Robert Knappe Die Eignung von New Public Management zur Steuerung öffentlicher Kulturbetriebe
GABLER RESEARCH
Rober...
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Robert Knappe Die Eignung von New Public Management zur Steuerung öffentlicher Kulturbetriebe
GABLER RESEARCH
Robert Knappe
Die Eignung von New Public Management zur Steuerung öffentlicher Kulturbetriebe Mit einem Geleitwort von Prof. Dr. Ulrich Krystek
RESEARCH
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
Dissertation der Technischen Universität Berlin, D 83
1. Auflage 2010 Alle Rechte vorbehalten © Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2010 Lektorat: Ute Wrasmann | Hildegard Tischer Gabler Verlag st eine Marke von Springer Fachmedien. Springer Fachmedien ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.gabler.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in the Netherlands ISBN 978-3-8349-2529-9
V
Geleitwort Viele öffentliche Unternehmen sind seit jeher auf Subventionen angewiesen. Sie geraten dabei angesichts einer gewachsenen und weiterhin ansteigenden Verschuldung der öffentlichen Hand in den Sog eines Verteilungskampfes um begrenzte Ressourcen. Die jüngste Wirtschafts- und Finanzkrise und die gesetzlich verankerte Schuldenbremse verstärken diese Tendenz zusätzlich und dramatisch. Angesichts von kontinuierlich steigenden Personal- und Sachkosten bei politisch motivierter, moderater Preissetzung für die Partizipation an kulturellen Gütern eröffnet damit sich eine Finanzierungslücke, die Baumol und Bowen bereits 1966 als ökonomisches Dilemma in Kulturbetrieben identifiziert haben. Daraus ergibt sich die zentrale Fragestellung der vorliegenden Arbeit: Wie können die betrieblichen Strukturen von Kultureinrichtungen und das Kulturbetriebsmanagement mit dem Ziel einer effizienteren Produktion reformiert werden? Jeder konstruktive Beitrag zur Beantwortung dieser intertemporal gültigen Frage reduziert den Finanzierungsdruck und die Abhängigkeit von öffentlicher Bezuschussung. Allein vor diesem höchst aktuellen Hintergrund ist die Untersuchung von Robert Knappe sehr verdienstvoll und begrüßenswert. Der Autor untersucht die Frage ausgehend vom New Public Management (NPM), welches sich in den spezifisch deutschen Ausprägungen des Neuen Steuerungsmodells (NSM) und verschiedenen Verwaltungsreformen auch in Kulturbetrieben niedergeschlagen hat. Nach einer sehr fundierten, theoretischen Einführung und Modellierung des Kulturbetriebs wird der Forschungsfrage durch eine umfangreiche empirische Untersuchung nachgegangen. Der Autor vollzieht eine Evaluation der NPM-Reformen in den Teilbereichen externes Rechnungswesen (insbesondere Einführung der Doppik), internes Rechnungswesen (Kosten-Leistungs-Rechnung und Controlling) und Personalmanagement. Dazu wurden 20 Expertengespräche mit kaufmännisch Verantwortlichen von deutschen Theatern und Orchestern geführt und thesengeleitet ausgewertet. Nicht zuletzt die einschlägigen beruflichen Erfahrungen des Autors in kaufmännisch leitenden Positionen von Kulturbetrieben lassen die Analyse zu einem sehr fundierten und differenzierten Urteil kommen. Dem Autor gelingt somit ein außerordentlich wichtiger Beitrag zu dem noch jungen Zweig der evaluatorischen Public Management-Forschung. Den Spannungsfeldern von dominierenden Sachzielen (öffentlicher Auftrag und künstlerische Qualität) bei gleichzeitig wirtschaftlichem Ressourceneinsatz (Formalziel) sowie künstlerischer Freiheit neben ökonomischen Entscheidungskriterien wird dabei in sehr differenzierter Weise Rechnung getragen. Zusätzlich gewährt die Arbeit eine
VI
empirisch fundierte, höchst interessante und kenntnisreiche Exploration der Wirkungszusammenhänge im Kulturbetrieb. Das bereits im Vorfeld der Arbeit deutlich gewordene, große Interesse an den Ergebnissen lässt auf einen großen Verbreitungsgrad dieser Schrift schließen, der nicht nur dem Verfasser als Anerkennung seiner außerordentlich gründlichen Arbeit zu wünschen ist, sondern auch sachlich gerechtfertigt ist. Die Arbeit kann als ein in diesem Themenfeld grundlegendes Werk einem breiten Leserkreis bestens und ohne Einschränkungen empfohlen werden.
Prof. Dr. Ulrich Krystek
VII
Danksagung An erster Stelle möchte ich den Berichtern, Herrn Prof. Dr. Ulrich Krystek und Herrn Prof. Dr. Christof Helberger, danken, welche die Entstehung der Dissertation mit großem Einsatz über mehrere Jahre hinweg unterstützt haben. In ihnen habe ich zwei engagierte Begleiter gefunden, die in allen Entwicklungsphasen offen und konstruktiv mit meinen Anliegen umgegangen sind. Herrn Prof. Dr. Klaus-Dirk Henke danke ich für die Übernahme des Vorsitzes des Promotionsausschusses. Frau Gerlinde Seeger und Herrn Dipl.-Ing. Marko Reimer bin ich für die Organisation und Koordination verbunden. Den 20 Interviewpartnern des empirischen Teils aus dem ganzen Bundesgebiet danke ich für die aufgebrachte Zeit in dichtgefüllten Terminkalendern. Die Gespräche haben teilweise nach turbulenten Premieren oder vor bedeutsamen Ministerialsitzungen stattgefunden. Ihre Offenheit und das entgegengebrachte Vertrauen haben den empirischen Teil der Arbeit erst ermöglicht. Wertvolle fachliche Anregungen verdanke ich Herrn Dr. Christoph Andersen, Frau Dipl. Mus. Dipl.-Kffr. Nicola Hartz und Herrn Dipl.-Kfm. Wolfgang Lennartz, welche das Manuskript einer kritischen Prüfung unterzogen haben. Frau Undine Schulte-Tornay und Herr Dipl.-Kfm. Hansgeorg Hoffeins haben mit sprachlichem Einfühlungsvermögen dazu beigetragen, die Lesbarkeit zu erhöhen. Frau Tanja Minx war so freundlich, mit routinierter und professioneller Hand das Layout der Arbeit zu optimieren. Frau Dipl.Medienberaterin Stefanie Saier hat die umfangreiche Transkription der Interviews übernommen. Ich danke meinen Eltern sowie allen Personen und Institutionen, die mich in der Vergangenheit uneigennützig unterstützt und gefördert haben; ebenso allen Menschen, welche in den vergangenen Jahren zu wenig Aufmerksamkeit erhalten haben und mir dennoch verbunden geblieben sind.
Robert Knappe
VIII
Inhaltsverzeichnis
Inhaltsverzeichnis Geleitwort ............................................................................................................................ V Danksagung...................................................................................................................... VII Inhaltsverzeichnis ...........................................................................................................VIII Abkürzungsverzeichnis ..................................................................................................XIII Abbildungsverzeichnis .................................................................................................... XV Tabellenverzeichnis ........................................................................................................XVI Anhangsverzeichnis .....................................................................................................XVIII 1
Gang der Untersuchung und methodische Grundlagen .......................................... 1 1.1
Einführung ........................................................................................................... 1
1.2
Entwicklung der Forschungsfrage..................................................................... 3
1.3
Ablauf der Untersuchung ................................................................................... 9
1.4
Kontextmodell des öffentlichen Kulturbetriebs.............................................. 10
1.5 Das Modell der heterogenen Akteursrationalitäten ....................................... 11 1.5.1 Einführung ................................................................................................... 11 1.5.2 Interpretationen und Definitionen des Rationalitätsbegriffs in der Literatur ............................................................................................. 12 1.5.3 Prämissen des Modells der heterogenen Akteursrationalitäten................... 15 1.5.4 Konkretisierung der drei heterogenen Rationalitäten im Kulturbetrieb ...... 17 1.5.5 Zusammengefasste Modellierung................................................................ 19
2
1.6
Variablenmodell der empirischen Untersuchung........................................... 20
1.7
Methodik der qualitativen Inhaltsanalyse....................................................... 21
1.8
Effektivitäts- und Effizienzkriterien................................................................ 23
Charakterisierung des Untersuchungsgegenstands ............................................... 29 2.1 Charakterisierung der Theater und Orchester .............................................. 29 2.1.1 Einführung ................................................................................................... 29 2.1.2 Einordnung in den öffentlichen Sektor........................................................ 30 2.1.3 Einnahmestrukturen der Theater ................................................................. 31 2.1.4 Ausgabestrukturen der Theater.................................................................... 32 2.2 Auswertungen der Theaterstatistik ................................................................. 34 2.2.1 Rechtsformen der Theater ........................................................................... 35 2.2.2 Mengenmäßige Entwicklung von Output und Personalbestand.................. 37 2.2.3 Entwicklung der Gattungen im Programmangebot der Theater.................. 41 2.2.4 Wertmäßige Entwicklung des Inputs........................................................... 43 2.2.5 Relative Effizienzkennzahlen ...................................................................... 46 2.2.6 Personalstruktur in den Theatern................................................................. 49 2.2.7 Geschichte des öffentlichen Dienstes und Tarifwerke in Theatern und Orchestern.......................................................................... 51 2.2.8 Haushaltsrechtliche Bestimmungen ............................................................ 52
Inhaltsverzeichnis
3
IX
New Public Management im Kontext der Reformen des öffentlichen Sektors ... 53 3.1
Reformansätze in Vergangenheit und Gegenwart ......................................... 53
3.2
Zum Begriff New Public Management ............................................................ 56
3.3
Literaturüberblick zum NPM .......................................................................... 59
3.4
Zur theoretischen Fundierung von NPM ........................................................ 62
3.5 Wesentliche Instrumente und Konzeptionen von NPM................................. 64 3.5.1 Gewährleistungsstaat, Wirkungsorientierung und Kontraktmanagement ... 64 3.5.2 Produktkataloge, Globalbudgets und dezentrale Ressourcenkompetenz .... 69 3.5.3 Wettbewerbsorientierung und stärkere Nutzung von Marktmechanismen . 71 3.5.4 Formen der Privatisierung und Public Private Partnerships........................ 72 3.5.5 Bürger- und Kundenorientierung, Qualitätsmanagement............................ 74 3.5.6 Reformen des externen Rechnungswesens.................................................. 75 3.5.7 Reformen des internen Rechnungswesens .................................................. 79 3.5.8 Die Controlling-Funktionen im NPM ......................................................... 80 3.5.9 Personalmanagement und Personalentwicklung ......................................... 83 3.6
Widerstände und Barrieren.............................................................................. 86
3.7 Kritik an NPM ................................................................................................... 90 3.7.1 Kritik am Paradigma des NPM.................................................................... 90 3.7.2 Governance-Konzepte als Ablösung von NPM? Ein Ausblick................... 92 4
Entwicklung der Thesen ........................................................................................... 95 4.1
Hauptthese: NPM führt zu Effizienzsteigerung ............................................. 95
4.2 Thesen zum externen Rechnungswesen........................................................... 95 4.2.1 Wirklichkeitsnähere Abbildung durch Doppik............................................ 95 4.2.2 Neuer steuerungsrelevanter Informationsgehalt durch Doppik................... 96 4.2.3 Steigerung der Nachhaltigkeit durch Doppik .............................................. 96 4.3 Thesen zum internen Rechnungswesen ........................................................... 97 4.3.1 Erhöhung der wirtschaftlichen Transparenz durch KLR............................. 97 4.3.2 Steigerung der wirtschaftlichen Effizienz durch KLR ................................ 98 4.3.3 Erhöhung der Rationalität des Handelns durch Controlling........................ 98 4.4 Thesen zum Personalmanagement................................................................... 99 4.4.1 Steigerung der Effizienz durch Leistungsorientierte Bezahlung (LoB) ...... 99 4.4.2 Steigerung der Effizienz durch Führungsinstrumente ................................. 99 4.4.3 Steigerung der Effizienz durch Personalentwicklung ............................... 100 4.5 5
Zusammenfassende Darstellung sämtlicher Thesen .................................... 101
Empirische Untersuchung ...................................................................................... 103 5.1 Grundgesamtheit und Auswahl der Stichprobe ........................................... 103 5.1.1 Primärkriterium 1: Verhältnis von Theatern zu Orchestern ...................... 104 5.1.2 Primärkriterium 2: Einbeziehung sämtlicher Bundesländer Deutschlands104 5.1.3 Sekundärkriterium 1: Trägerschaft............................................................ 105 5.1.4 Sekundärkriterium 2: Größenklasse ......................................................... 106 5.1.5 Sekundärkriterium 3: Rechtsform ............................................................. 107 5.1.6 Leitfadeninterviews mit Experten ............................................................. 107 5.1.7 Codierung der Quellenangaben ................................................................. 109
X
Inhaltsverzeichnis
5.2 Auswertungsmethodik .................................................................................... 109 5.2.1 Schritt 1: Extraktion .................................................................................. 110 5.2.2 Schritt 2: Aufbereitung und Verdichtung .................................................. 112 5.2.3 Schritt 3: Zuordnung der Extraktionen zu den Thesen und Bewertung .... 112 5.2.4 Schritt 4: Analyse und Interpretation......................................................... 113 5.3 Gütekriterien der empirischen Sozialforschung........................................... 114 5.3.1 Objektivität ................................................................................................ 114 5.3.2 Reliabilität ................................................................................................. 115 5.3.3 Validität ..................................................................................................... 116 6
Unabhängige Variable Externes Rechnungswesen .............................................. 119 6.1
Explorativer Befund........................................................................................ 119
6.2
These 1: Doppik führt zu wirklichkeitsnäherer Abbildung des Ressourcenverbrauchs.............................................................................. 121 6.2.1 Bestätigende Befunde ................................................................................ 121 6.2.2 Falsifizierende Befunde............................................................................. 124 6.2.3 Neutrale Befunde....................................................................................... 128 6.2.4 Abschließende Bewertung der These ........................................................ 128
6.3
These 2: Doppik führt zu einem neuen steuerungsrelevanten Informationsgehalt..................................................... 130 6.3.1 Bestätigende Befunde ................................................................................ 130 6.3.2 Falsifizierende Befunde............................................................................. 132 6.3.3 Neutrale Befunde....................................................................................... 137 6.3.4 Abschließende Bewertung der These ........................................................ 137
6.4 These 3: Doppik führt zu nachhaltigerem Wirtschaften ............................. 139 6.4.1 Bestätigende Befunde ................................................................................ 139 6.4.2 Falsifizierende Befunde............................................................................. 140 6.4.3 Neutrale Befunde....................................................................................... 143 6.4.4 Abschließende Bewertung der These ........................................................ 143 6.5 7
Fazit zur Einführung der Doppik .................................................................. 145
Unabhängige Variable Internes Rechnungswesen ............................................... 149 7.1
Explorativer Befund........................................................................................ 149
7.2 These 4: Erhöhte Transparenz durch KLR .................................................. 153 7.2.1 Bestätigende Befunde ................................................................................ 153 7.2.2 Falsifizierende Befunde............................................................................. 155 7.2.3 Neutrale Befunde....................................................................................... 157 7.2.4 Abschließende Bewertung der These ........................................................ 158 7.3 These 5: Steigerung der wirtschaftlichen Effizienz durch KLR ................. 159 7.3.1 Bestätigende Befunde ................................................................................ 159 7.3.2 Falsifizierende Befunde............................................................................. 161 7.3.3 Neutrale Befunde....................................................................................... 164 7.3.4 Abschließende Bewertung der These ........................................................ 164
Inhaltsverzeichnis
XI
7.4 These 6: Erhöhung der Rationalität durch Controlling .............................. 166 7.4.1 Bestätigende Befunde ................................................................................ 166 7.4.2 Falsifizierende Befunde............................................................................. 168 7.4.3 Neutrale Befunde....................................................................................... 170 7.4.4 Abschließende Bewertung der These ........................................................ 171 7.5 8
Fazit zum internen Rechnungswesen............................................................. 172
Unabhängige Variable Personalmanagement....................................................... 175 8.1
Explorativer Befund........................................................................................ 175
8.2 These 7: Effizienzsteigerung durch LoB ....................................................... 177 8.2.1 Bestätigende Befunde ................................................................................ 177 8.2.2 Falsifizierende Befunde............................................................................. 177 8.2.3 Neutrale Befunde....................................................................................... 180 8.2.4 Abschließende Bewertung der These ........................................................ 181 8.3 These 8: Effizienzsteigerung durch Führungsinstrumente ......................... 182 8.3.1 Bestätigende Befunde ................................................................................ 182 8.3.2 Falsifizierende Befunde............................................................................. 184 8.3.3 Neutrale Befunde....................................................................................... 184 8.3.4 Abschließende Bewertung der These ........................................................ 185 8.4 These 9: Effizienzsteigerung durch Personalentwicklungsmaßnahmen .... 187 8.4.1 Bestätigende Befunde ................................................................................ 187 8.4.2 Falsifizierende Befunde............................................................................. 188 8.4.3 Neutrale Befunde....................................................................................... 188 8.4.4 Abschließende Bewertung der These ........................................................ 190 8.5 9
Fazit Personalmanagement............................................................................. 191
Auswertung der übrigen Variablen ....................................................................... 193 9.1 Vermittlungsprozessvariable Implementation.............................................. 193 9.1.1. Auslösende Faktoren und Prozesspromotoren .......................................... 193 9.1.2. Begünstigende Faktoren ............................................................................ 195 9.1.3. Behindernde Faktoren................................................................................ 197 9.2
Intervenierende Variablen Künstlerische und Wirtschaftliche Rationalität ........................................................................... 199 9.2.1. Typus I: Sachzieldominierter Kulturbetrieb .............................................. 199 9.2.2. Typus II: Paritätisch geführter Kulturbetrieb ............................................ 201 9.2.3. Typus III: Formalzieldominierter Kulturbetrieb........................................ 203 9.2.4. Interpretation der Klassifikationen ............................................................ 204
9.3
Intervenierende Variable Bürokratische Rationalität ................................. 205
9.4
Intervenierende Variable Rahmenbedingungen .......................................... 205
9.5
Intervenierende Variable Kulturpolitik und Kulturverwaltung ................ 207
9.6
Abhängige Variable Künstlerischer Erfolg................................................... 208
9.7
Abhängige Variable Wirtschaftlicher Erfolg................................................ 211
9.8
Interdependenzen der Erfolgsvariablen........................................................ 213
XII
Inhaltsverzeichnis
9.9 Exkurs: Kulturbetriebsspezifische Entscheidungskriterien........................ 217 9.9.1 Entscheidungssituation .............................................................................. 217 9.9.2 Schritt 1: Künstlerische Bewertung (Sachzielebene) ................................ 218 9.9.3 Schritt 2: Wirtschaftliche Bewertung (Formalzielebene).......................... 218 9.9.4 Schritt 3: Entscheidungsfindung................................................................ 220 9.9.5 Zusammenfassung und Interpretation ....................................................... 222 10
Abschließende Bewertung der empirischen Ergebnisse .................................. 225 10.1
Hauptthese: Effizienzsteigerung durch NPM ............................................... 225
10.2
Bewertung der Modellierung des Kulturbetriebs ........................................ 228
10.3
Fazit und Ausblick........................................................................................... 230
Anhang.............................................................................................................................. 237 Literaturverzeichnis ........................................................................................................ 245 Quellenverzeichnis........................................................................................................... 269
Abkürzungsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis AV
=
Anlagevermögen
BAT
=
Bundesangestelltentarifvertrag
BHO
=
Bundeshaushaltsordnung
BMT-G
=
Bundesmanteltarifvertrag für Arbeiter der Gemeinden
BSC
=
Balanced Score Card
BTT
=
Bühnentechnikertarifvertrag
BTTL
=
Bühnentechnikertarifvertrag Landesbühne
DB
=
Deckungsbeitrag
DOV
=
Deutsche Orchestervereinigung
EK
=
Eigenkapital
FK
=
Fremdkapital
GEMA
=
GG
=
Gesellschaft für musikalische Aufführungsund mechanische Vervielfältigungsrechte Grundgesetz
GMD
=
Generalmusikdirektor
GoöB
=
Grundsätze ordnungsgemäßer öffentlicher Buchführung
HGrG
=
Haushaltsgrundsätzegesetz
HR
=
Human Resources
HRM
=
Human Resource Management
IPSAS
=
International Public Sector Accounting Standards
KGSt
=
Kommunale Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsvereinfachung
KLR
=
Kosten- und Leistungsrechnung
KonTraG
=
Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich
LHO
=
Landeshaushaltsordnung
LoB
=
Leistungsorientierte Bezahlung
MbO
=
Management by Objectives
MTB
=
Manteltarifvertrag für Arbeiter des Bundes
MTL
=
Manteltarifvertrag für Arbeiter der Länder
NB
=
Nebenbedingung
NIÖ
=
Neue Institutionenökonomie
XIII
XIV
Abkürzungsverzeichnis
NKR
=
Neues kommunales Rechnungswesen
NPM
=
New Public Management
NÖR
=
Neues öffentliches Rechnungswesen
NSM
=
Neues Steuerungsmodell
NV
=
Normalvertrag
PPP
=
Public Private Partnership
TQM
=
Total Quality Management
TVK
=
Tarifvertrag für Musiker in Kulturorchestern
TVöD
=
Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst
TV-L
=
Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst der Länder
VKA
=
Verband kommunaler Arbeitgeber
Abbildungsverzeichnis
XV
Abbildungsverzeichnis
Abb. 1:
Zusammenhang zwischen betriebswirtschaftlichen Instrumenten und NPM-Zielsetzung ........................................................................................... 6
Abb. 2:
Methodischer Ablauf und Gliederung der Arbeit ................................................. 9
Abb. 3:
Kontextmodell öffentlicher Kulturbetriebe......................................................... 10
Abb. 4:
Darstellung der Einbettung der Prämissen der heterogenen Akteursrationalitäten in die Makroebene betrieblichen Handelns...................... 15
Abb. 5:
Zusammenfassende Darstellung des Modells der heterogenen Akteursrationalitäten........................................................................................... 19
Abb. 6:
Variablenmodell der Untersuchung .................................................................... 20
Abb. 7:
Beurteilungskriterien im öffentlichen Sektor nach Budäus, Schedler u. a. ........ 23
Abb. 8:
Relative Einnahmestrukturen der deutschen Theater in der Spielzeit 2006/07 .. 31
Abb. 9:
Zusammensetzung der selbst erwirtschafteten Einnahmen der deutschen Theater in der Spielzeit 2006/07 ......................................................................... 32
Abb. 10: Relative Ausgabestrukturen der deutschen Theater in der Spielzeit 2006/07 .... 33 Abb. 11: Relative Personalkostenstrukturen der deutschen Theater in der Spielzeit 2006/07 ............................................................................................................... 33 Abb. 12: Begriffskategorisierung zu NPM und Mehrfachbedeutung von Public Management........................................................................................................ 59 Abb. 13: Legitimationsquellen des NPM........................................................................... 65 Abb. 14: Zwei für den Kulturbetrieb konkretisierte und interdependente Wirkungsketten gemäß NPM.............................................................................. 67 Abb. 15: Drei-Komponenten-Rechnungssystem nach Klaus Lüder (Integrierte Verbundrechnung) .............................................................................................. 78 Abb. 16: Übersicht der interdependenten Wirkungszusammenhänge im Kulturbetrieb gemäß empirischer Erhebung ..................................................... 216 Abb. 17: Modifiziertes Variablenmodell nach der empirischen Untersuchung............... 229
XVI
Tabellenverzeichnis
Tabellenverzeichnis
Tab. 1:
Skizzierung von drei wichtigen Rationalitäten in Kulturbetrieben .................... 18
Tab. 2:
Strukturelle und inhaltliche Unterschiede zwischen privatwirtschaftlicher Unternehmung und öffentlichem Sektor ......................... 30
Tab. 3:
Verteilung der Rechtsformen in den deutschen Theatern, vgl. Deutscher Bühnenverein (1995 bis 2007). ......................................................... 36
Tab. 4:
Absolute Outputentwicklung und Personalbestand (Stellen) der deutschen Theater, vgl. Deutscher Bühnenverein (1995 bis 2007) .................... 39
Tab. 5:
Absolute Outputentwicklung und Personalbestand (Stellen) der deutschen selbständigen Kulturorchester, vgl. Deutscher Bühnenverein (1996 bis 2007) ................................................................................................... 40
Tab. 6:
Anzahl der Aufführungen in den Gattungen pro Spielzeit der deutschen Theater, vgl. Deutscher Bühnenverein (1995 bis 2007) ..................................... 42
Tab. 7:
Absolute Entwicklung der Einnahmen und Ausgaben (in Mio. €) der deutschen Theater, vgl. Deutscher Bühnenverein (1995 bis 2007) .................... 44
Tab. 8:
Absolute Entwicklung der Einnahmen und Ausgaben (in Mio. €) der deutschen selbständigen Kulturorchester, vgl. Deutscher Bühnenverein (1996 bis 2007) ................................................................................................... 45
Tab. 9:
Absolute Entwicklung wichtiger Effizienz-Kennzahlen der deutschen Theater, vgl. Deutscher Bühnenverein (1995 bis 2007) ..................................... 47
Tab. 10: Absolute Entwicklung wichtiger Effizienz-Kennzahlen der deutschen selbständigen Kulturorchester, vgl. Deutscher Bühnenverein (1996-2007) ........................................................................................................ 48 Tab. 11: Absolute Personalentwicklung (in Stellen) der deutschen Theater, vgl. Deutscher Bühnenverein (1995 bis 2007) .......................................................... 50 Tab. 12: Drei Ebenen der staatlichen Leistungstiefe ........................................................ 64 Tab. 13: Gegenüberstellung von Kameralistik und Doppik...............................................77 Tab. 14: Arten des Widerstandes gegen Wandel und deren Folgen ................................. 87 Tab. 15: Sämtliche Thesen der Untersuchung im Überblick .......................................... 101 Tab. 16: Verteilung des ersten Primärkriteriums ............................................................ 104 Tab. 17: Verteilung des zweiten Primärkriteriums ......................................................... 104 Tab. 18: Verteilung des ersten Sekundärkriteriums........................................................ 105 Tab. 19: Verteilung des zweiten Sekundärkriteriums ..................................................... 106 Tab. 20: Verteilung des dritten Sekundärkriteriums ....................................................... 107
Tabellenverzeichnis
XVII
Tab. 21: Interviewstatistik (Verteilung der Extraktionen aus den Interviews auf die 11 Variablen) ........................................................................................ 111 Tab. 22: Zeitpunkte der Umstellung auf Doppik, N = 20 ............................................... 119 Tab. 23: Übersicht über Rechtsform, Rechtsperson und Buchungsweise ...................... 120 Tab. 24: Anteil der Abschreibungen an den gesamten Aufwendungen gemäß der Theaterstatistik 2006/07 bei 14 der 15 befragten Theatern ........................ 131 Tab. 25: Verteilung der Ausprägungen des internen Rechnungswesens in der gesamten Stichprobe, im Kontext des Primärkriteriums 1 und des Sekundärkriteriums 2 .......................................................................... 152 Tab. 26: Tarifwerke im nicht-künstlerischen Personal in der Stichprobe....................... 175 Tab. 27: Status der LoB in den Kulturbetrieben, welche den TVöD bzw. TV-L anwenden ................................................................................................ 176 Tab. 28: Operationalisierung und Bewertung der Sachzielerreichung pro Aufführung ................................................................................................. 218 Tab. 29: Operationalisierung und Bewertung der Formalzielerreichung pro Aufführung ................................................................................................. 219 Tab. 30: Übersicht über Sach- und Formalzielerreichung für die Entscheidungsalternativen..................................................................... 220 Tab. 31: Sechs Allokationsbeispiele mit den jeweiligen Zielerreichungen .................... 220 Tab. 32: Zusammenfassung der empirischen Ergebnisse ............................................... 227 Tab. 33: Aggregationen der Einnahmen der deutschen Theater (Abb. 8 und 9) ............ 237 Tab. 34: Aggregationen der Ausgaben der deutschen Theater (Abb. 10 und 11)........... 238 Tab. 35: Beispiel Extraktionstabelle Externes Rechnungswesen ................................... 243 Tab. 36: Beispiel verdichtete Extraktionstabelle Internes Rechnungswesen.................. 244
XVIII
Anhangsverzeichnis
Anhangsverzeichnis
Anhang 1:
Erläuterung zu Abb. 8 und 9 ........................................................................ 237
Anhang 2:
Erläuterung zu Abb. 10 und 11 ................................................................... 238
Anhang 3:
Fragebogen der Experteninterviews............................................................. 239
Anhang 4:
Extraktionsregeln ......................................................................................... 242
Anhang 5:
Kurzer Auszug aus der Extraktionstabelle der Variable Externes Rechnungswesen ........................................................................... 243
Anhang 6:
Kurzer Auszug aus der verdichteten Extraktionstabelle der Variable Internes Rechnungswesen ....................................................... 244
1. Gang der Untersuchung und methodische Grundlagen
1
Gang der Untersuchung und methodische Grundlagen
1.1
Einführung
1
Die größten künstlerischen Blüten wurden in der abendländischen Kulturgeschichte stets durch Subventionen im weiteren Sinn1 erreicht, je nach Epoche durch Monarchien, die Kirche, die Aristokratie oder den Staat. Diese Abhängigkeit besteht größtenteils auch heute noch: Allein in der BRD wurden in 2005 auf gesamtstaatlicher Ebene rund 8 Mrd. € (1,6 % aller öffentlichen Ausgaben) bzw. 97 € pro Einwohner für kulturelle Zwecke eingesetzt, mit preisbereinigt sinkender Tendenz.2 Jedoch werden Zuwendungen an Kulturbetriebe regelmäßig hinterfragt, da der Konsens über die finanzielle Unterstützung im Kontext steigender Staatsverschuldung und anderer dringlicher gesellschaftlicher und politischer Aufgaben nicht mehr unangefochten dasteht. Die Stagnation oder Kürzung der Zuwendung bei zugleich inflations- und tarifbedingt steigenden Ausgaben ist die vielerorts eingetretene Konsequenz.3 Die private Kulturfinanzierung macht etwa einen Anteil von 6-7 % der gesamten Kulturfinanzierung in Deutschland aus: Sponsoring (350 Mio. €), kapitalbasierte Stiftungen mit kulturellem Zweck (Erträge p. a. ca. 125 Mio. €), mäzenatische Spenden (50 Mio. €).4 Die Rahmenbedingungen für die private Kulturfinanzierung verbessern sich.5 Es kann jedoch mittelfristig nicht von einer signifikanten Entlastung der öffentlichen Hand bei den institutionellen Zuwendungen für Kulturbetriebe ausgegangen werden, da die private Kulturfinanzierung nur in einem geringen Maß den Kernaufgaben der etablierten Kulturbetriebe zugute kommt, sondern eher Projekten in angrenzenden Bereichen, etwa der Kulturvermittlung: Der Anteil der privaten Finanzierung beträgt an den Einnahmen der deutschen Theater lediglich 0,8 %.6 Somit erhöhen sich der wirtschaftliche Druck und die Notwendigkeit zur Professionalisierung der Ablauf- und Aufbauorganisation in Kulturbetrieben. Begriffe wie Effizienzsteigerung und Optimierung gewinnen auch im Kultursektor an Bedeutung − unter der Voraussetzung einer differenzierten Anwendung, welche künstlerische und qualitative Aspekte sowie die Zweckbestimmung berücksichtigt. Die öffentlichen Haushalte der Gebietskörperschaften befinden sich in einer nicht minder prekären finanziellen Situation. Die freigiebige öffentliche Ausgabepolitik der 1 2 3
4 5
Vgl. Thiel (2003), S. 177 f. Vgl. Statistische Ämter der Länder und des Bundes (2008), S. 15 ff. Zwischen 1992 und 2005 wurden 33 der ehemals 168 deutschen Kulturorchester aufgelöst bzw. fusioniert, was zu einem Stellenabbau bei Orchestermusikern im genannten Zeitraum von bundesweit 16 %, allein in Ostdeutschland von 30 % geführt hat, vgl. KGSt (1997), S. 7; Mertens (2005), S. 4, 11, 14 f.; Ossadnik (1987), S. 279. Angaben gemäß Kulturkreis der deutschen Wirtschaft, vgl. http://www.kulturkreis.eu/index.php? option=com_content&task=blogcategory&id=44&Itemid=177 am 31.10.2009. Zum Beispiel das Gesetz zur weiteren Stärkung des bürgerschaftlichen Engagements vom 10.10.2007 mit erhöhten steuerlichen Anreizen.
2
1. Gang der Untersuchung und methodische Grundlagen
1960er- bis 1980er-Jahre hat im Kontext eines hohen Wohlfahrtsniveaus eine großzügige Versorgung mit öffentlichen Gütern bewirkt, die in den wirtschaftlich schwächeren Folgeperioden nur schwerlich aufrechtzuerhalten war.7 Die aufgebaute kulturelle Vielfalt mit nominal steigendem Finanzierungsbedarf steht im Spannungsverhältnis zu dem globalen Wettbewerbsdruck und den verringerten sowie sich weiterhin verringernden Spielräumen der öffentlichen Hand angesichts der wachsenden Verschuldung. Reformprozesse im öffentlichen Sektor gehören zur Politik- und Kulturgeschichte und sind kein neues Phänomen.8 Im Zentrum dieser Arbeit steht das post-bürokratische Paradigma des New Public Management (NPM), welches seine ideellen und konzeptionellen Wurzeln in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts hat. Seit den 1990er-Jahren kommt es in Deutschland verstärkt in verschiedenen Ausprägungen zur Anwendung, etwa in dem Neuen Steuerungsmodell (NSM) der Kommunalen Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsvereinfachung (KGSt) oder unter dem Schlagwort der Verwaltungsmodernisierung, wobei eine scharfe Abgrenzung dieser Begriffe nicht immer möglich ist. NPM propagiert die substantielle Überwindung des Weberschen Idealtypus einer rational-legalen Bürokratie9 in Richtung einer stärkeren Orientierung an den privatwirtschaftlichen Unternehmen mit ihren Managementtechniken. Es möchte als Ansatz zur Lösung des Trilemmas zwischen Effektivität, Effizienz und Legitimität gelten. Insofern hat das NPM eine präskriptive und handlungssteuernde Orientierung. Durch NPM werden sowohl die Strukturen zwischen Staat, Verwaltung und Bürgern (externe Strukturreform/außenorientierte Elemente) als auch die Verwaltung bzw. öffentlichen Betriebe als Reformobjekt an sich (Binnenreform) betrachtet.10 Als unmittelbarer oder verselbständigter Teil der Leistungsverwaltung werden somit öffentlich-rechtliche Kulturbetriebe auch von NPM berührt. NPM könnte durch seine u. a. effizienzorientierte Zielsetzung einen Beitrag zur Milderung der oben beschriebenen wirtschaftlichen Schwierigkeiten der Kulturbetriebe leisten, sei es durch unmittelbare Vorteile aus der Einführung bestimmter Instrumente und Techniken oder veränderte Rahmenbedingungen. Somit liegt es nahe zu untersuchen, inwieweit sich die einschlägigen Reformbestandteile, insbesondere im betriebswirtschaftlichen Bereich, in den Kulturbetrieben niedergeschlagen haben und zu welchen Folgen dies geführt hat. Dies 6 7 8
9
Vgl. Deutscher Bühnenverein (2007), S. 257 ff. Vgl. Pitschas (2004), S. 2; Thom/Ritz (2006), S. 12 f.; Mertens (2005), S. 14. Verwaltungsreformen im Sinn bürokratischer Arbeitsprozessoptimierungen wurden auch schon vor NPM umgesetzt. Zwischen der Neukonstruktion der ministeriellen Verwaltungsorganisation in Preußen 1806 bis in die 1980er-Jahre wurden 42 Reformkonzepte und Einzelmaßnahmen gezählt, vgl. Walkenhaus/Voigt (2006), S. XVIII. Vgl. Lane (2009), S. 11 f.
1. Gang der Untersuchung und methodische Grundlagen
3
geschieht im empirischen Teil dieser Arbeit. Dadurch wird die Anwendung von NPM sektor- und instrumentenspezifisch auf das Erreichen der jeweiligen Ziele hin überprüft.11 Es wird versucht aufzuzeigen, wo die Anwendungsmöglichkeiten und -grenzen von Reformansätzen für Kulturbetriebe liegen und welche die Zusammenhänge und Bedingungen hierfür sind. Zugleich wird der Kulturbetrieb als Ort betrieblichen Geschehens theoretisch modelliert, praktisch untersucht und auf seine Funktionsweise hin beleuchtet.
1.2
Entwicklung der Forschungsfrage
Der Kultursektor wird seit den 1960er-Jahren durch Forschung und Publikationen intensiviert wissenschaftlich und praxisorientiert erschlossen.12 Baumol/Bowen gelten als Begründer der Kulturökonomik. Sie haben in ihrer grundlegenden Arbeit „Performing Arts – The Economic Dilemma“ (1966) die ökonomischen Zusammenhänge bei den Aufführungskünsten
erforscht,
dabei
ein
Kostendilemma
identifiziert
und
eine
Finanzierungslücke postuliert, begründet mit der hohen Personalintensität, langfristigen relativen Preisentwicklungen und der niedrigen Partizipation an Skaleneffekten aus technischem Fortschritt.13 Der volkswirtschaftliche Zweig der weiteren Forschung konzentriert sich auf ökonomische Gesetzmäßigkeiten und Gegebenheiten, ggf. konkretisiert in den einzelnen Kultursparten,14 und auf die Kultur als Wirtschaftsfaktor, sowohl als Bestandteil des Bruttoinlandsprodukts als auch in Bezug auf indirekte Effekte aus Umwegrentabilitäten etc.15 Der betriebswirtschaftliche Zweig fokussiert Fragen der Steuerung,
des
Rechnungswesens,
Controllings,
des
Personalmanagements,
der
Organisationsentwicklung und des Marketings inklusive dem noch jungen Zweig des Audience Developments.16 Bemühungen um einen sektorspezifisch theoretisch fundierten Wissenschaftszweig der interdisziplinären Kulturbetriebslehre existieren erst seit jüngerer
10 11 12 13 14
15 16
Vgl. Walkenhaus/Voigt (2006), S. XII; Blanke/Einmann et al. (2005), S. 568. Vgl. Thom/Ritz (2006), S. 36. Vgl. Throsby (1994), S. 2 f. Vgl. Baumol/Bowen (1966), S. 161-235. Vgl. Blümle (2004); Heilbrun/Gray (2001); Hutter (1992); Pommerehne/Frey (1993); Throsby (2001); Tietzel (1995); Towse (2003); für den nahe stehenden Hochschulbereich vgl. Helberger (1989) und Helberger (1989a). Vgl. DIW (1992); DIW (2002); Ermert (2002); Jaeger/Stier (2001), S. 57-128; Knappe (2007); Niederholtmeyer (1993) mit einer Literaturübersicht zum Forschungsstand. Vgl. Allmann (1998); Almstedt (1999); Beutling (1993); Bielfeldt (2009); Boerner (2002); Boethius/Wrangsjö (2000); Giller (1995); Greve (2002); Hamann (2001); Hamann (2005); Hartung (1998); Keil (2001); Konrad/Gemünden (2002); Schneidewind (2000); Schugk (1996); Schwarzmann (2000); Stein (1982); Szirota (1999); Walk (1992).
4
1. Gang der Untersuchung und methodische Grundlagen
Zeit.17 Bei wissenschaftlichen Arbeiten ist in der Minderheit der Publikationen ein empirischer Teil enthalten. Hierbei kamen vorwiegend explorative Erhebungen durch Fragebögen oder Fallstudien einzelner Kulturbetriebe zur Anwendung.18 Die praxisorientierten Publikationen des Kulturmanagements setzen sich mit Fragen der privaten Kulturfinanzierung, des Managements von Kulturbetrieben und Künstlern sowie dem Spannungsfeld von Kunst und Gewinnstreben auseinander19. Das Handbuch von Röper (2001) bietet in der Art eines Kompendiums eine fundierte und differenzierte Gesamtübersicht über den Stand des deutschen Theatermanagements zur Jahrtausendwende.20 In vielen Publikationen werden als Schlussfolgerung u. a. kulturpolitische Implikationen zu adäquaten Rahmenbedingungen für Kulturbetriebe und die private Kulturfinanzierung formuliert.21 Die große Mehrheit der Veröffentlichungen berührt aus ihrer jeweiligen Teildisziplin heraus im Kern oder wenigstens peripher die Frage – wenn auch nicht immer explizit gestellt −, wie Kulturbetriebe mit begrenzten Ressourcen ihren Auftrag möglichst effizient und damit auch in Zeiten stagnierender oder sinkender öffentlicher Zuwendungen erfüllen können. Diese Frage steht aus betriebswirtschaftlicher Sicht auch im Zentrum der vorliegenden Arbeit. Zudem stimmt sie mit einer wesentlichen Zielsetzung des Reformansatzes New Public Management (NPM) überein (vgl. Kap. 3), welcher normativ Maßnahmen empfiehlt, um die Effizienz und Effektivität im öffentlichen Sektor zu erhöhen. Von diesen Maßnahmen werden drei betriebswirtschaftliche Teilgebiete (externes Rechnungswesen, internes Rechnungswesen, Personalmanagement) auf ihre Funktionalität für Kulturbetriebe hin untersucht. Dabei ergibt sich auch ein Anknüpfungspunkt zum praktischen Kulturmanagement, da die Kulturbetriebe als Zuwendungsempfänger dauerhaft von der öffentlichen Refinanzierung abhängig und ferner von den untersuchten Teilreformen (u. a. Einführung der Doppik, KLR, leistungsorientierte Bezahlung) in einer großen Anzahl konkret betroffen sind. Wenn die Erschließung von Effizienzgewinnen gelingt, bedeutet dies eine finanzielle Entspannung bzw. wachsende künstlerische Freiräume. Daher ist die Funktionalität von NPM in Bezug auf das Effizienzziel das
17 18
19
20 21
Vgl. Mörth (1995); Zembylas (2004); Zembylas/Tschmuck (2006). An der Zeppelin Universität Friedrichshafen wurde 2009 der erste Lehrstuhl für Kulturbetriebslehre in Deutschland eingerichtet. Vgl. Allmann (1998), S. 5-62; Bielfeldt (2009), S. 93-216; Giller (1995), S. 183-210; Herrmann (2001), S. 53-83, 212-228; Konrad/Gemünden (2002); Schneidewind (2000), S. 117-200; Stein (1982); Szirota (1999), S. 149-192; Walk (1992), S. 38-51. Vgl. Bendixen (2002); Brezinka (2002); Fischer (2004) , Heinrichs (1997); Heinrichs (1997a); Heinrichs (2006); Heinze (2004); Klein (2008); Konrad (2006); Rauhe/Demmer (1994); Schäfer/Vermeulen (1996); Schneidewind/Tröndle (2003); Schulze/Rose (1998); Tröndle (2006). In Form eines Lexikons vgl. auch Jacobshagen (2002). Vgl. Frey (2003), S. 105-156; Konietzka/Küppers (1998); O’Hagan (1998), S. 73-162; Wegner (1999), S. 234-255.
1. Gang der Untersuchung und methodische Grundlagen
5
zentrale Kriterium zur Beurteilung der Eignung der NPM-Teilreformen (vgl. Titel der Arbeit). Somit lautet die übergeordnete Forschungsfrage: Ist die Anwendung von NPM dazu geeignet, in den Kulturbetrieben eine höhere Effizienz22 durch eine optimierte Steuerung23 zu erreichen? Zur Beantwortung der Frage wurde eine umfangreiche empirische Studie vorgenommen. Sie evaluiert die Wirkung der NPM-Teilreformen durch eine thesengeleitete, qualitative Kausalitätsanalyse, welche auf einem Variablenmodell basiert. Die sich hierbei ergebenden Befunde und Analyseergebnisse dürften auch einen Aussagewert für das praktische Kulturmanagement besitzen. Die Grundgesamtheit der empirischen Studie bilden die 196 Theater und selbständigen Kulturorchester in Deutschland gemäß der Theaterstatistik des Deutschen Bühnenvereins, wobei die Ergebnisse auch auf andere Kultureinrichtungen in weiten Teilen übertragbar sein dürften (Museen, Bibliotheken etc.). Der methodische Ansatz, durch qualitative Analysen die Wirkung von betriebswirtschaftlichen Instrumenten für die Grundgesamtheit auf ihre Zielerreichung hin thesengeleitet kritisch-evaluativ zu prüfen, ist zumindest in der oben aufgeführten gängigen Literatur zum Kulturmanagement bislang nicht unternommen worden. NPM beinhaltet konkrete Gestaltungsempfehlungen und Managementinstrumente, welche dazu dienen sollen, •
die Effizienz und Effektivität im öffentlichen Sektor zu erhöhen und
•
damit eine Leistungssteigerung zu bewirken,
•
öffentliche Ausgaben und die Staatsquote zu senken,
•
Kostenbewusstsein und Anreizkompatibilität bei den Akteuren zu schaffen;
•
bürgerorientiert,
•
output- und outcome-orientiert,
•
transparent, berechenbar, zielgelenkt und zielgesteuert, unternehmerisch und flexibel,
•
in dezentralen verantwortlichen Einheiten zu produzieren.24
22 23
24
Der zu Grunde liegende Effizienz-Begriff wird im Kap. 1.8 näher definiert. Der Begriff der Steuerung wird als innerbetriebliche Steuerung und Bestandteil des Management-Zyklus verstanden: Eine optimierte Steuerung liegt dann vor, wenn die Entscheidungsqualität über die Allokation von finanziellen oder personellen Ressourcen zunimmt und infolge dessen die betrieblichen Ziele (Output) in effizienterem Maße erreicht werden. Vgl. Budäus (1998), S. 46 f.; Buschor (1994), S. XIII-XVI; Jones (2006), S. 112; Kettiger (2000), S. 5. In späteren Publikationen werden die zunächst quantitativ interpretierten Begriffe auch durch qualitative Aspekte ergänzt, vgl. Politt/Bouckaert (2003), S. 28.
6
1. Gang der Untersuchung und methodische Grundlagen
Angesichts der Vielseitigkeit von NPM ist eine Beschränkung auf Teilbereiche geboten. Es werden in dieser Arbeit die drei wichtigsten betriebswirtschaftlichen Instrumente des NPMs untersucht: 1. Externes Rechnungswesen, insbesondere die Ablösung der Kameralistik durch die Doppik (Kap. 6). 2. Internes Rechnungswesen, insbesondere die Einführung der Kosten- und Leistungsrechnung und des Controllings (Kap. 7). 3. Einführung von Elementen des Personalmanagements (Kap. 8).
Diese nicht originär auf NPM zurückzuführenden Themenstränge gelten u. a. als Synonym für eine „moderne“ Verwaltung. Sie wurden an vielen Stellen im öffentlichen Sektor umgesetzt oder befinden sich in der Einführung, häufig in Orientierung an Idealen des privaten Sektors. Jedes dieser Instrumente verfolgt wiederum untergeordnete (Eigen-)Ziele, die aber letztlich in Kongruenz zu den übergeordneten NPM-Zielen stehen. In differenzierter Weise werden die untergeordneten Ziele bei der Thesenentwicklung berücksichtigt und erläutert. Einen Überblick gibt die nachfolgende Abb. 1:
Instrument
Spezifische Ziele des Instruments
Übergeordnete NPM-Ziele
Einführung der Doppik (vgl. Thesen 1-3)
Abbilden des realen Ressourcenverbrauchs Abbildung der tatsächlichen Vermögensverhältnisse Nachhaltiges Wirtschaften Intergenerative Gerechtigkeit
Effizienz und Effektivität erhöhen
Einführung der KLR & Controlling (vgl. Thesen 4-6)
Rationales Wirtschaften und Entscheiden Zielorientiertes Handeln durch Planung und Kontrolle Führungsunterstützung Informationsgewinnung Transparenz der innerbetrieblichen Leistungsströme Aufrechterhalten der Potenziale
Anwendung von Personalmanagement (vgl. Thesen 7-9)
Optimaler Einsatz und Entfaltung des Faktors menschliche Arbeitskraft Erhaltung und Steigerung der Ressourcen und Fähigkeiten Zufriedenheit und Motivation der Mitarbeiter
Öffentliche Ausgaben senken Anreizkompatibilitäten im öffentlichen Sektor erhöhen Bürgerorientierung ausweiten Output- und OutcomeOrientierung stärken
Abb. 1: Zusammenhang zwischen betriebswirtschaftlichen Instrumenten und NPM-Zielsetzung Quelle: Eigene Darstellung.
1. Gang der Untersuchung und methodische Grundlagen
7
Abb. 1 kann entnommen werden, dass die Instrumente des externen und internen Rechnungswesens für die betriebliche Steuerung und die finanzielle Allokation innerhalb des Kulturbetriebs eine entscheidende Rolle spielen. Einer der Hauptadressaten ist die Geschäftsführung des Kulturbetriebs, welche auf diesen Informationsquellen aufbauend in die Lage versetzt werden soll, eine rationale Betriebsführung auszuüben und dabei das Effizienzziel zu verfolgen. Das Personalmanagement betrifft die Allokation des gerade in Kulturbetrieben wichtigen Produktionsfaktors der menschlichen Arbeitskraft. Hier Verbesserungen zu erreichen bedeutet eine unmittelbare Steigerung des Outputs und der Effizienz. Somit werden durch die drei aus den NPM-Reformen ausgewählten Teilbereiche die wichtigsten betriebswirtschaftlichen Einflussfaktoren auf die abhängigen Erfolgsvariablen von Kulturbetrieben erfasst. Der Kanon der NPM-Instrumente findet seit den 1990er-Jahren (z. B. im Rahmen des Neuen Steuerungsmodells, auf kommunaler Ebene beginnend) sukzessive Beachtung und entsprechenden Eingang in die Verwaltungen und Betriebe. Somit ist zu erwarten, dass für die empirische Erhebung (Juli 2008 bis Februar 2009) zwischenzeitlich ausreichende Erfahrungen gesammelt wurden.25 Die empirisch nachweisbare gestiegene Verbreitung von bestimmten Instrumenten bewirkt in den Betrieben nicht zwingend Veränderungen von Verhaltensweisen, Strukturen oder Entscheidungen.26 Es entsteht u. U. eine hybride Mischung aus der althergebrachten Betriebskultur und aufgesetzten neuen, Transaktionskosten verursachenden Managementwerkzeugen. So kann die Situation eintreten, dass sich die Prozessqualitäten nicht verbessern und der Implementierungsaufwand im Extremfall zu einer Abnahme der Effizienz führt.27 Daher wird mit der empirischen Erhebung das Spannungsfeld zwischen der Umsetzung der NPM-Instrumente und dem Erreichen der Ziele in der Praxis der öffentlichen Kulturbetriebe überprüft. Diese Art der analytischen (ex-post) Wirkungsforschung mit Erhebung von Outputs und den Verhaltens- und Performanceänderungen ist für öffentliche Betriebe in der Forschung unterrepräsentiert.28 Dabei ist methodisch insbesondere zu beachten:
25 26 27 28
Vgl. Bogumil/Kuhlmann (2006), S. 62 f. Vgl. Jann (2006a), S. 104; Bogumil/Kuhlmann (2006a), S. 349 f. Vgl. Politt/Bouckaert (2003), S. 27 f. Vgl. Bogumil/Kuhlmann (2006), S.54 f.; Jann (2006), S. 14 f.
8
1. Gang der Untersuchung und methodische Grundlagen
•
Die Korrelation zwischen der NPM-Umsetzung und einer ggf. beobachteten Effizienzsteigerung muss nicht zwingend eine Kausalität bedeuten. Hintergrundvariablen sind möglichst zu lokalisieren, z. B. eine parallel erfolgte Zuwendungsabsenkung bei gleich bleibendem Output.
•
Der Effizienz-Begriff ist differenziert zu definieren, z. B. hinsichtlich qualitativer Aspekte.29
•
Dem besonderen Charakter der betrieblichen Struktur und des öffentlichen Auftrags, etwa durch die hohe Bedeutung von Sachzielen, ist Rechnung zu tragen.30
29 30
Vgl. Politt/Bouckaert (2004), S. 177 f. Vgl. Kosiol (1972), S. 223 f.; Ossadnik (1987), S. 276 ff.
1. Gang der Untersuchung und methodische Grundlagen
1.3
9
Ablauf der Untersuchung
Der Ablauf der Untersuchung wird nachfolgend in Abb. 2 chronologisch im Kontext der Gliederung dieser Arbeit dargestellt: Methodischer Ablauf
Gliederung der Arbeit
Forschungsfrage
(Einleitung und Kap. 1)
Entwicklung der Modellierung und des Untersuchungsdesigns (Kap. 1)
Charakerisierung des Untersuchungsgegenstands der öffentlich finanzierten Theater und Orchester (Kap. 2)
Stand der NPM-Theorie (Kap. 3)
Anwendung der NPM-Theorie auf den Untersuchungsgegenstand, daraus Entwicklung der Thesen (Kap. 4)
Beschreibung der Methodik (Kap. 5) Empirische Erhebung: 20 Experteninterviews Transkription Qualitative Inhaltsanalyse: Extraktion Verdichtung Zuordnung zu Thesen Bewertung der Thesen
Ausführliche Auswertung und Interpretation
(Kap. 6-9)
Überprüfung des Variablenmodells und Fazit
(Kap. 10)
Abb. 2: Methodischer Ablauf und Gliederung der Arbeit Quelle: Eigene Darstellung.
10
1. Gang der Untersuchung und methodische Grundlagen
1.4
Kontextmodell des öffentlichen Kulturbetriebs
Die öffentlich finanzierten Kulturbetriebe agieren im Kontext zahlreicher externer und interner Stakeholder, welche unterschiedliche und teilweise konfliktäre Interessen gegenüber dem Kulturbetrieb geltend machen. Aus diesen vielschichtigen Anspruchshaltungen, nicht zuletzt begründet in der öffentlichen Finanzierung, ergeben sich für den Kulturbetrieb Restriktionen und Abhängigkeiten. Die nachfolgende Übersicht (Abb. 3) greift die unterschiedlichen Stakeholder und Interdependenzen auf:
NPMParadigma wirkt auf alle Ebenen ein
Makroebene (Umfeld)
Mesoebene (öffentlicher Sektor)
Mikroebene (Kulturbetrieb)
Weiteres Umfeld: Besucher/Publikum Andere Kultur- und Freizeitbetriebe Presse/Fachwelt/Szene Bürger/Wähler Legislative Gewalt: (Landes-)Parlament/Gemeindeversammlung Kultur-/Theaterausschuss Kultur- und Finanzpolitiker/Fraktionen Exekutive Gewalt: Regierung und Verwaltung Minister/Bürgermeister Kultur- und Finanzverwaltung Kulturbetriebe: Aufsichtsgremien/Gesellschafter Intendanz/Geschäftsführung Künstlerische Leitung Künstlerische Ensembles Gäste/Solisten Technik, Verwaltung, Service
Forschungsfrage: Mehr Effizienz durch NPM?
Abb. 3: Kontextmodell öffentlicher Kulturbetriebe Quelle: Eigene Darstellung.
Interdependenzen Informationsasymmetrien Zielkonflikte
1. Gang der Untersuchung und methodische Grundlagen
11
Die Darstellung (Abb. 3) dient im Folgenden als ein Bezugsrahmen, aus dem heraus das Variablenmodell zur Bearbeitung der Forschungsfrage abgeleitet wird. Der Erkenntnisgegenstand des Kulturbetriebs wird in dieser Arbeit auf der Mikro-Ebene unter betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten analysiert. NPM wirkt zwar in seiner Eigenschaft als Reformansatz für den gesamten öffentlichen Sektor auf sämtliche Ebenen ein, die Resultate hieraus werden allerdings in der Arbeit lediglich auf der betrieblichen Ebene des Kulturbetriebs analysiert. Die Interdependenzen zur Meso- und Makro-Ebene wurden in den intervenierenden Variablen berücksichtigt (vgl. Kap. 1.6). Das Kontextmodell beansprucht nicht, eine Systemtheorie für den Kulturbetrieb und seine Interaktionen mit der Umwelt zu sein. 1.5
Das Modell der heterogenen Akteursrationalitäten
1.5.1
Einführung
Im folgenden Kapitel wird der Mikro-Untersuchungsgegenstand der öffentlichen Kulturbetriebe differenzierter modelliert. Dies geschieht aus zwei Gründen: 1. Jegliches betriebliche Geschehen wird von den ausführenden Menschen determiniert, somit auch das Produktionsergebnis und die dabei erreichte Effizienz. 2. Der im Kontextmodell mit Pfeilen dargestellte Einfluss des NPM-Paradigmas erfolgt nicht nur abstrakt über die Körperschaften und Gruppen der drei Ebenen, sondern konkret über handelnde und entscheidende Personen. Diese haben erheblichen Einfluss auf die Art und Weise sowie den Umfang der NPM-Implementation. Durch die noch tiefer ansetzende Modellierung des Outputs der Kulturbetriebe wird die Mikroebene des Kontextmodells selbst zum Makrophänomen (bzw. Explanandum), welches mikrofundiert im Sinne des methodologischen Individualismus mittels der Akteursrationalitäten, welche in Interaktion stehen, erklärt werden kann (Explanans).31 Das Handlungsergebnis der Gesamtheit ergibt sich aus der Aggregation der individuellen Verhaltensweisen. Dieser Ansatz kann als Versuch einer sektorspezifischen ökonomischen Interaktionstheorie angesehen werden, die das Ziel verfolgt, den Einfluss der individuellen handelnden Personen auf die abhängigen Erfolgsvariablen unter Berücksichtigung der strukturierenden Regelsysteme und Interdependenzen eines Betriebs in das Gesamtmodell einzubeziehen.32
31 32
Vgl. Heine/Hirsch et al. (2006), S. 4 f.; Meyer (2005), S. 1-7. Vgl. Homann/Suchanek (2005), S. 100 ff.; Meyer/Heine (2005), S. 15.
12
1. Gang der Untersuchung und methodische Grundlagen
Beim heuristischen Modell der heterogenen Akteursrationalitäten handelt es sich um ein präempirisches Schema: Es dient der Strukturierung komplexer sozialer Phänomene durch die Zusammenfassung mentaler Strukturen und Regeln des Denkens und Handelns.33 Ziel ist es nicht – wie bei einer eigenständigen Mikrotheorie – das Verhalten eines Individuums detailliert und funktional zu ergründen und dadurch die Wirklichkeit abzubilden, sondern mittels einer pragmatischen (Komplexitäts-)Reduktion das Resultat der Aggregation vieler individueller Verhaltensweisen unter Beibehaltung des zweckmäßigen ökonomischen Paradigmas erklären zu können.34 Das Modell ist nicht im Popperschen Sinn falsifizierbar und soll lediglich einen Erklärungsgehalt bei der Interpretation der übergeordneten empirischen Ergebnisse liefern. Somit ist das treffende Beurteilungskriterium nicht die Wahrheit, sondern die Zweckmäßigkeit bzw. Fruchtbarkeit.35 1.5.2
Interpretationen und Definitionen des Rationalitätsbegriffs in der Literatur
Die Prämissen menschlichen Entscheidens und Handelns erfahren u. a. in der ökonomischen, psychologischen und soziologischen Literatur eine große Bedeutung, nicht zuletzt für die Modellierung. Die Ansichtsweisen schlagen sich auch in unterschiedlichen Interpretationen des Rationalitätsbegriffs nieder: Zunächst differenziert die ökonomische Theorie zwischen subjektiver und objektiver Rationalität. Bei der objektiven Rationalität strebt ein Individuum eine Maximierung des Zielerreichungsgrads an. Es verfügt über vollständige Information über Zweck-MittelBeziehungen bzw. betreibt erheblichen Aufwand, um an fehlende Informationen zu gelangen. Die extreme Variante der substanziellen Rationalität liegt dann vor, wenn die vom Individuum unterstellten Zweck-Mittel-Beziehungen objektiven Maßstäben genügen und zudem intertemporal konsistent, somit statisch und unabhängig von Lernprozessen sind.36 Gepaart mit der Annahme vollständiger Informationen entspricht dies der Prämisse des klassischen homo oeconomicus. Diese kann durchaus zweckmäßig für eine Modellierung sein, gilt jedoch als wenig realitätsnah. Bei der subjektiven Rationalität optimiert ein Individuum seine Entscheidungen lediglich innerhalb des begrenzten Rahmens der unvollständigen Informationen. Allein aus der Sicht des Individuums kann die Zweckmäßigkeit der Zweck-Mittel-Beziehung beurteilt werden (interne Konsistenz, meist gemessen an der Transitivität). In der weit verbreiteten Variante der beschränkten Rationalität (bounded rationality) verhält sich der Mensch 33 34 35 36
Vgl. Siegenthaler (2005), S. 5. Vgl. Heine/Hirsch et al. (2006), S. 16; Homann/Suchanek (2005), S. 341, 345; Lindenberg (1990), S. 11. Vgl. Homann/Suchanek (2005), S. 362. Vgl. Fritsch/Wein et al. (2007), S. 358; Siegenthaler (2005), S. 3 f.; Simon (1981), S. 111 f.
1. Gang der Untersuchung und methodische Grundlagen
13
lediglich als Satisfizierer, der den Transaktionskosten verursachenden Suchprozess nach der nutzensteigernden Entscheidungsalternative dann abbricht, wenn mit dem (erwarteten) Ergebnis ein bestimmtes Anspruchsniveau erreicht wird.37 Restriktionen ergeben sich ferner aus der Schwierigkeit der Antizipation, begrenzten geistigen und körperlichen Ressourcen und psychologischen Determinanten. Diese Überlegungen wurden von Friedrich von Hayek, Herbert Simon, Max Weber u. a. angestellt38 und führten zu einer Distanzierung von der traditionellen ökonomischen Rationalitätsannahme. So nennt Herbert Simon39 als Grenzen der Rationalität z. B. das unvollständige Wissen und die Schwierigkeit der Antizipation. Auch der jüngere Forschungszweig der Behavioral Economics (prominent geworden durch Daniel Kahneman und Amos Tversky, früher Vertreter z. B. der deutsche Nobelpreisträger und Spieltheoretiker Reinhard Selten) geht von diesen Prämissen aus. Viktor J. Vanberg40 differenziert den Rationalitätsbegriff wie folgt: Unter Rationalitätsprinzip versteht er die subjektive Konsistenz einer punktuellen Entscheidung eines Akteurs, welche zum Zeitpunkt der Handlung die subjektiven Präferenzen (Ziele und verfolgte Zwecke) und die subjektiven Vorstellungen (Theorien über Wirkungszusammenhänge) berücksichtigt und in eine absichtsgeleitete Entscheidung mündet. Darüber hinaus geht die Rationalitätshypothese. Sie besagt, dass über die punktuelle, lokale Entscheidung hinaus das Gesamtsystem von Präferenzen und Theorien eines Akteurs in sich konsistent sein muss und/oder die Realitätsadäquatheit des Gesamtsystems des Akteurs in Bezug auf die tatsächlichen Gegebenheiten und faktischen Wirkungszusammenhänge im Sinn einer objektiven Zweckmäßigkeit gegeben sein muss. Dabei knüpft Vanberg an einem theoretischen Ansatz des Biologen und Evolutionstheoretikers Ernst Mayr (1991) an, der bei seiner Modellierung teleonomischer Vorgänge bei höheren Organismen „offene Programme“ – darunter versteht Mayr informationsbasierte Problemlösungsansätze durch Lernen, Konditionieren und Erfahrungen - als handlungsleitend herausgestellt hat.41 Niklas Luhmann42 verwendet den Rationalitätsbegriff auf der aggregierten Ebene der Teilsysteme. Gemäß seiner funktional-strukturellen Systemtheorie, anknüpfend an die Theorien Talcott Parsons’ (1964), entwickeln soziale und gesellschaftliche Teilsysteme jeweils ihre eigene Rationalität.43 Folglich sind übergreifend gültige Zweck-Mittel37 38 39 40 41 42 43
Vgl. Fritsch/Wein et al. (2007), S. 358 f. ; Simon (1981), S. 30 Vgl. Heine/Hirsch et al. (2006), S. 7 f.; Siegenthaler (2005), S. 3 f., 12 f.; Simon (1981), S. 116-121. Vgl. Simon (1981), S. 30 ff. Vgl. Vanberg (2002), S. 3-6. Vgl. Mayr (1991), S. 66; Siegenthaler (2005), S. 7. Vgl. Luhmann (1974), S. 38-48 u. 113-123. Vgl. Luhmann (1974), S. 10
14
1. Gang der Untersuchung und methodische Grundlagen
Beziehungen zu negieren. Die Generalisierung von Verhaltenserwartungen erfolgt innerhalb des jeweils betrachteten Systems.44 In den 80er-Jahren verbreitete sich das Konzept der Mentalen bzw. Internen Modelle nach Philip Johnson-Laird (1983) und Dedre Gentner/Albert Stevens (1983). Es drückt im Kerngehalt aus, dass einzelne Akteure, Gesamtheiten oder Gruppen zum einen in ihrem
Selbstbild
Annahmen
über
eigene
Eigenschaftsausprägungen
und
deren
Nebendingungen verfügen und zum anderen in ihrem Weltbild Erwartungen und heuristische Funktionszusammenhänge besitzen. So entsteht eine durch Framing-Effekte und kognitive Einflüsse erzeugte „Weltbrille“, ein „internes Modell“, eine „theory in use“. Das Konzept der Mentalen Modelle erklärt somit Verhaltens- und Eigenschaftsmuster. Dabei sieht es Lernprozesse vor und lässt somit eine intertemporale Anpassung an situative Gegebenheiten zu. Ein großer Nutzen der Mentalen Modelle liegt in der Komplexitätsreduktion angesichts begrenzter Fähigkeiten und unbegrenzten Wollens.45 Der Verwaltungswissenschaftler Heinrich Reinermann (2000) differenziert zunächst zwischen unterschiedlichen Akteursgruppen im öffentlichen Sektor (Politiker, Parteien, Wähler, Verbände und Bürokraten), für die allesamt in Anlehnung an Rieger, Schumpeter und Niskanen das Eigennutz-Axiom unterstellt wird. Sein Rationalitätsbegriff bezieht sich auf die Interpretationsbreite von Wirtschaftlichkeit: So können politische, technische, ökologische, medizinische und ökonomische Argumentationsketten zu unterschiedlichen und dennoch aus Sicht ihrer Vertreter zu gleichermaßen effizienten Ergebnissen führen. Bernhard Blanke nennt die Realisierung dieses Phänomens die „Amalgamisierung unterschiedlicher Rationalitäten im Verwaltungshandeln“.46 Ein Vorläufer dieser Überlegungen ist Paul Diesing, der bereits 1962 zwischen der technischen, ökonomischen, sozialen, juristischen und politischen Rationalität im Sinn von Entscheidungslogiken differenziert.47 Gemäß Reinermann hat die politische Rationalität im öffentlichen Sektor traditionell das stärkste Gewicht. Zur Festigung des NPM-Paradigmas entwickelt er Handlungsmaximen für Bürokratie und Management als „charakteristische Konzepte der Bewältigung von Realhandlungen“48 und stellt diese einander gegenüber. Aus der Überholtheit der Prämissen des Bürokratiemodells - bedingt durch die sich wandelnde Umwelt und umfangreiche Aufgaben im öffentlichen Sektor bei stagnierenden Budgets -
44 45 46 47 48
Vgl. Kaufmann (2005), S. 104 ff.; Luhmann (1974), S. 113-123. Vgl. Weber/Gothe et al. (2001), S. 105-111; Bramsemann/Heineke (2004), S. 562. Blanke/Einemann et al. (2005), S. 448. Vgl. Diesing (1962). Reinermann (2000), S. 19.
1. Gang der Untersuchung und methodische Grundlagen
15
leitet er normativ das Primat des Management-Paradigmas ab und legitimiert somit NPM.49 1.5.3
Prämissen des Modells der heterogenen Akteursrationalitäten
Zunächst wird das allgemeine konzeptionelle Gerüst des für diese Arbeit entworfenen Modells dargestellt (Abb. 4):
M a k r o e b e n e
Organisationshandeln und Output Prallt auf Regelwerk der Institution und beeinflusst Summe aller beobachtbaren Einzelverhalten, determiniert durch Verteilung der Akteursrationalitäten
Tatsächlich gezeigtes Verhalten/geäußerte Argumentation eines Akteurs
M i k r o e b e n e
Andere Akteure
Einnahme einer bestimmten Rationalität, durch die Nutzensteigerung erwartet wird Heuristisch zusammengefasst im Modell der heterogenen Akteursrationalitäten
Situative Faktoren
Betriebskultur
Eigenes Können (Fähigkeiten) Werte und Normen
Eigenes Wollen (Ziele) Erfahrungen und Lernprozesse
Externe Einflüsse Restriktion
Basis
Abb. 4: Darstellung der Einbettung der Prämissen der heterogenen Akteursrationalitäten in die Makroebene betrieblichen Handelns Quelle: Eigene Darstellung.
Die Prämissen des Modells der heterogenen Akteursrationalitäten lauten im Einzelnen: •
Alle Akteure unterliegen begrenzten Fähigkeiten (Kognition, Wissen, Informationsverarbeitung) und unbegrenztem Wollen (Ziele) und sind damit im Gegensatz zum neoklassischen homo oeconomicus restringiert.
•
Es existieren in den Kulturbetrieben die drei Rationalitätskategorien künstlerische, wirtschaftliche und bürokratische Rationalität, in die sich das gezeigte Verhalten sowie die geäußerten Argumentationen der Akteure unabhängig von der konkreten Person einteilen lassen.
49
Vgl. Reinermann (2000), S. 14-22; ähnlich Blanke/Einemann et al. (2005), S. 442 f., 446 ff.;
16
•
1. Gang der Untersuchung und methodische Grundlagen
Jede Rationalitätskategorie repräsentiert ein prototypisches Set von Zielen, Motiven, Werten und Normen, die Eigenschaftskomplexe ergeben, welche wiederum Verhaltenspattern und Argumentationsmuster von Menschen erklären können. Die drei Bezeichnungen implizieren keine Gruppenzugehörigkeiten im soziologischen Sinn und sind nicht als (Wert-)Urteile über bestimmte Berufsgruppen zu interpretieren.
•
Die Akteure können – müssen aber nicht – vorsätzlich, opportunistisch oder mikropolitisch begründet zwischen den Rationalitätskategorien wechseln. Den Akteuren ist im Rahmen ihrer individuellen Fähigkeiten eine Verhaltensflexibilität, eine Pluralität und ein Abwägungsspielraum möglich. Es werden somit nichtpersonengebundene Akteurs- und Präferenzkategorien definiert, die im Alltag des Kulturbetriebs aufeinander stoßen. So können beispielsweise Künstler angesichts ihrer Erfahrungen aus freiberuflichen Tätigkeiten eine starke wirtschaftliche Rationalität einnehmen. Ebenso kann ein Geschäftsführer aufgrund persönlicher Sachkenntnis eine bestimmte Opernproduktion mit künstlerischen Argumenten unterstützen. Die in den drei Kategorien dargestellten Präferenzen stellen daher keine intertemporalen Präferenzen dar, sondern Präferenzmuster eines Denk- und Handlungsschemas mit dem begrenzten Gültigkeitsraum einer punktuellen Entscheidungssituation.
•
Situative Elemente (konkreter Diskussionsgegenstand, Betriebskultur, Mehrheitsverhältnisse, Gruppendynamik) beeinflussen die Wahl der Rationalitätskategorie ebenso wie Werte, Normen, Lern- und Erfahrungsprozesse jedes einzelnen Akteurs.
•
Alle Akteure folgen dem Handlungskalkül der erwarteten Nutzensteigerung durch die Wahl und durch das Einnehmen einer Rationalität. Wie bewusst oder unbewusst das Ergreifen einer Rationalität erfolgt, spielt für den Erklärungsgehalt des Modells keine Rolle. Es ist durchaus möglich, dass zunächst das nutzensteigernde Argumentationsergebnis feststeht und anschließend die Wahl für eine kompatible Rationalität getroffen wird (strategisches Verhalten). Es besteht jedoch eine subjektiv logische Konsistenz zwischen den Anreiz- und Situationsbedingungen, der vertretenen Rationalität und der nach außen gezeigten Reaktion bei gleichzeitiger unvollständiger Information hinsichtlich der Nutzenerwartungswerte der Handlungsalternativen (bounded rationality), d. h. Einhaltung des Rationalitätsprinzips nach Vanberg. Das Verhalten der Akteure ist folglich ökonomisch-rational im Sinn von nicht-willkürlicher Handlungsweise gemäß subjektiver Rationalität unter Restriktionen. Daher kann grundsätzlich am ökonomi-
Brühlmeier/Haldemann et al. (2001), S. 18 ff.
1. Gang der Untersuchung und methodische Grundlagen
17
schen Paradigma festgehalten werden.50 •
Entscheidungen in Kulturbetrieben (z. B. bei Planungsprozessen) sind ein Ergebnis der Verteilung (Menge, Intensität und Macht) der vertretenen Rationalitätskategorien.
•
Die Summe der Einzelentscheidungen determiniert den Output des Kulturbetriebs, das von außen wahrnehmbare Handeln und damit das Ergebnis des latenten Zielkonflikts zwischen Sach- und Formalzielen.
Dieser Rationalitätsbegriff kann gemäß den Kriterien von Weber/Schäffer/Langenbach51 wie folgt klassifiziert werden: •
Rationalitätssubjekt sind die Handlungen und die vertretenen Positionen der Individuen.
•
Es wird auf die okkasionelle Rationalität im Sinne Spinners als Rationalitätsmaßstab und Geltungsbereich abgestellt, d. h. bei vertikaler Einzelfallbetrachtung ist die Handlung in sich rational und konsequent, aber bei horizontalem Vergleich im Zeitablauf nicht zwingend (sog. prinzipielle Rationalität).
•
Der Rationalitätsgrad ist vollständig, d. h. innerhalb der Einzelfallbetrachtung ist von vollständiger Rationalität auszugehen.
•
Das Rationalitätsobjekt ist auf das Vertreten einer Position bzw. Meinung beschränkt, insofern geht es hier lediglich um eine prozedurale Rationalität.
1.5.4
Konkretisierung der drei heterogenen Rationalitäten im Kulturbetrieb
Im Kulturbetrieb treffen ständig unterschiedliche Berufsgruppen aufeinander, die voneinander abhängig sind (Künstler, Intendanz, Dramaturgie, Geschäftsführung, Verwaltung, Technik, Politiker etc.). Folglich kann aus den Interaktionen der Akteure ein Erklärungsgehalt für die abhängigen Variablen und die Forschungsfrage hervorgehen. Es wurden drei Rationalitätskategorien mit zugehörigen Merkmalsausprägungen entworfen, welche als die wichtigsten in Bezug auf die NPM-bezogene Forschungsfrage erschienen (vgl. Tab. 1). Sie werden auch als intervenierende Variable im Untersuchungsdesign berücksichtigt:
50 51
Vgl. Heine/Hirsch et al. (2006), S. 20; Heineke (2005), S. 34 ff.; Homann/Suchanek (2005), S. 366 f., 378. Vgl. Heineke (2005), S. 34 f.; Weber/Schäffer et al. (2001), S. 47.
18
1. Gang der Untersuchung und methodische Grundlagen
Wirtschaftliche Rationalität Kunstausübung auf hohem Gewinnerzielung für Niveau Betrieb und eigene Person Perfektion, Ehrgeiz Erschließen von Ruhm, Reputation, Effizienzen und Tarifrechtliche Potenzialen Absicherung Stetige Optimierung Künstlerische Rationalität
Ziele/ Spezifische Präferenzen
Individualität Handlungskalkül Emotionalität
Pragmatismus und Stringenz Aktive Eigeninitiativen Strategisches Denken
Bürokratische Rationalität Umsetzung von Rechtsvorschriften Gerechtigkeit durch Gleichbehandlung Kontinuität Korrektheit Objektivität Sicherheit
Orientierung
Künstlerische Ideale Künstlerische Leistung
Gewinnmaximierung Recht- und Ordnungsmä Input-Output-Optimierung ßigkeit des Handelns Wettbewerber und Märkte
Selbstbild/ Wertebasis
Dauerhaft gesicherte Daseinsberechtigung begründet durch gesellschaftliche Akzeptanz; daraus resultiert Autarkieempfinden
Unternehmerisches Verwaltendes Selbstverständnis; daraus Selbstverständnis; daraus resultiert Freiheitsempfinresultiert Bewusstsein für den unter Anerkennung Abhängigkeit von Politik von Restriktionen und Parlament; Affinität Affinität zum privaten zum öffentlichen Sektor Sektor
Risikoprofil
Gemischt Offenheit Experimentierfreude
Risikoaffin Offenheit und Flexibilität Innovationsfreude
Risikoavers Veränderungsvermeidend
Motivation
Intrinsisch (Kunst) und extrinsisch (materiell)
Intrinsisch (Selbstverwirklichung) und extrinsisch (materiell)
Intrinsisch (Pflichterledigung) und extrinsisch (materiell, Sicherheit)
Arbeitshaltung
Unterordnung des Individuums im Klangkörper möglich
Teamorientierung starke Kommunikation situativ eingesetzte Autorität
Zuständigkeitsdenken Passivität, da Determination durch Systemregeln
Methoden
Disziplin und Fleiß Intuition und Inspiration Ästhetik Körperbeherrschung
Management-Instrumente: Anwendung des Marketing, Controlling, öffentlichen Rechts und Menschenführung, Verordnungen, Entscheidungszyklen etc. standardisierte Verwaltungsvorgänge
Ursachenzuschreibung
Interne Kausalattribution
Interne Kausalattribution
Externe Kausalattribution
Formalzielorientierung (Ergebnissteigerung)
Neutral Planeinhaltung
Sachzielorientierung Betriebl. (Kunstmaximierung) Zielorientierung
Tab. 1: Skizzierung von drei wichtigen Rationalitäten in Kulturbetrieben Quelle: Eigene Überlegungen und vgl. Knappe (2007), S. 94 ff.; Reinermann (2000), S. 19 f.; Schein (2004), S. 196-201; Süßmair (2000), S. 99 ff.
1. Gang der Untersuchung und methodische Grundlagen
1.5.5
19
Zusammengefasste Modellierung
Fügt man die drei Rationalitätskategorien (verkürzt auf die wesentlichen Aussagen) in das konzeptionelle Gerüst ein, so ergibt sich zusammenfassend folgende Darstellung (Abb. 5):
Organisationshandeln und Output M a k r o e b e n e
Prallt auf Regelwerk der Institution und beeinflusst Summe aller beobachtbaren Einzelverhalten, determiniert durch Verteilung der Akteursrationalitäten
Tatsächlich gezeigtes Verhalten/geäußerte Argumentation eines Akteurs
Andere Akteure
Einnahme einer bestimmten nutzensteigernden heterogenen Akteursrationalität:
M i k r o e b e n e
Künstlerische Rationalität
Wirtschaftliche Rationalität
Bürokratische Rationalität
Kunstmaximierung Emotionalität Autarkieempfinden Leistungs-Affinität Sachzielorientierung Ehrgeiz und Reputation Materielle Absicherung
Unternehmerisches Handeln Strategisches Denken Affinität zum privaten Sektor Pragmatismus und Stringenz Formalzielorientierung Anwendung von Management-Instrumenten
Rechtmäßigkeit des Handelns Objektivität und Korrektheit Affinität zum öffentlichen Sektor Standardisierte Vorgänge Planeinhaltung als Ziel Determination durch Systemregeln
Abb. 5: Zusammenfassende Darstellung des Modells der heterogenen Akteursrationalitäten Quelle: Eigene Darstellung.
Das Modell (Abb. 5) wird in seiner Eigenschaft als präempirisches Schema herangezogen. Dabei werden direkte oder beiläufig enthaltene Informationen in den Aussagen der Interviewpartner über die Rationalitäten sowie deren Auswirkungen auf die abhängigen Variablen in der empirischen Untersuchung erfasst und ausgewertet. Es kann jedoch aus methodischen Gründen nicht das Ziel verfolgt werden, dieses Modell und die drei Rationalitäten explizit zu testen.
20
1.6
1. Gang der Untersuchung und methodische Grundlagen
Variablenmodell der empirischen Untersuchung Unabhängige Variablen (Einfluss von NPM-Instrumenten) Externes Rechnungswesen (Doppik)
Internes Rechnungswesen (KLR/Controlling)
Personalmanagement (HRM)
Intervenierende Variablen Kulturpolitik und Kulturverwaltung
Vermittlungsprozess-Variablen Implementierungsprozess (Umsetzung der NPM-Instrumente)
Künstlerische Rationalität
Wirtschaftliche Rationalität Bürokratische Rationalität
Rahmenbedingungen
Abhängige Variablen Künstlerischer Erfolg
Wirtschaftlicher Erfolg
Abb. 6: Variablenmodell der Untersuchung Quelle: Eigene Darstellung, Systematik in Anlehnung an Gläser/Laudel (2006), S. 79.
Die Forschungsfrage soll anhand des in Abb. 6 dargestellten Variablenmodells bearbeitet werden. Die drei betriebswirtschaftlichen Reformelemente des NPM werden als unabhängige, exogene Variablen eingeführt. Sie wirken ursächlich auf die abhängigen Variablen ein. Als Wirkung wird der Output der Kulturbetriebe in Form des künstlerischen und wirtschaftlichen Erfolgs betrachtet (abhängige, endogene Variablen).
1. Gang der Untersuchung und methodische Grundlagen
21
Der Zusammenhang zwischen den NPM-Reformelementen und dem Output ist mittelbar. Als weitere Variablenkategorie wird daher die Vermittlungsprozessvariable „Implementierungsprozess von NPM-Instrumenten“ eingeführt. Dabei ist der Gedanke leitend, dass aus der Implementierung selbst ein eigenständiger Erklärungsgehalt hervorgeht, zumal die drei betrachteten Reformstränge externes und internes Rechnungswesen sowie Personalmanagement bei der Umsetzung auf den jeweiligen Betrieb spezifisch konkretisiert werden müssen. Je nach individueller Konzeption und Ausgestaltung von NPM-Instrumenten und je nach Verlauf des Implementierungsprozesses kann die Auswirkung auf die abhängigen Variablen unterschiedlich ausfallen. Nicht zuletzt um diese Differenziertheit zu ermöglichen, wurde ein qualitativer Forschungsansatz gewählt. Intervenierende Variable wirken direkt auf die abhängigen Variablen oder indirekt über die Vermittlungsprozessvariable. Ihnen gilt kein originäres Erkenntnisinteresse. Dennoch sind sie zu berücksichtigen, da sie den Output beeinflussen und bei der Kausalanalyse ggf. auf Hintergrundvariablen weisen können.52 Die drei aufgeführten Rationalitätskategorien fußen auf dem Modell der heterogenen Rationalitäten (vgl. Kap. 1.5). Die Rahmenbedingungen fokussieren sowohl rechtliche Aspekte (Haushalts-, Gesellschafts-, Tarifrecht etc.) als auch strukturelle Aspekte (Region, Konkurrenz, Presse etc. (vgl. Makroebene in Abb. 3). Die intervenierende Variable Kulturpolitik und -verwaltung beinhaltet Einflüsse der exekutiven und legislativen Staatsgewalt (vgl. MesoEbene in Abb. 3). Die Dimensionen der Variablenmessung werden in Kap. 5.2.1 erläutert. 1.7
Methodik der qualitativen Inhaltsanalyse
Als empirische Forschungsmethode wurde die qualitative Inhaltsanalyse in Verbindung mit halbstrukturierten Leitfaden-Experteninterviews gewählt. Die spezifische Ausprägung der hier angewendeten qualitativen Inhaltsanalyse geht auf Gläser und Laudel zurück, welche wiederum auf Mayring rekurrieren.53 Die wesentlichen Kennzeichen und Techniken lauten:54 •
Die Analyse erfolgt theoriegeleitet (in diesem Fall NPM in Verbindung mit einer Variablen-Modellierung des Kulturbetriebs).
