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DER SCHAUPROZEß
Friedrich der Große, angeklagt in Nürnberg
Vorwort des Verlegers Bald, nachdem am 27. Februar 19 33...
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DER SCHAUPROZEß
Friedrich der Große, angeklagt in Nürnberg
Vorwort des Verlegers Bald, nachdem am 27. Februar 19 33 in Berlin der Reichstag in Brand gesteckt worden war, fand in London ein Pseudo-Prozess statt, in dem angeblich die Anstifter ermittelt werden sollten. Die Regie führte der in Paris lebende Willi Münzenberg, jüdischer Abstammung. Er war Mitglied der KPD und Abgeordneter des Deutschen Reichstags gewesen. Die Zusammensetzung des Gerichts war „international“: Kommunisten aus verschiedenen Ländern,
meistens
jüdischer
Herkunft.
Das
Ziel
dieses
‘Hohen
Gerichts’
war,
den
Nationalsozialisten den Brand in die Schuhe zu schieben. Der Reichstagspräsident Hermann Göring sollte als Täter gekürt und an den Pranger gestellt werden. Was dabei herauskam, war mehr als dürftig. Es gelang den Exilkommunisten nicht, glaubwürdig nachzuweisen, daß Hermann Göring Täter oder Anstifter gewesen sei. Einer der Mitwirkenden war der jüdische Schriftsteller Arthur Koestler, der später alles widerrief: All das gründete sich auf Deduktion, Intuition und Poker-Bluff. Damit hatte er sich wahrscheinlich selbst sein Todesurteil geschrieben, denn ihn und seine Frau fand man eines Tages ‘selbstgemordet’ in London auf. Nach dem Weltkrieg II wurden zu diesem Thema wieder Untersuchungen angestellt, aber sie verliefen alle ohne Schuldnachweis an die Nationalsozialisten. Dennoch darf die These von der Schuld der Nationalsozialisten sogar in Lexika verbreitet werden. Was nach 1945 gegen die Interessen des deutschen Volkes gelogen wurde, geht nicht auf alle Kuhhäute der ganzen Welt. Immer wieder versucht man es mit neuen Tricks. So wollten einige Menschheitsbeglücker unbedingt, die Ursache des verhaßten Preußentums mit seiner Unbestechlichkeit, seiner Ordnung, seiner Sauberkeit nach außen und nach innen in Friedrich II., König von Preußen, sehen. Man wollte tatsächlich in einem Prozeß nachweisen, daß Friedrich der Große der Urheber des Nationalsozialismus sei! Man wollte ihn postum entnazifizieren; noch besser mit der Todesstrafe brandmarken! Anhand des Londoner Pseudo-Prozesses fiel es dem Autor nicht schwer, das geplante ProzeßTheater als Fiktion ablaufen zu lassen, um den Ewig -Lügnern die Schau zu stehlen. Wer die Dramen und Komödien auf der politischen Bühne kennt, wird in diesem Buch von der Einfühlsamkeit und Sachkenntnis des Autors begeistert sein. Der Verlag Tim Schatowitz wünscht seinen Lesern interessante und spannende Lesestunden!
* Inhaltsverzeichnis
1. Einsetzung des „Zweiten Internationalen Tribunals“ in Nürnberg. 2. Die Aufgaben des „Zweiten Internationalen Tribunals“.
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3. Zusammensetzung des Gerichts. 4. Feierliche Eröffnung der Gerichtsverhandlung am 20. Juli 1998. 5. Der 1. Verhandlungstag. 6. Sara Limburg klagt an. 7. Der 2. Verhandlungstag. Ein weiterer Verteidiger wird zugelassen. 8. Die Britin Margret Charming klagt an. 9. Der 3. Verhandlungstag. Verteidiger Samuel Scott spricht. 10. Der 4. Verhandlungstag. Samuel Scott erscheint nicht zum Termin. 11. Das Spiel hinter den Kulissen. 12. Der 5. Verhandlungstag. Monsieur Jean Satiree klagt an. 13. Der 6. Verhandlungstag. Der 3. Verteidiger tritt auf. 14. Der 7. Verhandlungstag mit katastrophalem Ausgang. 15. Der 8. Verhandlungstag. Boris Labet macht kehrt. 16. Der 9. Verhandlungstag. Bill Wilson blamiert sich. 17. Der 10. Verhandlungstag. Die Gutachter treten auf. 18. Der 11. Verhandlungstag. Regina Süß übernimmt den Vorsitz. 19. Der 12. Verhandlungstag. Margret Charming findet einen Freund. 20. Der 13. Verhandlungstag. Satiree und der Bumerang. 21. Der 14. Verhandlungstag. Boris Labet meldet sich zurück. 22. Der 15. Verhandlungstag. Silberhagen fliegt. Fisser kommt. Frau Limburg ist wie am Boden zerstört. ***
„Habt nur den Mut, die Meinung frei zu sagen und ungestört! Es wird den Zweifel in die Seele tragen, dem, der es hört. Und vor der Lust des Zweifels flieht der Wahn. Du glaubst nicht, was ein Wort oft wirken kann.“ Johann Wolfgang von Goethe ***
1. Einsetzung des „Zweiten Internationalen Tribunals“ in Nürnberg. „Nachdem ich Ihnen, meine Damen und Herren, vor langer Zeit mitgeteilt habe, welches Anliegen mir vor Abgabe meines Amtes besonders am Herzen liegt, und ich Sie bat, sich mit der Vorbereitung intensiv zu beschäftigen, treffen wir uns heute in Nürnberg, um sozusagen den Grundstein zu legen für die Verwirklichung der grandiosen Idee unseres so überaus verehrten
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Freundes Igor Bublatz. Es soll das ‘Zweite Internationale Tribunal’ konstitutioniert werden. Bitte, Herr Bublatz!“ Das waren die Eröffnungsworte de s Deutschen Richard Rozog. Und der folgende Beifall galt dem Ideengeber. Dieser ergriff danach das Wort, um noch einmal die tiefe Bedeutung des Vorhabens allen vor Augen zu führen. * 2. Die Aufgaben des „Zweiten Internationalen Tribunals“. „Meine Damen und Herren, Sie wissen so gut wie ich, daß wir mit unserm Latein ziemlich am Ende sind, wenn wir nicht rechtzeitig neue Wege finden, um dem deutschen Volk, und was davon noch übrig geblieben ist, erneut in Erinnerung zu rufen, wo die Wurzeln allen Übels, das in der ganzen Welt herrscht, zu suchen sind. Unsre Absicht entspringt keineswegs meiner Idee. Wir haben vielmehr ein leuchtendes Vorbild im Ausland gehabt, nämlich in London im Jahre 1933. Dort hat ein Prozeß stattgefunden, in dem der Reichstagsbrand vom 27. Februar desselben Jahres verhandelt und die Schuldigen postum verurteilt wurden. Hieran wollen wir anknüpfen! Nürnberg wurde aus dem Grunde gewählt, weil hier das ‘Internationale Militär Tribunal’ tagte, welches die Grundlagen schuf für die Bek ämpfung des verbrecherischen Nationalsozialismus. Auch wollen wir der Welt zeigen, daß wir bereit sind, eine Tradition in der Bekämpfung aller nationalen Empfindungen im deutschen Volk fortzusetzen. Unser amerikanischer Freund Aaron Silberhagen, den w ir hier ebenfalls begrüßen, hat zwar in seinen Veröffentlichungen deutlich dargelegt, daß im Charakter der Deutschen der Hang zu den unmenschlichsten Verbrechen zu suchen ist, aber es sieht so aus, als konnte man nicht alle Deutschen davon überzeugen. Wenn es uns in unserm jetzigen Vorhaben gelingt, zu beweisen, daß diese kriminellen Anlagen schon seit Generationen im Blute der Deutschen vorhanden sind, so werden wir das Endziel erreichen: Die Deutschen müssen sich so sehr schämen auf der Welt zu sein, daß sie nicht mehr den naturbedingten Drang verspüren, sich fortzupflanzen. Oder daß sie wünschen, notfalls auch durch außergewöhnliche Maßnahmen veranlaßt werden, sich nur noch über nichtgermanische Partner zu vermehren. Das Geschichtsbewußtsein schei nt in gewissen deutschen Volksgruppen sich zwar soweit positiv durchzusetzen, daß man sich anerkennenswerterweise wohl bemüht, die Generationen von 1870 bis 1945 zu verdammen, aber was länger zurück liegt, läßt man als lobens- und erinnernswert bestehen. Hierin sehe ich eine große Gefahr! Es könnte sich der Stolz auf Volk und Nation wieder einschleichen und weiterentwickeln, was nicht in unserm Sinne ist. Sollte es doch soweit kommen, stehen wir am Ende vor einer Wiederholung des Nationalsozialismus. Beherzigen wir deshalb den Spruch ‘Wehret den Anfängen!’ Seien wir die Pioniere, die das ganze Geschichtsbild der Deutschen dorthin befördert, wo es hingehört: Auf den Abfallhaufen der Historie! Sie alle wissen, was wir vorhaben. Lassen Sie mich dennoch
in dieser feierlichen ersten
gemeinsamen Sitzung unsere weltweite Aufgabe wiederholen. Wir werden eine historische Handlung vornehmen, die unsern Nachkommen als leuchtendes Beispiel immer vor Augen stehen soll:
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Wir werden den König von Preußen, Fr iedrich II., auch Friedrich der Große und in späteren Jahren ‘Der Alte Fritz’ genannt, in einer unbestechlichen Gerichtsverhandlung entnazifizieren. Die Voruntersuchungen haben bereits ergeben, daß wir ihn als Hauptbelasteten klassifizieren können! Sollte sich herausstellen, daß wir ihn auch der Kriegsverbrechen für schuldig halten, so werden wir uns nicht scheuen, ihn wie die Nürnberger Gehenkten symbolisch zum Tode durch den Strang zu verurteilen. *
3. Zusammensetzung der Gerichts-Gremien. Bublatz setzte seine Rede fort: „Ich rufe die Damen und Herren des Hohen Gerichts mit Namen auf, und wir werden danach gemeinsam einen Eid auf die Bibel ablegen: Zu Richtern wurden berufen: Igor Bublatz, Vorsitzender, Regina Süß und Aaron Silberhagen als Beisitzende Richter. Als Ankläger rufe ich auf:
Für Deutschland Sara Limburg, für Frank reich Jean Satiree, für Großbritannien Margret Charming, für Israel Itzig Kaufman, für Rußland Boris Labet, für die USA Bill Wilson.
Vor der feierlichen Vereidigung möchte ich darauf hinweisen, daß alle Mitglieder des Tribunals nicht absetzbar sind. Nur der Tod, oder ein begründetes freiwilliges Ausscheiden jedes einzelnen ist möglich“ Zur Vereidigung hatten sich die Aufgerufenen an einem sechseckigen Tisch eingefunden, auf dem eine Bibel lag. Im Kreis herum legte jeder seine Hand auf die Tischkante, um damit symbolisch dieses ‘Heilige Buch’ zu berühren. Der Eid wurde vom Vorsitzenden Richter gesprochen, und alle antworteten: „Ich schwöre!“ Zu diesem feierlichen Akt waren noch einige Damen und Herren erschienen, von denen man wußte, daß es sich um linientreue Gefolgsleute oder um Freimaurer handelte. Insgesamt waren es etwa fünfzig Personen. Bis zur 1. Verhandlung dieses Pseudogerichts hatten alle Anwesenden die Möglichkeit, Vorschläge zu machen. Danach sollte das ‘Hohe Gericht’, bestehend aus den drei Richtern, in allen Problemfällen allein entscheid ungsbefugt sein. Es erhob sich der redegewandte Jakob Fisser: „Meine Damen und Herren! Erlauben Sie mir einen Hinweis auf die erstaunliche Tatsache, daß der anzuklagende Friedrich II. keinen Verteidiger hat. Ist dies Absicht? Wollen wir uns den Vorwurf einhandeln, dem Angeklagten von vornherein keine Chance eingeräumt zu haben?“ Der juristisch gebildete Richard Rozog meldete sofort eine Erwiderung an: „ Ich wüßte zwar nicht, was dies am Ausgang des Verfahrens ändern sollte, aber Sie haben recht! Wir wollen der Welt beweisen, daß es sich hier um keine Farce eines Gerichts handelt, sondern um eine Verhandlung auf international verankerter Basis der gerechten internationalen Gerichtsbarkeit!
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Friedrich II. von Preußen soll seine faire Chance bekommen! Gleichzeitig schlage ich vor, als Verteidiger den ehrenwerten und äußerst redegewandten Herrn Jakob Fisser zu berufen.“ Nach kurzer Beratung fragte Igor Bublatz die Versammlung, ob es Einwände gebe, daß Jakob Fisser als Verteidiger berufen wird. Nach allgemeiner Zustimmung wurde Fisser gefragt, ob er das Mandat für Friedrich II. von Preußen übernehmen wolle. „Meine Damen und Herren! Ihr Auftrag ehrt mich. Ich bin auch bereit, die Wahl anzunehmen. Allerdings muß ich daran eine Bedingung knüpfen: Geben Sie mir ein halbes Jahr Zeit, damit ich mich mit den verschiedenen Biographien des Angeklagten und sonstigen historischen Nachlässen befassen kann. Schließlich möchte ich meine Aufgabe so erledigen, daß ich vor der Geschichte bestehen kann.“ Es folgte eine Beratung der Mitglieder des Gerichts, und Igor Bublatz verkündete das einstimmige Einverständnis, eine Vereidigung sei für den Verteidiger nicht notwendig. Es würde auch für ihn der Status der Unabsetzbarkeit gelten. Außerdem wurde beschlossen, daß die Anklage, wie auch die Verteidigung, je einen Sachverständigen als Gutachter benennen könne. Es würde genügen, wenn diese Namen erst nach Erhebung der Anklage veröffentlicht würden. Ein Auswechseln der Gutachter sei nicht zulässig. Damit waren alle Voraussetzungen für den Ablauf des geplanten Gerichtsverfahrens erfüllt. Als Termin für den ersten Gerichtstag wurde der 20. Juli 1998 festgesetzt. * 4. Feierliche Eröffnung der Gerichtsverhandlung am 20. Juli 1998. Am Montag, den 20. Juli herrschte im Nürnberger Justizpalast eine feierliche Stimmung. Draußen, in der Fürther Straße, war für Passanten nicht zu entdecken, welch ein bedeutendes Ereignis in diesem riesigen Gebäude seinen weltbewegenden Lauf nehmen sollte . Eine kurze, aber ergreifende Ansprache des Bundespräsidenten Richard Rozog, der den versuchten Mord an Adolf Hitler, aber auch den tatsächlichen Mord an den unschuldigen Opfern in den höchsten Tönen lobte, gipfelte in dem markanten Ausspruch: „Wer sich an das Gesetz hält, muß sich manchmal wie ein Trottel vorkommen.“ Am Verhalten der in feierlicher Garderobe versammelten geladenen Gäste und den Dienern der Medien war zu erkennen, daß man sich nicht im klaren war, ob der Vater solcher Geistesblitze die Zeit von 1933 bis 1945 meinte oder die Gegenwart. Deshalb zögerte man mit Beifall, bis in gewohnter Massenpsychose unter dem Kommando des Vorsitzenden Bublatz die klatschende Zustimmung sich stetig fortsetzte, weil keiner den Zug der Zeit verpassen wollte. Damit war die Lage gerettet. Am Tage danach brachten die Zeitungen und das Fernsehen den üblichen Einheitstext und jubelten weiter, wie es vom Koordinierungsbüro des Vorsitzenden Richters angeordnet war. * 5. Der erste Verhandlungstag. Die Verhandlung wurde vom Vorsitzenden Igor Bublatz eröffnet. Man sah es deutlich: Er war sich der Wirkung seines Auftritts bewußt. Hatte er doch wie am ‘laufenden Band’ in Schulen, vor Handelskammern, Richtern, im Bundestag und vor anderen unzähligen Zuhörern sein
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‘Evangelium’ widerspruchslos verkünden können! Aber wer ihn kannte, der entdeckte in seinen Augen auch den spitzbübischen Blick eines Fahrraddiebes und das Röntgen-Auge, mit dem man den Zwanzig-Markschein in einem Umschlag schon auf drei Meter Entfernung erkennen kann, oder gar Briefe zu lesen imstande ist, wenn sie noch geschlossen sind. Ein Phänomen ohnegleichen! Deshalb himmelte ihn seine Nachbarin so ungeniert an, daß sie ob dieses Seelenbebens ihren Mann vergaß. „Ich eröffne das Strafverfahren gegen den Angeklagten Friedrich II., den ehemaligen König von Preußen. Er wurde am 24. Januar 1712 geboren und starb am 17. August 1786. Als preußischer König regierte er von 1740 bis zu seinem Tode. Er wird angeklagt, während seiner Reg ierungszeit Angriffskriege geführt, Kriegsverbrechen begangen, beziehungsweise befohlen zu haben, solche zu begehen. Er hat ferner in fremdenfeindlicher Absicht das Volkstum der Deutschen in Preußen so stark gefördert, daß andere ethnische Gruppen dadurch benachteiligt wurden. Auch auf religiösem Gebiet hat er sich nicht daran gehalten, den Kirchen uneingeschränkte Freiheiten zu gewähren. Er verführte das Volk zu persönlichen Ansichten bezüglich der Religion. Die Ankläger werden im einzelnen di ese und andere Verbrechen, die ihm zur Last gelegt werden, begründen. Die Reihenfolge der anklagenden Nationen wurde durch Los bestimmt. Die Vertreterin der Bundesrepublik Deutschland möge ihre Anklage erheben!“ * 6. Sara Limburg klagt an. „Herr Vorsitzender! Hohes Gericht! Besonders wir Deutschen halten dieses Gerichtsverfahren für äußerst notwendig. Durch Friedrich II. von Preußen wurde der Militarismus so extrem geprägt, daß er am Ende seiner Entwicklung zum Nationalsozialismus führen mußte und die Kampfkraft der Wehrmacht und ihrer Gliederungen so stark wurde, daß sie nur durch Verrat und mit Hilfe der finanziellen Weltmacht gebrochen werden konnte. Seit dem Ende der Kampfhandlungen 1945 haben die Alliierten dankenswerter Weise alle Anstrengungen unternommen, das deutsche Volk von den verbrecherischen Absichten der Nationalsozialisten besonders durch Film und Fernsehen zu überzeugen. Auch wurde durch das Internationale Militärtribunal in Nürnberg der Beweis dafür geliefert, daß das NS-Regime von Verbrechern geführt wurde. Zwischen den alliierten Siegern und der BRD wurde vertraglich festgelegt, daß alle damals erfolgten Urteile und Hinrichtungen zu Recht erfolgten und durch keine Revision annulliert werden dürfen. Das geschah in unserem Sinne! Ja, wir haben den Alliierten unsern Dank dafür ausgesprochen, was ich ebenso gern hier wiederhole! In den folgenden Jahren wurden vor allem die Heranwachsenden in den Schulen mit Nachdruck darauf hingewiesen, wie verbrecherisch das ganze System in den Jahren 1933 bis 1945 gehandelt hat. Diese Maßnahmen wurden von den Alliierten und verschiedenen ethnischen Organisationen umfangreich unterstützt. Wir fühlten uns auf diesem Wege sicher, einen vollständigen Erfolg zu erzielen, nämlich eine Wiederholung dieses Schreckens-Regimes auszuschließen. Dennoch machten wir die Entdeckung, nicht alle Möglichkeiten der Aufklärung erschöpft zu haben. Mit freundlicher Unterstützung und als ausgleichende Gerechtigkeit eines
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Mannes, dessen Familie zwar durch die Nazis Millionen machte, aber gerade deshalb mit Unterstützung freundlicher kommunistischer Helfer wurde die Wander-Ausstellung ‘Verbrechen der Wehrmacht’ ins Leben gerufen. Obgleich die Städte alles tun, um diese Ausstellungen finanziell zu fördern, und die Schüler in geschlossenen Klassen dort hingeführt werden, müssen die bundesdeutsche Regierung, alle demokratischen Parteien, das ganze Ausland und besonders unsere jüdischen Mitbürger einen unerwarteten Rückschlag feststellen. In der Bundeswehr häufen si ch die Fälle nationaler Exzesse, wie es die Welt noch nicht erlebt hat. Es wurden außerdem als humane Maßnahmen getarnte Aktionen bekannt, die von Neonazis inszeniert wurden. Sogenannten Volksdeutschen aus Rußland hat man geholfen, im russischen Ostpreußen fußzufassen. Dies geschah mit der Absicht, den ersten Schritt zur Eroberung Osteuropas zu tun! Wie Hitler die Welt erobern wollte, so will jetzt ein Neonazi Osteuropa erobern, um das Vierte Reich auszurufen! All dies beweist, daß im deutschen Volk der friederizianische Geist heute noch lebt. Es läßt das Häßlichste in einem Menschen erkennen, was durch die Seele und das Gefühl nach außen dringt, zum Nachteil aller anderen Völker, besonders der europäischen und des israelischen Volkes. Friedrich II. hat nachweislich mehrfach Angriffskriege geführt. Wenn wir es zulassen, daß der friederizianische Gedanke, das Weltbild dieses verkörperten Preußentums, auf die Gegenwart überspringt, so prophezeie ich Ihnen eine Wiedergeburt des Faschismus mit all seinen Schrecken, die meine Generation erlebt hat. Ich verzichte, einzelne Anklage -Punkte zu erwähnen, weil die Urteile darüber teils offenkundig sind, teils von meinen Kollegen begründet werden. Im brutal erzwungenen Kadavergehorsam des preußischen Militärs und Beamtentums liegt für die Welt deutlich sichtbar die Wurzel aller Verbrechen gegen die Menschheit. Die Offenkundigkeit dieser Verbrechen erübrigt eigentlich jede sachliche Beweisführung! Noch heute können wir trotz aller gutgemeinten Maßnahmen feststellen, daß diese Grundübel tief im deutschen Volk verankert sind. Wenn wir sie heute nicht bekämpfen, werden wir später ein Fiasko erleben! Für den Angeklagten Friedrich II. beantrage ich die symbolische Höchststrafe , das heiß t, die Todesstrafe durch Erhängen!" Die Anklägerin der BRD, Sara Limburg, setzte sich betont lässig nieder. Man hatte jedoch den Eindruck, sie fühle sich nicht ganz sicher. Lag es daran, daß sie diese Art einer Gerichtsverhandlung für zu theatralisch hielt, oder hatten ihre Argumente bei den Zuschauern nicht die nötige Überzeugung gefunden? Jedenfalls hatte sie auch als Frau keine Ausstrahlung. Sie machte den Eindruck einer Schlampe, und sogar Clinton hätte sie als Frau nicht wahrgenommen. Um die Situation zu retten, ergriff der Vorsitzende Bublatz das Wort: „Das Gericht hat die Anklage der Vertreterin der BR Deutschland gehört und wird sie zu würdigen wissen. Als nächsten Vertreter der Anklage erteile ich Mrs. Charming für Großbritannien das Wort.“ Margret Charming hatte sich bereits erhoben, als der Verteidiger Friedrichs II., Jakob Fisser, im Zeitlupentempo aufstand. Er hielt seinen Kopf gebeugt, den Blick auf die vor ihm liegenden
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Papiere gerichtet. Er machte den Eindruck, als müsse er sich sammeln. Dennoch wirkte sein Verhalten wie eine Bremse für die britische Vertreterin der Anklage. Diese verhielt sich abwartend, dabei zum Vorsitzenden schauend. Auch Igor Bublatz ergriff eine gewisse Unsicherheit. Doch dann richtete er eine Frage an den Verteidiger: „Herr Verteidiger, haben Sie vor, Ihr Plädoyer vorzuziehen, oder wünschen Sie eine Erklärung abzugeben? Bitte!“ „Herr Vorsitzender! Hohes Gericht! Die zwar kurze, inhaltsschwere, dennoch nichtssagende Rede der Frau Anklägerin der Bundesrepublik Deutschland habe ich sehr aufmerksam verfolgt. Sie hat auf mich einen tiefen Eindruck gemacht. Die Rede! Da sie neben ihren Anklagepunkten vor allem eine politische Lageschilderung abgab, erlauben Sie mir, hierauf zu antworten. Als ich zum ersten Mal von der Absicht hörte, ein zweites Nürnberger Tribunal zu eröffnen, um das Übel des Nationalsozialismus bei der Wurzel zu packen, war ich für diesen Gedanken nicht nur aufgeschlossen, sondern hellbegeistert. Im Freundeskreis habe ich mich in diesem Sinne geäußert, so daß ich schließlich die Einladung zur sogenannten Grundsteinlegung des Tribunals erhielt. Aus diesem Grunde wohl wurde ich dann von der Vollversammlung zum Verteidiger des Angeklagten bestellt. Die Annahme dieses Amtes hat bei mir folgendes bewirkt: Ich habe mir vorgenommen, meine Aufgabe ernst zu nehmen. Zum einen will ich damit die Seriosität dieses Tribunals unterstreichen, zum andern setze ich allerdings auch den Ruf meiner Persönlichkeit aufs Spiel. Von religiös überspitzten Menschen wurde das Wort geprägt: ‘Wem Gott ein Amt gegeben, dem gab er auch den Verstand dazu’. Meine Lebenserfahrung hat mich gelehrt, daß dieses Wort jedoch nur mit Einschränkungen Gültigkeit haben darf. Sollte es allgemein gültig sein, so müßte man zwangsläufig die ganze NS-Führung wie auch Friedrich II., um dessen Kopf es hier geht, ebenso einstufen, nämlich mit von Gott ausgestattetem Verstand. In der Praxis sieht es aber so aus, daß dieses geflügelte Wort für die Nazi-Führung wie auch für Friedrich II. nicht gelten darf. Meine Erkenntnis daraus: Diese Redensart kann wegen der erwähnten Einschränkung keine allgemein gültige Bedeutung haben. Übrig blieb für mich der Vorsatz, allein mit meiner persönlichen Verantwortung für eine korrekte Ausübung meines Amtes zu haften. Nach dieser Feststellung steht mein Charakterbild ebenso auf dem Spiel wie die vermeintlichen Verbrechen des Angeklagten. Das heißt ganz einfach: Ich muß mein Amt gerecht ausüben und den Angeklagten nach bestem Wissen und Gewissen verteidigen. Damit, Hohes Gericht, habe ich Ihnen die Grundlage meiner Amtsauffassung bekanntgegeben. Die nächste Voraussetzung war, daß ich mich gründlich mit dem Leben des Angeklagten beschäftigen mußte. Für mich ist ferner folgendes von größter Bedeutung: Wenn hier ein Gericht über das Tun und Lassen eines Menschen urteilen will, so sind grundsätzlich nur solche Nationen und deren Vertreter für die Anklage zuzulassen, die selbst von solchen Belastungen frei sind, die dem Angeklagten zwecks Verurteilung vorgehalten werden. Eine Anklage und Verurteilung durch belastete Ankläger und Richter halte ich für unzumutbar, ja, für unhaltbar, und wenn man es trotzdem tut, für verlogen! Es wurde nach 1945 allein die Regel geübt, daß der Verlierer auch
der Übeltäter sei. Die
Untaten der Ankläger und Richter dagegen fielen gänzlich unter den Tisch. Dadurch wurde das
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‘Nürnberger Tribunal’ zu einem Schauprozeß. Dieses Schauspiel darf sich hier unter meiner Mitwirkung nicht wiederholen! Sie, wie auch ich, würden andernfalls vor der Geschichte niemals bestehen können. Meine Absicht ist aber, vor der Geschichte zu bestehen! Damit ich nicht mißverstanden werde: Ich gehe davon aus, daß die Ankläger genug belastendes Material haben, um nicht nur die Richter zu überzeugen, sondern auch die Verteidigung. Und, daß darüber hinaus ihre Nationen in den Punkten der Anklage eine saubere Weste haben. Herr Vorsitzender, ich sehe Ihre Ungeduld. Ich bin sofort fertig. Die Anklage stellt hier sechs Vertreter. Die Verteidigung ist dagegen nur mit meiner Person besetzt. Ich bitte deshalb, noch weitere fünf Verteidiger zuzulassen. Ein letztes Wort zur eben gehörten Anklage: Es wurde in der üblichen pauschalen Art und mit dem Begriff der ‘Offenkundigkeit’ der Angeklagte belastet, ohne dabei zu erwähnen, wann, wo und in welcher Weise die angeblichen Verbrechen begangen wurden. Das, Hohes Gericht, kann hier nicht ausreichen, um eine Verurteilung zu erzwingen. Es sei denn, man möchte in bisher gewohnter Manier jede vermeintliche Belastung des Angeklagten zum Gesetz erheben. Dazu werde ich es nicht kommen lassen! Ich danke Ihnen!“ Betretenes Schweigen bei den Vertretern der Anklage. Hörbares Gemurmel im Saal. Unhörbares Flüstern des Vorsitzenden mit seinen beigeordneten Richtern. Nach etwa zwei Minuten bangen Wartens verkündete der Vorsitzende: „Ich unterbreche die Sitzung. Das Gericht zieht sich zur Beratung zurück. Ich bitte die Ankläger, ins Richterzimmer zu kommen. Die Fortsetzung der Verhandlung vertage ich auf morgen um 10 Uhr.“ * 7. Der 2. Verhandlungstag. Ein weiterer Verteidiger wird zugelassen. Pünktlich um 10 Uhr erschien das Gericht. Der Besucherraum war bis zum letzten Platz besetzt. Man spürte die Spannung. Würde der Verteidiger seine Forderung nach Verstärkung durchgesetzt haben? Als die Richter den Raum betraten, fiel der Sieg der Verteidigung jedem ins Auge. Zweifel traten nur bei wenigen auf. Ein Farbiger befand sich im Gefolge. Ein großer, breitschultriger Mann, gleich hinter dem Vorsitzenden den Saal betretend, hatte sich aus dem kleinen Pulk gelöst und bewegte sich auf den Tisch der Verteidigung zu, neben dem ein zweiter Sessel stand. Alle hatten sich bereits gesetzt, nur der Neuling stand zwischen Sessel und Tisch. Sofort ergriff Igor Bublatz das Wort: „Das Hohe Gericht hat einstimmig beschlossen, dem Wunsch des Verteidigers Fisser nachzukommen. Der US-Amerikaner Samuel Scott wird zusätzlich als Verteidiger des Angeklagten, Friedrich II., König von Preußen, fungieren. Beide Herren sind unabhängig voneinander und gleichberechtigt. Weitere Verteidiger werden nicht zugelassen. Ich erteile der britischen Anklägerin Mrs. Charming das Wort.“ * 8. Die Engländerin Margret Charming klagt an.
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„Hohes Gericht! Das britische Volk, für das ich zu sprechen die Ehre habe, gehört selbst zu den Leidtragenden der Völker, die allein in diesem Jahrhundert von zwei großen Kriegen überzogen wurden. Jedesmal war es die deutsche Nation, die den Anstoß dafür gab. Mutwillig wurden diese Kriege vom Zaun gebrochen. Zu welchen furchtbaren Schrecken dies geführt hat, würden Tage nicht ausreichen, um sie alle aufzuzählen. Neben den direkten Kriegsschäden an Menschen treten die vom faschistischen Deutschland ergriffenen Maßnahmen, um Menschen anderer Volksgruppen zu diskriminieren. Diese menschenverachtende Handlung lange vor Kriegsbeginn ist einmalig in der Welt. Sie war allein dort möglich, wo ein ganzes Volk zu dieser Grausamkeit erzogen wurde. In keiner anderen Kulturnation ist ein solches Verhalten denkbar. Allein die Konzentrierung von Menschen in abgeschlossenen Lagern wäre in jedem anderen Land unmöglich. Wir haben uns gefragt, woran es liegen könnte, wenn zweimal solche fürchterlichen Kriege von derselben Seite ausgehen. Lag es allein an der Führung? Lag es am Volk, das die eigene Führung zum Krieg zwang? Es blieb uns lange Zeit ein Rätsel. In ausgedehnten Beratungen unter Hinzuziehung namhafter Psychologen und Psychiater fand man den Schlüssel, um diese Frage zu lösen. Wir kamen zu der Gewißheit, daß die Ursachen in einer besonderen Entwicklung dieses Volkes liegen. Denn diese Nation hat die meisten Kriege von allen Nationen in Europa geführt! Unser nächster Schritt war, die Vergangenheit des preußischen Volkes zu untersuchen. Wir entdeckten unzählige Parallelen im Ablauf der Geschichte. Wäre das deutsche Volk in seinem GesamtCharakter ein anderes gewesen, so hätten die Kriege dieses Jahrhunderts gar nicht stattfinden können. Die Kriegspsychose, das Streben nach Krieg, ist eine Volks-Krankheit der Deutschen. Die Wurzeln und die Verkörperung dieser Entwicklung sehen wir in der Person des angeklagten Königs von Preußen, Friedrich II. Diese Erkenntnisse führten uns zu dem nächsten Entschluß. Wir wollten alles tun, um eine Wiederholung der tragischen Ereignisse zu verhindern. Die Grundlage dafür sehen wir in diesem Prozeß. Ich komme nun zu einem Anklagepunkt, den besonders das britische Volk zu spüren bekam. Das Geld spielt seit Menschengedenken eine Hauptrolle im Leben des Einzelnen wie im Leben ganzer Völker. Geld brauchte man auch, um sich Menschen durch Bestechung gefügig zu machen. Diese Art der Beeinflussung fand ihre Praxis bis in den höchsten Spitzen verschiedener Nationen. Friedrich II. von Preußen hat in seinen Memoiren sogar zugegeben, daß er seine Politik auf diese Weise betrieben hat. Bei solchen Absichten war die nächste Frage dieses Monarchen: Wie komme ich an das nötige Geld? - Ich will Ihnen hier diesen Weg aufzeigen. Unter dem preußischen König, dem hier angeklagten Friedrich II., wurde durch Überwindung des ständischen Feudalismus der Merkantilismus in Preußen eingeführt. Es handelt sich um ein wirtschaftliches System, das sich von der freien Wirtschaft der einzelnen Gewerbe und Handel treibenden Zweige entfernte und einer staatlichen Lenkung unterworfen wurde. Die Ursache solcher Maßnahmen lag in dem immer größer werdenden Geldbedarf des Staates. Auf diesem Wege konnte der chronische Geldmangel Preußens behoben werden. Es wurden umfangreiche staatliche Abgaben eingetrieben.
