ALEXANDRU AVRAM
DER VERTRAG ZWISCHEN ROM UND KALLATIS. EIN BEITRAG ZUM RÖMISCHEN VÖLKERRECHT
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ALEXANDRU AVRAM
DER VERTRAG ZWISCHEN ROM UND KALLATIS. EIN BEITRAG ZUM RÖMISCHEN VÖLKERRECHT
VERLAG ADOLF M. HAKKERT - AMSTERDAM 1999
Schwarzmeer-Studien
Herausgegeben von Wolfgang Schuller
Band 7
LS.B.N.90-256-1129-X
Für Suzana
Nous ne voyons plus loin que nos prédécesseurs que parce que nous sommes juchés sur leurs épaules, Jean Bousquet
I
VORWORT DES HERAUSGEBERS
Der Autor des vorliegenden Buches wurde 1956 in Tulcea geboren. Nach seinem Geschichtsstudium in Bukarest wirkte er zunächst als Lehrer am Bukarester Deutschen Lyzeum und arbeitet seit 1983 am Archäologischen Institut »Vasile Parvan« der Rumänischen Akademie der Wissenschaften; seit 1987 ist er zudem Dozent für Griechische Geschichte und Epigraphik an der Universität Bukarest. Langjähriger Mitarbeiter an den Ausgrabungen in Histria, konnte er erst nach 1989 promovieren - 1992 bei Petre Alexandrescu mit einer Arbeit über die thasischen Amphorenstempel von Histria - und längere Studienaufenthalte im Ausland wahrnehmen, so 1992/93 als Stipendiat an der École Française d'Athènes, 1994/95 als maître de conférences invité an der Universität Orléans und 1995 an der Universität Freiburg (Schweiz). Das vorliegende Buch hat der Autor selbst in deutscher Sprache verfaßt; ich freue mich sehr, es als vorläufige Krönung unserer langjährigen freundschaftlichen Verbindung publizieren zu können. Thomas Witte hat bei der Anfertigung der Druckvorlagen wesentlich zum Zustandekommen des Buches beigetragen, wofür ihm herzlich gedankt sei. Anläßlich der Schwarzmeer-Konferenz des Jahres 1994 in Vani machte mir der Verleger Adolf M. Hakkert den Vorschlag, bei ihm eine Schriftenreihe von Studien über das Schwarze Meer herauszubringen. Ich nahm diesen Vorschlag sehr gerne an und freue mich, daß nach dem überraschenden und viel zu frühen Tod Hakkerts Wim Kos dieses Projekt als Nachfolger in der Verlagsleitung übernommen hat. Dem Andenken Dolf Hakkerts soll die Reihe dankbar gewidmet sein.
Konstanz im Herbst 1998
Wolfgang Schuller
ΠΙ
INHALT
L
ZUR FORSCHUNGSGESCHICHTE,
1
Π.
DIE BESCHREIBUNG DES I N S C H Ì U F Ì E N ^
18
EL DIE KANONISCHE FORM DER GRIECHISCHEN FASSUNG EINES ZWISCHEN ROM UND EINER STADT AUS DEM 30 OSTEN ABGESCHLOSSENEN VERTRAGS 1. Verzeichnis der Texte 30 2. Bemerkungen zu den Klauseln 35 3. Ergebnisse 38 IV. DIEWŒDERHERSTËixïAG"DERLETCTEN'^D^IÄ© DIE FESTSTELLUNG DER ZEILENLÄNGE 40 V. DIE REKONSTRUKTION DES TEXTES .42 1. Allgemeines 42 2. Bemerkungen zur Verteilung der verpflichtenden 46 Wendungen auf Zeilen 3. Die Neutralitätsbestimmung 48 4. Die Allianzbestimmung 50 5. Die Änderungsklausel 51 VI. DIE ZEITLICHE ANSETZUNG DES VERTRAGS 55 1. Historische Umstände 55 2. Rechtliche Fragen 61 3. Bemerkungen zur Schreibweise des Inschriftenwortlautes67 4. Paläographische Bemerkungen 76 VÏÏ. SOCffiTASUNDFOEDUS:A>WE^UNG/FÖm, 79 ABSCHLUSS UND BEURKUNDUNG 1. Das Völkerrecht der römischen Republik und seine 79 Institutionen 2. Die Wirkungen einer s o c i e t a s 9 4 3. Zur Beurkundung einer societas. 99 Vm. DER HISTORISCHE ZUSAMMENHANG DES VERTRAGS 111 DC DIE ERNEUERUNG DES VERTRAGS UM 3/2 V. CHR. 123
Z.ZZZ.. I44
X. SCHLUSSBETRACHTUNG ABKÜRZUNGEN.
LITERATUR ANHANG
...
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148
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151 165
ν VORWORT Die vorliegende Abhandlung stellt ein Nebenergebnis der Arbeit dar, die ich seit ein paar Jahren am Corpus der griechischen und lateinischen Inschriften aus Kallatis leiste. In provisorischer Form habe ich die hier entwickelten Hauptthesen am Kolloquium »Akkulturation und politische Ordnung im Hellenismus« (FU Berlin, März 1994) dargelegt. Der Text des damaligen Vortrags wird in den Akten des Kolloquiums erscheinen. Weitere Abzüge davon stellten den Stoff etlicher Vorträge am Archäologischen Institut Bukarest (Dezember 1993), am Seminar für griechische Geschichte von Prof. Dr. Olivier Picard (Université Paris IV - Sorbonne, Januar 1995), am Centre Camille Jullian der Universität Aix-en-Provence (März 1995) und am Groupe Romand des études grecques et latines (Fribourg, Mai 1995) dar. Bei diesen Gelegenheiten oder sonst hatte ich das Privileg, daß mehrere Gelehrte meine Erwägungen kritisch beurteilt und mir äußerst wertvolle Ratschläge erteilt haben: Dr. Klaus Hallof, Dr. Daniel Strauch (Berlin), Prof. Dr. Wolfgang Schuller (Konstanz), Prof. Dr. Vladimir fliescu (Aachen), Prof. Dr. Olivier Picard, Prof. Dr. Jean-Louis Ferrary, Dr. François Lefèvre (Paris), Prof. Dr. Claude Vatin, Prof. Dr. JeanPaul Morel (Aix-en-Provence), Prof. Dr. Marcel Pierart (Fribourg), Prof. Dr. Denis Knoepfler (Neuchâtel), Prof. Dr. Juri G. Vinogradov (Moskau), Prof. Dr. Iancu Fischer, Prof. Dr. Petre Alexandrescu, Dr. Constantin C. Petolescu, Dr. Gheorghe Poenaru Bordea, Dr. Alexandru Suceveanu, Dr. Alexandru Barnea, Dr. Alexandru Niculescu (Bukarest), Dr. Octavian Bounegru (Iasi), Dr. Vasile Lica (Galatzi). Ihnen allen soll hier mein aufrichtiger Dank ausgedrückt werden. Ohne Zugang zu einigen der reichsten Fachbibliotheken wäre die Vollendung einer solchen Arbeit kaum möglich gewesen. Fast ausschließlich den Studienaufenthalten an der Ecole Française d'Athènes als Stipendiat des französischen Ministère de l'Enseignement Supérieur et de la Recherche (Oktober 1992-Juli 1993) und an der Universität Fribourg als Stipendiat des schweizerischen Fonds National de la Recherche (Mai-Juli 1995), wo ich mich der Gastfreundschaft von Prof. Dr. Roland Etienne bzw. Prof. Dr. Marcel Piérart erfreut habe, verdanke ich, daß ich die einschlägige Literatur
VI berücksichtigen konnte. Dank schulde ich ebenfalls Prof. Dr. Claude Michaud und Frau Prof. Dr. Marie-Françoise Basiez, welche mich als maître de conférences zur Universität Orléans eingeladen (Oktober 1994-Februar 1995) und mir dadurch u. a die Gelegenheit angeboten haben, in den französischen Bibliotheken zu arbeiten; ich denke vor allem an die Bibliothek der Ecole Normale Supérieure, zu der mir Prof. Dr. Pierre Petitmengin Tür und Tor weit geöffnet hat. Daher darf ich jetzt behaupten, daß allein ich die Verantwortung aller Unzulänglichkeiten trage, die sich an der vorliegenden Arbeit zweifelsohne bald feststellen werden. Herrn Prof. Dr. Wolfgang Schuller möchte ich nur an letzter Stelle dafür danken, daß er sich großzügigerweise für bereit erklärte, diese Abhandlung in die Schwarzmeerstudien aufzunehmen. Vor allem aber möchte ich ihm für die ständige Hilfe, die er meinen Untersuchungen seit über zehn Jahren leistet, meine volle Dankbarkeit ausdrücken. Die Schwarzmeerforschungen in den »Ostländern« unterstützte er schon in einer Zeit, wo der Ausdruck leider noch eine politisch geprägte Bedeutung hatte und der Verfasser gehört zu denen, die das nie vergessen werden. Die Abhandlung widme ich meiner Frau, DipL-Ing. Suzana Avram, geb. Boceanu, die mir bei dieser Untersuchung wie auch sonst stets beigestanden hat.
Fribourg, im Juli 1995
N. B. Die nach 1995 erschienene Literatur konnte nur noch ζ. Τ. berücksichtigt werden.
I. ZUR FORSCHUNGSGESCHICHTE
Gegenstand der vorliegenden Untersuchung ist eine unter unbekannten Umständen in Mangalia während der Zwischenkriegszeit entdeckte lateinische Inschrift1, die erstmals von Teofil Sauciuc-Säveanu, allerdings in einer Rohform und mit einem unbefriedigenden Kommentar publiziert wurde2. Daß das Bruchstück ein Fragment des Bündnisses zwischen Rom und Kallatis trägt, wurde erst ein paar Jahre später von Scarlat Lambrino festgestellt3. Anläßlich eines vor der Académie des Inscriptions et Belles-Lettres gehaltenen Vortrags hat der rumänische Epigraphiker die Hauptfragen aufgeworfen, welche die Inschrift den Gelehrten bis heute noch stellt: a) die Wiederherstellung des Textes nach den Wendungen der (epigraphisch nur in griechischer Sprache) bezeugten Verträge zwischen Rom und außerhalb des römischen imperium liegenden Städten; b) die Datierung; c) die historischen Umstände. Da dieser Beitrag den Ausgangspunkt aller weiteren Stellungnahmen zu diesen drei Problemen bedeutet, führe ich die Edition von Lambrino hier ausführlich an:
1
Die Inschrift wurde nicht durch archäologische Ausgrabungen entdeckt. Sie kommt aus der Sammlung des Arztes Dr. Horia Slobozianu, wie viele andere epigraphische und skulpturelle Denkmäler sowie Tongegenstände aus Kallatis (Mangalia) und der Umgebung. Zur Sammlung s. E. POPESCU, SCIV 13, 1962, 2, 485486; A. AVRAM, SCIVA 39, 1988, 3, 287.
2
T. SAUCIUC-SÀVEANU, Callatis, IVe rapport préliminaire. Fouilles et recherches de l'année 1927, Dacia 3-4, 19274932, 456-458 j . Nur wenige Worte hat der Herausgeber identifiziert bzw. ergänzt, wobei nicht wenige Buchstaben falsch abgeschrieben wurden. Dem Kommentar ist nur soviel zu entnehmen, daß die Inschrift »une grande importance pour l'histoire callatienne« habe und daß das Stichwort bellum auf »une guerre du peuple callatien« hinweise. Jedoch vergesse man nicht, daß der damalige Leiter der Ausgrabungen von Kallatis die Inschrift - wie alle anderen von ihm entdeckten Denkmäler - wenn auch summarisch, sehr schnell veröffentlicht hat, um dann gleich großzügigerweise Scarlat Lambrino die ausführliche Ausarbeitung der Urkunde zu überlassen. Der Kreis der Wissenschaftler hatte daraus nur Nutzen zu ziehen.
3
LAMBRINO, Inscription latine, 278-288; vgl. AÉ 1933, 106; R A 6 e sér. 2, 398.
2
[ [ [ 4 [ [ [ [ 8 [ [ [
]a[ ]alo quo po[plus ]t b[e]llum face[re p]equ[n]ia adioua[n]to [ .po]plo Callatino bellu[m ]ano queife] sub inperio [ po]plo Romano utei et [ ] prio[d?] faxit [pjoplo [ pop]lus Romanus popl[ ]o seiquo ad hance [
] ] ] ] ] ] ] ] ] ]
[ ]t [... ] agere exime[... ]e[... ] 12 [ ] voluntate licet[ ] [ ]xe[ ]nt id societat[em] [... ? Roma]nam utei scriberetur ac [po][neretur loc]o optumo in faano Concor[diae]. Z. 6: qui[e] Lambrino (Druckfehler). Für die Datierung suchte Lambrino Anhaltspunkte sowohl in manchen archaischen Formen der erhaltenen Worte als auch in der allerdings kargen historischen Überlieferung über die Ereignisse, die sich im ersten vorchristlichen Jahrhundert in der Gegend von Kallatis abgespielt hatten. Die Buchstabenform und die Schreibweise »semblent, de prime abord, indiquer le II e siècle av. J.-C. [...] Les graphies poplus, adiouanto, pequnia, utei, faano, ont, elles aussi, un air archaïque et, en effet, certains de ces mots, tel poplus, apparaît déjà au II e siècle sous la forme classique de populus. Le mot adiouanto mérite une attention spéciale parce qu'il fournit le second exemple connu du verbe iuuare avec ο ancien. Cependant, sauf cette dernière, ces graphies particulières sont encore employées jusque vers le milieu du I e r siècle av. J.-C.«4. Einen sicheren terminus ante quem findet dann Lambrino in einem Passus aus Cassius Dio (38, 10, 2-3), der die Ursachen und den Verlauf des Aufstandes der Dardanen und deren Verbündete gegen den Prokonsul 4
LAMBRINO, Inscription latine, 282 f..
3 Makedoniens C. Antonius Hybrida (62/61 v. Chr.) schildert: τα τ€ γαρ των Δαρδάνων καΐ τα των ττλησιοχώρων
σφίσι
πόρθησα^ ουκ €τόλμησ€ν
έπιόντας* αυτού? ύπομ€ΐναι, αλλ' ώς και έτΓ άλλο τι μ€τα των Ιππέων υποχώρησα? €φυγ€ν, και ούτω του? πβζού? εκείνοι π€ρισχόντβ? €κ Τ€ τη? χώρα? βιαίως €ξήλασαν και την λ€ΐαν προσαφ€ΐλοντο. το 6' αυτό τούτο καΐ ττ€ρΙ του? συμμάχου? του? kv τη Μυσια ποιη'σα? ήττήθη <προ?> τη των Ίστριανών πόλ€ΐ
προ? των Σκυθών των Βασταρνών,
έπιβοηθησάντων αυτοί?, καί άττέδρα. Theodor Mommsen hatte als erster in den σύμμαχοι
έν τη Μυσία die griechischen Küstenstädte erkannt5.
Demnach sollten diese Städte - u. a. Kallatis - vor 61 v. Chr. Verträge mit Rom abgeschlossen haben6. Den genaueren Zeitpunkt suchte dann Lambrino nach dem Feldzug des M. Terentius (Licinius) Lucullus Varro (72/71 ν. Chr.) während des Zweiten Mithridatischen Krieges, für den die wichtigste Quelle allerdings nur der viel spätere und ziemlich lakonisch abgefaßte Bericht von Eutropius bleibt (6, 10): Inde multas supra Pontum positas ciuitates aggressus est. Ulk Apolloniam euertit, Calatim, Parthenopolim, Tomos, Histrum, Burziaonem cepit. Verfolgt man die Beweisführung von Lambrino, so wird der Eindruck erweckt, daß der Verfasser einerseits geneigt gewesen wäre, der Inschrift auf Grund ihrer Schreibweise ein hohes Datum beizumessen, andererseits aber von den historischen Angaben, die er der mangelhaften Überlieferung hat entnehmen können, dazu gezwungen wurde, nicht allzu hoch hinter den festen Terminus 61 v. Chr. zurückzugehen. Daher die Zurückhaltung gegenüber gewissen, an sich datierungsfähigen sprachlichen Erscheinungen und sogar die selbstgenügsame Suche nach Beispielen, die »jusque vers le milieu du I e r siècle av. J.-C.« reichen. Daher auch die Festlegung, daß »la date à laquelle le traité entre Rome et Callatis a été conclu ne peut être placée plus haut que l'expédition de Lucullus. C'est à ce moment que pour la première fois une
5
Th. MOMMSEN, Römische Geschichte V, Berlin 1885, 11 Anm. 1; vgl. PIPPIDI, I Greci, 144 f., 276 Anm. 58.
6
LAMBRINO, Inscription latine, 285 f..
4 armée romaine parcourt le rivage de la Mer Noire, d'Apollonia jusqu'à Histria«7. Das Problem einmal angeschnitten, hat Alfredo Passerini das große Verdienst, zum ersten Mal - und, wenn ich nicht irre, seither zum letzten Mal in der gesamten Forschungsgeschichte - die Inschrift in ihrer ganzen Tragweite (Charakter, Wortlaut, Rechtsfragen, Datierung usw.) behandelt zu haben8. Unter Berufung auf das von Eugen Täubler entwickelte Schema9 hat Passerini die Wendungen der in griechischer Sprache erhaltenen Verträge ins Lateinische zu übertragen versucht, wobei er natürlich die seit jeher festgestellten Äquivalenzen, die sich für manche termini technici bei einem Vergleich zwischen Polybios und der entsprechenden lateinischen Übersetzung bei Titus Livius ergeben, berücksichtigt hat. Passerini ging davon aus, daß die letzte Zeile der Inschrift - in der er die Publikationsbestimmung erkannt und die er - - utei scriberetur ac [poneretur (vel figer etur) altera Romae in Capitolio loc]o optumo usw. wiederhergestellt hatte - eine Lücke »di 39 lettere e spazi« aufwies; »e, prendendo come punto di riferimento la metà delle righe conservate, possiamo postulare per ogni riga una lunghezza di circa 60 fra lettere e spazi: e si capisce che questi calcoli non vogliono essere che approssimativi. Con tale ampiezza di lacune naturalmente non si può pensare a una ricostruzione della lettera, ma solo a una del senso; e pur così molto rimarrà ipotetico«10. Mit dieser deutlich ausgedrückten Zurückhaltung hat also Passerini nur den Sinn zu treffen gesucht, demnach seine Rekonstruktion ohne Verteilung auf Zeilen angegeben11. Hätte er dies getan, dann hätte sich etwa folgendes ergeben: 7
Ebd. 286 f..
8
PASSERINI, H testo, 57-72.
9
TÄUBLER, Imperium Romanum, bes. 44-66.
10
PASSERINI, Π testo, 60.
11
Ohne Verteilung auf Zeilen wird der Text buchstäblich übernommen von E. H. WARMINGTON, Remains of Old Latin IV. Archaic Inscriptions^, LondonCambridge/Mass. 1959, 292-295. Nr. 55 (erste Auflage schon 1940); vgl. 293: (Passerinis) »tentative but probable restoration, made after comparison with extant Greek text of other treaties with Rome, I accept here. Callatis is the modern Collati« (sic!). Hätte Warmington einen Blick in die Aufsätze von Sauciuc-Säveanu und
5
[
Poplus Romanus hostes]
[et inimicos popli Callatini per suos agros et quibus imperai poplus] [Romanus ne sinere transire debeto dolo m]alo quo po[plo Cal]4
Datino queiue sub imperio eorum erun]t b[e]llum face[re pos][sint neue hostes neque armis neque p]equ[n]ia adioua[n]to [publi][ca uoluntate dolo malo. Sei quis po]plo Callatino bellu[m fa][xit, poplus Romanus, seiue poplo Rom]ano queiue sub inperio
8
[eius erunt, poplus Callatinus, quod e foederibus po]plo Romano utei et [Cal][latino licebit, sei quis bellum] prior faxit [p]oplo [Calla][tino seiue poplo Romano, turn po]plus Romanus popl[us Cal][latinus alter alterum adiouanflo. Sei quid ad hance [legem]
12 [societatis exue hace lege? utrisque uolen]t[ibu]s ad(d)ere eximfere u]e[lint], [quod uoluerint? publico Consilio? communi] uoluntate licet[o], [quodque addiderint id additum quodque e]xe[meri]nt id societatfe] [exemptum sit. Hoc foedus in tabulam ahe]nam utei scriberetur ac [fi]16 [geretur altera Romae in Capitolio loc]o optumo in faano Concorfdiae], [altera Callati
]
Angesichts dessen erhebt sich als erster Einwand, daß die Ergänzungen Passerinis nicht mit der tatsächlichen Länge und Verteilung der Zeilen auf dem Stein in Übereinstimmung gebracht wurden. Da ich aber selbst von Passerinis »ricostruzione« ausgehen werde, begnüge ich mich im Moment, die Tatsache hervorzuheben, daß der Versuch des italienischen Gelehrten der einzig zuverlässige geblieben ist, den Wortlaut der Inschrift komplett herauszubekommen. Seit Passerinis Zeiten haben die Gelehrten, welche die Inschrift näher behandelt oder sie in einem breiteren Zusammenhang herangezogen haben, mit wenigen Ausnahmen entweder nur die sicheren Ergänzungen aufrechterhalten, zu denen die erhaltenen Worte zwingen, oder Passerinis
Lambrino geworfen - die er ansonsten zitiert - so hätte er erfahren, wie heute Kallatis heißt und keinen nicht existierenden Ortsnamen erfunden.
6 Wiederherstellung tale quale übemommen.Zu den ersteren gehört vor allem Ernst Lommatzsch in seiner CIL-Ausgabe12: [
]a[
[[ 4
[ [ [cerit
8
]
dolo m]alo quo po[plus
]
]t bellum face[re
]
neque armis neque p]equ[n]ia adiouanto [ . . . . ] po]plo Callatino bellu[m fe]poplo Rom]ano queiue sub inperio [eius]
[erunt po]plo Romano utei et [po][pio Callatino, sei quis bellum] prior faxit [p]oplo [Calla][tino, [unum
po]plus Romanus popi [um Calla]adiouant]o. seiquid ad hance [
[ 12 [ - [ [
]t [ -
]
] si a(d)ere exime[re. Je[..] ] uoluntate licet[..] e]xe[meri]nt id societate [...]
in tabulam ahe]nam utei scriberetur ac [fi]-
[geretur Romae loc]o optumo in faano Concor[diae] Die Frage der Datierung ließ Passerini, einige eigene Präzisierungen abgerechnet, auf Lambrinos Beweisführung beziehen; d. h„ daß er den Vertrag um 71 v. Chr. ansetzte13. Im Gegensatz zum Schicksal der nun vorgelegten Ergänzungen wurde seither bis heute vorwiegend dem Problem des Zeitpunktes Aufmerksamkeit geschenkt, zumal die ersten Reaktionen kurz nach der
12
CIL I 2 2, fase. 3 (1943), p. 832-833 Nr. 2676: »Qui contineat lapis, generatim constat; singula aegre restituuntur. Agitur de foedere inter populum Romanum et Callatinum icto. Talium foederum adhuc non servati sunt nisi textus Graeco sermone scripti, quibus inter se collatis Passerini hunc textum supplere studebat, unde pauca adscripsi«.
13
PASSERINI, Π testo, 71-72. Ein wichtiges Nebenergebnis des Beitrags Passerinis ist, daß das von der Inschrift erwähnte bellum keinen bestimmten Krieg bezeichnet (wie Lambrino ausgeführt hatte), sondern zu den üblichen Klauseln derartiger Verträge gehört.
7 Veröffentlichung des Aufsatzes von Passerini auftraten. In einer kurzen Notiz 14 hob Gaetano De Sanctis die »nuove assai felici integrazioni« von Passerini hervor, nahm aber Abstand von der Datierung Lambrino-Passerini: »io dubito assai, tenuto conto degli interessi romani nel Ponto Eusino, che i primi trattati di Roma con le città sulla sponda occidentale di quel mare sieno così tardi. Non era affatto necessario che i Romani giungessero per terra alle porte di Callatis ο di Apollonia per stringere con esse alleanza. E, caduto nella epigrafe con la esegesi del P(asserini) ogni riferimento a vicende contem poranee, io non so se quello del 71 a. C. possa essere considerato altro che come un terminus post quem non, tanto più che le disposizioni stesse del patto quale ora possiamo ricostruirlo non sembra si accordino bene con gli effetti d'una spedizione di conquista come fu, almeno stando alla testimonianza di Eutropio (VI, 10), la campagna di M. Varrone Lucullo nella Scizia minore«. Durch diese Bemerkung verdoppelte sich also die Schwierigkeit: Nicht nur die sprachlichen Elemente, nun auch die historisch-rechtlichen Umstände erwiesen sich eher als Gegenargumente für das ursprünglich angenommene Datum. Alles schien für eine frühere Zeit zu sprechen, die historisch nicht nur vor 71, sondern sogar vor ca. 90 v. Chr. zu suchen gewesen wäre, d. h. vor der Eroberung der griechischen Städte des Westpontos durch Mithridates15. Ohne sich in Einzelheiten einzulassen, schrieb Lommatzsch dazu: »Recte monuit De Sanctis, parum veri simile esse populum Romanum cum urbe quam modo expugnaverat statim foedus fecisse; videri hoc foedus ante bella Mithridatica factum esse. Quanto tempore, sane circumscribi nequit. Sed eis annis, quibus Mithridates et in Asia et circa oram Ponti Euxini fines regni magis magisque proferebat, populus Romanus cum coloniis Graecorum illarum regionum foedera fecisse putandus est i. e. proximis ante a. 664/90 annis«16. Für ein Datum um das Jahr 100 v. Chr. entschieden sich danach Eric H. Warmington17 und C. Pietrangeli18. 14
G(aetano) D(e) S(ANCTIS), Cronache e commenü, RFIC 63 (Ν. S. 13), 1935, 424425.
1
Zu den historischen Umständen weiter unter VIII.
16
CIL I 2 2, fase. 3, p. 833.
17
WARMINGTON (wie Anm. 11), 293: »probably late second or early first century
8 Eine Sonderstellung nimmt Demetrio St. Marin ein, der der Inschrift einen langen Aufsatz gewidmet hat, wobei er einerseits eine neue Rekonstruktion, andererseits vorwiegend auf Grund der Sprache, weniger unter Einschluß des historischen Zusammenhangs eine sehr hohe Datierung um 140 v. Chr., kurz nach der Errichtung der Provinz Makedonien vorschlug19. Nach Marins Meinung wäre der Wortlaut folgendermaßen zu verstehen:
[ sine m]alo quo po[plus Ro][manus socique e]t b[e]llum face[re debellato et propria p]equnia adioua[n]to, [sei] 4 [aliquis faxit po]plo Callatino bellu[m]. [Sei poplo Romjano queiu[e] sub inperio [bellum faxit, po]plo Romano utei et [Callatinus pro]priod faxit [p]oplo [non] 8 [aliter ac pop]lus Romanus popl[o fa][xit Callatin]o. Sei quid ad hance [fir][mandam societatem] ad(d)ere exime[reue] [uellent utriusque] uoluntate, licetfo] 12 [uolentibus e]xe[rcere]nt id societat[e]. [In tabolam ae]nam utei scriberetur ho[c] [Romae in loc]o optumo in faano Concor[d(iae)]. Bei dieser geradezu willkürlichen Rekonstruktion - die viele Gegebenheiten des Inschriftenträgers außer acht läßt20 und zu Formeln greift, die, von keinen überzeugenden Parallelen unterstützt, höchst unwahrscheinlich klingen - lohnt es sich nicht, länger zu verweilen; sie wurde übrigens von den weite-
B.C.«. 18
C. PIETRANGELO La scoperta di nuovi frammenti del senatus consultimi de Asclepiade, BIDR 51-52 (N. S. 10-11), 1948, 281-293 (zum Vertrag 287 ff.).
19
D. S. MARIN, Il foedus Romano con Callatis, Epigraphica 10, 1948, 104-130.
20
Dazu weiter unter Π.
9 ren Forschern zwar erwähnt, jedoch fast nie ernstgenommen21. Der vorgeschlagene Zeitpunkt ist zu hoch und Marins methodologisch
verfehlte
Behandlung der sprachlichen Besonderheiten zu einseitig22. Jedoch ist dabei zu bemerken, daß Marin einmal mehr und am schärfsten den Gegensatz zwischen den sprachlichen Fakten und dem über Eutropius gegebenen historischen Anlaß zu einem Ansatz um 71/70 v. Chr. unterstrichen hat. Als demnach die Meinungen gegen einen Zeitpunkt um 100 v. Chr. neigten, trat unerwartet eine wirkliche Überraschung auf. Derselbe De Sanctis, der nicht nur seiner Autorität halber, sondern vor allem durch seine schwerwiegenden Argumente die Frage des zeitlichen Ansatzes in die
genannte
Richtung gelenkt hatte, kehrte zu Lambrinos und Passerinis Spätdatierung zurück, wobei er in einer kurzen Fußnote in seiner monumentalen Storia dei Romani ein sehr wichtiges, weil dem Wortlaut der Inschrift selbst entnommenes Argument anführte23. Es heißt nämlich in der Inschrift, daß die eine Kopie des Vertrags in Rom nicht wie üblich im Tempel des Jupiter Capitolinus24, sondern in faano Concor[d(iae)] aufgestellt werden sollte. Diese Anordnung sei darauf zurückzuführen gewesen, daß der 83 v. Chr. abgebrannte und erst 69 v. Chr. wiederaufgebaute Tempel auf dem Capitol nicht zugänglich gewesen und daher das fanum Concordiae an seine Stelle getreten sei. Somit ergebe sich eine genaue Datierung in die Jahre zwischen 83 und 69 v. Chr., wodurch der
21
Vgl. A. DEGRASSI, ILLRP Π, Florenz 1963, p. 37: »Supplere conati sunt Lambrino et Passerini et minore fiructu Marin«. Vgl. aber auch Anm. 51.
22
MARIN, a. O., 116-118. Vgl. PIPPIDI, Scythica Minora, 175: »Pour ce qui est de la langue du document, tout d'abord, Terreur méthodologique de Marin est d'avoir cherché des exemples à rapprocher uniquement dans des textes antérieurs ou contemporains de la conquête de la Macédoine, tandis qu'il lui aurait suffi de descendre au I e r siècle pour en trouver d'autres, tout aussi clairs et probants«.
23
G. De SANCTIS, Storia dei Romani IV 2, 1, Florenz 1953, 299, Anm. 785.
24
Vgl. die in griechischer Sprache abgefaßten Verträge: OGIS 762 (Kibyra): έμ μ[έν] 'Ρώμηι kv τώι Upon του Aiòs του Καπ€τωλίου; θρακική Έττ€τηρίδα 4 , 1983, 420-421 (Maroneia): €<ι/> μεν 'Ρώμηι kv τώι Kan€TcuXion;SHERK,RDGE, Nr. 16: έμ μ£ν 'Ρωμαίων kv τω Καττ€τωλίω ναω του Αχός (Astypalaia); dazu weiter unter ΠΙ. Vgl. auch IG IV^ 1, 63 (Epidauros): τας συμμαχία? άι>ατ€θ€ίσας* kv πινάκι χαλκέω kv τφ Καπ€τωλίω; dazu weiter unter VII.
10 aus historischen Überlegungen gewonnene Ansatz um 70 v. Chr. eine solide Stütze bekomme. Die genannte Beweisführung von De Sanctis hat sich allmählich ganz fest durchgesetzt, zumal sie von Attilio Degrassi, dem führenden Spezialisten der republikanischen Inschriften, übernommen wurde. Degrassi edierte die Inschrift 1963 folgendermaßen25: [
dolo ma]lo quo po[plus Rolmanus
]t b[e]llum face[re - - I
p]equ[n]ia adiovanto [ - - I po]plo Callatino bellfum |5 poplo Rom]ano queifue] sub inperio I [eius erunt — po]plo Romano utei et I [ ]prio[.] faxit [p]oplo [ - -1 — pop]lus Romanus popl[ - -1- - - ]o. Sei quid ad hance [ - -1*0 — ] t [ . . . ] adere exim[ereu]e I [
] volun-
tate licet[o I — i]xe[ . . . . ]nt id societat[e I in tabulam ahe]nam utei scriberetur [at]q[ue (?) I figeretur Romae in Capitolio loc]o optumo in faano Concor[d(iae), 1^ altera Callati proponeretur]. Zum Zeitpunkt schrieb der italienische Gelehrte: »Foedus a. 72/71 iuctum esse, quo M. Licinius Varro Lucullus, proconsul Macedoniae, Apollonia eversa Callatim ceteraque oppida Graeca eius orae maris Euxini cepit (Eutr. VI 10), exisümavit Lambrino, cui adsenserunt Passerini et tempore posteriore De Sanctis, qui nane sententiam recte, ut mihi videtur, eo comprobari censuit quod tabula foederis posita sit in fano Concordiae, cum aedes Iovis Capitolini, ubi monumenta id genus figebantur, incendio a. 83 deleta esset et anno demum 69 restituta«26. Viele Historiker haben dann in De Sanctis' und
1LLRP Π 516 (vgl. Anm. 21). Ebd. p. 37; vgl. ders., Inscriptiones Latinae Liberae Reipublicae. Imagines, Berlin 1965, p. 318 (Nr. 398): »ut videtur, 72/71«. Zum Datum äußert sich Degrassi in derselben Richtung auch in einem Brief an D. M. Pippidi (3. Juni 1960; aus dem Nachlaß von D. M. Pippidi, hier mit der freundlichen Genehmigung von Prof. Dr. Andrei Pippidi erwähnt): »sono d'accordo anch'io con la datazione proposta dal Lambrino e dal Passerini. Mi pare decisiva la considerazione del De Sanctis (cfr. Marin, p. 115) che il testo fu esposto nel tempio della Concordia perchè non era disponibile il tempio di Giove Capitolino, dove si esponevano i trattati, che distrutto da un incendio nel 83 fu dedicato nuovamente nel 69. Per la stessa ragione
11 Degrassis Folge das Datum um 71/70 v. Chr. angenommen27. Stimmen wie die der Verfasser der Sammlung Ancient Roman Statutes klangen ganz isoliert: »The treaty may have been made as a result of the operations in Thrace prior to the war planned to suppress piracy, ca. 100 B. C. The phraseology of the treaty seems to resemble closely that made with Cibyra, and the restoration of the formula is from this document«28. Erst 1969 ist der »feste« Anhaltspunkt in Frage gestellt worden29. Alexandra Suceveanu hatte nämlich in einer kurzen, aber dichten Notiz30 vorgeschlagen, in dem fanum Concordiae kaum das Heiligtum in Rom, sondern das gegen das Ende des 1. Jhs. v. Chr. in Kallatis epigraphisch bezeugte icpòv τας 'Ομονοίας31 zu sehen. Diese Lösung war nicht nur wegen der Übereinnon sono d'accordo col Lommatzsch (CIL r· 2676) che attribuisce il documento agli anni immediatamente precedenti il 90. Ho creduto sempre molto poco ai caratteri epigrafici, ci credo ancora meno dopo l'Album dei Gordon. Anch'i supplementi proposti dal Marin sembrano poco convincenti«. 27
R. VOLPE, Histoire ancienne de laDobroudja, Bukarest 1938, 96 (vgl. ders., in: R. VULPE/I. BARNEA, Din istoria Dobrogei II, Bukarest 1968, 25-26); ACCAME, Il dominio, 95; H. BENGTSON, Griechische Geschichte. Von den Anfangen bis in die römische KaiserzeiH, München 1969, 512 und Anm. 3 (»vielleicht«); M. WEGNER, Untersuchungen zu den lateinischen Begriffen socius und societas, Göttingen 1969, 79 (»wahrscheinlich«).
28
A. Ch. JOHNSON/P. R. COLEMAN-NORTON/F. C. BOURNE, in: C. PHARR (Hg.), The Corpus of Roman Law (Corpus Juris Romani) II. Ancient Roman Statutes. A Translation with Introduction, Commentary, Glossary and Index, Austin/Texas 1961, 58 Nr. 53: ca. 105 v. Chr..
29
Obwohl schon PIETRANGELI (wie Anm. 18) vermutet hatte, das fanum Concordiae sei ein Heiligtum von Kallatis und nicht das gleichnamige in Rom - was nun auch einer höheren Datierung des Vertrags Tür und Tor öffnen würde - wurde dieser Bemerkung kaum Aufmerksamkeit geschenkt (womöglich wegen der geringen Zugänglichkeit der Zeitschrift, in der der Aufsatz publiziert wurde). Seinerseits hatte schon vorher ACCAME, Il dominio, 88 Anm. 1 bemerkt, daß »riesce un po' strano quel loco optumo che non compare mai in testi simili in relazione con Roma«, ohne aber daraus chronologische Schlüsse zu ziehen, da er auf S. 95 den Vertrag wie Passerini datierte.
30
A. SUCEVEANU, Douà note privind istoria Moesiei in secolul I ì. e. n., Pontice 2, 1969, 269-274.
31
T. SAUCIUC-SÀVEANU, Ariston, Aristons Sohn aus Kallatis, DaciaN. S. 2, 1958,
12 Stimmung mit einer faktischen Nachricht einer etwa zeitgleichen
Quelle
bemerkenswert, sondern auch wegen der Tatsache, daß somit zum ersten Mal die Beschränkung auf 83-69 v. Chr. (daher auf 71/70 v. Chr.) mit ernsten Gegenargumenten in Zweifel gestellt wurde. Nun öffneten sich wiederum neuen Datierungsmöglichkeiten
Tür und Tor. Jedoch
ruhte
Suceveanus
32
Beweisführung ζ. Τ. auf schwachen Füßen ; zudem verstand er die zeitliche Bewegungsfreiheit im Sinne einer Verschleppung der Inschrift bis in die augusteische Zeit33.
207-225 (vgl. Bull. ép. I960, 265). Dazu weiter IX Nr. 2. Schon vor dem Moment der Edition soll die 1939 gefundene Inschrift verlorengegangen sein, das erhalten gebliebene Photo scheint aber k i ç το iepòv τα]ς ΌμονοίΙα?] zu rechtfertigen (m. E. Upóv anstatt vaóv wie bei Sauciuc-Sàveanu, im Bull. ép. 1960, 265 und bei Suceveanu; iepóv auch bei PIPPIDI, Scythica Minora, 182). Sauciuc-Sàveanu hat als erster darin dasfanum Concordiae gesehen, ohne aber etwas an Passerinis Ergänzung der letzten Zeilen (die er übrigens auch nicht zitiert) im diesbezüglichen Sinne zu ändern: »Von diesem Heiligtum in Kaliatis zeugt auch die von uns in Dacia III-IV, 1927-1932, S. 456 und ff., Zeile 15, veröffentlichte lateinische Inschrift. Dort erfahren wir, daß die zwischen den Römern und der Stadt Kallatis getroffene Vereinbarung loco optumo infaano Concordiae aufzubewahren sei« (20). 32
SUCEVEANU, a. O., 272-273, beruft sich sowohl auf Accame als auch auf SauciucSäveanu (Anm. 29 und 31) und führt fort, daß ein solch bedeutender Tempel (ναός nach Sauciuc-Säveanu) wie jener der Concordia in Rom mit der Bezeichnung fanum kaum in Einklang zu bringen wäre; dabei übernimmt er eine Äußerung von SAMTER, RE 6, 1909, 1996, s. ν. fanum : »Vorwiegend werden aber aedes außerrömischer Gottheiten als fana bezeichnet«. Gegen dieses Argument s. Anm. 36. Außerdem hebt Suceveanu die Tatsache hervor, daß in demselben Tempel (i. e. Heiligtum) von Kallatis sowohl die Ehreninschrift für den Wohltäter Ariston als auch die Kopie des Vertrags aufgestellt wurden, wobei er Euergesia mit Concordia verbindet (dazu weiter unter IX). An die (falsche) Lesung Marins anknüpfend (Z. 14) - ho[c] anstatt atq[ue] (wie der Stein; dazu weiter unter II) - folgert Suceveanu, daß »dieses« Exemplar nur das aus Kallatis hätte sein können.
33
Das wichtigste und ohne weiteres stichhaltige Argument von Suceveanu ist, daß der Vertrag von Kallatis der einzige aus der ganzen republikanischen Zeit ist, der in einer griechischen Stadt in seiner lateinischen Fassung aufgestellt wurde (272). Dazu aber ausführlich unter Vu. Endlich bemerke ich, daß SUCEVEANU, a. O., 2 7 4 , entweder eine höhere Datierung (vor Mithridates) oder eine spätere (in die augusteische Zeit) annahm. Erst in den darauffolgenden Werken gewährte er der zuletztgenannten Lösung den Vorzug: Viaça economica in Dobrogea romana (secolele Ι-ΠΙ
13 Eine gründliche Neubehandlung des Zeitpunktes des Vertrags ist schließlich Dionisie M. Pippidi zu verdanken34. Auf Passerinis Rekonstruktion fußend35 setzte sich Pippidi sowohl mit Marin als auch mit Suceveanu auseinander. Berechtigterweise warf er dem ersteren den methodologischen Irrtum vor, sprachliche Belege ungleichen Wertes nur aus jener Zeit vorgelegt zu haben, wo er von Anfang an die Inschrift hätte ansetzen wollen, dem letzteren die Unzulänglichkeiten seiner Wiederherstellung der letzten Inschriftenzeilen und seiner Ausführungen zur Identifizierung des fanum Concordiae mit dem gleichnamigen Heiligtum aus Kaliatis36. Pippidi bemühte sich vor allem, das historisch gewonnene Datum 71/70 v. Chr. mit den - von Lambrino bis auf ihn selbst - festgestellten eigentlich untypischen Archaismen des Inschriften Wortlautes in Einklang zu bringen; diesbezüglich führte er Beispiele aus fest datierbaren spätrepublikanischen Inschriften an, welche angeblich dieselben Besonderheiten wie unser Text bis etwa in die Mitte des 1. Jhs. v. Chr. belegten37. Da Pippidis Beiträge zu Standardwerken geworden e. n.), Bukarest 1977, 15 f. und 53; ders., Sugli inizi della dominazione romana in Dobrugia. Punti di vista e controversie, QC 2, 1980, 469-499; ders., in: A. SUCEVEANU/A. BARNEA, La Dobroudja romaine, Bukarest 1991, 23 f., 28, 39. 34
PIPPIDI, Scythica Minora, 172-181; vgl. 159-171; ders., I Greci, 143-145.
35
Ders., Scythica Minora, 173 f. und 178.
36
Zu Marins Behandlung des sprachlichen Aspekts s. Anm. 22. Gegen Suceveanus Identifizierung des fanum Concordiae mit dem Upòv τας 'Ομονοίας auf Grund der Bedeutung des Begriffes fanum s. Scythica Minora, 180 Anm. 45, wo fanum = ιερόν = »Heiligtum« (»en entendant par ce terme l'édifice sacré et l'enclos où il est érigé«) und îemplum = ναός (»désigne plus spécialement la bâtisse destinée à la divinité, sa maison«) angedeutet werden.
37
Ebd. 175: »Que n'a-t-il pas jeté un coup d'œil sur la lex municipii Tarentini, de 8 9 , sur la lex Cornelia de XX quaestoribus, de 81, ou encore sur la lex Antonia de Termessibus, qui est de 71 av. notre ère, date présumée du foedus callatien? Il y eût trouvé à foison non seulement des exemples de aei pour ai ou ae, de ei pour ai ou aey de ei pour / et de ou pour w, mais aussi des graphies comme pequnia, quoia, queicomquey des vocales géminées comme iuus (et aussi ious, iouris), en un mot la plupart des particularités phonétiques et morphologiques relevées dans le fragment qui retient notre attention, ce qui prouve, s'il en était encore besoin, qu'il est pour le moins imprudent d'essayer de fixer la date d'un texte de cette sorte en se fondant uniquement sur des faits de langue«. Vgl. ebd. Anm. 24: »Cela est si vrai, qu'on peut
14 sind und da sie den ganzen von Lambrino begonnenen und von Passerini, De Sanctis und Degrassi fortgeführten Aufbau bekrönten, hat sich das Datum um 71/70 durchgesetzt, wenngleich es z. T. in manchen Synthesewerken oder etlichen Beiträgen, die das in Frage kommende Problem nur streiften, mit einem Vorsicht bedeutenden Fragezeichen versehen wurde38. Unanfechtbar war es aber kaum, und dies nämlich wenigstens in zwei Punkten: einerseits war die sprachliche Datierung nicht allzu überzeugend, andererseits bestand die Schwierigkeit fort, historisch-rechtlich die Ansetzung des Vertrags gerade in das Jahr, in dem Kallatis infolge eines Feldzuges erobert wurde, zu erklären. Andrew W. Lintott widmete dem Vertrag zwischen Rom und Kallatis ein paar Zeilen in einem Aufsatz, der andere Fragen zu behandeln hatte39 und auf den ich noch zurückkommen werde, wobei er den Abschluß des Bündnisses um 100 v. Chr. datierte und ihn in Zusammenhang mit den von der derzeit neuentdeckten Inschrift aus Knidos angedeuteten Ereignissen in Thrakien brachte40. relever quelques-unes des particularités dont il vient d'être question jusque dans la lex lidia municipalis (CIL V· 593 = ILS 6085), qui est de 45 av. notre ère«. Dazu aber Anm. 43 und ausführlich unter VI 3. E. SALOMONE GAGGERO, Relations politiques et militaires de Mithridate VI Eupator avec les populations et les cités de la Thrace et avec les colonies grecques de la Mer Noire occidentale, Pulpudeva 2, 1978, 300 Anm. 31; B. C. McGING, The Foreign Policy of Mithridates VI Eupator King of Pontus, Leiden 1986, 58 Anm. 65; J.-M. BERTRAND, in: Cl. NICOLET, Rome et la conquête du monde méditerranéen. 264-27 avant J.-C. Π. Genèse d'un empire 3 , Paris 1991, 810 f.; M. SARTRE, L'Orient Romain. Provinces et sociétés provinciales en Méditerranée orientale dAuguste aux Sévères (31 avant J. C.-235 après J. C ) , Paris 1991, 253. Die Liste mag jederzeit bereichert werden; es genüge aber zu erwähnen, daß ich selbst in früheren Aufsätzen das Datum um 70 v. Chr. angenommen hatte, z. B.: Untersuchungen zur Geschichte des Territoriums von Kallatis in griechischer Zeit, Dacia N. S. 35, 1991, 116. A. W. LINTOTT, The Capitoline Dedications to Jupiter and the Roman People, ZPE 30, 1978, 137-144. Ebd. 139, unter Hinweis auf M. HASSALL/M. CRAWFORD/J. REYNOLDS, Rome and the Eastern Provinces at the End of the Second Century B. C. The so-called «Piracy Law» and a New Inscription from Cnidos, JRS 64, 1974, 195-220, col. IV,
15 Unter Berufung auf Lintott unternahm danach Harold Β. Mattingly in einer SpezialStudie41 einen neuen Versuch, eine Datierung in die Jahre 114-107 v. Chr. zu untermauern. Ansporn dazu gab ihm eine inzwischen entdeckte Inschrift, welche den Text des Vertrags zwischen Rom und Maroneia trug42. Damit verglich er den Text der kallatianischen Inschrift, wobei er einzelne feine Formelschwankungen in der Reihe der uns bekannten Verträge vom Ende des 2.-Anfang des 1. Jhs. v. Chr. feststellte und ihnen gleich einen chronologischen Wert verlieh. Danach kam er wieder auf die Sprache: »The epigraphic evidence frankly favours the early dating. We must remember that we have just 46 words or part-words in all and that they include such old spellings as pecunia, poplus, adere, ahenam, adiovanto. It is the high proportion of these spellings that counts. Individually they can, of course, be paralleled in the Sullan period and after. But they are typical of the generation before the Social War«43. Endlich fand er, daß »the period from 114 to 107 B. C. has great attraction«, indem er die Ereignisse in Makedonien und Thrakien schilderte, um abschließend zu folgern: »In this context of tribal disturbances from the Strymon to the Euxine, of widespread anti-Roman feeling, it would have been as natural for the Romans to look for friends among the Greek Pontic colonies as for some threatened colony to look for Roman protection«44. Z. 6 ff. Dazu weiter unter VIII. 41
MATTINGLY, Rome's Earliest Relations, 239-252. D. TRIANTAPHYLLOS, Συμμαχία Ρωμαίων και Μαρωιατώι>, Θρακική Επετηρίδα 4, 1983, 419-449. Zur Zeit des Aufsatzes von Mattingly war die In schrift noch unveröffentlicht. Der englische Gelehrte benutzte das schon in BCH 102, 1978, Abb. 176, publizierte Photo (vgl. MATTINGLY, a. O., Anm. 34). Unter Mitwirkung von A. W. Lintott, der ihm »a copy of his dummy restorations for Callatis, based on translation from the Maronea treaty« zur Verfügung gestellt hatte (ebd. Anm. 37), soll Mattingly eine eigene Rekonstruktion des kallatianischen Textes erarbeitet haben, von der er allerdings nur ein Beispiel anfuhrt (s. weiter unter V) und soviel enthüllt, daß »the line average from 45 to 50 letters probably« wäre (245).
43
MATTINGLY, Rome's Earliest Relations, 245.
44
Ebd. 246. GRUEN, Hellenistic World H, 740 scheint Mattingly beizupflichten, obwohl er dessen Aufsatz hier nicht zitiert »a more likely occasion, perhaps, was
16 Vasile Lica beschäftigte sich seinerseits vornehmlich mit den rechtlichen Fragen und führte gute Argumente dafür an, daß der Vertrag keinesfalls nach einer Niederlage im Zweiten Mithridatischen Kriege abgeschlossen werden konnte. Allerdings schlug er ein Datum um 85 v. Chr., nach dem Ersten Mithridatischen Krieg vor45, was m. E. historisch unbefriedigend ist, da Kallatis allem Anschein nach seit dem Vorabend des ersten Krieges bis auf den Feldzug des Lucullus ununterbrochen unter der Kontrolle des pontischen Königs geblieben ist. Schließlich möchte ich auf den ausführlichen Kommentar von Johannes Krummrey auf Grund des Nachlasses Degrassis in den addenda des CIL fi hinweisen46, der die ganze Literatur und alle Stellungnahmen bis auf den Beitrag von Lintott kritisch beurteilt. Zusammenfassend ergibt sich also folgendes Bild: 1. Ist das erwähnte fanum Concordiae das Heiligtum in Rom, so ist die Ausnahme, daß das Exemplar in Rom hier und nicht wie üblich im JupiterTempel auf dem Kapitol aufgestellt wurde, nur dadurch zu erklären, daß dieser letztere 83 einem Brand zum Opfer gefallen war und erst 69 v. Chr. wiederaufgebaut wurde. Daraus ergebe sich eine Datierung des Vertrags zwischen 83 und 69 v. Chr., welche mit der Überlieferung um M. Licinius Lucullus Varro blendend harmonieren würde. Dafür treten als bedeutende Unzulänglichkeiten die recht archaische Schreibweise und die historischrechtlich wenig passenden Umstände hervor. 2. Ist dagegen das erwähnte fanum Concordiae das Heiligtum in Kallatis, so gibt es im Prinzip keinen ernsten Grund mehr, an dem oben angeführten Datum festzuhalten. Demnach kämen, angesichts der historischen Abläufe nur folgende Möglichkeiten in Frage:
the period 114-107«. Für das Ende des 2. Jhs. v. Chr. entscheidet sich auch J.-L. FERRARY, Traités et domination romaine dans le monde hellénique, in: L. CANFORA/M. LIVERAN1/C. ZACCAGNINI (Hg.), I trattati nel mondo antico. Forma, ideologia, funzione, Rom 1990, 225. 45
V. UCA, Dasfoeduszwischen Rom und Kallatis, StudClas 28-30, 1992-1994, 2738.
46
CIL I 2 , 2, fase. 4, cura Atilii Degrassi, addenda tertia auxit et edenda curavit Ioannes Krummrey (1986), p. 915 unter Nr. 2676.
17 a) vor ca. 90 ν. Chr., d. h. vor der Errichtung der mithridatischen Oberho heit an der Westküste des Pontos; b) nach ca. 31 (Actium), d. h. irgendwann in der ersten Hälfte der augusteischen Zeit47. Die einleitende Hauptfrage lautet also: Welches fanum Concordiae ist in der Inschrift gemeint? Andererseits sei mir die Bemerkung gestattet, daß Passerinis Wendungen, obwohl »assai felice«48 oder »acute«49 für die einen, »adventurous«50 dagegen für die anderen, weiterhin die einzige zuverlässige Basis für das Verständnis des Wortlautes darstellen, wenn wir freilich Marins Bemühungen {minore fructu)51 außer acht lassen. Bekanntlich gibt es in den erhaltenen griechischen Fassungen von gleichartigen Verträgen gewisse Schwankungen im Gebrauch der einzelnen Wendungen und Begriffe. Seit Täublers Zeiten fehlt darin jedwelcher Systematisierungsversuch. Demnach nehme ich mir als Aufgabe vor, die »Basis« nachzuprüfen, um eine neue Edition des Textes vorzulegen. Wortlaut und Datierung sind untrennbar; ohne eine zuverlässige Edition des Textes - die selbst chronologisch auswertbare Elemente
hervorzuheben
vermag - erübrigt sich die Polemik um den zeitlichen Ansatz.
