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ATLAN 130 – Die Abenteuer der SOL
Nr. 629 Der Geist der Positronik von Kurt Mahr Die Verwirklichung von Atlans Ziel, in den Sektor Varnhagher-Ghynnst zu gelangen, um dort den Auftrag der Kosmokraten zu erfüllen, scheint außerhalb der Möglichkeiten des Arkoniden zu liegen. Denn beim entscheidenden Kampf gegen Hidden-X wurde Atlan die Grundlage zur Erfüllung seines Auftrags entzogen: das Wissen um die Koordinaten von Varnhagher-Ghynnst. Doch Atlan gibt nicht auf! Im Bewußtsein, sich die verlorenen Koordinaten wieder besorgen zu müssen, folgt der Arkonide einer vagen Spur, die in die Galaxis Xiinx-Markant führt, wo die SOL in erbitterte Kämpfe verwickelt wird. Schließlich, gegen Ende des Jahres 3807 Terrazeit, eskaliert die Auseinandersetzung zwischen Anti-ES und Anti-Homunk auf der einen und Atlan und den Solanern auf der anderen Seite in einem solchen Maß, daß die SOL den Sturz ins Nichts wagen muß. Das Generationenschiff gelangt dabei nach Bars-2-Bars, in die aus zwei ineinander verschmolzenen Galaxien bestehende Sterneninsel. In undurchsichtiger, gefährlicher Situation erweist sich Tyari als Retterin der Anterferranter, einer Zivilisation, die durch die künstlich herbeigeführte Verschmelzung der Galaxien schweren Schaden genommen hat – wie auch andere Sternenvölker. Um den Anterferrantern weiterzuhelfen und um seine eigenen Pläne zu fördern, fliegt Atlan schließlich nach Seleterf – und dort erwartet ihn DER GEIST DER POSITRONIK ...
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Die Hauptpersonen des Romans: Atlan - Der Arkonide geht nach Seleterf. Tyari, Hage Nockemann und Blödel - Atlans Begleiter. Yurrht - Stadthaupt von Seletan. Teffernor - Zellenführer der »Erkenner des Wahren«. Chodhpah - Ein merkwürdiger Prospektor.
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1. Efatern spürte den kalten Hauch des Todes, der ihm aus dem finsteren Stollen entgegenwehte. Er verfluchte den Augenblick, in dem er Teffernors Plan mit lauter Stimme als »schlechthin genial« gepriesen hatte. Wie hätte er auch ahnen sollen, daß Teffernor von vornherein entschlossen war, die Durchführung seiner Idee demjenigen zu übertragen, der sich am beifälligsten darüber äußerte. Die runde Antigravplatte schwebte langsam auf die Mündung des Stollens zu und schob sich mit der Vorderkante in eine Ritze, die ihr Stabilität verlieh. Efatern trat auf den steinernen Boden des Stollens. Der Lichtkegel seiner Lampe fuhr an kahlen, feuchten Wänden entlang, wanderte seitwärts und schoß in den dunklen Schacht hinaus. Er sah, wie die Platte sich aus dem Ritz löste und aufwärts schwebte. Nur mit Mühe erinnerte er sich an Teffernors Worte: »Sobald du den Stollen erreicht hast, kehrt die Antigravplatte nach oben zurück. Es könnte sein, daß OBO-eins in der Zwischenzeit die Lage im Schacht sondiert. Sähe er die Platte vor dem Stollenausgang, müßte er unweigerlich Verdacht schöpfen. Sobald du zurückkehren willst, gib das Signal. Wir schicken dir die Platte hinab.« So hatte Teffernor gesprochen, aber seine Worte bedeuteten für Efatern nur geringen Trost. Er fühlte sich von der Oberwelt abgeschnitten. Aber Teffernors Taktik ließ ihm keine Wahl. So sehr ihn die Furcht auch schüttelte, es gab für ihn nur einen Weg: vorwärts. Er packte die Lampe mit der Rechten, um die beweglichere Linke für die Waffe frei zu haben. Dann setzte er sich in Bewegung. Dieses war der Weg, der nach Teffernors Ansicht allen Schwierigkeiten aus dem Weg ging. Er war auf den Karten, die die sublunare Anlage der Mammutpositronik OBO-1 beschrieben, nicht verzeichnet. Wahrscheinlich stammte er aus der Zeit vor vielen hundert Jahren, als OBO-1 gebaut worden war. Die Arbeiter hatten ihn angelegt. Also, schloß Teffernor, konnte OBO-1 von seiner Existenz nichts wissen. In diesem Stollen gab es keine jener tödlichen Hindernisse, die überall sonst den Zugang zu den Kontrollräumen der Positronik verwehrten. Teffernor selbst hatte den Gang rein zufällig entdeckt. Und jetzt schickte er Efatern, ihn zu erforschen. Efatern war in diesen Dingen erfahren. Seit die Erkenner des Wahren vor etlichen Jahren ihre erste Zelle auf Anterfs Mond Seleterf eingerichtet hatten, war er oft in Teffernors Auftrag auf gefährlichen Missionen unterwegs gewesen. Er kannte sich. Am Anfang war die Angst vor der Gefahr. Aber je mehr er sich in seine Aufgabe vertiefte, desto ruhiger und ausgeglichener wurde er. Diesmal aber verließ ihn die Furcht nicht. Im Gegenteil: Je weiter er vordrang, desto intensiver wurde sie. Es war, als ob sich ein fremder Einfluß in seinem Bewußtsein eingenistet hätte, der versuchte, ihn von seinem Vorhaben abzuhalten. Efatern schritt jedoch weiter. Vor ihm war der Stollen dann plötzlich zu Ende. Efatern blieb stehen. Der Schein seiner Lampe spielte durch die Leere eines großen, kreisrunden Raumes mit hoher Decke. Er erfaßte die gegenüberliegende Wand und enthüllte eine hohe, rechteckige Öffnung, jenseits derer der Stollen sich fortsetzte. Verbissen setzte der junge Anterferranter sich wieder in Bewegung. Er gelangte bis in die Mitte des großen Raumes, da machte er eine erschreckende Entdeckung. Die Lampe brannte noch; er konnte es sehen, wenn er direkt in den Lichtkegel blickte. Aber ihr Strahl reichte nur noch zwei Schritte weit, als gäbe es etwas in der Luft, das ihn verschluckte.
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Er schrie auf. Da hörte er plötzlich aus dem Dunkel eine wispernde Stimme. »Ich habe versucht, dich zu warnen, Narr. Warum bist du nicht umgekehrt?« Efatern wandte den Kopf hierhin, dorthin, aber nirgendwo in dieser undurchdringlichen Finsternis war etwas zu sehen. »Wer ... wer bist du?« stammelte er voller Entsetzen. »Ich bin der Wächter. Ich achte darauf, daß kein Unberufener sich in diesen Hallen zu schaffen macht.« Mit Efaterns Selbstbeherrschung war es zu Ende. »Ich kehre um!« schrie er. »Ich will mit diesen Hallen nichts zu tun haben. Laß mich gehen ...« »Es ist zu spät, Narr«, wisperte die Stimme unerbittlich. »Was hast du vor?« kreischte Efatern. Er ließ die Lampe fallen und hob die Arme vors Gesicht. Die Waffe im Mittelgurt hatte er vor Angst vergessen. »Ich habe dir nichts getan. Laß mich ...« Er verstummte, als vor ihm eine Säule gedämpfter Helligkeit entstand. Im Innern der Säule befand sich eine hochgewachsene Gestalt, um anderthalb Köpfe größer als Efatern. Der Pelz des Fremden leuchtete in grellen Farben, und die großen Augen strahlten ein kaltes, gefährliches Licht aus. Die Gestalt näherte sich dem vor Schreck erstarrten Efatern. Der Fremde hob die Arme und griff nach ihm. In diesem Augenblick verstand Efatern, wen er vor sich hatte. An der Oberwelt hatte er sich lustig gemacht über die, die flüsternd und hinter vorgehaltener Hand von dem unheimlichen Wesen sprachen, das durch die Tiefen des Mondes geisterte. Jetzt aber wußte er, daß es ihn tatsächlich gab – den Geist der Positronik. »Obol ...«, ächzte er, als sich die krallenbewehrten Finger um seinen Hals schlossen. Das war der letzte Laut, den Efatern in diesem Leben von sich gab. * »Was haben wir zu befürchten?« sagte Teffernor verächtlich. »Dieser Fremde, der sich Atlan nennt und den ein übler Sternenwind nach Anterf geblasen haben muß, kommt nach Seleterf, um sich über die renitente Positronik zu informieren. Glaubt ihr vielleicht, er könnte sie gefügig machen?«
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»Man sagt«, antwortete Visnjak behutsam, »daß er eigenartige Kräfte beherrscht.« »Pah, Kräfte.« Teffernor machte eine wischende Handbewegung. »Wir gehen ihm aus dem Weg. Er wird sich ein paar Tage lang an OBO-eins vergebens die Zähne ausbeißen und dann wieder verschwinden.« Noch gab Visnjak sich nicht geschlagen. »Atlan war an der Entlarvung Dwins maßgeblich beteiligt«, sagte er. »Ihm haben wir es in erster Linie zu verdanken, daß die Organisation der Erkenner zerschlagen wurde und Narrm an die Macht kam. Was, wenn er nicht nur wegen OBO-eins nach Seleterf kommt? Was, wenn Atlan die Absicht hat, uns unschädlich zu machen?« Teffernor stand auf. Sein Gesicht war verbissen. »Du weißt, daß ich nicht gern an Dwin erinnert werde«, sagte der Zellenführer mit kalter Stimme. »Er nannte sich Bote des Wahren, in Wirklichkeit war er ein ganz fremdes Wesen. Mag sein Geistkörper in der Weltraumkälte erstarren! Aber die Botschaft des Wahren ist ewig, und wir müssen ihr weiterhin folgen. Eines Tages werden wir den Sieg erringen, den der Wahre uns versprochen hat.« Visnjak sah ihn verdutzt an. »Was hat das mit Atlan zu tun?« fragte er. »Nichts«, antwortete Teffernor abweisend. »Von Atlan haben wir nichts zu befürchten.« Um deutlich zu machen, daß er über dieses Thema nicht mehr zu sprechen wünsche, wandte er sich an das dritte Mitglied der Runde. Priparrhn, der Techniker, saß im Hintergrund des Raumes vor einem mit Geräten beladenen Tisch und wachte über die Sicherheit der Verschwörer. »Wie steht’s, Priparrhn?« rief Teffernor. »Rührt sich etwas?« »Nicht in zweihundert Darn Umkreis«, antwortete der Techniker. Teffernor sah sich um. Ein triumphierendes Lächeln spielte um seine schmalen Lippen, und die silberweißen Tasthaare verkündeten seinen Stolz, indem sie steil in die Höhe strebten. »War keine schlechte Idee, daß wir uns dieses Raumes bemächtigten, an den sich niemand mehr zu erinnern scheint, nicht wahr?« sagte er. »Auf diese Weise haben wir einen ständigen Beobachtungsposten nicht mehr als dreißig Darn vom Hauptschacht der Positronik entfernt, und nichts entgeht uns, was auch nur entfernt mit OBO-eins zu tun hat.« »Es war eine geniale Idee«, antwortete Visnjak, der die Notwendigkeit verspürte, sich bei Teffernor wieder ins rechte Licht zu setzen. »Es war eine verteufelte Mühe, den geheimen Gang bis hierher vorzutreiben. Aber es hat sich gelohnt.« »Die Platte kommt«, meldete Priparrhn. Teffernor fuhr herum. »Die Platte?« bellte er. »Was heißt ›die Platte‹? Hat Efatern sie angefordert?« »Nein«, antwortete der Techniker. »Die Platte, auf der Efatern hinuntergefahren ist, ist schon längst wieder oben. Da kommt eine zweite. Sie trägt eine Last.«
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Teffernor trat an die Vorderwand des Raumes. Niemand konnte sehen, was er tat, aber plötzlich entstand in der Wand ein schmaler Spalt. Draußen lag ein hell erleuchteter, hallenartiger Raum. Er war rund, und als Decke diente ihm eine flache Kugel, die mit Leuchtplatten ausgelegt war. Mehrere Zugänge mündeten in die Halle. In der Mitte des Raumes öffnete sich ein Loch von mehr als fünfzehn Metern Durchmesser. Das war der obere Ausgang des Schachtes, der zu den Anlagen von OBO-1 hinabführte. Ein Geländer von einem Meter Höhe, aus beweglichen Sektionen bestehend, umgab das Loch. »Halt die Augen offen, Priparrhn«, gebot Teffernor dem jungen Techniker. »Beim geringsten Anzeichen von Gefahr gibst du das Alarmzeichen.« »Gemacht«, bestätigte Priparrhn. Teffernor und Visnjak zwängten sich durch den Spalt hinaus. Sie traten ans Geländer und blickten in den Schacht hinab. Nach einer Minute erschien in der unergründlichen, finsteren Tiefe ein blasser Fleck. Er wurde größer und deutlicher. Man erkannte den Umriß einer Antigravplatte. Die Kontur eines Körpers zeichnete sich gegen den hellen Hintergrund der Platte ab. Visnjak erschrak. Der Körper lag lang ausgestreckt und bewegte sich nicht. Die Platte kam heran, schwebte auf die Schachtwand zu und verankerte sich in einer Halteritze. Der Reglose war Efatern. Grauen packte Visnjak. Efaterns Augen starrten gebrochen ins Leere. Jemand hatte ihm die Gurgel aufgerissen. Der Angriff mußte überraschend gekommen sein, denn die Waffe stak noch, offenbar unbenutzt, im Mittelgurt. Teffernor schwenkte ein Stück des Geländers beiseite. Er zog den Toten von der Platte und nahm eine oberflächliche Untersuchung vor. Die Antigravplatte löste sich inzwischen aus der Ritze und schwebte nach unten. Teffernor richtete sich auf. »Wir wissen, wer das war«, sagte er. »Obolorn«, antwortete Visnjak dumpf. Teffernors Tasthaare zuckten zum Zeichen der Zustimmung. * Nachdenklich musterte der Arkonide die mit Kratern übersäte Oberfläche des fremden Mondes. Schroffe Gebirgszüge, hier und dort von den Einschlägen schwerer Meteore unterbrochen, zogen sich kreuz und quer durch die leblose Felseinöde. Weite, ebene und nur von wenigen kleinen Kratern durchlöcherte Flächen zeugten von vulkanischer Tätigkeit, die sich in geologisch jüngerer Vergangenheit abgespielt und Teile der Oberfläche mit einem glatten Überzug aus Magma versehen hatte. Seleterf, der Mond des Planeten Anterf. Merkwürdig, dachte Atlan, wie sehr er Luna gleicht. Während die CHYBRAIN sich unter der geschickten Hand des Piloten Uster Brick rasch nach unten senkte, tauchte am Rand des Bildes eine blasenförmige Struktur auf, wanderte ins Bildinnere und hielt an, als sie den Mittelpunkt der Videofläche fast erreicht hatte. Der Kurs der CHYBRAIN verlief jetzt senkrecht zur Mondoberfläche. »Seletan«, sagte Tyari. »Die einzige Stadt des Mondes.« Während das Schiff an Höhe verlor, bemerkte Atlan eine Anzahl kleinerer Blasen, die sich in lockerer Anordnung um Seletan gruppierten. Sie markierten die Orte, an denen der Abbau brauchbarer Mineralien betrieben wurde. Denn das war, seit dem Ausfall der Positronik OBO-1, der einzige Zweck, dem Seleterf noch diente – die Bereitstellung von Rohstoffen für die anterferrantische Industrie. Früher,
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als OBO-1 noch funktionierte, hatte die Einwohnerzahl des Mondes über zwanzigtausend betragen. Jetzt aber zählte Seletan nur noch fünftausend Seelen. Von den Technikern war ein Rumpfkontingent zurückgeblieben, das sich aus zwanzig gelangweilten Spezialisten zusammensetzte. Der größte Teil der Einwohnerschaft war im Bergbau beschäftigt, der Rest machte Bürokratie. »Hafen Seletan an Kiibrajn«, bellte und zischte eine Stimme auf Anterferrantisch aus dem Empfänger. »Landet am markierten Ort.« Drunten, am Fuß des Gebirges, etliche Kilometer von der Energiekugel der Stadt Seletan entfernt, begann ein grelles rotes Licht zu flackern. »Wird gemacht«, brummte Uster Brick und überließ es seinem Translator, die entsprechenden Worte der ortsüblichen Sprache zu finden. Sie taten sich schwer mit der fremden Sprache. Sie beherrschten sie aufgrund intensiver Hypnoschulung in Schrift und gehörtem Wort. Für die Formulierung der anterferrantischen Zisch-, Schnalz- und Bellaute waren die Sprachwerkzeuge der Solaner jedoch denkbar ungeeignet. Beim Sprechen bedienten sie sich daher der altgewohnten und zuverlässigen Translatoren, während Hören und Lesen sich ohne Hilfsmittel bewerkstelligen ließen. Ähnliche Schwierigkeiten hatten, mit umgekehrten Vorzeichen, auch die Anterferranter. Die Verschandelung des Namens »Chybrain« bewies es. Im Hintergrund der Kommandozentrale warteten Hage Nockemann und sein Roboter Blödel. Sie bildeten zusammen mit Tyari Atlans Einsatzteam. Seine Absicht war, die Lage in der Stadt zunächst zu sondieren. Erst wenn er wußte, wieviel Hilfe bzw. Widerstand er von der seletanischen Bevölkerung zu erwarten hatte, wollte er seine eigentliche Aufgabe in Angriff nehmen: die Rekonstituierung der Mammutpositronik OBO-1. Er erwartete auf Seleterf denselben Mischmasch einander befehdender ideologischer Gruppierungen vorzufinden, der auf der Mutterwelt Anterf geherrscht hatte, bevor Dwin entlarvt wurde und die Erkenner des Wahren in der Bedeutungslosigkeit versanken. Es gab keinen Anlaß zu glauben, daß die Normalisierung der Verhältnisse, die auf Anterf in vollem Gang war, schon auf Seleterf übergegriffen hätte. Bei der Auseinandersetzung mit den verschiedenen Interessengruppen hatte er vor, sich auf Tyari zu verlassen. Die beruhigende, suggestive Kraft, die die geheimnisvolle Frau auf die Anterferranter ausübte, hatte ihm seit der ersten Begegnung mit diesen den Weg geebnet. Er war sicher, daß es auf Seleterf nicht anders sein würde. Das flackernde rote Licht befand sich im nördlichen Drittel eines zweihundert Quadratkilometer großen Feldes, das den Raumhafen Seletan darstellte. Mehrere Mondfähren unbedeutender Größe standen über die weite Fläche verstreut. Uster Brick landete die CHYBRAIN unmittelbar neben der Markierung. Nachdem die Aggregate ausgelaufen waren, breitete sich die geringe Schwerkraft des Mondes im Innern des Schiffes aus. Sie betrug ein Fünftel des gewohnten Wertes. »Hafenkontrolle Seletan an Kiibrajn«, meldete sich eine anterferrantische Stimme. »Wir schicken euch einen Evakuierungsschlauch. Bezeichnet die Stelle, an der er angelegt werden soll. Luftmischung achtundzwanzig Prozent Sauerstoff, zweiundsiebzig Prozent inert. Angenehm?« »Sehr angenehm«, bestätigte Uster Brick. »Luftdruck 1045 Millibar, Temperatur dreiundzwanzig Grad.