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Es ist an sich nichts Verwerfliches, wenn ein Staat zu Geld kommen will. In Preußen war es jedoch so, daß der König mit diesem Geld auch das Beamtentum und das Heer aufbaute. Auf diesen beiden Pfeilern errichtete der König seine Macht. Das Beamtentum sicherte das Funktionieren der kriegerischen Macht. Diese beiden Säulen des preußischen Staates bildeten im weiteren Verlauf der Geschichte die Grundlagen des schon sprichwörtlichen Preußentums und standen damit für die Unterdrückung anderer Völker in Europa. Dieses Prinzip der gesicherten finanziellen Grundlage, des Funktionierens der Verwaltung und das der kriegerischen Macht und des damit verbundenen Überlegenheitsgefühls gegenüber anderen Völkern übertrug sich auf die Bürger des mächtigen Staates Preußen. Alles zusammen entwickelte sich zum Schrecken seiner Nachbarn, zur festgefügten, alles beherrschenden Nation Preußen. Auf einer solchen charakterlichen Grundlage eines geschlossenen Volkes konnte der jeweilige Herrscher
sich auf seine Beamten, seine Soldaten und überhaupt auf sein ganzes Volk
verlassen. Bezeichnend war der blinde Gehorsam der Soldaten, wie es so treffend meine Kollegin aussprach: der Kadavergehorsam aller Chargen gegenüber ihren Vorgesetzten, von denen im Laufe der Zeit die Offiziere zu Führern avancierten. Zu welchen Auswüchsen dies führte, will ich Ihnen an einem Beispiel demonstrieren. Es wurde zu einem persönlichen Drama für einen einfachen Soldaten. Der Vater Friedrich II., der Soldaten-König, hatte ausländischen Besuch. Um diesem mit dem bedingungslosen Gehorsam seiner Soldaten zu imponieren, ließ er einen einfachen Mann in sein Zimmer rufen und gab diesem den Befehl, aus dem Fenster zu springen. Der Soldat tat dies, ohne mit der Wimper zu zucken, sprang und war sofort tot, als er unten aufschlug. Das Fenster hatte sich in der zweiten Etage des Gebäudes befunden. Dieser Kadavergehorsam war die Voraussetzung für alle weiteren Gewaltaktionen, also der Kriege, um seine Nachbarn einzuschüchtern und die Überfälle mit Erfolg zu krönen. Dieses Beispiel zeigt deutlich, daß in der Psyche eines ganzen Volkes eine Veränderung vorgenommen worden sein muß. Einen solchen Zustand muß man mit Volks-Krankheit bezeichnen. Die Ereignisse uns eres Jahrhunderts haben die ganze Brutalität erkennen lassen, wohin eine geistige Entwicklung führen kann und letzen Endes geführt hat. Sie wurde zur Geißel der Menschheit! Was in Zukunft zu geschehen hat, um die Folgen zu verhindern, wird Aufgabe der Vereinten Nationen sein. Wir haben hier darüber zu befinden, wie es zu dieser krankhaften Entwicklung kommen konnte, und wer dafür die Verantwortung zu tragen hat. Daraus muß die Menschheit ihre Maßnahmen für die Zukunft treffen! Ich und das britische Parlament kommen zu folgendem Schluß: Friedrich II. von Preußen ist der Urheber des Verlaufs der geschichtlichen, charakterlichen und schließlich pathologischen Entwicklung eines ganzen Volkes, und er trägt somit die volle Verantwortung für den seelischen und moralischen Niedergang des gesamten deutschen Volkes. Ich beantrage für Friedrich II. die Höchststrafe wegen Verbrechen gegen die Menschheit!“ Margret Charming hatte sich gesetzt. Der Vorsitzende ließ sich Zeit. Jakob Fisser sah seinen neuen Kollegen fragend an, der sich wohl nicht im klaren war, ob er oder sein Partner das Wort ergreifen sollte. Fisser beugte sich nach rechts zu Scott, und es war deutlich, daß sie sich
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berieten, was zu tun sei. Dann machte Fisser eine auffordernde Handbewegung gegen seinen Kollegen. Scott erhob sich und begann mit seiner kurzen, aber überraschend wirkenden Jungfernrede: „Hohes Gericht! Euer Ehren! Als ich gefragt wurde, ob ich bereit sei, als zweiter Verteidiger in diesem Prozeß mitzuwirken, sah ich darin nicht nur eine Aufgabe von weittragender Bedeutung, an der teilzunehmen eine große Ehre ist, sondern ich war spontan davon besessen, dem Recht zu seiner Anerkennung und Gültigkeit zu verhelfen. Hatte ich bisher in meinem Leben mich gelegentlich von Emotionen leiten lassen, so ging mit diesem Auftrag eine innere Wandlung in mir vor. Das internationale Rechtsempfinden und auch mein persönliches Rechtsempfinden sollten mich beflügeln, alle meine Sinne und meine Kraft darauf auszurichten, in diesem Tribunal ehrlich meinen Beitrag zu leisten. Erwarten Sie deshalb von mir allein dieses Motiv: Mit meinem vollen Einsatz zur Wahrheitsfindung beizutragen! Von diesem Grundsatz werden mich kein äußerer Einfluß und keine Gewalt abbringen. Hohes Gericht! Zur Sache
habe ich folgendes zu monieren: Entgegen jeder üblichen
Gerichtspraxis habe ich bisher keine Anklageschriften erhalten. Wie ich von meinem Kollegen soeben erfahren habe, ist auch ihm nichts Schriftliches von den Anklägern oder dem Gericht zugegangen. Ich habe nicht die Absicht, zu untersuchen, warum dies so ist. Es genügt mir allein diese Tatsache. Dieser Zustand läßt einen ordentlichen Ablauf des Verfahrens nicht zu. Für meine Person und aus formaljuristischen Gründen müßte ich eine derartige Verteidigung aus dem Stegreif ablehnen. Da die Formalitäten vom Gericht jedoch so, wie sie sind, festgelegt wurden, werde ich mich insoweit beugen. Das heißt, ich werde nicht zurücktreten. Ich werde mich auf das Gericht und seine Praktiken einstellen, aber mit verstärktem Mißtrauen und doppelter Energie, um meine Aufgabe bestens zu erfüllen. Aus genanntem Grunde sehe ich mich gezwungen, das Gericht um Vertagung auf morgen zu bitten, damit ich Zeit und Gelegenheit habe, meine Antwort auf die britische Anklage
zu
formulieren.“ Als sich Scott setzte, sah Fisser mit unbeweglichem Gesicht auf das Podium der Richter. Es war aus seinem Gesichtsausdruck nicht zu ergründen, wie er über seinen Kollegen dachte. Dagegen konnte man leicht erkennen, wie sich Richter und Ankläger bemühten, eine innere Bewegung zu unterdrücken. Im Saal hatte sich nach einer bedrückenden Ruhe eine bewegte Unruhe durchgesetzt. Erst als der Vorsitzende Bublatz die Glocke ergriff, trat Ruhe ein. „Das Hohe Gericht tritt der Auffassung des Herrn Ve rteidigers entschieden entgegen, als hätten wir die Absicht verfolgt, ein Verfahren abzuwickeln, das allen internationalen Rechtsgrundsätzen widersprechen dürfe. Wir sind jedoch davon ausgegangen, daß, ähnlich wie bei dem ersten Nürnberger Tribunal, die Fakten bereits festliegen, und weil sie offenkundig sind, auch von der Verteidigung anerkannt werden. Wenn das Verfahren jetzt nicht so reibungslos abläuft wie erhofft, so wollen wir hier nicht die möglichen Ursachen untersuchen, sondern uns bemühen, alle förmlichen Schwierigkeiten zu beheben.
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Die Ankläger bitte ich, ihre Anklagen schriftlich dem Gericht einzureichen, damit sie an die Verteidigung weitergeleitet werden können. Dem Antrag des Verteidigers wird stattgegeben. Das Gericht vertagt sich bi s übermorgen 9 Uhr, um allen Beteiligten Zeit zu geben, sich den veränderten Bedingungen anzupassen. Die Sitzung ist geschlossen.“ Zweifellos hatte das ‘Hohe Gericht’ eine Schlappe hinnehmen müssen. Es war kein Geraune mehr im Saal, sondern es entwickelten sich lautstarke Debatten pro und contra. Die beiden Verteidiger standen noch minutenlang an ihren Plätzen und debattierten. Es waren wie bisher keine Gemütsregungen bei ihnen zu erkennen. Zum Jubeln hatten die beiden Herren sicher keine Veranlassung. Denn sie waren ja ursprünglich im Einklang mit den Initiatoren, den Richtern und den Anklägern, angetreten. Allein ihre persönliche Gemüts-Revolution hatte bewirkt, nun eine absolut unabhängige Position vertreten zu müssen. Auch waren sie sich gewiß bewußt, welche Gefahren sie mit dieser Haltung in Zukunft zu erwarten hätten. Jene Kreise hatten von jeher alle Möglichkeiten der Gewaltanwendung ins Kalkül gezogen und sie auch angewandt. Durch dieses aufmüpfige Verhalten mußten die Verteidiger damit rechnen, nicht nur von den nützlichen Idioten, den Chaoten, angegriffen zu werden, sondern auch dem staatlichen Terrorismus ausgeliefert zu werden, wie er besonders von den USA und Israel in der ganzen Welt praktiziert wird. Gewiß waren alle Zuschauer ausnahmslos gespannt, was der kommende Freitag bringen werde. * 9. Der 3. Verhandlungstag. Verteidiger Samuel Scott spricht. Lange vor Prozeßbeginn war der Saal gefüllt. Eine unerwartete Resonanz in der Ö ffentlichkeit hatte sich schon vor Beginn des 2. Verhandlungstages in der Richtung durchgesetzt, wie sie nicht gewollt und nicht erwartet wurde. Viele Deutsche, die längst resigniert hatten, waren der Meinung, dies sei der übliche Wahnsinn, den man mit ihnen seit über fünfzig Jahren treibt. Was sollte dabei schon herauskommen? Dennoch waren sie neugierig. Nur die Gruppen, die mit den Schlagworten ‘Antisemitismus’, ‘Rassismus’, ‘Faschismus’, und ‘Demokratie’ die politische Bühne mit Gewalt beherrschten, hatten durch diesen widersinnigen Prozeß einen weiteren Schub für ihre Interessen erhofft. Zwar stellten sie auch jetzt noch die Mehrzahl der hier erschienenen Zuschauer, aber ihre Lautstärke war schon viel gedämpfter. Vor dem Justizpalast hatten sich am Vortage schon Gruppen gebildet, die eifrig diskutierten und die Hoffnung hegten, einen Platz im Zuschauersaal ergattern zu können. Daran war jedoch nicht zu denken. Die Plätze wurden nach wie vor von den Gesinnungstreuen der Besatzungsmächte belegt. Aber auf der Straße wurden die Töne immer klarer. Man sprach laut und deutlich von einer fünften Besatzungsmacht, und jeder wußte, wer damit gemeint war. Alle möglichen Spekulationen wurden lautstark vertreten. Da hatte jemand vermutet, der neue Verteidiger könnte vom BND oder CIA vorgeschlagen worden sein. Andere, ganz verwegene ‘Spekulanten’, zischelten, es könnte ein umgedrehter ehemaliger NS-Funktionär sein. „Ihr werdet sehen,“ sagte einer, „der Bublatz hat den Riedler als Verteidiger bestellt! Der ist nämlich Rechtsanwalt.“ Es herrschte draußen eine ähnliche Stimmung wie damals, kurz vor dem
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Zusammenbruch der DDR. Noch zaghaft, aber hier und da hörte man: „Wir sind das Volk!“ Heute war die Spannung noch mehr gestiegen. Als sich die große Tür öffnete, du
rch die man das ‘Hohe Gericht’ erwartete, ebbte das
Rauschen des Stimmengewirrs im Saal ab. Die beiden Verteidiger des angeklagten PreußenKönigs saßen bereits an ihren Plätzen. Alle erhoben sich, als Richter und Ankläger in der Tür erschienen. Nachdem die Richter ihre Plätze eingenommen hatten, sah sich der Vorsitzende nach rechts und links um und eröffnete die Sitzung. „Das Hohe Gericht hat der Verteidigung genügend Zeit gelassen, um eine Erwiderung auf die Anklage der Vertreterin Großbritanniens zu formulieren. Ich erteile der Verteidigung das Wort.“ Ein kurzes Kopfnicken zu seinem Kollegen Fisser, und Samuel Scott begann mit seiner sonoren Stimme: „Euer Ehren! Hohes Gericht! Als ich vor vier Jahren nach Deutschland kam, geschah es mit der Absicht, Land und Leute kennenzulernen. Ich wollte die europäische Geschichte studieren, besonders die deutsche, vorzugsweise die preußische. In Amerika hatte man mir durch die Medien ein ganz bestimmtes Bild von den Deutschen vermittelt, das bei mir zu einer tiefsitzenden Abneigung gegen sie führte. Und das Preußentum war auch für mich die Keimzelle allen Übels, welches durch die Deutschen insgesamt personifiziert wurde. Erst als ich mit Amerikanern, die in Deutschland gewesen waren, über meine Empfindungen sprach, entstanden gewisse Zweifel, ob meine Sicht der Wirklichkeit entsprechen würde. Ich beschloß, selbst nach Deutschland zu gehen. Zwar war man von beiden offiziellen Seiten bemüht, mich sozusagen in die Obhut derjenigen zu geben, die im Sinne der deutschen demokratischen Parteien den Ton angeben, also den Ansichten der amerikanischen Regierung entsprechen, aber ich ging auch meine eigenen Wege. Vieles meiner bisherigen Vorstellungen habe ich in diesen Jahren revidieren müssen. Ich habe diese neuen Erkenntnisse nach außen nicht gezeigt, um mir damit nicht eine kritische Reaktion einzuhandeln. Ich blieb deshalb äußerlich der, der ich in Amerika noch gewesen war: Ein Verächter des deutschen Volkes, das in der Seele nichts taugt, dem man deshalb jede Lüge einimpfen konnte, um es als Vasallen mit dem Ziel der Beherrschung der Welt durch die ...“ In diesem Augenblick reckte sich der Vorsitzende Bublatz mit seiner kompakten Körperfülle auf, schwang lautstark sein Wahrzeichen und unterbrach damit die Rede Scotts: „Herr Verteidiger! Das Hohe Gericht hat nicht die Absicht, sich Ihre politische Biographie anzuhören! Ich gebe Ihnen noch einmal das Wort zur Erwiderung auf die Anklage von Mrs. Charming. Wenn Sie diese Gelegenheit nicht wahrnehmen wollen, dagegen aber die Absicht hegen sollten, andere Nationen zu verleumden, so werde ich Ihnen das Wort entziehen.“ „Herr Vorsitzender! Es ist nicht meine Absicht, das Hohe Gericht zu brüskieren. Ich hatte lediglich gehofft, dem Gericht und meinen Freunden in Deutschland erklären zu können, durch welche Umstände ich dazu gekommen bin, meine Aufgabe als Verteidiger so ernst zu nehmen, wie ich sie nach neu gewonnenen Erkenntnissen wahrnehmen muß! Wenn Sie, Herr Vorsitzender, jedoch nur eine sachliche Erwiderung zulassen, so bin ich gern bereit, Ihrem Wunsch nachzukommen.
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Mrs. Charming hat von dem Begriff des Merkantilismnus gesprochen. Mit dem, was damit an Negativem für eine Nation und ein Volk verbunden ist, hat sie den hier angeklagten PreußenKönig derart belastet, daß sie meint, deshalb die Höchststrafe fordern zu können. Ich nehme an, die Frau Anklägerin hat genau gewußt, was sich hinter dem Begriff Merkantilismus verbirgt. Ich nehme aber auch weiter an, daß sie darauf setzt, daß viele Menschen sich nicht die Mühe machen, diesen Begriff auf seinen Ursprung hin zu untersuchen. Hier, bei dieser Verhandlung, genügt es vermutlich, irgend etwas dem Angeklagten in die Schuhe schieben zu müssen, ohne dafür eine stichhaltige Begründung zu liefern. Der mediengeleitete Beifall scheint ihr von all jenen sicher zu sein, die nicht hinhören und nicht prüfen, sondern blindlings ‘kreuziget ihn’ schreien. ‘Merkantilismus’, Hohes Gericht, kommt aus dem Französichen mercantile. Die Erfinder dieses neuen Weges zur Geldgewinnung für die Staatskasse waren die Franzosen. Der französische Hof steckte ewig in Geldnöten. Er lebte auf zu großem Fuße. Deshalb wurde diese Wirtschaftsform, der Merkantilismus, dort zuerst eingeführt. Das Gewerbe und der Handel wurden staatlich gelenkt, auch gefördert, und sie blühten deshalb auf. Dafür kassierte der Staat seine nicht geringen Steuern. Da sich der Erfolg herumsprach, übernahmen auch andere Nationen, besser gesagt ihre Fürsten, und auch republikanische Führer ebenfalls diese Methode. Die Frau britische Anklägerin wird es mir nachsehen, wenn ich diese Chance hier nicht verstreichen lasse, um ihr eine Nachhilfestunde in ihrer eigenen Geschichte gratis zu liefern: Einer Ihrer größten Staatsmänner, Oliver Cromwell, er lebte von 1599 bis 1658, hat mit Hilfe des Merkantilismus Ihr Weltreich aufgebaut! Wenn Sie, Frau Anklägerin, Ihr Amt wirklich ernst nehmen, so müssen Sie zuerst Ihren Oliver Cromwell auf die Anklagebank schicken! Mein Mandant hat Ihren ‘verurteilungswürdigen’ Landsmann, der das Vorbild von Generationen Ihrer Nation ist, leider nur kopieren können! Mein ‘Alter Fritz’ war für diesen Hauptbelastungspunkt der Anklage noch nicht einmal ein ‘junger Fritz’! Er betrat nämlich erst hundert Jahre später die Bretter dieses Welt-Theaters!“ Im Saal entstand erhebliche Unruhe. Es waren deutliche Unmutsäußerungen wahrzunehmen. Aber man hörte auch Gelächter. Ein Zeichen dafür, daß die Würde des Gerichts ins Wanken geriet. Der Vorsitzende beugte sich zur Seite, um mit Regina Süß zu mauscheln, deren Unzufriedenheit mit dem Verlauf der Sitzung deutlich zu erkennen war. Sie machte ein verbissenes Gesicht, anscheinend war sie mit der Verhandlungsführung ihres Vorsitzenden nicht einverstanden. Die Zeiten schienen vorbei zu sein, als sie ihren Nachbarn noch aus sämtlichen Poren anhimmelte. Bublatz schwang wieder seine Glocke und gebot Ruhe: „Herr Verteidiger, fahren Sie bitte fort!“ „Danke!
Es ist jetzt die beste Gelegenheit, der Frau Anklägerin ihre eigene Logik ei ner
verabscheuungswürdigen Entwicklung eines Volkes vor Augen zu halten, wenn sie meint, der Merkantilismus habe die Voraussetzungen für die Bereitstellung von Soldaten zum Zwecke von Angriffskriegen geschaffen. Ich habe nicht vor zu bestreiten, daß zum Kriegführen und zur Eroberung von Land und der Unterwerfung von fremden Menschen Geld gehört. Ganz sicher sollte man sich dann aber auch für die geschichtlichen Abläufe interessieren! Sehen Sie sich
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einmal den Globus an, Frau Anklägerin! Kennzeichnen Sie die Länder mit unterschiedlichen Farben, die damals, in der Aera Cromwell und danach, dem britischen Weltreich einverleibt wurden und die, welche mein Mandant, der König von Preußen und später seinem Staat angeschlossen wurden! Dann werden Sie Ihr ‘grünes Wunder’ erleben! Hohes Gericht! Sie und alle hier Anwesenden sollten sich dieses von mir angesprochene Bild ansehen, um zu einem gerechten Urteil zu kommen. Ich beantrage, ein entsprechendes Weltbild für alle sichtbar - hier aufzuhängen. Sollte das Gericht dieses nicht tun wollen, so wird die Verteidigung das Anschauungsmaterial beschaffen. Ich wäre danach bereit, die Verteidigungsrede für meinen Mandanten zu erweitern. Lassen Sie mich, Herr Vorsitzender, noch auf den Stand der aktuellen Politik hin weisen, die durch den Merkantilismus gefördert und von Großbritannien praktiziert wird: Dieses Land hat erst vor gut siebzig Jahren in einem Erdteil eine Politik des Unfriedens betrieben, wo es nichts zu suchen hatte. Es sorgte 1920 dafür, daß das Gebiet Kuweit vom Irak abgetrennt und zu einem selbständigen Staat gemacht wurde. Es kam später zum Krieg zur Rückgewinnung dieses Landes und wurde zum derzeitigen Unruheherd. Hier trägt allein England die Verantwortung! Mrs. Charming, Sie haben zu Beginn Ihr er Anklage von geschlossenen Lagern gesprochen, die von den Deutschen errichtet worden seien. Sie meinen damit gewiß die deutschen KZs und haben dabei sicher allein das Schicksal der Juden im Auge. Sie sollten sich besser informieren! Lesen Sie nach und überzeugen Sie sich davon, daß diese Einrichtung in der Hauptsache zu einem offenen Strafvollzug für Straffällige genutzt wurde. Hier sollten Sie auch einen Vergleich mit dem Strafvollzug anderer Länder anstellen! Außerdem muß ich Ihnen schon wieder Ihre eigene Geschichte vor Augen halten. Sollten Sie tatsächlich nicht wissen, daß die Briten die Erfinder der KZs sind? Das würde ich Ihnen nicht glauben! Ihre Landsleute haben im Burenkrieg 1899 bis 1902 damit angefangen und einen höheren Prozentsatz an Menschen in Ihren KZs. jämmerlich verhungern lassen, sofern sie nicht ermordet wurden! Diese Menschen waren nicht straffällig geworden, auch hatten sie England nicht den Krieg erklärt! England hatte sie ganz einfach zu ihren Feinden gemacht! Sie sollten also dort mit der Moral beginnen! Die Verbrechen Ihrer Nation dürfen Sie hier nicht ausklammern! Für einen sehr wesentlichen Punkt als bewußte Lüge halte ich Ihre Behauptung, das Deutsche Reich hätte in Europa die meisten Kriege geführt. Sie sind gewiß von der leichtfertigen Vermutung ausgegangen, die Verteidigung würde Ihnen nicht widersprechen. Solche Sicherheit kann manchmal ins Auge gehen. Ich nenne Ihnen jetzt einige Zahlen, die darüber Aufschluß geben, welche Nationen an den insgesamt 287 Kriegen in den Jahren von 1800 bis 1940 am meisten beteiligt waren. Diese Tatsache wird die Welt hoffentlich aufrütteln und damit zu der Erkenntnis bringen, daß hier das deutsche Volk durch Lügen in Verruf gebracht werden soll: England mit 80 Kriegen, das sind 28 Prozent Frankreich mit 75 Kriegen, das sind 26 Prozent Spanien mit 66 Kriegen, das sind 23 Prozent Rußland mit 63 Kriegen, das sind 22 Prozent Österreich-Ungarn mit 55 Kriegen, das sind 19 Prozent Türkei mit 43 Kriegen , das sind 15 Prozent
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Polen mit 32 Kriegen, das sind 11 Prozent Schweden mit 26 Kriegen, das sind 9 Prozent Holland mit 23 Kriegen, das sind 8 Prozent und Deutschland einschließlich Preußen mit 23 Kriegen, das sind 8 Prozent. Eine deutlichere Sprache gibt
es nicht! Jetzt wäre es auch für Sie, Lady, an der Zeit, zur
Besinnung zu kommen! Überwinden Sie Ihre unberechtigte Voreingenommenheit! - Ihr Schmunzeln, läßt mich vermuten, Sie wollen mir die unstimmige Zahl der genannten Kriege und die überzogene Prozentzahl in der Addition vorwerfen. Dies ist die Erklärung: Wenn zum Beispiel Frankreich gegen Preußen Krieg führte, so wird er einmal von der französischen Seite und einmal von der preußischen Seite gezählt ... Ich sehe, wir haben uns verstanden! Haben Sie jetzt immer noch vor, Mrs. Charming - Ihre ganze Anklage ist ja darauf aufgebaut in gewohnter Weise alle Verbrechen der Welt dem Verlierer des Zweiten Weltkrieges in die Schuhe zu schieben? Dann werde ich Ihnen einen gründlichen Strich auch durch diese Rechnung machen! Ihre beiden Punkte Merkantilismus und KZs kann ich jetzt noch einmal mit größtem Nachdruck zusammenfassen, weil dieses Thema ganz besonders meine afrikanischen Landsleute betrifft. Bereits im Jahre 1728 haben die Engländer mit den Spaniern einen Vertrag abgeschlossen, der England den Negerhandel sicherte! England erwarb das Monopol dieses Menschenhandels! Das, Hohes Gericht, ist an verkommener Moral nicht zu überbieten! Und wenn Sie Ihre Kolonial-Geschichte weiter verfolgen, so werden Sie immer neue Plätze in der Welt finden, wo Ihre Vorfahren dieses schreckliche Spiel mit Menschen aus Gründen eines erweiterten Merkantilismus betrieben haben. Und in welchen Reihen die Nutznießer solcher Politik zu finden sind, sollten Sie gleich mit untersuchen! Wenn ich jetzt Ihren weiteren Überlegungen folge, wie Sie es mit Ihrer vermuteten Entwicklung beim preußischen Volk tun, so müßte ich hier den Antrag stellen, der Ihrem Antrag entspricht, nämlich die Höchststrafe für die Urheber der englischen Grausamkeiten zu fordern und das englische Volk ebenso der Verkommenheit beschuldigen, wie Sie es mit dem deutschen Volk tun. Aber so tief möchte ich nicht sinken und kollektive Schuldzuweisungen erheben! - Danke!“ Mit ernstem Gesicht erhob sich Ja kob Fisser und drückte seinem Kollegen kräftig die Hand: „Das haben Sie ausgezeichnet gemacht! Ich gratuliere Ihnen!“ Im Saal entstand nach angespannter Ruhe ein Lärm, der wohl von keinem Anwesenden erwartet worden war. Der Vorsitzende versuchte mehrfach vergeblich, mit seiner Glocke für Ruhe zu sorgen. Es dauerte Minuten, bis er es endlich geschafft hatte. Nach einer kurzen Besprechung mit Regina Süß verkündete der Vorsitzende in seiner kurzen Abschlußrede: „Das Hohe Gericht zieht sich zur Beratung zurück. Die Fortsetzung der Verhandlung gegen den Preußen-König Friedrich II. wird für Montag um 9 Uhr 30 angesetzt. Die Entscheidung über den Antrag des Verteidigers Scott wird dann bekanntgeben. Die Sitzung ist geschlossen!“ Zum ersten Mal ga b es Beifall. Wer die Urheber waren, konnte man nicht ausmachen. Vor allem nicht, ob diese Leute für oder gegen das Gericht oder gegen den Angeklagten standen. Da man allerdings davon ausgehen konnte, die Eintrittskarten, bis auf wenige, nur an Gesinnungstreue ausgegeben zu haben, waren allen möglichen Spekulationen Tor und Tür
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geöffnet. Auf jeden Fall kam Leben in die ganze Aktion. Und zwar anders, als es von den Initiatoren gewünscht war. * 10. Der 4. Verhandlungstag. Samuel Scott erscheint nicht zum Termin. Alle
Funktionsträger
dieses seltsamen ‘Hohen
Gerichts’
hatten längst
ihre
Plätze
eingenommen. Der Verteidiger Fisser hatte mehrfach auf die Uhr geschaut, denn sein Kollege Scott war noch nicht erschienen. Es war bereits 9 Uhr 45, als der Vorsitzende Bublatz mit einer Handbewegung Fisser aufforderte, zu ihm zu kommen. „Haben Sie eine Ahnung, warum Mister Scott noch nicht hier ist?“ „Nein, mir ist es unerklärlich. Er machte bisher nicht den Eindruck, unzuverlässig zu se in.“ Der Vorsitzende verzog sein Gesicht: „Diese Ansicht kann ich nicht teilen. Wissen Sie, in welchem Hotel er wohnt?“ „Ja, es ist ein kleines Wald-Hotel außerhalb von Nürnberg. Wenn Sie erlauben, rufe ich vom Verteidiger-Zimmer dort an.“ „Nehmen Sie wieder Platz! Ich sage Ihnen sofort, wie es weiter geht.“ Danach besprach sich Bublatz mit seinen Richter -Kollegen links und rechts von ihm und läutete die erste Runde des heutigen Tages ein: „Das Hohe Gericht hat beschlossen, die Verhandlu ng ohne den Verteidiger Scott fortzusetzen. Der französische Vertreter der Anklage hat das Wort.“ Bevor Monsieur Satiree sich von seinem Platz erhoben hatte, war Jakob Fisser wie eine Rakete hochgeschossen: „Herr Vorsitzender, ich protestiere gegen eine solche Prozeß-Führung! Da Sie keinerlei Erklärung darüber abgeben, aus welchem Grunde mein Kollege Scott bisher nicht erschienen ist, gehe ich davon aus, daß er nicht in der Lage ist, eine telefonische Nachricht zu geben. Vielleicht hatte er einen Verkehrsunfall.“ „Herr Verteidiger, selbst wenn Herrn Scotts Fehlen unfreiwillig sein sollte, so setze ich die Möglichkeit voraus, dies dennoch dem Gericht mitteilen zu lassen.“ „Ihre Annahme, Herr Vorsitzender entbehrt jeder Logik, was mich in diesem Gremium nicht in Erstaunen versetzt. Ich ...“ Hier hatte der Vorsitzende seine Glocke kräftig geschüttelt, um dem Verteidiger das Wort abzuschneiden: „Herr Verteidiger, Sie bestreiten mit Ihrer Verdächtigung die Seriosität des Hohen Gerichts und untergraben damit seine Würde! Wir sind keineswegs auf die Anwesenheit des zweiten Verteidigers angewiesen, wenn dieser unentschuldigt fehlt. Die Verhandlung wird fortgesetzt. Das Wort hat Herr Satiree.“ Wieder kam dieser nicht zu seiner Anklage. Fisser hatte sich erhoben, seine Sachen unter den Arm geklemmt und ging zum erhöhten Richtertisch: „Herr Vorsitzender, ich werde solange nicht an der Verhandlung teilnehmen, bis ich Gewißheit darüber habe, warum mein Kollege nicht erschienen ist. Ich werde aus dem Zimmer der Verteidigung telefonieren.“ Damit setzte er seinen Weg fort, ohne auf eine Antwort von Bublatz zu warten.