52 53 54
Vgl. Gläser/Laudel (2006), S. 79 f. Vgl. Gläser/Laudel (2006); Mayring (2007). Vgl. Flick (2007), S. 414; Gläser/Laudel (2006), S. 42 ff.; Mayring (2007), S. 42-46.
22
•
1. Gang der Untersuchung und methodische Grundlagen
Es wird ex ante ein Regelsystem erstellt, welches ein systematisches Verfahren zur Informationsentnahme determiniert und damit die intersubjektive Überprüfbarkeit herstellt.
•
Das Regelwerk beinhaltet ein ebenfalls ex ante zu bestimmendes, einheitliches Kategoriensystem, in welchem die Analyseziele konkretisiert werden. Sämtliche extrahierte Informationen werden in dem Kategoriensystem eingeordnet.
•
Die Beachtung des Kontextbezugs, ermöglicht durch das Mitführen der Quellenangaben während sämtlicher Auswertungsschritte, verhindert eine Fehlinterpretation durch losgelöste, isoliert betrachtete Einzelinformationen.
•
Es erfolgt eine kritische Methodenreflexion durch die Bewertung mit Gütekriterien.
Die qualitative Inhaltsanalyse eignet sich für die Bewältigung großer Textmengen, da sie sich bereits im ersten Auswertungsschritt vom Urtext löst, abstrahiert und somit das Material ohne Informationsverlust reduziert. Varianten der qualitativen Inhaltsanalyse, welche hier nicht angewendet wurden, sind die Textanalyse mittels Kodierung, das freie Interpretieren sowie sequenzanalytische Methoden (objektive Hermeneutik, Narrationsanalyse). Es liegt eine qualitativ-rekonstruierende Untersuchung vor. Die Einführung und Wirkungsentfaltung von NPM-Instrumenten wird somit als zu rekonstruierender Sachverhalt behandelt. Kausalzusammenhänge im Handlungssystem des Kulturbetriebs sollen durch bis in die Tiefe von Prozessabläufen reichende Experteninterviews aufgeklärt werden. Der Erklärungsgehalt für die Beurteilung der Thesen ergibt sich bei den hier vorliegenden Forschungsfragen aus der differenzierten Analyse der Aussagen. Dabei werden bei entsprechenden Indizien in der qualitativen Auswertung auch die Randbedingungen, eventuelle Hintergrundvariablen und der Stärkegrad der Kausalitäten erfasst. Gemäß dem Grundsatz der zu berücksichtigenden Gegenstandsadäquanz der Methodik erschien ein qualitativer Forschungsansatz gegenüber einem quantitativen der angemessener zu sein. Das Erkenntnisinteresse liegt primär in der vielfältigen und inhaltlich differenzierten Erforschung der Kausalitäten. Dies ist für das fundierte Verständnis einer Institution und der Ursachen für die Eignung bzw. Nicht-Eignung der NPM-Instrumente unabdingbar55.
55
Vgl. Bouckaert/van Dooren (2003), S. 133; Gläser/Laudel (2006), S. 71 f.
1. Gang der Untersuchung und methodische Grundlagen
23
Es wurde angestrebt, die Ursachen, Bedingungen und die von den Experten geschilderten Hintergründe zu erfassen, um – soweit möglich – verallgemeinerbare Aussagen abzuleiten. Ferner
verfolgen
die
fokussierten
NPM-Instrumente
teilweise
qualitative Ziele
(Wirklichkeitsnähe, Nachhaltigkeit, Transparenz, Steuerungsrelevanz, vgl. Kap. 4), deren Modellierung in quantitative Größen schwierig erschien (Problematik der Konstruktvalidität56). 1.8
Effektivitäts- und Effizienzkriterien
Das in der NPM-Literatur verbreitete Vierebenen-Konzept zur Bewertung und Steuerung von Verwaltungshandeln nach Budäus, welches wiederum auf Buschor rekurriert, sowie das 3-E-Modell zur Wirkungsorientierung dienen als Ausgangspunkte der Überlegungen zu den in dieser Arbeit verwendeten Effizienzkriterien. Beide Modelle sind weitgehend kongruent57 und werden in nachfolgender Abb. 7 vereinigt:
Ordnungsmäßigkeit
Outcome Output
Effektivität
Effizienz
Economy
(Zielebene)
(Maßnahmenebene)
(Mittelebene)
Herstellungs prozess
Input Zielvorgaben
Abb. 7: Beurteilungskriterien im öffentlichen Sektor nach Budäus, Schedler u. a. Quelle: In Anlehnung an Budäus (1998), S. 59; Buschor/Schedler (1994), S. XIII f.; Schedler/Proeller (2006), S. 76.
56 57
Vgl. Schnell/Hill et al. (2005), S. 156 ff. Budäus differenziert zwischen Effizienz und Wirtschaftlichkeit. Da die gängige ökonomische Literatur diese Begriffe gleichsetzt, wird hier abweichend zu Budäus gemäß dem 3-E-Modell die Economy (Sparsamkeit) eingeführt, welche inhaltlich das umfasst, was Budäus mit Wirtschaftlichkeit bezeichnet (sparsamer Mitteleinsatz), vgl. Budäus (1998), S. 60.
24
1. Gang der Untersuchung und methodische Grundlagen
Den Konzepten liegt nachfolgend beschriebene Wirkungskette zu Grunde58 (vgl. auch Kap. 3.4.1): Zunächst werden politische Ziele definiert. Zur Erreichung der Ziele wird ein Mitteleinsatz (Input) beschlossen. Dieser mündet in einen Herstellungsprozess, aus dem unmittelbar Leistungen (Output) hervorgehen. Der Output generiert mittelbar individuelle und gesellschaftliche Wirkungen und Nutzen (Outcome).59 NPM fordert eine stärkere Orientierung an den Wirkungen, welche möglichst effizient und effektiv erreicht werden sollen, im Gegensatz zur traditionell im öffentlichen Sektor verankerten Input- und Ordnungsmäßigkeits-Orientierung.60 Aus dem Vierebenen-Konzept und dem 3-E-Modell ergeben sich vier Beurteilungskriterien für Allokationen im öffentlichen Sektor (vgl. Abb. 7): 1. Zielebene (Effektivität): Verhältnis von Zielerreichung (Outcome) zu Zielvorgabe 2. Maßnahmenebene (Effizienz): Verhältnis von Output zu Input 3. Mittelebene (Economy): Verhältnis von Ist-Kosten zu Soll- bzw. Standardkosten 4. Ordnungsmäßigkeitsebene: Einhalten der gesetzlichen Vorschriften
Das erste Kriterium, Effektivität, liegt in der Verantwortung der Meso-Ebene (vgl. Abb. 3), insbesondere der legislativen Gewalt mit Unterstützung durch die exekutive Gewalt. Weil sich diese Arbeit auf die Mikro-Ebene der Kulturbetriebe konzentriert und die Messung
des
Outcomes
(z. B.
Umwegrentabilitäten61,
Bildung,
Freizeitangebot,
Bürgerzufriedenheit, Reputation) im Rahmen dieser Arbeit nicht geleistet werden kann, wird auf die Beurteilung von Effektivität der Kulturbetriebe verzichtet. Die zweite und dritte Ebene sind die zentralen Kriterien dieser Untersuchung: Allgemein stellt Effizienz bzw. Wirtschaftlichkeit62 auf die Relation von Leistungsoutput und Ressourceninput ab.63 Wirtschaftlichkeit gilt gesetzlich und damit verbindlich als zu prüfender Grundsatz für alle Bereiche der öffentlichen Verwaltung in sämtlichen Phasen
58 59 60 61
62
63
Vgl. Thom/Ritz (2006), S. 219 f.; ähnlich auch bei Bouckaert (2006), S. 120 f. Einige Autoren differenzieren zusätzlich zwischen Impact (individueller Nutzen) und Outcome (gesellschaftliche Folgewirkungen), vgl. Kap. 3.5.1. Vgl. Haiber (1997), S. 12. Unter Umwegrentabilitäten versteht man positive externe Effekte, welche die Wohlfahrt anderer Wirtschaftssubjekte steigern, jedoch beim Verursacher nicht gleichermaßen wirtschaftlich kompensiert werden. Im Fall der Kulturbetriebe besteht der Output zunächst in der Kulturproduktion an sich. Jedoch werden zusätzliche ökonomische Wirkungen ausgelöst: u. a. eine Belebung der Nachfrage bei Lieferanten und Dienstleistern, im Tourismus, der Gastronomie, Beschäftigung sowie eine Standortattraktivitätssteigerung der Stadt - letztlich also einen Nutzenzugewinn für Bürger und die lokale Wirtschaft, welcher über die Produktion und den Besuch von kulturellen Veranstaltungen hinausgeht. Diese indirekten Effekte aus Umwegrentatbilitäten werden auch zur Legitimation der öffentlichen Bezuschussung des Kultursektors argumentativ herangezogen, vgl. DIW (2002), S. 16, 19 u. 53f.; Knappe (2007), S. 34. Im Gegensatz zu Budäus setzen viele Autoren Effizienz mit Wirtschaftlichkeit gleich, vgl. Brede (2005), S. 208; Schedler/Proeller (2006), S. 76; vgl. auch Wirtschaftlichkeitsdefinitionen für den kommunalen Leistungsvergleich bei Adamaschek (1997), S. 61. Vgl. Haiber (1997), S. 38; Simon (1981), S. 202; Wöhe/Döring (2000), S. 1.
1. Gang der Untersuchung und methodische Grundlagen
25
der Aufgabenerfüllung.64 Angesichts der Mittelknappheit zur Befriedigung der Bedürfnisse ist sie bei einer rationalen Alternativenauswahl eine bedeutende ökonomische Betrachtungsgröße.65 Dabei steht aus Sicht des Gesetzgebers das Minimalprinzip im Vordergrund, d. h. das Erreichen eines vorgegebenen Outputs mit minimalem Mitteleinsatz.66 Die dritte Ebene, Economy bzw. Sparsamkeit, zielt auf einen minimalen Ressourceneinsatz (Input) ab.67 Diese Ebene steht in Zusammenhang mit der Effizienz-Ebene: Wenn sich die Economy erhöht, steigt c. p. die Effizienz, da der unveränderte Output mit geringerem Input erreicht wird. Da öffentliche Theater und Orchester in erheblichem Umfang auf Zuwendungen als größte Bestandteile ihres Inputs angewiesen sind, wird der hohen Bedeutung dieses Teilziels durch eine explizite Darstellung Rechnung getragen. Effizienz und Economy können sowohl mengen- als auch wertmäßig betrachtet und beurteilt werden. Die Interdependenzen zwischen Wert- und Mengengerüst und Einflüsse durch Preisentwicklungen bzw. Inflation mit entsprechenden Folgen für die Messung und Beurteilung stellen jedoch keine Besonderheit im öffentlichen Sektor dar und werden daher nicht weiter thematisiert. Die Effektivität ist prinzipiell unabhängig von der Effizienz. Jedoch kann eine steigende Effizienz mittelbar dazu führen, dass entweder aus einem höheren Output ein höherer Outcome oder bei konstantem Output ein geringerer Input resultiert. Folglich stehen im Rahmen einer übergreifenden Opportunitätsbetrachtung mehr Ressourcen zur Verfügung, um zusätzliche politische Ziele zu erreichen, oder die Steuerbelastung zu senken. Somit ist die Bemühung um die Erhöhung von Effizienz (und Economy) auch ein indirekter Beitrag zur Steigerung der Effektivität im gesamten öffentlichen Sektor. Die Effizienz ist in der Dann-Komponente der Hauptthese und einiger Unterthesen dieser Arbeit enthalten. Die Economy wird dabei unter Effizienz subsumiert. Bei den betrachteten Kulturbetrieben wird eine Effizienzsteigerung dann erreicht, wenn z. B.: •
Auf der Mengenebene mehr Aufführungen und/oder mehr Besuche aus einer konstanten Zuwendung generiert werden.
•
Steigende Eigenerlöse zu verringerter Abhängigkeit von öffentlichen Mitteln führen (Erhöhung der Einspielquote).
• 64
65 66 67
Die öffentliche Bezuschussung gemessen am einzelnen Besuch sinkt. Vgl. § 6 Abs. 1 Haushaltsgrundsätzegesetz (HGrG); Konkretisierung in § 7 Abs. 1 Bundeshaushaltsordnung (BHO). Somit könnte Wirtschaftlichkeit in einer weiten Interpretation auch unter Ordnungsmäßigkeit subsumiert werden. Vgl. Kirchgässner (2000), S. 12-15. Vgl. Verwaltungsvorschrift (VV) zu § 7 BHO; Haiber (1997), S. 38; Schmidt (2006), S. 46; Wöhe/Döring (2000), S. 1. Vgl. Schedler/Proeller (2006), S. 76.
26
•
1. Gang der Untersuchung und methodische Grundlagen
Preis- und Lohnerhöhungen aus eigener Kraft der Kulturbetriebe bewältigt werden können.
•
Die Qualität des künstlerischen Angebots bei konstanter Zuwendung steigt, indem z. B. freigewordene Ressourcen in den künstlerischen Output (Einladung renommierter Solisten etc.) gelenkt werden.
•
Die Qualität des künstlerischen Angebots bei sinkender Zuwendung nicht abnimmt.
Die Effizienzmessung zur Beurteilung der Thesen erfolgt im empirischen Teil anhand der Aussagen der Interviewpartner (vgl. auch Ausführungen zur Validität in Kap. 5.3.3). Dabei wird nicht das Ziel verfolgt, Effizienzentwicklungen exakt zu quantifizieren, was sich anhand vielschichtiger Interdependenzen in Bezug auf die Erfolgsvariablen ohnehin sehr schwierig gestalten würde. Da es zum Auftrag und zur Existenz der Kulturbetriebe gehört, auch qualitative Ziele zu verfolgen, ist es legitim, dass diese gleichberechtigt neben wirtschaftlichen Zielen als eine mögliche Output-Komponente bei der Erhebung berücksichtigt werden. Der quantitative Output wird in der abhängigen Variable „Wirtschaftlicher Erfolg“ erfasst, der qualitative Output in der abhängigen Variablen „Künstlerischer Erfolg“. Bislang ist keine allgemein anerkannte Lösung der Messproblematik von Sachzielen und künstlerischer Qualität gefunden worden,68 zumal eine Objektivierung und Validierung von externen Output-Messungen selbst im quantitativen Bereich schwierig ist.69 In dieser Untersuchung fließen qualitative Outputs in der Weise in die Auswertung ein, dass die Aussagen der Experten, damit der Insider, über künstlerische Entwicklungen der Theater und Orchester herangezogen werden. Für die Beantwortung der Forschungsfrage ist die relative Entwicklung innerhalb einer Zeitspanne bei den einzelnen Häusern der Stichprobe von Bedeutung, jedoch keine vergleichende Betrachtung, welche problematische absolute Messungen erfordern würde. Daher schlägt die konzeptionelle Schwierigkeit der Qualitätsmessung weniger zu Buche.70 Ein künstlerischer Erfolg und damit eine steigende Qualität des Outputs werden im Rahmen dieser Untersuchung dann angenommen, wenn ein Interviewpartner beispielsweise äußert, dass innerhalb eines Zeitraums:
68
69 70
Vgl. Ossadnik (1987a), S. 146 f., 156 f. Bereits die Definition des künstlerischen Auftrags als zu erreichendes Sachziel und damit eine qualitative Konkretisierung des Output-Ziels wird aufgrund von Subjektivismen und verschiedener Kunstbegriffe als unrealistisch eingeschätzt, vgl. Ossadnik (1987), S. 283. Vgl. Bouckaert (2006), S. 125-129; Buschor/Schedler (1994), S. 111-115, 190-194. Sie besteht vielmehr darin, dass die Aussagen und Urteile der Experten bezüglich künstlerischer Qualität nicht intersubjektiv überprüft werden können, z. B. hinsichtlich der Attraktivität des Spielplans, vgl. auch Ausführungen zu den Gütekriterien Kap. 5.3.
1. Gang der Untersuchung und methodische Grundlagen
27
•
die Klang- und Aufführungsqualität steigt,
•
die Spielplangestaltung attraktiver wird,
•
Presse und Expertenzirkel positivere Urteile fällen,
•
mehr Uraufführungen und Premieren stattfinden und
•
künstlerische Ziele erreicht werden, etwa die Bewältigung schwieriger oder groß besetzter Werke, die zuvor nicht möglich waren.71
Die Ordnungsmäßigkeit, das vierte Kriterium, geht durch die intervenierende Variable „Rahmenbedingungen“ in die Auswertung ein. Hier wird zu untersuchen sein, ob und ggf. inwiefern Restriktionen aus zwingenden Vorschriften die Effizienz und den Erfolg beeinflussen.
71
Vgl. auch Ossadnik (1987a), S. 147.
2. Charakterisierung des Untersuchungsgegenstands
2
Charakterisierung des Untersuchungsgegenstands
2.1
Charakterisierung der Theater und Orchester
2.1.1
Einführung
29
Ein wesentlicher Bestandteil des Bühnenlebens der Bundesrepublik Deutschland besteht aus den 143 öffentlich getragenen Theatern mit insgesamt 826 Spielstätten, in denen 293.838 Sitzplätze verfügbar sind. In der Spielzeit 2006/07 wurden: •
63.652 Veranstaltungen angeboten,
•
die von 20,9 Mio. Gästen besucht wurden, o davon 5,5 Mio. bei Schauspielen, o 4,4 Mio. bei Opernaufführungen, o 2,5 Mio. bei Kinder- und Jugendtheateraufführungen, o 1,5 Mio. bei Konzerten, o 1,4 Mio. bei Balletten, o 1,2 Mio. bei Musicals, o 0,7 Mio. bei Operetten, o 0,5 Mio. beim theaternahen Rahmenprogramm, o 1,6 Mio. bei sonstigen Aufführungen.
Bei auswärtigen Gastspielen wurden keine Besucherzahlen erhoben. Neben den 143 Theatern mit 69 integrierten Kulturorchestern existieren noch 53 selbständige Kulturorchester und 14 Rundfunkorchester. In Summe ergeben sich somit 136 deutsche Orchester mit 10.168 Musikern, welche in 6.846 Konzerten etwa 4,2 Millionen Zuhörer erreicht haben.72 Hinzukommen noch Privattheater, insbesondere Musicals, Festspiele und Festivals. In dieser Arbeit lag der Schwerpunkt bei den öffentlich getragenen Aufführungskünsten; die Grundgesamtheit der empirischen Untersuchung besteht aus den Theatern und selbständigen Kulturorchestern. Ebenso wenig werden Museen, die Filmkunst und Bibliotheken bei den Ausführungen und der Empirie explizit berücksichtigt. Die Zielsetzung und Aufgaben der Kulturbetriebe ergeben sich einerseits intertemporal aus Satzungen, Gesellschaftsverträgen, Gründungsgesetzen etc. und andererseits aus Zuwendungsverträgen mit den Trägern, in denen Leistungsziele vereinbart werden können, z. B. Anzahl von Aufführungen in den einzelnen Sparten oder an bestimmten Orten. 72
Vgl. Deutscher Bühnenverein (2007), S. 253-261; Unvollständige Daten der Rundfunkorchester in der Quelle bedingen geringere Anzahl der Besuche als real geschehen.
30
2. Charakterisierung des Untersuchungsgegenstands
2.1.2
Einordnung in den öffentlichen Sektor
Zunächst werden die öffentliche Verwaltung und öffentliche Unternehmen in ihren groben Charakteristika den privatwirtschaftlichen Unternehmen gegenübergestellt (Tab. 2): Öffentliche Verwaltung
Öffentliche Unternehmen
Privatwirtschaftliches Unternehmen
Rechtlich unselbständige Öffentlich-rechtliche oder Unabhängige privatrechtliche Verwaltung, Regie- oder privatrechtliche Körperschaft, Körperschaft, Hoheitsbetriebe, wirtschaftlich und ohne öffentliche Zuwendungen wirtschaftlich eigenständig rechtlich Bestandteil handelnd, jedoch abhängig von überlebensfähig übergeordneter Strukturen öffentlichen Zuwendungen Quantitative und qualitative Quantitative und qualitative SachDominante Formalziele wie Gewinnerzielung und Wachstum Sach- und Leistungszielerreiund Leistungszielerreichung chung/Erfüllung der gesetzlichen als Haupttriebskraft Pflichten Trägt durch Vorbereitung, Vollzug wohlfahrtsstaatliche Erfüllt keine expliziten und Kontrolle politischer Versorgung/öffentlicher Auftrag Funktionen für den Staat Entscheidungen auch zum Staatszweck bei Tendenz zur Reduktion des Branchenspezifische Differenzen Marktwachstum, AngebotsausweiAngebots tung Steuern, Beiträge, Gebühren Eher marktunabhängige Marktabhängige Umsatzerlöse als Umsatzerlöse, Zuwendungen etc. alleinige Einnahmequelle Kollektive Bedarfsdeckung Staat und Privatpersonen als Privatwirtschaft und Hauptabnehmer Privatpersonen als Hauptkäufer Budgetmaximierung als Strategisches Management und verbreiteter Motivator Kostensenkung als Erfolgsfaktoren Politisch-bürokratisch-juristischökonomischer RationalitätenÖkonomische Rationalität und Mix, keine eindeutigen Ziel-Mitteldamit implizite Zielvorgabe Je nach Betriebskultur und Ketten und „verfilztes Einzelfallgegebenheiten eine Zielsystem“; Ziele extern definiert Mischung zwischen Begrenzter Autonomiegrad und Relativ hoher Autonomiegrad und große Handlungsspielräume geringe Handlungsspielräume privatwirtschaftlichen und der Leitung der Leitung öffentlich-rechtlichen Strukturen nach organisationsStrukturen vorwiegend nach theoretischen, aber auch organisationstheoretischen Charakteristika Gesichtspunkten aufgebaut demokratietheoretischen Gesichtspunkten aufgebaut Kein Marktdruck, gesetzlich Hoher Wettbewerbsdruck; kein vorgegebener Bestandsschutz Bestandsschutz Klare, einfache, meist Komplexe interdependente Aufsichtsgremien, politische Verantwortungsstrukturen mit Aufsichtsbehörden stehen unipersonale VerantwortlichkeiAbhängigkeit von Stakeholdern, neben/über betrieblicher ten deren Vorgaben sich häufig ändern Geschäftsführung Tab. 2: Strukturelle und inhaltliche Unterschiede zwischen privatwirtschaftlicher Unternehmung und öffentlichem Sektor Quelle: Haiber (1997), S. 12 ff.; Reichard (1998), S. 57 ff.; Schäfer (1999), S. 1104f.; Schedler/Proeller (2006), S. 15 ff.
2. Charakterisierung des Untersuchungsgegenstands
31
In der Spielzeit 1994/95 waren noch 59 % aller Theaterbetriebe als Regiebetrieb konstituiert und konnten somit mehrheitlich in der Eigenschaft als rechtlich unselbständige, nachgeordnete Einrichtungen bzw. städtische Ämter der öffentlichen Verwaltung zugeordnet werden. Dieser Anteil hat kontinuierlich abgenommen: 2006/07 waren nur noch 26 % aller Theater als Regiebetrieb, dafür 32 % als GmbH, 20 % als Eigenbetrieb, 22 % in sonstigen Rechtsformen konstituiert.73 Somit ist für die Theater eine Entwicklung von der öffentlichen Verwaltung hin zu selbständiger agierenden öffentlichen Unternehmen festzustellen. 2.1.3
Einnahmestrukturen der Theater
In den 143 deutschen Theatern wurden in der Spielzeit 2006/07 eigene Einnahmen von 438 Mio. € erwirtschaftet, die durch 2.076 Mio. € öffentliche Mittel ergänzt wurden, um die Gesamtausgaben in Höhe von 2.548 Mio. € zu decken. Jeder Theaterbesuch wurde somit durchschnittlich mit 101,75 € bezuschusst.74 Aus der Aggregation der statistischen Daten sämtlicher deutscher Bühnen ergeben sich nachfolgend dargestellte durchschnittliche Einnahmeproportionen (Abb. 8): Fremdveranstaltungen 2%
Gastspiele Sonstiges 1% 3%
Spenden und Sponsoring 1%
Sonstige Kartenerlöse 2% Abonnements 2% Vollpreiskarten 7% Garderobe 0% Programmverkauf 0%
Medienerlöse 0%
Öffentliche Zuweisungen 84%
Abb. 8: Relative Einnahmestrukturen der deutschen Theater in der Spielzeit 2006/07 Quelle: Eigene Darstellung. Daten aus Deutscher Bühnenverein (2007), S. 257 ff., vgl. absolute Werte und Aggregationen im Anhang 1.
73 74
Vgl. Deutscher Bühnenverein (2007), S. 253; Für die Orchester liegt keine vergleichbare aggregierte Statistik vor, eine ähnliche Entwicklung ist jedoch wahrscheinlich. Vgl. Deutscher Bühnenverein (2007), S. 257 ff.
32
2. Charakterisierung des Untersuchungsgegenstands
Die wichtigste Kennzahl für die wirtschaftliche Effizienz, das Einspielergebnis (Anteil der selbst erwirtschafteten Erlöse an den Gesamtausgaben) liegt im Bundesdurchschnitt bei 18,0 %.75 Betrachtet man nur die selbst erwirtschafteten Erlöse, so ergibt sich folgende Zusammensetzung (Abb. 9):
Vollpreiskarten 41% Spenden und Sponsoring 5%
Sonstiges 17% Abonnements 13% Medienerlöse 0% Programmverkauf 1%
Garderobe 2%
Auswärtige Gastspiele 8%
Fremdveranstaltungen 2%
Sonstige Kartenerlöse 11%
Abb. 9: Zusammensetzung der selbst erwirtschafteten Einnahmen der deutschen Theater in der Spielzeit 2006/07 Quelle: Eigene Darstellung. Daten aus Deutscher Bühnenverein (2007), S. 257 ff., vgl. absolute Werte und Aggregationen im Anhang 1.
2.1.4
Ausgabestrukturen der Theater
Die Ausgabestruktur ist von dem hohen Personalkostenanteil in Höhe von 74 % der Gesamtkosten, geprägt.76 Dabei ist zu beachten, dass in den sächlichen Betriebsausgaben zusätzlich noch Anteile für Personaldienstleistungen enthalten sein können (Reinigung, Garderobiere, Einlass, Kantine, Telefondienste, Pforte, sonstige Fremdvergaben), somit die tatsächliche Personalintensität vermutlich noch höher als 74% liegt.77 Es vermittelt sich folgendes Bild (Abb. 10):
75 76 77
Ebenda, S. 259. Ebenda (2005), S. 241. Vgl. Mertens (2005), S. 14.
2. Charakterisierung des Untersuchungsgegenstands
Finanzierung, Zinsen 2% Gastspiele 1%
Bauaufwand 2%
33
Sächliche Betriebsausgaben 9%
Abschreibungen 3% Grundstücke, Gebäude, Anlagen 4% Geräte, Ausstattungen 1%
Personal 74%
Sonstiges 4%
Abb. 10: Relative Ausgabestrukturen der deutschen Theater in der Spielzeit 2006/07 Quelle: Eigene Darstellung. Daten aus Deutscher Bühnenverein (2007), S. 258 f. (vgl. absolute Werte und Aggregationen im Anhang 2). Geringfügige Abweichungen ergeben sich aus Differenzen in den Quelldaten zwischen Einzelwerten und Summierungen.
Der umfangreiche Personalkostenanteil setzt sich wie folgt detailliert zusammen (Abb. 11):
Chöre 7%
Sänger 4%
Orchester 15%
Schauspieler 5%
Tänzer 3%
Nicht darstld. künstl. Personal 7%
Leitung 4%
Sonstige Personalkosten 3% Unständiges Personal 12%
Verwaltung, Hauspersonal, Vertrieb 8%
Künstl.-techn. Personal 32%
Abb. 11: Relative Personalkostenstrukturen der deutschen Theater in der Spielzeit 2006/07 Quelle: Eigene Darstellung. Daten aus Deutscher Bühnenverein (2007), S. 258 f., vgl. absolute Werte und Aggregationen im Anhang 2. Vgl. ergänzend langfristige Ausgabestrukturen im Personalbereich bei Greve (2002), S. 87.
34
2. Charakterisierung des Untersuchungsgegenstands
In den 143 öffentlichen Theatern waren am 1.1.2007 insgesamt 38.260 Menschen ständig und sozialversicherungspflichtig beschäftigt, davon 16.744 in den künstlerischen Ensembles, 12.463 im technischen und künstlerisch-technischen Bereich, 3.164 in Verwaltung, Hauspersonal und Vertrieb, 995 in der Leitung sowie 850 Auszubildende. Hinzukommen 8.229 unständige produktionsbezogene Gastverträge, 3.497 Abendgäste und 6.487 Werkverträge.78 Die hohe Personalintensität ist ein Wesensmerkmal des Theaterbetriebs.79 Es kann gemäß Abb. 11 davon ausgegangen werden, dass bis zu 88% der Personalkosten fix sind, d. h. unabhängig von der Ausbringungsmenge (Output). Die frei disponiblen künstlerischen Budgets und damit direkt zuordenbaren Einzelkosten für Inszenierungen befinden sich in den Ansätzen für unständiges Personal (Abendgäste, Solisten, Aushilfen, Werkverträge, Gastregisseure und -dirigenten etc.) sowie in den sächlichen Betriebsausgaben (Materialkosten für Bühnenbildner, Ausstattungen, Urheberrechtsabgaben etc.). Aus den Proportionen wird deutlich, dass zur Refinanzierung einer 1 %-igen Steigerung der Personalkosten die selbst erwirtschafteten Erlöse um ca. 4 % steigen müssten. Unterstellt man, dass über zehn Jahre hinweg Tarifabschlüsse von 2,5 % stattfinden, so müssten sich c. p. in diesem Zeitraum die eigenen Einnahmen verdoppeln, um bei vollem Substanzerhalt ohne Erhöhung der Zuwendungen auszukommen. Da jährliche Preissteigerungen bei Kartenerlösen etc. in der Größenordnung von 10 % nicht realistisch zu erzielen und vermutlich auch kulturpolitisch schwer zu begründen sind, zeigt sich zum einen die starke Abhängigkeit von öffentlicher Bezuschussung80 und zum anderen die Relevanz der Forschungsfrage nach Effizienzsteigerungen aus anderen Quellen. 2.2
Auswertungen der Theaterstatistik
In den folgenden Unterabschnitten wird die Entwicklung der Jahre 1995-2007 der wichtigsten Input-, Output- sowie Effizienz- und Economy-Kennzahlen (vgl. Ausführungen zu den Beurteilungskriterien in Kap. 1.6) sämtlicher deutscher Theater und Orchester aufgeführt.81 Dies dient zum einen der Feststellung übergeordneter Entwicklungsverläufe in diesem Sektor, zum anderen der treffsichereren Kausalattribution und Validitätssteigerung der empirischen Untersuchungsergebnisse. Der zeitliche Bezug der Auswirkungen der in den Interviews abgefragten NPM-Instrumente sowie die Entwicklung der abhängigen Erfolgsvariablen stimmt weitgehend überein (vgl. insbesondere Fragen 7, 53, 54, s. Anhang 3). 78 79 80
Vgl. Deutscher Bühnenverein (2007), S. 256. Vgl. Ossadnik (1987), S. 279. Vgl. Mertens (2005), S. 14.
2. Charakterisierung des Untersuchungsgegenstands
35
Die Jahresangaben der nachfolgenden Tabellen und Grafiken sind so zu interpretieren, dass Bestandsgrößen am 1.1. des jeweiligen Jahres gemessen wurden (z. B. Anzahl Theater, Personal in Stellen). Stromgrößen beziehen sich auf die Spielzeit, welche im Vorjahr beginnt und im angegebenen Jahr endet (z. B. Veranstaltungen in Jahresspalte 2007 = Summe der Veranstaltungen vom 1.8.2006 bis zum 30.7.2007). Als Datenquelle dienten die Summentabellen der publizierten Theaterstatistiken des Deutschen Bühnenvereins der Spielzeiten 1994/95 bis 2006/0782, welche in eigenen Rechnungen verarbeitet wurden. Im Jahr 2003/04 fand eine Überarbeitung und Erweiterung der statistischen Systematik statt, so dass eventuelle Veränderungen und Nicht-Angaben zu diesem Zeitpunkt auf Definitionsänderungen etc. zurückzuführen sind. Bei den Orchestern wird abweichend ein späteres Bezugsjahr für die relative Betrachtung gewählt, weil zwischen den Spielzeiten 1994/95 und 1995/96 erhebliche Schwankungen bei vielen Kennzahlen vorliegen, jedoch unmittelbar anschließend eine deutliche Beruhigung der Werte einsetzt. Ohne diese Anpassung hätte bereits das erste Betrachtungsjahr die relative Darstellung über sämtliche Folgejahre erheblich verzerrt. 2.2.1
Rechtsformen der Theater
In den betrachteten Jahren 1995 bis 2007 hat sich eine starke Entwicklung zur rechtlichen Verselbständigung von Kulturbetrieben und Herauslösung aus den hoheitlichen Verwaltungen abgezeichnet. Der Anteil der nicht rechtsfähigen Regiebetriebe hat sich in diesem Zeitraum mehr als halbiert und wurde mengenmäßig 2005 von der GmbH eingeholt. Auch die sonstigen Rechtsformen sind neben der GmbH stetig gewachsen, insbesondere durch Eigenbetriebe und Stiftungen (vgl. Tab. 3).
81 82
Vgl. dazu im Folgenden auch eine ältere Auswertung bei Wegner (1999), S. 119-149. Vgl. Deutscher Bühnenverein (1995 bis 2007).
1998 73 39 8 9 23 152
1999 71 39 8 9 25 152
2000 71 40 8 9 25 153
2001 66 40 8 9 27 150
2002 65 42 8 9 27 151
2003 65 43 8 8 26 150
2004 k. A. k. A. k. A. k. A. k. A. 149
2005 43 45 6 6 43 145
99
00
0% 01 Jahr
02
03
04
05
06
07
Sonstige (u. a. Eigenbetrieb, Stiftung)
20%
98
Zweckverband
30%
10%
e. V.
40%
2007 37 46 5 5 47 143
GmbH
97
Relative Häufigkeit der Rechtsformen unter den deutschen Theatern
Quelle: Eigene Darstellung.
2006 42 44 6 6 43 143
50%
96
1997 77 36 8 9 22 152
Regiebetrieb
95
1996 83 34 8 7 22 154
Tab. 3: Verteilung der Rechtsformen in den deutschen Theatern, vgl. Deutscher Bühnenverein (1995 bis 2007)
1995 92 32 8 9 15 156
60%
70%
Regiebetriebe GmbH e.V. Zweckverband Sonstige Summe Theaterbetriebe
36 2. Charakterisierung des Untersuchungsgegenstand
2. Charakterisierung des Untersuchungsgegenstands
2.2.2
37
Mengenmäßige Entwicklung von Output und Personalbestand
Bei den Theatern lässt die steigende Anzahl von Veranstaltungen und das noch stärker steigende Repertoire an Inszenierungen bei gleichzeitig abnehmender Zahl von Theaterbetrieben auf eine steigende Programmvielfalt schließen. Zudem ist jedoch eine um 9,1 % rückläufige Besucherzahl im relevanten Zeitraum zu beobachten, was evtl. auf eine abnehmende Anzahl der Theaterbetriebe von 156 auf 143 zurückgeführt werden kann (- 8,3 %). Die Personalkapazitäten entwickeln sich langfristig parallel zu den rückläufigen Besucherzahlen; diesbezüglich ist die Economy mengenmäßig im Verhältnis zu den Besuchen konstant geblieben bzw. im Verhältnis zu den Veranstaltungen gestiegen. Die Output-Effizienz hat sich insofern erhöht, als dass mit geringeren personellen Mitteln ein mengenmäßig umfangreicheres kulturelles Angebot geschaffen wurde. Dieses wurde jedoch - gemessen an absoluten und relativen Besuchszahlen - rückläufig frequentiert. Im betrachteten Zeitraum ist die Anzahl der bedienten Spielstätten trotz der erwähnten Theaterschließungen um 32,4 % auf 826 Orte gestiegen, das offerierte Platzangebot um 21,7 % auf 293.838 Plätze (statisch in Bezug auf die Summe der Spielstätten, d. h. ohne Berücksichtigung der Verteilung der Veranstaltungen auf die Spielstätten als p. a. angebotene Verkaufskarten). Dies kann als ein Bemühen der Kulturbetriebe um attraktive und vielfältige Spielorte sowie um die Nähe zum Publikum interpretiert werden. Die steigende Anzahl von Veranstaltungen bei sinkenden Besuchszahlen lässt als Nebeneffekt dieser Angebotsdiversifizierung auf eine abnehmende Auslastung der Raumkapazitäten schließen. Da unter den 826 Spielstätten jedoch viele nur gelegentlich bespielte Sonderbühnen (Freiluftbühnen, Innenhöfe, Schlösser, Kirchen etc.) enthalten sind, wäre es verfrüht, aus diesem Befund auf eine sinkende Auslastung der Hauptstandorte der 143 Theater zu schließen. Hierzu erlauben die Daten der Theaterstatistik keine Aussage. Eine sinkende Anzahl von Theatern erzeugte mit reduzierten Personalressourcen in den vergangenen 13 Jahren einen steigenden Output, gemessen an Veranstaltungen, bedienten Spielstätten und Repertoire. So hat sich z. B. der mengenmäßige VeranstaltungsOutput pro Theater von 433,3 in 1995 auf 489,9 in 2007 erhöht. Insoweit ist die Effizienz gestiegen. Jedoch ist die Nachfrage gemessen an absoluten Besuchen rückläufig. Die wichtigste Input-Ressource, das Personal, hat sich mengenmäßig im Vergleich zur Nachfrage neutral entwickelt, in Bezug auf den Output sind die Effizienz und Economy jedoch deutlich gestiegen, vgl. zu allen Befunden Tab. 4.
38
2. Charakterisierung des Untersuchungsgegenstands
Für die Gastspiele der Orchester liegen keine durchgängigen Besucherzahlen vor. Somit beschränken sich die Quoten auf die Besucher am Heimatort. Durch eine Neugliederung der Statistik zwischen 2004 und 2005 erfährt die Statistik gewichtige Veränderungen: Die Anzahl der Orchester nimmt um fünf zu, die Zahl der angebotenen Konzerte um 922 Konzerte bzw. 19,2 %, die Besuche verlieren sogar nominal, so dass folglich die relativen Kennzahlen einbrechen. Langfristig ist vergleichbar zu den Theatern auch bei den Orchestern zu sehen, dass trotz Personalabbaus (187 Stellen bzw. 4,7 %) eine OutputSteigerung gemessen an angebotenen Konzerten erreicht wurde (Zuwachs um 721 Konzerte bzw. 14,0 %), vgl. Tab. 5. Seit der deutschen Wiedervereinigung ist ein starker Personalrückgang zu verzeichnen: Allein in den Kulturorchestern sind zwischen 1992 und 2005 insgesamt 16 % der Musikerstellen entfallen, in Westdeutschland 6 %, in Ostdeutschland fast 30 %, das entspricht knapp 2.000 Stellen; die Anzahl der orchestralen Klangkörper reduzierte sich von 168 auf 135.83
83
Vgl. Mertens (2005), S. 4.
1995 = 100 %
1995
1996
1997
1998
1999
2000
2001
2002
2003
2004
2005
2006
2007
85%
90%
95%
100%
105%
110%
115%
120%
95
96
97
98
99
00
Jahr
01
02
03
04
05
Relative Outputentwicklung und Personalbestand in deutschen Theatern
Quelle: Eigene Darstellung.
06
07
Inszenierungen im Repertoire
Personal (in Stellen)
Besuche
Veranstaltungen
Tab. 4: Absolute Outputentwicklung und Personalbestand (Stellen) der deutschen Theater, vgl. Deutscher Bühnenverein (1995 bis 2007)
Anzahl Theater 156 154 152 152 152 153 150 151 150 149 145 143 143 Anzahl Veranstaltungen 67.591 69.159 71.785 71.918 71.311 71.100 70.055 69.632 72.096 70.560 69.778 69.238 70.058 Besuche 23,1 Mio. 23,0 Mio. 22,9 Mio. 23,0 Mio. 22,7 Mio. 22,5 Mio. 22,3 Mio. 21,7 Mio. 22,0 Mio. 21,7 Mio. 21,2 Mio. 20,7 Mio. 21,0 Mio. Inszenierungen 4.264 4.355 4.415 4.656 4.604 4.718 4.391 4.414 4.539 4.616 4.629 4.644 4.945 (Repertoire) Besucher pro 342 333 318 319 319 316 318 311 306 308 303 300 299 Veranstaltung Personal (in Stellen) 42.162 41.649 43.155 42.785 42.695 42.518 42.103 42.121 42.020 38.607 38.342 38.210 38.260 Personal (Stellen) 0,62 0,60 0,60 0,59 0,60 0,60 0,60 0,60 0,58 0,55 0,55 0,55 0,55 in Relation zu Veranst.
2. Charakterisierung des Untersuchungsgegenstands 39
70%
80%
90%
100%
110%
120%
96
Anzahl Orchester Konzerte Besucher am Ort Besucher je Konzert am Ort Musiker Musiker/Konzert
1996 = 100 %
830 4.075 0,81
824 3.986 0,77
797 4.166 0,79
55 5.303 2.562.598
1998
761 4.035 0,77
53 5.249 2.543.903
1999
800 3.904 0,81
52 4.810 2.435.218
2000
830 3.706 0,79
50 4.686 2.458.537
2001
818 3.665 0,78
49 4.718 2.553.331
2002
761 3.485 0,72
48 4.833 2.476.983
2003
846 3.420 0,71
48 4.795 2.683.444
2004
641 3.759 0,66
53 5.717 2.595.214
2005
97
98
99
00
01 Jahr
02
03
04
05
06
07
Relative Entwicklung des Outputs, der Besucher und des Personalbestands in deutschen Orchestern
Quelle: Eigene Darstellung.
665 3.799 0,65
53 5.871 2.655.980
2007
Musiker Konzerte insgesamt Besucher am Ort Besucher pro Konzert
604 3.830 0,63
53 6.043 2.539.284
2006
Tab. 5: Absolute Outputentwicklung und Personalbestand (Stellen) der deutschen selbständigen Kulturorchester, vgl. Deutscher Bühnenverein (1996 bis 2007)
55 5.041 2.455.956
1997
55 5.150 2.437.316
1996
40 2. Charakterisierung des Untersuchungsgegenstands
2. Charakterisierung des Untersuchungsgegenstands
2.2.3
41
Entwicklung der Gattungen im Programmangebot der Theater
Im betrachteten Zeitraum hat das Angebot an den personalintensiven Gattungen Oper, Ballett und Operette teils geringfügig, teils stärker abgenommen (-6,3 %, -6,0 % bzw. -28,3 %), wobei die Reduktion von Opern und Balletten ein wenig schwächer ausfällt als die Abnahme der Theaterbetriebe (-8,3 %). Daher kann global, ohne Beachtung von Verteilungsaspekten und qualitativen Faktoren, von einer Aufrechterhaltung des mengenmäßigen Angebots an Opern und Balletten in Relation zur Anzahl der Theater gesprochen werden. Die These der Diversifizierung des Programms und damit Erweiterung der Vielfalt spiegelt sich auch hier in der steigenden Anzahl der Konzerte (1.193 bzw. 66,4 %), Kinder- und Jugendtheater (1.925 bzw. 20,5 %), sonstige Formate (762 bzw. 11,6 %) und Schauspiele (1.483 bzw. 6,8 %) wider. Das Angebot an Musicals ist stark gesunken (-1.371 bzw. -37,8 %). Damit ist die steigende Anzahl der Veranstaltungen (2.467 bzw. 3,6 %) – und damit die Outputsteigerung der Theater bei sinkenden Kapazitäten – im Wesentlichen auf die Gattungen Kinder- und Jugendtheater, Schauspiele und Konzerte zurückzuführen. Angesichts der in Kap. 2.1.1 aufgeführten absoluten Besuchszahlen für die Gattungen wird ersichtlich, dass je nach Gattung erhebliche Unterschiede bei den durchschnittlichen Besuchszahlen pro Veranstaltung vorliegen (Oper 662, Ballett 563, Operette 500, Musical 546, Schauspiel 235, Kinder- und Jugendtheater 217, Konzerte 496, Sonstige 71 durchschnittliche Besucher in der Spielzeit 2006/07). Daher darf die nachfolgende Übersicht (Tab. 6) über die absoluten Veranstaltungszahlen nicht als Frequentierung bzw. Nachfrage gewertet werden.
60%
80%
100%
120%
140%
160%
95
1995
7.032 2.678 2.008 3.623 21.909 9.370 1.797 6.573
1996
7.012 2.630 2.371 3.141 22.181 9.990 2.070 7.001
1997 6.965 2.815 1.956 3.390 23.126 10.203 2.120 8.073
1998 6.908 2.730 2.171 3.070 23.638 9.971 1.969 8.152
1999 6.961 2.692 1.854 3.269 23.517 9.787 2.042 7.646
2000 6.786 2.727 1.860 3.335 22.958 9.782 2.097 8.394
2001 6.725 2.648 1.775 3.143 23.052 9.612 2.213 8.006
2002 6.946 2.539 1.534 2.910 23.623 9.693 2.204 7.836
2003 7.045 2.650 1.557 2.971 23.969 10.444 2.346 7.942
2004 6.572 2.644 1.591 2.609 23.362 9.957 2.637 8.271
2005 6.689 2.452 1.500 2.420 23.274 10.717 2.770 5.900
2006 6.780 2.526 1.317 2.239 23.018 10.714 2.827 6.924
96
97
98
99
00
Jahr
01
02
03
04
05
06
Relative Entwicklung ausgewählter Veranstaltungstypen in den deutschen Theatern
Quelle: Eigene Darstellung.
07
2007 6.591 2.518 1.440 2.252 23.392 11.295 2.990 7.335
Opern Operetten Schauspiele Kinder-/Jugendtheater Konzerte
Tab. 6: Anzahl der Aufführungen in den Gattungen pro Spielzeit der deutschen Theater, vgl. Deutscher Bühnenverein (1995 bis 2007)
Opern Ballette Operetten Musicals Schauspiele Kinder- u. Jugendtheater Konzerte Sonstige
42 2. Charakterisierung des Untersuchungsgegenstands
2. Charakterisierung des Untersuchungsgegenstands
2.2.4
43
Wertmäßige Entwicklung des Inputs
Im Betrachtungszeitraum sind die Gesamtausgaben der Theater um 13,1 % bzw. 296 Mio. € angewachsen. Dies refinanzierte sich aus selbst erwirtschafteten Einnahmen (starker Anstieg um 49,7 % bzw. 145 Mio. €) und öffentlichen Zuwendungen und Zuschüssen (7,3 % bzw. 142 Mio. €). Letztere sind seit dem Spitzenwert in 2003 sogar rückläufig (69 Mio. € bis 2007 bzw. 3,2 %). Die Personalkosten sind um 163 Mio. € gestiegen (das entspricht 9,5 % in 12 Jahren bzw. ein durchschnittliches jährliches Wachstum von nominal 0,76 %), die Sachkosten 200 Mio. € bzw. 56,8 %. Nach wie vor machen die Personalkosten den größten Anteil der Ausgaben der Theater aus (geringfügig sinkend von 76,5 % auf 74,0 %), vgl. Tab. 7. Der geringe absolute Anstieg beim Personalaufwand kann aus dem Personalabbau in Stellen (3.902 Stellen bzw. 9,3 %), der Substitution durch Sachkosten etwa beim Outsourcen an Dienstleistungsunternehmen (Reinigung, Hauspersonal, Bewachung etc.),84 bzw. Verkleinerung der künstlerischen Ensembles und ggf. stärkeres Zurückgreifen auf freie Engagements (Gäste) sowie einigen zurückhaltenden Tarifabschlüssen im öffentlichen Dienst, welche gemäß § 55 TVK analog auch für Orchester gelten, erklärt werden. Die absoluten Ausgabesteigerungen wurden in den betrachteten 12 Jahren etwa hälftig durch eigene Einnahmen und öffentliche Mittel kompensiert. Da der Anteil der selbst erwirtschafteten Erlöse global betrachtet unter 20 % liegt, ist insoweit die Effizienz gestiegen (vgl. auch nächsten Abschnitt). Die Kulturorchester erwirtschafteten 111 Mio. € selbst, empfingen 212 Mio. € öffentliche Zuweisungen, um Gesamtausgaben von 316 Mio. € tätigen zu können. Das entspricht einem Einspielergebnis von 35 %. Jeder Besuch wurde hier durch 81,56 € bezuschusst. Bezüglich der Einnahmen und Ausgaben ist festzustellen, dass die selbst erwirtschafteten Einnahmen im Betrachtungszeitraum deutlich stärker gewachsen sind als die öffentlichen Zuweisungen (31,6 Mio. € bzw. 35,5 % in Relation zu 18,8 Mio. € bzw. 10,0 %), vgl. Tab. 8.
84
Vgl. Deutscher Bühnenverein (2005), S. 4.
90%
100%
110%
120%
130%
140%
150%
315 1.989 2.328 380
1.783 76,6 %
1.722 76,5 %
1996
293 1.934 2.252 352
1995
1.789 76,4 %
318 1.998 2.340 375
1997
1.807 75,9 %
332 2.018 2.380 383
1998
1.820 76,9 %
339 2.002 2.367 389
1999
1.860 77,1 %
357 2.030 2.412 410
2000
1.863 76,3 %
367 2.049 2.441 423
2001
1.897 75,8 %
377 2.103 2.503 447
2002
1.911 74,7 %
388 2.145 2.560 448
2003
1.918 75,9 %
385 2.106 2.526 435
2004
1.918 76,1 %
415 2.048 2.521 509
2005
1.909 75,1 %
424 2.079 2.542 541
2006
95
96
97
98
99
00
Jahr
01
02
03
04
05
06
Relative Entwicklung von Einnahmen und Ausgaben der deutschen Theater
Quelle: Eigene Darstellung.
07
1.885 74,0 %
438 2.076 2.548 552
2007
Ausgaben
Eigene Einnahmen Öffentliche Zuwendungen
Tab. 7: Absolute Entwicklung der Einnahmen und Ausgaben (in Mio. €) der deutschen Theater, vgl. Deutscher Bühnenverein (1995 bis 2007)
Eigene Einnahmen Öfftl. Zuwendungen Ausgaben davon Sachkosten davon Personalkosten Anteil Personalkosten
1995 = 100 %
44 2. Charakterisierung des Untersuchungsgegenstands
1996 = 100 %
90%
100%
110%
120%
130%
140%
96
97
89,1 188,3 277,2 32,7 %
1996
93,3 189,2 282,5 32,2 %
1997 93,9 188,4 282,3 33,0 %
1998 93,6 190,0 283,6 33,3 %
1999 93,6 195,1 288,7 33,0 %
2000 97,4 194,8 292,2 32,4 %
2001 98,1 204,0 302,1 33,3 %
2002
2003 103,9 203,5 307,4 32,5 %
2004 105,6 205,6 308,2 33,8 %
2005 111,1 211,9 316,3 34,3 %
2006 114,5 203,1 318,2 35,1 %
98
99
00
01 Jahr
02
03
04
05
06
Relative Entwicklung der Einnahmen und Ausgaben der deutschen Orchester
Quelle: Eigene Darstellung.
07
2007 120,7 207,1 326,5 36,0 %
Öffentliche Zuwendungen
Eigene Einnahmen
Ausgaben
Tab. 8: Absolute Entwicklung der Einnahmen und Ausgaben (in Mio. €) der deutschen selbständigen Kulturorchester, vgl. Deutscher Bühnenverein (1996 bis 2007)
Eigene Einnahmen Öffentliche Zuwendungen Ausgaben Einspielquote
2. Charakterisierung des Untersuchungsgegenstands 45
46
2.2.5
2. Charakterisierung des Untersuchungsgegenstands
Relative Effizienzkennzahlen
Die wichtigste Kennzahl der operativen Effizienz, die Einspielquote der Theater (Anteil der selbst erwirtschafteten Erlöse in Relation zu den Gesamteinnahmen) ist im Betrachtungszeitraum um knapp 4 Prozentpunkte von 14,1 % auf 18,0 % gestiegen und weist einen stetigen Wachstumstrend auf. Angesichts der in den vorherigen Abschnitten dargelegten wirtschaftlichen Strukturen ist dieser Entwicklungsschritt größer und bedeutsamer, als es der Zahlenwert suggeriert (3,9 Prozentpunkte entsprechen einer relativen Steigerung um 27,7 %). Der absolute Betriebszuschuss pro Besucher nahm jedoch um 18,31 € zu (Anstieg um 23,8 %). Diese Entwicklung ist circa zur Hälfte auf die gesunkene Gesamtanzahl von Besuchen bzw. Besuchern pro Veranstaltung zurückzuführen. Der operative Betriebszuschuss ist von 1,782 Mrd. € auf 1,999 Mrd. € angestiegen, dies entspricht 217 Mio. € bzw. 12,2 %, vgl. Tab. 9. Das ist ein Beleg dafür, dass die wirtschaftliche Effizienz der Theater gemessen am Input-Output-Verhältnis in Bezug auf die produzierten Veranstaltungen und gemessen an der wirtschaftlichen Unabhängigkeit in den betrachteten 12 Jahren gestiegen, jedoch in Bezug auf die öffentliche Subventionierung des einzelnen Besuches gesunken ist. Bei dieser nominalen Betrachtung blieben Inflationseffekte unberücksichtigt. In den Orchestern ergibt sich ein partiell abweichendes Bild: Die Einspielquote, welche strukturell deutlich höher als bei den Theatern liegt, ist vergleichbar um 3,3 Prozentpunkte von 32,7 % auf 36,0 % gestiegen (relative Erhöhung um 10,1 %) und weist ebenfalls einen kontinuierlich positiven Trend auf. Die absolute öffentliche Zuwendung des einzelnen Besuchs ist mit geringfügigen Schwankungen im Betrachtungszeitraum nahezu nominal konstant geblieben. Gleicher Endbefund gilt auch für die Kosten des einzelnen Konzerts, wobei nach der Jahrtausendwende eine deutliche mehrjährige Schwankung um knapp 20 % nach oben zu verzeichnen ist, vgl. Tab. 10.
1995 = 100 %
80%
90%
100%
110%
120%
130%
140%
95
96
97
98
99
00
Jahr
01
02
03
04
05
06
07
Relative Entwicklung wichtiger Effizienz-Kennzahlen der deutschen Theater
Quelle: Eigene Darstellung.
Besucher pro Vorstellung Ausgaben pro Vorstellung
Betriebszuschuss je Besucher Einspielquote
Tab. 9: Absolute Entwicklung wichtiger Effizienz-Kennzahlen der deutschen Theater, vgl. Deutscher Bühnenverein (1995 bis 2007)
1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 Einspielquote 14,1 % 14,6 % 14,7 % 15,1 % 15,3 % 15,7 % 16,0 % 16,1 % 16,4 % 16,3 % 17,0 % 17,3 % 18,0 % Betriebszuschuss je 80,28 80,87 80,94 82,37 85,27 86,29 90,78 89,57 90,73 92,24 97,66 95,34 Besucher (in €) 77,03 Ausgaben je Veranstaltung 43.486 44.223 43.562 44.264 44.175 45.820 46.562 47.732 47.171 47.844 47.373 46.852 47.320 (in €) Besucher je 342 333 318 319 319 316 318 311 306 308 303 300 299 Veranstaltung Besuche 23,1 Mio. 23,0 Mio. 22,9 Mio. 23,0 Mio. 22,7 Mio. 22,5 Mio. 22,3 Mio. 21,7 Mio. 22,0 Mio. 21,7 Mio. 21,2 Mio. 20,7 Mio. 21,0 Mio.
2. Charakterisierung des Untersuchungsgegenstands 47
77,05
56.040 32,2 %
53.822 32,7 %
1997
77,26
1996
53.226 33,0 %
73,53
1998
54.026 33,3 %
74,69
1999
60.021 33,0 %
80,12
2000
62.354 32,4 %
79,22
2001
64.027 33,3 %
79,90
2002
63.602 32,5 %
82,14
2003
64.275 33,8 %
76,61
2004
55.327 34,3 %
81,66
2005
52.648 35,1 %
79,98
2006
55.618 36,0 %
77,98
2007
90%
95%
100%
105%
110%
115%
120%
125%
96
97
98
99
00
01 Jahr
02
03
04
05
06
07
Relative Entwicklung wichtiger Effizienz-Kennzahlen der deutschen Orchester
Quelle: Eigene Darstellung.
Ausgaben pro Konzert
Öfftl. Zuwendung pro Besucher
Einspielquote
Tab. 10: Absolute Entwicklung wichtiger Effizienz-Kennzahlen der deutschen selbständigen Kulturorchester, vgl. Deutscher Bühnenverein (1996-2007)
Öffentliche Zuwendung je Besucher in € Ausgaben je angebotenes Konzert in € Einspielquote
1996 = 100 %
47 48 2. Charakterisierung des Untersuchungsgegenstands
2. Charakterisierung des Untersuchungsgegenstands
2.2.6
49
Personalstruktur in den Theatern
Im Betrachtungszeitraum fand ein Personalabbau in den Theatern statt, welcher aber nahezu perfekt korreliert mit der Anzahl der Theater, die in gleichem Maße gesunken ist. Dieser Zusammenhang drückt sich in der Quote Personal pro Theater aus, die abgesehen von zwischenzeitlichen Ausschlägen in den letzten Jahren der Erhebungsperiode fast dieselben Werte einnimmt wie in den ersten Jahren (270 bzw. 268 Stellen pro Theater). Der Abbau betrifft das künstlerische (9,5 % bzw. 1.862 Stellen) wie das nichtkünstlerische Personal (9,0 % bzw. 2.040 Stellen) in gleichem relativen Maß. Lediglich als Untergruppe des nicht-künstlerischen Personals haben die Beschäftigten der Verwaltung (gemäß Gliederung der Theaterstatistik inkl. Vertrieb) die größten Einschnitte erfahren (21,7 % bzw. 662 Stellen). Wie bereits in Kap. 2.2.2 und 2.2.3 festgestellt wurde, konnte jedoch mit geringeren personellen Kapazitäten eine höhere Anzahl von Veranstaltungen angeboten werden, ohne überproportionale Abnahme der personalintensiven Gattungen, vgl. Tab. 11.
75%
80%
85%
90%
95%
100%
105%
110%
95
1995
19.601 22.561 3.048 42.162 156 270 67.591
1996
19.260 22.389 2.979 41.649 154 270 69.159
1997 18.738 21.534 2.883 43.155 152 284 71.785
1998 18.391 21.580 2.814 42.785 152 281 71.918
1999 18.418 21.496 2.781 42.695 152 281 71.311
2000 18.251 21.459 2.808 42.518 153 278 71.100
2001 17.936 21.394 2.773 42.103 150 281 70.055
2002 17.971 21.285 2.865 42.121 151 279 69.632
2003 17.958 21.205 2.857 42.020 150 280 72.096
2004 17.895 20.858 2.649 38.607 149 259 70.560
2005 17.832 20.510 2.441 38.342 145 264 69.778
96
97
98
99
00
Jahr
01
02
03
04
05
06
07
Relative Stellenentwicklung im Vergleich zum Veranstaltungsangebot der deutschen Theater
Quelle: Eigene Darstellung.
2006 17.728 20.482 2.386 38.210 143 267 69.238
2007 17.739 20.521 2.386 38.260 143 268 70.058
Veranstaltungen
davon Verwaltung
Nicht-künstlerisches Personal
Künstlerisches Personal
Tab. 11: Absolute Personalentwicklung (in Stellen) der deutschen Theater, vgl. Deutscher Bühnenverein (1995 bis 2007)
Künstlerisches Personal Nicht-künstler. Personal davon Verwaltung SUMME Personal Anzahl Theaterbetriebe Personal pro Theater Veranstaltungen
1995 = 100 %
50 2. Charakterisierung des Untersuchungsgegenstands
2. Charakterisierung des Untersuchungsgegenstands
2.2.7
51
Geschichte des öffentlichen Dienstes und Tarifwerke in Theatern und Orchestern
Die Geschichte des öffentlichen Dienstes reicht bis in den Absolutismus zurück, zu dessen Zeiten die Monarchen abhängige Beschäftigte unterhielten. Der Preußenkönig Friedrich Wilhelm I. verpflichtete seine Bediensteten zu uneingeschränktem Staatsdienst, der nicht als herkömmliche Erwerbstätigkeit verstanden wurde. Das Leitbild der preußischen Verwaltung war schon zu diesen Zeiten durch Werte wie Genauigkeit, Sparsamkeit, Pünktlichkeit und bedingungslose Pflichterfüllung geprägt. 1794 wurde erstmalig eine Art des Beamtenstatus in der Kodifikation des öffentlichen Dienstrechts im Allgemeinen Landrecht für die Preußischen Staaten definiert. Erst im 20. Jahrhundert wurden vermehrt Angestellte und Arbeiter im öffentlichen Dienst beschäftigt, vor allem in städtischen Versorgungs- und Verkehrsbetrieben. 1920 wurden die ersten Tarifverträge für Arbeitnehmer im öffentlichen Dienst geschlossen. Das Dritte Reich spannte das Berufsbeamtentum stark in die Reichsführung mit ein, ebenso wie sich viele Beamte in der NSDAP engagierten. Die junge Bundesrepublik Deutschland entschied sich für die Beibehaltung des Berufsbeamtentums (Art. 33 Abs. 4 GG85). Nicht gänzlich unproblematisch angesichts der angestrebten Reformen im Personalwesen ist die konservierende Bestimmung des für alle Beschäftigtengruppen geltenden Art. 33 Abs. 5 GG: „Das Recht des öffentlichen Dienstes ist unter Berücksichtigung der hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums zu regeln“, zu denen u. a. die Unkündbarkeit, das Alimentationsprinzip und das Senioritätsprinzip gehören.86 Gerade letztere sind jedoch ein mindestens vordergründiger Widerspruch zum vom NPM geforderten Leistungsprinzip.87 Jahrzehntelang bestimmte in den Theatern eine sehr heterogene Tarifvertragsstruktur mit sieben Tarifwerken, drei Arbeitgebergremien und fünf Gewerkschaften den Alltag.88 Durch die Zusammenfassung von NV Solo, NV Tanz, NV Chor, BTT bzw. BTTL im neu geschaffenen NV Bühne vom 1.1.2003 wurde teilweise eine Vereinheitlichung und Flexibilisierung erreicht. Daneben ist im künstlerischen Bereich der TVK für die Orchester maßgeblich. Auch im nicht-künstlerischen Bereich findet durch den TVöD vom 1.10.2005 bzw. TV-L vom 12.10.2006 eine Vereinheitlichung insofern statt, als die Differenzierung zwischen Arbeitern (alte Tarifwerke MTB/MTL/BMT-G) und Angestellten (BAT) 85
86 87
Wortlaut des Art. 33 Abs. 4 GG: „Die Ausübung hoheitsrechtlicher Befugnisse ist als ständige Aufgabe in der Regel Angehörigen des öffentlichen Dienstes zu übertragen, die in einem öffentlich-rechtlichen Dienst- und Treueverhältnis stehen.“ Vgl. Blanke/Einemann et al. (2005), S. 320-325, 334. Ebenda S. 357, 364.
52
2. Charakterisierung des Untersuchungsgegenstands
aufgegeben wird.89 Die Umstellungs- und Überleitungsprozesse sind noch nicht an allen Orten beendet. Im Bereich des TVöD ist jedoch eine heterogene Entwicklung auf nationaler Ebene eingetreten, da die Tarifgemeinschaft deutscher Länder (TdL) die Verhandlungen zum TVöD nicht mitgetragen hat, einige Bundesländer aus der TdL ausgetreten sind und infolgedessen die Kommunen, Länder und der Bund zu uneinheitlichen Tarifabschlüssen gelangen.90 Da im Zuge der Modernisierungsprozesse der Tarifwerke für die Altbeschäftigten Vereinbarungen zur Besitzstandswahrung getroffen wurden, entsteht ein Ungleichgewicht bei den Beschäftigungsbedingungen zu den jüngeren Beschäftigen, worunter langfristig die Attraktivität und damit die Qualität der künstlerischen Berufe und des öffentlichen Dienstes leiden könnten.91 Eine starke Verbreitung haben daneben Haustarifverträge erfahren. Im Jahr 2003 zählt Rolf Bolwin, geschäftsführender Direktor des Deutschen Bühnenvereins, bereits 180 abgeschlossene Haustarifverträge in deutschen Orchestern und Theatern, von denen 80 Gehaltseinbußen für das künstlerische Personal beinhalten.92 Diese enthalten jedoch häufig Bezugnahmeklauseln und bauen somit auf den genannten allgemeinen Tarifwerken auf. An den grundsätzlichen Kostenstrukturen können jedoch auch diese lokalen Regelungen dauerhaft nichts ändern. 2.2.8
Haushaltsrechtliche Bestimmungen
Die gesetzlichen Rahmenbedingungen hinsichtlich Rechnungslegung, Prüfungsbefugnisse, haushaltsrechtliche Grundsätze, z. B. zum Haushalts- bzw. Wirtschaftsplan und Stellenplan, sind für bundes- bzw. landeseigene Betriebe, Zuwendungsempfänger und juristische Personen öffentlichen Rechts in der Bundeshaushaltsordnung (BHO) bzw. den Landeshaushaltsordnungen (LHO) und deren Verwaltungsvorschriften (BHO/LHO VV) enthalten. Die Anwendung dieser Gesetze ergibt sich aus Art. 109 Abs. 3 GG, welcher in § 1 HGrG konkretisiert wird. Auf kommunaler Ebene ist neben diversen kommunalen Verordnungen vor allem die Gemeindehaushaltsverordnung maßgeblich.93
88 89 90 91 92 93
Vgl. Wagner (1995), S. 201. Vgl. Bolwin (2003), S. 12 ff.; Deutscher Bühnenverein (2005a), S. 124-129. Vgl. Blanke/Einemann et al. (2005), S. 330 ff. Ebenda, S. 360-264; Bolwin (2003), S. 13 f. Vgl. Bolwin (2003), S. 13 f. Vgl. Blanke/Einemann et al. (2005), S. 142, 172.
3. New Public Management im Kontext der Reformen des öffentlichen Sektors
53
3
New Public Management im Kontext der Reformen des öffentlichen Sektors
3.1
Reformansätze in Vergangenheit und Gegenwart
Ausgangspunkt der historischen Betrachtung ist das klassische Webersche Bürokratiemodell, das über viele Jahrzehnte hinweg die deutsche und internationale Verwaltung als Idealtypus geprägt hat. Mit seinen zentralen Werten Unparteilichkeit, Regelgebundenheit, Sachlichkeit, Kontrollierbarkeit, Trennung von Amtsinhaber und Ressourcen steht es für ein robustes, kalkulierbares und krisensicheres Verwaltungsparadigma zur Herrschaftsausübung im monokratischen Nationalstaat, das dem gesellschaftlichen Weltbild des Rationalismus entsprach. Diese Werte etablierten eine vereinheitlichte Normdurchsetzung nach innen, das staatliche Gewaltmonopol und die entprivilegierende Rechtsgeltung. Insofern sind sie gemeinsam mit dem Nationalstaat als epochale Modernisierungsleistung nicht zu unterschätzen.94 Dennoch gab es innerhalb dieses Paradigmas in Deutschland bereits in jungen Jahren der Nachkriegsbundesrepublik – erstmalig 1952 – Kommissionen zur Verwaltungsvereinfachung, deren Empfehlungen jedoch nicht realisiert wurden. Stattdessen folgte ab 1966 die Periode des Aktiven Staats, der durch Planung und aktiv eingreifende Politik zum Gegenteil neigte, nämlich einer expandierenden Verwaltung.95 Es mehrte sich jedoch die systematische Kritik an der staatlichen Bürokratie mit den Argumenten der Ineffizienz, hoher Kosten und der Beschränkung von Bürgerrechten. In den 1960er- und 1970er-Jahren fanden eine Reihe von Gebiets- und Funktionalreformen statt, die jedoch ihre Zielsetzung der Dezentralisierung und stärkeren Bürgerpartizipierung nicht erreichten.96 Es folgten umfassendere Reformen ab 1978 im Kontext des Leitbilds des Schlanken Staats, welche sich inhaltlich noch stärker vom Weberschen Modell distanzierten und erste Gesichtszüge eines New Public Managements annahmen. Zunächst stand nur die Privatisierung von Staatsunternehmen im Vordergrund (z. B. Deutsche Bundespost, Deutsche Lufthansa u. a.).97 Später wurden auch in der Sozialpolitik sukzessive Einschnitte unternommen. Alles geschah mit der zentralen Idee, dass weniger Staat und mehr Markt praktiziert werden solle, da der Staat in vielen Bereichen überfordert und handlungsunfähig sei und die individuelle Eigenverantwortung zurückgedrängt wurde. Diese Ansichten und die sich anschließende Politik speisten sich aus einer Mischung von 94 95 96
Vgl. Adorno (1960), S. 103 f.; Blanke/Einemann et al. (2005), S. 439; Budäus (1998), S. 1 ff.; Prätorius (2006), S. 60 f.; Thom/Ritz (2006), S. 3 ff. Vgl. Walkenhaus/Voigt (2006), S. XXIV f. Vgl. Prätorius (2006), S. 58 f.
54
3. New Public Management im Kontext der Reformen des öffentlichen Sektors
Ordo- und Neoliberalismus. In den 80er-Jahren standen die Verwaltungsreformbemühungen vornehmlich auf Länderebene explizit unter der Ankündigung einer „Entbürokratisierung“ durch Regelabbau, Verfahrensvereinfachung und Kompetenzbereinigung.98 Die Anforderungen an den öffentlichen Sektor haben sich teils gewandelt und sind teils gewachsen: Komplexität, stetiger Wandel, Multikausalitäten, Vernetzung, Mobilität, Flexibilität, Wertepluralismus etc. prägen das neue Umfeld, dem sich auch die Verwaltung nicht verschließen kann. Eine auf konstanten Verhältnissen aufbauende bürokratische Organisationskultur wirkt immer weniger angemessen.99 Binnenreformen mit den Zielen einer stärkeren Managementorientierung und eines Effizienzgewinns setzten in den 90erJahren zunächst auf kommunaler Ebene ein, ausgelöst von dem 1991 entwickelten Neuen Steuerungsmodell (NSM) der Kommunalen Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsvereinfachung (KGSt). Dieses Steuerungsmodell sollte die Leistungsfähigkeit der öffentlichen Verwaltung erhöhen, mehr Flexibilität, eine stärkere Kundenorientierung und eine intensivierte Leistungs- und Kostenkontrolle bewirken. Als Maßnahmen zur Zielerreichung sind vorgesehen: •
Delegation der Personal- und Finanzverantwortung an die dezentralen Ämter.
•
Übertragbarkeit der Haushaltsmittel auf das Folgejahr zur Vermeidung des „Dezemberfiebers“.
•
Gegenseitige Deckungsfähigkeit der Haushaltsmittel zur Beseitigung der vorgeschriebenen Verwendung für eine genau bestimmte Ausgabenart.
•
Einführung von Produktkatalogen als Basis für eine neue ziel- und outputorientierte Steuerung durch Kontrakte, unterstützt durch ein umfassendes Controllingkonzept.
•
Entflechtung der Verantwortungskompetenzen von Rat und Verwaltung: Der Rat entscheidet über das „Was“, die Verwaltung über das „Wie“ der kommunalen Leistungserstellung. Der Rat habe die Zielerreichung der Verwaltung zu überwachen.
Die Anwendung dieser NSM-fundierten Gestaltungsoptionen und weiterer Steuerungsmechanismen für das kommunale Theater wird von der KGSt in ihrem Gutachten „Führung und Steuerung des Theaters“100 differenziert aufgezeigt und weist eine große inhaltliche Nähe zum NPM auf. Einige Jahre später hat die KGSt einen Produktkatalog für den
97
Vgl. Blanke/Einemann et al. (2005), S. 560-566; Walkenhaus/Voigt (2006), S. XXVI. Vgl. Blanke/Einemann et al. (2005), S. 560-566; Prätorius (2006), S. 59. Vgl. Thom/Ritz (2006), S. 6 f. 100 KGSt (1989); vertiefend in Richter/Sievers et al. (1995). 98 99
3. New Public Management im Kontext der Reformen des öffentlichen Sektors
55
kommunalen Kultursektor101 entwickelt, welcher modellhaft als Steuerungsgrundlage für das Kulturamt bzw. Kulturbüro konzipiert ist. Die Schnittmenge zwischen Verwaltungsreformen der 1990er-Jahre im Sinn des NSM und der seit Jahrzehnten diskutierten Theaterreform liegen in der Forderung nach verstärkter betrieblicher Selbständigkeit der Theater, Verbesserungen des Rechnungswesens und der Haushaltsführung (insbesondere gegenseitige
Deckungsfähigkeit,
erweiterte
Mittelübertragbarkeit,
Auflösung
von
Sammelnachweisen, mehrjährige Finanzplanung, Eigenverwendung von Mehreinnahmen), Einführung von Steuerungsinstrumenten wie Controlling und Berichtswesen und Steigerung der Wirtschaftlichkeit durch Marketing.102 Um die Jahrtausendwende hat nahezu jede Kommune in unterschiedlichem Maße Elemente des NSM eingeführt.103 Die starke konzeptionelle Nähe von NSM zu New Public Management (NPM) kann dadurch erklärt werden, dass NSM als Adaption von NPM für die kommunale Ebene und damit erste deutsche Implementation des internationalen NPM-Reformprozesses interpretiert werden kann. Angeregt durch NSM haben auch Bund und Länder in unterschiedlichem Umfang einzelne NPM-Reformansätze verfolgt.104 Die Ergebnisse sind jedoch nur unzureichend dokumentiert und ausgewertet, so dass ein empirisch fundiertes, flächendeckendes Urteil über die Auswirkungen der Reformen in Deutschland nicht möglich ist.105 Auf internationaler Ebene liegen Ursprung und Ausgangspunkt der NPM-Reformen weiter zurück: In den 1970er-Jahren wurde in den angelsächsischen Länder eine weltweite Public Management-„Bewegung“ ausgelöst. Zentralistisch durchorganisierte Fachverwaltungen, ausgebaute Wohlfahrtssysteme und ein großer staatlicher Wirtschaftssektor haben unter zunehmendem Finanzdruck der öffentlichen Haushalte dazu geführt, dass ausgehend von Großbritannien als Ursprungsland, des weiteren Kanada, Australien, Neuseeland und den USA, Reorganisationen gemäß Kriterien eines NPM gefordert wurden.106 Maßgeblichen Einfluss auf diese Entwicklungen hatte die Kritik der Chicagoer Schule und die Public-Choice-Theorie seit Mitte der 60er-Jahre107. Die Aufgaben und das Selbstverständnis des Staates und der Regierung wurden neu definiert und dabei stärker ausdifferenziert.108 Die wesentlichen Leitideen waren dabei eine strikte Trennung der 101 102 103 104 105 106 107 108
Vgl. KGSt (1997). Vgl. Wagner (1995), S. 205-211. Vgl. Blanke/Einemann et al. (2005), S. 436 f.; Buchholtz (2001), S. 90-93; Dose (2006), S. 339-343; KGSt (1989), S. 49 f. Vgl. Walkenhaus/Voigt (2006), S. XXV f. Vgl. Reichard (2006), S. 284 f.; Walkenhaus/Voigt (2006), S. XII. Vgl. Blanke/Einemann et al. (2005), S. 441 f.; Thom/Ritz (2006), S. 13. Vgl. Lane (2000), S. 3. Vgl. Lane (2000), S. 4 f.; Reichard (2006), S. 284.
56
3. New Public Management im Kontext der Reformen des öffentlichen Sektors
Handlungsträger von politischen Entscheidungen und deren Ausführung, Bürokratieabbau, stärkeres unternehmerisches Handeln und Privatisierungen zur Steigerung der Effizien.109 Die USA bestritten in den 80er-Jahren einen Weg, der sich teilweise von den britischen Ansätzen unterschied. Er zielte stärker auf eine Markt- und Wettbewerbsorientierung ab und ist vor allem managerialistisch fundiert.110 Im Gegensatz zu Deutschland wurden die Reformen in diesen Frühadapterländern zentralstaatlich auf Regierungsebene beschlossen und dann in der Gliederung der Gebietskörperschaften abwärts implementiert, zuletzt in den Kommunen.111 Die Reformwelle sprang in einem zweiten Entwicklungsabschnitt auf Skandinavien und das europäische Festland über, insbesondere auf die Niederlande mit dem Tilburger Modell. Die Reformen sind hier konsensorientiert und eher behutsam, aber stetig verlaufen.112 Die Schweiz ist seit den 90er-Jahren ein Zentrum der Forschung, Weiterentwicklung und der praktischen Umsetzung von NPM.113 Deutschland gehört mit Österreich, Frankreich, Italien und Japan zu den reformkonservativen Staaten, in denen Veränderungen nur begrenzt eingetreten sind.114 Die Ursache kann in der historischen Prägung dieser Länder gesehen werden: Sie sind von römisch-rechtlichen und/oder absolutistischen Traditionen geprägt worden. Insbesondere in Deutschland herrschen eine Regelungskultur und eine bürokratische Verwaltungspraxis, die Reformresistenzen mit sich bringt.115 3.2
Zum Begriff New Public Management
Der Begriff NPM wurde zu Beginn der 1990er-Jahre geprägt.116 Er beinhaltet keine eindeutig abgegrenzte und in sich geschlossene Theorie. NPM tangiert durch seine Eigenschaft als umfassendes Staatsreformkonzept originär die Disziplinen Volks- und Betriebswirtschaftslehre, Politik- und Rechtswissenschaft.117 Die vielschichtige, teils auch mehrdeutige Verwendung des Begriffs erschwert eine allgemein akzeptierte Definition. Als Annäherung erfolgt zunächst eine Beschreibung des NPM-Verständnisses auf zwei Ebenen, danach eine Abgrenzung zu verwandten Begriffen:118
109 110 111 112 113 114 115 116 117 118
Vgl. Barzelay (2003), S. 159; Blanke/Einemann et al. (2005), S. 442 f.; Kettl (2005), S. 8-18. Vgl. Blanke/Einemann et al. (2005), S. 441 f.; Kettl (2005), S. 19-23; Pitschas (2004), S. 14. Vgl. Thom/Ritz (2006), S. 14. Vgl. Blanke/Einemann et al. (2005), S. 441 f.; Lane (2000), S. 3; Thom/Ritz (2006), S. 14. Vgl. Schedler (2004), S. 121 f. Vgl. Reichard (2006), S. 284; Thom/Ritz (2006), S. 14. Vgl. Blanke/Einemann et al. (2005), S. 446 f.; Landesregierung Nordrhein-Westfalen (2003), S. 14; Pitschas (2004), S. 16. Vgl. Thom/Ritz (2006), S. 9. Vgl. Lane (2000), S. 3; Walkenhaus/Voigt (2006), S. XIII. Vgl. Pook/Tebbe (2002), S. 12 f.; Schedler/Proeller (2006), S. 287 ff.
3. New Public Management im Kontext der Reformen des öffentlichen Sektors
57
Auf übergeordneter Ebene wird unter NPM ein normatives Konzept einer umfassenden Staats- und Verwaltungsreform sowie der dazugehörigen reformorientierten Steuerungstheorie und Führungslehre verstanden.119 NPM schlägt sich in einer weltweiten Reformbewegung mit einer neuen post-bürokratischen Doktrin des öffentlichen Sektors nieder, welche mit einem Paradigmenwechsel verbunden ist.120 NPM propagiert die substantielle Überwindung des Weberschen Idealtypus einer rational-legalen Bürokratie in Richtung einer stärkeren Orientierung an privatwirtschaftlichen Unternehmen und Managementtechniken mit dem Ziel, das Staats- und Bürokratieversagen zu reduzieren.121 Insofern hat NPM eine präskriptive und handlungssteuernde Orientierung.122 Auf einer tieferen Ebene, die als Konkretisierung des normativen Konzepts interpretiert werden kann, wird NPM als Ober- und Sammelbegriff für einzelne konkrete Elemente der Verwaltungsreform verwendet,123 wie sie auch im Kap. 3.4 aufgeführt werden. Die hierunter fallenden Ansätze entspringen aus unterschiedlichen Perspektiven und Disziplinen, so dass es in Abhängigkeit von dem jeweiligen Autor unterschiedliche inhaltliche Schwerpunkte geben kann.124 Es werden sowohl die Beziehungen zwischen Staat, Verwaltung und Bürgern (externe Strukturreform/außenorientierte Elemente) betrachtet als auch die Verwaltung als Reformobjekt an sich (Binnenreform).125 Insofern ist NPM ein Mosaik von Reformbausteinen, welche in unterschiedlichen Kombinationen umgesetzt wurden und werden. Dies geschieht landesspezifisch und unter Berücksichtigung der jeweiligen Gegebenheiten, was zu Unterschieden und Gegensätzen bei der Implementierung führt. Daraus wird ersichtlich, dass es nicht ein einziges und einheitliches NPM geben kann, obschon die übergeordnete Zielsetzung in ihren Grundsätzen konstant ist.126 Der Gegenstandsbereich von NPM ist der öffentliche Sektor. Dieser umfasst alle Institutionen, welche Aufgaben von öffentlichem Interesse erfüllen. Reichard zählt im Wesentlichen dazu: öffentliche Verwaltungen, öffentliche Unternehmungen, Non-ProfitOrganisationen und u. U. auch private Unternehmungen, sofern sie im öffentlichen Auftrag produzieren.127 Nicht explizit erwähnt wird in dieser Aufzählung die Legislative, die
119 120 121 122 123 124 125 126 127
Vgl. Kettiger (2004), S. 213; Reichard (2006), S. 285; Thom/Ritz (2006), S. 9 f. Vgl. OECD (1995), S. 8 f.; Prätorius (2006), S. 61; Reichard (2006), S. 283 ff.; Schedler/Proeller (2006), S. 5. Vgl. Barzelay (2003), S. 159; Budäus (1998), S. 1 ff.; Prätorius (2006), S. 59 ff.; Thom/Ritz (2006), S. 10. Vgl. Koch (2004), S. 3. Vgl. Budäus (1998), S. 1-4. Vgl. Lane (2000), S. 1; Reichard (2006), S. 283. Vgl. Buchholtz (2001), S. 89 ; Budäus (1998), S. 6. Vgl. Schedler (2004), S. 122 f.; Thom/Ritz (2006), S. 10-13. Vgl. Reichard (2006), S. 282.
58
3. New Public Management im Kontext der Reformen des öffentlichen Sektors
ebenfalls Bestandteil des komplexen Beziehungsgefüges im öffentlichen Sektor und auch Untersuchungsgegenstand von NPM ist. Damit wird außerdem deutlich, dass NPM einen größeren Gegenstandsbereich und eine wesentlich breitere inhaltliche Dimension als der Begriff der Verwaltungsreform ausfüllt, welcher vor allem eine Binnenreform meint, nicht jedoch eine umfassende Staatsmodernisierung. NPM und Verwaltungsreform sind somit begrifflich nicht gleichzusetzen, obwohl viele Elemente der Verwaltungsreform im NPM enthalten sind, so dass eine Schnittmenge bei den konkreten Maßnahmen existiert.128 Mit dem nahezu wortgleichen Public Management bezeichnen viele Autoren vor allem eine Wissenschaftsdisziplin, analog zu Öffentlicher Betriebswirtschaftslehre: Public Management ist jene Managementlehre, welche die Besonderheiten des öffentlichen Sektors (z. B. Demokratieprinzip, Legitimation, Legalität, politische Steuerung und Kontrolle) berücksichtigt. Damit ist Public Management ebenso wie NPM interdisziplinär und geht sowohl in seinem Gegenstandsbereich als auch in der Methodik weiter als die Öffentliche Betriebswirtschaftslehre. NPM ist hingegen ein spezifisches Konzept, das sich vom Public Management durch eine institutionelle Sichtweise aller Kontraktpartner (vgl. Kontextmodell im Kap. 1.4) abhebt und darüber hinaus die sich aus dieser Sicht ableitenden normativen Kriterien für Steuerungsmechanismen des Gesamtsystems beinhaltet. Zu Letzteren gehören z. B. die für NPM charakteristische Output- und Wirkungsorientierung.129 Da die Trennlinie nicht immer scharf gezogen wird, gibt es erhebliche inhaltliche Schnittmengen zwischen der Literatur und der Begriffsverwendung des Public Managements und des NPMs.130
128 129 130
Vgl. Blanke/Einemann et al. (2005), S. 438 u. 447. Vgl. Reichard (2006), S. 282-285; Schedler/Proeller (2006), S. 5 f. Vgl. Budäus (1998), S. 46 ff.