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Angenehm?« »Angenehm.« »Gut. Habt ihr sonst noch Wünsche?« Atlan trat an die Konsole. »Wir brauchen Fahrzeuge. Stellt ihr sie uns zur Verfügung, oder sollen wir unsere eigenen benützen?« »Negativ auf zweite Hälfte der Frage. In Seletan sind nur stadteigene Verkehrsmittel zugelassen. Wir schicken euch Wagen, soviel ihr braucht.« »Schickt uns ein Fahrzeug für vier Personen, das genügt vorerst«, sagte Atlan. »Ich wünsche, das Stadthaupt zu sprechen.« »Yurrht? Ich werde ihm deine Bitte übermitteln, Fremder.« Damit war das Gespräch beendet. Aus der Fläche des Landefelds stieg ein wirbelnder Nebelstreif. Er wurde länger und länger und schob sich, ohne den Kontakt mit dem Boden zu verlieren, auf die CHYBRAIN zu. Uster Brick nahm hastig ein paar Schaltungen vor, die zur Folge hatten, daß rings um die große Schleuse im unteren Drittel des Schiffs die bunten Markierungen aufleuchteten. Dann starrte er gebannt auf den Bildschirm. Der Nebelstreif hatte inzwischen die Form einer langgestreckten, hin und her tanzenden Windhose angenommen. Als die Schleusenlampen aufleuchteten, wurde die Bewegung des wirbelnden Trichters zielsicherer. Er schob sich ruckartig auf die markierte Schleuse zu. »Donnerwetter«, staunte Uster Brick. »Sie machen das alles mit Energie.« Draußen war das weiße, wirbelnde Gebilde zum Stillstand gekommen. Es war zu sehen, wie es unter dem Einfluß der einströmenden Luftmassen zuckte und sich zu einem Schlauch von mehr als acht Metern Durchmesser aufblähte. Sekunden später kam die Meldung der Hafenkontrolle: »Evakuierungsschlauch steht. Ihr könnt die Schleuse öffnen. Das gewünschte Fahrzeug ist unterwegs.« * Kulia Aogi saß in ihrem Versteck und versuchte, die neue Lage zu analysieren, die sich durch die Landung des fremden Raumschiffs auf Seleterf ergeben hatte. Eines stand von vornherein fest: Vorteil brachten ihr die Fremden nicht. Seit vier Anterf-Jahren befand sie sich hier. Behutsam hatte sie sich an ihre Aufgabe herangemacht, mit Sorgfalt und Bedacht einen Schritt nach dem anderen getan, wohl wissend, daß Ungeduld ihrem Vorhaben nur hinderlich sein könne. Der Erfolg war nicht ausgeblieben. Stück für Stück hatte sie die störrische Riesenmaschine unter ihre Kontrolle gebracht. Schritt für Schritt hatte sie die Mängel beseitigt, die aus Jahrzehnten der Vernachlässigung resultierten. Es war ihr gelungen, bis an die Peripherie des nichtlöschbaren
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Gedächtnisses vorzudringen und die Instruktionen zu lesen, die dort gespeichert waren. Seitdem wußte sie, wie die große Maschine früher funktioniert hatte. Von da an drehte es sich nur noch darum, eine Methode zu finden, wie das unlöschbare Basisprogramm durch ein anderes, von ihr selbst entwickeltes, ersetzt werden könnte. Wie lange würde das noch dauern? Im schlimmsten Fall sieben Jahre, hatte sie gerechnet. Zeit spielte keine Rolle. Die Feindschaft zwischen den Völkern von Bars und Farynt war Jahrhunderte alt. Wer den entscheidenden Schlag führen wollte, mußte in erster Linie Geduld besitzen. »Wir schicken die geduldige Kulia«, hatten sie im Prezzar-Mydonium gesagt, und ihre Antwort war gewesen: »Geduld habe ich schon; nur müßt ihr euch darum sorgen, daß mir das Leben nicht vor der Geduld ausgeht.« Denn wie alle Prezzarerhalter stand sie in hohem Alter, und obwohl sie sich körperlich und geistig gesund fühlte, konnte man nie wissen, wann der Zeitpunkt kommen würde, da sie in die Unaussprechliche Weite abgerufen wurde. Mit der Maschine, soweit diese ihr zugänglich war, unterhielt sie ein fast freundschaftliches Verhältnis. Sie nannte sie »Qarsinoor«, was in der Sprache ihres Volkes soviel bedeutete wie »kleiner Diener«. Manchmal verbrachte sie Stunden in einem der Kontrollräume und unterhielt sich mit Qarsinoor, der wie ein organisches Wesen zu denken und zu sprechen vermochte. Jetzt war mit einem Schlag alles anders geworden. Dem Fremden, der sich Atlan nannte, ging ein wunderbarer Ruf voraus. Dank Qarsinoors Hilfe war Kulia über alles, was sich im Raumsektor Anterf abspielte, bestens informiert. Atlan kam nach Seleterf, um OBO-1 wieder in Betrieb zu nehmen. Es hatte auf Anterf eine Art Revolution gegeben. Der ewige Streit der Ideologen war beendet, das Leben schien sich zu normalisieren. Um aber die Stabilität des jungen Staates garantieren zu können, bedurfte die Regierung jener Dienste, die nur OBO-1 leisten konnte. Zu diesem Zweck kam Atlan nach Seleterf: Er wollte die Maschine reaktivieren. Kulia war klar, daß sie aus der Geborgenheit ihres Verstecks nicht entscheiden konnte, welchen Einfluß der Fremde auf ihre Pläne ausüben würde. Nur von ihm selbst konnte sie erfahren, ob er eine Gefahr darstellte oder nicht. Sie würde sich an Atlan heranmachen müssen. Vor Kulia auf dem Tisch lag ein kleines, schmuckloses Kästchen. Sie gab ihm einen Schubs und sagte: »Marcoyn, wir müssen wieder hinaus an die Öffentlichkeit. Macht dir das Spaß?« Aus dem Kästchen antwortete eine quarrende Stimme. »Öffentlichkeit? Viel Fremd’, wo stink’. Nix Spaß.« Kulia lachte. Die abgehackte, vokabelarme Sprechweise ihres halbintelligenten Begleiters erheiterte sie jedesmal von neuem. O ja, sie wußte, daß Marcoyn einen empfindlichen Geruchssinn besaß. »Und wenn sie auch noch so stink’«, sagte sie nachdenklich, »es gibt keine andere Möglichkeit, an Atlan heranzukommen.«
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2. Yurrht, das Stadthaupt, war eine imposante Erscheinung. Er stand an die zwei Meter groß, besaß untypisch breite Schultern und sprach mit einer Stimme, deren Volumen Visionen einer Herde wildgewordener Löwen hervorrief. Der Prunk und das Gefolge, mit denen Yurrht sich umgab, standen in keiner Relation zu seinem Amt als Haupt einer bescheidenen Kleinstadt, und Atlan mußte froh sein, daß ihm ganz ohne Umschweife eine Audienz gewährt worden war. Das Stadthaupt empfing die fremde Delegation in einem mit Skulpturen, Gemälden, bunten Teppichen und allerlei Schnickschnack dekorierten Saal. Yurrht saß auf einer Art Thronsessel, vor dem im Halbkreis Stühle für die Besucher aufgestellt waren – auf niedererer Ebene, versteht sich. Hinter dem Thron standen mehr als zwanzig Beamte minderen Ranges. Seitwärts war ein Tisch mit technischem Gerät aufgestellt. Daran hantierte ein Techniker, dessen Aufgabe es war, darauf zu achten, daß jedes Wort der Unterhaltung zwischen dem Stadthaupt und seinen Gästen sorgfältig aufgezeichnet wurde. »Ihr seid also gekommen«, begann Yurrht mit dröhnender Stimme, »um OBO-1 instand zu setzen. Traut ihr euch das zu?« Seine großen, irisierenden Augen war auf niemand im besonderen gerichtet. Der nach der letzten Mode eingefärbte Pelz des Anterferranters schimmerte verwirrend im Widerschein der zahllosen Lampen. Atlan hatte versäumt, mit seinen Begleitern die Taktik der Verhandlungsführung zu vereinbaren. Als er antworten wollte, kam Blödel ihm zuvor. »Das ist eine seltsame Frage«, quäkte der Robot und richtete sein einziges, großes Auge auf das Stadthaupt. »Wenn wir von vornherein sicher gewesen wären, daß wir hier nichts ausrichten könnten, dann hätten wir uns die Mühe gespart, meinst du nicht auch?« Yurrht wirkte irritiert. »Wer ist dieser ... dieser ...«, begann er. »Mein mechanischer Freund«, antwortete Atlan. »Er besitzt eine überragende Intelligenz, dafür jedoch ein nur bruchstückhaftes Verständnis der guten Sitten.« Yurrhts breiter Mund verzog sich zu einem verständnisvollen Grinsen. »Geht es uns nicht allen so?« sagte er gutgelaunt. Dann wandte er sich in Richtung des Technikers und donnerte: »Kriegst du das alles mit, Priparrhn?« »Alles, Stadthaupt«, kam die Antwort des jungen Technikers. »Jedes Wort wird festgehalten.« »Also«, meinte Yurrht jovial, »dann wollen wir uns den wichtigen Dingen zuwenden. Wie habt ihr euch die Durchführung eurer Aufgabe vorgestellt?« »Zunächst brauchen wir Informationen«, antwortete der Arkonide. »Es gibt hier einen Stab von Technikern, der für die Positronik zuständig ist. Ich will erfahren, wie OBO-eins früher gehandhabt wurde. Ich brauche einen Plan der unterirdischen Anlagen. Sobald wir alle erforderlichen Daten gesammelt haben, wollen wir der Positronik zunächst mit Sonden zu Leibe rücken.«
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»Das ist ein bedeutender Aufwand«, bemerkte das Stadthaupt nachdenklich. »Wer soll dafür aufkommen?« Atlan nickte Tyari zu. »Narrm, der in diesem Augenblick die Regierungsgewalt auf Anterf ausübt«, sagte die junge Frau, die in allen Artmerkmalen Atlan so verblüffend glich, daß man die beiden für Angehörige ein und desselben Volkes halten mußte, »erteilt dir durch mich den Auftrag, uns in jeder Hinsicht behilflich zu sein. Die Lage auf Anterf beginnt sich zu stabilisieren – zum Vorteil aller. Aber die völlige Wiederherstellung des Gleichgewichts läßt sich nur erreichen, wenn OBO-eins wieder in Gang gesetzt wird.« Yurrht musterte Tyari mit eigentümlichem Blick. »Fremde«, sagte er schließlich, »ich weiß nicht, ob mich Narrms Aufträge etwas angehen. Dort auf Anterf haben jahrzehntelang Gruppen verschiedener Gesinnung gegeneinander gekämpft – dieselben Gruppen, die auch in der Bevölkerung von Seletan vertreten sind. Auf Seleterf ist das bislang nicht der Fall. Als Stadthaupt bin ich zur ideologischen Neutralität verpflichtet. Narrm geht mich so wenig an wie Dwin.« Atlan bemerkte, wie Tyari bei den ersten Worten des Stadthaupts zusammenzuckte. Yurrht hatte auf herablassende Art zu ihr gesprochen. Von der suggestiv-beruhigenden Wirkung, die sie auf die Anterferranter an Bord der TEUCER und auf Anterf ausgeübt hatte, war nichts zu spüren. »In welcher Hinsicht willst du uns überhaupt behilflich sein?« erkundigte sich der Arkonide. »Laß uns das von Fall zu Fall entscheiden«, schlug Yurrht vor. »Wenn du ein Anliegen hast, wende dich an mich. Ich entscheide dann darüber, ob ich deinem Wunsch stattgeben kann oder nicht.« Er verzog von neuem den Mund. »Im übrigen glaube ich nicht, daß ihr viel ausrichten werdet.« »Warum nicht?« fragte Atlan verblüfft. »Ich sage nur ein Wort«, antwortete das Stadthaupt mit theatralischer Geste: »Obolorn.« »Was ist das – Obolorn?« fragte Blödel. »Der Geist der Positronik«, erklärte Yurrht im Tonfall eines Verschwörers. »Der Geist der Positronik?« echote der Robot ungläubig. »Was soll der Unsinn? Wie kann einer, der sich für fortgeschritten und aufgeklärt hält, an Geister glauben?« Yurrhts Blick suchte den Arkoniden. »Dein Blechfreund hat ein böses Maul«, sprach er voller Entrüstung. »Bring ihm entweder Manieren bei oder laß ihn beim nächsten Mal zu Hause.« Atlan hatte inzwischen eingesehen, daß sich aus dieser Unterredung kein nennenswerter Profit werde
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schlagen lassen, und griff das Stichwort auf. »Apropos zu Hause«, sagte er. »Wo in Seletan können wir unterkommen?« Yurrht zögerte eine Sekunde. »An sich hätte ich keinen Anlaß, jemand, der sich mir in Begleitung eines aufsässigen Roboters nähert, Gastfreundschaft zu zeigen. Aber laß mich dir zeigen, wie großmütig ich sein kann. Die Stadt Seletan unterhält seit ihrer Gründung Gastunterkünfte für offizielle Besucher. Eine solche Unterkunft stelle ich dir zur Verfügung.« »Ich danke dir«, sagte Atlan. »Freilich mußt du bedenken, daß wir schon seit fünfzehn Jahren keinen offiziellen Besuch mehr hatten. Die Unterkünfte befinden sich in dementsprechendem Zustand.« »Mit anderen Worten«, schnarrte Blödel, »verwanzt und verdreckt.« * »Nicht die geringste Wirkung«, sagte Tyari niedergeschlagen. Sie stand am Fenster und blickte hinab auf die Straße. Atlan trat hinzu und legte ihr die Hände auf die Schultern. »Ich weiß, wie das ist«, sagte er mit freundlichem Spott. »Man hält sich für einen Halbgott, und plötzlich kommt einem einer in die Quere, der für die magischen Kräfte in keiner Weise empfänglich ist.« Sie fuhr auf. »Nicht nur einer«, sagte sie heftig. »Sie alle waren unempfindlich. Warum ist das so?« »Das mag Tyar wissen«, antwortete Atlan. »Als er dich schuf, stattete er dich mit gewissen Fähigkeiten aus. Unter welchen Umständen sie wirksam sind, und unter welchen nicht, das zu ermitteln, überläßt er offenbar dir selbst.« Die Unterkunft lag im dritten Stockwerk eines Gebäudes, das aus standardisierten Fertigteilen ausgeführt war und seinen Nachbarn zur Rechten und zur Linken sowie den Häusern drüben auf der anderen Seite der Straße glich wie ein Ei dem anderen. Sie befanden sich am nördlichen Rand der Stadt. Die Straße endete, hundert Meter weiter links, vor einem rotleuchtenden Warnzaun, hinter dem sich die durchsichtige Wand der Energiekugel erhob. Wenn man das Fenster öffnete und sich weit hinauslehnte, konnte man in etlichen Kilometern Entfernung die CHYBRAIN stehen sehen. In diesem Stadtviertel machte sich deutlich bemerkbar, daß die
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Einwohnerzahl von Seletan nur noch ein Viertel des von den Planern anvisierten Wertes betrug. Die Häuser waren durchweg unbewohnt. Auf der Straße lag fingerdick der Staub, und durch den staubigen Belag zog sich eine frische, breite Furche, die von dem Fahrzeug gezogen worden war, das die Gäste hierhergebracht hatte. Der Wagen stand vor dem Haupteingang, ein geräumiger Gleiter mit einem Schwebemotor, dessen Leistung zu wünschen übrig ließ. Die Unterkunft bestand aus acht Räumen, die kleinen Hygienezellen mit eingerechnet. Für die Zubereitung von Speisen stand den Gästen eine automatische Küche zur Verfügung. Sie hatten auf Anterf Gelegenheit gehabt festzustellen, daß anterferrantische Nahrung schmackhaft war und sich bestens mit solanischen Mägen vertrug. Kein Wunder also, daß Hage Nockemann seine Aufmerksamkeit ohne Zögern den Küchenautomaten zugewandt hatte. Er tauchte durch eine Gleittür im Hintergrund des Raumes auf und balancierte ein Tablett mit einer Schüssel dampfenden Inhalts sowie einem Becher, in dem eine gelblichrote Flüssigkeit schwappte. »Vorzüglich, vorzüglich«, murmelte er, ließ sich an dem großen Tisch nieder und begann zu löffeln, als hätte er seit einer Woche nichts mehr gegessen. »An deiner Stelle wäre ich vorsichtig, Hage«, warnte der Arkonide. »Die Einrichtungen des Quartiers sind wahrscheinlich seit Jahren nicht mehr gewartet worden. Wer weiß, was die Automatik dir da serviert hat.« Mit einem entschiedenen Kopfschütteln wies der Wissenschaftler die Warnung zurück. »Nichts, was so gut schmeckt«, brummte er mit vollem Mund, »kann schädlich sein.« Sprach’s und spülte den letzten Bissen mit einem kräftigen Schluck des exotisch aussehenden Getränks hinunter. Aus einem Nebenraum trat Blödel, der Spezialrobot mit der Körperform eines überdimensionierten Ofenrohrs. Der Blick des großen, lumineszierenden Auges war auf einen kleinen Gegenstand gerichtet, den er mit den Greifwerkzeugen des rechten, zur Hälfte ausgefahrenen Armes hielt. »Jemand spielt unehrlich«, schnarrte er. Er reichte Atlan den Gegenstand. Der drehte das Ding ein paarmal hin und her und sagte überrascht: »Ein Hör- und Sehsensor. Ein Überwachungsgerät. Wo hast du es her?« »Aus der Wand eines Raumes, der mir großzügigerweise als Privatquartier zur Verfügung gestellt wurde«, antwortete Blödel schnippisch.
»Na klar«, knurrte Hage Nockemann. »Du nimmermüdes Genie machst in der Nacht so viel Krach, daß kein vernünftiger Mensch schlafen kann.« »Und wer ist daran schuld?« entgegnete der Robot aufgebracht. »Wer hat mich aus Abfallmetall zusammengesetzt, so daß ich bei jeder Bewegung klappere und ...« »Ruhe!« fuhr Atlan dazwischen. »Das braucht nicht unbedingt auf uns gemünzt zu sein. Vermutlich ist es in Seletan allgemein üblich, daß man Gäste ...«
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»Mitnichten«, fiel ihm Blödel ins Wort. »Das Ding ist erst vor kurzem angebracht worden, und zwar in höchster Eile.« Atlan sah Tyari an. Sie verstand die unausgesprochene Frage. »In Yurrhts Gedanken war nichts davon«, erklärte sie. »In den Gedanken der anderen?« »Ich habe nur Stichproben gemacht«, antwortete Tyari. »Mir ist nichts Verdächtiges aufgefallen.« Sie war eine potente Telepathin mit einem weitaus kräftigeren Psi-Potential als Sternfeuer und sogar Bjo Breiskoll. Wochenlang hatte sie aus dieser ihrer Fähigkeit ein Geheimnis gemacht. Erst vor kurzem hatte Atlan davon erfahren. »Komm mit, Blödel«, sagte der Arkonide. »Wir müssen sämtliche Räume untersuchen.« Tyari und Nockemann schlossen sich an. Im ersten Raum sah der Robot sich um. Sein Sehvermögen war leistungsfähiger und funktionierte nach anderen Prinzipien als das der Solaner. Er wies auf eine Stelle der rückwärtigen Wand, die sich in den Augen der anderen durch nichts von der restlichen Wandfläche unterschied. »Dort«, sagte er kurz. Er trat auf die bezeichnete Stelle zu und begann, an dem mattgelben Glasurüberzug zu kratzen. Das Material zerbröckelte unter seinen stählernen Greifwerkzeugen. Ein Loch kam zum Vorschein. »Die Glasur an dieser Stelle wurde erst vor kurzem aufgetragen«, erklärte Blödel. »Ich habe eine chemische Analyse der Substanz angefertigt. Sie erstarrt binnen zwei Stunden zu ihrer endgültigen Härte. Ich schätze daher, daß die Anbringung der Sensoren vor vierzig bis sechzig Minuten erfolgte.« Hage Nockemann trat hinzu. Blödel nahm den Sensor aus dem Loch in der Wand. Er besaß keinerlei Anschluß. Was er hörte und sah, wurde mit Hilfe eines kleinen, aber komplexen Senders übertragen, der in den daumengroßen Behälter eingebaut war. Nockemann untersuchte die Wand. »Ziemlich schlampige Arbeit«, meinte er. »Kein Wunder«, lachte Atlan. »Dem Kerl brannte die Zeit unter den Nägeln. Er mußte jede Sekunde damit rechnen, daß wir ihn überraschten. Ich frage mich nur, wie er hereinkam.« »Nicht über die Straße, sonst hätten wir seine Spur gesehen«, meinte Tyari. »Also von oben«, schloß Atlan. »Von oben – aber wie?« meldete sich Hage Nockemann zu Wort. »Ich stieg als erster aus dem Antigravschacht. Auf dem Treppenabsatz vor unserer Tür liegt ebenfalls Staub. Ich hätte die Abdrücke
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sehen müssen, wenn es welche gegeben hätte.« Blödel hatte sich inzwischen entfernt. Nach wenigen Minuten kehrte er mit weiteren sechs Sensoren zurück. »Das sind sie alle«, erklärte er. »Jeder Raum besaß einen. Unser unbekannter Besucher hat zwar schlampige, aber dennoch ganze Arbeit geleistet. Im übrigen erlaube ich mir, meiner erlauchten Zuhörerschaft eine weitere Entdeckung zu melden«, sagte er. »Was ist das?« »Kommt mit.« Er führte sie in eine der beiden Hygienezellen. Er wies auf das Kachelmuster der einzigen freien Wand. Sie erkannten sofort, was er meinte. Die Wandverkleidung entsprach in ihrer Farbgebung der anterferrantischen Vorliebe für Buntheit. Lediglich eine rechteckige Fläche, zwei Meter hoch und einen Meter breit, war mit eintönig braunen Kacheln ausgelegt. Blödel drückte mit der Hand gegen eine der Kacheln. Ein zischendes Geräusch ertönte, und das braune Rechteck schwenkte zur Seite. Ein Schacht wurde sichtbar. An der Seitenwand war eine simple, polymermetallene Leiter montiert. Der Schacht war finster. Nockemann holte eine Lampe herbei. Sie überzeugten sich, daß der Schacht und die Leiter vom Erdgeschoß bis hinauf zum Dach führte. »Ein Notausgang«, staunte Atlan. »Für den Fall eines Brandes.« Er untersuchte die gekachelte Tür. »Nicht schlecht gemacht. Luftdicht. In diesem Haus braucht sich niemand vor Feuer zu fürchten.« Er schwang sich in den Schacht und begann, die Leiter emporzusteigen. »Ich nehme an«, rief er den Wartenden zu, »daß unser geheimnisvoller Gast auf diesem Weg Zutritt gefunden hat. Ich sehe mich oben um.« Jenseits des fünften Stockwerks gelangte er an ein Luk. Er stemmte es in die Höhe und blickte hinaus auf das flache Dach. Auch hier hatte sich in den langen Jahren der Vernachlässigung eine dicke Staubschicht angesammelt. Er sah die Spur sofort. Sie bestand aus zwei Serien von Fußabdrücken und kam von dem der Straße abgewandten Rand des Daches her. Er kletterte durch die Luköffnung und folgte der Fährte. Sie führte zu einer Stelle, an der der Staub ganz und gar beiseite gewirbelt worden war, vermutlich von der Turbulenz, die ein landendes bzw. startendes Fahrzeug hervorgerufen hatte. Es mußte sich um ein kleines Gefährt gehandelt haben, denn der größte Durchmesser der staubfreien Fläche betrug nicht mehr als drei Meter. Damit hatte er genug gesehen. Er kehrte zu den Gefährten zurück und versäumte dabei nicht, das schwere Luk zu schließen. »Wie geahnt«, sagte er. »Er kam mit einem Einmanngleiter, landete auf dem Dach und kletterte über die Feuerleiter herunter.« »Zeit genug hatte er«, brummte Nockemann mißmutig. »Es war gewiß kein Zufall, daß Yurrht uns ausgerechnet den lahmsten Wagen aus seinem Fahrzeugpark zur Verfügung stellte.« »Dessen bin ich mir nicht sicher«, antwortete der Arkonide nachdenklich. »Wenn Yurrht etwas derartiges im Sinn gehabt hätte, dann wäre es Tyari nicht entgangen.«
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* Der Tag-und-Nacht-Rhythmus der Stadt Seletan richtete sich nach der Rotationsdauer des Mutterplaneten Anterf. Im Zenit der energetischen Kuppel schwebte ein Heliostrahler, dessen Strahlungscharakteristiken denen der Sonne Barsanter nachgebildet waren. Wenn die Nacht anbrach, wurde er abgeschaltet – nicht plötzlich, sondern so, daß eine halbstündige Periode der Dämmerung entstand. Barsanter freilich machte, da Seleterf sich nur einmal in 230 Stunden um die eigene Achse drehte, bei diesem Spiel nicht mit. Als zusätzliche Maßnahme wurde während der Nacht also auch die Kuppel zu 90 Prozent undurchsichtig gemacht. Atlan hatte die Ruhe nötig, aber noch Stunden, nachdem er es sich auf dem hochbeinigen anterferrantischen Bett bequem gemacht hatte, floh ihn der Schlaf. Seine Gedanken kehrten zurück zu dem Augenblick, da Cara Doz, die Pilotin der SOL, das riesige Schiff in den Trichter des Nichts gesteuert hatte, von dem eigentlich Wöbbeking hätte verschlungen werden sollen. Während der langen Reise durch das Nichts war plötzlich Wöbbeking auf mentaler Ebene hörbar geworden und hatte den gespannt lauschenden Solanern die erstaunliche Geschichte zweier Galaxien erzählt, Bars und Farynt, die sich vor Jahrhunderten miteinander vereinigt hatten und seitdem die Doppelgalaxis Bars-2-Bars bildeten. Zwischen den Völkern der beiden Sterneninseln entspann sich alsbald eine ebenso törichte wie blutige Fehde, die bald dazu führte, daß sowohl in Bars wie auch in Farynt aller zivilisatorische Fortschritt zum Stillstand kam. Das Ganze hätte als das Produkt einer ungnädigen Laune des Kosmos gelten können, wenn Wöbbeking nicht hätte durchblicken lassen, daß die Vereinigung von Bars und Farynt in Wirklichkeit auf einen Plan zurückging, den mächtige Wesen ins Werk gesetzt hatten. Innerhalb der Überlappungszone der beiden Galaxien, deren Hauptebenen senkrecht aufeinander standen, so daß sie aus der Ferne den Anblick eines gleichschenkeligen Kreuzes vermittelten, befand sich laut Wöbbeking der Zugang zur Namenlosen Zone, das einzige »Loch«, durch das die ins Exil verbannte Superintelligenz Anti-ES in diesem Universum wirksam werden konnte. Die Anterferranter waren derzeit die führende Zivilisation im Bereich der Galaxis Bars, gewissermaßen die Nachfolger der Vlahreser, die einst die hervorragende Rolle gespielt hatten – jenes Volks, aus dem Kik hervorgegangen war. Mit den Anterferrantern hatte die SOL Kontakt aufgenommen, nachdem sie aus dem Nichts materialisierte. Das große Schiff war übrigens beim ersten Linearflug – offenbar infolge der abrupten Freisetzung gewaltiger Energiemengen, die sich während des Flugs durch das Nichts aufgestaut hatten – schwer beschädigt worden und hatte sich nur mit Mühe bis nach Anterf schleppen können, wo es jetzt vor Anker lag. Die Dauer der Reparaturarbeiten wurde auf mehrere Wochen geschätzt. Die Zeit, die ihm somit zur Verfügung stand, gedachte der Arkonide zu nutzen, um der anterferrantischen Zivilisation, soweit es in seinen Kräften stand, wieder auf die Beine zu helfen. Seine Motivierung war nicht gänzlich uneigennützig. Die Anterferranter – ebenso wie ihre faryntischen Gegenspieler, die Beneterlogen – empfanden die Koppelung der beiden Galaxien als widernatürlich. In ihrem Sprachgebrauch war die Redewendung vom »Krebsgeschwür Bars-2-Bars« längst zum Alltagsbegriff geworden. Sie strebten nach der Entkoppelung der beiden Sterneninseln, ein Streben allerdings, das durch die Stagnation ihrer Technik nachdrücklich behindert wurde. Atlan seinerseits hoffte, hier an Anti-ES heranzukommen und damit an die Koordinaten von Varnhagher-Ghynnst. Nun mochte es sich recht bombastisch anhören, wenn jemand die Absicht äußerte, zwei Galaxien, jede mit Dutzenden von Milliarden Sonnen, voneinander zu trennen. Aber wenn man Wöbbekings Bericht glauben wollte, dann waren bei der Vereinigung von Bars und Farynt geheimnisvolle Kräfte im Spiel gewesen, die in
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latenter Form bis auf den heutigen Tag im Innern der Überlappungszone existierten. Es ging nur darum, diese Kräfte wieder aktiv werden zu lassen und sie richtig zu nutzen. Soweit war es allerdings noch lange nicht. Im Augenblick konzentrierte sich die Aufmerksamkeit des Arkoniden darauf, wie den Anterferrantern wieder auf die Beine geholfen werden könne. Sein Ziel war zunächst die Wiederherstellung der Riesenpositronik OBO-1. Narrm, der derzeit auf Anterf den Ton angab, hatte ihm seinen Sicherheitschef Shorrn mitgegeben. Vorsichtig, wie er war, hatte Atlan Shorrn zunächst an Bord der CHYBRAIN zurückgelassen. Er kannte die politische Konstellation auf Seleterf nicht, und es war keineswegs selbstverständlich, daß ein Vertreter der Regierung in Seletan mit offenen Armen empfangen würde. Wie die Unterhaltung mit Yurrht auswies, hatte er sich darin nicht getäuscht. Morgen allerdings, sagte er sich, während die Müdigkeit auf die Lider zu drücken begann, würde er Shorrn in die Stadt holen. Weiter kam er nicht mit seinen Gedanken. Der Schlaf hatte ihn schließlich eingeholt. * Ein zischendes Geräusch weckte ihn. Er fuhr in die Höhe und glitt aus dem Bett. Dabei unterschätzte er die Länge der Bettpfosten, verlor das Gleichgewicht und prallte mit der Schulter gegen die Wand. Irgendwo aus der Dunkelheit kam eine anterferrantische Stimme: »Lumpenzeug, verdammtes! Willst du mich endlich loslassen? Behandelt man so einen Gast?« »Gäste kommen bei uns durch die Vordertür«, antwortete eine helle, durchdringende Stimme. »Außerdem erscheinen sie gewöhnlich bei Tag und nicht mitten in der Nacht. Du bist höchst verdächtig, Bursche.« Atlan grinste, während er hastig in die Montur schlüpfte. Es brauchte sich niemand Sorgen zu machen, solange Blödel wachte. Das Zischen war durch das Öffnen der Tür des Notausgangs verursacht worden. Das feine Gehör des Roboters hatte den nächtlichen Eindringling wahrscheinlich schon wahrgenommen, als er auf dem Dach das Luk öffnete. Er schaltete die Beleuchtung des Hausflurs ein. Vor der offenen Tür der Hygienezelle stand Blödel mit seinem Gefangenen, den seine tentakelartigen, zur vollen Länge von zwei Metern ausgefahrenen Arme wie Fesseln umschlangen. Der Anterferranter war ein stämmiges Geschöpf, nicht besonders groß, aber kräftig gebaut. Zornige, aber kluge Augen musterten den Arkoniden. An einem der Dreiecksohren des Fremden fehlte die Spitze. Über sein Gesicht liefen mehrere Narben, auf denen der Pelz nicht nachgewachsen war. Er trug die übliche, aus drei breiten Gurten bestehende Kleidung und hatte auf alle modische Einfärbung der Körperbehaarung verzichtet. »Wer bist du?« fragte Atlan. »Pluuslock«, kam zischend die Antwort. »Der Leitende Bergwerksingenieur.« Atlan erinnerte sich.
