KENNETH BULMER
Der Hexer der Poseidon (THE WIZARD OF STARSHIP POSEIDON)
ERICH PABEL VERLAG • RASTATT (BADEN)
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KENNETH BULMER
Der Hexer der Poseidon (THE WIZARD OF STARSHIP POSEIDON)
ERICH PABEL VERLAG • RASTATT (BADEN)
PERSONEN: Cheslin Randolph, Professor für außerirdische Biologie Peter Howland, sein Assistent Helen Chase, Professorin für Literatur Terence Mallow, Ex-Raumfahrer Dudley Harcourt, Vizekanzler Tim Warner, Abwehrmann Willi Haffner, Wissenschaftler Colin Kamsy, Mitarbeiter Randolphs Stella Ramsy, Colins Frau
1. Kapitel Nach einem unerbittlichen Druck auf die feindliche Stellung und nach pausenlosen Angriffen brach die schwarze Königin wie ein furchterregendes Ungeheuer aus der Tiefe in die gegnerische Kampflinie ein und richtete dort ein entsetzliches Blutbad an. Der Turm von Weiß fiel. Ein Läufer war ihr nächstes Opfer; auch er schied aus. Der König von Weiß sah sich plötzlich umzingelt, unter schwerem Beschuß, nur noch von einem einzelnen, armseligen Bauern gedeckt Er ergab sich bedingungslos. „Schach!“ erklärte Professor Cheslin Randolph. Er wandte sich vom Tisch ab, griff nach der letzten Nummer der Zeitschrift „Die Natur“ und blätterte darin. „Haben Sie den Artikel von Kishimura schon gelesen? Er behauptet, mit der Methode null-neun-sieben von Matsuoka sei ihm die Synthese von Polyaminosäuren gelungen. Ich weiß, er kann einen ganzen Planeten als Labor benützen und somit unter völlig sterilen Bedingungen arbeiten. Aber …“ Er hob seinen gnomenhaften Kopf und nahm das versteckte Lächeln seines Gastes wahr. „Sie verblüffen mich immer wieder, Cheslin!“ sagte Vizekanzler Dudley Harcourt schmunzelnd. „Eben waren Sie noch mit äußerster Konzentration in eine sehr komplizierte Schachaufgabe vertieft, und sobald das Spiel beendet ist, wenden Sie sich ab und beschäftigen sich genauso konzentriert mit einem anderen Thema.“ „Schach ist doch nur ein Spiel. Kombinationsgabe, Entschluß- und Angriffsfreudigkeit – damit gewinnt man. Mit 4
der Zeit langweilt es mich immer mehr. Ich brenne schon darauf, nach Pochalin Neun abzufliegen.“ Die beiden Männer saßen sich in bequemen Sesseln im Arbeitszimmer des Professors gegenüber. Rings um sie, hinter den Wänden aus Glas und Porzellan, brandete das unruhige, geschäftige Leben der Universität. Wenn sie sich bewegten, spiegelte und brach sich das Licht in der Karaffe aus schwerem Kristall. Das Zimmer war mit erlesenem, stilsicherem Geschmack eingerichtet, ließ aber die Anmut einer weiblichen Hand vermissen. „Sind Sie nicht überarbeitet, Cheslin?“ Der Vizekanzler sprach mit der freimütigen Offenheit, die er sich nur gegenüber Freunden erlaubte. „Ich habe den Eindruck, Ihre Arbeit zehrt an Ihren Kräften. Warum wollen Sie sich nicht ein bißchen erholen? Wenigstens für kurze Zeit. Nehmen Sie doch einmal richtig Urlaub!“ Professor Randolph legte die Zeitschrift auf den Tisch zurück Dann nahm er sich eine Zigarre aus der Kiste und roch daran. Dabei schaute er den Vizekanzler aus seinen hervorquellenden Froschaugen an. Er war etwa einen Meter fünfzig groß. Sein Körperbau entsprach dieser Größe, nur der Kopf paßte nicht dazu, denn er war so groß wie der eines ausgewachsenen Menschen. „Vizekanzler“, erwiderte er bedächtig, „Sie laden mich zu dieser friedlichen Auseinandersetzung am Schachbrett ein. Ich bin damit einverstanden, weil ich mich für eine Stunde von der Arbeit im Labor frei machen kann. Aber dann schlagen Sie vor: erstens, ich solle mich für kurze Zeit ausruhen, und zweitens, ich solle einmal richtig Urlaub machen.“ 5
Wenn er lächelte, glich er seiner schwarzen Königin. „Was haben Sie mir wirklich zu sagen?“ Genau wie beim Schachspiel ergab sich der Vizekanzler vor diesem Frontalangriff. Im Laufe seiner Tätigkeit als Vizekanzler der Universität hatte er lernen müssen, sich den verschiedenen Strömungen und Richtungen anzupassen. Wie ein alter, moosbedeckter Wetterhahn ließ er sich ohne großen Widerstand in die gewünschte Marschrichtung drehen. Wenn er einmal einen eigenen Willen entfaltete, ließ er ihn diskret durch dritte durchsetzen. Im vorliegenden Fall hatte er niemanden gefunden, der sich dem explosiven Temperament des winzigen Professors aussetzen wollte. Deshalb hatte er selbst kommen müssen, und nun musterte er unbehaglich seinen Vorrat an Waffen, mit denen er diesem streitbaren Zwerg gegenübertreten sollte. Er stammte nicht von der Erde. Sein Gesicht zeigte den bekannten derben, unerschütterlichen und etwas gefühlskalten Ausdruck der Kolonialsiedler von anderen Planeten, und seine Figur war ziemlich grobschlächtig. Aber er hatte sich mit viel Sorgfalt die Politur des gebildeten Akademikers zugelegt. In seiner Laufbahn hatte er es vorläufig bis zum Vizekanzler der Universität gebracht, und offenbar war er ganz zufrieden damit. Leider stellte Professor Cheslin Randolph, der Inhaber des Lehrstuhls für Außerirdische Mikrobiologie, für ihn ein Problem dar. Der Professor mochte nicht, daß man ihn auf eine Antwort warten ließ. Er nahm die Zigarre aus dem Mund. „Nun, Harcourt?“ Der Vizekanzler hob beide Hände hoch und ließ sie wie6
der auf seine Knie fallen. Dabei vermied er es, dem Professor in die Augen zu schauen. „Die Maxwell-Stiftung …“ „Gibt es da Verzögerungen? Ich dachte, es sei schon alles geregelt. Was jetzt? Wird noch einmal beraten?“ „Ich habe mit dem Verwaltungsrat gesprochen – aber die Entscheidung ist noch nicht gefallen.“ Randolph beugte sich nach vorn, und kauerte sich in seinem Spezialsessel zusammen. Seine Füße hämmerten ungeduldig gegen die Sesselbeine. Bei einem weniger bedeutungsvollen Mann hätte sein faltiges, breites Gesicht mit den wütend funkelnden Froschaugen vielleicht lächerlich gewirkt. Aber als er jetzt den Kopf hob, die Mundwinkel verächtlich herabgezogen und die hervorquellenden Augen zu Schlitzen verengt, da kam er selbst dem Vizekanzler der Universität Lewistead wie eine rasende Furie aus der Unterwelt vor. Seine Stimme hatte den knarrenden Ton verloren; sie klang samtweich und erinnerte an eine Katze, die mit der Maus spielt. „Was gibt es da noch zu beraten?“ fragte er. „Dieses Jahr bin ich an der Reihe. Zehn Jahre lang habe ich darauf gewartet. Alle meine Vorbereitungen sind getroffen, das Ministerium für Außerirdische Angelegenheiten hat mir Pochalin Neun zugewiesen, ich habe Doktor Howland als Assistenten eingearbeitet – meine ganze Arbeit während der letzten zehn Jahre war auf dieses Ziel ausgerichtet. Das wissen Sie genau. Und die Herren von der Stiftung wissen es ebenfalls. Mit der Ausrüstung, die ich mit dem Geld der Maxwell-Stiftung kaufen will, werde ich auf Pochalin Neun eine Reihe von Experimenten durchführen. Mein Ziel ist – das Leben!“ 7
Er lehnte sich zurück, bei dem Gedanken an seine Arbeit schien er alles andere zu vergessen. „Trotz des Unglaubens einiger Spötter bin ich fest davon überzeugt, daß es mir gelingen wird, künstliches Leben zu schaffen. Natürlich nur in einer ganz einfachen, primitiven Erscheinungsform. Aber dazu brauche ich Geräte und Einrichtungen, deren Kosten weit über die Mittel eines Universitätsinstituts hinausgehen. Dazu brauche ich die Mittel der Stiftung, die der alte Maxwell aus Gewissenbissen wegen seiner Kernwaffen ins Leben gerufen hat. Zehn Jahre habe ich darauf gewartet. Zehn Jahre!“ Sein verzerrtes Gesicht spiegelte die Erregung, in die ihn neuerdings selbst das kleinste Hindernis versetzte. „Ich stoße die Tür zur Zukunft auf, Harcourt! Halten Sie mich jetzt nicht auf!“ Die Glas- und Porzellanwände absorbierten die Geräusche von außen, und in dem voll elektrisierten Zimmer störte nicht einmal das Ticken einer Uhr die lähmende Stille. „Also, Harcourt?“ wiederholte der Professor. „Dieses Jahr bin ich an der Reihe! Was kann es da noch für Schwierigkeiten geben?“ „Überlegen Sie einmal, Cheslin! Letztes Jahr ging das Stipendium an Gackenbach für die Analyse von Gedankenvorgängen. Im Jahr zuvor an Mesarowitsch für die Erforschung der Wellenmechanik. Vor drei Jahren an Lewis, den Endokrinologen. Vor vier Jahren – eh …“ „Für Physik oder Atomforschung vermutlich. Aber was soll das? Dafür ist die Stiftung doch da! Und mein Institut ist auf diese Einrichtung angewiesen – wir warten sehnsüchtig darauf.“ Bis jetzt hatte sich der Professor einfach geweigert, an 8
ernste Schwierigkeiten zu glauben; die Zuteilung des Geldes aus der Stiftung war sein gutes Recht. Aber etwas an Harcourts Haltung machte ihn nun doch stutzig. „Unter einer Verzögerung würde mein ganzes Institut leiden. Doktor Howland ist für unsere Arbeit unentbehrlich. Aber ich kann ihn nur halten, wenn ich ihm neue Aufgaben stelle. Meine ganze Arbeit würde vernichtet, wenn … Meine Ergebnisse können nicht veröffentlicht werden, bevor sie nicht durch Experimente erprobt wurden. Ich weiß, daß meine Theorien richtig sind, auch wenn Leute wie Kawaguchi darüber spotten. Aber wir können nicht mehr länger auf das Stipendium warten!“ „Sie wissen doch, Cheslin, daß die Gelder der Stiftung schon für eine ganze Reihe von Jahren im voraus vergriffen sind. Wir müssen deshalb sehr sorgfältig die Dringlichkeit der Forschungsvorhaben abwägen und …“ „Aber ich brauche das Geld, und zwar dieses Jahr! Es steht mir zu!“ „Es ist Ihnen nie offiziell bewilligt worden.“ „Offiziell!“ Langsam stieg eine Panik in dem kleinen Professor auf; ein Gefühl, das er zuerst selbst nicht zu deuten wußte. Seine kühle wissenschaftliche Art verschwand vor dem rastlosen Ehrgeiz, der ihn vor allem auszeichnete. Unwillkürlich, im Unterbewußtsein, suchte er blindlings nach einem Sündenbock, an dem er sein Temperament austoben konnte. Der Arbeit seines Lebens durfte nichts im Wege stehen. Nichts! „Es tut mir wirklich leid, Cheslin“, entschuldigte sich der Vizekanzler verlegen. „Sie haben sicher verstanden, daß der Plan für die Verteilung der Gelder geändert wurde.“ 9
„Nein, das glaube ich nicht. Das können die doch nicht machen. Ihr könnt mir doch nicht einfach das Geld wegnehmen! Ausgerechnet jetzt, da ich …“ „Von Wegnehmen kann keine Rede sein, Cheslin. Über die Vergabe des Stipendiums ist noch nicht endgültig Beschluß gefaßt.“ „Aber es steht mir zu. Das wurde schon vor zehn Jahren so vereinbart!“ „Nein, Cheslin!“ Harcourt schüttelte den Kopf. „Das stimmt nicht. Es wurde nichts gesagt und auch nichts geschrieben, was …“ „Aber es wurde angedeutet! Sogar der Kanzler sagte mir, daß ich in diesem Jahr das Stipendium bekäme!“ „Daran erinnert er sich jedenfalls nicht mehr.“ „Was?“ Die winzigen Hände des Professors klammerten sich an die Sessellehne, als suchten sie nach einem festen Halt. „Ich kann nur wiederholen, daß es mir leid tut. Wir waren gute Freunde, Cheslin. Ich hoffe, daß unser Verhältnis durch diese unglückselige Entwicklung der Dinge nicht getrübt wird.“ Er sah den Mann an, der zusammengekauert in seinem Sessel saß, und fuhr dann zögernd fort: „Nebenbei gesagt, mein Verhältnis zum Kanzler und zum Verwaltungsrat wurde durch diese Entscheidung auf eine harte Probe gestellt. Es war sogar von Rücktritt die Rede – von meinem Rücktritt. Aber man kann sich gegen die Übermacht der Autorität nicht auflehnen, Cheslin. Wer die Macht hat, will sie auch behalten – und alles andere kümmert ihn nicht.“ „Die Macht!“ wiederholte Randolph abfällig. 10
Harcourt fühlte sich äußerst unbehaglich. Er hatte den Professor noch nie zuvor so niedergeschlagen, so erschüttert und so hilflos gesehen. Randolphs Reaktion überraschte ihn. Er hatte Wut, Empörung, aufbrausenden Zorn erwartet. Zunächst hatte Randolph auch Ansätze dazu gezeigt, aber sie waren im Keim erstickt, und jetzt saß der Professor wie ein geschlagener Gegner vor ihm. „Was – was wird dann dieses Jahr aus dem Geld?“ „Diejenigen, die das Stipendium während der letzten zehn oder elf Jahre bekamen, haben etwas gemeinsam. Sie alle …“ „… hatten Glück!“ warf der Professor ein. Harcourt schüttelte den Kopf. „Nein. Sie alle waren Naturwissenschaftler,“ „Bin ich das vielleicht nicht?“ Harcourt sprach weiter, als habe er den Einwand nicht gehört. „Dieses Jahr soll der Maxwell-Preis an Professor Helen Chase vergeben werden.“ „Die Filmschönheit mit dem tizianroten Haar?“ „Ja.“ „Ich weiß heute noch nicht genau, was sie eigentlich tut.“ „Sie ist Inhaberin des Lehrstuhls für Shaw-Forschung.“ „Welcher Forschung?“ „Shaw-Forschung.“ Professor Randolph mußte erst überlegen, was das war. Er lebte in der Welt der Naturwissenschaften, und an seine Umgebung dachte er nur in der unmittelbaren Gegenwart. „Gehört sie vielleicht auch zu diesen trockenen Stubengelehrten? Zu diesen Verrückten, die über uralten, längst 11
ausgestorbenen Sprachen brüten und kein Elektronenvolt von einem Parsec unterscheiden können?“ „Das ist Kultur, mein Lieber! Schöngeistige Literatur!“ „Und man hat die Stirn, mir für so etwas das Stipendium wegzunehmen? Das kann doch nur ein Scherz sein. Wozu braucht die Chase das Geld?“ „Die Universität benötigt dringend ein neues 3-DTheater. Sie wissen, daß unsere Leistungen auf diesem Gebiet in der Galaxis sehr berühmt sind.“ „Ein Theater? Wozu? Wir haben doch das Fernsehen!“ Harcourt lächelte. „Das Fernsehen ist ein Geschäftsbetrieb; das Theater dagegen bedeutet Kunst. Kunst und Kultur!“ Erst jetzt begann Randolph das ganze Ausmaß der Katastrophe zu erfassen, die über ihn hereingebrochen war. Er schüttelte den Kopf. „Ein Theater, auch wenn es noch so aufwendig betrieben wird, kann doch aber nicht soviel kosten. Meine Ausrüstung, die Expedition zu Pochalin Neun – dem einzigen Planeten, der durch das Fehlen von lebenden Zellen jeder Art steril genug für meine Arbeit ist –, die Durchführung der Experimente und meine Lebenshaltungskosten dort, das alles wird natürlich den Preis bis zum letzten Pfennig aufzehren. Ein Theater aber, das vielleicht einmal monatlich spielt …“ Harcourt schüttelte nur den Kopf. „Oh, ich verstehe, was man beabsichtigt“, fuhr Randolph fort. „Das Geld soll hier in der Universität angelegt werden. Dann hat man etwas dafür vorzuzeigen.“ „Es ist nicht nur das Theater. Helen Chase hat die Gelegenheit, für die Universität eine prächtige Sammlung alter 12
Handschriften von Shaw zu kaufen. Entwürfe, Notizen, Briefe und so weiter. Auch ein paar umstrittene Dokumente sind dabei.“ „Umstrittene Dokumente!“ Die Bitterkeit in der Stimme des Professors grenzte schon fast an Hohn. „Die Professorin will ihre Theorie beweisen, wonach George Bernard Shaw und Herbert George Wells ein und dieselbe Person waren. Daß der eine das Pseudonym für den anderen war. Wenn ihr der Nachweis gelingt, daß Shaw unter dem Künstlernamen Wells geschrieben hat, dann hat sie die wissenschaftliche Gegenmeinung an die Wand gespielt. Das wäre ein viel größerer Triumph, als wenn sie nur beweisen könnte, was schon viele andere vor ihr versucht haben: daß Wells die Werke für Shaw geschrieben hat oder Shaw die Werke für Wells.“ Randolph konnte seine Erregung kaum noch meistern. Er erhob sich von seinem Sessel und ging im Zimmer auf und ab. „Aber wer interessiert sich denn dafür?“ begehrte er auf. „Diese Männer sind doch schon seit Tausenden von Jahren tot. Sie gehören, wenn ich mich recht erinnere, zum späten Mittelalter. Haben sie überhaupt schon die Schreibmaschine oder den Kugelschreiber gekannt? Oder haben sie ihre Schriften noch in Stein gehauen?“ „Es tut mir leid, Cheslin!“ Harcourt erhob sich ebenfalls. Aus Taktgefühl vermied er es gewöhnlich, zu nahe an den kleinen Professor heranzutreten, obwohl die aggressive Ausstrahlung Randolphs meistens dessen geringe Körpergröße vergessen ließ. „Wirklich leid!“ Es war ihm Ernst damit. Das Lebenswerk eines Menschen zu vernichten, war 13
