Die anthropologische Differenz Der Geist der Tiere in der frühen Neuzeit bei Montaigne, Descartes und Hume von
Markus W...
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Die anthropologische Differenz Der Geist der Tiere in der frühen Neuzeit bei Montaigne, Descartes und Hume von
Markus Wild
Walter de Gruyter · Berlin · New York
Die vorliegende Arbeit wurde mit Hilfe des Max Geldner-Dissertationsfonds der Philosophisch-Historischen Fakultät der Universität Basel gedruckt.
앝 Gedruckt auf säurefreiem Papier, 앪 das die US-ANSI-Norm über Haltbarkeit erfüllt.
ISBN-13: 978-3-11-018945-2 ISBN-10: 3-11-018945-3 ISSN 0344-8142 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
쑔 Copyright 2006 by Walter de Gruyter GmbH & Co. KG, D-10785 Berlin Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany Einbandgestaltung: Christopher Schneider, Berlin Druck und buchbinderische Verarbeitung: Hubert & Co., Göttingen
Vorwort Die vorliegende Studie befasst sich mit der Rolle des Geistes der Tiere in der frühneuzeitlichen Philosophie bei Michel de Montaigne, René Descartes und David Hume und mit dem damit verbundenen Problem der anthropologischen Differenz, d.h. der Unterscheidung zwischen Mensch und Tier. Die Studie bewegt sich von Montaignes Kritik der Verächter der Tiervernunft über Descartes’ Ablehnung eines tierischen Geistes zu Humes Verteidigung einer naturalistischen Betrachtungsweise unseres Geistes als einem tierlichen Geist. Die Perspektive dieser Arbeit ist sowohl historisch als auch systematisch, der Schwerpunkt der folgenden Kapitel jedoch stärker exegetisch als exponierend, die Ausrichtung mehr thematisch als thetisch. Ihr erstes Anliegen ist die Bergung wertvoller Einsichten der drei behandelten Autoren. Ein weiteres Anliegen ist die Füllung der Intuition, das sich eine nicht anthropozentrisch bornierte Philosophie des Geistes mit dem Geist der Tiere befassen muss. Das kurze Schlusswort bemüht sich, die wichtigsten Fäden zusammenzubringen und die erarbeiteten Einsichten zu sammeln.
*** Die vorliegende Arbeit wurde von der Philosophisch-Historischen Fakultät der Universität Basel im Sommersemester 2004 als Dissertation angenommen. Sie stellt eine leicht überarbeitete und aktualisierte Version der eingereichten Dissertation dar. Mein Dank geht an das Philosophische Seminar der Universität Basel, das eine liberale Arbeitsatmosphäre ermöglichte, und an seine Mitarbeiter für Gespräche und Aufmunterungen. Bei Prof. Dr. Emil Angehrn bedanke ich mich für die bereitwillige Aufnahme des Korreferats. Ebenso geht mein Dank an das Philosophische Institut der Humboldt-Universität zu Berlin, dessen herausfordernde Atmosphäre die Arbeit vorangetrieben hat. Mein Dank gilt dem Schweizer Nationalfonds, der nicht nur die Arbeitszeit an dieser Studie finanziell unterfüttert hat, sondern auch eine Zusammenarbeit mit anderen Doktoranden im Rahmen des von Prof. Dr. Dominik Perler (Berlin) und Prof. Dr. Therese Fuhrer (Freiburg/Br.) geleiteten Forschungsprojekts „Formen des Zweifels“ ermöglicht hat.
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Vorwort
Den größten Dank schulde ich Dominik Perler, der meine Arbeit nicht nur klar, kompetent, konstruktiv und kritisch begleitet und sowohl auf die Beschränkung aufs Wichtige als auch auf die Explikation des Verknappten gedrängt hat, sondern aus der Begleitung eine freundschaftliche Zusammenarbeit auf dem Feld der Philosophie des Geistes der Tiere gemacht hat. Ich habe vielen Personen aus vielen Gründen zu danken, die manchmal direkten (philosophischen und unphilosophischen) Einfluss auf diese Studie genommen haben, manchmal (philosophischen und unphilosophischen) indirekten. Sie haben meinen Dank und wissen dies. Zwei Menschen können nicht mehr darum wissen, mein Vater Werner Wild und mein jüngster Bruder Roland Wild. Sie sollen meinen Dank darin haben, dass ich ihnen diese Arbeit widme. Sie hätten vielleicht nicht viel mit ihr anfangen können – viel aber mit ihrem Thema, den Tieren. Mein letztes Dankeschön – und damit sage ich (hoffentlich) zum ersten und letzten Mal etwas „Geheimnisvolles“ in dieser Arbeit – zeigt sich für sie deutlich genug in Berlin, 20. Oktober 2006 Markus Wild
Inhalt Vorwort ............................................................................................ ...VII Kapitel I – Einleitung – Anthropologische Differenz und frühe ................. Neuzeit ........................................................................... ....... 1 I. Philosophie des Geistes der Tiere und humanes Selbstverständnis ........................................................................ ....... 1 1. Anthropologische Differenz und Geist der Tiere .................... ....... 1 2. Differentialismus und Rationalismus...................................... ....... 4 3. Assimilationismus .................................................................. ....... 8 II. Historischer Zugang ................................................................. .....12 4. Unterschiede zwischen der antiken und der frühneuzeitlichen Diskussion ............................................................................. .....12 5. Der Tierseelenstreit ................................................................ .....16 6. Der Hund auf Velásquez’ Las meninas .................................... .....21 7. Exklusive Deutung: Der „Cartesische“ Hund außerhalb der Repräsentation ....................................................................... .... 24 8. Inklusive Deutung: Der „Aristotelische“ Hund innerhalb der Ordnung des Seins ................................................................. .....29 Schema A.1 ............................................................................ .....31 9. Skeptische Deutung: Der „dunkle“ Hund im philosophiehistorischen Umbruch ............................................................ .....35 10. Methodische Bemerkungen ................................................. ......39 Kapitel II – Montaigne – Skepsis und Tiervernunft .......................... .... 43 11. Der Diskurs über die Vernunft der Tiere als skeptischer Gegendiskurs ....................................................................... .....43 I. Montaigne und die pyrrhonische Skepsis ................................... .....44 12. Montaigne als Essayist und als Philosoph ............................. .....44 13. Montaigne als Skeptiker ....................................................... .....48
X
Inhalt
14. Pyrrhonische Skepsis bei Sextus Empiricus und bei Montaigne ........................................................................... .....50 15. Das Problem des Ziels der pyrrhonischen Skepsis ................. .....54 16. Die Tropen ........................................................................... .....56 17. Das Problem des Fideismus .................................................. .....58 18. Das Problem der Urteilsenthaltung ...................................... .....61 II. Das Bestiaire als skeptischer Diskurs gegen den Rationalismus .. .....67 19. Das Programm für das Bestiaire ............................................ .....67 20. Die Erweiterung der Sprache: Zeichen und Gesten .............. .....70 21. Die Erweiterung der Sprache: Kommunikation .................... .....73 22. Rückschluss auf den discours intérieur ................................... .....75 23. Der Anthropomorphismusvorwurf ....................................... .....77 24. Das Hauptargument: Gleiche Wirkungen und gleiche Vermögen............................................................................. .....79 III. Kritik an Ordnungsvorstellungen und satirischer Pyrrhonismus .......................................................................... .....83 25. Der erste pyrrhonische Tropus .............................................. .....83 26. Die Erweiterung des ersten pyrrhonischen Tropus ................ .....86 27. Das metaphysische Bild von der Ordnung der Lebewesen .... .....90 28. Montaignes Kritik am Bild der Ordnung der Lebewesen ...... .....96 29. Unglaubwürdige Anekdoten? ............................................... .....97 30. Anekdoten und die Funktion des Zitats ............................... .....99 31. Die Techniken des skeptischen Gegendiskurses .................... ...101 IV. Das Gleichgewicht von Mensch und Tier ................................ ...105 32. Welches Gleichgewicht von Mensch und Tier? ..................... ...105 33. Das Abstraktionsvermögen bei Tieren .................................. ...110 34. Hat Montaigne den thomistischen Hintergrund missverstanden? .................................................................... ...115 35. Montaignes Einbeziehung des Leib-Seele-Problems .............. ...117 36. Einbildungskraft und Unnatur ............................................. ...121 V. Skeptische Moral....................................................................... ...124 37. Ethische Konsequenzen des Gleichgewichts von Mensch und Tier ............................................................................... ...124 38. Privater Abscheu vor der Grausamkeit .................................. ...127
Inhalt
XI
39. Ansätze zu einer ethischen anthropologischen Differenz bei Montaigne ........................................................................... ...130 40. Naturalistische Skepsis ......................................................... ...133 Kapitel III – Descartes – Mechanismus und Menschenvernunft ....... ...135 I. Descartes’ Tierdoktrin ................................................................ ...135 41. Die Standardinterpretation der Bêtes-machine-These ............ ...135 42. Die Corps-machine-These ..................................................... ...138 43. Zwei Probleme und Descartes’ Lösungsansätze ..................... ...141 Schema A.2 .......................................................................... ...143 44. Die revisionistische Interpretation der Bêtes-machine-These.. ...144 45. Die Bêtes-machine-These ...................................................... ...147 46. Mit der Bêtes-machine-These gegen Montaignes Tiervernunft ......................................................................... ...150 II. Lebendige Maschinen ............................................................... ...151 47. Gegen die Analogie .............................................................. ...151 48. Für eine andere Analogie ...................................................... ...153 49. Sind Tiere für Descartes wirklich Maschinen? ...................... ...155 50. Harvey über das Herz........................................................... ...157 51. Das cartesische Herz............................................................. ...160 52. Was unterscheidet lebendige von nicht-lebendigen Maschinen? .......................................................................... ...163 III. Empfindsame Maschinen? ....................................................... ...165 53. Tieraffekte ............................................................................ ...165 54. Das Problem mit der Zuschreibung von Affekten an Tiere ... ...166 55. Tierwahrnehmungen ............................................................ ...168 56. Kritik der These von der Desambiguierung .......................... ...171 57. Kritik der Zwar-aber-These .................................................. ...172 58. Die Selbsterhaltungsfunktion bei Leib-Seele-Einheiten ........ ...176 59. Die Selbsterhaltung bei Tiermaschinen................................. ...178 60. Eine Cartesische Erklärung für Alarmverhalten bei Meerkatzen .......................................................................... ...180 IV. Für den mentalistischen Rationalismus .................................... ...182 61. Zwei Unterscheidungsinstrumente: Sprechen und Handeln . ...182
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Inhalt
62. Das naturphilosophische Argument für die Leib-Seele-Unterscheidung ................................................... ...183 63. Die Unterscheidungsinstrumente als Turing-Test? ................ ...185 64. Die Unterscheidungsinstrumente empirisch oder metaphysisch? ...................................................................... ...187 65. Der mentalistische Rationalismus bei Descartes ................... ...190 66. Tierverhalten ist mechanisches Verhalten.............................. ...191 67. Probleme mit der mechanistischen Betrachtung tierlichen Verhaltens ............................................................................ ...194 68. Sprechen als einziges sicheres Zeichen .................................. ...196 69. Konditionierung .................................................................. ...198 70. Tierverhalten als Reflexverhalten .......................................... ...201 71. Ansätze zu einer lernorientierten Stufung von Tierverhalten . ...204 V. Ethicotheologie und Schluss...................................................... ...207 72. Die Bêtes-machine-These als Lizenz zur Grausamkeit?........... ...207 73. Die Unsterblichkeit der Seele und das Problem der anthropologischen Differenz ................................................ ...209 Kapitel IV – Hume – Naturalismus und Tiervernunft ...................... ...211 74. Einleitung ............................................................................ ...211 I. Locke, Leibniz, Berkeley ............................................................ ...214 75. Lockes methodischer Einsatz der Tiere ................................. ...214 76. Das Vermögen zur Abstraktion: Lockes anthropologische Differenz .............................................................................. ...217 Schema A.3 .......................................................................... ...221 77. Leibniz’ Problembewusstsein ................................................ ...222 78. Gegen abstrakte Ideen: Was Hume von Berkeley übernimmt ........................................................................... ...224 II. Skeptischer Naturalismus.......................................................... ...226 79. Landkarte der Hume-Deutungen ......................................... ...226 80. Hume als skeptischer Naturalist ........................................... ...230 III. Humes Zugang zum Geist der Tiere ........................................ ...234 81. Der Aufbau des Treatise und das Copyprinzip ...................... ...234 Schema B ............................................................................. ...236 82. Der Ort der Tiere im Treatise ............................................... ...236
Inhalt
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Schema C............................................................................. ...237 83. Anfangen beim Commonsense ............................................. ...239 84. Dass Tiere denken und was Tiere denken .............................. ...241 85. Nicht-begrifflicher Gehalt bei Hume.................................... ...242 86. Die Extraktion begrifflicher Gehalte bei Hume.........................244 87. Die anatomiegestützte Analogie ........................................... ...247 88. Unterschiede zwischen Montaignes und Humes Analogieargument ................................................................ ...247 89. Die ersten drei Bestandteile von Humes Kausalanalyse ......... ...248 90. Das Prinzip analoger Kausalität ............................................ ...249 91. Subjektive Nötigung und Glaube ......................................... ...250 92. Das Übergangsprinzip .......................................................... ...252 93. Erstpersonperspektive und Sympathiemechanismus ............. ...254 IV. Tiere als Kausaldenker ............................................................. ...257 94. Das Problem der Analogieschwäche ..................................... ...257 95. Kausale Inferenz und Zweck-Mittel-Denken ........................ ...259 96. Die Vernunft der Tiere (Krähen) .......................................... ...263 97. Sind Tiere explizite Kausallerner? ......................................... ...265 98. Erfassen und differenzieren Tiere kausale Prinzipien? ........... ...267 99. Der Tiertest .......................................................................... ...270 V. Keine eine Differenz, sondern Differenzen ................................ ...272 100. Tatsachenbeziehungen und Vorstellungsbeziehungen ......... ...272 Schema D ........................................................................... ...273 101. Eine Handvoll Unterschiede zwischen Tier und Mensch .... ...274 102. Allgemeine und spezialisierte kognitive Instinkte................ ...275 103. Zwei Arten Wissen?............................................................ ...278 104. Die Rolle der Affekte in Humes Philosophie ...................... ...279 105. Affekte ............................................................................... ...281 106. Die Beschränktheit der Affekte der Tiere ............................ ...285 Schlussbetrachtung ........................................................................... ...289 107. Rückblick: Montaigne, Descartes, Hume ........................... ...289 108. Bausteine einer Philosophie des Geistes der Tiere ............... ...292 109. Assimilationismus und die anthropologische Differenz....... ...295
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Inhalt
Bibliografie ....................................................................................... ...299 I. Primärliteratur ........................................................................ ...299 II. Historische Literatur.............................................................. ...300 III. Sekundärliteratur ................................................................. ...302 Register ............................................................................................ ...327 Personenregister ......................................................................... .. 327 Tierregister ................................................................................. ...330
Kapitel I Einleitung – Anthropologische Differenz und frühe Neuzeit I. Philosophie des Geistes der Tiere und humanes Selbstverständnis 1. Anthropologische Differenz und Geist der Tiere Henri Bergson hat den philosophischen Systemen der Vergangenheit einmal vorgeworfen, sie wären für die Wirklichkeit gleichsam zu weit geschnitten und würden z.B. ebenso gut auf eine Welt ohne Tiere passen.1 Bergson scheint nahe legen zu wollen, dass Tiere ein philosophisches Thema sein sollten, es aber leider nicht sind. Was letzteres betrifft, liegt er falsch, seine Forderung aber ist richtig. Tiere spielten (und spielen) seit der Antike2 eine wichtige Rolle in der Philosophie, sei es in der Philosophie des Geistes, in der Anthropologie, in der Ethik oder in der Metaphysik, und sie spielen diese Rolle zurecht.3 Das philosophische Interesse am Tier ist anthropologisch, wie Etienne de Condillac zu Beginn des Traité des animaux (1755) festhält: „Il serait peu curieux de savoir ce que sont les bêtes, si ce n’était pas un moyen de savoir ce que nous sommes.“4 Das philosophisch-anthropologische Interesse am Tier ist eines humaner Selbstverständigung; und ein Schwergewicht innerhalb dieser Selbstverständigung bildet die Philosophie des Geistes. Diese einschlägige Form humaner Selbstverständigung kann jedoch auf zwei sehr unterschiedlichen Wegen angestrebt werden, nämlich entweder über den Höhenweg der anthropologischen Differenz, d.h. einer strikten Mensch-TierUnterscheidung, oder gleichsam im Aufstieg von der Talsohle, ausgehend von der Tatsache, dass der Mensch ein Tier unter Tieren ist. Den beiden Zugangsweisen entsprechen zwei explanatorische Strategien, die bottom-up
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Bergson 1959: 1253. Sorabji 1993a. Vgl. Fuller 1949, Midgley 1980, Ferré & Germé 1994, Allen & Bekoff 1997, Proust 1997, de Fontenay 1998, Gontier 1998, Massey & Massey 1999, Niewöhner 2001, Agamben 2003, Wolfe 2003, Brenner 2003, Perler & Wild 2005, Daston & Mitman 2005. Condillac 1987: 1.
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Kapitel 1 – Anthropologische Differenz und Frühe Neuzeit
bzw. top-down verfahren,5 die ich im Anschluss an R.Brandom als „Assimilationismus“ und als „Differentialismus“ bezeichnen möchte.6 Der Assimilationismus geht von den Gemeinsamkeiten zwischen Menschen und Tieren aus und versucht, unterschiedliche Arten oder Stufen von Geist zu differenzieren. Der Differentialismus hingegen geht von einem prinzipiellen Unterschied zwischen Menschen und anderen Tieren aus.7 Ich möchte in diesem Abschnitt zunächst den Begriff der anthropologischen Differenz erläutern und die stärkste differentialistische Position exponieren, die ich „Rationalismus“ nennen werde (Abschn. 2). Daran anschließend folgt die Darstellung des Assimilationismus (Abschn. 3). Dabei wird in die Thematik der Philosophie des Geistes der Tiere eingeführt.8 Der zweite Teil umreißt ausführlich die historische Perspektive (Abschn. 4-5). Den Schwerpunkt des zweiten Teils bildet eine Auslegung der Hundedarstellung auf Diego Velásquez’ Gemälde Las meninas (Abschn. 6-9). Die künstlerische Darstellung dieses Tiers stellt einen ausgezeichneten Fokus auf die weitgefächerte Diskussion um den Geist der Tiere in der Frühen Neuzeit dar. Abschließend weise ich auf methodische Prinzipien der exegetischen Arbeit und auf strukturelle Merkmale dieser Studie hin (Abschn. 10).9 Man kann sich die philosophische Rolle der Tiere vor Augen führen, indem man sich an jene Frage hält, die Immanuel Kant den Fragen nach dem Wissenkönnen, Tunsollen und Hoffendürfen zugrunde legte: „Was ist der Mensch?“ Eine (nicht nur) philosophisch einschlägige Antwort auf diese Frage geht davon aus, dass Menschen Tiere besonderer Art sind – anders als alle anderen Tiere. Nun ist jedes Tier anders als alle anderen Tiere: Soweit wir wissen, können einzig Fledermäuse mit Ultraschall stecknadelkopfgroße Insekten loten, können allein Wüstenameisen mithilfe polarisierenden Sonnenlichts kognitive Landkarten erstellen, unter Säugetieren nur Biber Holz verdauen, ausschließlich Menschen in kurzer Zeit eine komplexe Lautsprache erlernen oder Chamäleons die Farbpigmente ihrer Haut der Umgebung anpassen. Das philosophische Interesse besteht freilich nicht darin, Besonderheiten einzelner Tierarten hervorzuheben. Es ist nichts Besonderes daran, besonders zu sein. Arten müssen sich absondern um Be5 6 7
8 9
Dretske 2000. Brandom 2001; vgl. Perler & Wild 2005. Es gibt natürlich andere Ausdruckspaare zur Benennung dieses Unterschieds. Jamieson 1998 etwa spricht von „human exceptionalism“ auf der einen und „continuity accross species“ auf der anderen Seite. Diese Bezeichnungen heben jedoch eher inhaltliche Positionen als Herangehensweisen hervor. Vgl. Perler & Wild 2005: 69 f. Ein Hinweis zur äußeren Gestalt dieser Studie sind hier am Platz: Die vier Kapitel sind in einzelne Teile untergliedert – die Einleitung umfasst drei, die Kapitel zu Montaigne, Descartes und Hume je fünf Teile. Die ganze Studie ist über die Kapitel und Teile hinweg in fortlaufend nummerierte, relativ übersichtliche Abschnitte unterteilt. Alle Querverweise innerhalb der Arbeit beziehen sich auf diese Abschnitte. Verweise erfolgen mit: (Abschn. X).
I. Philosophie des Geistes der Tiere und humanes Selbstverständnis
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stand zu haben. Aber es ist etwas Besonderes, so außerordentlich besonders zu sein, wie es Menschen sind.10 Das philosophische Interesse besteht deshalb darin herauszufinden, was den Menschen von allen anderen Tieren unterscheidet und ihn vielleicht sogar so besonders macht, dass er allein unter allen Tieren – wie Rationalisten denken – überhaupt wissen kann, hoffen darf und tun soll oder dass er allein unter allen Tieren – wie Existentialisten meinen – sich Sorgen darum macht, was er ist. Die Mensch-Tier-Unterscheidung dient also der Beantwortung der (nicht nur kantischen) Frage, was der Mensch sei. Das Tier nimmt dabei eine eigentümliche Grenzposition ein. Es dient dazu, eine Grenze zu ziehen.11 Zwischen Mensch und Tier kann man auf vielfältige Art und Weise Grenzen ziehen und unterscheiden. Aber worin besteht der Unterschied, der diese Unterscheidungen ermöglicht? Die anthropologische Frage lautet, inwiefern der Mensch nicht Tier ist. Die Antwort gerinnt oft in einer „Der-Mensch-ist-das-Tier-das-X-Formel“: Der Mensch ist ein Tier plus X. Platon etwa hat die folgende, auf äußeren Wahrnehmungsmerkmalen beruhende Formel aufgestellt: „Der Mensch ist ein zweibeiniges und federloses Tier“. Diogenes von Sinope soll als Gegenbeispiel ein gerupftes Huhn vorgezeigt und Platon damit zum etwas lächerlichen Zusatz genötigt haben: „mit runden Nägeln“. Dieses Resultat mag so etwas wie eine Begriffsdefinition ergeben, unter die tatsächlich und ausschließlich menschliche Wesen fallen. Diese Formel ist philosophisch aber uninteressant, weil sie die Mensch-Tier-Unterscheidung nicht einmal anspricht und deshalb auch nichts erklärt. Es existieren freilich tieferreichende Ausprägungen dieser Formel: Der Mensch ist das vernünftige Tier, das Tier, das spricht, Staaten bildet, Hände hat, eine Welt hat, unsterblich ist, denkt, verspricht, eine Vergangenheit kennt, lügt, fragt, eine Geschichte hat, um seinen Tod weiß, nicht festgestellt ist, exzentrisch positioniert ist, etwas statt dessen tut, über andere herrscht, sich an alles gewöhnt usw. Eine Formel, die eine Mensch-Tier-Unterscheidung zum Ausdruck bringen will, muss einen Unterschied benennen, der minimal eine explanatorische Kraft hat und maximal die metaphysische Natur des Menschen zum Ausdruck bringt. Alle diese Formeln zielen auf die anthropologische Differenz ab. Anders als Platons auf äußeren Merkmalen beruhende Begriffsbestimmung benennt die anthropologische Differenz einen Unterschied, der die zahlreichen Unterschiede zwischen Mensch und Tier hervorbringt, und dieser Unterschied ist vorwiegend entweder kognitiv, sozial oder religiös. Der Brennpunkt der anthropologischen Differenz besteht, wie gesagt, in der Philosophie des Geistes. Deshalb gilt im Folgenden mein Interesse vorrangig kognitiven Unterschieden.12 10 11 12
Sterelny 2003, Tomasello & Racozky 2003. Proust 1992. Der im Folgenden öfter verwendete Ausdruck „kognitiv“ ist, wie in den meisten Fällen sei-
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Kapitel 1 – Anthropologische Differenz und Frühe Neuzeit
Eine kognitive anthropologische Differenz identifiziert ein bestimmtes kognitives Merkmal, das den Menschen vom Tier unterscheidet und dieses Merkmal ist grundlegend für alle weiteren kognitiven (in vielen Fällen auch für alle weiteren sozialen) Unterschiede zwischen Mensch und Tier.13 2. Differentialismus und Rationalismus Philosophische Strategien, die die anthropologische Differenz hervor heben, kann man als „differentialistisch“ bezeichnen. Ein Differentialist hebt direkt einen Unterschied hervor, der als wesentlicher kognitiver Unterschied – als Unterschied, der alle weiteren Unterschiede bedingt – verteidigt werden kann. Der auffälligste Unterschied zwischen Menschen und Tieren besteht nun freilich darin, dass Tiere nicht sprechen. Der Mensch hingegen ist dasjenige Tier, das spricht. Warum nicht bei dieser offensichtlichen Tatsache ansetzen? Das wichtigste differentialistische Modell geht denn auch von einem engen Zusammenhang zwischen Sprache und Geist aus. Da wir sprechend unsere Gedanken ausdrücken, liegt die Vermutung nahe, dass Tiere keine Gedanken haben, die ausgedrückt werden könnten. Unser Sprechen ist der entscheidende Hinweis auf unser rationales Vermögen, ihre Schweigsamkeit ist der entscheidende Hinweis auf ihr rationales
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nes Vorkommens in der Literatur, ein Verlegenheitsausdruck, der vage und weit genug ist, um alle jene Leistungen, Vermögen oder Fähigkeiten von Lebewesen zu umfassen, die von einfachen Sinneswahrnehmungen über die bildliche Vorstellung bis zur Wortwahl für Proustsche Erinnerungsfeste reichen. Wie Shettleworth 1998: 5 schreibt: „Cognition refers to the mechanisms by which animals acquire, process, store, and act on information from the environment. These include perception, learning, memory, and decision making“. Wenig sinnvoll erscheint es hingegen, die wie auch immer komplexen Informationsverarbeitungsprozesse auf biologischer Ebene (z.B. im Immunsystem) als „Kognition“ zu bezeichnen. Man könnte die Verwendung freilich weiter einengen. Zahlreiche Autoren, die über Kognition arbeiten, legen kognitiven Vermögen und Fähigkeiten eine Theorie mentaler Repräsentation zugrunde. Obwohl ich diesen Ansatz für sinnvoll halte, möchte ich die Rede von „kognitiv“ im Folgenden keineswegs darauf festlegen. Andere Autoren wollen „Kognition“ auf den reflektierten Gebrauch expliziter Information durch Lebewesen beschränken. So gesehen wären alle Verhaltensweisen, die lediglich ein Knowing-how bezeugen, keine kognitiven Leistungen, weil Kognition ein Knowing-that voraussetzt (McFarland 1999: 435). Die anthropologische Differenz ist aus der philosophischen und wissenschaftlichen Diskussion der jüngsten Zeit – anders lautenden Stimmen wie Martin 1995 oder Barron 2003 zum Trotz – keineswegs verschwunden. Es existieren im Gegenteil eine Reihe von Vorschlägen, deren Charakteristikum im Unterschied zu historischen Vorschlägen vor allem darin besteht, die sozialen Differenzen enger an die kognitiven zu binden. Einige beliebige Beispiele mögen das veranschaulichen. Diese Vorschläge laufen darauf hinaus, dass die Rationalität des Menschen in seiner Fähigkeit zur Imitation (Blackmore 1999: 3-4) oder zur Identifikation (Tomasello 1999), zu Repräsentationen zweiter Ordnung (Sperber 1997) oder zu Zweck-MittelÜberlegungen (Papineau 2005) besteht, dass diese Fähigkeit ihn von anderen Tieren unterscheidet und dass diese Fähigkeit für weitere kognitive Unterschiede verantwortlich ist.
I. Philosophie des Geistes der Tiere und humanes Selbstverständnis
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Unvermögen. Kennzeichnend für diese Position ist also, dass sie der Sprache eine wichtige demarkative Rolle zuschreibt. Etwas abweichend vom üblichen Gebrauch werde ich diese Position als „Rationalismus“ bezeichnen, weil sie die anthropologische Differenz im rationalen Vermögen ansetzt. Das Argumentationsmuster der rationalistischen Position wird von A. MacIntyre treffend aufgezeigt: „[a] Eine bestimmte menschliche Fähigkeit wird zum Untersuchungsgegenstand erhoben: die Fähigkeit, Gedanken oder Meinungen zu haben, die Fähigkeit aus Gründen zu handeln, oder das Vermögen, Begriffe zu bilden und zu verwenden. [b] Danach wird gezeigt, dass, im Gegensatz zu den Ansichten einiger philosophischer Vorgänger, die Ausübung dieser bestimmten Fähigkeit durch den Menschen, den Besitz und den Gebrauch von Sprache voraussetzt. [c] Schließlich wird daraus geschlossen, dass allen nicht-menschlichen Tieren, da sie keine Sprache oder zumindest nicht die erforderliche Art von Sprache besitzen, auch die fragliche Fähigkeit oder das betreffende Vermögen abgehen muss. [d] Deshalb ist verschiedentlich behauptet worden, dass nicht-menschliche Tiere keine Gedanken oder Meinungen haben können, dass sie nicht aus Gründen handeln und die Gegenstände ihrer Erfahrung nicht begrifflich erfassen können.“ (MacIntyre 2001: 23)
Die rationalistische Position geht davon aus, dass sich der Mensch vom Tier durch das Sprechen einer Sprache unterscheidet. Der entscheidende Sprung auf der Skala der Lebewesen ist das Sprachverhalten. Es ist einschneidender als die Tatsache, dass Menschen im Gegensatz zu allen anderen Tieren Feuer entfachen, über einen greiffähigen Daumen und ein zurück klappbares Handgelenk verfügen, Staaten bilden oder lachen. Der Geist der Tiere hingegen wird unter dem Aspekt des relativen Mangels betrachtet. Der Schritt [d] bringt dasjenige zum Ausdruck, was man eine „privative Zoologie“ nennen kann: Tiere sind Lebewesen minus X, ihnen fehlt etwas.14 Der Schluss zu Schritt [c] verweist auf ein Problem. Wenn für den menschlichen Geist gezeigt werden kann, dass das Haben von Gedanken, das Ausführen von Handlungen oder die Bildung von Begriffen auf die Sprache angewiesen ist, so folgt daraus noch nicht, dass dies auch auf den Geist der Tiere zutrifft. Es könnte sein, dass die fraglichen kognitiven Momente bei Menschen lediglich durch den Besitz einer Sprache vertieft, verfeinert und erweitert werden. Es könnte jedoch durchaus sein, dass Tiere über vergleichbare kognitive Fähigkeiten verfügen. Erhebt man die Sprache zum Kriterium, muss man die fraglichen Fähigkeiten und die Sprachverwendung miteinander verknüpfen. Aufgrund der Verknüpfung zwischen dem Sprechen einer Sprache und zentralen Aspekten des Geistes werden den nichtsprachlichen Tieren Gedanken, Handlungsgründe und Begriffe abgesprochen. Das bedeutet, dass Sprache auf irgendeine Weise Bedingung für den Geist ist. Darin besteht die geforderte Verknüpfung. A. MacIntyre 14
Dastur 1997.
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Kapitel 1 – Anthropologische Differenz und Frühe Neuzeit
hat es überwiegend auf gegenwärtige Ausprägungen des Rationalismus abgesehen, die die Sprache zu einer konstitutiven Bedingung für das Geisthaben machen. Dem hingegen möchte ich die rationalistische Position weiter fassen und den entscheidenden Sprung auf der Skala, das Sprachvermögen, nicht so eng fassen, wie A. MacIntyre dies in Schritt [b] tut. Ich habe mich bewusst vage so ausgedrückt, dass Sprache auf irgendeine Weise Bedingung für Geist sei. A. MacIntyre versteht das Bedingungsein der Sprache als Konstitutionsbedingung für Gedanken und andere geistige Zustände. Das ist jedoch lediglich eine Ausprägung der rationalistischen Position, nämlich die moderne Ausprägung der rationalistischen Position nach dem sogenannten linguistic turn. Man kann die rationalistische Position nun auch so verstehen, dass das Geisthaben erst das Sprechen ermöglicht und dass demzufolge keinen Geist hat, was nicht spricht. Dies entspricht der Ausprägung der rationalistischen Position in der Frühen Neuzeit. Sprache ist, wie Descartes meinte, das einzige sichere Anzeichen für eine rationale Seele (Abschn. 68). Man kann also zwei Ausprägungen der rationalistischen Position unterscheiden:15 Linguistischer Rationalismus – Das Sprechen einer Sprache ist die ausschlaggebende Konstitutionsbedingung für einen Geist. Wesen, die nicht sprechen, können keinen Geist haben. Mentalistischer Rationalismus – Das Sprechen einer Sprache ist die ausschlaggebende Erkenntnisbedingung für einen Geist. Wesen, die nicht sprechen, können keinen Geist haben.16 Die Pointe von A. MacIntyres Darstellung besteht darin, dass sehr unterschiedliche Philosophen des 20. Jahrhunderts einen linguistischen Rationalismus vertreten.17 Ebenso vertreten sehr unterschiedliche philosophische 15
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Ich habe die rationalistische Position über die logische Verknüpfung von Geist und Sprache bestimmt und zwei Varianten entsprechend der Konstitutionsverhältnisse zwischen Geist und Sprache unterschieden. Natürlich gibt es auch die Position, dass Sprache und Geist koemergent sind, entweder indem sie beispielsweise entwicklungsgeschichtlich betrachtet gemeinsam entstanden sind, oder indem sie begriffslogisch von einander abhängen (im Sinne eines Holismus des Mentalen, vgl. Davidson 1999). Wesen, die nicht sprechen, können keinen Geist haben. Es handelt sich in dieser Formulierung um ein epistemologisches Können: Wir haben kein anderes Mittel, auf einen Geist zu schließen, als dass ein Wesen spricht. Das Sprechen ist keine Bedingung für das Haben von Geist schlechthin, sondern lediglich für die Zuschreibung. Dies ist als Unterscheidung zur linguistisch-rationalistischen Position gedacht. Einige Vertreter dieser Position schreiben Tieren intentionale Zustände zu, nicht aber Bewusstsein. Beispiele für die linguistisch-rationalistische Position der ersten Variantesind Carruthers 1989 und Dennett 2005. Andere schreiben Tieren Bewusstsein zu, sprechen ihnen aber intentionale Zustände ab. Beispiele für die linguistisch-rationalistische Position der zweiten Variante finden sich bei Hegel, Dewey, Heidegger, Gadamer,Sellars, Davidson oder Brandom. Schließlich kann man Tieren auch (volles) Bewusst-sein und (vollwertige) inten-
I. Philosophie des Geistes der Tiere und humanes Selbstverständnis
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Richtungen der Frühen Neuzeit einen mentalistischen Rationalismus. Spätaristoteliker, Humanisten, Neoplatoniker und Cartesianer vertreten die Ansicht, dass es einen wesentlichen Aspekt der Seele gäbe, durch den sich der Mensch vom Tier unterscheide, und dass das Sprechen einer Sprache der entscheidende Beleg dafür sei. Die Pointe des weiten Verständnisses der rationalistischen Position insgesamt besteht natürlich darin, dass gemeinhin einander entgegengesetzte Positionen im Hinblick auf die anthropologische Differenz Hand in Hand gehen. Es macht hinsichtlich der anthropologischen Differenz keinen Unterschied, ob man eine Theorie der Sprachabhängigkeit genuin geistiger Zustände auf der Basis einer pragmatischen Theorie der Interpretation vertritt, ob man eine Theorie der Geistabhängigkeit genuin sprachlicher Äußerungen auf der Basis einer cartesischen Philosophie des Geistes oder einer idealistischen Vernunftphilosophie vertritt. Man denke an Georg Friedrich Wilhelm Hegels Erinnerung: „Die Denkformen sind zunächst in der Sprache des Menschen herausgesetzt und niedergelegt; es kann in unseren Tagen nicht oft genug daran erinnert werden, dass das, wodurch sich der Mensch vom Tiere unterscheidet, das Denken ist.“18 M. Inwood veranschaulicht dies an einem Beispiel: „A dog, like a person, may be able to see a telephone, but it cannot presumably think about a telephone in its absence or about telephones in general. To do this it would need to have the concept of a telephone and other concepts which this one presupposes. [...] A dog cannot, as we can, recognize or see a telephone as a telephone and does not, therefore, have the same perceptual experience as ourselves.“ (Inwood 2002: 9)
Ein Hund mag in einem kausalen Kontakt stehen zu Bäumen, Gerüchen, Katzen oder einem Telefon. Aber er kann nicht über diese Dinge nachdenken. Ihm fehlen die Begriffe dazu. Ohne die entsprechenden Begriffe gibt es keinen Inhalt und keinen Prozess des Denkens. Es wäre sogar sinnlos – so kann der Gedankengang weiter verfolgt werden – zu glauben, dass der Hund überhaupt etwas denkt, wenn dieses Etwas keinen Inhalt hat.19 Es wäre ebenso sinnlos, den Zusammenhang zwischen diesen Gedanken beurteilen zu wollen, wenn sie keinen Inhalt haben. Sogar die Wahrnehmungen sind davon betroffen. Denn wenn dem Hund die Begriffe fehlen, um etwas als etwas wahrnehmen zu können, so hat er keine Wahrnehmungen wie wir. Da die Denkformen „in der Sprache des Menschen herausgesetzt und niedergelegt“ sind, können wir schließen, dass nichtsprachliche Tiere über keine Begriffe verfügen, daher keine Gedanken bilden können und folglich nicht denken.
18 19
tionale Zustände absprechen. Ein Beispiel für die linguistisch-rationalistische Position der dritten Variante ist McDowell 1994: 108-26, vgl dazu Wild 2003: 143-7. Hegel 1969 ff. Bd.5: 20. Stich 2005, Davidson 2005.
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Kapitel 1 – Anthropologische Differenz und Frühe Neuzeit
Der Differentialismus steht vor zwei generellen Problemen: 1. Er versteht den Menschen auch jenseits der anthropologischen Differenz nach wie vor als Tier. Menschen sind Tiere. Wir unterscheiden Menschen und Tiere ja nicht nur, wir klassifizieren sie auch gemeinsam als Lebewesen, im Unterschied etwa zu einem Stein, einem Stuhl oder einem Stern. Gewisse Wahrnehmungs-, Verhaltens- und Strukturmerkmale sind dem Menschen und den Tieren gemeinsam, die sie als Lebewesen von bloßen physikalischen Objekten unterscheiden. Die Der-Mensch-ist-das-Tier-das-X-Formeln reflektieren diesen Umstand. Der heikle Punkt der anthropologischen Differenz besteht darin, dass sie nicht nur den Menschen vom Tier unterscheidet, sondern zugleich auch den Menschen als Menschen von sich selbst als Tier.20 Da in Modellen dieser Art die Menschen sowohl über die kognitiven und praktischen Leistungen der Tiere als auch über ein zusätzliches, sie anthropologisch auszeichnendes Merkmal mit entsprechenden Leistungen verfügen, stellt sich das Problem der Interaktion dieser zwei ganz verschiedenen Arten von Leistungen beim Menschen (etwa in der Form des LeibSeele-Problems). 2. Positioniert man das Tier sozusagen möglichst weit entfernt vom Menschen, so ergibt sich ein Problemfeld der folgenden Art: Wie müsste eine Theorie aussehen, die die zahlreichen, den menschlichen kognitiven und praktischen Leistungen analogen Leistungen der Tiere erklären kann, ohne auf die Fähigkeiten zurückzugreifen, welche den Menschen gerade so stark vom Tier unterscheiden, d.h. dem Tier abgesprochen werden? Rationalisten neigen dazu, Tiere als komplexe Automaten zu betrachten, deren Reaktionsdispositionen nach Naturgesetzen funktionieren. Sie bewohnen ganz und gar den kausalen Raum der Natur, keinen rationalen Raum der Gründe. Unserer natürlichen Einstellung zahlreichen Tieren gegenüber läuft der Gedanke zuwider, dass Tiere mehr Ähnlichkeit mit dem Zusammenprallen von Billardkugeln oder der Funktionsweise mechanischer Puppen als mit den Verhaltensweisen unserer Artgenossen haben sollen. 3. Assimilationismus Das humane Selbstverständnis muss sich freilich nicht allein aus der anthropologischen Differenz speisen. Es kann gerade auch davon ausgehen, dass wir Tiere sind. Möglicherweise haben wir nicht erst als Menschen, diesseits der anthropologischen Differenz, die Fähigkeit zu wissen, zu hoffen oder zu handeln, gehaltvolle Gedanken zu bilden, zu benutzen und zu verknüpfen, sondern schon als Tier unter Tieren.21 Man positioniert den Menschen sozusagen möglichst nahe beim Tier, indem man davon ausgeht, dass auch 20 21
Agamben 2003, Kap. 4. MacIntyre 2001: Kap. 1-2.
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Tiere über alle die Merkmale verfügen, an denen die anthropologische Differenz festgemacht wird. Man kann auch von einer Entwicklungskontinuität verschiedener Tierarten ausgehen, zu denen der Mensch mit gehört. Die kognitive anthropologische Differenz geht von einem eindeutigen und qualitativen kognitiven Unterscheidungsmerkmal aus. Demgegenüber kann die anthropologische Differenz auch schwächer angesetzt und gleichsam verstreut werden. Dabei wird ein Tieren und Menschen gemeinsames Geflecht kognitiver Fähigkeiten identifiziert, die sich nur graduell unterscheiden. Es kann beispielsweise ein Netz von kognitiven Merkmalen zusammengenommen werden, um den Menschen vom Tier zu unterscheiden, oder es können kognitive Stufungen eingeführt werden. Dies bedeutet zwar keinen Verzicht auf eine Mensch-Tier-Unterscheidung, denn offenbar unterscheiden sich die kognitiven Fähigkeiten von Menschen beträchtlich von denjenigen der Tiere. Es bedeutet aber einen Verzicht auf eine anthropologische Differenz, wie ich sie definiert und illustriert habe (Abschn. 1). Diese Strategie setzt mit einer Bottom-up-Betrachtung an, die im Gegensatz zu einer Top-down-Betrachtung von Gemeinsamkeiten zwischen Tier und Mensch ausgeht und langsam voranschreitet. Die explanatorische Strategie des bottom-up kann man Assimilationismus nennen.22 Der Assimilationist versucht sozusagen von unten und von außen zu bestimmen, was Geist ist bzw. worauf der Geist aufbaut. Es gibt Lebewesen, die sicher keinen Geist haben, beispielsweise Gänseblümchen. Es gibt Lebewesen, die sicher einen ausgereiften Geist haben, nämlich Menschen. Es gibt Lebewesen, die spezifische Orientierungs- und Kommunikationsfähigkeiten haben, etwa Bienen oder Ameisen. Und es gibt Lebewesen, die einen komplexeren Geist haben, beispielsweise Raben oder Schimpansen. Man beginnt mit den basalsten Formen, erforscht schrittweise höherstufige Lebewesen und charakterisiert ihren komplexeren Geist.23 Offensichtlich legt man sich mit der assimilationistischen Strategie nicht automatisch gegen die anthropologische Differenz fest. Es könnte innerhalb dieser Skala der Lebewesen den einen entscheidenden Sprung geben. Dann ist der Assimilationismus eine explanatorische Strategie, die bei Gemeinsamkeiten ansetzt um denjenigen Unterschied festzumachen, der 22
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Diese Betrachtungsweise wurde in Massey & Massey 1999: v ff. als „Philosophische Zoologie“ bezeichnet. Die Philosophische Zoologie bevorzugt einen Zugang zu philosophischen Fragestellungen unter Einbeziehung der animalischen Verfasstheit des Menschen und unter Einbezug empirischer Wissenschaften, die Tiere erforschen (Evolutionsbiologie, Ethologie, Vergleichende Psychologie etc.), insbesondere in der Philosophie der Kognition (vgl. Bermudez 2003), in der Philosophie des Geistes (vgl. Sterelny 2003) und in der Erkenntnistheorie (vgl. Kornblith 2002). Die Bezeichnung „Philosophische Zoologie“ schließt an den Titel des Hauptwerks Philosophie zoologique von Jean-Baptiste Lamarck an. Ich halte sie nicht für sehr gelungen und verwende sie im Folgenden nicht. Sterelny 2001: 198-220, Proust 1997.
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Kapitel 1 – Anthropologische Differenz und Frühe Neuzeit
die Unterschiede ausmacht.24 Diese schwache Form des Assimilationismus werden wir bei Marin Cureau de la Chambre (Abschn. 5) und John Locke (Abschn. 76) antreffen. Doch der Assimilationist kann auch zur Einsicht gelangen, dass es auf dem Weg der Bottom-up-Betrachtung zwar viele Unterschiede zwischen uns und allen anderen Tieren geben mag, kein Unterschied aber so sehr ins Gewicht fällt, dass er eine anthropologische Differenz zu tragen vermöchte. Diese starke Form des Assimilationismus vertritt Hume (Kapitel IV). Die assimilationistische Betrachtungsweise ist weit verbreitet, denn sie erscheint uns für viele höhere Tiere als die natürliche und angemessene Sichtweise. Betrachten wir dazu drei weitere Hundebeispiele. Das erste stammt von N. Malcolm.25 Ein Hund verfolgt eine Katze, die rast um die Ecke eines Hauses, rennt in den Hintergarten und stracks auf eine Buche zu. Im letzten Moment aber schlägt sie einen Haken und klettert blitzschnell den Ahornbaum hinauf. Der Hund hat diesen Moment verpasst. Er bleibt unter der Buche stehen und bellt hinauf. Der Hund glaubt (fälschlicherweise), die Katze sei auf der Buche. Er hat den Gedanken, dass die Katze auf der Buche hockt. Das denkt N. Malcolms Hund. Sein Gedanke ist darüber hinaus der Anlass dafür, dass er unter der Buche stehen bleibt und hinaufbellt. Der Gedanke ist der Grund für das Verhalten des Hundes. Ein weiterer Hund ist in der Philosophiegeschichte für sein Denken bekannt geworden. Es handelt sich um Chrysipps Hund.26 Dieser verfolgt eine Spur und kommt an einen Kreuzweg. Drei Möglichkeiten bieten sich an: Er beschnuppert den ersten Weg, dann beschnuppert er den zweiten und schließlich nimmt er den dritten, ohne geschnuppert zu haben. Was hat der Hund gemacht? Er hat einen logischen Schluss gezogen: Das Wild hat drei Möglichkeiten um zu fliehen. Die erste und die zweite Möglichkeit ist es nicht. Also hat es die dritte Möglichkeit gewählt. Der Jagdhund denkt. Hinzu kommt jetzt, dass der Hund seinen Gedanken folgerichtig erschlossen hat. Und das Resultat seines Schlusses ist der Grund für sein weiteres Verhalten. In Lew Tolstois Anna Karenina sind Lewin und Oblonskij auf Schnepfenjagd. Doch beide sprechen lauthals über andere Dinge: „Während sie so redeten, blickte Laska mit gespitzten Ohren zum Himmel empor und dann vorwurfsvoll auf die beiden Herren. – „Die haben auch keine bessere Zeit zum Schwatzen gefunden“, dachte sie. „Und da fliegt eine ... Richtig, da fliegt sie. Die verpassen sie nun...“, dachte Laska.“ (Tolstoi 1985: 254-5).
Laska ist Lewins Hund. Er denkt in Worten. Hunde gebrauchen keine Worte. Sie können nicht einmal Worte äußern. Aber Laska könnte sich durchaus etwas in dieser Art gedacht haben. Tolstoi nimmt sich nur die 24 25 26
Dennett 1996: 35. Malcolm 2005. Sextus 1969: 109/PH I 69; vgl. dazu Floridi 1997.
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Freiheit, in direkter Rede auszudrücken, was sie denkt. Bestimmt hat sich Tolstoi etwas gedacht, als er diese Passage niederschrieb. Etwa: „Jetzt lasse ich den Hund innerlich sprechen.“ Möglicherweise war er nicht bei der Sache und hat sich gedacht: „Wann wird es endlich Tee geben?“ Niemand weiß, was Tolstoi durch den Kopf ging. Aber er hat bestimmt irgendetwas gedacht. Vermutlich auf Russisch, vielleicht ohne Worte. Ebenso Laska. Wir wissen nicht genau, was sie denkt, aber sie wird sich schon irgendetwas denken. Sie denkt bestimmt nicht in den Worten einer menschlichen Sprache. Aber doch vielleicht in Hundisch. Oder am ehesten ganz ohne Sprache. Denn um zu denken, brauchen wir nicht zu sprechen.27 Betrachtungen dieser Art legen die natürliche Theorie nahe, dass Tiere (Hunde) rationale Lebewesen sind. Sie haben Gedanken, verbinden ihre Gedanken inferentiell und verhalten sich aufgrund ihrer Gedanken und Schlüsse. Und dazu brauchen sie nicht zu sprechen. Aber worin besteht dann der unübersehbare Unterschied zwischen den Hunden einerseits und N. Malcolm, Chrysippos oder Lewin andererseits? Das Problem für einen starken Assimilationismus besteht darin, die Mensch-Tier-Unterscheidung aufgrund der gemeinsamen Eigenschaften so zu interpretieren, dass sie, sei es als gradueller Unterschied oder als Effekt eines Netzes von Unterschieden, verstehbar bleibt. Positioniert man das Tier also möglichst nahe beim Menschen, so stellt sich ein im Vergleich zum Differentialismus umgekehrtes Problem: Welche theoretischen Ressourcen und Modelle können dann aktiviert werden, um die doch augenfällig vorhandenen Unterschiede zwischen Mensch und Tier zu erklären? Hier kann der Rationalist einhaken. Erinnern wir uns an sein Argument. Der linguistische Rationalist behauptet, dass die Beherrschung einer Sprache und das Verständnis der in ihr herausgesetzten und niedergelegten Begriffe eine Bedingung für das Haben von Gedanken sei. Dann denken weder Lewins, noch Chrysippos oder N. Malcolms Hund. Die Hunde mögen in einem kausalen Kontakt zu Schnepfen, Gerüchen oder Katzen oder Telefonapparaten stehen, sich infolgedessen geschickt verhalten. Aber sie können nicht über diese Dinge nachdenken. Unsere gegenläufigen Intuitionen verdanken sich einer naiven und unkritischen (und vielleicht sogar eingeborenen) Neigungzu Anthropomorphismen und pathetischen Fehlschlüssen.
27
Barsalou 1999, Bermudez 2003.
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Kapitel 1 – Anthropologische Differenz und Frühe Neuzeit
II. Historischer Zugang 4. Unterschiede zwischen der antiken und der frühneuzeitlichen Diskussion Die Spannungen zwischen assimilationistischen und differentialistischen Ansätzen sind – einem weiten Vorurteil zum Trotz – keine postdarwinistischen Spannungen (Abschn. 41). Sie gehörten von Anfang an mit zur Geschichte der (europäischen) Philosophie, wie R Sorabji gezeigt hat.28 Ausgangspunkt ist Aristoteles, der den Tieren ein vernünftiges Vermögen abgesprochen habe29 und infolgedessen den Bereich der sinnlichen Wahrnehmung stark ausweiten musste, so dass tierliche Fähigkeiten wie Erinnerung, Empfindung und Absicht darin untergebacht werden können. R. Sorabji behauptet, dass Aristoteles‘30 Absage an eine Tiervernunft zu einer Krise führte, die die Philosophie des Geistes und die Moralphilosophie des Hellenismus nachhaltig prägte: „If animals are to be denied reason (logos), and with it belief (doxa), then their perceptual content must be compensatingly expanded, to enable them to find their way around in the world. On the other hand, it must not be expanded in such a way that perception becomes tantamount to belief. The distinction between these was as much debated then as it is now. It is not only perception that will need to be distinguished from belief, but the possession of concepts, memory, intention, emotion and speech, if these too can be found in animals that lack belief. The project will require a wholesale re-analysis of all these mental capacities. And the concept 28 29
30
Sorabji 1993a, 1996, 1997. Polit. I 2 1253 b-c: „Dass ferner der Mensch in weit höherem Masse als die Bienen und alle anderen herdenweise lebenden Tiere ein politisches Lebewesen ist, liegt klar zutage. Denn nichts tut, wie wir behaupten, die Natur zwecklos. Der Mensch ist aber das einzige Lebewesen, das Sprache (logos) besitzt. Die blosse Stimme (phoné) nämlich zeigt nur das Angenehme und das Unangenehme an, darum kommt sie auch den anderen Lebewesen zu (denn soweit reicht ihre Natur, Angenehmes und Unangenehmes wahrzunehmen und von dieser Wahrnehmung einander Zeichen zu geben); die Sprache dagegen ist dazu bestimmt, das Nützliche und Schädliche deutlich kundzutun und also auch das Gerechte und Ungerechte. Denn das ist eben dem Menschen eigentümlich im Gegensatz zu den Tieren, dass er allein fähig ist, sich vom Guten und Schlechten von Recht und Unrecht Vorstellungen zu machen.“ Eth. Nic. III 10 1118 a 20-23: „Aber auch bei Tieren kann man nur in einem beiläufigen Sinn sagen, sie hätten aufgrund der genannten Sinneswahrnehmungen ein Lust gefühl. Denn nicht hat der Jagdhund eine Lustempfindung, wenn er den Hasen riecht, sondern, wenn er ihn auffrisst. Dass er ihn allerdings witterte, das hat der Geruch bewirkt. Und der Löwe hat seine Lust nicht am Brüllen des Ochsen, sondern am Auffressen. Dass die Beute aber in der Nähe sein müsse, das hat er am Brüllen gemerkt, und daher sieht es so aus, als freute er sich an dem Brüllen. Genauso freut er sich nicht, weil er einen Hirsch oder eine Wildziege erspäht, sondern weil ihm ein tüchtiger Fraß bevorsteht. Man sieht: Besonnenheit und Zuchtlosigkeit treten bei eben den Lustempfindungen zutage, an denen auch die Tiere teilhaben, weshalb sich diese Lustempfindungen als knechtisch und animalisch erweisen. Gemeint sind die Empfindungen des Tast- und des Geschmacksinnes [...].“
II. Historischer Zugang
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of reason may itself be subject to shifting. It is well known that ancient scepticism provided one motive for drawing distinctions between different capacities of mind. What I would add is that concern with man and his place in nature above animals provided another.“ (Sorabji 1993a: 7; vgl. 1997: 355)
R. Sorabji weist auf die Problematik der anthropologischen Differenz hin. Setzt man differentialistisch an, braucht man eine Erklärung der kognitiven Leistungen der Tiere. Diese Erklärung jedoch darf einerseits die anthropologische Differenz nicht wiederum einebnen und andererseits provoziert sie eine Anzahl an Folgeproblemen. R. Sorabji weist zudem darauf hin, dass nicht nur die vor allem durch die Stoa geführte Auseinandersetzung mit der antiken (akademischen) Skepsis, sondern ebenso die Auseinandersetzung mit den kognitiven Leistungen der Tiere zu Verschiebungen und Differenzierungen in der Philosophie geführt haben. Diese beiden Auseinandersetzungen verliefen in der antiken Philosophie jedoch mehr oder weniger unabhängig voneinander. Die Frage nach dem Geist der Tiere und der anthropologischen Differenz machen in der Frühen Neuzeit ebenfalls eine Neuuntersuchung der kognitiven Vermögen fällig und stellen das Verhältnis zwischen rationalen und sinnlichen Vermögen zur Diskussion. Die Frühe Neuzeit verschärft diese Fragen sogar. Eine Novelle von Miguel Cervantes veranschaulicht dies auf treffende Weise. Im Coloquio de los perros (1613) beginnen zwei Hunde namens Cipion und Berganza eines Nachts zu sprechen. Sie verständigen sich gleich anfangs über die wundersame Tatsache, dass sie sich sprechend verständigen können und betrachten es als unerhörte Gnade, die die Grenzen der Natur überschreitet (passa de los terminos de naturaleza) und ein Wunder genannt werden muss: „Cipion: Du hast recht, Berganza, und das Wunder wird noch größer dadurch, dass wir nicht allein sprechen [hablar], sondern dass sogar Sinn [discurso] in unserer Rede ist, als seien wir mit Vernunft [razon] begabt. Dabei besteht der Unterschied zwischen Mensch und Tier doch gerade darin, dass der Mensch ein vernunftbegabtes Lebewesen ist, das Tier aber nicht [que la diferencia que ay del animal bruto al hombre, esser el hombre animal racional, y el bruto irracional].“ (Cervantes 1993: 618)
Berganza wundert sich zwar auch, vertritt aber die Ansicht, dass die Redegabe nur als äußerliches Wunder betrachtet werden sollte, denn sie habe schon oft die Behauptung gehört Hunde „hätten eine so klare, lebhafte und scharfe Auffassungsgabe für viele Dinge“ und es fehle nur wenig daran, „um eine Art logischer Denkfähigkeit [capaz de discurso] zu besitzen. [...] Man sagt ja auch, dass, was Klugheit und Verstand betrifft, der Hund nächst dem Elefanten an erster Stelle steht“.31 Cipion stimmt zwar ein, beharrt jedoch darauf, dass man bislang weder einen Elefanten noch einen Hund 31
Cervantes 1993: 618.
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Kapitel 1 – Anthropologische Differenz und Frühe Neuzeit
habe sprechen hören. Daraus folge, dass die plötzliche Redegabe unter jene „Wunderzeichen zu rechnen ist, deren Auftauchen und Erscheinen erfahrungsgemäss eine unheilvolle Drohung für die Menschheit (alguna calamidad grande amenaza à las gentes) bedeutet.“32 Berganza erzählt anschließend ihre Lebensgeschichte, die zu einer Kritik an den Menschen gerät und von Cipion immer wieder reflektierend unterbrochen wird. Cervantes variiert dabei das Muster des Pikaro-Romans, indem er die Figur des sozialen Außenseiters als Tier radikalisiert und indem er die Selbstreflexion des Pikaro auf eine zweite Figur verlegt: Berganza erzählt, Cipion denkt. Er denkt die anthropologische Differenz. Cipion weist zuerst darauf hin, dass die Worte der beiden Gesprächspartner sinnvoll und nicht bloße Geräusche sind. Das heißt, dass die Worte Gedanken ausdrücken und dadurch auf eine Vernunft hinweisen. In diesem Gedankengang spricht Cipion nicht nur sinnvoll, er reflektiert auch über dieses Sprechen und ordnet diese Reflexionen auf eine Folgerung hin. Cipion spricht nicht nur und drückt Gedanken erster Ordnung aus, sondern er folgert und zwar aufgrund von Gedanken zweiter Ordnung. Die Folgerung selbst enthält einen Syllogismus: Ein Wunderzeichen ist eine Drohung für die Menschen; die Redegabe bei Tieren ist 32
Cervantes 1993: 619. Die beiden sprechenden Hunde stellen im Kontext der Frühen Neuzeit keine bloße Fiktion dar, sondern eine wirkliche Möglichkeit, denn zum durchschnittlichen ontologischen Inventar der Frühen Neuzeit gehören Wunder, vgl. Daston 2001. Wunder gibt es ebenso wie Schiffe, astrale Einflüsse, Metalle, Engel oder Königinnen. Nun gibt es drei verschiedene Klassen von Wundern: (a) natürliche, (b) außernatürliche und (c) übernatürliche. Natürliche Wunder gehören in den gewöhnlichen Naturverlauf, sind aber schwierig zu erklären (z. B. die Anziehungskraft von Magneten, die elektrische Wirkung des Zitterrochens oder zweiköpfige Schlangen). Außernatürliche Wunder sind eine heikle Angelegenheit, denn sie werden mit der Magie und der scientia occulta in Verbindung gebracht. Übernatürliche Wunder hingegen sind eine ausgezeichnete Angelegenheit, denn sie werden von Gott selber bewerkstelligt. Gottes kausaler Wundereingriff ist eine komplizierte Angelegenheit, die hier nicht verhandelt werden muss. Thomas von Aquin teilt die übernatürlichen Wunder wiederum in drei Klassen ein (ST Ia. q.105 a.8c/ed. Leonina V: 480). Ich weise hier nur auf die zweite Klasse hin, die Wunder des Subjekts (miracula quoad subjectum, bzw. quantum ad it in quo fit). In dieser Klasse tritt etwas auf, was es im gewöhnlichen Verlauf der Natur zwar gibt, das aber normalerweise nicht an einem bestimmten Gegenstand auftritt. Thomas nennt als Beispiel die Auferweckung eines Toten. Im gewöhnlichen Verlauf der Natur gibt es zwar Lebendigkeit, aber sie tritt nur im Wunderfall an Toten auf. Um ein Wunder dieser Klasse handelt es sich bei den sprechenden Hunden. Sprachfähigkeit findet sich bei Menschen, nur im Wunderfall bei Hunden. Und deshalb spricht Cipion von einer plötzlich verliehenen Gnade des Himmels. Das prominenteste Beispiel für einen solchen Wunderfall ist Bileams Eselin „Da gab der Herr der Eselin die Fähigkeit zu sprechen“ (Mose iv 22, 28). Beispiele aus der Bibel sind in der Frühen Neuzeit Wunder in einem sehr starken Sinn. Bei ihnen handelt es sich um Tatsachen von höchster Dignität, die als Beweise gelten können, dass solche Wunder möglich sind und sich auch ereignen. Wunder haben jedoch nicht nur diesen besonderen kausalen Aspekt, sondern zusätzlich einen semantischen Aspekt. Sie teilen etwas mit. Die Eselin teilt Bileam mit, dass er – ihr und Gott gegenüber – unrechtmäßig handelt. Diesen semantischen Aspekt spricht Cipion als Wunderzeichen an. Und er deutet dieses Wunder als eine unheilvolle Drohung für die Menschheit.
II. Historischer Zugang
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ein Wunderzeichen; die Redegabe der Tiere ist eine Drohung für die Menschen. Dieser Gedankengang bringt im Begriff der „Wunderzeichen“ implizit ein bestimmtes kulturelles Wissen und einen theologischen Hintergrund und im Begriff der „unheilvollen Drohung“ darüber hinaus eine moralische Implikation ins Gespräch. Damit hat Cipion die wichtigen Merkmale eines vernunftbegabten Lebewesens ins Spiel gebracht: Sprache, Gedanken, Selbstreflexion, Logik, Wissen, Theologie und Moral. Man braucht mit Cipion nur etwas weiter zu denken und könnte folgern, dass der Unterschied zwischen Mensch und Tier anders angesetzt werden muss oder aber, dass es diesen Unterschied tatsächlich nicht gibt. Man könnte meinen, die Drohung bestünde darin, dass die rationalistische Unterscheidung zwischen Mensch und Tier fällt. Das Gespräch der beiden Hunde steht emblematisch für die Tatsache, dass in der Frühen Neuzeit die anthropologische Differenz neu zur Diskussion steht. Wäre es wirklich ganz und gar ein Wunder, wenn Elefanten und Hunde sprächen? Oder handelt es sich hier lediglich um eine marginale Kompetenz, die nicht unmittelbar mit ihrer schweigsamen Vernünftigkeit verknüpft ist? Dies ist der Ausgangspunkt der Diskussion um den Geist der Tiere, wie wir ihn bei Montaigne finden (Abschn. 20-1). Im Gegensatz zur antiken Diskussion treten in der Frühen Neuzeit die vernunftkritischen Fragen rund um die anthropologische Differenz und die Skepsis zusammen auf. Wie an Montaigne gezeigt werden soll, gehen gerade die Wiederbelebung der Skepsis in der Frühen Neuzeit und die Infragestellung der Berechtigung der anthropologischen Differenz Hand in Hand. Im Gegensatz zur Antike steht am Anfang der frühneuzeitlichen Diskussion um den Geist der Tiere keine (aristotelische) Herausforderung, die eine klare Trennung zwischen Menschen und anderen Tieren vorschlägt und durch „the denial of reason to animals“33 die Diskussion richtig in Gang setzt. Die Diskussion wird im Gegenteil – wie zu zeigen sein wird – durch die Verteidigung der Tiervernunft und die Einebnung der anthropologischen Differenz angefacht, wie sie bei Montaigne zu finden ist. Ein weiterer Unterschied zur Antike besteht darin, dass die frühneuzeitliche Diskussion um die Vernunft der Tiere keinen gleichsam solistischen Ausgangspunkt (wie Aristoteles) zur Verfügung hat. Allerdings will sich an dieser Stelle sogleich der Name Descartes’ aufdrängen. Hat nicht gerade Descartes mit seiner These, Tiere seien Maschinen ohne Seele, einen scharf konturierten Ausgangspunkt für alle weiteren Debatten um den Geist der Tiere geschaffen, und zwar einen dezidiert differentialistischen Ausgangspunkt? Und bildet nicht der nunmehr christliche Diskussionskontext den einzig angemessenen Rahmen dafür, die ideologische Motivation hinter dieser Diskussion zu verstehen, nämlich die Unsterblichkeit der Seele? Der Großteil der Forschung 33
Sorabji 1993a: 7.
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Kapitel 1 – Anthropologische Differenz und Frühe Neuzeit
geht in der Tat von diesen beiden Annahmen aus. Demgegenüber meine ich, dass die Diskussion in der Frühen Neuzeit von Anfang an weitgefächert ist und der Geist (oder die Seele) der Tiere ein essentielles philosophisches Thema darstellt. 5. Der Tierseelenstreit Descartes’ These, dass Tiere Maschinen seien, gehört zu den bekannten und berüchtigten Lehrstücken seiner Philosophie. Nicht zuletzt infolge dieser These – der Bêtes-machine-These – wurde die Tierseele zu einem der herausragenden Streitobjekte der europäischen Intellektuellen im 17. und 18. Jh.34 In der historischen Forschung ist die Bêtes-machine-These zum Ausgangspunkt des Tierseelenstreits gemacht worden.35 Diese Unter-suchungen bedienen sich eines bestimmten narrativen Musters, das ich „Standardnarrativ“ nennen möchte und dessen Kurzfassung wie folgt lautet: Descartes hat eine Doktrin von Tieren als bloßen Maschinen formuliert. Tiere empfinden nichts, sie können nicht denken und nicht sprechen. Sie sind Material. Im Anschluss daran würden nun gefährliche Fragen auftauchen. Könnte man nicht auch Menschen ganz und gar als Maschinen begreifen? Braucht es denn eine Seele, eine unsterbliche Seele? Im Tierseelenstreit drängten sich diese Fragen hartnäckig immer wieder auf. Julien Offray de La Mettrie schließlich nahm sich dieser Fragen in L’homme machine (1748) an und beantwortete die erste Frage rücksichtslos positiv, die zweite negativ.36 Die Moral der Geschichte: In der cartesianischen Tierdoktrin ist bereits die dialektische Konsequenz eines Materialismus angelegt, der den cartesianischen Dualismus überwindet. Das moderne, materialistische Weltbild setzt sich durch, zum Guten und (vor allem) zum Schlechten. Das Standardnarrativ formuliert von einem bestimmten Ausgangs34 35 36
Thomas 1983: 35 ff. Bouillier 1972: Kap. 7, Hastings 1936, Rosenfield 1940, Balz 1951, Kirkinen 1960, Shugg 1968, Sutter 1988, Schneider 1993. In der Übersicht in Young 1967 findet sich ebenfalls diese Zuspitzung auf La Mettrie. Differenzierter ist die Übersicht in Linnemann 1998. Das Standardnarrativ findet sich bereits in F. A. Langes Geschichte des Materialismus (1866), wobei sich der Autor selbst in diese Erzählung einreiht: „Der Schritt vom Tiere zum Menschen war alsdann nur noch klein, und zum Überflusse hatte auch hier Descartes in einer Weise vorgearbeitet, welche ihn als unmittelbaren Vorläufer des ausgesprochenen Materialismus erscheinen lässt. [...] Bei der gleichen Gelegenheit wird auch in Beziehung auf Descartes der Spieß plötzlich umgekehrt. Wenn er noch so viel geirrt hätte, heißt es hier, so würde er doch wegen der einzigen Tatsache ein großer Philosoph sein, dass er die Tiere mechanisch erklärt hat. Die Anwendung auf den Menschen liegt so nahe, die Analogie ist so schlagend und überwältigend, dass jedermann sie sehen muss und nur die Theologen das Gift nicht merkten, das in dem Köder verborgen war, welchen Descartes sie verschlingen ließ.“ (Lange 1974: 330, 531).
II. Historischer Zugang
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punkt her eine dramatische Geschichte. Die zweifelhafte Konstruktion etwa der idealistischen Philosophiegeschichtsschreibung,37 aus Descartes den absoluten Anfänger der modernen Philosophie zu machen, hat zu einer Betrachtung geführt, die Descartes’ Standort im Diskurs der Frühen Neuzeit nicht entspricht. Sie abstrahiert vom zeitgenössischen Kontext der Entstehung der Tierdoktrin und richtet paradoxerweise die so geschichtslos gewordene Doktrin als Anfangspunkt eines historischen Narrativs ein. Gegen das Standardnarrativ ist zu betonen, dass Descartes zwar ein einschlägiger Ausgangspunkt des Tierseelenstreits ist. Er ist jedoch nicht Ausgangspunkt der Diskussion um die anthropologische Differenz und den Geist der Tiere, sondern nur der herausragende Repräsentant einer differentialistischen Position. Die frühneuzeitliche Diskussion um den Geist der Tiere ist jedoch weit gefächert. Betrachten wir sie in einigen Schlaglichtern. Pierre Bayle hat auf die Wichtigkeit des Tierseelenstreits hingewiesen und ist sein erster und brillanter Historiker. In Bayles Augen gibt es zwei Extremlager. Der Artikel „Rorarius“ im Dictionnaire historique et critique exponiert die starke und kontraintuitive Position, dass Tiere eine rationale Seele hätten und deshalb mit Vernunft ausgestattet seien. Ja, sie würden sich der Vernunft sogar besser bedienen als Menschen!38 Bayle präsentiert diese Position anhand der Schrift Quod animalia bruta ratione utantur melius homine (Entstehung: 1544/Druck: 1648) eines Nuntius am ungarischen Hof, Gregorius Rorarius. Der Artikel „Pereira“ artikuliert die Gegenposition. Der spanische Arzt Gómez Pereira hat in seinem Werk Antoniana Margarita (1554) wohl als erster die These aufgestellt, dass Tiere Maschinen seien.39 Würde man den Tieren nur schon Sensitivität zuschreiben, wäre man ge37 38
39
Schütt 1998: 49 ff., Engfer 1996: 11-32. Bayle 1969: 588-622. Boas 1933 prägte für diese Gedankenfigur den Ausdruck „Theriophilie“. Die Theriophilen behaupten, dass Tiere vernünftiger seien als Menschen, und falls sie weniger Vernunft haben sollten, so zeigt ihr geregeltes Leben, dass sie damit weit besser führen. Zweitens sind Tiere glücklicher als Menschen, weil die Natur besser für sie als für uns sorgt. Schließlich wird gezeigt, dass Tiere moralischer sind als Menschen. G. Boas erkennt in der Überhöhung des Tiers gegenüber dem Menschen eine zutiefst satirische Absicht. Dies ist zwar nicht falsch, aber einseitig. Montaignes Argumentation zugunsten des Geistes der Tiere ist weder ausschließlich satirisch noch theriophil in G. Boas’ Sinn, obwohl gerade Montaigne sein Kronzeuge ist. Für G. Boas zählt auch Bayles Artikel „Rorarius“ zu den herausragenden Zeugnissen der Theriophilie der Frühen Neuzeit. Diese Einschätzung verkennt schlicht die Relevanz des Themas innerhalb der Philosophie (der Frühen Neuzeit und darüber hinaus). Jean-François Senault behauptet in De l’usage des passions (1641), dass die Meinungen für die Unordnung in den menschlichen Leidenschaften verantwortlich seien. Daraus folgt für Senault, dass der Mensch ohne göttliche Gnade die Sklaverei der Leidenschaften nicht abzuwerfen vermag, da die falsch eingesetzte Vernunft ihre Rebellion vergrößere, nicht zügle, und sogar die richtig gebrauchte Vernunft allein zu schwach ist, sie zu zügeln. Einen Beleg dafür entnimmt Senault der Tatsache, dass die vernunftlosen Tiere weit weniger Unordnung in ihren Leidenschaften manifestieren (De l’usage I 2, 5). Sogar dieser durchaus theriophile Beleg ist in keiner Weise satirisch. Vgl. dazu Llavona Uribelarrea & Bandrés Ponce 1992 & 1993.
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zwungen, ihnen auch Vernunft zuzuschreiben. Letzteres sei aber offensichtlich nicht der Fall. Also sollte man ihnen auch die sensitive Seele absprechen und sich auf ihre Körpermechanik konzentrieren.40 Mit der Wahl der beiden eher entlegenen Autoren markiert Bayle zwei – für Europa auch geographische – Extremwerte. Wir finden eine starke anthropologische Differenz bei Pereira, deren Einebnung, ja sogar Umkehrung, bei Rorarius. Man kann vermuten, dass Bayle mit Pereira Descartes meint, mit Rorarius hingegen Montaigne. Montaigne gilt zusammen mit Pierre Charron im Diskurs der Frühen Neuzeit als Anwalt der Tiervernunft.41 Ich denke jedoch nicht, dass Bayle indirekt über Descartes (alias Pereira) und über Montaigne (alias Rorarius) schreibt. In der Behandlung dieser beiden prominenten Autoren wäre die philosophische Spitze der Tierdebatte in der Fülle anderer Gedanken und Streitpunkte nicht effektiv genug hervorgetreten.42 Vielmehr hat sich Bayle der entlegenen Extremwerte bedient, um zu zeigen, wie sehr der Streit um die Seele der Tiere an philosophische Fragen rührt. Die sehr knappe und klare Exposition der Extreme „Pereira“ und „Rorarius“ bezüglich der Tierseelenfrage erlaubt es Bayle nämlich, philosophische Probleme mithilfe des Themas Tier zu fokussieren. Dies tut er, indem er die Fragen und Probleme in den langen Anmerkungen zu den beiden Artikeln unterbringt. Der Grundtenor dieser Anmerkungen lautet, dass eine aristotelische Zwischenposition nicht mehr haltbar sei. Wer eine solche Position einnehmen möchte, muss unweigerlich zur einen oder zur anderen Seite treiben. Die Extremwerte im Tierseelenstreit sind die Mühlsteine, zwischen denen die „alte“ aristotelische Zwischenposition zerrieben werden soll. Der Tierseelenstreit ist mithin auch ein Abgrenzungsstreit. Die Bêtesmachine-These spielt eine demarkative Rolle. Antoine Dilly, ein vehementer Cartesianer, geht im Traité de l’âme et de la connaissance des bêtes (1676) von folgender Beobachtung aus: Man kann einen Wurm zerschneiden, doch die beiden Hälften leben weiter. Die Seele aber ist immateriell und folglich unteilbar. Im zerschnittenen Wurm können keine zwei Seelen entstanden sein. Die Seele ist daher nicht verantwortlich für die Lebensfunktionen des Wurms. Also sind Tiere seelenlose Maschinen. Soweit das Argument. Wichtig ist nun dessen demarkative Funktion: 40
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„Péreira (Gomézius), Médecin Espagnol, a vécu au XVIe siècle. Il se piqua de l’esprit de contradiction; car il affectait de combattre les Doctrines les mieux établies, et de soutenir des Paradoxes. La liberté de philosopher était pour lui un grand charme; il s’enservit amplement, et jusqu’à l’abus [...]. Mais ce qu’il y eut de plus surprenant dans ses Paradoxes, fut qu’il enseigna que les bêtes sont des machines, et qu’il rejeta l’âme sensitive qu’on leur attribue.“ (Bayle 1996a: 546). Descartes behauptet, die Schrift von Pereira nicht gekannt zu haben, was kein Schaden sein könne (Mersenne 23.06.1641, AT III 390). Bayle hat für den mechanistischen Extremwert jedoch nicht auf Pereira zurückgegriffen, um Descartes des Plagiats zu bezichtigen. Pace Gontier 1998: 11-4.
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„La conoissance de cette question est absolument necessaire pour la parfaite intelligence de la Philosophie: car soit qu’on se range a costé des philosophes qu’on appelle nouveaux, ou qu’avec le grand nombre & et la foule ou se tienne attaché à la philosophie des Anciens & principalement à celle d’Aristote.“ (zitiert in Balz 1951: 106)
Hier wird eine Art Cartesianismustest vorgeschlagen. Ein wahrer Cartesianer unterschreibt die Bêtes-machine-These. Tut er dies nicht, ist er entweder ein altmodischer Aristoteliker oder ein falscher Cartesianer.43 An der Seele der Tiere konnte sich die Auseinandersetzung zwischen den anciens und den modernes manifestieren. Die Auseinandersetzung verläuft für Dilly entlang dieser Bruchlinie. Wie aber steht es mit den Anwälten der Tiervernunft, die wie Rorarius argumentieren? Und muss die aristotelische Position zwischen den Extremen aufgerieben werden? Nein. Es existieren auch Beispiele von Allianzen zwischen den Anwälten tierlicher Rationalität und dem Spätaristotelismus. Im Traité de la connaissance des animaux (1647) versucht der bereits erwähnte Cureau de la Chambre innerhalb des Klimas eines doktrinal liberalen Spätaristotelismus44 die sensitiven Seelenvermögen, insbesondere die Einbildungskraft, so weit aufzuwerten, dass Tieren eine praktische Form der Rationalität zugeschrieben werden kann.45 Cureau bezweifelt, dass die Vernunft die anthropologische Differenz bestimme und dass Tieren lediglich Instinktverhalten zugestanden werden solle. Tiere verfügen nach Cureaus Ansicht über eine Form der Erkenntnis (Connoissance), die drei Stufen umfasse.46 1. Conception simple – Auf einer ersten Stufe geht es um die Bildung einfacher Repräsentationen von Dingen und von deren (partikularen oder konkreten) Qualitäten. Die Vorstellungskraft repräsentiert die „Accidens sensibles per modum concreti“.47 Das bedeutet, dass ein Tier nicht die Farbe (Couleur) eines Gegenstandes repräsentiert, sondern nur deren konkrete Farbigkeit (coloré). Das Tier sieht die rote Frucht. Nicht aber, dass die Frucht rot ist. Oder die Röte, gar die Rotheit einer Frucht. Die Bildung einfacher Repräsentationen in der Vorstellungskraft wird Tieren von Aristotelikern allgemein zugestanden.48 43 44 45
Balz 1951: 107. Des Chene 2000: 3-4. Cureau hat zuerst im zweiten Band von Les characteres des passions: De la nature et des effets des passions orageuses (1645) einen Anhang über die „Connaisance des Bestes“ veröffentlicht. Erst die kritische Replik De L’instinct et de la connaissance des animaux , avec l’examen de ceque M. de la Chambre a écrit (1646) des Cartesianers Pierre Chanet führte zu Cureaus aus-führlicherer Abhandlung. 46 Cureau 1989: 13 ff. 47 Cureau 1982: 61. 48 Vgl. etwa Eth. Nic. VII 3 1147b 3-5„So ergibt sich weiterhin, dass aus diesem Grunde ein
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Nun kommen bei Cureau als weitere Stufen die geistigen Akte des Verbindens und Trennens dieser Repräsentationen sowie deren logische Verknüpfung hinzu. 2. Jugement – Ein Tier kann einfache Repräsentationen miteinander verbinden und so ein Urteil fällen. Das bedeutet, dass es urteilt, indem es einfache Repräsentationen von Objekten mit einfachen Repräsen-tationen von Qualitäten verbindet. Ein Tier, das eine rote Frucht gegessen hat und diese als saftig geschmeckt hat, urteilt anlässlich einer Neubegegnung mit einer solchen roten Frucht, dass diese Frucht saftig ist. 3. Discours, Raisonnemet – Auf der dritten Stufe des Denkens werden die Urteile inferentiell miteinander verbunden, so dass Handlungsan-weisungen abgeleitet werden können. Das Tier ist durstig und weiß, dass diese rote Frucht saftig ist und den Durst stillt. Deshalb isst es die Frucht. Dieses Tier also repräsentiert, es urteilt und es denkt. Mit diesem Gedankengang macht sich Cureau in den Augen der Cartesianer zum Weggefährten der skeptischen Advokaten der Tiervernunft, insbesondere Montaignes.49 Allerdings gelten die „Montaig-nisten“ als jene Partei im Diskurs um die Vernunft der Tiere, die die anthropologische Differenz einebnen, ja umkehren. Demgegenüber möchte Cureau die anthropologische Differenz ausdrücklich wahren. Tiere denken zwar, aber: „leur Raisonement ne se forme que de notions et de propositions particulieres, en quoy il est different de celuy des hommes qui ont la faculté de raisonner universellement, et que cette faculté est la vraye difference de l’homme qui marque la spiritualité et l’immortalité de son ame.“ (Cureau 1989: 16)
Die einfachen Vorstellungen der Tiere umfassen nämlich „aucune abstraction, ny reflexion ny par consequent aucune notion Universelle“.50 Die Fähigkeit zur Abstraktion bleibt der entscheidende Unterschied zwischen der Tiervernunft und der menschlichen Rationalität. Cureau ist nicht nur ein Beispiel für einen Autor, der den aristotelischen Hintergrund mit den Verteidigern der Tiervernunft zusammenbringt. Er ist auch ein Beispiel für die im Spätmittelalter und in der Frühen Neuzeit in vielen Variationen vertretene These, dass die anthropologische Differenz mit dem Abstraktionsvermögen zusammen-falle. Cureau bleibt dem Abstraktionismus des Thomas von Aquin verpflichtet und dem damit zusammengehörenden Argument für die Immaterialität der Seele verbunden (Abschn. 33). Auch Locke wird das Abstraktionsvermögen zur anthropologischen Differenz erheben, freilich unter anderen ontologischen Voraussetzungen als Thomas oder Cureau und ohne direkten Bezug zur Unsterblichkeit der
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Tier nicht unbeherrscht sein kann: es hat nicht das Vermögen ein allgemeines Urteil zu bilden, sondern nur Eindrücke und Erinnerungsbilder von Einzeldingen.“ Cureau 1989: 20. Ebd. 77.
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Seele (Abschn. 76). Der Diskurs um die Tiervernunft lässt sich nämlich, anders als das Standardnarrativ will, von theologischen Debatten abtrennen. Diese Varianten der Abstraktionismusthese nähern sich der anthropologischen Differenz jedoch assimilationistisch, indem sie die beschränkteren kognitiven Vermögen der Tiere untersuchen, um daran anschließend die anthropologische Differenz zu etablieren. Cureau ist zudem auch deshalb emblematisch, weil er im Zuge seiner Argumentation für die tierliche Rationalität das Vermögen der Einbildung stark aufwertet. Diese Tendenz zur Aufwertung der Einbildungskraft wird, wie wir sehen werden, bei Hume einen Höhepunkt erreichen, indem sie sowohl beim Menschen als auch beim Tier zum kognitiven Vermögen schlechthin wird (Abschn.78). Der frühneuzeitliche Diskurs um die Tiervernunft ist komplex. Er lässt sich nicht auf den Tierseelenstreit reduzieren, den man (mit La Mettrie als Endpunkt) in ein simples narratives Muster einschreiben kann. Es stehen vor allem demarkative Fragen zur Debatte: die Abgrenzung der „alten“ von der „neuen“ Philosophie, die Abgrenzung der einzelnen Seelenteile, der Zusammenhang zwischen dem sinnlichen und dem vernünftigen Vermögen und die anthropologische Differenz. Historisch betrachtet ist Descartes kein einsamer Ausgangspunkt, wie es das Standardnarrativ möchte. Cartesianer wie Dilly spitzen die Diskussion demarkativ zu. Liberale Aristoteliker wie Cureau verfolgen eine Strategie der Mittelposition. Cureau schließt an Montaigne an und es ist Montaigne, der die Diskussion in Gang bringt. Bayle macht anhand zweier (zeitlich vor Descartes angesiedelten) Extrempositionen auf die Spannweite des Tierseelenstreits aufmerksam und versucht die aristotelische Zwischenposition ins Wanken zu bringen. Die Diskussion in der Frühen Neuzeit ist weit gefächert. Aber sie ist keineswegs unübersichtlich. Es existiert sogar eine hervorragende Illustration dieser Diskussion, die wiederum – wie Cervantes’ sprechende Hunde – aus der spanischen Kunst stammt. Nur schweigt der Hund dieses Mal. Er befindet sich auf Velásquez’ Gemälde Las meninas (1656/57). Dieses Werk versammelt wie auf einem Tableau die möglichen Antworten auf das Thema der anthropologischen Differenz in der Frühen Neuzeit. Der Hund auf dem Gemälde lässt nämlich drei unterschiedliche Deutungen zu, eine cartesische, eine aristotelische und eine skeptische. 6. Der Hund auf Velásquez’ Las meninas Unten rechts befindet sich ein liegender Hund. Sein Fell ist hellbraun, satt und glänzend. Die Schnauze, die Ohren, die Hals- und die Augenpartie sind von dunklerer Farbe. Der erhobene Kopf ist gegen die Brust gedrückt. Die Hinterläufe sind angezogen, die Vorderläufe halb ausgestreckt. Neben
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dem rechten Vorderlauf ist der Schattenwurf des Hundeschädels sichtbar. Warum befindet sich dieser Hund dort? Was stellt er dar? Wenn wir uns über den Hund auf Las meninas klar werden wollen, reicht es nicht, ihn auch noch so genau anzuschauen. Wenn wir uns über den Hund klar werden wollen, müssen wir ihn im Kontext des Gemäldes betrachten. Doch der Hund ist auf dem Gemälde buchstäblich eine Randfigur. Als solche wird er uns wenig sagen, was dem Verständnis des Gemäldes dienlich sein kann. Darauf möchte ich antworten: Schauen wir, was passiert, wenn wir nicht nur den Hund im Kontext des Gemäldes, sondern das Gemälde zugleich im Kontext des Hundes betrachten. Ich meine, dass er keine Randfigur bleiben wird. Genau so steht es mit dem Tier in der Philosophie. Wenn wir uns über das Tier in der Philosophie klar werden wollen, reicht es nicht, wenn wir uns die Tierpassagen noch so genau anschauen. Wir müssen sie im Kontext betrachten. Velásquez’ Las meninas ist ein ebenso faszinierendes wie rätselhaftes Gemälde, das nach wie vor großes Interesse auf sich zieht.51 M. Foucault beschreibt das Gemälde als Inbegriff der Repräsentation, als „représentation de la représentation classique“ und ihrer Grenzen zugleich.52 Las meninas erscheint als Inbegriff eines bestimmten Bildes der frühneuzeitlichen Philosophie, in dessen Zentrum die Repräsentation steht. Im Anschluss an M. Foucault haben sich auch weitere Philosophen um Las meninas gekümmert.53 In diesen Analysen wird über den Hund wenig oder gar nichts gesagt. Das ist unverständlich, denn er ist trotz seiner Randposition dominant ins Bild gesetzt. Ein anonymer Schreiber hat das Gemälde sogar mit Blick auf die Prinzessin und auf den Hund inventarisiert: „Un quadro de la Emperatriz
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Kesser 1994, Greub 2001. Es gibt vier Klassen von Deutungsproblemen. (1) Was ist das Genre? Historiengemälde, Portrait, Autoportrait, Metagemälde? (2) Welche Situation wird dargestellt? Handelt es sich um eine Momentaufnahme, einen Schnappschuss, um Naturalismus? Und was ist das Narrativ dazu? Oder handelt es sich um eine bewusste Konstruktion, um Illusionismus? (3) Was ist der Fokus des Gemäldes? Es gibt drei visuelle Brennpunkte: die Prinzessin (Bildmittelachse), die Tür im Hintergrund mit José Nieto (Perspektivenfluchtpunkt) oder der Spiegel an der Rückwand (Zentralachse an Decke). Es gibt zahlreiche thematische Brennpunkte. Man kann fragen, welche Figur im Zentrum steht: Margarita (so die historische Wahrnehmung), Velázquez (als Maler, als Höfling, als Künstler, Brown 1986), das Königspaar im Spiegel als imago rei (Foucault 1966), als corpus spirituale (Stoichita 2001). Man kann aber auch fragen, welche abstrakte Thematik im Zentrum steht: der Spiegel mit dem Königspaar als Metapher (Cochetti 1994, Steinberg 2001), die Zwergin MariBárbola (Arrabal 2001), das Sehen selber (Alpers 2001), Paradoxien der Repräsentation (Searle 2001), Repräsentation der (klassischen) Repräsentation (Foucault 1966) (4) Schließlich stellt sich die Frage, wie wichtig das „Unsichtbare“ oder schlecht Sichtbare für das Gemälde ist? Die undeutlichen Bilder im Hintergrund, das Königspaar, der aktual malende Maler, der Bildbetrachter, ein möglicher zweiter Spiegel (Brandt 2001), die Rückseite der Staffelei. 52 Foucault 1966: 31; vgl. 19-31, 318-23. 53 Searle 1980, Schönrich 1990: 46-68, Cochetti 1994, Brandt 2001.
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siendo niña y dama. Y Diego Velázquez pintando un perro echado“.54 Velásquez malte sich, einen Hund malend! Der Hund war dem Schreiber augenfällig genug. In Antonio Palominos Vida (1724) des Velásquez’ wird der Hund so gesehen: „[I]m Vordergrund befindet sich ein liegender Hund [en principal término un perro echado] und neben ihm Nicolasito Pertusato, der Zwerg, der auf ihn tritt, um gleichzeitig die Wildheit in der Figur [su ferocidad en la figura], wie auch das Gebändigte und das Zahme im Leiden zu erklären; denn als sie ihn porträtierten, verblieb er unbeweglich in der Haltung, in der sie ihn hinstellten; diese Figur ist dunkel und wesentlich und verleiht der Komposition große Harmonie [esta figura es obscura, y principal, y hace a la composición gran armonía].“ (zitiert nach Kesser 1994: 17)
Der Hund ist nicht nur dominant ins Bild gesetzt. Er verleiht ihm auch große Harmonie. Als Figur bleibt er jedoch dunkel. Auf beide Punkte, Harmonie und Dunkelheit, werde ich zurückkommen.55 Es ist allerdings auch verständlich, dass dem Hund wenig Beachtung geschenkt wird, denn der Hund will nicht ins Bild der Repräsentation passen. M. Foucault beschreibt den Hund als „seul élément du tableau qui ne regarde ni ne bouge, parce qu’il n’est fait [...] que pour être un objet à regarder.“56 J. Searle beobachtet, dass der Hund den beiden Zwergen zugeordnet ist, und dass nur zwei der Namen der auf dem Bild dargestellten Figuren nicht überliefert sind: „[M]an hat das Gefühl, es sei nur ein Missgeschick des Chronisten, dass uns die Namen des guardadamas und des Hundes nicht überliefert sind, und die Zeitgenossen hätten sie sicherlich beide erkannt.“57 Diese Beobachtungen ergeben ein paar Hinweise. Der Hund nimmt nicht Teil am Blickgeschehen. Im Unterschied zu den anderen Figuren auf dem Gemälde hat der Hund die Augen offenbar geschlossen, er blickt nichts und niemanden an. Der Hund ist namenlos, im Unterschied zu den meisten anderen Personen im Bild. Er ist kompositorisch der Gruppe zweier Zwerge – Mari Barbola und Nicolasito Pertusato – zugeordnet. R. Brandt gibt einen weiteren Hinweis, indem er den Hund sozusagen aus dem Bild verscheucht: 54 55
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Zitiert in Kesser 1994: 13. Ich werde allegorische Aspekte und Lesarten der Hundedarstellung außer Acht lassen. Es gibt Ansätze dazu: (1) Die träge Pose des Hundes ist ein allegorischer Hinweis auf Ruhe (Steinberg 2001 mit Hinweis auf Dürers Melancolia). Das Problem ist, dass dies nicht zur Geste des Fußaufsetzens passt und dass es keine Erklärung dafür gibt, warum das ins Gemälde sollte. (2) Palomino schreibt: „Nicolasito Pertusato, pisándolo, para explicar a el mismo tiempo, que su ferocidad en la figura, lo doméstico […]“. Die Geste des Zwerges Nicolasito wäre dann allegorisch, nicht narrativ. Der Hund stellt gebändigte Wildheit, den Triumph der Domestikation dar (vgl. auch den coupierten Schwanz). (3) Palomino schreibt aber auch: „[…] manso en el sufrimiento; pues cuando le retrataban se quedaba inmóvil en la acción […]“. Das steht (2) entgegen, denn hier wird die allegorische Rolle des Hundes für Gutmütigkeit und Treue angesprochen. Foucault 1966: 29. Searle 2001: 173-4.
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„Der Zwerg sieht auf den korpulenten Hund, der, noch niederer in der Hof- und Schöpfungsordnung, keinen Anteil am Blickgeschehen nimmt. Er stößt ihn mit dem Fuß [...] Nicolasito Pertusato will vielleicht den Hund vertreiben, weil er nicht zur familia und zu den Personen gehört, die abgebildet werden sollen. Das passt zur Werkbestimmung des Bildes als eines Bildes über die Bildentstehung; wir erblicken die Phase der Bildwerdung, in der sich alles noch vorbereitet und auch die eigentlich nicht bildfähigen Wesen noch präsent sind.“ (Brandt 2001: 124-5)
Der Hund will nicht ins Bild passen, er fällt aus dem Rahmen. Am besten, er wäre gar nicht erst vorhanden. So lautet der (unfreiwillige) Hinweis von R. Brandt (und von Cochetti 1994, der den Hund gar nicht erwähnt). Doch der Hund ist da und muss irgendwie in die Komposition des Gemäldes eingepasst werden. Aber wie? Einen wichtigen Hinweis gibt G. Schönrich: „Im Vordergrund betont Velázquez die Körperlichkeit der Personen ebenso wie die Materialität der repräsentierenden Kunst. Der Kreatürlichkeit von Hund und Zwergin rechts vorne korrespondiert auf der linken Seite die gewichtige Staffelei mit der Leinwand als einem notwendigen Substrat der Malerei.“ (Schönrich 1990: 49)
Der Hund ist einerseits den Zwergen und deren Kreatürlichkeit zugeordnet. Andererseits ist er auch der abgewendeten Leinwand zugeordnet, dem materiellen Untergrund der Repräsentation. Ausgehend von diesen Hinweisen und der Frage, wie der Hund sich ins Gemälde füge, werde ich drei Deutungen des Hundes auf Las meninas entfalten. Ich folge dabei zuerst ein Stück weit M. Foucaults Deutung des Gemäldes, skizziere dann eine an R. Rorty angelehnte Interpretation des Spiegels auf dem Gemälde. Beides wird einen Rahmen abgeben für die erste Deutung. 7. Exklusive Deutung: Der „Cartesische“ Hund außerhalb der Repräsentation M. Foucaults Augenmerk gilt den intrikaten Repräsentationsverhältnissen, die das Gemälde strukturieren. Wichtig ist dabei der Ort vor dem Gemälde. Die Bildbetrachter sehen sich von mindestens vier der abgebildeten Personen angeblickt. Auch der abgebildete, soeben von einer großformatigen Leinwand zurücktretende Maler – Velásquez selbst – betrachtet uns, so als wären wir sein Modell. Zugleich muss der Maler sich aber ebenfalls vor dem Gemälde befinden, er malt es ja. Der Standort vor dem Gemälde versammelt also drei Positionen. Den repräsentierenden Betrachter, den das Gemälde anfertigenden Maler und sein Modell. Aber wer ist das Modell, auf das der gemalte Maler und weitere Figuren blicken? Wo wird es repräsentiert? An der Wand im Hintergrund des Gemäldes hängt ein Spiegel, in dem portraitartig zwei Personen – König Philipp IV. und Königin Maria Anna
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– erkennbar sind. M. Foucault deutet das Spiegelbild als direkte Spiegelung des Königspaares, das sich als Modell des Malers ungefähr am Standort des Betrachters vor dem Gemälde befindet.58 Der Maler auf dem Gemälde ist im Begriff, das Königspaar auf der nur rückseitig sichtbaren Leinwand zu portraitieren. Da das Königspaar selber das ganze fertige Gemälde repräsentiert und auf demselben Standort vor dem Gemälde wie der Betrachter oder der Maler steht, kommt ihm eine ausgezeichnete Stellung zu. Es versammelt alle Repräsentationsbezüge, die das Gemälde strukturieren. Ich habe bereits gesagt, M. Foucault beschreibe das Gemälde als Inbegriff der Repräsentation, als „représentation de la représentation classique“ und ihrer Grenzen zugleich. Repräsentiert wird der Prozess der Repräsentation selbst, und zwar durch das Königspaar. Dieses ist sowohl das mehrfach Repräsentierte (im Spiegel, auf der abgewendeten Leinwand, als Modell, in den Blicken der Figuren) als auch das Repräsentierende (als Betrachter der dargestellten Szene und als Betrachter des Gemäldes). Bemerkenswert ist nun, dass gerade diese ausgezeichnete Stellung des Königspaares in der Repräsentation der Repräsentationsverhältnisse zweifach unsichtbar bleibt. Das Königspaar wird im Gemälde durch den Spiegel zwar sichtbar,59 wenn auch ausgesprochen flüchtig und ephemer, aber auf der abgekehrten Leinwand bleibt es ebenso unsichtbar wie auf seinem Standort vor dem Bild. Seine Präsenz wird durch die aus dem Gemälde gerichteten Blicke lediglich angedeutet. Laut M. Foucault wird dadurch einerseits in der Repräsentation dasjenige zum Verschwinden gebracht, was sie fundiert, nämlich ihr Repräsentationsobjekt. Sie wird „pure représentation.“60 Dem entspricht die Unsichtbarkeit des Königspaars auf der Vorderseite der abgewendeten Leinwand. Andererseits werde in der Repräsentation dasjenige zum Problem, das repräsentiert, selbst aber unrepräsentiert bleibe, das Repräsentationssubjekt, der Mensch.61 Dem entspricht die Unsichtbarkeit des Königspaars vor dem Gemälde. Die Grenzen der Repräsentation also sind das Repräsentierte 58
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Die Deutung ist vorschnell, weil es Gründe zur Annahme gibt, dass der Fluchtpunkt des Gemäldes sich nicht im Spiegel findet, sondern in der daneben liegenden geöffneten Tür. Also kann der Spiegel nicht spiegeln, worauf die aus dem Gemälde blicken den Personen gerichtet sind. Vermutlich würde der Spiegel nach den Gesetzen der Optik wiedergeben, was sich auf der Leinwand befindet. Diese Deutung hat aber den Haken, dass erstens kein königliches Doppelportrait bekannt ist und dass es zweitens der Hofetikette widersprechen würde, wenn sich die Königin – aus der Perspektive des Königs – links und nicht rechts vom König befände. Der letzte Punkt wäre in jedem Fall problematisch. Er hat zu den Vermutungen geführt, dass Velásquez selbst mit Hilfe eines Spiegels gemalt haben könnte oder dass es sich beim vermeintlichen Spiegelbild des Königspaares um die Projektion einer Camera obscura handelt, was den überraschenden Lichtschein der beiden Personen erklären könnte, vgl. Brandt 2001. Foucault 1966: 23. Ebd. 31. Ebd. 319.
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und das Repräsentierende.62 M. Foucault hat zwei wesentliche Probleme frühneuzeitlicher Theorien der Repräsentation herausgearbeitet: Was ist das Repräsentierende und was ist das Repräsentierte?63 Versuchen wir nun aber, den Hund zurück ins Bild zu bringen, zeigt sich eine andere Grenze der Repräsentation. Der Hund ist dem König zuzuordnen, es handelt sich um einen jener Hunde des Königs, die auch auf anderen Gemälden mit ihm zusammen in Erscheinung treten.64 Er ist kompositorisch dem von M. Foucault suggerierten Standpunkt des Königs vor dem Bild zugeordnet, weil er ihm am nächsten liegt. Folgen wir M. Foucaults Vorschlag, dass der König die Repräsentationsverhältnisse in sich versammelt, dann können wir den Hund vorerst wie folgt deuten: Der Hund gehört zum König als die andere Seite der Repräsentation. Der Hund nimmt nicht Teil am Blick- und Repräsentationsgeschehen. Er stellt die selber nicht repräsentierende Seite der Repräsentationsrelation dar, das bloße Objekt der Repräsentation. Der Hund ist dieses bloße Objekt. Er ist mithin kein Subjekt der Repräsentation. Anders ausgedrückt: Es gibt einen Hund im Bild, aber kein Bild im Hund. Der Hund ist jedoch am weitesten entfernt von der einzigen sichtbaren Darstellung des Königspaares, vom Spiegel. Jene Sichtbarkeit ist auf befremdende Art und Weise in Szene gesetzt. Die Spiegelung erscheint übernatürlich hell, vergleicht man sie mit der Dunkelheit der sie umgebenden Wand, und merkwürdig flüchtig. Gehen wir davon aus, im Spiegel werde tatsächlich das gleichsam vor dem Gemälde stehende Königspaar reflektiert, dann zeigt der Spiegel, was die aus dem Gemälde blickenden Personen sehen oder 62
Der zweite Punkt macht Las meninas für M. Foucault theoretisch interessant. Das Gemälde markiere den Umbruch vom klassischen Zeitalter (das Zeitalter der Repräsentation im 17. Jh.) zur Moderne. Nach M. Foucaults bekannter These ist so etwas wie der Mensch im klassischen Zeitalter schlicht nicht denkbar. Erst im Umbruch zur Moderne kündigt sich der Mensch als Subjekt oder Objekt des Wissens an. Nämlich in den sciences humaines. Zuvor existierte „pas de conscience épistémologique de l’homme comme tel. L’épistémè classique s’articule selon des lignes qui n’isolent en aucune manière un domaine propre et spécifique de l’homme.“ (Foucault 1966: 320-1) Meines Erachtens sind M. Foucaults Thesen dramatisierend und verzerrend. Wir brauchen nur den Hund wieder mit ins Bild zu nehmen, um das zu sehen. Die Neuverhandlung der anthropologischen Differenz in der Frühen Neuzeit ist gerade das Mittel, den Menschen als Untersuchungsgegenstand in den Blick zu rücken. 63 Ist das Repräsentierende (beispielsweise) eine immaterielle Substanz? Und ist das Repräsentierte (beispielsweise) ein mentales Objekt? So betrachtet stellt M. Foucaults Frage nach den Relata der Repräsentation in der Frühen Neuzeit einen Hinweis auf die entstehende skeptische Problematik dar (vgl. Burnyeat 1982). Andererseits neigt M. Foucault wie viele französische Philosophen zu einer Dramatisierung relativ trivialer Tatsachen. Das Vehikel einer Repräsentation wird normalerweise mitrepräsentiert, etwa wenn man ein Wort liest oder ein Bild sieht. Demgegenüber wird das Vehikel einer mentalen Repräsentation normalerweise nicht mitrepräsentiert. Ebenso wird in einer Repräsentation ein Objekt repräsentiert, aber nicht es selber, sondern unter einem bestimmten Aspekt, etwa auf einer Fotographie aus einer bestimmten Perspektive oder im Falle einer mentalen Repräsentation unter einem bestimmten intentionalen Aspekt. 64 Glen 1993.
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repräsentieren: das Königspaar. Die Spiegelung macht jedoch nicht allein sichtbar, was diese Personen sehen, sondern sie macht zugleich die Natur ihres Sehens sichtbar. Darin besteht die metaphorische Pointe des Spiegels. Denn der Spiegel ist eine ausgezeichnete Metapher für das repräsentierende Subjekt.65 Die Metapher der gläsernen, spiegelgleichen Natur des Menschen ist das zentrale Bild, das R. Rorty der Frühen Neuzeit zuordnet: „Das Bild, das die traditionelle Philosophie gefangen hält, ist das Bild vom Bewusstsein als einem großen Spiegel, der verschiedene Darstellungen enthält – einige davon akkurat, andere nicht – und mittels reiner, nichtempirischer Methoden erforscht werden kann.“ (Rorty 1981: 22).
R. Rorty betrachtet die philosophischen Probleme der Frühen Neuzeit, insbesondere diejenigen der Erkenntnistheorie, als eine Folge dieser seiner Meinung nach irreführenden Metapher. Die Erkenntnistheorie beruht dabei auf der Philosophie des Mentalen, die ihrerseits dem Spiegelbild aufsitzt, und von einer Art gläsernen, durchsichtigen Natur des Menschen ausgeht. Die Formulierung von der gläsernen Natur des Menschen stammt aus Shakespeares Komödie Measure by Measure, in der Isabella sagt: „But man, proud man, / Dressed in a little brief authority, / Most ignorant of what he’s most assured, / His glassy essence, like an angry ape / Plays such fantastic tricks before high heaven / As makes angels weep, who, with our spleens, / Would all themselves laugh mortal“ (II 2, 120-6; Rorty 1981: 54)
Isabellas Metapher erfasst das Merkmal, das den Menschen einzigartig macht und einem Affen oder „einem Leichnam nicht zukommt“.66 In dieser Metapher drückt sich der Wunsch aus, eine Antwort auf die Frage zu haben, was uns Menschen von anderen Lebewesen unterscheidet. Insbesondere gerät dabei die Frage nach dem Unterschied zwischen dem Menschen und dem Tier in den Blickpunkt.67 Die Spiegelmetapher bringt zwei Vorteile mit sich. Erstens zeigt ein Spiegel Repräsentationen, ohne sich dadurch selbst zu verändern. Zweitens ist der Spiegel von einer sehr viel feineren, reineren und empfindlicheren Beschaffenheit als die meisten anderen Gegenstände. Im Unterschied zu realen Spiegeln repräsentiertder Bewusstseinsspiegel nicht nur wahrnehmbare, materielle Einzel-gegenstände, sondern auch abs65 66
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Konersmann 1991. Rorty 1981: 57. Dieses Merkmal teilt der Mensch mit den Engeln. Er unterscheidet sich aber von ihnen durch seine körperliche Verfasstheit (spleen), die ihn zu einem sterblichen (mortal) Wesen macht. Ein gutes Beispiel für diese die Renaissance-Denker umtreibende Frage nach dem Unterschied zwischen Mensch und Engel ist die Titelillustration in Bovillus’ Liber de intellectu (Bovillus 1970). Der Mensch, der als rationales Wesen in der Stufenleiter des Seins über materia, mineralia, viventia (Pflanzen) und sensibilia (Tiere) steht, ist nur indirekt dazu fähig, Gott zu erkennen. Ihm gegenübersteht der Engel, der zur direkten Schau Gottes imstande ist. Der menschliche Intellekt ist gemischt und gleicht dem Mond, der Intellekt der Engel hingegen ist rein undgleicht der Sonne, d. h. der menschliche Intellekt bekommt lediglich das intellektuelle Abbild Gottes vor seinem inneren Auge zu sehen, nicht Gott selbst. Rorty 1981: 13, 45, 46, 48, 51, 54, 57, 58.
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trakte, intellektuelle Formen. Im Unterschied zu realen Spiegeln ist der Bewusstseinsspiegel nicht nur feiner und reiner beschaffen, sondern ganz und gar anders beschaffen als materielle Gegenstände.68 In der Spiegelmetapher wird das Wesen der menschlichen Natur ausgedrückt, das sich in Bewusstsein, Vernunft und Personalität auffächern lässt.69 Darin unterscheidet der Mensch sich vom Tier. Tiere haben nichts in sich, das der menschlichen Natur irgend ähnlich wäre, zumindest keinen abstrahierenden und immateriellen Bewusstseinsspiegel. Im Anschluss daran kann man sagen, dass der Hund auf Las meninas keinen Anteil an der spiegelgleichen Natur des Menschen hat. Das Licht fällt auf keinen inneren Bewusstseinsspiegel.70 Lediglich auf sein Fell. Der Hund scheint nichts in sich zu haben, das der menschlichen Natur irgend ähnelte. Deshalb ist der Hund möglichst weit vom Spiegel entfernt gemalt. Der Hund scheint aus dem Spiel der Repräsentationen ausgeschlossen. Er ist lediglich ein „objet à regarder“. Im Unterschied zu den dargestellten Personen, deren „glassy essence“ sich im lichten und flüchtigen Spiegelbild zeigt, ist der Hund ein bloßes Körperwesen. Der Zwerg Nicolasito veranschaulicht diese Differenz, indem er einen Fuß auf den braunen Rücken des Hundes setzt, so wie die anderen Personen auf dem gleichfalls braunen Boden stehen. Die Reaktion des Hundes auf den Fußtritt des Zwergs ist nicht recht klassifizierbar. Ist er soeben durch 68 69
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Rorty 1981: 55-6. Wie R. Rorty meint, fasst Isabellas Metapher der „glassy essence“ die drei Problemfelder des Bewusstseins, der Vernunft und der Personalität zusammen Nach R. Rortys Ansicht werden im Bild der spiegelgleichen Natur drei philosophische Probleme miteinander vermengt. Das erste Problem ist dasjenige des Bewusstseins. Hierunter versteht R. Rorty Fragen nach der Natur des Bewusstseins, seines Verhältnisses zum Körper. Das zweite Problem ist dasjenige der Vernunft. Wir können Wissen von allgemeinen Wahrheiten, von Zahlen, Wesenheiten oder Ewigem haben. Wir können Sprache, d.h. abstrakte Ideen oder generelle Terme, verwenden. Wie können wir das? Das dritte Problem schließlich ist dasjenige der Personalität, d.h. unser Vermögen, frei zu handeln oder Teil einer Gemeinschaft oder mehr als nur ein Objekt in Raum und Zeit zu sein. Für R. Rorty besteht die große Versuchung im Bild von unserer gläsernen, spiegelgleichen Natur darin, dass wir das Problem des Bewusstseins den Fragen nach der Vernunft und der Personalität vorordnen. Das heißt, dass wir unser Bewusstsein zunächst als einen Spiegel der Natur erfassen und aufgrund dieses Bildes erst erklären, was es heißt, vernünftig oder eine Person zu sein. Genau das taten gemäß R. Rorty die Philosophen von Descartes bis Kant. Sie waren Gefangene von Isabellas Bild (Rorty 1981: 46-50). Anders gesagt: Sie eröffnen eine kognitive anthropologische Differenz, einen kognitiven Unterschied, der für alle weiteren Unterschiede verantwortlich ist. Die in der Deutung benutzte Spiegelmetapher bietet ein Modell für den Geist unter vielen an. Dieses Modell tritt aus naheliegenden Gründen oft zusammen mit der Lichtmetapher auf (Blumenberg 1998). Der Geist ist ein göttliches oder natürliches, inneres Licht (Jolley 1990). Dieses Modell verliert jedoch mit dem Verschwinden des Gedankens einer immateriellen Seele, die im Körper ihren Sitz hat, seine Anziehungskraft (Hagner 1997).
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ihn aufgeschreckt worden? Drückt seine Haltung Behagen oder Schmerz aus? Es ist nicht zu erkennen und die Vermutung liegt nahe, dass nichts Derartiges im Hund vorgeht. Seine Reaktion ist eine rein körperliche Reaktion auf eine äußere Einwirkung. So betrachtet, stellt Velásquez einen ausgesprochen „Cartesischen Hund“71 dar. Er ist lediglich ein Körper.72 Velásquez stellt so gesehen auf Las meninas eine starke Version der anthropologischen Differenz dar. Der Hund passt nicht recht in das Gemälde, weil er naturgemäß nicht Teil nimmt am Repräsentationsgeschehen. Der Hund auf Las meninas repräsentiert so gesehen, dass er nicht repräsentiert. 8. Inklusive Deutung: Der „Aristotelische“ Hund innerhalb der Ordnung des Seins Es gibt jedoch auch jene Sichtweise, nach der der Hund sich harmonisch in das Gemälde einfügt. Ich möchte deshalb eine weitere Deutung des Hundes auf Las meninas vorschlagen. Dazu müssen wir uns den dunklen Rest des Gemäldes genauer betrachten. Der Hund lässt sich mit drei Elementen verbinden, nämlich mit 1. der nur von hinten sichtbaren Leinwand, an der Velásquez gerade zu arbeiten scheint (G. Schönrichs Hinweis), 2. den beiden kaum erkennbaren Gemälden über dem Spiegel an der Rückwand und 3. den unleserlichen Gemälden an der vom Betrachter aus gesehen rechten Seitenwand. Diese drei Elemente und der Hund als viertes Element rahmen die dargestellte Personengruppe regelrecht ein. Ihnen gemeinsam ist, dass sie etwas repräsentieren, das jedoch für den Betrachter nicht oder nur schwer erkennbar ist. Diese Repräsentationen scheinen von anderer Art zu sein als diejenigen der abgebildeten Personen. Im Geist dieser Personen ereignet sich etwas, sie erblicken – bleiben wir bei dieser Hypothese – das Königspaar. Was aber wird auf den Gemälden oben und rechts repräsentiert und was auf der Vorderseite der Leinwand und was – wenn überhaupt – durch den Hund? Element (2) wurde bereits durch Palomino als Darstellungen zweier Szenen aus Ovids Metamorphosen identifiziert, links die Bestrafung der Arachne durch Minerva, rechts das Urteil des Midas.73 Das ihnen gemeinsame Thema ist der Wettstreit zwischen einer antiken Gottheit mit einem Menschen bzw. einem Satyr. Der Gegenstand des Wettstreits ist beide Male 71 72 73
Grünbein 1994. Wild 2003. Met., VI 1-145, XI 146-93.
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Kapitel 1 – Anthropologische Differenz und Frühe Neuzeit
die Kunst. Diese Themen würden bereits einiges für eine Deutung weiterer Motive des Gemäldes hergeben. Mich interessiert jedoch der folgende Aspekt: Beide Male endet der Wettstreit mit der Verwandlung eines Menschen in ein Tier. Arachne wird in eine Spinne, Midas (teilweise) in einen Esel verwandelt. Zwar werden aus Tieren keine Menschen. Aber aus Menschen werden Tiere. Die Grenze zwischen dem Menschen und dem Tier ist gleichsam fließend. Betrachten wir nun Element (3). Der auf Las meninas abgebildete Raum stellt ein Zimmer im Alcázar von Madrid dar, das (nachmalig zerstörte) Cuarto bajo des Prinzen Baltasar Carlos.74 In diesem Raum befanden sich laut Inventar eine Reihe bewusst angeordneter Gemälde. Der Raum ist als eine Art Weltspiegel (speculum maius) eingerichtet, als Weltkompendium (compendio di tutte le cose del Mundo). An der rechten Wand befindet sich in der obersten Reihe eine Anordnung von Bildern, auf denen Tiere (z.B. Hunde) und Pflanzen dargestellt sind. Dies ist der Naturspiegel (speculum naturale). Darunter befindet sich als Geschichtsspiegel (speculum historiale) eine Serie mit den Heldentaten des Herkules.75 Zuunterst schließlich, im Lehrspiegel (speculum doctrinale), finden sich abwechselnd antike Philosophen und Planetengötter. Zuerst haben wir reine Naturwesen wie Tiere und Pflanzen. Mit der nächsten Stufe erreichen wir die höhere Sphäre von Handlungsfähigkeit und Geschichte. Auf der dritten Stufe wird die Natur noch einmal überstiegen. Die Bewegungen der Planeten und die Objekte der Philosophen befinden sich im Ewigen und Vollkommenen, auf der obersten Seinsstufe. Demgegenüber sind die Naturwesen und die über ihnen stehenden menschlichen Taten im Bereich des Unvollkommenen, des Wandelbaren und Vergänglichen. Die Anordnung der Bilder bringt eine gestufte, hierarchische, dreiteilige Ordnung zum Ausdruck. Beachten wir vor diesem Hintergrund Element (1), die abgewendete Leinwand. Man mag spekulieren, was sich auf der Vorderseite der abgewendeten Leinwand befindet. Vielleicht das Königspaar. Vielleicht (noch) nichts. Was wir sehen, das ist die Rückseite. Die Rückseite ist durch die leiterartige Staffelei in drei Felder eingeteilt. Auch hier findet sich eine dreiteilige Ordnung. Dieses Moment der Ordnung lässt sich auch bei den abgebildeten Personen feststellen. Auf der untersten Stufe liegt der Hund. Ihm zugeordnet sind die beiden Zwerge. Dem Hund und den Zwergen zugeordnet ist die abgewendete Leinwand. Über dem Hund und den Zwergen befinden sich die Personen. Sie sind dem mittleren Teil, der zweiten Stufe, der Leinwand zuge74 75
Brown 1986. Es mag erstaunlich klingen, dass es sich bei einer mythischen Erzählung um einen Geschichtsspiegel handeln soll. Aber Herkules wurde von den Habsburgern, zu denen der spanische König gehörte, als eine Art Vorfahr betrachtet, und seinen Taten konnten in der Frühen Neuzeit durchaus als historisch angesehen werden.
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ordnet. Schließlich rahmen die Personen das gespiegelte Königspaar durch einen Halbkreis ein. Das gespiegelte Königspaar ist dem obersten Teil, der höchsten Stufe, zuzuordnen. Las meninas stellt einen Raum dar, der eine hierarchische, dreistufige Ordnung abbildet. Es wiederholt diese Dreistufenordnung in der Figurenanordnung. Die Rückseite der Leinwand versinnbildlicht das Grundgerüst der Dreistufenordnung. Es liegt nahe, an andere Dreistufenordnungen der Frühen Neuzeit zu denken, insbesondere an die aristotelisch-scholastische76 Ordnung der Seele. Das auf folgender Seite, stark vereinfachende Schema stellt die Seelenteile dar, weist sie den Lebewesen zu und beschreibt ihre Funktion: Schema A.1 Seelenteil anima vegetativa
anima sensitiva
anima intellectiva
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Stufe der Lebewesen Pflanzen
Funktion Leben 1. Wachstum 2. Ernährung 3. Fortpflanzung
niedere Tiere animal
Wahrnehmungsvermögen 1. Äußere fünf Sinne 2. Innere Sinne (v.a. Gedächtnis und Einbildungskraft)
höhere Tiere brutum
Bewegungsvermögen 1. Körper- und Organbewegungen 2. Appetite und Affekte
Mensch animal rational
Denken Wollen
Der Ausdruck „Scholastik“ kann benutzt werden, um die Schulphilosophie vom 13. bis zum 17. Jahrhundert zu bezeichnen. Die philosophische Autorität der Scholastik, insbesondere der Hochscholastik des Thomas und der frühneuzeitlichen Spätscholastik, war Aristoteles. Mit dem Ausdruck „aristotelisch-scholastisch“ beziehe ich mich in dieser Arbeit auf einige sehr allgemeine Grundzüge eines philosophischen Weltbilds, in erster Linie auf Grundzüge der Seelenlehre. Dieses Weltbild stellt für zahlreiche Philosophen der Frühen Neuzeit wie Montaigne (MacLean 1998), Descartes (Ariew 1999, Secada 2000, Des Chene 1996 & 2001), Hobbes (Leijenhorst 2002) oder Leibniz (Mercer 2001) einen weiten Diskussionskontext dar, von dem sie sich absetzen konnten, vgl. dazu Edward 1987 und die Übersicht in Perler 2002b.
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Kapitel 1 – Anthropologische Differenz und Frühe Neuzeit
Vereinfacht gesagt, unterscheidet das Haben einer Seele Lebendiges von Nichtlebendigem.77 Die Seele ist nicht einfach der Geist, sondern zuständig für die Ausübung von basalen Lebensfunktionen in Organismen und ist daher zunächst ein biologisches Vermögen.78 Deshalb ist die anima vegetativa der basale Seelenteil. Sie ist zuständig für Lebensfunktionen. Pflanzen haben nur eine vegetative Seele. Die Seele ist darüber hinaus eine organisierte Ansammlung von kognitiven Fähigkeiten oder Vermögen und zuständig für die Ausübung der Funktion der einzelnen Organe, etwa für das Sehen des Auges, die Speicherung von Gedächtnisinhalten usw.79 Die aristotelisch-scholastische Erkenntnispsychologie ist daher eine „Fakultätenpsychologie“.80 Bestimmte biologische Funktionen oder bestimmte mentale Akte können nur von bestimmten Seelenvermögen hervorgebracht werden. Der nächste Seelenteil ist die anima sensitiva. Sie ermöglicht sowohl die Wahrnehmung als auch die Bewegung. Auf einer niedrigen Stufe sind die Wahrnehmungen sehr beschränkt und das äußere Bewegungsvermögen kaum vorhanden (etwa bei einer Auster). Später kommt die Bewegung als Ortveränderung hinzu und die Wahrnehmungsausstattung wird komplexer. Auf höheren Stufen werden die äußeren Wahrnehmungen ausdifferenziert, die inneren Sinne, vor allem die Erinnerung und die Vorstellung, treten hinzu. Diese Seelenvermögen sind Bestandteil der sensitiven Seele. Im Unterschied zu Austern und anderen simplen Lebewesen (animal) sind beispielsweise Hunde hochentwickelte Tiere (brutum). Im Aristotelismus teilen Menschen und höhere Tiere die inneren und die äußeren Sinne, die äußere und die innere Bewegung. Beide haben eine vegetative und eine sensitive Seele. Dieses Seelenmodell ist ein kontinuierliches, assimilationistisches Modell. So schreibt Thomas, die Seele manifestiere sich in den unterschiedlichen Lebensaktivitäten und sei zugleich das Prinzip aller dieser Aktivitäten. 77 78 79 80
De anima II 1-4; vgl. dazu Whiting 1992, Matthews 1992. Sorabji 1993b: 164-5. Vgl. Park 1988, Sorabji 1993b: 163-4, Smit 1992: 155-60, Des Chene 2000. Ich verwende den unschönen Ausdruck „Fakultätenpsychologie“, weil der Ausdruck „Vermögenspsychologie“ für die Psychologie des 18. Jahrhunderts reserviert ist. Die aristotelischscholastische Fakultätenpsychologie behauptet, dass für die unterschiedlichen vitalen und die verschiedenen kognitiven Prozesse bestimmte Seelenvermögen zuständig sind. Deshalb handelt es sich hier um eine Form der Psychologie. Doch die Fakultätenpsychologie ist keine ausschließlich psychologische Disziplin. Bei Aristoteles, im Spätmittelalter und in der Frühen Neuzeit ist die Psychologie freilich Bestandteil der Physik, und beschäftigt sich in diesem Rahmen mit belebten Geschöpfen (Wedin 1988: 3-9). Zupko 1997 charakterisiert die Entwicklung der Wissenschaft von der Seele im Spätmittelalter überzeugend als Entstehung eines (weitgefassten) Empirismus. Des Chene 2000: 112-3 beleuchtet die empirische Ausrichtung der Wissenschaft der Seele im Spätaristotelismus. Hatfield 1998 gibt einen Überblick zur überragenden Bedeutung der kognitiven Vermögen vor allem im 17. Jh. Darüber hinausbeziehen sich kognitive Vermögen auf für sie spezifische Gegenstandsbereiche; damit ist ein Zusammenhang zur Ontologie gegeben, vgl. Hacking 2001.