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Narrm hatte von Pluuslock gesprochen. Die ideologischen Verhältnisse auf Seleterf waren verworren und keineswegs nur eine miniaturisierte Spiegelung der Zustände auf dem Mutterplaneten. Pluuslock, hatte Narrm gesagt, sei einer von denen, die mit ihrer Philosophie den Aktiven (jetzt nannten sie sich die Diener der Wissenden) am nächsten stünden. »Was führt dich zu uns?« wollte der Arkonide wissen. »Willst du dieser verdammten Blechbüchse nicht endlich klarmachen, daß sie mich loszulassen hat?« grollte der Anterferranter. Atlan hob warnend den Finger. »Ich rate dir, dich mit Blödel gut zu stellen, wenn du mit uns ins Geschäft kommen willst. Immerhin hat er nicht mehr als seine Pflicht getan. Man steigt bei uns nicht mitten in der Nacht über die Feuerleiter ein.« »Es blieb mir keine andere Wahl«, schnalzte Pluuslock. »Ich nehme an, daß Teffernors Spitzel ringsum auf der Lauer liegen.« Atlan nickte Blödel zu. »Laß unseren Freund los«, gebot er. »Freund, ha!« machte der Robot verächtlich, zog jedoch gehorsam seine Arme wieder ein. Inzwischen war es ringsum lebendig geworden. Tyari erschien unter der Tür ihres Zimmers. Atlan konnte nicht anders, er mußte ihr einen bewundernden Blick zuwerfen. Sie wirkte frisch und ausgeruht, und es gab so schnell keinen Mann, der sich der Wirkung ihres Anblicks ohne weiteres hätte entziehen können. Ganz anders Hage Nockemann: Angetan mit seinem schludrigen Habitus, tauchte er schlurfenden Schrittes aus seinem Schlafgemach auf, wischte sich die Augen und erkundigte sich ungnädig: »Welcher Tölpel weckt einen mitten in der Nacht aus dem Schlaf?« »Ich war’s nicht«, bemerkte Blödel pikiert. Atlan führte den unerwarteten Besucher in den Aufenthaltsraum – jenen, dessen großes Fenster zur Straße hinausging. Er verließ sich auf seinen Instinkt. Pluuslock erschien ihm vertrauenswürdig. Nachdem der Anterferranter sich in einen bequemen Sessel plaziert hatte, fragte er von neuem: »Was führt dich zu uns?« »Ich hörte, es seien Fremde unterwegs, um OBO-eins in Ordnung zu bringen«, antwortete Pluuslock. »Wir wissen hier auf Seleterf, was sich auf Anterf abgespielt hat und daß Narrm jetzt den Ton angibt. Wir begreifen auch, daß Narrm sich nur dann auf Dauer halten kann, wenn es ihm gelingt, OBO-eins wieder in seinen ursprünglichen Stand zu versetzen. Meine Freunde und ich dachten also, es wäre verdienstvoll, wenn wir euch beistünden.« Atlan nickte. »Ich bin für dein Angebot dankbar«, sagte er.
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»Was weißt du über OBO-eins?« erkundigte sich Pluuslock. Die Frage überraschte den Arkoniden. »Ich weiß, daß es sich um ein zentralisiertes positronisches System handelt, das Dienstleistungen auf allen Sektoren der Technik, des Handels, des Verkehrs und der Verwaltung bringt. Die Welt, von der ich komme, besitzt eine ähnliche Einrichtung. Sie nennt sich NATHAN. Ich nehme an, daß zwischen OBO-eins und NATHAN nur geringfügige Unterschiede bestehen.« »Warum, glaubst du, funktioniert OBOeins nicht mehr?« »Die Zivilisation der Galaxis Bars ist im Rückschritt begriffen«, antwortete Atlan und hütete sich wohlweislich, den Begriff Bars-2-Bars zu gebrauchen, der den Anterferrantern ein Greuel war. »Wir alle wissen, auf welches unheilvolle Ereignis dies zurückzuführen ist.« Pluuslock machte mit Nachdruck die Geste der Zustimmung. »Je weiter der Zerfall fortschritt, desto weniger wurde OBO-eins beansprucht. Das war der Anfang. Später wurde die Wartung vernachlässigt. Aus den Unterlagen geht hervor, daß zwischen zwei Wartungsvorgängen zum Schluß mehrere Jahre verstrichen. OBO-eins muß letzten Endes zu dem Schluß gekommen sein, er werde nicht mehr gebraucht. Daraufhin desaktivierte er sich selbst.« »Das ist richtig so«, bestätigte Pluuslock. »Und warum gelang es nicht, OBO-eins zu reaktivieren?« »Vermutlich fehlte es denen, die solche Versuche unternahmen, an technischer Kenntnis.« »Da vermutest du falsch, Fremder. Dwin und seine Erkenner des Wahren hatten zwar gegen den Verfall nichts einzuwenden. Ihnen war das Durcheinander gerade recht. Aber Narrm ist weitsichtig. Er wußte von Anfang an, daß es ohne OBO-eins keine Rückkehr zu geordneten Verhältnissen gab. Er sandte Hunderte, vielleicht sogar Tausende von Experten nach Seleterf, damit sie OBO-eins wieder in Gang setzten. Gut, ein Drittel von ihnen fiel den Erkennern zum Opfer, die zeitweise den gesamten Verkehr zwischen Anterf und dem Mond kontrollierten. Aber die restlichen zwei Drittel kamen planmäßig hier an und machten sich an die Arbeit. Nimm meinetwegen an, daß neunzig Prozent Holzköpfe waren, die ihr Fach nicht verstanden. Bleiben immer noch genug, die die Positronik wieder hätten in Betrieb nehmen können – wenn es möglich gewesen wäre.« Atlan hob sich die Frage, die sich von selbst anbot, für später auf und erkundigte sich statt dessen: »Was wurde aus den Experten?« »Die Hälfte ging in die Unterwelt und wurde nie wieder gesehen, die andere Hälfte geriet in Panik und stürmte Hals über Kopf wieder davon.« »Du sagst«, begann der Arkonide mit Bedacht, »es sei nicht möglich, OBO-eins wieder in Gang zu bringen. Wie meinst du das?« Pluuslock verzog den breitlippigen Mund zu einem freudlosen Grinsen.
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»Wer glaubt, die Positronik sei abgeschaltet, der irrt sich. OBO-eins arbeitet, allerdings nicht im vorgesehenen Sinn. Er wehrt sich dagegen, daß man ihm die früheren Aufgaben wieder überträgt. Die Experten, die in die Unterwelt gingen, wurden deswegen nicht mehr gesehen, weil OBO-eins sie getötet hat.« »Getötet? Auf welche Weise?« »Ich weiß nicht, ob du hören willst, was ich dir zu sagen habe«, antwortete der Anterferranter zögernd. »Es hört sich an wie der Alptraum eines Verrückten, und dafür hielt ich es auch, als es mir zum ersten Mal zu Ohren kam. Aber je länger ich darüber nachdenke, desto mehr Zweifel kommen mir ...« »Sprich«, forderte Atlan ihn auf. »OBO-eins ist nur eine Maschine. Wenigstens meint man das. Aber auch Maschinen haben, wenn sie nur über ein ausreichendes Maß an Intelligenz verfügen, die Möglichkeit, ein Bewußtsein zu entwickeln, die Essenz ihres Bewußtseins in energetischer Form zu konzentrieren und sie schließlich aus der metallenen Hülle des Maschinenkörpers zu befreien.« Atlan nickte. »Solche Vorkommnisse sind bekannt«, sagte er. »Du meinst also, daß OBO-eins ein Geistwesen gebildet hat, das nicht mehr an die physikalischen Gegebenheiten der Positronik gebunden ist, sondern ...« »Die Fähigkeit besitzt, sich frei und nach Belieben zu bewegen«, übernahm Pluuslock den Gedankengang. »Ja, das meine ich. Und dieses Geistwesen ist es, das Narrms Experten auf dem Gewissen hat.« Atlan sah dem Anterferranter fest in die Augen. »Obolorn«, sagte er. Wenn Pluuslock überrascht war, dann ließ er es sich nicht anmerken. »Ja, Obolorn«, antwortete er leise.
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3. Die nächtliche Unterredung mit dem Leitenden Bergwerksingenieur gab Atlan zu denken. Zum zweiten Mal hatte er nun von dem geheimnisvollen Obolorn gehört. War es ihm während der Unterhaltung mit Yurrht noch leichtgefallen, das Gerede um den Geist der Positronik als einen Auswuchs des Aberglaubens abzutun, dem eine in die Primitivität zurücksinkende Zivilisation anheimzufallen drohte, so sah er sich gezwungen, Pluuslocks sachlichen Äußerungen zumindest Beachtung zu schenken. Sein Plan für diesen Morgen war gewesen, mit Tyari und Blödel in den Stadtarchiven nach Daten zu suchen, die sich auf die Zeit unmittelbar vor dem Ausfall der großen Positronik bezogen. Jetzt wußte er, daß er noch mehr zu tun hatte. Es galt, Informationen zu finden, die das Phänomen Obolorn beschrieben. Interessant waren überdies Pluuslocks Beobachtungen im Zusammenhang mit einer Zelle der Erkenner des Wahren, die sich vor einigen Jahren in der Stadt angesiedelt hatte. Nach Ansicht des Ingenieurs waren die Zellenmitglieder trotz Dwins Sturz noch immer den Idealen des Wahren verschworen. Dazu gehörte, daß sie einer Rekonstituierung der Mammutpositronik OBO-1 entgegenarbeiteten. Solange OBO-1 nicht funktionierte, war Narrms Führungsanspruch in Frage gestellt. Darauf arbeiteten die Erkenner hin. Der bevorstehende Besuch Fremder war in Seletan frühzeitig angekündigt worden. Pluuslock selbst hatte keine Schwierigkeit gehabt, in Erfahrung zu bringen, daß Atlan und seine Begleiter nach Seleterf kamen, um auf die Wiederherstellung der Positronik hinzuarbeiten. Teffernor, der Anführer der Zelle, mußte ebenfalls davon gehört haben. Pluuslock nahm als sicher an, daß die Zelle ein scharfes Auge auf die vier Fremden hatte. Deswegen hatte er seinen Besuch bei Nacht und Nebel gemacht. Die Heliolampe im Zenit der Kuppel gab soeben ihren ersten Schimmer von sich, als der Bergwerksingenieur sich verabschiedete. Er versprach Atlan, mit ihm in Verbindung zu bleiben. Die Gruppe derer, die er als seine Gesinnungsgenossen bezeichnete, war an die einhundert Mitglieder stark. Damit, meinte der Arkonide, bot sich ihm für den Notfall eine Unterstützung, die er nicht leichtfertig ausschlagen durfte. Er verzichtete auf die entgangene Ruhe und bereitete sich auf den kommenden Tag vor. Er brauchte Shorrn. Mit dem Funkgerät, das er bei sich trug, konnte er die CHYBRAIN nicht erreichen. Die Energiekugel absorbierte Radiowellen ebenso wie Impulse der hyperenergetischen Nachrichtenstrahlung. Es gab in jedem der fünf großen Räume der Unterkunft einen Kommunikator mit Bildanschluß. Er setzte das Gerät in Betrieb und wartete, bis auf der Bildfläche das gelangweilte Gesicht eines jungen Anterferranters erschien. »Was kann ich für dich tun?« fragte er in einem Tonfall, als wäre ihm am liebsten, wenn er gar nichts zu tun brauchte. »Ich möchte mit dem Kommandanten meines Schiffes sprechen«, sagte Atlan. »Der Kiibrajn?« »Ja, der Kiibrajn«, lächelte der Arkonide. »Sie steht draußen auf dem Landefeld?« »Wo sonst?« »Es tut mir leid, extramurale Gespräche können von Privatgeräten aus nicht geführt werden.« »Extramural? Durch die Kuppel hindurch?« »Ja.«
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Atlan sah sich um. »Ich befinde mich in einem städtischen Gastquartier. Ich glaube nicht, daß mein Gerät als privat bezeichnet werden kann.« »Mein großes Bedauern, Fremder. Wenn du mit deinem Schiff sprechen willst, dann nur von der städtischen Kommunikationszentrale aus.« »Kannst du nicht eine kleine Ausnahme machen? Es muß dir ein leichtes sein, das Gespräch zu vermitteln und auf meinen Anschluß zu legen.« »Geht nicht. Widerspricht den Vorschriften.« Atlan sah den Anterferranter aufmerksam an. »Du arbeitest für die Stadtverwaltung, nicht wahr?« »Jawohl, ich bin Beamter.« Atlan nickte. »Das erklärt vieles«, sagte er, bevor er die Verbindung unterbrach. * »Obwohl an Bord der SOL der Begriff Geld nicht existiert, wurde meine Ausbildung dennoch bezahlt, und zwar nicht zu billig«, erklärte Hage Nockemann heftig. »Mit der Freistellung von Arbeitsschichten, der Abnutzung von Lehrgerät, psychischer Belastung der Lehrkräfte und so weiter und so fort.« »Das bezweifle ich nicht im geringsten«, erklärte Atlan. »Wenn ich nur in Dreiteufelsnamen wüßte, worauf du hinauswillst.« »Ein Galakto-Genetiker und Scientologe wird zum Telefonieren abgestellt!« prustete Nockemann empört. »Welch eine Verschwendung von Talent. Habt ihr nichts Gewichtigeres für mich zu tun?« »Wenn du lieber Archivspeicher abklapperst ...«, meinte Blödel. »Halt den Mund, du einfältiges Ofenrohr«, giftete der Wissenschaftler. »Also gut, meinetwegen. Aber ihr nehmt mich wenigstens mit, nicht wahr? Ich muß nicht zu Fuß in die Stadt tippeln, oder?« Sie nahmen ihn mit. Die städtische Kommunikationszentrale war leicht zu finden. Die Stadthäupter von Seletan hatten offenbar darauf Wert gelegt, das bißchen Macht und Autorität, das ihnen zur Verfügung stand, auf möglichst demonstrative Art und Weise zu konzentrieren. Alles, was auch nur entfernt mit der Stadtverwaltung zu tun hatte, war in einem zwei Straßenblöcke im Geviert umfassenden Gebiet im Stadtkern untergebracht. Die Zentrale lag nur einen Steinwurf weit vom Palast des Stadthaupts entfernt. Hage Nockemann stieg eine sanft geneigte Rampe hinauf, wartete darauf, daß ein hohes Portal sich selbsttätig vor ihm öffnete, und betrat eine halbrunde Halle, die so groß war, daß sie mühelos die gesamte
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Einwohnerschaft von Seletan hätte aufnehmen können. Zur rechten Hand lagen Kabinen mit Telekom-Geräten, in denen der Kommunikationsbedürftige seinem Anliegen nachgehen konnte. Zur Linken zog sich an der rückwärtigen Rundwand eine Theke entlang, deren fünfundzwanzig Schalter sämtlich besetzt waren – nicht von Robotern, sondern von leibhaftigen Anterferrantern. Außer den Schalterbeamten und Hage Nockemann befand sich niemand sonst in der Halle; auch die Kabinen waren leer. Der Aufwand, der hier getrieben wurde, wirkte nachgerade grotesk. Nockemann hatte inzwischen gelernt, weibliche von männlichen Anterferrantern zu unterscheiden. Die ersteren waren zurückhaltender in der Auswahl der Farben, mit denen sie ihre Pelze schmückten. Einer natürlichen Neigung folgend, trat er auf einen Schalter zu, hinter dem ein Wesen Dienst tat, dessen einziger Pelzschmuck aus einem breiten, dunkelbraunen Streifen bestand. Die Anterferranterin sah ihm interesselos entgegen. Wenn sie seine ungewohnte Erscheinung überraschte, dann ließ sie es sich nicht anmerken. »Ich möchte mit der CHYBRAIN sprechen«, sagte Hage Nockemann. »Kiibrajn? Das fremde Schiff draußen auf dem Landefeld?« »Dasselbe.« »Dein Konto?« »Ich habe kein Konto.« »Wie willst du für das Gespräch bezahlen?« Hage Nockemann begann, in seinen Taschen zu kramen. »Ich habe hier ein paar Münzmarken von Anterf«, brummte er. »Wieviel kostet ...« »Ich bin nicht sicher, ob ich Bargeld annehmen darf«, wurde er unterbrochen. »Warte.« »Da hört sich doch alles auf!« protestierte der Wissenschaftler. Aber die Beamtin hatte bereits ihren Interkom aktiviert. Sie blickte auf eine Anzeige, die hinter dem Aufbau der Theke gegen Einsicht durch Unbefugte geschützt war. Augenblicke später machte sie gleichgültig die Geste der Zustimmung. »Bargeld geht«, sagte sie. »Macht dreißig Terfol.« Nockemann hatte nur eine unklare Vorstellung vom Wert der anterferrantischen Währung, aber er konnte sich des Gefühls nicht erwehren, daß er hier ausgenommen werden sollte. »Mädchen, ich will das Gerät nicht kaufen, sondern es nur vorübergehend benützen«, erklärte er. »Dreißig Terfol«, lautete die unerbittliche Antwort.