keine Aufgabe nach seinem Geschmack. „Ich gehe jetzt. Sie wollen sicher noch …“ „Mich dagegen wehren – da haben Sie recht! Ich werde verhindern, daß man das Geld für altsprachliche Hirngespinste hinauswirft, während ich dem Geheimnis des Lebens auf der Spur bin! Während ich beweisen will, daß der Mensch, der einfache sterbliche Mensch, neues Leben schaffen kann!“ Harcourt sah ihn schweigend an. Er wußte, daß der kleine Mann bis zum äußersten kämpfen würde. „Dieses Ziel war der Inhalt meines Lebens. Dafür habe ich zehn Jahre lang gearbeitet, nur dafür. Wenn sie mir jetzt das Geld vorenthalten, ruinieren sie nicht nur meine zehnjährige Arbeit, sondern mein ganzes Leben!“ In diesem Augenblick läutete es an der Tür, und der Bildschirm des Visiphons leuchtete auf. Harcourt kannte den jungen Mann nicht, dessen Bild darauf erschien, und Randolph war zu sehr in seine düsteren Gedanken vertieft, um darauf zu achten. „Ja?“ fragte Harcourt deshalb höflich. „Hier ist das Zimmer von Professor Randolph. Was wünschen Sie?“ Der junge Mann lächelte, aber Harcourt mochte dieses Lächeln nicht. Es wirkte gekünstelt und berechnend. „Ich möchte den Professor sprechen. Er ist da. Ich sehe ihn. – He, Onkel! Ich bin es – Terry Mallow!“ Beim Klang der Stimme drehte sich Randolph um. Immer noch in Gedanken versunken, starrte er auf den Bildschirm. Erst nach einer Weile wurde ihm. klar, was er sah. Danach drückte er auf einen Knopf, der das Türschloß freigab. 14
„Terence Mallow!“ sagte er nachdenklich und plötzlich von seinen Sorgen abgelenkt. „Ich dachte, du seist tot.“ * Die schwarzen Spinnenbeine der Uhr zeigten auf fünfzehn Minuten vor zwölf. Vizekanzler Dudley Harcourt hatte das Zimmer Randolphs schon längst verlassen. Jetzt saß der kleine Professor in seinem Sessel, ein Glas Whisky in der Hand, und brütete vor sich hin. Ihm gegenüber saß sein Neffe, Terence Mallow, nachlässig in seinen Sessel zurückgelehnt. Er rauchte eine Zigarette, musterte seinen Onkel neugierig und überlegte, wie er ihn dazu bewegen könne, wieder einmal das Nötigste herauszurücken. Sie schwiegen schon seit ein paar Minuten. Mallow merkte zwar, daß der alte Herr Sorgen hatte, aber allmählich empfand er das Schweigen als bedrückend und als Mißachtung seiner Persönlichkeit. „Sag mal, Onkel“, begann er und ärgerte sich gleich darauf über die Kindlichkeit dieser Anrede. Schließlich war er ein erwachsener Mensch, ein Lieutenant-Commander der Terranischen Raumflotte. Ein ehemaliger LieutenantCommander, genauer gesagt. Aber das beschwor unangenehme Erinnerungen herauf, mit denen er sich nicht gern befaßte. Er schluckte, „Es tut mir leid, daß ich so unverhofft für dich hereingeschneit bin. Aber ich kam erst gestern von Rigel V zurück, und die Maschine hierher hatte Verspätung …“ Randolph hörte ihm überhaupt nicht zu. 15
Mallow drückte seine Zigarette aus und griff nach den Zigarren. Onkel Cheslin liebte guten Tabak und leistete sich nur das Beste. Und ein abgebrannter ehemaliger Offizier der Raumflotte, der darauf aus war, sich das Nötigste für ein sorgen- und arbeitsfreies Leben zu beschaffen, durfte nicht allzu bescheiden auftreten. Nachdem er die Zigarre angezündet hatte, musterte er wieder seinen Onkel. Der alte Knabe hatte sich über irgend etwas aufgeregt. Sein faltiges Gesicht war noch mehr zusammengeschrumpft, und die dunklen Tränensäcke unter seinen Froschaugen schimmerten wie dicke blaue Pflaumen. Ein seltsamer Bursche. Kein Körper, nur Gehirn. Eine unübertroffene Kapazität auf seinem Gebiet, das irgend etwas mit Protein-Molekülen zu tun hatte, mit den sogenannten Bausteinen des Lebens. Ein Gehirn, wie es wahrscheinlich zur Erforschung der modernen Galaxis dringend gebraucht wurde. Aber ein Gehirn, das ein Mann nicht verstehen konnte, dessen Lebensinhalt bis vor kurzem noch ein schneidiges Raumschiff, astronautische Kenntnisse, militärischer Drill und hübsche Frauen gewesen waren. Seine eigenen Probleme bedrückten Mallow zu sehr, als daß er sich um die Sorgen seines Onkels hätte kümmern können. Er hatte die Erfahrung machen müssen, daß der Versorgungsoffizier eines Raumers nicht ungestraft in die eigene Tasche wirtschaften durfte. Über ein paar kleine Unregelmäßigkeiten für den Eigenbedarf – so hatte das Gericht durchblicken lassen – hätte man vielleicht noch hinweggesehen. Aber Lieutenant-Commander Terence Mallow hatte einen schwunghaften Großhandel betrieben, und dem wollten die Lords der Admiralität ein Ende machen. 16
Ergebnis: ein ehemaliger Lieutenant-Commander ohne Geld und ohne Einnahmen, der zu Hause auf der Erde bei seinem Onkel eine neue Quelle für ein angenehmes Leben erschließen wollte. Zuvor wäre er noch beinahe ums Leben gekommen. Die Nachrichten über jenen Einsatz besagten nichts Genaues. Aber von zweitausend Mann waren damals nur einhundertneunzig davongekommen. Das Kriegsgericht hatte danach sehr rasch unter den fanatischen Rebellen draußen auf Roger aufgeräumt. Er hatte es vorgezogen, als Gefallener zu gelten und unterzutauchen. Nun saß er hier, weil er Geld brauchte – und Onkel Cheslin saß ihm gegenüber und brütete über seine eigenen Probleme nach. Mallow räusperte sich, zog an seiner Zigarre und räusperte sich noch einmal. Als das nichts half, beugte er sich vor und legte die Hand auf den Arm seines Onkels. „Professor Helen Chase“, murmelte Randolph geistesabwesend. „Sie will beweisen, daß Shaw und Wells identisch waren. Ein und dieselbe Person.“ Er hob den Kopf und sah seinen Neffen aus seinen Froschaugen so wild an, daß dieser zurückfuhr. „Aber das laß ich nicht zu!“ In seiner Erregung vergaß er sogar den Ton, der dem Niveau einer Universität angemessen gewesen wäre. „Verflucht! Der Teufel soll mich holen, wenn ich das zulasse!“ „Ich fürchte, Onkel, ich verstehe nicht ganz …“ wandte Mallow schüchtern ein. Der Blick seines Onkels machte ihn stutzig. „Nein! Nein, du kannst die Intrigen nicht kennen, die hier gesponnen werden. Du kannst nicht wissen, daß die 17
wichtigste Entdeckung der letzten hundert Jahre in den Naturwissenschaften verhindert werden soll, nur weil ein rothaariges geschminktes Frauenzimmer ein paar tausend Jahre alte Tote ausgraben will, um ihre verrückte Theorie zu beweisen!“ Auf Mallow wirkte dieser Wutausbruch so stark wie die Erscheinung eines gewöhnlichen Schloßgespenstes auf einen altgedienten Hexenmeister. Er murmelte ein paar belanglose Phrasen. „Warum soll ich diesen Skandal nicht platzen lassen?“ rief der Professor. „Ja, warum nicht? Ich würde auch nie vor einem Skandal zurückschrecken!“ Randolph warf seinem Neffen einen freundlichen Blick zu. Er erinnerte sich noch genau, als seine Schwester, die arme selige Julie mit den schmalen Händen, damals Frederick Mallow heiratete, stand er gerade mitten in den Vorbereitungen für seine Arbeit, die nun – fünfundzwanzig oder dreißig Jahre später – ihrer Vollendung entgegenging. Damals war sein Eindruck von Frederick Mallow, dem Vater des jungen Mannes, der ihm jetzt gegenübersaß, nicht gerade der beste gewesen. Er hatte es für seine Pflicht gehalten, Julie zu warnen, und hatte doch gewußt, daß sie seine Warnungen in den Wind schlagen würde. Ihr früher Tod war eine Erlösung für sie gewesen. Aber etwas von ihrer Lebhaftigkeit, von ihrer Lebensfreude und von ihrer treuen Anhänglichkeit mußte auf ihren Sohn übergegangen sein. Wäre Terence ein reiner Mallow gewesen, dann hätte ihn Randolph ohne lange Umstände verabschiedet. Der kleine Professor kannte zwar aufs genaueste Gene 18
und Chromosomen und Vererbungslehre, sein Geist war in die tiefsten Geheimnisse des menschlichen Lebens eingedrungen, aber angesichts seiner verwandtschaftlichen Beziehung gewann doch sein Gefühl die Oberhand. „Erzähl mir doch, was für Sorgen du hast, Onkel!“ Die jungenhafte Art, mit der Mallow sprach, paßte genau zu dem Bild eines unbekümmerten, draufgängerischen Raumfahrers. Sein finanzielles Anliegen, darüber war er sich im klaren, mußte aufgeschoben werden, bis sich sein Onkel in einer besseren Laune befand. Außerdem brachte es sicher reiche Zinsen, wenn er Interesse und Anteilnahme an den Sorgen des alten Knaben zeigte. „Kann ich dir nicht helfen?“ fragte er deshalb. „Ich wüßte nicht, wie – es sei denn, du hättest ein paar hundert Milliarden.“ „Es dreht sich also um Geld?“ „Zum Teil.“ Schon das Sprechen über die erlittene Ungerechtigkeit verschaffte Randolph Erleichterung. „Obwohl ich das nicht ganz verstehe. Es kann doch nicht soviel kosten, eine Theaterbühne aufzubauen und ein paar alte Handschriften zu kaufen.“ „Es kommt darauf an, wer sie besitzt. Wenn ich sie hätte und wenn ich wüßte, daß eine reiche Universität scharf darauf ist, dann …“ „Mag sein. Heutzutage sind ja alle Wertbegriffe ins Wanken geraten.“ „Wer ist Helen Chase?“ Randolph sah mit einem raschen Blick auf, hellwach und mißtrauisch wie ein Raubtier kurz vor dem Sprung. „Ah!“ sagte er nur. 19
Und dann begann er zu sprechen, ruhig und beherrscht, in dem klaren, streng logischen Stil, an den er als Naturwissenschaftler gewöhnt war. Während er die Situation nüchtern und realistisch schilderte, rückten die schwarzen Zeiger der Uhr weit über Mitternacht hinaus, bis auf ein Uhr. Dann aber verließ er das klare Gebiet nüchterner Tatsachen und begab sich in das verschwommene Feld persönlicher Beziehungen. „Ich weiß sehr wohl, Terence, daß du mich um Geld bitten wolltest. Die Falschmeldung über deinen Tod im Kampf gegen jene törichten Rebellen klingt sehr romantisch, und vor dem Kriegsgericht hast du dich sehr aufrichtig und tapfer gezeigt. Du bist noch jung, und die Versuchung des Geldes hätte auch einen stärkeren Mann ins Straucheln bringen können …“ Mallow war klug genug, sich gegen den versteckten Vorwurf nicht zur Wehr zu setzen. „Deine arme Mutter erzählte mir immer wieder, daß dein Vater ein charmanter Mann war, in dem sehr viele Möglichkeiten steckten. Ich sage das nicht, weil er tot ist und weil man über Tote nichts Schlechtes reden soll. Ich habe ihn kennengelernt. Daß er Charme besaß, ein liebenswürdiges Wesen, das alle für ihn einnahm, kann nicht bezweifelt werden. Und du, Terence, hast diese Eigenschaften auch, außerdem aber die Redlichkeit und Anständigkeit deiner Mutter. Gewiß, die Unterschlagungen bei der Raumflotte waren eine Dummheit; aber deswegen kann man dich nicht verdammen.“ „Vielen Dank, Onkel!“ Mallow hielt seinen Kopf geziemend gesenkt und lauschte schicksalsergeben der Predigt. 20
„Ich möchte nun“, fuhr Professor Randolph fort, „daß du diesen Charme auf Helen Chase wirken läßt, auf dieses rothaarige Frauenzimmer. Versuche, soviel wie möglich über ihre Theorien und Pläne herauszufinden! Ich will wissen, wozu sie das Maxwell-Stipendium braucht. Ich bin nämlich davon überzeugt, daß ihre Pläne außerhalb des Stiftungszweckes liegen, und das will ich dem Stiftungsrat nachweisen. Das Geld ist hauptsächlich für Naturwissenschaften bestimmt.“ Mallow hob den Kopf und sah seinem Onkel ins Gesicht. „So weit willst du gehen? Du willst verhindern, daß das Geld einem anderen zukommt?“ „Auf jeden Fall! Ich bin zum Äußersten entschlossen. Und was deine Spesen anbelangt, so glaube ich, großzügig sein zu können, da du ja mehr oder weniger für mich arbeitest.“ „Das ist nett von dir, Onkel. Du wirst feststellen, daß ich ein guter Geheimagent für dich bin – und nicht zu teuer.“ Mallow atmete erleichtert auf. Wenn die Verteilung des Maxwell-Stipendiums alles war, was den alten Knaben bedrückte, und wenn es sich um eine Frau drehte, dann war er, Terry Mallow, ehemaliger Offizier der Terranischen Raumflotte, genau der richtige Mann für diese Sache. Allerdings behagte ihm der seltsame Blick nicht, den er in den Augen seines Onkels bemerkte. Er erinnerte sich noch genau an das letztemal, da er diesen glühenden, fanatischen Blick gesehen hatte. Der Partisan war noch jung gewesen, ein breitschultriger Bursche mit einem blonden Lockenschopf und langen, muskulösen Beinen, die sich unter seinen eng anliegenden Hosen deutlich abhoben. Er 21
war mit wildem Kriegsgeschrei auf Mallows Landungsboot zugestürzt. Und als Mallow den Schuß auf ihn abfeuerte, hatte er in den Augen des anderen den gleichen tödlichen, wild entschlossenen Haß gesehen wie jetzt in den Augen seines Onkels, dieses ruhigen gesetzten Naturwissenschaftlers. Aber Terry Mallow besaß die Fähigkeit, seine eigenen Augen rasch vor allem zu schließen, was er nicht sehen wollte. * „Auf zehntausend Naturwissenschaftsdiplome, die letztes Jahr zuerkannt wurden, kam nur ein – ein einziges! – Diplom in einer Geisteswissenschaft.“ „Ist es meine Schuld, Peter, wenn die Leute ihre Chancen nicht nützen?“ „Ihre Chancen?“ Dr. Peter Howland hatte schon seine Hand am Tonbandgerät, auf dem ein Stück von Bach bereitlag. In dem Zimmer von Helen Chase drängten sich die üblichen Besucher – langhaarige Existenzialisten, Künstler und einige wenige vielversprechende Studenten. Draußen vor den Fenstern lag schon Schnee, aber in den Räumen war es warm und gemütlich, und überall in der Wohnung herrschte die prickelnde Atmosphäre, die ein guter Wein, gutes Essen, gute Zigarren und die Anwesenheit von gutaussehenden Frauen in jede Wohnung zaubern, ganz gleichgültig, wie häßlich sie sein mag. „Ja, ihre Chancen. Was ist nun mit Bach?“ Howland drückte auf den Knopf und regulierte die Laut22
stärke ein. Er wußte wohl, daß seine Anwesenheit von diesem Künstlervolk nur geduldet wurde, weil er als Techniker das elektronische Musikgerät bedienen konnte, das für sie ein Buch mit sieben Siegeln war. Aber er kam gern hierher. Es erweiterte seinen Horizont. Wie lange war er nun schon an der Lewistead-Universität? Drei Monate? Sie kamen ihm wie drei Jahre vor. Professor Cheslin Randolph war nicht der angenehmste Chef. Peter Howland setzte sich auf den Fußboden neben den Stuhl von Helen Chase und griff nach seinem Glas. „Was meinen Sie mit Chancen?“ „Ich will es Ihnen erklären. Nehmen Sie mal sich selbst, zum Beispiel.“ Sie lächelte zu ihm hinunter. Er gefiel ihr mit seiner großen, schlanken, fast hageren Figur. Aus seinen Augen sprach dieselbe schüchterne Zurückhaltung, die sie oft empfand, und doch entdeckte sie darin häufig ein Feuer, das auf eine zähe Energie und Entschlossenheit schließen ließ. Ja, sie hatte viel Gemeinsames entdeckt in diesen letzten – wie lange war es her? Drei Monate? Es kam ihr länger vor. Sie unterhielten sich oft über alle möglichen Themen – nur nie über sich selbst. Deshalb sah Howland sie so überrascht an. „Mich? Was ist mit mir? Ich bin doch ganz normal.“ „Natürlich! Aber Sie sind Doktor der Naturwissenschaften, und Sie haben sich auf irgendein ausgefallenes, weit abgelegenes Fachgebiet spezialisiert. Sie wissen selbst, wie lange Sie warten müssen, bis Ihnen irgendwo ein Lehrstuhl angeboten wird.“ „Das stimmt. Aber darüber mach ich mir keine Sorgen.“ „Weil Sie noch jung sind. Aber schauen Sie sich doch 23