Zum Datum und zu den Umständen der Errichtung der römischen Macht an der westlichen Pontosküste s. A. AVRAM, P. Vinicius und Kaliatis. Zum Beginn der römischen Kontrolle der griechischen Städte an der Westküste des Pontos Euxeinos, in: G. R. TSETSKHLADSE (Hg.), The Greek Colonisation of the Black Sea: Historical Interpretation of Archaeology, Stuttgart 1998 [Historia, Einzelschriften, im Druck], und hier weiter unter IX. 48
So D(e) S(ANCTIS) (vgl. Anm. 14), 424; vgl. PIPPIDI, Scythica Minora, 174.
49
So ACCAME, Il dominio, 95.
50
So GRUEN, Hellenistic World Π, 740 Anm. 52; für Passerinis Rekonstruktion »is insufficient room on the stone«.
51
So DEGRASSI (vgl. Anm. 21); vgl. GRUEN, Hellenistic World II, 740 Anm. 52: »a more sober, but still speculative, reconstruction«. Der einzige, der Marins Wiederherstellung vorzieht, ist m. W. SUCEVEANU (wie Anm. 30), 273; ders., QC 2, 1980 (wie Anm. 33), 476: »lettura [...] più plausibile di quella di Passerini in quanto è più conforme alle dimensioni esatte della pietra«.
18 Π. DIE BESCHREIBUNG DES INSCHRIFTENTRÄGERS
Die Inschrift1 wurde auf eine zur Zeit im Nationalmuseum für Rumänische Geschichte aufbewahrte Platte aus Marmor2 eingegraben. Der 24 cm hohe, 18
Von Anfang an ist zu bemerken, daß LAMBRINO der einzige geblieben ist, der die Inschrift technisch de uisu behandelt hat. Davon hat er in seinem Aufsatz eine gute Zeichnung (»fac-similé«) publiziert: Inscription latine, 279. Passerinis Ausführungen beruhen hauptsächlich auf einem Photo, das ihm von Lambrino geschickt wurde; vgl. D testo, 57: »Π prof. Lambrino, con una cortesia di cui non posso abba stanza ringraziarlo, mi ha inviata una nitida fotografia della pietra, e, controllando paziamente alcune mie letture, mi ha permesso di fare, per quello che a me sembra, qualche progresso nell'intelligenza del documento«. In der CIL-Ausgabe hat Lommatzsch die Angaben von Passerini benutzt.- Der Rumäne D. S. Marin war seinerseits schon während des Zweiten Weltkrieges in Italien geblieben und als er seinen Aufsatz publizierte (1948) konnte er wegen des kurz davor errichteten Eisernen Vorhangs nicht einmal jene Kontakte zu den rumänischen Kollegen mehr haben, die einst Passerini mit Lambrino, viele Jahre danach, trotz der allerdings etwas lockerer gewordenen, jedoch immer noch gespannten politischen Situation, Passerini bzw. Degrassi mit Pippidi verbanden. Pippidi hat den Stein natürlich behandelt, aber in seinen Aufsätzen hat er sich fast ausschließlich auf die Datierungsfrage bezogen und nie eine Beschreibung des Inschriftenträgers geliefert. Photos davon hat er Degrassi geschickt; vgl. A. DEGRASSI, Inscriptiones Latinae Liberae Rei Publicae. Imagines, Berlin 1965, p. 318 (Nr. 398): »im. phot, dono misit D. M. Pippidi«. Suceveanu folgt seinerseits den Ausführungen von Marin (vgl. I Anm 51).- Außer der schon erwähnten Zeichnung von Lambrino wurden im Laufe der Zeit folgende Photos von der Inschrift publiziert: DEGRASSI, ILLRP. Imagines, Nr. 398; D. M. PIPPIDI, Din istoria Dobrogei I, Bukarest 1965, 278, Abb. 79; ders., I Greci, Taf. 61; ders., Scythica Minora, Taf. ΧΙΠ. Natürlich hat die ausgezeichnete technische Qualität des Nachdruckes in Degrassis Imagines die Möglichkeiten der anderen Publikationen bei weitem überflügelt. Zudem ist auch an die von D. S. MARIN, Π foedus romano con Callatis, Epigraphica 10, 1948, 104 als Anhang angegebene zeichnerische Rekonstruktion zu erinnern.- Somit wird es einmal mehr ersichtlich, daß wie im Falle etlicher Inschriften, die großes Interesse hervorgerufen haben, der direkte Kontakt mit dem Stein sehr ungleich zum Umfang der sich daran angesammelten Literatur bleibt. Deshalb halte ich eine Neubehandlung des Inschriftenträgers für die weiteren Ausführungen für unentbehrlich. Inv. 18 739. Der Stein lag ehemals im Nationalen Antikenmuseum (dort Inv. L 1661) und wurde 1971 durch ein Protokoll dem Nationalmuseum für Rumänische
19 cm breite und 7,2 cm dicke Marmor ist oben und links abgebrochen; dagegen sind der rechte Rand fast bis auf den oberen Bruch und am unteren Teil der für die Festigung der Stele auf einer Basis bestimmte Zapfen erhalten geblieben3. Der Zapfen ist 4 cm hoch und beginnt nicht direkt am rechten Rande sondern 1 cm nach innen. Der Vorderseite der Platte gegenüber liegt er 0,4 cm tiefer. Die Rückseite der Platte wurde nicht bearbeitet. Obwohl der rechte Rand erhalten wurde, ist das Inschriftenfeld an der rechten Seite an mehreren Stellen abgesplittert. Fast die ganze rechte Seite der Stele weist Spuren von einem Sekundärbrand auf, was vermutlich auf die Zerstörung des öffentlichen Gebäudes, in dem die Platte zur Schau aufgestellt worden war, zurückzuführen ist. Zwischen der letzten Zeile und dem Zapfen gibt es ein 1,4 cm hohes Freifeld (vacai). Da die Buchstaben 0,6 (sehr selten 0,7) cm hoch sind, hätte es also bis auf die untere Kante, welche das Inschriftenfeld vom dort beginnenden Zapfen abgrenzt, genügenden Raum für zwei weitere Zeilen gegeben. Sowohl das Bestehen des vollständigen Zapfens als auch das vacai zwischen der letzten Zeile und dem Beginn des Zapfens führen zum unbestreitbaren Schluß, daß wir über das Ende des Inschriftenwortlautes verfügen. Also ist Passerinis Versuch, weitere Zeilen hinzuzufügen (s. I), von vorneherein verfehlt4.
Geschichte ausgeliehen. 3
LAMBRINO, Inscription latine, 280 weist nur darauf hin, daß »le bord à droite s'est conservé«. Seiner Edition (s. I) ist aber zu entnehmen, daß er richtig bemerkt hatte, daß der Text bis auf das Niveau der letzten Zeile erhalten geblieben ist, soweit er nach Z. 15 keine Punktierung benutzt und die Z. 15 selbst mit einem Endpunkt versieht. Über den Zapfen aber sagt er nichts, und aus der sonst sehr sorgfältigen Zeichnung geht dies für den Leser nicht ohne weiteres hervor. Für Passerinis Lösung s. folgende Anm..
4
Merkwürdig scheint mir dabei, daß PASSERINI dies festgestellt hatte, daher aber einen unerwarteten und wenig glaubhaften Schluß gezogen hat, Π testo, 58: »É poi da notare che sotto l'ultima riga del nostro firn, appare spazio sufficiente per una eventuale continuazione: il testo terminava dunque colla riga 15. Poiché al testo, come vedremo, bisogna integrare un notevole numero di parole, è necessario ammetere che il testo continuasse a destra, sullo stesso blocco ο su di un un blocco gi ustapposto. Noi abbiamo dunque la metà sinistra del documento«. Vgl. aber richtig
20 Andererseits mag die Massivität des Zapfens (nur 0,4 cm weniger dick als die Platte als solche und allein 4 cm hoch gegenüber der gesamten Höhe von 18 cm des erhaltenen Bruchstückes) auf eine ursprüngliche Stele Auskunft geben, die sowohl ziemlich breiter als auch beträchtlich höher war als das Erhaltene5. Also scheitert Marins Wiederherstellungsvorschlag nicht letzten Endes daran, daß seine Wendungen zu knappe Zeilen und infolgedessen eine geringe Breite bzw. Höhe der Platte voraussetzen, denen gegenüber der Zapfen übermäßig erschienen wäre. Die Schrift weist verhältnismäßig tief eingemeißelte Buchstaben sehr dünnen Zuges auf. Spuren von apices sind eher eine Seltenheit, auch gibt es keinerlei Indizien für réglages. Wie ich schon gezeigt habe, sind die Buchstaben 0,6 cm hoch; gelegentlich erreichen sie eine Höhe von 0,7 cm. Die Entfernung zwischen den Zeilen beträgt ebenfalls 0,6 cm. Zwischen den einzelnen Worten gibt es Trennpunkte, die an der Mittellinie der Zeilenhöhe sorgfältig eingemeißelt wurden. Davon gibt es aber auf dem erhaltenen Bruchstück auch sichtbare Ausnahmen: Z. 10 rechts fehlt der Punkt nach O, dagegen vacat 1 cm, was als befriedigender Ersatz dafür gilt6; ein Stück weiter gibt es keinen Punkt zwischen SEI und QVID7. Z. 13 fehlt der Punkt zwischen ID und SOCIETAT[-. In den meisten Fällen besteht auch an den unlesbaren Stellen der nötige Raum, um außer den zu ergänzenden Buchsta-
MARIN (wie Anm. 1), 106: »Quello che non tiene in dovuto conto il Passerini e che in seguito metterà in serio pericolo l'intera sua ricostruzione è la chiara ed evidente constatazione del Lambrino che: «Le bord à droite s'est conserv黫. Diese Bemerkung verdanke ich Prof. Dr. Juri G. Vinogradov (Berlin, März 1994). Dem allgemeinen Brauch nach soll die Höhe der Stele größer gewesen sein als die Breite (Hinweis von Prof. Dr. C. C. Petolescu, Bukarest, Dezember 1993). D. h. nun methodologisch, daß unter der Voraussetzung, daß die Zeilenlänge auf zuverlässigen Basen bestimmt werden kann und also die Breite sich etwa einschätzen läßt, eine die Breite überholende Höhe zu postulieren ist, demnach epigraphische Erklärungen für die sich ergebenden fehlenden Zeilen zu finden sind. PASSERINI, Π testo, 58: »come vedremo, qui incomincia un nuovo paragrafo del documento«. Daher auch die Lesungen von Lambrino (seiquo; am Ende allerdings falsch; s. folgende Anm.) und Lommatzsch: seiquid in einem Wort (grammatisch an sich annehmbar).
21 ben auch die Anwesenheit der Punkte vorauszusetzen. Endlich bemerke ich, daß der Zwischenraum zwischen den Buchstaben allgemein ca. 0,3 cm beträgt; er vergrößert sich aber beträchtlich zwischen jenen benachbarten Buchstaben, die dreieckiger Form sind oder eine breite Öffnung der Arme aufweisen.
Bemerkungen zur Form der Buchstaben: A mit schräg nach links gerichtetem, von der Mitte des rechten Fußes ausgehendem Mittelstrich; Β mit schmalen Schleifen (wie R); C vollständig rund, mit dem Zirkel gezeichnet (wie Ο und Q); D mit breiter Schleife und abgerundeten Einfallwinkeln zwischen der Schleife und dem senkrechten Strich, was ihm augenscheinlich das Aussehen eines Ο verleiht (mit dem er manchmal auch verwechselt wurde)8; E mit schmalen horizontalen Strichen (jede davon weniger lang als die Hälfte der Höhe); F mit denselben Besonderheiten wie E; H mit dem Horizontalstrich gleicher Länge wie die Höhe der Füße; L mit senkrechtem Fuß und schmaler waagerechter Sohle; M mit schrägen, sich weit öffnenden Füßen und mit etwa um die Hälfte der Buchstabenhöhe liegendem Einfallwinkel der Armen; Ν mit senkrechten Füßen, von denen der rechte von derselben Höhe wie der linke ausgeht, aber sichtbar kürzer ist; Ο vollständig rund, mit dem Zirkel gezeichnet (wie C und Q); Ρ mit unten ungeschlossener Schleife, unter zwei Varianten: -
8
mit halbrunder Schleife (die aber breiter ist als bei Β und R);
So z. B. Lambrino Z. 10: seiquo anstatt SEIQVID = sei quid (vgl. PASSERINI, II testo, 58).
22 -
geradezu rechteckigen Aussehens (wie etwa ein griechisches IT, mit dem rechten Fuß an der Hälfte der Buchstabenhöhe aufhörend), nur mit etwa abgerundetem Winkel rechts oben;
Q mit demselben Charakteristikum wie C und Ο und mit horizontalem Schwanz nach rechts wie eine Sohle; R mit denselben Besonderheiten wie B; S etwas nach rechts geneigt und mit schmalen, wenig profilierten Schlei fen; V mit merkwürdig breiter Öffnung; X aus zwei perfekten Quadratdiagonalen bestehend. Ich habe diese Beschreibung eher der Präzision zuliebe geliefert, weil ich mir sonst der Schwierigkeit bewußt bin, die paläographischen »Besonderheiten« der republikanischen Inschriften zu definieren. Zudem wäre es methodologisch verfehlt, damit zu spekulieren, wenn von der Annahme ausgegangen wird, daß die kallatianische Inschrift das Werk eines örtlichen Steinmetzens ist. Merkwürdig scheint mir alles in allem nur die Form von Ρ mit ihren zwei Varianten, von denen die eine auf das ursprüngliche griechische Π mit kürzerem rechtem Fuß verweist9, die andere dagegen dem klassischen Aussehen näher liegt, ohne aber auf die Besonderheit zu verzichten, daß die Schleife unten ungeschlossen bleibt. Wichtig für die weiteren Ausführungen ist dagegen die allgemeine Bemerkung, daß das Aussehen der Inschrift überhaupt, besonders aber die Verwendung der Trennpunkte deutlich zeigen, daß der Steinmetz mit der Bronzetafel vor Augen gearbeitet hatte. Die kallatianischen Inschriften der hellenistischen und frühkaiserlichen Zeit haben - einige wenig aussagende Stellen ausgenommen - nie Trennpunkte benutzt, jedenfalls war dies kein systematischer Gebrauch. Außerdem hat es sich ergeben, daß die kallatianische Inschrift, obwohl in Kallatis angefertigt, in der Schrift keinerlei
»Besonderheiten«
örtlichen Gepräges aufweist, sondern ihre Parallelen in italischen, vor allem
9
Diese Besonderheit bemerkte als erster LAMBRINO, Inscription latine, 282 f.: »La lettre Ρ ayant la forme d'un Π, quoique très ancienne, persiste dans les inscriptions jusque vers le milieu du I e r siècle av. J. C«.
23 auf Bronzetafeln eingegrabenen Inschriften findet (dazu VI d). Der kallatianische Steinmetz hat also über die in Rom angefertigte und nach Kallatis geholte Bronzetafel verfügt, welche die Kopie nach der in Rom aufgestellten tabula war10. Ob aber die Verteilung der Zeilen auf Bronzetafel und Stein dieselbe war, bleibt freilich unbeantwortbar. Nach all diesen technischen Vorbemerkungen komme ich nun auf die Buchstaben (und Reste von Buchstaben), die ich nach wiederholten Prüfungen des Steines habe sehen bzw. vermuten können11. Z. 1. Unmittelbar nach dem oberen Bruch gerade über dem Zwischenraum zwischen V und Ο von QVO aus Z. 2 sehe ich den unteren Teil eines m. E. für sicher geltenden A (so auch Lambrino). Der nächste Buchstabe ist nicht herauszubekommen; man sieht nur den unteren Teil eines senkrechten Fußes: I oder Τ (viel weniger wahrscheinlich F). Reste von einem oder zwei Buch staben sind etwa auch vorher (über den Buchstaben LO aus Z. 2) eher zu spüren als zu sehen, aber daraus läßt sich überhaupt nichts folgern. Also begnüge ich mich mit AT oder wohl AI. Z. 2. Nach dem Bruche links glaube ich an einer recht eradierten Stelle fragmentarisch MA gesehen zu haben; unmittelbar danach steht IX>QVO»PO sicher. Zu Lambrinos Lesung würde ich also nur das anfangs stehende M hinzufügen, das sonst auch der sicheren Ergänzung zu entnehmen war. Also MALO»QVO«PO (links und rechts uneinschätzbare Lücken).
Über den Umgang mit den Bronzetafeln s. VII 3. Anbei möchte ich gerne betonen, daß es sich um jene Buchstaben handelt, die ich gesehen habe oder nur den Eindruck hatte, sie gesehen zu haben. Keineswegs möchte ich beanspruchen, daß über meine Lesung nicht weiterzukommen ist, und noch weniger, daß sie von nun an für endgültig gelten würde. Mir ging es vor allem darum, meinen weiteren Ausführungen eine befriedigende Ausgangsbasis zu verleihen. Nachprüfungen werden selbstverständlich jederzeit willkommen sein, umsomehr, wenn sie unter Umständen gründlich Neueres dazu geliefert haben würden.- Ob vermöge ihres Alters und der nicht immer geeigneten Aufbewahrungsbedingungen die Inschrift jetzt schwieriger zu lesen ist als zu Lambrinos Zeiten, kann ich allerdings nicht entscheiden.
24
Ζ. 3. Beinahe unmittelbar unter den erhaltenen Buchstaben der vorigen Zeile sehe ich wie Lambrino T«B[..]LVM»FACE (links und rechts uneinschätzbare Lücken). Zwischen Β und LVM sicher Raum für zwei Zeichen. Z. 4. Der zweite sichtbare Buchstabe (Q) liegt etwa unter dem Τ aus der vorigen Zeile. Insgesamt lese ich EQV[JIA»ADIOVANTO (gegenüber Lambrino glaube ich auch etwas vom Ν von ADIOVANTO herausbekommen zu haben). Rechts Raum für etwa sechs Zeichen (von denen das erste sicher der Punkt nach dem letzten Wort gewesen sein muß). Z. 5. Der erste sichtbare Buchstabe (P) steht etwa unter dem Zwischenraum zwischen E un Q aus der vorigen Zeile. Sonst überhaupt keine Schwierigkeit: PLO'CALLATINO-BELLV[.] vacai. Die Zeile muß mit bellu[m] aufgehört haben, denn danach scheint mir die Platte bis zu ihrem rechten Rand an sich lesbar gewesen zu sein, wenn da wirklich Buchstaben gestanden hätten. Im Gegensatz zu Lambrino würde ich nicht mit weiteren vier Zeichen rechnen12. Z. 6. Der erste sichtbare Buchstabe (A) steht fast unter dem Z. 5 anfangs zu lesenden P. Danach sind vielleicht alle Buchstaben bis zum Rande lesbar: ANO-QVEIVE[-]SVB*INPERIO. Mir scheint, daß auch der untere Teil vom zweiten E zu erfassen ist, danach gibt es Raum für ein Zeichen, das zweifels-
In der ersten Fassung, Der Vertrag zwischen Rom und Kaliatis (CIL Ir 2, 2676), in: B. FUNCK (Hg.), Hellenismus. Beiträge zur Erforschung von Akkulturation und politischer Ordnung in den Staaten des hellenistischen Zeitalters [Akten des Internationalen Hellenismus-Kolloquiums 9.-14. März 1994 in Berlin], Tübingen 1996, 511 hatte ich bellu[mfa]~ angegeben, wobei ich mit dem Punkt nach dem vorletzten Wort und mit zwei weiteren Buchstaben gerechnet habe. Das vacai scheint mir aber jetzt sichtbar. Natürlich hat diese neue Lösung keine wesentlichen Folgen. Da einerseits die Zeilen sehr lang sind (s. weiter unter V), andererseits wegen gewisser weit geöffneter Buchstaben und wegen der Trennpunkte der gleichen Zahl von Buchstaben unterschiedlich große Längen entsprechen können, schließlich auch weil, soweit ich sehe, die Silbentrennung eingehalten wird, können die Zeichen- und bes. die Buchstabenzahl an der rechten Seite zwischen gewissen Grenzen schwanken. Man vergesse auch nicht, daß an gewissen Stellen auch mit weiteren Freifeldern (außer denen, die ich schon festgestellt habe) zu rechnen ist.
25 ohne der Trennpunkt sein muß. Jedenfalls handelt es sich nicht um weitere Lettern nach INPERIO, wie bei Lambrino, der 5 Punkte aufzeichnet13. Z. 7. Die erhaltenen Buchstaben beginnen genau unter dem Anfang der vorigen
Zeile.
Ohne
Schwierigkeit
kann
man
folgendes
lesen:
PLO-ROMANO[-]VTEI»ET. Danach gibt es m. E. Raum für zwei Zeichen. Die 6 Punkte, mit denen Lambrino die Lücke einzuschätzen scheint, sind übermäßig, während Manns Annahme, daß die Zeile mit ET endet nur dann zuträfe, wenn zu beweisen wäre, daß dort ein vacat bestand; leider ist aber der Stein dort abgebrochen. Zwischen ROMANO und VTEI ist der Trennpunkt nicht sichtbar, aber sein Bestehen wird vom merkwürdigen Raum zwischen den zwei Worten bezeugt. Z. 8. Der erste gänzlich sichtbare Buchstabe (R) steht unter dem Ρ von PLO aus der vorigen Zeile. Vor ihm ist ein Ρ nur ζ. Τ. sichtbar (aber die Lesung ist sicher), während nach ihm 10 deutlich zu lesen ist. Danach folgt ein kleiner Bruch gerade zwischen dem Ο und dem Trennpunkt vor dem nächsten Wort. Lambrino hatte die Stelle so gedeutet: »je lis PRIO et après il y a un trou. On distingue cependant, à gauche du trou, une barre verticale. De ses extrémités, partent deux traits vers la droite en se recourbant; est-ce un D?«14 Nur dem ersten Teil dieser Beschreibung kann ich beipflichten, da ich nicht einmal die »barre verticale« gesehen habe, geschweige denn die »deux traits«, welche angeblich ein D zu vermuten erlauben würden15. Marin hat aber diese vorsichtig ausgedrückte Bemerkung von Lambrino übertrieben, um aus priod eine archaische Schreibweise als Argument für seine hohe Datie-
So Lambrino in der Edition (vermöge eines Druckfehlers), trotz der eigenen Zeichnung, aus der hervorgeht, daß nach inperio nicht mehr zu lesen ist. Dagegen richtig Marin, sowohl in der Zeichnung als auch in der Edition. 14
LAMBRINO, Inscription latine, 280.
15
Vgl. PASSERINI, Il testo, 58: »a me non pare da escludere una r, che della lettera è conservato solo il contorno a sinistra; né saprei spiegare una parola uscente in priod«. Vgl. LOMMATZSCH, in CIL I 2 2, fase. 3, p. 832: »VDC D (sic Lambr.), nam pro]priod similemve ablativi formam vetustam in hoc titulo non expectes«. Marin hat aber gerade diese ablativi forma vetusta in seinem Wiederherstellungsvorschlag benutzt (s. folgende Anm.).
26 rung der Inschrift herauszubekommen16. Weiter liest man FAXIT, danach gibt es Raum für zwei Zeichen (von denen eines dem Trennpunkt vorbehalten werden muß) und dann erscheint wieder deutlich OPLO mit Trennpunkt am Ende. Bis zum rechten Rand gibt es noch Raum für 4-5 Zeichen (so auch Lambrino). Die Zeile kann also so gelesen werden: PRIO[.>FAXIT[·.] OPLO·! ]. Z. 9. Vor LVS (Lambrino), das gerade unter PRI aus der vorigen Zeile steht, glaube ich auch einen Teil der Schleife von Ρ gesehen zu haben. Zwischen dem letzten sichtbaren Buchstaben und dem Rand zähle ich etwa 5 Zeichen (wie bei Lambrino). Die Lesung stellt keine besonderen Probleme: PLVS*ROMANVS[«]POPL[ ], wobei der Raum zwischen ROMANVS und POPL auf das ursprüngliche Bestehen eines Trennpunktes hinweist. Z. 10. Das seiquo von Lambrino wurde schon von Passerini zu Recht verbessert, der zugleich auch auf das vacat nach dem ersten sichtbaren Buchstaben (O) hingewiesen hat17; sonst keine Schwierigkeiten in der Lesung: Ο ν SEIQVID*AD*HANCE. Das V ist sehr wenig und das E am Ende nur teilweise sichtbar, beide sind aber sicher. Bis zum Rand zähle ich wie Lambrino noch etwa 5-6 Zeichen (von denen eines dem Trennpunkt nach HANCE vorzubehalten ist). Z. 11. Das agere von Lambrino hat Passerini richtig in ädere verbessert und auch das S vor diesem Wort identifiziert18. Schon vor diesen Buchstaben hatte Lambrino ein Τ richtig gesehen und gezeichnet, jedoch hat er in der MARIN (wie Anm. 1), 106: »Secondo noi, non è da escludere la lettura priod, che si dovrebbe spiegare come un ablativo arcaico uscente in -od in relazione con pop lo che segue àfaxit. Ammettere che all' epoca dell' iscrizione non poteva esserci la desinenza ablativale in -od è una petitio principii, poiché solo i caratteri linguistici dell' iscrizione ci possono fornire nel nostro caso indizi precisi per la datazione del documento«; vgl. 117 f.: »Se la lettura -priod, fatta dal Lambrino e corroborata in seguito dalla nostra ricostruzione, resta accertata, e se abbiamo per conseguenza una desinenza di abl. sing, in ~ody allora ciò fa risalire sempre ad un'epoca più arcaica la conclusione del foedus in parola, poiché nell'antico latino -d dopo vocale lunga si è conservata fino intorno al 200 a. Cr., quando scomparve dalla pronunzia e poi anche dalla grafia«. 17
Vgl. Anm. 6.
18
PASSERINI, Π testo, 58.
27 Edition agere [d. h. ÄDERE] falsch unter SEI aus der vorigen Zeile eintragen und das Τ zu weit nach links rücken lassen. Der Stein zeigt aber unter dem ersten sichtbaren Buchstaben aus der vorigen Zeile (O) die obere Ecke eines dreieckigen Buchstabens, der nur ein A sein kann, danach, etwa unter dem vacat aus der vorigen Zeile, den Oberteil von Lambrinos (und Passerinis) T, endlich eine Lücke von m. E. 3 Zeichen bis zu Passerinis SCADERE. Die zweite Hälfte der Zeile lese ich wie Lambrino, mit dem Unterschied, daß ich der Lücke am Ende nicht 4, sondern nur 2 Zeichen beimesse; zugleich füge ich hinzu, daß nach dem isolierten E von rechts ein Trennpunkt sichtbar ist, was darauf hinweist, daß das Wort dort endet19. Alles in allem lese ich also: AT[...]S*ADERE»EXIME[...]E· . . Manns Ergänzung der ersten Hälfte dieser Zeile ist nicht überzeugend, weil er nur einen der vor ÄDERE sichtbaren Buchstaben berücksichtigt. Z. 12. Der erste sichtbare Buchstabe (V) steht gerade unter AD von ÄDERE aus der vorigen Zeile. Ganz am Ende rechts glaube ich Spuren eines Ο bemerkt zu haben und pflichte Marin bei, daß gerade dort die Zeile endet (nicht wie bei Lambrino, der nach LICET 8 Punkte aufzeichnet); im übrigen lese ich genau wie Lambrino und die anderen: VOLVNTATE-LICETO. Z. 13. Fast genau unter der Gruppe AT aus Z. 11 ist XE zu lesen. Danach folgt eine Lücke, die m. E. nur drei 3 Zeichen fordert (so richtig Marin: 4 Zeichen in seiner Ergänzung; nicht haltbar Lambrino: 6 Punkte). Weiter sehe ich ein I und dann, wie meine Vorgänger, NT, Trennpunkt und die Buchstabengruppe IDSOCIETAT (ohne Trennpunkt zwischen diesen zwei Worten; s. oben). Am Ende sehe ich als allerletzten Buchstaben der Zeile nur einen senkrechten Strich, wahrscheinlich I (es könnte sich wohl auch um ein E handeln). Also lese ich: XE[...1INT»IDS0CIETAT[.]. Z. 14: Die ersten sichtbaren Buchstaben sind NAM, von denen das genau unter dem X aus der vorigen Zeile stehende A sehr wenig an seiner unteren
Ebd. 69 wird. . . volen]t[ibu]s ad(d)ere exime[re v]e[lint] ergänzt, unmöglich weil links A vor Τ steht, rechts nach E der Trennpunkt folgt (außerdem würde die Konjunktion zwischen den zwei Verben fehlen, was störend wirkt); vgl. aber MARIN (wie Anm. 1), 113 f. und ihm folgend DEGRASSI, in ILLRP Π 516: exime[rev]e
[velini].
28 Hälfte sichtbar ist. Die Lesung der Zeile folgt dann ohne besondere Probleme: •VTEI-SCRIBERETVR. Erst am Ende beginnt die Schwierigkeit. Lambrino hatte dort AC[..] gelesen und nach der Konjunktion ac gesucht, während Marin HO[.] gesehen und hole]
vorgeschlagen hat. Passerini hatte
seinerseits
ursprünglich die Interpretation von Lambrino übernommen, mehrere Jahre später Degrassi brieflich kundgegeben, daß er dort [at]q[ue] lesen würde20. Auf dem Stein sehe ich folgendes: nach SCRIBERETVR gibt es genügend Raum für einen Trennpunkt, danach darf das A für sicher gelten; gleich nach ihm ist der Unterteil eines senkrechten Fußes sichtbar, der nur ein I oder ein Τ sein kann; unmittelbar danach scheint mir jetzt der ursprünglich auch von mir für ein C gehaltene Buchstabe eher auf ein Q hinzuweisen. Der Schwanz ist allerdings nicht sichtbar, aber ich glaube feststellen zu können, daß sich der Kreis schließt. Da die runden Buchstaben alle mit dem Zirkel gezeichnet wurden (s. oben), lassen sie sich leicht verwechseln. Demnach war Marins Bemerkung richtig, daß der letzte Buchstabe kein C ist; allerdings kann man aus dem davor Erhaltenen kein H aufbauen21, weil A doch sicher steht und erst zwischen ihm und dem runden Buchstaben der einzelne Fuß zu bemerken ist. Ohne das Bestehen eines Ο oder Q behaupten zu können, sehe ich angesichts des davor sichtbaren Fußes folgende theoretische Möglichkeiten für die Gruppe von Buchstaben nach SCRIBERETVR: AIO, AIQ, ΑΤΟ, ATQ. Da es sich hier aber sicher um den Anfang eines Wortes handelt, sind natürlich alle Möglichkeiten außer ATQ auszuschließen. Also glaube ich die gesamte Zeile folgendermaßen lesen zu können: NAM'VTEI-SCRIBERETVR[JATQ[..], wobei nach SCRIBERETVR der Trennpunkt zu erwarten ist und bis an den rechten Rand noch zwei Zeichen Platz haben.
Vgl. ILLRP Π 516 und CIL I 2 2, fase. 4, p. 915 unter Nr. 2676. MARIN (wie Anm. 1), 108: »ad un esame più minuto, con la lente, della fotografia, ho potuto distinguere invece chiaramente che per il pretesso A dell' oc non c'è traccia che della parte inferiore di due aste che potevano essere piutosto verticali. Ho pensato dunque ad una H. C segunte ad A appare comme una Ο e sempre alla lente s i può scorgere altresì l'inizio di una curva seguente, certamente quella di una C. Abbiamo quindi hoc, che quadra benissimo col contesto«.
29 Ζ. 15. Diese besterhaltene Zeilenhälfte erlaubt folgende Lesung: 0«OPTVMOMIN.FAANO-CONCOR[.], wobei nach OPTVMO der Trennpunkt zu stellen ist, während am Ende nur ein Buchstabe fehlt; also stand der Göttinnenname abgekürzt geschrieben: CONCOR[D(iae)].
30 ΠΙ. DIE KANONISCHE FORM DER GRIECHISCHEN FASSUNG EINES ZWISCHEN ROM UND EINER STADT AUS DEM OSTEN ABGESCHLOSSENEN VERTRAGS
Bekanntlich ist das Werk von Eugen Täubler maßgebend für die Form und Beurkundung der Verträge, die Rom mit verschiedenen Städten aus dem Osten abgeschlossen hat1. Da es mir hier an erster Stelle nur um die Form, nicht um die rechtlichen Aspekte geht, werde ich im Moment nur dem täublerschen Schema Aufmerksamkeit widmen, um es auf Grund neuerer inzwischen zutagegetretenen Urkunden zu erweitern und zu verfeinern. Von den vielen von Täubler selbst oder von den nachfolgenden Gelehrten in Betracht gezogenen Inschriften, die das Bestehen eines Vertrags bezeugen, werde ich mich ausschließlich auf diejenigen beziehen, welche den Vertrag selbst enthalten oder nur Teile davon. Mit anderen Worten geht es mir hier nicht um die senatus consulta, um die Ehrendekrete griechischer Städte für die ihren Auftrag erfolgreich erfüllenden Gesandten oder um andere Beilagen, die hierzu gehörten und üblicherweise insgesamt kv τώι
€τηφαν€στατωι
2
τοπωι. publiziert wurden . Leider sind die für die folgenden Ausführungen aussagekräftigen Urkunden sehr wenig zahlreich.
1. Verzeichnis der Texte a) Vertrag zwischen Rom und Kibyra: OG1S 762 [Syll 3 . 763], mit den Verbesserungen von TÄUBLER, Imperium Romanum, 55. Datum: nach 188 v. Chr. (?)3.
1
TÄUBLER, Imperium Romanum; vgl. aber zu einer in mehreren Punkten kritischen Beurteilung dieses Buches HORN, Foederati, und HEUSS, Abschluß und Beurkundung.
2
HORN, Foederati, 76 ff.; SHERK, RDGE, 98.
3
OGIS, unter Nr. 762 (W. DITTENBERGER). Vor kurzem hat GRUEN, Hellenistic World II, 731-733, Einwände gegen die traditionelle Datierung ehoben, allerdings
31 b) Vertrag zwischen Rom und Maroneia: D. TRIANTAPHYLLOS, Συμ μαχία
Ρωμαίων
και
Μαρωνιτών,
θρακική 1
Έπ€τηριδα 4, 1983, 419-449
(SEG X X X V 823); vgl. Πρακτικά του Η Δΐ€θνου? καΐ
Λατινική?
Συνβδρίου
Ελληνικής*
Έπιγραφίας-, Athen 1982 [1984], 278-280 mit Abb..
Datum: 167 ν . Chr. 4 .
ohne etwas Konstruktives vorzuschlagen; vgl. 733: »a fixed date for the treaty would be mere guesswork and hence pointless. But nothing compels us to put it before 167 - and certainly not in 188, the least suitable time«. Daß der Vertrag nicht in das Jahr 188 v. Chr. gehört, steht allerdings fest; vgl. M. ERRINGTON, Oca 'Ρώμη und römischer Einfluß südlich des Mäanders im 2. Jh. v. Chr., Chiron 17, 1987, 107-110; J.-L. FERRARY, Traités et domination romaine dans le monde hellénique, in: L. CANFORA/M. LIVERAN1/C. ZACCAGNINI (Hg.), I trattati nel mondo antico. Forma, ideologia, funzione, Rom 1990, 224. Jedenfalls gehört der Vertrag in die erste Hälfte des 2. Jhs. v. Chr. und ein Datum kurz nach 188 scheint mir doch vorzuziehen zu sein. 4
So der Erstherausgeber, 422 f., 436 und 439, gefolgt mit zusätzlichen Argumenten von L. D. LOUKOPOULOU, Provinciae Macedoniae finis orientalis, in: M. B. HATZOPOULOS/L.D.LOUKOPOULOU, Two Studies in Ancient Macedonian Topography, Athen 1987, 101-110, und von J. STERN, Le traité d'alliance entre Rome et Maronée, BCH 111, 1987, 501-509 (SEG XXXVI 611). Bekanntlich hat L. Aemilius Paullus nach der Schlacht von Pydna (168 ν. Chr.) Abdera, Ainos und Maroneia für frei erklärt (Polyb. 30, 3, 7) und sie nicht an die neugegründete benachbarte makedonische μ€ρίς· angeschlossen (vgl. Diod. 31, 8, 8; T. Liv. 45, 29, 5-6). Die Erwähnung der Demoi TOÎIÇ κ€κριμ€νους· ύττο Λ€υκίο[υ Παύλου] ίλευΒέρους im Text der Inschrift (Z. 8-9; zu der unüblichen Wiedergabe der tria nomina-, LOUKOPOULOU, a. Ο., 105 f. Anm. 31) bietet den Schlüssel für die zeitliche Verankerung des Vertrags an. MATITNGLY, Rome's Earliest Relations, 244, und GRUEN, Hellenistic World II, 738-740, nehmen aus verschiedenen, m. E. nicht stichhaltigen Gründen ein Datum um die Mitte der 40er Jahre des 2. Jhs. v. Chr. an, d. h. nach dem Aufstand von Andriskos; dabei identifiziert Mattingly den Lucius der Inschrift mit dem Lucius Mummius (also nicht mit L. Aemilius Paullus), während Gruen dazu eher zurückhaltend ist, allerdings in der angeblichen Erwähnung des Aemilius Paullus jedenfalls nur einen terminus post quem zu sehen vorzieht. »Nothing in the literary evidence implies or is readily compatible with the idea of a formal alliance in the years immediatly after Pydna. Reference to Paullus in the inscription (assuming the identity) certainly does not imply it«. Nach den Studien von Loukopoulou und Stern lassen sich solche Aussagen kaum mehr treffen, wobei das Datum 167 v. Chr. für sicher gilt; so auch FERRARY, a. O., 224 Anm. 19.
32 c) Vertrag zwischen Rom und Methymna: IG ΧΠ 2, 510 [IGR IV 2], ver bessert durch TÄUBLER, Imperium Romanum, 55 und 59, und durch HILLER von GAERTRINGEN in Syll 3 . 693 5 . Datum: um 130 v. Chr.6. d) Vertrag zwischen Rom und Astypalaia: SHERK, RDGE, 95-96 Nr. 16 (mit komplettem
Lemma). Leider ist der Stein verschwunden
und alle
Wiederherstellungsversuche gehen von der gar nicht einwandfreien Kopie von J. B. G. d'Anse de Villoison aus7. Datum: 105 v. Chr.. e) Vertrag zwischen Rom und Knidos: letzte Edition mit komplettem Lemma bei W. BLÜMEL, Die Inschriften von Knidos I, Bonn 1992 [ K 41], 33.
Täublers Ergänzungen nach dem Muster des Vertrags mit Kibyra sind vorzuziehen. Zu ändern sindm. E. (nach dem inzwischen vorgekommenen Text des Vertrags mit Maroneia) Z. 19-21 in der folgenden Form: [και ò αν προσίτώσιν kv ταις* συνθήκαι? | [τούτο έν€στω, ò àk αν έξέλωσιν kv ταΧς] συνθήκαι? | [τούτο μη ένέστω]. Im Prinzip könnte man Ζ. 8 [μηδέ τοι? πολ€μίοις μητ€ οπλίοι? κτλ. auch so ergänzen: [μήτ€ αυτοί? σίτωι μήτ€ δττλίοι? κτλ. oder [μήτ€ αυτούςσίτωι μήτ€ οττλίοι? κτλ. mit [χορηγ€ίτωσαιΊ anstatt [βοηθ€ΐτωσαν] in Ζ. 9 wie im Vertrag mit Maroneia. Zur Datierung (entweder um 130, sogar etwas früher, oder um 90 v. Chr.) s. die Aufzählung der Meinungen bei BERNHARDT, Imperium und Eleutheria, 109 Anm. 108 und GRUEN, Hellenistic World Π, 741 und Anm. 58-60. Ein Dekret der Neoi aus Methymna (SEG ΙΠ 710 = IG ΧΠ Suppl. 116) spricht über προ? 'Ρωμαίου? ÉÎJI/OICÎV τ€ και φιλίαν und über -προς αυτού? συμμαχίαν während des Krieges kv τήι 'Ασία. Dieser Krieg kann entweder der gegen Aristonikos oder der Erste Mithridatische Krieg gewesen sein. Im erstgenannten Fall soll der Vertrag um 129 abge schlossen worden sein, als die Römer die Provinz Asia errichteten. Leider läßt sich kaum Genaueres treffen, obwohl eher ein höheres Datum annehmbar scheint. Entweder weicht das Formular in manchen Punkten von den üblichen Wendungen ab oder aber lassen sich die angenommenen Formeln in den verfügbaren Raum nicht einfügen. Eine standardisierende Lösung würde dann mit der erhaltenen Kopie von Villoison sehr wenig zu tun haben. Bei aller Unzuverlässigkeit der Überlieferung würde ich an Sherks Edition doch folgendes bemerken: Β 32: δη'μωι τώι ist hinzuzu fügen vor 'Ρωμαίωμ (Druckfehler); Β 39: [τ 61? -πολέμιοι? μήτ€] kann wohl fehlen, zumal die Kopie bloß μήτ€ οττλ<οις·> angibt; demnach μήτ£ δττλοις· μήτ€ χρημα{τα}σι κτλ., denn sonst würde die Zeile zu lang geraten.
33 Datum: 45 v. Chr.8. f) Vertrag zwischen Rom und Mytilene: IG ΧΠ 2, 35; Syll 3 . 764; SHERK, RDGE, 147-151, Nr. 26 (Vertrag col. d). Datum: 25 v. Chr.. Der einzig vollständig erhaltene Text ist der des Vertrags zwischen Rom und Maroneia. Um nach der kanonischen Form zu suchen» werde ich im folgenden die Z. 10-43 der genannten Inschrift wiedergeben und danach im sogenannten pro causa zusammengestellten apparatus criticus die Varianten verzeichnen, die andere Inschriften (kurz als Kibyra, Methymna, Astypalaia, Knidos, Mytilene bezeichnet)9 aufweisen. 10 Φιλία και συμμαχία καλή Ιστω καΐ κατά γήν καί κατά θάλασσαν €iç τον άπαντα χρόνον, πόλ€μος· 6c μη €στω. Ό δήμο? 6 των Μαρωνίι? τών TOÙÇ πολεμίους· και άντιπολζμίου? του 14 δήμου του 'Ρωμαίων δια ττ\ς Ιδίας· χώρα? καί τ\ς [αν] αυτοί κρατώσιν μή διΐ€τωσαν δημοσίαι ßoyλήι δολωι πονηρώι, ώστ€ τώι δήμωι τώι 'Ρω μαίων και τοΧς υπ' αυτού? τασσόμενοι? πόλ^μον 18 €κφ^ρωσιν, μήτ€ αυτού? σίτωι μήτ€ δπλοι? μηΤ€ ναυσίν μήτ€ χρήμασιν χορηγ€ΐτωσαν δημοσΚαι] βουλήι δολωι πονηρώι, ώστ€ τώι δήμωι τώι Τω_ 8
So C. CICHORIUS, Ein Bündnisvertrag zwischen Rom und Knidos, RhM 76, 1927, 327-329, was heutzutage für gesichert gilt. TÄUBLERs 29/28 v. Chr. (Imperium Romanum, 450-454) wird noch eingehalten von: A. H. M. JONES, The Greek City from Alexander to Justinian, Oxford 1940, 324 Anm. 67; ACCAME, Π dominio, 95; H. G. GUNDEL, Der Begriff Maiest as im politischen Denken der römischen Republik, Historia 12, 1963, 294; D. NÖRR, Imperium und Polis in der hohen Prinzipatszcit, München 1966, 60 Anm. 110.
9
Vor kurzem wurde auch der Text des Vertrags mit Thyrreion, IG EX l 2 , 2,242 (Syll 3 . 732), aus dem Jahre 94 v. Chr. dank eines neuen Fragments ergänzt (unveröffentlichte Dissertation von D. STRAUCH, der mir in Berlin im März 1994 freundlicherweise mitgeteilt hat, daß die Bestimmungen sehr ähnliche Wendungen aufweisen mit den hier aufgelisteten Verträgen).
34 μαίων πόλ€μον €κφ€ρωοτν. Ό δήμος ό των 'Ρωμαί22 ων του? πολ€μίους και άντιπολ€μίους του δήμου του Μαρωνιτών δια τής ιδίας χώρας1 και ης αν αύτοι κρατώσιν μη διΐ€τωσαν δημοσίαι βουλήι δόλωι πονηρώι, ώστ€ τώι δήμωι τώι Μαρωνιτών καί τοις υ~ 26 π' αυτούς τασσόμενοι ς πόλ€μον €κφ€ρωσιν, μήτξ αυτούς σίτωι μήτ€ δπλοις μήτ€ ναυσίν μήτ€ χρήμασιν χορηγ€ΐτωσαν δημοσίαι βουλήι δόλωι πονηρώι του δήμου του 'Ρωμαίων, ώστ€ τώι δήμωι τώι Μαρωνι30 των ττόλ€μον έκφ^ρωσιν. Έάν τις πρότερος €κφ€ρηι τώι δήμωι τών 'Ρωμαίων ή τοις υπό 'Ρωμαίους τασσομ€νοις, τότ€ ό δήμος ό τών Μαρωνιτών τώι δήμωι τών 'Ρωμαί ων κατά το €υ'καιρον βοηθ€ΐτω. Έάν τις πρότ€ρος πόλ€_ 34 μον €κφ€ρηι τώι δήμωι τών Μαρωνιτών ή τοις υπό Μαρω~ νίτας τασσομίνοις, τότ€ ό δήμος ό τών 'Ρωμαίων τώι δή μωι τώι Μαρωνιτών κατά το <=ΰκαιρον βοηθζίτω. Έάν τι προς ταΰτην την συμμαχίαν προσθ€ΐναι ή €ξ€λ€ΐν ό δή38 μος ό τών 'Ρωμαίων καί 6 δήμος ό τών Μαρωνιτών βοΰλων ται, κοινή βουλήι €κατ€ρων βουλομ€νων εξέστω και δ αν προσθώσιν τούτο €ν τήι συμ<μ>αχίαι €ν€στω, δ δ€ έάν €ξ€λωσιν, τούτο €V τήι συμμαχίαι μη ένέστω. Ταύτη ν την συμμαχίαν γραφή42 ναι €ΐς χάλκωμα καί άνατ€θήναι €<ν> μ£ν 'Ρώμη έν τω Καπ€τωλίω €v δ€ Μαρων€ΐαι €ν τώι Διονυσίωι. Ζ. 13: πολ€μίους και ύπ€ναντίους Astypalaia (rest. Methymna), πολ€μίους Mytilene.- Ζ· 14: [δια του Ιδίου] αγρού καί της Ιδίας
έπικρατ€ΐ-
'ας Mytilene.- Ζ. 14-15: δι' ης αν ό δήμος ò [Μηθυμναίων] Methymna, ης αν ό δήμος ό 'Αστυπαλαι^ων
Astypalaia.- Ζ. 15: κρατήι
Methymna,
Astypalaia; [διΐ€τω] Astypalaia (?), άφ€ΐέτω Mytilene.- Ζ. 17: οις [αν ό δήμος ό'Ρωμαίων] άρχηι Methymna, τοις υπό 'Ρωμαίου[ς τα]σσομ€νοις Astypalaia, ή τοις άρχομ€νοις υπ' [αύτου ή τοις συμμάχοις του δήμου του
'Ρωμαί]ων Mytilene.- Ζ. 18: πόλ€μον
€πιφ€ρ€ΐν
Methymna,
φ€ρωσ\ν Astypalaia, ποιήσαι Mytilene.- Ζ. 18-19: μήτ€ τοις μήτ€] δπλοις
μήτ€
χρήμασι
μήτ€ ναυσίν
Astypalaia,
4πι-
πολ[€μίοις
μήτ€
αυτοί ς
35 OTTXOIÇ χρήμα[σι ν]αυσί Mytilene, [μηδ€ TOIÇ πόλεμίοις (?) μήτ€ οπλίοις" μητ€ χρημασιν μητ€ να[υσίν] Methymna.- Ζ. 19-20: (βοηθ€ΐτωσαν δημοσΚαι βουλήίΟ μ€τα δόλου πονηρού Methymna, βοηθ€ΐτω δημοσίαι βουλήίι) δόλ[ωι πονηρώι] Astypalaia, βοηθ[€ΐτω] Mytilene.- Ζ. 20: ώστ€ κτλ. vacat Astypalaia, Methymna, Mytilene.- Z. 30: ττόλ€μον έπιφέρηι Kibyra, Astypalaia, Methymna, πο[ιήσηι] Mytilene.- Ζ* 31: ή τάς συνθήκα? παραβή(ι) Kibyra, vacai Astypalaia, Methymna, aliter Mytile ne.- Ζ. 33: [κατά το] €υκαιρον Methymna, βοηθ€ΐτω κατά το €υκαιρον, δ αν εκ των συνθηκών και δρκων έξήι Κιβυρατών τώι δήμωι ποΐ€ΐν Kibyra, βοηθ^ιτω Mytilene, [βοηθ€ίτω έκ των] συνθηκών και όρκΐων (?) Astypalaia.- Ζ. 37: [αραι] (?) Methymna, άφ€λ€ΐν Astypalaia; kv ται? συνθηκαι? Kibyra, τάς συνθη'κας Methymna, Astypalaia.- Ζ. 39: κοινή(ι) βουλήίι) δημοσίαι € κατάρων θ€λόντων έξέστω Kibyra, δημοσ<ί>α(ι) βουλήίι) [oç?] αν θ€λησηι ζξέστω Astypalaia, δημοσίαι βουλήίι) €κα~ τ€ρ[ων εξέστω] Methymna.- Ζ. 40: 4ν€στ[ω] kv ταΐς συνθήκαις- Kibyra, kv ταις συνθήκαις* [ένέστω] Methymna.- Ζ. 41: έκτος1 Ιστω Kibyra, Astypalaia; συνθη'κας· Kibyra, Methymna.
2. Bemerkungen zu den Klauseln a) Die Neutralitätsbestimmung Viele der Varianten beziehen sich bloß auf die wenig unterschiedliche Wiedergabe einiger leicht festzustellenden Worte aus dem lateinischen Archetyp. Neben den Feinden (überall πολ€μίους·) kommen manchmal vmcvavTious1 vor. Abweichend ist der Vertrag mit Mytilene, wo anstatt δια ττ\ς ιδίας- χωράς allerdings sehr nahe δια ττ\ς ιδία? €πικρατ€ία? zu lesen ist. In derselben Inschrift ist άφ€ΐέτω anstatt des üblichen διιέτω (oder διΐ€τωσαν)10 zu finden, während bellum facere unterschiedlich übertragen
Die Redakteure benutzen für die Verbe entweder den Singular (Subjekt Demos) oder den Plural, wobei sie Demos als persönliche Bezeichnung verstehen.
36 wird, u. zw. durch πόλ^μον €κφ€ρ<Ξΐν,
€πιφ€ρ€ΐν bzw. ποιήσαι. Weitere
Beispiele erübrigen sich. Soweit ich sehe, gibt es nur wenige Hilfspunkte, um bemerkenswerte Formularänderungen je nach der Zeit festzustellen. Jedoch bemerke ich, daß anstatt δόλωι πονηρώι der Text von Methymna (Z. 9) einmal μ€τα δόλου πονηρού angibt, was nicht ohne Belang für die Identifizierung der lateinischen Formel sein wird11. Andererseits sehe ich, daß die Erwähnung der unter Verbot liegenden Hilfeleistungen im Eingriffsfalle eines Dritten (Getreide, Waffen, Kriegsschiffe, Geld) nicht überall identisch formuliert wird, u. zw.: Getreide, Waffen, Schiffe, Geld - Maroneia; Getreide (?), Waffen, Geld, Schiffe - Methymna12; Waffen, Geld, Schiffe - Astypalaia; Waffen, Geld, Schiffe - Mytilene. Angesichts der chronologischen Einordnung der genannten Verträge würde es sich lohnen, die Frage zu stellen, ob hier nicht etwa eine Änderung im Formular vor ca. 130 (Methymna) eingetreten ist Schließlich stelle ich fest, daß das Verb für »helfen« in der Inschrift von Maroneia durch χορηγ€ΐν übersetzt wird, während die übrigen Texte βοηθ€ΐν (konstruiert demnach mit dem Dativ) angeben. Da weiter in der Allianzbe stimmung βοηθ€ΐν wieder auftaucht (Maroneia, Z. 32-33: ό δήμο? ό των Μαρωνιτών τώι δήμωι των Τω μαιών κατά το €υκαιρόν βοηθ^ίτω; vgl. Ζ. 35-36), halte ich es für sehr möglich, daß in der Inschrift von Maroneia χορηγ€ΐν und βοηθ€ΐν Varianten darstellen, hinter denen im lateinischen Archetyp zwei eng verwandte Worte stecken13. Dementsprechend halte ich die Neutralitätsbestimmung der Inschrift von Maroneia für eine wortgenaue Übersetzung des lateinischen Originals, die ich im folgenden für meine Rekonstruktion des lateinischen Textes als Basis benutzen werde.