3. New Public Management im Kontext der Reformen des öffentlichen Sektors
59
Die Zusammenhänge der Begriffe und Konzepte könnte stark vereinfacht wie folgt (Abb. 12) strukturiert werden: (New) Public Management
Anwendungsinstrumente aus:
Neues Steuerungsmodell (NSM)
Public Management (Öffentliche) BWL
Verwaltungsreformen
Theoretische / Normative Basis
Funktionale Basis
Abb. 12: Begriffskategorisierung zu NPM und Mehrfachbedeutung von Public Management Quelle: Eigene Darstellung.
3.3
Literaturüberblick zum NPM
Die Referenz-Publikation für NPM stammt von Schedler/Proeller (2006). Die Autoren behandeln den NPM-Ansatz in Gänze von der theoretischen Konzeption bis zur praktischen Umsetzung. Diese Monographie liegt den nachfolgenden detaillierten Ausführungen zu NPM zu Grunde und wird daher an dieser Stelle nicht weiter erläutert. Weitere Monographien liegen von Lane und Barzelay vor. Das NPM-Konzept von Lane (2000) stimmt weitgehend mit Schedler/Proeller überein. Im weiteren Verlauf werden im Gegensatz zu erstgenannten Autoren mikroökonomische Analysen öffentlicher Betriebe und internationale makroökonomische Vergleiche des öffentlichen Sektors unter Gesichtspunkten der Effizienz, der Informationsasymmetrie und der Allokation angestellt.131 Diese münden in Überlegungen zum Kontraktmanagement und zur Gesetzgebung aus regulatorischer Sicht. Barzelay (2001) gibt einen internationalen Überblick zum Stand des NPMs in Forschung, Lehre, Umsetzung und kritischer Diskussion ohne spezifische Vertiefungen. In einer Herausgeberschrift zum NPM befassen sich Budäus/Conrad et al. (1998) nach einer Einführung in das NPM vorwiegend mit dem Management, Steuerungsfragen und der Modernisierung der öffentlichen Verwaltung. Pitschas (2004) setzt sich mit der Umsetzung von NPM in Deutschland auseinander. Als wichtigste Reforminhalte stellt er eine Leistungssteigerung und Strukturreform der Verwaltung, das Spannungsfeld zwischen Qualitäts- und Kundenorientierung, sowie die 131
Zahlreiche internationale Analysen auch in OECD (1995); Politt/Bouckaert (2004).
60
3. New Public Management im Kontext der Reformen des öffentlichen Sektors
Frage nach den Möglichkeiten und Grenzen stärkerer marktwirtschaftlichen Mechanismen im öffentlichen Sektor heraus. Als unerlässlichen bzw. wichtigsten Schritt zur Implementation sieht er den Personalbereich an. Den künftigen Beschäftigten des öffentlichen Dienstes solle ein neues ethisches Bild vermittelt werden, gepaart mit einer fachlichen Professionalisierung und stärkeren persönlichen Verantwortungsübernahme. Somit sei die Stärkung des Personalmanagements und der Mitarbeiterorientierung der effektivste Weg, um die NPM-Ziele zu erreichen.132 Diese Schwerpunktsetzung findet sich auch bei Thom/Ritz (2006), die NPM nur als eine temporäre Reformphase ansehen. Sie stellen ein mit den Grundzügen von NPM zu vereinbarendes,
übergreifend
gültiges
Konzept
namens
IOP
(Innovations-
und
Informationsmanagement, Organisatorische Gestaltung und Personalmanagement) auf. In ähnlicher Weise betont auch Koch (1996, 2003, 2004)133 die Wichtigkeit des Human Resource Managements, indem er NPM als Bezugsrahmen verwendet und insbesondere auf dem Kontraktmanagement und der Wettbewerbsintensivierung aufbauend die Gestaltung der Modernisierung öffentlicher Dienste (New Public Services) entwickelt. Der Staat müsse zur Enabling Authority werden und die interne Managementumwelt funktionalere Strukturen annehmen.134 Eine Reihe von Autoren vertieft die juristischen Implikationen des NPM. So beleuchten Kettiger (2000), Mastronardi (2004) und Schedler (2004a) die gesetzgeberischen und verfassungsrechtlichen Voraussetzungen für NPM. Sie lauten im Wesentlichen Abkehr von der konditionalen Programmierung mit Anspruchsvoraussetzungen hin zu einer finalen Ausrichtung durch Zielvorgaben, Verzicht auf Detailregelungen, Deregulierung, stärkere Gesetzesevaluation, Koppelung von Aufgaben (Gesetz) und Ressourcen (Finanzplan), Befristungen von Vorschriften, Verbreitung von Experimentierklauseln und Straffung des Rechtsetzungsverfahrens.135 Brühlmeier/Haldemann et al. (2001) betrachten differenziert das Zusammenspiel der Staatsgewalten im Rahmen der wirkungsorientierten Verwaltungsführung als ein Kernelement von NPM und entwickeln dabei ein NPM-konformes Planungskonzept für den öffentlichen Sektor. Evaluationen von NPM-Implementierungen liegen mit den Veröffentlichungen von Lienhard/Ritz et al. (2005) sowie Ritz (2002)136 für die Schweiz und mit Dent/Chandler et
132 133 134 135 136
Vgl. Pitschas (2004), S. 2 3 f., 37-42; ähnlich auch bei Oechsler/Vaanholt (1998a). Vgl. auch Koch/Peter (2003). Vgl. Koch (2004), S. 15 f. Vgl. Kettiger (2000), S. 15-23; Mastronardi (2004), S. 67-117; Schedler (2004a), S. 17-46. Vgl. Ritz (2002), S. 26-38.
3. New Public Management im Kontext der Reformen des öffentlichen Sektors
61
al. (2004)137 für Großbritannien und weitere Länder vor. Ritz (2002) entwickelt eine Evaluationsmethodik für NPM-Reformen, welche die spezifischen Ziele und Begriffe berücksichtigt.138 Für Deutschland sei die Bestandsaufnahme der Verwaltungsreformen durch das Deutsche Institut für Urbanistik (2005) genannt. Diese bezieht sich nicht dezidiert auf NPM, sondern auf das NSM und einzelne Verwaltungsreformelemente. In einer repräsentativen explorativen Erhebung in 2004 wurde der Reformstand in den deutschen Kommunalverwaltungen ermittelt, welcher den Inhalten des empirischen Teils dieser Arbeit nahe kommt: Es dominieren in Deutschland Einzelreformen auf den Gebieten des Haushalts- und Rechnungswesens und der Prozessoptimierung mit den Zielen der Effizienzsteigerung und Bürgerorientierung gegenüber den ganzheitlicheren Steuerungskonzepten in der Schweiz.139 Generell wird bemängelt, dass sowohl evaluatorische (Performanz-)Studien von erfolgten NPM-Reformen als auch die Wirkungsevaluation von politischen Maßnahmen bei erfolgter NPM-Umsetzung nur gering verbreitet sind, zumal NPM die kritische Hinterfragung politischen Handelns als zentralen Reformbestandteil fordert.140 Seit einigen Jahren gewinnt jedoch die evaluatorische Forschung im öffentlichen Sektor zunehmend an Bedeutung.141 Die aufgeführte Literatur bezieht sich ausdrücklich auf das New Public Management. Daneben existiert eine große Bandbreite an Veröffentlichungen zum Public Management, zum NSM und zur Öffentlichen Betriebswirtschaftslehre, welche eine erhebliche Schnittmenge in der theoretischen Konzeption des öffentlichen Sektors und in der konkretisierten Ausgestaltung zum NPM aufweisen.142
137 138 139
140 141
142
Mit eingeschränktem NPM-Bezug, jedoch internationaler Perspektive vgl. Wollmann (2003). Vgl. Ritz (2002), S. 18-25. Diese Methodik kam hier u. a. nicht zur Anwendung, da die vertiefte Analyse der Mikro-Ebene im Vordergrund stand. Vgl. Deutsches Institut für Urbanistik (2005), S. 12 f., 17 f.; vgl. auch eine Studie der Hans-BöcklerStiftung zur NSM-Wirkung mit positiven Ergebnissen bezüglich realisierter Einsparungen, die jedoch von den Autoren kritisch beurteilt werden: Bogumil/Kuhlmann (2006a), S. 357-367. Vgl. Bogumil/Kuhlmann (2006a), S. 349 f.; Ritz (2002), S. 1. Vgl. z. B. Kuhlmann/Bogumil et al. (2004) bzw. speziell Speier (2002) und Hunold (2003) zur Einführung der KLR in Kommunalverwaltungen; vgl. Bogumil/Grohs et al. (2007) zur NSM-Einführung in deutschen Kommunen; vgl. Killian/Richter et al. (2006) zur Ausgliederung und Privatisierung in Kommunen; vgl. Bogumil/Holtkamp et al. (2007) mit einer kritischen Evaluation der NSM-Einführung, insbesondere hinsichtlich verfehlter finanzieller Konsolidierungsziele, vgl. ebenda, S. 45-50. Vgl. Bals (2008); Blanke/Einemann et al. (2005); Bouckaert/Halligan (2008); Bovaird/Löffler (2003); Budäus (1998); Buschor/Schedler (1994); Grimberg (2004); Hieber (2005); Jann/Röber (2006b); Kettl (2005); Kiesel (2005); Kissler/Bogumil et al. (1997); OECD (1995); Politt/Bouckaert (2004); PricewaterhouseCoopers (2009); Schmidt (2004); Winter (2005).
62
3. New Public Management im Kontext der Reformen des öffentlichen Sektors
3.4
Zur theoretischen Fundierung von NPM
Es gibt bislang keine eigenständige, in sich geschlossene Verwaltungsreformtheorie.143 Ausgehend von Erkenntnissen der Theorien des Staats- und Marktversagens bedient sich NPM bei seinem theoretischen Fundament – nicht immer widerspruchsfrei – bereits existenter ökonomischer Ansätze,144 die sich mehrheitlich unter dem Begriff Moderne Institutionenökonomik subsumieren lassen: Public Choice (Neue Politische Ökonomie) untersucht Situationen des Staatsversagens, indem es ökonomische Theorien, insbesondere die neoklassische Wirtschaftstheorie und Mikroökonomik, auf politikwissenschaftliche Ansätze überträgt. Menschliches Verhalten – und damit das Handeln von Politikern, Parteien, Wählern, Verwaltungen und Interessenverbänden – wird als rational angesehen, Nutzenmaximierung wird unterstellt. Die Anwendung des methodologischen Individualismus impliziert, dass politische Prozesse aus der Aggregation der Handlungen von eigennutzmaximierenden Individuen mit jeweils eigener Präferenzstruktur erklärt werden können.145 Die Bürokratietheorien Niskanens und Downs finden im Kontext von Public Choice ebenfalls Niederschlag im NPM.146 Das Bild des Bürokraten ist demnach ein gänzlich anderes als das des stetig loyalen und selbstlosen bei Weber. NPM kann als der Versuch gesehen werden, durch Gestaltungsempfehlungen den Eigennutz der Akteure im öffentlichen Sektor in eine Gemeinwohlmaximierung zu lenken.147 Die zweite Theorie, auf die NPM Bezug nimmt, ist die im Wesentlichen auf Ronald Coase zurückgehende Neue Institutionenökonomik (NIÖ)148. Als Institutionen werden u. a. Unternehmen, Märkte, Verträge, Demokratie, Staat, Verfassung verstanden. Der ökonomische Austausch zwischen diesen Institutionen wird mit dem Ziel analysiert, die Struktur, Verhaltenswirkungen, Effizienz und den Wandel der Institutionen zu erklären.149 Drei zentrale Ansätze gehören zur NIÖ und spielen für NPM eine bedeutende Rolle: Die Property-Rights-Theorie unterscheidet vier Typen von Verfügungsrechten: die Güternutzung, Güterveränderung, Güterveräußerung und die Gewinnaneignung. Inhaber von Verfügungsrechten sind Nettonutzenmaximierer, was den Anreiz mit sich bringt, Erträge zu behalten und Kosten auf andere Institutionen abzuwälzen. Daraus lässt
143 144 145 146 147 148 149
Vgl. Walkenhaus/Voigt (2006), S. XIII. Vgl. Reinermann (2000), S. 38, 130-134; Thom/Ritz (2006), S. 15. Vgl. Budäus (1998), S. 4; Reichard (2006), S. 285; Thom/Ritz (2006), S. 15 f. Vgl. Reinermann (2000), S. 64-71. Ebenda, S. 40. Vgl. Coase (1984), S. 229 ff.; Reinermann (2000), S. 77-94. Vgl. Lane (2000), S. 9; Reichard (2006), S. 285; Thom/Ritz (2006), S. 18 f.
3. New Public Management im Kontext der Reformen des öffentlichen Sektors
63
sich folgern, dass die Verfügungsrechte möglichst vollständig bei einer Institution liegen sollen, damit keine externen Effekte produziert werden. Dies ist der theoretische Ursprung für die NPM-Forderungen nach Zusammenführung von Fach- und Ressourcenverantwortung an eine einzige Stelle und eigenverantwortlichem Verwaltungshandeln in zu schaffenden Freiräumen.150 Die Principal-Agent-Theorie untersucht das Verhältnis und die Anreizwirkungen zwischen dem Auftrag erteilenden Prinzipal und dem ausführenden Agenten. Durch die bestehende Informationsasymmetrie (hidden information) kann es zu hidden action, adverse selection und moral hazard kommen, die sich ggf. zu Ungunsten des Prinzipals auswirken. Bei unterstellter Eigennutzmaximierung bestehen Zielkonflikte zwischen Prinzipal und Agenten, die es zu harmonisieren gilt, z. B. durch Anreiz-, Kontroll- und Informationsmechanismen. Dies schlägt sich in den NPM-Ansätzen zum Personalwesen, Kontraktmanagement und Berichtswesen/Controlling nieder.151 Der dritte und letzte Ansatz innerhalb der NIÖ ist die auf Ronald Coase und Oliver Williamson zurückgehende Transaktionskostentheorie. Als Transaktionskosten werden die Verhandlungs-, Informations-, Vertrags-, Kontroll-, Durchsetzungs- und Anpassungskosten definiert. Ihre Höhe wird durch begrenzte Rationalität, opportunistisches Verhalten bei unvollständiger Information und die Häufigkeit von Transaktionen beeinflusst. Unterschiedliche institutionelle Arrangements werden daraufhin analysiert, in welcher Konstellation die Summe aller Produktions- und Transaktionskosten die niedrigste ist. Dabei gilt es, eine Kongruenz zwischen den Charakteristika der Institution (z. B. Markt, Hierarchie, Netzwerk) und den Charakteristika der Transaktionsabwicklung herzustellen. Dies ist die richtungsweisende Basis bei Überlegungen innerhalb des NPM zur staatlichen Leistungstiefe, Bürgerämtern.
Privatisierungen
und
Outsourcing/make-or-buy-Entscheidungen
und
152
Starken Einfluss hat auch der Managerialismus auf NPM ausgeübt. Der bis heute mit Abwandlungen gültige und praktizierte Managementzyklus mit den Stationen Vorschau und Planung, Organisation, Leitung, Koordination und Kontrolle geht auf Henri Fayol zurück, der seine Erkenntnisse bereits 1916 wenige Jahre nach dem Taylorschen Scientific Management veröffentlichte. Eine Voraussetzung zur Entfaltung der Produktivitätssteigerung durch Management sind ausreichend große Handlungsspielräume. Daraus erklären sich u. a. die NPM-Forderungen nach dezentraler Ressourcenverantwortung, 150 151 152
Vgl. Fritsch/Wein et al. (2007), S. 8 ff.; Thom/Ritz (2006), S. 19. Vgl. Fritsch/Wein et al. (2007), S. 282-299; Thom/Ritz (2006), S. 20. Vgl. Fritsch/Wein et al. (2007), S. 10-14; Lane (2000), S. 9; Thom/Ritz (2006), S. 20f.
64
3. New Public Management im Kontext der Reformen des öffentlichen Sektors
Deregulierung, ferner auch die Weiterentwicklung des Rechnungswesens, Zielvereinbarungen, leistungsorientierte Entlohnungssysteme und veränderte Führungsstile.153 Weitere Anleihen von NPM sieht Reinermann bei der Systemtheorie, der Chaosforschung und der Informatik.154 3.5
Wesentliche Instrumente und Konzeptionen von NPM
Vergleichbar dem theoretischen Bezugnahmen bedient sich NPM auch in seinen Gestaltungsempfehlungen teilweise bereits existenter Instrumente. Bei den nachfolgend dargestellten Konzepten, insbesondere im Rechnungs- und Personalwesen, resultiert daher eine große Schnittmenge zu Inhalten betriebswirtschaftlicher Disziplinen. Auf dieser funktionalen Ebene gibt es ebenso Überschneidungen mit dem NSM und zu Verwaltungsreformen. 3.5.1
Gewährleistungsstaat, Wirkungsorientierung und Kontraktmanagement
NPM fordert den Wandel vom produzierenden Staat zum Gewährleistungsstaat155: Die Aufgabenbreite des Staates wird nach wie vor von den demokratischen Instanzen bestimmt. Die Leistungstiefe wird jedoch gegenüber dem Wohlfahrtsstaat differenziert gestuft und beschränkt, vgl. Tab. 12; der Staat führt nur noch den Kernbereich (Stufe 1) persönlich aus: Stufe
Beschreibung
Verantwortung /Ausführung
Beispiele
1
Kernaufgaben staatlichen Handelns
Vollzugsverantwortung und Ausführung ausschließlich und zwingend beim Staat
Bundeswehr, Polizei, Rechtsschutz, Finanzverwaltung
2
Periphärbereich Staat hat nur GewährleistungsDaseinsvorsorge und Intendanturdienste staatlichen Handelns verantwortung, Ausführung nicht (Altenpflege, Schwimmbäder, Jugendhilfe, zwingend durch Staat Kindergärten), Planungsleistungen
3
Privatisiertes Handeln
Ausführung durch Private Staat überwacht und reguliert
Wohnungsbaugesellschaften, Banken, Versicherungen, Versorger, sonstige Unternehmensbeteiligungen
Tab. 12: Drei Ebenen der staatlichen Leistungstiefe Quelle: In Anlehnung an Blanke/Einemann et al. (2005), S. 456; Walkenhaus (2006), S. 323.
153 154 155
Vgl. Buchholtz (2001), S. 88; Landesregierung Nordrhein-Westfalen (2003), S. 18; Thom/Ritz (2006), S. 21 ff. Vgl. Reinermann (2000), S. 51-63, 95-124. Vgl. Budäus (1998), S. 3; Kettiger (2004), S. 211 f.
3. New Public Management im Kontext der Reformen des öffentlichen Sektors
65
Auch wenn der Staat die Produktion nicht zwingend vollziehen muss (zu den Formen der Privatisierung vgl. Kap. 3.5.4), trifft ihn dennoch die Gewährleistungsverantwortung für die Erfüllung. Die ermöglichende Funktion des Gewährleistungsstaats bezieht auch private Akteure mit ein, ohne ihnen detaillierte Umsetzungswege vorzuschreiben. Privatisierung geht mit Regulierung einher, wobei Letzteres zu einer wesentlichen Aufgabe des Gewährleistungsstaats wird. Daher ist weniger von Bedeutung, wie die Eigentumsverhältnisse sind, sondern eher wie die Steuerungsmechanismen, Verfügungsbefugnisse und Einflussmöglichkeiten gestaltet werden. Der ideologische Antagonismus zwischen NeoLiberalismus mit dessen Gefahr des Marktversagens und dem Sozialstaat mit dessen Gefahr des Politik- und Staatsversagens wird aufgehoben, weil sich der Gewährleistungsstaat zwischen beiden Polen bewegen kann. NPM postuliert (vgl. Abb. 13), die utilitaristische Nutzenorientierung mit der deontologischen Pflichtenethik zu vereinen, indem Letztere zur Zielfindung im demokratischen System angewendet wird, und Erstere bei der Realisierung der Ziele:156
Utilitarismus
Pflichtenethik
Output-Optik: „nützlich“
Input-Optik: „demokratisch“
Marktgesetze
Politische Gesetze
Primat des Nutzens
Primat der Politik
Instrumente des NPM
New Public Management
Zielfindungsverfahren des NPM
Abb. 13: Legitimationsquellen des NPM Quelle: Schedler/Proeller (2006), S. 33.
Daraus folgt teilweise eine Entpolitisierung der Leistungserstellung im öffentlichen Sektor. Das gegenwärtig dominante Legalitätsprinzip, demzufolge jedes staatliche Handeln und jeder Verwaltungsakt auf Gesetzen, Verordnungen etc. beruhen muss (vgl. Art. 20 Abs. 3 GG), wird im NPM zu Gunsten des dazu im Spannungsverhältnis stehenden Leistungs156
Vgl. Kettiger (2004), S. 212 ff.; Schedler/Proeller (2006), S. 31-36; Schuppert (2006), S. 150 ff.
66
3. New Public Management im Kontext der Reformen des öffentlichen Sektors
prinzips geschwächt. Dies soll mehr Einzelfallgerechtigkeit, mehr Wirtschaftlichkeit, eine Beschleunigung von Entscheidungsprozessen und damit eine stärkere Flexibilität und Agilität auf den Märkten bewirken, ferner auch eine Befreiung von diversen rechtlichen Zwängen des öffentlichen (Dienst-)Rechts, besonders wenn die Entpolitisierung mit einer Privatisierung einhergeht.157 Problematisch ist dennoch die noch nicht hinreichend entwickelte, dem Gewährleistungsstaat entsprechende Konzeption des Gewährleistungsverwaltungsrechts. Dieses müsste vor allem eine Regulierungskonzeption enthalten, welche die notwendigen Steuerungstechniken festlegt.158 Der Legitimationszwang des Verwaltungshandelns wurde noch nicht mit ausreichenden Spielräumen ausgestattet, um die nutzenorientierte Seite des NPM voll zur Entfaltung zu bringen. Dies ist auch mit Schwierigkeiten behaftet, weil z. B. die Unparteilichkeit und weitere Werte des Verwaltungshandelns in Widerspruch zu den utilitaristischen Werten stehen. Das Erreichen der intendierten Wirkungen tritt im NPM als drittes Legitimationserfordernis staatlichen Handelns zu den beiden herkömmlichen hinzu (Demokratieprinzip: Legitimation staatlichen Handelns durch Basierung auf demokratischen Willens- und Entscheidungsprozessen bzw. Staatskonstitution als Rechtsstaat: Legalitätserfordernis für staatliches Handeln und daher Garantie des Schutzes des Individuums vor dem Staat durch gesicherte Grundrechte). Dies wird die Wirkungsorientierung des Verwaltungshandelns genannt.159 Aus einem Mitteleinsatz (Input) entstehen in einem Produktionsprozess Leistungen (Output). Diese lösen bei den direkt Betroffenen unmittelbare Wirkungen (Impact) aus, die wiederum mittelbare gesamtgesellschaftliche Wirkungen bzw. Nutzen (Outcome) generieren (vgl. Kap. 1.8). 160 Die Anwendung dieses Zyklus als Steuerungsinstrument setzt klare und differenzierte Zielvorstellungen in den einzelnen Politikfeldern und das Wissen über dazugehörige Wirkungsketten samt Kausalitäten von Einzelmaßnahmen voraus.161 Im Bereich des Kulturbetriebs könnte der beschriebene Zyklus beispielhaft wie folgt aussehen (Abb. 14):
157 158 159 160 161
Vgl. Arndt/Rudolf (2000), S. 34 f.; Haiber (1997), S. 2; Thom/Ritz (2006), S. 26 ff. Vgl. Schuppert (2006), S. 151 f. Vgl. Kettiger (2004), S. 215 , Schedler (2004), S. 144; Schedler/Proeller (2006), S. 8 f. Vgl. Thom/Ritz (2006), S. 219 f.; ähnlich auch bei Bouckaert (2006), S. 120 f. Vgl. Schedler (2004), S. 125
3. New Public Management im Kontext der Reformen des öffentlichen Sektors
67
Wirkungsreihenfolge gemäß NPM
Konkretisierung 1
Konkretisierung 2
Politische Zielsetzung
Standortattraktivität für Bürger, Unternehmen und Touristen
Steigerung der kulturellen Bildung
Input
Jährliche Zuwendungen an Kulturbetrieb durch Globalbudget
Sonderzuwendungen für musikpädagogisches Angebot
Produktions-/Vollzugsprozess
In Kontrakten definiertes Angebot von Konzerten, Opern etc.
Kontrakt über zielgruppenspezifisches Kulturangebot
Output
Aufführungen durch Kulturbetrieb
Musikvermittlung durch Kooperationsprojekte mit Schulen
Impact
Steigerung Nutzenniveau u. Nachfragebefriedigung bei Besuchern
Annäherung an neues Publikum, Interesse/Inspiration wird geweckt
Outcome
Umwegrentabilitäten, Spill-Over Effekte, Imagegewinn
Persönlichkeitsentwicklung, Erschließung neuer Besuchergruppen
Abb. 14: Zwei für den Kulturbetrieb konkretisierte und interdependente Wirkungsketten gemäß NPM Quelle: Eigene Konkretisierung, Systematik in Anlehnung an Buchholtz (2001), S. 44f.; Schedler/Proeller (2006), S. 72-75; Schmidt (2006), S. 50; Thom/Ritz (2006), S. 219f., 253.
NPM fordert die Outputorientierung anstelle der in der Kameralistik und parlamentarischen Haushaltsbeschlüssen üblichen Inputorientierung,162 die den Mitteleinsatz und damit die Gesamttätigkeit der Verwaltung und der öffentlichen Betriebe in fein untergliederten Titeln festlegt. Zur Wahrung demokratischer Prinzipien bleibt es dem Parlament unbenommen, im Einzelfall operative Fragen oder den konkreten Input zu regeln.163 Im Rahmen des Kontraktmanagements werden Leistungs- bzw. Zielvereinbarungen als Steuerungsinstrument getroffen, in denen klar ausformulierte und operationalisierte Ziele festgelegt werden. Sie konkretisieren, auf welchem Weg die übergeordnete politische Zielsetzung realisiert werden soll, und greifen damit auf die Wirkungskette zurück. Dadurch sind sie ein Mittel, um die Effektivität staatlichen Handelns zu erhöhen. Kontrakte werden sowohl zwischen Regierung und Verwaltung (Managementvereinbarung) als auch verwaltungsintern (Quasi-Marktkontrakt) und zwischen Verwaltung und externen, privaten Leistungsanbietern (Marktkontrakt) geschlossen. 162
Vgl. Schedler/Proeller (2006), S. 5; Wagner (1995), S. 208 f. In der Literatur wird zumeist lediglich die Outputorientierung genannt, konsequenterweise müsste darüber hinausgehend regelmäßig die OutcomeOrientierung gefordert werden. Auch die Effizienzkriterien müssten diesbezüglich angepasst werden, etwa die Relation von Outcome zu Input als zentraler Effizienzmaßstab.
68
3. New Public Management im Kontext der Reformen des öffentlichen Sektors
Entscheidungen über die operative Ausführung verbleiben beim Leistungserbringer; der Kontrakt fungiert lediglich als Richtschnur. Die Konditionen werden nicht mehr per obrigkeitliche Anweisung, sondern eher in partnerschaftlicher Willensbildung bestimmt. Zu den Inhalten eines Kontrakts gehören Qualität und Quantität von Produkten oder sonstigen Leistungen, zeitliche Verfügbarkeit, Preise und die Geltungsdauer.164 Zur Umsetzung müssen Kontrollmechanismen etabliert und ggf. Sanktionen bei Verstößen vereinbart werden.165 Bei Anwendung eines Wirkungsmodells als Basis eines Kontrakts bedarf es einer durch Indikatoren und Kennzahlen operationalisierten Kausalkette, die Leistungen und Wirkungen in gegenseitige Beziehung setzt. Hierin liegt angesichts von Interdependenzen, time lags, Forschungslücken, Nebenwirkungen, Definitionsschwierigkeiten etc. ein erhebliches Umsetzungshindernis166. Die gegenseitige Einigung auf Kennzahlen und Messbzw. Hilfsgrößen setzt u. U. einen Diskussionsprozess auf hohem fachlichen Niveau und Wissensstand voraus. Letztlich sollen Kontrakte direktes staatliches Handeln und Steuern reduzieren und so zu mehr Effizienz führen. Kritisch ist anzumerken, dass schlecht verhandelte oder unvollständige Verträge sowie asymmetrische Informationsverteilung und mögliche Korruption die Effizienz beeinträchtigen können.167 Die Umsetzung dieser Konzepte erfordert eine Staatsreform, die auf der hohen Ebene der Staatsleitung angesetzt werden muss. Hierbei wird erneut ersichtlich, dass NPM zwar auch eine Verwaltungsreform bedeutet, aber deutlich darüber hinausgeht. Für das Zusammenspiel von Parlament, Regierung und Verwaltung sind neue, rechtlich definierte Steuerungsinstrumente erforderlich, die seitens NPM (noch) nicht allgemeingültig definiert wurden,168 was angesichts der internationalen Systempluralität und individuellen Anpassungsbedürftigkeit von NPM-Implementationen auch nicht verwundert. Die folgenden Beispiele solcher Steuerungsinstrumente beruhen auf einem verbreiteten Konzept von Mastronardi169: Mit dem Leistungsauftrag kann das Parlament direkt gegenüber der Verwaltung mehr oder weniger detailliert bestimmten, welche Ziele durch welche Verwaltungsprodukte zu erreichen sind, inklusive der zugehörigen Messindikatoren. Alternativ dazu kann das Parlament in Ausübung seiner Funktion des generellen Richtliniengebers per Beschluss der Regierung einen entsprechenden Auftrag erteilen, die 163 164 165 166 167 168 169
Vgl. Mastronardi (2004), S. 90 f. Vgl. Lane (2000), S. 10 ff.; Schedler/Proeller (2006), S. 56, 155 ff.; Thom/Ritz (2006), S. 248 f. Vgl. Schedler/Proeller (2006), S. 161 f. Vgl. Thom/Ritz (2006), S. 251-256. Vgl. Lane (2000), S. 152-157. Vgl. Schedler (2004), S. 128 f. Vgl. Mastronardi (2004), S. 88 f.; Schedler/Proeller (2006), S. 155-163; andere Implementationswege z.
3. New Public Management im Kontext der Reformen des öffentlichen Sektors
69
ausführende Verwaltung mit Leistungsvereinbarungen zu steuern und zu kontrollieren. Gemäß diesen Steuerungsinstrumenten wird die Gewaltenteilung stärker durch Kooperation, Zielorientierung und -vorgabe sowie Freiräumen bei den ausführenden Organen vollzogen. Schedler fordert für den effizienten Einsatz dieser Steuerungsinstrumente ein politisches Controlling, welches aber noch detailliert entwickelt werden muss.170 Ein in ähnliche Richtung gehender Ansatz dürften Evaluationen von einzelnen staatlichen Gesetzen, Programmen, Institutionen, Reformen, Produkten etc. sein, wie sie verstärkt in der Schweiz praktiziert werden. Sie untersuchen u. a. intendierte und nicht intendierte Wirkungen staatlichen Handelns und den daraus entspringenden Nutzen, also das komplizierte kausale Geflecht zwischen Output, Impact und Outcome. Aus den Ergebnissen dürfen wesentliche Erkenntnisse zur Steigerung der Effektivität erhofft werden.171 3.5.2
Produktkataloge, Globalbudgets und dezentrale Ressourcenkompetenz
Produktkataloge sind eine künstlich geschaffene Basis für die betriebliche Leistungs- und Wirkungssteuerung auf der Output-Ebene, Politikformulierung und Evaluierung, so dass Entscheidungen treffsicher abgeleitet werden können. Als Produkte kommen die im Außenverhältnis zu erbringenden Dienstleistungen und Aufgaben in Betracht, für die es eine nachfragende Kundschaft gibt. Sie müssen differenzierbar, hinreichend bestimmt, in Qualität und Quantität messbar, steuerungsrelevant sein und das Zielsystem der Institution berücksichtigen. Ihrer Definition kommt eine große Bedeutung zu, denn sie sind die Grundlage für Verwaltungsleistungen hinsichtlich der Vorgabe, Messung, Kalkulation, Qualitätsverbesserung, Aufgaben- und Finanzplan, KLR, Budgetierungen und Kontrolle. Ferner sollen sie Kosten bzw. Deckungsbeiträge transparent machen. Daher bietet es sich an, die Produkte als Kostenträger in der KLR zu verwenden. Mehrere verwandte Einzelprodukte können zu Produktgruppen zusammengefasst werden; deren Gesamtheit ist der Produktkatalog. Höhere staatliche Instanzen befassen sich eher mit Produktgruppen, niedrigere Instanzen mit einzelnen Produkten. Bislang sind Produktdefinitionen weitgehend ein verwaltungsinterner Prozess. Weil die Definition von Produkten und Messindikatoren jedoch auch von politischem Interesse ist, sollten die Politik und demokratische Instanzen mittelfristig miteinbezogen werden. Als Gestaltungsempfehlung
170 171
B. bei Thom/Ritz (2006), S. 32. Vgl. Schedler (2004), S. 128 f. Vgl. Thom/Ritz (2006), S. 197-206.
70
3. New Public Management im Kontext der Reformen des öffentlichen Sektors
für Definitionen gilt, dass Produkte aus Sicht des Leistungsabnehmers formuliert werden sollten. Die Gesamtzahl der definierten Produkte muss zwar ein Mindestmaß erfüllen, sollte aber nicht zu hoch sein, um eine Steuerbarkeit mit möglichst wenig Aufwand zu ermöglichen. Problematisch wird die Produktdefinition bei verwaltungsinternen Produkten oder öffentlichen Gütern, z. B. Umweltschutz, welche nicht abgesetzt werden und daher keine originären Geldwerte besitzen.172 Im Rahmen von Kontrakten wird auch über das Mittelvolumen für die Herstellung von Produkten oder Produktgruppen entschieden. Organisationseinheiten können dabei Steuergelder als Globalbudget (auch Globalhaushalt genannt) gekoppelt mit Leistungsbzw. Wirkungsvereinbarungen als „globale“ Netto-Gesamtsumme zugewiesen werden, die entweder für bestimmte Produkte/Produktgruppen oder bestimmte Ämter/Dienststellen gebunden ist. Finanz- und Leistungsseite werden somit verknüpft. Die Finanzseite wird nicht mehr im Haushaltsplan der Gebietskörperschaft mit separaten Einnahmen und Ausgaben geführt, sondern es wird saldiert. Der Grad der Outputorientierung kann in Abhängigkeit von der Wahl der Bemessungsgröße für die Höhe des Budgets variieren. So stellen beispielsweise Produktpreise multipliziert mit der Abnahmemenge eine hohe Outputorientierung dar bzw. der pauschale Betriebskostenzuschuss den gegenteiligen Fall einer Inputorientierung. Auch eine Mischform mit fixem Anteil und variabler Mengenkomponente ist denkbar. Nicht nur die Bemessung, sondern auch die Handhabung und damit die traditionellen Budgetprinzipien erfahren mit dem Globalbudget eine Liberalisierung und Outputorientierung: So ist etwa die sachliche Mittelbindung für einzelne Aufwandsarten nicht mehr zwingend vorgegeben (d. h. Abkehr von dem Grundsatz der Spezifikation hin zur gegenseitigen Deckungsfähigkeit der Haushaltsmittel), was den ausführenden Betrieben und Verwaltungen mehr Handlungsspielräume gibt (dezentrale Ressourcenkompetenz).173 Zusätzliche Aufwendungen können – im Gegensatz zur reinen kameralistischen Lehre – getätigt werden, auch ohne dass sie budgetiert sind, wenn ihnen zusätzliche Einnahmen gegenüberstehen (Nettoprinzip). Falls das Budget nicht vollständig aufgebraucht wurde, muss dies nicht zwangsläufig zu einer Budgetkürzung im Folgejahr führen, was traditionell das sog. „Dezemberfieber“ heraufbeschworen hat, sondern kann zu einem zu vereinbarenden Prozentsatz oder vollständig bei der Institution verbleiben. Diese vergrößerten Freiheiten für eigenständiges Wirtschaften sollen zu mehr unternehmerischem Handeln und zu mehr Effizienz führen.174 172 173 174
Vgl. Blanke/Einemann et al. (2005), S. 281, 456 f.; Mastronardi (2004), S. 95; Schedler (2004), S. 130 f. Vgl. Brede (2005), S. 117 f.; Schedler (2004), S. 138 f.; Schedler/Proeller (2006), S. 165 ff. Vgl. Blanke/Einemann et al. (2005), S. 457; Brede (2005), S. 117 f.; Mastronardi (2004), S. 88 f.;
3. New Public Management im Kontext der Reformen des öffentlichen Sektors
3.5.3
71
Wettbewerbsorientierung und stärkere Nutzung von Marktmechanismen
Mit Wettbewerbsorientierung ist im NPM nicht die pauschale Forderung nach Privatisierung von staatlicher Produktion gemeint, sondern primär die Anwendung von vorhandenen oder teils konstruierten Marktmechanismen bei der staatlichen Leistungserstellung zur Verbesserung der Allokation. Die Vorteile des Marktes werden für staatliche Güter und Dienstleistungen implementiert. Dabei stehen die staatlichen Institutionen als Marktteilnehmer zueinander oder auch in Konkurrenz zu privaten Anbietern im Wettbewerb. Angesichts von Zuwendungen, Subventionen und einschränkendem öffentlichen Recht muss auf Chancengleichheit geachtet werden.175 Der vom Wettbewerb ausgehende Druck und die Orientierung an best solutions/best practice vergleichbarer Institutionen bzw. Konkurrenten führen bestenfalls zu einer mittelfristig gesteigerten Effizienz durch interne Rationalisierung.176 Dies ist nicht zuletzt deshalb notwendig, weil die Verwaltung zu schleichenden Wachstums- und Veränderungsprozessen neigt.177 Die Anwendung kann in drei Formen geschehen: Der nicht-marktliche Wettbewerb umfasst interne Leistungsverrechnungen zwischen Institutionen des öffentlichen Sektors, Leistungsvergleiche, Benchmarking und Qualitätswettbewerb, und setzt damit auf Transparenz und Vergleiche. Er findet überall dort Einsatz, wo es kein privatwirtschaftliches Konkurrenzangebot gibt. Gleiches gilt für den quasi-marktlichen Wettbewerb, bei dem innerhalb des öffentlichen Sektors Wettbewerbssurrogate künstlich geschaffen werden, z. B. durch interne Ausschreibungen, Kontrakte mit Verantwortungsdelegation im Rahmen der Dezentralisierung oder durch die Aufhebung von geographisch bedingten Monopolen. Der dritte und letzte Typus ist der marktliche Wettbewerb, bei dem entweder ausschließlich private Anbieter oder private und öffentliche Anbieter mit Ausschreibungen und beim Contracting Out (vgl. auch Kap. 3.5.4) zueinander in Konkurrenz gestellt werden.178
175 176 177 178
Thom/Ritz (2006), S. 256-260. Vgl. Lane (2000), S. 10-12, 147-159; Schedler/Proeller (2006), S. 192-203. Vgl. Pitschas (2004), S. 4. Vgl. Walkenhaus/Voigt (2006), S. XIII. Vgl. Haiber (1997), S. 318; Lane (2000), S. 10-12, 147-159; Schedler/Proeller (2006), S. 192-203.
72
3. New Public Management im Kontext der Reformen des öffentlichen Sektors
3.5.4
Formen der Privatisierung und Public Private Partnerships
Die materielle (echte) Privatisierung der staatlichen Leistungserstellung ist die radikalste Form der Staatsverschlankung, da die Eigentumsrechte und die Aufgabenerfüllung vom Staat zu einem privaten Akteur übergehen.179 Der Betrieb als solcher existiert weiter. Privatisierung bewirkt gemäß NPM Entpolitisierung. Diese wiederum führt zu einer Beschleunigung von Entscheidungen, zu größeren Handlungsspielräumen und zu einer stärkeren Orientierung am betriebswirtschaftlichen Kalkül bzw. an einer ökonomischen Rationalität, damit idealerweise auch zu besseren wirtschaftlichen Ergebnissen.180 Dabei kann es zu Konflikten mit Sachzielen kommen, die im öffentlichen Interesse stehen, z. B. Qualitätszielen, Sicherheitsstandards oder langfristiger Strukturerhaltung.181 Hier müssen Regelungen gefunden werden, beispielsweise durch Satzungen, Zielvereinbarungen in Form
öffentlich-rechtlicher
Verträge,182
Zuwendungsverträge,
ein
begleitendes
Beteiligungscontrolling, die an die private Leistungserstellung verbindliche Bedingungen knüpft, um die Anforderungen des öffentlichen Auftrags nicht zu gefährden. Im Gegensatz zur materiellen Privatisierung wird beim Contracting Out (Auslagerung) eine staatliche Betriebsstätte, z. B. eine Sozialstation oder ein Bauhof, geschlossen und damit einhergehend eine für den Bürger bestimmte Leistungserstellung insgesamt auf den privaten Sektor übertragen. Dies geschieht in der Hoffnung, Rationalisierungspotenziale zu erschließen, etwa durch Wettbewerbsdruck in einem Ausschreibungsverfahren. Es besteht die Notwendigkeit eines sorgfältig zu gestaltenden vertraglichen Regelwerks.183 Von der materiellen ist die formelle (unechte) Privatisierung abzugrenzen. Bei ihr erfolgt lediglich eine Umwandlung des öffentlich-rechtlichen Betriebs in eine Eigengesellschaft mit privatrechtlicher Rechtsform. Dabei verbleiben die Eigentumsrechte und die Haftung beim öffentlichen Träger. So kann je nach konkreter Ausgestaltung zwar mehr Staatsferne und eine effizienzorientierte betriebsinterne Anreizstruktur erreicht werden, aber nicht automatisch eine Markt- und Wettbewerbsorientierung. Die formelle Privatisierung wurde beispielsweise bei vielen Kulturbetrieben vollzogen, die vom Regiebetrieb in einen Eigenbetrieb oder eine öffentlich-rechtliche Stiftung umgewandelt wurden (vgl. Kap. 2.2.1).184
179 180 181 182 183 184
Vgl. Thom/Ritz (2006), S. 232 f. Vgl. Haiber (1997), S. 31-35. Vgl. Haiber (1997), S. 11 f., 37. Vgl. Mastronardi (2004), S. 116. Vgl. Brede (2005), S. 42; Schedler/Proeller (2006), S. 202 f.; Thom/Ritz (2006), S. 233. Vgl. Brede (2005), S. 39; Thiel (2003), S. 228.
3. New Public Management im Kontext der Reformen des öffentlichen Sektors
73
Das Outsourcing ist mit dem Contracting Out verwandt. Jedoch besteht der wesentliche Unterschied darin, dass beim Outsourcing lediglich Teilleistungen innerhalb der nach wie vor staatlichen Produktion zur Eigenversorgung und Entlastung des staatlichen Auftraggebers auf Private übertragen werden. Dies geschieht im Rahmen von Kauf-, Werk- oder Dienstleistungsverträgen, z. B. Reinigung, Pförtner und Besucherservice im Kulturbetrieb.185 Bei Public Private Partnerships (PPP) gehen Staat und Private eine hybridartige langfristige Kooperation zur Erfüllung öffentlicher Aufgaben ein. Es findet also nicht wie bei den zuvor genannten Privatisierungsformen eine Grenzverschiebung statt, sondern von Beginn an eine strategische Allianz, wohingegen die operative Durchführung, z. B. bei Finanzierung, Herstellung oder im Management, durchaus einseitig erfolgen kann. Ihr Ursprung liegt in den USA der 40er-Jahre in der Politik des „New Deal“ des Präsidenten Franklin D. Roosevelt, der auf die gemeinsame Verantwortung von Staat und Wirtschaft abstellte. In der PPP werden Chancen, z. B. die Erzielung von Synergieeffekten, Innovationspotenzialen und der Zutritt zu neuen Märkten, und unternehmerische Risiken, etwa aus mehrschichtiger asymmetrischer Information und der free-rider-Problematik, gleichermaßen geteilt. Hinsichtlich der Organisationsform kann sie in den Typologien der informellen PPP, der vertraglich vereinbarten PPP oder in einer gemeinsamen Gesellschaft existieren.186 Bei jeder Form der privaten Beteiligung muss bedacht werden, dass damit zum einen ein Machtverlust der öffentlichen Hand einhergeht und zum anderen das private Engagement sicherlich nur dann angeboten wird, wenn dieses finanziell lukrativ ist. So kommt die Frage auf, warum der private Part nicht von der öffentlichen Hand selbst geleistet wird. Dies zeigt den Bedarf einer differenzierten Auswertung mittels einer sog. Privatisierungsformel, ob die Synergieeffekte aus Kooperationen, das eingebrachte Knowhow und die kurzfristigen Haushaltsentlastungen aus der privaten Beteiligung für die öffentliche Hand auch langfristig einen positiven Netto-Nutzen bringen. Angesichts drohender Macht- und Gewinnverluste wären die kurzfristigen Haushaltsentlastungen andernfalls teuer erkauft.187 Deregulierung bedarf Aufsichtsämter und -behörden zur Eindämmung von Kommerzialisierungstendenzen und zur Gewährleistung der Sicherheit und Qualität der Versorgung. Es darf nicht übersehen werden, dass sowohl die Deregulierungsmaßnahmen 185 186
Vgl. Brede (2005), S. 42 ff.; Deutscher Bühnenverein (2005), S. 4; Thom/Ritz (2006), S. 236 Vgl. Brede (2005), S. 39 ff.; Roggencamp (1999), S. 26-29, 44 f., 55 ff., 147-156; Thom/Ritz (2006), S. 236-239.
74
3. New Public Management im Kontext der Reformen des öffentlichen Sektors
als auch die Beaufsichtigung bürokratischen Aufwand verursachen und Ressourcen verbrauchen (vgl. dazu die Hypothesen Downs188). 3.5.5
Bürger- und Kundenorientierung, Qualitätsmanagement
NPM kritisiert, dass der Staat und die Verwaltung die Eigenverantwortlichkeit und die Freiheiten der Bürger in der Vergangenheit teilweise unterdrückt haben.189 In Ausübung der herrschaftlichen Aufgaben hat der Bürger u. U. zu stark gespürt, dass er der staatlichen Gewalt unterworfen ist.190 Dem entgegenwirkend möchte die Bürgerorientierung einen Kontrapunkt setzen. Sie bedeutet die stärkere Einbeziehung der Bürger in Entscheidungen mit Mitteln der direkten Demokratie, z. B. Bürgerentscheide und Bürgerbegehren. Auch die Direktwahl der Bürgermeister und dessen gestärkte Machtposition gegenüber dem Rat sind Maßnahmen zur vermehrten Orientierung am Bürgerwillen.191 Kundenorientierung heißt eine Verbesserung der öffentlichen Dienstleistungen in der Art, dass das Angebot stärker der Nachfrage entspricht. Die Kundennähe der Verwaltung soll steigen. Dies kann auch mit einer Qualitätssteigerung verbunden sein, die inhaltlich von den Kunden bestimmt werden kann.192 Die inzwischen stark verbreiteten kommunalen Bürgerbüros, in denen unterschiedlichste Bürger- und Unternehmerbelange in einer zentralen Anlaufstelle mit meist großzügigeren Öffnungszeiten angenommen werden, sind ein Zwischenergebnis von NSM und NPM. Es entsteht bestenfalls eine Service- und Dienstleistungsmentalität im positiven Sinne, indem der Bürger als Kunde freundlich und unterstützend behandelt wird; aus der „Ordnungskommune“ wird eine „Dienstleistungskommune“.193 Eine Steigerung der Servicezufriedenheit wird durch eine stärkere Partizipation der Kunden und durch Befragungen ausgeübt, was jedoch mit den üblichen Problemen empirischer Sozialforschung und mit Kosten behaftet ist194. Ferner dienen besonders öffentliche Güter der Gesamtbevölkerung und nicht nur nutzensteigernd einzelnen Kunden, außerdem wirken sie langfristig. Dies erschwert die Bewertung durch die Kunden. Überdies werden Kunden schnell zu Lobbyisten, die versuchen, ihre Partikularinteressen durchzusetzen, zumal Kunden keine homogene Gruppe sind. Besonders bei gewachsenen dezentralen Entscheidungsspielräumen in der Verwaltung 187 188 189 190 191 192 193 194
Vgl. Brede (2005), S. 46-50. Vgl. Thom/Ritz (2006), S. 18. Vgl. Pitschas (2004), S. 2. Vgl. Blanke/Einemann et al. (2005), S. 457. Vgl. Dose (2006), S. 343. Vgl. Haiber (1997), S. 2. Vgl. Blanke/Einemann et al. (2005), S. 457, 532 f.; Dose (2006), S. 343. Vgl. Blanke/Einemann et al. (2005), S. 457; Mastronardi (2004), S. 91 f.
3. New Public Management im Kontext der Reformen des öffentlichen Sektors
75
eröffnet sich ein neues chancenreiches Betätigungsfeld für Lobby-Gruppen, die nicht im Interesse der Allgemeinheit agieren müssen, etwa bei Genehmigungsverfahren im Bauwesen, im Verbraucherschutz oder im Gesundheitssektor. Bei all diesen Aspekten wird deutlich, dass der Kundenbegriff und dessen Folgen noch klarer definiert werden müssen.195 Durch den Vergleich mit den vielfältigen Qualitätsverbesserungen in der Privatwirtschaft sind die Ansprüche der Bürger an die Produkte des öffentlichen Sektors stark gestiegen. Daraus resultierte ein Anpassungsdruck zu Qualitätssteigerung und die intensivierte Diskussion über öffentliche Haushalte.196 Die Steigerung der Servicequalität und der Kundenorientierung sind Komponenten des Qualitätsmanagements. Verstanden als umfassendes Total Quality Management (TQM), ist Qualität als Resultat einer Vielzahl von nicht-linear zusammenhängenden Faktoren zu sehen. Alle Stakeholder und damit auch die internen Organisationsmitglieder sind in die Betrachtung einzubeziehen. Das breit angelegte Qualitätsverständnis bezieht sich auf Organisationsstrukturen und -systeme, Prozesse, Potenziale und Ergebnisse. Die Umsetzung bedarf einer lernfähigen und -willigen Organisation und Führung sowie einer praktizierten Qualitätspolitik. Auf überbetrieblicher Ebene können auch Input, Output, Impact, Outcome und politischadministrative Prozesse einem Qualitätsmanagement unterzogen werden.197 3.5.6
Reformen des externen Rechnungswesens
Traditionell unterliegen die Institutionen des öffentlichen Sektors dem Rechnungssystem der Kameralistik. NPM und die weiteren Reformstränge kritisieren an diesem System u. a. die starke Input-Orientierung, die umständliche und fehleranfällige Verbindung mit weiteren Büchern und Rechnungen (Vermögen/Anlagen, KLR, Investitionen etc.), die schwierige Konsolidierung mehrerer wirtschaftlicher Einheiten, die enge Fixierung auf die Zahlungsebene ohne Erfolgs- und Reinvermögensausweis und somit mangelnde Transparenz über den vollständigen Ressourcenverbrauch, unvollständige Periodenabgrenzung
und
die
Nicht-Berücksichtigung
periodenübergreifender
wirtschaftlicher
Zusammenhänge. Weitere Schwachstellen werden in dem kameralistisch geprägten Haushaltsrecht gesehen, dabei dennoch mit der Kameralistik selbst kausal attribuiert, etwa bei der eng definierten Zeit- und Zweckbindung von Haushaltsmitteln und dem daraus resultierenden „Dezemberfieber“, welches durch dysfunktionale Anreize zu Unwirtschaft-
195 196 197
Vgl. Mastronardi (2004), S. 91 ff.; Schedler (2004), S. 154 f. Vgl. Thom/Ritz (2006), S. 12 f. Ebenda,, S. 186 ff.
76
3. New Public Management im Kontext der Reformen des öffentlichen Sektors
lichkeit führen kann. Die Zielsetzung eines effizient arbeitenden, wirkungsorientierten Gewährleistungsstaats scheint in der Kameralistik nicht realisierbar zu sein.198 Der kaufmännischen Buchführung (Doppik) wird dagegen zugesprochen, die besagten Defizite beseitigen zu können. So verwundert es nicht, dass aufgrund der Überlegenheitsannahme, zudem im Kontext von zahlreich erfolgten Ausgliederungen aus der öffentlichen Kernverwaltung, die Doppik in den vergangenen zwei Jahrzehnten die Kameralistik an vielen Stellen abgelöst hat.
198
Vgl. Bals (2008), S. 157 f.; Budäus (1998), S. 70 ff.; Fudalla/Wöste (2005), S. 27; Lüder (2001), S. 7-13; Schedler/Proeller (2006), S. 175 f.
3. New Public Management im Kontext der Reformen des öffentlichen Sektors
77
Die wesentlichen Unterschiede zwischen den Systemen der Buchführung werden in nachfolgender Tab. 13 aufgeführt:
Kameralistik Ziel: Neutrale Darstellung von Zu- und Abfluss von Geld eines Etats, basierend auf Haushaltsplan mit Soll-Werten Einfache Buchführung (auf einem Konto), ggf. zweimalige Erfassung durch Soll- und Ist-Stellung oder im Sach- und Zeitbuch Geldverbrauchskonzept: Einnahmen und Ausgaben als Bezugsgrößen Fast ausschließlich zahlungswirksame Vorgänge und Zahlungsanweisungen werden erfasst Keine vollständige Periodenabgrenzung bei Vorgängen, die sich auf mehrere Perioden beziehen, sondern Orientierung am Geldfluss Keine explizite Wirtschaftlichkeitsbetrachtung, da Prinzip des Ausgleichs von Einnahmen und Ausgaben Implizite Planvollzugskontrolle, da Soll und Ist getrennt ausgewiesen und Verknüpfung von Haushaltsvollzug, Mittelbewirtschaftung und Kassen, Vorausschätzungen prinzipiell möglich Standardmäßig keine Erfassung von Schulden und Vermögen, daher vollständiger Einblick in wirtschaftliche Situation nicht auf Anhieb möglich, sofern keine Sonderbücher geführt werden Kein einheitlicher Jahresabschluss, daher auch fehlende Entscheidungsgrößen und mangelnde Vergleichbarkeit mit anderen Betrieben Konsolidierungen und Einbeziehung von weiteren Gesellschaften bzw. Körperschaften problematisch Rationalität der Rechtmäßigkeit: Einhaltung der parlamentarisch beschlossenen Soll-Ansätze Anreiz zur Ineffizienz durch Mittelkürzung bei Nicht-Ausschöpfen des Solls („Dezemberfieber“), sofern haushaltsrechtlich so vorgesehen
Doppik Ziel: Vollständige, gewinnorientierte Darstellung von wirtschaftlichem Erfolg (GuV) und von Vermögen und Schulden (Bilanz) eines Betriebs Doppelte Buchführung (auf zwei Konten: Soll und Haben) Ressourcenverbrauchskonzept: Erträge und Aufwendungen als Bezugsgrößen Auch zahlungsunwirksame Vorgänge werden erfasst, z. B. Forderungen, Verbindlichkeiten, Abschreibungen Periodenabgrenzung mittels Rechnungsabgrenzungsposten und weiterer Bilanzkonten Betrachtung des wirtschaftlichen Erfolgs in der Gewinn- und Verlustermittlung (GuV) Explizite Planvollzugskontrolle und Vorausschätzungen mittels Kosten- und Leistungsrechnung (KLR) und betriebswirtschaftlichen Auswertungen (BWA) Umfangreicher Einblick in wirtschaftliche Situation auf Anhieb möglich
Einheitlicher Jahresabschluss, daher Entscheidungsgrößen und Vergleichbarkeit mit anderen Betrieben gegeben Konsolidierungen und Einbezug von weiteren Gesellschaften unproblematisch Rationalität der Wirtschaftlichkeit: sparsamer Mittelverbrauch Anreiz zur Effizienz bei praktizierter Mittelübertragung ins Folgejahr, sofern haushaltsrechtlich so vorgesehen
Tab. 13: Gegenüberstellung von Kameralistik und Doppik Quelle: Almstedt (1999), S. 265; Blanke/Einemann et al. (2005), S. 167f., 262 ff.; Brede (2005), S. 190-196; Haiber (1997), S. 42 ff., 66 ff.; Schedler/Proeller (2006), S 175f.
Daneben existieren Mischformen, etwa die Erweiterte Kameralistik mit Schnittstelle zur KLR, die einige Vorteile der Kameralistik mit denen der Doppik verbindet. Der vielerorts vollzogene oder bevorstehende Wechsel zur Doppik ist nach Ansicht Bredes eher der Technisierung mit Standard-Software, negativen Vorurteilen über die Kameralistik und dem Trend der wachsenden betriebswirtschaftlichen Ausrichtung der Verwaltung als ihrer Nicht-Eignung zuzuschreiben. Dennoch räumt Brede ein, dass Nachteile der Kameralistik wie die unvollständige Vermögens- und Schuldenerfassung, nicht vorhandene Wirkungs-
78
3. New Public Management im Kontext der Reformen des öffentlichen Sektors
und Ergebnisrechnung und umständliche individuelle Einbettung einer KLR nicht von der Hand zu weisen sind.199 Lüder (2001) hat mit dem Drei-Komponenten-Rechnungssystem (Abb. 15) eine Weiterentwicklung des Rechnungswesens entworfen, welches auf Basis der Doppik die Besonderheiten und die Bedürfnisse des öffentlichen Sektors berücksichtigt. Die drei Komponenten bestehen aus einer Finanzrechnung mit integrierter Kapitalflussrechnung (Cashflow-Rechnung), einer Vermögensrechnung (Bilanz), die auch die langfristigen Verbindlichkeiten und das veräußerbare Verwaltungsvermögen erfasst, sowie der Ergebnisrechnung (GuV):
Finanzrechnung
Vermögensrechnung Aktiva
Passiva
Einzahlungen ./.
Kapitalverwendung
Kapitalherkunft
Auszahlungen (nach Arten gegliedert)
Vermögen
EK
Liquide Mittel
FK
Liquiditätssaldo
Ergebnisrechnung Erträge ./. Aufwendungen (nach Arten gegliedert) (verbunden mit KLR) Ergebnissaldo
Abb. 15: Drei-Komponenten-Rechnungssystem nach Klaus Lüder (Integrierte Verbundrechnung) Quelle: Lüder (2001), S. 37; Saß (2005), S. 360.
Damit genügt das Drei-Komponenten-Rechnungssystem den Kriterien eines Full-AccrualAccounting-Konzepts mit sachlicher und zeitlicher Abgrenzung. Ein Haushaltsausgleich bezieht sich nicht mehr auf die Liquiditätsebene, sondern auf die Vermögensrechnung (Erträge = Aufwendungen), was eine stärkere Nachhaltigkeit und Generationengerechtigkeit bewirken soll.200 Ähnliche Formen des Rechnungssystems kursieren in der Literatur und in der Praxis auch unter den Begriffen Neues Öffentliches Rechnungswesen (NÖR), Neues Kommunales Rechnungswesen (NKR) und Neues Kommunales Finanzmanagement (NKF).201 Die Finanzrechnung kann als eine Integration des kameralistischen Haushaltsplans in ein doppisches Gesamtsystem interpretiert werden. Mit den International Public
199 200
201
Vgl. Brede (2005), S. 194 ff. Vgl. Bals (2008), S. 173; Haiber (1997), S. 65-73; Saß (2005), S. 361; Wagner (1995), S. 207 f. Dabei kann je nach gesetzlicher Grundlage der jeweiligen Körperschaft der Ausgleich differenzierter definiert werden, etwa ohne Berücksichtigung außerordentlicher Ergebnisse oder mit der Möglichkeit der Einbeziehung von Rücklagen, vgl. Ade (2007), S. 266. Vgl. Blanke/Einemann et al. (2005), S. 167-170.
3. New Public Management im Kontext der Reformen des öffentlichen Sektors
79
Sector Accounting Standards (IPSAS) und den Grundsätzen ordnungsgemäßer öffentlicher Buchführung (GoöB) liegen Grundregeln der Rechnungslegung für den öffentlichen Sektor vor.202 3.5.7
Reformen des internen Rechnungswesens
Die Kosten- und Leistungsrechnung (KLR) – als Bestandteil des internen Rechnungswesens und als eine Informationsbasis des Controllings – ermöglicht vertikale, horizontale und zeitliche Vergleiche. Dadurch wird ein Aussagegehalt zur Beurteilung der eigentlichen Leistungs- und Wertschöpfungsprozesse gewonnen, welcher in der nach Titeln und Haushaltsstellen gegliederten Kameralistik nicht ersichtlich ist. Somit wird in vielen Kulturbetrieben durch die Einführung der KLR der Leistungs- und Wertschöpfungsprozess erstmals ein expliziter und regelmäßig erhobener Betrachtungsgegenstand im Rechnungswesen, welcher zur Steuerung und für Managemententscheidungen herangezogen werden kann. In der KLR müssen geeignete Kostenarten, -stellen und -träger definiert werden, die auf dem Kontenplan, der Organisationsstruktur und den Produkten bzw. OutputLeistungen basieren. Somit gibt es eine Verbindung zum externen Rechnungswesen und zum gesamten betrieblichen Geschehen. Die Aufgaben der KLR bestehen auch im öffentlichen Sektor aus Kontrolle (Kosten- und Erfolgsentwicklung, Wirtschaftlichkeit), Planung, Information und Analyse (Preis- bzw. Gebührenkalkulation, Bereitstellung von Informationen für betriebliche Entscheidungen, Optimierung der Leistungserstellung, allgemeine Steuerung) sowie Dokumentation (Ermittlung von Herstellungskosten und Selbstkostenpreisen). Die KLR schafft Transparenz über wirtschaftliche Zusammenhänge, etwa zu den Kostenstrukturen (Fixkostenblöcke, Grenzkosten, Deckungsbeiträge, Remanenzen etc.), die auch nach außen, z. B. gegenüber dem Zuwendungsgeber oder der Öffentlichkeit, als Argumentations- und Legitimationsmittel verwendet werden können. Ferner ermöglicht sie unter Einbeziehung weiterer Auswertungstechniken (z. B. der Plankostenrechnung) im Gegensatz zur vergangenheitsorientierten Kameralistik auch zukunftsorientierte Analysen. NPM fordert den Einsatz einer sektorspezifisch adaptierten KLR als Führungsinstrument, nicht nur in den öffentlichen Betrieben, sondern auch in den Verwaltungen. Dabei treten folgende spezifische Problemfelder im öffentlichen Sektor auf: •
die sinnvolle Definition von Kostenträgern,
•
die Messung von quantitativ und/oder qualitativ schwer erfassbaren Leistungen,
202
Vgl. Budäus/Behm et al. (2004), S. 230.
80
•
3. New Public Management im Kontext der Reformen des öffentlichen Sektors
die
geforderte
kalkulatorische
Internalisierung
von
ggf.
aus
der
Gemein-
wohlorientierung resultierenden positiven bzw. negativen externen Effekten, •
die
Berücksichtigung
von
Leistungsverflechtungen
mit
anderen
öffentlichen
Institutionen, politischen Gremien bzw. interne Leistungsverrechnungen, •
die adäquate kalkulatorische Abbildung von langfristigem Werteverzehr im Anlagevermögen zur Indikation eines Refinanzierungsbedarfs,
•
die Erfassung und Implementierung des Mengengerüsts und
•
die Schlüsselung der meist umfangreichen Gemeinkosten.
Da für das interne Rechnungswesen keine verbindlichen Vorschriften existieren, gibt es für weiterführende Varianten der KLR, z. B. der Prozesskostenrechnung, Teilkostenrechnung, Grenzplankostenrechnung oder noch zu entwickelnde Instrumente, keine grundlegenden Barrieren.203 Becker/Weise räumen der Plankostenrechnung einen hohen Stellenwert zur Wirkungsentfaltung der KLR im öffentlichen Sektor ein.204 Für die Gestaltung der KLR sollten die Belange der betrieblichen Steuerung der maßgebliche Faktor sein, so dass das individuelle Informationsbedürfnis durch die KLR gestillt werden kann.205 3.5.8
Die Controlling-Funktionen im NPM
Das Controlling hat dem Namen nach im Non-Profit-Sektor seinen Ursprung und somit eine lange Tradition. Controller wurden bereits im 14. Jahrhundert in der Kirchenverwaltung und im 15. Jahrhundert in der britischen Staatsverwaltung eingesetzt. Bis ins 19. Jahrhundert waren sie ausschließlich im Staatsdienst für das kameralistische Rechnungswesen, die Innenrevision und Zahlungsanweisungen tätig. Der erste Beleg einer privatwirtschaftlichen Controllerstelle datiert auf 1880 in den USA.206 Insofern hat die NPM-Forderung nach einem Verwaltungscontrolling gewisse anachronistische Züge, wenn auch der Controlling-Funktion erhebliche Veränderungen und Erweiterungen widerfahren sind: Auf übergeordneter Ebene ist das Controlling durch eine Denk- und Arbeitshaltung der informationsbasierten Steuerung und Zielorientierung charakterisiert, die durch ihren intentionalen Charakter und eine bewusste Wahl der Methodik von der tradierten Kultur des öffentlichen Sektors, nämlich der reaktiven und passiven Weisungs- bzw. 203
204 205 206
Vgl. Brede (2005), S. 199-206; Buchholtz (2001), S. 94-98; Budäus (1994), S. 255 ff.; Budäus (1998), S. 61 ff.; Coenenberg/Fischer et al. (2009), S. 21ff.; Flury (2002), S. 96 ff.; Haiber (1997), S. 310-319; Schedler/Proeller (2006), S. 175-181; Schneidewind (2006), S. 101-137. Vgl. Becker/Weise (2002), S. 184. Vgl. Flury (2002), S. 108. Vgl. Müller (2006a), S. 63.
3. New Public Management im Kontext der Reformen des öffentlichen Sektors
81
Vorschriftsausführung, stark abweicht.207 Dem Controlling liegt ein stetig zirkulierender Regelkreis zu Grunde, der in seinen Schritten dem Fayolschen Managementzyklus (vgl. Kap. 3.4) ähnelt: Gesetzte Ziele (Soll-Werte) werden mit den erreichten Ist-Werten verglichen, Abweichungsursachen analysiert, Maßnahmen zur Gegensteuerung geplant und umgesetzt sowie Ergebnisse gemessen und kommuniziert. Das setzt voraus, dass zuvor die angestrebten Ziele systematisiert und die kybernetischen Prozesse gestaltet und institutionalisiert worden sind, was auch zu den Controlling-Aufgaben gehört. Letztlich sollen durch die Implementierung des Controllings – und diese Ziele sind ebenfalls nicht originär im öffentlichen Sektor beheimatet – die Arbeitsabläufe und die wirtschaftlichen Ergebnisse auf Basis geeigneter Analyseinstrumente nachhaltig verbessert und das Kostenbewusstsein geschärft werden.208 In einer weiter gefassten Definition kommt dem Controlling innerhalb des bestehenden Führungssystems mit seinen Teilsystemen Ziele, Planung und Kontrolle, Information, Personalführung, Organisation und Rechnungswesen/Budgetierung eine koordinierende Funktion zu.209 Allen Ansätzen gemein ist die Funktion des Controllings als interner Dienstleister: Die Verwaltungsleitung bzw. Geschäftsführung soll in den Bereichen Prognose/Planung, Steuerung, Ermittlung/Dokumentation und Kontrolle durch maßgeschneiderte Informationsversorgung und das Einbringen von Methodenkompetenz zur Sicherung der Rationalität durch das Controlling in der Betriebsführung unterstützt werden. Kognitive Grenzen und empirisch nachweisbare Unterschiede in den Eigenschaften, Fähigkeiten und Verhaltensweisen von Managern und Controllern machen die Controllingfunktion zu einem wichtigen Begleiter und konstruktiven Ratgeber für das Management. Das Controlling kann als Hüter des betriebswirtschaftlichen Gewissens zur Steigerung der Führungsrationalität und der Treffsicherheit von Zweck-Mittel-Relationen beitragen. Dazu richtet das Controlling auf Basis einer funktionskräftigen Kosten- und Leistungsrechnung weitere Controllinginstrumente wie z. B. Kennzahlen- und Indikatorensysteme, ein differenziertes Berichtswesen oder Budgetierungskreisläufe etc. ein.210 Die Umsetzungstiefe von Controlling fällt auf den Ebenen der deutschen Gebietskörperschaften heterogen aus, so dass kein allgemeines Urteil über den Stand und die Qualität der Umsetzung gefällt werden kann.211 Jedoch wird das auf die kurzfristigere Sicht ausgerichtete operative Controlling im öffentlichen Sektor weit häufiger praktiziert 207 208 209 210
Vgl. Schedler/Proeller (2006), S. 233; Thom/Ritz (2006), S. 172 ff. Vgl. Blanke/Einemann et al. (2005), S. 285, 457; Flury (2002), S. 40 f. Vgl. Budäus (1998), S. 64 ff.; Thom/Ritz (2006), S. 175. Vgl. Brede (2005), S. 71; Haiber (1997), S. 13 ff.; KGSt (1989), S. 17 f.; Müller (2006a), S. 63-68; Thom/Ritz (2006), S. 173, 176-186; Weber/Schäffer (2008), S. 33-53.
82
3. New Public Management im Kontext der Reformen des öffentlichen Sektors
als das auf die mittel- und langfristigere Sicht und übergeordnete Ziele fokussierende strategische Controlling. Dies wird mit Mittelknappheit, dominierendem operativen Tagesgeschäft und Umsetzungsschwierigkeiten begründet.212 Ein produktiv eingesetztes Controlling setzt ein betriebliches Führungssystem mit Zielen und Planungen voraus, ferner sollte die Führung antizipativ und dezentral erfolgen.213 Da diese Voraussetzungen im öffentlichen Sektor nicht immer gegeben sind, erklärt dies teilweise, warum die Einführung eines wirksamen Controllings nicht ohne Einbettung in ein Gesamtkonzept der Betriebssteuerung und ggf. Änderungen der Betriebskultur möglich ist. Daneben ist ein modifizierter Erfolgsbegriff zu definieren, in den der sachzielorientierte öffentliche Auftrag integriert werden sollte.214 Auch zur Steuerung der verselbständigten öffentlichen Betriebe durch die Regierung bzw. das Parlament bedarf es eines (Beteiligungs-)Controllings, das weniger eine operative (Detail-)Kontrolle, sondern vielmehr eine strategische Steuerung praktiziert. Controlling kann nicht nur auf betrieblicher Ebene praktiziert werden, sondern gewinnt im NPM auch auf politischer Ebene an Bedeutung: Im Konzept des Gewährleistungsstaats gilt es, ein Wirkungscontrolling zur Messung der Erreichung der Impacts und Outcomes durchzuführen (Wirkungsrechnung/politisches Controlling/Evaluationen). Dabei werden den mittelbar erzielten Wirkungen die zur Erreichung erforderlichen Kosten gegenübergestellt.215
Der
Wirkungsrechnung
werden
Validität,
Reliabilität
und
Widerspruchsfreiheit insbesondere bezüglich der zu Grunde liegenden Kausalketten abverlangt, was bei der Umsetzung zu Definitions- und Messproblemen führt. Außerdem setzt die Wirkungs-Beurteilung ähnlich wie Kontraktvereinbarungen voraus, dass zuvor klare Ziele mit zugehörigen Messmethoden definiert wurden. Eine einfachere Variante der Messung, etwa bei qualitativen Eigenschaften des Outcomes, besteht in regelmäßigen indikatorbasierten Lageberichten.216 Für alle genannten Einsatzmöglichkeiten gilt, dass das Controlling stets bedarfsgerecht, d. h. situativ gestaltet und dimensioniert sein muss, damit es einen über den eigenen Aufwand hinausgehenden Mehrwert für die Steuerung erbringt.217
211 212 213 214 215 216 217
Vgl. Müller (2006a), S. 63-68. Vgl. Brede (2005), S. 71 f., 76. Vgl. Flury (2002), S. 46 f. Vgl. Haiber (1997), S. 12-15. Vgl. Brede (2005), S. 197 ff., 206 ff.; Flury (2002), S. 85. Vgl. Brede (2005), S. 206-210; Budäus (1998), S. 63; Schedler/Proeller (2006), S. 180 f.; Thom/Ritz (2006), S. 176-180. Vgl. Thom/Ritz (2006), S. 174 f.
3. New Public Management im Kontext der Reformen des öffentlichen Sektors
3.5.9
83
Personalmanagement und Personalentwicklung
Es wird zwischen dem unmittelbaren öffentlichen Dienst (Beschäftigte bei Bund, Ländern, Gemeinden, Gerichten oder Kulturbetrieben in der Betriebsform des Regiebetriebs) und dem mittelbaren öffentlichen Dienst unterschieden (z. B. Träger der gesetzlichen Sozialversicherungen, Bundesagentur für Arbeit, Deutsche Bundesbank, öffentlich-rechtlich selbständige Einrichtungen wie z. B. einige Krankenhäuser und Kulturbetriebe). Bundesweit gab es 2005 insgesamt 4,78 Mio. Beschäftigte im öffentlichen Dienst. Im unmittelbaren Dienst waren dies 1,56 Mio. Beamte, 1,78 Mio. Angestellte im Tarifsystem des BAT bzw. im TVöD, 0,52 Mio. Arbeiter im MTB/MTL/BMT-G bzw. im TVöD. Die Aufwendungen für den soeben zitierten Personalkorpus lagen in 2004 bei 173 Mrd. Euro, was ca. 28,5 % der Gesamtausgaben des Bundes, der Länder und der Kommunen entspricht.218 Es ist allgemein anerkannt, dass das Personalwesen eines der größten Problem- und Reformfelder im öffentlichen Sektor darstellt.219 Das kongruiert mit der zunächst trivialen Einsicht, dass alle Tätigkeiten von den beschäftigten Menschen ausgeführt werden und diese somit ein wesentlicher Erfolgsfaktor sind. Die meisten Reformen im öffentlichen Sektor betreffen die auszuführenden Tätigkeiten, welche jedoch unausweichlich von den Menschen und deren Umfeld abhängen: Qualifikation, Betriebs- und Verwaltungskultur, Selbstverständnis, Arbeitsweise und -gewohnheiten, Klima innerhalb der Belegschaft und Motivation haben entscheidenden Einfluss auf die Arbeitsergebnisse.220 Dennoch gibt es keinen einheitlichen und spezifischen personalwirtschaftlichen Ansatz im NPM. Daher erweist es sich als problematisch, eine Abgrenzung von Maßnahmen und Reformen im Personalwesen vorzunehmen, die vorwiegend oder ausschließlich durch das NPM intendiert werden. Die verbreiteten Forderungen nach Modernisierung, Flexibilisierung, Leistungs- und Zielorientierung sowie die zugehörigen Maßnahmen und Instrumente, z. B. Human Resource Management (HRM) oder Führung durch Leadership, bestehen und gelten weitgehend unabhängig von NPM. Jedoch gehen sie mit den Forderungen und Zielen des NPMs konform. NPM wirkt insofern für das Personalmanagement förderlich, als dass durch seine Umsetzung die persönlichen Entscheidungsspielräume und Verantwortlichkeiten wachsen und weniger technokratisch gestaltet sind als im herkömmlichen bürokratischen System.221
218 219 220 221
Vgl. Blanke/Einemann et al. (2005), S. 303-306, 330. Vgl. Budäus (1998), S. 31, 82 f.; Eichhorn (1994), S. 241 f.; Kissler/Bogumil et al. (1997), S. 200 f.; Pitschas (2004), S. 4; Zimmer/Priller et al. (2003), S. 50. Vgl. Blanke/Einemann et al. (2005), S. 408; Budäus (1998), S. 31 f.; KGSt (1989), S. 15 f.; Kissler/Bogumil et al. (1997), S. 200 f. Vgl. Halblützel (2006), S. 345-349; Löffler (2003a), S. 245-250; Schedler/Proeller (2006), S. 229 ff.
84
3. New Public Management im Kontext der Reformen des öffentlichen Sektors
NPM geht von einem optimistischen Menschenbild aus, das der Theorie Y von McGregor ähnelt. Es beinhaltet, dass der Mensch grundsätzlich intrinsisch motiviert und bemüht ist, eine gute Arbeit zu leisten, dass er Verantwortung und Entscheidungsspielräumen gegenüber aufgeschlossen ist sowie Anpassungsfähigkeit und Lernbereitschaft mitbringt. Ein Management mit betriebswirtschaftlicher Rationalität ist trotz der Komplexität des Menschen und seinen sozialen Bedürfnissen grundsätzlich möglich.222 Das Personal wird nicht als Kostenfaktor, sondern als entscheidendes Erfolgspotenzial wahrgenommen und entsprechend behandelt.223 Daher muss die klassische, administrativ arbeitende Personalverwaltung um ein strategisches Personalmanagement erweitert werden, das die bereits heute gegebenen und künftig noch wachsenden Anforderungen an die Qualifikation mit den vorhandenen Potenzialen und Kompetenzen abgleicht und notwendige Entwicklungsschritte
initiiert.224
Angesichts
breitem
komplizierter und vielfältiger werdender Umwelt
225
Personalabbau
und
immer
gilt die Notwendigkeit der
Professionalisierung auch für den öffentlichen Dienst und die Politik.226 Das in der Privatwirtschaft etablierte Human Resource Management (HRM) gilt im öffentlichen Sektor als schwach ausgeprägt: Personalabteilungen fokussieren zu wenig Fragen des Personalmanagements bzw. das Personal selbst. Die Bedürfnisse, Chancen und Entwicklungspotenziale der öffentlich Bediensteten werden nicht gezielt berücksichtigt. Zu den Instrumenten des HRM gehören die Fort- und Weiterbildung der Mitarbeiter, eine motivierende Stärkung der Verantwortung und der Kompetenzen, Leistungs- und Mitarbeiterbeurteilungen, Mitarbeitergespräche, strategische und ressourcenorientierte mittelfristige
Personalplanung,
bewusstes
Mitarbeiter und monetäre Leistungsanreize.
Gestalten 227
der
Einführungsphase
neuer
Die Bedeutung der Personalauswahl ist
nicht zu unterschätzen, da aufgrund der meist langen Dienstzeiten hinter jedem einzelnen Mitarbeiter große Wertschöpfungspotenziale stehen. Insofern ist der Aufwand in die Professionalisierung der Kandidatenauswahl als Investition zu betrachten. Ziel sollte sein, die dienstlichen Erfordernisse mit den Erwartungen, Kompetenzen und Bedürfnissen der Bewerber in das jeweils bestmögliche Verhältnis zu setzen.228
222 223 224 225 226 227
228
Vgl. Schedler/Proeller (2006), S. 51-57, 291 ff. Vgl. Budäus (1998), S. 75 f.; Hautmann/Leipold et al. (1998), S. 54 f.; Schedler/Proeller (2006), S. 243 f. Vgl. Blanke/Einemann et al. (2005), S. 408 f.; Kissler/Bogumil et al. (1997), S. 203. Vgl. Blanke/Einemann et al. (2005), S. 409. Vgl. Thom/Ritz (2006), S. 9. Vgl. Berman (2006), S. 8 ff.; Blanke/Einemann et al. (2005), S. 417-421, 457 f.; Budäus (1998), S. 74 f.; Conrad (2003), S. 256-262; von Eckardstein/Ridder (2003), S. 26; Koch (1998), S. 2 f.; Ridder/Neumann (2003), S. 122 f. Vgl. Blanke/Einemann et al. (2005), S. 413 f.
3. New Public Management im Kontext der Reformen des öffentlichen Sektors
85
Weiterer Reformbestandteil ist die stärkere Fokussierung auf Führung und Leadership als Weg zur Erreichung der Leistungsziele. Die Führungskompetenzen gelten bei Vorgesetzten im öffentlichen Dienst als unterentwickelt.229 In einer veränderten Führungskultur verstehen sich Führungskräfte weniger als hierarchisch Vorgesetzte, die Anweisungen und Vorschriften erteilen, sondern eher als Coach und Fragesteller. Sie versuchen, ihren Mitarbeitern Erfolgserlebnisse zu ermöglichen und sie entsprechend zu befähigen (Empowerment). Ein offenes gegenseitiges Feedback, regelmäßige Mitarbeitergespräche und eine Kultur des Vertrauens gehören dabei selbstverständlich zum respektvollen Umgang miteinander.230 Ein wichtiges Führungsinstrument ist die auf dem Management by Objectives (MbO) basierende Zielvereinbarung. Hierbei werden zwischen Mitarbeiter und Vorgesetzten Ziele verhandelt, ausformuliert und operationalisiert. Es liegt dabei ein kooperativer und mitarbeiterorientierter Führungsstil vor, der die besonders in Deutschland verbreitete autoritäre Regelungskultur einschränkt. Übergeordnete Unternehmensziele bilden dabei die Grundlage. Sie sollten transparent sein und kommuniziert werden. Dem Geführten kann durch klare Zielformulierung eine Selbstkontrolle erleichtert werden, was den Führenden von seiner Kontrollfunktion jedoch nicht entbindet. Den Mitarbeitern ist Eigenverantwortung und Autonomie zu übertragen; ferner sollen sie in Entscheidungsprozesse eingebunden und gut informiert werden.231 Die Analyse und Optimierung von Strukturen und Abläufen sind Bestandteile des Organisations- und Prozessreengineerings. Die Arbeitsformen orientieren sich durch die kritische Prozessoptimierung stärker an den Aufgaben und den betrauten Personen. Dadurch sollen die Arbeitsabläufe an Umsetzungsgeschwindigkeit, Flexibilität und Kundenorientierung gewinnen. Die erläuterten neuen Rollenverständnisse und Aufgaben erfordern für alle Beteiligten und den Betrieb zusätzliche Kompetenzen, die u. U. erst erworben werden müssen. Das zeigt einen unausweichlichen Bedarf an gezielter und individualisierter Personal- und Organisationsentwicklung auf, die in den Managementprozess eingebunden und ständig evaluiert werden muss, um nachhaltige Verbesserungen zu gewährleisten. Oberstes Ziel ist die adäquate Befähigung des Personals im Einklang mit den betrieblichen Erfordernissen. Es kann dabei durchaus zu einem gewollten Anstieg des Leistungsdrucks oder im 229 230 231
Vgl. Landesregierung Nordrhein-Westfalen (2003), S. 13 ff.; Tondorf (1997), S. 8. Vgl. Klimecki (1993), S. 45 ff.; Löffler (2003a), S. 243-251; Studer (2006), S. 360-364 Vgl. Koch (1998), S. 7-10.
86
3. New Public Management im Kontext der Reformen des öffentlichen Sektors
Extremfall zu temporärer Überforderung kommen.232 Die von NPM und anderen Quellen gewünschten Reformen im Personalwesen betreffen auch die Systematik der Tarifverträge bzw. das Beamtenrecht: Negative Anreizstrukturen, die dysfunktionales Verhalten der Beschäftigten belohnen, z. B. durch starre Besoldungsstrukturen und großzügige Sicherheiten, sollen reduziert werden. Im Gegenzug sollen positive Anreize verstärkt werden, indem Verhalten belohnt wird, bei welchem persönliche Bedürfnisbefriedigung mit den Betriebszielen kongruent ist, z. B. durch Leistungslohn-Elemente in variablen Gehaltskomponenten. Außerdem soll die Personalpolitik stärker dem jeweiligen Betrieb dezentral überlassen werden, also auch Entscheidungen hinsichtlich der Stellenzahl und Bewerberauswahl. Die Durchlässigkeit für Quereinsteiger soll sich erhöhen. Rigiditäten mit laufbahnrechtlichen Gründen sollen sich verringern.233 3.6
Widerstände und Barrieren
Wie in jeder Organisation sind auch im öffentlichen Sektor Veränderungsprozesse vielfältigen Barrieren und Widerständen ausgesetzt. Folgende Gegebenheiten können ursächlich sein:234 •
Einzelne Personen, Personenkonstellationen, Interessengruppen oder gruppendynamische Effekte.