einmal außerhalb des Universitätslebens um! In der Industrie finden Sie Hunderte von erstklassigen Naturwissenschaftlern, die in ihren Labors arbeiten. Aber wer nimmt die leitenden Stellungen ein, die Führungs- und Verwaltungsspitzen? Ich will es Ihnen sagen, Peter: Geisteswissenschaftler!“ „Das stimmt nicht ganz.“ „Nicht immer, natürlich. Ein großer Teil der Verwaltungsaufgaben wird von Kybernetikern wahrgenommen. Aber wo eine Entscheidung von einem menschlichen Gehirn getroffen werden muß, da sitzt in neun von zehn Fällen ein Geisteswissenschaftler.“ „Vielleicht ist es gerade das, woran unsere Gesellschaft krankt.“ „Ketzer!“ „Sagen Sie mal“, schnitt er ein anderes Thema an, „Sie sind doch so etwas wie ein Prophet für die Shawianer und Wellsianer. Sie wissen da genau Bescheid. Ich habe einiges von Shaw und Wells gelesen und meine, sie …“ „Er!“ Howland sah zu ihr auf und trank ihr lächelnd zu. „Er, behaupten Sie? Nun gut, ich habe also einiges von dem Zeug gelesen, das Sie mir gaben. Aber ich neige doch zu der Ansicht, daß es sich um zwei verschiedene Personen handelt.“ „Sie können sich wahrscheinlich nicht vorstellen, daß ein Mensch ein Stück in einem bestimmten Stil, mit einer bestimmten Ausdrucksweise schreibt, und daß er dann ein anderes Stück absichtlich aus einer ganz anderen Anschauung heraus verfaßt.“ 24
„Aber es gibt doch Fotos von ihnen – so komische schwarz-weiße Papierchen!“ „Sie sind naiv, Peter! Der eine trägt einen Bart, der andere nicht. Wenn ich etwas unter einem fremden Namen veröffentlichen wollte, fände ich jederzeit das Foto eines anderen Mädchens.“ „Aber keines, das so hübsch wäre wie Sie!“ Howland schwieg verwirrt, errötete und nahm hastig einen Schluck aus seinem Glas. Auch Helen war verwirrt. Die persönlichen Beziehungen bedeuteten ein schwieriges Problem. Sie mochte Peter Howland, aber die Arbeit an ihrer Aufgabe ging vor. Es kam ihr oft überhaupt nicht zu Bewußtsein, daß sie eine Frau war, und sie hatte auch geglaubt, daß sich Howland damit abgefunden hätte, in ihr einen trockenen Wissenschaftler zu sehen wie sich selbst. Peter Howland sprach hastig weiter, als wolle er den Einbruch in ihre private Sphäre verdecken. „Mit meiner Arbeit komm ich gut voran. Ich habe ein ganz neues System entwickelt. Wenn wir auf Pochalin Neun landen, können wir sofort mit den Experimenten beginnen. Das größte Problem wird die Frage darstellen, wie wir verhindern, daß wir selbst diesen Planeten mit Viren und Bakterien von der Erde verseuchen. Ich habe mein ganzes Leben dieser Arbeit geweiht und habe keine Angst vor einem Mißlingen, denn ich glaube an unseren Erfolg. Ich bin sicher, daß wir uns auf dem richtigen Weg befinden, und Randolph ist ein Genie. Diesmal wird das Maxwell-Stipendium eines der größten Ergebnisse hervorbringen. Sie werden sehen …“ Helen sah ihn unsicher an. Er lächelte. Nahm sie ihm 25
seine Bemerkung über ihre Schönheit übel? Er zuckte die Achseln. Sie war in der Tat ein sehr hübsches Mädchen, und wenn er mehr Zeit hätte, würde er sich mehr um sie kümmern. Aber unter den gegebenen Umständen hatte sie keine Zeit für Männer und er keine Zeit für Frauen. „Bedeutet Ihnen das soviel, Peter?“ „Welche Frage! Stellen Sie sich doch vor, Sie hätten plötzlich Gelegenheit, mit Shaw oder Wells persönlich zu sprechen! Dasselbe bedeutet das Experiment Pochalin Neun für mich. Es wird die Bestätigung meiner Theorien bringen. Danach ist mir ein Lehrstuhl ganz sicher.“ „Aber haben Sie denn noch nicht gehört – hat Ihnen Professor Randolph noch nicht gesagt, daß …“ „Was? Ich weiß von nichts.“ „Ich – ich war vielleicht etwas voreilig. Es ist sicher noch ein Geheimnis. Entschuldigen Sie, Peter. Ich möchte nicht darüber sprechen, um Professor Randolph nicht vorzugreifen.“ Howland sah sie verwundert an, lächelte aber gleichmütig. „Gut, Helen. Wie Sie meinen.“ „Helen meint immer, was Sie sagt“, mischte sich Terence Mallow ein, der zu Ihnen getreten war. „Und sie hat meistens recht.“ Sein aalglattes Benehmen mißfiel Howland, aber als den Neffen des Professors mußte er ihn dulden. „Hallo, Terry!“ begrüßte Helen ihn mit einer Herzlichkeit, die Howland ebenfalls mißfiel. Es kam ihm plötzlich lächerlich vor, daß er wie ein Schuljunge auf dem Fußboden saß. Er erhob sich hastig und vergoß dabei ein paar Tropfen von seinem Drink. Mallow hatte sich in letzter 26
Zeit auffällig um Helen bemüht, und das paßte Howland nicht. „Peter!“ wandte sich Mallow an ihn. „Mein Onkel möchte Sie sprechen. Jetzt gleich. Deshalb bin ich hergekommen.“ Howland sah die beiden an. Der ehemalige Offizier der Raumflotte mit seiner schneidigen Gestalt und das Mädchen gaben ein prächtiges Paar ab, und dennoch konnte der Wissenschaftler dieser Vorstellung keinen Geschmack abgewinnen. „In Ordnung“, erwiderte er mißmutig. „Ich gehe.“ Terence Mallow sah hinter ihm her und überlegte dabei, warum Randolph nicht Howland damit beauftragt hatte, das Mädchen auszuhorchen. Seine Bemühungen um Helen Chase machten gute Fortschritte. Es war in diesem Jahr sehr früh Winter geworden. Sie verbrachten einen großen Teil ihrer Zeit gemeinsam beim Schlittschuhlaufen und gingen auch häufig zu Tanzabenden und anderen gesellschaftlichen Veranstaltungen in und außerhalb der Universität. Mallow verfügte über soviel Freizeit wie er wollte und konnte Helen zu Dingen überreden, an die Howland selbst im Traum nie gedacht hätte. Mallow hatte sie auch sehr rasch dazu gebracht, von ihrer Arbeit zu sprechen. Ihre scheue, zurückhaltende Art entsprach nicht ganz dem an üppigere Kost gewöhnten Geschmack des ehemaligen Raumfahrers. Er berichtete seinem Onkel jeden Morgen über die Fortschritte vom Tag zuvor. Meistens war es ein reiner Routinebericht, die Meldung über irgendeinen gemeinsamen Ausgang. 27
Am Tag nach der Party fügte Terry hinzu: „Es ist ihr wirklich ernst, Onkel! Die Sache hat auch Hand und Fuß. Ich meine, ihre Theorie über Shaw und Wells ist durchaus ernst zu nehmen. Es ist eine wissenschaftliche These.“ „Das weiß ich inzwischen selbst“, erwiderte Randolph mißmutig. „Aber weißt du auch, daß die Lewistead-Universität, wenn sie die Manuskripte mit dem Maxwell-Geld kauft, damit einen riesigen Vorsprung gegenüber allen anderen Universitäten der ganzen Galaxis gewinnt?“ „Was interessiert mich das? Lewistead verdankt seinen Ruf allein der naturwissenschaftlichen Fakultät. Die anderen machen uns nur zum Gespött.“ Mallow schüttelte den Kopf. „Das stimmt nicht, Onkel! Die Galaxis lebt nicht von der Naturwissenschaft allein.“ Für Professor Cheslin Randolph kamen diese Worte einer Gotteslästerung gleich – besonders aus dem Mund seines Neffen, der die Weiten des Weltraums durchmessen und dabei die Errungenschaften der modernen Technik kennengelernt hatte. Sein kleiner Körper richtete sich auf, und seine Froschaugen quollen vor Erregung noch weiter hervor. Bei seiner Antwort steigerte er sich in eine solche Empörung hinein, daß Mallow an die Hausbar ging und einen Drink für den alten Knaben einschenkte. Randolph nahm das Glas und leerte es auf einen Zug, um dann mit unverminderter Heftigkeit weiterzusprechen. Erst nach einer Weile gelang es seinem Neffen, wieder zu Wort zu kommen. „Wenn sie das Geld bekommt, wird sie persönlich zu dem Planeten fliegen, auf dem sich die Handschriften jetzt 28
befinden. Welcher das ist, will sie mir nicht sagen. Ich nehme an, daß noch viele andere Institute hinter der Sammlung her sind. Woher sie davon erfahren hat, will sie mir auch nicht verraten.“ „Die Sache ist vermutlich völlig sauber, wie?“ „Absolut! Helen würde sich nie für zwielichtige Geschäfte hergeben.“ „Hm. Dann versuche weiter herauszufinden, was du kannst. Bisher hast du mir nicht viel genützt.“ „Aber, Onkel …“ „Ich wende mich jetzt an den Kanzler. Wenn mir Harcourt nicht helfen kann, muß ich an höherer Stelle Hilfe suchen.“ „Ist der Kanzler nicht irgendein hohes Tier in der Politik?“ „Doch! Shelley Arthur Mahew ist Minister für Außerirdische Angelegenheiten.“ „Ei, ein richtiger Bonze!“ „Jedenfalls gehört er der regierenden Partei an, und als Mitglied der Regierung müßte er wissen, daß meine Arbeit wichtiger ist als der Ankauf irgendwelcher Kritzeleien.“ * Randolph setzte durch, daß Mahew ihn empfing, und flog nach Capital City, der Hauptstadt in der ehemaligen Sahara. Mahew war sehr höflich, freundlich, charmant – aber er lehnte jede Hilfe ab. Auf dem Rückflug wiederholte Randolph noch ein paarmal wütend seine letzten Worte: „Da kann ich leider gar nichts tun, Professor. Über das 29
Maxwell-Stipendium verfügt nur der Stiftungsrat. Und wenn diese Leute glauben, daß nun die Geisteswissenschaften ein Anrecht auf die Kapitalien haben …“ „Kapitalien!“ wiederholte er, als er seinem Neffen von der Unterhaltung berichtete. „Kapitalien!“ „Eine sehr gewählte Ausdrucksweise.“ „Genauso sprach er auch von der Arbeit, die ihn zur Zeit beschäftigt!“ empörte sich Randolph weiter. „Ich hatte den Eindruck, daß er völlig überarbeitet ist.“ „Sonderbar! Dasselbe behauptet Helen von dir!“ „Was? Sie spricht über mich? Hinter meinem Rücken! Dieses unverschämte Weibsbild!“ Mallow lächelte. Er hatte schon lange vorgehabt, sich bei seinen täglichen Zusammentreffen mit dem alten Knaben etwas freier zu geben. Das gezwungene Benehmen gegenüber seinem Onkel ging ihm mehr auf die Nerven als die Notwendigkeit, zu Helen Chase höflich zu sein. Er schaute zum Fenster hinaus, über den schneebedeckten Rasen hinweg bis hinüber zu dem niedrigen, langgestreckten Gebäude der geisteswissenschaftlichen Fakultät. Dort saß sie jetzt sicher vor einer Schar Studenten, die ihr mit offenem Mund lauschten, und hielt eine Vorlesung über den tieferen Sinn der Charaktere in Shaws Schriften. Ein seltsames Mädchen. Und dieses rote Haar … „Terence! Hörst du mir überhaupt zu?“ „Nein, Onkel!“ antwortete er mit entwaffnender Offenheit. „Ich dachte gerade an eine andere Methode, wie Helen Chase zu packen wäre.“ „Hm. Und ich sagte gerade, daß du sie künftig aus dem Spiel lassen kannst!“ 30
„Aus dem Spiel lassen?“ Bei dem Gedanken, seinen einträglichen Job zu verlieren, erwachten Mallows Lebensgeister. „Gerade jetzt, wo wir Fortschritte machen?“ „Wir machen keine Fortschritte! Ich habe darüber nachgedacht. Wir werden das Problem von der anderen Seite her anpacken. Hol mir mal rasch Dr. Howland her! Wir drei haben etwas Wichtiges zu besprechen – und zu tun.“ Trotz der Entschlossenheit, die Randolph zur Schau trug, sah er dem Gespräch mit seinem Assistenten mit Unbehagen entgegen. Der alte Gussman war in Ordnung. Er würde tun, was man ihm sagte. Und man würde ihm sagen, daß er sich um nichts kümmern und weiterhin seine Rolle als Handlanger bei den Experimenten zu spielen habe. Aber Howland – das war etwas anderes. Howland war ein neuer Besen – neue Besen kehrten bekanntlich gut –, und dazu noch ein tüchtiger, glänzender Wissenschaftler, der auf diese Stelle nicht angewiesen war. Peter Howland kam mit einem Hauch frischer Luft herein. Er bürstete sich weißen Staub von der Schulter. „Schnee“, erklärte er. „Fiel vom Dach herab, als ich vor Ihrer Tür stand. – Sie wollten mich sprechen, Professor?“ „Ja, Peter. Ja, ganz recht. Setzen Sie sich, setzen Sie sich! Du auch Terence. Ich werde Ihnen zuerst die Situation erläutern, Peter, dann kommen wir auf den Kernpunkt der Sache zu sprechen.“ Seinem Neffen kam der Professor wie ein ganz anderer Mensch vor. Cheslin Randolph trug eine entschlossene Miene zur Schau. Seine Lippen bildeten einen dünnen Strich, und seine Kiefer traten kantig hervor. Peter Howland dagegen hatte den Eindruck, als fühle 31
sich der Professor unbehaglich und unsicher, und das war bei dieser Persönlichkeit so ungewöhnlich, daß der Assistent dabei ebenfalls eine gewisse Unbehaglichkeit verspürte. „Wissen Sie, in welchem Stadium wir mit unserer Arbeit stehen? Alles, was hier auf der Erde getan werden kann, ist getan. Jetzt brauchen wir einen absolut keimfreien Planeten. Einen Planeten, auf dem es nicht die geringste Spur von Leben gibt, damit wir unsere Theorie beweisen können. Sie sollen mir sagen, in welcher Weise Sie Ihre Arbeit hier auf der Erde fortsetzen können.“ Howland schwieg lange. Endlich sagte er bedächtig: „Hier auf der Erde kommen wir keinen Schritt weiter. Wir brauchen jetzt den Planeten Pochalin Neun und das Maxwell-Stipendium, damit wir die Ausrüstung kaufen und dorthin fliegen können.“ Randolph nickte, schlug seine kurzen Beine übereinander und schnalzte nervös mit den Fingern. „Ich glaube, Peter, Sie hängen mit derselben Hingabe an Ihrem Beruf wie ich. Was würden Sie sagen, wenn ich Ihnen nun erzähle, daß unser Institut dieses Jahr das Maxwell-Stipendium nicht bekommen soll?“ Howland lächelte. „Nun, zunächst würde ich mich darüber ärgern, daß ich überhaupt zur Lewistead-Universität gekommen bin.“ „Oh! Wieso das?“ „Sie wissen vielleicht, daß ich die Wahl hatte. Eine beschränkte Wahl, aber immerhin mehrere Angebote. Wenn ich mich für Lewistead und Sie entschied, so nur deshalb, weil Ihre Arbeit in mein Fach schlug und weil ich wußte, 32
daß Sie das Geld von der Maxwell-Stiftung bekommen sollten, so daß wir unsere Arbeit auf Pochalin Neun fortsetzen konnten.“ Randolph zeigte seine Überraschung nicht, sondern sagte nur: „Sie würden sich also ärgern. Sie wären wütend, oder sagen wir, empört?“ Howland lächelte wieder. „Ich wäre so außer mir vor Wut, daß ich – daß ich …“ „Daß Sie was?“ „Daß ich – nun, ich weiß es selbst nicht. Ich käme mir betrogen vor. Aber da sich diese Frage nicht stellt …“ „Irrtum, Peter! Die Frage stellt sich!“ Peter Howland erhob sich langsam. „Sie meinen, wir bekommen das Geld nicht?“ flüsterte er heiser. „Richtig, Peter! Wir bekommen das Geld nicht.“ „Sie scheinen das sehr ruhig aufzunehmen. Damit wird aber Ihr Lebenswerk zerstört! – Mein Gott! Was wird jetzt aus unserer Arbeit? Soll wirklich alles vergeblich gewesen sein? Das kann nicht sein! Irgendwie muß sich doch …“ „Machen Sie sich keine Hoffnungen!“ unterbrach ihn Randolph. „Es gibt nichts, was diese Entscheidung umstoßen könnte.“ „Aber was wollen wir dann tun?“ Howland setzte sich wieder und sah den Professor verzweifelt an. Mallow beobachtete die beiden aufmerksam. „Und warum bekommen wir das Geld nicht? Wer hat das entschieden? Wem fließt das Geld zu?“ „Von Ihren Fragen, mein lieber Peter, ist nur die erste wichtig. Um die anderen kurz zu beantworten: Wir kriegen 33