11
Vgl. weiter V Anm. 6-7.
12
Zur Möglichkeit, daß auch die Getreidelieferung erwähnt wird, s. Anm. 5.
13
Vgl. weiter unter V.
37 b) Die Allianzbestimmung Die Texte der Verträge mit Kibyra und mit Mytilene weichen von den übrigen ab. Im Zunächstgenannten ist Z. 1-3 folgendes zu lesen: [k]àv δ4 [τ\ς
πρότερος·
πόλ<=μον
€τηφ€ρηι
τώι
δήμωι
συνθήκας· παραβή. Der Anhang ή τα? συνθήκας·
τώι
'Ρωμαίων
παραβή
ή
τας
fehlt in den
anderen Fassungen, so daß die Vermutung naheliegt, die Formel sei dort bloß vom Übersetzer hinzugefügt worden. Anders verhält sich die entsprechende Stelle im Vertrag mit Mytilene, wo die Allianzbestimmung kürzer gefaßt wird: Έάν ης
npoTcpoç ττόλ<Ξμον ττο[ιήσηι τώι δήμωι τώι Μυτιληναίων
ή τώι δή]μωι τώι
'Ρωμαίων
[καΐ]
Toit
σύμμαχοι?
του
δήμου
του
'Ρωμαίων, βοηθ€ΐτω
ο δήμο? 6 'Ρωμαίων τώι δήμωι τώι Μυτιληναίων
καί ό δήμο? ό Μυτιληναίων τώι δήμωι τώι 'Ρωμαίων και τοις- συμμα'χοι? το]υ δήμου του 'Ρωμαίων. Unter Berücksichtigung des sehr frühen bzw. sehr späten Datums der genannten Verträge halte ich (nur provisorisch) eine Formularänderung der Allianzbestimmung für möglich. Charakteristisch wären dann die Verträge mit Maroneia, Methymna und Astypalaia für die Zeit nach Pydna bis ungefähr zu den Mithridatischen Kriegen. Für unsere Angelegenheit lautet die Frage: Ist der Vertrag von Kallatis dem Formular nach - mit den Verträgen des Typus Maroneia-MethymnaAstypalaia oder aber mit späteren Verträgen vom Typ Mytilene zu vergleichen?
c) Die Änderungsklausel Außer nicht aussagekräftigen Variationen (ζ. Β. €ξ€λ€ΐν,
άφ€λ€ΐν
oder
€κατ€ρων βουλομ€νων, θ€λόντων usw.) sehe ich nur einen einzigen wichti gen Unterschied. Dort wo der Vertrag mit Maroneia kv τήι
συμμαχίαι
angibt (Ζ. 40 und 41), ist in den Verträgen mit Kibyra (Z. 10 und 11), Methymna (Z. 19 und 20), Astypalaia (Z. 47) kv ταΐς- συνθήκαις· zu lesen. D. h. ohne weiteres, daß ein lateinischer Begriff hier durch συμμαχία, dort durch συνθήκαι übersetzt wird. Die Änderungsklausel fehlt im Vertrag mit Mytile-
38 ne, was einmal mehr die besondere Stellung des letzteren hervorhebt. Der ihm zeitlich am nächsten stehende, nur wenig ältere Vertrag mit Knidos gibt eine ganz andere Formel an und benutzt für συνθήκαι/συμμαχία
das Wort
ορκιον.
d) Die Publikationsbestimmung Die betreffenden Stellen sind nahezu buchstäblich identisch. Außer der oben erwähnten unterschiedlichen Bezeichnung des Abkommens als συνθήκαι bzw. συμμαχία enthalten die einzigen drei Texte (Kibyra, Maroneia, Astypalaia), in denen diese Klausel noch erhalten geblieben ist, dasselbe: Aufstellung der einen Kopie kv μ£ν Τώμηι kv τώι Καπ€τωλίωι, wobei die Verträge mit Kibyra und Astypalaia der Präzision wegen kv τώι ί€ρώι (bzw. ναώι) του Διός- hinzufügen, und Aufstellung der anderen Kopie in einem Heiligtum der verbündeten Stadt.
3. Ergebnisse Die vorliegende zusammenfassende Behandlung der inschriftlich überlieferten Vertragsformulare bringt unter Berücksichtigung der zeitlichen Einordnung der Urkunden eine wenig spürbare Entwicklung zum Ausdruck. Unberührt bleiben: die schon von Täubler behandelte Abfolge der Bestimmungen und innerhalb jeder einzelnen Bestimmung die Ordnung, derzufolge an erster Stelle die Verpflichtungen der verbündeten Stadt gegenüber Rom und erst darauffolgend die Verpflichtungen der Römer gegenüber der verbündeten Stadt aufgezählt werden14. Eine einzige Ausnahme tritt im Vertrag mit Methymna auf, wo in der Allianzbestimmung zunächst die Stellung der Römer im Eingriffsfalle eines Dritten präzisiert wird. Nicht klar ist die Allianzbestimmung im Vertrag mit Astypalaia, wo Täubler und nach ihm Passerini (auch für Kaliatis) je eine schwer anzunehmende Konstruktion dargelegt haben. Die Kopie von Villoison scheint besonders hier höchst fehlerhaft zu sein.
39 Änderungen im Formular sehe ich eigentlich nur in der Neutralitätsbestimmung, bei der etwa seit dem Zeitpunkt des Vertrags mit Methymna die Getreideversorgung unter den verbotenen, an die Feinde gerichteten Hilfsmitteln während eines Kriegszustandes nicht mehr erwähnt wird15, und in der Allianzbestimmung, bei welcher in älterer Zeit ein kleiner Zusatz in dem Konditionalsatz vorkommt (ή τάς
συνθήκας·
παραβη), in jüngster Zeit
dagegen die gesamte Klausel kürzer gefaßt wird. Von allen Texten weicht der Wortlaut des knidischen Vertrags ab. Was den Vertrag mit Mytilene anbelangt, läßt sich feststellen, daß der Wortlaut im großen Ganzen dasselbe Formular wie die älteren Verträge aufweist Ohne hier auf Einzelheiten einzugehen, bemerke ich, daß der Vertrag mit Mytilene eine sehr lange Geschichte hinter sich hat16 und es demnach möglich, sogar höchstwahrscheinlich ist, daß im Rahmen des gesamten Dossiers bloß eine griechische Zusammenfassung des älteren, erneut in Kraft getretenen lateinischen Originals oder wohl selbst eine Zusammenfassung der ursprünglichen griechischen Übersetzung für ausreichend gehalten wurde, um sie der Öffentlichkeit bekannt zu machen. Daß die Jahrhunderte bisher nur die 25 v. Chr. aufgestellte griechische Fassung haben bestehen lassen, mag nur soviel aussagen, daß uns die Fassung, welche die Behörden in jener Zeit für angemessen gehalten haben, zur Verfügung steht, nicht unbedingt, daß die lateinische Urform dieselben Wendungen aufgewiesen hätte. Es ergibt sich also für die Zeit bis ca. 90 v. Chr. eine kanonische Formulierung der Verträge, die Rom mit verschiedenen Städten aus dem griechischen Osten abschloß. Die Wiederherstellung der kallatianischen Inschrift muß demnach soweit wie möglich einen Wortlaut aufweisen,
welcher
eine
derartige griechische Übersetzung hatte erlauben bzw. fordern können. Dazu sind uns die allen Texten gemeinsamen Formeln in demselben Grad hilfreich wie die Varianten.
15
Wüßten wir, ob das Verbot der Getreideversorgung im Vertrag mit Methymna auftaucht (vgl. Anm. 5), dann würde man wohl darin ein Argument für seine zeitliche Einordnung finden; vgL aber auch VII 3.
16
Kurz gefaßt bei SHERK, RDGE, 152 ff.. Dazu V Anm. 31.
40 IV. DIE WIEDERHERSTELLUNG DER LETZTEN ZEILEN UND DIE FESTSTELLUNG DER ZEILENLÄNGE
Unter Π habe ich festgestellt, daß die letzterhaltene Zeile auf dem Stein den Schluß des Textes darlegt. Andererseits ergibt sich aus III, daß laut einer Regel, die keine Ausnahme kennt, in den Verträgen dieser Gattung zunächst der Ort in Rom genannt wird, wo die Kopie des Vertrags aufzustellen sei, und erst an zweiter Stelle der topos in der verbündeten Stadt. Demnach kann die folgende Ergänzung der beiden letzten Zeilen (14-15) als gesichert gelten: [
in tabolam ahe]nam utei scriberetur atq[ue]-
[figeretur? Romae in Capitolio, Callati loc]o optumo in faano Concor[d(iae)]. Z. 15: [figeretur] oder [poneretur] Passerini ebenfalls möglich; scriberetur hoc Callati locjo optumo Suceveanu1.
A. SUCEVEANU, Douä note privine istoria Moesiei in secolul I î. e. n., Pontice 2 , 1969, 273, wobei er die Lesung ho[c] von Marin übernimmt PIPPIDI, Scythica Minora, 181, bemerkt dazu, daß »on ne saurait dire en latin: ... scriberetur loco optumo (ce qui n'a guère de sens), mais, comme l'a parfaitement vu Passerini: ... scriberetur ac [figeretur ... locjo optumo in faano Concor[diae] (de même qu'en grec, dans les mêmes circonstances, on ne manque jamais de prescrire: άναγρα'ψαι καί στήσαι, ou: άναγράψαι καί άναΊεΰέίναι, ou encore: τα αντίγραφα . . . άι>αγραφ€ντα . . . άι>ατ€θήτω kv TOÎÇ ίπιφανίστάτοις τόποις·)«. Auf diesen Einwand antwortet SUCEVEANU, Sugli inizi della dominazione romana in Dobrugia. Punti di vista e controversie, QC 2, 1980, 477 Anm. 45, daß »per un eventuale ac poneretur, proposto da D. M. Pippidi, non esiste lo spazio sulla pietra«. Dieses letztere würde freilich nur dann stimmen, wenn die von Suceveanu übernommene Lesung bzw. Wiederherstellung von Marin [in tabolam ae]nam utei scriberetur ho[c Romae (ersetzt durch Callati ) loc]o optumo in faano Concor[diae] annehmbar wäre. Ich habe schon gezeigt (Π), daß ho[c] unmöglich und dort dagegen die Konjunktion atq[ue] zu lesen ist, die neben scriberetur (= άναγράψαι) ein Verb wie poneretur oder figeretur (= άι>αθ€ΐναι) nicht nur gestattet, sondern sogar fordert.
41 Daher das erste wichtige, ja sogar entscheidende Ergebnis: Das fanum Concordiae
ist das Heiligtum von Kallaüs, das iepòv
τάς-
'Ομονοίας2.
Demnach kann die Diskussion um den Zeitpunkt der Inschrift auf einer breiteren Ebene geführt werden, da die Beschränkung auf 83-69 v. Chr. ihre angebliche Begründung einmal für immer verliert. Ehe ich aber die Frage der Datierung anschneide, möchte ich ein Nebenergebnis der angeführten Lösung hervorheben, das nicht weniger bedeutend ist. Durch die zwingenden Wendungen3 läßt sich eine Vorstellung über die Länge der Zeilen gewinnen. Ein hervorragender Kenner wie Degrassi mußte zugeben, daß »supplementa perdifficilia evadunt, non solum propter scripturam evanidam, sed etiam quod quantum a sinistra perierit, licet Marin aliter senserit, nos fugit«4. Von nun an glaube ich, dieses Problem gelöst zu haben. Nach meiner Ergänzung zählt die letzte Zeile 56 Buchstaben, von denen 35 in die Lücke an der linken Seite fallen. Für die Wiederherstellung des gesamten Textes stellt sich also u. 2L die zwingende Bedingung, die Wendungen an den sich daraus ergebenden Raum anzupassen. Zweifelsohne sind manche Schwankungen bei solch langen Zeilen höchstmöglich, nur sollen sie die vernünftig annehmbaren Grenzen nicht überschreiten.
2
S. I Anm. 30-32. Dasselbe nahmen ACCAME, Il dominio, 88 Anm. 1; C. PIETRANGELI, La scoperta di nuovi frammenti del senatus consultimi de Asclepiade, BIDR 51-52 (N. S. 10-11), 1948, 287 ff.; SUŒVEANU (vorige Anm.) mit unterschiedlichen bemerkenswerten, wenngleich m. E. auch nicht ausreichenden Argumenten an.
3
kv τώι έπιφαι>€στάτωι τόπωι wird in den griechischen Fassungen nur für die verbündete Stadt gebraucht. Einige Verträge (Kibyra, Astypalaia) betonen kv τώι Upon του Διός· του Κατΐ€τωλίου bzw. kv τώι Καπζτωλίωι ναώ\ του Διός". Mir scheinen diese Wendungen eher Umschreibungen zu sein, deshalb glaube ich nicht, daß die Zeilen der kallatianischen Inschrift durch den Zusatz Romae in tempio loui Capitolini verlängert zu werden brauchen.
4
DLLRP Π, p. 37, unter Nr. 516.
42
V. DIE REKONSTRUKTION DES TEXTES
1. Allgemeines Durch die bisher festgestellte kanonische Form eines Vertrags in seiner griechischen Fassung kann der lateinische Archetyp rekonstruiert werden. Nächste Aufgabe wäre also die Übertragung ins Lateinische, etwa wie es einst in der Absicht von Passerini lag, als eine »ricostruzione [. . .] del senso«. Da aber durch die sichere Wiederherstellung des Inschriftenschlusses auch die Zeilenlänge festgestellt werden konnte, muß der Wiederherstellungsversuch nicht nur die erhaltenen Worte und Formeln einfügen lassen, sondern auch für die sich daraus ergebenden Lücken räumlich passende Ergänzungen aufstellen. Weiter ist auch dem Wortschatz höhere Aufmerksamkeit zu schenken. Es reicht ja nicht, lateinische Termini für die griechischen Stichworte vorzulegen; vielmehr geht es mir darum, nach den Ausdrücken der z. T. inschriftlich oder literarisch überlieferten Amtssprache oder, soweit möglich, nach den sicheren Äquivalenzen zu suchen, welche gegebenenfalls der Gegenüberstellung einzelner Stellen aus Polybios und Titus Livius zu entnehmen sind. Schließlich sollen die Ergänzungen die sprachlichen und graphischen Besonderheiten enthalten, die ich im nächsten Abschnitt behandeln werde. Der Wortschatz bietet durch den Vergleich zwischen dem erhaltenen Teil der kallatianischen Inschrift und den betreffenden Stellen aus griechischen Inschriften ein paar unbestreitbare Äquivalenzen.
43 [dolo] malo = δόλωι πονηρώι (Ζ. 2)1; quo = ώστ€ (Ζ. 2); bellum facere = πόλ€μον €κφ€ρ€ΐν/€πιφ€ρ€ΐν/ποΐ€ΐν/ποιήσαι
(Ζ. 3, 5;
vgl. 8); hier ist also die Vielfalt der sprachlichen Möglichkeiten ersichtlich; [p]equ[n]ia - χρήματα (sc. χρήμασι im Dativ: Z. 4); adiouanto = χορηγ€ΐτωσαν2/βοηθ€ΐτω(σαν) (Ζ. 4); poplus=
δήμος- (Ζ. 5 , 7 , 8 , 9 ) ;
queiue sub inpeno = TOIÇ (ύπ1 αυτούς) τασσομένοι^/οΐ^ [αν ό δήμος· ό δ€ΐνα] αρχή (Ζ. 6); So PASSERINI, Π testo, 60 f.; s. aber auch eine zusätzliche Nuance im folgenden (mit Anm. 6-7). χορηγ€ΐν im Sinne von »versorgen« (mit Getreide, Schiffen usw.; vgl. LSJ: furnish, supply) gehört zum typisch hellenistischen Vokabular. S. Diod. 20, 37, 2: έπο. δ€ οι Πζλοποννησιοι συνταξάμ^νοι χορηγήσ€ΐν σίτον και χρήματα των ώμολογημ€νων ουδέν συν€Τ€λουν; Polyb. 5, 42, 7: Πτολ€μαιον παρακαλ€ΐ πραγμάτων άντιποιησασθαι και φησι και χρήμασι χορηγήσ€ΐν προ? -πάσας έπιβολά*?", vgl. 16, 1, 8: παρακαλώ ν αυτόν σίτον χορηγήσαι και τα λοιπά συμπράττων κατά ιας συνθήκα? (weitere Stellen zitiert von J.-A. de FOUCAULT, Recherches sur la langue et le style de Polybe, Paris 1972, 389). Für die Äquivalenz mit den Komposita des lat. iuuare sehr aufschlußreich: a) Polyb. 21, 32, 3 (Vertrag mit den Ätolern, 189 ν. Chr.): μηδ€ χορηγ€ΐ'τω μηδέν δημοσία βουλή lacuna = T. Liv. 38, 38, 2 (Vertrag mit Antiochos): ne commeatu neu qua alia ope iuuato; b) Polyb. 3, 49, 11: ού γαρ μόνον σίτω και τοις- άλλοις· έπιτηδ€ΐOiç άφθόνω? έχορήγησ€ το στρατόπ€δον = T. Liv. 21, 31, 9: ob id meritum commeatu copiaque rerum omnium . . . est adiutus. Vgl. auch T. Liv. 26, 24, 10: nauibus ne minus uiginti quinque quinqueremibus adiuuaret Romanus. Für iuuo und adiuuo, »perfectif à valeur intensive (moyenne?)«, sowie für »son fréquentatif adiuto« (also gerade die drei Varianten, die Livius überliefert) siehe A. ERNOUT/A. MEILLET, Dictionnaire étymologique de la langue latine. Histoire des mots \ Paris 1967, 331. Da höchstwahrscheinlich das lateinische Original in dem einen Zusammenhang adiuuare, in dem gleich darauffolgenden das eng verwandte adiutare benutzte, schenkten die griechischen Übersetzer diesem kleinen Nuancenunterschied keine besondere Aufmerksamkeit und in den meisten Fällen übertrugen sie die beiden Verbe durch βοηθών. Zur Bedeutung von χορηγ€ΐν/βοηθ€ΐν für adiuuareund βοηθ€ΐν (überall) für [adiutare] s. meine folgenden Ausführungen. Dazu J.-L. FERRARY, Philhellénisme et impérialisme. Aspects idéologiques de la conquête romaine du monde hellénistique, de la seconde guerre de Macédoine à la guerre contre Mithridate, Paris-Rom 1988, 28 mit Anm. 28. Für die Form des Dativs
44 prio[r] = πρότ€ρος· (Ζ. 8); sei quid ad hance etc. = kav τι προς· ταΰτην κτλ./èàv ταύτας ädere-
δέ τις
προς-
κτλ. (Ζ. 10); προσθ€ΐνοα (Ζ. 11);
exime[re] = <Ε£€λ€Ϊν/άφ€λ€Ϊι>/άραι (?) (Ζ. 11); uoluntate = βουλήι (Ζ. 12) //ceto = έξ€'στω (Ζ. 12) Zìi = τουτο/ά'/ταΰτα (Ζ. 13); societas = συμμαχΐα/συνθήκαι/ορκιον (Ζ. 13). Weitere Angaben zum Wortschatz sind der literarischen Überlieferung zu entnehmen. Etwa wie Passerini möchte ich die Neutralitätsbestimmung durch den Vergleich zwischen Polyb. 21, 32, 3 und T. Liv. 38, 38, 2 wiederherstellen: <πολ€μίου£>4 μη 6ιΐ€τω δια ττ\ς χωράς κτλ. = ne quem exercitum [. . J per fines regni sui eorumue qui sub dicione eius erunt transire sinito. Daher ne transire sinito = μη
διΐ€τω(σαν)/άφ€ΐ€τω;
per fines suos = δ\α ττ\ς ίδιας χώρα?5. Zu dolo malo (δόλωι ττονηρώι) reicht es, auf die Erwägungen von E. Badian zu verweisen6: »Sciens dolo malo (the sciens may be omitted) occurs where contravention of a law, or permission or encouragement to contravene it, is prohibited: it limits the prohibition to intentional action along these lines, and would no doubt admit a plea of inadvertence. Sine dolo malo, on the other hand, is an appropriate term where an action must be carried out in goodfaith, i. e. in a positive context of mandatory action« (161). In den republikanischen inschriftlich überlieferten Gesetzen ist aber dolo malo kaum
(quei) s. V. PISANI, Grammatica latina storica e comparativa , Turin 1962 (= Manuale storico della lingua latina Π), 198; W. BLÜMEL, Untersuchungen zu Lautsystem und Morphologie des vorklassischen Lateins, München 1972, 84. 4
Add. J. J. REISKE.
5
An sich auch per suos agros möglich. Vgl. VIERECK, Sermo Graecus, 43; E. GARCÌA DOMINGO, Latinismos en la koiné (en los documentes epigrafico s desde el 212 a. J. C. hasta el 14 d. J. C ) . Gramâtica y léxico griego-latino, latino-griego, Burgos 1979, 696 ff..
6
E. BADIAN, Th. M. MARTIN, Two Notes on the Roman Law from Cnidos 2. Dolus Malus, ZPE 35, 1979, 161-167.
45
zu finden, wenn nicht in der Abkürzung d. m (CiL I 2 590, Z. 4; 593, Z. 111, 117; 2677, Z. 12) oder als sciens dolo malo (CIL I 2 583, Ζ. 61)7. Da in unserer Inschrift Z. 2 malo steht, nehme ich als höchstwahrscheinliche Ergänzung [sc(iens) dolo] malo an. Fraglich ist weiter der Terminus, der in zwei verschiedenen Zusammenhängen immer nur durch βουλή übertragen wird. In der Neutralitätsbestimmung geben die griechischen Fassungen δημοσίαι βουλήι an, während in der Änderungsklausel κοινήι
βουλήι
δημοσίαι 4κατ€ρων θ€λόντων/
έκατ€ρων δημοσίαι
βουλομένων/ κοινήι
βουλήι
βουλήι €κατ€ρ[ων] auftritt. Für
die letztere Stelle ist das auf dem kallatianischen Stein zu lesende uoluntate als Übertragung von βουλήι kaum in Frage zu stellen. Was aber für die Neutralitätsbestimmung? Passerini nimmt publica uoluntate an8, während Mattingly poplico Consilio vorzieht9. Die letztgenannte Lösung scheint mir befriedigend. Einerseits ist βουλή' im mehrfachen Sinne durch consilium ins Lateinische zu übertragen, andererseits gibt es in den griechischen Fassungen nie Varianten um das in Frage kommende Wort in der Neutralitätsbestimmung, während diese erst in der Änderungsklausel auftreten, wo die Partner, die etwas an dem Vertrag ändern wollten, als βουλο'μ€νοι oder βέλοντας bezeichnet werden, d. h. durch praktisch synonymische Übertragungen eines vermutlichen lateinischen uolentes.
Ebd. Appendix, 166 f.. Daß dies manchen griechischen Übersetzern nicht allzu klar war, scheint der Vertrag mit Methymna aufzuzeigen, der einmal [δόλωι ττο]νηρώι und einmal μβτα δόλου πονηρού aufweist (vgl. ΠΙ 2 a). PASSERINI, Π testo, 62 Anm. 3: »L'espressione publica voluntate mi è suggerita dal voluntate della r. 12. Il Viereck, he. cit., traduce κοιντ[ βουλή con publico Consilio, come gli ha suggerito, credo, Livio, 1, 24, 8.« MATTINGLY, Rome's Earliest Relations, 245.
46 2· Bemerkungen zur Verteilung der verpflichtenden Wendungen auf Zeilen Die Länge der Zeilen habe ich schon unter IV eingeschätzt. Weiter bemerke ich, daß der erhaltene Text merkwürdig viele Dativformen liefert (Z. 5-8), die je nach dem Fall auf wenigstens zwei Weisen zu erklären sind: - im Satzglied ώστ€ τώι δημωι
πόλ€μον €κφ€ρωσ\ν = quo poplo - -
- bellum facer ent; - im Satzglied kav τ\ς πρότ€ρο£ πολ€μον έκφ€ρη τώι δήμωι - - - =
sei quis bellum prior faxit poplo — Passerini scheint davon ausgegangen zu sein, daß /- po]plo Callatino bellum - - 7 aus Z. 5 ohne weiteres ein Hinweis auf das Satzglied [sei qiäs po]plo Callatino bellu[m faxit etc.] gewesen wäre10. Da er aber Z. 6 /- poplo Rom]ano queiue sub inperio etc. hatte, sah er sich zu einer höchst unwahrscheinlichen Lösung gezwungen: [Sei quis pojplo Callatino bellufm faxit, poplus Romanus, seiue poplo Romjano queiue sub inperio [eius erunt, poplus Callatinus, quod e foederibus pò]pio Romano utei et [Callatino licebit, sei quis bellum] prìor faxit [pjoplo [Callatino seiue poplo Romano, tum po]plus Romanus popl[us Callatinus alter alterum adiouantjo. Der Aufbau widerspräche allen uns bekannten Wendungen aus den griechischen Fassungen und ist außerdem auch sprachlich schwer anzunehmen. Ich begnüge mich damit, nur darauf hinzuweisen, daß Z. 5 [sei quis pojplo Callatino bellu[m faxit] schwer zu verstehen ist, soweit Z. 8 prio[r] faxit [pjoplo steht, was den richtigen Aufbau herauszubekommen erlaubt: sei quis bellum prior faxit poplo . Daher zwei wichtige Schlüsse: a) Das Satzglied aus Z. 8 ist auf die Allianzbestimmung zurückzuführen und wegen des Nominativs [pojplus Romanus aus Z. 9 als Indiz für die Klausel PASSERINI, D testo, 63: »al poplo Callatino della r. 5 segue subito ü poplo Romano della r. 7, e dopo un prior faxit che parrebbe introdurre il secondo membro della formula (dunque quella che impegnerebbe il popolo Callatino) alla r. 9 s'incontra poplus Romanusl Alla r. 8 e alla 9 compaiono un poplo e un popl.^ mentre alla r. 7 lo utei et che segue a poplo Romano non può che istituire un paragone con un altro popolo, cioè con un poplo Callatino« .
47 betreffs der Verpflichtungen der Römer im Eingriffsfalle eines Dritten auf Kallatis zu verstehen. Dasselbe wird entscheidend dadurch bekräftigt, daß in der nächsten Zeile (10) die Änderungsklausel schon eingeleitet wird, d. h., daß es für weitere Wendungen keinen Raum mehr gäbe. b) Da Z. 8-10 wie also hier gezeigt verstanden werden müssen, ist der Satz über die Veipflichungen der Kallatianer im Eingriffsfalle eines Dritten auf Rom - wie gewöhnlich - vor dem genannten Passus zu erwarten. Dies stünde im vollen Einklang mit den erhaltenen Worten aus Z. 6. Demzufolge suche ich also nach: 6
[ - - Sei quis prior faxit11 poplo Rom]ano queiue sub inperio [eius erunt poplus Callatinus po]plo Romano utei ET [..]
8
[
Sei quis bellum] prio[r] faxit [p]oplo [Calla]-
[üno queiue sub inperio eius erunt po]plus Romanus poplfo Cal][latino utei ET
]o. Sei quid ad hance [
]
Was nun mit dem Dativ aus Z. 5, wo Passerini [po]plo Callatino bellu[m faxit] ergänzt hatte? Alles läßt sich wunderschön erklären, wenn der genannte Dativ in das durch quo (= ώστβ) eingeführte Satzglied eingefügt wird, d. h.: 5
[
quo po]plo Callatino bellu[m]
[facerent etc. Demnach läßt sich der Wortlaut nicht nur an die auf Grund der griechischen Fassungen festgestellte kanonische Form, sondern auch an die Verteilung der Zeilen anpassen, indem sich die erhaltenen Worte in den gesamten Aufbau befriedigend einfügen lassen. Unter diesen Umständen bleibt also nur, die sich aus dieser Rohform ergebenden Lücken zu, schließen.
Dr. Klaus Hallof hat mich darauf aufmerksam gemacht, daß Z. 6 sei quis bellum prior faxit poplo Romano nicht in die Lücke paßt, zudem daß auch der Vertrag mit Maroneia überraschenderweise an der entsprechenden Stelle (Z. 30 f.) kav τις πρότ€ρος· έκφέρηι τώι δήμωι των 'Ρωμαίων angibt (also ohne T\Ó\€\LOV wie im Gegenglied Ζ. 33 f.). Daher also Z. 6: [sei quis prior faxit poplo Rom]ano.
48 3. Die Neutralitätsbestimmung Ich verzichte auf die sowieso nur aleatorisch zu rekonstruierende allgemeine Vertragsbestimmung. Ihr muß die Neutralitätsbestimmung gefolgt sein, die zunächst die Verpflichtungen der Kallatianer präzisierte. Das zweite Glied derselben Bestimmung würde dann m. E. folgendermaßen lauten: [ Poplus Romanus hostes inimicosue12 popli] 13 [Callatini per suos fines quibusue inper]at [poplus Romanus14] [ne transire sinito15 poplico Consilio16 sc. dolo] malo quo po[plo Cal]12
So etwa PASSERINI, Π testo, 62 (hostes et inimicos; gegen die Konjunktion et vgl. Anm. 14). Für άι>τιπολ€μιοι (Maroneia)/ ύπ€νάΊ/τιοι (Methymna, Astypalaia) habe ich zwar keinen Beleg für eine lateinische Übertragung. Auch VIERECK, Sermo Graecus, 43, übersetzt πολ€μίου? και ύπΕναντίου? aus dem Vertrag mit Astypalaia durch hostes et inimicos; so auch D. TRIANTAPHYLLOS, Συμμαχία Ρωμαίων και Μαρωνιτών, θρακική Έπ€τηρίδα, 4, 1983, 430 Anm. 45, für πολ€μίου$· και άντιπολ€μίους· aus dem Vertrag mit Maroneia. GARCÌA DOMINGO (wie Anm. 5), 676 zieht aduersarìi vor. Das merkwürdige Wort άντιττολ€μιοι aus dem Vertrag mit Maroneia könnte eventuell wegen άντι- auf ein in- als Präfix des lateinischen Wortes hinweisen.
13
Vgl. Anm. 5.
14
Für κρατάω (überall in den griechischen Fassungen) denke ich natürlich, wie VIERECK, Sermo Graecus, 43, und PASSERINI, Il testo, 62, an imperare. An sich wären auch Konstruktionen wie queiue sub inperio (in potestate, in dicione) popli Romani erunt (sunt) möglich - dazu FERRARY (wie Anm. 3), 212-214; vgl. T. Liv. 38, 38, 2: ne quem exercitum, qui cum populo Romano sociisue bellum gesturus erit, rex per fines regni sui eorumue qui sub dicione eius erunt, transire sinito - aber einerseits steht queiue sub inperio Z. 6 fur TOÎÇ υπ1 αυτού? τασσόμενοι? (und Vari anten), andererseits weisen alle griechischen Fassungen auf einen syntaktischen Aufbau mit poplus Romanus (d. h. ό δήμος ò 'Ρωμαίων bzw. αυτοί = οί 'Ρωμαίοι) als Subjekt hin. Daher die von Viereck und Passerini vorgeschlagene Lösung, die ich für fast sicher halte. Passerini schreibt et quibus imperai, jedoch ist in einer Inschrift vom Ende des 2. Jhs. (vgl. VI) die Konjunktion et in den Ergänzungen zu vermeiden, dagegen etwa -que, aîque, oc usw. vorzuziehen. Zudem weisen die griechischen Fassungen auf eine Konstruktion mit av auf - olç àv (αρχηι, κράτηι κτλ.) -, was dem Sinne des Lateinischen nach eher adversativ als koordinativ zu empfinden wäre. Daher richtig quibusue (wie bei Viereck).
15
Passerinis ne sinere transire debeto (62) erübrigt sich; vgl. T. Liv. 38, 2, 1: ne quem exercitum qui aduersus socios amicosque eorum ducetur per fines suos transire sinito;
49 3 [latino queiue sub inperio eius erunjt b[el]lum facefrent.. ] Für die Lücke in Z. 4 bis auf [p]equ[n]ia adiouanto gibt es zwei Möglichkeiten: a) [ne(i)\ue eos commeatu neque armis nauibus p]equ[n]ia adiouanto11; b) [ne\ue eos armis neque nauibus neque p]equ[n]ia adiouanto™. Wäre die erste Lösung vorzuziehen, so könnte man mit einem befriedigenden Grad an Wahrscheinlichkeit vermuten, daß die Klausel über das Verbot der Getreidelieferung den Vertrag von Kaliatis vor 105 v. Chr. zurückschiebt, d. h. vor den Zeitpunkt der ersten fest datierbaren Urkunde (Astypalaia), wo auf diese Klausel sicher verzichtet wird19. Leider befürchte ich, daß beide Lösungen an sich gleichfalls berechtigt sind - wenngleich ich meine eigene Lösung doch vorziehe - so daß die eventuelle feinere Datierung durchaus scheitert. Die Fortsetzung bringt anscheinend keine ernsten Schwierigkeiten mit sich: ebd. 38, 38, 2 (angeführt Anm. 14). 16
S. Anm. 9.
17
MATTTNGLY, Rome's Earliest Relations, 245, schlägt vor: [neiue eos frumento armis nauibus p]equ[n]ia adiouarü[o]. Auf frumento wäre jedenfalls zu verzichten; vgl. T. Liv. 38, 38, 2: ne commeatu neu qua alia ope iuuato (vgl. Polyb. 21, 42, 2: μηδ€ χορηγ€ΐν αύτοις- μηδ€ν); Τ. Liv. 2, 31, 9: commeatu cppiaque rerum omnium . . . est adiutus (vgl. Polyb. 3, 49, 11, zitiert Anm. 2). Also steht commeatus für σίτος- fest.
18
PASSERINI, Il testo, 62, schreibt [neue hosies neque armis neque p]equ[n]ia adiouant[o]% doch fehlt hier nauibus; vgl. die Übersetzung der entsprechenden Stelle im Vertrag mit Astypalaia bei VIERECK, Sermo Graecus, 44: neque armis neque pecunia neque navibus adiuvare.
19
So MATITNGLY, Rome's Earliest Relations, 245: »this agreement with the Maronea form should mean that the Callatis text at least predates Astypalea's«. Jedoch sehe ich in den griechischen Fassungen μήτ€ . . . μητ€ . . . μήτ£ . . . μήτ€, was m. Ε. im Original eher eine Reihe von neue . . . neque . . . neque . . . hätte fordern müssen (die Nichtaufnahme von neque, wie bei Mattingly, klingt mir etwas seltsam). Allerdings schiene es mir hyperkritisch, Mattinglys Argument umzudrehen und, falls meine Lösung vorzuziehen ist, darin ein Argument für die Datierung des Vertrags mit Kallatis nach 105 v. Chr. zu finden.
50
4
[p]equ[n]ia adiouanto [popli][co Consilio sc. dolo malo p. R. quo pojplo Callatino bell[um] [facerent. Hier soll nur darauf aufmerksam gemacht werden, daß angesichts der
schon festgestellten Zeilenlänge p(opli) R(omani) p. R. abgekürzt gestanden haben muß. Im Prinzip könnte man auf/?. R. sogar verzichten und dann gleich auch aufpopli Callatini nach [sc. dolo malo] im entsprechenden Satzglied zu den Verpflichtungen der Kallatianer.
4, Die Allianzbestimmung Den Satzaufbau habe ich oben festgestellt. Fraglich ist Z. 7, utei ET, wo Passerini die Konjunktion et erkannt zu haben glaubte20. Jedoch ist et in den öffentlichen Urkunden der Zeit (s. weiter VI) eher eine rara auis, wobei Konjunktionen wie ac> -que, atque usw. vorgezogen werden21. Andererseits hat dem Sinne nach hier pace Passerini keine Konjunktion Platz. Den griechischen Fassungen zufolge wäre hier der lateinische Ausdruck für κατά
το
€ΰκαιρον βοηθ€ΐτω zu erwarten. Obwohl ich dafür keine Belege gefunden habe, schlage ich mit allem Vorbehalt vor, ET zu trennen und etwa nach e tlempore dato], e t[empestiuitate], e t[empore opportuno] oder wohl einfach e [tempore] zu suchen. Andererseits bemerke ich, daß die schon gewonnene Konstruktion in Z. 7 durch den Dativ [pojplo Romano zu einem Verb für »helfen« (βοηθ€Ϊν) zwingt, das diesen Fall fordert. Dies schließt das transitive adiouare aus, obwohl manche griechische Fassungen, wie ich gezeigt habe, sowohl in der Neutralitäts- als auch in der Allianzbestimmung dasselbe Verb βοηθών verwenden, was sonst dem auf dem Steine anderswo zu lesenden adiouanto PASSERINI, Il testo, 63 Anm. 2, zitiert »un esempio epigrafico di quest'uso di utei et nel I sec. a. C.« in der Lex Mia municipalis (CIL I 2 593 = ELS 6085), Ζ. 5. 21
S. auch Anm. 14. In unserer Inschrift steht z. B. Z. 15 atq[ue].
51 auch in diesem Zusammenhang Tür und Tor geöffnet hätte. Höchstwahrscheinlich ist das in Frage kommende Verb das sowohl inhaltlich als auch phonetisch sehr nahe stehende adi(o)utare, das schon Pacuvius mit dem Dativ zu konstruieren scheint22. Also ergänze ich: 6 [ — Sei quis prior faxit poplo Romjano queiue sub inperio [eius erunt poplus Callatinus po]plo Romano utei e t[em]8 [pore dato (?) adioutanto. Sei quis bellum] prio[r] faxit [p]oplo [Calettino queiue sub inperio eius erunt po]plus Romanus popl[o Cal]10 [latino utei e tempore dato (?) adioutant]o.
5. Die Änderungsklausel Die Ergänzung des Substantivs, das Z. 10 nach ad hance steht, unterliegt keinem Zweifel, da Z. 13 societat[J auftritt und den griechischen Fassungen zufolge an den betreffenden Stellen dasselbe Wort συμμαχία/συνθήκαι benutzt wird. Also muß hier ad hance [societatem] ergänzt werden23. Folgt 22
Pacuv., Trag., fr. 89 (E. H. WARMINGTON, Remains of Old Latin Π, London 1936, 196) = Nonius 74, 1: ... Adiutamini et defendite (so die meisten Editionen) wird von Donat, ad Ter., Adelph. prol. 16 als adiuta mihi überliefert. Mir geht es natürlich hier nicht um die Lesung der Stelle, sondern um die Tatsache, daß eine Konstruktion wie adiuta mihi in der Antike für möglich gehalten wurde. Außer dieser Stelle zitiert der Thesaurus Linguae Latinae I auch Petron. 62: saltern nobis adiutasses. S. auch Gloss. 5, 5, 35 und 44, 22: «adiuua me, adiuua mihi» utrumque potest dici: melius tarnen «me». «Adiuuo» enim «ilium» dicimus quam «illi»f nisi forte dicas, «adiuua mihi onus». Bei Terenz sind adiutore und adiuuare nur transitiv: P. McGLYNN, Lexicon Terentianum I (A-O), London-Glasgow, 1963, s. u., 17. Deshalb kann ich nicht wie GARCÌA DOMINGO (wie Anm. 5), 334 eine Stelle wie die aus dem Vertrag mit Kibyra (τώι δήμωι τώι 'Ρωμαίων βοηθ€ΐτω) durch »populo Romano adjuvato« (also mit dem Dativ) übersetzen. Zum Verhältnis zwischen adiuuare und adiutore s. Anm. 2. Die Schreibweise adioutanto setzt sich in dieser Zeit ohne weiteres durch.
23
PASSERINI, Π testo, 68 f. ergänzt ad hance [legem societatis], scheint aber ad hance [societatem] auch nicht ausgeschlossen zu haben. »Invece nel nostro testo per supplire Sei quid ad hance [. . .] non si adatta altra espressione che legem societatis ο societatem. L'uso dell'una ο dell'altra forma a prima vista appare strano,
52
man den griechischen Fassungen nach, so läßt sich weiter auf verhältnismäßig sicheren Basen folgendes ergänzen: 10
Sei quid ad hance [socie][tatem poplus Romanus ac poplus Calljatlinuls24 ädere exime[reu]e [ue][lint25
Für (δημοσΐαι) βουλήι habe ich oben (poplico) Consilio vorgeschlagen und für das in den griechischen Fassungen anfangs stehende κοινήι läßt sich communi wohl durchsetzen. Da sofort nach der Lücke uoluntate steht und die griechischen Fassungen an dieser Stelle έκατέρων βουλομένων/έκατέρων θ€λόντων angeben, vermute ich bei diesen letzteren Übersetzungen nach dem Sinne des Griechischen. Allerdings war uoluntas in diesem Sinne nur durch βουλή zu übertragen, aber eine Konstruktion wie κοινήι (δημοσίαι) βουλήι <1κατ€ρων βουλή?, wo βουλή unterschiedliche Bedeutungen gehabt hätte (etwa »durch den gemeinsamen Beschluß des Willens beider Seiten«), hätte sehr ungriechisch gelautet. Aufschlußreich für stilistische Lösungen ist auch eine Stelle aus Polybios (21, 42, 27) über den Vertrag mit Antiochos: kàv
δ4 τ\
προστ€θήναι
θ€λωσι
προ?
ή άφαιρ€θήναι
τάς
συνθήκας*
άμφότ€ροι
κοινω
δόγματι
άπ' αυτών, αξέστω26, wobei δόγματι für
ed è certo discordante dalla lingua in uso nei foedera romani scritti in greco: anche nei testi letterari, per quanto vedo, societas sta a indicare la condizione, che viene a stabilirsi, di alleanza, e non il contenuto materiale del trattato che la fonda, i singoli articoli, indicati invece con leges societatis«. Inzwischen wurde die Inschrift von Maroneia entdeckt, wo an der entsprechenden Stelle Z. 37 συμμαχίαν zu lesen ist (d. h. etwa societatem). Zur Bedeutung des Begriffes societas in den Verträgen s. VE. Vgl. den Vertrag mit Maroneia, Z. 38: b δήμο? Ό των 'Ρωμαίων καΐ Ό δήμος· ò των Μαρωνιτών. Für die Übertragung von και s. Anm. 14. 25
PASSERINI, Il testo, 69, hatte odere exime[re u]e[lint] ergänzt, allerdings zu knapp für die Lücke und ohne Konjunktion. Richtig exime[reu]e D. S. MARIN, Π foedus romano con Callatis, Epigraphica 10, 1948, 113 f. (allerdings ohne das letzte E gesehen zu haben), eine Lösung, die von DEGRASSI, ÌT.T.RP Π 516 zurecht übernommen wurde; vgl. Π Anm. 19.
26
Die entsprechende Stelle bei T. Liv. 38, 38, 18 ist leider etwas abweichend: et [ut] si quidpostea addi demi mutariue placuisset, ut id saluo foedere fieret.
53 βουλήι, d. h. »durch einen Beschluß«, steht. Da in den griechischen Fassungen € κατάρων und bei Polybios άμφότ€ροι steht, vermute ich das Bestehen eines entsprechenden Wortes im lateinischen Original, also ergänze ich: 12 [. . . . communi poplico Consilio utriusque] uoluntate liceto27 Schließlich scheint die durch die griechischen Fassungen überlieferte Formel αν
προσθώσιν,
τούτο
kv
τήι
συνθηκαι?) Ιν^στω, δ δ€ kàv €ξ€λωσιν, ένΙστω (oder εκτός
συμμαχιαι
(oder
kv
τούτο kv τήι συμμαχιαι
Taîç μη
£στω) unter Berücksichtigung der fehlenden Präposition
in zwischen id (= τούτο) und societat[.] auf eine Konstruktion vom Typ Dativus cum esse hinzuweisen. Wortgenau und an den verfügbaren Raum befriedigend angepaßt wären die Zeilen so zu ergänzen: 13 [quodque adiderint id inesto quodque e]xe[mer]int id societat[i] [ne inesto. Haec societas28 in tabolam ahe]nam etc.29 Der Wortlaut des Vertrags muß also etwa folgendermaßen ausgesehen haben:
[Poplus Callatinus hostes inimicosue popli Romani per suos fines] [quibusue inperat poplus Callatinus ne transire sinito poplico] [Consilio sc. dolo malo quo poplo Romano queiue sub inperio eius] [erunt bellum facerent neue eos armis neque nauibus neque pequnia] 27
Vgl. PASSERINI, Il testo, 69: [publico Consilio ? communi] uoluntate licet[o]\ MARIN, a. Ο., 113: ädere exime[reue uellent utriusque] uoluntate.
28
Nicht foedus wie bei PASSERINI, Π testo, 70! Der Vertrag mit Maroneia benutzt in allen Zusammenhängen dasselbe Wort συμμαχία, wobei der lateinische Urbegriff von unserer Urkunde selbst Z. 13 angegeben wird: societas. Zur rechtlichen Bedeu tung des Begriffes s. weiter unter VII.
29
Richtig tabolam; vgl. CIL I 2 583 (123/2 v. Chr.), Z. 15, 27, 58 (taboleis), im Gegensatz zu CIL I 2 593 = ILS 6085 (45 ν. Chr.), Ζ. 14, 148, 155 (tabulas). Dazu weiter unter VI c. Zu den letzten Zeilen s. den Ausgangspunkt der vorliegenden Rekonstruktion unter IV.
54
[adiouanto poplico Consilio se. dolo malo popli Callatini? quo poplo] [Romano bellum facerent. Poplus Romanus hostes inimicosue popli] [Callatini per suos fines quibusue inper]at [poplus Romanus] [ne transire sinito poplico Consilio se. dolo] malo quo po[plo Cal][latino queiue sub inperio eius erun]t b[el]lum face[rent ne]4 [ue eos armis neque nauibus neque p]equ[n]ia adiouanto [popli][co Consilio se. dolo malo p. R.? quo po]plo Callatino bellufm] [facerent. Sei quis prior faxit poplo Rom]ano queiue sub inperio [eius erunt poplus Callatinus po]plo Romano utei e t[em]8 [pore dato? adioutanto. Sei quis bellum] prio[r] faxit [p]oplo [Calla][tino queiue sub inperio eius erunt po]pius Romanus popl[o Cal][latino utei e tempore dato? adioutant]o. Sei quid ad hance [socie][tatem poplus Romanus ac poplus Call]at[inu]s adere exime[reu]e [ue]12 [lint communi poplico Consilio utriusque] uoluntate liceto [quodque adiderint id inesto quodque e]xe[mer]int id societat[i] [ne inesto. Haec societas in tabolam ahe]nam utei scriberetur atq[ue] [figeretur? Romae in Capitolio, Callati loc]o optumo in faano Concor [d(iae)].
55 VI. DIE ZEITLICHE ANSETZUNG DES VERTRAGS
1. Historische Umstände Dieser Abschnitt beabsichtigt keine eingehende Untersuchung der historischen Ereignisse, die sich im letzten vorchristlichen Jahrhundert an der unteren Donau und an der Westküste des Pontos Euxeinos abgespielt haben1. Vielmehr möchte ich den Stand unserer Kenntnisse kurz darlegen, um nur die historisch passenden Zeitpunkte für den Abschluß eines Vertrags zwischen Rom und Kallatis hervorzuheben. Bekanntlich traten die Städte an der Westküste des Schwarzen Meeres spätestens ca. 88, wenn nicht sogar viel früher unter die Kontrolle des pontischen Königs Mithridates2. Sicheres Datierungselement wären die 88-86 v. Chr. datierten Prägungen der Stadt Mesambria gewesen, angenommen, sie hätten das Bildnis des idealisiert
1
Allgemeine Übersicht: PIPPIDI, I Greci, 133 ff.; ders., Les premiers rapports de Rome et des cités de ΙΈιιχίη, RSA 2, 1972, 17-38 = Scythica Minora, 159-171; in vielen Punkten davon sehr abweichend: A. SUCEVEANU, Sugli inizi della domina zione romana in Dobrugia. Punti di vista e controversie, QC 2, 1980, 469 ff.
2
PIPPIDI, I Greci, 136-138; ders., Scythica Minora, 165; D. B. Shelov, Le royaume pontique de Mithridate Eupator, JS 1982, 250-252; E. SALOMONE GAGGERO, Relations politiques et militaires de Mithridate VI Eupator avec les populations et les cités de la Thrace et avec les colonies grecques de la Mer Noire occidentale, Pulpudeva 2, 1978, 296-299. Appian, Mithr. 13, schildert eine vor den Römern geführte Polemik zwischen Pelopidas, dem Gesandten des pontischen Königs, und den Botschaftern des bithynischen Königs Nikomedes, die in das Jahr 88 v. Chr. gehört; dabei werden schon die Thraker und Skythen als Verbündete des pontischen Königs erwähnt (συμμάχων θρακών και Σκυθών). In das Jahr 88 ν. Chr. fällt ebenfalls die neue Gesandtschaft des Pelopidas (App., Mithr. 15), dem folgendes in den Mund gelegt wird: φίλοι? δ' kç παν το κ£λ€υόμ£νον έτοιμοι? χρήται Σκυθαι? Τ€ και Ταύροι? και Βαστάρναι? και θραξί και Σαρμάται? και πασι τοις άμφι Τάναΐν Te και ν1στρον και την λίμνην £τι την Μαιώτιδα. D. h. nun, daß die Umwandlung der gesamten Schwarzmeerküste in ein unter der Kontrolle des Mithridates liegendes Gebiet spätestens 89/88 v. Chr. vollendet wurde.
56 dargestellten Mithridates getragen3. Die Münzprägung der westpontischen Städte liefert aber keinen feineren Terminus dafür. Die pontische Besatzung dauerte bis 72/71 v. Chr., als M. Terentius (Licinius) Varro Lucullus Apolloniam euertit, Calatim, Parthenopolim4, Tomos, Histrum, Burziaonem5 cepit6 (Eutr. 6, 10). Daß Kallatis anläßlich dessen den Vertrag mit Rom abgeschlossen hätte, ergibt sich aus der kargen Überlieferung nicht. Das Breuiarium des Rufius Festus (9) - eine allerdings sehr unzuverlässige Schrift, die dieselben Quellen verwertet wie Eutropius7 - hält
M. J. PRICE, Mithridates VI Eupator, Dionysos, and the Coinages of the Black Sea, NC 7"1 series, 8, 1968, 1-12 (für die Ansicht, daß das Bildnis eine Alexanderimitation wäre vgl. G. KLEINER, Bildnis und Gestalt des Mithridates, JDAI 68, 1953, 73-95, bes. 78). Die Ausführungen von Price erwiesen sich aber nicht stichhaltig; dazu überzeugend F. de CALLATAY, Les derniers alexandres posthumes frappés à Odessos et Mesembria, in: D. DRAGANOV (Hg.), Studies on Settlement Life in Ancient Thrace. Proceedings of the III™ International Symposium »Cabyle« (17-21 May 1993), Jambol 1994, 300-342; ders., L'histoire des guerres mithridatiques vue par les monnaies, Louvain-la—Neuve 1997, 110-112, 118; vgl. 146-147. Demnach gibt es keine numismatischen Anhaltspunkte, um ein genaueres Datum für die Errichtung der mithridatischen Kontrolle über die linkspontische Küste herauszubekommen. 4
Parthenopolis (heute Schitu oder Costineçti): kleiner Ort im kallatianischen Territorium; vgl. Plin., Nat. hist. 4, 11 (18), 44; dazu Α. AVRAM, Untersuchungen zur Geschichte des Territoriums von Kallatis in griechischer Zeit, Dacia N. S. 3 5 , 1991, 119 und 131.