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Das war nun wirklich eine Brüskierung des Gerichts. Aber was hätte Fisser tun sollen? Klein beigeben? Das paßte nicht mehr zum Bild dieses unerwartet unerschrockenen Kämpfers für Gerechtigkeit. Der Vorsitzende war am Ende seiner Führungskunst dieses illegalen Gerichtsverfahrens. Die übrigen Richter hatten sich um ihren Meister geschart und lieferten gemeinsam ein seltenes Schauspiel echter Ratlosigkeit, die man wegen ihrer gewohnten Machtfülle nicht erwarten konnte. Der Vorsitzende mußte mehrfach seine Glocke schwingen, um die Diskussionen der Zuschauer zu übertönen. Dann verkündete er: „Das Gericht zieht sich zur Beratung zurück. Über die Fortsetzung der Verhandlung wird umgehend eine Bekanntmachung veröffentlicht.“ Gegen 11 Uhr erschien Jakob Fisser auf seinem Platz. Er setzte sich und wartete mit unbeweglichem Gesicht, während er in seinen Akten blätterte. Nach geraumer Zeit erschienen Richter und Ankläger. Mit unbeweglichem Gesicht saß Fisser da. Es hatte sich eine unheimliche Ruhe breitgemacht. Keiner wollte den spannenden Augenblick verpassen, der jetzt zur Klarheit führen mußte. Die allgemeine Frage war: Wer hat diesen Machtkampf gewonnen, das Gericht oder die Verteidigung? Der Vorsitzende eröffnete erneut die Verhandlung. „Der Verteidiger Fisser hat das Hohe Gericht in eine Lage gebracht, die beschämend ist. Ich rüge das Verhalten des Verteidigers und fordere ihn auf, seine Erkenntnisse über das Verhalten seines Kollegen aufzudecken.“ „Herr Vorsitzender! Ihre Rüge weise ich entschieden zurück! Mangelnde Gerichtspraxis seitens des Hohen Gerichts hat hier für ein seltsames Durcheinander gesorgt. Es blieb mir nichts übrig, als das zu tun, was Aufgabe des Gerichts gewesen wäre. Ich hebe nochmals hervor, was hier wohl bewußt betrieben wird: Es wird ein Schauprozeß geführt, bei dem ich dennoch bereit bin, das zu tun, was ich für notwendig halte, um auf diesem Wege die Unhaltbarkeit solcher Aktionen zu beweisen.“ - Die Unruhe im Saal wuchs beachtlich. Der Vorsitzende läutete. Fisser fuhr in seiner Rede fort: „Zur Sache setze ich Sie, meine Damen und Herren, davon in Kenntnis, daß vor dem Hotel des Verteidigers Scott eine Schar vermummter Gestalten ihr Unwesen treiben. Diese Leute gehören zur Gruppe „Gegen Rassismus, Antisemitismus und Faschismus“, und sie treten dort auf, wo sie von ihren Geldgebern eingesetzt werden. Sie haben das Hotel und das Telefon besetzt. Sie hindern Scott am Verlassen des Hotels und verlangen die Niederlegung seines Mandats.“ Da Fisser wegen der Unruhe im Saal eine Pause machte, schaltete sich mit seiner Glocke der Vorsitzende ein: „Ich muß um Ruhe bitten, sonst lasse ich den Saal räumen!“ Langsam trat Ruhe ein. „Herr Verteidiger, haben Sie denn die Polizei benachrichtigt?“ „Das war gar nicht nötig. Sie ist schon gleich nach Beginn des Krawalls vor Ort gewesen. Das war so gegen 8 Uhr.“ „Und bis jetzt hat die Polizei nichts erreichen können?“ „Doch, Herr Vorsitzender! Sie tut das, was sie in solchen Fällen immer getan hat. Sie stört die Randalierer und Chaoten nicht bei ihren Aktionen.“ „Lassen Sie diese Scherze! Hier ist kein Platz dafür!“ „Das sollte kein Scherz sein, Herr Vorsitzender! Das ist bitterer Ernst!“
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„Hat man Ihnen gesagt, was jetzt geschehen wird?“ „Nichts, was auf eine Entspannung der Lage deutet. Vor dem Hotel grölen Sprechchöre: „Faschisten raus aus Deutschland! Schlagt die Faschisten, wo ihr sie trefft!“ Die Unruhe im Saal hatte erheblich zugenommen. Der Vorsitzende läutete seine deutlich verlorene Runde aus, indem er verkündete:
„Die Verhandlung wird auf unbestimmte Zeit
vertagt!“ * 11. Das Spiel hinter den Kulissen. Allgemein herrschte die Meinung vor, die Initiatoren hätten den Bogen überspannt. Entgegen früherer Propaganda-Erfolge mit einem ähnlichen Prozeß in London war hier in Nürnberg schon zu Beginn alles schiefgelaufen. Die Ursache lag allein daran, die Wahl der Verteidiger nicht sorgfältig getroffen zu haben. Jetzt stritten sich die Geld- und Ratgeber um die Frage: Alles abzubrechen oder weiterzumachen, denn die bestellten Ver teidiger konnte man ja nicht absetzen. Wie man hörte, hätte der Vorsitzende Bublatz nach alter Manier das Sagen gehabt, und seinem Erfüllungsgehilfen Rozog kam die gewohnte Aufgabe zu, den Beschluß abzusegnen: Der Prozeß wird fortgesetzt, koste es, was es wolle! Die Medien brachten dann den konkreten Hinweis: Wiederaufnahme der Gerichts -Verhandlung am nächsten Donnerstag um 9 Uhr. Jetzt mußte nur noch das Dilemma mit Samuel Scott bereinigt werden. Es hatte sich nämlich gezeigt, daß er durch keine ihn noch so bedrohende Aktion auszubooten war. Er weigerte sich ganz einfach, aufzugeben. So sahen sich Rozog und Bublatz gezwungen, die Aktion gegen Scott abzublasen und ihre nützlichen Idioten abzuziehen. Die für sie ausgegebenen Spesen konnte man in den Schornstein schreiben. Fisser und Scott hatten sich ihrerseits zusammengesetzt, um Pläne für einen erneuten Ernstfall auszuarbeiten. Sie waren jetzt mehr als vorher bestrebt, solchen Schauprozessen die Schau zu stehlen. Auch spannen sie ihre Fäden, um gegebenenfalls einen weiteren Verteidiger einzuschalten, wenn ihnen die Arbeit über den Kopf wachsen sollte. * 12. Der 5. Verhandlungstag. Monsieur Jean Satiree klagt an. Lange vor Beginn der Sitzung waren die Zuschauer erschienen. Auf der Straße debattierte eine Menge Neugieriger, die keinen Einlaß bekommen hatten. Alle Aktiven saßen auf ihren Plätzen. Fisser und Scott ließen nicht erkennen, was sie dachten und vorhatten. Weder Schadenfreude noch bange Unsicherheit zeichneten ihre Mienen. Heute sollte der Franzose Jean Satiree seine Anklage erheben. Er hatte eine etwas gebückte Figur, seine Haare schienen, seitdem er aus dem Bett gestiegen war, von keinem Kamm strapaziert worden zu sein. Der Anzug paßte zur Frisur. Dafür zierte sein Gesicht eine dicke Hornbrille. Mit dem üblichen Zeremoniell eröffnete der Vorsitzende die Verhandlung: „Der französiche Ankläger, Monsieur Jean Satiree, hat das Wort!“ „Hohes Gericht! Ich möchte mich meinen Kolleginnen aus Deutschland und England anschließen und nicht einen ganzen Berg von Anklagepunkten gegen den Preußen-König
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Friedrich II. vortragen. Obgleich ich durchaus in der Lage wäre! - Wir haben uns geeinigt, nur einzelne Verbrechen aufzuzeigen, die darauf hindeuten, daß die Welt eigentlich nichts anderes im 20. Jahrhundert zu erwarten hatte als die sattsam bekannten Verbrechen durch die Deutschen. Wir alle, die wir hier im Saal sind, wissen, wie Hitler Polen überfallen hat, obgleich Hitler einen Nichtangriffspakt mit Pilsudski, dem polnischen Präsidenten, geschlossen hatte. Wenn Pilsudski 1939 auch schon vier Jahre tot war, so ändert dies nichts an den internationalen Gepflogenheiten, daß solche Verträge den Tod der Staatsmänner überdauern. Fast ebenso verhielt es sich mit den Westmä chten England und Frankreich. Hier herrschte allerdings seit September 1939 Kriegszustand, aber die Engländer und Franzosen verhielten sich ruhig, bis Hitler am 10. Mai 1940 die Kampfhandlungen begann und damit eigentlich den Krieg vom Zaun brach. 1941 kam es dann zu dem eklatanten Überfall auf die Sowjetunion. Ein Überfall deshalb, weil Hitler mit Stalin einen Nichtangriffspakt geschlossen hatte ...“ In diesem Moment erhob sich Samuel Scott sehr forsch und war auf den Tisch der Richter zugegangen und mit erhobener rechten Hand zeigte er auf den französischen Ankläger: „Herr Vorsitzender, der Herr Ankläger hat anscheinend vergessen, daß hier eine Gerichtsverhandlung gegen Friedrich II. von Preußen stattfindet und nicht gegen Hitler. Der Herr befindet sich offensichtlich auf der falschen Veranstaltung! Wenn er Hitler anklagen will, dann hätte er bereits 1945/46 in Nürnberg auftreten sollen! Hier hat er nichts zu suchen! Ich empfehle ihm auch, sich die unzähligen Urteile ab 1945 anzusehen, in denen zur Genüge über das Tun dieses Mannes geredet wurde. Er sollte sich seinen Sermon sparen! Diesen Trick des Anklagevertreters, das schlechte Bild über Hitler auf meinen Mandanten zu übertragen, werde ich nicht hinnehmen. Das Hohe Gericht hat im Laufe dieser wenigen Tage bereits erheblich an Ansehen verloren. Wenn das Gericht auch noch diese Methode der Anklage zuläßt, wird es zu einer weltweiten Blamage kommen, wenn nicht sogar zu einem unüberhörbaren folgenschweren Knall!“ Noch während Scott sprac h und er sich wieder zu seinem Platz begab, hatte der Vorsitzende den Rat seiner Kollegen eingeholt: „Herr Verteidiger, Sie haben in ungebührlicher Weise den Herrn Ankläger angegriffen. Ich muß Sie bitten, Ihren Platz einzunehmen und die Verhandlung ni cht zu stören.“ Scott ließ sich jedoch nicht so schnell unterbuttern. Er drehte sich zum Richtertisch um, blieb stehen und wehrte sich: „Herr Vorsitzender, wenn Sie nicht in der Lage sind, diese demagogische Anklage zu stoppen, die nur darauf abzielt, angebliche Verbrechen anderer auf meinen Mandanten abzuwälzen, dann steht mir das Recht zu, mich und meinen Mandanten in einer Art Notwehr zu verteidigen.“ „Herr Verteidiger! Sie gehen zu weit! Ich verbitte mir solche Angriffe gegen das Hohe Gerich t! Wenn Sie meine Anordnungen nicht befolgen, werde ich Sie von der Verhandlung ausschließen!“ „Damit, Herr Vorsitzender, würden Sie selbst dieses Pseudogerichtsverfahren zu Fall bringen. Ich kann Ihnen nur raten: Wenn dieses Gericht noch einigermaßen glimpflich aus der Sache, die es sich selber eingebrockt hat, herauskommen will, dann sorgen Sie für Ordnung! Andernfalls werde ich es tun! Worauf Sie sich verlassen können!“
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In aller Ruhe setzte sich Scott auf seinen Platz. In stummem Blickwechsel
entdeckte er
Zustimmung von seinem Kollegen. Die Richter hatten ihre Köpfe zusammengesteckt. Die Unsicherheit wurde für alle spürbar. Endlich waltete Bublatz seines Amtes: „Herr Ankläger, bitte fahren Sie fort.“ „Hohes Gericht! Ich werde mich auf die Anklage gegen Friedrich II. beschränken und gehe davon aus, daß Sie auch dann die Zusammenhänge zwischen Hitler und dem Angeklagten erkennen, wenn ich dies nicht besonders betone. Erlauben Sie mir jedoch den Hinweis, daß sich der Herr Verteidiger im Fahrwasser der Preußen-Nazis befindet!“ Wie eine Rakete schoß Scott hoch und ging mit bewegten Gesten auf den Platz des Anklägers zu: „Sie sind ein unfairer Demagoge! Sie sind es aus den letzten Jahrzehnten gewöhnt, alles gegen Deutschand und das deutsche Volk anklagend hinausposaunen zu dürfen. Sie und ich wissen genau, was, oder besser, wer hinter allem steckt! Wenn Sie mich mit dem Begriff Preußen-Nazi verbinden, so könnte ich Ihnen sagen, wo Sie Ihre Wurzeln haben, oder deutlicher, von wem Sie bezahlt werden! Ich werde mich jedoch hüten, dies auszusprechen, weil Sie und Ihre Auftraggeber alle Trümpfe der Geldmacht in der Hand haben. Von mir aus können Sie diese Methode weiter anwenden! Je länger sie dauert, desto mehr Gelegenheit werden Sie mir geben, sie zu brandmarken. Und ich bin mir sicher, wir werden auf die für uns positive Wirkung nicht umsonst warten!“ „Hohes Gericht,“ fuhr der Ankläger mit überlegener Ruhe fort, „die Nervosität des Herrn Verteidigers läßt mich deutlich erkennen, daß er sich auf verlorenem Posten fühlt. Aber ich will hier nicht polemisieren. Bleiben wir bei den Fakten! Wenn sich die Verteidigung etwas Zeit gelassen hätte, so hätte sie bei logischer Schlußfolgerung sehr leicht erkennen können, daß meine Argumente auch dann klar sind, wenn man sie von der anderen Seite aus betrachtet. Fangen wir also bei Friedrich, dem sogenannten ‘Großen’ an: Er hat, wie es Hitler zweihundert Jahre später wiederholte, einen Vertrag gebrochen, um so einen Krieg zu inszenieren. Ich denke an den 1. Schlesischen Krieg. Zu jener Zeit hatte das Haus Österreich mit einem Gesetz die weibliche Erbfolge gesichert, da nach dem Tode Kaiser Karls VI. keine männlichen Erben lebten. Frankreich, England, Holland, Sardinien, Sachsen, das Deutsche Reich und Preußen hatten diesem Gesetz zugestimmt. Zwar hatte dieses der Vater von Friedrich II. getan, aber internationale Gesetze haben auch dann ihre Gültigkeit, wenn die vertragschließenden Personen verstorben sind. Das hatte ich schon vorher betont. Daran hat sich Friedrich II. nicht gehalten, sondern den Krieg um Schlesien begonnen. Das ist die nackte Tatsache, Hohes Gericht.“ Genüßlich sah der Ankläger zum Richtertisch und zu den Verteidigern hinüber, die nun ihre Köpfe zusammensteckten und vermutlich in der Klemme saßen. Eine gewisse Unsicherheit konnte man der Miene von Scott entnehmen. Dem Vorsitzenden wurde die Pause zu lang. Er forderte den Ankläger auf fortzufahren, falls er noch weitere Anklagepunkte vorzubringen habe.
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„Herr Vorsitzender, ich habe nicht vor, die Verlegenheit der Herren Verteidiger zu unterbrechen. Sobald ich die Gewißheit habe, daß die Herren wieder am Geschehen teilnehmen, werde ich meine Anklage vervollständigen.“ In diesem Augen blick erhob sich Fisser, der seinem Kollegen beruhigend die Hand auf die Schulter legte: „Da der Herr Ankläger anscheinend eine Erwiderung von der Verteidigung erwartet, so will ich sie ihm nicht vorenthalten. Sie haben die Geschichte offensichtlich nur lückenhaft studiert, wie es hier üblich ist. So ist Ihnen auch eine winzige Kleinigkeit nicht bewußt, oder sie wurde absichtlich nicht erwähnt, um die Öffentlichkeit in gewohnter Weise zu täuschen. Der Vater Friedrichs II., König Friedrich Wilhelm I., hatte diesem österreichischen Gesetz, der Name des Gesetzes ist ‘Pragmatische Sanktion’, zwar zugestimmt, aber unter einer sehr wesentlichen Bedingung, nämlich, daß der Wiener Hof ihm die Erbfolge der Herzogtümer Jülich und Berg gewährleistet. An diese Voraussetzung hat sich Österreich nicht gehalten. Demnach war der Vertrag gar nicht geschlossen worden! Warum sollte sich jetzt Preußen an eine Vereinbarung halten, die nie zustande gekommen war? Aber noch zwei weitere gravierende Punkte kommen hinzu. Erst ens hat Frankreich in der Zeit des Schlesischen Krieges ebenfalls dort Kriege geführt, wo es eigentlich nichts zu suchen hatte, zum Beispiel in Böhmen. Zweitens waren wir, wenn ich nicht irre, uns einig, daß aus moralischen Gründen nur solche Parteien Klage erheben können, die selbst nicht auf die Anklagebank gehören. Damit, meine Damen und Herren, tritt das schon wieder ein, was von unserer Seite von Beginn an moniert wurde: Nämlich, die bisher vorgetragenen Anklagen fallen allesamt auf die Ankläger zurück! Das Hohe Gericht würde sich selber disqualifizieren, wenn es nicht dafür sorge, hier eine klare Änderung zu schaffen, oder es müßte diesen ganzen Schauprozeß abblasen!“ Vermutlich ahnten die Zuhörer, worauf der Verteidiger zusteuerte, denn die Unruhe
wurde
immer stärker. Am Tisch der Richter rauchten die Köpfe. Sie beugten sich einander zu und tuschelten. Und Bublatz starrte den Verteidiger an, er kochte innerlich. Man sah es förmlich. Aber dann legte er los, mit funkelnden Augen und bebender Stimme, in abgehackten Sätzen: „Herr Verteidiger! Sie überschreiten Ihre Kompetenzen! Nicht Frankreich sitzt auf der Anklagebank! Auch nicht Österreich! Auch ist das Hohe Gericht nicht Ihrer Meinung, daß wir eine Abmachung getroffen hätten, in der von Moral die Rede ist! Sie haben durchaus keine Veranlassung, das Hohe Gericht zu rügen! Ich verbitte mir solche Angriffe ein für alle Mal!“ „Herr Vorsitzender, ich gehe davon aus, daß ein Gericht nur dann seine Berechtigung hat, wenn es auf der Grundlage von Moral und Recht beruht. Ich weiß, in dieser Zeit hat die Moral keine Bedeutung. Sie haben es selbst einmal in aller Öffentlichkeit gesagt. Und Sie lobten sogar eine solche Einstellung!
Heute käme man ohne Moral am besten durchs Leben. Aber Ihre
Lebenserfahrung, Herr Vorsitzender, sollte Sie lehren, daß nichts so sehr von Bestand ist wie der Wandel! Wenn Sie es zulassen, die Gesetze des Anstandes, also der Moral, in dieser Gerichtsverhandlung auszuschalten, können Sie sicher sein, daß man Sie in hundert Jahren als den Inbegriff einer Phase des kulturellen Niederganges nennen wird.“
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Voller Wut entgegnete der Vorsitzende: „Leider habe ich durch die Satzungen des Hohen Gerichts nicht die Möglichkeit, Sie Ihres Amtes zu entheben. Aber Sie werden die Folgen Ihrer Ausfälle zu spüren bekommen! Sollten Sie noch etwas zur Sache zu sagen haben, so gebe ich Ihnen dennoch die Gelegenheit.“ „Dieser Aufforderung komme ich gern nach, Herr Vorsitzender. Der Herr Ankläger Satiree war so leichtsinnig, Hitler ins Spiel zu bringen. Sie, Herr Vorsitzender haben ihn nicht daran gehindert. So werden Sie auch mich nicht daran hindern können, auf die einzelnen Punkte einzugehen. Zum
sogenannten
Überfall
auf
Polen:
Hitler
hatte
mit
Marschall Pilsudski einen
Nichtangriffspakt geschlossen. Das ist durchaus richtig! Pilsudski war nicht nur damit einverstanden, die Frage des ‘Polnischen Korridors’ und Danzigs auf gütlichem Wege zu bereinigen. Die verspätete Idee einer Volksabstimmung im sogenannten ‘Polnischen Korridor’ stammte sogar von ihm! Nach dem Tode Pilsudskis betrieb Polen eine Politik der Konfrontation mit Deutschland. Die vielen Überfälle auf Deutsche und die Morde an Deutschen in Polen zeugen von dieser Veränderung. Darauf hat Hitler den Nichtangriffspakt gekündigt. Dennoch war er bereit, nach dem Plan Pilsudskis, den der Volksabstimmung, wie es nach internationalem Recht der Selbstbestimmung der Völker garantiert wurde,
durchzuführen. Das lehnte Polen bei
Rückendeckung durch England ab, und aufgehetzte Polen mordeten weiterhin Deutsche, die in Polen lebten. Weder Engländer noch die US-Amerikaner und die Franzosen haben sich ähnliche Übergriffe auf ihre Landsleute jemals gefallen lassen. Deshalb kann man Hitler nicht ankreiden, wenn er sich ebenso verhalten hat. Außerdem hatte Polen vor dem sogenannten Überfall die allgemeine Mobilmachung angeordnet, was nach internationalem Recht als Kriegserklärung gilt! Von größter Bedeutung ist aber, daß die UdSSR ebenfalls gegen Polen Krieg geführt hat! Die Siegermächte hätten demnach bereits 1945/46 hier an diesem Platz die Sowjets auf die Anklagebank setzen müssen. Man hat es nicht getan, weil sie ja zu den Siegern gehörten! Sie sehen, meine Damen und Herren, vieles im Leben ist relativ, und ohne Lügen kommen die Sieger bis heute nicht aus! “ „Herr Verteidiger, Sie nehmen sich sehr viel Zeit für Ihre Erwiderungen. Wollen Sie etwa noch auf andere Punkte antworten?“ „Natürlich, Herr Vorsitzender! Hätten Sie den Ankläger rechtzeitig gestoppt, dann würden sich meine Entgegnungen erübrigen. Deutschland hat auch in Westeuropa im Jahre 1940 keinen Krieg vom Zaun gebrochen, wie der Herr Ankläger uns weismachen will. England und Frankreich haben dem Deutschen Reich am 3. September 1939 den Krieg erklärt. Es ist also völlig absurd, gegenteilige Behauptungen aufzustellen! Die Pläne der Alliierten, über die Beneluxländer Deutschland anzugreifen, sind ebenso bekannt wie die Tatsache, daß die Engländer bereits auf dem Wege nach Norwegen waren, um dieses Land zu besetzen. Damit war das Deutsche Reich gezwungen, in einer Blitzaktion dort einzugreifen. Diese Tatsachen des Ablaufs der Ereignisse werden heute der Welt und vor allem den deutschen Kindern in den Schulen verheimlicht. Diese verlogene Grundlage hat den Herrn Ankläger bewogen, mit Lügen seine Anklage aufzubauen.
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Was den Überfall Hitlers auf die Sowjetunion betrifft, so gibt es bereits eine Menge russische Literatur, die beweist, daß Stalin schon im August 1939 den Plan gefaßte hatte,
nicht nur
Deutschland anzugreifen, sondern ganz Europa zu besetzen. Die Voraussetzung für das Gelingen der Weltrevolution sollte endlich in Angriff genommen werden. Dieses hat eine französische Zeitung bereits 1939 berichtet, aber man wollte es ihr nicht glauben. Wäre dieser Plan Stalins von Hitler nicht vereitelt worden, dann, meine Damen und Herren, dann säßen wir vermutlich alle nicht hier in diesem Saal. Bis auf die Opportunisten und diejenigen, die sowohl mit dem Kommunismus als auch mit dem Kapitalismus sozusagen verwandt und verschwägert sind, wäre wohl niemand übrig geblieben! Vergessen Sie nicht, daß die Sowjetunion, die Bolschewisten, ihr Ziel der Weltrevolution nie aus den Augen verloren hatten! Noch ein letztes Wort zu diesem Thema: Als ich kürzlich in Moskau war, sagte mir ein Russe, der die Meinung einer ganzen Gruppe zu vertreten schien: ‘Wenn Hitler den Krieg gewonnen hätte, würde es uns heute besser gehen!’“ Das war nun wirklich zuviel! Nicht nur der Vorsitzende sprang von seinem Sessel hoch, sondern auch die Beisitzer. Im Saal gab es lautstarke ‘Pfui!’-Rufe. Einigen Gesichtern sah man betretenes und nachdenkliches Schweigen an. Fisser hatte mit seiner Rede nicht nur freiliegende Nerven getroffen, sondern hier und da schienen seine Worte auf fruchtbaren Boden gefallen zu sein. Das Durcheinander der Richter und Ankläger war unübersehbar. Fisser und Scott neigten ihre
Köpfe
einander
zu
und
besprachen
sich.
Es
war
ihnen
gelungen,
diese
Pseudogerichtsverhandlung an den Pranger zu stellen. Nach kräftigem Glockeläuten des Vorsitzenden ließ dieser seiner Wut freien Lauf: „Herr Verteidiger, Sie haben schon wieder in ungebührlicher Weise das Hohe Gericht brüskiert! Sie vertreten hier nicht mehr die Interessen Ihres Mandanten Friedrich II., sondern Sie legen es darauf an, die erwiesene Weltmeinung über das nazistische Verbrecherregime zu Fall zu bringen. Für Ihre Reden vor diesem Gericht wird sich ganz sicher der Staatsanwalt interessieren. Sie benutzen Ihre Stellung, alle offenkundigen Tatsachen zu unterlaufen. Aus diesem Grunde hat das Hohe Gericht bereits beraten und beschlossen, einen dritten Verteidiger zu bestellen, der in der Lage ist, ohne politische Polemik sein Amt auszuüben. Er wird am nächsten Gerichtstag der Öffentlichkeit vorgestellt werden. Das Gericht vertagt sich bis morgen um 9 Uhr. Die Sitzung ist geschlossen.“ Ratlos sahen sich Fisser und Scott an. „Was nun?“ fragte der Deutsche seinen amerikanischen Kollegen. „Für mich wird die Sache zwar immer interessanter! Was wollen wir tun, wenn unser dritte Mann uns gar nicht mehr zu Wort kommen läßt? Wenn er vielleicht wortreich aber dennoch nur ‘ja und amen’ sagt?“ Gespannt fragte Scott zurück: „Wollen wir alles auf uns zukommen lassen? Oder haben Sie eine Idee, wie wir parieren können? Sollen wir es auf eine Redeschlacht ankommen lassen? Einander niederschreien? Ich schätze, wir werden so manche Überraschung erleben. Die Preisfrage bleibt: Wer geht hier als Sieger aus dem Saal?“ * 13. Der 6. Verhandlungstag. Der 3. Verteidiger tritt auf.
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Die Menschen hatten sich wie noch nie vor dem Gebäude gestaut. Eintrittskarten wechselten zu horrenden Preisen die Besitzer. Jetzt war der Gerichtssaal proppenvoll. Die Spannung war unerträglich. Endlich erschienen die Ankläger und Verteidiger und nahmen ihre gewohnten Plätze ein. Am Verteidigertisch stand ein dritter Stuhl, der unbesetzt blieb. Jetzt konnte es nicht mehr lange dauern. Die große Flügeltür wurde von einem Saaldiener geöffnet, und an der Seite des heute sehr siegessicher wirkenden Bublatz ging ein vornehm wirkender Herr mit graumeliertem Haar, so gut 50 Jahre alt. Jeder aufmerksame Beobachter mußte jetzt genauer hinsehen, denn es schien, als habe der Verteidiger Fisser einen Doppelgänger bekommen. Statur, das ganze Erscheinungsbild waren zum Verwechseln ähnlich. Aber schon wußten die Eingeweihten und auf der politischen Bühne sich Auskennenden Bescheid. Das war ein Parteikollege Fissers aus den frühen Jahren gemeinsamen Kampfes, als man dort noch Ideale vertrat. Heute sah alles ganz anders aus. Und so waren die Wege dieser beiden ehemaligen Freunde jetzt in entgegengesetzter Richtung verlaufen. Der ganze Hofstaat des Gerichts hatte die Plätze eingenommen. Der neue Verteidiger stand neben seinem Stuhl und wartete auf die feierliche Einsetzung. Die beiden ehemaligen Freunde hatten sich kaum eines Blickes gewürdigt. Auch Scott wurde nicht beachtet. Dafür staunten diese beiden um so mehr über ihren kollegialen Zuwachs. Heute erhob sich der Vorsitzende in großartiger Geste. Er bra uchte diese Runde nicht einzuläuten, denn es herrschte eine himmlische Ruhe, von der so gern gesprochen wird, aber die noch niemand erlebt hatte. „Um in Zukunft eine größere Gewähr für einen ordentlichen Ablauf des Verfahrens gegen den Angeklagten Friedrich II., König von Preußen, zu haben, wurde Herr Doktor von Polwitz zum dritten Verteidiger bestellt. Er ist erfahrener Jurist und wird dafür sorgen, daß die weitere Verhandlung nicht durch Unsachlichkeit gestört wird.“ Nach dieser kurzen Einführung in sein Amt setzten sich der Vorsitzende und der neue Verteidiger. „Wir fahren fort in der Anhörung der Anklage durch den Herrn Ankläger aus Israel. Herr Kaufman hat das Wort!“ „Herr Vorsitzender, meine Damen und Herren des Hohen Gerichts, mit Em pörung habe ich den bisherigen Verlauf der Verhandlungen miterlebt. Es ist mir völlig unverständlich, daß in der heutigen Zeit, da alle offenkundigen und gerichtsnotorischen Verbrechen, die von den Deutschen begangen wurden, hier in Zweifel gezogen werden dürfen. Es hat den Anschein, als würde das Pendel der bisherigen Aufklärungszeit den Höhepunkt erreicht haben und jetzt auf dem Wege zur anderen Seite ausschlagen. Sorgen wir dafür, daß dies nicht geschieht! Das zum bisherigen Verlauf und als Wunsch derer, die bereit sind, gegen eine Rückkehr des preußischen Faschismus einzutreten. Ich überlasse meinen Kollegen die Anklage in den verschiedenen politischen Bereichen, in denen Friedrich II. zum Verdruß aller Nachbarn Preußens gewirkt hat. Ich werde mich allein darauf beschränken, in welcher Weise der König von Preußen die Axt an die Wurzeln des Judentums gelegt hat. Wir alle wissen, daß die christliche Religion ihren Ursprung im Judentum
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hat. Ja, der britische Ministerpräsident Disraeli hat es um 1875 herum deutlicher gesagt: „Christentum ist Judentum für Nicht-Juden!“ Wie gut sich Christentum und Judentum in der heutigen Zeit verstehen, beweist uns der Heilige Vater, Papst Johannes Paul II., indem er zur Verbrüderung der katholischen Kirche mit dem Judentum aufruft. Auch die deutschen Bischöfe haben diesen Weg in einer Erklärung vom 28. April 1980 unterstrichen. Dort heißt es wörtlich: ‘Bei ihrer Besinnung auf das Geheimnis der Kirche gedenkt die Heilige Synode des Bundes, wodurch das Volk des Neuen Bundes mit dem Stamme Abrahams geistlich verbunden ist.’ Auch hat das Judentum manchen Papst gestellt, wie der heutige Kardinal und Erzbischof von Paris, Lustiger, ein Jude ist. Wenn also Friedrich II., König von Preußen, die katholische Kirche oder ihre Glieder angegriffen hat, so hat er eindeutig das Judentum gemeint! Diese Tatsache kann man nicht leugnen. Friedrich II. war ein hochintelligenter Mensch. Um so raffinierter waren seine Schliche, das Judentum auf dem Umweg über das Christentum anzugreifen. So hat er am 6. Juli 1737 an seinen freigeistigen Freund Voltaire geschrieben: ‘Die Religion ist das Götzenbild der Völker. Wer es mit profaner Hand anzurühren wagt, zieht sich ihren wütenden Haß zu’ . An anderer Stelle heißt es in diesem Brief: ‘Ich verachte, wie ich Sie versichern kann, die Jesuiten zu sehr, als daß ich ihre Werke läse. Ihr schlechter Charakter verdunkelt alle Vorzüge des Geistes, die sie besitzen.’ Sie, meine Damen und Herren, die Sie hier in diesem Raum sind, wissen, daß Hitler häuf ig von der ‘Vorsehung’ gesprochen hat. Ich mache Sie jetzt mit einem Brief bekannt, den der König an den Herzog von Württemberg am 6. Februar 1744 geschrieben hat. Dort heißt es: ‘Denken Sie nicht, das Land Württemberg sei für Sie geschaffen, sondern glauben Sie, daß die Vorsehung Sie hat geboren werden lassen, um das Volk darin glücklich zu machen.’ Dieser Begriff ‘Vorsehung’ wurde bewußt von Hitler gebraucht. Ich erinnere mich, daß man nach 1933 ein Bild zeigte, auf dem Friedrich II., Bismarck und Hitler gemeinsam dargestellt wurden. Die Wurzel des Hitlerismus liegt also bei Friedrich II. von Preußen! An anderer Stelle in diesem Brief steht:
‘Hüten Sie sich also vor dem Fanatismus in der
Religion ...’ Diese Einstellung zur Religion zieht sich wie e in roter Faden durch das Leben dieses Königs. 1745 schreibt er: ‘... so befehle Ich, daß Ihr solche katholische Schulmeister insgesamt und sogleich bei die Ohren nehmen und in Verhaft bringen, sodann auch wider solche ordentlich inquirieren lassen, inzwischen aber von ihren gewöhnlichen Emolumenten ihnen nichts geben noch reichen lassen sollet.’ Friedrich II. war ein solch geschickter Taktiker, daß nur derjenige seine ganze Durchtriebenheit begreift, der seinen Charakter studiert hat. Wo der unbefangene Mensch vielleicht eine lustige Sache entdeckt zu haben meint, erkennt der Fachmann die besondere Raffinesse. Eine Kostprobe des Bekämpfens der christlich-jüdischen Religion biete ich Ihnen aus einem Brief an einen Prediger in Berlin an: ‘Ich habe Ihr Schreiben, in welchem Sie mich bitten, dem französischen Directorium die augenblickliche Erhöhung Ihres Gehaltes auf den Fuß der Berliner Geistlichen gewährte Summe anzubefehlen, zwar erhalten, muß Ihnen aber sagen, daß Sie besser täten, Ihre Wünsche auf den Himmel zu richten, als Ihr Herz so vollständig mit irdischen
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Dingen zu erfüllen, was für einen Geistlichen durchaus unpassend ist. Erinnern Sie sich nur daran, daß die Apostel einst barfuß gingen und kein Einkommen hatten.’ “ Mit dem letzten Satz brach ein großes Gelächter im Saal aus. Nur der Ankläger Itzig Kaufman schien aus allen Wolken zu fallen. Es war offensichtlich, daß ihm die Zuhörer in der von ihm gewünschten Richtung nicht gefolgt waren. Auch Fisser und Scott konnten sich das Lachen nich t verkneifen. Nur der neue Verteidiger, Herr von Polwitz, machte ein saures Gesicht und meldete sich zu Wort: „Herr Ankläger, wie es aussieht, hat man nicht immer die Lacher auf seiner Seite. Wollen Sie mit diesem Zitat sagen, daß Friedrich II. damit einen Angriff auf ein ganzes Volk erkennen läßt? Ich denke, es dürfte etwas weit hergeholt sein. Wenn Sie Ihre Anklage auf dieser Basis aufbauen, sehe ich keine Schwierigkeit, das Gericht von der Haltlosigkeit zu überzeugen. Hohes Gericht, wenn die Anklage kein größeres Geschütz auffahren kann, so bitte ich, meinen Mandanten von diesen Vorwürfen freizusprechen! Mehr habe ich dazu nicht zu sagen.“ Fisser machte ein Gesicht, als wollte er seinen Ohren nicht trauen. Er beugte sich Scott zu und flüsterte: „Es geschehen noch Zeichen und Wunder. Er ist ja unser dritte Mann! Jetzt muß ich ihm Abbitte leisten.“ „Hohes Gericht,“ setzte der Ankläger seine Rede fort, „sollte ich mich tatsächlich so sehr darin getäuscht haben, daß Sie die Psychologie Friedrichs II. nicht durchschauen? Nein, dieser Mann hat auch in seinen Kriegen äußerst selten frontal angegriffen. Seine Feldherrnkunst bestand darin, den Feind dort anzugreifen, wo er am schwächsten war. In seiner ganzen Denkungsart, in seiner Diplomatie, in seinem privaten Leben hat dieser Mann sämtliche Faktoren abgewogen, die für einen Sieg in Betracht kamen. Allein rohe Gewalt entsprach nicht seinem Charakter. Die ganze Bandbreite des menschlichen Lebens spielte bei seinen Erwägungen eine Rolle. Wenn Sie nach dieser Erkenntnis die Beurteilung der Person Friedrichs II. wagen, werden Sie zu einem anderen Schluß kommen als dem, der durch dieses Gelächter ausgelöst wurde. Es gibt ein deutsches Sprichwort: ‘Steter Tropfen höhlt den Stein.’ So sehe ich dieses ewige Trommeln des Preußenkönigs, das man wegen der Monotonie schon nicht mehr zu hören vermag, aber das auf die Dauer seine Wirkung nicht verfehlt. Unter diesem Gesichtspunkt bitte ich folgendes Zitat zu hören. Hier läßt Friedrich II. bereits den nächsten Grad seiner raffinierten Methode erkennen. Dazu diese Erläuterung: Es gab damals ordentliche und außerordentliche Schutzjuden; die ordentlichen vererbten ihren Schutz auf ein Kind, falls dasselbe 1.000 Thaler bar besaß; die außerordentlichen genossen den Schutz nur persönlich. Jetzt folgt das Schreiben des Königs an das Generaldirektorium: Potsdam, den 7. Juli 1749. Seine Königliche Majestät in Preußen u. s. w. haben auf Dero General-Direktorii Vorstellung vom 28. letzt abgewichenen Monats allergnädigst resolviret, daß des Berlinischen Schutzjuden Abraham Levi Sohn, Namens Meyer Abraham, welcher sich mit des Schutzjuden zu Königsberg in Preußen, Hartig Jakobs Tochter, Namens Sara, ehelich versprochen, weilen beyden ein Vermögen von mehr als 10.000 Reichsthaler zusammen bringen, das gebetene Privilegium sich in Berlin ansetzen dürfen, haben soll, jedoch mit dem Bedinge, daß gedachter Jude Meyer Abraham vor dieses neue Privilegium, außer den gewöhnlichen juribus, noch besonders 600 Thaler an den General Major Grafen von Schmettau zu Berlin zahlen soll’ u. s. w.