das Geld nicht, weil der Stiftungsrat beschlossen hat, daß Professor Chase es bekommen soll. Wir …“ „Helen!“ Plötzlich erinnerte sich Howland an ihre Andeutungen. „Da soll doch …“ „Schimpfen Sie nicht! Damit verbrauchen Sie nutzlos wertvolle Energie. Aber ich sehe, daß Sie über diese ungerechte Behandlung unserer Naturwissenschaft empört sind.“ Howland holte tief Luft. Randolph schien durch diesen Zwischenfall nicht im geringsten aus der Fassung gebracht. Eine gewisse Zuversicht ging von ihm aus – eine selbstsichere und unerschütterliche Zuversicht. Howland versuchte, seinen Zorn zu bezwingen, aber dann brach es doch aus ihm heraus: „Ich bin so wütend, daß ich den Stiftungsräten mit lächelndem Gesicht das Genick brechen könnte. Und diese Helen – nun …“ „Sie sind der Überzeugung, daß unsere Arbeit der ganzen Galaxis nützt? – Gut, dann will ich mir kein Urteil darüber erlauben, wie sehr Sie dem ungeheuerlichen System unserer modernen sozialen Gerechtigkeit ergeben sind. Ich werde beweisen, daß ich eine lebende Zelle herstellen kann, die sich erneuert und in wenigen Minuten um mehrere Generationen fortpflanzt. Ich will der ganzen Galaxis beweisen, daß ich künstliches Leben zeugen kann. Dafür brauche ich Geld. Ich war blind. Ich habe über zehn Jahre lang in aller Ruhe darauf gewartet, daß es verstaubten weltfremden Bürokraten gefiel, mir das Maxwell-Stipendium zuzuteilen.“ Randolph steigerte sich immer mehr in seine Erregung hinein. Hatte bisher aus seinem Blick eine gewisse Selbst34
verachtung gesprochen, so verriet er jetzt eine neue Erkenntnis. „Geld gibt es in Hülle und Fülle, überall in der Galaxis! Es wird nur falsch verwendet! Die verbrecherische Verschwendung des Maxwell-Geldes durch Professor Chase und die Stiftungsräte brauche ich gar nicht zu erwähnen. Denken Sie nur an die Milliarden, die jedes Jahr für nutzlose, unbrauchbare Erzeugnisse ausgegeben werden! In jeder Sekunde werden Millionen vergeudet …“ „Da hast du ganz recht, Onkel!“ warf Mallow unsicher ein. Howland hörte dem Professor schweigend zu. „Und was ist heutzutage die größte Geldverschwendung? Das werde ich Ihnen sagen!“ Der Blick des Professors richtete sich anklagend auf Mallow. „Du!“ Howland und Mallow zuckten zusammen. „Aber, Onkel!“ protestierte Mallow schwach. Randolph deutete mit seinem dürren, knochigen Finger auf seinen Neffen. Er war auf eine neue Idee verfallen und klammerte sich mit seiner ganzen Beharrlichkeit daran fest. „Ich meine natürlich nicht dich persönlich, Terence, sondern nur das, was du darstellst: den Krieg!“ Howland und Mallow spürten sehr deutlich die Veränderung, die mit dem kleinen Mann vorgegangen war. Er sprach wie ein Fanatiker. „Stellt euch doch einmal vor – da werden Tausende junger Männer für den Krieg ausgebildet und mit den teuersten Waffen ausgerüstet! Und damit schwirren sie im Weltraum umher, von Planet zu Planet! Das ist doch grotesk!“ „Nun ja, aber wir können es nicht ändern.“ 35
„Das will ich auch nicht. Was die verrückten Politiker tun, geht mich nichts an. Mich interessiert nur, was Mahew sagte.“ „Der Kanzler?“ Howland riß erschrocken die Augen auf. „Kanzler und gleichzeitig Minister für Außerirdische Angelegenheiten“, erklärte Mallow und rieb sich sein parfümiertes Kinn. „Was hat denn Mahew gesagt, daß du dich so aufregst?“ „Ich bin von Natur aus nicht sehr bescheiden. Ich strebte immer nach höheren Dingen. Aber in dieser Situation zwingt man mich dazu, ein ganz gewöhnliches Ziel ins Auge zu fassen. Der Zweck heiligt die Mittel!“ Mallow gab die Hoffnung auf, daß der kleine Professor je zur Sache käme. „Überall auf den verschiedenen Planeten gibt es Stützpunkte der Raumflotte. Daneben natürlich noch Einheiten des Heeres, Polizeidienststellen, den diplomatischen Dienst und andere Organisationen, die wir im Weltraum unterhalten. Die interessieren mich nicht – obwohl auch sie zuviel Geld verschwenden. Nein, ich meine jetzt nur diese lächerliche Raumflotte.“ „Gut“, sagte Mallow resignierend. Er setzte sich auf die Armlehne eines Sessels und zündete sich eine neue Zigarette an. Howland saß regungslos auf seinem Stuhl und hörte zu. „Ich bin fest davon überzeugt, daß die Raumflotte keinem nützlichen Zweck dient. Der Einsatz gegen die Rebellen hätte mit einem Bruchteil der Kosten durchgeführt werden können. Das Geld, das für die Raumflotte ausgegeben wird, ist deshalb reine Verschwendung – eine verbre36
cherische Verschwendung. Und dagegen will ich etwas tun. Ich habe darüber nachgedacht, was Mahew äußerte. Er sagte mir …“ „Nun, was denn?“ Randolph blickte auf und runzelte die Stirn. „Wenn du mich nicht dauernd unterbrechen würdest, könnte ich auch einmal etwas sagen.“ „Entschuldige!“ antwortete Mallow zerknirscht, konnte aber doch ein kleines Lächeln nicht ganz verbergen. „Mahew erzählte beiläufig, daß das Geld, um das ich bat und das mir die Maxwell-Stiftung geben sollte, ein Katzendreck – so sagte er wörtlich – ein Katzendreck sei im Vergleich zu den Summen, mit denen er täglich zu tun habe. Er habe zum Beispiel, erzählte er voller Stolz, gerade dieser Tage die Zahlung eines ganzen Jahresgehalts für einen Flottenstützpunkt auf Callahan 739 angeordnet.“ Mallow nickte. Er erinnerte sich an den Stützpunkt. Und inzwischen hatte er auch auf die Wellenlänge des Professors geschaltet. „Das Geld muß in bar transportiert werden, damit die Angehörigen der Flotte es draußen auf den Planeten ausgeben können. Schecks und Zahlungsanweisungen können dazu nicht verwendet werden. Die Gelder werden in unregelmäßigen Abständen transportiert, die nur ein paar Eingeweihte von der galaktischen Börse und vom Ministerium kennen. Die Transporte werden mit verschiedenen Raumern der zivilen und militärischen Raumflotte durchgeführt. Welch eine Verschwendung!“ Mallow ahnte schon mit erschreckender Klarheit, auf welches Ziel dieses Gespräch zusteuerte, und wenn er vor 37
der Schlußfolgerung, die sich aus den Andeutungen seines Onkels ergab, zuerst zurückgeschreckt war, so schwand jetzt sein Widerstand allmählich dahin. „Ich beabsichtige“, erklärte Professor Randolph feierlich, „diese ungeheure Geldverschwendung zumindest zu einem Teil zu verhindern. Das Geld wird für wichtigere Zwecke benötigt. Zum Nutzen der Wissenschaft im allgemeinen und zum Nutzen meines Forschungsvorhabens im besonderen werde ich mir eine Ladung dieses Geldes aneignen.“ „Jawohl, Onkel“, erwiderte Terence Mallow leise. 2. Kapitel Mühsam raffte der ehemalige Bootsmann Duffy Briggs seine Sinne zusammen. Seine zerschlagene Nase drückte sich platt gegen den staubigen Fußboden, und in seinen Ohren vereinigten sich das Lärmen der Gäste in der Bar, das Klirren und Klappern von Flaschen und Gläsern und die schrille Schallplattenmusik aus der Musikbox zu einem ohrenbetäubenden Krach. Es stank nach Schnaps und Tabakrauch, nach Schweiß und billigem Parfüm. Duffys Hinterkopf brannte wie Feuer. Während er sich auf seine zerschundenen Hände stützte, versuchte er, einen klaren Gedanken zu fassen. „He!“ kreischte eine Frau. „Er ist noch nicht hin!“ „Gib’s ihm noch mal!“ brüllte ein betrunkener Dockarbeiter. „Drauf, Fred!“ Aus dem Durcheinander in seinem Kopf löste sich ein einziger, alles verzehrender Wunsch. Er mußte auf die Fü38
ße kommen und sich auf den Mann stürzen, der ihn niedergeschlagen hatte. Er mußte beweisen, daß er sich von einer elenden Landratte nicht k.o. schlagen ließ. Hinter seinen Augäpfeln bohrte ein stechender Schmerz, seine Beine zitterten, und die Knie gaben fast unter ihm nach. Er wurde älter. Aber noch war er nicht zu alt, dem Burschen, der ihn niedergeschlagen hatte, zu zeigen, was ein alter Fahrensmann war. Vier Finger und ein Daumen schlossen sich um seinen Oberarm. Er wurde mit einem Ruck hochgezogen und unsanft auf die Füße gestellt. Er drehte sich blindlings um, da er immer noch nichts als blutrote Nebelspiralen sah, und hob die Faust, um sich auf den neuen Widersacher zu stürzen. „Langsam, Duffy! Sie sind mindestens zu zehnt hier. Geh, solange du noch ungeschoren davonkommst und noch heile Knochen hast. Mit anderen Worten – hau schleunigst ab!“ Duffy Briggs wunderte sich noch, während er den geflüsterten Ratschlag befolgte. Er war allein gewesen in dieser billigen Hafenkneipe unten bei den Weltraumwerften, und er war auch bei dem Streit und der Schlägerei allein gewesen. Jetzt hatte er einen Freund bei sich – einen alten Freund. Er rannte, so schnell er konnte, und mit jedem Meter, den er gewann, fühlte er sich besser. Der Bootsmaat Barny Cain hatte ein finster aussehendes Individuum niedergeschlagen, das sich ihnen unter der Tür in den Weg stellen wollte, und war dann hinter Duffy Briggs hergelaufen. Die beiden Männer sogen in tiefen Zügen die eisige Nachtluft ein, bis ihre Lungen brannten. 39
„Barny Cain!“ sagte Briggs strahlend. „Hab ich mir doch gleich gedacht, daß ich dich bei einer Schlägerei wiedertreffen würde. Kannst du gehen?“ Briggs nickte. Sie bogen in eine schmale Seitenstraße ein. Briggs fühlte, wie seine Kräfte zurückkamen. „Du warst am Boden“, sagte Cain grinsend. „Warst wohl zu lahm, wie?“ Briggs nickte düster. „Zu lahm und zu alt, Cain. Zu alt, verstehst du?“ Cain betrachtete ihn verstohlen von der Seite. Die Leuchtgasröhren über ihnen verbreiteten ein spärliches Licht. Briggs sah noch genauso aus, wie er ihn von einem Menschenalter gemeinsam verbrachter Dienstzeit her kannte. Ein Hüne von Gestalt, eine Figur wie ein Schrank, ein breites Gesicht mit einer zerschlagenen Nase. Vielleicht hat er recht, dachte Cain, während sie aus der dunklen Seitenstraße in eine belebte Straße mit vielen Hotels und Restaurants einbogen. Sie glichen sich in vielem, stellte er bei sich fest. Vielleicht kam das daher, daß sie vierzig Jahre lang gemeinsam in der Raumflotte gedient und gekämpft hatten. „Wie kamst du denn überhaupt dorthin?“ wollte Briggs wissen. „Ich hab dich gesucht. Dich und noch einen oder zwei brauch ich. Ich hab eine Arbeit. Bringt eine Menge Geld. Etwas am Rande der Gesetze, aber ich schätze, das wird uns nicht stören.“ „Hat uns nie gestört“, erwiderte Briggs, und nun grinste er. „Geld, sagst du? Geld?“ Er sprach das Wort aus, als spreche er vom heiligen Gral. 40
„Du machst also mit? – Gut! Erinnerst du dich an den Lieutenant-Commander Mallow? Der dreht das Ding!“ Briggs nickte. „Den kenn ich!“ * Charles Sergejewitsch Kwang hob sein Whiskyglas und lächelte über die Bar hinweg Cyrus Q. Mauriac zu. Mauriac verbreitete leutseliges Wohlwollen, das Aroma einer teuren Zigarre und den Duft alten Whiskys um sich. Die beiden letzteren Dinge waren von Kwang zur Feier eines guten Geschäfts bezahlt worden. „Jawohl, Sir“, sagte Mauriac. „Ich sehe es einem Menschen an, ob er ein guter Geschäftsmann ist. Es war mir ein Vergnügen, mit Ihnen ein Geschäft zu machen.“ „Ganz meinerseits, Mr. Mauriac. Ich bin überzeugt, daß diese Aktien von Calzonier Zwo innerhalb der nächsten drei Jahre eine ordentliche Dividende bringen. Sie werden es nicht bereuen, daß Sie das Risiko eingegangen sind.“ „Risiko? Da gibt es kein Risiko, sonst hätte ich mein Geld nicht bei Ihrer Gesellschaft angelegt. Das Geschäft hat mich eine schöne Stange Geld gekostet.“ Mauriac leerte sein Glas, schaute auf seine Uhr, dann zur Tür und schließlich auf die Aktentasche, die neben dem Barhocker Kwangs stand. „Nun ist alles unterschrieben – trinken wir noch einen?“ Kwang wollte sich nicht zu rasch verdrücken, das hätte seinen geschäftlichen Gepflogenheiten widersprochen. Einen Drink noch, dann würde er nach seiner Aktentasche greifen, verbindlich lächeln, den üblichen Händedruck aus41
tauschen – und verschwinden. Auf Nimmerwiedersehen. Hinaus in die Galaxis. Bis er den nächsten Dummen gefunden hatte. Auch Mauriac hatte es nicht eilig. Er verwickelte Kwang in ein langatmiges Gespräch. Kwang hatte Mühe, seine Ungeduld zu verbergen. Er war von kleiner, schmächtiger Figur und hatte eine Knollennase, pechschwarzes Haar und hellbraune Augen. Er konnte hoheitsvoll aussehen, wenn er wollte, aber auch demütig, unterwürfig oder wie eine zu Unrecht verdächtigte Unschuld – je nach der gegebenen Situation. „Sie sagten, Sie hätten in der Raumflotte gedient“, plauderte Mauriac unbeirrt weiter. „Das ist sehr interessant. Erzählen Sie doch mal …“ Er schwieg unvermittelt, drehte sich um und schaute an Kwang vorbei zur Tür, wandte sich aber enttäuscht ab. Gleichzeitig spürte Kwang, wie sich unterhalb der Bartheke ein Hand an ihn heranschob und ihm ein zusammengerolltes Stück Papier in die Faust drückte. Er rollte es verstohlen auf seinem Knie glatt und warf eine Blick darauf. „Polizei! Verschwinde!“ las er. „Entschuldigen Sie mich, Mr. Mauriac“, sagte er verlegen lächelnd. „Ich muß mal rasch …“ „Natürlich, wir unterhalten uns dann weiter.“ Kwang ließ sich von seinem Barhocker gleiten, warf einen letzten bedauernden Blick auf seine Aktentasche und ging dann auf eine Seitentür zu. Kurz davor bog er ab und eilte auf eine Schiebetür an der Rückwand zu, durch die bevorzugte Gäste zu den verbotenen Spielzimmern eingelassen wurden. Hinter der Tür drehte er sich noch einmal 42
um und schaute durch den Vorhang zurück. Auf seiner Stirn standen feine Schweißtropfen. „Da hast du noch einmal Glück gehabt, Charley. Es wimmelt von Polizisten hier, und die Milchkuh, die du gerade melken wolltest, gehört auch dazu.“ Kwang fuhr herum. Hinter ihm stand Terence Mallow, ein kühles, abschätzendes Lächeln auf den Lippen. „Terry! Was, zum Teufel, treibt dich hierher?“ „Das spielt jetzt keine Rolle. Hier, durch diese Tür! Du bist jetzt pleite, wie? Macht nichts, ich habe einen Job für dich!“ * Stella Ramsy schlug die Bettdecke zurück. Beim Anblick des schmutzigen Leinens und der rauhen Decke verzog sie das Gesicht. Sie stieg aus dem Bett und ging mit einem wütenden Blick zu dem Stuhl hinüber, auf dem die Hose ihres Mannes lag. Dieses ärmliche Absteigequartier ging ihr allmählich auf die Nerven. Dieser ewige Geruch nach Essen, nach ungewaschenen Kindern, nach Katzen und Müll. Sie hatte dieses Leben satt. Sie nahm die Hose in die Hand und schüttelte sie kräftig an den Hosenbeinen. Eine Streichholzschachtel, eine Zigarettenkippe und drei Pennies fielen aus den Taschen. Angewidert warf sie die Hose auf das Bett ihres Mannes. „Wach auf, du nichtsnutziger Faulpelz!“ Ramsy warf sich mit einem Grunzen herum und zog die Bettdecke hoch, die Stella zurückgeschlagen hatte. „Laß mich in Ruhe!“ 43
„Steh sofort auf! Unser gesamtes Vermögen besteht aus drei Pennies! Wir schulden noch die Miete für den ganzen Monat und haben nichts mehr zu beißen – und du tust nichts anderes als im Bett liegen! Los, steh sofort auf!“ Während der nächsten Viertelstunde folgte das übliche Gezeter. Stella machte sich nicht die Mühe, sich anzuziehen – die Wohnung war wenigstens zentralgeheizt. Sie besaß ein einziges Kostüm, eine Bluse und ein letztes Paar Strümpfe mit Laufmaschen, die sie aber einigermaßen verbergen konnte. Diese Gegenstände wollte sie nicht zu Hause abnützen. Nachdem sich Colin Ramsy murrend und schimpfend angezogen hatte, gelang es ihr, ihn zur Tür hinauszuschieben. Von der Schwelle aus kreischte sie ihm ihren letzten Gruß nach: „Und wage nicht, ohne einen Job nach Hause zu kommen!“ Er drehte sich noch einmal um und schaute sie an. Wie sie so vor ihm stand, war sie nicht übel anzusehen. Er wußte genau, warum er sie geheiratet hatte. „Gib mir noch einen Kuß, bevor ich gehe“, verlangte er schwach. „Das bringt mir vielleicht Glück!“ „Das Glück, das du brauchst, ist Arbeit! Schlag dir alles andere aus dem Kopf! Zuerst will ich Geld sehen!“ Colin hielt die Hand vor den Mund und gähnte. Welch ein Hundeleben! Wie sollte ein Mann mit seinem Vorstrafenregister eine Arbeit finden? Aber er durfte Stella nicht verlieren, denn dann wäre alles aus gewesen. Ehe er den Mund wieder zubrachte, hatte Stella die Tür zugeworfen. Langsam drehte er sich um und ging die Treppe hinun44