•
Ablehnung der Initiierungs- und Umsetzungsart der Reform.
•
Mangelnde Spezifizierbarkeit oder Inkonsistenzen von Reformzielen.
•
Ungünstiger Reformzeitpunkt und weitere situative Faktoren.
•
Reforminhalte werden nur unzureichend von den höheren Ebenen unterstützt oder auf der ausführenden Ebene wegen mangelnder Akzeptanz nur halbherzig umgesetzt, manipuliert oder vorsätzlich missbraucht.
•
Mangel an Zeit, Ressourcen und institutionellen Anreizstrukturen.
•
Unklare Führungsstrukturen der Umsetzung und unklare Kompetenzdefinitionen.
•
Veränderung der politischen Machtverhältnisse während der Umsetzung.
Die erstgenannten Punkte sind noch am ehesten durch gezielte Steuerung zu beeinflussen.
232
233 234
Vgl. Blanke/Einemann et al. (2005), S. 218-223, 409 ff., 423-429; Budäus (1998), S. 77-80; Conrad (2003), S. 256-262; Haiber (1997), S. 18 f.; Landesregierung Nordrhein-Westfalen (2003), S. 14-19; Schedler/Proeller (2006), S. 55 f., 232-236; Studer (2006), S. 358-363; Thom/Ritz (2006), S. 32. Vgl. Kissler/Bogumil et al. (1997), S. 200; Landesregierung Nordrhein-Westfalen (2003), S. 14, 40 f.; Schedler/Proeller (2006), S. 241-244; Tondorf (1997), S. 12 f. Vgl. Schedler/Proeller (2006), S. 284 ff.; Thom/Ritz (2006), S. 95 f.
3. New Public Management im Kontext der Reformen des öffentlichen Sektors
87
Ausgehend von der modelltheoretischen Annahme des verfolgten Eigennutzes der Akteure kann es rational sein, die Mitwirkung an einzelnen Reformelementen zu verwehren, da ggf. Anstrengung und Nachteile aus der Veränderung erwartet werden, aber u. U. kein kompensierender Reformnutzen. In der Entstehungsgeschichte staatlicher Institutionen sind Kontinuität und Robustheit aber auch bewusst als Schutz vor politischen Krisenphasen organisatorisch verankert.235 Dies erschwert das gewollte Umsetzen von Veränderungen. Widerstände gegen organisatorischen Wandel und deren Folgen können zusammenfassend wie folgt kategorisiert werden (Tab. 14): Art des Widerstandes
verursacht durch
führt zu
Wissensbarrieren
Personenbedingte Informationsdefizite
Unkenntnis
Fähigkeitsbarrieren
Personenbedingte Qualifikationsdefizite
Schlechterfüllung
Willensbarrieren
Personenbedingte Motivationsdefizite
Weigerung
Systembarrieren
Systembedingte Ressourcendefizite
Trägheit
Normbarrieren
Personen- und Systembedingte Entfaltungsdefizite
Anpassung
Tab. 14: Arten des Widerstandes gegen Wandel und deren Folgen Quelle: Thom/Ritz (2006), S. 97 ff.
Für den öffentlichen Sektor sind die Normbarrieren besonders hervorzuheben: Sie kennzeichnen das „Nicht-Dürfen“ der Mitarbeitenden. Stark ausgeprägte Normen und Regelungen der Bürokratie bremsen das Potenzial fähiger Mitarbeiter und stellen eine Restriktion für intendierte Kulturveränderungen dar.236 Die stärkere Managementorientierung im NPM und damit verbundene Entpolitisierung von Entscheidungen und Prozessen engt die Freiheit der Entscheidungsträger ein und läuft dem Charakteristikum der Politisierung des öffentlichen Sektors zuwider.237 Das zeitliche Zusammenfallen von NPM-Reformen mit der anhaltenden Finanzkrise der öffentlichen Hand und Personalabbau erschwert die Akzeptanz von NPM oder dominiert es sogar. Es macht sich schnell Ernüchterung breit, verbunden mit dem Urteil von Betroffenen, dass NPM vorrangig finanzielle Einsparungen bringen soll. Reformansätze wirken dann wie Euphemismen, wenn als Absicht primär fiskalische Interessen unterstellt werden, z. B. der tief greifende Personalabbau im öffentlichen Dienst. Das verdeckt letztlich qualitative Vorteile und strategische Ziele von NPM und senkt die Umsetzungschancen, da die Motivation des Personals und die inhaltliche Überzeugungskraft
235 236 237
Vgl. Thom/Ritz (2006), S. 96. Vgl. Thom/Ritz (2006), S. 99. Vgl. Blanke/Einemann et al. (2005), S. 410.
88
3. New Public Management im Kontext der Reformen des öffentlichen Sektors
von NPM abnehmen. Es kommt zu Reformmüdigkeit und gefühlter Sinnentleerung.238 Zentrale Reformwerte wie Leistungsorientierung, Innovation, pragmatische Problemlösungskompetenz, Qualitäts- und Wirkungsorientierung stehen in diametralem Gegensatz zu den tradierten Weberschen Werten.239 Insofern treffen bei der Einführung von NPM zwei Wertgefüge aufeinander, deren Transformation fraglich erscheint. Fest steht, dass zur vollumfänglichen Umsetzung von NPM grundlegende Rahmenbedingungen, z. B. die rechtsstaatliche Ordnung, geändert werden müssten: Entscheidungsspielräume der Verwaltung müssten beispielsweise erweitert werden, um pragmatische Lösungskompetenzen umzusetzen, was der Gleichbehandlung der Bürger durch strikte Regelanwendung zuwiderläuft. Ob diese Veränderungen stets tatsächlich gewollt und von Vorteil sind, muss kritisch hinterfragt werden.240 Das hinter NPM stehende Menschenbild muss auf seine Gültigkeit hinterfragt werden. Nicht jeder Mensch reagiert auf steigende Verantwortungsbereiche, Autonomie und Förderung positiv; eine Leistungsmotivation setzt Freude an Leistung voraus, was insbesondere im öffentlichen Dienst mit seinen Sicherheits- und Schutzräumen nicht immer gegeben sein muss. Folglich könnten die Ziele des Personalmanagements nicht immer auf den beschriebenen Wegen erlangt werden. Auch auf theoretischer Ebene kann ein Widerspruch identifiziert werden: das positive Menschenbild der modernen Managementlehre mit der implizierten Forderung nach Handlungsfreiräumen und intrinsischen Motivatoren einerseits bzw. Public Choice und die Principal-Agent-Theorie mit dem zu Grunde liegenden Menschenbild des eigennutzorientierten homo oeconomicus und den daher notwendigen extrinsischen Leistungsanreizen und Kontrollmechanismen andererseits.241 Widerstände können sich auch aus Gründen ergeben, die in der konkreten Realisierung liegen. Angesichts der Komplexität von NPM werden oft nur Teile umgesetzt. Dabei kann sich nicht die volle Wirkung entfalten. Zudem werden die Reformen nicht immer adäquat den individuellen Gegebenheiten angepasst oder die Implementierung wird nicht ausreichend koordiniert. Das senkt die Akzeptanz und erschwert weitere Reformschritte. Übertriebene bis euphorische Erwartungen an Reformerfolge und deren Nutzen können zu Frustrationen führen.242
238 239 240 241 242
Vgl. Blanke/Einemann et al. (2005), S. 363, 436 f., 448 f., 529 f.; Hautmann/Leipold et al. (1998), S. 13; Schedler/Proeller (2006), S. 288. Vgl. Blanke/Einemann et al. (2005), S. 446 f. Ebenda, S. 448. Vgl. Schedler/Proeller (2006), S. 291-294. Vgl. Thom/Ritz (2006), S. 36 f.
3. New Public Management im Kontext der Reformen des öffentlichen Sektors
89
Letztlich gewünscht und zielführend ist ein nachhaltiger Kulturwandel im öffentlichen Sektor. Dieser ist nur dann möglich, wenn die neuen Werte und Konzepte von den kulturprägenden Verantwortungsträgern aller Institutionen kommuniziert und vorgelebt werden. Das setzt voraus, dass die politische Spitze und die obersten Führungskräfte von den Reforminhalten und -zielen selbst überzeugt sind.243 Doch gerade bei diesem Personenkreis besteht häufiger Skepsis und Zurückhaltung als auf der mittleren Ebene und an der Basis.244 Allgemein kann aus der Reformpraxis heraus formuliert werden, dass nachhaltige Erfolgschancen von NPM-Reformen vor allem dann gegeben sind, wenn das politischadministrative System möglichst umfassend miteinbezogen wird und die Gegebenheiten und die Komplexität des öffentlichen Sektors berücksichtigt werden.245 Die im NPM zentrale Idee der Wirkungsorientierung kann auf praktische Handhabungsprobleme stoßen: Die Wirkungsmessung und -zuordnung wird durch exogene Einflussfaktoren, Nebenwirkungen und time lags erschwert. Ferner sind die notwendigen Kausalketten, insbesondere vom Output bis zum Outcome, nicht immer vollständig oder nur mit erheblichem Forschungsaufwand verfügbar. Es besteht eine Prognoseproblematik bezüglich der zur Planung notwendigen Kenntnis über die Zukunftsentwicklung. Eine temporäre Lösung kann darin bestehen, anstelle der abstrakteren Wirkungen zunächst die Leistungen zu messen und zu bewerten.246 Jedoch ist auch dieses nicht immer problemfrei: In Singapur und Neuseeland wurde beispielsweise in einigen Sektoren eine konsequente Budgetierung nach Leistung eingeführt. Bei der Leistungsmessung kam es zu Messproblemen, da ein Interpretationsspielraum bestanden hat (z. B. Treffgenauigkeit der Wettervorhersage) und da qualitative Aspekte ignoriert wurden (z. B. in der Ministerialbürokratie: zur Beurteilung wurde lediglich Anzahl von Korrespondenzen herangezogen ohne Berücksichtigung von Länge und Inhalt). Bei statistischen Erhebungen von Rechtsüberschreitungen und Kriminalität waren deutliche Rückgänge zu verzeichnen, als diese budgetäre Auswirkungen bekamen, was ebenso auf Spielräume beim Zählen, Messen und Interpretieren zurückgeführt wird. Folglich kann in der Operationalisierung und Leistungsobjektivierung von öffentlichen Diensten eine Barriere gesehen werden.247
243 244 245 246 247
Vgl. Rechnungshof von Berlin (2006), S. 46; Thom/Ritz (2006), S. 79 f. Vgl. Rechnungshof von Berlin (2006), S. 47; Schedler/Proeller (2006), S. 285. Vgl. Schedler/Proeller (2006), S. 287. Ebenda, S. 291. Vgl. Jones (2004), S. 196 f.; ähnliche Befunde, insbesondere für Wirkungsindikatoren in der Schweiz vgl. Rieder (2005), S. 153-157; zur Methodologie von NPM-Reformen vgl. auch Rieder/Lehmann (2002), S. 37-40.
90
3. New Public Management im Kontext der Reformen des öffentlichen Sektors
3.7
Kritik an NPM
3.7.1
Kritik am Paradigma des NPM
Häufig geäußerte Kritikpunkte und mögliche Entgegnungen werden im Folgenden dialogartig zusammengefasst: •
NPM verfolgt eine „Ökonomisierung“ des Staats und der Verwaltung und ist einseitig mikroökonomisch orientiert. Es geht im Kern nur um Einsparungen248: Die Intention einer verstärkten Anwendung der (mikro-)ökonomischen Rationalität als Entscheidungsgrundlage durch NPM ist unbestritten. Dies ist jedoch kein Selbstzweck, sondern geschieht in dem Anliegen, die immer knapper werdenden öffentlichen Ressourcen möglichst effizient und effektiv einzusetzen, etwa durch die abverlangte Wirkungsorientierung bei politischen Entscheidungen. Dies dient – im Fall der Realisierung – der gesamtwirtschaftlichen Wohlfahrt und damit allen Bürgern.249 In welchem Umfang die ökonomische Rationalität an Bedeutung gewinnt, entscheidet letztlich der Gesetzgeber durch die Umsetzungstiefe und -ausgestaltung von NPM. Somit ist gesichert, dass die demokratische Legitimation erhalten bleibt.
•
NPM ist lediglich ein naiver Transfer von privatwirtschaftlichen Konzepten auf den öffentlichen Sektor. Es besitzt keinen innovativen Gehalt, sondern ist eine substanzlose Mixtur bereits vorhandener Theorien250: NPM leugnet nicht, dass es sich bereits existenter Konzepte und Theorien bedient, geht jedoch über diese deutlich hinaus, vor allem in der interdisziplinären Verbindung der Ansätze, welche die unterschiedlichen Ebenen vom Bürger bis zum Staat systematisch in einen Zusammenhang bringt.251 Damit kann NPM idealerweise die paradigmatische Grundlage und der Nährboden werden, auf dem die Anwendung moderner Management-Konzepte möglich wird. Dass NPM als ein international rezipiertes Konzept aus einer Reihe von Bausteinen besteht, erleichtert bzw. ermöglicht erst die notwendige Anpassung an die höchst unterschiedlichen nationalen Gegebenheiten. Die anfängliche Zeit der Frühadoptionen mittels naiver Übertragung auf den öffentlichen Sektor ohne Modifikationen ist beendet. Forschung und Praxis haben erkannt, dass eine wichtige Aufgabe darin besteht, die einzelnen NPM-Ansätze den Erfordernissen anzupassen. Sofern sich privatwirtschaftliche Konzepte bewährt haben, ist gegen eine Übertragung aus
248 249 250 251
Vgl. Dose (2006), S. 343; Löffler (2003), S. 19-25; Pitschas (2004), S. 2; Reichard (2003), S. 119 f. Vgl. Lane (2000), S. 72-75; Reichard (2003), S. 119 f. Vgl. Blanke/Einemann et al. (2005), S. 363; Rommel/Christiaens et al. (2005), S. 14 f.; Schedler/Proeller (2006), S. 281; Thom/Ritz (2006), S. 3; Walkenhaus/Voigt (2006), S. XI, XXVI f. Vgl. Blanke/Einemann et al. (2005), S. 559; Kopp (1997), S. 6 f.; Schedler/Proeller (2006), S. 184 f.;
3. New Public Management im Kontext der Reformen des öffentlichen Sektors
91
Gründen der Zweckmäßigkeit nichts einzuwenden. Mit Intensivierung der noch jungen evaluativen Forschung werden zunehmend fundierte Erfahrungswerte gewonnen, die Anhaltspunkte für die weitere Implementierung geben.252 •
Das Staatsbild des NPM ist unrealistisch und mit dem herrschenden Demokratieverständnis, den Weberschen Idealen und der Gewaltenteilung unvereinbar: Dies ist vermutlich der wesentliche Grund, warum in Deutschland ein vollumfänglich implementiertes NPM mittelfristig unrealistisch ist und die Binnenreform der Verwaltung mit einzelnen NPM-Teilreformen zur Zeit dominiert. Selbstverständlich
muss
sich
auch
NPM
demokratisch
und
rechtsstaatlich
legitimieren.253 Die Kantone der Schweiz sind experimentierfreudig und erproben bereits seit bis zu zwei Legislaturperioden das interdisziplinäre Kernelement von NPM, die wirkungsorientierte Verwaltungsführung (WoV), auf breiter Basis. Die Erfahrungswerte werden 2013 in einem Parlamentsbericht zusammengetragen und werden vermutlich Anlass zur Strukturdiskussion auch in anderen Ländern geben.254 •
NPM verkennt die Eigenheiten der jeweiligen Akteure im öffentlichen Sektor und geht einseitig von einer betriebswirtschaftlichen (Management-)Rationalität aus: Die Problematik ist den Vertretern des NPM durchaus bewusst. Daher wird in unterschiedlichen Rationalitäten-Kategorien geforscht. Es kann davon ausgegangen werden, dass die Akteursgruppen und deren Entscheidungslogik langfristig lern- und anpassungsfähig sind, somit interdisziplinäre NPM-Ansätze noch weiterentwickelt werden und fruchten können.255 Die Vorzüge der Wirkungsorientierung bedürfen noch der intensivierten Kommunikation gegenüber der Bevölkerung. Wenn diese populär geworden ist, wird die Implementierung und damit verbundene Kompetenzumgestaltung bzw. das veränderte Rollenverständnis bei einigen Akteuren leichter fallen.256
•
NPM zielt primär auf eine Privatisierung öffentlicher Aufgaben und eine Aushöhlung des Staates ab: Die Konnotation von NPM mit einer Privatisierungswelle wurde durch eine Entwicklungsphase des NPMs in den 1980er-Jahren in bestimmten Ländern (Großbritannien u. a.) geprägt. Privatisierungen verfolgen keinen Selbstzweck, haben daher keine normative Allgemeingültigkeit und wurden in der theoretischen Diskussion inzwischen durch Ansätze der (Good) Governance weitgehend
252 253 254 255 256
Thom/Ritz (2006), S. 3. Vgl. Lane (2000), S. 6 f. Vgl. Mastronardi (2004), S. 118 f.; Pitschas (2004), S. 24 f. Vgl. Heimgartner/Dietrich (2008), S. 16 f.; ein Zwischenstand vgl. Rieder/Lehmann (2002), S. 28-35. Vgl. Schedler (2004), S. 127 f.; Thom/Ritz (2006), S. 29 ff. Vgl. Kettiger (2004), S. 215 ff.; Schedler (2004), S. 126 f.; Schedler/Proeller (2006), S. 282.
92
3. New Public Management im Kontext der Reformen des öffentlichen Sektors
abgelöst (vgl. nächstes Kapitel).257 Es wird anerkannt, dass ein leistungs- und anpassungsfähiger Staat eine gewisse Mindestgröße benötigt (vgl. Leistungstiefen in Kap. 3.5.1). Im Übrigen wurde und wird NPM auch in Staaten angewendet, welche traditionell einen starken, umfangreichen öffentlichen Sektor besitzen (Skandinavien u. a.). •
Die Effizienzziele des NPMs können zu Lasten der Qualität oder Sicherheit öffentlicher Güter gehen. Die Dezentralisierungs- und Privatisierungstendenzen entmachten den Staat und die politische Einflussnahme258: NPM schafft verstärkte Handlungsspielräume an den ausführenden Stellen, z. B. durch Globalbudgets. Die verringerten Möglichkeiten der direkten Einflussnahme durch die Politik steigern zweifelsfrei den Bedarf an starken und differenzierten Kontrollmechanismen, zumal in Folge der neuen Freiheiten Verteilungskämpfe um Macht und Ressourcen entstehen können, die eine Chance und zugleich auch eine Gefahr darstellen.259 Hier ist primär die Regulierungskompetenz des Gesetzgebers gefragt. Es steht der Politik frei, (Kooperations-)Modelle zu schaffen, in denen bestimmte, ausdrücklich definierte Mitspracherechte und Detailentscheidungen der Legislative vorbehalten bleiben. Dies ist vorrangig eine individuelle Frage des jeweiligen Vertrags bzw. des jeweiligen Gesetzes.
3.7.2
Governance-Konzepte als Ablösung von NPM? Ein Ausblick
Der Begriff der Governance schlägt sich seit einigen Jahren vertieft in der Literatur und Diskussion nieder. Dabei ist er noch unschärfer definiert als NPM. Allgemein handelt es sich bislang um ein sehr dehnbares sprachliches Konstrukt als allgemeiner Sammelbegriff für Steuerungs- und Regelungsbeziehungen.260 Im Folgenden wird von einem normativen Governance-Begriff ausgegangen, der von einigen Autoren als Ablösung von NPM als Steuerungskonzept für den öffentlichen Sektor gesehen wird:261 Im Konzept der (Public) Governance wird die starke Managementorientierung von NPM und NSM mit der Begründung abgelehnt, die Zivilgesellschaft sei zu wenig als Handlungsakteur einbezogen worden, wodurch es – analog zum Staats- und Marktversagen – zum Gesellschaftsversagen kommen kann. Dieser Gedanke mündet in eine stärkere Verantwortungsübertragung an den Bürger und in eine größere aktive Beteiligung 257 258 259 260 261
Vgl. Blanke/Einemann et al. (2005), S. 449 f.; Dose (2006), S. 343 f.; Prätorius (2006), S. 62; Schedler/Proeller (2006), S. 289. Vgl. Dose (2006), S. 343. Vgl. Brede (2005), S. 117 f.; Schedler (2004), S. 139 ff.; Schedler/Proeller (2006), S. 281, 290. Vgl. Budäus (2005), S. 2. Vgl. Budäus (2005), S. 2; Lane (2000), S. 6; Thom/Ritz (2006), S. 10 ff.; Walkenhaus/Voigt (2006),
3. New Public Management im Kontext der Reformen des öffentlichen Sektors
93
desselben („Bürgerkommune“). Der Staat soll als Initiator und Moderator des bürgerschaftlichen Engagements wirken und zur Partizipation animieren. Er ist zwar letztlich doch gesamtverantwortlich – insoweit deckt sich das Staatsbild mit dem NPMGewährleistungsstaat, teilt sich aber die Verantwortung mit den Bürgern („neues Staatsparadox“). Es geht weniger um die starre Alternativenwahl zwischen Markt und Staat, die im Konzept des schlanken Staats zu Gunsten einer stärkeren Marktorientierung gefällt wurde, sondern mehr um eine neue Verantwortungsteilung und -stufung (Gewährleistung, Finanzierung, Vollzug, Führung). An die Stelle von Markt und Hierarchie treten als Steuerungsform kooperative Netzwerke, Koproduktion mit Bürgern und weiteren Privaten, gesellschaftliche Leistungsaktivierung und Dialog. Insofern wird an den öffentlichen Sektor die Anforderung herangetragen, nicht nur post-bürokratisch, sondern auch post-modern zu agieren, nämlich neben der herkömmlichen Trias Gesetzgeber, Regierung und Bürger auch in Interaktion und Konkurrenz zu alternativen Leistungsanbietern und vielfältigen gesellschaftlichen Akteuren.262 (Public) Governance berücksichtigt als junge, neue Disziplin einer Regierungslehre den interdisziplinären Charakter und die verschiedenen Akteure stärker als NPM. Insofern ist Governance auch ein integrativer Ansatz, in dem betriebs- und marktwirtschaftlichen Aspekten weniger Raum zugestanden wird.263 Eine Entgegnung wird zunächst dadurch erschwert, dass es (noch) kein allgemein akzeptiertes, klar konturiertes und in sich geschlossenes Governance-Konzept gibt. Somit liegt ein (temporärer) Vorteil von NPM in der Verknüpfung von Politik- und Regierungsebene bis hin zu konkreten Instrumentarien. Dabei zeichnet sich jedoch ab, dass Instrumentarien des NSM bzw. der Verwaltungsreform auch von Governance beansprucht werden, etwa das reformierte öffentliche Rechnungswesen.264 Governance sieht die Reformziele der Effizienz- und Effektivitätssteigerung, der Bürger- und Dienstleistungsorientierung im öffentlichen Sektor als sekundär an und betont anstelle dessen Partizipation und bürgerschaftliches Engagement.265 Diese Gewichtung erscheint in Zeiten erneut stark steigender Staatsverschuldung und der damit verbundenen negativen Wohlfahrtseffekte und intergenerativen Lastenverschiebungen fraglich. Die in dieser Arbeit empirisch betrachteten Kultureinrichtungen gehören zur Leistungsverwaltung bzw. zu öffentlichen Betrieben, welche im Zuge der Leistungserstellung permanent mit
262 263 264
S. XII Vgl. Blanke/Einemann et al. (2005), S. 440 f., 566-577; Kettiger (2004), S. 212 ff.; Prätorius (2006), S. 61; Thom/Ritz (2006), S. 11 f.; Walkenhaus (2006), S. 319-325; Walkenhaus/Voigt (2006), S. XXVI f. Vgl. Blanke/Einemann et al. (2005), S. 450 f.; Budäus (2005), S. 9. Vgl. Saß (2005), S. 356-359.
94
3. New Public Management im Kontext der Reformen des öffentlichen Sektors
Effizienzfragen konfrontiert sind. Daher kann die stärkere Management-Orientierung im NPM als hochrelevant für den Teilbereich der öffentlichen Unternehmen angesehen werden. Zwar gewinnen auch Ehrenamt und Mäzenatentum im Kulturbetrieb zunehmend an Einfluss, aber eine substanzielle Entlastung des Produktionsprozesses und der damit verbundenen Management-Entscheidungen und Kosten ist dabei nicht greifbar. Ökonomische Zielsetzungen und Fragen der Leistungsfähigkeit des öffentlichen Sektors behalten ihre Berechtigung bzw. erfahren durch die geschilderte Betroffenheit infolge der Wirtschafts- und Finanzkrise eine noch gesteigerte Aktualität. Jann urteilt: „Nicht die Einführung moderner Management- und Steuerungsmethoden ist zu rechtfertigen, sondern deren Ablehnung.“266
Es erscheint daneben fraglich, ob Governance und NPM als unvereinbare entgegengesetzte Pole einer Achse gesehen werden müssen. Die politische Leitidee vom schlanken Staat ist mit bürgerschaftlichem Engagement vereinbar, wo dieses zur Erfüllung öffentlicher Aufgaben eingesetzt werden kann: Ein Staat kann schlank und aktivierend sein. NPM lehnt eine Einbindung zusätzlicher Akteure nicht kategorisch ab, auch wenn es dieses im Gegensatz zu Governance nicht als Selbstzweck ansieht. In der Forschung zu RationalitätsKategorien kommt dieses u. a. zum Ausdruck.267 Nicht zuletzt muss sich auch Governance legitimieren, sowohl in den Interaktionen mit einem demokratisch gewählten Parlament als auch hinsichtlich seiner Problemlösungskompetenz. Die gegenwärtig positive Konnotation von Governance belegt noch keine Funktionalität.268 Diesbezüglich ist NPM – bei allen zwischenzeitlich gewonnenen kritischen Einschränkungen – theoretisch und empirisch stärker ausgereift.
265 266 267 268
Vgl. Budäus (2005), S. 9. Zitiert nach Thom/Ritz (2006), S. 33. Vgl. Schedler/Proeller (2006), S. 63 ff. Vgl. Budäus (2005), S. 11.
4. Entwicklung der Thesen
4
Entwicklung der Thesen
4.1
Hauptthese: NPM führt zu Effizienzsteigerung
95
Es ist ein zentrales Ziel von NPM, die Effizienz und Effektivität im öffentlichen Sektor durch Anwendung bestimmter Instrumente zu steigern.269 Dabei werden die Legitimation und Legalität des Staates vorausgesetzt. Da die Kulturbetriebe in hohem Maße von Steuergeldern abhängig sind und zudem zu den produzierenden öffentlichen Betrieben gehören, ist die genannte NPM-Zielsetzung durch die Knappheit an finanziellen Ressourcen für die Grundgesamtheit hochrelevant. Das Teilziel der Effektivität wird nicht explizit betrachtet, da die innerbetriebliche Perspektive (Effizienz als Input-OutputVerhältnis)270 bei dieser Arbeit im Vordergrund steht. Ferner hätte die Frage, ob das Outcome die erwünschten Zielwirkungen erreicht (Effektivität im NPM-Verständnis), eine andere methodische Vorgehensweise bei der empirischen Untersuchung erfordert. Somit lautet die Hauptthese: Die Einführung von NPM-Instrumenten in öffentlich bezuschussten Theatern und Orchestern führt zu einer Steigerung der Effizienz. Diese These wird im empirischen Teil abschließend im Kap. 10 an den nachfolgenden Thesen anknüpfend beurteilt. Die Thesen 5 und 7 bis 9 beinhalten das Effizienzziel der Hauptthese explizit, die übrigen Thesen 1 bis 4 und 6 implizit: durch eine verbesserte Steuerung auf Basis eines Zugewinns an steuerungsrelevanten Informationen soll gemäß NPM (vgl. Kap. 1.2 und Tab. 1) mittelbar eine Effizienzsteigerung der Kulturbetriebe eintreten. 4.2
Thesen zum externen Rechnungswesen
4.2.1
Wirklichkeitsnähere Abbildung durch Doppik
Die Erweiterung der reinen Liquiditätsbetrachtung in der Kameralistik zur doppischen Darstellung von Erfolgsrechnung (GuV) und Vermögensrechnung (Bilanz) möchte einen gesteigerten Aussagegehalt erreichen. Die zusätzlichen Informationen sollen eine neue betriebswirtschaftliche Erkenntnis hervorbringen. Dies geschieht durch die umfassendere Abbildung des Betriebs im Rechnungswesen, z. B. durch Ausweis von Vermögen und Schulden in der Bilanz, durch die neue Transparenz über Ressourcenverbrauch und -aufkommen in der GuV. Auf diese Weise wird der über die Liquiditätsentwicklung
269 270
Vgl. Buchholtz (2001), S. 88; Schedler/Proeller (2006), S. 55; Wagner (1995), S. 205. Vgl. Budäus (1998), S. 59.
96
4. Entwicklung der Thesen
hinausgehende Erfolg des Handelns festgestellt.271 Zwei im öffentlichen Bereich besonders wichtige Punkte sind das Anlagevermögen, welches den Wert des öffentlichen Eigentums ausweist, und die Rückstellungen, welche insbesondere Pensions- und Rentenansprüche z. B. aus Altersteilzeitvereinbarungen beinhalten. Diese Darstellungen führen im Idealfall dazu, dass die Darstellung des Betriebs im Rechnungswesen näher an der wirtschaftlichen Realität liegt. Daher lautet These 1: Wenn die Kameralistik durch die Doppik abgelöst wird, dann führt dies zu einer wirklichkeitsnäheren Abbildung des Ressourcenverbrauchs (GuV) und der Vermögensverhältnisse (Bilanz).272 4.2.2
Neuer steuerungsrelevanter Informationsgehalt durch Doppik
Da die Umstellung des Rechnungswesens und die damit verbundene Informationszunahme kein Selbstzweck ist, muss erwartet werden, dass ein zusätzlicher Nutzen aus den gewonnenen Daten hervorgeht. Da das Oberziel die Steigerung der Effizienz ist, bedarf es entsprechender Handlungsentscheidungen. Voraussetzung hierfür ist die Verfügbarkeit von neu gewonnenen, steuerungsrelevanten Informationen. Nicht zuletzt der erfolgsfokussierende Charakter der Doppik stellt einen Wesensunterschied gegenüber der finanzwirtschaftlich, primär am Ausgleich von Ausgaben und Einnahmen orientierten Kameralistik dar.273 Doppik wird z. B. von Fudalla/Wöste als Grundlage für die Beurteilung, Steuerung und Kontrolle der Wirtschaftlichkeit gesehen.274 Folglich lautet These 2: Wenn doppik-basierte Darstellungen vorliegen, so geht aus diesen ein neuer steuerungsrelevanter Informationsgehalt hervor. 4.2.3
Steigerung der Nachhaltigkeit durch Doppik
Es wäre eine falsche Erwartungshaltung, unmittelbare Beiträge der Doppik zur Haushaltskonsolidierung zu erwarten. Jedoch wird mit dem Umstellungsprozess durchaus verfolgt, auf Basis neuer Informationen aus der Doppik und weiteren NPM-Instrumenten eine langfristige Haushaltskonsolidierung durch nachhaltige Wirtschaftsführung zu erreichen. Dies bezieht sich vor allem auf die Ressourcensteuerung, welche gegenüber der liquiditätsorientierten Kameralistik auf einer erweiterten Ressourcendefinition basiert.275 Nur wenn die in einer Periode verbrauchten Ressourcen auch in dieser Periode erwirtschaftet wurden, so liegt Nachhaltigkeit im Sinn einer intergenerativen Gerechtigkeit 271 272
273 274
Vgl. Brede (2005), S. 196; Fudalla/Wöste (2005), S. 16 f., 22, 27; Schmidt (2004), S. 339. Der Gegenstandsbereich dieser und der nachfolgenden Thesen bezieht sich, ohne dass es erneut explizit genannt wird, auf die Grundgesamtheit der öffentlich bezuschussten Theater und Orchester in Deutschland, vgl. Kap. 5.1. Vgl. Blanke/Einemann et al. (2005), S. 262 f.; Schmidt (2004), S. 340. Vgl. Fudalla/Wöste (2005), S. 10, 27.
4. Entwicklung der Thesen
97
vor. Dieses Ziel ist gemäß NPM nur mit dem kaufmännischen Rechnungswesen zu erreichen.276 Im Rahmen dieser Arbeit soll untersucht werden, ob es Anzeichen dafür gibt, dass aus den neu hinzukommenden nicht-zahlungswirksamen Geschäftsvorfällen in den Kulturbetrieben eine Steigerung der Nachhaltigkeit beobachtbar ist. Daher lautet These 3: Die Umstellung auf Doppik führt zu einem nachhaltigeren Wirtschaften. 4.3
Thesen zum internen Rechnungswesen
4.3.1
Erhöhung der wirtschaftlichen Transparenz durch KLR
Ergänzend zu dem globalen Wirtschaftsplan ermöglicht die Kosten- und Leistungsrechnung differenzierte Auswertungen des Realgüterprozesses: Mithilfe von Mengen und Preisen lassen sich Kosten systematisch nach Kostenarten, Kostenstellen und Kostenträgern abbilden. Im Rahmen einer Vollkostenrechnung können die Selbstkosten der Produkte (Inszenierungen, Konzerte, Ausstellungen etc.) ermittelt werden: Einzelkosten werden sofort auf die Kostenträger gebucht, Gemeinkosten über einen Betriebsabrechnungsbogen, der die einzelnen Kostenarten den Kostenstellen zuordnet, letztlich auf die Kostenträger verrechnet. Berücksichtigt man den Erlös der erstellten Leistungen und stellt ihn den variablen Kosten gegenüber, lässt sich ein Deckungsbeitrag oder eine mehrstufige Deckungsbeitrags-Hierarchie ermitteln. Dies dient der eher kurzfristig orientierten betrieblichen Steuerung, da variable Kosten leichter und schneller zu beeinflussen sind. Idealerweise wird transparent, an welchen Orten für welche Outputs in welchen Größenordnungen Kosten anfallen und in welchem wirtschaftlichen Verhältnis die einzelnen Produktionen kosten- und erlösseitig zum Ergebnis des Gesamtbetriebs stehen. Somit kommt der KLR eine wichtige zusätzliche Informationsfunktion zu, da ihre Inhalte nicht über den Haushaltsplan bzw. die Erfolgsrechnung abgebildet werden können.277 Die Empirie wird untersuchen, inwieweit in den Kulturbetrieben durch die KLR der Produktionsprozess abgebildet wird und dadurch eine zusätzliche wirtschaftliche Transparenz entsteht. Folglich heißt These 4: Die Einführung einer KLR erzeugt eine erhöhte Transparenz der wirtschaftlichen Zusammenhänge.
275 276 277
Ebenda, S. 35. Vgl. Budäus (2006), S. 75. Vgl. Buchholtz (2001), S. 3 f.; Budäus (1998), S. 61 f.; Schedler/Proeller (2006), S. 176 ff.; dezidiert zur KLR im Kulturbetrieb vgl. Schneidewind (2006), S. 101-137.
98
4. Entwicklung der Thesen
4.3.2
Steigerung der wirtschaftlichen Effizienz durch KLR
Vergleichbar zu These 1 sind auch die Daten der KLR kein Selbstzweck, sondern stellen gemäß der Theorie die sachliche Grundlage und Informationsbasis für Produktionsentscheidungen, Beurteilungen, Preisfindungen, Projektentscheidungen etc. dar. Letztlich ist die KLR eine zentrale Voraussetzung zur Steigerung der Wirtschaftlichkeit. Die neuen Erkenntnisse aus der KLR erweitern die ursprünglich liquiditäts- und rechtsmäßigkeitsorientierte Perspektive auf die Effizienzebene. Sobald KLR-Daten vorliegen, resultieren Begründungszwänge
für
Entscheidungsträger.278
Die
öffentlichen
Kulturbetriebe
unterliegen z. B. mit der Spielplangestaltung regelmäßig Projekt- und Produktionsentscheidungen. Es wird zu untersuchen sein, ob die KLR als eine sachliche Entscheidungsgrundlage eingesetzt und dadurch das beschriebene Ziel der Effizienzsteigerung erreicht wird. Somit lautet These 5: Wenn die KLR als eine Entscheidungsgrundlage adäquat genutzt wird, dann steigt die wirtschaftliche Effizienz. 4.3.3
Erhöhung der Rationalität des Handelns durch Controlling
In Vertiefung der These 5 zielt These 6 darauf ab, dass durch die Anwendung von operativen und/oder strategischen Controlling-Instrumenten eine rationale Ziel-MittelBeziehung hergestellt und gesichert wird. Dieser Aspekt ist auch auf übergeordneter Ebene zwischen Zuwendungsgeber und -empfänger relevant, wird im Rahmen dieser Arbeit jedoch ausschließlich innerbetrieblich betrachtet: Werden Controlling-Instrumente eingesetzt, z. B. Berichte, Analysen, Budgets, Controlling-Gespräche, Kennzahlensysteme etc., und sorgen sie für die Rationalität der getroffenen Entscheidungen (Führungsunterstützung durch Controlling)? Werden die betrieblichen Teilfunktionen Zieldefinition, Planung, Ausführung und Kontrolle derart verknüpft, dass sie in funktionaler und kongruenter Beziehung zueinander stehen (Koordinationsfunktion des Controllings)? Sind die ausführenden innerbetrieblichen Verantwortungsbereiche in einen Controlling-Zyklus eingebunden, der eine rationale Steuerung ermöglicht?279 Diese Aspekte werden zusammengefasst in These 6: Wenn Controlling-Instrumente eingesetzt werden, dann erhöhen diese die Rationalität des Handelns und Wirtschaftens.
278 279
Vgl. Brede (2005), S. 200; Buchholtz (2001), S. 3 f., 8, 189; Budäus (1998), S. 28 f., 62; Schulenburg (2006), S. 112. Vgl. Budäus (1998), S. 63 ff.; Fudalla/Wöste (2005), S. 30; Hahn/Hungenberg (2001), S. 265, 272-276; Schedler/Proeller (2006), S. 173 f.; Schmidt (2004), S. 264 f.; Wagner (1995), S. 205, 209 f.; Weber/Schäffer (2008), S. 33-53.
4. Entwicklung der Thesen
4.4
Thesen zum Personalmanagement
4.4.1
Steigerung der Effizienz durch Leistungsorientierte Bezahlung (LoB)
99
NPM möchte ein „moderneres“ Personalmanagement. Dazu gehören u. a. auch funktionale Anreizstrukturen in den Entlohnungssystemen. Variable Gehaltskomponenten stellen einen extrinsischen Anreiz dar, der Leistungspotenziale freisetzen soll. Thom/Ritz urteilen, dass der öffentliche Sektor allein schon wegen der Verbreitung von Leistungslohnsystemen im privaten Sektor auf vergleichbare Verfahrensweisen zurückgreifen muss, um konkurrenzfähig zu bleiben.280 Generell bejaht NPM auch intrinsische Anreize. Da der Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD), das am stärksten verbreitete Tarifwerk für Angestellte im unmittelbaren und mittelbaren öffentlichen Dienst, seit Inkrafttreten im Oktober 2005 explizit in § 18 die Leistungsorientierte Bezahlung (LoB) vorsieht, findet an dieser Stelle eine Konzentration auf materielle extrinsische Anreize statt. Deren Wirkung soll überprüft werden. Effizienzsteigerung ist bei dieser wie auch den folgenden Thesen als Verbesserung des Input-Output-Verhältnisses bei den jeweils betroffenen Mitarbeitern gemeint. Eine Outputsteigerung kann quantitativ oder qualitativ erfolgen. In der Input-Komponente muss neben der Entlohnung auch der Aufwand für das jeweilige Management-Instrument berücksichtigt werden. Dieser muss folglich durch die Output-Steigerung überkompensiert werden, damit die These als gestützt gelten kann. Somit heißt These 7: Wenn die Leistungsorientierte Bezahlung (LoB) eingeführt wird, führt diese zu einer Effizienzsteigerung. 4.4.2
Steigerung der Effizienz durch Führungsinstrumente
NPM favorisiert keine bestimmte Führungstechnik, keinen bestimmten Führungsstil und hat abgesehen von der normativen Positionierung zum optimistischen Menschenbild (vgl. Kap. 3.5.9) auch keine eigene Führungstheorie entwickelt. Es rekurriert auf die HRM-Theorie und betont, dass die Defizite im Personalbereich im öffentlichen Sektor u. a. durch adäquate Führung der Mitarbeiter zu lindern sind. Da NPM von einer positiv motivierten Grundhaltung der Beschäftigten ausgeht, ist es eine Führungsaufgabe, diese durch entsprechende Techniken in Taten umzusetzen. Führung und Leadership haben die Aufgabe, Mitarbeiter
280
Vgl. Schedler/Proeller (2006), S. 241 f.; Thom/Ritz (2006), S. 343-353; Tondorf (1997), S. 12-15, 20 f.; ähnlich auch die Studie von Burgess/Metcalfe vgl. Delfgaauw (2004), S. 5.
100
4. Entwicklung der Thesen
„loszulassen“ und die Arbeitsanstrengungen auf die betrieblichen Ziele zu lenken.281 Im Kern der empirischen Untersuchung steht die Frage, ob es in den Kulturbetrieben überhaupt eine explizit reflektierte und systematisch implementierte Führungskultur oder Management-Technik gibt und ggf. zu welchen Auswirkungen diese geführt hat. Dies könnten z. B. Mitarbeitergespräche oder -beurteilungen und Management-by-Techniken sein. Daher lautet die offen formulierte These 8: Wenn Führungsinstrumente systematisch eingesetzt werden, führen diese zu einer Effizienzsteigerung. 4.4.3
Steigerung der Effizienz durch Personalentwicklung
Auch die Instrumente der Personalentwicklung entstammen nicht originär dem NPM, werden jedoch im Rahmen einer mitarbeiterorientierten Verwaltung im NPM als unabdingbar eingestuft. Dies impliziert zunächst die Anerkennung des Personals als Erfolgspotenzial. Die Säulen der Personalentwicklung sind Aus- und Weiterbildung, qualitative Kompetenzerweiterung (Job Enrichment), quantitative Tätigkeitsanreicherung (Job Enlargement) und Umschulung (Mehrfachqualifizierung, auch durch Job Rotation). Diese sollen gewährleisten, dass das betriebsnotwendige Aktivitäts- und Qualitätsniveau erreicht werden kann. Die Ziele und Entfaltungswünsche des Mitarbeiters sind mit den betrieblichen Interessen in Einklang zu bringen.282 Auch die Kulturbetriebe unterliegen einem Wandel und Professionalisierungsdruck: Rechtliche Verselbständigung (vom nachgeordneten Amt zur Theater-GmbH), Einzug von Kulturmanagement-Elementen, Anwendung von Marketing im Wettbewerb um Besucher und Aufmerksamkeit, international steigendes künstlerisches Niveau, Fundraising und Sponsorengewinnung, technische Modernisierung von der Bühnentechnik bis hin zu ITAnlagen und nicht zuletzt die Verwaltungsmodernisierung selbst verlangen von den meist langjährig Beschäftigten ein stetig zunehmendes Qualifikationsniveau. Dies kulminiert abschließend in These 9: Wenn Personalentwicklungsmaßnahmen systematisch eingeführt werden, führen diese zu einer Effizienzsteigerung.
281 282
Vgl. Schedler/Proeller (2006), S. 232-236; Thom/Ritz (2006), S. 386 ff. Vgl. Klümper/Möllers et al. (2004), S. 274 ff.; Schedler/Proeller (2006), S. 243 f.; Thom/Ritz (2006), S. 358 f.
4. Entwicklung der Thesen
4.5
101
Zusammenfassende Darstellung sämtlicher Thesen
These
BWL-Instrument
Wenn-Komponente
Dann-Komponente
Hauptthese
Ext. und int. ReWe, Personalmanagement
Einführung von NPMInstrumenten
Effizienzsteigerung in öffentlich bezuschussten Theatern und Orchestern
1
Externes ReWe
Einführung Doppik
Wirklichkeitsnähere Abbildung des Ressourcenverbrauchs und des Vermögens
mittelbar
2
Externes ReWe
Doppik-basierte Darstellung
Neuer steuerungsrelevanter Informationsgehalt geht hervor
mittelbar
3
Externes ReWe
Umstellung auf Doppik
Steigerung der Nachhaltigkeit
mittelbar
4
Internes ReWe
Einführung KLR
Erhöhte wirtschaftliche Transparenz
mittelbar
5
Internes ReWe
Adäquate Nutzung KLR bei Entscheidungen
Steigerung der wirtschaftlichen Effizienz
unmittelbar
6
Internes ReWe
Nutzung von ControllingInstrumenten
Erhöhung der Rationalität des Handelns und Wirtschaftens
mittelbar
7
Personalmanagement
Einführung LoB
Steigerung Effizienz
unmittelbar
8
Personalmanagement
Systematischer Einsatz von Führungsinstrumenten
Steigerung Effizienz
unmittelbar
9
Personalmanagement
Systematische Einführung von Personalentwicklung
Steigerung Effizienz
unmittelbar
Tab. 15: Sämtliche Thesen der Untersuchung im Überblick Quelle: Eigene Darstellung.
Zusammenhang zur Hauptthese
5. Empirische Untersuchung
5
Empirische Untersuchung
5.1
Grundgesamtheit und Auswahl der Stichprobe
103
Die Grundgesamtheit besteht aus den 143 öffentlich getragenen Theatern und 53 selbständigen Kulturorchestern in Deutschland. Diese werden in der seit 1967 jährlich erscheinenden Theaterstatistik des Deutschen Bühnenvereins mit umfangreichem Datenmaterial gelistet. Zum Zeitpunkt der Erhebung (Juli 2008 bis Februar 2009) war die Statistik der Theatersaison 2006/2007 die aktuelle Fassung.283 In die Grundgesamtheit wurden die Privattheater, Musicals, Festspiele und Rundfunkorchester sowie Kulturbetriebe in Österreich und der Schweiz nicht einbezogen; das entspricht den Tabellen 9c, 10, 11, 14 und 15.284 Hier ist die Relevanz von NPM nicht oder nur eingeschränkt gegeben bzw. es liegen keine vergleichbaren Rahmenbedingungen (öffentlich-rechtliche und kulturpolitische Gegebenheiten, Finanzierungsstrukturen, Bedeutung des Marktes etc.) zu den untersuchten Einrichtungen vor. Somit umfasst die Grundgesamtheit 196 Kulturbetriebe, welche aus öffentlich getragenen und/oder durch Steuergelder bezuschusste Ein- und Mehr-Sparten-Theatern, Opernhäusern und Orchestern bestehen. Es wurde mit der Stichprobe eine Mischung aus Repräsentativität und Gewinnung möglichst vielfältiger qualitativer Aussagen angestrebt. Daher wurde von einer Zufallsstichprobe abgesehen. Stattdessen wurde auf Basis nachfolgender Kriterien eine systematische Stichprobenauswahl vorgenommen: 1. Verhältnis von Theatern zu Orchestern in der Grundgesamtheit 2. Einbeziehung sämtlicher Bundesländer Deutschlands 3. Trägerschaft 4. Größenklasse, gemessen an der Beschäftigtenanzahl 5. Rechtsform Durch das Einbeziehen unterschiedlicher institutioneller Rahmenbedingungen (Kriterien 2 bis 5) soll eine eventuelle Beeinflussung des Untersuchungsergebnisses durch exogene Rahmenbedingungen sichtbar gemacht werden, um ggf. Hintergrundvariablen lokalisieren zu können. In der Theaterstatistik sind diese fünf Kriterien für die Grundgesamtheit nahezu vollständig aufgeführt, daher ist die Verteilung der Merkmalsausprägungen der fünf Kriterien in der Grundgesamtheit nahezu vollständig bekannt. Als Stichprobengröße wurde N = 20 gewählt. Somit wird die Grundgesamtheit mengenmäßig zu 10,2 % erfasst. Da keine Normalverteilung der Merkmalsausprägungen der Kriterien 2 bis 5 über die 283 284
Vgl. Deutscher Bühnenverein (2007). Ebenda.
104
5. Empirische Untersuchung
Grundgesamtheit vorliegt, kann die systematische Stichprobe keine perfekte Repräsentativität der Grundgesamtheit ergeben. Dennoch wurde der Versuch unternommen, die Auswahl der 20 Kulturbetriebe möglichst genau an der Verteilung der Merkmalsausprägungen der Kriterien innerhalb der Grundgesamtheit zu orientieren, wie nachfolgend dargestellt und begründet wird. 5.1.1
Primärkriterium 1: Verhältnis von Theatern zu Orchestern Grundgesamtheit
Anzahl Theater Anzahl Orchester Summe
Anteil in %
Realisierte Stichprobe
Anteil in %
143
73,0
15
75,0
53
27,0
5
25,0
196
100
20
100
Tab. 16: Verteilung des ersten Primärkriteriums Quelle: Deutscher Bühnenverein (2007), S. 224-227, 253.
Beim Primärkriterium 1 (Tab. 16) stand die Repräsentativität im Vordergrund. Daher wurde die Stichprobe so gewählt, dass die Grundgesamtheit exakt abgebildet wird. 5.1.2
Primärkriterium 2: Einbeziehung sämtlicher Bundesländer Deutschlands Bundesland
Baden-Württemberg Bayern Berlin Brandenburg Bremen Hamburg Hessen Mecklenburg-Vorpommern Niedersachsen Nordrhein-Westfalen Rheinland-Pfalz Saarland Sachsen Sachsen-Anhalt Schleswig-Holstein Thüringen Summe
Anzahl Theater und Orchester in Grundgesamtheit 23 27 11 10 4 5 6 6 11 39 8 1 20 12 33 10 196
Anzahl in realisierter Stichprobe 1 1 3 1 1 2 1 1 1 2 1 1 1 1 1 1 20
Tab. 17: Verteilung des zweiten Primärkriteriums Quelle: Deutscher Bühnenverein (2007), S. 224-227, 253.
Beim zweiten Primärkriterium (Tab. 17) wurde das Ziel verfolgt, möglichst heterogene Rahmenbedingungen inklusive kultur- und finanzpolitischer Ausrichtungen zu erfassen, um eine hohe Vielfalt an Ergebnissen zu erreichen. Dies ist besonders hinsichtlich der
5. Empirische Untersuchung
105
unabhängigen NPM-Variablen von Bedeutung, da in den Bundesländern unterschiedliche Ausprägungen und Implementationsgrade von NPM vorherrschen.285 So wurden beispielsweise die Grundsätze der ordentlichen Buchführung (GoB) für den öffentlichen Bereich nicht bundeseinheitlich definiert, so dass in den Ländern teilweise unterschiedliche Bewertungsregeln gelten. Ferner ist Kulturpolitik eine Angelegenheit der Bundesländer. Auch bei der öffentlichen Kulturfinanzierung trägt der Bund bedingt durch die föderalen Strukturen lediglich 12,7 %, die Länder 41,8 % und die Kommunen 45,5 %.286 Einflüsse durch die legislative und exekutive Staatsgewalt wurden in der Variable Rahmenbedingungen erfasst. Die Lokalisierung des Kulturbetriebs in einem bestimmten Bundesland könnte daher signifikanten Einfluss auf die Ergebnisse haben. Somit ist das hier vorliegende Primärkriterium 2 der Hauptgrund dafür, dass keine Zufallsstichprobe vorgenommen wurde. Zu Beginn der Erhebung wurden drei Pretest-Interviews in Berlin geführt; aufgrund der guten Datenqualität erfolgte eine Übernahme in die endgültige Stichprobe. 5.1.3
Sekundärkriterium 1: Trägerschaft Anteil in %
Realisierte Stichprobe
Anteil in %
Stadt
Grundgesamtheit 88
44,9
7
35,0
Mehrfachträgerschaft/ Sonstige
78
39,8
7
35,0
30
15,3
6
30,0
196
100
20
100
Land Summe
Tab. 18: Verteilung des ersten Sekundärkriteriums Quelle: Deutscher Bühnenverein, (2007), S. 10-34, 253; Additionsfehler ist rundungsbedingt. Maßgeblich für die Zuordnung ist die Bezeichnung in der Theaterstatistik.
Der Träger kann in seiner Eigenschaft als Hauptfinanzierungsgeber maßgeblichen Einfluss auf das Wirtschaften und Handeln des Kulturbetriebs ausüben, etwa durch die Gestaltung von Zuwendungsvereinbarungen oder durch den Erlass von Verordnungen. Deshalb wurde die Art der Trägerschaft bei der Stichprobenwahl mit dem Ziel der Repräsentativität berücksichtigt (Tab. 18). Die Theaterstatistik weist die Trägerschaft bei den Orchestern in einer abweichenden Kategorisierung gegenüber bei den Theatern aus. Die bei den Orchestern zusätzlich genannten Rechtsformen wurden hier unter „Sonstige“ gezählt. Die Abweichungen zwischen Stichprobe und Grundgesamtheit ergeben sich aus dem Umstand, dass in einigen Bundesländern ein bestimmter Typus der Trägerschaft überdurchschnittlich häufig vorkommt, z. B. kommunale Theater in Bayern (Anteil 60 %), 285 286
Vgl. Jann (2006), S. 15; Jann (2006a), S. 100. Vgl. Statistische Ämter der Länder und des Bundes (2008), S. 13, Wert aus 2005, gemessen am
106
5. Empirische Untersuchung
Nordrhein-Westfalen (64 %) und Sachsen-Anhalt (80 %), zudem mit hohen absoluten Zahlen (12, 16, bzw. 8). In Berlin und Hamburg weist die Theaterstatistik sämtliche Theater als Landeseinrichtungen aus. Das einzige Theater des Saarlands ist ebenfalls in Trägerschaft des Landes.287 Daraus folgt, dass mit der Entscheidung für die Einbeziehung sämtlicher Bundesländer (Kriterium 2) die kommunale Trägerschaft in der Stichprobe leicht unter- und die Landesträgerschaft überrepräsentiert sind. 5.1.4
Sekundärkriterium 2: Größenklasse gemessen an Beschäftigten (Theater) bzw. Musikern (Orchester) Grundgesamtheit
Anteil in %
Realisierte Stichprobe
Anteil in %
Groß (Theater >450, Orchester >100)
75
38,9
7
35,0
Mittel (Theater 200-450, Orchester 50-100)
80
41,5
11
55,0
Klein (Theater <200, Orchester <50)
38
19,7
2
10,0
193
100
20
100
Summe
Tab. 19: Verteilung des zweiten Sekundärkriteriums Quelle: Deutscher Bühnenverein, (2007), S. 118-137, 224-227; Additionsfehler ist rundungsbedingt, drei Kulturbetriebe der Grundgesamtheit ohne Personalangabe in der Statistik.
Da NPM Einfluss auf innerbetriebliche Strukturen und Steuerungsmechanismen nimmt, ist die Betriebsgröße ein relevantes Kriterium für die Beurteilung von NPM. Sie wurde bei der Stichprobenwahl ebenfalls mit dem Ziel der Repräsentativität berücksichtigt (Tab. 19). Die gewählten Kategorien groß, mittel und klein wurden frei definiert. Die etwas schwächere Repräsentation der kleinen Kulturbetriebe ergibt sich aus ähnlichen Gründen wie bei der Trägerschaft: Kommunale Theater sind häufiger kleine EinSparten-Theater (z. B. Sprechbühnen, Kindertheater, Puppenbühnen) und treten in konzentrierter Weise in den oben genannten Bundesländern auf. Durch diese Ungleichverteilung konnte bei der Berücksichtigung sämtlicher Bundesländer kein repräsentativeres Abbild geschaffen werden; es wurden ersatzhalber mittelgroße Einrichtungen gewählt.
287
Grundmittelkonzept. Vgl. Deutscher Bühnenverein (2007), S. 253.
5. Empirische Untersuchung
5.1.5
107
Sekundärkriterium 3: Rechtsform Grundgesamtheit (nur Theater)
Anteil in %
Realisierte Stichprobe
Anteil in %
GmbH
46
32,2
7
35,0
Regiebetriebe
37
25,9
3
15,0
Eigenbetriebe inkl. Landesbetriebe
28
19,6
6
30,0
Sonstige
32
22,4
4
20,0
Summe
143
100
20
100
Tab. 20: Verteilung des dritten Sekundärkriteriums Quelle: Deutscher Bühnenverein, (2007), S. 253; Additionsfehler ist rundungsbedingt.
Bei der Einführung und Umsetzung von NPM-Instrumenten könnte ein Zusammenhang zu rechtlichen Rahmenbedingungen bestehen (vgl. dazu auch die entsprechende intervenierende Variable im Untersuchungsdesign). Deshalb wurde die Rechtsform bei der Stichprobenwahl ebenfalls berücksichtigt (Tab. 20). In der Theaterstatistik ist für die Orchester lediglich der Rechtsträger, nicht jedoch die Rechtsform aufgeführt.288 Daher konnten bei der Grundgesamtheit nur die Theater berücksichtigt werden. Abweichungen sind auch hier verteilungsbedingt. 5.1.6
Leitfadeninterviews mit Experten
Als Interviewpartner wurden in den 20 Kulturbetrieben jeweils die Personen mit der höchsten wirtschaftlichen und/oder administrativen Verantwortung ausgewählt. Dies waren die Geschäftsführer, kaufmännischen Direktoren bzw. Verwaltungsleiter der Einrichtungen, in einem Fall ein Stellvertreter. Diese Personengruppe trägt im Regelfall alleinig oder gemeinsam mit der Intendanz die finanzielle und administrative Verantwortung und verfolgt damit das Erreichen der Formalziele.289 Bei ihr liegen ferner die höchste Kompetenz des Verwaltungshandelns und damit auch die Verantwortung für eine eventuelle Einführung von NPM-Instrumenten. Diese Durchsetzungs- und Gestaltungskompetenz in Bezug auf das Forschungsthema begünstigt das für die Erkenntnisgewinnung zu erreichende hohe Reflektionsniveau. Somit wurde davon ausgegangen, dass die Geschäftsführer innerhalb der Kulturbetriebe über das vergleichsweise höchste Maß an entsprechendem Handlungs- und Praxiswissen für die zu rekonstruierenden Prozesse verfügen.290
288 289 290
Ebenda, S. 224-227. Vgl. Ossadnik (1987), S. 284. Vgl. Flick (2007), S. 214-217; Ossadnik (1987), S. 284.
108
5. Empirische Untersuchung
Zugleich ist die Tätigkeit dieser Berufsgruppe eng mit dem künstlerischen Geschehen und dem Planungsprozess der Kulturbetriebe verwoben. Daraus ergibt sich auch eine Kompetenz für künstlerische Belange und übergeordnete Zusammenhänge (Gesamtleitung, Außendarstellung, öffentlicher Auftrag etc.) sowie eine anteilige Realisierungsverantwortung für die Sachziele des Kulturbetriebs. In fünf Einrichtungen waren die befragten Geschäftsführer in Personalunion kommissarische oder reguläre Intendanten. Sämtliche Gesprächspartner wurden zunächst angeschrieben. Einige Wochen später wurde ein Termin zum persönlichen Gespräch vereinbart. Insgesamt haben nur zwei der angeschriebenen Interviewpartner das Gespräch abgelehnt, so dass die maximal mögliche Repräsentativität auf Basis der aufgeführten Kriterien nahezu erreicht werden konnte. Alle Gespräche wurden persönlich vor Ort in den Büros der Gesprächspartner geführt. Sie fanden fast ausschließlich als Einzelinterviews statt. Lediglich in drei Gesprächen nahm auf Veranlassung des Interviewpartners jeweils eine weitere Person teil. Es handelte sich um einen Controller, eine Buchhalterin und einen Betriebsratsvorsitzenden. Einige Male wurden während des Gesprächs telefonische Einzelauskünfte aus anderen Abteilungen eingeholt. Die Gespräche wurden in der Form halbstandardisierter Leitfadeninterviews geführt.291 Dazu diente ein vorab erarbeiteter Fragebogen (vgl. Anhang 3). Nach dem einleitenden und Überblick verschaffenden Teil wurde vom Interviewer je nach den Gegebenheiten im aufgesuchten Kulturbetrieb entschieden, in welcher Intensität die drei Hauptthemen Externes Rechnungswesen, Internes Rechnungswesen und Personalmanagement abgefragt wurden. Es wurden stets alle drei Themenbereiche angesprochen. Das Interview endete immer mit allgemeinen Fragen zu den Rahmenbedingungen und den abhängigen Variablen künstlerischer und wirtschaftlicher Erfolg. Diese Grobstruktur war konstant; die Anzahl und die Reihenfolge der tatsächlich gestellten Fragen oblagen situativ dem Gesprächsfluss, den sachlichen Gegebenheiten vor Ort und der Ausführlichkeit der Antworten. Die ersten drei Interviews waren zur Erprobung des Fragebogens vorgesehen. Im Anschluss daran wurden lediglich feine Formulierungsanpassungen vorgenommen und die Frage zur bürokratischen Rationalität gestrichen (vgl. Auswertung). Daher sind diese drei Gespräche in die Auswertung eingegangen. Die Interviews wurden mit einem Aufnahmegerät mitgeschnitten und anschließend wörtlich transkribiert. Die 20 Befragungen dauerten durchschnittlich 62 Minuten und ergaben in Gänze 407 DIN-A4-Seiten Text (einzeilige Absatzformatierung). 291
Vgl. Gläser/Laudel (2006), S. 39 f.; Schnell/Hill et al. (2005), S. 386 ff.
5. Empirische Untersuchung
5.1.7
109
Codierung der Quellenangaben
Auf den genannten fünf Kriterien basierend wurde für jeden der 20 Kulturbetriebe der Stichprobe ein konstanter 11-stelliger Code ermittelt. Dieser ist wie folgt aufgebaut: •
Zeichen 1+2:
Nummer des Interviews (01 bis 20)
•
Zeichen 3:
Primärkriterium 1 (T für Theater, O für Orchester)
•
Zeichen 4+5:
Primärkriterium 2 (Buchstabenkürzel für Bundesland)
•
Zeichen 6:
Sekundärkriterium 1: Trägerschaft (S, M, L)
•
Zeichen 7:
Sekundärkriterium 2: Größenklasse (G, M, K)
•
Zeichen 8:
Sekundärkriterium 3: Rechtsform (G, R, E, S)
•
Zeichen 9:
Gesprächspartner (G für Geschäftsführer, V für Verwaltungsleiter)
•
Zeichen 10+11: Wirtschaftlichkeitskennziffer Einspielergebnis in Prozent292
Diesem Code schloss sich in den transkribierten Interviews eine Durchnummerierung der Textabsätze an (Frage, Antwort, Frage usw.): •
Zeichen 12 bis 15: Fortlaufende Nummerierung des Interviewabsatzes
Fiktives Beispiel: Der Code „08TNWSMEV18-124“ führt auf den 124. Absatz im Interview Nr. 8 zurück, das mit dem Verwaltungsleiter eines nordrhein-westfälischen mittelgroßen Theaters in städtischer Trägerschaft, Rechtsform Eigenbetrieb, geführt wurde, welches ein Einspielergebnis von 18 % erzielt. Durch diese Codierung wurde während sämtlicher Auswertungsschritte die Quelle der Information stets mitgeführt. Somit waren auch die wesentlichen Rahmendaten (Zeichen 1 bis 11) jederzeit sichtbar, was das Erkennen eventueller Zusammenhänge begünstigt hat. Sämtlichen Gesprächspartnern wurde die Anonymität zugesichert. Daher werden in der nachfolgenden Auswertung als Beleg lediglich die Nummer des Interviews und der Absatz zitiert, so dass indirekte Rückschlüsse durch Merkmalsausprägungen nicht möglich sind, im fiktiven Beispiel: vgl. 08-124. 5.2
Auswertungsmethodik
Die Interviews wurden gemäß der qualitativen Inhaltsanalyse ausgewertet. Dieser Ansatz wurde bereits im einleitenden Kap. 1 erläutert. Das Vorgehen bei der Extraktion und Verdichtung orientiert sich am Ansatz von Gläser und Laudel (2006); die Einbeziehung der 292
Vgl. Deutscher Bühnenverein, (2007), S. 196-220 (Spalte 9); Bei Orchestern hilfsweise S. 224-227 (Summe Spalten 7 bis 9/Spalte 6).
110
5. Empirische Untersuchung
Thesen in die Extraktion, die Interpretation und die zuvor erläuterte Stichprobenauswahl entsprang eigenen Überlegungen in der Absicht, ein individuelles, den Forschungsfragen angemessenes Design zu finden. 5.2.1 Die
Schritt 1: Extraktion transkribierten
Interviewtexte
wurden
unter
Zuhilfenahme
einer
Makro-
Programmierung in Word auf Aussagen zu den elf Variablen hin ausgewertet. Jede Variable wurde in acht konstante Dimensionen zuzüglich der Quellenangabe eingeteilt, denen die Aussagen zugeordnet wurden: 1. Sachbezug/Gültigkeitsumfang 2. Zeitpunkt/Zeitraum 3. Aktion/Sachverhalt 4. Ursache 5. Wirkung 6. Subjektive Bewertung des Interviewten 7. Eigenschaften/Detailmerkmale 8. Sonstiges/((Kommentar in Doppelklammern)) 9. Quelle (13-stellige Absatzcodierung, vgl. Kap. 5.1.7)
Die Extraktion unterliegt einem Regelwerk, um die intersubjektive Überprüf- und Reproduzierbarkeit zu gewährleisten und ein Maximum an Objektivität zu erreichen. Die hier verwendeten Regeln sind im Anhang 4 aufgeführt. Die Makro-Programmierung erzeugte für jede Variable eine Extraktionstabelle, in der sämtliche einschlägigen Aussagen chronologisch über alle Interviews hinweg aufgenommen wurden. Ein Auszug einer unbearbeiteten Extraktionstabelle befindet sich als Muster im Anhang 5. Somit erreicht die Extraktion eine zügige Trennung vom Rohmaterial unter Herausarbeitung von abstrahierten und anonymisierten Kernaussagen, die bereits den Variablen zugeordnet werden. Die Verwendung der Dimensionen führt zu einer Typisierung der Aussagen, was für die spätere Auswertung und Kausalattribution von Bedeutung ist.293 Die 20 Interviews ergaben 2005 Extraktionen. In der nachfolgenden Tab. 21 wird eine Übersicht über die nominale Datenmenge gegeben:294
293 294
Vgl. Gläser/Laudel (2006), S. 200-219. Da sich einzelne Befunde je nach Verlauf des Gesprächs auf eine unterschiedliche Anzahl von Extraktionen erstrecken, kann aus Tab. 21 kein quantitativer Erklärungsgehalt etwa hinsichtlich des Erkenntnisumfangs oder der Repräsentativität abgeleitet werden, auch nicht bei den nachfolgenden Auswertungsschritten. Dies ist im Rahmen der qualitativen Inhaltsanalyse auch nicht beabsichtigt.
22
22
20
22
24
407
17
18
19
20
SUMME
19
13
16
22
12
26
14
11
22
17
10
15
26
09
14
19
21
06
08
20
05
07
17
18
04
19
20
03
1237
61
50
57
70
64
71
65
63
70
48
57
72
58
63
70
70
44
64
63
304
9
23
14
8
22
16
13
10
11
6
23
18
19
11
10
21
26
13
11
Internes Rewe. 20
281
11
24
12
17
15
12
8
15
14
4
8
13
13
15
9
22
21
20
14
225
17
16
4
24
10
19
23
8
14
4
2
13
10
7
5
11
7
13
8
PersonalImplemanag. mentation 14 10
63
2
3
5
8
4
4
2
1
3
3
1
1
3
5
0
2
2
4
4
Künstl. Ration. 6
66
5
3
3
5
5
4
5
4
4
4
2
0
6
4
2
1
2
3
1
Wirt. Ration. 3
3
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
2
370
27
30
27
16
21
21
24
19
12
20
22
23
13
19
13
11
13
16
12
127
7
5
7
6
3
6
8
4
5
4
3
7
12
7
8
6
5
17
4
Quelle: Eigene Darstellung.
112
11
3
10
2
6
1
1
2
10
4
1
11
10
4
8
4
4
6
8
221
16
14
9
12
13
7
16
10
10
4
10
10
10
4
8
6
10
17
16
Bürokr. Rahmen- Politik/ Künstl. Wirt. Ration. beding. Verwalt. Erfolg Erfolg 1 11 3 6 19
Tab. 21: Interviewstatistik (Verteilung der Extraktionen aus den Interviews auf die 11 Variablen)
232
5
9
12
11
6
5
10
12
10
9
14
27
14
9
10
12
16
12
15
Seiten Dauer Externes A4 Min. Rewe. 17 57 14
02
Interview Nr. 01
2005
110
130
103
109
105
95
110
85
93
62
86
124
110
85
73
96
106
121
95
Summe Extrakt. 107
5. Empirische Untersuchung 111
112
5. Empirische Untersuchung
5.2.2
Schritt 2: Aufbereitung und Verdichtung
Dieser Schritt verfolgt das Ziel der Verdichtung durch Reduzierung des Umfangs des empirischen Materials, jedoch unter vollständiger Beibehaltung des Informationsgehalts. Dies geschieht, indem in jeder der 11 Extraktionstabellen •
über die Tabelle verstreute Informationen zu identischen Inhalten und Gegenständen zusammengeführt werden und
•
dabei textliche Redundanzen beseitigt werden (unter Beibehaltung aller Quellenangaben).
Dadurch wird gewährleistet, dass sämtliche Inhalte vorheriger Arbeitsschritte erhalten bleiben. Widersprüchliche Aussagen und verschiedenartige Informationen bleiben nebeneinander stehen. Lediglich offensichtliche Fehler und Missverständnisse werden korrigiert bzw. kommentiert. Abschließend wird die Tabelle thematisch und nach Erkenntnisinteressen sortiert. Ein Muster für diesen Auswertungsschritt befindet sich in Anhang 6. Aufgrund des hohen Anteils einzelfallbezogener individueller Aussagen lag die Redundanzquote bei ca. 20 %. Ähnliche Aussagen wurden nur dann zusammengeführt, wenn diese in der Kernaussage exakt übereingestimmt haben. Die thematische Sortierung innerhalb der Tabellen ermöglichte erwartungsgemäß den schnelleren Zugriff auf die umfangreiche Datenmenge. 5.2.3
Schritt 3: Zuordnung der Extraktionen zu den Thesen und Bewertung
Die Extraktionstabellen wurden um 10 Spalten ergänzt. In diesen wurde die Bewertung aller Extraktionen hinsichtlich der Haupt- und der neun Subthesen vorgenommen und wie folgt gekennzeichnet: •
keine Eintragung = kein Zusammenhang
•
„0“
= inhaltliche Nähe vorhanden, aber kein Urteil über Verifikation oder Falsifikation der These möglich; neutraler Befund
•
„+“
= empirischer Befund stützt These
•
„++“
= empirischer Befund stützt These stark
•
„-“
= empirischer Befund steht in Widerspruch zur These
•
„--“
= empirischer Befund steht in starkem Widerspruch zur These
•
Mischnotationen = Anzeichen für weitere Abhängigkeiten („es kommt darauf an; nur z. B. „0+“
wenn Bedingung X erfüllt“) oder Hintergrundvariablen
5. Empirische Untersuchung
113
Anschließend wurden die 11 Extraktionstabellen in eine gemeinsame Tabelle überführt und nach unterschiedlichen Kriterien zu Auswertungszwecken automatisch (oder ggf. manuell) sortiert, z. B. nach den Eintragungen in den Thesenspalten. Dadurch entstand ein komprimierter Überblick zu den Extraktionen, welche eine Verifikation bzw. Falsifikation der Thesen indizieren. 5.2.4
Schritt 4: Analyse und Interpretation
Im letzten Auswertungsschritt wurden die gewonnenen Daten interpretiert und dabei Rückschlüsse auf die Forschungsfragen gezogen. Die Ergebnisse dieses Arbeitsschrittes werden in den nachfolgenden Kapiteln dargelegt. Die qualitative Inhaltsanalyse orientiert sich dabei an dieser Vorgehensweise:295 •
Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen den Befunden sind herauszustellen.
•
Widersprüche und Varianzen im empirischen Material müssen aufgeklärt werden, da im Vergleich zu quantitativen Verfahren keine Irrtumswahrscheinlichkeiten und Störvariablen existieren.
•
Bedingungen sind herauszuarbeiten, unter denen bestimmte Wirkungen eintreten bzw. nicht eintreten (notwendige, hinreichende, fördernde, hemmende Bedingungen).
Dadurch wird angestrebt, Kausalitäten aufzudecken und differenzierte qualitative Aussagen treffen zu können. Eine vollumfängliche Triangulation mit quantitativen Daten wurde nicht vorgenommen (ein Vergleich der Inhalte der einzelnen Expertengespräche mit den intertemporalen Daten der Theaterstatistik wäre von der Datenlage her möglich gewesen). Zum einen wurde kein dezidiert fallspezifischer Erklärungsansatz gewählt und zum anderen lassen die in der Theaterstatistik vorliegenden Daten keine ausreichende Beurteilung von relativer Wirtschaftlichkeit sowie keinen Rückschluss auf NPM-Einflüsse zu. Insofern ginge aus der quantitativen Gegenüberstellung kein nennenswerter Erkenntniszuwachs hinsichtlich der NPM-bezogenen qualitativen Forschungsfrage hervor.
295
Vgl. Gläser/Laudel (2006), S. 241-245.
114
5. Empirische Untersuchung
5.3
Gütekriterien der empirischen Sozialforschung
5.3.1
Objektivität
Das Gütekriterium Objektivität beleuchtet, ob eine intersubjektive Überprüfbarkeit der Untersuchungsergebnisse in der Weise vorliegt, dass auch ein anderer Forscher zu denselben Ergebnissen gelangen würde (Beobachterübereinstimmung). Sie ist ein bislang wenig etabliertes Gütekriterium; folglich existiert keine allgemein akzeptierte Methodik. Als eine Realisierungsmöglichkeit werden präzise Variablendefinitionen genannt, die keine Interpretationsspielräume zulassen296. Die hohe Strukturdeterminierung durch die qualitative Inhaltsanalyse verringert den Raum für subjektive Auslegungen durch den Auswertenden, z. B. von einzelnen Aussagen. Es ist möglich, sämtliche Arbeitsschritte der Auswertung und der Analyse zurückzuverfolgen, nicht zuletzt durch die permanent mitgeführte Absatzquelle. Auch in den ausformulierten Untersuchungsergebnissen wurde bewusst eine hohe Zahl an Quellenangaben in den Fußnoten aufgenommen, welche auf den Urtext der Interviews verweisen, sowie gelegentlich direkt zitiert. Somit ist jede Schlussfolgerung belegt. Eine potenzielle Schwäche der Erhebungsart Experteninterview, die aber nicht unter das Gütekriterium der Objektivität fällt, könnte weniger in der Subjektivität des Forschers gesehen werden, jedoch in der Subjektivität der Befragten. Das Experteninterview hat jedoch gerade zum Ziel, das persönliche Erfahrungswissen der Experten zu erschließen und auszuwerten, welches auch subjektive Werturteile beinhaltet. Ferner impliziert der Insider-Status als hochrangiger Repräsentant einer Organisation einen Informationsvorteil, der gegenüber dem Fragenden strategisch eingesetzt werden könnte. Belastbare Indizien hierfür gibt es in dieser Arbeit jedoch nicht. Ein gewisses Maß an Vorsichtigkeit vor der Offenbarung von betrieblichen Informationen bzw. eine Zurückhaltung vor dem Eingestehen von evtl. vorhandenen Defiziten kann aus nachvollziehbaren Gründen nicht ausgeschlossen werden. Das bedeutet, die Erkenntnisse aus dieser Studie können aus methodischen Gründen nicht umfangreicher ausfallen, als es die Offenheit der Interviewpartner in den Gesprächen zulässt. Wenn Werturteile gefällt wurden oder forciert emotional geschildert wurde (sog. Karthatischer Effekt bei ManagerExperteninterviews297), so wurde dies in den Variablendimensionen entsprechend gekennzeichnet und bei der Auswertung berücksichtigt.
296 297
Vgl. Flick (2007), S. 499 f.; Hübler (2005), S. 37. Vgl. Bogner/Littig et al. (2005), S. 216.
5. Empirische Untersuchung
115
Zu einer weiteren Steigerung der Objektivität wäre es notwendig gewesen, die von den Interviewpartnern
geäußerten
Aspekte
durch
Gespräche
mit
anderen
Personen
(Intendanten, Abteilungsleiter, Personalvertreter, Kulturpolitiker etc.) jeweils derselben Einrichtung kritisch zu hinterfragen. Daraus würde aber angesichts begrenzter Zeitkapazitäten eine Fallstudien-Methodik hervorgehen, unter der die Repräsentativität stark gelitten hätte; dies widerspräche auch dem Forschungsziel, eine möglichst große Bandbreite an Aspekten zu generieren. 5.3.2
Reliabilität
Das Gütekriterium Reliabilität misst die Verlässlichkeit, mit der Testergebnisse aufgrund von konstanten Rahmenbedingungen und einer hohen Messgenauigkeit reproduzierbar sind. Dabei wird eine Stabilität im Zeitverlauf und ein niedriger Anteil von zufälligen Fehlern angestrebt.298 Nicht nur die Bedingungen, sondern auch der Untersuchungsgegenstand kann sich während des Forschungszeitraums verändern. Verfahren zur Sicherung der Reliabilität stellen das Wiederholen von Tests, das Einbeziehen anderer Messverfahren bzw. die Triangulation, die Konsistenzüberprüfung durch Teilung der Stichprobe in zwei Hälften sowie das Festlegen von Konventionen für die Aufzeichnung dar. Mit der hier gewählten qualitativen Inhaltsanalyse liegt ein dichtes Regelwerk mit standardisierten Auswertungsschemata und -konventionen vor. Unterschiedliche Konnotationen und Begriffsverständnisse zwischen Frager und Befragtem traten gelegentlich auf und wurden im Gespräch durch entsprechende Nachfragen bzw. Erläuterungen umgehend geklärt, z. B. bezüglich weit definierter Begriffe wie „Personalmanagement“ oder „Rahmenbedingungen“. Der Umstand des persönlichen Gesprächs hat zum raschen beidseitigen Erkennen und Beseitigen eventueller Missverständnisse und Unklarheiten beigetragen. Während des Erhebungszeitraums von 8 Monaten kann eine wesentliche Veränderung des Untersuchungsgegenstands und seines Umfelds ausgeschlossen werden. Die fallbezogenen Rahmenbedingungen wurden abgefragt und individuell festgehalten. Eine Halbierung der Stichprobe wurde nicht praktiziert, jedoch wurden mehrfach gegenstandsbezogene Untergruppen gebildet und das Zustandekommen eines Befunds innerhalb der Untergruppe kritisch überprüft.
298
Vgl. Flick (2007), S. 489 ff.; Hübler (2005), S. 39; Mayring (2007), S. 109; Schnell/Hill et al. (2005), S. 154.
116
5.3.3
5. Empirische Untersuchung
Validität
Die Validität hinterfragt das Zustandekommen der Daten und stellt auf die Gültigkeit der Erhebung ab: Sieht der Forscher das, was er zu sehen meint? Wird das gemessen, was gemessen werden sollte? Leben Forscher und Befragter in derselben Realität bzw. Realitätsannahme? Mögliche Fehlerquellen sind z. B. das Hineininterpretieren oder Nichterkennen von Zusammenhängen, das Stellen ungeeigneter Fragen oder systematische Fehler (Störvariablen etc.).299 Die Validität bewertet insbesondere, ob die dem Forschungsmodell zu Grunde liegenden Konstruktionen und Operationalisierungen geeignet sind, die realen Phänomene treffsicher zu messen (Konstruktvalidität)300. Sie kann hauptsächlich in quantitativen Erhebungen zu Schwierigkeiten führen, wenn menschliches oder betriebliches Handeln in zuvor definierten ordinalen oder kardinalen Skalen gemessen werden muss. Ein entscheidender Vorteil der Erhebungsmethode des halbstrukturierten Experteninterviews besteht darin, dass der Befragte frei und selbstbestimmt antworten kann. Zwar werden auch hier komplexe soziale Phänomene aus den Antworten abgeleitet, jedoch sind dabei keine zu validierenden Skalen zu verwenden. Dadurch entfallen die schwierigen Schritte der Operationalisierung sozialer Phänomene in quantitative Größen bzw. bei der Auswertung die Rückübersetzung quantitativer Ergebnisse in soziale Phänomene und Kausalitäten. Dies lässt zudem auf eine gute Inhaltsvalidität schließen, welche zum Ziel hat, dass alle Aspekte der zu messenden Dimension berücksichtigt werden.301 Es wurden partielle Datenvergleiche zur Validitätssteigerung wie folgt durchgeführt: Vor und nach den Interviews wurden die verfügbaren quantitativen Daten der Theaterstatistik für die jeweilige Einrichtung zum Abgleichen einzelner bedeutender Kennzahlen
auf
eventuell
vorliegende
Unstimmigkeiten
oder
Missverständnisse
herangezogen. Hierbei traten keine Differenzen auf. In 10 Fällen war es möglich, Jahresabschlüsse oder Wirtschaftspläne der Einrichtungen zu erhalten. Diese wurden in Bezug auf den jeweiligen Einzelfall und bei generalisierenden Schlussfolgerungen zur Validitätskontrolle einbezogen, in dem die in den Interviews genannten Größenrelationen anhand von konkreten Zahlen überprüft werden konnten. Bei zwei von ca. 800 Extraktionen traten Widersprüche auf, was auf eine ausreichende Validität der Interviews schließen lässt. Die abweichenden Befunde wurden in den Extraktionstabellen vermerkt.
299 300 301
Vgl. Flick (2007), S. 492 f.; Mayring (2007), S. 109 f.; Schnell/Hill et al. (2005), S. 154 ff. Vgl. Hübler (2995), S. 39 ff. Vgl. Schnell/Hill et al. (2005), S. 155 f.
5. Empirische Untersuchung
117
Einige der explorativen Befunde in der Auswertung (z. B. Bestimmung des Abschreibungsvolumens) beruhen auf den quantitativen Daten der Theaterstatistik. Es wurde versucht, klassische Erhebungsverzerrungen wie z. B. die Beeinflussung von Antworten durch soziale Erwünschtheit mit möglichst offenen Fragestellungen entgegenzuwirken; ganz auszuschließen sind sie dennoch nicht.302 Im gewählten Extraktionsschema wurden Fakten, Deskriptionen und belegbare Ursache-WirkungsBeziehungen sowie Meinungsäußerungen getrennt erfasst und weiterverarbeitet (vgl. Kap. 5.2.1). Geäußerte Einschätzungen über zukünftige Entwicklungen und im Konjunktiv formulierte Thesen (Wenn X eintreten würde, dann resultierte Y) wurden entweder bei der Auswertung nicht berücksichtigt oder im Falle hoher Relevanz als subjektive Meinungsäußerung erfasst (vgl. Extraktionsregeln). Durch die bereits im ersten Auswertungsschritt erfolgende Zuordnung zu Aussagekategorien wurde versucht, das höchstmögliche Maß an Gültigkeit zu erreichen. Diese Zuordnung wurde auch bei der Aggregation der Daten und den nachfolgenden Auswertungsschritten weitergeführt.
302
Wenn beispielsweise ein Interviewpartner sagt, die Deckungsbeiträge vergangener Inszenierungen seien eine wichtige Orientierungs- und Entscheidungsgröße bei der Planung zukünftiger Spielzeiten, so fließt dieses als Faktum in die Auswertung ein, auch wenn eine derartige Aussage nur eine Behauptung gewesen sein könnte. Es wurde jedoch versucht, vertiefend nachzufragen, z. B. zu welchen Ergebnissen dies geführt habe. Daraus ergaben sich u. U. weitere Anhaltspunkte.