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Von dieser Anordnung, Hohes Gericht, führt ein gerader Weg über alle ähnlichen Stationen der Unterdrückung der Juden in Preußen zu einem Hitler des Jahres 1938, als nach der Reichskristallnacht die Juden in weit größerem Maße mit einer Buße belegt wurden. Und was am Schluß stand, das wissen Sie alle selbst. Es war Auschwitz, das inzwischen zu einem Symbol geworden ist! Meine Aufgabe ist es, die Wurzeln, aus denen all diese Verbrechen erwachsen sind, bloßzulegen. Wir finden sie bei dem sogenannten ‘Friedrich dem Großen’! Und nach dieser Erkenntnis wissen wir auch, wie wir den Begriff ‘der Große’ zu bewerten haben. Diese Tatsache können wir als offenbar und geschichtsbekannt behaupten! Alles, Hohes Gericht, hat einmal klein angefangen. Das Gute, wie das Böse! Friedrich II. hat hier ein Unkraut des Hasses in die Herzen der Preußen gesät, das sich im Laufe der Jahre ungestört zu einer Wucherung ausbreiten konnte. Es kam soweit, daß das auserwählte Volk Gottes damit erstickt werden sollte. Seit Friedrich II. hat sich im Laufe der Jahre ein volksspezifischer Charakter beim deutschen Volk entwickelt, der für den Kenner deutlich sichtbar ist. Wenn heute wieder jemand damit Erfolg haben sollte, das deutsche Volk unter der Verehrung des Preußenkönigs und in seiner Tradition gedeihen zu lassen, dann werden alle bösen Geister dieses Volkes dafür sorgen, daß sich die grausame Geschichte wiederholt. Ich bitte das Hohe Gericht, auf Höchststrafe zu erkennen!“ Zwei, drei Paar Hände spendeten Beifall. Niemand wagte es, sich nach diesen Leuten umzuschauen. Die Stimmung war beklemmend. Eine Art Verlegenheit herrschte. Es mag wohl kaum jemand gewußt haben, wie er sich verhalten sollte. Hatte man die tiefgründig e Weisheit des Anklägers nicht begriffen? Oder war es mehr das, was man mit ‘An-den-Haaren-herbeigezogen’ bezeichnet? Auch die Wirkung auf die Verteidiger schien unklar zu sein. Der Richtertisch wirkte wie eine personifizierte ratlose Unsicherheit. Obgleich keine Veranlassung bestand, mit der Glocke für Ruhe zu sorgen, waltete Herr Bublatz seines Amtes: „Ich bitte um Ruhe! Herr Verteidiger, wollen Sie auf die Anklage eine Erwiderung abgeben?“ Scott und Fisser fühlten sich nicht angesprochen. Herr v on Polwitz erhob sich. Die Spannung der ungewissen Erwartung hatte sich gehalten. Sollte es erneut eine Möglichkeit geben, diesen Prozeß zu kippen? „Hohes Gericht, der Vertreter der Anklage hatte auf mich am Anfang den Eindruck gemacht, als würde er mir ein leichtes Spiel gestatten. Ich war selber hart dran, in den Chor der Lacher mit einzustimmen. Als er jedoch in bemerkenswerter Dialektik langsam aber zielsicher die Wurzeln des preußischen Antisemitismus bloßlegte, da war ich mir immer mehr bewußt, daß ich früher oder später mit meinem Namen dafür würde geradestehen müssen, wenn ich die Gunst der Stunde und die offenbare Begriffsstutzigkeit einiger Zuhörer hier im Saal ausnutze, um die Anklage ins Lächerliche zu ziehen. Mein Intellekt und mein Charakter verbieten es mir, diesen leichten Weg zu gehen. Ich muß zur Schande des deutschen Volkes bekennen: Der Herr Ankläger hat mit seiner Ursachenforschung und den logischen Möglichkeiten eine Großtat für die Zukunft der Menschheit geleistet, so daß ich das Hohe Gericht beschämt für meinen Mandanten nur noch um mildernde Umstände bitten kann.“
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Eine unheimliche Ruhe herrschte im Saal. Dem Vorsitzenden sah man es an, welche Erleichterung ihn bewegte. Jetzt mußte er wohl seine gewohnte Siegesgewißheit spüren. Er genoß die Wirkung der letzten Rede, die in dieser Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig ließ. Dieser Begriff ‘Antisemitismus’ hatte immer seine Wirkung. Nur zwischen Fisser und Scott schien eine rege Beratung zu laufen. Sie besprachen sich, ließen sich aber Zeit. „Herr Ankläger Kaufman, haben Sie Ihren Vortrag beendet? Wollen Sie auf die Antwort der Verteidigung noch etwas hinzufügen?“ „Nein, Herr Vorsitzender, ich habe nichts mehr zu sagen.“ „Dann fahren wir in der Reihenfolge der Anklage f ort. Das Wort hat der russische Ankläger, Herr Boris Labet.“ Daraus wurde nichts. Fisser hatte sich erhoben: „Herr Vorsitzender, wir sind hier in einer gemeinschaftlichen Verteidigung. Ich möchte auf die Anklage und das, was der angebliche Verteidiger, Herr von ...“ Weiter kam er nicht. Der Kollege von Polwitz war aufgesprungen: „Herr Vorsitzender, ich lasse es nicht zu, daß mein Kollege meint, ohne eine Absprache zwischen uns, mir assistieren zu müssen. Beide Herren Verteidiger haben sich bisher an diese Regel gehalten. Die Anklage des Anklägers aus Israel und meine Erwiderung haben genügt!“ „Die Verteidigung ist sich in der Mehrzahl einig, daß die Ausführungen unseres Kollegen nicht ausreichen, um dem Gericht einen klaren Überblick zur Urteilsfindung zu verschaffen. Ich bitte deshalb ums Wort, Herr Vorsitzender!“ konterte Fisser. „Sie hätten mich vorher darum ersuchen können, die Art meiner Verteidigung mit Ihnen abzustimmen. Das haben Sie nicht getan. Ich lasse mich von Ihnen nicht bevormunden!“ antwortete von Polwitz. „Herr von Polwitz, Sie haben aus all den haarsträubenden Unterdrückungsmaßnahmen der Meinungsfreiheit in der BRD und sonstwo immer noch nichts gelernt. Oder, was ich eher vermute, Herr Kollege, Sie wurden korrumpiert, wie es heute ...“ Von Polwitz war aufgesprungen, und es wäre vermutlich zu Handgreiflichkeiten gekommen, wenn Scott die beiden Kampfhähne nicht voneinander getrennt hätte. Um die verfahrene Situation in normale Bahnen zu lenken, schwang Bublatz kräftig seine Glocke. Die ganze Richterbank befand sich in Aufregung. Das Publikum verhielt sich wie bei einem spannenden Theaterstück. Es wurde unruhig und steigerte den Druck in diesem Kessel, der jeden Augenblick platzen konnte. Mit Beifall oder Buhrufen begann das Parkett zu kochen. Befürworter und Gegner machten sich mit Klatschen und ‘Faschisten raus!’-Geschrei Luft. Beglückt saßen einige da, die auf diese Entwicklung vermutlich gewartet hatten. Endlich waren die nationalen Kräfte in der Lage, vor solch wichtigen Akteuren der BRD Luft abzulassen, ohne gleich mundtot gemacht zu werden. Wütend schoß der Vorsitzende seine Blicke ins Volk, wo er seine Gegner ausmachen konnte. Die Glocke versagte heute ihre gebietende Autorität. Der Lärm steigerte sich eher, als daß er abnahm. Bublatz besprach sich erregt mit seiner Richterin zur Rechten, erhob sich ruckartig von seinem Sitz, setzte seine Glocke erfolglos wieder in Gang und schrie in den Tumult hinein: „Die Verhandlung wird für unbestimmte Zeit unterbrochen!“
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Auch ein Teil der Zuhörer war aufgestanden. Was war los? Einer fragte den andern, was nun geschehen könne. Keiner wußte es. Ebenso ratlos schienen Richter, Ankläger und Verteidiger zu sein. Bublatz war auf dem Wege ins Richterzimmer, gefolgt von seinen paladinenden Kollegen. Es dauerte einige Minuten, bis alle handelnden Figuren den Saal verlassen hatten. Die zuschauenden Statisten konnten sich zu diesem Schritt nur schwer entschließen. An den folgenden zwei Tagen wurde hinter verschlossenen Türen bera
ten. Dann wurde der
nächste Verhandlungstag angesetzt. Da die meisten Karten nur über unbekannte Kanäle zu bekommen waren, erschien ein sehr gemischtes Publikum. Was durchaus nicht negativ zu sehen war! * 14. Der 7. Verhandlungstag mit katastrophalem Ausgang. Hatte die Presse am Anfang versucht, für diesen Prozeß ein allgemeines Interesse zu wecken, so wurde jetzt wegen der Ungewißheit des Ausgangs alles totgeschwiegen. Nur auf dem Wege des Rumsprechverfahrens wurde den Interessierten der neue Verhandlungstermin bekannt. Während die bisherigen Blamagen der Initiatoren für ein ungewolltes langsames Absterben des Prozesses sorgten, waren die Prozeß-Gegner darum bemüht, dieses Fiasko zum Erfolg der Deutschtreuen umzupolen. Groß war die Erwartung nach b eiden Seiten, als die große Tür geöffnet wurde und der Vorsitzende mit seinem Klüngel den Saal betrat. Die Ankläger und Verteidiger hatten sich gewohnheitsgemäß erhoben. Nach dem üblichen Volksgemurmel im Zuhörerbereich hatte sich eine Mucksmäuschenstille durchgesetzt. Der Vorsitzende ergriff das Wort: „Die Verhandlung gegen Friedrich II., König von Preußen, wird fortgesetzt. Bevor wir mit der Anklage des Vertreters für Rußland beginnen, gebe ich eine Erklärung des Hohen Gerichts bekannt: Der Verteidiger Fisser wird wegen mehrfachen ungebührlichen Verhaltens vor Gericht gerügt und verwarnt. Eine weitere Entgleisung des Verteidigers wird das Hohe Gericht nicht hinnehmen. Gegebenenfalls wird im Wiederholungsfalle der Verteidiger von den weiteren Verhandlungen ausgeschlossen. Der russische Ankläger hat das Wort.“ Fisser hatte sich erhoben: „Herr Vorsitzender, meine Damen und Herren, wir alle, Sie am Richtertisch, die Damen und Herren Ankläger, wie auch wir am Tisch der Verteidiger, wissen, welche Bewandtnis es mit diesem sogenannten ‘Hohen Gericht’ auf sich hat. Bitte, Herr Vorsitzender, lassen Sie mich aussprechen. Ich habe Sie nicht unterbrochen; gestehen Sie mir wenigstens diese rein menschliche Würde zu. Sie haben in Anlehnung eines ähnlichen Pseudoprozesses in London geglaubt, in gleicher Weise hier in Nürnberg verfahren zu können. Sie wissen aber auch, meine Damen und Herren, welche Bewandtnis es damit hat. Hier soll wieder der Welt etwas vorgegaukelt werden! Denn dieses Gericht ist ein Farce! ...“ „Herr Verteidiger, ich muß Sie jetzt erneut zur Ordnung rufen! Sie überschreiten Ihre Kompetenzen! Sie diskreditieren und diskriminieren das Hohe Gericht! Setzen Sie sich, oder ich unterbreche die Sitzung!“ „Herr Vorsitzender, Sie sind Mitinitiator dieses Gerichtstheaters! Ich habe mich, in der Annahme, es würde hier nach einer einigermaßen fairen Methode verhandelt werden,
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bereiterklärt, mitzuwirken. Nachdem ich erlebe, wie daraus eine Art Schmierentheater gemacht wird, sehe ...“ Große Unruhe im Saal wie bei den Offiziellen. Der Vorsitzende schwingt ohne Unterlaß seine Glocke. Fissers Worte gehen völlig unter. Dann läßt Bublatz mit kreischender Stimme seine angestaute Wut raus: „Herr Verteidiger, ich werde Ihnen endgültig das Wort entziehen, wenn Sie Ihre Beleidigungen gegen das Hohe Gericht nicht sofort zurücknehmen und sich für Ihr Verhalten entschuldigen!“ „Herr Vorsitzender, ich bin bereit, die Ausdrücke Pseudogericht und Schmierentheater zurückzunehmen, wenn Sie mir eine kurze Erklärung einräumen. Ich setze voraus, daß die Damen und Herren, die hier als Ankläger und Richter fungieren, genau wissen, was sie tun. Diese Verhandlungen sind allerdings öffentlich, und ich bin mir nicht im klaren, ob alle Zuhörer wissen, was ‘pseudo’ bedeutet.“ Hier setzte eine erhebliche Unruhe ein, denn die Intellektuellen wollten diese ‘Spitze’ wohl nicht hinnehmen. Fisser sprach mit einer beruhigenden Gebärde weiter: „Wir wissen also alle, was ein Pseudonym ist; wie schön! Ein Künstlername oder auch ein Falschname. Das Wort „pseudo“ heißt schlicht „falsch“. Nun stelle ich die Frage ganz allgemein: Ist dieses hier ein ordentliches Gericht? Ist dieses Gericht in der Lage, gegebenenfalls einen Menschen zu verurteilen und dieses Urteil auch legal, ich betone: legal! vollstrecken zu lassen? Sehen Sie, Herr Vorsitzender, daran hänge ich den Begriff „pseudo“, also „falsch“, auf. Wenn Sie, meine Damen und Herren im Saal, ins Theater gehen, so wissen Sie, was Si e zu erwarten haben. Zwar können Sie bei einem Schauspiel ein Stück zu sehen bekommen, von dem man sagen könnte, ‘wie im richtigen Leben’. Aber, es ist und bleibt ein Theater! Das, meine Damen und Herren, ist genau das, was wir hier bei dieser Gerichtsverhandlung erleben! Wir können noch so oft darauf verweisen, daß ein ähnliches Gerichtsverfahren in London abgelaufen ist, aber wir werden nicht daran vorbeikommen zu sagen, es waren PseudoGerichtsverfahren! Und, es war deshalb Gerichtstheater! Herr Vorsitzender, würden Sie jetzt noch einen Grund für mich sehen, meine angeblichen Beleidigungen ...“ Die linksextreme Zuhörerschaft heulte wie ein Rudel Wölfe auf, das vor Hunger keinen Schlaf findet. Die ganze Richterschaft besprach sich aufgeregt, und der Vorsitzende ließ die Meute grölen, um sich vermutlich der Rückendeckung für seine Aktionen gegen den ungeliebten Verteidiger zu versichern. Auch bei den Anklägern bestimmte eine lebhafte Diskussion das Bild. Fisser und Scott besprachen sich ebenfalls. Ausgeschlossen davon blieb der Verteidiger von Polwitz. Vermutlich, um sich nicht ausgegrenzt zu fühlen, verließ er seinen Platz und ging zum Vorsitzenden, mit dem er zu verhandeln schien. Nach wenigen Minuten kehrte er an seinen Tisch zurück, und Bublatz gebot mit der Glocke Ruhe: „Der Verteidiger Fisser wird mit sofortiger Wirkung vom weiteren Gerichtsverfahren gegen Friedrich II. ausgeschlossen, weil er seine gerügten Beleidigungen nicht zurückgenommen hat.“ Ein ohrenbetäubender Lärm war die Q uittung aus dem Saal. Linksextreme Befürworter und patriotische Gegner sorgten für diesen Tumult. Fisser war aufgesprungen und schrie irgendwas Unverständliches zum Richtertisch. Dort erfolgte keine Reaktion. Darauf wechselte er ein paar
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Worte mit seinem Kollegen und ging schnellen Schrittes zum Vorsitzenden. Es folgte eine hitzige Debatte, an der sich auch alle Richter beteiligten. Endlich konnte sich Bublatz mit seinem Wahrzeichen soviel Ruhe verschaffen, daß man mit Mühe folgendes verstehen konnte: „Das Richterkollegium hat einstimmig beschlossen, den Verteidiger Fisser von allen Verhandlungen auszuschließen. Ein Ersatzverteidiger für ihn wird nicht zugelassen. Überhaupt wird die Verteidigung für alle Fälle auf die beiden Herren Scott und von Polwitz beschränkt. Sollte einer der Herren ausfallen, wird diese Position nicht wieder besetzt. Die nächste Verhandlung wird auf Dienstag kommender Woche festgesetzt. Die Sitzung ist geschlossen!“ Die Zuhörer veranstalteten einen regelrechten Aufstand. S ie verließen nicht den Saal, sondern stürmten nach vorn. Die Aktiven suchten fast fluchtartig Schutz in Richtung ihrer Dienstzimmer. Bei einzelnen Grüppchen sah es so aus, als würden die Debatten zu Schlägereien führen. Langsam verlegte sich das Geschehen ins Treppenhaus und auf die Straße. Man hörte so allerhand Drohungen heraus. Bei jeder Partei gab es welche, die bereit gewesen wären jedenfalls mit dem Mund - das ganze Gericht umzubringen oder die beiden Verteidiger Fisser und Scott oder andererseits die Ankläger. Die Leute schienen darauf zu warten, ihre ‘Lieblinge’ draußen in Empfang zu nehmen, sobald sie sich sehen lassen würden. Dann war es soweit. Zuerst schrie einer: „Da kommt ja dieser Sauhund, der Fisser! Dem sollte man den Hals umdrehen!“ Eine Gruppe von sieben, acht Leuten brüllte: „ Deutsche raus aus Deutschland! - Schlagt die Faschisten, wo ihr sie trefft! “ Und schon stürmten diese Gestalten auf den Verteidiger los. Im Nu war ein dichtes Knäuel entstanden. Es sah wie eine wüste Rangelei aus, die sich am Boden fortsetzte. Plötzlich wurde alles still. Die Menge löste sich auf und stürmte auseinander. Im Weglaufen schrien sie noch: „Schlagt die Faschisten, wo ihr sie trefft!“ Die Linksextremisten hatten wieder einmal zug eschlagen. Auf dem Schlachtfeld blieb der Verteidiger Fisser zurück. Sie hatten sich an einem ‘Verräter’ gerächt. Früher einmal war er ihr Mann gewesen. Nun lag er tot auf der Straße. Was war geschehen? Und wie konnte es geschehen? Langsam kristallisi erten sich einige Leute als Tatzeugen heraus. Einer hatte gesehen, wie einer der Chaoten dem Fisser von hinten seinen Ellenbogen unters Kinn geschoben und dann ruckartig nach oben gezogen hatte. Darauf habe Fisser einen kurzen Laut von sich gegeben und sei zusammengesackt. Ein hinzugekommener Polizist stellte fachmännisch fest: „Dem Fisser wurde dadurch das Genick gebrochen.“ Jetzt war die Aufregung nicht mehr zu überbieten. Polizisten kamen. In der Fürther Straße hörte man das Martinshorn von Polizei und Krankenwagen. Und aus dem Justizpalast arbeitete sich unter Absperrung und Sicherung durch seine Leibwächter der Vorsitzende Bublatz heran. Von einem Polizisten ließ er sich über den Vorfall berichten: „Der Verteidiger Fisser ist von Rechtsextremisten ermordet worden!“ meinte zielsicher der Polizeibeamte. Na, woher der das denn so schnell wußte? Außer ihm und Bublatz konnte dies wohl kaum einer wissen. Aber vielleicht wollte sich der Polizist mit einer schnellen Auskunft den Gewohnheiten des Vorsitzenden Bublatz anpassen? Es war ja schon so, daß man die jüngsten Umweltkatastrophen den ‘Rechtsextremisten’ in die Schuhe schob.
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Als Bublatz bis zum Tatort bugsiert war, und er den Toten sah, drehte er sich entsetzt um und platzte unüberlegt heraus: „Die haben den Falschen umgelegt! Das ist ja der Polwitz!“ Der bei ihm stehende Polizist hatte alles gehört und fassungslos begriffen, was das bedeutet. Sofort hakte Bublatz nach: „Haben Sie das begriffen?“ fragte er den Polizeibeamten. Der war jedoch schlagfertig genug: „Ich begreife überhaupt nichts“. Und er machte ein bedeppertes Gesicht. Bublatz hatte seine überlegene Ruhe wiedergefunden: „Die Täter können nur Faschisten und Antisemiten gewesen sein!“ „Oder Neonazis!“ sagte betont überzeugt sein polizeilicher Gesprächspartner. „Benachrichtigen Sie sofort den Bundespräsidenten! Und verständigen Sie ... nein, lassen Sie das! In einer halben Stunde findet eine Pressekonferenz im Justizpalast statt. Sorgen Sie dafür, daß Ihre Dienststelle das weitergibt!“ Darauf verließ Bublatz eiligst den Schauplatz. * Inzwischen liefen sämtlich Drähte heiß. Die Systempresse war sich nicht einig, wie man den Mord aufzäumen sollte. Ganz findige Leute strichen die äußere Ä hnlichkeit der beiden Verteidiger Fisser und von Polwitz heraus. Vermutlich meinten sie, damit die Affäre länger am Kochen halten zu können. Man konnte also in alle möglichen Richtungen Behauptungen aufstellen, denn ihre Leser merkten schon lange nicht mehr, mit welch widersprüchlichen Märchen man sie füttere. Sie schlucken desinteressiert alles. Der Polizeibeamte war allerdings einer von jenen, denen man nachsagte, die Rechten unterwanderten die deutsche Gesellschaft, damit wieder ein Volk daraus werde. Schlimm, wenn sie unentdeckt blieben! Und dann hatte er auch noch einen Schwächeanfall, so daß er von seinem Vorgesetzten sofort nach Hause geschickt wurde, damit er für den nächsten Einsatz wieder fit sei. Das war die gesuchte Gelegenheit, um seinen beiden Kameraden bei der Organisation ‘Jugend gegen Rassismus und Antisemitismus’ und den ‘Jungen Nationalen’ alles brühwarm zu erzählen. Sie hatten dafür zu sorgen, daß der wahre Sachverhalt unters Volk käme. Am wichtigsten waren die Worte des Vorsitzenden Bublatz: „Die haben den Falschen umgelegt!“ Die logische Folgerung war: Der Mord war geplant. Die Ähnlichkeit des Opfers rettete der Zielperson das Leben. Die Komiktragik lag im Ergebnis: Sie hatten ihren eigenen Mann ermordet. Die klammheimliche Freude ließ sich nicht bei jedem unterdrücken. Noch etwas hatte diese Tat bewirkt: Jetzt wußten auch die Zweifler, daß diese Inländerfeinde zum Äußersten entschlossen waren. Nicht nur mit Verleumdungen, sondern auch mit Taten. Und, Fisser und Scott mußten jetzt besonders geschützt werden. Für die aufmerksamen Beobachter war außerdem interessant festzustellen, wie die 20. Juli Feierer jetzt in der Klemme saßen, ob und wie sie dieses Attentat zu feiern gedachten. Es ist gar nicht so einfach, die richtigen Mörder richtig zu würdigen. Und wo waren die ‘Helden’ dieser Tat zu suchen? Die Auftraggeber wußten es natürlich. Und sie wollten sie auch nicht suchen. Am liebsten hätten sie jetzt ein paar ‘Neonazis’ bei der Hand gehabt. Aber diese Leute waren nur bereit, fürs Fernsehen, und für ‘Kohle’ natürlich, ‘Heil Hitler!’ zu schreien. Bei Mord war der Spaß vorbei. Die Regisseure der Veranstaltung waren sich für die Zukunft einig, das nächste Mal lieber auf ein Angebot des CIA oder Mossad zurückzugreifen.
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Fisser und Scott waren für diese Woche nicht mehr zu erreichen. Ein Telefonat mit Bublatz hatte ergeben, daß die Fortsetzung des Termins gegen Friedrich II. erst in der Mitte der kommenden Woche angesetzt werden sollte. Zwar wollte Bublatz wissen, über welche Adresse man Scott gegebenenfalls früher einladen könnte, aber dieser blieb dabei, einstweilen seinen Aufenthalt nicht zu verraten. Fest stand, daß Fisser endgültig ausgebootet war. Samuel Scott war jetzt der einzige Verteidiger. Und das bei sechs Anklägern! Es war schon eine Riesenschweinerei! Aber Fisser hatte sich bereit erklärt, als Assistent im Hintergrund so zu arbeiten, als gelte es, seine eigene Haut zu verteidigen. Jetzt erst recht! Sie freuten sich bei allem Ernst der Lage, einen Sieg durch die Mitwirkung der Deutschenhasser errungen zu haben. Irgendwie erinnerte das Ergebnis doch an den 20. Juli 1944. Auch damals waren Dilettanten am Werk gewesen. Da beide aber, Fisser und Scott, in der Gnade der späten Geburt lebten, hatten sie mehr Zeit gebraucht, um zur Gnade der späten Erkenntnis zu gelangen. Alles in allem freuten sie sich darüber, daß der Zeitpunkt gekommen schien, die Früchte der überzogenen Verleumdungen und Forderungen zu ernten. Wer weiß, was noch alles ins Wanken geraten konnte?! Dieses mißglückte, dennoch so erfolgreiche Attentat sollte sie jetzt nicht weiter beschäftigen. Sie wollten sich nur noch auf den Pseudo -Prozeß konzentrieren. * 15. Der 8. Verhandlungstag. Boris Labet macht kehrt. Wie immer war der Saal stramm besetzt. Die Gespräche im Publikum drehten sich hauptsächlich um die Ereignisse der letzten Woche. Einsam, aber nicht wie ein armer Sünder, saß Samuel Scott an seinem Platz. Die Damen und Herren Ankläger waren vollzählig. Sie machten einen Eindruck, als käme dort keine rechte Freude auf. Nur Frau Limburg und Miss Charming führten ein eifriges Gespräch hinter dem Rücken des Franzosen Satiree. Mit dem üblichem Zeremoniell erschien das Richterkollegium. Scheinbar unberührt von den tragischen Ereignissen vor wenigen Tagen wurden die Plätze eingenommen. „Ich eröffne die Verhandlung gegen Friedrich II., König von Preußen. Das Wort hat der russische Ankläger Boris Labet.“ „Herr Präsident, meine Damen und Herren des Hohen Gerichts. Als man mir vor Jahren von der Absicht erzählte, in Nürnberg einen Gerichtstag abzuhalten, um die Menschheit in Zukunft vor Unterdrückung und Krieg zu bewahren, sah ich darin eine Gelegenheit, mich mit aller Kraft für dieses hohe Ziel einzusetzen. Die Grundidee hatte mich sehr begeistert. In zweiter Linie sprach mich erst der Weg an, wie diese Voraussetzung geschaffen werden sollte. Daß es ein Gericht in Nürnberg sein sollte, ließ mich hoffen, denn ich hatte lebhaften Anteil genommen in den Jahren nach 1945. Auch war ich im eigenen Lande an ähnliche Prozesse gewöhnt. Ich bekenne, ein Kind meiner Zeit zu sein. Mehr oder weniger geht es jedem anderen Menschen ebenso. Als Russe bin ich in der Sowjetunion aufgewachsen. Ich erlebte den Großen Vaterländischen Krieg mit all den Schrecknissen für den einzelnen Menschen und für ganze Völker. Für uns waren die Deutschen die Faschisten, die man vom Erdboden vertilgen sollte. Ein Haß sondergleichen nahm von unseren Herzen Besitz. Wir Sowjetmenschen waren glücklich, als der Nürnberger Prozeß gegen die Faschisten stattfand und die Rädelsführer am Galgen endeten.
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Zusätzlich hatten wir in der Sowjetunion viele Angehörige der faschistischen Wehrmacht in Gewahrsam. Unzählige Prozesse gegen diese schuldigen Soldaten wurden abgewickelt. Massenweise wurden sie zum Tode verurteilt und hingerichtet. Unzählige wurden für fünfundzwanzig Jahre zur Zwangsarbeit unter schwersten Bedingungen verschickt. Das sowjetische Volk nahm regen Anteil daran, indem es zu den Verhandlungen und Hinrichtungen der Verurteilten geführt wurde. Wir alle waren Zeugen dieses gewaltigen Weltgeschehens. Wenn die persönlichen Entbehrungen auch dreißig Jahre in unserem Lande anhielten, so waren wir innerlich zufrieden, ja, sogar glücklich über den Sieg, den wir gegen das Böse errungen hatten. Damit, Hohes Gericht, habe ich Ihnen einen kurzen Abriß auch meiner persönlichen Empfindungen wiedergegeben. In dieser Zeit des Stolzes über den Sieg unserer ruhmreichen Armee erreichte mich dann der Auftrag, bei dieser bedeutenden Gerichtsverhandlung gegen Friedrich II., der als Vorläufer des Faschismus gilt, mitzuwirken. Ich wurde von einer nicht zu beschreibenden Begeisterung erfaßt, an diesem großen Auftrag mitwirken zu können. Aus mir unbekannten Gründen zog sich das Vorhaben s ehr in die Länge. Sozusagen unerwartet und über Nacht zerfiel die Sowjetunion. Es kamen dabei Erkenntnisse ans Tageslicht, die einfach nicht zu glauben waren. Ich möchte ein Erlebnis besonders hervorheben, an dem ich, wenn auch nur als Zuschauer, unmittelbar beteiligt war. In Leningrad hatte gleich nach dem Krieg ein öffentlicher Prozeß gegen zehn deutsche Soldaten stattgefunden. Es wurde unwiderlegbar nachgewiesen, daß diese zehn Faschisten rund fünfzehntausend polnische Offiziere kaltblütig ermordet hatten. Obgleich alle zehn leugneten, dieses Verbrechen begangen zu haben, waren die Beweise so eindeutig und erdrückend, daß wir Zuschauer eine innere Genugtuung empfanden, als das Urteil auf den schimpflichen Tod durch Erhängen für sieben ausgesprochen wurde und für drei auf 20 Jahre Zwangsarbeit. So recht zufrieden waren wir erst, als das Urteil auf einem großen Platz, von allen sichtbar, unter großem Beifall vollstreckt wurde. Versuchen Sie, meine Damen und Herren, sich in meine Lage zu versetzen. Als ich nach dem Zusammenbruch der UdSSR erfahren mußte, daß wir Sowjetmenschen, innerlich beglückt, selber an einem nicht vorstellbaren Verbrechen teilgenommen hatten. Diese zehn deutschen Soldaten hatten nämlich mit der Ermordung der polnischen Offiziere nichts, aber auch gar nichts zu tun gehabt! Man hatte ihnen niemals die geringste Chance gegeben, ihre Unschuld zu beweisen! Man brauchte zu einem bestimmten Zweck ein Urteil, und wenn es noch so falsch war! Noch viel mehr wurde unsere bisherige Welt - und Wahrheitsanschauung durch folgendes erschüttert: Während des Krieges, als die Leichen der ermordeten polnischen Offiziere entdeckt wurden, hatte die deutsche Regierung das Internationale Rote Kreuz in Genf gebeten, an der Exhumierung im Walde von Katyn mitzuwirken, um der Welt die Wahrheit zu offenbaren. Das Internationale Rote Kreuz hatte dies jedoch mit der Begründung abgelehnt, den Faschisten nicht in die Arme arbeiten zu wollen! Ein himmelschreiendes Unrecht hat diese Organisation damit auf sich geladen! Der Tod dieser sieben deutschen unschuldigen Soldaten und die jahrelange Zwangsarbeit der restlichen drei gehen damit auf das Konto einer Einrichtung, die vorgibt, den notleidenden Menschen in der ganzen Welt helfen zu wollen! Diese Verweigerung des IRK hätte
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die Nationen aufrütteln müssen! Aber was taten alle internationalen Organisationen? Sie begingen aus vorteilsbedachten Erwägungen Verrat an der Wahrheit! Zum Nachteil unschuldiger Menschen, um damit ein ganzes Volk zu treffen! Herr Präsident, meine Damen und Herren, wer von Ihnen ist in der Lage, jetzt noch zu sagen, er vertraue auf Gerechtigkeit, wenn die Wahrheit von Menschen gesucht wird, die dafür bekannt sind, allein ihren politischen Vorteil herauszuschlagen, koste es, was es wolle? Um Ihnen, Herr Präsident, und allen hier im Saal Versammelten, das Ausmaß bewußt begangenen Unrechts vor Augen zu führen, muß ich folgenden Sachverhalt ans Licht rücken: Die BRD und ihre sämtlichen Hohheitsträger haben bis zum heutigen Tage nichts getan, um die in Moskau zu Unrecht verurteilten und ermordeten sieben deutschen Soldaten zu rehabilitieren! Ich weiß von einer Dienststelle, die behauptet, diese Namen seien ihr nicht bekannt. Deshalb könne sie nichts unternehmen. Ich nenne deshalb hier die Namen dieser sieben deutschen Märtyrer. Sie heißen: Ernst Böhm Ernst Gehrer Herbert Janike Heinrich Remmlinger Erwin Skotki Eduard Sonnenfeld Karl Hermann Strüffing. Die Namen der drei Soldaten, die zu Zwangsarbeit verurteilt wurden sind: Arno Dierre Erich Paul Vogel Franz Wiese. - - - Ich habe hier bewußt eine Pause gemacht, Herr Präsident. Sie haben nicht begriffen, welche Gelegenheit ich Ihnen damit bot! Allerdings habe ich nichts anderes von Ihnen erwartet.“ „Herr Ankläger, ich habe den Eindruck, daß Sie nicht wissen, wo Sie sich befinden. Bitte, kommen Sie zur Sache!“ „Herr Präsident, ich weiß sehr wohl, wo ich mich befinde. Nur komme ich mir v or, als wäre dies hier ein ähnliches Gericht wie das, welches ich in Leningrad erlebte, als die deutschen Soldaten zu Unrecht gehenkt wurden. Allerdings“ und Labet hob seine Stimme an, „hoffe ich, Herr Präsident, daß hier die Richtigen gehenkt werden!“ Kaum war das letzte Wort gesprochen, setzte im Zuhörerbereich ein entsetzlicher Tumult ein. „Bravo!“ wurde geschrien, aber auch „macht ihn platt, diesen Verräter!“ Der Lärm wurde zu groß, um noch klare Worte zu verstehen. Dazu schwang der Vorsitzende sein Zepter und verstärkte damit den Krach. Als endlich einigermaßen Ruhe eingetreten war, brauste er auf: „Ich verbitte mir Ihre Anspielung auf das Hängen der Richtigen! Ich werde beim Präsidium beantragen, Sie von allen Sitzungen auszuschließen. Ich gebe Ihnen die letzte Chance, Ihren ausfallenden Angriff gegen das Hohe Gericht zurückzunehmen. Bitte!“ „Herr Präsident, Sie machen mich fast sprachlos. Nein, mehr noch: Ich bin entsetzt! Was Sie soeben gesagt haben, sollte alle Welt erfahren! Ich möchte es hinausschreien! Bisher bin ich
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davon ausgegangen, daß bei diesem Gerichtsverfahren die Richtigen gehenkt werden sollen. Das allein habe ich nämlich eben gemeint und gesagt! Sie haben dagegen meinen berechtigten Wunsch gerügt! Das kann also nichts anderes heißen, als daß Sie nicht die Richtigen, sondern die Falschen gehenkt sehen wollen! Das aber ist genau das, was ich anklage!“ Wieder brach ein ohrenbetäubender Lärm los. Es brachen alle Dämme der Zurückhaltung. Der Richtertisch erinnerte an eine Schar Hühner, die vom Fuchs gescheucht werden. Einer schrie dem andern etwas ins Ohr, um sich bei dem Krach verständlich zu machen. Der Vorsitzende stand mit seiner Glocke in der Hand und suchte eine Lücke, um sich Gehör zu verschaffen: „Ruhe, bitte! - Ruhe, oder ich lasse den Saal räumen! - Herr Ankläger, kommen Sie zur Sache und fahren Sie fort. Ich gebe Ihnen noch einmal das Wort.“ „Ich bin schon dabei, Herr Präsident. Dieses ‘Hohe Gericht’ erinnert mich sehr an das Gericht in Leningrad. Hier in Nürnberg klagt man einen Mann an, der vor zweihundert Jahren gelebt hat. Der in einer Zeit lebte, die turbulent genug war und trotzdem nicht mit der heutigen zu vergleichen ist. Alle Beteiligten sannen auch damals auf ihren Vorteil! Darunter waren nicht nur Fürsten und Monarchien, sondern auch Republiken. Jawohl, Herr Präsident, ich habe mich um die Historie gekümmert! Ich habe mir einen Überblick verschafft! Sie, die Mitwirkenden dieses ‘Hohen Gerichts’, haben jedoch den Vorsatz, aus den damaligen Verhältnissen die Ursachen herauszufiltern, um dem deutschen Volk das Lebenslicht auszublasen! Hier soll psychischer und physischer Terror und letzten Endes sogar Völkermord legalisiert werden. Ich könnte Ihnen auch sagen, womit diese Absicht begründet wird, und wer dahinter steckt! Ich werde mich einstweilen davor hüten, dies zu tun, um Ihnen keine Möglichkeit zu bieten, mich mit Schlagworten zu diffamieren oder gar mit einem Gesetz zu erschlagen. Für den Ablauf dieses Gerichtsverfahrens haben Sie vor dem U rteilsspruch die Anhörung von Sachverständigen angesetzt, die von den Anklägern und Verteidigern benannt werden können. Ich gebe hiermit bekannt, daß ich meine Position als Ankläger aufgebe, mich jedoch denen zur Verfügung stelle, die mich als Sachverständigen benennen wollen; falls sie ihre Wahl noch nicht getroffen haben sollten.“ Kein Mensch in diesem Saal hätte jetzt gewagt, eine vernehmbare Äußerung von sich zu geben. Alle saßen sie spannungsgeladen da. Sollte das ganze ‘Hohe Gericht’ jetzt schon p latzen? Diese plötzliche Wende hatte niemand erwartet. Selbst bei den hartgesottenen Linken war dieser Schuß so knapp vor den Bug des Hohen Gerichts nicht ohne Wirkung geblieben. Sehr bedächtig hatte sich Samuel Scott erhoben. Der Vorsitzende schien z u warten, ob er etwas sagen wollte. Scott blieb einen Augenblick mit dem Gesicht zum Richtertisch stehen, dann drehte er sich nach rechts und ging sehr langsam zum russischen ‘Ankläger’ Boris Labet hinüber. Dort sprach er unhörbar mit ihm. Dann streckte er seine rechte Hand aus, die von Labet ergriffen wurde, um sie lange zu drücken. Nachdem Scott seinen Platz wieder eingenommen hatte, fragte Bublatz: „Herr Verteidiger, wollen Sie etwas erwidern?“ Scott schüttelte nur leicht den Kopf. „Damit erkläre ich die heutige Sitzung für beendet. Morgen um 9 Uhr wird die Verhandlung fortgesetzt mit der Anklage des Vertreters der USA. Die Sitzung ist geschlossen.“
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* Eine solche Schlappe hatte ein Gericht wohl noch nie einstecken müssen. Da war ein Ankläger zum Verteidiger des Angeklagten umgeschwenkt. * 16. Der 9. Verhandlungstag. Bill Wilson blamiert sich. Mit großem Interesse der Zuhörer wurde der Ankläger der USA, Bill Wilson, erwartet. Hiervon versprach man sich einen der an Höhepunkten nicht armen Veranstaltung. Im übrigen herrschten sehr unterschiedliche Ansichten darüber, warum man ausgerechnet einen Mann mit diesem Namen ausgewählt hatte, der doch zu sehr an den äußerst umstrittenen Bill Clinton erinnerte. So blieb es nicht aus, daß über diesen tüchtig gelästert wurde. Da wurde auch der Witz erzählt, daß der Papst dem Clinton im Jenseits begegnet. Er sei auf dem Wege zur Jungfrau Maria. Und Clinton antwortet: „Zu spät, zu spät! Ich komme gerade von ihr!“ So wurde in diesem Kre ise gerade schallend gelacht, als Bublatz mit seinem Anhang erschien und er nicht wußte, ob diese Salve ihm galt. Dennoch ließ er sich nicht beirren: „Ich eröffne die heutige Verhandlung gegen Friedrich II. von Preußen mit der Anklage des Vertreters der Vereinigten Staaten von Amerika. Bitte, Mister Wilson!“ „Euer Ehren, meine englische Kollegin hat in ihrer Anklage deutlich auf den im Laufe der Zeit sich entwickelten Charakter des deutschen Volkes hingewiesen, bis es am Ende zu dem fähig war, was man unter Auschwitz zusammenfaßt . Der Verteidiger hat darauf erwidert, daß es nicht zulässig sei, vor diesem Tribunal die Verbrechen Hitlers zu erwähnen, weil sich die Anklage gegen den König von Preußen richte. Dazu grundsätzlich folgende Erklärung: Jeder Weg hat einen Anfang und ein Ende. Auch in der Historie ist es so. Das Ende kann mit der Gegenwart immer nur ein vorläufiges sein. Die Erfahrungen des Weges bis zur Gegenwart müssen die Grundlagen für den Weg in die Zukunft sein! Dieses Tribunal hat sich die Aufgabe gestellt, für die Zukunft all die schrecklichen Ereignisse zu vermeiden, unter denen die Völker gelitten haben. Die praktische Aufgabe dieses Tribunals ist es, zu den nötigen Erkenntnissen zu kommen. Dabei ist es unwichtig, ob man diesen Weg vom Anfang her oder auch vom Ende in Richtung Anfang verfolgt. Damit ist es also durchaus logisch, wenn die Verbrechen Hitlers an den Beginn dieser Anklage gestellt werden. Wir Ankläger sehen darin das vorläufige Ende eines politischen Weges, der bei Friedrich II. begonnen hat. Die fünf Ankläger als Personen stehen hier nur symbolisch für die Masse der Völker, die ebenfalls anklagen. Wir jedoch, die wir hier Anklage erheben, fühlen uns als die Garanten für eine glückliche Zukunft aller Völker. Wir sind berufen, den vollen Erfolg unserer Bemühungen zu gewährleisten. Wir streben auf der Basis einer natürlichen Ethik mit dem Ideal edlen Menschentums ein Weltbürgertum an, das frei von Angst leben kann. Die Ursache des Elends der Welt liegt in der Tats ache, daß die Menschen noch nicht den notwendigen Gemeinschaftssinn praktizieren. Es würde heute bereits anders aussehen, wenn die Völker ihren engstirnigen Nationalismus aufgegeben hätten und eine zentrale Steuerung vorhanden wäre. Die fehlende Globalisierung in den lebenswichtigsten Bereichen läßt die Welt nicht zur Ruhe kommen. Erst wenn dieses Ziel erreicht ist, wird es keine Kriege mehr geben.