ter. Und dort begegnete ihm mit einem strahlenden Lächeln Terence Mallow … * Das makellose Weiß der Wände des Labors stach wie mit spitzen Speeren in seine Augen, und die langen Reihen von Flaschen und Glasbehältern führten einen wilden Tanz auf. Das Tropfen eines Wasserhahns dröhnte wie ein Preßlufthammer in seinen Ohren. Die polierte Kante des Arbeitstisches vor ihm fühlte sich an wie das gezahnte Blatt einer Säge, und jede Bewegung schmerzte ihn im Gehirn. Sein Gehirn … Willi Haffner wußte zuviel vom menschlichen Gehirn. Zuviel und doch noch nicht genug. Die kühle, seelenlose Einrichtung des Labors drehte sich um ihn. Mit schwindender Kraft hielt er sich an seinem Arbeitstisch fest. Vielleicht half es. wenn er noch einen Schluck trank. Nur einen winzigen Schluck … Über dem Arbeitstisch stand eine Reihe durchsichtiger Flaschen in einem Regal. Mühelos fand seine Hand mit den breiten abgenagten Fingernägeln die Flasche, die reinen Alkohol enthielt, aber jede andere Alkoholverbindung wäre ihm genauso recht gewesen. Das glatte kühle Glas fühlte sich in seinen Händen wie Sandpapier an. Er goß sich ein Glas randvoll und leerte es mit einem Zug. Langsam ließ das Zittern seiner Hände nach. Vor ihm auf dem Arbeitstisch standen zwei Glasbehälter, die durch ein kompliziertes System von Röhren und Leitungen miteinander verbunden waren. Die linke Schale 45
enthielt das Gehirn einer Ratte. Sehr schlaue Tiere, diese Ratten. In der rechten Schale hatte er das Gehirn eines Kaninchens. Es war derart mit Elektroden, Kabeln, Schläuchen, Telemetern und Untersuchungsgeräten bespickt, daß man kaum noch die Zellen sehen konnte. Aber Willi Haffner wußte genau, daß das Gehirn in der Schale lag. Er selbst hatte es für diesen Versuch präpariert. Mit diesem Experiment mußte er der Welt beweisen, daß er ein Genie war – oder er war erledigt. Die Gesellschaft wollte keine weiteren Kredite mehr bewilligen, und Borisow, der Leiter der Forschungsabteilung, hatte ihn schon mehrfach gemahnt. „Ein Unternehmen der Chemie“, hatte er gesagt, „muß sowohl Gewinn abwerfen als auch neue Forschungen durchführen. Sie, Haffner, sind für uns nur eine Art Reklameschild.“ Bei dieser unangenehmen Erinnerung mußte Haffner noch einmal zur Flasche greifen. Seine akademische Laufbahn hatte glänzend begonnen, aber sie war durch den Neid von Kollegen zerstört worden. Er hatte Glück gehabt, sehr viel Glück, als er die Stelle bei diesem chemischen Betrieb erhielt – auch wenn er nur als Aushängeschild diente. Aber diesmal durfte er nicht mehr versagen. Und doch tat er es. Er wußte später selbst nicht mehr, wie es geschehen war. Er konnte es sich nur so erklären, daß er die selbstsichere, gehässige Stimme Borisows und dessen spöttisches Gelächter hörte, als er mit seinen bebenden Fingern gegen eine wichtige Leitung stieß und sie abriß. Eine dunkelrote Flüssigkeit ergoß sich aus der abgerissenen Stelle und rann über den Arbeitstisch, wo sie eine kleine Lache bildete. Die Herzpumpe gab ein zischendes 46
Geräusch von sich, als sie gewöhnliche Luft anstelle der Hämoglobinlösung ansaugte, und unterdessen tropfte die kostbare Flüssigkeit schon auf den Fußboden. „… sehr tüchtiger Mann“, erklärte Borisow gerade, während er die Flügeltür aufstieß und durch das Labor ging. „Ungewöhnliche Arbeitsmethoden, gewiß, aber einfach genial. Allein seine Arbeiten über die Viren …“ „Sehr richtig“, bestätigte eine andere Stimme. Willi Haffner hörte sie wie aus weiter Ferne, während er vor den Trümmern seiner Arbeit stand. „Es ist mir peinlich, hier bei Ihnen so einzudringen. Aber ich habe ein paar Fragen, zu denen ich gern die Meinung Haffners gehört hätte – er ist eine bekannte Kapazität auf diesem Gebiet. Ich habe ihn seit – ja, drei Jahre ist es her, daß ich ihn nicht mehr gesehen habe. Er hat offenbar alle Verbindungen zu seinen früheren Freunden abgebrochen.“ Die Stimme kam Haffner bekannt vor. Aber welche Rolle spielte das jetzt noch angesichts des Endes seiner Arbeit? Das Gehirn der Ratte widerstand länger als das des Kaninchens. Aber nach zwei Minuten waren beide tot. „Hallo! Was ist denn hier los?“ Haffner war unfähig, ein Wort zu sagen. Borisow trat neben ihn; seine Absätze klirrten herausfordernd auf den Fliesen. Haffner deutete wortlos auf die Katastrophe und lehnte sich erschöpft gegen den Tisch. Seine Hand griff nach der Alkoholflasche. „Ich glaube, Haffner“, sagte Borisow, und seine Worte klangen triumphierend, „das ist das Ende für Sie!“ Haffner gab keine Antwort. Durch den roten Nebel in seinem Gehirn, der dem roten Blut auf dem Tisch glich, 47
hörte er Borisow wie aus weiter Ferne sagen: „Sie erhalten natürlich noch eine Übergangshilfe. Aber wir sind fertig mit Ihnen. Ach – Dr. Peter Howland möchte Sie sprechen!“ * Die Besprechung begann um 19.30 Uhr in dichtem Tabakqualm. Terence Mallow hatte keine Schwierigkeiten gehabt, das Konferenzzimmer des kleinen Hotels für diesen Abend zu mieten. Den Vorwand, ein Treffen ehemaliger Angehöriger der Raumflotte, hätte er nicht einmal benötigt. Mallow und Kwang, ein ehemaliger Astrogator, sowie Sammy Larssen, ehemaliger Elektronikoffizier eines Passagierraumers, hatten das Zimmer gründlich durchsucht und die beiden Telekameras und das Mikrophon beseitigt, die sie gefunden hatten. Diese Arbeit war für Männer wie sie ein Kinderspiel gewesen. Aber sie hatten nicht nur die in der Raumflotte erworbenen Kenntnisse und Fähigkeiten gemeinsam. Sie alle drei waren von einem Militärgericht unehrenhaft aus der Flotte ausgestoßen worden. Duffy Briggs und Barny Cain saßen rechts und links der Tür. Jeder hielt eine Waffe schußbereit sin der Hand. Mallow hatte ihnen genaueste Anweisungen erteilt. Colin und Stella Ramsy saßen nebeneinander in der zweiten Stuhlreihe. Stella trug ihre einzige gute Bluse und das Kostüm, und Colin hatte sich rasiert. Das Bewußtsein, wieder ein Ziel im Leben zu haben, hatte frische Farbe in sein Gesicht getrieben und seinen Blick belebt. Stella warf ihm einen stolzen Blick zu und drückte seine Hand. 48
Willi Haffner saß neben Peter Howland. Er hielt eine Whiskyflasche an sich gepreßt, aber Howland hatte ihm schon gesagt, daß der Whisky in Zukunft rationiert würde. Etwa ein Dutzend Männer und Frauen bildete den Rest der Versammlung. Sie alle hatten früher in der Raumflotte gedient – und waren unehrenhaft entlassen worden. Jeder hatte eine Fähigkeit, die von Nutzen sein konnte. Peter Howland war davon überzeugt, daß sie dem Vorhaben ebenso treu dienen würden wie er selbst. Er erinnerte sich noch daran, was er zum Schluß jener merkwürdigen Unterhaltung zu Professor Randolph gesagt hatte. „Manche werden es für ein Verbrechen halten“, hatte er geäußert, „aber Sie haben recht, Professor: Zum Nutzen der Wissenschaft im allgemeinen und zum Nutzen unserer Arbeit im besonderen werde ich dabeisein – mit Leib und Seele.“ Er erinnerte sich gern an diese Worte. Sie alle, die sich hier versammelt hatten, waren keine Verbrecher, sondern Menschen, die dafür sorgten, daß die Mittel der Galaxis gerechter verteilt wurden als bisher. Als die Tür aufging, sprang Briggs auf die Füße und riß seinen Karabiner hoch. „Sehr aufmerksam, Mr. Briggs!“ Professor Randolph nickte ihm zu und schloß die Tür hinter sich. „Es freut mich, daß Sie so pflichteifrig sind.“ Briggs strahlte. „Oh – nennen Sie mich doch Duffy, Professor!“ Randolph bedachte ihn mit einem zweiten Nicken und wandte sich dann seinem Begleiter zu. „Wir sind alle versammelt, Colonel. Nehmen Sie bitte Platz, dann können wir beginnen.“ 49
Colonel Erwin Troisdorff deutete eine Verbeugung an und setzte sich auf den Stuhl in der Mitte der vorderen Reihe, wobei er sein verwundetes Bein vorsichtig ausstreckte. Seine Kleidung, ein Zivilanzug, war sauber und frisch gebügelt, aber unmodern und schon abgetragen. Er legte seinen Hut, die Handschuhe und den Krückstock auf den leeren Stuhl neben sich. Peter Howland sah ihm dabei zu. Er drehte sich zu Haffner um, der neben ihm saß, und fragte leise: „Wo in aller Welt hat Randolph den aufgegabelt?“ Haffner zuckte die Achseln. „Wohl wie uns alle.“ Mallow ging lächelnd an ihnen vorbei und setzte sich auf einen Stuhl neben dem bühnenartigen Podest, so daß er die Versammlung überblicken konnte. Professor Randolph kletterte auf das Podest hinauf, legte sich ein paar Kissen auf einen der Stühle und setzte sich darauf. Dann räusperte er sich. Sofort trat Stille ein. „Meine Herren! Bitte hören Sie mir aufmerksam zu!“ Die anwesenden Damen hatte er nicht absichtlich übergangen, aber während er weitersprach, überlegte er, warum sein Neffe so hartnäckig darauf bestanden hatte, sie hinzuzuziehen. Sie könnten vielleicht sehr nützlich sein, hatte Terence erklärt, aber der Professor fürchtete, daß sie eher eine Behinderung darstellen würden. „Sie alle, die an diesem denkwürdigen Zusammentreffen teilnehmen, wurden irgendwann einmal von unserer menschlichen Gesellschaft ungerecht behandelt. Ich kenne Sie noch nicht alle persönlich. Die meisten von Ihnen wurden von meinem Neffen, Terence Mallow, hierhergebracht. 50
Aber ich hoffe, daß ich Sie bald kennenlernen werde.“ Er schwieg einen Augenblick und lächelte der Versammlung verbindlich zu. „Wir sind hier zusammengekommen, um die Vorbereitungen für ein Unternehmen zu besprechen, das einen Markstein in der Entwicklung der Wissenschaft bilden wird. Wir wollen uns nicht länger von kleinlichen Bürokraten tyrannisieren lassen!“ Alle hörten aufmerksam zu. Sie wußten, daß eine Arbeit auf sie wartete – aber sonst nichts. Wie sie persönlich über den kleinen Professor dächten, sei ihre Sache, hatte Mallow ihnen gesagt, solange sie auf ihrem Posten stünden, wenn es darauf ankäme. „Ich darf noch bemerken“, fuhr Randolph fort, „daß Colonel Troisdorff derselben Meinung ist wie ich. Er hat durch die Raumflotte eine unerhört ungerechte Behandlung erfahren. Er hatte es gewagt, laut zu sagen, daß dort Geld verschwendet wird. Der Dank dafür war, daß man ihn aus seiner Lebensstellung entließ und ohne einen Pfennig auf die Straße setzte.“ Haffner tätschelte liebevoll seine Whiskyflasche. „Recht hat er! Nur ein bißchen von den Staatsgeldern würde mir ausreichen.“ „Bisher“, sprach der Professor weiter, „war auch ich der Meinung, daß der Staat bestimmen soll, was mit dem Geld der Steuerzahler geschieht. Aber jetzt ist die Zeit gekommen, da ich mich erhebe und laut erkläre, daß es so nicht mehr geht. Die gesamte Struktur unserer Gesellschaft ist faul. Die Menschen sind heute von falschen Wertvorstellungen geblendet. Sie rufen nach Brot und Spielen wie im alten Rom, während bleibende Werte achtlos beiseite ge51
schoben werden. Zu diesen letzteren zähle ich die Fortschritte unserer Naturwissenschaft!“ Mallow nickte beifällig. Der alte Knabe machte seine Sache gut. Wenn jemand von diesen Leuten noch zauderte, mußte er durch diese Rede bekehrt werden. Er selbst hatte längst alle Bedenken über Bord geworfen. Er sah zu Howland hinüber. Ein schwaches Glied ihrer Mannschaft. Er hatte ihn noch nie richtig gemocht und war überrascht gewesen, daß der junge Wissenschaftler so bereitwillig auf das Vorhaben des Professors eingegangen war. Der alte Gussman war vorsichtshalber nicht eingeweiht worden. Als Randolph auf das eigentliche Thema zu sprechen kam, ging ein Raunen durch die Versammlung. Das war wirklich ein Ding! Wenn es klappte, war es der größte Coup des Jahrhunderts. Mallow beobachtete die Leute. Sie waren nicht alle sofort begeistert Einer von ihnen, ein Bursche mit einem Milchgesicht, schmalen Augen und schütterem Haar, der auffallend schlecht gekleidet war, sprang so lebhaft auf, daß sein Stuhl umstürzte. Alle drehten sich nach ihm um. „‘tschuldigen Sie, Professor – eh – aber wenn Sie den Zaster holen wollen, wenn ihn die Bullen am Flughafen verladen – eh – das hat Freddy Finks auch probiert. Zwei Jahre von seinen zwanzig hat er jetzt abgesessen, in einer Strafkolonie irgendwo auf einem Planeten.“ Er rieb sich seine Hakennase. „Weiß bloß nicht, welchem.“ „Ich danke Ihnen, Mister …?“ „Kirkup. Die anderen nennen mich Langfinger. Sie wahrscheinlich auch, obwohl ich das nicht leiden kann.“ „Ich danke nochmals, Mr. Kirkup, für Ihren wertvollen 52
Hinweis. Aber ich beabsichtige nicht, das Geld an mich zu bringen, während es auf dem Flughafen verladen wird. Das scheint mir zu primitiv.“ Randolph lächelte der Versammlung zu. „Es ist Ihnen gewiß schon aufgefallen, daß Sie alle früher einmal in der Raumflotte gedient haben. Was das zu bedeuten hat, können Sie sich vielleicht denken.“ Howland stellte mit geheimer Belustigung fest, daß es manche der Anwesenden offenbar doch nicht konnten. Stella redete eifrig auf ihren Mann ein, Duffy Briggs und Barny Cain sahen sich fragend an, nur Kwang zeigte ein verstecktes Lächeln in seinem gelben Gesicht. „Ich habe nämlich vor“, erklärte der Professor feierlich, „den Raumer draußen im Weltraum in unsere Gewalt zu bringen.“ * „Ich bin anderer Ansicht, Terence, und ich muß dich daran erinnern, daß ich das Kommando führe!“ Der kleine Professor blähte sich auf wie ein Puter und rollte seine Froschaugen. Mallow, Howland und er saßen zusammen mit Colonel Troisdorff in Randolphs Zimmer in der Universität. Peter Howland ging wie in Trance im Zimmer auf und ab. Die Ungeheuerlichkeit ihres Vorhabens lastete schwer auf seinem Gewissen, aber er tröstete sich mit dem Gedanken, daß der Wissenschaft ein Opfer gebracht werden solle. Vor dem scharfen Anpfiff des Professors kroch Mallow in sich zusammen. „Schon gut, Onkel! Ich wollte nur bemerkt haben, daß 53
ein direkter Angriff mit Waffen, wie wir ihn uns vorstellen“, er deutete mit dem Kopf auf Howland und Troisdorff, „doch die beste Methode ist.“ „Dem möchte ich zustimmen.“ Troisdorff trug an diesem Tag kein Monokel. Ohne das gewohnte Glas sah er fast nackt aus. „Wir entern den Raumer und halten die Leute mit ein paar Gewehren in Schach.“ „Wozu, glauben Sie, haben wir unsere Doktoren Howland und Haffner? Und mich? Wir planen eine wissenschaftliche Expedition, keinen Raubüberfall!“ „Aber vielleicht wird geschossen, Onkel.“ „Nein!“ Randolph verzog angewidert das Gesicht. „Derartige Pläne dulde ich nicht. Unser Plan wird in meinem Institut ausgearbeitet, und mit Dr. Haffners Hilfe werden wir ihn noch rechtzeitig bis zum Start des Raumers verwirklichen.“ „Übrigens“, meinte Troisdorff beiläufig, „haben Sie uns den Namen des Raumers noch nicht genannt.“ „Das stimmt, Colonel“, erwiderte Randolph. Howland lächelte. Der alte Fuchs war schlauer, als er geglaubt hatte. Den Leuten, die Mallow zusammengetrommelt hatte, hätte er nicht einmal einen gebrauchten Straßenbahnfahrschein anvertraut. „Ich hoffe nur“, brach Mallow das verlegene Schweigen, das zwischen ihnen entstanden war, „daß die Polizei nicht mitfliegt. Sonst müßten wir Gewalt anwenden, um …“ „Das sind defaitistische Gedanken, Terence! Ich bin sicher, daß es Howland, Haffner und mir gelingt, den Plan ohne Blutvergießen durchzuführen. Wir werden den Raumer in unsere Gewalt bringen, dann steht uns das Geld zur Verfügung. Von dem Punkt an beginnt deine Aufgabe.“ 54