5
D. h. Bizone; dazu AVRAM, a. Ο., 107.
6
PIPPIDI, Scythica Minora, 177 (vgl. ebd., 166), betont den Unterschied zwischen euertit und cepit, Begriffe welche »permettent de supposer qu'Apollonie ayant op posé au proconsul une résistance acharnée (grâce, sans doute, à la garnison royale dont la présence dans cette ville nous a été révélée par un décret fragmentaire [IGB I 2 392]), elle en a subi les conséquences, tandis que les autres villes situées plus au Nord, jusqu'à la lointaine Istros, ont pu, instruites par l'événement, renoncer à se défendre, ouvrant leurs portes au vainqueur et s'assurant ainsi sa bienveillance«. Der Unterschied tritt jedoch in den Quellen des Appian (Illyr. 30), wo es eher um einen Feldzug gegen die Moesier geht, und des Florus (Bell. Thrac. 1, 39, 6) nicht auf. Vor allem die sog. Enmannsche Kaisergeschichte (EKG). Daher auch später lord., Rom. 221: Marcus Lucullus [. . .] similiter capiens et ciuitates, quae litori Pontico inherebant, id est Apollonia, Galato, Parthenopolim, Thomos, Istro. Vgl. Euseb.,
57 soviel für wichtig, daß der Prokonsul supra Pontum positas ciuitates occupami: Apolloniam, Calaîhum, Parthenopolim, Tomos, Histrum. Der Unterschied zwischen euertit und cepit wird nicht eingehalten, geschweige denn eine andere Nuance, die unter Umständen an eine unterschiedliche Behandlungsweise der einzelnen griechischen Städte durch den siegreichen Feldherrn hätte denken lassen. 61 v. Chr. scheinen sich die griechischen Städte gegen den Prokonsul Makedoniens Antonius Hybrida erhoben zu haben. Grund dafür sollen - wie im Falle der gegen denselben Feldherrn kämpfenden Dardanen - die Mißbräuche des Römers gewesen sein, höchstwahrscheinlich die von ihm den griechischen Städten auferlegten Exaktionen8. Cassius Dio (38, 10, 3) berichtet zwar nur, daß το 6* αυτό τούτο και π€ρΙ τους· συμμάχους τού^ kv τη Μυσΐα ποίησα^ ήττηθη <πρΟ£> τη των Ίστριανών πόλ€ΐ προ? των Σκυθών των Βασταρνών,
€πιβοηθησάντων
αύτοι$\
και
άπ€δρα.
. . 9 , während ein
berühmtes Dekret aus Dionysopolis (SylF. 762 = IGB 1^ 13) den Aufenthalt des Hybrida in der genannten Stadt im Winter 61/60 v. Chr. bestätigt10. Wie ich vorher gezeigt habe, sind in den σύμμαχοι des Cassius Dio die verbündeten griechischen Städte zu sehen11, wobei Marins Lösung, darunter die
Chron., p. 152 HELM. Die besondere Stellung Apollonias in der Quelle von Eutropius scheint darauf zu beziehen zu sein, daß bekanntlich die Römer von dort die berühmte Statue von Apollon (ein Werk von Kaiamis) mitgenommen und auf dem Kapital aufgestellt haben: Strab. 7, 6, 1; Plin., Nat. hist. 4, 13 (27), 92 und 34, 7 (18), 39; App., Illyr. 30. 8
PIPPIDI, Scythica Minora, 168.
9
Vgl. weiter auch Cass. Dio 51, 26, 5, wo berichtet wird, daß in einer Festung der Geten (Genoukla) M. Licinius Crassus (29/28 v. Chr.) die uexillay zu finden hoffte, die einst Hybrida verloren hatte (τα σημ€ΐα, α του 'Αντωνίου του Γαίου οί Βαστάρναι προς τη των Ίστριανών πόλ€ΐ άφηρηντο). D. h. nun, daß irgendwie auch die Geten daran mitbeteiligt waren.
11
Z. 16: [κατά την Γαΐου] 'Αντωνίου παραχ€ΐμασίαν. »Sans doute est-ce dans la dépense imposée à la cité par cette visite onéreuse autant qu'inattendue qu'il faut chercher l'explication du malaise économique et du mauvais état des finances publiques dont la mention revient à plusieurs reprises dans le décret cité« (PEPPIDI, Scythica Minora, 168 Anm. 48). So schon Th. MOMMSEN, Römische Geschichte V, Berlin 1885, 11 Anm. 1.
58 barbarische einheimische Bevölkerung zu verstehen, allzu unglaubhaft ist12. Wie dem auch sei, diese Nachricht ist immerhin an sich belanglos. Wenn auch die σύμμαχοι
sehr technisch als auf Grund eines Vertrags mit dem
populus Romanus definierte Träger des socii-Siatus zu verstehen wären - was leider aus dem Text nicht ohne weiteres hervorgeht13 - so heißt es freilich kaum, daß die angeblichen Verträge unbedingt um 72/71 v. Chr. abgeschlossen worden wären. Dasselbe hätte auch früher stattfinden können, unter der Bedingung, daß die angenommenen Verträge nach 72/71 v. Chr. wieder in Kraft getreten wären. Jedenfalls würde dann 61 v. Chr. nur einen terminus ante quemu bedeuten. Andererseits bemerke ich, daß eigentlich die Bastarnen (und die Geten) diejenigen waren, die Hybrida bekämpften, während die griechischen Städte eine gewisse Neutralität aufrechterhielten; die Stadt Dionysopolis empfing übrigens den besiegten Hybrida15. Das ganze Bild führt eher zu dem Eindruck, die griechischen Küstenstädte hätten stets unter der effektiven
12
Vgl. jedoch SUŒVEANU (wie Anm. 1), 479, der D. S. MARIN, Π foedus Romano con Callatis, Epigraphica 10, 1948, 118-121, beipflichtet und die σύμμαχοι für »popolazioni diverse« hält, indem er sich auf SueL, Aug. 3, 3 beruft Dort wird die Haltung des C. Octavius, des Nachfolgers Hybridas in Makedonien, gegenüber den socii gelobt (namque Bessis ac Thracibus magno proelio fusis ita socios tractauit). Woher aber die »alleati del nord dei Balcani«, wie Suceveanu die Stelle versteht?
13
Zum Gebrauch des Begriffes σύμμαχος· bei Cassius Dio s. D. NÖRR, Imperium und Polis in der hohen Prinzipatszeit, München 1966, 60 f. mit kommentierten Stellen. »Aus alldem ergibt sich, daß der Verwendung des Wortes σύμμαχος-, das im übrigen selbst einen Neurömer bezeichnen kann [Cass. Dio 52, 19, 2], allein nicht entnehmen werden kann, daß zwischen der mit dem Titel bezeichneten Stadt und Rom ein foedus bestand. Vielmehr bringt sie wohl nur zum Ausdruck, daß die jeweilige Polis im Falle eines Krieges auf römischer Seite «mitkämpfen» würde«.
14
So auch GRUEN, Hellenistic World Π, 740 Anm. 55.
15
Unklar bleibt, ob Hybrida den Winter in Dionysopolis (παραχ€ΐμασιά; vgl. Anm. 10) vor oder nach seiner Niederlage verbracht hat. Jedenfalls ist diese Nachricht mit der bereits angeführten Angabe des Cass. Dio 38, 10, 3, daß die σύμμαχοι die Skythen und Bastamen zu Hilfe gerufen hätten, schwer in Einklang zu bringen. Ein Feind konnte weder den gegen ihn aufmarschierenden noch den bereits besiegten Hybrida empfangen. Dionysopolis muß dann eher an dem Aufstand nicht teilgenommen haben. Zu den römischen Besatzungen in den von Lucullus eroberten Städten s. IGB I 2 314 a aus Mesambria.
59 Kontrolle der Römer gestanden (was Ausdrücke wie cepit und occupami im Zusammenhang mit der ursprünglichen Inbesitznahme unter Lucullus Varro wohl bestätigen würde), allerdings ohne der eigentlichen Provinz Makedonien einverleibt worden zu sein (was σύμμαχοι in dem hiesigen Zusammenhang befriedigend erklären würde). Demnach sehe ich nur zwei Möglichkeiten: Entweder hat es überhaupt keinen Vertrag gegeben, wobei den griechischen Städten 71/70 bloß eine gewisse Freiheit durch den siegreichen Lucullus - und die Sanktion des Senats - verliehen wurde, oder aber muß ein Vertrag schon vor der mithridatischen Okkupation abgeschlossen worden sein, der gleichwohl durch Lucullus und trotz der neuesten Ereignisse - nunmehr wieder in Kraft trat. Nach 61 und bis zum Tode des Getenkönigs Burebista im Jahre 44 v. Chr., der inzwischen die griechischen Städte an der Westküste des Schwarzen Meeres erobert hatte16, finde ich überhaupt keinen passenden Zeitraum für den Abschluß eines Vertrags mit Rom. Die Jahre nach 44 v. Chr. bieten ebenfalls keine passende Gelegenheit dafür, soweit während des Bürgerkrieges (44-42
Die Chronologie ist höchst umstritten: entweder unmittelbar nach Hybrida (dazu zuletzt SUCEVEANU, wie Anm. 1, 479 f.) oder eher kurz nach der Schlacht von Pharsalos (48 v. Chr.). Dion Chrysost., Or. 36, 4 (über die Zerstörung Olbias durch die Geten) - την 6e τβλαιταίαν και μ€γίστην οίλωσιν ού προ πλειόνων ή π€ντήκοντα και εκατόν ετών. Εΐλον 6è και ταΰτην Γέται και Ύας αλλάς τας kv TÒÌC άριστ€ροΐς· του Πόντου πόλ^ι? μ^χρι 'Απολλωνία? - ist chrono logisch verhältnismäßig wenig zu verwerten. Der Aufenthalt des Redners in Olbia ist 95 n. Chr. anzusetzen, während die Rede 97 n. Chr. gehalten . wurde (vgl. K. TREU, Zur Borysthenitica des Dion Chrysostomos, in: Griechische Städte und einheimische Völker des Schwarzmeergebietes, Berlin 1961, 137-154); 150 Jahre zuvor hieße 55-53 v. Chr., aber die Präzision der Angabe ist fraglich. Zu diesen Ereignissen: PIPPIDI, Gètes et Grecs dans l'histoire de la Scythie Mineure à l'époque de Byrébista, Dacia N. S. 25, 1981, 255-262 = Parerga, 177-188; P. ALEXANDRESCU, La destruction d'Istros par les Gètes 1. Dossier archéologique, Il Mar Nero I, 1994, 179-214. Unabhängig von der genaueren Datierung erscheinen die griechischen Städte nicht nur in IGB I 2 13 (Dekret von Dionysopolis), sondern vor allem in App., Bell. Ciu. 2, 51 als Verbündete des Pompeius am Vorabend der Schlacht von Pharsalos.
60 ν. Chr.) und des zweiten Triumvirats die Aufmerksamkeit der Römer von der in Frage kommenden Region zeitweilig abgelenkt wurde17. Erst nach Actium, genauer 29/28 v. Chr., unternahm der neue Prokonsul Makedoniens M. Licinius Crassus einen Feldzug bis in die Dobnidscha, infolge dessen er 27 v. Chr. seinen Triumph ex Thraecia et Geteis feiern ließ (CIL I 2 478). Über die griechischen Städte an der Westküste des Pontos Euxeinos wird weder in der triumphalen Inschrift noch in der ziemlich detaillierten Schilderung des Cassius Dio (51, 23, 2-26, 6) etwas berichtet, was bedeutet, daß diese erst später annektiert wurden18. Für den genauen Zeitpunkt verfügen wir über einen festen terminus ante quem, das Jahr 8 n. Chr., als der Dichter Ovid nach Tomis verbannt wurde; es ging also um ein Gebiet, das erst kurz davor integriert worden war (Trist. 2, 199: haec est Ausonio sub iure nouissima)19. Höchstwahrscheinlich ist - für Kallatis wenigstens, allem Anschein nach aber für alle benachbarten Städte - dieser Zeitpunkt um 3-2 v. Chr. genauer anzusetzen, als der später in Kallatis als Patron und Wohltäter geehrte Proprätor P. Vinicius seine Mission Thracia Macedoniaque erfüllte (Veil. Pat. 2, 101, 3)20. Daher sehe ich nach Actium (31 v. Chr.) und vor ca. 3-2 v. Chr. einen gewissen im Prinzip möglichen Zeitraum für den Abschluß eines Vertrags zwischen Rom und Kallatis. Bei einem umfangreicheren Blick auf die Schwankungen in der Praxis der Freiheitsverleihung durch die Römer im letzten vorchristlichen Jahrhundert ergibt sich folgendes: Nach der Reduzierung der Freistädte durch Sulla wurde die Freiheit eher als »Geschenk mächtiger Imperatoren« in verschiedenen Fällen verliehen21; erst nach Actium wurde dann diese Praxis wiederbelebt22. Da aber diese mächtigen Imperatoren Jahrzehnte lang ganz anderswo als an
17
Dazu PIPPIDI, I Greci, 151 ff..
18
Ders. zuletzt: Sur un fragment de décret inédit de Callatis, in: EpigraphicaConstantza, 51-64 = Parerga, 195-207.
19
Ders. zuletzt: Histria aux I er -III e siècles, Dacia Ν. S. 19, 1975, 142 f. = Parerga, 208 f.
20
Dazu ausführlich unter IX.
21
BERNHARDT, Imperium und Eleutheria, 134-176.
22
Ebd., 177-207.
61 der Westküste des Pontos beschäftigt waren, scheint mir durchaus die ganze Zeit nach Mithndates und vor Actium für den Abschluß eines Vertrags mit einer Stadt aus dieser Gegend völlig ausgeschlossen zu sein. Somit ergibt sich auch allgemein, historisch gesehen, dieselbe hier der zusammenfassend geschilderten Lokalgeschichte entnommene Datierungsmöglichkeit für den in Frage kommenden Vertrag: entweder vor ca. 90 oder zwischen 31 und 3/2 v. Chr..
2. Rechtliche Fragen Als einst Gaetano De Sanctis gegen das von Lambrino und Passerini angenommene Datum des Vertrags zwischen Rom und Kallatis protestierte, schrieb er u. a., daß »le disposizioni stesse del patto [. . .] non sembra si accordino bene con gli effetti d'una spedizione di conquista«23. Vasile Lica bemerkte seinerseits vor kurzem: »Vorausgesetzt, daß damals ein Vertrag abgeschlossen worden wäre, hätte dieser bloß ein foedus iniquum sein können, wie 189 v. Chr., als Rom und der Ätolische Bund ein von E. Täubler als Klientelvertrag qualifiziertes Abkommen abgeschlossen haben«24. Dies scheint mir ohne weiteres klar. Die Frage bedarf jedoch einer eingehenden Untersuchung unter besonderer Berücksichtigung des rechtlichen Aspekts. Hierbei möchte ich zwischen echtem Vertragsabschluß und Freiheitsverleihung unter Berufung auf einen älteren - schon bestehenden oder gegebenenfalls fiktiven - Vertrag sehr scharf trennen. Bekanntlich stellen die ciuitates foederatae juristisch freie und selbständige Staaten dar. Daher sind diese entweder als echt freie, außerhalb der Grenzen des römischen Reiches liegende Staaten zu betrachten, welche zumeist auf eigenen Wunsch - Verträge mit Rom abgeschlossen hatten, oder Städte, die schon unter römische Kontrolle gelangt waren, von den Römern den Status von ciuitas foederata als Privileg erhielten und dank dessen nicht 23
G. D(e) S(ANCTIS), Cronache e commenti, RFIC 63 (Ν. S. 13), 1935, 424 f..
24
V. LICA, Das foedus zwischen Rom und KaUatis, StudClas 28-30, 1992-1994, 32. Zu foedus iniquum und »Klientelvertrag« s. aber unter Vu 1.
62 zur benachbarten Provinz gehörten. Dieses Privileg konnte natürlich infolge einer antirömischen Handlung der betreffenden Stadt aufgehoben bzw. unter gewissen Umständen erneuert werden. Für unsere Angelegenheit lautet die Frage: Ist eine Freiheitsverleihung an Kallatis als Privileg - sei es auch unter Berufung auf ein fiktives foedus 72/71 v. Chr. oder kurz danach überhaupt denkbar? Ein Überblick der Einzelfälle im griechischen Osten ist in dieser Hinsicht lehrreich. In Griechenland wurde bekannlich Athen für eine ciuitas foederata spätestens 167 v. Chr. erklärt, wobei der Philhellenismus die entscheidende Rolle gespielt haben soll25. Sonst sind die uns bekannten Fälle von Verträgen merkwürdig in den letzten Jahrzehnten des 2. und zu Beginn des 1. Jhs. v. Chr., d. h. vor dem Ersten Mithridatischen Krieg konzentriert: Methymna (s. III), Byzanz26, Herakleia am Pontos27, Pergamon (?)28, Epidauros (?)29, Einzige - und späte - Quelle ist Tac, An. 2, 53; zum Datum s. BERNHARDT, Imperium und Eleutheria, 86. Die früheren Verträge (mit den Ätolern und den Achäern, dann mit Kibyra und Maroneia; vgl. oben ΙΠ 1) behandle ich hier nicht; vgl. aber weiter unter VU. E. GRZYBEK, Roms Bündnis mit Byzanz (Tac. Ann. 12, 62), MH 37, 1980, 50-59 datiert diesen Vertrag um 200-196 v. Chr.. Meine eigenen Bemerkungen dazu weiter unter VIIL Memnon, F. Gr. Hist. ΠΙ Β, 434 F 18, 6-10; vgl. Polyb. 25, 2, 12-13. In Frage gestellt wurde dieser Vertrag von MATTINGLY, Rome's Earliest Relations, 241 ff.. GRUEN, Hellenistic World Π, 735 ff. unterzieht seinerseits die memnonsche Überlieferung einer heftigen Kritik und folgert (737), daß »the treaty may well have come much later in the second century [. . . ] . An alliance with a remote Pontic town, at a time when Rome had resigned control of western Asia Minor to Eumenes and Rhodes, is implausible in the extreme«. Für die »traditionelle« Datierung um 180/79 entscheidet sich BERNHARDT, Imperium und Eleutheria, 71 ff.. S y l F . 694. Die verbündete Stadt wird in der fragmentarisch erhaltenen Inschrift nicht genannt. In Frage kämen Pergamon (so u. a. Ad. WILHELM, Urkunden aus Messene, JÖAI 17, 1914, 18 = Abhandlungen und Beiträge zur griechischen Inschriftenkunde I, Leipzig 1984, 484; L. ROBERT, Études anatoliennes. Études sur les inscriptions grecques de l'Asie Mineure, Paris 1937, 49 Anm. 3; D. MAGIE, Roman Rule in Asia Minor to the End of the Third Century after Christ Π, Princeton 1950, 1045 Anm. 34) oder - viel weniger glaubhaft - Elaia (ACCAME, Π dominio, 80 und 89). Das Datum (129 ν. Chr. oder kurz danach) würde gut mit Pergamon passen, da bekanntlich diese Stadt von Attalos 133 v. Chr. für frei erklärt worden war,
63 Astypalaia (s. Ill), Thyrreion30 und Mytilene31. Weiter erwähnen die Quellen eher Städte, die wegen ihrer Haltung während des Ersten Mithridatischen
während das übrige gleichnamige Reich an die Römer abgetreten wurde; vgl. BERNHARDT, Imperium und Eleutheria, 103 und 107. IG IV \r 63. Das Datum läßt sich durch die Z. 13 f. auftretende Angabe το τέταρτον και τριακοστοί/ έ'τος* herausbekommen, d. h. 113/2 ν. Chr., wenn man ab 146 v. Chr. (so H. SWOBODA, Hermes 57, 1922, 518 f.) oder 115/4 v. Chr., wenn man ab 148 v. Chr. rechnet (so HILLER von GAERTRINGEN in seiner IG IV2-Edition). D. KIENAST, Entstehung und Aufbau des Römischen Reiches, ZRG 85, 1968, 345 Anm. 49, bezweifelt das Bestehen des Vertrags, da in der Inschrift (d. h. im Dekret, das die Gesandten €ίς* 'Ρώμίαΐν υπέρ φιλίας' και συμμαχία? verehrt) bloß erwähnt wird, daß έγ€νήθη φιλία και συμμαχία ποτί 'Ρωμαίους* ται πόλι των Έπιδαυρίων. Jedoch erscheint eine solche Haltung etwas hyperkritisch; die Z. 6-9 (και του δόγματος· του γ€νομ€νου και παραδοθέντος* ό.ς το ταμίζΐον και τάς* συμμαχίας* άνατ€θ€ΐσας· kv πίνακι χαλκέω έν τφ Καπ€τωλίω, τούτων δέ αντίγραφα άποδ€δωκ€ clç το δαμόσιον) sind für das Bestehen eines Vertrags m. E. entscheidend (s. auch weiter unter Vu 3). IG IX l 2 242 = Syll 3 . 732 (94 v. Chr.), wobei nur das damals erhaltene Präskript ediert wurde. Vgl. aber jetzt ΙΠ Anm. 9. Bekanntlich enthält das dritte Dokument auf dem Denkmal des Potamon von Mytilene einen Brief Caesars (SHERK, RDGE 26 b, Z. 6-36), in dem die Erneuerung des Vertrags im Jahre 45 v. Chr. erwähnt wird; Z. 16 f.: χάριτα φιλίαν συμμαχία ν άι>€ΐ>€ουντο; vgl. Ζ. 20: χάριτα φιλίαν συμμαχίαν άναν€ωσασθαι. Wenn es also schon dann um eine Erneuerung ging und wenn vorher (62 v. Chr.) Pompeius auf Anregung seines einflußreichen mytilenischen Freundes Theophanes die alte Freiheit auch nur wiederherstellte (dazu ebd. Z. 21 f.: α TC αύτοΐς* πρότερο ν υπό συγκλήτου φιλάνθρωπα συγκ€χωρημ€να ην λ dann heißt es unbedingt, daß der ursprüngliche Vertrag vor dem Ausbruch des Ersten Mithridatischen Krieges abgeschlossen worden ist. 88 stand schon Mytilene auf der Seite des Mithridates und 80 v. Chr. wurde es von den Römern erobert und zum Status einer ciuitas stipendiarla herabgesetzt. Zu diesen von äußerst wichtigen Quellen bezeugten Wandlungen: C. CICHORIUS, Rom und Mytilene, Leipzig 1888; TÄUBLER, Imperium Romanum, 50 f., 56 ff., 179 ff., 366 f.; HORN, Foederati, 70 ff.; ACCAME, D dominio, 90 ff., 95 ff.: MAGIE (wie Anm. 28) I, 415 f.; Π, 1269 f. Anm. 39 und 1330 Anm. 2; R. K. SHERK, Senatus consultum de agris Mytilenaeorum, GRBS 4, 1963, 145-153, 217230; A. DONATI, I Romani nell'Egeo. I documenti dell'età repubblicana, Epigraphica27, 1965, 3-59 (bes. 18-25); L. ROBERT, Théophane de Mytilène à Constantinople, CRAI 1969, 42-64; Β. Κ. GOLD, Pompey and Theophanes of Mytilene, AJPh 106, 1985, 312-327. DAHLHEIM, Gewalt und Herrschaft, 244 nimmt an
64 Krieges dadurch bestraft wurden, daß die Römer ihnen die ehemals vertragsmäßig festgesetzten Rechte aufhoben32. Erst durch den Willen siegreicher Imperatoren wie einst Pompeius, danach Caesar wurden einigen Städten die alten Rechte wieder verliehen, zumeist infolge einer Vermittlung einflußreicher Bürger, die zu amici der mächtigen Römer geworden waren und sich in dieser Lage in den Dienst ihrer Heimat gestellt hatten. So z. B. erhielten Herakleia am Pontos33 und Knidos34 den Status von ciuitates foederatae. In den beiden Fällen geht es womöglich um die Erneuerung eines älteren Vertrags35. »nach Actium die Erneuerung der amicitia und im Jahre 25 schließlich die Überführung des Amicitiaverhältnisses in ein förmliches foedus«. Die Formulierung der oben angeführten Zeilen aus dem Briefe Caesars (φιλίαν συμμαχίαν, d. h. amicitia societasque) bezeugt aber, daß ein foedus schon vorher bestanden hatte. Zudem vergesse man nicht, daß auf derselben Insel Lesbos Methymna schon seit ca. 129 ν . Chr. über ein foedus verfugte. Um dasselbe Jahr oder etwas später würde ich demnach den Abschluß eines ähnlichen Vertrags mit Mytilene ansetzen. 32
Ausfuhrlich dazu BERNHARDT, Imperium und Eleutheria, 114-133.
33
S. Anm. 27.
34
S. ΠΙ Anm. 8. Wie im Falle von Mytilene verdankte Knidos seine Stellung von ciuitas foederata einem Freunde Caesars namens Theopompos und seinem Sohne Artemidoros; dazu L. ROBERT, Inscriptions d'Aphrodisias (I), AC 35, 1966, 419 ff.; Fr. QUASS, Zum Einfluß der römischen Nobilität auf das Honoratiorenregime in den Städten des griechischen Ostens, Hermes 112, 1984, 207.
35
Das fragmentarisch erhaltene Dokument - δρκιον προς- Τωμαίο[υς·] - enthält zwar Elemente eines förmlichen foedus (dazu GRUEN, Hellenistic World Π, 743); so ζ. Β. die allgemeine Vertragsbestimmung, Fr. A, Z. 9 ff.: ανά [μέσον δήμου Τωίμαίων και δήμου Κνιδίω[ν φιλία και] συμμα[χία κα\ €ΐρήιτ| ύς τον ά*ττ]αι/τα χρόνοι/ άσφα[λή£ και ßeßailoc €στω [και κατά γην και κατά] θάλασσαίν]; oder die Änderungklausel, Fr. Β, Ζ. 6 ff.: προ? τοΰτο το δρκιο[ι> £άν τι βουλωνται κοινήι] γνώμηι προσθ€ΐναι έκ τούτου Τ€ το[υ όρκίου έξ€λέσθαι], έξέστω· δ δέ αν κατά ταΰτα προσθώσιίν kv τούτωι τώι όρκίωι], ίνέστω, δ τ€ αν κατά ταΰτα ΙξελωίνΊαι, έκτος· τούτου] του όρκίου Ιστω{ι}. Den lükkenhaft erhaltenen Zeilen an dem unteren Teil des Fr. A und dem oberen Teil des Fr. Β ist aber zu entnehmen, daß sonst ganz andere Wendungen anzutreffen sind als jene, die für die kanonische Form einer societas charakteristisch sind. Zu vergleichen ist dieses Dokument mit dem in einem Briefe Octavians an Aphrodisias (39 oder 38 v. Chr.) erwähnten ό'ρκιον (OGIS 453455 = FIR A I 38 = SHERK, RDGE 28 = J. REYNOLDS, Aphrodisias and Rome, London 1982, 42 ff., Nr. 6; vgl. 7-9).
65 Soweit ich sehe, wurde der Tatsache wenig Aufmerksamkeit geschenkt, daß die sonst typischen Formeln der Vertragsbestimmungen in dem angeblichen knidischen foedus völlig fehlen. Zwar sind sie später (25 v. Chr.) im Vertrag mit Mytilene wieder vorzufinden. Dieser Vertrag wurde aber 25 v. Chr. nur »wiederbelebt«; ihm soll der viel ältere Text des schon Ende des 2. Jhs. v. Chr. abgeschlossenen Vertrags zugrunde gelegen haben. Daß die Wendungen die kanonische Form auf eine merkwürdig zusammenfassende Art und Weise wiedergeben, mag darauf zu beziehen sein, daß die Mytilener das Privileg 25 v. Chr. wieder erhielten, demnach den in seinen Grundbestimmungen sinnlos gewordenen, sonst lediglich durch sein effektives Bestehen entscheidenden Urtext zur Schau stellen wollten, ohne sich aber um eine buchstäbliche Übersetzung desselben zu kümmern36. Dies bezeugt soviel, daß es nach dem Dort geht es um ein senatus consultum, das u. a. auch von diesem Brief begleitet wird, wo Z. 27-33 folgendes zu lesen ist: έττικρίματο? και δόγματος- κα\ όρκίου και νόμου άντιπ€φωμημ€ΐ>α έκ των δημοσίων δέλίων έξατιοστ€Ϊλαι ύμ€ΐι> τα αντίγραφα. Möglicherweise soll das ό'ρκιον von Knidos entweder nur ein An hang eines SC gewesen sein (und das würde das Bestehen einet eigentlichen societas ausschließen) oder eher soll es wie in Mytilene als umgearbeitete Form eines angeblichen früheren Vertrags aufgestellt worden sein, dessen Wert eben durch das SC wieder anerkannt wurde. 36
Die Frage, ob am Anfang der societas eine Majestätsklausel stand, möchte ich hier nicht ausführlich behandeln (siehe aber VII Anm. 31). Epigraphisch scheint mir TÄUBLERs Ergänzung (Imperium Romanum, 64 f.) gerechtfertigt: b [δημίου ό] Μυτιληναίων άρχή[ν και δυναστ^ίαν του δήμου του Τωμαίωον δια]φυλασσ<£τω; jedenfalls ist sie überzeugender als die Lösung von V. ARANGIORUIZ, Senatus-consulta silaniana de Mytilensibus, RFIC 70-71, 1942-1943, 125130, welche (allerdings mit einem Fragezeichen versehen) auch von SHERK, RDGE 26 d, Z. 1 übernommen wurde: άρχή[ν και έπικρατ€<αν ην μέχρι νυν €σχβν (?) φυλασσ€τω. Eine Majestätsklausel nimmt neuerdings mit guten Argumenten an LL. FERRARY, Traités et domination romaine dans le monde hellénique, in: L. CANFORA/M. LIVERANI/C. ZACCAGNINI (Hg.), I trattati nel mondo antico. Forma, ideologia, funzione, Rom 1990, 232. Dasselbe gilt auch für das δρκιον von Knidos, wo im Fr. A, Z. 11 f. in der letzten Ausgabe (s. HJ Anm. 8) folgendermaßen ergänzt wurde: [ό] δήμο[? ό Κνιδίων ]Η[ - - ' την δυναστ€ΐαν και άρ]χήν του [δήμου το]0 ['Ρωμαίων φυλασσέτω]. FERRARY, ebd., 233 ff. meint, daß der Vertrag mit Mytilene »appartient bien à ce qu'on peut appeler, après Täubler, un Mischtypus: un mélange de traité bilatéral de neutralité et d'alliance défensive, et de décision unilatérale garantissant aux Mytiléniens un certain nombre de pri-
66 Ersten Mithridatischen Kriege kaum mehr sichere Beispiele von foedera im echten Sinne gibt. Schließlich läßt sich also festhalten, daß Lucullus Varro, als er die Stadt Kallatis eroberte, des Philhellenismus halber, unter dem Einfluß eines Freunden oder aus irgend einem der vorher beispielsweise angeführten Beweggründe, den Status von Kallatis als ciiätas foederata hätte höchstens anerkennen können, und dies nur unter der Bedingung, daß der eigentliche Vertrag - wie im Falle von Mytilene - schon vor dem Mithridatischen Kriege abgeschlossen worden wäre. Sowohl rechtlich als auch historisch wäre eine solche Möglichkeit durchaus annehmbar. Sie würde nicht nur die Tatsache erklären, daß Kallatis und die anderen Städte aus der Gegend nicht in das Imperium, d. h. in die Provinz Makedonien eingegliedert wurden37, sondern auch den schon behandelten Gebrauch des Terminus σύμμαχος im Bericht des Cassius Dio38. Im weiteren Sinne, ausschließlich juristisch gesehen, wäre m. E. das Datum des Vertrags also nur nicht zwischen 72 und 61 v. Chr. zu vilèges, mais fixant par cela même leur statut à l'intérieur de l'empire romain. D est moins surprenant dans ces conditions que le texte ait commencé, non avec la clause d'alliance et de paix, mais avec la clause de majesté«. Danach zieht er gerade den Vertrag mit Knidos und die Dokumente aus Aphrodisias (Anm. 35) in Betracht, um eine »évolution du traité romain« zu beweisen. »Le traité, en concurrence avec une loi ou un s. c , a pour fonction de sanctionner les privilèges d'une cité au sein de l'empire, et il y a nettement solution de continuité entre les traités de Maronée ou d'Astypalée et les traités de Cnide, d'Aphrodisias ou de Mytilène« (235). Damit bin ich im Prinzip einverstanden, aber die Theorie des »Mischvertrags« scheint mir doch eine unnötige Komplikation zu sein. Die Frage ließe sich viel einfacher lösen, wenn man davon ausgeht - wie ich hier zu zeigen versucht habe - daß die genannten Verträge nicht unter Caesar bzw. Augustus abgeschlossen wurden, sondern daß die Gültigkeit älterer, schon bestehender Verträge durch ein SC anerkannt wurde, anläßlich dessen aber die ursprüngliche allgemeine Vertragsbestimmung durch eine Majestätsklausel ersetzt wurde. Dazu auch meine Schlußbetrachtung (X). 37
Vergleichbar ist diese Maßnahme der Römer mit der Organisation Griechenlands nach 146 v. Chr. bis zur Einrichtung der Provinz Achaia (27 v. Chr.); s. ACCAME, Il dominio, passim; Th. SCHWERTFEGER, Der Achäische Bund von 146 bis 27 ν . Chr., München 1974; DAHLHEIM, Gewalt und Herrschaft, 117 ff.; R. BERNHARDT, Der Status des 146 v. Chr. unterworfenen Teils Griechenlands bis zur Einrichtung der Provinz Achaia, Historia 26, 1977, 62-73.
38
Vgl. Anm. 8-15.
61 suchen. Nur die historischen Umstände haben es erlaubt, die vorhergehende bzw. darauffolgende Zeitspanne etwas abzugrenzen.
3. Bemerkungen zur Schreibweise des Inschriftenwortlautes Im vorigen hatte ich schon die Gelegenheit, auf die unterschiedliche Behandlungsweise dieser Frage zu verweisen (Lambrino, Marin, Pippidi, Mattingly). Leider scheint mir keine der genannten Stellungnahmen völlig überzeugend, da zumeist Beispiele - in der einen oder der anderen Richtung angeführt wurden, ohne Berufung auf eine soweit wie möglich feste Datierung der einzelnen sprachlichen (oder nur graphischen) Erscheinungen. Zunächst möchte ich daran erinnern, daß viele Besonderheiten in der Schreibweise oder in der Form einzelner Worte für die chronologische Frage ganz und gar wertlos sind, so sei, quei (d. h. ei statt i) oder pequniay faxit, uteiy welche wenn auch nicht konsequenterweise bis etwa in die zweite Hälfte des 1. Jhs. v. Chr. auf Inschriften vorzufinden sind39. Ich werde demnach
Für i als Diphthong ei sehr aufschlußreich u. a. die lex lulia municipals (CIL I- 593 = ILS 6085) aus dem Jahre 45 v. Chr. (?): utei (passim), sei (passim), loceis publiceis (Z. 80), serueis publiceis (Z. 82) usw.; vgl. LAMBRINO, Inscription latine, 283 Anm. 4; PIPPIDI, Scythica Minora, 175 Anm. 24. In derselben Inschrift steht dagegen stets pecunia geschrieben (Z. 19, 37 usw.). Für pequnia s. unter den späteren Beispielen die lex municipii Tarent ini (CIL I 2 590 = FIRA I 18) aus den Jahren 89-62 v. Chr., passim; dazu LAMBRINO, Inscription latine, a. Ο., der u. a. auch die lex uicana Furfensis (CIL I 2 756 = ILS 4906) aus dem Jahre 58 v. Chr. anführt, wo »on trouve quatre fois pequnia et une fois pecunia«. S. auch CIL I 2 600 = FIRA I 20 aus den Jahren 49-42 v. Chr. (Ζ. 16: pequniae); dagegen in der lex de Gallia Cisalpi na aus den Jahren 49-48 v. Chr. (ehem. lex Rubria: CIL I 2 592; vgl. M. W. FREDERIKSEN, The Lex Rubria: Reconsiderations, JRS 54, 1964, 129-134; J. BRUNA, Lex Rubria. Caesars Regelung für die richterlichen Kompetenzen der Munizipalmagistrate in Gallia Cisalpina. Text, Übersetzung und Kommentar mit Einleitungen, historischen Anhängen und Indizes, Leiden 1972): pecunia (passim). In der lex coloniae Genetiuae luliae (CIL I 2 594 = ILS 6087) aus dem Jahre 44 v. Chr. finde ich von den mich angehenden Besonderheiten nicht nur pecunia (passim), sondern auch si quis (Z. 7). Für faxit vgl. LEUMANN, Laut- und Formenlehre, 343: »im
68 nur die eventuell datierungsfähigen Erscheinungen in Betracht ziehen. Andererseits sei mir gestattet, mich an erster Stelle auf die öffentlichen inschriftlich überlieferten Urkunden zu beziehen und erst in zweiter Linie wenn nötig - auf weitere Inschriften privaten Charakters40. Natürlich ist es mir kaum gelungen, alle lateinischen Inschriften aus der Zeit zu behandeln und das Bestehen mancher Beispiele bzw. Gegenbeispiele, die ich wohl übersehen haben werde, würden mich wenig überraschen. adiouanto Schon Lambrino41 hatte dazu bemerkt, daß »le mot adiouanto mérite une mention spéciale parce qu'il fournit le second exemple connu du verbe iuvare avec ο ancien«. Das andere Beispiel wäre louent (= iuuent) aus CIL 1^ 364 = ILS 3083 = ILLRP 192 aus der zweiten Hälfte des 3. Jhs. v. Chr.: utei sesed lubent[es be]ne iouent optantis. A. Ernout und A. Meillet sehen darin ein »o provenant d'une dissimilation graphique? - comme dans flouius«*2, ein Wort, Altlatein dient Aoristkonj. faxo (ähnlich wie die idg. Praesenskonjunktive er is und leges) als einfaches Futurum; die nur noch gelehrte Erhaltung der klassischen Zeit verwendet faxo und faxim als Fut. ex. und Konj. Perf., da der Opt. faxim zwar in der Verwendung sowohl mit faciam wie mit fecerim, in der Flexion aber nur mit fecerim sich berührte«; vgl. J. B. HOFMANN, Lateinische Syntax und Stilistik (HdA Π, 2 , 2), neubearbeitet von A. SZANTYR, München 1965, 322 f.. Zu uti (altlat. utei) s. HOFMANN/SZANTYR, a. O., 632: »in der klassischen Zeit findet sich uti bei Cic. anscheinend nur selten und vor allem der Abwechselung wegen (z. B. Font. 18: non ut . . ., sed uti); bei Caes. begegnet es öfters, meist jedoch als Textvariante«. 40
D. h„ daß ich z. B. die Schreibweise mit Doppelvokal in Personennamen (z. B. Maarcium = ΜααρκιοΜ in CIL I 2 747 = ΙΠ 7265 = ILS 868 aus 67 v. Chr.) oder konservativerweise aufrechterhaltene Formen anderer Personennamen wie etwa Poblicius, Poplicola (aus poplic-; s. weiter) außer acht lasse; vgl. O. PRINZ, De ο et u vocalibus inter se permutatis in lingua latina quaestiones epigraphicae, Diss Halle 1932, 93: »in nominibus propriis Ο etiam in titulis imperatorum aetatis obviam fit toto orbe Romano, maxime in Italia. Certae aetatis exempla vix saeculo p. Chr. η. primo recentiora sunt. Hue pertinent inprimis Poblìcius nomen gentile et Poplicola cognomen«.
41
LAMBRINO, Inscription latine, 283 und Anm. 3.
42
Α. ERNOUT/A. MEILLET, Dictionnaire étymologique de la langue latine. Histoire des mots 4 , Paris 1967, 331.
69 das in dieser Form von der Sententia Minuciorum aus dem Jahre 117 v. Chr.43 reichlich belegt wird: neunmal flouium, viermal flouio, einmal floui, dagegen nur einmal fluio44; siehe auch conflount (ebd. Z. 23). Diese Schreibweise würde sich entweder dadurch erklären, daß in derselben Zeit wegen der damals üblichen Doppelschreibung als Kennzeichen langer Vokale uu (= VV) auch als langer Vokal ü interpretiert45, daher verwechselt werden konnte, oder als Effekt der allmählichen Verselbständigung eines vermutlichen *flouere aus archaischen Komposita vom Typ conflouere (vgl. conflouont), perplouere46. Jedenfalls kenne ich für das Verb flouius und seine Familie gar keine gleichartige Schreibweise außer denen aus der Sententia Minuciorum. Dagegen »fluio exstat in titulo aetatis Sullanae47, in quo VV pro U longa scriptae sunt in Temuudino, muunien[ »**. In derselben sullanischen Zeit tritt aber auch Vitrouius auf (CIL I 2 1609 = X 1218 = ILLRP 519); wenn ich nicht irre, ist dies das einzige Beispiel für das - allerdings sehr frühe - 1. Jh. v. Chr.49.
43
CIL I 2 584 = V 7749 = ELS 5946 = ILLRP 517.
44
PRINZ, a. O., 43.
45
A. TRAINA, L'alfabeto e la pronunzia del latino3, Bologna 1967, 45.
46
A. WALDE, Lateinisch etymologisches
Wörterbuch I, Heidelberg 1938,
520;
LEUMANN, Laut-und Formenlehre, 111. Unentschieden: V. PISANI, Testi latini arcaici e volgari, con commento glottologico 2 , Turin 1960 (= Manuale storico della lingua latina ΠΙ), 26 (Kommentar zur Seni. Min., dort A 31); A. De ROSALIA, Iscrizioni latine arcaiche, Palermo 1972, 121. 47
CIL I 2 808 = VI 3824 (31 603) = ILS 5799 = ILLRP 465.
48
PRINZ, a. O., 43.
49
Ebd.: »Ο pro U longa posita est«. Demnach folgert PRINZ: »ex iis quae allegavi exemplis apparet Ο ante V maxime saeculo tertio et secundo floruisse, cum in ti tuli s saeculi primi pauca exempla exstent. Immo vero saeculo primo plerumque V littera pro OV scripta est. Satis habeo nonnulla eius rei exempla attulisse«. Dabei kommt der Diphthong ou für u nicht in Frage; z. B. ious, iouris (passim) in der lex Antonia de Termessibus aus dem Jahre 72 oder 68 v. Chr. (CIL I 2 589 = ILS 38; vgl. zum Datum R. SYME, Ten Tribunes, JRS 53, 1963, 57 f.: »it can therefore be argued that a lex about Termessus is appropriate in 68«); dagegen iussum, iudicatum, ius in der lex de Gallia Cisalpina (CIL I 2 592; 49-42 v. Chr.; vgl. Anm. 39), iudicium, iudex
70 Allgemeine Datierung: 3. Jh (natürlich auch früher, aber ohne Belege)-! 17 (sehr aufschlußreich)-ca. 80 v. Chr. (schon nicht mehr üblich). poplus, poplo Für die älteren Beispiele verweise ich auf Manu Leumann: »poplo- begegnet neben populus schon im Salierlied (pilumnoe poploe Fest.) und CEL ¥· 61450 sowie in poplicus, vgl. auch umbr. poplom; die Ausgangsform muß also *pop los, nicht *popelos, gewesen sein«51. Hinzuzufügen ist schon CIL 1^ 40 = XIV 4269 = ILS 6128 = ILLRP 77 aus dem 3. Jh. v. Chr.: C. Manlio Aci. cosol pro poplo Arimenesi. Jüngstes Beispiel wäre eine stadtrömische Weihinschrift der Lykier gewesen, CIL I 2 725 = VI 372 = ILS 31 = ÏÏJRRP 174: Iouei Capitolino et poplo Romano. Mommsen hatte die Inschrift in Sullas Zeit datiert, während Degrassi in einer SpezialStudie alle Weihinschriften asiatischer Könige, Städte und Gemeinden aus dieser Serie (ILLRP 174-181) in Sullas Zeit oder kurz danach ansetzte52. Vor kurzem hat aber Andrew W. in CIL I 2 600 (49 v. Chr.), iudicem iuäiciumue in der lex Iulia municipalis (s. Anm. 39), ius iurandwn (passim) in der lex coloniae Genetiuae Iuliae (s. Anm. 39). Dazu LEUMANN, Laut-und Formenlehre, 61: »Die Schreibung ou ist bis 90 v. Chr. häufig, wird jedoch anstelle von u mit einiger Regelmäßigkeit nur mehr in den Wörtern des Amtsstils iourare ioudicare iousit gebraucht«; vgl. auch F. SOMMER, Handbuch der lateinischen Laut- und Formlehre. Eine Einführung in das sprachwissenschaftliche Studium des Lateins 4 I. Einleitung und Lautlehre (von R. PFISTER), Heidelberg 1977, 70; W. BLÜMEL, Untersuchungen zu Lautsystem und Morphologie des vorklassischen Lateins, München 1972, 32 f.. Zum Unterschied zwischen OV als Diphthong für das sich schon seit dem 3. Jh. v. Chr. allmählich monophthongisierende u (Beispiele bei LEUMANN, eb&) und dem Ο vor V als M ausgesprochen siehe PRINZ, a. O., 48: »accedit hue, quod OV litteris usque ad saeculum secundum exiens multo saepius diphthongus significabatur, quam W litterae ad U longam experimendam adhibitae sunt. Itaque si Ο scribebatur ante V pro U pronuntiata, hoc modo errores vix evitari poterant«. 50
Aus dem Jahre 189 v. Chr. (= ILS 15).
51
LEUMANN, Laut- und Formenlehre, 97; s. auch SOMMER (wie Anm. 49), 113.
52
A. DEGRASSI, Le dediche di popoli e re asiatici al popolo romano e a Giove Capitolino, BCAR 74, 1951-1952, 19-47 = Scritti vari di antichità I, Rom 1962, 415-444. Merkwürdig ist dabei, daß der italienische Gelehrte für seine Datierung u. a. das Argument anführte, daß »il fatto che queste offene di popoli e principi orien-
71 Lintott mit guten historischen und sprachlichen Argumenten diese Weihinschriften in das 2. Jh. angesetzt53; zugleich nahm er eine eventuelle Neueinschreibung unter Sulla an, u. zw. nach der Feuerbrunst, der 83 v. Chr. der Tempel des Iupiter Capitolinus zum Opfer gefallen war54. Zu seiner Beweisführung zum Wortlaut der Inschriften gehört auch folgendes: »Poplo for populo in one of the Lycian dedications is only found after 100 Β. C. in the treaty with Callatis - if indeed the latter does belong to the late seventies«55. Damit steht im engsten Zusammenhang das in der kallatianischen Inschrift nicht belegte, m. E jedoch sicher zu postulierende verwandte poplicus56, anhand dessen die Datierung der Form poplus in äußerst lehrreicher Weise überprüft werden kann. Für die Formenverwirrung ist CIL F 583 (lex repetundarum) aus dem Jahre 123/2 v. Chr.57 aufschlußreich: poplic- dreimal, puplicdreimal, während poblic- nur einmal58; vgl. aber auch populus (Z. 12) und tali non siano state esposte, come si aspetterebbe, nel tempio di Giove Capitolino, conferma la datazione delle dediche a un periodo di tempo nel quale il tempio bruciato nell' 83 a. Cr. non era ancora ricostruito« (44 = 442), wobei er in der Fußnote 115 darauf aufmerksam machte, daß »per la stessa ragione il testo del trattato con Callatis fu esposto nel tempio della Concordia«. 53
A. W. LINTOTT, The Capitoline Dedications to Jupiter and the Roman People, ZPE 30, 1978, 137-144.
54
Ebd., 140 ff., unter Berufung auf eine Vermutung von R. MELLOR, ΘΕΑ ΡΩΜΗ. The Worship of the Goddess Roma in the Greek World, Göttingen 1975, 203 ff..
55
LINTOTT, a. O., 139 f.; »the details of Roman expansion in Eastern Thrace revealed by the Cnidos text make an earlier date for the treaty c. 100 B. C. plausible« (dazu weiter unter VIII).
56
Dazu LEUMANN, Laut- und Formenlehre, 194: »Eine besondere Gruppe von Bildungen steht zwischen Kontamination und Analogiebildung; bei ihnen entsteht wohl ein neues Wort, wobei tatsächlich vier Glieder beteiligt sind, aber deutlich erkennbar nicht im Verhältnis einer Proportion, wie an publicus erläutert sei: poplicus war beabsichtigt, durch das als darin verbaut empfundene populus wurde pubes vorgedrängt, Ergebnis publicus, oder formelhaft: popi- {populus > pubes)-icus publicus«; so auch SOMMER (wie Anm. 49), 151. S. aber auch hierunter Anm. 61.
57
Zur Datierung: E. BADIAN, From the Gracchi to Sulla, Historia 11, 1962, 203-209; Literatur dazu in CIL I 2 2, fase. 4 (1986), p. 908.
58
PRINZ, a. O., 93, mit weiteren Beispielen aus dem 2. Jh. v. Chr., während »in inscriptionibus saeculi primi public- solum exstat«.
72 populei (Ζ. 60). In der Sententia Minuciorum aus dem Jahre 117 ν. Chr. finde ich nur poplic-. In der lex agraria aus dem Jahre 111 v. Chr. ist public- 38mal, poplic- dagegen nur zweimal belegt59; vgl. aber auch populo und populi (Z. 20). Für das 1. Jh. v. Chr. kenne ich kein Beispiel für poplic-60, was soviel heißt, daß die Schwankungen in der Schreibweise der Urkunden aus den Jahren 123/2, 117 und 111 v. Chr. ohne weiteres als Belege dafür benutzt werden dürfen, daß spätestens um 100 v. Chr. poplic- durch public- verdrängt wurde, genauso wie poplus durch populus61. Datierung: bis ca. 100 v. Chr. hance »Das -e von-ce ist schon zu Plautus' Zeit geschwunden [. . .]. Auf Inschriften ist es auch im freien Auslaut noch vielfach historisch geschrieben«62. Von den m. E. aussagekräftigsten Beispielen verweise ich auf CIL F 583 aus dem Jahre 123/2 v. Chr.63 (de heisce - Z. 8; hoiusce legis - Z. 56; post hance legem Z. 59; ex hace lege - passim), auf die Sententia Minuciorum (hisce finis - Ζ CIL I 2 585 = FIRAI 8; vgl. PRINZ, a. O., 93; C. De SIMONE, in: C. M. STIBBE/G. COLONNA/C. De SIMONE/H. S. VERSNEL, Lapis Satricanus. Archaeological, epigraphical, linguistic and historical aspects of the new inscription from Satricum, 's-Gravenhage 1979 [Archeologische Studien van het Nederlands Institut te Rome, Scripta Minora V], 90 f. Anm. 91. Außer den nicht aussagekräftigen Personennamen auf Poplic- (s. Anm. 40). Für public- vgl. schon die lex municipii Tarentini (Anm. 39) aus den Jahren 89-62 ν . Chr.: in tabu[leis pjubliceis: Z. 13; vgl. Z. 20; pequnia public[a]\ Z. 10; lex Anto nia de Termessibus (Anm. 49): aedificia publica: Ζ. 111. Da in den genannten Inschriften aus den Jahren 123/2 und 111 v. Chr. die Derivata von poplic- neben populus vorzufinden sind, glaube ich umso mehr, daß die in der kallatianischen Inschrift belegte ältere Form poplus notwendigerweise die Form poplicus (so poplico Consilio usw.) fordert. Vor kurzem hat der lapis Satricanus neues Material dazu gebracht; s. De SIMONE (wie Anm. 59), 81: »La grafia Poplio(sio) ci fornisce di conseguenza la conferma più che definitiva che la forma classica del prenome, Publius (come anche publicus ripetto a poplico-) ha carattere recensiore ed è dovuta a sviluppo secondario«; vgl. ebd. 91 Anm. 92: »il materiale epigrafico racolto [. . .] mostra inoltre chiaramente che il passagio popi- > publ(fase intermedia poubl-) è un fenomeno molto recente (Π sec. a. C.)«. LEUMANN, Laut- und Formenlehre, 285 f.. S. Anm. 57.
