hsias durch den Raum. Gomez schüttelte lächelnd den Kopf. „Wäre ich dann hier?" „Zur Sache!" kam die helle Stimme Kalundes wieder. „Vielleicht ist es ganz gut, daß kein Vertreter der USA anwesend ist. Es geht heute um gewisse Praktiken dieses jungen Senators Rex Corda, der sich offenbar anmaßt, der Herr dieser Welt zu sein. Wir sollten dieses Problem einmal in Ruhe besprechen, in aller Klarheit und ohne daß ein Amerikaner unsere Argumente verwässert!" Der chinesische Marschall klopfte mit der Faust auf den Tisch. Zögernd applaudierten die übrigen Delegierten. Tsien Hsia erhob sich. Freundlich musterten seine braunen Augen jeden einzelnen der Versammlung. „Es ist eine Tatsache, daß der Senator Corda einige Erfolge verbuchen kann. Er war früher ein äußerst beliebter, aufstrebender Mann. Offenbar sind ihm jetzt seine Erfolge zu Kopf gestiegen. Wir haben Beweise, daß er wissenschaftliche Unterstützung von Seiten der Laktonen erhält, die er offenbar dazu benutzen will, die Vormachtstellung der USA weiter auszubauen. Meine Herren! Jedes Land dieser Welt wird von den Laktonen ausgebeutet. Überall landen die Raumschiffe der Fremden, verwüsten die Felder und machen die Menschen obdachlos!" Gomez hatte wieder die Hand erhoben. Unfreundlich ruhte der Blick des Chinesen auf dem Vertreter der EUS. „Ja, bitte?" Gomez erhob sich. „Man sagt, Corda habe es durch langwierige Verhand-
lungen erreicht, daß nur zehntausend Raumschiffe auf Terra landen dürfen." Das Gesicht Tsien Hsias war dunkelrot vor Wut. „Da sieht man, wie Sie sich zum Narren machen lassen! Vielleicht wissen Sie auch, wenn Sie schon so gut informiert sind, daß ich ebenfalls persönlich bei Jakto Javan, dem Führer der laktonischen Flotte, vorgesprochen habe . . ." „Man sagt . . .", unterbrach Gomez. „Das ist ja eben die unverschämte Lüge!" schrie Tsien Hsia mit sich überschlagender Stimme. „Ich weiß, was von den Amerikanern als Flüsterpropaganda verbreitet wird! Ich sei abgewiesen worden!" Der Marschall reckte sich auf seine Zehenspitzen. Seine Stimme war wieder ruhiger geworden. „Meine Herren! Diese Lüge klingt nicht sehr überzeugend. Wird man das Oberhaupt des größten Landes der Erde abweisen? Wir haben so viele Menschen wie der Rest der Welt zusammengenommen, vergessen Sie das nicht!" Keiner wagte zu erwidern, daß ein Drittel der Bevölkerung der Asiatic Union praktisch dem Hungertode nahe war. Millionen hatten kein Dach über dem Kopf. „Die Wirklichkeit war ganz anders. Rex Corda erreichte es, vor mir mit Jakto Javan sprechen zu können. Schon vor seiner Landung auf der Erde hatte sich der Oberbefehlshaber der Laktonen entschlossen, nicht mehr Raumschiffe landen zu lassen. Diesen Erfolg kann Corda nicht auf seinem Konto verbuchen, wenn er es auch gern möchte. Über etwas anderes schweigen sich die Gerüchte wohlweislich aus: Rex Corda hat versucht, die USA von landenden Raumschiffen freizuhalten. Als ,Preis' hat er dem Laktonenführer die freie Ausnutzung der übrigen Welt angeboten. Sehen Sie jetzt, wie gefährlich
dieser Mann ist? — Der Beweis liegt klar auf der Hand: Warum weigert sich der Senator beharrlich, eine Konferenz in der UNO einzuberufen? Es wäre endlich an der Zeit, daß die Völker gemeinsam entscheiden, wie man sich zu den Laktonen zu stellen hat. Es geht nicht an, daß ein einzelner Mann, der von unserer Warte aus gesehen kaum den Kinderschuhen entwachsen ist, uns laufend in unverschämter Weise bevormundet!" Donnernder Applaus antwortete der flammenden Rede des Chinesen. Es war schwer, sich der Magie dieser Persönlichkeit zu entziehen. Auch Gomez fühlte tiefen Zweifel an der Loyalität des Amerikaners. „Wir brauchen noch ein paar Tage", meinte Tsien Hsia zu Kalunde. „Die Gesandten fressen uns aus der Hand. Meinen Unterhändlern ist es geglückt, mit einem hohen Offizier der Laktonen Kontakt aufzunehmen. Mein Sonderkommando sitzt auf der Fährte Cordas. Bei der nächsten Gelegenheit. . ." Die Handbewegung des Marschalls war unmißverständlich. Kalunde fühlte, wie ihm plötzlich kalt wurde, aber er nickte eifrig. „Nur noch ein paar Tage . . .", murmelte der Marschall und studierte befriedigt seine Zeichnung, „. . . dann sind wir soweit. Wenn bis dahin keine Konferenz . . ." In diesem Augenblick kam der Bote, der die Meldung auf den Konferenztisch legte und sich hastig wieder zurückzog. Tsien Hsia hielt den Atem an. Verwirrt, mit halbgeöffnetem Mund starrte Randa Evariste Kalunde herüber. Mit der linken Hand knüllte Hsia das Blatt zusammen, die Rechte schlug schwer auf den Schreibtisch. „Corda hat für morgen innerhalb der UNO eine Konferenz einberufen!" Wortlos sah Kalunde auf die zarte Tuschzeichnung. Ein dicker, häßlicher
