Nr. 153
Straße im Kosmos Sie sind die Boten Skanmanyons sie bringen der Menschheit das Chaos von Ernst Vlcek
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Nr. 153
Straße im Kosmos Sie sind die Boten Skanmanyons sie bringen der Menschheit das Chaos von Ernst Vlcek
Auf den Stützpunkten der USO, den Planeten des Solaren Imperiums und den übrigen Menschheitswelten schreibt man Mitte Juni des Jahres 2843. Lordadmiral Atlan hat bei seinem Einsatz auf dem Planeten Karagam den geraubten Zellaktivator noch gerade rechtzeitig zurückgewonnen. Der kopierte Bewußtseinsinhalt des jungen Kristallprinzen Atlan, der Körper und Geist Curs Broomers übernommen hatte, existiert nicht mehr. Auch der Körper Broomers ist tot – und damit ist eine Episode beendet, die nicht nur in Kreisen der USO beträchtliche Unruhe und Aufregung verursacht hatte. Doch schon vor diesem Zeitpunkt hat sich eine neue Krise angebahnt, die den Lordadmiral zum Eingreifen veranlaßt. Ausgangspunkt dieser Krise ist ein Sonnensystem in der Eastside der Galaxis. Hier, und zwar auf der Welt Komouir, sind wertvolle Schwingkristalle entdeckt worden. Die Entdeckung hat sofort bei allen Prospektoren und Glücksrittern in der Nähe einen wahren Run ausgelöst. Die USO und das Solare Imperium haben dabei das Nachsehen, denn sie sind nicht frühzeitig genug informiert worden. Selbst Froom Wirtz, der in der Nähe von Komouir tätige Instinkt-Spezialist der USO, hat keine Meldung abgeben können. Jetzt jedoch greifen Atlan und IS Wirtz persönlich ein. Von Terrania Skeller, einem parapsychisch begabten Kind, begleitet, erreichen sie Komouir, die Welt der Schatzsucher. Dort entdecken sie das »schweigende Raumschiff« und die STRASSE IM KOSMOS …
Straße im Kosmos
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Die Hautpersonen des Romans: Atlan - Der USO-Chef auf den Spuren der Verantwortlichen für den Hohlweltwahn. Froom Wirtz - Der IS wird aktiv. Terrania Skeller - Das Mädchen nimmt Kontakt mit Fremden auf. Vart Loo - Anführer einer Gruppe von Antis. Laroop - Vart Loos Widersacher. Grevier - Ein Mann, der sich opfert.
1. »Terrania! Komm sofort zurück!« Froom Wirtz brüllte aus Leibeskräften. Doch als sei die ohnehin dünne Atmosphäre von Komouir in der Nähe der Absturzstelle des fremden Raumschiffes ein noch viel schlechterer Schallträger als anderswo, klang seine Stimme so leise und schwach wie ein Flüstern. Das bis auf die Knochen abgemagerte Mädchen reagierte überhaupt nicht auf seine Rufe. Vielleicht hörte sie ihn nicht, oder aber sie kümmerte sich nicht darum. Jedenfalls ging sie unbeirrbar auf das Nebelfeld zu, das die Absturzstelle einhüllte und keine Einzelheiten erkennen ließ. Sie bewegte sich wie in Trance und doch so sicher wie eine Schlafwandlerin, die in ihrer eigenen und nur ihr bekannten Welt lebt. »Wir dürfen sie nicht allein lassen«, sagte der dunkelhaarige Mann neben Froom Wirtz. Doch bevor er etwas unternehmen konnte, war Froom Wirtz schon auf den Beinen und lief dem Mädchen nach. Er erreichte sie, als ihre schmale Gestalt von den ersten Nebelschwaden eingehüllt wurde. Plötzlich geriet der Nebel in Bewegung, ein Heulen ging durch die dünne Luft, und ein heftiger Windstoß erfaßte Terrania Skeller und trieb sie zurück. Ohne eine Abwehrbewegung oder einen Laut stolperte sie rückwärts und wäre von der Bö zu Boden gestoßen worden, hätte Wirtz sie nicht im letzten Moment aufgefangen. Er ging mit ihr hinter einen Felsbrocken in Deckung. Doch war dies eine überflüssige Vorsichtsmaßnahme, denn kaum waren sie
aus dem Nebelfeld, flaute der Wind sofort wieder ab. »Was fällt dir ein, einfach davonzulaufen, ohne uns ein Wort zu sagen«, schalt Wirtz das Mädchen. Er verstummte jäh, als er sie genauer ansah. Terrania wirkte völlig apathisch. Ihr Gesicht war bar jeglichen Ausdrucks. Ihre großen braunen Augen waren zwar auf ihn gerichtet, doch sie blickten durch ihn hindurch. Sie merkte es nicht einmal, als der zweite Mann herankam. Er war viel größer als Wirtz und wirkte viel kräftiger und durchtrainierter, wenngleich auch er von schlanker Gestalt war. Er nannte sich Bralt Meeker – zumindest hatte er sich diesen Namen zugelegt, solange er in der Schatzgräbersiedlung Rekeul weilte. Aber seit er mit Wirtz und Terrania allein war, legte er auf sein Inkognito keinen Wert mehr. Und Wirtz nannte ihn auch bei seinem richtigen Namen, als er ihn ansprach. »Atlan, was halten Sie von Terranias Zustand?« »Wir werden ein wachsames Auge auf sie haben müssen«, meinte Atlan. »Wir erleben es nicht zum erstenmal, daß sie in Trance verfällt, aber diesmal scheint diese tiefergreifend zu sein. Ein Beweis mehr dafür, daß sie auf irgendeine Art in geistiger Abhängigkeit zu diesem fremden Raumschiff steht.« »Wir hätten sie nicht mitnehmen dürfen«, sagte Wirtz. »Sie ist uns bei diesem Unternehmen nur hinderlich.« »Dieser Ansicht bin ich nicht«, entgegnete Atlan. »Wenn sie wirklich im Bann einer geistigen Macht steht, die von dem Raumschiff ausgeht, dann könnte sie uns durch Informationen weiterhelfen. Abgesehen davon
4 wäre es viel zu gefährlich gewesen, sie zurückzulassen. Wenn sie den Schatzsuchern in die Hände gefallen wäre, hätten sie diese gelyncht.« Dem mußte Wirtz vorbehaltlos zustimmen. Es gab in weitem Umkreis von der Schatzgräbersiedlung Rekeul kein sicheres Versteck. Die Schatzsucher und Prospektoren hatten schon vor dem Auftauchen des fremden Raumschiffs Jagd auf Atlan, Wirtz und das neunjährige Mädchen gemacht, weil sie sie als Konkurrenten und Diebe ansahen. Als dann die schwarze Riesenscheibe von ungefähr 3000 Meter Durchmesser und 500 Meter Dicke aufgetaucht und später in 100 Kilometer Entfernung abgestürzt war, bekamen die Schatzsucher einen weiteren Grund, die drei Fremden zu jagen. Denn mit dem Auftauchen des fremden, scheibenförmigen Raumschiffes verfielen alle Bewohner von Komouir dem Hohlweltrausch. Und da Atlan, Wirtz und Terrania immun dagegen waren, galten sie in den Augen der Hohlweltler als entartet. Wirtz hatte sofort beim Anblick der schwarzen Riesenscheibe die Ähnlichkeit der Abmessungen zu dem auf Wiga-Wigo abgestürzten Raumschiff erkannt, nach dem in Menschende gegraben worden war. Und Wirtz bezweifelte auch nicht, daß Atlan recht hatte, als er behauptete, daß die beiden Raumschiffe identisch waren. Das bedeutete aber, daß das Raumschiff von seiner Absturzstelle auf Wiga-Wigo gestartet, zum Tiffak-System geflogen war und auf dem zweiten Planeten Komouir neuerlich abstürzte. Was steckte dahinter? Welches Geheimnis barg das unbekannte Raumschiff mit den äußerst kuriosen Fluggewohnheiten und der unheimlichen Ausstrahlung, die alle Intelligenzwesen in einen Hohlweltrausch stürzte? Und warum waren ausgerechnet sie – Atlan, Terrania Skeller und er, Froom Wirtz – immun dagegen? Sie waren aus dem Gebiet von Rekeul zur Absturzstelle aufgebrochen, um hier des
Ernst Vlcek Rätsels Lösung zu finden. Bisher hatten sie aber noch keine aufschlußreichen Entdeckungen gemacht – außer, daß das Gebiet um die Absturzstelle sich verändert hatte und das Scheibenraumschiff unter einer dichten Nebelglocke lag und somit für sie unsichtbar war. »Wir müssen es riskieren, näher an das Raumschiff heranzukommen«, hatte Atlan an ihrem Beobachtungsposten gesagt. Und als sei dies eine Aufforderung für Terrania gewesen, machte sie sich kommentarlos auf den Weg. Jetzt hielt Wirtz sie an den dünnen Ärmchen fest. Sie wirkte immer noch wie in Trance, machte jedoch keine Anstalten, sich aus Wirtz' Griff zu befreien. Es hatte den Anschein, als daß es sie überhaupt nicht berührte, was um sie vorging und was mit ihr geschah. Nur einmal versuchte sie, sich wieder in Richtung der Absturzstelle in Bewegung zu setzen, gab diesen Versuch aber sofort wieder auf, als Wirtz sie mit sanftem Druck daran hinderte. »Lassen Sie Terrania los, Wirtz«, verlangte Atlan von dem Instinkt-Spezialisten, dessen Fähigkeiten inzwischen aktiviert worden waren. »Ich verstehe«, sagte Wirtz und ließ Terrania los. »Sie wollen, daß sie uns ans Ziel führt. Aber ist es nicht ein zu großes Risiko, sich dem Raumschiff ohne Ausrüstung zu nähern?« »Wenn wir in unseren Nachforschungen weiterkommen wollen, müssen wir dieses Risiko eingehen«, erwiderte Atlan. Wirtz ließ das Mädchen los, und sie ging auf das Nebelfeld zu, das nur wenige Schritte vor ihnen begann.
* Ein kalter Wind kam auf, als sie in die Nebelzone vordrangen. Er zerrte an ihnen und ließ sie frösteln. Atlan und Wirtz nahmen Terrania in die Mitte, um sie zu stützen, da sie überhaupt nicht versuchte, gegen den Wind anzukämpfen.
Straße im Kosmos »Stemme dich gegen den Wind, Terrania«, rief Atlan über das Heulen der Atmosphäre dem Mädchen zu, »sonst wirst du noch davongeweht.« Seltsamerweise reagierte das Mädchen. Ihre Lippen bewegten sich, und dann bildete sich um ihre Mundwinkel ein Lächeln. »Was hat sie gesagt?« fragte Wirtz, während er versuchte, sich den Kragen des Pullovers weiter über den Hals hinaufzuziehen. Atlan zuckte die Achseln. Terranias Blick wurde mit einemmal klarer. Ihre Augen wanderten zwischen ihren beiden Begleitern hin und her, ihr Lächeln vertiefte sich und sie sagte: »Ich habe sie gehört …« »Wen? Uns?« fragte Atlan. Terrania schüttelte den Kopf. »Sie schlafen nicht mehr – und ich habe sie gehört«, sagte sie. »Für einen kurzen Augenblick war alles ganz klar für mich. Der Weg war deutlich zu sehen … er ist vorgezeichnet – und er wird ihn gehen, wenn er geebnet ist.« »Von wem sprichst du, Terrania?« fragte Wirtz und hielt sie fest, als eine Sturmbö sie umzuwerfen drohte. Sie zitterte, und auf ihren dünnen Handgelenken, die unter den Ärmeln des Pullis hervorsahen, bildete sich eine Gänsehaut. Das Lächeln verschwand von ihrem Gesicht und wurde von einem Ausdruck des Bedauerns abgelöst. »Für wen wird der Weg geebnet werden?« fragte auch Atlan. »Ich weiß es nicht«, sagte Terrania zähneklappernd. Die Trance war nun endgültig von ihr abgefallen; sie war nun wieder nur noch ein kleines, zartgebautes Mädchen von neun Jahren, das hilflos den Gewalten einer manipulierten Natur ausgeliefert war. »Mir ist kalt«, sagte sie. Atlan legte ihr den Arm um die knöchernen Schultern, und sie drückte sich, die Wärme seines Körpers suchend, an ihn. »Warum bist du auch so kalt wie Eis, Atlan?« fragte sie verständnislos und begann womöglich noch heftiger zu zittern, als At-
5 lan sie fester an sich drückte. »Erinnerst du dich daran, was eben vorgefallen ist, Terrania?« fragte der Arkonide sie. »Kannst du uns erzählen, was du gesehen hast? Du sprachst von einem vorgezeichneten Weg, der für einen Unbekannten geebnet werden soll. Weißt du, um wen es sich handelt und was für ein Weg das ist?« Terrania schüttelte in echtem Bedauern den Kopf. »Es ist alles wieder verschwommen. Dieser furchtbare Wind hat alle Bilder in meinem Kopf ausgelöscht.« Sie stellten keine weiteren Fragen mehr an das Mädchen. Der Wind wurde immer stärker, je näher sie der Absturzstelle kamen; mit jedem Atemzug sogen sie unwirkliche Kälte in ihre Körper ein. Es konnte kein Zweifel daran bestehen, daß der Wind künstlich erzeugt wurde und auch die Kälte keines natürlichen Ursprungs war. Atlan kam sogar zu der Überzeugung, daß diese Kälte von Instrumenten nicht anzumessen war. Sie wurde nur von Intelligenzwesen verspürt. Durch ein ähnliches Phänomen mußte auch der an vielen Stellen glasierte Boden zustandegekommen sein. Es sah aus, als sei die Oberfläche rund um das abgestürzte Raumschiff unter der Einwirkung starker Hitze geschmolzen. Doch es gab einige Anzeichen dafür, daß es sich um ein kaltes, nichtthermisches Feuer gehandelt hatte, das den Boden rund um die Absturzstelle schmelzen ließ. Denn nur nichtorganische Materie war davon betroffen, die Pflanzen dieses Gebiets waren dagegen nicht einmal angesengt worden. Gräser und Sträucher waren unzerstört geblieben und ragten aus dem glasierten Boden heraus, sofern sie nicht darin versunken und eingeschmolzen waren. Jetzt, unter der zersetzenden Kälte des unheimlichen Windes, zerbröckelten die Pflanzen jedoch, als hätte eine unsichtbare Kraft ihnen alle Flüssigkeit entzogen. Atlan zerrieb den Ast eines Strauches zwischen den Fingern zu Staub, der vom Wind davonge-
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tragen wurde. »Wir können nicht mehr weit von der Absturzstelle entfernt sein«, rief Froom Wirtz über das Heulen des Sturmes hinweg. »Höchstens vierhundert Meter.« Der Instinkt-Spezialist hat die Entfernung richtig abgeschätzt, meldete sich Atlans Extrasinn. Aber das werden die längsten vierhundert Meter deines Lebens. Achtung! Atlan hatte für einen Moment nicht auf den Weg vor sich geachtet. Er selbst nahm nur unterbewußt wahr, daß der Nebel plötzlich eine Bodenspalte freigab, die vor ihm lag, doch sein Extrasinn verarbeitete blitzschnell die optische Information, die er von Atlans Augen erhielt und warnte vor der so unerwartet aufgetauchten Gefahr. Doch die Warnung kam zu spät. Atlan konnte Terrania gerade noch zurückstoßen und sie vor dem Absturz bewahren. Dabei glitt er jedoch auf dem glasigen Untergrund aus, verlor den Halt und stürzte in die bodenlos scheinende Kluft.
2. Die sieben Männer hatten als einige der wenigen die Katastrophe von Rekeul überlebt. Als es infolge des Raumschiffabsturzes zu Beben und zum Ausbruch des Vulkans gekommen war, hatten sie einen kühlen Kopf bewahrt und sich in ungefährdetes Gebiet durchgeschlagen, wo die Beben sich nicht so verheerend auswirkten und der Ascheregen und die Lavamassen sie nicht erreichen konnte. Darüber hinaus hatten sie die Absturzstelle des Raumschiffes angepeilt und sich nach der Katastrophe auf den Marsch dorthin gemacht. Jetzt waren sie an ihrem Ziel angelangt. Vart Loo blickte mit zusammengekniffenen Augen von der kleinen Anhöhe auf das Nebelfeld hinunter, das die Absturzstelle seinen Blicken verbarg. Nur die Falten um seine Augen zeugten von seiner Konzentration, sonst war sein Gesicht ausdruckslos. »Der Nebel ist nicht natürlichen Ur-
sprungs«, sagte einer seiner Leute. »Er wurde künstlich erzeugt. Das läßt darauf schließen, daß ein Teil der Besatzung des Schiffes den Absturz überlebt hat. Wenn wir an Bord gehen wollen, müssen wir mit einigem Widerstand rechnen.« »Das war mir von Anfang an klar«, erwiderte Vart Loo mit einem leicht spöttischen Lächeln. »Ein solches Riesenschiff muß ganz einfach die nötige technische Ausrüstung besitzen, um die Insassen auch im Falle eines Absturzes zu schützen.« »Glaubst du, daß das Risiko dafürsteht, Vart Loo?« sagte ein anderer. »Wie meinst du das, Laroop?« stellte Vart Loo die Gegenfrage. »Das ist doch leicht zu verstehen«, gab Laroop gereizt zurück. »Wir haben es uns zur Aufgabe gemacht, im Dienste unseres Volkes in den Besitz der Schwingkristalle zu kommen. Nur deshalb flogen wir überhaupt nach Komouir. Wir haben angenommen, daß die Schwingkristalle unsere parapsychischen Fähigkeiten verstärken würden. Wir hätten den ganzen Planeten in unsere Hand bekommen und die Bewohner beherrschen können. Doch damit ist es vorbei. Die Schwingkristalle sind zu Staub zerfallen – und Komouir ist für uns bedeutungslos geworden. Ich frage mich, was wir Báalols noch hier zu suchen haben.« Vart Loo sah Laroop lange an, dann sagte er: »Ich frage mich ernsthaft, ob du es verdienst, dem Báalol-Kult anzugehören. Ich weiß nicht, bist du nur dumm oder feige – oder beides zusammen?« Laroop zuckte unter diesen Worten zusammen, sein Körper spannte sich an, und sein Gesicht verzerrte sich vor Zorn. »Du hast nicht das Recht, so mit mir zu reden. Nur weil du es durch Zufall bis zum Oberpriester gebracht hast, bist du noch lange nicht mehr als ich. Du kannst deine Machtgelüste an unseren Dienern auslassen und dein Mütchen an den Feinden unseres Volkes kühlen. Aber ich bin ebenfalls ein Báalol, vergiß das nicht, Vart Loo.«
Straße im Kosmos »Manchmal könnte man das vergessen«, sagte Vart Loo, der Hohepriester des BáalolKults aus dem Volk der Antis, der das Kommando über die Einsatzgruppe auf Komouir führte. »Ich bin dir keine Rechenschaft schuldig, Laroop«, fuhr er fort. »Aber da du offenbar noch immer nicht gemerkt hast, worum es hier geht, will ich dich gerne aufklären. Wir kamen auf diesen Planeten, um die Schwingkristalle in den Besitz unseres Volkes zu bringen. Als wir unserem Ziel schon zum Greifen nahe waren, da vergingen diese Schwingkristalle jedoch, wurden zu wertlosem Staub. Dieses scheinbare Phänomen ist aber bei genauerer Überlegung gar keines. Denn die Schwingkristalle hörten gerade in dem Augenblick zu existieren auf, als das scheibenartige Raumschiff in der Atmosphäre dieses Planeten auftauchte. Jeder Unwürdige kann den Zusammenhang sehen, deshalb ist es beschämend, daß gerade du, ein Báalol, nicht erkannt hast, daß es zwischen den Schwingkristallen und dem abgestürzten Fremdraumschiff eine Verbindung geben muß. Die Schlußfolgerung, daß dieses Raumschiff von noch größerer Bedeutung für uns sein kann als die Schwingkristalle, ergibt sich zwangsläufig. Zumal mit seinem Auftauchen noch ein zweites Ereignis in Zusammenhang steht, nämlich der Hohlweltrausch, in den alle Bewohner Komouirs sofort verfielen. Wir blieben davon verschont, wahrscheinlich dank unserer Psi-Begabung. Hast du nun endlich begriffen, was dieses Raumschiff für uns bedeutet, Laroop?« Der angesprochene Anti schwieg verschämt. Er ärgerte sich, weil er in seinem Haß gegen den Hohepriester die ganz simplen Tatsachen übersehen hatte. Ja, das Raumschiff war für ihre Zwecke von besonderer Bedeutung. Aber es wäre nicht nötig gewesen, daß Vart Loo ihn deshalb vor allen diskriminierte. Vart Loo überspielte die angespannte Situation, indem er zu seinen Männer sagte: »Schließen wir uns zu einem Geistesblock zusammen. Vielleicht können wir so schon
7 eine Vorentscheidung herbeiführen. Ich hoffe, daß du dich nicht ausschließt, Laroop, und uns deine Kräfte vorbehaltlos zur Verfügung stellst. Wir benötigen für unser Vorhaben das Para-Potential eines jeden einzelnen.« Laroop hätte den Hohepriester für diese neuerliche Schmach töten können.
* Anti – das war die von den Terranern geprägte Kurzform für Antimutanten. Die Antis stammten in direkter Linie von den Akonen ab, gehörten jedoch einem Splittervolk an, das sich auf Trakarat, dem 16. Planeten der roten Doppelsonne Aptut ansiedelte. Die neuen Umwelteinflüsse veränderten die Erbmasse der akonischen Pioniere auf eine Art, daß diese im Laufe der Zeit paranormale Begabungen entwickelten und zu Mutanten wurden. Ihre Para-Fähigkeiten zeigten sich primär darin, daß sie hyperenergetische Strömungen beeinflussen konnten, was in der Praxis bedeutete, daß es ihnen möglich war, zum Beispiel Energieschirme durch mentale Kräfte so zu verstärken, daß sie um ein Vielfaches ihrer normalen Kapazität belastbar wurden. Darüber hinaus konnten sie aber auch die paramentalen Kräfte anderer Mutanten abwehren und gegen diese zurückschleudern. Durch Zusammenschluß zu parapsychischen Geistesblocks erreichten sie zudem eine vielfach verstärkte Wirkung ihrer Fähigkeiten und entwickelten dabei als willkommenen Nebeneffekt hypnotische, suggestive, telepathische und sogar telekinetische Kräfte. Diese Möglichkeiten gedachten die Báalols, wie sich die Antis selbst nannten, dazu auszunutzen, um die Macht über alle Völker der Galaxis zu übernehmen. Obwohl diese Versuche bislang fehlgeschlagen waren, trieb der Machthunger die Antis auch weiterhin dazu, eine Verwirklichung ihres Fernziels anzustreben.
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Verständlich war es also deshalb, daß sich Vart Loo durch die Eroberung des fremden Raumschiffs eine effektive Verstärkung der Macht seines auf das Niveau eines Geheimkults herabgesunkenen Volkes versprach. Der Zusammenschluß aller sieben Báalols zu einem Arbeitsblock sollte ihre Fähigkeiten mobilisieren und potenzieren und eine Eroberung des unbekannten Riesenschiffes ermöglichen.
* Trotz der zunehmenden Kälte bildete sich Schweiß auf den angespannten, verkrampften Gesichtern der Antis. Sie waren sieben Wesen mit ebenso vielen Körpern – aber ein einziger Geist, der sich zu einem gigantischen Parablock zusammenballte. Die in diesen Momenten freigewordenen Para-Kräfte hätten selbst Supermutanten aus dem terranischen Mutantenkorps in die Knie gezwungen, wären imstande gewesen, Hunderttausende von normal veranlagten Intelligenzlebewesen zu beeinflussen. Aber bei dem fremden Raumschiff verpufften diese gigantischen Para-Kräfte wirkungslos. Nicht daß sich den sieben Antis Gegenkräfte entgegenwarfen, die stärker waren als ihr Para-Mentalblock, nein, es gab keine Gegenwehr. Es war nur so, als sei um sie das absolute metaphysische Nichts, ein Loch auf parapsychischer Ebene, in das ihre Kräfte wirkungslos abflossen. Sie hatten keinen Kontakt zu irgendeiner Gedankenquelle. Das war ungewöhnlich, um nicht zu sagen anomal. Abgesehen davon, daß sich auf dem Schiff intelligente Lebewesen befinden mußten – oder zumindest eine Quelle mit parapsychischer Emission, was die an Diffundierung grenzende Auflösung der Schwingkristalle des Mentalblocks der sieben Antis zumindest irgendwelche Tiere geben. Aber es war, als befänden sie sich auf einer Welt ohne jegliches Leben, als gäbe es kein Gehirn auf diesem Planeten, das Impul-
se aussandte. Die sieben Antis lösten sich wieder voneinander. Erschöpft und niedergeschlagen entzogen sie ihre Mentalkräfte dem gemeinsamen Geistesblock und kehrten jeder in sich selbst zurück. Es dauerte eine Weile, bis sie sich psychisch von den Anstrengungen erholt hatten. »Nichts«, sagte Laroop mit schwacher Stimme. »Da ist überhaupt nicht – als befände man sich in der kosmischen Leere zwischen den Milchstraßen.« »Doch, es war etwas da«, widersprach Vart Loo. »Etwas – ein Lebewesen, eine Para-Macht –, das unsere Kräfte einfach absorbieren oder egalisieren konnte.« »Dann ist es um so ratsamer, die Finger von dem Schiff zu lassen«, sagte Laroop. »Im Gegenteil, diese Para-Macht ist eine Herausforderung für einen Báalol«, erklärte Vart Loo. »Wir können das fremde Ding nicht aus der Ferne bezwingen. Nun, dann werden wir ihm an Bord des Schiffes gegenübertreten. Wir können auch mit konventionellen Waffen kämpfen, wenn unsere PsiKräfte wirkungslos bleiben. Aber wir werden das fremde Raumschiff erobern.« »Das ist Wahnsinn – Selbstmord, Vart Loo«, sagte Laroop beschwörend. »So, meinst du?« Vart Loo hatte nur ein abfälliges Lächeln für diesen Einwand übrig. »Wenn es so ist, dann wirst du eben dein Leben für unser Volk opfern.« Danach wagte keiner der anderen Antis mehr einen Einwand, und auch Laroop fügte sich wortlos in sein Schicksal. Die sieben Antis verließen ihr Versteck auf dem Hügel und stiegen einer nach dem anderen den Hügel hinunter. Vart Loo hatte die Spitze übernommen, und er erreichte als erster das Nebelfeld. Der Báalol-Priester blieb unwillkürlich stehen, als ihm aus dem Nebelschwaden ein eisiger Windhauch entgegenschlug. Er erkannte aber sofort, daß es sich nicht um eine Kälte handelte, die Wasser gefrieren ließ – nein, diese Kälte griff nur die Konsistenz organischer Materie an.