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Es geht in diesem Prozeß darum, das Übel eines kleinkarierten Nationalismus aufzudecken, der durch Friedrich II. personifiziert ist. Er hat egoistische Interessen aus Ruhmsucht mit kriegerischer Gewalt rücksichtslos gegen andere Völker durchgesetzt. Das beste Beispiel ist der Überfall auf Schlesien. Kaum hatte er 1740 die Regierungsgewalt nach dem Tode seines Vaters übernommen, begann er im selben Jahr bereits den Vernichtungskrieg gegen das schlesische Volk. Sein Vater hatte als berühmt berüchtigter ‘Soldatenkönig’ den Grundstein für den militaristischen Geist seines Sohnes gelegt. Die Früchte dieser Erziehung zeigten sich, wie ich schon sagte, bereits im Jahre 1740. Das ganze Leben Friedrichs II. war von Krieg gekennzeichnet. Wenn er auch hart am Rande einer endgültigen Niederlage gestanden hat, so konnte er sich durch Glücksumstände wieder befreien, und damit legte er das Fundament für die Großmacht Preußen. Diese Tatsache hat das ganze deutsche Volk zu dem Irrglauben geführt, nunmehr die Beherrschung der Welt anstreben zu müssen. Ohne die Machtbesessenheit, die jetzt im Volke steckte, wäre es niemals zu den späteren Kriegen gekommen, von denen der Zweite Weltkrieg das furchtbarste Ausmaß annahm, was die Völker bisher erlebt und erlitten haben. Was allen Grausamkeiten die Krone aufsetzte, war die Vernichtung des Judentums durch den Holocaust. All dies ist gerichtsbekannt und offenbar, so daß eine ins einzelne gehende Aufzählung und sachliche Beweisführung sich erübrigt. Ich beantrage im Namen der Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika die Höchststrafe für den Angeklagten Friedrich II., König von Preußen! Mein Schlußwort der Anklage soll den Völkern, für die wir uns selbstlos einsetzen, einen guten Ausblick auf die Zukunft bieten: Ich kann den Sinn
und
die historische Mission unserer
Zeit und unseres Tuns
zusammenfassen: Es ist die Aufgabe, die Kultur der Menschheit neu zu ordnen. An die Stelle des bisherigen Systems in Deutschland, aber auch der Systeme anderer Staaten, wollen wir ein neues schaffen. Alle Um- und Neuordnung besteht nun in zweierlei: in der Zerstörung der alten Ordnung und dem Aufbau der neuen. Zunächst einmal müssen alle Grenzpfähle, Ordnungsschranken und Etikettierungen der bisherigen Systeme beseitigt, die Stammvölker mit anderen vermischt werden. Um dieses Ziel zu erreichen, ist die Voraussetzung erforderlich, alle nationalen Regungen, besonders im deutschen Volk, auszumerzen. Wir werden das Finanzwesen in Deutschland beseitigen, eine neue Währung einführen, damit auch die Wirtschaft unter die Aufsicht einer globalen Regierung gestellt wird. An die Stelle einer Volkswirtschaft tritt die Weltwirtschaft. Somit werden wir ein erneutes Aufblühen Deutschlands verhindern. Wenn wir dieses Ziel in Deutschland erreicht haben, werden andere Nationen leicht folgen. Wir ...“ Hier und da hatte sich bei den Zuhörern Unruhe bemerkbar gemacht. Auch der Verteidiger Scott hatte sich ungehalten gezeigt. Plötzlich war er mit einer heftigen Geste aufgestanden und forsch zum erhöhten Richtertisch gegangen. Davon beeindruckt, brach der Ankläger der USA seine Rede ab. „Herr Vorsitzender, sind wir hier in einer Gerichtsverhandlung, oder handelt es sich um eine Rede in der Jerusalemer Universität?“
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„Bitte, nehmen Sie wieder Ihren Platz ein!“ sagte beschwichtigend der Vorsitzende, und an den Ankläger gewandt: „Wollen Sie bitte zum Schluß kommen!“ „Gern, Euer Ehren. - Ich möchte noch einen wichtigen Punkt unterstreichen: Wir haben den preußischen Militarismus bereits erfolgreich besiegt. Preußen als den Eckpfeiler des Deutschen Reiches haben wir vernichtet. Damit haben wir bereits ein großes Ziel erreicht. Die deutsche Bundeswehr wird nicht mehr nationale Aufgaben zu erfüllen haben, weil es keine deutsche Nation mehr geben wird. Jetzt bleibt uns noch die große Aufgabe, die preußische Geisteshaltung auszurotten, wobei wir mit der modernen Bevölkerungspolitik auf dem richtigen Wege sind. Wir hoffen auf die Zustimmung breiter multikultureller Schichten!“ Wilson setzte sich unvermittelt. Übrig blieben die enttäuschten Zuhörer. Es entstand eine kleine Pause, in der sich Bublatz mit seinem Beisitzer Aaron Silberhagen besprach. Dieser nickte ihm aufmunternd zu. „Herr Verteidiger, haben Sie die Absicht, etwas zu erwidern?“ „Ja, Herr Vorsitzender, die Absicht habe ich! Wenn ich nicht wüßte, daß der Ankläger Freimaurer ist, dann hätte jeder einigermaßen Informierte es spätestens an der Stelle gemerkt, als er salbungsvoll von den hohen Zielen der Freimaurer sprach., dem „Streben auf der Basis einer natürlichen Ethik mit dem Ideal edlen Menschentums“. Das ist das Ziel der Freimaurer! Mit dem Hirngespinst eines sorglosen Weltbürgertums werden die Menschen in einer seelenlosen Masse zum Spielball der Einweltregierung, die dann in Jerusalem sitzen soll. Der Herr Anklä ger sprach auch mit Verachtung vom kleinkarierten Nationalismus. Mister Wilson, fragen Sie einmal Ihren Kollegen aus Israel, was er von dieser Idee hält! Sie brauchen ihn auch nicht zu fragen, denn jeder, der aufmerksam die internationale Politik verfolgt weiß, daß die Gleichmacherei zu einem Welteinheitsbrei der Menschen überall besungen und gelobt wird außer in Israel! Ich glaube Ihnen nicht, daß Sie die Lage nicht kennen und in Unwissenheit diesen Stuß daherreden. Sie wissen um die beabsichtigte Herrschaft, die von Israel ausgehen soll! Das ist die Lage! Sie haben von Friedrichs des Großen Vernichtungskrieg gegen Schlesien gesprochen. Ihre Nation und Ihre englischen Freunde haben an einem Tag mehr Alte, Kranke, Kinder, Ärzte und Hilfspersonal brutal ermordet als Friedrich der Große Soldaten hatte! Ich erinnere an die 350.000 Toten von Dresden! Und ich erinnere an die fast 200.000 Toten durch Ihre Atombomben in Japan! Wollen Sie diese Morde heute verheimlichen? Jawohl, Sie bemühen sich darum, und Sie zwingen die Deutschen, andere Zahlen, niedrigere Zahlen ihren Kindern zu nennen! - Sie beugen Ihren Kopf, schauen auf Ihre Hände, um uns hier im Saal nicht ansehen zu müssen! Ja, wenn Sie echte Scham in sich fühlten, dann würden Sie diesen Raum auf nimmer Wiedersehen verlassen.“ Es war still im Zuschauerbereich und auch beim Hohen Gericht. Scott sah unbeirrt zu seinem Kontrahenten hinüber, der unbeweglich blieb. „Da der Herr Verteidiger seine Rede nicht fortsetzt ... oder wollten Sie noch etwas sag en?“ fragte der Vorsitzende. „Jawohl, Herr Vorsitzender, das wollte ich! Einen heiklen Punkt muß ich unbedingt erwähnen. Es pfeifen doch die Spatzen von den Dächern, daß sich jeder in allergrößte Gefahr begibt, der es wagen sollte, kritisch über den Holocaust zu sprechen. Wenn der Herr Ankläger glaubt, diesen
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Punkt in die Anklage mit hineinbringen zu können, weil er weiß, daß eine Erwiderung lebensgefährlich sein kann, dann will ich ihm hier die Möglichkeit eigener Überlegungen bieten. Erst in letzter Zeit bin ich fündig geworden. Es gibt Unterlagen darüber, daß die SS eigene Industrieunternehmen
unterhalten
hat.
Hervorgegangen
sind
sie
aus
den
KL,
den
Konzentrationslagern. Der Reichsführer der SS , Heinrich Himmler, hatte angeordnet, daß wegen der naturbedingten Benachteiligung des Deutschen Reiches in punkto Rohstoffen, der wichtigste ‘Rohstoff’, die Arbeitskraft, besonders sorgfältig und schonend zu behandeln sei. Das war bereits die Devise während der Vorkriegszeit! Noch größer wuchs die Bedeutung der Arbeitskraft nach Beginn des Krieges! Deshalb erließ Himmler mit Nachdruck solche Befehle, welche die sorgfältige Schonung der Arbeitskraft betonten. Der Rohstoff Arbeitskraft wurde also zu einem der kriegswichtigsten Elemente! Ich lasse Ihnen,
Hohes Gericht, Zeit, indem ich langsam spreche, damit Sie jetzt die
Gelegenheit haben, falls Sie nicht schon selber auf ähnliche Gedanken gekommen sein sollten, logische Schlüsse zu ziehen. Verlassen Sie sich darauf, daß ich Ihnen den Gefallen nicht tun werde, mich Ihnen ans Messer zu liefern. - Ich stelle nur fest, was ich in entsprechenden Unterlagen gefunden habe: Die Arbeitskräfte waren einer der wichtigsten Rohstoffe des Deutschen Reiches! Vergleichsweise wie Gold oder Diamanten oder Rohöl oder Gummi. Was hätte Himmler wohl mit demjenigen getan, der Gold, Diamanten oder Rohöl oder Gummi mutwillig vernichtet hätte? - Diese sich aufzwingenden Gedanken wurden bisher wohlweislich nirgends erwähnt. Mir scheint, sie wurden aus guten Gründen sogar verheimlicht! Heute sind dies keine gedanklichen Sandkastenspiele! Da seit über fünfzig Jahren in Deutschland die Wahrheit unterdrückt wird, ja sogar gerichtlich verfolgt, wird es eine Frage der Zeit sein, wann auch diese von mir jetzt aufgezeigten Tatsachen gesetzlich nicht erwähnt werden dürfen. Lassen Sie mich noch eine Überlegung anstellen: Jeder echte Widerständler hätte doch mit Wollust Sabotage gegen das Dritte Reich verübt! Heute wollen diese Leute als Helden gefeiert werden! Wäre es nicht für jeden tapferen Widerstandskämpfer ein Hochgenuß gewesen, Gold, Diamanten und Rohöl und Gummi zu vernichten, oder dem Deutschen Reich wenigstens zu entziehen? - Denken Sie jetzt etwa auch an den ‘Rohstoff’ ‘Arbeitskräfte’? Wenn Sie mich jetzt lauernd ansehen, meine Damen und Herren des Hohen Gerichts, um mich nach einem möglichen erweiterten Vergleich in der Luft zu zerreißen, dann muß ich Sie enttäuschen. Hier überlasse ich Ihnen alle weiteren Folgerungen. - Und was Ihnen, Herr Vorsitzender und den Damen und Herren des Hohen Gerichts, nun als Logik einfallen sollte, das können Sie ruhig äußern. Oder wollen Sie einen versierten Richter auf mich hetzen, der darin Erfahrung hat, wie man Menschen verurteilen kann, weil sie etwas nicht gesagt haben?“ An dieser Stelle unterbrach die Glocke des Hausherrn den Redefluß des Verteidigers: „Das Hohe Gericht ist der Meinung, daß Sie jetzt Ihren Fantasien genügend freien Lauf gelassen haben. Ich muß Sie bitten, zur Sache zu sprechen, sofern es um eine Erwiderung auf die Anklage geht!“ „Ich kann mir nicht vorstellen, Herr Vorsitzender, daß es hier im Saal und draußen Leute geben soll, die nicht in der Lage sind, die Zusammenhänge zwischen Anklage und Verteidigung zu erkennen!
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So komme ich zu meinem letzten Punkt:
Ich streiche absichtlich heraus, was Friedrich der
Große ...“ Schon wieder läutete Bublatz: „Herr Verteidiger, ich mache Sie darauf aufmerksam, daß der offizielle Name des Angeklagten Friedrich II. ist und nicht Friedrich der Große!“ „Herr Vorsitzender, es wäre gut, wenn Sie sich etwas besser in deutschen Sprachgewohnheiten auskennen würden. Sollte Ihr geringes Verständnis dafür damit zusammenhängen, daß Sie aus einem anderen Kulturkreis kommen? Der Begriff ‘Offiziell’ heißt auch, daß etwas ‘verbürgt’ ist oder ‘feierlich’ oder ‘förmlich’. Ich freue mich aber über Ihren Einwurf. Damit geben Sie mir die Gelegenheit darauf hinzuweisen, daß dieser Ehrentitel ihm vom Volk zuerkannt wurde! Den Zusatz ‘der Große’ erhielt Friedrich wegen seiner Verdienste um das Volk! Und später wurde er aus herzlicher Zuneigung ‘Der Alte Fritz’ genannt. All das ist verbürgt. Im Gegensatz dazu ist in jüngster Zeit ebenso verbürgt, daß ein übler Zeitgenosse im Volksmund ‘der Spekulant’ genannt wird! ...“ Die Zuhörer im S aal hatten immer deutlicher ihre Zustimmung erkennen lassen. Als das Wort ‘Spekulant’ gefallen war, gab es kein Halten mehr. Ein Sprechchor hatte sich immer kräftiger durchgesetzt: „Der größte Lump im ganzen Land, das ist und bleibt der Spekulant!“ Die nüt zlichen Idioten der Sieger versuchten ebenfalls eine Antwort zu formulieren. Auch sie waren sich nicht einig, so daß alles in einem wüsten Geschrei unterging. Auch die Glocke des Herrn Bublatz, der sich persönlich getroffen fühlte, brauchte ihre Zeit, um sich durchzusetzen: „Mister Scott, ich nehme an, Sie haben Ihre Rede damit beendet!“ Bedächtig aber bestimmt erhob er sich: „Nein, Herr Vorsitzender, ich möchte noch ein Abschlußwort anfügen: Friedrich der Große wurde nicht nur von seinen engeren Landsleuten verehrt, sondern auch von denen, die er ins Land geholt hatte. Dazu gehörten die europäischen Franzosen, die in ihrem Lande aus religiösen Gründen verfolgt wurden; dazu gehörten die europäischen Salzburger, die ebenfalls wegen ihrer Religion verfolgt wurden und deshalb ihre Heimat verließen; und auch europäische Holländer kamen nach Preußen, wo sie unbehelligt leben konnten. Allerdings handelte es sich um ehrliche Leute, die mit ihrer Arbeit zum allgemeinen Wohlstand beitragen wollten und dies auch taten. Sollte das Hohe Gericht in der Lage sein, dieses beispiellose Wirken eines Monarchen zum Wohle seines Volkes zu würdigen, dann ist mir nicht bange um ein gerechtes Urteil!“ Bevor Bublatz reagieren konnte, kam die Anerkennung für die Rede des Verteidigers aus den Reihen der Zuhörer. Bublatz zeigte unbeherrscht seinen Unmut darüber und versuchte, mit seiner Glocke die Oberhand zu gewinnen. Es dauerte seine Zeit. Sein Schlußwort war dementsprechend dürftig: „Damit ist die Anklag e beendet. Das Gericht vertagt sich bis zum kommenden Montag. Die Parteien werden dann ihre Sachverständigen zur Befragung dem Hohen Gericht vorstellen. Die Verhandlung ist geschlossen.“ An diesem Tag waren die Befürworter wie auch die G egner dieses Spektakels doch noch auf ihre Kosten gekommen. Die größte Enttäuschung für alle Zuhörer aber war der mit Spannung erwartete Auftritt des US-Anklägers gewesen. Seine Rede hatte keinen vom Sitz gerissen. Wenn man in die Menge hineinhorchte, kam dort herzerfrischend zum Ausdruck, daß die USA wohl das
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Bluffen erfunden haben müssen. Man hatte am Anfang gedacht, jetzt käme wieder ein überraschender Höhepunkt, und dann das! Aber dafür wurden die Gegner entschädigt. Sie fühlten sich durch die Rede Scotts in ihren Ansichten bestärkt. Und sie genossen ihre moralische und geistige Überlegenheit in vollen Zügen. * Zuerst sah es so aus, als würde das allgemeine Interesse an diesem Schmierentheater nachlassen. Trotzdem erschienen am Montag mehr Leute vor dem Verhandlungssaal als Platz vorhanden war. Es kam sogar zu Rangeleien und lautstarken Unmutsäußerungen. Ob die paar Glatzköpfe zu den Linken oder Rechten gehörten, war nicht ohne weiteres zu erkennen. * 17. Der 10. Verhandlungstag. Die Gutachter treten auf. An einem besonders breiten Tisch hatten zwei Herren Platz genommen. Es waren die beiden Sachverständigen, deren Namen man offiziell noch nicht bekanntgegeben hatte. Ob sie jetzt mehr Licht in diese finstere Veranstaltung bringen würden? Jeder hoffte es, aber die Richtung war nicht einheitlich. Es war wie beim Wetten auf der Rennbahn. Der Vorsitzende eröffnete: „In der Strafsache gegen Friedrich II. hat das Hohe Gericht die Vertreter der Anklage gehört. Damit das Hohe Gericht in die Lage versetzt wird, zu einer gerechten Urteilsfindung zu kommen, sind zwei Sachverständige, jeweils einer von der Anklage und einer von der Verteidigung, bestellt worden. Diese beiden Herren werden die Fragen der Richter wie auch die Fragen der Ankläger und des Verteidigers beantworten. Die beiden Gutachter sind Herr Professor Theo Ranke und Herr Marc Reichciky. Ich bitte die Herren, bei Fragen und Antworten auf ihren Plätzen zu bleiben, um einen ungestörten Fortgang der Sitzung zu gewährleisten. Über die Reihenfolge der Wortmeldungen entscheidet der Vorsitzende. Die Verhandlung ist eröffnet.“ Es sah nicht so aus, als befänden sich die Akteure bereits in den Startlöchern. Keiner schien den Anfang machen zu wollen. So blieb Bublatz nichts übrig, als den Reigen zu eröffnen: „Herr Professor Ranke, wollen Sie bitte dem Hohen Gericht und auch der Öffentlichkeit sagen, worauf Ihre Qualifikation als Sachverständiger beruht , und von welcher Partei Sie zum Sachverständigen berufen wurden.“ „Herr Präsident, ich bin seit vielen Jahren ein international anerkannter Historiker, der sich speziell mit der Preußischen Geschichte befaßt hat. Die Verteidigung hat mich als Gutachter bestellt. Seit der Trend gewisser Kreise dahin ging, eine Verb indung zwischen der Friederizianischen Zeit und dem Nationalsozialismus im negativen Sinne zu entdecken, habe auch ich mich mit dem Studium dieser Zusammenhänge befaßt. Hier muß ich jedoch hervorheben, daß keine Nation und kein Volk im luftleeren Raum sich bewegen kann. Es wird immer Zusammenhänge zwischen allen Völkern, insbesondere den räumlich nahe liegenden geben. Da durch den technischen Fortschritt die Räume immer enger geworden sind, haben auch die entfernter liegenden Völker und Nationen
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größere Möglichkeiten gefunden, dort politisch oder kriegerisch tätig zu werden, wo sie eigentlich weniger vom Geschehen direkt berührt werden. Die logische Konsequenz ist: Eine Beurteilung eines Volkes oder einer Nation allein ist unmöglich, wenn man nicht die allgemeine politische Lage einbezieht. Um es für diesen speziellen Fall noch deutlicher zu sagen: Man kann eine Nation oder ein Volk nicht anklagen, wenn die internationalen politischen Zusammenhänge nicht geklärt werden. Um es noch genauer auszudrücken: Die politische Lage wird von allen Völkern entsprechend ihrer Möglichkeiten beeinflußt. Sie sind also am Geschehen beteiligt. Für am wichtigsten halte ich folgendes: Es verbietet sich von selbst, daß Richter und Ankläger, die mit gleichen oder ähnlichen Vorwürfen behaftet sind, zur Anklage gegen andere ...“ An dieser Stelle gab es ein Aufschrecken in allen Bereichen des Verhandlungsraums. Nur der Verteidiger Scott zeigte ungerührt eine ausgeglichene Miene. Im Saal waren lebhafte Zustimmung, aber auch Ablehnung auszumachen. Wieder mußte Bublatz zu seinem ‘Zepter’ greifen, um sich Gehör zu verschaffen. „Ruhe bitte!“ schrie er wütend, und an den Sachverständigen gewandt, „Sie haben kein Recht, diesem Hohen Gericht irgendwelche Vorschriften zu machen und über ihre persönlichen Ansichten zu polemisieren. Kommen Sie gefälligst zur Sache!“ Ungerührt sprach der Sachverständige weiter: „Wenn beabsichtigt ist, hier ein gerechtes Urteil zu fällen, dann wird das ‘Hohe Gericht’ an diesen Tatsachen, die ich soeben beleuchtet habe, nicht vorbei kommen. Bei den sich daraus ergebenden Aussichten kann das ‘Hohe Gericht’ mit mir rechnen!“ Sofort sprang Sara Limburg auf: „Herr Präsident, ich protestiere gegen die Zulassung dieses angeblichen historischen Wissenschaftlers! Die Herren Kollegen von der Anklage empfinden diese ungeheuerlichen Anschuldigen vielleicht zu sehr auf Nürnberg deutend und lassen deshalb eine vornehme Zurückhaltung erkennen. Wir Deutschen dagegen, die wir zu den Nürnberger Urteilen nichts beigetragen haben, sind frei von aller hemmenden Zurückhaltung. Deshalb betone ich, wie dankbar wir sind, daß unsere Befreier die Nazi-Verbrecher verurteilt und aufgehängt haben! ...“ Sie wollte wohl noch etwas sagen, aber der jetzt eintretende Lärm ließ sie nicht zu Wort kommen. Der Vorsitzende konnte noch so sehr mit seinem Machtinstrument herumfuchteln, das Publikum gab einfach keine Ruhe. Die Leute schrien durcheinander. Bublatz sah keine andere Möglichkeit, als seinen Kollegen ein Zeichen zu geben, den Saal zu verlassen. Einige Zuhörer begaben sich nach draußen. Der größte Teil wartete auf die nächste Sensation. Die Debatten nahmen kein Ende. Man konnte ausmachen, daß die Menge der Menschen gegen Sara Limburg Stellung bezogen hatte. Es war zu spüren, daß die Deutschen genug davon hatten, nach alter Gewohnheit immer wieder neue Schuldzuweisungen einstecken zu müssen, welche zu neuen finanziellen Forderungen oder ‘freiwilligen’ Geschenken führten. Nach etwa einer halben Stunde erschien ein Bediensteter des Gerichts und verkündete: „Die Fortsetzung der Verhandlung wird in wenigen Minuten erfolgen.“ Spontan schrie einer im Singsang-Ton: „Gleich geht’s lo-o-os! Gleich geht’s lo-o-s!“ Und schon rauschte eine Aola-Welle durch alle Reihen und fast alle sangen dazu: „Jetzt geht’s lo -o-s! - Jetzt geht’s lo-o-s!“
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Es
herrschte
eine richtige Karnevalsstimmung,
als
das
‘Hohe
Gericht’
und
die
gleichgeschalteten Ankläger und auch der bisher schweigsame zweite Sachverständige Marc Reichciky den Saal betraten. Übrigens: Scott, Labet und Ranke hatten ihre Plätze nicht verlassen. Sie sahen auch keine Veranlassung, sich von ihren Sitzen zu erheben, als der Vorsitzende mit seinem Gefolge erschien. Bublatz, dem man das Erstaunen darübe r vom Gesicht ablesen konnte, wagte es nicht, diesen Herren eine Rüge zu erteilen. Das ‘Hohe Gericht’ hatte schon zuviel an Autorität verloren. „Die Verhandlung wird fortgesetzt. Ich bitte die Zuhörer, in Zukunft alle Unmuts
- oder
Beifallsäußerungen zu unterlassen. Andernfalls sähe ich mich gezwungen, die Öffentlichkeit auszuschließen.“ Ein Zuhörer schrie so laut, daß man ihn überall verstehen konnte: „Dann können Sie gleich dieses ganze Kasperle-Theater abblasen!“ Sollte Bublatz weiter an Glaubwürdigkeit verlieren? Er zog es vor, darauf nicht zu antworten. „Ich bitte mit der Befragung der Sachverständigen zu beginnen.“ Scott meldete sich zu Wort: „Der Zweite Sachverständige möchte sich bitte ebenfalls vorstellen und seine Qualifikation offenbaren, wie es der Gutachter der Verteidigung getan hat.“ Bublatz machte eine Handbewegung: „Bitte!“ Es erhob sich eine leicht gebückte Gestalt. Der Kopf war nach vorn gebeugt, aber man konnte seine verschlagen wirkenden Augen gut erkennen. „Mein Name dürfte bei allen politisch und besonders literarisch Interessierten bekannt sein. Ich darf in aller Bescheidenheit sagen, daß die deutsche Literatur ohne meine Mitwirkung so gut wie tot wäre. Ich habe dafür gesorgt, daß die neue deutsche Literatur zu einer Weltgeltung gekommen ist. Mit großer Berechtigung werde ich in maßgeblichen Kreisen als der deutsche Literatur-Papst bezeichnet. Diese ehrenvolle Beförderung erhielt ich durch meine umfassenden Kenntnisse der alten wie der modernen deutschen Literatur. Dazu gehören auch meine Sachkenntnisse bezüglich der deutschen Historie. Meine unabhängige, sachbezogene Interpretation der deutschen Geschichte bildete außerdem die Grundlage für meine vielen Einladungen von den unterschiedlichsten Gremien und besonders dem Fernsehen. Damit glaube ich, meine Legitimation als Gutachter und Sachverständiger erbracht zu haben.“ „Herr Vorsitzender,“ ergriff Scott das Wort, „der Herr Sachverständige hat mit wenigen Worten seine angebliche Legitimation so geschönt, wie es solche Typen ... „ Weiter kam er nicht. Der Möchtegern-Papst für Literaturfragen und Bublatz hatten gleichzeitig, wie verabredet, losgeschrien. Zu hören war aber nur Bublatz, denn von Reichciky war man das Nuscheln aus dem Fernsehen gewöhnt, weil ihm von Liebedienern alles abgenommen wurde, selbst wenn man ihn nicht verstehen konnte: „Mister Scott, halten Sie sich gefälligst an die einfachsten Regeln der Höflichkeit! Ich fordere Sie auf, sich für den Ausdruck ‘Typen’ beim Sachverständigen zu entschuldigen!“ „Herr Vorsitzender, auch Sie sind es gewöhnt, Beifall schon dann zu bekommen, wenn Sie Ihren Satz noch nicht beendet haben. Eine andere Reaktion ist Ihnen völlig fremd. Die Zeiten ändern sich jetzt, und Sie werden zurückstecken müssen! Sie erlauben mir also großzügig, meinen Satz zu beenden. Sie sollen Ihren Willen haben!: Ich wiederhole: ... der Herr
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Sachverständige hat mit wenigen Worten seine angebliche Legitimation so geschönt, wie es solche Typen lieben, die alles, was er sagt, für ein Evangelium halten!“ Hier wurde der Sprecher durch laute Zustimmung unterbrochen. „Mir ist das Buch ‘Auge um Auge’ von John Sack bekannt, in dem über die Massenmorde des ‘Amtes für Staatssicherheit in Polen’, eines kommunistischen Geheimdienstes, die Rede ist, zu der sich selbst unser prädestinierte Sachverständige gehör...“ Schon wieder wurde seine Rede von Bublatz unterbrochen: „Herr Verteidiger, ich werde es nicht zulassen, daß Sie den Herrn Sachverständigen in dieser Weise diffamieren ...“ Weiter kam auch der Vorsitzende nicht. Dem Publikum wurde die Sache jetzt zu dumm. Laut wurde durcheinander gebrüllt. Einer hatte die richtige Lücke erwischt und schrie:
„Der hat in
Schlesien einem kommunistischen Mord-Kommando angehört! 80.000 Deutsche wurden damals ermordet! Er soll sagen, ob er selber gemordet hat, oder ob er als Offizier hat morden lassen!“ Das war für die Linken und Bublatz zuviel. Der läutete Sturm, sprang von seinem Sessel, zeigte mit der Hand auf den Schreier und schrie in gleicher Lautstärke zurück: „Ich lasse Sie aus dem Saal entfernen! Saaldiener, setzen Sie diesen Mann vor die Tür!“ Diese Kraftprobe hätte Bublatz nicht herausfordern dürfen. Sofort sprangen einige Zuhörer auf und schrien zurück: „Wagen Sie nur, unsern Kameraden anzufassen! Dann gibt es hier einen großen Trümmerhaufen!“ Jetzt hielt Scott den Zeitpunkt für richtig, einzugreifen: „Herr Vorsitzender, zur Beruhigung der Gemüter schlage ich einen Kompromiß vor,“ schrie er zum Vorsitzenden hinüber, und dann etwas weniger lautstark, „da der Herr Gutachter und Sachverständige nicht bereit war, seine volle Identität über sein Wirken in der erwähnten kommunistischen Spezialeinheit preiszugeben, muß er doch damit rechnen, von anderen entsprechend vorgeführt zu werden.“ Bublatz wurde unsicher. Ein Teil der Zuhörer ließ Unmutsäußerungen ab, während andere „Bravo“ riefen. Die allgemeine Zustimmung überwog, denn die Leute wollten wissen, welchen Schurken sie vor sich hatten. Scott sprach weiter: „Ich sehe vor aus, daß ein sogenannter Sachverständiger für Fragen der Verbrechen gegen die Menschlichkeit selbst wohl keine Gewähr für Korrektheit und Wahrheit bietet, wenn er einer politischen Verbrecher-Organisation angehört hat. Daß damals etwa 80.000 Deutsche, Alte, Kinder, Frauen auf bestialische Weise ums Leben gebracht wurden, steht außer Zweifel. Wer als Offizier sogar zu einer solchen Einheit gehörte, der muß sich diese Fragen stellen lassen. Ich fordere Herrn Reichciky auf zu erklären, daß er diesem kommunistischen Geheimdienst nicht angehörte, und wir werden weiter sehen!“ Eine unheimliche Stille trat ein. Sicher hätte sich Bublatz diese Aufmerksamkeit des Publikums immer gewünscht. Nur jetzt stimmte der Hintergrund nicht. Er wagte auch nicht, Scott in seinen Argumenten zu stören. Mit Spannung warteten alle auf Scotts Worte: „Meine Damen und Herren, erwarten Sie etwa eine Gegenrede von diesem Sachverständigen für Menschenrechtsverletzungen? Er wird hier seine Antwort schuldig bleiben! Sollte er auch nur den Versuch machen, diese Tatsachen zu leugnen, so werde ich dafür sorgen, daß entsprechende Sachbeweise auf den Tisch kommen! Ich könnte diesen Herrn Gutachter ...“
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Zum ersten Mal meldete sich ein beisitzender Richter. Der US-Amerikaner Silberhagen hatte schon vorher einige Worte mit Bublatz gewechselt; wider alle Gewohnheit erhob er sich und unterbrach seinen Landsmann Scott: „Mister Scott, wenn Ihre Beschuldigungen gegen den Herrn Sachverständigen der Wahrheit entsprächen, dann hätte doch ein Staatsanwalt der Bundesrepublik Deutschland längst ein Verfahren gegen ihn eingeleitet! Mir ist bekannt, daß hier Hunderte von Prozessen gegen Kriegverbrecher gelaufen sind. Ich vermute deshalb, Ihre Vorwürfe gegen Mister Reichciky sind absolut aus der Luft gegriffen.“ „Mister Silberhagen, nachdem ich Ihr Buch gelesen habe, Sie wissen schon, was ich meine, wundert mich nicht, daß Sie in dieser Frage völlig unbedarft sind, was die Verhältnisse in Deutschland betrifft. Das deutsche Volk lebt seit über fünfzig Jahre im Zustand eines Waffenstillstands! Man verweigert ihm einen Friedensvertrag! Ein Friedensvertrag wird von seinen politischen Vertretern nicht eingefordert, weil diese in absoluter Abhängigkeit der Sieger stehen. Es herrscht in der BRD also bis zum heutigen Tage das Kriegsrecht. Das sollten Sie doch als Geschichtsprofessor am besten wissen! Und um auf ihren Einwurf zu kommen: In der BRD können Sie jeden Deutschen mit Hilfe des Staatsanwalts allein wegen verleumderischen Verdachts, an Verbrechen beteiligt gewesen zu sein, einsperren. Dagegen werden die Verbrechen der Angehörigen der Siegermächte erst gar nicht zur Anklage zugelassen. Und der angebliche Sachverständige gehört zur fünften Siegermacht! Aus diesem Grunde hat der Staatsanwalt eine Prüfung der möglichen Verbrechen dieses sauberen Gutachters abgewiesen! Das ist die Lage, Mister Silberhagen!“ Durch erneuten Lärm wurde die allgemeine Stimmung noch mehr aufgeheizt. Scott mußte einige Zeit warten, bis sich Ruhe einstellte. „Mister Silberhagen, vielleicht wäre es auch für Sie persönlich von Vorteil gewesen, sich nicht soweit aus dem Fenster zu lehnen und hier das Amt eines Richters zu übernehmen. Über fünfzig Jahre sind nämlich für ein Volk zuviel, in denen man es für das gesamte Elend der Welt verantwortlich machen will. Dieses Volk will endlich die Gleichberechtigung mit anderen Völkern haben! Es geht hier und heute nicht um die Wurzeln irgendwelcher Verbrechen vor Hunderten von Jahren, sondern um Gerechtigkeit! Und die Gerechtigkeit setzt die Wahrheit voraus! Das, Mister Silberhagen, sollten Sie in die Welt hinausschreien! Sie können von mir aus auch ein Buch darüber schreiben. Wenn Sie nach Fakten suchen, dann sprechen Sie mit mir! Ich werde sie Ihnen kostenlos liefern!“ Wie ein Orkan brauste der Beifall auf. Die Leute waren von den Stühlen aufgesprungen. Sie stürmten nach vorn. Bublatz machte keine Anstalten, die Situation zu meistern. Hilflos sah er sich nach allen Seiten um, während die Masse auf ihn und den Richertisch zudrängte. Vermutlich fühlte er sich noch nie in seinem Leben einer Gefahr so nahe. Hastig packte er seine Siebensachen zusammen und verließ den Gerichtssaal, gefolgt vom ganzen Gremium, bis auf Scott, Ranke und den Russen Boris Labet. Die Leute im Saal hatten besser das Ohr am Puls der Zeit. Sie witterten einen Umbruch größeren Ausmaßes. Sie blieben einfach im Zuhörerraum und verlangten die Fortsetzung der Verhandlung.