Strich lief quer über das Blatt. * Unter dem dahinjagenden rot-weißen Gleiter Rex Cordas befand sich ein gewaltiger Krater. Hier hatte sich die City von New York befunden. Die Stadtteile Manhattan, New Jersey und Bronx. Nichts war mehr vom Zentrum der einstmals strahlenden Metropole zu sehen. Nur noch ein dunkler Krater, dessen glasige Schlackenwände ab und zu einen Lichtstrahl spiegelnd zurückwarfen. Am jenseitigen Rand tauchten die Reste des UNO-Gebäudes auf, dessen Fundamente schon teilweise von den Wassern des East River umspült wurden. John Haick wollte direkt auf ihr Ziel zufliegen, aber Corda interessierten die weiß leuchtenden Gebäude, die offenbar erst in den letzten Tagen entstanden sein konnten. Fabriken der Laktonen. „Wir sehen uns die Sache einmal aus der Nähe an", entschied der Senator. „Die Konferenz beginnt erst in etwa einer Stunde." John Haick nickte und ließ den Sonnengleiter eine weite Kurve beschreiben, die sie über das Zentrum des Kraters brachte. Rex Corda spähte durch die Bodenluke und versuchte das Dunkel des gigantischen Trichters, der mehrere hundert Meter in die Erde abfiel, zu durchdringen. Ein mattes rotes Licht verriet, daß immer noch die Trümmer glühten. War ein radioaktiver Brand entstanden, der sich langsam voranfraß? Dann waren sie über dem Trichter hinweg, der das Grab für Millionen von Menschen geworden war, Menschen, die nicht einmal begriffen hatten, was von einer Sekunde zur anderen ihre Häuser mitsamt den Bewohnern zu
Schlacke verbrannt hatte. Der dunkelhaarige Atomwissenschaftler flog eine Schleife um den steil aufragenden Turm im Zentrum der Maschinenhallen und wollte gerade abdrehen, als beide Männer das hohe, singende Geräusch hörten. „Das hätten wir uns denken können", knurrte Haick. Rex Corda beobachtete wortlos die Plattform, auf deren Rand mehrere Kampfroboter der Klasse AA-2 standen. Die Scheibe legte sich in eine Kurve und näherte sich rasend schnell. Mit schrillem Heulen zerrissen die Lüftschichten. „Landen!" befahl Rex Corda knapp. John Haick ging tiefer. Die Plattform war jetzt dicht neben ihnen. Die waffenstarrenden Kampfrobots hatten dem Gleiter die tödlichen Öffnungen auf ihrer Brust zugewandt. Der Sonnengleiter setzte auf. Sofort war das Fahrzeug von Robotern umstellt. Die Linsen auf den kopflosen Schultern blickten kalt auf die beiden Terraner, die ruhig in ihrem Fahrzeug sitzen blieben. Hinter dem Ring der Roboter entstand Bewegung. Die Maschinengiganten wichen zur Seite. Laktonen tauchten auf, in ihren Armbeugen schußbereite Strahler. Der vorderste, auf dessen Brust ein Translator baumelte, winkte mit seiner Waffe. Rex Corda und der Wissenschaftler stiegen aus. „Okay", sagte Rex Corda ruhig, „was wollen Sie?" Der Laktone machte große Augen. Der Lauf seiner Waffe deutete auf die beiden Männer. „Sie befanden sich über militärischem Sperrgebiet. Wir wissen, wie wir Leute wie Sie zu behandeln haben! Folgen Sie uns!" Sofort waren mehrere der kleineren Nachrichtenrobots heran. Dicht wuchsen die glatten, humanoiden
Gesichter vor den beiden Männern auf, während die Maschinenmenschen die beiden Terraner nach Waffen absuchten. „Ich verlange sofort Jakto Javan zu sprechen", sagte Rex Corda ruhig. Der Laktone stieß eine hohe Folge von keuchenden Lauten aus, offenbar die laktonische Entsprechung des menschlichen Lachens. „Ich bin Rex Corda, der diplomatische Vertreter dieses Landes. Wenn Sie nicht sofort eine Meldung an Ihren Befehlshaber machen, werden Sie Schwierigkeiten bekommen. Jakto Javan würde eine solche Behandlung nicht dulden!" „Sie haben hier nichts zu suchen!" beharrte der Laktone. Aber er schien schwankend geworden zu sein. Die Waffe senkte sich etwas. „Das werden wir gleich herausbekommen", kam seine knurrende Stimme über den Translator. „Wehe, wenn Sie mich anlügen!" Die Gruppe sprang auf ein Erg-Band. Zwei der Robots rissen John Haick und Rex Corda auf die sich rasch bewegende Fläche. Dann wurden sie in einen Raum gebracht, dessen Wände von Holografen eingenommen wurden. Die meisten zeigten das Innere der Fabrik, kilometerlange Bänder, haushohe Maschinen, deren Zweck die beiden Terraner nicht einmal erraten konnten, und ganze Legionen von Robotern. Auf eine Handbewegung des Laktonen verdunkelten sich alle Schirme bis auf einen, der bisher nur ein mattes rötliches Leuchten gezeigt hatte. Aber der Augenblick hatte genügt, um den beiden Terranern einen kleinen Einblick in die gigantische Waffenfabrik geben zu können. Wieder kam dem jungen Senator der USA zum Bewußtsein, wie sehr die irdische Wissenschaft noch in den Kinderschuhen steckte. Sie mußten