Straße im Kosmos »Schließt auf«, rief er seinen Leuten zu. Und da seine Stimme so leise war, daß das Säuseln des Windes sie übertönte, wiederholte er den Befehl in voller Lautstärke. Dennoch blieb es ein Flüstern, das nur der nächststehende Mann hören konnte, und einer mußte die Parole an den anderen weitergeben. Vart Loo griff nach seiner Energiewaffe, und seine Männer folgten seinem Beispiel. Sie drängten sich nun dichter aneinander, um sich im Nebel nicht zu verlieren und sich gegenseitig vor der eisigen Kälte des Windes zu schützen. Der Boden wurde immer glatter, so, als sei er unter großer Hitzeeinwirkung geschmolzen worden. In die glasierte Oberfläche, die an manchen Stellen transparent war, waren Pflanzen und manchmal kleinere Tiere eingeschmolzen, und sie sahen wie urzeitliche Versteinerungen aus. Keine der Pflanzen oder Tiere wiesen irgendwelche Verbrennungen auf. Vart Loo war überwältigt von der Technik des fremden Raumschiffs, mit der es möglich war, solche Phänomene wider die Naturgesetze hervorzurufen. Er dachte keine Sekunde lang an die Gefahr, die sich daraus für sie ergeben konnte. Er sah nur die Möglichkeiten, die sich ihnen boten, wenn es ihnen gelang, das Raumschiff zu erobern und unter Kontrolle zu bringen. Von Zeit zu Zeit blickte er auf die Instrumente seines Kombi-Armbands. Doch wurde er daraus nicht klüger. Die meisten Ortungsgeräte waren ausgefallen, die anderen zeigten völlig verrückte Werte an. Wollte man den Geräten glauben, dann herrschten rund um sie tropische Temperaturen, und die Atmosphäre war reichlich mit Sauerstoff gesättigt. Doch gerade das genaue Gegenteil war der Fall. Das Klima war arktisch, die Atmosphäre wies nur geringe Sauerstoffspuren auf, und das Atmen wurde zu einer Qual. Abgesehen vom Sauerstoffgehalt, war die Luft so dünn, daß sie den Schall kaum weiterleitete.
9 Plötzlich ertönte in Vart Loos Rücken ein Schrei, der aus unendlicher Ferne zu kommen schien. Als sich der Báalol-Priester umdrehte, mußte er feststellen, daß der Mann, der schrie, keine drei Meter von ihm entfernt war. Der Anti hatte sich etwas von der Gruppe abgesondert. »Zurück!« schrie Vart Loo dem Kameraden zu. Doch dieser achtete nicht auf ihn. Er stand – wie zu Stein erstarrt oder zu Eis gefroren – da und schrie. Das wirkte unheimlich, weil sich dabei im Gesicht des Antis überhaupt nicht regte. Auf einmal kam jedoch Bewegung in ihn – und gleichzeitig ging eine Veränderung mit ihm vor. Er begann mit grotesken Bewegungen zu laufen, so als bewege er sich in einem verlangsamten Zeitablauf oder er wate durch Wasser, das ihm Widerstand entgegensetzte. Seine Arme ruderten hilflos durch die Luft, die Beine quälten sich wie in Zeitlupe Schritt um Schritt vorwärts. Und dabei trocknete seine Haut aus. Es schien, als werde der Haut des Mannes mit einem Schlag alle Flüssigkeit entzogen. Dafür konnte nur der unheimliche eiskalte Wind verantwortlich gemacht werden. Die anderen bargen unwillkürlich die Gesichter in den Händen, betasteten sich entsetzt, als die sahen, wie sich die schmutziggrau verfärbte Haut des Kameraden in Fetzen von seinem Gesicht und den Händen löste und im Wind davongewirbelt wurde. Und dann bröckelte sein ausgetrocknetes Fleisch von den Knochen, der Wind zerrte es ihm vom Gesicht und von den Händen und trieb es als Staub davon … Dabei schrie der Mann wie unter entsetzlichen Schmerzen, während er durch den Nebel stampfte und schließlich von ihm verschlungen wurde. Damit verstummte auch sein Geschrei. »Weiter!« herrschte Vart Loo seine Leute an. »Jetzt gibt es kein Zurück mehr.« Er warf dabei seinem Widersacher Laroop einen Blick zu, der soviel besagte wie: »Schade, daß es nicht dich erwischt hat!«
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3. Atlan war in der Bodenspalte eingeklemmt. Er hatte instinktiv die Beine gespreizt und mit den Händen Halt gesucht. Rings um ihn knirschte es. Der Boden unter seinen Füßen begann abzubröckeln, und er mußte seinen Körper verlagern, um nicht doch noch tiefer in den Abgrund zu stürzen. »Wirtz! So helfen Sie mir doch!« Atlans Hilferuf klang so leise wie das Wimmern eines Kleinkindes. Es schien eine Ewigkeit zu dauern, bis das glatte Gesicht des Instinkt-Spezialisten kaum einen Meter über ihm auftauchte. Er kräuselte die Lippen, so daß sein Oberlippenbart in Bewegung geriet und die breiten, etwas abstehenden Schneidezähne sichtbar wurden. Er sprach offenbar zu Atlan, doch konnte dieser kein Wort hören. Atlan streckte ihm die Hand hinauf, und Froom Wirtz ergriff sie. Er zog Atlan ein Stück in die Höhe, doch dann wandte er den Kopf, blickte hinter sich und schrie irgend etwas. Seine Augen wurden dabei unnatürlich groß. »Holen Sie mich endlich hier heraus, Mann!« verlangte Atlan keuchend. Wirtz besann sich wieder und zog an Atlans Arm. Wenig später kletterte Atlan aus dem Spalt. »Terrania«, hörte er Wirtz mit scheinbar schwacher Stimme sagen. »Sie ist in Richtung Raumschiff … Nebel verschwunden.« Wie konnte Wirtz nur sicher sein, daß sie in jene Richtung gegangen war, in der das Raumschiff lag? Eine Orientierung war in diesem Nebel doch überhaupt nicht möglich. Irrtum, berichtigte ihn sein Logiksektor. Der Eiswind kommt aus dem Zentrum des Nebelfeldes. Man braucht nur ihm entgegenzugehen, um zum Raumschiff zu gelangen. Wirtz setzte sich wieder in Bewegung. Der glatte, glasierte Boden machte ein Vorwärtskommen immer schwieriger. Jedesmal, wenn man den Fuß auf dem Boden aufsetz-
te, ging ein Knistern durch diesen, so als würde es zu elektrischen Entladungen kommen. Dabei breiteten sich feine Sprünge in der glasierten Fläche aus, die entweder wieder versiegten oder breiter wurden und sich zu klaffenden Rissen entwickelten. Atlan spürte es bei jedem Schritt, daß sich der Boden ständig auflud und sich die Spannung erhöhte. Es konnte sich dabei nicht um herkömmliche Elektrizität oder um normalen Magnetismus handeln, obwohl seine Füße mit den Stiefeln manchmal wie von einem Magneten angezogen wurden – und er dann Mühe hatte, sie wieder loszubekommen. Oder aber sie wurden abgestoßen, so daß es ihm fast unmöglich war, auf dem Boden aufzutreten. Das Knistern ging weiter, wurde immer lauter. Immer öfter schlug es in Atlans Beinen wie elektrisierend ein. Das Gehen wurde bald zu einer Qual. Seine Beine schienen schwerer wie Blei und von ihnen ging eine Müdigkeit aus, die sich über seinen ganzen Körper ausbreitete. Atlan wollte schon die Stiefel abstreifen und barfuß weitergehen, doch sein Extrasinn hinderte ihn daran. Das Anorganische an dir ist nicht für diesen unerklärlichen Effekt deiner physischen Müdigkeit verantwortlich. Die Energien aus dem Planetenboden springen direkt auf deinen Körper über. Tote Materie ist für diese Bio-Energie ein schlechter Leiter und bietet dir sogar Schutz davor. Atlan blickte zu Wirtz hinüber, dessen Körper ständig wie unter Peitschenhieben zusammenzuckte. Manchmal glaubte Atlan sogar zu sehen, wie die Energieblitze auf den Instinkt-Spezialisten übersprangen. Dann wieder wurde Atlan die Sicht durch vorbeiziehende Nebelschwaden genommen. Nach einigen Minuten hatte Atlan den Instinkt-Spezialisten eingeholt. Wirtz stand mit hängenden Schultern da und atmete schwer. »Da vorne ist Terrania«, sagte er keuchend. »Sehen Sie sie? Sie ist keine zwanzig Meter vor uns … Aber ich kann einfach
Straße im Kosmos nicht mehr.« Atlan versuchte den Nebel zu durchdringen, aber er konnte nicht weiter als drei bis vier Meter sehen. Von Terrania keine Spur. »Was ist?« fragte Wirtz. »Warum blicken Sie mich so seltsam an?« »Es ist nichts weiter«, antwortete Atlan. Er wollte dem Instinkt-Spezialisten nicht sagen, daß er an Halluzinationen leiden mußte, wenn er das Mädchen zu sehen glaubte. »Kommen Sie weiter, damit wir Terrania einholen.« Atlan war Wirtz beim Gehen behilflich, obwohl er selbst kaum mehr die Kraft hatte, einen Fuß vor den anderen zu setzen. Vor seinen Augen erschienen seltsame Leuchterscheinungen, die aber auch blieben, wenn er die Augen schloß. »Halten Sie sich etwas weiter links«, trug Wirtz ihm auf. »Sie hat angehalten, als wolle sie auf uns warten. Nein, es hat eher den Anschein, als wurde sie am Weiterkommen gehindert werden. Das Schiff ist nicht mehr weit entfernt.« »Können Sie es etwa auch sehen?« wunderte sich Atlan. »Ja, manchmal zeigt es sich als Silhouette durch den Nebel«, antwortete Wirtz. Dann packte er Atlan am Arm und rief: »Halt! Nicht soweit nach rechts. Terrania steht links!« Atlan hatte nun fast den Eindruck, als wisse Wirtz, wovon er sprach. Konnte er Terrania tatsächlich sehen? Das war recht unwahrscheinlich, denn der Nebel war womöglich noch dichter geworden, und Atlan sah außer den wie Leuchtraketen explodierenden Irrlichtern kaum noch etwas. Es half überhaupt nichts, wenn er die Augen schloß, die Leuchterscheinungen waren dann nur noch intensiver. »Terrania«, hörte Atlan Wirtz in diesem Augenblick rufen. »Lauf nicht wieder davon!« Atlan streckte die Hand aus – und tatsächlich bekam er einen dünnen Arm des Mädchens zu fassen. Für einen Augenblick sah er sie sogar vor sich – ihr Gesicht hatte
11 einen verklärten Ausdruck, die großen, braunen Augen waren in unendliche Ferne gerichtet, und den Kopf hielt sie etwas schräg, so als würde sie einer Stimme in ihrem Kopf lauschen. Im nächsten Augenblick war sie aber schon wieder verschwunden, und Atlan konnte sie nur fühlen. »Wie ist die Sicht, Wirtz?« fragte er. »Ausgezeichnet«, antwortete der InstinktSpezialist. »Wieso fragen Sie?« »Weil ich geblendet werde.« Atlan spürte, wie Terrania sich bewegte, und dann fühlte er ihre schmale Hand in der seinen. »Ich höre die Botschaft«, murmelte sie, und ihre Stimme war für Atlan auf einmal ganz deutlich zu hören. »Ich höre die Botschaft und folge ihr.« Terrania setzte sich in Bewegung. Atlan ließ sich von ihr führen, obwohl er überhaupt nichts mehr sehen konnte. Woran lag es, daß er wie blind war, während Wirtz' Sicht ausgezeichnet war? Konnte es mit den Kontaktlinsen zusammenhängen, die Wirtz trug? Möglich wäre es, denn sein Extrasinn hatte ihm gesagt, daß anorganische Materie ein schlechter Leiter für die auf dem glasierten Boden freiwerdenden Bio-Energien war. Es konnte also auch leicht sein, daß die Kontaktlinsen die irreführenden Lichtspiegelungen von Wirtz Augen fernhielten. »Was sehen Sie, Wirtz?« fragte Atlan. »Wir haben das Raumschiff bald erreicht«, antwortete der Instinkt-Spezialist. »Können Sie die schwarze Hülle immer noch nicht durch den Nebel sehen?« »Nein«, antwortete Atlan. »Das liegt wohl daran, daß ich keine Kontaktlinsen trage.« »Seltsam, daß ich mich auf einmal nicht mehr müde fühle«, meinte Wirtz. »Das Gelände hat sich verändert. Der Boden ist nicht mehr glasiert, sondern besteht nur noch aus schwärzlich verfärbtem Geröll. Das wird wohl überall unmittelbar an der Absturzstelle so sein.« Atlan spürte unter seinen Füßen, als er probeweise schlurfte, rollendes Gestein. Es
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gab ein knirschendes Geräusch, als die Steine gegeneinanderrieben. Er hätte vor Schmerz aufbrüllen können, so weh tat ihm dieses Geräusch in den Ohren. Dazu kam noch das immer intensiver werdende, aber nach wie vor unverständliche Gemurmel von Terrania. »Was sagt sie?« brüllte Atlan. »Wer? Terrania?« Wirtz Stimme klang verzerrt und hallte in einem Echo-Effekt nach, der Atlan eine Gänsehaut über den Rücken jagte. »Was sind das für Geräusche?« wollte Atlan wissen und riß sich aus Terranias Hand los, daß es wie ein Peitschenknall schnalzte. Das Geröll geriet unter ihren Füßen in Bewegung, und das klang, als würde sich eine tonnenschwere Steinlawine in Bewegung setzen. Jemand – Wirtz oder Terrania – atmete in seiner Nähe, und es hörte sich wie das Schnauben eines riesigen Ungeheuers an. Als Wirtz sprach, kam seine Stimme so schrill und unverständlich wie durch einen übersteuerten Verstärker. Atlan hielt sich die Ohren zu – und da erklang ein schauriges Lachen in seinem Kopf. Er rief seinen Extrasinn an und bekam statt einer Antwort wiederum nur ein satanisches Lachen zu hören. Da wußte der Arkonide, daß er nahe daran war, den Verstand zu verlieren.
* »Wirtz, helfen Sie mir, ich werde wahnsinnig!« Der Instinkt-Spezialist sah das angstverzerrte Gesicht seines Chefs durch den Nebel geistern. »Terrania, hast du ihn soweit gebracht?« erkundigte sich Wirtz mit Befriedigung in der Stimme. »Ich führe euch den Weg, den wir gehen müssen«, sagte das Mädchen. Ihr sonst so blasses Gesicht hatte einen rosigen Teint. Je näher sie dem abgestürzten Raumschiff kam, desto mehr erschien sie aufzublühen – und
desto aktiver wurde sie. »Du bist ein Schatz, Terrania«, sagte Wirtz anerkennend. »Du hast Atlan zermürbt. Jetzt ist er bald soweit, daß wir ihn opfern können.« Wirtz war froh, daß er die ganze Zeit über seinen klaren Verstand behalten hatte. Wie leicht wäre es gewesen, sich der Erschöpfung hinzugeben, oder gegen das Wispern anzukämpfen. Etwas in ihm hatte ihn gewarnt, hatte gesagt, daß er sich den wispernden Stimmen nicht hingeben durfte, weilt sie ihn ins Verderben trieben. Doch jetzt wußte er, daß es Unsinn war. Nicht er ging ins Verderben, sondern Atlan, der sich den neuen Maßstäben nicht anpassen konnte. Atlan ließ sich von seinem Extrasinn beeinflussen, das den Arkoniden dazu trieb, sich an der Realität der Außenwelt festzuklammern. Aber die Maßstäbe, die überall sonst im Universum angewandt werden konnten, besaßen hier keine Gültigkeit. Hier herrschten andere Gesetze. Wirtz wurde sich nicht bewußt, daß sich die Umgebung, die er gerade noch klar vor sich gesehen hatte, schlagartig veränderte. Und mit den Gegebenheiten änderte sich auch sein Denkprozeß. Obwohl mit ihm eine Veränderung vor sich ging, glaubte er nach wie vor, er selbst zu sein. Und das war das Teuflische an der suggestiven Eingebung, die ihn langsam beschlichen hatte und dann schlagartig von ihm Besitz ergriff. Für ihn war Atlan zu etwas anderem geworden. Atlan war ein Fremdkörper, der dem Neuen im Wege stand. Das Neue ließ sich nicht genau definieren. Aber es war auch gar nicht nötig, das Neue zu definieren, es war gegenwärtig, beherrschte die Szene – war das Universum. Und nur das zählte. Das Ziel mußte erreicht werden. Und dem stand Atlan im Wege. »Wirtz!« gellte Atlans verzweifelter Hilferuf durch den Nebel und trieb strahlenartige Schneisen nach allen Richtungen durch ihn.
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»Wirtz, helfen Sie mir. Das Meer der Lichter zerrt mich in seinem Mahlstrom davon. Und mein Extrasinn drückt mich noch tiefer hinunter … Ich ertrinke in Licht!« »Ich erlöse Sie«, sagte Wirtz und schloß seine Finger mit eisernem Griff um Atlans Hals.
* Atlan wurde es schwarz vor Augen. Er wußte nicht, was Wirtz mit ihm anstellte, doch er empfand es als Erleichterung, dem tödlichen Lichtwirbel, der ihn in seinen Schlund hinunterzerrte, entrissen zu werden. Es war eine Erlösung, sich der Dunkelheit hinzugeben. Dunkelheit ist Tod, erklärte sein Extrasinn. Atlan konnte darüber nur lächeln. Das heißt, er hätte für diese absurde Schlußfolgerung nur ein abfälliges Lächeln übriggehabt, wenn seine Gesichtsmuskeln ihm gehorcht hätten. Aber sie entwickelten ein eigenes Leben und machten sein Gesicht zu einer Fratze, die Todesnot widerspiegelte. Atlan sah dieses Gesicht, das seines war, tatsächlich wie in einem Spiegel – durch einen Spiegel, den ihm sein Extrasinn vors Gesicht hielt. Und auf dem Spiegelbild war zu sehen, wie ein zur Bestie entarteter Froom Wirtz mit den Händen seinen Hals zudrückte. Die freiwillige Flucht in einen simulierten Wahnsinn rettete mich vor der Beeinflussung durch die fremde Macht, meldete sich Atlans Extrasinn. Wirtz dagegen war den hypnosuggestiven Impulsen hilflos ausgeliefert. Er weiß nicht mehr, was er tut. Komm zu dir, sonst wird er dich töten! Wirtz Halsschlagader schwoll an, als er seine ganze Kraft in seine Hände legte, um den Würgegriff noch mehr zu verstärken. Dunkelheit bedeutet Tod, dachte Atlan. Und Licht bedeutet Wahnsinn! Gab es aus diesem Teufelskreis ein Entrinnen? Terrania Skeller hockte da und spielte mit
dem schwarzen Geröll wie mit Murmeln. Sie legte die schwarzen Steine zu einem seltsamen Muster zusammen. Sicher ergab dieses Muster irgendeinen Sinn, doch Atlan konnte ihn nicht erkennen. Die Steine wurden zu Totenschädeln, die Atlan angrinsten. Aber ein einzelner Stein bekam die Gesichtszüge von Perry Rhodan, Atlans Freund und Großadministrator des Solaren Imperiums. Atlan verstand den Hinweis sofort, den ihm sein Extrasinn auf diese Weise gab. Er krallte seine Finger um Wirtz' Hände, die seinen Hals umschlossen hielten, und versuchte, den Griff zu lockern. Dabei stieß er krächzend hervor: »Es ist schlimm, daß das jetzt passieren muß, denn … denn Perry Rhodan wird diesem Planeten bald einen Besuch abstatten!« Das war der Kode, durch den Atlan den Instinkt-Spezialisten in Froom Wirtz geweckt hatte. Anscheinend war diese Aktivierung wieder rückgängig gemacht worden, als Wirtz in den Einfluß der unbekannten Macht geriet. Als Atlan den Aktivierungskode nun wiederholte, verfehlte er die Wirkung damit nicht. Wirtz lockerte den Griff um seinen Hals. Plötzlich zuckten seine Hände zurück. »Was habe ich getan?« fragte er entsetzt. Atlan kniete schwer atmend da. Er mußte sich mit den Händen am Boden abstützten, um das Gleichgewicht nicht zu verlieren. »Schon gut, Wirtz«, sagte er krächzend; sein Kehlkopf schmerzte ihm bei jedem Wort. »Es ist überhaupt nichts vorgefallen.« Wirtz half ihm auf die Beine. Als sich Atlans Blick klärte, waren die Leuchterscheinungen verschwunden. Der Nebel hatte sich gelichtet. Als der Wind in der Nebelwand ein Loch aufriß, sah er unweit vor sich die schwarze Hülle des fremden Schiffes aufragen. Eine schmale Gestalt ging auf ihn zu. »Terrania!« entfuhr es Atlan. »Schnell, Wirtz, wir müssen ihr nach.« Der Instinkt-Spezialist war immer noch wie benommen. Er besaß eine nur bruch-
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stückhafte Erinnerung an die vergangenen Geschehnisse, aber was er davon im Gedächtnis behalten hatte, erschütterte ihn tief. Trotzdem reagierte er sofort, als Atlan den Namen des Mädchens nannte. Wirtz sah sie hinter Nebelschwaden verschwinden und rannte hinter ihr her. Nach einigen Schritten wandte er sich nach Atlan um, der ihm nur mühsam folgen konnte. »Kümmern Sie sich nicht um mich, Wirtz«, trug Atlan dem Instinkt-Spezialisten auf. »Halten Sie Terrania auf. Ich komme schon nach.« Der Nebel schluckte Wirtz. Atlan sah ihn noch zweimal vor sich auftauchen, dann verlor er ihn endgültig aus den Augen. Wirtz blieb auch verschwunden, als Atlan die senkrecht aufragende Schiffshülle erreichte. In ihrem unmittelbaren Bereich herrschte kein Nebel, und von der unheimlichen Kälte und dem Wind war auch nichts zu spüren. Atlan schritt etwa fünfzig Meter an der schwarz aufragenden Schiffswandung entlang, bis er überraschend auf eine Öffnung stieß. Es war ein breiter Einschnitt, der sich nach oben hin verjüngte. Es gab kein Tor, und auch kein Schott, das den Weg ins Schiff versperrte. Die Öffnung lag in völliger Dunkelheit da – so als ob eine Barriere existiere, die alles Licht absorbiere. Atlan machte drei Schritte in den Einschnitt hinein – da wurde es rings um ihn hell.
* Vart Loo hatte das Gefühl, sich einen Weg durch eine fremde Dimension schlagen zu müssen. Hier waren alle Naturgesetze aufgehoben, oder konnten jeden Augenblick aufgehoben werden. Die rings um die Absturzstelle des Raumschiffs herrschenden Bedingungen schienen von einer anderen Existenzebene zu stammen. Und Vart Loo verspürte auch, ebenso wie
die anderen fünf Antis, daß sie von einer parapsychischen Macht belauert wurden. Sie konnten nicht herausfinden, welcherart diese parapsychische Macht war, noch wo sie sich eingenistet hatte. Aber es war nicht schwer zu erraten, daß sie irgendwo innerhalb des Riesenschiffs hockte. Der Wind pfiff eisig über die Absturzstelle und ging ihnen bis ins Knochenmark. Aber der Vorfall, daß einer von ihnen durch den Einfluß dieser synthetischen Kälte austrocknete, wiederholte sich nicht mehr. Dennoch ging nicht alles so glatt, wie Vart Loo es sich gewünscht hätte. Der Báalol-Priester hatte seine Leute ermahnt, sich auf parapsychische oder auf paramechanische Überfälle gefaßt zu machen. Die Antis mußten darauf vorbereitet sein, jederzeit auf sie einwirkende Para-Impulse zu parieren und zurückzuschleudern. Doch obwohl sie gewappnet waren, wurden zwei von ihnen von dem blitzschnell geführten Angriff der Psi-Macht überrascht. Einer von diesen beiden war Laroop. Er begann plötzlich über den glasierten Boden zu tänzeln, als ginge er über glühende Kohlen, die ihm die Fußsohlen versengten. Dabei stieß er Laute aus, die sich anhörten wie Beschwörungsformeln aus einer unbekannten Sprache. Vart Loo wollte kurzen Prozeß mit ihm machen und ihn einfach paralysieren. Doch als er seinen Lähmstrahler abdrückte, passierte im ersten Moment überhaupt nichts. Sekundenbruchteile später schlug jedoch ein Blitz aus dem glasierten Boden und schmolz die Waffe in seiner Hand. Das geschah ohne jegliche Hitzeeinwirkung, und Vart Loo verspürte überhaupt keinen Schmerz. Er hielt nur plötzlich einen geschmolzenen und nutzlos gewordenen Klumpen Metall in der Hand. Er schleuderte den deformierten Paralysator fort und stürzte sich auf Laroop. Seine Hände glitten durch ihn hindurch. Vart Loo erfaßte augenblicklich, daß er einer Sinnestäuschung zum Opfer gefallen war. Als er gegen die hypnosuggestive Be-
Straße im Kosmos einflussung ankämpfte, hörte er hinter sich einen Schrei. Laroop rang mit einem zweiten seiner Männer – und von dem glasierten Boden sprangen Blitze auf sie über, die ihre Körper mit den verderbenbringenden Bio-Energien aufluden. Laroop und der andere hätten sich zweifellos gegenseitig zerfleischt, wenn nicht ein weiteres Phänomen ihrem unwirklichen Zweikampf ein Ende bereitet hätte. Die beiden kamen von dem glasierten Boden ab und rangen in einem Gebiet aus schwarzem Geröll weiter. Und als seien sie plötzlich einer Energiequelle beraubt, lösten sie sich voneinander und sanken, sichtlich erschöpft, langsam in sich zusammen. Sie blieben wie leblos liegen und wurden so steif, als hätte bereits die Leichenstarre bei ihnen eingesetzt. Da Vart Loo aber durch eine parapsychische Blockbildung mit den anderen herausfand, daß ihre Gehirne weiterarbeiten, wußte er, daß sie nicht wirklich tot sein konnten. Er ließ ihre Körper von den anderen tragen, bis sie das fremde Raumschiff erreichten. Hier herrschten plötzlich wieder normale Umweltbedingungen, und die Naturgesetze hatten wieder ihre Gültigkeit. Hier gab es keinen Nebel, keine Kälte und auch sonst keine paraextremen Phänomene. Vart Loo schickte zwei Gruppen von je zwei Mann aus, die die Schiffshülle nach einem Leck oder sonst einem Zugang ins Innere absuchen sollten. Die erste Gruppe kam zehn Minuten später mit einer Erfolgsmeldung zurück. Die Antis hatten eine Öffnung in der Schiffshülle gefunden, die kein anderes Hindernis als eine lichtabsorbierende Barriere aufwies. Man wartete die Rückkehr der zweiten Gruppe ab – inzwischen fiel die totenähnliche Starre von Laroop und dem anderen Anti ab –, und begab sich dann gemeinsam zu dem torähnlichen Einschnitt. Die sechs Antis wurden am Betreten des fremden Schiffes nicht gehindert.