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Die Seele sei dasjenige Vermögen, weswegen Ernährung, Wahrnehmung, Ortbewegung und Erkennen statt finden (ST Ia q.76 a.1c/ ed. Leonina V: 208-9).81 Aber es handelt sich um ein Assimilationsmodell mit einer Differenz. Denn der dritte Seelenteil ist die rationale Seele, sie ermöglicht Denken und Wollen und ist nur bei Menschen vorhanden. Menschen haben also zusätzlich zur vegetativen und zur sensitiven eine rationale Seele. Sie denken, schließen und entscheiden.82 Dieser Seelenteil ist im Gegensatz zu den anderen beiden vom Körper abtrennbar und kann so dessen Tod überleben. Wir erkennen Inhaber des rationalen Seelenteils daran, dass sie sprechen. Auch Aristoteles diente die Sprache als demarkatives Merkmal.83 Im mentalistischen Rationalismus aristotelisch-scholastischer Prägung ermöglicht die rationale Seele dem Menschen das Denken. Wie alle Tiere nehmen Menschen durch ihre Sinne Informationen aus ihrer Umwelt auf. Dazu sind sie wie andere Tiere auf ihre körperlichen Sinnesorgane angewiesen. Allein der menschliche Intellekt ist imstande, von den partikularen und materiellen Bestandteilen dieser via Sinnesorgane gewonnenen Information abzusehen, also zu abstrahieren und Begriffe zu bilden (Abschn. 33). Die Ausdrücke einer natürlichen Sprache bezeichnen die durch Abstraktion gewonnenen Begriffe im Intellekt und deren Verknüpfungen (Abschn. 21). Dadurch erst (zusammen mit einer bestimmten physiologischen Disposition zur vokalen Verlautbarung) kommt das Sprechen hinzu. Die Sprachunfähigkeit der anderen Tiere (abgesehen von ihrer physiologischen Indisposition zur vokalen Verlautbarung) ist ein starker Beleg für die Annahme, dass sie keinen intellektiven Seelenteil besitzen.84 Natürlich haben Wesen, die nicht über eine intellektive Seele verfügen, eine Stimme. Die Stimme genügt den Tieren, um die in ihrer durch Erfreuliches oder Widriges affizierten Einbildungskraft (Imagination) entstehenden Zustände von Lust 81
82
83 84
„Manifestum est autem quod primum quo corpus vivit, est anima. Et cum vita manifestur secundum diversas operationes in diversis gradibus viventium, id quod primo operamur unumquoque horum operum vitae, est anima ; anima enim est primum quo nutrimur, et sentimus, et movemur secundum locum ; et similiter quo primo intelligimus.“ Freilich verlässt Thomas diese generelle aristotelische Grundlage bereits mit dem nächsten Satz, in dem er die These aufstellt, die anima intellectiva sei bei Menschen die Form des Körpers. Damit sind zwei metaphysische Probleme der Seelenlehre angesprochen, die wir hier aber vernachlässigen dürfen: Erstens ist die Seele sowohl Prinzip (des Lebens) als auch Form (des Lebewesens) (Des Chene 2000: 105 ff.). Zweitens kann man sich die Seelenteile je als Formen von Organismen vorstellen. Da aber nur Menschen eine rationale Seele haben, stellt sich die Frage, ob, wie Thomas meint, beim Menschen nur dieser Seelenteil die Form des Körpers darstellt. Genauer gesagt handelt es sich um den intellektiven Teil der rationalen Seele. Hinzu kommt stets der voluntative Teil der rationalen Seele. Der Wille ermöglicht dem Menschen die freie Wahl und Entscheidung. Ich klammere diese für die Handlungstheorie relevante Fragen des freien Willens in der anthropologischen Differenz aus, vgl. dazu jedoch Perler 2004a. Sorabji 1993a: 80-6. Serjeantson 2001.
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Kapitel 1 – Anthropologische Differenz und Frühe Neuzeit
und Unlust auszudrücken. Dem gegenüber verfügt der Mensch durch seine intellektive Seele über differenzierte Begriffe, die er nicht nur stimmlich verlautet, sondern auch sprachlich artikuliert.85 Der aristotelisch-scholastische Hintergrund ist sehr flexibel. Er lässt einerseits liberale Varianten à la Cureau zu. Andererseits aber vertritt Aristoteles selbst und viele seiner scholastischen Interpreten zwar einen assimilationistischen Ansatz, der aber in einer deutlichen anthropologischen Differenz mündet. Die meisten scholastischen Autoren der Frühen Neuzeit vertreten eine Spielart des mentalistischen Rationalismus. Dennoch bleibt innerhalb dieses Modells die Grenze zwischen Tieren und Menschen relativ durchlässig, weil beide über eine Seele verfügen. Allerdings erzeugt dieses Modell eine interne Spannung. Wie wir gesehen haben, argumentieren sowohl Pereira als auch Rorarius vor dem Hintergrund dieses aristotelischen Modells. Pereira schließt, man müsse den Tieren die sensitive Seele absprechen, wolle man ihnen nicht irrigerweise auch eine rationale Seele zusprechen. Tiere sind komplexe materielle Maschinen, die nicht von einer Seele geleitet werden, schon gar nicht von einer rationalen. Aber, so lautet die Nachfrage an dieser Stelle, wie können bloße Automaten sich so intelligent durch ihre Umwelt bewegen, auf sie reagieren und sich angemessen verhalten? Gegen die cartesischen Skeptiker, die behaupten, dass Tiere weder „des Propositions ny des Raisonnemens [sic!] “ bildeten, fordert beispielsweise der liberale Aristoteliker Cureau, sie müssten zeigen können „comment ils [les bestes] connoissent les choses, c’est à dire, comment se fait la simple Conception que tout le monde et luy-mesme leur accorde.“86 Wie können Maschinen sich responsiv derart rational verhalten? Cureau gehört zu jenen Aristotelikern, die der sensitiven Seele und darin insbesondere der Vorstellungskraft, rationale Vermögen zuschreiben. Deshalb können Tiere auch ohne rationale Seele vernünftig sein und aufgrund ihrer praktischen Schlüsse Entscheidungen treffen und danach handeln. Rorarius hingegen gelangt zu dem Resultat, dass die unumgängliche Zuschreibung einer sensitiven Seele uns unweigerlich dazu führt, den Tieren eine rationale Seele zu85
86
Francisco Suàrez erläutert in seinem Kommentar zu De anima (III 20, 3): „Dadurch wird das Sprechen vervollkommnet und von daher kommt ein anderer Unterschied zwischen Stimme und Sprechen, nämlich dass es für die Stimme ausreicht, dass die Imagination signifiziert, während es für das Sprechen erforderlich ist, dass sie (die Imagination) vernünftige Begriffe ausdrückt. Den Tieren, die lediglich einen Sinn für das Angenehme oder Unangenehme beanspruchen können, reicht die Stimme um ihre Affektionen auszudrücken, während den Menschen das Sprechen notwendig ist, sodass sie ihre inneren Begriffe ausdrücken können. (Ex his ergo locutio perficitur unde alia differentia vocis, et locutionis est, quod ad vocem ist satis, si imaginationem significet, ad locutionem vero requiritur, ut expressiva sit rationalis conceptus: brutis enim, quae sensum jucundi et molesti solum vendicant, satis fuit vox ad eas affectiones explicandas: homini vero necessaria fuit locutio, ut posset interiores conceptus declarare)“ (zitiert in Des Chene 2000: 38n). Cureau 1989: 75.
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zusprechen. Doch kein Tier verhält sich zugleich so flexibel und komplex wie der Mensch. Hier stellt sich die umgekehrte Frage, nämlich, wie sich Tiere als rationale Wesen so mechanisch verhalten können. Welche Rolle spielt nun Velásquez’ Hund innerhalb dieser Ordnungen, insbesondere der Seelenordnung? Er stellt eine untere Stufe dar. Er hat lediglich die Funktion, die Stufenordnungen auf dem Gemälde sichtbar zu machen. Man kann seine Distanz zum Spiegel nun so deuten: Der Hund, auf der untersten dargestellten Stufe, ist Inhaber der körperverhafteten vegetativen und sensitiven Seele. Er korrespondiert so mit dem speculum naturale, der Tier und Pflanzen abbildet. Im Spiegel zeigt sich die vom Körper ablösbare rationale Seele. Zwischen dem Spiegel und dem Hund befinden sich die Personen. Sie sind, wie der Hund, Lebewesen. Sie haben jedoch im Unterschied zum Hund eine rationale Seele. Das klingt nun wie eine umformulierte Variante der ersten Deutung. Aber beachten wir doch die unterschiedlichen Akzente! Der Hund fällt nicht aus der Ordnung der Repräsentation hinaus. Er ist Teil einer höherstufigen Ordnung. Der Hund ist nicht schroff dem Spiegel – der „glassy essence“ – entgegengesetzt, sondern es gibt einen gleichsam fließenden Übergang. Ein solcher Übergang war im Falle der beiden an der Rückwand angebrachten Gemälde festzustellen. Mit dieser Überlegung möchte ich die Beobachtung einfangen, dass die vier Elemente einen regelrechten Rahmen um die abgebildete Personengruppe bilden. Erinnern wir uns schließlich daran, dass Palomino meint, der Hund sei im Leiden zahm. Damit schreibt Palomino dem Hund einen sensitiven Zustand zu, eine Schmerzempfindung. Tatsächlich lässt sich die Kopfhaltung des Hundes als eine Reaktion auf den Fußtritt sehen. Der Hund hat eine sensitive Seele, er nimmt wahr, er erinnert und bildet einfache Vorstellungen in der Einbildungskraft. Der Hund ist in dieser Sichtweise kompositorisch in das Gemälde eingefügt. Er „verleiht der Komposition große Harmonie“. Anders formuliert: Velásquez stellt auf Las meninas eine assimilationistische Version der anthropologischen Differenz dar. Zwar ist der Hund deutlich abgesetzt und unterschieden. Aber die Entgegensetzung ist nicht schroff. Ein geordneter Übergang ist vorhanden. 9. Skeptische Deutung: Der „dunkle“ Hund im philosophiehistorischen Umbruch Die Repräsentationsverhältnisse auf Las meninas sind intrikat, und das eben macht das Gemälde so faszinierend und rätselhaft: Kann man die Repräsentation repräsentieren? Nein, meint M. Foucault. Ja, wenn man ein paar scheinbare Paradoxien ausschaltet, meint J. Searle. Nehmen wir weiter den
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Spiegel: Woher kommt sein helles Licht? Was wird gespiegelt: die Vorderseite der abgewendeten Leinwand? Betrachter vor der dargestellten Situation? Nehmen wir schließlich den Künstler: Velásquez ist Abgebildeter und Abbildender. Aber als Abbildender ist er nicht abgebildet. Oder ist der abgebildete Velásquez gerade dabei, Las meninas zu malen, so dass auf der Vorderseite der abgewendeten Leinwand Las meninas entsteht? Das ginge so: Velásquez blickt in einen großen Spiegel und malt das Gemälde, das wir sehen. Wir sehen demzufolge ein abgemaltes Spiegelbild.87 Wenn nun die Repräsentationsverhältnisse so intrikat sind, warum sollten die Ordnungsverhältnisse so stabil sein? Sie scheinen es nicht zu sein: Die Gemälde an der Rückwand eröffnen einen reichen Subtext, der die Beziehung zwischen dem König, dem Maler und dem Tier auf Las meninas in ein anderes Licht rückt. Man bedenke: Ein König wird aufgrund eines Kunstwettstreits in einen Esel verwandelt! Der oberste Teil der abgewendeten Leinwand ist nicht auf derselben Höhe wie das gespiegelte Königspaar. Er ist auf derselben Höhe wie die Gemälde an der Rückwand. Zudem ragt der Kopf des Künstlers über das Königspaar hinaus. Erhöht sich hier Velásquez als Künstler und mit ihm die geschmähte bildende Kunst?88 Das helle Spiegelbild befindet sich nur scheinbar und auf den ersten Blick im Fluchtpunkt der Perspektive. Im Fluchtpunkt liegt die erhellte Türöffnung. Darin steht ein Mann (José Nieto). Wenn es eine vom Hund aufsteigende hierarchische Ordnung gibt, warum ist die an der rechten Wand als speculum maius dargestellte Ordnung verkehrt angebracht, von oben nach unten? Warum ist auf der Rückseite der abgewendeten Leinwand nur mehr das Gerüst der Dreistufenordnung zum Ausdruck gebracht, nicht der Inhalt? Die Stufen der Ordnung sind gegeneinander verschoben. Sie sind in Unordnung. Doch ein anderer Punkt ist wesentlicher. Wir haben die Ordnungen ausgehend von vier Elementen rekonstruiert. Diese Elemente stellen etwas dar. Man sieht, dass sie etwas darstellen. Aber es ist kaum zu sehen, was sie darstellen. Sie sind dunkel. Ich vermute, dass dieses Dunkel entscheidend für Las meninas und vor allem für den Hund darauf ist. Palomino hat wohl den Nagel auf den Kopf getroffen, als er über den Hund bemerkte: „esta figura es obscura“. Diesem Hinweis soll die dritte Deutung nachgehen. Die vier Elemente sind in einem doppelten Sinne dunkel. Einerseits sind sie dunkel dargestellt. Sie sind stark schattiert und unterbelichtet. Deshalb ist nicht erkennbar, was dargestellt ist. Andererseits muss erschlossen werden, was dargestellt ist: Wenn das dargestellte Zimmer das Cuarto bajo des Prinzen ist, dann stellen die beiden Bilder an der Rückwand dieses und die Bilder rechts jenes dar; wenn der Spiegel abbildet, was sich auf der Vorderseite der Leinwand befindet, dann wissen wir, was dort dargestellt 87 88
Brandt 2001. Brown 1986.
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ist; wenn wir Nicolasitos Geste als ein Fußtrittgeben und die Körperhaltung des Hundes als ein Aufschrecken verstehen, dann könnte der Hund eine Schmerzempfindung haben. Das Doppeldunkel umgibt die Personengruppe auf dem Gemälde wie ein regelrechter Rahmen. Einerseits verlieren sich einige Personen etwas im Dunkeln, andererseits muss auch erschlossen werden, was die Personen sehen, mithin auch das, was sie repräsentieren. Wir sehen nur, dass sie sehen. Aber was sehen sie? Eine Antwort lautet: das Königspaar. Diese Antwort ist abhängig von einer anderen Repräsentation auf dem Gemälde. Nämlich davon, dass der Spiegel tatsächlich das Königspaar widerspiegelt. Wir erschließen, was repräsentiert wird, mittels einer anderen Repräsentation. Welches Königspaar ist gespiegelt? Das reale oder das auf der Vorderseite der Leinwand (vielleicht) repräsentierte? Im letzteren Fall erschließen wir, was repräsentiert wird, durch die Repräsentation einer Repräsentation. Was wir also haben, ist Folgendes: Subjekte der Repräsentation und einen Zusammenhang von Repräsentationen, deren reale Objekte wir erschließen müssen. Mit den realen Objekten meine ich die kausalen Objekte der Repräsentation. Kann das reale Objekt erschlossen werden? Der Spiegel ist eine Repräsentation. Er repräsentiert das Königspaar. Doch ist das Königspaar das reale Objekt der Repräsentation? Ja, wenn es sich gleichsam real vor der auf dem Gemälde dargestellten Szene befindet. Es gibt eine weitere Möglichkeit. Die Spiegelung ist lediglich eine Repräsentation dessen, was sich auf der Vorderseite der Leinwand befindet. Das Objekt aber ist nicht das reale Königspaar. Hier eine dritte Möglichkeit: Die Spiegelung ist so übernatürlich erhellt und flüchtig, dass es sich um eine Erscheinung handeln könnte. Von wem auch immer erzeugt und von wem auch immer handelnd. Jedenfalls ist nicht das Königspaar ihr reales Objekt. Woher kann ich wissen, welches das reale Objekt einer Repräsentation ist? Sie könnte durch das entsprechende Objekt erzeugt worden sein, aber auch durch mich selber oder durch irgendetwas anderes, ein höheres Wesen oder einen bösen Dämon beispielsweise. Probleme und Fragen dieser Art kommen Philosophen natürlich bekannt vor. Es sind skeptische Fragen, Fragen bezüglich der Existenz der realen Objekte der Repräsentation. In M. Foucaults und R. Rortys Perspektive ist Las meninas der Inbegriff eines bestimmten Blicks auf die frühneuzeitliche Philosophie, dem gemäß die Repräsentation im Zentrum steht. Die dazugehörige Kurzgeschichte lautet wie folgt: Das Weltbild der Repräsentationen löste das Weltbild des Aristotelismus ab. Das hatte eine üble Nachgeschichte, denn skeptische Zweifel begannen die Philosophie zu beunruhigen. Las meninas bringt die wichtigsten Momente dieser Geschichte in einen bildlichen Zusammenhang.89 Eine andere Seite der Repräsentation 89
Die Betonung der Repräsentation für die Frühe Neuzeit ist freilich problematisch. Zumindest ist sie einseitig, vgl. Yolton 1984 & 1996.
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– der gläsernen Natur des Menschen – ist das bloße materielle Objekt. Das macht ja gemäß der ersten Deutung die Stellung des Hundes auf Las meninas aus: Er passt nicht ins Gemälde der Repräsentation. Andererseits zeigt Las meninas die Ordnungsstrukturen des aristotelisch-scholastischen Weltbildes. Innerhalb dieser Ordnung hat der Hund seinen Platz auf dem Gemälde. Denn er ist in eine Seinsordnung eingebettet. Die Trennung zwischen ihm und den abgebildeten Personen ist nicht strikt. Was ist nun mit dem Hund? Er passt nicht recht ins Gemälde und er fügt sich zugleich kompositorisch in es ein.90 Ausgehend von diesen sich widerstrebenden Sichtweisen und den beiden daran sich anschließenden Deutungen, haben wir nun Velásquez’ Gemälde in den Umbruch der frühneuzeitlichen Philosophie gestellt. Der wesentliche Punkt ist: Die beiden Hintergründe für die erste und zweite Deutung haben sich im Gemälde gleichsam übereinander gelegt. Die Ordnungsstrukturen des aristotelisch-scholastischen Weltbildes sind verschoben und in Unordnung. Skeptische Zweifel werden aufgeworfen. Las meninas zeigt das Weltbild der Repräsentation, das sich noch innerhalb dieser in Unordnung geratenen Ordnung bewegt. Las meninas zeigt einen Übergang. In diesem Übergang ereignet sich mit dem Hund folgendes: Es wird unklar, welchen Platz der Hund einnimmt. Er wird zu einem Problem. Die kleine Szene, die sich zwischen dem Hund und dem Zwerg Nicolasito Pertusato abspielt, ist zweideutig. Man könnte meinen, Nicolasito spiele mit dem Hund. Er krault ihn und der Hund ist gerade dabei, seinen Kopf wohlig zu senken. Oder aber Nicolasito möchte den Hund vertreiben. Er tritt ihn schmerzhaft und der Hund ist gerade dabei, seinen Kopf aufgeschreckt zu heben. Was stellt die Szene dar? Doch unabhängig davon, ob der Hund sich wohlig oder geschmerzt fühlt: Fühlt er überhaupt etwas? Für Palomino war das offensichtlich. Aber vor einem aristotelisch-scholastischen Deutungshintergrund. Vor einem cartesianischen Hintergrund wäre dies keineswegs offensichtlich. Nun sind aber beide Deutungshintergründe vorhanden. Wie soll man das Verhalten des Hundes deuten? Gibt es untrügliche Anzeichen dafür, dass der Hund empfindet, fühlt, sich erinnert, sich etwas vorstellt, denkt oder will? Wie können wir wissen, dass ein Tier einen Geist hat? 90
Zugespitzt kann man sagen, der Hund sei zugleich ein- und ausgeschlossen. Man könnte der Verführung nachgeben, die zugespitzte Formulierung beim Wort zu nehmen. Man würde dann bei G. Agamben und seinen Thesen über die Produktion des „nackten Lebens“ in der anthropologischen Differenz durch die „anthropologische Maschine“ landen, in der sich der Mensch von seinem tierlichen Anteil absetzt und darin „nacktes“ verfügbares Leben herstellt, vgl. Agamben 2002 & 2003. Oder man könnte die Nähe zwischen dem Hund und dem König anhand dieser Zuspitzung wieder aufnehmen. Das Tier und der Souverän haben gemeinsam, dass sie sowohl innerhalb als auch außerhalb der Ordnung (beispielsweise der Rechtsordnung) stehen. Der Souverän über ihr und in ihr, das Tier unter ihr und in ihr. Das sind Themen, die J. Derrida verfolgt, vgl. dazu Derrida 1999 & 2003, Dastur 1997, La Fontenay 1998, Woolfe 2003. Es ist deutlich, dass ich hier einen anderen Weg einschlage.
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Gibt Velásquez mit Las meninas so etwas wie eine Antwort auf diese Fragen? Ich denke nicht. Dies ist nicht seine Aufgabe als Maler. Aber als Maler tut er vielleicht sogar etwas Besseres. Velásquez schafft eine Metapher für den Geist des Tiers. Es gibt kaum Metaphern für den Geist der Tiere. Palomino hat m. E. die Metapher, die Velásquez schafft, prägnant erfasst, wenn er über den Hund sagt: „esta figura es obscura“. Der Geist der Tiere ist dunkel. Die Metapher ist jedoch vieldeutig, wie alle Metaphern. Eine mögliche Interpretation lautet: Der Geist der Tiere ist ähnlich wie der unsrige. Nur ist er leistungsschwächer. Der Geist der Tiere ist so etwas wie unser Dämmerzustand. Er ist höchstens ein dunkler Spiegel. Das entspricht der privativen Zoologie. Eine andere Interpretation wäre diese: Der Geist der Tier ist unzugänglich. Bestimmt haben Tiere einen Geist. Aber wie er auch immer aussieht, es gibt keinen Zugang zu ihm. Der Geist der Tiere ist für uns dunkel. Er ist uns unzugänglich. Denn Tiere leben sozusagen in einer anderen Welt als wir. Dies wäre eine dritte, skeptische Deutung des Hundes auf Las meninas. Sie besagt, dass der Geist des Hundes für uns unzugänglich oder sogar unverständlich ist. Velásquez’ Gemälde veranschaulicht auf eindrückliche Weise, wie vor dem Hintergrund der Kritik und der Zweifel am aristotelischen Weltbild sich unterschiedliche Zugangsweisen zum Geist der Tiere herausbilden. Dieses Tableau ist weit besser geeignet, die Gemengelage der Diskussion um die anthropologische Differenz und den Geist der Tiere in der Frühen Neuzeit vor Augen zu führen, als das weithin rezipierte Standardnarrativ, das Descartes’ These, dass Tiere Maschinen sein, zum Ausgangspunkt nimmt. 10. Methodische Bemerkungen Der Hintergrund von Velásquez’ Gemälde ist eher dunkel. Ich habe dennoch sein interpretatorisches Gewicht ausgenutzt. Ebenso wird in den folgenden Kapiteln die aristotelisch-scholastische Dreiseelenlehre den Hintergrund für die exegetische Arbeit an Montaigne und an Descartes bilden. Dies ist im Falle Descartes’ zwar wenig originell (Abschn. 42-4), aber für Montaigne ein neues und nützliches exegetisches Instrument. Ich werde von der sehr allgemeinen Darstellung des Seelenmodells, wie es das Schema A.1 veranschaulicht, ausgehen (Abschn. 8). Dieses Schema der aristotelisch-scholastischen Fakultätenpsychologie stellt natürlich eine grobe Vereinfachung dar, es blendet sämtliche mit ihm verbundenen metaphysischen Probleme aus und sagt nichts über die Kognitions- oder Erkenntnisprozesse. Dennoch reicht dieser sehr allgemein gehaltene Hintergrund aus und ich werde gegebenenfalls Differenzierungen einführen, wenn diese am Platz sind. Die Wahl dieses Hintergrunds ist nicht nur historisch, sondern auch
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Kapitel 1 – Anthropologische Differenz und Frühe Neuzeit
methodologisch einschlägig. Philosophische Positionen lassen sich als Absetzungsbewegungen von Vorgängerpositionen verstehen. Deshalb besteht eine der wichtigsten methodischen Maximen der folgenden Kapitel darin, dass für die Argumentationen Montaignes, Descartes’ oder Humes zugunsten oder gegen den Geist der Tiere ein genereller Hintergrund rekonstruiert wird, gegen den sie argumentieren. Für Montaigne ist dieses methodische Vorgehen besonders angebracht, da meine Leitthese lauten wird, dass Montaignes Verteidigung der Tiervernunft einen skeptischen Gegendiskurs (im Sinne der pyrrhonischen dynamis antithetiké) darstellt. Und zwar richtet sich Montaigne sowohl gegen die mentalistische Ausprägung des Rationalismus (Abschn. 22) als auch gegen die aristotelisch-scholastischen Ordnungsvorstellungen (Abschn. 27-8). Er benutzt die aristotelische Fakultätenpsychologie als eine Art argumentativen Bumerang, indem er kognitive Vermögen bei Tieren aufweist, die ein Aristoteliker als Ausübungen eines rationalen Seelenvermögens betrachten müsste. Auch Tiere haben ein rationales Vermögen. Im Falle Descartes’ ist die Wahl des „dunkeln“ Hintergrunds wie gesagt wenig originell. Descartes versucht jedoch nicht nur, seine Mechanik der Lebewesen gegen die aristotelische Biologie und Psychologie durchzusetzen, sondern auch – entgegen Montaignes skeptischem Gegendiskurs – den Rationalismus und damit eine sehr starke Form der anthropologischen Differenz zu verteidigen. Diese beiden Absetzungsbewegungen hängen miteinander zusammen, da die cartesische Ablehnung des Seelenmodells alle Versuche zurückweisen muss, die Tieren eine Seele zusprechen, insbesondere eine rationale Seele, denn diese ist im cartesischen Bild der Dinge alleine übrig geblieben (Abschn. 43, Schema A.2). Man muss Descartes’ These als Antwort auf Montaignes skeptischen Gegendiskurs begreifen. Darin besteht gewissermaßen die hermeneutische Dachstruktur der ersten beiden Kapitel dieser Arbeit: Descartes’ These bezüglich der Tiere ist eine Antwort auf die Kritik der anthropologischen Differenz, die Montaigne unternommen hat. Descartes hatte die, wie viele Leser finden, entsetzliche Idee, dass Tiere Maschinen sind; und schuld daran ist sein Substanzdualismus. Dieser Sichtweise kann ich nicht ganz beipflichten. Descartes hatte vielmehr die höchst originelle und außerordentlich fruchtbare Idee, dass Körper Maschinen sind. Menschen und andere Tiere sind komplexe Maschinen. Allerdings geht Descartes zugleich von einer starken anthropologischen Differenz aus, die die Form des Substanzdualismus annimmt. Es ist dieser differentialistische Ansatz, der Descartes’ Idee in beträchtliche Schwierigkeiten führt. Dies ist die Leitthese des Descarteskapitels. Für Hume ist der aristotelische Hintergrund nicht unmittelbar relevant. Aber eine der Hauptintentionen seiner Philosophie rekurriert nach
II. Historischer Zugang
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wie vor auf die Fakultätenpsychologie, die Intention nämlich, den größten Teil der dem rationalen Vermögen zugeschriebenen kognitiven Leistungen dem Vorstellungsvermögen zu überantworten. Damit kann sich Hume von der cartesianischen Bêtes-machine-These absetzen, Argumente Montaignes aufnehmen und den Tieren einen Geist zuschreiben. Ich werde zu Humes Philosophie des Geistes der Tiere jedoch auch im Sinne der Methodologie der Absetzungsbewegungen hinführen, indem ich die assimilationistische Vorgängerposition von Locke skizziere (Abschn. 75-6), die in einer Reformulierung der anthropologischen Differenz gipfelt. Hume nimmt die assimilationistische Position auf, kritisiert jedoch die anthropologische Differenz generell. Er verzichtet – so die Leitthese des Humekapitels – auf eine anthropologische Differenz. Im Unterschied zu Montaigne geht es bei Hume aber nicht darum, Argumente für das rationale Vermögen der Tiere aufzubauen, sondern zu zeigen, dass sowohl Menschen als auch Tiere über dieselbe kognitive Grundausstattung verfügen, die ihre kognitiven Operationen lenkt. Bei Hume findet sich ein bereits bei Montaigne (Abschn. 36, 40) angedeuteter skeptischer Naturalismus durchgesetzt: Die Kritik höherer kognitiver Vermögen und Operationen führt zu einer Betrachtungsweise der kognitiven Fähigkeiten, die die Ähnlichkeit zwischen dem Menschen und anderen Tieren betont. Ich hoffe, die kurze Skizze macht die hermeneutische Dachstruktur der Studie deutlich. Die Positionen Montaignes, Descartes’ und Humes bezüglich des Geistes der Tiere folgen sich in einer Struktur von Entgegnung, Absetzung und Wiederaufnahme vor einem generellen aristotelisch-scholastischen Hintergrund. Innerhalb dieser hermeneutischen Dachstruktur folge ich (zweitens) dem analytischen methodologischen Ansatz einer intensiven Exegese einzelner Textstellen und der Rekonstruktion der vorgebrachten Argumente. Die intensive Exegese bietet sich an, weil die Diskussion des Geistes der Tiere sich an dichten Einzelstellen findet, die genau interpretiert und untereinander verknüpft werden wollen. Die Rekonstruktion der vorgebrachten Argumente bezieht sich einerseits auf die in zentralen Textstellen vorgebrachten Argumente, sie besteht andererseits in der Verknüpfung der unterschiedlichen Textstellen. Allerdings strebe ich ein Gleichgewicht zwischen exegetischer Arbeit und argumentativer Rekonstruktion an, so dass weder die Exegese zum Selbstzweck gerät noch die Rekonstruktion sich verselbständigt. Schließlich werde ich im Verlauf der Studie eine Anzahl von Tierbeispielen aus der aktuellen empirischen Forschung einflechten. Selbstverständlich kann es nicht darum gehen, die Adäquatheit der Thesen bezüglich tierlicher Kognition bei Montaigne, Descartes oder Hume an den experimentellen Standards des 20. Jahrhunderts zu messen. Vielmehr handelt es sich darum, die Schwächen und Stärken der unterschiedlichen Ansätze her-
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Kapitel 1 – Anthropologische Differenz und Frühe Neuzeit
vorheben zu können und insbesondere im Falle Montaignes und Humes scheinbar „überzogene“ oder „anthropomorphisierende“ Thesen plausibilisieren zu können. Dieses Vorgehen unterscheidet sich von zahlreichen philosophiehistorischen Studien, die Philosophen der Vergangenheit an Theoriediskussionen der letzten 30 Jahre messen und sie entweder durchfallen lassen oder ihnen moderne Thesen unterschieben. Die drei Kapitel zu Montaigne, Descartes und Hume sind strukturgleich aufgebaut. Eingangs wird die Leitthese exponiert. In einem zweiten Schritt werden die Autoren innerhalb einer Forschungsdiskussion situiert, die für die Frage nach dem Geist der Tiere und der anthropologischen Differenz relevant ist. Ich werde die These vertreten, dass Montaigne (plus or minus a little bit) ein pyrrhonischer Skeptiker ist und dass seine Verteidigung der Tiervernunft skeptisch zu lesen sei. Descartes’ Bêtes-machine-These wird manchmal – in der Standardinterpretation (Abschn. 41) – so aufgefasst, dass er Tieren alle kognitiven Zustände und jede Empfindungsfähigkeit abspricht, manchmal – in der revisionistischen Interpretation (Abschn. 44) – so, dass er ihnen ausdrücklich Empfindung und Bewusstsein zuschreibt, sie jedoch anders erklären möchte als es die Aristoteliker tun. Meine Strategie besteht dem hingegen darin zu zeigen, dass Descartes letzteres sehr wohl tun möchte, aufgrund seines starken Differentialismus dennoch auf eine Form der Standardauffassung festgelegt bleibt. Hume wird traditionell als negativer Skeptiker betrachtet. Andererseits setzt sich seit einiger Zeit schon eine naturalistische Lesart seiner Philosophie durch. Ich neige der naturalistischen Lesart zu und vertrete die Ansicht, dass Humes Behandlung des Geistes der Tiere diese Lesart stark unterstützt. In einem dritten Schritt werden die Textstellen exegetisch ausgebeutet und die Argumentationen der drei Autoren rekonstruiert, und zwar im Rahmen der im zweiten Schritt eingegangen interpretatorischen Entscheidungen und der oben vorgestellten beiden methodischen Maximen. Abschließend wird auf den moralischen Horizont eingegangen, den die Autoren in ihrer Behandlung der anthropologischen Differenz und mit ihrer Zugangsweise zum Geist der Tiere aufspannen, dies wird insbesondere bei Montaigne und schwächer bei Descartes der Fall sein. Bei Hume hingegen werde ich auf die komplexe Frage der moralischen Differenz nicht eingehen können.
Kapitel II Montaigne – Skepsis und Tiervernunft „To be a naturalist is to see human beings as frail complexes of perishable tissue, and so part of the natural order.“ (Simon Blackburn) 11. Der Diskurs über die Vernunft der Tiere als skeptischer Gegendiskurs Montaigne und Charron sind die Advokaten der Vernunft der Tiere in der intellektuellen Diskussion des 16. und 17. Jahrhunderts.1 Zugleich gelten beide als Skeptiker. Montaignes Essay „Apologie de Raimond Sebond“ ist aufgrund seiner Verteidigung der Vernunft der Tiere und der Exposition einer ganzen Batterie skeptischer Argumente einflussreich geworden.2 Johann Daniel Tietz, der erste deutsche Übersetzer der Versuche des Herren Montaigne (1753/54), sah in der Behauptung der Tiervernunft und im Erkenntniszweifel „zweyerley den gemeinen Meynungen gerade zu wider laufende Sätze“. Allerdings misst Tietz der Behauptung einer Tiervernunft keine große Bedeutung bei.3 Anders der Erkenntniszweifel, den er als überaus bedrohlich, aber widerlegbar ansieht: „Allein, da die Erkenntnis des Wahren und Guten die Quelle der menschlichen Glückseligkeit ist, [...] so verdienen die Schlüsse [...] unstreitig ungleich mehr Aufmerksamkeit“.4 Tietz geht stillschweigend davon aus, dass die „zweyerley Sätze“ nichts miteinander zu tun haben. Der engere Zusammenhang zwischen den beiden Thematiken wurde erstaunlicherweise kaum untersucht.5 Das ist einerseits verwunderlich: 1
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Boas 1933: 54-117, Gontier 1999 & 2000. Charron behandelt die Frage innerhalb seines Hauptwerks De la sagesse (Charron 1986: 207-19). Er hält sich dabei sehr eng an die Überlegungen und das Material, das Montaigne in der „Apologie de Raimond Sebond“ vorträgt, strafft und kürzt. Popkin 2003: 44-79. Montaigne 1992 Bd. 2: v. Montaigne 1992 Bd. 2: v-vi. Auch Gontier 1998 nimmt in seiner wichtigen Arbeit über Montaigne und Descartes den Zusammenhang zwischen dem Diskurs über die Tiere und der Skepsis nicht wahr. Wie Boas 1933: 9-17 reiht er Montaignes Diskurs in das Genre der Paradoxa ein. Mein Zugang besteht darin, sowohl Montaignes Skepsis als auch seine Verteidigung der Vernunft der Tiere ernst
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Kapitel II – Montaigne – Skepsis und Tiervernunft
Weshalb sollten die beiden Themen unverbunden in einem Essay auftreten? Andererseits kann man diese Lesart durchaus nachvollziehen: Wie soll ein Skeptiker, der keine Urteile fällt, das Urteil fällen, dass Tiere vernünftig sind? Die Leitthese dieses Kapitels lautet, dass Montaignes Diskurs über die Vernunft der Tiere Teil seiner Skepsis ist – sie ist ein Gegendiskurs im Sinne der pyrrhonischen dynamis antithetiké. Das bedeutet, dass ich auf die zweite Frage eine Antwort geben muss. Die Antwort lautet, dass das, was Montaigne zugunsten der Vernunft und des Geistes der Tiere vorbringt, insgesamt als skeptischer Gegendiskurs gegen eine dogmatisch gesetzte, anthropologische Differenz gelesen werden muss.
I. Montaigne und die pyrrhonische Skepsis 12. Montaigne als Essayist und als Philosoph Montaigne ist der Verfasser eines einzigen Werks, der Essais.6 Die vom jungen Montaigne angefertigte französische Übersetzung der Theologia naturalis des katalanischen Theologen Raimundus Sebundus kann nicht im selben Maße als Werk bezeichnet werden, obschon die Beschäftigung Montaignes mit der Theologia natürlich wichtig für seinen längsten und wohl einflussreichsten Essay ist, die „Apologie de Raimond Sebond“ (Abschn. 27, 33).7 Denn die Theologia bzw. die gegen dieses Werk vorgebrachte Kritik ist der Ausgangspunkt der „Apologie“. Dieser Essay gibt vor, eine Verteidigung des katalanischen Theologen zu sein. Doch die „Apologie“ kann unabhängig davon als eigenständiger Text betrachtet werden. Innerhalb dieses vielschichtigen und in seinem Materialreichtum schwer zu überblickenden
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zu nehmen. Natürlich hat Montaignes Tierdiskurs auch satirische Züge, wie ich im Abschnitt 30 zeigen werde. Doch die Satire ist pace Boas 1933: 64 nicht der Hauptpunkt. Die Essais werden nach der Ausgabe Villey/Saulnier zitiert, mit Angabe von Buch, Essay, Seite, Textschicht [a] (= erste Ausgabe von 1580), [b] (= zweite Ausgabe von 1588), oder [c] (= Zusätze zum Exemplair de Bordeaux). Auf diese Ausgabe werde ich michstützen, trotz der deutschen Neuübersetzung von Hans Stilett (Montaigne 1998). Diese Übersetzung ist m.E. als Leseausgabe gelungen (vgl. Schmid 2001), der Vorlage gegenüber jedoch bisweilen allzu frei (so auch Westerwelle 1999). Es existiert ein Reprint der Theologia naturalis seu liber creaturum (= Sabundus 1966). Coppin 1925 hat die These vertreten, Montaigne könne als getreuer Übersetzer des Geistes, wenn auch nicht des Buchstabens der Theologia betrachtet werden. Die neuere Philologie hingegen sieht einen gleichsam gegen den Strich lesenden, „ungetreuen“ Übersetzer am Werk (vgl. Hendrick 1996 & Blum 1990). Freilich treibt die Einbeziehung des Übersetzers bisweilen künstliche Blüten. Eine fragwürdige Projektion des späteren Essayisten auf den Übersetzer findet sich bei Westerwelle 2002: 43-132. Eine umfassende Studie zur Auseinandersetzung mit der Theologie hat Bippus 2000 vorgelegt.
I. Montaigne und die pyrrhonische Skepsis
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Texts findet sich Montaignes Darstellung der pyrrhonischen Skepsis (II 12: 502–6) und die Verteidigung der Vernunft der Tiere, Montaignes Bestiaire (II 12: 449–86). Die ersten beiden Bücher der Essais erschienen 1580. In einer erweiterten Auflage von 1588 fügte Montaigne ein drittes Buch und Zusätze zu den bereits vorhandenen Texten bei. Freilich sprengen die Essais den Begriff des in sich geschlossenen Werks und nicht umsonst meint Montaigne, er könnte ewig an seinem Buch weiterschreiben, solange eben Papier und Tinte reichen (III 9: 945). Tatsächlich hat Montaigne bis zu seinem Ende an den Essais gearbeitet. Bis zu seinem Tod ergänzt und verändert er den Wortlaut der Essais in seinem Handexemplar, dem sogenannten Exemplaire de Bordeaux. 8 Auch dies lässt die Anwendung des Werkbegriffs als zweifelhaft erscheinen. Der Tod ist ja nicht, wie Montaigne in einem späten Essay schreibt, Vollendung und Ziel (le but) des Lebens, sondern dessen kontingentes Ende (le bout), so dass auch die Essais ein unvollendetes Ende finden.9 Die Essais sind ein inhaltlich und formal heterogenes, mit unterschiedlichsten Materialien vollgestopftes, verspieltes Buch: 107 Einzelessays aus einem Zeitraum von über 20 Jahren. Es ist durchsetzt mit vorwiegend lateinischen Zitaten und Montaignes vor allem in späteren Überarbeitungen hinzugefügten Selbstkommentaren. Inhalt und Länge der einzelnen Essays variieren beträchtlich. Sie reichen von der Betrachtung eines Ausspruchs von Cäsar (I 53) zu Betrachtungen über den Zorn (II 31), von der Behandlung der Schlacht von Dreux (I 45) zur Behandlung fundamentaler Begriffe wie demjenigen der Erfahrung (III 13), von dem einseitigen Miniaturessay über die Daumen (II 26) zur hundertsechzigseitigen „Apologie“ (II 12). Was hält die Essais zusammen? Montaigne selbst. Wie die kurze Apostrophe „Au Lecteur“ zu verstehen gibt, folgen die Essais keinem anderen manifesten Plan als demjenigen der Selbstdarstellung: „Ainsi, lecteur, je suis moy–mesmes la matiere de mon livre“.10 Doch die Essais tragen trotz aller persönlichen Reminiszenzen keineswegs den Charakter einer Autobiographie. Der belesene Landedelmann bedient sich vielmehr zahlreicher antiker und zeitgeschichtlicher Quellen, die er zum Ausgangspunkt seiner philosophischen, politischen, historischen, lebens- und zeitgeschichtlichen Reflexionen macht.11 Angesichts der Heterogenität der Essais und ihrer Sub8 9 10 11
Die Ausgabe nach dem Handexemplar von Bordeaux hat F. Strowski 1906 ff. mit der sog. „Edition municipale“ unternommen (Montaigne 1981). „[c] Tota philosoforum vita commentatio mortis est. Mais il m’est advis que c’est bien le bout, non pourtant le but de la vie; c’est sa fin, son extremité, non pourtant son object.“ (III 12: 1051-2) Montaigne 1968: 3. Aufgrund seines Interesses an antiken Quellen gilt Montaigne als Humanist (Burke 1993: 15-25, Friedrich 1949: 36-90, 235-8). Bei ihm nimmt die Geschichte des Essays als einer li-
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Kapitel II – Montaigne – Skepsis und Tiervernunft
jektivität kann es nicht verwundern, dass dieses Buch sehr unterschiedliche Interpretationen erfahren hat. F. Strowski hat darauf hingewiesen, dass es vier Perspektiven gäbe, unter denen man Montaigne betrachten könne: als unterhaltsamen Plauderer, als raffinierten Künstler, als vagabundierenden Nachdenker oder als systematischen Philosophen.12 Gerade letzteres ist immer wieder in Frage gestellt worden. Wie steht es mit Montaigne, dem systematischen Philosophen? Montaigne philosophe – so lautet der Titel eines kleinen Buchs.13 Niemand braucht ein Buch mit dem Titel Aristoteles als Philosoph oder Kant als Philosoph zu schreiben. Diese Autoren sind schlechthin Philosophen. Die Vielzahl der Deutungsansätze, die inhaltliche und formale Heterogenität der Essais und Montaignes essayistische Schreibweise lassen die Frage aufkommen, ob Montaigne überhaupt ein Philosoph sei. Autoren mit einer starken Neigung zum Literarischen, Aphoristischen oder zum Essayistischen haben Schwierigkeiten, umstandslos in die Philosophie aufgenommen zu werden. Den Hintergrund des Ausschlusses bildet meistens ein bestimmtes Verständnis von Philosophie. Dies zeigt sich beispielsweise an den Reaktionen von Nicholas Malebranche und Hegel auf Montaigne. Malebranche hat Montaigne den Philosophenrang streitig gemacht. Die Recherche de la vérité widmet den Essais ein eigenes Kapitel („Le livre du Montaigne“), in dem das Buch scharf angegriffen wird (Recherche II 3, 514): Montaigne sei kein echter an Wahrheit interessierter Philosoph, sondern ein selbstverliebter Schwätzer, Skeptiker und Wirrkopf, der es lediglich auf die Einbildungskraft gutgläubiger Leser und die Erregung ihrer Leidenschaften abgesehen habe. Er ist vor allem kein systematischer Philosoph, denn weder Prinzipien zur Begründung von Schlüssen noch eine Ordnung der deduktiven Darstellung sei auszumachen. Die Essais bestünden einzig aus „de traits d’histoire, de petits contes, de bon mots, des distiques et d’apophtegmes“. Montaigne besitze zwar „une certaine intelligence pour ce qui touche les sens“, nicht aber eine „intelligence de la vérité“. Seine Verehrer würden nicht durch Gründe, sondern „par la force de son imagination“ gewonnen. Immerhin, Montaigne wird im 17. Jh. durchaus als Philosoph zur Kenntnis genommen. Das beweisen nicht nur die Auseinandersetzungen, die Descartes und Pascal mit den Essais führten.15 Das beweist gerade auch die Re-
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terarischen Form ihren Anfang (Scharf 1999). Die Geschichte des Autonomiegedankens oder die Entdeckung des Individuums und der Subjektivität haben in den Essais einen plausiblen Ausgangspunkt (Schneewind 1990: 37-63, Schneewind 1998: 37-57, Taylor 1989: 17784, Bürger 1998: 38-43). Strowski 1931: 2-11. Maclean 1996. Für weitere Interpretation der Essais als philosophischem Projekt sei besonders auf Schaefer 1990, Gontier 1998, Levine 2001, Hartle 2001 verwiesen. Malebranche 1991: 275-84. Brunschvicg 1942.
I. Montaigne und die pyrrhonische Skepsis
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aktion von Malebranche.16 Im 19. Jh. findet Hegel in den Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte durchaus lobende Worte für Montaigne. Doch die Schriften Montaignes „können nicht zur eigentlichen Philosophie gerechnet werden, sie gehören zum gesunden Menschenverstand“ bzw. zur „allgemeinen Bildung“. Montaigne mache „nicht die höchste Frage, welche die Philosophie interessiert, zum Gegenstand seiner Untersuchungen“. Darüber hinaus räsoniere Montaigne „nicht aus dem Gedanken“ heraus.17 Hier sind sich Hegel und Malebranche in ihrem Argwohn einig: Montaigne spricht nicht als Philosoph. Man sollte diesen Argwohn nicht unbeachtet lassen. Denn Montaigne hält in der Tat eine gewisse Distanz zur Philosophie. Dies zeigt sich unter anderem an Montaignes Selbsteinschätzung. Er behauptet von sich sowohl: „[c] Je ne suis pas philosophe“ (III 9: 950) als auch: „[c] Nouvelle figure: un philosophe impremedité et fortuite“ (II 12: 546). Diese Distanz, die offensichtlich doch nicht von der Philosophie lassen kann, zeichnet ihn in meinen Augen als einen Skeptiker aus. Denn Skeptiker sind Philosophen, die Schwierigkeiten mit der Philosophie haben, und zwar mit der jeweils dominierenden Form der dogmatischen Philosophie. Eine Philosophie, die behauptet, ein aus einem grundlegenden Prinzip hergeleitetes System wahrer Sätze zu sein, wird den Skeptiker zur Distanznahme herausfordern. Der Skeptiker richtet sich sowohl gegen den Wahrheits- als auch gegen den prinzipiengestützten Systemanspruch der Philosophie. Er tut dies, indem er ein für die betreffende Philosophie grundlegendes Prinzip in Zweifel zieht. Für die antiken akademischen Skeptiker war dies die stoische Definition des unbezweifelbaren Sinneseindrucks.18 Für Francisco Sánchez war dies im 16. Jh. die aristotelisch-scholastische Definition des Wissens.19 Für einen Philosophen der 70er Jahre des 20. Jhs. konnten dies Schwierigkeiten mit dem Deutungsmonopol der Geschichtsphilosophie sein.20 Und für Montaigne? Natürlich ist für Montaigne, wie für seinen Zeitgenossen Sánchez, Aristoteles „le prince des dogmatistes“ (II 12: 507).21 Doch wie wir sehen werden, richtet sich Montaigne weniger gegen einzelne, spezifische Positionen, als vielmehr gegen ein generelles Bild der anthropologischen Differenz, das auch eine aristotelisch-scholastische Artikulation kennt (Abschn. 20, 27, 33). 16 17 18 19 20 21
Schmaltz 1996: 129-33. Hegel 1969 ff. Bd. 20: 17, 48. Hegel reiht Montaigne und Charron unter die „Ciceronianischen Populärphilosophen“ ein. Das Echo davon findet sich noch bei Risse 1964: 77. Cicero 1995. Sánchez 1988. Marquard 1973: 28-33. Maclean 1998: 22-56 liest Montaigne als Kritiker der aristotelisch-scholastischen Schulphilosophie, bezieht sich dabei aber weniger auf die Psychologie, wie ich es im Folgenden tun werde, als vielmehr auf das aristotelische Organon; vgl. auch Christodoulou 1978, O’Brien 1992.
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Kapitel II – Montaigne – Skepsis und Tiervernunft
Montaignes Ausschluss aus der Philosophiegeschichte liefert zwei weitere wichtige Hinweise. Zum einen täuscht sich Hegel, wenn er glaubt, dass es Montaigne nicht um „die höchste Frage“ gehe, die die Philosophie zu interessieren habe, die Vernunft nämlich. Zum anderen hat Hegel nicht unrecht, wenn er meint, Montaigne philosophiere „nicht aus dem Gedanken“ heraus. Montaigne stellt die Vernunftfrage nämlich im Hinblick auf das, was nach Hegel gedankenlos ist: „[E]s kann in unseren Tagen nicht oft genug daran erinnert werden, dass das, wodurch sich der Mensch vom Tiere unterscheidet, das Denken ist.“22 Montaigne fragt in der „Apologie“ nach der Vernunft der Tiere. Wenn Montaigne sich der Vernunft der Tiere zuwendet, dann tut er dies einerseits, um die (von Hegel in Erinnerung gerufene) Position anzugreifen, dass nur der Mensch ein denkendes und mithin ein vernünftiges Wesen ist, andererseits um die Behauptung in Zweifel zu ziehen, dass der Mensch aus dem Denken und aus der Vernunft begriffen werden soll. 13. Montaigne als Skeptiker Gemäß der Standarddeutung der älteren Montaignephilologie ist die Skepsis der „Apologie“ lediglich ein Übergang für Montaigne. In den Essais finden sich die Stationen der philosophischen Entwicklung des Autors, der sich vom gestrengen Stoiker über den verzweifelten Skeptiker final zum entspannten Epikureer und Weisen gemausert haben soll.23 Wie bereits erwähnt, meint Montaigne in seinem letzten Essay (III 13), der Tod sei nicht das Ziel, sondern lediglich das Ende des Lebens. In einem frühen stoischen Essay „Que philosopher c’est apprendre à mourir“ (I 20) hingegen weist er dem Tod noch die Rolle des Ziels unseres Lebens zu, auf das wir uns mit allen Mitteln vorzubereiten hätten, um ihm furchtlos zu begegnen.24 Hier, so 22
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Hegel 1969 ff. Bd. 5: 20; vgl. ebenso: „Die Philosophie kann zunächst im allgemeinen als denkende Betrachtung der Gegenstände bestimmt werden. Wenn es aber richtig ist (und es wird wohl richtig sein), dass der Mensch durchs Denken sich vom Tiere unter scheidet, so ist alles Menschliche dadurch und allein dadurch menschlich, dass es durch das Denken bewirkt wird.“ (Hegel 1969 ff. Bd. 8: 41-2). Strowski 1931, Villey 1932. P. Villeys Deutung einer persönlichen pyrrhonischen Krise Montaignes übernimmt Popkin 2003: 43 für die These einer „crise pyrrhonienne“ im 17. Jh. Sogar wenn das Entwicklungsmodell zutrifft, ist es schleierhaft, wie man auf den Gedanken kommen kann, die pyrrhonische Phase sei eine Krise gewesen. Henri Etienne, Montaigne, Charron und andere erlebten die Skepsis als Befreiung. Das Bild vom verzweifelten Skeptiker entsteht später. Die frühen Essays werden als Versuche einer Aneignung der stoischer Tugendlehre betrachtet. Sie würden sich unter anderem auch durch eine grössere Unpersönlichkeit als spätere Essays auszeichnen. Dass Montaigne jedoch von Anfang an auch von sich spricht zeigt Heller 1995.
I. Montaigne und die pyrrhonische Skepsis
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scheint es, ist der Weg vom stoischen Exerzitium zur epikureischen Selbstgenügsamkeit beschritten worden. Die eingangs angezweifelte Werkkategorie deutet bereits darauf hin, dass die Essais schwerlich in ein Entwicklungsschema gepresst werden können.25 In der neueren literaturwissenschaftlichen Forschung ist Montaigne denn auch „en mouvement“ geraten.26 Weniger die Stationen der Entwicklung als vielmehr die Dynamik selber interessiert. Weniger der philosophische Gehalt der Essais als die Rhetorik ihrer Darstellung sind entscheidend.27 Und diese Rhetorik wird unter anderem als skeptische gedeutet. Die heterogene Form des Buches selbst ist skeptisch, denn die durch Montaigne erschaffene literarische Form des Essays kann durchaus als eine genuin skeptische Form betrachtet werden. Man darf die unterschiedlichen Entstehungsstufen der Essais nicht als Nacheinander, sondern als bewusstes Nebeneinander, ja Gegeneinander verstehen. Dies sind wertvolle, zutreffende Beobachtungen. Es gilt jedoch, nicht aus den Augen zu verlieren, dass bei Montaigne manière et matière zusammengehören,28 so dass weder zulasten des Gehalts noch zulasten der Darstellung vereinseitigt werden darf. In den Essais findet sich Widersprechendes einander entgegengesetzt (wie das Beispiel vom Tod als but bzw. als bout zeigt). Der pyrrhonische Skeptiker tut just dies: Widersprechendes einander entgegensetzen (Abschn. 14). Wie in der Apostrophe an den Leser deklariert, ist Montaigne selbst Inhalt der Essais. Montaigne „malt“ sich selbst (c’est moy que je peins), genauer seine Gedanken: „[c] Je peins principalement mes cogitations, subject informe, qui ne peut tomber en production ouvragere.“ (II 6: 379) Auch hier ergibt sich eine Parallele zum pyrrhonischen Skeptiker, der nicht zu sagen weiß, wie die Dinge an sich selbst sind, sondern nur, wie sie ihm im Moment in seiner Perspektive erscheinen (Abschn. 14, 26). Als Minimalkonsens kann man feststellen: Montaigne der Skeptiker zeichnet sich durch zwei Merkmale aus, einerseits durch die Methode der Entgegensetzung von sich widersprechenden Aussagen und andererseits durch den Rückgang auf die Subjektivität. Diese beiden skeptischen Züge der Essais sind geläufig und sie lassen sich detailliert in den Essais aufweisen.29 Was jedoch darüber hinausgeht ist strittig.30 Denn selbst wenn man Montaigne als Skeptiker betrachtet, divergieren die Deutungen. Ralph Waldo Emerson31 reihte Montaigne in Die sechs
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Frame 1955: 6-7, Tetel 1973. Starobinski 1983. Regosin 1984, McKinley 2001. Tournon 1983, Nakam 1992. Dumont 1972: Kap. 3, Tournon 1983, Poletti 1984, Pouilloux 1995, Brahami 1997: 58-103, Olejniczak Lobsien 1999: 44-8, Kap. 3, Westerwelle 2002: 199-230. Hartle 2003: 242-4. Keel 1992: 115-49.
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Kapitel II – Montaigne – Skepsis und Tiervernunft
Repräsentanten der Menschheit als „The Skeptic“ ein, Max Horkheimer32 erkannte in Montaigne einen konservativen, bürgerlichen und den totalitären Zumutungen gegenüber hilflosen Skeptiker, H. Friedrich,33 St. Zweig oder A. Gide34 hingegen feierten Montaigne je auf ihre Weise als Vertreter eines skeptischen, liberalen Humanismus, und für die philosophiehistorische Skepsisforschung ist Montaigne eine der Gründerfiguren der neuzeitlichen Skepsis.35 Doch einige Philosophiehistoriker schreiben ihm höchstens die Rolle eines Stichwortgebers zu, der skeptisches Material aus den neu übersetzten Schriften von Sextus Empiricus übernehme und damit das Terrain für den philosophisch ernstzunehmende Skeptizismus bei Descartes vorbereite.36 Auch die Bewertung der beiden Minimalmerkmale ist strittig. Ist die Betonung der Subjektivität ein Rückzug auf sich selbst oder der Gewinn eines neuen Terrains? Führt die Entgegensetzung von Meinungen zu einem geschärften Urteil oder zu einem Urteilsverzicht? Bedeutet diese Skepsis eine Offenheit für Neues oder eine Beharrung im Alten? Ist Montaigne ein Liberaler, der uns lehrt frei zu sein, oder ein Konservativer, der uns lehrt zu gehorchen?37 14. Pyrrhonische Skepsis bei Sextus Empiricus und bei Montaigne Von zeitgenössischen Lesern wurde Montaigne als freigeistiger Pyrrhoniker entweder begrüßt oder geschmäht.38 Montaigne orientiert sich in der Darstellung der Skepsis in der „Apologie“ tatsächlich stark an Sextus Empiricus’ Grundriss der pyrrhonischen Skepsis.39 Meines Erachtens sollte man Montaigne als einen pyrrhonischen Philosophen betrachten.40 Dazu müssen zwei Fragen berücksichtigt werden: Wie rekonstruiert Montaigne die pyrrhonische Skepsis? Welche Akzente setzt Montaigne in der Rekonstruktion? Sextus definiert nun die pyrrhonische Skepsis wie folgt: „Die Skepsis ist die Kunst [dynamis antithetiké], auf alle mögliche Weise erscheinende und gedachte Dinge einander entgegenzusetzen, von der aus wir wegen der Gleichwertigkeit [isostheneia] der entgegengesetzten Sachen und Argumente zuerst zur Zurückhaltung [epoché], danach zur Seelenruhe [ataraxia] gelangen.“ (Sextus 1968: 94/PH I 8)
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Ebd. 353-431. Friedrich 1949. Keel 1992: 9-92, 149-177. Popkin 2003. Hankinson 1995: 12. Wild 2007. Millet 1995. Vgl. Floridi 2002: 13-51, 72-7. Wild 2000.
I. Montaigne und die pyrrhonische Skepsis
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Der Skeptiker stellt auf jede mögliche Weise sich widersprechende Meinungen, Argumente und Dinge gegenüber. Es handelt sich um eine fortwährende philosophische Tätigkeit der Entgegensetzung (dynamis antithetiké). Stets können ja neue Meinungen, Theorien und Argumente und natürlich auch neue oder unbekannte Ereignisse, Tatsachen oder Objekte auftreten. Die Essais charakterisieren den Pyrrhonismus denn auch als eine Daueraktivität: „[a] [L]a profession des Pyrrhoniens est de branler, douter et enquerir, ne s’assurer de rien, de rien ne respondre“ (II 12: 502) Montaigne akzentuiert das dynamische Moment der pyrrhonischen Tätigkeit. Die pyrrhonische Skepsis ist für Sextus Empiricus eine Form des Philosophierens jenseits von dogmatischer Gewissheit oder dogmatischer Unwissenheit. Ein Pyrrhoniker hat weder entdeckt, dass nichts gewusst werden kann (wie die akademischen Skeptiker) noch, dass etwas gewusst werden kann (wie die Dogmatiker). Er sucht noch. „[a] Toute la philosophie est départie en ces trois genres. Son dessein est de rechercher la verité, la science et la certitude. Les Peripateticiens, Epicuriens, Stoiciens et autres, ont pensé l’avoir trouvée. Ceux–cy ont estably les sciences que nous avons, et les ont traittées comme notices certaines. Clitomachus, Carneades et les Academiciens ont desesperé de leur queste, et jugé que la verité ne se pouvoit concevoir par nos moyens. La fin de ceux–cy, c’est la foiblesse et humaine ignorance; ce party a eu la plus grande suyte et les sectateurs les plus nobles. Pyrrho et autres Skeptiques […] disent qu’ils sont encore en cherche de la verité.“ (II 12: 502)
Montaigne folgt akkurat der Unterteilung von Sextus (1968: 93/PH I 1– 4). Zurecht, denn die antidogmatische Stoßrichtung ist grundlegend für die pyrrhonische Skepsis. Die folgende Begründung aber der Vermessenheit der positiven und der negativen Dogmatiker findet sich so bei Sextus nicht. „Ceux–cy [Pyrrho et autres Skeptiques] jugent que ceux qui pensent l’avoir trouvée, se trompent infiniement; et qu’il y a encore de la vanité trop hardie en ce second degré qui asseure que les forces humaines ne sont pas capables d’y atteindre. Car cela, d’establir la mesure de nostre puissance, de connoistre et juger la difficulté des choses, c’est une grande et extreme science, de laquelle ils doubtent que l’homme soit capable.“ (II 12: 502)
Montaigne bezieht sich auf eine zu kühne Überheblichkeit (la vanité trop hardie), die sich vermisst, die Dinge nach ihrem Maßtab zu messen. Er hebt die pyrrhonische Pointe hervor, dass wir uns unter den verschiedenen Meinungen bezüglich der Natur der Dinge nicht zu entscheiden vermögen – denn es fehlt ein zuverlässiges Entscheidungskriterium – und unterstreicht, dass die dogmatische Entscheidungszuversicht die Kräfte des Menschen (les forces humaines) und seine Fähigkeiten (l’homme soit capable) übersteigt. Montaigne legt den Akzent also nicht nur auf die Schwierigkeit der Erkenntnis der Dinge (connoistre et juger la difficulté des choses), sondern auf die zur objektiven Erkenntnis wenig geeignete Perspektive des Menschen (Abschn. 25–6).
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Kapitel II – Montaigne – Skepsis und Tiervernunft
Die Dynamisierung und die antidogmatische Stoßrichtung sind für Montaignes Rezeption der Skepsis zentral. Ich werde in der folgenden Diskussion von sieben Charakteristika der pyrrhonischen Skepsis ausgehen: 1. 2. 3. 4. 5.
die grundsätzlich antidogmatische Stoßrichtung, die philosophische Technik der Entgegensetzung (isostheneia), die Urteilsenthaltung angesichts gleichwertiger Meinungen (epoché), das subjektive therapeutische Ziel der Seelenruhe (ataraxia), das intersubjektive therapeutische Ziel der Bekämpfung der Voreingenommenheit des positiven Dogmatikers, 6. die Orientierung an den Erscheinungen und an den vier Praktischen Kriterien, 7. der Einsatz der Tropen. Wie wir sehen werden, betonen viele Interpreten aufgrund der eingangs zitierten Definition der pyrrhonischen Skepsis durch Sextus lediglich die Punkte (2) bis (4). Diese Punkte sind sicher zentral, charakterisieren aber den Pyrrhoniker unzureichend. Ich werde Montaigne als einen Pyrrhoniker darstellen, der das Charakteristikum (4) zurückweist (Abschn. 15) und das Charakteristikum (5) stärkt. Dem wichtigen Punkt (7) ist ein eigener Abschnitt gewidmet (Abschn. 16). Abschließend setze ich mich kritisch mit der fideistischen Standardlesart der „Apologie“ (Abschn. 17) und einem Einwand gegen die pyrrhonische Lesart auseinander (Abschn. 18). Diese Diskussion bereitet die Entfaltung der Leitthese vor, die Montaignes Diskurs über die Tiervernunft als Teil seiner Skepsis ansieht. Wie sieht die dynamische Tätigkeit des Skeptikers genauer aus? Für beide Seiten sich widersprechender Meinungen kann der Pyrrhoniker Meinungen und Argumente anführen, aber er findet kein Kriterium, gemäß dem er sich zugunsten der einen oder der anderen Seite entscheiden könnte. So bleiben beide Seiten gleichwertig oder unbestimmt: „[a] Il n’y a raison qui n’en aye une contraire, dict le plus sage party des philosophes.“ (II 15: 612; vgl. II 17: 654) Aufgrund der Gleichwertigkeit des Entgegengesetzten enthält sich der Skeptiker der Zustimmung. Er übt sich in der Urteilsenthaltung. Da der pyrrhonische Skeptiker seine Zustimmung zurückhält und sich des Urteils enthält, hat er in einem bestimmten Sinne keine Meinungen. Zwar erscheinen ihm die Dinge so und so, aber ob die Dinge wirklich so sind, wie sie ihm erscheinen, darüber enthält er sich des Urteils. Das bedeutet, dass er seinen Erscheinungen nicht zustimmt. Montaigne hebt die Urteilsenthaltung hervor, wenn er schreibt: „[a] c’est une pure, entiere et tres–parfaicte surceance et suspension de jugement.“ (II 12: 505) Auch an diesem Punkt unterstreicht Montaigne wiederum das dynamische Moment der Skepsis: „[a] Quiconque imaginera une perpetuelle confession d’ignorance, un jugement sans pente et sans inclination, à quelque occasion
I. Montaigne und die pyrrhonische Skepsis
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que ce puisse estre, il conçoit le Pyrronisme.“ (II 12: 505) Es ist zu betonen, dass sowohl die Tätigkeit der Entgegensetzung, die Einsicht in die Gleichwertigkeit und die Urteilsenthaltung subjektiver Natur sind. Der Skeptiker ist nicht der Ansicht, dass sich hier Argument und Gegenargument objektiv die Waage halten. Wie könnte er auch? Ihm scheint es so. Alles, was der Skeptiker sagt oder denkt, wird von einem expliziten oder impliziten „Mir scheint, dass“ begleitet.41 Der Pyrrhoniker führt ein Leben ohne Meinungen. Aber nicht ohne Erscheinungen. Dem Skeptiker erscheinen die Dinge so und so. Die subjektiven Erscheinungen sind das einzige theoretische Kriterium, das Sextus gelten lässt. Die subjektiven Erscheinungen sind, wie wir bereits feststellen konnten, der Gegenstand von Montaignes Essais. Der Skeptiker lebt sein Leben nicht nur gemäß seinen subjektiven Erscheinungen, sondern auch gemäß praktischen Kriterien (Charakteristikum 6): „[a] Quant aux actions de la vie, ils sont en cela de la commune façon. Ils se prestent et accommodent aux inclinations naturelles, à l’impulsion et contrainte des passions, aux constitutions des loix et des coustumes et à la tradition des arts. […] Ils laissent guider à ces choses là leurs actions communes, sans aucune opination ou jugement.“ (II 12: 505)
Montaigne wiederholt hier die von Sextus vorgeschlagenen vier praktischen Kriterien, an denen sich der Skeptiker im alltäglichen Leben orientiert, nämlich: unsere natürliche Ausstattung, die Einflüsse der Empfindungen und Affekte, die Gepflogenheiten der Gesetze und Gewohnheiten sowie die erlernten Fähigkeiten. Leider sagt Sextus nicht viel über diese vier Kriterien. Er erklärt lediglich, dass der natürlichen Ausstattung das Denken und das Wahrnehmen entspreche, dass Hunger den Skeptiker veranlasse zu essen und Durst ihn dazu bringe zu trinken, dass er in Übereinstimmung mit der lokalen Religion Gottesfurcht für gut und Gottlosigkeit für schlecht halte und dass er erlernte Fertigkeiten ausübe (Sextus 1968: 99/PH I 11).42 Das klingt, als würde das jedermann tun. Skeptiker sind bezüglich ihrer Alltagspraxis tatsächlich ziemlich gewöhnliche Menschen (ils sont en cela de la commune façon). Was sie aber hervorhebt, das ist die dauernde Selbstrelativierung ihrer Meinungen und Urteile.43 41
42
43
Vogt 1998: 72-128. Was die pyrrhonischen Erscheinungen genau bedeuten, ist freilich umstritten. Stough 1969: 119 hat die Phantasia folgenreich mit den Eindrücken identifiziert, die ein Subjekt erlebt. Mit dieser protophänomenalen Lesart setzt sich Bailey 2002: 214-55 kri. tisch auseinander, ohne jedoch eine klar konturierte Alternative zu entwickeln. Stough 1969: 4 gibt der praktischen Orientierung bei Sextus ein eigenständiges Gewicht. Dies ist kritisiert worden, weil es weniger Bestandteil des Pyrrhonismus als viel mehr Bestandteil der privaten Orientierung des Pyrrhonikers sei, wie Striker 1996b: 183 meint. Ich sehe jedoch nicht ein, warum die Orientierung des Pyrrhonikers nicht essentieller Bestandteil seiner Philosophie sein soll. Jedenfalls kann man für Montaigne geltend machen, dass die Möglichkeit der praktischen Orientierung zu seiner Philosophie gehört und für diese sogar einen Test darstellt, vgl. Schneewind 1998: „[a] Pyrrho, celuy qui bastit de l’ignorance une si plaisante science, essaya, comme tous les autres vrayement philosophes, de faire respondre sa vie à sa doctrine.“ (II 29: 705) Frede 1979.
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Kapitel II – Montaigne – Skepsis und Tiervernunft
15. Das Problem des Ziels der pyrrhonischen Skepsis Was will der Pyrrhoniker erreichen? Mit der Antwort auf diese Frage gelangen wir zu Charakteristium (4): Indem der Skeptiker sich der Zustimmung enthält, bemerkt er, dass sich bei ihm die Seelenruhe einstellt. Dieser glückliche Zustand ist das Ziel der Skepsis. Auch das Ziel ist subjektiv. Deshalb spricht Montaigne von „[a] leur Ataraxie“ (II 12: 503). Montaigne führt die Seelenruhe nicht allein im Rahmen seiner Rekonstruktion des Pyrrhonismus an, sondern er nimmt sie auch in einen seiner Meinungskataloge der „Apologie“ auf, und zwar in den Katalog der Antworten auf die Frage nach dem höchsten Gut: [a] Nil admirari prope res est una, Numaci, / Solaque quae possit facere et servare beatum, [Horaz, Ep. I 4, 1] qui est la fin de la secte Pyrrhonienne); [c] Aristote attribue à magnanimité rien n’admirer. [a] Et disoit Archesilas les soustenemens et l’estat droit et inflexible du jugement estre les biens, mais les consentements et applications estre les vices et les maux. Il est vray qu’en ce qu’il l’establissoit par axiome certain, il se départoit du Pyrronisme. Les Pyrrhoniens, quand ils disent que le souverain bien c’est l’Ataraxie, qui est l’immobilité du jugement, ils ne l’ entendent pas dire d’une façon affirmative; mais le mesme bransle de leur ame qui leur faict fuir les precipices et se mettre à couvert du serein, celuy là mesme leur presente cette fantasie et leur en faict refuser une autre.“ (II 12: 578).
Am Beispiel des Archesilaos, dem die Einführung der Skepsis in die platonische Akademie zugeschrieben wird, zeigt Montaigne, dass er sich des Problems bewusst war, dass die dogmatische Festschreibung eines bestimmten Ziels vom Pyrrhonismus wegführt. Deshalb präsentiert er die Seelenruhe der Pyrrhoniker lediglich als eine Bewegung ihrer Seele (bransle de leur ame). Bei Sextus findet sich dafür die Formulierung, die Seelenruhe folge der Urteilsenthaltung wie der Schatten dem Körper (Sextus 1968: 100/PH I 29). Der Vergleich soll zeigen, dass die Seelenruhe kein absichtlich verfolgtes Ziel ist, sondern sich vielmehr einfach ergebe. Der Pyrrhoniker findet sich nach der Urteilsenthaltung einfach im Zustand der Seelenruhe. Warum soll er sich glücklich schätzen, wenn er ausgerechnet dieses Ziel erreicht? Warum sollte man gerade diesen glücklicherweise erreichten Zustand als Ziel festhalten wollen? Es gibt keinen Grund, gerade dieses Ziel für intrinsisch wertvoll zu halten, vor allem dann nicht, wenn es lediglich als subjektiver Zustand beschrieben wird. Montaigne hält die Seelenruhe nicht für ein ausgezeichnetes Ziel. Er betrachtet sie als Ziel unter anderen. Deshalb nimmt er sie in den Katalog der höchsten Güter als Ziele unseres Tuns auf.44 Offensichtlich kann Montaigne nicht viel mit diesem Ziel anfangen. 44
Die Seelenruhe ist ein übergreifendes Ziel der eudaimonistischen Ethiken in den Philosophenschulen im hellenistischen Zeitalter (Horn 1998: 85-108). Vgl. zur ataraxia beiden Epikureern und Pyrrhonikern und zur Problematik ihrer negativen und vor allem subjektiven Bestimmung bei letzteren Striker 1996b, Nussbaum 1994: 280-315.
I. Montaigne und die pyrrhonische Skepsis
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Die Essais strahlen wenig Seelenruhe aus. Sie sind die Darstellung einer beständigen Unrast des Denkens, von: „[c] mes cogitations, subject informe, qui ne peut tomber en production ouvragere“ (II 6: 379). Manche Interpreten neigen deshalb dazu, Montaigne als einen Skeptiker in der akademischen Tradition eines Archesilaos zu betrachten.45 Dieser Schluss beruht auf folgenden Prämisse: Es gibt zwei Sorten antiker Skeptiker, akademische und pyrrhonische und Pyrrhoniker unterscheiden sich von Akademikern durch das Ziel der Seelenruhe. D. Sedley sieht das Ziel der akademischen Skepsis primär in der epoché, das Ziel der antiken pyrrhonischen Skepsis hingegen in der ataraxia.46 Die antike Skepsis hat gleichsam in einem practical turn eine Wende von einer akademisch–theoretischen zu einer pyrrhonisch–praktischen Orientierung durchgemacht. Wer also Skeptiker ist und nicht das Ziel der Seelenruhe verfolgt, der ist ein akademischer Skeptiker. Was ist falsch an diesem Schluss? Nun, Montaigne ist kein antiker, sondern ein neuzeitlicher Skeptiker. Seine Distanz gegenüber der Seelenruhe sollte nicht so verstanden werden, dass er eine eher akademisch ausgerichtete Skepsis vertreten würde. Betrachtet man die antike Skepsis in einer historischen Entwicklung, die sich vor allem in der Abänderung der Zielvorgabe festmachen lässt, warum sollte dann nicht dasselbe auf die Frühe Neuzeit zutreffen? Ich sehe nicht, was dagegen spricht. Worin aber sieht Montaigne dann das Ziel des pyrrhonischen Philosophierens? Montaigne versteht die pyrrhonische Seelenruhe als: „[a] condition de vie paisible, rassise, exempte des agitations que nous recevons par l’impression de l’opinion et science que nous pensons avoir des choses. D’où naissent la crainte, l’avarice, l’envie, les desirs immoderez, l’ambition, l’orgueil, la superstition, l’amour de nouvelleté, la rebellion, le desobeissance, l’opiniatreté et la pluspart des maux corporels.“ (II 12: 503)
Das pyrrhonische Streben, das Leben frei von Erschütterungen durch dogmatische Meinungen zu halten, ist für Montaigne nicht intrinsisch wertvoll. Die Seelenruhe ist kein selbstgenügsames Ziel. Das Problem, wie Montaigne es sieht, besteht darin, dass der Dogmatismus zur Ungezügeltheit, zu Lastern, Aufruhr und Leid führt.47 Das Ziel ist die Therapie des Dogmatismus, der in Montaignes Augen schlechte Folgen zeitigt und dies kann oder kann nicht erreicht werden, indem die Seelenruhe angestrebt wird. In den Zusätzen der Essais verstärkt Montaigne diese Richtung: „[b] Vaut il pas mieux demeurer en suspens que de s’infrasquer en tant d’erreurs que l’humaine fantaisie a produictes? Vaut–il pas mieux suspendre sa persuasion que de se mesler à ces divisions seditieuses et quereleuses?“ (II 12: 505) Statt der Formulierung der Seelenruhe als dem skeptischen Ziel wiederholt und 45 46 47
Limbrick 1977, Levine 2001: 37 ff. Sedley 1983. Levine 2001.
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Kapitel II – Montaigne – Skepsis und Tiervernunft
verstärkt Montaigne die antidogmatische Stoßrichtung: „[a] Les privileges fantastiques, imaginaires et faux, que l’homme s’est usurpé, de regenter, d’ordonner, d’establir la vérité, il [Pyrrho] les a, de bonne foy, renoncez et quittez.“ (II 12: 505) Hier geht es nicht nur darum, dass der Skeptiker selbst seine dogmatischen Meinungen preisgibt – dies ist die subjektive Seite des therapeutischen Ansatzes –, sondern die Dogmatiker werden aufgefordert, ihre Meinung preiszugeben. Argumente sind gefordert, die nicht allein über eine subjektive Kraft verfügen, sondern eine intersubjektive Plausibilität ins Feld führen können. Dies ist das intersubjektive therapeutische Ziel bei Sextus, wie er ganz zum Schluss des Grundrisses hervorhebt: „Der Skeptiker will aus Menschenfreundlichkeit nach Kräften die Einbildung und Voreiligkeit der Dogmatiker durch Argumentation heilen.“ (Sextus 1968: 299/PH III 280). Montaigne übt sich in der Technik der Entgegensetzung um die Dogmatiker und Fantasten zu therapieren.48 16. Die Tropen Die „Tropen der Zurückhaltung“ sind ein Arsenal von Argumentationsstrategien, die dem Skeptiker dazu dienen, Argumente und Gegenargumente, Meinungen und Gegenmeinungen in einen Zustand des Gleichgewichts zu bringen. Zurecht wird deren Einsatz als ein entscheidendes Charakteristikum der pyrrhonischen Skepsis betrachtet.49 Bei Sextus finden sich unterschiedliche Sammlungen. Bekannt sind die fünf Tropen, die aus dem Widerstreit, dem unendlichen Regress, der Relativität, der dogmatischen Voraussetzung und der Diallele (petitio principii oder Zirkelschluss) bestehen. Regress, Voraussetzung und Diallele gehören in der philosophischen (und anderen) Diskussion zu Standarderwägungen und -einwänden. Wer beispielsweise einen Grund dafür angibt, dass p, kann nach einer Begründung des Grunds gefragt werden usw. Stößt der Dogmatiker in diesem Begründungsregress auf eine letzte, unbegründete Behauptung, so kann der Skeptiker diese als unbegründet und daher als lediglich gesetzt zurückweisen. Ein Begründungsversuch dieser letzten Aussage dreht sich im Kreis, wenn versucht wird, die Behauptung mit etwas zu begründen, dem sie selbst ihrerseits als Grund und Stütze dient. Einer derart in die Enge getriebenen Argumentation braucht der Skeptiker nun natürlich nicht zuzustimmen und er enthält sich seiner Zustimmung. 48 49
Der zeitgeschichtliche Hintergrund für diese Rezeption sind die französischen Religionskriege und deren dogmatische und fanatische Parteiungen, vgl. dazu Frame 1965, Nakam 1993, Quint 1998, Levine 2001. Sedley 1983.
I. Montaigne und die pyrrhonische Skepsis
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Spezieller sind Widerstreit und Relativität. Der Widerstreit resultiert aus der Tatsache, dass es unter den Philosophen zu den meisten relevanten Fragen eine Vielzahl widersprechender Theorien gibt. Es steht kein Kriterium der Entscheidung über die Wahrheit und Falschheit der betreffenden philosophischen Theorien zur Verfügung. Angesichts dessen hält der Skeptiker seine Zustimmung und sein Urteil über die betreffenden Fragen und die vorgeschlagenen Antworten zurück. Dieser Tropus ist unter den Autoren der Frühen Neuzeit, die dabei auf antike Vorlagen zurückgreifen können, weit verbreitet.50 Der Relativitätstropus ist zugleich der zentrale achte Tropus des weitreichendsten Argumentationsarsenals der pyrrhonischen Skepsis, der sogenannten zehn Tropen des Aenesidemus (Sextus 1968: 102– 3/PH I 36–9). Durch die Tropen werden Geltungsansprüche aller Art depotenziert, weil sie nurmehr unter bestimmten Hinsichten oder Perspektiven zutreffen, unter anderen Hinsichten und anderen Perspektiven aber nicht. Allgemein gesprochen, dienen sie dazu, Hinsichten oder Perspektiven zu finden, unter denen Aussagen oder Sachverhalte relativ zu X sind.51 Die zehn Tropen nun formulieren Kandidaten für X. Der erste Tropus etwa argumentiert hinsichtlich „der Unterschiedlichkeit der Lebewesen“ und behandelt vor allem die andersartige physiologische Beschaffenheit der Sinnesorgane von Mensch und Tier (Sextus 1968, 102/PH I 36). Einem Objekt a kann unter verschiedenen Perspektiven entweder die sinnliche Eigenschaft F oder aber die konträre Eigenschaft F* zugeschrieben werden. Nehmen wir an, die Eigenschaft F werde einem Gegenstand a aus der Perspektive des Menschen zugeschrieben, die Eigenschaft F* aus der Perspektive irgend eines anderen Tiers. Die beiden Eigenschaften stehen in einem Widerspruch. Ob nun aF oder aF* dem tatsächlichen Sachverhalt entsprechen, kann nicht ausgemacht werden, denn es müsste ein Kriterium gefunden werden, das für eine Seite entscheiden würde. Wie es sich um a in Wirklichkeit verhält, darüber können wir nichts sagen und sollten uns deshalb des Urteils enthalten. So sieht die Grundstruktur aller zehn Tropen bei Sextus aus.52 Wie wir sehen 50
51 52
Vgl. die Kataloge über die ersten Prinzipien bei Cicero 1995a: 152-5/Lucullus §118, Sextus 1968: 231-2/PH III 30-2, Agrippa von Nettesheim 1993: Kap. 50. In der „Apologie“ Montaignes findet sie ihren Ausdruck in der Anlage ausführlicher philosophischer Antwortregister auf die Frage nach der Natur Gottes oder der Seele (II 12: 512-6 bzw. 542-3). Vgl. die Meinungskataloge über die Seele bei Cicero 1995a: 152-5/Lucullus §124, Agrippa von Nettesheim 1993: Kap. 52. Direkte Vorlage für den Katalog über die Gottesvorstellungen ist Cicero 1995b: 29-42/De nat. deor. I 25-42. Vgl. zur frühneuzeitlichen Kataloglust Schiffman 1991: 3 f., zum Götterkatalog Wild (im Erscheinen), zum Problem der Vielheit Stierle 1987. Striker 1996a. Der zweite Tropus argumentiert hinsichtlich der Verschiedenheit der Menschen, der dritte mit den diversen Sinnesmodalitäten, der vierte hinsichtlich unterschiedlicher aktualer Umstände, der fünfte Tropus aufgrund unterschiedlicher Entfernungen, Stellungen und Orte, der sechste Tropus beachtet unterschiedliche Beimischungen, der siebente verschiedenartige Zurichtung von Gegenständen, der achte ist derjenige der Relativität schlechthin, Tropus
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Kapitel II – Montaigne – Skepsis und Tiervernunft
werden, spielen sie bei Montaigne eine wichtige Rolle (Abschn. 25–8). Es wurde deutlich, dass Montaigne bemüht ist, den dynamischen Aspekt der pyrrhonischen Skepsis zu betonen. Die Tätigkeit der Entgegensetzung ist für Montaigne zentral. Die dynamis antithetiké wird bisweilen fast zum Selbstzweck. Die Pyrrhoniker „[a] ne mettent en avant leurs propositions que pour combatre celles qu’ils pensent que nous ayons en nostre creance. Si vous prenez la leur, ils prendront aussi volontiers la contraire à soustenir: tout leur est un.“ (II 12: 503) Das vierte Charakteristikum (das subjektive therapeutische Ziel der Seelenruhe) hingegen wird von der Skepsis abgetrennt. Stattdessen wird die skeptische Absicht in das fünfte Charakteristikum (das intersubjektive therapeutische Ziel der Bekämpfung der Voreingenommenheit des Dogmatikers,) verlegt. Hierin stimmt denn auch die Skepsis mit der übergeordneten Absicht der „Apologie“ überein, die menschliche Voreingenommenheit und Eitelkeit in den Staub zu treten, wie aus Montaignes abschließendem Lob der pyrrhonischen Skepsis hervorgeht: „[a] Il n’est rien en l’humaine invention où il y ait tant de versimilitude et d’utilité. Cette–cy presente l’homme nud et vuide, recognoissant sa foiblesse naturelle, propre à recevoir d’en haut quelque force estrangere, desgarni d’humaine science, et d’autant plus apte à loger en soy la divine, aneantissant son jugement pour faire plus de place à la foy; ny mescreant, ny establissant aucun dogme contre les observances communes; humble, obeïssant, disciplinable, studieux; ennemi juré d’haeresie, et s’exemptant par consequant des vaines et irreligieuses opinions introduites par les fauces sectes.“ (II 12: 506)
Verdeutlicht nun dieser Abschnitt aber nicht gerade, welchen Erfolg sich Montaigne von der skeptischen Kur erhofft? Besteht die Funktion der skeptischen Kritik nicht darin, Platz für den Glauben zu schaffen? Sollte man Montaigne nichts als einen Fideisten verstehen? Dieser prominenten Deutung werde ich mich nun kritisch zuwenden.53 17. Das Problem des Fideismus Laut der fideistischen Deutung verändert Montaigne die antike pyrrhonische Skepsis in radikaler Weise. Er breche nämlich mit den auch bei die-
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neun beachtet das häufige oder seltene Auftreten von Ereignissen und die sich daraus ergebenden Verzerrungen und der letzte Tropus nimmt die divergierenden Lebensformen, Gesetze, Sitten und Mythen in den Blick. Zurecht wendet sich Gontier 1998: 103 f. gegen die fideistische Interpretation Montaignes. Gontier 1998: 101 glaubt aber, dass die Skepsis im 16. Jh. primär im Dienst einer fideistischen Apologetik stünde. In der Reihe der vermeintlichen Apologeten taucht sogar Sanchez mit Quod nihil scitur auf, was natürlich falsch ist. Mit der fideistischen Deutung Montaignes wehrt Th. Gontier auch die skeptische Lesart ab. Gerade Montaigne ist aber, so meine These, das Beispiel eines Skeptikers im 16. Jh., den nicht nur und nicht einmal in erster Linie fideistische Motive bewegen.
I. Montaigne und die pyrrhonische Skepsis
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sen Skeptikern vorhandenen rationalistischen und kosmologischen Voraussetzungen;54 und zwar aufgrund der christlichen Theologie, denn Montaigne etabliere einen Fideismus, der der Einsicht in die Unerreichbarkeit und absoluten Allmacht Gottes und zugleich in das Ungenügen der menschlichen Vernunft entspringe. Lediglich das Faktum des Glaubens bleibe nach der ätzenden Vernunftkritik der „Apologie“ übrig.55 Die fiedeistische Deutung geht von der Beobachtung aus, dass die „Apologie“ nicht nur die Skepsis und den Geist der Tiere zum Thema hat, sondern die Frage nach der Begründung des Glaubens. Die gegen die rationale Theologie des Sebundus vorgebrachte Kritik ist der Ausgangspunkt der „Apologie“. Dieser Essay gibt vor, eine Apologie des katalanischen Theologen zu sein, verteidigt jedoch die rationale Theologie mit einer überaus paradoxen Strategie: Die menschliche Vernunft sei auf sich allein gestellt und ohne göttlichen Beistand so schwach und hilflos, dass niemand überhaupt überzeugende Gründe für den Glauben vorbringen könne. Fideismus ist die These, dass der Glaube – und dann auch alles Weitere, wie die richtige Lebensführung oder das Erkennen von Wahrheiten – nicht Sache der Vernunft sei, sondern allein des Glaubens. Der Fideismus steht damit im direkten Gegensatz zur rationalen Theologie. Die Argumentation zugunsten der Vernunft der Tiere und die Skepsis dienen in diesem Zusammenhang der Demütigung und Destruktion der menschlichen Rationalität des Menschen, so dass dieser frei wird für die Einflussnahme Gottes. Der Glaube nämlich und die Einsicht in die Wahrheit werden allein durch göttliche Gnade zuteil. Diese Deutung stellt also eine Zweck-Mittel-Verbindung zwischen der Skepsis und dem Glauben her. Ich denke, dass diese Deutung eine zutreffende Ausgangsbeobachtung schlicht überbewertet. Meine These lautet: Montaignes Fideismus ist eingeschränkt und stellt einfach einen Aspekt seines Pyrrhonismus dar, keine übergeordnete Einstellung. Ich skizziere vier exegetische Argumente: 1. Die fideistische Deutung schränkt die Skepsis Montaignes ein und rückt sie in die Nähe einer irrationalen Position. Denn das Mittel – die in der „Apologie“ praktizierte Skepsis – wird plötzlich verabschiedet und der Zweck – der Glaube – fraglos übernommen. Damit wird die Skepsis eingeschränkt und der Sprung in den Glauben irrational. Montaignes Skepsis macht aber beim Glauben nicht Halt. Sie setzt in konkreten Fragen des Glaubens nicht einfach aus, sondern tritt beispielsweise in der hermeneutischen Frage nach der richtigen Auslegung der Heiligen Schrift in verschärfter Weise zu Tage.56 Der Zweifel hat auch in Glau54 55 56
Blumenberg 1996: 309-18. Brahami 1997, Kablitz 1997, Popkin 2003, kritisch sind Imbach 1983, Schaefer 1990: 44-57, Bippus 2000: 19-30, Heitsch 2000: 141-63. Wild (im Erscheinen).
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Kapitel II – Montaigne – Skepsis und Tiervernunft
bensfragen seinen Ort. Warum auch sollte der Skeptiker dort einhalten? Selbst im Bekenntnis zu seinem katholischen Herkunftsglauben bemerkt Montaigne dass: „[a] la verité ne se juge point par authorité et tesmoinage d’autrui.“ (II 12: 507) Gerade den Rekurs auf die kirchliche Autorität würde ein katholischer Fideist aber fraglos akzeptieren. 2. Die fideistische Deutung widerspricht grundlegend dem Projekt der Essais. Montaigne geht es um die Darstellung seiner selbst (Abschn. 12). Zu diesem Projekt gehört auch die Selbstermächtigung. Zur Selbstermächtigung gehört der Versuch einer autonomen Lebensführung. Dies wird besonders deutlich in den Essays II 37 und III 13. Dort destruiert Montaigne die medizinische Expertise der Ärzte mit skeptischen Mitteln und bemüht sich um ein Konzept der Selbstsorge. Diesem Projekt der Selbstermächtigung widerspricht die fideistische Deutung, weil das Objekt göttlicher Erleuchtung nicht selbst Herr seiner Lage sein kann. 3. Montaigne kann es nicht allein um die Destruktion der Vernunft zu tun sein, denn das Bestiaire ist eine Verteidigung der Vernunft der Tiere. Montaigne möchte dem Dogmatiker entgegenhalten, dass Tiere vernünftige Wesen sind und der Dogmatiker sich aufgrund seines rationalen Vermögens nicht über die anderen Geschöpfe erhebt. Wenn Montaignes Ziel die Destruktion der Vernunft wäre, dann würde sein Argument zugunsten der Vernunft der Tiere ins Leere laufen. 4. Schließlich ist die in der „Apologie“ diskutierte fideistische Position für Montaigne theoretisch schlechterdings folgenlos. Weder zieht Montaigne aus dem angeblich glaubensversicherten Zugang zur christlichen Religion einen Gewinn, noch verweist Montaigne in den übrigen Essays auf fideistische Motive. Die übrigen Essays enthalten aber skeptische Motive. Nun wäre es sicher nicht richtig zu behaupten, die „Apologie“ sei nicht in der Tendenz fideistisch. Dazu sind die Textbelege zu schlagend: „[a] Toutefois je juge ainsi, qu’à une chose si divine et si hautaine, et surpassant de si loing l’humaine intelligence, comme est cette verité de laquelle il a pleu à la bonté de Dieu nous esclairer, il est bien besoin qu’il nous preste encore son secours. […] C’est la foy seule qui embrasse vivement et certainement les hauts mysteres de nostre Religion.“ (II 12: 441)
Montaigne vertritt einen eingeschränkten Fideismus. Die Sola-fide-Haltung bezieht sich ausschließlich auf die Mysterien der Religion und auf die Offenbarung. Einen erweiterten Fideismus jedoch, der behaupten würde, der Glaube und dann auch alles Weitere, wie etwa die richtige Lebensführung oder das Erkennen von Wahrheiten, seien nicht Sache der Vernunft, sondern eben des Glaubens, findet sich bei Montaigne nicht. In der Textstelle, von der wir im vorhergegangenen Abschnitt ausgegangen sind, führt Montaigne die gemeinsamen Gepflogenheiten (les observan-
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ces communes) in Glaubensangelegenheiten an. Damit unterstreicht er das Charakteristikum (6) der pyrrhonischen Skepsis, die praktischen Kriterien. Das dritte praktische Kriterium ergibt sich aus der: „Überlieferung von Gesetzen und Sitten [...] sofern wir es für das alltägliche Leben so übernehmen, dass wir Gottesfurcht als ein Gut, die Gottlosigkeit als ein Übel betrachten [...] Dieses alles meinen wir jedoch undogmatisch.“ (Sextus 1968: 99/PH I 23) Montaigne ist insofern Fideist als er sich aufgrund dieses praktischen Kriteriums für das katholische Christentum entscheidet. Und zwar im Sinne einer herkünftigen Gewohnheit, wie Montaigne betont: „[a] Une autre region, d’autres tesmoings, pareilles promesses et menasses nous pourroyent imprimer par mesme voye une croyance contraire.“ (II 12: 445) Die Konfession rührt nicht von der göttlichen Gande her, sondern er ist mundaner das Produkt unserer Herkunft. In einer Ergänzung zur ersten Auflage spitzt Montaigne den Gedanken noch zu: „[b] Nous sommes Chrestiens à mesme titre que nous sommes ou Perigordins ou Alemans.“ (II 12: 445) Montaigne, der Perigordese, entscheidet im Rückgriff auf das dritte praktische Kriterium für die Religion der Herkunft. Und er meint auch alles dies undogmatisch. Montaignes Fideismus ist Bestandteil seiner pyrrhonischen Skepsis. 18. Das Problem der Urteilsenthaltung Als entscheidender Punkt der pyrrhonischen Skepsis wird oft Charakteristikum (3) betrachtet, nämlich die Urteilsenthaltung. Die Argumente und Meinungen halten sich die Waage, der Skeptiker hält sich zurück. Die Urteilsenthaltung spielt für Montaigne zwar auch eine wichtige Rolle, wie der Essay II 17 erkennen lässt: „[a] Ainsi j’arreste chez moi le doubte et la liberté de choisir, jusques à ce que l’occasion me presse. [...] L’incertitude de mon jugement est si également balancée en la pluspart des occurences que je compromettrois volontiers à la decision du sort et des dets.“ (II 17: 654; vgl. II 15: 612; III 8: 923–4)57
Andererseits finden wir Montaigne beständig damit befasst, seine Meinungen und Urteile zu äußern, aber auch seine Irrtümer und Verfehlungen. Hier ein Beispiel: „[…] [a] Ce que je tiens aujourd’huy et ce que je croy, je le tiens et le croy de toute ma croyance; tous mes utils et tous mes ressorts empoignent cette opinion 57
Allerdings hat sich Montaigne, wenn er so schreibt, bereits wieder auf die subjektive Äußerung zurückgezogen. Er spricht also von sich und der Wirkung der Entgegensetzung auf sich. Zugleich hebt Montaigne jedoch hervor, dass er sich unter praktischem Druck für die eine oder andere Seite entscheidet. Dadurch macht er das Charakteristikum (6) stark, die praktische Orientierung also der pyrrhonischen Skepsis.
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Kapitel II – Montaigne – Skepsis und Tiervernunft
et m’en respondent sur tout ce qu’ils peuvent. Je ne sçaurois ambrasser aucune verité ny conserver avec plus de force que je fay cette cy. J’y suis tout entier, j’y suis voyrement; […] Toutesfois, que la fortune nous remue cinq cens fois de place, qu’elle ne face que vuyder et remplir sans cesse, comme dans un vaisseau, dans nostre croyance autres et autres opinions, tousjours la presente et la derniere c’est la certaine et l’infallible. […]“ (II 12: 563)
Spricht diese Stelle nicht dagegen, Montaigne als pyrrhonischen Skeptiker zu betrachten? Zeigt sie nicht vielmehr, dass er sich geradezu in seine momentanen Meinungen verbeißt, auf ihnen beharrt, sich mit ihnen identifiziert? Zahlreiche Interpreten sind der Ansicht, dass sich bei Montaigne deshalb keine Urteilsenthaltung finde. Anders als der Urteilsasket Sextus, der sich angesichts eines minutiös abgewogenen Urteilsgleichgewichts seelenruhig in die Urteilsenthaltung begibt, findet sich bei Montaigne kein Gleichgewicht und keine Enthaltung, sondern eine andauernde Unrast des Urteilens. Man könnte daraus folgern, dass es Montaigne weniger um die Urteilsenthaltung geht, als vielmehr um eine Temporalisierung des Urteilens.58 Jedes Urteil ist stets das vorletzte, weil es durch ein nächstes wiederum aufgehoben wird, aber jedes wird festgehalten, als wäre es das letzte. Wir können gar nicht anders als Urteile zu fällen. Wir tun es instinktiv. Diese Dynamik führt dazu, dass Montaigne sich nicht einmal mehr dazu imstande sieht, bei sich ein Gleichgewicht als Vorbedingung der Enthaltung zu erzielen.59 Darauf lässt sich mit vier Überlegungen antworten. 1. Betrachten wir als erstes das zuletzt angeführte Zitat im Kontext. Ich habe darin drei Auslassungen vorgenommen (= […]), die ich nun nachträglich einfügen möchte.60 Zunächst die ersten beiden Auslassungen: „[a] Outre cette diversité et division infinie, par le trouble que nostre jugement nous donne à nous mesmes, et l’incertitude que chacun sent en soy, il est aysé à voir qu’il a son assiete bien mal assurée. Combien diversement jugeons nous des choses? combien de fois changeons nous nos fantasies? [Ce que je tiens aujourd’huy …]; mais ne m’est il pas advenu, non une fois, mais cent, mais mille, et tous les jours, d’avoir ambrassé quelque autre chose à tout ces mesmes instrumens, en cette mesme condition, que depuis j’aye jugée fauce? Au moins faut il devenir sage à ses propres despans. Si je me suis trouvé souvent trahy sous cette couleur, si ma touche se trouve ordinairement fauce, et ma balance inegale et injuste, quelle asseurance en puis–je prendre à cette fois plus qu’aux autres.“ (II 12: 563)
Montaigne wechselt hier von der Ebene der sich widerstreitenden Phi58 59
60
Tournon 2000. Brahami 2001. Vgl. den Essay II 14. Dort spricht sich Montaigne wirklich dahingehend aus, dass es keine zwei völlig gleichwertigen Meinungen oder Objekte geben kann. Wir empfinden immer eine Neigung eher zur einen als zur anderen Seite. Die von Montaigne angesprochene Neigung, der wir folgen, werde ich mich im Abschnitt 38 zuwenden. Brahami 2001: 56n zitiert die Stelle mit exakt diesen Auslassungen.
I. Montaigne und die pyrrhonische Skepsis
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losophenmeinungen (cette diversité et division infinie) auf die Ebene der diachronen Urteilsbildung des Individuums (l’incertitude que chacun sent en soy): Auch dort wechseln sich die widersprechenden Urteile ab, auch dort finden wir uns als die überzeugten Dogmatiker unserer selbst. Wir wissen zwar, dass wir diese Urteile immer wieder aushebeln, dennoch halten wir an ihnen fest. Montaigne beschreibt sich hier selbst als Subjekt dieses naturwüchsigen psychischen Prozesses. Aber wie kann man übersehen, dass Montaigne hier einen äußerst unvorteilhaften Zustand beschreibt? Dies wird in der unmittelbaren Fortsetzung und der dritten Auslassung deutlich: „N’est–ce pas sottise de me laisser tant de fois piper à un guide? [Toutesfois, que la fortune nous remue …] Pour cette cy il faut abandonner les biens, l’honneur, la vie et le salut, et tout… “ (II 12: 563)
Montaigne beschreibt hier sozusagen den Krankheitszustand, den der Pyrrhoniker zu therapieren wünscht. Er spricht von sich auf der Beschreibungsebene als einem therapiebedürftigen Alltagsdogmatiker, den er von einer reflektierten Warte aus betrachtet. Die Essais unterscheiden sich vom Grundriss unter anderem dadurch, dass Montaigne sich selbst zum Inhalt des Buches macht. Anders als Sextus stellt sich Montaigne auch als einen verbockt Urteilenden, als einen Hinundhergerissenen, als einen Unwissenden und Irrenden dar. Er spricht nicht nur aus der philosophischen Metaposition, aus der unterschiedliche theoretische Ansichten über die Natur der Dinge gegeneinander ausgespielt werden. Montaigne tritt in den Essais gleichsam zweimal auf. Einmal als reflektierende, skeptische Instanz und einmal als Objekt der Darstellung. Das gibt Montaigne die Möglichkeit, sich nicht nur im Zustand des ruhigen Gegeneinanderausspielens unterschiedlicher Meinungen zu zeigen, sondern auch im Zustand der unruhigen Position zwischen unterschiedlichen Meinungen. Dieser Doppelaspekt der Darstellung ist es unter anderem, was den philosophisch schwer einholbaren literarischen, jedoch eminent pyrrhonischen Aspekt der Essais ausmacht. 2. Es ist umstritten, wie weit der pyrrhonische Skeptiker seine Urteilsenthaltung ausdehnt. Enthält er sich gegenüber jeder Sache des Urteils oder enthält er sich nur der „Zustimmung zu einer verborgenen Sache“? (Sextus 1968: 97/PH I 16) In einer Auseinandersetzung um die-se Frage61 hat sich M. Burnyeat dafür ausgesprochen, dass die Urteilsenthaltung sich auf alle Gegenstandsbereiche erstreckt.62 Der Skeptiker fällt überhaupt keine Urteile und hegt überhaupt keine Meinungen. M. Frede hingegen schränkt den Bereich der Urteilsenthaltung beim 61 62
Vgl. die Essays in Frede & Burnyeat 1997. Burnyeat 1984.
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Kapitel II – Montaigne – Skepsis und Tiervernunft
Skeptiker ein.63 J. Barnes hat die Auseinandersetzung wie folgt auf den Punkt gebracht: „What is the scope of epoché in Sextus’ Outlines of Pyrrhonism? what, if anything, may the Pyrrhonist of the Outlines believe? Two rival answers to that question define two types of Scepticism. The first type I shall call, following Galen, rustic Pyrrhonism. The rustic Pyrrhonist has no believes whatsoever: he directs epoché towards every issue that may arise. The second type of Scepticism I shall call urbane Pyrrhonism. The urbane Pyrrhonist is happy to believe most of the things that ordinary people assent to in the ordinary course of events: he directs epoché towards a specific target–roughly speaking, towards philosophical and scientific matters.“ (Frede & Burnyeat 1997: 2–3)64
Der urbane Pyrrhoniker enthält sich der Zustimmung „zu irgendeiner der in den Wissenschaften erforschten verborgenen Sachen“ (Sextus 1968: 96/PH I 13).65 Der Bereich der Urteilsenthaltung ist eingeschränkt. Ansonsten lebt der Skeptiker gemäß den Erscheinungen und gemäß den praktischen Kriterien. In diesem Bereich kann und darf der Skeptiker durchaus Meinungen haben und Urteile fällen. Er betont aber: „Dieses alles meinen wir jedoch undogmatisch.“ (Sextus 1968: 99/ PH I 23) Wenn Montaigne somit als Skeptiker in der pyrrhonischen Tradition betrachtet wird, dann als urbaner Skeptiker. Sextus betont diese eingeschränkte Urteilsenthaltung und bringt sie direkt mit dem praktischen Kriterium in Verbindung, nach dem der Skeptiker „de la commune facon“ lebe (Sextus 1968: 218/PH II 246). 3. Es ist wichtig zu beachten, dass die pyrrhonische Skepsis kein geschlossenes System mit Mitgliederkriterien bildet, denen entlang gleichsam abgehakt werden könnte, ob einer nun Skeptiker ist oder nicht.66 Denn ein Skeptiker wird gerade als solcher kaum der antiken Vorlage dogmatisch folgen. Darüber hinaus ist die antike Vorlage des Sextus keineswegs eindeutig und deshalb offen für unterschiedliche Interpretationen. Das ist Montaigne bewusst. Daher kann es nicht angehen, ein Bild der pyrrhonischen Skepsis aufzubauen, um dann zu zeigen, dass 63 64
65
66
Frede 1979. Ich habe in Wild 2000 diese Debatte für das Verständnis der Skepsis bei Montaigne fruchtbar zu machen versucht und argumentiert, dass sich Montaigne beider Lesarten bewusst ist und sozusagen metaskeptisch auch noch darüber das Urteil zurückhält. Demgegenüber neige ich nun zu einer „urbanen“ Deutung von Montaignes Pyrrhonismus. Dies ist die entscheidende Stelle für die „urbane“ Deutung von Frede 1979, vgl. Fogelin 1994: 3-12. Gegen diese Deutung von Sextus hat sich aber neuerdings Bailey 2002: 175-213 aus gesprochen, stellt aber heraus, dass Skeptiker durchaus bestimmte Meinungen haben 2002: 23-6. Es gebe hier weiteren Interpretationsbedarf. Dieser werde durch die „urbane“ Deutung nicht eingelöst. Flückiger 2003 zeigt anhand von Philosophen wie O. Marquard, R. Rorty und H. Albers, wie pyrrhonische Motive in der zeitgenössischen Philosophie fortwirken; ebenso der sich an R. Rorty orientierende Hiley 1988 und der sich an L. Wittgenstein orientierende Fogelin 1994.
I. Montaigne und die pyrrhonische Skepsis
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Montaigne diesem Bild nicht entspricht. Leider gehen zahlreiche Interpreten so vor.67 Meines Erachtens gehen jene Deutungen, die Montaigne nicht in die pyrrhonische Tradition einreihen, sondern einen Bruch sehen, von einer sehr starren Sextusauslegung aus. Beispielsweise wird das Gleichgewicht der Meinungen als synchron und als abschließend gedeutet. Der Pyrrhoniker hat in diesem Moment zwei sich entgegengesetzte, gleichwertige Meinungen. Deshalb enthält er sich von nun an des Urteils und versetzt sich dadurch in den Zustand der Seelenruhe.68 Es ist aber nicht einsehbar, weshalb die Entgegensetzung der Meinungen nicht auch diachron erfolgen kann, weshalb nicht neue Überlegungen das Gleichgewicht der Meinungen und damit auch die Seelenruhe aufstören können. Der Pyrrhoniker befindet sich ja nicht vor einer geschlossenen Menge von Erscheinungen und Urteilen, die er nun gegeneinander aufrechnet. Vielmehr treten neue Erscheinungen und Urteile auf den Plan, die ihn aus der Ruhe bringen (Sextus 1968: 102/PH I 34). Montaignes Dynamisierung der Pyrrhonismus betont diesen Aspekt. 4. Wie sieht schließlich die Ausgeglichenheit des Urteils, die Entgegensetzung gleichwertiger Meinungen aus? Ein Einwand lautet, dass sich Montaigne nicht einmal mehr imstande sieht, bei sich ein Gleichgewicht als Vorbedingung der Enthaltung zu erzielen. Wie gelangt er ohne isostheneia überhaupt zu einer wie auch immer urban beschränkten epoché? Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass Montaigne wie Sextus auf den Dogmatiker zielt: „[b] Vous sentant bandé et préparé d’une part, je vous propose l’autre de tous le soing que je puis, pour esclairer votre jugement, non pour l’obliger.“ (III 9: 1033) Der springende Punkt der Entgegensetzung liegt für Montaigne in der Urteilskraft des Dogmatikers, dessen festgefahrenen Ansichten er sich entgegenstellt. Es geht um eine Aufklärung der Urteilskraft des Dogmatikers (esclairer votre jugement). Damit der Dogmatiker von seinen bisherigen Urteilen Abstand nehmen kann, muss ihm ein Gegengewicht präsentiert werden, das über eine gewisse intersubjektive Plausibilität verfügt. Das festgefahrene Urteil des Dogmatikers soll durch die Entgegensetzung außer Kraft gesetzt und aufgehoben werden. Die Aufklärung der Urteilskraft des Dogmatikers besteht nicht im Ersatz durch das richtige Urteil (non pour l’obliger). Er soll durch die Entgegensetzung veranlasst werden, sein Urteil zu reflektieren und aufzuheben. Die Ausübung der Urteilskraft besteht bei Montaigne also nicht nur in der irrenden Tätigkeit der Zustimmung, sondern in der reflektierten Aufhebung bisher unterhaltener Zustimmungen. Schließlich ist auch zu diesem Punkt zu sagen, dass es bei Sextus zwei Möglichkeiten gibt, die isostheneia zu verstehen. Die vor67 68
Brahami 1997 & 2001, Kablitz 1997. Brahami 2001: 56.
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Kapitel II – Montaigne – Skepsis und Tiervernunft
wiegende Deutung ist das ausbalancierte Gleichgewicht sich widersprechender Meinungen. Der Pyrrhoniker hat keine Neigung zu einer bestimmten Seite. Sein Verstand steht still (Sextus 1968: 136/PH I 190).69 Diese Deutung weist Montaigne zurück. Im Essay II 15 äußert er die Ansicht, dass wir stets eine kleine Differenz zu finden vermögen, daher finden wir uns nie in völliger Indifferenz. Doch wir können unsicher, unschlüssig, unbestimmt und im Zweifel sein. Sextus weist mit dem Schlagwort „Alles ist unbestimmt“ auf diese zweite Möglichkeit hin: „Auch die Unbestimmtheit ist ein Erlebnis des Verstandes, demgemäß wir von den dogmatisch erforschten, d.h. verborgenen Dingen weder etwas aufheben noch setzen. Wenn also der Skeptiker sagt: ‚Alles ist unbestimmt’, so nimmt er das ‚ist’ anstelle von ‚es erscheint mir’; mit ‚alles’ meint er nicht das Seiende, sondern nur, was er von den bei den Dogmatikern erforschten verborgenen Dingen untersucht hat, und ‚unbestimmt’ soll heißen: ‚dem Entgegengesetzten oder überhaupt Unverträglichen in Glaubwürdigkeit oder Unglaubwürdigkeit nicht überlegen.“ (Sextus 1968: 139/PH I 198)70
Hier geht es nicht um ein indifferentes Gleichgewicht entgegengesetzter Meinungen, sondern darum, dass den Meinungen der Dogmatiker weder Zustimmung noch Ablehnung entgegengebracht wird, weil sie nicht glaubwürdiger erscheinen als gegenteilige Meinungen. Doch dazu müssen diese Meinungen nicht im ausbalancierten Gleichgewicht sein. Diese Bedeutung behandelt Montaigne im Essay II 15. Wichtiger als das Gleichgewicht ist für Montaigne die Möglichkeit der Verunsicherung des Urteils: „[a] [L]a profession des Pyrrhoniens est de branler, douter et enquerir, ne s’assurer de rien, de rien ne respondre“ (II 12: 502). Und zwar des Urteils des Dogmatikers über philosophische Angelegenheiten. Sextus hebt nämlich an der eben angeführten Stelle wiederum die (urbane) Einschränkung der Urteilsenthaltung hervor. Ihr folgt Montaigne ebenso wie der zweiten Deutung der Entgegensetzung von Gleichwertigem.71 Es ist durchaus plausibel, Montaigne als pyrrhonischen Philosophen zu betrachten. Auch wenn Montaigne nirgends ausdrücklich sagt, dass er ein Skeptiker ist, so liegt es doch auf der Hand, dass er das therapeutische, antidogmatische, intersubjektive Ziel, die dynamische Methode und die urbane Einstellung des Pyrrhonikers übernimmt. Es wäre auch schwer verständlich, warum er die pyrrhonische Skepsis als die wahrscheinlichste, nützlichste und heilsamste Philosophie loben sollte, um sich dann ihrer Grundhaltung gerade nicht anzuschließen.
69 70 71
Hier spricht Sextus vom Gleichgewicht (arrepsia). Hier ist die Rede von Unbestimmtheit (aoristia). Pace Baillon 1992.
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II. Das Bestiaire als skeptischer Diskurs gegen den Rationalismus 19. Das Programm für das Bestiaire Der Essay „De la cruauté“ (II 11) geht der „Apologie de Raimond Sebond“ unmittelbar voraus und sein Schluss formuliert das Programm des Bestiaire. Damit gibt er uns den Schlüssel für das richtige Verständnis des Bestiaire und seiner Beziehung zur Skepsis in die Hand: „[a] Mais, quand je rencontre, parmy les opinions les plus moderées, les discours qui essayent à montrer la prochaine ressemblance de nous aux animaux, et combien ils ont de part à nos plus grands privileges, et avec combien de vraysemblance on nous les apparie, certes, j’en rabats beaucoup de nostre presomption, et me mets volontiers de cette royauté [Streichung im Handexemplar: vaine et] imaginaire qu’on nous donne sur les autres creatures.“ (II 11: 435)
Diese Passage lässt den Umriss einer großangelegten Argumentation erkennen. In einem Argument müssen alle Einzelschritte und die in ihnen verwendeten Bestandteile kohärent und konsistent aufeinander bezogen sein. Eine Argumentation hingegen kann sich divergierender und heterogener Bestandteile bedienen. Diese werden weniger durch ihre interene Kohärenz und Konsistenz verbunden, als durch ein Argumentationsziel. Montaignes Ziel besteht in der Bekämpfung der Voreingenommenheit (nostre presomption) und dem Verzicht auf die Sonderstellung (cette royauté imaginaire) des Menschen. Es handelt sich um eine antidogmatische Therapie. Das Mittel ist der skeptische Gegendiskurs. Montaigne trifft (rencontre) auf Diskurse, die versuchsweise (essayent) Evidenzen für die Wahrscheinlichkeit (vraysemblance) der großen Ähnlichkeiten (la prochaine ressemblance) von Mensch und Tier vorbringen. Damit ist die Strategie assimilationistisch, denn sie geht von der Gemeinsamkeit zwischen Mensch und Tier aus (Abschn. 3). Das Bestiaire der „Apologie“ führt dieses Programm durch. Es versammelt in der Tat die gesuchten Diskurse, die Evidenzen nicht nur für die großen Ähnlichkeiten von Mensch und Tier vorbringen, sondern auch für die Teilhabe der Tiere an den scheinbar exklusiv dem Menschen vorbehaltenen Vorzüge. In der „Apologie“ formuliert Montaigne sein therapeutisches Ziel noch weitaus drastischer. Er will: „[a] froisser et fouler aux pieds l’orgeuil et l’humaine fierté; [...] faire sentir l’inanité, la vanité et deneantise de l’homme, [...et] voire s’il est en luy d’arriver à aucune certitude par argument et par discours.“ (II 12: 448–9)
Um die Krankheit der Voreingenommenheit (II 12: 452) zu heilen, versucht Montaigne zu zeigen, dass es keinen Grund dafür gibt, dass sich der Mensch „[a] separe de la presse des autres creatures, taille les parts aux animaux ses
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Kapitel II – Montaigne – Skepsis und Tiervernunft
confreres et compaignons, et leur distribue telle portion de facultez et de forces que bon luy semble“ (II 12: 452). Der Diskurs über den Geist der Tiere in der „Apologie“ ist also ein Heilmittel mit dem Ziel einer Therapie der menschlichen Voreingenommenheit (II 12: 460). Der erste Eindruck des Bestiare ist allerdings verwirrend. Da scheint sich ein ungeordneter Haufen mehr oder weniger fantastischer Anekdoten angesammelt zu haben, mit deren Hilfe den Tieren allerlei menschliche Fähigkeiten angedichtet werden. Beim genaueren Lesen zeichnet sich eine Struktur ab und Argumente treten hervor. Anekdoten und Argumente sollen zeigen, dass Tiere vernünftig, besonnen, religiös, verliebt oder musikalisch sind. Glaubte Montaigne tatsächlich an diese Anekdoten? War er selbst überzeugt von den Argumenten? Hielt er die Tiere wirklich für vernünftig, tugendhaft, religiös oder wissenschaftlich begabt? Das sind, meine ich, die falschen Ausgangsfragen. Wie wir gesehen haben, spricht Montaigne zum Schluss des Essays II 11 von Diskursen, auf die er trifft. Das ganze Plädoyer zugunsten der Tiere muss somit im Rahmen der skeptischen Technik der Entgegensetzung gesehen werden. Der Dogmatiker – der voreingenommene Mensch – vertritt eine Form der anthropologischen Differenz. Ihr stellt Montaigne in skeptischer Absicht Anekdoten und Argumenten entgegen, die für eine Verflachung, ja für eine Tilgung der anthropologischen Differenz sprechen. Er trifft auf diese Anekdoten und Argumente, er ist sozusagen nicht deren Aussagesubjekt. Weniger geht es hier darum, was Montaigne denkt, als vielmehr darum, dem Dogmatiker der anthropologischen Differenz einen skeptischen Diskurs entgegenzuhalten. Dass Montaignes gesamter Diskurs über den Geist der Tiere als Gegendiskurs gelesen werden muss, hat sein früher Kritiker Jean de Silhon gesehen: „Il faut pourtant confesser que quant Montaigne attribuë de la Raison aux Bestes, et par conséquent de la vertu Morale, et qu’il les fait agir par Principes aussi relevez que l’homme, son dessin n’estoit pas d’establir cette opinion comme indubitable, ny de l’enraciner dans les esprits comme une vérité nécessaire: mais de monstrer que l’homme n’avoit pas naturellement lumière du contraire, et que hors les véritez qui venoient de la foy, et qui descendoient immédiatement du Ciel et d’une lumière surnaturelle, toutes ses autres conoissances estoient ténébreuses et mal assurées, et toute sa philosophie malade.“ (De l’immortalité de l’âme, 1662: 320, zitiert in Millet 1995: 227)
Silhon erkennt richtig, dass Montaigne seinen Diskurs nicht mit der Geste des Dogmatikers führt. Freilich deutet Silhon in einem zweiten Schritt die Absicht dieses Gegendiskurs ausschließlich fideistisch. Da der Mensch von sich aus keine Einsicht in die Falschheit der Behauptung gewinnt, dass zwischen ihm und den Tieren keine einschlägigen Unterschiede bestünden, müsse er Zuflucht zur Erleuchtung durch den Glauben nehmen. Dieser vermag ihn der anthropologischen Differenz wieder zu versichern. Dieser Schritt ist nicht nur aufgrund der bereits in Zweifel gezogenen fideistischen
II. Das Bestiaire als skeptischer Diskurs gegen den Rationalismus
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Deutung fragwürdig, sondern auch deshalb, weil Montaigne unterstellt wird, dass er in Tat und Wahrheit von einer starken anthropologischen Differenz überzeugt ist und selber nichts von den Argumenten zugunsten der Tiere hält. Hier liegt wiederum die falsch gestellte Frage vor, was Montaigne denke. Silhon erkennt zudem zu wenig deutlich, dass Montaigne nicht nur ohne die Geste des Dogmatikers spricht, sondern auch als Skeptiker, der einen skeptischen Gegendiskurs führt.72 Wogegen aber richtet sich Montaigne? Welches Modell der anthropologischen Differenz attackiert er? Das Material, das Montaigne in der „Apologie“ zusammenträgt und gleichsam als Plädoyer zugunsten der Tiere in die Diskussion wirft, ist gegen die rationalistische Position gerichtet (Abschn. 2). Wie geht Montaigne argumentationsstrategisch vor? Der rationalistischen Position hält Montaigne entgegen: Überprüfen wir sie an den Tieren! Der methodologische Weg kann nicht darin bestehen, zu fragen, ob dem Menschen zukommt, was die anthropologische Differenz ihnen zuschreibt, sondern darin, ob den Tieren abgeht, was die anthropologische Differenz ihnen abspricht. Allerdings attackiert Montaigne zahlreiche Mensch-Tier-Unterschiede. Gegen diese Unterschiede richtet er sich im Detail – genauer gesagt richtet er vorgefundenes Material gegen sie.73 Wenn Montaigne sagt, er sei auf Diskurse getroffen, so ist dies in einem wörtlichen Sinne zu verstehen. Aber Montaigne pflückt sich nicht blindlings Anekdoten heraus. Er organisiert sie entlang anthropologischer Differenzen. Nach dem Sprechen (II 12: 452–4) und dem Denken (II 12: 454– 5, 460–70) wendet sich Montaigne den Tugenden zu (II 12: 470–81), dann dem abstrakten Denken (II 12: 481–2), schließlich sogar der Schönheit des Körpers (II 12: 482–6).74 Mit dem Sprechen, dem Denken und dem abstrakten Denken zielt Montaigne auf den mentalistischen Rationalismus. Das ist die Linie, die ich unter der Vernachlässigung der beiden Aspekte der Tugenden und der Körperschönheit verfolgen werde. Der Gegendiskurs Montaignes muss, weil er sich gegen den von der anthropologischen Differenz überzeugten Dogmatiker richtet, eine gewisse intersubjektive Plausibilität aufweisen können. Deshalb geht es in der „Apologie“ nicht, wie es auf den ersten Blick scheinen mag, um romantische Anekdoten und erstaunliche Geschichten. Es geht um eine Reihe expliziter und impliziter Gegenargumente, derer sich Montaigne bedient.
72 73 74
Schaefer 1990: 69 f. So sind beispielsweise von insgesamt vierundfünfzig Tieranekdoten in der „Apologie“ neununddreißig Plutarch entliehen, vgl. Konstantinovic 1989. Ich folge der Einteilung von Gontier 1998: 157-8. Zur Unterteilung der „Apologie“ vgl. Montaigne 1968: 438, Schaefer 1990: 4-44, Gessmann 1997: 81-4.
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Kapitel II – Montaigne – Skepsis und Tiervernunft
20. Die Erweiterung der Sprache: Zeichen und Gesten Ein erstes Gegenargument zielt auf die angebliche Sprachunfähigkeit der Tiere. Zuerst wendet sich Montaigne gegen die Behauptung, dass den Tieren eine äußere Sprache fehle, um dann auf das Denken, die innere Sprache zu kommen. Die Einteilung der Vernunft in ein inneres Sprechen oder Denken (discours intérieur/logos endiathêtos) und ein äußerndes Sprechen (discours extérieur/logos prophorikos) findet Montaigne bei Sextus (1968: 108–11/PH I 65–75). Im ersten der zehn skeptischen Tropen bemerkt Sextus zuerst, dass Hunde die (stoischen) Bedingungen für das innere Sprechen (das Denken) erfüllen, um sich anschließend kurz mit der äußernden Sprache zu befassen. Montaigne kehrt diese Reihenfolge jedoch um, weil er sich gegen den mentalistischen Rationalismus wendet, demzufolge das vom Menschen praktizierte äußernde Sprechen das Anzeichen des rationalen Vermögens ist und tritt dem entgegen, indem er zunächst eine rationalistische Prämisse in Zweifel zieht, nämlich die scheinbare Tatsache, dass Menschen über eine Sprache verfügen, Tiere jedoch nicht. Montaigne führt das erste Gegenargument mithilfe der Überlegung ein, dass es den Anschein hat, als würden Tiere nicht sprechen, denn zwischen ihnen und uns finde keine sprachliche Kommunikation statt. In einer für Montaignes Denkweise charakteristischen Figur dreht er die Perspektiven um: „[a] Ce defaut qui empesche la communication d’entre elles et nous, pourquoy n’est il aussi bien à nous qu’à elles? C’est à deviner, à qui est la faute de ne nous entendre point: car nous ne les entendons non plus qu’elles nous.“ (II 12: 453) Aus unserer Perspektive hat es nur den Anschein, als würden Tiere nicht sprechen. Wir verstehen ihre Laute einfach nicht. Und aus der Perspektive der Tiere? Könnte es sein, dass sie das selbe von uns denken? Sie verstehen unsere Lautäußerungen nicht und halten sie für keine Form des Sprechens und schließen, dass wir keine vernunftbegabten Wesen sein können: „[a] Par cette mesme raison, elles nous peuvent estimer bestes, comme nous les en estimons.“ (II 12: 453) Das entspricht dem Argument des mentalistischen Rationalismus, nur aus tierischer Perspektive geführt. 75 Montaigne versucht diese Überlegung zu plausibilisieren, indem er erstens darauf verweist, dass wir das Baskische auch nicht verstehen, Basken dennoch nicht für vernunftlose Wesen halten (vgl. Sextus 1968: 110/ PH I 74 über Barbaren). Zweitens kennen wir Berichte von Personen, die sich mit Tieren zu verständigen wissen. Drittens erfahren wir aus antiken Quellen, dass sich Völker des Altertums ohne Schwierigkeiten mit Tieren verständigt haben (II 12: 452–3). Obschon solche Überlegungen bis ins 75
Montaigne spricht bereits hier den Gedanken der Doppelperspektivität an, der später in der „Apologie“ wichtig werden wird (Abschn. 26).