lernen, rasch lernen, sonst wäre die bittere Lehre, die ihnen in Form der Vernichtung der halben Erde erteilt worden war, umsonst gewesen. Oder gab es doch etwas, in dem sie den Laktonen einen Schritt voraus waren? Wieder kam Rex Corda quälend zu Bewußtsein, daß seine beiden Geschwister Velda und Kim noch nicht aufgetaucht waren. Wenn seine Informationen richtig waren, hatten die Laktonen am Anfang des Konflikts im SolSystem seine neunzehnjährige Schwester und seinen Bruder, der eigentlich noch ein Kind war, entführt. Es ging um ein Geheimnis, das ihnen der Wissenschaftler Walter Beckett als Vermächtnis kurz vor seinem Tode in Hypnose anvertraut hatte. Aber jeder der drei Geschwister trug nur ein Drittel des wissenschaftlichen Vermächtnisses in sich. Da sein Unterbewußtsein völlig blockiert war, ahnte auch Rex Corda nicht das geringste, worum es bei diesem Vermächtnis des greisen Nobelpreisträgers ging. Er tappte im dunkeln, wie offensichtlich die Laktonen auch. Das massige Gesicht Jakto Javans riß den Senator sehr schnell wieder in die Wirklichkeit zurück. „Diesmal sind Sie wirklich zu weit gegangen", dröhnte die tiefe Stimme. „Corda, Ihre Unverschämtheiten reichen mir allmählich!" „Als Repräsentant des Landes ist es mein gutes Recht, mich für alles zu interessieren, was innerhalb der USA vor sich geht", widersprach Rex Corda. „Man hat mich zur Landung gezwungen. Ihre Bereitschaft, mit uns zusammenzuarbeiten, klingt nicht sehr glaubhaft. Sie müssen allerhand zu verbergen haben, wenn Sie sogar dem diplomatischen Sprecher dieses Landes ein solches Mißtrauen entgegenbringen!" Das Gesicht des Laktonen wurde dunkel. Er näherte sich der Kamera, bis man nur noch Augen, Nase und Mund
auf dem Bildschirm sah. „Keiner hat von Zusammenarbeit gesprochen", dröhnte die Stimme des Flottenkommandanten. „Was wollen Sie überhaupt in New York?" „Als Repräsentant dieses Landes", sagte Rex Corda ruhig, jedes einzelne Wort betonend, „mache ich von meinem Recht Gebrauch, innerhalb der UNO eine Konferenz der Völker einzuberufen!" Der junge Senator sah auf seine Uhr. „Das wird in einer halben Stunde der Fall sein. Ich glaube, ich bin Ihnen hier keine Rechenschaft schuldig. Das sind interne Dinge, die allein die Erde ansehen!" „Was Sie nicht sagen!" höhnte Jakto Javan. Seine Stimme wurde zu einem heiseren Brummen. „Sie wollen mir Vorschriften machen, junger Mann? Sie irren sich gewaltig, wenn Sie glauben, Sie können mit mir wie mit einem Ihrer primitiven Eingeborenenführer umspringen. Sie sind ein Aufrührer, Corda, ein Verschwörer. Die Konferenz wird nicht stattfinden. Sie werden unter Bewachung zu meinem Raumschiff gebracht!" Der Schirm wurde dunkel, als Jakto Javan auf die Stop-Taste hieb. Im gleichen Augenblick wurden Rex Corda und John Haick von mehreren Robotern gepackt. Die schimmernden Waffen der Laktonen waren auf die beiden Terraner gerichtet und ließen jede Gegenwehr als Wahnsinn erscheinen. Als sie abgeführt wurden, dachte Rex Corda an Nukleon. Der Hund lag zusammengerollt auf dem Rücksitz des Gleiters. Was sollte aus ihm werden? * Durch den vollbesetzten Saal der UNO ging ein Raunen. Mit einer triumphierenden Miene, die vor öliger Selbstzufriedenheit glänzte, ging Tsien Hsia, gefolgt von Randa Evariste Kalunde,
auf das Rednerpult zu. Seine Stimme, verstärkt von den Lautsprechern, hallte im gewaltigen Rund der ansteigenden Sitzreihen wider. „Rex Corda ist nicht gekommen. Der Repräsentant der USA hat es vorgezogen, nicht zu erscheinen. Meine Damen und Herren, das beweist meine These, daß . . ." Mit ungewöhnlicher Akribie erläuterte Tsien Hsia seine Einschätzung von dem jungen Senator, die in der Behauptung gipfelte, Corda wolle die übrige Welt außer Amerika an die Laktonen verkaufen. Der Verrat habe schon stattgefunden. Die Vertreter Südamerikas und Europas weigerten sich in ihrem Innersten, den Worten des chinesischen Demagogen Glauben zu schenken. Aber ihre Überzeugung an der Loyalität des Amerikaners hatte einen klaffenden Riß erhalten. Sie fühlten sich durch das — wie sie glaubten — unverantwortliche Verhalten des Senators im Stich gelassen. Rex Corda war nicht erschienen. * Der große Gleiter schoß aus dem grauen, wolkenverhangenen Himmel und landete hart auf dem verbrannten, zerbröckelten Beton neben dem Pithonraumer Jakto Javans. Drei Laktonen stürmten heraus, postierten sich mit den Waffen im Anschlag vor der offenen Luke. Aus der Bodenluke kletterten Kampfroboter und richteten ihre Waffen ebenfalls auf das offene Schott. Gemächlich kletterten Rex Corda und John Haick heraus. Aus der Luke des Raumers, die in einer Höhe von zwanzig Meter über dem Erdboden lag, schwebte die Gravoplattform herunter. Ein einzelner Laktone stand darauf. Er hatte nicht mal