6. Unabhängige Variable Externes Rechnungswesen
119
6
Unabhängige Variable Externes Rechnungswesen
6.1
Explorativer Befund
Zum Zeitpunkt der Erhebung haben 17 der 20 befragten Einrichtungen bereits doppisch gebucht. In einem Kulturbetrieb stand die Einführung der kaufmännischen Buchungsweise unmittelbar bevor (6 Wochen nach der Befragung), in einem weiteren war die Umstellung für das übernächste Jahr vorgesehen. Lediglich in einer Einrichtung der Stichprobe bestand keine Absicht, sich von der praktizierten erweiterten Kameralistik zu trennen. Damit trat die Kameralistik in ihrer ursprünglichen Form ohne doppische Erweiterungsbestandteile kein einziges Mal auf. Die Ablösung der Kameralistik durch die kaufmännische Buchführung befindet sich somit in einem stark fortgeschrittenen Stadium und hat 95 % der Stichprobe erfasst. Die Zeitpunkte der Umstellung sind in Tab. 22 zusammenfassend dargestellt:
Anzahl
bis 1979
1980-1984
1985-1989
1990-1994
1995-1999
2000-2004
2005-2010
1
0
3
1
6
4
4
Tab. 22: Zeitpunkte der Umstellung auf Doppik, N = 20 Quelle: Eigene Darstellung; Ein Fall nicht gelistet, da keine Umstellungsabsicht, Erhebungszeitraum Juli 2008 bis Februar 2009.
Die Kameralistik gilt als die traditionelle Art der Haushaltsführung im öffentlichen Sektor, die Doppik als Buchungstechnik des privaten Sektors. Da die unmittelbaren staatlichen Einrichtungen (Verwaltungen und Behörden, nachgeordnete Einrichtungen, Hoheitsbetriebe, Landesbetriebe) keine eigene Rechtsperson haben und öffentliche kulturelle Einrichtungen diesen Status vor dem Einsetzen der Privatisierungstendenzen der letzten Jahrzehnte ursprünglich mehrheitlich besaßen, soll ein eventueller Zusammenhang zwischen Rechtsform, rechtlicher Selbständigkeit und Buchungsweise nachfolgend eruiert werden:
120
6. Unabhängige Variable Externes Rechnungswesen
Rechtsform GmbH
Anzahl in Stichprobe
davon mit eigener Rechtsperson
7
7
Buchungsweise 6 doppisch 1 kameral
(Umstellung geplant)
1 doppisch Regiebetriebe
3
0 2 kameral
Eigenbetriebe inkl. Landesbetriebe Sonstige
6
2
4
4
davon: 1 Umstellung geplant mit städtischer Konzernbilanz
6 doppisch 4 doppisch 17 doppisch
Summe
20
13 3 kameral
davon: 2 Umstellung geplant
Tab. 23: Übersicht über Rechtsform, Rechtsperson und Buchungsweise Quelle: Eigene Darstellung.
Wie Tab. 23 zu entnehmen ist, gibt es keine perfekte Korrelation zwischen den Merkmalen Rechtsperson und Buchungsweise: In fünf Betrieben ohne eigene Rechtsperson wird doppisch gebucht, folglich auch bilanziert (4 Eigenbetriebe, 1 Regiebetrieb). In einem anderen Fall wird (noch) trotz eigener Rechtsperson kameral gebucht, zudem noch in einer GmbH, welche historisch dem privaten Sektor zuzuordnen ist. Daraus folgt, dass die rechtliche Verselbständigung von Kulturbetrieben keine notwendige Voraussetzung für die Einführung von Doppik ist und ebenfalls keine hinreichende Bedingung für das Vorhandensein von Doppik. Die umgekehrte Schlussfolgerung von Doppik auf rechtliche Selbständigkeit ist ebenso nicht zulässig. In 6 von 20 Fällen, das entspricht 30 % der Stichprobe,303 trifft der Zusammenhang zwischen den Eigenschaftsmerkmalen „rechtlich unselbständig“ und „kameral“ bzw. „rechtlich selbständig“ und „doppisch“ somit nicht zu, insbesondere bei den Eigen- und Landesbetrieben: Unter den vier rechtlich unselbständigen Einrichtungen mit doppischer Buchungsweise befinden sich zwei Landes- und zwei Eigenbetriebe.304
303 304
Diese Quote gilt sowohl mit als auch ohne Berücksichtigung der beiden geplanten Umstellungen. Vgl. auch Mühlenkamp (1994), S. 22.
6. Unabhängige Variable Externes Rechnungswesen
121
6.2
These 1: Doppik führt zu wirklichkeitsnäherer Abbildung des Ressourcenverbrauchs
6.2.1
Bestätigende Befunde
Gemäß dem explorativen Befund existiert in 17 Einrichtungen bereits eine Bilanz und zwei Eröffnungsbilanzen befinden sich in Vorbereitung. Es kann davon ausgegangen werden, dass in den meisten Fällen damit erstmalig eine vollständige Vermögensrechnung zur Erfolgsrechnung hinzugetreten ist, in welcher die Kapitalherkunft (Passiva) und die Vermögenssituation (Aktiva) ausgewiesen wird. Durch diese differenziertere Darstellung entsteht für die Geschäftsführung eine wesentlich bessere und umfassendere Übersicht über den wirtschaftlichen Status des Hauses; zugleich wurde die Bedeutung der Liquidität relativiert.305 Die Entwicklung der Liquidität muss nicht mit dem GuV-Jahresergebnis, welches den umfassender definierten Ressourcenverbrauch widerspiegelt, korrespondieren.306 Bei Einführung der Doppik erfordert die Aufstellung der Eröffnungsbilanz eine erstmalige Inventarisierung. In einem Theater wurden dabei Instrumente gefunden, u. a. Kontrabässe und ein älterer Flügel, deren Existenz bislang unbekannt war.307 Die Entwicklung des Anlagevermögens samt Abschreibungen und Neuanschaffungen wird im Anlagegitter (Anlagespiegel) im Jahresabschluss ausführlich dargelegt. Dies erzeugt für die Geschäftsführung eine transparente Darstellung des wertmäßigen Bestands bzw. des Ressourcenverbrauchs und damit eventueller Ersatzinvestitionsbedarfe zum Substanzerhalt, z. B. hinsichtlich der Maschinerie, des Fuhrparks, der IT-Systeme. Das unterstützt somit die Investitionsplanung, etwa indem Schwerpunkte auf Basis dieser Informationsgrundlagen gebildet wurden.308 In einem Theater hat die erstmalige Quantifizierung von Abschreibungen zu einer Versachlichung der Debatte mit dem Träger über Investitionsbedarfe geführt, was nach Ansicht des Gesprächspartners sogar die Realisierungschance einer notwendigen Generalsanierung erhöht hat.309 Bei den insgesamt 19 Bilanzen wurden in fünf Fällen Grundstücke, Gebäude und/oder die Gebäudehülle aktiviert.310 In einem weiteren Kulturbetrieb wurde ein renovierter Nebensaal im Wert von 3 Mio. € ins Anlagevermögen aufgenommen, welcher
305 306 307 308 309 310
Vgl. Interview 04-36; 10-55. Ebenda, 03-56. Ebenda, 06-68. Ebenda, 07-20, -52. Ebenda, 15-94. Ebenda, 01-58; 07-36; 14-38 ff.; 15-44; 17-58.
122
6. Unabhängige Variable Externes Rechnungswesen
über 30 Jahre abgeschrieben wird.311 Dieser ist räumlicher Bestandteil des nicht bilanzierten Hauptgebäudes. Folglich sind in 13 Anlagegittern keine Gebäude oder Grundstücke enthalten.312 Es ist davon auszugehen, dass dies den Eigentumsverhältnissen entspricht, da die Räumlichkeiten häufig vom Träger zur Nutzung überlassen werden. In der Mehrheit der Fälle dominieren im Anlagevermögen somit die Sachanlagegüter, vorwiegend Betriebs- und Geschäftsausstattung.313 Die vielfach wertvollen Instrumente befinden sich im Regelfall im Eigentum der Musiker und werden bis auf wenige orchestereigene Instrumente (Pauken und Schlagwerk, Flügel, Celesta etc.) nicht bilanziert. In sieben Fällen waren auch die (Bühnen)Maschinerie, technische Ausstattung und/oder ein Fuhrpark für den Abstecherbetrieb Bestandteile des Vermögens. Drei der 15 befragten Theater aktivieren die Inszenierungen des Repertoires, entweder gemäß Herstellungskosten (Materialaufwand und weitere Einzelkosten, in einem Fall auch erfasste Arbeitsstunden der Werkstätten als Eigenleistung für Bühnenbilder und Kostüme) oder gemäß Anschaffungskosten (bei eingekauften Produktionen).314 Wenn die Eigentumsverhältnisse als Kriterium der Wirklichkeitsnähe herangezogen werden, kann die These diesbezüglich als gestützt gelten.315 In 7 der 17 doppisch buchenden Einrichtungen fließen die Abschreibungen belastend in die Gewinn- und Verlustrechnung ein, ohne zusätzliche entlastende Gegenbuchungen.316 Dies ist der im privaten Sektor übliche Zustand; zu den übrigen Betrieben siehe falsifizierender Befund. Grundsätzlich wird die periodengerechte Zuordnung von Aufwendungen und Erträgen durch die Eigenschaften der doppisch geführten Bilanz und GuV in stärkerem Maße als in der Kameralistik erreicht, was für die Steuerung von größeren Theatern als unverzichtbar eingeschätzt bzw. auch als Motivation für die Einführung der Doppik genannt wird.317 Die gesteigerte wirtschaftliche Transparenz hat in einem Theater die Planungs- und Steuerungsprozesse verbessert, so dass mittelbar auch die künstlerischen Produktionen davon profitiert haben.318 Ein Geschäftsführer urteilt, dass die doppische Buchungssystematik stringenter ist und weniger politisch motivierte Gestaltungsoptionen zulässt, was eine Versachlichung und korrektere Wiedergabe der wirtschaftlichen Lage zur Folge hat.319
311 312 313 314 315
316 317 318 319
Ebenda, 03-30. Ebenda, 02-26; 04-24; 05-26; 06-32; 08-46; 09-48; 10-26; 11-30; 12-24; 13-90; 16-28; 18-42; 20-87 Ebenda, 02-22; 03-28; 05-28; 09-44; 10-26; 18-64. Ebenda, 01-40; 07-38; 09-46. Der Konzerngedanke des NPM würde es auch gestatten, den Kulturbetrieb als wirtschaftliche Einheit im Gesamtvermögen einer Kommune abzubilden, unabhängig von den Eigentumsverhältnissen zwischen Träger und Einrichtung. Ebenda, 05-30; 06-38; 10-33; 11-32; 18-188 ff.; 19-74; 20-102 ff. Ebenda, 05-44; 09-72; 15-50. Ebenda, 04-62. Ebenda, 20-77.
6. Unabhängige Variable Externes Rechnungswesen
123
Dies wird u. a. durch Rechnungsabgrenzungsposten erreicht. Bei Abonnement-Serien erfolgt eine Zahlung zu Beginn der Veranstaltungsserie, durch die der Karteninhaber den Anspruch auf zukünftige Theater- und Konzertbesuche erwirbt. Sollte innerhalb einer Abonnement-Serie der Abschluss eines Wirtschaftsjahres liegen, so ermöglichen die bilanziellen Rechnungsabgrenzungsposten – im konkreten Beispiel der passivische – eine korrekte wirtschaftliche Zuordnung von Erträgen zu Perioden320 und gleichzeitig eine Differenzierung von Zahlungseingang und Ertrag, was in der Kameralistik ohne zusätzliche Darstellungen nicht möglich war. Ein weiterer die These stützender Punkt ist die im Rahmen der Eröffnungsbilanzaufstellung erstmalige Erfassung und Bewertung von Rückstellungen. Durch sie wird Vorsorge für zukünftige Verbindlichkeiten getroffen, deren wirtschaftliche Verursachung in der gegenwärtigen Periode liegt, jedoch der Höhe oder dem Zeitpunkt nach nicht genau quantifiziert werden können. Rückstellungen können sich gemäß den handelsrechtlichen Vorschriften
z. B.
auf
Altersteilzeit-
und
Urlaubsansprüche
der
Beschäftigten,
Jubiläumszahlungen, unterlassene Instandhaltung und Prozessrisiken beziehen. Ihre Bildung bzw. Auflösung unterliegt gesetzlichen Pflichten, Verboten und Wahlrechten, ist erfolgswirksam und be- bzw. entlastet daher das laufende Jahresergebnis, wird in jedem Jahresabschluss angepasst und trägt somit zur wirklichkeitsnahen Darstellung der Ressourcen bei.321 Ein Befragter äußert, dass in seinem Theater erst durch die Doppik das Ausmaß und die wirtschaftliche Tragweite langfristiger Verpflichtungen durch wohlwollend abgeschlossene Altersteilzeit-Verträge deutlich wurden.322 Eine weitere neue Größe auf der Passiv-Seite ist das Eigenkapital inklusive evtl. vorhandener Gewinnrücklagen bzw. Gewinn- oder Verlustvorträgen. In Abhängigkeit von den haushalts- und gesellschaftsrechtlichen Gegebenheiten des Einzelfalls kann das Eigenkapital inklusive Rücklagen eine neue wirtschaftliche Erfolgs- und Zielgröße darstellen und ggf. die Profitabilität eines Betriebs offenbaren.323 So dienten in einem Kulturbetrieb über Jahre hinweg aufgebaute hohe Eigenkapitalrücklagen der Finanzierung von Tarifsteigerungen.324 Voraussetzung hierfür ist jedoch die ausreichende Deckung mit Liquidität.325 Zusätzlich zur Insolvenz (Zahlungsunfähigkeit) tritt die bilanzielle Überschuldung als neuer potenziell kritischer Tatbestand hinzu. Wenn das Vermögen (Aktiva) nicht zur 320 321 322 323 324
Ebenda, 03-50; 09-80. Ebenda, 01-64, -74; 02-66; 03-68; 04-38 ff.; 09-92; 15-72; 17-24. Ebenda, 14-70. Ebenda, 02-70. Ebenda, 10-48.
124
6. Unabhängige Variable Externes Rechnungswesen
Deckung der Verbindlichkeiten ausreicht, entsteht ein nicht durch Eigenkapital gedeckter Fehlbetrag. Solange die Zahlungsfähigkeit gegeben ist, muss eine existenzgefährdende Situation nicht zwingend vorliegen.326 6.2.2
Falsifizierende Befunde
In 7 von 17 bilanzierenden Kulturbetrieben wird bezüglich des Anlagevermögens auf der Passiv-Seite der Bilanz parallel ein Sonderposten geführt.327 Darunter befinden sich bezeichnenderweise auch drei der fünf Einrichtungen, welche Gebäude und Grundstücke aktiviert haben.328 In einem weiteren Kulturbetrieb wird ein Sonderposten gebildet, wenn Anlagevermögen nicht aus dem eigenen Budget finanziert wird.329 Dabei wird der nichtzahlungswirksame Ressourcenverbrauch durch Abnutzung, Alterung bzw. Wertminderung des Anlagevermögens im Jahresergebnis zwar erfasst und zahlenmäßig ausgewiesen. Die GuV wird im Fall der Sonderpostenbildung jedoch nur im Anschaffungsjahr in Höhe der Anschaffungskosten belastet, was der kritisierten kameralen Methodik entspricht.330 Ähnliches gilt für eine Einrichtung, welche hohe Spendenmittel für eine Baumaßnahme akquiriert hat: Diese wurden auch als Ertrag ausgewiesen, jedoch in Bezug auf das Jahresergebnis durch den Aufwand aus der Einstellung in den Sonderposten letztlich neutralisiert.331 Hierüber kann man unterschiedlich urteilen: Der Sonderposten glättet einerseits die intertemporale Darstellung. Es könnte der Fall eintreten, dass nach Umstellung auf die Doppik das erstmalig erfasste Anlagevermögen entsprechendes Eigenkapital aufzehrt bzw. die entstehenden Abschreibungen den Erfolg in Folgejahren belasten, so dass ein nicht durch Eigenkapital gedeckter Fehlbetrag und/oder ein strukturelles Defizit in der GuV entsteht.332 Dies verhindert der Sonderposten. Auch die Glättung von Jahresabschlüssen kann u. U. zum Wohl der Einrichtung beitragen, wenn eventuelle Fehlinterpretationen der Jahresabschlüsse aus Detailunkenntnis dadurch vermieden werden. Im Sinne der These jedoch - und im Einklang mit der NPM-Zielsetzung - wären der Ressourcenzuwachs durch 325 326 327 328 329 330
331
Ebenda, 14-106. Ebenda, 03-68; 16-24. Ebenda, 01-56 ff.; 02-38; 03-32; 04-26; 07-44; 08-74; 14-44. Ebenda, 01-56 ff.; 07-36, -46; 14-42 ff. Ebenda, 16-38. Dies liegt an folgender Buchungsweise: Im Jahr der Anschaffung eines Anlageguts erfolgt eine aufwandswirksame Einstellung in den Sonderposten. In Folgejahren wird das Anlagegut aufwandswirksam abgeschrieben, jedoch wird der Sonderposten in Höhe der Abschreibungen ertragswirksam aufgelöst. Durch die Abschreibung und zeitgleiche Sonderpostenauflösung neutralisiert sich die Ergebniswirkung in der GuV. Das bedeutet, dass der Zeitpunkt der wirtschaftlichen Belastung in der GuV exakt derselbe wie in der Kameralistik ist, nämlich volle Aufwandswirksamkeit bereits im Anschaffungsjahr, trotz jährlicher Berechnung, Darstellung und Eingang der Abschreibungen in die GuV, vgl. Fudalla/Tölle et al. (2007), S. 161 f.; Fudalla/zur Mühlen et al. (2007), S. 88 f. Ebenda, 03-34.
6. Unabhängige Variable Externes Rechnungswesen
125
Investitionszuschüsse oder Spenden sowie der Substanzverlust durch die folgenden Abschreibungsperioden auch jeweils im Jahresüberschuss bzw. -fehlbetrag der Erfolgsrechnung sichtbar auszuweisen. Das Ziel der transparenten Darstellung des Ressourcenverbrauchs wird damit zwar durch das zahlenmäßige Offenlegen im Jahresabschluss partiell erreicht, jedoch in Bezug auf die wirtschaftlich bedeutendste Kennzahl, die Höhe des GuV-Jahresergebnisses, verfehlt. Die Nivellierung nichtzahlungswirksamer Vorgänge durch Sonderpostenbildung läuft gerade dem deklarierten NPM-Ziel zuwider, durch die Einführung der Doppik einen umfassenderen und periodengerechten Ressourcenverbrauch darzulegen. Lediglich in einem Fall trat durch die konsequente Doppik-Einführung die folgerichtige Problematik wiederholter GuV-Jahresfehlbeträge durch hohe Abschreibungen auf das Gebäude auf (Volumen des Anlagevermögens: 17 Mio. €333), vgl. Darstellung in Kap. 6.3.1. In einem weiteren Fall, ein Regiebetrieb, bei dem Gebäude und Grundstück ohne Sonderposten bilanziert wurden, wurde eine übergeordnete Konzernbilanz der Stadt erstellt, so dass hier die Höhe der Abschreibungen für die Einrichtung selbst keine Rolle spielt.334 Zwar erlauben Rechnungsabgrenzungsposten und Rückstellungen einen periodengerechten Erfolgsausweis bzw. eine bilanzielle Vorsorge, jedoch ist die Liquidität damit noch nicht gesichert. Da die Kassenbestände im Umlaufvermögen auf Bestandskonten geführt werden, erfolgt hier keine Periodenzuordnung, sondern eine Stichtagsmessung. Nur durch zusätzliche Cashflow-Rechnungen können Liquiditätsströme im NPM-Sinn periodengerecht ermittelt und hinsichtlich ihrer Verursachung analysiert werden. Diesbezüglich ist die Doppik der Kameralistik nicht überlegen. Ein Interviewpartner weist darauf hin, dass auch die Darstellung von Rechnungsabgrenzungsposten zu keinen Konsequenzen bei der Liquiditätsplanung führt.335 Zudem ist es auch innerhalb der Kameralistik möglich, Bedingungen zu schaffen, in denen eine periodengerechte Zuordnung erfolgen kann. So war es einem Kulturbetrieb seitens des Trägers gestattet, bereits im August das nachfolgende kamerale Haushaltsjahr zu bebuchen, so dass Einnahmen und Ausgaben der unterjährig beginnenden und endenden Spielzeit nur einem Haushaltsjahr zugeordnet wurden.336 An anderer Stelle wird darauf hingewiesen, dass auch die Doppik keine theateradäquate periodengerechte Zuordnung 332 333 334 335 336
Ebenda, 08-46. Ebenda, 15-44. Ebenda, 17-58. Ebenda, 03-50. Ebenda, 12-10.
126
6. Unabhängige Variable Externes Rechnungswesen
erlaubt, wenn das Geschäftsjahr nicht der Spielzeit entspricht (meist 1. 8. bis 31. 7.).337 Ursache hierfür ist eine eventuelle Ungleichverteilung von Aufführungen im Winter- und Sommerhalbjahr im Vergleich mehrerer Spielzeiten. Rechnungsabgrenzungsposten etc. berücksichtigen zwar die Spielzeit, jedoch wenn man die Summe der Erträge und Aufwendungen von Spielzeiten vergleichen möchte, so bestehen Ungleichverteilungen zwischen den Jahresabschlüssen von Spielzeiten, wenn z. B. in einem Kalenderjahr 200 Aufführungen und im nächsten Kalenderjahr 220 Aufführungen absolviert werden (in beiden Spielzeiten aber exakt 210), bedingt durch die Lage der Termine. Zudem erschwert es interne Budgetierungsprozesse für aufführungsbezogene Einzelkosten, wenn das Kalenderjahr der Bezugspunkt ist und dabei zwei Spielzeiten berührt werden. In einem Kulturbetrieb trat die Situation ein, dass durch diesen Effekt ein Defizit als Jahresergebnis erwirtschaftet wurde, obwohl die Spielzeit ausgeglichen geplant und realisiert wurde.338 Die Realisierung des Konzerngedankens des NPMs kann dazu führen, dass die neuen Informationen der betroffenen Institution selbst nicht zur Verfügung stehen. So berichtet der Verwaltungsleiter eines Regiebetriebs, dessen Kommune eine Eröffnungsbilanz erstellt hat: „Ich kann Ihnen noch nicht mal sagen, mit welchem Wert dieses Gebäude Theater in die Bilanz eingewiesen wird, weil diese ganzen Dinge zentral organisiert sind über eine eigene Abteilung Doppik [...]“339
Derselbe Kulturbetrieb wurde bislang mit einem eigenen kameralen Haushaltsplan geführt. Es wäre von der Datenlage her möglich gewesen, neben der aggregierten kommunalen Bilanz auch vergleichbare einrichtungsbezogene Darstellungen zu generieren (bzw. zu kommunizieren), um den handelnden Personen des Theaters die Zusammenhänge zwischen Erfolg und Vermögen offen zu legen. Durch die Doppik neu entstehende Bewertungsspielräume, Gestaltungsmöglichkeiten und Wahlrechte können zu unterschiedlichen Darstellungen und Ergebnissen führen. Es wird teilweise geurteilt, dass dies mehr Intransparenz erzeuge, als zuvor in der streng liquiditätsbezogenen Kameralistik herrschte. Zwei Geschäftsführer bekunden, dass die Doppik einen größeren Umfang an Gestaltungsmöglichkeiten zulässt.340 So ist es in einem Fall gelungen, ein drohendes Defizit durch geschickte Gestaltungsentscheidungen zu „verhindern“: 337 338 339 340
Ebenda, 09-44. Ebenda, 09-200. Interview 17-18; Direkte Zitate werden zur Steigerung des Leseflusses ohne Inhaltsveränderung ggf. geringfügig sprachlich korrigiert. Vgl. Interviews 02-60; 08-108.
6. Unabhängige Variable Externes Rechnungswesen
127
„Das haben wir nur geschafft durch Bilanztrickserei. Also wie das die Controllerin geschafft hat, weiß ich bis heute nicht.“341
Einige Ursachen unterschiedlicher Darstellungen lauten z. B.: •
Differenzen zwischen Buchwert, Marktwert und Nutzen von Anlagegütern. Beispielsweise haben der Kostümfundus und die Requisiten einen hohen praktischen Nutzen für das Theater, sind jedoch mehrheitlich unverkäuflich und werden dennoch in aufwändigen Verfahren bewertet und abgeschrieben. In einem anderen Beispiel kam es nach abweichender Bewertungseinschätzung zur Sofortabschreibung des gesamten Fundus, was das Jahresergebnis entsprechend belastet hat.342
•
Der Wechsel eines Wirtschaftsprüfers führte zu einer veränderten Buchungs- und Darstellungsweise des Anlagevermögens.343
•
Mit der konkreten Person des Wirtschaftsprüfers wurde die Entscheidung beeinflusst, ob ein Sonderposten gebildet wird oder nicht.
•
Abgrenzungsentscheidungen, welche Gegenstände noch zum Gebäude bzw. welche zur beweglichen Ausstattung gehören (z. B. technische Anlagen) und folglich unterschiedlich bilanziert und abgeschrieben werden.
•
Bei aktivierten Inszenierungen besteht teilweise Unkenntnis über die Dauer des Verbleibens im Spielplan. Dadurch kann es zu Anpassungen der Abschreibungsdauer oder im Extremfall zu Sofortabschreibungen kommen. Da hier schwer zu objektivierende Planungsprozesse die Informationsgrundlage bilden, werden die aktivierten Inszenierungen auch als bilanzpolitischer Spielraum bewusst genutzt.344
•
Bei Rückstellungen bestehen Bewertungsspielräume. So wird benannt, dass zur Beeinflussung des Jahresergebnisses eine entsprechende Rückstellungspolitik innerhalb der handelsrechtlichen Vorschriften betrieben wird.345
•
In einem Betrieb werden keine Rückstellungen für Altersteilzeitansprüche gebildet, da in Abstimmung mit dem Wirtschaftsprüfer festgestellt wurde, dass den Zahlungsverpflichtungen auch Einsparungen durch günstigeres junges Personal, sinkenden Krankenstand etc. gegenüberstehen, so dass die Gesamtwirkung als haushaltsneutral eingeschätzt wurde.346
341 342 343 344 345 346
Ebenda, 08-107. Ebenda, 09-44; 14-64. Ebenda, 16-38. Ebenda, 01-40; 07-38; 09-44. Ebenda, 09-90 ff. Ebenda, 09-98.
128
6.2.3
6. Unabhängige Variable Externes Rechnungswesen
Neutrale Befunde
Zwei Kulturbetriebe haben mit dem Systemwechsel auf die Doppik eine unübersichtliche und für Fehlbuchungen anfällige Kameralistik abgelöst. Zum einen wurden sämtliche Einnahmen auf einen einzigen Erlöstitel gebucht, so dass die Zusammensetzung des Umsatzes im Jahresabschluss nicht ablesbar war. Zum anderen existierte bereits zu früheren Zeiten eine Vermögensrechnung in der erweiterten Kameralistik, welche jedoch ungünstig strukturiert war und schlecht geführt wurde, so dass erst der Systemwechsel auf Doppik eine grundlegende Verbesserung der Informationslage bewirkt hat. Die höhere Transparenz durch die Doppik ist somit gemäß der These eingetreten, jedoch kann die Ursache nicht in der Vorteilhaftigkeit der Doppik, sondern in der Abschaffung der zuvor dysfunktional gestalteten Kameralistik dieser konkreten Einzelfälle zugeschrieben werden (Post hoc ergo propter hoc-Fehler bei der Kausalattribution der Gesprächspartner).347 In einer weiteren Einrichtung wird mehr wirtschaftliche Transparenz durch die Doppik festgestellt, bedingt durch die neue tagesaktuelle Verfügbarkeit der Daten, was auch die Qualität der Controlling-Prozesse verbessert hat.348 Dies kann durch die Hintergrundvariable Rechtsform erklärt werden, weil die zeitgleiche rechtliche Verselbständigung dazu geführt hat, dass die Buchungsvorgänge von der städtischen Kämmerei in den Kulturbetrieb verlegt wurden. Ein weiterer Erfahrungswert besteht darin, dass trotz erhöhter Transparenz auch doppische Abschlüsse nicht vor (u. U. politisch motivierten) Diskussionen mit den Trägern schützen, worin die Ursache für ein Defizit liegt und ob das Defizit durch die Einrichtung vermeidbar gewesen wäre.349 6.2.4
Abschließende Bewertung der These
Die stützenden Befunde überwiegen gegenüber den falsifizierenden. Insbesondere gelten die stützenden Befunde für eine größere Anzahl von Kulturbetrieben, weil die meisten der transparenzfördernden Eigenschaften der Doppik systemimmanent sind, wohingegen viele der falsifizierenden Indizien durch konkrete Gegebenheiten der Einzelfälle bedingt sind, teilweise behoben werden könnten oder nur eine Minderheit der Stichprobe betreffen. Dennoch ist ersichtlich geworden, dass die These nicht ohne Einschränkungen und Differenzierungen gehalten werden kann.
347 348 349
Ebenda, 09-70 ff.; 12-60, -82. Ebenda, 07-52. Ebenda, 11-42.
6. Unabhängige Variable Externes Rechnungswesen
129
Eine Ambivalenz zeigt sich zwischen der Zielsetzung der zu steigernden Wirklichkeitsnähe der Abbildung von Ressourcenverbrauch bzw. Vermögensverhältnisse und der praktischen Umsetzung bzw. Handhabung. Dies gilt z. B. für die Konsequenz aus der SonderpostenBildung, dass Anlagegüter die GuV nur im Anschaffungsjahr belasten, vergleichbar der kameralen Buchungsweise. Weiterhin manifestiert sich dies in umfangreichen Wahl- und Bewertungsmöglichkeiten, welche allesamt vom Gesetzgeber vorgesehen sind, jedoch im Widerspruch zur Interpretation von Wirklichkeitsnähe im Sinn von Objektivität stehen. Betrachtet man die These im Kontext der Entscheidungsalternative Kameralistik versus Doppik, so ist nicht zu verkennen, dass die Kameralistik durch Erweiterungen einige der Vorteile der Doppik erfahren kann, z. B. durch eine zusätzliche Vermögensrechnung und kalkulatorische Erfassung von Abschreibungen. Es bleibt jedoch trotz der geäußerten Einschränkungen festzuhalten, dass mit der Einführung von Vermögens- und Erfolgsrechnung und deren Verknüpfung durch doppelte Buchführung für die hier untersuchten Kulturbetriebe mehrheitlich ein umfassenderes Bild der wirtschaftlichen Verhältnisse geschaffen wurde. Die soeben betrachtete These fokussiert den Informationsgehalt jedoch unabhängig von dessen Relevanz. Wie die beiden folgenden Thesen zeigen werden, wird diese nicht uneingeschränkt bejaht.
130
6. Unabhängige Variable Externes Rechnungswesen
6.3
These 2: Doppik führt zu einem neuen steuerungsrelevanten Informationsgehalt
6.3.1
Bestätigende Befunde
Es sind drei Kernbereiche, welche von etwa der Hälfte der Gesprächspartner, welche bereits doppisch arbeiten, als neue steuerungsrelevante Informationen eingestuft und positiv beurteilt werden: •
die periodengerechtere Zuordnung von Aufwand und Ertrag,
•
die Erfassung des Vermögens samt umfassender bilanzieller Darstellung durch das Anlagegitter inklusive Wertverlust sowie
•
das Volumen der Rückstellungen.
Die wirtschaftliche Analyse erfolge tiefer und differenzierter, was auch auf gutes Verständnis bei den politischen Entscheidungsträgern gestoßen sei. Auch das KostenNutzen-Verhältnis der doppischen Systeme wird von diesen Interviewpartnern positiv eingeschätzt.350 In einem Theater wird davon berichtet, dass umfassende wirtschaftliche Analysen doppikbasierter Kennzahlen und Berichte regelmäßig vorgenommen werden und bei Entscheidungsprozessen die Grundlage bilden: „Die Bilanz ist [...] der Ausgangspunkt der Diskussion im Aufsichtsrat und mit den Gesellschaftern über den wirtschaftlichen Status Quo des Theaters. Das zweite große Instrument sind Liquiditätsanalysen und [...] der Jahresgewinn und der Jahresüberschuss plus der Zustand des Eigenkapitals. Das sind eigentlich die beiden Messgrößen, anhand deren [...] die größeren wirtschaftlichen Schritte für die Zukunft unternommen werden“.351
Auch im Fall von bilanzierten Sonderposten in Bezug auf das Anlagevermögen wird das Abschreibungsvolumen sichtbar.352 Jedoch stellt sich die Frage, ob der Umfang des Volumens steuerungsrelevant ist. Zur Analyse werden nachfolgend quantitative Daten herangezogen. In der Theaterstatistik wird der Umfang der Abschreibungen für 14 der befragten 15 Theater ausgewiesen. Damit die Vergleichbarkeit gegeben ist und die Anonymität gewahrt bleibt, wird nachfolgend in Tab. 24 das Volumen der Abschreibungen in Relation zu den Gesamtausgaben gesetzt:
350 351 352
Ebenda, 01-72; 04-36; 05-44; 07-20, -50; 09-72; 11-42; 14-70. Interview 04-30. Vgl. Interview 07-52.
6. Unabhängige Variable Externes Rechnungswesen
Anzahl
131
<1 %
1-2 %
3-4 %
5-6 %
7-8 %
9-10 %
11-12 %
2
7
2
0
1
1
1
Tab. 24: Anteil der Abschreibungen an den gesamten Aufwendungen gemäß der Theaterstatistik 2006/07 bei 14 der 15 befragten Theatern Quelle: Eigene Berechnung anhand Deutscher Bühnenverein (2007), S. 162-181.
Der arithmetische Mittelwert liegt unter Berücksichtigung aller 15 Werte bei 3,47 %.353 Jedoch ist eine Zweiteilung des Sets ersichtlich. Die drei Spitzenwerte erklären sich bei näherer Betrachtung wie folgt: In zwei Fällen ist das Gebäude Bestandteil des Anlagevermögens, gleichzeitig wird die Ergebniswirksamkeit der Abschreibung über einen Sonderposten neutralisiert; in dem dritten Fall, ein kameralistisch geführter Regiebetrieb, erfolgt der Ausweis der Abschreibungen rein nachrichtlich.354 Es handelt sich um eine kalkulatorische Angabe aus der städtischen Kämmerei, die für das Theater ebenfalls nicht erfolgswirksam im Sinne einer doppischen GuV ist. Das um die drei Extremwerte bereinigte durchschnittliche Abschreibungsvolumen liegt absolut bei 549 T€ p. a., bei einem durchschnittlichen Gesamtausgabevolumen von 27,3 Mio. €. Der bereinigte Mittelwert des Anteils der Abschreibungen in Relation zum Ausgabevolumen beträgt 2,01 %. In dem bereinigten Set befinden sich noch drei Einrichtungen, welche über einen Sonderposten anteilig oder vollständig Abschreibungen neutralisieren. Besonders der absolute Wert von mehr als einer halben Million Euro lässt die Einschätzung zu, dass diese Größenordnung steuerungsrelevant sein dürfte, da vergleichbare Summen selbst in größeren Theatern als künstlerische Budgets für bestimmte Bereiche oder Inszenierungen zur Verfügung stehen. Die Steuerungsrelevanz von doppischen Kennzahlen wurde auch in der Weise verstanden, dass ein Kulturbetrieb durch vorhandene Wahlmöglichkeiten in die Lage versetzt wird, Gestaltungsoptionen zum Erreichen bestimmter betrieblicher Ziele auszuüben. In diesem Sinn wurde die Steuerungsrelevanz bejaht.355 GuV und Bilanz dokumentierten das aktuelle Ausmaß und den Erfolg der umgesetzten Sparmaßnahmen, wird an anderer Stelle befunden. Auslösendes Moment für die Sparanstrengungen sind jedoch die Vorgaben des Trägers.356
353 354 355 356
Bei dieser und den nachfolgenden Rechnungen wurden die exakten Werte der Statistik herangezogen. Vgl. Interview 01-56 ff.; 07-36 ff.; 19-74. Ebenda, 09-90 ff. Ebenda, 16-48.
132
6. Unabhängige Variable Externes Rechnungswesen
Ein Gesprächspartner urteilt, die Umstellung auf Doppik habe keine hervorgehobene Relevanz und habe nicht per se zur realisierten Effizienzsteigerung der letzten zehn Jahre beigetragen, sei jedoch gemeinsam mit der Einführung von KLR und Controlling ein selbstverständliches Steuerungsinstrument, welches nicht hinterfragt werden dürfe.357 6.3.2
Falsifizierende Befunde
Zunächst steht der These die globale Einschätzung von drei Gesprächspartnern entgegen, dass der Umfang der neu aus der Doppik hervorgegangenen Inhalte gering sei und damit hinsichtlich der Steuerung vernachlässigt werden könnte.358 Ein weiterer Geschäftsführer stellt den Nutzen von GuV und Bilanz in Frage und verweist an anderer Stelle auf den prioritären Status der Liquidität: „[Die Darstellung der wirtschaftlichen Verhältnisse, Anm. d. Verf.] ist sehr, sehr klar und sehr, sehr deutlich. [...] Es ist ja überdeutlich. Man fragt sich nur: Wofür? Ich brauche das Ganze nicht. [...] Für mich ist das operative Geschäft das Entscheidende. Gewinn- und Verlustrechnung und [...] die Bilanz, [...] da geht man mit fiktiven Horten um, ja. Das sind fiktive Schlachten, die da geschlagen werden, ja.“359
Wiederum ein anderer Gesprächspartner konstatiert, dass die künstlerischen Ziele das wirtschaftliche Handeln dominieren würden; eine Ableitung von Zielen des operativen Geschäfts aus der Bilanz komme in der Praxis nicht vor.360 In einer weiteren Einrichtung wird eine mittelfristige Fünfjahresplanung erstellt, doch bilanzielle Aspekte spielten dabei keine Rolle.361 Ein Geschäftsführer, welcher die Umstellung miterlebt hat, urteilt, dass die Doppik zu keiner neuen Erkenntnis geführt habe; die alten Haushaltsansätze seien zunächst weitergeführt worden.362 Ein Kollege differenziert, dass die Doppik zwar neue Einsichten, jedoch angesichts gleichbleibender wirtschaftlicher Strukturen, z. B. den hohen Personalfixkosten, keine neue steuerungsrelevante Erkenntnis hervorgebracht habe. Ferner ließe sich auch in der Kameralistik vieles von dem abbilden, was durch die Doppik neu hinzugekommen sei.363 Diese Aussage wird durch den Befund gestützt, dass auch zwei der drei kameral buchenden Einrichtungen einen Anlagespiegel als erweiterndes Element pflegen.364
357 358 359 360 361 362 363 364
Ebenda, 10-191 ff. Ebenda, 03-68; 05-42; 08-76. Interview 08-76. Vgl. Interview 03-42. Ebenda, 05-42. Ebenda, 02-56. Ebenda, 03-46. Ebenda, 13-78; 19-14.
6. Unabhängige Variable Externes Rechnungswesen
133
Bei der Vorbereitung der Eröffnungsbilanz wurde an einem Ort geäußert, dass bislang nur eine städtische (Konzern-)Bilanz vorgesehen sei, in der die Vermögenswerte und die Kapitalseite aller kommunalen Einrichtungen aggregiert würden. Dies bedeutet für den betroffenen Regiebetrieb keinen Erkenntniszuwachs.365 In zwei Umstellungsprozessen wurde vom Träger ein Kontenplan vorgegeben, welcher die besonderen Aufwandskategorien der Theater nicht explizit berücksichtigt (z. B. Bühnenbilder, Kostüme, Maske). Diese werden nun in Sammelkonten verbucht. Durch diese neuen Aggregationen gehen wertvolle Informationen verloren bzw. können die Informationen nur durch zusätzliche Darstellungen wie der KLR oder manuellen Nebenrechnungen sichtbar gemacht werden. Ähnliches gilt für die Abschaffung der kameralen Haushaltsstellen wie Orchester, Chor, Gäste etc., durch welche es vormals möglich war, im kameralen Haushaltsplan die Kosten der Ensembles und Produktionen auf einen Blick zu erfassen. Im doppischen Kontenplan wird jedoch nur ein aggregiertes Personalaufwandskonto bzw. ein Sammelkonto „sonstiger betrieblicher Aufwand“ angesprochen: „Wir verdichten alles [...] Ich habe nur ein Personalkonto, wo alles draufgebucht wird, alles. [...] Da habe ich eine Ist-Zahl. [...] Mit der Zahl kann ich gar nichts anfangen. Das ist ja hochinteressant, aber was nützt mir die Zahl? Ich muss doch Soll und Ist vergleichen, ich muss Gastetat, Orchester – das machen wir alles selber. Aushilfen, Aushilfsetat, machen wir alles selber [in separaten Excel-Rechnungen, Anm. d. Verf.].“366
An anderem Orte: „Wir haben ein sehr differenziertes Haushaltsstellensystem zunächst mal im Laufe der Zeit ausgearbeitet und haben dann unterhalb der einzelnen Haushaltsstelle zum Beispiel Kostüme, Bühnenbilder, dann Unterkonten eingerichtet, und zwar produktionsbezogen. [...] So wussten wir aber auch, [...] was haben wir sozusagen an Gemeinbedarf in der Kostümwerkstatt gehabt und was ist produktionsbezogen angeschafft worden? [...] Zumindest aber waren wir in der Verwaltung jederzeit in der Lage, die Kosten nachzuvollziehen. [...] Das alles wird sozusagen fallbeilartig am 31. Dezember dieses Jahres ins Nichts geschickt. Was danach kommt? Was wir sehen, ist ein aggregiertes Kontensystem. Also aus den Kostümen, Ansatz sagen wir mal 100.000 Euro, Bühnenbilder und Maske und was wir alles schön differenziert hatten, wird halt ein Konto. Das heißt dann witzigerweise in dem Kontensystem: Sonstige Betriebsausgaben. Da stehen jetzt 400.000 Euro drin.“367
365 366 367
Ebenda, 17-22. Interview 14-108. Interview 17-26.
134
6. Unabhängige Variable Externes Rechnungswesen
Aus diesen Zitaten werden folgende falsifizierende Befunde deutlich: •
Die Doppik-Einführung kann u. U. ein jahrelang aufgebautes internes Steuerungssystem und eine bewährte Haushaltsgliederung außer Kraft setzen. Die Steuerungsmechanismen der Einrichtung und die zur Anwendung erforderliche Verzahnung mit dem Rechnungswesen wurden in diesen Fällen nicht hinreichend oder überhaupt nicht bei der Konzeption der neuen Systeme berücksichtigt.
•
Um die internen Steuerungsinstrumente weiterzuführen, sind u. U. permanente Nebenrechnungen mit entsprechendem Arbeitsaufwand notwendig. Die Komplexität der Systeme wächst, die Fehleranfälligkeit und Unübersichtlichkeit steigen.368
•
Ein gut strukturierter kameralistischer Haushaltsplan kann dem Ideal der Integration von externem und internem Rechnungswesen näher kommen als die Doppik. Die Haushaltsstellen bzw. Titel samt Unterkonten dienten in den Einrichtungen gleichzeitig auch als Budgets zum Soll-Ist-Vergleich, z. B. Jahresbudgets für Kostüme, Bühnenbilder etc. oder auch Projektbudgets für Inszenierungen. Diese wichtigen Steuerungsdaten waren auf einen Blick im Haushaltsplan (externes Rechnungswesen) einfach und transparent ersichtlich und sind jetzt auf viele verschiedene Aufwandskonten oder theaterunspezifische Sammelkonten in der GuV verteilt. Daher sind u. U. in der Doppik zusätzliche Darstellungen bzw. Berechnungen im internen Rechnungswesen notwendig.369
•
Bei der Einführung der Doppik können Konflikte zwischen den (berechtigten) Informationsbedürfnissen des Trägers (z. B. die gleichzeitige Verfügbarkeit und Vergleichbarkeit von wirtschaftlichen Daten aller nachgeordneten Einrichtungen zwecks externem Controlling und Benchmarking) und den internen Bedürfnissen der Einrichtungen auftreten. Gegebenenfalls manifestieren sich diese Differenzen bei der Umsetzung zu Lasten der internen Steuerung der Einrichtung, hier z. B. durch Vorgabe eines dysfunktionalen Kontenplans. Ein Transparenzgewinn für den Träger kann einen Transparenzverlust und permanenten Mehraufwand für die Einrichtung verursachen: „Also Sie scrollen dann Konten runter und denken: Ach, hier ist mal wieder eine Zahl von uns, ja? [...] Durch diesen Konsolidierungs-, Konzerngedanken gibt es ein Kontensystem für alle. Und unsere Spezialitäten, die sind in diesem Grundkontensystem ja nicht drin. Noch mal: Jemand, der das für einen Industriebetrieb gemacht hat, der kommt nicht auf die Idee, ein Konto Bühnenbild einzurichten, das gibt es nämlich im Rest der Welt nicht. Genauso wenig wie Kostüme. [...] Das, was wir haben, geht nachher in drei Positionen Sonstige unter,
368 369
Vgl. Interview 14-106. Ebenda, 12-72; 14-108.
6. Unabhängige Variable Externes Rechnungswesen
135
in den Aggregaten. Und das muss ich dann so hinnehmen. [...] Ich wollte das lange Zeit nicht wahrhaben, dass das so ist. Jetzt weiß ich, dass es so ist.“370
•
Wenn durch den Träger ein Kontenplan vorgegeben wird (z. B. fest im SAP-System hinterlegt), so ist auch zukünftig keine hausspezifische Anpassung möglich, was zuvor möglich war. Dies kritisieren zwei Gesprächspartner als Flexibilitätsverlust.371
•
Wie die Variable Implementation noch zeigen wird, wurden im Zuge der Vorbereitung der Umstellung diese gewichtigen Fragen bzw. Probleme nicht diskutiert und folglich auch nicht gelöst, was teilweise in den Einrichtungen zu Missmut und Unzufriedenheit geführt hat.
Als weiterer Problembereich wird die Divergenz von Jahresergebnis (GuV) und Liquidität genannt. In den meisten Einrichtungen wird dies nicht thematisiert oder nicht problematisiert, sondern eher auf den niedrigen Anteil der nicht-zahlungswirksamen Aufwendungen und Erträge verwiesen, was wiederum die Relevanz der Doppik schmälert (vgl. These 1). Im Gegensatz dazu wird jedoch auch das Phänomen geschildert, dass sich die Salden der Erfolgs- und Finanzrechnung auseinander bewegen und dass dafür keine stichhaltige Ursache gefunden wird: „Und ich stelle fest, dass das [Jahresergebnis und Liquidität, Anm. d. Verf.] im Moment immer weiter auseinander geht: Die kaufmännischen Abschlüsse stimmen nicht mit den kameralen Abschlüssen überein, können sie auch nicht, sind ja zwei unterschiedliche Systeme. Offen ist, wie mit dieser Divergenz umgegangen wird. [...] Jetzt in den vier Jahren oder fünf läuft es halt noch nicht so rund. [...] Entscheidend ist die kamerale Zahl. [...] Kaufmännisch hatte ich bisher Überschüsse erwirtschaftet, das hat man dann so hingenommen. Wenn ich da jetzt ein Defizit habe, wird man erst mal gucken: Wie ist das denn jetzt kameral? [...] Und außerdem ist es so: Was hier schon kaum jemand versteht, wie wollen es eigentlich die Ministerialräte im Ministerium verstehen?“372
Der differenzierte Ausweis von Erfolg und Liquidität erfüllt den Kerngehalt der These 1, die wirklichkeitsnahe Ressourcendarstellung, und ist damit eine wesentliche Motivation für die Doppik-Einführung, kann jedoch im Management zu Schwierigkeiten oder Unklarheiten führen. Dies gilt insbesondere dann, wenn die Wertigkeit und Behandlung von Erfolg und Liquidität nach innen oder nach außen (noch) nicht eindeutig oder widersprüchlich definiert sind. Ferner werden wirtschaftliche Kennzahlen und Daten in der Praxis unterschiedlich interpretiert. Das gilt insbesondere für die abstrakteren doppischen 370 371 372
Interview 17-96. Vgl. Interviews 14-108; 17-90 ff. Interview 14-68, -92.
136
6. Unabhängige Variable Externes Rechnungswesen
Größen wie Eigenkapital, Rücklage, Rückstellung, Tatbestand der bilanziellen Überschuldung. Weitere Ursache für die negative Einschätzung ist auch eine partielle Unkenntnis der nicht-zahlungswirksamen Vorgänge, welche intern und/oder auch extern bestehen kann. Vielfach wird berichtet, dass die Perspektive und das Interesse der Träger und Zuwendungsgeber stark liquiditätsbezogen ist. Sechs der 17 doppisch buchenden Einrichtungen der Stichprobe müssen für ihre Zuwendungsgeber eine zweite, rein liquiditätsorientierte Version ihrer Berichte erstellen, bei denen z. B. Abschreibungen wieder herausgerechnet werden.373 Dies erscheint besonders dann ambivalent, wenn der Zuwendungsgeber die Einführung der Doppik veranlasst hat. Aber auch einige Geschäftsführer halten die Liquidität nach wie vor für die wichtigste wirtschaftliche Größe. Somit wurde mit der erfolgsorientierten Doppik ein komplexeres System implementiert, dessen weiterführender Nutzen angesichts der noch vorhandenen starken Liquiditätsorientierung partiell hinterfragt oder auch verneint wird, bis hin zum (Extrem-)Urteil, die Kameralistik sei wirklichkeitsnäher und klarer als die Doppik.374 Der empirische Befund kann somit die Forderung des Neuen Öffentlichen Rechnungswesens (Klaus Lüder et al.) nach einer dritten Komponente, der Finanzrechnung, stützen. Bei der Erhebung wurde ein vollständiges 3-Säulen-Modell jedoch nicht vorgefunden, dafür unterschiedliche Ausprägungen des Liquiditätsmanagements, vom Cash-Management im Sinn von Anlagemanagement, bis hin zu Planungen zur Aufrechterhaltung der Solvenz mit einem liquiditätsbezogenen Berichtswesen.375 Als Beispiel für die Notwendigkeit der Einführung eines Liquiditätsmanagements wird u. a. der Befund genannt, dass zum Zeitpunkt der Aktivierung von Inszenierungen mehr Liquidität abfließt als an Aufwand verbucht wird; es bestehe in der GuV die Gefahr des „Reichrechnens“376. Die geschilderte Diskrepanz ist gerade die Konsequenz der ressourcenorientierten Betrachtungsweise, wenn das aktivierte Anlagegut vollständig bezahlt wird und kein Sonderposten vorhanden ist, also ein AktivTausch vollzogen wird, und gilt über die Inszenierungen hinaus für jede Form von Anlagevermögen. Eine eingeschränkte Steuerungsrelevanz ergibt sich ferner aus: •
den Differenzen zwischen Buchwert, realem Verschleißzustand und Gebrauchswert für den Kulturbetrieb (z. B. pauschal bewerteter Fundus; vollständig abgeschriebene aber
373 374 375 376
Vgl. Interviews 05-116; 06-72; 09-64, -106; 14-62; 15-34; 20-81, -120, -129, -168. Ebenda, 01-40; 02-60; 06-72; 08-56; 12-38; 13-92; 14-64, -92; 18-58; 20-192. Ebenda, 02-68; 04-58; 06-66; 08-82 ff.; 10-60; 13-86. Ebenda, 09-58.
6. Unabhängige Variable Externes Rechnungswesen
137
funktionstüchtige technische Anlagen als stille Reserve),377 •
dem Nichtvorhandensein oder Nichtbilanzieren von Altersteilzeit-Verträgen,378
•
einem begrenzten Verständnis doppik-basierter Darstellungen durch interne Entscheidungsträger, insbesondere künstlerischer Geschäftsführer oder Spartendirektoren379 und
•
einem Sichtblendeneffekt gegenüber externen Stakeholdern, z. B. der Kulturverwaltung, hinsichtlich Ausübung von Wahlrechten bei Bewertung und Bilanzierung sowie durch Komplexität der wirtschaftlichen Zusammenhänge und Einflussgrößen.380
6.3.3
Neutrale Befunde
Bereits im falsifizierenden Befund wurde mehrfach festgestellt, dass der GuV eine höhere Bedeutung als der Bilanz beigemessen wird. Dies gilt auch unter Vertretern der Aufsichtsgremien.381 Das erscheint zunächst erklärungsbedürftig, da die meisten der doppikspezifischen Sachverhalte, z. B. zahlungsunwirksame Buchungen, ihren Ursprung in der Vermögensaufstellung haben. Es erhärtet aber den Befund, dass der geringe Umfang von nachrangigem Einfluss auf das Wirtschaften ist. Es könnte auch bereits als Indiz dafür gesehen werden, dass das Ziel des Kapitalerhalts bzw. des Reinvermögens – und somit Ziele der Nachhaltigkeit (vgl. These 3) – in der Praxis ebenfalls von untergeordneter Bedeutung sind. Selbst fünf Jahre nach der Einführung der Doppik wird noch von erheblichen Problemen und notwendiger Nachjustierung gesprochen.382 6.3.4
Abschließende Bewertung der These
Für die Bestätigung als auch Falsifikation wurde eine Reihe von sachlichen Anhaltspunkten aufgezeigt. Dabei fällt auf, dass die bestätigenden Befunde auf der Systematik der Doppik beruhen, wohingegen die falsifizierenden Befunde teilweise durch eine suboptimale Umsetzung oder Handhabung verursacht werden (dysfunktionaler, starrer Kontenplan; Missachtung der internen Steuerung; Interessenkonflikte; Liquiditätsorientierung; etc.). Dies relativiert somit den falsifizierenden Befund, da er nicht grundsätzlich gegen die Doppik spricht. Außerdem zeigt dies die Notwendigkeit, Implementierungsprozesse sorgfältig zu konzipieren und umzusetzen (vgl. auch intervenierende Variable Implementation). Die Bewertung der These ist nicht frei von der subjektiven Einschätzung der Gesprächspartner hinsichtlich der Steuerungsrelevanz der Doppik. Diese fällt sehr 377 378 379 380 381 382
Ebenda, 09-44, -92; 14-64. Ebenda, 13-90. Ebenda, 05-36. Ebenda, 01-40; 14-92; 20-192. Ebenda, 02-48; 05-42; 08-76; 10-52. Ebenda, 14-66 u. -92.
138
6. Unabhängige Variable Externes Rechnungswesen
heterogen aus: von „notwendiger Voraussetzung“ als Steuerungsgrundlage eines Kulturbetriebs bis hin zu „unnötigen fiktiven Schlachten“. Aus Sicht der Gesprächspartner spricht für die Doppik neben dem hohen Verbreitungsgrad, dass in diesem Buchungssystem insbesondere größere wirtschaftliche Einheiten adäquat abgebildet würden. Jedoch lautet der empirische Befund, dass nach der DoppikEinführung von keinen gravierenden Veränderungen im Wirtschaften berichtet wurde. Insofern ist der Zuwachs an Informationen eindeutig zu bejahen, die Steuerungsrelevanz im Sinne eines Handlungspotenzials aus dem gestiegenen Erkenntnisniveau jedoch in deutlich geringerem Maße (vgl. Ausführungen zur These 1). Der Begriff der Steuerungsrelevanz konnotiert ein Wechselwirkungsverhältnis von Information und Entscheidung. Dabei spielt auch das Zielsystem des Kulturbetriebs eine Rolle. Aufgrund der Sachzieldominanz leuchtet es ein, dass die wesentlichen Steuerungsentscheidungen in Bezug auf die Sachziele gefällt werden und die Formalziele eher den Status einer Restriktion oder eines konstanten Inputs haben (Maximalprinzip in Bezug auf die Sachzielebene, vgl. auch Kap. 9.9). Der Wahl eines Buchungssystems kommt unter Effizienzgesichtspunkten gemäß dem vorliegenden Befund demnach in Kulturbetrieben nur eine untergeordnete Bedeutung zu. Insbesondere die noch stark vorherrschende Liquiditätsorientierung ist ein fester Bestandteil der Steuerungs- und Führungskultur im öffentlichen Sektor, auch der gesetzlichen und parlamentarischen Beschlussfassung (Haushaltsverabschiedung etc.). Es bleibt abzuwarten, ob sich die ressourcenorientierte Betrachtungsweise zukünftig auch stärker bei der legislativen Gewalt und der Regierung samt Administration niederschlägt. Dies würde die Steuerungsrelevanz der Doppik beträchtlich erhöhen. Es wird sich jedoch nichts daran ändern, dass beim Betrieb der Theater und Orchester angesichts hoher konsumtiver Personal- und Sachkosten letztlich eine Liquiditätsdeckung und –betrachtung vorhanden sein muss.
6. Unabhängige Variable Externes Rechnungswesen
6.4
These 3: Doppik führt zu nachhaltigerem Wirtschaften
6.4.1
Bestätigende Befunde
139
Ein zentraler Aspekt der Nachhaltigkeit ist der durch die Doppik begünstigte, bewusstere Umgang mit Gewinnen. Erwirtschaftete Jahresüberschüsse können ggf. in Abhängigkeit von Entscheidungen des Trägers und des Aufsichtsgremiums in der Einrichtung verbleiben und als Risikovorsorge dienen, um eventuelle zukünftige Defizite aus eigener Kraft zu kompensieren: „[...] Zu kameralistischen Zeiten, [...], war es so, dass das Geld, das reinfließt, auch verbraucht wurde. In Zeiten der Doppik [...] ist es so, dass wir über den heutigen Jahresüberschuss dem Aufsichtsrat und den Gesellschaftern berichten und Verwendungsvorschläge machen, im Prinzip aber dieser Jahresüberschuss dazu dient, zum Beispiel Risiken für die kommenden Jahre auch auszugleichen. Ja, also wir können damit umgehen, während zu Zeiten der Kameralistik eben das Geld verbraucht werden musste, wie es bei öffentlichen Ämtern auch heute noch so ist [...] – am Schluss werden dann die Bleistifte gekauft.“383
Auch an zwei anderen Orten wurden aufgebaute Gewinnrücklagen dazu herangezogen, Steigerungen der Personalkosten temporär zu finanzieren. Somit diente eine doppische Kennzahl als Planungsgrundlage für das zukünftige Wirtschaften und hat vorübergehend zur Nachhaltigkeit beigetragen.384 Ein weiterer Aspekt besteht darin, dass durch den bilanziellen Ausweis von Vermögen und Kapital ein „anderes, sparsameres, an der Kapitalerhaltung orientiertes“385 Wirtschaften eingetreten sei, ggf. auch mit aus eigener Initiative ergriffenen restriktiven Maßnahmen bei drohendem Abschmelzen des Eigenkapitals, im Gegensatz zur früheren Orientierung am Liquiditätsverbrauch. Abgesehen von der verbalen Beschreibung des Interviewpartners ist es jedoch schwierig, dies empirisch zu operationalisieren und damit zu überprüfen. Ein partiell stützender Aspekt ist die Tatsache, dass die Bildung von Rückstellungen gemäß dem Vorsichtsprinzip bereits im Jahr der Bildung, in welchem auch die wirtschaftliche Verursachung liegt, erfolgswirksam ist und damit Vorsorge für dem Zeitpunkt oder Umfang nach unbekannte Aufwendungen getroffen wird.386 Die Diskussion von Steuerungsentscheidungen mit dem Aufsichtsrat, einem externen Controller und dem Wirtschaftsprüfer auf Basis der Analyse doppischer Kennzahlen
383 384 385
Interview 04-34; vgl. ähnliche Befunde auch in Interviews 09-86; 12-62. Ebenda, 10-48; 18-64. Ebenda, 04-44.
140
6. Unabhängige Variable Externes Rechnungswesen
hat in einem Theater dazu geführt, dass wirtschaftliche Optimierungsprozesse beschlossen und umgesetzt wurden. Die daraus entstandenen Kostenvorteile haben laut Aussage des geschäftsführenden Intendanten auch die künstlerischen Budgets vor drohenden Kürzungen partiell bewahrt und damit zur Nachhaltigkeit des Programmangebots beigetragen.387 6.4.2
Falsifizierende Befunde
Das gewichtigste falsifizierende Indiz ist die nüchterne Einschätzung der Mehrheit der Interviewpartner, welche die Umstellung persönlich erlebt haben, dass die Doppik am Wirtschaften und Steuern ihres Betriebs nichts oder nichts Wesentliches geändert hat. Die Steigerung der Wirtschaftlichkeit wird auch negiert. Zwei Gesprächspartner differenzieren, dass zwar neue Erkenntnisse und Informationen vorlägen, diese jedoch keine Konsequenzen nach sich ziehen würden, z. B.: „Also wenn man sich den Jahresabschluss anguckt, haben wir natürlich eine Vielzahl von Rückstellungen, die es vorher in der Form nicht gab. Wenn ich allerdings den Betrag der Rückstellungen einfach mal in die Relation zum Gesamtumfang des Haushaltes setze, dann weiß ich nicht, ob da eine Nachhaltigkeit entsteht. Also das sind Größenordnungen, die wären sicherlich im Zweifel auch aus laufendem Betrieb zu erwirtschaften.“388
Zum Detailthema Rückstellungen äußern wiederum zwei andere Gesprächspartner, dass es in dem Moment, wo der Aufwand anfällt, auf das Vorhandensein ausreichender Liquidität ankomme, so dass in der erfolgswirksamen Rückstellungsbildung kein Sinn gesehen wird.389 Häufig ist das Liegenschafts- bzw. Bauamt des Trägers für die Instandhaltung des Gebäudes zuständig. Auch in den Fällen, wo Gebäude und Grundstücke aktiviert wurden, wurde kein Beleg dafür gefunden, dass die Substanzerhaltung des Gebäudes oder der technischen Anlagen durch doppische Informationsgrundlagen in einem stärkeren Ausmaß als zuvor verfolgt oder gar realisiert wurde (abgesehen von dem einen Fall, in dem eine versachlichte Diskussion begonnen wurde, vgl. oben). Auch eine konsequente Orientierung der Ersatzinvestitionen an der Höhe der Abschreibungen – ein Zusammenhang zwischen Daten des Anlagegitters inklusive Abschreibungsvolumen und Investitionspolitik – konnte nicht nachgewiesen werden bzw. wurde verneint (abgesehen von inhaltlicher Schwerpunktbildung). Die Problematik eines 386 387 388 389
Ebenda, 01-68, -74; 04-40. Ebenda, 06-42. Interview 02-66. Vgl. Interviews 08-60 , 09-62.
6. Unabhängige Variable Externes Rechnungswesen
141
über Jahre hinweg schrumpfenden Anlagevermögens, was durch die transparente Darstellung nun objektiv sichtbar wurde, wurde in einem Fall von den Trägern ignoriert.390 Es wurde ferner kein Beleg dafür gefunden, dass die kaufmännischen Größen Abschreibungen und Investitionen zur gezielten Beeinflussung von Jahresergebnis, Eigenkapital etc. herangezogen werden, wie es in der Privatwirtschaft nicht unüblich ist. Vielmehr orientieren sich die Investitionen an sachlichen Notwendigkeiten (Verschleißzustand, Defekte etc.) und den verfügbaren Mitteln. Diese Faktoren wiederum werden nicht durch die Doppik beeinflusst. Die jährlich durchzuführende Inventur soll eine regelmäßige Kontrolle über Vorhandensein und Zustand der Vermögensgegenstände mit sich bringen. In einer Einrichtung wurde die Inventur über einen Zeitraum von sechs Jahren nicht durchgeführt, das Testat des Wirtschaftsprüfers dennoch erteilt.391 In dem einzigen Theater der Stichprobe, in welchem Abschreibungen inklusive des Gebäudes die GuV voll belasten (Anlagevermögen in Höhe von 17 Mio. € ohne kontinuierliche Re-Investitionen), entsteht regelmäßig ein Jahresfehlbetrag. Diese Problematik wurde durch eine individuelle Zuwendungsvereinbarung zwischen den Trägern und der Einrichtung gelöst. Die NPM-Ziele der Transparenz und der ressourcenorientierten Darstellung wurden hier erfüllt, jedoch war das Theater aufgrund der begrenzten Steigerungsmöglichkeiten der Eigenfinanzierungsquote nicht in der Lage, die Wertverluste aus eigener Kraft zu erwirtschaften, was dem Theater angesichts der Höhe der Abschreibungen auch nicht vorgeworfen werden kann. Die Steuerungsinstrumente wurden zwar eingeführt, eine höhere Nachhaltigkeit konnte beim Wirtschaften jedoch durch das „Einsourcen“ der Wertverlustproblematik in die Einrichtung nicht erreicht werden. Dies wurde ex ante auch nicht thematisiert.392 Der Ausweis von Gewinnrücklagen bringt für den Kulturbetrieb das Risiko mit sich, dass diese vom Zuwendungsgeber als zu hoch betrachtet werden und in Konsequenz ein Abbau durch Zuwendungskürzungen forciert wird. Diese Sorge der Einrichtung kann insbesondere dann aufkommen, wenn mit dem Träger kein Dialog über wirtschaftliche Zielsetzungen geführt wird. So kann die Extremsituation entstehen, dass von der Einrichtung der Anreiz empfunden wird, keine oder nicht zu hohe Rücklagen zu erwirtschaften, da die ggf. vorhandene Profitabilität damit offenbart würde.393
390 391 392 393
Ebenda, 08-48; 10-39 ff.; 20-162. Ebenda, 06-66. Ebenda, 15-34 ff.; ähnlich auch 11-50. Ebenda, 02-70.
142
6. Unabhängige Variable Externes Rechnungswesen
Folglich lautet das an einem Ort auch bekundete betriebsinterne Steuerungsziel, im Zustand der bilanziellen Überschuldung (nicht durch Eigenkapital gedeckter Fehlbetrag bei gleichzeitiger Solvenz) zu verbleiben. Somit wurde als empirischer Befund auch die Umkehrung des positiven Effekts der Risikovorsorge durch ermöglichte Rücklagenbildung festgestellt.394 Dies kommt einem „doppischen Dezemberfieber“ nahe: steuerungspolitisch forcierte Ausgaben zur Vermeidung oder Reduktion von GuV-Jahresüberschüssen trotz der gegebenen Möglichkeit, Mittel ins Folgejahr zu übertragen. Gleichzeitig bedeutet dies wie auch beim herkömmlichen kameralen „Dezemberfieber“ nicht zwingend eine Mittelverschwendung, wenn satzungsgemäße Ausgaben und Investitionen getätigt werden, welche das Erreichen der Sachziele des Kulturbetriebs fördern. Die oben geschilderte Anreizsituation, regelmäßig kleine Defizite zu erwirtschaften, besteht für einen weiteren Kulturbetrieb, welcher zwar auf Doppik umgestellt wurde, Rücklagen bilden darf, jedoch per Fehlbedarfsfinanzierung bezuschusst wird.395 Ein weiteres Indiz gegen die Nachhaltigkeit sind die Folgekosten der Einführung der Doppik. Im Regelfall wird die Anschaffung neuer IT-Systeme notwendig, was Einrichtungs-, Pflege- und Beratungskosten verursacht, in Einzelfällen wurde aufgrund der höheren Komplexität auch von dauerhaften Personalaufstockungen berichtet. Hinzu kommen noch Unregelmäßigkeiten in der mehrjährigen Übergangsphase:396 „Und es ist saukompliziert beim Theaterbetrieb, also unser Jahresabschluss. Ich habe mir extern einen ehemaligen Bilanzbuchhalter [...] eingekauft, der Controller alleine schafft das ja gar nicht, er muss sich ja mit den ganzen [...] Führungsberichten beschäftigen, die einmal im Monat generiert werden müssen. Und auch der hat seine Probleme.“397
Ein anderer Interviewpartner resümiert daher wie folgt: „Also wir haben [als noch die Kameralistik galt, Anm. d. Verf.] genauso viel Geld eingespielt und genauso schöne Kunst gemacht, vielleicht sogar an mancher Stelle noch ein bisschen schöner, weil es einfacher war [...].“398
394 395 396 397 398
Ebenda, 03-68; ähnlich auch 09-204. Ebenda, 20-81. Ebenda, 02-72. Interview 14-92. Interview 20-149.
6. Unabhängige Variable Externes Rechnungswesen
6.4.3
143
Neutrale Befunde
Eine häufig geäußerte Kausalattribution lautet wie folgt: „Das Dezemberfieber [...] haben wir überhaupt nicht. Und das ist wirklich ein ganz, ganz wesentlicher Vorteil [...] der Doppik.“399
Die Merkmale Doppik und flexiblere Mittelbewirtschaftung treten gleichzeitig ein und korrelieren somit; jedoch liegt die Ursache in der Hintergrundvariable der veränderten haushaltsrechtlichen Rahmenbedingungen. Ein kaufmännischer Direktor bringt die fehlerhafte Kausalattribution zu Gunsten der Vorteilhaftigkeit der Doppik auf den Punkt: „Das ist ja [...] das, was [...] ich eigentlich schon seit Jahren gesagt habe: Dass die Vorteile des kaufmännischen Rechnungswesens [...] für die einzelne Einrichtung fast gegenstandslos wären, wenn man innerhalb der bestehenden haushaltsrechtlichen Vorschriften eine größere Flexibilisierung zuließe.“400
Da der Mittelübertrag in Folgeperioden und weitere Flexibilisierungen auch in der Kameralistik möglich sind, jedoch offensichtlich an vielen Orten nicht praktiziert wurden, wird dadurch die Vorteilhaftigkeit der Doppik relativiert: Sie ist weniger die Ursache als vielmehr das auslösende Moment, da die Möglichkeit zur bilanziellen Gewinnthesaurierung ein regulärer Bestandteil der Doppik ist, dennoch haushaltsrechtliche Veränderungen voraussetzt. Es wird außerdem berichtet, dass die Bereitschaft zur sachlichen und ehrlichen Analyse der vorliegenden Daten in den Aufsichtsgremien und in der Verwaltung nicht immer gegeben ist, so dass eine gehaltvolle Datengrundlage, z. B. GuV und Bilanz, nicht zwingend zu positiven Effekten führen muss.401 6.4.4
Abschließende Bewertung der These
Die falsifizierenden Befunde sind von schwererem Gewicht und Ausmaß als die stützenden Befunde. Eine gestiegene Nachhaltigkeit wurde nur in Einzelfällen erreicht, wenn die Zielsetzung der Geschäftsführung, der Träger und/oder der Aufsichtsgremien diese explizit beinhaltet hat. Voraussetzung hierfür ist eine über mehrere Perioden vorhergehende Gewinnthesaurierung. Ein direkter Zusammenhang zur Doppik konnte dabei nicht nachgewiesen werden; ebenso wenig eine unmittelbare Steigerung der operativen Wirtschaftlichkeit aus der Anwendung doppischer Buchführung. Dies wäre aber
399 400 401
Interview 04-36. Interview 02-54. Vgl. Interview 10-55.
144
6. Unabhängige Variable Externes Rechnungswesen
auch eine falsche Erwartungshaltung. Einspielquoten von teilweise unter 10 % schränken die Möglichkeiten, Gewinne zu erwirtschaften, stark ein bzw. ist hier die Höhe der Zuwendung die Hintergrundvariable für eventuelle „Gewinne“. Wenn es in einigen Perioden aufgrund unterplanmäßiger Aufwendungen bzw. überplanmäßiger Erträge gelingt, Überschüsse zu erwirtschaften, so liegt die Ursache nicht in der Doppik, sondern am konkreten Handeln und Entscheiden des Kulturbetriebs und exogenen Faktoren wie z. B. Publikumsnachfrage und öffentlicher Meinungsbildung. Nachhaltigkeit trat nur im Sinn von Risikoreduktion auf, und dies mit methodischen Einschränkungen: Die geschilderten Effekte, z. B. das eigenständige Ergreifen von krisenbewältigenden oder präventiven Maßnahmen, können empirisch nur schwer nachgewiesen werden, da zum einen keine Testgruppe existieren kann (Wie hätte derselbe Betrieb in demselben Szenario bei kameralistischer Buchungsweise gehandelt?) und zum anderen die Opportunitäten nicht nachweisbar sind (Was wäre geschehen, hätte der Betrieb die ergriffenen Maßnahmen unterlassen?). Es ist jedoch plausibel, dass eine eventuell zugelassene Gewinnthesaurierung stabilitätsfördernd wirkt. Dabei ist auch hier die Kausalität eher im Haushaltsrecht und im Wirtschaften als in der Doppik zu sehen. Nachhaltigkeit im Sinn von Substanzerhaltung kann nur dann gemessen werden, wenn die Kulturbetriebe als wirtschaftliche Einheit inklusive Gebäude und Anlagen über einen längeren Zeitraum beobachtet werden. Da in den meisten Fällen die Gebäude kein Bestandteil des Eigentums der Kulturbetriebe sind, kann hierüber keine Aussage getroffen werden. Das explizite Verfolgen des Ziels der Substanzerhaltung auf Basis bilanzieller Daten konnte jedoch nicht festgestellt werden. Die gefundenen Belege für Nachhaltigkeit betreffen die intertemporale Ebene, insbesondere den Umgang mit Überschüssen und Wertverlusten. Die Einführung der Doppik vermochte in einigen Fällen die Darstellung des wirtschaftlichen Zustands zu verändern, auf deren Grundlage bestimmte Entscheidungen getroffen wurden. Somit ist die Doppik für Teile der Stichprobe in Bezug auf Nachhaltigkeit eine fördernde Einflussgröße oder ein Anstoß gebendes Moment, jedoch nie ein kausaler, direkt auslösender Faktor. Einschränkend ist festzustellen, dass sich effizientere Anreizstrukturen für Kulturbetriebe, welche das NPM-Ziel der Nachhaltigkeit verfolgen, auch innerhalb der Kameralistik durch entsprechende haushaltsrechtliche Bestimmungen und die Art der Zuwendungsfinanzierung in begrenztem Umfang schaffen ließen.
6. Unabhängige Variable Externes Rechnungswesen
6.5
145
Fazit zur Einführung der Doppik
Der Umstellungsprozess von der Kameralistik auf die Doppik ist weit vorangeschritten, dies vollzog sich insbesondere in den späten 90er-Jahren und in der ersten Dekade des 21. Jahrhunderts. Die Kameralistik wurde weitgehend abgelöst, wobei ein Zusammenhang zur Rechtsform oder rechtlichen Selbständigkeit nicht eindeutig festgestellt werden konnte. Ein Zugewinn an Informationen für die Kulturbetriebe bezüglich der wirtschaftlichen Verhältnisse wurde mehrheitlich erreicht (These 1). Dieser ist auch eingeschränkt steuerungsrelevant, wobei jedoch der zusätzliche Nutzen in der Praxis durch suboptimale Umsetzungen oder andere (legitime) Zielprioritäten nicht immer gegeben ist (These 2). Am schwächsten ausgeprägt ist der positive Befund bezüglich der realisierten Nachhaltigkeit, welche aus der Doppik resultiert (These 3): Im Kontext der Einführung wurde vielen Kulturbetrieben mehr Eigenverantwortung für den Umgang mit Mehreinnahmen und Mehrausgaben bzw. Gewinnen und Verlusten übertragen, was kurzfristige Risiken abmildern kann, jedoch hängt dies nicht kausal mit der doppischen Systematik, sondern mit dem Haushaltsrecht und der Höhe der Zuwendungen zusammen.402 Auf den vorliegenden Befunden aufbauend ist festzustellen, dass die Kameralistik nicht per se unterlegen oder dysfunktional ist. Der Umfang der nicht-zahlungswirksamen Vorgänge ist eher gering. Auch in der Kameralistik lässt sich eine Vermögensrechnung abbilden. Einige der Doppik zugeschriebenen Vorteile entspringen dem Haushaltsrecht, z. B. die Möglichkeit der Mittelübertragung in Folgeperioden und die gegenseitige Deckungsfähigkeit. Das häufig zitierte „Dezemberfieber“ ließe sich somit auch in der Kameralistik reduzieren. Eine flexiblere Handhabung der Stichtage des Buchungsschlusses erlaubt auch in der Kameralistik eine periodengerechtere Zuordnung. Klare und verlässliche Absprachen oder Vereinbarungen zwischen Trägern und Kultureinrichtungen bezüglich Steuerungsvorgaben bei doppischen Kennzahlen, wie im privaten Sektor zwischen Eigentümern und Management unmittelbar möglich, sind nicht der Regelfall bzw. durch die Gewaltenteilung und politische Prozesse erschwert. Öffentliche (Kultur-)Betriebe dürfen im Regelfall keine Kredite oder langfristigen Verbindlichkeiten zur Überbrückung von konsumtiv bedingten finanziellen Engpässen aufnehmen. Somit ist die wesentliche Forderung der Nachhaltigkeit, welche in Zeiten steigender Staatsverschuldung insbesondere an die Gebietskörperschaften gestellt wird, nämlich dass das Ausgabevolumen durch die Einnahmen gedeckt sein muss, bereits durch
402
Vgl. große Veränderungen zu Befunden bei Schugk (1996), S. 147-150 und Beutling (1993), S. 92.
146
6. Unabhängige Variable Externes Rechnungswesen
entsprechende Rechtsvorschriften erfüllt. Das Baumolsche Kostendilemma in Form langfristig nominal steigender Finanzierungsbedarfe angesichts der hohen Personalintensität bei konstantem Output kann auch durch die Doppik nicht strukturell überwunden werden. Vielmehr ist die Umstellung auf Doppik zunächst lediglich eine Entscheidung für ein bestimmtes Buchungssystem, welche eher nach normativen Kriterien erfolgt. Der hohe Verbreitungsgrad, vor allem im privaten Sektor, wirft die Frage nach der Vorteilhaftigkeit nicht unmittelbar auf: „[Die Doppik, Anm. d. Verf.] ist eine Selbstverständlichkeit, also das würde ich jetzt nicht als Besonderheit hervorheben. [...] Das muss bei uns Standard sein. Das darf überhaupt gar nicht anders – nein, das ist überhaupt nicht in Frage gestellt. [...] Hier ist es Voraussetzung.“403
Angesichts des Implementierungsaufwands, z. B. in einer mittelgroßen Kommune allein 25 Beschäftigte in einer eigenen Doppik-Abteilung und mehrjährigen Schwierigkeiten in der Übergangsphase404, erscheint die Frage dennoch relevant zu sein: „Ein Ergebnis muss man haben, aber warum doppelte Buchführung, warum bilanzieren? Letztendlich nur, weil es die Kulturbehörde verlangt, muss ich ganz ehrlich sagen. [...] Das heißt, solange sie [...] letztendlich unternehmerische Entscheidungen in einem sehr finanziell marginalen Rahmen treffen, [...] wirken sich diese Erkenntnisse [aus Doppik und Bilanzierung, Anm. d. Verf.] schlicht und ergreifend nicht aus.“405
Die Gegebenheiten und konkreten Erfahrungen im Einzelfall prägen das Urteil ganz erheblich. Daher ist die Generalisierung von Befunden nur begrenzt möglich. Bedingungen, welche das Gelingen der Einführung von Doppik begünstigen, lauten: •
ausreichend lange Vorbereitungszeit,
•
klare Zielsetzung, welche sich konzeptionell in der Umsetzung niederschlägt,
•
Berücksichtigung interner Steuerungsbedürfnisse der Kulturbetriebe,
•
niedriges, an den Bedürfnissen orientiertes Komplexitätsniveau,
•
ausreichendes Maß an kaufmännischen und IT-Kompetenzen,
•
Anpassungen an individuelle Bedürfnisse sind auch später noch möglich und
•
offene, verlässliche und frühzeitige Absprachen zwischen Kultureinrichtung und Träger über Steuerungsziele, insbesondere doppische Kennzahlen (z. B. Erwünschtheit und ggf. Höhe von Eigenkapital, Rücklagen und Liquidität; Umgang mit Substanzverlust im Anlagevermögen; Diskrepanzen zwischen Liquidität und Erfolg).
403 404 405
Interview 10-191 ff. Vgl. Interview 17-18. Interview 11-40.
6. Unabhängige Variable Externes Rechnungswesen
147
Die Nutzung der neuen doppischen Gestaltungsmöglichkeiten ist evtl. noch nicht in Gänze verbreitet.406 Ein abschließendes Urteil über die Doppik in Theatern und Orchestern könnte angesichts der noch nicht flächendeckend angepassten adäquaten internen und externen Steuerungskriterien noch verfrüht sein. Eine generelle Überlegenheit der Doppik gegenüber der Kameralistik kann aus Sicht der Kulturbetriebe auf Basis des hier vorliegenden empirischen Befunds jedoch nicht konstatiert werden. Dieses Urteil schließt freilich Wirkungen und Nutzen, welche außerhalb der Grundgesamtheit bestehen, z. B. Konzernbilanzen der Trägerkörperschaften, nicht mit ein.
406
Vgl. Interview 02-62.
7. Uabhängige Variable Internes Rechnungswesen
7
Unabhängige Variable Internes Rechnungswesen
7.1
Explorativer Befund
149
In 14 der befragten Kultureinrichtungen (70 %) werden dezentrale Budgets als internes Steuerungsinstrument genutzt, mit steigender Tendenz sowohl die Anzahl der Einrichtungen betreffend als auch die Zahl der Budgets pro Kulturbetrieb. Es haben sich unterschiedliche Strukturen, teils personen- oder abteilungsbezogen, teils gegenstandsbezogen, herausgebildet. Am häufigsten werden folgende Budgets praktiziert: •
auf höher aggregierter Ebene: künstlerische Budgets der Spartenleiter (Oper, Schauspiel, Konzert, Ballett etc.), (Neu-)Produktionen/Inszenierungen; Beschaffungsbudgets der Abteilungsdirektoren
•
auf tiefer aggregierter Ebene: Gäste/Solisten, Kostüme, Werkstatt, Marketing, Investitionen, Dekoration/Ausstattung.
Die Budgets können entweder projektbezogen (z. B. für eine bestimmte Inszenierung) oder zeitbezogen (z. B. Globalbudget für einen Jahreszeitraum) sein. Fast ebenso viele Gesprächspartner, 13 von 20 (65 %), bejahten die Existenz einer eigenen Controlling-Stelle (eine Person in Vollzeit) oder eines anteiligen Tätigkeitsgebiets Controlling innerhalb einer breiter definierten Stelle mit unterschiedlichen Aufgaben. In 7 der 13 Einrichtungen erfolgte die Einführung des Controllings nach dem Jahr 2000. Insofern kann hier von einer relativ jungen Entwicklung mit wachsender Tendenz gesprochen werden. In den sieben Kulturbetrieben ohne dauerhaft verankerte Controllingfunktion werden jedoch auch punktuelle Auswertungen und Analysen vorgenommen. Dies geschieht meist durch den Geschäftsführer oder Verwaltungsleiter persönlich, in einem Fall durch den Steuerberater, in einem weiteren Fall durch das städtische Zentralcontrolling, auch in festen Zyklen und gekoppelt an Dienstgespräche mit Abteilungsleitern.407 Sämtliche Kulturbetriebe verfügen über wirtschaftliche Auswertungen408, welche abweichend von der GuV und Bilanz bzw. dem kameralistischen Haushaltsplan strukturiert sind, um das betriebsinterne Informationsbedürfnis bzw. auch die Wünsche der Aufsichtsgremien und der Politik zu befriedigen. Dies geschieht durch zusätzliche Darstellungen im internen Rechnungswesen, welche von einfachen, händisch erstellten punktuellen Konzertauswertungen bis hin zu komplexen, systematisch implementierten und dauerhaft gepflegten, ggf. mehrstufigen KLR-Systemen reichen. Über eine 407
Ebenda, 07-8.
150
7. Unabhängige Variable Internes Rechnungswesen
abteilungs- oder spartenbezogene Kostenstellenrechnung verfügt die Hälfte der Stichprobe (10 von 20 Einrichtungen). Noch verbreiteter (90 %) ist die Kostenträgerrechnung. Hierbei werden in der Praxis unterschiedliche Aggregationsebenen fokussiert: •
auf höher aggregierter Ebene: vollständige Konzert- und Abonnementserien, eine Inszenierung inklusive sämtlicher Aufführungen, vollständige Gastspielreisen, Produktionskosten ohne Aufführungen, Sparten gemäß Produktkatalog des Trägers, Spielstätten
•
auf tiefer aggregierter Ebene: einzelne Konzerte, Opernaufführungen, Schauspiele, sonstige Veranstaltungen, Vermietungen, Gastspiele.