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Nach etwa zwanzig Minuten erschien eine Art höherer Gerichtsdiener, der in di e gespannt wartende Menge mit Amtsmine und -stimme verkündete: „In wenigen Minuten wird die Verhandlung fortgesetzt. Der Vorsitzende bittet Sie, Ruhe zu bewahren, damit die Sitzung in geordneten Bahnen verlaufen kann.“ Mit Beifall, Zustimmung und u nverfrorenem Gelächter wurde der Sprecher verabschiedet. Die Leute wollten ganz einfach auf ihre Kosten kommen. Noch war die Entwicklung nicht soweit gediehen, um alles in einem Tumult enden zu lassen. Endlich, endlich tauchten die finsteren Gestalten in der großen Flügeltür auf. Die Würde hatte sich wieder eingestellt. „Die Sitzung wird fortgesetzt. Das Wort hat die Richterin Frau Süß.“ „Hohes Gericht, meine Damen und Herren! Ich glaube, es ist keiner Seite gedient, wenn die Vorträge ins Persönliche der hier Beteiligten sich verirren. Frauen sind in solchen Fällen feinfühliger. Auch haben sie oft die Fähigkeit, ausgleichend zu wirken. Deshalb appelliere ich an alle Beteiligten, die Form zu bewahren und keine persönlichen Angriffe in die Verhandlung einzubringen. Ich danke Ihnen!“ Der Vorsitzende waltete wieder seines Amtes: „Mister Scott, Sie bitten ums Wort?“ „Hohes Gericht, verehrte Frau Richterin! Es würde mir nicht schwerfallen, Ihnen zuzustimmen. Meine Erfahrung läßt mich mißtrauisch sein, Ihnen glauben zu können, Sie hätten jetzt vor, das Recht und die Integrität der an diesem Prozeß Beteiligten als Grundlage Ihres Handelns anzuerkennen. Lassen Sie mich ein mögliches Beispiel aus der Gegenwart bringen. Durch den Verfall der Sitten und des Rechts werden wir nicht mehr weit davon entfernt sein, daß nach einem mißglücktem Banküberfall der Bankräuber einen ehemaligen Bankräuber als Staatsanwalt vor sich hat.“ Beifall von den Rängen brauste auf. Der Vorsitzend
e blieb ruhig. Sicher sah er sich
gezwungen, seinen Unmut zu verbergen, um nicht eine neue Pleite einzufangen. „Meine Damen und Herren, was ich soeben sagte, sollte nicht als überzogener Witz aufgefaßt werden. In allem Ernst stelle ich fest, daß hier ein Sachverständiger für Fragen von Verbrechen gegen die Menschlichkeit auftritt, der nicht die Charakterstärke aufbringt, mit ‘ja’ oder ‘nein’ zu antworten, wenn man ihn fragt, ob er ein Mitglied einer verbrecherischen kommunistischen Organisation gewesen ist, die über 80.000 Morde auf dem Gewissen hat. Hier, verehrte Frau Richterin, können Sie Ihre ganze frauliche Empfindsamkeit ins Spiel bringen, um für geordnete Verhältnisse zu sorgen! Ich jedenfalls, und alle normalen Menschen überhaupt, dürften sich hier für eine klare Entscheidung für Recht und Wahrheit und gegen politische Verkommenheit und ethnischen Mord aussprechen. Wenn Sie nach diesen Überlegungen noch in der Lage sind, mir zu widersprechen, dann werde ich meine Verteidigung sofort niederlegen und überlasse Sie und Ihr ganzes Hohes Gericht der Lächerlichkeit.“ Das war ein Hammer gegen dieses ganze ‘Hohe Gericht’ als Institution und die Beteiligten. Hatte es kurz vorher noch eine Phase gegeben, die erkennen ließ, daß diese Veranstaltung als Komödie betrachtet wurde, so konnte man jetzt einen tiefen Ernst erkennen.
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Aller Augen waren auf die Richterin Regina Süß gerichtet. Hier stand etwas auf des Messers Schneide. Man sah, wie sich Bublatz mit Frau Süß unterhielt. Was wurde abgesprochen? Die Zuhörer bewahrten Ruhe. Sie wollten wahrscheinlich eine Entscheidung des Gerichts nicht beeinflussen. Fast unbemerkt hatte sich der verhutzelte Reichciky erhoben. Er hatte einen Aktenordner unter dem Arm und war langsam zum Richtertisch gewatschelt. Dort angekommen, besprach er sich mit den Entscheidungsgewaltigen. Man schien sich nicht einig zu sein, denn es zog sich hin, ohne daß etwas geschah. Endlich konnte man auf eine Klärung der Lage hoffen. Mehrfach hatte Reichciky den Kopf geschüttelt. Schließlich konnte man erkennen, daß die Entscheidung gefallen war. Reichciky war dann am Richtertisch vorbeigegangen und strebte der bewußten Flügeltür zu. Die Zuhörer warteten ungeduldig auf eine Erklärung. Welch eine ungewohnte Geste vom Vorsitzenden. Er griff nicht nach seinem Wahrzeichen, sondern er hob seine Rechte, um anzukündigen, daß er etwas zu sagen habe. Wenn er nicht Jude gewesen wäre, hätte man jedem andern dies als ‘Deutschen Gruß’ angekreidet! „Hohes Gericht, meine Damen und Her ren, der Sachverständige Reichciky hat das Gericht gebeten, ihn aus Gesundheitsgründen aus der Verantwortung als Gutachter zu entlassen. Das Hohe Gericht hat seinem Wunsch entsprochen.“ Ein ohrenbetäubender Beifall setzte ein. Einzelne Rufe konnte man heraushören: „Verbrecher!“ - „Deutschenhasser!“ - „Mörder!“ Es war ein stürmischer Abgesang für einen der unwürdigsten Schmarotzer in der BRD! Noch einmal waltete Bublatz seines Amtes: „Die nächste Sitzung findet Dienstag, also morgen, um 9 Uhr 30 statt. Die Verhandlung ist geschlossen. * 18. Der 11. Verhandlungstag. Regina Süß übernimmt den Vorsitz. Wie üblich betrat das Richtertrio den Verhandlungsraum. Nicht allen fiel dabei auf, daß Frau Süß vorneweg marschierte. Sollte Bublatz dies aus einem Anflug von Höflichkeit getan haben, der Dame den Vortritt zu lassen? Aber der nächste Augenblick erregte großes Aufsehen. Regina Süß hatte den Platz des Vorsitzenden Richters eingenommen. Zwar war ein Raunen im Publikum nicht zu überhören, aber es überwog die Aufmerksamkeit aller, nicht zu verpassen, was das zu bedeuten habe. Kaum hatten alle ihre Plätze eingenommen, ergriff Frau Süß das Wort. „Der Vorsitzende Richter ist durch eine starke Erkältung derart von einer Heiserkeit geplagt, daß er nicht in der Lage ist, sein Amt heute auszuüben. Er hat mich beauftragt, ihn zu vertreten. Das Hohe Gericht ist über den Verlauf des Prozesses gegen Friedrich II., den König von Preußen, nicht glücklich. Wir wollen uns an dieser Stelle weitere Erklärungen dazu ersparen. Das Gericht hat erkannt, wie schwierig es ist, zu einer gerechten Beurteilung über Personen zu kommen, die bereits über zweihundert Jahre tot sind. Eine Gefahr wurde in der Vorbereitung des Prozesses nicht berücksichtigt, nämlich die Verquickung der Vergangenheit mit der Gegenwart, obgleich dies ja gerade unsere Absicht war. Dennoch ist das Hohe Gericht entschlossen, den eingeschlagenen Weg zu gehen. Das Hohe Gericht bittet die Ankläger und alle anderen
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Mitwirkenden, den Kernpunkt des Prozesses nicht aus den Augen zu verlieren. Der Angeklagte ist und bleibt Friedrich II. Ich bitte, die Befragung des Gutachters fortzusetzen.“ Es meldete sich der Vertreter Israels, Itzig Kaufman, zu Wort: „Herr Professor Ranke, welche Eigenschaften Friedrich II. würden Sie als besonders lobenswert herausheben?“ „Schon sein Vater, Friedrich Wilhelm, war ein äußerst sparsamer Hausvater. Diese Einstellung übertrug er auf den Staat Preußen. Sein Sohn, Friedrich II., hat nach anfänglichen Schwierigkeiten in seinen jungen Jahren diese Eigenschaft seines Vaters dann nicht nur übernommen und vorbildlich praktiziert, sondern er hat sie auf alle Bereiche Preußens ausgeweitet. Er sah seine Aufgabe als Landesvater darin, mit gutem Beispiel voranzugehen.
Er war
sparsam bis geizig gegen sich selbst, und er übertrug dieses Handeln auch auf die Führung seines Preußens. Je höher das Amt in seinem Staate, desto mehr Hingabe verlangte er von seinen Beamten bis hinauf zu den Ministern. Seine Einstellung gipfelte in der Devise: Der König von Preußen hat der erste Diener seines Staates zu sein. Alle anderen sollten sich entsprechend verhalten. Friedrich der Große bestrafte nicht nur jeden, der leichtfertig Geld verschwendete. Er fü hrte sogar das ein, was man in heutiger Zeit mit Haftung für ‘Amtsuntreue’ erfolglos fordert; aber leider zieht man keine Konsequenzen daraus. Das heißt zum Beispiel, jeder, der einen öffentlichen Auftrag erteilte, dafür mit seinem Hab und Gut haften mußte, wenn sich die Sache als unnötig oder als zu teuer herausstellte oder gar Korruption im Spiel war. Aus dieser Grundeinstellung entwickelten
sich
andere
Eigenschaften,
wie
Verantwortungsbewußtsein,
Pünktlichkeit,
Zuverlässigkeit, Gehorsam, gesundes Rechtsempfinden, die Sparsamkeit hatte ich bereits erwähnt, die Unbestechlichkeit seiner Untertanen vom ersten Minister bis zum gemeinen Volk und die Treue zu Volk und Vaterland und seinem König.“ „Herr Gutachter, sehen Sie die damalige Lage so, daß diese Eig enschaften dem König die Grundlagen verschafften, sich auf sein Volk in jeder schwierigen Lage unbedingt verlassen zu können, egal, um was es ging, auch dann, wenn es sogar zum Kriege führen konnte?“ „Ja, so würde ich das damalige Verhältnis zwischen K önig und Volk in seiner ganzen Breite einschätzen. Der König konnte sich auf seine Beamten, auf seine Soldaten und auf sein Volk verlassen. Deshalb war er in der Lage, schwierige Zeiten mit Erfolg zu überstehen.“ „Herr Gutachter, wie würden Sie eine Si tuation einschätzen, wenn der König einen gravierenden Fehler gemacht hätte? Hätte sein Volk ihm auch dann die Treue gehalten?“ „Ja, das nehme ich an. Zumal in der Zeit, als er bereits Beweise seiner Staatskunst geliefert hatte.“ „Herr Gutachter, wäre das Volk ihm auch dann blindlings gefolgt, wenn der König etwas getan hätte, was mit dem Begriff Moral nicht zu vereinbaren gewesen wäre.“ „Auch das halte ich durchaus für möglich. Oft kann ein Volk nicht alles übersehen, was in der großen Politik geplant ist, und was dann möglicherweise auch geschieht.“
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„Halten Sie für möglich, Herr Gutachter, daß unter solchen Gesichtspunkten auch Verbrechen begangen werden können, die gegen die Menschlichkeit gerichtet sind?“ „Selbstverständlich halte ich dieses im Prinzip für möglich. Aber Friedrich der Große hatte eine solch hohe Moral, daß ich einen vorsätzlichen Verstoß gegen Moral und gute Sitten für undenkbar halte.“ „Hohes Gericht, der Herr Gutachter hat soeben sehr deutlich bestätigt, daß bei e iner solchen Staats- und Volksführung, wie sie von Friedrich II. praktiziert wurde, Verbrechen gegen die Menschlichkeit nicht auszuschließen waren, ja, daß sie durchaus möglich gewesen wären! Ich habe noch eine sehr wichtige Frage an den Herrn Gutachte
r: Sie sprachen von der
Unbestechlichkeit als eine der hervorragenden Eigenschaften des preußischen Volkes. Sehe ich die Wirkung in der Weise, daß damit jedes Eingreifen von außen, ich meine durch Bestechung, modern ausgedrückt, durch Korruption, unmöglich war? Daß ein vom König eingeschlagener Weg, der möglicherweise gegen die Moral verstoßen hätte, durch ein Korrektiv, also durch die sonst zu verwerfende Korruption, nicht mehr zu stoppen gewesen wäre?“ „Nach dieser theoretischen Frage, Herr Ankläger Kaufman, müßte ich im Sinne des Alten Fritz folgendermaßen antworten: ‘Ein Hundsfott, der seine Ehre für Geld verkauft!’ - Ja, so kann man das sehen. Vor Rückschlägen durch Bestechlichkeit war Friedrich II. ziemlich sicher. Menschen, die unter seiner Herrschaft käuflich waren, hat er zutiefst verachtet. Denn, wer einmal käuflich ist, der hat die Hemmschwelle überwunden, und er wird dieses Geschäft auch in der Zukunft betreiben. Dabei wird die Höhe des Betrages die Richtung bestimmen! Wo die Bestechung erst einmal Eingang gefunden hat, wird sie wie Unkraut wuchern!“ Das Publikum war neugierig geworden. Man merkte es an der gespannten Aufmerksamkeit. Worauf wollte dieser Jude aus Israel hinaus? Nach einer Kunstpause setzte er mit seinen Fragen fort: „Hohes Gericht, wir wissen zwar alle, daß Gutachter von Gegen-Gutachtern widerlegt werden können. In unserm Fall kann auf einen zweiten Gutachter gern verzichtet werden. Sie haben selber gehört, daß Friedrich II. durch Korruption in seinen Absichten nicht zu unterlaufen war. Er hatte sein Volk völlig in der Hand. Man folgte ihm blind, egal, wo er es hingeführt hätte. Das aber ist genau das, was wir anklagen! Die Menschen denken hier und da, Korruption sei eine zu verurteilende Handlung. Hat die Menschheit aber jemals darüber nachgedacht, daß sie auch etwas Gutes zu bewirken vermag? Lassen Sie mich diesen Gedanken weiterführen! Um Ihnen die Situation besser vor Augen führen zu können, mache ich einen Sprung in die Neuzeit. Hätte es diese preußischen Eigenschaften, zum Beispiel die der Unbestechlichkeit, in NaziDeutschland nicht gegeben, so wäre der 2. Weltkrieg nicht nötig gewesen! Durch eine gelungene Korruption hätte man einige Obernazis auf unsere Seite gebracht und schon wäre dem NaziDeutschland der wirtschaftliche Aufschwung nicht gelungen. Aber ich will auf Friedrich II. zurückkommen: Hätte sich in seinen Reihen ein Minister befunden, an dem eine Bestechung möglich gewesen wäre, dann hätte es keine Schlesischen Kriege gegeben. Man hätte Gegenmaßnahmen treffen können, die das Blutvergießen verhindert hätten!
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Die weitere Entwicklung bis hin zu Hitler-Deutschland wäre anders verlaufen. Die demokratischen Staaten hätten dann für Ruhe und Ordnung gesorgt. Wir bräuchten dann heute diesen Prozeß nicht durchzuführen!“ Diese Rede sorgte wieder für Gegenstimmen bei den Zuhörern. - Aber schon meldete sich Scott zu Wort: „Mister Kaufman, man merkt Ihnen die jüdische Schule der Rabulistik an. Aber wir sind dabei, Ihre Denkweise, Strategie und Taktik zu studieren, um uns besser auf Sie einstellen zu können! Ich schließe mich Ihrem augenblicklichen Vorschlag an und spreche nun ebenfalls von der Gegenwart. Wenn Sie sich nur ein bißchen in Deutschland umsehen, müßten Sie feststellen, daß d
ie
Korruption hier Hochkonjunktur hat. Es ist keine Etage der politischen Hierarchie von Korruption ausgeschlossen. Erkundigen Sie sich mal bei der jetzt Vorsitzenden Richterin! Sie wird Ihnen verraten können, wie man es macht, in die eigenen Taschen zu wirtschaften und sich ‘wirtschaften’ zu lassen! Das deutsche Sprichwort ‘kleine Geschenke erhalten die Freundschaft’ ist längst in die jüdische Mentalität abgeglitten ‘eine Hand wäscht die andere’!“ Das hatte gesessen! Die Zuhörer applaudierten dem Sprec her. „Mister Kaufman, die größeren Geldsäcke stehen auf Ihrer Seite. Deshalb suchen sie über die Korruption den Erfolg. Nicht, wie Sie uns weismachen wollen, siegt bei dieser Methode die Moral. Das Ergebnis ist allein der Niedergang einer Kultur! Sie und Ihre Freunde haben nach dem 2. Weltkrieg diesen Weg der Bestechungen, des ‘Schmierens’, in Deutschland zur Meisterschaft geführt! Was ist dabei herausgekommen? Der demokratische Gedanke ging restlos vor die Hunde! Deutschland wird mit seiner Volkswirtschaft und in seiner volklichen Substanz in die Vernichtung getrieben. Und das unter anderem hauptsächlich durch Bestechung! Jawohl, die Korruption bewirkt die langsame Ausrottung des deutschen Volkes! Sie, Mister Kaufman, werden diese Tatsache am alle rdeutlichsten sehen, denn Ihr Volk geht genau den entgegengesetzten Weg! Was würden Sie mir sagen, wenn ich die Macht hätte, das mit Ihrem Volk zu tun, was Sie dem deutschen Volk aufzwingen? Sie würden mich steinigen! Ich will Ihnen noch etwas sagen: Sie wären froh, wenn Sie einen Friedrich II. gehabt hätten, der Ihr Volk die Eigenschaften gelehrt hätte, die Sie hier so verurteilen! Dann könnte sich Ihr Volk selbst auf den Beinen halten und brauchte nicht der BRD und den USA auf der Tasche zu lieg en!“ „Juda erwache!“ hatte da einer lauthals geschrien. Frau Süß sah sich nach ihren Kollegen um. Anscheinend wußte sie nicht, ob der Zwischenruf positiv oder negativ zu beurteilen sei. Hätte er jedoch ‘Deutschland erwache!’ geschrien, dann wäre natürlich alles klar gewesen! Wie sollte man den Zwischenrufer einordnen? Scott sprach weiter: „Ich kenne mich in der jüngsten deutschen Geschichte aus. Und in der jüdischen habe ich mich ebenfalls umgehört. Allein dieser Zwischenruf kann in Deutschland zu einem Konflikt mit dem Staatsanwalt führen. Zwar ist der Ruf ‘Juda erwache!’ absolut straffrei. Sollte er aber ironisch gemeint sein oder gar als Abwandlung eines Rufes aus der Nazizeit, nämlich ‘Deutschland erwache!’ dann ist der Rufer garantiert reif für eine Verurteilung.
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Mister Kaufman, sehen Sie hierin den Beweis einer demokratischen Staatsführung, die Sie dem deutschen Volk mit Hilfe eines Krieges aufgezwungen haben? Ich bleibe bei meinem Grundsatz: Wer in dieser Gerichtsverhandlung über Mor al urteilen will, der muß selber die Grundregeln der Moral praktizieren! Und diesen Beweis sind Sie alle, vom Richtertisch bis zu den Anklägern, bisher schuldig geblieben!“ Mit ‘Bravo’-Rufen bedankten sich einige Zuhörer. Und das ohne Einspruch der Frau Vorsitzenden! Scott hatte nur eine Pause gemacht: „Im übrigen gibt es ein Buch mit dem Titel ‘Juda erwache!’. Es wurde von dem Juden Ben Chaim geschrieben und1938 in Zürich veröffentlicht. Außerdem durfte es in Deutschland vertrieben werden! Nun aber zum Thema Korruption als Ausgleichsmittel. Herr Ankläger, wenn ich Ihre Einstellung zur Bestechung richtig deute, dann sehen Sie darin ein durchaus moralisch positives Mittel, um die Menschheit angeblich vor Verbrechen zu bewahren. Sehe ich das richtig?“ „Ja, das sehen Sie richtig! In gewissen Fällen ist das so.“ „Oder würden Sie vielleicht Einschränkungen machen, Herr Ankläger, wenn Sie zum Beispiel daran denken, daß sich die Juden als das ‘auserwählte’ Volk sehen? Etwa nach der englischen Devise: right or wrong, my Country?“ „Wenn das abzuwendende Unheil für die Menschheit außergewöhnlich groß ist, dann würde ich keine Einschränkungen zulassen. In bestimmten Notlagen, von denen die Allgemeinheit betroffen werden kann, gibt es keine Kompromisse!“ „Und
Sie meinen,
daß
die Kriege
des
hier
angeklagten
Preußen
-Königs
solch
außergewöhnliche Ereignisse darstellen, daß sie keinem Vergleich mit Kriegen der Neuzeit standhalten?“ „Sie vergessen, Herr Verteidiger, daß wir diesen Prozeß deswegen angestrengt haben, um nachzuweisen, wo die Wurzeln für die schlimmen Ereignisse, die von den Preußen-Nazis heraufbeschworen wurden, zu suchen sind! Und die Verbrechen der Nazis waren eben so außergewöhnlichen Umfangs, wie man sie nicht hatte voraussehen können!“ „Gut, Mister Kaufman, Sie wollen durch diesen Prozeß aber verhindern, daß ähnliche Kriege in der Zukunft stattfinden. Ist das richtig?“ „Ja, auch in dieser Ansicht stimme ich Ihnen zu.“ „Dann darf ich jetzt eine weitere Frage zur Klärung der Vorsorge stellen. Haben Sie eine Vorstellung, welche Ausmaße ein künftiger Nuklear-Krieg haben könnte?“ „Ich bin kein Physiker. Ich kann also nur von einer sehr laienhaften Ahnung ausgehen, wenn von den möglichen Ausmaßen eines Atombomben-Krieges die Rede ist. Meine persönliche Meinung ist, daß dies der Schrecken aller Schrecken sein wird. Aber ich verstehe den Zusammenhang zu diesem Prozeß nicht.“ „Sie werden noch darauf kommen! Darf ich Ihren Worten entnehmen, daß Sie alles tun würden, um einen Atom-Krieg zu verhindern?“ „Davon können Sie ausgehen! Jeder vernünftige Mensch dürfte alles tun, um die Menschheit davor zu bewahren. Deswegen haben ja die USA, mit finanzieller Verpflichtung der BRD, gegen den Irak Krieg geführt!“
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„Dann bin ich auf Ihre nächste Antwort gespannt, Mister Kaufman. Einer Ihrer Volksgenossen hat vor einigen Jahren der Weltöffentlichkeit gegenüber das getan, was Sie als vorbildliche Handlung gegenüber der Menschheit bewerten, wobei hier keine Korruption vorlag, denn er tat es aus Gewissensgründen!: Er machte die Welt darauf aufmerksam, daß Israel im Besitz von Atombomben ist. Um zu verhindern, daß die Welt im Chaos endet, nahm er in Kauf, von seinen Landsleuten ins Gefängnis gesteckt zu werden. Jetzt haben Sie die Möglichkeit, Ihre Größe vor diesem Hohen Gericht zu dokumentieren! In diesem Falle werde ich Ihnen meine größte Hochachtung bezeigen! Werden Sie Ihren Volksgenossen für seine menschenfreundliche Tat loben und ehren, oder stehen Sie hinter der Anklage Israels, er habe sein Vaterland verraten?“ „Mister Scott, Ihre Frage ist provokativ! Ich ersuche das Gericht, die Frage des Herrn Verteidigers nicht zuzulassen!“ Die Zuhörer witterten wieder einen Höhepunkt. Wie würde das Gericht entscheiden? Vor wenigen Tagen noch hätte jeder darauf wetten können, daß das Gericht im Sinne der Anklage entscheidet. Heute stand es 50 zu 50. Frau Süß konnte oder wollte die Verantwortung nicht allein tragen. Sie beriet sich mit Silberhagen. Was würde jetzt geschehen? Ein großer Teil der Zuschauer hatte längst begriffen, in welche Richtung dieses Prozeß-Theater den Initiatoren aus der Hand glitt, und was am Ende möglich sein könnte. Je länger die Pause dauerte, desto stärker empfanden die Leute die innere Unruhe. Endlich hob die Vorsitzende die Hand, um Ruhe zu gebieten. „Das Hohe Gericht hält die Frage des Verteidigers für unzulässig!“ Kaum war das letzte Wort gefallen, sprang mehr als die Hälfte der Zuschauer von ihren Stühlen auf und machten den Eindruck, als wollten sie das Podium stürmen. Die Gefahr erkennend, griff Frau Süß zur Glocke und setzte zweimal zu einer Erklärung an. „Herr Verteidiger, wir geben Ihnen die Gelegenheit, Ihre Frage zu präzisieren, damit der Herr Ankläger den Zusammenhang zum Prozeß erkennen kann.“ „Frau Vorsitzende, ich bin mir sicher, Sie und auch Mister Kaufman können der Verhandlung und damit meiner Fragestellung folgen. Ich sehe in Ihrer ersten ablehnenden Haltung nur den Versuch, das eigentliche Ziel dieses Prozesses absichtlich nicht mehr anzustreben, weil Sie alle bereits erkannt haben, wie sehr Vergangenheit und Zukunft verknüpft sind. Sie wollten mit diesem Prozeß die Wiederholung schrecklicher Ereignisse für die Zukunft vermeiden. Sie wollten diese Möglichkeit aber nur in der Existenz des deutschen Volkes suchen, um einen Vorwand zu haben, das deutsche Volk seelisch und physisch zu vernichten. Jetzt, da ich Ihnen aufzeige, wo die größte Gefahr für alle Völker zu finden ist, versuchen Sie, auszuweichen. Das werde ich jedoch nicht mitmachen! Der von Ihnen gewünschte Schauprozeß findet nicht statt! Jetzt wird die Sache für Sie alle ernst! Es soll sich hier herausstellen, wer es ehrlich meint! Ich verlange gleiches Recht für alle Völker! Das hier angeklagte deutsche Volk in der Person des Preußenkönigs wird mit meiner Hilfe zurückschlagen! Ich schließe mich der Ansicht des Anklägers aus Israel an: Die größte Gefahr droht allen Menschen durch die Atombomben. Diese Gefahr auszuschalten, ist Aufgabe aller, die es ehrlich meinen.
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Ich wiederhole meine Frage an den Ankläger: Halten Sie den Atomwaffen -Verrat des Israeli für eine sinnvolle Handlung?“ Atemlose Spannung lag im Raum. Was wird Kaufman antworten? Die Richter-Kollegen schienen ihm keine Hilfe bieten zu wollen. Der Ankläger suchte Blickkontakt, aber niemand war empfangsbereit. Auf eine aufmunternde Handbewegung der Frau Süß reagierte er nicht. Viel mehr machte er ein Zeichen, was heißen sollte: Nun, sag Du etwas! „Herr Ankläger,“ begann die Vorsitzende, „bitte äußern Sie sich zur Frage des Mister Scott!“ Noch ein paar Augenblicke verharrte Kaufman, dann packte er seine Schriftstücke zusammen, steckte sie in seinen kleinen Aktenkoffer, stand auf und verließ ohne Gruß den Verhandlungssaal. Kurz bevor er die Tür erreicht hatte, setzte ein Höllenlärm ein. Einer schrie aus der Menge: „Schon wieder ein Abschuß!“ Weitere Rufer setzten sich durch: „Bravo Scott!“ - „Gib es diesen Halunken, Scott!“ - „Du hast das Ritterkreuz verdient, Scott!“ - „Der nächste ist zum Abschuß freigegeben!“ Wie nach einer erfolgreichen Theaterveranstaltung verließen die Zuhörer zufrieden und aufgeregt diskutierend den Raum. Alles hatte sich von selbst in Wohlgefallen aufgelöst. Kaum einer hatte noch zugehört, als die Vorsitzende die nächste Verhandlung für Mittwoch um 9 Uhr angesetzt hatte. * 19. Der 12. Verhandlungstag. Margret Charming findet einen Freund. Schon wieder war ein Sessel leer geblieben. Frau Süß waltete ihres Amtes: „Die Verhandlung ist eröffnet. Das ‘Hohe Gericht’ gibt bekannt, daß der israelische Ankläger, Herr Itzig Kaufman, sein Amt niedergelegt hat. Eine Begründung wurde nicht abgegeben.“ Das wirkte wie der Ruf ‘Feueralarm!’ Sofort war alles munter. Und schon konnte man auf der einen Seite betretenes Schweigen wahrnehmen, während auf der anderen Seite Leben hineinkam, nach dem Motto: ‘Auf geht’s!’ ‘Der nächste bitte!’ „Die englische Anklä gerin, Mrs. Charming, wird mit der Befragung des Sachverständigen, Professor Ranke, beginnen. Bitte!“ „Herr Gutachter, ist es richtig, daß Friedrich II. ohne Vorwarnung seinen Ersten Schlesischen Krieg begonnen hat? Ich will damit sagen, daß weder Österreich, dem der Angriff galt, noch eine andere Nation eine Ahnung von seinen Absichten hatte.“ „Ja, das stimmt, Mrs. Charming. Friedrich der Große hat seine Vorbereitungen so geheim gehalten, daß nicht einmal seine nächsten Vertrauten wußten, was er vorhatte. Der Aufmarsch erfolgte also völlig geheim. Aber vor Beginn des Einmarsches schickte er einen Diplomaten nach Wien, um Kaiserin Maria Theresia von seiner Aktion in Kenntnis zu setzen. Das war damals so üblich.“ „Würden Sie, Herr Sachverständiger, diesen ‘Einmarsch’ in Schlesien mit einem Überfall bezeichnen?“ „Ja, so könnte man es auch sehen. Aber, Mrs. Charming, man sollte, um die Lage gerecht zu beurteilen, die Vorgeschichte und Gesamtsituation in eine Beurteilung einbeziehen!“
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„Herr Gutachter, ich befrage Sie nicht über eine Lagebeurteilung. Sie sind hier lediglich zur Unterstützung des Gerichts zugelassen! Zu meiner letzten Frage verlange ich von Ihnen ein klares ‘Ja’ oder ein klares ‘Nein’! Alles andere überschreitet Ihre Kompetenzen, Professor Ranke!“ „Aber ...“ Weiter
kam der Professor nicht. Scott hatte sich erhoben, eine beschwichtigende
Handbewegung in Richtung Gutachter gemacht und begann in aller Ruhe: „Lady Charming, nicht immer gilt: ‘Nomen est Omen’! ‘Charming’ ka nn man ins Deutsche unter anderem auch mit ‘charmant’ übersetzen. In Ihrem Falle stimmt etwas nicht! Entweder tragen Sie einen falschen Namen oder die Übersetzung ist falsch!“ Großes Gelächter bei den Zuschauern. Die deutschen Patrioten hatten in Scot t einen Freund gefunden, was anfänglich nicht zu vermuten war. „Mrs. Charming, wenn Sie mir noch mehr Gelegenheiten bieten, so werde ich aufzeigen, in welchen Ruf man durch Unvorsichtigkeit abgleiten kann, so daß man dann ‘charming’ durchaus gegen ‘unanständig’ austauschen kann. Sie verlangen auf Ihre Frage von Professor Ranke ein klares ‘Ja’ oder ‘Nein’. Wie unsinnig und anmaßend so etwas sein kann, werde ich Ihnen anhand einer eben solch unsinnigen Frage beweisen, die Sie dann präzise mit ‘ja’ oder ‘nein’ beantworten sollten: Ist es wahr, daß Sie Ihre Haushälterin erst vergangene Woche zum letzten Mal verprügelt haben? Bitte antworten Sie nur mit ‘ja’ oder ‘nein’!“ Nach einer kurzen Schrecksekunde setzte ein Orkan aus Lachen, Beifall und Buhru fen ein. Ein toller Wirbel herrschte bei den Zuschauern. Nicht mehr die Richter oder sogenannten ‘Staatsanwälte’ führten Regie, sondern allein der einsame Kämpfer für den Alten Fritz. Aber schon hörte man die Glocke heftig Töne ablassen, und die schwungvolle Gebieterin sah sich gezwungen, einzugreifen: „Mister Scott, Ihre Frage an die Frau Anklägerin trägt nun wirklich nicht zur Wahrheitsfindung bei. Beschränken Sie sich bitte auf die notwendigen Zusammenhänge.“ „Nichts lieber als das, Frau Vorsitzende! Die Beschränktheit der Mrs. Charming ...“ „Mister Scott,“ schaltete sich Frau Süß sofort ein, „ich werde es nicht zulassen, daß Sie Mrs. Charming in dieser Weise beleidigen, wenn Sie von ihrer ‘Beschränktheit’ sprechen. Entschuldigen Sie sich bei ihr, und Sie können Ihre Rede fortsetzen!“ „Es tut mir leid, wenn sich die Frau Kollegin verletzt fühlen sollte. Es liegt lediglich an meinem unvollkommenen
Deutsch.