eine Waffe bei sich. Die Offiziere, die ihre Waffen gegen die beiden Erdmenschen erhoben hatten, starrten den Kurier ungläubig an. Vandour lächelte und nickte den Terranern zu. Rex Corda beobachtete die Gesichter der Offiziere aus der Waffenfabrik. Er las Verwunderung, aber auch Geringschätzung und Abscheu in ihnen. Offenbar richteten sich diese Gefühle gegen Vandour, der aber offensichtlich nicht darauf achtete. Wieder fragte sich Corda, welches Geheimnis den Laktonen umgab. Widerwillig verschwanden die laktonischen Offiziere. Zuletzt kletterten die Roboter in den großen Gleiter, der in der nächsten Minute wie eine wütende Hornisse losbrummte. Wortlos kletterten die beiden Männer auf die Gravoplattform, die sie mit sich in die Höhe riß. * „Sie können gehen, Vandour!" Der Kurier deutete eine leichte Verbeugung an und verließ die Zentrale. Neben Jakto Javan standen die beiden laktonischen Agenten Fatlo Bekoval und Percip. Mit drei schnellen Schritten näherte sich der oberste Kommandant der laktonischen Flotte dem Sprecher der Erde. Rex Corda bemerkte, daß das breite Gesicht des Laktonenführers von tiefen Sorgenfurchen durchzogen war. Dieser Mann trug eine ungeheure Verantwortung, und er befand sich in einer schwierigen Situation. „Corda", knurrte der Laktone, „Sie werden mir allmählich lästig. Ich überlege mir, ob ich Sie nicht absetzen sollte. Es gibt Eingeborenenführer auf diesem Planeten, die sich um die Ehre reißen würden, mit den Laktonen zusammenarbeiten zu dürfen. Sie sind sehr von sich eingenommen, junger Mann. Sie schätzen sich und ihr Volk
ein wenig zu hoch ein!" „Das ist Ansichtssache", bemerkte Rex Corda kühl, „wir wissen nur recht genau, was wir wert sind. Und auch Sie sollten das wissen, Jakto Javan. Ihre Agenten werden Ihnen einen genauen Bericht von unserem Kampf gegen die Gefiederten gegeben haben. Denken Sie an die fünf Supertransmitter, die wir zerschlagen haben. Ihre Agenten hätten sie allein nicht einmal ankratzen können!" Nur ungern spielte der Senator diesen Trumpf aus. Er hatte nicht die Absicht, seine Leistungen herauszustreichen. Aber die ungerechte Behandlung durch den Flottenführer verlangte einfach diese Reaktion. Jakto Javan wandte sich zu seinen Agenten um. Aber Bekoval und Percip nickten nur stumm. Rex Corda hatte recht. „Können Sie mir einmal verraten, welchen Nutzen wir von Ihrem selbstlosen Einsatz haben?" höhnte er. „Dieses System sitzt in der Falle. Ob die Transmitter noch existieren oder nicht, das bedeutet keinen Unterschied. Das sollten Sie endlich einsehen!" Jakto Javan wandte sich um, als Bekoval einen Schritt vortrat. Der Offizier schien etwas sagen zu wollen, aber der Befehlshaber der Laktonen wischte ihn mit einer Handbewegung zur Seite. „Sie haben meine Leute unterstützt. Gut! Sie haben gewichtige Fürsprecher. Sie scheinen vielleicht einen guten Kampf geführt zu haben, aber das ist jetzt vorbei. Begreifen Sie?" Rex Corda schien die Demütigungen zu überhören. „Was ist nun mit der Konferenz?" erkundigte er sich ruhig. „Ich bestehe darauf, mit den Vertretern der anderen Völker reden zu dürfen. Wir sind kein Sklavenvolk!" Der Laktone winkte ab. „Die Konferenz? Schön, halten Sie
Ihr lächerliches Palaver ab. Reden Sie mit den anderen Eingeborenenhäuptlingen. Vielleicht sind Sie unter Ihren Primitiven eine bedeutende Persönlichkeit. Aber Sie bleiben vorerst der Sprecher der Erde. Ich mache Sie für alles verantwortlich. Sie haben mir Rechenschaft abzugeben. Ich werde Sie laufend überwachen lassen. Wenn Sie Ihren primitiven Haufen nicht zusammenhalten können, werden Sie abgesetzt. Und nun verschwinden Sie!" Bitter sah Rex Corda, daß hier nichts mehr zu gewinnen war. Bekoval und Percip, vermieden es, in die Augen des jungen Senators zu sehen, die dunkel vor unterdrücktem Zorn waren. Rex Corda wandte sich um und verließ die Kommandozentrale Jakto Javans. * Mit schnellen, hastigen Sätzen legte er die kurze Strecke zurück, die ihn von dem schützenden Buschwerk trennte. Erschöpft fiel er unter den ersten kleineren Bäumen zu Boden. Der Gefiederte vergewisserte sich, daß die Plastikmaske nicht verrutscht war, die sich über Gesicht und Federn spannte. Von weitem glich der Orathone einem Terraner, und der Agent hatte vor, diesen Eindruck aufrechtzuerhalten. Wieder hörte er das tiefe Brummen über sich. Vorhin schien ihn der laktonische Gleiter nicht bemerkt zu haben, aber jetzt kehrte das kleine Raumschiff wieder zurück. Hatten ihn die Energiedetektoren verraten? - Schützend barg der Agent das große, runde Gebilde an seiner Brust und verkroch sich tiefer in die Büsche. Der Raumer senkte sich. Aber er setzte nicht auf der Erde auf. Die Bodenklappe öffnete sich kurz, und ein großer rot-weißer Gegenstand fiel aus