Die unterschiedlichen Aggregationsebenen werden innerhalb der einzelnen Kulturbetriebe teilweise parallel (aufsummierend gestuft), teilweise voneinander unabhängig betrachtet und gepflegt. Elf Einrichtungen (55 %) erfassen die Erlöse im internen Rechnungswesen in vergleichbaren Strukturen. Es erfolgt überwiegend, aber nicht in allen Fällen, eine Ermittlung von Kosten und Erlösen auf denselben Kostenträgern. Bei 8 dieser 11 Einrichtungen wird zudem ein Deckungsbeitrag ausgewiesen. Lediglich in einem Fall, in einem kleinen Theater, wird eine mehrstufige Deckungsbeitrags-Hierarchie erhoben.409 Das dominierende Rechnungssystem ist die Teilkostenrechnung (14 Einrichtungen bzw. 70 %). Zwei Kulturbetriebe praktizieren die Vollkostenrechnung (10 %) mit Zuordnung der Arbeitszeiten zu den Kostenträgern, zwei weitere eine Teilkostenrechnung mit partieller Verrechnung von Gemeinkosten (10 %) und wiederum zwei weitere machten diesbezüglich keine präzisierenden Angaben. Ein Theater befindet sich im Umstellungsprozess von Teil- auf Vollkostenrechnung und bereitet die Systeme der Zeitaufschreibung für die Mitarbeiter derzeit vor. Dabei wird die Zielsetzung verfolgt, den Einsatz der hohen Personalfixkosten nicht nur abteilungsbezogen in der Kostenstellenrechnung, sondern künftig auch produktionsbezogen in der Kostenträgerrechnung darzustellen. Dies soll im letzten Entwicklungsschritt durch ein im Theaterwesen bundesweit einzigartiges Personaleinsatzplanungsprogramm auch zur Diensteinteilung genutzt werden.410
408 409 410
Diese wurden in der nachfolgenden Tab. 25 als „Grundzüge einer KLR“ bezeichnet. Vgl. Interview 19-128. Ebenda, 05-46 ff.
7. Uabhängige Variable Internes Rechnungswesen
151
Zwei Theater haben kürzlich die Vollkostenrechnung wegen des hohen Pflegeaufwands bei niedrigem Aussagegehalt auf eine Teilkostenrechnung umgestellt. In einem Fall führte die nichtadäquate Struktur der Vollkostenrechnung zu nicht verwertbaren Aussagen. In dem anderen Fall wurde die Erfahrung geschildert, dass das zeitaufwändige akribische Erfassen von Arbeitsstunden samt Zuordnung zu den Kostenträgern zu keinen Veränderungen in den Planungsprozessen geführt hat. Die neu gewonnenen Zahlenwerte wurden anfänglich durchaus mit Interesse verfolgt, haben aber im Lauf von mehreren Jahren genauer Kostenzuordnung zu keinen praktisch verwertbaren Erkenntnissen für die Theaterplanung geführt.411 Instrumente des strategischen Controllings werden nur selten eingesetzt. Ein Theater
verfügt
über
ein
Risiko-Früherkennungssystem
und
betreibt
punktuell
Benchmarking412. Ein weiteres Theater ist vom Träger angehalten, eine Balanced Score Card zu führen.413 Die Verteilung der Merkmalsausprägungen innerhalb der Stichprobe kann Tab. 25 entnommen werden:
411 412 413
Ebenda, 12-12; 15-58 ff. Ebenda, 16-84 ff. Ebenda, 14-122 ff.
X
X
X
X
X
X
X
X
X
X
T
Interne Budgets
Grundzüge einer KLR
Kostenstellenrechnung
Kostenträgerrechnung
Leistungsrechnung/ Erlöszuordnungen
DB-Rechnung
Teil-/Vollkostenrechung/Gemischt
partielles strategisches Controlling
Zeitaufschreibung des Personals für KLR
X
X
Institutionalisiertes Controlling
T
X
X
X
G
T
X
X
X
X
X
X
M
T
04
geplant
T
X
X
X
X
M
T
05
k. A.
X
X
X
X
K
T
06
T
X
X
X
X
M
T
07
G
X
X
X
X
X
X
X
G
T
08
T
X
X
X
M
T
09
T
X
X
X
X
X
X
G
T
10
T
X
X
X
X
X
M
O
11
partiell
T
X
X
X
X
X
X
G
T
12
k. A.
X
X
X
X
X
M
T
13
X
X
V
X
X
X
X
G
T
14
T
X
X
X
X
M
T
15
Quelle: Eigene Darstellung.
Tab. 25: Verteilung der Ausprägungen des internen Rechnungswesens in der gesamten Stichprobe, im Kontext des Primärkriteriums 1 und des Sekundärkriteriums 2
T
X
X
G
G
Größenklasse
O
O
T
Orchester/Theater
03
02
01
Stichprobe Nr.
X
G
X
X
X
X
X
M
T
16
T
X
X
X
M
T
17
T
X
X
X
X
M
O
18
X
V
X
X
X
X
X
X
K
T
19
T
X
M
O
20
152 7. Unabhängige Variable Internes Rechnungswesen
7. Unabhängige Variable Internes Rechnungswesen
153
Dabei werden diese Einzelbefunde ersichtlich (vgl. Tab. 25): •
In dem kleinen Theater (Fall 19) mit dem komplexesten internen Rechnungswesen ist kein Controller beschäftigt; diese Funktion übernimmt hier die Verwaltungsleitung.
•
Darüber hinaus verfügen 5 mittelgroße und ein großer Kulturbetrieb noch über kein institutionalisiertes Controlling.
•
Die Kostenträgerrechnung erfährt einen deutlich höheren Verbreitungsgrad als die Kostenstellenrechnung (90 bzw. 50 %).
•
Drei Einrichtungen pflegen separiert eine Kostenträgerrechnung und Erlösstatistik, führen diese jedoch nicht in Form einer Deckungsbeitragsrechnung zusammen.
•
Fünf Einrichtungen arbeiten mit internen Budgets, verfügen jedoch über kein institutionalisiertes Controlling.
•
Unterstellt man, dass Controlling, Budgetierung und die KLR (insbesondere Kostenträgerrechnung) die wichtigsten Reformbestandteile im Kontext des internen Rechnungswesens für Kulturbetriebe sind, so verfügen mit Ausnahme eines Orchesters sämtliche Kulturbetriebe (95 %) über mindestens zwei dieser drei Steuerungselemente bzw. 9 Einrichtungen (45 %) über alle drei Komponenten. Dies kann zunächst als relativ hoher instrumenteller Umsetzungsgrad der steuerungsbezogenen Reformen gedeutet werden, ist jedoch unter der Einschränkung zu sehen, dass es sich im Detail häufig um rudimentäre Ansätze handelt, die von den deklarierten NPM-Zielen noch entfernt sind, wie auch die folgenden Einzelbefunde zeigen.
7.2
These 4: Erhöhte Transparenz durch KLR
7.2.1
Bestätigende Befunde
Ein Zugewinn an Informationen über die wirtschaftliche Entwicklung des betrieblichen Geschehens durch die KLR und die weiteren Instrumente des internen Rechnungswesens und somit die Schaffung von Transparenz ist gegeben. Es werden sachliche Informationsgrundlagen für betriebsinterne und externe Diskussionen und Entscheidungen geschaffen.414 So werden insbesondere genannt: Produktionsspezifische Kosten werden erfasst, ggf. Splittung in Einzel- und umgelegte Gemeinkosten, auch als Basis für die Aktivierung von Inszenierungskosten in der Bilanz (Dokumentationsfunktion der KLR, vgl. Kap. 3.5.7).415 Durch entsprechende Strukturierung bzw. Hierarchisierung von Kostenträgern können die Kosten nach 414
Ebenda, 01-68; 02-90; 03-92; 08-88; 15-26.
154
7. Unabhängige Variable Internes Rechnungswesen
Spielstätten, Sparten, Inszenierungen und Einzelvorstellungen bzw. Gastspielreisen und Einzelkonzerten auf Gastspielreisen dargestellt und ausgewertet werden.416 Dadurch wird der Ressourceneinsatz auch gegenüber Aufsichtsgremien sowie der Kulturpolitik und -verwaltung transparent und leicht verständlich darstellbar; verdeckte oder unbeabsichtigte Mittelverschiebungen zwischen den Sparten seien nicht mehr möglich.417 Parallel dazu ist eine abteilungsbezogene Kostenstellenrechnung (Wo fallen welche Kosten an?) mit Auswertung nach Kostenarten möglich.418 An die Kostenstellen sind teilweise dezentrale Jahres- oder Produktionsbudgets gekoppelt.419 Erlöse werden Sparten, Inszenierungen und Vorstellungen zugeordnet, entweder durch direkte Verbuchung auf Kostenträger und damit Gegenüberstellung zu den Kosten oder durch separate Erfassung in eigenen Strukturen. Teilweise findet auch eine Erlösplanung mit Aggregationen bis in den übergeordneten Wirtschaftsplan des Betriebs statt.420 Der Deckungsbeitrag I (Erlöse abzüglich variabler Kosten) bestimmter Konzertund Veranstaltungsformate wird ermittelt. Dadurch erfolgt eine wirtschaftliche Typisierung und Charakterisierung des Programmangebots.421 Das nach Abzug der variablen Kosten ggf. verbleibende Defizit eines Projekts wird ausgewiesen.422 In einem Theater wird eine gestufte Deckungsbeitrags-Hierarchie mit Umlage der Fixkosten für alle Inszenierungen aufgestellt. Diese wird auch dem Gemeinderat vorgelegt, welcher sich inhaltlich differenziert mit den Daten auseinandersetzt und dabei durchaus auch bereit ist, Projekte mit negativem DB zu unterstützen.423 Es wurde in einem Opernhaus ersichtlich, dass bei der Besetzung von Titelrollen durch internationale Stars der DB I negativ wurde, da selbst durch höhere Kartenpreise die gestiegenen Kosten gegenüber der B-Besetzung nicht vollständig kompensiert werden konnten.424 Zudem haben sich hausspezifische Berichtssysteme herausgebildet, vom allabendlichen Kassenbericht über wöchentliche/monatliche Produktionsberichte bis hin zu globalen quartalsweisen Auswertungen des internen Rechnungswesens, inklusive Soll-IstVergleichen, Abweichungsanalysen und Hochrechnungen.425 Im intertemporalen Vergleich
415 416 417 418 419 420 421 422 423 424 425
Ebenda, 07-6; 09-112. Ebenda, 08-86; 03-78. Ebenda, 05-102; 06-54, -62. Ebenda, 05-46. Ebenda, 05-62; 10-92. Ebenda, 04-82; 07-72; 08-106; 11-08, -56; 15-52; 19-122; vgl. auch empirischer Befund bei Stein (1982), S. 102. Ebenda, 04-86; 07-70; 08-92 ff.; 10-77 ff.; 11-08, -56; 12-50; 19-154; 20-138. Ebenda, 18-52. Ebenda, 19-126 ff., -134 ff., -160 ff. Ebenda, 01-92. Ebenda, 04-128 ff.; 08-90, -202; 16-8.
7. Unabhängige Variable Internes Rechnungswesen
155
werden Preissteigerungen z. B. bei beschafften Rohstoffen für Bühnenbilder sichtbar.426 Über die gewonnenen Erkenntnisse urteilen die Gesprächspartner in der Weise, dass ein rationaleres Management bzw. Faktenwissen an die Stelle des vormals vorhandenen Bauchgefühls getreten ist.427 7.2.2
Falsifizierende Befunde
Vereinzelt wird über eine unzulängliche oder suboptimale Umsetzung und Strukturierung der KLR und des internen Rechnungswesens berichtet. Dies spricht grundsätzlich nicht gegen die genannten Instrumente, zeigt jedoch, dass der Einsatz der KLR nicht immer zu einer erhöhten Transparenz geführt hat. Diese Befunde lauten im Einzelnen: In einem Bundesland wurde fast allen öffentlichen Einrichtungen ein einheitlicher Produktkatalog vorgegeben. In dem betreffenden Theater existieren daher als einzige Kostenträger Musiktheater, Sprechtheater, Konzerte, Gastspiele, Kinder- und Jugendtheater, Sonstiges. Auf diesen sechs Kostenträgern werden sämtliche Kosten im Rahmen einer Vollkostenrechnung aggregiert und nicht weiter durch ein Mengengerüst oder nach Inszenierungen oder Einzelvorstellungen differenziert. Dies befriedigt das übergeordnete Informationsbedürfnis des Trägers, jedoch wird die notwendige Transparenz für die innerbetriebliche Steuerung nicht geschaffen.428 Im Zuge der Doppik-Einführung wurden zudem die Anwendung einer Vollkostenrechnung und die Einführung eines komplexen und teuren Softwaresystems vorgegeben. Dies kritisiert der Geschäftsführer: „Der Nutzen ist wesentlich niedriger als Kosten und Aufwand. [...] Wir sind vermutlich das einzige Theater, was eine Vollkostenrechnung tatsächlich exzessiv bis ins letzte Detail [durchführt, Anm. d. Verf.]. Wir legen hier um, was der Anteil des Pförtners an der Zauberflöte ist. [...] Ich brauche das nicht für die Steuerung des Theaters. [...] Ich brauche eigentlich nur eine Teilkostenrechnung am Theater. Insbesondere muss ich schauen, ob der Kunstapparat mit den Ist-Ausgaben immer noch im Plan ist, gerade bei den vielen Gästen, den unständig Beschäftigten [...] Das bietet alles das Software-Modul überhaupt nicht. Ich bin noch nicht mal in der Lage, über die Software meinen Ausstattungsetat zu steuern [lacht].“429
Zudem berücksichtigt die Software bei automatisiert generierten Prognose-Berichten die theatertypische Ungleichverteilung der Erlöse und Kosten innerhalb des Kalenderjahrs nicht, was ein falsches wirtschaftliches Bild erzeugt. Folglich müssen Excel-Tabellen händisch weitergeführt werden.430 Ob die Ursache in der Software selbst, der hausspezifi-
426 427 428 429 430
Ebenda, 06-56. Ebenda, 04-128 ff. Ebenda, 14-86. Interview 14-78. Vgl. Interview 14-66.
156
7. Unabhängige Variable Internes Rechnungswesen
schen Implementierung oder in der Bedienung lag, konnte nicht abschließend geklärt werden. Zwei weitere Theater haben mit der Vollkostenrechnung keine Verbesserung der Planung und keinen Erkenntnisgewinn erreicht. Es kam gegenteilig sogar zu unnötigem Erklärungsbedarf, irreführenden Debatten und Fehlschlüssen bei den Vertretern des Trägers: „Man hat halt hier [vor Umstellung der Rechtsform, Anm. d. Verf.] die Zauberflöte vom ersten Tag bis zum letzten einfach als Buchungsobjekt genommen, hat eine Vollkostenrechnung gemacht und hat dann immer gesagt na gut, Gott im Himmel, 800.000 Euro Miese, so. Aber das ist natürlich nun aus Steuerungssicht nicht so wahnsinnig interessant, wenn man halt immer eine Vollkostenrechnung macht und letzten Endes nicht differenziert betrachten kann, ob eine Vorstellung, die wir hier veranstalten, wenigstens noch Deckungsbeiträge bringt. Dann ist es halt unter Steuerungsaspekten praktisch eine Nichtaussage.“431
Folglich wurde in beiden Fällen die Vollkostenrechnung nach einigen Jahren wieder fallengelassen.432 Kritisch muss angemerkt werden, dass eine Vollkostenrechnung auch eine Teilkostenrechnung/Deckungsbeiträge abbilden kann, sofern die variablen Kosten resp. Erlöse auf die selben Buchungsobjekte (z. B. Kostenträger) kontiert und in der Gliederung abgesetzt dargestellt werden. Dies war jedoch hier nicht der Fall, so dass die Aufmerksamkeit einseitig bei den umfangreichen umgelegten Gemeinkosten lag, die aus Sicht der Interviewpartner jedoch keinen Erklärungs- oder Steuerungsgehalt besitzen. An zwei Orten wird bemängelt, dass die KLR-Systeme aufgrund der fehlenden Controlling-Stelle nur unzulänglich gepflegt werden. Eine regelmäßige Berichterstellung und Analyse über die verursachungsgerechte Buchung der Einzelkosten hinaus sei nicht möglich. In einem Orchester werden lediglich halbjährliche KLR-Auswertungen angefertigt. Folglich sei der Transparenz- und Erkenntnisgewinn gering.433 Es wird darauf hingewiesen, dass die KLR lediglich vergangenheitsbezogene Daten erfasst,434 zudem auch erst dann, wenn Auszahlungen oder eingegangene Rechnungen als Kosten (bzw. Einzahlungen als Erlös) verbucht wurden. Für die Feinsteuerung ist die Datenaktualität daher u. U. nicht ausreichend; es kann sich ein time lag auftun. Ferner berücksichtigt die KLR nicht automatisch den wirtschaftlichen Abgleich mit bereits verplanten, aber noch nicht verausgabten Kosten, wenn ein in der Zukunft liegendes Ergebnis prognostiziert werden soll.
431 432 433 434
Interview 12-12; vgl. auch 12-38. Vgl. Interviews 12-38; 15-58. Ebenda, 07-78; 11-08. Ebenda, 15-50.
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Die Interpretation von KLR-Daten ohne Zusatzinformationen bzw. Hintergrundwissen kann zu Fehlschlüssen führen. So ist z. B. ein Theater mit einem kleinen Schauspielensemble gezwungen, regelmäßig Gäste zu engagieren, was keiner besonderen Systematik unterliegt. Die Honorare für die Gäste erhöhen die variablen Kosten und reduzieren den DB I, wohingegen die Kosten der festangestellten Ensembles nicht direkt zurechenbar sind und daher den DB I nicht mindern. Im wirtschaftlichen Vergleich mehrerer Produktionen drohen daher falsche Interpretationen.435 Ein Theater musste erfahren, dass Prognoseunsicherheiten einzelner Personen hinsichtlich ihrer übermittelten Planwerte die Verlässlichkeit der praktizierten DBFeinplanung geschmälert haben. Daraufhin ist man zu einer gröberen Planungsstruktur mit Produktions- und Jahresbudgets zurückgekehrt.436 Es wurden durch die KLR einige Erkenntnisse gewonnen und monetär beziffert, die jedoch von der Grundaussage her nicht neu waren. Dazu gehört etwa, dass Konzerte am Heimatort vorteilhafter sind als auf Tourneen, dass Schul- und Kinderkonzerte wirtschaftlicher sind als häufig unterstellt oder dass die Sachkosten in Summe nicht so stark steigen, wie es einzelne Positionen (Energie, Rohstoffe etc.) vermuten lassen.437 In einem Theater stellt man regelmäßig fest, dass die Deckungsbeiträge von RepertoireInszenierungen und populären Stücken die höchsten sind. In einem weiteren MehrspartenTheater wird beobachtet, dass die Deckungsbeiträge in der Sparte Musiktheater strukturell niedriger als in den anderen Sparten sind.438 Angesichts dieser trivialen Ergebnisse schreibt ein Geschäftsführer der DB-Rechnung eine eingeschränkte Aussagekraft zu.439 7.2.3
Neutrale Befunde
In einem Theater existierte eine Integration von differenzierten Informationen des internen Rechnungswesens über Produktionskosten etc. in den kameralen Haushaltsplan. In einem weiteren Theater waren die unterjährig zu steuernden Budgets für bestimmte Abteilungen in dem kameralen Haushaltsplan direkt enthalten. Durch die Einführung der Doppik sind diese schlanken Strukturen hinfällig geworden und nicht mehr anwendbar. Es müssen neue KLR-Systeme aufwändig separat aufgebaut werden.440 In einem Orchester werden die KLR-Auswertungen auch den Trägern zur Kenntnis gegeben. Dies erhöht für die betreffenden Personen die wirtschaftliche Transparenz 435 436 437 438 439 440
Ebenda, 19-148. Ebenda, 15-54 ff. Ebenda, 20-138. Ebenda, 19-138. Ebenda, 07-70. Ebenda, 14-86, -108; 17-26.
158
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subjektiv in hohem Maße. Kritisch bemerkt jedoch der geschäftsführende Intendant, dass damit eine selektive Wahrnehmung mit einseitiger Fokussierung auf die wirtschaftlichen Daten gefördert werde und die wichtigere, nämlich künstlerische Seite in den Hintergrund gerate.441 Zudem seien viele wirtschaftliche Details auch aus dem KLR-Bericht nicht abzulesen. Positiv für den Kulturbetrieb sei die daraus resultierende Vertrauensbildung seitens des Trägers.442 Die Offenlegung der KLR-Daten sichert jedoch nicht zwingend, dass die wichtigen oder kritischen Stellen erkannt bzw. geklärt werden: „Also zum Beispiel die Frage: Warum kriegt der eine Pianist 1.000 Euro und der andere 5.000? Die ist uns [...] interessanterweise noch nie gestellt worden. Denn wahrscheinlich bewegen sich die Leute, die das fragen würden, dann auf so einem dünnen Eis, wo sie meinen, da können sie jetzt nicht mitreden [...]“443.
7.2.4
Abschließende Bewertung der These
Die These 4 kann als bestätigt gelten. Die punktuellen Schwachstellen und Defizite in der Handhabung der KLR, wie unter den falsifizierenden Befunden geschildert, beeinträchtigen nicht das Potenzial dieses Instruments zur Transparenzgewinnung. Es bleibt eine Gestaltungsaufgabe jedes Kulturbetriebs, eine adäquate Struktur und Anwendung der KLR zu entwickeln und zu implementieren. In der überwiegenden Zahl der Fälle hat sich angesichts des hohen Anteils der Fixkosten am Gesamthaushalt, insbesondere der kurzfristig nicht beeinflussbaren Personalkosten, die Teilkostenrechnung bewährt.444 Die Strukturen des internen Rechnungswesens sind insbesondere dann effizient, wenn es gelingt, die weit verbreiteten internen Budgets zum Bestandteil des Rechnungswesens und der KLR zu machen, so dass eine manuelle Nebenbuchhaltung nicht erforderlich ist. Ähnlich wie bei den vorhergehenden Thesen zeigt sich erneut, dass die Einführung der Doppik als Auslöser für Systemumstellungen gekoppelt mit einseitigen Vorgaben des Trägers Intransparenz verursachen kann, wenn Theaterspezifika und die internen Bedürfnisse der Kulturbetriebe nicht beachtet werden. Dies kann jedoch konzeptionell der KLR 441 442 443 444
Ebenda, 20-140. Ebenda, 20-157. Interview 20-47. Das erscheint zunächst widersprüchlich, da mit wachsendem Fixkostenanteil (im Kulturbetrieb 80 bis 90%, vgl. Schneidewind (2006), S. 129) der Aussagewert der Teilkostenrechnung abnimmt. Eine Erklärung hierfür könnte sein, dass die KLR vorwiegend zur Unterstützung der Spielplanung herangezogen wird. Die Spielplanung dominiert operative Planungsprozesse im Kulturbetrieb. Hierbei wird die Grundkapazität/Spielbereitschaft des Betriebs als gegeben vorausgesetzt, so dass detaillierte Informationen über die Fixkostenzusammensetzung in diesem Kontext nicht relevant sind. Wenn im Zuge der Gesamtwirtschaftsplanung des Kulturbetriebs die Fixkostenentwicklung beobachtet und kalkuliert wird, so kann auf die einzelnen Sachkonten zurückgegriffen werden, auf denen u. U. auch Plan-Ist-Vergleiche zur Kostenkontrolle durchgeführt werden. Insbesondere bei der umfangreichen Personalkostenplanung stehen ggf. eigene Softwareanwendungen bzw. detaillierte kopfbezogene Berechnungstabellen zur Verfügung. Vgl. zur Thematik Voll- versus Teilkostenrechnung auch Schwarzmann (2000), S. 114 f.
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nicht angelastet werden und führt daher nicht zur Falsifikation der These. Es bestätigte sich auch hier, dass die KLR nur so gute Daten liefern kann, wie sie auch eingespeist und aus dem System extrahiert werden. Zur laufenden Pflege und Anwendung ist daher eine Mindestmenge an Personaleinsatz erforderlich, welche wenigstens in Form eines fest eingerichteten (Teil-)Arbeitsgebietes Controlling erfolgen sollte. Aus dem explorativen Befund ging hervor, dass zwar in sämtlichen Kulturbetrieben wenigstens grobe Auswertungen der anfallenden Kosten erfolgen, jedoch nur in 55 % auch die Erlöse im internen Rechnungswesen systematisch erfasst werden. In 40 % der Einrichtungen wird ein Deckungsbeitrag ermittelt. Dies wurde von den Gesprächspartnern nicht explizit als ein Mangel an Transparenz benannt, indiziert jedoch zumindest die Ausbaufähigkeit der vorhandenen Systeme bezüglich der Interdependenzen von Kosten und Erlösen. Eine gute Informationslage verursacht Kosten und erfüllt keinen Selbstzweck. Daher werden die nachfolgenden Thesen den Nutzen aus der Transparenz näher untersuchen. 7.3
These 5: Steigerung der wirtschaftlichen Effizienz durch KLR
7.3.1
Bestätigende Befunde
Zunächst schildern zwei Interviewpartner, dass die KLR dazu beigetragen habe, in Krisenzeiten bei wegbrechenden Finanzen bzw. während einer Interimsintendanz den Betrieb wirtschaftlich und künstlerisch zu retten und zu konsolidieren:445 „Es gibt Leute, also Betriebswirte [...], Controller oder Revision in der Stadtverwaltung, die sagen, es ist eine übergroße Arbeit, die wir uns machen. Nein, ist es nicht. Das hat uns nämlich, auf Deutsch gesagt, einige Male den A[...] gerettet, dass wir so differenziert sind und dass wir es auch für unsere Gremien und für die Geldgeber so durchsichtig machen. Das ist sehr, sehr durchsichtig, also da weiß auch ein Laie [Bescheid, Anm. d. Verf.]. Unser [...] Aufsichtsrat ist ausschließlich aus städtischen Politikern besetzt, ja, also das sind ja in so einer kleinen Stadt Freizeitpolitiker, die im bürgerlichen Beruf Zahnarzt oder Spediteur oder so sind.“446
Dies beinhaltet die zentrale Aufgabe der Steuerung, welche z. B. durch Einzelkostenplanung auch präventiv in einem Theater wirtschaftliche Turbulenzen verhindern kann.447 Ein Geschäftsführer lokalisiert den größten Effizienzhebel im Theaterbetrieb in der wirtschaftlich fundierten internen Steuerung: 445 446 447
Vgl. Interviews 06-54; 15-26. Interview 06-54. Vgl. Interviews 06-56; 08-104; 19-192 ff.
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„Anhand unserer selbstgestrickten Excel-Tabellen und sparsamster Haushaltsführung haben wir die letzten Jahre immer leichte Überschüsse erwirtschaftet. [...] Wie wir das hier intern sozusagen steuern, das war dafür entscheidend.“448
Aus dem Zitat wird auch ersichtlich, dass KLR-Auswertungen nicht zwingend automatisiert vollzogen werden, sondern teilweise parallel und manuell gepflegt werden. Insbesondere wenn sich die Intendanz für Gespräche über die wirtschaftliche Seite der Programmgestaltung offen zeigt, so ermöglichen die gewonnenen Daten einen Dialog über die wirtschaftliche Optimierung bzw. einen gezielteren Mitteleinsatz in kommenden Spielzeiten. Dies muss nicht einseitig wirtschaftliche Ziele verfolgen, sondern kann auch Freiräume auf Ebene der Sachziele schaffen, etwa um bestimmte künstlerische Großprojekte zu realisieren, die ohne wirtschaftliche Optimierung nicht möglich gewesen wären.449 Somit versetzt die KLR den Kulturbetrieb bestenfalls in die Lage, Kongruenzen zwischen wirtschaftlichen und künstlerischen Zielen zu lokalisieren. Bei entsprechender differenzierter Auswertung und Interpretation sei es möglich, aus der KLR erkenntnisstiftende Informationen abzuleiten.450 Durch die KLR-Analysen wurde auch die Unwirtschaftlichkeit bestimmter Formate aufgezeigt. So wurde in einem Orchester der jährliche Galaabend abgeschafft und in einem Theater wurde die Sommerbespielung temporär ausgesetzt.451 Generell äußern die Gesprächspartner häufig dass Urteil, dass KLR und Controlling zu einem rationaleren und effizienteren Management beigetragen haben.452 Dies konkret mit Beispielen zu belegen, fällt jedoch schwer. Als Argumente werden genannt, dass durch diese Instrumente überhaupt erst die Möglichkeit entsteht, frühzeitig bei Fehlentwicklungen einzugreifen453 bzw. ab einer bestimmten Betriebsgröße, die im Theater gegeben ist, diese Instrumente Selbstverständlichkeiten bzw. auch rechtlich vorgeschrieben sein können454. Ein weiterer Geschäftsführer urteilt, der wirtschaftliche Erfolg habe sich infolge der neuen KLR nachrangig, aber dennoch nachweisbar verbessert.455 Mehrfach wird berichtet, dass das Kostenbewusstsein z. B. bei den Budgetverantwortlichen auf Abteilungsleiterebene gestiegen sei und ein Wandel der Betriebskultur eingesetzt habe, da durch die KLR konkretes Zahlenmaterial als Diskussionsgrundlage vorliege. Dies sieht ein Geschäftsführer als wirksamste Komponente 448 449 450 451 452 453 454
Ebenda, 14-182. Ebenda, 04-110; 07-72; 18-76. Ebenda, 04-122; 10-77 ff., -104; 18-52; 19-158. Ebenda, 11-56; 19-154. Ebenda, 01-96; 02-108; 04-128 ff.; 10-104, -134; 12-86. Ebenda, 04-128 ff. Ebenda, 12-86.
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des internen Rechnungswesens.456 An einigen Orten wird durch die Integration der Budgets in die Kostenstellen auch die Kontrollfunktion regelmäßig ausgeübt und dezentralisiert.457 In einem Orchester werden die Plan-Daten der KLR inklusive positivem DB für die Verhandlungen, d. h. zur Preisbildung des Orchesterhonorars bei Gastspielreisen, als Grundlage herangezogen, um somit die Wirtschaftlichkeit zu einem frühen Zeitpunkt zu sichern.458 Nicht zuletzt erhöhe sich durch die Nutzung des internen Rechnungswesens die Planungsqualität und -sicherheit, was auf den Wirtschaftsvollzug durch die jederzeit mögliche Soll-Ist-Kontrolle stabilisierend wirkt.459 7.3.2
Falsifizierende Befunde
Die gewichtigsten Befunde gegen den Effizienzgewinn durch KLR sind die Aussagen vieler Interviewpartner über eine eingeschränkte Relevanz und daher sehr begrenzte Auswirkung der KLR-Daten in der Praxis: Zunächst löst die Gewinnung der Daten, ebenso wenig wie die Doppik-Einführung, keine unmittelbaren Kosten- oder Effizienzvorteile in der künstlerischen Produktion aus. Es entstehen im Gegenteil Implementierungskosten und ein dauerhafter Pflegeaufwand460. Wenn primär Sparziele verfolgt würden, so müsse man ohnehin den die Kostenstruktur dominierenden Personalaufwand durch Stellenkürzungen o. Ä. reduzieren. Dabei sei die KLR nicht behilflich; es herrsche keine Unkenntnis über die Lokalisierung der Kosten. Überkapazitäten seien ohnehin bereits an vielen Orten abgebaut worden bzw. die daraus resultierende Arbeitsverdichtung habe manche Häuser an die Auslastungs- und Belastungsgrenze des Personals geführt.461 Im Bereich der kurzfristigen Vermietung von Räumlichkeiten werden in zwei Einrichtungen die Vermietungspreise durch konstante Richtlinien, die in ihrer konkreten Gestaltung auch kulturpolitisch geprägt sind, vorgegeben. Diesbezüglich bestünde kein Bedarf an einer KLR-gestützten Gegenüberstellung von Kosten und Erlösen.462 In einem Theater werden die KLR-Daten als Anlage im Jahresabschluss zwar publiziert, jedoch noch nie thematisiert. Externe Personen könnten nach Ansicht des Gesprächpartners diese Daten ohnehin nicht adäquat einschätzen.463 Selbst interne Adressaten, z. B. die künstlerische Leitung bzw. Intendanz, nehmen die Daten nicht näher zur Kenntnis oder lehnten die Auseinandersetzung mit den Kostendaten als Basis für die künftige Planung bewusst ab: 455 456 457 458 459 460 461 462
Ebenda, 12-46. Ebenda, 04-124; 07-56; 15-94; 19-204. Ebenda, 10-92; 12-72; 15-86; 16-76. Ebenda, 02-104; ähnlich auch 01-86. Ebenda, 04-128 ff.; 06-54, -62; 17-172. Ebenda, 02-94; 03-90, -96; 14-92, -106, -114, -267; 19-190; 20-138, -149. Ebenda, 06-44; 09-138. Ebenda, 02-86 ff.; 06-28.
162
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„Also wenn der Intendant sagt: Das interessiert mich null, Ihre Kosten- und Leistungsrechnung und die GuV vom letzten Jahr schon mal gar nicht, ich mache jetzt hier den Ring, fertig, machen wir. Dann ist es wurscht, wie man das abrechnet am Ende.“464
Auch an anderen Orten wird bekundet, dass die Daten zwar erhoben werden, jedoch keine oder nur punktuelle Einbeziehung in die Entscheidungsfindung, z. B. in die Spielplanung, erfahren.465 So berichtet ein geschäftsführender Intendant: „Ich habe sowieso nie den Gedanken an irgendwelches Zahlenmaterial, wenn ich ein Konzert akquiriere oder mir ein Programm ausdenke oder mir einen Solisten bestelle oder sonst irgendwas. Das ist auch so was, wovon Politiker träumen, aber das geht in der Branche einfach nicht.“466
Dies wird des Öfteren damit begründet, dass wirtschaftliche Ziele in Form einer Maximierung von Erlösen bzw. Deckungsbeiträgen ohnehin nicht theateradäquat seien, weil dies konsequenterweise in eine Kommerzialisierung des Programmangebots münden würde. Nur in seltenen Fällen sei der DB I überhaupt positiv, d. h. die Erlöse sind selten höher als die variablen Kosten, so dass nach betriebswirtschaftlicher Regelanwendung die meisten Produktionen ohnehin eingestellt werden müssten, weil selbst die variablen Kosten aufgrund der wirtschaftlichen Struktur einer Bezuschussung bedürfen. Es lasse sich strukturell bedingt kein Gewinn erwirtschaften. Es gehöre zum Auftrag des Theaters, auch Werke mit negativem Deckungsbeitrag zu spielen. Die Dominanz künstlerischer Ziele und Interessen und damit verbundene freie Kunstentfaltung sei daher angemessen, nicht zuletzt auch im Intendantenvertrag zugesichert. Das Einladen von renommierten Solisten und Dirigenten, welche besondere kulturelle Erlebnisse verschaffen und auch vom Publikum erwartet werden, stünde im Zielkonflikt zu einer DeckungsbeitragsMaximierung, da die Mehrkosten nicht durch die Mehreinnahmen gedeckt werden können, sichere aber das Stammpublikum. Künstlerische Qualität habe Priorität und koste entsprechendes Geld.467 In einem Orchester wird daher geurteilt, die KLR zeige keine alternativen Handlungsoptionen auf.468 Wegen des eingeschränkten Aussagegehalts haben zwei Theater von der eingeführten Deckungsbeitrags-Rechnung wieder Abstand genommen und nutzen Budgets als Steuerungsinstrumente.469 463 464 465 466 467 468 469
Ebenda, 08-92 ff. Interview 15-76. Vgl. Interviews 02-84, -162; 03-78, -90; 09-114; 15-82; 17-26. Interview 20-138. Vgl. Interviews 01-92; 02-152 ff.; 03-42, -80; 07-70; 09-120, -168, -210; 11-52; 14-100; 15-82; 17-104; 18-76; 19-134 ff.; 20-12, -37, -138. Ebenda, 03-92 u. -100. Ebenda, 07-70; 15-54. Eine mögliche Herangehensweise an das vordergründige Dilemma zwischen Sachund Formalzielen mit ökonomisch-rationalen Kriterien wird im Kap. 9.9 aufgezeigt.
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Ein in diesem Zusammenhang mehrfach geäußertes Argument gegen die Deckungsbeitrags-Rechnung als Analyse- und Planungsinstrument lautet, dass erfahrungsgemäß die Losgröße von Theaterproduktionen stets Eins beträgt: Jede Inszenierung, jedes Konzert sei ein schwer zu prognostizierendes Unikat, insbesondere bezüglich der Einnahmen wegen der unsicheren Publikumsnachfrage. Es fehlen die differenzierten Vergleichsmaßstäbe: ein DB I von -10 T€ kann für eine bestimmte Inszenierung ein hervorragendes Ergebnis sein, für eine andere ein schlechtes. Somit könne der DB im Kulturbetrieb lediglich eine nachträglich zu bestimmende Erfolgsgröße ohne Relevanz für die Planung sein. Es haben sich keine Erfahrungswerte aufbauen lassen, auf deren Basis ein Spielplan optimierbar sei:470 „Es interessiert mich eigentlich im Nachhinein nicht, was die Zauberflöte letzte Spielzeit gekostet hat. Denn die nächste Zauberflöte kommt in 15 Jahren wieder. Im letzten Jahr hat die im Rokoko-Kostüm gespielt und in 15 Jahren spielt sie nackt im Parkhaus, keine Ahnung, was der Regisseur macht, ohne Bühnenbild, ohne alles, im schwarzen Aushang. Da nützt mir meine Kostenrechnung gar nichts, was irgendwann mal die Zauberflöte gekostet hat. Also insofern bin ich da so ein bisschen skeptisch, mache mir eher so ein bisschen einen Spaß draus, dass man da die eine oder andere Auswertung [in der KLR, Anm. d. Verf.] hat. Der eigentliche Punkt in der Planung von Theaterfinanzen liegt in der Abstimmung zu einem frühzeitigen Zeitpunkt, in einer Abstimmung zwischen Wirtschaftsplan, Spielplan und Spielplandisposition, mit Besetzungen einhergehend. Das ist der Knackpunkt in der Theaterplanung. Was ich dann hinterher rechnen kann, das ist dann alles witzlos. Die grundlegende Planung muss stimmen.“471
Mit dieser Thematik verbunden ist der Einwand, dass kurzfristige unterjährige Steuerungsmaßnahmen, etwa durch das Absetzen eines erfolglosen Stücks oder Ansetzen von zusätzlichen Vorstellungen eines erfolgreichen Stücks, wegen mittel- und langfristiger Spielplanungen, organisatorischer Vorläufe und vertraglicher Verpflichtungen überhaupt nicht möglich seien. Somit wird aufgrund der unflexiblen Betriebsform des Kulturbetriebs die generelle kurzfristige Steuerbarkeit zur Effizienzgewinnung als niedrig eingeschätzt. Der Zeitpunkt der Erkenntnis tritt zu spät ein, um Konsequenzen daraus zu ziehen, was wiederum die Relevanz der KLR schmälert.472 Folglich sei die vorherrschende Planungsweise spielzeit- bzw. jahresbezogen, nicht jedoch inszenierungsbezogen.473 In mehreren Einrichtungen wird kritisch angemerkt, dass die Kostenstellenleiter über keine wirtschaftlichen Entscheidungskompetenzen verfügen. Der Geschäftsführer 470 471 472
Ebenda, 08-108, -194; 09-122; 11-42; 12-58; 15-50; 16-68; 19-316. Interview 15-50. Vgl. Interviews 03-82; 08-88, -100; 09-120; 11-8.
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übe neben den Budgetverantwortlichen eine Gesamtverantwortung aus, so dass die Kostenstellenrechnung als Teilelement der KLR von nachrangiger Bedeutung sei.474 7.3.3
Neutrale Befunde
In einem Theater musste im Jahr 2004 das Wegbrechen der Zuwendungen um mehrere Millionen Euro verkraftet werden. Dies ist gelungen, u. a. durch das eigenverantwortliche Erschließen von Effizienzgewinnen im Wert von 1 Mio. € pro Jahr. Der Geschäftsführer urteilt jedoch, dass die KLR bei dieser umfangreichen wirtschaftlichen Konsolidierung keine originäre Rolle gespielt habe.475 7.3.4
Abschließende Bewertung der These
Zunächst sollte definiert werden, welche der genannten Instrumente des internen Rechnungswesens in den Geltungsbereich der KLR-fokussierten These fallen: Neben der Kostenarten-, Kostenstellen- und Kostenträgerrechnung sind dies die DeckungsbeitragsRechnung, da diese Kosten und Erlöse saldiert, sowie vergleichbar aufgebaute, oft händisch erstellte, von den Interviewpartnern so genannte „Konzertauswertungen“. Nicht zur KLR gezählt werden an dieser Stelle zentrale und dezentrale Budgets, auch falls diese organisatorisch oder abrechnungstechnisch an Kostenstellen gekoppelt sein sollten, weil Budgets eine Planeinhaltung verfolgen, jedoch keine Wirtschaftlichkeitsbetrachtung vollziehen bzw. Effizienzsteigerung intendieren, und außerdem dem kameralen, titelbezogenen Soll-Ist-Vergleich sehr nahe stehen. Auf Basis der geführten Gespräche konnten nur wenige Fälle nachgewiesen werden, in denen die KLR im zuvor definierten Verständnis zu realisierten Effizienzvorteilen geführt hat – sei es durch eine Steigerung der Economy (weniger Mitteleinsatz bei konstantem
Output)
oder
der
Effizienz
(mehr
Output
bei
konstantem
In-
put/Maximalprinzip). Unbestritten sind das Erreichen von treffsichereren Planungs- und Steuerungsprozessen, wirtschaftlicher Transparenz und frühzeitiger Erkennbarkeit von wirtschaftlichen Schieflagen durch die Anwendung von KLR. Dies sind wichtige Ziele der Geschäftsführung, belegen jedoch noch keine Effizienzsteigerung, wie es die KLR als Instrument der Entscheidungsfindung konzeptionell postuliert. Neben die im falsifizierenden Befund dargestellten Aspekte der mehrjährigen Planungsvorläufe, der nicht ausreichend gegebenen Planbarkeit von Erlösen und der in der KLR unberücksichtigten künstlerisch-qualitativen Effizienzperspektive tritt noch die zu beachtende Haushaltsstruk473 474
Ebenda, 03-82; auch bestätigt im empirischen Befund bei Stein (1982), S. 102. Ebenda, 01-78 ff.; 02-82.
7. Unabhängige Variable Internes Rechnungswesen
165
tur hinzu (vgl. Kap. 2.1.4): Da die freie Spitze für Produktionsentscheidungen, das künstlerische Budget, nur einen kleinen Prozentsatz der Gesamtkosten des Theaters ausmacht (ein Interviewpartner bezifferte dies auf ca. 7-10 %476), ist der Teil des finanziellen Gesamtvolumens, der frei gestaltet und gesteuert werden kann, relativ niedrig. Dies gilt folglich auch für das Potenzial der Effizienzsteigerungen aus diesem Anteil heraus. Daher ist die These angesichts der umfangreich geäußerten negativen Befunde zunächst mehrheitlich zu falsifizieren. Jedoch erscheint es zumindest fragwürdig, ob das Potenzial der KLR als zukunftsorientiertes Planungsinstrument schon ausgereizt ist oder ob in der Ausgestaltung und Nutzung noch Verbesserungsmöglichkeiten liegen, etwa durch eine Plankostenrechnung. Wenn bereits in einer großen Anzahl der Fälle die Wenn-Komponente der These durch Nicht-Nutzung, Nicht-adäquate Nutzung oder Nicht-Beachtung der KLR nicht realisiert wird, so kann die Dann-Komponente, die Wirkungsentfaltung, gar nicht eintreten. Ob Letztere tatsächlich zu mehr Effizienz führen würde, somit die KLR mehr Potenzial hat, als bislang realisiert wird, darüber gehen die Meinungen der Experten auseinander.
475 476
Ebenda, 15-182. Ebenda, 15-86.
166
7. Unabhängige Variable Internes Rechnungswesen
7.4
These 6: Erhöhung der Rationalität durch Controlling
7.4.1
Bestätigende Befunde
Das Controlling wird in den aufgesuchten Kulturbetrieben zu folgenden Zwecken eingesetzt: •
Punktuelle Einzelanalysen zur Effizienzkontrolle zur Vorbereitung von Make or Buy-Entscheidungen und Outsourcing-Überlegungen.477
•
Überwachung der Kostenentwicklung insbesondere bei variablen Kosten wie etwa dem Gästebudget und Sachkosten (Materialeinkauf etc.).478
•
Markterkundungen bei Beschaffungen zur Wahrung der Sparsamkeit.479
•
Punktuelle Auslastungsanalysen auf der Mengenebene beim hausinternen Personal (Werkstattauslastung, Disposition, Dienstpläne, Dienstzeiten).480
•
Führungsunterstützung der künstlerisch Verantwortlichen, indem die Konsequenzen ihres Entscheidens bewusst gemacht werden; dies stärke das Verantwortungsbewusstsein und die wirtschaftliche Rationalität der Budgetverantwortlichen.481
•
Führungsunterstützung der wirtschaftlich Verantwortlichen durch Zuarbeit zur Erstellung des Wirtschaftsplans, der Personalkostenplanung und Quartalsberichte.482
•
Kontrolle, ob neu abzuschließende Vertragsverhältnisse liquiditätsmäßig und durch die Wirtschaftsplanung gedeckt sind.483
•
Unterjährige Planverfolgung und Hochrechnung (Forecast) auf globaler Ebene des Wirtschaftsplans sowie in Bezug auf den Spielbetrieb (adressatenorientiertes Berichtswesen/Navigations- und Kontrollfunktion).484
• •
Vorab-Kalkulation von Gastspielreisen zur Absicherung der Wirtschaftlichkeit.485 Frühzeitiges Aufspüren von nicht-planmäßigen wirtschaftlichen Entwicklungen, um ggf. Abweichungsgespräche zwischen Budgetverantwortlichen mit der Geschäftsleitung zu initiieren und mit Daten zu versorgen.486
•
Vorbereitung von regelmäßigen und außerordentlichen Controlling-Sitzungen mit entsprechenden Datengrundlagen (Informationsfunktion).487
477 478 479 480 481 482 483 484 485 486 487
Ebenda, 16-68. Ebenda. Ebenda, 06-66. Ebenda, 16-58. Ebenda, 10-136. Ebenda, 01-92. Ebenda, 14-98. Ebenda, 01-92; 02-96; 04-128 ff.; 12-58; 13-112; 19-192 ff. Ebenda, 02-104. Ebenda, 01-82; 04-96; 07-58; 13-108. Ebenda, 07-8; 12-86.
7. Unabhängige Variable Internes Rechnungswesen
•
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Unterstützung des Planungsprozesses der Spielplanung durch verlässliche mengenund wertmäßige Berechnungen, die letztlich in eine Kostenplanung und Entscheidungsfindung münden.488
•
Rückblickende wirtschaftliche Analyse und Dokumentation des Spielbetriebs.489
Des Öfteren wird berichtet, dass die Konsequenzen der Einführung von ControllingFunktionen in der Schärfung des Kostenbewusstseins, der Disziplin und des Verantwortungsgefühls der handelnden Personen liegen, was zu einer Stabilisierung und Absicherung der wirtschaftlichen Entwicklung, nicht zuletzt der Geschäftsführung selbst, sowie zu einem rationaleren und effizienteren Management führe.490 Daher bekennt ein Gesprächspartner die hohe Bedeutung des Controllings wie folgt: „Und ohne diesen Controller [...] – da muss man sich nichts vormachen, ich mache mir gar nichts vor, wäre ich hier baden gegangen wie – wie sonst was, ja.“491
Als Teilinstrument des Controllings kommt der Budgetierung eine herausragende Bedeutung zu. Ihre Anwendungshäufigkeit in der täglichen Praxis ist höher als die der KLR. In einigen Häusern sieht der Budgetierungsprozess vor, dass die beteiligten Verantwortlichen der dezentralen Budgets bei Projektkonzeptionen entsprechende PlanWerte ermitteln, welche in die (teilweise mehrstufigen) Planungsgespräche einfließen, und bei Projektrealisierung auch die Einhaltung inklusive eventueller Unwägbarkeiten zu verantworten haben. Durch die konsequente Einbindung der Personen, die auch für die Umsetzung der Tätigkeiten zuständig sind, teilweise auch für die administrative Pflege des laufenden Budgets (dezentrales Controlling), sei somit ein frühzeitiges Gegensteuern bei eventuellen Abweichungen möglich. Die vollumfängliche Delegation von Verantwortung unter Einbindung in einen Controlling- und Planungs-Zyklus habe sich insofern bewährt, als dass die Budgetdisziplin und das dezentrale Verantwortungsbewusstsein zugenommen und das „Dezemberfieber“ abgenommen haben. In einem Kulturbetrieb wird der Erfolg dieses Prozedere darin gesehen, dass es bislang zu keinen größeren unvorhergesehenen Defiziten gekommen sei.492 Die Budgets erfüllen teilweise auch die Funktion der Gewährung der künstlerischen Freiheit, weil die Verantwortlichen innerhalb der zur Verfügung stehenden Summe frei entscheiden können, z. B. welche Gastsolisten 488 489 490 491
Ebenda, 05-46; 08-104; 17-172; 19-134 ff., -154. Ebenda, 11-8, -56; 19-54. Ebenda, 01-96; 02-108; 04-124 ff.; 06-54, -62; 10-104, -136 ff.; 12-78, -86; 16-96; 19-204. Interview 06-64.
168
7. Unabhängige Variable Internes Rechnungswesen
eingeladen werden, und somit in finanziell angespannten Zeiten mindestens eingeschränkt gestalten können.493 7.4.2
Falsifizierende Befunde
Auch im Zusammenhang mit dem Controlling wird bekundet, dass durch die Dominanz der künstlerischen Planung die klassischen Aufgaben des Controllings nur eingeschränkt umsetzbar seien: „So ein Controller sollte sich vor allen Dingen Gedanken machen über die Zukunft und mit seinen Ergebnissen, die er vorlegt, Perspektiven und Handlungsoptionen aufzeigen. Das ist natürlich in so einer Oper etwas schwierig, wenn ich mit Deckungsbeitrags-Rechnungen von der letzten Saison komme und die übernächste Saison planen will und ich sage: Also wisst ihr, überlegt euch das mal mit der Elektra oder mit der Zauberflöte oder mit der Aida. Das kommt erst mal so nicht gut an, ja? Erst braucht man einen Umdenkungsprozess an anderer Stelle. Ich kann dem Generalmusikdirektor auch nur begrenzt verkaufen, dass seine Walküre hier im Haus einen negativen Deckungsbeitrag verursacht, wenn die Top-Stars der Welt auf der Bühne stehen. [...] Der Controller befasst sich hier mit Tätigkeiten, die eher dem Aktuellen dienen. Also dass wir hier damit jemanden haben, der schnell und professionell eine Personalkostenplanung macht und pflegt, dass er die Quartalsberichte und den Wirtschaftsplan miterstellt und da praktisch sein Wissen und sein Forecast-Denken an der Stelle mit einbringt und korrigierend eingreift. Aber das war es dann auch schon. Weil da mit einer Stelle am Ende auch wirklich nicht so viel zu wollen ist, das muss man auch ehrlicherweise zugeben.“494
Ein anderer Kollege urteilt: „Also die [künstlerischen Leitungspersonen, Anm. d. Verf.] [...] möchten jetzt auch nicht zugeballert werden mit Riesenveranstaltungen an Controllinginstrumenten.“495
Analoge Befunde gelten auch für die Nicht-Kenntnisnahme von vorgelegten ControllingDaten an weiteren Stellen.496 In dem letzten Satz des vorhergehenden längeren Zitats wird deutlich, dass es auch eine mengenmäßige Restriktion in der Controlling-Funktion gibt, wenn mit den genannten Routine-Funktionen eine Vollzeit-Stelle in einem großen Theater ausgelastet ist – zumal diese in vielen Häusern nicht einmal existiert. Aus den in Kap. 2.1 vorgestellten Haushaltsstrukturen wird ersichtlich, dass der überwiegende Anteil der Kosten fix ist und damit aus Sicht eines Gesprächspartners kurzfristig nicht steuerungs- und beobachtungsbedürftig. Die Kostenseite könne gar nicht
492 493 494 495 496
Vgl. Interviews 04-98 ff.; 05-58; 12-76; 09-202; 10-102, -111, -136 ff.; 13-108. Ebenda, 13-112; 14-100. Interview 01-92. Interview 12-74. Vgl. Interviews 03-78; 08-92 ff.; 12-58; 14-78; 15-76; 17-114; 20-138.
7. Unabhängige Variable Internes Rechnungswesen
169
in erheblichem Maß aus dem Ruder laufen, etwa bei den tariflichen Entlohnungen. Dies schmälere die Relevanz des Controllings.497 Ein Verwaltungsleiter bekundet, dass das Jahresergebnis von Multikausalitäten geprägt ist, welche – nicht zuletzt wegen der unberechenbaren Eintrittserlöse – auch durch ein Controlling nicht zuverlässig prognostiziert werden könnten. Die Gründe für ein Defizit oder einen Überschuss lägen hauptsächlich in unvorhergesehenen Entwicklungen, im Glück oder Pech, im Zusammentreffen mehrerer gegensätzlicher Entwicklungen, welche nicht präzise oder rational steuerbar seien, z. B. sicherheitstechnisch erforderliche Sofort-Baumaßnahmen: „Man hat dann verschiedene Entwicklungsstränge. Manche kommen so, wie man denkt, manche kommen anders, manche kommen gar nicht, manche sind überholt, manche werden geändert. Also ein riesiges – [...] ein quasi chaotisches System. Und man hat sich verstärkende Tendenzen, man hat sich aufhebende Tendenzen und wir hatten in der Vergangenheit Glück.“498
Ein Geschäftsführer bekundet, dass das Controlling zwar bereits einschlägige Berichte entwickelt, jedoch die Gesprächskultur zur gemeinsamen Erörterung von Handlungsoptionen noch unterentwickelt sei. Folglich führen gewonnene Erkenntnisse nicht immer zwingend zu Rücksprachen in die Fachabteilung und zu Veränderungen.499 Es wird an anderem Ort kritisiert, dass die Fülle an erhobenen Daten dazu verleitet, viel Zeit in das Nachverfolgen von Details zu investieren, was unproduktiv sei.500 In mehreren Einrichtungen wird geschildert, dass die Software-Systeme noch nicht in Gänze den Anforderungen des Controllings entsprechen. Dies hemmt die Wirkungsentfaltung oder führt zu doppelten Erfassungsarbeiten.501 Der Versuch des externen Controllings eines Trägers, durch ein Benchmarking mit einem anderen Theater Informationen über die Wirtschaftlichkeit zu erlangen, ist nach Einschätzung des Geschäftsführers gescheitert, weil bei den Analyseergebnissen die Rahmenbedingungen der beiden Theater nicht ausreichend Einfluss gefunden haben. Folglich sei der Vergleich nicht zulässig.502 Der Versuch eines anderen Trägers, seine Kultureinrichtungen per Balanced Score Card zu steuern, ist an den künstlerisch-qualitativen Kriterien gescheitert, weil hierfür keine akzeptierten Kennzahlen gefunden wurden:
497 498 499 500 501 502
Ebenda, 15-182; 16-68; 18-86. Interview 17-114; ähnlich auch 09-138; 19-164. Vgl. Interview 01-98. Ebenda, 09-138. Ebenda, 01-98; 14-70. Ebenda, 08-124; ähnlich 16-94.
170
7. Unabhängige Variable Internes Rechnungswesen
„Da haben sich die Direktoren gewehrt und auch die Intendanten, weil wir der Auffassung sind, dass man Kunst von vornherein nicht qualitativ bewerten kann, es sei denn, [...] man stellt ein Applausometer in die Vorstellung und misst die Anzahl der Buhrufe oder wie auch immer, das haben wir abgelehnt und da ist auch nichts mehr [seitens des Trägers, Anm. d. Verf.] gekommen. Es gibt eine Balanced Score Card bezogen auf quantitative Kennzahlen, aber nicht auf qualitative.“503
Es werden lediglich Output-Daten und Produktkosten gemäß (NSM-)Produktkatalog der Kulturbetriebe erfasst, was von den klassischen vier Dimensionen und der Grundidee der BSC relativ weit entfernt ist. 7.4.3
Neutrale Befunde
Der geschäftsführende Intendant eines Orchesters berichtet, dass er eine strategisch fundierte Programmplanung betreibt: Konzertprogramme werden in der Planung zunächst klassifiziert und künstlerisch bewertet. Darauf aufbauend erfolgt die Realisierungsentscheidung in der Weise, dass aus den gegebenen finanziellen Ressourcen der größtmögliche künstlerische Output erfolgt, z. B. durch das bewusste Investieren in ausstrahlende Programmhöhepunkte und das partielle Verzichten auf Mittelmaß. Dies geschieht ohne begleitendes institutionalisiertes Controlling, sondern der Intendant nimmt dies persönlich vor.504 In einem Theater wurde zur Pflege der Budgets eine individuell zugeschnittene Software programmiert. Hier haben alle Beteiligten jederzeit die Möglichkeit der Einsichtnahme in sämtliche Budgets.505 Ein großes Theater bekundete eine hohe Effizienzsteigerung in den vergangenen zehn Jahren durch Stärkung der Eigenerlöse und Senkung von Kosten. Hierbei seien das Controlling und die KLR jedoch von keiner maßgeblichen richtungsweisenden Relevanz gewesen, sondern steuerten durch diese Entwicklung hindurch und dokumentierten sie.506 Der steigende wirtschaftliche Druck in seinem Kulturbetrieb wird nach der Einschätzung eines Verwaltungsleiters dazu führen, dass die Controlling-Funktion an innerbetrieblicher Entscheidungsprägung und somit an Bedeutung gewinnen wird.507
503 504 505 506 507
Ebenda, 14-124. Ebenda, 18-76. Ebenda, 06-54. Ebenda, 10-191 ff. Ebenda, 03-200.
7. Unabhängige Variable Internes Rechnungswesen
7.4.4
171
Abschließende Bewertung der These
Die Controlling-Funktion hat begonnen, sich als führungsunterstützendes Instrument zu etablieren und zu bewähren, insbesondere bei Budgetierungen und auf der aggregierten Ebene der Wirtschaftsplanung samt unterjähriger Planverfolgung. Die empirisch nachgewiesenen Controlling-Funktionen tragen zur wirtschaftlichen Transparenz und somit unmittelbar oder mittelbar zur Rationalitätssteigerung bei (vgl. These 4). Es wurde jedoch auch deutlich, dass bereits die Wenn-Komponente der These, das Nutzen der Controlling-Instrumente, oftmals bislang (noch) nicht realisiert wird, insbesondere bei künstlerischen Entscheidungen, was jedoch nicht zur Falsifikation führt. Dies deutet dennoch auf Grenzen des Controllings in seiner klassischen Konzeption im Kulturbetrieb hin, insbesondere wenn es um künstlerische Freiheit, Experimentierfreude, Emotionalität und Irrationalität geht, welche an dieser Stelle nicht normativ zu bewerten sind. Die Rationalitätssicherung durch Controlling im Sinn der NPM-bezogenen These kann daher für die nicht-künstlerischen Bereiche als mehrheitlich bestätigt gelten. Bei der künstlerischen Entscheidungsfindung, etwa der Spielplanung, ist die These eher zu falsifizieren, zumindest wenn unterstellt wird, dass Budget- und Planeinhaltung – also das Beachten einer Restriktion – noch nicht hinreichend die Zielsetzung des Controllings erfüllen. Jedoch kann in diesem wichtigen Bereich auch ein Mangel an Theorie, etwa der spezifischen Konzeption des Controllings für rationale Entscheidungen im sachzieldominierten Kulturbetrieb gesehen werden (vgl. dazu auch den Ansatz in Kap. 9.9).508 Gemäß heutigem Stand ist die Idealvorstellung des NPM, nämlich das vollumfängliche Einsetzen und Wirken von Controlling in sämtlichen betrieblichen Teilfunktionen und Entscheidungen, nicht realisiert. Wohlgemerkt findet an dieser Stelle keine Bewertung darüber statt, ob die konsequente Realisierung der NPM-Konzeption funktional oder wünschenswert ist. Auch im nicht-künstlerischen Bereich könnten noch zu erschließende Potenziale im Controlling vorhanden sein, etwa im Gemeinkosten- und Fixkosten-Management: Diese wurden nicht als Aufgabengebiet genannt und sind aufgrund der Haushaltsstrukturen dennoch hochrelevant, beispielsweise im Vertrags-Controlling bei den Sachkosten in Bezug auf die sparsame Mittelverwendung (Konditions- und Organisationsüberprüfung). Ein weiterer, unterrepräsentierter Bereich neben dem meist wertmäßig arbeitenden Controlling ist das Mengengerüst (Verbrauchswerte, Personalauslastung, Disposition,
508
Vgl. auch Beutling (1993), S. 64.
172
7. Unabhängige Variable Internes Rechnungswesen
Dienstverteilung, Spielplanstrukturierung, Organisation des Spielbetriebs), aus dem evtl. weitere, nicht auf Anhieb erkennbare Optimierungspotenziale ohne Leistungseinbußen zu gewinnen sind. Ferner hat es sich als günstig erwiesen, wenn Budgets direkt bei Kostenstellenverantwortlichen angesiedelt werden und Teil des Kostenstellenberichts sind.509 Durch eine weitgehende Einbeziehung in Planungsgespräche kann das persönliche Involvieren der Kostenstellenverantwortlichen gefördert werden. Hinsichtlich der Planung und laufenden Pflege der Budgets ergibt sich im Fall der Einführung der Doppik angesichts entfallener kameraler Titel und Haushaltsstellen die Notwendigkeit,
die
Abbildung
der
Budgets
im
IT-gestützten
Rechnungswesen
einzurichten, insbesondere hinsichtlich einer eventuellen Interdependenz zu Sachkonten im externen Rechnungswesen. Die Kontrollfunktion muss im internen Rechnungswesen neu organisiert werden, da der implizite Soll-Ist-Vergleich durch die vormals (an einigen Orten) erfolgte ständige Darstellung der Budgets samt Restmittel als Unterpositionen des kameralistischen Haushaltsplans entfällt. Techniken des strategischen Controllings sind bis auf die beschriebenen Ansätze nicht existent. Es wurde eingewendet, dass die Betriebsgrößen dafür zu klein seien und strategisches Denken und Planen dennoch implizit stattfänden, lediglich nicht formalisiert.510 7.5
Fazit zum internen Rechnungswesen
KLR und Controlling haben in den Kulturbetrieben als noch relativ junge Instrumente mehrheitlich zu wirtschaftlicher Transparenz, Stabilität, verbesserter Planungsqualität, einer punktuellen Steigerung der wirtschaftlichen Rationalität und zu marginalen Effizienzvorteilen geführt. Dies kann als Erfolg gewertet werden, erreicht jedoch die im NPM deklarierten Ziele bei weitem nicht vollständig, zumal auch Kosten verursacht werden. Dies ist partiell auch eine Frage von Zeit, Lernprozessen und weiteren Implementationsschritten. Controlling und KLR leisten einen Beitrag zur erhöhten Planungsqualität und Stabilisierung, auch in der künstlerischen Produktion. Insbesondere durch dezentrale Budgets wird eine gestiegene (Mittelverwendungs-)Rationalität erreicht. Das Controlling wird mindestens ebenso häufig auf gesamtbetrieblicher Ebene wie bei Einzelprojekten eingesetzt. 509 510
Vgl. Interview 12-72. Dies setzt eine entsprechende Zuordnung der Kostenarten bzw. Sachkonten in der Finanzbuchhaltung voraus. Ebenda, 16-92; 18-76.
7. Unabhängige Variable Internes Rechnungswesen
173
Es wird im Kontext der wirtschaftlichen Strukturen deutlich, dass es unrealistisch wäre, vom internen Rechnungswesen eine signifikante Steigerung der Eigenfinanzierungsgrade oder anderer Effizienz-Kennzahlen zu erwarten, solange die Sachzieldominanz und ein gewisser Grad an künstlerischer Freiheit als Wesensmerkmale des Kulturbetriebs normativ akzeptiert werden. Es wurde außerdem gezeigt, dass eine Voraussetzung für die Wirkungsentfaltung in der Einbeziehung der Daten in die Planungsgespräche liegt, welche wiederum vom relativen Gewicht der wirtschaftlichen und künstlerischen Rationalität innerhalb eines Kulturbetriebs abhängt. Es deutet einiges darauf hin, dass es die Hintergrundvariable der finanziellen Gesamtausstattung des jeweiligen Kulturbetriebs ist, welche darüber entscheidet, welches Gewicht der wirtschaftlichen Rationalität zukommt. Dass sich international renommierte Intendanten und Dirigenten in einem über finanzielle Spielräume verfügenden Kulturbetrieb nur wenig für Controlling-Daten interessieren, erstaunt wenig und muss auch nicht zwingend ökonomisch nachteilig sein, solange diese Personen künstlerische Spitzenleistungen als Output erbringen. Die negativen Erfahrungen und geäußerten Urteile insbesondere zur KLR sprechen nicht zwangsläufig grundsätzlich gegen dieses Instrument. Vielmehr steht gemäß den empirischen Ergebnissen fest, dass eine Reihe von Bedingungen gegeben sein sollte bzw. müssen, damit es zur Entfaltung von Effizienzsteigerungen durch das interne Rechnungswesen kommen kann: •
Die Systeme des internen Rechnungswesens müssen adäquat eingerichtet und gepflegt werden, möglichst durch eine institutionell fest verankerte Controlling-Stelle.
•
Zum Erreichen eines wirtschaftlichen Aufwand-Nutzen-Verhältnisses empfiehlt sich eine einfache Struktur und niedrige Komplexität im Rahmen einer Teilkostenrechnung.
•
Die Ergebnisse müssen adäquat interpretiert und in die wirtschaftlichen, künstlerischen und strategischen Planungsgespräche einbezogen werden.
•
Bei künstlerisch und wirtschaftlich Verantwortlichen muss ein Mindestmaß an Offenheit zum Dialog herrschen, um Zielkongruenzen differenziert herauszuarbeiten.
•
Es ist ein Entscheidungsspielraum zwischen mehreren Alternativen erforderlich, deren wirtschaftliche und künstlerische Implikationen wenigstens grob bekannt sein müssen.
8. Unabhängige Variable Personalmanagement
175
8
Unabhängige Variable Personalmanagement
8.1
Explorativer Befund
Die vorhandenen Stellen im Personalwesen konzentrieren sich vom Tätigkeitsgebiet her auf Personalverwaltung, Gehalts- und/oder Gästeabrechnung, Vertragsmanagement, Personalcontrolling, Ausschreibungen, tarifliche und arbeitsrechtliche Angelegenheiten. Lediglich in 4 Fällen (20 %) ist in den Personalabteilungen ein geringfügiges anteiliges Tätigkeitsgebiet zum Personalmanagement dauerhaft vorgesehen. Die dazugehörigen Funktionen werden im Regelfall von den direkten Vorgesetzten, Abteilungsleitern und sonstigen Führungskräften beiläufig ausgeführt. Somit gibt es in der Stichprobe keinen Kulturbetrieb, der eine separate Stelle für Aufgaben des Personalmanagements vorweist, welche über die beschriebenen, vorwiegend administrativen Tätigkeiten hinausgehen. Bei den Kulturbetrieben ohne eigene Rechtsperson sind die Arbeitsverhältnisse zumeist beim Träger rechtlich positioniert, so dass in diesen Fällen die Personalverwaltung und/oder -vertretung außerhalb des Kulturbetriebs an zentraler Stelle (Kommunal- bzw. Landesverwaltung) angesiedelt ist. In sechs Kulturbetrieben wird von starkem Personalabbau innerhalb von wenigen Jahren berichtet, bis zu 25 % der festen Stellen. Langfristig betrachtet ist die Mehrheit der Stichprobe von Stellenstreichungen, im Extremfall von Fusionen und Schließung von künstlerischen Ensembles oder ganzen Sparten betroffen. Daraus resultiert eine höhere Belastung und Arbeitsverdichtung für die verbliebenen Beschäftigten. Neben den Tarifverträgen für das künstlerische Personal (TVK, NV Bühne) finden nachfolgende Tarifwerke beim nicht-künstlerischen Personal Anwendung (Tab. 26): Tarifvertrag
Anzahl in Stichprobe
Relativ in %
Erläuterung
TVöD/TV-L
14
70 %
davon 5 Mitglieder des VKA
BAT/BMT-G
4
20 %
davon 1 Fall in Nachwirkung
Haustarifvertrag
1
5%
ausschließlich Einzelverträge
20
100 %
1
Ohne Tarifvertrag Summe
5%
1 Fall als eigenständiges Tarifwerk 5 weitere Fälle mit Haustarifvertrag, welche auf TVöD basieren, jedoch Gehaltseinbußen vorsehen
Tab. 26: Tarifwerke im nicht-künstlerischen Personal in der Stichprobe Quelle: Eigene Darstellung.
176
8. Unabhängige Variable Personalmanagement
Der TVöD bzw. TV-L sieht als einziges Tarifwerk eine variable Gehaltskomponente in Form der Leistungsorientierten Bezahlung (LoB) vor (§ 18), wobei die Einführung der notwendigen Bewertungssysteme mehrere Jahre dauern kann. Dieser Prozess war zum Zeitpunkt der Erhebung wie folgt vorangeschritten (Tab. 27): Status LoB
Anzahl in Stichprobe
Relativ in %
Erläuterung
Leistungsbewertung wird praktiziert
4
20 %
3 mit systematischer Leistungsbeurteilung 1 mit Zielvereinbarungen Jahre der Einführung: 2006, 2007, 2x 2008
Leistungsbewertung in Vorbereitung
6
30 %
Konzeptionelle Überlegungen und/oder Verhandlungen mit Betriebsrat laufen
15 %
Tarifgemäße Pauschalausschüttung erfolgt, Konzeption und Verhandlung über Leistungsbewertung haben noch nicht begonnen
Abwartende Haltung
Keine Angabe Summe
3
1
5%
14
70 %
Tab. 27: Status der LoB in den Kulturbetrieben, welche den TVöD bzw. TV-L anwenden Quelle: Eigene Darstellung.
Es sind zwei Systeme der Leistungsmessung verbreitet, die entweder ausschließlich oder kombiniert angewendet werden können (vgl. § 18 Abs. 5 TVöD-VKA): Die systematische Leistungsbeurteilung, in der nach vorab betrieblich definierten, möglichst messbaren und objektivierbaren Leistungskriterien vom Vorgesetzten in einer Bewertungsskala Punkte vergeben werden, und die Zielvereinbarung. Diese sieht vor, dass entweder mit den Beschäftigten individuelle Ziele zu definieren sind oder gruppenbezogene Ziele (Teamleistungen) festgelegt werden. Hierbei sind unterschiedliche inhaltliche Niveaus der Zielerreichung samt prozentualer Gewichtung vorab zu definieren. Jeweils nach Ablauf der Beurteilungsperiode hat der Vorgesetzte seine Beurteilung dem Mitarbeiter in einem persönlichen Gespräch darzulegen. Im Streitfall kommt eine betriebliche Kommission, ein zu diesem Zweck konstituiertes, paritätisch besetztes Gremium, zum Einsatz.
8. Unabhängige Variable Personalmanagement
8.2
These 7: Effizienzsteigerung durch LoB
8.2.1
Bestätigende Befunde
177
Zum Zeitpunkt der Erhebung sind erst in zwei Kulturbetrieben Zahlungen gemäß LoB erfolgt.511 In einem Fall wurden bereits im Dezember der Jahre 2006 und 2007 variable Gehaltsbestandteile vergütet, im zweiten Fall nur in 2007. In zwei weiteren Kulturbetrieben stand die erstmalige Auszahlung gemäß § 18 TVöD wenige Wochen unmittelbar nach der Erhebung bevor, wobei die zu Grunde liegenden Bewertungen und Mitarbeitergespräche bereits durchgeführt wurden. Eine Effizienzsteigerung in Form von quantitativ oder qualitativ verbesserten Arbeitsergebnissen oder höherer Motivation konnte bislang nicht festgestellt werden. Daher existiert kein bestätigender Befund (vgl. auch abschließende Betrachtung, Kap. 8.2.4). 8.2.2
Falsifizierende Befunde
Es ist davon auszugehen, dass jeder Beschäftigte an den Zahlungen partizipiert, jedoch in unterschiedlichem Ausmaß, was der gewerkschaftlichen Position entspricht. So hat ein Personalrat explizit durchgesetzt, dass die Erfüllung der arbeitsvertraglich geschuldeten Pflichten bereits einen Zahlungsanspruch begründet; in einem anderen Theater wurde nach anfänglichen Unruhen ein Sockelbetrag zur Anerkennung der vertraglich geschuldeten Mindestleistung eingeführt, der somit allen Beschäftigten zusteht.512 An dem Ort, wo die LoB bereits drei Jahre in der Form der systematischen Leistungsbeurteilung praktiziert wird, wird geurteilt, dass die Umsetzung von den Beschäftigten mittlerweile als Pflichterledigung und Formerfüllung erlebt und gehandhabt wird, welche jedoch zu keinen Verhaltensveränderungen führt:513 „Geändert hat sich nichts, nein. Denn sie [die Beschäftigten, Anm. d. Verf.] sind motiviert, alle, eben durch dieses Teamgefühl. Und sie sind jetzt im dritten Jahr gut drin und wissen, dass es [die LoB, Anm. d. Verf.] gemacht wird. Aber es hat ja jeder seine Leistungsgrenze, die auch beachtet werden muss. Die aber auch dann in die Bewertung mit reinkommt, ne? Wenn ich jetzt weiß, der Mann ist jetzt an seiner Leistungsgrenze, [...] also es geht nicht mehr besser bei ihm, dann kriegt er ja trotzdem seine gute Bewertung. Also eine Änderung habe ich jetzt nicht mehr gespürt. Anfangs den Widerstand dagegen, aber jetzt ist eigentlich Ruhe eingekehrt.“514
511
512 513 514
Hierbei sind die Fälle nicht berücksichtigt, welche von der pauschalen Auszahlung in der Übergangsphase bis zur Implementierung von Beurteilungskriterien auf Basis einer Dienst- bzw. Betriebsvereinbarung Gebrauch machen. Vgl. Interviews 04-174; 12-90; 15-146; 19-226 ff. Ebenda, 19-246 ff. Interview 19-244.
178
8. Unabhängige Variable Personalmanagement
Ein anderer Verwaltungsleiter berichtet über seine Erfahrungen mit der systematischen Leistungsbeurteilung wie folgt: „Diesmal ging es ums Geld, das hat man gemerkt in diesen Gesprächen. Die [Beschäftigten, Anm. d. Verf.] waren auch sehr gut informiert, besser als ich dachte. Insofern hatte man zwei Dinge selber am eigenen Leibe gespürt: Erstens diese Tendenz zur Milde, die man in solchen Gesprächen entwickelt, weil eine Tendenz zur Strenge natürlich auch immer Auseinandersetzung heißt, also Meinungsverschiedenheit; und natürlich einen [belohnenden, Anm. d. Verf.] Motivationsgesichtspunkt damit verbunden hat, obwohl wir eigentlich ja nur retrospektiv zu bewerten hatten. Aber ich bin ja immer in einem Prozess und ich muss die Leute, die Mitarbeiter in der Schneiderei, in der Werkstatt, die alle Volllast arbeiten und [vom Theaterbetrieb, Anm. d. Verf.] ja ausgequetscht werden, [...] die sollen sich auch morgen noch ausquetschen lassen. Also habe ich immer eine in die Zukunft gerichtete Betrachtungsweise, obwohl die in dem System [der LoB, Anm. d. Verf.] eigentlich keine Rolle spielen sollte. Ja, und dann noch die Ärgervermeidungsstrategie. All das war bei mir ja auch der Anlass [...], diese Phasenverschiebung [in der positiven Beurteilung, Anm. d. Verf.] nach rechts anzunehmen. Die hat im Theater etwas stärker stattgefunden als außerhalb.“515
Wie geschildert, führten die emotionalen Abhängigkeiten zu einer Tendenz der überdurchschnittlichen Bewertung. Negative, unterdurchschnittliche Leistungsbeurteilungen sind eine seltene Ausnahme.516 An anderer Stelle wird von Beurteilungsschwierigkeiten der individuellen Leistung unter Berücksichtigung der jeweiligen Arbeitsbedingungen berichtet, z. B. die Leistung einer Reinigungskraft im Kontext der zur Verfügung stehenden Zeit sowie Größe und Architektur der Räume im Theater.517 Außerdem wird ein Gewöhnungseffekt beim Personal beschrieben. Die erstmalige Bewertung, die zudem überdurchschnittlich ausgefallen ist, wirke wie ein Anker. Ein Verwaltungsleiter äußert Sorgen vor innerbetrieblichen Unruhen, falls in Folgejahren die Bewertungsmaßstäbe strenger angesetzt werden sollten. Zudem löse die anfängliche überdurchschnittliche Bewertung im Vergleich der kommunalen Einrichtungen auch Stolz im Theater aus, der eine psychologische Beibehaltungstendenz erzeugt.518 Diesbezüglich kann kritisch angemerkt werden, wenn auch nicht durch die Gesprächspartner geäußert, dass durch die absolute Festlegung des Gesamtausschüttungsvolumens in Euro mit Ausschüttungszwang, zum Zeitpunkt der Erhebung 1 % der BruttoEntlohnung aller Arbeitnehmer (vgl. § 18 Abs. 3 TVöD-VKA) die Euro-Bewertung einer Leistungseinheit in Abhängigkeit von der Summe aller vergebenen Leistungspunkte jährlich schwankt. Das hat zur Folge, dass Verbesserungen oder Verschlechterungen der 515 516 517 518
Interview 17-144; ähnlich auch 12-94. Vgl. Interview 19-240 ff. Ebenda, 17-148; ähnlich 07-148. Ebenda, 17-154.
8. Unabhängige Variable Personalmanagement
179
Gesamtleistung aller Beschäftigten zu keinen finanziellen Auswirkungen führen, da diese durch die relative Euro-Bewertung nivelliert werden. Mit anderen Worten: Ob in einem Betrieb in Gänze durchschnittlich 80 %, 100 % oder 120 % der Normleistung erbracht werden, spielt für den absoluten Überweisungsbetrag keine Rolle. Mit der LoB werden somit relative Leistungsniveaus im Vergleich der Beschäftigten untereinander und daher keine absoluten Leistungen vergütet. Schwankungen des Gesamtniveaus wirken sich auf den Einzelnen positiv oder negativ aus, ohne dass er dazu beiträgt, was auch zu Verzerrungen und Irritationen führen könnte.519 Insofern müsste der geäußerte Gewöhnungs-Effekt in Bezug auf den Auszahlungsbetrag ausbleiben, so lange sich das Gesamtniveau proportional verschiebt. In einem anderen Theater wird die Vergleichsproblematik unter den Beschäftigten thematisiert: „Jetzt hatten wir die Probleme, dass der eine sagt: Ich habe 370 [Punkte, Anm. d. Verf.], mein Kumpel da hatte 380. Warum, wieso habe ich 10 weniger? Wenn er jetzt sieht, dass er letztendlich nur 10 Euro deswegen weniger hat und darauf wird es hinauslaufen, da sagt er auch: Steig mir doch den Buckel runter! Ich weiß es nicht, ob es dann wirklich zur Motivation führt, dass er sagt: Na ja, jetzt will ich aber mal 450 Punkte, da muss ich aber richtig ranklotzen.“520
Es wird deutlich, dass aus den relativ geringen finanziellen Auswirkungen sogar die gegenteilige der ursprünglich intendierten Verhaltensveränderung eine rationale Reaktion ist: Eine niedrigere Arbeitsbelastung, welche ggf. hohen Nutzen spendet, kann durch den Verzicht auf wenige Euro Netto-Gehalt „erkauft“ werden. Dies wäre auch eine emotionale Kompensation für die geschilderte, subjektiv erlebte ungerechte Beurteilung.521 Ferner zeigt das Zitat, dass die in Aussicht gestellten extrinsischen materiellen Anreize im zweibis dreistelligen Euro-Bereich pro Jahr u. U. nicht dazu ausreichen, eine signifikante Leistungssteigerung auszulösen. Auch bei diesem Reformelement muss kritisch betrachtet werden, ob die erreichten Ergebnisse die Transaktionskosten überkompensieren. Der oben zitierte Geschäftsführer äußert an anderer Stelle, dass der bisherige Implementationsprozess viel Aufwand und Ärger ausgelöst habe, er das Instrument der LoB grundsätzlich jedoch positiv sehe, was 519
520 521
Wenn beispielsweise ein Beschäftigter in einem Jahr eine Leistungssteigerung von 5 % im Vergleich zum Vorjahr erreicht hat, das Gesamtniveau im Betrieb aber durchschnittlich um 7 % gestiegen ist, so wird der Beschäftigte einen niedrigeren Auszahlungsbetrag als im Vorjahr erhalten. Interview 15-150. Dieser Befund steht in Kongruenz zur sozialpsychologischen Equity Theory von Adams, in welcher bereits 1965 postuliert wurde, dass Menschen subjektive Input-Output-Verhältnisse bilden und diese mit ihrem sozialen Umfeld vergleichen. Aus diesem Vergleich resultieren im Bestreben um gerechte Behandlung entsprechende subjektiv-rationale Verhaltensänderungen, welche auch einen Demotivationseffekt verursachen können, vgl. Berman (2006), S. 157 ff.; Gebert/von Rosenstiel (2002), S. 77-80; Tondorf (1997), S. 16.
180
8. Unabhängige Variable Personalmanagement
jedoch eine dauerhafte Etablierung und Erhöhung des Ausschüttungsvolumens voraussetzt.522 8.2.3
Neutrale Befunde
Ein kaufmännischer Direktor, der Zielvereinbarungen als Instrument der Leistungsmessung umgesetzt hat, äußert sich so: „Es ist uns einfach wichtig, dass ein Kommunikationsprozess in Gang kommt, und dass sich eben einfach diejenigen, die hier für die Steuerung zuständig sind, die Abteilungsleiter, auch Gedanken machen, was sie von ihren Mitarbeitern eigentlich wollen, dass sie denen das auch mal sagen und versuchen, das niederzuschreiben. Den Widerstand gegen die LoB haben wir vor allen Dingen aus diesen Bereichen gehabt. Die Mitarbeiter finden das, glaube ich, mal ganz nett, dass mal einer mit ihnen [über ihre Arbeit, Anm. d. Verf.] spricht, während die Abteilungsleiter diese Mühe so ein bisschen gescheut haben.“523
Nicht zuletzt werde damit auch die Diskussion über die Ziele und die Schaffung einer Zielhierarchie im Kulturbetrieb angeregt, die bislang nicht explizit existent war.524 Die Mitarbeitergespräche seien auch für Vorgesetzte eine Chance, Defizite und Schlechtleistungen auf eine milde, positive und zugleich systematische Weise alternativ zu schwierigen disziplinarischen Methoden zu beseitigen.525 Zu welchen betrieblichen Ergebnissen der beschriebene Kommunikations- und Zielbildungsprozess geführt hat, kann noch nicht gesagt werden, da die erste Auszahlung noch bevorsteht. Für das künstlerische Personal und teilweise das leitende künstlerisch-technische und künstlerisch-administrative Personal wird mehrfach hervorgehoben, dass der NV Bühne individuelle Gehaltsverhandlungen zulasse, teilweise in vorgegebenen Bandbreiten, teilweise frei. Dies sind zwar keine variablen Gehaltsbestandteile im engeren Sinn, ermöglichen jedoch neben den tariflich fixierten Mindestvergütungen die Honorierung individueller Leistungen und somit auch die Bindung hochqualifizierter Künstler. Durch Nichtverlängerungsmitteilungen sei auch die Trennung von Personal einfacher möglich. Ein Verwaltungsleiter äußert, diese Form der Freiheit sei die wünschenswerte LoB im ursprünglichen Sinn des Instruments.526 Das künstlerische Tarifwerk steht jedoch in keinem Zusammenhang zum TVöD. Nicht genannt wurde von den Gesprächspartnern die im TVöD erstmals geschaffene Möglichkeit, den Erfahrungsaufstieg in den Stufen 4 bis 6 innerhalb einer 522 523 524 525 526
Vgl. Interview 15-138; ähnlich 04-178 ff. Interview 12-90. Vgl. Interview 12-94. Ebenda, 12-98. Ebenda, 01-106; 04-184; 09-156 ff.; 10-154; 16-106.