Peter Howland fühlte eine leise Unruhe in sich aufsteigen, als er das Flackern im Blick Mallows bemerkte. Es wäre nicht das erstemal gewesen, daß jemand ein Doppelspiel trieb Aber andererseits – es war der Neffe des Professors! „Hoffentlich können wir uns auf die Leute verlassen, die Sie ausgesucht haben.“ Mallow warf ihm einen ungnädigen Blick zu. „Natürlich, Howland! Sie sind sehr zuverlässig.“ „Das freut mich. Was gedenken Sie zu tun, wenn einer im letzten Augenblick aussteigen will?“ „Es steigt keiner aus!“ Um Mallows Mund grub sich eine harte Linie ein. „Jeder weiß genau, daß er sich damit nur Unannehmlichkeiten zuziehen würde. Verdammte Unannehmlichkeiten!“ Randolph drehte sich zu ihm um. „Aber keine Gewalttätigkeiten, Terence! Ich gebe zu, daß ich es auch nicht gern sähe, wenn sich jemand im letzten Augenblick zurückzöge. Wer weiß, ob er den Mund hielte? Aber wir wollen keine strafbaren Handlungen.“ „Wenn uns einer Schwierigkeiten bereitet, dann …“ Mallow sprach nicht zu Ende, aber das grimmige Nicken Troisdorffs ließ erkennen, was die beiden meinten. Howland war betroffen. Er ging mit Haffner zum Labor. Der Professor hatte wegen Haffner keine Schwierigkeiten mit dem Vizekanzler gehabt. Willi Haffner war ein bekannter Wissenschaftler, der zur Zeit wichtige Forschungen an Viruskulturen durchführte. Die LewisteadUniversität hatte Harcourt gesagt, müsse sich glücklich schätzen, wenn sie ihm ein Labor zur Verfügung stellen 55
könne. Zumal er jetzt, hatte Harcourt hinzugefügt, seine Schwäche überwunden habe. Das war Howlands Verdienst. Haffner trank zur Zeit nur noch eine halbe Flasche pro Tag und wollte sich noch weiter einschränken. Daß er jetzt wieder ein Ziel vor Augen hatte, bot ihm den Hauptanreiz dazu. Randolph hatte ihm versprochen, daß er seine Forschungsarbeiten an menschlichen und tierischen Gehirnen fortsetzen könne, wenn ihr Vorhaben durchgeführt sei, und daß er dazu seinen Anteil an dem Geld verwenden könne. Zu Howlands Überraschung schien der Professor Gefallen daran zu finden, die wissenschaftliche Arbeit anderer zu fördern. „Eine gute Idee“, pflegte er zu sagen. „Wir Männer der Wissenschaft, um einen abgedroschenen Ausdruck zu gebrauchen, müssen unseren Anteil am Wohlstand der Galaxis fordern, denn schließlich gäbe es diesen Wohlstand ohne die Wissenschaft überhaupt nicht. Er läge noch im Kern der Atome verschlossen oder in der Weite des Himmels verborgen, und der Mensch würde noch um das tägliche Brot in der Erde wühlen.“ Haffner arbeitete täglich mit unermüdlichem Fleiß an seiner Aufgabe, den erforderlichen Virus zu isolieren, zu züchten und zu kultivieren. Er und Howland hatten den Auftrag erhalten, eine ausreichende Menge davon herzustellen. Das nahm vor allem viel Zeit in Anspruch. Oft mußten sie Tag und Nacht im Labor anwesend sein. Andere Gruppen dagegen arbeiteten unter Mallow. Sie trafen ihren Anteil an den Vorbereitungen und erstatteten regelmäßig Bericht an einzelne Sachbearbeiter, die bei ihrer ersten Zusammenkunft bestimmt worden waren. Über56
all aber war der alles beherrschende Einfluß des Professors spürbar. Er war derjenige, der die Leute drängte, ermutigte, in Zucht und Ordnung hielt. Der Tag X kam immer näher. Infolge der Überarbeitung und des Schlafmangels wurde Howland in dieser Zeit blaß und nervös. Besonders bedrückend empfand er, daß er niemanden hatte, den er ins Vertrauen ziehen konnte. Willi Haffner war ihm eine wertvolle Hilfe, aber dem ehemaligen Alkoholiker durfte er nicht vertrauen. Auch die bittere Erkenntnis, daß er sich auf ein verbrecherisches Vorhaben eingelassen hatte, bedeutete eine Belastung für ihn und machte ihn genauso mürrisch und mißmutig wie die Angst vor einem Fehlschlag. Er konnte sich nur immer wieder mit dem Gedanken trösten, daß sie im Recht waren, wenn sie dafür sorgten, daß das Geld einer ordentlichen, nutzbringenden Verwendung zugeführt wurde. Oft dachte er an seine Kindheit zurück, an jene Tage vor Weihnachten, an denen er sein Taschengeld gespart und sich nach Schulschluß mit Gelegenheitsarbeiten noch ein paar Pfennige dazuverdient hatte. Seine Eltern waren schon früh gestorben. Er hatte später die Dorfschule verlassen, um sich seinen Weg durch das Labyrinth der höheren Bildung bis zu seiner jetzigen Stellung zu erkämpfen. Jeden einzelnen Schritt hatte er erkämpfen müssen. Dabei war er demütig und ehrfurchtsvoll gegenüber seinem Arbeitsgebiet geworden – aber, gleichzeitig auch hart gegenüber den Menschen. Das Angebot, unter Randolph zu arbeiten und mit diesem berühmten Mann den Ursprung des Lebens zu erforschen, vielleicht sogar künstliches Leben zu erzeugen, hatte eine ungeheure Versuchung für ihn bedeutet. Deshalb 57
hatte er es auch nicht bereut, daß er alle anderen Angebote abgelehnt hatte – bis dann die vernichtende Nachricht kam, daß sie das Maxwell-Stipendium nicht erhalten sollten. Nun – wenn sie das Geld an sich gebracht und ihre Arbeit auf Pochalin Neun beendet hatten, kehrte er mit einem gewissen Ruf zur Erde zurück. Dann konnte er seine Karriere fortsetzen, die ihm alles bedeutete. Zwei Wochen lang war das Wetter trüb und düster. Es schneite unaufhörlich, und die Menschen gingen mit langen Gesichtern umher und achteten darauf, ihre AntiErkältungspillen regelmäßig zu nehmen. Selbst der Himmel, wenn er kurz zwischen den Wolken sichtbar wurde, sah grau und trostlos aus. Eines Nachmittags, als sie schon wieder das grelle Kunstlicht im Labor brennen hatten, läutete das Telefon. Howland nahm verdrießlich den Hörer ab. „Ist Dr. Howland am Apparat?“ „Ja. Wer spricht dort?“ „Hören Sie zu, Doktor! Kommen Sie heute abend zu mir, Punkt halb zwölf! Sirius Street 711, eine Treppe hoch, erste Tür links. Kapiert? Und sprechen Sie nicht darüber!“ „Wer sind Sie? Und was soll ich bei Ihnen?“ „Das erkläre ich Ihnen später. Aber kommen Sie heute abend. Sonst geht es Ihnen dreckig!“ Damit brach die Verbindung ab. Nachdenklich legte Howland den Hörer auf. In diesem Augenblick kam Haffner hinzu. Er hielt ein Reagenzglas in der Hand. „Jetzt stimmt die Richtung, Peter! Hier – aber was ist denn los mit Ihnen? Fühlen Sie sich nicht wohl?“ 58
Howland klang noch die heisere, krächzende Stimme im Ohr. „Und sprechen Sie nicht darüber!“ „Doch, doch, Willi. Ich bin nur müde. Dieser Virus, hinter dem wir herjagen, ist ein scheues Wild.“ „Aber wir haben ihn schon fast!“ Das Selbstvertrauen, das Haffner ausstrahlte, stand in krassem Widerspruch zu dem bleichen, aschfahlen Gesicht Howlands. „Wir können jetzt mit der Massenproduktion beginnen.“ Er lächelte. „Vorausgesetzt, daß die Probe stimmt.“ Howland entschuldigte sich. Er mußte jetzt ungestört sein. Aber alles Kopfzerbrechen half nichts. Er kam nicht darauf, wem diese Stimme gehörte, und doch war er sicher, daß er sie erst kürzlich gehört hatte. Der drohende Unterton in der Stimme war unmißverständlich gewesen. Er beschloß, der Aufforderung nachzukommen. Aber wenn Mallow seine Hand dabei im Spiel hatte, dann … * Das Haus Sirius Street 711 war eine schmucklose Mietskaserne, fünfzig Stockwerke hoch und in einer Gegend am Fluß gelegen, in der früher ein geschäftiger Hafenbetrieb geherrscht hatte. Jetzt wurde der gesamte Güterverkehr über die Raum- und Flughäfen abgewickelt, und die alten Hafenanlagen schwanden mit der Epoche dahin, in der sie entstanden waren. Howland stieg die Treppe hinauf und klopfte an der ersten Tür links. Seine dicken Lederhandschuhe, die er zum Schutz gegen die Kälte trug, dämpften den Ton. Eine Klingel war nicht vorhanden Er wollte gerade den Handschuh 59
ausziehen, um noch einmal zu klopfen, als die Tür mit einem leisen Quietschen zurückwich. Mit der behandschuhten Rechten stieß er sie weiter auf. In dem Zimmer dahinter war es dunkel. Er tastete nach dem Lichtschalter an der Wand und fand ihn nach einigem Suchen. Das Licht flammte auf. Es wurde von einer einzigen kahlen Birne an der Decke ausgestrahlt. Alles andere in diesem Zimmer war schmutzig-grau und staubig. Die Einrichtung sah ärmlich und verkommen aus. Ein ungemachtes Bett in der Ecke, dessen Decke auf den Fußboden herunterhing, ein Tisch, ein Stuhl. Und in der Mitte des Zimmers lag ein Mann, das Gesicht nach unten gekehrt, in seltsam verkrümmter Haltung. Seine Kleidung war blutverschmiert. Aus seinem Rücken ragte der metallisch schimmernde Griff eines Messers. Ein paar Sekunden lang blieb Howland wie gebannt stehen, die Hand immer noch am Lichtschalter. Dann hörte er unten die Haustür gehen, ein paar Stimmen und Schritte. Instinktiv knipste er das Licht aus und hastete in den Korridor hinaus. Eine lähmende Furcht befiel ihn. Wie sollte er seine Anwesenheit erklären? Er mußte verschwinden, weg von hier – und zwar sofort! Ohne sich lange zu besinnen, eilte er die Treppe hinauf, zwei, drei Stufen auf einmal nehmend. Die dicken Sohlen aus synthetischem Gummi dämpften das Geräusch seiner Schritte fast bis zur völligen Lautlosigkeit. Von unten hörte er, wie von einem Echo wiederholt, immer wieder dieselben Worte: „Aufmachen! Machen Sie auf, Polizei!“ und schließlich den Befehl: „Brecht die Tür auf!“ 60
Folglich hatte er unwillkürlich die Tür hinter sich zugezogen, und der Riegel war eingeschnappt. Das gab ihm einen wertvollen Vorsprung. Aber weshalb war die Polizei gekommen? Hatte der Mann mit der heiseren Stimme sie verständigt? Oder war er es, der jetzt dort unten in dem Zimmer lag, einen Dolch im Rücken? Vier Stockwerke höher blieb Howland stehen und drückte auf den Knopf für den Lift. Ein Stockwerk tiefer wurde eine Wohnungstür geöffnet, und jemand rief ärgerlich: „Was ist denn los da unten? Könnt ihr nicht ruhig sein und anständige Bürger schlafen lassen?“ Auch auf anderen Stockwerken erschienen Hausbewohner und stimmten in das Schimpfen ein, während unten eine Tür berstend zersplitterte. Unterdessen kam der Lift. Das Metallgitter quietschte in den verrosteten Laufschienen. Wohin jetzt – hinauf oder hinunter? Während Howland noch zögerte, wurde eine Wohnungstür auf dem Stockwerk geöffnet. Rasch drückte er auf einen Knopf. Während sich das Gitter schloß, erschien eine Frau in einem Morgenrock unter der Tür. Howland zog sich den Hut in die Stirn und drückte sich in eine Ecke der Kabine. Mit einem Ruck fuhr der Lift an. Die Frau gönnte ihm nur einen kurzen Blick und rief dann über das Treppengeländer hinunter: „Ruhe da unten! Ruhe, ihr elenden, dreckigen …“ Den Rest ihrer Schimpfkanonade hörte Howland nicht mehr. Dicke Schweißtropfen standen auf seiner Stirn, seine Hände und Knie zitterten. Wenn Terry Mallow dahintersteckte, dann – dann … Er konnte aber jetzt nicht lange 61
überlegen. Er durfte hier nicht gesehen werden. Es wäre ihm schwergefallen, die Anwesenheit eines ehrenwerten Universitätsassistenten am Schauplatz eines Mordes zu erklären. Er verließ den Lift im siebenunddreißigsten Stockwerk, das sich vom vierten nur dadurch unterschied, daß es hier ruhiger war. Die Kontrollampe des Lifts leuchtete auf. Die Kabine verschwand nach unten. Hatte die Polizei sie heruntergeholt? Waren sie schon hinter ihm her? Er verfluchte sich plötzlich, weil er nach oben gefahren war. Wäre er nach unten gefahren, hätte er jetzt schon draußen auf der Straße sein können. Inzwischen hatten sie sicher eine Wache an der Haustür postiert. Howlands Herz pochte wie rasend. Er hatte keine Kondition mehr. Er war schon lange nicht mehr so gerannt wie vorhin, aber er hatte auch noch nie in seinem Leben vor der Polizei vom Schauplatz eines Mordes fliehen müssen. Er konnte es sich nicht leisten, von der Polizei verhört zu werden. Jetzt war er mehr denn je davon überzeugt, daß er in Gefahr schwebte, daß man ihn absichtlich in eine Falle gelockt hatte. Die einzige Rettung lag darin, daß er so schnell wie möglich verschwand und sich irgendwo in einer unverdächtigen Umgebung sehen ließ. An diesem altmodischen Gebäude waren die Landeplätze für die Flugkabinen in Abständen von zehn Stockwerken angebracht. Vom siebenunddreißigsten waren es noch drei bis zum nächsten Landeplatz. Wieder hetzte Howland über den ausgetretenen Läufer die Treppe hinauf. Achtunddreißigster – neununddreißigster – er machte langsamer, rang mühsam nach Luft, zog sich mit der behandschuhten Rechten am Geländer empor. 62
Die Kontrollampe des Lifts zeigte auf den ersten Stock, erlosch für eine Sekunde und verfolgte dann wieder den Weg nach oben. Während Howland noch auf der Treppe stand und keuchend die Hand gegen die Seite preßte, wo sich ein schmerzhaftes Stechen bemerkbar machte, sah er vor dem Fenster des Treppenhauses einen Schatten vorüberhuschen und auf den Landeplatz im vierzigsten Stock zusteuern. Sofort setzte er sich wieder in Bewegung. Mit bleischweren Füßen nahm er die letzten Stufen. Die Kontrollampe des Lifts zeigte auf den sechsundzwanzigsten Stock, als Howland die Tür zum Landeplatz erreichte. Ein junges Paar kam ihm entgegen, eng umschlungen. Bei ihr war das Haar zerzaust, und er hatte Lippenstiftspuren im Gesicht. Howland wandte sein Gesicht zur Seite und drängte sich schweigend an ihnen vorbei. Die Tür der Flugkabine glitt langsam zu. Mit einem Satz sprang Howland darauf los, die Hände wie zu einem Keilpflug ausgestreckt. Mit einer Verrenkung seines schlanken, hageren Körpers konnte er sich im letzten Augenblick noch hineinschieben. Innen drückte er sofort auf den Fahrtknopf. Der Ruck beim Anfahren warf ihn auf einen Sitz. Mit seinen behandschuhten Fingern fischte er mühsam ein paar Münzen aus der Tasche und steckte sie in den Schlitz der Taxameteruhr. Nachdem er an der Wählscheibe das Fahrtziel, Golden Cockerel, eingestellt hatte, ließ er sich wieder auf den Sitz fallen und starrte zum Fenster hinaus nach unten. 63
Die Stadt breitete sich bis zum Horizont aus, die Straßen mit ihrer Beleuchtung glichen weitgeschwungenen Girlanden, dazwischen funkelten die Wohnblocks mit ihren vielen hell erleuchteten Einzelfenstern herauf. Ein paar andere Flugkabinen zogen lautlos ihre Bahn, während seine Kabine rasch zu der vorgeschriebenen Flughöhe aufstieg. Eine Flugmaschine der Polizei war nirgends zu sehen. Vielleicht hatten sie keine mitgebracht – sie hatten ja offenbar gewußt, daß der Mord im ersten Stock geschehen war, und waren durch die Haustür gekommen. Erschöpft lehnte sich Howland zurück. Er zitterte noch immer an allen Gliedern. Sein Gesicht mußte gespenstisch aussehen. Vom Golden Cockerel aus ging er direkt zur Universität. Der Schnee knirschte unter seinen Schuhen. Er warf noch einen Blick in den Aufenthaltsraum, holte sich die letzte Nummer der Zeitschrift „Die Natur“, wechselte ein paar Worte mit dem alten Gussman und zog sich dann müde und erschöpft zurück. 3. Kapitel In letzter Zeit hatte Peter Howland die Gemeinschaftsräume der Universität gemieden. Er wollte einer Begegnung mit Helen Chase ausweichen und war ehrlich genug, das seiner eigenen Feigheit zuzuschreiben. Aber er hätte es jetzt nicht ertragen können, mit ihr unbefangen über das Maxwell-Stipendium zu plaudern. Deshalb aß er neuerdings meistens im Golden Cockerel, einem gemütlichen Lokal in der Nähe der Universi64