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Nockemann knallte eine Handvoll Münzmarken auf die Theke und brummte: »Hier, such dir’s raus.« Um die Hälfte seines Münzvorrats erleichtert, war er wenige Augenblicke später auf dem Weg zu einer der fünfzig Kabinen. Zu seiner Rechten öffnete sich das hohe Portal. Ein sorgfältig gekleideter Anterferranter mittleren Alters betrat die Halle. Er wäre Nockemann wohl kaum aufgefallen, wenn er nicht ein so auffälliges Farbmuster auf dem Leib getragen hätte. Er hatte sich eine Leiter auf den Pelz gemalt. Die Holme bestanden aus breiten, leuchtend roten Balken, während die Rungen von grellblauen Strichen gebildet wurden. Kopfschüttelnd ob so viel Geschmacklosigkeit betrat der Wissenschaftler die ihm zugewiesene Kabine und erhielt im Handumdrehen eine Verbindung mit der CHYBRAIN. Er brachte seine Anweisung an den Mann und ließ sich versichern, daß Shorrn auf dem schnellsten Weg in die Stadt kommen werde. Als Nockemann aus der Sprechzelle trat, öffnete sich gleichzeitig die Tür einer der beiden Nachbarkabinen, und zum Vorschein kam der Anterferranter, den er vor kaum zwei Minuten die Halle hatte betreten sehen. Der Wissenschaftler beäugte ihn mit mißtrauischem Blick, aber das Wesen mit der bunten Leiter auf dem Leib scherte sich nicht um den Fremden, sondern schritt auf das Portal zu und verließ die Halle. Nach kurzem Zögern wandte Hage Nockemann sich an die Schalterbeamtin, die ihm zuvor die Hälfte seines Barbesitzes abgeknöpft hatte. »Ihr seid hier so wenige«, sagte er, »daß jeder den anderen kennen muß. Wer ist das?« Er deutete hinter dem Anterferranter her, den man durch die dicke Glassittafel der Tür die Rampe hinabschreiten sah. »Das ist Visnjak, der Erzmakler«, wurde ihm geantwortet. »Ein reicher und angesehener Bürger.« Hage Nockemann entfernte sich ohne Dank. Mit dreißig Terfol, dachte er, waren das Gespräch und die Antwort reichlich bezahlt. Draußen überlegte er sich, ob er sich dem Rest der Gruppe im städtischen Archiv anschließen oder in die Unterkunft zurückkehren solle. Ein leise grollendes Gefühl im Magen bewog ihn, sich für das letztere zu entscheiden. Er brachte mit einiger Mühe in Erfahrung, wie man es anstellen mußte, ein Mietfahrzeug herbeizurufen, und einigte sich mit dessen Chauffeur nach ausgiebigem Feilschen auf den horrenden Preis von fünfundzwanzig Terfol für eine Fahrt von weniger als drei Kilometern. Danach war ihm völlig klar, woher die Stadt Seletan das Geld nahm, alle ihre überflüssigen Angestellten zu bezahlen. * In der Automatküche bereitete er sich eine ausgiebige Mahlzeit zu. Wer den schmuddelig gekleideten Wissenschaftler, der mit seinem langen, ungepflegten Haar, im Selbstgespräch murmelnd und mit fahrigen Handbewegungen seiner Beschäftigung nachgehen sah, dem fiel es schwer zu glauben, daß unter dem fleckigen Kittel das Herz eines Gourmets schlug. Hage Nockemann war als fanatischer Wissenschaftler
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bekannt – als einer, der nur seine Forschung kannte und sonst nichts. Nockemann machte es nichts aus, im Gegenteil: Er tat das seine, die Fiktion zu untermauern. Er fühlte sich wohl hinter der Maske des weltfremden Professors. In Wirklichkeit war er den leiblichen Genüssen des Lebens durchaus aufgeschlossen. Auf dem großen Tisch im Gemeinschaftsraum legte er sorgfältig ein Gedeck zurecht und machte sich daran, das Zubereitete zu verzehren. Dabei stellte er zu seinem Verdruß fest, daß er heute keinen richtigen Appetit hatte. Er analysierte seine Stimmung, wie es einem Anhänger der exakten Wissenschaften geziemte, und fand ohne Schwierigkeit den Punkt, an dem – wie die alten Terraner sich ausgedrückt hätten – der Hase im Pfeffer lag. Die Begegnung in der städtischen Kommunikationszentrale ließ ihm keine Ruhe. Warum hatte der Anterferranter mit der bunten Leiter auf dem Bauch sein Gespräch ausgerechnet aus der Nachbarkabine geführt – wo es insgesamt doch fünfzig Sprechzellen gab? Hatte er überhaupt Zeit gehabt, ein Gespräch zu führen? Nockemanns Verbindung mit der CHYBRAIN war ja nur von sehr geringer Dauer gewesen. Der Bunte namens Visnjak war nach ihm gekommen. Auch er hatte zuerst den finanziellen Aspekt der Transaktion regeln müssen. Wieviel Zeit war ihm danach noch geblieben? Die Unruhe ließ Hage Nockemann nicht los. Schließlich schob er das halb verzehrte Mahl beiseite und machte sich am Interkom zu schaffen. Es kostete einige Mühe, mit begriffsstutzigen Vermittlern zu verhandeln, aber schließlich hatte er den Leitenden Bergwerksingenieur Pluuslock auf dem Kanal. Pluuslock musterte ihn ein wenig verwundert, aber durchaus freundlich. »Ich möchte dich um einen Gefallen bitten«, sprudelte Nockemann hervor. »Was weißt du über einen Bürger namens Visnjak?« »Oh, bei der Wissenden, eine ganze Menge«, antwortete Pluuslock. »Er ist einer der Reichsten in Seletan. Erzmakler. Es gibt kaum eine Erzladung von Seleterf nach den drei Planeten, von der Visnjak nicht seinen Gewinn abkassiert.« »Den Reichtum gönne ich ihm«, erklärte Nockemann. »Was mich interessiert, ist, ob er mit Teffernor und seinen Erkennern in Verbindung steht.« »Das munkelt man allerdings«, sagte Pluuslock ernst. »Es gibt keine Beweise. Aber man fragt sich schon seit langem, wie Teffernor seine Operationen finanziert. Warum fragst du?« »Ich habe das Gefühl, Visnjak hat mich bei einem wichtigen Gespräch belauscht«, antwortete der Wissenschaftler hastig. »Ich danke dir für deine Auskunft.« »Warte noch ...«, bat Pluuslock, aber Hage Nockemann hatte die Sprechtaste bereits ein zweites Mal gedrückt. Kaum begann sich das Gesicht des vermittelnden Beamten auf der Videofläche abzuzeichnen, da stieß er hervor: »Von welcher Stelle aus werden Fahrzeuge hinaus zum Landefeld geschickt, um Passagiere abzuholen?«
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»Das kommt auf die Art des Passagiers an«, lautete die Antwort. »Ist er ein offizieller Besucher? Ein Privatreisender? Ein Angehöriger der Administration? Ein Händler oder Kaufmann ...« Hage Nockemann holte tief Luft. »Ich weiß von alledem nichts«, unterbrach er den eifrig Redenden. »Der Bürger, um den es geht, heißt Shorrn und ist einer der Mitarbeiter Narrms. Er kam mit der CHYBRAIN. Ich nehme an, man kann ihn als einen offiziellen Gast bezeichnen.« »Einen Augenblick. Ich verbinde dich.« Mit dem einmaligen Verbinden war es nicht getan. Anscheinend hatte man in Seletan während der vergangenen Jahrzehnte nichts Besseres zu tun gehabt, als die Bürokratie bis zu einem Grad der Vollkommenheit zu entwickeln, an dem jede spontane Initiative des einzelnen Bürgers hoffnungslos zerschellen mußte. Eine halbe Stunde verging, bis Hage Nockemann endlich mit Sicherheit wußte, daß das Fahrzeug, das Shorrn abgeholt hatte, sich bereits in der Stadt befand – vermutlich mit Kurs auf die städtische Gästeunterkunft, in der Atlan und seine Begleiter untergebracht waren. Nockemann, bis an den Rand seiner Kapazität frustriert, sprang auf. Er eilte zum Fenster und blickte auf die Straße hinab. Die dicke Glassitscheibe engte seinen Blickwinkel ein. Er ließ sie in die Höhe gleiten und beugte sich weit nach draußen, so daß er mehrere hundert Meter weit die Straße entlang sehen konnte. Er bemerkte zwei Fahrzeuge, etliche Straßenzüge weit entfernt. Gleichzeitig war es ihm, als hätte sich hinter einem Fenster auf der gegenüberliegenden Straßenseite etwas bewegt. Seine böse Ahnung bewahrheitete sich! Den Erkennern des Wahren lag nichts daran, daß ein Vertreter der Narrm-Administration auf Seleterf in offizieller Funktion auftrat. Alle Publizität, die Narrm und seinen Dienern der Wissenden zugute kam, mußte unterbunden werden. Visnjak hatte ihn belauscht, als er Shorrn von der CHYBRAIN abrief. Welch günstigeres Gelände gab es, den unerwünschten Besucher aus dem Weg zu schaffen, als hier am unbesiedelten Nordrand der Stadt? Zwei Fahrzeuge näherten sich. Das weiter entfernte war Atlans Gleiter. Hage Nockemann wußte plötzlich, was er zu tun hatte. Er zog den Minikom hervor. »Atlan, hier Nockemann«, sagte er hastig. »Gefahr im Verzug ...« * Das Resultat der Datensuche war reichhaltiger ausgefallen, als Atlan erwartet hatte. Über die Qualität des Informationsmaterials bestand indes vorläufig noch keine Klarheit. Blödel hatte alles, was irgendwie mit OBO-1 während der kritischen Zeitspanne in Verbindung stand, unmittelbar von den positronischen Speichern in sich aufgenommen. In der Unterkunft würde man in Ruhe das Gespeicherte analysieren und aufgrund der neugewonnenen Erkenntnisse einen Aktionsplan für die kommenden Tage formulieren. Unter Blödels kundiger Lenkung bog der Gleiter auf die Straße ein, an der das Quartier lag. Zweihundert Meter voraus bewegte sich ein anderes Fahrzeug in dieselbe Richtung. Atlan wunderte sich flüchtig, wer da vorhaben mochte, ihnen einen Besuch abzustatten, aber sofort wandten sich seine Gedanken wieder
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dem einzigen klar erkennbaren Zusammenhang zu, der sich aus den Archivinformationen bisher ergeben hatte: Das erste Auftauchen Obolorns und die Einrichtung der Erkennerzellen unter Teffernor fielen zeitlich zusammen. Gegeben das Interesse, das die Erkenner des Wahren daran haben mußten, die Rekonstituierung der Mammutpositronik zu verhindern, ließ sich daraus ein höchst interessanter und, wie es Atlan erschien, eindeutiger Rückschluß ziehen. Teffernor selbst war für die Entstehung des »Geistes« Obolorn verantwortlich. Er schrak auf. Der Minikom sprach an. Hage Nockemann meldete sich mit schriller Stimme, die höchste Erregung verriet: »Atlan, hier Nockemann. Gefahr im Verzug. In dem Fahrzeug vor euch befindet sich Shorrn. Ich rechne fest damit, daß ihm die Erkenner hier in der Nähe auflauern. Kümmert euch um ihn. Klar?« »Klar«, antwortete der Arkonide knapp. »Blödel ...« »Schon gemacht«, kam die Antwort. Der Gleiter machte einen Satz nach vorne, als der Robot abrupt die Geschwindigkeit erhöhte. Ein lautes, blökendes Horn ertönte, nachdem Tyari den Schalter der Signalanlage betätigt hatte. Im Näherkommen erkannte Atlan die Umrisse zweier Gestalten in dem Fahrzeug vor ihnen. Eine davon wandte sich bei dem ungewöhnlichen Geräusch um. Eine grellweiße Energiebahn stand plötzlich dicht über der Straße. Der Gleiter mit den zwei Passagieren verschwand hinter einer lodernden Flammenwand. Der Blitz einer Explosion zuckte auf. Glühende Metallsplitter fauchten wie Geschosse die Straße entlang. Qualm verhüllte die Szene. »Anhalten!« schrie der Arkonide. »Luk auf. Kümmert euch um die beiden dort vorne.« Er ließ sich durch die Öffnung fallen, noch bevor das Fahrzeug vollends zum Stehen gekommen war. Der Paralysator glitt ihm wie von selbst in die Hand. Ein halbgeöffnetes Fenster im ersten Stock eines der leeren Gebäude bezeichnete das Versteck des heimtückischen Schützen. Atlan rannte in der Deckung der Hauswand entlang und schoß durch den Eingang. Sein erster Gedanke war, daß der Attentäter über das Dach zu entkommen versuchen werde. Aber als er im Hausflur stehenblieb, um zu horchen, hörte er hastige Schritte, die sich zur Rückseite des Gebäudes hin von ihm entfernten. Der Flur war unbeleuchtet, und je weiter er vordrang, desto finsterer wurde es. Es ging um zwei scharfe Ecken, und plötzlich hatte er wieder Licht vor sich. Die der Straße abgewandte Seite des Gebäudes grenzte an einen verwilderten Garten, der sich mehr als zweihundert Meter weit bis zur Rückwand des gegenüberliegenden Hauses zog. Eine Gestalt mit bunten Ornamenten auf dem Pelz bewegte sich in grotesken Weitsprüngen über den wuchernden Pflanzenwuchs hinweg. Atlan schoß, aber das Zielen war zu unsicher. Der fahlgrüne Strahl des Paralysators schoß meterweit an dem Fliehenden vorbei. Der Arkonide setzte hinter ihm drein. Die geringe Gravitation des Mondes versetzte ihn in die Lage, mit einem einzigen Sprung bis zu zwölf Metern zurückzulegen. Er verlor ein paar Sekunden, während er sich am Hintereingang des Hauses am anderen Ende des Gartens vergewisserte, daß der Attentäter ihm keine Falle gestellt hatte. Durch einen halbdunklen Flur gelangte er zur Straßenseite – gerade rechtzeitig, um das Triebwerk eines Gleiters aufheulen zu hören. Er ließ sich fallen. Das Fahrzeug hob vom Straßenrand ab und hielt auf ihn zu. Durch die Glasscheibe der Kanzel sah er zwei Anterferranter. Er hob den Lauf der Waffe und zielte auf den, der das Steuer führte. Aber er kam nicht zum Abdrücken. Der Pilot des Fahrzeugs hatte es auf ihn abgesehen. Atlan erkannte im letzten Augenblick, daß er auch eine Kollision mit der Gebäudewand nicht scheuen würde. Er schnellte sich mit einem verzweifelten Satz zur Seite und kugelte durch den Hauseingang. Draußen schrammte der Gleiter knirschend und kreischend an der Hauswand entlang. Sekunden später gewann er die Straßenmitte und schoß mit Höchstgeschwindigkeit davon.
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Atlan raffte sich schnell wieder auf und klopfte sich den Staub von der Kleidung. Dann kehrte er durch den verwilderten Garten zur Nachbarstraße zurück. In der Ferne war das schrille Winseln von Alarmgeräten zu hören. Zwei reglose Gestalten lagen am Straßenrand. Tyari kam Atlan entgegen. Sie wies zunächst auf die qualmenden Trümmer des Gleiters, dann auf die beiden Opfer. »Dem Piloten ist nicht mehr zu helfen«, sagte sie. »Er ist tot. Aber Shorrn kam wie ein Wunder mit dem Leben davon. Ein einigermaßen anständiges Hospital sollte keine Mühe haben, ihn wieder zusammenzuflicken. Blödel hat den Notdienst alarmiert.« Kurze Zeit später waren zwei Fahrzeuge des medizinischen Diensts zur Stelle. Medoroboter bestätigten den Tod des Piloten und ließen dem bewußtlosen Shorrn erste Hilfe angedeihen. Die Leiche und der Verwundete wurden abtransportiert. Minuten später erschien ein Raumfahrzeug und beseitigte die Trümmer des Gleiters. Blödel bugsierte das Fahrzeug herbei, das er etliche Dutzend Meter stadtabwärts geparkt hatte. Als Atlan mit seinen Begleitern in das Haus treten wollte, in dem ihr Quartier lag, kam Hage Nockemann ihnen entgegen. »Es tut mir leid«, sagte er kleinlaut. »Ich hätte früher dahinterkommen sollen. Aber auf den ersten Blick wirkte alles so harmlos.« Er sah Atlan fragend an. »Der Attentäter hat sich aus dem Staub gemacht, nicht wahr?« Der Arkonide nickte. »In der nächsten Parallelstraße wartete ein Fahrzeug auf ihn. Um ein Haar hätten sie mich über den Haufen gerannt.« »Hast du jemand erkannt?« »Wie sollte ich? Außer Yurrht und Pluuslock kenne ich niemand in dieser Stadt. Das Muster, das der Fahrer des Gleiters auf dem Pelz trug, werde ich allerdings so rasch nicht vergessen.« »Wie sah es aus?« erkundigte sich der Wissenschaftler hastig. »Eine grellbunte Leiter«, antwortete Atlan. »Rote Holme, blaue Rungen.« Hage Nockemann verzog schmerzlich das Gesicht. »Visnjak«, murmelte er. * Kulia Aogi erhob sich und schritt quer durch das behaglich eingerichtete Gemach bis zur Stirnwand, wo sie neben der Tür einen vom Boden bis zur Decke reichenden Spiegel angebracht hatte. »Verzeih mir, es ist nicht Eitelkeit«, sagte sie in launigem Selbstgespräch. »Ich möchte mich nur ein letztes Mal vergewissern, daß ich ohne allen Zweifel ein Beneterloge bin.« Trotz der Abrede musterte sie ihr Ebenbild nicht ohne Wohlgefallen. Man sah ihr das Alter nicht an. Die hellblaue Haut war sanft, ohne Falten und Verfärbungen. Die hellen Augen blickten wach und intelligent. Die besonderen Umstände ihres Einsatzes hatten sie dazu gezwungen, das reiche, kupferrote Haar bis an die Schläfen und den Nackenansatz zu trimmen, aber selbst in drastisch verkürztem Zustand wirkte ihre Frisur elegant. Kulia
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war 1,95 Meter groß – gerade die richtige Größe für eine Beneterlogenfrau. Es hätte sie keine Mühe gekostet, einen Lebensgefährten zu finden. Wäre sie darauf aus gewesen, hätte sie sich wahrscheinlich der Bewerber kaum erwehren können. Aber das Dasein einer Prezzarerhalterin war einsam. Die Werte, nach denen ihre Artgenossinnen strebten, waren in Kulias Dasein ohne Bedeutung. Der unbefangene Beobachter, der ihr bei der Musterung im Spiegel zusah, hätte sie ohne weiteres für eine blauhäutige Solanerin halten können. Ihre äußere Erscheinung war bis in die letzte Einzelheit humanoid. Aber die Ähnlichkeit ging nur wenig tiefer als die Haut. Skelettstruktur, Anordnung der inneren Organe und Stoffwechsel des Beneterlogen waren von denen des Menschen grundverschieden. Kulia kehrte zum Tisch zurück und ließ sich in einem bequemen Sessel nieder. Sie streichelte das Kästchen, das vor ihr auf der Tischplatte lag. Ihr Finger berührte die flache Erhebung, die von dem eingebauten Sprengsatz herrührte, den der Kodex der Prezzarerhalter ihr auszulösen gebot, wenn Gefahr bestand, daß sie entlarvt würde. »Es geht los, Marcoyn«, sagte sie fast liebevoll. »Dieser Narr namens Teffernor leistet wertvolle Vorarbeit. Mit jeder Bewegung, die er macht, wird unser Risiko kleiner. Du hast doch keine Bedenken, mein Freund?« »Bedenk’? Quatsch«, quarrte es aus dem Kästchen. Marcoyn sprach ein zwar abgehacktes und wortarmes, aber ungemein melodisches Benetisch, als sei er auf einer der besten Schulen erzogen worden. Der Klangreichtum der benetischen Sprache gegenüber den unästhetischen Zisch-, Schnalz- und Bellauten des Anterferrantischen war einer der Gründe, warum die Beneterlogen sich für zivilisierter hielten als ihre Gegenspieler aus der Galaxis Bars. »Nix Bedenk’«, fuhr Marcoyn fort. »Angst vor stink’.« »Ich werde dir ein kleines Riechpulver in den Kasten stecken«, lachte Kulia. »Riechpulv’, gutt«, erklärte Marcoyn anerkennend. »Dann laß geht los.« Kulia reagierte nicht sofort. Sie hatte sich im Spiegel betrachtet und an ihrem Ebenbild nichts auszusetzen gefunden. Es zeigt die Müdigkeit nicht, dachte sie und unternahm nichts, der Niedergeschlagenheit zu wehren, die plötzlich in ihr aufstieg. Oh, bei Prezzars unerforschlicher Intuition – bin ich müde! Müde des Versteckspiels, müde der Einsamkeit, müde des ewigen Zwistes zwischen den Völkern von Farynt und Bars. Wer erlöst uns aus dem ewigen Kreislauf des Widersinns? Sie gab der bedrückten Stimmung Gelegenheit, von ihrem Bewußtsein Besitz zu ergreifen. Sie wußte, daß die trüben Gedanken sich mit der Zeit von selbst totlaufen würden. Der Vorgang hatte eine reinigende Wirkung. Nachdem die Niedergeschlagenheit sich gelegt hatte, war sie fester denn je entschlossen, ihre Pflicht bis in die letzte Einzelheit zu tun.
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4. Aus dem städtischen Heilzentrum kam die Nachricht, Shorrn habe das Schlimmste überstanden und sei außer Lebensgefahr. Mit seiner vollständigen Wiederherstellung werde in zwei bis drei Tagen gerechnet. Inzwischen hatte Blödel die im Archiv gesammelten Informationen in den Speicher eines Videogeräts übertragen, so daß sie jedermann zugänglich waren. Tyari übernahm es, eine erste Sichtung der Daten durchzuführen. Atlan war per Interkom im Stadtpalast vorstellig geworden und hatte erreicht, daß Yurrht sich bereit erklärte, ihn am späten Nachmittag zu einer Besprechung zu empfangen. Hage Nockemann und Blödel waren somit vorerst ohne Aufgabe. »Ich denke, wir werden uns ein wenig in der Stadt umsehen«, schlug der Scientologe dem Arkoniden vor. »Nehmt euch in acht«, warnte Atlan. »Der jüngste Vorfall beweist, daß der Gegner nicht mit Samthandschuhen zufaßt. Ihr seid auf Schritt und Tritt in Gefahr.« Hage Nockemann grinste vergnügt und schlug Blödel auf den metallenen Leib, daß es klatschte. »Deswegen nehme ich meinen Aufpasser mit«, sagte er. Dann streckte er die Hand aus. »Im übrigen bitte ich um eine kleine Abschlagszahlung auf mein Gehalt ...« »Du beziehst kein Gehalt.« »... oder was auch immer. Geld jedenfalls. Die Preise in dieser Stadt treiben einem die Tränen in die Augen.« Atlan machte sich auf den Weg zum Stadtpalast, nachdem er Nockemann mit Finanzmitteln versehen hatte. Man ließ ihn eine halbe Stunde warten, bevor er Yurrht zu sehen bekam. Er hatte erwartet, das Stadthaupt diesmal in weniger festlicher Aufmachung und legererer Umgebung vorzufinden, aber da war er im Irrtum. Yurrht empfing ihn im selben Saal wie am Tag zuvor, sein Pelz war womöglich noch bunter eingefärbt, sein Gefolge von unvermindertem Umfang. Atlan verzichtete darauf, auf einem der Stühle zu Füßen des Throns Platz zu nehmen. Er trat bis an die erste Stufe des flachen Podests, auf dem der pompöse Sitz des Stadthaupts sich erhob, und begann: »Ich nehme an, du hast erfahren, was meinem Begleiter Shorrn zugestoßen ist.« Ein wenig zu würdevoll vollzog Yurrht die Geste der Zustimmung. »Das habe ich in der Tat«, bestätigte er. »Es ist bedauerlich, aber in einer Zeit ideologischer und politischer Wirren muß mit solchen Vorfällen immer wieder gerechnet werden.« »Mir scheint«, sagte der Arkonide ernst, »du nimmst deine Aufgabe etwas zu leicht.« Yurrht bekam große Augen.
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»Wie meinst du das?« »Es ist deine Pflicht, die Gäste der Stadt zu schützen. Da du selbst weißt, wie es in wirren Zeiten zugeht, wäre es deine Aufgabe gewesen, Shorrn eine Eskorte zu geben. Ich bin hier, um dich darum zu bitten, daß bewaffnete Posten rings um unsere Unterkunft aufgestellt werden.« »Warum? Seid ihr in eurem Quartier belästigt worden?« »Gestern, bevor wir einzogen, drang ein Unbekannter in die Unterkunft ein und installierte audiovisuelle Spione in sämtlichen Räumen.« Er beobachtete das Stadthaupt scharf, aber die einzige Reaktion, die Yurrhts feistes Gesicht erkennen ließ, war die der Überraschung. »Ich und meine Berater«, sagte er, »haben uns mit dieser Frage beschäftigt. Allerdings gehen unsere Überlegungen in gänzlich anderer Richtung.« »Und die wäre?« fragte der Arkonide knapp. »Du und deine Begleiter, ihr übt offenbar eine unwiderstehliche Anziehungskraft auf das lichtscheue Element der Stadt Seletan aus«, antwortete Yurrht feierlich. »Da wir die Lichtscheuen nicht kennen, wohl aber euch, läßt sich das Problem auf die einfachste Art beseitigen, indem wir euch der Stadt verweisen.« Die Logik war zwar verdreht, aber auf so perplexe Weise einleuchtend, daß Atlan in der ersten Sekunde keine passende Entgegnung einfiel. Dann aber platzte er lachend hervor: »Oh, Yurrht, du bist der größte Hornochse, der mir jemals vor Augen gekommen ist.« Der Translator übersetzte seine Äußerung getreulich, indem er die anterferrantischen Worte für »Horn« und ein rinderähnliches Tier zusammensetzte. Der Affront wurde indes durch den Umstand geschwächt, daß es in der anterferrantischen Fauna kein Geschöpf dieses Namens gab. Yurrhts Augen verengten sich, seine Miene wurde drohend. »Ich hoffe, du sprichst da nur Angenehmes aus«, grollte er. »Was ist ein Hornochse?« »In der Stunde des Abschieds werde ich es dir erklären, hohes Stadthaupt«, antwortete Atlan. »Wie steht’s? Bekomme ich den erbetenen Schutz?« »Mitnichten«, bellte Yurrht. »Jemand, der binnen zehn Stunden die Stadt verlassen wird, bedarf des Schutzes nicht.« Mit einem raschen Schritt nahm Atlan die zwei oberen Stufen des Podests und stand nun unmittelbar vor dem Thron. Yurrht zuckte zusammen und hob entsetzt die Arme, als müsse er sich gegen Schläge schützen. Unter dem Gefolge erhob sich halblautes Gemurmel.