8. Unabhängige Variable Personalmanagement
181
Entgeltgruppe unabhängig vom Lebensalter je nach Leistung zu beschleunigen oder zu verlangsamen (vgl. § 17 Abs. 2 TVöD). Dies ist jedoch ebenso keine variable Gehaltskomponente im engeren Sinn und betrifft nur Beschäftigte mit dem Dienstalter von 6 bis 15 Jahren, stellt aber dennoch eine neu geschaffene Flexibilität dar. Mehrere Gesprächspartner bekunden, dass ihr Personal bereits hochmotiviert sei und im Vergleich zu anderen öffentlichen Betrieben überdurchschnittliche Leistungen erreichten, was teilweise aus der Kulturaffinität und der Routine aus dem täglich stattfindenden Spielbetrieb entspringe, bzw. auch ein Ergebnis der Stellenkürzungen und Arbeitsverdichtung sei.527 8.2.4
Abschließende Bewertung der These
Zum Zeitpunkt der Erhebung ist die These eindeutig zu falsifzieren. Es muss jedoch beachtet werden, dass sich der Untersuchungsgegenstand in den kommenden Jahren und damit der Befund erheblich weiterentwickeln wird, da der Einführungsprozess und dessen Auswirkungen mehrheitlich noch bevorstehen. Es wurde deutlich, dass die LoB zur Zeit nicht geeignet ist, herausragende Einzelleistungen angemessen zu honorieren, da die finanzielle Differenz zwischen guten und schlechten Leistungen relativ gering ausfällt. Bezüglich der Bezahlung der für die Aufrechterhaltung und Qualitätssteigerung des Betriebs so wichtigen Leistungsträger werden teilweise vorhandene Diskrepanzen zur Privatwirtschaft im Vergütungsniveau und in der Anreizsituation durch die LoB nicht behoben werden können.528 Vielmehr liegt die Zielsetzung in der Breitenwirkung und Etablierung einer stärkeren Führungs- und Gesprächskultur und somit weniger im Setzen von finanziellen, extrinsischen Anreizen. Die Vorgesetzten werden stärker herausgefordert und in die Verantwortung genommen als die ihnen jeweils Unterstellten, bei denen eigentlich die Leistungssteigerung erreicht werden soll. Eine verbesserte Anreizwirkung, welche in eine Motivationssteigerung und letztlich in eine Erhöhung der Arbeitsleistung mündet, konnte in dieser Erhebung nicht festgestellt werden. Daher spricht einiges dafür, dass die LoB in der bislang praktizierten Form ihre Ziele nicht erreicht, abgesehen von einer Belebung der Gesprächs- und Führungskultur im Umgang mit dem Personal, auch über den Kernbereich der Leistungsmessung und Zieldefinition hinaus.529 Damit es zu einer stärkeren Wirkungsentfaltung kommt, können
527 528 529
Ebenda, 01-116; 02-132; 03-132; 06-98; 18-122; 20-218. Vgl. übereinstimmenden Befund für die Schweiz bei Ritz (2005), S. 55. Vgl. Interviews 04-142; 12-98 ff.; 17-140; 19-254.
182
8. Unabhängige Variable Personalmanagement
folgende Maßnahmen auf Basis des Befunds angeregt werden: •
Sukzessive Erhöhung des prozentualen Anteils der variablen Gehaltskomponente, damit die Belohnungs- und Sanktionsfunktion stärker spürbar wird.530
•
Bevorzugung der Zielvereinbarung gegenüber der systematischen Leistungsbeurteilung, da hier die individuelle Betrachtung und Verbesserung von unbefriedigenden Arbeitsergebnissen der Mitarbeiter bzw. Belohnung und Ausbau der individuellen Stärken noch stärker forciert werden kann.
•
Langfristig eine stärkere Orientierung an den bewährten Mechanismen im künstlerischen Tarifwerk des NV Bühne, soweit inhaltlich übertragbar.
Da auf Landesebene § 18 TV-L zur LoB mit Wirkung zum 1.1.2009 gänzlich abgeschafft wurde, im Gegensatz dazu im Tarifbereich des TVöD (Kommunen und Bund) die Verdoppelung des Volumens der LoB auf 2% bis 2013 vorgesehen ist, bleibt die weitere Entwicklung dieses Instruments ergebnisoffen. 8.3
These 8: Effizienzsteigerung durch Führungsinstrumente
8.3.1
Bestätigende Befunde
In einem Theater wurden nach vorheriger Schulung der Vorgesetzen verbindliche, regelmäßige Mitarbeitergespräche eingeführt. Diese waren als offener Austausch zwischen Mitarbeitern und Vorgesetzten über die alltäglichen Arbeitsbedingungen konzipiert, somit inhaltlich abweichend von den Zielvereinbarungs- oder Bewertungsgesprächen der LoB. Dabei wurden Probleme erkannt, zu deren Behebung spezielle Schulungen angesetzt wurden, z. B. zu rückenschonenden Arbeitsweisen. In der Folge kam es zu Verbesserungen der Arbeitsabläufe, weniger Arbeitsunfällen und einem niedrigeren Krankenstand.531 Auch an anderen Orten führten punktuelle, anlassorientierte Mitarbeitergespräche zum Abbau von innerbetrieblichen Konflikten und Unruhen, etwa bei Struktur- und Organisationsveränderungen.532 Es werden weitere Maßnahmen der internen Kommunikation praktiziert, um den Informationsfluss und Austausch zwischen der Leitung und den Mitarbeitern zu steigern: •
In mehreren Kulturbetrieben stellt die Intendanz bzw. das Leitungsteam die künstlerische Planung samt Entwicklungen und Zielen regelmäßig auf Betriebsver-
530 531 532
Ebenda, 15-150. Ebenda, 19-250, -264 ff.; mit schwächerer Stringenz auch in 07-138. Ebenda, 09-144; 16-118 ff.
8. Unabhängige Variable Personalmanagement
183
sammlungen vor. In einem Orchester wird diesbezüglich auch offen mit den betroffenen Musikern diskutiert.533 •
In demselben Klangkörper existieren nur sehr wenige nicht-künstlerisch Beschäftigte, so dass organisatorisch keine abgegrenzten Abteilungen eingerichtet sind. Daher wird angesichts der flachen Hierarchien ein Jour Fixe dazu genutzt, u. a. Fragen des Personalmanagements zu erörtern, was eine schnelle Umsetzung fördert.534
•
An anderem Ort wurde unter Beteiligung aller Abteilungen ein Theater-Tag in der Art einer Klausur abgehalten, um über die Organisationsentwicklung der betroffenen Institution zu befinden. Dabei benannte bzw. herausgearbeitete Probleme und Wünsche werden weiterverfolgt.535
•
In einem Theater wurde eine Mitarbeiterumfrage durchgeführt. Dabei wurden anonym, jedoch mit Kennzeichnung der jeweiligen Abteilung, Fragen zur Einschätzung der Führungskräfte, zur Arbeitszufriedenheit, zur Organisation, zum Arbeitsumfeld und zu den technischen Gegebenheiten gestellt. Direkte Veränderungen resultierten aus den Ergebnissen nicht, jedoch schätzt der Geschäftsführer, dass mittelbare Wirkungen – wie bei vielen Maßnahmen des Personalmanagements – positiv auf die Motivation und somit auf die Qualität des Bühnengeschehens abfärben.536
•
Die Intendanz und die kaufmännische Leitung eines Theaters sind aktiv bemüht, den Mitarbeitern als höchsten Wert die Verbundenheit zum Theater und die Verantwortung für den persönlichen Beitrag zum allabendlichen Ergebnis bei jeder Gelegenheit zu vermitteln. Zwei weitere Kulturbetriebe verfolgen ähnliche Ziele durch das bewusste Vorleben durch die leitenden Personen. Direkte Auswirkungen sind nicht messbar.537
•
Der hohe Krankenstand hat in einem Theater dazu geführt, dass man sich künftig auf die Durchführung von verbindlichen Rückkehrer-Gesprächen im Rahmen eines Integrationsmanagements geeinigt hat.538
•
Zum Abbau von innerbetrieblichen Spannungen zwischen begrenzten Personenkreisen werden in zwei Theatern unregelmäßig externe Mediatoren eingebunden, was partiell aus Sicht der Leitung jedoch auch missglückt ist.539
533 534 535 536 537 538 539
Ebenda, 07-142; 18-136. Ebenda, 18-120. Ebenda, 19-298. Ebenda, 05-94. Ebenda, 07-140; 08-166; 10-144 ff. Ebenda, 16-116. Ebenda, 09-146; 15-126.
184
8.3.2
8. Unabhängige Variable Personalmanagement
Falsifizierende Befunde
Mit Ausnahme der zuvor genannten Einschränkung ergaben sich in den Gesprächen keine Belege für eine ausbleibende Effizienzsteigerung infolge von PersonalmanagementMaßnahmen. Dies ist im Wesentlichen auf die geringe Anwendungsdichte zurückzuführen und daher kein Indiz für Wirksamkeit. 8.3.3
Neutrale Befunde
Schulungen im Bereich des Personalmanagements, etwa zu Führungskompetenzen, gehören im Regelfall nicht zur verbindlichen Weiterbildung für Führungskräfte, es sei denn im Kontext der Einführung flächendeckender neuer Instrumente wie der LoB.540 Lediglich zwei Einrichtungen (10 %) gaben an, ihre Führungskräfte unregelmäßig zur Verbesserung der soft skills zu schulen.541 Ein weiteres Theater hat im Jahr der Erhebung einen kontinuierlichen Schulungszyklus zu den Bereichen Führung, Motivation, Leitbild und Führungsinstrumente begonnen.542 Auch die Durchführung von Mitarbeitergesprächen und -beurteilungen ist gewöhnlicherweise unverbindlich.543 So bekennt ein Verwaltungsdirektor: „Wie gehe ich mit Menschen um und wie leitet man möglichst gut einen Betrieb, das wird gar nicht geübt. Überhaupt nicht. [...] Das müsste man unbedingt machen. Ich weiß bloß nicht wie. Also das weiß ich wirklich nicht, weil [...] da Sachen auch schief gehen, ne? [...] Das müsste man vorleben. [...] Trotzdem muss man manchen Leuten vielleicht auch zeigen, wie man Konflikte löst, ja? [...] Konflikte gibt es natürlich überall. Also das haben wir bisher nicht. Es wird viel [im Themenbereich, Anm. d. Verf.] Sicherheit hier geschult und Vergleichbares, aber das [Menschenführung, Konfliktmanagement etc., Anm. d. Verf.] haben wir nicht.“544
Damit bleibt die Ausübung der Führungsfunktion weitgehend eine private, individuelle Angelegenheit der jeweiligen Führungskraft, im Regelfall der jeweiligen Abteilungsleitung. Eine explizite Vorgabe, Diskussion oder Reflexion der Führungskultur erfolgt bis auf punktuelle Ausnahmen nicht.545 In einem Theater führte der vollständige Wechsel des künstlerischen Leitungsteams zu einer deutlichen Steigerung der künstlerischen Ergebnisse bei gleichzeitig gesunkenem finanziellem Aufwand. Auch in weiteren Häusern wurden nach Personalwechseln erhebliche Leistungssteigerungen vollzogen. Dies verhält sich neutral zur betrachteten These, zeigt jedoch relativierend, dass die Personalrekrutierung durch die Auswahl 540 541 542 543 544
Ebenda, 02-130; 03-126; 08-164; 09-144; 16-116. Ebenda, 04-172; 05-92. Ebenda, 13-62 u. -80. Ebenda, 01-108; 03-116; 04-164; 05-80; 16-116; 20-216. Interview 09-144 u. -146.
8. Unabhängige Variable Personalmanagement
185
bestimmter Einzelpersonen eine gewichtige Wirkung sowohl auf das künstlerische als auch das wirtschaftliche Ergebnis auslösen kann.546 In einem Theater sieht das vom Träger eingeführte Software-System vor, dass als Maßnahme des Personalmanagements zwischen den vorhandenen 70 Kostenstellen innerbetriebliche Kontrakte mit Zielvereinbarungen über Mengen und Kosten geschlossen werden. Das kommentiert der Geschäftsführer mit diesen Worten: „Da habe ich mich [...] geweigert, weil ich schließe keinen Vertrag mit der Maske und schreibe da rein: Aufgabe der Maske ist es, Masken zu erstellen. Und dann über die Anzahl der Masken und über die Kosten [intern zu verhandeln, Anm. d. Verf.] – das macht keinen Sinn. Es läuft sowieso in der Praxis, und es läuft auch gut. [...] Es sind [...] jetzt schon zu viele Ziele formuliert [...]“547
8.3.4
Abschließende Bewertung der These
Mit Ausnahme eines Theaters, welches regelmäßige Mitarbeitergespräche praktiziert, gibt es keine über die LoB hinausgehenden, systematisch implementierten Techniken zur Führung von einzelnen Mitarbeitern bzw. Gruppen. Bemühungen, die Führungskompetenzen der leitenden Mitarbeiter systematisch auszuweiten, sind nur in einer Minderheit der Stichprobe zu beobachten. Die Reflexion und Entwicklung der Führungskultur erfährt somit innerhalb des Personalmanagements im nicht-künstlerischen Bereich in den meisten Kulturbetrieben eine nachrangige Stellung.548 Es dominiert die sachliche und organisatorische Orientierung am Spielbetrieb. Mehrfach wird die Bereitschaft und Offenheit zur Auseinandersetzung mit der Führungskultur geäußert, jedoch auf mangelnde Kapazitäten (Freistellung des Personals im laufenden Betrieb, Mangel an kompetenter Konzeption, Planung und Durchführung von Führungsinstrumenten und -schulungen) und nicht ausreichend vorhandene finanzielle Ressourcen verwiesen.549 Daher ist zunächst explorativ festzustellen, dass ein aus Sicht des NPMs zentraler Erfolgsfaktor nur geringfügig realisiert wird. Es wäre jedoch voreilig, dies negativ zu bewerten, da nur in zwei Fällen angedeutet wurde, dass das Personalmanagement und die Führungskultur einzelpersonbezogene Defizite aufweisen, insbesondere auf der mittleren Leitungsebene.550 Somit lautet der Befund nicht, dass die Quantität oder Qualität an Führung grundsätzlich nicht ausreichen. 545 546 547 548 549 550
Vgl. Interviews 01-112; 02-126 ff.; 03-118 ff.; 04-170; 05-84 ff.; 08-166; 16-118 ff. Ebenda, 16-54; ähnlich auch 08-204; 12-142; 18-130. Interview 14-144. Vgl. Interview 03-144 Ebenda, 01-100; 03-102; 05-94; 07-146; 09-142 ff.; 10-140; 14-148; 15-124. Ebenda, 15-126; 16-116.
186
8. Unabhängige Variable Personalmanagement
Lediglich ihre Beschaffenheit wird wenig reflektiert, systematisiert und beeinflusst. Wie bereits bei der vorangegangenen These beschrieben, verlangt bereits die hohe Dichte an Aufführungen und Proben von allen Beteiligten hohe Disziplin und Motivation ab.551 Daher könnte vielmehr die Relevanz der Führung als Effizienzhebel inklusive der normativen Position des NPMs (Leistungsfreisetzung durch Leadership) für den betrachteten Teilsektor in Frage gestellt werden. Auf den Umfang einer eventuellen führungsbedingten Outputineffizienz vermag diese Arbeit aufgrund ihres Forschungsdesigns keine Antwort zu geben. Eine mehrfach geäußerte kritische Einschätzung der Experten lautet, dass durch veränderte oder intensivierte Führungstechniken keine beträchtlichen Leistungsreserven zu erschließen seien, u. a. wegen des hohen fachlichen Erfahrungsgrads vieler Mitarbeiter und der nur beschränkten Veränderbarkeit von Verhaltensweisen langjähriger Betriebsangehöriger. Ferner gebe der wiederkehrende Rhythmus der Spielzeit Routine und zeitliche Restriktionen vor, welche ein hohes Maß an Einsatz erzwingen. Folglich würde die Verstärkung der Bemühungen um Führungstechniken keine angemessene Wirkung herbeiführen.552 Die Führungsmechanismen innerhalb der künstlerischen Ensembles und Klangkörper wurden nicht vertiefend abgefragt. Ein Gesprächspartner befindet, dass gerade die künstlerischen Mitarbeiter während der Proben ein permanentes Feedback über ihre Leistung und ihre Arbeitsergebnisse erhalten, was sogar als noch viel intensiveres Pendant zum
Mitarbeitergespräch
gesehen werden kann.553
Inwieweit der künstlerische
Produktionsprozess samt den komplexen menschlichen Interaktionen bis zur Aufführungsreife u. U. als Vorbild für die nicht-künstlerischen Bereiche dienen kann, ist Gegenstand zunehmender Aufmerksamkeit und eines eigenen Forschungszweigs.554 Abschließend ist festzuhalten, dass der unterstellte Kausalzusammenhang der These 8 aufgrund des geringen Verbreitungsgrads der Wenn-Komponente nicht fundiert beurteilt werden kann. Die angeführten bestätigenden Befunde indizieren allenfalls eine positive Tendenz für die Wirksamkeit von Mitarbeitergesprächen als kommunikatives Führungsinstrument.
551 552 553 554
Ebenda, 01-116; 02-132; 03-132; 06-98; 18-122; 20-218. Ebenda, 03-142; 04-178; 09-142; 14-267; 20-220. Ebenda, 05-82. Vgl. das Managerseminar im RIAS Jugendorchester, die viel diskutierte basisdemokratische Führungskultur ohne ständigen Dirigenten im Orpheus Chamber Orchestra, vgl. Klein (2008), S. 187 f.; bzw. Publikationen von Boerner (2002); Gansch (2006).
8. Unabhängige Variable Personalmanagement
187
8.4
These 9: Effizienzsteigerung durch Personalentwicklungsmaßnahmen
8.4.1
Bestätigende Befunde
Weiterbildungsmaßnahmen gelten als selbstverständlich und werden entsprechend durchgeführt, wenn technischer Fortschritt (z. B. Softwareapplikationen) oder die Anschaffung neuer Anlagen (z. B. IT-gesteuerte Beleuchtung) dies durch veränderte Arbeitsabläufe erfordern. Ferner sind regelmäßige Arbeitssicherheitsunterweisungen vorgeschrieben sowie in bestimmten Anwendungsgebieten auch der regelmäßige Nachweis von Berechtigungsscheinen (Waffen, Pyrotechnik u. a.).555 Weitere Inhalte sind z. B. Veränderungen im Tarifrecht oder Sprachkurse in Englisch.556 Den Ausnahmefall stellen, wie bereits erwähnt, Schulungen zu soft skills, Stressbewältigung, Prävention und Gesundheitsförderung dar.557 Allen gemeinsam sind die Ziele der Erweiterung der Fähigkeiten, das Beherrschen des Umgangs mit neuen Systemen sowie der Abbau von Minderleistungen.558 Hauptadressat ist das nicht-künstlerische Personal. Der Fortbildungsbedarf sowie eventuelle Fortbildungswünsche werden häufig von den Betroffenen selbst oder von den direkten Vorgesetzten formuliert, wobei auf eine Eigeninitiative des betroffenen Mitarbeiters und u. U. auch auf einen eigenen Beitrag teilweise Wert gelegt wird.559 Als einzeln konzipierte Maßnahmen der Mehrfachqualifizierung wurde Folgendes berichtet: In einem Theater wurden in Ermangelung eines Werkstattleiters dessen klassische Aufgaben den Werkstättenmeistern übertragen, inklusive Budgetverantwortung und Einbeziehung in künstlerische Planung.560 In einem anderen Theater wurden die Funktionen des Beleuchters und Bühnenhandwerkers,
ursprünglich
zwei
autarke
Abteilungen,
zusammengeführt
zum
Arbeitsgebiet des Theaterhandwerkers. Eine individuelle persönliche Schwerpunktsetzung beim Personal blieb zwar vorhanden, aber grundsätzlich ist jeder Beschäftigte der Abteilung künftig in beiden Arbeitsgebieten einsetzbar. Dies wurde durch entsprechende Schulungen begleitet. Folglich hat sich die Flexibilität in der Personaldisposition erhöht.561 An anderem Orte wurden untypische Arbeitsgebietserweiterungen unter dem Druck von Personalabbau und Budgetkürzungen vorgenommen: beispielsweise übernimmt 555 556 557 558 559 560 561
Vgl. Interviews 01-100; 16-118. Ebenda, 01-100; 02-122 ff.; 05-70; 08-162; 09-142; 10-140. Ebenda, 13-68. Ebenda, 03-102 ff. Ebenda, 07-144; 10-142; 13-64; 19-252. Ebenda, 12-76. Ebenda, 09-146.
188
8. Unabhängige Variable Personalmanagement
die Sekretärin des Intendanten auch Pförtnerdienste, der Chefdisponent ist betraut mit dem Vertragswesen für Gastspiele und der geschäftsführende Intendant ist persönlich Mitglied eines Teams von vier Kollegen, welche den abendlichen Chef- und Schließdienst ausüben.562 Zwei weitere Maßnahmen der Personalentwicklung, welche nicht dem Kernbereich der Weiterbildung und Verantwortungserweiterung zugehören, lauten: In einem Orchester wurde ein dezentrales System zur Handhabung der Instrumentenwartung und -reparatur durch die Personalleiterin entwickelt und implementiert. Die Entscheidungskompetenzen liegen nun gekoppelt an einen festen Turnus im Orchester, was zu einer Entspannung im Klangkörper und zu einer Berechenbarkeit der Kosten führte.563 In einem anderen Kulturbetrieb wird den Musikern freiwillig eine Altersteilzeitregelung zum früheren Ausscheiden aus dem aktiven Berufsleben angeboten. Dies senke die Kosten für Aushilfen und fördere die Qualität des Orchesterklangs, zumal bei bestimmten Instrumentengruppen
physische
Erschöpfungen
während
des
fortgeschrittenen
Berufslebens teilweise nicht mehr kompensierbar sind. Dies helfe auch den Betroffenen.564 Ein weiteres Theater benennt, dass Stellvertreter-Funktionen bewusst eingerichtet werden, um das Nachwachsen und Reifen von Führungskräften zu fördern. Ferner werden interne Bewerber bei Ausschreibungen bei entsprechender Qualifikation bevorzugt.565 8.4.2
Falsifizierende Befunde
Es liegen keine falsifizierenden Befunde vor. 8.4.3
Neutrale Befunde
Die Mehrheit der Kulturbetriebe war in der Vergangenheit teilweise massiv von Mittelkürzungen566 und Personalabbau betroffen (vgl. Kap. 8.1), ggf. verbunden mit betriebsbedingten Kündigungen. In diesen Fällen liegt der Hauptfokus der Personalentwicklung im Management des Schrumpfungsprozesses, welcher ggf. an ein Organisationsentwicklungskonzept oder einen Personalstrukturplan geknüpft ist. Die Folgen sind zum einen umfangreiche Anpassungen der Betriebsorganisation und Disposition (insbesondere bei Fusionen) und zum anderen langfristig erweiterte 562 563 564 565 566
Ebenda, 06-42 u. -96. Ebenda, 13-70 ff. Ebenda, 09-98. Ebenda, 04-166. Entweder durch einmalige Absenkung der Zuwendungen oder durch teilweise mehr als 15 Jahre lang andauernde Verstetigung der nominalen Zuwendung, was angesichts von Inflation bzw. Kostensteigerun-
8. Unabhängige Variable Personalmanagement
189
Aufgabengebiete (gewissermaßen ein forciertes Job Enrichment bzw. Enlargement) sowie eine höhere Belastung. Letztere kann auch aus der Erhöhung des Outputs resultieren: „Die Zeit der Kuschelecken ist vorbei. Wir müssen präsenter sein. [...] Nichtsdestoweniger planen wir die übernächste Spielzeit ja auch schon wieder mit entsprechenden Mehrvorstellungen [Steigerung um 25 %, Anm. d. Verf.]“567
Es gehört zur Managementleistung der Führungskräfte, diese Prozesse auch den verbleibenden Beschäftigten zu vermitteln.568 Zugespitzt könnte formuliert werden, dass die Personalentwicklung Teil des Krisenmanagements ist und folglich dann forciert wird, wenn ein Kulturbetrieb stärkere Kürzungen erfährt. Je größer der finanzielle Druck ist, desto stärker dominieren die Bemühungen um die Organisation des regulären Spielbetriebs das Management und desto weniger bestehen Freiheiten und Kapazitäten, eine darüber noch hinausgehende Personalentwicklung im NPM-Sinn zu verfolgen. Die gegenteilige Situation, eine Ausweitung der Personalkapazitäten, ist der Ausnahmefall, welche jedoch auch für ein künstlerisches Ensemble in einem Fall zutraf und ebenso eine langfristige Managementleistung darstellt.569 Der Träger eines Theaters, welcher auch die Personalhoheit ausübt, hat als Maßnahme des Outplacements eine Stellenbörse für den öffentlichen Dienst eingerichtet, in welcher überzähliges Personal geführt wird. Bei Fluktuation haben Bewerber aus der Stellenbörse Vorrang. Es wurde seitens des Trägers auch Personalabbau in die Stellenbörse hinein einseitig angeordnet, bei konstantem Outputniveau, was vom Theater als Beschneidung der Freiheit empfunden wurde.570 Wie auch für die beiden vorangegangenen Thesen muss festgehalten werden, dass bei den 7 Kulturbetrieben ohne eigene Rechtsperson (35 %) die Trägergebietskörperschaft (ein Bundesland oder eine Kommune) der Arbeitgeber ist. Folglich wird seitens der Gesprächspartner dem Träger eine anteilige oder vollständige Zuständigkeit für das Personalmanagement und/oder die Personalentwicklung zugeschrieben. Diese Funktionen werden zentral z. B. vom Personalamt der Stadtverwaltung ausgeübt, welches etwa in einem Fall ein dienststellenübergreifendes Fortbildungsprogramm anbietet.571
567 568 569 570 571
gen realen Kürzungen gleichsteht. Interview 08-136. Vgl. Interviews 05-130; 08-156 ff.; 13-40 ff.; 14-36; 15-126. Ebenda, 11-82. Ebenda, 14-36 u. -211. Ebenda, 01-12, -110; 17-38; 19-30, -250.
190
8. Unabhängige Variable Personalmanagement
8.4.4
Abschließende Bewertung der These
Der in der These formulierte Kausalzusammenhang lässt sich im Expertengespräch schwerlich anhand von Einzelmaßnahmen evaluieren, sondern muss auf übergeordneter Ebene gesucht werden. Es wurde deutlich, dass es den Kulturbetrieben durch die dargestellten Maßnahmen gelingt, •
technische Weiterentwicklungen bei Anlagen, IT und Software mit Weiterbildung der Mitarbeiter zu implementieren, welchen ein Vorteil gegenüber älteren Systemen unterstellt werden kann;
•
innerbetriebliche organisatorische Restriktionen durch Kompetenzerweiterungen partiell aufzuheben und somit ein konstantes Aufgabenpensum mit weniger Personal zu bewältigen;
•
bei real sinkendem Zuwendungsvolumen durch Organisations- und Strukturanpassungen das Output-Niveau aufrecht zu erhalten oder wenigstens die Reduktion des Outputs abzuschwächen bzw. im Ausnahmefall den Output sogar noch auszuweiten.
Diese Ergebnisse indizieren eine Effizienzsteigerung, so dass These 9 als gestützt gelten kann. Abgesehen von technisch bedingtem Fortbildungsbedarf sind es insbesondere Maßnahmen, die zum Job Enrichment gezählt werden können, wenn auch nicht explizit von den Experten so benannt. Ferner wird das betriebsnotwendige Aktivitätsniveau (vgl. Ausführungen zur These in Kap. 4.4.3) gemäß der Erhebung erreicht. Die Anwendungsdichte ist deutlich höher als beim Personalmanagement (These 8), so dass die Beurteilungsbasis ausreichend erscheint. Explorativ ist festzustellen, dass das NPM-Ideal jedoch von einer noch ausgedehnteren Anwendung von Personalentwicklungsmaßnahmen ausgeht. Insbesondere das Attribut der systematischen Durchführung in der Wenn-Komponente der These wird nur ausnahmsweise praktiziert, etwa durch ein standardisiertes Programmangebot auf Basis eines langfristigen Personalentwicklungs-Konzepts. Der Regelfall sind punktuelle, bedarfsorientierte Maßnahmen, einzelperson- und abteilungsbezogen.572 Es gab jedoch kein offensichtliches Anzeichen dafür, dass die nicht vorhandene systematische Handhabung zu Defiziten führt.
572
Ebenda, 02-122; 03-102; 09-142; 14-148; 15-120; 20-216.
8. Unabhängige Variable Personalmanagement
191
Auch an dieser Stelle muss festgestellt werden, dass gewöhnlicherweise keine entsprechend kompetente HR-Abteilung institutionell verankert ist, von mangelnden finanziellen Ressourcen einmal abgesehen:573 „Wir haben im Moment circa 250 feste Mitarbeiter und jede Menge freie. Wir haben dafür eine Personalsachbearbeiterin hier, die das machen muss, die noch dazu beruflich nicht aus der Personalverwaltung kommt. [...] Die Kollegin, die ich jetzt hier neu habe seit einem halben Jahr, die macht das ganz hervorragend, [...] aber braucht erst mal ein, zwei Jahre, bis sie eingearbeitet wird. Und dann für so viele Menschen mit so vielen unterschiedlichen Tarifverträgen noch dazu [...] Also da geht es dann schon ans Eingemachte, wo man sagen muss: Das ist ziemlich grenzwertig, was da der Theaterverwaltung zum Teil zugemutet wird.“574
8.5
Fazit Personalmanagement
Im Vergleich aller untersuchten Reformfelder ist das Personalmanagement mit den fokussierten Teilgebieten LoB, Führung und Personalentwicklung am wenigsten verbreitet und umgesetzt. Gleichzeitig kann dem Personalmanagement im Vergleich zu den betrachteten Reformen des Rechnungswesens das höchste Potenzial zur Effizienzsteigerung für die Kulturbetriebe eingeräumt werden, da das Personal Träger und Rückgrat der Produktion ist, somit eine Verbesserung des Personalmanagements unmittelbar wirkt. Die Realisierung des Potenzials ist jedoch schwierig und von vielen Determinanten abhängig, wie die Detailbefunde gezeigt haben. Die tariflich vorgesehenen Formen der LoB sind noch weit von einer Wirkungsentfaltung entfernt, sowohl konzeptionell als auch zeitlich. Selbst wenn die prozentuale Ausschüttungsquote zukünftig ansteigt, bleibt aufgrund der vollumfänglichen Partizipation aller Beschäftigten und geringen Bewertungsspreizungen fraglich, ob die momentan vorherrschenden Mechanismen geeignet sind, gute Leistungen ausreichend zu belohnen und schlechte Leistungen spürbar zu sanktionieren, um einen Anreiz zur Verhaltensanpassung zu setzen. Es wäre anzuregen, sich auch im nicht-künstlerischen Bereich stärker an der freien Verhandelbarkeit auf Basis von Mindestvergütungen analog dem NV Bühne zu orientieren (wohl wissend um die schwierige tarifrechtliche Durchsetzbarkeit). Alternativ könnte die Skalierung der Auszahlungsbeträge anwachsend gestaltet werden, etwa dass ab einem relativ hoch angesetzten Leistungsniveau, z. B. 90 %, die Partizipation erst beginnt und oberhalb von 100 % überproportional stark ausgeschüttet wird.
573 574
Ebenda, 01-100; 03-102; 05-72; 09-142; 13-116; 14-148; 15-120. Interview 15-114.
192
8. Unabhängige Variable Personalmanagement
Ansatzpunkt für eine intensivierte Pflege und Ausprägung einer Führungskultur ist die mittlere Leitungsebene, welche diesbezüglich zur Zeit relativ autark handelt. Dies setzt ein Vorleben durch die oberste Leitung voraus und erhebt hohe Ansprüche an die Qualifikation des Personals der mittleren Ebene, was ohne entsprechende Schulung und angemessene Vergütung nicht durchgängig zu realisieren sein wird. Da sich die Arbeitsbedingungen an vielen Orten durch abnehmende personelle und finanzielle Kapazitäten bei gleichbleibenden Leistungszielen ohnehin verschärft haben, ist die Herausforderung von schwieriger Natur. Die Potenziale von Führung und Leadership werden jedoch von einigen Experten als niedrig eingestuft. Dazu kann diese Arbeit kein empirisch fundiertes Urteil fällen. Dagegen sind die beobachteten Ansätze der Personalentwicklung viel versprechend und – relativ betrachtet – praktikabler. Dies gilt insbesondere für die Erweiterung bzw. Zusammenführung von benachbarten Tätigkeitsgebieten zur Erhöhung der innerbetrieblichen Dispositionsmöglichkeiten. Bei Situationen strukturellen Personalabbaus könnte diese Aussage als euphemistisch beurteilt werden, jedoch kann die Vorteilhaftigkeit gerade auch außerhalb einer extern forcierten Kapazitätsverknappung eintreten. Voraussetzung bzw. wenigstens förderlich für alle genannten Maßnahmen des Personalmanagements ist das Vorhandensein einer umfassender arbeitenden Personalabteilung, welche auch Kapazitäten und entsprechend dotierte Kompetenzen zusätzlich zur Personalverwaltung aufweist. Wenn die Implementierung von NPM ernsthaft betrieben werden soll, müssen diese Ressourcen bereitgestellt werden, da der beiläufige Umgang mit dem
wichtigsten
gewährleistet.
Produktionsfaktor
Personal
nicht
immer
optimale
Ergebnisse
9. Auswertung der übrigen Variablen
9
Auswertung der übrigen Variablen
9.1
Vermittlungsprozessvariable Implementation
193
Bei der Auswertung dieser Variable wurden drei Subkategorien geschaffen, welche den Implementationsprozess der hier untersuchten NPM-Teilreformen charakterisieren. 9.1.1.
Auslösende Faktoren und Prozesspromotoren
Nachfolgend aufgeführte Gegebenheiten haben sich als auslösende oder treibende Faktoren von NPM-Reformen erwiesen: •
Ein Rechnungshof mahnte die Einführung von Controlling-Instrumenten an.575
•
Eine Landesregierung und die zugehörigen Ministerien waren im Zuge ihrer Verwaltungsmodernisierung bestrebt, ihre Funktion in der Art einer Konzernleitung über die nachgeordneten Einrichtungen auszuüben. Folglich wurde auch in den Theatern die Doppik, ein einheitliches SAP-System, welches auf Landesebene aggregieren kann, und die Vollkostenrechnung samt standardisiertem Produktkatalog eingeführt.576
•
Reformen im externen Rechnungswesen werden als Gelegenheit genutzt, auch im internen Rechnungswesen Veränderungen umzusetzen bzw. machen dieses erforderlich.577
•
Die Verabschiedung des Gesetzes zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich (KonTraG) veranlasste eine Wirtschaftsprüfungsgesellschaft dazu, bei einer Geschäftsführung auf die Einführung eines Risikomanagement-Systems hinzuwirken.578
•
Das neue Betriebsgesetz der Körperschaft eines Theaters sieht vor, dass KLR und Controlling durchzuführen sind.579
•
Aus einer kommunalen Finanzkrise ist eine Theaterkrise hervorgegangen. Dies waren die Anstoßgeber für eine Theaterreform, bei welcher u. a. die rechtliche Umwandlung in einen Eigenbetrieb und die Einführung der Doppik beschlossen wurden.580
575 576 577 578 579 580
Vgl. Interview 09-134. Ebenda, 14-6, -64 ff., -218 ff.; ähnlich auch auf kommunaler Ebene 17-86; 19-176. Ebenda, 14-78. Ebenda, 16-88. Ebenda, 12-38, -86. Ebenda, 15-2, -20.
194
•
9. Auswertung der übrigen Variablen
Nachdem mehrere Vorgänger eines Verwaltungsdirektors erhebliche Verluste zu verantworten hatten, wurde der jetzige Amtsinhaber berufen, welcher sich in diesem Zuge für die Einführung der Doppik eingesetzt hat581.
•
In zwei kommunalen Kulturbetrieben war es die Gemeindehaushaltsordnung, welche die Doppik verbindlich zu einem Stichtag vorgab, nachdem die Kommunen beschlossen hatten, gänzlich mit der kaufmännischen Buchführung zu arbeiten582..
•
Die Zuwendungsgeber mehrerer rechtlich selbständiger Kulturbetriebe haben die Einführung von Doppik und/oder KLR angeordnet bzw. verlangt.583
•
In zwei rechtlich unselbständigen Kulturbetrieben gibt der Rechtsträger und Zuwendungsgeber maßgeblich vor, wie die KLR zu implementieren und zu gestalten ist. Einerseits fördert dies den Prozess, andererseits wird die KLR nicht tiefergehend eingerichtet, solange vom Träger keine weiteren Aufforderungen kommen.584
•
Ein Geschäftsführer berichtet, dass der Zeitgeist ihn vor sieben Jahren veranlasst habe, die Vollkostenrechnung zu implementieren; das sei so üblich gewesen.585
•
Die an einem Ort bevorstehende Fusion mehrerer Kulturbetriebe und damit verbundene Erhöhung des Haushaltsvolumens erfordert die erstmalige Einrichtung einer Controlling-Stelle.586
•
Die Rechtsformänderung eines Kulturbetriebs führte zur Verselbständigung und damit zur Personalhoheit, was ein eigenes Personalmanagement erst ermöglicht.587
Insgesamt kommt den exogenen, nicht vom Kulturbetrieb unmittelbar beeinflussbaren Faktoren aus der Meso-Ebene (vgl. Abb. 3) (Regierungen bzw. Verwaltungen, Gesetze, Träger bzw. Aufsichtsgremien, Struktur- und Personalveränderungen u. a.) für die Auslösung von Reformen eine hohe Bedeutung zu. Es wird deutlich, dass es rechtlich unselbständigen Kulturbetrieben, etwa Regiebetrieben, gar nicht möglich ist, bestimmte Reformen wie die Doppik-Umstellung aus eigenem Antrieb umzusetzen. Zentralistische Strukturen, etwa Stadtverwaltungen, können aufgrund ihrer funktionalen Gliederung in spezialisierte Querschnittsämter als Reformpromotoren wirken, besonders bei der Doppik und im Personalbereich. Das ist insofern ein interessanter Befund, als im Zuge der jahrzehntelangen Entwicklung der rechtlichen Verselbständigung von Kulturbetrieben ein 581 582 583 584 585 586 587
Ebenda, 09-68. Ebenda, 17-6; 19-4. Ebenda, 10-37; 11-40; 20-162. Ebenda, 03-14; 19-150 ff. Ebenda, 15-58. Ebenda, 13-118. Ebenda, 12-14.
9. Auswertung der übrigen Variablen
195
Argument lautete, Kompetenzen und Gestaltungsmöglichkeiten dezentral in die Kulturbetriebe zu verlagern. Ebenso wird ersichtlich, dass die wirtschaftliche Steuerung und Kontrolle der rechtlich unselbständigen Kulturbetriebe gleichzeitig teils durch die Einrichtungen selbst, teils durch die Träger ausgeführt wird, zumindest durch ein externes Controlling. Die Gestaltung des Rechnungswesens ist von einer klaren Rollenverteilung bezüglich Planung, Steuerung und Kontrolle abhängig, da das jeweilige Informationsbedürfnis für die Gestaltung maßgeblich sein sollte. Solange die Rollenverteilung – abgesehen von den vorhandenen rechtlichen Grundlagen – in der täglichen Praxis nicht eindeutig gehandhabt wird und zu Ambivalenzen führt, kann es zu dysfunktionalen Ausgestaltungen und Reformstau kommen (vgl. oben). 9.1.2.
Begünstigende Faktoren
Als förderliche, wegbereitende Umstände haben sich erwiesen: •
Offenheit, Verständnis und Interesse des Intendanten und der künstlerisch Verantwortlichen für wirtschaftliche Zusammenhänge hat Reformen in den Bereichen KLR und Controlling unterstützt und zum Gelingen beigetragen.588
•
Gestaltung des Berichtswesens in einer „sprechenden“ Weise, die es den künstlerisch Verantwortlichen erleichtert bzw. ermöglicht, das Wesentliche zu erkennen.589
•
Erfahrungswissen des Trägers bezüglich der Reformfelder und daraus entstehende Kompetenz für die Konzeption von Reformen in den Kulturbetrieben.590
•
Dialog im Vorfeld der Doppik-Einführung zwischen Kultureinrichtung und Trägern bezüglich der zu erwartenden Konsequenzen in der Steuerung.591
•
Bereitschaft aller im Kulturbetrieb Betroffenen zur Auseinandersetzung mit den gewonnenen Erkenntnissen und dem Kulturwandel zu einer informationsgestützten Führung.592
•
Ausreichende Kommunikation und Information aller Mitarbeiter über bevorstehende Reformprozesse, z. B. auf Personalvollversammlungen und im Personalrat.593
588 589 590 591 592 593
Ebenda, 03-80; 04-126; 18-130; 19-148. Ebenda, 12-58. Ebenda, 08-106; 13-96. Ebenda, 15-38. Ebenda, 08-126. Ebenda, 12-94, -104.
196
•
9. Auswertung der übrigen Variablen
Einschlägige Vorkenntnisse der von NPM-Reformen involvierten Mitarbeiter, etwa im Umgang mit Kalkulationen und Budgets bei Einführung dezentraler Ressourcenkompetenzen.594
•
Gestaltungskompetenz und Fähigkeit zur konzeptionellen Arbeit der leitenden Mitarbeiter auf mittlerer Ebene zur hausinternen Weiterentwicklung und Ausdifferenzierung der Teilreformen.595
•
Fähigkeit und Bereitschaft der obersten Leitung, innerbetriebliche Reformprozesse zu gestalten und zu führen (Management-Kompetenz).596
•
Sofern Vorkenntnisse nicht vorhanden, rechtzeitige Schulungen der Mitarbeiter oder Workshops zur Ausgestaltung von Teilinstrumenten, z. B. für die Abteilungsleiter zur Leistungsbewertung innerhalb der LoB.597
•
Ausreichende Personalkapazitäten, quantitativ und qualitativ, um neue Instrumente einzuführen; dabei ist eine größere Organisation begünstigend, da mehr Gestaltungsspielraum für temporäre Akzentsetzung der Arbeitsinhalte besteht.598
•
Entsprechende Auswahlentscheidung und rechtzeitiges Vorhandensein von adäquaten Softwareprodukten inklusive Schnittstellenprogrammierung zu hausspezifischen Applikationen, z. B. zwischen Finanzbuchhaltung und Ticketing-System.599
•
Sorgfältige Planung der Implementationsphase, ggf. sukzessive Einführungsschritte.600
•
Genaue und zutreffende Buchungsweise in der Buchhaltung zur Sicherung der Datenqualität in den Bereichen Rechnungswesen und Controlling.601
•
Ausreichendes Problembewusstsein bei den Verantwortlichen der Implementierung, z. B. im städtischen Personalreferat hinsichtlich Notwendigkeit der Vermittlung von Führungskompetenzen; somit auch eine normative Haltung zu den Reforminstrumenten.602
•
Einführung Instrumente.
594 595 596 597 598 599 600 601 602 603
der
LoB
erleichtert
603
Ebenda, 12-76. Ebenda, 05-66. Ebenda, 04-16, -140; 18-130. Ebenda, 04-140; 12-100; 17-100; 19-184. Ebenda, 01-68; 05-66; 16-86. Ebenda, 01-68; 17-100 ff. Ebenda, 19-184. Ebenda, 12-50. Ebenda, 04-16; 15-130. Ebenda, 04-142.
Einführung
weiterer
Personalmanagement-
9. Auswertung der übrigen Variablen
197
Es wird deutlich, dass dem Personal des jeweiligen Kulturbetriebs die wichtigste Rolle für das Gelingen des Implementationsprozesses zukommt, insbesondere der mittleren Leitungsebene und der Führungsspitze. Das unterstreicht die hohe Bedeutung sowohl der Personalentwicklung und des Personalmanagements als auch die Auswahlentscheidung über einzelne Personen bei der Rekrutierung für die weiteren Reformen. 9.1.3.
Behindernde Faktoren
Die zuvor beschriebenen begünstigenden Faktoren können in ihrer Umkehrung als Negativ-Ausprägung hemmend wirken, etwa die Verschlossenheit der Intendanz, mangelhafte Software, nicht ausreichende Kompetenzen bei leitenden Mitarbeitern, inhaltlich schlecht abgestimmte oder terminlich zu dicht konzipierte Implementationsphasen etc.604 Diese Fälle werden nicht erneut aufgelistet. Als weitere Sachverhalte treten indessen hinzu: •
Die Pflege der neu geschaffenen KLR-Systeme und Datenbanken ist sehr aufwändig und von der akkuraten Zuarbeit vieler Beteiligter, u. a. der Personalabteilung zur Aufbereitung der personalbezogenen Kosten, abhängig. Folglich gehen Personalkapazitäten für andere Tätigkeiten verloren. Eine eigenständige Controlling-Stelle wird angestrebt, kann aber aus Kostengründen vorläufig nicht eingerichtet werden.605
•
Die Doppik-Einführung erforderte die Schaffung und dauerhafte Besetzung von 2 ½ neuen Stellen und das Hinzuziehen von externer Beratung.606
•
Es kommt zu kompensatorischen Doppelarbeiten, wenn durch grundlegende Veränderungen des Rechnungswesens bewährte Steuerungsmechanismen außer Kraft gesetzt werden.607
•
Wenn im Gegensatz zu den Trägerkommunen ein ebenso bezuschussendes Bundesland nicht doppisch bucht, sind in vielen Einrichtungen noch Umrechnungen der Jahresabschlüsse und der Wirtschaftspläne in die Kameralistik notwendig, z. B. unter Herausrechnung von Abschreibungsaufwand u. a.608
•
Verständnis- und Interpretationsschwierigkeiten des kaufmännischen Jahresabschlusses.609
604 605 606 607 608 609
Ebenda, 01-98; 02-62; 07-78; 11-68; 14-12, -64 -108; 15-54; 16-116; 17-10, -18, -34, -100 ff.; 20-129. Ebenda, 04-116; 05-66, -116; 16-12. Ebenda, 02-72; ähnlich 06-68; 08-58; 09-68; 14-92. Ebenda, 12-72; 14-62, -114; 17-26. Ebenda, 05-34; 06-72; 09-106; 14-62; 15-34; 16-68; 20-120. Ebenda, 05-34.
198
•
9. Auswertung der übrigen Variablen
Kreis-, Gebiets- und Funktionalreformen bewirken eine Veränderung der Gesellschafterzusammensetzung, so dass für grundlegende Reformen zur Zeit keine günstige Gesprächssituation herrscht.610
•
Die Komplexität der Systematik des Rechnungswesens führt dazu, dass mehrere Jahre nach der Einführung von Doppik und KLR noch kein zufriedenstellender Status quo erreicht wurde.611
•
Zum Zeitpunkt der Umstellung auf die Doppik wurde bewusst noch keine KLR eingeführt,
bewährte
kameralistische
Steuerungsmechanismen
jedoch
implizit
abgeschafft und die Möglichkeit zur individuellen Adaption der Doppik ausgeschlossen. Dadurch fehlen interne Steuerungsgrundlagen, die in einer händischen Interimslösung selbst geschaffen werden mussten.612 •
Dysfunktionaler Produktkatalog und nicht adäquate Steuerungslogik (das Theater stellt nur ein einziges Produkt in der städtischen Verwaltung dar, ohne Differenzierung nach Aufführungen bzw. an anderem Orte Einschränkung der Deckungsfähigkeit der Haushaltsmittel inklusive verrechneter Gemeinkosten über die Produkte = Sparten hinweg).613
•
Die rechtliche Fusion mehrerer Körperschaften führt dazu, dass im Kulturbetrieb vor Ort keine eigene Personalstelle mehr vorhanden ist, welche sich vertieft um Belange des Personalmanagements kümmern könnte.614
Nicht explizit genannt wurde der dennoch wichtige Aspekt, dass öffentliche Kulturbetriebe in geringerem Maße dem Druck des marktlichen Wettbewerbs ausgesetzt sind. Sicherlich ist die Existenz eines Kulturbetriebs auch von öffentlicher und politischer Wahrnehmung abhängig, so dass ein Wettbewerb um Wertschätzung, Besuchszahlen und Eigenerlöse herrscht. Trotz der Insolvenzfähigkeit einiger Rechtsformen wie der GmbH bleibt letzten Endes die Hauptentscheidung über die Fortsetzung der Existenz eines Kulturbetriebs auch in Krisenzeiten in politischer Verantwortung und nicht in der Gewalt des Marktes. Zur künstlerischen Entfaltung werden dem Kulturbetrieb wirtschaftliche Freiräume (wenn auch begrenzt und tendenziell schrumpfend) explizit zugestanden. Daraus resultiert, dass die in der Privatwirtschaft üblichen Steuerungsinstrumente, wie sie auch vom NPM vorgesehen werden, eher aus einer Freiwilligkeit als aus einer Notwendigkeit heraus in Kultureinrichtungen implementiert werden. 610 611 612 613 614
Ebenda, 16-94. Ebenda, 14-92. Ebenda, 17-28, -90 ff. Ebenda, 14-86; 17-82 ff. Ebenda, 01-12, -110.
9. Auswertung der übrigen Variablen
9.2
199
Intervenierende Variablen Künstlerische und Wirtschaftliche Rationalität
An obigen Befunden anknüpfend kann festgestellt werden, dass die künstlerische Rationalität in Bezug auf die Implementation der NPM-Instrumente nie auslösend, jedoch in einigen Fällen begünstigend oder behindernd gewirkt hat. Stärker hingegen ist der Einfluss der wirtschaftlichen Rationalität: Häufig wirkt sie begünstigend, im Einzelfall auch auslösend, selten jedoch behindernd. Als auslösende Faktoren für NPM-Reformen dominieren externe Quellen (vgl. Kap. 9.1.1). Für das Gelingen der Umsetzung spielt im Rahmen dieser Erhebung die wirtschaftliche Rationalität eine vorrangige und die künstlerische Rationalität eine nachrangige Rolle. Die Einzelbefunde aus den 20 Kulturbetrieben wurden anhand des Binnenverhältnisses von künstlerischer und wirtschaftlicher Rationalität aggregiert. Dabei ließen sich drei Typen von Kulturbetrieben ableiten: der sachzieldominierte Kulturbetrieb mit starker künstlerischer Rationalität (Typ I), der paritätisch geführte Kulturbetrieb mit gleichberechtigten Rationalitäten (Typ II) und der formalzieldominierte Kulturbetrieb mit überwiegender wirtschaftlichen Rationalität (Typ III). Diese werden nachfolgend als übergreifendes, dreiteiliges Klassifikations-Schema für Kulturbetriebe vorgestellt. Dabei steht die Exploration der Makro-Ebene des Modells der heterogenen Rationalitäten (vgl. Abb. 5) im Vordergrund, insbesondere der Einfluss der Verteilung und Interaktionen der Rationalitäten auf das Organisationshandeln und den Output des Kulturbetriebs: 9.2.1.
Typus I: Sachzieldominierter Kulturbetrieb (Primat der künstlerischen Rationalität)
In diesen Häusern ist ein hoher betriebsinterner Einfluss der künstlerischen Rationalität festzustellen. Dies zeigt sich u. a. in folgenden empirischen Befunden: •
Die Spielplanung wird – auf Basis eines meist wiederkehrenden Grobgerüstes – von künstlerischen Zielen dominiert. Teilweise sind dabei budgetäre Restriktionen zu beachten, teilweise auch nicht bzw. Überziehungen führen zu keinen Konsequenzen. Produktionen samt Engagements von Spitzenkünstlern werden langfristig angesetzt ohne Einbettung in einen – ohnehin noch nicht existenten – finanziellen Gesamtplan. Ein Dialog mit den kaufmännisch Verantwortlichen bzw. der Abteilung Marketing findet bezüglich der künstlerischen Planung nachrangig oder im selteneren Extremfall überhaupt nicht statt. Der Arbeitsauftrag der Vertreter der wirtschaftlichen Rationalität erschöpft sich diesbezüglich in der Kenntnisnahme, höchstens in der Überprüfung der Einhaltung der Restriktionen, nicht jedoch in einer gestaltenden Einflussnahme unter wirtschaftlichen
Gesichtspunkten.
Folglich
besteht
kein
Konkurrenzverhältnis
200
9. Auswertung der übrigen Variablen
zwischen den Rationalitäten, da das Primat künstlerischer Ziele vorgegeben ist. Die Erstellung des Spielplans ist im Wesentlichen autark vom Wirtschaftsplan, wobei u. U. zu späterem Zeitpunkt eine formelle Kongruenz hergestellt werden muss.615 •
Vereinzelt werden zur Realisierung der künstlerischen Ziele der Intendanz große Anstrengungen unternommen, etwa Baumaßnahmen um Großaufführungen zu realisieren oder die theaterseitige Kündigung einer ganzen Abonnement-Serie für ein einziges Großprojekt, welche punktuell einen hohen Aufwand bzw. Einnahmeminderungen verursachen. Die im Intendantenvertrag ggf. garantierte künstlerische Freiheit und Entscheidungsbefugnis in der Geschäftsführung ist strukturell gewichtiger gegenüber der kaufmännischen Leitung konzipiert oder wird zumindest so ausgelebt.616
•
Es wird darauf verwiesen, dass die langfristige Entwicklung der künstlerischen Ensembles samt Qualitätssteigerung von hoher künstlerischer Bedeutung sei, was eine wichtige Aufgabe der Intendanz unabhängig von wirtschaftlichen Erkenntnissen sei. So wird u. a. bei der Tourneeplanung auf die Bevorzugung von zahlungskräftigen Ländern partiell verzichtet und auf die Einladung von herausragenden, prägenden Solisten und Dirigenten geachtet.617
•
Beispielzitate: „Einen Einfluss [der KLR, Anm. d. Verf.] bei den [...] Konzerten würde ich als ausgeschlossen ansehen, weil sich beispielsweise zu verhandelnde Gagen nicht daran orientieren, wie ertrag618
reich ein Konzert ist.“
„Letztendlich dominiert aber doch die Kunst das eigentliche wirtschaftliche Gebaren, so dass eine langfristige Planung aus bilanztechnischer Sicht hier nicht den künstlerischen Ablauf 619
beeinflussen wird“
„Wir versuchen, in erster Linie die künstlerischen Ziele zu erreichen und schauen dabei nicht nur in erster Linie auf die Wirtschaftlichkeit. Es geht im Zweifel nicht darum, dass sich die 620
Wirtschaftlichkeit gegenüber der künstlerischen Entscheidung durchsetzen muss.“
„Ich habe hier einmal gesagt, da wurde ich sehr gescholten: Der Tod der Theater sind die 621
Betriebswirte.“
615 616 617 618 619 620 621
Ebenda, 01-92, -124; 02-92, -162; 03-42; 07-80; 08-132; 09-168; 10-84; 12-74; 14-100; 15-82; 16-80; 1726, -106. Ebenda, 02-158; 03-42, -80, -176; 08-132; 12-132; 17-162, -174. Ebenda, 02-166; 20-138. Interview 02-96. Interview 03-42. Interview 10-84. Interview 08-56.
9. Auswertung der übrigen Variablen
201
Folglich hat das interne Rechnungswesen eine nachrangige Bedeutung als Entscheidungsgrundlage. Wirtschaftliche Auswertungen einzelner Produktionen werden zwar ex post erstellt oder stehen in den IT-Systemen zur Verfügung, finden jedoch nur eine geringe Beachtung im Top-Management. Dies setzt eine finanzielle Gesamtsituation voraus, in der über die Deckung der Grundlast hinaus entsprechende Freiheiten herrschen. Diesem Typus können etwa 30 % der Stichprobe zugeordnet werden, insbesondere – aber nicht ausschließlich – die großen, international renommierten Theater und Orchester. 9.2.2.
Typus II: Paritätisch geführter Kulturbetrieb (Gleichberechtigung von künstlerischer und wirtschaftlicher Rationalität)
Folgende Anzeichen für ein gleichstarkes Verhältnis der Rationalitäten sind zu beobachten: •
Offenheit der künstlerischen Leiter für Notwendigkeit der Berücksichtigung von Kostenrestriktionen, Auslastungszahlen und Einnahmesituation ist gegeben. So haben beispielsweise Gespräche mit der Intendanz über künftige wirtschaftliche Optimierung stattgefunden, auf Basis von Schätzungen zur Einnahmeverteilung. Das Verhältnis der Vertreter der Rationalitäten kann als dialogisch und kooperativ bewertet werden. Bei Entscheidungen kommen beide Seiten in etwa gleichem Verhältnis zum Tragen.622
•
Es sind bei der Planung eingrenzende finanzielle Restriktionen vorhanden, mindestens in Form von Budgets. Eine darüber hinausgehende wirtschaftliche Optimierung des Spielplans ist nicht unbedingt notwendig.623
•
Daten aus der KLR und dem Controlling finden wenigstens punktuell Eingang in künstlerische Überlegungen und Entscheidungen mit wirtschaftlichen Auswirkungen.624
•
In einigen Kulturbetrieben muss die Spielplanung von den Trägern, welche eher die wirtschaftliche Rationalität vertreten, formal beschlossen werden. Dabei trägt in einem Fall die Intendanz auch die wirtschaftliche Planung vor.625
•
Der kaufmännische Leiter ist mindestens gleichberechtigt zur Intendanz.626
•
In Fällen der Personalunion der Spitzenvertreter der Rationalität, z. B. ein geschäftsführender Intendant bzw. Orchestermanager, kann zumindest konstatiert werden, dass Abstimmungen bei Planungsprozessen und eventuelle Konflikte internalisiert sind.627
622 623 624 625 626 627
Vgl. Interviews 04-134, -196; 05-100; 07-72; 12-58; 16-16; 19-42. Ebenda, 08-106; 13-112. Ebenda, 10-136; 12-58; 19-154. Ebenda, 08-188; 11-70; 19-206. Ebenda, 13-18; 15-26; 17-46. Ebenda, 11-18; 17-46; 18-26, -76.
202
•
9. Auswertung der übrigen Variablen
Beispielzitate: „Die künstlerische Leitung ist diejenige, die bei der Spielplanung dominiert. Es gibt dann die Phasen, wo wir die Dinge einordnen, [...] mit der Fixierung des Spielplanes läuft dann gleich die Zuordnung der Inszenierungskosten für Kostüme, Dekorationen dann parallel, wo dann Ausstattungsleitung, Intendant und ich im Gespräch sind. [...] Es sind dann, für meine Begriffe, doch Fragen auch des betriebswirtschaftlichen Hintergrundes [...] Wir haben dann versucht, mit den Dingen natürlich umzugehen und auch Signale zu setzen. Sind ja Fragen bis hin: Welches Orchesterrepertoire biete ich in Sinfoniekonzerten an? Ja, wie weit gehe ich auf großes Repertoire, wo ich vier Aushilfen brauche, wie ausgewogen ist das Ganze, wo setze ich den Chor zusätzlich ein, wo ich wieder gagenpflichtig bin. [...] Wir haben natürlich dann hier und da mal Notbremse gezogen und dann gesagt: Okay, jetzt müssen wir einfach versuchen, 628
ein Gegensteuern zu erreichen.“
„Was ich möchte ist, dass man im Prinzip die Erkenntnisse, die man hat und verwertbar sind, letztendlich auch bei der Entscheidungsfindung anwendet. Das ist auch so ein ständiges Spannungsverhältnis zwischen künstlerischer Leitung und Verwaltungsleitung, denn Künstler 629
neigen dazu, gewisse – ja, wie soll ich das sagen? – Teile der Realität auszublenden [...].“
An einigen Orten wird festgestellt, dass die Durchlässigkeit zwischen den Rationalitäten wächst. Dies wird einerseits mit einer sich verändernden Betriebskultur begründet, welche wirtschaftlichen und faktenbasierten Überlegungen mehr Raum oder künstlerischen Leitern mehr wirtschaftliche Verantwortung gibt, andererseits mit der Verjüngung und zunehmenden Mehrfachqualifizierung des Personals: durch das wachsende gegenseitige Verständnis vergrößert sich die gemeinsame Gesprächsbasis.630 Diesem Typus können etwa 50 % der Stichprobe zugerechnet werden, mit steigender Tendenz. In diesem Typus muss die finanzielle Situation nicht zwingend schlechter als im vorangehenden Typus sein, wenngleich dies tendenziell zutrifft.
628 629 630
Interview 07-80. Interview 17-106 ff. Vgl. Interviews 04-124; 07-76; 13-82.
9. Auswertung der übrigen Variablen
9.2.3.
203
Typus III: Formalzieldominierter Kulturbetrieb (Primat der wirtschaftlichen Rationalität)
Die Merkmale lauten: •
Die finanzielle Situation ist angespannt: Personalkapazitäten müssen abgebaut werden, häufig einhergehend mit wachsendem Krankenstand, Überstunden werden nicht mehr ausbezahlt, erhebliche Sparzwänge – meist vorgegeben durch Kürzungen der Zuwendungsgeber – belasten den Gesamthaushalt; die Soll-Werte der Einnahmen und Einspielquoten steigen und erzeugen entsprechenden innerbetrieblichen Druck.631
•
Die Instrumente des NPMs werden gezielt eingeführt, um die wirtschaftliche Rationalität zu stärken, meist durch den Träger veranlasst.632
•
Daten des Controllings und der KLR sind häufig präsent und entscheidungsleitend.633
•
Bei der Spielplanung existieren nicht nur Budgets für künstlerische Ausgaben, sondern auch ein Einnahmeziel (bzw. saldiert ein Deckungsbeitrag) ist zu berücksichtigen. Die Markt- bzw. Nachfrageorientierung ist stark ausgeprägt und wirkt sich deutlich auf die Planung aus.634
•
Leitende
Mitarbeiter
mit
wirtschaftlichen
Entscheidungsbefugnissen
bzw.
Budgetverantwortung haben ein ausgeprägtes Kosten- und Effizienzbewusstsein.635 •
Die mittelfristige Finanzplanung dominiert die Spielplanstruktur und Kapazitätsplanung.636
•
Künstlerische Freiheit kann noch ausgelebt werden, aber nur innerhalb der genehmigten Budgets.
•
Die kaufmännische Leitung und/oder der Dienstherr des Intendanten hat ein VetoRecht und kann den Planungen des Intendanten widersprechen bzw. diese überstimmen.637
•
Nachgeordnete Kulturbetriebe ohne eigenen Jahresabschluss werden bzw. wurden rechtlich verselbständigt und/oder erhalten eigene GuV und Bilanz. Das bedeutet eine Delegation der stärkeren wirtschaftlichen Eigenverantwortlichkeit in den Betrieb hinein.638
631 632 633 634 635 636 637 638
Ebenda, 15-24; 16-56. Ebenda, 15-26. Ebenda, 15-26. Ebenda, 16-68; 18-160. Ebenda, 14-267; 16-98. Ebenda, 07-50. Ebenda, 07-82; 14-22; 16-18; 19-48. Ebenda, 07-50.
204
•
9. Auswertung der übrigen Variablen
Beispielzitate: „Es gibt [...] einen Gesamtetat und der wird dann von mir [dem kaufmännischen Geschäftsführer, Anm. d. Verf.], sobald ich die Daten habe, gemeinsam mit den Beteiligten geplant. Da gucken wir halt, wenn wir überzogen haben, wo wir es reduzieren müssen, wo wir vielleicht Honorare reduzieren müssen, wo wir Leute raus-, wo wir Produktionen rausschmeißen müssen, 639
Zusatzprojekte oder irgendwas. [...] Die Einsetzung des Etats überliegt aber dann mir.“
„Das heißt, dass sehr kostenintensive Produktionen ja immer unter diesem Spardiktat stehen, dass wir eingreifen mitten im Spielplan. Also Spielplantreue hin, Spielplantreue her, wenn wir wirtschaftlich nicht in der Situation sind, dieses, was wir dem Publikum versprochen haben, auch leisten zu können, dann geht es nicht anders, dann greifen wir ein. [...] Hier ist ein Diktat 640
der Haushaltslage, dem wir unterliegen, klar und deutlich.“
Dieser Typus ist am geringsten verbreitet. In Extremfällen kann eine latente oder akutbeherrschbare Unternehmenskrise641 eingetreten sein. Zum Zeitpunkt der Interviews können diesem Typus etwa 20 % zugerechnet werden, wobei deutlich mehr Kulturbetriebe vergleichbare Phasen temporär durchschritten haben. 9.2.4.
Interpretation der Klassifikationen
Mit den Klassifikationen der 3 Typen wird keine Bewertung vorgenommen, weder normativ noch hinsichtlich der wirtschaftlichen Effizienz. Herausragende künstlerische Leistungen lassen sich vermutlich leichter in dem Typus I realisieren. Die Sachzieldominanz und der niedrige Einfluss der wirtschaftlichen Rationalität müssen nicht bedeuten, dass ineffizient gewirtschaftet wird: Aus der Theaterstatistik wird ersichtlich, dass gerade die großen, international renommierten Mehrsparten- bzw. Opernhäuser eine relativ hohe Einspielquote aufweisen, während kleine Stadttheater tendenziell mit niedrigeren Einspielquoten unter größerem Druck (Typus II bis III) stehen. Zusätzlich ist auf die Adaption des Effizienzbegriffs hinzuweisen, welche neben rein quantitativen Wirtschaftlichkeitskennzahlen auch qualitative Merkmale berücksichtigen muss. Die Zuordnung von Kulturbetrieben zu den drei Typen kann sich im Verlauf von Jahren verändern und ist nicht eindeutig abgrenzbar. Es können Mischtypen existieren, wie auch an den Quellen in den Fußnoten ersichtlich wird. Der Hintergrundvariablen der finanziellen Ausstattung kann für die Zuordnung eine gewichtige Bedeutung beigemessen werden. Abschließend wird deutlich, dass die in der Literatur vorherrschende Klassifikation sämtlicher öffentlicher
639 640 641
Interview 16-78. Interview 13-28. Vgl. Krystek/Moldenhauer (2007), S. 36 ff.
9. Auswertung der übrigen Variablen
205
Betriebe als sachzieldominiert642 (Typus I) zumindest im kulturellen Sektor differenziert werden muss. Die Befunde belegen, dass die beiden genannten Rationalitäten in einem Dialog stehen, insbesondere wenn es um künstlerische Entscheidungen mit wirtschaftlichen Auswirkungen – etwa die Spielplanung – geht. Für die Forschungsfrage geht aus der Klassifikation der Zusammenhang hervor, dass der Intensitätsgrad der Nutzung und Erkenntnisverwertung der KLR und des Controllings mit der innerbetrieblichen Bedeutung der wirtschaftlichen Rationalität positiv korreliert ist. 9.3
Intervenierende Variable Bürokratische Rationalität
Die bürokratische Rationalität war im Rahmen der Empirie nicht als eigene Rationalitätskategorie von Akteuren, wie im Kap. 1.5.2 definiert, feststellbar. Im Vordergrund steht vielmehr die Interaktion zwischen künstlerischen und wirtschaftlichen Interessen und den entsprechenden Akteuren. Einzuhaltende Rechtsvorschriften schlugen sich inhaltlich in den rechtlichen Rahmenbedingungen nieder (vgl. nachfolgende intervenierende Variable). Da sich dieses Ergebnis bereits in den Pretests gezeigt hatte, wurden die Fragen zur bürokratischen Rationalität in den folgenden Gesprächen gestrichen. Damit ist nicht gezeigt, dass es diese Rationalitätskategorie nicht gibt, sondern dass sie vielmehr keinen expliziten Raum in den Interaktionen zwischen den leitenden Akteuren einnimmt. Dies gilt insbesondere für Rechtsvorschriften, welche als zu beachtende Selbstverständlichkeiten keiner vertieften innerbetrieblichen Diskussion bedürfen (vgl. OrdnungsmäßigkeitsRestriktion im Herstellungsprozess, Kap. 1.8). 9.4
Intervenierende Variable Rahmenbedingungen
Wie in Kap. 6.1 bereits aufgeführt, besitzen 13 der befragten Kulturbetriebe (65 %) eine eigene Rechtsperson. Bei den übrigen sieben liegen fast vollständig Betriebsformen vor, welche unter den sog. optimierten Regie-, Eigen- oder Landesbetrieb fallen. Das bedeutet, dass diese Häuser u. a. eigene Wirtschaftspläne und Jahresabschlüsse erstellen. Lediglich in einem Fall (5 %) war der herkömmliche, unselbständige Regiebetrieb zu beobachten, welcher Teil der zentralen Stadtverwaltung ist. In allen anderen Fällen (95 %) kann davon ausgegangen werden, dass die Kulturbetriebe eigenständig agierende, dezentral verantwortende und somit selbständige wirtschaftliche Einheiten sind, mehrheitlich mit eigener Rechtsperson.643
642 643
Vgl. Kosiol (1972), S. 223 f.; Ossadnik (1987), S. 276 ff. Vgl. Röper (2001), S. 210-226.
206
9. Auswertung der übrigen Variablen
In 17 Interviews wurden Angaben zur Deckungsfähigkeit der Zuwendungen gemacht: Dabei gab es in drei Fällen geringfügige bis massive Einschränkungen (17,6 %), in allen übrigen kann von einer vollständigen gegenseitigen Deckungsfähigkeit der öffentlichen Mittel (Globalbudget) ausgegangen werden (82,3 %). In 18 Gesprächen konnten Informationen zur Möglichkeit der Übertragung von Überschüssen bzw. Restmitteln in das Folgejahr gewonnen werden: In 15 Kulturbetrieben (83,3 %) ist es grundsätzlich möglich, Rücklagen aufzubauen, wobei davon in drei Fällen eine Genehmigung der Zuwendungsgeber erforderlich ist. Lediglich in drei Einrichtungen (16,7 %) ist die Rücklagenbildung bedingt durch die Art der Zuwendung bzw. durch die Zuwendungsrichtlinien ausgeschlossen. Vier Gesprächspartner berichten darüber, dass die genannten vorteilhaften Liberalisierungen des Haushaltsrechts zumindest teilweise auch bereits zu Zeiten der Kameralistik gegolten haben; in einem Fall wurden die haushaltsrechtlichen Regelungen mit der Doppik-Einführung wieder intensiviert und Freiheiten entzogen.644 Mehrfach wird kritisiert, dass die theaterüblichen mehrjährigen Planungsverläufe nicht durch entsprechende Finanzierungssicherheit gedeckt sind. Vier Interviewpartner bemängeln, dass die jeweiligen Zuwendungsgeber erst während des laufenden Jahres verbindliche Zuwendungsbescheide erteilen. So hatten zwei Einrichtungen zum Interviewzeitpunkt im Oktober trotz erfolgender Abschlagszahlungen noch keine Gesamtfinanzierungszusage für das laufende Kalenderjahr.645 Es kann insgesamt festgestellt werden, dass die über Jahrzehnte hinweg für die Kulturbetriebe geforderte Flexibilisierung der Mittelbewirtschaftung und die Stärkung der organisatorischen
Eigenständigkeit
samt
Dezentralisierung
von
Kompetenzen646
weitgehend umgesetzt ist. Hierzu haben auch die NPM- bzw. NSM-Reformen der 1990erJahre einen wesentlichen Beitrag geleistet und somit die Rahmenbedingungen mehrheitlich verbessert. Der empirische Befund stützt ferner die Aussage, dass die Wahl einer bestimmten Rechtsform weniger entscheidend als die Ausgestaltung bzw. Handhabung der Befugnisse und haushaltsrechtlichen Gegebenheiten im Einzelfall ist.647 Abgesehen von partiell vorhandenen Schwierigkeiten bezüglich der Finanzierung der stetig wachsenden Grundlast bzw. dem Wunsch, die freie Spitze für die Realisierung des künstlerischen Programms (5 bis 15 % des Gesamthaushalts648) zu steigern oder wenigstens real beibehalten zu können, werden die Rahmenbedingungen im allgemeinen 644 645 646 647 648
Vgl. Interviews 02-58; 12-118; 13-84; 14-82 ff. Ebenda, 06-46; 08-114; 10-113 ff.; 15-178. Vgl. KGSt (1989), S. 49 f., 88-94; Röper (2001), S. 204-215; Stein (1982), S. 121f Vgl. KGSt (1989), S. 20, 96; Mertens (2005), S. 6; Thiel (2003), S. 261 f.; Wagner (1995), S. 207. Vgl. Interviews 06-84; 11-40; 15-86; 16-74.
9. Auswertung der übrigen Variablen
207
mehrheitlich positiv bewertet. Viele der in den Gesprächen erwähnten Erschwernisse sind hausspezifischer Natur, etwa sanierungsbedürftige Gebäude, veraltete technische Anlagen, geringe Platz- und Raumkapazitäten, Publikumsstrukturen, lokale Presse; oder sie beziehen sich auf individuell nicht veränderbare allgemeingültige Gesetze und Tarifwerke. 9.5 Es
Intervenierende Variable Kulturpolitik und Kulturverwaltung herrschen
-wahrnehmung
sehr
individuelle
zwischen
Gegebenheiten
Kulturbetrieben,
der
Kompetenzverteilung
Aufsichtsgremien,
der
Exekutiv-
und und
Legislativgewalt vor, z. B. in Bezug auf Spielplangenehmigung oder -kenntnisnahme, Berufung des leitenden Personals, Wirtschaftsplanfeststellung, Entlastung der Geschäftsführung, Überschussverwendung, Involvierung in operative Prozesse und Detailentscheidungen etc..649 Dabei sind nicht nur die kulturspezifischen Gremien bzw. Ämter von Bedeutung, sondern auch diejenigen Stellen der Verwaltung und Politik, welche mit den öffentlichen Finanzen, Liegenschaften und Personal betraut sind.650 Die spezifische Amtsführung und die individuellen Eigenschaften der handelnden Personen sowie teils langjährig gewachsene Vertrauensverhältnisse bzw. durch Wortbrüche oder widersprüchliches Verhalten hervorgerufene Misstrauensverhältnisse spielen neben den formellen Strukturen eine große Rolle.651 Über Einflussnahmen auf künstlerische Entscheidungen oder Details der Spielplanung wurde nicht berichtet, insofern bleibt die künstlerische Autonomie gewahrt.652Es ist eine Tendenz der wachsenden externen wirtschaftlichen Kontrolle festzustellen, etwa durch eine kommunale Gesellschaft für Beteilungscontrolling und ein sich ausweitendes Berichtswesen.653 Dies geschieht nicht zuletzt, um bereits bestehende und die durch Ausgliederungen der Kulturbetriebe wachsende Informationsasymmetrien anteilig zu kompensieren.654 Für die Untersuchungsfrage ist festzuhalten, wie in vorherigen Abschnitten bereits detaillierter beschrieben, dass die Kulturverwaltung und -politik hingegen maßgeblichen Einfluss auf die Einführung und Ausgestaltung von NPM-Reformen ausüben. Ein direkter Zusammenhang zum operativen wirtschaftlichen und künstlerischen Ergebnis kann ausgeschlossen werden, abgesehen von Entscheidungen bezüglich der Zuwendungshöhe und ggf. -verwendung sowie Auswirkungen langfristiger, struktureller Entscheidungen. 649 650 651 652 653
Ebenda, 03-42, -176; 04-202; 05-104; 06-62; 08-16; 12-44; 13-94, -128; 14-152; 18-132; 19-96. Ebenda, 05-106; 07-50, -90; 14-156; 15-156. Ebenda, 02-138; 03-70; 05-126; 07-84; 09-36; 12-38; 15-26; 17-124, -170. Ebenda, 03-152; 06-82; 08-188; 09-176; 10-160; 12-44; 15-66; 18-28; 19-274. Ebenda, 03-146; 06-72; 07-86; 08-84; 09-168; 14-68; 15-64.
208
9. Auswertung der übrigen Variablen
Die Rechtsform des Kulturbetriebs entscheidet wesentlich über die Nähe oder Ferne zur exekutiven Gewalt.655 Mehrfach wird angeführt, dass die rechtliche Verselbständigung zur sofortigen Distanzierung von der Kulturverwaltung geführt hat.656 9.6
Abhängige Variable Künstlerischer Erfolg
Zur Auswertung der abhängigen Variablen werden die wichtigsten Befunde aus den Interviews bezüglich positiver und negativer Determinanten aufgeführt. Diese erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Mit nachfolgender Auflistung wird das Ziel verfolgt, den Kontext zum Gesamtsystem des Kulturbetriebs herzustellen und den Umfang des Einflusses der NPM-bezogenen unabhängigen Variablen auf die abhängigen Erfolgsvariablen zu bemessen und zu validieren.
Positiv hat sich auf den künstlerischen Erfolg ausgewirkt: •
Das Einsetzen einer neuen Intendanz bzw. eines neuen Leitungsteams bzw. die langjährige Beibehaltung und Bindung von bewährten Akteuren mit herausragenden Fähigkeiten und Willen zum Aufbruch.657
•
Künstlerische
und
strategische
Unternehmensprofilierung,
einhergehend
mit
Marketing-Intensivierung (neue Corporate Identity/Corporate Design samt Kampagne bzw. stetige intensive externe Kommunikation, Information und Bindung des Zielpublikums).658 •
Das Setzen von richtungsweisenden, ambitionierten künstlerischen Zielen oder die Realisierung von Großprojekten, welche über das bisherige Leistungsniveau hinausgehen, motiviert die Beschäftigten, erhöht die künstlerische Reputation und die Chance auf Auszeichnungen durch Fachmagazine.659
•
Geschlossenheit des Auftritts der Personen der Theaterleitung nach außen und Vermeidung von innerbetrieblichen Konkurrenzkämpfen.660
•
Wahrnehmung der Arbeit des Kulturbetriebs durch die Politik bzw. offenkundige politische Unterstützung und Wertschätzung; somit auch das Ausbleiben von öffentlichen Diskussionen über Existenzberechtigung des Kulturbetriebs.661
654 655 656 657 658 659 660 661
Ebenda, 08-56, -184; 12-132; 17-124, -130; 20-140, -157. Ebenda, 11-22. Ebenda, 01-120; 03-146; 12-40. Ebenda, 01-154; 02-190; 04-194; 05-130; 07-110; 08-202; 09-207; 12-132; 15-180; 16-52; 18-130; 19320; 20-236. Ebenda, 07-96; 09-210; 12-132; 18-136, -174. Ebenda, 05-130; 12-136; 16-52; 17-176; 18-130. Ebenda, 09-210; 12-132. Ebenda, 12-58; 20-49.
9. Auswertung der übrigen Variablen
•
209
Einladung von hochqualitativen bis hin zu international beachteten Spitzenkünstlern als Gäste; bei Gastdirigenten werden auch die Ensembles qualitativ weiterentwickelt.662
•
Prominenter Konzertsaal bzw. Theatergebäude samt Architektur, Geschichte und Akustik bewirkt Anziehungskraft für Spitzenkünstler und Publikum.663
•
Bereits vorhandener hoher Qualitätsstandard und Bekanntheitsgrad der Ensembles kann verstärkende Tendenzen auslösen, da hohe Attraktivität bei freien Stellen gegeben.664
•
Ausreichender Planungsvorlauf und Zeitkapazitäten während der Projekte, um künstlerische Ideen reifen zu lassen, bevor sie zur Aufführung gelangen.665
•
Präsenz und Teilnahme an renommierten Festivals und Gastspiele an bedeutenden Orten und Bühnen.666
•
Strategische Schwerpunktsetzung bei der inhaltlichen Planung und Budgeteinteilung.667
•
Vorhandensein
der
notwendigen
finanziellen
Ressourcen
für
künstlerische
668
Entfaltung. •
Gutes Klima und Zufriedenheit innerhalb der Ensembles befördert künstlerische Qualität.669
•
Konstruktiver Probenprozess mit angemessenem Umgangsstil.
Dagegen haben den künstlerischen Erfolg geschmälert: •
Relativ niedriges Gehaltsniveau in den Ensembles bzw. Kategorisierung des Orchesters unterhalb der A-Gruppe gemäß TVK wirkt stigmatisierend und erschwert künstlerische Weiterentwicklung bis hin zur Abwanderung von qualifizierten Künstlern.670
•
Altersbedingte
unausweichliche
physiologische
beeinträchtigen das klangliche Spielergebnis. • 662 663 664 665 666 667 668 669 670 671 672
Ermüdungen
bei
Musikern
671
TVK lässt Kündigung bei nachlassender künstlerischer Leistung faktisch nicht zu.672 Ebenda, 01-92, -154; 02-152; 03-164; 04-194; 09-207 ff.; 18-76, -170 ff. Ebenda, 02-152. Ebenda, 01-92, -154; 02-152; 04-194; 09-207. Ebenda, 09-204. Ebenda, 02-166. Ebenda, 01-92; 06-46; 09-210; 18-76. Ebenda, 12-114; 20-162. Ebenda, 11-122. Ebenda, 03-164; 11-82. Ebenda, 09-98. Ebenda, 16-134.
210
•
9. Auswertung der übrigen Variablen
Im TVK vorgeschriebene Ruhezeiten und Diensthäufigkeiten erschweren Tourneeplanung und ggf. das künstlerische Ergebnis, da z. B. reguläre Proben nach Reisezeiten am selben Tag vor dem abendlichen Konzert nicht zulässig sind.673
•
Anordnung hoher lokaler Bindung durch Träger oder Aufsichtsrat, wodurch für Reputationssteigerung förderliche Gastspiele nur sehr eingeschränkt möglich sind.674
•
Niedrige künstlerische Budgets für Projekte und Gäste, ggf. noch vermindert durch Zuwendungskürzungen bzw. -stagnationen oder Preissteigerungen, restringieren künstlerische Vorhaben und Vielfalt bis hin zum substanziellen Abbau des gewohnten Programmangebots und zur Verkleinerung der Ensembles.675
•
Konventionellere Inszenierungen und Spielplanungen erhöhten zwar die Auslastung, jedoch blieben einige Kulturjournalisten fern bzw. führten zu negativen Rezensionen, was die überregionale Ausstrahlung und den Ruf in der Fachwelt beeinträchtigte.676
•
Negative Rezensionen in den Medien können die künstlerische und wirtschaftliche Konsolidierung eines Kulturbetriebs erschweren.677
•
Skandalpremieren und mehrfache kurzfristige Wechsel von Intendanten und Generalmusikdirektoren, teils mit längeren Vakanzen, erzeugen einen Unruhezustand oder sogar eine Krisensituation und senken den Publikumszuspruch.678
•
Begrenzte räumliche Kapazitäten für Aufführungen (Bühne, Graben etc.) schränken das realisierbare Repertoire ein.679
•
Intendanz, welche Potenziale ihres Opernorchesters als eigenständigen konzertanten Klangkörper bzw. ausstrahlende Marke nicht ausreizt.680
•
Künstlerische und/oder persönliche Disharmonien zwischen Personen der Leitungsebene führten zum Ausscheiden eines angesehenen Künstlers.681
•
Nicht oder zu spät gegebene Planungssicherheit verhindert oder verteuert das Engagement von langfristig gefragten Gastkünstlern.682
673 674 675 676 677 678 679 680 681 682
Ebenda, 20-226. Ebenda, 06-102 ff. Ebenda, 03-198; 06-44, -56; 11-42; 13-120; 16-50, -56; 19-282. Ebenda, 08-202; 12-132. Ebenda, 09-204; 09-196; 12-136. Ebenda, 06-28; 08-134, -204. Ebenda, 17-174. Ebenda, 18-203. Ebenda, 08-204. Ebenda, 06-48.