II. Das Bestiaire als skeptischer Diskurs gegen den Rationalismus
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18. Jahrhundert hinein nicht an Prominenz verlieren werden,76 sind sie bei Montaigne in erster Linie als Anstöße zu verstehen. Interessant ist dieser Einstieg, weil er das Feld öffnet für die Frage, was wir bereit sind als Sprache, und was wir bereit sind als Ausdruck von Gedanken gelten zu lassen. Montaigne hebt Aspekte der Sprache hervor, die im „klassischen Modell“ unterbelichtet sind, um sie gegen den mentalistischen Rationalismus auszuspielen. Er erweitert die Sprache. Zweitens ist Montaigne bereit, nicht nur das sprachliche, sondern auch das nichtsprachliche Verhalten eines Lebewesens als Ausdruck von Gedanken zu betrachten. Dies wird Thema im dritten (und wichtigsten) Gegenargument sein. Wenden wir uns zuerst der Erweiterung der Sprache zu. Worin besteht das angesprochene „klassische Modell“ der Sprache? Es findet sich bei Aristoteles vorgeprägt: „Nun sind die (sprachlichen) Äußerungen unserer Stimme ein Symbol für das, was (beim Sprechen) unserer Seele widerfährt, und das, was wir schriftlich äußern, (ist wiederum ein Symbol) für die (sprachliche) Äußerung unserer Stimme. Und wie nicht alle (Menschen) mit denselben Buchstaben schreiben, so sprechen sie auch nicht alle dieselbe Sprache. Die seelischen Widerfahrnisse aber, für welche dieses (Gesprochene und Geschriebene) an erster Stelle ein Zeichen ist, sind bei allen Menschen dieselben; und überdies sind auch schon die Dinge, von denen diese (seelischen Widerfahrnisse) Abbildungen sind, (für alle) dieselben.“ (De interpretatione I 16a 3–8)
Was Aristoteles in diesem skizzenhaften und dennoch (oder deshalb) wohl einflussreichsten Text in der Geschichte der Semantik77 sagt, ist Gegenstand einer langen Geschichte subtiler Interpretationen. Das grobe Schema scheint jedoch durch und besteht aus vier Elementen: Dinge (res), Widerfahrnisse der Seele (passiones animae, d.i. „Gedanken“ oder „Begriffe“78), Gesprochenes (voces), und Geschriebenes (scripta). Wider-fahrnisse in der Seele bilden Dinge der Außenwelt ab. Die Relation zwischen diesen Widerfahrnissen und den Dingen ist eine natürliche. Sprachliche Äußerungen sind Symbole der Widerfahrnisse der Seele und Schriftzeichen sind Symbole sprachlicher Äußerungen. Diese Relationen sind, wie Aristoteles betont, konventionell. Gesprochenes und Geschriebenes beziehen sich nicht in erster Linie auf Dinge, sondern auf die Widerfahrnisse der Seele, auf „Gedanken“ oder „Begriffe“.79 Das kognitive Vermögen und die Äußerungsab76 77 78
79
Boas 1933, Serjeantson 2001. Kretzmann 1975: 3. Später präzisiert Aristoteles: „Gedanken“. Da er aber sagt, dass Gedanken in der Seele auftreten, ohne wahr oder falsch zu sein (wie auch Nomina für sich genommen nicht wahr oderfalsch sein können), scheint er mit „Gedanken“ einen Überbegriff zu verwenden, der sowohl „Begriffe“ (einfache Gedanken) als auch „Propositionen“ (komplexe Gedanken) umfasst (De Interpretatione I 16a 9-11). In diesem Sinne unterscheidet beispielsweise der Kommentar des Ammonius 1996: 29-30/In int. 20, 32, 2. Dies zumindest legt die benutzte deutsche Übersetzung nahe. Es entspricht der Auffassung
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sicht des Sprechers sind grundlegend für die Bedeutung dessen, was jemand aussagt. Umgekehrt kann man daraus, dass ein Wesen sich sprachlich äußert, darauf schließen, dass dieses Wesen über die entsprechenden kognitiven Vermögen verfügt und Gedanken oder Begriffe äußert. Das ist die demarkative Pointe des mentalistischen Rationalismus. Demgegenüber erweitert Montaigne diese spezifisch linguistische Sichtweise der Verständigung um andere Mittel der Kommunikation. Zwischen Tieren finde eine Verständigung ohne artikulierte Worte statt, nicht nur innerhalb einer Art, sondern auch über die Speziesgrenzen hinweg: „[a] Au demeurant, nous decouvrons bien evidemment que entre elles il y a une pleine et entiere communication et qu’elles s’entr’entendent, non seulement celles de mesme espece, mais aussi d’especes diverses. [b] Et mutae pecudes et denique secla ferarum/ Dissimiles suerunt voces variasque cluere,/ Cum metus aut dolor est, aut cum jam gaudia gliscunt. [Lukrez 1973: 429/De rer. nat. V 1058 f.: Da sprachloses Vieh und Tierstämme ihre unterschiedlichen Stimmen erheben und verschiedenes hervorbringen, je nachdem ob Furcht oder Schmerz sie drückt oder Freude hervorbricht.] [a] En certain abbayer du chien le cheval cognoist qu’il y a de la colere; de certaine autre sienne voix il ne s’effraye point. Aux bestes mesmes qui n’ont pas de voix, par la societé d’offices que nous voyons entre elles, nous argumentons aisément quelque autre moyen de communication: [c] leurs mouvemens discourent et traictent: [b] Non alia longè ratione atque ipsa videtur / Protrahere ad gestum pueros infantia linguae. [Lukrez 1973: 427/De rer. nat. V 1029 f.: Nicht anders scheint die Unfähigkeit zur Sprache die Kinder zu Gesten zu führen.]“ (II 12: 453)
Die Erweiterung der Sprache besteht darin, dass Montaigne auf die Kommunikation zwischen den Tieren verweist, die über Laute und Gesten erfolgt. Dabei geht es, wie die beiden in der [b]–Schicht eingefügten Zitate betonen, um Äußerung affektiver Zustände mittels Lauten (Natursprache) und um Äußerungen mittels des Körpers (Gestensprache). Hier haben wir einen ersten Diskurs, auf den Montaigne trifft. Montaigne übernimmt Teile seines Illustrations- und Argumentationsmaterials aus Lukrez’ De rerum natura (vgl. Sextus 1968: 110–1/PH I 75). Die Gestensprache wird in der Textschicht [c] besonders pointiert hervorgehoben (leurs mouvemens discourent et traictent). Diese Sprache findet sich nicht nur bei Tieren, sondern auch bei Menschen (II 12: 454c). Die Körpergesten sprechen eine Sprache, die ohne Erziehung auskomme und allen Menschen gemeinsam sei: „[c] Il n’est mouvement qui ne parle et un langage intelligible sans discipline et un langage publique“ (II 12: 445). Im Gegensatz zu den unterschiedlichen Nationalsprachen dürfe die Sprache der Körpergesten, da sie nicht erlernt werden müsse und allen Menschen gemeinsam seI als eigentliche Sprache der Menschen bezeichnet werden: „[c] qui faict, voyant la varieté et usage distingué des autres, que cestuy einer Kommentartradition, die die Stelle im Sinne von significatio intellectuum und nicht von significatio rei deuten. Whitaker 2002: 9-24 erläutert die Deutungsprobleme dieser Stelle.
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cy doibt plus tost estre jugé le propre de l’humaine nature“ (II 12: 545). Sowohl die Laut- als auch die Gebärdensprache werden, im Gegensatz zu den konventionellen Nationalsprachen, als eine Art natürliche Sprache betrachtet. Da der Mensch die Natursprache vor dem Erlernen einer Sprache beherrscht und sie bei Sprechern unterschiedlicher Nationalsprachen in gleicher Weise vorhanden ist, besteht kein Anlass zur Vermutung, dass sie von einer linguistischen Kompetenz (oder gar Performanz) abkünftig ist. Mit dem Hinweis auf die Natursprache beim Menschen möchte Montaigne plausibilisieren, dass es andere Mittel zur Kommunikation von Bedeutungen gibt als die Nationalsprachen. Und die Natursprache der Laute und Gebärden finden wir auch beim Tier. 21. Die Erweiterung der Sprache: Kommunikation Dieser Einbezug der Naturlaute und -gesten ist nicht die einzige Erweiterung gegenüber dem klassischen Modell. Im Gegensatz zum klassischen Modell, in dem der kognitive Gehalt, das kognitive Vermögen und die Äußerungsabsicht des Sprechers grundlegend für die Bedeutung sind, bezieht Montaigne (in Ausdrücken der modernen Kommunikationstheorie gesprochen) die Interaktion von Sender und Empfänger mit ein. Dies wird aus dem Beispiel von Hund und Pferd im obigen Zitat deutlich. Kommunikation ergibt sich nicht aus dem Verhalten des Senders (Hund) allein, sondern hinzu tritt das kovariierende Verhalten des Empfängers (Pferd). Das Pferd reagiert mit Furcht, wenn der Hund durch seine Laute Zorn äußert. Es reagiert aber auf andere Hundelaute nicht auf dieselbe Weise. In einem anderen Kontext schreibt Montaigne, diesmal auf die menschliche Wortsprache bezogen: „[b] La parole est moitié à celuy qui parle, moitié à celuy qui l’escoute. Cettuy– cy se doibt preparer à la recevoir selon le branle qu’elle prend. Comme entre ceux qui jouent à la paume, celuy qui soustient se desmarche et s’apreste selon qu’il voit remuer celuy qui luy jette le coup et selon la forme du coup.“ (III 13: 1088)
Montaigne vergleicht hier die Kommunikation mit dem Jeux de paume, einem im Mittelalter mit der Handfläche (paume) und im Verlauf des 16. Jahrhunderts mit einem Schläger gespielten Vorläufer des heutigen Tennis. Der „Ballempfänger“ muss sich den Bewegungen sowohl des abschlagenden „Ballsenders“ als auch des Balls anpassen. Es liegt hier nahe, diesen Vergleich als einen Hinweis auf die intersubjektive Regelnormierung der Kommunikation zu verstehen. Dies trifft die Sache bei Montaigne nicht. Montaigne geht es hier nicht um die Regeln des Spiels, sondern um das Zusammenspiel. Wenn aus dem Abschlag und dem Ballflug überhaupt ein Spielzug werden soll, muss sich der „Ballempfänger“ auf den „Ballsender“ einstellen, um reagieren zu können. Erst so entsteht ein Spielzug.
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Analog dazu ist ein kommunikativer Akt zusammengesetzt aus der Aktion des Senders (celuy qui parle) und der Reaktion des Empfängers (celuy qui l’escoute). Das heißt nun nicht, dass dem Wort erst eine Bedeutung zukommt, wenn es überhaupt einen Empfänger hat. Dies würde Montaignes Verweis auf die Natursprache der Laute und Gesten widersprechen. Zwar sieht Montaigne einen kommunikativen Akt erst im Zusammenspiel von Sender und Empfänger. Doch die Relation ist asymmetrisch, weil der Empfänger sich auf die Art der Äußerung des Senders einstellen muss (Cettuy– cy se doibt preparer à la recevoir selon le branle qu’elle prend). Ganz wie jener Jeux-de-paume-Spieler, der im Moment nicht schlägt. Dieser Aspekt der Sprache wird in der „Apologie“ durch das Beispiel eines blinden Edelmannes gestützt: „[a] il entend si peu ce qui luy manque, qu’il use et se sert comme nous des paroles propres au voir, et les applique d’une mode toute sienne et particuliere. On luy presentoit un enfant du quel il estoit parrain; l’ayant pris entre ses bras: Mon Dieu, dict–il, le bel enfant! qu’il le faict beau voir! qu’il a le visage guay! Il dira comme l’un d’entre nous: Cette sale a une belle veue: il faict clair, il faict beau soleil.“ (II 12: 589)
Der Edelmann gebraucht Wörter und Sätze, als ob er mit ihnen „Widerfahrnisse der Seele“ ausdrücken würde. Dabei empfängt er gar keine visuellen Eindrücke, weder von einem Ding der Außenwelt (le bel enfant, Cette sale a une belle veue) noch einen subjektiven Eindruck (qu’il le faict beau voir). Trotzdem hat er gelernt, die Sprache zu benutzen und formuliert sinnvolle Sätze. Das geschieht aber nicht durch die Symbolisierung einer Widerfahrnis seiner Seele, sondern allein durch den kommunikativ abgestützten Gebrauch der Worte (il use et se sert comme nous des paroles propres au voir). Im Gegensatz zum klassischen Modell, auf das sich der mentalistische Rationalismus stützt, kann Montaigne durch seine beiden Erweiterungen etwas als Sprache verstehen, auch wenn es sich nicht in der Gestalt artikulierter Worte und Sätze äußert und von einem Sprecher mit einem adäquaten kognitiven Vermögen und einer bestimmten Absicht geäußert wird. Damit kann der Behauptung, dass Tiere nicht sprechen, entgegen getreten und dem Dogmatiker vorgeworfen werden, dass dieser die Sprache zu eng fasse. Montaigne hätte sich sogar auf De Interpretatione beziehen können, denn Aristoteles spricht von „nicht buchstabierten Lauten der wilden Tiere“, die etwas kund geben (16a 29, vgl. Pol., 1253a 11–2). Darüber hinaus scheint Aristoteles an einer anderen Stelle das Gewicht auf den Verstehensakt des Hörers und nicht auf den Denkakt des Sprechers zu legen: Eine Lautäußerung ist ein sprachlicher Akt, weil ein Hörer einen Verstehensakt ausführt: „Jemand, der (ein solches Wort) ausspricht, bringt sein Denken (bei der mit ihm gemeinten Sache) zum stehen, und jemand, der (es) hört, kommt (in seinem Denken bei dieser Sache) zum Stillstand.“ (De int. I 16b19–21) Es hat den Anschein, als hätte Montaigne den Kommentar des Boethius (der die eben angedeutete
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Auslegung von 16 b 19–21 portiert) in Erinnerung gehabt, wenn er das Beispiel des wütenden Hundes anführt, denn Boethius schreibt: „Nicht jede Lautäußerung bezeichnet aufgrund der Übereinkunft, sondern auch natürlicherweise, wie die Tränen, die Seufzer oder die Klagen (auch bei den Tieren sind einige Lautäußerungen natürlich hinwei send, wie etwa das Knurren des Hundes seinen Zorn manifestiert oder andere Laute das empfangene Streicheln.“ 80
Montaigne könnte also durchaus mit dem Gedanken im Hinterkopf geschrieben haben, dem Dogmatiker der anthropologischen Differenz eine Sprachkonzeption entgegenzuhalten, die er seinerseits auch dem „prince des dogmatistes“ und einer einflussreichen Kommentartradition entnimmt. Dennoch ist an dieser Stelle die skeptische Entgegensetzung noch schwach. Der Dogmatiker mag zugestehen, dass es sich aus der Perspektive einer erweiterten Sprachkonzeption bei der Tierkommunikation um eine Art Sprache handelt. Dennoch verweist allein die Sprache im engeren Sinn auf ein rationales Vermögen, die Sprache im erweiterten Sinn verweist bestenfalls auf Affekte und körperliche Zustände. Die Sender–Empfänger– Kommunikation zwischen Tieren ist bestenfalls ein Beleg für eine gegenseitige Verhaltensmanipulation, keine Mitteilung innerer Zustände. Stets hat der Dogmatiker die Möglichkeit zu entgegnen, dass die Natursprache lediglich einer angebornen Disposition entspringe und die Kommunikationspartner lediglich ihren angeborenen Instinkten folgen würden. Um den mentalistischen Rationalismus zu treffen und ein Gleichgewicht der Meinungen zu erreichen, muss Montaigne Triftigeres anführen. Er muss sich direkter auf die Sprachfähigkeit im engeren Sinne und auf das rationale Vermögen beziehen. Und er muss Lernprozesse aufweisen. Diese erst vereiteln den Rückgriff auf angeborene Instinkte und Dispositionen. 22. Rückschluss auf den discours intérieur Montaigne führt die Fähigkeit einiger Vögel an, die menschliche Sprache zumindest teilweise zu erlernen: „[a] Si ne sont pas les bestes incapables d’estre encore instruites à nostre mode. Les merles, les corbeaux, les pies, les parroquets, nous leur aprenons à parler; et cette facilité que nous reconnoissons à nous fournir leur voix et haleine si souple et si maniable, pour la former et l’estreindre à certain nombre de lettres et de syllabes, tesmoigne qu’ils ont un discours au dedans, qui les rend ainsi disciplinables et volontaires à aprendre.“ (II 12: 463) 80
So Boethius In ȆİȡȚ. 2a I 1, 31, 21-31: „Non omnis vox significat quaedam positione designat, sed quaedam naturaliter, ut lacrimae, gemitus atque maeror (animalium quoque ceterorum quaedam voces naturaliter aliquid ostentant, ut ex canum latratibus iracundia eorumque alia quadam voce blandimenta monstrantur).“ (zitiert nach Pépin 1985: 41-2n).
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Das „empirische“ Material stammt wiederum von Plutarch.81 Das Talent von Amseln, Raben, Elstern und Papageien zum Erlernen der menschlichen Sprache, zeigt jedoch nicht allein ihr Lernvermögen an, sondern Montaigne vertritt die Ansicht, diese Talent deute auf einen inneren mentalen Vorgang (un discours au dedans) hin, der sich in ihrem äußeren Verhalten zeige. Das bedeutet, dass bei diesen Vögeln ein innerer mentaler Vorgang abläuft, der ihnen die Laute der menschlichen Sprache vergegenwärtigt. Vielleicht könnte man sogar von einer Art interner Repräsentation sprechen, die ihr Lernvermögen lenkt82 Montaignes Hinweis auf einen internen mentalen Vorgang lässt sich mit seiner kommunikativen Erweiterung der Sprache verbinden. Die vielfältigen Zeichen und Signale, die Tiere unter sich austauschen, lassen den Gedanken aufkommen, dass sie gewisse interne Repräsentationen bezüglich ihrer Umwelt teilen, mitteilen und sich aufgrund dieser Kommunikation auf eine bestimmte Weise verhalten. Einen etwas anders gelagerten Gedankengang führt Montaigne im Anschluss an Aristoteles weiter, der berichtet, dass Nachtigalleneltern ihren Jungen das Singen beibringen. In Gefangenschaft aufgezogene Nachtigallen ermangeln hingegen der sängerischen Raffinesse elterlich ausgebildeter Artgenossen. In einer späteren Auflage der Essais führt Montaigne diese Beobachtung weiter, indem er über einen gefangenen Vogel schreibt: „[b] Nous pouvons juger par là qu’il reçoit de l’amendement par discipline et par estude. Et, entre les libres mesmes, il n’est pas ung et pareil, chacun en a pris selon sa capacité; et, sur la jalousie de leur apprentissage, ils se debattent à l’envy d’une contention si courageuse que par fois le vaincu y demeure mort, l’aleine luy faillant plustost que la voix. Les plus jeunes ruminent, pensifs, et prenent à imiter certains couplets de chanson: le disciple escoute la leçon de son precepteur et en rend compte avec grand soing; ils se taisent, l’un tantost, tantost l’autre; on oyt corriger les fautes, et sent on aucunes reprehensions du precepteur.“ (II 12: 464–5)
Hier findet Montaigne tierliches Lernen. Ausgangspunkt der Überlegung ist, dass es sowohl zwischen gefangenen und freilebenden Vögeln als auch zwischen den Individuen Gesangsunterschiede gibt. Montaigne folgert, dass der Gesang der Nachtigallen nicht einem eingeborenen Ablauf gemäß erfolgt, sondern einen Lerneffekt darstellt. Dieser Lerneffekt sei nicht artspezifisch, sondern folge lokalen Vorbildern. Natürlich springt bei dieser Überlegung sogleich ins Auge, dass sie von einem aktiven Lehr– und Lernvorgang ausgeht. Die Vogeleltern unterrichten ihre Jungen aktiv und diese folgen dem Unterricht praktisch und theoretisch. Montaigne unterscheidet nicht, ob es sich um einen aktiven oder um einen passiven Lernvorgang
81 82
Konstantinovic 1989: 306. Vgl. Proust 1992 & 1997: 19 ff.
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handelt.83 Im letzteren Fall würde der Erfolg nur durch Nachahmung eintreten. Aber die Nachahmung eines Verhaltens ist keine geringe Fertigkeit. Sie erfordert ein Erfassen des nachzuahmenden Ablaufs. Es zeigt die Befähigung eines tierischen Beobachters, ein Muster aus einem bloßen Lautverhalten zu extrahieren. 23. Der Anthropomorphismusvorwurf Es ist offensichtlich, dass Montaigne das Singverhalten der Nachtigallen nach dem Muster des Unterrichts bei Menschen stark anthropomorphisiert. Fallbeispiele aus dem Reich der Tiere, die Montaigne in der „Apologie“ herbeizieht, scheinen von einem unreflektierten Anthropomorphismus zu zeugen. So beschreibt beispielsweise D. Dennett Montaigne als einen leichtgläubigen „Romantiker von atemberaubender Ignoranz, nur darauf aus, noch die phantastischsten Märchen über den Geist der Tiere beim Wort zu nehmen und im Gegensatz zu Descartes nicht im geringsten daran interessiert herauszufinden, wie Tiere tatsächlich funktionieren.“ (Dennett 2005: 390).
Doch braucht man gar nicht auf Verächter Montaignes zurückzugreifen, denn auch Verteidiger und Liebhaber scheinen wie Tietz nicht viel von seiner Verteidigung der Tiervernunft zu halten.84 Der Anthropomorphismus wird oft als Vorwurf erhoben. Was ist falsch daran? Nichts, solange man zwei Punkte berücksichtigt.85 Erstens muss man sich im klaren darüber sein, dass man ein bestimmtes anthropomorphes Muster auf ein Tierverhalten anwendet. Der Anthropomorphismus muss reflektiert sein. Zweitens muss man berücksichtigen, dass der Anthropomorphismus als Instrument dient, um Fragen an das Tierverhalten zu stellen. Wir beziehen uns auf unsere eigene Erfahrung. Worauf sonst? Doch die Übertragung per analogiam von Mustern aus der menschlichen Erfahrungswelt auf Tiere ist nicht der Abschluss. Es folgt die Formulierung überprüfbarer Fragen. Ein Beispiel stellt die Überlegung dar, ob das Lernen der Nachtigallen aktiv oder passiv erfolgt. Dazu muss zuerst 83 84
85
Die Existenz aktiven Lernens bei Tieren ist nach wie vor umstritten. Fast schämen sie sich der Anekdoten, die aufgetischt werden (Strowski 1931: 166 ff.); die Passagen der „Apologie“, die sich der Verteidigung der Vernunft der Tiere widmen, können nicht ernst gemeint sein (Brahami 2001: 38); es muss sich um satirische Literatur handeln (Boas 1933: 64); es ist kaum anzunehmen, dass sich Montaigne tatsächlich auf derart fadenscheinige Analogieargumente stützt (Schaefer 1990: 69-70.); Montaignekenner wie D. Frame schütteln den Kopf: „Montaigne gives his critical judgement the day off and revels in the joy of argument.“ (Frame 1965: 164). Im Bulletin de la société des amis de Montaigne findet man innerhalb der letzten 40 Jahre drei Beiträge, die sich dem Tier bei Montaigne widmen, nämlich Maupoint 1963, Meuron 1995, Couturas 1995. In den Montaigne Studies findet sich bislang kein Beitrag. Fisher 1996, de Waal 1999 & 2001: 37-84.
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einmal das Verhalten dieser Tiere tentativ als Lernen beschrieben werden. Der Anthropomorphismus muss also kritisch sein. Wir benutzen im ersten Schritt anthropomorphe Muster, um tierliches Verhalten überhaupt beschreiben zu können (Abschn. 83) und im zweiten Schritt wird geprüft, ob diese Muster auch für die Erklärung des Verhaltens angemessen sind. Einen Anthropomorphismus, der weder reflektiert noch kritisch ist, kann man naiv nennen. Ist Montaigne naiv? Im Zuge seines skeptischen Gegendiskurses geht es Montaigne ausdrücklich darum, den Tieren Fertigkeiten und Vermögen zuzuschreiben, die den Menschen vorbehalten sind. Diese Zuschreibung erfolgt zweifellos reflektiert. Im dritten Gegenargument gibt Montaigne einen Grund für die Übertragung anthropomorpher Muster auf Tierverhalten. Bleibt der kritische Aspekt des Anthropomorphismus bei Montaigne auf der Strecke? Versäumt es Montaigne, kritische Fragen an das Tierverhalten zu stellen? Nun, Montaigne führt einen Gegendiskurs und sein Interesse gilt weniger den experimentell überprüfbaren Fragen, die man hinsichtlich des Tierverhaltens stellen kann. Vielmehr müssen sich solche Fragen dem Dogmatiker der anthropologischen Differenz stellen. Er muss sich allgemein fragen: Warum ist es nicht gerechtfertigt, anthropomorphe Muster zur Beschreibung und Erklärung tierlicher Verhaltensweisen heranzuziehen? Auch wenn Montaigne bisweilen unkritisch ist, die „Apologie“ eröffnet in ihrer wissenschaftlich unbeholfenen Art immerhin die Möglichkeit solcher Fragen. Ein anderer Skeptiker, F. Mauthner, betonte zurecht: „Noch einmal: die halbwegs zugänglichen Begriffe der Menschenpsychologie auf die Tierseele anzuwenden, das ist notwendig, wenn wir überhaupt eine Tierpsychologie zu besitzen wünschen.“86 Montaignes Interesse gilt in erster Linie Fragen, die an die Vertreter einer starken anthropologischen Differenz gerichtet werden können: Ist dies, was ich hier an den Sprech- und Singvögeln beschreibe, nicht auch ein Lernen aufgrund interner mentaler Vorgänge? Folgt der Gesang der Nachtigallen nicht viel weniger einem eingeborenen Ablauf, als vielmehr einem (sogar lokalen) Lerneffekt? Sollte Montaignes letzte Vermutung übrigens zutreffen, dann würde unter den Nachtigallen ein lokaler, nicht speziesgebundener, intergenerationaler Verhaltenstransfer bestehen. Innerhalb der gegenwärtigen Diskussion unter Verhaltensforschern würde dies bedeuten, dass bei Nachtigallen eine Form der Kultur existiert. Der Biologe F. de Waal, vehementer Befürworter des reflektierten und kritischen Anthropomorphismus, verweist mit „the nongenetic spreading of habits and information“ auf den kleinsten gemeinsamen Nenner dessen, was wir „Kultur“ nennen.87 Diese Minimalbestimmung trifft auf das Singlernverhalten der Nachtigallen zu, wie Montaigne es deutet. 86 87
Mauthner 1910: 2212. de Waal 2001: 30-1.
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24. Das Hauptargument: Gleiche Wirkungen und gleiche Vermögen Der bislang besprochene Gang der Argumentation bewegt sich im Rahmen der Voraussetzung, gegen die sich Montaigne wendet, nämlich dass Tiere nicht sprechen. Der Angriff auf dieses Argument eröffnet die Zweifel an der mentalistisch–rationalistischen Position. Mit seinen Überlegungen zu den Vogelbeispielen wendet sich Montaigne vom discours exterieur zum discours interieur. Das dritte Gegenargument wendet sich dem rationalen Vermögen selbst zu. Es geht von der folgenden Prämisse aus: „[a] Je dy donc, pour revenir à mon propos, qu’il n’y a point d’apparence d’estimer que les bestes facent par inclination naturelle et forcée les mesmes choses que nous faisons par nostre choix et industrie. Nous devons conclurre de pareils effects pareiles facultez, et confesser par consequent que ce mesme discours, cette mesme voye, que nous tenons à ouvrer, c’est aussi celle des animaux.“ (II 12: 460)
Dies ist das einschlägigste Argument, das Montaigne vorbringt.88 Es wendet sich gegen einen weit verbreiteten, methodologischen Vorbehalt, der nicht daran zweifelt, dass es angemessen ist, auf Menschen psychologische und mentale Beschreibungen anzuwenden und ihnen geistige Vermögen zuzuschreiben, der jedoch Tieren gegenüber dies erst einmal anzweifelt, sodass daran anschließend nachgewiesen werden muss, dass sie überhaupt Subjekte psychologischer und mentaler Beschreibungen und der Zuschreibung geistiger Vermögen sind. Ausdrücklich betont Montaigne, dass es nicht angeht, Verhaltensweisen, die sich sowohl bei Tieren als auch bei Menschen finden, mithilfe zweier unterschiedlicher Vermögen zu erklären. So wird angenommen, dass Tiere bestimmte Verhaltensweisen nur instinktiv oder unter einer Art Zwang ausüben (par inclination naturelle et forcée). Dasselbe Verhalten wird beim Menschen mentalistisch beschrieben und auf eine Reihe von Überlegungen und Entscheidungen zurückgeführt (par nostre choix et industrie). Hier wird mit zweierlei Maß gemessen und Montaigne weist diesen doppelten Maßstab explizit zurück. Er geht vom Grundsatz aus, dass von gleichen Wirkungen auf gleiche Ursachen geschlossen werden muss. Das bedeutet im Rahmen der Fakultätenpsychologie: Von gleichen Verhaltensweisen oder Fertigkeiten muss auf gleiche kognitive Vermögen geschlossen werden. Die Darstellung auf folgender Seite bringt zuerst in verkürzter Form die Position des Dogmatikers vor, dann Montaignes Gegenargument.
88
Unschwer ist es als Analogieargument erkennbar. Auf die Kritik des Arguments werde ich im Descarteskapitel eingehen (Abschn. 47), auf seine Verteidigung im Humekapitel (Abschn. 83-90).
80
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Dogmatiker
(1) (2)
Dogmatiker/ Montaigne
(3)
Das Tier T hat nicht das Vermögen rV (rationales Vermögen). Der Mensch M führt verschiedene Akte {a, b, c, ...}M aufgrund von rV aus. „Nous devons conclurre de pareils effects pareilles facultez.“
T führt die Akte {a, b, c, ...}T aus. Die Akte {a, b, c, ...}T und die Akte {a, b, c, ...}M sind gleichwertig, ähnlich oder analog. (6) T führt die Akte {a, b, c, ...}T aufgrund von rV aus. Was bedeutet es, dass Montaigne von (3) ausgeht? Als Skeptiker sollte er nicht von Grundsätzen ausgehen, möchte man meinen. Montaigne argumentiert hier ad hominem, denn er übernimmt einen Grundsatz, von dem er mit einigem Recht annehmen darf, dass ihn der Dogmatiker unterschreibt. Deshalb ist in der Darstellung des Arguments bei (3) sowohl der Dogmatiker als auch Montaigne eingetragen. Das kritische Moment des Arguments ist offensichtlich der Übergang von (4) zu (5). Nicht nur muss eine stimmige Beschreibung der Akte {a, b, c, ...}T in Schritt (4) geleistet werden, diese Beschreibung muss darüber hinaus so interpretiert werden, dass eine Gleichwertigkeit von {a, b, c, ...}T und {a, b, c, ...}M entsteht. Wie geht Montaigne vor? Ein Beispiel, das sich unmittelbar an das Argument anschließt, soll dies verdeutlichen. Ein Fuchs nähert sich einem zugefrorenen Fluss: Montaigne
(4) (5)
„[a] quand nous le verrions au bord de l’eau approcher son oreille bien pres de la glace, pour sentir s’il orra d’une longue ou d’une voisine distance bruyre l’eau courant au dessoubs, et selon qu’il trouve par là qu’il y a plus ou moins d’espesseur en la glace, se reculer ou s’avancer, n’aurions nous pas raison de juger qu’il luy passe par la teste ce mesme discours qu’il feroit en la nostre, et que c’est une ratiocination et consequence tirée du sens naturel: Ce qui fait bruit, se remue; ce qui se remue, n’est pas gelé; ce qui n’est pas gelé, est liquide, et ce qui est liquide, plie soubs le faix? Car d’attribuer cela seulement à une vivacité du sens de l’ouye, sans discours et sans consequence, c’est une chimere, et ne peut entrer en nostre imagination. De mesme faut il estimer de tant de sortes de ruses et d’inventions dequoy les bestes se couvrent des entreprinses que nous faisons sur elles.“ (II 12: 460)
Dieses Beispiel füllt das Schema des Arguments. Am Anfang steht eine Beobachtung (bzw. eine Anekdote): Der Fuchs horcht nach den Geräuschen unter dem Eis und er legt ein Verhalten an den Tag (zurück- oder weitergehen), das mit einer bestimmten Umweltbedingung kovariiert (nämlich mit der Stärke der Fließgeräusche unter dem Eis). Nun folgt der Schritt (5) des Arguments. Wenn wir bei einem Menschen ein solches Verhalten beobachten,
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dann unterstellt der mentalistische Rationalist (vielleicht zu Unrecht), dass er durch Nachdenken (ratiocination) zu einem bestimmten Schluss (consequence) gelangt. Nachdenken und Schließen schreibt er einem bestimmten kognitiven Vermögen zu, dem rationalen Seelenteil. Warum sollten wir dem Fuchs, der das gleiche Verhalten an den Tag legt, nicht auch Nachdenken, Schluss und das diesen Prozessen zugrundliegende kognitive Vermögen zuschreiben? Montaigne weist sogleich den Einwand zurück, der das Verhalten des Fuchses einem sensitiven Vermögen, der Wahrnehmungsmodalität des Hörens, zuschreibt. Im Text wird nicht ganz deutlich, weshalb Montaigne diesen Einwand ablehnt. Es könnte sich beim Verhalten des Fuchses tatsächlich um eine relativ einfache Kovarianz zwischen akkustischen Eindrücken und einer Verhaltensalternative handeln, ohne komplexe kognitive Zwischenschritte. Montaigne scheint diese Überlegung deshalb zurückzuweisen, weil sie das Prinzip (3) verletzt und gleiches Verhalten aufgrund unterschiedlicher Vermögen erklärt. Erinnern wir uns, wie Montaigne das dritte Gegenargument eingeführt hat: „[a] Je dy donc, pour revenir à mon propos, qu’il n’y a point d’apparence d’estimer que les bestes facent par inclination naturelle et forcée les mesmes choses que nous faisons par nostre choix et industrie.“ Er greift damit einen doppelten Erklärungsstandard an. Der Dogmatiker neigt dazu, gleiches Verhalten bei Menschen und Tieren mit unterschiedlichen Erklärungsmaßstäben zu messen. Dabei setzt er aber eine anthropologische Differenz voraus, um deren Begründung es hier ja gerade geht. Ein alternatives Erklärungsmuster würde davon ausgehen, dass der Fuchs in der Vergangenheit schlechte Erfahrungen machte, nachdem er unter einer Eisdecke Fließgeräusche vernommen hatte: Er brach in den kalten Fluss ein. Nun assoiziiert er die Fließgeräusche unter Eis mit dieser Erfahrung und wendet sich um. Dieser Form der Konditionierung durch Assoziation liegen keine Schlussketten zugrunde, sondern schlicht ein Unlustgefühl. Warum bedenkt Montaigne diese explanatorische Alternative nicht? Um eine Antwort geben zu können, muss man beachten, dass Montaignes Argument eine implizite Prämisse enthält. Die Prämisse (3) wird von Montaigne ohne besondere Begründung eingeführt. Ebenfalls wird mit dieser Prämisse ein weiteres Prinzip eingeführt, das Montaigne nicht ausdrücklich formuliert. Es besteht darin, dass bestimmte Akte nur durch bestimmte Vermögen hervorgebracht werden. Könnten nämlich die noch so vergleichbaren Akte, auf die Schritt (5) in der Argumentation hinweist, auch durch andere Vermögen erklärt werden, dann wäre der Schluss in Schritt (6) nicht gültig. Denn man könnte einwenden, dass es sich nicht um dieselben Vermögen handeln müsse, sondern dass möglicherweise andere Mechanismen der Hervorbringung im Spiel seien. Diese implizite Prämisse und die explizite Prämisse (3) braucht Montaigne nicht eigens zu begründen.
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Denn er kann sich ganz auf die Standards jenes Diskurses verlassen, gegen den er sich richtet. Dazu gehören sowohl das Prinzip der kausalen Gleichwertigkeit als auch das Prinzip der Fakultätenpsychologie: Bestimmte Akte können nur von bestimmten Vermögen hervorgebracht werden. Dies ist eine der Voraussetzungen des mentalistischen Rationalismus der Frühen Neuzeit. Nur die rationale Seele bringt Denkakte hervor. Montaigne braucht diese Prämissen weder zu begründen noch zu akzeptieren. Da der Dogmatiker seine Position auf diese Voraussetzungen stützt, tut Montaigne im Sinne der skeptischen Widerrede gut daran, diese Voraussetzungen gegen den Dogmatiker zu wenden. Daraus ergibt sich die Plausibilität der skeptischen Argumentation, wenn sie das intersubjektive therapeutische Ziel der Bekämpfung der Voreingenommenheit des Dogmatikers verfolgt. Die erwähnte explanatorische Alternative baut jedoch nicht auf einer Fakultätenpsychologie auf, sondern auf einer Assoziationstheorie, in der Vorstellungen mit Vorstellungen aufgrund vergangener Erfahrungen verknüpft sind. Je nach Art der Erfahrung ist die Vorstellungsassoziation von Lust oder Unlust begleitet, was die Art der Handlung (zurück- oder weitergehen) motiviert. Auf diese Erklärungsstrategie braucht Montaigne aus dem einfachen Grund nicht zu antworten, weil sie im historischen Kontext seines Gegendiskurses nicht vorgebracht wird. Andererseits könnte Montaigne auch dieser Strategie entgegenhalten, dass sie mit einem doppelten Standard misst, wenn sie sich nicht bereit zeigt, dieses Erklärungsmuster auch auf das entsprechende menschliche Verhalten anzuwenden. Im dritten Gegenargument versucht Montaigne zu zeigen, dass wir Tieren ein rationales Vermögen zuschreiben können. Wenn der Fuchs sein Verhalten nicht durch rationale Überlegung lenkt, warum sollte menschliches vergleichbares Verhalten auf rationaler Überlegung beruhen? Wenn Tiere allein mit niederen kognitiven Vermögen wie Wahrnehmung, Erinnerung oder Einbildungskraft so etwas wie rationale Überlegungen anstellen, warum brauchen wir dazu eigens ein rationales Vermögen? Die beiden argumentationsstrategischen Alternativen, die sich mit diesen Fragen abzeichnen, laufen in die folgende Richtung. Mit der ersten Frage ist die Vermutung geäußert, dass weder Tiere noch Menschen den überwiegenden Teil ihrer Verhaltensweise auf rationalen Überlegungen aufbauen. Sowohl Menschen als auch Tiere handeln einfach aufgrund gemachter Erfahrungen, eingespielter Gewohnheiten und assoziativer Muster. Damit wird der Rationalismus aufgegeben. Mit der zweiten Frage ist dem Rationalisten insoweit Recht gegeben, als dass Tieren kein rationales Vermögen zugesprochen wird. Aber wenn Tiere ohne diesen besonderen Seelenteil Folgerungen ziehen können, warum braucht der Mensch dazu eigens einen besonderen Seelenteil? Sowohl Menschen als auch Tiere handeln zwar aufgrund rationaler Überlegungen, dazu braucht es aber keine rationale Seele. Hier wird die Fakultätenpsychologie umgebaut (Abschn. 8, 33–6).
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III. Kritik an Ordnungsvorstellungen und satirischer Pyrrhonismus 25. Der erste pyrrhonische Tropus Zum Argumentationsinventar der Pyrrhoniker gehören die zehn Tropen (Abschn. 16). Der erste Tropus argumentiert aus der Verschiedenheit der Lebewesen. Aus ihm wird Montaigne weitreichendere Folgerungen ziehen als Sextus. Rufen wir uns in Erinnerung, wie die Durchführung des ersten Tropus aussieht. Sextus beruft sich auf die unterschiedliche physiologische Beschaffenheit der Sinnesmodalitäten bei verschiedenen Lebewesen und behauptet, dass dadurch die wahrgenommenen Gegenstände auch unterschiedlich erscheinen müssen. Dass dem so ist, folgert Sextus per analogiam aus den Wahrnehmungserfahrungen bei Menschen. So erscheinen uns, wenn wir unsere Augäpfel ein wenig quetschen, die Dinge länger und höher als wenn wir sie mit unberührten Augen betrachten. Sextus folgert, dass Lebewesen mit länglichen oder schrägen Pupillen, wie etwa Katzen oder Ziegen, dieselben Dinge anders erscheinen müssen als uns (Sextus 1968: 104/PH I 47): „Wenn aber dieselben Dinge entsprechend der Verschiedenheit der Lebewesen ungleichartig erscheinen, dann werden wir zwar imstande sein zu sagen, wie der zugrundeliegende Gegenstand von uns angesehen wird, wie er aber seiner Natur nach ist, darüber werden wir uns zurückhalten. Denn wir können selbst auch nicht zwischen unseren Vorstellungen und denen der anderen Lebewesen entscheiden, weil wir selbst ein Glied des Widerstreites sind und deshalb eher der entscheidenden Instanz bedürfen, als dass wir selbst urteilen können.“ (Sextus 1968: 107/PH I 59)
Nehmen wir an, die Eigenschaft F werde einem Gegenstand a aus der Perspektive des Menschen zugeschrieben, die widersprechende Eigenschaft F* aus derjenigen eines anderen Tiers. Ob nun aF oder aF* dem tatsächlichen Sachverhalt entsprechen, kann nicht ausgemacht werden. Wenn wir im Falle eines Widerstreits zwischen aF und aF* ein Urteil fällen wollen, so können wir das allein aus unserer Wahrnehmungsperspektive. Wir selber sind ein „Glied des Widerstreits“. Eine „entscheidende Instanz“ müsste gefunden werden, die eine Perspektive unabhängig von unserer Perspektive zur Verfügung stellte. Natürlich wäre auch diese Perspektive wiederum nur eine andere und selbst wiederum „Glied des Widerstreits“. Das hindert freilich nicht, dass wir aF eingeschränkt behaupten können, nämlich relativ zu unserer Perspektive. Sextus nimmt die Relativität als Ausgangspunkt der zehn Tropen, um zu zeigen, dass sich eine objektive Erkenntnis der Natur der Erkenntnisgegenstände nicht ohne weiteres ergibt. Montaigne nun interessiert sich weniger dafür, ob wir einem bestimmten Objekt a eine bestimmte Eigenschaft
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Kapitel II – Montaigne – Skepsis und Tiervernunft
F (oder die Eigenschaft F*) zuschreiben und ob wir so eine wahre Aussage über die Beschaffenheit von a treffen können, sondern zielt auf die Perspektivität selbst. Mit der Behauptung „[a] L’homme ne peut estre que ce qu’il est, ny imaginer que selon sa portée“ (II 12: 520) artikuliert die „Apologie“ einen von der pyrrhonischen Skepsis ausgehenden generellen Perspektivismus.89 Gemäß der skeptischen Argumentation sind die Erkenntnisse des Menschen relativ zu dessen Perspektive. Die Welt stellt sich ihm unter einer bestimmten Perspektive dar. Gemäß der Argumentation gegen den mentalistischen Rationalismus ist es denkbar, dass Tiere über dieselben kognitiven Vermögen verfügen wie der Mensch (Sextus 1968: 111/PH I 76). Daraus lässt sich schließen, dass sich den Tieren die Welt ebenfalls relativ zu einer bestimmten Perspektive darstellt. Allerdings müsste Montaigne seinem Gegendiskurs entsprechend folgern, dass sich die Welt den Tieren so darstellt wie den Menschen, da er im dritten Gegenargument auf dieselben kognitiven Vermögen geschlossen hat. Nun geht er einen Schritt weiter und führt eine Doppelperspektivität ein, die sehr schön in der folgenden (und oft zitierten) Stelle zum Ausdruck kommt: „[c] Quand je me jouë à ma chatte, qui sçait si elle passe son temps de moy plus que je ne fay d’elle?“ (II 12: 452) Wie ist die Doppelperspektivität zu verstehen? Grundsätzlich so: Es ist denkbar, dass die Tiere eine andere und weitere Perspektive haben, der gemäß sich die Welt ihnen anders darstellt als uns. Montaigne baut auch hier eine sorgfältige Argumentation auf.90 Zunächst geht er von einer empiristischen – wiederum aristotelischen91 – Prämisse aus: „[a] toute cognoissance s’achemine en nous par les sens. […] Les sens sont le commencement et la fin de l’humaine cognoissance“ (II 12: 587–8). Dieser Ausgangspunkt ist für den urbanen Skeptiker unproblematisch, denn er steht damit auf dem Boden sowohl unserer Alltagsüberzeugungen als auch der aristotelisch–scholastischen Erkenntnistheorie.92 Für die Durchführung der Argumentation braucht Montaigne selbst die Prämisse nicht zu teilen. Die Argumentation ad hominem ist, wie bereits angemerkt, ein wichtiger Zug der pyrrhonischen Skepsis. Nun unterstreicht Montaigne, dass es um die Perspektivierung der menschlichen Erkenntnis geht (toute cognoissance s’achemine en nous; l’humaine cognoissance). Die Argumentation ist, wenn man so will, auch in diesem Sinne ad hominem. Ausdrücklich betont Montaigne. „[b] Les yeux humains ne peuvent apercevoir les choses que par 89
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Die „Apologie“ diskutiert auch viele spezielle Facetten des Perspektivismus; vgl. zum Sprachrelativismus (II 12: 553-4), zum erkenntnistheoretischen Relativismus (II 12: 561-2), zum in der Renaissance beliebten Klimarelativismus (II 12: 575), zum Perspektivismus (II 12: 580-1), zum ontologischen Relativismus (II 12: 599-600), zum kulturellen und ethischen Relativismus die Essays I 23 oder I 14. Vgl. auch Gontier 1999: 108 ff. Park 1988: 466-7. Montaigne zitiert an dieser Stelle Lukrez 1977: 288 ff./De rer. nat. IV 479 ff.
III. Kritik an Ordnungsvorstellungen und satirischer Pyrrhonismus
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les formes de leur cognoissance.“ (II 12: 535) Vor dem Hintergrund der tropischen Perspektivierung der Erkenntnis richtet sich Montaigne auf die Sinne selbst und weniger auf deren Erkenntnisobjekte: „[a] La premiere consideration que j’ay sur le subject des sens, c’est que je mets en doubte que l’homme soit prouveu de tous sens naturels. Je voy plusieurs animaux qui vivent une vie entiere et parfaicte, les uns sans la veue, autres sans l’ouye: qui sçait si en nous aussi il ne manque pas encore un, deux, trois et plusieurs autres sens? car, s’il en manque quelqu’un, nostre discours n’en peut découvrir le defaut. C’est le privilege des sens d’estre l’extreme borne de nostre apercevance: il n’y a rien au delà d’eux qui nous puisse servir à les descouvrir; voire ny l’un sens n’en peut descouvrir l’autre.“ (II 12: 588)
Die Vermutung lautet, dass es mehr Sinnesmodalitäten geben kann, als der Mensch besitzt. Dass es Lebewesen gibt, denen unsere Sinnesmodalitäten fehlen, ergibt sich aus der Tatsache, dass sinnlich depravierte Tiere existieren. Natürlich bemerken diese Tiere diesen Mangel nicht, sie haben keinen Sinn für die fehlenden Sinne. Ebenso wenig können wir herausfinden, ob und welche Sinnesmodalitäten uns fehlen könnten, denn die Sinne können einander nicht erkennen. Weder erkennt das Gehör den Gesichtssinn oder der Gesichtssinn das Gehör noch lässt sich der Tastsinn riechen usw. Dies scheint zu bedeuten, dass die Sinnesmodalitäten selbstrevelatorisch sind: Sie zeigen sich uns selbst an, wenn sie vorhanden sind. Da die Sinne gemäß der Argumentationsprämisse Anfang und Ende unserer Erkenntnis sind (le commencement et la fin), können wir keine anderen Erkenntnismittel heranziehen. Neben sensorisch depravierten Tieren gibt es auch Menschen, denen Sinnesmodalitäten fehlen, beispielsweise Blinde. Ich erinnere an das oben angeführte Beispiel des blinden Edelmannes, der trotz seiner Blindheit Begriffe und Sätze verwendet, die sich auf visuelle Eindrücke beziehen (Abschn. 21). Im Anschluss an dieses Beispiel fragt sich Montaigne: „[a] Que sçait–on si les difficultez que nous trouvons en plusieurs ouvrages de nature viennent de là? et si plusieurs effets des animaux qui excedent nostre capacité, sont produits par la faculté de quelque sens que nous ayons à dire? et si aucuns d’entre eux ont une vie plus pleine par ce moyen et entiere que la nostre? Nous saisissons la pomme quasi par tous nos sens; nous y trouvons de la rougeur, de la polisseure, de l’odeur et de la douceur; outre cela, elle peut avoir d’autres vertus, comme d’asseicher ou restreindre, ausquelles nous n’avons point de sens qui se puisse rapporter. Les proprietez que nous apellons occultes en plusieurs choses, comme à l’aimant d’attirer le fer, n’est–il pas vray–semblable qu’il y a des facultez sensitives en nature, propres à les juger et à les appercevoir, et que le defaut de telles facultez nous apporte l’ignorance de la vraye essence de telles choses?“ (II 12: 589– 90)
Hier klingt die Doppelperspektivität deutlich an. Montaigne spricht nicht mehr nur davon, dass uns möglicherweise einige Sinne fehlen und möglicherweise gerade jene, die uns befähigen würden, die Natur bestimmter
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Objekte zu erkennen. Er fragt, ob sich nicht die erstaunlichen Fähigkeiten gewisser Tiere daraus erklären lassen, dass sie andere, mehr oder angemessenere Sinnesmodalitäten besitzen als wir (par la faculté de quelque sens que nous ayons à dire). Um die Pointe der Argumentation besser zu erkennen, kann man darauf achten, welche Momente der Argumentation aus Quellen übernommen und was hinzugefügt wird. Das zitierte Beispiel der auf den Apfel bezogenen Sinneseindrücke stammt von Sextus, der es bei der Behandlung des dritten Tropus – der Verschiedenheit der Sinnesmodalitäten – anführt und bemerkt, es sei fraglich, wie sich unsere Sinneseindrücke zu den tatsächlichen Eigenschaften des Apfels verhalten. Sextus vermutet, dass der Apfel mehr, weniger oder andere Qualitäten haben kann, als uns erscheinen (Sextus 1968: 115/PH I 94) und verweist auf eine blinde und gehörlose Person, für die der Apfel lediglich drei Arten von sinnlichen Eigenschaften hat (Geruch, Geschmack, Gefühl). Analog dazu können auch wir nur die unseren Sinnesmodalitäten entsprechenden Eigenschaften des Apfels wahrnehmen. Von jenen Qualitäten, die über unsere Sinnesmodalitäten hinaus gehen, wissen wir nichts (Sextus 1968: 116/PH I 96–7). Diese Gedankenführung wird in der „Apologie“ übernommen. 26. Die Erweiterung des ersten pyrrhonischen Tropus Montaigne geht weiter. Man kann sagen, dass er den ersten und den dritten Tropus des Sextus verbindet,93 indem er die Vermutung aufstellt, dass die uns unzugänglichen Eigenschaften der Dinge – die okkulten Eigenschaften (les proprietez que nous apellons occultes) – den qualitativ oder quantitativ divergierenden Sinnen der Tiere zugänglich sein könnten. Wenn Tiere über andere, mehr oder angemessenere Sinnesmodalitäten verfügen, dann – gemäß der Prämisse der Argumentation – verfügen sie möglicherweise über eine andere, eine erweiterte oder angemessenere Perspektive auf die Welt. Montaigne führt eine ganze Palette von Beispielen erstaunlicher Fähigkeiten bei Tieren an, so den Zeitsinn des Hahns, die Unterscheidung zwischen gefährlichen und ungefährlichen Tieren bei Küken oder die Kenntnis gewisser Tiere von heilenden Kräutern. Diese Beispiele übernimmt Montaigne teilweise direkt von Seneca.94 Bereits zuvor hat sich Montaigne in der 93 94
Brahami 2001: 51. „[a] C’est à l’avanture quelque sens particulier qui descouvre aux coqs l’heure du matin et de minuict, et les esmeut à chanter; [c] qui apprend aus poulles, avant tout usage et experience, de craindre un esparvier, et non une oye, ny un paon, plus grandes bestes; qui advertit les poulets de la qualité hostile qui est au chat contre eux et à ne se desfier du chien [Vgl. Seneca 1977 ff. Bd. 20: 50/Ep. XX 121, 19: Quid est quare pavonem, quare anserem gallinanon fugiat, at tanto minorem et ne notum quidem sibi accipitrem? quarepulli faelem timeant, canem non timeant?], s’armer contre le mionement, voix aucunement flateuse, non contre l’abaier,
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„Apologie“ auf solche erstaunlichen Fähigkeiten bei Tieren berufen und auf Bienenwaben und Spinnennetze hingewiesen, um die These einer anthropologischen Differenz in Zweifel zu ziehen (II 12: 455). Auch hier stammen die Beispiele von Seneca.95 Während Seneca diese Fähigkeiten als Ergebnis einer eingeborenen Disposition betrachtet,96 schreibt Montaigne sie versuchsweise einer besonderen Sinnesmodalität oder einem höheren kognitiven Vermögen zu. „[a] Nous voyons toutefois aux nostres, plus grossiers, les facultez que nous y employons, et que nostre ame s’y sert de toutes ses forces; pouyquoy n’en estimons nous autant d’eux? pourquoy attribuer à je ne sçay quelle inclination naturelle et servile les ouvrages qui surpassent tout ce que nous pouvons par nature et par art?“ (II 12: 454–5)
Wie wir gesehen haben wird der doppelte Standard, menschliche Fähigkeiten höheren Vermögen, tierliche Fähigkeiten hingegen eingeborenen Instinkten zuzuschreiben von Montaigne explizit herausgefordert. Da unsere Erkenntnisse ihren Ausgang bei den Sinnen nehmen und sich die Welt relativ zu unseren sinnlichen Vermögen darstellt, stellt sich uns auch nur eine Welt relativ zu unserer kognitiven Perspektive vor: „[a] Qu’un homme entendu imagine l’humaine nature produicte originellement sans la veue, et discoure combien d’ignorance et de trouble luy apporteroit un tel defaut, combien de tenebres et d’aveuglement en nostre ame: on verra par là combien nous importe à la cognoissance de la verité la privation d’un autre tel sens, ou de deux, ou de trois, si elle est en nous. Nous avons formé une verité par la consultation et concurrence de nos cinq sens; mais à l’advanture falloit–il l’accord de huict ou de dix sens et leur contribution pour l’appercevoir certainement et en son essence.“ (II 12: 590)
Montaigne spricht davon, dass wir die unterschiedlichen Sinnesmodalitäten dazu gebrauchen, unsere Überzeugungen bezüglich der Eigenschaften der Dinge zu rechtfertigen. Er formuliert die Ansicht, dass auch unsere Erkenntnis der Wahrheit (la cognoissance de la verité) und unser Bild der Welt relativ zu unserer kognitiven Ausstattung und dementsprechend perspektivisch sind (formé une verité par la consultation et concurrence de nos cinq sens).
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voix aspre et quereleuse; aux freslons, aux formis et aux rats, de choisir tousjours le meilleur fromage et la meilleure poire avant que d’y avoir tasté; et [a] qui achemine le cerf, [c] l’elefant, le serpent [a] à la cognoissance de certaine herbe propre à leur guerison.“ Bei Agrippa von Nettesheim 1997: 48-9/De occulta philosophia 1, 17 finden sich die Beispiele für das medizinische Wissen der Tiere. Seneca 1977 ff. Bd. 20: 53/Ep. XX 121, 22. Apparet illis inesse nocituriscientiam non experimento collectam; nam antequam possint experisci, cavent. […] Nascitur ars ista, non discitur. Itaque nullum est animal altero doctius: videbis araneorum pares telas, par in favisangulorum omnium foramen. Incertum est et inaequabile quidquid ars tradit:ex aequo venit quod natura distribuit.“ (Seneca 1977 ff. Bd. 20: 50, 52/Ep. XX 121, 19, 23) Auf das von Seneca vorgebrachte Argument wird sich Descartes stützen (Abschn. 66).
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Wenn Tiere über andere, mehr oder adäquatere Sinnesmodalitäten verfügen und sie ebenso wie wir mit höheren kognitiven Vermögen ausgestattet sind, dann kann man annehmen, dass sie in einer anderen Welt leben, andere Dinge denken und erkennen als wir. Diesen Schluss hat Montaigne früher in der „Apologie“ bereits implizit gezogen: „[a] Or ces effets que nous reconnoissons aux autres animaux, plus grands que les nostres, tesmoignent en eux quelque faculté plus excellente qui nous est occulte, comme il est vray–semblable que sont plusieurs autres de leurs conditions et puissances [c] desquelles nulles apparances ne viennent jusques à nous.“ (II 12: 469)
Tiere haben vielleicht überlegene Fähigkeiten. Die epistemologischen Möglichkeiten des Menschen sind durch seine natürliche kognitive Ausstattung beschränkt. Wir gelangen hier auf eine andere Ebene der montaigneschen Skepsis. Meine Leitthese lautet, dass Montaignes Diskurs über die Vernunft der Tiere Teil seiner Skepsis ist: Ein Gegendiskurs im Sinne der dynamis antithetiké gegen den mentalistischen Rationalismus, der den Dogmatiker zur Urteilsenthaltung bringen soll. Nun zeigt sich, dass eine zusätzliche skeptische Strategie am Werk ist. Die entscheidende Pointe des ersten Tropus von Sextus besteht für Montaigne darin, dass er die Möglichkeit einer doppelten Perspektivität eröffnet. Montaigne unterscheidet zwischen einer Perspektive des Menschen, die er einschränkt, und einer Perspektive des Tiers, die er erweitert. Betrachteten wir zuerst die Perspektive des Menschen und deren Einschränkung. „[a] Comment cognoit [l’homme], par l’effort de son intelligence, les branles internes et secrets des animaux? Par quelle comparaison d’eux à nous conclud il la bestise qu’il leur attribue?“ (II 12: 452)
Mit Fragen formuliert Montaigne stets Zweifel (Abschn. 31). Man könnte den Zweifel so formulieren: Wir haben, so scheint es, keine Sicherheit, dass wir in der Lage sind, etwas über den Geist der Tiere herauszufinden. Eingeschränkt auf unsere Perspektive, kennen wir nicht die Perspektive des Tieres. Der Geist der Tiere bleibt uns verschlossen und wir können lediglich Vermutungen darüber anstellen, die jedoch stets auf unsere Perspektive beschränkt bleiben (Abschn. 9). Es handelt sich um einen weiteren Einwand gegenüber dem Dogmatiker der anthropologischen Differenz. Wenn er den Tieren rundherum den Geist oder bestimmte geistige Vermögen abspricht, wird zurückgefragt, wie und woher er etwas über das mentale Leben der Tiere wissen könne. Montaigne beschränkt die menschliche Perspektive. Dieser zunächst sehr defensive Vorbehalt wird von Montaigne durch die soeben rekonstruierte Argumentation offensiv gewendet. Sie geht davon aus, dass dem Tier eine eigenständige kognitive Perspektive auf die Welt zukommt, die sich aber möglicherweise vom Menschen so stark unterscheidet, dass man davon
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sprechen kann, dass sich die Welt relativ zur Perspektivität der Tiere anders ausnimmt. In der Zusammenfassung enthält dieses vierte Gegenargument die folgenden Schritte: 1. Die Sinne sind die Quellen aller Erkenntnisse über die Welt (diese empiristische Voraussetzung übernimmt Montaigne). 2. Die Welt stellt sich den unterschiedlichen Lebewesen relativ zu ihrenSinnen dar (diese perspektivistische Voraussetzung ist ein zentrales Element der skeptischen Tropen). 3. Sinnlich depravierte Tiere und Menschen haben weniger Sinne als Quellen ihrer Erfahrungen zur Verfügung. Die Welt stellt sich ihnen eingeschränkt dar. 4. Aufgrund einer Analogie aus (3) gewinnen wir eine Vorstellung davon, dass es möglich ist, dass einige Lebewesen über andere, mehr oder adäquatere Sinnesmodalitäten verfügen als wir Menschen (et si plusieurs effets des animaux qui excedent nostre capacité, sont produits par la faculté de quelque sens que nous ayons à dire?). 5. Einige erstaunliche Fähigkeiten von Tieren lassen vermuten, dass sie über andere, mehr oder adäquatere Sinnesmodalitäten verfügen als wir Menschen. 6. Aus (4) und (5) ergibt sich die Frage, ob der Mensch nicht mit allen Sinnesmodalitäten ausgestattet sei (je mets en doubte que l’homme soit prouveu de tous sens naturels). 7. Aus (1), (2) und (6) ergibt sich, dass die Perspektive des Menschen möglicherweise eingeschränkt ist und dass er keine vollständige Kennnis der Welt hat. 8. Aus (1), (2) und (5) ergibt sich, dass die Welt sich gewissen Tieren möglicherweise anders zeigt als dem Menschen. Dies ist eine Vertiefung des ersten skeptischen Tropus: Aufgrund der unterschiedlichen Perspektiven von Menschen und anderen Tieren ist es uns nicht möglich, ein Urteil darüber zu fällen, wie die Dinge unabhängig von diesen Perspektiven sind. Auf der Grundlage der Argumentation des skeptischen Gegendiskurses kann man geltend machen, dass es zwischen dem Bild der Welt, das sich in der Perspektive von Tieren zeigt, und dem Bild der Welt, das sich in der Perspektive des Menschen zeigt, kein perspektivenunabhängiges Urteil darüber geben kann, wie die Welt tatsächlich ist. Wie verhält sich der Einsatz der pyrrhonischen Tropen bei Montaigne zur Außenweltskepsis? Der klassische epistemologische Skeptizismus, der sich bei Descartes findet, zweifelt die Zuverlässigkeit der Sinne an. Die Sinne stellen dem Geist eine Welt dar, die so gar nicht existiert, entweder weil die Beschaffenheit der Dinge eine andere ist, als sie sich dem Geist darstellen, oder weil die Dinge selbst, die sich dem Geist durch die Sinne dar-
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stellen, gar nicht vorhanden sind. Im ersten Fall sind die Sinne Betrüger und stellen die Außenwelt möglicherweise falsch dar. Im zweiten Fall sind die Sinne Träumer und stellen Dinge dar, obwohl keine vorhanden sind. Der perspektivistische Zweifel Montaignes ist anderer Art. Selbst wenn die Sinne die sinnlichen Eigenschaften zuverlässig darstellen und selbst wenn sie tatsächlich existierende Dinge darstellen, dann nur so weit wir eben Sinnesmodalitäten haben. Die Welt mag sich aus unserer Perspektive so und so darstellen. Es ist denkbar, dass sie sich aus der Perspektive eines mit anderen Sinnesmodalitäten ausgestatteten Lebewesens ganz anders ausnimmt. Doch dann haben wir kein Recht zu sagen, dass die Welt tatsächlich so ist, wie sie sich uns darstellt. Schließlich ist es denkbar, dass unsere Sinnesmodalitäten wesentliche Eigenschaften nicht wahrnehmen können. Aufgrund der Perspektivität unserer kognitiven Konstitution ist unser Zugang zur Welt eingeschränkt. Anders als im Falle der Außenweltskepsis stellen die Sinne die Außenwelt nicht möglicherweise falsch dar, sondern perspektivisch und konstitutiv eingeschränkt. 27. Das metaphysische Bild von der Ordnung der Lebewesen Montaignes Angriff auf die rationalistische anthropologische Differenz ist auch ein Angriff auf eine metaphysische Ordnungsvorstellung. Das soeben skizzierte tropische Argument ist ein Instrument innerhalb dieses Angriffs. Im Aristotelismus bauen die Seelenteile und die ihnen entsprechenden Vermögen sozusagen wie die Stockwerke eines Gebäudes aufeinander auf (Abschn. 8, Schema A.1). Die Tiere – einschließlich des Menschen – verfügen über einen sensitiven Seelenteil, der z. B. für die unterschiedlichen Wahrnehmungsfunktionen zuständig ist. Die Zahl der äußeren Sinnesmodalitäten liegt auf der Hand. Es sind fünf: Gesicht, Gehör, Geruch, Geschmack und Gefühl. Aristoteles argumentiert dafür, dass es nur fünf Modalitäten sein können (De anima III 1 422b 22 ff.). Die Sinnesmodalitäten sind dazu da, die sinnlichen Qualitäten der Gegenstände wahrzunehmen. Darin besteht ihr Telos, ihre Zweckursache. Jeder Seelenteil und jedes Vermögen hat einen bestimmten Objektbereich, auf den es naturgemäß zugerichtet ist.97 97
Nudds 2004: 36-40. In De anima II 4 werden Seelenvermögen (z. B. das Wahrnehmungsvermögen) durch ihre Aktivitäten begriffen (z. B. die Wahrnehmung) und diese Aktivitäten durch die ihnen gemäßen Objekte (z. B. das Wahrnehmbare). Bei jedem Wahrnehmungssinn also muss man zuerst über das ihm entsprechende Wahrnehmbare sprechen (De anima II 6). Auch Thomas hebt die Korrespondenz zwischen den erkennenden Seelenvermögen und den ihnen gemäßen Objekten hervor: „Respondeo dicendum quod [...] obiectum cognoscibile proportionatur virtuti cognoscitivae.“ (ST Ia q.85 a.1c./ed. Leonina V: 330) Auch der intellektive Seelenteil hat eine ihm entsprechende Klasse kognitiver Objekte: „Intellectus autem humani, qui est coniunctus corpori, proprium obiectum est quidditas sive
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Der rationale Seelenteil baut erst auf dem vollendeten zweiten Stockwerk auf. Auch der rationale Seelenteil hat spezifische Objekte, wie Aristoteles hervorhebt (Eth. Nik., 1139a8–11.). Es besteht somit Grund zur Annahme, dass der Mensch über alle Sinnesmodalitäten verfügt, die notwendig sind, um die sinnlichen Qualitäten der Dinge zu erkennen. Als dasjenige Lebewesen mit dem rationalen Seelenteil steht der Mensch auf der obersten Stufe der Lebewesen und gemäß seinem hierarchischen Ort muss er sowohl mit allen als auch mit den adäquaten Sinnesmodalitäten ausgestattet sein.98 Es besteht somit eine geschlossene Hierarchie der Lebewesen, aus der kein Lebewesen durch zusätzliche Sinnesmodalitäten ausschert. Montaignes Vorstellung, dass es möglicherweise Tiere gibt, die über andere oder mehr oder adäquatere Sinnesmodalitäten verfügen, bricht aus dieser Hierarchie aus. Verfolgen wir diesen Angriff weiter. Das Zitat, das ich oben als Ausdruck von Montaignes Perspektivismus gedeutet habe (L’homme ne peut estre que ce qu’il est, ny imaginer que selon sa portée, II 12: 520), findet sich im Kontext einer ausführlichen Kritik der Vorstellungen über Gott (II 12: 512–34). Diese lange Passage endet mit der perspektivischen Einschränkung der Sinnesmodalitäten: „Les yeux humains ne peuvent apercevoir les choses que par les formes de leur cognoissance“ (II 12: 535). Sie weist Annäherungsversuche an das höchste Wesen als unangemessen zurück, ob es sich nun um begriffliche Bestimmungen, Gottesbeweise, Analogien oder Folgerungen über seine Pläne handle. Montaigne kritisiert aber nicht die Definitionen, Beweise oder Analogien im einzelnen. Vielmehr stellt er die Möglichkeit in Frage, dass der Mensch aufgrund seiner beschränkten kognitiven Ausstattung überhaupt zum Projekt der rationalen Theologie befähigt und berechtigt sei. In diesem Zusammenhang beruft sich Montaigne auf die tropisch skeptisch eingeschränkte Perspektive des Menschen. Innerhalb dieser Kritik kann es Montaigne nicht verfehlen, auf jenen Anthropomorphismusvorwurf Bezug zu nehmen, den Xenophanes in der Antike erhoben hat: Hätten Tiere Götter, würden sie sich diese nach ihrem Bild vorstellen. Pferde hätten Götter in Pferdegestalt (II 12: 532). Genauso seien unsere Gottesvorstellungen anthropomorphistisch. Montaigne kann nun aufgrund der Perspektivität diese Kritik generalisieren. Der xenophanische Anthropomorphismusvorwurf betrifft so nicht allein die Götter oder Gott, sondern auch das Bild der Welt. Montaignes reflexive Wendung auf die Perspektivität der Erkenntnis (Nous avons formé une verité par la consultation et concurrence de nos cinq sens) führt ihn zur Kritik des Anthropozentrismus. Darunter versteht Montaigne in erster Linie die Kritik der Idee,
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natura in materia corporali existens; et per huiusmodi naturas visibilium rerum etiam in invisibilium rerum aliqualem cognitionem ascendit. […] autem proprium obiectum intellectus nostri esset forma separata.“ (ST Ia q.84 a.7c/ed. Leonina V: 325) Thomas: Quaest. disput. de anima a.7 c/ed. Leonina XXIV1: 59 f.
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die Hierarchie der Lebewesen (zumindest in der sublunaren Region) laufe auf die Herrschaft des Menschen hinaus und ihm komme (zumindest innerhalb der sublunaren Region) eine Sonderstellung zu. Was ist der Hintergrund von Montaignes Angriff? In der Forschung wird oft betont, dass sich Montaignes Angriff gegen die Theologia des Sebundus richtet. Paradoxerweise greift also Montaigne die Thesen jenes Werks an, dessen Apologie zu schreiben er sich anschickt.99 In der Theologia spielen die Seinsstufen eine tragende Rolle. Vom bloß seienden Mineral (esse) über die lebende Pflanze (vivere) und das empfindende Tier (sentire) führt die Schöpfungsleiter (scala naturae) zum erkennenden Menschen (intellegere).100 Sebundus unterstreicht, dass diese Ordnung dem Menschen die Herrschaft über die anderen Lebewesen verschaffe.101 Zurecht meint A. Tournon, es erwecke den Anschein „comme si Montaigne avait voulu placer en position horizontale l’échelle de la nature imaginée par le théologien“.102 Allerdings schießt der exklusive Rückbezug der Argumentation der „Apologie“ auf die Theologia an Montaignes Sache vorbei. Montaignes Angriff orientiert sich zwar am Textmaterial von Sebundus, das er aufgrund seiner Übersetzungsarbeit sehr genau kennt. Allerdings konnte Montaigne nicht davon ausgehen, dass seine Leser das Werk des Sebundus – „[a] un autheur duquel le nom soit si peu connu“ – so genau kennen, wie die Montaigne-Philologen.103 Vielmehr greift Montaigne vor der Folie der The99
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Vgl. Brahami 1997: 14-57, Gessmann 1997: 21-46, Kablitz 1997. Diese Interpreten erachten es für besonders wichtig, zuerst die Theologia des Sebundus zu erläutern und dann zusehen, wie sich Montaignes Essay vor diesem Hintergrund ausnimmt. Sie halten den Essay erst vor diesem Hintergrund für richtig verständlich. Das leuchtet mir nicht ein. Erstens bezieht sich Montaigne im Essay trotz des Titels kaum auf Sebundus. Die Titel der einzelnen Essays sprechen ihren Inhalt nicht immer direkt an. Zweitens kann man fast jede anthropozentrische Philosophie der Renaissance als Hintergrund benutzen um Montaigne zu verstehen. Drittens hat dieser Essay gewirkt ohne große Kenntnisnahme des spezifischen sebundischen Hintergrunds. Viertens führt dies dazu, dass man die Skepsis bei Montaigne als reinen Fideismus interpretiert oder dass man die Bedeutung der Skepsis für Montaigne vor demHintergrund der Theologie herunterzuspielen versucht. Ausgewogen ist die Platzierung der Theologia bei Gontier 1998: 55-68. Sabundus 1966: 4-6/Theologia I 1. Sabundus 1966: 533/Theologia I 97. Genauer gesagt unterscheidet Sabundus 1966: 148/ Theologia I 109 zwei Arten des Dienstes (servitia). Der Dienst der Tiere gegenüber dem Menschen ist natürlich und geschieht aus Notwendigkeit, der Dienst des Menschen gegen über Gott jedoch ist eine Schuldigkeit und geschieht aus Freiheit. Tournon 1983: 238. Montaigne hat die „Apologie“ offenbar aufgrund einer Aufforderung hin verfasst. Der Auftraggeber bzw. die Auftraggeberin wird im Essay zwar direkt angesprochen (II 12: 557), aber nicht namentlich genannt. Es wird gemeinhin unterstellt, dass es sich um eine Aufforderung von Marguerite de Valois (1553-1615), der späteren Königin Frankreichs, gehandelt haben könnte. Wie dem auch sei, die Auftraggeberin dürfte den Bezug zum Text von Sebundus zweifellos hergestellt haben (und dürfte dabei verwirrt über die paradoxe Apologiestrategie gewesen sein). Das kann für andere Leser und Leserinnen nicht gelten. Es liegt eher die Vermutung nahe, dass Montaigne mit der „Apologie“ den Zweitdruck seiner Übersetzung der
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ologia ein allgemeineres aristotelisch-scholastisches Bild an. Auf dieses allgemeinere Bild bezieht er sich beispielsweise, wenn er durch den autoritativen Mund des Humanisten Adrianus Turnebus – „qui sçavoit toutes choses“ – darauf hinweist, die Theologia sei „quelque quinte essence tirée de S. Thomas d’Aquin“ (II 12: 440).104 Im Zentrum dieses metaphysischen Bildes steht, wie bei Sebundus, die Sonderstellung des Menschen und seine Herrschaft über andere Lebewesen. Das bedeutet, dass der Mensch durch die rationale Seele einer höheren (d. h. vollkommeneren) Seinsregion angehört als das Tier. Dies zieht den Gedanken nach sich, dass niedere Lebewesen für höhere Lebewesen geschaffen sind: Pflanzen für Tiere, Tiere für Menschen. Darin wird die Herrschaft höherer Lebewesen über niedere begründet, insbesondere die Herrschaft des Menschen über die Tiere und alle anderen Lebewesen.105 Im Kontext eines christlichen Aristotelismus bedeutet dies darüber hinaus, dass der Mensch durch das Haben einer rationalen Seele Gott näher steht als seine anderen Geschöpfe. Franciscus Toletus beispielsweise bemerkt in Commentaria una cum quaestionibus in III libros de anima (1565): „Zuletzt wollen wir nicht wie die Tiere, sondern wie die Engel und wie Gott sein; und auf eben diese Weise wollen wir diese nachahmen, und uns selbst erheben zu den göttlichen Werken und der Betrachtung und Nachahmung göttlicher Dinge.“ (III 5 q.16, zitiert in Des Chene 2000: 17n)
Gott schafft die rationale Seele und diese stellt, nach dem Ableben des Körpers, den unsterblichen Bestandteil dar. Die Grundlage dieser Gottesnähe besteht unter anderem darin, dass das Denkvermögen, im Unterschied zu den vegetativen und sensitiven Vermögen, nicht an ein körperliches Organ gebunden ist; nicht dass die rationale Seele im Aristotelismus wie bei den Platonikern ganz und gar unabhängig vom Körper ihre Tätigkeit ausüben könnte, aber sie ist nicht an bestimmte Körperorgane gebunden. Dies ermöglicht der rationalen Seele die Beschäftigung mit den nichtkörperlichen Objekten des Geistes und ist die Grundlage ihrer Unsterblichkeit. Aufgrund Theologia befördern wollte, der 1581 auch tatsächlich erfolgte (Blum 1990). 104 Montaigne hat sowohl Aristoteles als auch Thomas („Il me semble avoir leu autresfois chez sainct Thomas [...]“, I 30: 198) gelesen. Thomas freilich spielt als Referenzautor keine Rolle in den Essais. Exaktere Anleihen bei Aristoteles finden sich erst in der zweiten Auflage der Essais, insbesondere Bezüge zur Nikomachischen Ethik. Abgesehen davon gilt Aristoteles in humanistischer Manier als Übervater jener Pedanten, die es zu bekämpfen gilt: „[b] Je vy privéement à Pise un honneste homme, mais si Aristotélicien, que le plus general de ses dogmes est: que la touche et regle de toutes imaginations solides et de toute verité c‘est la conformité à la doctrine d‘Aristote; que hors de là ce ne sont que chimeres et inanité; qu‘il a tout veu et tout dict.“ (I 26: 151) Wichtig ist für Montaigne natürlich auch die humanistische Erziehung im Collège, unter anderem bei „Guillaume Guerente, qui a commenté Aristote“ (I 26: 174). 105 Vgl. Aristoteles Polit. 1256b15-20, Augustinus De civ. Dei XI 16, Thomas Summa contra gentiles IV 11/ed. Leonina XV: 32-6. Aristoteles Eth. Nic. 1102a26-1103a5 verweist auf die Rangordnung der Seelenteile innerhalb des Menschen in Begriffen höherer Vollkommenheit und der Herrschaft.
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der Tatsache, dass der Mensch eine rationale Seele hat, ist er mit den Engeln und selbst mit Gott verwandt. Was ihn aber von den Engeln unterscheidet, ist seine Verwandtschaft mit den anderen Tieren, die Tatsache also, dass er auch einen Körper hat bzw. ein Körper ist. Daher steht der Mensch auf einer höheren ontologischen Stufe als das Tier, lebt aber in derselben Welt materieller Objekte wie das Tier. Mit anderen Akzentuierungen wird die Sonderstellung des Menschen in der Renaissanceanthropologie akzentuiert.106 Eine bekannte Version findet sich in Giovanni Pico della Mirandolas Traktat De hominis dignitate. Picos These lautet, dass die Natur des Menschen darin bestehe, keine feste Natur zu haben. Im Unterschied zu den christlichen Aristotelikern der Frühen Neuzeit findet sich der Mensch bei Pico also nicht aufgrund einer wesentlichen Eigenschaft, der rationalen Seele, in einer anderen Seinsregion, sondern weil ihm im Gegenteil so etwas wie eine wesentliche Eigenschaft fehlt.107 „Also nahm er [Gott] den Menschen hin als Schöpfung eines Gebildes ohne besondere Eigenart, stellte ihn in den Mittelpunkt der Welt und redete ihn so an: [...] Du wirst von allen Einschränkungen frei nach deinem eigenen freien Willen, dem ich dich überlassen habe, dir selbst deine Natur bestimmen [...] damit du wie ein Former und Bildner deiner selbst nach eigenem Belieben und aus eigener Macht zu der Gestalt dich bilden kannst, die du bevorzugst. [...] Damit wir begreifen: Wir sind geboren worden unter der Bedingung, dass wir das sein sollen, was wir sein wollen.“ (Pico della Mirandola 1997: 7–9, 12–3)
Wenn auch keine eigentliche Natur, so hat der Mensch dennoch eine Aufgabe. Sie besteht primär in seiner Selbstbildung.108 Er ist mit dieser Aufgabe in die Mitte der Schöpfung gestellt. Letztlich hat er sich mit seiner Selbstbildung möglichst Gott anzunähern. Dann ist der Mensch freilich nicht mehr Mensch, sondern er wird „erfüllt vom Geist der Gottheit, nicht mehr [er] selbst, sondern geradezu der sein, der [ihn] geschaffen hat“.109 Der Mensch ist sozusagen der Gipfelstürmer auf der Leiter der Lebewesen.110 Die Gottebenbildlichkeit wird zum Träger der anthropologischen Differenz.111 Die andere Seite der Medaille besteht in der Pflicht, nicht auf eine tiefere Stufe zum nur empfindenden Tier, zur nur lebenden Pflanze oder zum nur noch seienden Stein zu sinken.112 Hier treffen wir wiederum auf die gleichen Seinsstufen wie bei Sebundus. Die hier für den Aristotelismus und die Renaissan106 Kristeller 1975: 115-23. 107 Im Zentrum steht weniger der intellektive als der voluntative Teil der rationalen Seele. In diesem freien Willen spricht Pico die Selbstgestaltungskraft des Menschen an. 108 Gerl 1989: 161-73, Greenblatt 1980. 109 Pico della Mirandola 1997: 30-1. 110 Weier 1988: 13-74. 111 Trinkaus 1998. 112 Pico della Mirandola 1997: 9-13.
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ceanthropologie skizzierte Sonderstellung des Menschen findet sich auch bei Neoplatonikern oder Vertretern der natürlichen Magie.113 Die Illustrationen in den Werken des französischen Humanisten Carolus Bovillus114 oder die komplexen Bilder in und auf den Werken des englischen Paracelsisten Robert Fludd115 veranschaulichen diese Sonderstellung in einer hierarchisch gegliederten Schöpfungsordnung auf eindrucksvolle Weise. In der Idee einer Entsprechung von Makrokosmos und Mikrokosmos wird der menschliche Körper (oder Teile davon) auf das Universum und das Universum auf den Körper projiziert. Solche Projektionen nehmen die Bezeichnungen „Anthropomorphismus“ und „Anthropozentrismus“ geradezu beim Wort.116 Buchillustration wie etwa diejenigen in Bovillus Physicorum elementorum (1512) geben die Struktur der Hierarchie auf einfachste Weise wieder.117 In diesen Darstellung werden Mensch und Tier einer je anderen ontologischen Region zugeordnet.118 Tiere gehören zur „elementischen“ Region und sind somit ausschließlich körperliche Wesen. Der Mensch hingegen ist der „siderischen“ Region zugeordnet, der auch die Sterne und ihre Kräfte zugehören.119 Der Mensch ist durch Vernunft und Sprache vom Tier unterschieden. Die Sprache ist göttlicher Abkunft, denn Adam hat sie weder von seinesgleichen noch von anderen Lebewesen erlernt.120 Der „spirituellen“ Region gehören die Engel an. Gott selbst steht über und außerhalb der drei Seinsregionen. Auch dieser Hierarchie ist eine Einflussnahme von oben nach unten zugeordnet. Nicht umsonst ist der Kopf des Menschen in die Mitte der drei Seinsregionen gesetzt. Er ist Mitte und Licht der Welt. Da nach Aristoteles die Erde Mittelpunkt der Welt ist, muss der Mensch irdisch leben, seine spirituelle Heimat hat er jedoch auf dem Licht-Mittelpunkt der Welt, der
113 Ich vereinfache hier natürlich stark. Gerade für die Neoplatonisten und Paracelsisten wird geltend gemacht, dass sie das stark hierarchische Modell durch Kontinuität aufbrechen. Der Grundgedanke bleibt jedoch die hierarchische Stufung des Kosmos. Darin nimmt der Mensch eine Stellung über den Tieren, aber unterhalb der Gestirne oder der Engel ein. Für Marsilio Ficino durchbricht „der Mittegedanke die Hierarchie“ (Albertini 1997: 127). Die Seele, die im hierarchischen Modell Ficinos in der Mitte zwischen der unbelebten Natur und den himmlischen Wesen stehe, sei zugleich das verbindende Zentrum der Ordnung des Kosmos. Auch der Emanationsgedanke verlangt natürlich, dass die einzelnen Aufwärtsstufen der Hierarchie, die zugleich Abwärtsstufen der göttlichen Emanation sind, untereinander verbunden sind. Zum paracelsischen Diskurs vgl. Bergengrün (2005). 114 Bovillus 1970. 115 Fludd 1992. 116 Heninger 1977: 81-158. 117 Heninger 1977: 85 f. 118 Dippel 1865: 165 ff. 119 Auch Montaigne (II 12: 450-2) geht auf die in der Renaissance verbreitete Vorstellung eines Geists der Gestirne ein, verwendet die Vorstellungen der Einflussnahme und der Beseeltheit der Gestirne jedoch unverzüglich für seine Kritik an der humanen Sonderstellung. 120 Dippel 1865: 215-7.
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Sonne.121 Die aus dieser Mittelstellung resultierende Herrschaft bringt Cornelius Agrippa von Nettesheim zum Ausdruck: „Da die Welt dreifach ist, elementarisch, himmlisch und geistig, und da immer die niedrigere von der höheren regiert wird und den Einfluss ihrer Kräfte aufnimmt, so dass das Vorbild des Weltalls selbst und der Schöpfer aller Dinge durch die Engel, die Himmel, die Gestirne, die Elemente, die Tiere, die Pflanzen, die Metalle und die Steine die Kräfte seiner Allmacht auf uns Menschen ausströmt, zu deren Dienst er dies alles erschaffen hat, [halten es die Magier für angebracht, sich diesen Kräftestrom zunutze zu machen].“ (Agrippa von Nettesheim 1997: 12/De occulta philosophia I 1)
Obwohl die Rangordnung der Lebewesen über den Menschen hinausgeht, ist sie auf den Menschen hin zugeschnitten. 28. Montaignes Kritik am Bild der Ordnung der Lebewesen Montaigne attackiert den mentalistischen Rationalismus als Ausprägung jenes Bilds der Welt, das dem Menschen eine metaphysische Sonderstellung einräumt. Im Programmentwurf des Essays II 11 hat Montaigne bereits darauf hingewiesen, dass er gerne die eingebildete Herrschaft über die anderen Geschöpfe aufgebe (j’en rabats beaucoup de nostre presomption, et me mets volontiers de cette royauté imaginaire qu’on nous donne sur les autres creatures). Wie ist „cette royauté imaginaire“ der Menschen über die Tiere zu verstehen? Geht es um die Kritik der bloß eingebildeten Herrschaft über Lebewesen, um die tatsächliche Herrschaft herauszustellen? Oder geht es um die Kritik der Herrschaft als eingebildeter überhaupt? Vor dem Hintergrund des skizzierten metaphysischen Bildes und Montaignes Vorbehalt liegt es auf der Hand zu sagen, daes er dieses ganze Bild für imaginär hält. Der Gedanke der Doppelperspektivität dient der Kritik dieses Bildes von der Ordnung der Lebewesen und der Sonderstellung des Menschen: „[b] Il nous faut noter qu’à chaque chose il n’est rien plus cher et plus estimable que son estre [c] (le lion, l’aigle, le dauphin ne prisent rien au dessus de leur espece); [b] et que chacune raporte les qualitez de toutes autres choses à ses propres qualitez: lesquelles nous pouvons bien estendre et racourcir, mais c’est tout: car, hors de ce raport et de ce principe, nostre imagination ne peut aller, ne peut rien diviner autre, et est impossible qu’elle sorte de là, et qu’elle passe au delà.“ (II 12: 532)
Montaignes tropische Rückführung des Bilds auf den Perspektivismus kritisiert den darin geronnenen Anthropozentrismus nicht nur, sondern liefert auch die Mittel, ihn zu verstehen (estendre et racourcir). Der Mensch kann gar nicht anders, als sich die Welt (oder Gott) aus seiner kognitiven Perspek121 Dippel 1865: 180-3.
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tive vorzustellen und sie sich nach seinem Bild zu formen. Das ist aber auch alles (mais c’est tout). Denn das Verständnis für dieses aus einer perspektivischen Beschränkung gewonnene Bild ist selbstverständlich nicht das gleiche, wie die Berechtigung zu diesem Bild und der Anspruch auf die Vorherrschaft dieser bestimmten Perspektive. Den letzten Punkt verdeutlicht Montaigne an einer satirischen Stelle: „[b] Car pourquoy ne dira un oison ainsi: Toutes les pieces de l’univers me regardent; la terre me sert à marcher, le Soleil à m’esclairer, les estoilles à m’inspirer leurs influances; j’ay telle commodité des vents, telle des eaux; il n’est rien que cette voute regarde si favorablement que moy; je suis le mignon de nature; est–ce pas l’homme qui me traite, qui me loge, qui me sert? C’est pour moy qu’il faict et semer et mouldre; s’il me mange, aussi faict il bien l’homme son compaignon, et si fay– je moy les vers qui le tuent et qui le mangent. Autant en diroit une grue, et plus magnifiquement encore pour la liberté de son vol et la possession de cette belle et haute region […]. Or donc, par ce mesme trein, pour nous sont les destinées, pour nous le monde; il luit, il tonne pour nous; et le createur et les creatures, tout est pour nous. C’est le but et le point où vise l’université des choses.“ (II 12: 532–3)
Die letzten Sätze scheinen sich direkt auf die oben zitierte Passage Agrippas von Nettesheim zu beziehen (ein Werk, das Montaigne kannte). Der satirische Spott ist unüberhörbar: Sowenig die Welt für den Menschen existiert, sowenig für das Gänseküken, sowenig dem Menschen eine höhere Stufe in der Ordnung des Lebendigen und die Herrschaft über andere Lebewesen zukommt, sowenig dem Gänseküken. Montaigne betreibt hier nicht nur einen Gegendiskurs mithilfe von skeptisch verwendeten Gegenargumenten, sondern auch mithilfe des satirischen Spotts. Er mokiert sich über die Anmaßungen des Dogmatikers. Diese Art von Spott ist im Sinne der pyrrhonischen Skepsis durchaus als Heilmittel für den Dogmatiker zu verstehen. In diesem Spott steckt eine unbeantwortete Frage. Für wen ist die Welt da? Anders gefragt: Gibt es eine Perspektive, die im Blick auf die Welt zu bevorzugen wäre? Für Montaigne scheint es darauf keine Antwort geben zu können. 29. Unglaubwürdige Anekdoten? Der satirische Spott ist ein probates Mittel der skeptischen Therapie für den Dogmatismus. Hier ist der Ort, sich nochmals der Frage nach den Tierbeispielen in der „Apologie“ zuzuwenden. Glaubt Montaigne, was er berichtet? Nimmt er alle diese Beispiele ernst? Dass Montaigne einige seiner Beispiele im Zusammenhang mit seiner expliziten Gegenargumentation durchaus ernst nimmt, ist deutlich geworden. Aber spottet Montaigne nicht doch mit einigen seiner Beispiele? Viele Beispiele, die Montaigne aufführt, sind schlicht unglaubwürdig. Betrachten wir eine Anekdote. Sie findet sich
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innerhalb des Abschnitts, in dem Montaigne den menschlichen Vorzug der Tugend als eine weitere anthropologische Differenz destruiert. Hier das Beispiel für die Tugend der Milde: „[a] Quant à la clemence, on recite d’un tygre, la plus inhumaine beste de toutes, que, luy ayant esté baillé un chevreau, il souffrit deux jours la faim avant que de le volouoir offencer, et le troisieme il brisa la cage où il estoit enfermé, pour aller chercher autre pasture, ne se voulant prendre au chevreau, son familier et [c] son hoste.“ [Edition 1580: compagnon] (II 12: 480)
Diese Anekdote entnimmt Montaigne Plutarchs Oeuvres morales et meslees. Sie lautet in der von Jacques Amyot (1513–93) angefertigten und von Montaigne benutzten Übersetzung: „On conte aussi d’un Tigre à qui l’on avoit baillé un petit chevreau, qu’il jeuna deux jours devant que de luy toucher, et qu’encore au troisieme jour aiant faim il demanda autre pasture, en deschirant la cage où il estoit enfermé, ne se voulant point prendre au chevreau, comme estant ja son domestique et familier compagnon.“ (zitiert in Konstantinovic 1989: 332.)
Es ist auffällig, wie stark sich Montaigne hier an seine Vorlage hält. Aber darin besteht ja auch der springende Punkt: Montaigne sammelt die ihm begegnenden Diskurse über die Tiere. Als Skeptiker stellt er Gegenmeinungen auf, die nicht die seinigen oder seine Erfindungen zu sein brauchen. Dies ist eine erste Funktion der häufigen Zitate in der „Apologie“. Andererseits sind auch die Abweichungen von der Vorlage auffällig. Erstens ergänzt Montaigne, dass der Tiger die unmenschlichste aller Kreaturen sei. Zweitens wandelt Montaigne die Anekdote in ein Beispiel für eine bestimmte Tugend um. Plutarchs Geschichtchen vom gastfreundlichen Tiger wird in der „Apologie“ zum rhetorisch überspitzten Beispiel für die Milde. Damit wird die Anekdote in den skeptischen Gegendiskurs integriert, der sich gegen die Dogmatiker der anthropologischen Differenz richtet. Die anekdotischen Beispiele sind also Gegenbeispiele. Die entscheidende Frage scheint hier doch aber zu sein, ob man diese unglaubwürdige Anekdote überhaupt als Gegenbeispiel akzeptieren soll. Wer glaubt schon, dass ein Tiger sich den Heißhunger verkneift, um das Gastrecht einer Ziege nicht zu verletzen? Das klingt wenig glaubwürdig. Th. Gontier zufolge ist sich Montaigne der Unglaubwürdigkeit durchaus bewusst und schlägt vor, seine Akzeptanz dieser Anekdoten als eine „crédulité méthodique“ zu betrachten.122 Montaigne erzähle sie „en pleine conscience de leur caractère invraisemblable: plus encore, il utilise cette invraisemblance comme un défi lancé à la raison“.123 Der springende Punkt besteht darin, dass Montaigne die Unglaubwürdigkeit selbst als Instrument der pyrrhonischen Vernunftkritik verwende. Denn braucht es nicht ein Kriterium für die Unterscheidung zwischen dem Glaubwürdigen und dem Unglaubwürdigen? Und falls sich ein solches Kriterium nicht fin122 Gontier 1998: 77 f.; vgl. Schaefer 1990: 21. 123 Gontier 2000: 608.
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den lässt, wie könnte man dann etwas für schlechterdings unglaubwürdig erklären? Woher der Maßstab dafür, dass wir etwas als wahrscheinlich betrachten? A. Hartle hat deshalb betont, dass Montaigne gerade in seiner scheinbar naiven Leichtgläubigkeit ein Skeptiker sei: „The skeptical act with respect to human testimony is the initial suspension of the judgement that what I am hearing is impossible because it is incredible, and incredible because unfamiliar. It is an act of openness to the possible, to the unfamiliar. In this sense, Montaigne’s credulity is his skepticism.“ (Hartle 2003: 23)
Dies ist durchaus eine Strategie Montaignes.124 Man kann diese Strategie auf den neunten der zehn skeptischen Tropen zurückführen, den Tropus des ständigen oder seltenen Auftretens. So sagt Sextus, dass die Sonne viel eindrucksvoller sei als ein Komet. Da wir aber die Sonne ständig sehen (zumindest in Griechenland), Kometen aber ausgesprochen selten, werden wir von ihnen so beeindruckt. Wir beurteilen die Dinge entsprechend ihrer Häufigkeit oder ihrer Seltenheit. Ob sie aber in sich beeindruckend sind, das kann nicht gesagt werden.125 Erweiternd kann man sagen, dass die Dinge entsprechend ihrer Häufigkeit oder Seltenheit, ihrer Vertrautheit oder Fremdheit, ihrer Wahrscheinlichkeit oder Unwahrscheinlichkeit glaubwürdig sind oder nicht. Aber Skeptiker halten sich zurück, weil sie nicht beurteilen können, ob sie die Dinge zurecht als glaubwürdig oder als unglaubwürdig beurteilen. Sie üben sich – mit einem glücklichen Ausdruck des Literaturwissenschaftlers G. Hartman gesprochen – in einer „suspension of disbelief“.126 30. Anekdoten und die Funktion des Zitats Es gibt einen weiteren Aspekt, der zu beachten ist. Montaigne zitiert Plutarch nicht offen, erst die fleißige Arbeit der Montaigne-Philologie fördert dieses Zitat zutage. Er führt Gründe für das Zitieren an: „[c] Car je fay dire aux autres ce que je ne puis si bien dire, tantost par foiblesse de mon langage, tantost par foiblesse de mon sens. […] Ils sont tous, ou fort peu s’en faut, de noms si fameux et anciens qu’ils me semblent se nommer assez sans moi. […] Je veux qu’ils donnent une nazarde à Plutarque sur mon nez, et qu’ils s’eschaudent à injurier Seneque en moy. Il faut musser ma foiblesse souz ces grands credits.“ (II 10: 408)
Montaigne glaubt, nicht besser sagen zu können, was schon gesagt worden ist. Dies stellt sicher aufrichtige Ehrbezeugung dar, die jedoch nicht ohne Ironie ist, denn er ändert seine Zitate ja ohne Weiteres ab. Der zweite 124 „[c] Aussi en l’estude que je traitte de noz moeurs et mouvemens, les temoinages fabuleuz, pourveu qu’ils soient possibles, y servent comme les vrais.“ (I 21: 105). 125 Sextus 1968: 126/PH I 141–4 126 Hartman 1980: 269–70.
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Grund ist unter dem hier zu betrachtenden Aspekt, dass die Leser Montaignes ja zunächst nicht unbedingt wissen konnten, dass es sich um ein Zitat handelt, einschlägiger. Montaigne möchte sich zwar nicht hinter der namentlichen Autorität antiker Autoren verstecken, möchte aber, dass sich diejenigen der Autorität des antiken Autors stellen sollen, die in Unkenntnis der Autorschaft eine Geschichte oder eine Anekdote vorschnell als unglaubwürdig in den Wind schlagen. Wer auf Montaignes Nase zu schlagen glaubt, soll schlagartig erkennen, dass er einer wertgeschätzten Autorität einen Nasenstüber verpasst hat (Je veux qu’ils donnent une nazarde à Plutarque sur mon nez). Dieser Gedankengang ähnelt demjenigen Th. Gontiers darin, dass es Montaigne beim Zitat dieser Anekdoten um das Problem der Glaubwürdigkeit geht. Hinzu kommt der Aspekt der Autorität. Wer sich nun auf einen Schlag vor die Unglaubwürdigkeit einer Autorität gestellt sieht, hat zwei Möglichkeiten. Entweder er zweifelt die Autorität an oder er nimmt seine vorschnelle Verurteilung zurück. Beides ist ein wenig unangenehm. Im ersten Fall muss die Autorität angezweifelt werden, denn warum aber hatte man sie zuvor für eine Autorität gehalten? Im zweiten Fall muss man das eigene Urteil zurücknehmen, denn warum hatte man die Anekdote zuvor für unglaubwürdig gehalten? Der Effekt beider Fälle besteht darin, dass das eigene Urteil ins Schwanken gerät. Das ist ein einschlägiges Element der Skepsis Montaignes, wenn auch ein rhetorisches. Man sollte diesen rhetorischen Zug der Skepsis bei Montaigne nicht unterschätzen. Gerade der Vergleich zwischen Mensch und Tier eignet sich ausgezeichnet zur scherzhaften Satire. Wozu dient sie? Die satirische Verwendung der Tierbeispiele in der „Apologie“ zielt auf das Ideal ihrer selbst, das die Mitglieder einer bestimmten Gesellschaft aufbauen.127 Daraus erklärt sich die erste der beiden Abänderungen, die Montaigne an Plutarchs Vorlage vornimmt: Wo Plutarch von einem Tiger erzählt, macht Montaigne ihn zum Beispiel der Milde und charakterisiert dieses Raubtier ergänzend als unmenschlichste aller Bestien (la plus inhumaine beste de toutes). Die Pointe dieser Ergänzung besteht natürlich darin, dass Montaigne gerade das unmenschlichste Tier als Beispiel der Aus127 Ich verwende hier den Begriff der Satire in Anlehnung an Friedrich Schiller: „Satirisch ist der Dichter, wenn er die Entfernung von der Natur und den Widerspruch der Wirklichkeit mit dem Ideale (in der Wirkung auf das Gemüt kommt beides auf eins hinaus) zu seinem Gegenstande macht. Dies kann er aber sowohl ernsthaft und mit Affekt als scherzhaft und mit Heiterkeit ausführen; je nachdem er entweder im Gebiete des Willens oder im Gebiete des Verstandes verweilt. Jenes geschieht durch die strafende oder pathetische, dieses durch die scherzhafte Satire.“ (Schiller 1997: 724-5). Anders versteht Calder 1986 Satire. Sie sei in den Essais, anknüpfend an Horaz, Selbstkritik. Montaignes Kritik richtet sich gegen den Adel (Quint 1998). Da Montaigne selber adlig war und sich auch als Edelmann verstand, sind diese Deutungen nicht unvereinbar.
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übung der Milde und des Gastrechts darstellt.128 Vor dem Hintergrund der beträchtlichen Grausamkeiten, der Unterlassung der Ausübung von Milde und der Verletzungen des Gastrechts während der Religionskriege kann die satirische Aussage nur lauten: Selbst das unmenschlichste Tier ist einer Tugend fähig, die der Mensch ausschließlich für sich beansprucht, aber gründlich missachtet. Die Tierbeispiele für die Tugenden sind insgesamt als Gegenbeispiele zu und als Kritik an einer Zeit gedacht, der es in ihrem Idealbild nicht an Tugenden mangelt, wohl aber an deren gesellschaftlicher Verwirklichung.129 Wirft man Montaignes Tieranekdoten Unglaubwürdigkeit vor, so gilt es zu differenzieren. Sie erfüllen unterschiedliche Funktionen. Die Beispiele, die wir im Zusammenhang mit den Gegenargumenten angetroffen haben, zeichnen sich im Zusammenhang mit diesen Argumenten durch eine gewisse Plausibilität aus. Sie tragen das argumentative Gewicht. Die Anekdoten, die Tugenden bei Tieren illustrieren, erscheinen unglaubwürdiger. Hier haben die Tiere eine andere Rolle übernommen. Montaigne kann selbstverständlich auf eine lange Tradition (emblematischer, allegorischer und) satirischer Verwendung von Tieren zurückgreifen. In dieser Tradition geht es weniger darum, dass die Beispiele glaubwürdig sind. Sie zeigen etwas auf. Es wäre unangemessen auf die Fabel vom Fuchs und vom Raben mit dem Einwand zu reagieren, dass Füchse nicht reden können und keinen Käse mögen. Die Pointe der Fabel ist eine satirische, keine naturgeschichtliche. Ebenso bei Montaigne. Die Spitze der Anekdote vom milden Tiger richtet sich gegen das imaginäre Selbstbildnis des Menschen. Auch hierin ist das Ziel therapeutisch. 31. Die Techniken des skeptischen Gegendiskurses Achten wir nun auf Montaignes Techniken, mit deren Hilfe er seine Gegenargumente vorträgt. Dieser Punkt ist für die pyrrhonische Skepsis nicht zweitrangig, denn sie versteht sich nicht als philosophische Position, sondern als philosophische Technik. Wir haben bereits gesehen, dass Montaigne ad hominem argumentiert. Er übernimmt die Prämissen seiner Argumentation vom Dogmatiker. Zweitens „trifft“ Montaigne auf Material aus 128 Montaigne verändert in der Textschicht [c] das Beispiels wie folgt: „[a] ne se voulant prendre au chevreau, son familier et [c] son hoste.“ Montaigne hat das „compagnon“ der ersten Edition von 1580 mit „son hoste“ überschrieben. 129 So bemerkt Montaigne denn auch öfters, dass Tiere den Menschen in Tugenden übertreffen: „[a] Quant à l’amitié, elles l’ont sans comparaison, plus vive et plus constante que n’ont pas les hommes.“ (II 12: 471) „[a] Quant à la fidelité, il n’est animal au monde traistre au pris de l’homme; nos histoires racontent la vifve poursuite que certains chiens ont faict de la mort de leurs maistres.“ (II 12: 476).
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autoritativen Texten antiker Autoren, das er der anthropologischen Differenz gegenüberstellt. Er verwendet unter anderem Hinweise von Lukrez und Boethius auf die natürliche Sprache bei den Tieren im ersten Gegenargument, den Hinweis von Aristoteles auf die Nachtigallen oder die Tierbeispiele von Seneca und Plutarch. Die Satire stellt eine dritte Technik dar. Wichtig also ist die Form, die Montaignes Argumentation über weite Strecken hinweg annimmt (Abschn. 13). Dabei sollte nun viertens das Mittel der Frage nicht übersehen werden. Bereits das Beispiel des Fuchses, der sich vor einem zugefrorenen Fluss Gedanken darüber macht, ob die Eisdecke ihn trage, ist in Frageform gefasst (Abschn. 24). Diese Technik zeigt sich deutlicher noch im vierten Gegenargument. Ich lasse einige wichtige Belegstellen des vierten Gegenarguments in verkürzter Form Revue passieren: „[c] Quand je me jouë à ma chatte, qui sçait si elle passe son temps de moy plus que je ne fay d’elle?“ (II 12: 452) „[a]…qui sçait si en nous aussi il ne manque pas encore un, deux, trois et plusieurs autres sens?“ (II 12: 588) „[a] Que sçait–on si les difficultez que nous trouvons en plusieurs ouvrages de nature viennent de là?“ [Hier schließen sich weitere Fragen an.] (II 12: 589–590) „[a] … pourquoy n’en estimons nous autant d’eux? pourquoy attribuer à je ne sçay quelle inclination naturelle et servile les ouvrages qui surpassent tout ce que nous pouvons par nature et par art?“ (II 12: 454–5) „[a] Comment cognoit [l’homme], par l’effort de son intelligence, les branles internes et secrets des animaux? Par quelle comparaison d’eux à nous conclud il la bestise qu’il leur attribue?“ (II 12: 452)
Diese Technik trifft in das Herz von Montaignes Skepsis. Ein bekannter Einwand gegen die pyrrhonischen Skeptiker lautet: „Obwohl Du keine Meinungen zu haben behauptest und keine Urteile fällst, so hast Du doch zumindest beispielsweise die Meinung, dass man sich der Zustimmung enthalten solle oder dass die Urteilsenthaltung zur Seelenruhe führe.“ Dieser Einwand kann sich auch ganz direkt gegen die Sprache des Skeptikers richten: „Wenn Du etwas sagst, äußerst Du eine Meinung. Der Skeptiker strebt ein Leben ohne Meinungen an. Sobald Du nur sprichst, äußerst Du aber eine Meinung. Also widerspricht Du Dir bereits, wenn Du nur etwas sagst!“ Wie gehen Pyrrhoniker mit dem Problem des skeptischen Sprechens und mit dem Vorwurf der Selbstwidersprüchlichkeit um?130 Die Pyrrhoniker bedienten sich unterschiedlicher Verteidigungen, die den Status ihrer Aussagen betreffen.131 Das Problem des Sprechens durchzieht die ganze 130 Burnyeat 1980. 131 Stough 1984, MacPherron 1987.
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„Apologie“. Wir stellen normalerweise Behauptungen über Dinge in der Welt auf, die entweder wahr oder falsch sind. Wir äußern uns assertiv. Der Skeptiker möchte Assertionen vermeiden, nämlich die Äußerung von Wahrheitsansprüchen auch noch im einfachsten Fall, wie etwa „[b] Il faict beau temps“ (II 12: 527). Das ist, wie Montaigne klar erkennt, das Problem des Skeptikers: „[a] Je voy les philosophes Pyrrhoniens qui ne peuvent exprimer leur generale conception en aucune maniere de parler: car il leur faudroit un nouveau langage. Le nostre est tout formé de propositions affirmatives, qui leur sont du tout ennemies.“ (II 12: 527)
Was tun? Skeptische Äußerungen sagen aus, was dem Skeptiker gerade erscheint. So gesehen hat er keine Meinungen zu verborgenen Dingen außerhalb seiner selbst. Aber sobald der Skeptiker sich auf Argumentationen einlässt, muss er doch zumindest gewisse Meinungen haben. Er ist beispielsweise der Meinung, dass sich zwei widerstreitende Meinungen die Waage halten oder dass seine Gegenargumentation plausibel erscheint. Ich habe bereits auf die urbane Interpretation der pyrrhonischen Skepsis hingewiesen. Der gemäß kann der Skeptiker durchaus Alltagsmeinungen haben und Alltagsurteile fällen, etwa gemäß den vier praktischen Kriterien der Skepsis. Er kann sich auch auf die Erscheinungen zurückziehen. Seine Äußerungen beziehen sich ausschließlich darauf, wie ihm die Dinge erscheinen. Trotzdem bleibt die Frage für den Skeptiker unangenehm. Für Montaigne bleibt der letzte Lösungsvorschlag unangemessen, weil er seinen Diskurs therapeutisch auf den Dogmatiker richtet. Will er ihn erreichen, muss er mehr als lediglich seine Erscheinungen berichten. Er muss seine Zweifel an der dogmatischen Position intersubjektiv plausibilisieren. Bis zu einem gewissen Punkt kann er sich dadurch behelfen, dass er lediglich ad personam argumentiert. Wenn Montaigne aber auf diese Art und Weise die Prämissen des Dogmatikers übernommen hat, geht er weiter. Montaigne bringt seine weiteren Äußerungen nun aber nicht als Assertiva, sondern als Interrogativa vor. Die Formel, mit der er dies tut, ist bekannt: „[b] Cette fantaisie [der Pyrrhonismus] est plus seurement conceuë par interogation: Que sçay–je? comme je porte à la devise d’une balance.“ (II 12: 527)
Wer wie Montaigne seine Äußerungen vornehmlich als Interrogativa vorbringt, der stimmt keinen Sachverhalten zu, äußert keine Meinungen und fällt keine Urteile.132 Dabei tut es nichts zur Sache, dass seine Sätze nicht immer die grammatikalische Form von Fragesätzen aufweisen. Ebenso wie der Skeptiker seine Äußerungen immer mit einem „mir scheint“ versieht,133 versieht Montaigne virtuell alle seine Sätze mit einem: „Weiß ich das?“ „Ist dem so?“, 132 Tansey 1995. 133 Vogt 1998.
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„Täusche ich mich nicht?“ Montaigne spricht stets „[b] enquerant et ignorant“ (III 2: 806), auf eine Weise, die „[c] enquesteuse, non resolutive“ (III 11: 1030) ist. Man kann diese Skepsis zurecht als „interrogative scepticism“ bezeichnen.134 Die Zitate aus dem vierten Gegenargument entsprechen diesem Muster einer interrogativen Skepsis. Montaignes Form der Skepsis, die Fragen stellt, passt nicht nur besser zu seiner dynamischen Deutung des Pyrrhonismus, sondern auch besser zu seiner Absicht, durch die Entgegensetzung von Meinungen die Urteilskraft seiner Leser und Leserinnen kritisch zu schärfen: „[b] Vous sentant bandé et préparé d’une part, je vous propose l’autre de tous le soing que je puis, pour esclairer votre jugement, non pour l’obliger.“ (III 9: 1033) Tietz meinte, die „Apologie“ würde „zweyerley den gemeinen Meynungen gerade zu wider laufende Sätze“ aufstellen (Abschn. 11). Es handelt sich um Paradoxa im sokratischen Sinne: Meinungen, die dem Common-Sense der Laien und Gelehrten zuwiderlaufen und ihn herausfordern. Wiederum drängt sich die Frage auf, was denn Montaignes eigene Meinung sei. Ist ein Philosoph nicht jemand, der methodologisch reflektiert (etwa im Sinne von Malebranches Ordnung der deduktiven Darstellung), Thesen und Positionen vertritt (etwa einen mentalistischen Rationalismus) und daraus (orientiert an Hegels „höchsten Frage, welche die Philosophie interessiert“) ein System aufbaut (Abschn. 12)? Dann wäre der Sokrates der frühen platonischen Dialoge ein ziemlich schlechter Philosoph. In einem Essay über die Rolle des Sokrates in Montaignes Essais zitiert A. Nehamas aus einem Manuskript von M. Frede über Euphrates von Tyros: „In der Regel gehen wir nicht davon aus, dass jemand, der keine nachweisbar eigenen philosophischen Auffassungen vertritt, aus diesem Grunde nicht als Philosoph gilt. Folgten wir dieser Annahme, gäbe es nicht mehr allzu viele Personen, die wir als Philosophen bezeichnen würden.“ (Nehamas 2000: 165)
Skeptiker wie Montaigne sind Philosophen ohne nachweisbar eigene philosophische Ansichten. Allerdings glauben Skeptiker wie Montaigne nicht, dass eigene philosophische Ansichten eine Seltenheit wären. Es gibt im Gegenteil zu viele davon. Deshalb ist der Skeptiker (unter anderem) Skeptiker: „[c] Je ne suis pas philosophe“ (III 9: 950). Aber der Skeptiker, wenn er auch keine philosophischen Ansichten vertritt, muss, da er therapeutisch wirken will, eine Art Ziel haben. Die antiken Pyrrhoniker (und andere antike Philosophenschulen) sahen die Seelenruhe als erstrebenswertes Ziel. Die antiken pyrrhonischen Skeptiker behaupteten, sie hätten die Seelenruhe zwar gesucht, aber auf dem falschen Weg der Suche nach Wissen. Als sie sich des Urteils enthielten (und nun gerade nichts mehr wussten) stellte sich zu ihrer großen Überraschung und Erleichterung die Seelenruhe von 134 Larmore 1998: 1149-50.
III. Kritik an Ordnungsvorstellungen und satirischer Pyrrhonismus
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selbst ein, zufällig und unbeabsichtigt. Wie wir gesehen haben, kann Montaigne mit diesem Ziel wenig anfangen. Wohin zielt sein skeptischer Gegendiskurs über den Geist der Tiere? Ob mit diesem Gegendiskurs vielleicht doch eine philosophische Auffassung zum Vorschein kommt? Zufällig und unbeabsichtigt? „[c] Nouvelle figure: un philosophe impremedité et fortuite“ (II 12: 546).
IV. Das Gleichgewicht von Mensch und Tier 32. Welches Gleichgewicht von Mensch und Tier? Obwohl Montaigne zunächst als Ziel der „Apologie“ formuliert, die menschliche Eitelkeit in den Staub zu treten, weicht diese hyberbolische Vorgabe bald egalitären Formulierungen. Nachdem er sich mit einem erweiterten Begriff der Kommunikation und der Fähigkeit zum Erlernen der menschlichen Sprache bei Tieren auseinandergesetzt hat, kommt er auf seine Absicht zurück: „J’ay dit tout cecy pour maintenir cette ressemblance qu’il y a aux choses humaines, et pour nous ramener et joindre au nombre. Nous ne sommes ny au dessus, ny au dessoubs du reste: tout ce qui est sous le Ciel, dit le sage, court une loy et fortune pareille, [b] Indupedita suis fatalibus omnia vinclis. [Lukrez 1977: 415/De rer. nat. V 876: „Alles verstrickt in die Fesseln, ihr Schicksal.“] Il y a quelque difference, il y a des ordres et des degrez; mais c’est soubs le visage d’une mesme nature: [b] res quaeque suo ritu procedit, et omnes / Foedere naturae certo discrimina servant. [Lukrez 1977: 419/De rer. nat. V 923–4: „Ein jegliches Ding tritt auf eigene Weise hervor, alles nach der Natur die Grenzen bewahrend.“] Il faut contraindre l’homme et le renger dans les barrieres de cette police. Le miserable n’a garde d’enjamber par effect au delà; il est entravé et engagé, il est assubjecty de pareille obligation que les autres creatures de son ordre, et d’une condition fort moyenne, sans aucune prerogative, praeexcellence vraye et essentielle.“ (II 12: 459)
Montaigne formuliert hier die Absicht, eine bestimmte Ähnlichkeit von Tier und Mensch vor Augen zu führen. Dies hat Montaigne bereits im Essay II 11 hervorgehoben und zum Ziel des skeptischen Gegendiskurses erklärt (les discours qui essayent à montrer la prochaine ressemblance de nous aux animaux). Trotz offensichtlicher Unterschiede (Il y a quelque difference, il y a des ordres et des degrez) hat die Ähnlichkeit von Mensch und Tier Vorrang. Th. Gontier unterstreicht, dass Montaigne darauf verzichtet, die Argumentation zugunsten der Tiere apologetisch auszuschlachten und das Elend des Menschen, seine natürliche Unterlegenheit gegenüber dem Tier zu betonen.135 Diesen bereits in der Antike durch Plinius und Lukrez be135 Gontier 1998: 101 ff.
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Kapitel II – Montaigne – Skepsis und Tiervernunft
kannten „theriophilen“ Diskurs weist Montaigne ausdrücklich zurück.136 In der eben zitierten Passage schreibt Montaigne, wir seien den anderen Lebewesen nicht über-, aber auch nicht unterlegen (Nous ne sommes ny au dessu, ny au dessoubs du reste). In einem Exkurs nimmt er sich die These des Plinius von der natürlichen Unterlegenheit des Menschen vor (II 12: 455–60). Montaigne bedient sich in der Auseinandersetzung mit Plinius der Figur der Kompensation: „[a] Si quelques bestes nous surpassent en cet avantage, nous en surpassons plusieurs autres.“ (II 12: 458) Die „quelque difference“, die „ordres et degrez“ finden sich als scheinbare Überlegenheiten sowohl auf Seiten des Menschen als auch auf Seiten der Tiere, werden aber durch kompensatorische Unterlegenheiten ausgeglichen, und umgekehrt. Beispielsweise rechnen wir unserer klugen Überlegung und unserer Kunstfertigkeit zu, was wir den Tieren nur als Instinkt zuschreiben. Die Schwalbe baut ihr kunstvolles Nest nicht, weil sie über die Prinzipien der Architektur nachgedacht hat, sondern weil sie von der Natur zu diesem Verhalten disponiert worden ist. Wir zahlen für unsere kognitive Überlegenheit den Preis des Irrtums und des Rückschlags, sind dem Zufall und dem Glück überlassen, die Schwalbe hingegen wird von einer fürsorglichen Hand gelenkt (II 12: 455). Die Menschen der Neuen Welt würden jedoch beweisen, dass die Natur für das Wohlergehen des Menschen ebenso gesorgt habe (II 12: 457). Die scheinbare körperliche Unterlegenheit wird durch Artefakte ausgeglichen, indem wir beispielsweise unsere Haut durch Kleidung und Behausung schützen oder uns mit Waffen statt Hörnern, Klauen und Zähnen wehren (vgl. II 12: 457–8). Diese Artefakte, die sich bei allen Menschen finden, rechnet Montaigne zur natürlichen und nicht zur kulturellen Ausstattung des Menschen. Allerdings bemüht sich Montaigne nicht sonderlich darum, die Kompensationsfigur hervorzuheben, denn die Betonung liegt auf der Abwehr des Topos der natürlichen Unterlegenheit des Menschen. Dennoch wird mit der Kompensationsfigur die Beziehung zwischen der von Montaigne hervorgehobenen Ähnlichkeit von Tier und Mensch einerseits und der skeptischen Technik der Entgegensetzung zur Erreichung eines Gleichgewichts andererseits deutlicher: Nicht nur kann der scheinbaren Überlegenheit des Menschen argumentativ entgegengetreten werden, auch die Überlegenheitsdifferenzen sind durch Mängel und die Mängel durch Überlegenheitsdifferenzen ausgeglichen.137 Montaigne opponiert gegen eine anthropologische Differenz, die in der Form des mentalistischen Rationalismus einen spezifischen qualitativen Unterschied zwischen Mensch und Tier ansetzt und diesem den Vorrang 136 Vgl. Plinius 1977 ff./Hist. nat. VII 2-4, Lukrez 1977: 368-9/De rer. nat. V 222-8, zum Ausdruck „Theriophilie“ vgl. Boas 1933 und Abschn. 5. 137 Vgl. Charron 1986: 218.
IV. Das Gleichgewicht von Mensch und Tier
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vor der Ähnlichkeit gibt. Das Gleichgewicht, auf das Montaigne hier zielt, ist nicht dasjenige sich direkt widersprechender Meinungen, wie sie in erster Linie dem pyrrhonischen Skeptiker als Isosthenia vorschwebt. Es ist ein Gleichgewicht von Mensch und Tier. Das ist nun problematisch. Denn die Streitfrage lautet, ob es ein Gleichgewicht zwischen Mensch und Tier gibt oder nicht. Nun müsste sich der Skeptiker doch gerade enthalten. Wie kann er ein Gleichgewicht zwischen Mensch und Tier anstreben? Die Lösung der Schwierigkeit lautet: „Hier gibt’s zu unterscheiden.“ Von welcher Ähnlichkeit (cette ressemblace) spricht Montaigne? Zunächst führt Montaigne einen Diskurs gegen den mentalistischen Rationalismus, der behauptet, dass der Mensch sich durch ein rationales Vermögen, das sich sprachlich artikuliert, von allen anderen Tieren unterscheide. In der Frage nach der Vernunft der Tiere gilt das Gleichgewicht der Argumente und Gegenargumente. Ob es hier eine Ähnlichkeit zwischen Mensch und Tier als rationaler Wesen gibt, ist strittig. Zweitens spricht Montaigne von der Ähnlichkeit von Mensch und Tier als natürlichen Lebewesen (mais c’est soubs le visage d’une mesme nature). Das von Montaigne angestrebte Gleichgewicht ist dasjenige der Ähnlichkeit zwischen Mensch und Tier als natürlicher Wesen. Was bedeutet das? Zahlreiche Interpreten vertreten die Ansicht, dass Montaigne die körperliche Natur des Menschen betont. Aus der Perspektive der hier vorgeschlagenen Interpretation kann man sagen: Der skeptische Gegendiskurs klammert die Vernunftfrage gleichsam isosthenisch ein, um das Augenmerk auf die Ähnlichkeit von Mensch und Tier, und das heißt auf beider körperlicher Natur zu lenken. So lautet etwa Th. Gontiers These, dass Montaignes über die „Apologie“ hinausweisendes Ziel darin besteht, den Menschen dem Tier anzugleichen um das Augenmerk auf die Körperlichkeit des Menschen zu lenken. Die Weisheit, welche die Essais ihren Lesern empfehlen, besteht in der Anerkennung der und Einwilligung in die „animalité de l’homme“, d. h. in seine Körperlichkeit und in seine Zeitlichkeit. Th. Gontier meint, dass Montaigne einen Dualismus von Leib und Seele zurückweise.138 Dies scheint auch derjenige Aspekt zu sein, den Malebranche an den Essais im Wesentlichen beanstandet hat (Abschn. 12), denn er scheint Montaigne für einen wirren Materialisten zu halten, dem die Einsicht in die klare Trennung von Seele und Körper nicht zuteil geworden ist.139 Diese Annäherung des Menschen an das Tier „donne à l’homme sa mesure […] si l’homme est un animal comme les autres, il doit envisager le bonheur dans le cadre de l’animalité, c’est-à-dire dans le cadre de son corps“.140 D. L. Schaefer bezieht Montaignes Diskurs über die Tiere ebenfalls auf die Anerkennung der tierischen Natur des Menschen. 138 Gontier 1998: 131-56; vgl. auch Starobinski 1982: 266-350. 139 Schmaltz 1996: 129-33. 140 Gontier 1998: 131.