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4. Atlan stand sekundenlang da und ließ die neue Umgebung auf sich einwirken. Gleich hinter der Lichtbarriere befand sich ein röhrenförmiger Tunnel, der etwa sieben bis acht Meter völlig symmetrisch verlief, es war eine ganz normale Röhre mit einem Durchmesser von ungefähr fünf Metern. Obwohl er in ein angenehmes Licht getaucht war, das den Tunnel gleichmäßig ausleuchtete, war keine Lichtquelle zu entdecken. Das Material, aus dem Wände, Boden und Decke bestanden, schien von sich aus zu leuchten. Nach etwa acht Metern verzerrte sich der Röhrentunnel. Die Wandung war nicht mehr ebenmäßig und verlief auch nicht gerade, sondern wand sich wie eine Schlange dahin; es gab Vertiefungen und vorgewölbte Ausbuchtungen, die verschwommen wirkten. Wenn man einige Zeit daraufblickte, dann schmerzten einen die Augen, und sie begannen zu tränen. Atlan zwinkerte und wischte sich über die nässenden Augen. Länger als einige Sekunden konnte man nicht auf einen Fleck blicken. Der Arkonide machte einige vorsichtige Schritte nach vorne. Dabei schien es, als gerieten die Wände der Röhre in Bewegung. Die Wandung dehnte sich aus, oder zog sich zusammen, senkte und hob sich abwechselnd. Diese Verlagerungen und Veränderungen der Gegebenheiten waren nur festzustellen, wenn Atlan seinen Standort wechselte. Wenn er stillstand, dann kam auch der Korridor zur Ruhe. Atlan war sich noch nicht klar darüber, ob es sich dabei um optische Täuschungen handelte oder ob der Korridor tatsächlich immer dann in Bewegung geriet, wenn auch er sich rührte. Es konnte sein, daß die unbekannten Erbauer – ihren besonderen Bedürfnissen und Lebensgewohnheiten angepaßt – einen Me-
16 chanismus installiert hatten, der die Gegebenheiten im Röhrentunnel tatsächlich veränderte. Ebenso war es natürlich möglich, daß die Fremden Sehorgane besaßen, deren Aufnahmefähigkeit Schwankungen unterworfen war, so daß Luftspiegelungen bewußt provoziert wurden. Für die Fremden war das ein Ausgleich, eine Art Justierung der Realität an ihre spezielle Sehfähigkeit, so daß sie erst durch die verursachten optischen Täuschungen etwa einen geraden Röhrentunnel vor sich sahen – während für das menschliche Auge alles bis zur Unkenntlichkeit verzerrt wurde. Wie dem aber auch war, Atlan sah immer nur ein acht Meter langes Stück des Korridors als symmetrischen Röhrentunnel vor sich. Dahinter war alles verschwommen und ineinander verschachtelt, so als sehe er alles nur durch geschliffene Glasflächen. Und noch eine verblüffende Entdeckung machte Atlan. Als er schneller ausschritt, um Froom Wirtz und Terrania Skeller einzuholen, die noch nicht lange vor ihm das Raumschiff betreten haben konnten, drohte er das Gleichgewicht zu verlieren. Erst als er zwei Schritte zur Seite machte – also die Röhrenwandung betrat –, fand er sein Gleichgewicht wieder. Er hatte natürlich von Anfang an gerechnet, daß auf dem fremden Schiff eine künstliche Schwerkraft herrschen könnte. Da sie aber kaum größer war als außerhalb des Schiffes, schätzte Atlan sie auf etwa 1 g. Daß die Schwerkraft aber nicht kontinuierlich von unten wirkte, kam allerdings schon überraschend. Als Atlan noch einen Schritt nach vorne machte, mußte er noch weiter auf die Röhrenwandung ausweichen, bis er schließlich die Decke erreicht hatte und diese für ihn zum Boden geworden war. Nach einigen weiteren Schritten wußte er, daß die künstliche Gravitation in dem Röhrentunnel spiralenförmig wirksam war. Handelte es sich bei dieser für einen Terraner ungewohnten Schwerkraftregulierung um eine den Bedürfnissen der Fremden angepaßte
Ernst Vlcek Einrichtung oder war es eine Sicherheitsmaßnahme gegen unerwünschte Eindringlinge? Atlan gewöhnte sich schnell daran, den Röhrentunnel in einer spiralförmigen Bahn zu durchmessen. Das hatte für ihn keine unliebsamen Nebenwirkungen. Er verlor höchstens nur Zeit, weil er sich im Korridor nicht auf dem kürzesten Weg fortbewegen konnte. Er mußte schon dreißig oder vierzig Meter zurückgelegt haben, als er zu einem querlaufenden Röhrentunnel kam. Dieser Querkorridor führte links in seinen komplizierten und verwirrenden Windungen scheinbar endlos in die Tiefe des Raumschiffes. Rechts mündete er allerdings schon nach kaum zehn Metern in einen Raum, den Atlan bei sich als »Blase« bezeichnete. Und in dieser Blase entdeckte Atlan zum erstenmal zwei der Fremdwesen. Sie waren annähernd humanoid, hatten zwei Arme und zwei Beine und einen Kopf, der allerdings in einem seltsamen Winkel zum Körper stand. Wo sie standen, wirkte die Schwerkraft von der Decke, so daß es für Atlan aussah, als hingen sie mit den Köpfen nach unten. Die Konturen ihrer Körper waren nicht deutlich zu erkennen, und als sie sich bewegten, wurden sie zu verwischten Schemen. Es sah so aus, als hätte man einen Körper, der sich in zu rascher Bewegung befand, mit zu langer Belichtungszeit fotografiert. Soweit Atlan es erkennen konnte, zeigten die beiden Fremden keine Feindseligkeiten. Aber sie kamen rasend schnell auf ihn zu – und zwar im Sinne einer Spirale. Einer der Fremden rief ihn an. Es war ein tiefer, langgezogener Laut. Doch seltsamerweise kam die Sprache Atlan gar nicht so unwirklich vor. Er hatte sogar das Gefühl, daß die Fremden Interkosmo verwendeten, daß ihre Aussprache aber nur deshalb für ihn unverständlich war, weil ihre Sprechorgane nicht für die Lautgebung der Menschen geschaffen waren. Sie rufen dich beim Namen, erklärte At-
Straße im Kosmos lans analytischer Extrasinn. Als einer der Fremden wieder sprach, hörte es sich tatsächlich entfernt so an, als würde er Atlans Namen nennen. Der größere der beiden Fremden war schon ziemlich nahe. Atlan versuchte, ihn im Auge zu behalten, um Einzelheiten an ihm erkennen zu können. Doch er mußte sich nach einiger Zeit schnell wieder abwenden, weil seine Augen zu tränen begannen. Er bekam den Eindruck, als sei der Kopf des Fremden durchsichtig. Er konnte etwas erkennen, das wie eine menschliche Gehirnmasse geformt war, dann wieder sah er einen blanken Totenschädel – ebenfalls durchaus menschlich. Und dann sah er wieder nur noch einen verschwommenen Fleck – einen konturlosen Schemen, der sich auf ihn zustürzte. Als Atlan wieder in den Seitenkorridor blickte, stand auf einmal Froom Wirtz unweit vor ihm. Er hatte noch keine feste Gestalt angenommen, die Wandung des Röhrentunnels leuchtete durch seinen Körper hindurch, er flimmerte, sein Gesicht zerfloß, so als sei er eine schlecht eingestellte Projektion, die sich unter diesen Lichtverhältnissen und auf dieser Projektionsfläche nicht manifestieren konnte. Hinter den Projektoren von Wirtz erschien Terrania. »Fast … wir Sie für ein Ungeheuer gehalten«, ertönte Wirtz Stimme, die immer verständlicher wurde, je näher er kam, »und hätten vor Ihnen Reißaus genommen. Doch Terrania wollte nicht flüchten, sondern unbedingt Kontakt mit Ihnen aufnehmen.« Als Froom Wirtz geendet hatte, war er bis auf vier Meter an Atlan herangekommen. Jetzt hatte sich seine Gestalt gefestigt, die Konturen verschwammen nicht mehr. Terrania Skeller kam auf ihrem spiralförmigen Weg von der Wand herunter und blieb hinter Wirtz stehen. Auch sie machte den Eindruck, als bestehe sie aus Fleisch und Blut. »Sind Sie es wahrhaftig, Wirtz?« fragte Atlan zweifelnd.
17 Der Instinkt-Spezialist lachte. »Ich kann Ihre Zweifel verstehen. Wahrscheinlich haben Sie mich aus der Entfernung so verzerrt gesehen wie ich Sie. Sie haben auch nicht gerade sehr vorteilhaft ausgesehen, Atlan.« Der Arkonide konnte nicht anders, er mußte den Instinkt-Spezialisten anfassen und sich davon überzeugen, daß er nicht nur eine optische Täuschung war. Dann erst, als er den flauschigen Synthetic-Stoff von Wirtz' Pulli zwischen den Fingern spürte und die Wärme seiner Hände, gab er sich zufrieden. »Wir müssen immer zusammenbleiben, sonst kommt es zu weiteren solchen Mißverständnissen«, erklärte Atlan. Er blickte zu Terrania, deren Gesichtsausdruck immer noch verklärt war. »Hast du wieder fremde Stimmen gehört?« fragte Atlan sie. »Oder hattest du sonst einen Kontakt mit den Unbekannten?« Terrania wandte ihm den Kopf zu, doch sie sah durch ihn hindurch. Ihre Lippen bewegten sich leicht, doch kein Ton kam über sie. »Terrania ist nicht ansprechbar«, erklärte Wirtz. »Sie verhält sich die ganze Zeit so, als sei sie hypnotisiert. Wir werden ein wachsames Auge auf sie haben müssen, sonst läuft sie uns wieder davon. In diesem verrückten Labyrinth mit den Luftspiegelungen und Verzerrungen würden wir sie nie wiederfinden.« Während Wirtz noch sprach, drehte sich Terrania um und machte Anstalten, in Richtung der Blase zurückzukehren, von wo sie mit Wirtz gekommen war. Der Instinkt-Spezialist wollte sie zurückhalten, doch Atlan sagte: »Lassen Sie sie. Vielleicht führt sie uns zu wichtigen Anlagen des Schiffes.« »Wie kommen Sie denn darauf?« fragte Wirtz, ließ Terrania aber gewähren. »Nun, es steht doch fest, daß das Mädchen sich hier viel besser zurechtfindet als wir«, erklärte Atlan. »Alles deutet darauf hin, daß sie eine parapsychische Begabung
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hat. Damit kann sie Dinge espern, die uns verborgen bleiben. Wenn wir das Schiff erforschen wollen, dann nur mit Terranias Hilfe.« Die beiden Männer folgten dem Mädchen in der spiralförmigen Bahn in den Raum, der sich vor ihnen wie eine Blase wölbte. Und es schien, als würde sich die Blase im Rhythmus ihres Atems dehnen und zusammenziehen. Atlan redete sich ein, daß das alles nur optische Täuschung war, ein verwirrendes Spiel elektromagnetischer Wellen, die das menschliche Auge narrten. Aber irgendwo in seinem Unterbewußtsein spekulierte er mit der Möglichkeit, daß dies alles doch ein organischer Metabolismus sein könnte. Unsinn! behauptete sein Extrasinn.
* »Es ist zum Verrücktwerden!« fluchte Laroop. Es war ihm unmöglich, länger als einige Sekunden auf einen Punkt zu sehen. Sofort verschwammen die Konturen, er sah alles doppelt und dreifach, und die Dinge schienen auf ihn zuzustürzen. Vart Loo schlug ihm mit der Hand ins Gesicht. »Willst du uns mit deinem hysterischen Geschrei ebenfalls verrückt machen?« herrschte der Hohepriester ihn an. »Du benimmst dich wie ein Wilder, der zum erstenmal einer unbekannten Technik gegenübersteht.« »Angesichts dieser Technik sind wir nichts weiter als Wilde«, wagte ein anderer Anti einzuwerfen. »Wir sind Báalols«, sagte Vart Loo fest und vermied es, länger als unbedingt nötig auf einen Punkt zu blicken. »Wenn ihr jetzt schon kapituliert, kaum daß wir das Schiff betreten haben, wie wollte ihr es dann erobern!« »Das wird uns unmöglich gelingen«, sagte Laroop. »Schweig!« Vart Loo hätte gute Lust ge-
habt, sich Laroops kurzerhand zu entledigen; lebend würde er ihm sowieso weniger nützen als schaden. »Wir können mit der Macht unseres Geistes selbst eine noch höher entwickelte Technik bezwingen. Irgendwann werden wir die Insassen dieses Schiffes zu Gesicht bekommen. Dann überwältigen wir sie und holen uns aus ihren Gehirnen alle Informationen, die wir brauchen, um die Grundzüge ihrer Technik zu verstehen. Denkt daran, welches Machtinstrument dieses Schiff in unseren Händen wäre!« Vart Loo war siegessicher. Er hatte es sich ungleich schwerer vorgestellt, in das Schiff einzudringen. Der Schutzwall rund um die Absturzstelle konnte vielleicht normale Sterbliche am Betreten des Schiffes hindern – aber nicht so einen Báalol, und schon gar nicht deren sechs. Der Verlust eines einzelnen Mannes zählte dabei kaum, wenn man bedachte, um welches gigantische Projekt es sich hier handelte. Sie hatten sich langsam und vorsichtig durch den Röhrentunnel vorgearbeitet. Einen Querkorridor ließen sie unbeachtet – sie wollten auf dem geradesten Weg zum Zentrum des Schiffes vorstoßen. Denn so fremdartig die Erbauer des Schiffes auch denken mochten, welcher Technik sie sich auch immer bedienten, es war doch wahrscheinlich, daß sie die Hauptanlagen im Zentrum untergebracht hatten. Das Herz eines Raumschiffs befand sich fast immer in dessen geometrischen Mittelpunkt. Und Vart Loo war sicher, daß auch die Erbauer dieses Schiffes ein geometrisches und mathematisches System hatten, das dem der Menschen ähnlich war. Anfangs hatte er zwar eher das Gegenteil angenommen, denn die Gegebenheiten innerhalb des Schiffes machten einen ganz und gar fremdartigen Eindruck auf sie. Doch jetzt war Vart Loo sicher, daß es sich größtenteils um optische Täuschungen handelte. Das seltsame, schattenlose Licht, das aus den Wänden selbst zu kommen schien, verzerrte alles bis zur Unkenntlichkeit und ließ selbst Menschen, die sich in einer
Straße im Kosmos gewissen Entfernung vom Betrachter befanden, zu skurrilen Ungeheuern werden. Der fünf Meter durchmessende Röhrentunnel teilte sich plötzlich vierfach. Die Männer warteten vor der Abzweigung, bis Vart Loo herangekommen war. »Welchen Korridor nehmen wir?« fragte einer von ihnen. Vart Loo überlegt nicht lange. Die Korridore sahen alle gleich aus. Etwa sieben bis acht Meter verliefen sie gerade, dann wurden sie scheinbar gewunden mit durchscheinenden Wänden, die so ineinander verschachtelt waren, als handle es sich um Lichtbrechungen eines unkonventionell geschliffenen Diamanten. Die Antis spürten mit ihrem Para-Sinn aber, daß Lichtspiegelungen allein nicht für die Verzerrungen verantwortlich waren. Hier spielten paramechanische Einflüsse mit. »Wir setzen unseren Weg hier fort«, beschloß Vart Loo und betrat den äußersten Korridor zu seiner Linken. Kaum hatte er ihn betreten, als sich die Umgebung schlagartig veränderte. Der Korridor war kein Korridor mehr, sondern ein riesiges Gewölbe, durch das sich ein dicht gestaffeltes Netz zog. Es war mit einem Spinnennetz vergleichbar, das sich aber nicht nur über eine Fläche spannte, sondern auch in die Tiefe ging. Im ersten Moment bemächtigte sich Vart Loos Panik. Doch als er hinter sich seine Leute einen nach dem anderen materialisieren sah, beruhigte er sich wieder. Auf den Gesichtern widerspiegelte sich das gleiche Entsetzen, wie er es selbst empfunden hatte. »Nur keine Aufregung«, beruhigte er seine Männer. »Wir sind nur durch einen Materietransmitter gegangen.« »Und wo sind wir herausgekommen?« fragte einer. Vart Loo blickte auf sein Armbandgerät; die Instrumente zeigten völlig verkehrte Werte an. Wenn er dem Höhenmesser glauben wollte, dann befanden sie sich zweitausend Meter über dem Meeresspiegel von
19 Komouir, der Atmosphäre-Analysator registrierte ein Methan-Ammoniak-Gemisch, und der Hypertaster zeigte überhaupt keinerlei hyperenergetische Strahlung an. Dabei knisterte es in dem fremden Schiff förmlich vor fremddimensionalen Strahlungen! Das spürte Vart Loo fast körperlich, obwohl es eine nicht zu ortende Barriere gab, die eine Entfaltung seiner ParaFähigkeiten verhinderte. »Wir sind noch immer im Schiff, nur das zählt«, sagte er auf die Frage nach ihrer Position. »Solange die Fremden uns nicht von Bord weisen können, haben wir gute Chancen, das Schiff zu erobern.« »Es sieht mir eher so aus, als würden uns die Fremden beliebig manipulieren«, sagte ein Anti. »Diese Ortsveränderung haben wir immerhin nicht beabsichtigt.« »Das haben auch die Fremden nicht beabsichtigt«, erklärte Vart Loo. »Wir wurden von dem Transmitter zufällig abgestrahlt.« »Und wohin?« Die Fragen seiner Männer waren berechtigt, aber Vart Loo wollte sie nicht länger hören. Das untergrub nur die Moral. Wenn das so weiterging, dann wurden aus Zweifel Niedergeschlagenheit, Hoffnungslosigkeit und Resignation. »Wir müssen erst einmal aus dem Spinnennetz heraus, dann haben wir schon viel gewonnen«, erklärte er, ohne selbst zu wissen, wie es danach weitergehen sollte. Aber er mußte so tun, als hätte er ein festes Ziel vor Augen. Fast hoffte er, daß sich die Fremden zeigen würden, damit seine Leute wußten, gegen wen sie zu kämpfen hatten. Vart Loo begann als erster den Abstieg in dem Netz, das nach allen Seiten hin ins Uferlose zu führen schien. Aber er war sicher, daß es sich dabei nur um eine optische Täuschung handelte. Die fingerdicken Fäden fühlten sich in den Händen wie Stahlseile an waren straff gespannt und vibrierten leicht – und sie waren griffig, so daß man mühelos Halt an ihnen fand. Es war leicht, an ihnen hinunterzu-
20 klettern. Allerdings stellte sich bald eine immer unangenehmer werdende Nebenerscheinung ein. Durch die Vibration der Fäden wurden Töne erzeugt, und mit jedem Handgriff, den die sechs Antis beim Klettern machten, verstärkten sich die Klänge. Bald war das Spinnengewölbe wie von Elektronenmusik erfüllt. Das zerrte an den Nerven. »Es scheint fast, als würden wir in den Saiten einer Riesenharfe hängen!« sagte einer, und seine Stimme schwoll in einem übersteuert wirkenden Halleffekt zu einem ohrenbetäubenden Crescendo an. Die Spinnenfäden begannen immer stärker zu vibrieren. Es schien, als würde jeder neue Ton ihre Schwingungen verstärken – und die Männer machten die Schwingungen mit. Vart Loo hatte ebenfalls das Gefühl, als handle es sich bei dem Gespinst um ein gigantisches Saiteninstrument, doch konnte er sich nicht klar darüber werden, welchen Zweck die Musik zu erfüllen hatte. Doch das erfuhr er gleich darauf. Zuerst barst sein Kombi-Armband. Er hörte den Knall und zuckte erschrocken zusammen, als er auf sein Handgelenk blickte und dort nur noch einige Plastikteile und den Kunststoffriemen erblickte. Alle Metallteile waren verpufft und wehten als wirbelnde Staubfahnen davon. Dann gab es einen neuerlichen Knall, dem eine regelrechte Kettenreaktion folgte. Vart Loo blickte zu seiner Körpermitte. Entsetzt sah er, wie auf seinem Gürtel nacheinander alle kleineren Metallteile explodierten. Da wußte er Bescheid. »Weg von hier!« schrie er seinen Leuten zu und hoffte, daß seine Stimme nicht in den Sphärenklängen und in dem Knattern der Explosionen unterging. »Das Gespinst erzeugt Hyperschall auf einer Frequenz, die alle Metalle in ihre Atome auflöst!« Ja, das war des Rätsels Lösung. Die Töne, die für das menschliche Ohr hörbar waren,
Ernst Vlcek hatten einen schmerzhaften Klang, waren aber ungefährlich. Doch die Schwingungen der Fäden erzeugten auch Hypertöne, unhörbar zwar für das menschliche Ohr, aber mit einer zerstörerischen Wirkung für Metalle. Vart Loo sah nahe vor sich ein Rund, das in allen Farben des Spektrums flimmerte. Es war nach seiner Schätzung nur zehn Meter in horizontaler Richtung von ihm entfernt. Er wußte nicht, was für eine Bedeutung es hatte. Aber in seiner Verzweiflung und Hoffnung, daß er dort vielleicht Schutz finden würde, kletterte er darauf zu. Eine andere Chance hatte er nicht. Er hoffte, sich wenigstens in Sicherheit zu bringen, bevor sein Strahler zur Explosion kam. Da erhielt er einen heftigen Stoß in die Seite – wie vom Rückstoß eines Raketenwerfers – und sah und hörte, wie seine Strahlenwaffe in einer Staubexplosion verging. Dann erreichte er das Farbenrund und stürzte hindurch. Er kam in einer niedrigen Halle heraus. Sein Blick reichte wieder nur noch etwa sieben Meter weit, dahinter verzerrte sich alles zu einer irrealen Alptraumlandschaft. Und mitten in dieser Landschaft aus undefinierbaren, skurrilen Gebilden sah Vart Loo einen der Fremden. Der Anti zweifelte keine Sekunde lang daran, daß er entdeckt worden war, ja, vielleicht erwarteten die Fremden sie bereits und stellten ihnen hier eine Falle. Vart Loo entsann sich, daß sein zweiter Paralysator nicht vom Hyperschall angegriffen worden war und brachte ihn in Anschlag. Er nahm Ziel und drückte ab. Unter normalen Bedingungen war ein Paralysestrahl optisch kaum auszumachen, doch hier herrschten keineswegs normale Bedingungen und trotzdem war es für Vart Loo ein Schock, zu sehen, wie sich der Paralysestrahl krümmte, intensiv weißblau zu leuchten begann und sich an der Lichtbrechungsgrenze strahlenförmig zur Seite hin ausdehnte. Als der Lichtblitz verblaßte, wandte sich der Fremde zur Flucht. »Wir müssen ihm nach«, rief Vart Loo
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seinen Leuten zu, die nach und nach hinter ihm eintrafen. »Wir dürfen ihn auf keinen Fall entkommen lassen.«
5. Terrania war in sich versunken, machte aber nicht mehr den Eindruck, als lausche sie irgendwelchen Stimmen, die nur sie hören konnte. Sie wirkte auch nicht mehr apathisch, sondern war einfach ein neunjähriges Mädchen, das die fremdartige Umgebung einschüchterte und verstörte. Sie machte überhaupt keine Schwierigkeiten, folgte den beiden Männern willig und blieb ihnen immer ganz nahe, so als suche sie ihren Schutz. Atlan war froh darüber, denn so stellte sie wenigstens keine Dummheiten an, und er konnte sich mehr der Umgebung widmen und auf eventuelle Gefahren achten. Bisher waren sie unbeachtet geblieben, was aber nicht auch heißen mußte, daß man sie noch nicht entdeckt hatte. Aber zumindest kamen sie ohne Zwischenfälle voran. Das hatte ihnen noch nichts eingebracht, denn obwohl sie die verschiedensten Röhrentunnel benützten und sich kreuz und quer und nach oben und unten durchschlugen, hatten sie keine Erkenntnisse gewonnen. Wirtz sprach die Vermutung aus, daß man sie beobachte – wie etwa Forscher die Verhaltensweise von Versuchstieren. Atlan widersprach dem nicht, Wirtz konnte sehr wohl recht haben. Doch das fiel nicht ins Gewicht, solange man sie unbehelligt ließ. Atlans Augen hatten sich inzwischen einigermaßen an die Lichterspiele und Verzerrungen gewöhnt, und Wirtz behauptete sogar, daß sein Blick nun schon viel weiter als nur acht Meter reiche. Das ließ die beiden hoffen, daß, wenn sie sich nur lange genug auf dem Schiff befanden, die optischen Täuschungen irgendwann ganz aufhören würden. Endlich, nach einem wie eine Ewigkeit währenden Marsch durch das Labyrinth von Röhrentunnel kamen sie in eine niedrige Halle von unbestimmbarer Größe. Die
Decke war in Waben unterteilt und spannte sich vier Meter über dem Boden, doch das war alles, was sie mit Sicherheit feststellen konnten. Die Ausdehnung der Halle in die Tiefe und Breite blieb ihnen verborgen, weil sie sich in Verzerrungen und Spiegelungen verlor. Dennoch konnten sie erkennen, daß hier eine Reihe von Anlagen untergebracht waren. Manche von ihnen waren im Boden verankert, andere wiederum ragten aus den Wabenöffnungen der Decke. Ihre Formen waren auf diese Distanz jedoch nicht genau zu eruieren, weil sie durch die Lichtspiegelungen verzerrt wurden und, wenn man sich selbst bewegte, ständigen Veränderungen unterworfen waren. Atlan wagte sich langsam in die Halle hinein. Aus den unentwirrbaren Gebilden schälte sich ein Pult heraus, das den Grundriß eines spitzwinkeligen Dreiecks besaß und etwa sieben Meter lang war. Darauf waren weder Instrumente noch Schalteinheiten zu sehen. Die Pultplatte war so glatt und leer wie die drei Seitenwände. Atlan umrundete das Pult und ließ seine Finger über das etwas gerauhte und sich warm anfühlende Material der Platte gleiten. Als er fast wieder bei seinem Ausgangspunkt angekommen war, hörte er Wirtz rufen: »Achtung! Über Ihnen!« Atlan duckte sich instinktiv und sprang mit einem gewaltigen Satz zur Seite. Dabei blickte er hoch. Er sah gerade noch, wie in einer Wabenöffnung ein Gestell verschwand, das ihn annähernd an ein Periskop erinnerte, wie es im 20. Jahrhundert bei den terranischen U-Booten verwendet wurde. Das »Periskop« verschwand gleich darauf gänzlich in der Wabenöffnung. »Ich dachte, das Ding würde Sie erschlagen«, erklärte Wirtz. »Deshalb habe ich Sie gewarnt. Als Sie genau unter der Wabe standen, kam es wie ein Hammer heruntergeschossen. Aber jetzt glaube ich eher, daß es sich um ein ausfahrbares Bedienungsinstrument handelt.« Atlan kehrte wieder um und stellte sich
22 vorsichtig unter die Wabe. Sofort kam das Ding wie ein Geschoß aus der Öffnung, stoppte jedoch Millimeter über seinem Kopf. Es war eine mattgrau schimmernde Säule mit sechseckigem Grundriß. Auf der Unterseite befand sich eine Art Griff. Als Atlan seine Hand darum spannte, taten sich in den Seiten der Sechskantsäule porenartige Öffnungen auf, denen Licht entströmte. »Lassen Sie Ihre Hand, wo sie ist«, rief Wirtz ihm zu. »Es scheint sich um eine Art Projektor zu handeln. Da, sehen Sie auf das Pult! Die Lichtstrahlen bündeln sich hier und formen sich zu einem Farbenmuster.« Wirtz konnte nur wenige Sekunden hinsehen, dann wandte er sich mit zusammengekniffenen Augen ab. Als Atlan zu dem Pult blickte, sah er ein kaleidoskopartiges Farbenmuster darüberhuschen. Er zog probeweise an dem Griff und drehte ihn – das ging ganz leicht. Dadurch wurde das Kaleidoskop verändert, die Muster verschmolzen miteinander und formten sich zu konkreten Gebilden, die dem menschlichen Auge nicht mehr so weh taten. »Ich habe herausgefunden, wie man die Scharfeinstellung betätigt«, stellte Atlan triumphierend fest. Aber trotz der »Scharfeinstellung« der Projektion, war es ihm nicht möglich, lange und ohne Unterbrechung daraufzusehen. Er drehte wieder an dem Griff. »Bleiben Sie so!« rief Wirtz plötzlich. »Ich habe etwas entdeckt, das aussieht wie ein Lebewesen. Es bewegt sich in einem netzartigen Gebilde – ja, wie eine Spinne im Netz!« Atlan warf wieder einen Blick auf die Projektionsfläche. Wirtz' Vergleich war zutreffend. Auch Atlan sah ein dreidimensionales Netz, dessen Fäden sich allerdings wie Schlangen wanden und die sich nicht nur in die Breite zogen, sondern auch in die Tiefe gestaffelt waren. Die Fäden vibrierten so stark, daß ihre Konturen verschwammen – und an ihnen
Ernst Vlcek hingen Lebewesen mit fetten, aufgeblähten Körpern und unzähligen Gliedmaßen, die in einem seltsamen Rhythmus durch die Luft wirbelten. »Spinnen!« sagte Terrania fröstelnd. »Sind das die Erbauer dieses Schiffes?« fragte Wirtz sie. Als er von dem Mädchen keine Antwort erhielt, gab er sie sich selbst. »Nein, die Erbauer dieses Schiffes können keine Spinnenwesen sein. Die Einrichtung in dieser Halle deutet eher auf menschenähnliche Wesen hin.« »Es ist gar nicht gesagt, daß es sich bei diesen Wesen tatsächlich um Spinnen handelt«, erwiderte Atlan. »Die Verzerrungen machen es uns unmöglich, ihre Gestalt genau zu erkennen. Ich glaube auch nicht, daß sie in diesem Netz hausen. Das Netz könnte ebensogut eine der technischen Einrichtungen des Schiffes sein.« Atlan mußte immer wieder den Blick von der Projektion abwenden, um seinen schmerzenden Augen eine Erholungspause zu gönnen. Er versuchte, die Wesen in dem Netz zu zählen, was aber ungemein schwierig war, weil sie ständig ihre Gestalt veränderten und die Position wechselten. Aber er glaubte, daß es fünf oder sechs an der Zahl waren. Die Fäden vibrierten jetzt so stark, daß sie eine verschwommene Fläche bildeten. Dazwischen wurden nun immer wieder Flecken sichtbar, die sich explosionsartig bildeten und dann ebenso rasch vergingen. Diese Partikelherde bildeten sich nur in der Nähe der sechs Wesen. »Sie scheinen es sehr eilig zu haben«, meinte Atlan. »Als befänden sie sich vor etwas auf der Flucht …« »Vielleicht haben sie es nur eilig, an einen bestimmten Ort zu kommen«, meinte Wirtz und warf Atlan einen bezeichnenden Blick zu. Der Instinkt-Spezialist hatte kaum ausgesprochen, als links von ihnen ein Farbklecks explodierte, aus dem sich einer der Spinnenwesen herauskristallisierte. Atlan sah, wie die Wesen nacheinander in dem vibrieren-
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den Netz entmaterialisierten und bei ihnen in der Halle herauskamen. Terrania war mit einem Aufschrei davongestürzt, Wirtz hinter ihr her. Atlan ließ den Projektor zurück in die Wabenöffnung schnellen. Er zögerte noch, den anderen zu folgen. Er hielt eine Flucht für sinnlos und wäre lieber mit den Fremden in Kontakt getreten. Doch da blitzte es vor ihm auf. Ein greller, blauweißer Strahl krümmte sich durch die Luft und ging knapp vor Atlan in einer gleißenden Feuerblume auf. Da sah auch Atlan ein, daß der Versuch einer Verständigung unter diesen Umständen nichts einbringen würde. Er folgte dem Mädchen und dem Instinkt-Spezialisten.