Ich
wollte
sagen,
sie
habe
damit
begonnen,
den
Herrn
Sachverständigen in seinen Ausführungen zu beschränken.“ Mit diesen Worten hatte er wieder eine Begeisterungslawine losgetreten. Niemand hier im Saal hätte ihm abgenommen, die deutsche Sprache nicht zu beherrschen. Ganz sicher spielte er seine ausgezeichneten Sprachkenntnisse aus und kannte genau diesen kleinen Unterschied zwischen Beschränktheit und Beschränkung. Allerdings bemerkte man jetzt deutlich sein Bemühen, mit Akzent zu sprechen, um glaubhafter zu wirken. Die Vorsitzende war fast zu bedauern. Sollte sie sich auf ein Redegefecht einlassen? Hoheitsvoll umging sie dieses Risiko und machte eine einladende Handbewegung zum Weitersprechen.
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„Ich nehme es Ihnen nicht übel, my Lady, wenn Sie die Antwort schuldig bleiben. Wir wollen uns aber so verhalten, wie es Ihrem Namen entspricht, nämlich charmant und sagen: Im Zweifel für den Befragten.“ „Bravo, Scott! Bleib sauber!“ und andere freundliche Worte der Aufmunterung konnte man hören. Das genügte wohl Mister Scott. Er lächelte seiner Kontrahentin zu und überließ ihr die Möglichkeit, den Gutachter weiter zu befragen. „Professor, es ist nicht meine Absicht, in jedem Falle recht zu behalten. Wir wollen uns alle bemühen, unser Ziel anzustreben, nämlich die Menschen vor Krieg und allen seinen Schrecken zu bewahren. Haben Sie nicht auch den Eindruck gewonnen, daß, sagen wir ab der Zeit des Preußenkönigs Friedrich II., der Umgang mit dem unterlegenen Feind rauher geworden ist?“ „Wenn Sie, Frau Charming, von der Zeit bis heute sprechen, so mögen Sie recht haben. Ich stehe nicht an zu entscheiden, in welchem Maße die Sitten im Laufe der Zeit verkommener wurden. Das festzustellen, wäre vielleicht Aufgabe des Gerichts. Ich kann also nur über die Art des Niedergangs sprechen. Nur erlauben Sie mir eine Frage: Welchen Sinn hat eine solche Beobachtung, wenn ein zeitlich willkürlicher Strich gezogen wird? Erlauben Sie mir dazu eine sachliche Erklärung?“ Die Lady machte eine Handbewegung: „Bitte, tun Sie es!“ „Hundert Jahre vor dem Erscheinen Friedrich des Großen auf der europäischen Bühne hatte in Mitteleuropa der Dreißigjährige Krieg geherrscht. Das deutsche Volk mußte den größten Blutzoll leisten. 1618 lag die Bevölkerungszahl bei etwa 30 Millionen, und sie sank bis 1648 auf etwa 7 Millionen. Das ist ein Verlust von 23 Millionen, oder von zwei Dritteln seines Bestandes. Dieser Dreißigjährige Krieg war hauptsächlich ein Religionskrieg zweier christlicher Konfessionen. Was den Verfall der Sitten und Moral betrifft, lassen Sie mich als Beispiel nur den sogenannten Schwedentrunk nennen: Es wurde den willkürlich aufgegriffenen Menschen der Mund gewaltsam geöffnet, in den man Jauche einfüllte, bis die Menschen starben. Dagegen gibt es keinerlei Berichte über auch nur ähnliche Grausamkeiten unt er der Regierung Friedrichs des Großen.“ Da Professor Ranke eine Pause machte, schaltete sich Scott ein: „Mrs. Charming, Ihr versöhnlich klingender Ton soll bei mir eine gute Resonanz finden. Es würde mich freuen, wenn wir am selben Strang ziehen. Ich verkenne dabei nicht die Probleme, die auf Sie zukommen. Klüger wäre es gewesen, sich über die Folgen eines solchen Prozesses klar zu sein, bevor man sich darauf einläßt. Der grundsätzliche Trugschluß liegt darin, mit keiner Gegenwehr gerechnet zu haben. Ich entnehme Ihrer jetzigen Haltung, daß Sie nicht abgeneigt sind, Vergleiche zwischen der Zeit Friedrichs des Großen und der Neuzeit anzuerkennen, und zwar auch in der Beziehung, die von Ihrer Seite bisher nicht gern gesehen wurde. Dann lassen Sie mich nur zwei geschichtsmarkante Begebenheiten erwähnen. Die eine fällt in das Jahr 1940 unter das Stichwort Dünkirchen. Hitler wollte den ihm durch England und Frankreich erklärten Krieg beenden. In einer unnachahmlichen Geste und ritterlichen Behandlung englischer Soldaten vernichtete er die britische Armee nicht, sondern gebot der
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Wehrmacht ‘Halt!’, damit sich die Engländer auf die Insel zurückziehen konnten. Wohlgemerkt geschah dies aus politischem Weitblick und gegen jede militärische Vernunft! Das Gegenstück dazu: Als 1945 die Kampfhandlungen beendet waren, nahmen die Engländer in Flensburg die Regierung des Deutschen Reiches gefangen. Alle Herren und auch die Damen der diensttuenden Reichsregierung mußten sich vor den englischen Soldaten nackt ausziehen und von diesen Soldaten in entwürdigender Weise filzen lassen. Das, Mrs. Charming, ist ein Unterschied von Welten, was Sitte und Moral betrifft!“ Vor einer Stunde noch hätte man einen Aufschrei der Entrüstung im Saal erwarten können. Aber jetzt hatten die verschrienen Rechten ein gutes Gespür für mögliche Empfindungen eines Gegners, den man nicht um jeden Preis am Boden liegen sehen will. Dies zeugte von einer typisch deutschen Mentalität. - Das Erstaunliche war, daß den Anstoß für diesen Durchbruch der US-Amerikaner mit seiner afrikanischen Wurzel gegeben hatte. „Lassen Sie mich jetzt noch eine Frage an den Herrn Gutachter richten: Wie erklären Sie sich, daß solche Begebenheiten nicht wahrheitsgemäß der breiten Öffentlichkeit gesagt werde n?“ „Mister Scott, die Alliierten befinden sich immer noch grundsätzlich im Kriegszustand mit dem Deutschen Reich. Genauer bezeichnet, ist es bis heute nur ein Waffenstillstand. Es gelten noch immer
die
wesentlichsten
Gesetze
der
Alliierten,
die
dem
Deutschen
Reich
die
Handlungsvollmacht genommen haben.“ „Herr Professor, Sie sprechen vom Deutschen Reich, obgleich wir doch hier in der Bundesrepublik Deutschland leben. Sind Sie nicht up to date?“ „Die Alliierten haben gegen geltendes Völkerrecht dem Deutsche Reich die Handlungsfähigkeit genommen. Auch darf entgegen geltendem Völkerrecht die Deutsche
Verfassung nicht
angewandt werden. Das Bundesverfassungsgericht hat sogar bestätigt, daß das Deutsche Reich heute noch besteht, jedoch durch die Siege rmächte handlungsunfähig gehalten wird!“ „Professor Ranke, was Sie da sagen, birgt eine ungeheuerliche Konsequenz: Demnach sind das Grundgesetz und die Bundesregierung illegal. Wenn man es völkerrechtlich genau nimmt, wären dann alle Regierungsmitglieder Landes- und Hochverräter?“ „Ja, Mister Scott, so ist die internationale und nationale Rechtslage. Um sich der Strafverfolgung wegen Hoch- und Landesverrates zu Lasten des Deutschen Reiches auf zunächst unabsehbare Zeit zu entziehen, sind zuerst im Grundgesetz der BRD (Artikel 143) und zwei Jahre später im Strafgesetzbuch die einschlägigen reichsrechtlichen Straftatbestände entscheidend geändert worden.“ „Hohes Gericht,“ sagte Scott, „nach Feststellung dieser rechtlichen Lage sehe ich mich veranlaßt, in aller Deutlichkeit zu betonen, daß in Deutschland immer noch Krieg herrscht, und zwar im Zustand des Waffenstillstandes. Das deutsche Volk wird auf gemeinste Weise verdummt. Mit dem Machtmittel Geld wird alles getan, was dazu führt, das deutsche Volk, soweit es noch von Bestand ist, seelisch und physisch zu vernichten. Und der hier laufende Prozeß, meine Damen und Herren, sollte ein besonderes Mittel sein, diesem Ziel näher zu kommen. Es sollte eine Legitimation der Rechtmäßigkeit vorgetäuscht werden! Sie, meine Dame und meine Herren des Hohen Gerichts, haben es so gewollt. Ich werde alles in meiner Macht Stehende tun, um dies zu verhindern. Ich werde mehr tun: Ich werde dafür
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sorgen, daß die Wahrheit an die Öffentlichkeit kommt und dem deutschen Volk zu seinem Recht verholfen wird!“ Einige
Augenblicke herrschte
vollkommene
Ruhe.
Die
Menschen
mußten diese
Ungeheuerlichkeiten erst einmal in sich aufnehmen. Aber dann brach ein Jubel sondergleichen aus. Die meisten waren aufgestanden und spendete n Scott stehend Applaus. Andere lagen sich in den Armen. Endlich hatte jemand diese deutlichen Worte sprechen können, ohne gleich vom Staatsschutz abgeführt zu werden. Die Vorsitzende ließ nicht erkennen, in das Geschehen einzugrei fen. Sie gewährte den Zuschauern, ihren Emotionen freien Lauf zu lassen. Erst dann sprach sie an die Anklägerin gewandt: „Mrs. Charming, möchten Sie die Befragung des Sachverständigen fortsetzen?“ Diese schüttelte nur den Kopf. Bedächtig stand Scott auf und ging mit langsamen Schritten zu Frau Charming hinüber. Er blieb vor ihr stehen. Man sah, wie sie ruhig miteinander sprachen. Jetzt nahmen auch die Zuschauer diese Situation wahr. Im Saal wurde es immer ruhiger. Alle beobachteten d iese beiden bisherigen Gegner. Am Ende des Gesprächs streckte Scott seine Hand Frau Charming entgegen, und diese ergriff sie. Einige Sekunden dauerte dieses denkwürdige Ereignis. Zum Schluß nickten sie einander zu, lösten Ihre Hände, und Scott ging zu seinem Platz zurück. Während dieser Augenblicke hatte Frau Charming ihre Akten zusammengepackt, sich von ihrem Sessel erhoben und war grußlos zur Tür gegangen. Wieder erhoben sich alle Zuschauer und spendeten Scott und der scheidenden Lady verhaltenen Beifall. Ohne Hilfe der Glocke verkündete die Vorsitzende das Ende der Sitzung und die nächste Verhandlungsrunde für Donnerstag um 9 Uhr 30. * 20. Der 13. Verhandlungstag. Satiree und der Bumerang. Man entdeckte im Publikum eine deutlich Tendenz der Abkehr von der seit Jahrzehnten herrschenden offiziellen Unterdrückung der Meinungsfreiheit des deutschen Volkes. Die Menschen wagten jetzt offenere Gespräche. Es war nicht mehr ‘modern’, die Lügen der Sieger und deren Vasallen widerspruchslos hinzunehmen. Man hatte der Erlebnisgeneration die grausamsten Verbrechen angehängt, ohne eine ordentliche Prüfung des Sachverhalts zuzulassen, und die jüngere Generation war davon überzeugt, Verbrecher als Vorfahren zu haben. Jetzt hatte sich das Blatt gewendet. Es machte alles den Eindruck, als würde sich ein erkranktes Volk auf dem Wege der Genesung befinden. Von den Linken, den ‘nützlichen Idioten’ und den frommen Karrieremachern war kaum noch einer zu dieser Pseudo-Gerichtsverhandlung erschienen. Manchmal hatte man den Eindruck, als machten sich einige bereits Gedanken, rechtzeitig auf den Zug der neuen Richtung aufzuspringen. Die nicht aussterbenden Konjunkturritter! Die Älteren kannten diese Sorte aus mehreren Zeitläufen. In diese Gedanken hinein erschienen die Spitzen des ‘Hohen Gerichts’. Nicht dabei war Mrs. Charming, die britische Anklägerin. Ihr Platz blieb leer. „Ich eröffne den 13. Verhandlungstag und bitte den französischen Ankläger, Herrn Satiree, den Herrn Sachverständigen zu befragen,“ verkündete die Vorsitzende.
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Bevor dieser etwas sagen konnte, hatte sich eine attraktive Dame aus dem Zuschauerbereich erhoben: „Frau Präsidentin, erlauben Sie mir vorher eine Frage zu stellen, welche die Allgemeinheit interessieren dürfte?“ „Ja, bitte fragen Sie!“ „Wir sehen, daß der Platz der britischen Anklägerin unbesetzt ist. Wollen Sie uns bitte sagen, warum sie an der heutigen Verhandlung nicht teilnimmt?“ „Das kann ich Ihnen leider nicht sagen. Mrs. Charming haben wir seit gestern nicht mehr gesehen. Auch hat sie keine Mitteilung für uns in ihrem Hotel hinterlassen.“ „Erlauben Sie mir, bitte, meine Entdeckung mitzuteilen, die ich gestern machte.“ Die Dame wartete gar nicht die Zustimmung der Vorsitzenden ab, sondern sprach wie selbstverständlich weiter. „Bevor Frau Charming in der Fürther Straße ein Taxi bestieg, gab sie einem Journalisten ein kurzes Interview. Ich stand neben den beiden und konnte alles mithören. Sie sagte, man hätte all die Peinlichkeiten vermeiden können, wenn man besser auf die Zeichen der Zeit geachtet hätte. Es schiene ihr, als wäre dieses Schauspiel des Gerichtsverfahrens eine späte Rache der 1946 in Nürnberg Gehenkten. Sie wolle sich und ihre Nation nicht ein zweites Mal schuldig machen.“ Das war Frau Süß nun zuviel. Obgleich alles mucksmäuschen still war, schrie sie unnötig laut: „Setzen Sie sich gefälligst! Halten Sie keine Propagandareden!“ Jetzt erst schwoll die herausgeforderte Unruhe im Zuschauerraum an. Mehrfach mußte sie die Glocke schwingen, bis sie erneut Herrn Satiree aufforderte, seine Fragen zu stellen. „Herr Professor Ranke, ist es wahr, daß Friedrich II. von Preußen nicht nur seine deutschen oder preußischen Landsleute in seine Armee preßte, damit sie sich in seinen Angriffskriegen für ihn totschießen lassen sollten?“ „Ja, so kann man es sehen. Es war zu jener Zeit üblich, die männlichen Preußen als Soldaten einzuziehen, wenn es die Lage erforderte. Der König von Preußen war der Meinung, wenn er seinem Volk einen Schutz gegen mögliche Feinde biete, diese dann auch verpflichtet seien, ihre Söhne zu diesem Zweck zur Verfügung zu stellen. Besonders stellte er diese Forderung an den Adel.“ „Gut, diese Einstellung ist normal. Die meisten Staaten wenden heute ebenfalls diese Regel an. Friedrich II. hatte aber auch Ausländer in seiner Armee. Ist das richtig?“ „Ja, das ist absolut richtig. Ausländer waren nicht nur einfache Soldaten, sondern es gehörten sogar höhere und höchste Offiziersränge dazu.“ „Was geschah Ihrer Meinung nach mit denjenigen, die plötzlich keine Lust mehr verspürten, für den Preußenkönig zu sterben und davonliefen?“ „Je nach Schwere ihres Vergehens mußten sie Spießrutenlaufen. Das heißt, sie mußten durch eine Gasse von Kameraden laufen, die auf den Deserteur mit einem Schlagstock einschlugen. In ganz schweren Fällen kam es zur Exekution.“ „Halten Sie es für moralisch vertretbar, einen Fremdling zum Kriegsdienst gegen sein eigenes Vaterland zu zwingen?“ „Nein, das widerspräche meinem Ehrgefühl und meinem Verständnis von Moral.“
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„Sind Sie der Meinung, daß Friedrich II. für solche Gewissenskonflikte seiner Soldaten einen moralischen Grund zur Fahnenflucht anerkannt hätte?“ „Mir ist kein Fall bekannt, der Ihrer Frage entspräche, aber wenn Sie nach meiner Meinung fragen, so denke ich, daß Friedrich II. darauf keine Rücksicht genommen hätte.“ „Hohes Gericht, der Herr Sachverständige hat damit eine ausgezeichnete Beurteilung über Friedrich II. gegeben, die darauf hinausläuft, daß ihm jedes Mittel recht war, Soldaten für seine Kriege auch dann einzusetzen, wenn diesen dafür der sittliche Grund fehlte. Man könnte also sagen, er habe diese jungen Männer lediglich als Kanonenfutter mißbraucht. - Würden Sie, Herr Professor Ranke, mir im Grundsatz zustimmen, wenn auch Sie den Begriff Kanonenfutter für etwas zu hart empfinden sollten, er jedoch in der Sache eine Tatsache ausdrückt?“ „Ja, da muß ich Ihnen recht geben!“ „Die letzte Antwort spricht für sich und den Verfall der guten Sitten unter Friedrich II. Festzuhalten ist, daß damit das Übel seinen Lauf nahm. Es gipfelte in dem Verbrechen Hitlers, nach seinem Überfall auf die Sowjetunion, seine SS aus allen Staaten Europas zu rekrutieren. Diese Tatsache dürften allen hier Anwesenden bekannt sein, so daß es keiner Bestätigung durch einen Historiker bedarf. Auch der sogenannte Kommissarbefehl Hitlers belegt die Verkommenheit der faschistischen Kriegsführung. Ich bitte das Hohe Gericht, dies bei der Urteilsfindung zu berücksichtigen. Die Urheberschaft dieser Entwicklung liegt bei Friedrich II. von Preußen. Ich habe keine weiteren Fragen.“ Scott hatte sich von seinem Platz erhoben. Jeder sah, daß er etwas zu sagen hatte. „Sicher wird es unterschiedliche Ansichten geben über die Aussagekraft des Vortrags von Monsieur Satiree. Für mein Empfinden war sie nicht überzeugend. Sie war sogar sehr dürftig! Ein Wort nochmals über die Ursachen dieser sehr lahmen Beweisführung: Seit bald sechzig Jahren wird die Welt mit Lügen über das Dritte Reich überschwemmt. Gegenargumente werden nicht zugelassen! Alle Medien bringen nur Verleumdungen. Darin begründet liegt die Leichtfertigkeit der Ankläger. Sie sind es gewöhnt, in diesem Geschäft ihre Lügen unangefochten absetzen zu können. Jetzt, da sich das Blatt wendet, werden die Handlanger dieser Kampagne überrascht. Das hat zur Folge, daß sie hilflos sind. Nun zur Sache: Ausgerechnet ein Franzose wird eine Lanze für die armen Deserteure brechen. Ich erinnere an das Jahr 1917. Die französische Front drohte den deutschen Ansturm nicht aufhalten zu können. Die erschöpften Franzosen begannen zu fliehen. Da ließ ein französischer General ein ganzes Regiment antreten. Er befahl, immer bis ‘zehn’ abzuzählen. Jeder zehnte Soldat mußte vortreten. Diese Soldaten wurden wegen Feigheit vor dem Feinde, ohne Kriegsgerichtsverhandlung, auf der Stelle erschossen! Mister Ankläger, Ihr General hat damit den Alten Fritz weit in den Schatten gestellt! Wenn Sie also in einer solchen Maßnahme ein Verbrechen gegen Moral und gute Sitten sehen, dann klagen Sie einen anderen an, aber nicht Friedrich den Großen! Sie sprachen von den europäischen Angehörigen der Waffen-SS. Diese Männer hatten sich alle freiwillig gemeldet! Sie fühlten die Verantwortung für Europa! Sie wollten helfen, Westeuropa das ‘Paradies’ des Bolschewismus zu ersparen! Ohne diese Männer der europäischen Waffen-SS säßen Sie heute nicht hier!
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Und noch etwas: Hitler hatte verboten, die Freiwilligen dieser europäischen Waffen-SS, ob sie Franzosen, Holländer, Norweger, Schweizer, Dänen, Belgier, Luxemburger, Schweden oder aus einem anderen Lande stammten, sie jemals gegen ihr eigenes Volk einzusetzen! Wie hoch die militärische Moral gegenüber dem unterlegenen Feind bei den Deutschen stand, bewies Hitler beim Waffenstillstand in Frankreich. Er hat die französische Abordnung mit allen militärischen Ehren empfangen. Und er hat Ihnen gegenüber zum Ausdruck gebracht, welches Mitgefühl er für diese Situation habe. Das, meine Damen und meine Herren hier im Saal, kann man nicht oft und nicht deutlich genug hervorheben, wenn man sich bemühen will, zu einer gerechten Beurteilung zu kommen! Hitler hat bewußt keine Siegesparade in Paris abgehalten! Nennen Sie mir eine der Feindnationen, die ebenso gehandelt hat! Es gibt keine! Das ist beschämend für alle Nationen, die vorgegeben haben, einen Kreuzzug gegen Hitler führen zu müssen! Sie sprachen von dem berüchtigten Kommissarbefehl, nach welchem alle sowjetischen PolitKommissare bei Gefangennahme sofort zu erschießen seien. Dieser Befehl Hitlers wurde auf Drängen höherer deutscher Militärs schnellstens widerrufen. Zugegeben, er hätte nicht erlassen werden sollen. Aber wissen Sie denn gar nicht, was dem vorausgegangen war? - Es wurden verstümmelte deutsche Gefangene gefunden und durch sowjetische Gefangene war bestätigt worden, daß diese Grausamkeiten auf Befehl der Polit-Kommissare geschehen sei, die in den meisten Fällen Juden waren! Hierzu gehört die Erwähnung des ‘Fackelmänner-Befehls’ der Sowjets. Ganze Dörfer wurden von den Sowjets, die in Uniformen deutscher Soldaten auftraten, eingeäschert, um den Haß der sowjetischen Bevölkerung auf die Deutschen zu schüren! - In diese Reihe gehört der gesamte völkerrechtswidrige Einsatz von Partisanen! Mit Ihrer Erlaubnis, Frau Präsidentin, verlese ich Stalins Befehl Nr. 0428 vom 17. November 1941.“ - Scott suchte in seinen Unterlagen, bis er das richtige Blatt gefunden hatte. „‘Die Stawka des Obersten Befehlshabers befiehlt:
1. Alle Siedlungspunkte, an denen sich deutsche Truppen befinden, sind auf 40 bis 60 Kilometer ab der Hauptkampflinie in die Tiefe zu zerstören und in Brand zu setzen, 20 bis 30 Kilometer nach rechts und links von Wegen. Zur Vernichtung der Siedlungspunkte im angegebenen Radius ist die Luftwaffe hinzuzuziehen, sind Artillerie- und Granatwerfer großflächig zu nutzen, ebenso die Kommandos
der
Aufklärung,
Skiläufer
und
Partisanen-Divisionsgruppen,
die
mit
Brennstoffflaschen ausgerüstet sind. 2. Zu diesem Zweck sind in jedem Regiment Jagdkommandos zu bilden in Stärke von 20 bis 30 Mann, mit der Aufgabe, Sprengungen und Inbrandsetzung der Siedlungspunkte durchzuführen. Es müssen mutige Kämpfer für diese Aktionen der Vernichtung von Siedlungspunkten ausgewählt werden.’ Sie, Mister Satiree, werden vielleicht denken, was gehen mich die Sowjets an. Nun, es waren Ihre hochgelobten Verbündeten! Aber ich kann Ihnen noch ein weiteres Bild französischer Denkungsart liefern, die ich keineswegs verallgemeinern möchte! Als 1945 die Kampfhandlungen beendet waren, wurden unter anderen dreizehn junge Franzosen der Waffen-SS dem französischen General Leclerc vorgeführt. Der General war außer sich, seine
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Landsleute in dieser Uniform zu sehen. Der General schrie einen 20jährigen SS-Mann an, ob er sich nicht schäme, diese fremde Uniform zu tragen. Der Soldat antwortete: „Herr General, Sie tragen ja auch eine fremde, eine amerikanische Uniform!“ Nun dürfen Sie raten, was der General geantwortet hat! - Ich will es Ihnen sagen, Mister Satiree! Er ließ diese dreizehn jungen Franzosen ohne Kriegsgerichtsverfahren sofort und auf der Stelle erschießen! - Der General war damit zum Mörder geworden! Und ich trete dafür ein, daß man diese Last nicht allen Franzosen aufbürden sollte! Dieser General allein ist ein Verbrecher! Niemals das französische Volk! Ich halte es für meine Ehrenpflicht, gerade an diesem Ort die Namen der dreizehn jungen Franzosen zu nennen, die als Angehörige der europäischen Waffen-SS dazu beitrugen, den Rest Europas vor dem Bolschewismus zu retten: Paul Briffaut Robert Doffat Serge Krotoff Jean Rogert Raymond Payras und acht Unbekannte, deren Namen -General den Mörder Leclerc nicht interessierten. Diese Männer gehörten zur Waffen-SS Division Charlemagne. Sie ruhen auf dem Friedhof St. Zeno, Bad Reichenhall.“ Es herrschte eine atemlose Stille im Saal. Auch die Vorsitzende Frau Süß wagte nicht einzugreifen, denn die Atmosphäre war zu gewitterträchtig, und sie hätte sich unkontrollierbar entladen können. Scott sprach weiter: „Wenn Sie, Mister Satiree, unbedingt eine schlechte moralische Entwicklung seit Friedrich dem Großen im deutschen Volk entdecken wollen, so muß ich Sie bitten, über folgendes nachzudenken: Dem späteren Preußenkönig Friedrich Wilhelm III. wurden 1814 nach der Niederlage der Franzosen vor dem Zeughaus in Berlin erbeutete Fahnen und Kanonen vorgeführt. Er äußerte sein Mißfallen darüber. Er sagte, ich darf zitieren: ‘Ich ehre alles als Ausdruck guter Gesinnung, ist mir aber zu prächtig! Ist aller Schicklichkeit zuwider, andere Völker durch Ausstellung der Kanonen und Fahnen übermütig beleidigen zu wollen! Die großtuenden Trophäen in den Fenstern des Arsenals müssen wieder weggeschafft werden!’ Ende des Zitats. Frau Vorsitzende, ich sehe die Ungeduld in Ihrem Gesicht. Noch einen letzen Beitrag zum Nachdenken und zur Urteilsfindung: Ein andrer Preußenkönig traf sich mit Napoleon III. nach dem Krieg von 1870-71. Er fragte seinen monarchischen Kollegen: ‘Warum haben Sie auch noch die Schwarzen gegen uns ins Feld geführt? Wir hatten doch keinen Krieg mit den Negern!’ Mister Satiree, Ihre Landsleute haben meine Blutsbrüder als Kanonenfutter mißbraucht! Es ist noch schlimmer! Meinen Blutsbrüdern stiehlt man ihre Tradition, ihre Kultur, wenn man sie mit anderen Völkern vermischen will! Damit habe ich mein Plädoyer in diesem Falle beendet. Danke!“
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Sofort stürzte eine Flut von Beifall auf Scott. Viele waren aufgestanden und stürmten auf seinen Platz zu. Er konnte gar nicht all die Hände drücken, die sich ihm entgegenstreckten. Scott lächelte verhalten. Er schien innerlich bewegt zu sein. Ja, es war klar zu spüren, daß es nicht um eine bezahlte Vertretung irgendeines Angeklagten ging. Hier stand jemand, der mit Leib und Seele für die Gerechtigkeit eintrat. Die Vorsitzende läutete und sagte monoton: „Die heutige Verhandlung ist beendet. Die Fortsetzung findet am morgigen Freitag um 9 Uhr 30 statt.“ * 21. Der 14. Verhandlungstag. Boris Labet meldet sich zurück. Wie würde dieses Polit-Theater ausgehen, fragten sich die Zuschauer. Zwar verloren die Initiatoren mit jedem Tag mehr an Boden, aber ‘man soll den Tag nicht vor dem Abend loben’ lautet ein altes deutsches Sprichwort. Und vor allem, sagten sich diejenigen, deren Lebensinhalt geworden war: Wir wollen die endgültige Wende erleben! Und zwar möglichst bald, damit alles noch in geregelten Bahnen abläuft und dem deutschen Volk der Bürgerkrieg erspart wird! Ein aktiver Teilnehmer hatte seit mehreren Verhandlungstagen lediglich eine Statistenrolle gespielt. Wohl hatte er sich als Sachverständiger zur Verfügung gestellt, aber diese Herren waren bereits benannt gewesen. So saß er all die Tage als Zuhörer herum. Keine Regungen konnte man seinem Gesichtsausdruck entnehmen, außer seine wache Aufmerksamkeit. Es war Boris Labet, der ehemalige Ankläger. Der ‘Vorhang’ hob sich, die Gegner des Alten Fritz betraten die Bühne dieses Prozeß-Theaters. Bublatz fehlte, sein Sessel auch. Kurz darauf wurde die erste Runde eingeläutet: „Ich eröffne den 14. Verhandlungstag. Aus Krankheitsgründen wird Herr Bublatz an den nächsten Verhandlungen nicht teilnehmen können. Zur Befragung des Sachverständigen hat sich der Anklage-Vertreter der USA gemeldet. Bitte!“ Die Reaktion im Publikum ließ ein sofortiges Sprechen Mister Wilsons nicht zu. Frau Süß kürzte die Wartezeit mit einem sanften Geläute. „Herr Professor Ranke, Hitler hat im Jahre 1939 Polen überfallen. Nach diesem Feldzug blieb von Polen nur ein kleiner Rest übrig, der als Generalgouvernement unter deutscher Oberhoheit stand. Ist das richtig?“ „Polen hatte die Generalmobilmachung ausgerufen. Das entspricht einer völkerrechtlichen Kriegserklärung.“ „Das ist Nebensache! Wurde danach eine Teilung Polens vorgenommen?“ „Ja, das kann man so sehen.“ „Hat Friedrich II. von Preußen an einer Teilung Polens ebenfalls mitgewirkt? „Ja, auch das ist richtig.“ „Halten Sie solche Handlungsweisen für sittlich gerechtfertigt?“ „Herr Wilson, meine Rolle in diesem Prozeß ist, die historischen Tatsachen aufzuzeigen, und mit
meinen
Kenntnissen
dem
Gericht
einen
Schlußfolgerungen zu ziehen, ist nicht meine Aufgabe.“
besseren
Überblick
zu
verschaffen.
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Boris Labet hatte sich von seinem Platz erhoben: „Frau Vorsitzende, da ich meine Mitwirkung bei diesem Verfahren gegen Friedrich II. von Preußen nicht grundsätzlich aufgekündigt habe, mache ich von meinem Recht Gebrauch, mich zu Worte zu melden.“ Das war nicht nur für diese Dame eine Überraschung, sondern auch für die Zuschauer und alle anderen Offiziellen. Regina Süß schien in dieser Ausnahmesituation überfordert zu sein und suchte erst einmal Rat b ei ihrem Kollegen Silberhagen. „Herr Labet, wenn Sie etwas zur Sache vorzubringen haben, dann bitte sehr!“ „Danke, Frau Vorsitzende! Mister Wilson, Hitler ist seit über fünfzig Jahren tot. Er ist und bleibt das beste Zugpferd nicht nur in Hollywood, sondern auch für viele andere Geschäfte, in der Politik und als Kinderschreck, denn wie ich hörte, sollen in Deutschland bereits die Vierjährigen im Kindergarten mit Hitlers ‘Holocaust’ beschäftigt werden. Ich durchschaue auch hier Ihre hinterhältige Taktik gegenüber einem Gutachter, der so korrekt ist, seine Aufgabe als Sachverständiger nicht zu überschreiten. Mit dieser vornehmen Haltung haben Sie gewiß gerechnet, und Sie glaubten, mit der unbeantworteten Frage einen bestimmten Effekt erzielen zu können. Sie haben sich geirrt! Ich werde Ihnen diese Suppe tüchtig versalzen! Sie haben mich mit Ihrer Frage an Herrn Professor Ranke direkt herausgefordert. Es wäre unhöflich, sie nicht zu beantworten. Polen wurde mehrmals geteilt. Jedes Mal waren nicht nur die Preußen beteiligt, sondern Rußland und Österreich. Damals nahmen sich die Russen Zweidrittel des abzutretenden Gebiets, während Österreich und Preußen sich je ein Sechstel einverleibten. Sanktioniert wurde diese Aktion von Frankreich unter Napoleon, als er 1807 das Herzogtum Warschau gründete. 1815 hat dann der Wiener Kongreß daraus das Königreich Polen gemacht. Ich überlasse es Ihnen, sich klug zu machen, welche Nationen am Wiener Kongreß beteiligt waren. Ganz bestimmt nicht Preußen allein! Über das Problem Polen hat ganz Europa entschieden! Und Sie suchen sich den wehrlosen
‘Alten
Fritz’
zum
Gegner
aus?!