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Kapitel II – Montaigne – Skepsis und Tiervernunft
Die skeptische Einschränkung der menschlichen Perspektive und deren Vergleichbarkeit mit den Tieren tritt an die Stelle des Strebens nach dem Göttlichen und Übermenschlichen – mit L. Strauss gesprochen: „The imitation of the beast takes the place of the imitation of God.“141 Schaefer sieht das Zentrum dieser Gewichtung der animalischen Natur des Menschen ebenfalls in der Gewichtung von dessen Körperlichkeit. Anders als Th. Gontier verbindet er diese Gewichtung weniger mit der Anerkennung der lebendigen Körperlichkeit und dem moralischen Ziel einer Weisheit, die sich vom Körper geführt weiß, als viel mehr mit der Einsicht in die körperliche Versehrbarkeit: „Paradoxically, to be „human“ in Montaigne’s sense requires not only that we recognize our susceptibility to suffering and hence our nondivine character, but that this animal susceptibility be regarded as more important than the capacity to strive after nonbodily goods which makes us distinctively „human“. (Schaefer 1990: 245)
Das Gemeinsame der sonst sehr unterschiedlichen Deutungen Montaignes bei Th. Gontier und D. L. Schaefer besteht im Folgenden: 1. Der Diskurs über die Vernunft der Tiere bezieht sich unmittelbar auf die Anthropologie. 2. Montaigne zielt auf eine Gleichheit zwischen Tier und Mensch ab, die dazu führen soll, die tierische und das heißt: die körperliche Verfasstheit des Menschen hervorzuheben. 3. Der zweite Schritt zeigt sich in der grundlegend moralischen Ausrichtung der Essais. Ich stimme mit den Schritten (1.) und (2.) überein, mit dem Unterschied freilich, dass ich sie in den Kontext der pyrrhonischen Skepsis stelle und die Argumentation Montaignes zugunsten des Geistes der Tiere als eigenständig betrachte, möchte aber zwei Vorbehalte anbringen. Wer die Essais als Ganzes betrachtet, kann nicht umhin festzustellen, dass sich in ihnen ein geradezu überbordendes Interesse für den Körper manifestiert.142 Montaignes Emphase des Körpers ist tatsächlich „unusual in the philosophical tradition“,143 er spricht nicht nur über seine eigenen körperlichen Zustände, sondern macht sich einen geradezu nietzscheanischen Spaß daraus, die Höhenflüge der Philosophie auf den Boden ihres Körpers zurückzuholen.144 141 Schaefer 1990: 240. D. L. Schaefer zitiert hier aus L. Strauss’ Thoughts on Machiavelli. L. Strauss verweist darauf, dass Machiavelli im Principe XVIII dem Fürsten den Löwen und den Fuchs als Vorbilder anempfiehlt. 142 Hartle 2003: 25 ff. 143 Ebd. 247 144 Aufschlussreich ist hier Montaignes Version der thrakischen Magd (vgl. dazu Blumenberg 1987: 71 ff.). Thales guckt in die Sterne und fällt in einen Brunnen. Die Magd sieht zu und lacht den Philosophen herzlich aus. Bei Montaigne wirft die Magd Thales einen Stolpergegenstand in den Weg: „[a] Je sçay bon gré à la garse Milesienne qui, voyant le philosophe
IV. Das Gleichgewicht von Mensch und Tier
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Allerdings stellt sich die Frage, ob diese Emphase überhaupt philosophisch gemeint ist. Gehört sie nicht einfach zum Projekt der Selbstdarstellung? Philosophisch ist diese Auseinandersetzung insofern, als Montaigne hier ein Projekt der Selbstsorge unternimmt. Seine Beschäftigung mit dem eigenen Körper ist jedoch für die Frühe Neuzeit keineswegs ungewöhnlich.145 Sie gehörte in den Kontext einer Verunsicherung des medizinischen Wissens, das sich im 16. Jh. – wie man mit Th. Kuhn sagen kann – in einem präparadigmatischen Übergang befand.146 Mein zweiter Vorbehalt betrifft den Übergang zu Schritt (3). Der Schritt in die praktische Philosophie ist keineswegs falsch, aber übereilt, weil Montaignes Diskurs nicht nur von den Tugenden oder vom Körper handelt, sondern von den kognitiven Vermögen.147 In diesem Zusammenhang ist weniger die Betonung der Leiblichkeit in den Essais ausschlaggebend, sondern die Betonung der engen Beziehung von Körper und Geist. A. Comparot hebt zurecht die enge Anbindung des Denkens an die Sinne hervor: „Il était neuf d’unir si fortement matière et esprit dans la nature humaine, que la pensée ne pût plus se dissocier des sens.“148 Die von Montaigne immer wieder
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Thales s’amuser continuellement à la contemplation de la voute celeste et tenir tousjours les yeux eslevez contremont, luy mit en son passage quelque chose à le faire broncher, pour l’advertir qu’il seroit temps d’amuser son pensement aux choses qui estoient dans les nues, quand il auroit prouveu à celles qui estoient à ses pieds. Elle lui conseilloit certes bien de regarder plustost à soy qu’au ciel.“ (II 12: 539) Jütte 1991. „Beginning in the Renaissance, however, a series of challenges began gradually, almost imperceptibly, to undermine the old order. The collapse of Galienism was a slow deflation rather than a sudden implosion, and real breaks with the Galenic system took literally centuries to occur. These confrontations came in several waves: the sixteenth-century anatomical ‚revolution‘; the Paracelsian attack on medical orthodoxy; the impact of the new science of the seventeenth century; and the rise of iatromechanical and iatrochemical medicines.“ (Lindemann 1999: 70). Den philosophischen Kern dieser Übergangsphase wird wie folgt charakterisiert: „The ontological view of disease regards each disease as a real entity with an independent existence. The ontological model carries major implications for therapy in suggesting that the same methods of treatment will work in all cases. The functionalist approach, however, sees disease as existing only within a specific organism and as resulting from a dysfunction that may be attributed to an individual’s personal habits or to various environmenttal effects on him or her.“ (Lindemann 1999: 9) Montaigne hat dies wahrgenommen: „[a] Depuis ces anciennes mutations de la medecine, il y en a eu infinies autres jusques à nous, et le plus souvent mutations entieres et universelles, comme sont celles que produissent de nostre temps Paracelse, Fioravanti et Argenterius: car ils ne changent pas seulement une recepte, mais, à ce qu’on me dict, toute la contexture et police du corps de la medicine, accusant d’ignorance et de piperie ceux qui en ont faict profession jusques à eux. Je vous laisse à penser où en est le pauvre patient!“ (II 37: 772). Montaignes Auseinandersetzung mit seinem Körper dient auch der skeptischen Abwehr der Expertenzugriffe, soweit es Experten auf die sem Gebiet gab, vgl. dazu Brockliss & Jones 1997. Brahami 2001. Comparot 1983: 210.
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Kapitel II – Montaigne – Skepsis und Tiervernunft
unterstrichene Einheit von Körper und Seele149 ergibt sich aus seinem Diskurs über die Tiere. Wenn wir nämlich feststellen, dass Tiere zu allen kognitiven Leistungen imstande sind, die wir bei uns einem besonderen rationalen Vermögen zuschreiben, dann gibt es zwei Varianten. 1. Die Tiere verfügen wie der Mensch über dieses Vermögen. Das entspricht der Prämisse, von der Montaigne in seinem dritten Gegenargument ausgeht. Diese Prämisse verbindet – im Sinne der „Fakultätenpsychologie“ – gleiche Wirkungen mit gleichen Vermögen. 2. Der Mensch verfügt genau so wenig wie die Tiere über diese besonderen Vermögen, sondern nur über tierliche Vermögen. Die erste Variante vermenschlicht sozusagen die Tiere, während die zweite den Menschen vertiert. Die erste Variante spricht den Tieren eine höhere, immaterielle Seele zu, die zweite verzichtet auf eine höhere, immaterielle Seele. Wenn Montaigne aber beider körperliche Natur betont, heißt dies, dass er damit auch die körperliche Natur der kognitiven Vermögen betont? Um einer Beantwortung dieser Frage näher zu kommen, müssen wir uns dem fünften Gegenargument zuwenden. 33. Das Abstraktionsvermögen bei Tieren Denken wir an das Beispiel vom Fuchs zurück (Abschn. 24). Dieses Tier überlegt sich, ob es den zugefrorenen Fluss überqueren soll, hört das Wasser rauschen und weicht zurück. Dabei stellt Montaigne einen Schluss vor, den der Fuchs durchführt: Ce qui fait bruit, se remue; ce qui se remue, n’est pas gelé; ce qui n’est pas gelé, est liquide, et ce qui est liquide, plie soubs le faix. Montaigne legt den Gedanken nahe, es handle sich um „une ratiocination“, um eine Form des Denkens. Die ratiocinatio ist in der Scholastik ein Prozess der Schlussfolgerung, der syllogistisch verläuft, aber auch andere Schlussarten umfasst.150 Der Schluss wird vom Intellekt ausgeführt, der Bestandteil der rationalen Seele ist und Urteile, deren Bestandteile abstrakte Konzepte 149 Vgl. dazu I 14: 58, I 21: 104, I 26: 165, I 38 234, II 17: 639, III 13: 1090 ff. 150 Im Prooemium von De fallaciis unterscheidet Thomas verschiedene Arten der ratiocinatio, unter anderem „ad seipsum et ad alium“. Zur bei sich selbst durchgeführten Schlussfolgerung heißt es: „Ratiocinatio autem quae ad seipsum est, syllogismus solum dici potest, sive aliqua alia species argumentationis.“
IV. Das Gleichgewicht von Mensch und Tier
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sind, zu Schlüssen verbindet. Im Fuchsbeispiel beschreibt Montaigne die Schlussfolgerung als „consequence tirée du sens naturel“. Es ist unklar, was Montaigne damit meint. Er verwendet den Ausdruck „sens“ hier nicht, wie sonst in der „Apologie“, für die Sinnesmodalitäten. Denn es wäre unzulässig, so Montaigne, die Folgerung des Fuchses einfach dem „sens de l’ouye“ zuzuschreiben und nicht einem Prozess des vernünftigen Schließens (sans discours et sans consequence). In einem weiteren Beispiel führt Montaigne Chrysipps Hund an (Abschn. 3): „[a] J’ay suivy jusques à ce carre–four mon maistre à la trace; il faut necessairement qu’il passe par l’un de ces trois chemins; ce n’est ny par cettuy–cy, ny par celuy–là; il faut donc infalliblement qu’il passe par cet autre.“ (II 12: 463)
Aufgrund dieser Schlussfolgerung (par cette conclusion et discours) braucht der Hund sich nicht mehr seines Geruchsinns zu bedienen (il ne se sert plus de son sentiment), sondern schlägt den Weg kraft vernünftiger Überlegung ein (par la force de la raison). Hier verweist Montaigne nicht auf einen natürlichen Sinn, sondern auf die Vernunft. Es sieht so aus, als würde Montaigne mit dem „sens naturel“ die Vernunft ansprechen, den Intellekt. Vernunft nennt Montaigne das innerliche Denken oder Sprechen: „[a] J’appelle tousjours raison cette apparence de discours que chacun forge en soy.“ (II 12: 565) Für die Folgerungen beim Fuchs und beim Hund ist der rationale Seelenteil zuständig. Die Tiere verfügen wie der Mensch über dieses besondere Seelenvermögen. Das entspricht der Prämisse, von der Montaigne in seinem dritten Gegenargument ausgeht. Diese Prämisse verbindet – im Sinne der „Fakultätenpsychologie“ – gleiche Wirkungen mit gleichen Vermögen. Das hat nun nicht den Anschein, als würde Montaigne mit der Gleichgewichtung von Tier und Mensch die körperliche Natur ihrer kognitiven Vermögen betonen. Denn der rationale Seelenteil ist in einer gewichtigen aristotelisch-scholastischen Tradition zwar funktional an den Körper gebunden, aber nicht körperlich. Oder möchte Montaigne mit dem Hinweis auf einen natürlichen Sinn andeuten, dass die rationale Seele körperlich ist? Er gibt eine zweite, wenig schmeichelhafte Bestimmung der Vernunft: „[a] j’appelle raison nos resveries et nos songes, avec la dispense de la philosophie, qui dit le fol mesme et le meschant forcener par raison, mais que c’est une raison de particuliere forme.“ (II 12: 523) In dieser Bestimmung werden unsere Fantastereien und Träumereien „raison“ genannt. Auch Verrückte und Verruchte würden durch diese Vernunft gelenkt. Allem Anschein nach gebraucht Montaigne seine Begriffe nicht einheitlich. Wir kommen einen Schritt weiter, wenn wir Montaignes Argument für die Abstraktionsfähigkeit bei Tieren betrachten. Das vernünftige Vermögen, dem Montaigne die Schlussfolgerungen der Tiere zuschreibt, muss sich gewisser Konzepte bedienen. Diese bilden die Elemente für den Gehalt ihrer Gedanken, die sie in Schlussfolgerungen miteinander verbinden.
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Kapitel II – Montaigne – Skepsis und Tiervernunft
Woher stammen diese Elemente? Aus der Abstraktion. Die folgende lange Passage, die ich vollständig anführe, handelt vom Abstraktionsvermögen. Montaigne unterstreicht eingangs nochmals das egalitäre Ziel, um dessen Verständnis es uns geht. „[a] Pour suivre encore un peu plus loing cette equalité et correspondance de nous aux bestes, le privilege dequoy nostre ame se glorifie, de ramener à sa condition tout ce qu’elle conçoit, de despouiller de qualitez mortelles et corporelles tout ce qui vient à elle, de renger les choses qu’elle estime dignes de son accointance à desvestir et despouiller leurs conditions corruptibles, et leur faire laisser à part, comme vestemens superflus et viles, l’espesseur, la longueur, la profondeur, le poids, la couleur, l’odeur, l’aspreté, la pollisseure, la dureté, la mollesse et tous accidents sensibles, pour les accommoder à sa condition immortelle et spirituelle, de maniere que Rome et Paris que j’ay en l’ame, Paris que j’imagine, je l’imagine et le comprens sans grandeur et sans lieu, sans pierre, sans plastre et sans bois; ce mesme privilege, dis–je, semble estre bien evidamment aux bestes: car un cheval accoustumé aux trompettes, aux harquebusades et aux combats, que nous voyons tremousser et fremir en dormant, estendu sur sa litiere, comme s’il estoit en la meslée, il est certain qu’il conçoit en son ame un son de tabourin sans bruict, une armée sans armes et sans corps: Quippe videbis equos fortes, cum membra jacebunt / In somnis, sudare tamen, spiraréque saepe, / Et quasi de palma summas contendere vires. [Lukrez 1977: 329/De rer. nat. IV 988–90: „Du wirst das tapfere Ross doch, wenn die Gliedmaßen schlummern, im Schlaf schwitzen, immer keuchen und seine Kräfte aufs Äußerste angespannt sehen, als ob es den Preis gälte.“] Ce lievre qu’un levrier imagine en songe, apres lequel nous le voyons haleter en dormant, alonger la queue, secouer les jarrets et representer parfaictement les mouvemens de sa course, c’est un lievre sans poil et sans os, Venantumque canes in molli saepe quiete / Jactant crura tamen subito, vocesque repente / Mittunt, et crebras reducunt naribus auras, / Ut vestigia si teneant inventa ferarum. / Experge factique sequuntur inania saepe / Cervorum simulachra, fugae quasi dedita cernant: / Donec discussis redeant erroribus ad se. [Lukrez 1977: 329/De rer. nat. IV 992 ff.: „Und die Jagdhunde bewegen auch in entspannter Ruhe plötzlich die Schenkel und lassen ihre Stimmen hören und ziehen häufig die Lüfte durch die Nüstern, als hätten sie die Spur eines flüchtenden Wilds entdeckt, und sie verfolgen erwacht dann oft die nichtigen Bilder von Hirschen, als sie sie fliehen sehen, bis sich der Irrtum auflöst und sie zu sich kommen.“] Les chiens de garde que nous voyons souvent gronder en songeant, et puis japper tout à faict et s’esveiller en sursaut, comme s’ils appercevoient quelque estranger arriver: cet estranger que leur ame void, c’est un homme spirituel et imperceptible, sans dimension, sans couleur et sans estre: consveta domi catulorum blanda propago / Degere, saepe levem ex oculis volucrémque soporem / Discutere, et corpus de terra corripere instant, / Proinde quasi ignotas facies atque ora tueantur. [Lukrez 1977: 329/De rer. nat. IV 999 ff.: „Der schmeichelnde, häusliche Wachhund schüttelt oft den Schlaf von den Augen und versuchet den Leib vom Boden zu erheben, als hätte er Gesichter mit unbekannten Zügen gesehen.“]“ (II 12: 481–2)
Das in dieser Passage angeführte Argument verläuft in zwei Schritten. Es beschreibt die Abstraktion als einen kognitiven Prozess des Ablegens der sinnlich-materiellen Eigenschaften eines Objekts (accidents sensibles). Dadurch werde der Erkenntnisgegenstand der „condition immortelle et spirituelle“
IV. Das Gleichgewicht von Mensch und Tier
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unserer Seele angepasst. Gestützt auf Lukrez’ Beispiele träumender Tiere argumentiert Montaigne nun, dass sich das Vermögen der Abstraktion und abstrakte Vorstellungen auch in Tieren finden würden. Montaigne knüpft an eine bekannte Beweisfigur an, die sich auch in der Theologia von Sebundus findet. Die Annahme liegt nahe, dass Montaigne sich direkt auf die Theologia bezieht, deren 217. Kapitel von der rationalen Seele handelt. Sebundus hält zuerst den aristotelisch-scholastischen Gemeinplatz fest, dass die rationale Seele das herausragende und wichtigste Merkmal ist, das sich beim Menschen finde (principalior res, quae sit in homine) und legt dar, dass diese nicht körperlich sei, daher getrennt vom Körper existieren könne und folglich unsterblich sei.151 Zum Beweis beruft sich Sebundus auf das Abstraktionsvermögen des Menschen. „Denn die Seele abstrahiert und entblößt (denudat) und reinigt (expoliat) jenes, das sie aufnimmt von jeglicher Quantität, jeglichem Ort und jeglicher körperlichen Qualität.“152 Montaignes Wortwahl lehnt sich an Sebundus an, ironisiert die Beweisfigur aber offenkundig (les choses qu’elle estime dignes de son accointance à desvestir et despouiller leurs conditions corruptibles). Sebundus fährt nun fort, dass die Seele die erfassten Dinge benenne. Die der Benennung zugrunde liegenden Begriffe seien ebenfalls ohne Quantität, Ort und Qualität. Beispielsweise treffe der Begriff MENSCH nicht auf ein bestimmtes Individuum zu, sondern auf alle Menschen gleichermaßen. Im Begriff wird das Wesen des Menschen erfasst. Der Mensch in der Seele existiere allgemein und als Universalie (habet modum communem et universalem). Außerhalb der Seele existieren keine Menschen im Modus des Allgemeinen und Universalen. Also beziehe sich der Begriff auf das in der Seele erfasste Wesen des Menschen. Der wichtige Punkt ist nun der folgende: Die Dinge, die in die Seele gelangen, verlieren ihre Eigenschaften und nehmen die Eigenschaften der Seele an. Der Dinge partikulare und individuelle Seinsweise wird zu einer allgemeinen und universellen. Die Seele abstrahiert also von allen körperlichen Eigenschaften. Aus dieser Operation der Seele (ex parte suae operationis) geht hervor, dass sie auf keine Weise körperlich ist (quod anima nullo modo est corporalis, nec est de natura corporis). Warum? Im Prozess der Abstraktion gleicht die Seele jene Dinge sich selber an (assimilat ipsas res sibiipsi). Mit dieser Beweisfigur bezieht sich Sebundus auf ein Argument des Thomas (ST Ia q.75 a.5c/ed. Leonina V: 202153). Montaigne schreibt ja zu Beginn der „Apologie“, die Theologia „fut quelque quinte essence tirée de S. Thomas d’Aquin“ (II 12: 440). Eine zentrale anthropologische These von Thomas lautet, dass der Mensch im Unterschied zu Tieren der Abstraktion fähig ist und dass diese vom Intellekt nur ausgeführt werden kann, wenn 151 Sabundus 1966: 327-34/Theologia I 217. 152 Sabundus 1966: 331/Theologia I 217. 153 Vgl. dazu Pasnau & Shields 2003: 181 ff., Stump 2003: 244-76.
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Kapitel II – Montaigne – Skepsis und Tiervernunft
er immateriell ist.154 Im Prozess der Abstraktion ereignet sich bei Thomas grob gesagt Folgendes: Die äußeren Sinne nehmen Informationen über äußere Gegenstände auf. Die Informationen der unterschiedlichen Sinnesmodalitäten werden im Gemeinsinn zu einer sinnlichen Repräsentation (fantasma) des Einzelgegenstandes integriert. Fantasmata sind physisch und partikular und existieren nur im aufnehmenden Geist (ST Ia q.85 a.1 ad 3/ ed. Leonina V: 332). An ihnen nimmt nun der Intellekt die Abstraktion vor. Der Intellekt muss von den physikalischen und partikularen Aspekten der sinnlichen Repräsentation abstrahieren. Was der Intellekt durch Abstraktion freilegt, ist nichts anderes als das Wesen des jeweiligen Objekts (ST I q.85 a.1 ad 1155). Er nimmt aber dabei nichts Partikulares oder Materielles auf. Er ist immateriell. Der Mensch hat einen immateriellen Seelenteil, die anderen Tiere nicht. Um überhaupt zur Erfassung des Wesens einer Sache zu gelangen, ist der Intellekt auf die Sinne und mithin auf den Körper angewiesen.156 Denn ohne ihn hätte er keinen Zugang zum Material, das er abstrahierend bearbeiten kann. Mit den Tieren teilt der Mensch den materiellen sensitiven Seelenteil. Zur sensitiven Seele gehören neun kognitive Vermögen, die fünf äußeren Sinne (Gesicht, Gehör, Geruch, Geschmack, Gefühl) und die vier inneren Sinne. Zu den inneren Sinnen gehört unter anderem die Einbildungskraft (fantasia oder imaginatio) und der bereits erwähnte Gemeinsinn (sensus communis). Sowohl die Einbildungskraft als auch der Gemeinsinn sind körperlich.157 154 Pasnau & Shields 2003: 179-80. 155 Vgl. dazu Smit 2001, Perler 2002a: 62-70. 156 Philosophen, die einer Form des Platonismus anhängen, vertreten natürlich auch die Ansicht, dass sich der Mensch durch eine immaterielle Seele vom Tier unterscheide. Allerdings sind sie der Auffassung, dass das Wesen des Menschen allein in diesem Seelenteil besteht. So schreibt Ficino 1984: 106/De amore IV 4: „Daher ist der Mensch allein seine Seele [...] Die höchste ihrer Tätigkeiten, nämlich das Erkennen, führt die Seele ohne das Instrument des Körpers aus. So erkennt sie immaterielle Dinge, durch den Körper werden allein körperliche Dinge erkannt. (Quapropter homo solus est animus. […] Eo maxime quod animus operationem eius potissimus, intelligentiam scilicet, sine ullo corporis instrumento exercet, cum res per illam incorporales intelligat, per corpus cero sola corporalia cognoscantur.)“ Thomas hingegen vertritt die Ansicht, dass der Mensch ein Kompositum aus Körper und Seele sei. Weiterhin vertreten platonische Philosophen die These, dass die immaterielle Seele Universalien direkt erfassen könne, ohne Umweg über die Abstraktion. 157 Sebundus weist ebenfalls auf die Körperlichkeit der inneren Sinne hin, Sabundus 1966: 141/ Theologia I 105. Allerdings folgt Sebundus im Unterschied zu Thomas der Lehre von den fünf inneren Sinnen des Avicenna und nennt als Seelenvermögen „sensus communis, imaginativa, fantastica, aestimativa et memorativa“. Es ist den Hinweis wert, dass Montaigne hier wie folgt übersetzt: „le sens commun, l’imagination, la fantasie, le jugement et la memoire.“ Das „aestimative“ Vermögen dient Tieren in erster Linie dazu, sich instinktiv bestimmten Dingen zuzuwenden und von anderen abzuwenden, weil diese Dinge schädlich, bzw. nützlich sind. Die Funktion dieses Vermögens für die Erklärung von Tierverhalten bei spätmittelalterlichen Philosophen stellt Perler 2004a dar. Montaigne gibt dieses Vermögen jedoch als „jugement“ wieder. Das würde man zunächst als Übersetzungsfehler betrachten. Denn
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34. Hat Montaigne den thomistischen Hintergrund missverstanden? Betrachtet man nun vor diesem thomistischen Hintergrund Montaigne Argumentation, ist offenkundig etwas schief. In seinem Argument vergleicht er den Abstraktionsprozess des Intellekts mit der Produktion mentaler Bilder im Traum. Aber Traumbilder sind keine Produkte der Abstraktion, sondern von der aktualen Wahrnehmung unabhängige, sinnliche Repräsentation, die sich in der Einbildungskraft befinden.158 Die Einbildungskraft ist Teil der sensitiven Seele, die im Gegensatz zum Intellekt körperlich ist und lediglich partikulare Repräsentationen aufnimmt. Die Beispiele der träumenden Tiere verweisen also keineswegs auf Abstraktion und mithin auch nicht auf einen immateriellen Intellekt. Sie sind kaum ausreichend, um plausibel zu machen, dass „ce mesme privilege“ – nämlich das Abstraktionsvermögen und die intellektive Seele – „semble estre bien evidamment aux bestes“. Was ist passiert? Hat Montaigne hier einfach die aristotelisch-scholastische Fakultäten-psychologie missverstanden?159 Th. Gontier scheint dieser Ansicht zu sein und hält fest, dass laut Montaigne die Tiere wie der Mensch fähig sind, „de tirer de leurs impressions sensibles des concepts abstraits“.160 Nun verwendet Montaigne tatsächlich das von Sebundus angeführte Musterbeispiel der Abstraktion und der Benennung, den Begriff MENSCH. Montaigne spricht von einem Wachhund, der im Traum einen Fremden sieht (cet estranger que leur ame void, c’est un homme spirituel et imperceptible, sans dimension, sans couleur et sans estre). Die Pointe scheint darin zu bestehen, dass der Hund von einem Menschen träumt, den er selber noch nie gesehen hat (estanger), so dass es sich deshalb um eine Art Abstraktion von partikularen Wahrnehmungsvorstellungen handeln muss. Doch dies trifft die Sache noch nicht. Betrachten wir nochmals das Zitat, und zwar jenen Übergang, an dem Montaigne sich von der Paraphrase des Sebundus zu den Beispielen des Lukrez’ wendet. Dort spricht Montaigne von sich: „de maniere que Rome et Paris que j’ay en l’ame, Paris que j’imagine, je l’imagine et le comprens sans grandeur et sans lieu, sans pierre, sans plastre et sans bois; ce das Urteil ist ein Akt der rationalen Seele, nicht der sensitiven. Oder möchte Montaigne auch hier darauf hinweisen, dass das Urteil auf einem rein körperlichen Vermögen beruht? Oder dass es wie das „aestimative“ Vermögen instinktiv erfolgt? 158 Vgl. Thomas, Sent. lib. De anima III l.5 n.5/ed. Leonina XLV1: 164: „Primo ostendit quod phantasia non sit sensus, neque secundum potentiam, neque secundum actum: et ratio est talis. Dormiens aliquid phantasiatur: hoc autem non fit secundum sensum in potentia, quia sensui in potentia existenti, nihil apparet: nec secundum sensum in actu, quia in somno non est sensus in actu; ergo phantasia non est sensus in potentia, neque sensus in actu.“ 159 Mit Sicherheit können wir nicht davon ausgehen, dass die Vernunft sich in der Renaissance noch nicht von der Einbildungskraft differenziert habe, was Brahami 2001: 36n aus unerfindlichen Gründen annimmt: „Il est possible que la Renaissance se distingue de l’âge classique par le fait que la raison n’y soit pas encore différenciée de l’imagination.“ 160 Gontier 1998: 68.
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mesme privilege, dis–je, semble estre bien evidamment aux bestes“
Hier ist nicht die Rede davon, dass Tiere wie wir abstrakte Vorstellungen in einem immateriellen Intellekt bilden würden, sondern dass wir unsere abstrakten Vorstellungen in der Einbildungskraft bilden. Mit dem Paris in der Seele scheint Montaigne also die Einbildungskraft zu meinen. Diese aber ist materiell und körperlich. Das mag auf den ersten Blick überraschen. Montaigne hat mit seinen Gegenargumentationen dem Dogmatiker plausibel zu machen versucht, dass Tiere sprechen, dass sie Gedanken bilden, dass sie Gedanken logisch verknüpfen, dass sie möglicherweise eine eigenständige Perspektive auf die Welt ausbilden. Vor dem Hintergrund der Fakultätenpsychologie müsste dies bedeuten, dass Tiere über vergleichbare kognitive Vermögen verfügen wie der Mensch. Diese höheren kognitiven Fähigkeiten gehören der rationalen Seele an. Diese wiederum ist nach der einflussreichen Doktrin von Thomas immateriell. Müsste Montaigne nun nicht schließen, dass die Seele der Tiere gleichfalls „immortelle et spirituelle“ ist? Doch Montaigne zieht diesen Schluss nicht. Er scheint sich nun plötzlich auf eine andere Argumentation zu beziehen, die sich wie folgt fassen lässt: „Wenn wir feststellen, dass Tiere abstrakte Vorstellungen bilden können und davon ausgehen, dass Tiere keine immaterielle Seele haben, dann kann vermutet werden, dass die Bildung abstrakter Vorstellung auch durch ein körperliches Seelenvermögen erfolgen kann, etwa durch die Einbildungskraft.“161 Montaigne bewegt sich in seinem auf den ersten Blick abwegig anmutenden Argument auf die in Abschnitt 32 aufgezeigte zweiten Variante zu, auf die Vertierung des Menschen. Er gibt die natürliche Verbindung zwischen höheren kognitiven Leistungen und höheren Seelenvermögen auf und schreibt die höheren kognitiven Leistungen niedrigeren Seelenvermögen zu. Damit verkörperlicht Montaigne alle Seelenteile und kognitiven Leistungen. Dieses „mesme privilege“, das Mensch und Tier gemeinsam haben, scheint somit nicht die immaterielle intellektive Seele zu sein, sondern das Abstraktionsvermögen, das von der materiellen Einbildungskraft ausgeübt werden kann. Und das passt zu Montaignes zweiter Bestimmung der Vernunft, nach der die menschliche Vernunft kein eigenständiges Vermögen, sondern die Einbildungskraft ist. Der springende Punkt ist 161 Montaigne könnte zu dieser Vermutung durch Sebundus selbst angeregt worden sein. Sebundus schreibt, dass der Intellekt die von ihm erfasste Sache seiner Natur angleiche wieder Magen die von ihm aufgenommenen Dinge seiner Natur, Sebundus 1966: 331/Theologia I 217. Die Nahrung verliere ihre qualitativen und quantitativen Eigenschaften und werde dem Leib ver- daulich angeglichen. Warum, so könnte Montaigne fragen, sollte der Abstraktionsprozess nicht auch als körperliche Angleichung verstanden werden, wie der Verdauungsprozess? ImKatalog der sich widerstreitenden philosophischen Vorstellungen über die Seele führt Montaigne zahlreiche antike Quellen an, die die Seele ganz und gar körperlich interpretieren undsie auch in den Magen verlegen: „[a] Epicurus, en l’estomac“ (II 12: 543).
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weniger, dass Montaigne den Intellekt als materiell betrachten würde – diese These wurde im Spätmittelalter und in der Renaissance durchaus und kontrovers diskutiert, vor allem wegen ihrer ungünstigen Folgen für die Unsterblichkeitsdoktrin162 –, sondern, dass er Funktionen des Intellekts der Einbildungskraft übergibt. 35. Montaignes Einbeziehung des Leib-Seele-Problems Es gibt in der „Apologie“ weitere Hinweise darauf, dass Montaigne zur zweiten Variante (zur Vertierung menschlicher Vermögen) tendiert. Die Schwierigkeit, die durch das Gegenargument bezüglich der Abstraktion aufgeworfen wird, betrifft auch das Leib-Seele-Problem. Zwar positioniert sich Montaigne nicht zugunsten einer bestimmten Lösung für dieses Problem, greift aber einige Aspekte desselben auf, vor allem denjenigen der Interaktion zwischen Körper und Seele. In der „Apologie“ schreibt er: „[a] Nous voyons bien que le doigt se meut, et que le pied se meut; qu’aucunes parties se branslent d’elles mesmes sans nostre congé, et que d’autres, nous les agitons par nostre ordonnance; que certaine apprehension engendre la rougeur, certaine autre la palleur; telle imagination agit en la rate seulement, telle autre au cerveau; l’une nous cause le rire, l’autre le pleurer; telle autre transit et estonne tous nos sens, et arreste le mouvement de nos membres. [c] A tel object l’estomach se souleve; à tel autre, quelque partie plus basse. [a] Mais comme une impression spirituelle face une telle faucée dans un subject massif et solide, et la nature de la liaison et cousture de ces admirables ressorts, jamais homme ne l’a sçeu. [c] Omnia incerta ratione et in naturae majestate abdita, dict Pline [Hist. nat., II 37: Alles ist der Vernunft ungewiss und liegt in der Erhabenheit der Natur verborgen]; et Saint Augustin: Modus quo corporibus adhaerent spiritus, omnino mirus est, nec comprehendi ab homine potest: et hoc ipse homo est [De civ. Dei XXI 10: Die Art, wie der Körper mit dem Geist zusammenhängt ist wundersam und dies versteht der Mensch nicht, obwohl es der Mensch selber ist]. “ (II 12: 538–9) 162 Mit Rückbezug auf den De anima-Kommentar des Alexander von Aphrodisias taucht diese Theorie immer wieder auf: Der Intellekt ist materiell und vergänglich. Zahlreiche mittelalterliche Autoren (darunter Thomas) haben sie verworfen. Buridan wird mit seinem Quaestiones in tres libros de anima bisweilen als Vertreter dieser Theorie betrachtet (Pluta 1998). Unter Ausschluss des Glaubens würde die menschliche Vernunft zu dieser Theorie gelangen. Ein wichtiges Argument entnimmt Buridan Beispielen, die zeigen, dass Hunde und Affen nachdenken und Schlussfolgerungen ziehen. Da die Seele der Tiere materiell und vergänglich ist, warum sollte es nicht auch die Seele des Menschen sein? Auch Pietro Pomponazzi argumentiert in De immortalitate animae im Sinnes Alexanders für die Materialität und Sterblichkeit der Seele. Gontier 1998: 104 ff. weist richtig darauf hin, dass bei Montaigne die Tierbeispiele keine direkte Verbindung zur Unsterblichkeitsfrage eingehen. Geht man allerdingsMontaignes Bemerkungen zur Unsterblichkeit der Seele in der „Apologie“ durch (II 12: 548 ff.), ergibt sich durchaus jene Form des indirekten Zusammenhangs, die Montaigne für die Essais hervorhebt: „[b] Mes fantasies se suyvent, mais par fois c’est de loing, et se regardent, mais d’une veue oblique.“ (III 9: 994).
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Der Aspekt des Leib-Seele-Problems, der Montaigne umtreibt, betrifft die Möglichkeit der Einwirkung der Seele auf den Körper (II 12: 551–2). Modern ausgedrückt handelt es sich hier um die Frage der mentalen Verursachung. Montaigne stellt fest, dass wir unsere Glieder willentlich bewegen können, dass bestimmte Vorstellungen körperliche Reaktionen verursachen oder auf bestimmte Organe und Körperteile einwirken. Normalerweise sagen wir: „Sie hebt die Hand, weil sie sich melden möchte“ oder „Sie wird rot, weil ihr etwas Beschämendes eingefallen ist.“ Dabei meinen wir, dass die Körperreaktionen durch einen bestimmten Gedanken verursacht worden sei (in den beiden Beispielen: durch eine Absicht oder durch eine Erinnerung). Die Frage lautet, wie ein Gedanke auf einen Körperteil einwirken kann und welcher Art die Einwirkung ist. Offenbar gehen wir von der Existenz einer Einwirkung aus. Wie kann etwas Nichtmaterielles (ein Gedanke) auf etwas Materielles (einen Körperteil) einwirken? Zwar denkt Montaigne bei „impression spirituelle“ sowohl an Gedankeninhalte, die wie im Falle der Abstraktion „spirituelles“ sind, als auch an körperliche Fantasmata, die auf innere Organe einwirken können (telle imagination agit en la rate seulement, telle autre au cerveau). Das Problem der mentalen Verursachung stellt sich natürlich im Falle der Einwirkung seitens eines immateriellen Seelenteils. Wie der Hinweis auf Augustinus nahe legt, hat Montaigne primär diesen Fall im Auge (Modus quo corporibus adhaerent spiritus, omnino mirus est). Freilich belässt er es bei der Verwunderung über die Möglichkeit und der Natur der mentalen Verursachung. Dies entspricht seiner pyrrhonischen Haltung in der „Apologie“. Zuvor hat sich Montaigne kritisch über die Aufteilung der Seele geäußert: „[a] Pour accommoder les mouvemens qu’ils voyent en l’homme, les diverses functions et facultez que nous sentons en nous, en combien de parties ont–ils divisé nostre ame? en combien de sieges logée? à combien d’ordres et estages ont–ils départy ce pauvre homme, outre les naturels et perceptibles? et à combien d’offices et de vacations? Ils en font une chose publique imaginaire. C’est un subject qu’ils tiennent et qu’ils manient: on leur laisse toute puissance de le descoudre, renger, rassembler et estoffer, chacun à sa fantasie.“ (II 12: 537)
Montaigne wundert sich darüber, dass die Seele in verschiedene Teile zerlegt wird. Damit greift er nun die „Fakultätenpsychologie“ direkt an. Implizit tut dies Montaigne bereits in seiner vierten Gegenargumentation. Dort bezweifelt er die Korrespondenz zwischen Seelenvermögen und Erkenntnisgegenständen, hier kritisiert er die Korrespondenz zwischen kognitiver Operation und unterstelltem Seelenvermögen mit der Frage, in wie viele Teile die Seele zergliedert worden sei, um unsere Fähigkeiten zu erklären. Er bezeichnet die fakultätenpsychologische Seele als eine „imaginäre Republik“ (une chose publique imaginaire) und zeiht die Vertreter dieser Psychologie der Manipulation und der Willkür (C’est un subject qu’ils tiennent et qu’ils manient). Wie ist das zu verstehen? Wie in einem Staat unterschied-
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liche Beamte, Funktionäre und Politiker für bestimmte Aufgaben zuständig sind, so sind in der Seele unterschiedliche Teile, Sitze oder Stockwerke für spezifische Funktionen und Fähigkeiten zuständig. Montaigne führt diese Homunculusidee ad absurdum: Wenn für jede Fähigkeit und Fertigkeit ein spezifisches Vermögen unterstellt wird, was wird damit erklärt? Warum vermögen wir abstrakte Vorstellungen zu bilden? Vermöge eines Abstraktionsvermögens. Warum vermögen wir zu schließen? Vermöge eines Schließvermögens. Und so weiter. Der Vermögensunterstellungswillkür ist keine Grenze gesetzt. Insbesondere weist Montaigne jene „Stockwerke“ innerhalb dieser Psychologie zurück, die über die natürlichen und wahrnehmbaren (outre les naturels et perceptibles) hinausweisen. Hier werden willkürlich übernatürliche Vermögen unterstellt (chacun à sa fantasie).163 Wenden wir uns einer dritten Stelle zu. Sie stammt nicht aus der „Apologie“, sondern aus dem Essay I 14: „Que le goust des biens et des maux depend en bonne partie de l’opinion que nous en avons“. Dieser Essay handelt unter anderem vom Schmerz, ein Thema, mit dem sich Montaigne wiederholt auseinandersetzt (II 37, III 13), und das für die Leib-SeeleProblematik relevant ist. Am Schmerz interessiert ihn unter anderem die Frage, wie sehr die Seele an den Körper gebunden oder von ihm getrennt ist. Platon, so Montaigne, fürchte sich vor den negativen und positiven Körpererfahrungen, weil sie durch ein Übermaß die Seele zu sehr an den Körper binden: „[c] Platon craint nostre engagement aspre à la douleur et à la volupté, d’autant qu’il oblige et attache par trop l’ame au corps.“ Darauf repliziert Montaigne, dass er eher fürchte, die Schmerzerfahrung könne den engen Zusammenhang zwischen Seele und Körper stören: „Moy plustost au rebours, d’autant qu’il l’en desprent et descloue.“ (I 14: 58) Montaigne tendiert zur Ansicht, dass ein Übermaß an Schmerz oder Wolllust nicht vom Körper herrührt, sondern vom Geist: „[c] Il est aisé à voir que ce qui aiguise en nous la douleur et la volupté, c’est la pointe de nostre esprit.“ (I 14: 58) Wie ist dies zu verstehen? Der Essay I 14 handelt davon, dass das Erleiden negativer und das Genießen positiver Körperempfindungen zu einem großen Teil von unseren Meinungen über sie abhängt. Unsere Urteile und Meinungen verwandeln sie erst in jene Übel oder Güter, die wir fürchten oder begehren. Es ist nun 163 Gegenwärtig wird in der Evolutionären Psychologie die Hypothese der massiven Modularität des Geistes diskutiert. Der Geist ist eine Art Schweizer Taschenmesser, das über spezifische Module (aufgabenspezifische kognitive Adaptionen) für spezifische Fähigkeiten verfügt. Die These der massiven Modularität besagt, dass der Geist ausschließlich aus spezialisierten, adaptiven Informationsverarbeitungsmechanismen besteht. Mit seiner Kritik an der Willkürlichkeit der Fakultätenpsychologie findet sich Montaigne hier gleichsam im selben Boot wie Fodor 2000: 55 ff. So auch Friedrich Nietzsches bekannter Spott in Jenseits von Gut und Böse, § 11: „Wie sind synthetische Urtheile a priori möglich? fragte sich Kant,–und was antwortete er eigentlich? Vermöge eines Vermögens.“
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ein durchaus pyrrhonischer Gedanke, dass den Skeptiker beispielsweise körperliche Übel nur halb so sehr bedrängen, wie den Dogmatiker. Beide erleiden den körperlichen Schmerz, aber nur der Dogmatiker wird zusätzlich von Urteilen und Meinungen geplagt, die ihm Angst und Schrecken einjagen. So glaubt er vielleicht, dass einem Schmerzerleben eine bestimmte Ursache zugrunde liege und dass diese Ursache in Zusammenhang mit einer gefährlichen Krankheit stehe. Zu seinem physischen Schmerzerleben tritt die Furcht vor einer bedrohlichen Krankheit (Sextus 1968: 101, 287/PH I 30, III 235–8).164 So viel zur pyrrhonischen Erklärung dieses Gedankens. Nun fährt Montaigne wie folgt weiter – und damit kommen wir zurück zu den Tieren: „[c] Il est aisé à voir que ce qui aiguise en nous la douleur et la volupté, c’est la pointe de nostre esprit. Les bestes, qui le tiennent sous boucle, laissent aux corps leurs sentiments, libres et naïfs, et par consequent uns, à peu pres en chaque espece, comme nous voions par la semblable application de leurs mouvements. Si nous ne troublions pas en noz membres la jurisdiction qui leur appartient en cela, il est à croire que nous en serions mieux, et que nature leur a donné un juste et moderé temperament envers la volupté et envers la douleur. Et ne peut faillir d’estre juste, estant esgal et commun.“ (I 14: 58)
Die Tiere halten ihren Geist an der Kandare (sous boucle) und lassen den Empfindungen des Körpers freien Lauf. Als Naturwesen würden sowohl Tiere als auch Menschen die lust- und leidvollen Körperempfindungen in gemäßigter Form erleben. Darin besteht das natürliche Gleichgewicht von Mensch und Tier. Dass die Tiere sozusagen maßvoller sind, wird von Montaigne in der „Apologie“ hervorgehoben (II 12: 472). Allerdings scheint unser Geist (nostre esprit) sich anders zu unserem Körper zu verhalten, als der Geist der Tiere zu ihrem Körper. Die enge Verbindung zwischen Körper und Seele, die Montaigne in den Essais beschäftigt, findet sich in erster Linie bei den Tieren. Beim Menschen hingegen scheint die Gefahr zu bestehen, dass sich diese Verbindung löst. Montaignes Hinweis ist an dieser Stelle negativ: Die Loslösung führe vor allem dazu, dass sich unser Geist der umherschweifenden Freiheit seiner Fantasien überlasse (pour nous abandonner à la vagabonde liberté de nos fantasies). Immer wieder, wenn Montaigne in den Essais auf „nostre esprit“ zu sprechen kommt, weist er auf dieses Moment hin: „[a] Nostre esprit est un util vagabond, dangereux et teme164 Diesen Gedankengang greift Montaigne vor allem im Essay „De l’experience“ auf. „[b] Les plus griefs et ordinaires maux sont ceux que la fantasie nous charge.“ (III 13: 1087) und: „[c] Qui craint de souffrir, il souffre desjà de ce qu’il craint.“ (III 13: 1095). Montaigne beschreibt hier die Schmerzen, die er aufgrund seines Nierenleidens aussteht. Er stellt dar, wie er die Ängste und Schreckensszenarien, die ihm seine Fantasie ausmalt mit Gegenargumenten zu entkräften versucht (vgl. III: 13, 1091-5 ). „[b] Par tels argumens, et forts et foibles […] j’essaye d’endormir et amuser mon imagination, et gresser ses playes.“ (III 13: 1095) Montaigne geht hier mit seiner Fantasie genau so um wie der pyrrhonische Skeptiker mit dem Dogmatiker! Er versucht ihn durch Gegenargumente von seiner festgefahrenen Meinung abzubringen. Das Ziel ist hier wie dort im wahrsten Sinne des Wortes ein therapeutisches.
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raire […]“ (II 12: 559; vgl. II 12: 491, 508, 511, 535, 560) „[b] nostre esprit, [c] dangereux util en desreglement!“ (III 5: 879) „[a] Je me deffie des inventions de nostre esprit, de nostre science et art, en faveur duquel nous l’avons abandonnée et ses regles, et auquel nous ne sçavons tenir moderation ny limite.“ (II 37: 766165) Die Einstellung des Tiers zum Schmerz wird von Montaigne der menschlichen Einstellung zum Schmerz entgegengehalten. Die Schmerzeinstellung ist für Montaigne der paradigmatische Fall des Verhältnisses zur körperlichen Bedingtheit. Die unterschiedlichen Einstellungen werden aber nicht durch unterschiedliche kognitive Vermögen verursacht. Montaigne legt nahe, dass sich bei uns das Selbstverhältnis von „nostre esprit“ zum Körper verändert hat. Was aber hat dieser Gedanke mit Einbildungskraft zu tun? 36. Einbildungskraft und Unnatur Es liegt auf der Hand, die Einbildungskraft als jenes Vermögen zu verstehen, über das sowohl Menschen als auch Tiere verfügen, das jedoch beim Menschen zu einer exzessiven Transzendenz neigt und sich in Fantasien und Spekulationen verliert.166 Deshalb bestimmt Montaigne die Vernunft, wie 165 Für Levine 1999 & 2001 ist die Zügelung der schweifenden, dogmatischen Meinungen das eigentliche Ziel Montaignes. Levine reklamiert Montaigne für die liberale Tradition und sieht in den Essais die Geburt der Toleranz aus dem Geist der Skepsis. Montaignes Hauptargument für die Toleranz gehe von der Beobachtung aus, dass es der überhebliche, unzufriedene, ungebändigte Geist des Ideologien entwerfenden Menschen ist, der Intoleranz und damit Grausamkeit hervorbringt. Die ist Skepsis ein Heilmittel, denn sie beschränkt den Geltungsbereich politischer, religiöser und wissenschaftlicher Ideologien. Die Skepsis hat eine Grenze. Sie erlaubt zwar keine Einsicht in objektiven Strukturen des Wahren, Guten und Schönen, aber sie treibt die Subjektivität hervor. Denn der Skeptiker, zweifelnd an der Natur der Gegenstände und Ereignisse in seiner Umwelt, zieht sich darauf zurück, wie ihm die Dinge erscheinen. Montaigne biete damit eine bestimmte Konzeption des Subjekts. In der geistigen und körperlichen Verletzbarkeit des Subjekts liege der Grund zum Toleranzgedanken. 166 Zahlreiche Interpreten und Interpretinnen gehen jedoch viel weiter und schreiben Montaigne einen absoluten Vorrang der Einbildungskraft zu. Sie sei zentral für sein Selbst- und Weltverständnis. Insbesondere habe Montaigne eine Einsicht in die konstruktive, schöpferische oder projektive Kraft der Einbildungskraft erlangt, vgl. Olejniczak Lobsien 1999, Brahami 2001, Westerwelle 2002. Brahami 2001: 55 hat in seiner Darstellung der Skepsis Montaignes den Schluss gezogen, Montaigne reduziere die Vernunft auf die Einbildungskraft und „la sensibilité à son tour est rapportée á l’magination. L’anthropologie de Montaigne est en un sens un monisme de la fantaisie.“ Für Westerwelle 2002: 20-30 steht Montaigne mit den Schlüsselbegriffen „imagination“ und „fantaisie“ an der Epochenschwelle zwischen Mittelalter und Moderne. Montaigne vollziehe auf der Epochenschwelle den Übergang von einem passiven, aufnehmenden zu einem aktiven, erzeugenden Imaginationsvermögen. Die produktive Aktivität der Einbildungskraft kann als ein Vermögen betrachtet werden, das eine entscheidende Rolle in der erkenntniskritischen Welt- und Ich-Konstitution spielt (Westerwelle 2002: 19-20). Sie wird sowohl der scholastischen ratio als auch der frühneuzeitlichen
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wir bereits gesehen haben, als „nos resveries et nos songes“ (Abschn. 33). Unser Geist und der Geist der Tiere besteht vornehmlich in der Einbildungskraft. Man könnte sagen, dass Montaigne die klassische Definition des Menschen als eines vernünftigen Tieres (das spricht), wie folgt auslegt: Der Mensch ist das Tier, das wie andere Tiere auch über eine Einbildungskraft verfügt, das aber die unglückliche Tendenz hat, seine animalische Bedingtheit zu transzendieren. Der menschliche Geist (nostre esprit) emanzipiert sich von seinen natürlichen Grundlagen und überlässt sich dem freien Spiel seiner Fantasien. Der Mensch ist das Tier, dessen Geist seinen Körper und seine natürlichen Anlagen transzendiert. Kurzum: Er ist das Tier, das mehr als ein Tier sein will. Es gibt bei Montaigne durchaus eine anthropologische Differenz. Diese Differenz stellt nun keinen Vorzug mehr dar, der den Menschen in der Ordnung des Seins höher stellen würde. Im Gegenteil äußert Montaigne unverhohlen sein Missbehagen vor der menschlichen Unnatur: „[b] Ils veulent se mettre hors d’eux et eschapper à l’homme. C’est folie: au lieu de se transformer en anges, ils se transforment en bestes; au lieu de se haußer, ils s’abattent. [c] Ces humeurs transcendentes m’effrayent, comme les lieux hautains et inaccessibles“ (III 13: 1115)
Der Hinweis auf die Verwandlung in Tiere ist natürlich als kritische Replik auf Äußerungen zu verstehen, wie wir sie beispielsweise bei Pico oder Toletus angetroffen haben (Abschn. 27).167 Mit ihr verweist Montaigne auf den Menschen als jenes „monstrueux animal“ (III 5: 879), das sich bemüht, seine natürlichen und körperlichen Bedingungen zu übersteigen. Die Möglichkeit, dass sich unser Geist von seinen körperlichen Bedingungen emanzipiert, stellt in Montaignes Augen keine „praeexcellence vraye et essentielle“ dar. Sie stellt jene Krankheit dar, die es mit den Mitteln der Skepsis zu bekämpfen gilt. Die Skepsis dient Montaigne als Gegendiskurs gegen die anthropologische Differenz, wie wir sie im mentalistischen Rationalismus finden, und dadurch als therapeutisches Mittel gegen die ausschweifende Einbildungskraft des Menschen. In ihr gründet jene Eitelkeit (III 9: „De la vanité“.) und Voreingenommenheit (II 17: „De la praesumption“) die Monscientia und ihren Ansprüchen auf Wahrheit in durchaus skeptischer Manier entgegengestellt. Hier scheint mir eine vorschnelle und einseitige Gewichtung vorzuliegen. Deutungen, die Montaignes Emanzipation einer aktiven und konstruktiven Einbildungskraft herausstreichen, übersehen schlicht, dass Montaigne die Funktion dieser Einbildungskraft negativ bewertet. Für Montaigne stellt die Einbildungskraft ein Problem dar. Demgegenüber betont Maierhofer 2003: Kap. 2 zurecht, dass die Vorstellungskraft bei Montaigne durchaus pathothologische Züge hat, die es zu domestizieren gilt, die aber nur schwer zu domestizieren ist. 167 „Zuletzt wollen wir nicht wie die Tiere, sondern wie die Engel und wie Gott sein; und auf eben diese Weise wollen wir diese nachahmen, und uns selbst erheben zu den göttlichen Werken und der Betrachtung und Nachahmung göttlicher Dinge.“ (Commentaria una cum quaestionibus in III libros De anima II 5q.16, zitiert in Des Chene 2000: 17n).
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taigne in der „Apologie“ „in den Staub treten“ möchte. So bemerkt er zum Schluss der „Apologie“, dass das Monströse des Tieres Mensch dann entsteht, wenn es seine natürlichen Bedingungen zu transzendieren versucht: „[a] O la vile chose, dict–il [Seneca], et abjecte, que l’homme, s’il ne s’esleve au dessus de l’humanité ! [c] Voylà un bon mot et un utile desir, mais pareillement absurde. [a] Car de faire la poignée plus grande que le poing, la brassée plus grande que le bras, et d’esperer enjamber plus que de l’estandue de nos jambes, cela est impossible et monstrueux. Ny que l’homme se monte au dessus de soy et de l’humanité: car il ne peut voir que de ses yeux, ny saisir que de ses prises.“ (II 12: 604)
Die Perspektivität, die Montaigne hervorhebt, tritt wieder in Erscheinung, wenn er schreibt, dass der Mensch nur mit seinen Augen sehen und nur gemäß seinen darauf aufbauenden Möglichkeiten erfassen könne. Wie andere Tiere. Was darüber hinaus geht, ist zweifelhaft. Die „Apologie“ ist das Bemühen, die zweifelhafte Selbsttranszendenz des Menschen mit den Mitteln der pyrrhonischen Skepsis zu entlarven. Der Überschuss der Einbildungskraft ist die anthropologische Krankheit, der Montaigne mit den Mitteln der Skepsis begegnen möchte. Die Verteidigung der Vernunft der Tiere zielt nicht allein auf den Geist der Tiere, sondern auch auf den Geist des Menschen. Welches Bild ergibt sich? Montaigne tendiert zur Annahme, dass die Geister von Tier und Mensch gleicher Natur sind. Der Tendenz nach sind beide körperlicher Natur. Darin liegt ihre Perspektivität. Der menschliche Geist strebt im Gegensatz zum tierischen Geist danach, sich von seinen natürlichen Bedingungen zu lösen. Er vergisst darüber seine körperliche Beschaffenheit und seine Perspektivität. Im Zuge der Rekonstruktion des Gegenarguments über das Abstraktionsvermögen haben wir sehen können, dass Montaigne allem Anschein nach der Einbildungskraft (und mithin der sensitiven Seele) zuschreibt, was die aristotelisch-scholastische Tradition dem Intellekt (und mithin der rationalen Seele) zuspricht, nämlich das Vermögen der Abstraktion und des Denkens (ratiocinatio). In der ersten Textpassage zeigt sich Montaigne skeptisch gegenüber der Möglichkeit der Einwirkung eines spirituellen und immateriellen Seelenteils auf den Körper. Die zweite Textpassage lässt sich so verstehen, als würde Montaigne einen immateriellen rationalen Seelenteil, der über die beiden unteren Seelenteile hinaus für die spezifisch menschlichen kognitiven Fähigkeiten zuständig ist, in Abrede stellen. Nicht darum geht es, den Tieren eine rationale Seele zuzuschreiben. Diese Frage ist strittig und Wesen und Wirkung einer immateriellen Seele schwierig zu erkennen. Hier liegen der Skeptiker und der Dogmatiker im Enthaltungsgleichgewicht. Vielmehr sollen die kognitiven Operationen des Intellekts als Äußerungen der körperlichen Verfasstheit sowohl des Menschen als auch des Tiers verstanden werden. Gemäß meiner Deutung zielt Montaigne auf die körperliche Verfasstheit von Mensch und Tier, auch von deren kognitiven Vermögen. Eine Äußerung aus dem späteren Essay „De l’art de conferer“ bestätigt diese Deutung: „[b]
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Kapitel II – Montaigne – Skepsis und Tiervernunft
C’est tousjours à l’homme que nous avons affaire, duquel la condition est merveilleusement corporelle.“ (III 8: 930). Damit zeichnet sich eine Tendenz ab, den Menschen zu vertieren
V. Skeptische Moral 37. Ethische Konsequenzen des Gleichgewichts von Mensch und Tier Die Betonung der gemeinsamen körperlichen Natur, wie sie beispielsweise Th. Gontier und Schaefer hervorheben, soll vor allem ethische oder moralische Konsequenzen haben (Abschn. 32). Wie wir gesehen haben, entwirft der Essay „De la cruauté“ das Programm für den Tierdiskurs der „Apologie“ (Abschn. 19). Dort verweist Montaigne tatsächlich auf eine moralische Konsequenz. Wenn der skeptische Gegendiskurs etabliert ist, dann können wir Folgendes anerkennen: „[a] Quand tout cela en seroit à dire, si y a–il un certain respect qui nous attache, et un general devoir d’humanité, non aux bestes seulement qui ont vie et sentiment, mais aux arbres mesmes et aux plantes. Nous devons la justice aux hommes, et la grace et la benignité aux autres creatures qui en peuvent estre capables. Il y a quelque commerce entre elles et nous, et quelque obligation mutuelle. [c] Je ne creins point à dire la tendresse de ma nature si puerile que je ne puis pas bien refuser à mon chien la feste qu’il m’offre hors de saison ou qu’il me demande.“ (II 11: 435)
Montaigne entwickelt aber weder in der „Apologie“ noch in den übrigen Essays eine ausdrückliche Tierethik. Man bleibt auf den Essays II 11 verwiesen. Die allgemeine Schuldigkeit (general devoir), von der Montaigne spricht, scheint sich daraus herzuleiten, dass Tiere empfinden und leben. Hier wird die anthropologische Differenz anscheinend nicht eingeebnet, denn Montaigne spricht von einer spezifisch menschlichen Schuldigkeit. Er spezifiziert diese Schuldigkeit so, dass wir den Menschen Gerechtigkeit schulden, den anderen Lebewesen jedoch sowohl Gnade als auch Wohlwollen. Der Zusatz [c], in dem Montaigne sein kindliches Naturel hervorhebt, scheint gänzlich aus der Reihe zu tanzen. Hier stellen sich drei Fragen: (1) Worin besteht die Verbindung zwischen Montaignes Gegendiskurs und seinen moralischen Forderungen? (2) Wie ist der gleichsam autobiographische Zusatz zu verstehen? (3) Montaignes Forderung hört sich so an, als intendiere er eine unterschiedliche moralische Behandlung von Mensch und Tier. Worin besteht sie? Ich werde diese drei Fragen der Reihe nach behandeln. Diese Behandlung kann auf keinen Fall erschöpfend sein. Es wird darum gehen, das skizzierte Programm auszufüllen. Charron, Montaignes Nachfolgeadvokat in Sachen Tiervernunft, nimmt in De la sagesse die ethische Programmskizze auf. Am Ende seiner
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„Seconde consideration de l’homme, qui est par comparaison de luy avec tous les autres animaux“ hängt Charron Montaignes Forderung beinahe wortwörtlich an: „Au reste il se faut souvenir qu’il y a quelque commerce entre les bestes et nous, quelque relation et obligation mutuelle, ne fust–ce que par ce qu’elles sont d’une mesme mestre, est de mesme famille que nous; il est indigne d’user de crauté envers elles, nous devons la justice aux hommes, la grace et la benignité envers les autres creatures, qui en sont capables.“ (Charron 1986: 219/De la sagesse I 34)
Die Aufnahme der Programmskizze hat den Vorteil, dass zwei Argumente deutlich hervorgehoben werden. Erstens besteht eine Bindung zwischen Mensch und Tier aufgrund ihrer gemeinsamen Herkunft und ihrer Verwandtschaft. Zweitens ergänzt Charron, dass wir Gnade und Wohlwollen jenen Lebewesen gegenüber schulden, die dazu in der Lage sind. Wie sehen diese beiden Argumente in den Essais aus? Das erste Argument betont das Gleichgewicht von Mensch und Tier. Montaigne nimmt die gemeinsame Herkunft und die Verwandtschaft von Mensch und Tier weniger wörtlich als Charron. Der theologische Hinweis auf den gemeinsamen Schöpfer trägt bei Montaigne nicht weit (II 11: 433) und die Verwandtschaft im strikten Sinne weist er in einer Diskussion der „Metempsichose des Ægyptiens“ (II 11: 433) von sich: „[a] Quant à ce cousinage là d’entre nous et les bestes, je n’en fay pas grand recepte.“ (II 11: 434) Montaigne spricht von „[a] la prochaine ressemblance de nous aux animaux“ (II 11: 435) und von „[a] mesme nature“ (II 12: 459) bei Mensch und Tier. Wie wir bereits gesehen haben, meint Montaigne damit die gemeinsame körperliche Natur von Mensch und Tier. Wir haben ebenfalls gesehen, dass Montaigne den Tieren Schmerzerlebnisse zuschreibt (Abschn. 35). Hier scheint Charrons zweites Argument zu greifen. Montaigne spricht mit Lebewesen, denen wir Gnade und Wohlwollen schulden, jene Geschöpfe an, die Schmerzen empfinden können. Der Gegendiskurs soll uns also zur Einsicht führen, dass wir eine besondere Beziehung und Verpflichtung zu schmerzempfindenden Lebewesen haben: „[a] Quand tout cela en seroit à dire, si y a–il un certain respect qui nous attache, et un general devoir d’humanité, non aux bestes seulement qui ont vie et sentiment, mais aux arbres mesmes et aux plantes.“ (II 11: 434) Bemerkenswerterweise spricht Montaigne hier nicht nur Lebewesen mit einer sensitiven Seele an, sondern auch Bäume und Pflanzen, Lebewesen also mit einer vegetativen Seele. Will Montaigne damit tatsächlich sagen, dass auch Pflanzen und Bäume Schmerzen empfinden können? Im bereits angesprochenen Essay I 14 drückt Montaigne genau diese Vermutung aus: „[a] Forcerons nous la generale habitude de nature, qui se voit en tout ce qui est vivant sous ciel, de trembler sous la douleur? Les arbres mesmes semblent gemir aux offences qu’ on leur faict.“ (I 14: 55)
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Montaigne ist sich der Unglaubwürdigkeit dieser Behauptung durchaus bewusst (mais aux arbres mesmes). Er behauptet nicht, dass alle Lebewesen tatsächlich unter Schmerzen leiden können, fragt auch nicht, ob Bäume tatsächlich Schmerzen leiden, sondern er sagt, dass sie zu seufzen scheinen. Montaigne geht hier also durchaus skeptisch vor. Die Absicht ist dieselbe, wie im Falle der Tiere und der unglaubwürdigen Anekdoten: Woher wissen wir, dass nicht auch diese Wesen Schmerzen leiden? Warum erscheint uns diese Behauptung als unglaubwürdig? Diese Äußerungen Montaignes gehören mit zum skeptischen Gegendiskurs, den er jedoch im Falle der Lebewesen mit einer vegetativen Seele wie Bäume und andere Pflanzen nicht eigens führt, sondern nur äußerst verknappt darstellt. Aber wie kann Montaigne aus diesen lediglich in oppositionem vorgebrachten Vermutungen so etwas wie eine moralische Folgerung ziehen? Wie kann er fordern, dass wir „la grace et la benignité envers les autres creatures, qui en sont capables,“ schulden? Das Problem scheint darin zu liegen, dass Montaigne hier seine skeptische Haltung verlässt und ein Argument führt:168 1. Es ist schlecht, Lebewesen Schmerzen zuzufügen. 2. Lebewesen empfinden Schmerzen. 3. Also solltest du ihnen Gnade und Wohlwollen entgegenbringen. Wie aber kann Montaigne eine positive Forderung aufstellen? Muss sich Montaigne als Skeptiker nicht auch hier des Urteils enthalten? Hinzukommt, dass Montaigne in der „Apologie“ Vernunftargumente der Philosophie kritisiert und die Vernunft als unzuverlässiges Instrument betrachtet. Die Moral muss nach Montaigne in etwas Stärkerem zuhause sein als in Vernunftgründen. Ich denke, dass sich diese Frage beantworten lässt, wenn wir uns der zweiten Frage nach dem Zusatz zuwenden. Montaigne steht nämlich eine weitere Möglichkeit offen. Montaigne zielt auf die Legitimierung seiner natürlichen Einstellungen und Neigungen. Was bedeutet das?
168 Eine Argumentation dieser Art wird Montaigne in der Tierethik bisweilen zugeschrieben (Singer 1996: 319-20). Oder seine Forderung nach Gnade und Wohlwollen wird in den Rahmen einer Ethik der grundlosen Gabe gerückt (de Fontenay 1998: 356-7). Es gehört zu den Voraussetzungen eines überwiegenden Teils der aktuellen Tierethik, dass sich ethische Argumente zugunsten der Tiere darauf aufbauen lassen, was wir über den Geist der Tiere wissen. Von überragender Bedeutung in der gegenwärtigen Diskussion ist das Schmerzempfinden. Fühlen Tiere Schmerzen und sind diese Schmerzen moralisch relevant? Wenn diese Fragen negativ beantwortet werden, dann stehen die moralischen Folgerungen der Tierethik teilweise auf wackeligen Füßen.
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38. Privater Abscheu vor der Grausamkeit Im Essay „De la cruauté“ stellt Montaigne die aus rationalen Prinzipien gewonnene Tugend (par fermeté et rigueur d’opinions et de precepts, II 11: 422) einer Neigung zur Güte (les inclinations à la bonté, II 11: 422) gegenüber.169 Montaigne betont, dass seine Neigung kontingent und unabsichtlich ist (accidentale et fortuite, II 11: 427), dass er sie also mehr dem Zufall als der Vernunft verdanke (plus à ma fortune qu’à ma raison, II 11: 427). Aufgrund dieser Neigung verabscheut Montaigne die Grausamkeit als das übelste aller Laster.170 „[a] Je hay, entre autres vices, cruellement la cruauté, et par nature et par jugement, comme l’extreme de tous les vices. Mais c’est jusques à telle mollesse que je ne voy pas égorger un poulet sans desplaisir, et ois impatiemment gemir un lievre sous les dens de mes chiens, quoy que ce soit un plaisir violont que la chasse.“ (II 11: 429)
Die Beispiele, die Montaigne für seinen Hass auf die Grausamkeit vorbringt, handeln überwiegend vom Mitgefühl (sympathie) für Schmerz bei Tieren (II 11: 433). Diese persönliche Neigung ist m. E. die Quelle der moralischen Forderung Montaignes. Es handelt sich dabei nicht um eine positive Forderung, wie die Formulierung einer Schuldigkeit von Gnade und Wohlwollen vermuten lässt, sondern um eine negative Forderung, deren Kern im Verzicht auf die Grausamkeit besteht. In einem späteren Essay 169 Wie Montaigne in diesem Essay am Beispiel des Selbstmordes von Cato dem Jüngeren betont, ist der prinzipiengeleitete moralische Rigorismus eine Form der Grausamkeit gegen sich selbst. Montaignes Abneigung gegenüber der Grausamkeit trifft also auch bestimmte ethische Theorien. Hallie 1977 sieht darin eine Wende in der Ethik, die das Augenmerk vom Selbstverhältnis zur Wirkung auf Dritte verlegt. 170 Falls man einen Liberalen als einen Menschen bestimmen kann, der einen tiefen Abscheu gegenüber körperlicher, psychischer und institutioneller Grausamkeit hegt, ist Montaigne ein Liberaler. Montaigne stehe am Beginn einer liberalen Tradition, die den Abscheu vor diesem Laster an die erste Stelle von Erziehung und Moralpsychologie setze (Shklar 1984: Kap. 1). Das Ziel der Essais bestehe gerade in dieser moralpsychologischen Sensibilisierung. Ph. Hallie formuliert Montaignes Ziel wie folgt: „[T]he power that Montaigne wants to restrain is the power of the strong to torture the weak. Every cruel being is in a position of superior strength with regard to his victim.“ (Hallie 1977: 171) Diese Interpretation findet sich deutlich ausgeprägt bei D. Quint: „Montaigne’s preference for clemency over justice […] is a dominant ethical strain in his book.“ (Quint 2000: 134) Er schränkt jedoch das Zielpublikum auf den französischen Adel ein, dem die Erziehungsabsicht primär gegolten haben soll: „[A]n ethical reform is at the heart of the political project of the Essais. To be truly noble, Mon taigne will suggest, is to forswear cruelty.“ (Quint 1998: 45) Es bleibt freilich offen, ob diese Form der Rücksichtnahme in einer prinzipiell skeptischen Einstellung wurzelt oder ob die Skepsis ein Resultat dieser Einstellung ist. D. Quint vermutet letzteres, ohne jedoch dafür zu argumentieren: „The easygoing morality of yielding that Montaigne advocates may be the ground and condition, rather than the result, of his [Montaigne’s] skepticism. It may be the ground as well of his self-portrait […] as Pierre Villey argued long ago, Montaigne got over his skeptical phase.“ (Quint 1998: x, xiv)
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betont Montaigne den Vorrang der negativen vor der positiven Forderung: „[a] L’horreur de la cruauté me rejecte plus avant en la clemence qu’aucun patron de clemence ne me sçauroit attirer.“ (III 8: 922). Montaigne verweist auf einen subjektiven Affekt. Er äußert sich zugunsten einer Auffassung, die die Moral nicht in rationalen Prinzipien und vernünftigen Gründen verankert, sondern im subjektiven Gefühl. Das ist für einen Skeptiker konsequent, der in der „Apologie“ die Vernunft als unzuverlässiges und fantastisches Instrument attackiert. Aber es ist für einen Skeptiker auch legitim, sich auf seine natürliche Neigung zu berufen. Gemäß den ersten beiden der vier praktischen Kriterien, lässt sich der pyrrhonische Skeptiker von seinen natürlichen Neigungen und von seinen Affektionen leiten, in Montaignes Formulierung: „Ils se prestent et accommodent aux inclinations naturelles, à l’impulsion et contrainte des passions“ (II 12: 505). Zu den praktischen Kriterien gehören auch die natürlichen und die subjektiven Neigungen des Skeptikers. Montaignes natürliche Neigung stimmt mit seiner pyrrhonischer Ausrichtung überein. Was Montaigne hier als „natürliche Neigungen“ anspricht, ist bei Sextus die natürliche Führung durch die Vermögen der Wahrnehmung und des Denkens. Der Skeptiker lässt sich wie ein Tier von den ihm erscheinenden Dingen leiten, er nimmt Dinge wahr und er hat körperliche Empfindungen und Bedürfnisse. Das sind alles durchaus natürliche Vorgänge. Selbstverständlich wird der Skeptiker sich nun nicht darüber äußern, ob diese Vorgänge Vermögen des materiellen Körpers oder einer immateriellen Seele sind.171 Darin besteht bei Montaigne der Verzicht auf Grausamkeit „par nature“. Aber es heißt: „Je hay, entre autres vices, cruellement la cruauté, et par nature et par jugement.“ Worin besteht der Verzicht „par jugement“? Der skeptische Gegendiskurs, der zu einem Gleichgewicht von Tier und Mensch führt, verleiht dieser Neigung eine nachträgliche Legitimation. Montaigne sieht sich selbst in seinem subjektiven Naturell bestärkt. Denn der Skeptiker folgt, wenn die beiden Seiten des Diskurses sich in einem Gleichgewicht befinden, seiner natürlichen Neigung. Doch der Verzicht „par jugement“ betrifft nicht nur Montaigne, sondern auch den Leser seines Gegendiskurses. Der skeptische Gegendiskurs lässt es als wahrscheinlich erscheinen, dass Tiere tatsächlich Schmerzen erleiden und dass sie Wesen von gleicher Natur sind wie wir und dass wir Wesen von gleicher körperlicher Natur sind wie die Tiere. Wer den Gegendiskurs zur Kenntnis nimmt, muss sich fragen: Weiß ich, ob Tiere nicht leiden? Und ist es dann nicht angemessen, ihnen gegenüber auf Grausamkeiten aller Art zu verzichten? Handle ich grausam gegenüber Tieren und sie empfinden Schmerz, werde ich das Falsche getan haben. Es ist zwar nicht entschieden, ob Tiere wirklich leiden, doch 171 Vgl. Sextus 1968: 160-1/PH II 29-33.
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wie dem auch sei, im Verzicht auf Grausamkeit tue ich bestimmt nicht das Falsche. Handle ich gnädig und wohlwollend, dann behandle ich Tiere (ob sie nun Schmerz empfinden oder nicht) nicht grausam. Der [c]-Zusatz am Schluss des Essays II 11 ist kein bloßer Zusatz, sondern das entscheidende Scharnier zwischen dem skeptischen Gegendiskurs über den Geist der Tiere und der negativen moralischen Forderung. Die folgende Passage aus der „Apologie“ veranschaulicht treffend, was ich hier rekonstruiert habe: „[b] [La Philosophie] a tant de visages et de varieté, et a tant dict, que tous nos songes et resveries s’y trouvent. L’humaine phantasie ne peut rien concevoir en bien et en mal qui n’y soit. [c] […] Mes meurs sont naturelles; je n’ay point appellé à les bastir le secours d’aucune discipline. Mais, toutes imbecilles qu’elles sont, quand l’envie m’a pris de les reciter, et que, pour les faire sortir en publiq un peu plus decemment, je me suis mis en devoir de les assister et de discours et d’exemples, ce a esté merveille à moy mesmes de les rencontrer, par cas d’adventure, conformes à tant d’exemples et discours philosophiques. De quel regiment estoit ma vie, je ne l’ay appris qu’apres qu’elle est exploitée et employée. Nouvelle figure: un philosophe impremedité et fortuite!“ (II 12: 546)
Montaigne unterbricht an dieser Stelle einen Katalog, der die unterschiedlichen Vorstellungen der Philosophie über die Seele auflistet und verweist durchaus im Sinne der pyrrhonischen Trope vom Widerstreit (Abschn. 16) auf die widersprüchlichen Meinungen der Philosophen. Sie sind Produkt der schweifenden Einbildungskraft, deren Therapie Montaigne anstrebt. Dem gegenüber bezieht sich Montaigne auf seine natürlichen Neigungen. Bringt er diese jedoch in die Öffentlichkeit, so versucht er sie durch Diskurse und Beispiele zu stützen. Montaigne ist dabei erstaunt darüber, dass sich tatsächlich viele philosophische (zumeist antike) Quellen finden lassen, die seinen natürlichen Neigungen entgegenkommen. Erst in diesem Abwägen und Anpassen von natürlichen Neigungen und philosophischem Material wird Montaigne die Gestalt seiner selbst deutlich. Er sieht sich als einen unabsichtlichen und zufälligen Philosophen.172 Warum aber sagt Montaigne von sich zugleich, er sei kein Philosoph (Abschn. 12)? Betrachten wir diese Aussage im Kontext: „[c] Je ne suis pas philosophe: les maux me foullent selon qu’ils poisent; et poisent selon la forme comme selon la matiere, et souvent plus. J’en ay plus de cognoissance que le vulgaire; si j’ay plus de patience. En fin, s‘ils ne me blessent, ils m‘offencent.“ (III 9: 950). Er ist kein Philosoph, weil es ihm nicht gelingt, andrängende Übel zu neutralisieren. Zwar weiß er mehr über die Übel. Aber das nimmt ihnen nicht ihre Wirkung. Was Montaigne hier zurückweist, ist eine bestimmte Konzeption der Philosophie oder besser: des Philosophen. Es ist die Konzeption des Weisen, dessen Wissen die Übel neutralisiert. 172 Hartle 2003.
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Montaignes Rückgriff auf seine subjektiven Neigungen ist kein bloßer Subjektivismus. Denn er setzt sich mit den Theorieangeboten der Philosophie argumentativ auseinander und setzt diese Angebote gegeneinander. Erst die skeptische Arbeit und der Abgleich mit philosophischen Diskursen und Beispielen lassen das Gewicht der subjektiven Neigungen hervortreten. Die schweifende Einbildungskraft, die Montaigne an der Philosophie kritisiert und als irritierendes Übel und anthropologischen Therapiefall beim Menschen diagnostiziert, verliert ihren Anspruch nicht, wenn sie als skeptische gezügelte Subjektivität auftritt. Die Essais sind deren Beispiel. Bereits eingangs haben wir gesehen, dass die Entgegensetzung und die Subjektivität zu den anerkannten Grundelementen der Skepsis Montaignes gehören. Und der Diskurs um die Tiere verdeutlicht ihren internen Zusammenhang. 39. Ansätze zu einer ethischen anthropologischen Differenz bei Montaigne Wenden wir uns nun der dritten und letzten Frage zu (Abschn. 37). Montaigne unterscheidet zwischen Menschen und Tieren hinsichtlich ihrer moralischen Behandlung. Ich möchte mich auf die Frage beschränken, worin Montaigne einen relevanten Unterschied zwischen Tier und Mensch sieht. Ich werde wenig darüber sagen, warum dieser Unterschied besteht und warum er moralisch relevant ist.173 Eine der vielen Anekdoten, die Diogenes Laertius über den vermeintlichen Stammvater der pyrrhonischen Skepsis zusammengetragen hat, erzählt Folgendes: Während einer Überfahrt Pyrrhos gerät das Schiff in einen schrecklichen Sturm. Die Besatzung fürchtet sich zu Tode. Pyrrho zeigt ihnen ein Schwein, das unbeeindruckt weiterfrisst und hält ihnen dieses Tier als Bild des seeleruhigen Weisen vor. Die „Apologie“ nimmt diese Anekdote auf: „[a] Le philosophe Pyrrho, courant en mer le hazart d’une grande tourmente, ne presentoit à ceux qui estoyent avec luy à imiter que la securité d’un porceau qui voyageoit avecques eux, regardant cette tempeste sans effroy. La philosophie, au bout de ses preceptes, nous renvoye aux exemples d’un athlete et d’un muletier, ausquels on void ordinairement beaucoup moins de ressentiment de mort, de douleur et d’autres inconveniens, et plus de fermeté que la science n’en fournit onques à aucun qui n’y fust nay et preparé de soy mesmes par habitude naturelle.“ (II 12: 490)
Wiederum hat Montaigne die Anekdote etwas abgeändert (Abschn. 29). 173 Insbesondere werde ich zu Montaignes Vorstellung der Gerechtigkeit, die wir den anderen Menschen schulden (wie es im Essay II 11 heißt), nichts sagen.
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Das Schwein frisst nicht einfach weiter, sondern blickt dem Sturm furchtlos entgegen. Sie dient nicht als Beispiel für die Seelenruhe, sondern ist ein Hinweis der Philosophie darauf, dass das Wissen weniger gegen die Übel auszurichten vermag als die natürliche Gewohnheit eines Müllers oder eines Athleten. Möchte Montaigne diese Haltung der „einfachen Leute“, die wie der Skeptiker „de la commune facon“ sind, mit dem Schwein vergleichen? Liegt es nicht auf der Hand, dass das Schwein gar nicht weiß, dass es sich in Todesgefahr befindet und sich deshalb nicht vom Sturm aus der Ruhe bringen lässt? Sitzen das Schwein und der Mensch tatsächlich im selben Boot? Bereits im Essay I 14 hat Pyrrhos Schwein einen prominenten Auftritt. Montaigne untersucht die These, ob uns angesichts von Übeln wie „la mort, la pauvreté et la douleur“ (I 14: 51) nicht unsere Meinungen, die wir mit ihnen verbinden, stärker plagen als die Übel selbst (Abschn. 35). Er kommt zuerst auf den Tod als Gegenstand unserer Furcht zu sprechen und nennt zahlreiche Beispiele, vor allem von Personen, die sich lieber den Tod gäben, als ein schlechtes Leben zu leben. Die Reihe schließt mit Pyrrhos Schwein: „[a] Pyrrho le Philosophe, se trouvant un jour de grande tourmente dans un batteau, montroit à ceux qu’il voyoit les plus effrayez autour de luy, et les encourageoit par l’exemple d’un pourceau, qui y estoit, nullement soucieux de cet orage. Oserons– nous donc dire que cet avantage de la raison, dequoy nous faisons tant de feste, et pour le respect duquel nous nous tenons maistres et empereurs du reste des creatures, ait esté mis en nous pour nostre tourment? A quoy faire la cognoissance des choses, si nous en perdons le repos et la tranquillité, où nous serions sans cela, et si elle nous rend de pire condition que le pourceau de Pyrrho?“ (I 14: 54–5)
Montaigne spricht hier unseren Geist an, der – wie wir bereits gesehen haben – für den zusätzlichen Stachel im Erleiden von Unlust (und Lust) sorgt (Abschn. 35). Die vernünftige Überlegung ist zu nichts gut, wenn sie uns in eine misslichere Lage versetzt als das Schwein und sie allein hilft nicht weiter. Wie Montaigne mit dem Hinweis auf den Athleten hervorheben möchte, braucht es eine gewisse Einübung, um dem Gedanken an den Tod seinen Schrecken zu nehmen. Es braucht eine Zügelung der Einbildungskraft, die ihm erst diesen Schrecken verschafft. Diese Einübung führt zu einer natürlichen Gewöhnung und zu einer zweiten Naivität.174 Das Schwein ist sozusagen das Vorbild dieser Naivität. Nur: Es bedarf keiner Gewöhnung und Einübung. Wie wir gesehen haben (Abschn. 36) unterscheiden sich laut Montaigne der Mensch vom Tier aufgrund einer gewissen Distanz seines Geistes zu seiner körperlichen Verfasstheit. Der Mensch bildet eine subjektive Perspektive aus. Deren freischweifende Natur ist das therapeutische Ziel des pyrrhonischen Philosophen. Deren skeptische Zügelung ist 174 Montaigne führt diesen Gedankengang in den Essays „Qu’il ne faut juger de nostre heur, qu’après la mort“ (I 20), „Que philosopher c’est apprendre à mourir“ (I 21) und „De l’exercitation“ (II 6) aus.
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das Resultat der Therapie, wie es die Essais vorführen. Das Schwein hat nicht diesen Abstand zu sich selbst, der es ihm erlauben würde, sich das Verschwinden der eigenen Perspektive vorzustellen. Die freischweifende Einbildungskraft und die Reflexion auf die eigene Perspektivität scheinen den Tod als Ziel oder Ende (but oder bout) sozusagen erst zu ermöglichen (Abschn. 12). Natürlich nicht als biologisches Phänomen, als Erlöschen der Lebensfunktion und Zerfall des Körpers. Das passiert auch dem Schwein. Es geht um den Tod als subjektives Phänomen, als Erlöschen der (eigenen oder der anderen) subjektiven Perspektive. Das Tier kann dem biologischen Tod seelenruhig ins Auge sehen, weil es den subjektiven Tod nicht kennt. Anders steht es mit dem Schmerz. Hier sitzen der Mensch und das Schwein tatsächlich im selben Boot. „[a] Icy tout ne consiste pas en l‘imagination. […] Le pourceau de Pyrrho est icy de nostre escot. Il est bien sans effroy à la mort, mais si on le bat, il crie et se tourmente. Forcerons nous la generale habitude de nature, qui se voit en tout ce qui est vivant sous ciel, de trembler sous la douleur? Les arbres mesmes semblent gemir aux offences qu‘on leur faict. La mort ne se sent que par le discours, d’autant que c’est le mouvement d’un instant.“ (I 14: 55–6)
Wir kennen diese Stelle bereits. Montaigne fragt, ob nicht sogar Bäume Schmerz empfinden können. Bei einem Tier ist dies nun sehr viel wahrscheinlicher. Sein Verhalten zeigt, dass es Schmerzen empfindet. Während wir beide – Mensch und Tier – also aufgrund unserer körperlichen Verfasstheit Schmerzen erleiden und verletzlich sind, leiden Menschen, nicht aber Tiere, an der Möglichkeit ihres Verschwindes, an ihrem Tod, und zwar aufgrund der Möglichkeit, Einsicht in ihre Perspektivität und in ihre Subjektivität zu gewinnen. Die körperliche Versehrbarkeit stellt die Grundlage für den moralischen Gedanken dar, dass wir den Tieren Gnade (grace) schulden. Hier wurzelt Montaignes Grausamkeitsverzicht „par jugement“. Wie steht es mit dem Wohlwollen (benignité)? Montaignes Zusatz über sein kindliches Naturel handelt davon, dass er seinem Hund das Herumtollen nicht abschlagen kann: „[a] Je ne creins point à dire175 la tendresse de ma nature si puerile que je ne puis pas bien refuser 175 „Je ne creins point à dire“; warum sollte sich Montaigne überhaupt fürchten, die tierfreundlichen Neigungen seines knabenhaften Naturells anzusprechen? An anderer Stelle spricht er davon, dass seine Sympathie für die Tiere kein Gegenstand des Spotts zu sein brauche, weil sie bis zu einem gewissen Grad durch die Theologie legitimiert sei (vgl. II 11: 433) Wie Quint 1998 insistiert, kann man Passagen dieser Art erst richtig im Kontext ihrer Zeit verstehen. Montaigne schreibt im Kontext von durch Grausamkeit geprägten religiösen Bürgerkriegen. Der Adel ist nach wie vor Träger des maskulinen militärischen Ethos’, aber in Montaignes Augen auch verantwortlich für die begangenen Grausamkeiten. Unter anderem gehört die Jagd, auf die Montaigne im Bekenntnis zu seiner Grausamkeitsabneigung bewusst anspielt, nach wie vor zum Privileg des Adels und stellt ein Übungsfeld ihres Ethos dar. Dass Montaigne als Angehöriger dieser sozialen Gruppe seinen Abscheu vor Grausamkeiten und seine Sympathie für tierliches Leid äußert, kann durchaus Gegenstand des Spotts werden. Dasselbe gilt für Montaignes Plädoyer eines freien Umgangs mit Schmerzen. Das aristokra-
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à mon chien la feste qu’il m’offre hors de saison ou qu’il me demande.“ (II 11: 435) Natürlich bringt die körperliche Verfasstheit nicht nur Unlust, sondern auch Lust mit sich. Darauf bezieht sich das Wohlwollen. Sie ist die Kehrseite des Grausamkeitsverzichts, der Gnade. Den Menschen aber schulden wir Gerechtigkeit. Das bedeutet selbstverständlich nicht, dass wir ihnen nicht Gnade oder Wohlwollen entgegenbringen sollten. Schließlich hebt Montaigne gerade unsere körperliche Natur hervor. Menschen sind in hohem Maße verletzlich: „Quant à la force, il n’est animal au monde en bute de tant d’offences que l’homme.“ (II 12: 462). Trifft mein Deutungsansatz des Unterschieds zu, dann fußt die Forderung nach Gerechtigkeit auf der Tatsache, dass dem Menschen sein eigenes Verschwinden als Möglichkeit in den Blick kommt. 40. Naturalistische Skepsis Montaigne scheint die Anekdote von Pyrrho und seinem Schwein reichlich ernst zu nehmen. Sie kann dennoch auch als Witz gebraucht werden. Das Witzige dieses Witzes beruht auf einem Unterschied zwischen dem Schwein und den erschreckten Matrosen: Man kann doch die Matrosen und dieses Tier nicht miteinander vergleichen! Der Witz wirkt aufgrund einer Vergleichung des Ungleichen. Montaignes Diskurs über die Vernunft der Tiere möchte der Anekdote die Möglichkeit dieses Witzes gerade nehmen. Pyrrhos Hinweis auf das ruhige Schwein ist tatsächlich Spott. Montaigne nimmt den Spott auf, wenn er sich darüber lustig macht, dass die vernünftige Überlegung offenbar nicht zur Bewältigung der Furcht vor dem Tod beiträgt. Montaigne philosophiert hier nicht aus der Vernunft heraus. Das hat Hegel ihm vorgeworfen. Entsprechend anders interpretiert Hegel die Anekdote in den Vorlesungen zur Geschichte der Philosophie: „Es ist diese Gleichgültigkeit, welche die Tiere von Natur haben und welche durch Vernunft zu besitzen den Menschen von den Tieren unterscheidet. ‚Pyrrhon zeigte so einst auf dem Schiffe während eines Sturmes seinen Gefährten, die zagten, ein Schwein, das ganz indifferent dabei blieb und ruhig fortfraß, mit den Worten: In solcher Ataraxie müsse auch der Weise stehen’, – aber sie müsse nicht schweinisch sein, sondern aus der Vernunft geboren.“ (Hegel 1969 ff. Bd.19: 370–1) tische Exemplum des Umgangs mit Schmerz ist einer der Herzöge von Guise. Sein Kopf ist von einer Lanze durchstossen und er sagt nur „Ah“. Anders Montaigne: „[a] Au demeurant, j’ay toujours trouvé ce precepte ceremonieux, qui ordonne si rigoreusement et exactement de tenir bonne contenance et un maintien desdaigneux et posé à la tollerance des maux. […] Nous avons assez de travail du mal sans nous travailler à ces regles superflues.“ (II 37: 7601) Rey 1993: 76 weist daher zurecht auf die „émergence d’une sensibilité nouvelle“ bezüglich des Körpers und seiner Schmerzen bei Montaigne hin. Der Körper werde nicht mehr „comme simple enveloppe charnelle, rendant l’âme prisonnière“ betrachtet, sondern als individueller, subjektiver Körper „dans son mélange de douleurs et de joies, dans son humilité quotidienne et sa médiocrité“.
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Kapitel II – Montaigne – Skepsis und Tiervernunft
Hegels knapper, witziger Kommentar nimmt den Unterschied in Anspruch, den Montaigne in Frage stellt. Im Unterschied zu Hegel (und zahlreichen anderen Philosophen, die eine Form des mentalistischen oder des linguistischen Rationalismus’ vertreten) ist Montaigne der Ansicht, dass wir uns selbst verfehlen, wenn wir uns als Vernunftwesen, als rationale Tiere, und nicht als Tiere unter anderen Tieren mit körperlicher und perspektivischer Verfasstheit begreifen. Man kann Montaignes Unterfangen einer Angleichung des Menschen an das Tier und sein Versuch der Zügelung der ausschweifenden Einbildungskraft des Menschen, beides mit den Mitteln der Skepsis, als naturalistische Skepsis bezeichnen, da seine Skepsis ihn sowohl dazu führt, die kognitiven Vermögen zu „naturalisieren“ als auch dazu, seinen natürlichen Neigungen zu folgen und diese zu einer Grundlage für moralische Einstellungen zu machen. Was auch immer Montaignes Argumente zugunsten der Tiervernunft wert sein mögen, wie man auch immer seine pyrrhonische Einstellung beurteilen mag: Mit seinem skeptischen Naturalismus, so scheint mir, liegt er richtig. Hume wird daran weiterarbeiten.
Kapitel III Descartes – Mechanismus und Menschenvernunft „Qu’est-ce donc? Une montre. Et nous? C’est autre chose.“ (Jean de La Fontaine)
I. Descartes’ Tierdoktrin 41. Die Standardinterpretation der Bêtes-machine-These Archytas von Tarent soll eine hölzerne Taube konstruiert haben, die von Ast zu Ast fliegen kann1. Kann eine täuschende Kunsttaube wirklich mit einer realen Taube verglichen werden? Galileo Galilei verneinte dies im Dialogo sopra i due massimi sistemi del mondo (1632). Keine künstliche Nachahmung erreiche ihr lebendiges Vorbild. „Salviati: Und nun gar die Sinne, die Seelenvermögen und endlich der Verstand? Könnten wir nicht mit Recht sagen, die Anfertigung einer Statue stehe unendlich weit zurück hinter der Gestaltung eines lebendigen Menschen, ja des verachtetsten Wurms? Sagredo: Und welch ein Unterschied mag wohl zwischen der Taube des Archytas und einer natürlichen gewesen sein?“ (Galileo 1965: 156)
Für einmal sehen sich die beiden Sprachrohre Galileis nicht mit dem nörgelnden Widerspruch des verstockten Aristotelikers Simplicio konfrontiert. Selbst diese scharfen Kritiker des Spätaristotelismus’ also räumen ein, dass die Sinne, der Verstand und andere Seelenvermögen höhere und niedere Lebewesen wesentlich von ihren künstlichen Nachahmungen unterscheidet. Descartes hingegen würde auf Sagredos rhetorische Frage antworten, dass es keinen wesentlichen Unterschied gibt. Kunsttaube und Naturtaube sind kompliziert konstruierte, sich selbst bewegende Maschinen, Automaten im wahrsten Sinne des Wortes. Ein Unterschied bestehe darin, dass die Naturtaube von einem unendlich weiseren Mechaniker hergestellt wurde, als es beispielsweise Archytas war, nämlich von Gott (Brief März 1638, AT II: 39-412). Der wesentliche Unterschied zwischen einem Menschen und einer 1 2
Aulus Gellius: Noc. att. X, 12, 9. Die Werke Descartes’ werden nach der Standardausgabe von Adam & Tannery (= AT) zitiert (Descartes 1981 ff.). Für die einzelnen Werke werden leicht verständliche Kürzel verwendet,
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Kapitel III – Descartes – Mechanismus und Menschenvernunftnft
Taube besteht darin, dass der Mensch eine Seele hat, die Taube hingegen nicht. Gemäß der Bêtes-machine-These sind Tiere Maschinen. Sie haben keine Seele. Vor allem: Sie benötigen keine Seele, um tun zu können, was auch immer wir sie tun sehen, sehen zu können, was sie sehen oder empfinden zu können, was sie empfinden. Die Leitthese dieses Kapitels lautet jedoch, dass Descartes diesen explanatorischen Anspruch gegenüber Tieren nicht aufrecht erhalten kann. Philosophische Zeitgenossen wie Antoine Arnauld oder Pierre Gassendi begegneten der Bêtes-machine-These mit Unverständnis, gerade weil sie tierliches Verhalten unverständlich zu machen drohte (Einwand iv, AT VII: 205 bzw. Einwand v, AT VII: 270-2). Jean de La Fontaine reimte im „Discours à Madame de la Sablière“ feinsinnige Vorbehalte auf die seiner Ansicht nach groben Ungereimtheit dieser cartesianischen These3: „Ils disent donc / Que la bête est une machine ; / Qu’en elle tout se fait sans choix et sans ressort : / Nul sentiment, point d’âme, en elle tout est corps […]. Selon eux, par nécessité, / Sans passion, sans volonté : / L’animal se sent agité / Que le vulgaire appelle / Tristesse, joie, plaisir, douleur cruelle, […]. Mais ce n’est point cela ; ne vous y trompez pas. / Que’est-ce donc? Une montre. Et nous? C’est autre chose.“ (La Fontaine 1954: 237)
Der mit Descartes’ Philosophie sympathisierende Henri More äußerte seine Vorbehalte brieflich: Sein sanftes Naturell werde durch nichts so aufgewühlt, wie durch die Bêtes-machine-These, da sie den Tieren mit der Seele auch das Leben und die Empfindung abspreche. Descartes mache sich sozusagen der theoretischen Grausamkeit gegenüber Tieren schuldig (an Descartes 11.12.1648, AT V: 243).4 Das in der Einleitung skizzierte Standardnarrativ des Tierseelenstreits (Abschn. 4) beruht auf einer einfachen Rekonstruktion der Bêtes-machineThese, die sich auch in den Vorbehalten Mores und La Fontaines äußert, und die wie folgt formuliert werden kann: Standardinterpretation: Tiere sind nur Maschinen.
3 4
deren Aufschlüsselung in der Bibliographie (1. Primärliteratur) nach Descartes Werkausgabe zu finden ist. Descartes’ Briefe [= AT I-V] werden mit Adressat und Datum angeführt; ist der Adressat unbekannt oder unsicher, wird das Kürzel Brief verwendet. La Fontaine 1954: 236-40. „Caeterum à nullâ tuarum opinionum animus meus, pro eâ quâ est mollitie ac teneritudine, aeque abhorret, ac ab internecinâ illâ & iugulatrice sententiâ, quam in Methodo tulisti, brutis omnibus vitam sensumque eripiens, dicam, an potius praeripiens? Neque enim vixisse unquam pateris.“ More war Descartes’ Philosophie in den 1640er Jahren zugeneigt, verfasste jedoch mit Enchiridion Metaphysicum (1671) schließlich eine der härtesten Attacken auf die cartesische Philosophie. Vor dem Hintergrund von Mores später entworfenen spiritualistischen Metaphysik, in der ein Geist die inerte Materie beseelt, ist es nicht verwunderlich, dass er gerade in der Frage der Tierseele Descartes gegenüber von Anfang an große Zurückhaltung übt.
I. Descartes’ Tierdoktrin
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Die Emphase liegt auf dem Modalwort „nur“, Tiere sind „pure machines“.5 Mit der Standardinterpretation versteht man Descartes so wie More. Descartes spricht den Tieren nicht nur das Denken ab, sondern auch das Leben und vor allem die Empfindungsfähigkeit. Und das erscheint absurd. Man kann in der Standardinterpretation vier Bestandteile unterscheiden. Ich werde in der folgenden Minisammlung von Belegen für diese Interpretation Beiträge aus der Descartesliteratur, der Tierethik, der Ideengeschichte oder der Populärwissenschaft anführen. Es geht mir mehr um das grobe Bild der Dinge. 1. Hauptpunkt der Standardinterpretation ist, dass Descartes die Existenz jeglicher tierlicher Kognition geradeheraus bestreitet. Der mechanistische Ansatz übergeht „the concrete life of feeling“,6 das Descartes mit allen Kräften flieht.7 Tiere sind „without feeling or awareness of any kind“.8 Es sind „bloße Maschinen, Automaten. Sie empfinden weder Freude noch Schmerz oder irgend etwas anderes“.9 Doch nicht allein das. Descartes’ Tierdoktrin negiert zwangsläufig „die Besonderheiten [s]eines Gegenstands“, nämlich das Leben.10 Tiere gehören mit „stones or machines or plastic dolls“11 in eine Reihe mit Unbelebtem. 2. Die Tierdoktrin habe bedenkliche moralische Konsequenzen. Sie werde von Descartes zur Rechtfertigung der wissenschaftlichen oder wirtschaftlichen Zwecknutzung von Tieren und sogar jeder Grausamkeit ihnen gegenüber verwendet.12 Descartes’ Tierdoktrin kann daher nur als „monströs“ bezeichnet werden.13 3. Zum Glück jedoch ist Descartes’ Doktrin philosophisch und wissenschaftlich veraltet. Sie beruhe auf einem „erkenntnistheoretischen Irrglauben“ und sei ein „Hirngespinst einer längst vergangenen Epoche“.14 Descartes Ansicht, dass „Tiere empfindungsunfähig sind [...] kann heute keinerlei wissenschaftliche Seriosität mehr beanspruchen“.15 Nach Charles Darwin sei Descartes’ Art und Weise Tiere zu beschrieben und die anthropologische Differenz anzusetzen völlig überholt.16 Einige Philosophen sind der Ansicht, dass Descartes den Geist durch das private 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16
Young 1967: 122. Grene 1985: 52. Bordo 1987. Kemp Smith 1952: 135. Singer 1996: 321. Sutter 1988: 52. Midgley 1980: 11. Thomas 1983: 41, Singer 1990: 322-3, Burgat 1997: 16, 73. Kemp Smith 1952: 136, 140. Celli 2001: 16-8; vgl. Searle 2005. Borchers 2003: 241n. Rachles 1990: 130-1.
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Kapitel III – Descartes – Mechanismus und Menschenvernunftnft
Bewusstsein definiert habe17 und aus diesem Grund spricht er den Tieren das Bewusstsein ab und damit (zum Beispiel) auch Schmerzempfindungen. Wiederum andere vertreten die Ansicht, Descartes gehe von einer propositionalen Theorie des Geistes aus. Allein was explizit und propositional repräsentiert werden kann, ist ein mentaler Zustand.18 Beide Charakterisierungen des Geistigen sind abzulehnen, sie illustrieren „eine absurde, überintellektualisierte Sicht“19 auf den Geist. 4. Wie konnte Descartes überhaupt auf einen derartigen Unsinn verfallen? Eine so offensichtlich krude Ansicht kann nur durch zeitbedingte, ideologische Verblendung zustande kommen. Descartes ist es um die Erhaltung des christlichen Menschenbilds gegangen.20 Das Herz des Tierseelenstreits besteht in seiner ethico-theologische Relevanz, „in its real or imagined connections with traditional religious, theological and ethical ideas “.21 42. Die Corps-machine-These Wollte Descartes tatsächlich alle tierlichen Kognitionen abstreiten? Sogar Empfindungsfähigkeit und dass Tiere Lebewesen sind? Ging es darum, tierliche Kognition zu erklären, oder darum, sie weg zu erklären?22 Die neuere Descartesforschung hat mit guten Gründen die stiefkindliche Behandlung der naturphilosophischen Seite der Bêtes-machine-These revidiert. Physiologische und anatomische Erwägungen werden in der Standardinterpretation, wenn überhaupt, dann als „an incidental by-product“23 betrachtet. Descartes’ Sichtweise war die umgekehrte. Die Bêtes-machine-These stellt einen Bestandteil einer umfassenden Neuorientierung der Naturphilosophie der Frühen Neuzeit dar. Der Schwerpunkt der cartesischen Philoso17 18 19 20
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22 23
Rorty 1981, Williams 1978: 286, Radner & Radner 1989: 31 ff., Kenny 1993: 16-8 & 2001: 63. Radner & Radner 1989, Burgat 1997: 87. Malcolm 2005. Singer 1996: 307 ff., Steiner 1998: 273-4. Es gibt freilich auch die Möglichkeit, Descartes Tierseelenlehre als Ausfluss einer antichristlichen Ideologie zu lesen, die sich vor der christlichen Ideologie in Acht nehmen muss: „[O]hne Sinn für die Qual der Kreatur hat denn kein Geringerer als Descartes (um seine eigentlich mechanistische Seelentheorie – wie ich schon angedeutet – vor der Kirche zu verhüllen) die infame Behauptung aufgestellt, dass die Tiere nicht empfinden, nicht leiden, dass die Tiere Maschinen seien.“ (Mauthner 1910: 1012) Die se Interpretationstechnik verdankt sich nicht erst L. Strauss. Balz 1951: 111. Es ist daher etwas schleierhaft, dass Morris 2000: 414 meint, die Missverständnisse der Bêtes-machine-These (v.a. in der angelsächsischen Philosophie) würden von ihrer Herauslösung aus moralischen und theologischen (und metaphysischen) Zusammenhängen herrühren. Gaukroger 1995: 279. Balz 1951: 116.
I. Descartes’ Tierdoktrin
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phie ist in der Naturphilosophie (Physik, Anatomie und Physiologie) zu sehen.24 Der überwiegende Teil seiner Arbeiten und seines Briefwechsels handeln von naturphilosophischen Fragestellungen. Die cartesische Naturphilosophie ist die Motivation für die cartesische Metaphysik.25 Metaphysik und Naturphilosophie wiederum sind nur in der Auseinandersetzung mit den Spätscholastikern zu verstehen.26 Die durch das Standardnarraitv verstellte Sicht auf die Philosophie Descartes’ wird revidiert und dementsprechend auch die Deutung der Bêtes-machine-These.27 Zusammenfassend kann man sagen, dass die weitverbreitete Standardinterpretation die naturphilosophische, anti-aristotelische Stoßrichtung der cartesischen Philosophie außer Acht lässt. Descartes behauptet, dass die Körper aller Lebewesen Maschinen seien. Ein Körper „n’est autre chose qu’une statue ou machine de terre“ (Homme, AT XI: 120). Das trifft auf Pflanzen, Tiere und Menschen zu. In naturphilosophischen Schriften wie Homme, Discours v oder Description beschreibt Descartes den Menschen unter Absehung der Seele als bloßen Körper, als Maschine.28 Die Körper der Lebewesen unterscheiden sich zwar in ihrer Anatomie und der Disposition ihrer Organe. Physiologisch funktionieren sie jedoch gemäss den metaphysischen Eigenschaften der Materie und den Naturgesetzen (Description AT XI: 247-8; Principia iii 52, AT VIII: 105). Materie ist ausgedehnt und inert und kennt keine internen Prinzipien der Bewegung.29 Die Disposition der Organe bildet so etwas wie die 24
Wichtige, etwas ältere, Studien über Descartes beschäftigten sich beinahe ausschließlich mit Metaphysik, Epistemologie und Methodologie (z.B. Cottingham 1986, Dauler Wilson 1978, Kenny 19973, Williams 1978). Die Naturphilosophie sei demgegenüber vernachlässigbar (Dauler Wilson 1978: viii). 25 Hervorzuheben sind hier vor allem Garber 1992 & 2001 und Des Chene 1996 & 2001. D. Des Chene rekonstruiert die cartesianische Naturphilosophie im Kontext der zeitgenössischen Spätscholastik. D. Garber rekonstruiert die metaphysischen Voraussetzungen der neuen Naturphilosophie. Freilich ist die Beziehung zwischen der cartesischen Metaphysik und der cartesischen Naturphilosophie alles andere als klar, denn Descartes scheint je unterschiedlichen Methoden zu folgen (vgl. Hatfield 1985). Gaukroger 2002 stellt den Versuch einer Gesamtdarstellung dieser Forschungen dar. 26 Gilson 1984, Ariew 1998 & 1999, Rozemond 1998, Secada 2000, Gaukroger [et. al.] 2000, Überblick in Perler 1997 & 1999. 27 Der vielleicht konzentrierteste Ausdruck dieses generellen Revisionismus findet sich in Baker & Morris 1996. Der Revisionismus gegenüber der Bêtes-machine-These ist bei Morris 2000 besonders ausgeprägt. 28 In Homme (AT XI: 120 ff.) und im Discours v (AT VI: 45 ff.) bedient sich Descartes einer fiktiven Darstellungsweise. Er behauptet, eine mögliche Welt zu betrachten, in der die Körper aller Lebewesen unbeseelt und Maschinen sind. In der späteren Description geht Descartes nicht mehr explizit von der Fiktion einer zweiten Schöpfung aus. Doch die Darstellungstechnik bleibt dieselbe, wie der volle Titel zeigt: La Description du corps humain et de toutes ses fonctions / Tant de celles qui ne dependent point de l’Ame, que de celles qui en dependent (AT XI: 232). 29 Zu den cartesischen „Loix de la Nature“ vgl. Monde (AT XI: 37-45) und Principia ii 37-42
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funktionale Architektur einer Maschine, der entsprechend sie sich verhält. „Die Vielzahl und die Anordnung der Nerven, Blutbahnen, Knochen und anderen Teile eines Lebewesens weisen nicht darauf hin, dass die Natur nicht ausreichend wäre, um sie zu bilden, vorausgesetzt man unterstellt, dass diese Natur gemäß den exakten Gesetzen der Mechanik vorgeht und dass es Gott ist, der ihr diese Gesetze eingegeben hat.“ (Mersenne 20.02.1639, AT II: 525).
Descartes versucht sämtliche basalen biologischen und einige basale psychologische Funktionen von Lebewesen wie Ernährung, Fortpflanzung, Bewegung, Empfindung oder Wahrnehmung ausschließlich auf diesen Grundlagen zu erklären. Das ist die Corps-machine-These. Die Bêtes-machine-These ist ein Bestandteil jener These. Die exklusiv physiologische Erklärung (basierend auf den mechanischen Naturgesetzen) biologischer und psychologischer Prozesse bei Pflanzen, Tieren und Menschen bedeutet, dass sie ohne Rückgriff auf explanatorische Prinzipien erfolgen soll, die über die Eigenschaften der Materie und Disposition der Organe einer Körpermaschine hinausweisen. Unter die darüber hinausweisenden explanatorischen Prinzipien fallen die Triebe der Tiere (appetits naturels ou inclinations), die Descartes „par les seules regles des Mechaniques“ zu erklären sich imstande hält (Mersenne 20.10.1640, AT III: 213). Darunter fällt die Postulierung von Lebenskräften, wie sie beispielsweise im Zuge der Kritik der galenischen Medizin Einzug hält30 oder von William Harvey zur Erklärung der Herzaktivität akzeptiert wird (Abschn. 50). Vor allem möchte Descartes den Rückgriff auf die vegetative oder sensitive Seele meiden (Homme, AT XI: 202; Regius Mai 1641, AT III: 372; Discours v, AT VI: 46; Meditation ii, AT VII: 26-7).
30
(AT VIII: 62-6). Descartes stellt drei Naturgesetze auf. Es handelt sich um Regeln, die Gott sämtlichen Bewegungen der Materie gleichsam verordnet hat (Mersenne 15.04.1630, AT I: 154). Die erste Regel behauptet die Trägheit der Materie. Sie stammt von Galilei und gleicht deshalb bereits dem Trägheitsgesetz Newtons. Diese Regel beruht auf der metaphysichen Anschauung, dass die Materie eine ausgedehnte und inerte Substanz ist (res extensa). Außer den beiden folgenden Regeln finden sich keine inhärenten Kräfte in der Materie, die für ihre Bewegung verantwortlich wären, handle es sich nun um Bewegungen toter Materie oder um Bewegungen von Lebewesen. Zur Metaphysik der Körper, die den cartesischen Regeln zugrunde liegt vgl. Meditation v (AT VII: 63-71). Principia ii, 1-36 (AT VIII: 42-6). Die zweite und dritte Regel können als Vorformen der Newtonschen Bewegungsgleichung (eine Bewegungsänderung ist der einwirkenden Kraft proportional und erfolgt in der Richtung der geraden Linie, in der jene Kraft eindrückt) und des Gegenwirkungsprinzips (das dritte Gesetz besagt, dass die Rückwirkung der Einwirkung entgegengesetzt und gleich ist) betrachtet werden. Allerdings ist Descartes stark mit der Abwehr der aristotelischen Kreisbewegung beschäftigt, eine Tendenz, die sich in Newtons Formulierung verlieren wird, vgl. Garber 1992, Gaukroger 2002: 114-29. Ein Beispiel stellt die Theorie der „totalen Substanz“ des Arztes und Erfinders des Ausdrucks „Physiologia“ Jean Fernel dar. Fernel ging von der Beobachtung aus, dass sich die Zusammensetzung der Säfte in einem Lebewesen nicht ändert, wenn das Lebewesen stirbt. Somit kann diese Zusammensetzung nicht relevant für den Erhalt des Lebens sein. Fernel spekulierte auf eine okkulte Eigenschaft, die für den Erhalt des Lebens verantwortlich sein musste und die er totale Substanz nannte (Deer Richardson 1985).
I. Descartes’ Tierdoktrin
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43. Zwei Probleme und Descartes’ Lösungsansätze Mit der Corps-machine-These richtet Descartes eine mechanistische Physiologie gegen die aristotelisch-scholastische Biologie und Psychologie der Seele.31 Damit stellen sich für Descartes zwei Probleme. 1. Es gibt als erstes ein biologisches Problem. Descartes verliert das aristotelische Erklärungsprinzip für die grundlegenden Funktionen von Lebewesen. Vereinfacht gesagt unterscheidet das Haben oder Nichthaben einer Seele im Aristotelismus Lebewesen von Nichtlebewesen.32 Die Corps-machine-These besagt, dass diese Unterscheidung ohne Rückgriff auf eine vegetative Seele erklärbar ist, allein im Rückgriff auf die erwähnten Gesetze der Natur, die Anatomie und die Physiologie.33 Bernard le Bouyer de Fontenelle spottete über Descartes’ Vorhaben, indem er darauf hinwies, dass man zwei Uhren nebeneinander legen könne, so lange man wolle, es würde daraus keine dritte Uhr entstehen. Was bei zwei Hunden nicht der Fall sei.34 Kurzum, wie kann eine Maschine lebendig sein? Was unterscheidet eine künstliche von einer biologischen Maschine? 2. Zweitens ergibt sich ein psychologisches Problem. Es betrifft die Tatsache, dass wir bisweilen Tieren (mindestens) Wahrnehmungen, Empfindungen oder Gefühle zuschreiben. Auch Descartes tut dies. Die sensitive Seele erklärt die sensitiven Fähigkeiten von höheren Lebewesen. Wie wir sehen werden, sind Tiere laut Descartes empfindungsfähige Maschinen. Die Bêtes-machine-These besagt, dass dies ohne Rückgriff auf die sensitive Seele erklärbar ist. Ist das bei Tierautomaten überhaupt berechtigt? Wie kann eine Maschine empfinden? 35 31 32
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35
Die frühneuzeitliche Physiologie ist in Duchesneau 1982 und in Des Chene 1996 ausführlich dargestellt. Kurze Übersichten zu Descartes’ Physiologie in Homme finden sich in Kemp Smith 1952: Kap. 5, Gaukroger 1995: 169-90, Sutton 1998: 102-6. Vgl. das Vorwort zum dritten Teil der Summa philosophiae quadripartia (1609), von Eustachio a Sancto Paulo (in: Ariew 1998: 83-6), einem weit verbreiteten scholastischen Textbuch, das für Descartes als Quelle wichtig war Mersenne 11.11.1640, AT III: 232; vgl. Van de Pitte 1988, Arbour 1993. Des Chene 2000: 12-3. Vor allem die Erklärung biologischer Funktionen wie Fortpflanzung oder Wachstum ist für Descartes ein heikler Punkt. Ausdrücklich verweist Descartes auf das ungelöste Problem der Generation von Lebewesen: „Mais, pourceque ie n’en aurois pas encore assez de conoissance, pour en parler du mesme style que du reste, c’est a dire, en demonstrant les effets par les causes, & faisant voir de quelles semences, & en quelle façon, la Nature les doit produire, ie me contentay de supposer que Dieu format le corps d’un homme [...].“ (Discours v, AT VI: 45) Er hält das Problem der Generation innerhalb des Maschinenmodells für prinzipiell lösbar (Mersenne 20.02.1639, AT II: 525-6). Auf dieses Problem werde ich im Folgenden nicht eingehen. In Duchesneau 1998: 45-85 und Des Chene 2001: 32-52 wird das Problem der Generation aus wissenschaftshistorischer Perspektive erläutert. Gaukroger 2000 & 2002: 190-6 gibt einen Überblick der Lösungsansätze bei Descartes. Warum Empfindung? Ich übersetze mit „Empfindung“ „sensus“, „empfinden“ übersetzt
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Nicht zuletzt wegen dieser Probleme wollte die Bêtes-machine-These Zeitgenossen wie Arnauld, Gassendi oder La Fontaine nicht einleuchten. Erinnern wir uns an Mores Bedenken. Seine Sorge gilt der Beziehung zwischen dem Haben einer Seele und dem, was es heißt, ein Lebewesen zu sein. Er geht vom aristotelischen Begriff der Seele aus und unterstellt die explanatorische Notwendigkeit eines vegetativen und eines sensitiven Seelenteils für das Leben und die Empfindung. Descartes’ exklusive Neubestimmung der Seele als rationale Seele scheint More an dieser Stelle zu übersehen. Descartes geht es somit weniger um das Absprechen von Leben und Empfindung als um explanatorische Alternativen. Seine briefliche Antwort an More enthält denn auch in kondensierter Form die Antworten auf die beiden Probleme. 1. Descartes entgegnet, er spreche den Tieren das Leben keineswegs ab, denn die Tiere hätten ja ein Herz: „vitam enim nulli animali denego, utpote quam in solo cordis calore consistere statuo.“ (More 21.02.1649, AT V: 278) Die Herzwärme genügt zur Erklärung der Lebensfunktionen (Mersenne 30.07.1640, AT III: 122). Eine vegetative Seele ist überflüssig. 2. Auch Empfindung gesteht Descartes den Tieren zu, sofern sie von der Physiologie abhänge: „nec denego etiam sensum, quatenus ab organo corporeo dependet.“ (More 21.02.1649, AT V: 278) Ein Verständnis der physiologischen Maschinerie genüge für die Erklärung tierlicher Empfindungsfähigkeit. Eine sensitive Seele ist überflüssig. Soeben habe ich von Descartes’ exklusiver Neubestimmung der Seele gesprochen. Descartes schafft die Seele nicht ab, sondern verzichtet auf die „unteren“ Seelen (oder Seelenteile) und behält einzig die rationale Seele bei. Für Descartes verfügen ausschließlich Menschen über eine Seele. Tiere hingegen nicht. Unter Seele (oder Geist, Intellekt oder Vernunft) versteht Descartes eine denkende Substanz (Meditation i, AT VII: 27). Die res cogitans ist die rationale Seele.36 Was diese Gleichsetzung bedeutet, erhellt sich aus dem Kontrast zu einer Stelle der Summa theologia. Thomas schreibt, dass sich unsere Seele von der Seele der Tiere alleine durch den Geist unterscheide (quia per solam mentem anima nostra differet ab anima bestiali, ST III q.5 a.4c/ed. Leonina XI: 92). Die Extension des Ausdrucks „Seele“ wird durch Descartes also beträchtlich eingeschränkt (Erwiderung v, AT VII: 355-6).37 Tiere ge-
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„sentire“ (für das Englische ganz ähnlich Cottingham 1986: 134n). Ich werde später aber nicht nur die Sinneswahrnehmungen unter diesem Ausdruck versammeln, sondern auch die Affekte und Appetite und dabei von äußeren bzw. von inneren Empfindungen sprechen. Baker & Morris 1996: 87, Rozemond 1998: 48-60. Jolley 1990: 24-30 nennt fünf wichtige Unterschiede zwischen Descartes’ Verständnis der rationalen Seele oder des Geistes (mens) und dem aristotelisch-scholastischen Verständnis: 1. Descartes’ Geist ist eine unabhängige „godlike“ Substanz (nicht die Form des Menschenwesens wie bei Thomas), 2. Intellekt und Wille sind Modifikationen des Geistes (keine Vermö-
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I. Descartes’ Tierdoktrin
hören ganz und gar zur ausgedehnten Substanz (res extensa). Menschen hingegen haben Anteil an der denkenden Substanz (res cogitans). Im Anschluss an das Schema A.1 (Abschn. 8) kann diese Differenz zwischen dem aristotelisch-scholastischen Ansatz und demjenigen Descartes’ wie auf folgender Seite veranschaulicht werden: Schema A.2 Seelenteil anima vegetativa anima sensitiva
Stufe der Lebewesen Pflanzen
Funktion
Descartes
Leben
res extensa Anatomie Physiologie Naturgesetz Disposition
niedere Tiere Wahrnehmung (innere und äußere) höhere Tiere Bewegung (innere und äußere)
anima intellectiva Mensch
Denken/ Wollen
res cogitans
In der Form der strikten Leib-Seele-Unterscheidung und des damit einhergehenden Substanzdualismus reißt Descartes die anthropologische Differenz weit auf. Das bedeutet, dass Menschen sich schlechthin durch eine Seele von den Tieren unterscheiden. Die Zuschreibung einer Seele lässt sich nicht in Stufen vornehmen. Sie ist eine Frage des Alles oder Nichts.38
38
gen), 3. die Ideen befinden sich im menschlichen Geist (nicht im göttlichen), 4. Wesensbegriffe sind eingeboren (und werden nicht durch Abstraktion gewonnen), 5. Die Sinneswahrnehmung wird lediglich von außen veranlasst (und es kommt nichts Speziesartiges von aussen in den Geist). Zum letzten Punkt vgl. Perler 1997 & 2003. Baertschi 1996: 69. Baertschi 1996: 62 ff. verweist auf das von ihm so benannte „Prinzip der Gleichmächtigkeit der Seelen“ (principe d’équipotence des âmes), demzufolge es keine allein vegetative oder sensitive Seele gebe. Was oder wer eine Seele besitzt, verfügt über alle Modi der denkenden Substanz (der rationalen Seele). Zwar hat Baertschi recht mit der Beobachtung, dass das Haben einer Seele im Cartesianismus keine Stufungen zulässt. Der Grund dafür liegt jedoch nicht in der Gleichmächtigkeit der Seelen, sondern in Descartes’ These, dass sich alle vegetativen und sensitiven Prozesse und Zustände auf physiologischer Grundlage erklären lassen, mithin in der Corps-machine-These. Infolgedessen wird die Seele zu einer rationalen Seele und nun erst gilt das Prinzip der Gleichmächtigkeit.
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44. Die revisionistische Interpretation der Bêtes-machine-These Vor dem Hintergrund der revisionistischen Betrachtungsweise, die Descartes’ Bêtes-machine-These als Bestandteil der gegen die aristotelische Biologie und Psychologie gerichteten Corps-machine-These sieht, erscheint es angebracht, die Standardinterpretation zu revidieren. Der Hauptgedanke besteht darin, dass Descartes mit seiner Behauptung, dass Tiere Maschinen seien, nicht das Leben und die Empfindung wegerklärt haben möchte. Er sucht im Gegenteil nach einer Erklärung. Und zwar nach einer explanatorischen Alternative für die aristotelische Seelenlehre. Gegen die Standardinterpretation hat sich J. Cottingham nachhaltig ausgesprochen.39 Er erstellt eine Liste, die sieben Punkte umfasst. Anhand dieser Liste kann präziser gefragt werden, was Descartes den Tieren tatsächlich zu- und abspricht. Descartes betrachtet Tiere als: 1. 2. 3. 4. 5.
Maschinen und Automaten, die nicht denken, nicht sprechen und sich ihrer selbst nicht bewusst sind.
Tiere sind Maschinen. J. Cottingham weist darauf hin, dass der Ausdruck „Automat“ jedoch angemessener ist.40 Er bestimmt nämlich das Tier als „a machine that is relatively self-operating“ oder einfach als „self-moving thing“.41 Damit sei also ein Sich-selbst-Bewegendes gemeint und kein gefühlloser Artefakt. Descartes geht es im Rahmen seiner Naturphilosophie darum zu zeigen, dass Körpermaschinen sich selbst bewegen und in dieser Bewegung verbleiben können (Mersenne 28.10.1640, AT III: 213), ohne dass ein Prinzip der Bewegung erforderlich ist, das vom Körper verschieden und nicht durch die intrinsischen Eigenschaften der inerten Materie zu bestimmen ist. Tiere können nicht sprechen und deshalb haben wir auch kein Anzeichen dafür, dass sie denken. Dass sie sich ihrer selbst bewusst sein sollten, geht aus ihrem Verhalten nirgends hervor. Soweit befinden sich die Standardinterpretation und der Revisionismus der Bêtes-machine-These in Übereinstimmung. J. Cottingham findet in den Schriften von Descartes jedoch keine Belege für die „monstrous thesis“,42 dass Tiere qua Automaten überhaupt keine Empfindungen hätten. Er rekonstruiert die Bêtes-machineThese so, dass sie den Tiermaschinen
39 40 41 42
Cottingham 1978. Cottingham 1998: 227. Cottingham 1994: 20. Kemp Smith 1952: 136.
I. Descartes’ Tierdoktrin
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6. Bewusstsein und 7. Empfindungen zugesteht (Cottingham 1978). Descartes schreibt Tieren sowohl äußere Empfindungen wie Sinneswahrnehmungen zu, als auch innere Empfindungen wie die Appetite Hunger und Durst oder die Affekte Furcht und Hoffnung. Ein Beispiel: „[T]outes les choses qu’on fait faire aux chiens, aux chevaux & aux singes, ne sont que des mouvemens de leur crainte, de leur esperance, ou de leur ioye, en sorte qu’ils les peuvent faire sans aucune pensée.“ (Newcastle 23.11.1646, AT IV: 574; meine Hervorhebungen)
Tiere haben Emotionen, sogar komplexe emotionale Zustände wie das Hoffen. Das entspricht den Punkten (6) und (7) auf J. Cottinghams Liste. Aber Tiere tun dies ohne jeden Gedanken (3). Vor diesem Hintergrund können wir nun die revisionistische Interpretation formulieren: Revisionistische Interpretation: Tiere sind bewusste/empfindungsfähige Maschinen. Descartes, so die revisionistische Interpretation, verfügt im Rahmen seiner Naturphilosophie durchaus über die Ressourcen, die Bêtes-machine-These als explanatorische Alternative für tierliche Kognition aufrecht zu erhalten. Für einige Interpreten und Interpretinnen stellt die revisionistische Interpretation eine These dar, die in ihrem historischen Kontext die wohl überzeugendste Theorie über den Geist der Tiere formuliert.43 Descartes’ Bêtesmachine-These habe den Ansichten seiner Zeitgenossen über die tierliche Biologie und Psychologie weitgehend gut entsprochen.44 G. Baker und K. Morris versuchen den Maschinenvergleich gar durch historische Semantik zu positivieren: „He compared animals with certain mechanisms that were expressly chosen because they were objects of admiration and wonder. Ignorant of these intentions, twentieth century readers are apt to sense something derogatory in the term ‚machine‘.“ (Baker & Morris 1996: 94)
Spätestens an dieser Stelle hält man verdutzt inne. Sagredos rhetorische Frage, die Reaktionen von Zeitgenossen wie More oder La Fontaine zeigen, dass die Bêtes-machine-These weder harmlos erschien noch fraglos positiv aufgenommen wurde. Es macht den Anschein, als ob der historische Revisionismus an dieser Stelle ahistorisch würde. Darüber hinaus hat J. Cottingham eine bezeichnende Zweideutigkeit hinterlassen.45 Auf seiner Liste ist die Rede von (6) Bewusstsein (consciousness) 43 44 45
Morris & Baker 1996: 91 ff., Baertschi 1996, Dauler Wilson 1999b. Gaukroger 2002: 199, 215. Cottingham 1985 & 1986: 122-34 ist der Ansicht, dass es eine merkwürdige Ambiguität der Tierdoktrin im Bereich der Wahrnehmung und der Gefühle gibt. Er ist der Ansicht, dass die Ambiguität bezüglich der Sinneswahrnehmung, der Gefühle und der Einbildungskraft bei
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und von (7) Empfindung (feeling). In der Formulierung der revisionistischen Interpretation wurde deshalb vermerkt, Tiere seien „bewusste/empfindungsfähige [...] Maschinen“. Wie aber hängen die Punkte (6) und (7) zusammen? Bedeutet dies, dass sich Tiermaschinen ihrer Empfindungen bewusst sind? Müsste man ihnen dann aber nicht auch den Punkt (4) zugute halten und behaupten, dass sie sich ihrer selbst bewusst sind? Oder bedeutet dies, dass Empfindungen tout court bewusst sind? Da Empfindungen ausschließlich körperliche Zustände sein sollen, würde dies wiederum bedeuten, dass die res extensa Bewusstsein haben kann? D. und M. Radner sind aufgrund dieser Zweideutigkeit nicht davon überzeugt, dass J. Cottinghams Verteidigungsstrategie erfolgreich ist.46 Descartes habe – gegen die internen Möglichkeiten seiner Philosophie des Geistes – Tiere tatsächlich als bloße Maschinen betrachtet und ihnen zwar Empfindungen zugesprochen, aber kein Bewusstsein (Abschn. 57). Andere Kommentatoren behaupten, dass Descartes den Tieren Empfindungen zuspricht. Er würde ihnen jedoch ein Bewusstsein ihrer Zustände absprechen, was in der Sache keineswegs unplausibel sei.47 Dieser Vorschlag – Tiere haben Empfindungen, sind sich ihrer aber nicht bewusst – stellt Descartes in den Rahmen einer starken Tendenz in der gegenwärtigen kognitiven Tierpsychologie. Seit dem Niedergang des hartgesottenen Behaviorismus hat die Erforschung der Tierkognition erstaunliche Resultate hervorgebracht.48 Eine bezeichnende Grenzfrage innerhalb dieser Forschung ist die Frage nach dem Bewusstsein der Tiere, verstanden als subjektives, phänomenales Erleben.49 Dieser Rubikon wird von vorsichtigen Forscherinnen methodologisch-agnostisch ausgelegt: Weil wir keinen Verhaltenstest für Bewusstsein haben, können wir nicht wissen, ob Tiere bewusst erleben.50 P. Harrison hat Descartes in diesem Sinne als einen Skeptiker interpretiert, der die Kühnheit besaß zu behaupten, „that the traditional justifications for the attributing of consciousness to animals were vacuous. It is not yet clear
46 47
48 49 50
Descartes systematisch zu Schwierigkeiten mit einem strikten Leib-Seele-Dualismus führen und dass die inoffizielle Position von Descartes daher ein Trialismus sein muss. Gegen den Trialismus argumentiert Rozemond 1998: 191-203 überzeugend. Radner & Radner 1989: 60-5. Kemmerling 1996: 164-78, Gaukroger 2002: 203. Allerdings ist angesichts dieser Zweideutigkeit zwischen Bewusstsein und Empfindung nicht klar, ob die von der Standardinterpretation unterstellten moralischen Konsequenzen nicht doch folgen würden. Denn der Verdacht, die Tierdoktrin böte die Grundlage für die wirtschaftliche und wissenschaftliche Nutzung von Tieren, stellt sich auch hier ein. Shettleworth 1998, Heyes & Huber 2000, Bekoff, Allen & Burghardt 2002, Perler & Wild 2005, Hurley & Nudds 2006. Shettleworth 1998: 5-10, Griffin 2002. Shettleworth 1998: 5-10, Clayton, Griffiths & Dickinson 2000: 285 f.