* »Es sind insgesamt drei Fremde«, behauptete einer von Vart Loos Männern. »Wie willst du das bei diesen schlechten Sichtverhältnissen erkannt haben?« erkundigte sich Laroop spöttisch. »Ich sah sie für einen Augenblick ganz deutlich vor mir, bevor sie aus der Halle verschwanden.« »Hast du dir gemerkt, wohin sie geflüchtet sind?« fragte Vart Loo. Sie hatten das andere Ende der Halle erreicht und standen vor vier Tunnelröhren. »Sie müssen in den ersten Korridor geflüchtet sein«, behauptete der Anti. Vart Loo überlegte kurz. Die meisten seiner Leute hatten ihre Waffen durch die Hyperschall-Falle verloren. Nur noch Laroop, er selbst und ein dritter Mann besaßen einen Paralysator. Doch die Bewaffnung war nicht ausschlaggebend, denn er hatte selbst gesehen, wie wenig er mit einem Paralysator unter diesen Bedingungen ausrichten konnte. Schlimmer war es, daß zwei von ihnen verletzt waren. Es handelte sich um jene beiden Antis, die als Priester des Báalol-Kults auf Evehorst die dortigen Eingeborenen als gottgleiche Herrscher regierten. Um ihrer Rolle als Götter gerecht zu wer-
den, hatten sie ihre Arme und Beine mit dünnen Metallfolien geschient, um sich ein übernatürliches Aussehen zu geben. Diese dünnen, nicht besonders hinderlichen Metallfolien waren mit ihrer Haut verschmolzen, so daß sie sie auch bei ihrem Einsatz auf Komouir nicht ablegen konnten. Durch das Bombardement mit Hyperschall waren die Metallfolien jedoch in ihre Atome aufgelöst worden, und die beiden Priester hatten recht schmerzhafte Verletzungen davongetragen, die sie nun behinderten. »Seid ihr überhaupt in der Lage, mit uns Schritt zu halten?« fragte der Hohepriester die Verwundeten. Diese bejahten das, weil sie befürchteten, sonst zurückbleiben zu müssen. »Du bist mir für die beiden verantwortlich, Laroop«, befahl Vart Loo seinem Widersacher, dann wandte er sich der Tunnelöffnung zu. Der Röhrentunnel verlief ein Stück in horizontaler Richtung, wand sich dann aber wie ein Schneckengang nach oben. Die Antis, die in den Schneckengang vordrangen, merkten aber bald keinen Unterschied mehr zu geradeaus verlaufenden Korridoren, weil die Schwerkraft nach wenigen Schritten wieder in spiralförmigen Bahnen wirksam wurde. Vart Loo begann zu laufen. Zweimal glaubte er, einen der Fremden vor sich zu sehen, mußte aber jedesmal feststellen, daß er einer Spiegelung von sich selbst aufgesessen war. Sein Spiegelbild sah so erschreckend fremd aus, daß er sich erst erkannte, als es schon zum Greifen nahe war, und dann verschwand es urplötzlich. Als er wieder eine Gestalt vor sich sah, war er schon skeptischer. Doch die Bewegungen des Schemens vor ihm waren so asynchron zu seinen eigenen, daß nicht allein ein Verzerrungseffekt schuld daran sein konnte. »Da ist einer der Fremden!« rief auch Laroop, so daß Vart Loo seine letzten Zweifel verwarf.
24 In der Tat, sie würden die Flüchtenden bald eingeholt haben. Vart Loo sah für Sekundenbruchteile alle drei – wie sie sich die oberen Gliedmaßen reichten, sich ihre Körper aufblähten und sie sich dann in Nichts auflösten. »Merkt euch die Stelle, an der sie entmaterialisiert sind«, rief der Hohepriester des Báalol-Kults seinen Leuten zu. »Hier war es«, behauptete Laroop. »Nein, hier«, sagte ein anderer, der fünf Schritte von Laroop entfernt stand. Vart Loo verspürte plötzlich einen Entzerrungsschmerz, so als wolle eine hyperdimensionale Kraft seinen Körper auseinanderreißen. »Hierher!« rief er seinen Leuten noch zu, dann wurde es schwarz um ihn. Er spürte festen Boden unter seinen Händen und krümmte seinen Körper. Um ihn war Stille, und er wagte nicht zu atmen. »Wir sitzen in der Falle!« sagte jemand in Interkosmo. Vart Loo wollte schon antworten, doch tat er es nicht. Sein Instinkt riet ihm zur Vorsicht. Er hatte gut daran getan, sich nicht zu rühren, denn nun sagte eine andere Stimme, die bestimmt keinem seiner Leute gehörte: »Nur nicht die Nerven verlieren. Es könnte sein, daß sie die Dunkelheit scheuen und nicht wagen, uns zu folgen …« Die Stimmen kamen von ganz nahe – und sie sprachen Interkosmo. Vart Loo ließ sich davon aber nicht täuschen. Er konnte sich vorstellen, daß es den Fremden mit Hilfe ihrer technischen Geräte nicht schwergefallen sein konnte, die Sprache der Menschen zu erlernen. Jetzt, da die Fremden in die Enge getrieben waren, wollten sie ihn glauben machen, daß sie zu seinen Leuten gehörten. Aber Vart Loo kannte jeden seiner Báalols am Klang der Stimme. Und diese Stimmen klangen ganz und gar nicht menschlich. Ohne Vorwarnung, den Paralysator zum Schlag erhoben, stürzte er in die Richtung, aus der die Stimmen gekommen waren. »Achtung!« rief jemand in der Dunkelheit
Ernst Vlcek eine Warnung, aber da hatte Vart Loo seinen Gegner schon erreicht, der ein Dutzend Arme und Beine zu haben schien und sich verzweifelt gegen ihn wehrte.
* Froom Wirtz hatte sich nichts sehnlicher gewünscht, als daß die Lichtspiegelungen und die Verzerrungen, die den Augen schmerzten, ein Ende nehmen möchten. Doch als sie plötzlich von undurchdringlicher Schwärze umgeben waren, war das noch unerträglicher. »Wo sind wir?« fragte Terrania. »Wir sind bei dir«, tröstete Atlan sie. »Du brauchst dich nicht zu fürchten, wir werden schon einen Ausweg finden.« Ob er daran glaubt? dachte Wirtz. Er selbst strotzte förmlich vor Optimismus und Tatendrang, seit er mit Atlan und Terrania aus Rekeul geflüchtet war uns sich mit ihnen zu dem abgestürzten Raumschiff aufgemacht hatte. Auch als sie das Raumschiff betreten und sich trotz aller Widrigkeiten behauptet hatten, war er noch zuversichtlich gewesen. Doch seit ihnen die Fremden auf den Fersen waren, da rechnete er sich keine Chancen mehr aus, daß sie ungeschoren davonkamen. An Aufgabe dachte er keineswegs, aber er glaubte nicht, daß sie den Fremden entkamen. Er war sicher, daß diese mit ihnen nur ein teuflisches Spiel trieben. Und so konnte er nicht umhin, zu sagen: »Wir sitzen in der Falle!« »Nur nicht die Nerven verlieren«, sagte Atlan. »Es könnte sein, daß sie die Dunkelheit scheuen und nicht wagen, uns zu folgen …« Atlan brach ab. Wirtz glaubte den Grund zu kennen. Ihm war auch so, als hätte er ganz in der Nähe ein Geräusch gehört. Und dann war er ganz sicher. Vor ihm war eine heftige Bewegung, er spürte einen Luftzug und stellte sich schützend vor Atlan und Terrania. Dabei rief er: »Achtung!«
Straße im Kosmos Im nächsten Augenblick landete ein schwerer Körper auf ihm. Wirtz duckte sich ab und spürte knapp an seinem Kopf einen Luftzug, so als sause ein schwerer Gegenstand daran vorbei. Er bekam von dem Fremden etwas zu fassen, das seine Kleidung sein mochte, und zerrte ihn daran zu Boden. Als seine Hände über glatte, feuchte Haut glitten, die sich schleimig und ekelerregend anfühlte, überkam ihn Abscheu. Er malte sich seinen Gegner als schreckliches Monstrum aus – und das mobilisierte ungeahnte Kräfte in ihm. Er schleuderte den Fremden mit ungeheurer Wucht zu Boden, wo er reglos liegenblieb. Wirtz überwand seinen Ekel und tastete mit den Händen über den Fremden nach dessen Waffe oder anderen Ausrüstungsgegenständen, die er sich aneignen konnte. Dabei machte er eine erschütternde Entdeckung. »Das … ist ein Mensch!« stammelte er. »Ein Humanoide! Und soweit ich das ertasten kann, unterscheidet er sich durch nichts von uns. Ist es möglich, daß dieses Raumschiff …« Wirtz vollendete den Satz nicht. Atlan tat es an seiner Statt. »… daß Menschen dieses Raumschiff erbaut haben? Das kann ich nicht glauben. Wahrscheinlicher ist es, daß es sich bei dem Mann um einen Eindringling wie uns handelt. Er war nicht allein.« »Und wir haben sie für Feinde gehalten!« Wirtz dachte mit Schaudern daran, welchen Streich ihm die Dunkelheit und seine Einbildung gespielt hatten – während des Zweikampfes hielt er seinen Gegner, einen ganz normalen Menschen, für ein schleimiges Ungeheuer. »Da sind noch mehrere«, stellte Atlan fest. »Den Geräuschen nach zu schließen, sind es mindestens fünf. Das würde auch mit den Beobachtungen übereinstimmen, die wir auf der Projektionsfläche gemacht haben.« »Wir müssen uns mit ihnen verständigen und versuchen, den Irrtum zu bereinigen«, erklärte Wirtz. Die Geräusche kamen langsam näher,
25 manchmal war auch ein verhaltenes Raunen zu hören. Obwohl Wirtz nun mit ziemlicher Sicherheit wußte, daß es sich bei ihren Gegnern in der Dunkelheit um Menschen handelte, gaukelte ihm seine Einbildungskraft immer noch irgendwelche abscheulichen Fremdwesen vor, die sich in mörderischer Absicht anschlichen. Der Instinkt-Spezialist hielt diese Ungewißheit nicht mehr länger aus, er wollte sich Klarheit verschaffen. »Stellt eure Feindseligkeiten ein!« rief er in die Dunkelheit. »Wir sind Menschen wie ihr – Schatzsucher aus Rekeul.« Vor ihnen wurde es still, dann erklang ein unverständliches Gemurmel, so als würden sich die anderen beratschlagen. Wirtz spürte einen Zug an seinem Arm. Er ertastete Atlans Hand, die ihn mit sich zog. Der Instinkt-Spezialist folgte dem Arkoniden. »Ergebt euch!« kam da eine Stimme aus der Dunkelheit. »Dann werden wir ja sehen, ob ihr die Wahrheit sagt.« »Es hat keinen Zweck«, raunte Atlan dem Instinkt-Spezialisten zu. »Wir müssen in einen der beleuchteten Korridore, wo uns die anderen sehen können. Sonst glauben sie uns doch nicht.« »Ergebt euch, oder wir holen euch!« Wirtz, Atlan und Terrania zogen sich zurück, darauf bedacht, so leise wie möglich zu sein. Plötzlich brach hinter ihnen ein Geschrei los, und das schnelle Trampeln von schweren Stiefeln ertönte. Jetzt verzichteten die drei auf alle Vorsichtsmaßnahmen und begannen ebenfalls zu laufen. Wirtz, der die Führung übernommen hatte, stieß gegen eine Wand und tastete sich an ihr entlang. Es dauerte nicht lange, da endete die Wand. »Hier hinein!« flüsterte er den anderen zu und zog Terrania, die sich zitternd an ihn geklammert hatte, mit sich. Wirtz machte zwei Schritte und stand plötzlich wieder in einem der erleuchteten Röhrentunnel, der zwölf Meter gerade verlief und sich dann in Verzerrungen und
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Lichtspiegelungen verlor. Terrania und Atlan folgten ihm. »Hier werden wir auf die anderen warten«, entschied Atlan. »Aber es ist besser, wenn wir uns etwas von der Dunkelbarriere zurückziehen.« Sie drangen weiter in den Korridor vor.
* Laroop war über einen leblosen Körper gestolpert. Es war ein Mensch, ein Mann – und er war tot. Laroop betastete sein Gesicht und stellte anhand des gebrochenen Nasenbeins fest, daß es sich nur um Vart Loo handeln konnte. Der Hohepriester hatte sich stets geweigert, an sich eine Nasenkorrektur vornehmen zu lassen – und das erleichterte Laroop die Identifizierung in der Dunkelheit. »Vart Loo ist tot«, sagte er nicht ohne Befriedigung in der Stimme. »Jetzt übernehme ich das Kommando. Folgt mir!« Laroop erreichte das Ende des im Dunkeln liegenden Raumes und fand auch bald die Öffnung, durch die Atlan, Wirtz und das Mädchen Terrania gegangen waren. Laroop hielt den Paralysator, den er Vart Loo abgenommen hatte, in der Rechten, seinen eigenen Lähmstrahler hielt er schußbereit in der Linken. So trat er durch die lichtundurchlässige Barriere in den Korridor hinaus. Seine vier Gefährten folgten dichtauf. Der Anti stieß einen Laut der Überraschung aus, als der die drei Menschen erblickte, die in einiger Entfernung auf sie warteten. »Tatsächlich«, entfuhr es ihm. »Wer hätte das gedacht.« Er lachte schallend. »Wir haben euch für Fremdwesen gehalten, die zur Besatzung dieses Schiffes gehörten.« »Uns erging es so mit euch«, erklärte Atlan. »Ich nehme an, daß ihr ebenfalls aus der Schatzsuchersiedlung kommt und das fremde Schiff erkunden wollt.« »Wir werden es in Besitz nehmen«, sagte Laroop.
Einer seiner Leute beugte sich zu ihm und flüsterte ihm ins Ohr: »Erinnerst du dich nicht an die drei, Laroop? Sie haben in Rekeul einiges Aufsehen erregt und Unruhe gestiftet. Der mit den schwarzen Haaren und den dunklen Augen, der eben gesprochen hat, nennt sich Bralt Meeker.« »Ja, jetzt erinnere ich mich wieder«, sagte Laroop gedehnt. Er deutete mit dem Paralysator auf Atlan und fuhr fort: »Du bist doch der Dieb, der die Schwingkristalle gestohlen hat, und deshalb vom Justizkommando zum Tode verurteilt wurde.« »Ich denke, daß dies nun hinfällig geworden ist«, erklärte Atlan. »In Anbetracht der neuen Gegebenheiten …« »Das hindert uns nicht, das Versäumte nachzuholen«, unterbrach Laroop ihn mit haßerfüllter Stimme. »Los, Männer, auf sie! Wir werden uns diese Schnüffler ein für allemal vom Hals schaffen.« Die Antis setzten sich in Bewegung. Atlan, Wirtz und Terrania wandten sich zur Flucht. Doch sie kamen nicht weit. Nach ein paar Schritten schrie Atlan plötzlich auf. Sein Körper zuckte zusammen, als hätte er einen elektrischen Schlag bekommen. Dann begann auch Wirtz konvulsivisch zu zucken, als er gegen ein unsichtbares Hindernis rannte. Terrania wurde zur Seite geschleudert, sie wollte sich haltsuchend an Wirtz festklammern, doch ihre Hände zuckten vor seinem Körper zurück, als hätte sie sich an ihm verbrannt. Die Antis lachten wild auf. Sie glaubten, ihre Gegner in die Enge getrieben zu haben und ihrer sicher zu sein. Doch ihr Triumph dauerte nicht lange. Einige Meter vor den dreien wurden auch sie gestoppt. Plötzlich schrie der vorderste auf und zuckte zurück, als sei er gegen ein unsichtbares Hindernis gerannt. »Teufel, tut das weh!« jammerte er und preßte sich die Hände gegen den Körper. Die anderen wurden wie von unsichtbaren
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Strahlen durcheinandergewirbelt. »Was hat das zu bedeuten?« herrschte Laroop sie an und setzte sich ebenfalls in Bewegung. Aber auch er kam nicht weit. Nach wenigen Schritten durchraste ein furchtbarer Schmerz seinen Körper, und seine Glieder zuckten und schlenkerten unkontrolliert wie die Gliedmaßen einer Puppe. Schockstrahlen! durchfuhr es ihn, als der Schmerz abebbte.