Ihre
Handlungsweise
könnte
man
als
Leichenschändung betrachten!“ „Herr Labet,“ schaltete sich die Vorsitzende ein, „ich bitte Sie, in Ihrer Polemik nicht in ein Niveau abzugleiten, das der Würde des Hohen Gerichts nicht entspricht!“ Das hätte die Dame nicht sagen sollen. Sofort war das Publikum munter. „Buh“-Rufe und kräftigere Mißfallensäußerungen hörte man. Einer rief in eine Geräuschlücke „Blöde Gans!“ Der Rufer war zwar klar auszumachen, und alle warteten auf die Reaktion der Angesprochenen, aber nichts geschah. Labet setzte seine Rede fort: „Frau Vorsitzende, wenn ich mich dem Niveau des ‘Hohen Gerichts’ anpassen wollte, dann müßte ich mich auf die Stufe Ihrer Freunde und Förderer begeben, der Bolschewisten und des Nürnberger Militärtribunals mit Ihren Schauprozessen, Ihren Antifa-Freunden und den staatlich geduldeten Chaoten. Jeder, der sich noch einen Funken von Anständigkeit und einen Sinn für Wahrheit und Recht bewahrt hat, sollte den Mut haben, die Konsequenzen aus diesem niederträchtigen Vorhaben zu ziehen. Jawohl, Frau Vorsitzende, Sie und Ihre willigen Helfer tragen
die
Verantwortung
für
den
bisherigen
moralischen Niedergang.
Hier
wird in
alttestamentarischer Weise grausam gewütet in dem Wahn der Berechtigung durch Ihre vorgetäuschte moralische und politische Auserwähltheit!“
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„Herr Labet, wegen Ihres ungebührlichen Verhaltens rufe ich Sie zur Ordnung. Das Hohe Gericht ist nicht gewillt, Ihre diskreditierenden Äußerungen hinzunehmen.“ Sofort jaulten die Zuschauer auf. „Verdammte Ziege!“ übertönte eine kräftige Stimme. Ein paar Leute waren bereits aufgestanden. Andere folgten. Einige setzten sich zum Richterpodium in Bewegung. Silberhagen hatte eilig zur Glocke gegriffen. Das war neu. Die Leute blieben stehen, wollten wissen, was der denn nun zu sagen hätte. „Meine Damen und Herren, ich bitte Sie, die Vorsitzende als Frau zu respektieren und sie nicht weiterhin zu beleidigen. Das Einverständnis der Frau Vorsitzenden vorausgesetzt, sollte Mister Labet mit seiner Rede fortfahren.“ Die Menge beruhigte sich wieder. Sie wollten auf das Theater nicht verzichten. Und Labet ergriff das Wort. „Wenn Sie, Mister Wilson, sich hier als Ankläger wegen der Teilungen Polens aufspielen, dann sollten Sie weitere Repräsentanten oder Nationen oder sogar ganze Völker, wie Sie es mit den Deutschen vorhaben, aufs Korn nehmen. Ihr Verhalten beweist wieder einmal der Welt, wie gering Ihre Geschichtskenntnisse sind, aber Sie maßen sich dennoch an, als Weltpolizist selbstherrlich aufzutreten. Da Sie Hitlers Verhalten von 1939 mit der Teilung Polens vor rund zweihundert Jahren vergleichen und ins Spiel
gebracht
haben,
zwingen Sie mich schon wieder, Ihren
Geschichtskenntnissen auf die Sprünge zu helfen: Hitler hat nach dem Feldzug 1939 den Polen an Gebieten nur das abgenommen, was man dem Deutschen Reich 1918 offiziell und in den Jahren danach willkürlich, entgegen dem verbürgten Selbstbestimmungsrecht der Menschen, dort von den Polen besetzen ließ. So sehen die völkerrechtswidrigen Tatsachen aus, Mister Wilson! Noch ein Wort zur Klärung über die Beweggründe der Teilungen Polens: Damals lebten in dem Gebiet Polens über 40 Prozent Nichtpolen. Trotz der unzähligen Morde nach 1945 und der Vertreibungen sind es heute immer noch 30 Prozent Minderheiten, die in Polen l eben. Dieser Punkt dürfte damit abgehakt sein. Sie fragten aber nach der sittlichen Rechtfertigung, nicht wahr? In Abwandlung eines geflügelten Wortes ‘bleibe im Lande und nähre dich redlich’, möchte ich Ihnen jetzt zurufen: Bleiben Sie in Ihrem Lande und schämen Sie sich redlich! Jawohl, tun Sie das! Sie haben mehr Grund dazu, als der belogenen und betrogenen Allgemeinheit bekannt ist. Um Ihre sittlich ungerechtfertigten Handlungen zu vertuschen, müssen Sie ja immer wieder mit dem Finger auf andere Nationen und Völker zeigen, deren vermeintliche Schandtaten Sie so herzzerreißend brandmarken! Das ist die Methode: ‘Haltet den Dieb!’ Ich erinnere Sie nochmals an die von Ihnen vernichteten Indianer, an die Eroberungen Ihrer Staaten Neu Mexiko, Hawai, Californien, die grausame Knechtung der Afrikaner und wo Sie sich sonst noch in der Welt als Polizisten herumtreiben, um den Völkern ungerufen Ihre Gesundheit schädigenden Coca-ColaSegnungen zu bringen!“ Der beisitzende Richter Silberhagen hatte von Frau Süß das Wort bekommen. „Mister Labet, wir befinden uns hier in einer Gerichtsverhandlung gegen Friedrich II. von Preußen. Wollen Sie mir zustimmen, wenn ich feststelle, daß Sie sich immer weiter vom Kern der Anklage entfernen?“
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„Ja und nein, Mister Silberhagen. Die Anklage gegen Friedrich II. haben Sie nur als Vorwand benutzt, um gegen das deutsche Volk vorzugehen. Immer wieder wurde von den Anklägern diese enge Verknüpfung von Friedrich dem Großen und dem Nationalsozialismus ins Spiel gebracht. Es war sehr bald zu erkennen, daß es Ihnen gar nicht um eine Verurteilung Friedrich II. ging, sondern Sie sahen dies nur als Mittel zum Zweck, dem deutschen Volk daraus einen Strick zu drehen. Es ist also allein Ihrer Strategie zuzuschreiben, wenn die Verteidigung das Recht in Anspruch nimmt, die tatsächlichen Verbrechen Ihrer Nation der Welt vor Augen zu führen! Lassen Sie mich dies zum zweiten Punkt Ihrer Kritik sagen: Ich stimme Ihnen in vollem Umfange zu, daß sich der von Ihren Freunden eingefädelte Prozeß gegen Friedrich II., - durch den Sie Ihre Aktionen zur Vernichtung des deutschen Volkes rechtfertigen wollen, - um hundertachtzig Grad gedreht hat. Jawohl, das ist denen, die hier tatsächlich für Wahrheit und Recht kämpfen, gelungen! Und ich sage Ihnen, sie werden diesen Prozeß bis zum Ende durchziehen! Einem bitteren Ende für Sie, Mister Silberhagen, und Ihre freimaurerischen Hintermänner!“ Das verursachte einen wahren Aufstand. Stehend applaudierten die Zuschauer. Einige stürmten nach vorn, und sie ließen es sich nicht nehmen, dem ehemaligen Ankläger Labet die Hand zu drücken. War das ein erhebendes Gefühl! Fast so ergreifend wie damals, als Österreich, die Ostmark, dem Deutschen Reich angeschlossen wurde. Endlich hatten diese Menschen hier im Saal das Glücksempfinden, den Blick in eine saubere Zukunft werfen zu können. Frau Süß wurde nicht mehr geschmäht. Es schimpfte keiner! Man hatte den Eindruck, die Menschen hätten plötzlich neuen Lebensmut gefunden. Alle gingen friedlich zu ihren Plätzen zurück und warteten gespannt auf die Reaktion der Offiziellen. Frau Süß und der Amerikaner Silberhagen hatten während dieser Zeit einiges zu besprechen. Dann hob sie den Arm und begann ihren Abgesang: „Da keine weitere Wortmeldung vorliegt, erkläre ich die heutige Verhandlung für beendet. Die nächste Sitzung wird auf kommenden Montag um 9 Uhr festgesetzt.“ * 22. Der 15. Verhandlungstag: Silberhagen fliegt, Fisser kommt, Frau Limburg ist wie am Boden zerstört. Das ‘Hohe Gericht’ wurde von keinem mehr als solches gewürdigt. Selbst die Initiatoren mußten dies wohl erkannt haben. Es war jetzt eigentlich nur eine Frage des Stils, wie man den Abgang zu gestalten gedachte; wenn die Rädelsführer überhaupt noch in der Lage sein sollten, daran mitzuwirken. Professor Ranke, der Russe Labet und nicht zuletzt Mister Scott hatten das Heft längst in die Hand genommen. Der Zuschauersaal war voll besetzt. Das deutsche Volk hatte hier seinem ethnischen Rang entsprechend den ersten Platz eingenommen, und zwar mit dem Mittel der Volksdemokratie. Über fünfzig Jahre herrschte in der BRD mit Hilfe einer vermischten Gesellschaft die fünfte Besatzungsmacht, deren Finanzbosse in den USA sitzen. Nicht nur in Nürnberg war ein großes Aufatmen zu spüren. Obgleich sich die Medienmacht bemühte, diese Entwicklung zu verheimlichen, war es ihr nicht gelungen. Der nationale Widerstand begann zu wachsen. Von der Etsch bis an den Belt, von Wien bis Aachen wachten die Menschen auf. Das Erfreulichste war die Aktivität der Jugend, die jetzt Fragen stellte, die von der Erlebnisgeneration beantwortet werden
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sollten. Manche waren altersschwach, manche krank, aber der Rest wurde munter und weckte die verschlafenen Lebensgeister. Sie wurden beflügelt von ihrer alten Gesinnung! „In Treue fest!“ „Unsere Ehre heißt Treue!“ Das machte die Alten Herren wieder einsatzbereit. Und es waren nicht nur Männer, sondern oft sogar die Frauen, die Mut und Kraft spendeten. - Doch jetzt öffnete sich die große Flügeltür. Gespannt wurde dieser merkwürdige Auftritt verfolgt. Allein Frau Regina Süß, die Vorsitzende, trat vor das Auditorium. Was war los? Alle hatten bereits Platz genommen. Es herrschte vollkommene Ruhe. Jeder hing förmlich an den Lippen von Frau Süß. „Der heutige 15. Verhandlungstag gegen den Preußenkönig Friedrich II. wird auch der letzte sein.“ Unruhe wollte aufkommen. Beschwichtigend hob Frau Süß ihre Hand. „Der Verlauf dieses Prozesses hat gezeigt, daß wir bei der Planung manches nicht bedacht haben. Wir alle in der BRD waren zu sehr daran gewöhnt, die grundgesetzlich abgesicherte freie Meinungsäußerung mit Hilfe von sogenannten Rechtsverordnungen zu unterlaufen. Mir selbst geht es so, daß Fragen, die hier gestellt wurden und auch viele Antworten für mich einfach nicht existent waren. Ja, ich gestehe, als Historikerin habe ich vom tatsächlichen Geschehen so gut wie keine Ahnung, weil in meiner Studienzeit das Unrecht der Sieger den Ton angab, das die ohne Widerspruch hinzunehmenden Lügen einschloß. “ Da die Bewegung bei den Zuschauern größer wurde, sah sich Frau Süß genötigt, in erklärenden Worten um Aufmerksamkeit zu ersuchen. Dann fuhr sie fort: „Nach solchen Erkenntnissen ergab sich für uns, den Mitwirkenden dieses Gerichts, die Frage, wie wir diese Aktion nun beenden können, ohne größere Unruhen, die vielleicht in Krawalle und mehr ausarten könnten. Auch, das gebe ich zu, wollten wir das Gesicht nicht verlieren. Da unsere Ansichten nicht auf einen Nenner zu bringen waren, ich jedoch als Vorsitzende Richterin tätig bin, blieb allein meine persönliche Entscheidung übrig. Diese hatte zur Folge, daß mein Richterkollege Silberhagen sein Amt zur Verfügung stellte und gestern bereits in die USA zurückgeflogen ist.“ Das war Balsam auf die deutschen Wunden. Mit lang anhaltendem Beifall wurde dieser Entschluß honoriert. Erfreulich war die Zurückhaltung des Publikums, denn es unterblieben alle bösartigen, vielleicht sogar berechtigten Flüche gegen diesen schlimmen Verleumder des deutschen Volkes. Das zeigte wieder eine typisch deutsche Empfindsamkeit, die so viele Jahre ins Umgekehrte verdreht worden war. „Aus diesem Grunde bleibt der Stuhl neben mir unbesetzt. Ein Gespräch, um das mich Mister Scott gebeten hatte, ergab dagegen eine Übereinkunft. Der Verteidiger Fisser wird zur Verhandlung wieder zugelassen.“ Jetzt brachen doch die Dämme der Emotionen. Beifall! Stehend empfingen die Zuschauer Jakob Fisser, der gedämpft lächelnd von seinem Kollegen Scott begrüßt wurde. Fisser mußte wieder aufstehen, um die Menschen mit besänftigender Handbewegung zum Platznehmen zu veranlassen. Die Vorsitzende tippte kurz mit der Glocke an: „Am Schluß dieser Sitzung wird das Gericht eine kurze Beratungspause einlegen, um danach das Urteil zu verkünden. Für heute hat die Anklägerin der BRD, Frau Limburg, um das Wort gebeten, um Professor Ranke zu befragen. Bitte, Frau Anklägerin!“
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„Frau Vorsitzende, es ist für mich absolut unbegreiflich, wie Sie Ihre Einstellung zu diesem Gerichtsverfahren in der beschriebenen Art haben verändern können. Wir waren uns in allem einig, daß die Wurzeln des Nationalsozialismus im Preußentum zu suchen seien. Auch wußten wir, welches hohe Ziel wir mit diesem Prozeß erreichen wollten. Jetzt sol l auf einmal alles anders sein? Ich halte dies für einen Verrat an der guten Sache. Und ich werde nicht locker lassen, die grauenvolle Wahrheit ans Licht zu zerren. Und wenn ich darum kämpfen sollte wie die letzten Juden im Jahre 70 auf dem Berg Massada, und ich ebenso untergehen sollte. Professor Ranke, Sie hatten bereits zugegeben, daß Friedrich II von Preußen auch Soldaten anderer Nationalität in seinem Heer hatte. Ist es so?“ „Ja, das ist richtig!“ „Kamen diese Leute freiwillig zu ihm, oder wurden Sie mit Versprechungen gelockt?“ „Ja, es kamen Freiwillige. Außerdem wurden Soldaten, wie Sie es sagen, angelockt. Dieser Ausruck war damals aber nicht üblich. Sie wurden angeworben!“ „Professor Ranke, meinen Sie nicht auch, daß di e Begriffe ‘angelockt’ und ‘angeworben’ identisch sind?“ „Es ist nicht mein Fach, ob Unterschied oder nicht, zu beurteilen. Ich kann Ihnen nur sagen, welche Sprachregelung damals üblich war. Danach wurden keine Soldaten ‘angelockt’, sondern angeworben.“ „Gut, lassen wir das so stehen. Sind Sie sicher, daß diese angeworbenen Soldaten mit ihrem Los zufrieden waren?“ „Diese Frage pauschal zu beantworten, ist mir nicht möglich. Vielleicht sagen Sie mir, worauf Sie hinaus wollen.“ „Das will ich gern tun. Wenn die Angeworbenen zufrieden gewesen wären, so hätte es doch keine Deserteure gegeben. Und daß es sie gab, hatten Sie früher bereits erklärt, als Sie von deren Bestrafung sprachen.“ „In dem Falle kann ich bestätigen, daß die Deserteure sicher nicht deshalb fahnenflüchtig wurden, weil sie zufrieden waren. Den jeweiligen Grund ihrer Unzufriedenheit kann ich jedoch nicht nennen.“ „Es genügt mir diese Erklärung, Herr Gutachter. Sie werden sicher wissen, daß es im Dritten Reich, vergleichsweise zu den angeworbenen fremden Soldaten des Preußenkönigs gesehen, fremdländische Zwangsarbeiter gab. Ist das richtig?“ „Ja, Frau Limburg, das kann ich bestätigen, wenn Sie damit die im deutschen Sprachgebrauch übliche Bezeichnung ‘Fremdarbeiter’ meinen. Der von Ihnen genannte Begriff wurde ausschließlich von der Feindseite benutzt.“ „Professor Ranke, Sie erlauben sich mit dem Austausch dieser Wörter eine unzulässige Wertung des Status dieser zur Arbeit gepreßten Leute, um damit diese Schande des Dritten Reiches zu vertuschen.“ Der Verteidiger Fisser hatte sich während der letzten Worte erhoben: „Frau Limburg, erlauben Sie mir eine Zwischenbemerkung?“ „Ja, bitte!“
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„Sie lasten dem Herrn Sachverständigen an, was Sie soeben selber getan haben. Sie haben gegen die amtliche Bezeichnung ‘Fremdarbeiter’ den für Sie wirkungsvolleren, aber falschen Begriff ‘Zwangsarbeiter’ gebraucht. Der Unterschied dieser beiden Aktionen liegt allein darin, daß Professor Ranke bei der historischen Wahrheit bleibt, während Sie sie verfälschen. Bleiben wir doch einfach bei dem wirklichen Sprachgebrauch! Sollten Sie in der Sache jedoch Unterschiede sehen, so bleibt es Ihnen belassen, diese beim Namen zu nennen. Zum Be ispiel: Worin lagen die Unterschiede der Fremdarbeiter in Deutschland während des Dritten Reiches zu den Arbeitern in anderen Ländern?“ „Ich danke Ihnen für Ihre Hilfe, Herr Kollege! Ihre Frage kann uns vielleicht Professor Ranke beantworten.“ „Spontan fällt mir dazu der Vergleich der Arbeiter in der Tschechoslowakei ein, die zwar in ihrer Heimat bleiben durften, aber doch hundertprozentig für das Dritte Reich tätig waren. Würde ich damit den Kern Ihrer Frage treffen, wenn ich dazu Stellung nehme?“ „Ja, Professor, tun Sie das!“ „Die Arbeiter der Tschechoslowakei waren in manchen Bereichen besser gestellt, als die Arbeiter im Gebiet des Deutschen Reiches, speziell die deutschen Arbeiter. Im Bereich des Protektorats gab es keinen Unterschied in der Entlöhnung, der Sozial- und Krankenversicherung. Auch in der Ernährung gab es keinen Unterschied. Dort gab es keine persönlichen und psychischen Belastungen, die in direkter Verbindung zum Krieg standen. Die Männer brauchten nicht Soldaten zu werden. Es gab auch keinen Fliegeralarm. Und dadurch entfielen auch die Toten und Verletzten und zerstörten Häuser durch die alliierten Bomben. Durch diese Vorzugsstellung war das Verhältnis der Menschen im Protektorat zum Dritten Reich ein recht vertrauensvolles geworden. Es zeichnete sich dadurch aus, daß keine Sabotagefälle zu entdecken waren. Diesem für das Dritte Reich positiven Ergebnis wurde von den Alliierten dadurch begegnet, daß in England tschechische Saboteure ausgebildet und per Flugzeug im Protektorat abgesetzt wurden ...“ „Das genügt mir, Professor! Ich halte Ihre Darstellung für unzulässig und bitte das Gericht, sie nicht zur Kenntnis zu nehmen!“ Jetzt hatte sich der Russe Labet erhoben: „Frau Limburg, erlauben Sie mir hier schon eine Stellungnahme, sonst müßte ich es später tun?“ „Ja, bitte!“ „Während des Krieges waren viele Russen und Ukrainer als Fremdarbeiter nach Deutschland gekommen, die man in ihrer Heimat angeworben hatte. Das Dritte Reich hatte den Gauleiter Sauckel, ich glaube, als Reichskommissar für die Fremdarbeiter eingesetzt, um gewisse Dinge generell zu regeln. Dieser Gauleiter Sauckel wurde in Nürnberg, und zwar an dieser Stelle, zum Tode verurteilt und gehenkt. Der Grund für seine Verurteilung lag eben in der Behandlung dieser, wie Sie die Leute nannten, ‘Zwangsarbeiter’. Als nach der Befreiung durch die Rote Armee diese Menschen wieder in ihre Heimat kamen, durften sie nicht einfach nach Hause gehen. Sie wurden in besondere Lager verbracht. Warum? Sie hatten die Wahrheit über ein lebenswertes Leben in Deutschland gesehen! Es war ein ganz
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anderes Leben, als sie es in der UdSSR kannten! Das war allein die Ursache für die Internierung der eigenen Leute! Erst viele Jahre später habe ich Nachforschungen unternommen, um der Sache auf den Grund zu kommen. Die sowjetischen Arbeiter hatten in Deutschland zwar in Lagern gelebt, die anfangs sogar mit Stacheldraht umzäunt waren, um möglicher Sabotage vorzubeugen. Auf Betreiben des später hier im Bereich dieses Justizpalastes gehenkten Sauckel wurden diese Zäune abgerissen. Das war ein Fehler, welcher der sowjetischen Regierung sehr mißfiel. Dadurch bekamen die Sowjetbürger nämlich die Möglichkeit zum näheren Kontakt mit den Deutschen. So erfuhren sie, unter welchen Bedingungen das Leben der Deutschen ablief. Auch sahen sie, daß ihre Arbeit entsprechend ihrer Qualifikation bewertet wurde. Sie erkannten erstaunt, daß es keine Unterschiede in der Verpflegung gab. Hatten wir in der Roten Armee sechs verschiedene Küchen, so gab es bei den deutschen Soldaten nur eine Küche! Und die sowjetischen ‘Zwangsarbeiter’, wie Sie sie nennen, Frau Kollegin, erhielten die gleiche Verpflegung, die auch die Deutschen hatten! ...“ „Hören Sie doch mit diesem Schwachsinn auf!“ wurde er von Frau Limburg angeschrien! „Ich will Sie nicht mehr hören! Hier scheint sich ja alles gegen uns verschworen zu haben! Frau Vorsitzende, verbieten Sie diesen Verrätern endlich die Redefreiheit!“ Die herrliche Ruhe war vorbei. Dieser Wutausbruch brachte die Zuschauer auf die Barrikaden. „Buh“-Rufe wurden laut. „Gebt dieser Ziege ein Bündel Heu, damit sie ihre Zunge beschäftigen kann!“ schrie einer, ohne von Frau Süß gerügt zu werden. Scott hatte sich zu Wort gemeldet: „Frau Vorsitzende, Sie allein vertreten jetzt das Gericht, und Sie haben uns zum Schluß dieser Sitzung eine Beratung des Gerichts versprochen, um das Urteil zu verkünden. Ich schlage vor, daß Sie entweder Mister Fisser oder Mister Labet zum richterlichen Beisitzer ernennen.“ Wieder meldete sich das Publikum: „Bravo!“ - „Der Labet soll das machen! Der ist neutral!“ Frau Süß schien ratlos. Doch dann bat sie durch Handzeichen beide Herren zu sich. Es dauerte einige Minuten, bis man sich einig wurde. Während dieser Zeit ‘tagten’ auch die Zuschauer anscheinend kontrovers und sehr lebhaft. Deshalb verschaffte sich Frau Süß per Glocke Gehör: „Es ist beschlossen worden, Herrn Labet zum Beisitzenden Richter zu bestellen.“ Nun war der Bann gebrochen. Es gab Beifall von den ‘Rängen’. Labet nahm seine Papiere und seinen Aktenkoffer und begab sich zum Richterpodium. „Frau Doktor Limburg, haben Sie noch Fragen an den Sachverständigen?“ „Und ob ich sie habe! Frau Vorsitzende, ich rüge mit aller Entschiedenheit das Hohe Gericht! Sie versäumen es, den Propagandareden dieser Herren Einhalt zu gebieten. Aber verlassen Sie sich darauf, ich werde hier nicht meinen Platz räumen, bevor ich der Wahrheit zum Recht verholfen habe!“ So schwungvoll hätte die Dame nicht sprechen sollen. Die Quittung folgte auf dem Fuße, oder besser auf die Zunge. Der Tenor der Antworten lag auf „über fünfzig Jahre Lüge ist genug!“ Und: „Geht endlich zu Euern Freunden, die den Lügenteufel erfunden haben!“ Scott hatte sich erhoben. Frau Limburg und Frau Süß waren einverstanden, ihn anzuhören:
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„Frau Vorsitzende, ich meine, bald sechzig Jahre Krieg sollten genug sein! Ich habe gelesen, daß sogar nach dem Dreißigjährigen Krieg ‘tabula rasa’ gemacht wurde, um alles Erinnern an gegenseitige Verbrechen vom Tisch zu wischen, damit ein echter Neuanfang zwischen den Völkern gefunden werden kann ...“ Wie nach einem Startschuß war Frau Limburg von ihrem Stuhl hochgeschnellt und schrie: „Niemals wollen wir die Verbrechen der Nazis vergessen! Wir wollen über Generationen erinnern, damit solche Verbrechen nie wieder möglich sind! Deshalb sind wir hier! Deshalb sind wir damit einverstanden, das deutsche Volk in allen anderen Völkern dieser Erde aufgehen zu lassen! Niemals wollen wir vergessen! Immer wollen wir erinnern! Immer wollen wir ...“ Das war selbst der Vorsitzenden zuviel. Sie läutete das hysterische Geheule dieser Furie kräftig aus, so daß sie sichtlich erschüttert und ermattet auf ihren Platz sank. Begleitet wurde diese hemmungslose Dame von saft igen Zwischenrufen der Zuschauer. Fisser hatte sich erhoben. „Frau Vorsitzende, Sie wissen, aus welcher politischen Ecke ich stamme. Wenn heute noch dieser politische Wahnsinn, der Fortsetzung des Krieges mit Lügen, Verleumdungen und mit gesetzlichen Bestimmungen die historischen Abläufe verzerrt werden sollen, dann kann ich nur warnen. Wenn man nicht endlich bereit ist, die Hand zum Frieden auszustrecken, dann sollte man sich nicht wundern, wenn eines Tages das Volk aufsteht, um selber der Wahrheit zu ihrem Recht zu verhelfen. Jeder wird sich eines Tages fragen müssen, ob man Angst hat, die Wahrheit zu offenbaren. Schlimmer kann es kommen: Man wird verlangen, die Tatsachen zu benennen! Man wird sich nicht mehr mundtot machen lassen! Hier sehe ich die Gefahr für die Zukunft! Man wird eines Tages eine Lawine auf sich zurollen sehen, die da heißt: Jetzt wollen wir es wissen!“ Die Zuschauer sprangen auf und ließen ihrer Freude freien Lauf. Frau Limburg hatte sich erholt. Sie stand wieder im Ring: „Sie haben vor, unsere demokratischen Errungenschaften durch eine neue Hitler-Diktatur zu ersetzen! Die Nazis haben schon einmal das ganze demokratische Beamtentum weggejagt, um ihre Leute in den Sattel zu heben! Das darf sich niemals wiederholen!“ „Frau Kollegin,“ sprach besänftigend Jakob Fisser, „Sie sprechen von Hitler-Diktatur? Sehen Sie sich doch einmal um, wie es in der BRD aussieht! Man spielt dem Volk eine Demokratie vor! Jawohl, so ist es! Im Grunde ist es eine Diktatur der etablierten Parteien! Sie sind sich alle einig, die Vorgaben der Sieger zu erfüllen. Sagen Sie mir, welche der Sieger-Lizenzparteien hat jemals einen Friedensvertrag angemahnt? Keine! Und wo bleibt die Befragung des Volkes, wenn es sich zum Beispiel um den Euro dreht? Die französischen Kolonialvölker werden befragt, das deutsche Volk wird gegen das ausgehöhlte Grundgesetz diktatorisch beherrscht!
Ich schäme mich, es
Ihnen zu sagen: Hitler hat bei großen Entscheidungen das deutsche Volk gefragt, ob es mit seinem Handeln einverstanden ist. Jawohl, das hat dieser Diktator getan! Die Menschen konnten mit ihrem Stimmzettel zum Ausdruck bringen, ob sie mit seinen Maßnahmen einverstanden waren! Wissen Sie, verehrte Dame, was das war? Das war das Spiel einer echten Volksdemokratie! Und auf Ihren Vorwurf, die Nazis hätten ihre politischen Gegner aus den Beamtenstellen geworfen, kann ich Ihnen eine Gegenüberstellung anbieten, wie es 1933 zuging und 1945, als Ihre Siegerfreunde in Deutschland aufräumten: Während die Nazis insgesamt 1.628
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Universitätsprofessoren mit voller Pension entließen, brachten es Ihre ‘Befreier’ auf die Entfernung von nicht weniger als 4.289 Professoren und Lektoren, und zwar ohne Pension! Sie lügen also das Blaue vom Himmel herunter! Diese Haltung entspricht Ihrem ganzen Charakter!“ Das hätte Fisser nicht sagen dürfen. Die Limburg war nicht mehr zu bremsen. Wie eine Verrückte stürmte sie auf Fissers Platz zu und wäre ihm wahrscheinlich an den Hals gesprungen, wenn Scott sie nicht gebändigt hätte. Dieser hatte sie fest im Griff und führte sie zu ihrem Platz zurück, wo sie von einem Arzt versorgt wurde. Sollte man sich über dieses Theater die Hände reiben? Nein, dazu war kein Grund! Traurig war es einerseits, daß es immer noch solch Ewig-Liebedienernde vor den Siegern gab. Aber andererseits war es doch erfreulich, wenn solch offene Worte der Wahrheit in der Öffentlichkeit gesprochen werden konnten. Die Zuschauer nahmen nicht nur regen Anteil am Geschehen, nein, sie fühlten sich wie neu geboren! Selbst die Vorsitzende hatte den neuen Zeitgeist entdeckt, und sie atmete dabei tief durch. Man konnte ja nie wissen ... Als sie die Lage für übersichtlich hielt, griff sie bereits zur Glocke, als sich Scott erhob. „Herr Verteidiger, haben Sie noch Fragen an den Herrn Sachverständigen?“ „Nein, Frau Vorsitzende. Ich möchte allerdings, mit Ihrer Erlaubnis, eine persönliche Erklärung abgeben.“ „Bitte sehr! Sie haben das Wort!“ „Frau Vorsitzende, meine Damen und Herren Zuschauer, Sie sehen es meiner Hautfarbe an, wo meine Wurzeln sind. Während meiner historischen Forschungen stieß ich natürlich auf die Kolonialgeschichte der Europäer. Ich habe nicht nur die Werke der Geschichtsschreiber gelesen, sondern ich bin zu den Plätzen gegangen, wo sich die Kolonialherrschaft abspielte. Ich habe nicht vor, Ihnen über meine Erlebnisse einen langen Vortrag zu halten. Aber im Zusammenhang mit dem, was man hier vorhatte, nämlich Friedrich dem Großen unberechtigt unmenschliche Verbrechen anhängen zu wollen, mußte ich zwangsläufig die Methoden der Kolonisation vergleichen. Ich kann Ihnen heute meine Versicherung geben, daß das deutsche Volk bei weitem am humansten mit den Menschen ihrer Kolonien umgegangen ist. Auch aus diesem Grunde habe ich hier mein Amt als Verteidiger dieses großen Preußenkönigs so vehement wahrgenommen. Ich danke Ihnen!“ Wieder erhoben sich die Zuschauer und spendeten stehend Beifall. Als sich die Lage beruhigt hatte, fragte die Vorsitzende, ob noch jemand das Wort wünsche. Da sich niemand meldete, erklärte sie: „Da niemand mehr das Wort wünscht, erkläre ich die Beweisaufnahme für beendet. Das Gericht zieht sich zur Beratung zurück. Am Nachmittag um 15 Uhr wird das Urteil verkündet werden.“ Frau Limburg wurde von zwei Helfern aus dem Saal geführt. * Ein großes Volksgemurmel ließ die rege Anteilnahme der Zuschauer erkennen. Der Rest der Aktiven saß bereits auf ihren Plätzen. Zum letzten Mal öffnete sich die hohe Flügeltür. Das Richterduo Süß und Labet strebten ihrem erhöhten Podest zu. Frau Limburg streikte oder lag vermutlich ermattet unter der Obhut der freundlichen Helfer. Atemlose Stille herrschte, als Frau Süß ihre Stimme erhob:
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„Das Gericht hat sich alle Mühe gegeben, die vorgetragenen Argumente in dem Verfahren gegen den Preußenkönig Friedrich II. sachlich zu prüfen. Es ist mir nicht leichtgefallen, den mir völlig neuen Ansichten zu folgen. Aber ich kam zu der Erkenntnis, daß eine gerechte Beurteilung nur dann möglich ist, wenn man bereit ist, die Verhältnismäßigkeit zu berücksichtigen. So wird dies hoffentlich die Grundlage für künftige Problemfälle sein, daß eine Anklage nur dann erhoben werden kann, wenn Ankläger und Richter nicht eben solchen Belastungen unterworfen sind, wie sie den Inhalt der Anklage darstellen. Das Gericht hält die Lebensweise Friedrichs II. für charaktervoll und vorbildlich.“ Hier mußte Frau Süß eine Pause einlegen, denn es brauste ein Jubel auf, den sie nicht hätte unterbrechen können. Dann fuhr sie fort: „Es geht hier und heute allein um den Preußenkönig und nichts anderes! Friedrich der Große wird in allen Punkten der Anklage freigesprochen!“ Und wieder war das Publikum zutiefst erschüttert. Fremde Menschen lagen sich in den Armen. Niemand saß, alle standen und machten glückliche Gesichter. Manche weinten - vor Ergriffenheit und Glücksempfinden. Als Ruhe eingetreten war, wollte Frau Süß die Sitzung sicher beenden, aber in diesem Augenblick erhob sich Professor Ranke: „Frau Doktor Süß, gestatten Sie mir ein letztes Wort?“ Sie machte eine zustimmende Handbewegung. „Meine Damen und Herren, wir leben im Jahre 1998. Vor genau zweihundert Jahren wurde Heinrich Hoffmann von Fallersleben geboren. Er gehörte zu den Menschen, welche die Liebe zu ihrem Volk und zu ihrem Vaterland immer in ihren Herzen tragen. Er hat diese Liebe in seinem „Lied der Deutschen“ mit bewegenden Worten zum Ausdruck gebracht. Er liebte sein Heimatland über alles. Lassen Sie uns gemeinsam diese ergreifende erste Strophe singen, um damit ihn und gleichzeitig unseren Friedrich den Großen, den von seinem Volk geliebten ‘Alten Fritz’ zu ehren.“ Stehend sangen sie „Das Lied der Deutschen“. Viele hatten Tränen in den Augen und konnten vor Rührung kaum ein Wort herausbringen:
„Deutschland, Deutschland, über alles, über alles in der Welt. Daß es stets zum Schutz und Trutze brüderlich zusammen hält. Von der Maas bis an die Memel, von der Etsch bis an den Belt. Deutschland, Deutschland, über alles, über alles in der Welt!“
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