I. Descartes’ Tierdoktrin
147
that he was wrong.“51 Kühnere Psychologen und Philosophen52 bestreiten, dass Tiere bewusst erleben (denn sie reklamieren eine höherstufige kognitive Ausstattung, die für Menschen einzigartig ist, als Voraussetzung ihrer Bewusstseinsfähigkeit). Es macht auch an dieser Stelle den Anschein, als ob der historische Revisionismus ahistorisch würde. Descartes wirkt plötzlich ganz zeitgemäß.53 45. Die Bêtes-machine-These Es gibt zwei bemerkenswerte Auslassungen auf J. Cottinghams Liste. Die erste Auslassung betrifft das Leben. Zweifellos sind Tiere auch Lebewesen. Wie wir gesehen haben, erklärt Descartes ihre Lebendigkeit aus ihrer Herztätigkeit (Abschn. 52). Wir müssen die revisionistische Interpretation also ergänzen. Dabei lasse ich die Zweideutigkeit hinsichtlich der Punkte (6) und (7) bestehen. Revisionistische Interpretation: Tiere sind bewusste/empfindungsfähige und lebendige Maschinen. Die zweite Auslassung ist auffälliger. Für Descartes besteht die anthropologische Differenz gerade darin, dass Tiere keine rationale Seele haben. Es ist geradezu unverständlich, dass dieser Punkt nicht auf der Liste erscheint.54 51 52 53
54
Harrison 1992: 227; vgl. Harrison 1991. Macphail 2000, Dennett 1998 & 2005, Carruthers 1989. Eine bemerkenswerte Fehlleistung findet sich bei Clarke 2003: 76-7: Descartes’ Position bezüglich der Tiere „was widely shared in the middle of the seventeenth century and [...] it was not inconsistent with our experience of animal behavior.“ Wiederum der Verweis auf die Akzeptanz der Tierdoktrin und dazu die Behauptung, dass sie zu unseren Erfahrungen bezüglich des Tierverhaltens passte. Wer ist hier das „imperfekte“ Wir? In der Fußnote (2003: 77n) wird auf die Werke zweier Autoren aus „the middle of the seventeenth century“ verwiesen, nämlich Cureau de la Chambre und Chanet. Sie sollen offenbar den Beleg erbringen für den „widley shared“ Charakter der cartesischen Position. Nun ist man vollends verwirrt. Chanet nämlich attackierte Cureaus These über die Vernunft der Tiere als „montaignistisch“ und stellte dagegen ein Instinktmodell tierlichen Verhaltens, worauf Cureau seine ganz und gar nicht-cartesische Position bezüglich der Tiere ausführlich verteidigte (Ab. 5). Immerhin wird Chanets Instinktkonzept kurz erläutert (Clarke 2003: 170-1). Auch wird darauf hingewiesen, Descartes bestreite einfach, dass Tiere sprechen und darin sein Dissens mit Montaigne bestehe (Clarke 2003: 74). In der Tat, die meisten Autoren bestreiten, dass Tiere eine Sprache sprechen und leiten daraus einen mentalistischen Rationalismus ab. Und nochmals in der Tat, damit sitzt Descartes diesbezüglich im selben Boot wie die meisten Spätaristoteliker. Aber dies kann mit Sicherheit nicht der springende Punkt der Bêtes-machine-These sein; dies verkürzt darüber hinaus die Argumentation Montaignes beträchtlich und schließlich hüllt es die Tatsache in Verständnisdunkel, dass aufgeweckte Zeitgenossen wie Arnauld, Gassendi, More oder La Fontaine sich so über die Bêtes-machine-These gewundert oder entsetzt ha ben. Harrison 1992: 223.
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Kapitel III – Descartes – Mechanismus und Menschenvernunftnft
Daraus ergibt sich eine negative Formulierung der Bêtes-machine-These: Negative Formulierung: Tiere haben im Gegensatz zum Menschen keine rationale Seele. Nun können die revisionistische Interpretation und die negative Formulierung zusammen genommen werden. Da die cartesische Tierdoktrin als anthropologische Differenz angelegt ist, gehört die negative Formulierung zur Bêtes-machine-These hinzu. Ich fasse Descartes’ These zusammen: Bêtes-machine-These: Tiere sind ausschließlich lebendige und empfindungsfähige Maschinen. Das Wort „ausschließlich“ ersetzt die negative Formulierung. Ich habe die Zweideutigkeit von „bewusst“/„empfindungsfähig“ unterschlagen, erstens weil Descartes den Tieren an verschiedenen Stellen Affekte, Wahrnehmungen und Appetite zuschreibt, nirgends aber „conscientia“. Von Bewusstsein im (modernen) phänomenologischen Sinne als Erlebnisbewusstsein, Qualia oder dem Erleben, „wie sich etwas anfühlt“ (in Sinne von Th. Nagels Formulierung: „wie es ist“, ein bestimmtes Lebewesen zu sein) ist bei Descartes keine Rede. Die revisionistische Interpretation hat nun zwar viel zum Verständnis der cartesischen Tierdoktrin geleistet. Sie bezieht jedoch die negative Formulierung nicht ausreichend ein und übersieht deshalb das Problem der anthropologischen Differenz.55 Außerdem neigt sie paradoxerweise zu ahistorischen Deutungen der These. Die Standardinterpretation wiederum hält sich hartnäckig. Sie behält sogar gegen die Textbelege zum Gegenteil eine gewisse Plausibilität.56 Meine Strategie ist die folgende: Descartes möchte Empfindungen ausschließlich physiologisch erklären (Corps-machine-These); er schreibt den Tieren daher Empfindungen zu (Bêtes-machine-These); er kann es aber nicht, und zwar aufgrund der strikten Leib-Seele-Unterscheidung und der Kluft, die er zwischen Mensch und Tier aufreißt. Descartes bietet zwar Lösungsansätze für die mit der Corps-machine-These verbundenen Probleme, die sozusagen aus dem explanatorischen Verlust der beiden (aristotelischen) unteren Seelenteile hervorgehen. Die Schwierigkeit besteht darin, dass Descartes’ Antworten aufgrund der starken anthropologischen Differenz zweideutig ausfallen.57 Er hat nicht die theoretischen Ressourcen, um die Bêtes-machine-These tatsächlich behaupten zu können. Die Bêtes55
56 57
Sutton 1998: 53 ff. beispielsweise möchte zurecht herausarbeiten, welche Fähigkeiten wir Descartes zufolge mit anderen Lebewesen teilen. Da die Bêtes-machine-These einen Bestandteil der Corps-machine-These darstellt, ist dieser Fokus durchaus berechtigt, zumal für Homme. Doch selbst in diesem Werk ist nicht zu übersehen, dass Descartes einen nicht unerheblichen Unterschied darin sieht, dass manche Maschinen eine Seele haben. Steiner 1998. Boros 2001.
I. Descartes’ Tierdoktrin
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machine-These kollabiert gewissermaßen und übrig bleibt eine Form der Standardinterpretation: Tiere sind nur Maschinen. Die Schwierigkeiten, die sich Descartes stellen, sind genereller Natur. Eine Theorie, welche die Kluft zwischen Menschen und Tieren weit aufreißt und die anthropologische Differenz stark ansetzt, wird Schwierigkeiten haben, das mentale Leben der Tiere erklären zu können. Eine solche Theorie kann es ihnen nur absprechen. Auch wenn sie es nicht möchte. Bisweilen wird behauptet, Descartes habe an der Bêtes-machine-These Änderungen vorgenommen oder verschiedene Versionen vertreten.58 Tatsächlich erscheinen die Textstellen teilweise inkonsistent. Es gibt bei Descartes Stellen, an denen er Tieren unzweideutig jegliches Denken abspricht (Discours v, AT VI: 58). In den 1630er Jahren glaubt Descartes Beweise dafür erbracht zu haben, dass Tiere nicht denken (Plempius 03.10.1637, AT I: 412-7; Brief März 1638, AT II: 34-46). Während der darauf folgenden Dekade meint Descartes, man könne zwar nicht beweisen, dass Tiere nicht denken, doch man könne auch nicht beweisen, dass sie denken (More 05.02.1649, AT V: 276-7). Weiter gibt es, wie wir gesehen haben und sehen werden, Stellen, in denen Descartes den Tieren Empfindungen zuschreibt. An anderen Orten scheint Descartes den Tieren das Empfindungsvermögen abzusprechen: „Pour ce qui est des animaux, nous remarquons bien en eux des mouvemens semblables à ceux qui suivent de nos imaginations ou sentimens, mais non pas pour cela des imaginations ou sentimens.“ (Gibieuf 19.01.1642, AT III: 479)
Drittens gibt es einige Stellen, an denen Descartes Tieren eine Art körperliche Gedanken zugesteht oder sagt, sie hätten vielleicht keine Gedanken (Newcastle 23.11.1646, AT IV: 576; Passions § 50, AT XI: 396). Schließlich spricht Descartes bisweilen von einer Tierseele, nämlich dem Blut (Plempius 03.10.1637, AT II: 414). Meine Interpretation wird nicht darauf hinauslaufen, dass Descartes seine These verändert oder unterschiedliche Versionen von ihr angeboten hat. Vielmehr bin ich der Ansicht, dass Descartes an der Bêtes-machine-These konsequent festzuhalten versucht hat. Zunächst sollte man beachten, in welchen konkreten Kontexten sich Descartes äußert, denn diese führen ihn zu je verschiedenen Formulierungen. Ein wichtiger Gesichtspunkt besteht darin, dass Descartes ein abschließender Text über Tiere vorgeschwebte, den er nicht realisierte, nämlich die geplante Fortsetzung der Principia durch einen fünften Teil über Pflanzen und Tiere (Principia iv, 188, AT VIII: 31559). Die nicht verfassten Texte hätten den Zweck gehabt, das philosophische System Descartes’ zu vervollständigen und in sein Lehrbuch Principia zu fassen. Die Bêtes-machine-These muss aus unter58 59
Grene 1985: 50, Gaukroger 1995: 393, Dauler Wilson 1999b, Celli 2001: 18. Vgl. dazu Gaukroger 2002: 180-246.
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Kapitel III – Descartes – Mechanismus und Menschenvernunftnft
schiedlichen Stücken, verfasst für unterschiedliche Adressaten, rekonstruiert werden.60 Dieser Gesichtspunkt ist exegetisch nicht unbedeutend. Er vermag Spannungen und Inkonsistenzen zu erklären. Der springende Punkt in systematischer Hinsicht aber ist, dass Descartes der prinzipiellen Schwierigkeit einer starken anthropologischen Differenz begegnen muss, nämlich der Erklärung des Verhaltens der Tiere ohne Rückgriff auf eine Seele. Die verschiedenen Formulierungen erklären sich aus dieser Schwierigkeit. 46. Mit der Bêtes-machine-These gegen Montaignes Tiervernunft Gegen den Aristotelismus verzichtet die Corps-machine-These auf die vegetativen und sensitiven Seelenteile. Mit dem Aristotelismus behält Descartes den rationalen Seelenteil bei und reserviert ihn für unsere Spezies (von Engeln abgesehen). Mit der Bêtes-machine-These richtet sich Descartes gegen Montaignes skeptische Argumentation für den Geist der Tiere. Dieser Punkt wird von der revisionistischen Interpretation übersehen, wenn sie die negative Formulierung außer Betracht lässt.61 Nach Descartes’ Ansicht sitzen die von Montaigne den Tieren zugeschriebenen höheren kognitiven Fähigkeiten irreführenden Analogien zwischen uns und Tieren auf. Descartes muss erklären, wie dieser täuschende Schein entsteht und den Anschein höherer kognitiver Fähigkeiten wegerklären. Hierbei geht es um das Problem der Vernunft der Tiere. Die von Montaigne vorgebrachten Argumente können Descartes nicht überzeugen. Das einzige sichere Anzeichen einer Seele sei nämlich die Sprachfähigkeit (loquela unicum est signum certum) eines Lebewesens, bzw. für im Körper verborgene Gedanken (cogitationis in corpore latentis; More 21.02.1649, AT V: 278). Die scheinbar so klugen Verhaltensweisen der Tiere entspringen mechanisch erklärbaren, funktionalen Dispositionen. Eine rationale Seele ist bei Tieren explanatorisch überflüssig. Die Argumente, mit denen sich Descartes hier auseinandersetzen muss, sind Montaignes Argumente gegen den mentalistischen Rationalismus. Und tatsächlich: Kommt Descartes in seinen für die anthropologische Differenz 60
61
Descartes’ ausgeführte Texte über Tiere finden sich im Discours v (AT VI: 56-9), in den Erwiderungen (Erwiderung iv, AT VII: 178-9; Erwiderung v, AT VII: 268-71; Erwiderungen vi, AT VII: 425-7) und in zwei wichtigen späten Briefen (Newcastle 23.11.1646, AT IV: 573-6; More 05.02.1649, AT V: 243-5). In dem 1664 von Clerselier edierten Fragment Description (AT XI: 223-86) findet sich so etwas wie der geplante sechste Teil über den Menschen. Das Fragment endet mit einem Versuch der Erklärung der Generation der Tiere bzw. ihrer einzelnen Organe, ein Thema, das Descartes beschäftigt, für das er aber keinen Abschluss gefunden hat. In Briefen, die in den Umkreis dieses Fragments gehören, weist Descartes daauf hin, dass ihm eine „Description de l’animal“ vorgeschwebt hat (Elisabeth, 25.01.1648, AT V: 12; Brief 1648, AT V: 260-1). Er deutet jedoch an, dass diese „Description“ ohne ein Verständnis der Generation der Tiere ab ovo nicht durchzuführen sei. Morris 2000: 403 verweist kurz auf Montaigne.
I. Descartes’ Tierdoktrin
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zentralen Briefen auf die Seele der Tiere zu sprechen, dann gegen Montaigne (Newcastle 23.11.1646, AT IV: 573, 575). Nur bei dieser Frage nennt Descartes Montaigne namentlich. Man muss Descartes’ These als Antwort auf Montaignes skeptischen Gegendiskurs begreifen.
II. Lebendige Maschinen 47. Gegen die Analogie Die Problemstellungen, die Descartes’ explanatorische Alternativen gegenüber der aristotelisch-scholastischen Biologie und Psychologie und gegenüber Montaignes Gegendiskurs erzeugen, geben zwanglos den richtigen Rahmen für die Darstellung und Diskussion der Bêtes-machine-These: Tiere sind ausschließlich lebendige und empfindungsfähige Maschinen. Dieser Teil widmet sich der cartesischen Theorie des Lebens bei Tieren. Hier werde ich Descartes’ Position in seiner Auseinandersetzung mit Harveys Epoche machender Entdeckung des Blutkreislaufes darlegen. Im folgenden Teil werde ich mich den Empfindungen bei Tieren zuwenden. Dort wird die in Abschnitt 44 angesprochene Zweideutigkeit dargelegt, nach der Descartes zwar die Bêtes-machineThese behaupten möchte, dies aber aufgrund der starken anthropologischen Differenz nicht kann. Das Problem besteht darin, dass Descartes einem Lebewesen, das keinen Geist hat, keine (wirklichen) Empfindungen zuschreiben kann. Der vierte Teil der Arbeit wendet sich den von Descartes’ vorgeschlagenen Instrumenten zu, die rationale von nichtrationalen Lebewesen unterscheiden sollen. Hier geht es um die negative Formulierung der Bêtesmachine-These (um das „ausschließlich“). Ich werde die Darstellung auf die Auseinandersetzung mit Montaigne fokussieren. Im abschließenden fünften Teil wende ich mich sehr knapp den ethischen und theologischen Vorteilen zu, die sich Descartes als Folge seiner Doktrin verspricht. Es soll schließlich gezeigt werden, dass die Schwierigkeiten, die Descartes’ Bêtes-machine-These begegnen, das Produkt einer zu starken anthropologischen Differenz sind. Da wir im Verhalten der Tiere Ähnlichkeiten mit unserem Verhalten erkennen, schließen wir auf Ähnlichkeiten zwischen unserem „mentalen Innenleben“ und demjenigen der Tiere. Aristoteliker neigen dazu, den Tieren eine Seele zuzuschreiben, die für deren Bewegungen und Verhaltensweisen ursächlich ist. Montaigne geht weiter und schließt von den scheinbar intelligenten Verhaltensweisen bei Tieren auf deren Rationalität. Neben dieser vehaltensgestützten Form des Analogiearguments existiert eine anatomiegestützte Form.62 62
Ich werde auf die beiden Formen des Analogiearguments im Kapitel zu Hume genauer eingehen (Abschn. 83-90). Es ist wichtig, die beiden Formen auseinander zu halten, aber zugleich zu erkennen, dass es sich beide Male um Analogieargumente handelt. Searle 2005 bei-
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Descartes weist auf dieses Argument via Sinnesorgane hin. Da Tiere Sinnesorgane haben, die unseren ähnlich sind, bilden sie auch ähnliche mentale Repräsentationen von wahrnehmbaren Gegenständen (Description, AT XI: 224). Die beiden Formen lassen sich zusammennehmen. Weil wir bemerkt haben, dass die körperliche Beschaffenheit und das Verhalten der Tiere uns ähnlich sind und wir von uns wissen, dass unsere Sinnesorgane und unsere Verhaltensweisen durch die Seele hervorgebracht werden, schließen wir, dass die Verhaltensweisen und die Sinnesorgane der Tiere ebenfalls durch eine Seele hervorgebracht werden. Descartes betrachtet dieses Analogieargument als unreflektiertes Vorurteil, das durch den Aristotelismus und durch Montaigne unter Gebildeten Verbreitung finde (Brief März 1638, AT II: 34-6; More 05.02.1649, AT V: 243-5). Es geht von ungeprüften und durch die Sinne gewonnenen Urteilen aus. Vorurteile entstehen, wenn sich der Mensch seines Verstandes nicht richtig bedient, sondern sich auf tradiertes Wissen verlässt (Discours i). Da wir zahlreiche Dinge auf empirischen Wegen lernen, bevor wir uns selbständig unseres Verstandes bedienen, übernehmen wir eine große Menge ungeprüfter Vorurteile (Principia i, 1, 71-2, AT VIII: 5, 35-6). Jene Vorurteile, die Descartes in den Meditationen mithilfe der Zweifelsmethode vorrangig umstürzen möchte, sind durch die Sinne erworbene Überzeugungen (Meditation i, AT VII: 17-9). Es geht um die Zurückweisung aristotelisch-scholastischer Wahrnehmungsund Erkenntnistheorie und um den Aufbau einer neuen Physik.63 Das Analogieargument stützt sich ebenfalls auf die unzuverlässige Sinneswahrnehmung. In der Kritik des Analogiearguments äußert sich eine der methodologischen Grundzüge der cartesianischen Philosophie. Es handelt sich darum, tradierte Ansichten und deren epistemologische und metaphysische Voraussetzungen kritisch zu prüfen, allenfalls zu stürzen oder zumindest umzuwandeln, um Platz zu schaffen für eine alternative und wahrheitsgemäßere Betrachtungsweise der Natur und der Seele. Dieses Vorurteil entspringt aber nicht nur einer unzuverlässigen Quelle, sondern auch der Unwissenheit, nämlich: „l’ignorance de l’Anatomie & des Mechaniques: car ne considerans rien que l’exterieur du corps humain, nous n’avons point imaginé qu’il eust en soy assez d’organes, ou de ressors, pour se mouvoir de soy-mesme, en autant de diverses façons que nous voyons qu’il se meut. Et cette erreur a esté confirmée, de ce que nous avons iugé que les corps morts avoient les mesmes organes que les vivans, sans qu’il leur manquast autre chose que l’ame, & que toutesfois il n’y avoit en eux aucun mouvement.“ (Description, AT XI: 224)
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spielsweise tut dies nicht. Er behauptet denn auch, dass wir nicht in die schlecht gestellte epistemologische Falle tappen und den Tieren verhaltensgestützt einen Geist zuschreiben sollten. Das Verhalten sei irrelevant. Vielmehr haben wir eine ontologische Theorie. Sie lautet: Gehirne erzeugen Geist, Tiere haben Gehirne, also haben Tiere einen Geist. Das ist nichts anderes als eine anatomiegestützte Form des Analogiearguments. Garber 1986: 98, Hatfield 1986, Carriero 1987, Sorell 1994: 29-46.
II. Lebendige Maschinen
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Wir beobachten bei uns, dass manche unserer Bewegungen von unserem Willen abhängen und mithin die Seele zur Ursache haben. Weiter kann man beobachten, dass sich tote von lebenden Körpern nicht unterscheiden, was die sichtbaren Organe betrifft. Also nimmt man an, dass die (nicht sichtbare) Seele für die Bewegungen der lebenden Körper zuständig sei. Das Analogieargument stellt für Descartes jedoch kein beliebiges Vorurteil dar: „[K]eines der übernommenen Vorurteile ist größer als dasjenige, das uns seit dem frühesten Alter dazu überredet, dass Tiere denken.“ (More 05.02.1649, AT V: 275) Warum? Das Analogieargument macht sich einer mangelnden Unterscheidung zwischen Körper und Geist schuldig. Bereits in den Regulae xii (AT X: 415) findet sich der Hinweis darauf, dass wir die Bewegungen der Tiere nicht auf Gedanken (cognitio) zurückführen dürfen, allenfalls auf körperliche Vorstellungsbilder (fantasia).64 Auf einer allgemeineren Ebene ist dem Analogieargument vorzuwerfen, dass es zwei Ursachen der Bewegung nicht unterscheidet, körperlich verursachte und seelisch verursachte (More 05.02.1649, AT V: 276). Wer denkt, dass alle seine körperlichen Bewegungsabläufe aus seelischen Ursachen hervorgehen und nun von den Körperbewegungen der Tiere auf deren Seele schließt, hat schon bei sich die Unterscheidung von körperlich und seelisch verursachten Bewegungen nicht klar und deutlich gezogen. Deshalb überträgt er diese Unterscheidung ungeprüft auf die Tiere. Wer jedoch eine klare Unterscheidung zwischen Körper und Seele beachtet, wird das Analogieargument zweifelnd einklammern. 48. Für eine andere Analogie Descartes zufolge können die aus dieser unreflektierten Betrachtungsweise resultierenden Irrtümer vermieden werden, wenn wir uns nicht vom äußeren Verhalten der Tiere in die Irre führen lassen, sondern die Anatomie und die innere Mechanik (Anatomie & Mechaniques) ihrer Körper studieren, kurzum ihre Physiologie. Ebenso werden wir allein aus dem Studium der Physiologie erfahren, was lebendige von toten Körpern unterscheidet. Betrachten wir, wie Descartes diesen Gegenvorschlag gegenüber aristotelischen Ansätzen plausiblisiert. Er weist zunächst auf eine Reihe von Verhaltensweisen hin, die wir reflexartig ausführen, wie beispielsweise Gehen, Verdauen, sich beim Fall mit den Händen Schützen oder Schlafwandeln (Erwiderung iv, AT VII: 178; Newcastle 23.11.1646, AT IV: 573). 64
Manche Interpreten sind von der Idee besonders angetan, Descartes gestehe Tieren sozusagen körperliche Ideen zu. Dieses frühe Konzept gibt Descartes jedoch in seinen späteren Werken auf und polemisiert gegen Gassendi, der das Konzept körperlicher Ideen, die vom Geist betrachten werden können, weiterhin verwendet.
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Kapitel III – Descartes – Mechanismus und Menschenvernunftnft
Gewisse Empfindungen können unwillkürlich in uns entstehen. Schmerzen, Hunger oder plötzliche Nervosität werden nicht willentlich herbeigeführt. Ihre Ursachen sind autonome, physiologische Prozesse, die sich bei unserer Seele sozusagen melden, aber nicht durch sie hervorgerufen werden. An dieser Stelle nun zieht Descartes eine alternative Analogie heran. Es gibt nämlich raffiniert konstruierte Maschinen, die Bewegungen ausführen, als ob sie eine Seele hätten. Solchen Maschinen, etwa einer badenden Diana, konnten die Zeitgenossen Descartes’ im königlichen Park Saint-Germain-en-Laye begegnen. Nähert man sich der mechanischen Göttin, erhebt sie sich und verschwindet im Gebüsch. Der Herantretende hat im Boden versteckte Pedale betätigt. Ein hydraulisches System aktiviert diese Diana, ebenso wie den Poseidon, der dem Herantretenden nun mit seinem Dreizack droht (Homme, AT XI: 131). Die Bewegungen dieser Automaten werden zweifellos nicht durch eine Seele verursacht. Es handelt sich einfach um mechanische Abläufe. Körpermaschinen können nun nach dem Modell solcher künstlicher Maschinen erklärt werden.65 Der Hinweis auf göttliche Maschinen stellt das Scharnier dar, über das Descartes von den allein körperlich verursachten Bewegungen bei uns zu seiner Tierdoktrin gelangt. Diese Gedankenreihe soll plausibel machen, dass die Bewegungen und auch das Verhalten der Tiere ausschließlich mechanisch erklärbar sind. In einem Brief (März 1638, AT II: 39-41) führt Descartes diese Analogie mithilfe eines Gedankenexperiments weiter aus. Ein äußerst geschickter Mechaniker, der noch keine echten Tiere gesehen hat, stellt Maschinen her, die Bewegungen von Tieren imitieren (Es bleibt ein wenig rätselhaft wie der Meistermechaniker Tiere bauen kann, obwohl er nie welche gesehen hat.) Nun zeigt man dem Mechaniker echte Tiere. Was geschieht? Nun, der Meistermechaniker schließt aufgrund seiner Kenntnis der versteckten Mechanik, der von ihm selbst erschaffenen Tiermaschinen, dass Gott offenbar Maschinen von noch größerer Perfektion erschaffen hat, die Tiere selbst (Discours v, AT VI: 56; More 05.02.1649, AT V: 277). Das Urteil des Mechanikers sei sicherer als das unsere, weil es nicht mit unseren Vorurteilen belastet ist. Die Anlage dieses Gedankenexperiments täuscht ein wenig darüber hinweg, dass Descartes sich einer alternativen Analogie bedient. Interessanterweise kritisiert Descartes das Analogieargument für den Geist der Tiere denn auch nirgends direkt. Es geht nicht darum, die argumentationslogische Problematik aufzudecken, die Analogieschlüssen innewohnt.66 Es ist 65 66
Shapin 1998: 43-4. Das Hauptproblem besteht darin, dass das Analogieargument zirkulär zu sein scheint. Es möchte beweisen, dass andere Wesen so sind wie ich oder wie wir. Es setzt aber dieses Ergebnis bereits voraus. Hinzu kommt der skeptische Zweifel, ob die vorhandenen (verhaltensoder anatomiebasierten) Belege den Schluss auf ein nicht-beobachtbares mentales Leben rechtfertigen können (vgl. Harrison 1991 & 1992). Für die Skepsis gegenüber dem Analogieargument innerhalb der empirischen Forschung der kognitiven Fähigkeiten unserer näch-
II. Lebendige Maschinen
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unschwer erkennbar, weshalb Descartes Analogieschlüsse nicht an sich attackiert. Sein Erklärungsansatz verdankt sich einer alternativen Analogie, die in der Bêtes-machine-These, dass Tiere ausschließlich lebendige und empfindungsfähige Maschinen seien, ihren prägnanten Ausdruck findet. Descartes weist nicht alle Analogieargumente zurück, sondern stellt eine alternative Analogie her: Tiere sind Maschinen.67 49. Sind Tiere für Descartes wirklich Maschinen? Gegen diese Analogie möchte man sogleich einwenden, dass Tiere ganz offensichtlich keine Maschinen sind. Der Maschinenvergleich ist einfach falsch (soweit ein Vergleich nur falsch sein kann). Maschinen sind aus leblosem Material zusammengebaute Artefakte ohne Empfindungen. Tiere hingegen sind lebende und nicht von Menschen zusammengesetzte Wesen mit Empfindungen. Tiere sind Lebewesen, Maschinen nicht. Eine lebendige Maschine ist ein Widerspruch. Lebendigkeit, Naturwüchsigkeit und Empfindungen unterscheiden Tiere von Maschinen. Auf den ersten Blick erscheinen diese hemdsärmeligen Kriterien klar, etwa wenn wir bei Maschinen beispielsweise an automatische Webstühle und bei Tieren an sensible Gorillas denken. Sie verwischen sich, wenn wir an hochleistungsfähige Roboter und an Austern denken. Es ist vielleicht, wie manche Philosophen und Kognitionswissenschaftler glauben, nur ein Vorurteil zu meinen, dass komplexe Maschinen keinen Geist haben können.68 Ebenso ist es vielleicht nur ein Vorurteil zu meinen, dass Lebewesen als solche naturwüchsig und bewusst sind. Darauf deuten im Reagenzglas erzeugte Lebewesen oder so artfremde Organismen wie Schwämme und Austern (Newcastle 23.11.1646, AT IV: 576), Fliegen oder Ameisen (Discours v, AT VI: 60). Wie nehmen sich die reklamierten drei Kriterien im Rahmen von Descartes’ Metaphysik aus? Prima facie gibt es keinen metaphysischen Unterschied zwischen lebendiger und toter Materie.69 Tiere und
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68 69
sten Verwandten, der Schimpansen, vgl. Povinelli & Giambrone 1999 und für Kritik gegenüber dieser Skepsis Allen 2002 und Mitchell 2005. In der Gegenwartdiskussion entwickelte Carruthers 1989 eine alternative Analogie, die dazu dienen soll, Tieren bewusstes Erleben abzusprechen. Nicht sollte man bewusste Erfahrungen bei Menschen mit Erfahrungen von Tieren analogisieren, sondern vielmehr unsere unbewussten menschliches Erfahrungen zum Ausgangspunkt nehmen, etwa wenn wir zuverlässig und korrekt autofahren, dabei in Gedanken aber woanders sind. Durch diese Analogie können Tieren bewusste Erfahrungen abgesprochen werden. Dennett 1978 & 1998. Es gibt auch zwischen Maschinen-Mensch und Maschinen-Tier keinen substantiellen Unterschied. Der substantielle Unterschied kommt erst dann ins Spiel, wenn man berücksichtigt, dass der Mensch über eine rationale Seele verfügt. Descartes weist freilich darauf hin, dass die rationale Seele den Menschen nicht bewohnt wie ein Gespenst die Maschine oder wie ein
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Maschinen gehören zum Bereich der res extensa. Naturphilosophische Erklärungen dürfen hier deshalb nicht auf das Leben als eine besondere Kraft in der Natur zurückgreifen. Das naturphilosophische Projekt von Descartes besteht gerade darin, die Eigenschaften des Lebens (Ernährung, Bewegung, Wachstum, Reizbarkeit und Fortpflanzung) auf physiologischer Basis zu erklären. Im Rahmen von Descartes’ philosophischer Theologie gibt es einen Gott, der die Welt und alle natürlichen Arten erschaffen hat. Ein weiter ausholender Vorwurf lautet, Descartes habe Maschinen an die Stelle des „Lebendigen“ gesetzt.70 Dieser Vorwurf richtet sich allgemein gegen die Betrachtungsweise der Natur als einer Maschine. Das Maschinenmodell werde seit Descartes in der Naturphilosophie ontologisiert (die Natur ist eine Maschine) oder zu einem heuristischen oder normativen Ordnungsmodell (die Natur kann wie eine Maschine beschrieben und erklärt oder muss so beschrieben und erklärt werden). Wie sieht der Vorwurf konkreter aus? Das Maschinenmodell wird als „Unterwerfung und Beherrschung innerer Wildheit durch Eingliederung in einen maschinalen Zwangszusammenhang“ betrachtet.71 Der Eingliederung zum Opfer falle das Lebendige. Dabei wird ohne weiteres eine Ontologie des Lebendigen vorausgesetzt, die keiner Erläuterung bedürftig scheint. Man müsste eine solche Ontologie jedoch verteidigen können. Es handelt sich beim mechanistischen Maschinenmodell und beim vitalistischen Organismusmodell um zwei konkurrierende Beschreibungs- und Erklärungsansätze. Es ist nicht selbstverständlich, dass der zweite Ansatz dem Wesen des (wie auch immer zu verstehenden) Lebendigen entspricht und der erste nicht (sondern nur dessen Unterwerfung und Beherrschung verfolgt).72
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Steuermann sein Schiff, sondern im Menschen bestehe zwischen Seele und Körper eine substantielle Einheit. Wenn jedoch der menschliche Körper als Maschine eine substantielle Einheit mit der Seele ist, stellt sich die Frage, ob man in Beziehung auf Menschen und auf Tiere im selben Sinn sagen kann, bei ihren Körpern handle es sich um Maschinen. Innerhalb der res extensa sind sowohl menschliche als auch tierische Körper Maschinen. Aber die rationale Seele, die res cogitans, individuiert einen menschlichen Körper als einen bestimmten menschlichen Körper. Die rationale Seele übernimmt die Funktion des Individuationsprinzips eines menschlichen Körpers innerhalb der res extensa. Wenn die Seele beim Menschen als Individuationsprinzip fungiert, was würde diese Funktion im Falle der Tiere übernehmen können? Selbstverständlich nicht die rationale Seele. Die Frage nach dem Individuationsprinzip im Falle der Tiere scheint aus folgendem Grund wichtig zu sein: Offenbar unterscheiden sich lebendige res-extensa-Stücke (Tiere) von nicht-lebendigen res-extensa-Stücken (Steine). Worin besteht aber dieser Unterschied? Bordo 1987, Sutter 1988. Sutter 1988: 15. Man erkennt die Dialektik der Aufklärung von Horkheimer und Adorno als Ziehmutter des Gedankens, insbesondere in der Rede vom Maschinenmodell als der „quasimythologischen Kehrseite der neuzeitlichen Wissenschaft“ (Sutter 1988: 41). Es ist darüber hinaus vermutlich weniger der Fall, dass das Maschinenmodell das Lebendige unterwirft als vielmehr, dass das aufklärerische Maschinenmodell das Lebendige als seinen romantischen Widerpart hervorgebracht hat.
II. Lebendige Maschinen
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Demgegenüber ist gezeigt worden, dass dem Maschinenvergleich die Funktion zukommt, der mechanistischen Naturphilosophie Plausibilität zu verleihen. Der Maschinenvergleich soll die Natur intelligibel machen. Er erlaubt es, die Natur so zu betrachten, als ob sie eine Maschine wäre.73 Das bedeutet, wie bereits mehrmals betont worden ist, dass wir keinen Anlass haben, die Bewegungen und Funktionsweisen des (biologischen) Körpers durch Kräfte wie die vegetative oder die sensitive Seele zu erklären. Denn zur Erklärung der Bewegungen und der Funktionsweisen einer Uhr werden solche Kräfte ebenfalls nicht in Anspruch genommen (Homme, AT XI: 202). Will Descartes mit der Maschinenanalogie nun tatsächlich behaupten, Tiere seien Maschinen? Die Antwort lautet Ja und Nein. Man kann „le corps de chasque animal [...] comme une machine“ (Discours v, AT VI: 56) betrachten. Es scheint sich lediglich um einen heuristischen Vergleich zu handeln. Die so gewonnene Analogie wird durch Hinweise auf tatsächlich konstruierte Maschinen – die mechanische Diana – plausibilisiert (Homme, AT XI: 120).74 Tiere sind metaphysisch (qua res extensa) und funktional nicht von Maschinen verschieden. Descartes weiß jedoch sehr wohl, dass es zwischen der mechanischen Göttin und seinem eigenen Hund einen Unterschied gibt. Nicht nur More, auch andere Briefpartner erhalten die Auskunft, dass das Leben nicht in der Bewegung der Körpermaschinerie bestehe, sondern in der Herzwärme (Mersenne 30.07.1640, AT III: 122; Elisabeth Mai 1646, AT IV: 407-8; Boswell 1646, AT IV: 686). Die Herzwärme ist das Lebensprinzip (Homme, AT XI: 202; Passions §§ 4, 107, AT XI: 329, 407; Description, AT XI: 225-6, 253). 50. Harvey über das Herz Die Auskunft, das Herz und dessen Wärme sei gleichsam der Motor der Körpermaschine, klingt zunächst nicht sonderlich antiaristotelisch. Aristoteles betrachtet das Herz als Zentralorgan wichtiger Seelenvermögen. Vom Herzen her werden beispielsweise Ernährung und Wahrnehmung gesteuert (Partibus animalium II 1, 647a25-6; De Somnio II 455b 634) und insbesondere die Bewegungen der Tiere (De motu animalium VII 701a 32-5, IX 702b 21-5). 73
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Shapin 1998: 41-59. Sutter 1988 beschreibt, wie die Maschine aus einem Vergleich zu einer Metapher und schließlich zu einem Modell der neuzeitlichen Naturerklärung werden konnte. Als Illustration der heuristischen Funktion des Maschinenmodells führt Sutter eine Äußerung Gottscheds von 1734 an: „Weil die Welt eine Maschine ist, so hat sie insoweit mit der Uhr eine große Ähnlichkeit: und wir können uns daher zur Erläuterung, hier im kleinen, dasjenige deutlicher vorstellen, was dort im Großen stattfindet.“ (zitiert nach Sutter 1988: 231). Vgl. die Hinweise der Herausgeber Adam und Tannery auf zeitgenössische Quellen (AT XI: 212-5).
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Descartes gesteht durchaus zu, dass Aristoteles hier der Wahrheit auf der Spur gewesen sei, doch nur „par hasard“. Er habe nicht aus den richtigen Ursachen heraus geschlossen und ohne Kenntnis der Blutzirkulation und des Baus des Herzens (Description, AT XI: 244-5). Demgegenüber kann Descartes auf Harveys Entdeckung des Blutkreislaufs zurückgreifen. Im Vergleich mit Harveys quasi vitalistischer Theorie der Herzbewegung und der Blutzirkulation, die Descartes als verfehlt betrachtet (Description, AT XI: 243-4), wird deutlich werden, wie sich Descartes von aristotelischen Erklärungen abzusetzen versucht. Der Unterschied zu Harveys Erklärung der Blutzirkulation macht deutlich, dass sich Descartes theoretisch stark festlegt, um die Körper von Lebewesen ausschließlich als Maschinen zu betrachten. 1628 veröffentlicht Harvey De motu cordis.75 In einer Darstellung der wissenschaftlichen Revolution heißt es über Harvey: „Sein Werk markiert die entscheidende Veränderung von fiktiven Transportwegen hin zu nachweisbaren Kreisläufen und damit von unbewiesenen Galenschen Annahmen zur empirisch fundierten quantitativen Biologie. Erst die Beiträge William Harveys sicherten den Humanwissenschaften einen vollwertigen Anteil an der wissenschaftlichen Revolution der Moderne.“ (Cohen 1994: 279)76
In dieser Beurteilung sind zwei Punkte zusammengefasst, die Harveys Werk als revolutionär erscheinen lassen. Zunächst handelt es sich um den ausführlichen empirischen Beweisgang für die Hypothese der beiden Blutkreisläufe. Harvey geht von der experimentellen Beobachtung aus und experimentiert sowohl an toten als auch an lebenden Tieren und Menschen. Er führt empirisches Beweismaterial für seine neue These und gegen die sich teils widerstreitenden, teils unklaren Ansichten der traditionellen Physiologie an. Zweitens setzt den traditionellen physiologischen Ansichten Harvey eine quantitative Betrachtungsweise entgegen. So wendet er etwa gegen die Auffassung, Blut sei nichts anderes als verarbeitete Nahrung, ein, dass die Menge an zirkulierendem Blut nicht durch die Menge an aufgenommener Nahrung erzeugt werden könne. Zwei weitere Aspekte werden in B. Cohens Beurteilung unterschlagen. Harvey argumentiert funktionalistisch. Beispielsweise wurden die pulsierenden Bewegungen der Lungen, des Herzens und der Arterien in der 75 76
Harvey 1978. Die Rede von der „wissenschaftlichen Revolution“ ist nicht unumstritten (Shapin 1998: 924). Cohen 1994: 83-8 geht von einem deskriptiv gehaltvollen Begriff der „wissenschaftlichen Revolution“ aus. Er verweist auf vier Tests zur Beurteilung, ob etwas eine solche Revolution ist oder nicht: die zeitgenössischen Quellen, die dokumentarische Auswertung der späteren Entwicklung auf dem betreffenden Gebiet, das Urteil kompetenter Historiker/ -innnen und schließlich das Urteil der heute forschenden Wissenschaftler/-innen. Cohen 1994: 141-6 wendet den ersten Test auf Harvey an, dessen Werk tatsächlich als Umbruch verstanden wurde.
II. Lebendige Maschinen
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traditionellen Theorie alle demselben Zweck unterstellt, nämlich der Aufnahme von Luft zur Kühlung des Bluts im Körper. Harvey argumentiert, dass diese pulsierenden Bewegungen aufgrund der unterschiedlichen anatomischen Beschaffenheit der drei Organe unterschiedliche Funktionen haben müssen.77 Im Zuge dieser Betrachtungsweise identifiziert er das Herz als Zentralverteilungsorgan des Körpers und zwar dadurch, dass es die alleinige Ursache des Blutkreislaufs sei. Mit der Systole wird Blut aktiv in die Arterien gepumpt, mit der Diastole wird es aktiv aus den Venen aufgenommen. Im Gegensatz dazu war die traditionelle Theorie davon ausgegangen, dass das Herz in der Systole blutentleert zusammenfällt und dann in der Diastole wieder aufgefüllt wird.78 Nachdem Harvey im Kapitel VIII seine These ausformuliert und in den folgenden Kapiteln bewiesen hat, kommt er in Kapitel XIV zum Schluss: „Wie dies alles sowohl durch Vernunftgründe als auch durch augenfällige Versuche bestätigt wurde [...], müssen wir notwendig schließen, dass das Blut in Lebewesen durch eine Kreisbewegung in Umlauf gehalten wird, und zwar in ständiger Bewegung, und dass dies die Aktivität oder Funktion des Herzens ist, die es durch den Puls auswirkt, und dass das Herz die alleinige Ursache von Bewegung und Puls ist.“ (Harvey 1978: 58)79
Das Herz erweist sich in Harveys Theorie als einzige und aktive Ursache des Blutkreislaufs. Es ist damit das aktive bewegende Prinzip lebender Körper.80 Dies ist der zweite unterschlagene Aspekt. Man kann ihn als den vitalistischen Aspekt ansprechen.81 In den Kapiteln VIII & XIV wiederholt Harvey die These, dass das Herz das Lebensprinzip sei, weil es Wärme in den Körper verteilt. Mit der Wärme werden beispielsweise die verdaute Nahrung, die Lebensgeister und das zurückkehrende erkaltete Blut wieder aufbereitet. Sowohl für den Kreislauf als auch für die zentrale Funktion des Herzens 77 78 79
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Duchesneau 1998: 29-41. Harvey exponiert die Probleme der traditionellen Auffassung(en) im einleitenden „Prooemium“. „Cum haec confirmata sint omnia, & rationibus & ocularibus experimentis [...], necessarium est concludere circulari quodam motu in circuitu agitari in animalibus sanguinem; & esse in perpetuo motu, & hanc esse actionem sive functionem cordis, quam pulsu peragit, & omnio motus & pulsus cordis causam unam esse.“ Deshalb wird das Herz im dem Werk vorangestellten Widmungsbrief an den englischen König mit der Sonne und dem König selbst verglichen: „Cor animalium, fundamentum est vitae, princeps omnium, Microcosmi Sol, à quo omnis vegetatio dependet, vigor omnis & robur emanat. Rex pariter regnorum suorum fundamentum, & Microcosmi sui Sol, Respublicae Cor est, à quo omnis emanat potestas, omnis gratia provenit.“ (Harvey 1978: 3) Fuchs 1992 vertritt die These, dass Harveys oberflächenstruktureller, hydrodynamischer Darstellung in De motu cordis eine vitalistische Substruktur zugrunde liege, die sich aber erst in anderen Schriften Harveys zeige (vor allem in De motu locali animalium und in De generatione). Die mechanistische Rezeption durch Descartes habe diese Substruktur allerdings verdeckt. Ich finde Fuchs’ Darstellung überzeugend, sie wird allerdings wie bei Sutter 1988 von einer impliziten und unausgewiesenen Positiveinschätzung des Vitalismus begleitet.
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Kapitel III – Descartes – Mechanismus und Menschenvernunftnft
und dessen Wärme wird ausdrücklich auf Aristoteles verwiesen.82 Harveys „wissenschaftliche Revolution“ lässt sich interessanterweise mit aristotelischen Annahmen vereinbaren.83 Harveys experimenteller und quantitativer Erklärungsansatz ist also nicht allein mechanistisch, sondern auch funktionalistisch und geht vom aktiven Herzen als dem vitalistischen Lebensprinzip aus. Die beiden letzten Aspekte kommen Descartes ungelegen, der sich in Homme, Discours und Description auf Harveys Entdeckung des Blutkreislaufs bezieht. Zwar erachtet Descartes Harveys Entdeckung für revolutionär. Doch er möchte den positiven Bezug zur aristotelischen Seelenlehre vermeiden.84 51. Das cartesische Herz Der Discours v geht vom Gedankenexperiment einer von Gott geschaffenen, möglichen Welt aus, die weder von rationalen noch vegetativen oder sensitiven Seelen bevölkert ist. Anhand dieser Welt offeriert Descartes einen Abriss seiner Physik und seiner Physiologie. Das Beweisziel besteht darin, die Bewegungen lebender Körper ohne Rückgriff auf eine Seele als mechanistisch erklärbar auszuweisen. Es handelt sich dabei um ein doppeltes Beweisziel, denn dass die Bewegungen lebender Körper ohne Rückgriff auf eine Seele erklärt werden können, impliziert nicht von selbst, dass die Erklärung ausschließlich mechanistisch sein muss. Um nun die Bewegungen der Lebewesen in dieser Welt zu verstehen, expliziert Descartes die von Harvey übernommene Theorie des Blutkreislaufs. Descartes folgt Harveys Ausführungen, außer in drei wesentlichen Punkten. Descartes weicht in der Erklärung der Bewegung und der Wärme des Herzens ab. Für Harvey ist das Herz aktives Lebensprinzip und aktive Ursache des Kreislaufs. Descartes bietet stattdessen folgende Erklärung der Herzbewegung an. Aus der Vene dringen wenige dicke Tropfen Bluts ins Herz. Die Herzwärme verdampft diese Tropfen und infolgedessen dehnt sich das Herz aus. Dies ist Descartes’ Diastole. Diese Ausdehnung veranlasst die 82 83
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Harvey 1978: 42, 59. In den 1960er Jahren ist ein Interpretationsstreit zwischen W. Pagel, der Harvey als renaissancegenerierten Aristoteliker betrachtet, und G. Whitteridge, der Harvey als revolutionären ersten modernen Biologen betrachtet, ausgebrochen (vgl. Wear 1990: 577 ff.). Wie im Folgenden deutlich werden dürfte, sehe ich darin keinen interessanten Gegensatz und Streit. Wie andere Wissenschaftler der Frühen Neuzeit, wendet Harvey methodische Prinzipien an, die der Entstehung einer empirischen Wissenschaft entsprechen und fördert dadurch umstürzende Resultate zutage. Aber Harveys Begriff der Natur und seine quasi vitalistische Erklärung der Herzbewegung bleiben aristotelisch. Gilson 1984: 51-100, Schneider 1993: 189-98, Fuchs 1992, Grene 1993, Bitbol-Hespériès 1999.
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Öffnung der Herzklappen (petites portes). Das vaporisierte Blut entweicht durch die geöffneten Klappen in die Arterie. Aufgrund der Entfernung vom warmen Herzen kühlt sich das Blut in den Arterien ab und kondensiert zu Tropfen. Weil das Herz nach der Entleerung in sich zusammenfällt (dies ist Descartes’ Systole), öffnen sich die Klappen hin zu den Venen. Neue Tropfen treten ein und verdampfen (AT VI: 49-50).85 Diese Erklärung ist das physiologische Herzstück des Discours v (vgl. Descritption, AT XI: 228-33, 280-2). Die von Harvey gegebene (und heute akzeptierte) Interpretation von Systole und Diastole wird von Descartes ausdrücklich umgekehrt (Description, AT XI: 243) und damit wieder rückgängig gemacht. Aus wissenschaftshistorischer Perspektive fällt Descartes gleichsam hinter Harvey zurück. Bei Harvey ist die Systole aktive Ursache des Austretens des Bluts (in die Arterien) und die Diastole der aktiven Aufnahme des Bluts (aus den Venen). Descartes’ Erklärung verläuft in der umgekehrten Richtung. Die Diastole ist Ursache des Austretens und die Systole der Aufnahme. Der Akzent liegt auf der Passivität des Vorgangs.86 Durch die Betonung der Passivität kann Descartes auf Harveys aristotelisch inspirierte Theorie des Herzens als aktivem Lebensprinzip verzichten. Das cartesische Herz muss lediglich warm sein. Die Herzwärme hält das Herz dadurch in Bewegung, dass sie das Blut vaporisiert (Description, AT XI: 231-2). Das Brennmaterial für die Herzwärme wird durch zurückgebliebenes Blut gebildet, das dort fermentiert (Discours v, AT VI: 53). Diese Wärme ist nicht verschieden von der Wärme, wie wir sie bei Gärungsprozessen im Heu oder Alkohol beobachten können (Discours v, AT VI: 46 f.). Der zweite Punkt ist naturphilosophisch. Hier findet sich der Grund für Descartes’ explanatorische Abweichung gegenüber Harvey. Dieser Punkt lässt sich am besten am unterschiedlichen Gebrauch des Ausdrucks „Natur“ bei Descartes und Harvey ablesen. In De motu versteht Harvey – im Sinne der aristotelischen causa finalis – unter „Natur“ eine teleologische Einheit, in der nichts vergebens geschieht.87 In Homme hingegen wird „Natur“ einfach mit Materie (la Matiere) gleichgesetzt (AT XI: 36-37), die sich gemäss den Regeln der Mechanik verhält (Discours v, AT VI: 54). Dementsprechend werden die Bewegungen der Tiere wie folgt erklärt: „[C]’est la Nature qui agist en eux, selon la disposition de leurs organes: ainsi qu’on voit qu’un horloge, qui n’est composé que de rouës & de ressors, peut conter les heures, & mesurer le tems […].“ (Discours v, AT VI: 59)
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Obwohl Descartes den Überlegungen aus De motu folgt, weist er auf Harveys These von der Blutzirkulation ausdrücklich erst an jener Stelle hin, wo der Einwand auftaucht, wie denn das Blut kontinuierlich aus den Venen ins Herz fließen könne ohne sich zu erschöpfen. Antwort: Weil dasselbe Blut wieder zurückkehrt (Discours v, AT VI: 50). Bitbol-Hespériès 1988: 426, Fuchs 1992: 132. Harvey 1978: 17, 19, 41; vgl. De Cae. I 4, 271a 33.
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Ursache der Bewegung der Tiere ist die Blutzirkulation (Buitendijck 1643, AT IV: 65). Ursache der Blutzirkulation ist die Herzbewegung. Diese wiederum wird durch die Herzwärme unterhalten. Die Explikation der Blutzirkulation steht unter der heuristischen Voraussetzung der Maschinenanalogie, wonach „le corps de chasque animal [...] comme une machine“ zu betrachten sei. Aber es handelt sich hierbei um mehr als einen bloß heuristischen Vergleich, weil die Analogie dazu führt, dass sämtliche Zutaten abgelehnt werden, die über die intrinsischen Eigenschaften der inerten Maschinenbestandteile und ihre funktionale Architektur hinausweisen.88 Darin besteht eine der grundlegenden Voraussetzungen der Bêtes-machine-These: Tiere bewegen und verhalten sich nicht selbst, sondern sie werden bewegt und – wenn man so sagen kann – sie werden verhalten. Die Natur agiert in ihnen (la Nature qui agist en eux). Diese auf einer physiologischen Ebene gewonnene Einsicht wird Descartes auch noch auf der psychologischen Ebene durchzuhalten versuchen. Kommen wir zum dritten, einem methodologischen Punkt. Hier werden die ersten beiden Punkte zusammengeführt. Harvey stützt sowohl seine Theorie des Blutkreislaufs als auch die Kritik der traditionellen Ansicht auf anatomisch-experimentelle Beobachtungen. Die cartesische Erklärung der Herzbewegung verzichtet großenteils auf diese in De motu angeführten Beobachtungen. Beispielsweise weist Harvey darauf hin, dass das Blut auch in den Extremitäten warm ist, dass das Blut im Herzen nicht in Tropfen auftritt, sondern in großer und kontinuierlicher Quantität transportiert wird, dass das Blut auch im Herzen Blut ist und nicht etwa in vaporisierter Form austritt. Bei Descartes leiten die im Gedankenexperiment der möglichen Welt und im Naturbegriff implizierten metaphysischen Voraussetzungen vielmehr die Erfahrung an. Sie geben das Muster dafür ab, was als plausible und intelligible Erklärung der Bewegungen lebendiger Körper gelten kann. Im Discours v kann Descartes die Tiere nun tatsächlich als lebendige 88
Bei Harvey taucht keine Maschinenmetaphorik auf, außer an einer Stelle im Kapitel V von De motu, wo sie freilich eine ganz andere Rolle als bei Descartes übernimmt. Harvey beginnt mit der Betonung der aktiven Arbeit des Herzens. Zuerst zieht sich die Herzklappe zusammen (Primum sese contrahit auricula). Das Blut wird infolgedessen in die Herzkammer gepumpt, worauf das Herz einen Schlag macht (pulsum facit), wodurch das Blut in die Arterien gelangt. Diese zwei Bewegungen erfolgen so schnell aufeinander, dass sie wie eine einzige Bewegung erscheinen. Harvey weist dies als eine Täuschung zurück, indem er zwei Vergleiche heranzieht: In einer Maschine wird ein Rad durch das andere bewegt, so dass sie sich gleichzeitig zu bewegen scheinen und auch bei einer Feuerwaffe ereignen sich unterschiedliche Vorgänge – Abzug, Pfannenschlag, Funken, Pulverentzündung etc. – wie auf einen Schlag (Harvey 1978: 29-30). Im Unterschied zu Descartes bedient sich Harvey mechanischer Vorrichtungen und Maschinen, um seine Erklärungen der Herzaktivität zu veranschaulichen. Es sind bloße Vergleiche. Descartes Naturbegriff und das ihm zugrundeliegende Maschinenmodell hingegen strukturieren die Erklärung der Herzaktivität vor. Dies bedeutet, dass Descartes aristotelische Erklärungsansätze wegerklärt haben möchte.
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Maschinen beschreiben, deren Motor die Herzwärme ist. Aufgrund der Herzwärme zirkuliert das Blut, das die Organe beispielsweise mit Nährstoffen versorgt (Description, AT XI: 245 ff.). Die Herzbewegung : „suit aussy necessairement de la seule disposition des organes qu’on peut voir a l’oeil dans le coeur, & de la chaleur qu’on y peut sentir avec les doigts, & de la nature du sang qu’on peut connoistre par experience, que fait celuy d’ un horologe, de la force, de la situation, & de la figure de ses contrepois & de ses rouës.“ (Discours v, AT VI: 50)
Das Herz braucht dazu nicht Sitz einer Lebenskraft oder Seele zu sein. Harveys Beweisziel ist der Blutkreislauf, für den er eine vitalistische Erklärung andeutet. Descartes’ Beweisziel ist die Integration des Blutkreislaufs in die metaphysisch motivierte Corps-machine-These. Die Herzwärme ist der Motor aller Bewegungen der Tiermaschine (auch jener „Bewegungen der Affekte“, auf die ich im folgenden Teil zu sprechen kommen werde). Ein vegetativer-sensitiver Seelenteil ist explanatorisch überflüssig. 52. Was unterscheidet lebendige von nicht-lebendigen Maschinen? Lebendige Tiermaschinen unterscheiden sich von leblosen Automaten durch die Herzwärme und die durch diese Wärme unterhaltene Bewegung. Das Herz fungiert als innere Triebfeder, in dem Sinn wie die innere Feder einer Uhr als Antrieb der Zeiger funktioniert. So jedenfalls erklärt Descartes in den Passions den Unterschied zwischen lebenden und toten Lebewesen: „& jugeons que le corps d’un homme vivant differe autant de celuy d’un homme mort, que fait une montre, ou autre automate (c’est à dire, autre machine qui se meut de soy-mesme), lorsqu’elle est montée, & qu’elle a en soy le principe corporel des mouvemens pour lesquels elle est instituée, avec tout ce qui est requis pour son action, & la mesme montre, ou autre machine, lors qu’elle est rompuɺ & que le principe de son mouvement cesse d’agir.“ (Passions § 6, AT XI: 330-1; vgl. Homme, AT XI: 144)
Damit wendet sich Descartes gegen den bereits erwähnten Bestandteil des Analogiearguments (Abschn. 47), wonach der Unterschied zwischen Leben und Tod keine nur körperlichen Ursachen haben kann, weil sich der tote vom lebendigen Körper hinsichtlich seiner Organe nicht unterscheidet. Der Unterschied besteht in der Herzwärme. Das Herz übernimmt bei Lebewesen jene Funktion, die die Feder in der Uhr hat. Verliert die Feder ihre Spannkraft, steht die Uhr still, verliert das Herz seine Wärme, stirbt das Lebewesen (Description, AT XI: 224-6). Tiere sind Maschinen mit einem funktionierenden Herzen. Gestorbene Tiere sind hartherzig geworden. Das unterscheidet Tiere als lebendige (und sterbensfähige) Maschinen von ausgeklügelten „lebensechten“ Automaten. Dieser Unterschied ist wohlgemerkt kein metaphysischer. Beide gehören ja zur res extensa.
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Es ist verschiedentlich behauptet worden, dass ein funktionstüchtiges Herz nicht hinreiche, um lebendige von toten Automaten zu unterscheiden.89 Denn auch Pflanzen sind Lebewesen – was Descartes natürlich zugesteht (Description, AT XI: 247). Aber Pflanzen sind herzlos. Hier entstehe nun, wie F. Ablondi behauptet, ein textliches Konsistenzproblem. Das Lebenskriterium der Herzwärme müsse um dasjenige einer besonderen Komplexität ergänzt werden. Nur Gott kann so komplexe Automaten wie Tiere und Pflanzen schaffen: „By taking the two criterion together, (1) possession of an internal source of heat which serves as a principle of motion, and (2) having the complexity which only God can give a thing, we arrive at a textually consistent definition of ‘living’ for Descartes.“ (Ablondi 1998: 185)
Das Argumentationsscharnier dieser Deutung ist die Tatsache, dass Pflanzen herzlos sind. Dieses Scharnier quietscht jedoch beträchtlich. Descartes braucht bei Pflanzen lediglich ein funktionales Analogon zu finden, das der Herzwärme und der Blutzirkulation entspricht. Descartes war durchaus der Ansicht, dass sich dies bewerkstelligen lässt (Brief März 1638, AT II: 40-1; Mersenne 23.08.1638, AT II: 329). Er konnte seine Pflanzenstudien zu keinem Abschluss bringen.90 Nach einer im Anschluss an Harveys Entdeckung vorherrschenden Auffassung entspricht der tierischen Blutdie pflanzliche Saftzirkulation.91 Cartesianer wie Pierre-Sylvain Regis und Antoine Le Grand haben sich bemüht, eine hydraulische Konzeption von Pflanzenbewegungen aufgrund der Saftzirkulation zu entwerfen.92 F. Ablondis Komplexitätskriterium löst nun weniger ein (nicht existentes) Konsistenzproblem bei Descartes, als dass es ein neues Problem erzeugt. Wenn gotterschaffene Automaten so komplex sind, dass wir ihre Beschaffenheit nicht durchschauen können, muss der Unterschied zwischen Automaten und Tiermaschinen kategorial sein. Dem widerspricht die Tatsache, dass für Descartes Automaten und Lebewesen Bestandteil desselben metaphysischen Universums sind, der res extensa. Descartes ist im Gegenteil der Ansicht, dass seine neue Wissenschaft den Prinzipien belebter Körper auf die Spur kommt. Er betrachtet die Welt als eine gottgeschaffene Maschine (Principia iv, 188, AT VIII: 315), behauptet jedoch nicht, dass ihre Funktionsweise für den Menschen uneinsehbar sei.93 Dies widerspräche der Funktion der Ma89 90 91 92 93
MacKenzie 1975, Ablondi 1998. Gaukroger 2002: 186-7. Delaporte 1983: 10-49, Overman 1993: 186 f., Gaukroger 2002: 187. Ingensiep 2001: 220-5. Die in Ablondi 1998 angeführten Belegstellen verweisen denn auch ausschließlich auf den Menschen, dessen funktionale Leib-Seele-Einheit für Descartes in der Tat komplexer ist als die Funktionsweise der Tiermaschinen. Allerdings äussert Descartes Zweifel, ob der Mensch Einsicht in die Zwecke haben könne, die Gott mit seiner gesamten Schöpfung verfolge (Principia i, 28, ii, 2, AT VIII: 15-6, 41).
II. Lebendige Maschinen
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schinenanalogie (Abschn. 49). Die Funktionsweise der Maschinen ist für eine ausgereifte Wissenschaft einsehbar. Darin besteht ja der heuristische Witz des Modells. Gerade das „Verhalten“ von Maschinen kann allein durch die Kenntnis der Interaktionen der intrinsischen Eigenschaften ihrer konstitutiven Bestandteileerklärt werden. Im Unterschied zu noch so raffinierten Automaten haben Tiere also ein biologisches Zentrum, das Herz.
III. Empfindsame Maschinen? 53. Tieraffekte Descartes schreibt den Tieren Affekte wie Furcht, Hoffnung oder Freude zu. Tiere bringen ihre Affekte zum Ausdruck, nicht in einer Wortsprache natürlich, sondern in natürlichen Lauten (Newcastle 23.11.1646, AT IV: 575). Im selben Brief spricht Descartes von einer Elster, die ihre Herrin kommen sieht (elle la voit arriver). Tiere haben innere Empfindungen (Affekte und Appetite) und äußere Empfindungen (Sinneswahrnehmungen). Es handelt sich um empfindungsfähige Maschinen. Tiere haben jedoch im Unterschied zu Menschen keine Gedanken. Nun behauptet Descartes, dass die Empfindungszustände keinerlei Gedanken und mithin keine Seele beanspruchen. Wir können Tieren beispielsweise allerlei beibringen, indem wir uns ihre Furcht, ihre Hoffnung oder ihre Freude zu nutze machen. Ein solches Training beansprucht keine Gedanken (Newcastle 23.11.1646, AT IV: 574; Discours v, AT VI: 56). Deswegen sind Tiere ausschließlich empfindungsfähige Maschinen. Ich möchte betrachten, wie das zu verstehen ist und ob Descartes das konsistent und verständlich behaupten kann. Ich werde mich auf Affekte (Abschn. 53-4) und Sinneswahrnehmungen (Abschn. 55) beschränken. In beiden Fällen zeigt sich ein strukturelles Problem. Descartes kann Affekte und Sinneswahrnehmungen tatsächlich nur Lebewesen mit einer Seele zuschreiben (Abschn. 56-7). Dasselbe lässt sich auch für die Selbsterhaltungsfunktion dieser biologischen Systeme zeigen (Abschn. 58-9). Denn dem durch die Abrichtung angesprochenen Problem tierlichen Lernens werde ich mich im nächsten Teil (Abschn. 69-71) widmen. Descartes spricht von den Bewegungen von Affekten (mouvemens de leur crainte, de leur esperance, ou de leur ioye; Newcastle 23.11.1646, AT IV: 574). In den Passions präzisiert Descartes, was damit gemeint ist. Es handelt sich um physiologische Vorgänge. Die Bewegungen im physiologischen Apparat der Tiere sind dieselben wie bei Menschen „Et on peut remarquer la mesme chose dans les bestes; car encore qu’elles n’ayent point de raison, ny peut estre aussi aucune pensée, tous les mouvemens des esprits
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Kapitel III – Descartes – Mechanismus und Menschenvernunftnft
& de la glande, qui excitent en nous les passions, ne laissent pas d’estre en elles, & d’y servir à entretenir & fortifier, non pas comme en nous les passions, mais les mouvemens des nerfs & des muscles, qui ont coustume de les accompagner.“ (Passions § 50, AT XI: 369-70)
Es handelt sich um Bewegungen im Inneren der Körpermaschine, die kausal veranlasst werden, und zwar durch äußere Objekte oder durch die inneren Organe, nicht aber durch eine Seele. Die Transmitter für diese Bewegungsabläufe nennt Descartes Lebensgeister (esprits).94 Lebensgeister haben nichts Vitalistisches an sich. Sie bewegen sich nach den „loix de la nature“ (Homme, AT XI: 137). Ihre materielle Natur bestimmt Descartes im Zusammenhang mit der Blutzirkulation genauer als die regsameren und feineren Anteile des Bluts (vgl. Passions § 10-1, AT XI: 334-6).95 Hieraus geht hervor, warum Descartes vom Blut als der Seele der Tiere spricht und damit auch Mose 3, 17, 14 (anima enim omnis carnis in sanguine est) auslegt (Plempius 03.10.1637, AT I: 414-5). Die Lebensgeister übermitteln die von außen oder innen stammenden Impulse zum Gehirn. Dort, so vermutet Descartes, stellt die Zirbeldrüse (glande) eine Verbindung zur Seele her (Homme, AT XI: 177; Passions § 31, AT XI: 352; Principia iv, 196, AT IX: 315). Die Zirbeldrüse ist das kognitive Zentralorgan von Organismen. Die Lebensgeister übermitteln die Bewegungsimpulse auch zum biologischen Zentralorgan (Herz). Von diesen beiden Zentralorganen geht die Bewegung schließlich zu den Muskeln (oder anderen efferenten Bestandteilen der Körpermaschine) und löst eine Körperbewegung aus (ein Verhalten). Weiter sagt Descartes, dass die Bewegungen im kognitiven Zentralorgan, die die Seele als Objektrepräsentation wahrnimmt, von Natur aus in der Seele bestimmte Affekte erregen. Bei Tieren geben diese Bewegungen keiner Seele Anlass zu einer Objektrepräsentation und affizieren in keiner Seele etwas. Über das kognitive Zentralorgan wird die Input-Bewegung direkt in eine entsprechende Muskelbewegung, in eine Output-Bewegung, umgesetzt. 54. Das Problem mit der Zuschreibung von Affekten an Tiere In den Principia erklärt Descartes dies genauer. Nehmen wir folgendes Beispiel: Ein Hündchen freut sich auf einen leckeren Hundekuchen. Das Wahrnehmungsmuster (figures; Homme, AT XI: 176), das bei ihm durch das Fres94 95
Die Lebensgeister blieben bis weit ins 18. Jh. „candidates for the role of bearers of neural information“ (Sutton 1998: 23). Zur Rolle der Lebensgeister in Philosophie, Medizin und Physiologie der Frühen Neuzeit vgl. Sutton 1998: 25-49. In Homme (AT XI: 129) spricht Descartes die Lebensgeister bisweilen als „un certain vent tres subtil, ou plutost une flame tres vive & tres pure“ an. Das sind jedoch in erster Linie Bilder.
III. Empfindsame Maschinen?
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sen ausgelöst wird, treibt die Lebensgeister aus seinem Hirn in die Muskeln und ins Herz. Die Muskeln dehnen sich, die Herzkammern öffnen sich und das Blut strömt durch. So entsteht das Gefühl der Freude (ioye). „Die feinen Nerven, welche zum Bauch, zum Schlund, zur Kehle und anderen inneren, zur Befriedigung natürlicher Bedürfnisse bestimmten Teilen gehen, bilden einen dieser inneren Sinne, welcher das natürliche Begehren heißt; die feinen Nerven, welche zu den Herzkammern gehen, bilden den anderen inneren Sinn, in dem alle Gemütsbewegungen oder Leidenschaften und Affekte, wie die Freude, die Traurigkeit, die Liebe, der Hass usw. enthalten sind.“ (Principa iv, 190, AT VIII: 316)
In der Erklärung schließt Descartes an die Lehre von den äußeren und inneren Sinnen an. Innere Sinne hat es an dieser Stelle nur noch zwei, nämlich Appetit und Affekt, die ich oben als „innere Empfindungen“ bezeichnet habe. Die inneren Empfindungen sind an Körperorgane gebunden, wie in der aristotelisch-scholastischen Tradition. Aber im Gegensatz zu dieser Tradition geht es bei Descartes nicht um das Wirken einer sensitiven Seele, sondern um mechanische Vorgänge. Das Hündchen sieht den Hundekuchen. Das Wahrnehmungsmuster ist gekoppelt mit bestimmten Reizungen der Magennerven. Anders gesagt: mit dem Hungergefühl. Das Wahrnehmungsmuster-cum-Magennervenreizung ist gekoppelt mit einer Bewegung der Lebensgeister in Richtung Herz und in Richtung Vorder- und Hinterläufe. Der Hund hechelt und wedelt und springt. Anders gesagt: Er freut sich. Will Descartes sagen, dass dies die Hündchenfreude ist, eine Folge innerer und äußerer Bewegungsabläufe? Und das Hungergefühl eine Reizung der Magennerven? Die Bewegungen, von denen Descartes bei den Tieren spricht, sind Affekte und Appetite ohne mentale Komponente. Sind das Appetite und Affekte? Nein, laut Descartes nicht. Betrachten wir die Affekte. In den Passions legt Descartes seine Theorie der Affekte dar. Zunächst unterscheidet Descartes verschiedene Passionen der Seele, Zustände, die die Seele durch ihre Verbindung mit dem Körper erleidet.96 Passionen im engen Sinne – die ich „Affekte“ nenne – definiert Descartes als: „[d]es perceptions, ou des sentimens, ou des émotions de l’ame, qu’on raporte particulierement à elle, & qui sont causées, entretenuɺs & fortifiées par quelque mouvement des esprits.“ (Passions § 27, AT XI: 349)
Affekte werden also körperlich verursacht. Diesen Vorgang versteht Descartes 96
Dazu gehören: 1. sinnliche Wahrnehmungen von Objekten der Außenwelt, 2. Erinnerungen und Vorstellungen oder Fantasien, 3. innerkörperliche Empfindungen wie Hunger oder Durst, 4. körperliche Empfindungen aufgrund von Umwelteinflüssen wie Hitze oder Schmerz, und schließlich 5. Affekte im engeren Sinne wie Freude, Furcht oder Liebe (Passions §§ 22-6, AT XI: 345-9).
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wie eben gezeigt physiologisch: Beim Anblick eines leckeren Essens werden Impulse durch die Nerven geleitet. Die Lebensgeister führen diese Impulse der Zirbeldrüse im Gehirn zu. Dort hat die Seele ihren „Sitz“ und dort entstehen Affekte (Passions § 31, AT XI: 352-3).97 Bei Affekten sind also immer körperliche und seelische Zustände (kausal) miteinander verbunden. Einerseits werden Affekte in der Seele empfunden, andererseits werden sie körperlich verursacht. Affekte haben konstitutiv eine phänomenale und eine physiologische Komponente. 98 Das Problem für die Bêtes-machine-These ist nun offensichtlich. Wenn es eine konstitutive Komponente von Affekten ist, in der Seele empfunden zu werden, wie können unbeseelte Tiere dann Affekte wie Furcht, Hoffnung oder Freude haben?99 Offenbar gar nicht. Ebenso steht es mit den appetitiven Empfindungen: „Denn jene Empfindungen [sensus] von Hunger, Durst, Schmerz usw. sind sicherlich nur besondere, verworrene Modi der Kognition [cogitandi modi], die aus der Vereinigung [unione] und gleichsam Vermischung [permixtione] des Geistes [mentis] mit dem Körper hervorgehen.“ (Meditation vi, AT VII: 81)
Nicht nur die Freude des Hündchens kann kein Affekt sein (gegeben Descartes’ Bestimmung der Affekte), auch sein Hunger kann kein Appetit sein. Denn diese (innere) Empfindung existiert ebenfalls nur als Resultat der Leib-Seele-Einheit, die das Hündchen als Tiermaschine nicht ist.100 55. Tierwahrnehmungen Sieht es bei den Wahrnehmungen besser aus? Betrachten wir die aussagekräftige und vielbeachtete Stelle, an der Descartes trennscharf drei Ebenen der Sinneswahrnehmung unterscheidet (Entgegnung vi AT VIII: 436 ff., AT IX: 236 ff.). 1. Äußere Objekte wirken kausal auf die Sinnesorgane ein. Es geht (auch 97
Affekte können auch indirekt von der Seele verursacht werden (Principia iv 190, AT VIII: 316-8). Doch diese Art der Verursachung kommt in unserem Zusammenhang selbstredend nicht in Betracht. 98 James 1997: Kap. 5; Perler 2000. 99 Vgl. die Definitionen dieser drei Affekte in Passions §§ 91, 165 (AT XI: 396-7, 456). 100 Hoffman 1990 rückt in einer revisionistischen Interpretation der Leib-Seele-Interaktion Descartes näher an das Form-Materie-Modell des Aristotelismus und damit die Ansichten zurecht, dass die Empfindung „is moved to the side of the mental or immaterial (Hoffman 1990: 310). Das Resultat aber lautet, dass Empfindungen ein intermediärer Zustand sind: „So there is a clear sense in which the founder of our modern concepts of the mental and the physical retains the Aristotelian view that sensations, appetites, emotions, and the ideas of the imagination occupy an intermediate state between the immaterial or mental and the material or physical.“ (Hoffman 1990: 331) Tatsächlich sind Empfindungen nichts ausschließlich Seelisches, aber ausschließlich Seeleninhaber können Empfindungen haben.
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hier) um die Bewegungen (mouvemens) der Sinnesorgane, der Nerven und des kognitiven Zentralorgans. Zum Beispiel bricht ein Objekt Lichtstrahlen. Diese werden auf unsere Netzhaut geworfen und vom Auge her leiten die Nervenstränge entsprechende Impulse zum Hirn, wo sie in einer Art Wahrnehmungsmuster ankommen. 2. Nun kommt der Geist ins Spiel. Es ergibt sich ein Zusammenspiel aufgrund der engen Beziehung zwischen dem Geist und dem kognitiven Zentralorgan. Hier wird der Geist von den inneren Bewegungen affiziert.101 Descartes verweist auf die Einheit und die Vermischung von Körper und Geist, die er in der Meditation vi hervorgehoben hat (AT VII: 81, 86). An dieser Schnittstelle entstehen Wahrnehmungsempfindungen. Um das auf der ersten Ebene begonnene Beispiel wieder aufzunehmen, auf dieser zweiten Ebene nehmen wir etwa das Objekt mit einer bestimmten Farbe wahr. Farben, Gerüche oder Geschmäcke existieren im Denken, wie Descartes manchmal überspitzt sagt (Erwiderung vi, AT VII: 440), aber sie existieren nicht durch den Geist allein. Bisweilen siedelt Descartes die Empfindungen freilich nicht an der Schnittstelle von Körper und Seele an, sondern schreibt sie ganz und gar dem Geist zu: „Ie n’explique pas sans ame le sentiment de la douleur; car, selon moy, la douleur n’est que dans l’entendement; mais i’explique tous les mouvemens exterieurs qui accompagnent en nous ce sentiment, lesquels seuls se trouvent aux bestes, & non la douleur proprement dite.“ (Mersenne 11.06.1640, AT III: 85)
Auch wenn es so klingt, als würde Descartes die Schmerzempfindung (sentiment de la douleur) ganz dem Geist (entendement) oder der Seele (ame) zuschreiben, täuscht der Ton des Briefs. Descartes sagt: Die Schmerzempfindung ist nicht zu haben ohne Geist. Die körperlichen Ursachen begleiten diese Empfindung (bringen sie hervor, unterhalten und verstärken sie).102 3. Erst auf der dritten Ebene ist der Geist allein aktiv. Er fällt Urteile über die äußeren Objekte. Grundlage dieser Urteile sind die ersten beiden Ebenen und die lebensgeschichtlich erworbenen Wahrnehmungsgewohnheiten. Der Geist operiert hier autonom und er hat die Möglichkeit sich von den lebensgeschichtlich erworbenen Urteilen zu distanzieren und diese zu korrigieren (das Projekt der Meditation i). Der Geist schließt beispielsweise auf die tatsächliche Farbe des Objekts, wenn er feststellt, dass er es in einer Beleuchtung wahrnimmt, die seine Farbe verändert.103 101 Dieser Ausdruck ist mehr als nur vage. Wie soll der (immaterielle) Geist von Körperzuständen affiziert werden? Einen Überblick zum Diskussionsstand bezüglich sinnlicher Wahrnehmung findet sich in Dauler Wilson 1999a. In unserem Zusammenhang ist allein wichtig, dass auf dieser zweiten Ebene der Körper den Geist (wie auch immer) affiziert. 102 Warum spricht denn Descartes davon, dass eine Empfindung (wie der Schmerz) nur im Verstand existiere? Descartes’ zugespitzte Formulierung verdankt sich einer Abgrenzungsbewegung gegenüber aristotelischen Ansätzen wie Perler 1998b für die Farbwahrnehmung gezeigt hat.
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Selbstverständlich haben wir mit den Tieren die erste Ebene gemeinsam, denn „in dieser Bewegung des Hirns, die wir mit den Tieren gemeinsam haben, besteht die erste Stufe des Empfindens“ (Erwiderung vi, AT VII: 437). Aber ausschließlich diese Ebene. Auf der zweiten Ebene ist bereits die Seele involviert. Auf dieser Ebene siedelt Descartes Farbempfindungen an, nennt jedoch auch andere (äußere und innere) Empfindungen wie Schmerz und Erregung, Hunger und Durst, Gerüche, Kälte und Wärme (Meditation vi. AT VII: 81). Das Zusammenspiel von Seele und Körper ist also auch für die Wahrnehmungsempfindungen konstitutiv. Wir stoßen auf ein analoges Problem wie im Fall der Affekte: Cartesische Empfindungen nehmen Bezug auf die Seele. Empfindungen sind zwar keine nur der res cogitans zugehörigen Modifikationen, aber sie sind ein Modus der Kognition (isto cogitandi modo, quem sensum appello; Meditation vi, AT VII: 74). Sie können ohne Seele nicht sein, was sie sind. Für Empfindungen konstitutiv ist sowohl ein körperlicher als auch ein seelischer Bestandteil. Im Rahmen der cartesianischen Philosophie kann das nur heißen, dass die Empfindungen als ein Resultat der Interaktion von Körper und Seele betrachtet werden müssen.104 Das kann es bei Tieren nicht geben. Denn Tiere sind Maschinen. Betrachten wir noch die dritte Ebene. Erst auf dieser Ebene entsteht die Möglichkeit eines Urteilsirrtums. Dieser ist vor allem für Empfindungen pertinent. Denn wir nehmen naturgemäß an, dass sich Hunger oder Schmerz als reale Qualitäten in bestimmten Körperteilen befinden oder dass sich Wärme als reale Qualität im Feuer, Farbe als reale Qualität auf einer Oberfläche befinde. Das ist aber für Descartes eine Täuschung, eine Projektion einer Empfindung auf die physische Umwelt. Es gibt dort keine Schmerzen, keine Hungergefühle, keine Wärmeempfindungen, keine Farbwahrnehmungen. Diesen Punkt hebt Descartes – gegen den aristotelisch-scholastischen Hylemorphismus – immer wieder hervor.105 Immer wieder insistiert er, dass es zu den großen Irrtümern gehört, den Schmerz in die schmer103 Auf der zweiten Ebene führt Descartes als Beispiel die Wahrnehmung sekundärer Qualitäten (die Farbe eines Stocks) an und auf der dritten Ebene diejenige primärer Qualitäten (Größe, Form, Entfernung des Stocks). Aus diesem Grund nehmen viele Interpreten an, die cartesische Wahrnehmungstheorie trenne die sinnliche Wahrnehmung (sensus) sekundärer von der intellektuellen Wahrnehmung (perceptio) primärer Qualitäten. Simmons 2003 zeigt jedoch, dass es diesen Ebenenschnitt von primär und sekundär bei Descartes so nicht gibt. Mit Blick auf Homme und Dioptrique wird gezeigt, dass Descartes eine Wahrnehmungstheorie entwerfe, in der Sinne und Intellekt stets zusammenarbeiten. Dies entspricht meiner Deutung. 104 Rozemond 1998: 184-91. 105 „[I]n abandoning hylemorphism and Aristotele’s forms, Descartes effected a crucial ontological shift. There is no room for intentionality within the bodily senses; indeed, as we shall see shortly, Cartesian intentionality constitutes an ontological realm of its own. [...] According to the Scholastics, intentionality requires at least a sensitive soul; but it is a feature of some corporal substances.“ (Secada 2000: 36 & 37), vgl. Perler 1997.
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zende Körperstelle zu verlegen. In den Principia i 46, (AT VIII: 22) schreibt Descartes, die Wahrnehmung des Schmerzes (perceptio doloris) sei zwar klar, aber nicht deutlich, wenn wir irrigerweise meinen, es sei im schmerzenden Körperteil etwas, das der Schmerzempfindung gleiche (in parte dolente simile sensui doloris). Wir haben zwar einen verletzten Körperteil. Doch dort ist nicht die Schmerzempfindung. Ich habe einen schmerzenden Fuß. Die Schmerzempfindung ist nicht im Fuß, sondern im Geist, zumindest existiert sie nicht ohne den Geist (la douleur n’est que dans l’entendement). Sie wäre aber nicht im Geist, hätte ich keinen Fuß und keine Verletzung daselbst und hätte ich keinen entsprechenden physiologischen Apparat und ein kognitives Zentralorgan (Zirbeldrüse), das den Schmerz weiterleitet. Was heißt das? Ungefähr das Folgende: Mein Hündchen ist in einen Nagel getreten. Er hat einen verletzten Körperteil. Aber dort ist keine Schmerzempfindung. Es ist schlicht ein Fehler anzunehmen, die Schmerzempfindung sitze in der Pfote. „Wo“ ist sie dann? Nirgends. Denn der Hund hat keinen mit seinem Körper verbundenen Geist. Da sind keine seelenlosen Empfindungen, weder bewusste noch unbewusste. 56. Kritik der These von der Desambiguierung Könnte es nicht sein, dass Descartes den Tieren Empfindungen in einem uneigentlichen Sinne zuspricht? Der entsprechende Gedankengang könnte folgende Gestalt annehmen: Wie wir gesehen haben, sagt er, dass man bei Tieren nicht vom Schmerz im eigentlichen Sinne sprechen könne (non la douleur proprement dite). Der geniale Tiermaschineningenieur des Gedankenexperiments bemerke bei den Tieren: „aucun vray sentiment, ny aucune vraye passion, comme en nous, mais seulement que ce seroient des automates, qui, estant composez par la nature, seroient incomparablement plus accomplis qu’aucun de ceux qu’il auroit fait luy-mesme auparavant.“ (Brief 1638, AT II: 41)
Entscheidend ist der Ausdruck „vray“. Tiere haben nicht im selben Sinne Empfindungen wie wir. Wir sprechen, als ob sie erregt wären, als ob sie etwas hören würden. Wir müssten korrekterweise dauernd zwischen Aussagen wie „Er fürchtetMensch X“ und „Es fürchtetTier X“ oder „Er hörtMensch X“ und „Es hörtTier X“ unterscheiden. Im ersten Fall sprechen wir über leib-seelische Zustände, im zweiten Fall aber nur über körperliche. Auf der Ebene der Sprachverwendung formuliert, sind Zuschreibungen wie „a sieht X“ oder „a ist hungrig“ zweideutig, weil sich in ihnen materielle und mentale Prozesse undeutlich und unklar verquicken. Diese Zweideutigkeit wirke sich nun insbesondere dann aus, wenn wir über Tiere reden und beispielsweise sagen, ein Tier sehe, rieche oder höre etwas, habe Schmerzen, Durst oder Hunger, empfinde Furcht oder Freude.
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Descartes konnte es jedoch nicht allein um diesen semantischen Punkt gehen. Wir sprechen über kategorial Verschiedenes und metaphysisch Geschiedenes. Nämlich über körperliche Zustände bei Tieren und über körperlich-seelische Zustände bei Menschen. Die klare Unterscheidung zwischen den körperlichen und den seelischen Anteilen von Empfindungen, die Descartes anstrebt, indem er versucht, die Empfindungsausdrücke zu desambiguieren,106 trifft auf Menschen zu. Bei Tieren gibt es hier nichts zu desambiguieren, sondern nur zu eliminieren. Hinzu kommt, dass ein Sprechen als ob kein Sprechen über die Sache ist. Wenn ich sage, dass mein Computer mich ärgert, dann spreche ich so, als ob der Computer eine Absicht hätte. Er beabsichtigt jedoch nichts. Wenn ich sage, dass Donald Duck sich über seinen geizigen Onkel ärgert, dann spreche ich, als ob Donald dies tun würde. Wenn ich sage, dass der Hundekuchen meinem Hündchen schmeckt, dann spreche ich so, als ob es eine wohlige Empfindung hätte. Es empfindet jedoch nichts. Wenn Descartes sagt, dass Empfindungen geistige-cum-körperliche Prozesse sind, stellt sich die Frage, wie Tiere empfinden können, wenn sie keine Seele haben. Da es für so etwas wie „eine Empfindung haben“ unerlässlich ist, dass eine rationale Seele vorhanden ist, haben Tiere keine Empfindungen, weil sie keine rationale Seele haben.107 Nun wird der Sinn der Bêtes-machine-These unklar. Descartes kann Empfindungen nicht ohne Rückgriff auf eine Seele erläutern. Anstelle der sensitiven Seele hat er nur noch die rationale Seele. Descartes hat zwar eine Antwort auf die Aristoteliker, was Menschen betrifft. Es gibt aber keine Empfindungen ohne Seele, auch wenn es nur die rationale Seele ist. Was Tiere betrifft hat Descartes keine Antwort auf die Frage des Aristotelikers oder Mores, wie Tiere denn ohne sensitive Seele Empfindungen haben können. 57. Kritik der Zwar-aber-These Aber vielleicht ist auch dies noch vorschnell. Können wir uns nicht einfach mit der gemeinsamen ersten der drei Ebenen der Sinneswahrnehmung zufrieden geben? Reicht das körperlich-physiologische Geschehen nicht aus für die Zuschreibung von Empfindungen? Einige Interpreten vertreten im
106 Radner & Radner 1989: 22, Morris 2000: 406, Malebranche 1974: 390-3. 107 Manche Interpreten nehmen hier eine eigenwillige Haltung ein. Stephen Gaukroger etwa meint, Automaten seien imstande zu sehen (d. h. sie perzipieren Licht), nicht inkarnierte Seelen hingegen nicht. Sein Verweis geht zu More, August 1649 (AT V: 402), dem Descartes schreibt, dass der vom Körper getrennte Geist keine Sinneswahrnehmungen im strikten Sinne habe (Gaukroger 2002: 208). Daraus folgt aber nicht, dass die Körpermaschine Sinneswahrnehmungen hat. Vielmehr hat die Leib-Seele-Einheit Sinneswahrnehmungen und andere Empfindungen. Es handelt sich um geistige-cum-körperliche Prozesse.
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Anschluss an J. Cottinghams Arbeit108 eine Zwar-aber-These: Laut Descartes haben Tiere zwar Empfindungen, aber sie haben kein Bewusstsein davon.109 Tiere haben Empfindungen, vergleichbar mit uns beim Gehen, Verdauen, sich beim Fall mit den Händen Schützen, beim Schlafwandeln. Was heißt das? Hier kann man auf folgende Stelle verweisen (Fromondus 03.10.1637, AT I: 413-4): Tiere sehen nicht wie wir. Sie sehen so, wie wenn wir Dinge tun, auf die wir nicht aufmerksam sind. Beispielsweise gehen wir, ohne darauf zu achten. Dann bewegen wir uns wie Automaten. Allerdings trägt Descartes’ Vergleich mit unseren unaufmerksamen Handlungen nicht sehr weit.110 Tiere sind nicht unaufmerksam, einerseits weil sie nicht geistesabwesend etwas tun können (kein Geist kann bei ihnen abwesend sein), andererseits weil sie durchaus Objekte mit einiger Aufmerksamkeit verfolgen. Zudem ist nicht klar, was es heißt, dass Tiere unaufmerksam sehen (oder unaufmerksam Schmerz empfinden), so wie wir geistesabwesend eine Straße entlang schlendern. Da wir eine rationale Seele haben, können wir uns unserer Zustände bewusst sein. Nicht die Tiere. Betrachten wir die Zwar-aber-These von einer anderen Seite. Sie besteht aus zwei Teilen. Das kognitive Zentralorgan reicht zwar für Empfindungen. Das Bewusstsein dieser Empfindungen fehlt aber. Um der These Plausibilität verleihen zu können, müsste man zeigen, dass Descartes eine Schmerzempfindung auf ungefähr folgende Weise erklärt. Verletzungen (zum Beispiel meines Fußes) kommen aufgrund physiologischer Bewegungen (mouvemens) im kognitiven Zentralorgan in der Form von Schmerzempfindungen an. Bis dahin sind sie unbewusst. Wenn die Seele diese Schmerzempfindungen sozusagen betrachtet, wird der Schmerz bewusst. Trifft dies für Descartes zu? Betrachten wir nochmals den Schmerz. Den körperlichen Vorgang einer Schmerzempfindung beschreibt Descartes wie folgt: Infolge einer gewaltsamen äußeren Einwirkung auf meinen Fuß werden die Nervenverbindungen zum kognitiven Zentrum (Zirbeldrüse) so stark beansprucht, dass ihre Ansatzstellen im Hirn reißen. Dieser buchstäbliche Hirnriss bringt die Seele dazu eine Schmerzempfindung (sentiment de la douleur) zu haben (Homme, AT XI: 142-4; vgl. Principia iv 191, AT VIII: 318). Auf meinen Fuß wirken äußere Bewegungen ein und diese verursachen (übermittelt durch Lebensgeister) innere Bewegungen. Es leuchtet nun nicht ein, weshalb man von einer Schmerzempfindung sprechen sollte, bevor die Seele auf sie aufmerkt. Der Geist ist sich nicht reflexiv einer Schmerzempfindung im kognitiven Zentralorgan bewusst und mittelbar einer Verletzung im Fuß. Er nimmt unmittelbar einen Schmerz im Fuß zur Kenntnis. 108 Cottingham 1978. 109 Kemmerling 1996: 157 ff., Gaukroger 2002: 203, Clarke 2003: 74-5. 110 Radner & Radner 1989: 64-5.
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„Werden z. B. die Nerven des Fußes heftig und in ungewohnter Weise erregt, so pflanzt sich diese Erregung durch das Rückenmark bis ins Innere des Gehirns fort und gibt dort dem Geist das Zeichen zu einer Empfindung [ibi menti signum dat ad aliquid sentiendum], nämlich zu einer im Fuß lokalisierten Existenz des Schmerzes.“ (Meditation vi, AT VII: 88)
Der Geist merkt unwillkürlich auf einen Schmerz im Fuß. Der physiologisch vermittelte Impuls ist ein Zeichen für den Schmerz im Fuß. Das Zeichen ist nicht das Objekt der Aufmerksamkeit der Seele. Natürlich zeige – so Descartes – die Analyse, dass im Fuß kein Schmerz sei, sondern nur der kausale Anlass einer Schmerzempfindung. Die Schmerzempfindung ist dennoch kein Ergebnis einer höherstufigen Kognition auf die eigenen internen cerebralen Zustände. Wie wir sehen konnten, äußert sich Descartes in aller Deutlichkeit Mersenne gegenüber: „Ie n’explique pas sans ame le sentiment de la douleur; car, selon moy, la douleur n’est que dans l’entendement“ (Mersenne 11.06.1640, AT III: 85). Die Schmerzempfindung ist ein Zustand der Seele (insofern sie mit einem Körper verbunden ist). Descartes erklärt, dass es natürlich ein großer Vorteil sei, wenn der Geist die Schmerzempfindung naturgemäß (aber fälschlicherweise) im Fuß lokalisiert. Nur so kann der Geist angemessen auf eine Verletzung reagieren. Andererseits muss der Schmerz den Geist direkt affizieren. Säße der Geist in seinem Körper wie ein Kapitän in seinem Schiff, würde er den Schmerz rein geistig wahrnehmen. Die Seele muss aufs engste mit dem Körper verbunden sein, damit sie die Verletzung des Körpers etwas angeht und entsprechende Maßnahmen einleiten kann. So unangenehm sie sein mögen, dazu sind Schmerzen da (Meditation vi, AT VII: 81, 86-8). Betrachten wir die Zwar-aber-These noch von einer letzten anderen Seite. In der Meditation vi kommt Descartes auf die Corps-machine-These zu sprechen: „So kann ich auch den menschlichen Körper als eine Art Maschine ansehen, die aus Knochen, Nerven, Muskeln, Adern, Blut und Haut zusammengepasst ist und auch geistlos all die Bewegungen ausführt, wie sie jetzt unwillkürlich, also ohne den Geist ablaufen. Dann ist leicht ersichtlich, dass der menschliche Körper, wenn er beispielsweise von der Wassersucht befallen ist, natürlicherweise eben jene Trockenheit der Kehle erleidet [pati], die dem Geist gewöhnlich eine Durstempfindung eingibt [lat. inferre]/anzeigt [frz. signifier] und die Nerven sowie die anderen Körperteile so beeinflusst, dass jener Mensch den Trank nimmt, der die Krankheit steigert, gleichwie er ohne ein solches Gebrechen durch eine ähnliche Trockenheit der Kehle dazu gebracht würde, einen nützlichen Trank zu sich zu nehmen.“ (AT VII: 84)
Bezogen auf die drei Ebenen der Empfindung bedeutet dies: Die Trockenheit der Kehle entspricht der Ebene I. Das Erleiden ist hier nur physiologisch. Die Durstempfindung entspricht der Ebene II. Der Trockenzustand
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der Kehle gibt dem Geist die Durstempfindung ein.111 Die Ebene III kommt beim Wassersüchtigen nicht wirklich zum Zug. Das (in diesem Falle fatale Fehl-) Urteil, Wasser zu trinken, ist tatsächlich kein Urteil. Der Kranke folgt hier unbedacht einer lebensgeschichtlichen Disposition. Er tut dies alles „ohne den Geist“. Die Prozesse laufen „geistlos“ ab. Das bedeutet jedoch nicht, dass der Kranke die Empfindung hätte ohne eine Seele zu haben. Der Geist-lose Verlauf des ganzen Prozesses bezieht sich in erster Linie auf die dritten Ebene. Der Kranke greift nicht reflektiert in den Prozess ein. Dass der Geist diesen Prozess auch noch empfindend zur Kenntnis nimmt, ist für den ganzen Verlauf unmaßgeblich. Er könnte ebenso gut ohne Empfindung ablaufen. Genau darauf läuft es hinaus, obwohl Descartes Tiere als empfindungsfähige Maschinen beschreiben möchte. Die Zwar-aber-These läuft auf die inkonsistente Behauptung hinaus, Tiere hätten Schmerzen, würden aber nichts davon merken. Auch von dieser Seite her betrachtet zeigt sich dasselbe: Descartes vertritt keineswegs die These, dass cerebrale Empfindungsrepräsentationen bewusst werden, wenn sie von höher-stufigen Kognitionen betrachtet werden.112 Die Zwar-aber-These versucht gleichsam jene durch Cottingham belassene Zweideutigkeit von „Empfindung“/„Bewusstsein“ zu beseitigen, indem sie Empfindung und Bewusstsein trennt. Jene Zweideutigkeit kann aber als Ausdruck des Widerspruchs zwischen dem Beweisziel der Bêtes-machine-These und der weit offenen anthropologischen Differenz betrachtet werden: Descartes möchte behaupten, dass Tiere empfindungsfähige Maschinen sind. Er kann es aber nach seiner eigener Maßgabe nicht.113 Sowohl im Falle der inneren als auch im Falle der äußeren Empfindungen kann Descartes nicht behaupten, dass Tiere empfindungsfähige Wesen sind. Ihnen fehlt die Zutat der rationalen Seele.114 Dies zeigt sich auf der Ebene II, 111 Zumindest in der lateinischen Fassung. In der französischen Fassung zeigt (signifier) der Trockenzustand der Kehle die Durstempfindung an. Gemäss meiner Interpretation muss die lateinische Fassung korrekt sein. Die Empfindung entsteht nicht ohne Geist. Angezeigt wird nicht eine Empfindung, sondern eine körperliche Ursache. Zwar schreibt Descartes an anderer Stelle auch in der lateinischen Fassung, die erste Ebene gebe „dem Geist das Zeichen zu einer Empfindung [ad aliquid sentiendum]“. Aber wie wir gesehen haben, spricht Descartes hier von einer vorteilhaften Einrichtung, die den Schmerz im Fuß anzeigt. Tatsächlich entsteht der Schmerz aber als Empfindung im Geist (wenn auch nicht ohne Körper). 112 Dies ist im Gegenteil eine These, die Descartes ablehnt und die beispielsweise Gassendi vertritt, vgl. Michael & Michael 1989a & 1989b. 113 Pace Clarke 2003: 76: „Given the three degrees of sensation that were distinguished in the Meditations, it is impossible for Descartes to deny sensation to animals.“ Umgekehrt! Gegeben die drei Ebenen der Empfindung ist es für Descartes unmöglich den Tieren Empfindun gen zuzuschreiben. 114 Dass Empfindungen aller Art mit der (rationalen) Seele verbunden sind, kann sehr schön in Homme verfolgt werden. Zwar geht Descartes in diesem Werk von der Fiktion einer bloßen Körpermaschine aus, die uns Menschen gleicht. Er weist aber darauf hin, dass, „quand Dieu unira une Ame Raisonnable à cette machine“, dann werde diese Seele durch die physiologi-
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auf der die Seele bereits konstitutiv mitwirkt. Es zeigt sich auf der Ebene III, auf der die Empfindung antiaristotelisch gleichsam aus dem Körper gezogen wird. Für cartesische Empfindungen gilt der pathetische Ausruf: Nur über meine Seele! 58. Die Selbsterhaltungsfunktion bei Leib-Seele-Einheiten Empfindungen werden von Descartes nicht nur kausal, sondern auch funktional erklärt.115 Sinneswahrnehmungen, Appetite und Affekte dienen der Selbsterhaltung. Das ist eine der zentralen Thesen in Meditation vi. Was geschieht, wenn der Geist einen im Fuß lokalisierten Schmerz empfangen hat (ihn empfindet)? „Dadurch wird nun der Geist veranlasst, die Ursache des Schmerzes als etwas dem Fuß Schädliches nach Kräften zu beseitigen. Gott hätte aber der menschlichen Natur [verò natura hominis] auch [eine andere Konstitution geben können]. Aber keine andere wäre der Erhaltung des Körpers [corporis conservationem] gleichermaßen nützlich gewesen.“ (AT VII: 88)
Der Geist fällt unverzüglich ein Urteil über die (distale) Ursache der Schmerzempfindung. Das entsprechende Verhalten dient der Selbsterhaltung. Die Sinnesmodalitäten sind eine wichtige Basis für selbsterhaltendes Verhalten. Sie sind uns von der Natur gegeben, „um dem Geist anzuzeigen [ad menti significandum], was dem Zusammengesetzten [composito], dessen Teil er ist, zuträglich oder nicht zuträglich ist“ (Meditation vi, AT schen Prozesse, die im Hirn terminieren, affektiert und „elle aura divers sentimens“ (AT XI: 143). Auf den folgenden Seiten wiederholt sich leitmotivisch die Formel, ein bestimmter physiologischer Prozess „donnera occasion à l’ame de sentir“ (AT XI: 144) „douleur“, „chatoüillement“, „humidité“, „secheresse“, „pesanteur“ (AT XI: 144-5), „des sons“ (AT XI: 149), „les differences des couleurs“ (AT XI: 158), „sentir la situation, la figure, la distance, la grandeur, & autres semblables qualitez“ (AT XI: 159), „faim“ (AT XI: 163), „soif“ (AT XI: 164) oder „ioye“, „tristesse“ (AT XI: 165). Stets ist die Seele Subjekt der Empfindung. Die ausführliche Darlegung der physiologischen Voraussetzungen dieser Empfindungen – „qualitez“ und „passions“ – werden schließlich unter Wiederholung des Leitmotivs zusammengefasst (AT XI: 176). Bisweilen hat es den Anschein, als spräche Descartes so von den physiologischen Prozessen, die einer Farbempfindung zugrunde liegen, dass diese Prozesse selbst als Empfindung verstanden werden können. Doch die Formulierung „pour faire sentir la couleur rouge“ (AT XI: 191, meine Hervorhebung) rückt solche Passagen kohärent wieder in die leitmotivische Reihe ein. 115 Entgegen einem verbreiteten Vorurteil verbannt Descartes das teleologische Denken nicht aus seiner Philosophie. Descartes verbannt interne Zwecke aus bestimmten Bereichen, beispielsweise aus der Physik: Der Stein fällt nicht zur Erde, weil er zum Mittelpunkt des Universums als seinem natürlichen Ort hinstrebt. Descartes verbannt weiter die Interpretation teleologischer Funktionen als Finalursachen. Ursachen sind materielle Wirkursachen. Aber er behält teleologische Funktionen als Erklärungsansätze bei. Maschinen haben Funktion (Hatfield 1992: 361) und sie sind zu Zwecken gebaut. Aber Maschinen haben keine internen Zwecke.
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VII: 83). So erläutert Descartes etwa, dass der Geschmack über die Zunge und deren Poren empfangen wird. Je nach Größe und Form der als Nahrung aufgenommenen Materieteilchen werden andere Poren penetriert, andere Lebensgeister und Nervenstränge in Bewegung gesetzt. Die in der Seele hervorgerufene Geschmacksempfindung informiert diese darüber, ob die gerade zerkaute Nahrung der Verfassung des Magens angemessen ist oder nicht (Homme, AT XI: 146-7). Die Sinnesmodalität informiert die Seele also über das dem Körper Nützliche und Schädliche. Affekten und Appetiten kommt die praktische Funktion zu, die Seele dazu zu disponieren, im Erstreben des Nützlichen und in der Vermeidung des Schädlichen auch zu verharren (Passions §§ 40, 52, AT XI: 359, 372). Wiederum geht es um Anzeigen an den Geist, bzw. an die Seele: Die Sinneswahrnehmungen bedeuten dem Geist etwas (ad menti significandum) oder machen einen Eindruck auf den Geist (fait une impression à l’esprit), die Affekte disponieren die Seele zu etwas (disposent l’ame). In einer kurzen Passage führt Descartes den kausalen und den teleologischen Aspekt der Empfindungen (für die Sinneswahrnehmungen) zusammen: „Es genügt, wenn wir uns vor Augen führen, dass die Wahrnehmungsempfindungen nur jener Verbindung des menschlichen Körpers mit dem Geist zukommen und dass sie uns normalerweise eröffnet, welche äußeren Körper ihr nützen oder schaden.“ (Principia ii 3, AT VIII: 41)116
Es macht den Anschein, als ob die Selbsterhaltungsfunktion solcher biologischer Systeme wie die Wahrnehmungsmodalitäten oder die Appetite und Affekte ebenso wenig wie die Empfindungen ohne die Verbindung des Körpers zum Geist verstanden werden kann. Wenn die Empfindungen nicht ohne meine Seele sind, was sie sind, können sie auch die Selbsterhaltungsfunktion für mich nur in dieser Art erfüllen. Wie bei der (kausalen) Entstehung der Empfindungen ist bei ihrer (teleologischen) Funktion die Verbindung von Körper und Geist entscheidend. Der Zweck der biologischen Systeme ist die Erhaltung der Verbindung von Körper und Seele, nicht die Erhaltung des Körpers selbst. Es geht um die Erhaltung eines Körpers, insofern er beseelter Körper ist. Die Seele muss sozusagen über ihr materielles Vehikel informiert werden und dadurch um die Aufrechterhaltung der Verbindung bemüht sein. Das hat A. Simmons klar erkannt: „Considered by itself, the body may be just a blind machine. Once it is united with a mind, it becomes for Descartes a machine with a purpose: to provide a home for the mind. At the same time, the bodily organs and the modes of the mind that arise from this union are means for maintaining whatever is bodily required for the continued presence of the soul.“ (Simmons 2001: 63) 117 116 „Satis erit, si advertamus sensuum perceptiones non referri, nisi ad istam corporis humani cum mente conjunctionem, & nobis quidem ordinariè exhibere, quid ad illam externa cor-
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Worauf bezieht sich die Selbsterhaltung der Tiere? Offenbar nicht auf die Erhaltung der Leib-Seele-Einheit. Demzufolge müssten Tierkörper blinde Maschinen ohne Zweck sein. Dem widerspricht aber, dass Tiere allgemein (ebenso wie Menschen) Schädliches meiden und Nützliches erstreben.118 Man kann freilich darauf hinweisen, dass der Körper auch ohne den Geist und seine Beurteilung der Sachlage dazu eingerichtet ist, zu fliehen, was Schmerz verursacht, und zu suchen, was Lust bereitet (Meditation vi, AT VII: 82). Eine bestimmte Schmerzempfindung in der Hand hat automatisch zur Folge, dass die Hand zurückgezogen wird. Dies entspricht einer direkten Relation von Input und Output, einem Reiz-Reaktions-Mechanismus. Etwas in dieser Art spielt sich bei Tieren ab. Die biologischen Systeme von Tieren erhalten so lange als möglich eine Körpermaschine. Aber die Selbsterhaltungsfunktion ihrer biologischen Systeme ist von der Funktion unserer biologischen Systeme verschieden, denn im ersten Fall wird eine Körpermaschine erhalten und im zweiten eine Leib-Seele-Einheit. Mit der Seele findet sich der Zweck der Selbsterhaltung im Unterschied zu anderen Tieren in den Menschenkörpern. Der Unterschied ist kategorial und metaphysisch. Die einzelnen biologischen Systeme bei Tieren und Menschen haben nicht dieselbe Funktion. Woher stammt die Maßgabe der Selbsterhaltung bei Tieren? 59. Die Selbsterhaltung bei Tiermaschinen Maschinen werden zu einem bestimmten Zweck entworfen und gebaut (Principia iv, 201, AT VIII: 326). Mein Digitalwecker beispielsweise ist eine kleine, leistungsfähige Maschine. Er piepst morgens zu der von mir gewünschten Zeit. Ich weiß über die internen Mechanismen nicht Bescheid, die meinen Wecker dazu bringen zu dieser Zeit zu piepsen. Aber ich weiß, dass der Wecker so gebaut worden ist, dass er bei angemessener Bedienung pora prodesse possint aut nocere [...]“ 117 Das hat der deutsche Übersetzer der Principia leider nicht so klar erkannt. Er übersetzt Principia ii 3 so, dass sich die Selbsterhaltung auf den Körper (corporis) und nicht auf die Verbindung bezieht (istam conjunctionem). Dabei hätte der Marginaltitel des Paragraphen die Sache klar gemacht: „Sensuum perceptiones, non quid revera sit in rebus, sed quid humano composito prosit vel obsit, docere.“ (AT VII: 41) Ähnlich argumentiertauch Shapiro 2003, dass die Assoziierung von Leib und Seele bei Descartes eine teleologische Erklärung haben müsse. Sie bestehe zum Zweck der „promotion of the human good“ (Shapiro 2003: 211). Eine solche Teleologie kann es bei Tieren freilich nicht geben. 118 Der Cartesianer Géraud de Cordemoy weist im Discours de la parole physique (1677) sogar darauf hin, dass sämtliche Verhaltensweisen der Tiermaschinen auf die Selbsterhaltung ausgerichtet seien. Die Verhaltensweisen der Menschen hingegen vermögen selbstlos zu sein. Das sei ein deutliches Anzeichen für das Vorhandensein eines vom Körper zu unterscheidenden Geistes, vgl. Cordemoy 1970: 6-7.
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zur gewünschten Zeit piepst. Das ist seine Funktion. Warum aber funktioniert die Tiermaschine so, wie sie nun einmal funktioniert? Warum reagiert mein Hündchen auf den Hundekuchen mit Hunger, Freude und Zuschnappen? Weshalb meiden Tiere allgemein, was ihnen schadet und suchen, was ihnen nützt? Die teleologische Funktion unserer biologischen Systeme hat ein internes Prinzip, die (mit dem Leib verbundene) Seele. Da Descartes innerhalb der Physik und damit für die Corps-machine-These interne Prinzipien ablehnt, muss die teleologische Funktion der Empfindungen bei Tieren von außerhalb kommen. Woher? Wie wir zu Beginn dieses Kapitels gesehen haben, besteht für Descartes der Unterschied zwischen einer Naturtaube und einer Kunsttaube darin, dass die lebendige Taube von Gott hergestellt wurde, einem unendlich weiseren Mechaniker als Archytas. Descartes muss im Rahmen der Bêtes-machine-These auf Gott zurückzugreifen, der die Tiere nun einmal so geschaffen hat (Brief 27.05.1630, AT I: 153-4). Warum genau muss Descartes auf Gott zurückgreifen?119 Maschinen erledigen in vorhersehbarer Art und Weise bestimmte Aufgaben. Tiermaschinen „wissen“ stets, was zu „tun“ ist. Die internen Mechanismen der Tiermaschinen sind von Gott so eingestellt, dass Tiere normalerweise das Nützliche suchen und das Schädliche fliehen. Treffen z. B. die durch einen Wolf zurückgeworfenen Lichtstrahlen auf die Augen eines Lamms, wird das Wahrnehmungsmuster an das kognitive Zentrum weitergeleitet und die Veränderungen im Hirn veranlassen die Lebensgeister zu einer bestimmten Bewegung, die wiederum die Fluchtbewegungen des Lamms auslöst. Korrekterweise darf man nicht behaupten, das Lamm würde vor dem Wolf fliehen. Es kennt keine distale Ursache seines Verhaltens. Vielmehr wird dieses Verhalten proximal ausgelöst. Arnauld erscheint diese Erklärung wunderlich, weil sie ohne aktives Zutun einer Seele auskommen möchte (Einwand iv, AT VII: 205). Descartes antwortet mit einem Vergleich (Erwiderung iv, AT VII: 229-30). Fallende schützen mit ihren Händen unwillkürlich ihren Kopf. Ohne Überlegung (ohne Zutun einer Seele) greift hier ein reflexartiger Schutzmechanismus. Wenn wir dies nicht verwunderlich finden, warum finden wir dies im Falle des Lamms verwunderlich? Nun, das Verwunderliche ist die funktionale Einpassung der Tiermaschinen in ihre komplexe Umwelt. Das sollten wir, so Descartes, jedoch nicht wunderlich finden, wenn wir an den Ingenieur der Maschinen denken. Gott hat die Maschinen 119 Mumford 1977 oder Sutter 1988 betrachten Descartes’ Rückgriff auf den Schöpfer als eine Art uneingestandener Teleologie contre coeur. Meines Erachtens findet sich nichts Kryptotelelogisches daran, denn Descartes gesteht ohne Weiteres zu, dass Gott der Schöpfer der Maschinen ist und Zwecke setzt. Was Descartes vehement bestreitet, ist die Existenz interner teleologischer Zwecke in der unbeseelten Natur. Gaukroger 2002: 191 unterscheidet richtig zwischen intrinsischen zielgerichteten Prozessen (die Descartes ablehnt) und extrinsischen zielgerichteten Prozessen. Diese werden alleine von Gott bewirkt. Ebenso – dies übersieht Gaukroger – setzt der mit einer rationalen Seele ausgestattete Mensch Zwecke.
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nicht einfach mehr oder minder komplex gebaut. Vielmehr hat Gott sie einem Bauplan gemäss erschaffen, der jeden möglichen Reaktionstyp für die Umwelt der Maschine enthält. Tiere kommen als Gattungswesen fix und fertig zur Welt. Die funktionale Disposition ihres Körpers enthält alles, was das Tier braucht, um sich in seiner Umwelt zurecht zu finden. Nicht nur das Lebensprinzip, auch die göttliche Umwelteinpassung unterscheidet künstliche von lebendigen Maschinen. 120 60. Eine Cartesische Erklärung für Alarmverhalten bei Meerkatzen Betrachten wir ein bekanntes Beispiel aus der gegenwärtigen Affenforschung und eine cartesische Erklärung dafür. Cheney & Seyfarth (1994) haben festgestellt, dass Grüne Meerkatzen (eine Spezies von ostafrikanischen Altweltaffen) über mindestens drei deutlich unterschiedene Alarmrufe verfügen: einen Ruf für Leoparden, einen für Adler und einen für Schlangen. Diese Rufe lösen bei den Affen überlebensdienliche Reaktionen aus. Beim Leopardenruf flüchten die Meerkatzen auf die Bäume, beim Adlerruf gucken sie in die Luft und verschwinden in Büschen, beim Schlangenruf stellen sie sich auf die Hinterbeine und verfolgen die Bewegungen der Schlange. Wie würde nun Descartes diese Beobachtungen erklären? Etwa so: Eine Meerkatze ist physiologisch so disponiert, dass sie auf drei Klassen von Stimuli als Reaktion drei Arten von Lauten produziert. Wenn beispielsweise ein Leopardenbild im Sehorgan der Meerkatze entsteht, werden diese Außenreizungen an die Nerven weitergeleitet, die bestimmte Regionen des Gehirns aktivieren. Dort kommt ein Leopardenmuster an. Übermittler dieses Musters sind die Lebensgeister. Diese verursachen weitere Bewegungen, die sowohl eine Lautäußerung veranlassen als auch bestimmte Bewegungsorgane in Betrieb setzen. Die Wirkung des Leopardenrufs auf andere Meerkat120 Oksenberg Rorty 1992 vertritt die Ansicht, dass Descartes zwischen einem Informationssystem und dem Erhaltungssystem unterscheide. Vermutlich meint sie mit ersterem die Sinnesmodalitäten und mit letzterem die Affekte. Mir leuchtet diese Unterscheidung nicht ein, zumal die Sinnesmodalitäten direkte Selbsterhaltungsfunktionen ausüben können. Die These einer Interdependenz der beiden Systeme ist denn auch wenig überraschend. (Oksenberg Rorty 1992: 382) Sie unternimmt darüberhinaus den Versuch einer Formulierung der methodologischen Regel zur Auffindung eines Körpers, der als normatives Modell für die Corpsmachine-These dienen könnte: „Find a healthy body type and you’ll find a reliable perceiver; analyse the perceptual system of a healthy perceiver and you have the ground for the reliability of any perceptual system that stands in lawlike relation to the model.“ (Oksenberg Rorty 1992: 377) Der Vorschlag ist gelinde gesagt zirkulär. Behält man die Bêtes-machineThese im Hinterkopf, dann wird ihr Formulierungsvorschlag für die methodologische Regel vollends bizarr: „ Find a sound body and you’ll be likely to find a sound mind“ (Oksenberg Rorty 1992: 389). Triffst du auf einen gesunden Tierkörper, wirst du nicht einen gesunden, sondern keinen Geist finden.
III. Empfindsame Maschinen?
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zen ist analog, nur dass der akustische Leopardenruf die Funktion des visuellen Leopardenbilds als Stimulus übernimmt. Tatsächlich wurden bis in die 70er Jahre des 20. Jahrhunderts Affenlaute als unwillkürlich und indexikalisch betrachtet.121 Die Rufe entspringen einem unwillkürlichen, d. h. unflexiblen und angeborenen Reflex. Der einzelne Affe muss hier nichts lernen oder sonst eine kognitive Leistung erbringen. Diese Art von Rufen ist ihm angeboren und mit bestimmten Reizen fest „verdrahtet“. Zweitens geben die Rufe nur Auskunft über einen affektiven Zustand des Rufers. Es handelt sich um unmittelbare Äußerungen einer inneren Erregung (oder Bewegung). Auch Descartes würde sagen, dass den Affen beim Anblick eines Leoparden Furcht erfasst. Der anschließende Alarmruf bezieht sich jedoch nicht auf den Leoparden, sondern er ist Wirkung einer auf bestimmte Art und Weise erzeugten Affektbewegung. Dass die Rufe der Meerkatzen willkürlich sind bedeutet, dass sie von diesen Affen als eingeborene Verhaltensdisposition mitgebracht werden. Darunter ist nun nicht nur die schwache These zu verstehen, dass Meerkatzen dazu neigen, Alarmrufe auszustoßen, sondern die starke These, dass die einzelnen Ruftypen (etwa der Leopardenruf ) mit einzelnen Wahrnehmungsmustern (etwa dem physiologischen Leopardenmuster) dispositional verbunden sind: Eine Wahrnehmung vom Typ Leopard zieht unwillkürklich den Ruf vom Typ Leopardenalarm nach sich. Die Indexikalität des Rufes garantiert die interne Verbindung von Reiz und Reaktion. Streng genommen reagiert der einzelne Affe nicht auf einen (distalen) Reiz (den Leoparden) in seiner Umwelt, sondern auf einen inneren (proximalen) Zustand. Diese Affen können nicht anders, als auszurufen, wenn sich ein entsprechender Zustand einstellt. Wie es Descartes an anderer Stelle in Beziehung auf menschliche Reflexhandlungen ausdrückt: Die Alarmrufe der einzelnen Meerkatzen ereignen sich im Affen, nicht durch den Affen (Brief März 1638, AT II: 36). Die Grünen Meerkatzen sind als Spezies von Gott so angefertigt, dass sie selbsterhaltungsfunktional auf Leoparden in ihrer Umwelt reagieren. Descartes ist sich sicher, dass im Falle der Tiere den Einzellebewesen keine besonderen Zwecke zukommen, sondern nur „tout collectivité“ (Mersenne 27.05.1630, AT I: 154). Diese Spezies hat ihre Alarmrufe ebenso wenig erlernt wie die einzelne Meerkatze. Das Lernen und die Selbsterhaltung betreffen die Relation zwischen der Tiermaschine und ihrer externen Umwelt. Was lernen Tiermaschinen und wie steht es mit der Selbsterhaltungsfunktion ihrer internen Abläufe? Sie wird laut Descartes von Gott zum voraus eingestellt. Demzufolge brauchen Tiere als gottgefertigte Tiermaschinen, wie es scheint, nichts zu lernen. Ich werde auf diese kontraintuitive Implikation der Bêtes-machine-These zurückkommen (Abschn. 70).
121 Cheney & Seyfarth 1994: 136-41.
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IV. Für den mentalistischen Rationalismus 61. Zwei Unterscheidungsinstrumente: Sprechen und Handeln A. Espinas hat Descartes’ anthropologische Differenz, überspitzt zwar, aber der Intention nach treffend, als „le point de départ de toute sa construction philosophique“ bezeichnet.122 Descartes setzt die anthropologische Differenz stark an. Sie findet sich nicht nur zwischen Mensch und Tier, sondern auch im Menschen selber. Denn der Mensch als Körper unterscheidet sich klar und deutlich von der rationalen Seele (Meditation vi, AT VII: 78). Die hier vorgeschlagene Betrachtungsweise möchte nahelegen, dass die strikte cartesische Leib-Seele-Unterscheidung dasselbe ist, wie die anthropologische Differenz der Bêtes-machine-These. Die folgende Überlegung kann diese Betrachtungsweise stützen und damit das Gewicht der anthropologischen Differenz für Descartes deutlich machen.123 Der Titel der Meditationen nennt als ein Beweisziel die Unterscheidung der menschlichen Seele vom Körper. In den Meditationen wird das metaphysische Argument für die Leib-Seele-Unterscheidung dargelegt. Es existiert freilich auch ein naturphilosophisches Argument.124 Descartes bringt darin zwei Instrumente (moyens) in Anschlag, die es erlauben sollen, zwischen einem bloßen menschlichen Körper und einem richtigen Menschen – einem „vray homme“ (Discours v, AT VI: 59) – zu unterscheiden. Mit einem bloßen menschlichen Körper ist hier nicht eine Leiche gemeint, sondern ein Automat, der wie ein Mensch aussieht, sich wie ein Mensch bewegt, reagiert und sogar spricht.125 1. Das erste Unterscheidungsinstrument beachtet sprachliche Äußerungen. Erstens wird gefragt, ob ein Automat Worte und Zeichen situationsgerecht und flexibel verwenden kann. Descartes stellt fest, dass noch so raffiniert gebaute Automaten (im Gegensatz zu rationalen Sprechern) 122 123 124 125
Espinas 1925: 49n. Wild 2003. Beckermann 1986: 27-34 & 1999: 29-37. In der zeitgenössischen Philosophie des Geistes wird bisweilen von „Zombies“ gesprochen. Zombies unterscheiden sich in ihrem Verhalten in nichts von normalen Menschen. Sie haben sogar dieselben funktionalen Zustände wie wir, und das heißt gemäß einer funktionalistischen Theorie des Geistes, dass sie intentionale Zustände haben, diese miteinander ver knüpfen usw. Alles, was ihnen fehlt, ist das phänomenale Bewusstsein. Sie haben sozusa gen einen Geist, in dem das Licht aus ist. Zombies stellen eine metaphysische Möglichkeit dar. Sie werden als argumentative gegen reduktive Erklärungen des phänomenalen Bewusstseins verwendet. Descartes kann es darum nicht zu tun sein. Ihm geht es nicht um die Ablösbarkeit des Bewusstseins von Denkzuständen, sondern um die Ablösbarkeit des Geistes (d.h. der Seele) vom Körper. Dieser Vergleich zwischen Descartes’ Maschinenmenschen und den Zombies ist ein weiterer Beleg, dass das phänomenale Bewusstsein für Descartes kein eigenständiges Thema ist und nicht einfach ablösbar von anderen geistigen Zuständen.