9. Auswertung der übrigen Variablen
211
Neben diesen Determinanten wird auch mehrfach die Erfahrung betont, dass der künstlerische Erfolg und die Reaktion des Publikums unberechenbar seien und nicht forciert werden könnten:683 „Diese Kommune ist keine Theaterstadt. [...] Alle [Kollegen, Anm. d. Verf.] sagen, es ist viel zu groß dein Angebot, was du hier machst, die Leute kommen nicht. Und wir werden es ja jetzt sehen. [...] Ich sage, wenn wir es [ein Erfolgsrezept, Anm. d. Verf.] wüssten, dann wäre die Hütte voll. Und ich mache ja jetzt nicht das erste Theater. Ich war bereits in drei Städten Intendant und hier, also da – immer hat man wieder dieselben Probleme gehabt. Und es gab Aufführungen, von denen wir gedacht haben, sie seien ein Flop und es war nachher der Bombenerfolg und umgekehrt, ja. Es ist nicht vorauszusehen. Das beste Beispiel ist [...] eine Inszenierung, die 1995 rauskam [...] Alle dachten: Es wird der Flop. [...] Jetzt haben wir 2008, [diese Inszenierung, Anm. d. Verf.] läuft immer noch im 13. Jahr [...] und das Ding gastiert immer noch weltweit. Das ist schon beachtlich so was, ja. Damals dachte man, es wird ein Misserfolg.“684
9.7
Abhängige Variable Wirtschaftlicher Erfolg
Positiv hat sich auf den wirtschaftlichen Erfolg ausgewirkt: •
Leistungsvorgaben des Trägers, z. B. Auslastungsgrad und Einnahme-Soll.685
•
Prominenter Konzertsaal bzw. Theatergebäude wirkt wie eine eigene Marke und ist zusätzliche Motivation bzw. Auslöser für den Besuch einer Aufführung.686
•
Die Ankündigung des Ausscheidens des GMDs erhöhte schlagartig die Auslastung in der verbleibenden Zeit.687
•
Temporäre oder dauerhafte Nicht-Besetzung von Plan-Stellen bis hin zu strukturellem Personalabbau und Ensemblefusionen oder -schließungen.688
•
Erkennen und Realisieren von günstigen Einkaufs- und Vertragskonditionen, etwa durch Kostenanalyse, Markterkundungen und Kostensensibilisierung der Mitarbeiter.689
•
Abschluss von Haustarifverträgen mit Gehaltsabsenkungen.690
•
Softwaresysteme und Berichte, welche Aufschluss über Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit geben können.691
683 684 685 686 687 688 689 690 691
Ebenda, 08-194 ff.; 12-132. Interview 08-198. Vgl. Interview 14-124. Ebenda, 02-152. Ebenda, 08-196. Ebenda, 13-128; 15-126, -182; 19-286; 20-193. Ebenda, 06-66; 09-128; 14-267; 16-140. Ebenda, 16-24, -48 ff. Ebenda, 14-267.
212
9. Auswertung der übrigen Variablen
•
Trotz Sparzwängen die Bemühung, langfristig vorteilhafte Investitionen zu tätigen.692
•
Steigerung der Kompetenzen und der Machtposition der kaufmännisch Verantwortlichen.693
Dagegen haben den wirtschaftlichen Erfolg geschmälert: •
Relativ niedrige Sitzplatzkapazität im Hauptsaal, welche gelegentlich niedriger ist als Kartennachfrage.694
•
Anordnung einer überdurchschnittlich hohen lokalen Aufführungsquote durch den Träger oder Aufsichtsrat, wodurch die Einnahmequelle der Gastspiele trotz entsprechender Empfehlung des Wirtschaftsprüfers nur rudimentär abgeschöpft wird.695
•
Art der Zuwendungsfinanzierung und Umgang des Trägers mit Rücklagen. So löst etwa eine Fehlbedarfsfinanzierung oder vom Träger beschlossene Rücklagenauflösung den Anreiz aus, künftig keine Rücklagen aufzubauen bzw. Überschüsse zu erwirtschaften.696
•
Zeitpunkt und Verlauf der West-Angleichung der Tarife in Ostdeutschland.697
Weitere Determinanten des wirtschaftlichen Erfolgs werden nachfolgend angeführt. Ihre konkrete Ausprägung kann positiv oder negativ sein und schwankt innerhalb der Stichprobe: •
Intertemporale Zuwendungsentwicklung, insbesondere im Verhältnis zur Tarif- und Kostenentwicklung bzw. zur Deckungslücke des operativen Ergebnisses (Aufwendungen abzüglich selbst erwirtschafteter Erträge). Dies steht auch in Zusammenhang mit der wirtschaftlichen Situation des Trägers.698
•
Tarif- und Gagenentwicklung beim Personal bzw. bei den Gästen.699
•
Unvorhergesehene längere Krankheitsausfälle, Mutterschaftsurlaube, Elternzeit etc.700
•
Preisentwicklung
beim
Sachaufwand:
Gebäudebewirtschaftung,
Rohstoffe,
Materialien, Anmietung von Räumen/Sälen (somit auch räumliche Grundausstattung) etc.701
692 693 694 695 696 697 698 699 700 701
Ebenda, 13-68. Ebenda, 03-194 ff. Ebenda, 01-92, -136; 18-76. Ebenda, 06-102 ff. Ebenda, 01-152; 03-68; 12-130; 20-81, -176. Ebenda, 06-42. Ebenda, 01-152; 02-88; 03-70, -160; 04-190; 10-183; 13-128; 14-182; 15-182; 16-24, -48 ff.; 19-286. Ebenda, 01-152; 10-183; 15-182; 16-134; 17-162. Ebenda, 16-56; 17-124. Ebenda, 06-56; 09-178; 10-183; 18-052; 19-298; 20-91, -138.
9. Auswertung der übrigen Variablen
•
213
gegenwärtiger Sicherheits- und Verschleißzustand, künftige Abnutzungserscheinungen und technologischer Stand sämtlicher Anlagen bedingen Ersatzinvestitionsbedarf und ggf. Baumaßnahmen; währenddessen evtl. schließungsbedingter Einnahmeausfall.702
•
Einnahmen aus Kartenverkauf, diese wiederum in Abhängigkeit von angebotener Anzahl an Aufführungen bzw. Plätzen und Kartenpreisen, Nachfrage, Zahlungsbereitschaft und Kaufkraft des Publikums.703
•
Einnahmen aus Gastspielen, Vermietungen, sonstigen kommerziellen Tätigkeiten (Mengen und Preise).704
•
Verhältnis von Abonnementplätzen zu frei verfügbaren Plätzen sowie deren Preisrelation; beides wiederum in Abhängigkeit von der Nachfrage des Publikums.705
•
Umfang und Art der Rabattgewährung und von Sonderkonzerten (Kinderkonzerte etc.).706
•
Entwicklung von mäzenatischer Förderung und Sponsoring.707
•
Effizienz auf der Mengenebene: Saalauslastung, Aufführungsdisposition (Wiederholrate von Programmen, En suite vs. Repertoirebetrieb vs. Mischformen etc.), Proben- und Personaldisposition, Dienstauslastung in den Ensembles, Aushilfenintensität etc.708
•
Umstrukturierungen in der Betriebsorganisation, Outsourcing, Betriebsgesellschaften etc.709
9.8
Interdependenzen der Erfolgsvariablen
Die beiden abhängigen Variablen sind stark interdependent. Die Auswirkungen des wirtschaftlichen Erfolgs auf den künstlerischen Erfolg leuchten unmittelbar durch die gewachsenen budgetären Möglichkeiten ein, welche mehr Freiheiten für die künstlerische Entfaltung und aufwändigere Produktionen zulassen; hierbei ist insbesondere die Einnahmeseite zu nennen, welche u. U. leichter als die Ausgabenseite zu steuern ist. Die verbesserte Realisation des Formalziels (bzw. die Lockerung der Restriktionen) erlaubt somit einen höheren Zielerreichungsgrad der Sachziele.
702 703 704 705 706 707 708 709
Ebenda, 01-152; 08-36; 14-24 ff.; 17-48; 19-92. Ebenda, 03-180; 04-206; 08-38, -130, -196; 10-177, -183; 13-132; 14-172 ff.; 19-302; 20-226. Ebenda, 03-180; 04-206; 08-38, -130, -196; 10-177, -183; 13-132; 14-172 ff.; 19-302; 20-226. Ebenda, 02-146, -178; 10-177; 12-58, -132; 17-174; 18-170. Ebenda, 17-104; 20-138. Ebenda, 03-180; 10-183 ff.; 15-182. Ebenda, 01-78, -154; 02-18, -146; 04-198; 05-100; 10-171; 16-134 ff.; 18-168, -217. Ebenda, 03-194.
214
9. Auswertung der übrigen Variablen
In umgekehrter Richtung beeinflusst jedoch auch der künstlerische Erfolg den wirtschaftlichen Erfolg: •
Die Spielplanung determiniert maximale Eintrittserlöse und Unterbudgets der Produktionsaufwendungen.710
•
Berücksichtigung des Publikumsgeschmacks, z. B. im Rahmen eines „durchmischten“ Spielplans mit bekannten und experimentellen Programmanteilen führt zum Aufbau von Basisvertrauen und stetiger Nachfrage beim Publikum, dieses wiederum zu sicheren (Abonnement-)Einnahmen und wirtschaftlicher Stabilität.711
•
Produktionskooperationen bewirken eine Aufwandsreduktion.712
•
Künstlerische Erfolge stärken die politische Unterstützung, was sich mittelfristig in wirtschaftlicher Stabilität niederschlagen kann.713
•
Die unangefochtene künstlerische Position als Theater bzw. Orchester der nationalen oder internationalen Spitze führt zu anhaltender Publikumsnachfrage und stetigen Einnahmen.714
•
Langfristig steigende künstlerische Qualität und renommierte Gastkünstler wirken sich positiv auf eine steigende Auslastung und Zahlungsbereitschaften aus.715
•
Der Bekanntheitsgrad eines neuen GMDs hat die Tourneeangebote für ein Orchester erhöht.716
•
In einem Kulturbetrieb führt das vorherrschende sehr hohe künstlerische Renommee dazu, dass an Gäste niedrigere Gagen als marktüblich gezahlt werden können.717
•
Der Einsatz bekannter Gäste und Solisten bedeutet einerseits höhere Kosten, andererseits auch höhere Erlöse. Das mittelfristige Resultat für den Gesamtbetrieb kann nicht eindeutig bestimmt werden. Kurzfristig entsteht im Regelfall zunächst ein negativer Deckungsbeitrag.718
•
Aufführungen oder Gäste mit lokalem oder regionalem Bezug lösen eine hohe Publikumsidentifikation aus, welche infolgedessen die Wertschätzung des Kulturbetriebs steigen lässt und zu guter Auslastung führt.719
•
Unvorhergesehene
Kostensteigerungen
oder
unzutreffende
Planwerte
künstlerischen Produktion schlagen sich ggf. in Mehraufwendungen nieder.720 710 711 712 713 714 715 716 717 718 719 720
Ebenda, 07-96. Ebenda, 08-202; 12-58, -136, -142. Ebenda, 07-110. Ebenda, 05-130; 20-232. Ebenda, 02-152. Ebenda, 01-154. Ebenda, 20-193. Ebenda, 02-152. Ebenda, 01-92, -154; 02-152; 04-194; 09-207. Ebenda, 09-210; 12-132. Ebenda, 17-128.
in
der
9. Auswertung der übrigen Variablen
215
Die Befunde werden zusammenfassend in Abb. 16 unter Berücksichtigung der Rahmenbedingungen und NPM-Einflüsse in Anlehnung an das Variablenmodell (vgl. Kap. 1.6) abstrahiert dargestellt. Die mit den Pfeilen gekennzeichneten Wirkungsbeziehungen können je nach konkreter Ausprägung der Einflussgröße einen begünstigenden oder beeinträchtigenden Faktor abbilden. Die Zusammenhänge wurden aus den empirischen Daten abgeleitet. Da diesbezüglich nicht systematisch erhoben wurde, kann weder über die Intensität der Korrelationen und die Streuungsmaße eine Aussage getroffen, noch ein Anspruch auf Vollständigkeit erhoben werden. Dennoch wird ersichtlich, dass der künstlerische und der wirtschaftliche Erfolg in einem interdependenten Zirkelbezug zueinander stehen, symbolisiert durch den Rundpfeil in der Abbildungsmitte: der wirtschaftliche Erfolg determiniert die künstlerischen Budgets, was wiederum den künstlerischen Erfolg beeinflusst; letzterer führt im positiven Fall zum Aufbau von Reputation, erhöht die Zahlungsbereitschaft und damit die erzielbaren Preise, hebt die Auslastung und steigert den wirtschaftlichen Erfolg, was wiederum Spielräume bei der künstlerischen Planung in Folgejahren verschafft. Somit kann es im Zeitverlauf zu spiralartigen Entwicklungsketten kommen, bei denen sich wirtschaftlicher und künstlerischer Erfolg gegenseitig stärken (expansive Erfolgswirkung) oder im negativen Fall auch schwächen (restriktive Erfolgswirkung). Die Beobachtung und soweit möglich Steuerung dieser Entwicklungszusammenhänge, etwa durch die Spielplanung, ist gemäß der Erhebung ein fruchtbares Betätigungsfeld für das Management. Der Einfluss der unabhängigen NPM-Variablen hingegen ist begrenzt und indirekter Natur. Ferner wird erkennbar, dass die Spielplanung und die Disposition zwei zentrale Erfolgsgrößen des Theaterbetriebs sind, und dass eine Reihe von Rahmenbedingungen harte Restriktionen setzen:
Profilbildende Identität
Reputation/Prominenz
Umfang künstlerische Budgets
Planungssicherheit
Marketing/PR
Einnahmen aus Kartenverkauf
Preisstrukturen
Publikumsnachfrage
Zahlungsbereitschaft
Wirtschaftlicher Erfolg
Einnahmen aus Vermietung und kommerziellen Tätigkeiten
Einnahmen aus Gastspielen
Einnahmen aus Mäzenatentum und Sponsoring
Deckungsbeiträge der Produktionen
Sparsamkeit (Einkauf etc.)
Spielplanung
Kartenangebot gemäß Spielplan
Kaufkraft
Wirtschaftliche Konjunkturlage
Rahmenbedingungen
Disposition von Personal und Spielbetrieb
Maximales Platzangebot
Tarifliche Restriktionen
Quelle: Eigene Darstellung, Systematik in Anlehnung an das Variablenmodell, vgl. Kap. 1.6, Erläuterungen siehe vorherige Seite.
Abb. 16: Übersicht der interdependenten Wirkungszusammenhänge im Kulturbetrieb gemäß empirischer Erhebung
Künstlerischer Erfolg
Inflation/Tarifabschlüsse
Vorgaben von Träger/Aufsichtsgremien
Intertemporale Zuschussentwicklung Politische Unterstützung
Gutes Management
Qualität der Aufführungen
Qualität der Ensembles, GMD etc.
Engagement von guten Gastkünstlern, Realisierung ambitionierter Produktionen etc.
Quantität und Qualifikation aller Mitarbeiter
Adäquate Informationsgrundlagen
NPM-Einflüsse
216 9. Auswertung der übrigen Variablen
9. Auswertung der übrigen Variablen
9.9
217
Exkurs: Kulturbetriebsspezifische Entscheidungskriterien
Im nachfolgenden Abschnitt wird der Versuch unternommen, adäquate Entscheidungsregeln für den Kulturbetrieb und ein Verfahren zu deren Anwendung zu entwerfen. Damit ist zugleich die Intention verbunden, ein führungsunterstützendes Controllinginstrument als rationalitätssteigernde Alternative zur mikropolitisch geprägten Entscheidungsfindung zwischen künstlerischer und wirtschaftlicher Rationalität zu entwickeln. Die Besonderheiten des Kulturbetriebs und der Kontext zum öffentlichen Auftrag werden berücksichtigt. Zudem wird versucht, den von einigen Gesprächspartnern geäußerten Einwand der NichtAnwendbarkeit der Deckungsbeitrags-Rechnung im Kulturbetrieb wegen negativer DB IWerte zu entkräften. 9.9.1
Entscheidungssituation
Ausgangspunkt der Überlegungen ist die Spielplanung. Sie ist eine Entscheidungssituation, in der aus einer Vielzahl von künstlerischen Projektideen bzw. Repertoirewerken eine Kombination ausgewählt wird, die einerseits ein zu maximierendes künstlerisches Ergebnis verfolgt (Sachziel) und dabei andererseits die wirtschaftlichen Restriktionen einhalten muss (Formalziel).721 Dies scheint durchaus ein realistisches Szenario zu sein, wie ein Interviewpartner belegt: „Ich gehe von dem Maximalprinzip aus. [...] Ich bekomme einen bestimmten Etat und meine Aufgabe ist, aus diesem Etat möglichst viel Theater zu machen.“722
Zur Verdeutlichung wird ein fiktives Beispiel konstruiert: Ein Opernhaus befindet sich in der Endphase der Spielplanung der kommenden Spielzeit. Die Neuproduktionen und die Wiederaufnahmen sind bereits ausgewählt und disponiert. Um die Output-Vorgaben des Trägers zu erfüllen, sind in der Spielplanung noch 20 weitere Aufführungen anzusetzen. Hierfür kommt der Bestand an Repertoireinszenierungen in Frage, der ohne besonderen materiellen und personellen Aufwand (keine Sonderproben, vorhandene Bühnenbilder und Kostüme etc.) realisiert werden kann.
721
722
Vgl. hierzu auch empirischen Befund bei Stein (1982), S. 39-44, 104: Bei einer Vollerhebung unter den westdeutschen Theatern wurde von den Vertretern der Theater angegeben, dass das Sachziel in der bestmöglichen Erfüllung einer künstlerischen/kulturellen Aufgabe bestehe (= Optimierungsaufgabe), bzw. das Formalziel mehrheitlich in der Einhaltung der Plan-Ansätze (= Restriktion). Letztere dominieren mehrheitlich das Planungsverfahren. Vgl. auch Eichhorn (1994), S. 240; Vakianis (2006), S. 81 f. Interview 16-68.
218
9.9.2
9. Auswertung der übrigen Variablen
Schritt 1: Künstlerische Bewertung (Sachzielebene)
Um das Sachziel maximieren zu können, ist es zunächst notwendig, für jede in Frage kommende Entscheidungsalternative einen Wert über den Grad der Sachzielerreichung festzulegen. Diese künstlerische Bewertung kann individuell operationalisiert werden, etwa durch gewichtete Teilfaktoren (Grad der Innovativität, Publikumszuspruch, Repertoirebereicherung, überregionale Ausstrahlung, Motivation für Ausführende, künstlerische Profilierung etc.). Der Intendant und die Operndirektorin haben sich schon vor längerer Zeit auf die drei Kriterien „Programmvielfalt der laufenden Spielzeit“, „Beliebheit beim Publikum“ und „strategische Profilierung als Bühne für moderne Oper“ entschieden, welche mit 50%, 30% und 20% gewichtet werden. Aus dem Repertoire kommen fünf Inszenierungen in Frage, die ad hoc aufgeführt werden können. Diese werden nun im Kontext der Gesamtspielplanung auf einer Skala von 0 bis 10 Punkten in Bezug auf die Sachzielerreichung bewertet (Tab. 28):
Sachzielerreichung Krit. 1: Programmvielfalt (50%) Krit. 2: Beliebtheit beim Publikum (30%) Krit. 3: Profilierung für moderne Oper (20%) SUMME (gewichtet)
G. F. Händel: G. Rossini: W. A. Mozart: Alban Berg: Péter Eötvös: Aggripina Barbier von Sevilla Zauberflöte Lulu Drei Schwestern 7 4 3 7 8 7
9
10
5
6
0
0
0
8
10
5,6
4,7
4,5
6,6
7,8
Tab. 28: Operationalisierung und Bewertung der Sachzielerreichung pro Aufführung Quelle: Eigene Darstellung.
9.9.3
Schritt 2: Wirtschaftliche Bewertung (Formalzielebene)
Zunächst ist zu bestimmen, welche Kennzahl für das Formalziel verwendet werden soll. Da die meisten Kulturbetriebe über Flexibilität in Form gegenseitiger Deckungsfähigkeit von Aufwandspositionen sowie der Kompensation von Mehr-/Minderausgaben durch ebensolche Mehr-/Mindereinnahmen verfügen, wird an dieser Stelle der DB I als Formalziel gewählt. Für die konkrete Entscheidungssituation ist ein Anspruchswert zu ermitteln, der erreicht werden muss (Restriktion auf Formalzielebene), damit das geplante Betriebsergebnis realisierbar ist.
9. Auswertung der übrigen Variablen
219
In dem Beispiel sei die Rahmenbedingung gegeben, dass die Spielzeit mit einem Betriebsergebnis von 0 € geplant wurde. Unter Berücksichtigung der bereits abgeschlossenen Teilplanung wird der Jahresplanwert der Erlöse noch um 250 T€ verfehlt; ferner stehen in den Budgets für die variablen Kosten noch 120 T€ zur Verfügung. Das bedeutet, dass von den 20 noch anzusetzenden Aufführungen wenigstens ein DB I von 130 T€ erwirtschaftet werden muss, um das vorgesehene Jahresergebnis von 0 € zu erreichen. Mit welchen Anteilen von Erlösen und variablen Kosten sich der DB I ergibt, spielt aufgrund der Deckungsfähigkeit eine untergeordnete Rolle.723 Die Nebenbedingung ist eindeutig und zugleich für die weitere Planung flexibel formuliert: NB: DB I 130 T€.
Als nächstes sind die Ausprägungen der Entscheidungsalternativen hinsichtlich des Formalziels zu errechnen (Tab. 29): Formalzielerreichung
Erlöse (geschätzt anhand Vorperiode) Variable Kosten (Gagen, Aushilfen, Noten- und Instrumentenleihe, Aufführungsrechte, Transporte etc.) DB I = Erlöse - variable Kosten
G. F. Händel: Aggripina 21.000 € 10.000 €
11.000 €
G. Rossini: W. A. Barbier von Mozart: Sevilla Zauberflöte 31.500 € 35.000 € 14.000 € 16.000 €
17.500 €
19.000 €
Alban Berg: Lulu 12.500 € 18.000 €
P. Eötvös: Drei Schwestern 14.000 € 16.000 €
-5.500 €
-2.000 €
Tab. 29: Operationalisierung und Bewertung der Formalzielerreichung pro Aufführung Quelle: Eigene Darstellung.
Die variablen Kosten wurden hier aus Gründen der Übersichtlichkeit nicht weiter differenziert. In der Praxis werden die Unterpositionen einzeln kalkuliert werden müssen. Dies bietet zudem den Vorteil, dass nach Entscheidungsfindung die Anpassung der Jahresbudgets für die ggf. betroffenen Abteilungen (Bühnenbild, Kostüme, Gäste etc.) abgeleitet werden kann. Gleichzeitig herrscht während des Planungsprozesses eine Flexibilität bezüglich der Budgethöhe, da sich die Entscheidungsfindung am Deckungsbeitrag orientiert, somit die Einnahmeerwartung mit der Kostenplanung korrespondiert, was die Abteilungsbudgets erhöhen oder auch vermindern kann. Einige Interviewpartner haben die Planbarkeit von Kartenerlösen als unrealistisch bezeichnet. Für diesen Fall bieten sich zwei Alternativen an: 1. Erlöse werden mit den ganzjahresbezogenen durchschnittlichen Saalauslastungen der Vergangenheit einberechnet. Dabei können die Kartenpreiskategorien und grobe Tendenzen der einzelnen Produktionen noch immer berücksichtigt werden. 723
Jedoch bedarf es der Lokalisierung der künstlerischen Budgets bzw. Erlöse im Wirtschafts- bzw.
220
9. Auswertung der übrigen Variablen
2. Es werden lediglich die variablen Kosten der Produktionen als Formalziel berücksichtigt. Der Zielwert wäre dann kein Deckungsbeitrag, sondern die Summe aller künstlerischen Budgets, die nicht überschritten werden darf. Unabhängig von der Wahl der Variante ist die schwierige Verzahnung zwischen künstlerischer Planung und Wirtschaftsplanung gewährleistet. Im Beispiel wird an Deckungsbeiträgen festgehalten, weil diese die Durchlässigkeit von Erlösen und variablen Kosten erlauben und somit zu einem größeren Entscheidungsspielraum verhilft. 9.9.4
Schritt 3: Entscheidungsfindung
Nun ist das Sachziel zu maximieren unter der Nebenbedingung, dass das Formalziel ein zu erreichendes Anspruchsniveau einhält. Diese Vorgehensweise kann wie folgt zusammengefasst werden: (Max! Sachziel, NB: Formalziel bzw. Zielwert in Kongruenz mit Wirtschaftsplan) bzw. konkret im Beispiel: (Max! Künstlerischer Output, NB: DB I 130 T€). Übersicht der ermittelten Werte für das Sach- und Formziel (Tab. 30): Relation von Sach- und Formalziel Sachziel (Künstl. Output) Formalziel (DB I)
G. F. Händel: Aggripina 5,6 11.000 €
G. Rossini: Barbier von Sevilla 4,7 17.500 €
W. A. Mozart: Zauberflöte 4,5 19.000 €
Alban Berg: Lulu 6,6 -5.500 €
Péter Eötvös: Drei Schwestern 7,8 -2.000 €
Tab. 30: Übersicht über Sach- und Formalzielerreichung für die Entscheidungsalternativen Quelle: Eigene Darstellung.
Folgende Kombinationen sind beispielsweise realisierbar (Tab. 31): Variante SZ A B C D FZ
Händel: Aggripina 0 2 4 4 2 0
Rossini: Barbier 0 2 4 4 8 0
Mozart: Zauberflöte 0 5 4 5 8 20
Berg: Lulu 0 0 4 2 1 0
Eötvös: Drei Schwestern 20 11 4 5 1 0
Künstl. Output 156,0 128,9 116,8 115,9 99,2 90,0
DB I -40,0 T€ 130,0 T€ 160,0 T€ 188,0 T€ 306,5 T€ 380,0 T€
Tab. 31: Sechs Allokationsbeispiele mit den jeweiligen Zielerreichungen Quelle: Eigene Darstellung.
Haushaltsplan, somit einer belastbaren Verzahnung von externem und internem Rechnungswesen.
9. Auswertung der übrigen Variablen
221
Variante SZ maximiert das Sachziel ohne die erforderliche Beachtung von Restriktionen und dient lediglich der Anschauung. Variante A ist das Ergebnis der Sachzielmaximierung unter Einhaltung der Restriktion. Sie stellt das theoretisch optimale Ergebnis dar, unter der Prämisse der Sachzieldominanz. Dabei wird ersichtlich, dass Entscheidungsalternativen dominieren können, z. B. übervorteilt Eötvös grundsätzlich die Alternative Berg (höherer Sachzielwert bei gleichzeitig höherem DB-Wert). Konsequenterweise ist die unterlegene Altervative, Berg, nicht im optimalen Set enthalten; die überlegene Alternative jedoch so häufig, dass die Programmgestaltung monoton werden und die Einnahme- und Auslastungsziele verfehlt werden könnten. Daher ist es legitim und geboten, händische Anpassungen vorzunehmen. Alternative B stellt die Gleichverteilung der Inszenierungen dar. Variante C ist eine Mischung aus A und B, bei welcher der minimale Verlust von 0,9 Sachzielpunkten jedoch zu einem um 28 T€ höheren Deckungsbeitrag führt. Die Variante D stellt den Fall dar, dass deutlich höhere Anforderungen an den DB I-Anspruchswert gestellt werden, z. B. wegen einer angespannten finanziellen Situation. Variante FZ hingegen ist der entgegengesetzte Extremfall zur Variante SZ, welche eine Formalzielmaximierung (DB I) ohne Berücksichtigung der Sachziele vorsieht. Das dargestellte Verfahren könnte eine unterstützende und begleitende Funktion ausüben. Es wird nicht intendiert, mit Algorithmen eine vollumfängliche Spielplangestaltung automatisiert durchführen zu lassen. Jedoch bewirken die Operationalisierungen, dass Zielkongruenzen bzw. Zielkonflikte der Entscheidungsalternativen in Bezug auf Sach- und Formalziel transparent und quantifizierbar werden. Die endgültige Entscheidung kann nun auf Basis der vorliegenden Tabelle bestimmt werden: Die Extremvarianten SZ und FZ sind nicht konform mit den aufgestellten Entscheidungsregeln und dürften auf einer Bühne, die im Stagione-Betrieb bespielt wird, auch nicht wünschenswert sein. Damit bewegt sich die Sachzielerreichung zwischen den dicht beeinander liegenden Werten von 128,9 und 99,2. Variante A stellt das Optimum gemäß der Entscheidungsregeln dar, ist vermutlich jedoch nicht empfehlenswert, da eine hohe Konzentration bei einer Oper mit den bereits benannten Risiken vorliegt. Variante B wird von C angesichts des nahezu identischen Sachzielwerts dominiert. Variante D fällt stark beim Sachzielwert ab, so dass sie nur in finanziellen Ausnahmesituationen herangezogen werden muss. Es spricht daher viel für Variante C, welche eine gute Durchmischung
des
Spielplans
bei
hohem
Sachzielwert und überplanmäßigem
Deckungsbeitrag gewährt. Der dabei auftretende überschüssige DB I von 58 T€ kann für künftige aufwändige Produktionen herangezogen werden.
222
9. Auswertung der übrigen Variablen
9.9.5
Zusammenfassung und Interpretation
Folgende Merkmale des aufgezeigten Verfahrens lassen sich festhalten: •
Unterschiedliche Entscheidungsszenarien können abgebildet werden (Auswahl von Neuproduktionen/Wiederaufnahmen/Repertoirebetrieb;
Mengenvorgaben
oder
Schwankungsbreiten; zusätzliche Restriktionen können eingefügt werden, z. B. Maximalanzahl von Aufführungen einer Alternative). •
Bestimmung des Optimums ist programmierbar; bereits mit einfacher Tabellenkalkulation lassen sich Alternativen enumerativ berechnen.
•
Definition der Sach- und Formalziele ist offen und beinhaltet Spielräume zur individuellen Anpassung; sie müssen lediglich operationalisiert werden. Als Formalziele kommen außer dem DB I z. B. auch variable Kosten724, Mengen, Auslastungsgrade, Berücksichtigung einmaliger Produktionskosten etc. in Frage.
•
Voraussetzungen sind eine höhere Anzahl von Entscheidungsalternativen, als realisiert werden müssen, und ein Mindestmaß an Detailinformationen und Planungsqualität. Bei allen erforderlichen Schätzungen ist der Grad der Risikoneigung bewusst zu wählen eher konservativ - damit die Ergebnisse belastbar sind.
•
Bei der vergleichenden Betrachtung und Entscheidungsfindung müssen technische, logistische, absatz- und personalbezogene Interdependenzen bzw. Restriktionen für die konkreten Alternativen zusätzlich beachtet werden. Auch hieraus resultiert die Notwendigkeit der manuellen Nachsteuerung.
•
Die im Kulturbetrieb nicht unüblichen negativen DB I-Werte von einzelnen Entscheidungsalternativen
werden
adäquat
abgebildet.
Die
Kombination
mit
wirtschaftlich günstigeren Alternativen wird in der Entscheidungsfindung quantifiziert berücksichtigt. Das entspricht dem in der Praxis verbreiteten Phänomen, dass populärere Aufführungen mit hohen DB-Werten die weniger populären Projekte „quersubventionieren“. Einzelne DB I-Werte und sogar die Summe der DB I-Werte dürfen negativ sein, sofern die im Wirtschaftsplan geplanten Erträge und Aufwendungen dieses aufgrund der anteiligen öffentlichen Bezuschussung erlauben. Ob die einzelnen Werte des DB I oder die Gesamtsumme negativ oder positiv sind, spielt somit für die Wirkungsentfaltung der Optimierung keine Rolle, zumal ein bestimmtes aggregiertes
724
Es könnte auch ein relativer Deckungsbeitrag im Sinne Riebels verwendet werden, bei welchem als variable Kosten lediglich entscheidungsrelevante, ausgabewirksame, direkt zuordenbare Kosten angesetzt werden. Diese Vorgehensweise wäre auch mit einem kameralen Haushaltsplan einfach realisierbar, insbesondere bei der Bestimmung des zu erreichenden globalen Zielwerts des Formalziels in Kongruenz zum Wirtschaftsplan. Vgl. Riebel (1994); Schwarzmann (2000), S. 120-123.
9. Auswertung der übrigen Variablen
223
Anspruchsniveau ausreicht, um die finanziellen Restriktionen bzw. Planungsvorgaben zu erfüllen. Bereits eine Verringerung von negativen Deckungsbeiträgen oder die Auswahl einer Kombination mit höherem künstlerischen Output bei konstanter Summe des DB I würde eine effizientere Ressourcenallokation hervorrufen, welche mit kulturpolitischen und künstlerischen Sachzielen vereinbar ist. Eben diese Optimierungen, die auch der Zielsetzung des NPM entsprechen, möchte das aufgezeigte Verfahren unterstützen - unter Berücksichtigung künstlerischer Aspekte. •
Sach- und Formalziele müssen nicht zwangsläufig im Zielkonflikt stehen.
•
Es kann dominierende Entscheidungsalternativen geben (höhere Sachzielerreichung bei identischem Formalzielniveau oder höheres Formalzielniveau bei identischer Sachzielerreichung, oder höhere Sachzielerreichung mit zugleich höherem Formalzielniveau). Die Identifizierung dieser Alternativen trägt zur Transparenzgewinnung und Optimierung bei.
•
Eine Optimierung unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten bei künstlerisch indifferenten Entscheidungsalternativen (z. B. hier Variante C gegenüber B) kann notwendige Freiräume für künstlerisch anspruchsvollere und aufwändigere Projekte schaffen, indem zusätzliche Deckungsbeiträge realisiert werden.
•
Das Gewicht des Formalziels in Relation zum Sachziel wird von der absoluten Höhe des zu erreichenden Anspruchsniveaus vorgegeben (z. B. Variante D für einen Kulturbetrieb, der einen DB I von mindestens 300 T€ benötigt). Die Höhe des Anspruchswerts des Formalziels entspricht also den finanziellen Freiräumen bzw. dem finanziellen Druck des jeweiligen Kulturbetriebs. Auf diese Weise wird eine effiziente Allokation, auch bezüglich künstlerischer Ziele, erzeugt.
Auch wenn das Verfahren für eine direkte Umsetzung in der Praxis u. U. zu abstrakt erscheint, so könnte aus den aufgezeigten Zielbeziehungen und Zusammenhängen eine rationale
Handlungsorientierung
für
die
Entscheidungsträger
im
Kulturbetrieb
hervorgehen, die zumindet implizit oder punktuell berücksichtigt werden könnte. Die Durchführung könnte durch eine Darstellung des Repertoires im zweidimensionalen Koordinatensystem gestützt werden (Achse 1: Erfüllung des Sachziels, Achse 2: Erfüllung des Formalziels)725. Ein portfolio-gestützter Ansatz würde damit auch die Brücke zum strategischen Controlling bilden.
725
Vgl. Almstedt (1999), S. 233-242.
10. Abschließende Bewertung der empirischen Ergebnisse
10
Abschließende Bewertung der empirischen Ergebnisse
10.1
Hauptthese: Effizienzsteigerung durch NPM
225
Die Hauptthese muss für den Geltungsbereich der öffentlichen Kulturbetriebe und die untersuchten Teilgebiete Einführung der Doppik, KLR, Controlling und Personalmanagement mehrheitlich falsifiziert werden. Dies liegt im Wesentlichen daran, dass die genannten Instrumente zwar zu einem großen Teil zum Nutzen der Kulturbetriebe eingesetzt werden, jedoch hierbei mehrheitlich nur unwesentliche Effizienzvorteile erreicht wurden. Insbesondere die mittelbare Effizienzwirkung bei den Thesen 1 bis 4 (vgl. Tab. 15) konnte trotz mehrheitlicher Bestätigung der Thesen empirisch nicht belegt werden. Somit ist die Eignung von NPM – gemäß dem Titel der Arbeit – mit Einschränkungen zu bejahen, jedoch wird eine der wichtigsten Zielsetzungen des NPMs auf betrieblicher Ebene bislang nur partiell (Personalentwicklung, eingeschränkt bei KLR und Controlling) erreicht (vgl. Tab. 32). Perspektivisch werden die größten Potenziale zur Effizienzsteigerung im Personalbereich gesehen, in dem zugleich die Umsetzungsdichte am niedrigsten ist (Führungsinstrumente) bzw. die gegenwärtige Ausgestaltung, etwa bei der leistungsorientierten Bezahlung gemäß § 18 TVöD, (noch) dysfunktional. Ferner ist festzustellen, dass die Wirkungsentfaltung von NPM-Reformen von der Anwendung und Ausgestaltung der Instrumente abhängt. Hierbei könnten noch Verbesserungen erzielt werden (vgl. Kap. 10.3). Der Einfluss von NPM auf das künstlerische Ergebnis ist sehr niedrig.726 Die Einführung der Doppik und die dadurch bedingte Neukonzeption des Rechnungswesens samt haushaltsrechtlichen Veränderungen können zu einer entspannteren und sichereren Realisierung von künstlerischen Produktionen führen, jedoch nicht zu einer Effizienzsteigerung.727 Der Einfluss von NPM auf das wirtschaftliche Ergebnis ist dagegen höher, allerdings ist auch dies eine indirekte Beziehung. Wie in der vorangegangenen Übersicht dargestellt wurde, sind es insbesondere adäquate Informationsgrundlagen für interne Steuerungsentscheidungen und die Qualifikation des Personals, welche sich bei entsprechender Berücksichtigung positiv auf den Erfolg auswirken können, aber nicht müssen. Die Frage, wie groß eine evtl. vorhandene X-Ineffizienz in den Kulturbetrieben ist, d. h. welches nicht realisierte Effizienzpotenzial überhaupt noch durch NPM oder andere 726 727
Ebenda, 01-88; 03-96; 19-190; 20-149. Ebenda, 04-62.
226
10. Abschließende Bewertung der empirischen Ergebnisse
Management-Maßnahmen bei konstanten Rahmenbedingungen freigesetzt werden könnte, vermag diese Studie nicht eindeutig zu beantworten. Folgende Indizien weisen allerdings darauf hin, dass diesbezüglich Grenzen herrschen: •
Die Aufwendungen werden durch die zumeist tarifgebundenen Personalfixkosten (im Theater durchschnittlich 74 %, davon ca. ¾ für das künstlerische Personal inklusive den Ensembles und Klangkörpern, vgl. Tab. 34) determiniert.
•
Erhebliche Grundkapazitäten an Personal, Dienstleistungen und Räumen müssen vorgehalten werden, um den Spielbetrieb überhaupt beginnen zu können (sog. Spielbereitschaftskosten oder Grundlast). Diese Kosten lassen sich ohne Leistungseinbußen kaum verringern.728
•
Die frei zu bewirtschaftenden künstlerischen Budgets machen nur einen geringen Anteil des Gesamthaushalts aus.
•
Wegen der Nähe zur Kunst und dem engen terminlichen Raster des Spielplans wird den Beschäftigten bereits ein hohes Maß an Motivation und Leistung zugesprochen.
•
Tarifliche Restriktionen (z. B. Definition von Diensten samt Obergrenzen und Ruhezeiten im TVK) erlauben es teilweise den Kulturbetrieben nicht, Personalkapazitäten durch flexiblere oder zusätzliche Disposition einzusparen, was Leerkosten verursacht.
•
Die Kostenentwicklung (Tarife, Preise) kann nur schwer beeinflusst werden; die Erlöse unterliegen meist einer politisch motivierten, moderaten Preissetzung.
Wie in Kap. 2 dargelegt wurde, sind die Einspielquoten in den vergangenen 13 Jahren um mehrere Prozentpunkte gestiegen. Fraglich ist, ob sich dieser Trend der Effizienzsteigerung angesichts des Baumolschen Kostendilemmas weiter aufrecht erhalten lässt, zumal in die betrachtete Periode eine Reihe von Sondereffekten fällt (Fusionen und Personalabbau nach deutscher Wiedervereinigung, moderate tarifliche Entwicklung in 2003 ff.). Außerdem müssten zur Bemessung der realen Effizienzsteigerung jene Einsparungen herausgerechnet werden, z. B. durch Stellenabbau, bei denen gleichzeitig die Qualität gemindert wurde (reduzierte Vielfalt und Abwechslung in Spielplanung, kleinere Besetzungen bei Aufführungen etc.). Dies kann aus den Statistiken nicht verlässlich abgelesen werden. Einschränkend bleibt festzuhalten, dass bei dieser Untersuchung die Mikro-Perspektive des öffentlichen Betriebs im Vordergrund stand, und zudem nur drei betriebswirtschaftliche Anwendungen des NPM überprüft wurden. Es kann daher von dem Ergebnis der Hauptthese nicht verlässlich auf das Gesamt-Konzept des NPM geschlossen werden. 728
Vgl. Jacobshagen (2002), S. 8 f.
10. Abschließende Bewertung der empirischen Ergebnisse
These 1
Inhalt Wirklichkeitsnähere Abbildung durch Doppik
Ergebnis weitgehend bestätigt
2
Neuer steuerungsrelevanter Informationsgehalt durch Doppik
mehrheitlich bestätigt
3
Steigerung der Nachhaltigkeit durch Doppik
mehrheitlich falsifiziert
4
Erhöhung der wirtschaftlichen Transparenz durch KLR Steigerung der wirtschaftlichen Effizienz durch KLR
bestätigt
Erhöhung der Rationalität des Handelns durch Controlling Effizienzsteigerung durch Leistungsorientierte Bezahlung
mehrheitlich bestätigt
8
Effizienzsteigerung durch Führungsinstrumente
keine Beurteilung möglich
9
Effizienzsteigerung bestätigt durch Personalentwicklung
5
6
7
Hauptthese Effizienzsteigerung durch Einführung von NPM-Instrumenten
mehrheitlich falsifiziert
falsifiziert
mehrheitlich falsifiziert
227
Kurzübersicht des empirischen Befunds Transparenzfördernde Eigenschaften sind in der Doppik systemimmanent enthalten; Wirklichkeitsnähe ist abhängig von Wahlrechten und Bewertungsfragen; Kameralistik ist nicht grundsätzlich ungeeignet Neuer Informationsgehalt liegt eindeutig vor, jedoch starke Einschränkung der Steuerungsrelevanz aufgrund von dominierenden Sachzielen und Liquiditätsorientierung durch hohe konsumtive Ausgaben Doppik verändert wirtschaftliche Darstellung, jedoch nicht das Wirtschaften selbst; Hintergrundvariablen sind haushaltsrechtliche Freiheiten zum Rücklagenaufbau und entsprechende Gewinnthesaurierung Dennoch Defizite in der Umsetzung; Teilkostenrechnung hat sich bewährt; Controlling-Tätigkeitsgebiet wünschenswert; Darstellung von Erlösen und Deckungsbeiträgen bislang weniger verbreitet Hohe Fixkosten (Personal), geringer Steuerungs- und Entscheidungsspielraum, wenig Optimierungspotenzial; budgetorientierte Arbeitsweise; Relevanz wird niedrig eingeschätzt, folglich wenig Beachtung/Nutzung Führungsunterstützung insbesondere bei Budgetierungen und Wirtschaftsplanung und -verfolgung; Einschränkungen bei künstlerischen Planungen; neue Einsatzgebiete z. B. im Fixkostenmanagement Untersucht wurde § 18 TVöD (LoB); keine Anzeichen für Verhaltensänderungen; schwache Anreizsituation; hoher Implementationsaufwand; noch geringe Umsetzungsdichte, daher sind Änderungen noch zu erwarten Führungskultur liegt in individueller Verantwortung des jeweiligen Vorgesetzten; keine systematische Beeinflussung oder Reflexion durch Leitung; Potenzial wird gering eingeschätzt; wenig Fortbildungsangebote Technischer Fortschritt wird realisiert; insbesondere Verantwortungserweiterung von Mitarbeitern vorteilhaft; Organisationsentwicklungsprozesse werden durchgeführt, häufig mit Effizienzsteigerung Eignung der Reformelemente durchaus vorhanden, jedoch Wirkung bislang mehrheitlich nicht signifikant effizienzsteigernd, weder unmittelbar (Thesen 5, 7) noch mittelbar (Thesen 1-4, 6) trotz Informationszugewinn; Potenziale besonders im Personalbereich, wo Anwendungsdichte noch relativ niedrig; DoppikEinführung ist primär eine normative Systementscheidung in größerem Kontext; KLR und Controlling haben primär unterstützenden Charakter und sind für die Geschäftsführung bzw. Träger von Vorteil und Nutzen; LoB und Führungsinstrumente müssten weiterentwickelt bzw. vertieft werden
Tab. 32: Zusammenfassung der empirischen Ergebnisse Quelle: Eigene Darstellung.
228
10.2
10. Abschließende Bewertung der empirischen Ergebnisse
Bewertung der Modellierung des Kulturbetriebs
Nachfolgend wird in Abb. 17 das Variablenmodell erneut aufgegriffen und auf die Konsistenz zu den empirischen Ergebnissen hin überprüft. Die grobe Struktur war geeignet, die gemessenen Beziehungen zu erklären. Im Vergleich zur ursprünglichen Gestalt (vgl. Kap. 1.6) ergeben sich folgende Veränderungen bzw. Konkretisierungen: Die Gestaltung des externen Rechnungswesens beeinflusst die Konzeption des internen Rechnungswesens. Die Kulturpolitik bzw. -verwaltung nimmt sowohl direkten Einfluss auf die NPM-Instrumente, welche implementiert werden, als auch auf den Implementationsprozess an sich. Dies gilt auch für die wirtschaftliche Rationalität, in schwächerer Weise ebenso für die künstlerische Rationalität. Die Einführung von NPM-Instrumenten hat die Rahmenbedingungen für die Kulturbetriebe beeinflusst. Die bürokratische Rationalität entfällt. Künstlerische und Wirtschaftliche Rationalität interagieren als heterogene Rationalitäten. Der wirtschaftliche Erfolg wird stärker von den NPMInstrumenten und den intervenierenden Variablen beeinflusst als der künstlerische Erfolg (weiße Pfeile). Künstlerischer und wirtschaftlicher Erfolg stehen zudem in einem wechselseitig determinierenden Verhältnis:
10. Abschließende Bewertung der empirischen Ergebnisse
229
Unabhängige Variablen (Einfluss von NPM-Instrumenten) Externes Rechnungswesen (Doppik)
Internes Rechnungswesen (KLR/Controlling)
Personalmanagement (HRM)
Intervenierende Variablen Kulturpolitik und Kulturverwaltung
Vermittlungsprozess-Variablen Implementierungsprozess (Umsetzung der NPM-Instrumente)
Wirtschaftliche Rationalität Interaktion der heterogenen Rationalitäten Künstlerische Rationalität Rahmenbedingungen
Abhängige Variablen Künstlerischer Erfolg
Wirtschaftlicher Erfolg
Abb. 17: Modifiziertes Variablenmodell nach der empirischen Untersuchung (Kap. 1.6) Quelle: Vgl. Abb. 6; helle Pfeile = schwacher Zusammenhang, dunkle Pfeile = starker Zusammenhang.
230
10. Abschließende Bewertung der empirischen Ergebnisse
10.3
Fazit und Ausblick
Im Rahmen der empirischen Erhebung dieser Arbeit galt das wesentliche Interesse der Analyse und ex-post-Evaluation von Umsetzungen der betriebswirtschaftlichen NPMInstrumente Doppik, KLR und Controlling sowie Personalmanagement in öffentlichen Kulturbetrieben. Die nachfolgenden Ergebnisse reflektieren somit den Status Quo. Die Eignung der untersuchten NPM-Ansätze ist hinsichtlich einer verbesserten Steuerung der Kulturbetriebe mehrheitlich gegeben: Durch die Doppik wird eine umfassendere, wirklichkeitsnähere Darstellung der wirtschaftlichen Verhältnisse des Kulturbetriebs erreicht. Der Informationsgehalt des Rechnungswesens steigt, sowohl durch die Doppik als auch durch die KLR. Das Controlling betätigt sich primär auf Ebene des Gesamtwirtschaftsplans und der Budgetverfolgung und kann die verantwortlichen Personen mit relevanten Informationen versorgen. Personalentwicklungsmaßnahmen erhöhen die innerbetrieblichen Dispositionsmöglichkeiten und gewährleisten, dass die Mitarbeiter den sich verändernden und wachsenden Anforderungen in ihren Arbeitsgebieten gerecht werden können. Die unmittelbaren und durch Steuerungsoptimierung mittelbaren Effizienzziele werden auf der betrieblichen Ebene jedoch nur eingeschränkt erreicht. Dies liegt im Wesentlichen an vier Gründen: 1. Die suboptimale Implementierung des Instruments: Bei der leistungsorientierten Bezahlung ist die derzeitige Gestaltung nicht funktional. Die zum Zeitpunkt der Erhebung geltenden tariflichen Strukturen setzen (noch) keine ausreichenden Anreize, um eine Verhaltensänderung zu bewirken. Die Ausgestaltung des internen Rechnungswesens entspricht in einigen Fällen nicht in ausreichendem Maße den betrieblichen Erfordernissen. Unzulängliche Reformen des externen Rechnungswesens können hierfür ursächlich sein, z. B. wenn kulturbetriebsspezifische Ertrags- und Aufwandsarten im Kontenplan nicht berücksichtigt werden. 2. Die wirtschaftlichen Strukturen des Produktionsprozesses im Kulturbetrieb werden durch NPM nicht verändert: So können zwar Bilanz, GuV, KLR und Controlling Transparenz und Rationalität herstellen, ändern jedoch an den nur geringen Entscheidungsspielräumen und hohen Kostendeterminationen durch die betriebsnotwendigen Mindestkapazitäten (Grundlast) inklusive Personalkorpus nichts. Das vertiefte Wissen um wirtschaftliche Zusammenhänge sichert die Geschäftsleitung ab (Führungsunterstützung) und gehört ab einer gewissen Betriebsgröße zu den allgemein verbreiteten Methoden, reduziert jedoch per se noch keine Kosten bzw. erhöht keine Erlöse. Es ist
10. Abschließende Bewertung der empirischen Ergebnisse
231
somit unrealistisch, nennenswerte unmittelbare Effizienzvorteile aus Reformen des externen und internen Rechnungswesens zu erwarten. Voraussetzung für mittelbare Auswirkungen ist ein Managementspielraum in Bezug auf wirtschaftliche Entscheidungen, der in den Kultureinrichtungen bei der Realisierung des Spielbetriebs nur begrenzt vorhanden ist. 3. Die Nicht-Anwendung oder Nicht-Berücksichtigung von NPM-Instrumenten verhindert eine Wirkungsentfaltung: Die Führungskultur ist vorrangig eine Angelegenheit der jeweiligen Führungskraft und wird nicht systematisch reflektiert, beeinflusst und selten geschult. Auch die Ansätze der Personalentwicklung werden zumeist nur im Bedarfsfall eingesetzt. Offensichtlich mangelt es aber auch an Ressourcen, um das Personalmanagement zu vertiefen. Einige Experten bezweifeln allerdings die Notwendigkeit oder Vorteilhaftigkeit. Die verbreitete Anwendung von Budgets als Steuerungsinstrument weisen auf das Maximalprinzip hin (zu maximierender Output bei konstantem Input), wobei die Effizienzmessung inklusive qualitativer Aspekte schwierig ist. Die systematische Verknüpfung von künstlerischen und wirtschaftlichen Aspekten hat sich bislang in den Steuerungsinstrumenten nicht niedergeschlagen. Daten aus der KLR und dem Controlling auf Formalzielebene fließen in sachzielbezogene Entscheidungsprozesse punktuell als Restriktion, aber nicht im NPM-Sinn zur gesamtbetrieblichen Optimierung und strategischen Steuerung ein, etwa bei künstlerischen Entscheidungen. Die Experten bezweifeln jedoch teilweise den Aussagewert von vergangenheitsbezogenen KLR-Daten für die Planung; die Möglichkeiten zur Optimierung aus diesen Daten heraus seien nur begrenzt gegeben. Eine diesbezüglich mögliche Herangehensweise
wurde
in
Kap.
9.9
in
Form
kulturbetriebsspezifischer
Entscheidungskriterien aufgezeigt. 4. Die empirisch betrachtete betriebliche Ebene ist für sich genommen nur beschränkt in der Lage, Effizienzen freizusetzen. Dazu ist eine Gesamtbetrachtung des öffentlichen Sektors mit sämtlichen Gewalten (Meso-Ebene, vgl. Abb. 3) notwendig. Dies gilt etwa für langfristige Wirkungen wie die Schonung von Ressourcen durch Nachhaltigkeitseffekte aus der Doppik, welche bei den Gebietskörperschaften zu erwarten wäre, oder die NPM-Kernelemente des Kontraktmanagements und der Wirkungsorientierung. In einem Fall hat sich der Produktkatalog für ein Theater als problematisch erwiesen, da sich die damit verbundene Mittelbindung auch auf die umfangreichen umgelegten Gemeinkosten bezog. Da bei Produkten der subventionierten (Hoch-)Kultur innerhalb der Gattungen im Regelfall kein lokaler Wettbewerb herrscht, sind Kostensenkungen aus stärkerer Nutzung von Marktmechanismen nicht zu erwarten. Die Doppik ist
232
10. Abschließende Bewertung der empirischen Ergebnisse
grundsätzlich mindestens ebenso gut wie die Kameralistik als Rechnungssystem für einen Kulturbetrieb geeignet. Ob sie prinzipiell überlegen ist, muss angesichts der meist relativ niedrigen Bilanzsummen, der hohen Bedeutung der Liquidität für konsumtive Ausgaben und den wiederkehrenden Spielzeitzyklen bezweifelt werden, zumindest für kleine bis mittelgroße Kulturbetriebe, die über kein nennenswertes Vermögen verfügen. Es darf aber nicht unberücksichtigt bleiben, dass sich bei der Doppik Vorteile aus der Integration in größere Zusammenhänge (städtische Konzernbilanz etc.) ergeben können, die nicht untersucht wurden. Die in Kap. 2 aufgezeigte Steigerung der Einspielquote der Gesamtheit der deutschen Theater und Orchester zwischen 1995 und 2007 ist nach den Ergebnissen dieser Arbeit nicht wesentlich auf NPM-Reformen zurückzuführen, sondern auf „harte“ Sparvorgaben durch die Träger (Fusionen, Stellenabbau, sinkende Zuwendungen), moderate Preis- und Tarifentwicklung und innerbetriebliches Management (Veränderungen des Programmangebots und der Disposition, Absenkungstarifverträge, Professionalisierung des Marketings u. a.). Wie bereits im Kap. 10.1 aufgeführt, kann jedoch von den empirischen Ergebnissen dieser Erhebung wegen eingeschränkter Repräsentativität nicht auf das NPM-Konzept im Allgemeinen geschlossen werden, da hier nur ein Teilbereich des öffentlichen Sektors und einige betriebswirtschaftliche Elemente des NPM untersucht wurden.
Aus den geschilderten Befunden ergeben sich weiterführende Entwicklungs- und Einsatzmöglichkeiten für NPM-Instrumente: •
Höhere Anwendungsdichte der Deckungsbeitrags-Rechnung zur Realisierung von höheren Deckungsbeiträgen, wenn künstlerische Aspekte darunter nicht leiden, etwa durch Anpassungen der Preis- und Abonnementstrukturen, der Anzahl von Aufführungen bzw. angebotenen Plätzen, konkrete Auswahl von Repertoireinszenierungen etc.
•
Ausbau der Budgettransparenz (Aktualität, Verfügbarkeit, Verzahnung mit Systemen des Rechnungswesens, Kongruenz der Organisationsstruktur mit finanziellen Verantwortlichkeiten).
•
Stärkere Fokussierung der KLR-Systeme auf die Entscheidungssituationen.
•
Einbeziehung der generierten Informationsbasis als eine Entscheidungsgrundlage.
•
Stärkeres Gemeinkostencontrolling inklusive Mengengerüst, bis zur einzelvertraglichen Ebene, etwa bei Dienstleistungen und verbrauchsabhängigen Fremdleistungen.
•
Weiterentwicklung der LoB mit stärkerer Spreizung der monetären Leistungsbewertung.
10. Abschließende Bewertung der empirischen Ergebnisse
•
233
Weiterbildung der Mitarbeiter und Erweiterung der Verantwortungsbereiche auf unteren Hierarchiestufen.
•
Hohe Sorgfalt bei allen Personalrekrutierungen.
Die Anwendung von NPM wird jedoch nur dann seine Wirkung entfalten können, wenn sich die oberste Leitungsebene mit der veränderten Steuerungskultur identifiziert und in die tieferen Ebenen hineinträgt. Dies erfordert zudem den rationalen Umgang mit vorhandenen Informationen, ein den finanziellen Möglichkeiten angepasstes, sorgfältiges Abwägen von Sach- und Formalzielen und ein betriebliches Verständnis der Kultureinrichtung als ein der Öffentlichkeit und dem Gemeinwohl verpflichteter Dienstleister. Im Vergleich von Theatern und Orchestern ist NPM für Orchester eine niedrigere Eignung zuzuschreiben. Dies liegt daran, dass im Regelfall lediglich einige wenige nicht-künstlerische Mitarbeiter (Geschäftsführung, Verwaltung, Orchester-/Notenwart, Organisation, Marketing/Service) zum Personal des Orchesters neben dem Klangkörper gehören, sofern kein eigener Konzertsaal betrieben wird. Die zuvor geschilderten Ergebnisse greifen hier noch stärker: Die Personalkosten der Musiker dominieren den Wirtschaftsplan, die künstlerischen Budgets beziehen sich nur auf Gastdirigenten und Solisten, da im Gegensatz zum Theater keine umfänglichen Produktionsentscheidungen zu fällen sind. Das Anlagevermögen ist rudimentär und besteht zumeist nur aus der Betriebsund Geschäftsausstattung und einigen Instrumenten.
Es wurden neben den Instrumenten des NPM weitere, langfristige Erfolgsdeterminanten identifiziert, die durch entsprechendes Management beeinflussbar sind und in keinem direkten Zusammenhang zu NPM-Reformen stehen: •
Gute Verzahnung von Spielplan und Disposition, dabei ein effizienter Einsatz des Mengengerüsts, Verringerung von Leerkosten, sorgfältige Planung der Struktur des Spielbetriebs.
•
Intensivierung des Marketings, der Markenprofilierung und der Kundenbindung.
•
Fokussierung des Managements auf mittelfristige strategische Weiterentwicklung der Institution anstelle auf Sequenz von Einzelprojekten, somit:
•
Bereitschaft des Managements zu einer strategisch intendierten und konsistenten Zielsetzung und Planung im künstlerischen und nicht-künstlerischen Bereich, unter Berücksichtigung der vielfältigen Zusammenhänge im Kulturbetrieb (vgl. Abb. 16).
•
Engere Verknüpfung von wirtschaftlichen und künstlerischen Gesichtspunkten bei der operativen und strategischen Planung.
234
•
10. Abschließende Bewertung der empirischen Ergebnisse
Ausweitung der Bemühungen um Drittmittelakquise und kommerzielle Tätigkeiten, sofern dieses wirtschaftlich erfolgt und die Erfüllung des öffentlichen Auftrags dabei nicht eingeschränkt wird.
•
Stärkung des Vertrauensverhältnisses zu allen Stakeholdern.
•
Kooperationen mit anderen Kulturbetrieben bei künstlerischen Produktionen, sofern Kostenvorteil und/oder inhaltliche Befruchtung gegeben.
•
Sparsame Beschaffung (Einkauf) und gutes Vertragsmanagement mit Dienstleistern.
•
Offenheit, Kooperationswille und gegenseitiges Verständnis im Leitungspersonal untereinander, gemeinsame ideelle Basis und Zielvorstellung.
Neben NPM und „gutem“ Management sind es auch Rahmenbedingungen und gewachsene Wertvorstellungen, deren Veränderung die Effizienz positiv beeinflussen könnte: •
Die Akzeptanz des Yield Managements bei Kartenpreisen (intertemporal schwankende, IT-gestützte Preisgestaltung gemäß der Nachfrageentwicklung und anderen Faktoren) und die Personalisierung von Eintrittskarten könnten die Erlöse erhöhen, den Schwarzhandel mit Karten senken und die Auslastung steigern. Das dabei generierte größere Publikum bedeutet mittelbar auch einen höheren Impact und Outcome.
•
Eine weitere Verbesserung der steuerrechtlichen Rahmenbedingungen für Sponsoring (Abschaffung der Ertragssteuerpflicht bei aktiven Werbeleistungen; Ermöglichung des Vorsteuerabzugs bei umsatzsteuerpflichtigen Werbeleistungen, wenn aus dem Sponsoringvolumen Beschaffungen für das geförderte kulturelle Projekt getätigt werden, die nicht zur Erfüllung der geschuldeten Werbeleistung dienen).
•
Stärkere Bereitschaft bei Sponsoren und Mäzenaten, sich für die Grundlast (Gemeinkosten) eines Kulturbetriebs zu engagieren, insbesondere wenn die öffentliche Hand steigende Kosten nicht ausfinanziert und somit dem an sich öffentlichen Kernauftrag nicht mehr nachkommt, z. B. durch Patenschaften für Orchesterstellen.
•
Bereitschaft und Fähigkeit des Managements zu einer strategischen Führung des Kulturbetriebs, welche sich trotz (oder gerade wegen) künstlerischer Freiheiten und Irrationalitäten an übergeordneten strategischen Zielen orientiert und diese auf die operative Ebene inklusive künstlerischer Entscheidungen herunterbricht.
•
Reduktion von tariflichen Restriktionen und Besitzständen, welche zur Zeit noch eine flexiblere Disposition verhindern bzw. verteuern oder zusätzliche Kapazitäten erforderlich machen.
10. Abschließende Bewertung der empirischen Ergebnisse
•
235
Angesichts des Professionalisierungsdrucks in Kulturbetrieben kann eine stärkere Spreizung der Gehälter und die Aufhebung des Besserstellungsverbots Leistungsträger und qualifiziertes Personal anziehen, insbesondere auf mittlerer Ebene.
Bei allen Bemühungen um Reformen im öffentlichen Sektor und betriebliche Effizienzsteigerungen wird mittelfristig dennoch die politische Frage dominierend bleiben, wie viel Kultur sich eine Gebietskörperschaft leisten kann und möchte, und welcher ökonomische und ideelle Stellenwert den Kulturbetrieben im Einzelfall beigemessen wird. NPM kann das Baumolsche Kostendilemma in Kulturbetrieben und die starke Abhängigkeit von öffentlichen Zuwendungen nicht strukturell beseitigen, sondern nur geringfügig lindern. Für die weitere Forschung können zwei mögliche Vertiefungen aus den Ergebnissen dieser Arbeit abgeleitet werden: Erstens eine Spezifikation des NPM-Ansatzes für produzierende öffentliche Betriebe unter Beachtung der unterschiedlichen Informationsbedürfnisse und Managementperspektiven zwischen Betrieb, Regierung und Parlament. Zweitens die (Weiter-)Entwicklung einer empirisch fundierten allgemeinen Kulturbetriebslehre, welche die Besonderheiten dieses Teilsektors berücksichtigt, insbesondere den rationalen Umgang mit Irrationalitäten und nicht-quantifizierbaren qualitativen Aspekten. Als empirischer Ansatz kommt für beide Vertiefungen u. a. eine qualitative Fallstudienbetrachtung in Frage, bei der jeweils mehrere interne und externe Stakeholder einbezogen werden, da hierbei eine hohe Validität und Berücksichtigung der individuellen Rahmenbedingungen realisierbar ist. Quantitative Daten aus Jahresabschlüssen und dem internen Rechnungswesen könnten zur Triangulation herangezogen werden.
Anhang
237
Anhang Anhang 1: Erläuterung zu Abb. 8 und 9
Kategorie in Abbildung
Darunter fallen
Gesamtwert in T€
Vollpreiskarten
Vollpreiskarten
Abonnements
Abonnements und Platzmieten
175.532 58.628
Sonstige Kartenerlöse
Besucherorganisationen, sonstige rabattierte und Gebührenkarten, Jugendvorstellungen, Jugendmieten
46.876
Fremdveranstaltungen
Gastspiele fremder Ensembles im eigenen Haus
Auswärtige Gastspiele
Gastspiele des eigenen Ensembles
8.674
Garderobe
Garderobengebühren und Theaterzettel
8.695
Programmverkauf
Programmverkauf
5.142
36.147
Medienerlöse
Rundfunk- und Fernseherträge bei Übertragungen
1.632
Sonstiges
Auflösung von Rückstellungen, übrige Einnahmen
75.829
Spenden und Sponsoring
Zuschüsse privater Einrichtungen
21.234
SUMME Eigenerwirtschaftete Einnahmen Öffentliche Zuweisungen
438.389
Bund, Land, eigene und fremde Gemeinden, Gemeindeverbände, Anstalten öffentlichen Rechts, EUProjektmittel
2.075.907
SUMME Einnahmen insgesamt
2.514.296
Tab. 33: Aggregationen der Einnahmen der deutschen Theater (Abb. 8 und 9) Quelle: Deutscher Bühnenverein (2007), S. 257 ff.
238
Anhang
Anhang 2: Erläuterung zu Abb. 10 und 11
Kategorie in Abbildung
Darunter fallen
Gesamtwert in T€
Leitungspersonal
Intendant, Verwaltungsdirektor, Spartenleiter, Chefdramaturg, GMD, Künstl. Betriebsdirektor, Technischer Direktor, Ausstattungsleiter
72.139
Orchester
Hauseigenes Orchesterpersonal und engagierte hausfremde Kulturorchester
264.785
Chöre
Chormitglieder
118.832
Sänger
Sängerensemble
64.655
Schauspieler
incl. Kinder- und Jugendtheaterschauspieler
92.067
Tänzer
Tänzer
60.539
Nicht darstellendes künstlerisches Personal
Künstlerisches Betriebsbüro, Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, Dramaturgen, Inspizienten, Souffleure, Hausregisseure, etc.
122.320
Künstlerisch-technisches Personal
Bühnenarbeiter/-techniker, Beleuchter, Tonmeister, Requisiteure, Rüstmeister, Orchesterwarte, Werkstätten, Maske, Kostüme
564.773
Verwaltungs-, Hauspersonal und Vertrieb
Allgemeine Verwaltung, eigenes Hauspersonal (Abendtürwarte, Garderoben, Hausmeister, Haustechnik, Reinigung), Kasse, Abonnementverwaltung
143.013
Unständiges Personal
Für einzelne Produktionen verpflichtete Gastkünstler, Werkverträge, technische und künstlerische Aushilfen, Einspringer
212.767
Sonstige Personalkosten
Versorgungsbezüge, Rückstellungen, Fortbildung, personalbezogene Sachausgaben
Sächliche Betriebsausgaben
Verwaltungsausgaben, Mieten, Pachten, Ausstattungskosten, Veröffentlichungen, Urheberabgaben, Materialkosten
Finanzierung und Zinsen
Besondere Finanzierungsausgaben, Zinsen, Tilgungsdienst
SUMME Personal
47.825 1.763.715 233.093 58.087
Gastspiele
Auswärtige Gastspiele, Gastspiele fremder Ensembles
31.716
Abschreibungen
Abschreibungen
66.407
Grundstücke, Gebäude, Anlagen
Grundstücke, Gebäude, bauliche Anlagen
Geräte, Ausstattung
Geräte, Ausstattungs- und Ausrüstungsgegenstände
22.913
Sonstiges
Feuerwehr, Interne Verrechnungen, Sonstige Theaterbetriebsausgaben
91.452
SUMME Ausgaben insgesamt
106.227
2.373.610
Tab. 34: Aggregationen der Ausgaben der deutschen Theater (Abb. 10 und 11) Quelle: Deutscher Bühnenverein (2007), S. 258 f.; zu den Abweichungen vgl. Fußnote 1 in: Deutscher Bühnenverein (2007), S. 259.
Anhang
239
Anhang 3: Fragebogen der Experteninterviews I.
Überblick verschaffender Einstieg: 5 Min. 1. Buchen Sie doppisch? Seit wann? 2. Existiert eine Kosten- und Leistungsrechnung? 3. Gibt es eine Controlling-Stelle oder ein Tätigkeitsgebiet Controlling? Wenn ja, seit wann? 4. Gibt es eine Person, die mit Aufgaben des Personalmanagements betraut ist, welche über Personalverwaltung und Gehaltsabrechnung hinausgehen? 5. Seit welchem Jahr sind Sie hier tätig? 6. Welches sind Ihre Hauptaufgaben und Entscheidungskompetenzen? 7. Gibt es gewichtige Besonderheiten seit 1994, die man bei der Interpretation der Daten Ihres Betriebs in der Theaterstatistik berücksichtigen muss (z. B. Ereignisse wie eine Fusion oder strukturelle Besonderheiten, neuer Konzertsaal etc.)?
Auswahl der nachfolgenden, vertiefenden Fragen (ca. 40 Min.) wurden vom Interviewer situativ ausgewählt in Abhängigkeit vom a) Stand der Umsetzung von NPM-Instrumenten in den drei Schwerpunktgebieten und b) inwieweit der befragte Experte die Einführung der NPM-Instrumente persönlich erlebt/begleitet hat. II. Fragenblock zur unabhängigen NPM-Variable Externes Rechnungswesen 8. Was sind die wesentlichen Positionen des Anlagevermögens? 9. Wird das Anlagevermögen in einem Sonderposten gespiegelt, d. h. Neutralisierung der Abschreibung? 10. In welchem Umfang beeinflussen Zahlen aus der Bilanz und GuV das heutige und zukünftige Wirtschaften? War dies zu kameralistischen Zeiten anders? 11. Haben die Bilanz und die GuV neue Einsichten hervorgebracht? Wenn ja, welche? 12. Weicht das kaufmännische Jahresergebnis von dem früheren kameralen liquiditätsorientierten Ergebnis ab? Ja/Nein: Warum? 13. Wie schätzen Sie aufgrund Ihrer Erfahrungen die Wirklichkeitsnähe der Darstellung der wirtschaftlichen Verhältnisse ein, vergleichend zwischen Doppik und Kameralistik? Halten Sie aufgrund ihrer Erfahrungen ein System für überlegen? 14. Wird die neue Systematik von den internen und externen Entscheidungsträgern adäquat interpretiert? 15. Welche Konsequenzen hatte die Umstellung auf kaufmännische Buchführung auf das langfristige Wirtschaften? 16. Gibt es angesichts der entfallenen kameralen Titel eine Form von Liquiditätsmanagement? 17. Welche Auswirkungen hatte die Umstellung auf kaufmännische Buchführung für den wirtschaftlichen Erfolg? Für den künstlerischen Erfolg? 18. Wie beurteilen Sie das Kosten-Nutzen-Verhältnis des praktizierten doppischen Rechnungswesens? Wenn schlecht: warum?
240
Anhang
III. Fragenblock zur unabhängigen NPM-Variable Internes Rechnungswesen 19. Falls KLR vorhanden: Nähere Spezifikation: Vollkosten/Teilkostenrechnung. Was sind Kostenstellen, -träger? Teilkosten-/Vollkostenrechnung? Zeitaufschreibung? 20. Praktizieren Sie eine Leistungsrechnung? Wenn ja, wie werden Erlöse zugeordnet? Gibt es festgelegte Verantwortlichkeiten für die Erlöse? Werden Erlöse differenzierter als im Wirtschaftsplan kalkuliert und geplant? 21. Gibt es Kostenstellenverantwortliche im Betrieb? Beschreiben Sie bitte deren Rolle (Kompetenzen, Verantwortlichkeit). Erhalten sie die Daten aus KLR? Gibt es regelmäßige Gespräche? Top-Down-Planungsprozess bzw. Zielsetzung? Wenn ja: In welcher Form werden sie verantwortlich gemacht? Was geschieht ggf. bei Abweichungen? 22. Wie stark fließen die Erkenntnisse/Daten/Auswertungen aus der KLR in Entscheidungsprozesse mit ein? Führt dies zu mehr Wirtschaftlichkeit? Wem dienen Daten der KLR? Was geschieht mit KLR-Daten nach ihrer Erhebung? 23. Hat die KLR zu einer Steigerung der wirtschaftlichen Transparenz und der Kenntnis über wirtschaftliche Zusammenhänge beigetragen? Resultierten daraus Konsequenzen? 24. Welche Auswirkungen hatte die Einführung von KLR auf das wirtschaftliche Ergebnis? Auf das künstlerische Ergebnis? 25. Wie beurteilen Sie die Angemessenheit nach Art und Umfang der praktizierten KLR für Ihre betrieblichen Belange? 26. Welches sind die Hauptaufgaben des Controllings? Welche ControllingInstrumente werden praktiziert (operative und strategische Instrumente, z. B. SollIst-Vergleiche, Benchmarking, Budgets, BSC, strategisches Controlling)? 27. Welche Erfahrungen haben Sie mit dem Controlling gemacht? 28. Wie stark fließen die Erkenntnisse aus KLR und Controlling in die betrieblichen Entscheidungsprozesse mit ein? 29. Haben KLR und Controlling zu einem effizienteren oder rationaleren Management beigetragen? 30. Was hat sich wirtschaftlich verändert, seit Sie KLR und Controlling nutzen? 31. Wie beurteilen Sie das Kosten-Nutzen-Verhältnis von KLR und Controlling in Ihrem Betrieb? Wenn schlecht: warum? IV. Fragenblock zur unabhängigen NPM-Variable Personalmanagement 32. Gibt es Maßnahmen des Personalmanagements, die über die Personalverwaltung hinausgehen? Welche? Seit wann ungefähr? 33. Gibt es Anreizsysteme oder variable Gehaltskomponenten, z. B. § 18 TVöD? Wenn ja, wer/wie hoch/nach welchen Kriterien? Im künstlerischen Personal? 34. Was waren die Auswirkungen dieser Anreizsysteme? 35. Gibt es systematisch betriebene Personalentwicklungsmaßnahmen? (Weiterbildung, Job Enrichment, Job Rotation etc.) Wenn ja, welche? Wer entscheidet hierüber? 36. Werden Führungsinstrumente wie z. B. Mitarbeitergespräche oder bestimmte Management-by-Techniken praktiziert? Systematisch? Auswirkungen? 37. Werden die leitenden Mitarbeiter zu Führungskompetenz, soft skills etc. geschult? 38. Falls Tenor eher bejahend: Welche Erfahrungen haben Sie mit den genannten Instrumenten des Personalmanagements gemacht? Welche Auswirkungen hatte die Einführung von Personalmanagement auf das wirtschaftliche Ergebnis? Auf das künstlerische Ergebnis? Kosten-Nutzen-Verhältnis?
Anhang
241
39. Falls Tenor eher verneinend: Haben Sie vor, einige der genannten Instrumente des Personalmanagements einzuführen? Was versprechen Sie sich? Bzw. Warum nicht? Die beiden abschließenden Frageblöcke wurden allen Gesprächspartnern gestellt: V. Fragenblock zu den Intervenierenden Variablen: ca. 10 Min. 40. Welche Rolle spielt die Kulturverwaltung (Exekutive, z. B. Dezernent/Referent) für Ihren Betrieb? 41. Welche Rolle spielt die Kulturpolitik (Legislative, z. B. Kulturausschuss) für Ihren Betrieb? 42. Wie stark sind wirtschaftliche Interessen und Argumente maßgeblich bei den Entscheidungs- und Planungsprozessen? 43. Wie stark sind künstlerische Interessen und Argumente maßgeblich bei den Entscheidungs- und Planungsprozessen? 44. Gibt es rechtliche Rahmenbedingungen, die den wirtschaftlichen oder künstlerischen Erfolg erschweren oder schmälern? 45. Gibt es andere, nicht-rechtliche Bedingungen, die den wirtschaftlichen oder künstlerischen Erfolg beträchtlich erschweren oder schmälern? 46. Was müsste sich an den Rahmenbedingungen ändern (abgesehen von höheren Zuwendungen), damit sich der wirtschaftliche Erfolg steigern kann? Der künstlerische Erfolg? 47. Sind die von Ihrem Betrieb erhaltenen öffentlichen Zuwendungen gegenseitig deckungsfähig, d. h. liegt ein Globalbudget vor? 48. Dürfen Sie überschüssige Mittel ins Folgejahr übertragen und Rücklagen aufbauen? 49. Welche Tarifverträge wenden Sie an? 50. Wie hoch ist der Anteil der tarif-ungebundenen Personalkosten? VI. Fragenblock zu den Abhängigen Variablen: 5 Min. 51. Wovon wird das wirtschaftliche Ergebnis in Ihrem Betrieb maßgeblich beeinflusst? 52. Wovon wird das künstlerische Ergebnis in Ihrem Betrieb maßgeblich beeinflusst? 53. Wie hat sich Ihr Betrieb wirtschaftlich in den letzten 10 Jahren entwickelt? Was sind die Ursachen für diese Entwicklungen? 54. Wie hat sich Ihr Betrieb künstlerisch in den letzten 10 Jahren entwickelt? Was sind die Ursachen für diese Entwicklungen?
242
Anhang
Anhang 4: Extraktionsregeln729
1. Aussagen zu den Variablen werden auch dann extrahiert, wenn sie nicht direkt in Zusammenhang mit einer der Forschungsfragen oder Thesen stehen. Lediglich offensichtlich für die Untersuchung unbedeutende Aussagen werden nicht extrahiert. 2. Wenn Aussagen zu späteren Zeitpunkten erneut vertiefend aufgegriffen werden, wird ein neuer Tabelleneintrag in der Extraktionstabelle erstellt. 3. Die Variablendimensionen lauten: 1. Sachbezug/Gültigkeitsumfang 2. Zeitraum/Zeitpunkt 3. Aktion/Sachverhalt 4. Ursache 5. Wirkung 6. Subjektive Bewertung des Interviewten 7. Eigenschaften/Detailmerkmale 8. Sonstiges/((Kommentar)) 9. Quelle (Absatzcodierung) 4. Es müssen nicht alle Dimensionen für jeden Eintrag verwenden werden. Zwingend sind jedoch stets 1. und 9. auszufüllen. 5. Bei der Zuordnung des Zitats zu den Dimensionen ist sorgfältig darauf zu achten, dass subjektive Meinungen und Spekulationen (6.) sauber differenziert werden von Fakten (3., 7.) und vergangenheitsbasierten Kausalitätsbeziehungen (4., 5.). 6. Es werden auch Inhalte aufgenommen, die nicht unter die vorab gewählten Variablendimensionen fallen. 7. Ursache-Wirkungs-Aussagen müssen einem konkreten Sachbezug zugeordnet werden, ggf. ist neue Kategorie unter der 1. Dimension (Sachbezug) einzurichten. 8. Unter Dimension 5 (Wirkung) können auch Kausalketten eingetragen werden. Die Sachdimension bezieht sich dann auf Anfang der Kausalkette. 9. Abhängige Variabeln sind nicht zu vernachlässigen (indirekte Aussage oder Auswirkung werden z. B. durch Interviewaussage impliziert). 10. Unter Dimension 8 (Sonstiges) können prägnante direkte Zitate abgelegt werden (stets in „“) 11. Eigene Kommentare/Interpretationen/Vermutungen/Auffälligkeiten, z. B. aus den Aussagen geschlussfolgerte Kausalitäten/Zusammenhänge, können aufgenommen werden, müssen aber in ((Klammern)) gesetzt werden. Gleiches gilt für die kohärente Ergänzung unvollständiger Aussagen oder das Einfügen von Kontextwissen. 12. Widersprüche innerhalb eines Interviews müssen durch den Zusatz [Widerspruch] bei der Extraktion kenntlich gemacht werden. 13. Falls das Problem der sozialen Erwünschtheit offensichtlich auftritt, so ist dies durch den Zusatz [PdsE] bei der Extraktion zu kennzeichnen. 14. Wenn Aussagen getroffen werden, die mehrere Variable betreffen, so werden sie der in der Aussage gewichtigsten Variable zugeordnet. Der Querbezug ist beim Extrahieren kenntlich zu machen, indem in den entsprechenden Feldern (z. B. Ursache) der Name der anderen Variable genannt wird.
729
Vgl. Gläser/Laudel (2006), S. 206-211.
Anlagevermögen
Liquiditätsmanagement
Doppik
Abschreibungen
Jahresabschluss (GuV und Bilanz)
Bilanz
1999
Gebäude nicht enthalten
eingeführt
seit Diskussion 1,5 Jahren über Spiegelung in Sonderposten
1999
Sachbezug/ Zeitraum/ Aktion/ Gültigkeitsumfang Zeitpunkt Sachverhalt
Ausgabeentwicklung im Griff, guter Überblick
Es wird bewusst mit den Überschüssen umgegangen, z. B. Risikovorsorge für kommende Jahre
Erstmalige Darstellung von nichtzahlungswirksamen Positionen im Volumen von 3 Mio. Euro = knapp 50 % Bilanzsumme
Wirkung
Eigenschaften/ Detailmerkmale
Eigentum Land
Interviewpartner hat den Prozess durchgeführt
bislang ungeklärt. zur Zeit Abschreibungen noch voll aufwandswirksam
Zu kameralistiNachhaltigkeit und schen Zeiten wurde Vorsorge werden alle Liquidität wirklich praktiziert verbraucht („Dezemberfieber“)
Subjektive Bewertung des Interviewten
Quelle: Eigene Erhebung; Quellenangaben fiktiv.
Tab. 35: Beispiel Extraktionstabelle Externes Rechnungswesen
Geschäftsführer unterschreibt persönlich jede Ausgabe
Zu den regelmäßig entstehenden Überschüssen werden Verwendungsvorschläge gemacht
Einführung Bilanz
Ursache
Quelle
\08TNWSMEV18154
\08TNWSMEV18152
08TNWSMEV18150
08TNWSMEV18130
((1. Entsprechend 08TNWSMEV18verständige Gesellschafter 126 sind hier offensichtlich vorhanden; 2. Doppik bewirkt Nachhaltigkeit))
((hochrelevante 08TNWSMEV18Steigerung wirtschaftliche 124 Transparenz. Unklar, ob Auswirkungen auf wirtschaftliches Handeln))
Sonstiges/ ((Kommentar))
Anhang 5: Kurzer Auszug aus der Extraktionstabelle der Variable Externes Rechnungswesen
Anhang 243
Anhang 244
Ursache
Wirkung
Nur 10, 15: regelmäßige Kontrolle der ISTStände der Budgets in Gesprächen
Subjektive Bewertung des Interviewten
z. B. wurde Aufwand für Schneebeseitigung auch der Sommeroperette belastet
03: orientiert sich am Organigramm; 08: Spielstätten; 10: Abteilungen; 14: 70 Kosten-stillen; 17: KLR des Trägers
Eigenschaften/ Detailmerkmale
Sonstiges/ ((Kommentar))
Anhang 6: Kurzer Auszug aus der verdichteten Extraktionstabelle der Variable Internes Rechnungswesen
Kostenstellenrechnung
Wird regelmäßig praktiziert inklusive Berichtswesen: 03, 08, 10, 14, 17
Sachbezug/ Zeitraum/ AktiGültigkeitsumfang Zeitpunkt on/Sachverhalt
Kostenstellenverantwortung
2001
Keine neuen Hauptursache für Erkenntnisse, keine Einführung war Planungsverbesse- Zeitgeist rung => Aufwand nicht gerechtfertigt => wieder beendet
Einführung von Umlagen der Ensembles gemäß Diensten, weitere Umlagen
Vollkostenrechnung wurde eingeführt und später wieder beendet
Diese durchaus vollkostenbasiert
Kostenstellenverantwortliche sind mit Budgets ausgestattet
khgbnuxu KLR
KLR
Für Effizienzgewinne werden Einzelanalysen erstellt, z. B. Make-or-BuyEntscheidungen
Quelle: Eigene Erhebung; Quellenangaben fiktiv.
Tab. 36: Beispiel verdichtete Extraktionstabelle Internes Rechnungswesen
Quelle
03OSALGEG35-56 08TNWSMEV18-20 10TBEMGGG12-58 14TBYSKRV08-36 17TBWLMEG23-48
10TBEMGGG12-60 15ONWSKRV12-98 16TSASGSG19-102
15ONWSKRV12102 15ONWSKRV12104
16TSASGSG19-110
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245
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