6. Atlan konnte nach keiner Seite ausweichen. Er versuchte, Terrania die Hand zu reichen, doch kaum, daß er in ihre Nähe kam, durchzuckte seine Fingerspitzen ein flammender Schmerz, der sich bis in sein Gehirn fortpflanzte. Er konnte auch nicht nach hinten ausweichen. Es genügte schon, wenn er etwas in Rückenlage kam, um von den Schockstrahlen wieder nach vorne gepeitscht zu werden. »Wir scheinen es der Schiffsbesatzung zu bunt getrieben zu haben«, meinte Froom Wirtz mit schwachem Grinsen. »Jetzt haben sie uns Einhalt geboten, indem sie Schockfallen um uns errichteten. Ich habe einen Bewegungsradius von knapp einem Meter. Mein einziger Trost ist, daß es den Schatzsuchern ebenso ergeht. Die hätten uns glatt gelyncht.« Atlan wandte den Kopf, was ihm ohne Schwierigkeiten möglich war, so daß er die fünf Männer hinter sich betrachten konnte. Sie machten verkniffene Gesichter, verhielten sich aber relativ ruhig. Auch sie hatten eingesehen, daß es aus den Schockfallen kein Entkommen gab. Jede falsche Bewegung brachte nur Schmerzen ein. Das sind Antis, erfuhr Atlan von seinem Extrasinn. Ich habe dich schon in Rekeul auf sie aufmerksam gemacht. Bestimmt haben sie die Prospektoren aus der Schatzgräbersiedlung beeinflußt und in ihrem Sinn manipuliert. »Ist Ihnen an unseren Freunden nichts aufgefallen, Atlan?« erkundigte sich Wirtz
und machte probeweise einen Schritt nach vorne. »Sie wissen, daß sie auf einem Raumschiff sind – ergo müssen sie gegen den Hohlweltwahn immun sein.« »Sie sind Antis«, erklärte Atlan. »Sie meinen, daß Mutanten und parapsychisch Begabte auf die Beeinflussung nicht ansprechen?« sagte Wirtz und machte einen weiteren Schritt nach vorne, was ihm anstandslos möglich war. »Das könnte erklären, warum Sie und Terrania immun sind. Sie sind mentalstabilisiert, und Terrania scheint latente Para-Fähigkeiten zu haben. Aber was ist mit mir? Ich habe keinerlei geistige Mutationen aufzuweisen.« Atlan machte die Behandlung, durch die Wirtz zum Instinkt-Spezialisten geworden war, für seine Immunität verantwortlich. Terrania hatte sich in Bewegung gesetzt, ganz so, als gäbe es keine Schockstrahlen, die sie hinderten. »Terrania, bleib hier!« rief Atlan ihr nach. Aber sie war schon wieder in den tranceähnlichen Zustand verfallen, das erkannte er an ihrer Haltung. »Sie kann gar nicht anders, als vorwärts zu gehen«, erklärte Wirtz und setzte sich ebenfalls in Bewegung. »Mir ergeht es ebenso. Die Schockstrahlen wirken auf mich wie eine Peitsche, die mich vorwärtstreibt.« Jetzt verspürte Atlan selbst einen Schlag im Rücken, der ihn unwillkürlich nach vorne ausweichen ließ. Als er stehenbleiben wollte, bekam er einen neuerlichen Schlag durch die Schockstrahlen. »Man will uns in eine bestimmte Richtung treiben«, sagte Atlan. »Das ist sogar besser, als ziellos durch das Schiff zu irren. So werden wir wenigstens erfahren, woran wir sind.« »Ganz meine Meinung«, stimmte Wirtz zu, während er, durch eine Barriere aus Schockstrahlen von Atlan und den anderen getrennt, voranschritt. Einige Male zuckte er unter Schmerzen zusammen, als er vom Weg abkam, den ihre unsichtbaren Bewacher bestimmt hatten. »Wenigstens werden wir die Fremden
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bald kennenlernen«, fügte der InstinktSpezialist hinzu. Die Lichtverhältnisse wurden immer besser, je weiter sie vorankamen – oder aber ihre Augen gewöhnten sich daran. Jedenfalls waren die Verzerrungen lange nicht mehr so intensiv wie beim Betreten des Schiffes – und bald hörten sie ganz auf. Das Innere des Schiffes zeigte sich ihnen in seinem wahren Aussehen. Aber viel konnten sie nicht entdecken, weil sie immer nur entlang der Röhrentunnel gelotst wurden. Atlan stellte fest, daß es den fünf Antis nicht anders als ihnen erging. Ihre Mutantenfähigkeiten versagten hier. Sie hielten Abstand zueinander, und manchmal ertönten aus ihrer Richtung Flüche und verhaltene Schmerzensschreie, wenn sie gegen die Schockbarriere stießen. Den Antis blieb nichts anderes übrig, als die Route einzuschlagen, die ihnen die Fremden wiesen. Auf diese Weise legten sie eine gewaltige Strecke zurück. Atlan selbst hatte jegliches Zeitgefühl und seinen Orientierungssinn verloren. Aber wenigstens besaß er seinen Logiksektor, auf dessen Beurteilungsvermögen sich Atlan auch in einer Extremsituation wie dieser verlassen konnte. Von diesem erfuhr er, daß sie etwa einen Kilometer zurückgelegt hatten und sich im Zentrumsbereich des Raumschiffs befanden. »Jetzt müssen wir eigentlich bald am Ziel angelangt sein«, meinte Atlan. Kurz darauf endete der Korridor vor einer der bekannten lichtabsorbierenden Barrieren. Durch diese wurden sie von den Schockfallen getrieben. Sie kamen in einen großen Raum, der frei war von jeglichen Luftspiegelungen und Verzerrungen.
* Der Raum besaß einen Durchmesser von etwa fünfzig Metern, die Wände und die Decke verschmolzen zu einem Kuppeldach. Auch hier waren keine Lichtquellen zu se-
hen, sondern die Wände leuchteten von sich aus – wie gehabt. Nur war das Licht hier heller, wenngleich schattenlos wie überall auf dem Schiff. In der Mitte des Kuppelraums standen vierzehn Behälter aus einem transparenten Material. Sie waren jeder einen Meter hoch und so dick, daß ein Mann sie mit den Armen gerade umfassen konnte. In den Behältern war eine trübe Flüssigkeit, die sich ständig in Bewegung befand. Diese Einzelheiten nahm Atlan jedoch nur unbewußt wahr, das heißt, sein Logiksektor registrierte und verarbeitete sie. Atlans Aufmerksamkeit wurde jedoch von den vierzehn Wesen gefangengenommen, die auf diesen wie Sockel anmutenden Behältern kauerten. Sein erster Eindruck war, daß sie aussahen, wie … »Riesenmaden!« entfuhr es Froom Wirtz. Das war genau der Ausdruck, den Atlan selbst für diese Wesen von einem Meter Länge gefunden hatte. Sie besaßen keine Gliedmaßen, sondern nur einen Körper, der am vorderen Ende übergangslos in einen Kopf ohne »Gesicht« überging. Darin pulsierten sich ständig verformende Sinnesorgane – zumindest hielt Atlan sie für Sinnesorgane. Manchmal fuhren die Maden aus ihren Köpfen Pseudofühler aus – ähnlich wie Schnecken. Die Farbe ihrer Körper war ein strahlendes Weiß, und sie waren in Dutzende von Segmenten unterteilt, die es ihnen erlaubten, sich wie Schlangen zu winden. Und das taten sie auch – sie wanden und krümmten sich ständig auf den Sockeln, befanden sich dauernd in Bewegung. Aber keine der Riesenmaden verließ ihren Platz. »Großer Báalol – hier stinkt's!« rief einer der Antis entsetzt, nachdem er sich von der ersten Überraschung erholt hatte. »Mir wird bald übel.« Der Anti übertrieb nicht. Von den Riesenmaden ging ein fürchterlicher Gestank aus, der den Kuppelraum erfüllte. Atlan konnte nirgends eine Lufterneuerungsanlage ent-
Straße im Kosmos decken. Es war ihm auch nach längerem Aufenthalt nicht möglich, sich an den ekelerregenden Geruch zu gewöhnen. »Wo sind wir hier? In der Kommandozentrale?« sagte Laroop angewidert. »Sollen das die Herrscher dieses Schiffes sein?« Die Erbauer des Schiffes sind es bestimmt nicht, meldete sich Atlans Extrasinn. Atlan dachte keine Sekunde lang daran, daß die Riesenmaden nicht intelligent sein könnten. Dennoch traute er diesen in ihrem Aufbau doch zu primitiven Organismen nicht zu, ein solches Schiff zu bauen. Sie waren ganz einfach physisch dafür nicht geschaffen. Wahrscheinlicher war es schon, daß es sich um spezielle Züchtungen der Schiffserbauer handelte, die man für bestimmte Aufgaben erschaffen hatte. Ja, so könnte es sein – Atlan kam immer mehr zu der Ansicht, daß es sich um eine spezialisierte Androidenform handelte, die für Zwecke eingesetzt wurden, die es noch zu ergründen gab. Die Frage, worum es sich bei dem Kuppelraum handelte, war kaum zu beantworten. Es konnte sich ebenso um eine Forschungsstation wie um die Steuerstation des Schiffes handeln. Die vierzehn Maden standen untereinander durch ein silbernes Gespinst in Verbindung, das einem Spinnennetz nicht unähnlich war. Auf diesen Fäden glitten verschiedenfarbige Kugeln hin und her. Diese Kugeln, etwas kleiner als eine Männerfaust, waren in ständiger Bewegung. Sie kamen ebensowenig zur Ruhe wie die Maden selbst. Obwohl einige dieser Fäden in den Körpern der Wesen endeten, kamen sie nie mit den Kügelchen in Verbindung. Immer kam eine Kugel zum Stillstand, wenn sie etwa eine Handbreit an eine Made herangekommen war, und schwebte an dem Faden wieder zurück. Es waren Hunderte solcher Kugeln, aber es kam nie zu einer Kollision. Unterhalb des Gespinsts aus silbernen Fäden war der Boden feucht, so als hätte sich dort Tau niedergeschlagen – und es schien
29 Atlan fast, daß der Übelkeit erregende Gestank von diesem feuchten Niederschlag ausging. »Was sollen wir hier«, rief ein Anti. »Ich hätte Lust, diese Würmer von ihren Podesten zu holen und zu zertreten.« Die anderen ließen keinen Zweifel daran, daß sie mit ihrem Kameraden einer Meinung waren. Aber trotzdem machte keiner Anstalten, die Drohung in die Tat umzusetzen. Vielleicht wurden sie durch parapsychische Impulse der Riesenmaden »befriedet« – Atlan traute diesen Androidenwesen jede denkbare Fähigkeit zu –, oder aber die in ständiger Bewegung befindlichen Farbkugeln hypnotisierten sie. Dennoch war Atlan sicher, daß den Kugeln und dem Netz eine ganz andere Bedeutung zukommen mußte. Wahrscheinlich handelte es sich um ein Kommunikationssystem, das dem Gedankenaustausch der Riesenmaden diente. »Sind wir nur hergebracht worden, um uns diese Scheusale anzusehen?« rief Laroop ärgerlich. Ein Anti lachte gezwungen. »Ihr seid eingeladen worden, die Geschichte dieses Schiffes zu erfahren«, sagte Terrania in diesem Moment mit monotoner Stimme. »Die Wegbereiter haben mir ihr Leid und ihre Trauer geklagt – und ich bin tief ergriffen und kann nicht anders, als mich allen, die mich hören können, mitzuteilen.« »Diese Göre ist übergeschnappt«, behauptete ein Anti. »Was soll das Gefasel über die Trauer der Wegbereiter?« Atlan betrachtete Terrania von der Seite. Ihr schmales Gesicht mit den großen Augen war so weiß wie die Haut der Riesenmaden. Der verklärte Ausdruck und der ins Nichts gerichtete Blick zeigten, daß sie wieder ganz Medium war. Der Arkonide zweifelte nicht daran, daß sie mit den Riesenmaden in eine Art telepathischen Kontakt treten konnte. Dies war der letzte Beweis für ihn, daß sie parapsychisch begabt war, und wenn es ihm auch jetzt noch nicht gelang, ihre Mutantenfähigkeit zu
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spezifizieren, so wurde es doch deutlich, daß diese nicht nur latent in ihr vorhanden war. Ihre Fähigkeiten waren sogar weit höher einzuschätzen als die der Antis, denn diesen war es nicht möglich, mit diesen völlig fremdartigen Intelligenzwesen in geistigen Kontakt zu treten. Atlan vermutete, daß Terranias vorangegangene Trancezustände ihre Ursache ebenfalls in einem parapsychischen Kontakt zu diesen Geschöpfen gehabt hatten. Atlan konnte seine Gedankengänge nicht fortführen, denn Terrania Skeller begann wieder zu sprechen. Es hörte sich so an, als spreche jemand anderer durch ihren Mund. Dennoch gebrauchte sie terranische Begriffe und benannte auch Sonnensysteme und Planeten nach den in den Sternenkarten des Solaren Imperiums verwendeten Bezeichnungen – sofern es sich nicht um unbekannte Welten und Konstellationen handelte.
7. Es ist schon lange her, daß diese Mission begann. Sie wurde mit äußerster Vorsorge und Umsicht vorbereitet, mit vollem Einsatz begonnen – und dann jäh unterbrochen. Die Mission wurde nicht beendet, trotzdem ist sie nicht gescheitert. Es ist immer noch Zeit, sie zu einem erfolgreichen Abschluß zu bringen. Aber es muß bald geschehen. Der Schwarze Wegbereiter wurde schon vor vielen Jahren auf den Flug geschickt, weil mit Schwierigkeiten und Unterbrechungen gerechnet werden mußte. Es ist leichter, eine kosmische Straße durch einen wilden, unzivilisierten Sternendschungel zu schlagen, als durch eine von raumfahrenden Völkern bewohnte Galaxis. Der Sternendschungel weist nur die Leuchtfeuer der Sonnen auf, zwischen denen die kosmischen Stürme toben. Diese lassen sich anmessen vorausberechnen, manchmal kann man sie ausmerzen, umlenken, dann wieder muß man ihnen ausweichen. Aber
Hindernisse sind die lodernden Sonnen und die Hyperstrahlungsfelder des unzivilisierten Sternendschungels nicht. Um wieviel gefährlicher ist es aber, eine kosmische Straße durch eine zivilisierte Galaxis wie diese zu bauen! Es gibt zwar weniger störende Naturelemente, doch dafür kommt ein Faktor hinzu, der sich nicht bestimmen, nicht vorausberechnen läßt: die raumfahrenden Völker. Wie soll ein kosmischer Ingenieur eine Straße bauen, wenn sie geradewegs durch das Sternenreich eines hochtechnisierten Volkes führt? Er kann Leuchtfeuer errichten, kleine, nicht hart strahlende Kunstsonnen, die alle Raumfahrer warnen: Achtung, hier ist eine kosmische Straße! Aber was, wenn die Raumfahrer nicht erfahren dürfen, daß hier ein Transportweg gebaut werden soll? Wenn strengste Geheimhaltung geboten ist! Jede Warnung, daß eine bestimmte Sternenzone gemieden werden soll, würde die Raumfahrer nur noch neugieriger machen und heranlocken. Vor diesen Problemen standen wir – die Wegbereiter, die kosmischen Ingenieure. Die kosmische Straße mußte errichtet werden, denn auf ihr sollte ein wichtiger Transport quer durch die Galaxis vorgenommen werden. Um es noch deutlicher zu machen: Dieser Transport ist wichtig nicht nur für die Planer und Initiatoren, sondern für alle Lebewesen dieser Galaxis – wichtig für das gesamte Universum. Wenn der Transport sein Ziel erreicht hat, wird ein neuer Abschnitt in der Geschichte des Universums beginnen. Also wurden wir kosmischen Ingenieure mit dem Schwarzen Wegbereiter ausgeschickt, die kosmische Straße für den Transport durch die Galaxis zu legen – und auch gegen alle raumfahrenden Völker abzusichern. Die Betonung liegt auf absichern! Wenn der Transport erst begann, dann durfte kein Raumschiff die Flugstraße kreuzen, durfte kein uneingeweihtes Intelligenzwesen in die Nähe des Transportguts kom-
Straße im Kosmos men. Von dieser Voraussetzung mußten wir bei der Wegbereitung ausgehen. Es gab eigentlich nur eine einzige vertretbare Möglichkeit, absolute Sicherheit für das Transportgut zu garantieren, indem man die raumfahrenden Völker von der kosmischen Straße fernhielt, ohne sie einzuweihen. Man mußte jegliche Raumfahrt in der fraglichen Sternenzone unterbinden. Und das ging nur, wenn man den Raumfahrern die Erinnerung an die Sterne nahm. Ohne Sterne keine Raumfahrt. Jeder Planet mußte eine eigene, streng isolierte Insel bilden, zumindest in den Gehirnen der darauf lebenden Intelligenzwesen. Es galt also, ihnen die Erinnerung an die Raumfahrt zu nehmen. Das aber durfte nicht auf Kosten der Intelligenz gehen, denn eine generelle Verdummung aller Völker entlang der kosmischen Straße hätte die Entwicklung dieser Galaxis auf Äonen hinaus gestört. Uns Wegbereitern waren also strenge Grenzen auferlegt, innerhalb derer wir operieren durften. Eine schwere Aufgabe, aber für einen Wegbereiter aus Berufung ein faszinierendes Problem. Und auf der Suche nach einer allseits vertretbaren Lösung fanden wir den Stein der Weisen. Im wahrsten Sinne des Wortes Steine. Und zwar Schwingkristalle, die bei den raumfahrenden Völkern eine partielle Amnesie verursachten. Die Strahlung der Schwingkristalle verursachte im Zusammenwirken mit den Einrichtungen des Schwarzen Wegbereiters, unseres Raumschiffs, eine Strahlung, die den Raumfahrern die Sterne und das All vergessen ließ und ihnen zugleich einen Ersatz dafür gab: Sie glaubten fortan, in einer Hohlwelt zu leben. So versuchten sie in ihrem Forscherdrang nicht mehr, den Raum mit den unzähligen Lichtern über ihren Köpfen zu erforschen. Mit dieser Programmierung flogen wir los, um eine Straße durch die Galaxis zu schlagen, die mit Hohlwelten gepflastert war. Der Hohlweltwahn war die beste Si-
31 cherheitsgarantie. Wenn wir unsere Aufgabe erledigt hatten, dann konnte das wertvolle Transportgut ungefährdet an sein Ziel geflogen werden. Doch wir Wegbereiter konnten unsere Mission nicht beenden. Es kam im Raum des Tiffak-Systems zu einer Panne im Antriebsmechanismus unseres Raumschiffs. Das liegt nun schon lange Jahre zurück, und inzwischen kennen wir die Fehlerquelle und werden sie bald behoben haben. Doch damals war die Ursache für das Versagen des Antriebs unbekannt. In unserer Verzweiflung blieb uns Wegbereitern nichts anderes übrig, als über Komouir, dem zweiten Planeten des TiffakSystems, Schwingkristalle abzuwerfen. Wir entluden über diesem Planeten soviel Ballast wie nur möglich. Doch trotz dieser Maßnahme kamen wir nicht weit. Wir erreichten das sechs Lichtjahre entfernte Deylight-System und mußten auf Wiga-Wigo, dem dritten Planeten, notlanden. Wir gruben uns mit unserem Raumschiff tief unter die Oberfläche, weil wir wußten, daß dieser Planet von einem raumfahrenden Volk besiedelt war. Lange Zeit blieben wir unentdeckt und konnten nach der Fehlerquelle im Antrieb suchen. Und wir fanden sie auch. Doch bevor es uns gelang, den Schaden endgültig zu beheben, wurden wir von den Planetenbewohnern entdeckt. Wir versuchten, sie von uns fernzuhalten, indem wir den Hohlweltwahn über sie brachten. Wenn es für sie keine Raumfahrt mehr gab, dann würde unser Raumschiff ebenfalls für sie zu existieren aufhören. Doch es kam anders, als wir erwartet hatten. Die Planetenbewohner glaubten zwar an die Hohlwelt, doch unser Raumschiff vergaßen sie nicht. Sie nannten es von nun an eine »versunkene Stadt«. Sie blieb uns nichts anderes übrig, als mit dem schadhaften und noch nicht wieder ganz hergestellten Antrieb einen Start zu versuchen. Dieser gelang – und der Flug führte uns
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zurück nach Komouir. Hier sind wir nun. Wir haben den Bewohnern von Komouir den Hohlweltwahn gebracht, damit sie uns bei den Reparaturarbeiten des Antriebs nicht stören. Doch wie es sich an euch zeigt, gibt es auch Menschen, die dagegen immun sind. Das hätten wir Wegbereiter niemals für möglich gehalten. Es war ein Fehler, anzunehmen, daß eine einzige, nicht variierbare Programmierung auf Milliarden und aber Milliarden unterschiedliche Gehirne gleichermaßen wirken würde. Doch wird dieser winzige Fehler unsere große Mission nicht gefährden! Der Transport des wichtigsten Gutes dieses Universums wird bald stattfinden. Bald kommt die Erleuchtung über diese Galaxie. Uns aber bleibt noch genügend Zeit, unser Schiff flugtauglich zu machen und unsere Mission zu beenden: den Bau der kosmischen Straße, die aus Welten im Hohlweltwahn bestehen wird. Ihr, die ihr gegen die Beeinflussung immun seid, werdet uns nach besten Kräften helfen, die Reparaturarbeiten abzuschließen. Danach lassen wir euch frei, und ihr könnt zu euren Artgenossen zurückkehren und sie auf das bevorstehende Ereignis vorbereiten. Nur – sie werden euch nicht glauben. Denn sie leben in einer Hohlwelt, in der es keinen grenzenlosen Kosmos gibt. Und wir werden unsere Mission beenden. Das wichtigste Ereignis seit dem Bestehen des Universums wird bald stattfinden.
8. Als Terrania geendet hatte, herrschte eine Weile Schweigen, dann kam Bewegung in die sieben Männer. Aber es gab keinen Aufruhr, denn es zeigte sich sogleich, daß Atlan, Froom Wirtz und die fünf Antis immer noch in den Schockfallen festsaßen, so daß sie lediglich beschränkte Bewegungsfreiheit besaßen. Nur Terrania Skeller, das Mutantenmädchen, das als Sprachrohr dieser vierzehn
Madenwesen fungierte, konnte sich innerhalb des Kuppelraums frei bewegen. Doch sie nützte diese Freiheit nicht für sich, sondern verhielt sich ganz im Sinne der unheimlichen Wesen auf den Sockeln, deren Medium sie war. »Es ist unglaublich«, sagte Froom Wirtz. »Es klingt wie ein böser Scherz. Wenn ich recht verstanden habe, dann wurde der Hohlweltrausch auf Wiga-Wigo und Komouir von dem Raumschiff nur verursacht, um den Raumschiffsverkehr in diesem Gebiet zu unterbinden, weil irgendein fragwürdiger Transport stattfinden soll.« »Nicht irgendein Transport«, berichtigte Terrania mit wesenloser Stimme. »Es handelt sich um ein elementares Ereignis, das die kosmischen Geschicke nachhaltig beeinflussen wird.« »Das auch noch!« Wirtz stöhnte. Er blickte zu Atlan, der noch immer schwieg und ein nachdenkliches Gesicht machte. »Wie können Sie nur so ruhig bleiben!« rief der Instinkt-Spezialist fast anklagend. »Haben Sie denn überhaupt mitgekriegt, welche Gefahr sich daraus für alle raumfahrenden Völker der Galaxis ergibt? Wer weiß, wie viele Welten sich bereits im Hohlweltwahn befinden. Bisher scheinen nur uns unbekannte Völker davon betroffen zu sein, wenn man von Wiga-Wigo und Komouir absieht. Aber wenn dieses Raumschiff wieder flugtauglich gemacht worden ist und Kurs auf die Erde nimmt, dann gäbe das eine furchtbare Katastrophe für die Menschheit.« »Das ist mir klar, Wirtz«, sagte Atlan. »Und das nehmen Sie so gelassen auf?« Atlan begegnete dem Blick des InstinktSpezialisten ruhig und sagte: »Ihre Reaktion ist völlig normal, Wirtz. Aber ändern können Sie an den Gegebenheiten nichts.« »Ja, wollen Sie – ausgerechnet Sie – tatenlos zusehen, wie dieses Raumschiff seinen unheilvollen Flug fortsetzt und die raumfahrenden Völker der Galaxis ins Chaos stürzt? Das wäre das Ende der Zivilisation!«
Straße im Kosmos »Es ist ein neuer Beginn«, sagte da wieder Terrania mit ihrer unpersönlichen Stimme. »Es stimmt, daß die raumfahrenden Völker Einbußen erleiden werden, doch das ist nur vorübergehend. Wenn der Transport erst abgeschlossen ist, dann wird für alle Intelligenzwesen dieser Galaxis eine neue Epoche des Glücks und des Friedens anbrechen.« »Warum werden die Bewohner der Galaxis denn nicht gefragt, ob sie dieses Glück überhaupt wollen?« rief Wirtz erregt. »Weil sie nicht die kosmische Reife besitzen, um die richtige Entscheidung zu treffen«, antwortete Terrania. »Pah!« machte der Instinkt-Spezialist verächtlich. »Wer sind die Erbauer dieses Raumschiffes, daß sie für uns Schicksal spielen wollen?« Darauf gab Terrania keine Antwort. Atlan sah, daß sich ihr Gesichtsausdruck veränderte. Der Blick ihrer Augen war nicht mehr so leer und nicht in unergründliche Fernen gerichtet, und auch ihr Mienenspiel wurde wieder lebendiger, so als habe sie wieder ihre Persönlichkeit zurückgewonnen und könne über ihren Geist und Körper frei verfügen. »Um was für einen Transport handelt es sich eigentlich?« erkundigte sich Atlan bei dem Mädchen. »Wir haben sehr viele Phrasen über die eminente Wichtigkeit dieses Ereignisses gehört, ohne jedoch erfahren zu haben, was denn überhaupt transportiert werden soll.« »Ich weiß es selbst nicht«, antwortete Terrania, und auf ihrem Gesicht erschien ein Ausdruck des Bedauerns. Sie war jetzt wieder sie selbst, nicht Medium der Madenwesen, sondern nur noch eine Vermittlerin zu diesen. Sie fuhr fort: »Über das zu transportierende Objekt habe ich selbst nichts erfahren. Aber dem solltet ihr nicht solche Bedeutung beimessen. Nicht die Ursache, sondern das Ergebnis selbst ist wichtig.« »Aber wie sollen wir beurteilen können, ob das Kommende gut oder schlecht für uns ist, wenn wir nicht wissen, was passiert?«
33 erklärte Atlan dem Mädchen. »Ihr sollt es auch gar nicht beurteilen können«, antwortete Terrania. »Je weniger Informationen ihr besitzt, desto weniger Einfluß könnt ihr auf den Ablauf der Geschehnisse nehmen.« Atlan seufzte. Er hob die Arme, als wolle er Terrania umfassen, und ging auf sie zu. Doch er zuckte sofort wieder zurück, als er gegen das Schockfeld stieß. »Kommen diese Worte überhaupt aus dir, Terrania?« fragte er dann. »Verstehst du, worum es hier geht? Kannst du die Hintergründe erkennen?« Terrania machte ein verzweifeltes Gesicht. Sie war in diesem Augenblick nur ein neunjähriges Mädchen, das mit Problemen konfrontiert wurde, die ihren Horizont bei weitem überstiegen. »Ich verstehe nicht …«, sagte sie zögernd. »Es ist alles so kompliziert … so verschwommen für mich … ich kann nichts deutlich sehen. Aber ich habe mit den Wegbereitern gesprochen, und es war so klar für mich, daß sie nichts Böses meinen. Sie wollen nichts Böses tun, wirklich nicht. Ich weiß es ganz sicher. Sie meinen es gut.« »Was für andere gut ist, muß aber nicht auch für uns Menschen gut sein, Terrania«, versuchte Atlan dem Mädchen zu erklären. Er sah, wie sich ihre Gesichtszüge wieder glätteten und sie wieder in den tranceähnlichen Zustand verfiel. »Ich kann keine Fragen mehr beantworten«, sagte sie mit entrückter Stimme. »Ihr werdet jetzt an eure Arbeit gehen und tun, was ich euch sage.« »Den Teufel werden wir tun!« rief Froom Wirtz erregt. »Wir werden keine Hand rühren, um dieses Schiff wieder flugtauglich zu machen und die Invasionspläne der Fremden noch zu fördern.« »Ihr werdet helfen«, sagte Terrania nur. Die Antis hatten sich bisher noch nicht geäußert. Atlan war es aber nicht entgangen, daß sie sich untereinander absprachen. Jetzt meldete sich zum erstenmal ihr neuer Anführer zu Wort.