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weder in Worten noch durch Zeichen auf das reagieren „à propos de ce dont on les interroge“ (Brief März 1638, AT II: 40). Darüberhinaus können Automaten Worte nicht neu kombinieren und rekombinieren, um ihre Gedanken mitzuteilen. Ihnen fehlt ein kreativer Umgang mit der Sprache. Kurzum, weder in kombinierten Worten noch durch kombinierte Zeichen bringen sie Gedanken zum Ausdruck „comme nous faisons pour declarer aux autres nos pensées.“ (Discours v, AT VI: 56) 2. Das zweite Instrument achtet auf das Verhalten. Es wird gefragt, ob ein Automat angemessen und flexibel auf unterschiedliche Situationen reagieren kann. Automaten verhalten sich voraussehbar und in der Ausführung ihrer Funktionen nahezu perfekt. Zu perfekt, so dass die „mouvemens qu’ils font, soient plus reguliers & plus certains “ als die Bewegungen rationaler Akteure (Brief März 1638, AT II: 40). Darüberhinaus ist die Aktionskompetenz von Maschinen ausgesprochen eingeschränkt. Obwohl sie in der Ausübung ihrer Funktionen nahezu perfekt sind, „elles manqueroient infalliblement en quelques autres, par lesquelles on découvriroit qu’elles n’agiroient pas par connoissance, mais seulement par la disposition de leurs organes“ (Discours v, AT VI: 57). Diese eingeschränkten Verhaltensweisen stellen die Kehrseite einer perfektionierten Spezialisierung dar. Offensichtlich heben beide Instrumente darauf ab, richtige Menschen von artifiziellen oder biologischen Maschinen dadurch zu unterscheiden, dass richtige Menschen mit ihren sprachlichen Äußerungen und in ihrem Verhalten angemessen und flexibel auf bestimmte Situationen reagieren können. „Dans ces deux moyens – le parler et l’agir – c’est bien l’idée d’à–propos qui domine.“126 Dies ist die eine Seite der Medaille. Die andere Seite sieht so aus: Zwar kann man eine künstliche Maschine konstruieren oder eine biologische Maschine dressieren, so dass ein bestimmter Reiz eine bestimmte Reaktion (ein Wort, einen Satz, einen Schrei) auslöst. Aber die Maschine kann ihr Äußerungsrepertoire nicht flexibel benutzen, „pour respondre au sens de tout ce qui se dira en sa presence“ (Discours v, AT VI: 567). Sie kann nicht angemessen reagieren. Im Unterschied zu richtigen Menschen verhalten sich Maschinen stets stereotyp, auch Tiermaschinen. 62. Das naturphilosophische Argument für die Leib-Seele-Unterscheidung Das aus diesen beiden Instrumenten ableitbare naturphilosophische Argument lautet nun:
126 Burgat 1997: 91.
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1. Ein richtiger Mensch (vray homme) verfügt über zwei Fähigkeiten: (a) Er kann seine Gedanken in Worten und Zeichen angemessen und flexibel äußern und (b) er kann angemessen und flexibel handeln. 2. Die Maschinenmenschen hingegen verfügen über keine dieser beiden Fähigkeiten. Ihre Hervorbringung von Lauten und ihre Reaktionen sind ausschließlich physiologisch aus der Disposition und Funktion ihrer Organe erklärbar. 3. Für Descartes folgt daraus, dass die Seele für die beiden relevanten Fähigkeiten zuständig sein muss, und dass die Seele nicht materiell sein kann. Anders würden die Maschinenmenschen mithilfe der beiden Instrumente nicht unterschieden werden können.127 Richtige Menschen sind also rationale Sprecher und rationale Akteure. Körperautomaten können dies nicht sein. Deshalb ist die Seele Ursache des rationalen Verhaltens. Nun überträgt Descartes die beiden Instrumente, die richtige Menschen von ihren ununterscheidbaren, aber maschinellen Gegenstücken unterscheiden sollen, auch auf die Tiere. Denn „par ces deux mesmes moyens, on peut aussy connoistre la difference, qui est entre les hommes & les bestes“ (Discours v, AT VI: 57-8). Bei dieser Übertragung kann es natürlich nicht darum gehen, richtige Tiere von Maschinen zu unterschieden. Denn ein künstlicher Affe, der dasselbe Aussehen, dieselben Organe und dasselbe Verhalten an den Tag legte, wie sein biologisches Ebenbild, wäre für uns vom wirklichen Affen gar nicht zu unterscheiden (Discours v, AT VI: 56). Darin besteht ja gerade der Witz der Maschinenanalogie, so wie sie Descartes im initialen Gedankenexperiment des genialen Mechanikers ausführt (Abschn. 48). Vielmehr markieren die beiden Instrumente die anthropologische Differenz. Sie belegen „pas seulement que les bestes ont moins de raison que les hommes, mais qu’elles n’en ont point du tout“ (AT VI: 58). Sie unterscheiden Automatenmenschen von richtigen Menschen und diese vom Tier. Damit unterscheiden sie auch den richtigen Menschen von seinem Körper. Denn sie zeigen, wie sich ein richtiger Mensch von seiner eigenen Körpermaschine unterscheidet. Die Körpermaschine des Menschen und das Tier unterscheiden sich lediglich empirisch. Ein richtiger Mensch unterscheidet sich von seinem bloßen Körper und dem Tier metaphysisch. Denn beim richtigen Menschen tritt die Seele zu seinem Körper hinzu. Sie bilden eine substantielle Einheit, deren Komponenten nichtsdes127 Beckermann 1999: 36 vermutet eine verborgene Prämisse, die emergente Eigenschaften unterschlägt, d.h. Descartes unterstellt, dass Eigenschaften und Fähigkeiten eines physikalischen Systems, die nicht durch die Naturgesetze erklärbar sind, auf eine nicht-physikalische Entität zurückgeführt werden müssen. Mir scheint, dass Descartes diese Prämisse durch das oben genannte Argument zu stützen versucht, nämlich: Wenn die beiden relevanten Fähigkeiten auf physikalischer Grundlage beruhten, so würden sie auch bei Maschinen-Menschen auftauchen (oder bei Tieren).
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totrotz klar unterschieden werden können (Discours v, AT VI: 59-60; Erwiderung iv, AT VII: 177).128 Dies zeigt, dass die cartesische Leib-Seele-Unterscheidung identisch ist mit der Tier-Mensch-Unterscheidung. 63. Die Unterscheidungsinstrumente als Turing-Test? Wie sind die beiden Instrumente – Sprechen und Handeln – zu verstehen? Was ist ihr Status? Wie ihr Zusammenhang? Sie wurden von K. Gunderson in Zusammenhang mit dem Turing-Test – und damit der Diskussion um die Künstliche Intelligenz – gestellt.129 Er betrachtet beide Instrumente als gleichwertig und interpretiert sie als Tests für intelligentes Verhalten, weswegen er sie „action-test“ und „language-test“ nennt. Darin sind ihm zahlreiche Interpreten und Interpretinnen gefolgt.130 K. Gundersons Arbeit hat m.E. das Verständnis der beiden Instrumente eher erschwert als erleichtert. Seine Deutung wirft drei Probleme auf. Erstens lautet Descartes’ Frage im Gegensatz zu A. Turing nicht, ob Maschinen denken können. Zweitens führt Descartes keine Tests zur Bestimmung ein und die Bezeichnungen „language-test“ und „action-test“ sind irreführend. Schließlich sind die beiden Tests nicht gleichwertig. Man kann die Probleme zusammenfassen, indem man sagt, dass K. Gunderson nur die eine Seite der Medaille beachtet. Entscheidend für den Geist der Tiere ist aber die andere Seite: Im Unterschied zu richtigen Menschen verhalten sich Tiermaschinen stets stereotyp. Zum ersten Problem. A. Turing suchte nach einer handhabbaren Versuchsanordnung, die die Frage ersetzen sollte, ob Maschinen denken. Sein Vorschlag lautet gemäss der Standardinterpretation, dass wir uns fragen müssen, ob eine Maschine M (z. B. ein Computer) mit einer Person P verwechselt werden könnte. A. Turing schlägt als Test vor, dass ein Interviewer mit M und P in schriftlichen Verkehr tritt. M und P versuchen die Fragen des Interviewers möglichst adäquat zu beantworten. Kann der Interviewer 128 Wie interagieren die beiden klar und deutlich voneinander geschiedenen Substanzen? Die einfachste und einleuchtendste Antwort für Empfindungen (Wahrnehmungen, Affekte und Appetite) lautet wohl: Descartes hat nur einen Substanzdualismus. Empfindungen sind Modi von Substanzen. Descartes vertritt keinen Modusdualismus. Empfindungen können also Modi des Geistes sein und doch nicht ohne Körper existieren. Wie auch immer, dass sie in irgend einer Form interagieren, ist für Descartes evident (Brief August 1941, AT III: 424; Elisabeth 21.05.1643, AT III: 664-6; Burman, AT V: 163; Meditation vi, AT VII: 81; Arnauld 29.07.1648, AT V: 222; Burman, AT VII: 81). Wie sie interagieren ist ein Problem. Innerhalb des Systems von Descartes ist dieses Problem zwar gegeben, aber die Evidenz der Interaktion weist darauf hin, dass Descartes der Ansicht war, es sei lösbar (Elisabeth 28.06.1643, AT III: 693). Mit den Tieren steht es anders. Bei ihnen steht nicht das Wie der Interaktion, sondern das Dass zur Debatte. 129 Gunderson 1964. 130 Radner & Radner 1989, Leiber 1991, Cimatti 1998, Miller 1998, Erion 2001 & 2003.
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nicht mit Gründen entscheiden, welcher der Kommunikationspartner M und welcher P ist, müssen wir zugestehen, dass M denkt.131 Wir spielen ein Imitationsspiel. Auf den ersten Blick scheint diese Verbindung zu A. Turing Descartes’ Instrumente auf eines zu verkürzen, nämlich auf die Sprache. Im Turing-Test tritt ein Interviewer in eine sprachliche Interaktion mit P und M. Aber er erfährt nichts über ihr aussersprachliches Verhalten, dessen Flexibilität und Angemessenheit das zweite cartesische Instrument darstellt. Gunderson (1965) und Radner & Radner (1989: 50-3) deuten die Flexibilität des Verhaltens als Ausfluss dessen, dass sich rationale Akteure auf allgemeine Prinzipien stützen und sich daher in unterschiedlichen Situationen angemessen, nämlich prinzipienorientiert verhalten können. Die Prinzipienorientierung ist zugleich verantwortlich für die Flexibilität des Verhaltens. So betrachtet ist der Sprachtest das Paradigma, weil die Sprache nach syntaktischen und semantischen Prinzipien funktioniert, die allgemein genug sind, um auf unterschiedliche Gegebenheiten reagieren zu können und deren Elemente rekombiniert werden können. Was durch den Sprachtest fällt, fällt somit auch durch den Handlungstest, weil Sprechen und Handeln nach allgemeinen Prinzipien erfolgen.132 G. Erion hingegen hat argumentiert, dass Descartes’ „Tests“ geeigneter sind als A. Turings Vorschlag, um herauszustellen, was rationale Akteure von Maschinen unterscheidet.133 Und zwar weil das zweite Instrument weniger ein prinzipiengeleitetes Handlungsvermögen teste, als vielmehr das Vorhandensein einer Commonsense-Einstellung, wie sie erwachsene Personen normalerweise an den Tag legen. Der Sprachtest ist so betrachtet nur Bestandteil dieses „test of common sense“. Was durch den Sprachtest fällt, fällt auch durch den Commonsense-Test,134 weil Sprechen und Handeln nur vor dem Hintergrund eines weiten Netzes von Überzeugungen, Einstellungen und Fähigkeiten erfolgen können, wie es sich bei normalen Erwachsenen manifestiert. Diese beiden Ansätze unterscheiden sich deutlich in der Interpretation der cartesischen „Tests“. Sie kommen jedoch zum selben Ergebnis: Sprachtest und Handlungstest sind gleichwertig, weil sie der Ausdruck einer zugrundeliegenden Fähigkeit sind, und der Sprachtest hat einen gewissen Vorrang, da sein Nichtbestehen das Nichtbestehen des Handlungstests nach sich zieht. Der letzte Punkt hat in Descartes’ Augen seine Berechtigung. Denn er unterstreicht, dass es mit der Ausnahme von Worten und anderen Zeichen kein sicheres Anzeichen für das Vorhandensein einer Seele in einem Körper gibt (Newcastle 23.11.1646, AT IV: 574; More 05.02.1649, 131 Turing 1994. Traiger 2000 hat eine von der Standardinterpretation abweichende Deutung des Turing-Tests vorgeschlagen. 132 Gunderson 1965: 199, Radner & Radner 1989: 50. 133 Erion 2001 & 2003. 134 Erion 2001: 35.
IV. Für den mentalistischen Rationalismus
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AT V: 278135). Deshalb trifft es zu, dass der Fall durch den Sprachtest den Fall durch den Handlungstest nach sich zieht. Doch der Grund dafür liegt, wie wir sehen werden, nicht darin, dass der Sprachtest der kleine Bruder des Handlungstests wäre. Betrachten wir das zweite Problem. 64. Die Unterscheidungsinstrumente empirisch oder metaphysisch? K. Gundersons Deutung führt dazu, dass nach der Möglichkeit gefragt wird, ob Tiere diese „Tests“ bestehen können oder nicht. Einige Interpretinnen vertreten die Ansicht, dass Tiere die beiden Tests (pace Descartes) bestehen würden.136 Descartes hätte also eine empirische Versuchsanordnung aufgestellt. Demgegenüber argumentiert K. Morris in schönster revisionistischer Manier, dass es bei Descartes überhaupt nichts zu bestehen gibt. Seine Unterscheidungsinstrumente seien nämlich weniger empirisch als metaphysisch gemeint.137 D. und M. Radner gehen von folgender Leitfrage aus: „Once Descartes’s theory of mind is properly reconstructed, is there any justification for denying a Cartesian mind to animals?“138 Ihre Antwort ist negativ. Selbst im Rahmen der cartesianischen Philosophie des Geistes bestehe kein Grund, den Tieren das Denken abzusprechen. Sie schlagen vor, Descartes’ Bewusstseinsbegriff so zu definieren, dass er nicht nur reflexives Bewusstsein (consciousness of thinking), sondern auch intentionales Bewusstsein (consciousness as thinking) umfasst. In einem zweiten Schritt werden die beiden Tests getestet. Das Ergebnis lautet, dass sie nicht ausreichen, um Tieren intentionales (im Gegensatz zu reflexivem) Bewusstsein abzusprechen. Außer man begeht den Fehler, intentionales Bewusstsein konstitutiv an reflexives Bewusstsein zu binden.139 Hinter der skizzierten Argumentation liegen mindestens zwei Annahmen über Descartes. Die erste besagt, dass Descartes durch angemessene Differenzierungen im Bewusstseinsbegriff den Tieren eine Form des Bewusstseins hätte zugestehen müssen. Diese Annahme verkennt, dass es Descartes nicht um die Ausarbeitung eines differenzierten Bewusstseinsbegriffs gegangen ist. Das cogito umfasst jedoch jedes mentale Ereignis und es umfasst reflexive mentale Ereignisse. 135 Die Stelle im Brief an More lautet: „Hæc enim loquela unicum est cogitationis in corpore latentis signum certum, atque ipsâ nutuntur omnes homines, etiam quàm maximè stupidi & mente capti, & linguâ vocisque organis destituti, non autem nullum brutum; eamque idcirco pro verâ inter homines & bruta differentiâ sumere licet.“ vgl. dazu Séris 1993, Cottingham 1997. 136 Radner & Radner 1989, Burgat 1997. 137 Morris 2000. 138 Radner & Radner 1989: 16. 139 So wurde im Anschluss an Z. Vendler bereits bei Malcolm 2005 in den 60er Jahren argumentiert, vgl. auch Cottingham 1986: 41.
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Das einfache Gewahrsein muss bei Descartes weder propositional noch reflexiv sein.140 Die zweite Annahme lautet, die beiden Instrumente würden die Funktion von Tests in einem empirischen Forschungsprogramm erfüllen, um Menschen von Tieren zu unterscheiden. Gegen diese Annahme spricht dreierlei. Zunächst ist es offenbar sinnlos, dafür einen Test zu verlangen, denn wir haben normalerweise keine Probleme zu entscheiden, welches Lebewesen ein Tier (oder eine Maschine) und welches ein Mensch ist.141 Im Gegensatz dazu ist es schwierig, einen einem Menschen äußerlich völlig gleichen Automaten von einem wirklichen Menschen zu unterscheiden. Dazu brauchen wir Unterscheidungskriterien. Diese Kriterien können zwar auf die Mensch-Tier-Unterscheidung übertragen werden. Aber sie erfüllen nicht mehr dieselbe Funktion. Zweitens scheinen die Instrumente, fasst man sie als empirische Tests auf, unfair formuliert. Denn was eine angemessene Sprachverwendung und was beispielsweise ein angemessenes Verhalten ist, wird in Bezug auf den Menschen definiert. Schließlich handelt sich Descartes Probleme nicht nur mit Kandidaten ein, die diese „Tests“ möglicherweise bestehen (tanzende Honigbienen, selbstbewusste Schimpansen, sprechende Graupapageien), sondern vor allem mit solchen, die sie nicht bestehen (Embryonen, Kleinkinder, Schwachsinnige). Anhand des zweiten und dritten Punktes argumentieren Radner & Radner (1989: Kap. 2) dafür, dass die Tests nicht ausreichen, Menschen von Tieren zu unterscheiden. Das Problem ihrer Argumentation besteht darin, dass sie sich nicht die Frage stellen, ob die Instrumente überhaupt als empirische Tests gemeint sind. Deutlich gegen die Deutung der beiden Instrumente als empirische Tests wendet sich Morris (2000). Es gehe weder um die Klassifikation von Lebewesen noch um die Möglichkeit einer Differenzierung von Bewusstseinsformen, sondern darum, was ein Lebewesen metaphysisch ist. Das Haben oder Nichthaben einer Seele sei für Descartes eine metaphysische, keine empirische Tatsache und deshalb auch keinem empirischen Test anheim gestellt.142 Die metaphysische Natur eines Objekts könne nicht durch empirische Beobachtung bestimmt werden. Sie bezeichne die Gattung, der das Objekt metaphysisch angehört und beziehe sich auf das innere Wesen, das mit seinem beobachtbaren Verhalten nicht übereinstimmen muss. Selbst wenn einzelne Tiere – der Graupapagei oder der Schimpanse – einen „Test“ bestehen sollten, bedeutet dies nicht, dass sie eine rationale Seele haben. Diese metaphysische Deutung lässt jedoch zwei Fragen offen. Sie kann keine befriedigende Antwort darauf geben, wozu Descartes die Instrumente überhaupt formuliert. Zudem ist sie nur schwer mit bestimmten Aussagen bei Descartes in Übereinstimmung zu bringen, etwa der folgenden: 140 Dauler Wilson 1978: 201, Kemmerling 1996, Burgat 1997: 87. 141 Searle 2005. 142 Morris 2000: 408-9.
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„So sehr ich auch demonstriert habe, dass man in den Tieren keine Gedanken nachweisen kann, so kann ich nicht gleicherweise demonstrieren, dass sie keine Gedanken haben, da der menschliche Geist nicht in ihre Herzen vorzudringen vermag [quia mens humana illorum corda non peruadit].“ (More 05.02.1649, AT V: 276-7)
Dass Descartes nicht beweisen kann, dass Tiere nicht denken, weist Descartes’ These kaum als metaphysische aus. Anders hätte er den entsetzten More ungerührt an den metaphysischen Unterschied weiterverweisen können. Was nun, empirisch oder metaphysisch? Diese Frage lässt sich m.E. nicht im Sinne eines entweder/oder beantworten. Erinnern wir uns daran, dass Descartes das Sprechen für das einzige sichere Anzeichen einer Seele hält. Es allein gibt den sicheren Hinweis auf Gedanken, d. h. auf die wesentliche Eigenschaft dieser res. Ist mithilfe des Sprechens sichergestellt, dass ein Wesen beseelt ist, können seine Verhaltensweisen generell so verstanden werden, dass sie von Gedanken geleitet werden. Ihr Verhalten ist stets mit dem Vorschuss zu verstehen, dass es sich um beseelte Lebewesen handelt. Deshalb können sie überhaupt angemessen und flexibel reagieren. Das macht sie zu rationalen Akteuren. Tiere geben dieses Anzeichen nicht, sie haben keine Seele und können sich somit nicht rational verhalten. Demgegenüber profitiert das Verhalten sprachunbegabter Lebewesen nicht von diesem Vorschuss. Sie geben keine sicheren Anzeichen für eine rationale Seele. Ihr Verhalten ist daher mechanisch zu interpretieren, auch gegen den Anschein der Rationalität. Die Bêtes-machine-These beruht zwar auf metaphysischen Voraussetzungen. Sie muss aber empirisch ausweisbar sein. Descartes’ These ist daher weder ausschließlich empirisch noch ausschließlich metaphysisch. Die These, dass Tiere im Gegensatz zu Menschen keine Seele haben, ist metaphysisch nicht beweisbar, wie Descartes More gegenüber eingesteht. Denn es könnte sein, dass Tiere doch denken, bzw. eine rationale Seele haben. Die metaphysische These der Seelenlosigkeit der Tiere muss daher empirisch erhärtet werden. Das heißt, dass scheinbar positive Testergebnisse so erklärt werden müssen, dass der metaphysische Anteil der Bêtes-machine-These gewahrt bleibt. Die beiden Instrumente geben dem Metaphysiker also eine explanatorische Regel an die Hand. Besteht ein Tier scheinbar einen „Test“, dann muss sein Verhalten so erklärt werden können, dass die Bêtes-machine-These gewahrt bleibt. Das zweite Instrument gibt Descartes eine Regel in die Hand, wie Lebewesen zu interpretieren sind, die nicht sprechen. Besteht also ein Tier einen „Test“, dann sind die Unterscheidungsinstrumente nicht unnütz geworden. Vielmehr muss Descartes nun erklären können, dass es den Test nur scheinbar besteht. Das erfordert eine Erklärung dafür, wie Maschinen sich scheinbar rational verhalten können.143 143 Es ist wohl weniger A. Turings Test, der eine adäquate Vergleichsbasis für Descartes’ Instrumente darstellt, als vielmehr der sog. „Morgan-Kanon“: „In no case may we interpret an
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65. Der mentalistische Rationalismus bei Descartes Es ist unschwer erkennbar, dass die beiden Instrumente der Wiederherstellung des mentalistischen Rationalismus dienen, den Montaigne attackiert hat. Ich habe mentalistischen Rationalismus wie folgt bestimmt (Abschn. 2): Das Sprechen einer Sprache ist die ausschlaggebende Erkenntnisbedingung für die Zuschreibung von Geist, oder zumindest für die Zuschreibung geistiger Zustände. Wesen, die nicht sprechen, können keinen Geist haben. Descartes’ Bêtes-machine-These und seine anthropologische Differenz liefern Material, um den mentalistischen Rationalismus mit einer gegenüber dem Aristotelismus neuartigen Grundlage auszurüsten. Auf dieser Grundlage, so darf man Descartes’ Teilintention paraphrasieren, ist Montaignes skeptischer Gegendiskurs zurückzuweisen. 1. Tiere sind Maschinen – oder zumindest mit Maschinen problemlos vergleichbar. 2. Tierliches Verhalten ist mechanisches Verhalten. Das Verhalten von Tieren lässt sich in den Ausdrücken der Mechanik, der Anatomie und der action as the outcome of the exercise of a higher psychical faculty, if it can be interpreted as the outcome of one which stands lower on the psychological scale.“ (Lloyd Morgan 1894: 53) Man sollte, so mein Vorschlag, Descartes’ Unterscheidungsinstrumente als eine starke Variante des Morgan-Kanons betrachten. Der Morgan-Kanon spricht jedoch von einer Erklärung aufgrund der Ausübung eines niedriger stehenden psychischen Vermögens. Descartes hingegen startet mit einer metaphysischen Nullhypothese: Tiere gehören zur res extensa und haben keine Seele. Diese Nullhypothese wird flankiert durch Descartes’ explanatorischen Einsatz der Bêtes-machine-These. Das Verhalten der Tiere kann ohne Rückgriffe auf rationale Vermögen erklärt werden. In keinem Fall also sollte tierisches Verhalten als die Ausübung eine rationalen Vermögens verstanden, wenn es auch mechanisch erklärt werden kann. Jedes scheinbar rationale Verhalten kann auf einen simpleren Mechanismus reduziert werden, der ohne seelisches Vermögen funktioniert. C. Lloyd-Morgan wendet sich mit seinem Kanon gegen allzu anthropomorphisierende Deutungen des Tierverhaltens, wie sie beispielsweise im Werk von Darwin und George Romanes vorzufinden sei. Auch in dieser Hinsicht besteht eine Parallele zwischen dem Morgan-Kanon und Descartes’ Instrumenten. Anders als Descartes hat C. Lloyd-Morgan jedoch den Anthropomorphismus nicht in Bausch und Bogen verworfen. Er sah darin die einzige Möglichkeit, etwas über das mentale Leben nichtmenschlicher Lebewesen heraus zu finden: „As we have already seen, we are forced, as men, to gauge the psychical level of the animal in terms of the only mind of which we have first hand knowledge, namely the human mind. But how are we to apply the gauge?“ (Lloyd-Morgan 1984: 55) C. Lloyd-Morgan formulierte den Kanon später um, um ihn von Anklängen an die Vermögenspsychologie zu reinigen und stärker der Evolutionstheorie anzunähern: „In no case is an animal activity to be interpreted in terms of higher psychological processes, if it can be fairly interpreted in terms of processes which stand lower in the scale of psychological evolution and development.“ (Lloyd-Morgan 1903: 59) Deshalb ist auch diese Parallele nur mit Vorsicht zu genießen, umso mehr als auch die Interpretation des Morgan-Kanons kontrovers ist.
IV. Für den mentalistischen Rationalismus
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Physiologie vollständig beschreiben. 3. Tiermaschinen empfinden. 4. Intentionales Vokabular wird aus einem falschen Analogieschluss heraus oder bestenfalls in uneigentlicher Rede verwendet.Wesentlich ist, dass man klar und deutlich zwischen den Tieren und den Menschen unterscheidet. Das Unterscheidungskriterium ist nicht bloß quantitativ oder graduell, sondern qualitativ und demarkativ. Das wichtigste Unterscheidungskriterium besteht darin, dass Menschen im Unterschied zu Tieren über eine Sprache verfügen. Dies deshalb, weil Menschen im Gegensatz zu Tieren eine rationale Seele haben. Die Bêtes-machine-These bemüht sich als explanatorische Alternative von Anfang an, das Analogieargument zu unterlaufen, das Montaigne in Anspruch nimmt (Abschn. 24). Montaigne erweitert die Sprache und ist bereit, nicht nur das sprachliche, sondern auch das nichtsprachliche Verhalten eines Lebewesens als Ausdruck von Gedanken zu betrachten (Abschn. 201). Die beiden von Descartes vorgebrachten Unterscheidungsmittel sind die Antwort auf Montaignes Bereitschaft, eine Erweiterung der Sprache und des Verhaltens als Ausdruck eines tierlichen Denkens (discours intérieur) gelten zu lassen. Descartes restringiert mit seinen Instrumenten sprachliches und anderes Verhalten, das als Ausdruck von Gedanken betrachtet werden darf. Descartes gibt dem doppelten Standard in der Interpretation menschlichen und tierlichen Verhaltens, den Montaigne attackiert (Abschn. 24), eine metaphysische Grundlage.144
66. Tierverhalten ist mechanisches Verhalten Wie gesagt, ist eine Erklärung dafür gefordert, wie Tiere sich scheinbar rational verhalten können. Betrachten wir zwei Beispiele für scheinbar rationales Verhalten: 1. Sphexwespen legen ihre Eier in ein kleines Erdloch. Dann erjagen sie eine Grille. Die Grille wird in das Loch geschafft und dieses verstopft. Die ausschlüpfenden Larven werden nun ausreichend Nahrung haben. Dies könnte ein Beispiel für die erstaunliche Voraussicht von Tieren sein. Ist es das? Die Wespe zeigt folgendes spezielle Verhalten: Sie legt die Grille vor dem Erdloch ab, inspiziert das Loch, kehrt zurück und 144 Zusätzlich versuchen die beiden Instrumente die metaphysische These in Bezug auf das Fremdpsychische empirisch zu verankern. Zwar ist auch der menschliche Körper eine Maschine. Doch ich weiß von mir, dass ich denke und eine rationale Seele habe. Welcher Grund besteht nun zur Annahme, andere Personen seien ebenfalls denkende Wesen und nicht nur Maschinen? Gründe dafür liefern mir die beiden Tests.
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schleppt die Babynahrung hinein. Verschiebt man die Grille während der Inspektion auch nur geringfügig, wird die Wespe sie erneut am ursprünglichen Ort platzieren, das Erdloch inspizieren und wieder zurückkehren. Dieser Vorgang lässt sich beliebig oft wiederholen.145 Hier läuft gegen den Anschein geplanten Verhaltens ein hochspezialisierter, invariabler Verhaltensmechanismus ab. Die Wespe ist nicht imstande, ihr Verhalten durch Lernen zu verändern. Ebensowenig wie mein piepsender Wecker sein Verhalten anpasst, wenn ich nicht auf sein morgendliches Piepsen reagiere. Er piepst alle drei Minuten. 2. Wellensittiche verhalten sich in der Regel passiv gegenüber dem mühseligen Schlüpfen ihrer Nachkommen. Erst der geschlüpfte Nachwuchs wird unter die Fittiche geholt. Gelingt es einem Küken nicht, die Eierschale zu durchbrechen, wird der Wellensittich allerdings aktiv. Er bricht die Schale auf und befreit das Küken. Dies könnte ein Beispiel für das erstaunliche Urteilsvermögen von Tieren sein – und ist es natürlich nicht. In mexikanischen Hüpfbohnen finden sich Schmetterlingslarven, die sich strecken und krümmen, wenn es warm wird. Dabei beginnt die Bohne zu hüpfen. Legt man eine solche Bohne in das Ei eines Wellensittichs, schiebt man das präparierte Ei dem Vogel unter, und beginnt das Ei (bzw. die Schmetterlingslarven) dann zu hüpfen, wird sich der Wellensittich aufmachen und seinen Nachwuchs (bzw. die Hüpfbohne) befreien.146 Auch in diesem Fall läuft ein hochspezialisiertes Verhaltensprogramm ab, ausgelöst durch bestimmte Reize.147 Die Sphexwespe und der Wellensittich funktionieren für ihre Zwecke zuverlässig. Dass der Wellensittich bei den Schlüpfschwierigkeiten aktiv wird, ist in erster Linie die Wirkung eines internen, unwillkürlichen und unflexiblen Mechanismus’, der durch einen spezifischen Reiz ausgelöst wird und innerhalb eines spezifischen, beschränkten Verhaltensbereichs zuverlässig funktioniert (solange kein Wissenschaftler die Rolle des genius malignus spielt). 145 Dennett 1978: 64 ff. 146 Arzt & Birmelin 1993: 61-4. 147 Die beiden Beispiele liefern – im Gegensatz zu Descartes’ Instrumenten – tatsächlich einen konkreten Test: Verändere die reizrelevanten Umweltbedingungen und beobachte, ob sich das Verhalten entsprechend verändert. Verändert sich das Verhalten wie bei der Sphexwespe und dem Wellensittich nicht, dann ist es mechanisch. Descartes formuliert keinen derartigen Test, sondern er legt eine metaphysisch gestützte Interpretationsmaxime für tierliches Verhalten vor. Die Rede von „Tests“ ist, wie gesagt, irreführend. Freilich, die Manipulationen in den Umwelten der beiden Tiere sind sich nicht ganz gleich. Die Beute der Wespe wird offensichtlich verschoben und das Verhaltensprogramm beginnt wiederum abzulaufen. Das Ei des Wellensittich jedoch wird nicht offensichtlich verändert. Ihm wird ein präpariertes Ei untergeschoben. Es handelt sich um eine Art von Täuschung. Allerdings ist nicht anzunehmen, dass der falsche Glaube des Wellensittichs, es handle sich um ein wirkliches Ei mit Nachwuchs in Not, sein Verhalten auslöst. Vielmehr aktivieren die entsprechenden Reize eine eingeborene Verhaltensdisposition.
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Ebenso die Sphexwespe. Beider Verhalten ereignet sich – wie Descartes sagen würde – in (dans) ihnen, nicht durch (par) sie; die Natur agiert in ihnen (la Nature qui agist en eux). Die Abstimmung ihres internen Mechanismus auf spezifische Reize und Bereiche ist das Werk des göttlichen Ingenieurs. Die erstaunliche Perfektion der tierlichen Verhaltensweisen ist nicht – wie Montaigne meint – einer Vernunft der Tiere oder einer gottähnlichen Natur (Homme, AT XI: 36-7) zuzuschreiben, sondern Gott. Gott hat die Tiermaschinen so gebaut, dass sie spezifische Aufgaben aufgrund spezifischer Verhaltensdispositionen mit größter Zuverlässigkeit erledigen können. Genau wie im Falle der Alarmrufe der Meerkatzen (Abschn. 60). Wie wir gesehen haben, benutzt Montaigne Beispiele erstaunlicher tierlicher Fähigkeiten, um mithilfe der ersten pyrrhonischen Trope das Argument zu führen, dass Tiere mutmaßlich über bessere oder andere Sinnesmodalitäten oder über höhere kognitive Vermögen verfügen (Abschn. 26). Gegen diese Überlegung hat Descartes bereits in den frühen Cogitationes privatae einen Einwand erhoben. Aus den äußerst perfekten Verhaltensweisen der Tiere (ex animalium quibusdam actionibus valde perfectis) gehe hervor, dass sie keinen freien Willen (liberum arbitrium) hätten (AT X: 219). Gerade die erstaunlichen Fähigkeiten sind der Ausgangspunkt für Descartes’ zweites Instrument, das Verhalten: „Ie sçay bien que les bestes font beaucoup de choses mieux que nous, mais ie ne m’en estonne pas; car cela mesme sert à prouver qu’elles agissent naturellement & par ressors, ainsi qu’une horloge, laquelle monstre bien mieux l’heure qu’il est, que nostre iugement ne nous l’enseigne. Et sans doute que, lors que les hirondelles viennent au printems, elles agissent en cela commes des horloges.“ (Newcastle 23.11.1646, AT IV: 575)
Die innere Uhr der Schwalben gleicht in ihrer Funktionsweise einer mechanischen Uhr. Gerade die Präzision, mit der Schwalben im Frühjahr zurückkehren, ist ein deutliches Anzeichen dafür, dass ihr Verhalten mechanisch ist. Es läuft präzise wie ein Uhrwerk. Wie Descartes meint, wäre der Schwalbe ein allgemeines, flexibles und kreatives Vermögen auch wenig dienlich. Jedes spezialisierte Verhalten verlangt eine spezifische Disposition der Organe. Die Möglichkeiten der Organdisposition sind jedoch beschränkt, so dass in der Tiermaschine nur Raum für einige „fest verdrahtete“ Verhaltensdispositionen bleibt (Discours v, AT VI: 57). Descartes nimmt sich jene wunderbar präzisen, aber nur scheinbar rationalen Verhaltensweisen vor, die sich bei näherer Betrachtung als mechanisch erweisen und gerade diesem Umstand ihre Präzision und scheinbare Rationalität verdanken. Hierin aber funktionieren Tiere nicht anders als präzise Maschinen. Die Uhr wurde von einem Mechaniker zu dem Zweck gebaut, die Zeit möglichst präzise anzuzeigen. Die Schwalben wurden von Gott mit der Disposition gebaut, bei Frühlingsanfang zurückzukehren. Ebenso leben die Bienen zusammen, beachten die Kraniche im Fluge eine bestimmte Formation und
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die Affen im Kampf eine bestimmte Aufstellung (Newcastle 23.11.1646, AT IV: 575). Descartes verquickt die Hinweise auf die erstaunlichen (aber mechanischen) Verhaltensweisen mit Montaignes Vorschlag, das tierliche Verhalten als Ausdruck eines „mentalen Innenlebens“ zu betrachten. Descartes schließt hier an eine bereits von Seneca verfolgte Argumentationsstrategie an (Ep. 121). Die erstaunlichen Fähigkeiten der Tiere sind angeboren, nicht erlernt (Nascitur ars ista, non discitur). Das zeige sich gerade in der Perfektion und in der überregionalen und speziesweiten Unterschiedslosigkeit, mit der beispielsweise Spinnen ihre Netze und Bienen ihre Waben herstellen. Gleichmäßig sind die Lehren der Natur, verschieden die Werke der Kunst (Ep. 121, 23). Wie Descartes ist Seneca der Ansicht, dass diese Verhaltensweisen ohne jede Überlegung auftreten. Descartes und Seneca führen eine Unterscheidung zwischen mechanischen (eingeborenen und fixierten) und rationalen (erlernten und flexiblen) Verhaltensweisen. Mechanisch sind Verhaltensweisen von Lebewesen, die bereichsspezifisch sind, mit grosser Präzision und Regelmässigkeit ablaufen (oder deren Ergebnisse nicht variieren) und unwillkürlich auf bestimmte Umweltmerkmale hin ausgelöst werden. Mechanisches Verhalten ist unwillkürlich und unflexibel, bereichs- und reizspezifisch, artenspezifisch und eingeboren. Das Verhalten der Sphexwespe, des Wellensittichs oder der Schwalben sind Beispiele für solche Verhaltensmuster. Im Gegensatz dazu lässt sich das universelle Instrument der Vernunft flexibel und angemessen in sehr unterschiedlichen Situationen handhaben.148 Die beiden Instrumente entlarven (scheinbar) rationales Verhalten als mechanisch. Es geht nicht um einen Rationalitätstest, sondern um die Möglichkeit explanatorischer Alternativen, die auf bloße Mechanismen abheben. L. Newman hat beide Instrumente daher zurecht als Mittel der Entlarvung betrachtet – obschon er mit der Bezeichnung „unmasking tests“ die unglückliche Rede vom Test beibehält.149 67. Probleme mit der mechanistischen Betrachtung tierlichen Verhaltens Descartes’ Strategie, auf den Vorschlag Montaignes damit zu reagieren, das Verhalten der Tiere als Ausdruck eines rationalen Vermögens zu betrachten, stellt die Pointe seines zweiten Instrumentes dar. Betrachten wir demgegenüber Montaignes Loblied auf den Nestbau der Schwalben in der „Apologie“: 148 Natürlich verhalten sich Teilhaber an der res cogitans auch mechanisch. Auch ihre Körper sind Maschinen. Wir blinzeln, wir haben Schluckauf, wir schließen die Augen beim Niesen, wir ziehen die Hand von der heißen Platte. Doch viele unserer Verhaltensweisen und Vermögen entstehen entweder aus einem Zusammenspiel der Körpermaschine und der Seele oder sind Wirkungen der rationalen Seele selbst. Zudem lassen sich einige unserer fest verdrahteten mechanischen Verhaltensweise teilweise sogar kontrollieren (auch wenn es unangenehm ist, die Hand auf der Platte schmoren zu lassen). 149 Newman 2001.
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„[a] Les arondelles, que nous voyons au retour du printemps fureter tous les coins de nos maisons, cherchent elles sans jugement et choisissent elles sans discretion, de mille places, celle qui leur est la plus commode à se loger? Et, en cette belle et admirable contexture de leurs bastimens, les oiseaux peuvent ils se servir plustost d’une figure quarrée que de la ronde, d’un angle obtus que d’un angle droit, sans en sçavoir les conditions et les effects? Prennent-ils tantost de l’eau, tantost de l’argile, sans juger que la dureté s’amollit en l’humectant? Planchent-ils de mousse leur palais, ou de duvet, sans prevoir que les membres tendres de leurs petits y seront plus mollement et plus à l’aise? Se couvrent-ils du vent pluvieux, et plantent leur loge à l’Orient, sans connoistre les conditions differentes de ces vents et considerer que l’un leur est plus salutaire que l’autre?“ (II 12: 455)
Das Verhalten der Schwalben, wie Montaigne es beschreibt (oder vielmehr: befragt), ist facettenreicher als in Descartes’ Beschreibung. Es ist zwar denkbar, dass keine der aufgezählten Verhaltensweisen auf eine flexible oder rationale Disposition zurückzuführen ist. Der springende Punkt besteht aber darin, dass Montaigne bei den Schwalben das „erstaunliche“ (mechanische) Verhalten und ein quasi-rationales Verhalten auseinander hält. Descartes subsumiert tierliches unter mechanisches Verhalten. Er interpretiert das „erstaunliche“ Verhalten zwar mit guten Gründen mechanistisch, macht es aber ohne weitere Begründung zum Paradigma aller tierlicher Verhaltensweisen. Je variabler tierliche Verhaltensweisen jedoch werden, desto problematischer wird Descartes’ Verhaltenssubsumption. Zwei Beispiele: 1. Einige Biologen behaupten, bestimmte Tierarten würden ihren Lebensraum wählen, indem sie eine mentale Karte ihrer Umgebung anlegen und mit deren Hilfe einen für sie geeigneten Wohnraum aussuchen. Diese Tiere kommen zwar mit Verhaltensdispositionen zur Welt, doch die mentale Karte ihrer Umgebung wird durch Lernprozesse erstellt, die mit den Bedürfnissen des Tiers abgeglichen werden müssen.150 Dasselbe gilt für die anschließende Wahl eines Nistplatzes. 2. Im Gegensatz zum cartesischen Lamm, das reflexartig flieht, wenn auf seine Retina ein Wolfsbild trifft, reagieren Erdhörnchen auf bestimmte Raubfeinde anders, als dass sie sich ins Erdreich verkriechen, nämlich auf Schlangen. Schlangen (anders als etwa Schakale) können dem Hörnchen ins Erdloch folgen. Schlangen werden zum Schein attackiert, auf ihre Aggressivität hin getestet, der Nachwuchs wird gewarnt usw. Das Erdhörnchen möchte herausfinden, ob die Schlange ihm gefährlich werden kann. Um die von einer Schlange ausgehende Gefahr abzuschätzen, muss ein Erdhörnchen Informationen über die Temperatur, die Größe und die Art der Schlange gewinnen.151 150 Rosenzweig 1996. 151 Owings 2002.
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Es ist nicht ausgeschlossen, das diese variablen Verhaltensweisen möglicherweise mechanistisch zu erklären sind. Aber es wird zunehmend schwieriger, dieses Verhalten als fixiert, angeboren und bereichsspezifisch zu betrachten. Dazu braucht man nicht auf gegenwärtige Forschungsergebnisse zurückzugreifen. Wendet man sich den für Montaigne argumentationsstrategisch einschlägigen Beispielen von erlerntem Verhalten zu (Abschn. 21), wird die Situation für Descartes’ Strategie der mechanischen Verhaltenssubsumption prekärer. Wir haben bereits gesehen, dass Descartes’ These eine göttliche Einpassung von Tiermaschinen in eine bestimmte Umwelt voraussetzt. Da Tiere von Gott passend gebaut sind, brauchen sie nicht zu lernen. Auch hier scheint Descartes vorauszusetzen, dass Tiere nicht lernen, sondern einzig fixierte und artspezifische Verhaltensdispositionen mit sich bringen. Ich komme weiter unten darauf zurück. Wenden wir uns dem anderen Instrument zu, der Sprache. Im Mittelpunkt wird dabei die einzige ausführlichere Deutung eines Tierverhaltens stehen, die sich bei Descartes finden lässt. 68. Sprechen als einziges sicheres Zeichen In einer Antwort an Newcastle erläutert Descartes, warum die quasi-sprachlichen Laute einer abgerichteten Elster – anders als Montaigne dem mentalistischen Rationalismus entgegenhält – nicht auf einen inneren Diskurs hinweisen. Descartes’ Deutung dieses Elsternverhaltens ist ein Beleg für meine These zu den beiden Instrumenten: Zeigt ein Tier ein Verhalten, das die Instrumente unterläuft, so muss man zeigen, dass es dies nur scheinbar tut. Zuerst beseitigt Descartes einige schwache Erwägungen. Sie laufen darauf hinaus, den Tieren eine eigene Sprache zuzuschreiben und mithin auch Gedanken. Mit solchen Erwägungen hat man dem linguistischen Rationalismus natürlich schon zur Hauptsache zugestimmt. Man kann Descartes zufolge nicht ernsthaft behaupten, Tiere verständigten sich untereinander in einer uns unverständlichen Sprache. Denn Papageien oder Elstern können Worte nachahmen und andere Tiere wie Hunde, Pferde oder Affen drücken ihre Gefühle aus. Weshalb sollten sie uns ihre Gedanken verheimlichen? Nicht mangels Organen können Tiere nicht sprechen: „car on voit que les pies & les perroquets peuvent proferer des paroles ainsi que nous, & toutefois ne peuvent parler ainsi que nous, c’est à dire en tesmoignant qu’ils pensent ce qu’ils disent. […] Et on ne doit pas confondre les paroles avec les mouvemens naturels, qui tesmoignent les passions, & peuvent estre imitez par des machines aussy bien que par les animaux“ (Discours v, AT VI: 57)
Diese Überlegungen sind wenig originell und vor dem Hintergrund einer weitverbreiteten Diskussion im 16. und im 17. Jh. über die Sprache als Un-
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terscheidungsmerkmal zwischen Mensch und Tier zu sehen.152 Für die Besprechung der sprechenden Elster allerdings präzisiert Descartes das zweite Instrument und fügt eine zusätzliche Qualifikation an: „Enfin il n’y a aucune de nos actions exterieures, qui puisse assurer ceux qui les examinent, que nostre corps n’est pas seulement une machine qui se remuë de soymesme, mais qu’il y a aussi en luy une ame qui a des pensées, excepté les paroles, ou autres signes faits à propos des suiets qui se presentent, sans se raporter à aucune passion.“ (Newcastle 23.11.1646, AT IV: 574)
Nicht nur geht es um sprachliche Zeichen, sondern auch um Gesten und Zeichen, da sich Stumme (denen wir eine rationale Seele nicht abstreiten sollten) damit verständigen. Montaignes Strategie bestand darin, die Sprache zu erweitern und andere Verhaltensweisen als Ausdruck von Gedanken zuzulassen. Demgegenüber insistiert Descartes einerseits auf der Verbalsprache (und setzt qualifizierend hinzu, sie müsse angemessen und flexibel sein), schließt andererseits die Natursprache soweit ein, als es sich um Gesten handelt, die der Verbalsprache strukturell gleichen. Dies zeigt sich an der zweiten Präzisierung, nämlich der Angemessenheit des Sprachgebrauchs: Worte, Gesten oder Zeichen müssen angemessen (à propos des suiets qui se presentent) sein. Damit soll das mechanische Nachsprechen von Elstern und Papageien ausgeschlossen werden. Ausdrücklich nicht ausschließen möchte Descartes die Äußerungen Wahnsinniger.153 Diese würden zwar nicht immer vernunftgemäß antworten, aber dennoch angemessen.154 Diese Präzisierung ist in dieser Form ausgesprochen vage. Es ist schlechterdings unverständlich, was es heißen könnte, die Wahnsinnigen würden zwar angemessen, aber nicht vernunftgemäß antworten. Wenn sie nun systematisch unvernünftig und unadäquat reagieren? Nichts schließt diese Möglichkeit aus. Außer die (metaphysische) Tatsache, dass Wahnsinnige als Menschen in den Bereich der res cogitans gehören. Descartes biegt das Sprachinstrument so zurecht, dass Personen hineinpassen. Tiere nicht. Es hieße Descartes’ Unterscheidungsmittel zu missdeuten, wollte man sie als brauchbare Kriterien dafür verwenden, was ein rationaler Akteur ist. Diese sind mit einem metaphysischen Vertrauensvorschuss ausgestattet. Vielmehr geht es Descartes um die „Entlarvung“ eines nur scheinbar rationalen oder von einem inneren Diskurs 152 Serjeantson 2001. 153 Nicht in Betracht zieht Descartes an dieser Stelle Kleinkinder, deren Verhalten und Laute er nicht als rationale Akteure qualifiziert. Er greift hier, wie die meisten Rationalisten, auf einen simplen Trick zurück: Kleinkinder werden zu rationalen Akteuren, im Gegensatz zu nichtmenschlichen Tieren. Allerdings vermeidet es Descartes zu erklären, wie dieser Übergang sich vollzieht. 154 Foucault 1972 beachtet in seiner These vom vernunftkonstituierenden Ausschluss des Wahnsinns in der Neuzeit und insbesondere in Descartes’ Meditationen diese Argumentation nicht. Es handelt sich ganz im Gegenteil um einen durch die anthropologische Differenz konstituierten Einschluss.
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hervorgebrachten Verhaltens, das in Tat und Wahrheit mechanisch ist. Deshalb ist der negative Aspekt dieser Präzisierung wichtiger, der Ausschluss der Elstern und Papageien. Die Zusatzqualifikation nun (sans se raporter à aucune passion) wird von Descartes ausführlich erklärt. Dabei kommt er auf die Elster zu sprechen: „[...] & i’adioute que ces paroles ou signes ne se doivent raporter à aucune passion, pour exclure non seulement les cris de ioye ou de tristesse, & semblables, mais aussi tout ce qui peut estre enseigné par artifice aux animaux; car si on apprend à une pie à dire bon iour à sa maistresse, lors qu’elle la voit arriver, ce ne peut estre qu’en faisant que la prolation de cette parole devienne le mouvement de quelqu’une de ses passions; à sçavoir, ce sera un mouvement de l’esperance qu’elle a de manger, si l’on a tousiours acoutumé de luy donner quelque friandise, lors qu’elle l’a dit ; […]“ (Newcastle 23.11.1646, AT IV: 574-5).
Descartes behauptet, dass die Elster lediglich ein Wort hervorbringt (la prolation de cette parole), aber Worte oder Zeichen nicht wirklich benutzt, wenn sie „Guten Tag“ sagt. Man kann sagen: Die Elster äußert keine Worte, sondern sie bringt Laute hervor. Warum? 69. Konditionierung Die Laute „Guten Tag“ werden der Elster durch Gewöhnung beigebracht. Sie hat die Fähigkeit, Stücke sprachlichen Verhaltens nachzuahmen. Diese Nachahmung wird durch die Herrin mit einem Leckerbissen belohnt und dadurch verstärkt (si l’on a tousiours acoutumé de luy donner quelque friandise, lors qu’elle l’a dit). Die Lautfolge wird dabei mit der Hoffnung auf den Leckerbissen gekoppelt. Die Elster reagiert auf einen Leckerbissen, den ihr ihre Herrin anbietet. Das entspricht einer instrumentellen Konditionierung. Ein beliebiges Verhalten (Sprachnachahmung) wird durch eine Belohnung (Leckerbissen) verstärkt. Nun wird dieser Verstärker mit der Herrin gekoppelt. Dies ist ein Fall klassischer Konditionierung. Die Elster bringt ihre Laute nun nicht mehr nur als Reaktion auf das Fressen hervor, sondern als Reaktion auf die Herrin.155 Das Resultat dieser beiden Koppelungen besteht 155 Man kann sich dies annäherungsweise so vorstellen wie bei Pawlows Hund. Die natürliche Reaktion des Hundes (Speichelfluss) auf einen direkten Reiz (Fressen) wird wiederholt mit einem indirekten Reiz gekoppelt (Glöckchenton). Man entferne nun den direkten und ersetze ihn durch den indirekten Reiz. Die Reaktion bleibt sich gleich: Der Hund „sabbert“, wenn er das Glöckchen (den konditionierten Stimulus) hört. Bei der Elster entfernt man den direkten Reiz (Leckerbissen) und die Elster reagiert nunmehr auf den indirekten Reiz (Herrin). Die Reaktion bleibt sich gleich: Die Elster bringt die Grußlaute hervor, wenn sie die Herrin erblickt. Diese Reaktion auf den indirekten Reiz ist zweigliedrig, denn sie besteht aus der Hoffnung auf das Fressen und damit gekoppelt aus der Lautfolge „Guten Tag“. Der Unterschied besteht darin, dass die Laute der Elster keine natürliche Reaktion auf ein Fressen sind (wie der Speichelfluss des Hundes), sondern ein beliebiges Verhalten, das durch ein Fres-
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darin, dass die Elster den mit dem Leckerbissen gekoppelten Laut beim Anblick der Herrin hervorbringt. Wir haben eine Art doppelte Konditionierung (instrumentell: Laut und Leckerbissen / konditioniert: Herrin und Leckerbissen). Der springende Punkt besteht für Descartes darin, dass die Lautfolge an einen Affekt gekoppelt bleibt und deshalb als Lauthervorbringung und nicht als Wortäußerung verstanden werden sollte. Denn die Lauthervorbringung wird zur Bewegung eines Affekts der Elster, wie Descartes etwas kryptisch schreibt (la prolation de cette parole devienne le mouvement de quelqu’une de ses passions). Das verbindende Element der beiden Konditionierungen ist nämlich der (Affekt, oder besser: Appetit) Hunger. Was bedeutet das? Nun, die konditionierten Koppelungen sind durch die von Hungerzuständen formierten und bewegten Lebensgeister miteinander verbunden. Die Grundlage dieser Koppelungen sind physiologische Prozesse. Nur das Sprechen, das nicht mit Affekten gekoppelt ist, kann als sicherer Hinweis auf eine denkende Seele betrachtet werden. Alles andere ist ausreichend auf einer physiologischen Basis beschreib- und erklärbar. Die Elsternlaute verweisen auf körperliche Zustände, nicht auf eine (rationale) Seele. Ein Mensch hingegen äußert einen Gedanken in Worten (oder Zeichen). Die Äußerung dieses Gedankens in Worten bezeugt Denken. Der Mensch hat Gedanken, die er als Ideen geistig repräsentiert. Er äußert die Idee in Worten mit intendierter Bedeutung. Diese Äußerung ist der Hinweis auf eine rationale Seele. Sie begrüßt die Herrin nicht, indem sie die Laute „Guten Tag“ hervorbringt, wie die Herrin es täte, wenn sie dieselben Worte äußerte. Der Vogel bringt lediglich Laute hervor. Die Elster äußert nur scheinbar Worte. Haben wir an dieser Stelle nun nicht zwei Qualifikationen? Einerseits sind die Elsternlaute an körperliche Affekte gekoppelt, andererseits intendiert sie nicht, was sie sagt. Warum sagt Descartes dann nicht einfach, dass die Elster nicht meint, was sie sagt, und deswegen keine Worte äußert? Die Antwort scheint darin zu bestehen, dass es nicht entscheidend ist, welchen Gedanken bestimmte Worte äußern. Die Verbindung zwischen Worten und Denkinhalten ist arbiträr. Warum soll die bloße Lautfolge „Guten Tag“ nicht so etwas heißen wie „Ich habe Hunger“ oder „Gib mit zu fressen“? Entscheidend für Descartes’ Erklärung ist die Verbindung mit den körperlichen Zuständen und die explanatorische Exklusivität dieser Verbindung. Bemerkenswert ist Descartes’ Tendenz, das tierliche Sprechen zu materialisieren. Die Bedeutung, die dem Morgengruß als Äußerung instantan zukäme, wird von ihm abgetrennt. Die Elster kommuniziert nicht, sondern reagiert auf einen internen Zustand ihrer Körpermaschine. Der Vortrag ist sen verstärkt worden ist. Die natürliche Grundlage des beliebigen Verhaltens kann in einer Disposition zur Nachahmung gesehen werden, die bei Corviden und Papageien ziemlich ausgeprägt ist.
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indexikalisch (Abschn. 60). Das menschliche Sprechen hingegen wird intellektualisiert. Nichts kann geäußert werden, wenn sich zuvor im Geist nicht die Idee des Gegenstands befindet, der durch meine Äußerung bezeichnet wird. Die Relation Idee-Gegenstand ist der Relation Wort-Gegenstand vorgelagert. Dies ist die These des mentalistischen Rationalismus. Das heißt, dass für die Verwendung von Sprache eine rationale Seele vorausgesetzt werden muss. Unsere Äußerungen lassen keinen voraussetzungslosen Rückschluss auf die Seele zu, da die Seele zur Produktion von Äußerungen – im Gegensatz zu bloßen Lauten – bereits vorausgesetzt werden muss. Dies ist der Zirkel des mentalistischen Rationalismus. Descartes begibt sich jedoch nicht direkt in diesen Zirkel. Denn die sprachlichen Äußerungen sind für Descartes nur die Anzeichen für die rationale Seele, kein Beweis.156 Dies bedeutet aber dennoch, dass Descartes in seiner Erklärung des Vortrags von Lauten der Elster und der Äußerungen von Worten der Menschen die anthropologische Differenz bereits voraussetzt. Sie strukturiert, wie in den beiden Tendenzen der Materialisierung und der Intellektualisierung deutlich wird, seine Erklärung. Was den Menschen zum Menschen macht, ist die rationale Seele. Diese These ist metaphysisch vorgegeben. Mit ihr einher geht die These, dass Tiere empfindungsfähige Maschinen sind. Jetzt kann der „Sprachtest“ als Interpretationsregel reformuliert werden: Interpretiere das Sprechen von Menschen als Äußerung von Worten und das Sprechen von Tieren jederzeit als Vortrag von Lauten, d. h. als scheinbare Äußerung von Worten. Die Erklärung der Elsterhervorbringung hat die gleiche Struktur wie die Entlarvung scheinbar rationalen Verhaltens als mechanistisch.157 156 Sie sind schon gar keine notwendigen und hinreichenden Bedingungen dafür, Gedanken zu haben, wie Cottingham 1997: 47 f. meint, der aus Descartes einen linguistischen Rationalisten zu machen versucht. 157 Montaigne könnte an dieser Stelle seine skeptischen Fragen aufwerfen. Wenn wir sehen, wie die Elster gelernt hat, die Herrin zu begrüßen, müssen wir dann nicht annehmen, dass dieser Vogel ein Art Schlussfolgerung durchführt? Da sie von der Herrin bislang immer mit Leckerbissen belohnt worden ist, wenn sie „Guten Tag“ gerufen hat, folgert sie dann nicht ganz natürlich, dass dieser Ruf ihr beim Anblick der Herrin einen weiteren Leckerbissen verschafft? Können wir das Verhalten der Elster nicht sehr gut erklären, indem wir sagen: Sie glaubt, dass die Herrin ihr etwas zu fressen geben wird und da sie im Moment tatsächlich Hunger verspürt, setzt sie das innerhalb ihrer Möglichkeiten angemessenste Mittel ein, um zu bekommen, was sie wünscht? Und liegt es nicht auf der Hand, dass sie in aller Ruhe ihren sonstigen Gedanken nachhängen würde, wenn sie satt wäre? Kurzum, Montaigne könnte Descartes’ Verteidigung des mentalistischem Rationalismus entgegenhalten, dass wir der Elster einen induktiven Schluss zuschreiben können und dass wir ihr Verhalten durch jene volkspsychologische Wunsch-Überzeugungs-Theorie beschreiben und erklären können, die wir auch auf unsere Mitmenschen anwenden: „Nous devons conclurre de pareils effects pareiles facultez, et confesser par consequent que ce mesme discours, cette mesme voye, que nous tenons à ouvrer, c’est aussi celle des animaux.“ (II 12, 460) Descartes würde entgegnen, dass wir das Verhalten wohl so beschreiben und erklären können. Doch dann verwenden wir die Worte uneigentlich, lassen uns von einer verfänglichen Analogie leiten, erwägen keine explanatorische Alternativen, unterscheiden körperliche Prozesse nicht von geistigen Prozessen.
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70. Tierverhalten als Reflexverhalten Descartes’ Bêtes-machine-These impliziert, dass Tiere nichts zu lernen brauchen. Ich habe bereits öfters auf diese Implikation hingewiesen: Die Alarmrufe der Meerkatzen erscheinen in cartesischer Beleuchtung als indexikalisch und als unwillkürlich (Abschn. 60), die Abstimmung zwischen den Reaktionsmöglichkeiten der Tiermaschine und der Beschaffenheit ihrer Umwelt ist ein Werk der göttlichen Konstruktion (Abschn. 59). Und vor allem unterstellt die cartesische Interpretationsmaxime dem tierlichen Verhalten mechanische Verhaltensabläufe (Abschn. 66). Für das Tier scheint das Folgende zu gelten: „[T]he complete system of wired-in reflex arcs exhausts its behavioral potential [...]. Such a system is deterministic in the sense that, barring mechanical failure, there is one and only one response for each stimulus.“ (Flanagan 1991: 3)158
So betrachtet ist ein Tier ein funktionales System, ontologisch und explanatorisch reduzierbar auf die intrinsischen Eigenschaften seiner materiellen Bestandteile. Die Funktionselemente dieses Systems sind eingeborene Reflexbogen,159 die bestimmte Inputs mit bestimmten Outputs korrelieren.160 Die (exterorezeptiven) Inputs der Sinnesmodalitäten oder die (interorezeptiven) Inputs der Organbewegungen können mit den Outputs von Muskelkontraktionen oder den Outputs von Organbewegungen direkt oder indirekt korreliert sein. 158 Diese Einschätzung findet sich auch in älteren deutschsprachigen Standardwerken der Philosophiegeschichte: „Die Tiere bleiben für Descartes Körper: ihre ‚Empfindungen’ sind nur Nervenbewegungen, aus denen nach dem Reflexmechanismus Erregungen des motorischen Systems entstehen.“ (Windelband 1993: 884). „Die Tiere sind bloße Maschinen, ihre Empfindungen bloße Reflexbewegungen.“ (Vorländer 1982: 696). „Alles, was sie tun, ist bloß mechanische Reizreaktion. Sie sehen nicht, sondern machen nur Sehbewegungen; hören nicht, sondern machen nur Hörbewegungen; und so überall.“ (Hirschberger 1991: 209) 159 Der Begriff des Reflexbogens scheint anachronistisch. Vergisst man die Lebensgeister und setzt an deren Stelle elektrochemische Impulse, so kann Descartes’ Mechanik der Reflexe durchaus so verstanden werden. Der Begriff wurde 1896 von John Dewey in die Psychologie eingeführt. Ein Reflexbogen ist die neurobiologische Abfolge, die einen unbedingten Reflex (Blinzeln, Kniereflex, Transpiration) oder einen bedingten Reflex (Pawlows speichelnder Hund) verursacht. Er enthält fünf Elemente: (i) ein Rezeptor (Haut, Auge usw.) empfängt einen (exterorezeptiven oder interorezeptiven) Impuls, (ii) afferente Bahnen leiten ins Zentralnervensystem (Gehirn, Rückenmark), (iii) Verarbeitung im Zentralnervensystem, (iv) efferente Bahnen leiten an Effektoren (Muskeln, Drüsen usw.), (v) Effektoren bringen einen Reflex hervor. Reflexe laufen schnell, präzise und zuverlässig ab. Im einfachsten Fall nichtkonditioniert, monosynaptisch und ohne Kontrolle des Zentralnervensystems. 160 Man könnte sich eine Maschine vorstellen, die bei der Berührung einer bestimmten Stelle aufschreit (Discours v, AT VI: 57). Der springende Punkt besteht darin, dass Tiere von Maschinen funktional nicht unterschieden werden können. Aus diesem Grund kann das Verhalten der Tiere auch nicht so beschrieben werden, dass wir ihnen Empfindungszustände (im Gegensatz zu Maschinen) zuschreiben können, indem wir auf die funktionale Rolle dieser Zustände für das Verhalten hinweisen. Die richtig gebaute Maschine jammert los und der Hund jault auf, wenn man sie an entsprechenden Stellen verletzt.
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Die direkte Korrelation entspricht beispielsweise einer einfachen somatischen Reflexbewegung (Blinzeln, Schluckauf, Kniereflex, Hand vom Feuer ziehen). Descartes selber vergleicht die direkte Korrelation mit einer Orgel. Der Tastendruck öffnet ein Ventil, Luft strömt hindurch und die entsprechende Orgelpfeife gibt einen Ton von sich (Homme, AT XI: 165-6161). Die Umlaufbahn dieser direkten Bewegung ist der Blutkreislauf, der durch die Wärme des biologischen Zentrums (Herz) unterhalten wird. Die Lebensgeister sind die materiellen Transmitter und damit die proximalen Ursachen der Outputs. Indirekt werden komplexere Inputs in Verhaltensweisen umgesetzt. Diese führen über das kognitive Zentrum (Zirbeldrüse). Der indirekte Weg wird z. B. eingeschlagen, wenn die Informationen der unterschiedlichen Modalitäten integriert werden müssen. Denn das Hirn ist auch Sitz des Gemeinsinns (senus communis, sens commun), dem in der Fakultätenpsychologie und auch bei Descartes die Funktion der Informationsintegration zukommt (Homme, AT XI: 352-3). Diese Sichtweise würde bedeuten, dass für Descartes tierliches Verhalten insgesamt mechanisch ist (unwillkürlich und unflexibel, bereichsund reizspezifisch, artenspezifisch und eingeboren). Nichts wird erlernt. A. Kenny etwa meint, in Descartes’ Philosophie gebe es in der Tat keinen Platz „for the concept of learning“162. Das Elsternbeispiel scheint jedoch das Gegenteil zu belegen. Es liegt auch auf der Hand, dass (auch einfache) Tiere lernfähige Wesen sind. Die Elster wird abgerichtet, Verhaltensmechanismen können konditioniert und dadurch verändert werden. Dies widerspricht der These, dass für Descartes tierliches Verhalten insgesamt mechanisch ist. Wie lassen sich nun die Implikation der Lernunfähigkeit und die Tatsache, dass Tiere abgerichtet werden können miteinander vereinbaren? Im Anschluss an das Elsternbeispiel werden weitere Abrichtungen genannt: „i’adioute que ces paroles ou signes ne se doivent raporter à aucune passion, pour exclure non seulement les cris de ioye ou de tristesse, & semblables, mais aussi tout ce qui peut estre enseigné par artifice aux animaux [...] à savoir, ce sera un mouvement de l’esperance qu’elle a de manger, si l’on a tousiours acoutumé de luy donner quelque friandise, lors qu’elle l’a dit ; & ainsi toutes les choses qu’on fait faire aux chiens, aux chevaux & aux singes, ne sont que des mouvemens de leur crainte, de leur esperance, ou de leur ioye, en sorte qu’ils les peuvent faire sans aucune pensée.“ (Newcastle 23.11.1646, AT IV: 574-5)
Descartes spricht ausdrücklich von abgerichteten Tieren (enseigné par artifice; fait faire) und betont, dass es sich um eine Abrichtung qua Affekte handelt. Hunde können beispielsweise zur Jagd abgerichtet werden. Sieht der Hund ein Rebhuhn, jagt er es naturgemäß. Hört er einen Knall, flüchtet er naturgemäß. Dies sind fest verdrahtete Reaktionsmechanismen. 161 Vgl. Gaukroger 1995: 280. 162 Kenny 1997: 103.
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„[M]ais neantmoins on dresse ordinairement les chiens couchans en telle sorte, que la veuë d’une perdrix fait qu’ils s’arrestent, & que le bruit qu’ils oyent apres, lors qu’on tire sur elle, fait qu’ils y accourent.“ (Passions § 50, AT XI: 370)
Die fest verdrahteten Reaktionsmechanismen können durch Konditionierung entkoppelt und neu verkoppelt werden. Descartes sagt uns jedoch nichts Genaueres darüber. An keiner Stelle seines Werkes findet man Genaueres über das Lernen. Fest steht, dass die Konditionierungen stets über die Affekte laufen und dass deshalb keine Gedanken mitbeteiligt sind (en sorte qu’ils les peuvent faire sans aucune pensée), wie im Fall der Elster. Nun könnte man die These vertreten, dass Descartes mit der Bêtes-machine-These die (befremdliche) Ansicht vertritt, dass Tiere zwar von uns abgerichtet werden können, selbst jedoch nicht lernen. Diese Interpretation wird durch Descartes’ Beispiele gestützt. Warum soll das Lernen nur durch unsere Abrichtung erfolgen können? Nun, der Fluss der Lebensgeister und die Bewegungen der Zirbeldrüse sind bei Tiermaschinen durch ihre funktionale Architektur vorgegeben. Auf bestimmte Reize folgen bestimmte Reaktionen, vermittelt durch bestimmte Lebensgeister- und Zirbeldrüsenbewegungen. Beim Menschen allerdings kann die Seele Einfluss auf diese Bewegungen nehmen (Passions §§ 41, 45; AT XI: 359-60, 362-3). Dieser entscheidende metaphysische Unterschied ist moralisch natürlich bedeutsam. Descartes artikuliert den wesentlichen moralischen Anspruch der Passions: Der Mensch kann sich dazu erziehen, seine Affekte zu beherrschen. Jeder Mensch ist dazu imstande, auch der seelisch schwache. Denn wenn wir es schon beim Abrichten der Tiere schaffen, ihre naturgemäßen Verhaltensweisen abzuändern – „puisqu’on peut avec un peu d’industrie changer les mouvements du cerveau dans les animaux “ (AT XI: 368) – warum sollte das nicht auch bei uns gelingen? Das Beispiel des Jagdhundes soll dies veranschaulichen, weshalb die Überschrift des Paragraphen lautet: „Qu’il n’y a point d’ame si foible, qu’elle ne puisse, estant bien conduite, acquerir un pouvoir absolu sur ses passions“ (AT XI: 368). Wir ändern die Lebensgeister- und Zirbeldrüsenbewegungen in den Tieren durch Abrichten. Und zwar weil wir einen Geist haben. Ein cartesischer Hund gehorcht dem Ersten, der kommt und ihn denkt.163 Natürlich nimmt unsere Seele keinen direkten Einfluss auf die Lebensgeister- und Zirbeldrüsebewegungen eines Tiers. Ebenso wenig nimmt sie eine direkten Einfluss auf die Lebensgeister- und Zirbeldrüsenbewegungen im eigenen Körper. Vielmehr stellt sie neue Verbindungen indirekt her, indem sie unerwünschte Verhaltensmuster auslöscht (Extinktion) oder erwünschte sich angewöhnt (Habituation).
163 So die Formulierung in D. Grünbeins Gedicht „Der Cartesische Hund“, jedenfalls beinahe: „Gehorcht dem Ersten das kommt und ihn denkt“ (Grünbein 1995: 173).
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Kapitel III – Descartes – Mechanismus und Menschenvernunftnft
71. Ansätze zu einer lernorientierten Stufung von Tierverhalten Das Problem mit dieser Interpretation besteht freilich darin, dass nicht nur die Seele Einfluss auf die natürliche Bewegung der Lebensgeister und der Zirbeldrüse nehmen kann (Homme, AT XI: 179). Präsentieren sich bestimmte Objekte den Sinnen, so wird die Zirbeldrüse häufig auf eine entsprechende Art und Weise angeregt. Dadurch werden sozusagen die Kanäle der Lebensgeister ausgeweitet und ihr Fluss erleichtert. Dies führt dazu, dass die Zirbeldrüse und das Hirn dazu disponiert werden, auf bestimmte Wahrnehmungsmuster zu reagieren. Die dispositionale Ablagerung von häufig wiederholten Wahrnehmungsmustern ist die Grundlage der Erinnerung in der cartesischen Physiologie (Homme, AT XI: 177-85164). Der originelle Gedanke Descartes’ besteht darin, dass Erinnerungen keine gespeicherten Vorstellungen der Dinge sind, sondern Spuren hinterlassen, die zu bestimmten Verhaltensweisen disponieren (Meslande Mai 1644, AT IV: 114). Selbstverständlich ist ohne ein auch nur rudimentäres Erinnerungsvermögen kein Lernen möglich. Betrachten wir ein simples Beispiel. Sowohl Menschen als auch Tiere können sich auf einfache Art neue Verhaltensweisen aneignen. Descartes erläutert dies wiederum am Beispiel des Essens. Diesmal bei einem Menschen (Passions § 50, AT XI: 369). Isst jemand mit Lust (avec appetit) ein Stück Fleisch, stößt dabei jedoch zu seiner Überraschung (surprise) auf eine stark versalzene Stelle, so kann diese unangenehme Empfindung die Disposition des Gehirns dahingehend verändern, dass diese Art Fleisch von nun an nur noch mit Abscheu (avec horreur) betrachtet wird. Der Lerneffekt besteht darin, diese Art Fleisch in Zukunft zu meiden. Die negative Erfahrung (horreur) dient als negativer Verstärker für eine bestimmte Verhaltensweise, ein Vermeidungsverhalten.165 Zwar haben die Tiere keine wirklichen Empfindungen (wie horreur) und dürften kaum überrascht werden können. Doch der Fluss ihrer Lebensgeister kann ebenso wie beim Menschen eine andere Richtung nehmen. Obwohl Descartes keine Beispiele für das Vermeidungsverhalten bei Tieren anführt, besteht kein Grund zur Annahme, dass er dieses Phänomen nicht auch bei Tieren anerkannt hätte. Ein Jungvogel schnappt sich einen ungenießbaren Käfer, ihm wird schlecht, er wird diesen Käfer in Zukunft meiden.166 Auf einer basalen Ebene kann Lernen als ein (nicht reifungsbedingter) Prozess definiert werden, der zu „einer relativ stabilen Veränderung von Reiz-Reaktions-Beziehungen führt; er ist eine Folge der Interaktion des Organismus mit seiner Umgebung mittels seiner Sinnesorgane.“167 Klas164 165 166 167
Vgl. dazu Graukoger 1995: 270-4, Sutton 1998: 55-66, Clarke 2003: 93-9. McFarland 1999: 296 ff. Das Beispiel stammt aus Dretske 2005. Zimbardo & Gerrig 1999: 229.
IV. Für den mentalistischen Rationalismus
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sische Konditionierung ist eine primitive Form des Lernens.168 Freilich, eine schwere Augenverletzung ist die Folge einer Interaktion mit der Umwelt (einem spitzen Ast etwa) und sie verändert die auf visueller Information beruhenden Reiz-Reaktions-Beziehungen nachhaltig. Schließen wir extern induzierte Verhaltensveränderungen aus. Pawlows Hund reagiert auf den Geruch von Fressen mit Speichelabsonderungen. Dies ist ein einfacher unbedingter Reflex. Aufgrund eines Konditionierungsprozesses reagiert er auf den Glöckchenton mit Speichelabsonderungen. Dies ist ein bedingter Reflex. Der Hund hat gelernt auf das Glöckchen hin zu speicheln. Ebenso steht es mit der Assoziation, die die Elster zwischen dem Leckerbissen und der Herrin vornimmt. Diese Art Konditionierung kann auch ohne Abrichtung (ohne Einflussnahme einer cartesischen Seele) statt finden. Diese Art der Konditionierung ist eine primitive Form des Lernens. Unbedingte (unwillkürliche, unflexible, bereichs- und reizspezifische, artenspezifische, eingeborene) Reflexe werden durch bedingte Reflexbildungen ergänzt. Diese Art des Lernens findet sich in cartesischen Tiermaschinen. Gibt es auch anspruchsvollere Formen? Der gangbarste Weg zu einer anspruchsvolleren Form des Lernens besteht darin, die Interaktion mit der Umwelt als Aufnahme von Informationen zu verstehen, die für die Verhaltensveränderungen verantwortlich sind. E. Saidel gibt eine nützliche Formel, die ein wenig präziser als die vorstehende Lehrbuchdefinition ist und dem Lernen darüberhinaus eine epistemologische Signatur mitgibt: „When it is the case that between two situations with relevantly similar stimuli (roughly speaking) an organism is presented with relevant new information, and then it acts differently at the later presentation of the stimuli, we have evidence to say that it learned. […] Learning is the formation of new associations of goals and behaviors.“ (Saidel 1998: 23)
Die Speicherung der Information erfolgt in der Erinnerung. Die Elster hat die Information gespeichert, dass die Herrin Leckerbissen verabreicht. Sie hat gelernt, durch die Laute „Guten Tag!“ ihre „Hoffnung auf Essen“ zu befriedigen. Ihr Lautverhalten ist mit dem Ziel assoziiert worden, einen Leckerbissen zu bekommen. Auch das Vermeidungsverhalten ist ein treffliches Beispiel für diese Art anspruchsvolleren Lernens. Ein bislang positiv besetzter Stimulus (das versalzene Fleisch, der ungenießbare Käfer) wird negativ besetzt, sodass daraus ein Vermeidungsverhalten resultiert, das dem Organismus Unlustzustände erspart. Das integrierende Element dieser neuartigen Koppelung von Reizen ist in beiden Fällen ein Affekt bzw. ein Appetit. Die bereits erwähnten Beispiele variablen Verhaltens – die Wahl eines Nistplatzes, das Testen der Schlange durch das Erdhörnchen (Abschn. 67) 168 McFarland 1999: Kap. 17.
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Kapitel III – Descartes – Mechanismus und Menschenvernunftnft
– stellen das Ergebnis von Lernprozessen dar. Im Fall des Erdhörnchens ist nicht lediglich eine ursprüngliche Reaktion (durch negative oder positive Verstärkung) durch eine neuartige Reaktion ersetzt worden. Das Erdhörnchen lernt nicht nur, auf einen Raubfeind auf neuartige Weise zu reagieren, um sich selbst (und seine Jungen) zu schützen. Indem es die Schlange testet, sammelt es Informationen, die sein weiteres Verhalten variabel bestimmen. Ebenso gehen Cheney & Seyfarth (1994) im Falle der Alaramrufe von Meerkatzen davon aus, dass diese Tiere etwas lernen. Sie lernen, Lebewesen in ihrer Umwelt in ernstzunehmende Raubfeinde zu klassifizieren.169 Junge Meerkatzen reagieren beispielsweise mit dem Adlerruf auf fast alles, was fliegt, sogar auf fallende Blätter. Erwachsene Meerkatzen reagieren deshalb nicht auf Alarmrufe der Jungen. Mit der Zeit beginnen junge Meerkatzen nur noch auf große Vögel zu reagieren. Erwachsene Meerkatzen gucken in die Luft und entdecken dort manchmal nur einen Geier und reagieren nicht. Als Erwachsene reagieren Meerkatzen schließlich zuverlässig auf bestimmte Adler (z. B. Kampfadler). Meerkatzen lernen also, ihren Alarmrufen eine bestimmte Referenz zu geben.170 Der Bezug der Alarmrufe liegt nicht ab ovo fest, sondern er wird durch zwei Komponenten festgelegt: Erstens durch das soziale Umfeld, nämlich die Reaktion der erwachsenen Meerkatzen. Zweitens durch die spezifische Umwelt, denn nicht in allen Gebieten müssen Meerkatzen vor gleichen Raubfeinden auf der Hut sein. In einer anderen Umwelt sind nicht Kampfadler, sondern Kronenadler gemeint. Meerkatzen tun gut daran, diese Dinge zu lernen. Anders wären sie als Spezies vermutlich nicht mehr existent. Verkürzt gesagt, diente und dient ihre Lernfähigkeit ihrer Selbsterhaltung. Wir haben nun ein primitives Lernen als simple, assoziationsgesteuerte Konditionierung, ein Lernen als informationsgesteuerte, neue Reaktion auf ähnliche Reize, Lernen als die Integration unterschiedlicher Informationen, die ein variables Verhaltensrepertoire informieren und ein Lernen als irrtumsgesteuerte Klassifikation von Dingen in der Umwelt. Weitere Lernstufen könnten unterschieden oder hinzugefügt werden. Tatsächlich findet sich bei Descartes so etwas wie ein Ansatz zur Unterscheidung verschiedener Lernstufen. Aber dieser Ansatz steht im Widerspruch zu jenen Aspekten der Bêtes-machine-These, die tierliches Verhalten als mechanisch erklären.
169 Cheney & Seyfarth 1994: 176. 170 Allen & Saidel 2005.
V. Ethicotheologie und Schluss
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V. Ethicotheologie und Schluss 72. Die Bêtes-machine-These als Lizenz zur Grausamkeit? Ein Bestandteil der Standardinterpretation der Bêtes-machine-These besteht im Vorwurf, dass sie bedenkliche moralische Konsequenzen habe. Die Ansicht, Tiere seien seelenlose Maschinen, werde von Descartes zur Rechtfertigung der wissenschaftlichen und wirtschaftlichen Zwecknutzung von Tieren und sogar jeder Grausamkeit ihnen gegenüber verwendet. Für die Tierethiker scheint es ausgemacht, dass diese Doktrin für die Tiere ganz und gar verfehlt ist und schreckliche moralische Folgen haben muss.171 Man verweist auf die berühmte Stelle in den achtzig Jahren nach Descartes’ Tod gedruckten Memoires pour servir à l’histoire de Port-Royal (1738) des Anti-Cartesianers Nicolas Fontaine. Dort nageln Cartesianer lebendige Tiere an die Wand und schlitzen sie munter auf, den Blutkreislauf beobachtend. D. Sztybel verweist ebenfalls auf Fontaine und führt eine Stelle aus Description (AT XI: 241 ff.) an, in der Descartes Harveys Theorie der Blutzirkulation an der Vivisektion eines Hundes überprüft, und schreibt: „He inspired generations of scientists after him to dissect live animals without inhibition, since after all these living machines are without feeling – or so, Descartes believed.“ (Sztybel 1998: 130)
Was ist dazu zu sagen? Erstens lautet die Bêtes-machine-These, dass Tiere empfindungsfähige, nicht empfindungslose (without feeling) Maschinen sind. Das Problem besteht darin, dass Descartes dies nicht wirklich plausibilisieren kann. Seine Bestimmung der Empfindung hindert es, Tieren tatsächlich Empfindungen zuschreiben zu können. Aber hat Descartes deshalb seine wissenschaftlichen Nachfahren zur Vivisektion animiert? Descartes meint, man könne den Tieren (metaphorisch) nicht ins Herz schauen, aber er hat ihnen physiologisch und vivisektorisch durchaus schon früh ins Herz geschaut (Plempius 15.02.1638, AT I: 523-7). D. Sztybels Verweis auf Harvey zeigt jedoch im Gegenteil, dass nicht nur Mechanisten, sondern auch Vitalisten keine Schwierigkeiten mit dieser Methode hatten, und zwar vor Descartes. Wie Maehle (1992) zeigt, beginnt im 16. Jh. ein immer öffentlicher werdender Diskurs um die Zulässigkeit und den wissenschaftlichen Sinn von Tierexperimenten. Tatsächlich setzt Descartes nirgends seine Bêtesmachine-These als Prämisse für den wissenschaftlichen Gebrauch von Tieren oder als Rechtfertigung für grausame Behandlung ein.172 Allerdings setzt sie Descartes indirekt als Rechtfertigung des wirtschaftlichen Gebrauchs ein. Die meisten Menschen nutzen Tiere wirtschaftlich, indem sie entwe171 Rachels 1990: 130-1. 172 Leiber 1991: 155.
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der deren Produkte oder die Tiere selbst verzehren. Die moralischen Konsequenzen, die Descartes aus seiner Tierdoktrin zieht, richten sich nicht gegen die Tiere, sondern sprechen für diese wirtschaftliche Gewohnheit. Denn er meint More gegenüber, dass seine Ansicht nicht so sehr grausam gegenüber Tieren sei (non tàm crudelis est erga belluas), als vielmehr die Menschen entlaste (quàm pia erga homines) und für unsere Praxis spreche, Tiere zu töten und zu verspeisen (animalia comedunt vel occidunt; More 21.02.1649, AT V: 278-9). Die Sorge Mores verschwendet sich an Lebewesen, die weder moralische Agenten noch moralische Patienten sind. Dies ist eine im 17. Jh. verbreitete Argumentation.173 Natürlich kann man Descartes vorwerfen, dass er diese Praktiken (Vivisektion und wirtschaftlicher Gebrauch von Tieren) nachträglich legitimiert und nicht als Vorurteile in Frage stellt. Aber man kann ihm nicht die initiale Grundlegung dieser Praktiken vorhalten. Descartes ist umgekehrt der Ansicht, dass es moralisch verwerflich ist, den Tieren eine Seele zuzuschreiben. Das hat ethico-theologische Gründe. Die ethico-theologischen Fragestellungen nahmen im Tierseelenstreit einen besonderen Rang ein (Abschn. 4, 41). Hier können grob drei Diskussionsfelder unterschieden werden: Es gibt zunächst ein Theodizeeproblem.174 Wenn Tiere bewusst litten und für ihre Leiden aber keine Erlösung möglich wäre, würde Gott sie ungerecht leiden lassen. Das verträgt sich jedoch schlecht mit Gottes Güte. Wenn die nicht erlösungsfähigen Tiere nicht leiden können, dann bleibt Gottes Güte gewahrt. Warum sollten sie auch leiden? Schließlich tragen die Tiere keine Mitschuld an der Erbsünde. Diese Art Argument findet sich bei Descartes nicht. Malebranche hat es jedoch verwendet.175 Wie gesagt passt die cartesianische Tierdoktrin gut zu unserer wissenschaftlichen und wirtschaftlichen Praxis, die mit guten Gründen moralisch in Frage gestellt wird. Sie passt jedoch auch zu unserer Praxis, Tiere nicht als moralische Subjekte zu betrachten. Wir ziehen sie für ihr Verhalten nicht moralisch zur Verantwortung.176 Da Tiere keine rationale Seele haben, sind sie keine Mitglieder der moralischen Gemeinschaft. Es bedeutet, dass Tiere sich nicht rational gegenüber ihren Empfindungen verhalten können. Somit sind sie weder frei gegenüber ihren Empfindungen und damit nicht verantwortlich für ihr Verhalten, noch können sie Herrschaft über ihre Empfindungen erlangen. Tiere sind keine moralischen Agenten. Dass Tiere keine rationale Seele haben, bedeutet aber auch, dass sie keine epistemischen Agenten sind. Personen hingegen sind epistemische und moralische Agenten in einem. 173 Thomas 1983: 41. 174 Harrison 1993, Ferré 1986. 175 Malebranche 1974: 389-99 [= Recherche VI 2, 7] & 1977: 509-31; vgl. Mauthner 1910: 1012, Radner & Radner 1989: 59-60, Harrison 1993. 176 Wee 2001.
V. Ethicotheologie und Schluss
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Schließlich das Problem der Unsterblichkeit. Dass Tiere keine Mitglieder der moralischen Gemeinschaft sind, bedeutet auch, dass Tiere keine unsterbliche Seele haben, da nur die rationale Seele unsterblich ist. Wenn nämlich Tiere eine Seele hätten, dann müssten wir, wie Descartes meint, zugestehen, dass ihre Seelen unsterblich sind. Diese Vorstellung läuft nicht nur der christlichen Anthropologie entgegen, sie ist nachgerade lächerlich, denkt man an Lebewesen wie Regenwürmer oder Austern (Newcastle 23.11.1646, AT IV: 576). Könnten nicht nur gewisse Tiere eine Seele haben, Austern, Schwämme und dergleichen hingegen nicht? Für Descartes besteht kein Grund zur Annahme, dass nur gewisse Tiere unsterbliche Seelen haben sollten (Newcastle 23.11.1646, AT IV: 576). 73. Die Unsterblichkeit der Seele und das Problem der anthropologischen Differenz Diese ethico-theologischen Überlegungen sind bei Descartes nur ansatzweise ausgeführt, ein Hinweis darauf, dass – anders als die Standardinterpretation meint – in ihnen nicht das eigentliche Motiv der Bêtes-machine-These schlummert. Der wesentliche Punkt liegt in der strikten Leib-Seele-Unterscheidung (Abschn. 43, 45, 61). Descartes behauptet, dass Tiere, wenn sie eine Seele haben, eine immaterielle unsterbliche Seele haben müssten und dass alle Tiere (Austern und Schwämme) diese hätten. Beide Überlegungen führen Behauptungen zum Gegenteil ad absurdum. Diesen Überlegungen liegt jedoch die Einschränkung der Seele auf die rationale Seele zugrunde (Abschn. 43). Das Haben einer Seele lässt keine (beispielsweise aristotelischen) Stufungen zu. Es handelt sich um eine Sache des Alles oder Nichts.177 Der Grund liegt in einer scharfen Gegenüberstellung von Leib und Seele, einer stark angesetzten anthropologischen Differenz. Betrachten wir dazu eine Parallele zwischen dem Discours und dem Titel der Meditationen, deren Gesamttitel lautet: Meditationes de Prima Philosophia, in quibus Dei existentia, et animae humana à corpore distinctio demonstratur. Auffällig ist die Betonung der menschlichen Seele im Titel (der zweiten Ausgabe).178 Wie wir gesehen haben, hält Descartes die Unterstellung einer Tierseele für das größte aller Vorurteile (Abschn. 47). Auch im Discours v äußert er sich diesbezüglich deutlich: „[C]ar, aprés l’erreur de ceux qui nient Dieu, [...] il n’y en a point qui esloigne plutost les esprits foibles du droit chemin de la vertu, que d’imaginer que l’ame des bestes soit de mesme nature que la nostre, & que par consequent, nous n’avons rien 177 Baertschi 1996: 69. 178 Es handelt sich um den Titel der zweiten Ausgabe von 1642. Erste Ausgabe (1641): Meditationes de Prima Philosophia, in qua Dei existentia et animae immortalitas demonstratur.
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Kapitel III – Descartes – Mechanismus und Menschenvernunftnft
a craindre, ny a esperer, aprés cete vie, non plus que les mousches & les fourmis; au lieu que, lors qu’on sçait combien elles different, on comprent beaucoup mieux les raisons, qui prouvent que la nostre est d’une nature entierement independante du corps, & par consequent, qu’elle n’est point suiette a mourir avec luy; puis, d’autant qu’on ne voit point d’autres causes qui la destruisent, on est naturellement porté a iuger de là qu’elle est immortelle.“ (AT VI: 59-60)
Die Vorstellung, dass Tiere eine Seele haben sollen, ist sogar moralisch bedenklich. Denn entweder sind die Tierseelen unsterblich. Dann macht es den Anschein, als müssten wir uns nicht um unsere Seele kümmern. Die Atheisten – so Descartes – sprächen den Tieren eine Seele wie die unsrige zu, nur um uns Furcht und Hoffnung des jenseitigen Lebens zu nehmen. Oder sie behaupten, dass sowohl die Tierseele als auch die unsere materiell sei. Dies ist aber moralisch noch bedenklicher. Neben dem Atheismus ist also die Tierbeseelung das größte intellektuelle Malheur. Gegen Letzteres steht die klare und deutliche Unterscheidung zwischen Seele und Körper. Die Parallele zum Titel der Meditation ist augenfällig. Descartes’ strikte Leib-Seele-Unterscheidung findet sich wieder in der Mensch-Tier-Unterscheidung. Descartes geht immer von einer starken anthropologischen Differenz aus und diese Ausgangslage strukturiert seine Argumentation und seine Probleme. Ebenso entspringen daraus die Schwierigkeiten der Explikation der Empfindungen innerhalb der Bêtes-machine-These: Descartes behauptet, Tiere seien empfindungsfähige Maschinen, kann ihnen aber aufgrund der konstitutiven Verbindung körperlich-kausaler und mentaler Anteile von Empfindungen keine Empfindungen zuschreiben (Abschn. 53-7). Die Selbsterhaltungsfunktion einzelner biologischer Systeme (Wahrnehmungen, Affekte) ist auf die Erhaltung der Leib-Seele-Einheit ausgerichtet (Abschn. 58). Da Tiere keine solche Einheit sind, können ihre biologischen Systeme nicht diese Funktion übernehmen (Abschn. 59).
Kapitel IV Hume – Naturalismus und Tiervernunft „But the life of man is of no greater importance to the universe than that of anoyster.“ (David Hume) 74. Einleitung Hume ist, wie J. Passmore bissig bemerkte, ein philosophischer Welpe (a philosophical puppy–dog), der in allen möglichen Problemen Beißspuren anbringt und sie angekaut und unverdaut liegen lässt.1 Doch beim Geist der Tiere hat Hume entschieden zugepackt. Seine These ist beißend formuliert, deutlich und ausgesprochen großzügig. Tiere denken und stellen vernünftige Überlegungen an, und zwar ebenso wie Menschen. Für Hume – so die Leitthese dieses Kapitels – existiert kein einschlägiger kognitiver Unterschied, gibt es keine anthropologische Differenz: „[N]o truth appears to me more evident, than that beasts are endow’d with thought and reason as well as men.“ Die Gründe für diese Egalitaritätsthese seien so evident, „that they never escape the most stupid and ignorant“ (T I 3, 16: 118/176).2 Diese These ist umso erstaunlicher, wenn man bedenkt, dass der Treatise on Human Nature das Projekt einer Wissenschaft vom Menschen (science of MAN) verfolgt. Humes Egalitaritätsthese ist jedoch im Vergleich zu Descartes’ Bêtes-machine wenig Aufmerksamkeit geschenkt worden.3 M. Dauler Wilson etwa kommt zu einem ernüchternden Ergebnis. Hume wärme lediglich 1 2
3
Passmore 1980: 87 f. A Treatise of Human Nature wird nach der Ausgabe der Nortons zitiert; und zwar in der folgenden Weise: (T Buch Kapitel, Abschnitt: Seitenangabe/Seitenangabe). Die zweite Seitenangabe verweist auf die (weithin noch) gebräuchliche Ausgabe von Selby–Bigge & Nidditch. Ebenso der Abstract, und zwar mit (A: Seitenangabe Norton/Seitenangabe Selby–Bigge- & Nidditch). Die beiden Enquiries werden nac der Ausgabe der Selby–Bigge & Nidditch zitiert; und zwar: (EHU Abschnitt, Paragraph: Seitenangabe), bzw. (EPM Abschnitt, Paragraph: Seitenangabe). Vgl. jedoch Seidler 1977, Massey & Massey 1992, Boyle 2003. In Millican 2002 findet sich kein eigener Essay über die Vernunft der Tiere im EHU, vgl. aber Schütt 1997. Zahlreiche Humeexegeten wenden für dieses Thema gar keine oder nur wenige Seiten auf, z.B. Àrdal 1966: 137–43, Stroud 1977: 76–7.
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Kapitel IV – Hume – Naturalismus und Tiervernunft
die von Descartes bereits zurückgewiesenen Argumente etwas auf. „Hume is not [...] breaking much ground within the early modern tradition“.4 Dies ist angesichts Humes starker These erstaunlich. Aber seine starke Rhetorik sei nicht ernst zu nehmen. Hume trete gleichsam kräftig kläffend auf, ziehe aber bei näherem Zusehen winselnd ab. Betrachtet man den Stellenwert, den Hume den Tieren in seiner Philosophie beimisst, dann sind deflationistische Einschätzungen im Stile M. Dauler Wilsons wenig überzeugend. Hume ist nämlich der Meinung, dass seine Analysen der Kausalität und der Affekte durch die Egalitaritätsthese gestützt werden. Die Einschätzung M. Dauler Wilsons wurzelt darin, dass sie Humes These zu wenig innerhalb seiner Philosophie des Geistes verankert. Allerdings ist auch die Ansicht vertreten worden, die Egalitaritätsthese offenbare geradezu die Verfehltheit einer Philosophie des Geistes, die auf normative Elemente verzichte. A. Flew beispielsweise nimmt sich der Egalitaritätsthese zwar an, mit der Absicht freilich, die Schwächen humescher Theoriestücke – der notorische Begriff des Glaubens etwa – vor Augen zu führen.5 Im Gegensatz dazu sind andere Interpreten der emphatischen Auffassung, Hume vollziehe einen entscheidenden anthropologischen Wandel, nämlich die Ablösung vom Menschen als Gottes Ebenbild hin zum Menschen als einem Tier unter Tieren.6 Darin wäre Hume ein Nachfolger Montaignes.7 Im Unterschied zu Montaigne führt er aber keinen skeptischen Gegendiskurs, sondern äußert mit einiger Zuversicht eine These, die sich in dieser starken Form in der Philosophie kaum finden lässt. Auch A. Baier sieht in Humes These eine entscheidende Wende: „To see matters aright, in Hume’s view, we must assimilate our cognitive capacities to animal reason and animal instinct, not take our own special mathematical and language-dependent capacities as self-illmunious, as the norm for comprehension and comprehensibility (Hume really does try to effect what amounts to a total reversal in epistemology).“ (Baier 1991: 9)8
4 5 6 7
8
Dauler Wilson 1999b: 507. Flew 1966: 166–71. Craig 1987: 70. Es gibt keine eingehenden Untersuchungen der Beziehungen zwischen Montaigne und Hume, was den Geist der Tiere betrifft (Hinweise bei Seidler 1977: 362, Elie 1994: 11). Pitson 2002: 101–6 skizziert die Positionen von Descartes und Montaigne als gegensätzliche Hintergrundpositionen, zwischen denen Hume eine Mittelposition belegt. Wie Gontier sieht Anthony Pitson nicht Hume und Descartes als Opponenten, sondern Descartes und Montaigne. Es werden aber Beziehungen bezüglich der Skepsis gesehen. Laurson 1992 erblickt in Montaignes und Humes Hervorhebung der Rolle der Gewohnheit das Bindeglied. Brahami 2001 betrachtet beide als radikale Vertierer der menschlichen Natur. Hartle 2001: 104–5 sieht jedoch unterschiedliche Formen der Skepsis am Werk. A. Baiers Formulierung ist eine Anspielung auf Humes assimilationistische Schlüsselstelle: „To consider the matter aright, reason is nothing but a wonderful and unintelligibel instinct in pure souls [...].“
Hume – Naturalismus und Tiervernunft
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Hier wird Hume – zurecht – ein Assimilationismus unterstellt, demzufolge die Epistemologie und die Philosophie des Geistes gleichsam von „unten“ angepackt werden müssen. Die Vermutung liegt auf der Hand, dass Humes Wissenschaft vom Menschen auf der assimilationistischen Intuition aufbaut, dass wir uns selbst besser verstehen, wenn wir uns nicht vorrangig als Vernunftwesen – wie im Rationalismus – begreifen, sondern als Tiere unter anderen Tieren.9 Humes Behandlung der Tiere und seine Egalitaritätsthese wird also sehr unterschiedlich bewertet. Zumindest herrscht darüber Einigkeit, dass Humes These deutlich assimilationistisch ist. Wie steht es mit der anthropologischen Differenz? Trotz seines Assimilationismus unterschlage Hume, wie behauptet wird, die anthropologische Differenz nicht. Sie sei aber nicht kognitiver und nicht affektiver, sondern moralischer Natur. Menschen sind, anders als alle anderen Tiere, moralische Wesen. Nun hat K. Tranöy argumentiert, die (kognitiv-affektive) assimilationistische These und die moralische anthropologische Differenz würden sich schlecht miteinander vertragen. Und zwar aus folgendem Grund: Sowohl die Vernunft als auch die evaluativen Affekte bilden die Voraussetzung für moralische Urteile. Wenn in den Voraussetzungen kein Unterschied bestehe, woher kommt der moralische Unterschied?10 Dagegen wird in der neueren Forschung versucht, Humes moralische anthropologische Differenz zu stützen.11 Allerdings werden dabei Humes Argumente für den Geist der Tiere und seine Egalitaritätsthese allenfalls skizziert.12 Deshalb möchte ich im Folgenden Humes Egalitaritätsthese ausführlicher rekonstruieren, vor allem seine konzentrierte, aber aufwändige Argumentation für die Zuschreibung mentaler Zustände gegenüber Tieren. Zunächst möchte ich – im Sinne der methodischen Maxime, dass sich philosophische Positionen als Absetzungsbewegungen verstehen lassen (Abschn. 10) – einen Hintergrund rekonstruieren, vor dem und gegen den Hume argumentiert. Anders als für Montaigne oder Descartes ist die scholastisch-aristotelische Psychologie im Falle Humes weniger bedeutend. Allerdings lenkt die Fakultätenpsychologie auch Humes Überlegungen, denn die Möglichkeit des Verzichts auf ein spezifisch rationales Vermögen ist für Humes Egalitaritästhese ausschlaggebend. Eine wichtige Rolle spielt einerseits die cartesianische Position, die Hume v. a. über das Werk von Malebranche rezipiert.13 Andererseits sind der Ein- und Ansatz der anthropologischen 9 10 11 12 13
Seidler 1977: 364, Brahami 2001. Tranöy 1959. Vgl. Tranöy 1959: 95, Seidler 1977: 368–9, Pitson 1993: 303–4, Arnold 1995: 309–13, Beauchamp 1999: 328, Pitson 2002: 646–50. Vgl. Massey & Massey 1992: 73 f., Pitson 1993: 301 f., Arnold 1995: 304–8, Pitson 2002: 106–8 & 2003: 640 f., Beauchamp 1999: 324–6. McCracken 1983: 254 ff.
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Kapitel IV – Hume – Naturalismus und Tiervernunft
Differenz bei Locke einschlägig. Am Beispiel des Essay Concerning Human Understanding soll gezeigt werden, wie Tiere in der Philosophie methodologisch eingesetzt werden können. Locke spricht Tieren das Abstraktionsvermögen ab. Hier siedelt er die anthropologische Differenz an. Doch er gesteht (höheren) Tieren ein beschränktes Maß an Rationalität zu. Gottfried Wilhelm Leibniz hingegen glaubt, dass Locke den Tieren zu viel attestiert, Descartes hingegen zu wenig, und plädiert für einen neuen Ansatz der anthropologischen Differenz. Leibniz steht als Beispiel dafür, in welcher Richtung sich Humes Denken nicht entwickelt. Stattdessen gibt George Berkeleys Kritik der abstrakten Ideen Hume den entscheidenden Fingerzeig in die richtige Richtung (Abschn. 78).
I. Locke, Leibniz, Berkeley 75. Lockes methodischer Einsatz der Tiere Lockes Essay14 fragt nach dem Ursprung, der Gewissheit und der Reichweite der menschlichen Erkenntnis (E I 1, 2: 43–4). Diese Fragestellung umreißt exakt den Aufgabenbereich der Epistemologie, denn sie betrifft die Fundamente, die Zuverlässigkeit und die Grenzen menschlicher Erkenntnis. Ihr Organ ist der Verstand. Der erste Satz der Einleitung deutet sogleich an, dass dort (im Verstand) auch die anthropologische Differenz zu finden ist: „SINCE it is the Understanding that sets Man above the rest of sensible Beings, and gives him all the Advantage and Dominion, which he has over them; it is certainly a Subject, even for its Nobleness, worth our Labour to enquire into.“ (E I 1, 1: 43)
Da Locke Pflanzen Empfindungsvermögen abspricht (E II 9, 11: 147–8), können mit dem Rest der „sensible Beings“ nur Tiere gemeint sein. Der Verstand – darin ist Locke durchaus klassisch im Sinne der Formel vom animal rationale – konstituiert Lockes anthropologische Differenz. Sie bestimmt Wesen und Natur des Menschen, und zwar kognitiv. Lockes Werk untersucht also jenes kognitive Vermögen, das Menschen vor Tieren auszeichnet. Warum aber, wenn der Verstand das unterscheidende Merkmal des Menschen gegenüber dem Tier darstellt, handelt es sich um eine Untersuchung des menschlichen Verstandes? Nun, Locke spricht Tieren den Verstand nicht ab. Er gesteht ihnen ein gewisses Maß an Verstandestätigkeit zu, ausgehend von der Tatsache, dass Tiere wie wir mit Sinnesorganen ausgestattet sind und daher Sinneswahrnehmungen haben. Gerade wenn der Verstand das unterscheidende Merk14
An Essay concerning Human Understanding wird nach der Ausgabe von Nidditch zitiert (Lokke 1975) und zwar als (E Buch Kapitel, Abschnitt: Seitenangabe).
I. Locke, Leibniz, Berkeley
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mal des Menschen gegenüber dem Tier darstellt, dann kann die Sinneswahrnehmung nicht das Bemerkenswerte am menschlichen Verstand sein, auch wenn für Locke alles Material des Verstandes aus den Sinnen stammt – „From Experience: In that, all our Knowledge is founded; and from that it ultimately derives it self“ (E II 1, 2: 104). Die Sinne liefern nur passiv das Material. Sie machen nicht die eigentliche aktive Leistung des Verstandes aus. Die Sinneswahrnehmung (Sensation) und das Bewusstsein kognitiver Prozesse (reflection upon the internal operations of the mind) stellen die beiden Quellen der Erkenntnis dar. Durch diese Quellen werden sowohl der Mensch als auch die anderen Tiere mit dem Rohmaterial der Erkenntnis versorgt (E II 7, 10: 131–2). Beide verfügen über einfache Ideen (E II 3), mithilfe derer Tiere in einem bescheidenen Maße denken können. Locke richtet sich damit gegen die Bêtes-machine-These der Cartesianer. Wenn Tiere Ideen haben und nicht bloße Maschinen sind, „(as some would have them) we cannot deny them to have some Reason.“ (E II 11, 11: 160) Dass Tiere nicht sprechen, scheint Locke im Gegensatz zu Descartes prima facie keine Sorge zu bereiten. Denn sie geben uns alle möglichen Hinweise für ihr wie auch immer bescheidenes Denkvermögen an die Hand, „except only telling us“ (E II 1, 19: 116). Natürlich haben niedere Tiere wie beispielsweise Austern nur wenige und sehr rudimentär entwickelte Sinnesorgane. Entsprechend armselig fallen ihre einfachen Ideen aus. Es reicht dennoch für ihre Selbsterhaltung (E II 9, 13–4: 148). Wie geht Locke nun methodisch vor, um von hier aus die anthropologische Differenz festzustellen? Nachdem Locke im Buch II seinen Begriff der einfachen Ideen erläutert hat, untersucht er in den Kapiteln 2, 9–11 die Verstandesoperationen. Der Reihe nach werden Wahrnehmung (Perception) und Erinnerung (Retention), Unterscheidung (Discerning), Vergleichung (Comparing), Zusammensetzung (Composition), Erweiterung (Enlarging) von Ideen und schließlich die Abstraktion (Abstraction) erläutert. Bei jeder dieser Erläuterungen folgt Locke einem methodischen Schema: Er stellt sich die Frage nach einer vergleichbaren Operation in der Verstandestätigkeit der Tiere. Wie bereits erwähnt, werden aufgrund der Wahrnehmung Tiere von Pflanzen unterschieden und aufgrund der Anzahl und der Beschaffenheit der Sinnesogane niedere von höheren Tieren. Locke schreibt den Tieren auch Erinnerung zu (E II 10, 10: 154–5). Dabei verweist er – wie Montaigne15 – auf das Beispiel 15
Pierre Coste war der französische Übersetzer von Lockes Essay (Locke 1975: xxxiv–xxxvii; Hutchinson 1991: 25–8). Er fasste Lockes Vogelbeispiel als Rückfall in die Theorie der eingeborenen Ideen und annotierte einige Passagen des Essay, die für ihn zu cartesianisch klangen, mit dem reichen Anekdotenmaterial aus Montaignes „Apologie“ (de Fontenay 1998: 378). Locke bat Coste darum, seinen Essay nicht mit Montaignes Essais zu vermengen. Es ist verständlich, dass Locke nicht in Zusammenhang mit dem Anwalt der Tiervernunft und Skeptiker Montaigne gebracht werden wollte. In der Einleitung zum Essay hat er sein Projekt als Heilmittel gegen einen „perfect Scepticism“ beschrieben (E 1.1.7: 47). Und da es sich um
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Kapitel IV – Hume – Naturalismus und Tiervernunft
eines Vogels, der eine Melodie lernt. Der Vogel hat Ideen und benutzt diese als Muster. Interessanterweise glaubt Locke, der Vogel verfolge ästhetische Zwecke und singe zu seinem und seiner Artgenossen Vergnügen. Denn das Erlernen der Melodie diene in diesem Fall nicht der Selbsterhaltung (Preservation). Bezüglich Unterscheidung und Vergleichung sowie Zusammensetzung und Erweiterung ist Locke der Ansicht, dass Tiere diese Operationen nur beschränkt ausführen können (E II 11, 5–7: 157–8). Tiere mögen vielleicht distinkte Ideen haben, aber diese sind vermutlich nur unklar und dunkel voneinander unterschieden. Vor allem bedienen sich Tiere in diesen Operationen nur einfacher Ideen, und zwar nur in unmittelbarer sinnlicher Gegenwart der entsprechenden Objekte. Ebenso beim Vergleichen von Ideen. Wie steht es mit der Zusammensetzung von Ideen? Haben Tiere nicht auch komplexe Ideen, zusammengesetzt aus einfachen? Locke führt das Beispiel des Hundes an, der Gestalt, Geruch und Stimme des Herrn zu einer komplexen Idee zusammensetzen kann. Doch er macht die komplexe Idee nicht selbst. Insofern hat der Hund zusammengesetzte Ideen. Tiere stellen nicht aktiv komplexe Ideen her. Die Fähigkeit zur Unterscheidung ist wichtig. Denn selbst wenn die Sinne fortwährend affektiert würden und der Geist kontinuierlich perzipierte, käme doch nur sehr wenig Erkenntnis zustande, wenn der Geist diese Verstandesoperation nicht ausführte (E II 11, 1: 155). Betrachten wir eine Anekdote genauer, die Locke erzählt, um das mangelnde Unterscheidungsvermögen bei Tieren zu belegen. Locke möchte zugleich zeigen, dass der Anschein auch nur passiv erworbener, komplexer Ideen bei Tieren bisweilen täuscht, da es sich vermutlich in Wahrheit um einfache Ideen handelt. Die Anekdote soll aber vor allem belegen, dass Tiere nur mangelhaft unterscheiden: „And perhaps even where we think they have complex Ideas, ‘tis only one simple one that directs them in the knowledge of several things, which possibly they distinguish less by their Sight, than we imagine. For I have been credibly informed, that a Bitch will nurse, play with, and be fond of young Foxes, as much as, and in place of her Puppies, if you can but get them once to suck her so long, that her Milk may go through them.“ (E II 11, 7: 158)
Die Hündin verwechselt Hundewelpen mit Fuchswelpen. Sie unterliegt einer Täuschung, die sie nicht bemerkt und auch nicht bemerken kann, wie nahe gelegt wird. Ihr Gesichtssinn gibt ihr lediglich eine (einfache) Idee der Existenz ähnlicher Jungtiere, so dass sie diese nicht von ihren eigenen zu unterscheiden vermag. Ein anonymer genius malignus schiebt der HünVersuche über den menschlichen Verstand handelt, ist es verständlich, dass es ihm nicht um die Erklärung des tierischen Verhaltens gehen konnte. Locke erklärte Coste: „Je n’ai pas écrit mon livre pour expliquer les actions des bêtes!“ (zitiert in de Fontenay 1998: 378)
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din die Fuchswelpen unter und bringt sie dazu, diese zu säugen. Das mangelnde Unterscheidungsvermögen der Hündin hindert sie auch daran, die Fuchs- von den Hundewelpen durch die schiere Anzahl zu unterscheiden, wie die von Locke anschließend angeführte Anekdote belegt. Woher weiß Locke, dass die Hündin zwischen ihren und den fremden Welpen keinen Unterschied macht? Es könnte doch sein, dass sie sehr wohl unterscheidet, nur dass der Unterschied für sie keine Rolle spielt. Auch die Art der Adoption deutet darauf hin: Wenn die Welpen erst gesäugt werden müssen, bis sie adoptiert werden, heißt das möglicherweise, dass sie von der Hündin zuvor nicht akzeptiert und mithin unterschieden werden. Da sich Locke aber nicht für „les actions des bêtes“ interessiert, bleibt die Frage nach dieser Bedingung ungeklärt. Die Anekdote dient als Argumentationsfigur im methodischen Schema auf dem Weg zur anthropologischen Differenz. Aus dem bisher Gesagten wird deutlich, dass Locke den Tieren Folgendes zuspricht: Tiere haben Sinneswahrnehmung, die sie passiv aufnehmen. Folglich haben Tiere zumindest einfache Ideen. Tiere speichern einfache Ideen in ihrem Gedächtnis. Einige Tiere können einfache Ideen, wenn auch nicht über sinnlich präsente Objekte hinaus, zusammensetzen. Einige Tiere können einfache Ideen, wenn auch nicht klar und deutlich, unterscheiden und vergleichen. Folglich können einige Tiere einfache Schlüsse ziehen. „It seems as evident to me, that they do [some of them in certain Instances] reason, as that they have sence; but it is only in particular Ideas, just as they receiv’d them from their Senses.“ (E II 11, 11: 160).16
Folgendes spricht Locke den Tieren jedoch ab: Sie können (selbst) keine komplexen Ideen bilden und sie können zwischen Ideen weder klar und deutlich unterscheiden noch zwischen ihnen Relationen über das sinnlich Gegebene herstellen. 76. Das Vermögen zur Abstraktion: Lockes anthropologische Differenz Schließlich gelangt Locke zur Abstraktion. Mit ihr ist die anthropologische Differenz erreicht. „This, I think, I may be positive in, That the Power of Abstracting is not at all in them; and that the having of general Ideas, is that which puts a perfect distinction 16
Die in eckige Klammern gesetzte Stelle ist eine Ergänzung in der vierten Auflage. Locke unterscheidet das Tier als Gattungswesen – „the Species of Brutes“ – gegenüber dem Menschen nur hinsichtlich der Fähigkeit zur Abstraktion und vergleicht „das“ Tier mit dem Menschen nur im Hinblick auf Wahrnehmung und Gedächtnis. Was allerdings die dazwischenliegenden Verstandesoperationen betrifft, macht Locke Unterscheidungen zwischen niederen und höheren Tieren, Austern und Hunden.
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Kapitel IV – Hume – Naturalismus und Tiervernunft
betwixt Man and Brutes; and is an Excellency which the Faculties of Brutes do by no means attain to. For it is evident, we observe no foot–steps in them, of making use of general signs for universal Ideas; from which we have reason to imagine, that they have not the faculty of abstracting, of making general Ideas, since they have no use of Words, or any other general Signs. [...] And therefore I think we may suppose, That ‘tis in this, that the Species of Brutes are discriminated from Man; and ‘tis that proper difference wherein they are wholly seperated, and which at last widens to so vast a distance.“ (E II 11, 10–11: 159–60)
Tiere können im Unterschied zu Menschen nicht von Ideen abstrahieren und damit keine allgemeinen Ideen bilden. Wie entstehen abstrakte Ideen? Vereinfacht gesagt, der Verstand lässt bei partikularen Ideen die zufälligen Umstände weg und behält nur die allgemeinsten Merkmale übrig, die auf alle ähnlichen Objekte zutreffen. Das ist der Abstraktionsprozess.17 Die abstrahierte Idee vermag mehrere Einzelgegenstände zu repräsentieren. Sie klassifiziert so Einzelgegenstände. Schließlich wird die abstrakte Idee mit einem arbiträren Laut verknüpft, der dadurch zu einem allgemeinen, sprachlichen Zeichen wird. Diese ermöglichen eine effiziente Kommunikation unter Menschen (E II 11, 9, III 3, 6–9: 150, 407–8). Da Tiere keine abstrakten Ideen bilden können, machen sie auch „no use of Words, or any other general Signs“. Obwohl Locke, wie wir gesehen haben, das Fehlen einer Wortsprache nicht als Maß des Denkens bei Tieren veranschlagt, lässt sich aus dem Fehlen einer Wortsprache bei den Tieren die anthropologische Differenz erschließen. Die anthropologische Differenz bei Locke entspricht also jener des mentalistischen Rationalismus. Wie für zahlreiche aristotelisch-scholastische Autoren (Abschn. 33) ist das Abstraktionsvermögen das der Sprache zugrunde liegende kognitive Vermögen, das die anthropologische Differenz markiert. Lockes Sprachkriterium dafür, dass Tiere keine abstrakten Ideen bilden, steht jedoch auf etwas wackeligen Füßen. Unterscheiden, Vergleichen und Zusammensetzen sind Verstandesoperationen, die Abstraktion erst ermöglichen. Tiere verfügen in geringem Ausmaß über diese Operationen. Dass sie keine sprachlichen Zeichen gebrauchen, ist ein sicherer Hinweis darauf, dass sie keine abstrakten Ideen bilden können. Worte sind arbiträre Zeichen für abstrakte Ideen und Worte werden in effizienter Kommunikation erst dann auf allgemeine Weise benutzt, wenn sie Zeichen für abstrakte Ideen werden (vgl. E III 2, 8, III 3, 6). Innerhalb dieser Argumentation besteht jedoch kein notwendiger Zusammenhang zwischen dem Haben abstrakter Ideen und dem Gebrauch einer Sprache. Folglich sagt die Tatsache, dass Tiere nicht sprechen, nichts darüber aus, ob sie abstrakte Ideen haben oder nicht. Denn sie könnten abstrakte Ideen bilden, aber keine Sprachzei17
Sein Ergebnis ist anders als bei Thomas nicht die Extraktion des Wesens einer Sache. Locke teilt die metaphysischen Voraussetzungen von Thomas nicht mehr.
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chen für sie gebrauchen. Anders gesagt: Locke nimmt die anthropologische Differenz bereits in Anspruch, um ihr Kriterium festmachen zu können. Dies zeigt sich, wenn er erläutert, wann etwas als eine Sprache zu verstehen ist. Zu Beginn von Buch III geht Locke davon aus, dass die Sprache das wichtigste Werkzeug und gemeinsame Band menschlicher Gemeinschaften sei. Damit die Sprache diese Aufgabe erfüllen kann, müssen drei Bedingungen gegeben sein. Es müssen Organe vorhanden sein, welche artikulierte Laute erzeugen können. Diese Laute müssen als Zeichen für Ideen verwendet werden können. Schließlich müssen diese Zeichen so verwendet werden können, dass sie mehrere Einzelgegenstände zusammenfassen (vgl. E III 3, 1–3: 409–10). Um zur zweiten Bedingung zu gelangen, greift Locke wiederum auf ein Tier als Argumentationsfigur zurück. Artikulierte Laute genügen nicht, um eine Sprache zu erzeugen, weil auch Papageien und anderen Vögeln beigebracht werden kann, Laute zu artikulieren, was aber nicht bedeutet, dass sie sprechen (vgl. E III 3, 1: 409).18 Wir treffen hier auf eine ähnliche Unterscheidung wie bei Descartes (Abschn. 68). Unter Lockes Prämissen könnte ein Papagei auch die zweite Bedingung erfüllen, denn er artikuliert Laute und hat – wie andere Tiere auch – partikulare Ideen. Aber nun weist Locke darauf hin (E III 3, 7: 411), dass viele Leute Wörter aussprechen wie Papageien. Sie haben diese wiederholt gehört und gelernt, ohne dass ihnen die entsprechenden Ideen bekannt wären. Auch sie erzeugen bedeutungslose Geräusche.19 Hier fällt Locke hinter sein Zugeständnis an die Tiere im zweiten Buch zurück. Denn ein Tier kann dem dort Gesagten zufolge die Idee seines Herren haben. Wenn nun ein Papagei lernt, den Namen seines Herren zu artikulieren und zu gebrauchen, warum sollte er dann ein bedeutungsloses Geräusch erzeugen und nicht die zweite Bedingung erfüllen?20 Es scheint, als mache Locke dem Geist der Tiere auf 18
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Vermutlich würden wir der Aussage zustimmen, dass die Artikulation bestimmter Laute noch keine Sprache darstellt. Aber die Tierbegründungsfigur ist hier interessant, denn Locke sagt ausdrücklich: Die Artikulation von Lauten genüge nicht, eine Sprache zu erzeugen, weil auch Papageien das können. Man beachte, dass die skizzierte Bedeutungstheorie sehr individualistisch ansetzt, im Gegensatz zu Montaignes intersubjektivem Modell der verbalen und paraverbalen Kommunikation (Abschn. 20–1). Das hier formulierte Problem ist auch in der Affensprachforschung der 1970er bis 1990er Jahre virulent. Savage-Rumbaugh & Lewin 1995: Kap. 3 weisen darauf hin, dass Affen visuelle Symbole zunächst gebrauchen, um einen entsprechenden Gegenstand – meistens Fressen – zu fordern. Aber das ist nicht dasselbe, wie einen Gegenstand mittels eines Symbols zu bezeichnen oder das Symbol als Zeichen für den Gegenstand oder gar die Repräsentation dieses Gegenstandes zu verstehen (Savage-Rumbaugh & Lewin 1995: 83). Descartes’ Elster fordert mit dem Laut „bon iour“ nur ein Fressen, aber sie hat keine Möglichkeit zu bezeichnen oder die Relation zu verstehen. Lockes Papagei hingegen müsste prinzipiell fähig sein, seinen Herrn mittels eines Eigennamens zumindest zu bezeichnen, also die zweite Bedingung zu erfüllen. S. Savage-Rumbaughs Affen Sherman und Austin sind diesbezüglich so klug wie Lockes Papagei.