ihr heraus. Der Agent erkannte einen der primitiven Sonnengleiter der Terraner. Das Fahrzeug polterte auf den Boden, kippte und kam dann zum Stillstand. Der große Gleiter schoß steil in die Luft und entfernte sich. Bevor sich der orathonische Agent dem Fahrzeug nähern konnte, klappte die Tür auf und schlug langsam zur Seite. Ein vierbeiniges, schwarzgelb geschecktes Tier sprang heraus und rannte auf den Flugplatz zu, wo das Raumschiff stand. Der Gefiederte wußte, daß es sich um ein bedeutendes Schlachtschiff handeln mußte. Hätte er gewußt, daß es sich um den Pithonraumer Jakto Javans handelte, hätte er sein Vorhaben vermutlich aufgegeben. Der Agent setzte sich in Bewegung. Er mußte so nah wie möglich heran, um seine Bombe zu werfen. Vielleicht konnte er keinen großen Schaden anrichten. Aber so oder so, er war am Ende. Wochenlang war er durch die Steinwüsten dieses zerschossenen Planeten geirrt, ohne Proviant, ohne Verbindung zu den anderen Agenten. Sein Funkgerät war bei einem Gefecht zerstört worden; er hatte es als unnützen Ballast wegwerfen müssen. Jetzt stand der Agent nur etwa zwei Kilometer von der Betonfläche des ehemaligen Flugplatzes entfernt und wog die Bombe in der Hand. Sein Plan war genial, aber einfach: Er würde die Bombe in einem Augenblick werfen, in dem eines der unablässig startenden und landenden Raumschiffe sich von der Betonfläche des Platzes abheben würde. Dies war der kritische Augenblick. Der Raumer würde außer Kontrolle geraten und in seiner gesamten Länge auf den Beton schlagen. Daß er vermutlich selbst dabei draufgehen würde, störte den Agenten herzlich wenig. Er war geschwächt. Jeder
Schritt bereitete ihm große Mühe. Fast unbewußt näherte er sich dem rot-weißen Gleiter. Kurz vor dem Fahrzeug hielt er inne. Ja, hier lag die Lösung. Mit einem terranischen Fahrzeug würde er sich dem Zentrum des Platzes weit genug nähern können. Erschöpft kletterte der Orathone in das Innere des Gleiters. Für Minuten holte er tief Atem. Er drohte einzuschlafen, aber er zwang sich dazu, die technische Einrichtung des Gleiters zu überprüfen. Langsam wanderte sein Blick über die Knöpfe und Skalen. * John Haick stieg als erster von der Plattform, die den Beton des ehemaligen Flughafens erreicht hatte. Der Außenlift hielt einen halben Meter über dem Boden. Vandour, der Kurier, nickte ihnen noch zu. „Und wie sollen wir hier weiterkommen?" schrie John Haick nach oben. Er dachte an den Gleiter, der mit Nuk-leon bei dem Nachschubzentrum in New York geblieben sein mußte. In diesem Augenblick schoß ein gelbschwarzer Blitz auf sie zu. Nukleon sprang hechelnd an den beiden Männern empor. Sein Fell war zerrauft, die Zunge hing ihm lang aus dem Maul. John Haick beugte sich nieder, um das Tier zu streicheln. „Wo kommt er bloß her?" fragte der Wissenschaftler. „Sie werden unseren Gleiter irgendwo abgesetzt haben", vermutete Rex Corda. Immer noch stand ihm die Enttäuschung über das beleidigende Verhalten des laktonischen Kommandanten deutlich im Gesicht. Wie zur Bestätigung sprang Nukleon ein paar Sätze voraus und blieb dann abwartend, zum Sprung bereit, stehen. „Okay", meinte John Haick verdrossen, „dann hinterher!"
Oben verschwand der Lift mit dem Laktonen Vandour im Innern des Pithonraumers. Der Hund führte sie über den Beton der Landebahn bis zu den umgebrochenen Zäunen am Rande des Flugfeldes. Laktonische Wachen patrouillierten herum, aber sie beachteten die Menschen und den Hund nicht. Hinter dem Flugfeld begann ein kleines Wäldchen. In einer Schonung entdeckten sie den Gleiter. Nukleon verhielt plötzlich. Mißtrauisch spähte er zu dem verbeulten, auf dem weichen Grund schrägliegenden Fahrzeug hinüber. Rex Corda beugte sich zu dem Schäferhund hinunter. Er wußte, daß man jedes Zeichen des Tieres ernst nehmen mußte. Nukleons Gehirn war mutiert. Dazu besaß er den Instinkt des Tieres. Instinktiv warf sich der Senator zu Boden, als das Zischen ertönte. Etwas summte, dann schrie ein Mensch hoch und erschreckt. Corda hörte den dumpfen Fall eines Körpers, der auf weichen Waldboden schlägt. „John!" rief er leise, aber nur ein leises Stöhnen war die Antwort. Nukleon winselte. Er hielt seinen Körper dicht am Boden gepreßt. Im hohen Gras erkannte Corda die dunkle, lang ausgestreckte Gestalt seines Freundes. John Haick war am Boden zusammengebrochen. Kein Laut war mehr von ihm zu hören. Vorsichtig robbte R.ex Corda zurück. Er fühlte, daß die Bedrohung vorn Gleiter ausging. Aber was war geschehen? „Ruhig, Alter!" sagte er zu dem winselnden Tier. Nukleon kroch, den Bauch an den Boden gepreßt, zur Seite. Sofort begriff der Senator, was das intelligente Tier beabsichtigte. Nukleon wollte einen Bogen schlagen und sich dem Gleiter von hinten nähern. Rex Corda warf sich voran und packte den Schweif des Tieres.