34 Laroop wandte sich direkt an die vierzehn Madenwesen und sagte: »Wir Báalols anerkennen die Macht und den Willen der Fremden. Wir stellen uns bedingungslos unter ihre Befehlsgewalt und werden ihnen nach besten Kräften helfen, damit sie ihre Mission beenden können.« »Diese Verräter«, sagte Wirtz grimmig. Er ballte die Hände in ohnmächtiger Wut – und wäre die Barriere aus Schockstrahlen nicht gewesen, hätte er sich zweifellos auf den Anti gestürzt. »Lassen Sie sich nicht so gehen, Wirtz«, ermahnte Atlan ihn. »Sollen wir zulassen, wie diese Antis die gesamte Galaxis verraten, nur um sich persönliche Vorteile dadurch zu verschaffen?« erwiderte Wirtz. »Wenn wir zusammenhielten und vereint kämpften, könnten wir diese Gefahr vielleicht entschärfen!« »Uns sind die Hände gebunden«, sagte Atlan ruhig. »Wir können im Moment überhaupt nichts unternehmen. Wir haben keine andere Wahl, als das zu tun, was man von uns verlangt.« »Das würde ich euch auch raten!« sagte Laroop. Wirtz wollte wieder aufbrausen. Doch als er Atlans Blick begegnete, in dem eine unmißverständliche Ablehnung lag, beruhigte sich der Instinkt-Spezialist. Er wußte, worauf Atlan hinauswollte. Da sie nicht nur die Macht der Fremden über sich hatten, sondern auch noch die fünf Antis ihre Gegner waren, standen sie auf verlorenem Posten. Sie mußten zum Schein auf alle Bedingungen eingehen und so tun, als würden sie sich der Gewalt beugen. Aber wenn sich ihnen eine Chance bot, dann wollten sie sie nützen. Wirtz konnte nur hoffen, daß diese Rechnung aufging. »Folgt mir«, sagte Terrania und ging auf den Ausgang zu. Die Männer setzten sich ebenfalls in Bewegung; die fünf Antis freiwillig, Atlan und Wirtz unter Zwang und von den Schockstrahlen ziemlich schmerzhaft vorangetrieben.
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* Terrania führte sie zu einem Transmitterfeld in einem der Röhrentunnel. Sie nahm daneben Aufstellung und sagte: »Von hier werdet ihr zu den Einsatzorten abgestrahlt. Ihr werdet in Gruppen von jeweils zwei Mann arbeiten. Die dritte Arbeitsgruppe besteht aus drei Mann. Ihr werdet noch rechtzeitig erfahren, was ihr zu tun habt. Hilfskräfte stehen zu eurer Unterstützung bereit.« Die ersten beiden Antis gingen durch das Transmitterfeld und wurden abgestrahlt. Als die Reihe an Laroop kam, drehte er sich zu dem Anti um, der bei Atlan und Wirtz zurückgeblieben war. »Paß auf die beiden gut auf, Grevier, damit sie keine Dummheiten machen«, sagte Laroop. »Ich traue ihnen zu, daß sie die Arbeiten zu sabotieren versuchen werden.« »Ich schaue ihnen schon auf die Finger«, versprach der mit Grevier angeredete Anti, machte dabei aber kein glückliches Gesicht. Es war ihm anzusehen, daß er sich bei Atlan, den er als Bralt Meeker kannte, und bei Wirtz nicht recht wohl fühlte. Zweifellos wäre er lieber zusammen mit einem seiner Kameraden gegangen. Atlan und Wirtz trugen durch ihr Verhalten dazu bei, den Anti noch mehr einzuschüchtern. Als Atlan an Terrania vorbeiging, sah er es in ihren Augen ängstlich aufblitzen. Er zögerte, da kam ihre Hand hoch und drückte die seine. »Mir ist kalt«, sagte sie mit zitternden Lippen. »Wir sind bei dir, Terrania«, sagte Atlan. »Wir werden auf dich aufpassen.« Gleich darauf wurden sie durch Schockstrahlen getrennt. Terranias Gesicht wurde wieder maskenhaft, das Kindhafte darin wurde durch die Beeinflussung der Madenwesen eliminiert. Das Mädchen tat Atlan leid. Welche Mutantenfähigkeiten sie auch immer besitzen
Straße im Kosmos mochte – sie war trotzdem ein Kind. Er hoffte nur, daß sie von den Fremdwesen nicht überfordert wurde und an den Problemen zerbrach. Der Arkonide trat als erster durch das Transmitterfeld, dann folgten der Anti und Wirtz. Sie kamen in einer gigantischen Halle heraus, die Atlan sofort mit dem »Maschinenraum« assoziierte. Vielleicht tat er dies deshalb, weil die Madenwesen von einem Defekt im Antriebsmechanismus gesprochen hatten, den sie nun beheben mußten. Denn die Gebilde, die sich rings um sie auftürmten, waren eigentlich nicht als Maschinen zu erkennen, und schon gar nicht hatten sie eine Ähnlichkeit mit irgendeinem Atlan bekannten Raumschiffsantrieb. Hinzu kam noch, daß wieder der Verzerrungseffekt wirksam wurde und die wechselnden Lichtverhältnisse zu den seltsamsten optischen Täuschungen führten. Auf einer kreisähnlichen Fläche mit einem Radius von zehn Metern waren die Verzerrungen jedoch nicht wirksam und das hier herrschende Licht war dem Auge nicht unangenehm. »Das ist euer Wirkungsbereich«, sagte Terrania, die den drei Männern durch den Transmitter gefolgt war, mit ihrer unpersönlichen Stimme, die charakteristisch für jene Zeitabschnitte war, in denen sie von den Maden parapsychisch beeinflußt wurde. »Euer Wirkungsbereich wird von Schockstrahlen abgegrenzt.« »Und was haben wir hier zu tun?« erkundigte sich der Anti mit aufdringlichem Eifer. »Das werdet ihr gleich erfahren«, sagte Terrania. Sie wandte sich dem Transmitterfeld zu, dem sie vor kurzem entstiegen waren. Aus ihm traten jetzt hintereinander und wie auf Befehl des Mädchens vier Gestalten mit menschenähnlichem Aussehen. Sie waren zwei Meter groß, hatten schlanke Körper und zwei Beine, auf denen sie sich fortbewegten. An Armen besaßen sie jedoch eine nicht genau bestimmbare Zahl –
35 und nicht alle diese Gliedmaßen waren auch Arme im menschlichen Sinn. Unter diesen Gliedmaßen, die ihnen in drei Höhen von den Schultern abwärts rundherum aus dem Körper ragten, waren Tentakel und metallene Gliederarme mit Greifwerkzeugen ebenso vertreten, wie teleskopartig ausfahrbare Röhren, an deren vorderen Enden sich verschiedene Instrumente befanden. Ihre Köpfe waren eiförmig und besaßen neben »gewachsenen« Organen wie einem Mund und Augen auch Antennen, Meßskalen und einem Bildschirm, der auf dem kahlen Hinterkopf aufleuchtete. Durch das Fehlen von Nasen und Ohren wirkten die Gesichter dieser halborganischen Lebewesen unfertig und völlig seelenlos. »Das sind eure Helfer«, erklärte Terrania. »Es sind in der Retorte gezüchtete Androiden, die durch robotische Zusätze vervollkommnet wurden. Sie werden Androbs genannt. Die Androbs vereinigen viele nützliche Eigenschaften in sich, sind Hilfskräfte für Schwerarbeiten ebenso wie Präzisionsmaschinen, mit denen man Feinjustierungen vornehmen und Messungen anstellen kann. Man kann auch mehrere von ihnen zusammenschließen, um ihren Einsatzradius zu vergrößern und ihre Kapazität zu verstärken. Jeder Androb ist ein hochwertiger Computer, der akustische und optische Symbole gleichermaßen gut auswertet. Ihr könnt euch also mit ihnen durch Worte oder Zeichen verständigen. Die Androbs sind darauf programmiert, euch zu gehorchen, außer eure Befehle richten sich gegen die Interessen der Wegbereiter. Ihr habt nichts anderes zu tun, als mit Hilfe der Androbs die Geräte in den euch zugewiesenen Sektoren auf ihre Funktion zu überprüfen und Fehler zu beheben. Das ist alles.« Bevor noch einer der drei Männer an Terrania eine Frage richten konnte, war sie durch den Transmitter verschwunden. Wirtz wollte ihr folgen, wurde jedoch von der Schockstrahlenbarriere zurückgeschleudert.
36 Er stieß einen Fluch aus und blickte die vier Androbs, die reglos dastanden und auf Befehle zu warten schienen, angriffslustig an. »Ich hätte gute Lust, diesen häßlichen Androiden-Robotern zu befehlen, die Anlagen in Stücke zu schlagen«, sagte der InstinktSpezialist wütend. »Vielleicht finden wir sogar einen Weg, sie dazu zu bringen«, meinte Atlan. »Aber zuerst müssen wir sie erst einmal näher kennenlernen, um ihre Möglichkeiten zu erforschen. Jeder Roboter hat seine Achillesferse.« »Dasselbe läßt sich auch von Lebewesen sagen«, meinte der Anti Grevier. »Wie wahr!« rief Wirtz spöttisch. »Sind Sie Philosoph?« Der Anti räusperte sich. »Nachdem das Eis zwischen uns gebrochen ist, könnten wir mit der Arbeit beginnen.« »Dann auf gute Zusammenarbeit«, sagte Wirtz. Der Anti blickte sich unsicher um, dann wanderten seine Augen zu Atlan und Wirtz. »Glauben Sie, daß man uns belauscht?« fragte er mit gesenkter Stimme. »Wollen Sie sich etwa mit uns gegen die Maden verschwören?« fragte Wirtz zurück. »Da wir drei auf unbestimmte Zeit zusammenarbeiten werden, wäre es vernünftig, das Kriegsbeil zu begraben«, sagte der Anti zaghaft. »So verschieden, wie Sie glauben, sind unsere Interessen gar nicht. Und auf Laroops Worte sollten Sie nicht soviel geben. Er spielt sich nur als unser Anführer auf, aber in Wirklichkeit hat er nichts zu sagen. Sie sollen wissen, daß ich mich von Laroops Plänen distanziere. Das heißt aber nicht, daß ich Sie unterstützen werde, wenn Sie die Reparaturarbeiten an diesem Schiff sabotieren wollen. Ich bin nämlich der Auffassung, daß uns das überhaupt nichts einbringen würde.« Wirtz wollte darauf mit einer spöttischen Bemerkung antworten, doch Atlan kam ihm zuvor. »Ich schließe mich Ihrer Meinung an,
Ernst Vlcek Grevier«, sagte der Arkonide. »Wir ziehen alle am gleichen Strang, zumindest für die Dauer unserer Gefangenschaft. Und um diese nicht unnötig zu verlängern, sollten wir versuchen, gute Arbeit zu leisten. Fangen wir also gleich an, uns mit den Verhältnissen vertraut zu machen.«
9. Atlan, Wirtz und Grevier fanden bald heraus, wie sie mit Hilfe der Androbs die Geräte auf ihre Funktionstüchtigkeit prüfen konnten und waren auch bald aufeinander eingespielt. Der Sektor, in dem sie sich befanden – und der von der Schockfalle und den Verzerrungen abgegrenzt wurde –, beherbergte einen zehn Meter langen Block, der fünf Meter hoch war und ebenso tief. Er war an den Ecken und an seinem oberen Abschluß abgerundet, und eine glatte Konsole verkleidete ihn. Nichts vom Innenleben dieser Maschine war zu sehen. Es gab Dutzende von verschiedenartigen Öffnungen, die Atlan sofort an Steckkontakte erinnerte. Als er einen der Androbs zu einem dieser Kontakte beorderte, der die Form eines etwas verzerrten »X« hatte, fuhr der Androb einen Gelenkarm aus, an dessen Ende sich verschiedene Anschlußstücke befanden; eines davon hatte ebenfalls die Form eines X. Der Androb stellte die Verbindung mit dem Steckkontakt her. Daraufhin ließ Atlan von dem Androb auch alle anderen Kontakte seines Repertoires an die dazu passenden Stecker anschließen. Es waren insgesamt vierzehn. Damit war der Energiekreislauf geschlossen, und die Meßgeräte des Androbs liefen an. Der Bildschirm auf seinem Hinterkopf leuchtete auf, und zuerst waren nur Wellenlinien zu sehen, an denen in regelmäßigen Intervallen Phasensprünge stattfanden. »Scheint alles in Ordnung zu sein«, meinte Froom Wirtz, der Atlan über die Schulter sah. »Oder glauben Sie, daß die Phasen-
Straße im Kosmos sprünge etwas zu bedeuten haben?« »Sie sind regelmäßig genug, um eine gewollte Energieunterbrechung anzuzeigen«, meinte Atlan. »Dennoch werden wir der Sache auf den Grund gehen.« »Die Phasensprünge zeigen zweifellos eine Fehlerquelle an«, rief da Grevier, der Anti. »Da, sehen Sie, die Meßgeräte am Instrumentenarm des Androbs gebärden sich wie verrückt.« Atlan nahm die Skalen am Instrumentenarm des Androiden-Roboters in Augenschein. Es handelte sich um kreisrunde Armaturen ohne irgendwelche Zeiger oder Einteilungen. An einem Instrument war ein handtellergroßer Monitor, über den Farbstreifen zogen. Immer wenn Rot an die Reihe kam, zerteilte ein Pfeilsymbol den Farbstreifen. Gleichzeitig erschien das Pfeilsymbol Dutzendfach auf einem anderen Bildschirm. Diese Dutzende Pfeile zuckten im Rhythmus der Phasensprünge auf dem Großbildschirm, der am Hinterkopf des Androbs angebracht war. »Wir sollten alle Kontakte lösen, bis nur noch die Pfeilsymbole und die Phasensprünge allein sichtbar sind«, schlug Wirtz vor. »Vielleicht können wir so die Fehlerquelle lokalisieren.« Sein Vorschlag wurde sofort in die Tat umgesetzt. Zum Schluß war der Androb nur noch mit einem einzigen Steckkontakt verbunden. Dieses Anschlußstück hatte die Form einer Tilde. Und jetzt waren fast alle Instrumente tot. Nur noch auf einer Meßskala waren jetzt die Pfeilsymbole zu sehen. Sie hatten zwei Fronten gebildet, stießen aufeinander zu, verknoteten sich und erloschen. Dann tauchten sie wieder an zwei Fronten auf, die gegeneinanderstießen und sich abermals verknoteten. Das wiederholte sich ständig und in Zehn-Sekunden-Abständen. Auf dem Bildschirm im Hinterkopf des Androbs blitzten nur noch die Phasensprünge auf. »Das scheint darauf hinzuweisen, daß zwei Energieformen unterschiedlicher Natur
37 aufeinandertreffen – was zu einer Art Kurzschluß zu führen scheint«, meinte Atlan. »Wir müssen nun herausfinden, an welcher Stelle des Maschinenblocks die undichte Stelle ist. Dann können wir den Fehler auch beheben.« Sie veranlaßten einen zweiten Androb, die Verbindung zu einem Steckkontakt herzustellen. Und zwar probierten sie nacheinander verschiedene Kontakte aus, bis sie wußten, welches Meßgerät für die Durchleuchtung der Maschinerie gedacht war. Es dauerte nicht lange, bis sie herausgefunden hatten, daß eine Sonde mit feinen Borsten praktisch an jedem Steckkontakt zu verwenden war. Wurde die Borstensonde mit einem defekten Energieleiter in Kontakt gebracht, so begannen die Kontrollichter am Instrumentenarm des Androbs zu pulsieren. Gleichzeitig zeigte eine Art Röntgenbild auf dem Hinterkopf-Bildschirm des Androbs das Innere der Maschine. Man konnte die Borstensonde nach Belieben steuern, so daß es möglich war, die gesamte Maschinerie Millimeter um Millimeter nach allen Richtungen zu durchleuchten. Jene Zonen, die unter Energiespannungen standen, glühten auf dem Bildschirm in einem satten Rot. Dann war auf dem Bildschirm jedoch ein Energieblock zu sehen, der im Rhythmus der Kontrollichter pulsierte. »Das muß die Fehlerquelle sein!« erklärte Atlan. Wirtz und Grevier stimmten zu. Nun galt es, den Fehler zu beheben. Das gestaltete sich anfangs recht schwierig, weil die drei überhaupt noch keine Erfahrung im Umgang mit den fremdartigen Geräten der Androbs hatten. Doch bald stellte sich heraus, daß auch die Androbs initiativ werden konnten. Alle vier drängten den drei Menschen förmlich ihre Unterstützung auf. Jeder Androb reckte ihnen einen Tentakel entgegen, der an seinem Ende in unzählige haarfeine Sonden auslief. Diese Sonden verlängerten ständig ihre Länge, zuckten vor und zogen
38 sich wieder zurück. »Versuchen wir einmal damit unser Glück«, sagte Atlan und ließ die beiden bisher zur Untätigkeit verdammten Androbs ihre Sondententakel in zwei Öffnungen einführen. Eine Weile passierte überhaupt nichts. Dann entdeckte der Anti Grevier auf den Hinterkopf-Bildschirmen der beiden Androbs, daß darauf das Vordringen der haarfeinen Sonden in den Maschinenblock festgehalten wurde. Die Sonden schienen endlos lange ausfahrbar zu sein, und sie waren wendig, schlängelten sich zwischen allen Hindernissen hindurch und konnten selbst Energiefelder unbeschadet durchdringen. Die drei Männer beobachteten auf den Bildschirmen staunend, wie die Sonden beider Androbs fast gleichzeitig den im Rhythmus der Warnlichter pulsierenden Energieblock erreichten. Plötzlich zuckte ein Blitz auf, aus dem Maschinenblock kam ein Knistern. Dann erstarrten alle vier Androbs zur Reglosigkeit, ihre Bildschirme und Meßskalen wurden dunkel. »Jetzt haben wir die Bescherung«, sagte Grevier ärgerlich. »Die Androbs sind ausgefallen.« Kaum hatte er jedoch ausgesprochen, als sich die Bildschirme der Androiden-Roboter wieder erhellten und Bewegung in sie kam. Ohne daß es ihnen jemand befohlen hätte, zogen sie ihre Sonden aus der Maschine zurück. Die Kontrollichter der Instrumente pulsierten nicht mehr und auch der vorhin bedrohlich aufflackernde Energieblock leuchtete in einem beständigen Rot und ohne Helligkeitsschwankungen. Auf den Hauptbildschirmen im Hinterkopf der Androbs waren keine Phasensprünge mehr zu entdecken, und die Pfeilsymbole waren von den Bildschirmen der Meßgeräte verschwunden. »Wir haben es geschafft!« rief Wirtz ungläubig. »Es ist uns tatsächlich gelungen, alle Störsymbole zu eliminieren.«
Ernst Vlcek »Eigentlich haben wir diesen Erfolg den Androbs zu verdanken«, erwiderte Atlan. »Aber ich verstehe jetzt auch, warum die Androbs allein die Fehlerquellen nicht so schnell ausmerzen können. Ihnen fehlt der Schöpferfunke, den Intelligenzwesen besitzen. Sie sind ohne Witz und Idee, ihnen fehlt es an Risikobereitschaft, Experimentierfreude – und sie haben keinen Forscherdrang, wie er uns Menschen auszeichnet. Ich bin jetzt sehr zuversichtlich, daß wir den Antrieb dieses Raumschiffes wieder flott kriegen werden.« »Hallo!« sagte da eine Mädchenstimme hinter ihnen. Als sie sich umdrehten, sahen sie Terrania aus dem Transmitterfeld treten. »Ihr habt den Test ausgezeichnet bestanden«, sagte das Mädchen mit einem Lächeln. »Test?« Die drei Männer sahen einander verblüfft an. »Ja, es handelte sich nur um eine Prüfung, bei der eure Eignung als Symbol-Ingenieure getestet werden sollte«, sagte Terrania. »Ihr habt sie mit Auszeichnung bestanden. Jetzt könnt ihr an schwierigere Aufgaben herangeführt werden.« »Na, wenn diese Aufgabe leicht war, dann möchte ich gar nicht daran denken, was uns noch erwartet«, sagte Wirtz stöhnend. »Auf jeden Fall können wir erst einmal eine Ruhepause gebrauchen.« »Ihr seid müde?« fragte Terrania. »Nun, dem läßt sich beikommen. Ich treffe euch am neuen Einsatzort.« Mit diesen Worten verschwand sie durch das Transmitterfeld. Die drei Männer sahen sich plötzlich von den vier Androbs umringt. »He, was soll das!« wollte Wirtz aufbegehren, als sich die Tentakel des einen Androbs um seinen Körper schlangen und ihn festhielten. Auch Atlan und Grevier wurden von den beiden anderen Androbs festgehalten. Jede Gegenwehr war zwecklos. Wirtz'
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Augen weiteten sich, als er sah, wie der vierte Androiden-Roboter vor ihn hintrat und ihm blitzschnell eine Nadel in den Oberarm stieß, die er aus einem seiner Gelenkarme ausfuhr. Nachdem Wirtz seine Spritze erhalten hatte, wurde er wieder freigelassen. Atlan und Grevier erging es ebenso. »Ist das der Dank für unsere Bemühungen?« schimpfte Wirtz. »Das haben Sie sich selbst zuzuschreiben«, erklärte Grevier. »Wenn Sie nicht über Müdigkeit geklagt hätten, wären wir verschont geblieben. So aber putschten uns die Androbs mit irgendeinem Mittel auf. Ich fühle mich danach jedenfalls so munter und voll Tatendrang, daß ich Bäume ausreißen könnte.« Der Anti bekam gleich darauf Gelegenheit, seinen Tatendrang zu stillen. Die Schockfalle zog sich zusammen, und die drei wurden mittels schmerzhafter Strahlenschauer zum Transmitter getrieben. Sie hatten keine andere Wahl, als sich dem Transmitterfeld anzuvertrauen. Sie wurden abgestrahlt und materialisierten in einem anderen Teil des Maschinenraums. Die vier Androbs folgten ihnen. Terrania erwartete sie bereits. Sie stand auf einem nur fußbreiten Steg, schien aber keine Mühe zu haben, ihr Gleichgewicht zu behalten. Ringsum sie war Leere, die durch die alles verzerrenden Lichtverhältnisse nur noch gespenstischer wirkte. »Kommt!« forderte sie die drei Männer auf und setzte sich in Bewegung. Sie folgten ihr, das Gleichgewicht wie Seiltänzer balancierend. Bald erkannten die drei Männer jedoch, daß keine Absturzgefahr drohte, weil eine künstliche Schwerkraft sie sicher im Griff hatte, und sie schritten fester und sicherer aus.
* Aus der Ferne – wobei Atlan nicht genau sagen konnte, wie groß die Entfernung war, weil durch die optischen Täuschungen und
Verzerrungen ein Abschätzen der Dimensionierungen illusorisch gemacht wurde – wirkte das Gebilde wie ein riesiges Gehirn. Es konnte hundert Meter durchmessen oder auch zweihundert. Aber es hatte die annähernde Form eines menschlichen Gehirns. Doch je näher Atlan dem Gebilde kam, desto mehr veränderte es sich zu einer Kugel, die mitten im Raum lag. Als sie die Kugel erreicht hatten, stellte sich plötzlich wieder heraus, daß ihre Oberfläche nicht glatt war, sondern unzählige asymmetrische Erhebungen und Vertiefungen aufwies. Als Atlan darauf stand, wurde er unwillkürlich an einen Posbi-Raumer in Miniaturausgabe erinnert. Wirtz dachte in ähnlichen Bahnen, denn er sagte: »Die Schiffserbauer scheinen sich dieses Gebilde von den Posbis der Hundertsonnenwelt abgeschaut zu haben. Man könnte beim Anblick dieses Schrotthaufens den Verstand verlieren.« »Dieser Schrotthaufen«, sagte Terrania humorlos, »ist der Maschinenblock, der eigentliche Antriebsmechanismus des Raumschiffs. Wenn Ihr Geist tatsächlich zu labil ist, um den Anblick ertragen zu können, werden die Androbs Ihnen …« »Nein, danke«, wehrte Wirtz entsetzt ab. »Ich habe das nur so gesagt. In Wirklichkeit finde ich, daß der Antriebsblock einen sehr ästhetischen Anblick bietet. Ich genieße ihn – ein wahres Kunstwerk, fürwahr!« »Das freut mich«, sagte Terrania ohne ein Spur von Freude in der Stimme. Sie fuhr fort: »Die anderen zwei Arbeitsgruppen werden inzwischen den Test abgeschlossen haben und ebenfalls hier zum Einsatz kommen. Allerdings bleibt ihr voneinander getrennt. Ihr sollt euch von verschiedenen Seiten an die Fehlerquelle heranarbeiten. Wenn ihr richtig vorgeht, dann werdet ihr im Zentrum aufeinandertreffen und könnt mit vereinten Kräften den Fehler beheben. Viel Glück!« »Heißt das, daß wir in dieses Gebilde hineinkriechen sollen?« fragte Grevier mit
40 leichtem Schaudern. »Natürlich, denn der Aktionsradius der Androbs reicht nicht weit genug«, antwortete Terrania unschuldig. »Ihr müßt den Antriebsmechanismus von innen her reparieren. Gibt es sonst noch welche Fragen?« »Nur eine«, sagte Atlan. »Wie stehen unsere Chancen?« Terrania blickte ihn verwundert an. Auf diese Frage war sie anscheinend nicht vorbereitet. Sie legte wieder den Kopf schief, so als würde sie einer unhörbaren Stimme lauschen. Nach einigen Sekunden sagte sie: »Eure Arbeit ist nicht ganz ungefährlich. Aber ihr werdet sie zum Abschluß bringen. Und wenn ihr überlebt, dann winkt euch als Lohn die Freiheit.« »Das sind Aussichten!« murrte Wirtz. Terrania hob die Hand, als wolle sie ihnen zum Abschied winken. Doch dann hielt sie mitten in der Bewegung inne und versteifte sich. Das bedeutete nichts anderes, als daß die Riesenmaden für einen Augenblick die Kontrolle über sie verloren hatten und sie nun wieder völlig beherrschten. Das Mädchen trat auf den fußbreiten Steg hinaus, der nun eingezogen wurde und mit ihr ins Nichts hinausglitt. Bald war sie in den Verzerrungen und den Lichtspiegelungen dem Blick der drei Männer entschwunden. Atlan wandte sich dem Antriebsblock zu, von dem eine starke Anziehungskraft von mindestens eineinhalb Gravos ausging. Er kletterte über einige Verformungen hinweg. Nirgends zeigte sich eine Öffnung, die an einen Steckkontakt erinnerte. »Hier ist eine Öffnung!« meldete Grevier, der etwa zehn Meter von Atlan entfernt war und fast bis zur Unkenntlichkeit verzerrt wurde. »Sie ist groß genug, um einen aufrecht gehenden Mann aufzunehmen. Allerdings wirkt die Schwerkraft vom Zentrum der Maschine, so daß man das Gefühl hat, senkrecht in die Tiefe zu klettern.« »Nehmen Sie sich einen Androb und überprüfen Sie die Öffnung«, riet Atlan.