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»Hör zu, du Jammerlappen«, hallte die kräftige Stimme des Arkoniden durch den Saal. »Ich stehe vor dir in meiner Eigenschaft als Narrms Abgesandter. Bis jetzt leitet Narrm nur eine vorläufige Regierung, und es bleibt dir überlassen, ob du ihn als Regierungsoberhaupt anerkennst oder nicht. Wir wissen, wie OBO-eins wieder in Betrieb genommen werden kann. Ist das erst einmal geschehen, dann geht es auf Anterf aufwärts, und niemand wird mehr an Narrms Autorität zweifeln. Er wird sich erinnern, wie sein Gesandter von einem lächerlichen Stadthaupt auf Seleterf behandelt wurde. Dann, Yurrht, sieh zu, wo du bleibst.« Wie er es an Yurrht gestern beobachtet hatte, wandte er den Kopf und rief dem jungen Techniker am Schalttisch zu: »Kriegst du alles mit, Priparrhn?« »Alles, Stadtha... eh, Fremder«, kam die Antwort. »Jedes Wort wird festgehalten.« »Das ist gut so«, grinste der Arkonide. »Yurrht wird Gelegenheit finden, sich an dieses Vorkommnis zu erinnern.« Er wandte sich um und verließ den Saal, ohne daß ihn jemand zu hindern versuchte. Auf der Heimfahrt überlegte er sich, ob er klug gehandelt habe. Die Bemerkung, er wisse genau, wie OBO-1 wiederherzustellen sei, war ihm im Ärger entrutscht. Im nachhinein allerdings erschien sie ihm ein nützlicher Schachzug. Es würde sich herumsprechen, daß er diese Äußerung getan hatte. Dadurch entstand Nervosität in den Reihen des Gegners. Ein nervöser Gegenspieler aber neigt dazu, Fehler zu begehen. * Die Gegend, auf die sich in Seletan die »Action« konzentrierte, lag im Süden der Stadt, darüber hatte Hage Nockemann sich mit Hilfe des städtischen Datendiensts ausgiebigst informiert. Da er die Preise, die man in Seletan berechnete, inzwischen zur Genüge kannte und gewöhnt war, mit Geld zurückhaltend umzugehen, beschloß er, den Ausflug zu Fuß zu unternehmen. Das trug ihm zwar ein paar gehässige Bemerkungen von seitens seines Allzweck-Faktotums Blödel ein, denn der Robot war mit seinem gelenklosen Rohrkörper und seinen kurzen Beinen für lange Spaziergänge nicht geschaffen, aber schließlich blieb Blödel nichts anderes übrig, als den Anweisungen seines Herrn und Meisters zu gehorchen. Nockemann hatte den üblichen Kleinstadttingeltangel vorzufinden erwartet und war daher von der Vielfalt, der Reichhaltigkeit und nicht zuletzt der Qualität des Vergnügungsangebots überrascht. Die Anterferranter, deren Mentalität der menschlichen nahe verwandt war, betrieben das Geschäft der Entspannung offenbar mit großem Ernst und Nachdruck. Was in Seletan-Süd geboten wurde, hätte sich ohne weiteres auch in einer Raumfahrtmetropole sehen lassen können. Wiederum wunderte sich der Wissenschaftler, wie ein solcher Aufwand bei einer Bevölkerung von nur fünftausend profitabel sein könne. Den Spielhallen ging er aus dem Weg. Die Systematik der anterferrantischen Spiele hatte er noch nicht durchschaut, sonst wäre es ihm ein Vergnügen gewesen, zu dem Geld, das er von Atlan erhalten hatte, noch einiges dazuzugewinnen. Außerdem war ihm Blödel im Weg. Gesetzt den Fall, er beteiligte sich an
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einem Spiel und geriet trotz seiner Unkenntnis in eine Glückssträhne. Der Verdacht fiel sofort auf den Roboter, denn auf den skurrilen Humor, der sich hinter Blödels tölpelhafter Gestalt verbarg, sprachen die Anterferranter nicht an. Sie sahen in Nockemanns Begleiter nicht den Tolpatsch, sondern die Maschine, der es ein leichtes sein mußte, ihre Spielmechanismen zu beeinflussen. Auch den Etablissements, in denen das älteste Gewerbe der Welt seine Waren feilbot, vermochte der Wissenschaftler aus leichtverständlichen Gründen keinen Geschmack abzugewinnen. Er entschied sich schließlich für eine Art Bar und Restaurant, durch dessen offene Tür die fröhlichen Geräusche gutgelaunter Zecher und Esser auf die Straße drangen. Der Lärm verstummte allerdings sofort, als die beiden neuen Gäste den Raum betraten. Gut hundert Blicke richteten sich ihnen entgegen, verwundert, neugierig, jedoch neutral im Ausdruck. Hage Nockemann sah in die Runde, und als das allgemeine Staunen nach mehreren Sekunden noch immer nicht nachgelassen hatte, sagte er zu Blödel, so daß die Stimme seines Translators deutlich zu hören war: »Es tut einem in der Seele weh, wenn man sie so starren sieht. Früher, als ihre Kultur noch blühte, war der Anblick von Fremden wahrscheinlich eine alltägliche Sache.« Das hatte Erfolg. Die Blicke senkten sich, Unterhaltungen kamen wieder in Gang. Der Stich saß. Die Anterferranter gebärdeten sich, als hätten sie tagaus, tagein mit fremden Intelligenzen zu tun. Hage Nockemann fand ein behagliches, zweisitziges Speiseabteil im Hintergrund des weiten Raumes und ließ sich dort nieder. Blödel allerdings mußte stehenbleiben. Er war nicht zum Sitzen gemacht. Der Eingang war vom Abteil aus mühelos zu übersehen. Darauf legte der Wissenschaftler wert, denn er wollte erfahren, ob der unbekannte Gegner hinter ihm herspionierte. Das allerdings erwies sich recht bald als ein hoffnungsloses Unterfangen. An der Tür herrschte ein ständiges Kommen und Gehen, und wenn er hier eine Spur hätte finden wollen, dann hätte er sich Dutzende von Gesichtern einprägen müssen. Auch hier machte sich die Knappheit an Arbeitsplätzen bemerkbar. Es gab keine Servierautomaten, sondern männliche und weibliche Bediener. Hage Nockemann bestellte sich von der Liste, die in die gläserne Tischplatte eingearbeitet war, was ihm schmackhaft erschien, dazu ein Getränk. »Und was bekommt dieser dort?« fragte der Bediener und wies auf Blödel. »Eine Schüssel superintegrierte Minimikrochips«, antwortete Nockemann trocken. »Das haben wir nicht«, antwortete der Anterferranter verdutzt. »Ich weiß nicht einmal, was das ist.« »Dann bekommt er eben nichts«, brummte der Wissenschaftler und machte unmißverständlich klar, daß das Thema damit für ihn abgeschlossen war. Er sah sich unauffällig um, während er auf seine Bestellung wartete. Die Anwesenden schenkten ihm und seinem Begleiter keine Beachtung mehr; selten nur, daß ein neuer Gast vom Eingang zu ihnen herüberblickte. Die Menge, die sich hier eingefunden hatte, widmete sich zumeist dem Trunk. Die Zeit des Abendessens war noch nicht gekommen. Nur hier und da saß einer, wahrscheinlich ein Bergwerksarbeiter, der sich vor Beginn der Schicht noch schnell den Magen füllen wollte, und löffelte aus
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einem Napf oder einer Schüssel. Die anterferrantischen Eßmanieren waren dazu angetan, dem Solaner einen Schauder über den Rücken zu jagen. Da wurde geschmatzt, gerülpst und mit der Zunge geschnalzt. Es war wie im europäischen Mittelalter: Wer geräuschlos aß, gab zu verstehen, daß es ihm nicht schmeckte. Nockemanns Mahlzeit wurde serviert. Er schnupperte neugierig an dem Dampf, der aus dem rechteckigen Behälter aufstieg, und hob genießerisch die Brauen, als ihm der Duft exotischer Gewürze in die Nase stieg. Er begann zu essen – mit dem einzigen Speisewerkzeug, das die anterferrantische Zivilisation kannte, einer löffelähnlichen Kelle. Dabei befleißigte er sich herkömmlicher solanischer Sitte, und das wurde ihm schließlich zum Verhängnis. Er begriff augenblicklich, daß nicht alles so war, wie es sein sollte, als Blödel halblaut sagte: »Vorsicht, da kommt einer.« Hage Nockemann schob sich den letzten Bissen des wohlschmeckenden Gerichts in den Mund und sah auf. Vor dem Tisch stand ein Anterferranter mittleren Alters, nicht übermäßig groß, aber kräftig gebaut. Als Pelzmuster trug er ein grünes X auf dem Leib, das von Ober- und Mittelgurt teilweise verdeckt wurde. In den gelblich-grauen Augen leuchtete es gefährlich. »Dir schmeckt unser Essen nicht, wie?« fragte er so laut, daß zahlreiche Gäste in der Nähe aufmerksam wurden. »Was geht’s dich an?« brummte Nockemann. »Bist du der Koch?« »Ich habe dich nicht schmatzen hören.« »Das tue ich nicht. Wo ich herkomme, gilt Schmatzen als unanständig.« Der Anterferranter stützte sich mit einer Krallenhand auf die Tischkante, mit der anderen packte er den Wissenschaftler am Kragen und zerrte ihn auf die Beine. »Unsere Tischmanieren nennst du unanständig?« schrie er. Er versuchte, zornig zu wirken, aber er war ein schlechter Schauspieler. Sie haben uns also eingeholt, dachte Nockemann. »Mach dich nicht lächerlich«, krächzte er. Der Griff des Wesens mit dem grünen X-Muster schnürte ihm die Luft ab. »Von euren Sitten war ... überhaupt nicht ... die Rede.« »Sieh, was du dir dafür einhandelst«, bellte der Anterferranter und holte mit dem linken Arm zu einem mörderischen Schlag aus. Nockemann stand unmittelbar vor Blödel. Instinktiv begriff er den einzigen Vorteil, den er in dieser ansonsten aussichtslosen Lage hatte. Als der Schlag heranpfiff, ging der blitzschnell in die Hocke. Über ihm tat es einen donnernden Krach, als die anterferrantische Faust mit Blödels Metallkörper kollidierte. Der Kerl mit dem grünen X gab einen schrillen, gurgelnden Schrei von sich. Hage Nockemann schnellte sich mit gesenktem Kopf in die Höhe. Der Schädel rammte dem Angreifer in den Leib. Das brachte diesen aus dem Gleichgewicht. Infolge der geringen Schwerkraft landete er schließlich in der Nähe des Fensters, durch das die Speisen gereicht wurden.
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Überall im großen Speisesaal waren die Gäste aufgesprungen, damit ihnen keine Phase des aufregenden Zwischenfalls entginge. Rufe wurden laut, Stühle polterten, jemand schrie nach dem Ordnungsdienst. Hage Nockemann stand ruhig, wie unbeteiligt vor seinem Tisch und musterte die Szene mit scharfem Blick. Er sah die fünf Anterferranter, die sich erst jetzt von ihren Sitzen erhoben, als hätten sie bislang nicht bemerkt, daß etwas Ungewöhnliches im Gang war. Sie saßen an fünf verschiedenen Tischen und taten, als kennten sie einander nicht. Aber als sie sich jetzt durch die aufgeregte Menge schoben und sich der Eßkabine der beiden Fremden näherten, da wirkten ihre Bewegungen so koordiniert, daß Hage Nockemann sofort wußte, was auf ihn zukam. »Jetzt geht’s uns an den Kragen«, flüsterte er Blödel zu. »Hättest du geschmatzt«, sagte der Robot vorwurfsvoll. Die fünf blieben vor dem Abteil stehen. Der größte unter ihnen, ein Kerl von beinahe zwei Metern, sagte mit harter, bellender Stimme: »Man kann uns nicht nachsagen, daß wir Fremdenhasser sind. Aber wenn einer daherkommt wie du, mit einem von uns Streit anfängt und ihn obendrein noch zusammenschlägt, dann hört bei uns die Geduld auf. Du wirst jetzt ...« »Nichts wird er!« donnerte eine mächtige Stimme von der Tür her. »Bist du schon wieder am Unruhestiften, Terschlakk? Du ziehst jetzt deinen Schwanz ein, Großmaul, und verschwindest auf dem schnellsten Weg. Mitsamt deinen Schlägergenossen, verstanden?« Der Hüne zuckte zusammen; seine Tasthaare zitterten. Hage Nockemanns erstaunter Blick ging an ihm vorbei die Gasse entlang, die die Gäste gebildet hatten. Dort, unter dem Eingang, stand ein hochgewachsener Anterferranter. Seine Augen sprühten Blitze. Der, den er Terschlakk genannt hatte, wandte sich zur Seite und verschwand in der Menge. Seine Kumpane folgten ihm. In der Nähe hörte Nockemann es raunen: »Chodhpah ...« »... der Prospektor ...« * Verwundert musterte Hage Nockemann den Neuankömmling, vor dessen Wort die Schläger gekuscht hatten und dessen Name von den Umstehenden mit Ehrfurcht ausgesprochen wurde. Zum ersten Mal, seit er die Spezies der Anterferranter kannte, machte eines ihrer Mitglieder einen Eindruck auf ihn, den er nicht anders als »vornehm« nennen konnte. Narrm war achtungsgebietend, seine engsten Mitarbeiter verdienten die Attribute intelligent, brillant, tatkräftig und dergleichen. Ein vornehmer Anterferranter war Nockemann bisher nicht vor Augen gekommen. Dieser hier war der erste. Durch die Gasse Schritt Chodhpah gemächlich auf das Eßabteil zu. Er lächelte freundlich und hatte die
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Arme in menschlicher Art auf dem Rücken verschränkt. Der einzige Schmuck seines Pelzes war ein kreisrunder, blauer Fleck unterhalb der linken Schulter. Seine Kleidung, aus den üblichen drei Gurten bestehend, war einfach, aber gediegen. Er trug eine umfangreiche Tasche an der rechten Seite. Das Auffallendste an ihm waren die Augen. Sie schienen ihr eigenes, vom Rest des Körpers unabhängiges Leben zu besitzen. Sie strahlten in intensivem, fast unnatürlichem Glanz. »Wer ein fremdes Volk besucht, soll sich dessen Sitten anpassen«, sagte er mit volltönender Stimme, mahnend zwar, aber keineswegs unfreundlich. »Das ist um so wichtiger, wenn es unter dem fremden Volk solche gibt, die einem an den Kragen wollen und jede Gelegenheit benützen, einen Streit vom Zaun zu brechen.« Er zuckte mit der Schulter in Richtung des Ausgangs. »Wie jene dort.« Terschlakk und seine Genossen schlichen sich, von der Menge unbeachtet, durch die offene Tür davon. Derjenige, dessen Faust mit Blödel kollidiert war, hatte sich ihnen angeschlossen. »Ich weiß deinen guten Rat zu schätzen und werde ihn befolgen«, sagte Hage Nockemann. »Aber sage mir ...« »Von jetzt an wird er schmatzen, daß sich die Balken biegen«, fiel Blödel mit schriller Stimme ein. »Sag mir«, nahm Hage Nockemann den unterbrochenen Satz wieder auf: »Wer bist du?« »Mein Name ist Chodhpah. Man nennt mich auch den Prospektor, denn das ist mein Beruf.« »Du wanderst an Nachmittagen durch die Stadt und siehst zu, wo du bedrängten Fremden helfen kannst?« forschte der Wissenschaftler. Chodhpah gab eine Reihe rasch aufeinanderfolgender Schnalzlaute von sich, das Äquivalent des menschlichen Lachens. »Nein, mein Freund«, rief er belustigt, »ich bin nicht durch Zufall hier. Pluuslock hat mich gebeten, ein Auge auf euch zu haben. Er hat von dem Anschlag auf Shorrn erfahren und sorgt sich um eure Sicherheit. Wußtet ihr, daß Terschlakk zu Teffernors Schlägerbrigade gehört?« »Nein. Wir kennen nur einen von Teffernors Gefolgsleuten, Visnjak.« »Ah, Visnjak. Er ist seit heute mittag spurlos verschwunden. Wußtet ihr das?« »Nein«, antwortete Nockemann abermals. »Ihr seid bemerkenswert ahnungslos«, sagte der Prospektor. Dann wandte er sich um und machte eine freundliche Handbewegung in Richtung der Gäste, die immer noch vor oder neben ihren Tischen standen und sich kein Detail der eigenartigen Szene entgehen ließen. »Es gibt nichts mehr zu sehen, meine Freunde. Widmet euch den Speisen und Getränken, bevor sie schal werden.« Als übe er eine hypnotische Kraft auf seine Zuhörer aus, wandten sie sich ab und taten, wie ihnen geheißen war. Schon eine Minute später herrschte wieder fröhlicher Lärm in der großen Speisehalle, und der Zwischenfall schien vergessen. »Euch beiden«, sagte Chodhpah zu Nockemann und Blödel, »möchte ich vorschlagen, daß ihr nach Hause geht. Ihr habt keine Ahnung von den Gefahren, die ringsum lauern, und würdet einer von ihnen zweifellos zum Opfer fallen. Geht nicht zu Fuß, sondern nehmt ein Mietfahrzeug.«
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»Zu teuer«, knurrte Nockemann. »Zu teuer für dein Leben?« spottete der Prospektor. »Gewiß, in Seletan ist alles teuer. Der Bergbau bringt viel Geld ein, die Bergbauer sind reich. Sie verdienen sechs- bis siebenmal mehr als die Arbeiter auf Anterf. Das Dienstleistungsgewerbe und die Stadtverwaltung wollen leben. Sicher ist’s hier teuer. Aber ein Toter kann sein Geld nicht mehr ausgeben.« Er geleitete sie hinaus auf die Straße und rief ein Mietfahrzeug herbei. Hage Nockemann fiel ein, daß er sich bei Chodhpah zu bedanken vergessen hatte. Er wandte sich um, aber der Prospektor war verschwunden. * »Alles in Ordnung«, sagte Atlan, nachdem er den Interkom abgeschaltet hatte. »Chodhpah hat sich tatsächlich mit Pluuslock abgesprochen. Es scheint, wir haben mit den Bergwerklern eine Gruppe zuverlässiger Freunde gewonnen.« »Gut«, brummte Nockemann und deutete auf die Videofläche des Datengeräts, an dem Tyari arbeitete. Draußen war es inzwischen dunkel geworden. »Wie weit sind wir. Haben wir genug, daß wir Teffernor und seine Erkenner des Wahren festnageln können?« Der Arkonide lachte auf. »Du willst dir von ihnen nichts mehr bieten lassen, wie? Nein, ich fürchte, soweit sind wir noch nicht. Es ist zwar auffällig, daß Teffernor sich gerade dann auf Seleterf ansiedelt, als zum ersten Mal das Gerücht über Obolorn auftaucht, aber mit diesem zeitlichen Zusammentreffen allein können wir nicht viel anfangen. Das mag Zufall gewesen sein.« »Du hörst dich an«, sagte der Wissenschaftler verärgert, »als wolltest du mir auf die schonende Art klarmachen, daß du die Erkenner nicht mehr im Verdacht hast.« »Sieh dir die Daten an«, forderte Atlan ihn auf. »Alles, was über Obolorn bekannt ist, weist darauf hin, daß er eine gewisse Kontrolle über OBO-eins ausübt. Insofern könnte er tatsächlich der Geist der Positronik sein. Wenn wir Teffernor oder einen seiner Anhänger mit Obolorn identifizieren, dann unterstellen wir ihm, daß es ihm gelungen ist, die desaktivierte Positronik wenigstens teilweise wieder in Gang zu setzen.« »Na und?« »Teffernor und seine Jünger sind ideologische Eiferer. Spinner würde ein skeptisches Gemüt sie nennen. Keiner von ihnen besitzt die Qualifikation, eine Positronik dieser Art auch nur zu bedienen, geschweige denn aus dem selbstinduzierten Tiefschlaf zu erwecken.« »Kennen wir sie alle?« fragte Nockemann. »Visnjak, hört man, ist der reichste Bürger von Seleterf. Kann er nicht Spezialisten angeheuert haben, von denen wir nicht einmal ahnen, daß sie zu den Erkennern gehören?« »Möglich, aber nicht wahrscheinlich.« Atlan hob die Schultern. »Yurrhts Vorgänger, der sein Amt offenbar etwas ernster nahm, hat über alle Vorstöße in Richtung
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OBO-eins genau Buch geführt. Es existiert ein Dossier über jeden Techniker und Wissenschaftler, der sich während der vergangenen zehn Jahre an OBO-eins zu schaffen gemacht hat. Eine Verbindung zu Visnjak läßt sich nirgendwo erkennen.« »Und doch ...«, knurrte der Wissenschaftler. »Ein Meisterstück des Unbekannten«, fuhr Atlan fort, ohne den Einwand zu beachten, »ist ohne Zweifel die Reaktivierung der Verteidigungsanlagen, mit denen OBO-eins sich gegen feindselige Eindringlinge schützt. Die Konstrukteure der Positronik legten Wert darauf, daß bei der Identifizierung eines Unbekannten als Feind kein Fehler unterlief. Dutzende verschiedener Meß- und Nachweismethoden, alle automatisch funktionierend, wurden installiert, um jede denkbare Fehlerquelle auszuschließen. Es sollte unter allen Umständen vermieden werden, daß ein Harmloser, Unschuldiger den Sicherheitsmaßnahmen zum Opfer fiel. Während der Untersuchungen, die Narrms Experten durchführten, starben Dutzende im Feuer der Blaster und Desintegratoren, mit denen die Zugänge zu den Kontrollräumen gespickt sind. Es ist dem Unbekannten also gelungen, die Meßstrecken, die der Identifizierung des Eindringlings dienten, zu neutralisieren. Seitdem betrachtet OBO-eins alles als feindlich, was sich ihm nähert. Das mein Freund, erfordert ein umfangreiches technisches Verständnis. Teffernor und seinen Erkennern traue ich es nicht zu. Ich bin nicht einmal sicher, ob Narrms Experten es besessen haben.« Hage Nockemann strich sich über das schmutziggraue Haar. Er war offensichtlich beeindruckt. »Du sprachst davon, daß OBO-eins teilweise wieder in Gang gesetzt wurde«, sagte er. »Warum begnügt sich der Unbekannte damit?« »Oh, er begnügt sich nicht. Er will die Positronik ganz unter seine Kontrolle bringen. Erst dann kann er sein Ziel erreichen, was immer das sein mag. Aber er braucht Zeit. An das Basisprogramm einer derart komplexen Positronik kommt man nicht so leicht heran.« Nockemann seufzte. »Das klingt alles so verdammt logisch«, beschwerte er sich, »daß man keine vernünftigen Einwände dagegen erheben kann. Zu schade, daß wir gegen Teffernor und seine Banditen nicht vorgehen können. Das verursacht mir Magengrimmen.« Er sah auf. »Blödel, verschaff mir etwas zu essen, einen kleinen Imbiß.« »Du hast erst vor drei Stunden eine volle Mahlzeit zu dir genommen«, hielt ihm der Robot entgegen und rührte sich nicht vom Fleck. »Du eingebildetes Ofenrohr, meinst du, ich lasse mir von dir Vorschriften machen?« keifte der Wissenschaftler. »Lauf, sonst mache ich dir Feuer unter deinem Blechhintern.« Blödel zog davon. Atlan und Nockemann sahen Tyari bei der Auswertung der Daten zu. Wenige Minuten später kehrte der Robot zurück. Er trug ein Tablett mit drei gerösteten Schnitten eines Gebäcks, das verführerisch duftete, und setzte es neben Nockemann auf den Tisch. Geistesabwesend griff der Wissenschaftler nach der
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ersten Schnitte und führte sie zum Mund. »An deiner Stelle würde ich das nicht essen«, sagte Blödel. »Häh?« Nockemann fuhr herum. Er hatte den Mund bereits offen, das Gebäck schwebte zwischen den Zähnen. »Warum nicht?« »Es ist vergiftet.« Nockemann verzog das Gesicht zu einem spöttischen Grinsen. »Ah, bah«, machte er. »Deine Tricks kenne ich schon.« Er schickte sich an zuzubeißen. Atlan sprang auf und schlug ihm die Hand beiseite. Die Schnitte segelte davon. »Heh!« protestierte der Wissenschaftler empört. »Was soll das ...« »Vorsicht ist die Tugend der Weisen«, sagte Atlan. »Laß uns nachsehen, was Blödel meint.«
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5. Blödel, mit zahlreichen Fächern und Laden in seinem metallenen Leib – eine der Laden wurde von dem Bakwer Wuschel als Heimstatt benützt – und einer Fülle intern installierter Analysegeräte, war ein wandelndes biochemisches Labor. In der Tat war er zu diesem Zweck ursprünglich von Hage Nockemann konstruiert worden. Erst später war dem Galakto-Genetiker die Idee gekommen, daß die Maschine, die ihm die Arbeit erleichterte, ebensogut als Gesprächspartner und Begleiter dienen könne. Blödel hatte eine oberflächliche Untersuchung der Gebäckschnitten vorgenommen, als sie aus dem Küchenautomaten kamen. Es war weiter nichts als eine Routinehandlung gewesen. Als er jetzt eine detaillierte Analyse durchführte, stellte er fest, daß Hage Nockemanns kleiner Imbiß eine mehrfach tödliche Dosis Akonitin enthielt. Der Wissenschaftler war blaß geworden. »Ich hätte ... hätte das wahrscheinlich am Geschmack gemerkt«, stotterte er. »Und wärest trotzdem gestorben«, ergänzte Atlan. »Akonitin ist eines der gefährlichsten Gifte.« Er sah auf. Tyari hatte ihre Arbeit vorübergehend unterbrochen. »Das Versorgungssystem wurde früher von OBO-eins gesteuert«, fragte er, »nicht wahr?« »Das ist richtig«, antwortete Tyari. »Unregelmäßigkeiten in der Versorgung waren die ersten Anzeichen, mit denen sich der Zusammenbruch der Positronik ankündigte.« »Wie wurde das Problem gelöst?« »Zuerst ließ die Stadtverwaltung Proviant horten und von Hand verteilen. Dann richtete sie ein halbautomatisches Verteilungssystem ein, das bis auf den heutigen Tag benützt wird.« »Aber die Anschlüsse an OBO-eins sind nach wie vor vorhanden? Ich meine, wenn die Positronik heute den Betrieb wiederaufnähme, würde sie die Versorgung sofort übernehmen?« »So sieht es aus«, bestätigte Tyari. »Vorausgesetzt, die Vorräte sind nicht verdorben.« Wortlos wandte der Arkonide sich dem Interkomanschluß zu. Das verschlafene Gesicht eines Anterferranters erschien. »Ich will das Stadthaupt sprechen«, erklärte Atlan. »Das Stadthaupt schläft«, wurde ihm geantwortet. »Dann wecke es! Die Stadt ist in Gefahr. Die Versorgungsleitung produziert giftigen Proviant.« Der Anterferranter war mit einemmal hellwach. »Warte«, rief er. »Ich versuche, Yurrht zu wecken.«
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Er verschwand vom Bildschirm. Atlan sah auf die Uhr. Die zehn Stunden, nach deren Ablauf Yurrht ihn und seine Begleiter von Seleterf hatte vertreiben wollen, waren inzwischen verstrichen. Er hatte sich nicht getraut, seine Drohung wahr zu machen. Yurrht erschien wenige Augenblicke später auf der Bildfläche. Sein Pelz war zerzaust, sein Blick verriet Verwirrung. »Gift?« bellte er. »Was höre ich da von Gift?« Atlan berichtete. Das Wort »Akonitin« war dem Translator nicht geläufig. Der Arkonide ließ sich von Blödel die chemische Formel geben und las sie Yurrht vor. »Mein Freund ist um Haaresbreite dem Tod entgangen«, schloß er. »Ich überlasse es dir, für die Sicherheit deiner Bürger zu sorgen.« »Ja, ja«, stieß Yurrht hastig hervor. »Das werde ich tun ...« Im nächsten Augenblick war er verschwunden. Atlan schaltete das Gerät ab. Einen Augenblick lang herrschte Stille. Dann fragte Nockemann: »Glaubst du, es war auf uns abgesehen?« »Ich nehme es fast an«, antwortete Atlan. »Bleibt nur noch herauszufinden, ob das Gift aus dem halbautomatischen Verteilungssystem der Stadtverwaltung oder aus der Versorgungsleitung der Positronik stammt.« Er war am Nachdenken; man sah es in seinen Zügen arbeiten. »Tyari, ich brauche die Schaltschemen der Versorgungsservos von OBO-eins. Du weißt, wo sie zu finden sind?« Tyari schlanke Hände glitten über die Tastatur. Eine Tabelle erschien auf der Videofläche. »Ein Verzeichnis aller Schematiken«, sagte sie. »Du kannst dir aussuchen, welche du willst.« Auf Atlans Bitte hin überließ sie ihm den Platz vor dem Datengerät. Der Arkonide schien von einer Idee besessen. Während er die Tasten betätigte, um die gewünschte Schematik auf die Bildfläche zu bringen, murmelte er im Selbstgespräch: »Wenn wir herausfinden, von wo die Versorgungsleitung geschaltet wird, dann wissen wir, wo der Unbekannte sich vor kurzem aufgehalten hat.« Sein Eifer steckte Hage Nockemann an. Er zog einen Stuhl herbei und half bei der Suche. Kurze Zeit später rief er Blödel hinzu und erklärte ihm, worum es ging. Das optische Wahrnehmungsvermögen des Roboters war nicht wie das eines organischen Wesens darauf angewiesen, jeder einzelnen Linie des Diagramms zu folgen. Blödel nahm das Bild integral in sich auf und verarbeitete es als Ganzes. So beschäftigt waren Atlan und seine Helfer, daß keiner von ihnen hörte, wie der Interkom ansprach. Tyari nahm den Anruf entgegen. Dann trat sie hinter das Datengerät, so daß der Arkonide sie sehen mußte, wenn er aufblickte.