„Du bleibst hier!" knurrte er. Im gleichen Augenblick fühlte der Senator das scharfe Stechen in seiner Schulter. Er warf sich herum. Unerträglicher Schmerz wühlte in seinem Oberarm und stieß feurige Nadeln durch seinen Körper. Corda wollte sich bewegen, aber er war gelähmt. Sein Geist war völlig klar, obwohl ihn der Schmerz fast zum Wahnsinn trieb. Viel schlimmer war aber die Unfähigkeit, sich zu bewegen. Er atmete flach, denn sein Brustkasten bewegte sich nicht. Der Senator wußte nicht, wieviel Minuten er so gelegen hatte, während ihn der brennende Schmerz und die Enttäuschung zu übermannen drohten. Das also ist das Ende, dachte er. Die hohen Gräser bewegten sich leicht. Jemand kommt, dachte der Senator, aber er konnte sich nicht bewegen. Die untersetzte Gestalt tauchte auf. Corda erkannte einen Orathonen in ihm. Der Gefiederte hatte die Plastikmaske abgelegt. Corda sah nur den Oberkörper des Gefiederten. Dann die Hand, die sich mit dem Schock-Strahler langsam hob. Die breite Gestalt wankte. Der Orathone fuhr herum. Nukleon hatte sich fest in den Nacken des Gefiederten verbissen und wurde bei der schnellen Drehung herumgeschleudert. Aber das Tier ließ sich nicht abschütteln. Plötzlich war der Schatten da. Er mußte schon ein paar Sekunden dagewesen sein, aber jetzt senkte er sich. Rex Corda konnte seinen Kopf nicht wenden, aber er wußte, daß es sich nur um ein Raumschiff handeln konnte. Der Orathone lief um sein Leben. Während seiner Flucht versuchte er verzweifelt, Nukleon, der sich in seinem Nacken festgebissen hatte, abzuschütteln. Endlich fiel der Schäferhund im hohen Bogen zur Seite. Das Jaulen des verletzten Tieres drang quälend in die
Ohren des Senators und ließ ihn einen Augenblick seinen Schmerz vergessen. Im hohen Gras sah der Senator nur noch den Kopf des Gefiederten. Das verzerrte Gesicht blickte nach oben. Dann fuhr ein Arm in die Höhe. Etwas stieß in einer steilen Bahn nach oben. Gleichzeitig zuckte ein heller Strahl durch die aufgewühlte Luft. Schmetternd brach der massige Featherhead zu Boden. Gleichzeitig explodierte eine helle Sonne in Cordas Stirn.
In Rex Corda stieg eine Ahnung auf. „Auch ihr habt Instabile, nicht wahr?" fragte er ruhig. Percip nickte. „Vandour trug eine positronische Befehlseinheit in seinem Gehirn. Er war ein einfacher Maschinist. . . er mußte sich opfern!" Rex Corda stöhnte. Er fühlte, wie die Schwäche an seinem Bewußtsein zerrte. „Ihr seid nicht besser . . ." *
* Er blickte in zwei Gesichter. Percip und Bekoval hatten sich tief über den Senator gebeugt. Corda bewegte seinen Arm und hätte vor Freude fast aufgeschrien. Er war nicht mehr gelähmt und — er lebte! „Sie hatten Glück!" äußerte Percip. „Wenn nicht Vandour gewesen wäre . . ." „Was ist geschehen?" fragte der Senator. Er stützte sich auf den Ellenbogen auf und blickte angespannt in die Gesichter der Agenten. „Was ist geschehen?" wiederholte er. „John Haick, Nukleon. . ." „Ihre beiden Freunde leben. Es gibt Schlimmeres als einen Schock . . ." Die Erinnerung überkam den Senator. „Und . . . Vandour?" „Vandour ist tot!" brummte Fatlo Bekoval. Seine Augen zeigten einen merkwürdigen Ausdruck. „Wir . . . haben ihn nicht mehr gefunden!" „Was war mit Vandour?" wollte Corda wissen. Der Senator hatte sich schon fast wieder erholt. „Wer war dieser Mann? Er schien . . ." „Vandour, der Kurier . . .", nickte Percip. „Er war ein einfacher Mann, der sich in dieser Schlacht ausgezeichnet hatte. Er gehörte nicht zu uns . . . — Jakto Javan wußte das. Er war. . ."