Ernst Vlcek »Sie haben von Terrania gehört, daß unsere Arbeit nicht ungefährlich ist. Überstürzen wir also nichts. Wie sieht es bei Ihnen aus, Wirtz?« Der Instinkt-Spezialist tauchte rechts von Atlan aus einer Vertiefung auf. Ihm zur Seite stand ein Androb, der mit seinen Greifarmen gerade eine wellenförmig gewölbte Wandverschalung abmontierte. »Ich glaube, daß ich einen Energieverteiler oder etwas Ähnliches gefunden habe«, antwortete Wirtz. »Das Ganze ist im Baukastensystem zusammengesteckt, und wenn es nicht anders geht, werde ich es auseinandernehmen, um hinter seine Funktion zu kommen.« »Machen Sie so weiter«, sagte Atlan zufrieden. Er war der Meinung, daß sie erst einmal ihre Umgebung erforschen mußten, bevor sie sich in das Herz der Maschine vorwagen konnten. Er hatte ebenfalls einen Androb zu sich beordert und versuchte, mit dessen Geräten eine Reihe von antennenartigen Auswüchsen zu untersuchen. Er erhielt aber überhaupt keine Meßergebnisse. Deshalb holte er einen zweiten Androb zur Unterstützung heran und schloß die beiden zusammen, um ihre Kapazität zu verdoppeln. Als er nun die Antennen unter Energiespannung setzte und diese fast bis an die Leistungsgrenze der beiden Androbs erhöht hatte, zuckten plötzlich Blitze empor, die augenblicklich auf ihn übersprangen. Doch wenige Zentimeter vor seinem Gesicht verpufften sie wirkungslos. Atlan holte erst einmal tief Atem, dann blickte er zu den beiden Androbs, die dastanden, so als sei überhaupt nichts geschehen. »Habt ihr einen Schutzschirm aufgebaut, der ein Übergreifen der Energien auf mich verhinderte?« fragte er, erhielt jedoch keine Antwort. Die Androbs gaben nicht einmal durch Zeichen zu verstehen, daß sie seine Frage registrierten. Wahrscheinlich waren sie so programmiert, daß sie nur auf Gegebenheiten reagierten, die unmittelbar mit den
Straße im Kosmos Reparaturarbeiten zu tun hatten. Und dazu gehörte es zweifellos, Atlan und die anderen vor Schaden zu bewahren, nicht aber auch, Rechenschaft für diese Handlungen abzulegen. »Hütet euch davor, irgendwelche Teile des Antriebsblocks unter Energie zu setzen!« rief Atlan den beiden anderen zu. »Ich glaube, wir könnten es riskieren«, rief Grevier von links. »Es ist mir gelungen, die Schwerkraft umzupolen, daß sie nun vom Boden des Tunnels wirksam wird. Dazu kommt noch, daß auf eine Länge von fünf Metern keinerlei Gefahrenquellen zu entdecken sind. Dieser Teil der Anlagen scheint völlig lahmgelegt zu sein. Ahhh …!« Atlan war sofort auf den Beinen, als er den Schmerzensschrei des Antis hörte. Er rannte sofort zu ihm und fand ihn gegen eine der fugenlosen Wände gelehnt. Seine Linke war bis zum Ellenbogen in der Wand verschwunden. Sein Gesicht verzerrte sich vor Schmerz. »Helfen Sie mir heraus«, flehte er Atlan an. »Ich sitze hier fest. Ich bin auf einmal in die Wand eingesunken, als ich mich an ihr abstützen wollte.« Bevor Atlan ihm noch zu Hilfe kommen konnte, versank Greviers Arm bis zur Schulter in der Wand. Der Anti schrie wieder. »Die Atome der Wand scheinen sich wieder zu ihrer ursprünglichen Festigkeit umzugruppieren«, schrie Grevier. »Wenn ich nicht sofort hier herauskomme, wird mir der Arm abgetrennt.« Atlan versuchte, ihn herauszuziehen, aber es gelang ihm nicht. Eher wäre es ihm möglich gewesen, Grevier den Arm abzureißen. Da tauchte Wirtz auf. Er erkannte sofort, was passiert war, rührte jedoch keine Hand, um dem Anti zu helfen. »Ich glaube, daß ich schuld an diesem Unfall bin«, sagte er. »Ich habe gerade einige Elemente des Baukastensystems umgepolt, als Grevier aufschrie. Da muß ein Zusammenhang bestehen.« »Dann polen Sie die Elemente sofort wie-
41 der so um, daß diese Wand instabil wird und Grevier seine Hand herausziehen kann.« Wirtz verschwand. Keine zwei Minuten später entspannte sich das Gesicht des Antis, und er zog den Arm aus der immer noch fugenlos scheinenden Wand. »Verändern Sie jetzt nichts an der Einstellung, Wirtz!« rief Atlan dem InstinktSpezialisten zu. Dieser antwortete, daß er Atlans Wunsch nachkommen wolle. Atlan konnte nun mit der Hand mühelos durch die Wand greifen. Er befahl dem Androb, einige seiner Gelenkarme mit den Meßinstrumenten durch die Wand zu strecken und ließ so Ortungen von den Gegebenheiten des Raumes hinter der instabilen Wand anstellen. Die Summe der Ortungsergebnisse, die nach einer Viertelstunde ausgewertet werden konnten, war verblüffend: Hinter der Wand lag eine Vielzahl von Geräten, von denen eine große Zahl im Bereich der Störsymbole lag. Das hieß mit anderen Worten, daß diese Geräte fehlerhaft arbeiteten. Im übrigen stellte Atlan fest, daß innerhalb der Räumlichkeiten genug Platz für sie und die Androbs vorhanden war. »Da hinein müssen wir«, beschloß der Arkonide. Nacheinander schritten sie durch die Wand.
* Die Untersuchungen der ersten Stunden ergaben, daß drei kopfgroße schwebende Eigebilde, sieben Dutzend Schwingkristalle von insgesamt einigen tausend, die auf kreuz und quer führenden Energiebahnen aufgefädelt waren, und ein zu einer faustgroßen Energiekugel geballter Energieverteiler störanfällig waren. Atlan ließ zuerst den Energieverteiler untersuchen. Dabei kam heraus, daß der Verteiler an sich funktionierte, daß ihm aber fremdverformte Energien zugeführt wurden. Der Weg zu der Energiequelle, die ihn speiste, ließ sich aber nicht zurückverfolgen.
42 Deshalb beschloß Atlan, in den Verteiler Umformer einzubauen, die die Störenergien in nutzbringende umwandelten. »Und woher wollen Sie die Umformer nehmen?« erkundigte sich Grevier. »Glauben Sie, daß die Androbs ein so umfangreiches Ersatzteillager mit sich herumschleppen, daß wir jedes benötigte Teil sofort zur Hand haben?« »Die Androbs wären unvollkommene Konstruktionen, könnten sie nicht jedes gewünschte Ersatzteil liefern«, erwiderte Atlan. »In unserem Fall müßte das besonders leicht gehen, da es sich um energetische und nicht materielle Ersatzteile handelt. Der Verteiler besteht aus purer Energie, empfängt, sendet, speichert und verteilt die Energien mittels verschiedener Spannungsfelder. Die Androbs brauchen also nur diese Spannungsfelder umzupolen oder minimal zu verändern, um ihnen andere Eigenschaften zu geben. Auf diese Weise müßten sich innerhalb des Verteilers auch Umformer erschaffen lassen.« Grevier hatte ihm sprachlos vor Staunen zugehört. Seine Verblüffung wuchs, als es Atlan auf die von ihm vorgetragene Art und Weise gelang, die Fremdenergien tatsächlich in nutzbringende umzuwandeln. Danach zeigten weder die sieben Dutzend Schwingkristalle, noch die schwebenden Eigebilde und der Verteiler Störsymbole an. Dennoch griffen die Androbs zu einer Vorsichtsmaßnahme, ohne daß die drei Männer es ihnen befohlen hatten. Nacheinander tauschten sie die schadhaften Schwingkristalle durch neue aus und verstauten sie in Öffnungen ihrer Körper. Dort, so vermutete Atlan, würden sich die abgenützten Schwingkristalle wieder regenerieren. Die drei Männer kehrten nicht mehr durch die instabile Wandverkleidung ins Freie zurück, sondern setzten ihren Weg durch das Innere dieser phantastischen Maschine fort. Vor ihnen tat sich eine skurrile, unwirkliche Welt auf, die auch ohne Verzerrungen und optische Täuschungen fremdartig genug
Ernst Vlcek war. Sie kamen zu keinem einzigen Gerät, keinem einzigen Maschinenteil, zu dem es in ihrer eigenen Technik ein Pendant gegeben hätte. Von manchem Gerät konnte Atlan die Funktionsweise vermuten, er traute sich aber nicht zu, seine Bedeutung mit Sicherheit festzustellen. Diesbezüglich waren ihnen die Androbs auch keine Hilfe. Denn sie konnten mit ihren Meßgeräten zwar feststellen, ob ein Bestandteil fehlerhaft war, oder ob einer der Energieleiter eine Fehlerquelle in sich trug. Aber das geschah alles mittels Symbolanzeigen und Wertvergleichen, zu einer Identifikation des zu untersuchenden Objekts reichte das jedoch nicht aus. Wenn Atlan dennoch in einem Fall von einem »Verteiler« gesprochen hatte, den er mit Hilfe von »Umformern« wieder funktionstauglich gemacht hatte, dann handelte es sich dabei lediglich um fiktive Benennungen ohne Anspruch auf Authentizität. Es war nicht von Bedeutung, ob es sich wirklich um einen »Verteiler« gehandelt hatte, sondern wichtig war nur, daß es möglich gewesen war, die energetischen Störfelder zu eliminieren. Namen waren hier bedeutungsloser als anderswo. Hier war die unklare, aber effektive Aussage von Symbolen maßgebend. Sie waren noch nicht weit gekommen, als sie ein Geknatter, Zischen und Prasseln hörten. Das Geräusch war auf einmal da – so als sei es zuvor durch eine schalldämmende Barriere von ihnen abgehalten worden. »Es hört sich an, als würden gewaltige Energien überschlagen«, sagte Grevier. Er hatte mit seiner Vermutung recht. Sie zwängten sich gerade durch die Lücken in Profilstützen, in denen Schwingkristalle der verschiedensten Leuchtkraft und Emission eingebettet waren, als die Verzerrungen soweit zurückwichen, daß sie einen guten Überblick über den Katastrophenherd bekamen. Vor ihnen zog sich ein schmaler Korridor dahin, der von bauchigen Wänden mit vielen
Straße im Kosmos Vertiefungen begrenzt wurde. Dieser Durchlaß war etwa drei Meter hoch. In dieser Höhe spannte sich ein Energienetz, in dem unterarmlange Spiralen eingebettet waren, die aus einem Material geformt waren, das wie Porzellan aussah. Atlan wurde beim Anblick dieser Spiralen unwillkürlich an Isolatoren erinnert. Von deren unteren Enden, die metallen zu sein schienen und kupferrot leuchteten, lösten sich Energieblitze mit Fauchen und Knattern, verästelten sich und verloren sich dann in der Atmosphäre oder schlugen im Boden und den Wänden ein. Wo es zu solch einem Blitzeinschlag gekommen war, bildeten sich fingerkuppengroße Bläschen, die kristallen aussahen. Der Boden und die Wände waren mit solchen Glasbläschen übersät, sie barsten weder, noch veränderten sie sich, wenn Energieentladungen in sie einschlugen. »Das kann nicht beabsichtigt sein«, meinte Froom Wirtz. »Nein, es sieht nicht so aus, als handle es sich bei diesen Energieentladungen um einen gewollten und gesteuerten Vorgang«, stimmte Atlan zu. »Befragen wir einmal die Androbs.« Sie befahlen den Androiden-Robotern, vor ihnen Aufstellung zu nehmen und nahmen mittels deren Meßgeräte eine erste Auswertung vor. Dabei koppelten sie die Androbs zusammen; einer von ihnen fungierte als Empfänger für die Energiestrahlen und die anderen Komponenten. Die anderen drei Androbs dienten Atlan, Wirtz und Grevier als Analysatoren. Jeder der drei Männer nahm die Auswertung getrennt vor. Atlan ging die verschiedensten Möglichkeiten durch, kam aber nie auf einen befriedigenden Nenner. Auf welcher Basis er die Überprüfung auch vornahm, er konnte nie die Gefahrensymbole lokalisieren. Manchmal stellte er im Bereich der »Isolatoren« eine bedrohliche Pulsation fest, dann wieder zeigten sich verschwommene Farbkleckse, die sich nicht in die Spektral-
43 klassifikation einfügen ließen und auch geometrische Figuren, die aufeinanderprallten und als Zeichen der Unverträglichkeit in Metamorphose zu verwirrenden Symbolen übergingen, tauchten immer wieder auf. Nur war es Atlan nicht möglich, sie auf den Bildschirmen festzuhalten und sie mit den Geräten für Dauer zu orten. Sie entschwanden immer sofort wieder, kaum daß er sie erfaßt hatte. Er konnte sie nicht in den Griff bekommen. »Es ist wie verteufelt«, klagte der Arkonide den anderen sein Leid. »Kaum habe ich die Ortung auf die Frequenz der Gefahrenquelle justiert, wandert die Strahlung auf eine andere Wellenlänge ab.« »Diese Schwankungen sind auch mir nicht entgangen«, erklärte Wirtz. »Deshalb habe ich versucht, die Intervalle und den Phasensprung zu berechnen. Doch das ist unmöglich. Die Energien scheinen in kein bekanntes Schema zu passen. Jedenfalls dürften die Androbs auf diese Art von Strahlung nicht programmiert sein.« »Das ist ein Irrtum«, widersprach Grevier. »Was ihr anzumessen versucht, ist nicht die Ursprungsstrahlung, sondern deren mutierte Folgeemission. Die Strahlungsquelle liegt über den ›Isolatoren‹ und ist ziemlich stabil. Das heißt nicht, daß man sie räumlich anmessen kann, denn sie gehört einer fremden Dimension an, aber sie verändert weder ihre Frequenz noch ihre Struktur oder ihren Standort. Je weiter sich die Streustrahlung jedoch vom Ursprung entfernt, desto größeren Veränderungen ist sie unterworfen. Und diese Veränderungen lassen sich nicht anmessen.« Atlan und Wirtz justieren ihre Androbs nach den Angaben des Antis und dann konnten auch sie die Gefahrenquelle mit den Ortungsgeräten erfassen. Über die eigentliche Natur der Strahlung konnte Atlan noch immer nichts erfahren, aber er hatte sich inzwischen daran gewöhnt, in geometrischen und Farbsymbolen zu denken. Dicht über den »Isolatoren« bildeten sich an unzähligen Stellen Kreise, die sich kon-
44 zentrisch ausweiteten, so als werfe man Steine ins Wasser. Je weiter sich die Kreise vom Mittelpunkt entfernten – und zwar dreidimensional –, desto mehr verformten sie sich und machten eine unheimliche Metamorphose durch. Die Kreislinien zerfielen in Partikeln, die wie Atomgruppen durcheinanderwirbelten, so als seien sie in einen Zyklotron geraten. In dieser Phase zeigte sich die Strahlung als pulsierendes Rot auf den Bildschirmen. Das Rot zerfiel etwas weiter vom Mittelpunkt entfernt in vom Zentrum fortführende Linien, die sich ausweiteten, breite Strahlenbahnen wurden und schließlich in verschiedenartige kristalline Gebilde zerfielen. Diese Kristalle »bekriegten« sich, was in der Symbolsprache, die Atlan, Wirtz und der Anti inzwischen entwickelt hatten, soviel bedeutete wie, daß es sich um unverträgliche Elemente handelte. Prallten diese aufeinander, konnte es zu Kettenreaktionen kommen, wobei jede Kristallart weitere Duplikate aus sich bildete, oder aber sie brachten sich gegenseitig zur Auflösung. Hier lag aber eine neue, bisher unbekannte Form einer Kettenreaktion vor, bei der die Kristalle bei der Kollision völlig neuartige Gebilde aus sich entwickelten, die sich auf dem Boden und den Wänden als »Tau« niederschlugen. Man sah dann die sich verästelnden Blitze, die an den Einschlagstellen Glasbläschen schlugen. Das menschliche Auge war für diese Beobachtungen unzureichend, wenngleich es ein vergleichbar befriedigenderes Bild als die Symbolerfassung lieferte. Die Symbolerfassung dagegen aber definierte die scheinbar unwirkliche Erscheinung, indem sie die Veränderung der Kristalle aufdeckte. »Man könnte sagen, daß sich die Zustandsform der Energie von ihrem Austritt bis zur Endphase unendlich oft verändert«, sagte Atlan. »Wir können deshalb keinen Symbolschlüssel finden, um die Energien zu bekämpfen. Wir müssen die Austrittstelle verschließen, wollen wir sie zum Versiegen
Ernst Vlcek bringen.« »Bevor wir das tun, möchte ich einen Versuch starten«, sagte Grevier schnell. »Ich habe an die dreitausend verschiedene Kristallformen in meinem Androb gespeichert. Ich lasse sie von ihm duplizieren, um so eine artverwandte Strahlung zu erhalten. Mal sehen, was passiert, wenn ich Feuer mit Feuer bekämpfe.« »Seien Sie vorsichtig«, ermahnte Atlan. Grevier ließ seinen Androb eine Strahlung nach dem Muster der dreitausend verschiedenen Kristalle produzieren und ließ sie ihn in das Netz aus Energieblitzen abschießen. Aus der Mündung des Strahlenprojektors löste sich ein blendend greller Blitz, der in das sich verästelnde Gewirr aus Energiebahnen hineinfuhr. Sofort hörten die Leuchterscheinungen auf, der Energieausbruch schien gestoppt. Atlan wollte schon triumphieren, als er sah, wie Greviers Androb zu flimmern begann. »Lösen Sie den Kontakt zu den anderen Androbs, Grevier!« brüllte Atlan. »Und dann nichts wie weg hier. Ihr Androb wird zum Blitzableiter sämtlicher sich aus der anderen Dimension entladenden Energien.« Atlan setzte sich noch während des Sprechens in Bewegung. Er schickte seinen Androb in den Korridor voraus und folgte ihm erst, als er sah, daß dieser ungefährdet passieren konnte. Grevier, der sofort hinter Wirtz die Flucht ergriff, blickte sich noch einmal nach seinem Androb um. Dieser flimmerte immer noch, wurde jedoch sichtlich durchscheinender – er schien sich ohne besondere Nebeneffekte in Luft aufzulösen. Der Anti wurde blaß. »Was mag nur passiert sein?« fragte er verstört. »Ihr Androb hat mit seinen Energien die fremddimensionalen Erscheinungen auf sich gezogen und wird nun von ihnen aufgeladen«, erklärte Atlan, als sie den schmalen Durchlaß verließen. »Wahrscheinlich wird er von den Fremdenergien in eine andere
Straße im Kosmos Zustandsform verwandelt und in die andere Dimension gerissen. Genau werden wir das nie erfahren. Aber es hat auch sein Gutes, denn die Gefahr hätten wir dadurch beseitigt.« Der Androb war verschwunden. Die Messungen ergaben, daß mit ihm auch die gefährlichen Fremdenergien beseitigt waren. Die Maschinerie dieses Sektors und die »Isolatoren« arbeiteten wieder einwandfrei, die Ortung erbrachte kein einziges Gefahrensymbol. »Ihr habt es geschafft«, hörten die drei Männer hinter sich Terranias Stimme. Als sie sich umdrehten, sahen sie das Mädchen auf einem schmalen Steg über den »Isolatoren«. »Ihr kommt jetzt ins Zentrum des Maschinenblocks, zum Kernstück des Antriebs. Die anderen sind noch nicht soweit, aber ich bin sicher, daß auch sie es bald schaffen werden und euch nachfolgen. Ihr müßt jetzt besonders auf der Hut sein. Es wäre schade, würdet ihr euer Leben verlieren, wo ihr dem Ziel so nahe seid. Deshalb sollt ihr bedenken, daß die Androbs nur Gefahrenquellen registrieren, die dem Antriebsmechanismus schaden. Es gibt aber auch noch andere, die tödlich für euch sind.« Bevor einer der Männer noch das Wort an Terrania richten konnte, war sie schon wieder verschwunden. Wirtz schlang die Arme um den Körper. »Mir ist plötzlich kalt«, sagte er. »Ihnen wird schon noch warm werden, wenn …« Grevier unterbrach sich fröstelnd. »Es scheint tatsächlich immer kälter zu werden, je näher wir dem Zentrum kommen. Kehren wir um!« Er wollte einen Schritt zurückweichen, aber die Barriere aus Schockstrahlen trieb ihn weiter nach vorne. »Das sind ja arktische Temperaturen«, sagte Wirtz zähneklappernd und versuchte, die Quelle, die für den Temperatursturz verantwortlich war, zu lokalisieren. Doch den Ortungen des Androbs nach war alles in bester Ordnung. »Warum registrieren diese verdammten
45 Androiden-Roboter die Kältequelle nicht!« schimpfte Wirtz, dessen Gesicht schon ganz blau angelaufen war. »Terrania hat uns die Antwort gegeben«, erklärte Atlan. »Die Kälte stellt keine Gefahr für die Maschinerie dar, ja, möglicherweise ist sie sogar für eine reibungslose Arbeitsweise des Antriebs nötig. Wenn wir hier nicht erfrieren wollen, müssen wir sehen, daß wir den Schaden schnell beheben.« Der Arkonide zog die Kombination fester um seinen Körper und hielt die fast steifgefrorenen Finger ständig in Bewegung. Der Atem entströmte in dichten Wolken seinem Mund und schlug sich auf den Maschinen als Tau nieder. Plötzlich gab der an der Spitze gehende Androb ein Lichtsignal von sich. Gefahr!