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»Gibt’s was Wichtiges?« fragte er. »Wie man’s nimmt. Die Stadtverwaltung hat zurückgerufen. Eine recht unwirsche Stadtverwaltung, um genau zu sein.« »Und?« »Sämtlicher ausgegebener Proviant ist mit Akonitin versetzt – in Dosen, die für unsere Begriffe recht massiv sind.« »Also doch OBO-eins«, murmelte Atlan und fuhr sich mit der Hand über die Stirn. Er schien sich an etwas zu erinnern und musterte Tyari überrascht. »Unwirsch? Wieso unwirsch? Sie sollten uns dankbar sein, daß wir sie rechtzeitig auf die Gefahr aufmerksam gemacht haben.« »Das wären sie auch, wenn es eine Gefahr gäbe.« Sein Blick verriet Verständnislosigkeit. »Wir haben ein wenig vorschnell von uns auf andere geschlossen«, lächelte Tyari. »Dem Metabolismus der Anterferranter macht Akonitin nichts aus.« * In dieser Nacht gönnten sie sich sechs Stunden Ruhe. Sie hatten sie nötig. Atlan hatte das unbestimmte Gefühl, daß morgen der entscheidende Tag sein würde. Sie hatten den Gegner aus der Reserve gelockt. Er hätte den Versuch, sie zu vergiften, nicht unternommen, wenn er sich nicht bedroht fühlte. Die Suche nach der Kontrollstelle, von der aus die Versorgungsleitung gesteuert wurde, war erfolglos verlaufen. Das Steuernetz der Mammutpositronik war vielfach verzweigt. Es gab zwölf Kontrollpositionen und eine Hauptkontrolle. Jeder Kontrollposition standen sämtliche Funktionen der Positronik zur Verfügung – mit Ausnahme einiger weniger, die nur von der Hauptkontrolle aus angesprochen werden konnten. Mit anderen Worten: Der Unbekannte konnte die Vergiftung der Versorgungsleitung von irgendeinem der dreizehn Schalträume aus vorgenommen haben. Früh am nächsten Morgen unternahm es Hage Nockemann, der in dieser Sache bereits Erfahrung hatte, vom städtischen Kommunikationszentrum aus die CHYBRAIN zu verständigen und die Entsendung einer Ladung Bordproviant zu veranlassen. Dem, was die Küchenautomatik servierte, war nicht mehr zu trauen. Nockemann hatte sich mit verdächtigem Eifer bereit erklärt, den Gang zum Stadtzentrum zu unternehmen. Wahrscheinlich hatte er vor, einen Teil seines Barbesitzes in einem ausgiebigen Frühstück anzulegen. Eine Stunde, nachdem der Heliostrahler im Zenit der Kuppel die übliche Tagesintensität erreicht hatte, brachte der junge Morgen die erste Überraschung. Atlan arbeitete im Aufenthaltsraum an dem Datenmaterial, das Tyari am vergangenen Tag gesichtet und sortiert hatte, als er bei einem gelegentlichen Blick durch das große Fenster einen hochgewachsenen Anterferranter bemerkte, der gemächlich und mit weit ausgreifenden Schritten die Straße entlangkam. Sein Ziel war offenbar das Haus, in dem das städtische Gästequartier untergebracht war. Atlan erinnerte sich an die Beschreibung, die Nockemann und Blödel ihm am vergangenen Abend geliefert hatten: den blauen Fleck unter der Schulter, die große Umhängetasche. Er rief den Robot herbei: »Ja«, sagte Blödel, »das ist Chodhpah, der Prospektor.«
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Kurze Zeit später ertönte das Summen des Anmeldeservos. Der Arkonide selbst öffnete die Tür. »Willkommen, Chodhpah«, begrüßte er den Gast. »Dein Besuch gibt uns Gelegenheit, dir unseren Dank auszusprechen.« »Ah, du kennst meinen Namen«, staunte der Prospektor. Er besaß die wohltönendste Stimme, die Atlan bisher unter Anterferrantern gehört hatte. »Ich höre Dank. Dank wofür?« »Dafür, daß du unseren beiden Freunden gestern nachmittag aus der Klemme geholfen hast«, antwortete Atlan. Chodhpah machte eine beiläufige Geste. »Es war nicht der Rede wert«, meinte er. »Für jeden anderen hätte ich dasselbe getan. Geschöpfe wie Terschlakk hätten längst von Seleterf vertrieben werden müssen. Mitsamt Teffernor, von dem sie all ihre schurkischen Ideen beziehen. Aber Yurrht, unser Stadthaupt, ist ein Schlappschwanz.« Atlan hatte den Gast inzwischen in den Gemeinschaftsraum geführt. Während der Prospektor Platz nahm, überraschte er den Arkoniden mit der Frage: »Was hältst du übrigens von Teffernor?« Atlan hob die Schultern. »Er ist ein Erkenner des Wahren. Er vertritt eine Pseudoreligion, die den zivilisatorischen Rückschritt beschleunigt. Sobald auf Anterf wieder geordnete Zustände herrschen, wird er fallen – ebenso wie Dwin gefallen ist.« »Er hat es auf dich abgesehen«, sagte Chodhpah. »Er weiß, daß du hier bist, um OBO-eins wieder in Betrieb zu nehmen. Dem Wahren, so verkündet er, liegt nichts daran, daß die Positronik wieder zu arbeiten beginnt.« »Er wird mich nicht hindern können«, erklärte Atlan mit Überzeugung. »Es gibt Bürger«, fuhr Chodhpah nachdenklich fort, »die sehen aufgrund der Thesen, die Teffernor verkündet, einen Zusammenhang zwischen ihm und Obolorn. Du hast von Obolorn gehört?« »Von kaum etwas anderem, seit ich auf Seleterf gelandet bin«, lächelte der Arkonide. »Nach meiner Ansicht gibt man Teffernor damit zuviel Kredit«, meinte Chodhpah. »Wer oder was Obolorn in Wirklichkeit auch immer sein mag – er besitzt offenbar Fähigkeiten, die man bei dem Zellenführer der Erkenner vergebens suchte.« »Ganz meiner Meinung«, bestätigte Atlan. Der Prospektor sah sein Gegenüber aufmerksam an. Dem Blick seiner funkelnden Augen war nicht zu entnehmen, was er empfand, aber Atlan hatte das Gefühl, er sei überrascht. »Welchem erfreulichen Umstand haben wir deinen Besuch zu verdanken?« erkundigte er sich leichthin.
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»Ich wollte erfahren, wie es euch geht«, antwortete Chodhpah. »Die Gefahr ist allgegenwärtig, und ich habe vor, über euch zu wachen, wie es Pluuslock mir aufgetragen hat.« Atlan berichtete von dem Attentat des vergangenen Abends. Er wies mit Nachdruck darauf hin, daß mit Gift vermengte Nahrung überall in Seletan nachgewiesen worden war, und schloß: »Für mich steht damit fest, daß das Toxikum in die zentrale Versorgungsleitung eingeführt wurde – jene, die unter der Kontrolle der Positronik steht. Und ich vermute, der unbekannte Attentäter weiß genau, daß Akonitin zwar für uns tödlich, für die Anterferranter jedoch unschädlich ist.« »Das spricht um so mehr dafür, daß nicht Teffernor euer wirklicher Gegner ist«, meinte der Prospektor. »So viel Umsicht besitzt er nicht.« Im übrigen schien er dem Vorfall keine besondere Bedeutung beizumessen. Während der nun folgenden Unterhaltung betrat Tyari den Raum. Der Besucher wurde ihr vorgestellt; Chodhpah begrüßte sie nach bester anterferrantischer Sitte. Tyari hielt sich nur wenige Minuten auf. Sie habe zu tun, behauptete sie. Atlan wunderte sich insgeheim, denn alles, womit sie sich denkbarerweise hätte beschäftigen können, lag dort vor ihm auf dem Tisch. Er versuchte, mehr über den Prospektor zu erfahren. Der jedoch war mit Angaben zur eigenen Person sparsam. Chodhpah verabschiedete sich nach einer knappen Stunde. Unter der Tür prallte er unversehens mit Hage Nockemann zusammen, der soeben von seinem Ausgang zurückkehrte. Die beiden begrüßten einander wie alte Freunde. Dann schwang der Prospektor sich in den Antigravschacht und war einen Augenblick später verschwunden. * Als Atlan in den Aufenthaltsraum zurückkehrte, war Tyari bereits zur Stelle. Sie wirkte verstört. »Nichts«, sagte sie. »Kein einziges Quant Mentalenergie. Er muß ein Roboter sein.« Der Arkonide stutzte. Er hatte, ohne lange darüber nachzudenken, Chodhpah für einen typischen Anterferranter gehalten, der sich lediglich durch einen anscheinend bemerkenswerten Lebenslauf von seinen Artgenossen unterschied. Unter Anterferrantern war die Fähigkeit der mentalen Abschirmung noch nicht beobachtet worden – was nicht unbedingt etwas zu sagen hatte, denn die Zeit, Beobachtungen anzustellen, war knapp gewesen. Chodhpah – ein Roboter? Atlans fragender Blick wanderte zu Blödel. »Nichts da«, erklärte der Allzweckrobot mit schriller Stimme. »Ich hätte positronische Impulse oder sonst etwas registrieren müssen. Chodhpah machte auf mich einen völlig normalen Eindruck.« Atlan empfand ein plötzliches Unbehagen. Warum hatte Chodhpah – gesetzt den Fall, er besaß diese Fähigkeit tatsächlich – sich die Mühe gemacht, seine Gedanken abzuschirmen? Wußte oder ahnte er, daß sich in der Gruppe der Fremden ein Telepath befand? Mit einemmal hatte der Arkonide das Bedürfnis, mehr über den geheimnisvollen Prospektor zu erfahren. Er wußte, an wen er sich zu wenden hatte. Wenn es auf Seleterf überhaupt jemand gab, der mit Chodhpah näher vertraut war, dann konnte es nur Pluuslock sein. Er kam jedoch vorerst nicht dazu, Verbindung mit dem Bergwerksingenieur aufzunehmen. Ungeachtet des Mangels an Kooperation, den Yurrht gestern an den Tag gelegt hatte, war der
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CHYBRAIN die Genehmigung zum Antransport von Proviant für die vier in der Stadt stationierten Besatzungsmitglieder offenbar ohne Umschweife erteilt worden. Ein Gleiter fuhr vor dem Haus vor. Ein Mann in der Standardmontur der SOL stieg aus und förderte aus dem Lastenabteil des Fahrzeugs eine mit Behältern vollgehäufte Schwebetrage zutage. An der rötlichen, durchsichtig schimmernden Haut des Uniformierten erkannte Atlan den Buhrlo, aber erst als er mit der Trage vor der Wohnungstür stand, sah er, daß es Seko Neros war, ein überaus fähiger Techniker, der zusammen mit acht seiner Artgenossen darum ersucht hatte, den Einsatz auf Seleterf mitmachen zu dürfen. Was sich die Buhrlos davon erhofften, war klar: häufigere Gelegenheit zu Weltraumspaziergängen. Ihre bevorzugte Freizeitbeschäftigung, die für den Metabolismus der Weltraumkinder gleichzeitig eine Lebensnotwendigkeit darstellte, hatte in letzter Zeit umständehalber drastisch eingeschränkt werden müssen. Seko grüßte freundlich und erkundigte sich: »Wohin mit dem Zeug?« Blödel dirigierte ihn in die Küche. Die Trage kippte zur Seite und entlud ihre Last auf den Boden. Als Seko sich umwandte und in Richtung des Ausgangs schritt, folgte sie ihm wie ein treuer Hund. »Ich hoffe, das reicht euch eine Zeitlang«, sagte er. »Wenn der Chef- und Oberscientologe es fertigbringt, ein wenig an sich zu halten«, erklärte Blödel vorlaut, »müßten wir ein paar Tage damit auskommen.« »Konzentratnahrung, pah!« machte Nockemann verächtlich. »Vor meinem Appetit ist das Zeug sicher.« »Wie steht’s an Bord, Seko?« erkundigte sich Atlan. »Wie üblich«, antwortete der Buhrlo. Er lächelte, aber unter dem Lächeln blieb ein Ausdruck der Schwermut. »Alles langweilt sich, außer uns. Wir können wenigstens nach Lust und Laune spazierengehen.« Durch das Fenster sah Atlan ihm nach. Der Gleiter setzte sich in Bewegung, wendete und schwebte stadteinwärts die Straße entlang. Die Geschichte der Buhrlos war ein trauriges, tragisches Kapitel in den Annalen der SOL. Als die Solaner die Kontrolle über ihr Schiff erhielten und mit dem festen Vorsatz, nie wieder den Fuß auf die Oberfläche eines Planeten zu setzen, die Fahrt durch die Endlosigkeit des Universums antraten, da waren die ersten Buhrlokinder als die Vertreter einer neuen Art, als die wahren Weltraummenschen, begeistert begrüßt worden. Man sah in der Entstehung der neuen Spezies einen Wink des Schicksals, der zu verstehen gab, daß man sich auf dem richtigen Weg befand. Nur zu bald hatte sich herausgestellt, daß die Natur mit der Schaffung der Buhrlos einen Fehltritt getan hatte. Sie waren weder Weltraum- noch Schiffsbewohner. Ihr Leben erforderte einen ständigen Wechsel zwischen dem klimatisierten Innern der SOL und dem Vakuum des Weltraums. Obwohl die Buhrlos unter Bedingungen zu überleben vermochten, die für den Menschen sofort und absolut tödlich gewesen wären, war die Toleranzspanne der Umweltparameter, die dem Buhrlo ein erträgliches Dasein ermöglichte, weitaus enger, als der normale Solaner sie erforderte. Und dann kam Hidden-X. In seiner unbeherrschten Rachsucht hatte es die gesamte Spezies seiner Feinde zum Untergang verdammen wollen.