73 13) und auf die lex Latina Baritina, vermutlich aus den Jahren 103-100 v.Chr.64 (hace lege - Z. 7; haace lege - Z. 13; hance legem - Z. 8, 25, aber auch post hanc legem - Z. 23; hoice leegei - Z. 26). Dagegen begegnen uns in der lex Cornelia de XX quaestoribus (ca. 81 v. Chr.)65 ex hac lege (Π, Z. 25, 31, 38) und ante hanc legem (II, Z. 36, 41) und in der lex Antonia de Tennessibus (72 oder 68 v. Chr.)66 hanc legem (I, Z. 10). Datierung: bis ca. 100 v. Chr.. ädere (im Gegensatz zu bellum und Callatino) Die Schreibweise mit Doppelkonsonanten hat sich bekanntlich im Laufe des 2. Jhs. schwer durchgesetzt67. Die letzten Beispiele für die sich nur langsam ändernde Schreibweise - sowohl Doppel- als auch einfache Konsonanten in demselben Text - scheinen sich in unterschiedlichen Verhältnissen gegen das Ende des 2. Jhs. v. Chr. zu konzentrieren68. Ein spektakulärer Unterschied ist festzustellen zwischen dem Meilenstein von Polla und der Sententia Minuciorum einerseits und der lex agraria aus dem Jahre 111 v. Chr. andererseits. Während der genannte Meilenstein (CIL I 2 638) keine Doppelkonsonanten aufweist69 und in der Sententia Minuciorum
die einfachen
64
CIL I 2 582; zur Datierung s. die Literatur bei H. B. MATTINGLY, A New Look of the Lex Repetundarum Bembina, Philologus 131, 1987, 74 Anm. 20. A. W. UNTOIT, The quaestiones de sicariis et veneficis and the Latin lex Baritina, Hermes 106, 1978, 125-138, setzt das Gesetz früher, in die Zeit des C. Gracchus an.
65
CIL I 2 587 = FRA I 10 = W. M. LINDSAY, Handbook of Latin Inscriptions illustrating the History of the Language, Amsterdam 1970, Nr. LIU (»this inscription is nearer Classical than Archaic Latin«).
66
S. Anm. 49.
67
V. PISANI, Grammatica latina storica e comparativa^, Turin 1962 (= Manuale storico della lingua latina II), 10; De ROSALIA (wie Anm. 46), 15 f..
68
MATTINGLY (wie Anm. 64), 74.
69
miliarios, tabelarios, suma, meilìa, redideique. Die allgemein akzeptierte Datierung ist 132 ν. Chr.; s. aber auch E. T. SALMON, Samnium and the Samnites, Cambride 1967, 323 Anm. 3, der auch das Jahr 143 v. Chr. in Betracht zieht, falls die Straße von Appius Claudius Pulcher gebaut wurde.
74 Konsonanten noch die vorrangige Stellung einnehmen70, lassen sich für die lex agraria nur drei einfache Konsonanten anstatt Doppelkonsonanten feststellen, während die letzteren weitgehend vorherrschend sind71. Das Wort ädere mag wohl auch später mit einfachem Konsonant geschrieben worden sein; ein Beispiel finde ich sogar in der lex de Gallia Cisalpina aus den Jahren 49-48 v. Chr.72: in ius aditum eris (XX, Z. 16). Da in der Inschrift aus Kallatis sonst bellum und Callatino vorzufinden sind, scheint mir dies für einen zeitlichen Ansatz nach dem fast völligen Sieg der Schreibweise mit Doppelkonsonanten zu sprechen, d. h. nicht längere Zeit nach 111 v. Chr.. faano Bekanntlich wurde dem Dichter und Grammatiker Accius eine orthographische »Reform« zugeschrieben, laut der die Langvokale ä, ë, ù (vielleicht auch ö) durch Doppelschreibung bezeichnet werden mußten73. Außer dem
CIL I- 584 (vgl. Anm. 43): »iuserunt (3 f.), comvalem (8), acipiant (26) castelumi castelanos (17 and 24), posidet etc. (passim), anos (25), mitat (31). On the other side are esse etc. (13, 44 and 45) and summum (16). The uncertainty betrayed by castella (5), possiderent (3), anni (28, 35) and inmittere/mittei (41 and 44) surely marks a period of transition« : MATTINGLY (wie Anm. 64), 74 Anm. 23. CIL I 2 585 (vgl. Anm. 59): »referive (7), fuise (44, 57, 61), habuisent (91). Once again uncertainty is betrayed by the consistent spelling possessiolpossessor«: MATTINGLY, ebd. 74 Anm. 25. CIL I 2 592 = XI 1146 = FIRA 119; vgl. Anm. 39. Terent. Scaur., Gramm. Lat. 7, p. 18, 12 K: per adiectionem ilia uidentur esse uitiosa, quod Accius geminatis uocabulis scribi natura longas syllabas uoluit, cum alioqui adiecto uel sublato apice longitudinis et breuitatìs nota posset ostendi [vgl. Anm. 79]. Nam singulares uocales et produci et corripi possunt. Onde etiam Lucilius in nona saturarum de orthographia praecipuens ait etc.; vgl. Marius Victorinus, ebd. 8 Κ: cum longa syllaba scribenda esset, duas uocales ponebat, praeter quam quae in i litter am incider ant: hone enim per e et i scribebat (vgl. PISANI, Testi latini arcaici e volgari-, 83). Accius (ca. 170-86 v. Chr.) setzte sich also mit Lucilius (gest. 103/2) auseinander (dazu L. PEPE, Accio, Lucilio e la «geminatio», SEFC 20, 1946, 105-120), dessen nona saturarum. nach einigen Meinungen 112, jedenfalls vor ca. 105 v. Chr. veröffentlicht wurde (vgl. zu Fragen der Abfassungszeit der Satiren J. CHRISTES, Lucilius: Ein Bericht über die Forschung seit F. Marx (1904/5), ANRW 12, Berlin-New York 1972, 1200-1203). Demnach ist die Schreibung mit Doppel-
75
oskischen Bereich, wo die Doppelschreibung viel früher gebräuchlich gewesen zu sein scheint74, entspricht die zeitliche Einordnung der Inschriften, welche Doppelvokal aufweisen, etwa der Lebenszeit des Dichters75. Läßt man die noch ungenau datierte Inschrift CIL I 2 1202 = VI 13 696 = ELS 8121 = ILLRP 970 beiseite76, so begegnet die genannte Doppelschreibung der Vokale um 142-134 v. Chr. (aaram)77, dann sicher 132 v. Chr. auf dem schon genannten Meilenstein von Polla (paastores)7*. Schon seit dem Ende des 2. Jhs. begegnet auf Münzen und auf Inschriften eine andere graphische Bezeichnung für die Langvokale: der apex79. Nach einer ziemlich langen Kontroverse verschwand der Gebrauch der Doppelvokale in Sullas Zeit. Letzte Beispiele dafür sind die lex Cornelia de XX quaestoribus (81 v. Chr.)80 und ein paar ungenau datierte Inschriften, die ungefähr in dieselbe Zeit anzusetzen sind81. vokal vor 105, genauer kurz nach der ersten Aufführung von Accius (ca. 140 v. Chr.) zu datieren, was mit der inschriftlichen Überlieferung erstaunlicherweise im Einklang steht. 74
Beispiele bei LEUMANN, Laut- und Formenlehre, 48 f..
75
Der Personenname Marcus wird schon 197 v. Chr. Μάαρκος geschrieben (ILS 8764 = Syll-\ 585); vgl. Μάαρκιος- (es handelt sich um den Konsul aus dem Jahre 169 ν . Chr.) in ILS 8767= Syll . 649. Dies und die oskischen Einflüsse könnten für Accius als Anregung gegolten haben. »Accius war also nicht der Erfinder, sondern nur Verbreiter dieser Schriftneuerung« (LEUMANN, Laut- und Formenlehre, 49).
76
Vgl. K. PAASCH ALMAR, Inscriptiones Latinae. Eine illustrierte Einführung in die lateinische Epigraphik, Odense 1990, 15, Nr. 3.
77
CIL I 2 2238 = ILLRP 751 = I. Délos 1750.
78
S. Anm. 69. Für uu Beispiele erst in der Sententia Minuciorum aus dem Jahre 117 ν . Chr.; vgl. MATTINGLY (wie Anm. 64), 73.
79
Beispiele bei MATTINGLY, a. O., 74 und Anm. 22.
80
CIL I 2 587 (vgl. Anm. 65), Z. 5: pequlatuu.
81
CIL I 2 1221 = VI 9499 = ILS 7472 = ILLRP 793 (»aetatis fere Sullanae« nach Degrassi). In das 1. Jh. v. Chr. datiert Degrassi die 1960 aufgefundene Inschrift ILLRP 1271 c = CIL I 2 2,4, 3269: [IJouei Victorei / decern paagorum restituendum / coirauerunt heisce (es folgen danach Namen); jedoch scheint mir, daß diese Inschrift nicht nur wegen paagorum, sondern auch wegen -ce von heisce (keine mir bekannten Parallelen im 1. Jh. v. Chr.; s. oben) eher um das Ende des 2. oder spätestens in das erste Jahrzehnt des 1. Jhs. v. Chr. anzusetzen wäre.
76 Natürlich ist die Schreibung des Personennamens Maareus (vgl. Μααρκιο? = Maarciusf1 nicht aussagekräftig für die allgemeine Datierung der behandelten Erscheinung. Endlich möchte ich darauf aufmerksam machen, daß das in Frage kommende Wort fanum, wie schon Lambrino bemerkt hatte83, auf Inschriften aus dem 1. Jh. v. Chr. nie mit Doppelvokal geschrieben wird84. Allgemeine Datierung: ca. 135-80 v. Chr.. Aus den herangezogenen Stellen geht also hervor, daß zwei der erörterten Besonderheiten nicht später als 100 v. Chr. auftreten, eine dritte für das Ende des 2. Jhs. v. Chr. plädieren würde, eine vierte bis spätestens um 80 v. Chr. zu verfolgen ist, während die fünfte, die ebenfalls über die zuletzt genannte Zeitgrenze nicht hinausreicht, sogar einen terminus post quem liefert (ca. 135 v. Chr.). Demnach ergibt sich daraus eine Datierung der Inschrift von Kallatis kurz vor 100 v. Chr..
4. Paläographische Bemerkungen Der Schwierigkeit bewußt, lateinische Inschriften aus der spätrepublikanischen Zeit auf Grund der Buchstabenform zu datieren, möchte ich jedoch von der Bemerkung Lambrinos ausgehen, daß »la forme des lettres et l'orthographe [. . .] semblent, de prime abord, indiquer le II e siècle av. J.-C«. Besondere Aufmerksamkeit schenkt Lambrino zwar nur der »lettre Ρ ayant la forme d'un Π«, welche »quoique très ancienne, persiste dans les inscriptions jusque vers le milieu du I er siècle av. J.-C.«85. Wie im Falle der orthographischen Beson-
Z. B. CIL I 2 747 = ΙΠ 7265 = ILS 868 (Maardus = Μάαρκιος als nomen gentile des Konsuln aus dem Jahre 67 v. Chr.). LAMBRINO, Inscription latine, 283 Anm. 4. Vgl. die lex Gabinia-Calpurnia: Insula sacra. La loi Gabinia-Calpurnia de Délos (58 av. J.-C), éd. et comm. sous la dir. de Cl. NICOLET, Rom-Paris 1980: Z. 10: fanum. S. auch die lex uicana Furfensis (CIL I2 756 = IX 3513 = ILS 4906 = ELLRP 508), Z. 17 ifanei). LAMBRINO, Inscription latine, 282 f. mit Anm. 1 (fur die Belege).
77 derheiten geht Lambrino von der historischen Datierung um 72/71 v. Chr. aus, die er von Anfang an im Sinne gehabt zu haben scheint, um nach Heranziehung mancher Belegstücke ungleichen Wertes zu folgern: »notre inscription peut donc redescendre jusqu'à cette époque« (d. h. »vers le milieu du I e r siècle av. J.-C.«)86. Da die oben angeführten Argumente historischer, rechtlicher und orthographischer Natur beträchtlich mehr wiegen als die Bemerkungen zur Buchstabenform, nehme ich mir nicht vor, die Inschrift versuchsweise paläographisch zu datieren, sondern eher nachzuprüfen, ob die Form der Buchstaben der schon anderen stichhaltigen Kriterien entnommenen zeitlichen Ansetzung nicht widerspräche. Die Pflicht scheint mir beträchtlich dadurch erleichtert, daß hier - nota bene - Inschriften vom Ende des 2.-Anfang des 1. Jhs. v. Chr. mit Inschriften aus der frühaugusteischen Zeit zu vergleichen sind; denn zwischen diesen Extremen ist doch mit einem gewissen Unterschied zu rechnen. In die augusteische Zeit ist die Schrift jedenfalls nicht zu datieren. Die bekannte scriptum monumentalis aus jener Zeit87 widersetzt sich entschieden den Merkmalen unserer Schrift. Auch finde ich keine überzeugenden Parallelen unter den spätrepublikanischen und augusteischen Inschriften im Album von Arthur E. Gordon88. Die Schrift entspräche im großen Ganzen der sog. »dritten Etappe« in der paläographischen Entwicklung der republikanischen Inschriften (nach ca. 150 v. Chr.). Andererseits sei bemerkt, daß in der Inschrift von Kallatis keine der paläographischen Besonderheiten der frührepublikanischen Inschriften (3.-2. Jh. v. Chr.) auftritt, die infolge einer ausführlichen Untersuchung als maßgebend betrachtet wurden: so etwa »die Übergangsformen, nämlich leicht geneigtes N, leicht angewinkeltes L, E/F mit zwar waagerechten, aber -
86
Ebd. 283.
87
PAASCH ALMAR (wie Anm. 76), 26, nach Aem. HÜBNER, Exempla scripturae epigraphicae Latinae a Caesaris dictatoris morte ad aetatem Iustiniani, Berlin 1885.
88
A. E. GORDON in collaboration with J. S. GORDON, Album of Dated Latin Inscriptions L Rome and the Neighborhood, Augustus to Nerva, Berkeley-Los Angeles 1958, Nr. 1-33 (ca. 83 bis ca. 2 v. Chr.).
78 offenbar einer Mode entsprechend - mit ungleich langen Horizontalstrichen«89. Das Ν weist dagegen senkrechte Füße auf, E und F haben Horizontalstriche gleicher Länge. Demnach ist die Inschrift auch in dieser Hinsicht jedenfalls nicht sehr früh, wegen des schon von Lambrino bemerkten Ρ aber auch nicht sehr spät anzusetzen. Eine Datierung um 130-80 v. Chr. schiene mir angemessen. Nach Degrassis Imagines90 scheinen mir die besten Parallelen die Nr. 206, ein cippus aus den Jahren 93-89 v. Chr. (?)91 und die Bronzetafel Nr. 397, ein Edikt aus dem Jahre 89 v. Chr.92, zu sein. Die Schrift der Sententia Ml· nuciorum aus dem Jahre 117 v. Chr. (Imagines, Nr. 394) weicht aber auch nicht wesenüich davon ab. Demnach würde ich - paläographisch gesehen die Zeit auf ca. 120-90 v. Chr. reduzieren. Nach der Heranziehung aller Kriterien halte ich also für den Vertrag zwischen Rom und Kaliatis ein Datum um 100 v. Chr. am wahrscheinlichsten.
89
R. WÄCHTER, Altlateinische Inschriften. Sprachliche und epigraphische Untersuchungen zu den Dokumenten bis etwa 150 v. Chr., Bern-Frankfurt am Main-New York-Paris 1987, 281 (vgl. auch ebd. Anm. 690, wo mit Belegen angeführt wird, daß diese Besonderheiten allerdings auch später im 1. Jh. v. Chr. vorkommen).
90
A. DEGRASSI, Inscriptiones Latinae Liberae Rei Publicae. Imagines, Berlin 1965.
91
CILI2839 = VI31615 = ILS8208 = ILLRP485.
92
CILI2709 = VI37 045 = ILS8888 = ILLRP515.
79 VII. SOCIETAS UND FOEDUS: ANWENDUNG, FORM, ABSCHLUSS UND BEURKUNDUNG
1. Das Völkerrecht der römischen Republik und seine Institutionen Bekanntlich ist das römische Staatsrecht eine Schöpfung des gewaltigen Genies Theodor Mommsens1. »Mommsen's great mind created a synthesis that became the basis of all later works. It is only fairly recently that protests have been raised against his excessively systematic approach and that attempts have been made to trace constitutional developments in the light of their historical context«2. Ist der Begriff Staatsrecht selbst modern3, so gilt dasselbe umsomehr für das davon abgesonderte und weitgehend schwieriger definierba-
MOMMSEN, StR3 I-ffl. E. BADIAN, Hegemony and Independence. Prolegomena to a Study of the Relations of Rome and the Hellenistic States in the Second Century B. C , in: J. HARMATTA (Hg.), Actes du VII e Congrès de la FIEC I, Budapest 1984, 397. Vgl. ebd. Anm. 3: Mommsens »work will always remain a basic tool of scholarship as well as a work of genius in its own right«. Ich berufe mich auf diese Äußerungen eines Gelehrten, der einerseits eindringlich zur Kenntnis der Beziehungen Roms zur hellenistischen Staaten- und Städtewelt beigetragen, andererseits selbst etwas an der mommsenschen »Doktrin« geändert hat, eben weil in der neuesten Literatur z. T. die Tendenz spürbar wird, Mommsens Staatsrecht irgendwie in die uralte Forschungsgeschichte rücken zu lassen, um dann gleich polemisch damit umzugehen. Würde man unbedingt nach römischen Korrespondenzen suchen, so verfiele man auf mos maiorum (so BADIAN, a. O., 401), was freilich die Aporie nicht überflügeln läßt. Hat Staatsrecht als Begriff keinen konkreten lateinischen Beleg, so ist umgekehrt mos maiorum durch kein Konzept einer modernen Sprache übertragbar. Ursprünglich war bekanntlich belli pacisque faciendae Sache der Fetialen: Festus 91 [81 L]. Erst seit dem 2. Jh. v. Chr. wurde von den Römern der Begriff ius gentium benutzt, der »eine späte Verallgemeinerung des reichen völkerrechtlichen Instrumentars gewesen sein« dürfte, »das den Römern von jeher zur Verfügung stand« (D. NÖRR, Aspekte des römischen Völkerrechts. Die Bronzetafel von Alcantara, Abhandlungen der Bayerischen Akademie der Wissenschaften N. F. 101, München 1989, 15).
80
re Konzept des Völkerrechts, das wiederum eine Schöpfung der Neuzeit ist4. Der zeitgenössische Historiker, der sich mit Roms Beziehungen zu anderen »Staaten«5 befaßt, muß sich aber einfach ausdrücken - denn würde er seine Konzepte auf die Überlieferung der Antike beschränken, dann müßte er der Orthodoxie zuliebe eher antike Zitate auflisten, ohne womöglich über diese hinauskommen zu können. Deshalb werde ich im folgenden den Begriff Völkerrecht ganz ohne Anführungszeichen verwenden, zumal ich einer 4
So u. a.: P. CATALANO, Linee del sistema sovrannazionale romano, Turin 1965, 3 ff.; D. NÖRR, Imperium und Polis in der hohen Prinzipatszeit, München 1966, 1 : »Ein System des Völkerrechts als des Rechts der souveränen Staaten ist der Antike ebenso unbekannt wie es der Zukunft sein könnte« (d. h. bis zur Begründung der Theorie in der Neuzeit); DAHLHEIM, Völkerrecht, 1: »Ein Völkerrecht im Sinne modemer Vorstellungen war den Römern unbekannt«. Das Konzept wird aber - m. E. zu Recht - sogar im Titel seines grundlegenden Buches gebraucht; dazu die erhellende mise au point von K.-H. ZIEGLER, Das Völkerrecht der römischen Republik, ANRW I 2 , Berlin-New York 1972, 69-71; H. H. SCHMITT, Forme della vita interstatale nell'antichità, Critica storica 25, 1988, 529-546; NÖRR (wie Anm. 3), 1215: »Für uns ist entscheidend, daß die Römer die internationalen Beziehungen durch Normen geordnet sahen, die von anderen Normen nicht essentiell verschieden waren« (12). »Das gesamte Geflecht der internationalen Beziehungen im Mittelmeerraum ist von «normativen» Erwartungen durchzogen; jeder Handelnde - gleichgültig, ob er normgemäß oder normwidrig handelt - weiß, daß er in diesem Sinne beurteilt wird« (13). Dazu vor kurzem auch M. KÄSER, lus gentium, Köln-Weimar-Wien 1993, 1 ff.. »Die wohl am weitesten zurückreichende Anwendung läßt sich als «zwischenstaatliches» Recht zusammenfassen, das im deutschsprachigen Raum nicht zufallig - noch heute «Völkerrecht» heißt. Es geht dabei um die rechtlichen Beziehungen zwischen insoweit als selbständig anerkannten «Staaten» (in einem ganz weiten Wortsinn von Gemeinwesen mannigfacher Art), also modernrechtlich (aber auch römisch) gesprochen, um öffentliches Recht; hauptsächlich um Rechtsfragen im Zusammenhang mit Krieg und Frieden. Die Erscheinungen reichen auch in Rom bis in die Frühgeschichte zurück, und auch die Juristen haben unseren Ausdruck vielleicht schon vor der anderen Anwendung benutzt. Unsere Hauptquellen zum römischen Völkerrecht bieten freilich nicht die Juristen, sondern die Historiker« (4).
5
Da haben wir gewiß wieder einen anderen Begriff, dessen Verwendung gegebenenfalls einer ähnlichen Diskussion bedürfen würde. Denn es handelt sich zumeist um griechische Staaten, die selbst von der Moderne her gesehen ihre Bezeichnung als Staaten nur unter Anführungszeichen verdienen, geschweige denn im römischen Sinne.
81 Äußerung von Karl-Heinz Ziegler beipflichte: »Alles in allem läßt sich gegen die Verwendung der Kategorie Völkerrecht in der römischen Welt ebensoviel und ebensowenig einwenden wie gegen Staat, Verfassung, Verwaltung und ähnliche Begriffe. Der Begriff des Völkerrechts ist, mit der nötigen Vorsicht gebraucht, meines Erachtens sogar unentbehrlich, wenn es um die richtige Einordnung der zwischen der römischen Republik und anderen antiken souveränen Staaten bestehenden friedlichen wie kriegerischen Rechtsbeziehungen geht«6. Im Gegensatz zur konventionellen Verwendung des
Völkerrechts-Begnffes
- die wenigstens kaum irreführend sein könnte - benötigen die Institutionen des Völkerrechts die größte terminologische Präzision. Denn voneinander zu trennen sind je nach der herangezogenen Stelle nicht nur rechtliche Begriffe von Bezeichnungen für verschiedene politische Zustände oder technische von untechnischen Bedeutungen desselben Konzepts; höchste Aufmerksamkeit fordert zudem der Unterschied zwischen den ursprünglichen Bedeutungen eines Begriffes und denen, die sich aus dem historischen Wandel ergeben. Das zeigt auch immer jede Übersicht der wiederholten Versuche, diese Institutionen in eine Typologie einordnen zu lassen7.
0
ZIEGLER, a. O., 71.
7
Ders., a. O., 83 f.. Hinzuzufügen ist jetzt der m. E. weniger überzeugende Versuch von A. N. SHERWIN-WHTTE, Roman Foreign Policy in the East, 168 Β. C. to A. D. 1, Norman Oklahoma 1984, 58 f., der - ohne eine ausführliche Quellenbehandlung und fast ohne Rücksicht auf die hierzugehörige Literatur (nur allgemeine Angaben dazu in der Anm. 1) - einfach behauptet: »The consensus, so far it exists, is that Romans employed four modes of association concurrently«. Diese wären: »the peace-treaty, imposed on a beaten enemy«, dasfoedus iniquum (»though the term has little ancient authority«), der Vertrag in der Form der epigraphisch überlieferten Texte und - soweit ich verstehe - das formlose foedus (»the consul by his declaration in the field, or the Senate by its decree in reply to a deputation, replaces the formal foedus by a general, unspecific and unilateral relationship, lacking any traditional sanction, greatly to the eventual advantage of the Romans, who could construe the obligations of the new style of allies as they saw fit«). Dieses puzzle von modernen und antiken Begriffen und die Nichteinhaltung eines einheitlichen Kriteriums in der Klassifizierung sind für den Fortschritt der Forschung kaum anregend.
82 Die Historiker sind sich jetzt einig, daß die vorher für einen besonderen Vertragstyp gehaltene amicitia* einfach einen Zustand bezeichnet und daß diese - der privaten amicitia nachgebildet - in den Bereich des Völkerrechts übertragen wurde, um die Beziehungen mit außerhalb des römischen Imperium liegenden Staaten zu regeln9. Übereinstimmung scheint weiter darin zu herrschen, daß die römische Diplomatie im Laufe «1er Zeit danach strebte und nach 168 v. Chr. sogar die Praxis zum Grundsatz erhob, die amicitia in eine vertragsmäßige societas umzuwandeln, d. h. den ursprünglichen Zustand rechtlich zu begründen; hierbei trat die Forderung hinzu, »daß ein amicus im Bedarfsfall die Leistungen eines socius zu erbringen habe«10. Angesichts des Reichtums an grundlegenden Werken zum Völkerrecht der römischen Republik und des beschränkten Charakters der vorliegenden Abhandlung wird es mir um die allgemeinen Aspekte ebensoviel und ebensowenig gehen, je nachdem ihre Behandlung im Umgang mit dem im Vertrag zwischen Rom und Kallatis überlieferten Konzept der societas und dem dort nicht auftauchenden, jedoch sonst oft behandelten Begriff des foedus eine breitere Auffassung erforderlich machen wird. So vor allem MOMMSEN, StR 3 ΠΙ, 590 ff. und in seiner unmittelbaren Nachfolge TÄUBLER, Imperium Romanum, 395 (»Freundschaftsvertrag«); neuerdings unter gewissen Nuancen auch M. R. CIMMA, Reges socii et amici populi Romani, Mailand 1976, 168-185, wobei die Vf. dem Konzept socius et amicus »un significato giuridico ben preciso« beimißt (181; vgl. 184: »concetto giuridico«). 9
Ausführlich und endgültig dazu: A. HEUSS, Die völkerrechtlichen Grundlagen der römischen Außenpolitik in republikanischer Zeit, Klio Bh. 31, 1933. S. auch B. PARADISI, L'«amicitia» internazionale nell'alto medio evo, in: Scritti in onore di Contardo Ferrini pubblicati in occasione della sua beatificazione Π, Mailand 1947, 178 ff.. F. De MARTINO, Storia della costituzione romana Π 2 , Neapel 1973, 29-35, scheint eine Mittelstellung einzunehmen, vor allem wenn er davor warnt: »Ma questo non può indurci a giungere all'estremo opposto, che cioè l'amicizia non si costituisse mediante trattati; il vero è che esisteva una situazione di fatto, consistente nelle relazioni amichevoli tra i popoli ed una più concreta e formale determinazione di tali rapporti mediante trattati di amicizia« (30 f.). Als Beispiele führt er an die Verträge mit den Ätolern (212/1), Antiochos ΠΙ. (188), den Juden (161; vgl. Makk. 8, 23 ff.), Methymna (ca. 129), Astypalaia (105) und Mytilene (25). Vgl. aber dazu weiter Anm. 39.
10
DAHLHEIM, Völkerrecht, 265.
83 Wie die amicitia ist auch die societas dem Privaten entnommen, zwar mit dem erheblichen Unterschied, daß sie dem Privatrec/tf entspringt11. Michael Wegner ist am Ende einer speziellen Untersuchung zu socius und societas zum folgenden Schluß gelangt12: »Es war das Ziel einer societas zwischen eigenständigen Staatswesen - wie die erhaltenen Verträge bezeugen -, die eine wie die andere Partei gemeinsam vor angreifenden Feinden zu schützen. Die außenpolitische societas realisierte sich also in militärischen Unternehmungen, so daß socius und societas in diesem Bereich ohne nähere Erläuterung fest mit dem Kriegswesen verbunden wurden. Mit der Ausbreitung der römischen Macht in Italien und im Mittelmeerraum wurden die militärischen Partner außenpolitisch und militärisch faktisch von Rom abhängig; in zunehmendem Maße nahm Rom auch die inneren Angelegenheiten vor allem in außeritalischen Gebieten unter seine Aufsicht. Die Bezeichnung sociiy mit der ursprünglich ein bestimmtes, beide Seiten in gleicher Weise bindendes Verhältnis zwischen Rom und einer fremden Gemeinde verknüpft war, wurde jedoch weiterhin für alle an Rom gebundenen Staaten verwandt und verlor dadurch ihre Aussagekraft über die zwischen ihnen bestehenden rechtlichen Beziehungen. Während jetzt neue Ausdrücke wie foederati, civitates stipendiarii
liberae,
usw. den rechtlichen Status einer Gemeinde kennzeichneten,
wurde socii zum Oberbegriff für alle mit Rom verbundenen Staaten, ob sie nur innerlich selbständig waren oder unter römischer Verwaltung standen, zu Truppenstellungen herangezogen wurden oder davon befreit waren«. Diese kurzgefaßte Darlegung entspricht der historischen Entwicklung und hat außerdem das Verdienst, die angeblichen Widersprüche zwischen
den
Bedeutungen der betreffenden Termini, die den chronologisch und historisch unterschiedlich zusammenhängenden Stellen zu entnehmen sind, einleuchtend zu erklären.
M. WEGNER, Untersuchungen zu den lateinischen Begriffen socius und societas, Göttingen 1969; vgl. M. KÄSER, Das römische Privatrecht I. Das altrömische, das vorklassische und klassische Recht, München 1971, 572-576. 12
WEGNER, a. O., 72-104 (Socius und societas im Bereich der auswärtigen Politik); Zitat 106 f..
84 Andererseits haben Werke, die sich speziell mit der Auswirkung der römischen Ausbreitung auf die Struktur des Völkerrechts befaßten, u. a. zwei unbestreitbare Thesen bewiesen. Auf der einen Seite entwickelte sich das Völkerrecht entsprechend den Forderungen der römischen Realpolitik zunächst in Italien, danach in der Auseinandersetzung mit Karthago, schließlich im Verhältnis mit dem hellenistischen Osten, wobei immer neue Lösungen gesucht bzw. auch gefunden wurden. Auf der anderen Seite aber entsprach diese Entwicklung kaum dem politischen augenblicklichen Zustand, sondern »die überkommene Rechtsnorm bleibt formal als solche infolge des konservativen Beharrens der römischen Diplomatie an der Form bestehen«13. Aus diesem Blickwinkel betrachtet kann die societas im Bereich der auswärtigen Politik rechtlich nur eine einzige gewesen sein, die als »Allianz« oder »Bündnis« zu verstehen ist. Erst historisch lassen sich einige Etappen in ihrem Werden unterscheiden. Auf italischem Boden wurden Roms Bundesgenossen gleich untertänige Völker14, obwohl an der Form nichts geändert wurde15. Später, als die Römer gegen das Ende des 3. Jhs. v. Chr. mit griechischen Staaten in Berührung kamen16, war es von römischer Seite her natürlich zu wünschen, dort, wo die Inkorporation ihre »natürlichen Grenzen« erreichte 17 , eine soweit wie mögliche Zahl von Völkern und von staatlichen Gebilden 13
DAHLHEIM, Völkerrecht, 274.
14
M. HUMBERT, Municipium et civitas sine suffragio. L'organisation de la conquête jusqu'à la guerre sociale, Paris-Rom 1978, 260 ff., 300 ff.; Th. HANTOS, Das römische Bundesgenossensystem in Italien, München 1982, bes. 150-181.
15
Was z. B. einen Vertreter der Latiner störte, den am Vorabend des Latinerkrieges Titus Livius (8, 4, 2) folgendes behaupten läßt: sub umbra foederis aequi seruiîutem pati possumus. Vgl. auch 39, 37, 13 zu den Verhandlungen zwischen Römern und Ätolern: »specie« inquis »aequum estfoedus; re apud Achaeos precaria lïbertas, apud Romanos eîiam Imperium« ; dazu Anm. 27.
16
Inzwischen fallen natürlich die Verträge mit Karthago, die ich aber hier nicht behandle; dazu K.-E. PETZOLD, Die beiden ersten römisch-karthagischen Verträge und das foedus Cassianum, ANRW \\% Berlin-New York 1972, 364-411; J.-L. FERRARY, Philhellénisme et impérialisme. Aspects idéologiques de la conquête romaine du monde hellénistique, de la seconde guerre de Macédoine à la guerre contre Mithridate, Paris-Rom 1988, 35-40.
17
Diesen passenden Ausdruck übernehme ich von Th. MOMMSEN, Römische
85 als socii zu integrieren. Da es aber politisch unmöglich war, den meisten von denen - geschweige denn den immer noch mächtigen hellenistischen Königen - die Truppenstellung und die anderen sich aus einer societas ergebenden Verpflichtungen aufzuerlegen, erwies sich die societas als ein wenn noch nicht ungeeignetes, jedenfalls als ein sehr seltsam anzuwendendes Instrument. Dagegen begnügten sich die Römer damit, sich der Neutralität verschiedener Staaten und Völker zu versichern (was bloß durch Gesandtschaften, Kourtoisiezeichen, Gastgeschenke und andere nicht formelle Handlungen realisierbar war), um den durch amicitia bezeichneten Zustand zu erreichen18. Erst nach dem Frieden von Apameia (188) 19 ist die römische Vormachtstellung zu einem unbestreitbaren Faktum geworden, was u. a. dem Senat erlaubte, das uralte und konservativer Weise
formell
aufrechterhaltene
Instrument der societas wiederzubeleben. Unter den neuen Umständen traten aber zwei Hauptschwierigkeiten auf. Die eine war im römischen Sinne rein rechtlicher Natur: Der Abschluß einer societas gehörte zu den Befugnissen der Fetialen, war Sache des Fetialrechts (belli pacisque faciendae ius est, Festus 91 [81 L]), aber angesichts des immer weiter entfernt liegenden Schauplatzes der Militärhandlungen
und der realpolitischen
Forderung, Verträge
im
günstigsten Augenblick zu schließen, ist allmählich die übliche Gesandtschaft
Geschichte I, Berlin 1856, 425. 18
HEUSS (wie Anm. 9), 46: »Vielmehr ist die Tatsache der völkerrechtlichen amicitia durch jede Art friedlichen, zwischenstaatlichen Verkehrs gegeben und vollkommen unabhängig von dem Akt einer formellen Begründung. Der Anstoß zu diesem dauernden Verhältnis kann in den mannigfachen Möglichkeiten liegen, die der außenpolitische Verkehr der Völker mit sich bringt, und es kann die amicitia ebenso an den einfachen Vorgang der Absendung einer Gesandtschaft, ganz gleich was mit ihr für Zwecke und Ziele verfolgt werden, anknüpfen - so war es bei den Ptolemäern und Antiochus - wie an eine momentane formlose Vereinbarung (Rhodier, Attalos, Athen) oder an eine wirkliche vertragliche Abmachung, ohne daß dieser jedoch die Dignität des «ewigen Freundschaftvertrags» zukommen muß«.
19
Polyb. 21, 43 (= T. Liv. 38, 38). Dazu A. H. MacDONALD, The Treaty of Apamea (188 B. C ) , JRS 57, 1967, 1-8; A. H. MacDONALD/F. W. WALBANK, The Treaty of Apamea (188 B.C.). The Naval Clauses, JRS 59, 1969, 30-39; F. W. WALBANK, A Historical Commentary on Polybius ΠΙ, Oxford 1979, 156-162; G. LE RIDER, Les clauses financières des traités de 189 et 188, BCH 116, 1992, 267-277.
86 der Fetialen praktisch unmöglich geworden. Die Lösung dafür war, daß an die Stelle der Fetialen ein dazu bevollmächtigter Magistrat trat20. Der Schwurakt dieses Magistraten reichte, um den Vertrag im römischen Sinne für abgeschlossen zu halten, während die Beurkundung weiter nur diplomatischen Zwecken diente, um unter Umständen den Inhalt der Vereinbarung zu beweisen21. Die zweite Schwierigkeit entsprang zwar einem formellen Aspekt, war aber vielmehr auf die Vielfalt der politischen Zustände zurückzuführen. Bekanntlich handelte die griechische Diplomatie vor allem nach drei Grundkonzepten: συμμαχία (d. h. »Beistandspakt«, der, wenn auch anders in der Praxis, rechtlich nie ungleich hätte sein können)22, συνθήκαι (d. h. Vertrag, Kontrakt, Vereinbarung jedwelcher Natur, in der hellenistischen Zeit schon unbedingt auch im privaten Bereich in schriftlicher Form23) und δρκοι
(die
Schwurakte). Davon waren den Griechen und den Römern angesichts der weitgehenden Auswirkung des Sakralrechts und der von beiden
Seiten
sorgfältig gepflegten Traditionen nur die δρκοι gemeinsam, freilich mit allem Unterschied des Rituals. Einer römisch gedachten societas konnten weder die συμμαχίατ.
entsprechen (weil
diese letzteren die Truppen-, Getreide-,
Schiffsleistung nur gegenseitig voraussetzten, und nicht als eine allein von der schwächeren Seite zu erbringende Leistung) noch die συνθήκαι, weil sie nur den Inhalt bezeichneten, während der solenne Abschluß, d. h. die Form als όρκος- bezeichnet wurde. Eine societas war also - griechisch gedacht -
KÄSER (wie Anm. 4), 28. Nach ca. 200 erfahren wir nichts mehr über die Fetialen beim Abschluß der Verträge; vgl. DAHLHEIM, Völkerrecht, 177 f.. 21
HEUSS, Abschluß und Beurkundung, 231-244. Dazu weiter VII 3.
22
M. DUBUISSON, Le latin de Polybe. Les implications historiques d'un cas de bilinguisme, Paris 1985, 108: συμμαχία »conformément à son étymologie, évoque avant tout une aide militaire«; sie ist »une union, en principe sur pied d'égalité, entre deux ou plusieurs États«. Dazu jetzt ausführlich E. BALTRUSCH, Symmachie und Spondai. Untersuchungen zum griechischen Völkerrecht der archaischen und klassischen Zeit (8.-5. Jahrhundert v. Chr.), Berlin-New York 1994, 3-91. Diesem zuletztgenannten Werk habe ich den Ausdruck »Beistandspakt« (90) entnommen.
23
P. F. KUSSMAUL, Synthekai. Beiträge zur Geschichte des attischen Obligationsrechtes, Diss. Basel 1969.
87 συβηκαι + όρκοι24, wobei der Inhalt der συνθηκοα nur dann einer συμμαχία entsprach, wenn die Klauseln (Truppenstellung und ähnliches)
gegenseitig
konzipiert waren; denn die einseitige Truppenstellung, & h. eigentlich der Kern des Verhältnisses eines socius mit Rom, widersprach ja gänzlich dem Sinne einer griechischen συμμαχία. Demnach hatte der Senat nach einer an die Tradition der griechischen συμμαχία anknüpfenden Form zu suchen. Dann aber hätte sich aus realpolitisch grundsätzlich unterschiedlichen Situationen überhaupt keine förmliche Einstufung mehr ergeben. Denn weiterhin gab es nicht selten Situationen, in denen einem besiegten griechischen Staat ein Typ von Vertrag auferlegt wurde, der in der modernen Literatur oft irreführend als »Klientelvetrag«25 oder, unter Berufung auf die antike Überlieferung, als foedus iniquum26 bezeichnet wurde: so ζ. Β. dem Atolerbund um 189 v. Chr.27. Dieser Vertrag (foedus bei T. Liv. 38, 11, 9, wie
24
WEGNER (wie Anm. 11), 80 Anm. 20, meint, daß »der Trennung von societas und foedus im Lateinischen« »im Griechischen die Unterscheidung von συνθήκαι und όρκοι« entspräche, wobei er den Vertrag mit Kibyra (OGIS 762) und den Cassischen Vertrag bei Dion. Hal. 6, 95, 1 zitiert, um gleich darauf (81) zu folgern: »Im Griechischen wird die Übereinkunft zur συμμαχία, wie andere Verträge auch, als Summe einzelner Vereinbarungen (συνθήκαι) aufgefaßt Aus der Wiedergabe von societas durch συνθήκαι geht hervor, daß mit societas auch die Übereinkunft zur societas bezeichnet wird«. Man beachte jedoch dabei, daß societas in den inschriftlich überlieferten Verträgen auch durch συμμαχία wiedergeben wird. D. h. nur soviel, daß die griechischen Übersetzer sich der buchstäblich unmöglichen Wiedergabe von societas bewußt waren, wobei einige davon die »Allianz« (συμμαχία) zu betonen bereit waren, während andere dagegen mit Vorbehalt durch »die Summe der Vereinbarungen« (der Plural bezog sich auf die Mehrzahl der Bestimmungen) übersetzten, um Mißverständnisse zu vermeiden.
25
Der Begriff wurde von TÄUBLER, Imperium Romanum, 62 ff. eingeführt und seither öfters benutzt. Dagegen zu Recht ZIEGLER (wie Anm. 4), 93.
26
S. Anm. 35.
27
Polyb. 21, 32 und T. Liv. 38, 11, 1-9; dazu WALBANK (wie Anm. 19), 131-136. Dieser Vertrag wurde fast allgemein als Musterbeispiel fur das sogenannte foedus iniquum anerkannt. Zu den vorhergehenden Verhandlungen aus dem Jahre 191 ν . Chr. (Polyb. 20, 9-10 und T. Liv. 36, 27-28) und der berühmten Episode der ätolischen »Fehlinterpretation« des römischen se in fidem dedere s. WALBANK, ebd. 78-81; E. S. GRUEN, Greek πίσ-riç and Roman fides, Athenaeum 70, 1982, 50-68 (mit reicher Literatur); G. FREYBURGER, Fides et potestasy ττίστις· et επιτροπή,
88 gewöhnlich) muß aber vom römischen Standpunkt aus mchtdestoweniger eine societas
gewesen sein, nämlich im Sinne, daß die Ätoler zu socii populi
Romani geworden sind28. Die entscheidende Rolle spielte hier jener Unterschied, den die Römer stets einhielten, zwischen socii und qui in dicione populi Romani sunt19. Die Ätoler traten noch nicht in eine prouincia ein, d. h. in ein Gebiet unter einem römischen Magistrat30, und insoweit waren sie socii, also liberi, jedoch mußten ihnen die Römer klar machen, welches die reale Grundlage ihrer Beziehung zu Rom war, was sie also von anderen socii unterschied. Rechtliche Lösung dafür - und womöglich für weitere ähnliche Fälle - muß die Einführung der maiestas-Klausel gewesen sein31.
Ktèma 7, 1982, 177-185; DUBUISSON (wie Anm. 22), 98 ff.; zuletzt NÖRR (wie Anm. 3), 94 ff.. Weitere Verhandlungen wurden im Winter 191/90 durchgeführt (Polyb. 21, 2 und 4; T. Liv. 37, 1, 1-6), als die Ätoler vor die Wahl zwischen der deditio und einem ungleichen Bündnis gestellt wurden; vgl. WALBANK, ebd. 93 f.; NÖRR, ebd. 98 ff.. 28
Man bedenke, daß auch in der neuesten Zeit ein internationales Abkommen, wenn auch ungleich, juristisch nur Vertrag heißt; Bezeichnungen wie etwa »Diktat« sind der Presse und der öffentlichen Meinung vorbehalten. Deshalb pflichte ich HORN, Foederati, 29 kaum bei, wenn er schreibt: »Man kann mit gutem Grund, dieses Bündnis als eine vertragsmäßige gesicherte Dedition bezeichnen [. . . ] . Der Vertrag ist nichts als ein Diktat Roms, er ist durchaus einseitig stilisiert und enthält nur Verpflichtungen der Aetoler. Das ist das Wesen des foedus iniquum«.
29
FERRARY (wie Anm. 16), 32-40 und 213 f..
30
Ebd. 13 ff. und 212 zu prouincia = επαρχία (ursprünglich) als »tâche confiée à un magistrat«, »compétence d'un magistrat«. Vgl. J.-M. BERTRAND, Langue grecque et administration romaine: de Γέπαρχβία τών 'Ρωμαίων à Γέπαρχ^ία των Θρακών, Ktèma 7, 1982, 167-175.
31
Dazu Η. G. GUNDEL, Der Begriff Maie stas im politischen Denken der römischen Republik, Historia 12, 1963, 283-320 (zu Staatsverträgen und Hoheitsklausel bes. 289 ff.). Diese Klausel wird mit Sicherheit nur im angeblichen Vertrag mit Gades (Staatsverträge III 541; vgl. weiter Anm. 47) vom Jahre 206 v. Chr. und im zweiten Vertrag mit den Ätolern (s. Anm. 27), allerdings nur in literarischer, nichtdestoweniger zuverlässiger Überlieferung belegt. In den späten, epigraphisch überlieferten Verträgen mit Knidos und Mytilene beruht die Suche nach derselben Klausel auf den Ergänzungen von C. Cichorius bzw. E. Täubler, dazu TÄUBLER, Imperium Romanum, 64 ff. und 450 ff.. Die über Cic. Balb. 35 überlieferte Formel (maiestatem populi Romani comiter conseruanto) scheint die ursprüngliche (von T. Liv. 38, 1 1 ,
89 Eine zusätzliche Fürsorge für die Wiedergabe der konkreten Verpflichtungen, die aus einer im römischen Sinne konzipierten societas
entstehen,
scheint die Kopie des kurz nach 188 v. Chr. geschlossenen Vertrags Roms mit Kibyra32 zu veranschaulichen, wo in der Allianzbestimmung nach der kanonischen Formel τότ€ ό δήμος* ό των Κιβυρατών βοηθ€ΐτω
κατά
το
τώ[ι] δήμωι τώι
€υκαιρον genauer präzisiert wir± δ αν
συνθηκών καί όρκων €ξήι Κιβυρατών
'Ρωμαίων €κ
των
τώι δήμωι ποΐ€ΐν (Ζ. 3 f.). Wil
helm Dittenberger hat treffend bemerkt, daß es sich um Verträge mit anderen Völkern handelte, die durch die in Frage kommende societas nicht außer Kraft traten33. D. h., daß Kibyra den Römern nur insofern beistehen konnte, wenn dies die vorhergehenden Vereinbarungen mit anderen Staaten
nicht
verletzte. Die zwei Beispiele, die ich hier angeführt habe - die zweite societas
mit
dem Ätolischen Bund aus dem Jahre 189 v. Chr. (allerdings nicht inschriftlich überliefert, aber durch die zuverlässige Wiedergabe des Polybios bekannt) 2 umschriebene und von Polyb. 21, 32 ins Griechische übertragene) Formel gewesen zu sein (so GUNDEL, ebd. 292; anbei ist jedoch zu beachten, daß hier Titus Livius Polybios zurück ins Lateinische übersetzt; vgl. WALBANK, a. O., 132): »Als wahrscheinliche Zeit für die Entstehung des politischen Begriffes maiestas populi Romani hat sich die Mitte des 3. Jhs. ergeben; ein Gebrauch der Hoheitsklausel in früherer Zeit ist unwahrscheinlich« (GUNDEL, ebd. 319; zu dieser späten Entstehung schon MOMMSEN, StR 3 ΠΙ, 664 f.). Das Paar Imperium maiestasque (wie bei Polyb. 21, 32, 2 in der Wiedergabe des Vertrags mit den Ätolern: την αρχήν και την δυναστ€ίαν) begegnet auch bei Cic. Rab. perd. 20: ut Imperium populi Romani maiestasque conseruaretur, vgl. J.-L. FERRARY, Traités et domination romaine dans le monde hellénique, in: L. CANFORA/M. LIVERANI/C. ZACCAGNINI (Hg.), I trattati nel mondo antico. Forma, ideologia, funzione, Rom 1990, 227 Anm. 25. Auch ist an die »tatsächliche Seltenheit der Klausel« (GUNDEL, ebd. 295) zu erinnern. 32
Zum Datum s. IQ Anm. 3.
33
W. DITTENBERGER, Kommentar zu OGIS 762 Anm. 4; vgl. HORN, Foederati, 15. Ob dieser Zusatz im römischen Original vorzufinden war, ist allerdings fraglich; es handelt sich eher um eine Präzisierung, die der für die Bürger von Kibyra bestimmten Kopie beigefügt wurde, um jedes Mißverständnis zu vermeiden. Das würde an sich einerseits für das hohe Datum des Vertrags sprechen, andererseits für die Tatsache, daß solche Vertragstypen von der römischen Diplomatie vor kurzem eingeführt worden waren.
90 und die societas mit Kibyra -, scheinen nun von Anfang an die zwei Typen zu veranschaulichen, die eine fortan rechtlich definierte societas aufweist: societas mit maiestas-Klaustl und societas ohne maiestas-Klausel. Wohlbekannt ist die Tatsache, daß sich die societas nach 168 v. Chr. als einziges Instrument der römischen auswärtigen Politik durchsetzte, um die Verhältnisse mit jenen Staaten zu regeln, die weder hostes waren noch dem römischen Imperium unterlagen, also nicht in dicione (sub imperio) populi Romani lagen. Hierzu gehören also Staaten, die noch keiner Provinz einverleibt wurden. Ehe ich auf die Wirkungen der societas eingehe, möchte ich mich dem Begriff foedus zuwenden, der recht oft in der Literatur gebraucht wird und nicht immer in seiner richtigen Bedeutung. Nach der Darlegung von Theodora Hantos34 halte ich mich von der Pflicht entbunden, auf den nichtjuristischen Charakter der Begriffe foedus aequum und foedus iniquum einzugehen35. Zudem sei mir sogar die Frage gestattet, ob
34
HANTOS (wie Anm. 14), 158 ff.. Der Begriff foedus iniquum ist nur einmal belegt: T. Liv. 35, 46, 10. Vgl. E. BADIAN, Foreign Clientelae (264-70 B. C ) , Oxford 1958, 26 Anm. 3: »far from being a technical term, it has (as it ought to) a strongly emotive significance«; ebd. 53 Anm. 2: »As a modern term it is convenient, if used with due caution and with no pretence of precise technical meaning« (anders aber HANTOS, ebd. 164: »Es bleibt abschließend festzuhalten, daß die Anwendung der Termini foedus aequum und iniquum für die Beschreibung völkerrechtlicher Phänomene wegen der andersartigen Verwendung durch die Römer wenig geeignet erscheint und daher der Terminologie «subordiniertes» und «koordiniertes» Bündnis der Vorzug gegeben werden sollte«). S. auch ZIEGIJER (Wie Anm. 4), 92; GRUEN, Hellenistic World I, 14-15.
35
A.N.SHERW1N-WHITE, The Roman Citizenship 2 , Oxford 1973, 120 ff. hatte am schärfsten den rechtlichen Inhalt des foedus iniquum hervorzuheben versucht (dagegen BADIAN, a. O., 26 mit Verweis auf die erste Auflage); 1984 hält SherwinWhite (s. Anm. 7), allerdings unter gewissen Nuancen, weiterhin an diesem Begriff fest. Grundlegende Werke zur Systematik der römischen Verträge operieren dennoch mit der Bezeichnung foedus aequumlfoedus iniquumy so etwa: De MARTINO (wie Anm. 9), 108 f.: »foedera. Tali trattati erano di due differenti tipi, aequa ed iniqua«; DAHLHEM, Völkerrecht, 273 f.; ders., Gewalt und Herrschaft, 177 f.. Für NÖRR (wie Anm. 3), 98 ist allein foedus aequum technischer Begriff, indem er auf P r o c , Dig. 49, 15, 7, 1 verweist.
91 foedus selbst einen wirklich geeigneten Begriff darstellt, um einen Vertrag der mittelrepublikanischen Zeit zu bezeichnen. Bekanntlich ist das foedus der förmliche römische Staatsvertrag36, indem es »nicht den Inhalt der Vereinbarung« bezeichnet, »sondern die Form: den solennen Abschluß durch den Schwur, den bevollmächtigte Vertreter des populus Romanus für diese leisten«37. Der Inhalt wird durch societas bezeichnet und der Text des Vertrags zwischen Rom und Kallatis zeigt diesen Ausdruck auf. Wenn aber eine societas - wie Alfred Heuß bewiesen hat38 gleich nachdem sie beschworen wird, in Kraft tritt, während die Texte auf Bronzetafeln oder auf Stelen nur Archiv- bzw. Publizierungszwecken dienten, dann heißt es umgekehrt, daß eine nicht beschworene societas völkerrechtlich keinen Wert hatte und nur als amicitia-Verhältnis konzipiert werden konnte. Also nehme ich entweder eine beschworene societas (d. h. societas in der Form eines foedus) als rechtliche Kategorie oder ein nichtrechtliches amicitia-Verhältnis an, gleichgültig ob das letztere bloß auf einem durch irgend eine Gesandtschaft realisierten Abkommen oder auf einer Vereinbarung in schriftlicher Form beruhte. Deshalb kann ich dem Begriff »formlose
societas«,
39
der von K.-H. Ziegler gebraucht wird, nicht zustimmen . Einer erneuten Überprüfung bedarf unter diesen Umständen die berühmte Stelle aus der Geschichte des Titus Livius (34, 57, 7-9), wo der Historiker einem Gesandten des Antiochos 193 v. Chr. folgendes in den Mund legt: esse 36
MOMMSEN, StR3 I, 246 ff.; III, 340 ff., 1170 ff.; CATALANO (wie Anm. 4), 195198; De MARTINO (wie Anm. 9), 22; DAHLHEIM, Völkerrecht, 172, 176 f., 272 ff..