* Atlan verlor den Boden unter den Füßen und schwebte schwerelos zwischen den Maschinen dahin. Seine haltsuchenden Hände zuckten immer wieder von dem eiskalten Metall zurück, an dem er fast kleben blieb. Die Luftspiegelungen vor ihnen lösten sich auf und gaben ein Gebilde frei, das an einen überdimensionalen Kristall erinnerte. Die Messungen der Androbs ergaben, daß dieser Kristall auf fast allen bekannten Hyperfrequenzen strahlte. Da die Androbs aber weiterhin ständig Alarmzeichen gaben, stand mit ziemlicher Sicherheit fest, daß der Riesenkristall auch auf unbekannten Wellenlängen Impulse aussandte. Diese waren gefährlich – sowohl für die Maschinen als auch für Lebewesen. Die Androbs bauten automatisch Schutzschirme auf, die einen Großteil der tödlichen Strahlung abhielt. Dennoch glaubte Atlan es fast körperlich zu spüren, wie er ständig von Strahlungsschauern bombardiert wurde. Die Kälte spürte er kaum noch. Seine Hände waren immer noch klamm, er konnte die Finger kaum abbiegen, doch sorgte er sich nicht mehr darum. Es störte ihn auch
46 nicht so sehr, daß seine Lippen in der beißenden Kälte geplatzt waren. Diese Wunden würden wieder heilen. Die Schäden, die die Strahlung verursachte, waren dagegen gravierender. Dabei war Atlan noch relativ gut dran. Sein Zellaktivator regenerierte das Zellgewebe seines Körpers ständig und würde auch den größten Teil der Strahlung absorbieren. Wirtz und Grevier und natürlich auch die anderen Antis waren dagegen völlig ohne Schutz. »Wir müssen näher heran«, rief Grevier. »Von hier aus läßt sich überhaupt kein Symbolbild von der gefährdeten Anlage erhalten.« »Bleiben Sie zurück, Grevier!« rief Atlan. »Lassen Sie mich gehen. Ich bin besser geschützt als sie!« »Wieso glauben Sie das?« fragte der Anti lachend. Atlan hätte sich beinahe zu erkennen gegeben und ihm gesagt, daß er Zellaktivatorträger war. Doch dazu kam es nicht mehr. Grevier hatte sich dem Antriebskristall bis auf fünf Meter genähert, als er plötzlich aufschrie. Sein Androb, den er wie einen Schild vor sich herdirigiert hatte, glühte auf. Aus seinem halborganischen Körper schossen Stichflammen, seine Handlungsarme und die Tentakel zuckten unkontrolliert. Auch aus ihnen schlugen bläuliche Blitze, von denen einige in Greviers Körper einschlugen. Während der Androb förmlich in seine Bestandteile zerlegt wurde, die alle um einen gemeinsamen Mittelpunkt kreisten und dann wie Geschosse in den Antriebskristall einschlugen, holte Atlan den Anti aus dem Gefahrenbereich. Als Wirtz sich ebenfalls um Grevier kümmern wollte, herrschte Atlan ihn an: »Bedienen Sie die beiden verbliebenen Androbs. Wir brauchen Ortungsergebnisse!« Wirtz kehrte zu den robotischen Androiden zurück. »Mit mir ist es aus«, sagte Grevier stöhnend. Sein Gesicht war von Verbrennungen verunstaltet. Die Haut war von den harten
Ernst Vlcek Hyperstrahlen förmlich zerfressen worden. »Sie kommen sicher wieder auf die Beine«, versuchte Atlan ihm zuzureden. »Ruhen Sie sich …« »Achtung!« ertönte Wirtz Stimme. Atlan blickte auf und sah einen der beiden verbliebenen Androbs auf sich zukommen. Aus einem seiner Tentakel ragte eine Kanüle einer Injektionsspritze, die auf Grevier zusauste. Atlan fuhr herum und trat mit einem Bein nach dem Androb. Doch der machte mit dem Tentakel eine schlangengleiche Bewegung und stieß dem Anti die Kanüle tief in den Nacken. Der Androb führte die Nadel von unten nach oben, so daß sie Grevier bis ins Kleinhirn eindringen mußte. Der Anti schrie auf und gebärdete sich minutenlang wie verrückt, dann beruhigte er sich, ohne seine Aktivitäten jedoch einzuschränken. Er sprang auf die Beine und stand so sicher, als hätte er überhaupt keinen Kräfteverfall zu verzeichnen gehabt. »Als ich vorhin so nahe dem Antriebskristall stand, war ich der Lösung unseres Problems schon ganz nahe«, erklärte er mit sich überschlagender Stimme. Sein Körper hob und senkte sich dabei, so als würde er vom Boden einmal abgestoßen und dann wieder angezogen. Atlan stellte an sich das gleiche Phänomen fest. Die Schwerkraft hob sich in der Nähe des Antriebskristalls sporadisch auf und wurde darauf wieder voll wirksam. »Ich brauche Schwingkristalle«, führte Grevier weiter aus. »Ich durchschaue jetzt das ganze Schema. Der Antrieb hat sich mit Fremdenergien gesättigt, die nur durch hyperenergetisch strahlende Schwingkristalle gebannt werden können. Ich weiß auch schon, wo ich die Schwingkristalle anbringen muß.« Er wandte sich den Androbs zu. »Los, rückt alle Schwingkristalle heraus, die ihr habt«, verlangte er. »Was Sie da tun wollen, ist Wahnsinn!« versuchte Wirtz dem Anti sein Vorhaben auszureden. »Sie werden innerhalb dieses
Straße im Kosmos Strahlungsfeldes keine Minute überleben!« »Ich habe die Lösung des Problems gefunden«, sagte Grevier, ohne auf Wirtz Warnung zu achten. »Ich lasse es mir nicht nehmen, meine Theorie auch in der Praxis zu beweisen. Nur ich bin in der Lage, dieses Experiment zu vollziehen. Sie haben gesehen, wie es den Androb in Stücke gerissen hat, als er dem Antriebskristall zu nahe kam.« »Und Sie glauben, es schaffen zu können?« fragte Wirtz spöttisch. »Jawohl – und nur ich!« Atlan sah, wie der Instinkt-Spezialist Anstalten machte, den Anti einfach niederzuschlagen, um ihn an seinem Vorhaben zu hindern, und sprang dazwischen. »Lassen Sie ihn, Wirtz. Grevier hat nichts zu verlieren«, sagte Atlan dann zu dem Instinkt-Spezialisten. »Er ist bereits so gut wie tot. Die Strahlung frißt seinen Körper von innen auf. Ihn hält nur noch die Spritze des Androbs auf den Beinen.« »Glauben Sie, daß er Erfolg haben wird?« fragte Wirtz ungläubig. »Wenn einer Erfolg haben kann, dann Grevier«, antwortete Atlan. »Wenn er versagt, dann ist das wahrscheinlich unser aller Untergang.« In diesem Augenblick vor der Entscheidung trafen die anderen Arbeitsgruppen ein, an ihrer Spitze Laroop. Die vier Antis waren zerschunden, von Erfrierungen und Verbrennungen gezeichnet. Zwei von ihnen hatten von Säure zerfressene Hände und Gesichter. »Es war die Hölle«, sagte einer von ihnen. »Aber wir haben es geschafft«, sagte Laroop triumphierend. »Jetzt gehört das Raumschiff uns. Wer den Antrieb kontrolliert, der beherrscht das ganze Schiff.« »Zurück!« rief Atlan den Antis zu. Sie hätten seine Warnung kaum beachtet, wenn es nicht zu einem Zwischenfall gekommen wäre. Einer ihrer Androbs kam dem Antriebskristall zu nahe und geriet in die Zone der harten Strahlung. Er zerfiel sofort in seine Bestandteile, die um einen ge-
47 meinsamen Mittelpunkt rotierten und dann auf den Antriebskristall zuschossen, wo sie diffundierten. Laroop war blaß geworden. Er blickte zu Grevier, der sich von den Androbs die Schwingkristalle mit fast abgelaufener Halbwertzeit aushändigen ließ. »Was hast du vor, Grevier?« erkundigte sich der Anführer mit brüchiger Stimme. Grevier blickte ihn aus stumpfen Augen an. Die Haut in seinem Gesicht war spröde geworden und blätterte wie welkes Laub ab. »Ich rette das Schiff für dich, Laroop«, sagte Grevier und wandte sich dem Antriebskristall zu.
* Die Männer sahen ihn mit unsicheren Schritten in dem Strahlungsherd verschwinden. Seine Brust war übersät mit Schwingkristallen, die den Stoff seiner Kleidung durchbrannten und sich in das Fleisch seines Körpers gruben. Aber das bereitete Grevier keinen Schmerz mehr. Sein Körper war völlig gefühllos geworden, wurde nur noch von Hyperenergien zusammengehalten und belebt. Klinisch war er längst tot. Grevier näherte sich dem Antriebskristall ohne Furcht. Die Strahlung konnte ihm nichts mehr anhaben. Er sah die Welt jetzt durch ganz andere Augen, er war zu einem Symbolseher geworden. Er benötigte nicht mehr die Hilfe der Androbs, um den Kode der fremden Dimensionen entschlüsseln zu können. Für ihn war der Antriebskristall kein von Strahlenschauern erschüttertes Gebilde – sondern er wurde für ihn selbst zu einem Symbol. Er sah nicht die Energie oder die Materie, sondern diese zeigten sich ihm als eine Formel. Er selbst war zu einem abstrakten Geschöpf geworden und sah auch die Umgebung aus dieser Warte. Die Formel dieser Antriebskristalle war unglaublich kompliziert aufgebaut. Die endlosen Symbolketten reihten sich in unend-
48 lich vielen Dimensionen aneinander. Es waren nicht zwei oder dreidimensionale Gebilde, wie sie die Androbs projiziert hatten. Nein, sie erstreckten sich in die vierte Dimension, in die Zeit also, ebenso wie in die die Zeit überlagernden Hyperdimensionen. Und dennoch konnte Grevier sie überschauen. Er sah sofort, wo sich in eines der xdimensionalen Symbole ein Fehler eingeschlichen hatte. Dann begannen die Schwingkristalle in seinem Körper zu vibrieren, sie signalisierten ihm den Störfaktor, so daß er nur einen Schwingkristall aus sich herauszunehmen brauchte, um ihn an der richtigen Stelle einzusetzen. Dann stimmte dieser Teil der Formel wieder, die Symbole bildeten wieder eine homogene Einheit. Die Welt war für den Symbolseher wieder in Ordnung – bis er zum nächsten Tumor in der Symbolreihe kam. Der häßliche Fleck wurde durch einen Schwingkristall ausgemerzt … Atlan, Wirtz und die vier Antis sahen Grevier nur noch als verschwommenen Schemen, der nur gelegentlich zwischen den Dimensionen auftauchte, um seine Schwingkristalle zu säen, die den Antriebskristall regenerierten. »Er schafft es«, sagte Wirtz in die angespannte Stille hinein. »Die harte Strahlung wird schwächer«, berichtete ein Anti, der mit Hilfe eines Androbs Ortungen vornahm. »Die Gefahrensymbole erscheinen auf den Skalen nicht mehr in Schwärmen, sondern tauchen nur noch vereinzelt auf.« Laroop entspannte sich. »Jetzt können wir endlich konkret werden«, sagte der Anführer der Antis und blickte Atlan und Wirtz an. »Die Gefahr ist so gut wie beseitigt. Das Schiff ist in unserer Hand. Was sollen wir nun mit euch tun?« »Sind Sie nicht etwas voreilig, Laroop?« fragte Atlan zurück. »Vielleicht könnten Sie mit unserer Hilfe das Schiff erobern. Aber allein stehen Sie auf verlorenem Posten. Es wäre besser, wir würden unter meiner Führung zusammenarbeiten.«
Ernst Vlcek Laroop lachte schallend. Plötzlich verstummte er und betrachtete Atlan mit zusammengekniffenen Augen. »Was ist mit Ihrem Gesicht los, Meeker?« fragte er mißtrauisch. Atlan griff sich ins Gesicht. Seine Hand kam mit einem Stück verbranntem Biomolplast zurück. Er hätte sich denken können, daß die Hyperstrahlung seine Biomolplastmaske zerstörte – andererseits hatte sie ihn wahrscheinlich vor schweren Schäden bewahrt. »Sie sind gar nicht der, für den Sie sich ausgeben«, fuhr Laroop fort. »Warum tragen Sie eine Maske? Verbirgt sich dahinter jemand, den ich kennen sollte?« »Sie könnten mich noch kennenlernen, Laroop«, sagte Atlan, dessen Inkognito immer noch durch die verbrannten Biomolplastreste und das schwarze Haar gewahrt blieb. Aber es hätte jetzt keine Rolle mehr gespielt, wenn die Antis ihn entlarvt hätten. Seine Maske brachte ihm ohnehin keine Vorteile mehr ein. »Grevier ist verschwunden!« rief der Anti, der sich um die Androbs gekümmert hatte. »Und mit ihm ist gleichzeitig das letzte Gefahrensymbol aus der Ortung verschwunden. Der Antrieb ist wieder einsatzbereit.« Laroop grinste. »Jetzt brauchen wir nur noch euch zwei und das Mädchen zu beseitigen und diese häßlichen Maden von ihren Sockeln zu befördern, dann können wir starten.« Der Antriebskristall hatte zu strahlen aufgehört, wurde dunkel, verlor seine kristalline Struktur und wurde zu einem ausgeglühten, unförmigen Brocken, der aussah wie ein Fels aus Lavagestein. Auf ihm materialisierte Terrania. Sie preßte die Arme an ihren zitternden Körper, blickte über die Männer hinweg, bis ihre Augen an Atlan haften blieben. »Die Wegbereiter danken euch für die Hilfe«, sagte sie mit leichtem Frösteln in der Stimme. »Dafür schenken sie euch die Freiheit und verlangen, daß ihr sofort das Schiff verlaßt, damit sie starten und ihre Mission
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beenden können.« »Und was wird aus dir, Terrania?« fragte Atlan. Sie stieg vom Antriebsblock, von dem jetzt wieder eine Eiseskälte ausging, und kam auf ihre beiden Gefährten zu. »Die Wegbereiter weisen auch mich von Bord«, sagte sie traurig.
10. Die Eroberungspläne der Antis wurden auf einfache Weise zerstört: Plötzlich wurden wieder die Schockstrahlen voll wirksam und trieben sie vor sich her. Laroop, von den Schockstrahlen gepeitscht, sich vor Schmerz krümmend, wandte sich in letzter Verzweiflung an die Androbs. »Ihr seid unsere Diener!« rief er ihnen zu, während er schrittweise zurückweichen mußte. »Ihr müßt uns gehorchen. Befreit uns aus diesen Schockfallen.« Die Androbs rührten sich nicht vom Fleck. Sie hatten die meisten ihrer Tentakel eingefahren, die Gelenkarme hingen schlaff an ihren Körpern herunter, die Instrumente waren tot. Sie hatten nur so lange den Menschen gehorcht, wie diese im Dienst der eigentlichen Schiffsherren gestanden hatten. Jetzt waren die Menschen an Bord unerwünscht und auch für die robotischen Androiden nur noch Fremdkörper. Die vier überlebenden Antis wurden von den schmerzhaften Schockstrahlen durch die Lücken zwischen den technischen Anlagen hindurchgedrängt, bis sie das riesenhafte Gebilde, das in seiner Gesamtheit die Antriebsmaschinerie darstellte, verlassen hatten. Als sie an der Außenseite des asymmetrischen Maschinenkörpers angelangt waren, der Atlan so stark an einen Posbi-Raumer erinnerte, kam aus dem Nichts ein Gravitationssteg herangeschwebt. Wieder traten die Schockstrahlen in Aktion und trieben sie auf den Gravitationssteg hinaus. Atlan, Wirtz und Terrania erging es nicht
anders. Aber im Gegensatz zu den Antis ließen sich Atlan und Wirtz scheinbar willig vorantreiben. Nur Terrania konnte sich mit der neuen Situation nicht ganz abfinden. Sie, die sie eben noch ein Mittler zwischen den Menschen und den Madenwesen gewesen war, wurde von letzteren nun ebenfalls wie eine Gefangene behandelt. »Ich war auserwählt«, sagte sie, während sie zwischen Atlan und Wirtz den Gravitationssteg entlangbalancierte. »Ich habe die Kraft und Herrlichkeit zu fühlen bekommen und gedacht, dieser Zustand würde bis in alle Ewigkeit anhalten.« Das waren nicht die Worte eines neunjährigen Mädchens. Obwohl sie nicht mehr unter dem Einfluß der Riesenmaden stand und offenbar nicht einmal mehr parapsychischen Kontakt hatte, war von diesem Erlebnis etwas in ihr zurückgeblieben. Sie wirkte reifer und auch abgeklärt, hatte nichts mehr von der Naivität eines Mädchens ihres Alters an sich. Wahrscheinlich würde sie nie mehr zur Mentalität eines neunjährigen Mädchens zurückfinden. Trotzdem wirkte sie immer noch so hilflos wie ein Kind – und entsprechend war auch ihre Verzweiflung. Sie konnte sich nicht mit der veränderten Situation abfinden. »Trauere deiner verlorenen Bestimmung nicht nach«, versuchte Wirtz sie zu trösten und sprach in einem Ton, der dem Kind und dem Mutanten in ihr gleichermaßen gerecht werden sollte. »Außerhalb des Schiffes wartet ein neues Leben auf dich. Ein Leben als freier Mensch!« »Ich wäre gern Sklave gewesen«, sagte Terrania darauf. Sie erreichten das Ende des Gravitationsstegs und wurden von den Schockfallen zu einem Transmitterfeld gedrängt. Einer nach dem anderen, die Antis zuerst, betraten sie den Transmitter und wurden abgestrahlt. Sie fanden sich in einem der Röhrentunnel wieder, die einer wie der andere aussahen und von den Luftspiegelungen und Verzerrungen abgegrenzt wurden.
50 »Wir befinden uns bereits in den Außenkorridoren«, sagte Terrania wehmütig. »Bald werden wir die Schleuse erreicht haben und das Raumschiff verlassen müssen.« »Wieso weißt du, daß wir in den äußeren Korridoren sind?« wunderte sich Atlan. »Sie sehen doch alle gleich aus, und eine Orientierung ist unmöglich.« Nicht einmal Atlans Extrasinn hätte ihm sagen können, in welchem Sektor des Schiffes sie sich befanden. »Ich kann mich orientieren«, sagte Terrania nur. Atlan glaubte ihr und fragte: »Würdest du von hier auch zu dem Kuppelraum mit den vierzehn Madenwesen finden?« »Ich würde von überall den Weg zu ihnen finden!« behauptete Terrania. Wirtz und Atlan wechselten einen Blick – und sie verstanden sich auch ohne Worte. Der Instinkt-Spezialist erkannte, daß Atlan nicht so einfach kapitulieren wollte, und er war ebenfalls der Meinung, daß sie sich nicht so ohne weiteres von Bord jagen lassen sollten. »Möchtest du denn die Madenwesen wiedersehen, Terrania?« fragte Wirtz. Das Mädchen schauerte. »Sie sind mir etwas unheimlich – und ich mag sie nicht, weil sie mich so schlecht behandelt haben«, sagte sie langsam, als wolle sie sich jedes ihrer Worte gut überlegen. »Aber sie sind unersetzlich, und man braucht sie, wenn man eine Bestimmung erlangen will.« »Da vorne ist die Luftschleuse!« hörten sie einen Anti rufen. »Dann nichts wie 'raus!« rief ein anderer. »Ihr Feiglinge, wollt ihr denn so einfach aufgeben?« herrschte Laroop seine Leute an. »Wir müssen kämpfen! Habt ihr nicht gemerkt, daß die Schockstrahlen nicht mehr eingesetzt werden? Wir können uns frei bewegen und …« Zwei seiner Leute stürzten sich auf ihn und schlugen ihn zusammen. Dann nahmen sie ihren bewußtlosen Anführer in die Mitte und zerrten ihn auf die Luftschleuse zu.
Ernst Vlcek Gleich darauf waren sie im Nebel verschwunden. Es sah so aus, als würde sie der Eiswind davonwirbeln. Atlan blieb wenige Schritte vor der Luftschleuse stehen und gab den beiden anderen durch einen Wink zu verstehen, daß sie seinem Beispiel folgen sollen. »Laroop hatte recht«, sagte der Arkonide. »Die Schockfallen existieren nicht mehr, und nichts kann uns zwingen, das Schiff tatsächlich zu verlassen.« »Wollt ihr euch den Befehlen widersetzen?« erkundigte sich Terrania. »Wollt ihr an Bord bleiben?« »Möchtest du das denn nicht?« fragte Wirtz zurück. »O ja!« Terrania lächelte.
* Sie warteten eine Weile ab, dann machten sie sich auf den Rückweg. »Die Schleuse schließt sich!« rief Wirtz. Als Atlan sich umblickte, war keine Öffnung mehr vorhanden; der Weg zur Außenwelt war versperrt. »Bist du sicher, daß du den Weg in die Kuppelhalle mit den Madenwesen finden wirst?« fragte der Arkonide das Mädchen. »Ich kenne den Weg«, sagte sie zuversichtlich. »Aber was wollt ihr dort?« Atlan gab ihr keine Antwort. Er konnte ihr wohl nicht gut sagen, daß er sie zu entmachten gedachte – und zwar um jeden Preis. Atlan war immer mehr zu der Ansicht gekommen, daß die Madenwesen auf diesem Schiff Befehlshaber waren. Wenn man sie ausschaltete, dann gehörte einem das Schiff, und man konnte verhindern, daß es seinen verhängnisvollen Flug durch die Milchstraße fortsetzte. Und nur das war ausschlaggebend für Atlan. Er wollte nicht, daß noch weitere von Menschen besiedelte Welten von dem Hohlweltwahn erfaßt wurden. Das hätte eine Katastrophe für die Galaxis bedeutet. »Führe uns, Terrania!« trug Atlan dem Mädchen auf.
Straße im Kosmos Terrania übernahm die Spitze. Sie ging so zielstrebig voran, als sei sie auf diesem Schiff zu Hause und kenne jeden Winkel. Sie zögerte kein einziges Mal, auch nicht, wenn sie zu Abzweigungen oder in fremde Räume kamen, die sie vorher noch nie betreten hatten. Plötzlich blieb Terrania jedoch stehen. »Was ist los?« erkundigte sich Wirtz mißtrauisch. »Warum bleibst du stehen? Geht es denn nicht mehr weiter?« »Doch«, sagte Terrania und drehte sich zu den beiden Männern um; in ihren Augen war ein zufriedenes Leuchten. »Es geht weiter – und es gibt kein Zurück mehr. Das Raumschiff ist soeben gestartet!« Atlan und Wirtz wechselten einen verblüfften Blick. Keiner von ihnen hatte irgendeine Veränderung feststellen können, die auf einen Start hingedeutet hätten. »Wieso glaubst du, daß das Raumschiff gestartet sei, Terrania?« wollte Atlan wissen. »Ich glaube es nicht, ich weiß es«, antwortete das Mädchen. »Sie haben es mir gesagt – und ich habe noch viel mehr erfahren.« »Von wem?« fragte Wirtz. Doch Terrania gab ihm keine Antwort. Statt dessen sagte sie: »Sie haben mir alles gesagt. Ich weiß jetzt, wem der wichtige Transport gilt.« »Du weißt, für wen die Maden die kosmische Straße errichten und wer darauf transportiert werden soll?« »Ja – Skanmanyon!« »Skanmanyon?« wiederholten Atlan und Wirtz gleichzeitig. Atlan fragte: »Wer oder was ist das?« »Es ist kein Ding«, antwortete Terrania leicht empört. »Skanmanyon ist ein lebendes Wesen. Der Herrscher über viele – der Herr über vieles. Vielleicht ist er der König über das Universum.« Atlan ergriff das Mädchen an den Oberarmen, lockerte aber sofort den Griff, als er sah, wie sich ihr Gesicht schmerzhaft verzog.
51 »Von wem hast du das alles erfahren?« herrschte er sie an. »Wer soll dir das gesagt haben – und wann?« »Ich habe mich mit den Wegbereitern in Verbindung gesetzt, um ihnen mitzuteilen, daß wir bei ihnen bleiben wollen. Ich finde, sie haben ein Recht, es zu erfahren. Und – ich konnte diese Neuigkeit ganz einfach nicht für mich behalten.« »Du hast uns an die Madenwesen verraten?« Atlan konnte es nicht fassen. »… verraten?« murmelte Terrania. »Schon gut«, beschwichtigte Wirtz sie. »Du brauchst dir keine Vorwürfe zu machen, Terrania. Du konntest nicht ahnen …« »Da! Jetzt haben wir die Bescherung!« wurde Wirtz von Atlan unterbrochen. Der Arkonide deutete nach vorne, wo in dem verzerrten Röhrentunnel einige Gestalten aufgetaucht waren. Sie zeigten sich als verschwommene Schemen, deren genaue Form noch nicht zu erkennen war. Aber je näher sie kamen, desto deutlicher wurde, daß sie annähernd humanoide Gestalten hatten. »Die Maden hetzten uns die Androbs auf den Hals«, erklärte Wirtz. »Aber mit denen werden wir schon fertig. Es hätte schlimmer kommen können.« Atlan ergriff Terranias Hand und rannte mit ihr in einen Seitengang. Nach wenigen Schritten setzte die Schwerkraft jedoch aus, und sie schwebten hilflos durch den Gang. Atlan stieß sich von den Wänden ab, um auf diese Weise rascher vorwärts zu kommen. Plötzlich tauchte jedoch auch hier eine Reihe verschwommener Gestalten auf, die sich durch die irreal verzerrte Alptraumlandschaft einen Weg zu ihnen kämpften. Die Schwerkraft setzte völlig unerwartet wieder ein und Atlan, Terrania und Wirtz schlugen unsanft auf dem Boden auf. Das war ihre Rettung. Denn in diesem Augenblick blitzten vor ihnen Strahlenentladungen auf, und Energiefinger schlängelten sich auf verzwickten Bahnen auf die Stellen zu, wo sie sich eben noch befunden hatten. Sie rafften sich auf, wollten den Weg fort-
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setzen, obwohl die Schwerkraft plötzlich auf mehrere Gravos anstieg. Doch obwohl sie mit ihren Kräften noch lange nicht am Ende waren, kamen sie nicht weit. Ein Dutzend Androbs versperrte ihnen den Weg. Jeder von ihnen hatte zwei Waffenarme ausgefahren, deren Mündungen auf die drei Menschen gerichtet waren. »Jeder weitere Widerstand ist zwecklos«, sagte Terrania mit unpersönlicher Stimme, was darauf schließen ließ, daß die Riesenmaden durch ihren Mund sprachen. »Terrania hat recht«, sagte Wirtz. Er zuckte plötzlich zusammen, als Schockstrahlen über seinen Rücken strichen und ihn vorwärtstrieben. Auch Atlan verspürte in seinem Rücken einen Schmerz, der ihn veranlaßte, sich in Bewegung zu setzen. Ein anderer Schockstrahl fuhr ihm in den Arm und veranlaßte ihn dazu, Terranias Hand loszulassen. »Jetzt haben wir endgültig verloren«, stellte Wirtz bitter fest, während sie, in die Schockfallen eingeschlossen, von den Androbs abgeführt wurden. »Uns verbleibt wenigstens der Trost, daß wir nicht mehr auf Komouir abgesetzt werden können«, erwiderte Atlan. »Wir sind an Bord des Schiffes!« »Als Tote können wir davon wohl kaum profitieren«, sagte Wirtz. »Wenn die Maden uns töten wollten, hätten sie das ihren Androbs längst befehlen können«, entgegnete Atlan. »Da sie das aber unterlassen haben, dürfen wir hoffen, daß sie uns am Leben lassen. Unsere Chancen stehen also gar nicht schlecht.« Die drei wurden von den Androbs in einen Raum geführt, in dessen Mitte ein kugelförmiger Käfig in einem energetischen
Fesselfeld schwebte. Als sie davor standen, bildete sich an einer Stelle eine Strukturschleuse, und eine kreisrunde Öffnung in dem Kugelkäfig tat sich auf. Atlan spürte, wie er auf einmal schwerelos wurde und ein Antigravitationsfeld ihn emporhob. Er schwebte darin geradewegs auf die Öffnung in der Kugel zu. Hinter ihm folgten Terrania und Wirtz. »Was soll mit uns geschehen?« fragte Wirtz, in der Hoffnung, daß Terrania ihm Auskunft geben konnte. Doch Terrania schwieg. Sie befand sich wieder in dem tranceähnlichen Zustand. Atlan, Terrania und Wirtz wurden im Innern der Kugel abgesetzt. Die Öffnung und die Strukturlücke in der Energieglocke schlossen sich. Plötzlich begann die Energieglocke aufzuglühen. Das kalte Glühen wurde so intensiv, daß Atlan die Augen schließen mußte. Als er sie wieder öffnen konnte, war er von Dunkelheit umgeben. Ein Druck, der von überall zu kommen schien und sich auf jede Faser seines Körpers legte, verriet ihm, daß er in diesem Augenblick entstofflicht wurde. Atlans letzter Gedanke war, daß der Effekt, von dem sie betroffen waren, dem eines Transmittersprungs glich. Der Arkonide konnte sich jedoch nicht vorstellen, wohin sie abgestrahlt wurden. Spekulationen über das Ziel ihres Transmittersprungs waren so müßig wie die Frage, was nun mit ihnen geschehen würde.
ENDE
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