Mit einem zufriedenen Lächeln betrat Tsien Hsia den Kommandoraum des Pithonraumers. Er fühlte den Triumph in sich aufsteigen, die Genugtuung, daß er es doch geschafft hatte. Die Fremdartigkeit des Raumes erschreckte den Marschall nicht. Das Gewimmel der Techniker, die unzähligen Holografen mit ihren klaren und dennoch verwirrenden Bildern nötigten ihm nur ein leichtes Lächeln ab. Er verneigte sich, als er Jakto Javan gegenübertrat. Auf einen Wink des obersten Flottenführers der Laktonen traten die Wachrobots, die den Chinesen flankiert hatten, zurück. Mit einem Grinsen breitete der Asiate den Ballen aus, den er unter dem Arm getragen hatte. Auf einem Kissen lagen uralte Elfenbeinschnitzereien, kostbares Geschmeide aus gehämmertem Silber. „Ich überbringe die Grüße und die Verehrung meines Volkes", sagte der Marschall. Er kreuzte die Arme über die Brust und verneigte sich. Jakto Javan nickte ihm kalt zu. Der Chinese lächelte hintergründig. „Das ist keine leere Phrase. Ich möchte Ihnen beweisen, daß mein Volk voll und ganz hinter mir steht und bereit ist, Ihnen zu dienen!" Tsien Hsia winkte mit der Rechten. Hinter ihm traten zwei seiner Leibwächter hervor, die einen großen Über-
tragungsapparat und eine Projektionswand schleppten. „In Peking findet zu dieser Stunde eine Parade zu Ehren unserer Befreier statt", säuselte der Marschall. „Vielleicht bereiten Sie mir und meinem Volk die Ehre, dieses grandiose Schauspiel zu genießen!" Jakto Javan schüttelte den Kopf. Zum erstenmal seit der Ankunft des Chinesen öffnete er den Mund. „Besten Dank!" dröhnte es über den Translator. „Aber ich ziehe es vor, eigene Übertragungsmittel zu benutzen!" Der gewaltige Schirm an der Stirnseite des Kommandoraums flammte auf. Die Straßen von Peking waren zum Greifen nahe. Eine unübersehbare Menschenmenge strömte an dem Aufnahmegerät vorbei. „Sie sehen. . .!" triumphierte der Marschall. „Das ist mein Volk, es . . ." Aber dann stockte ihm die Stimme. Die marschierenden Chinesen hielten Tafeln und Spruchbänder über ihren Köpfen. Jetzt kam der Ton. Die Menschen sangen Haßlieder, uralte Gesänge, monoton und nervenzermürbend. Puppen wurden über den Häuptern der Uniformierten geschwenkt. Manche dieser Puppen waren in Brand gesteckt worden. Dann wanderte die Kamera. Sie enthüllte einen gewaltigen Platz, vor dem das Regierungsgebäude Tsien Hsias lag. Die Scheiben des Wolkenkratzers waren eingeworfen. Flammen züngelten aus den obersten Stockwerken. Die Tribüne, auf der sich die obersten Regierungsvertreter befinden sollten, war umgestürzt. Leichen lagen mit verdrehten Gliedmaßen davor. Die Kamera fuhr heran. Mit Entsetzen sah der Marschall einen seiner Minister in einer Blutlache liegen. „Es sieht so aus . . .", stammelte er. „Ja", äußerte Jakto Javan kalt, „es sieht so aus, als ob Ihr Volk doch nicht
so ganz hinter Ihnen steht. Ihr Theater ist aufgeflogen!" Tsien Hsia war wie vor den Kopf geschlagen. Mit schweißnassem Gesicht stürmte er aus dem Raum, unzusammenhängende Worte vor sich hinmurmelnd. Verächtlich lächelnd blickte ihm der Führer der laktonischen Flotte nach. * Zur gleichen Zeit rebellierte die Leibgarde Kalundes. Die berühmten Black Heroes, die von amerikanischen Wissenschaftlern von ihren semibiotischen Conduktern befreit worden waren, hatten die Macht im Lande an sich gerissen. Kalunde erwartete, ebenso wie Tsien Hsia, eine prunkvolle Parade auf dem Flugplatz, als er mit einer Sondermaschine aus den Vereinigten Staaten eintraf. Aber zu seinem Entsetzen erwartete ihn ein waffenstarrender Pöbel. Die Menschen machten einfach nicht mehr mit. Das Pulverfaß war zur Explosion gekommen. Von panischem Entsetzen gejagt befahl Randa Evariste Kalunde seinem Piloten, die Maschine sofort wieder zu starten. Dabei mußte er von seiner Waffe Gebrauch machen. Ohne die vorgehaltene Pistole hätte sich der Pilot auf die Seite der Rebellen geschlagen. * Der große Sitzungssaal der UNO war nur spärlich besetzt. Langsam schritt Rex Corda unter dem Gemurmel der Delegierten auf das Rednerpult zu. Der Senator fühlte sich immer noch matt und kraftlos, aber viel schlimmer war die Enttäuschung über eine Welt, die trotz der tödlichen Bedrohung immer noch nicht zu einer Einheit gefunden
hatte. Der Senator hatte kein Konzept. Diese Rede, in die er sein gesamtes politisches Vermächtnis hineinlegen wollte, seine Kraft und seine Einsatzbereitschaft, hielt er aus dem Stegreif. „Meine Freunde", begann er. Das unruhige Murmeln schwoll an. Die Delegierten blickten unwillig auf einen Mann, dem sie einfach nicht mehr zu trauen vermochten. Zu sehr hatte man die Hoffnung in die Loyalität dieses Mannes untergraben. „Meine Freunde . . .", wiederholte Rex Corda, doch im gleichen Augenblick ließ er sich zu Boden fallen. Ein hartes, rhythmisches Schlagen, das seine Trommelfelle zu sprengen drohte, war zu vernehmen. Die Geschosse drangen in das Holz des Rednerpultes ein, zersiebten die Sitze um ihn und fetzten Splitter unter die Delegierten. Einen Augenblick lag Rex Corda am Boden. Seine Brust schmerzte. Dann fühlte er etwas in sich wachsen. Sein Gehirn war hellwach. Ohne den Mordschützen zu sehen, erkannte er einen Mann, der sich in der hintersten Sitzreihe erhoben hatte. Sofort hatte sich der Senator wieder aufgerichtet. Seine tiefblauen Augen richteten sich auf den Mörder. Der Mann war kaum fünfzig Meter entfernt. Das Maschinengewehr hielt er immer noch im Anschlag. Dann geschah etwas mit diesem Mann. Unter dem Blick des Senators ließ er seine Mordwaffe sinken. Der Mann sah einen Augenblick wie betroffen auf seine Waffe. Dann warf er sie schreiend weg und brach zusammen. Der Kopfschmerz wühlte in dem Gehirn des Senators. Aber er achtete nicht darauf. Ebensowenig wie er auf das Gemurmel um ihn achtete. Die Delegierten waren zu ihren Sitzen zurückgekehrt. Rex Corda wußte, was er tun mußte.