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Es infizierte zwei Besatzungsmitglieder der SOL mit einem Toxin, das unfruchtbar machte und durch bloßen Hautkontakt übertragen werden konnte. Dies, so schwor sich der Herr des Spiegels, war die letzte Generation Solaner, mit der er sich herumzuschlagen brauchte. Aber in seiner blinden Wut hatte er einen Fehler begangen. Die zwei infizierten Solaner waren Buhrlos. Auf die Weltraummenschen wirkte das Gift in der geplanten Weise, aber die normalen Solaner waren dagegen immun. Über drei Standardjahre lag es inzwischen zurück, daß die Morszek-Dermalgie sich unter den Buhrlos auszubreiten begonnen hatte. Ein sofortiger, drastischer Geburtenrückgang war die Folge gewesen. Heute geschah es nur noch höchst selten, daß ein lebensfähiger Buhrlo zur Welt kam. Die Natur bemühte sich, ihren Fehler zu korrigieren, und hatte Hidden-X zu ihrem Werkzeug gemacht. Aus den Vorräten, die Seko Neros gebracht hatte, wurde ein Frühstück bereitet. Hage Nockemann hielt sich an sein Wort und aß zurückhaltend. Das mochte allerdings auch damit zu tun haben, daß er in der Stadt bereits ausgiebig gefrühstückt hatte. Atlan drängte die Ungeduld. Er hatte den letzten Bissen kaum im Mund, da hantierte er schon am Interkom und versuchte, Pluuslock zu erreichen. Aus der Abbaukuppel, in der er sich nach Auskunft des städtischen Bergwerksamts befand, wurde gemeldet, daß er vor einigen Minuten in Richtung Stadt aufgebrochen sei. Nein, man wisse nicht, was er in der Stadt wollte, und er sei auch unterwegs nicht zu erreichen. Aber der Morgen hatte seine Überraschungen noch nicht erschöpft. Eine Viertelstunde später hielt abermals ein Fahrzeug vor dem städtischen Gästehaus. Ihm entstieg Pluuslock, der Leitende Bergbauingenieur. * »Nein, er untersteht mir nicht«, sagte der Anterferranter. »Er untersteht überhaupt niemand. Wie und warum er nach Seleterf gekommen ist, weiß niemand. Er ist Prospektor, und zwar einer der genialsten, die es im edlen Handwerk des Bergbaus je gegeben hat. Er riecht abbauwürdige Vorkommen. Er findet Spalten, die jedes normale Auge übersieht, und kriecht im Innern des Mondes herum, als wäre er da geboren.« »Wovon ernährt er sich?« wollte Atlan wissen. »Betreibt er selbst Bergbau?« »Keineswegs. Er ist gewöhnlich wochenlang unterwegs. Während dieser Zeit bekommt ihn niemand zu sehen. Nach seiner Rückkunft wendet er sich zuerst an mich. Gewöhnlich hat er zehn bis zwanzig neue Abbauorte gefunden. Ich lasse sie untersuchen, und wenn ich sie der Industrie zur Ausbeute vorschlage, will er ein kleines Handgeld haben. Es ist sehr bescheiden. Ganz selten kommt es vor, daß ich einen seiner Funde für nicht der Mühe wert halte und er sich dann direkt an die Industrie wendet. Bei solchen Gelegenheiten, das gestehe ich offen, bin ich ein paarmal böse auf die Nase gefallen.« »Obwohl er ein so wichtiger Scout ist, hast du ihm den Auftrag gegeben, über unsere Sicherheit zu wachen?« fragte Atlan. Pluuslock verzog das Gesicht. »Das ist eine merkwürdige Sache«, sagte er. »Deswegen bin ich hier. Ich habe ihm keinen Auftrag gegeben, könnte das auch gar nicht. Er selbst fragte mich, ob ich etwas dagegen hätte, wenn er sich ein wenig um euch kümmerte. Was sollte ich sagen? Er ist ein freier Bürger und kann tun und lassen, was ihm beliebt. Er brauchte meine Zustimmung nicht, aber ich gab sie ihm trotzdem. Ist er euch in die Quere gekommen? Hat er euch belästigt?« »Ganz im Gegenteil. Gestern nachmittag hat er zwei meiner Freunde vor einer Bande Schläger bewahrt, die anscheinend Teffernor auf sie gehetzt hatte.«
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Pluuslock gab mit kurzen Schnalzlauten seiner Heiterkeit Ausdruck. »Ja, das kann er. Ohne Waffe, ohne Prügelei – nur mit der Kraft seiner Stimme. Die Seletaner haben Respekt vor ihm.« Hage Nockemann und Blödel hatten sich in einen der Nebenräume zurückgezogen. Der Galakto-Genetiker tat ein wenig geheimnisvoll; er schien an einem Projekt zu arbeiten, das zumindest er selbst für wichtig hielt. Tyari war der Unterhaltung schweigend gefolgt. Sie hatte sich längst damit abgefunden, daß ihr die Wirkung, die sie auf dem Mutterplaneten auf die Anterferranter ausgeübt hatte, abhanden gekommen war. Entweder hatte es sich nur um eine vorübergehende Befähigung gehandelt, oder es herrschten auf Seleterf besondere Bedingungen, die sie nicht zur Geltung kommen ließen. Ab und zu warf sie, ohne daß Pluuslock es bemerkte, Atlan einen beruhigenden Blick zu. Der Ingenieur dachte, was er sagte. Er log nicht. »Chodhpah besitzt eine merkwürdige und äußerst seltene Fähigkeit«, begann der Arkonide, nachdem er sich mehrere Sekunden den Kopf darüber zerbrochen hatte, wie sich das heikle Thema auf möglichst unverfängliche Weise angehen ließe. »Er kann seine Gedanken verbergen.« Pluuslock sah verwundert auf. »Woher willst du das wissen?« fragte er. »Kannst du Gedanken lesen?« »Ich nicht. Tyari kann es.« Pluuslock zuckte zusammen. »Sie ... sie liest meine Gedanken?« stieß er unsicher hervor. »Das tut sie nicht.« Ihr Götter, verzeiht mir diese Lüge! »Sie kann, ohne den Inhalt deiner Gedanken zur Kenntnis zu nehmen, erkennen, daß sich in deinem Bewußtsein eine normale Denktätigkeit abspielt. Bei Chodhpah konnte sie das nicht.« Pluuslock schien halbwegs beruhigt. »Was macht ihr daraus?« fragte er. »Wir wissen es nicht. Hältst du es für möglich, daß Chodhpah ein Roboter ist?« Pluuslock fuhr sich mit der Hand über das zernarbte Gesicht. »Ein Roboter, der blutet?« meinte er, und als er Atlans verständnislosen Blick bemerkte, fuhr er fort: »Eines Tages hatte Chodhpah einen besonders ergiebigen, aber auch sehr schwer zugänglichen Abbauort gefunden. Er kam, um ihn mir zu zeigen. Wir mußten tief in eine Höhle hinabsteigen. Das Gestein geriet in Bewegung. Wir wurden verschüttet. Meine Techniker retteten uns. Seit jener Zeit trage ich diese Narben. Als wir an die Oberfläche zurückgebracht wurden, war Chodhpah genauso blutverschmiert wie ich.« »Aber er hat keine Narben.« »Keine Narben«, brummte Pluuslock. Hage Nockemann betrat den Raum. Er wirkte so ernst, daß Atlan
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unwillkürlich aufmerksam wurde. »Gibt’s was?« fragte er. Der Wissenschaftler produzierte ein winziges, dünnes Glassitplättchen und hielt es dem Arkoniden entgegen. Atlan sah einen Fleck durchsichtiger Klebmasse, die verwendet wurde, Objekte für die mikroskopische Untersuchung auf dem Objektträger zu fixieren. Darunter befand sich ein dünner Faden – nein, kein Faden: ein Haar. »Sprich, Hage«, drängte er. »Du erinnerst dich, daß ich unter der Tür mit Chodhpah zusammenstieß«, begann Nockemann. »Ich benutzte die Gelegenheit, unbemerkt ein kleines Büschel Haare aus seinem Pelz zu reißen.« »Wozu das?« fragte Atlan überrascht. »Ich hatte einen Teil der Nacht und den ganzen Morgen über ihn nachgedacht. Er kam mir ... wie soll ich das ausdrücken? ... nun, zu unanterferrantisch vor. Seine Ausdrucksweise war zu gewählt, seine Stimme zu melodisch, sein Benehmen zu makellos.« Er sah den eigentümlichen Blick in Pluuslocks Augen und fügte hastig hinzu: »Nicht, daß ich die Anterferranter für ungebildet oder schwerfällig hielte, beileibe nicht! Aber Chodhpah – er war irgendwie anders. So anders, daß mir der Verdacht kam, er könnte ein maskierter Fremder sein. In diesem Fall, dachte ich mir, wäre der Pelz eine Maske. Bei der ersten Gelegenheit rupfte ich ihm ein paar Haare aus. Blödel hat sie unter dem Mikroskop untersucht und biochemisch analysiert.« Er sprach nicht weiter. »Hage«, sagte Atlan drohend. »Wenn du nicht sofort mit der Sprache herausrückst ...« »Das Haar ist so tot wie ein Stück Granit. O nein, es ist nicht synthetisch. Der Pelz hat irgendwann einmal einem echten Anterferranter gehört. Aber das muß Jahre weit zurückliegen, mindestens vier, schätzt Blödel.« Atlan wandte sich an Pluuslock. »Seit wann kennst du Chodhpah?« »Seit vier bis fünf Jahren«, antwortete der Bergbauingenieur. »Er kam damals von ... Zumptorf, glaube ich, dem äußersten der drei besiedelten Planeten.« »Etwa um dieselbe Zeit, als Obolorn zum ersten Mal von sich hören machte«, sagte Atlan nachdenklich. Er stand auf, verharrte eine Zeitlang schweigend und offenbar in tiefem Nachdenken. Dann fuhr er fort: »Es wird Zeit, daß wir uns um OBO-eins kümmern. Ich habe das Gefühl, unser Widersacher sieht sich bedrängt. Wir müssen ihm das Handwerk legen, bevor er in Panik gerät und Unheil anrichtet.«
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6. Der Arkonide hatte keine Entschuldigung gelten lassen. In aller Eile war Yurrht aus seinem Arbeitszimmer getrommelt worden. Es blieb ihm nicht einmal Zeit, sein Gefolge zu versammeln. Auch der junge Techniker, dessen Aufgabe es war, die weisen Worte des Stadthaupts und die weniger weisen seiner Gäste aufzuzeichnen, war abwesend. »Ich protestiere gegen dieses würdelose Geschäftsgebaren«, bellte Yurrht, kaum daß er auf seinem Thronsitz Platz genommen hatte. »Die Garde ist unterwegs ...« »Sei still, Fant«, sagte Atlan ohne Schärfe und doch so, daß das pompöse Stadthaupt auf der Stelle verstummte. »Die Stadt hat etwas Besseres verdient als dich. Sobald ich nach Anterf zurückkehre, werde ich Narrm bewegen, daß er dich ersetzt. Zuvor jedoch erhältst du Gelegenheit, etwas Nützliches zu tun.« »Ich habe nicht vor ...« keifte Yurrht. »Das ist mir gleichgültig. Hauptsache, du tust es. Der Zugang zu OBO-eins steht unter städtischer Kontrolle?« »Natürlich. Unter wessen sollte er ...« »Gut. Du wirst ihn für uns öffnen.« »Ich werde ...« »Mehr noch. Du wirst mit uns kommen. Ich rate dir, dich weniger zeremoniell zu kleiden. Soweit ich gehört habe, ist es dort unten finster und staubig, die Rampen sind steil und die Schächte tief.« Yurrht riß den Rachen auf, daß die mit Goldplättchen belegten Reißzähne im Licht des Saales glänzten, und schnappte nach Luft. »Ich werde mich nicht ...«, gurgelte er. »Pluuslock, Blödel – geleitet das Stadthaupt zu seinen Gemächern und seht zu, daß der ehrwürdige Yurrht Kleidung anlegt, die unserem Vorhaben angemessen ist.« Die beiden Genannten schritten die drei Stufen des Podests hinauf, packten den Empörten unter den Armen und zogen ihn auf die Beine. Yurrht protestierte mit krächzender Stimme, aber als er erkannte, daß es seinen Bedrängern ernst war, ging sein Geschrei in Gejammer über. Unter dem Eingang des Saals erschienen mehrere Anterferranter mit dem charakteristischen Pelzmuster der städtischen Garde. Atlan, Tyari und Hage Nockemann griffen nach den Waffen. Daraufhin zogen sich die Gardisten fluchtartig zurück. Kurze Zeit später tauchte, von Pluuslock und Blödel eskortiert, Yurrht wieder auf. Er hatte sich offenbar in sein Schicksal ergeben. Er trug simple, zweckmäßige Gurte anstelle der bunten, mit allerhand Krimskrams behängten Bänder, und seine Füße steckten in derben Sandalen. »So ist’s recht«, lobte Atlan. »Ich hoffe, alles Weitere geht ebenso glatt. Wir brauchen Lampen, ein paar Meßgeräte, Kommunikationsmittel ...« Das Stadthaupt leistete keinen Widerstand mehr. Eine Gruppe von Gardisten wurde herbeigerufen. Sie mußten die Waffen niederlegen, dann schickte Yurrht sie, die Dinge zu besorgen, die der Arkonide ihnen aufzählte. In der Zwischenzeit begab Hage Nockemann sich zum städtischen Kommunikationszentrum und setzte eine Meldung an die CHYBRAIN ab. »Alles klar«, meldete er, als er zurückkehrte. »Uster Brick schickt eine Gruppe von dreißig Mann. Sie beziehen im Stadtpalast Quartier.« »Ich habe eine Menge zuverlässiger Freunde«, sagte Pluuslock. »Ich meine, wir sollten sie herbeirufen. Zu sechst stellen wir keine ernst zu nehmende Streitmacht dar.« »Laß sie, wo sie sind«, wies Atlan das
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Anerbieten zurück. »Wir wissen nicht, wie es dort unten sein wird. Jedem von uns traue ich die nötige Umsicht zu, unnötiges Risiko zu vermeiden. Wenn wir einen Haufen Unerfahrener mit uns schleppen, vergeuden wir unsere Zeit damit, sie zu beaufsichtigen.« Er wandte sich an Yurrht. »Zeig uns den Weg, edles Stadthaupt«, sagte er spöttisch. * Die Halle lag fünfzig Meter unter der Oberfläche des Mondes. Sie war rund und von einer mit Leuchtplatten ausgelegten, flachen Kuppel überdacht. In der Mitte des Bodens gähnte ein finsteres Loch von fünfzehn Metern Durchmesser. Am Rand des Loches entlang zog sich ein Geländer, das aus beweglichen Sektionen bestand. Auf dem Weg hierher hatte Yurrht erklärt, wie der Transport durch den Schacht funktionierte. Zwei der Pfosten, an denen das Geländer befestigt war, enthielten Schaltvorrichtungen, mit denen Antigravplatten unterschiedlicher Größe aus einem seitwärts des Schachtes gelegenen Depot abgerufen und auf ein bestimmtes Ziel programmiert werden konnten. Atlan verstand das Prinzip aufgrund der Informationen, die er aus dem gesichteten Datenmaterial gewonnen hatte. Er kniete vor einem der beiden Pfosten nieder und inspizierte das Schaltschema. Für jedes der von hier aus erreichbaren Ziele gab es eine Drucktaste. Die Zielbezeichnung besagte dem Arkoniden nichts. Auch Yurrht wußte hier nicht Bescheid. Der Abruf der Antigravplatten erfolgte durch Betätigung einer oder mehrerer Kontaktflächen, mit denen Größe und Anzahl der Platten spezifiziert werden konnten. Atlan war noch in den Anblick der Kontrolleiste vertieft, als er Blödel sagen hörte: »Ich habe den Translator ausgeschaltet. Achtet auf unsere beiden Begleiter, daß sie sich unauffällig verhalten. Wir werden beobachtet.« Yurrht, der neben Atlan kauerte, sah den Arkoniden fragend an. Er hatte erwartet, daß ihm die Worte wie üblich durch den Translator übersetzt würden. »Was sagt er?« erkundigte er sich mißtrauisch. »Sei still«, antwortete Atlan, nachdem er den Translator vorsorglich auf geringere Lautstärke reguliert hatte. »Der Robot hat etwas Verdächtiges beobachtet.« Er lugte hinter dem Pfosten hervor und sah, daß Tyari sich um Pluuslock kümmerte. Es wirkte alles recht unauffällig. »Hinter der Wand, der ich den Rücken zuwende, liegt ein Raum«, sagte Blödel. »Der Eingang ist sorgfältig getarnt und mit einem komplizierten positronischen Riegel versehen. Wer weiß etwas über diesen Raum?« Atlan vermittelte Blödels Worte an Yurrht weiter. Der Anterferranter machte die Geste der Verneinung. »Unsinn«, sagte er halblaut. »Dort gibt es keinen Raum. Die gesamte Stärke der Wand haben wir
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gebraucht, um diese Halle zu stützen.« Atlan desaktivierte den Translator. »Der Raum ist unbekannt«, erklärte er auf Interkosmo. »Folge mir«, forderte der Robot ihn auf. Er schritt zum Hintergrund der Halle. Seine empfindlichen Sensoren hatten ermittelt, wo sich die Spiongeräte befanden. Die Ecke, in die er sich zurückzog, konnte offenbar nicht eingesehen werden. »Ich schlage folgendes vor ...«, sagte er zu Atlan. * »Mit Efaterns Unglück fing es an«, sagte Teffernor bitter. »Seitdem haben wir nur noch Rückschläge erlitten.« »Die Fremden sind schuld«, schnalzte Visnjak. Er sah mitgenommen aus. Seit über einem Tag hauste er in diesem unterirdischen Raum und sehnte sich nach dem luxuriösen Komfort seines Hauses. »Wir haben sie unterschätzt.« »Und das, obwohl wir unseren Informanten unmittelbar an der Quelle sitzen haben.« Teffernors Blick wanderte zu dem kleinen Schalttisch, an dem Priparrhn, der Techniker, saß. »Ich habe berichtet, was ich hörte«, sagte er. »Ich habe deine Anweisung befolgt und im Quartier der Fremden in aller Eile ein Abhörsystem eingebaut, obwohl ich sicher war, daß sie es finden würden. Ich glaube nicht, daß du Anlaß hast, über mich zu klagen. Halte dich an Visnjak, der sich mit dem Pelzschmuck eines Gecken ans Steuer eines Fluchtfahrzeugs setzte, obwohl er damit rechnen mußte, daß er im Kommunikationszentrum schon erkannt worden war. Oder an Terschlakk, der mit mehreren Leuten vor einem einzigen Gegner den Schwanz einzieht.« »Der Gegner war Chodhpah!« bellte es aus dem Hintergrund des Raumes, wo Terschlakk es sich bequem gemacht hatte. »Jedermann weiß ...« »Ruhe!« zischte Teffernor. »Wir haben nichts davon, daß wir uns gegenseitig beschimpfen. Wir ...« Mit einem weiten Sprung stand Teffernor neben seinem Tisch. Auf der Videofläche war die Halle mit dem Schachtmund zu sehen. Aus einem der Korridore nahten sechs Gestalten, vier Fremde und zwei Anterferranter. »Yurrht, der Schlappschwanz«, grollte Teffernor. »Er hat sich überreden lassen, mit den Fremden zu gehen. Was sie hier wollen?« »Durch den Schacht einfahren«, antwortete Priparrhn. »Sich OBO-eins aus der Nähe ansehen. Gerechte Wahrheit! Das könnte bedeuten, daß wir sie in ein paar Stunden los sind!« »Ich sage es noch einmal«, erklärte Visnjak: »Unterschätzt die Fremden nicht. Es könnte sein, daß sie schlauer sind als die Wissenschaftler, die vor ihnen eingefahren sind.« »Still, der
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Robot spricht.« Sie hörten die Worte einer fremden Sprache. Sie wurden nicht übersetzt. Teffernors Mißtrauen erwachte. Er achtete auf Yurrht und den zweiten Anterferranter, in dem er inzwischen Pluuslock, den Bergbauingenieur, erkannt hatte. Sie verhielten sich ruhig. Es schien sie nicht zu stören, daß sie nicht verstanden, was der Robot sagte. »Kann er unsere Abhörgeräte wahrnehmen?« fragte Teffernor besorgt. »Möglich«, antwortete Priparrhn ungerührt. »Aber ich meine ... schau, wohin geht er jetzt?« Der Roboter schritt seitwärts und verließ das Blickfeld der Aufnahmegeräte. Wenige Augenblicke später folgte ihm der Fremde mit den silbernen Haaren, der sich Atlan nannte. Teffernor verglich ihn mit der Frau, die in Pluuslocks Nähe stand. Auch ihr Haar war von silbrigem Schimmer, auch ihre Augen leuchteten rötlich. Die beiden schienen Bruder und Schwester zu sein, oder wenigstens doch Angehörige derselben Spezies. Auf Anterf hatten Narrms Aktive in der geheimnisvollen Frau die Wissende zu erkennen geglaubt. Es ging ihr der Ruf voraus, daß sie kraft ihres Blickes Streit schlichten und Widerspenstige fügsam machen könne. Selbst Dwins Erkenner des Wahren hatten sich ihrem Einfluß nicht entziehen können. Teffernor dagegen empfand nichts Außergewöhnliches. Gerüchte, dachte er. Wahrscheinlich hat Narrm sie verbreiten lassen, um die Welt glauben zu machen, er sei unüberwindlich. »Das gefällt mir nicht«, sagte Priparrhn. Teffernor schrak aus seinen Gedanken auf. Der Techniker beugte sich nach vorne und nahm eine Schaltung vor. In diesem Augenblick geschah es. Ein scharfer Knall war zu hören. Teffernor fuhr in die Höhe und starrte fassungslos auf das kleine Loch, das sich in der Vorderwand des Raumes gebildet hatte. Es hatte glühende Ränder und befand sich genau dort, wo die verborgene Verriegelung angebracht war. Des Riegels beraubt, schwang die Tür selbsttätig zur Seite. Teffernor warf sich herum. Fort von hier! war der Gedanke, der ihn beherrschte. »Keine Bewegung!« gellte hinter ihm eine scharfe Stimme. Teffernor erstarrte. Ohne es sehen zu können, wußte er mit Sicherheit des Instinkts, daß die Mündung einer Waffe auf ihn zielte. * Blödels Plan war erfolgreich. Ein einziger, sauber gezielter Schuß drang durch die Wand, hinter der der geheime Raum lag, und zerstörte die Verriegelung der getarnten Tür. Die Positronik des Riegels reagierte auf die übliche Weise: Sie aktivierte den Öffnungsmechanismus. Das alles spielte sich in weniger als drei Sekunden ab. Der Gegner hatte sich vom ersten Schock der Überraschung noch nicht erholt, da drangen Atlan und der Robot bereits in den verborgenen Raum ein. »Sieh da, unser Freund Priparrhn«, lächelte der Arkonide spöttisch. »Weiß Gott, die Erkenner hatten einen direkten Draht zur Stadtverwaltung. Kriegst du das alles mit, Priparrhn? Du wußtest, wo das Stadthaupt uns unterzubringen gedachte. Es war dir ein leichtes, uns vorauszueilen und die Spionanlage zu installieren, nicht wahr? Und zu denken, daß ich
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ein paar Minuten lang den armen Yurrht in Verdacht hatte!« Sein Blick wanderte weiter. »Und du dort, Bürger mit der bunten Leiter auf dem Pelz – Visnjak, ich erkenne dich wieder. Dein Untertauchen hat dir nichts genützt. Die Gerichtsbarkeit wird sich mit dir befassen. Und wen haben wir hier?« »Das ist Teffernor«, erklärte Yurrht, der inzwischen hinzugetreten war. »Und der dort hinten ist Terschlakk«, krähte Hage Nockemann. »Da haben wir sie alle beisammen«, amüsierte sich Atlan, »die gesamte Hautevolee der Erkenner des Wahren. Terschlakk, dir hat Chodhpah, der Prospektor, eine blamable Niederlage zugefügt, nicht wahr? Nun, mein Freund, heute erhältst du Gelegenheit, die Scharte auszuwetzen.« Er wandte sich um und rief: »Schafft sie nach draußen. Durchsucht sie nach Waffen. Sie kommen mit uns.« »Wo ... wohin geht ihr?« stotterte Teffernor, den eine unangenehme Ahnung beschlich. »Nach unten. Zu OBO-eins«, lautete die Antwort. »Nein ...« Blödel schob den protestierenden Zellenführer durch die schmale Öffnung der Geheimtür. Er ging nicht sonderlich sanft mit ihm um, und Teffernor begriff rasch, daß es ihm um so schlimmer ergehen würde, je widerspenstiger er sich anstellte. Er hörte auf zu schreien und schritt gehorsam vor dem Robot her. Mit Hilfe der Kontrollsäule rief Atlan vier Antigravscheiben des größten Kalibers aus dem Depot ab. Sie schwebten aus dem Dunkel des Schachtes herauf. Die vorderste verankerte sich in einer Ritze, die in die Schachtwand eingearbeitet war; die anderen warteten seitwärts. Atlan wandte sich an Teffernor. »Ich dachte mir, daß die Erkenner sich bemühten, hinter die Geheimnisse der Positronik zu kommen«, sagte er. »Ihr wart von Anfang an darauf bedacht, daß OBO-eins entweder niemals wieder oder nur in eurem Sinn tätig werden würde. Viel Erfolg habt ihr nicht gehabt; Obolorn kam euch zuvor. Aber ihr kennt euch dort unten besser aus als wir. Wohin sollen wir die Platten steuern?« Teffernors Gesicht war starr. Er blickte über das weite Rund der Schachtöffnung hinweg, als habe er Atlans Worte nicht gehört. »Gut, wie du willst«, winkte der Arkonide ab. »Ihr hättet mit uns fahren können, wenn ihr zur Zusammenarbeit bereit gewesen wäret. Wir haben nicht vor, eurer Verstocktheit zuliebe in Obolorns Kreuzfeuer zu laufen. Ihr fahrt vor uns her. Sobald Obolorn euch unter Beschuß nimmt, wissen wir, daß wir die gefährliche Zone erreicht haben.« Teffernors Tasthaare begannen zu zittern. Visnjaks große Augen glänzten wie im Fieber. Blödel zog eine Sektion des Geländers beiseite. Atlan machte eine auffordernde Geste.