37
T. Liv. 9, 5, 1; vgl. ZIEGLER (wie Anm. 4), 90; De MARTINO, a. O., 35. Aussagekräftig ist, daß laut antiker Etymologien das Wort fetiales von foedus herzuleiten wäre (Serv., Aen. 1, 62; 10, 114; Serv. Dan., Aen. 4, 242); das ist freilich sprachwissenschaftlich unhaltbar (zur Etymologie vgl. nur G. DUMÉZIL, Remarques sur le ius fetiale, RÉL 34, 1956, 93-108), »ma [. . .] rivela la stretta connessione dei due concetti presso gli antichi« (CATALANO, a. O. 198).
38
HEUSS, Abschluß und Beurkundung, passim.
39
ZIEGLER (wie Anm. 4), 91. Ohne den Unterschied, für den ich hier eintrete, dürften beliebig viele Verträge als »Freundschaftsvertrage« betrachtet werden, wie die von De MARTINO (vgl. Anm. 9) aufgelisteten Vereinbarungen, die voneinander sehr unterschiedlich sind.
92 autem tria genera foederum, quibus inter se paciscerentur amicitias ciuitates regesque: unum, cum bello uictis dicerentur leges [. . .], alterum, cum pares bello aequo foedere in pacem atque amicitiam uenirent [.. J, tertium esse genus, cum, qui nunquam hostes fuerint, ad amicitiam sociali foedere inter se iungendam coeant. Auf die rechtliche Wertlosigkeit dieser Dreiteilung ist in der Wissenschaft genug hingewiesen worden40. Wichtig ist aber die dritte Kategorie, wo - freilich untechnisch - die societas definiert wird. Also ist die societas - so Titus Livius - ein Vertrag, der sich auf jene qui nunquam hostes fuerint bezieht. Daher zwei Schlüsse: 1) für eine societas ist der ursprüngliche Kriegszustand nicht nötig; 2) das Bündnis ist als freiwillig anzusehen {coeant). Es wäre zudem zu überlegen, ob die zweite von Antiochos' Gesandten angeblich dargelegte Situation je historisch belegt wurde: Verträge haben allerdings die Römer in dieser Zeit nur mit teils besiegten Staaten abgeschlossen, also mit impares (so z. B. Antiochos oder etwas früher mit den Ätolern). Historisch läßt sich also die Vertragsabschlußmöglichkeit nur auf zwei Situationen beschränken: freiwillige societas mit denen, die nie Feinde der Römer gewesen sind, und pax atque amicitia mit denen, die sich mit Rom schon auseinandergesetzt hatten. Da aber die zuletztgenannte Situation juristisch ebenfalls durch societas wiedergeben wird, ist einerseits der historische Unterschied in dem ursprünglichen Zustand, andererseits der rechtliche Unterschied in dem Bestehen oder Nicht-Bestehen der maiestasKlausel zu suchen. Da bei Titus Livius der Begriff foedus so gebräuchlich ist und da das andere häufig bis spät in die Kaiserzeit vorkommende Konzept der ciuitas foederata aas foedus evoziert41, endlich da in der Kaiserzeit foedus bloß »Vertrag«
HEUSS (wie Anm. 9), 56 Anm. 1; ZIEGLER (wie Anm. 4), 85. Hinzuzufügen wäre, daß hier auch die deditio zu den angeblichen foedera zählt, obwohl dedalo und foedus üblicherweise gegenübergestellt werden (DAHLHEIM, Völkerrecht, 21 Anm. 7). Auf diesen »mutamento terminologico« hat De MARTINO (wie Anm. 9), 35 mit Anm. 56 und 323 treffend hingewiesen. Zu den ciuitates foederatae während der Kaiserzeit s. NÖRR (wie Anm. 4), 61: »Hier kann das (ursprüngliche) Vorliegen eines wirklichen foedus nicht geleugnet werden. Doch dürfte seine praktische Bedeutung nicht allzu groß gewesen sein. Dagegen spricht schon, daß in unserer Zeit auch von coloniae foederatae und municipia foederata gesprochen wird; bei diesen Städte-
93 bedeutet, hat sich der Ausdruck in der modernen Wissenschaft durchgesetzt, so daß »Vertrag« üblicherweise durch foedus wiedergeben wird. Halten wir aber an den Kategorien des römischen Rechts fest, so hätten wir während der mittelrepublikanischen Zeit (schon kurz nach 188, vor allem nach 168 v. Chr. und bis auf den Ersten Mithridatischen Krieg) nur die societas mit ihren zwei Untertypen, die zwei historischen Umständen entsprechen. Zusammenfassend sehe ich also die Verhältnisse zwischen den verschiedenen Bezeichnungen technischen und untechnischen Charakters auf folgende Weise: Rechtlicher Begriff: societas. Form: foedus (beschworene societas) = όρκος. Typen: 1) mit maiestas-Klaus&\ (unter Umständen mit Spezialbestimmungen); 2) ohne maiestas-ltlauseL Anwendung: 1) mit teils besiegten Staaten, die nicht integriert wurden; 2) mit Staaten, die Rom nicht bekämpft und sich zum Abschluß des Vertrags freiwillig erklärt haben. Untechnische Bezeichnungen: 1) foedus iniquum; 2) foedus aequum, συμμαχία,foedus sociale, societatis foedus. Moderne Bezeichnungen: 1) »Klientel-Vertrag«; »Protektorat«; subordinierter Vertrag; 2) koordinierter Vertrag.
typen, vor allem bei der zum römischen Tribusverband gehörenden Kolonie ist ein foedus mit Rom staatsrechtlich an sich ein Unding. Das ist ein Hinweis darauf, daß der foederata-Begrìfì zu einem bloßen Ehrentitel geworden war«. Vgl. 72: »Das deutlichste Zeichen war die Umwandlung des ursprünglich auch Rom bindenden völkerrechlichen Bündnisvertrages in ein von Rom gewährtes Privileg [. . .] Der «völkerrechtliche» Begründungsbestand war weiterhin vergessen oder zur Formel in der Titulatur der Städte (etwa ciuitas foederaid) erstarrt«. Vgl. auch F. GRELLE, Città e trattati nel sistema romano imperiale, in: L. CANFORA/M. LIVERANI/C ZACCAGNINI (wie Anm. 31), 237-256.
94 2. Die Wirkungen einer societas Historisch muß natürlich zwischen den obengenannten zwei Typen von societas getrennt werden. Andererseits ist nochmals daran zu erinnern, daß jene socii, die nicht sub imperio, in dicione populi Romani lagen - also außerhalb des Imperium Roms liegende und durch societas mit Rom verbundene Gemeinden und Staaten, gleichgültig, ob mit oder ohne Majestätsklausel - rechtlich als populi liberi angesehen wurden42, die aber alle der römischen Superiorität unterlagen. Wie die italischen socii waren sie in römischer Sicht minderberechtigt und hatten dieselben Leistungen wie diese zu erbringen43. Die griechische Rezeption ist aber - den politischen Umständen gemäß eine ganz andere gewesen. Im 2. Jh. v. Chr., nachdem Rom schon seit Flamininus' Zeiten zum Hegemon geworden ist, erwies es sich vor allem für die Festland- und Inselstaaten Griechenlands als recht vorteilhaft und dem griechischen Konzept der »Freiheit« gar nicht zuwider, durch eine beschworene societas mit Rom verbunden zu sein. Diesbezüglich liefern uns die Rhodier das angemessenste Beispiel: ihre Bevollmächtigten ersuchten 164 v. Chr. den Senat um eine societas (die sie, allerdings mit großer Mühe, auch erhielten); eine societas war also in ihrer Vorstellung höher eingestuft als die amicitia, die Rhodos mit Rom sonst verband44. Nach 168 und besonders nach 146 v. Chr. hat sich die Praxis solcher Vertragsabschlüsse beträchtlich
42
FERRARY (wie Anm. 16), 212: »Et de fait, les Romains désignaient officiellement comme populi liberi non pas tous les peuples qui jouissaient de l'autonomie et comptaient au nombre des amici et socii populi Romani, mais ceux d'entre eux seulement qui n'étaient pas soumis à l'autorité directe d'un magistrat romain, qui ne faisaient pas partie de la prouincia, de la sphère de compétence d'un magistrat«. 7M einer Definition aus dem 1. Jh. ν. Chr. s. Proc, Dig. 49, 15, 7, 1: liber populus est qui nullius alterius populi potestaîi est subiectus.
43
DAHLHEM, Völkerrecht, 265 ff..
44
H. H. SCHMITT, Rom und Rhodos. Geschichte ihrer politischen Beziehungen seit der ersten Berührung bis zum Aufgehen des Inselstaates im römischen Weltreich, München 1957, 151 ff.; DAHLHEIM, Völkerrecht, 273; FERRARY (wie Anm. 31), 229 f..
95 verbreitet. Unsere Überlieferung ist zwar lückenhaft; jedoch scheint festzustehen, daß die meisten Verträge derartigen Typs in die zweite Hälfte des 2. Jhs. v. Chr. fallen. Die Situation der Rhodier bezeugt, daß solche Verträge von den griechischen Staaten selbst erwünscht waren. Der römische Senat aber weigerte sich, auf alle »Anträge« positiv zu antworten; vielmehr muß er diejenigen Staaten vorgezogen haben, die strategisch eine gewisse Rolle spielten. Bloß aus philhellenischen Gründen ist Athen - wie gewöhnlich - eine Ausnahme gewesen 45 . Wie römische auswärtige Politik und Abschluß von societates am Ende des 2. Jhs. zusammenhängen, werde ich im nächsten Abschnitt zu zeigen versuchen. Zusammenfassend läßt sich also für die Zeit zwischen Apameia und dem Ersten Mithridatischen Kriege behaupten, daß die beschworene societas 1) für den Senat - politisch eine passende Erfindung für die Errichtung eines die römische Hegemonie widerspiegelnden diplomatischen Geflechtes war, - rechtlich dagegen eine absolute Kontinuität ausdrückte, weil sie an die foedera mit den Latinern anknüpfend somit die konservative Vorstellung der Superiorität des populus Romanus kaum berührte; 2) für den Partner - politisch eine Möglichkeit war, sich seine »Unabhängigkeit« zu sichern und der Protektion des Mächtigen zu erfreuen, - rechtlich ein gleiches Bündnis ausdrückte, soweit ihm die-römische Doktrin über die Minderberechtigkeit des socius, wenngleich unter Umständen bekannt, nichtdestoweniger fremd war, da diese zu seinen eigenen Konzepten nicht gehörte. Ich habe vorher gezeigt (VI 2), daß im 1. Jh. v. Chr. keine Verträge mehr abgeschlossen, sondern nur einige schon bestehende erneuert wurden. Der Tac., Ann. 2, 53. Obwohl diese Stelle den einzigen Beleg dafür liefert und keine präzise Datierung erlaubt, ist es höchst wahrscheinlich, daß die societas mit Athen in der ersten Hälfte des 2. Jhs. geschlossen wurde: HEUSS (wie Anm. 9), 33 Anm. 2 ; BERNHARDT, Imperium und Eleutheria, 86 Anm. 187; ders., Der Status des 146 v. Chr. unterworfenen Teils Griechenlands bis zur Einrichtung der Provinz Achaia, Historia 26, 1977, 66 Anm. 30.
96 Tatbestand bedarf hier keiner eingehenden Behandlung; es liegt ja auf der Hand, daß es seither Rom schon gleichgültig geworden war, ob jene Gemeinde einer Provinz integriert oder stipendiarla, libera, bzw. foederata war. Den Statusunterschied fühlte nur die betreffende Gemeinde. Daher die Tatsache, daß von nun an der Status von ciuitas libera von Rom (d. h. sachlich vom Feldherm, förmlich vom Senat) nur als Privileg verliehen werden konnte. Juristisch gab es da freilich eine gewisse Grenze. Durfte jedwelche Stadt für »frei« erklärt werden - denn das war lediglich ein Privileg - so konnte der Status einer ciuitas foederata nur insoweit rechtlich untermauert werden, 1) wenn dazu eine societas beschworen wurde, d. h., daß Rom und der Partner ein foedus schlössen; 2) wenn eine ältere societas durch ein SC für gültig erklärt wurde; 3) schließlich, wenn ebenfalls durch ein SC auf eine fiktive societas Bezug genommen wurde. Der erste Fall ist nicht belegt. Die Verträge mit Knidos und Mytilene gehören nicht in die Jahre 45 bzw. 25 v. Chr. sondern womöglich gegen das Ende des 2. Jhs. v. Chr.. 45 bzw. 25 v. Chr. haben Caesar bzw. Augustus (förmlich eigentlich in beiden Fällen der Senat) die Gültigkeit der vorher geschlossenen Verträge anerkannt46; so früher auch Gades, dessen Vertrag - gleichgültig, ob fiktiv oder real - 206 v. Chr. geschlossen, dagegen 78 v. Chr. nur »erneuert« worden wäre47. Erneuerungen von Verträgen sind uns übrigens bis in späteste Zeit bekannt. Noch unter Gordian DI. besteht das foedus zwischen Rom und Astypalaia (CIL Vili 7059)48; auch hätten wir seine ursprüngliche Fassung aus dem Jahre 105 v. Chr. überhaupt nicht gekannt, hätte doch dafür niemand ein Datum im dritten nachchristlichen Jahrhundert gesucht. Für die genauere zeitliche Abgrenzung der Anwendung der beschworenen societas als völkerrechtliche Begründung der Beziehungen zwischen Rom und 46
Dazu VI Anm. 31, 34, 35.
47
NÖRR (wie Anm. 3), 40 f. versucht, den einzigen Beleg dazu (Cic, Balb. 34 ff.) mit der sonst gut bezeugten deditio von Gades (T. Liv. 28, 37, 10; 32, 2, 5; App., Ib. 37; Florus 1, 33, 7; Zon. 9, 10, 9) in Einklang zu bringen, indem er vermutet, daß das ursprüngliche pactum Klauseln enthalten hätte, »die seine Stilisierung zum foedus erleichterten«. Zur Majestätsklausel im angeblichen Vertrag mit Gades s. Anm. 31.
48
Vgl. NÖRR (wie Anm. 4), 61.
97 außerhalb des römischen imperìum liegenden Gemeinden verfügen wir über einen unteren Terminus: 94 v. Chr., als der epigraphisch überlieferte Vertrag mit Thyrreion geschlossen wurde49. Die obere Grenze ergibt sich m. E. aus mehreren Elementen. Erstens ist daran zu erinnern, daß der erste Vertrag mit den Ätolern (212/11 v. Chr.)50, der ebenfalls epigraphisch überliefert wurde, ein ganz anderes Formular als die nachfolgenden bekannten Verträge aufweist51. Demnach wäre er als terminus post quem zu betrachten. Zweitens haben wir (dem Formular nach) einen terminus ante quem im Vertrag mit Kibyra (kurz nach 188 v. Chr.). In Frage käme sogar der von Polybius überlieferte Vertrag von Apameia, dem, ausgenommen die Spezialbestimmungen, einiges zu entnehmen ist, die ihn doch mit dem Vertrag von Kibyra, also mit dem ersten inschriftlich erhaltenen Vertrag kanonischen Formulars vergleichen läßt52. Schließlich dürfte man diesbezüglich wohl nach einem politi-
49
Vgl. ΠΙ Anm. 9.
50
IG IX 2 2, 241 = Staatsverträge III 536 = L. MORETTI, Iscrizioni storiche ellenistiche II, Florenz 1976, 87; vgl. T. Liv. 26, 24, 8-13; Polyb. 9, 39, 1-3; 18, 38, 5-9. Dazu E. BADIAN, Aetolica, Latomus 17, 1958, 197-211; ders. (wie Anm. 34), 56 f.; R.G. HÔPITAL, Le traité romano-aetolien de 212 av. J.-C, RD 4 e sér. 42, 1964, 20-48 und 204-246; G. A. LEHMANN, Untersuchungen zur historischen Glaubwürdigkeit des Polybios, Münster 1967, 10-131, 365-371, 386-390; DAHLHEIM, Völkerrecht, 181-207; F. W. WALBANK, A Historical Commentary on Polybios II, Oxford 1967, 162 ff.; D. MUSTT, Polibio negli studi dell'ultimo ventennio (19501970), ANRW I 2 , Berlin-New York 1972, 1146-1151; H. TRÄNKLE, Livius und Polybios, Basel-Stuttgart 1977, 211-214.
51
Speziell zum Problem des lateinischen Originals und der griechischen Übersetzung: Staatsverträge ΙΠ, 536 (S. 264); E. BADIAN, HZ 208, 1969, 639 ff. (zu LEHMANN, a. O., 58 ff.); E. GARCÌA DOMINGO, Latinismus en la koiné (en los documentos epigrâficos desde el 212 a J. C. hasta el 14 d. J. C.). Gramâtica y léxico griegolatino, latino-griego, Burgos 1979, 619, mit den Bemerkungen von NÖRR (wie Anm. 3), 97.
52
Die enge Verwandtschaft zwischen den polybianischen Formulierungen der Vertragsbestimmungen von Apameia und den »bundesgenössischen Vertragsformularen« hat DAHLHEIM, Völkerrecht, 265 f. einleuchtend bewiesen. Daher datiert er damit »die Entwicklung des römischen Vertragsrechtes auf Grund der inhaltlichen Veränderung der amicitia«.- FERRARY (wie Anm. 31), 220 gelangt zu einem sehr ähnlichen Schluß wenn er schreibt: »Une situation nouvelle apparut pendant la
98 sehen Moment suchen, um diese sich förmlich ergebende Datierung besser abzeichnen zu lassen und dann würde sich die Freiheitserklärung des Flamininus (196 v. Chr.) ohne weiteres durchsetzen. Demnach datiere ich alle beschworenen societates in der Form von foedera in die Zeit zwischen 196 und ca. 90 v. Chr.· Ist diese Vermutung haltbar, so wäre von nun an für jeden Einzelfall von ciuitas foederata - freilich nur mit der Bedingung, daß der technische Gebrauch des Begriffes in der Überlieferung keinem Zweifel unterliegt - nur an einen Zeitpunkt zwischen den zuletzt genannten Grenzen zu denken, wenn es um die Datierung des ursprünglichen Vertragsabschlusses geht. Für Kallatis, anders gesagt, dürfte man sich die Frage einer späteren Datierung des Vertrags nicht einmal mehr stellen.
deuxième guerre de Macédoine lorsque les Romains, pour la première fois selon moi, reprirent à leur compte le slogan de la liberté des Grecs«. Für ein erstes mögliches Beispiel von einem solchen neuen Vertragstyp zieht er den diesmal leider nicht einmal literarisch überlieferten, sondern nur angedeuteten (T. Liv. 39, 37, 10 und 13; vgl. Polyb. 23, 9, 12) Vertrag mit dem Achäerbund (wahrscheinlich 192/1 v . Chr.; vgl. E. BADIAN, The Treaty between Rome and the Achaean League, JRS 4 2 , 1952, 76-80). Anbei beruft er sich ingeniöserweise auf Polyb. 23, 9, 12, wo es 182 v. Chr. um eine an die Römer gerichtete Bitte der Achäer um eine Hilfeleistung gegen die Messenier »laut Vertrag« geht d μ€ν δυνατόν έστιν, βοη'θ€ΐαν αυ'TOÎS* ττέμψαι κατά την συμμαχίαν km τους Mcaaeviouç, d 6k μτ\ προνοηθήναι γ' ίνα \LT\QO.Ç των έξ 'Ιταλία? μτβ1 δττλα μήτ€ σίτον ό.ς την Μ^σσήνην €ΐσαγάγη. »La formule el μ£ν δυνατόν έστιν n'est pas nécessairement une simple précaution diplomatique: la clause d'alliance défensive pouvait fort bien contenir une restriction du type κατά το £υκαιρον« (222 Anm. 13). Dazu würde ich hinzufügen, daß seinerseits auch μηθ€\ς* των ζξ 'Ιταλία? μήθ' δπλα μήτ€ σίτον €\ς την Μ^σσήνην βίσαγάγη an eine typisch formulierte Neutrali tätsbestimmung denken läßt (vgl. den Vertrag mit Maroneia: μήτ€ αυτούς- σίτωι μήτ€ όπλοι? μήτ€ ι>αυσ\ν μητ€ χρήμασιν χορηγ€ΐτωσαν).
99 3. Zur Beurkundung einer societas
Seit Heußens grundlegender Behandlung der rechtlichen Fragen zu Abschluß und Beurkundung der römischen Staatsverträge sind sich die Forscher einig, daß der Abschluß als solcher auf den Schwurakt des bevollmächtigten Vertreters des populus Romanus reduzierbar war53. Die nur Beweiszwecken dienende Aufzeichnung des Vertrags erfolgte in drei Etappen: 1. Die Urkunde als solche (auf Papyrus? Holz- oder Wachstafel?) wurde in Rom archiviert54. 2. Danach stellte man - gemäß dem Wortlaut des Vertrags selbst - Kopien auf Bronzetafeln her, von denen eine in Rom im Jupiter-Tempel auf dem Kapitol aufgestellt wurde, die andere (gegebenenfalls die anderen)55 kv τώι €τηφαν€στάτωι
τόπωι in der verbündeten Stadt56.
53
HEUSS, Abschluß und Beurkundung, passim. ACCAME, Il dominio, 80 ff., hatte einst gegen diese Annahme Bedenken geäußert (vgl. 80 Anm. 1 zu Heußens Beurteilung des SC für die Juden aus dem Jahre 161 v. Chr.: »Egli insiste sulla differenza fra la conclusione del trattato per mezzo dello scambio orale di giuramenti e la deliberazione di un corpo statale circa il trattato stesso. Una simile distinzione può farsi, ma ha un valore più formale che reale, e non giustifica a ogni modo la tesi dell Heuß. Qui il senatoconsulto è lo stesso trattato; questo per entrare in vigore deve avere l'approvazione dell'altra parte che è qui, come di regola, una pura formalità«). Die »approvazione dell'altra parte« wird aber nirgends belegt, während die Trennung zwischen SC und Vertrag als solchem (so HORN, Foederati, 76 ff.; HEUSS, ebd. 47 Anm. 2) aus IG IV 1^ 63 (Dekret für die Gesandten von Epidauros; dazu weiter Anm. 58) deutlich hervorgeht. S. auch Caes., Bell ciu. 3, 107, 2: quod e lege et senatus consulto societas erat facta (dazu HEUSS, ebd.: »also kann societas, d. h. das aus dem Vertrag sich ergebende Bundes Verhältnis nicht mit lex und SC identisch sein«).
54
So m. E. überzeugend L. WENGER, Die Quellen des römischen Rechts, Wien 1953, 67; für HEUSS war Bronzetafel = Archivexemplar.
55
So z. B. sieht der Vertrag mit Astypalaia drei Exemplare für diese eine Stadt vor (SHERK, RDGE 16 Β, Ζ. 48 ff.).
56
In vielen Fällen wird die Aufstellung der Bronzetafeln vor dem Altar oder an der Statuenbasis der Göttin Roma vorgesehen; dazu R. MELLOR, ΘΕΑ ΡΩΜΗ. The Worship of the Goddess Roma in the Greek World, Göttingen 1975. Da diese Bronzetafel nicht identisch mit den weiteren Kopien auf Stein war, die für eine ganz andere Aufstellung bestimmt sein durften, ist es kaum erstaunlich, daß die Steininschrift von Kibyra (OGIS 762), welche den Vertragstext der Bronzetafel natürlich
100 3. Nach dieser (oder diesen) letzteren konnte sich die verbündete Stadt beliebig viele Kopien auf Stein anfertigen lassen, um sie an verschiedenen anderen topoi aufzustellen57. Bekanntlich waren die Verträge zumeist von senatus consulta, Dekreten und anderen Beilagen begleitet, besonders wenn es um eine Erneuerung des Bündnisses ging. Das Schicksal dieser Urkunden in Rom scheint im großen Ganzen geklärt worden zu sein, da es sich aus einigen Inschriften deutlich ergibt, daß die Bronzetafeln, auf denen diese SCC und die anderen Beilagen aufgezeichnet wurden, in dem aerarium Saturni niedergelegt wurden58. Nicht völlig bekannt bleibt dagegen
die Publikation
der Bronzetafeln
in den
verbündeten Städten. Den erhaltenen Steininschriften scheint zu entnehmen zu sein, daß die örtlichen Behörden die einheitliche Publikation vorzogen, & h. Vertrag samt SC (oder SCC, wenn im Laufe der Zeit mehrere solche erfolgten) und örtlicher Dekrete (zu Ehren der Gesandten usw.)59. Höchstwahrbuchstäblich wiedergibt, keine Statuenbasis ist (s. DiTTENBERGERs Zweifel, ebd. Komm. p. 505), weil nur die Bronzetafel, nicht aber die Kopien auf Stein an der Statuenbasis der Göttin Roma aufgestellt werden mußte (so richtig, obwohl etwas zurückhaltend, WENGER, a. O., 69 Anm. 35; doch wundert sich noch davon R. K. SHERK, Rome and the Greek East to the Death of Augustus, Cambridge-New YorkNew Rochelle-Melbourne-Sydney 1984, Dok. Nr. 25, Komm. Anm. 3: »the present text, however, was not engraved on a statue basis«). 57
Zur publizierten Urkunde: Th. MOMMSEN, Sui modi usati da' Romani nel conservare e pubblicare le leggi ed i senatusconsulti, in: Gesammelte Schriften III. Juristische Schriften, Berlin 1907, 290-313; HEUSS, Abschluß und Beurkundung, 2 3 1 244; F. FREIHERR von SCHWIND, Zur Frage der Publikation im römischen Recht mit Ausblicken in das altgriechische und ptolemäische Rechtsgebiet, München 1940, 45-48; WENGER, a. 0 . , 65-70. IG IV 1 , 63: και του δόγματος- του γενομένου καΐ παραδοθέντος1 €\ς το ταμΐ€ΐον και τας συμμαχίας* άνατβθβίσας* kv ττίνακι χαλκ€ω kv τψ Καπ€τωλίφ, τούτων δέ αντίγραφα άποδ€δωκ€ eiç το δαμόσιον ; dazu die richtige Erklärung von HORN, Foederati, 77 und HEUSS, Abschluß und Beurkundung, 247 mit Anm. 3, trotz ACCAME, Il dominio, 81 f..
59
Vgl. dazu die Interpretation von DAHLHEIM, Völkerrecht, 274 Anm. 39, der ich zustimme: »Eine Begründung dieser ungewöhnlichen Publikationsweise zeigt sich daher nur in dem politischen Hintergrund der Verträge: Die Entscheidung des römischen Senates, durch die Gewährung eines formellen foedus die Souveränität eines Staates anzuerkennen und zu garantieren (durch die zweiseitige Allianzbestimmung),
101 scheinlich müssen uns die erhaltenen Steininschriften buchstäblich den Inhalt der Bronzetafeln hinterlassen haben. Zum Wortlaut dieser Steininschriften hatte Heuß treffend bemerkt: »Man darf also mit einiger Wahrscheinlichkeit damit rechnen, daß die Vertragsurkunden, die evtl. in dem Archiv niedergelegt waren, sich von den auf Stein publizierten nicht unterschieden. Diese Annahme wird durch die nicht unwesentliche Beobachtung gestützt, daß die veröffentlichte Vertragsurkunde keineswegs als Kopie einer, bzw. der im Archiv deponierten Vertragsurkunde angesehen wurde, sondern selbständig als der Wortlaut fungierte, auf den man zur Information als authentischen zurückgriff«60. Von diesen Feststellungen ausgehend, möchte ich mich nun im Lichte des rekonstruierten lateinischen Textes des Vertrags zwischen Rom und Kallatis der Frage des Formulars im Original und auf Kopien widmen. Aus der bisherigen Untersuchung (ΙΠ-V) hat sich ergeben, daß die griechischen erhaltenen Fassungen eine kanonische Form festzustellen erlauben, deren lateinischer Archetyp auf Grund der erhaltenen Wendungen im Vertrag mit Kallatis mit einem hohen Grad an Wahrscheinlichkeit rekonstruiert wurde. Insoweit dürfen dann alle griechischen Fassungen bloß als Varianten eines einzigen Formulars angesehen werden, die sich durch die Spezifizität jeder einzelnen Übersetzung erklären lassen. Anders gesagt: Das lateinische Original war ein einziges die ganze Zeit hindurch von ca. 196 bis ca. 90 v. Chr.61. Als der Senat vom Abschluß einer societas durch den Schwurakt des autorisierten Vertreters des römischen Volkes Kenntnis nahm, blieb es ihm für die Beurkundung des Vertrags nur ein senatus consultimi dazu zu erlassen und dem scriba das standardisierte Formular anzuvertrauen, lediglich mit dem Hinweis auf den einzutragenden richtigen Namen des verbündeten populus. bedeutete für die betreffende griechische Gemeinde mit Recht mehr als ihr eigener Entschluß, den Vertrag abzuschließen«. 60
HEUSS, Abschluß und Beurkundung, 252.
61
Natürlich beziehe ich mich ausschließlich auf die Wendungen, nicht auf die Besonderheiten der Schreibweise; die Bronzetafel, welche den mit Kibyra geschlossenen Vertrag enthält, hätte sicher andere graphische Merkmale hervorgehoben als die Inschrift von Kallatis.
102 Daß das Formular immer dasselbe war, hat die vergleichende Untersuchung der griechischen Fassungen bewiesen, deren Ergebnisse ich schon vorgelegt habe. Für entscheidend halte ich vor allem die nicht unwesentliche Feststellung, daß der Vertrag mit Maroneia Z. 30 kdv ης -πρότερος έκφ^ρηι τώι δημωι των 'Ρωμαίων angibt, also ohne πόλεμο ν, wie im entsprechenden Satzglied der Allianzbestimmung und daß gerade an derselben Stelle Z. 6 im Vertrag mit Kallatis der verfügbare Raum die Wendung sei quis bellum prior faxit nicht erlaubt62, daß also auf bellum zu verzichten ist; d. h., daß im standardisierten Formular bellum für sich aus dem Kontext ergebend gehalten wurde und daß der Übersetzer von Maroneia - der, wie auch sonst ersichtlich, eine buchstäblichste Übersetzung geliefert hat63 - auch hier der Vorlage getreu gefolgt ist, während sich andere Übersetzer die Freiheit genommen haben, das fehlende Wort hinzuzufügen, was stilistisch freilich geglückter war. Dieses »Detail« scheint mir also überzeugendst für die eine einzige Vorlage zu plädieren. Eine Schwankung ist - wie ich auch vorher gezeigt habe (III 2 a) - nur in der Neutralitätsbestimmung festzustellen, wo das Verbot der Getreidelieferung manchmal erwähnt, manchmal nicht erwähnt wird. Eine zeitliche Einordnung der Verträge nach diesem einen Kriterium scheint mir sehr wenig annehmbar, da die Verträge mit Maroneia (167 v. Chr.) und Thyrreion (94 v. Chr.) σίτωι erwähnen64, der gerade dazwischen fallende Vertrag mit Astypalaia (105 v. Chr.) dagegen nicht. Eher ginge es wohl um die Relevanz der Bestimmung angesichts der angenommenen Fähigkeit des Partners, jemanden tatsächlich mit Getreide zu versorgen. Denn einem Inselstaat wie Astypalaia - der auf einem Fels inmitten des Meeres lag - eine Getreidelieferung zu verbieten, wäre natürlich lächerlich gewesen. Doch sind die Dokumente, wo die Klausel S . V A n m . 11. Er ist u. a. der einzige, der in der Neutralitätsbestimmung den durch quo (ώστ€) eingeführte Finalsatz nicht herausstreicht, wie die Übersetzer der anderen Verträge; diese Feststellung hat mir übrigens erlaubt, die Z. 5 ff. des Vertrags von Kallatis zu verstehen und zu ergänzen. Außerdem ist derselbe Übersetzer der einzige, der den Unterschied zwischen adiutore und adiuuare (χορηγ€ΐι^/βοηθ€\.ΐ') ausdrückte (dazu V). Für den Vertrag mit Thyrreion verdanke ich die Mitteilung Dr. D. Strauch (vgl. ΠΙ Anm. 9).
103 völlig erhalten geblieben ist bzw. einwandfrei ergänzt wurde, zu wenig zahlreich, um Schlüsse daraus zu ziehen. Daher nehme ich also eventuell zwei
um dieses einzige Wort (wohl commeatu = σίτωι)65 spielende
(Unter)varianten des einzigen Formulars an66. Nicht völlig in Einklang zu bringen ist dieses Formular mit den Wendungen des Vertrags mit Astypalaia. Bekanntlich ist die Kopie von Villoison fehlerhaft - was an mehreren Stellen geprüft wurde; freilich ist es lediglich darauf zurückzuführen, daß sich einige Wendungen nicht deutlich herausstellen lassen. Die für die Öffentlichkeit bestimmten Bronzetafeln - sowohl die im Tempel des Jupiter aufzustellende als auch die der verbündeten Stadt vorbehaltene - wurden zweifelsohne in Rom hergestellt. Denn die Publikationsklausel des Vertrags selbst sah vor, daß haec societas in tabolam ahenam scriberetur atque figeretur (altera) Romae in Capitolio, (altera)...
loco optumo...
Also trug
die tabula ahena (gr. πίναξ oder ähnliches)67 den und nur diesen lateinischen Text des Vertrags, d. h. ohne SC und Beilagen. Daß schon darauf die griechische Übersetzung eingegraben wurde, scheint mir völlig ausgeschlossen zu sein. Denn einerseits hatte sich der Senat darum überhaupt nicht zu kümmern, solange der Vertrag von seinem Standpunkt aus nicht nur abgeschlossen, sondern allen Normen nach schon beurkundet worden war (Exemplar im Archiv + Bronzetafel auf dem Kapitol), andererseits, wenn die Übersetzung schon in Rom ermittelt worden wäre, dann hätte es in den erhaltenen griechischen Fassungen überhaupt keine Varianten gegeben. Da das lateinische
Zum lateinischen Begriff s. V Anm. 17. Im Text des Vertrags mit Kibyra (OGIS 762) ist in der Neutralitätsbestimmung die Wendung ή τας συνθήκας- παραβή wohl eine Ergänzung des Übersetzers, die mit dem Archetyp nichts zu tun hatte (vgl. ΙΠ 2 b und hier oben VII Anm. 33). IG IV \r 63 (Dekret für die Gesandten von Epidauros; die Stelle zitiert hier Anm. 58); IG IX l 2 , 2, 242 = Syll 3 . 732 (Vertrag zwischen Rom und Thyrreion): πίναξ [συμμίαχίας- άνβτέθη κατά συγκλήτου δόγμα. Andere Synonyme: χάλκωμα (Kibyra; Maroneia; vgl. oben unter Μ); άνάβτ\\ια (Astypalaia: SHERK, RDGE 16, Z. 48); δ€λτο<τ χαλκη (Mytilene: SHERK, RDGE 26 b, Z. 18, 22.; literarische Belege dafür auch im folgenden).
104 Formular standardisiert war, so wäre dann auch die griechische Übersetzung standardisiert worden, wenn sie in Rom ausgeführt worden wäre. Die Publikation der Bronzetafel in der verbündeten Stadt durfte nur dann erfolgen, wenn eine von dort kommende Gesandtschaft in Rom eintraf, um sich den inzwischen hergestellten πίναξ einhändigen zu lassen. Von da an war es ausschließlich Sache der Behörden der verbündeten Stadt, wie sie mit der den lateinischen Vertragstext enthaltenden tabula umgingen. Wie uns die Kopien auf Stein belehren, erhielt normalerweise die Gesandtschaft, ebenfalls auf Bronzetafel geschrieben, auch den Text des dazugehörigen
senatus
consultum, unter Umständen auch andere Beilagen68. Dem Brauch nach wurden diese also alle zusammen entweder an demselben oder aber an verschiedenen topoi aufgestellt. Davon konnte man sich weiter beliebig viele Kopien auf Stein herstellen lassen und sie ihrerseits insgesamt (evtl. samt zusätzlicher örtlicher Dekrete, die die Angelegenheit betrafen) in der Form eines »Dossiers« auf demselben Monument oder wohl separat an verschiedenen Verkehrspunkten aufstellen. Einzig Sache der örtlichen Behörden war zudem die Sprache, in der die für die Öffentlichkeit bestimmten Texte abgefaßt wurden. Enthielt die aus Rom geholte tabula nur den lateinischen Text, so konnte man in der verbündeten Stadt auf eine zusätzliche Bronzetafel die griechische Übersetzung einschreiben lassen und dann die beiden am bestimmten Platz aufstellen. Auf Steininschriften muß dann vorwiegend nur die schon realisierte griechische Übertragung aufgenommen worden sein. Denn einerseits war das Latein im 2. Jh. v. Chr. in der griechischen Welt noch wenig bekannt, andererseits würde dies die Tatsache erhellen, warum uns
Da das SC und die eigentliche societas in Rom separat archiviert wurden (das SC im aerarium Saturni = ταμΐ€ΐον und der Vertrag im Jupiter-Tempel auf dem Kapitol; vgl. Anm. 58), ist m. E. anzunehmen, daß die für die Gesandten bestimmten Kopien nach dem SC und dem Text des Vertrags auf zwei verschiedene Bronzetafeln geschrieben wurden. Vgl. dazu auch den Brief Octavians an Aphrodisias (39 oder 38 ν. Chr.): OGIS 453-455 = FIRAI 38 = SHERK, RDGE 28 = J. REYNOLDS, Aphrodisias and Rome, London 1982, 42 ff., Nr. 6, Z. 27-33: έττικρίματος· και δόγματος και όρκίου και νόμου άντιπ€φωνημένα έκ των δημοσίων δ€λτων €ξαποστ€ΐλαι ύμ€ΐν τα αντίγραφα. Der Plural (τα αντίγραφα) bezieht sich also auf die vier verschiedenen Dokumente des Dossiers.
105 verhältnismäßig viele Urkunden von diesem Typ in griechischer und nur eine einzige in lateinischer Sprache überliefert wurden. Die bisherigen Ausführungen haben versucht, einerseits den Vertrag zwischen Rom und Kaliatis in den breiteren Kontext der völkerrechtlichen Begründung der römischen auswärtigen Politik im 2. Jh. v. Chr. einzuordnen, andererseits umgekehrt den Beitrag dieser Urkunde zur Verdeutlichung dieses juristischen Geflechtes zu verwerten. Der Vertrag ordnet sich in die Reihe der societates vom ausgehenden 2. Jh. v. Chr. ein, zudem erlaubt er selbst, mit einer ziemlich großen Präzision das Formular einer societas in der Zeit zwischen 196 und ca. 90 v. Chr. zu rekonstruieren. Da der Stein in Kallatis gefunden wurde, unterliegt es keinem Zweifel, daß die tabula, die als Vorlage galt, den lateinischen Text enthielt und daß sie selbst in Kallatis im Heiligtum der 'Ομόνοια zu sehen war, als die Kopie auf Stein hergestellt wurde. In der Forschung wurde manchmal die Meinung geäußert, daß die lateinische Sprache des Vertrags ein Argument für die spätere zeitliche Ansetzung dieses Dokuments wäre, da lateinisch abgefaßte Verträge vorwiegend aus der Kaiserzeit bekannt wären69. Hierzu ist an erster Stelle nochmals zu bemerken, daß alle Verträge Roms im römischen Archiv und auf dem Kapitol in lateinischer - und, füge ich jetzt hinzu, standardisierter - Fassung beurkundet wurden und daß der Partner eine tabula ebenfalls nur mit dem lateinischen Text erhielt. Keine tabula, ob aus Rom oder aus irgend einer verbündeten Stadt, ist uns materiell bekannt. Dagegen kennen wir einige Kopien auf Stein; von denen sind die meisten - wie es in griechischen Städten zu erwarten war Kopien nach der griechischen Übersetzung des auf der tabula stehenden lateinischen Textes; dagegen enthält eine einzige davon (im erhaltenen Teil) den der tabula selbst entnommenen lateinischen Text. Also ließe es sich höchstens herausstellen, daß aus republikanischer Zeit, die Inschrift von Kallatis ausgenommen, nur Kopien nach griechischen Übersetzungen von A. SUCEVEANU, Doua note privind istoria Moesiei in secolul I î. e. n., Pontice 2, 1969, 272 und 274. Suceveanu beruft sich auf PASSERINI, Π testo, 71, der aber nur richtig behauptet, daß »il nostro foedus, ch'io sappia, è il primo esempio di testo esposto in latino« (und auch inzwischen das einzige Beispiel geblieben). Passerini geht es also bloß um die Aufstellung der Kopien, nicht um die Abfassung des Vertrags.
106 Vertragstexten erhalten geblieben sind, was anders ist als, daß »lateinisch abgefaßte Verträge vorwiegend aus der Kaiserzeit überliefert wurden«70. Zudem wäre es noch richtiger zu behaupten, daß der erhaltene (untere) Teil der Inschrift von Kallatis ein Fragment der lateinischen Fassung des Vertrags trug. Wie einst Passerini71, bin ich überzeugt, daß vor dem lateinischen Text die griechische Fassung stand. Die Breite des Steines, die auf Grund der ziemlich gesicherten Rekonstruktion des Textes mit einiger Zuverlässigkeit berechnet werden kann, spricht wie die Massivität
des
Zapfens dafür, daß die Stele ursprünglich von beträchtlicher Höhe gewesen sein muß72. Die für die Öffentlichkeit bestimmte Kopie war also zweisprachig, im Gegensatz zur Bronzetafel aus dem Heiligtum der Concordia - die, weil in Rom hergestellt, nur die lateinische Fassung enthielt und eventuell nur von einer in Kallatis hergestellten Bronzetafel mit der griechischen Übersetzung begleitet werden durfte - und ebenso im Gegensatz zu den ausschließlich griechisch abgefaßten Kopien auf Stein, die uns (bis jetzt wenigstens) aus anderen griechischen Städten bekannt sind. Die Kopie aus Kallatis beweist also: 1) daß es die tabula aus dem Heiligtum der Concordia (Όμόνοια) den lateinischen Text trug (und das darf natürlich für alle derartig verbündeten Städte gelten, so daß den Dekreten zu Ehren von Gesandten, die den ττίναξ in die Heimatstadt geholt haben, zu entnehmen ist, daß ihnen die tabula mit der lateinischen Fassung eingehändigt worden war);
So SUCEVEANU, ebd. 274: »tratate scrise in limba latina se pâstreazâ în special din vremea Imperiului«; dagegen etwas richtiger ders., in: A. SUCEVEANU/A BARNEA, La Dobroudja romaine, Bukarest 1991, 28: »les exemplaires locaux avaient, depuis l'époque de l'Empire, commencé à être rédigés en latin, comme ce fut aussi le cas du traité callatien«. PASSERINI, Il testo, 71: »Dobbiamo però ritenere che fosse accompagnato anche dall'esemplare greco«. Siehe die Beschreibung des Steines unter II. Man vergesse nicht, daß mir die Rekonstruktion des Textes nur nach der Neutralitätsbestimmung gelungen ist; fügt man die allgemeine Vertragsbestimmung hinzu, so wird der lateinische Text selber um ein paar gute Zeilen länger.
107 2) daß es die kallatianischen Behörden für angemessen gehalten haben, irgendwo an einem (oder mehreren) öffentlichen Punkten (so etwa auf der Agora oder im heiligen Bezirk) zweisprachige Kopien auf Stein aufzustellen. Alles in allem läßt sich also sagen, daß keines der hier erörterten Elemente als eine Ausnahme im Vergleich zu dem sonst Bekannten gewertet werden darf, geschweige denn als Bedenken hervorrufende Unzulänglichkeit. Nur eines läßt sich noch zur Publikation der Urkunde in Kaliatis fragen: Da Latein dort in der Zeit, zu der der Vertrag m. E. geschlossen wurde, überhaupt nicht und auch später in der Kaiserzeit sehr wenig gesprochen bzw. verstanden wurde - ziehen wir nur die überragende Zahl von griechischen Inschriften oder das Namensgut in Betracht - und da an sich allein die örtlichen Behörden über die Sprache zu entscheiden hatten, worin wäre denn eigentlich der Beweggrund zu suchen, daß in Kaliatis die Entscheidung getroffen wurde, die Kopie zweisprachig aufzustellen? Der effektive Abschluß eines Vertrags bietet den terminus post quem für die Herstellung der tabula; ihrerseits geht diese der Kopie auf Stein freilich voraus. Wenn also der Vertrag zwischen Rom und Kaliatis am Ende des 2. Jhs. v. Chr. geschlossen wurde, heißt es doch nicht unbedingt, daß auch die eine Kopie auf Stein - welche bis zu uns gelangt ist - kurz danach hergestellt worden wäre. Es hätte sein können, daß 1) die Kallatianer Gesandte nach Rom unmittelbar nach dem Abschluß des Vertrags geschickt hätten, um die tabula zu erhalten und danach, daß in Kaliatis nach dieser und unter Hinzufügung der griechischen Übersetzung a) sofort oder b) erst später (d. h. auch nach gut hundert Jahren) unsere Kopie angefertigt worden wäre; 2) die Kallatianer a) die Gesandtschaft dafür nicht geschickt hätten, daher über keine Beweisurkunde verfügten; b) Gesandte doch geschickt hätten, um die tabula zu holen, nur muß diese aber in den Wirren der Zeit verschwunden sein, so daß in beiden Fällen später eine neue tabula geholt werden mußte. Fall 1 a ist wenig annehmbar, weil eine für die kallatianische Öffentlichkeit bestimmte zweisprachige Kopie am Ende des 2. Jhs. v. Chr. sinnlos
108 gewesen wäre; überflüssig war sowieso das Latein der laut Vertrag im Heiligtum der Concordia
aufzustellenden
tabula und das hätte
freilich
gereicht. Fall 1 b ließe sich wohl nur dadurch erklären, daß irgendwie unter neuen Umständen die Anwesenheit der lateinischen Fassung inzwischen angemessen wurde, allerdings nicht des Publikums halber, das dasselbe geblieben sein dürfte, sondern um den römischen Behörden Freude zu machen oder wohl ihrem Wunsch entgegenzukommen. Das wäre freilich nach dem Feldzuge des Lucullus VaiTO (72/71 v. Chr.) und bis 61 v. Chr. (vgl. VI 1), vielmehr aber mit der augusteischen Zeit beginnend vernünftig denkbar. Fälle 2 a-b sind beide nur dann annehmbar, wenn man sich eine kallatianische Gesandtschaft vorstellt, die unter Berufung auf die ursprüngliche societas vor dem Senat für den Status von Kallatis als ciuitas foederata plädierte und dafür auch nach schriftlichen Beweisen suchte. Reduziert man also die Möglichkeiten, so wäre zu überlegen, ob 1) die Kallatianer nicht schon immer über ihre tabula verfügten, aber unsere Kopie doch in einer erst späteren Zeit haben anfertigen lassen; 2) die Kallatianer nie (oder nicht mehr) über die tabula verfügten und erst nach der (Neu)erwerbung einer solchen eine Kopie danach haben anfertigen lassen. Die tabula als solche muß im ersten Fall die ursprünglich in Rom angefertigte, für Kallatis bestimmte gewesen sein, im zweiten Fall eine später nach dem Exemplar in Rom ebenfalls auf Bronze hergestellte Kopie. Schreibweise und Buchstabenform sprechen ohne weiteres für das Ende des 2. Jhs. v. Chr. (VI c-d); d. h., daß die ursprüngliche tabula entweder in Kallatis (Fall 1, allerdings weniger glaubhaft) oder in Rom (Fall 2, trotz der Feuerbrunst im Jupiter-Tempel auf dem Kapitol73) erhalten geblieben ist.
73
Die Folgen dieses Unglücks (s. I Anm. 23 für die daraus gezogenen Schlüsse von De SANCTIS) sind allerdings für das Schicksal des Archivs nicht zu übertreiben. Denn viele Jahre später, als Vepasian die Wiederherstellung des unter Vitellius zerstörten Archivs aus dem Tempel des Jupiter unternahm, ging es um ca. 3000 Bronzetafeln; vgL Suet., Vesp. 8: aerar um tabular um tria milia, quae simul conflagrauerant, restituenda suscepit undique inuestigatis exemplaribus, instrumentum imperii pulcherrimum ac uetustissimum, quo continebantur paene ab exordio urbis sénat us consulta plebi scita de societate et foedere ac privilegio cuicumque concessis. Diese aerarum
109 Beide Fälle indizieren aber ein etwas späteres Datum für die Anfertigung der Kopie auf Stein. Da es mir hier nur um die Sprache geht, bemerke ich, daß zur Zeit der ausgehenden Republik römische Imperatoren manchmal direkt für die Pflege des Lateins auch im griechischen Osten eingetreten sind. An einer Stelle, wo er sich auf die Verpflichtungen der römischen Magistrate bezieht, lobt Valerius Maximus (2, 2, 2-3) die Haltung derer, die im griechischsprachigen Gebiet, auch in Griechenland und in Asien, ihre Gesprächspartner immer per interpretem reden ließen, um eigentlich das Latein auch dort zu würdigen und zu verbreiten: sed etiam in Graecia et Asia, quo scilicet Latinae uocis honos per omnes gentes uenerabilior diffunder etur. Am Ende einer eingehenden Untersuchung bemerkt Michel Dubuisson dazu: »Le texte de Valére Maxime, trop souvent sous-estimé, est particulièrement clair: audelà des nécessités pratiques qui imposent évidemment, en Orient, une large prépondérence du grec (reflétée dans les documents épigraphiques et papyrologiques), on cherche à définir un, domaine réservé et à affirmer sur un point au moins la primauté symbolique du latin. Π s'agit en somme bien plus de protectionnisme que d'impérialisme: en fait, la politique linguistique romaine est apparue, au contraire, pour défendre le latin contre l'impérialisme linguistique et culturel du grec, ou contre ce qui, en tout cas, était ressenti comme tel«74. Dieser »Protektionismus« läßt sich übrigens auch bei der Beurkundung internationaler Dokumente nachweisen, so etwa SCC und etlicher Privilegverleihungen. Im Briefe Caesars an Sidon soll es nach Flavius Josephus [Am. 14, 191) geheißen haben, daß den Sidoniern eine Kopie (άντίγραφον) nach dem Dekret für Hyrkanos geschickt worden wäre, um im örtlichen Archiv niedergelegt zu werden, und daß Caesar gewollt hätte, daß diese auf eine Bronzetafel griechisch und lateinisch eingegraben wird: π<=ττομφα ύμιν το άντίγραφον, ΐν' kv Tots' δημόσιοι? υμών άνακέηται ελληνιστί
γράμμασιν βουλομαι
6è και
και ρωμαϊστί kv δέλτω χαλκή τούτο άνατ€θήναι. Zweispra-
tabularum tria milia scheinen sich also eher paene ab exordio urbis angesammelt zu haben als bloß zwischen 83 v. Chr. und 69 n. Chr., angenommen, daß 83 v. Chr. das bis damals Archivierte größtenteils schon verlorengegangen wäre. 74
M. DUBUISSON, Y a-t-il une politique linguistique romaine?, Ktèma 7, 1982, 187210 (Zitat auf 209).
110 chig abgefaßt mußte nach demselben Historiker (Ant. 14, 197) auch der Text der in Tempeln aus Sidon, Tyros und Askalon aufzustellenden Bronzetafeln sein, der die Privilegien dieser Städte bestimmte: άνατ€θήναι χαλκήν δέλτον ταύτα π€ρΐ€χουσαν καί
Τυρω καί
kv
Άσκάλωνι
[καί]
€ν Τ€ τω Καπ€τωλίω και kv TOTÇ vaotç
ôk
καί
Σιδώνι
€γκ<Εχαραγμένην
γράμμασιν 'Ρωμαϊκοί^ και Ελληνικοί Ç75. Wenn also für die kallatianische Kopie auf Stein ein späteres Datum anzunehmen ist als für den Abschluß des eigentlichen Vertrags, dann kann dies nur zu der Überlegung führen, daß der Vertrag in jener späteren Zeit erneuert und durch zweisprachige Kopien in der Stadt Kallatis propagiert wurde. Somit bleibt nur noch, die historischen Umstände zu klären, unter denen der Vertrag am Ende des 2. Jhs. v. Chr. geschlossen und danach in einer jüngeren Zeit erneuert wurde. Diesen Fragen werde ich mich in den letzten zwei Abschnitten zuwenden.