tät. Haffner konnte er unbesorgt für kurze Zeit allein lassen. Nachdem er über das Tischtelefon seine Bestellung aufgegeben hatte, wartete er auf das Essen. Kurz danach kam ein Mann in das Restaurant, schaute sich flüchtig um und trat zu ihm an den Tisch. Howland schätzte ihn auf etwa Vierzig. Er hatte ein breites, gutmütiges Gesicht ohne besondere Kennzeichen. Sein Lächeln war entwaffnend. „Darf ich mich zu Ihnen setzen?“ „Bitte“, sagte Howland. Der Mann erwies sich als sehr gesprächig. Während sie aßen, plauderte er über das Wetter, über die letzten Raketenrennen, über verschiedene Neuigkeiten in der Politik, die zur Zeit die Galaxis beschäftigten, und über die letzte Herausforderung der Rebellen draußen im Roger-System. Schließlich fragte er: „Haben Sie schon von dem Mord hier in Lewistead gehört?“ Howland spielte den Unwissenden? „Ein Mord? Hier in der Universität?“ „Nicht in der alten Uni, aber doch hier in der Stadt, in einem Wohnhaus. Ein Mann wurde erdolcht.“ Er bot Howland eine Zigarre an, die dieser mit gezwungenem Lächeln ablehnte. „Kennen Sie zufällig Professor Cheslin Randolph?“ fragte der Fremde. „Ja, den kenne ich. Zufällig.“ „Er ist sehr bekannt. Aber ich wette, Sie kennen ihn besser als die meisten anderen. Hab ich recht?“ 65
Howland lächelte mühsam. „Niemand kennt Professor Randolph genau. Er ist zu sehr mit seinen eigenen Problemen beschäftigt, als daß er sich um andere kümmern könnte.“ „Wirklich? Mag sein. Hat er nicht einen Neffen, der zur Zeit bei ihm lebt?“ Howland faltete seine Serviette zusammen. Er mochte die Richtung nicht, in die diese Fragen steuerten. Vielleicht verbarg sich eine Absicht dahinter. „Wer sind Sie eigentlich?“ fragte er den Mann. „Sie sind wegen des Mordes hier, nehme ich an. Aber was hat Professor Randolph damit zu tun?“ Der Mann grinste. „Ich bin Tim Warner, Reporter beim ,Daily Galaxy’. Ich hatte gehofft, Sie könnten mir vielleicht einen Tip über diesen Mallow geben. Er war nämlich, müssen Sie wissen, der letzte Mensch, der den Ermordeten gesehen hat. Natürlich hat er ein hieb- und stichfestes Alibi, es besteht auch kein Verdacht gegen ihn. Aber ich möchte doch gern wissen, wie ein Mann in seiner Stellung zu der Bekanntschaft mit dem Ermordeten kam.“ Howland hatte das Gefühl, als sei das dunkle Vorleben Mallows nicht allgemein bekannt. Er selbst hatte nur durch einen Temperamentsausbruch des Professors davon erfahren. Ein geübter Reporter konnte es natürlich ohne Schwierigkeiten herausfinden, aber Howland wollte Mallow nicht derartig in den Rücken fallen, wenn er ihn auch nicht leiden konnte. Er lächelte. „Vielleicht hat er ihn zufällig in der Stadt kennengelernt. Sie wissen ja, wie das manchmal zugeht.“ „Ja, gewiß! Aber vielleicht hat er ein unverschämtes Glück gehabt.“ 66
„Wie meinen Sie das?“ „Nun, er hätte leicht das nächste Opfer sein können. Langfinger war ein Künstler auf seinem Gebiet.“ * Howland fand Mallow in der Institutsbibliothek über einen Stapel Bücher gebeugt. Mit seiner gerunzelten Stirn, die höchste Konzentration verriet, sah er fast wie ein junger Gelehrter aus. „Langfinger ist also tot. Na und?“ „Haben Sie es getan, Mallow?“ Die Unterhaltung wurde leise, fast flüsternd geführt, und die Bücher in den Regalen, die fast bis zur Decke reichten, verschluckten jeden Ton. „Nein! Die Polizei hat mich schon verhört. Da die Bullen zufrieden sind, sollten Sie es auch sein. Ich habe Ihre Bevormundung satt, Howland! Das ist ein Spiel für Männer! Alte Weiber haben dabei nichts verloren!“ „Alte Weiber vielleicht nicht. Aber mit Stella Ramsy kommen Sie gut aus, wie?“ „Die lassen Sie gefälligst aus dem Spiel! Was zwischen ihr und mir ist, geht Sie nichts an!“ „Colin Ramsy auch nicht? Was würde er wohl tun, wenn er es herausfände?“ „Halten Sie Ihr …“ Mallow blickte zu Howland auf, und sein Gesicht war so bleich wie das Licht des Wintertages draußen. „Hören Sie zu, Howland! Sie lassen mich künftig in Ruhe und tun Ihre Arbeit, genau wie ich. Und stecken Sie Ihre Nase nicht in die Angelegenheiten anderer Leute!“ 67
Howland beobachtete ihn abschätzend und kam zu dem Ergebnis, daß der Mann offenbar nichts von dem Telefonanruf und von seiner Anwesenheit im Mordhaus wußte. Die heisere, rauhe Stimme mußte also Kirkup alias Langfinger gehört haben. Vielleicht verstellte sich Mallow aber auch nur. „Warum wurde Kirkup ermordet?“ „Ich habe es nicht getan. Prägen Sie sich das endlich in Ihren dicken Schädel ein! Und merken Sie sich auch, daß ich Ihnen keine Rede und Antwort schuldig bin!“ „Mag sein. Aber Kirkup …“ Mallow unterbrach ihn heftig. „Hören Sie zu, Howland! Kirkup wollte abspringen. Er hatte kalte Füße bekommen, weil seinem Freund Freddy Finks etwas zugestoßen war. Aber ich bin entschlossen, mich von diesen Burschen nicht hereinlegen zu lassen.“ „Sie haben ihn also ermorden lassen!“ Der Gedanke daran traf Howland wie ein heimtückischer Tiefschlag. In welch eine schmutzige Affäre hatte er sich da eingelassen! Aber was konnte er jetzt noch tun? „Nein, Howland. Ich habe damit nichts zu tun. Aber lassen Sie sich noch folgendes gesagt sein: Sie werden beobachtet. Wenn Sie eine – eine Dummheit begehen wollen, kann Ihnen dasselbe passieren wie Kirkup. Verstanden?“ Howland drehte sich wortlos um und ging. Seine Hände zitterten. Er wußte nicht genau, ob sie vor Angst oder vor Wut zitterten. In erster Linie empfand er eine kochende Wut, aber es war auch Angst in ihm – richtige Angst. In seinem Leben hatte er erst einmal dem Tod ins Auge sehen müssen, einem unnatürlichen Tod. Damals hatte er dann noch die 68
Kaltblütigkeit besessen, sich nach dem Zusammenstoß aus dem abstürzenden Flugautomaten seines Freundes hinüberzuretten in die andere Flugkabine, in der ein betrunkenes Pärchen wie gelähmt vor Schreck saß. Doch das hier war etwas anderes. So leicht kam er diesmal nicht davon. Er mußte aber am Leben bleiben. Er hatte noch eine Arbeit vor sich, eine wichtige Arbeit, die der Menschheit neue Erkenntnisse erschließen sollte. Natürlich spielte für ihn, der sein ganzes Leben lang arm gewesen war, auch der Gedanke an den finanziellen Erfolg eine Rolle. Wenn er jetzt zur Polizei ging, würde die ganze Geschichte aufgedeckt, und das würde das Ende seiner Laufbahn bedeuten. Nein, es blieb ihm keine andere Möglichkeit, als weiter mitzumachen und vor allem, was ihm nicht gefiel, die Augen zu schließen. Die Menschheit kam zur Not auch ohne Langfinger Kirkup aus. Das war vielleicht eine schwächliche, feige Auffassung – aber die sicherste. Als er das Bibliotheksgebäude verließ und die Treppe hinunterging, überholte er Duffy Briggs. Der Ex-Bootsmann verzog keine Miene, und das war in Ordnung so. Verschwörer durften sich untereinander nicht kennen. Aber das war es in diesem Fall ja gar nicht. Howland wußte Bescheid: Er wurde beobachtet. Von jetzt an würde ihn einer der Leute Mallows nicht mehr aus den Augen lassen. Und wenn er nur einen Schritt von der vorgeschriebenen Marschroute abwich, würden sie ihn umbringen. In diese trüben Gedanken versunken, bog er um die Hausecke und stieß dabei mit jemandem zusammen. Als er aufblickte, sah er Helen Chase in eine frische Schneewehe fallen. 69
Sie trug einen Rollkragenpullover von leuchtendem Blau, eine schwarze Hose und hohe Stiefel mit Magnetverschluß. Bevor er ihr aufhelfen konnte, war sie wieder aufgesprungen und hatte sich nach ihrem Umhang gebückt, der in derselben Farbe leuchtete wie ihr Pullover. In ihrem wundervollen rötlich schimmernden Haar hatten sich ein paar Schneeflocken verfangen. „Entschuldigen Sie, Helen! Ich hatte Sie nicht gesehen.“ „Stimmt! Schon lange nicht mehr!“ Sie lächelte. „Warum gehen Sie mir aus dem Weg, Peter? Wegen des Maxwell-Stipendiums?“ Ihre direkte Frage brachte ihn aus der Fassung. „Ich hatte viel zu tun“, murmelte er. „Besonders in letzter Zeit …“ „Ich weiß.“ Er erwiderte ihr Lächeln. Kaum merklich zwar, aber immerhin – er lächelte. „Sie haben sich erkundigt?“ „Vielleicht. Kommen Sie, Peter, wir trinken eine Tasse Kaffee zusammen. Dann können wir darüber reden.“ „Ich weiß nicht, ob …“ „Ach, kommen Sie schon!“ Sie griff kurzerhand nach seinem Arm und zog ihn mit sich. Unterwegs begegneten ihnen ein paar Studenten, die stehenblieben und ihnen mit offenem Mund nachstarrten. Wenige Minuten später saßen sie in der Mensa an einem der für den Lehrkörper reservierten Tische. „Ich habe den Eindruck, Sie sind wütend auf mich, Peter?“ fragte sie ohne Umschweife. „Nein. Wütend nicht. Nicht mehr. Ich – ich war etwas ärgerlich, wenn ich so sagen darf, als ich erkannte, was Sie meinten.“ 70
„Was ich meinte?“ „Damals mit Ihrer Andeutung. Sie haben das Stipendium bekommen. Nun gut! Was wollen Sie mit dem vielen Geld machen? Das Theater kann doch nur einen Bruchteil davon kosten.“ „Das wissen Sie doch.“ Sie setzte ihre Kaffeetasse ab und sah ihn an. Ihr Blick war offen, aufrichtig und ohne Arg. Sie verwirrte ihn. Er mußte zugeben, daß er ihre Gesellschaft vermißt hatte. „Ich werde der alten Uni zum besten Geschäft seit Jahrzehnten verhelfen!“ „Sie meinen diese alten Papiere …“ „Diese alten Papiere! Haben Sie eine Ahnung! Das sind Handschriften von Shaw, die er unter seinem Namen und unter dem Pseudonym Wells verfaßt hat! Aber ich habe noch ein paar andere Dinge im Sinn. Wenn ich damit fertig bin, wird meine Veröffentlichung die ganze wissenschaftliche Welt aufhorchen lassen. Sie werden sehen!“ Beinahe hätte er ihr gesagt, daß er um diese Zeit nicht auf der Erde sein werde, sondern auf Pochalin Neun. Aber er erinnerte sich noch rechtzeitig an das Schicksal Kirkups und an die Drohung Mallows. Unwillkürlich schauderte er. „Peter! Was ist denn los mit Ihnen?“ Er zwang sich zu einem Lächeln. „Nichts. Vielleicht eine Erkältung. Ich vergesse regelmäßig meine Pillen zu nehmen.“ „Sie sehen so – beunruhigt aus.“ „Dazu habe ich auch Anlaß. Ich sollte längst in meinem Labor sein. Und dabei sitze ich hier und plaudere mit Ihnen.“ „Sie sollten die Gelegenheit ausnützen, solange Sie können. Ich fliege am Neunundzwanzigsten ab.“ 71
„Am Neunundzwanzigsten? Und wohin, wenn ich …“ „Nein, Sie dürfen nicht!“ Sie faßte nach seiner Hand. „Ich erzähle es Ihnen, wenn ich mit den Manuskripten zurückkomme. Gleich nach meiner Rückkehr, Peter. Dann wird mein Name bekanntwerden, und dann …“ Er brachte kein Wort heraus. Ihr Name würde bekanntwerden, und – er wünschte ihr alles Glück dazu. Sie wußte es nicht anders, als daß er dann immer noch der einfache, unbekannte Dr. Peter Howland wäre, ohne jede Aussicht auf Erfolg. Er zog seine Hand zurück und erhob sich. „Wir sehen uns noch, bevor Sie fliegen!“ „Hoffentlich! Und jetzt sind Sie in Gnaden entlassen – zu Ihren Wohlgerüchen in Ihrem schrecklichen Labor.“ In seinem schrecklichen Labor traf Howland Haffner und Mallow an. Sie standen neben Professor Randolph und beobachteten einen toten oder bewußtlosen Hamster, der unter einer schützenden Plastikglocke auf dem Arbeitstisch lag. „Alles in bester Ordnung, Professor!“ erklärte Haffner gerade. „Das Verfahren ist zwar – wie soll ich mich ausdrücken – nicht sehr wissenschaftlich …“ „Hauptsache, Sie und Howland haben den Virus entwickelt, und er weist die Eigenschaften auf, die wir brauchen. Sehen Sie sich das Tier an – kein Funke von Leben. Und doch wird es in zwölf Stunden gesund und munter in seinem Käfig umherspringen und sich an nichts erinnern.“ Mallow zündete sich eine Zigarette an, ohne den anderen eine anzubieten. „Können Sie die Dauer von vierundzwanzig Stunden garantieren?“ Haffner nickte. „Unbedingt!“ 72
„Ach, Peter!“ Randolph drehte sich zu Howland um. „Sie kommen gerade recht, um das Ergebnis zu sehen.“ „Das Ergebnis, ja. Aber was ist mit dem Anfang?“ „Das ist Terrys Sache. Er wird Ihnen einen Mann zuteilen, der Ihnen hilft. Ich sehe da keine Schwierigkeiten. Ein Passagierraumer ist doch sicher ähnlich gebaut wie die Raumer der Flotte, oder nicht, Terry?“ „Natürlich!“ Die deutlich spürbare Spannung zwischen ihnen ließ Howland nichts Gutes für die Zukunft ahnen. Der Erfolg eines Vorhabens dieser Art hing davon ab, daß alle engstens zusammenarbeiteten. „Gut, Peter“, sagte Randolph. „Dann führen wir die Impfungen heute nacht durch. Terence wird Ihnen sagen, wohin Sie Ihr Material schaffen lassen sollen. Haffner und ich haben noch hier zu tun. Achten Sie also darauf, daß wir bei den Impfungen nicht vergessen werden!“ „In Ordnung, Professor!“ antwortete Howland mechanisch. Seine Gedanken arbeiteten fieberhaft, aber er fand keine Lösung. Und doch mußte es einen Weg geben, wenigstens seinen eigenen Kopf zu retten. In der folgenden Nacht versammelten sich die Mitglieder der Expedition am vereinbarten Treffpunkt, einer alten Werkhalle am Stadtrand. In allen Ecken lagen verrostete Ersatzteile von Flugmaschinen umher, und von der Decke hing an einem Flaschenzug ein ausgedienter Düsenmotor herab. Wem die Halle gehörte, wußte Howland nicht. Er stellte auch keine Fragen. Nacheinander kamen die Teilnehmer zu ihm. Er stand neben seinem offenen Arztkoffer und waltete seines Amtes 73
wie früher die Seuchenärzte bei einer Cholera-Epidemie. Jedem verabreichte er eine Spritze mit dem neu entwickelten Serum. Die meisten nahmen sie mit einem Scherzwort entgegen. Stella sagte noch, sie hoffe, daß es keine auffällige Narbe gebe. Howland beruhigte sie und beugte sich wieder über seine Tasche mit den Ampullen und Impfnadeln. Mallow kam als letzter an die Reihe. „Für alle Fälle, Howland!“ sagte er grinsend. Während Howland seine Tasche zusammenpackte, fühlte er wieder, wie seine Hände zitterten. Noch konnte er nicht beurteilen, ob es richtig war, was er getan hatte. Wenn seine Vermutung zutraf, hatte er den richtigen Weg gewählt. Wenn nicht – dann würde er denselben Weg gehen wie Langfinger Kirkup. Der erste Termin – der Zwanzigste – kam heran. Terence Mallow und seine Leute flogen ab. * Dudley Harcourt, der Vizekanzler der Universität, erhob keine Einwendungen. Professor Cheslin Randolph erklärte ihm, daß er eine Erholung benötige und seinen Assistenten Peter Howland mitnehmen werde. Sie würden, sagte der Professor mit der Andeutung eines Lächelns, nicht sehr lange wegbleiben. Nur eine kurze Erholungsreise draußen im Weltall. „Ich bin froh, daß Sie meinen Rat befolgen, Cheslin. Wie gut, daß wir dank unserer Technik die Möglichkeit haben, zu Planeten mit geringerer Schwerkraft zu fliegen und uns dort in kürzester Zeit wieder mit neuer Spannkraft aufzuladen.“ 74