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»Warte noch«, keuchte Teffernor. »Wir kennen uns nicht so gut aus, wie du denkst. Wir dachten, wir hätten einen alten, vergessenen Gang gefunden, durch den man leichter an OBO-eins herankäme. Wir schickten einen der Unseren nach unten. Aber unsere Rechnung ging nicht auf. Efatern kam tot zurück.« »Tot? Wie? Erschossen? Verbrannt?« »Jemand hatte ihm den Hals aufgerissen«, ächzte Teffernor. »Obolorn, nehmen wir an.« Der Arkonide stieß einen halblauten Pfiff aus. »Ein Weg also, auf dem Obolorn sich auf seine automatischen Abwehranlagen nicht verlassen kann, sondern von Hand eingreifen muß. Das interessiert uns, Erkenner. Stellt das Ziel entsprechend ein.« * Die vier Scheiben sanken gemächlich in die Tiefe. Die vorderen zwei waren leer. Die Maßnahme war sicherlich nicht ausreichend, Obolorn zu täuschen. Aber automatische Sicherheitsmechanismen, wenn es in diesem Schacht solche gab, mochten sich davon irreführen lassen. Auf der dritten Antigravplatte kauerten Atlan und Tyari mit Yurrht, Teffernor und Visnjak. Hage Nockemann, Pluuslock und Blödel, in der Gesellschaft von Priparrhn und Terschlakk, bildeten mit der vierten Platte die Nachhut. Vor dem Stollen, den Teffernor bezeichnet hatte, wurde angelegt. Zuerst die leeren Platten. Sie verharrten je drei Minuten im Ankerschlitz und schwebten sodann beiseite, um dem folgenden Fahrzeug Platz zu machen. Die Schaltung war so vorgenommen worden, daß die Platten in der Nähe des Stollenausgangs warteten. Atlan legte Wert darauf, daß der Rückweg offen blieb. Er ordnete seine Truppen. Teffernor und Visnjak erhielten je eine Lampe und marschierten an der Spitze. Das gefiel ihnen nicht, aber der Arkonide wies ihren Protest mit barschen Worten zurück. An zweiter Stelle kamen er selbst, Blödel und Pluuslock. Hinter sich hatten sie Terschlakk und Priparrhn; Tyari, Nockemann und Yurrht machten den Abschluß. Die erste halbe Stunde des Marsches verlief ereignislos. Schließlich öffnete sich der Stollen in einen großen, runden Raum. Auf dem Boden lag eine Lampe, und rings um die Lampe gab es braunrote Spuren einer eingetrockneten Flüssigkeit. »Bis hierher«, schnalzte Teffernor dumpf, »ist Efatern gekommen.« Der Stollen führte auf der anderen Seite des Raumes weiter. Atlan warf Blödel einen fragenden Blick zu, aber der Robot reagierte nicht darauf. Er war am Horchen. Seine empfindlichen Sensoren drangen weit in die Finsternis vor und registrierten jeden verdächtigen Impuls, jedes Energiequant, das nicht aus natürlichen Quellen stammte. Solange er nicht sprach, bestand keine unmittelbare Gefahr. Er würde sich melden, wenn er Anzeichen verspürte, daß OBO-1 sich zu Wehren begann. Zwanzig Minuten später gelangten sie wiederum in einen kreisförmigen Hallenraum. Er war größer und höher als der, in dem Efatern den Tod gefunden hatte, aber auf den ersten Augenblick genauso kahl. Auch hier fanden sie etwas – als sei einer vor ihnen hergezogen und hätte in regelmäßigen Abständen Gegenstände fallen lassen, um seine Fährte zu markieren. Aber dieser Fund war keine traurige Mahnung an das grausige Schicksal eines Unglückseligen, der hier unten den Tod gefunden hatte. Was sie hier vor sich hatten,
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stellte eine Teillösung des Rätsels dar, dem sie auf der Spur waren. Die Lichtkegel ihrer Lampen spielten über den formlosen, dicht behaarten Gegenstand. »Ein Pelz!« stieß Teffernor hervor. »Ein Anterferranterpelz«, bestätigte Hage Nockemann. Er kniete nieder und begann, das Fell auszubreiten. Der Schädel wirkte ungemein lebensecht. Zwar war das irisierende Funkeln der Augen erloschen, aber das Licht der Lampen brach sich hundertfach in den aus einer flexiblen Plastiksubstanz gefertigten Augäpfeln und erzeugte einen gespenstischen, unheimlichen Effekt. Der Schädel, innen hohl, war in zwei Hälften gespalten, eine vordere und eine hintere. Zwei hauchdünne, in der Farbe des Pelzes gehaltene Selbstklebstreifen bewirkten, sobald der Unbekannte in die Maske geschlüpft war, einen sicheren und unsichtbaren Verschluß. Nockemann klappte die vordere Schädelhälfte beiseite. Drei kleine, kästchenförmige Behältnisse wurden sichtbar, zwei in unmittelbarer Nähe der Augen, das dritte oberhalb des Mundes. »Mit den oberen beiden«, murmelte der Wissenschaftler, »hat er seine Augen leuchten lassen. Das untere ist vermutlich ein Translator, zumindest jedoch ein Modulator. Damit erzeugte er seine wohlklingende Stimme.« Der Pelz war sauber verarbeitet und so hergerichtet, daß er von einem Wesen passender Größe mit einem Minimum an Mühe angelegt werden konnte. Zuverlässige Klebesäume fügten die Bestandteile der Maske nahtlos zusammen. Atlan konnte sich eines leisen Schauders nicht erwehren, als er sich auszumalen versuchte, wie vor vier oder fünf Jahren einem Anterferranter die Haut vom Leib gezogen worden war. Welch barbarische Art, sich eine Maske zu verschaffen! »Eine bestialische Tarnung«, sagte Tyari, als hätte sie seine Gedanken erraten. »Aber wie konnte es geschehen, daß sie mehrere Jahre lang von niemand durchschaut wurde? Ich meine, wenn sich ein Fremdwesen an Bord der SOL einschliche und als Maske eine menschliche Haut trüge, dann würde sicherlich über kurz oder lang ...« »Erstens«, fiel ihr der Arkonide ins Wort, »ist die Maske mit großem Sachverstand und einem hohen Maß an Sorgfalt präpariert.« Er wies auf mehrere blasenförmige Beutel, die zum Vorschein gekommen waren, als Nockemann den Pelz wendete. »Sieh dort. In diesen Behältern befand sich das Blut, das Chodhpah vergoß, als er mit Pluuslock unter dem Felsrutsch begraben wurde. Wenn wir mehr Zeit hätten, fänden wir wahrscheinlich auch Vorrichtungen, die die natürliche Körperausdünstung der Anterferranter nachahmten. Zweitens bedenke die Lage auf Anterf. Infolge des Zerfalls gibt es keine nennenswerte interstellare Raumfahrt mehr. Fremdwesen auf Anterf und den angeschlossenen Welten sind äußerst selten. Die Anterferranter sind an die Anwesenheit Fremder nicht mehr gewöhnt. Wer wie einer der Ihren aussieht, ist einer der Ihren.« »Hinzu kommt«, ergänzte Pluuslock, »daß Chodhpah sich immer nur kurze Zeit sehen ließ. Zwischen zweien seiner Auftritte vergingen jeweils mehrere Wochen, in denen er sich angeblich draußen im Gelände herumtrieb und nach neuen Fundstätten suchte.« Hage Nockemann hatte den Pelz inzwischen vollständig nach innen gewendet. Unterhalb der linken Schulter glänzte im Schein der Lampen der blaue Fleck, das Erkennungszeichen des Prospektors. »Wir wissen jetzt, was er nicht ist«, sagte Atlan. »Es wird Zeit, daß wir herausfinden ...«
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Er unterbrach sich mitten im Satz. Grelles Licht flutete plötzlich von der Decke. Ein trockener, berstender Knall zerriß die Stille. Die schimmernde Wand eines Energiefelds flackerte auf. * Yurrht gab einen seltsam trillernden Schrei von sich, den Ausdruck höchsten Entsetzens. Atlan sah ihn in die Knie gehen und die Arme heben. Der Arkonide sah sich um. Die schimmernde Wand umgab sie auf allen Seiten. Das grelle Licht, das von der Decke herabströmte und sich in der Energieschicht tausendfach brach, machte es schwer, den Verlauf der Wand zu verfolgen, aber Atlan zweifelte keine Sekunde, das das energetische Feld allseitig geschlossen war. Es war über sie gestülpt wie eine Käseglocke. Eine volltönende, melodische Stimme war plötzlich zu hören. Sie schien aus dem Nichts zu kommen und sprach anterferrantisch, jedoch mit einem klingenden Akzent, der den Sprecher als Fremdwesen identifizierte. »Ihr habt Chodhpah, den Prospektor, also entlarvt. Er muß in der Versenkung verschwinden, ein anderer seinen Platz einnehmen. Aber das ist nicht von Bedeutung. Wichtig ist allein, daß die Aufgabe zu Ende geführt wird.« Unter der Mündung des Stollens, durch den Atlans Gruppe ihren Weg hatte fortsetzen wollen, erschien eine hochgewachsene Gestalt in fremdartigem Gewand. Von der Schulter baumelte ihr an einem Riemen ein kleines, schmuckloses Kästchen. Quasi automatisch zog der Verstand die Parallele zu der Umhängetasche, die Chodhpah stets mit sich getragen hatte. Was Atlan aber weitaus mehr faszinierte, waren die lichtblaue Hautfarbe und das kupferrote Haar des Fremden. Ein Beneterloge! Ein Mitglied der führenden Zivilisation der Galaxis Farynt. Er war kaum überrascht. Seit er wußte, daß das Wesen, das sich als Chodhpah ausgab, eine Maske trug, war ihm klar gewesen, daß es sich nur um einen Agenten der Gegenseite handeln konnte. Die Gegenseite aber, aus der Sicht Anterfs, das waren die Völker der Galaxis Farynt. Dwin hatte sich als Bheynder entpuppt. Aber die Spezies der Bheynder war praktisch ausgestorben und spielte in der Auseinandersetzung zwischen Farynt und Bars keine Rolle. Wer sonst aber hätte auf Selterf im Auftrag der faryntischen Völker agieren sollen? Ein Beneterloge, hatte Atlan gemeint, und seine Vermutung erwies sich als richtig. Mehr als schlechthin ein Beneterloge, verbesserte er sich: ein Prezzarerhalter. Die Bedeutung des kleinen Kastens war ihm bekannt. Er enthielt ein pseudointelligentes Wesen, mit dessen Hilfe sein Besitzer Verbindung zu anderen Prezzarerhaltern herstellte. Das Kästchen, oder vielmehr seinen Inhalt, nannte man einen Fetisch. Die Kommunikation erfolgte auf telepathischer Basis und war unabhörbar. Tyari hatte diese Informationen gesammelt, als eine benetische Flotte die SOL und die TEUCER angriff und sie die Gedanken des Prezzarerhalters Vling belauschte. Vling war ein besonderer Beneterloge, und seine Gedanken hatten sich, während Tyari sich mit ihm befaßte, verwundert um die seltsamen Befehle gedreht, die er von einem zunächst noch unbekannten Wesen namens EGEN erhielt, und um die »Wiederfindung Prezzars«.
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»Was ist die Aufgabe, fragt ihr?« begann die klingende Stimme von neuem. »Ihr kennt die Antwort ebenso gut wie ich. Bars-2-Bars, die Mißgeburt eines ungnädigen Schicksals, darf in der jetzigen Form nicht bestehen bleiben. Die Völker von Farynt haben dies erkannt, und auch ihr, die Bewohner von Bars, habt euch zu dieser Ansicht durchgerungen. Bars und Farynt müssen entflochten, der ursprüngliche Zustand wiederhergestellt werden. Solange wir unser Dasein in ständigen Kriegen gegeneinander vergeuden, läßt sich die Entflechtung nicht bewerkstelligen. Erst wenn der eine oder der andere den Sieg davongetragen hat, kann man daran denken, die Trennung der beiden Galaxien vorzubereiten. Wir, das Volk der Beneterlogen, wollen die Sieger sein. Dieser Wunsch erfordert, daß wir den mächtigsten unserer Gegner, das Volk von Anterf, nach Möglichkeit schwächen. Ich, Kulia Aogi, bin hier, um zu verhindern, daß die anterferrantische Zivilisation von neuem erstarkt. Um Ordnung in euer Haus zu bringen, bedürft ihr der Hilfe der Positronik, die ihr OBO-eins nennt. Ich habe mich in den Tiefen dieses Mondes eingenistet, um zu verhindern, daß ihr OBO-eins jemals wieder in Betrieb nehmt. Ich bin Obolorn. Ich habe die Maschine zu meinem Sklaven gemacht. Niemals wird es euch gelingen, sie wieder unter euren Willen zu zwingen.« Atlan mußte sich korrigieren. Die benetische Spezies war auf verblüffende Weise menschenähnlich. Die weiblichen Formen Kulias, so wenig ausgeprägt sie auch sein mochten, hätten ihm nicht entgehen dürfen. Er warf einen Blick zur Seite. Was er sah, stellte ihn zufrieden. Blödel hatte das Gebot der Stunde verstanden. Er stand in unmittelbarer Nähe der energetischen Wand. »So sagst du«, rief er, »daß OBO-eins wieder funktionsbereit ist?« »Ja, Fremder, das ist er«, antwortete die Prezzarerhalterin. »Wenn es nur darum ginge, die Positronik auf der Grundlage ihres ursprünglichen Basisprogramms arbeiten zu lassen, könnte sie mit ein paar Schalterdrucken wieder in Betrieb genommen werden.« Ein freudloses Lächeln huschte über das schlanke, exotische Gesicht. »Aber darum geht es nicht. OBO-eins erhält ein neues Basisprogramm. Daran arbeite ich, und da ich nach eurer Beseitigung mit keinen weiteren Störungen rechne, werde ich bald zum Ziel gekommen sein.« »Du nennst mich einen Fremden«, sagte Atlan. »Ja, das bin ich. Ich komme von einer Welteninsel, die viele Millionen Lichtjahre von hier entfernt ist. Da sowohl die Völker von Bars, als auch die von Farynt auf eine Entflechtung der beiden Galaxien hinstreben, erscheint es mir als Unvoreingenommenem, es wäre vorteilhafter, wenn die Farynter und die Barser sich miteinander verständigten und gemeinsam auf das Ziel hinarbeiteten, als daß sie sich gegenseitig in sinnlosem Kampf zerfleischten.« »Du bist ein Idealist, Fremder«, lächelte Kulia Aogi. »Uns ist darum zu tun, die Entflechtung so schnell wie möglich herbeizuführen. Der schnellste Weg aber ist der der Gewalt. Und außerdem geht es dabei um Prezzar.« »Das ist eine lächerliche ...« »Genug jetzt!« Die bisher so wohlklingende Stimme war plötzlich scharf und schneidend. »Jahrelang hat jeder den Tod gefunden, der der Positronik zu nahe kam. Mir als einzelner blieb keine andere Wahl. Die Legende um Obolorns Grausamkeit mußte ausgebaut und gestärkt werden, bis sich eines Tages niemand
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mehr getrauen würde, in die Tiefen von Seleterf vorzudringen. Ob ich persönlich euren Tod wünsche oder nicht, spielt keine Rolle. Die Sache erfordert, daß ihr sterben müßt.« Aus den Falten ihres Gewands brachte sie einen dünnen, silbern schimmernden Stab zum Vorschein und richtete ihn auf die energetische Wand. »Habt keine Angst. Euer Ende kommt rasch und fast schmerzlos. Das Energiefeld zieht sich um euch zusammen ...« Von der Seite her kam ein halblautes, klapperndes Geräusch. An Blödels metallenem Leib war eine Lade ausgefahren. Irritiert hielt Kulia inne. Verwirrt musterte sie das kleine, dunkle Haarknäuel, das an der Seite des Roboters entlanghuschte und mit einer Geschwindigkeit, der das Auge kaum zu folgen vermochte, auf die energetische Wand zuschoß. Wuschel, der Bakwer, stieß einen schrillen Schrei des Triumphs aus. Seine helle Stimme gellte: »Energie, herzhafte, wohlschmeckende Energie! Ich fresse sie auf!« Und da er keinen Translator trug, wurden seine Worte nicht übersetzt. »Sterbt!« schrie Kulia Aogi. Aus der Spitze des Stabes schoß knisternd und zischend ein vielfach gezackter Blitz auf das Energiefeld zu. * Das Feld begann zu flackern. Nach Kulias Plan hatte es schrumpfen sollen, bis es die Gefangenen berührte und sich durch ihre Körper entlud. Aber durch Wuschels blitzschnelles Eingreifen hatte sich die Lage geändert. Mit der unglaublichen Gefräßigkeit seiner Art war es dem Bakwer gelungen, eine Öffnung durch die schimmernde Wand des Feldes zu beißen. Sie war klein, kaum daß eine menschliche Faust hindurchgepaßt hätte, aber sie brachte die energetische Struktur der Feldhülle ins Wanken. Anstatt in Richtung der Kreismitte zu schrumpfen, wo die Gefangenen standen, zog sich das Feld um die von Wuschel geschaffene Lücke zusammen. Es flackerte und knallte. Blitze schossen durch die Halle. Durchdringender Ozongeruch machte sich bemerkbar. Kulia Aogi stand starr wie eine Statue und begriff nicht, was sich vor ihren Augen abspielte. Das Feld brach zusammen – aber die Gefangenen blieben unverletzt. »Wuschel, das Kästchen!« schrie Tyari. Das kleine Knäuel schoß davon. Kulia schwenkte den silbernen Stab zur Seite. Ein Blitz entlud sich krachend. Aber Wuschel war flink. Der tödliche Schuß verfehlte ihn. Mit unheimlicher Geschwindigkeit schoß er an Kulias faltigem Gewand in die Höhe. Zwei rasche Bisse, und das Kästchen mit dem Fetisch fiel klappernd zu Boden. Atlan war in Bewegung. Er hielt die Mündung des Paralysators auf Kulia gerichtet. »Niemand braucht zu sterben ...«, schrie er. Jemand prallte mit voller Wucht gegen ihn. Es war Teffernor, der erkannt hatte, daß man, wenn er vor Gericht erschien, sich wohlwollend an die tapfere Rolle erinnern würde, die er bei dieser Auseinandersetzung gespielt hatte. Der Aufprall brachte den Arkoniden aus dem Gleichgewicht. Er strauchelte. Kulia sah ihre Gelegenheit. Der Stab wippte herum. Eine grellweiße Lichtflut ... die donnernde, fauchende Entladung eines Blasters. Die Prezzarerhalterin stand in einen Mantel aus
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zuckenden Flammen gehüllt. Noch einmal war durch die wabernde Glut ihr Gesicht zu sehen – eine starre Maske aus Verwunderung, Furcht und Schmerz. Als die Flammen in sich zusammensanken, war Kulia Aogi nicht mehr. Die Prezzarerhalterin, die, auf sich allein gestellt, den Wiederaufstieg der anterferrantischen Zivilisation hatte verhindern wollen, war dem Schicksal anheimgefallen, das sie anderen zugedacht hatte. Atlan wandte sich schwerfällig um. Tyari hatte den Blaster noch schußbereit in der Hand; der orangerote Funke des Abstrahlfelds glühte. Ihr Gesicht war vor Entsetzen verzerrt. »Ich wollte es nicht«, stammelte sie. »Es ... es tut mir leid. Aber mir blieb keine andere Wahl.« Atlan schritt auf sie zu und legte ihr beruhigend die Hand auf die Schulter. »Ich weiß es«, sagte er sanft. »Wir hätten sie vieles fragen können. Aber sie hat sich das Urteil selbst gesprochen.« Es klapperte. Wuschels durchdringende Stimme krähte: »Wenigstens haben wir diesen hier noch!« An einem Rest der zerbissenen Riemens zerrte er das Kästchen mit dem Fetisch hinter sich her. * Sie kehrten an die Oberwelt zurück. Atlan setzte einen Hyperkomspruch nach Anterf ab. Er forderte Narrm auf, eine Gruppe von Computerexperten nach Seleterf zu schicken. OBO-1 warte darauf, wieder in Betrieb genommen zu werden. Gleichzeitig forderte er ein Detachement der anterferrantischen Flotte an, das die sublunaren Anlagen nach den technischen Einrichtungen absuchen sollte, die Kulia Aogi dort hinterlassen hatte. Vieles, was mit der Tätigkeit der Prezzarerhalterin zusammenhing, war ungeklärt. Die Legende von Chodhpah, dem Prospektor, mußte bis ins letzte Detail entmystifiziert werden, wenn die Anterferranter sich in Zukunft vor ähnlichen Vorstößen des Gegners sicher fühlen wollten. Die Zelle der Erkenner des Wahren wurde aufgelöst. Teffernor und seine Gefolgsleute würden sich vor Gericht verantworten müssen, sobald die anterferrantische Justiz wieder ins Lot gebracht worden war. Sie sahen milden Strafen entgegen – mit Ausnahme Visnjaks und des Attentäters, der Shorrn verletzt und seinen Chauffeur getötet hatte. Shorrn genas nach zwei Tagen und wurde an Bord der CHYBRAIN gebracht. Der Kreuzer rüstete sich zum Start. Hage Nockemann und Blödel hatten sich des Fetischs angenommen. Das Kästchen, in dem das Fremdlebewesen stak, erwies sich als ein höchst kompliziertes Gebilde, eine Meisterleistung miniaturisierter Technik. Es enthielt nicht nur eine Versorgungsanlage für den Fetisch, sondern daneben eine mit hochbrisanten Chemikalien gefüllte, hermetisch versiegelte Kapsel, deren Zweck den beiden Scientologen erst offenbar wurde, als ihnen eine winzige Probe des Kapselinhalts infolge einer Unachtsamkeit Nockemanns mit beachtlicher Licht-, Geräusch- und Qualmentwicklung um die Ohren flog. Es handelte sich also um einen Sprengsatz. Nockemann erinnerte sich an eine Reihe von
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Eindrücken, die Tyari gewonnen hatte, als sie den Beneterlogen Vling telepathisch belauschte. Es war damals nicht ganz klar geworden, woran er in einem Anflug von Niedergeschlagenheit dachte. Gedanken an Selbstvernichtung und Tod hatten sich durch sein Bewußtsein bewegt. Die Entdeckung der Kapsel klärte die Zusammenhänge auf. Die Prezzarerhalter waren offenbar gehalten, sich selbst und ihren Fetisch zu vernichten, sobald die Gefahr bestand, daß sie einem Gegner unterlagen. Wie die Sprengladung gezündet wurde, konnten die beiden Forscher zunächst nicht ermitteln. Hage Nockemann nahm an, daß es auf telepathischem Weg geschähe. Der Fetisch selbst war ein kugelförmiges Gebilde von fünf Zentimetern Durchmesser. Eine zähe, rosafarbene Haut bedeckte den Körper des fremdartigen Wesens. Acht winzige Beinchen ragten aus der Unterseite der Kugel. In halber Höhe des Körpers gab es eine muskulöse Öffnung, die der Nahrungsaufnahme und – Hage Nockemann vernahm es mit Entsetzen, als der Fetisch seine ersten Worte von sich gab – dem Sprechen diente. Das seltsame Geschöpf beherrschte zwei Sprachen: benetisch und anterferrantisch. Das letztere hatte offenbar Kulia Aogi ihm beigebracht, während jener langen, einsamen Monate, in denen er ihr einziger Gesprächspartner war. Der Fetisch war minimal intelligent. Er verstand den Sinn einfacher Fragen und wußte darauf zu antworten. Nachdem Nockemann und Blödel in Erfahrung gebracht hatten, wie man es anstellen mußte, um ihn in eine Unterhaltung zu verwickeln, riefen sie den Arkoniden herbei. »Frag ihn etwas«, sagte Hage Nockemann. Atlan wandte sich verwunderten Blicks an das kleine, rosarote Geschöpf und fragte: »Wie ist dein Name?« »Nam’ Marcoyn«, quarrte er. »Woher kommst du?« »Komm’ du? Nix komm. Immer hier.« »Was weißt du über Kulia Aogi?« »Kulia tot. Nix sag EGEN.« Atlan stutzte. Was bedeutete das? EGEN sollte nicht davon erfahren, daß Kulia Aogi den Tod gefunden hatte? »Wer ist EGEN?« wollte er wissen. »EGEN Herr. Befehl alles. Groß’ Kommandant nix weiß wo.« Atlan sah die beiden Scientologen fragend an. »Auf diesen EGEN kommt er immer und immer wieder zu sprechen«, erklärte Nockemann. »Er muß im Reich der Beneterlogen eine wichtige Rolle spielen. Eine Art König oder Diktator. Die Redewendung ›Nix weiß‹ kommt des öfteren vor. EGEN hält sich offenbar im Hintergrund.« Atlan musterte den kleinen, fleischfarbenen Ball mit nachdenklichem Blick.
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»Paßt gut auf ihn auf«, sagte er. »Es darf ihm nichts geschehen. Er wird uns noch manche Information liefern.« Er kehrte zur Kommandozentrale zurück, um den Start der CHYBRAIN zu überwachen. Es würde noch zwei bis drei Wochen dauern, überlegte er, bis die SOL wieder soweit hergestellt war, daß sie unbedenklich eingesetzt werden konnte. Infolge der jüngsten Ereignisse war Anterf zu einem relativ sicheren Hafen geworden. In wenigen Stunden würde OBO-1 wieder in Betrieb genommen werden. Eine Stabilisierung der Verhältnisse im Barsanter-System konnte nicht ausbleiben. Er ging kein unnötiges Risiko ein, wenn er die Zeit nutzte, sich um die Beneterlogen zu kümmern. Die Prezzarerhalter mit ihren Fetischen faszinierten ihn. Telepathische Kommunikation über interstellare Distanzen war ihm bisher nur selten begegnet und gewöhnlich auf Einzelwesen beschränkt. Hier aber gab es eine ganze Gruppe, eine Bevölkerungsschicht, die sich kraft des Geistes untereinander verständigte. Den Fetischen wohnte ein beachtliches Psi-Potential inne. Atlas zweifelte keine Sekunde daran, daß Kulia Aogis Mentalstrahlung nur deswegen von Tyari nicht hatte registriert werden können, weil Marcoyn seine Besitzerin abschirmte. Er begann, sich einen Plan zurechtzulegen. So vertieft war er in seine Gedanken, daß er den Start der CHYBRAIN nur unterbewußt erlebte. Je länger er an seinem Plan arbeitete, desto mehr erregte ihn die Aussicht, aufs neue in völlig unerforschtes Gebiet vorzustoßen, in das geheimnisvolle Reich der Beneterlogen und Prezzarerhalter, tiefer in die Überlappungszone der beiden Galaxien, in Richtung des Ortes, an dem der Korridor begann, der zu Anti-ES führte ... ENDE
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Weiter geht es in Band 131 der Abenteuer der SOL mit: Die Spur nach Farynt von Horst Hoffmann Impressum: © Copyright der Originalausgabe by Pabel-Moewig Verlag KG, Rastatt Chefredaktion: Klaus N. Frick © Copyright der eBook-Ausgabe by readersplanet GmbH, Passau, 2008, eine Lizenzausgabe mit Genehmigung der Pabel-Moewig Verlag KG, Rastatt
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