75
Nach den Philologen wäre hier [καί] zu tilgen; doch läßt sich m. E. die Stelle viel besser erklären, wenn man auf dieses Wort nicht verzichtet und es als eine Betonung auffaßt, etwa im Sinne des deutschen »und zwar«; zu einem solchen Gebrauch von καί sehr überzeugend BERTRAND (wie Anm. 30), 170 f.. Also verstehe ich: »in Sidon, Tyros, Askalon, und zwar in den Tempeln, eingegraben mit lateinischen und griechischen Buchstaben«. Die Betonung würde sich dann irgendwie auch auf den zweisprachigen Charakter der Abfassung beziehen.
Ill Vin. DER HISTORISCHE ZUSAMMENHANG DES VERTRAGS
Die hier vorgeschlagene und auf inneren Gründen aufgebaute zeitliche Ansetzung des Vertrags setzt eine Neubehandlung der zeitgenössischen historischen Abläufe auf dem Balkan und im Schwarzmeergebiet voraus. Bekanntlich haben die römischen Prokonsuln von Makedonien 114-107 v. Chr. mehrere Feldzüge gegen die Skordisker unternommen1. Besonders nach den glorreichen Feldzügen des M. Minucius Rufus (110-107), der 106 v. Chr. seinen Triumph feierte2, wurden die Angriffe dieser gefährlichen Nachbarn für längere Zeit eingedämmt. Obwohl unser Wissen fast ausschließlich auf den triumphalen Fasten und auf später verfaßten Breviaria beruht, erlauben die Funde manchmal, auch inschriftliche Belege heranzuziehen. Ich denke vor allem an die zweisprachige Inschrift der Statuenbasis von Delphi3 und an das Ehrendenkmal vom makedonischen Europos4, die dem Prokonsul Minucius Rufus gewidmet wurden. In den beiden Texten begegnet die Formel νικήσαν τα τον προ? Γάλατα? Σκορδίστας* και Β€σσους* καί τους* λοιπούς* θραικας* πολ€μον, so daß es jetzt keinem Zweifel mehr unterliegt, daß es sich um zwei unterschiedliche Feldzüge handelt: den ersten und den wichtigsten gegen die Skordisker, den zweiten gegen die Besser und »die anderen Thraker«. Einigen spärlichen literarischen Angaben ist zu entnehmen, daß die Schlacht gegen die letzteren irgendwo am Hebros geliefert wurde5.
Allgemein dazu F. PAPAZOGLOU, Quelques aspects de l'histoire de la province de Macédoine, ANRW Π. Prinzipat VU, 1, Berlin-New York 1979, 312-316. 2
Quellenangabe und Literatur bei Th. SARIKAKIS, 'Ρωμαίοι επαρχία? Μακεδονίας- Ι, Thessaloniki 1971, 60-63.
3
Syll 3 . 710.
5
άρχοντες
της*
S. KOUGEAS, Νίκη ρωμαίου στρατηγού τιμώμενη υπό Μακεδόνικης* πόλεως, Ελληνικά 5, 1932, 5-16. Flor. 1, 39: Minucius loto uasîauit Hebro, muìtis quidem omissis, dum perfidum glorie flumen equitatur\ vgl. Amm. Marc. 27, 4, 10: Minucius prope amnem Hebrum a celsis Odrysarum montibus fluentem superatos proelio strauit, post quos residui ab Appio Claudio pro consule sunt infesta concertatane deleti. Der hier gemeinte Appius Claudius ist Appius Claudius Pulcher, der 77-76 gegen die Thraker aus der
112 Eine besondere Aufmerksamkeit ist danach der Tätigkeit des Prätors Titus Didius zu schenken, der trotz gewisser Meinungen 101 v. Chr. nicht gegen die Skordisker, sondern gegen die Thraker zu kämpfen hatte6. lordanes berichtet sogar {Rom. 219), daß er die Provinz um einen von den besiegten Thrakern bewohnten Teil erweitert hat: ad postremum a Marco [i. e. Tito] Didio et ipsi [sc. Thraces] subacti et loca eorum in prouinciam redacta, iugum excepit Romanum. Diese längere Zeit in der modernen Forschung für wenig glaubwürdig gehaltene Nachricht ist durch das »delphisch-knidische« Gesetz7 spekta-
Rhodopengegend gekämpft hat; daher soll laut der Stelle auch sein Vorgänger dieselben Gegner gehabt haben, dann also nicht die Skordisker. Laut einer Nachricht von Frontin {Sirat. 2, 4, 3) soll Minucius Rufus auch gegen die Daker gekämpft haben: Minucius Rufus Imperator, cum a Scordiscis Dacisque premeretur, quibus impar erat numero etc. Jedoch ist diese Angabe eher in Zweifel zu ziehen, weil die Römer bekanntlich erst in den 70er Jahren des letzten vorchristlichen Jahrhunderts unter C. Scribonius Curio die Donau erreichten: vgl. Ruf. Fest. 7, 5: Dardanos et Moesiacos Curio proconsul subegit et primus Romanorum ducum ad Danuuium usque peruenit. Also konnte Minucius Rufus nicht mit den nördlich der Donau wohnenden Dakern in Berührung kommen. Andererseits ist es kaum glaubhaft, daß im Gegenteil die Daker so tief in das Herz der Balkanhalbinsel bis an den Hebros eindrangen. Siehe aber F. PAPAZOGLOU, The Central Balkan Tribes in Pre-Roman Times. Triballi, Autariatae, Dardanians, Scordisci and Moesians, Amsterdam 1978, 303: »it is permissible to conclude that the Dacians had joined the Scordisci on their expedition to the south«. Vgl. auch F. W. WALBANK, Via ilia nostra militaris: Some Thoughts on the Via Egnatia, in: Althistorische Studien Hermann Bengtson zum 70. Geburtstag dargebracht, Wiesbaden 1983, 134 = Selected Papers. Studies in Greek and Roman History and Historiography, Cambridge-New York-New RochelleMelbourne-Sydney 1985, 196 [im folgenden zitiert nach diesem zuletztgenannten Sammelband], der der Nachricht Glaubwürdigkeit zu schenken scheint, soweit er über »victories over the Scordisci, the Daci and the Bessi« schreibt. 6
PAPAZOGLOU (wie Anm. 5), 304-310; dies, (wie Anm. 1), 314 f..
7
Erstausgabe: M. HASSALL/M. CRAWFORD/J. REYNOLDS, Rome and the Eastern Provinces at the End of the Second Century B. C . The so-called «Piracy Law» and a New Inscription from Cnidos, JRS 64, 1974, 195-220; jetzt mit verbesserten Lesungen und Ergänzungen sowie ausführlichen Literaturangaben, parallel mit der sehr fragmentarischen Inschrift aus Delphi, welche ebenfalls eine Übersetzung desselben lateinischen Textes trägt (G. COLIN, Fouilles de Delphes ΠΙ/4. La terrasse du temple et la zone nord du sanctuaire 1. Monuments des Messéniens, de Paul-Émile, de Prusias, Paris 1930, 34-52 Nr. 37), neuediert von W. BLÜMEL, Die Inschriften von
113 kulärerweise bestätigt worden. Dort geht es u. a. um die Verpflichtungen der (Pro)prätoren Καιν€ΐκην
bzw. Prokonsuln von
Makedonien
sich
εις
Χ^ρσονησον
τ€ zu begeben (col. IV 5 ff.), ein Gebiet, das Titus Didius erobert
und annektiert hatte: ήν Τίτο?
AfeiSioç]
ττολ€μών
δορικτητον
£λαβ€ν.
Nachdem darüber in der Forschung mehrere weniger überzeugende Meinungen geäußert wurden8, ist es Louisa Loukopoulou gelungen, die betreffende Stelle in dem Gesetz als eine nicht geradezu elegante Übertragung eines im lateinischen Text stehenden Chersonesum Caenicamque zu erläutern, wobei also zwei unterschiedliche Gebiete - die thrakische Chersones und die später von den Quellen als regio Caenica überlieferte Gegend - gemeint werden9. Diese Καιν€ΐκή reichte ungefähr bis Perinthos10.
Knidos I [IK41], Bonn 1992, Nr. 31. M. Crawford und J. Reynolds sollen eine edit io maior erarbeitet haben, die in Kürze erscheinen wird (BLÜMEL, a. O., 15). Auf Grund des neuentdeckten Exemplars von Knidos hat bekanntlich J.-L. FERRARY, Recherches sur la législation de Saturninus et de Glaucia, MEFRA 8 9 , 1977, 619-660, das seinerzeit für eine lex de piratis persequendis gehaltene Gesetz als eine lex de prouinciis praetor iis angedeutet. Für die Erstherausgeber (vorige Anm.), 213 handelte es sich »presumably« um »the peninsula running down to the Bosphorus«, während WALBANK (wie Anm. 5), 205 f. den Quellen über die regio Caenica (Plin., Nat. hist. 4, 40 und 47; vgl. Ptol., Geogr. 3, 11, 6: στρατηγία Καινική entnimmt, daß »it must lie further west and I would suggest that its name indicates an extension inland of the Thracian Chersonese proper - as one might say, the Caenic end of the Chersonese«. PAPAZOGLOU (wie Anm. 1), 316 Anm. 52 hat als erste bemerkt, daß »la particule τ € n'est peut-être pas superflue, comme le supposent les éditeurs, et il faut peut-être distinguer le (sic) >Chersonèse< de la >Kainikè<«, ohne aber daraus topographische Schlüsse zu ziehen. L. D. LOUKOPOULOU, Provinciae Macedoniae finis orientalis, in: M. B. HATZOPOULOS/L. D. LOUKOPOULOU, Two Studies in Ancient Macedonian Topography, Athen 1987, 75-78. Ptol., Geogr. 3, 11, 6, indirektes Zeugnis, weil über die östlich davon liegende »Strategie« Άστικη berichtet wird, daß sie sich von Perinthos bis Apollonia am Pontos erstreckte: παρά 6è από ilepii>8ou τιόλ€ω? μέχρι? ^Απολλωνίας πα ράλιοι/ ή Αστική στρατηγία; vgl. WALBANK (wie Anm. 5), 205 f.; LOUKOPOULOU, ebd., 77. Inwieweit die damalige Lage der von Ptolemäus geschilderten Verteilung der Strategien in römischer Zeit entspricht, muß allerdings eine offene Frage bleiben (vgl. B. GEROV, Zum Problem der Strategien im römischen Thrakien, Klio 52, 1970, 123-132).
114 Merkwürdig ist femer, daß dasselbe Gesetz die Verpflichtungen der Prokonsuln gegenüber jenen, die durch Verträge mit dem römischen Volk verbunden waren, regelt (col. IV 21 ff.): npoç ους προς- τον δήμον τον 'Ρωμαίων φιλία συμμαχία τέ έστιν. Der technische Sinn scheint mir gesichert, weil τ€ im knidischen Text immer für lat. -que (oder -uè) steht, also läßt sich durch den Ausdruck φιλία συμμαχία τ e das amicitia societasue des Originals herstellen. Welches hätten diese Gemeinden sein können, wenn nicht griechische, außerhalb der Provinz liegende Städte, wie ζ. Β. Maroneia, Ainos, Abdera11 oder Byzanz? Der nur von einer späten, aber gar nicht unzuverlässigen Quelle (Tac, Ann. 12, 62-63) erwähnte Vertrag Roms mit Byzanz ist insoweit umstritten, als einigen ^inungen nach der Vertrag nicht einmal bestanden hätte12. Jedoch hat Erhard Grzybek mit stichhaltigen Argumenten sein Bestehen bewiesen, seinen Abschluß aber irgendwann während des Zweiten Makedonischen Krieges (200-196 v. Chr.) angesetzt13. Tacitus aber benutzt das Wort foedus nur im Zusammenhang mit dem Bündnis zwischen Rom und Byzanz zur Zeit des Krieges gegen Andriskos: orsi a foedere quod nobiscum icerant, qua tempestate bellauimus aduersus regem Macedonum cui, ut degeneri, Pseudophilippi uocabulum impositum. Byzanz wäre wohl seit dem Zweiten Makedonischen Kriege ständig mit Rom verbunden gewesen; wenn aber eine societas durch ein förmliches foedus abgeschlossen wurde, dann würde ich lieber entweder an das von Tacitus überlieferte Datum oder sogar an einen späteren Zeitpunkt denken. Denn die byzantinischen Gesandten, deren vor dem Senat angeführten Argumente Tacitus an der genannten Stelle zusammenfassend darlegt, sollen neben anderen Leistungen ihrer Vorfahren erwähnt haben, daß diese Rom im Piratenkriege des M. Antonius beigestanden haben: et piratico bello adiutum Antonium memorabant. Es handelt sich zweifelsohne um den M. Antonius aus dem Jahre 102 v. Chr.14. Mir scheint daher ein Datum für den Vertrag zwi11
Dazu ΙΠ Anm. 4.
12
MATTINGLY, Rome's Earliest Relations, 239-241.
13
E. GRZYBEK, Roms Bündnis mit Byzanz (Tac. Ann. 12, 62), ΜΗ 37, 1980, 50-59.
14
D. MAGIE, Roman Rule in Asia Minor I, Princeton 1950, 283 (vgl. Π, 1161 Anm. 12); so auch GRZYBEK, a. O., 52 Anm. 9.
115 sehen Rom und Byzanz im letzten Jahrzehnt des 2. Jhs. v. Chr. ziemlich angemessen, allerdings ohne dafür stichhaltige Argumente anführen zu können. Ich würde jedoch bemerken, daß aus dem delphisch-knidischen Gesetz ohne weiteres hervorgeht, daß durch die Einverleibung der regio Caenica die Grenze der Provinz Makedonien ein Gebiet umfaßte, das das Territorium von Byzanz einschloß15. Wie ich oben gezeigt habe, gibt es nicht wenige Fälle, wo unter Umständen die Gültigkeit älterer Verträge durch ein SC anerkannt wurde, um die neuen Beziehungen, die sich infolge der Fortschritte der Provinzialisierung geändert haben sollen, auf einer juristischen Basis zu definieren16. Byzanz gehörte nun territorial zur römischen Provinz, förmlich aber war es natürlich extraterritorial, und das sollte den Prokonsuln Makedoniens klar sein. Wenn es um Städte wie Maroneia ging, die seit älterer Zeit durch eine societas mit Rom verbunden waren, hätte dies mit Rücksicht auf dieses schon seit längst praktizierte Verfahren wohl für selbstverständlich gegolten. Die besondere Anordnung des Gesetzes hinsichtlich der Behandlungsweise derjenigen ciuitates, die durch eine societas mit Rom verbunden waren, hätte wohl nur dann Sinn gehabt, wenn sie darauf zielte, die zwei kurz nacheinander erfolgten, eng zusammengehörenden und zwar nur augenscheinlich kontradiktorischen Maßnahmen - den Abschluß der societas mit Byzanz und kurz darauffogend die Eingliederung des Gebietes um Byzanz in die Provinz - in Einklang zu bringen. Zudem ist auch nicht zu vergessen, daß angesichts der strategischen Lage der Stadt am Bosporus ein Bündnis mit Byzanz aus römischer Sicht unentbehrlich für einen auf breiterer Ebene konzipierten Krieg gegen die Seeräuber war, der auch das Schwarzmeergebiet zu berücksichtigen gehabt hätte17. Unabhängig von den Antworten auf solche Fragen scheint mir eines klar zu sein. Nach dem Triumph von Minucius Rufus (106) und vor dem delphischknidischen Gesetz (101 oder 100)18 war noch das Balkangebiet nicht nur ein 15
So überzeugend LOUKOPOULOU (wie Anm. 9), 83-86.
16
Vgl. VI Anm. 31, 35, 36.
17
So etwa G. V. SUMNER, The «Piracy Law» from Delphi and the Law of the Cnidos Inscription, GRBS 19, 1978, 225.
18
Zum höchst umstrittenen Datum des Gesetzes siehe die kritische Aufzählung der
116 Schauplatz etlicher Feldzüge gegen die thrakischen Stämme, sondern ebenfalls das Feld einer intensiven organisatorischen Tätigkeit. Inwieweit diese komplexen Ereignisse, von denen unsere Kenntnis weiterhin sehr lückenhaft bleibt, auch nördlich des Balkangebirges liegende Gebiete betrafen, wissen wir überhaupt nicht. Jedoch lohnt es sich wohl hervorzuheben, daß um dieselbe Zeit in Istros (Histria), womöglich auch in Olbia, archäologisch eine bedeutende Zerstörung festgestellt wurde, die in einen historisch noch nicht faßbaren Zusammenhang gehört19. Ob dies mit den Ereignissen in Thrakien südlich des Balkangebirges zusammenhängt, ist zwar nicht zu beweisen, andererseits aber auch nicht ausgeschlossen. Ich erinnere daran, daß die Denkmäler für Minucius Rufus außer den quellengemäß faßbaren, südlich des Balkans wohnenden Bessern auch »andere Thraker« erwähnen (καί τους λοιπού? θραικα?). Zugleich ist wie so oft in der Antike mit einer »Kettenreaktion« zu rechnen, daher also sind die durch die Überlieferung und die inschriftlichen Funde etwas besser bekannten Ereignisse südlich des Balkans nicht ausschließlich diesem geographisch begrenzten Raum zuzuschreiben; ebensowohl ließe sich die Möglichkeit in Betracht ziehen, daß die Feldzüge des Minucius Rufus und des Titus Didius indirekte Wirkungen auch auf ferner liegende Gebiete hervorgerufen haben. Wie im Falle der von den Thrakern in der hellenistischen Zeit stets bedrohten Byzantiern20 müssen sich gewisse Städte an der westlichen Schwarzmeerküste an Rom, den neuen Hegemon in der Zone,
Meinungen, die dazu geäußert wurden, bei É. WILL, Histoire politique du monde hellénistique (323-30 av. J.-C.) Π. Des avènements d'Antiochos ΙΠ et de Philippe V à la fin des Lagides 2 , Nancy 1982, 466 ff.. 19
Dazu P. ALEXANDRESCU, La destruction d'Istros par les Gètes 1. Dossier archéologique, Il Mar Nero 1, 1994, 182; Ju. G. VINOGRADOV, Politiéeskaja istorija ol'vijskogo polisa, VII-I vv. do n. e., Moskau 1989, 261 f..
20
Vgl. Polyb. 4, 45. Einen ähnlichen Fall bietet Sestos, wo im Dekret für Menas (OGIS 339 = J. KRAUSS, Die Inschriften aus Sestos und der thrakischen Chersones [DC 9], Bonn 1980, Nr. 1) erwähnt wird, daß dieser mit den römischen Gesandten, die nach Kleinasien geschickt wurden, verhandelte: τάς τ€ πρ€σβ€<αςάνεδέχετο προθυμω? προς Τ€ τους* στρατηγούς· TOUÇ άποστ€λλομ€ΐ/ου£ υπό 'Ρωμαίων €Ϊς Άσίαν και τους π€μπομ€νους· πρ€σβ€υτάς· (Ζ. 20 ff.).
117 gewandt haben und das hätte wohl den Abschluß von societates zur Folge gehabt. Zugleich ist auch die Tatsache nicht zu übersehen, daß Rom selbst zu einiger politischer Weitsicht gezwungen war. Denn die Westküste des Pontos Euxeinos hatte in denselben Jahren eine viel größere Bedeutung als die eines Schauplatzes der Konfrontationen zwischen den Prokonsuln Makedoniens und den thrakischen Stämmen. Es geht mir natürlich um den Aufstieg des Mithridates im Schwarzmeergebiet. Die Einführung der Kontrolle des pontischen Königs über die griechischen Städte an der Nordküste des Schwarzen Meeres wurde öfters ausführlich behandelt21, so daß ich mich der Pflicht entbunden sehe, die Vorgänge noch einmal im einzelnen darzulegen. Zustimmung scheint darin zu herrschen, daß Mithridates VI. Eupator bis 110/109 v. Chr. durch seinen Admiral Diophantos den Aufstand des Saumakos auf der Krim niederschlug und daß er sich kurz danach nach Olbia und Tyras richtete. Da das berühmte Dekret für Diophantos bei aller Chronologie der darin geschilderten Ereignisse höchstwahrscheinlich aus dem Jahre 107 v. Chr. stammt22, da andererseits weder die Tätigkeit des 21
Zu verweisen ist außer auf das klassisch gewordene Werk von Th. REINACH, Mithridate Eupator, roi du Pont, Paris 1890, 2. Kap. (chronologisch anders aber schon B. NIESE, Straboniana, RhM 42, 1887, 567-569) vor allem auf den Forschungsbericht von E. OLSHAUSEN, RE Suppl. 15, 1978, s. v. Pontos, 420 ff., dann auf die neuesten Beiträge von D. B. SHELOV, Le royaume pontique de Mithridate Eupator, JS 1982, 243-266; E. SALOMONE GAGGERO, Relations politiques et militaires de Mithridate VI Eupator avec les populations et les cités de la Thrace et avec les colonies grecques de la Mer Noire occidentale, Pulpudeva 2, 1978, 294305; B. C. McGING, The Foreign Policy of Mithridates VI Eupator King of Pontus, Leiden 1986, 43-65; Ju. VINOGRADOV, Der Pontos Euxeinos als politische, ökonomische und kulturelle Einheit und die Epigraphik, in: Acta Centri Historiae »Terra antiqua Balcanica« 2, 1987 [Akten des 9. internationalen Kongresses für griechische und lateinische Epigraphik], 65-68; L. BOFFO, Grecità di frontiera: Chersonasos Taurica e i signori del Ponto Eusino (SIG3 709), Athenaeum 67, 1989, 211259. Die genaue Chronologie ist weit umstritten; dazu zusammenfassend WILL (wie Anm. 18), 470 ff.; F. de CALLATAY, L' histoire des guerres mithridatiques vue par les monnaies, Louvain-la-Neuve 1997, 245-252.
22
Das Dekret für Diophantos (IOSPE I 2 352 = Syll 3 . 709) wurde von W. DITTENBERGER 107 v. Chr. datiert, was m. E. zu Recht von den meisten Wissen-
118 Neoptolemos an der Kertscher Meerenge23 noch eventuelle Militärhandlungen im westlichen Gebiet dort erwähnt werden, scheint ein etwas späterer Ansatz der zuletztgenannten Ereignisse sehr wahrscheinlich. Chronologisch auswertbare Belege besitzen wir bekanntlich nicht. Die Münzen mit dem angeblichen Bildnis des Mithridates, die in Tyras, Istros, Tomis, Kallatis, Odessos und Mesambria geprägt wurden, sind nicht genau datierbar24, jedoch weisen sie auf die Eingliederung der betreffenden Städte in den Machtbereich des Mithridates hin. Zusätzliche Beweise wären das wiederholt kommentierte fragmentarische Dekret aus Apollonia (IGB V* 392) zu Ehren von Epitynchanon, Sohn des Menekrates, aus Tarsos, dem Feldherrn der Krieger των απεσταλμένων
υπό
βασιλέως'
Μιθραδάτου
Εύπάτορος·
έπί
την
[σ]υνμαχί[αν ], sowie ein 1995 in Istros (Histria) entdecktes, noch unveröffentlichtes Ehrendekret für einen Strategen desselben Königs25. Obwohl einigen Meinungen nach die Inschrift von Apollonia in eine spätere Zeit schaftlern aufrechterhalten wurde (zuletzt Ju. G. VINOGRADOV, Votivnaja nadpis' doceri carja Skilura iz Pantikapeja i problemy istorii Skifii i Bospora vo Π v. do n. e., VDI 1987, 77). Vgl. aber BOFFO, a. 0., 221 (ca. 110-106 für die geschilderten Ereignisse, 105/4 für die Aufstellung der Inschrift). 23
Strab. 7, 3, 18 (vgl. 2, 1, 16); vgl. REINACH, a. 0., 71-73 (106-103 v. Chr.). Trotz der deutlichen Angaben Strabons, die nur auf die Kertscher Meerenge zu beziehen sind, hat man seit Reinach traditionellerweise den Versuch unternommen, das Tätigkeitsfeld desselben Neoptolemos auch nach Westen etwa bis Tyras zu verbreiten (so u. a. SALOMONE GAGGERO, a. O., 297; SHELOV, a. O., 249 f.). Dafür wurde der Ortsname Ν€οπτολ€μου (πύργο?) herangezogen (Strab. 7, 3, 16; An onym. Peripl. Pont. Eux. p. 135 Α. DILLER), der aber viel älter gewesen sein muß, daher also keine Verbindung mit dem Admirai des Mithridates gehabt zu haben scheint. Vgl. VINOGRADOV (wie Anm. 21), 67 f., der darauf aufmerksam macht, daß Strabon dem Geographen Artemidoros die Information verdankt, während der genannte Periplus die Angaben eines frühhellenistischen Werkes ähnlichen Charakters auswertet. Also gibt es außer der relativen Chronologie überhaupt keinen festen Anhaltspunkt für die zeitliche Verankerung der Ereignisse nach ca. 107 ν. Chr..
24
F. de CALLATAY, Les derniers alexandres posthumes frappés à Odessos et Mesembria, in: D. DRAGANOV (Hg.), Studies on Settlement Life in Ancient Thrace. Proceedings of the IIIrci International Symposium »Cabyle« (17-21 May 1993), Jambol 1994, 300-342; ders. (wie Anm. 21), 110-112, 118, 146-147. Die Stelle lautet: [άποστα]λ€ίς· ύπ' αύτου στρατηγό? ό,ς ττ\[ν πόλιν ημών]. Der Name des Mithridates Eupator tritt in der Inschrift zweimal auf.
119 anzusetzen wäre - bis auf den Feldzug des Lucullus Varro aus den Jahren 72/1 v. Chr.26 - gibt es dafür kaum stichhaltige Argumente. Denn wären die gemeinten Krieger diejenigen, die von Mithridates gegen den römischen Feldherrn geschickt worden waren, würde man sich mit Rücksicht darauf, daß Apollonia von den Römern erobert und ausgeplündert wurde, schwerlich vorstellen dürfen, daß ein solches Dekret in der bereits besiegten Stadt erlassen, geschweige denn daß die Stele vor den Augen der Römer aufgestellt werden konnte27. Vielmehr darf es auf frühere Ereignisse bezogen werden, so etwa den Ersten Mithridatischen Krieg. Da aber laut der Inschrift die Truppenleistung cm την [σ]υνμαχί[αν] erfolgte, ist das Bestehen eines davor geschlossenen Bündnisses kaum zu bezweifeln28. Denn hätte es sich um eine »spontane« Hilfe gehandelt, so hätte die sonst wohlbekannte hellenistische Rhetorik der Dekrete aus jener Zeit gerade dies betont, daher hätte die Inschrift wohl Ausdrücke wie etwa σωτηρία, άσφάλ€ΐα,
βοηθ€ΐα,
χορηγία usw. benutzt.
Der Begriff συμμαχία ist also ganz technisch zu verstehen und das beweist, daß der sich zum Protektor der griechischen Städte gegen die Barbaren ausrufende Mithridates solche Bündnisse u. a. mit den Städten an der westpontischen Küste geschlossen hatte. Da also Olbia und Tyras kurz nach 105 v. Chr. in den Machtbereich des pontischen Königs eintraten, ist für die westpontischen Städte dasselbe spätestens im ersten Jahrzehnt des 1. Jhs. v. Chr. anzunehmen. Daher läßt sich
So der Erstherausgeber, Chr. M. DANOV, Eine neue Inschrift aus Apollonia Pontica, JÖAI 30, 1937 BeibL, 87-94. T. V. BLAVATSKAJA, VDI1946, 3, 197-200, entscheidet sich für eine Zeit um 87/6 v. Chr. im Zusammenhang mit dem Verlauf des Ersten Mithridatischen Krieges und einer angeblichen Bedrohung seitens des römerfreundlichen thrakischen Königs Sadalas I, während E. A. MOLEV, Mifridat Evpator, Saratov 1976, 55 f., eine Ansetzung derselben Inschrift nach dem Frieden von Dardanos (85 v. Chr.) vorzieht. Dagegen aber mit beachtenswerten Argumenten SHELOV, a. O., 250 f.; vgl. PIPPIDI, I Greci, 136 ff.; SALOMONE GAGGERO, a. O., 297. 27
So etwa zuletzt McGING, a. O., 57. Zur Quellenlage über den Feldzug des Lucullus Varro siehe VI Anm. 6-7.
28
So besonders PIPPIDI, Scythica Minora, 165; VINOGRADOV (wie Anm. 21), 68.
120 nun fragen, welches der Widerhall der Fortschritte des Mithridates im Schwarzmeergebiet in den Kreisen des römischen Senats war. Die Überlieferung scheint uns darin wieder einmal im Stiche zu lassen. Jedoch sollte man einer Stelle des herakleotischen Historikers Memnon (F. Gr. Hist. Ill B 434 F 22, 4) höhere Aufmerksamkeit als bisher schenken: δι* ά μάλλον 'Ρωμαίοι την αύτου διάνοιαν υποπτον ποιουμ€νοι, TOIÇ Σκυθών βασιλβυσιν €ψηφίσαντο τας πατρώια? αυτόν αρχάς Ό δ€
μ€τρίω£
Πάρθου?
και
μ£ν τοις Μηδου? και
προσταττομένοι^ Τιγράνην
άποκαταστήναι.
ύπήκου€,
Άρμ€ΐαον
[σκυθικού? Mss.; Φρυγών corr. Jacoby] βασιλα?
καΐ καΐ
συμμάχου? τους
δ€
Σκυθικού?
τον "Ιβηρα προσ-
ηταιρίζ^το. Der Text braucht m. E. gar nicht entstellt zu werden, um anstatt TOI?
Σκυθών βασιλ€υσιν
nach τοί? Φρυγών βασιλ€υσιν
oder etwas
anderem zu suchen29. Kontradiktorisch ist die Stelle sowieso, denn Mithrida tes hat nie den skythischen Königen ihre Reiche zurückgegeben und auch waren diese keine συ'μμαχοι wie die anderen hier genannten Völker. Für unsere Frage ist aber wichtig, daß dieser Nachricht zu entnehmen ist, daß die Römer von den Handlungen des pontischen Königs im Schwarzmeergebiet keinesfalls unberührt gewesen zu sein scheinen. Die Erklärung der memnonschen Stelle als unglaubwürdig beruhte im wesentlichen auf dem Urteil, daß die Römer an einem solch entfernten Gebiete kaum Interesse hätten zeigen können30. Das muß aber sofort stark bezweifelt werden. Denn einem Bericht des Diodor (36, 15) ist zu entnehmen, daß der Demagoge L. Appuleius Saturninus, der damalige politische Freund des aufsteigenden Caius Marius, 103 ν. Chr. die Gesandten des Mithridates absichtlich beleidigend behandelte und die Bestochenen bloßstellte, um den Senat zu provozieren. Gewiß ging es vor allem um die Polemik zwischen dem Senat und den homines noui hinsichtlich der Orientfrage. Die lex de prouinciis Die in Frage kommende Emendation ist ausschließlich auf F. JACOBY, F. Gr. Hist. ΠΙ Β 434 F 22, 4 zurückzuführen und hat wenig Sinn; ORELLI hatte seinerseits (philologisch an sich plausibel, jedoch gar nicht nötig) TOÎÇ Φρυγών ßaaiAeOaiv statt τοις- Σκυθών βασιλ€ΰσιν an der ersten Stelle vorgeschlagen; vgl. McGING, a. O., 63. So M. JANKE, Historische Untersuchungen zu Memnon von Herakleia Kap. 18-40 FGrHist Nr. 434, Diss. Würzburg 1963, 42 f..
121 praetoriis aus dem Jahre 101 oder 100, die freilich in denselben sowohl innenals auch außenpolitischen Zusammenhang gehört, bezieht sich aber merkwürdigerweise auf die 102 v. Chr. von M. Antonius gegründete Provinz Kilikien und auf die zwar ältere, aber um ein neues Gebiet nach Norden erweiterte Provinz Makedonien, d. h. also auf die zwei Brennpunkte im Falle einer kriegerischen Auseinandersetzung mit Mithridates31. Deshalb glaube ich nicht, daß die Römer in den letzten Jahren des 2. Jhs. v. Chr. die Fortschritte des Mithridates im Schwarzmeergebiet mit Passivität verfolgt hätten32. Vielmehr würde ich darin eine diplomatische Konkurrenz zwischen Rom und dem pontischen König sehen, wobei beide Seiten, die das alte Thema des Schutzes gegen die in dieser Gegend stets schmerzlich empfundenen Barbareneinfälle propagandistisch übernommen hätten, nach Bündnissen mit den noch neutral gebliebenen pontischen Städten suchten. Bündnisse zwischen Rom und den westpontischen Städten müssen daher vor dem Zeitpunkt des von den Inschriften von Delphi und Knidos überlieferten Gesetzes und jedenfalls nach der Befriedung Südthrakiens unter Minucius Rufus geschlossen worden sein33.
31
Dazu ausführlich FERRARY (wie Anm. 7), besonders 659: »il s'agissait de réaffirmer solennellement et fermement l'intérêt des populäres pour l'Orient«.
32
So auch McGING, a. O., 64: »The west coast of the Black Sea, because of its proximity to Macedonia and Illyria, was certainly an area of concern to Rome. We know from the Cnidus version of the Pirate law that the Caenic Chersonese was annexed to the province of Macedonia by T. Didius at the end of the second century, and M. Lucullus attacked Mithridates' Greek allies on the western Euxine coast in 72/1. So it is by no means impossible that the Senate would have interfered in Scythia«.
33
Zur Politik des Senats in Kleinasien um dieselbe Zeit, die manchmal in der Forschung ebenfalls für passiv gehalten wurde (so u. a. W. V. HARRIS, War and Imperialism in Republican Rome. 327-70 Β. C , Oxford 1979, 273), siehe R. K. BULIN, Untersuchungen zur Politik und Kriegführung Roms im Osten von 100-68 v. Chr., Frankfurt am Main-Bern 1983, 30 ff., bes. 33 f.: »Wenn wir die römischen Aktivitäten in Kleinasien um die Jahrhundertwende im Zusammenhang betrachten, so zeigt es sich, daß der Senat hier keineswegs untätig war, sondern eine hartnäckige diplomatische Tätigkeit entfaltete«.- Es sei daran erinnert (vgl. I Anm. 28 und 39-40), daß der Abschluß des Vertrags zwischen Rom und Kaliatis bisher zweimal mit der lex de prouinciis praetoriis (ehemals lex de piratis persequendis) verbunden wurde, allerdings ohne eine eindringliche Analyse der Begebenheiten: A. Ch. JOHNSON/P.
122 Methodologisch möchte ich noch einmal darauf aufmerksam machen, daß ich den Vertrag zwischen Rom und Kaliatis auf Grund mehrerer Kriterien um 100 v. Chr. anzusetzen versucht habe. Dieser Ansatz ergibt sich also nicht aus den zuletzt behandelten Ereignissen, die angesichts der enttäuschenden Überlieferung übrigens auch wenig faßbar sind. Im Gegenteil ist die Datierung des Vertrags an sich in der Lage, auf diese noch schlecht bekannten Vorgänge ein neues Licht zu werfen und vor allem auf den ersten bisher bekannten politischen Kontakt Roms mit der westpontischen Küste hinzuweisen. Der vorliegenden Ausführung ist nur soviel zu entnehmen, daß der Abschluß des Vertrags in die Zeit zwischen 106 und 101 v. Chr. historisch passen würde, daß sich also diesem zeitlichen Ansatz keine grundsätzlichen Bedenken entgegenstellen.
R. COLEMAN-NORTON/F. C. BOURNE, in: C. PHARR (Hg.), The Corpus of Roman Law (Corpus Juris Romani) II. Ancient Roman Statutes. A Translation with Introduction, Commentary, Glossary and Index, Austin/Texas 1961, 58 Nr. 53: »The treaty may have been made as a result of the operations in Thrace prior to the war planned to suppress piracy, ca. 100 B. C«. Nach der Entdeckung des knidischen Exemplars äußerte sich in derselben Richtung auch A. W. ΟΝΤΟΊΤ, The Capitoline Dedications to Jupiter and the Roman People, ZPE 30, 1978, 139.
123 IX. DIE ERNEUERUNG DES VERTRAGS UM 3/2 V. CHR.
Viel besser sind wir über die Umstände informiert, unter denen der alte Vertrag aus den Jahren 106-101 v. Chr. erneuert wurde, wodurch sich also die Stadt Kallatis der Status einer ciuitas foederata verliehen sah1. Der historische Zusammenhang war diesmal ganz und gar unterschiedlich, weil nach einem Jahrhundert, das an historischen Ereignissen aller Natur äußerst reich gewesen war2 einerseits die pax Romana eingeführt wurde, andererseits das römische Heer für das zweite Mal nach Lucullus Varro (72/1 ν. Chr.), diesmal aber für mehrere Jahrhunderte bis an die Tore von Kallatis gelangte. Der genaue Zeitpunkt der Errichtung der römischen Kontrolle in der Gegend wird uns buchstäblich von keiner Quelle angegeben, doch glaube ich eben auf Grund einer Reihe kallatianischer Inschriften, die in direktem Zusammenhang mit der diplomatischen Tätigkeit um die Erneuerung des Vertrags stehen, auf eine feinere Datierung vieler historischer Konsequenzen kommen zu können. Etliche Beiträge der Wissenschaftler zu dieser Frage gingen zumeist von einer Stelle aus Ovids Tristia (2, 195-200) aus, an der sich der im Jahre 8 n. Chr. nach Tomi verbannte Dichter über seine neue Heimat mit den folgenden Worten äußert: Longius hac nihil est, nisi tantum frigus et hostes, Et maris adstricto quae coit unda gelu. Hactenus Euxini pars est Romana sinistri: Proxima Basternae Sauromataeque tenent. Haec est Ausonio sub iure nouissima uixque Haeret in imperii margine terra tui. In diesem Abschnitt übernehme ich größtenteils die Ausführungen aus meinem Aufsatz: P. Vinicius und Kallatis. Zum Beginn der römischen Kontrolle der griechischen Städte an der Westküste des Pontos Euxeinos, in: G. R. TSETSKHLADSE (Hg.), The Greek Colonisation of the Black Sea: Historical Interpretation of Archaeology, Stuttgart 1998 [Historia, Einzelschriften, im Druck]. 2
Dazu zusammenfassend VI 1. Näheres bei PIPPID1, I Greci, 133 ff.; ders., Les premiers rapports de Rome et des cités de l'Euxin, RSA 2, 1972, 17-38 = Scythica Minora, 159-171.
124 Im Laufe der Zeit haben die Wissenschaftler daraus zu Recht gefolgert, daß das Verbannungsjahr des Dichters einen terminus ante quem für die Einführung der römischen Kontrolle auf die griechischen Städte an der Westküste des Pontos Euxeinos darstellte; zudem soll das genannte Ereignis kurz davor stattgefunden haben, da Ovid die Gegend für Ausonio sub iure nouissima hielt3. Einen terminus post quem finden wir in einer Inschrift, welche uns den Triumph des M. Licinius Crassus ex Thraecia et Geteis am 2. Juli 27 v. Chr. hinterlassen hat4. Der römische Feldherr hatte 29/8 v. Chr. die Geten aus der Dobrudscha erfolgreich bekämpft. Dank eines ausführlichen Berichts von Cassius Dio (51, 23-27) wurden uns sogar manche Einzelheiten darüber überliefert; doch ist weder bei Cassius Dio noch in der Triumphinschrift die Rede von der Stellungnahme des Crassus gegenüber den griechischen Küstenstädten und eben dieses Schweigen verleiht dem Moment den chronologischen Wert eines terminus post quem für die hier zu behandelnde Frage5. In mehreren Aufsätzen hat aber Alexandra Çtefan versucht, den Zeitpunkt der Errichtung der römischen Macht an der westlichen Schwarzmeerküste unmittelbar nach dem Feldzug des Crassus anzusetzen6. Ihr Aufbau beruht hauptsächlich auf zwei Argumenten. 3
PIPPIDI, Parerga, 208 f. (mit der älteren Literatur).
4
CIL I 2 478; Fasti Triumph. Capit., Parast. IV, XLI (Inscriptiones Italiae ΧΙΠ, p. 86 f.).
5
D. M. PIPPIDI, In jurul alipirii ora§elor vest-pontice la Imperali Roman, StudClas 16, 1974, 256-260; ders., Parerga, 209 Anm. 7. In der älteren Literatur wurde fast ohne Ausnahme angenommen, daß die Einführung der römischen Kontrolle über die griechischen Städte an der westlichen Schwarzmeerküste trotz der lückenhaften Überlieferung doch auf die Feldzüge von M. Licinius Crassus zu beziehen wäre.
6
A. ÇTEFAN, Applications des méthodes mathématiques à l'épigraphie, StudClas 13, 1971, 29-45; dies., Chronologie des inscriptions grecques de Callatis établie à l'aide du calculateur, StudClas 15, 1973, 99-107 (bes. 104 f.); dies., Le début de la domination romaine sur les cités de la côte ouest du Pont-Euxin: date et circonstances, in: Actes de la XIIe Conférence internationale d'études classiques »Eirene« (Cluj-Napoca 2-7 octobre 1972), Bukarest-Amsterdam 1975, 621-631; dies., Callatis à l'époque du Haut-Empire à la lumière des documents épigraphiques, Dacia Ν. S. 19, 1975, 161-172.
125 Erstens ergänzte sie in einem Dekret der Thiasiten aus Kallatis7 έπι βασ[ιλ€ος· aùroKpaTojpoç] Καίσαρος·, dort wo der Erstherausgeber D. M. Pippidi cm
βασ[ιλ€ος*
Tißepi|ou] Καίσαρος·
vorgezogen und begründet
hatte. Durch diese Ergänzung sollte die genannte Inschrift vor den 16. Januar 27 v. Chr. fallen, als der Senat dem imp. Caesar den Augustus-Tiitl verliehen hat. Der in Frage kommende Eponym wäre demnach kaum Tiberius, sondern Octavian gewesen; da er also vor 27 v. Chr. mit einer Eponymie in Kallatis geehrt wurde, mußte dies soviel heißen, daß diese Stadt und die ganze westliche Schwarzmeeküste irgendwie der römischen Autorität schon unterlagen. Zweitens interpretierte Alexandra Çtefan auf Grund verschiedener Parallelen den Ehrentitel κτιστά? τας- πολιό?, den Ariston, der Sohn des Ariston, ein vornehmer Bürger aus Kallatis, trug, in dem Sinne, daß dieser sich den Titel verliehen sah »comme reconnaissance publique de ses succès diplomatiques: au moment où la liberté - voire l'autonomie - de Callaüs était menacée, Aristôn dût avoir détourné ce péril, en obtenant pour sa patrie, par des démarches personnelles auprès des autorités romaines, un statut favorable, de cité fédérée ou libre et immune«8. Den Zeitpunkt der diplomatischen Anstrengungen des Ariston setzte Alexandra Çtefan kurz nach Actium, in Zusammenhang mit dem Feldzug des Crassus an: »Nous supposons par la suite que, au cours de la même étape de l'expansion romaine au Bas-Danube, à laquelle se placent les victoires de Crassus, les cités grecques auraient reconnu de bon gré l'autorité d'Octavien, à un moment que, pour l'instant, nous ne saurions cependant préciser autrement que par les limites chronologiques établies plus haut - 31 av. n. è.-27 av n. è.«9. Diese Ausführungen hat aber D. M. Pippidi mit etlichen historischen Gegenargumenten völlig abgelehnt10.
7
D. M. PIPPIDI, Sur un décret des thiasites de Callatis, StudClas 8, 1966, 87-96 = Scythica Minora, 149-158 [SEG XXIV 1026; XXV 745]; vgl. Bull. ép. 1967, 383; PIPPIDI, Parerga, 201.
8
ÇTEFAN, Dacia N. S. 19, 1975, 164; vgl. dies., in: Actes »Eirene« (wie Anm. 6), 622 ff. mit ausführlicher Literatur.
9
Dies., Dacia N. S. 19, 1975, 165.
10
PIPPIDI (wie Anm. 5).
126 Die Inschriften von Kallatis sind m. E. imstande, beträchtlich zu einer Lösung beizutragen; nur muß von Anfang an ihre Chronologie festgestellt werden und das liegt eher an epigraphischen Kriterien als an historischen zielgerichteten Konstruktionen. Glücklicherweise gibt es ein bisher überhaupt nicht beachtetes Kriterium für die chronologische Einordnung einer Reihe wichtiger Dekrete aus Kallatis: das Verschwinden des iota adscriptum. Fünf Dekrete von Kultvereinen aus Kallatis verehren Ariston, den Sohn des Ariston, oder/und seinen gleichnamigen Sohn. Eines davon konnte übrigens bisher gar nicht bestimmt dem Vater (im folgenden Ariston I) oder dem Sohne (fortan Ariston Π) zugeordnet werden. Dazu bemerke ich aber jetzt, daß das iota adscriptum nur in drei der fünf Dekrete auftaucht; demnach sind diese älter als diejenigen, wo das iota in der betreffenden Position nicht mehr eingemeißelt wird. Denn in den kaiserzeitlichen Inschriften aus Kallatis gibt es kein iota adscriptum11. Die zeitliche Einordnung der Dekrete für Ariston I und Ariston Π ist nicht nur für den chronologischen Aspekt, sondern allgemein für die Erklärung der Verhältnisse zwischen Rom und Kallatis in augusteischer Zeit entscheidend. Deshalb sei hier eine ausführliche Neuedition dieser fünf Inschriften vorgelegt12. 1 T. SAUCIUC-SÄVEANU, Dacia 3-4, 1927-1932, 451-452 b (Abb. 35); ders., Dacia 7-8, 1937-1940, 253 [ders., Dacia Ν. S. 2, 1958, 218 Abb. 4]. Vgl. Bull. ép. 1936, S. 373 (P. ROUSSEL); SEG XIX 457 (M. N. TOD per ep.). "Εδοξ€ τοις- θοινάτοας· τάς Δά~ ματρος1 Tâç ΧθόνιαςΝου μη νιος· Νουμηνίου €ΐπ€· 4
[€]π€ΐδή Άριστων Άρίστωνο? cKih
Außer in den konservativ aufrechterhaltenen Formeln wie etwa άγαθήι τιίχηι oder ήρωι in den Weihungen an den Heros. 12
Näheres dazu bei AVRAM (wie Anm. 1). Hier geht es mir nur um die Chronologie.
127 [έί^γέτας
ων του δάμου €[π€0€ξατο]
[τ]αι πολ€ΐ καί [τοις1 θοινάται^?]
Ζ. 4-5: €[ξ\\α]ρ\στάς
έ[κ
|
ά]ρίστα$-
Sauciuc-Säveanu,
Tod.- Ζ. 5: έ[βοήθ€ΐ]
€[ύ|€]ργέτας·
Roussel,
Sauciuc-Säveanu,.- Ζ. 6: [καθ' Ιδίαν
έκάστω] Sauciuc-Säveanu,.- Ζ. 5 f. Avram (für das Verb vgl. PEPPIDI, Scythica Minora, 149-158). Die Inschrift ist inzwischen verschwunden, die publizierten Photos sind aber ziemlich klar. Ariston I wird als Wohltäter des Volkes vom Verein der Thoinaten von Damater geehrt. Iota adscriptum in [τ]αι ττόλ€ΐ. 2 T. SAUCIUC-SÄVEANU, Anuarul Comisiunii Monumentelor Istorice 1942 [1943], 156 (Ankündigung); ders., Dacia N. S. 2, 1958, 207-225 (Photo Abb. 1 und z. T. ungenaue Zeichnung Abb. 2) [SEG XVÏÏI 287]; B. LIFSHITZ, PP 19 (98), 1964, 362-363. Vgl. Bull. ép. 1960, 265; 1965, 263; SEG XIX 33 (G. KLAFFENBACH); XXIV 1027; A. SUCEVEANU, Pontice 2, 1969, 269-274; D. M. PIPPIDI, StudClas 16, 1974, 89-99 = Scythica Minora, 182-192.
ΣΙ (?) [. .]ΝΤΩΤΑ[ [. . ]ΤΝΑΠ[
]N[
]
]ΣΑΙ[ - - (?) φιλό}-
4 [τ€]ιμο[ν ποτά τον] θ€Ον €\ς ΤΙ[ - - ] [ - - ] καί του λοιπού όττότα[ν - - ] ÜNEXOI μηδέν ένλ^ίπων [ζύνοί][α]ς ANAL .]Α1ΧΡΗ[.]ΜΤΩΙΠΕΝΘ[ - - ] 8 [.]Ε[. . .]μ€νοι oi θοιναται τας· [ ' - ] [. . . . *Αρίστ]ων[ο]ς του €υ€ργ€[τα δι> [α] το τάν eìivoiav Τ€τηρήσ[θαι] [τ]αν ποτΐ τα ν σ[ΰνοδ]ον 4π[αΐν€> 12 [σ]αν μέν €πί τούτοις Άρ{στων[α]
128 [Άΐρίστωνο^" €ψαφίσ[αντ]ο δ€ [καΐ] [€]ν{ν}α στ€φανον €\ς τ[ο κατ* άΐδι][ο]ν όπως* αν τοις* σ[υνό]δοΐ£ [aval· 16 [γορ]€υηται πάσαις- [κα]τ' έπί δέκία] [άμ€]ραν αυτάς
kv [παντι φιλοταμία??]
[els' ταν] πατρίδα- Ινγράψαι [Ô€ το] [ψάφι]σμα €\ς τβλαμώνα λ€υκ[ου] 20 [λίθου] καί άνα[θ<=μ€ν €\ς το] [lepòv Tafe ΌμονοίΙα^ TOÙÇ θοινάτας*?]. Ζ. 1: ΣΙ oder ΣΤ Sauciuc-Säveanu, auf dem Photo überhaupt nicht sichtbar.- Ζ. 2: ΝΤΩΤΑ Sauciuc-Säveanu (nur in der Zeichnung, nicht sichtbar auf dem Photo).- Z. 3: nur NA anscheinend sichtbar auf dem Photo, sonst nach Sauciuc-Säveanu.- Z. 4: τιμο[ν ποτ! τον] θ€Ον €\ς τι - - Sauciuc-Säveanu (an sich plausibel); auf dem Photo sehe ich nur: IMO - - - - EI - - . - Ζ . 5: καί του λοιπού όπότα[ν - - Sauciuc-Säveanu (Photo aber nicht überzeugend, außer ΟΠΟΤΑ).- Z. 6-7: άν€χοι
μηδέν ένλβΐπωΟ
€υνο(α]£
άνάγκαι
χρημάτων €νθ€ν - - Sauciuc-Säveanu (unmöglich); auf dem Photo sehe ich Z. 7 was ich oben abgeschrieben habe (ΝΘ am Ende allerdings unsicher); es kann sich auch um einen Fehler des Steinmetzen handeln.- Z. 8: €ξ€ΐμ€νοι Sauciuc-Säveanu (vom Photo nicht unterstützt und m. E. wenig glaubhaft).- Z. 8-9: τας Δ[άματρο^ - - - - ]ov [ώΐς Sauciuc-Säveanu, [Άρίστ]ων[ο]£ Bull, ép. 1960, 265.- Ζ. 11: ταν
πομπαν
ξυληγόν Sauciuc-Säveanu
(so auch
irrtümlich in der Zeichnung), ταν ποτ! ταν I . . . ]ov Bull. ép. 1960, 265 (nach dem Photo), [συ'νοδ]ον SEG XIX 33 (Klaffenbach).- Ζ. 14: locus desperatus: NNA sichtbar auf dem Photo; δ€ [κ|αί] μνα<ς> Sauciuc-Säveanu (unmöglich),
ϊννα
(Dittographie)
στέφανον
Lifshitz;
€γγ[ράψασ|θ]αι
Sauciuc-Säveanu, έγγ[ράψαι κ]αι Tod per ep. (SEG XVm 287) und Lifshitz, ε\ς τ[ο κατ' άίδι|ο]ν Bull. ép. 1965, 263 (auf Grand der Parallele mit Nr. 3, 4; unterstützt vom Photo).- Z. 16-17: τίαϋς 4πί δ€κ[α - - - ]ραν SauciucSäveanu; ΤΕΠ1ΔΕΚ auf dem Photo; für meine Ergänzung s. Nr. 3 und 4, Ζ 31.-Ζ. 17: αύται αν τ[ά%ς · - ου Sauciuc-Säveanu (auf dem Photo, in der Zeichnung und im Kommentar stets ΑΤΤΑΣ).- Z. 18: [ - - ] πατρίδα Sauciuc-Säveanu,.- Z. 20: άναστ[ή]σα[ι] Sauciuc-Säveanu (Photo aber dafür
129 nicht überzeugend).- Ζ. 20-21: [eiç τον ναον τ]ά[ς] Όμονοίίας-] SauciucSäveanu (Suceveanu), [vaóv] oderikpóv] Pippidi, [τους- θοινάτα? (?)] von mir hinzugefügt. Die Inschrift war schon vor ihrer Veröffentlichung verschwunden, und jeder Verbesserungsversuch beruht bloß auf der nicht immer zuverlässigen Zeichnung und dem teils unklaren Photo, die vom Erstherausgeber publiziert wurden. Allem Anschein nach handelt es sich um ein Dekret desselben Vereins der Thoinaten wie bei Nr. 1. Die Begründung fehlt, aber aus Z. 17 £ geht hervor, daß Ariston I auch für seine Wohltaten gegenüber seiner Heimatstadt geehrt wurde. Iota adscriptum finde ich leider nicht (wenn nicht Z. 7: ΤΩΙ nach dem Photo), aber die Verwandtschaft des vorliegenden Dekrets mit den Inschrifen Nr. 1 und 3 scheint mir keinem Zweifel zu unterliegen. 3 G. TOCILESCU, AEM 11, 1887, 35 Nr. 35; Ad. WILHELM, AAWW 55, 1928, 138-140 = Akademieschriften zur griechischen Inschriftenkunde Π, Leipzig 1974, 226-228; L. ROBERT, RPh 55, 1929, 150-151 = Opera Minora selecta II, Amsterdam 1969, 1115-1116.