Er neigte sich zu dem Mörder hinunter und rüttelte den Mann an der Schulter. Erst jetzt sah er, daß der Mordschütze ein Asiate war. „Warum hast du das getan?" fragte Rex Corda sanft. Der Mann öffnete nicht seine Augen, aber seine Lippen bewegten sich. „Ich bin ein Mörder", keuchte der Mann, „Buddha strafe mich! Ich bin nicht wert. . ." Aufstöhnend krümmte sich der Asiate zusammen, ein formloses Bündel Mensch, voller Schmerzen und Qual. Rex Corda richtete sich auf. „Das sind die einzigen Argumente meiner Gegner!" rief er. Eine Tür hatte sich geöffnet. Randa Evariste Kalunde und Tsien Hsia erschienen. Sie wurden von fast allen Diplomaten mit eisigem Schweigen empfangen. Man konnte sich denken, wer den Mordschützen bezahlt hatte. Die beiden geschlagenen Staatsoberhäupter gingen leise zu ihren Sitzen. Sie sahen nicht auf. Erneut öffneten sich die großen Eingangsportale. Der massige Körper des laktonischen Offiziers Fatlo Bekoval schob sich herein. Mit schnellen Schritten trat er an die Seite des jungen Senators. Sofort hatte er die Lage überschaut. Der Laktone preßte die Lippen zusammen, als er Rex Corda ansah. „Jakto Javan wünscht Sie zu sprechen!" stieß er schließlich hervor. Rex Corda richtete sich auf. „Sagen Sie Jakto Javan, daß ich gern mit ihm verhandeln will. Aber nur innerhalb der UNO und nur, wenn die Delegierten anwesend sind . . ." Der Blick des Senators ging über die Vertreter der Völker der Erde. „Vollzählig, natürlich!" Es war erstaunlich, daß eine derart kleine Anzahl von Menschen einen so starken Applaus hervorbringen konnte.
ENDE
Sigam Agelon 39, ein AGELON! Direkter Nachkomme des Moga Agelon. Dritter Sohn. Flottenkommandeur der im solaren Raum versammelten Flotte der Orathonen. Auf Grund eines privaten Verweises muß er Kriegsdienst leisten. Sehr stolz, arrogant, Menschenverächter, hart, rücksichtslos. Ein Leben zählt bei ihm nichts. Er steht mit Bronze-Robotern etwas auf dem Kriegsfuß, weil Roboter seiner Meinung nach ein bißchen zuviel Persönlichkeit erhalten haben. Gedrungene, ungemein kräftige Figur, strahlt ungewöhnliche Kraft und Energie aus. Walter Beckett Wissenschaftler in Miami. Macht eine umwälzende Erfindung. Er übergibt Rex Corda das Wissen in drei Teilen, die vorläufig unzugänglich bleiben. Seine Erkenntnisse werden Kim und Velda Corda auf hypnotischem Wege eingeprägt, es bleibt vorläufig aber noch unzugänglich für Corda. Stirbt während der Invasion. Fatlo Bekoval Laktone, 69 Jahre (kein Alter für einen Laktonen), entspricht etwa 40 Jahren eines Terraners. Wirkt fett, ist es aber nicht. Stumpfe Nase (ungewöhnlich für einen Laktonen!), massiger Kopf. Untersetzt, ungemein kräftig, spottet gern, überlegen, stolz, manchmal ein wenig boshaft. Die Terraner sind ihm sympathisch, aber sie bleiben in seinen Augen Primitive! Er wird erst später vom Gegenteil überzeugt werden. Er kann einige Worte Englisch, spricht aber fast nie in dieser Sprache. GaVenga ist sein Übersetzer. Jake Dingel General, 58, mittelgroß, grauhaarig, Halbglatze. Ein harter, disziplinierter Mann, der seine Entscheidungen in aller Ruhe trifft. Er spricht nicht viel, überlegt sich stets, was er sagt. Opferbereit. Hilft, wo er kann, erwartet dafür aber Ehrlichkeit. Wenn ihn jemand hintergeht, ist er für alle Zeiten bei Dingel unten durch. Abel Th. Emerson General, 57, Kommandant des Norad, schwarzhaarig, breite Schultern, 1,84 m - 90 kg, also schwergewichtig. Etwas schwerfälliges Temperament. Er merkt es nicht immer gleich, wenn irgendeine Bemerkung beleidigend für ihn ist. Merkt er es aber, dann reagiert er sehr scharf. Er hat die Fähigkeit, unwichtige Bemerkungen völlig zu überhören und sie sofort wieder zu vergessen (sofern sie ihn seiner Meinung nach nicht beleidigen). Gilt als Organisationstalent.