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Kapitel IV – Hume – Naturalismus und Tiervernunft
der genetischen Seite seiner Ideentheorie Zugeständnisse, die er ihnen auf der semantischen Seite wieder verweigert. Damit nähert sich Lockes Papagei Descartes’ Elster an. Diese artikuliert ja Laute aufgrund ihrer Anatomie, ihrer Physiologie und ihrer Konditionierung. Offenbar scheitert der Papagei an der dritten Bedingung. Zeichen müssen so verwendet werden können, dass sie abstrakte Ideen repräsentieren. Aber warum? Der Papagei spricht doch. Und wenn er allgemeine Worte benutzt, dann müsste er doch abstrakte Ideen haben. In einer späteren Auflage des Essay fügt Locke die ausführliche Anekdote eines Papageien ein, der sich köstlich mit einem Prinzen unterhält. Locke scheint diese Anekdote für bare Münze zu nehmen. Der Papagei versichert den Prinzen, die Hautfarbe der Männer um ihn herum sei weiß (E II 27, 8: 332–5). Das Weiße aber, das der Geist heute in der Kreide und im Schnee, morgen in der Milch perzipiert, ist Lockes Paradigma für eine abstrakte Idee (E II 11, 9: 159). Warum sollte der Papagei mit seiner Antwort nicht sprachlich eine abstrakte Idee zum Ausdruck bringen. Nun, meint Locke, er ist kein Mensch. Tiere haben keine Sprache, also keine abstrakten Ideen. Das ist, wie gesagt, kein zulässiger Schluss. Tiere haben keine abstrakten Ideen, deshalb haben sie keine Zeichen für abstrakte Ideen. Das ist nicht mehr als eine unbewiesene Tautologie. Mit der Fähigkeit zur Bildung abstrakter Ideen schließt Locke die Behandlung einfacher Ideen ab: „And thus I have given a short, and, I think, true History of the first beginnings of Humane Knowledge“ (E II 15: 162). Mit der (wackeligen) Feststellung der anthropologischen Differenz beginnt die eigentliche Untersuchung über den menschlichen Verstand.21 Bis zu diesem Punkt ist es um die einfachen Ideen gegangen, die das Rohmaterial für alle weiteren Erkenntnisakte bildeten. Mit diesem Material kann der menschliche Verstand nun aktiv komplexe Ideen bilden, abstrahieren und mit den abstrakten Ideen logisch operieren. Der menschliche Geist übt „its Power over its simple Ideas“ nämlich durch genau jene Verstandesoperationen aus, die sich bei Tieren nicht finden (E II 12, 1: 163). Später bemerkt Locke, dass der Verstand generell drei Arten von Operationen durchführt. „1. The Perception of Ideas in our Minds. 2. The Perception of the signification of Signs. 3. The Perception of the Connexion or Repugnancy, Agreement or Disagreement, that there is between any of our Ideas. All these are attributed to the Understanding, or perceptive Power, though it be the two latter only that use allows us to say we understand.“ (E II 21, 5: 236) 21
Deshalb ist das Etikett „Empirismus“ etwas irreführend, wie Thiel 1990: 73 bemerkt: „Gemäß Locke stammt zwar das ursprüngliche Material der Erkenntnis aus der Erfahrung (d.i. die Ideen der Sensation und Reflexion); aber er behauptet nicht, dass Erkenntnis selbst sich direkt aus der Erfahrung herleite. Die Konstitution der Erkenntnis ist für Locke eine Leistung des menschlichen Verstandes und betrifft, wie gesehen, streng genommen rein die Ideenverknüpfungen.“
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Wir teilen mit den Tieren die erste Art, nicht aber die zweite. Die dritte Klasse findet sich bei Tieren kaum und wenn, dann nur an einfachen Ideen. Wir führen diese Operationen auch an abstrakten Ideen durch. Diese dritte Art definiert Locke als Erkenntnis (E IV 1, 2: 525). Zwar rechnen wir alle drei Arten von Operationen zum Verstand. Doch erst die beiden letzten Operationen machen den wirklichen Verstand aus, den menschlichen Verstand. Die erste Operation haben wir einfach mit den Tieren als Sinnenwesen gemeinsam. Der springende Punkt ist der: Zwar haben wir mit den Tieren die natürlichen Voraussetzungen gemein, die das Rohmaterial für höhere kognitive Operationen (Erkenntnis- und Denkprozesse im eigentlichen Sinne) liefern. Aber die höheren kognitiven Operationen finden sich jenseits der anthropologischen Differenz. Das methodologische Schema hat damit den menschlichen Verstand als ein Objekt der Epistemologie freigelegt.22 Lockes methodisches Vorgehen ist assimilatorisch. Ein Effekt dieses Ansatzes besteht in der Abgrenzung gegenüber den Cartesianern. Auch hier findet sich die demarkative Funktion der Tiere (Abschn. 4). Im Anschluss an die Schemata A.1 (Abschn. 8) und A.2 (Abschn. 43) kann Lockes assimilationistisches Vorgehen und die dabei eingeführten Unterscheidungen wie folgt veranschaulicht werden: Schema A.3 Seinsstufen Pflanzen niedere Tiere höhere Tiere
Funktion Leben Wahrnehmung (innere und äußere) Bewegung (innere und äußere)
Cartesianer res extensa Anatomie Physiologie Naturgesetz Dispositionen
Locke no Perception Perception (Simple Ideas) Memory Discerning & Comparing Composition & Enlarging
Ein entscheidender Punkt besteht darin, dass bei Locke nur noch die kognitiven Vermögen zur Debatte stehen. Für Descartes ist in der Auseinandersetzung mit der aristotelischen Psychologie die Erklärung basaler Lebensfunktionen ein drängendes Problem und explanatorisches Desideratum. Sowohl aristotelisch-scholastische als auch cartesische Theorien verankern ihre Erklärungsansätze der tierlichen kognitiven Vermögen in der Biolo22
Eine Bestätigung des bei Locke beobachteten methodischen Schemas stellt das 1695 erstmals
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Kapitel IV – Hume – Naturalismus und Tiervernunft
gie, in einer Antwort auf die Frage mithin, was es bedeutet, ein Lebewesen zu sein. Während für aristotelisch-scholastische und für cartesische Ansätze die basalen Lebensfunktionen stets im explanatorischen Horizont ihrer Seelenlehre bzw. Mechanik der Organismen und Lebewesen stehen, entfallen bei Locke biologische Fragestellungen ganz und gar. Übrig bleiben die kognitiven Vermögen. Obwohl Hume, wie wir sehen werden, Lockes anthropologische Differenz zurückweist, schließt er sich dennoch unbesehen der Trennung biologischer und psychologischer Fragestellungen und dem Ausschluss ersterer aus der Philosophie des Geistes an. 77. Leibniz’ Problembewusstsein Leibniz hat auf das explanatorische Problemfeld aufmerksam gemacht, das sich zwischen den Ansätzen von Locke und von Descartes aufspannt. Er hat die oben zitierte, demarkative Stelle aus dem Essay – Tiere „are not bare Machines (as some would have them) we cannot deny them to have some Reason“ – in seinem Handexemplar markiert.23 Nach Leibniz’ Ansicht gesteht Locke den Tieren nämlich zu viel zu, wenn er sie Denker, Descartes hingegen zu wenig, wenn er sie Maschinen sein lässt: „Auf der einen Seite wird durch jene übertrieben, welche die Sinne und das Bewusstsein als verbunden betrachten, denn so müssen sie den Tieren Sinneswahrnehmung und Seele absprechen, wie es die Cartesianer tun, oder auf der anderen Seite müssen sie ihnen Geist zugestehen, wovor Locke und andere nicht zurückschrecken. Grund des Irrtums ist, dass die Philosophen gewöhnlich keinen genügend unterschiedenen Begriff der Wahrnehmung im allgemeinen haben, so dass die Cartesianer und viele andere sie mit dem Denken, also mit Wahrnehmung, welche Bewusstsein einschließt, vermengen.“ (Brief 21.05.1708, zitiert in Jolley 1984: 117)24
23 24
publizierte und mehrmals aufgelegte Werklein An Abridgement of Mr Locke’s Essay Concerning Human Understanding von John Wynne dar. Die Kapitel E II 2, 9–11 werden jeweils mit einer Zusammenfassung von Lockes Aussage über die Verstandesoperationen bei den Tieren abgeschlossen. Mit seiner didaktischen Absicht überbietet Wynne noch das methodische Schema. Denn Locke stellt noch Überlegungen zu Fällen von „perfect Insensibility“ sowie zu „Idiots and mad Men“ an (vgl. E II 9, 14, II 11, 12–3: 148–9, 160–1). Mit diesen Grenzfällen droht die klare anthropologische Differenz etwas zu verschwimmen. Wynne verzichtetet auf diese Diskussionen, um ohne Idioten, Verrückte und Alte direkt mit der anthropologischen Differenz zu schließen: „This puts the great Difference between Man and Brutes: They reason about particular Objects and Ideas; but there appear no Footsteps of Abstraction in them, or of making General Ideas.“ (Wynne 1990: 54) Jolley 1984: 117. „In utramvis partem exceditur ab his qui sensum et conscientiam connexa statuunt, vel enim coguntur brutis adimere sensum animamque quod faciunt Cartesiani plerique, vel concedere illis mentem; a quo Lockius et similes non valde abhorrent. Causa erroris est, quod philosophi vulgo non satis distinctam habent notionem perceptionis in universum, hinc Cartesia
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Leibniz stellt das Dilemma fest, in dem sich die Philosophie hinsichtlich der Tiere spätestens seit Descartes bewegt und das Bayle in den beiden Artikeln „Rorarius“ und „Periera“ herausgearbeitet hat: Entweder spricht man den Tieren Geist ab oder man spricht ihnen Geist zu; entweder sind die Tiere zu weit weg vom Menschen oder zu nahe am Menschen; entweder ist die Distanz zwischen Tier und Mensch zu groß oder zu klein. Ein Problem der Position, Tiere seien Maschinen, liegt in Leibniz’ Augen darin, dass sie sowohl die Verhaltensweisen und kognitiven Leistungen der Tiere, als auch die Tatsache, dass es sich um Lebewesen handelt, offenbar nicht im Maschinenmodell unterzubringen vermag.25 Denn wie will man dies erklären? In der Monadologie (Leibniz 1998: 18/§ 17) hält Leibniz gegenüber der Corps-machine–These fest, dass man die Perzeption nicht mithilfe ausschließlich mechanischer Ressourcen erklären kann. Das grundsätzliche Problem hingegen der assimilationistischen Position, wie sie Locke vertritt, besteht darin, dass man nun die offensichtlichen Unterschiede zwischen den kognitiven Leistungen der Tiere und den kognitiven Leistungen der Menschen erklären muss.26 Leibniz fokussiert als entscheidenden Punkt das Verhältnis zwischen dem Denken und den Sinneswahrnehmungen.27 Für ihn besteht die Schwierigkeit sowohl der lockeschen als auch der cartesianischen anthropologischen Differenz darin, dass die wichtige Unterscheidung zwischen der Empfänglichkeit der Sinne und den Vermögen des Verstandes, zwischen Sinnlichkeit und Verstand, verwischt werde. Demgegenüber unterstreicht Leibniz eine seiner Meinung nach wenig beachtete Unterscheidung, nämlich diejenige zwischen bloßer Wahrnehmung und mit Bewusstsein verbundener, reflektierter Wahrnehmung. Cartesianer begehen den Fehler, dass sie Perzeption nicht von Apperzeption unterscheiden (Leibniz 1998: 16/§ 14). Dieser Unterschied müsse jedoch unverwischt beachtet werden.28 Leibniz gesteht den
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ni aliique multi eam cum cogitatione, id est perceptione conscientam involvente confude re.“ Giglioni 1995, Duchesneau 1998: Kap. 9 & 10. Freilich spitzt Leibniz die Position von Locke rhetorisch zu. Locke attestiert den Tieren ja keinen Geist und keine Vernunft tout court, sondern nur „some Reason“. Wie wir gesehen haben, zieht Locke mit Abstraktionsvermögen einen dicken Strich zwischen tierischem und eigentlichem Verstand des Menschen. Dies ist auch in der gegenwärtigen Auseinandersetzung um den Gehalt der Wahrnehmung Gegenstand der Diskussion: Ist der Gehalt der Wahrnehmung begrifflich (wie Neokantianer und Neohegelianer meinen) oder nicht-begrifflich? Für letzteres spricht u.a. die Tatsache, dass sich Tiere offenbar anhand ihrer Wahrnehmungen orientieren, aber (vielleicht) keine Begriffe haben, vgl. Wild 2004. McRae 1976: 30–4 hat gegen diese Unterscheidung ganz ähnlich argumentiert wie ich gegen Descartes’ These der Empfindungsfähigkeit der Tiermaschinen. Er behauptet, dass sich im Herzen dieser Unterscheidung ein Widerspruch verberge. Tiere perzipieren (z.B. in Sinneswahrnehmungen), aber nur Menschen apperzipieren. Doch die Apperzeption ist eine notwendige Bedingung für Sinneswahrnehmungen. Kulstadt 1981 versucht, die Standarddeu-
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Kapitel IV – Hume – Naturalismus und Tiervernunft
Tieren sinnliche Perzeptionen zu. Das Gedächtnis verknüpfe diese Perzeptionen (Leibniz 1998: 22/§ 25), dies sei aber keine Tätigkeit der Vernunft und müsse von rationaler Tätigkeit unterschieden werden (Leibniz 1998: 24/§ 26). Wiederholte und zahlreiche Verknüpfungen disponierten ein Lebewesen sich auf bestimmte Art und Weise zu verhalten und das Maß der Disposition sei die Gewohnheit (Leibniz 1998: 24/§§ 27–8). Dieser Perzeptionen, Verknüpfungen und Gewohnheiten seien sich die Tiere nicht bewusst. Sie könnten daher nicht über sie verfügen. Anders als Locke sieht Leibniz die anthropologische Differenz nicht nur in einem mentalen Akt (der Apperzeption im Gegensatz zur Perzeption), sondern auch in einem bestimmten Gegenstandsbereich: „Mais la connoissance des vérités Necessaires et eternelles est ce qui nous distingue des Simples Animaux, et nous fait avoir la Raison et les Sciences; en nous elevant à la connoissance de nous memes, et de Dieu. Et c’est ce qu’on appelle en nous Ame Raisonnable ou Esprit.“ (Leibniz 1998: 26/§ 29)
Leibniz macht sich auf die Suche nach einer Neuformulierung der anthropologischen Differenz, die es erlaubt, den einschlägigen Unterschied zwischen Mensch und Tier zu formulieren, und die dabei weder in die Fallen einer cartesianischen bzw. lockeschen Position verfällt.29 Er lässt das etwas nebulöse Abstraktionsverfahren und damit verbundene psychologische Erwägungen hinter sich, um eine etwas andere kognitive Differenz zu setzen. Anders Hume. Er ist der Ansicht, dass die Unterscheidung zwischen Sinnlichkeit und Vernunft, zwischen unbewussten und reflexiven Operationen falsch aufgefasst wird. Hume bestreitet, dass man eine kognitive anthropologische Differenz auf der Ebene einer bestimmten psychologischen Operation des Geistes (Locke), auf der Ebene der logischen Objekte des Geistes (Leibniz) oder auf der Ebene der substantiellen Verschiedenheit des Geistigen (Descartes) ziehen soll. Hume bezweifelt, dass die anthropologische Differenz überhaupt auf der kognitiven Ebene zu ziehen ist. 78. Gegen abstrakte Ideen: Was Hume von Berkeley übernimmt Locke eröffnet den Essay mit einer Kritik eingeborener Ideen (genauer: eingeborener theoretischer und praktischer Prinzipien). Unter Verzicht auf solche
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tung der anthropologischen Differenz bei Leibniz zu verschieben und so die Inkonsistenz auszuräumen, vgl. zu dieser Diskussion Miles 1994; vgl. zu Leibniz auch Berger 2001. In den Nouveaux Essais sur l’entendement humain weist Leibniz auf den Unterschied zwischen Perzeption und Apperzeption hin (II 9, 4), zugleich stimmt er aber auch mit Lockes Abstraktionsdifferenz überein (II 11, 10), meint aber, dass Lockes Folgerung, man könne den Tieren „some Reason“ zuschreiben, von einem allzu lockeren Sprachgebrauch zeugt (II 11, 11).
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Ideen kann bei der Sinneswahrnehmung als Rohmateriallieferantin sowohl für Tiere als auch Menschen angesetzt werden. Das methodische Vorgehen einer assimilationistischen Annäherung an die anthropologische Differenz wird Locke aufgrund der Kritik der eingeborenen Ideen im ersten Buch des Essay möglich. Wir haben auch gesehen, dass die Abgrenzung durch das Abstraktionsvermögen und den damit verbundenen Sprachgebrauch Probleme mit sich bringt. Die Beispiele der untergeschobenen Fuchswelpen und des sprechenden Papageien zeigen, dass sich Lockes mentalistischer Rationalismus in Zirkeln bewegt (wie bei Descartes; Abschn. 65). Doch, so könnte man fragen, was ist mit der Abstraktion gemeint? Die Einleitung Berkeleys zum Treatise Concerning the Principles of Human Knowledge30 enthält eine Kritik der abstakten Ideen und wählt Locke als Zielscheibe dieser Kritik. Dabei erkennt er sehr wohl deren Relevanz für die anthropologische Differenz: „I proceed to examine what can be alleged in defence of the doctrine of abstraction, and try if I can discover what it is that inclines the men of speculation to embrace an opinion, so remote from common sense as that seems to be. There has been a late deservedly esteemed philosopher, who, no doubt, has given it very much countenance by seeming to think the having abstract general ideas is what puts the widest difference in point of understanding betwixt man and beast.“ (Principles § 11: 93).
Berkeley möchte wissen, wie eine Idee abstrakt sein kann. Locke zufolge (zumindest interpretiert Berkeley ihn so) besitzt eine abstrakte Idee keine partikularen Eigenschaften und zugleich alle wesentlichen Eigenschaften des bestimmten Gegenstandsbereichs, auf den sie sich bezieht. Die abstrakte Idee MENSCH schließt keine spezifischen Bestandteile wie DÜNN, WEISS oder WEIBLICH ein. Doch muss sie alle Individuen umfassen, die zur Klasse der Menschen gehören. Berkeley betrachtet den Begriff der abstrakten Idee als inkohärent und weist ihn zurück. Er entwickelt den Begriff einer Idee, die zwar nicht an sich selbst abstrakt (sondern partikular, wie alle Ideen), aber allgemein ist, und zwar infolge ihrer repräsentationalen Funktion. Einer Idee wird diese Funktion übertragen, wenn sie mit einem sprachlichen Ausdruck verknüpft wird. Hume fasst diesen konstruktiven Aspekt von Berkeleys Kritik zusammen: „This then is the nature of our abstract ideas and general terms; and ’tis after this manner we account for the foregoing paradox, that some ideas are particular in their nature, but general in their representation. A particular idea becomes general by being annex’d to a general term; that is, to a term, which from a customary conjunction has a relation to many other particular ideas, and readily recals them in the imagination.“ (T I 1, 7: 20/22)
Diese Kritik und diese Lösung wird von Hume als eine der größten und 30
Berkeleys Treatise wird wie folgt zitiert: (Principles, Paragraph: Seitenzahl).
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Kapitel IV – Hume – Naturalismus und Tiervernunft
wertvollsten Entdeckungen der jüngsten Zeit betrachtet (T I 1, 7: 17/17). Was macht sie so außerordentlich? Die Relevanz liegt für unseren Zusammenhang auf der Hand. Die von Locke veranschlagte anthropologische Differenz ist hinfällig. Darüber hinaus entsorgt „the impossibility of abstract ideas“ (Principles § 21: 199) ein entsprechendes kognitives Vermögen. Da es keine abstrakten Ideen gibt, braucht es weder einen (thomistischen oder sebondinischen) Intellekt, noch einen (lockeschen) Verstand, eine (cureausche) „faculté de raisonner universellement“ oder eine (cartesianische) Denksubstanz oder eine (leibnizianische) Vernunft, um den Prozess der Abstraktion jenseits der Einbildungskraft vorzunehmen oder um abstrakte Ideen zu verarbeiten. Durch eine gewohnheitsmäßige Verknüpfung werden unterschiedliche partikulare Ideen mithilfe eines allgemeinen Terms aufgerufen, und zwar in der Vorstellungskraft (recalls them in the imagination). Hume ersetzt die höheren kognitiven Vermögen durch die Vorstellungskraft. Die Operationen der höheren kognitiven Vermögen werden ersetzt durch gewohnheitsmäßige Verknüpfungen (a customary conjunction). Wie der erste Teil des Treatise deutlich macht, gibt es in Humes System nur drei kognitive Vermögen (Sinneswahrnehmung, Erinnerung, Vorstellungskraft) und lediglich drei natürliche Verknüpfungen (Kontiguität, Sukzession, Kausalität). Damit kann Hume Mensch und Tier aneinander angleichen. Der Verzicht auf höhere kognitive Vermögen und die Egalitaritätsthese gehen Hand in Hand. M. Banwart trifft den Nagel auf den Kopf, wenn sie schreibt: „Hume stresses our ressemblance to animals in order to show that what we call reason and passions can arise naturally from experience without a special faculty (soul or pure reason) peculiar to us humans“.31 Anders gesagt: Hume kann tun, was Montaigne (Abschn. 35–6) nur andeutet.
II. Skeptischer Naturalismus 79. Landkarte der Hume-Deutungen Die Philosophie Humes ist wie diejenige Descartes’ ein Feld interpretatorischen Tauziehens. Obwohl es nicht leicht zu überblicken ist und es noch viel schwieriger ist, zu einer konsistenten und kohärenten Deutung der humeschen Philosophie zu gelangen, möchte ich versuchen, meinen interpretatorischen Ansatz in Grundzügen zu explizieren. Hume ist (wie Montaigne) ein skeptischer Naturalist. Diese Einschätzung soll nun in einer kleinmaßstabigen Landkarte der Deutungen verzeichnet werden. 31
Banwart 1994: 7.
II. Skeptischer Naturalismus
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Die Fülle und die Diversität der Hume-Deutung ist schwer zu überblicken.32 Doch die groben Züge der Interpretationsgeschichte zeichnen sich wie folgt ab: Hume wurde zunächst vor allem als destruktiver Skeptiker wahrgenommen, auf den konstruktive Antworten gefunden werden mussten. Zur Mitte des 20. Jahrhunderts verbreitete sich jedoch die Ansicht, Hume sei im Gegenteil ein Naturalist und darin bestehe sein konstruktiver Ansatz. Nach Thomas Reids einflussreicher Lesart im Inquiry into the Human Mind on the Principles of Common Sense (1764) ist Hume der Vollstrecker einer grundverkehrten epistemologischen Grundannahme.33 Diese Deutung wurde im 19. Jh. nicht zuletzt durch den Herausgeber der Werke Humes, Th. H. Green, portiert.34 Es handelt sich um den sog. Schleier der Vorstellungen oder Ideen (veil of ideas35 bzw. ideal system36). Vorstellungen werden als private, subjektive Quasi-Objekte betrachtet. Diese stellen sich als intermediäres Drittes zwischen den Geist und die realen Objekte. Das Problem folgt prompt: Wie kann sich das erkennende Subjekt jemals auf die realen Objekte beziehen? Reid ist der Ansicht, dass diese epistemologische Problemposition unweigerlich zu einem verheerenden (Außenwelt-) Skeptizismus führen müsse und dass Hume im Treatise diese Konsequenz zwar vollstreckt, ihren epistemologischen Ursprung in der Ideentheorie jedoch verkannt und dieselbe deshalb anerkannt habe. Die andere Seite dieser Medaille zeigt Hume als Vorläufer von Kants Transzendentalphilosophie.37 32
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Townsend 2001: 3 etwa führt ihre Monographie zu Humes Ästhetik mit der halb ironischen Bemerkung ein: „But Hume is variously read as a skeptik, and a realist, an emotivist and a moralist, and it is even denied that he is an empiricist. One might well despair over offering yet another reading of Hume, therefore. With the great volume and diversity already present, however, at least one more reading can do little harm.“ Árdal 1995: 78 bemerkt: „I make no apologies for writing about this well-worn topic. For, although there has been an enormous amount written about the account Hume gives of the nature of moral evaluation, commentators are as far from agreement as ever. My own contribution to the controversy has, if anything, not only added to the variety of opinions but also increased the general confusion.“ Reid 1983: 97 ff. Loeb 1981: 30–2. Vgl. Bennett 1971. Reid 1983: 103. Oder aber der analytischen Philosophie. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde Hume als einschlägiger Vorläufer des analytischen Empirismus betrachtet. Hume hat einige Probleme aufgeworfen, die sich aus dem Kontext seines Werks herauslösen und konstruktiv lösen lassen. Das bekannteste Beispiel dafür ist K. Poppers Formulierung des Induktionsproblems als einem der beiden Grundprobleme der Erkenntnis, vgl. Popper 1973: 1–6 & 1994: 1–8. Hier wird Humes Werk unter der Perspektive genuin erkenntnistheoretischer Fragestellungen des 20. Jh. wahrgenommen. Hume wird als Philosoph gelesen, der ausgehend von empiristischen Voraussetzungen destruktive skeptische Konsequenzen zieht. Die innerhalb der analytischen Philosophie einsetzende Selbstkritik in den 50er Jahren des 20. Jahrhunderts kann vor allem als Kritik am Empirismus betrachtet werden und dieser Kritik wurden dann
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Kapitel IV – Hume – Naturalismus und Tiervernunft
Hume habe zwar eine erfolgreiche skeptizistische Destruktion des metaphysischen Kausalitätsbegriffs unternommen. Seine eigene psychologistische Erklärung der kausalen Inferenz sei aber unbefriedigend. Das Unbefriedigende der Lösung liege hauptsächlich in Humes Empirismus, der in der Erfahrung suche, was eine transzendentale Bedingung dafür sei, dass man überhaupt Erfahrungen machen und Kausalurteile fällen könne.38 Vertritt Hume einen (selbst-)destruktiven und epistemologischen Empirismus? Diese Betrachtungsweise ist vielfach in Frage gestellt worden. Zum einen hat die philosophische Frühe-Neuzeit-Forschung die Vorstellungen (Ideen) von ihrem üblen Ruf zu lösen sich bemüht.39 Es ist auch durchaus denkbar, dass der klassische Empirismus dadurch einen geläuterten und auch für die gegenwärtige Diskussion relevanten Sinn erhält.40 Zum anderen haben verschiedene Interpreten versucht, Hume aus seiner destruktiven Interpretation zu lösen. So wurde darauf hingewiesen, Reids Lektüre habe ein „radical misunderstanding of Hume which was to dominate modern thinking for well over a century“ inauguriert.41 Eine etwas abenteuerliche Möglichkeit besteht darin, einfach zu leugnen, dass Hume Empirist ist.42 Eine andere und differenziertere Möglichkeit besteht darin, verschiedene Spielarten des Empirismus’ zu unterscheiden und Hume nicht durch einen epistemisch-semantischen Empirismus nach dem Vorbild des Logischen Positivismus festzulegen.43 Am entschiedensten hat sich jedoch
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auch die sogenannten „klassischen“ Empiristen Locke, Berkeley und Hume unterzogen. In diesem Zusammenhang wurde unter anderem Reids Vollstreckerthese wieder bedeutsam, wenn auch nicht immer mit Bezug auf ihren Urheber (vgl. Bennet 1971, Rorty 1981). Dass Hume vor allem von angelsächsischen, in der analytischen Tradition geschulten Philosophen und Philosophinnen rezipiert wird, ist somit nicht bloß auf den naheliegenden und trivialen Umstand zurückzuführen, dass Hume ein englischsprachiger Philosoph ist. Vielmehr ist die Hume-Rezeption Bestandteil der Etablierung der historischen Legitimation und des Problembestands der analytischen Philosophie und zugleich Bestandteil ihrer Selbstkritik. Während Kant die Kausalanalyse Humes noch als einen ausgezeichneten Ausgangspunkt zur Kritik der Metaphysik betrachtete, verlor sich dieser Bestandteil der Einschätzung Humes im Folgenden ebenso wie das Interesse an seinem empiristischen Ansatz im deutschen Idealismus. Das harte Urteil fällt in Hegels Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie: „Hume sieht nun die Notwendigkeit, die Einheit des Entgegengesetzten, ganz subjektiv in der Gewohnheit; tiefer kann man im Denken nicht herunterkommen.“ (Hegel 1967 ff. Bd. 20: 279) Loeb 1981, Yolton 1984 & 1996, Garrett 1997. Diese Diskussion hat dazu geführt, dass Autoren wie Hume nicht zwingend als Vertreter eines nur indirekten Zugangs zur Außenwelt verstanden werden müssen, sondern einen robusten direkten Realismus vertreten können. Eine ausführliche Verteidigung der Ansicht, Hume sei ein direkter Realist, findet sich bei Weller 2001. Mossner 1954: 297, Yolton 1984: 222. Livingston 1984: 10–5. Garrett 1997 unterscheidet sechs verschiedene Formen des Empirismus, die Hume zugeschrieben werden. (Die Benennungen stammen von Garrett, die Beispiele von mir.) Humes epistemologischer Empirismus wird zurückgeführt auf sein Prinzip, nach dem alle einfachen Vorstellungen einfachen Eindrücken entspringen müssen. Dazu gehört (und dies wurde in
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Kemp Smith gegen diese missverständliche Deutung ausgesprochen.44 Er setzt den Standard für eine konstruktive, revisionistische Lesart: Hume ist Naturalist. Allerdings ist Hume für Kemp Smith nicht in erster Linie ein psychologischer Naturalist. Sein Naturalismus betrifft die Beziehung zur Welt. Die Quelle der Erkenntnis sei weder die Vernunft noch die Erfahrung, sondern eine für uns undurchschaubare Relation zur Welt, die wir konstitutiv unserer menschlichen Natur verdanken. Die daraus entspringenden grundlegenden Überzeugungen können selber durch nichts begründet werden, sondern unsere Gründe werden erst möglich aufgrund dieser Überzeugungen. Unsere natürlichen Überzeugungen treten an die Stelle des (vernunft- oder sinnengestützen) Wissens.45 Die Natur führt uns durch einen sicheren Instinkt an.46 Sie ist unsere unsichtbare Norm.47 Diese realistische Lesart unterscheidet sich beträchtlich von einer auf subjektiven Vorstellungen fixierten empiristischen Deutung. Der Versuch wurde in zwei Richtungen weiter verfolgt.48 Eine dieser Richtungen betrachtet Hume als einen Philosophen des Commonsense49 bzw. der geteilten Lebensform,50 der kognitive, emotionale und moralische Subjekte von Anbeginn intersubjektiv verortet. Normen sind keine naturgegebenen, anthropologischen Grundlagen, sondern reflektierte Normen der jeweiligen Gemeinschaft. Nimmt man allerdings Humes assimilationistische These über den Geist der Tiere ernst, dann muss diese Deutungsrichtung mit einem Fragezeichen versehen werden. Betrachten wir kurz die intersubjektive Deutung A. Baiers und erinnern
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der analytischen Rezeption Humes stark gemacht), ein semantischer Empirismus: Begriffe, die nicht auf die Erfahrung zurückführbar sind, seien bedeutungslos. Dieses Prinzip wird uns später beschäftigen (Ab. 81). Weiterhin finden sich ein methodologischer (Philosophie muss von Erfahrung und Beobachtung ausgehen; T: introduction), ein nomologischer (Naturgesetze sind nicht aus Prinzipien deduzierbar, sondern müssen aus der Erfahrung induziert werden, beispielsweise der Kausalnexus; T I 3, 3), ein explanatorischer (für die tiefsten Wurzeln unserer Verstandestätigkeit kann es keine befriedigenden Erklärungen auf einer Basis der Erfahrung geben; T I 1, 7) und ein reduktiver Empirismus (bestimmte Entitäten können auf andere zurückgeführt werden, beispielsweise das Selbst auf Bündel von Perzeptionen; T I 4, 6) bei Hume. Mir scheint, dass die vier letztgenannten Spielarten des Empirismus Humes philosophisches Projekt zwar vage, aber zutreffender umreißen, als die erstgenannten Prinzipien eines Proto-Positivismus. Kemp Smith 1941. Kemp Smith 1941: 400. Wright 1983: 153 ff. So Mounce 1999. Ein zur Zeit prominentes Beispiel ist die revisionistische Lektüre der Kausalanalyse Humes, in der diese nicht mehr als das Modellbeispiel einer antirealistischen Regularitätstheorie verstanden wird. Hume erscheint als skeptischer Realist, vgl. Wright 1983, Strawson 1989 und die Beiträge in Read & Richman 2001. Eine kritische und skeptische Sichtung der Diskussion findet sich bei Kail 2003. Livingston 1984 & 1998. Baier 1991.
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Kapitel IV – Hume – Naturalismus und Tiervernunft
wir uns der starken Emphase, die sie auf Humes Assimilationismus verwendet (Abschn. 74). Leider bleibt dies folgenlose Rhetorik. Denn A. Baier behandelt Humes Egalitaritätsthese nicht weiter. Vielmehr steht eine ihrer exegetischen Prämissen Humes Egalitaritätsthese diametral entgegen. Die Prämisse lautet nämlich, dass der gesamte Treatise unter der Voraussetzung zu lesen sei, dass Menschen Teil einer Sprachgemeinschaft sind: „customs of thinking are customs of speaking“. Dies gelte insbesondere auch für Humes Analyse des Verstandes und der Affekte in den ersten beiden Büchern.51 Das widerspricht Humes Egalitaritätsthese. Denn diese schreibt Tieren Verstand und Affekte zu. Tiere sind aber keine Mitglieder einer Sprachgemeinschaft. Zwischen Menschen und Tieren gibt es dennoch keine einschneidenden (kognitiv-affektiven) Unterschiede. Also ist A. Baiers exegetische Prämisse falsch. Die intersubjektivistische Lesart ist vor dem Hintergrund von Humes These über den Geist der Tiere verfehlt. 80. Hume als skeptischer Naturalist Die andere Deutungsrichtung behält Humes subjektivistische und empiristische Voraussetzungen bei und versteht ihn auf dieser Grundlage als einen psychologischen Naturalisten.52 Von diesem Ansatz her lassen sich m. E. der Skeptiker und der Naturalist versöhnen. Gehen wir nochmals von der skeptischen Deutung aus, die man in der Tat schlecht vom Tisch wischen oder bagatellisieren kann, wenn man den Treatise oder den EHU liest.53 Neben der Lesart Humes als einem Skeptiker, der in erster Linie die Schwierigkeiten mit der eigenen und unbefragten empiristisch-ideistischen Ausgangsposition artikuliert, begreift ihn eine zweite Version als einen Pyrrhoniker.54 Im Unterschied zum epistemologischen Außenweltskeptiker zielt der Pyrrhoniker auf die (rustikale oder urbane) Urteilsenthaltung (Abschn. 18). Der Skeptiker bezweifelt, dass wir Wissen haben. Der Pyrrhoniker enthält sich der Meinungen. Der Titel des vierten Teils von Buch II in Humes Treatise lautet „Of the sceptical and other systems of philosophy“. In diesem Teil 51 52 53
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Baier 1991: 32, 100, 111. Stroud 1977; Fogelin 1984; Pears 1992 K. Meeker ficht gegen die Vereinnahmung Humes durch „moderne“ Formen des Naturalismus an, die die skeptischen Elemente seiner Philosophie herunterspielen. Hume könne nicht umstandslos (nämlich skepsislos) als Vertreter einer naturalisierten Epistemologie (Meeker 1998) oder eines epistemologischen Externalismus betrachtet werden (Meeker 2001). Auf diese Debatte möchte ich hier nicht eingehen. Mir scheint, dass die durch K. Meeker zurecht hervorgehobene humesche Sperrigkeit gegenüber Vereinnahmungen durch Internalismus/Externalismus- oder Naturalismus/Normativismus-Debatten weniger darauf hindeutet, dass Hume uns nichts mehr zu sagen hätte, als vielmehr darauf, dass diese Oppositionen möglicherweise überspannt worden sind, vgl. Sosa 2004. Fogelin 1985; Hiley 1988; Popkin 1997
II. Skeptischer Naturalismus
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des Treatise entwickelt Hume seine bekanntesten skeptischen Argumente. Dabei stellt er unterschiedliche philosophische Schulen oder Systeme einander gegenüber – wie der Pyrrhoniker. Hume nimmt hier eine metaphilosophische Position ein.55 Er kontrastiert unsere alltäglichen Überzeugungen mit philosophisch-dogmatischen einerseits und mit philosophisch-skeptischen Argumenten andererseits. Keine der drei Positionen kann gegenüber den anderen überzeugen. Hume hält die skeptisch-empiristischen Argumente allerdings für schlüssig. Nur glaubt er nicht, dass die Argumente überzeugen können. „Thus the sceptic still continues to reason and believe, even tho’ he asserts, that he cannot defend his reason by reason; and by the same rule he must assent to the principle concerning the existence of body, tho’ he cannot pretend by any arguments of philosophy to maintain its veracity. Nature has not left this to his choice, and has doubtless esteem’d it an affair of too great importance to be trusted to our uncertain reasonings and speculations. We may well ask, What causes induce us to believe in the existence of body? But ’tis vain to ask, Whether there be body or not? That is a point, which we must take for granted in all our reasonings.“ (T I 4, 2: 125/187)
Hier erscheint die Natur als Antidot gegen die Skepsis. Gegen welche Form? Gegen den Pyrrhoniker, der Überzeugungen angreift. Wie unwiderlegbar skeptische Argumente auch scheinen mögen, sie können uns von unseren basalen Überzeugungen – dass es unabhängig von uns existierende Gegenstände gibt – nicht abbringen. Das bedeutet, dass Hume die epistemologischen Argumente des Skeptizisten bezüglich unseres Wissens zwar für unwiderlegbar hält, darin aber keinen Grund sieht, unsere Überzeugungen aufzugeben. Aus der epistemologischen Frage wird eine Frage der Erkenntnispsychologie. Bei der Beantwortung der derart umgedeuteten Frage greift Hume auf die Mechanismen der Erzeugung von Meinungen zurück. Hume ist also ein Wissensskeptiker (weil er den Zweifel des Skeptikers für unwiderlegbar hält) und ein Meinungsnaturalist (weil er eine naturalistische Erklärung für die Entstehung und Resistenz einiger unserer grundlegenden Überzeugungen sucht). T. Penelhum hat Humes Position m. E. treffend charakterisiert: „I would suggest, then, that Hume is both a sceptic and a naturalist: that he does say that our basic beliefs about matters of fact are devoided of rational justification, that he offers us detailed accounts of how we come to hold them and why we cannot abandon them, and that these accounts are applications of a general understanding of human nature that is applied elsewhere to our emotional lives and to our moral and social evaluations […] Hume’s scepticism is not something incompatible with his naturalism. It is an integral part of it.“ (Penelhum 2000: 178–9)
Dies ist der inhaltliche Anteil seines Naturalismus. Es gibt jedoch auch einen methodologischen Anteil. 55
Pace Streminger 1996: 241–2, für den der Wechsel vom Treatise zum EHU einen Wechsel von
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Im weitesten Sinne kann Naturalismus als die methodische und inhaltliche Orientierung der Philosophie an den Naturwissenschaften verstanden werden. Hume folgt nach seinem Selbstverständnis methodisch der „natural philosophy“. Der Untertitel des Treatise lautet denn auch „Being an Attempt to introduce the experimental Method of Reasoning into Moral Subjects“. Humes gelegentliche Hinweise auf Issak Newton lassen darauf schließen, dass sein Projekt einer „science of MAN“ nach naturwissenschaftlichem Vorbild etabliert werden sollte.56 Selbstverständlich nicht im Sinne quantifizierender Labormethoden. Aber was ist mit der experimentellen Methode dann gemeint? Einen Hinweis gibt Roger Cotes in der Vorrede zur 1713 erschienenen zweiten Auflage von Newtons Philosophiae Naturalis Principia Mathematica. Cotes unterscheidet drei Arten der Naturphilosophie. Da ist zunächst das scholastische System, das aber nichts tauge, weil es die Phänomene nicht wirklich erkläre. Da ist zweitens der Cartesianismus, der Romane zusammenreime57, weil er bloße Hypothesen aufstelle. Was bleibt? „Es bleibt noch eine dritte Art von Leuten, nämlich diejenigen, welche sich zur experimentellen Philosophie bekennen. Diese wollen, dass die Ursachen der Dinge aus möglichst einfachen Prinzipien abgeleitet werden, aber sie erkennen nichts als Prinzip an, was nicht von den Erscheinungen bestätigt worden ist. Hypothesen ersinnen sie nicht [...]. Sie gehen deshalb nach einer zweifachen Methode vor, der analytischen und der synthetischen. Die Kräfte der Natur und die einfacheren Gesetze der Kräfte leiten sie aus gewissen ausgewählten Erscheinungen analytisch ab. Davon ausgehend machen sie dann synthetische Aussagen über die Beschaffenheit der übrigen Dinge. Das ist jene bei weitem beste philosophische Methode, für deren Aneignung – vor allen anderen – sich unser hochberühmter Autor wohlbegründet entschieden hat“ (Newton 1988: 14).
Die von Cotes unterstrichenen Momente der experimentellen Philosophie finden sich im Treatise, insbesondere der Versuch, die Funktionsweisen des menschlichen Verstandes oder die Entstehung der Affekte „aus möglichst einfachen Prinzipien“ abzuleiten und sich dabei an der Erfahrung zu orientieren. Doch darf daraus nicht geschlossen werden, dass Hume sich dem Vorbild der newtonschen Physik kritiklos unterwerfen würde. Er ist aber inhaltlichen Festlegungen gegenüber zurückhaltend. Sein Naturalismus ist nicht metaphysisch.58 Schließlich spricht Hume in der Einleitung die Ansicht aus, dass nicht allein Logik, Moral, Kritik und Politik, sondern selbst die Mathematik, die natürliche Religion und die Naturphilosophie von der „science of MAN“ abhängen (T: 4/xv–xvi). Die Wissenschaft vom Menschen sei „the only solid foundation for the other sciences, so the only solid foundation we can give to this science itself must be laid on experience and observation“ (T: 4/xvi). Man muss die „experimental method“ als sorgfältige
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einer skeptischen zu einer metaphilosophischen Position darstellt. Capaldi 1975; Stroud 1977 vgl. Schütt 1998: 17–50 Mounce 1999: 1–14
II. Skeptischer Naturalismus
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Beobachtung des menschlichen Lebens verstehen, und zwar gerade nicht unter experimentellen Laborbedingungen, sondern als Erfahrungen „as they appear in the common course of the world, by men’s behaviour in company, in affairs, and in their pleasures“ (T: 6/xix). Nach meiner Auffassung ist Hume also, wie Montaigne, skeptischer Naturalist. Seine Skepsis bezieht sich auf das Wissen. Sein psychologischer Naturalismus bezieht sich (unter anderem) auf Meinungen. Sein methodologischer Naturalismus orientiert sich am erfahrungsbasierten Vorgehen der Naturphilosophie. Wie aber passen diese beiden Etiketten, die Skepsis und der Naturalismus, zusammen?59 Gibt es gar zwei Humes?60 Norman Kemp Smith hat versucht, die Skepsis Humes und andere wichtige Bestandteile seiner Philosophie herunterzuspielen, allerdings nur mit dem Ziel, Platz für einen durchgehenden Naturalismus zu machen.61 D. Livingston und A. Baier sind der Ansicht, Humes Skepsis richte sich nur gegen die falschen, rationalistischen Philosophen, sei also ganz und gar instrumentell. Das Problem besteht nämlich darin: Hume-der-Skeptiker geht von einem empiristisch-subjektivistischen Standpunkt aus, gemäß dem alles, was dem Geist gegeben ist, seine eigenen Vorstellungen sind. Das führt ihn zur Skepsis. Hume-der-Naturalist geht von einem immer schon vorausgesetzten realistischen Bezug zu einer objektiven, natürlichen Welt aus oder zumindest von einer robusten Konzeption der menschlichen Natur. Das führt ihn gerade nicht zur Skepsis. Das Problem der Unvereinbarkeit von Skepsis und Naturalismus rührt in erster Linie daher, dass Hume als ein epistemologischer Naturalist betrachtet wird, der Prinzipien der Rechtfertigung unserer Überzeugungen aufstellt. Dann ist diese Position tatsächlich schwerlich mit der Skepsis zu vereinen. Hume zieht jedoch Rechtfertigungsgründe prinzipiell in skeptische Zweifel und beschreibt den Prozess unserer Überzeugungsbildung auf naturalistische Art und Weise.62 So lassen sich Wissensskepsis und Meinungsnaturalismus vereinen. Hume gibt weniger eine Rechtfertigung von Meinungen, als vielmehr eine Geschichte ihrer Entstehung. Dieses Vorgehen erinnert entfernt an die genealogische Methode: Hume rekonstruiert, warum wir bestimmte Überzeugungen haben und wir sie nicht ablegen können.63 59 60 61 62
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Mounce 1999. Strawson 1987: 22–3. Waxman 1994: 5–23. Man kann an dieser Stelle freilich einwenden, dass damit weniger eine Position als ein Problem formuliert wird. Denn darin scheint gerade die Schwierigkeit von Humes Begriff des Glaubens zu bestehen, dass er keine Unterscheidung zwischen einem bloß natürlich geglaubten Sachverhalt und dessen Rechtfertigung gibt. Da ich mich im Folgenden in erster Linie für Humes Assimilationismus interessiere, der menschliche und tierliche Überzeugungen im Grunde gleich setzt, kann ich mich mit einer Art Zuverlässigkeitsthese der Rechtfertigung zufrieden geben. Anders gelagerte und originelle Vorschläge zur Integration von Glauben und Rechtfertigung finden sich bei Wilson 1997 und bei Loeb 2001. Couzens Hoy 1994: 253 schreibt (bezogen auf Humes Moralphilosophie): „Hume’s own method of experimental reasoning is also intended to consign metaphysics to the flame, and
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Kapitel IV – Hume – Naturalismus und Tiervernunft
III. Humes Zugang zum Geist der Tiere 81. Der Aufbau des Treatise und das Copyprinzip Der Treatise besteht aus drei Büchern, die sich den kognitiven Vermögen des Verstandes widmen (Of the Understanding), eine Theorie der Affekte entwerfen (Of the Passions) und schließlich die Grundlage der Moral erkunden (Of Morals).64 Betrachten wir einige grundlegende Elemente der humeschen Philosophie des Geistes. In Treatise I 1 formuliert Hume einige wichtige Unterscheidungen und Grundlagen für seine Philosophie. Zunächst wird die Unterscheidung aller unserer Perzeptionen in Vorstellungen (ideas) und Eindrücke (impressions) eingeführt. Unter die Eindrücke fasst Hume ganz allgemein die lebendigeren oder kräftigeren Perzeptionen. Darunter fallen sowohl unmittelbare Wahrnehmungseindrücke (sensations) als auch Affekte und Gefühle (affections und sentiments). Eindrücke treten originär
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to show reason to be the product of bodily instinct. The method allows him to enquire into the origins of morals without assuming as his contemporaries did that the virtuous dispositions were implanted in all of us by a divine creator. The degree of methodological similarity between Hume and Nietzsche is thus the second feature to be considered. In both cases the method is hypothetical, tracing ideas back to psychological impressions, and finding like causes for like effects.“ Hume war enttäuscht über das mangelnde Echo des Treatise (vgl. Fieser 1996). Er sei als Totgeburt aus der Presse gefallen. Eine anonyme Rezension in der Zeitschrift History of the Works of the Learned zu den ersten beiden Bücher reagierte verspottend und verständnislos, vgl. Fieser 2000 Bd. 3: 3–40. Der Treatise wurde auch später hart attackiert durch Reids An Inquiry into the Human Mind, on the Principles of Common Sense (1764) und James Beatties An Essay on the Nature and Immutability of Truth; in Opposition to Sophistry and Scepticism (1770), vgl. die Auszüge in Fieser (2000 Bd. 3: 159–72, bzw. 203–41). Hume versuchte die Hauptgedanken vor allem des ersten Buches in einer Zusammenfassung zugänglich zu machen und verfasste An Abstract of a late Philosophical Performance, entiteled A Treatise of Human Nature, &c. Wherein the chief Argument and Design of that Book, which has met with such Opposition, and been represented in so terrifying a Light, is further illustrated and explained (1740). Offensichtlich bezieht sich der Titel auf die ablehnenden Rezensionen. Es gibt Zweifel an der Autorschaft Humes. Ich werde den Abstract jedoch wie die meisten Interpreten als Werk aus Humes Feder behandeln. Er veröffentlichte später alle drei Teile des Treatise in drei gesonderten und kürzeren Büchern. Grob gesagt wurde aus Buch I der EHU (1748), aus Buch III der EPM (1751) und aus Buch II die deutlich verkürzte Dissertation of the Passions (1757). Bemerkenswert ist, dass Hume im EHU zwar die Argumente und Thesen der Teile 1 und 3 vom Buch I des Treatise verarbeitet, diejenigen der Teile 2 und 4 hingegen stark umarbeitet, zusammenkürzt oder weglässt. Der Abschnitt VIII „Über Notwendigkeit und Freiheit“ des EHU ist eine Überarbeitung von Treatise II 3, 2–3. Zudem enthält der EHU den wichtigen Abschnitt X „Über Wunder“. Diesen Abschnitt wollte Hume ursprünglich dem Buch I des Treatise einverleiben, zog ihn dann aber doch wieder zurück; vgl. das Schreiben an Lord Kames, 02.12.1737 (Hume 1983 Bd. 1: 24). Hume stellte 1775 im EHU die Bekanntmachung voran, dass zukünftig alleine dieser Enquiry nicht aber der Treatise als Ausdruck seiner philosophischen Ansichten betrachtet werden solle. Damit aber hat sich Hume ironischerweise, da der Treatise ja anonym erschienen war, zum ersten Mal öffentlich zu diesem Werk bekannt.
III. Humes Zugang zum Geist der Tiere
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im Geist auf. Sie sind das primär Gegebene. Sie stammen einerseits aus der Sinneswahrnehmung (impressions of sensation). Davon unterschieden sind andererseits die Affekte (passions), die Hume „impressions of reflection“ nennt. Hierher gehören jedoch auch die basalen „inneren“ Eindrücke von Lust und Unlust. Hume gibt zahlreiche Hinweise darauf, dass er Eindrücke insgesamt durchaus physiologisch auffasst. Sie entstehen aus der Körperbeschaffenheit, den Lebensgeistern oder den Einwirkungen äußerer Objekte auf unsere Sinne: „Original impressions or impressions of sensation are such as without any antecedent perception arise in the soul, from the constitution of the body, from the animal spirits, or from the application of objects to the external organs.“ (T II 1, 1: 181/275)
Die Untersuchung ihrer eigentlichen Natur sei jedoch Gegenstand der „Naturphilosophie“ oder Anatomie. Im Gegensatz zu den mental originären Eindrücken (without any antecedent perception arise in the soul) treten Vorstellungen erst in der Folge von Eindrücken auf. Die Vorstellungen hingegen sind die schwächeren Abbilder der Eindrücke (fainter perceptions, or the copies). Im Abschnitt I 1, 1 formuliert Hume ein Prinzip, das die Untersuchungen von Buch I anleiten wird und das in der (angelsächsischen) Forschung als „Copy-principle“ bezeichnet wird. Es besagt, „[t]hat all our simple ideas in their first appearance are deriv’d from simple impressions, which are correspondent to them, and which they exactly represent.“ (T I 1, 1: 9/4; vgl. EHU II 13: 19)
Das Copyprinzip legt fest, dass unsere Vorstellungen von unseren Eindrücken herstammen (und deren „Kopien“ sein) müssen. Die Unterscheidung zwischen Eindrücken und Vorstellungen sei synonym mit der Commonsense-Unterscheidung „betwixt feeling and thinking“, zwischen Fühlen und Denken (A: 408/647). Hume benutzt die Begriffe „Vorstellung“ und „Eindruck“ also in einem sehr weiten Sinn. Dies wird deutlich, wenn Hume im Abschnitt III 1, 1 die Frage, ob moralische Unterscheidungen sich von der Vernunft oder vom Gefühl herleiten, auf die Frage zuspitzt, ob wir zwischen Lastern und Tugenden aufgrund von Vorstellungen oder von Eindrücken unterscheiden (T III 1, 1: 294/456). Es ist gerade das Verhältnis zwischen Gefühl und Denken, das Hume durch den ganzen Treatise hindurch interessiert, das Verhältnis also zwischen starken, lebendigen Perzeptionen einerseits und schwachen Perzeptionen andererseits, die Hume – „to express myself in philosophical language“ (EHU II 13: 19) – „ideas“ und „impressions“ nennt. Die kognitiven Vermögen haben sich bei Hume auf die Unterscheidung zwischen Eindrücken und Vorstellungen abgestimmt. Eindrücke stammen aus der Sinneswahrnehmung oder aus inneren Empfindungen. Die Vorstellungen werden in den beiden kognitiven Vermögen Erinnerung und
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Kapitel IV – Hume – Naturalismus und Tiervernunft
Vorstellungskraft aufgenommen.Während die Erinnerung die Eindrücke getreu ihrem Auftreten wiedergibt, ist die Vorstellungskraft frei, sie neu anzuordnen. Die unterschiedlichen Perzeptionen des Geistes verbinden sich mithilfe dreier Assoziationsmechanismen: Ähnlichkeit, zeitliche und räumliche Nähe und Kausalität. Diese drei Mechanismen sind in erster Linie in der Vorstellungskraft tätig. Wie wir sehen werden, haben sie die entscheidende Aufgabe, einen Transfer der Stärke und Lebendigkeit der Eindrücke auf die Vorstellungen durchzuführen (Abschn. 92). Das folgende Schema stellt die drei kognitiven Vermögen und drei basalen Assoziationsmechanismen zusammen. Schema B Wahrnehmung von Eindrücken
– äusserer Gegenstände – Lust und Unlust
Erinnerung
– lebendigere Vorstellungen – vorgegebene Ordnung
Vorstellungskraft
– schwächere Vorstellungen – freie Ordnung
Vorstellungsassoziationen
1. Ähnlichkeit 2. zeitliche und räumliche Nähe 3. Kausalität
Bemerkenswert ist, dass Hume nicht vom Verstand oder von der Vernunft als einem eigenständigen kognitiven Vermögen ausgeht. Es gibt für Hume nämlich nur drei kognitive Vermögen: Sinneswahrnehmung, Erinnerung und Einbildungskraft. 82. Der Ort der Tiere im Treatise Das auf der folgenden Seite dargestellte Schema gibt einen Überblick über die drei Bücher und über die Teile des Treatise. Die eigens hervorgehobenen Abschnitte verorten Humes Tierdiskurs in der Architektur des Werks. Erkennbar hat Hume den Tieren im Treatise einige Aufmerksamkeit geschenkt. Der Abschnitt „On the reasons of animals“ schien ihm wichtig genug zur Übernahme in den EHU unter dem selben Titel (EHU IX: 104– 8), wo sich zusätzlich eine Handvoll Hinweise auf quantitative Unterschiede zwischen Mensch und Tier finden (Abschn. 101). Die Behandlung der Tiere
III. Humes Zugang zum Geist der Tiere
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im Buch II des Treatise markiert weitere Unterschiede (Abschn. 104–6). Schema C Advertisement & Introduction BUCH I: BUCH II: Of the Understanding Of the Passions
BUCH III: Of Morals
TEIL 1: Of ideas, their origin, composition, connexion, abstraction, &c.
TEIL 1: Of pride and humility 2.1.12. Of the pride and humility of animals TEIL 2: Of love and hatred 2.2.12. Of the love and hatred of animals
TEIL 1: Of virtue and vice in general (Inzest-Argument)
TEIL 3: Of the will and direct passions 2.3.9. Of the direct passions
TEIL 3: Of the other virtues and vices
TEIL 2: Of the ideas of space and time TEIL 3: Of knowledge and probability 1.3.16. Of the reason of animals
TEIL 2: Of justice and injustic
TEIL 4: Of the sceptical and other systems of philosophy Da Hume keine höheren kognitiven Vermögen annimmt, setzt er die Tiere in den ersten beiden Büchern des Treatise methodologisch anders ein als Locke. Locke folgt einem schwachen Assimilationismus (Abschn. 3, 76), er vergleicht die kognitiven Operationen von Mensch und Tier, um mit der anthropologischen Differenz die Analyse des menschlichen Verstandes beginnen zu können. Humes starker Assimilationismus geht von Gemeinsamkeiten aus, die keine (kognitive) anthropologische Differenz erfordern. Hume benutzt die anthropologische Differenz nicht, um einen eigentlichen Untersuchungsgegenstand zu demarkieren, den menschlichen Verstand. Denn er betreibt die Untersuchung der menschlichen Natur und des menschlichen Verstandes nicht in Absetzung von nichtmenschlichen Tieren, sondern in Angleichung an sie. Darin besteht die methodische Voraussetzung der Egalitaritätsthese. Hume analysiert die seiner Meinung nach grundlegende kognitive Ope-
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Kapitel IV – Hume – Naturalismus und Tiervernunft
ration des menschlichen Geistes im Treatise I 3 – nämlich die Fähigkeit zum kausalen Schließen. Beobachtungen an Tieren dienen zur Bestätigung seiner diesbezüglichen Thesen. Offensichtlich finden sich auch bei Tieren Kausalschlüsse. Deshalb schließt dieser Teil – wie im Schema C zu sehen – mit einem Abschnitt über die Vernunft der Tiere (T I 3, 16). Der methodische Anspruch für Tiere ist erheblich. Hume meint, die Beachtung seiner Thesen gebe uns eine Art Test für philosophische Theorien an die Hand. Er schreibt, Tiere seien „a kind of touchstone, by which we may try every system in this species of philosophy“ (T I 3, 16: 118/176). Im Unterschied zu Descartes formuliert Hume keinen Seelenzulassungstest für Tiere, sondern einen Tiertest für philosophische Theorien (Abschn. 99). Das methodologische Muster findet sich im Buch II wieder. Hume schließt die beiden Teile über die Entstehungsmechanismen der Gefühlspaare Stolz und Scham, bzw. Liebe und Hass, mit je einem Abschnitt ab, der diese Gefühle bei den Tieren behandelt (T II 1, 12; 2, 12). Offensichtlich finden sich die diskutierten Mechanismen auch bei Tieren. Wiederum dienen die Beobachtungen an den Tieren der Bestätigung von Humes Thesen. Dieses Muster wird scheinbar mit dem dritten Teil des Buchs II durchbrochen. Denn dort findet sich kein eigens den Tieren gewidmeter Abschnitt. Im Schema C habe ich den Abschnitt „Of the direct passions“ hervorgehoben. Es handelt sich um den zweitletzten Abschnitt von Buch II. Darin bemerkt Hume: „The same care of avoiding prolixity is the reason why I wave the examination of the will and direct passions, as they appear in animals; since nothing is more eviident, than that they are of the same nature, and excited by the same causes as in human creatures. I leave this to the reader’s own observation; desiring him at the same time to consider the additional force this bestows on the present system.“ (T II 3, 9: 286/448).
Damit wiederholt Hume augenfällig das methodologische Muster. Die behandelten psychologischen Mechanismen finden sich auch bei den Tieren und diese Tatsache kann als Bestätigung der Thesen betrachtet werden. Hervorzuheben ist Humes Kritik des freien Willens (T III 3, 1–3; EHU VIII). Neben dem Verstand oder dem Intellekt ist der freie Wille traditionell der zweite Bestandteil der rationalen Seele. Auch durch den freien Willen – darin sind sich Scholastiker und Cartesianer einig – unterscheidet sich der Mensch von den anderen Tieren. Wiederum verzichtet Hume auf eine Maßgabe der anthropologischen Differenz. Der Zusammenhang zwischen Humes skeptischer Destruktion kognitiver Vermögen (Vernunft und freier Wille) und seiner skeptischen Destruktion metaphysischer Begriffe (Kausalität und Selbst, Seele) und dem Einsatz der Tiere liegt auf der Hand: Wie Montaignes skeptischer Gegendiskurs zielt Humes skeptische Destruktion auf die „Vertierung“ des Menschen. Im Treatise III 1, 1 kontrastiert Hume den moralisch nicht verurteilten
III. Humes Zugang zum Geist der Tiere
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tierischen Inzest mit dem moralisch verurteilten Inzest bei Personen, um zu zeigen, dass ein bloßer Sachverhalt nicht die Grundlage moralischer Evaluationen sein kann. Die Vernunft kann lediglich Beziehungen zwischen Vorstellungen erkennen. Nun lägen im Inzestfall bei Tieren aber dieselben Verhaltenstatsachen vor wie bei Menschen, d.h. dieselben Beziehungen zwischen Vorstellungen. Die bloße Beobachtung bestimmter Sachverhalte – bestimmter Relationen zwischen Vorstellungen – könne nicht zur moralischen Verurteilung führen. Im Buch III des Treatise finden sich keine eigens den Tieren gewidmeten Abschnitte mehr. Der Grund dafür scheint darin zu bestehen, dass Hume Tiere nicht als moralische Wesen betrachtet. Eine ganze Reihe von Kommentatoren argumentiert daher, dass der relevante Unterschied zwischen Mensch und Tier moralisch sei, nicht kognitiv. Das Inzestbeispiel ist ein Fokus der Interpretation, weil es scheinbar zeigt, dass Tiere keinen moralischen Evaluationen unterworfen und auch keine moralischen Agenten seien.65 Humes reife Moralphilosophie im EPM jedoch nimmt wie Montaignes Programmskizze (Abschn.19, 37) ihren Ausgang bei den sozialen Tugenden des Wohlwollens (benevolence) und der Gerechtigkeit (justice). Wie Montaigne fordert Hume Wohlwollen Tieren gegenüber, behält Gerechtigkeit den Menschen vor (EPM III 152: 190–1). Hume legt nahe, dass Tiere des gegenseitigen Wohlwollens fähig sind. Deshalb gehören sie nicht tout court in den außermoralischen Bereich. Im Gegensatz zu den meisten vorliegenden Arbeiten über die Tiere bei Hume möchte ich mich nicht auf die Diskussion konzentrieren, ob es eine moralische anthropologische Differenz in seiner Philosophie gibt oder nicht. Vielmehr möchte ich behaupten, dass Hume die anthropologische Differenz verabschiedet. Es gibt keinen entscheidenden Mensch-Tier-Unterschied, vielmehr arbeitet Hume eine ganze Reihe solcher Unterschiede heraus. Wenn es zutrifft, dass Hume die anthropologische Differenz verabschiedet, dann existiert in seiner Philosophie a forteriori auch keine moralische anthropologische Differenz.66 83. Anfangen beim Commonsense Die Tiere seien ebenso wie die Menschen mit Gedanken und Vernunft bedacht (are endow’d with thought and reason as well as men). Die Argumente dafür seien so offensichtlich, dass sie auch dem Dümmsten und Unwissendsten nicht entgehen (so obvious, that they never escape the most stupid and ignorant). Montaigne hatte solche Behauptungen lediglich in der Form eines skep65 66
Vgl. Tranöy 1959, Clark 1985: 117–8, 127 ff., Pitson 1993: 305–7, Arnold 1995: 307–8, Beauchamp 1999: 327–8, Pitson 2002: 642–3. So auch Boyle 2003.
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Kapitel IV – Hume – Naturalismus und Tiervernunft
tischen Gegendiskurses erhoben, Descartes weist derartige Thesen zurück, Locke oder Leibniz versuchen Differenzierungen anzubringen, ebenso der liberale Aristoteliker Cureau de la Chambre. Was macht nun Hume so sicher? In erster Annäherung kann man sagen, dass es Hume schlicht für eine Unterstellung des Commonsense hält, dass Tiere denken und überlegen. Wir haben normalerweise keine Schwierigkeit zu verstehen, was jemand meint, wenn er seiner Katze Gedanken zuschreibt: „Jetzt glaubt Karls Katze, dass es etwas zu futtern gibt!“ Ebenso wenig, wenn jemand seinem Hund eine Überlegung zuschreibt: „Als Rex sah, dass ich nicht aus dem Arbeitszimmer gerufen hatte, stürmte er in die Küche, nicht ins Schlafzimmer, denn dort bin ich ja tagsüber sozusagen nie.“ Wer derart in intentionalistischem Vokabular redet, redet nicht prima facie unsinnig oder offensichtlich metaphorisch, wie mit Bezug auf ein Auto oder eine Trickfilmfigur. Wir verstehen aber nicht nur, was solche Redeweisen meinen, wir erklären Tierverhalten auch intentional, etwa durch die Zuschreibung von Wünschen und Überzeugungen. Die Katze miaut in der Küche, weil sie Hunger hat; sie rennt auf Karl zu, weil sie glaubt, dass sie von ihm etwas zu fressen bekommt. Schließlich beschreiben wir Tierverhalten als intentional. Was tut Karls Katze, die vor Rex einen Buckel aufsetzt und faucht? Sie versucht ihn einzuschüchtern. Was tut die Maus, die über den Küchenboden und weg von Karls Katze in Richtung Norden, wo die Cornflakes stehen, trippelt? Erzeugt sie Trippelgeräusche? Rennt sie Richtung Norden? Rennt sie zu den Cornflakes? Sie verbraucht auch Kalorien und Sauerstoff. All dies „tut“ die Maus. Aber dies sind keine Beschreibungen ihres Verhaltens. Eher würden wir sagen, dass sie vor der Katze flieht oder auf ihr Mäuseloch zurennt.67 Diese Art Zuschreibungen sind zunächst sicher anthropomorphistisch. Aber wie wir bereits bei Montaigne sehen konnten, lassen sich solche Zuschreibungen als Instrumente auffassen, die es erlauben, Fragen an das Tierverhalten zu stellen und daran anschließend Differenzierungen vorzunehmen (Abschn. 23). Gegen solche Zuschreibungen lässt sich auch einwenden, dass sie Tieren gehaltvolle Einstellungen unterstellen, ohne genau angeben zu können, worin der Gehalt der Tierüberzeugungen und -wünsche besteht. Hat Rex Gedanken über Schlaf- und Arbeitszimmer? Hat Karls Katze gehaltvolle Wünsche bezüglich ihres Fressens: Heute lieber mit Ente, keinen Fisch? Versteht die Maus, dass sie flieht? Fragen dieser Art laufen auf Einwände hinaus, die alle mit der Tatsache zu tun haben, dass Tiere (wenn überhaupt) über nur kümmerliche begriffliche Ressourcen verfügen.68 Hume hat sich mit solchen Einwänden nicht unmittelbar auseinander zu setzen. Aber ich denke, dass er für seine Auffassung zwei einleuchtende Gründe vorbringen kann, eine Unterscheidung zwischen dem Dass und dem Was des Denkens und die Möglichkeit nicht-begrifflichen Gehalts. 67 68
Millikan 2005, Kornblith 2002: 30–7. Brandom 2001, Davidson 1990, 1999 & 2005, McDowell 1994, Stich 2005.
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84. Dass Tiere denken und was Tiere denken Hume meint, es sei evident, dass Tiere denken und überlegen. Er sagt zunächst nichts darüber, was Tiere denken und überlegen. Die richtige Reihenfolge der Fragen lautet also nicht, dass wir uns zuerst darüber klar werden müssen, was Tiere denken um dann zuversichtlich behaupten zu können, dass sie denken. Humes Reihenfolge ist umgekehrt. Wir behaupten zuversichtlich und verständlich, dass Tiere denken, wir erklären und beschreiben so ihr Verhalten. Und erst daran anschließend stellt sich die möglicherweise knifflige Frage nach dem Gehalt. Man vergleiche damit Th. Nagels Fledermaus-Aufsatz. Th. Nagel meint, bewusstes Erleben zu haben heiße, dass es für ein Lebewesen irgendwie ist (sich irgendwie „anfühlt“), dieses Lebewesen zu sein. Zu glauben, dass eine Fledermaus bewusste Erlebnisse hat, heißt, dass es für eine Fledermaus irgendwie ist („anfühlt“), eine Fledermaus zu sein. Aber wie irgendwie? Th. Nagel glaubt, dass sich genau dies außerhalb der Reichweite unserer Begriffe befinde. Es geht nicht um ein Problem mangelnder Evidenzen. Vielmehr geht es darum, dass wir nicht die geringste Ahnung haben können, wie es ist, eine Fledermaus zu sein.69 Wir sind hinsichtlich des Erlebens fremder Lebensformen in unserer subjektiven Perspektive befangen. Wir wissen zwar, dass es irgendwie ist, eine Fledermaus zu sein, aber wir wissen nicht, wie es ist, sie zu sein. Analog könnte man sagen: Wir wissen zwar, dass Karls Katze nun irgendetwas denkt und dass sie jetzt irgendetwas tut, aber wir haben keine Ahnung, was sie denkt oder was sie tut. Dies ist unser Problem mit dem Tiergeist. Man kann Hume diese – bei ihm freilich nicht formulierte – Einstellung unterstellen, unter anderem deshalb, weil sie zu seinem skeptischen Naturalismus passt. Wir nehmen Tieren gegenüber natürlicherweise eine intentionale Einstellung ein, die ihnen global einen Geist zugesteht. Diese hat Vorrang vor Vorbehalten gegenüber lokalen Zuschreibungen. Möglicherweise verfügen wir nicht über die Mittel, diese Zuschreibungen artikuliert vorzunehmen. Wir können sagen, dass Tiere sehr wohl einen Geist haben. Das ist der naturalistische Anteil. Aber dieser befindet sich außerhalb unserer Reichweite. Wir wissen um das Dass und haben keinen Zugang zum Was. Das ist der skeptische Anteil.70 Ein weiterer Punkt spricht dafür, 69 70
Nagel 1993; dagegen Akins 1993, Dennett 2005. Diese Lesart passt zur Interpretation Humes als skeptischem Realisten wie Wright 1983, Craig 1987 oder Strawson 1996: „It seems to me undeniable that one misses the central aim of Hume’s sceptical philosophy unless one recognises that he constantly maintained the point of view that there are real powers and forces in nature which are not directly accessible to our senses.“ (Wright 1983: 129) Zwar beziehen sich diese Interpreten in erster Linie auf Humes Kausalitätsanalyse, wie der eben zitierte J. Wright. Aber die Übertragbarkeit auf den Geist der Tiere liegt auf der Hand: Den tierlichen Verhaltensweisen liegen tatsächlich mentale Ursachen zugrunde, wie wir aus ihrem Verhalten ersehen können, aber wir vermögen diese Ur-
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Hume eine solche Einstellung zu unterstellen. Er ist der Ansicht, dass der Philosoph vom Commonsense auszugehen hat: „[P]hilosophical decisions are nothing but the reflections of common life, methodized and corrected. But they will never be tempted to go beyond common life, so long as they consider the imperfection of those faculties which they employ, their narrow reach, and their inaccurate operations.“ (EHU XII 3: 162)
Von unseren Commonsense-Zuschreibungen müssen wir ausgehen. Doch der Commonsense kann methodisch aufgeräumt und korrigiert werden. Dies ist ein Vorgehen, das dem skeptischen Naturalismus entspricht. Humes korrektiver Ansatz beim Commonsense bedeutet natürlich zugleich, dass man bei ihm nicht stehen bleiben darf. Denn man kann hier entgegen halten, es sei lediglich evident, dass wir uns so verhalten. Wir schreiben Tieren Gedanken zu. Wir beschreiben und erklären ihr Verhalten intentional. Damit finden wir etwas über uns heraus. Aber nichts über Tiere. Darin besteht die Krux jeder philosophischen Konzeption, die sich auf den Commonsense (oder auf den Sprachgebrauch) versteift. Wir erfahren etwas über uns (z.B. über unsere Art und Weise, bestimmte Ausdrücke zu verwenden). Aber wir wollten etwas über die Sache wissen. Hume geht zwar vom Commonsense aus, bleibt aber nicht dort stehen. 85. Nicht-begrifflicher Gehalt bei Hume Hume unterscheidet Eindrücke von Vorstellungen (Abschn. 81). Wir haben gesehen: Eindrücke treten originär im Geist auf. Sie sind das primär Gegebene. Sie entstehen aus der Körperbeschaffenheit, den Lebensgeistern oder den Einwirkungen äußerer Objekte. Und sie sind Gegenstand der Naturphilosophie oder Anatomie. Zu ihnen gehören in erster Linie Sinneswahrnehmungen, aber auch Zustände von Lust und Unlust, sowie Affekte. Unsere Vorstellungen rühren von Eindrücken her. Das heißt, dass alle unsere schwächeren Perzeptionen einmal stärkere gewesen sein müssen. Denn dieser Unterschied ist laut Hume der einzige Unterschied zwischen ihnen. Es handelt sich um einen Unterschied „only in degree, not in nature“ (T I 1, 1: 8/3). Korrespondierende Vorstellungen und Eindrücke haben deshalb den gleichen Gehalt, nur wird der Gehalt im Falle der Vorstellungen schwächer aufgefasst. Es handelt sich mithin um einen Unterschied im Akt des Perzipierens – Hume spricht von „the manner, in which we conceive“ (T I 3, 7: 66/94–5). Möchte ich jemandem eine Vorstellung vom Geschmack einer Mango geben, dann ist es am besten, ich lasse ihn von der Frucht kosten. Kaut er die Mango, wird er eine starke, deutliche und klare Geschmackssachen nicht zu bestimmen.
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empfindung haben. Erinnert er sich jedoch später in vager Weise an dieses Ereignis, so wird er eine schwache Erinnerung daran haben. Aber den Mangogeschmacks-Eindruck und die Mangogeschmacks-Vorstellung haben keinen unterschiedlichen Gehalt, sondern sind zwei Auffassungsweisen durch zwei unterschiedliche kognitive Vermögen, nämlich Wahrnehmung und Erinnerung. Ein wesentlicher Punkt besteht darin, dass Hume mit der Einführung der Eindrücke, der darauf aufbauenden Vorstellungen und deren Weiterverarbeitungen gegenüber dem losen Gebrauch des Ausdrucks „idea“ durch Locke Differenzierungsmöglichkeiten hinzugewonnen hat, die nicht nur die Verstandesoperationen betreffen, sondern auch den Gehalt. Denn offensichtlich ist der Gehalt der Eindrücke nicht begrifflich. Es ist historisch zwar unangemessen, in der Sache aber nicht abwegig, Humes Eindrücke als ursprüngliche Träger nichtbegrifflichen Gehalts zu verstehen und die gegenwärtige Debatte um nichtbegrifflichen Gehalt der Wahrnehmung auf Hume zurück zu werfen.71 Was ist damit gemeint? Ein plausibler Vorschlag lautet, dass der Gehalt unserer nicht-sinnlichen mentalen Zustände begrifflich ist, der Gehalt der Wahrnehmung hingegen nicht-begrifflich.72 Das Paradigma für nicht-sinnliche geistige Zustände sind Überzeugungen. Überzeugungen kann man in folgender Form ausdrücken: Ich glaube, dass Karl Klavier übt. Der Gehalt dieser Überzeugung (Karl übt Klavier) ist begrifflich. Man kann keine Überzeugung ausbilden, dass Karl Klavier übt, wenn man nicht über Begriffe wie ÜBEN oder KLAVIER verfügt. Um Karl Klavier spielen zu hören, um Karl zu sehen oder auf der Haut zu spüren, braucht niemand einen Begriff. Karls Katze schon gar nicht. Dennoch kann die Katze ihn sehen, riechen oder Klavier spielen hören. Ihre Wahrnehmung ist nicht-begrifflich. Eine sinnliche Wahrnehmung hat einen nicht-begrifflichen Gehalt, wenn das Wahrnehmungssubjekt nicht über die Begriffe zu verfügen braucht, mit denen man diesen Gehalt spezifizieren könnte.73 Was spricht dafür, dass Wahrnehmung einen nicht-begrifflichen Gehalt hat?74 Einen ersten Hinweis kann man der Natürlichkeit von Wahrnehmungen entnehmen. Wahrnehmungen finden einfach statt. Sie gehören zu den systemischen, biologischen Eigenschaften von Organismen. Deshalb sagt Hume über Eindrücke, dass sie das primär Gegebene sind und aus der Körperbeschaffenheit, den Lebensgeistern oder den Einwirkungen äußerer 71 72 73 74
Fodor 2004: 42–55. Crane 1992, Bermudez 1998: 49–102, Peacocke 1998. Crane 1992: 152, Bermudez 1998: 49–58. Ich folge hier in einigen Punkten meiner Darstellung in Wild 2005.
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Objekte entstehen. Um Eindrücke zu haben, braucht ein Organismus keine Begriffe zu haben. Karls Katze und Karls Kind Klara hören ihn Klavier üben. Beide haben sicher Eindrücke. Sie verfügen aber (vermutlich) nicht über die passenden Begriffe. Um ein X wahrzunehmen, brauche ich nicht zu wissen, was ein X ist und dass es ein X ist. Dieser erste Hinweis ist ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu Humes Egalitaritätsthese. Wir beschreiben und erklären das Verhalten von Tieren, indem wir auf das Bezug nehmen, was sie glauben oder wünschen. Räumt man ein, dass der Gehalt der Wahrnehmung von Tieren nichtbegrifflich ist, so kann auf diesen Gehalt verwiesen werden, so dass der ein Verhalten auslösende Gehalt, den wir bei intentionalen Zuschreibungen unterstellen, keine Begriffe zu involvieren braucht. Dasselbe kann hinsichtlich von Wünschen gesagt werden. Ein zweiter Hinweis zielt auf die Gewinnung empirischer Begriffe. Wie soll man sich empirische Begriffe – Farbbegriffe zum Beispiel – aneignen, wenn es keine Ebene nicht-begrifflicher Gehalte gibt? Klara hat viele Grau- und viele Katzenwahrnehmungen, bevor sie die Begriffe GRAU oder KATZE überhaupt anwenden kann. Wahrnehmungsgehalte und begriffliche Gehalte von Überzeugungen haben unterschiedliche Eigenheiten. Begriffe sind Bestandteile von Überzeugungsgehalten. So lassen sich Begriffe aus spezifischen Kontexten herauslösen und anderweitig verwenden. Diese Art der Kompositionalität und der Generalität zeichnet begriffliche Gehalte aus. Die Begriffe GRAU und KATZE lassen sich in vielen Kontexten verwenden. Aber die Wahrnehmung dieser grauen Katze dort ist kontextspezifisch oder situationsabhängig.75 Die Begriffe GRAU und KATZE sind keine Eigenschaften der Katze, sondern Bestandteile des begrifflichen Systems, das sich Klara eben aneignet. Diese (spezifische) graue Färbung dieser Katze aber ist eine Eigenschaft, die die Katze in meiner Wahrnehmung hat.
86. Die Extraktion begrifflicher Gehalte bei Hume Eine Gretchenfrage für jede Form von Empirismus und Naturalismus lautet, wie sie es mit den Begriffen halten. Hume kann mithilfe seiner Reihe: Eindruck –>Vorstellung –> distinction of reason –> sekundäre Vorstellung –> Generalisierung zumindest eine nicht unplausible Geschichte darüber erzählen, wie aus nicht–begrifflichen Eindrücken so etwas wie begriffliche Elemente entstehen. Wie sieht diese Geschichte aus? Durch die gewohnheitsmäßige Verbindung mit Termen erhalten Vor75
Kelly 2003.
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stellungen die besondere Funktion, Klassen von Objekten zu bezeichnen. Das ist Humes an Berkeley anschließende Theorie der Abstraktion (Abschn. 78). Er erläutert den Prozess der Abstraktion in Treatise I 1, 7 ein wenig genauer, und zwar anhand der „distinction of reason“. Ich sehe eine schwarze und eine weiße Kugel (Eindrücke) und bilde zwei entsprechende Vorstellungen (in der Erinnerung). Im Vergleich zeigt sich, dass beide Kugeln rund sind, aber verschieden farbig (im Falle einer weißen Kugel und eines weißen Würfels zeigte sich, dass beide Objekte weiß sind). Offenbar lässt sich die Eigenschaft „rund“ (in der Vorstellungskraft) von der Kugel ablösen. Dies bezeichnet Hume als „distinction of reason“. Aus dieser Eigenschaft lässt sich eine sekundäre Vorstellung bilden. Diese sekundäre Vorstellung wird gekoppelt mit einem Term („rund“ oder „Kreis“). Sie bleibt nun zwar partikular (weil immer nur bestimmte Dinge rund oder kreisförmig sein können und ich keine Vorstellung der Rundheit oder Kreisheit tout court bilden kann). Doch in Verbindung mit dem Term wird sie funktional allgemein. Diese funktionale Generalisierung erzeugt die Begriffe RUND oder KREIS. In dieser ein wenig kruden Form scheint Hume den Prozess der Begriffsbildung zu beschreiben. Auf der Ebene der Begriffsbildung verändert sich nun auch der Gehalt der Vorstellungen. Waren Mangoeindruck und -vorstellung zwei unterschiedliche Auffassungsweisen desselben Gehalts, so wird der Gehalt nun verarbeitet, verglichen, unterschieden und – dies der Unterschied zu Locke – funktional wesentlich erweitert.76 Wichtig an dieser Reihe ist die Tatsache, 76
Man kann diesen Verarbeitungsprozess mit F. Dretske als einen Prozess der Digitalisierung eines analogen Gehalts betrachten. F. Dretske schreibt: “Perception is a process by means of which information is delivered within a richer matrix of information (hence in analog form) to the cognitive centers for their selective use. [...] If the information that s is F is never converted from a sensory (analog) to a cognitive (digital) form, the system in question has, perhaps, seen, heard or smelled an s which is F, but it has not seen that it is F – does not know that it is F. The traditonal idea that knowledge, belief, and thought involve concepts while sensation (or sensory experience) does not is reflected in this coding difference.“ (Dretske 1981: 142) F. Dretske veranschaulicht die Kodierungsdifferenz mit dem Unterschied zwischen Sätzen und Bildern, zwischen dem Satz, dass Kaffee im Glas ist, und dem Zeigen eines Bildes dieses Glases. Im Gesagten wird die spezifische Information übermittelt, dass Kaffee im Glas ist. Das nennt F. Dretske digital. Im zweiten Fall gibt es einen Haufen zusätzlicher unspezifizierter Information (die Form des Glases, seine Stellung auf dem Tisch, die Farbe des Kaffees usw.). Die Übermittlung zusätzlicher Information ist analog (Dretske 1981: 137). Die Art und Weise, wie etwas aussieht (Gestalt, Richtung, Größe, Tönung), hat analogen Gehalt. Dieser ist in meiner Wahrnehmung auf kontinuierliche, nichtdiskrete Weise gegeben und nicht beschränkt durch Begriffe wie zum Beispiel RUND, GRAU oder KATZE. Das Digitale zeichnet sich durch Bestimmtheit und Wiederholbarkeit aus. Das Analoge er möglicht größere Sensibilität, Flexibilität und Dichte des Gehalts. Das bedeutet: Zwischen zwei Elementen ist stets ein weiteres Element möglich. Haugeland 1998 fasst das Analoge unter drei Merkmale: Dichte oder Kontinuität (smoothness), jeder Unterschied macht einen Unterschied in der Reproduktion (sensitivity) und Dimensionalität (dimensionality). Dieses letzte Merkmal ist wichtig. Das Wahrgenommene muss sich von seiner Umgebung unter-
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Kapitel IV – Hume – Naturalismus und Tiervernunft
dass für Hume Vorstellungen (ideas) noch keine Begriffe sind.77 Vorstellungen bilden eine Art Zwischenstufe zwischen dem sinnlichen (nicht-begrifflichen) Gehalt und dem Gehalt begrifflich artikulierter Überzeugungen. Sie werden in der Erinnerung aufbewahrt und können in der Vorstellungskraft verwendet werden. Durch ihre Annäherung an Eindrücke können Vorstellungen lebhafter und stärker aufgefasst werden. Darüber hinaus sind Vorstellungen auch in Abwesenheit eines Objekts verwendbar. Vielleicht ist es schwierig, mich an den Geschmack einer Mango zu erinnern. Leichter erinnert man sich beispielsweise an das Gesicht einer Person. In der Vorstellungskraft lassen sich neue, komplexe Vorstellungen bilden. Auf der Ebene der Vorstellungen spricht Hume von Glauben (belief ). So können begrifflich artikulierte Überzeugungen und Glaubenszustände voneinander unterschieden werden. Wie wir sehen werden, spielt genau diese Zwischenstufe in Humes Erklärung des basalen kognitiven Vermögens von Mensch und Tier, dem kausalen Schluss, eine wichtige Rolle. Fassen wir zusammen: In Anlehnung an einige der Elemente der humeschen Philosophie des Geistes kann man zwei Schritte in Richtung der Egalitaritätsthese nehmen. Es ist evident, dass Tiere denken und überlegen. Das ist der Ausgang beim Commonsense. Die Einführung der Eindrücke stellt eine Grundlage für die Zuschreibung von verhaltenserklärenden, gehaltvollen Zuständen zur Verfügung. Noch fehlen aber zahlreiche Schritte
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scheiden und für das Wahrnehmungssubjekt auf eine bestimmte Weise aussehen. Ein Wahrnehmungsszenario hat mehrere Dimensionen: Tiefe, Gestalt, Tönung usw. Jede dieser Dimensionen hat eine eigene Dichte und Sensibilität. Das Merkmal der Dimensionalität hat bereits einen „digital–like character“ (Haugeland 1998: 84). Die Dimensionalität ermöglicht die Digitalisierung analogen Gehalts. Pace Fodor 2004. J. Fodor ist der Ansicht, humesche Eindrücke seien „roughly = sensations“ und humesche Vorstellungen seien „roughly = concepts“ (Fodor 2004: 28). Das trifft für Eindrücke zu, ist für Vorstellungen fragwürdig. Nun meint J. Fodor bei Hume ein besonderes Problem zu erkennen (Fodor 2004: 28 ff.). Vorstellungen stammen dem Copyprinzip zufolge von Eindrücken ab. Zusammengesetzte Vorstellungen haben, so J. Fodor, eine begriffliche Struktur, die sich auf kanonische Weise zerlegen lässt (d.i. Kompositionalität). Die zusammengesetzte Vorstellung einer grauen Katze etwa lässt sich in die begrifflichen Bestandteile GRAU und KATZE zerlegen. Aber der komplexe Eindruck einer grauen Katze (ich sehe sie) hat keine kanonisch zerlegbare Struktur. Zum Vergleich: Wenn Klara eine Fotographie dieser Katze zerschneidet, so mag sie sie zerschneiden, wie sie will, die Schnipsel sind stets Teile des Bilds der grauen Katze. Das Problem lautet nun: Zusammengesetzte Begriffe können nicht von zusammengesetzten Eindrücken abstammen, weil beide unterschiedlich strukturiert sind. Das jedoch ist J. Fodors Problem, nicht Humes. Das Copyprinzip bezieht sich nämlich nicht auf zusammengesetzte, sonder nur auf einfache Eindrücke und Vorstellungen: „[A]ll our simple ideas in their first appearance are deriv’d from simple impressions, which are correspondent to them, and which they exactly represent.“ (T I 1, 1: 9/4). Zweitens sind Vorstellungen bei Hume nicht schon (einfache oder zusammengesetzte) Begriffe. Drittens bietetdie im Haupttext angedeutete Reihe über die „distinctions of reason“ eine Handhabe dafür, wie aus komplexen (nämlich analogen) Eindrücken kanonische (nämlich digitale) Strukturen entstehen können.
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zur Behauptung, „that beasts are endow’d with thought and reason as well as men“. Betrachten wir nun einen weiteren, komplexen Schritt, in dem Hume einen Vergleich zur Anatomie herstellt. 87. Die anatomiegestützte Analogie In der Anatomie werden per analogiam Erkenntnisse an einem Tierkörper auf andere übertragen. Vom Blutkreislauf bei Fröschen und Fischen kann auf den Blutkreislauf bei anderen Tieren geschlossen werden (EHU IX, 82: 104). Beobachtungen an Menschenkörpern können durch Beobachtungen an Tierkörpern bestätigt werden und umgekehrt. Die inneren Organe, die Blutzirkulation, die Muskulatur usw. sind einander strukturell so ähnlich, dass solche Schlüsse effektiv eingesetzt werden können (T II 1, 12: 211/325). Die innere Struktur anderer Tiere ist der unseren ausreichend ähnlich, so dass wir von den Funktionsweise unserer Organe auf dieselbe (oder eine ähnliche) Funktionsweise bei Tieren schließen dürfen. Warum? Das zugrundeliegende Prinzip drückt Hume in Begriffen von Ursache und Wirkung aus: „All our reasonings concerning matters of fact are founded in one species of Analogy, which leads us to expect from any cause the same events, which we have observed to result from similar causes.“ (EHU IX, 82: 104)
Dieses Prinzip analoger Kausalität ist für Humes Behandlung des Geistes der Tiere ausschlaggebend. Die Anatomieanalogie kann nicht nur auf die physische Beschaffenheit von Mensch und Tier, sondern auch auf das Verhalten übertragen werden (Abschn. 90). Die Verhaltensweisen anderer Tiere sind den unseren ausreichend ähnlich. „We are conscious, that we ourselves, in adapting means to ends, are guided by reason and design, and that it’s not ignorantly nor casually we perform those actions, which tend to self–preservation, to the obtaining pleasure, and avoiding pain. When therefore we see other creatures, in millions of instances, perform like actions, and direct them to like ends, all our principles of reason and probability carry us with an invincible force to believe the existence of a like cause. […] The resemblance betwixt the actions of animals and those of men is so entire in this respect, that the very first action of the first animal we shall please to pitch on, will afford us an incontestable argument for the present doctrine.“ (T I 3, 16: 118/176)
Die Prinzipien, von denen Hume spricht, sind wiederum diejenigen der kausalen Inferenz, in erster Linie das Prinzip der analogen Kausalität. Die Ähnlichkeit zwischen den Verhaltensweisen von Menschen und anderen Tieren und das Prinzip der analogen Kausalität lassen es als möglich erscheinen, dass Tiere denken und überlegen, und zwar wie wir.
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Kapitel IV – Hume – Naturalismus und Tiervernunft
88. Unterschiede zwischen Montaignes und Humes Analogieargument Es ist offensichtlich, dass Hume Montaignes Hauptargument aus der „Apologie“ wiederholt. Im dritten Gegenargument führt Montaigne das Prinzip an, von gleichen Wirkungen müsse auf gleiche Vermögen geschlossen werden (Abschn. 24). Es gibt jedoch vier Unterschiede zwischen Montaigne und Hume. 1. Montaigne bedient sich der Prämisse „Nous devons conclurre de pareils effects pareilles facultez“ ad hominem und verankert diese in der Fakultätenpsychologie. Hume hingegen leitet das Prinzip der analogen Kausalität aus seiner Analyse der Kausalität her, die er in einer naturalistischen Psychologie verankert. 2. Montaigne führt sein Argument in pyrrhonischer Absicht gegen den mentalistischen Rationalismus. Hume hingegen ist der Ansicht, dass uns die psychologischen Mechanismen „with an invincible force“ zu unserer Commonsensepraxis führen, den Tieren Gedanken und Überlegungen zuzuschreiben. 3. Montaignes Analogieargument wird aus der Drittpersonperspektive vorgebracht, Hume hingegen argumentiert aus der Erstpersonperspektive. 4. Montaigne möchte mit seinem dritten Gegenargument den Dogmatiker nötigen, den Tieren ein rationales Vermögen zuzuschreiben. Explizit wendet er sich gegen den doppelten Standard, der tierliche Verhaltensweisen einem Instinkt, menschliche hingegen der Vernunft zuschreibt. Anders Hume, der aufgrund seiner naturalistischen Psychologie die Vernunft selber als eine Art Instinkt betrachtet. Ich werde im Folgenden zuerst auf die ersten beiden Unterschiede eingehen (Abschn. 89–92). 89. Die ersten drei Bestandteile von Humes Kausalanalyse Man kann gegen Humes (und Montaignes) Analogieargument einwenden, dass Analogieschlüsse ungewiss sind, dass sie uns in die Irre führen können und dass sie höchstens Wahrscheinlichkeiten generieren. Aufgrund von Analogieschlüssen können wir kein Wissen davon haben, dass Tiere denken und überlegen wie wir. Das gibt Hume auch bereitwillig zu. Nur können wir nach Humes Ansicht nicht mehr als Wahrscheinlichkeit fordern. Er ist der Ansicht, dass wir einen zuverlässig generierten, wahrscheinlichen Glauben haben. Und das ist ausreichend. Die Voraussetzungen dafür liegen in Humes Kausalanalyse und müssen skizziert werden.
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Welches sind die Elemente, die eine Ursache zu einer Ursache machen? Eine weiße Bleikugel stößt auf eine schwarze, die weg rollt. Der Stoß der weißen ist die Ursache der Bewegung der schwarzen Kugel. Hume achtet zuerst darauf, was wir beobachten können. Drei Bestandteile sind beobachtbar: 1. Räumliche Berührung (contiguity). Die schwarze Kugel berührt die weiße. 2. Zeitliche Priorität (priority). Die ursächliche Bewegung der schwarzen Kugel erfolgt früher. 3. Konstanter Zusammenhang (constant conjunction). Das Verhalten der Kugel ist beliebig und abweichungslos wiederholbar. Dem dritten Element liegt die Relation der Ähnlichkeit (resemblance) zugrunde und die Erfahrung (experience). Mit der Erfahrung einher gehen bestimmte Abstraktionsleistungen, die wesentliche von unwesentlichen Eigenschaften der Korrelate im Kausalnexus trennen. So zeigen beispielsweise grüne und rote Bleikugeln denselben Zusammenhang, nicht aber eine Schaumgummikugel, die auf eine Bleikugel trifft. Die Farbe ist eine unwesentliche, die Masse eine wesentliche Eigenschaft in der Relation von Ursache und Wirkung. Der Abschnitt über die Vernunft der Tiere im EHU behauptet hinsichtlich des dritten Bestandteils, alle unsere Schlüsse bezüglich Tatsachen (matter of fact) würden auf einer Art Analogie aufbauen. Was bedeutet das? Wenn sich in unserer bisherigen Erfahrung eine Menge Wirkungen (=MW) wiederholt infolge einer Menge Ursachen (=MU) eingestellt hat, erwarten wir unweigerlich eine Wirkung W, wenn sich ein Ereignis E einstellt, das in MU „passt“ (E ist eine Ursache U). Der konstante Zusammenhang von Elementen aus MU und Elementen aus MW führt dazu, dass wir im Falle von E ein W erwarten, weil E den Elementen von MU so ähnlich ist. Was heißt nun „passen“? Die Ähnlichkeitsrelation (aufgrund derer wir E als Kandidat für MU betrachten) wird über die für den kausalen Zusammenhang MU –> MW bislang identifizierten wesentlichen Eigenschaften hergestellt. Die Analogie wird zunächst in einem weiten Sinn als die Herstellung einer Ähnlichkeitsrelation verstanden. Welches ist der enge Sinn der Analogie? 90. Das Prinzip analoger Kausalität Entscheidend für eine engere Auffassung der Analogie ist die Abnahme der Ähnlichkeitsrelation. Im Treatise I 3, 12 diskutiert Hume drei Arten kausaler Wahrscheinlichkeit. Die ersten beiden Arten lockern den konstanten Zusammenhang. Entweder ist dieser in unserer Erfahrung unzureichend gegeben oder wir haben die Erfahrung gemacht, dass eine Ursache unterschiedliche
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Wirkungen haben kann. Doch auch die Ähnlichkeit zwischen E und MU kann abnehmen. Das Prinzip der analogen Kausalität ist die dritte Form der kausalen Wahrscheinlichkeit. Bei vollkommener oder großer Ähnlichkeit der Elemente aus MU und E erwarten wir zuverlässig W. Bei abnehmender und nur unvollkommener Ähnlichkeit der Elemente aus MU und E erwarten wir W nur als wahrscheinlich. Wie lässt sich diese dritte Art der Wahrscheinlichkeit auf das Analogieargument für den Geist der Tiere übertragen? Nun, der menschlichen Natur ist eine gewisse Einheit eigen: „The minds of all men are similar in their feelings and operations; nor can any one be actuated by any affection, of which all others are not, in some degree, susceptible.“ (T III 3, 1: 368/575–6; EHU VIII 65: 83–5).
Dass sich Menschen in ihren Verhaltensweisen nicht fundamental unterscheiden, ist eine der Voraussetzungen von Humes Projekt einer Wissenschaft vom Menschen. Menschen sind einander sehr ähnlich und nur so können wir gewisse Gesetzmäßigkeiten bezüglich ihres Verhaltens feststellen. Nun ist die Ähnlichkeit zwischen Menschen größer als diejenige zwischen Mensch und Tier. Wenn wir in unserer Erfahrung im Umgang mit anderen Personen eine Korrelation zwischen MU und MW hergestellt haben, so können wir diese Relation auf das Verhalten von Tieren übertragen. Zeigt ihr Verhalten eine gewisse Ähnlichkeit mit MW, können wir auf MU schließen. Dies ist eine Wiederholung des Arguments von Montaigne (Abschn. 24). Nur ist Hume sehr viel zuversichtlicher, was die Wirksamkeit des Arguments betrifft. Wie steht es nun mit der „invincible force“, die zu unserer Commonsensepraxis führt, den Tieren Gedanken und Überlegungen zuzuschreiben? 91. Subjektive Nötigung und Glaube Hier müssen wir die Skizze der Kausalanalyse weiterführen und einen vierten Bestandteil hinzufügen. Damit tun wir nämlich zugleich einen vierten Schritt in Richtung Egalitaritätsthese. Es handelt sich dabei um die Notwendigkeit der Kausalrelation (necessary connexion): 4. Ursachen und Wirkungen hängen nicht einfach zusammen, sondern eine bestimmte Ursache hat notwendig eine bestimmte Wirkung.78 78
Zahlreiche Interpreten deuten Humes Kausalanalyse als eine epistemische Regularitätstheorie. Alles, was wir erkennen können, sind Regelmäßigkeiten (und die haben bestimmte psychologische Wirkungen, die wir dann auf die Welt projizieren), vgl. Fogelin 1985: 38. Das vierte Element der Kausalanalyse zeigt jedoch, dass Hume keine bloße Regularitätstheorie der Kausalität vertritt (vgl. Kemp Smith 1941: 91 f.). Ich gehe im folgenden einer Deutung dieses Elements nach, die auf psychologisch-naturalistische Erklärung hinausläuft. Seit J. Wrights Arbeit verstärken sich jedoch ontologische Deutungen der humeschen Kausalanalyse, vgl.
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Zwischen der weißen und der schwarzen Kugel sind nur die ersten drei Bestandteile beobachtbar. Nicht die Notwendigkeit. Woher stammt sie? In Humes Terminologie ausgedrückt: Woher stammt der Bestandteil (4) in unserer Vorstellung einer Ursache, wenn wir nur Eindrücke der Bestandteile (1), (2) und (3) haben? Die Wahrnehmung scheidet aus. Auch drei weitere mögliche Quellen der Notwendigkeitsvorstellung weist Hume zurück: 1. Die rationalistische Quelle: Kausalzusammenhänge werden nicht a priori erkannt, sondern nur durch Erfahrung; der Begriff der Kausalität ist nicht analytisch, denn Kausalaussagen sind synthetische Aussagen (vgl. T I 3, 3: 56–8/78–82; EHU IV 24–7: 28–32). 2. Die voluntaristische Quelle: Kausalzusammenhänge ergeben sich auch nicht durch eine Übertragung der inneren Erfahrung vom Einfluss unseres Willens oder unseres Verstandes auf unsere Körperteile auf Objekte der Außenwelt (EHU VIII 64: 82–3). 3. Die empiristische Quelle: Notwendige Verknüpfungen könnten aus induktiven Verallgemeinerungen gewonnen werden. Dies scheint sich aus Bestandteil (3) zwanglos zu ergeben. Das heißt: In der Vergangenheit folgte auf MU immer MW. Also: Auf MU folgt immer MW. Dies ist jedoch ein Fehlschluss: „These two propositions are far from being the same, I have found that such an object has always been attended with such an effect, and I forsee, that other objects, which are, in appearance, similar, will be attended with similar effects“ (EHU IV 29: 34). Es sieht so aus, als hätten wir kein Recht, kausale Inferenzen aufzustellen, weil unsere Vorstellung der Kausalität ohne Fundament ist. Dennoch tun wir dies unentwegt. Und obschon wir der induktiven Verallgemeinerung misstrauen sollten, scheint dort der Schlüssel zur Notwendigkeit zu liegen. Dies sind die skeptischen Zweifel, die Hume gegenüber der Kausalität vorbringt.79 Die skeptischen Zweifel haben eine naturalistische Lösung. Weder 79
Wright 1983: 23–186, Craig 1987: 69–130, Strawson 1989: 276–82. Dabei sehen wir das Copyprinzip am Werk. Wäre nun das Copyprinzip ein rein eliminatives Prinzip, so könnte Hume es dabei belassen. Er könnte sagen, dass die Vorstellung der Notwendigkeit schlechterdings keine Bedeutung hat und höchstens sozusagen die Genealogie einer solchen Wahnvorstellung liefern. Gerade dies tut Hume nicht. Er behauptet, dass die Vorstellung der kausalen Notwendigkeit leer sei. Der Einsatz des Copyprinzips ist in erster Linie kritisch, wie D. Garrett zu recht betont: „Even more important, the principle plays a crucial role in his arguments concerning such central topics as space, time, causation, sub stance, personal identity, and morality. In each case, it is used to argue that a certain supposed idea – of vacuum, of time without alteration, of necessary connection in nature, of a subject of inherence, of a unified and identical self, or of moral relations existing in the objects alone, respectiveley – does not exist.“ (Garrett 1997: 41) Garretts Hinweis ist wichtig. Man muss aber auch sehen, worum es sich bei diesen „central topics“ handelt: Es sind eminent metaphysische Begriffe, die Hume mithilfe des ‚Priority-principles‘ skeptisch hinterfragt. Garrett freilich formuliert zu sorglos, wenn er schreibt, das kritische Prinzip diene zur Behauptung „that a certain supposed idea [...] does not exist“. Hume will nicht behaupten,
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Kapitel IV – Hume – Naturalismus und Tiervernunft
die Sinneswahrnehmung noch die Vernunft oder der Wille sind Quelle der Notwendigkeit. Hume identifiziert die Gewohnheit (custom) als Quelle der Notwendigkeitszutat. Wie geht das vor sich? Die wiederholte Erfahrung des Zusammenhangs von MU und MW erzeugt eine bestimmte psychische Disposition. Der psychologische Mechanismus führt zu einer subjektiven Nötigung in unserem Geist: Wir fühlen einen durch Gewohnheit gewonnen psychologischen Zwang bei Auftreten eines Elements aus MU auf ein W zu schließen.80 Eine Wirkung von Feuer ist Hitze. Aufgrund meiner Erfahrungen verknüpfe ich ein Feuer sogleich mit Wärme, noch bevor ich diese spüre. Gebrannte Kinder scheuen es. In Humes Terminologie ausgedrückt: Der (visuelle) Eindruck (impression) des Feuers zieht unwillkürlich die Vorstellung (idea) der Hitze nach sich. Eindrücke sind lebendiger oder kräftiger als Vorstellungen. Hume ist der Ansicht, dass im Verlauf dieser aus Erfahrung und Gewohnheit gewonnenen subjektiven Nötigung ein Teil der Lebendigkeit und Stärke des Eindrucks auf die ihr assoziierte Vorstellung übertragen wird. Die so verstärkte Vorstellung wird zu einem Gedanken, den wir tatsächlich glauben. Es entsteht ein Glaube (belief ). Wir können im Feuer auch eine tanzende Hexe sehen oder mit Feuer die Vorstellung der Reinigung assoziieren. Der Glaube aber, dass Feuer unsere klammen Hände wärme, ist kein beliebiges Fantasiegebilde. Ein Glaube ist keine Vorstellung, die zur Vorstellung p hinzu käme. Der Glaube ist die Stärke und Lebendigkeit der Vorstellung p selbst. Er ist ein Akt des Auffassens von p und kann definiert werden als „A lively idea related to or associated with a present impression“ (T I 3, 7: 67/96). Was ist die Natur dieser Beziehung zwischen Eindruck und Vorstellung? 92. Das Übergangsprinzip Der entscheidende Punkt besteht darin, dass der Vorstellungskraft ein leichter Übergang (easy transition) von einem Eindruck zu einer Vorstellung möglich ist und dass in diesem Übergang die Stärke und Lebendigkeit des Eindrucks auf die Vorstellung übertragen wird. Diese Form des Übergangs ist im Rahmen von Humes Philosophie prinzipieller Natur. Dieses Übergangs-
80
dass die entsprechenden Vorstellungen nicht existieren. Viel mehr geht es ihm darum zu zeigen, dass es zu den entsprechenden ideas keine korrespondierenden impressions gibt. Kemp Smith 1941: 401 hat vermutlich als einer der ersten darauf hingewiesen, dass Hume hier eine Kausalrelation zur Erklärung der Kausalrelation in Anspruch nimmt, vgl. Foglin 1985: 48. Stroud 1977: 80–1 hält es für inkohärent, eine Notwendigkeitsdetermination anzunehmen, die sich von einem Eindruck auf die Vorstellung überträgt; dann müssten wir ja einen Eindruck der Notwendigkeit haben! Zur Erläuterung und Verteidigung Baier 1991: 97–100, 277–88, Garrett 1997: 112, Stanistreet 2002: 119 ff..
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prinzip schließt an das Copyprinzip an.81 Es ist sozusagen dessen konstruktive Seite.82 Die Stärke oder Lebendigkeit der Eindrücke kann nämlich auf Vorstellungen übertragen werden. Dieses Prinzip liegt Humes Analyse des kausalen Schlusses (T I 3, 6)83 und seinem Begriff des Glaubens (T I 3, 7)84 zugrunde.85 Hume formuliert das Übergangsprinzip wie folgt: „I wou’d willingly establish it as a general maxim in the science of human nature, that when any impression becomes present to us, it not only transports the mind to such ideas as are related to it, but likewise communicates to them a share of its force and vivacity.“ (T I 3, 8: 69/98)
Diese generelle Maxime ist das zentrale konstruktive Moment der Wissenschaft des Menschen. Sie ist zugleich die naturalistische Erklärung für den psychologischen Mechanismus des Glaubens.86 Fassen wir die Skizze zusammen: Die Hauptarbeit von Treatise I 3 besteht in der Analyse der Kausalität und des Glaubens. Hume analysiert die Kausalität, indem er die psychologischen Mechanismen des Schlusses von einer Ursache auf deren Wirkung bestimmt. Diese Schlussart ist laut Hume unser wichtigstes Mittel, zu Wissen über die Welt zu gelangen. Die Analyse zeigt u. a., dass wir keine höheren kognitiven Vermögen benötigen, um Kausalschlüsse zu ziehen. Es reicht die wiederholte Erfahrung und eine subjektive Determination unseres Geistes, die einen Glauben erzeugt. 81
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Einige Kommentatoren wie Craig 1987: 99 oder Livingston 1984 glauben, dass Humes empiristisches Copyprinzip im Zuge seiner genetischen Theorie des Glaubens einfach ad acta gelegt wird. Zwar sympathisiere ich mit den Zurückweisungen empiristischer Lesarten Humes, aber mir scheint es unangemessen zu sein, Humes Einstieg als Lapsus zu betrachten. Hume unterscheidet zwischen skeptischen Zweifeln bezüglich unserer Verstandestätigkeit (EHU IV) und der skeptischen Lösung dieser Zweifel (EHU V). B. Stroud unterscheidet daran anschließend in der humeschen Kausalanalyse eine negative Phase (Stroud 1977: Kap. 3) von einer positiven Phase (Stroud 1977: Kap. 4). „’Tis by habit we make the transition from cause to effect; and ‘tis from some present impression we borrow that vivacity, which we diffuse over the correlative idea. But when we have not observ‘d a sufficient number of instances, to produce a strong habit; or when these instances are contrary to each other; or when the resemblance is not exact; or the present impression is faint and obscure; or the experience in some measure obliterated from the memory; or the connexion dependent on a long chain of objects; or the inference deriv‘d from general rules, and yet not conformable to them: In all these cases the evidence diminishes by the diminution of the force and intenseness of the idea.“ (T I 3, 13: 104/153–4) „A greater force and vivacity in the impression naturally conveys a greater to the related idea; and ‘tis on the degrees of force and vivacity, that the belief depends, according to the foregoing system.“ (T I 3, 13: 98/143). Dasselbe gilt für die double-relation-Theorie der (indirekten) Affekte (Abschn. 105): „In a word, nature has bestow’d a kind of attraction on certain impressions and ideas, by which one of them, upon its appearance, naturally introduces its correlative. If these two attractions or associations of impressions and ideas concur on the same object, they mutually assist each other, and the transition of the affections and of the imagination is made with the greatest ease and facility.“ (T II 1, 5: 189/289) Zur Analogie von double-relation-Theorie und „causal inference“ vgl. T II 1, 5: 189–90/289–90. So auch Stanistreet 2002: 71, 80–4.
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Da Hume nur die Vermögen der Sinnlichkeit, der Erinnerung und der Vorstellungskraft zur Verfügung hat, kann man dies so formulieren: Wir nehmen die ersten drei Bestandteile der Kausalverknüpfung über die Sinne wahr. Die Erinnerung speichert die wiederholten Verknüpfungen und disponiert unsere Vorstellungskraft aufgrund des Mechanismus der subjektiven Nötigung zum Glauben. Das Übergangsprinzip erklärt diese gefühlte Nötigung. Hume macht klar, dass es stärker auf das Gefühl als auf die kognitiven Vermögen ankomme, wenn er resümierend schreibt „[t]hat all our reasonings concerning causes and effects are deriv’d from nothing but custom, and that belief is more properly an act of the sensitive, than of the cogitative part of our natures.“ (T I 4, 1: 123/183)
Die Gewohnheit ist die allgemeine und die subjektive Nötigung, die spezielle Quelle der Notwendigkeitsvorstellung. Die Erinnerung und die Vorstellungskraft sind die benötigten kognitiven Vermögen, die diese Vorstellung erzeugen. Nun können wir den komplexen vierten Schritt auf dem Weg zur Egalitaritätsthese zusammenfassen: Die Quelle unserer Commonsense-Praxis, den Tieren Gedanken und Überlegungen zuzuschreiben, liegt im Phänomen des Glaubens. Dass Tiere denken und überlegen, beruht auf einem zuverlässig generierten Glauben. Seine Zuverlässigkeit erlangt dieser Glaube dank des psychischen Mechanismus, der ihn erzeugt. Nun zum fünften Schritt! 93. Erstpersonperspektive und Sympathiemechanismus Humes Analogieargument ist auf die Erstpersonperspektive festgelegt. Die in unserer Erfahrung gegebene konstante Verknüpfung zwischen menschlichen Verhaltensweisen und mentalen Ursachen ist aus der Introspektion gewonnen. Montaigne hingegen plädiert für eine Gleichbehandlung der mentalistischen Interpretation menschlicher und tierlicher Verhaltensweisen. Sein Analogieargument wird aus der Drittpersonperspektive vorgebracht: Menschen zeigen die Verhaltensweisen {a, b, c, ...}M, Tiere die analogen Verhaltensweisen {a, b, c, ...}T. Ausgangspunkt ist das Verhalten anderer, der Schluss erfolgt von diesem Verhalten auf mentale Ursachen. Das Argument fordert eine Gleichbehandlung menschlicher und tierlicher Verhaltensweisen vom Dogmatiker, der das Erklärungsmuster für menschliches Verhalten bereits akzeptiert.87 87
Montaignes Argument könnte sich jedoch im Rahmen der modernen Evolutionstheorie auf Verwandtschaftsbeziehungen auf dem Entwicklungsstammbaum beziehen, beispielsweise zwischen Schimpansen und Menschen. Das geht über bloße anatomische Ähnlichkeit hinaus. Die Annahme mentaler Ursachen auch bei Schimpansen ist beispielsweise sparsamer im
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Humes Ausgangspunkt ist die Erstpersonperspektive. Weil ich bei mir feststelle, dass ich {a, b, c, ...}EGO aus diesen und diesen Gründen und zu diesem und diesem Zweck tue, schließe ich darauf, dass andere {a, b, c, ...}ALTER aus denselben Gründen und zu denselben Zwecken tun. Ausgangspunkt ist die Introspektion. Der Schluss erfolgt von Ego auf Alter. Dieses Argument ist zahlreichen Problemen ausgesetzt, denn es gerät in den Bannkreis des skeptischen Problems des Fremdpsychischen. Aus der Drittpersonperspektive, die Montaignes Gegendiskurs wählt, ist die Zulässigkeit der Erklärung für Menschen geschenkt. Zwar schreibt Hume in der ersten Person plural ([w]e are conscious, that we ourselves), aber sein Argument muss sich auf die Introspektion stützen, weil er zuerst von einer konstanten Relation zwischen mentalen Ursachen einerseits und bewirkten Verhaltensweisen andererseits ausgeht. Diese Relation kann nur Ego beobachten. Aufgrund dieser Beobachtung erklärt Ego die Verhaltensweisen von Alter und überträgt diese Erklärung dann per analogiam auf Tiere. Nun könnte man Hume verteidigen und darauf hinweisen, dass er einen wichtigen psychischen Mechanismus einführt, der die Zuverlässigkeit der Übertragung von Ego auf Alter gewährleistet (T II 1, 11). Ausgangspunkt ist die Beobachtung, dass sich Meinungen oder Gefühle von Ego auf Alter und von Alter auf Ego übertragen. Was allen diesen Beobachtungen zugrunde liegt, ist laut Hume der Mechanismus der Sympathie, einer der wichtigsten Mechanismen der menschlichen Natur.88 Die Wirkungen sind offensichtlich, der Mechanismus jedoch bleibt dem bewussten Zugriff meistens verborgen. Wie funktioniert er? Hume argumentiert wie folgt: „Tis indeed evident, that when we sympathize with the passions and sentiments of others, these movements appear at first in our mind as mere ideas, and are conceiv’d to belong to another person, as we conceive any other matter of fact. `Tis also evident, that the ideas of the affections of others are converted into the very impressions they represent, and that the passions arise in conformity to the images we form of them. [...] In sympathy there is an evident conversion of an idea into an impression.“ (T II 1, 11: 208/319–20)
Die einzelnen Schritte des Sympathiemechanismus’ – auf den Hume vor allem im Buch III zurückgreifen wird (T III 3, 1) – lassen sich wie folgt rekonstruieren:
88
Erklärungsansatz. Will man menschliches Verhalten mentalistisch interpretieren, schimpansisches hingegen nicht, benötigt man ein zusätzliches explanatorisches Element für diese anthropologische Differenz; vgl. Sober 1998 zur Frage der Sparsamkeit von Erklärungen und Sober 2000 zur Frage der Geltung des Schlusses; eine weiterführende Diskussion bei Mitchell 2005. Im Rahmen der Evolutionstheorie reicht eine Analogie nicht aus. Man benötigt Homologie. Von Homologie spricht man, wenn ein ähnliches (oder mehrere ähnliche) Merkmal(e) zweier Lebewesen von einer gemeinsamen phylogenetischen Linie – von einem gemeinsamen Vorfahren mit diesem Merkmal also – ableitbar sind. Unter Analogie versteht man die Ausbildung ähnlicher Merkmale aufgrund eines gleichartigen Selektionsdrucks. Altman 1995
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Kapitel IV – Hume – Naturalismus und Tiervernunft
1. Ego ist mit sich selbst vertraut. Ist er verliebt, weiß Ego, wie sich dies anfühlt und wie sich dies bei ihm äußert. 2. Nun beobachtet Ego den affektiven Ausdruck der Verliebtheit bei Alter. Dies ist ein sinnlicher Eindruck, den Ego unmittelbar empfängt (impressions of sensation). 3. Aufgrund der Erfahrung mit sich selbst bildet Ego unwillkürlich eine Vorstellung V der Ursache dieses sinnlichen Eindrucks, nämlich vom Affekt, der dem affektiven Verhalten von Alter ursächlich zugrunde liegt. Warum? 4. Alter hat eine große Ähnlichkeit mit Ego. 5. Hier setzt das Übergangsprinzip an: Aufgrund der konstanten Verknüpfung des Affekts und des affektiven Ausdrucks bei Ego und aufgrund der großen Ähnlichkeit wird Egos Vorstellung V Stärke und Lebendigkeit zugeführt. 6. Laut Hume ist unsere Natur so disponiert, dass wir bei der sympathischen Übertragung sogar noch weitergehen können: Die Vorstellung V wird in den Affekt selber verwandelt (conversion). Sie wird dadurch in einen Eindruck zweiter Ordnung umgewandelt (impression of reflection). Wir fühlen, im wahrsten Sinne des Wortes, mit. Mithilfe des Sympathiemechanismus kann Hume skeptischen Zweifeln bezüglich des Fremdpsychischen eine naturalistische Theorie entgegenhalten. Die Zweifel vermögen den psychischen Mechanismus, der zur Erklärung tierlichen Verhaltens über mentale Ursachen führt, nicht auf lange Dauer zu unterbrechen. Es mag diese Zweifel geben. Aber unsere Natur verfügt über zuverlässige psychische Mechanismen, die unseren Einstellungen anderen gegenüber zugrunde liegen. Vor allem kann Hume darauf hinweisen, dass es sich hier nicht um einen Schluss von mir auf andere handelt. Zwar ist der Ausgangspunkt offensichtlich die Erstpersonperspektive. Nur dort gewinnt Ego Kenntnis von der Kausalrelation zwischen Affekt und affektivem Ausdruck. Aber Ego erschließt die Affekte (und die anderen mentalen Zustände) von Alter nicht. Hier vollzieht sich ein psychisches Geschehen, dessen Herr Ego nicht ist. Hume kann damit den epistemischen Vorbehalten des Skeptikers antworten, indem er darauf hinweist, dass der Sympathiemechanismus weder epistemisch noch inferentiell zu verstehen ist. Wir erschließen aus keinen Gründen, dass Personen und Tiere ein Innenleben haben, sondern wir glauben es (im humeschen Sinn des Ausdrucks) aufgrund eines natürlichen, psychologischen Prozesses, der darin resultiert, eine Vorstellung in Ego über den Zustand von Alter zu erzeugen, die beinahe die Stärke eines Eindrucks hat. Hume kann Erklärungen dafür geben, warum wir Tieren einen Geist zuschreiben. Er verfügt über eine naturalistische Psychologie unserer Commonsense-Praxis solcher Zuschreibungen: die Mechanismen des Glaubens
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und der Sympathie, die auf dem Übergangsprinzip beruhen. Und er verfügt über eine naturalistische Erklärung der Genese und der Funktion der kausalen Prinzipien, die wir dabei zur Anwendung bringen. Man könnte mit Hume eine naturalistische Theorie der Tierbeobachtung entwerfen. Forscher und Forscherinnen, die Tiere lange genug beobachten und in einer Interaktion mit ihnen stehen, neigen zu mentalistischen Deutungen. Der Grund dafür lautet, dass der lange kausale Kontakt und die entsprechenden psychischen Mechanismen diese Forscher und Forscherinnen zu mentalistischen Deutungen disponieren.89 Forscher und Forscherinnen, die Tierpsychologie ohne entsprechenden Kontakt betreiben, neigen zu konservativen oder gar zu deflationistischen Interpretationen tierlichen Verhaltens.
IV. Tiere als Kausaldenker 94. Das Problem der Analogieschwäche Hume übertreibt in der Ausführung der Egalitaritätsthese, wenn er von der „invincible force“ unseres Glaubens spricht: „When therefore we see other creatures, in millions of instances, perform like actions, and direct them to like ends, all our principles of reason and probability carry us with an invincible force to believe the existence of a like cause. […] The resemblance betwixt the actions of animals and those of men is so entire in this respect, that the very first action of the first animal we shall please to pitch on, will afford us an incontestable argument for the present doctrine.“ (T I 3, 16: 118/176)
Davon kann im Bereich der Tatsachen (matter of fact) nur die Rede sein, wenn die Ähnlichkeitsrelation der kausalrelevanten Eigenschaften der Elemente von MU genügend hoch ist. Das ist sie im Falle der analogen Kausalität aber gerade nicht. Zwar wird dieser Glaube etwas abgeschwächt durch den Umstand, dass analogen Kausalschlüssen nur Wahrscheinlichkeit zukommt. Der Glaube wird abgeschwächt, wenn die Verbindungen zwischen Ursache und Wirkung nicht mehr so stark sind, wenn also der Übergang von einem vorhandenen Eindruck zu einer assoziierten Vorstellung schwerer fällt: „If you weaken either the union or resemblance, you weaken the principle of transition, and of consequence that belief, which arises from it. The vivacity of the first impression cannot be fully convey’d to the related idea, either where the conjunction of their objects is not constant, or where the present impression does not perfectly resemble any of those, whose union we are accustom’d to observe.“ (T I 3, 12: 97/142)
Aber je größer die Ähnlichkeit zwischen Tieren und uns, desto bestimmter 89
Allen 2004.
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und zuverlässiger unser Glaube, der die naturalistische Grundlage unserer Commonsense-Praxis abgibt. Das Übergangsprinzip (the principle of transition) ist durch die bloße Wahrscheinlichkeit abgeschwächt. Die Schwierigkeit liegt darin, dass die Verhaltensweisen der Tiere (the present impression), aufgrund derer wir auf mentale Ursachen zurückschließen, unseren Verhaltensweisen nur annähernd ähnlich (not perfectly resemble) sind. Und sogar wenn unser Glaube mit großer Kraft generiert würde, stellt dies tatsächlich eine Grundlage in re dar? Öffnet Hume dem naiven Anthropomorphismus damit nicht Tür und Tor? Die analoge Übertragung mentalistischer Verhaltenserklärungen erscheint weder reflektiert noch kritisch (Abschn. 23), denn die psychologischen Mechanismen der analogen Übertragung arbeiten unwillkürlich. Möchte man dies in einem spezifischen kognitionswissenschaftlichen Vokabular ausdrücken, könnte man (zur Freude Descartes’) sagen: Hume identifiziert mit dem Sympathiemechanismus ein Gedankenlesermodul, das sich bei unserer Spezies für die Dechiffrierung der mentalen Zustände unserer Artgenossen entwickelt hat. Es ermöglicht uns die effiziente Erklärung, das affektive Verständnis und die wahrscheinliche Vorhersage von Verhaltensweisen von Artgenossen. Dass dieses Modul aufgrund oberflächlicher Ähnlichkeiten auch bei anderen Tierarten zur Anwendung kommt, ist ein disfunktionaler Nebeneffekt. Für das Analogieargument bezüglich des Geistes der Tiere bleibt das Problem ebenfalls bestehen, sogar wenn wir auf den Sympathiemechanismus zurückgreifen können. Warum? Nun, Tiere sind Menschen nicht so ähnlich, wie Menschen Menschen ähnlich sind. Humes Verteidigung des Analogiearguments enthält eine Schwäche. Die Relation der Ähnlichkeit ist abgeschwächt. Worin sind Tiere uns ähnlich, abgesehen von bestimmten anatomischen und physiologischen Gegebenheiten? Betrachten wir nun genauer, was Hume den Tieren zuschreibt. Dort wird sichtbar, worin die wesentlichen, kausalrelevanten Eigenschaften bestehen, die eine analoge Übertragung rechtfertigen. Was muss Hume leisten? Ein konstanter Zusammenhang von Elementen aus MU und Elementen aus MW führt dazu, dass wir im Falle von E ein W erwarten, weil E den Elementen von MU so ähnlich ist. Die Ähnlichkeitsrelation (aufgrund derer wir E als Kandidaten für MU betrachten) wird über die für den kausalen Zusammenhang MU–>MW bislang identifizierten Eigenschaften hergestellt. Hume muss eine Antwort auf die folgende Frage haben: Welches sind die wesentlichen Eigenschaften, die dem Analogieschluss jenseits der Commonsensepraxis und den naturalistischen Mechanismen des Glaubens und der Sympathie zugrunde liegen? Anders gefragt: Worin besteht die Berechtigung zur Behauptung, „that beasts are endow’d with thought and reason as well as men“? (T I 3, 16: 118/176).
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95. Kausale Inferenz und Zweck-Mittel-Denken Die Antwort lautet: Tiere sind wie wir Kausallerner. Hume schließt das aus zwei Umständen. Tiere lernen und sie sind erziehbar. Hume nennt Pferde und Hunde. Daher muss man präzisieren: Gewisse Tiere lernen und sind erziehbar. Hume spricht von höheren Tieren. Und zwar von Tieren, mit denen Menschen näheren Umgang pflegen. Im Buch II des Treatise kommen zu den Säugetieren noch einige Vögel hinzu. Aufgrund der Erfahrung mit kausalen Relationen: „they become acquainted with the more obvious properties of external objects, and gradually, from their birth, treasure up a knowledge of the nature of fire, water, earth, stones, heights, depths, &c. and of the effects, which result from their operation. The ignorance and inexperience of the young are here plainly distinguishable from the cunning and sagacity of the old, who have learned, by long observation, to avoid what hurt them, and to pursue what gave ease or pleasure. A horse, that has been accustomed to the field, becomes acquainted with the proper height, which he can leap, and will never attempt what exceeds his force and ability. […] This is still more evident from the effects of discipline and education on animals, who, by the proper application of rewards and punishments, may be taught any course of action, the most contrary to their natural instincts and propensities. Is it not experience, which renders a dog apprehensive of pain, when you menace him, or lift up the whip to beat him?“ (EHU IX, 83: 105)
Damit hat Hume zwei wesentliche Eigenschaften identifiziert, die den Analogieschluss ermöglichen. Einerseits sind uns Tiere anatomisch und physiologisch ähnlich. Diesen Schritt kennen wir bereits und er ist zweifellos weniger interessant als der folgende: Andererseits gleichen Tiere uns in ihrer Fähigkeit zu lernen. Diese Fähigkeit zeigt sich einerseits im selbständigen Lernen von Jungtieren und andererseits im aktiven Training. Worin aber besteht die Vernunft der Tiere? Die Fähigkeit zu lernen, so Hume, setzt zweierlei voraus: Das Vermögen zu kausalen Inferenzen und das Zweck-MittelDenken. Betrachten wir zuerst die kausale Inferenz. Die Quelle kausaler Inferenzen ist bei Tieren keine andere als bei uns: „It seems evident, that animals as well as men learn many things from experience, and infer, that the same events will always follow from the same causes.“ (EHU IX, 83: 105) Die ganze Herleitung der kausalen Inferenz gilt somit, wie Hume betont, auch für Tiere: „‘Tis necessary in the first place, that there be some impression immediately present to their memory or senses, in order to be the foundation of their judgment. From the tone of voice the dog infers his master’s anger, and foresees his own punishment. From a certain sensation affecting his smell, he judges his game not to be far distant from him. Secondly, The inference he draws from the present impression is built on experience, and on his observation of the conjunction of objects in past instances.“ (T I 3, 16: 119/177–8)
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Kapitel IV – Hume – Naturalismus und Tiervernunft
Hume spricht die Zutaten seiner Kausalanalyse auch den Tieren zu: Da ist erstens der kausale Schluss von einem in den Sinnen oder der Erinnerung gegebenen Eindruck zu einer Vorstellung. Da ist zweitens der Bezug auf die Erfahrung als Grundlage des Übergangs vom Eindruck zur entsprechenden Vorstellung. Wenn ein Tier aufgrund seiner Erfahrung gelernt hat, dass auf ein Ereignis E ein Ereignis E* folgt, dann hat dieses Tier beim Eintreten des Ereignisses E den Glauben, dass E* folgen wird. Sieht das Tier eine Flamme, dann glaubt es, dass diese Flamme heiß ist. Hume nennt dies im angeführten Zitat Urteil (judgement). Tiere fällen nicht nur Urteile über kausale Relationen zwischen physischen Ereignissen, sondern auch zwischen Verhalten und mentalen Ursachen. Das Beispiel des Hundes kombiniert diese beiden Arten kausaler Inferenz. Am Klang der Stimme merkt der Hund, dass sein Herr zürnt. Das ist ein Rückschluss auf mentale Ursachen für ein Verhalten. Offenbar neigt der zornige Herr zur Bestrafung des Hundes. Der Hund hat das schon erfahren und sieht seine Bestrafung voraus. Das ist, wenn man so will, ein Vorausschluss auf die Auswirkungen des Zorns. Bedeutet der Rückschluss des Hundes, dass bei Tieren der Sympathiemechanismus am Werk ist? „‘Tis evident, that sympathy, or the communication of passions, takes place among animals, no less than among men. Fear, anger, courage, and other affections are frequently communicated from one animal to another, without their knowledge of that cause, which produc’d the original passion. Grief likewise is receiv’d by sympathy; and produces almost all the same consequences, and excites the same emotions as in our species.“ (T II 2, 12: 255/398)
Auch bei Tieren (bei höheren Tieren zumindest) greift der Mechanismus der Sympathie. Die Ähnlichkeiten zwischen dem Menschen und höheren Tieren sind beträchtlich. Sowohl Tiere als auch Menschen sind Lebewesen, die 1. über die gleichen kognitiven Vermögen verfügen (Sinneswahrnehmung, Erinnerung, Vorstellungskraft), 2. lernen und erzogen werden können, 3. physische kausale Inferenzen ziehen 4. und daher Glaubenseinstellungen haben, 5. dem Sympathiemechanismus unterliegen 6. und daher mentale kausale Inferenzen ziehen. Am Beispiel des Hundes gibt Hume einen Hinweis darauf, wie Hypothesen über das kausale Lernen zu testen sind. „As you vary this experience, he [the dog] varies his reasoning. Make a beating follow upon one sign or motion for some time, and afterwards upon another; and he will successively draw different conclusions, according to his most recent experience.“ (T I 3, 16: 119/178)
Der Test besteht darin, dass man Kausallerner konditionieren können muss.