EIT έφ 1 ο\ς [ό δάμο? €τίμασ€ν αυτόν] Ίάχς τ€[ιμαΐ£ ταις
μ€γίσται$" όΤ
4 πως* οΰν [καί οί θιασέιται φαίνων]ται τους* [euepyeToOvTaç εαυτού?] καί φιλοτ[€ΐμουμ€νου£ ώς ßeXl· τιστα καί [κάλλιστα Τ€ΐμώντ€?] 8
κατ' €ίθισ[μ€να£ Τ€ΐμά?· δ€δό> χθαι αύτ[οΐ£ δια τουδ€ του ψαφ{σ> ματος* σ[τ€φανου]ν ΆρίοΊτωνα 'Α? ρίστων[ο£ τον €υ]€ργέτα[ν μ£ν]
12 του δάμ[ου, φιλοτ]βιμον 6k [του] θιάσου [eμ πάσαι συν]όδωι [καθ' άΥ μ€ραν [και ζ\ς το κατ' άΐ]διο[ν· το]
130 dk ψά[φισμα τούτο
ένγράψαι]
16 €\ς [τ€λαμώνα λ€υκου λίθου κτλ.]
Der Text wurde gleichzeitig von Wilhelm und Robert wiederhergestellt. Hier eine etwa verbesserte Edition auf Grund der Neuprüfung des Steines.
Wilhelm:
Robert:
έφ* ο\ς [πασι προσήκον civai ή'γην]-
έφ' olç [ό δήμος €τίμησ€ν αυτόν]
ται στ[€φάνω τιμαν τον άνδρα- oh
ταις τ[€ΐμαι? ταις- μ€γίσταΐ£· ô>
πως ούν [και οί θιασ€ΐται
Ήως ούν [καΐ οί θιασιται
φαίνων]-
φαίνων]-
ται τους [eùepyeToOvTaç εαυτού?]
ται του? [€υ€ργ€τας τοΰ δάμου]
και φιλοτ[€ΐμουμ€νου? κατά τα βέλΓ
καΐ φιλο[τίμου? του θιάσου ώς βέλΥ
τιστα κα[ταξίως τ€ΐμώντ€ς· ταΐ?]
τιστα καΐ [κάλλιστα καθάπ€ρ]
κατ€ΐθισ[μ€ναι? τ€ΐμαις-
καΛ> €Χθισ[ται τιμώντ€$" ôeoor
6e6ó>
χθαι αύΐτόΐς· δια τουδ€ του ψαφίσ}ματο? σ[τ€φανώσαι
ΆρΚσ[τωνα 'Ah
]
χθαι αύτ[οΐ£?
ματος- σ[τ€φανου]ν Άρίσ[τωνα 'Ah
ρίστωνοί? τον €υ]€ργ€τα[ν μέν]
ρίστωνοΕ? τον €υ]€ργ€τα[ν μέν]
του δάμ[ου, φιλότ€}ιμον δέ [του]
του δάμ[ου, φ ι λ ό τ ι μ ο ν δ€ [τοΰ]
θιάσου [στ€φάνψ άπίοδίοχά? και]
θιάσου [έμ πάση συν]όδω [χρυσψ]
[<Εμ]φανί[ξαι TOÎÇ] Διο[νυσίοις- το]
<στ>€φάν[ω €\ς το κατ' ά1]διο[ν το]
δέ ψάίφισμα έγγράψαι Άρίστωνα?]
δ€ ψάίφισμα τούτο άναγράψαι]
€ic [τ€λαμώνα λ€υκου λίθου κτλ.]
€\ς [τ€λαμώνα λ€υκου λίθου]
Ζ. 5-6: vgl. ein älteres Dekret der Thiasiten aus Kallatis (G. TOCELESCU, AEM 14, 1891, 32-33 Nr. 75 = Syll 2 . 736 = Syll 3 . 1108): [φαΚνωνται άξια? τιμά? άπ[οδιδόν]τ€?
TOÎÇ ÉIÇ εαυτού^]
τας
>
φιλοτχμο[υμ€νοι$ ].- Ζ. 7:
nach Robert, weil KAI auf dem Stein.- Z. 8: etwa nach Wilhelm,
weil
ΚΑΤΕΙΘΙΣ auf dem Stein.- Z. 10: vgl. weiter Nr. 4, Z. 29 f.- Z. 13: [4μ π α σ α ι συνίόδωι Robert (allerdings mit Dorismus und iota adscriptum) weil auf dem Stein ΟΔΩΙ.- Z. 14: MEPAN der Stein, ΜΕΦΑΝ falsch abgeschrieben Tocilescu; daher Wilhelm:
»vielleicht
nur vermöge
eines
von
Druckfehlers,
έμφανι- ist« (<στ>€φάν[(ο] von Robert ist auch nicht haltbar). Vgl. aber für die
131 hier vorgeschlagene Lösung Nr. 4, Ζ. 30 f.: κατά [πασαν] σΰνοδον και κατά πάσαν άμέραν.- Ζ. 14: [κατ' άί]διο[ν] Robert, bestätigt von ΔΙΟ auf dem Stein; vgl. Nr. 4 und nach ihm auch Nr. 2. Ariston wird weiterhin als Wohltäter des Damos geehrt, diesmal aber vom Thiasos des Dionysos. Iota adscriptum in [συνίόδωι. 4 Ο. TAFRALI, RA 5 e sér. 21,1925, 264-271 Nr. 2 = Aita §i arheologia Ia?i 1, 1927, 17-55, 33-37 Nr. 2 (Abb. S. 34); T. SAUCIUC-SÄVEANU, Dacia 1, 1924, 139-144 Nr. 2 (Abb. 39), 323-324. Vgl. B. HAUSSOULLIER, RA 5 e sér. 22, 1925, 62-65; Ad. WILHELM, Hermes 63, 1928, 225-231, 364-366; ders. (wie unter 3); L. ROBERT (wie unter 3); Bull. ép. 1926, S. 273-274; 1928, S. 373 (P. ROUSSEL). Έτη βασιλ€θ£ Κότυος* του Τοιμητάλκα, μηνός· Διονυσίου kv τρΐ€τηρίδι· €δοξ€ Toîs" θιασ€ΐταΐ£· Διόδωρο? Δαμα4 τρίου €ΐπ€· Ιπ€ΐδή 'Αρίστων Άρίστωνος· πατρός έών €υ€ργ€τα καί κτιστά τας πο λιός- και φιλοτ€ίμου του θιάσου έπαύξων μέν ουν τάς- του γ€ννάσαντος·
αρετάς
8 δι[α]τ€λ€ΐ όμοίαν τ€ έπιδ^ίκνυται τάν Ιδίαν aïpeoiv ποτΐ τον δαμον kv παντί καιρώ και κινδΰνω σώζων και €υ€ργ€_ τών τους πολβίτας* και €παγγ€λ<>12 μ^νος- .akK TIVOÇ αγαθού παραίτιος- [k]σ€ΐσθαι [π]οτί Τ€ τον θίασον τον παρ1 άμών £υνουν εαυτόν ένπαρ€" χόμ^νος- και συν€παΰξων τας του 16 Διονύσου [τ€ΐ]μα£, καίπ^ρ ων παντάπασιν νέος
μ€ΐζον ενδείκνυται το
ποτι τους
πολ€ΐτας- φιλόδοξον πα
ρά τους- τάχ[ι]ον €υ€ργ€τήσαι
ϊπροαιΐ
20 προαιρηθ€ντα?· 6τ\ως ου ν καί οί θιασ-
132 €ΐται φαίνωντα[ι] τάν ποτ' αυτόν <=υνοιαν 6ν ατηρουντ€ς καΐ
άπομναμον€υοντ€ς
[ταν] ποθ' Ιαυτούς γνησιότατα καΐ τάχιον 24 [δβδωκότ€ς] πρ<χτως τω πατρι αύτου τάς [μ€γίστας] Τ€ΐμάς παρά τους λοιπούς [€υ€ργ€τας] νυν πράτων αύτου ποιησαμ€" νου τάν άναγορ€[υσιν] του στ€φάνου δια το αύ_ 28 τον Τ€Τ€ΐμάσθα[ι] υπό του δάμου ταις ïcr αις τ ψ πατρί τ€ΐμαί[ς· δξδόίχθαι τοις- θ[ια]σ€ΐταις στ€φανουν κατά [πασαν σύν]οδον και κατά τιασαν ά μέρα ν kv αϊ ς ά[θροί£ο]νται 32 Άρίστωνα Άρίστωνος τον €υ€ργ€τ[α]ν του δα μου
και φιλότ€ΐμον του θ[ιά]σ[ου]· δ€δόσ~
θαι δ€ τον στέφανον €ΐς το κα[τΓ άιδιον €Ìr €ργ€σίας μ£ν καί άρ€τας €V€KÉV τας €ΐς 36 τον δαμον, €υνοίας δ€ καί φιλοτ€ΐμίας τας €\ς τους θιασ€ΐτας· ένγράψαι 6[è] τους θιασ^ίτας TÒ ψάφιζμα τοΰτο <Εΐς τ^λαμώνα λ€υκου λίθου 4'ως μηνός 40 Λυκήου των ξ€νικών Διονυσίων καί άναθ€μ€ν €ΐς τον έπιφανέστατον του μυχού τόπον. Ζ. 12: [π€ρί] TIVOÇ Tafrali, àfci] τίνος Haussoullier, Sauciuc-Säveanu.Ζ. 24: [άπόδοντ€ς] Sauciuc-Sàveanu (S. 323 f.), [δ€δωκότ€ς] Wilhelm.- Z. 25: [δοθ€ΐσας] Haussoullier, [καθηκου'σας]
Sauciuc-Sàveanu
(vgl. S. 324),
[μ€γιστας] Wilhelm; τους κοινούς Sauciuc-Sàveanu, τους λοιπούς Tafrali, Haussoullier, der Stein.- Ζ. 26: [πάντας,
καί]
Haussoullier, [€υ<Ξργ<ίτας]
Wilhelm, Sauciuc-Sàveanu (S. 324).- Ζ. 27: αναγορ€[υωνται] τον Tafrali, άναγόρ€υ[σιν]
του στ€φάνου
στέφανον
Haussoullier, Sauciuc-Sàveanu.- Z.
28: [ά]πό Tafrali, [ύ]πό Haussoullier, υπό Sauciuc-Sàveanu, der Stein.- Z. 29: τ^ιίμαις έν ταις] συνόδοις 4ν Tafrali (gänzlich falsch), wie oben richtig die anderen.- Z. 30: [πασα]ν Haussoullier (Sauciuc-Sàveanu, S. 324).- Ζ. 31: έναίσιΐμον
- - ] Tafrali,
€ναίσι[μον
πα]ντας
Haussoullier, kv
αϊ ς
133 ά[θροίζο]νται
Sauciuc-Säveanu
(vgl.
Wilhelm
S.
365
f.),
kv
άι
σ[υν€ρχο]νται Roussel dubitanter.- Ζ. 34: κ[α]τά 'ίδιον Tafrali, Haussoullier, Sauciuc-Säveanu, κ[α]τ' άΐδιον Wilhelm, Roussel. Zu bemerken ist, daß Ariston I inzwischen (freilich vom Damos) als κτίοΊας
τας
ανεργέτας
πολιό? geehrt wurde (während er in den Inschriften 1-3 nur war) und daß nun zum ersten Mal auch sein Sohn Ariston Π
erscheint. Das Datum der Inschrift wird der Eponymie von Kotys, dem Sohne von Rhoimetalkes, entnommen (12-19 n. Chr.)13. D. h. nun, daß in dieser Zeit Ariston Π noch sehr jung war (Z. 16 f.: καίπ€ρ ων παντάπασιν ν4ος), also daß er etwa um die Zeitwende geboren sein muß. Zum ersten Mal wird in dieser Inschriftenserie auf die Schreibung des iota adscriptum verzichtet. Alles in allem läßt sich nun sagen, daß die Inschriften Nr. 1-3 etwas früher (aber inwieweit?) als 12-19 n. Chr. anzusetzen sind. 5 D. M. PIPPIDI, in: Epigraphica-Constantza, 51-64 (Photo Abb. 1-2) = Parerga, 195-207 [SEG XXVII 384]. Vgl. Bull. ép. 1978, 323. Άρίστωνος' "Εδοξ€ Totç θιασ€ΐται? TOÎÇ ncpl Φίλωνα Διοσκουρίδα- του βακχικού θι~ 4 άσου ό ΐ€ρ€ύ£ Φίλων €IT΀V [4π€ΐ]δή Άρισ των Άρίστωνο?, πατρός ων €υ€ργ«ίτ[α] καΐ δ€υτ£ρον γενομένου μέν κτι στά τας ττόλιο?, φιλοτ€ΐμου δ€ του 8 θιάσου άμών, καΐ αυτός· φαίν€*
13
Dazu M. TATSCHEWA, Corrigenda et addenda ad PIR (ΠΙ, 1898: R 40-42, 50-52; II2, 1936: C 1552-1554; IV2, 1966, J 517) pertinentia, in: Acta Centri Historiae »Terra antiqua Balcanica« 2, 1987 [Akten des 9. Kongresses für griechische und lateinische Epigraphik], 210 (R 42). Nach anderen Meinungen (vgl. G. MIHAILOV, in IGB I 2 , p. 367-368) soll Kotys den Thron erst 14 n. Chr. bestiegen haben.
134 ται ταν αύταν €χων aïpeaiv, στοίχων τα του πατρός φιλοδο ξία, τα ν τ€ πόλιν σώζων <ÈV παντι 12 καιρώ €κ των συνβαινόντων αυ τά πραγμάτων, τους- Τ€ TTOXÉI[τας. . .]ΟΛΛ . . .
ΚΑΙ . ΝΔ Ι
Ζ. 2: π[€ρ]ι Pippidi, alle Buchstaben aber sichtbar auf dem Stein.- Z. 12: συμβαινόντων Pippidi, συνβαινόντων der Stein.- Z. 14: - ουλ - Pippidi, ΟΛΛ der Stein, evtl. [π]ολλίάκις·] oder eine Form von πολύ? mit -λλ~. Der Geehrte ist derselbe Ariston Π. Zeitlich ist das vorliegende Dekret nach Nr. 4 einzuordnen weil: a) Ariston Π nicht mehr als Jüngling bezeichnet wird und b) sein Vater Ariston I inzwischen zum zweiten Mal als κτίσταςτας -πόλιος geehrt worden war. Nebenergebnis dieser zeitlichen Einordnung der behandelten Inschriften ist, daß im vorher erwähnten Dekret desselben kallatianischen Thiasos, das durch eine kaiserliche umstrittene Eponymie datiert wird14, notwendigerweise der Name des Tiberius ergänzt werden muß, weil dort auf iota adscriptum verzichtet wird. Somit gibt es keinen Grund mehr, jene Inschrift vor 27 v. Chr. zu datieren und darin ein Argument für die Einführung der römischen Kontrolle über die westpontischen griechischen Städte schon unter M. Licinius Crassus zu finden. Derselbe Schluß läßt sich auch auf eine andere Weise durchsetzen. Hätte Ariston I schon vor 27 v. Chr. mit den römischen Behörden um den Status von Kallatis verhandelt, so muß er dann schon in einem gewissen Alter gewesen, demnach spätestens um 60 v. Chr. geboren worden sein. Merkwürdig wäre dann weniger, daß er am Anfang der Regierung des Tiberius noch lebte (Inschrift Nr. 5) - ein Alter von 75-80 Jahren ist an sich annehmbar, wenn auch nicht jederzeit im Altertum -, als daß er erst mit ca. 60 Jahren einen Sohn bekam (denn Ariston Π war noch um 12 n. Chr. παντάπασιν
ν4ος) und
daß er so lange Zeit nach dem angeblichen diplomatischen Erfolg aus den 14
Vgl. Anm. 7.
135 Jahren 31-27 ν. Chr. den Titel eines κτιστά? τας πόλιο? noch nicht erlangte. Alles spricht also dafür, daß die ersten drei Inschriften gegen die Zeitwende datiert werden müssen. Von nun an lautet die Frage: Welches ist die erste fest datierbare kallatianische Inschrift, in der auf iota adscriptum verzichtet wird, die also einen terminus ante quem für die drei Dekrete liefert, in denen Ariston I alleine (ohne seinen Sohn) und nur als €υ€ργ€τα? geehrt wird? Glücklicherweise ist diese Inschrift nicht nur ziemlich fest datierbar, sondern auch von entscheidender Bedeutung für die anfangs angeschnittene historische Frage. Es handelt sich um eine Ehreninschrift für P. Vinicius (cos. 2 p. Chr.), den Patron und Wohltäter der Stadt Kaliatis. 6 G. TOCILESCU, AEM 19, 1896, 108 Nr. 62 [IGRRPI 654]; J. H. OLIVER, AJPh 69,1948, 217-218; T. SAUCIUC-SÂVEANU, in: Omagiu lui Constantin Daicoviciu, Bukarest 1960, 501-507 (Photo und Zeichnung Abb. 1-2); R. SYME, Historia 11, 1962, 148-149; J. H. OLIVER, GRBS 6, 1965, 52 [A. AICHINGER, AArchSlov 30, 1979,610-611 Nr. 5]. Vgl. AE 1949, 10; 1960, 378; Bull. ép. 1949, 108; 1961, 414; SEG XXIV 1025. Ό δ[αμο?] ΓΓοττλίω Ούιιακί[ω πρ€σβ€υτα και άντΟ[σ]τρατάγω τω πά[τρωνι καί €υ€ργ€τα] [TCXS των Καλλα]τι[ανών ττόλιο?] Ζ. 2-3: [Μάρκου υίω | ύίπαταγω Bormann apud Tocilescu (Cagnat IGRRP I 654), [Μάρκου [πρ€σβ€υτα
και
υίω
άντι|σ]τρατάγω
Oliver
1948,
Sauciuc-Säveanu,
άντι|σ]τρατάγω Oliver 1948 (dubitanter),
Syme, Oliver
1965 [Aichinger].-Z. 3: τψ πά[τρωνι] Tocilescu (Cagnat), τω πά[τρωνχ καί €υ€ργ€τα] Sauciuc-Säveanu.- Ζ. 4 ergänzt von Sauciuc-Säveanu. Dank einer Stelle aus dem Bericht des Velleius Paterculus (2, 101, 3), dem Begleiter C. Caesars im Orient im Jahre 1 v. Chr., steht es fest, daß P.
136 Vinicius eine Mission in Thrakien und Makedonien erfüllt hatte: quod spectaculum . .. tribuno militum mihi uisere contigit: quem militiae gradum ante subpatre tuo, M. Vinici, et P. Silio auspicatus in Thracia Macedoniaque. Trotz gewisser Meinungen, denen zufolge P. Vinicius zugleich Prokonsul von Makedonien und legatus pr. pr. in Thrakien gewesen wäre15, gibt es überhaupt keinen ernsten Grund, um nach einem Prokonsulat dieses Feldherm in Makedonien zu suchen. Seine Mission als Proprätor entspricht übrigens den etwa bekannten Fakten, weil irgendwann zwischen 23 und 16 v. Chr. das Kommando des römischen Heeres auf dem Balkan vom Prokonsul Makedoniens auf Legaten mit proprätorischem Imperium übertragen wurde16. Das Jahr 1 v. Chr., in das die von der zuletzt angeführten Stelle geschilderten Ereignisse fallen, liefert einen terminus ante quem für die Mission Thracia Macedoniaque von P. Vinicius. Höchstwahrscheinlich soll dieser um 3-2 v. Chr. dort tätig gewesen sein17. Die Tatsache, daß P. Vinicius in Kallatis geehrt wurde, wäre an sich selbst ein schwerwiegender Grund für die Vermutung, daß seine Handlungen die Gegend um Kallatis irgendwie berührten und daß er in diesem Zusammenhang Th. SARIKAKIS, 'Ρωμαίοι άρχοντες ττ\ς επαρχία? MaKeSoviaç Π, Thessaloni ki 1977, 39; J. H. OLIVER, Athens and Roman Problems around Moesia, GRBS 6, 1965, 51-55 (vgl. ders., The Establishment of Moesia as a Separate Province, CPh 62, 1967, 41-42). B. THOMASSON, Legatus. Beiträge zur römischen Verwaltungsgeschichte, Stockholm 1991, 42, zieht folgende Möglichkeiten in Betracht: »Es ist demnach kaum zu bezweifeln, daß Vinicius als kaiserlicher Legat mit proprätorischem Imperium auf dem Balkan befehligte. Und P. Silius? Am einfachsten nimmt man an, daß dieser dieselbe Stellung etwas später innehatte. Eine andere Möglichkeit verdient, wenigstens erwähnt zu werden. Thracia Macedoniaque bei Velleius könnte sich ebensowohl auf zwei veschiedene Tätigkeitsbereiche beziehen: Thracia auf den Befehl über die Truppen außerhalb von Macedonia, d. h. auf die durch die Inschrift gesicherte legatio des Vinicius, Macedonia aber auf eine prokonsularische Provinzstatthalterschaft des Silius; ggf. in ein und demselben Jahr, denn der junge Offizier Velleius konnte ja bei Bedarf (mit seiner Truppe) dem einen oder anderen unterstellt werden«. 16
THOMASSON, a. O., 46.
17
D. KANATSOULIS, Μακ€δοιακή προσωπογραφία, Thessaloniki 1955, 120 Nr. 1090; SARIKAKIS, a. Ο.; Α. AICKNGER, Die Reichsbeamten der römischen Macedonia der Prinzipatsepoche, AArchSlov 30, 1979, 611.
137 den Kallatianern das Privileg der Freiheit verliehen hat. Denn Wohltäter und Patrone waren zu jener Zeit vor allem römische Feldherren, welche griechische Städte für ciuitates liberae erklärten18. Dieser musterhafte Römer, summus amator Ouidii (Sen., Contr. 10, 4, 25), dieser exactissimi ingenii uir, qui nee dicere res ineptas nee ferre poterai (ebd. 7, 5, 11) scheint dem Typ des augusteischen Feldherrn gänzlich zu entsprechen. Wäre es dann allzu gewagt, den Zeitpunkt der Errichtung der römischen Macht in Kallatis und seiner Umgebung genau auf 3-2 v. Chr. im Rahmen der Mission Thracia Macedoniaque von P. Vinicius zu datieren? Somit ließe sich wenigstens Ovids Äußerung nach ca. 11-12 Jahren (haec est Ausonio sub iure nouissima) viel besser verstehen. Der Abstand zwischen Vermutung und Beweisführung reduziert sich aber spektakulärerweise, wenn auch andere bisher wenig beachtete Inschriften aus Kallatis herangezogen werden, die m. E. auf dieselbe Tätigkeit von P. Vinicius zu beziehen sind. 7 T. SAUCIUC-SÄVEANU, Dacia 7-8,1937-1940,243-245 Nr. 2 (Photo Abb. 27). Vgl. Bull. ép. 1943,46. [Ό Ôetva του 6<=ivoç €ΐπ€· έπβιδή ό δ€ΐνα] Σ€κοΰνδου ΕΠΙ [ - - - - αίνου? ών και πρόθυμος- διατ€λ€ΐ] ποτι τ αν πόλιν ΕΥ_ [------------
δ€δόσθαι αύτώι και] έκγόνοι? προξζνί-
4 [αν πολιτείαν ίσοτ€λ€ΐαν, έ'γκτησιν €κγ]αίων, €Ϊσπλουν και [βκπλουν και πολέμου καΐ άράνας
άσ]υλ€ΐ και άσπονδοι]
[και βίκας προδίκου?· €ΐμ€ν δ€ αύτώι κ]αΙ 4'φοδον έπί ταν [βούλα ν πρατωι μ€τα τα Upa· γράψα]ι δ€ καΐ τώι πάτρω18
Dazu sehr überzeugend G. W. BOWERSOCK, Augustus and the Greek World, Oxford 1965, 13: »The Greek concept of benefaction was consonant with patronage from the start. Hence €υ€ργ€της· (σωτήρ, κτίστη?) και πάτρων was essentially a firstcentury variant of €ύ€ργ€τη? και -πρόξενος.[. . .] The Greek and Roman instituti ons fused together with marvellous ease and gave added impetus to the diplomatic activity of the late Republic«; vgl. auch ebd. Anm. 4 für Belege.
138 8
[vi τα? τιόλχοςΊ Π. Ούινικίωι αντιστρατάγ]ωι, υπόταξαντας [μβν αύτώι το άντίγραφον τουδ€ του ψα]φίσματο$· καΓι] -.
ΠΟΛΙ
Ζ. 1: [Σ€]κουνδου Sauciuc-Säveanu, doch sind die Buchstaben ΣΕ fast gänzlich sichtbar.- Z. 2: von mir e. g. ergänzt.- Z. 3: [καΐ
ήμ€ν αύτω και
τοις-] εκ-γόνοις Sauciuc-Säveanu.- Ζ. 4-6 von mir ergänzt.- Ζ. 7: [βουλάν και τον δαμον μ€τα τα iepó* - ] Sauciuc-Sâveanu; τώι ττάτρ[ωνι] Bull, ép., Ω sichtbar auf dem Stein.- Ζ. 8: [γράψαι δ€ ττ€ρι τούτων ταμ ττόλιν αύτίφ Sauciuc-Sâveanu.- Ζ. 9: [το άντίγραφον τουδ€ του ψηΐφίσματος· SauciucSâveanu.- Z. 10: teils sichtbare, von Sauciuc-Säveanu, nicht abgeschriebene Buchstaben. Zu den vorgeschlagenen Ergänzungen: Z. 2-3: e[v παντί καιρώι] paßt nicht, weil der Stein doch ET anzugeben scheint. Andererseits sehe ich hier keine mögliche Konstruktion mit €ii[vousi Z. 4: [έ'γκτησιν έκγ]αίων in Dekreten aus Kallaüs bisher nicht erwähnt; s. aber hellenistische Dekrete aus Tomis (ISM Π 5), Dionysopolis (IGB 1^ 13 bis), Odessos Q.GB I 2 37 bis, 38 bis, 41-43), Mesambria (IGB I 2 307 bis). Z. 6: [δίκα? προδίκους-] in Dekreten aus Kallaüs bisher nicht bekannt; vgl. aber bes. die oben angeführten Dekrete aus benachbarten westpontischen Städten. Z. 7-8: vgl. J. und L. Robert, Bull. ép. 1943,46: »ne s'agirait-il pas de l'envoi d'une copie du décret τώι πάτρ[ωνι]?« Für die hier vorgeschlagene Konstruktion aus Z. 7 ff. vgl. Syll 3 . 721, Z. 49 ff. Der Schrift nach ist das Dekret um die Zeitenwende und wegen des (vom Erstherausgeber systematisch unbeachteten) iota adscriptum etwas vor die vorher behandelte Ehreninschrift für P. Vinicius anzusetzen. Zweitens bemerke ich, daß der Geehrte ein Römer ist, während der Form nach der Wortlaut die typischen Wendungen eines hellenistischen Dekrets aufweist. Infolgedessen datiere ich diese Inschrift in die sehr späte hellenistische Zeit und stelle sie in Zusammenhang mit einer Handlung eines Römers zugunsten der Kallatianer. Da P. Vinicius als Patron von Kallaüs bezeugt ist, scheint es mir schwieriger, zwei unterschiedliche Patrone während einer solch knappen Zeit
139 anzunehmen, und demnach halte ich die Ergänzung des Namens von P. Vinicius für höchstwahrscheinlich. Diese Inschrift ist gleichzeitig - weil von derselben Steinmetzhand stammend - mit einem anderen fragmentarisch erhaltenen Dekret für einen Römer. 8 G. TOCILESCU, AEM 11, 1887, 33 Nr. 32 [IGRRP I 656]; L. ROBERT, Istros 2, 1935-1936, 1-5 = Hellenica 2, 1946, 51-53. Vgl. S. LAMBRINO, Traces épigraphiques de centuriation romaine en Scythie Mineure (Roumanie), in: Hommages à Albert Grenier, Bruxelles 1962 (Coll. Latomus 58), 929-939 (vgl. Bull. ép. 1963, 164); E. DORUTIU BOILÀ, Dacia Ν. S. 15, 1971, 328-331 (Photo Abb. 3); A. SUCEVEANU, Pontica 10, 1977, 112-113 = JWG 1977, 2, 84-85; A. AVRAM, Dacia N. S. 35,1991,117. Μονιανίου [Έττ! βασιλέος* Άίττόλλωνος- Ά-γυέος το[υ] [μ€τα τον δ€ΐνα μηνός*] Π€ταγ€ΐτνίου νουμη4 [νίαι €δοξ€ Καλλα]τιανών τάι βουλάι καΓι] [τώι δάμωι
8
Ζ.
οί στραταίγοί και συν€δροι άπαίν]·
[4ττ€ΐδή
Mlovxavios1 στρατιίαρχήσα?]
[ - - - - - - - . - - -
T]frç
[
κ[ - - - - - ]
]σταθ<Ξΐ£ οί ΛΙΟΤ
1: Μονιανίου
[Νου]μονιανίου
K€ vTop{aç
Tocilescu
Dorutiu Boilä
(IGGRP), Km βασ\\4ος]
(IGGRP),
]
auch
[Λ€]μονιανιου
möglich.- Ζ. 2: [4m Upétuç]
oder
Tocilescu
Robert.- Z. 6: στρατη[γό<τ] Tocilescu (IGGRP),
aber der letzte Buchstabe ist deutlich ein iota (außerdem wäre sonst dor. στρατα[γο£] zu erwarten gewesen); daher στρατι[άρχη£] oder στρατιώτης'] Dorutiu Boilä (1991 auch von mir angenommen).
140 Daß die hier gemeinten Centurien im Sinne von Militäreinheiten zu verstehen sind, hat Emilia Doruçiu Boilä einleuchtend bewiesen19. Demnach weist die Inschrift auf eine römische militärische Anwesenheit hin, während der Geehrte allem Anschein nach ein Römer ist. Wie der Sohn des Secundus dürfte er unter dem Befehl von P. Vinicius mit den Kallatianem irgendwie in Berührung gekommen sein. An diesen zuletzt erwähnten Inschriften (6-8) läßt sich herausstellen, welches die Haltung der römischen Macht gegenüber Kallatis war. Denn die von den Bürgern deutlich ausgedrückte Dankbarkeit ist eigentlich nur dann sinnvoll gewesen, wenn der Stadt Kallatis der Status einer ciuitas libera et immunis odtifoederata zuerkannt worden ist Wenn ich nun zur Person von Ariston I zurückkehre und also auf Grund innerer Elemente die ersten drei Dekrete, in denen er nur als Wohltäter erscheint, vor die 3/2 v. Chr. datierte Mission des P. Vinicius ansetze, dann geht es ohne weiteres hervor, daß Ariston I der Titel eines κτιστά^ τάςπολιός- nach 3/2 ν. Chr. und vor ca. 12 n. Chr. verliehen wurde. Unter diesen Umständen gilt m. E. für gesichert, daß er von seinen Mitbürgern eben dank seiner erfolgreichen Verhandlungen mit P. Vinicius geehrt wurde. Lehne ich den chronologischen Aufbau von Alexandra §tefan ab, so pflichte ich ihr dagegen völlig bei, wenn sie den genannten Titel von Ariston I mit seinen diplomatischen Anstrengungen verbindet20. Zudem läßt sich die hier übernommene Interpretation auf breiterer Ebene fortführen. Derartige κτισται sind aus mehreren Städten des griechischen Ostens bekannt21, wobei uns die besten - weil von den Quellen am reichsten 19
E. DORUTIU BOILÄ, Zur Abgrenzung des Territoriums von Kallatis, Dacia Ν. S. 15, 1971, 325-333. Gegen die Möglichkeit einer centuriatio im kallatianischen Territorium auch A. AVRAM, Untersuchungen zur Geschichte des Territoriums von Kallatis in griechischer Zeit, Dacia Ν. S. 35, 1991, 116 f. und 132 ff.
20
ÇTEFAN, in: Actes »Eirene« (wie Anm. 6), bes. 622 ff..
21
BOWERSOCK (wie Anm. 18), passim; L. ROBERT, Inscriptions d'Aphrodisias (I), AC 35, 1966, 377-432 (bes. 405 ff.); ders., Théophane de Mytilène à Constantinople, CRAI 1969, 42-64; Fr. QUASS, Zur politischen Tätigkeit der munizipalen Aristokratie des griechischen Ostens in der Kaiserzeit, Historia 31, 1982, 188-213; ders., Zum Einfluß der römischen Nobilität auf das Honoratiorenregime in den Städ-
141 belegten - Beispiele von den Bürgern aus Mytilene (Theophanes und später Potamon)22, Knidos23 (Theopompos), Pergamon (Mithridates)24 usw. geliefert werden. In allen Fällen geht es um diplomatische Anstrengungen um die Wiederherstellung, nicht um die eigentliche Verleihung der Freiheit. Die einflußreichen Freunde von mächtigen Imperatoren legten Wert darauf, daß ihre Stadt einst mit den Römern verbunden war und daß allein die ungünstigen Umstände (eigentlich die Mithridatischen Kriege) diese freundliche Beziehung zeitweilig unterbrochen hätten. Auffallend ist zudem die Tatsache, daß bekanntlich Mytilene, Knidos und Pergamon ernst mit Rom durch eine beschworene societas (ein förmliches foedus) verbunden waren und daß gerade dieses foedus infolge der Anstrengungen der κτίσται erneuert wurde25. Von nun an scheint mir die Parallele mit Kallaris nicht nur anspornend, sondern sogar verpflichtend. Das Verdienst des Kallatianers Ariston I war es also, wie im Falle anderer bezeugter κτίσται, den römischen Legaten - und durch ihn den Kaiser (der darin die Befugnisse des republikanischen Senats übernommen hatte) - überzeugt zu haben, den rechtlichen Wert der alten ten des griechischen Ostens, Hermes 112, 1984, 199-215. Zu den κτίσται in helle nistischer Zeit siehe W. LESCHHORN, «Gründer der Stadt». Studien zu einem politisch-religiösen Phänomen der griechischen Geschichte, Stuttgart 1984, 202 ff., der am Ende seiner ausführlichen Behandlung u. a. bemerkt, daß außer den hellenistischen Königen sehr selten andere Personen mit diesem Titel bezeichnet werden und daß erst unter den Römern diese Ehrungen für Lokalpolitiker und andere nichtkönigliche Personen häufiger geworden sind. Zum Zusammenhang zwischen der »(Neu)gründung« einer Stadt im Sinne einer Befreiung (von einer Tyrannis, einer Außenbedrohung usw.) und der »Rettung« siehe Chr. HABICHT, Gottmenschentum und griechische Städte^, München 1970, 169 ff.. 22
ROBERT, Théophane de Mytilène à Constantinople (wie vorige Anm.); D. SALZMANN, Cn. Pompeius Theophanes. Ein BennenungsVorschlag zu einem Porträt in Mytilene, MDAI(R) 92, 1985, 245-260 (dort auch Anh. I und II mit kompletter Quellenangabe); Β. Κ. GOLD, Pompey and Theophanes of Mytilene, AJPh 106, 1985, 312-327.
23
ROBERT, Inscriptions d'Aphrodisias (wie Anm. 21), 419 ff. mit Anm. 4.
24
Siehe Anm. 21; vgl. H. HEPDING, Mithridates von Pergamon, MDAI(A) 34, 1909, bes. 332 ff.; GEYER, RE 15, 1931, 2205 f..
25
Siehe VI Anm. 31, 35, 36 und VII b zum Unterschied zwischen eigentlichem Vertragsabschluß und Vertragserneuerung.
142 societas und demnach den Status von Kallatis als ciuitas foederata
anzuer-
kennen. Anzunehmen ist hierbei, daß Ariston 1 nach Rom fuhr, um eine Kopie nach der im Tempel des Jupiter Capitolinus archivierten tabula (πίναξ)
in seine
Heimatstadt zu holen26. Jedenfalls erklärt eine solche Rekonstruktion die Tatsache, daß in Kallatis die Kopien auf Stein auch den lateinischen Text des Vertrags tragen; denn diesmal hätte es sich entweder um eine von den Römern gestellte Bedingung27 oder um ein Zeichen der Ergebung und der Dankbarkeit seitens der Kallatianer gehandelt. Hierzu gehört auch die Tatsache, daß in Kallatis frühzeitig, schon unter Augustus eine Kaiserkultstätte erbaut wurde28. Ariston I dürfte womöglich auch in dieser Hinsicht eine gewisse Rolle gespielt haben, aber darauf gibt es in der inschriftlichen Überlieferung keinerlei Hinweise. Dagegen ließe sich mit einem gewissen Grad an Wahrscheinlichkeit vermuten, daß die bemerkenswerte Laufbahn des Kallatianers Ariston I durch seine zweite Verehrung als κτίστας
τας
πόλιος
ebenfalls dank eines
diplomatischen Erfolges gekrönt wurde, vermutlich um 15 n. Chr. im Zusam-
VgL VII c. Unter Π habe ich ja gezeigt, daß die Schrift des erhaltenen Fragments darauf hinzuweisen scheint, daß der kallatianische Steinmetz mit der bronzenen Vorlage vor Augen gearbeitet hatte. Die paläographischen Merkmale der kallatianischen Inschrift haben mit der augusteischen Zeit überhaupt nicht zu tun, indem sie eher auf eine Zeit um 120-90 verweisen (so VI d). Da aber der Aufstellung eines lateinischen Textes (allerdings nebst griechischer Übersetzung, so VII e) in der augusteischen Zeit anläßlich der Erneuerung des Vertrags ein beträchtlich höherer Grad an Wahrscheinlichkeit beizumessen ist als derselben Handlung am Ende des 2. Jhs. v. Chr., als der Vertrag geschlossen worden war, wird wohl nur die Annahme möglich, daß die Vorlage die ursprüngliche, in Rom am Ende des 2. Jhs. hergestellte und für die Kallatianer als Kopie bestimmte Bronzetafel war, und daß der Steinmetz aus Kallatis in der augusteischen Zeit, also nach 3/2 v. Chr. die Buchstaben sorgfältig gezeichnet hat, weil ihm höchstwahrscheinlich Latein unbekannt war. Das darf so aussehen, als ob wir einen 1995 durchgeführten Nachdruck eines 1895 erschienenen Buches mit gotischen Buchstaben betrachten wurden. Vgl. VII c mit den dort angeführten Stellen aus Fl. Jos., Ant. 14, 191 und 197, Anm. 74. Dazu A. AVRAM, Date epigratice cu privire la edificiile de la Callatis din epoca elenisticä, Historia urbana (Bukarest) 2, 1995, 25-28.
143 menhang mit der Errichtung der Provinz Moesia und den neuen Verhandlungen über die Rechte von Kaliatis als ciuitas foederata. Unter Umständen würde diese Ausführungen die nicht unwesentliche Tatsache bekräftigen, daß eines der Dekrete zu Ehren des Ariston I (Nr. 2) gerade im Heiligtum der 'Ομόνοια (Concordia) aufgestellt wurde, wie also die bronzene Tafel mit dem Vertrag, dessen Erneuerung er durch seine diplomati schen Bemühungen von den Römern erworben hat. Wiederum läßt dieser Tatbestand an die bekannten Beispiele (Mytilene, Knidos usw.) denken, wo auf dieselbe Stele (unter Umständen auf das Denkmal des κτίστης) sowohl der Text des Vertrags als auch die ihn üblicherweise begleitenden SCC, schließlich auch das Dekret zu Ehren des Lokalpolitikers eingegraben werden29. Die ganze Serie von kallatianischen Inschriften, die ich hier angeführt habe, hat also erlaubt, die Lokalgeschichte bis auf feine Einzelheiten zu rekonstruieren. Anzunehmen ist, daß sich während der Mission von P. Vinicius in den Jahren 3/2 v. Chr. eine kallatianische Gesandtschaft mit Ariston I an der Spitze zunächst an den Proprätor, danach aller Wahrscheinlichkeit nach in Rom selbst an den Senat mit der Bitte um einen Vertrag wandte, indem sie sich wie üblich auf die ältere, schon bestehende societas berief. Die für die Stadt günstige Antwort auf diese Bitte brachte Kaliatis den Status einer ciuitas foederata, dem Römer den Titel eines πατρων der Stadt, dem Kallatianer schließlich die Ehre eines κτίστη?.
29
Α. SUCEVEANU, Douä note privine istoria Moesiei in secolul I ì. e. n., Pomice 2, 1969, 272 ff. hatte überzeugend Concordia (die göttliche Personifikation, der das Heiligtum eingeweiht war) und Euergesia (mit Rücksicht auf die Wohltaten des Ariston I) in Zusammenhang gebracht. Im Lichte der bisherigen Ausführungen läßt sich jetzt diese Verbindung unter Anschluß an den κτίστης-Titel in seiner politischen Bedeutung noch weiter fortführen.
144 X. SCHLUSSBETRACHTUNG
Die Antworten auf die Fragen um den m. E. zwischen 106 und 101 abgeschlossenen und ca. 3/2 v. Chr. erneuerten Vertrag zwischen Rom und Kallatis haben zunächst ihre Bedeutung für die Lokalgeschichte. Denn einerseits lassen sich die ersten Verhältnisse Roms mit den griechischen Städten an der westlichen Schwarzmeerküste am Vorabend ihrer Eingliederung in den Machtbereich des Mithridates
etwas
besser herausstellen,
andererseits
scheinen sich der Zeitpunkt und die Umstände zu klären, unter denen an der Zeitwende die römische Kontrolle über dasselbe Gebiet für einige Jahrhunderte eingeführt wurde. Wesentlich wichtiger sollte aber der Beitrag der kallatianischen Inschrift zum allgemeinen Problem der Beziehungen Roms zu den Städten des griechischen Ostens sein. Aus der vergleichenden Behandlung der epigraphisch überlieferten Verträge zwischen Rom und den verschiedenen griechischen Städten hat sich eine kanonische Form ergeben, die einerseits die Rekonstruktion des Textes von Kallatis mit einem recht hohen Grad an Wahrscheinlichkeit erlaubt hat, andererseits von nun an die Frage nach dem Bestehen eines einzigen Vertragsformulars aufwirft. Aus den Gründen, die ich oben dargelegt habe, bin ich zum Schluß gelangt, daß nach 196 v. Chr. - also nachdem Rom zur Weltmacht geworden war - das Formular der Verträge stilisiert und zugleich standardisiert wurde, um den Prokonsuln, den Proprätoren und den anderen bevollmächtigten Vertretern des römischen Volkes die Gelegenheit zu bieten, gegebenenfalls möglichst schnell, Bündnisse derartiger Natur zu schließen. Obwohl die einem Schweigen der Quellen entnommenen Argumente nicht immer stichhaltig sind, ist m. E. jedoch der merkwürdigen Tatsache Aufmerksamkeit zu schenken, daß im vollen Gegensatz zur verhältnismäßig großen Zahl von literarisch oder epigraphisch überlieferten Verträgen des zweiten vorchristlichen Jahrhunderts, gleichgültig, weniger fest verankert, das letzte
ob chronologisch
vorchristliche Jahrhundert
mehr oder nach
94
(Thyrreion) dazu nichts geliefert hat. Im Gegenteil geht es während des Ersten Mithridatischen Krieges für manche Städte nur um die Aufhebung der
145 Privilegien, die einem solchen Vetrag entsprangen, danach unter Pompeius und Caesar, besonders aber unter Augustus bloß um Freiheitsverleihungen, die unter Umständen die Erneuerung eines schon bestehenden Vertrags als juristische Basis benutzten. Historisch würde sich ein solcher Tatbestand gut dadurch erklären, daß die Haltung etlicher Vertragspartner der Römer während des Ersten Mithridatischen Krieges gezeigt hatte, daß, wie schon oft in der Geschichte, die Vertragsbestimmungen nur insoweit eingehalten
werden
können, als sie sich dem realpolitischen Befehl des Augenblicks nicht widersetzen. Zudem ist auch damit zu rechnen, daß Rom als nunmehr einziger Weltherrscher, ein solches Instrument nicht mehr benötigte. Daher läßt sich die Frage umgekehrt anschneiden, nämlich ob nicht eben dieser Verzicht auf eine im 2. Jh. v. Chr. öfters benutzte Praxis auf eine (römisch gedacht) politische Bedeutung der Verträge in einer früheren Zeit hinweisen würde. Demgemäß wären dann einige in der Forschung zu scharf ausgedrückte Meinungen zum Honorarcharakter bzw. zur politischen Wertlosigkeit der Verträge von Grund auf zu revidieren. Eine andere hier vertretene These ist, daß der technische Begriff, um den Inhalt des Vertrags zu bezeichnen, nicht foedus, sondern societas ist; der Terminus wird ja von der kallatianischen Inschrift unbestreitbar verwendet. Der Begriff foedus ist rechtlich nur auf die Form der societas, zudem nicht rechtlich allgemein auf allerlei Vereinbarungen zu beziehen. Daher wäre es m. E. richtiger, von beschworener societas zu reden, um den Unterschied gegenüber anderen zeitweiligen Vereinbarungen nicht rechtlichen Charakters zu betonen. Zudem mag wohl ein anderer wesentlicher Unterschied, nämlich der zwischen societas ohne Majestätsklausel und societas mit Majestätsklausel, nicht nur den juristischen Unterbau des sonst untechnisch ausgedrückten Gegensatzes zwischen foedus aequum und foedus iniquum darstellen, sondern auch eine treffende Erklärung für die Art und Weise liefern, nach welcher die Gültigkeit schon bestehender Verträge in der Zeit der ausgehenden Republik und in der Kaiserzeit anerkannt wurde. Jean-Louis Ferrary hat nämlich trotz der fast allgemein ausgedrückten Skepsis m. E. richtig ausgeführt, daß die Vertragstexte von Knidos (45 v. Chr.) und Mytilene (25 v. Chr.) am Anfang doch je eine Majestätsklausel aufwiesen und daher vermutet, daß diese letztere die ehemals üblich auftretende allgemeine Vertragsklausel, welche
146 die Allianz auf ewige Zeit bestimmte, ersetzt hätte. Seiner Bemerkung, daß »il y a nettement solution de continuité entre les traités de Maronée ou d'Astypalée et les traités de Cnide, d'Aphrodisias ou de Mytilène« 1 , schließe ich mich an. Zudem würde ich dasselbe wohl richtiger so ausdrücken, daß unter Caesar und Augustus keine eigentlichen Verträge mehr geschlossen wurden, sondern die Freiheitserklärung auf die schon bestehenden Verträge Bezug nahm, wobei eine Majestätsklausel daran angeknüpft wurde. Dem wesentlichen Unterschied zwischen Vertragsabschluß und Freiheitsverleihung wäre eine höhere Bedeutung beizumessen, und zwar nicht so sehr vom historischen Standpunkt aus, was schon immer allgemein berücksichtigt wurde, sondern eher auf förmlicher Ebene. Darin scheint mir übrigens der Unterschied zwischen ciuitates liberae und ciiütates foederatae
zu liegen.
Bekanntlich gehörten die letzteren in die breitere Kategorie der ersteren, und der einzige Unterschied soll darin bestanden haben, daß nur die letzteren über ein »foedus« verfügten. Da aber die Freiheit verliehen bzw. aufgehoben werden konnte, läßt sich wohl unmittelbar die Frage stellen, ob mit dem föderierten Status nicht etwa dasselbe geschehen sein konnte, und wenn nicht, warum dieser Unterschied doch eingehalten wurde. Wenn man aber annimmt, daß nach dem Ersten Mithridatischen Kriege auf die beschworene societas als Instrument der römischen Außenpolitik, die daher eine bestimmte rechtliche Einordnung des Partners herbeiführte, verzichtet wurde, liegt es nun auf der Hand, daß ciuitates foederatae nur jene sein konnten, die schon vor dem genannten Kriege durch eine societas mit Rom verbunden waren, freilich unter der Bedingung, daß die Gültigkeit jener societates von römischer Seite her auch anerkannt wurde. Daher wäre der Begriff der ciuitas foederata eher ganz archaisch als »einst mit Rom durch einen auf dem Schwurakt beruhenden Vertrag verbundene Stadt« zu verstehen. Bekanntlich gab es keine Unterschiede in den Privilegien der ciuitates liberae und der ciuitates foederatae, und ein bloß förmlicher Unterschied wäre wohl sinnlos gewesen, wenn es sich nur um eine beliebige Status Verleihung gehandelt hätte. Der Statusunter-
J.-L. FERRARY, Traités et domination romaine dans le monde hellénique, in: L. CANFORA/M.LIVERANI/C.ZACCAGNlNI(Hg.),I trattati nel mondo antico. Forma, ideologia, funzione, Rom 1990, 235 (s. oben VI Anm. 36).
147 schied wurde ja nicht absichtlich eingehalten, eher mußte er sachlich bestehen. Denn bei aller beliebiger Erklärung jedwelcher Gemeinde für libera gab es dagegen überhaupt keine Möglichkeit, eine davon wenigstens für foederata
zu »erklären«, soweit zwischen ihr und Rom nie eine
societas
bestanden hatte, nunmehr auch keine abgeschlossen werden konnte. Bedeuten würde also die Freiheitsverleihung in augusteischer Zeit entweder »Freiheitserklärung« durch einen Erlaß (Ergebnis: ciuitas libera) oder aber »Erneuerung« eines älteren, spätestens seit dem Vorabend des Ersten Mithridatischen Krieges schon bestehenden Vertrags (Ergebnis: ciuitas
foederata).
Beides hängt freilich mit der kaiserlichen Munifizenz zusammen, wobei im zweiten Falle propagandistisch auch das Konzept der restitutio eine nicht unwesentliche Rolle gespielt haben mag.
148 ABKÜRZUNGEN
Zu den üblichen Abkürzungen (so etwa CIL, ELLRP, IG, FERA usw.) und denen, die von der Année Philologique benutzt werden, ist folgendes hinzuzufügen: ACCAME, Il dominio = S. ACCAME, Il dominio romano in Grecia dalla guerra acaica ad Augusto, Rom 1946. BERNHARDT, Imperium und Eleuthena = R. BERNHARDT, Imperium und Eleuthena. Die römische Politik gegenüber den freien Städten des griechischen Ostens, Diss. Hamburg 1971. DAHLHEIM, Völkerrecht = W. DAHLHEIM, Struktur und Entwicklung des römischen Völkerrechts im dritten und zweiten Jahrhundert v. Chr., München 1968. DAHLHEIM, Gewalt und Herrschaft = W. DAHLHEIM, Gewalt und Herrschaft. Das provinziale Herrschaftssystem der römischen Republik, BerlinNew York 1977. Epigraphica-Constantza = D. M. PIPPIDI/E. POPESCU (Hg.), Epigraphica. Travaux dédiés au VII e Congrès international d'épigraphie grecque et latine (Constantza 9-15 septembre 1977), Bukarest 1977. GRUEN, Hellenistic World = E. S. GRUEN, The Hellenistic World and the Coming of Rome I-II, Berkeley-Los Angeles 1984. HEUSS, Abschluß und Beurkundung = A. HEUSS, Abschluß und Beurkundung des griechischen und römischen Staatsvertrages, Klio 27 (N. F. 9), 1934, 14-53 und 218-257. HORN, Foederati = H. HORN, Foederati. Untersuchungen zur Geschichte ihrer Rechtsstellung im Zeitalter der Römischen Republik und des frühen Principats, Diss. Frankfurt am Main 1930. LAMBRINO, Inscription latine = S. LAMBRINO, Inscription latine Callatis, CRAI 1933, 278-288.
de
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