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Wenn der Meister seinen Hund prügelt, weil er zornig auf ihn ist, wird der Hund aufgrund der Anzeichen des Zorns eine Tracht Prügel erwarten. Wenn der Meister seinen Hund plötzlich zu prügeln beginnt, wenn er ihn beim Namen gerufen hat, wird der Hund andere kausale Inferenzen erlernen. Hume unterlässt es jedoch, Verhaltenshinweise zu geben. Wie kommt es zu den unterschiedlichen Folgerungen (different conclusions) im Denken des Hundes? Verbunden mit der Fähigkeit zur kausalen Inferenz ist deren instrumenteller Gebrauch, das Zweck-Mittel-Denken. Im bereits zitierten Tiervernunftabschnitt des Treatise erklärt Hume: „We are conscious, that we ourselves, in adapting means to ends, are guided by reason and design, and that it is not ignorantly nor casually we perform those actions, which tend to self–preservation, to the obtaining pleasure, and avoiding pain.“ (T I 3, 16: 118/176)
Die Verhaltenszwecke legt Hume ausschließlich mit der Vermeidung von Unlust und der Erhöhung der Lust fest. Wenn ein Tier aufgrund seiner Erfahrung glaubt, dass das Feuer heiß ist, dann wird es das Feuer meiden, weil es schmerzvolle Eindrücke vermeiden möchte. Wenn ein Tier aufgrund seiner Erfahrung weiß, dass eine Mango süß schmeckt, dann wird es die Mango zu ergattern versuchen, weil es ein Bedürfnis befriedigen möchte. Kausale Inferenzen werden benutzt, um Güter zu erreichen bzw. Übel zu meiden, mit dem Zweck des Lustgewinns, bzw. der Unlustvermeidung. Entsprechend fällt das Verhalten eines Tiers aus. Humes Tierbeispiele sind (leider) wenig originell. Wie wir im Falle der Affekte noch sehen werden, sind sie in ihrem Anthropomorphismus teilweise sogar reichlich naiv (Abschn. 23). Aber im Treatise II 2, 12 findet sich eine Überlegung, die unter dem üblichen Beispielinventar geprügelter oder herbeigerufener Hunden hervorragt. Hume versucht zu illustrieren, dass sich bei Tieren unterschiedliche Affekte über den Sympathiemechanismus kommunizieren. So löse das Geheul eines Hundes Besorgnis unter seinen Artgenossen aus. Jagdhunde seien in Meuten um vieles jagdeifriger als allein, weil sie sich gegenseitig ihren Eifer über den Sympathiemechanismus kommunizieren würden. Zwischen diesen Beispielen findet sich nun auch folgendes: „And ’tis remarkable, that tho’ almost all animals use in play the same member, and nearly the same action as in fighting; a lion, a tyger, a cat their paws; an ox his horns; a dog his teeth; a horse his heels: Yet they most carefully avoid harming their companion, even tho’ they have nothing to fear from his resentment; which is an evident proof of the sense brutes have of each other’s pain and pleasure.“ (T II 2, 12: 255–6/398)
Das Beispiel geht von der Tatsache aus, dass das aggressive und das spielerische Tierverhalten sich sehr ähnlich sieht. Es erfolgt, wie Hume hervorhebt, mit denselben Mitteln. Anders als bei aggressivem werden bei spielerischem
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Kapitel IV – Hume – Naturalismus und Tiervernunft
Verhalten Verletzungen vermieden. Hume führt dies – gesetzt den Fall, die Tiere wären nicht aus Furcht zurückhaltend – auf den Sympathiemechanismus zurück. Spielende Tiere sehen die Unlust voraus, die eine Verletzung nach sich ziehen würde und vermeiden den aggressiven Einsatz ihrer Pranken, Hörner, Zähne oder Hufe. Ob nun diese Überlegung zutrifft oder nicht, interessant ist ihr Ausgangspunkt, den man wie folgt verdeutlichen kann: Bisse sind ein fester Bestandteil des Spielverhaltens von (v.a. jungen) Caniden. Aber Bisse sind ein ebenso fester Bestandteil ihres aggressiven Verhaltens, sei es auf der Jagd, zur Selbstverteidigung oder bei Rangstreitigkeiten. Interessant ist die Tatsache, dass Caniden ihr Beißverhalten zu sehr unterschiedlichen Zwecken einsetzen können. Humes Erklärungsansatz der Tierkognition lässt eine Interpretation zu. Aus wiederholter Erfahrung weiß ein Tier – beispielsweise ein Wolf – um die Folgen des Einsatzes seiner Zähne. Der Wolf hat damit einen Kausalzusammenhang erlernt. Doch nun kann dieser Kausallerner die Zähne und das damit verbundene Beißverhalten zu unterschiedlichen Zwecken einsetzen (z.B. schütteln Caniden nach dem Zupacken ihren Kopf hin und her), einmal im Spiel und ein andermal auf Beutefang. Gemäß Humes Analyse erfolgt der Zweck-Mittel-Einsatz stets zur Vermeidung von Unlust und zur Erlangung von Lust. Seine Hypothese würde nun lauten: Beim Beutefang sind es die Befriedigung und die Selbsterhaltung, die den Einsatz der Mittel (Beißen) steuern. Beim Spiel hingegen ist es nicht nur die eigene Lust, sondern auch die Vermeidung von Unlust (Schmerzen) beim Partner, die den Einsatz der Mittel (Beißen) steuern. Dieses Beispiel ist deshalb bemerkenswert, weil es der Unterscheidung zwischen Kausallernen und Zweck-Mittel-Denken bei Tieren eine Struktur verleiht. Die Struktur des Beispiels besteht nämlich darin, dass sich der Prozess der erfahrungsgenerierten Gewohnheit (Kausallernen) vom Einsatz dieser Gewohnheit zu (mindestens) zwei sehr unterschiedlichen Zwecken (Zweck-Mittel-Denken) unterscheiden lässt. Kausallerner mögen zwar eine erfahrungsgenerierte Gewohnheit erwerben, die sie bestimmte kausale Inferenzen erkennen lässt, doch nur Zweck-Mittel-Denker können solche kausalen Inferenzen als Mittel zu unterschiedlichen Zwecken einsetzen. Zugleich zeigt das Beispiel, dass Hume auch hier auf eine Erstpersonperspektive festgelegt ist. Die Kommunikation zwischen zwei Spielpartnern erfolgt quasi-solipsistisch auf dem Weg des Sympathiemechanismus. Stürzt sich Wolf A zum Spiel auf Wolf B, dann wird sich in A etwa Folgendes abspielen: A weiß, dass Bisse Schmerzen bereiten; A beißt B und stellt Schmerzverhalten fest; A bildet eine Vorstellung des Unlustzustandes bei B; A ist B sehr ähnlich; infolge des Übergangsprinzips kommuniziert sich die schmerzliche Empfindung von B auch auf A. Der Sympathiemechanismus gibt eine Art Erklärung dafür ab, wie Wolf A sein Spielverhalten erlernt. Wichtig ist
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die Erinnerung daran, dass es sich nicht um einen expliziten Schluss handelt, sondern um einen psychologischen Prozess. Anders als Hume (oder Descartes, Cureau, Locke und Leibniz) rekurriert Montaigne auf die Kommunikation zwischen Tieren, indem er die nonverbalen und pragmatischen Aspekte der Sprache hervorhebt (Abschn. 20–1). Man kann sich in der Tat fragen, ob es nicht einfacher wäre, wenn die Wölfe einander irgendwie mitteilen könnten, dass sie spielen wollen, und zwar auf dem Weg einer Kommunikation nicht der affektiven Zustände (wie es Hume vorschlägt), sondern mittels eines Signals, das eine Absicht kommuniziert. Montaigne argumentiert, dass das erfolgreiche soziale Zusammenspiel bei den Tiere darauf hinweist, dass sie über eine Form der Kommunikation verfügen müssen, beispielsweise können bestimmte Bewegungen diese Funktion übernehmen: „Aux bestes mesmes qui n’ont pas de voix, par la societé d’offices que nous voyons entre elles, nous argumentons aisément quelque autre moyen de communication: [c] leurs mouvemens discourent et traictent.“ (II 12, 453) Tatsächlich konzentriert sich ein ganzer Zweig der modernen Verhaltensforschung auf diese Form der intentionalen Kommunikation. Stürzt sich Wolf A zum Spiel auf Wolf B, dann scheint sich eher etwa Folgendes abzuspielen: A signalisiert B, dass das folgende Verhalten spielerisch ist. Die meisten Caniden tun dies auf dieselbe Art und Weise. Sie machen einen „Spielbogen“, d.h. sie strecken ihre Vorderläufe flach aus, bleiben mit den Hinterläufen aufrecht stehen, drücken den Rücken durch und wedeln bisweilen mit dem Schwanz.90 Hume hat das richtige Auge für das Spielen als beachtenswerte Verhaltensform gehabt, die möglicherweise weitreichende Aussagen über Tierkognition zulässt,91 aber auch philosophisch relevante Deutungsprobleme beinhaltet.92 Freilich, Humes quasi-solipsistische Zugangsweise zu mentalen Phänomenen schränkt seine Sichtweise – und die Sichtweise zahlreicher weiterer Philosophen der Frühen Neuzeit – ein. Die Einnahme der Drittpersonperspektive und die Miteinbeziehung der aktiven Interaktion zwischen Sozialpartnern stellt eine attraktive Möglichkeit für eine Erweiterung dieser Sichtweise dar, die in der Philosophie des Geistes jedoch nicht durch die Fixierung auf sprachliches Verhalten wiederum eingeschränkt werden sollte. 96. Die Vernunft der Tiere (Krähen) Die Vernunft der Tiere besteht also darin, dass sie in der Lage sind, aufgrund ihrer Erfahrung kausale Inferenzen zu ziehen, und diese kognitive 90 91 92
Bekoff 1995. Bekofff 1998. Allen & Bekoff 1994.
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Kapitel IV – Hume – Naturalismus und Tiervernunft
Fähigkeit als Mittel einsetzen können, um bestimmte Zwecke zu erreichen. Tatsächlich besteht darin Hume zufolge die wesentliche Funktion der Vernunft: „[R]eason, in a strict and philosophical sense, can have an influence on our conduct only after two ways: Either when it excites a passion by informing us of the existence of something which is a proper object of it; or when it discovers the connexion of causes and effects, so as to afford us means of exerting any passion.“ (T III 1, 1: 295–6/459)
Wenn Hume nun von der Vernunft der Tiere spricht, so spricht er mit „Vernunft“ kein besonderes kognitives Vermögen an. Auch nicht bei Menschen.93 Die Vorstellungskraft ist das Vermögen, das Hume zufolge jene kognitiven Operationen ausführen kann, die Philosophen vor ihm der Vernunft oder einer rationalen Seele zugeschrieben haben. Jene Operationen, die kein Mensch ausführt (wie die Abstraktion), bedürfen auch keines eigenen Vermögens. Zwar spricht Hume immer wieder von der Vernunft. Das ausführende Vermögen ist stets die Vorstellungskraft94. Die gemeinte Vernunft ist also einerseits die erfahrungsbasierte Fähigkeit zu kausalen Inferenzen und andererseits die Verwendung dieser Inferenzen für bestimmte Zwecke. In diese Prozesse sind Eindrücke und deren Beziehungen zu Vorstellungen sowie Lernprozesse involviert. Aber natürlich werden Tatsachen nicht nur erschlossen, sondern auch wahrgenommen oder erinnert. Hier sind die Sinne und die Erinnerung zuständig. Ein Beispiel aus der gegenwärtigen Forschung mit Krähen möge veranschaulichen, was Hume mit der Vernunft der Tiere anspricht. Amerikanische Krähen (in einer bestimmten Region Kaliforniens) verspeisen zwei Sorten Walnüsse. Trotz ihrer Krähenschnäbel sind sie nicht imstande, diese aufzuknacken. Sie lassen die Nüsse aus der Luft zu Boden fallen, um sie dadurch zu knacken. (Das ist eine intentionale Beschreibung dessen, was die Krähen tun. Es ist natürlich möglich, hundert andere Beschreibung ihres Verhaltens z.B. der Körperbewegungen zu finden, nur würden diese Beschreibungen nicht identifizieren, was die Krähen tun; Abschn. 83). Die härteren Nüsse (black walnuts) werden ausschließlich auf das harte Straßenpflaster, die weicheren Nüsse (englisch walnuts) hingegen werden sowohl auf das harte Pflaster, als auch auf den weicheren Erdboden fallen gelassen, und zwar: die weicheren Nüsse auf das Straßenpflaster aus geringerer Flughöhe als die harten Nüsse auf das Pflaster, aber auf den Erdboden aus größerer Flughöhe als harte Nüsse auf das Straßenpflaster. Die Krähen wissen also nicht nur, wie die Nüsse zu knacken sind. Sie verstehen es darüber hinaus, die unterschiedlich harten Nüsse unterschiedlich zu behandeln. (Das ist eine intentionale Erklärung dessen, was die Krähen 93 94
Owen 1999: 63. Ebd. 197.
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tun. Die Krähen haben sich Informationen über das Verhalten von Nüssen angeeignet, sie möchten die Nüsse fressen und benutzen nun diese Informationen, um ihre Zwecke zu erreichen.) Die Untersuchungen legen zusätzlich nahe, dass Krähen ihr Verhalten einer weiteren Variable anpassen, nämlich der Anwesenheit von kleptoparasitären Artgenossen. Es macht den Anschein, als würden die Krähen die Fallhöhe entsprechend der Entfernung mundräuberischer Artgenossen variieren, damit sie vor ihnen bei den geknackten Nüssen sein können.95 97. Sind Tiere explizite Kausallerner? Hume schreibt, Tiere würden aus der Erfahrung ableiten, dass gleiche Wirkungen immer gleiche Ursachen haben (infer, that the same events will always follow from the same causes). Bedeutet dies, dass Tiere aus ihrer Erfahrung allgemeine Prinzipien extrahieren und diese als Prämissen weiterhin verwenden? Sind Tiere also explizite Kausallerner? Erinnern wir uns an Montaignes Beispiel eines Fuchses, der im Begriff ist, einen zugefrorenen Fluss zu überqueren (Abschn. 24) und die Überlegung anstellt: „Ce qui fait bruit, se remue; ce qui se remue, n’est pas gelé; ce qui n’est pas gelé, est liquide, et ce qui est liquide, plie soubs le faix.“ (Essais II 12: 460) Daraus folgert der Fuchs, dass das Eis ihn nicht tragen wird und weicht zurück. Montaigne vermutet hier einen expliziten Prozess vernünftigen Schließens und bezeichnet die Schlussfolgerung als „consequence tirée du sens naturel “. Hume kann dem „natürlichen Sinn“ eine Grundlage verleihen, die sich nicht auf die starke Annahme stützen muss, der Fuchs (oder ein anderes Tier) würde im Geist eine komplexe Schlussfolgerungskette durchlaufen. Denn ihm zufolge beruht die kausale Inferenz auf der Erfahrung und der durch sie erzeugten Gewohnheit sowie auf der subjektiven 95
Cristol & Switzer 1999a & 1999b. Diese Untersuchungen haben ihren Ursprung darin, dass die Einwohner von Davis (Calif.) vermuteten, die Krähen würden die Nüsse mit Absicht vor heranrollenden Automobilen fallen lassen, damit die Reifen die Nüsse knacken. Die Untersuchungen entlarvten diese Volkshypothese zwar als Anthropomorphismus, konnten aber interessante Resultate zu Tage fördern und zeigten darüber hinaus den Wert eines reflektierten und kritischen Anthropomorphismus (Ab. 23). Mit Bedacht habe ich ein Vogelbeispiel gewählt. Infolge zahlreicher neuer Studien festigt sich nämlich der Eindruck, dass bestimmte Vogelarten – allen voran Papageien und Corviden – kognitive Fähigkeiten unter Beweis stellen, die bislang den Primaten vorbehalten wurden (und zuvor ausschließlich dem Menschen). Zu diesen außerordentlichen Primatenleistungen gehören: (1) soziales Lernen und die Fähigkeit zur Imitation, (2) „Gedankenlesen“ (mindreading), d. i. das Verstehen intentionaler Zustände bei Artgenossen), (3) die Fähigkeit zum Lernen durch Einsicht, (4) Erfindung, Konstruktion und Benutzung von Werkzeugen, (5) referentielle und symbolische Kommunikation, (5) „mentales Zeitreisen“ (mental time travel), d. i. individuelle episodische Erinnerung und Planen in die Zukunft (Emery & Clayton 2003).
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Kapitel IV – Hume – Naturalismus und Tiervernunft
Nötigung eines Übergangs von einem sinnlichen Eindruck auf die assoziierte Vorstellung. Hume veranschaulicht dies an einem ähnlichen Beispiel. Ein Reisender trifft auf einen Flusslauf, er erkennt unmittelbar die Folgen einer Überquerung aufgrund seiner vergangenen Erfahrungen. Ich zitiere den entsprechenden Ausschnitt in voller Länge, weil er zahlreiche der bislang versammelten Stränge zusammenführt: „But can we think, that on this occasion he [der Reisende] reflects on any past experience, and calls to remembrance instances, that he has seen or heard of, in order to discover the effects of water on animal bodies? No surely; this is not the method, in which he proceeds in his reasoning. The idea of sinking is so closely connected with that of water, and the idea of suffocating with that of sinking, that the mind makes the transition without the assistance of the memory. The custom operates before we have time for reflection. The objects seem so inseparable, that we interpose not a moment’s delay in passing from the one to the other. But as this transition proceeds from experience, and not from any primary connexion betwixt the ideas, we must necessarily acknowledge, that experience may produce a belief and a judgment of causes and effects by a secret operation, and without being once thought of. This removes all pretext, if there yet remains any, for asserting that the mind is convinc’d by reasoning of that principle, that instances of which we have no experience, must necessarily resemble those, of which we have. For we here find, that the understanding or imagination can draw inferences from past experience, without reflecting on it; much more without forming any principle concerning it, or reasoning upon that principle.“ (T I 3, 8: 72–3/103–4; Hervorhebungen M.W.)
Der Reisende (im Sommer) lässt sich durch den Fuchs (im Winter) ersetzen. Ebenso wenig wie der Reisende muss der Fuchs eine explizite Kette von Folgerungen durchlaufen, um zu einem bestimmten Glauben zu gelangen, nämlich dass dieser Fluss (sei es nun sommers oder winters) nicht überquert werden kann. Die Relationen zwischen den einzelnen Gliedern dieses impliziten Schlusses (secret operation, inferences) werden gleichfalls mit dem Übergangsprinzip (transition) erklärt (Abschn. 92). Die aufgrund bestimmter Eindrücke sich einstellende Vorstellungsassoziation erfolgt ohne explizite (oder episodische) Erinnerung und ohne explizite Reflexion, sondern allein aufgrund einer Gewöhnung (custom). Die Schlusskette des Fuchses vor der Eisdecke wird bei Hume zu einer Vorstellungsassoziation. Die Kette genau dieser Vorstellungen ergibt sich aufgrund des Übergangsprinzips, d.h. die Erfahrung ermöglicht die Übertragung von Stärke und Lebendigkeit des momentanen Eindrucks auf diese Vorstellungen. Der unmittelbare akustische Eindruck des Fuchses (bruit) ruft die Vorstellung der Bewegung (se remue) hervor, diese die Vorstellung der Flüssigkeit (liquide) und diese schließlich die Vorstellung des Einbruchs (plie soubs le faix). Das nötigt dem Fuchs den Glauben auf, dass die Eisdecke ihn nicht tragen wird. Dasselbe gilt für den Reisenden. Man möchte beinahe vermuten, dass Hume die Landschaft für dieses Beispiel mit Bedacht gewählt hat. Denn die kausale Inferenz fließt ebenso natürlich durch den Geist des Reisenden wie der Fluss durch die Landschaft.
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Hier treffen wir auf den vierten Unterschied zwischen Montaignes und Humes Argument (Abschn. 88). Montaigne möchte dem Rationalismus entgegenhalten, dass Tiere denken wie wir. Und meint: Tiere verfügen möglicherweise ebenfalls über ein rationales Vermögen. Hume ist der Ansicht, dass Tiere tatsächlich denken wie wir (as well as men). Er beabsichtigt damit jedoch keineswegs die Zuschreibung eines rationalen Vermögens auch an Tiere. Vielmehr meint Hume, dass kausale Inferenzen auf einer natürlichen Grundlage beruhen, die wir mit Tieren teilen. Zugespitzt formuliert: Nicht denken die Tiere so wie wir, sondern wir denken wie die Tiere. Tiere sind keine expliziten Kausallerner. Sie haben aufgrund vergangener Erfahrung eine Gewohnheit ausgebildet, eine gewisse kausale Folge zu durchlaufen. Zu diesem Zweck brauchen sie keine expliziten und allgemeinen Regeln zu extrahieren. Die subjektive Nötigung, die auf einer stetigen Wiederholung gleicher Erfahrung beruht, mithin auf einem konstanten Zusammenhang (constant conjunction) W –> U, reicht für die implizite Verallgemeinerung MU –> MW aus. Sie erfüllt damit die vierte der acht Regeln für kausale Inferenzen, dass nämlich auf dieselbe Ursache dieselbe Wirkung folgen muss und umgekehrt (T I 3, 15: 116–7/173–4). 98. Erfassen und differenzieren Tiere kausale Prinzipien? Man könnte hier nun einwenden, dass Tiere vielleicht imstande sein mögen, sich infolge gemachter Erfahrungen und aufgrund gewisser Regelmässigkeiten zu verhalten, dass dies aber keineswegs ausreiche, um Tieren eine differenzierte Kenntnis kausaler Kräfte zuzuschreiben. Eine Ursache ist kein Ereignisatom, sondern ein Ursachenkomplex,96 der aus notwendigen und hinreichenden Bedingungen besteht. Reibt Karl ein Streichholz an, so reicht dies allein nicht aus, den Schwefelkopf zu entflammen. Die Reibefläche muss entsprechend beschaffen sein. Es ist nicht anzunehmen, dass Tiere ein derart differenziertes Verständnis kausaler Kräfte haben. Man mag auch bezweifeln, dass sie überhaupt ein Verständnis für die wirklichen kausalen Kräfte entwickeln können. So mag ein Schimpanse beobachten, dass bei starkem Wind Früchte von bestimmten Bäumen fallen, dass diese Früchte auch fallen, wenn Artgenossen auf den Bäumen herumklettern oder wenn der Schimpanse selbst einen Ast schüttelt. Aber erkennt er, dass in diesen drei Fällen die Bewegung des Astes (durch den Wind, durch die Artgenossen, durch ihn selbst) die tatsächliche Ursache dafür ist, dass Früchte fallen? Es ist schwierig, den Umfang des kausalen Bedingungskomplexes zu bestimmen und von anderen Bedingungen abzugrenzen. Es ist ebenso schwierig, 96
Honderich 1995: 17–8.
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Kapitel IV – Hume – Naturalismus und Tiervernunft
die notwendigen und hinreichenden Bedingungen anzugeben. Nicht nur muss die Reibefläche richtig beschaffen sein, sie muss ebenso wie der Schwefelkopf trocken sein, Sauerstoff muss vorhanden sein, Karl muss eine entsprechende Handbewegung ausführen usw. Dieser Weg zur Bestimmung von Ursachen ist in Humes Augen wenig fruchtbar. Deshalb wählt er den Weg über die erfahrungsgenerierte Gewohnheit, die einen Glauben mit dem Inhalt U –> W hervorbringt. Höhere Tiere und Menschen leiten aus der Erfahrung MU –> MW ab (the same events will always follow from the same causes). Dies ist die zentrale der acht Regeln zur Beurteilung von Kausalrelationen (T I 3, 15). Nennen wir diese erfahrungsgenerierte Gewohnheit – nämlich (MU –> MW) –> (U –> W) – die „animalische Kausalregel“. Die animalische Kausalregel stellt die Grundlage für alle weiteren Differenzierungen sowohl in der Auffassung der Ursachen als auch der Wirkungen dar. Dies lässt sich an zwei weiteren Regeln zur Beurteilung von Kausalrelationen demonstrieren. U-Differenzierung: Die fünfte Regel besagt, dass unterschiedliche Ursachen U, U* & U**, die alle ein und dieselbe Wirkung W hervorbringen, eine gemeinsame Eigenschaft haben müssen, die W hervorbringt. „For as like effects imply like causes, we must always ascribe the causation to the circumstance, wherein we discover the resemblance“ (T III 3, 15: 117/174). Hierbei geht es um die Extraktion jener Elemente, die für den konstanten Zusammenhang zwischen MU und MW verantwortlich sind. Hume spricht davon, dass Tiere aufgrund des Lernprozesses mit den „more obvious properties of external objects“ (EHU IX, 83: 105) vertraut werden. Diese auffälligeren Eigenschaften habe ich weiter oben als „wesentliche“ Eigenschaft bezeichnet (Abschn. 89). Grundlage der Extraktion dieser Elemente ist die animalische Kausalregel, ihr Mittel die „distinction of reason“ (Abschn. 86). Im Beispiel der fallenden Früchte ist der bewegte Ast das gemeinsame Element der unterschiedlichen Ursachen U (Wind), U* (Artgenosse) & U** (Schütteln des Astes). Können Tiere aufgrund der animalischen Kausalregel diese Art der U-Differenzierung vornehmen? Das ist eine empirische Frage, die beispielsweise von einigen Primatologen verneint wird, so dass die Erkenntnis von tatsächlichen kausalen Kräften dem Menschen vorbehalten zu sein scheint.97 Für Hume ist die Bezugnahme auf eine kausale Kraft natürlich obskur (Abschn. 91). Er bietet stattdessen eine U-Differenzierung auf der Grundlage der animalischen Kausalregel an. Diese Tätigkeit soll die Bezugnahme auf „reale“, kausale „Kräfte“ umgehen. Empirische Forschungen, die sich eher auf solche Tätigkeiten stützen als auf die Erkenntnis kausaler Kräfte, kommen denn auch zu optimistischeren Ergebnissen.98 Nur sagt Hume uns nicht direkt, ob seiner Ansicht nach Tiere dazu in der Lage sind 97 98
Tomasello 2000. Dickinson & Balleine 2000.
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oder nicht, kausale Differenzierungen vorzunehmen. Aber er schließt den Abschnitt I 3, 15 mit dem Hinweis ab, dass der Vergleich zwischen Mensch und Tieren eine Bestätigung seiner These darstellt und leitet damit zum Abschnitt „On the Reason of Animals“ über. W-Differenzierung: Mit der sechsten Regel weist Hume darauf hin, dass die unterschiedlichen Ws zweier einander sonst sehr ähnlicher Ursachen U & U* auf einen Unterscheid zwischen U & U* hindeuten (T III 3, 15: 117/174). Voraussetzung dafür ist, dass eine Erwartung getäuscht worden ist, die auf der animalischen Kausalregel aufbaut, nun aber ein Ereignis E, das in MU passt (Abschn. 89) nicht die erwartete W hervorbringt (E gehört nicht zu MW). Hume meint nun „when in any instance we find our expectation to be disappointed, we must conclude, that this irregularity proceeds from some differences in the causes“ (ebd.).99 Diese Regel ist deshalb hilfreich, weil Hume ihr eine Verhaltenssignatur mitgibt. Eine Erwartung (erzeugt durch die animalische Kausalregel) wird enttäuscht. Etwas am auslösenden U muss sich verändert haben und die Chance besteht, dass sich ein Lebewesen dieser Veränderung anpasst. Wichtig ist nun, dass die erfahrungsgenerierte Gewohnheit nicht nur die Grundlage für U- und W-Differenzierungen darstellt, sondern zugleich deren Maßstab abgibt. Welche Inhalte ein Lebewesen auch immer für MU –> MW erlernt hat, die Enttäuschung der Regel ist ein Anlass zu ihrer Korrektur, die sich möglicherweise in einem Verhalten anzeigt. Dieser Schritt ist nicht unbedeutend. Denn er versieht die naturalistisch hergeleitete, erfahrungsgenerierte Gewohnheit mit einem minimalen normativen Element. Tiere sind Kausaldenker, dh. es besteht für sie die subjektive Nötigung, von U auf W zu schließen (weil MU –> MW). Die damit verbundene Erwartung (W) kann auf verschiedene Art und Weise enttäuscht werden. Der Maßstab der Enttäuschung ist freilich stets die animalische Kausalregel. Das bedeutet: Egal ob Tiere oder nur Menschen in der Lage sind U- und W-Differenzierungen vorzunehmen, die normative Grundlage ist die animalische Kausalregel. Sie bietet Lebewesen einerseits die Möglichkeit, über das sinnlich Gegebene hinaus zu empirischem Wissen zu gelangen und gibt Lebewesen andererseits eine Norm für weitere Differenzierungen an die Hand.100 99
Gemäß der achten Regel gilt, dass ein Ereignis E, das bislang W nicht hervorgebracht hat und nun W plötzlich hervorbringt, nicht U für W sein kann, es sei denn in Verbindung mit einem E* (T III 3, 15: 117/174). Hier gilt dieselbe Voraussetzung. Deren Verletzung zeigt an, dass die Verbindung zwischen U und W nicht erkannt worden ist. 100 Die detaillierte Verteidigung der kausalen Inferenz bei Hume durch Wilson 1997 erkennt das normative Element freilich schon in der psychologischen Tatsache der subjektiven Nötigung. Gegen Kemp Smith 1941, Passmore 1980: 149, Flew 1998 und andere, die behaupten, dass Hume lediglich psychologische Fakten reklamiere, insistiert F. Wilson, dass die subjektive Nötigung normativ ist („We Must Infer“, Wilson 1997: 109–20) und schließt: „What Hume defends, in the argument form must to ought, is the practice of making causal inferences; he is not
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Kapitel IV – Hume – Naturalismus und Tiervernunft
99. Der Tiertest In Abschnitt 97 habe ich Humes Egalitaritätsthese auf die Formel zugespitzt: Nicht denken die Tiere so wie wir, sondern wir wie die Tiere. D. Boyle nimmt diese Umkehrung beim Wort und vertritt die Ansicht, dass Humes Analogieargument in einer der gewöhnlichen Lesart – die auch hier in Anschlag gebracht worden ist – entgegengesetzten Richtung verläuft. Nicht wird vom Menschen auf das Tiere geschlossen, sondern umgekehrt vom Tier auf den Menschen.101 Das trifft zu, ist aber einseitig. Denn Hume weist stets darauf hin, dass Beobachtungen an Tieren die zuvor unternommene Analyse (in erster Linie diejenige der kausalen Inferenz) bestätigen sollen (EHU IX, 82: 104–5). Was D. Boyle an dieser Stelle mit dem Analogieargument durcheinander bringt ist Humes Tiertest. Tiere werden nicht zur Bestätigung der eigenen Thesen eingesetzt, sondern auch zur Zurückweisung von Gegenpositionen. Die Tiere seien „a kind of touchstone, by which we may try every system in this species of philosophy“ (T I 3, 16: 118/176). Durch den Bezug auf die Tiere meint Hume sowohl im Treatise I 3, 16 wie auch im EHU IX einerseits die skeptischen Zweifel an der Kausalität und andererseits die naturalistische Herleitung seiner Analyse der kausalen Inferenz bestätigen zu können. Tiere nehmen wahr, lernen aus ihrer Erfahrung, leiten ab, erwarten bestimmte Wirkungen und setzen die animalistische Kausalregel instrumentell ein. Hume führt beispielsweise den Unterschied zwischen Jungtieren und erwachsenen Tiere einer Spezies an, um diese Reihe zu bekräftigen (EHU IX, 83: 105). Allerdings beruht diese tierliche Lernfähigkeit ausschließlich auf Erfahrung, Gewohnheit und Instinkt – wie bei Kindern und den meisten Menschen, sogar bei Philosophen. Die kausale Inferenz erfolgt bei Tieren allein aufgrund einer erfahrungsgenerierten Gewohnheit. Sie erkennen keine realen, kausalen Kräfte in den Sachen selbst, sondern erfahren einen subjektiven Eindruck der Nötigung, der sich im Rahmen von Humes Psychologie mit dem Übergangsprinzip erklären lässt. Hume meint (T I 3, 16; II 1, 12), seine Thesen seien so einfach, dass sie auf höhere Tiere gleichermaßen zutreffen. Dies sei ein überzeugender Beweis für die Wahrheit seiner Thesen. Denn sein Naturalismus beruht auf der methodologischen Voraussetzung, dass Phänomene auf der Grundlage weniger, einfacher Prinzipien erklärbar und anhand alltäglicher Erfahrungen defending one set of causal inferences as superior to another. In the argument we are discussing, Hume is defending the generic practice of making causal inferences, but is defending no more specific sort of practice.“ (Wilson 1997: 120) Wilsons Slogan from must to ought folgend, kann man die eben diskutierten Regeln normativ interpretieren, da Hume schreibt: „when in any instance we find our expectation to be disappointed, we must conclude, that this irregularity proceeds from some differences in the causes“ (Hervorhebung, M.W.). 101 Boyle 2002: 6–10.
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testbar sein sollen (Abschn. 80). Die Reichweite der Erklärungskraft einer Theorie stellt ein zusätzliches Indiz für ihre Chance auf Wahrheit dar. Soweit die naturalistische Herleitung der kausalen Inferenz. Wie steht es mit dem skeptischen Anteil? Erinnern wir uns daran, dass Hume verschiedene Herleitungen der Vorstellung der Kausalität zurückweist. Kausalzusammenhänge werden nicht – pace Sensualismus – allein auf der Grundlage der Sinneserfahrung (es fehlt das Element der Notwendigkeit), nicht – pace Rationalismus – durch die Vernunft a priori (Kausalität ist nicht analytisch, denn Kausalaussagen sind synthetische Aussagen), nicht – pace Voluntarismus – durch eine Übertragung der inneren Willenserfahrung (diese analysiert Hume als Illusion) und nicht – pace Empirismus – aus induktiven Verallgemeinerungen erkannt (induktive Extrapolationen auf zukünftige Ereignisse sind zirkulär). Wichtig ist Hume vor allem der Verzicht auf ein besonderes rationales Vermögen, das für die Kausalerkenntnis und die kausale Inferenz zuständig wäre, sei es durch die Wahrnehmungen objektiver kausaler Verknüpfungen oder durch ein allgemeines Prinzip. Tiere bestätigen Humes Kritik deshalb, weil sie zu kausalen Inferenzen in der Lage sind, ohne dass sie sich auf kausales Wissen a priori, auf die Erfahrung eines freien Willens oder die explizite Applikation allgemeinen Prinzipien stützen müssten – wie Rationalisten bereitwillig zugestehen würden. „It is custom alone, which engages animals, from every object, that strikes their senses, to infer its usual attendant, and carries their imagination, from the appearance of the one, to conceive the other, in that particular manner, which we denominate belief. No other explication can be given of this operation, in all higher, as well as lower classes of sensitive beings, which fall under our notice and observation.“ (EHU IX, 84: 106)
Warum sollten kausale Inferenzen bei uns mehr in Anspruch nehmen? Animalische Inferenz ist die ganze Inferenz – zumindest ist sie die Voraussetzung und der Maßstab für weitere U- oder W-Differenzierungen (Abschn. 98). Nun behauptet Hume darüber hinaus, sein Tiertest sei ein Einwand gegen jede andere philosophische Theorie. Warum? „When any hypothesis, therefore, is advanc’d to explain a mental operation, which is common to men and beasts, we must apply the same hypothesis to both; and as every true hypothesis will abide this trial, so I may venture to affirm, that no false one will ever be able to endure it. The common defect of those systems, which philosophers have employ’d to account for the actions of the mind, is, that they suppose such a subtility and refinement of thought, as not only exceeds the capacity of mere animals, but even of children and the common people in our own species.“ (T I 3, 16: 118/177)
Die kritische Wendung des Tiertests hat also zwei Facetten. Einerseits müssen gleiche mentale Operationen mit gleichen Hypothesen erklärt werden. Dies ist eine Wiederholung des zentralen Gegenarguments von Montaigne.
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Die Krux besteht hier natürlich darin, dass bezweifelt werden kann, ob die mentalen Operationen gleiche sind. Zwar sprechen wir davon, dass Tier xenTier und dass Menschen x-enMensch. Doch wie wir im Falle Descartes bereits auf der Ebene der Wahrnehmung sehen konnten, gelangt er trotz seiner Bête-machine-These zum Resultat, wir müssten korrekterweise dauernd zwischen Aussagen wie „Er fürchtetMensch X“ und „Es fürchtetTier X“ unterscheiden (Abschn. 56). Im ersten Fall sprechen wir über leibseelische Zustände im zweiten Fall aber nur über körperliche. Wir sprechen, als ob Tiere erregt wären, als ob sie etwas hören würden. Die zweite Facette kritisiert jedoch den Ansatz, der zu einem solchen Resultat führt. Hume ist der Ansicht, dass Theorien zu hoch greifen, die eine besondere, spezifisch menschliche Form des Denkens ansetzen, um Fähigkeiten der Wahrnehmung oder der kausalen Inferenz zu erklären. Jedes philosophische System, das den kognitiven Fähigkeiten der Tiere nicht gerecht werden kann, ist mit der Hypothek belastet, dass es diese Fähigkeiten weg erklären und gute Gründe dafür anführen muss. Die Beweislast – so die Stoßrichtung von Humes Tiertest – liegt bei den (mentalistischen oder linguistischen) Rationalisten, die eine starke anthropologische Differenz ansetzen. Demgegenüber dürfen philosophische Ansätze die Tatsache zu ihren Gunsten verbuchen, dass die Erklärungskraft ihrer Philosophie des Geistes und ihrer Epistemologie über die Spezies sprachfähiger Geistinhaber hinausreicht. Und zwar doppelt: Der Tiertest fungiert bestätigend für die interne Theoriearbeit, einschränkend für den externen Theoriestreit. Humes Einsicht, dass die tierlichen Verhaltensweisen als kognitive Leistungen zu betrachten sind, und dass diese Tatsache einen Einfluss auf die philosophische Theoriebildung haben sollte, ist eine Einsicht, die sich erst in jüngster Zeit wieder Raum verschafft, sei es auf dem Feld empirischer Forschung,102 sei es in der Philosophie.103
V. Keine eine Differenz, sondern Differenzen 100. Tatsachenbeziehungen und Vorstellungsbeziehungen Wie wir gesehen haben, benutzt Hume im Zuge der Bestätigung seiner Kausalanalyse die geringe kognitive Reichweite der Tiere – die ihm natürlich von Rationalisten zugestanden wird –, um seine skeptischen Zweifel zu bestätigen. Wenn es so etwas wie allgemeine Prinzipien oder gar A-prioriEinsichten gäbe, aufgrund derer wir Kausalregeln erschlössen, „they surely lie too abstruse for the observation of such imperfect understandings“, wie sie 102 Allen & Bekoff 1997, Bekoff, Allen & Burghardt 2002. 103 Kornblith 2002, Bermudez 2003, Perler & Wild 2005.
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Tiere haben (EHU IX, 84: 106). Also kann das Kausaldenken nicht als Ergebnis eines höheren rationalen Vermögens betrachtet werden. Was meint Hume aber mit dem unvollkommenen Verstand (imperfect understandings) der Tiere? Bekanntlich unterschiedet Hume zwei Arten der Inferenz, demonstrative und wahrscheinliche. Diese Unterscheidung wird als „Humes Gabelung“ (Hume’s fork) bezeichnet. Die erste Art handelt nur von Beziehungen zwischen Vorstellungen (relation of ideas). Dies ist beispielsweise auf den Gebieten der Arithmetik und der Geometrie der Fall, die Hume im Treatise I 2 behandelt. Aussagen wie „2 x 3 = 10 – 4“ oder „Junggesellen sind unverheiratete Männer“ handeln allein von Vorstellungsbeziehungen, nicht von Tatsachen. Üblicherweise wird darauf hingewiesen, das Entscheidende an den Vorstellungsbeziehungen bestehe darin, dass ihre Negation einen Widerspruch zur Folge habe. Die zweite Art betrifft Tatsachen (matters of fact) wie „Morgen geht die Sonne auf“ oder „Diese Mango schmeckt süß“. Ihr Gegenteil beinhaltet keinen Widerspruch, wie Hume betont. Dass sich etwas tatsächlich so und so verhält, lernen wir durch Erfahrung. Freilich gilt diese Unterscheidung nicht allein für Inferenzen, sondern auch für nicht–inferentielle, anschauliche Erkenntnisse. Ähnlichkeiten, Qualitäten, raum–zeitliche Nähe oder Gleichheit werden unmittelbar erkannt, nicht abgeleitet. Das folgende Schema soll diese Unterscheidungen veranschaulichen. Darin sind jene sieben Relationen zwischen Vorstellungen und Eindrücken eingetragen, die Hume als „philosophische Relationen“ bezeichnet (T I 1, 5): Schema D
relations of ideas
matters of fact
nicht-inferentiell intuitiv 1. resemblance 2. contrarity 3. quality Wahrnehmung / Erinnerung 5. contiguity 6. identity
inferentiell demonstrativ 4. quantity and number Vorstellungskraft (wahrscheinlich) 7. causation
Philosophische Relationen sind Vergleichsbeziehungen, die wir explizit und reflektiv anlegen. Ihnen liegen jedoch natürliche Relationen zugrunde, nämlich die basalen Assoziationsmechanismen des Geistes (Schema B), „viz. Resemblance, Contiguity in time or place, and cause and effect“ (T I 1, 4: 13/11; EHU III 19: 24).
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Hume veranschlagt diese natürlichen Relationen für die Funktionsweise sowohl des menschlichen als auch des tierlichen Geistes. Die inferentielle Relation der Kausalität hängt von der Wahrnehmung von Kontiguitäten und Ähnlichkeiten ab (Abschn. 89). Im Schema D finden wir die drei natürlichen Relationen innerhalb der unmittelbaren Vorstellungsbeziehungen, der unmittelbaren Tatsachenbeziehungen und der inferentiellen Tatsachenbeziehungen wieder. Daraus darf man folgern, dass Tiere bei Hume nicht nur unmittelbare und inferentielle Tatsachen-, sondern auch unmittelbare Vorstellungsbeziehungen erfassen. Die Beschränkung des tierlichen Geistes bezieht sich Hume zufolge also allein auf die demonstrativen Vorstellungsrelationen. Das bedeutet, dass Humes Gabelung keiner Trennlinie zwischen dem tierischen und dem menschlichen Verstand entspricht. Doch der inferentielle Umgang mit Vorstellungen scheint, im Gegensatz zum inferentiellen Umgang mit Eindrücken und Vorstellungen, Menschen vorbehalten zu sein. Damit treffen wir auf einen ersten Unterschied, der für die eingeschränkte kognitive Reichweite des tierlichen Verstand verantwortlich ist. 101. Eine Handvoll Unterschiede zwischen Tier und Mensch Eine Fußnote zum Tierkapitel im EHU listet eine Handvoll Unterschiede betreffend der Fähigkeit zu kausalen Inferenzen zwischen Mensch und Tier auf (EHU IX, 84: 107). Zwar sind es exakt neun Unterschiede, die Hume auflistet, doch er fügt der Liste die Bemerkung an, dass leichthin weitere Unterschiede gefunden werden können. Darüber hinaus geht Hume dabei von Unterschieden zwischen Menschen aus und überträgt diese auf Tiere.104 Hume weist auf vier Klassen von Differenzen hin: 1. Zunächst existieren Unterschiede in den kognitiven Vermögen, wie ein Mehr an Aufmerksamkeit, ein leistungsstärkeres Gedächtnis und reichere Erfahrung (Nr. 1) oder die Fähigkeit zur Verfolgung längerer Kausalketten (Nr. 3). 2. Hinzu kommen Schwierigkeiten in der Sache. So kann sich der Geist in Anbetracht einer großen Menge von Vorstellungen leicht verirren (Nr. 4) oder ist nicht fähig, die erforderlichen W- und U-Differenzierungen (Abschn. 98) vorzunehmen (Nr. 5). 3. Eine dritte Gruppe betrifft Unterschiede in den reflexiven Fähigkeiten. So mag eine Person besser dazu imstande sein, Kausalregeln auszubil104 Er folgt damit gleichsam Montaignes Plutarchwort, wonach es zwischen Menschen mehr n Unterschiede gäbe als zwischen Menschen und Tieren: „[A] Plutarque dit en quelque lieu qu’il ne trouve point si grande distance de beste à beste, comme il trouve d’homme à homme. A la vérité [… je] dirois qu’il y a plus de distance de tel à tel homme qu’il n’y a de tel homme à tel beste […]. Et qu’il y a autant de degrez d’esprits qu’il y a d’icy au ciel de brasses, et autant innumerables.“ (I 42: 258–9)
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den und anzuwenden, als eine andere (Nr. 6). Die Fähigkeit zur Analogiebildung kann unterschiedlich ausgeprägt sein (Nr. 7) – gemäß dem Prinzip, dass kausale Inferenzen auf Analogie i. w. S. beruhen und Wahrscheinlichkeitsschlüsse als Analogiebildungen i. e. S. verstanden werden können (Abschn. 87). 4. Schließlich weist Hume auf Unterschiede in der kulturellen Bildung hin. Vorurteile, Erziehung, Affekte oder Parteilichkeit können Sichtweisen bornieren, Einsichten unterbinden oder sogar verbieten (Nr. 8). Das Vertrauen in das Zeugnis anderer, die Lektüre und die Unterhaltung hingegen können die kognitive Reichweite ausdehnen (Nr. 9). Diese Handvoll Unterschiede lassen sich kaum auf einen gemeinsamen Nenner zurückführen. Es handelt sich um Differenzen des Mehr oder Weniger. Die Tatsache, dass die Differenzen zwischen Tieren und Menschen auf dem Umweg der Auflistung einiger Differenzen zwischen Mensch und Mensch erfolgt, zeigt, dass sich Hume wenig um die anthropologische Differenz schert. Der springende Punkt bleibt im Rahmen von Humes Philosophie stets, dass es keines zusätzlichen (rationalen) Vermögens bedarf, damit wir kognitiv tun können, was immer wir tun, ebenso wenig bedarf es dazu besonders raffinierter Gedanken (a subtility and refinement of thought). Animalische Vermögen sind ausreichende Vermögen. 102. Allgemeine und spezialisierte kognitive Instinkte Wenn Hume in den beiden Tierkapiteln des Treatise und des EHU die Vernunft der Tiere als Fähigkeit zu kausalen Inferenzen bestimmt, hat es den Anschein, als würde er bloßes, assoziatives Gewohnheitsverhalten in den Rang einer rationalen Geistestätigkeit erheben. Verwechselt Hume nicht rationale Tätigkeit mit konditionierten Assoziationen? Ist Hume nicht ein naiver Behaviorist, der tierliches und menschliches Verhalten auf erfahrungsgenerierte Assoziationen reduziert und die Möglichkeit eingeborener Dispositionen übersieht? Die Stoßrichtung Humes ist umgekehrt. Er möchte rationales Verhalten dem assoziativen, ja sogar instinktiven Verhalten annähern und damit scharfe Trennungen zwischen bloßen assoziativen und instinktiven Verhaltensdispositionen einerseits und rationaler Tätigkeit andererseits aufweichen. Betrachten wir zuerst Humes Hinweise auf eingeborenes Instinktverhalten. Der nächste Abschnitt wird sich der Unterscheidung zwischen erfahrungsgenerierter Assoziation und rationaler Tätigkeit widmen. Hume betrachtet die Vernunft als eine Art Instinkt: „To consider the matter aright, reason is nothing but a wonderful and unintelligible instinct in our souls“ (T I 3, 16: 120/179). Wenn Hume vom wunderbaren Instinkt
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der Vernunft spricht, was wird dann aus der Behauptung, kausale Inferenzen würden durch die Erfahrung oder Gewohnheit hervorgebracht? Instinkte aber werden nicht aus Erfahrungen gewonnen, Instinkte sind eingeborene Verhaltensdispositionen, die keinen Lernprozess (höchstens einen Reifungsprozess) voraussetzen. Sieht es nicht so aus, als würde sich Hume manchmal auf die Natur berufen und manchmal auf die Gewohnheit? Hume unterschiedet bei Tieren ausdrücklich gewöhnliche (common capacities) von besonderen Fähigkeiten (more extraordinary instances of sagacity) (T I 3, 16: 199/177; EHU IX, 85: 108). Unter die gewöhnlichen Fähigkeiten sind in erster Linie die erfahrungsgenerierten Gewohnheiten zu rechnen, die einzelne Tiere zu Kausallernern und Zweck-Mittel-Denkern machen. Die besonderen Fähigkeiten hingegen haben die Selbsterhaltung und die Vermehrung der Art zum Ziel. Humes Beispiel dafür ist – wie bei Montaigne (Abschn. 32, 67) – der Nestbau und das Brutverhalten der Vögel: „A bird, that chooses with such care and nicety the place and materials of her nest, and sits upon her eggs for a due time, and in a suitable season, with all the precaution, that a chymist is capable of in the most delicate projection, furnishes us with a lively instance of the second.“ (T I 3, 16: 119/177)
Vögel empfangen ihr architektonisches und metereologisches Talent und die damit verbundenen Verhaltensweisen sozusagen direkt aus den Händen der Natur. Solche Verhaltensweisen können durch Erfahrung und Lernen kaum mehr verändert werden (EHU XI 85: 105). Hume bemerkt weiter, dass diese Verhaltensweisen und seine Produkte über Zeiten und Orte nicht variieren (EPM III 161: 202). In diesen Fällen kann in einem eigentlichen Sinn von Instinkten gesprochen werden (EHU XI 85: 105). Diese Instinkte entsprechen dem mechanischen Verhalten bei Descartes und Seneca (Abschn. 66), dem Hume jedoch nicht schroff ein „universelles Instrument der Vernunft“ gegenüberstellt. Vielmehr bezeichnet er auch die Vernunft als eine Art Instinkt, sofern sie sich nicht mit Vorstellungsrelationen (relation of idas) beschäftigt (EHU XI 85: 105), – ein Instinkt jedoch, der erfahrungsgenerierte Gewohnheiten etabliert. B. und G. Massey haben Humes Unterscheidung zwischen gewöhnlichen und besonderen Fähigkeiten (more extraordinary instances of sagacity) als eine Unterscheidung zwischen spezialisierten und allgemeinen kognitiven Instinkten reformuliert.105 Das Brutverhalten von Vögeln entspringt spezialisierten kognitiven Instinkten – – –
spezialisiert, weil in spezifischen Bereichen und aufgrund spezifischer Reize zuverlässig arbeitend, kognitiv, weil akkurate Mittel für spezifische Zwecke wählend, instinktiv, weil artenspezifisch und angeboren.
105 Massey & Massey 1992; vgl. Boyle 2003.
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Demgegenüber ist die Fähigkeit zur kausalen Inferenz ein allgemeiner kognitiver Instinkt. Sowohl Tiere als auch Menschen sind zum Kausallernen und zum Zweck-Mittel-Denken aufgrund eines eingeborenen Instinkts disponiert. Das Instinktive daran ist die gleichsam autonome Prozessierung der Inferenzen gemäß dem Übergangsprinzip (Abschn. 92). Diese natürliche Disposition ist nicht auf bestimmte Bereiche, spezifische Reize oder eng umgrenzte Inhalte festgelegt, sondern lediglich die Voraussetzung zum Kausallernen aufgrund welcher Eindrücke und Erfahrungen auch immer. Deshalb handelt es sich um einen allgemeinen, keinen spezialisierten Instinkt. Im Gegensatz zum Chemiker verfügt eine Schwalbe über ein angeborenes Wissen über zweckmäßigen Nestbau, und lohnende Brutzeiten. Dieses Wissen hat die Schwalbe nicht individuell erlernt, sondern es gehört zur kognitiven Ausstattung ihrer Art. Der „Empirist“ Hume schreibt Tieren angeborenes Wissen zu und meint, dass die meisten tierlichen Verhaltensweisen auf spezialisierten kognitiven Instinkten beruhen (EHU XI 85: 105). Menschen scheinen demgegenüber nur sehr wenige spezialisierte kognitive Instinkte zu haben. So kontrastiert Hume die überregionale und speziesweite Unterschiedslosigkeit, mit der Vögel ihre Nester bauen (oder Spinnen ihre Netze und Bienen ihre Waben) mit den Unterschieden im Häuserbau, die sich bei Menschen finden: „Here we perceive the influence of reason and custom“ (EPM III 161: 202). Wie wir noch sehen werden (Abschn. 104), verzichtet Hume im Falle des Menschen nicht gänzlich auf spezialisierte eingeborene Instinkte. Aber sicherlich besteht hierin eine starke Asymmetrie zwischen tierischer und menschlicher Kognition. Diese Asymmetrie ist nicht so stark, dass sie die Egalitaritätsthese in Frage stellen würde. Es gilt nach wie vor, „that beasts are endow’d with thought and reason as well as men.“ Die Schnittmenge von tierlicher und menschlicher Vernunft sind erfahrungsgenerierte, kausale Inferenzen und die ihnen zugrunde liegenden, allgemeinen kognitiven Instinkte. Animalische Vermögen sind auch hier ausreichende Vermögen. Tierliches Verhalten wird zu einem großen Teil von spezialisierten kognitiven Instinkten gesteuert. Menschliches Verhalten ist demgegenüber flexibler, weil es von einer geringeren Anzahl spezialisierter Instinkte gesteuert wird. Dies sind graduelle Unterschiede, die in eine kontinuierliche Reihe eingezeichnet werden können, angefangen bei kognitiv stark festgelegten bis hin zu kognitiv sehr flexiblen Lebewesen. Menschen zeichnen sich dadurch aus, dass ihre kognitiven Vermögen flexibler sind, eine größere Reichweite haben oder durch die Ergebnisse von Lernprozessen in einem ungleich größeren Maße rekursiv beeinflusst werden können (vgl. die Unterschiedsklassen 1, 2, 4 in Abschn. 101). Es gibt jedoch keinen entscheidenden Unterschied bei Hume, der für diese Handvoll von Differenzen verantwortlich wäre. Die exklusive Fähigkeit zur demonstrativen Inferenz über Vorstellungsbeziehungen
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(Abschn. 101) ist eine Zusatzfähigkeit, die in Verbindung mit animalischen Vermögen zu deren Erweiterung beitragen, sie jedoch nicht selber tragen kann.
103. Zwei Arten Wissen? Offensichtlich können die animalischen Vermögen verfeinert werden. Und zumindest die dritte Klasse von Differenzen – die Unterschiede in den reflexiven Fähigkeiten (Abschn. 101) – scheint auf einen tieferliegenden Unterschied zu deuten. Tatsächlich gibt Hume in der Einleitung zum Treatise einen Hinweis in diese Richtung, wenn es heißt: „[...] we ourselves are not only the beings, that reason, but also one of the objects, concerning which we reason.“ (T: 4/xv). Liegt es nun nicht auf der Hand zwischen zwei Arten von Wissen zu unterscheiden? Betrachten wir nochmals den Reisenden, der einen Fluss überqueren möchte (Abschn. 97). Hume vertritt die Ansicht, dass hier die erfahrungsgenerierte Gewohnheit inferentiell aktiv wird „before we have time for reflection“ – und zwar in den meisten Fällen. Demgegenüber kann die Reflexion in selteneren Fällen der Herausbildung von „the custom and transition“ beispringen oder sogar einen Glauben ohne eine Gewohnheit erzeugen (T I 3, 8: 72–3/103–5). Denn wir können kausale Inferenzen auch aufgrund nur einer einzigen Erfahrung reflexiv erlernen und einen diesbezüglichen Glauben generieren, beispielsweise in einem kontrollierten Experiment. Hume weist sogleich darauf hin, dass alle diese Formen reflexiv erzeugten Glaubens und Wissens auf den präreflexiven Gewohnheiten beruhen, allen voran auf der animalischen Kausalregel, die die Voraussetzung und Norm für U- und W-Differenzierungen darstellt (Abschn. 98). Zwar kann die Vorstellungsassoziation nach nur einer Erfahrung nicht habituell geworden sein, „but this connexion is comprehended under another principle, that is habitual; which brings us back to our hypothesis. In all cases we transfer our experience to instances, of which we have experience, either expressly or tacitly, either directly or indirectly.“ (T I 3, 8: 73/105)
Es gibt also einerseits animalische, instinktive, präreflexive Inferenzen, die ein Wissen erzeugen, und es gibt andererseits reflektierte Inferenzen, die auf den animalischen Vermögen beruhen, diese jedoch erweitern, verfeinern, korrigieren und ersetzen können. Der entscheidende Unterschied scheint darin zu bestehen, dass animalische Inferenzen unausdrücklich und direkt gezogen werden, reflektierte Inferenzen hingegen ausdrücklich und indirekt. Dies entspricht einer durch D. Fate Norton eingeführten und von D. Owen aufgenommenen Unterscheidung zwischen „reflexive reasoning“
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und „reflective reasoning“.106 Reflexive Inferenzen erfolgen ohne bewusste Kontrolle. Reflektierte Inferenzen beruhen auf der bewussten Betrachtung und Nutzung einer Vielzahl von gemachten Erfahrungen, es handelt sich um die bewusste und kontrollierte Anwendung von Kausalregeln.107 Hume lässt also eine Unterscheidung zwischen erfahrungsgenerierten Assoziationen (die reflexiven Inferenzen) und rationaler Geistestätigkeit (reflektierte Inferenzen) zu. Aber dieser Unterschied wächst sich nicht zu einer anthropologischen Differenz aus. Der Unterschied besteht in einer bewussten Anwendung und Kontrolle der animalischen Kausalregel auf neue und alte Erfahrungen. Jene Art Verstandestätigkeit, die wir mit Tieren teilen, bleibt für Hume die Grundlage weiterer Verfeinerungen. Wie wir gesehen haben, lässt die Anwendung der animalischen Kausalregel unter anderem W- und U-Differenzierungen zu, nicht nur als deren Grundlage sondern auch als deren Norm (Abschn. 98). Bei diesen Differenzierungen handelt es sich um Formen der reflektierten Inferenz (reflective reasoning), die wir möglicherweise auch bei nicht-sprachlichen Tieren finden können. Hume schließt diese Möglichkeit keineswegs aus. Nicht Neues sui generis tritt hinzu, sodass Hume keinen strikten Gegensatz zwischen einer normgeleiteten, rationalen Tätigkeit (aufbauend auf begrifflich artikulierten Überzeugungsgehalten) einerseits und assoziationistischen, psychologischen Prozessen (resultierend in Glaubensdispositionen) andererseits aufstellt, der die tierliche von der menschlichen Vernunft abtrennte. 104. Die Rolle der Affekte in Humes Philosophie Es gibt für Hume nur drei kognitive Vermögen: Sinneswahrnehmung, Erinnerung und Einbildungskraft. Nun bezeichnet er bisweilen auch die Affekte als ein Vermögen (faculty) des Geistes (T II 2, 2: 220/339). Auch Tiere sind Affektwesen, aber in eingeschränkterem Maße als Menschen. Ich erkläre zunächst, warum Affekte – oder allgemeiner: der sensitive Anteil unserer Natur – in Humes Augen zentral sind, skizziere im Folgenden (Abschn. 105) Humes Theorie der Affekte und diskutiere abschließend (Abschn. 106), worin die affektiven Einschränkungen bei nicht-menschlichen Tieren bestehen. Die Einleitung zum Treatise erklärt die Absicht der Untersuchung, die darin besteht, auf der Grundlage einer erfahrungsbasierten Methode eine Wissenschaft vom Menschen aufzubauen. Neben den drei Büchern über den Verstand, die Affekte und die Moral plante Hume zwei weitere Teile über Politik und Ästhetik (Criticism). In der Einleitung spricht Hume lediglich 106 Fate Norton 1982: 209, Owen 1999: 149 ff. 107 Owen 1999: 171.
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von den „four sciences of Logic, Morals, Criticism, and Politics“ (T: 4/xv– xvi).108 Warum fehlen die Affekte? Meines Erachtens lautet die Antwort, dass die Affekte bei Hume die Grundlage der anderen vier Wissenschaften sind. An einer berühmten Stelle schreibt Hume, die Assoziationen seien der Zement des Universums (A: 417/662). In Anlehnung daran kann man sagen: Affekte sind der Zement des (menschlichen und tierlichen) Geistes. Dies zeigt sich unter anderem in Humes Kausalanalyse. Diese findet in der Erläuterung der Notwendigkeit ihren Abschluss, die als subjektive Nötigung erklärt wird. Ebenso der Glaube, der von Hume als eine lebhafter und stärker aufgefasste Vorstellung gedeutet wird und eher den sensitiven als den kognitiven Anteilen unserer Natur zugeschrieben werden sollte (T I 4, 1: 123/183). Hume spitzt die Rolle des sensitiven Anteils weiter zu, wenn er schreibt: „This all probable reasoning is nothing but a species of sensation. ‘Tis not solely in poetry and music, we must follow our taste and sentiment, but likewise in philosophy. When I am convinc’d of any principle, ‘tis only an idea, which strikes more strongly upon me.“ (T I 3, 8: 72/103)
Der Vorrang des sensitiv-affektiven Anteils spitzt sich etwa in der bekannten These zu, dass die Vernunft Sklavin der Gefühle sei (T II 3, 3: 266/415) und in Humes Argumentation dafür, dass moralische Unterscheidungen vom Gefühl und nicht von der Vernunft abhängen (T III 1, 1–2: 293 ff./ 455 ff.). Ein weiterer wichtiger Grund dafür, die Affekte als zentral zu betrachten, liegt in Humes Handlungstheorie.109 Hume legt dar, dass Hand108 „The sole end of logic is to explain the principles and operations of our reasoning faculty, and the nature of our ideas: morals and criticism regard our tastes and sentiments: and politics consider men as united in society, and dependent on each other. In these four sciences of Logic, Morals, Criticism, and Politics, is comprehended almost everything, which it can any way import us to be acquainted with, or which can tend either to the improvement or ornament of the human mind. [...] And as the science of man is the only solid foundation for the other sciences, so the only solid foundation we can give to this science itself must be laid on experience and observation. ‘Tis no astonishing reflection to consider, that the application of experimental philosophy to moral subjects should come after that to natural at the distance of above a whole century.“ (A: 646/407) 109 Ein weiteres Moment zeigt, dass den Affekten bei Hume eine besondere, und zwar zentrale Rolle zukommt. Dieser „Empirist“ betrachtet einige Affekte als angeboren. Locke hat zwei markante Thesen vertreten. Er bestreitet die Existenz sowohl eingeborener theoretischer als auch eingeborener praktischer Prinzipien und behauptet dem gegenüber, dass alle unsere Ideen ihren Ursprung entweder in der äußeren (ideas of sensation) oder in der inneren Erfahrung (ideas of reflection) hätten (E II 1, 1–2: 104). Den Ausdruck IDEA versteht Lock lapidar so: „Idea is the object of thinking“ (E II 1, 1: 104). Hume schließt nun zwar an Lokkes Thesen und an dessen Vokabular an, modifiziert es aber beträchtlich. Erstens rügt er Lokkes Gebrauch des Ausdrucks idea; zweitens betrachtet er gewisse Eindrücke als eingeboren: „Only it may be observed, as an inaccuracy of that famous philosopher, that he comprehends all our perceptions under the term of idea, in which sense it is false that we have no innate ideas. For it is evident our stronger perceptions or impressions are innate, and that natural af-
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lungen Ursachen haben müssen (T II 3, 1–2; EHU VIII). Er behauptet jedoch, dass die Vernunft keine handlungsmotivierende Ursache sein kann: „Reason alone can never be a motive to any action of the will.“ Wie wir bereits gesehen haben, stellt sie die Existenz bestimmter Tatsachen fest und weist Mittel zur Erreichung von Zwecken auf. Nur Affekte können handlungsmotivierende Ursachen sein. Die Lust – und damit verbundene direkte Affekte wie Wunsch, Freude, Hoffnung – führt ein Lebewesen dazu, ein Objekt (ein Gut) zu wollen Die Vernunft kann uns nicht dazu veranlassen, ein Objekt zu wollen oder nicht zu wollen. Nur die lustgenerierten Affekte können dies. Worin besteht dann die Rolle der Vernunft? Nun, Lebewesen sind in der Lage aufgrund ihrer Erfahrung kausale Inferenzen zu ziehen und diese kognitive Fähigkeit als Mittel einzusetzen, um bestimmte Zwecke zu erreichen (Abschn. 95). Das sich aufgrund dieser Informationen einstellende Verhalten ist das Werk der Affekte. Sie motivieren ein Verhalten und sie setzen die Zwecke eines Verhaltens. 105. Affekte Affekte entstehen aus den Lust- oder Unlustempfindungen. Die Entstehung eines Affekts aus einer Lust- oder Unlustempfindung kann direkt oder indirekt sein. Deshalb unterscheidet Hume zwischen indirekten und direkten Affekten. Beispiele für direkte Affekte sind die folgenden Gegensatzpaare, die ihren Ursprung je in einer Lust- bzw. Unlustempfindung haben: Begehren (desire) und Abneigung (aversion), Freude (joy) und Traurigkeit (grief ), fection, love of virtue, resentment, and all the other passions, arise immediately from nature. I am persuaded whoever would take the question in this light, would be easily able to reconcile all parties. Father Malebranche would find himself at a loss to point out any thought of the mind which did not represent something antecedently felt by it, either internally, or by means of the external senses, and must allow that however we may compound, and mix, and augment, and diminish our ideas, they are all derived from these sources. Mr. Locke, on the other hand, would readily acknowledge that all our passions are a kind of natural instincts, derived from nothing but the original constitution of the human mind.“ (A: 408/684; vgl. auch T I 1, 1: 10/7). In gewisser Weise trivialisiert Hume die Diskussion um die eingeborenen Ideen, indem er Verfechter dieser Doktrin (Malebranche) zum Eingeständnis nötigen möchte, dass wir eine Empfindung (impression) vor einem Gedanken (idea) haben müssen, und dem Kritiker der Doktrin (Locke) das Zugeständnis entlockt, dass unsere Affekte der menschlichen Natur entspringen und insofern eingeboren sind. Dadurch scheint sich der Streit zu erübrigen. Hume anerkennt eingeborene Perzeptionen. Dennoch möchte er sich nicht auf die Seite eines Malebranche schlagen, weil in seinem Bild des menschlichen Geistes ein Vermögen fehlt, das für die eingeborenen Ideen eigentlich unabdingbar scheint: der Intellekt. Denn gegenüber Descartes oder Malebranche lokalisiert Hume seine Version der eingeborenen Ideen nicht im Intellekt, sondern in „the original constitution of the human mind“, in einer „kind of natural instincts“, in den Affekten. Hume trivialisiert also nicht nur die Debatte, er naturalisiert sie sogar in gewisser Weise.
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Hoffnung (hope) und Furcht (fear). Ihre Entstehung wird von Hume relativ simpel erklärt. Betrachten wir die Seite der sich auf Güter beziehenden Lustempfindungen. Basal ist das Begehren, das sich unmittelbar aus einem Gut und einer damit verbundenen Lustempfindung ergibt. Bin ich hungrig und sehe eine köstliche Mahlzeit, begehre ich sie. Entsprechend der Wahrscheinlichkeit der Erreichbarkeit des Gutes wandelt sich der Affekt. Wenn es so gut wie sicher ist, dass ich den Schmaus bekomme, freue ich mich darauf. Ist es nur wahrscheinlich, so besteht wenigstens die Hoffnung auf das Festessen.110 Beispiele für indirekte Affekte sind Stolz (pride) und Scham (humility), Ehrgeiz (ambition) und Eitelkeit (vanity), Liebe (love) und Hass (hatred) oder Neid (envy) und Mitleid (pity). Hume behandelt die indirekten Affekte am Beispiel der Gegensatzpaare Stolz und Scham (T II 1), bzw. Liebe und Hass (T II 2). Beide Paare haben ein Objekt (object), worauf sich der Affekt richtet, und eine Ursache (cause), die ihn hervorbringt. Hume unterscheidet an der Ursache für einen indirekten Affekt zwischen Gegenstand (subject) und Eigenschaft (quality). Betrachten wir ein Beispiel, das den Stolz illustriert (vgl. T II 1, 2: 183/279): Ich bin stolz auf mein schönes Haus Das Objekt des Stolzes ist (stets) das eigene Selbst. Die Ursache des Stolzes ist ein mit dem Selbst in enger Verbindung stehender Gegenstand (Haus). Die Relation zum Selbst wird durch das Possessivpronomen ausgedrückt (mein). Eine Eigenschaft meines Hauses ist dessen Schönheit. Sie erfüllt mich, den Besitzer, mit Lust. Diese lusterzeugende Eigenschaft bringt den Stolz als hinreichende Bedingung ursächlich hervor. Das dem Stolz entgegengesetzte Gefühl der Scham hat dieselben notwendigen Bedingungen, aber die Eigenschaft ist unlusterzeugend: Ich schäme mich wegen meines unansehnlichen Hauses. Es gibt viele Gegenstände (subjects), die Ursache von Stolz und Scham sein können. Es handelt sich nicht nur um Besitztümer, sondern auch um das Land, die Familie, die Kinder. Man kann stolz auf seine geistigen Eigenschaften und Tugenden sein (Phantasie, Urteil, Gedächtnis, Witz, Mut etc.). Schließlich kann man stolz auf seine körperlichen Eigenschaften oder Fertigkeiten sein (Schönheit, Stärke, Tanz, Fechten etc.). Zusammengefasst: „Any thing, that gives a pleasant sensation, and is related to self, excites the passion of pride, which is also agreeable, and has self for its object.“ (T II 1, 5: 189/288) Hume ist besonders stolz auf seine Theorie der indirekten Affekte: 110 Hume 1964: 139–43.
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Erst eine Verbindung zwischen Objekt und Ursache, wobei die Ursache in Gegenstand und Eigenschaft zerfällt, bringt einen solchen Affekt hervor. Hume spricht hier von einer Theorie der Doppelbeziehung (double relation). Einerseits ist ein Lustzustand (Eindruck) mit einer Eigenschaft eines Gegenstands (Vorstellung) verbunden, andererseits ist dieser Gegenstand (Vorstellung) mit mir selbst (Vorstellung) verbunden. Die Lust wird durch die zweite Verbindung auf mich selbst übertragen und infolge des Übergangsprinzips auch die Stärke und Lebendigkeit der Lustempfindung. Dadurch entsteht ein sekundärer Eindruck, nämlich ein Affekt. Das Gegensatzpaar Liebe und Hass wird analog bestimmt. Der Unterschied besteht darin, dass das Objekt dieser Affekte nicht das Selbst ist, sondern eine andere Person, die entweder einen Zustand der Lust oder der Unlust bei mir auslöst. Auch die Ursachen der Affekte Liebe und Hass sind vielfältig. Es kann sich um Eigenschaften der mit geliebten oder gehassten Personen verbundenen Gegenstände handeln oder um die Eigenschaften der betreffenden Personen selbst: „If we consider the causes of love and hatred, we shall find they are very much diversify’d, and have not many things in common. The virtue, knowledge, wit, good sense, good humour of any person, produce love and esteem; as the opposite qualities, hatred and contempt. The same passions arise from bodily accomplishments, such as beauty, force, swiftness, dexterity; and from their contraries; as likewise from the external advantages and disadvantages of family, possession, cloaths, nation and climate.“ (T II 2, 1: 214/330)
Der Übergang vom Paar Stolz/Scham zum Paar Liebe/Hass ist bestechend simpel: Man tausche einfach Ego mit Alter. Das Problem dieses Übergangs besteht für Hume freilich darin, dass sich sein Erfinderstolz auf die Theorie der Doppelbeziehung hier in Scham verwandeln müsste. Denn die Unterscheidung zwischen der Ursache und dem Objekt eines Affekts wird durch den simplen Übergang hinfällig: Ursache und Objekt fallen ineins, nämlich in Alter. Aufrecht erhalten lässt sich die Unterscheidung in der Ursache, nämlich zwischen dem Gegenstand (nämlich Alter) und einer Eigenschaft, die ihm zugehört und entweder Lust oder Unlust bei Ego hervorruft. Sollte ich Alter besonders mögen, weil er besonders geschmackvolle Kleider besitzt, dann sind zwar die geschmackvollen Kleider die produzierende Ursache und Alter das Bezugsobjekt meiner Zuneigung. Aber allein die Möglichkeit, dass die Unterscheidung von Ursache und Objekt ineins fallen kann, zeigt, dass es sich bei ihr nicht um das wesentliche Moment der Affektgenese handeln kann. Was übrig bleibt, ist die ansprechende Skizze einer kausalen Theorie der Affekte (und zahlreiche interessante Einzelbeobachtungen), aber nicht die Chimäre einer Theorie der Doppelbeziehung. Hinzu kommt eine Skizze einer Affektgenese von Handlungsmotiven und Handlungszwecken. Stolz und Scham gelten für Hume als reine Affekte, d.h. dass sie selten mit einem Handlungsimpuls einhergehen. Liebe
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und Hass hingegen sind unabgeschlossene Affekte, die weitertreiben und weitere Affekte hervortreiben. Dabei entstehen Handlungsmotivationen. Diese Unterscheidung leuchtet nicht ganz ein. Wenn ich Stolz auf mein schönes Haus bin, werde ich mich vielleicht darum bemühen, diesen angenehmen Affekt zu erhalten, indem ich mich um die Erhaltung der Schönheit des Hauses bemühe. Wichtiger jedoch ist die Beobachtung, dass Liebe und Hass die Grundlage einer Reihe weitere Affektpaare abgeben, beispielsweise von Wohlwollen (benevolence) und Zorn (anger) (T II 2, 6). Wohlwollen ist der Wunsch nach dem Glück und der Abscheu vor Unglück einer (geliebten) Person, Zorn hingegen der Wunsch nach dem Unglück und Abscheu vor Glück einer (gehassten) Person. Empfinde ich einer Person gegenüber Wohlwollen, so handle ich ihr gegenüber so, dass ich ihr Wohlergehen befördere und indem ich versuche, Unglück von ihr fernzuhalten. Die Vernunft belehrt über die entsprechenden Mittel zu diesem Zweck. Am Beispiel des Wohlwollens können wir ein wenig differenzierter die Rolle der Affekte für das Verhalten bestimmen. Der Affekt der Liebe oder Zuneigung setzt mich in eine Beziehung zu einer Person P. Es entsteht (beispielsweise) das Begehren oder der Wunsch, Unglück von P fernzuhalten. Die Vernunft informiert über bevorstehendes Unglück für P (weil ich aus bestimmten Ursachen bestimmte Wirkungen vorhersehe) und über die Mittel, dieses Unglück abzuwenden (weil ich Zwecke mit Mitteln in Beziehung bringen kann). Der Affekt der Zuneigung oder der Liebe setzt den Zweck einer möglichen Handlung fest (Unglück abwenden), der Wunsch fungiert als Handlungsmotivation, die Vernunft als Zwischenglied der Mittelerkennung. Ist meine Handlung jedoch erfolglos und bricht das Unglück über P herein, dann fühle ich Mitleid (pity). Sollte ich P freilich verabscheuen, ihm zürnen und Unglück über ihn hereinbrechen sehen, dann entsteht Bosheit (malice). Mitleid ist Sorge oder Trauer über das Unglück einer (geliebten) Person, Bosheit die Freude über das Unglück einer (gehassten) Person (T II 2, 7).111 Der springende Punkt ist, dass sich die direkten, handlungsmotivierenden Affekte mit den indirekten, zweckesetzenden Affekten verbinden. Als Kausallerner und Zweck-Mittel-Denker bin ich fähig, die affektgenerierte 111 Humes Affekttheorie erreicht eine beachtliche Komplexität, wirkt jedoch etwas mechanisch. Hume sieht den Treatise als einen Versuch, die experimentelle Methode der Naturwissenschaften anzuwenden. Sein Interesse an der Naturphilosophie konzentriert sich auf deren Methode. Sie biete die einzige solide Grundlage der Wissenschaft vom Menschen. Nun beruft sich Hume nirgends so sehr auf diese Methode und auf ein der Naturphilosophie analoges Vorgehen wie in Buch II. Am Schluss seiner späteren Umarbeitung dieses Buchs spricht Hume die Nähe seiner Theorie der Affekte zur Naturphilosophie deutlich an: „It is sufficient for my purpose, if I have made it appear, that, in the production and conduct of the passions, there is a certain regular mechanism, which is susceptible of as accurate a disquisition, as the natural laws of motion, optics, hydrostatics, or any part of natural philosophy.“ (Hume 1964, Bd. 3: 166) Der methodologische Naturalismus ist also der Grund für den „mechanischen“ Eindruck der Affekttheorie.
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Handlungsmotivation und die affektgenerierten Zwecke in Verbindung zu setzen. Es ist diese im Treatise II 3 skizzierte Theorie, die Humes Ansatz interessant macht, nicht die von ihm hervorgehobene Theorie der Doppelbeziehung. 106. Die Beschränktheit der Affekte der Tiere Nicht nur Humes Kausalanalyse wird mit einem Abschnitt über Tiere abgeschlossen, auch die drei Kapitel über die Affekte (vgl. Schema B). Sie dienen der Bestätigung der skizzierten Affektpsychologie. Tiere haben zweifellos Lust- und Unlustzustände, sie beziehen diese auf sich selbst, auf Artgenossen, auf andere Lebewesen und unbelebte Objekte. Daraus entstehen direkte Affekte. Tiere sind aber auch stolz und beschämt (T II 1, 12), sie lieben und sie hassen (T II 2, 12). Wie im Fall der Kausalanalyse verweist Hume auch an diesen Stellen darauf, dass sein Erklärungsansatz so einfach sei, dass er auch die Zuschreibung der Affekte gegenüber „every sensible creature“ zulasse. Dies stelle sowohl einen Beweis der Wahrheit für die vorgeschlagenen kausale Theorie der Affekte als auch einen Einwand gegen andere Ansätze dar (T II 1, 12: 213/328). In den entsprechenden Abschnitten gibt Hume freilich seinen anthropomorphistischen Neigungen freien Lauf, etwa wenn er dem Pfau Stolz auf sein Gefieder zuschreibt, dem Pferd auf seine Schnelligkeit, dem Stier auf seine Stärke (T II 1, 12: 212/326). Haustiere freuen sich über das Lob ihrer Herren (T II 2, 12: 255/328). Sie erstrecken deshalb ihre Zuneigungen über die eigene Art hinaus: „A dog naturally loves a man above his own species, and very commonly meets with a return of affection.“ (T II 2, 12: 255/397) Schlimmer aber als diese weder reflektierten noch kritischen Anthropomorphismen ist der Umstand, dass die Tierkapitel zur Bestätigung der verfehlten Theorie der Doppelbeziehung herhalten müssen. Beachtenswert hingegen sind die Einschränkungen, mit denen Hume die Tieraffekte umgibt. 1. Er weist darauf hin, dass die Ursache des Stolzes und der Scham bei Tieren nur in ihren körperlichen Eigenschaften (solely in the body) liegen. Der Pfau ist stolz auf sein Rad, das Pferd auf seine Schnelligkeit, der Stier auf seine Stärke. Tierstolz und -scham haben ihre Ursachen nicht in geistigen Eigenschaften (in the mind) oder in äußeren Gegenständen, nicht in Tugenden und Lastern oder in Recht und Eigentum (T II 1, 12: 212/326–7). Natürlich gilt dieselbe Einschränkung auch für Liebe und Hass. 2. Hume weist darauf hin, dass wir die Zuneigung von Tieren durch ihre Fütterung ebenso schnell gewinnen können, wie ihre Abneigung durch Schläge. Er schließt daraus, dass Tiere in erster Linie auf sinnliche Lust-
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Kapitel IV – Hume – Naturalismus und Tiervernunft
und Unlustzustände reagieren, jedoch kaum auf „the pleasure and pains of the imagination“ (T II 2, 12: 255/397). Zwar schreibt Hume den Tieren bereitwillig die komplexeren Affekte wie Neid (envy) oder Bosheit (malice) zu, zögert aber beim Mitleid (pity), weil diese beiden Affekte „less effort of thought and imagination“ beanspruchen (T II 2, 12: 256/398). Die beiden Punkte laufen darauf hinaus, dass Tieraffekte hauptsächlich auf Körper- und Wahrnehmungszustände eingeschränkt sind. Unmittelbare Wahrnehmungen und körperliche Eigenschaften erregen ihre indirekten Affekte. Für die direkten Affekte kann etwas Ähnliches gelten. Tiere mögen Güter unmittelbar begehren. Doch die Freude, bzw. Hoffnung auf ein Gut sind nicht nur an unmittelbare Wahrnehmungen als auch an vorausblickende Wahrscheinlichkeitsüberlegungen gebunden, die die Vorstellungskraft beanspruchen. Sieht mein Hündchen einen Hundekuchen, begehrt es ihn, denn es hat aus der Erfahrung gelernt, dass es sich um einen Leckerbissen handelt. Schüttle ich die bekannte Hundekuchenpackung, freut es sich auf den Happen. Aber sollen wir nun davon sprechen, dass mein Hündchen auf einen Keks hofft? Wie wir gesehen haben (Abschn. 53, 68), gebraucht sogar Descartes den Ausdruck „esperance“, um die Vorfreude der Elster auf einen Leckerbissen zu bezeichnen. Er meint jedoch einfach eine Kombination körperlicher Reizzustände. Weiter kann Descartes damit bei Tieren nichts meinen. Es mag seltsam klingen, einem Hündchen eine Hoffnung oder Furcht usw. zuzuschreiben. L. Wittgenstein beispielsweise fragt: „Der Hund glaubt sein Herr sei an der Tür. Aber kann er auch glauben sein Herr werde übermorgen kommen? Kann nur hoffen wer sprechen kann?“ (PU II 174) Der Hund hofft, dass sein Herr übermorgen kommen wird. Diese Hoffnung, so lautet ein gängiges Argument, kann der Hund nicht haben, weil er nicht weiß, was ÜBERMORGEN bedeutet: Darum gibt es keine Hoffnung für Hunde.112 Natürlich kann mein Hündchen keine Hoffnungen auf etwas haben, über das es nicht Bescheid weiß (über dessen Begriff es nicht verfügt). Ebenso wenig wie ich. Einige Philosophen würden gerne Wittgensteins Frage, ob nur hoffen könne, wer eine Sprache spreche, bejahen und weiter schließen, dass das sprachlose Hündchen deshalb auch nicht glauben kann, dass sein Herr an der Tür sei oder, dass es gleich einen Hundekeks bekommen wird.113 Diese Argumentation braucht Hume wenig zu kümmern. Die Sprachfähigkeit spielt keine Rolle für den Glauben oder den Affekt eines Hundes. Denn die Mechanismen, die Affekte hervorbringen, sind kausal und finden sich in jeder Spezies, die Lust- und Unlustzustände hat, sich auf Objekte beziehen kann, bzw. auf bestimmte 112 Von Savigny 1996. 113 Vgl. Davidson 2005, Stich 2005.
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Eigenschaften dieser Objekte. Aber die kognitive Reichweite der Tiere ist in Humes Augen eingeschränkt. Dies bedeutet, dass Tiere sowohl weniger direkte, handlungsmotivierende als auch indirekte, zweckesetzende Affekte haben. Ihre Verhaltensmotive und Zwecke beschränken sich auf Körperzustände und Sinneswahrnehmungen. Tiere haben ein übersichtliches affektives Leben und sie bilden eine überschaubare Anzahl von Bedürfnissen und Abneigungen aus. Die Vermutung liegt auf der Hand, dass wir hier die Wurzel für die unterschiedlichen kognitiven Differenzen zwischen dem Menschen und den anderen Tieren finden, die Hume aufzählt. Tiere können ihren wenig umfangreichen affektiven Bedürfnissen und Abneigungen aufgrund spezialisierter kognitiver Instinkte nachkommen. Schwalben möchten ein sicheres Nest bauen, rechtzeitig mit der Brutpflege beginnen, ausreichend Nahrung dafür finden und sich vor Raubfeinden schützen. Die ersten beiden Bedürfnisse können durch angeborene Dispositionen abgedeckt werden, die der Schwalbe anzeigen, wie und womit das Nest zu bauen ist und wann die Brutzeit beginnen kann. Die letzten beiden Bedürfnisse erfordern möglicherweise mehr Flexibilität. Vielleicht erkennt die Schwalbe Raubfeinde und Nahrung ohne erfahrungsbasiertes Lernen, die Jagd nach Nahrung jedoch setzt möglicherweise eine gewisse Erfahrung voraus und stützt sich mithin auf allgemeine kognitive Instinkte, wie die generelle Fähigkeit zum Kausallernen und die generelle Fähigkeit, das Gelernte zum Zweck der Jagd, der Abwehr oder der Flucht einzusetzen. Menschen hingegen haben ein komplexeres und reicheres affektives Leben, sie bilden mehr Bedürfnisse und Abneigungen aus. Dies bedeutet aber auch, dass ihre Zwecke und Ziele weiter gefächert sind. Angesichts dieser Voraussetzung erscheint es wenig sinnvoll, dass in erster Linie spezialisierte kognitive Instinkte die Verhaltensweisen von Menschen lenken und ihnen ein nur bereichsspezifisches und unflexibles Wissen zur Verfügung stellen. Allgemeine kognitive Instinkte stellen weit flexiblere Voraussetzungen dar, um weitgefächerte affektive Bedürfnisse und Abneigungen zu erfüllen. Die Fähigkeit zur Selbstreflexion (reflective reasoning) erscheint als probates Mittel für die Strukturierung und Hierarchisierung unterschiedlicher, sich möglicherweise widerstrebender Präferenzen. Der weit gespannte Objektbereich der menschlichen Affektivität, der nicht auf Körper- und Wahrnehmungszustände beschränkt ist, und die Tatsache, dass menschliche Wünsche und Befürchtungen (etwa im Hoffen auf etwas) sich zeitlich tiefer in die Zukunft erstrecken, macht ein Mehr an Aufmerksamkeit, ein leistungsstärkeres Gedächtnis, reichere Erfahrung und die Fähigkeit zur Verfolgungen längerer Kausalketten erforderlich. Animalische Vermögen sind zwar ausreichende Vermögen und sie liegen allen kognitiven Fähigkeiten des Menschen zugrunde, aber aufgrund der komplexeren menschlichen Affektstruktur müssen sie in unserem Falle deutlich
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Kapitel IV – Hume – Naturalismus und Tiervernunft
erweitert werden. Die geringere kognitive Reichweite des tierlichen Verstandes erklärt sich aus der eingeschränkten tierlichen Affektstruktur. Hume selbst hat diesen Zusammenhang nirgends formuliert, aber zumindest kann seine implizite Theorie in dieser Form exponiert werden. Humes Assimilationismus verzichtet auf eine anthropologische Differenz,114 im Gegensatz zur würdigen Tradition der „Der-Mensch-ist-dasTier-das-X“-Formeln, die das Spezifikum des Menschen explanatorisch oder gar metaphysisch zum Ausdruck zu bringen versuchen (Abschn. 1). In Humes Sichtweise sind Menschen eine besondres komplexe Tierspezies, die sich nicht wesentlich von anderen Tieren unterscheidet. Ihre kognitiv und sozial so überaus komplexen Verhaltensmuster und Fähigkeiten sind nicht das Resultat eines entscheidenden (kognitiven) Unterschieds, sondern Ausdruck eines ganzen Netzes und Zusammenspiels von erweiterten kognitiven Vermögen, die auf einer durch und durch animalischen Grundlage beruhen. Der bereits eingangs angeführten Äußerung A. Baiers ist durchaus recht zu geben: „To see matters aright, in Hume’s view, we must assimilate our cognitive capacities to animal reason and animal instinct, not take our own special mathematical and language-dependent capacities as self-illuminious, as the norm for comprehension and comprehensibility (Hume really does try to effect what amounts to a total reversal in epistemology)“115 – mit der kleinen Korrektur freilich, dass Hume weniger epistemologisch als mit einer Philosophie des Geistes ansetzt, deren naturalistische Stoßrichtung in der Egalitaritätsthese ihren prägnantesten Ausdruck findet.
114 Pace Pitson 1993 & 2003, pace Beauchamp 1999. 115 Baier 1991: 9.
Schlussbetrachtung 107. Rückblick: Montaigne, Descartes, Hume Erinnern wir uns an den Hund auf Velásquez’ Gemälde (Abschn. 6). Er ist – in Palominos Worten – „dunkel und wesentlich und verleiht der Komposition große Harmonie [esta figura es obscura, y principal, y hace a la composición gran armonía]“. Ich habe in der Deutung des Hundes darauf hingewiesen, dass Velásquez mit seiner dunklen und rätselhaften Darstellung dieses Tiers eine Metapher für den Geist der Tiere erschaffe: Der Geist der Tiere ist dunkel (Abschn. 9). Diese skeptische Perspektive wird von Montaigne gleichsam aufgenommen. Mithilfe des ersten pyrrhonischen Tropus über die Verschiedenheit der Lebewesen schränkt Montaigne die Perspektive des Menschen ein und erweitert und verfremdet zugleich diejenige der Tiere (Abschn. 25–8). Dadurch wird der Geist der Tiere für uns dunkel und unzugänglich, denn sie leben in einer anderen Welt als wir. Montaigne zielt mit seiner Verteidigung der Tiervernunft auf die starke anthropologische Differenz jener Dogmatiker, die sich auf den mentalistischen Rationalismus und die Idee einer metaphysischen Hierarchie der Lebewesen stützen. Dagegen setzt er eine auf die Verflachung der anthropologischen Differenz zielende skeptische Gegenargumentation, die ein Gleichgewicht von Mensch und Tier anstrebt, und deshalb assimilationistisch genannt werden darf. Montaignes assimilationistische Argumentation und seine Herausforderung der anthropologischen Differenz bilden einen konzentrierten Ausgangspunkt der weitgefächerten Diskussion um den Geist der Tiere in der Frühen Neuzeit (Abschn. 5). Doch auch Descartes portiert eine neuartige Metapher für den Geist der Tiere: Tiere sind Maschinen.1 Gemäß der Standardinterpretation der Bêtes-machine-These kann es sich hierbei jedoch um gar keine Metapher für den Geist der Tiere handeln, da sie Tieren Geist rundweg abspricht (Abschn. 41). Dies trifft zu, insofern der Geist die Seele ist (Abschn. 43). Doch Descartes’ Bêtes-machine-These zielt einerseits darauf, Tierkognitionen als Maschinenkörperfunktionen zu erklären (Abschn. 45, 49, 53–5), andererseits rüstet sich Descartes dafür, Montaignes Vernunftzuschreibungen und 1
Man möchte Rorty 1981: 22 beinahe zustimmen, wenn er behauptet, dass nicht „Sätze, sondern Bilder, nicht Aussagen, sondern Metaphern“ einen großen Teil unserer philosophischen Überzeugungen dominieren.
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Schlussbetrachtung
seine Attacke auf die anthropologische Differenz durch mechanistische Erklärungen zurückzuweisen (Abschn. 46, 65–70). Seine Erklärungsansätze fallen jedoch gleichsam in die weit offene Kluft der anthropologischen Differenz, entweder indem er Tieren nicht zuschreiben kann, was er ihnen zuschreiben möchte, oder indem die Erklärungsansätze nicht durchgeführt werden, wie im Fall des tierlichen Lernens (Abschn. 54, 71, 73). Am Ende bleibt Velásquez’ Hund ein Cartesischer Hund, der nicht am Repräsentationsgeschehen teilnimmt und den Fußtritt des Zwergen nicht verspürt (Abschn. 7). Der Hintergrund, von dem sich sowohl Montaigne als auch Descartes in eine je andere Richtung absetzen, bildet ein generelles scholastisch-aristotelisches Bild, in dessen Zentrum ich die Dreiseelenlehre, die Fakultätenpsychologie und die Hierarchie der Lebewesen gerückt habe (Abschn. 8, 20, 27, 43). Montaigne opponiert in erster Linie gegen die Hierarchie, wendet sich jedoch auch gegen die Fakultätenpsychologie und den mit ihr verbundenen mentalistischen Rationalismus. Descartes hingegen zielt auf die unteren beiden Seelenvermögen, deren vegetative und sensitive Funktionen durch eine Herzkreislauf- und Lebensgeistermaschine abgelöst werden sollen (Abschn. 50–2). Er verteidigt eine erneuerte Form des mentalistischen Rationalismus (Abschn. 65, 68). Was wäre Humes Sicht auf den Hund? Erinnern wir uns daran, dass der Hund zuunterst auf dem Gemälde liegt. Er bildet ein Ensemble mit dem bräunlichen Boden und der vom Betrachter abgewendeten Staffelei. Humes Hund wäre weniger „dunkel“ (obscura) als „wesentlich“ oder „grundlegend“ (principal). Denn die Art und Weise, wie beispielsweise der Geist eines Hundes die Welt erfasst, wie er aufgrund der Beschaffenheit seines Geistes die Welt erkennt und sich darin orientiert, bildet die Basis aller kognitiven Fähigkeiten und Leistungen, die wir bei Menschen finden. Darin bestand bereits Montaignes Grundintuition: Der Mensch ist ein Tier und verfügt über keine besonderen, sondern nur über tierliche Vermögen (Abschn. 32). Humes Egalitaritätsthese arbeitet diese Intuition aus und gibt ihr eine spezifische Artikulation: Tiere (Menschen eingeschlossen) sind wahrnehmungsbasierte und erfahrungsbezogene Kausallerner und Zweck-Mittel-Denker (Abschn. 94–8). Der Geist des Hundes befindet sich also keinesfalls außerhalb des Repräsentationsgeschehens. Er ist nicht dunkel oder unzugänglich, sondern er ist von gleicher Art wie unser im wesentlichen tierlicher Geist. Le chien, c’est nous. Dieser starke Assimilationismus verzichtet auf die anthropologische Differenz – im Gegensatz zum schwachen Assimilationismus von Cureau, Locke oder Leibniz (Abschn. 5, 76, 77). Dabei führt Hume, indem er sich sowohl gegen Descartes differentialistische Philosophie als auch gegen Lockes schwachen Assimilationismus wendet, nicht nur Montaignes Angleichung der menschlichen an tierliche Vermögen wei-
Schlussbetrachtung
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ter und macht mit der zugrundeliegenden Intuition allen Ernst, sondern er akzentuiert auch die folgenden drei Leitgedanken, die sich bei Montaigne finden lassen: – –
–
Wir finden in Montaignes Hauptargument (Abschn. 24) den Kern für Humes auf Analogieüberlegungen basierenden Assimilationismus (Abschn. 83, 87, 94). Wir finden bei Montaigne eine, wenn auch sehr skeptische, Hervorhebung der Rolle der Einbildungskraft (Abschn. 35–6) für höhere kognitive Leistungen, die für Hume zum Ausgangspunkt der Philosophie des Geistes und der Erkenntnistheorie wird (Abschn. 78, 82, 92). Wir finden bei Montaigne eine subjektiv gefärbte naturalistische Skepsis (Abschn. 40), die von Hume gleichsam umgedreht und in einen skeptischen Naturalismus überführt wird (Abschn. 79–80, 99).
Die ersten beiden Punkte dürften aus dem Gang dieser Studie unmittelbar einleuchten. Der dritte Punkt verlangt nach Klärung. Was meint „subjektiv gefärbte naturalistische Skepsis“ bei Montaigne? Er ist in erster Linie ein Skeptiker in der Nachfolge der Pyrrhoniker (Abschn. 13–6); er fasst die ersten beiden praktischen Kriterien – natürliche Ausstattung, Empfindungen und Affekte – so auf, dass das skeptische Gleichgewicht ihn dazu legitimiert, seinen natürlichen Neigungen zu folgen (Abschn. 18–40), ganz im Sinne des Essai-Projekts der Selbsterforschung (Abschn. 12). Darin besteht die subjektive Färbung. Die Betonung des Gleichgewichts von Mensch und Tier führt bei Montaigne zu einer Skepsis gegenüber nicht unmittelbar an den Körper gebundenen kognitiven Vermögen (Abschn. 35–6). Darin besteht die naturalistische Tendenz. Humes Naturalismus entspringt nun zwar auch seinen skeptischen Zweifeln, da er glaubt, dass einzig der Rekurs auf die zuverlässige Funktion unserer natürlichen Vermögen und Einstellungen den Zweifeln eine Lösung anbieten kann. Ich habe jedoch die Ansicht vertreten, dass Humes methodischer Einsatz der Tiere zur Bestätigung seiner Thesen (Abschn. 82) und zur Kritik anderer philosophischer Systeme (Abschn. 99) eine stärker naturalistische Lesart zulassen. Hume erweitert den Rekurs Montaignes auf seine individuelle subjektive Neigung und verankert das Kausaldenken in einer subjektiven, gewohnheitsgenerierten Neigung, die menschliche und nichtmenschliche Tiere teilen. Sein starker Assimilationismus ist sein Naturalismus. Zusammenfassend darf man die philosophiehistorische Hypothese aufstellen, dass die Diskussion um den Geist der Tiere sowohl die Skepsis gegenüber höheren Seelenvermögen als auch den explanatorischen Rückgriff auf niedere Vermögen verstärkt hat. Insbesondere die Expansion der Rolle der Einbildungs- oder Vorstellungskraft – beobachtbar bei Montaigne, Cureau und Hume – gehört in diesem Zusammenhang.
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Schlussbetrachtung
108. Bausteine einer Philosophie des Geistes der Tiere Welche Bausteine einer Philosophie des Geistes der Tiere ergeben sich aus den untersuchten frühneuzeitlichen Ansätzen? Die grundlegenden Blöcke sind die Analogie und das Lernen. Analogie – Montaignes Hauptargument fordert (vor dem Hintergrund der Fakultätenpsychologie), dass von gleichen Wirkungen auf gleiche Vermögen geschlossen werden muss. Dabei ist einerseits die Analogie zwischen menschlichem und tierlichem Verhalten ausschlaggebend, die Verhaltensweisen {a, b, c, ...}T und die Verhaltensweisen {a, b, c, ...}M müssen einander ähnlich oder analog sein. Andererseits weist Montaigne den doppelten Standard zurück, der vergleichbares Verhalten bei Mensch und Tier einmal durch ein rationales Vermögen und ein andermal durch bloße Instinkte erklärt. Die Beschreibung und Erklärung tierlicher Verhaltensweisen in Analogie zu unserem Verhalten kann nicht als naiver Anthropomorphismus vom Tisch gewischt werden. Denn anthropomorphistische Beschreibungen brauchen nicht naiv zu sein, sondern können auch reflektiert und kritisch vorgenommen werden (Abschn. 23). Zusätzlich zur verhaltensgestützten Form der Analogie existiert eine anatomiegestützte Form. Der Körperbau von Tieren und Menschen ist vergleichbar. Sofern man explanatorisch nicht auf nicht-körperliche Vermögen (z.B. eine immaterielle Seele) oder außer-körperliche Umstände (z.B. eine soziale Praxis) rekurriert, untermauert die anatomiegestützte Analogie die Intuition, dass tierlicher und menschlicher Geist so verschieden nicht sein können. Das Problem der Analogie liegt freilich darin, dass sie dazu neigt explanatorische Alternativen zu übersehen. Auf diesen wunden Punkt legt Descartes zurecht den Finger. Die Bêtes-machine-These ist insgesamt eine explanatorische Alternative. Bemerkenswerter Weise stützt sich Descartes jedoch nicht auf die beiden argumentationslogischen Probleme des Analogiearguments, vielmehr stellt Descartes eine neuartige explanatorische Analogie zu Maschinen her (Abschn. 48). Die beiden Hauptprobleme für das Analogieargument bestehen darin, dass es zirkulär zu sein scheint, weil es beweisen will, dass andere Wesen so sind wie wir, dieses Ergebnis aber voraussetzt, und dass es skeptischen Zweifeln begegnen muss, die nachfragen, ob die vorhandenen (verhaltens- oder anatomiebasierten) Belege den Schluss auf ein nicht beobachtbares mentales Leben rechtfertigen können.2 Hume hingegen kann dem skeptischen Zweifel gegenüber dem Analogieargument entgehen, indem er mithilfe des Sympathiemechanismus darauf verweist, dass es sich um keinen Schluss handelt, sondern um das Resultat einer natürlichen Einstellung und eines psychologischen Mechanismus (Abschn. 93). 2
Harrison 1991.
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Lernen – Der Zirkularität im Analogieargument entgeht Hume dadurch, dass er ein einfaches, aber weitreichendes Verhalten in der analogen Betrachtung als entscheidendes Merkmal der Vergleichbarkeit angibt. Die Tatsache, dass viele Tiere lernen, verschafft eine gute Grundlage für die Vergleichbarkeit von {a, b, c, ...}T und {a, b, c, ...}M. Hume kann den weiten Begriff des Lernens als Kausallernen spezifizieren (Abschn. 94–5). Die Art und Weise, wie Tiere simple kausale Inferenzen ziehen, führt zur These, dass tierliche kognitive Vermögen auch für uns ausreichende Vermögen sind. Hume kehrt die Richtung der Analogie an dieser Stelle regelrecht um (Abschn. 99). Nicht erklären wir die Fähigkeiten von Tieren analog zu unseren Fähigkeiten, sondern wir geben unseren inferentiellen Fähigkeiten durch die Analogie zu tierischen Leistungen eine natürliche Grundlage. Das Lernen spielt auch bei Montaigne und Descartes eine wichtige Rolle. Montaigne stützt sich auf das Lernverhalten, um den Rekurs seines dogmatischen Gegners auf Instinkte oder eingeborene Dispositionen zu unterlaufen (Abschn. 21). Er benutzt die (unterstellte) Fähigkeit von Vögeln, den regionalen Gesang ihrer Artgenossen zu erlernen, um einen Zugriff auf die internen mentalen Vorgänge zu erhalten (den discours intérieur), die das Lernverhalten lenken (Abschn. 22). Hume verortet das Lernen in der Interaktion zwischen Tier und physikalischer Umwelt, Montaigne hingegen positioniert das Lernverhalten in der Interaktion zwischen Tier und sozialer Umwelt. Descartes scheint Tieren auf den ersten Blick die Lernfähigkeit abzusprechen und sie als „fest verdrahtete“ Reflexautomaten zu betrachten (Abschn. 70). Allerdings lässt das Lebensgeistermodell es zu, hier weitere Stufungen einzubauen und tatsächlich findet sich bei Descartes so etwas wie ein Ansatz zur Unterscheidung verschiedener Lernstufen: Lernen als assoziationsgesteuerte Konditionierung (Abschn. 69), als informationsgesteuerte neue Reaktion auf ähnliche Reize, als Integration unterschiedlicher Informationen, die ein variables Verhaltensrepertoire informieren und als irrtumsgesteuerte Klassifikation von Dingen in der Umwelt (Abschn. 71). Neben diesen beiden großen Blöcken finden sich speziellere Bausteine für eine Philosophie des Geistes der Tiere: Montaignes Zweifel – Trotz seines assimilationistisch ausgerichteten Gegendiskurses, kommt Montaigne nicht nur zum Schluss, dass der Dogmatiker Tieren rationale Vermögen zuschreiben sollte oder dass es ein Gleichgewicht zwischen Mensch und Tier einzuhalten gelte, sondern er erwägt im Sinne von Velásquez’ Metapher der Dunkelheit, ob der Geist der Tiere nicht von grundsätzlich anderer Art sein könnte als der unsere. Was würde es heißen, das Tier als Alterität, als etwas ganz Anderes wahrzunehmen? Der Mensch bleibt unhintergehbar an seine Perspektive gebunden, die er nicht überschreiten und unter der allein er die Tiere betrachten kann. So sehr Tiere uns auch ähnlich sind, so wenig dürfen wir vergessen, dass sie Subjekte
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Schlussbetrachtung
anderer Art sind. Auch die Unterscheidung, die ich im Zusammenhang mit Humes Ausgang vom Commonsense eingeführt habe, deutet in diese Richtung (Abschn. 84): Wir gehen davon aus, dass es irgendwie ist, ein Tier zu sein, dass ein Tier irgendeinen Gedanken hat, aber wir Wissen nicht, wie es ist oder was es denkt. Descartes’ Körpermaschine – Wie wir bereits sehen konnten, deutet Descartes eine Reihe von Lernstufen an, deren Ausarbeitung jedoch bestenfalls fragmentarisch blieb. Der Gedanke einer Stufung von kognitiven Vermögen aber ist gangbar und hat sich in der neueren Diskussion um den Geist der Tiere als fruchtbar erwiesen.3 Dies ist ein Gedanke, der sich bei Montaigne und Hume nicht findet. Ihre Ablehnung des aristotelisch-scholastischen Hintergrunds scheint hierin radikaler zu sein, als diejenige Descartes’. Dafür transportiert und transformiert Descartes auch über die Bêtesbzw. Corps-machine-These hinweg eine aristotelische Einsicht, die im Auge zu behalten vital ist: Descartes verankert den Geist der Tiere in einer biologischen Grundlage. Sowohl seine Erklärung der Lebendigkeit über den Herzkreislauf (Abschn. 51–2) als auch sein Ansatz einer selbsterhaltungsfunktionalen Erklärung der Sinnesmodalitäten und anderer biologischer Systeme (Abschn. 58) ist im Kern aristotelisch, in der Ausführung ganz und gar cartesisch. Wie die kognitiven Seelenvermögen auf einer vegetativen Seele aufruhen, so basieren die cartesischen tierlichen Mechanismen der Umweltbewältigung auf einer biologischen Grundlage, die nicht nur in der funktionalen Architektur ihres Maschinenkörpers besteht, sondern auch Abstimmungen zwischen dieser Architektur und Umweltanforderungen mit einbezieht. Freilich bleibt Descartes bei diesem Ansatz stecken, da er einerseits den göttlichen Mechaniker als Abstimmungsingenieur in Anspruch nehmen muss und andererseits die biologische Grundlage nicht für kognitive Fähigkeiten fruchtbar machen kann, da die vom Körper strikt unterschiedene Seele ins Spiel kommt und die Tierkognition vereitelt (Abschn. 59). Die anthropologische Differenz macht diesem Ansatz einen bedauerlichen Strich durch die Rechnung (Abschn. 73). Humes Norm – Tiere sind in Humes Sichtweise Kausallerner, und zwar lernen sie Kausalregeln der Form MU –> MW. Anders als der Fuchs in Montaignes Hauptargument verweist das Kausallernen und das darauf beruhende Verhalten nicht auf ein rationales Vermögen. Explizit wendet sich Hume gegen den doppelten Standard, der tierliche Verhaltensweisen einem Instinkt, menschliche hingegen der Vernunft zuschreibt, denn Hume betrachtet die Vernunft selber als eine Art Instinkt (Abschn. 97). Er versieht die erfahrungsgenerierte kausale Inferenz mit einem minimalen normativen Element. Die aufgrund von MU –> MW verbundene Erwartung (W) kann 3
Proust 1997, Perler & Wild 2005.
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enttäuscht werden. Der Maßstab der Enttäuschung ist jedoch die Kausalregel, die eine normative Grundlage darstellt, denn sie erlaubt es weitere Lernprozesse (evtl. U- oder W-Differenzierungen) anhand der Norm der Kausalregel vorzunehmen. Descartes’ biologische Körpermaschine und Humes inferentielle Minimalnorm geben Ergänzungen zu den beiden Grundbausteinen einer Philosophie des Geistes der Tiere Abschn. Descartes’ Körpermaschine verankert kognitive Fähigkeiten in der funktionalen Architektur eines tierischen Körpers und schließt sie an einen Prozess der Bewährung in der Abstimmung mit der Umwelt an. Humes Norm zeigt gleichsam an, nach welcher Latte sich das in Analogie zu menschlichem Verhalten beschreibbare Verhalten lernfähiger Lebewesen recken muss. Das Lernen nämlich muss ein Maß an korrektiver Selbstbezüglichkeit aufweisen, damit der Lerner ein kognitiv komplexes Lebewesen vorstellt. Montaignes schwer zu integrierender Gedanke der Alterität von Tieren kann nicht nur als eine Vorsichtsmaßnahme gegenüber einem naiven Anthropomorphismus verstanden werden, sondern muss zugleich als die stete Möglichkeit in Betracht gezogen werden, dass Tieren trotz aller kognitiver Verwandtschaft Aspekte unseres mentalen Lebens abgehen, deren Fehlen für uns nur schwer nachzuvollziehen ist. Man denke an alle jene kognitiv relativ raffinierten Tiere, die im Verlaufe dieser Studie aufgetaucht sind: die Hunde von Malcolm, Chrysippos und Tolstoi, Montaignes Nachtigallen, der Fuchs vor dem zugefrorenen Fluss, der milde Tiger, die träumenden Jagd- und Wachhunde, Pyrrhons stoisches Schwein, mein Hündchen und sein Keks, die Meerkatzen, die grüßende Elster, das informationshungrige Erdhörnchen, Lockes plaudernder Papagei, die Wölfe und ihr Spielbogen oder die walnussknackenden Krähen. Diese Tiere erkennen und klassifizieren, regulieren ihr Verhalten entsprechend, verfügen (vielleicht) über innere Vorstellungen von gegenwärtigen und vergangenen Dingen, kommunizieren (vielleicht) intentional oder lernen bestimmte Mittel zu unterschiedlichen Zwecken einzusetzen. Dennoch könnte es sein, dass diese Fähigkeiten in ihrem Geist ganz andere Verbindungen eingehen und Gewichtungen haben, dass sie sich (wenn überhaupt) ihrer mentalen Zustände nur dämmrig bewusst sind oder ihre kognitiven Ressourcen nur mit einem sehr rudimentären Selbstkonzept in Beziehung setzen können. Diese Form der „Dunkelheit“ des Geistes der Tiere braucht jedoch keineswegs in einer anthropologischen Differenz zu gründen. 109. Assimilationismus und die anthropologische Differenz Die theoretische Hoffnung zahlreicher Philosophen und Wissenschaftler besteht nach wie vor darin, eine anthropologische Differenz dingfest ma-
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chen zu können, die es erlauben würde, eine Erklärung für die Tatsache zu geben, dass Menschen offensichtlich kognitiv und sozial so sehr komplexer und leistungsfähiger sind als alle anderen bekannten Lebewesen. Einige Philosophen glauben, diese Hoffnung werde sich am ehesten erfüllen, wenn wir von Anfang an auf dem großen, offensichtlichen Unterschied beharren: Menschen sprechen. Diesen differentialistischen Ansatz verfolgt beispielsweise R. Brandom, dessen theoretische Hoffnung darin besteht, durch die Verringerung unserer Ähnlichkeit zu den Tieren, die Locke oder Hume beschäftigt hatte, unsere distinkte Eigenart als kulturelle, nicht bloß natürliche Lebewesen hervorzuheben, und zwar durch die Fokussierung auf unsere soziale, normative und sprachliche Praxis des Begriffsgebrauchs und des Begründens.4 Zahlreiche Philosophen der Frühen Neuzeit zeigen schwache assimilationistische Neigungen. Das bedeutet nicht, dass sie auf eine anthropologische Differenz verzichten, wie die Beispiele von Cureau oder Locke zeigen. Sogar der strikte Dualist Descartes setzt mit Stufenmodellen und i.w.S. biologischen Fundamenten an. Humes starker Assimilationismus unterscheidet sich wohl am weitest gehenden von theoretischen Hoffnungen, wie sie R. Brandom formuliert. Man kann Humes Ansatz in der Philosophie des Geistes auf die folgenden Punkte kondensieren: Ausgangspunkt ist unsere natürliche Einstellung gegenüber Tieren. Wir gehen von verhaltens- und anatomiegestützten Analogien aus. Dies bedeutet einen Verzicht auf Skepsis gegenüber mentalen Zuschreibungen an Tiere. Zuerst müssen also Gemeinsamkeiten im Mentalen erklärt werden. Es geht um eine Spezifikation von Minimalbedingungen für das Haben von Wahrnehmungen, der Fähigkeit zu kausalen Inferenzen, Zweck-Mittel-Rationalität oder für das Haben von anderen mentalen Zuständen und Vermögen. Die Klärung der mentalen Gemeinsamkeiten erfordern Arbeit an empirischem Material. Bereits Montaigne hat dem Dogmatiker der anthropologischen Differenz vorgehalten, seine Thesen müssten sich an dem, was wir über andere Lebewesen wissen, bewähren können. Hume hegt Vorbehalte gegenüber höherstufigen Erklärungen für mentale Phänomene. Unsere natürliche Einstellung gegenüber Tieren und die Explikation mentaler Gemeinsamkeiten sollten uns skeptisch stimmen und zur Frage veranlassen, ob höherstufige Erklärungen überhaupt notwendig sind. Diese Vorbehalte kommen in Humes Tiertest zum Ausdruck (Abschn. 99). Hume übt sich im Verzicht auf das Primärziel der Etablierung einer anthropologischen Differenz. Er verzichtet damit auf einen anthropologischen Fundamentalismus. Stattdessen verweist er auf eine Anzahl kognitiver und affektiver Unterschiede. Menschen können einige Dinge weitaus besser als Tiere, sie sind mental leistungsfähiger und haben eine größere kognitive Reich4
Brandom 2001: 35.
Schlussbetrachtung
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weite. Das weitgefächerte Verhaltensmuster, das sich aus der Summe dieser Unterschiede ergibt, malt, zusammen mit der Hypothese einer größeren Anzahl von motivierenden Affekten und orientierenden Bedürfnissen (Abschn. 106), ein zwar unübersichtlicheres Porträt unserer selbst, als es der scharfe Strich der anthropologischen Differenz vermöchte oder die theoretische Hoffnung auf eine Antwort auf unsere distinkte Eigenart als kulturelle und nicht bloß natürliche Lebewesen erwartete. Dafür ergibt sich ein reichhaltigeres Bild des tierlichen Geistes im allgemeinen und unseres mentalen Lebens im Besonderen. Im Unterschied zu Differentialisten wie R. Brandom und zahlreichen anderen Philosophen der Vergangenheit und der Gegenwart ist Hume der Ansicht, dass wir uns selbst verfehlen, wenn wir uns als Vernunftwesen, als rationale Tiere, und nicht als Tiere unter anderen Tieren begreifen.
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300
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Register Personenregister Ablondi, Fred 164
Cotes, Roger 232
Agamben, Giorgio 1, 8, 38
Cottingham, John 139, 142, 144-5, 173, 175, 187, 200
Agrippa von Nettesheim, Cornelius 57, 87, 96 Amyot, Jacques 98 Archytas von Tarent 136, 179 Augustinus 93, 118 Baier, Anette 212, 229-30, 233, 252, 288 Baker, Gordon 139, 142, 145 Banwart, Mary 226
Cureau de la Chambre, Marin 19-20, 147, 240 Darwin, Charles 137, 190 Diogenes Laertius 131 Diogenes von Sinope 3 Dretske, Fred 2, 204, 245
Barnes, Joanthan 64
Dauler Wilson, Margaret 139, 145, 149, 169, 188, 211, 212, 233, 269, 270
Bayle, Pierre 17-18, 21, 223
Emerson, Ralph Waldo 49
Bergson, Henri 1
Erion, Gerald 185-6
Berkeley, George 214, 225, 228, 245
Espinas, Alfred 182
Boas, George 17, 43-4, 71, 77, 106
Etienne, Henri 1, 48
Boethius 75, 102
Eustachio a Sancto Paulo 141
Bovillus, Carolus 27, 95
Fernel, Jean 140
Boyle, Deborah 211, 239, 270, 276
Fontaine, Nicolas 207
Brandom, Robert 2, 7, 240, 296-7
Ficino, Marcilius 95, 114
Brandt, Reinhard 23-4, 36
Flew, Anthony 212, 269
Buridan 117
Fludd, Robert 95
Burnyeat, Myles 26, 63-4, 103
Fodor, Jerry 119, 243, 246
Cervantes, Miguel 13-4, 21
Fontenelle, Bernard le Bouyer de 141
Chanet, Pierre 19, 147
Foucault, Michel 22-3, 25-6, 35, 197
Charron, Pierre 18, 43, 47-8, 107, 125
Frame, Donald 49, 56, 77
Cohen, Bernhard 158
Frede, Michael 54, 63-4, 104
Comparot, Andrée 110
Friedrich, Hugo 50
Condillac, Etienne Bonnot de 1
Galilei, Galileo 135, 140
Coste, Pierre 215-6
Garber, Daniel 139-40, 152
Cordemoy, Gérauld de 178
Garrett, Don 228, 251-2
328
Register
Gassendi, Pierre 136, 142, 147, 153, 175 Gaukroger, Stephen 138-41, 145-6, 149, 164, 172-3, 179, 202
Malebranche, Nicolas 46-7, 104, 107, 172, 208, 213, 281 Marquard, Odo 47, 64
Gide, André 50
Massey, Gerald & Barbara 1, 9, 211, 213, 276
Gontier, Thierry 1, 18, 43, 46, 58, 69, 84, 92, 99-100, 106-8, 114, 116-7, 124, 212
Mauthner, Fritz 78, 138, 208
Green, Thomas Hill 227
Montaigne, Michel de 2, 15, 17-9, 20, 31, 39134, 147, 150-2, 190-1, 193, 195-6, 200, 212-3, 226, 233, 239-40, 248, 250, 254, 263, 265, 267, 271, 276, 290-4, 296
Grünbein, Durs 29, 203 Gunderson, Keith 185-7 Hallie, Philip 127
Meeker, Kevin 230
Harrison, Peter 146-7, 154, 208, 292
More, Henri 136-7, 142, 145, 147, 149-50, 152-4, 157, 172, 186-7, 189, 208
Hartle, Ann 46, 49, 99, 108, 129, 212
Morris, Kathrin 138, 145, 150, 172, 187-8
Hartman, Geoffrey 99
Nagel, Thomas 241
Harvey, William 140, 151, 158-64, 207
Nehamas, Alexander 104
Hegel, Georg Friedrich Wilhelm 6-7, 46-8, 104, 133-4, 223, 228
Newman, Lex 194
Hobbes, Thomas 31 Horkheimer, Max 50, 156 Hume, David 2, 10, 21, 40-2, 79, 122, 134, 151, 211-4, 222, 224-88, 290-1, 293-7 Inwood, Michael 7 Kant, Immanuel 2,14, 46, 119, 227-8 Kemp Smith, Norman 137, 141, 144, 229, 233, 250, 252, 269
Newton, Isaak 140, 232 Nietzsche, Friedrich 119 Norton, David Fate 211, 278-9 Ovid 29 Owen, David 264, 278-9 Pagel, Walter 160 Palomino, Antonio 23, 29, 35-6, 38-9, 299 Passmore, John 211, 269
Kenny, Anthony 138-9, 202
Pereira, Gómez 17-8, 34
La Fontaine, Jean de 134, 136, 142, 145, 147
Pico della Mirandola, Giovanni 94, 122
La Mettrie, Julien Offray 16, 21
Platon 3, 119
Lamarck, Jean-Baptiste 9
Plinius der Ältere 105-6
Lange, Friedrich Albert 16
Plutarch 69, 76, 98-100, 102, 274
Le Grand, Antoine 164
Pomponazzi, Pietro 117
Leibniz, Gottfried Wilhelm 31, 214, 222-4, 226, 240, 263, 290
Popper, Karl 227
Livingston, Donald 228, 233, 252
Quint, David 56, 100, 127, 132
Lloyd-Morgan, Convay 190 Locke, John 10, 20, 41, 214-26, 228, 237, 240, 243, 245, 249, 263, 280-1, 290, 295-6 Lukrez 72, 85, 102, 105-6, 112-3, 115 MacIntyre, Alasdair 5-6, 8 Malcolm, Norman 10-11, 138, 187, 295
Pyrrhon von Elis 133 Radner, Daisie 138, 146, 172-3, 185-8, 208 Regis, Pierre-Sylvain 164 Reid, Thomas 227 Rorarius, Gregorius 17-9, 34, 223 Rorty, Richard 18, 24, 27, 64, 138, 180, 228, 299
Personenregister
329
Saidel, Eric 205-6
Sztybel, David 207
Sanchez, Franciso 47, 58
Thales von Milet 108-9
Savage-Rumbaugh, Sue 219 Schaefer, David Lewis 46, 59, 69, 77, 98, 1078, 124
Thomas von Aquin 14, 22, 31-3, 90-1, 93, 110, 113-4, 116-7, 137, 142, 208, 218, 227
Schiller, Friedrich 100
Tietz, Johann Daniel 43, 77, 104
Schönrich, Gerhard 22, 24
Toletus, Franciscus 93, 122
Searle, John 22, 23, 35, 137, 151, 188
Tolstoi, Lew 10-1, 295
Sebundus, Raimundus 44, 59, 92-4, 113-6
Tournon, André 49, 62, 92
Sedley, David 55-6,
Tranöy, Knut 213, 239
Senault, Jean-François 17
Turing, Alan 185-6, 189
Seneca 86-7, 102, 123, 194, 276
Turnebus, Adrianus 93
Sextus Empiricus 10, 50, 51-4, 56-7, 61-6, 70, 72, 83-4, 86, 88, 99, 120, 128
Velasquez, Diego 2, 21-5, 29, 35-6, 38-9, 28990, 293
Shakespeare, William 27 Silhon, Jean de 68-9 Simmons, Allison 170, 177
Villey, Pierre 44, 48, 127 Whitteridge, Gweneth 160 Wittgenstein, Ludwig 64, 286
Sorabji, Richard 1, 12-3, 15, 32-3
Wright, John 239, 241, 250
Strauss, Leo 108, 138
Wynne, John 222
Strowski, Fortunat 45-6, 48, 77 Suarez, Francisco 34
Xenophanes 91 Zweig, Stephan 50
330
Register
Tierregister Affe 27, 117, 184, 194, 196, 219
Katze 7, 10, 11, 83, 240-1, 243-6, 261
Ameise 9, 155
Krähe 263-5, 295
Amsel 76
Kranich 193
Auster 32, 155, 209, 215, 217
Lamm 179, 195
Biber 1
Löwe 12, 108, 261
Biene 9, 12, 87, 188, 193-4; 277
Maus 240
Chamäleon 2
Meerkatze, Grüne (Vervetaffen) 180-1, 193, 201, 206, 295
Elefant 13, 15 Elster 76, 163, 196-200, 202-3, 205, 219, 220, 286, 295
Nachtigall 76-8, 102, 295
Erdhörnchen 195, 205-6, 295 Esel 30, 36
Papagei 76, 188, 196-9, 219-20, 225, 263, 295
Fledermaus 2, 241
Pfau 285
Fuchs 80-2, 101-2, 108, 110-1, 159-61, 2167, 225, 263, 266, 294-5
Pferd 73, 91, 196, 259, 261, 285
Gänseküken 97
Schimpanse 9, 155, 188, 254, 267
Huhn 3
Schwein, Pyrrhos 130-3, 295
Hündchen 166-8, 171-2, 179, 286, 295
Sherman und Austin 219
Hündin 216-7
Sphexwespe 191-2, 193, 194
Hund 7, 73, 115, 132, 157, 167, 171, 201-3, 216, 240, 259, 285-6, 289-90
Spinne 30, 87, 194, 277
Hund, Malcolms 10-1 Hund, Chrysipps 10-1, 111 Hund, Pawlows 198, 205 Hund, Tolstois (Laska) 11 Hunde, Cervantes’ (Berganza u. Cipion) 13-5, Hund, Velasquez‘ 23-6, 28, 30, 35-9, 290
Ochse 12, 261
Rabe 9, 76, 101
Stier 285 Taube 135-6, 179 Tiger 98, 100-1, 295, 261 Wellensittich 192 Wolf 179, 262-3, 295 Ziege 12, 83, 98,