„Wenn man nicht zu lange bleibt. Sonst entwickelt sich sehr rasch eine Atropie!“ Randolph lächelte. Er war bester Laune „Mein Urlaub dauert bis zum fünfundzwanzigsten, aber wir werden schon früher zurückkommen. Ich habe noch viel vor.“ Während sie sich noch unterhielten, wurde dem Professor plötzlich klar, daß er Harcourt und sein Schachspiel sehr vermissen würde, das jedesmal unweigerlich mit einem Blutbad unter den Figuren des Vizekanzlers endete. Harcourt war in Ordnung. Nur seine Stellung zwang ihn manchmal zu Maßnahmen, die er selbst verabscheute. „Ich bin auch froh darüber, Cheslin“, fuhr Harcourt fort, „daß Sie die Sache mit dem Maxwell-Stipendium so vernünftig und gefaßt aufgenommen haben. Ich finde, die Universität schuldet Ihnen eine Erklärung. Aber was ich Ihnen jetzt sage, muß unter uns bleiben!“ „Nur zu, Dudley!“ Randolph war gespannt, was kommen würde. „Ich weiß, daß Sie bei Mahew waren, und ich weiß auch, daß Sie nichts erreicht haben. Vermutlich hat Ihnen Mahew erzählt, daß für diese Angelegenheit der Stiftungsrat zuständig sei und daß er selbst nichts tun könne. Stimmt’s? – Gut! Aber unter uns gesagt, es besteht die Möglichkeit, daß nächstes oder übernächstes Jahr zusätzliche Gelder frei gemacht werden. Dieses Jahr jedenfalls wurde die Verteilung des Maxwell-Geldes von Mahew bestimmt, direkt von der Regierung …“ „Aber das ist doch Sache der Universität!“ „Wenn der Kanzler gleichzeitig Minister für Außerirdische Angelegenheiten ist und wenn die Mitglieder des Stif75
tungsrates fast ausschließlich auch Mitglieder der Regierung sind, dann kann die Regierung bestimmen – und sie tut es auch –, wofür die Gelder der Universität verwendet werden.“ „Aber das ist ja ungeheuerlich!“ Nur der Gedanke an den Virus und an seinen Neffen draußen in dem Raumer bewahrte Randolph davor, gänzlich die Fassung zu verlieren. „Was hat Mahew gegen mich?“ „Nichts gegen Sie, Cheslin. Sie waren nur zufällig das Opfer. Sehen Sie – die Weltraumflotte hat eine neue Waffe und ein neues Antriebsmittel entwickelt, das die ganze Raumfahrt revolutionieren kann. Aber es muß noch praktisch erprobt werden. Wir haben hier sehr gute ElektronenAnlagen, die besten der ganzen Galaxis. Mit dem MaxwellGeld ist es der Regierung möglich, die teuren Anlagen ausschließlich für dieses Projekt arbeiten zu lassen.“ Randolph fühlte, wie der Zorn in ihm aufloderte. Nur mit Mühe konnte er sich beherrschen. Aber einen kleinen Zornesausbruch durfte er sich erlauben. Das wurde sogar von ihm erwartet. „Wenn ich könnte, würde ich jedem einzelnen Regierungsmitglied bei lebendigem Leibe die Haut über die Ohren ziehen. Da nimmt man mir das Geld weg, das mir gehört, und verschwendet es für Geräte, die nur vernichten und töten können! Ich dagegen will Leben erzeugen! Leben! Das bedeutet eine Vergewaltigung der freien Wissenschaft! Und eine ungeheuerliche Geldverschwendung dazu! Ich …“ Harcourt unterbrach ihn mit einer Handbewegung. „Beruhigen Sie sich doch, Cheslin! Ich habe lange gezögert, 76
bevor ich mich entschloß, Ihnen das zu sagen. Aber ich wollte Ihnen die Wahrheit nicht vorenthalten. Leider kann ich Ihnen nicht helfen.“ „Und Professor Chase?“ „Sie hatte eben Glück, und Sie hatten recht, als Sie sagten, daß die Bühne und die alten Handschriften nicht das ganze Stipendium aufbrauchen würden. Aber der Schein, daß das Geld für die Universität verwendet wird, mußte gewahrt bleiben. Miß Chase selbst weiß nichts davon, und ich muß Sie bitten, ihr auch nichts zu sagen.“ Zu seiner Überraschung lächelte Randolph plötzlich. „Keine Angst, Harcourt! Ich werde nichts sagen. Ich bin in Urlaub. Die Burschen von der Regierung sollen tun, was sie wollen. Aber wenn sie bei der nächsten Wahl auf meine Stimme hoffen – bah!“ Kurz danach eilte der Professor zu seinem Institut zurück und traf die letzten Vorbereitungen. Die restlichen Expeditionsteilnehmer hatten schon gepackt und warteten in einem kleinen Hotel in der Nähe des Raumflughafens. Howland mußte noch seinen Urlaub bei der Universität beantragen. Zu seinem Bedauern hatte er Helen nicht mehr getroffen. Sie hatte angerufen, aber er war nicht dagewesen, und jetzt war sie abgeflogen, ohne daß er ihr noch gute Reise wünschen konnte. In seiner herrischen Art hatte Randolph die Bedenken Howlands zerstreut, als der ihn fragte, womit er die Herkunft des Geldes erklären wolle. „Ich bin Professor Randolph!“ hatte der kleine Mann selbstbewußt erklärt. „Und niemand wird es wagen, mich mit dem Verschwinden des Geldes in Zusammenhang zu 77
bringen – auch wenn ich mit dem Raumer geflogen bin, aus dem es verschwunden ist. Außerdem werden wir unsere Spuren verwischen!“ Am Abend des Dreißigsten flogen sie ab. Den Ersten des nächsten Monats erlebten sie schon an Bord des Raumkreuzers „Poseidon“, der sich auf dem Flug zu Gagarin Drei befand. Eine Reise von drei wundervollen Wochen lag vor ihnen. Viele Urlauber buchten diesen Flug, um dem rauhen Winterklima der Erde zu entfliehen. In den zahllosen Zwischendecks des Raumers mit den vielen Aufenthaltsräumen und Restaurants entwickelte sich bald eine frohe Urlaubsstimmung, der sich auch Howland trotz seiner Sorgen nicht ganz entziehen konnte. Von Gagarin Drei aus sollte der Raumer noch zwei kürzere Flüge von je einer Woche Dauer durchführen, einen zu Amir Bey Neun und einen zu Santa Cruz Zwei. Aber was sich auf diesen beiden Planeten befand, kümmerte die Weltraum-Urlauber wenig. In den warmen, hell erleuchteten Aufenthaltsräumen des großen Passagierraumers und in den gemütlichen, weniger hellen Bars und Zwischendeck-Cafés schüttelten die Reisenden die Unbilden des Winters auf der Erde von sich ab. An die Stelle des Schnees waren die weichen, knöcheltiefen Teppiche getreten, an die Stelle des wolkenverhangenen Himmels eine warme Beleuchtung und an die Stelle der eisigen Luft der schwach duftende Strom aus der Klimaanlage des Raumers. Randolph bat Howland in das Wohnzimmer seiner Suite, eines Appartements mit drei Räumen und jedem nur erdenklichen Luxus. Haffner kam hinzu, als der Professor gerade erklärte: 78
„Die Zivilisation auf Santa Cruz Zwei wurde ursprünglich von sogenannten Freidenkern von der Erde aufgebaut, von Männern und Frauen, die in den Weltraum auswanderten, damit sie ungehindert ihr eigenes Leben leben konnten. Es ist eine Kultur eigener Art, aber harmlos. Unser Ziel ist Amir Bey Neun. Terence erzählte mir davon. Ein öder, kahler Planet, der ausschließlich den Zwecken der Raumflotte dient. Ein Ort, der das Herz eines Menschen zu einem Eiszapfen werden läßt. Ein Ort, an dem es nichts gibt als ein paar Zerstreuungen, an die die Bewohner ihr Geld verschwenden können – Das Geld!“ Haffners Stimme klang belegt, als er sprach. Aber diesmal kam es nicht vom Alkohol. „Das Geld befindet sich also in diesem Augenblick hier an Bord! Und wir ebenfalls!“ „Ein seltsames Gefühl, gewiß“, sagte Randolph. „Wenn man sich vorstellt, daß hier mehr als dreitausend Menschen in Erwartung eines frohen, unbeschwerten Urlaubs leben und daß sie nichts von dem Geld ahnen.“ Er lächelte Howland zu. „Wenn man davon spricht, flüstert man unwillkürlich“ „Dreitausend Männer und Frauen“, sagte Howland. „Sie alle sind in einem Kasten aus Stahl zusammengepfercht und rasen durch die Leere unter den Sternen, außerhalb unseres eigenen Raum-Zeit-Systems. Mir verursacht diese Vorstellung eine Gänsehaut.“ Randolph hakte sofort darauf ein. „Da Sie gerade vom Raum-Zeit-System sprechen – dabei fällt mir der schwierigste Teil unseres Vorhabens ein. Aber ich denke, Terence wird das schon schaffen. Er hat bei der Raumflotte eine ausgezeichnete Ausbildung auf diesem Gebiet genossen.“ 79
In diesem Augenblick ertönte ein warnendes Summen. Der Raumer stand kurz vor dem Durchbruch durch die Schwerkraft. Die drei Wissenschaftler begaben sich mit anderen Passagieren in die Panoramakuppel. Nichts unterschied die Männer von der fröhlichen, erwartungsvollen Menge der Urlauber, die sich auf das unvergeßliche Schauspiel eines Flugs hinaus in den Weltraum freute. Für den Bruchteil einer Sekunde war es, als zögerte die „Poseidon“. Dann schwand die Schwerkraft, die letzte Verbindung zur Erde. Der Raumer schwebte einen Augenblick lang und schoß dann mit plötzlich befreiter Kraft davon. Sie flogen durch den Weltraum. Die Panoramascheibe war mit einem grünen Filter verdeckt worden, durch den die Sonne nur undeutlich drang. Eine Vakuumanlage sog die winzigen Meteoriten ab, die sich auf der Scheibe anlagerten. Der Himmel überzog sich mit einer Vielzahl von Sternen. Außer den rätselhaften dunklen Staubwolken und den schwarzen Nebeln war kaum ein dunkler Fleck zu sehen. Randolph hatte den Kopf nach hinten gebeugt und genoß schweigend den unbeschreiblichen Anblick. Haffner nahm nach einem kurzen Seitenblick auf Howland Zuflucht zu einem raschen Schluck aus seiner Flasche. In der ganzen Kuppel herrschte eine atemlose Stille. Plötzlich veränderte sich die Szenerie zum zweitenmal. Die Sonne und die Sterne verschwanden, und an ihrer Stelle erschien eine gespenstische, geisterhafte Welt von Spiralen und Nebeln, die in allen Farben leuchteten. Sie vibrierten, wogten auf und ab, drehten sich, befanden sich keine 80
Sekunde im Stillstand. Es war die Welt des anderen RaumZeit-Systems – des Systems, in dem der Raumer eine Entfernung von zwanzig Lichtjahren innerhalb von drei Wochen zurücklegen sollte. „Uff!“ stöhnte Howland auf. „Das packt mich immer wieder.“ „Mich auch!“ sagte plötzlich jemand hinter ihm. „Mir geht es genauso. Es ist jedesmal ein Erlebnis.“ Howland drehte sich verwundert um und sah Tim Warner, den Reporter vom Daily Galaxy, den er im Golden Cockerel in Lewistead kennengelernt hatte. „Wie klein ist doch die Galaxis!“ bemerkte der Reporter lächelnd. „Hm – ja.“ „Meine Anwesenheit überrascht Sie, wie? Aber ich bin Reporter; ich muß dauernd unterwegs sein. Sie dagegen, Dr. Howland, was tun Sie hier?“ „Ich – ich fahre in Urlaub.“ „Mit dem Chef, wie ich sehe. Sehr schön! Was ist – kommen Sie mit auf einen Schluck?“ „Das“, seufzte Haffner, „ist ein sehr vernünftiger Vorschlag.“ Auf dem Weg zur Bar stellte Howland die Männer einander vor. Randolph hatte ein unnachahmliches Talent, im geeigneten Augenblick zu verschwinden. Er drückte dem Reporter die Hand und tauchte in der nächsten Sekunde spurlos unter. „Sie schreiben also für den Daily Galaxy, Mr. Warner?“ erkundigte sich Haffner, der sehr schnell Kontakt zu’ anderen Leuten fand. 81
„Nein. Ich suche nur das Material zusammen, und irgendein Schreiberling bringt es in lesbare Form. Ich selbst habe keine Zeit dazu.“ „Und was führt Sie auf die ‚Poseidon’?“ wollte Haffner wissen. „Nun – da gibt’s vielleicht eine Story. Aber darüber spreche ich nicht.“ Der Reporter ging Howland auf die Nerven. Aber man konnte sich seine Reisebegleitung nicht immer aussuchen. Kurz darauf leuchteten die Bildschirme auf, und aus den Lautsprechern überall im Raumer ertönte eine Stimme: „Der Kapitän begrüßt alle Passagiere und wünscht eine angenehme Reise!“ Warner gähnte, murmelte etwas von Müdigkeit und trollte sich. „Ein netter Kerl“, meinte Haffner und hob sein Glas. Howland achtete darauf, daß er nicht zuviel trank. Er fühlte sich ebenfalls ein bißchen müde und beschloß, vor dem Essen noch rasch seine Kabine aufzusuchen, die allerdings kein Palast war wie das Appartement des Professors. Als er die Tür geöffnet hatte, griff er nach dem Lichtschalter. Aber noch bevor seine Finger den Schalter berührten, empfand er ein seltsames, unerklärliches Gefühl, und im nächsten Augenblick krachte ein schwerer Gegenstand auf seinen Schädel nieder. Vor seinen Augen glühte ein Feuerwerk auf. Er stieß einen Schrei aus. Der Schlag hatte ihn nicht betäubt, und die Bewegung, die er darauf machte, bedeutete seine Rettung. Der zweite Schlag prallte nur noch gegen seinen schützend erhobenen Unterarm. 82
In der nächsten Sekunde stürzte ein Schatten an ihm vorbei, dann wurde die Tür zugeschlagen. Howland machte eine Bewegung, um den Mann festzuhalten, doch dieser war schon verschwunden. Nur seine Schritte dröhnten noch auf dem Korridor. Howland schaute hinaus, konnte ihn aber nirgends mehr entdecken. Er schaltete das Licht an, schleppte sich zum Waschbecken und hielt den Kopf unter den Wasserstrahl. Nur langsam überwand er den Schock. Was hatte dieser Vorfall zu bedeuten? Er dachte an Mallow, an Duffy Briggs und Barny Cain. Aber die waren mit den anderen gereist. Und doch hatte ihn jemand überfallen! Ein gewöhnlicher Dieb also? Aber irgend etwas hielt ihn davon ab, Anzeige zu erstatten. Vielleicht gab es doch einen tieferen Grund? – Er mußte mit Randolph darüber sprechen. Willi Haffner konnte später nach seinem Kopf sehen und sich um die Verletzung kümmern. Gegen Abend, als das Nachtessen serviert wurde, belebte sich das Treiben an Bord der „Poseidon“. Überall flammten Lichter auf, die Passagiere gingen erwartungsvoll auf und ab. Auf die erste Mahlzeit an Bord sollten mehrere Bälle und andere gesellschaftliche Veranstaltungen folgen. Howland hatte an dieser festlichen Stimmung keinen Anteil. Nicht nur, weil ihm der Schädel brummte und ihn die Platzwunde am Kopf schmerzte, sondern auch, weil er ein unerträgliches Schuldgefühl empfand. Es fiel ihm immer schwerer, seine moralischen Bedenken gegen ihr Vorhaben beiseite zu schieben. Doch auch diesmal überwand er seine Skrupel. Er ge83
stand sich offen ein, daß ihn die Angst zum Schweigen veranlaßte, die ihm Mallow eingeflößt hatte. Nach dem Essen, von dem er kaum ein paar Bissen zu sich nahm, ging er wieder in die Bar. Warner war schon dort und unterhielt sich offenbar gut. Howland wich ihm aus, ging auch den Ramsys aus dem Weg und suchte eine andere der zahlreichen Bars auf. In allen Räumlichkeiten verbreiteten gepflegte Frauen mit kostbarem Schmuck den Geruch von teurem Parfüm. Männer in eleganten Abendanzügen gingen auf und ab und rauchten Zigarren, die den Tagesverdienst eines normalen Arbeiters kosteten. Fröhlichkeit, Ausgelassenheit überall – die richtige Ferienstimmung. Langsam schlenderte Howland durch die Menschengruppen hindurch. Als er an der nächsten Bar stand, erschrak er. Ganz in der Nähe entdeckte er Stella und Colin Ramsy. Sie saßen an einem Tisch mit einem imitierten Kerzenleuchter. Eben noch, auf dem Weg hierher, war er ihnen ausgewichen. Hatten vielleicht auch sie den Auftrag, ihn zu beobachten? Inzwischen hatte ihn auch Colin gesehen und kam mit seinem Glas herüber. Howland drehte ihm den Rücken zu. „Hat der Professor schon das Stichwort gegeben? Ich möchte sofort Bescheid wissen!“ Die Worte waren nur geflüstert. Howland drehte sich halb zur Seite und raunte zurück: „Noch nicht. Ich schätze, erst in einer Woche.“ „Mir pressiert es nicht. Hier läßt es sich aushalten.“ Colin hob sein Glas. „Und er war wenigstens nicht kleinlich mit dem Vorschuß, das muß man zugeben.“ 84
Als seine Frau ihn rief, ging er wieder an den Tisch zurück. Howland fühlte sich müde und abgespannt und suchte bald darauf seine Kabine auf. Bevor er zu Bett ging, durchsuchte er sie sorgfältig, fand aber nichts Verdächtiges. Beim nächsten Überfall, nahm er sich vor dem Einschlafen vor, würde er Gewalt mit Gewalt beantworten. Zwei Tage später berief Randolph eine Besprechung in seinem Appartement ein. Die Beteiligten versammelten sich unauffällig, als kämen sie nur zufällig hierher. „Jetzt dürfte eigentlich nichts mehr schiefgehen“, erklärte der Professor. „Aber wir müssen vermeiden, daß sich jemand an gewisse Zufälligkeiten erinnert, wenn der Raumer landet und man das Verschwinden des Geldes bemerkt.“ „Wir haben viele Passagiere an Bord“, widersprach ihm Stella. „Ich bin sicher, daß niemand mehr als ein Zehntel aller Passagiere kennenlernt.“ „Das mag sein. Aber trotzdem wollen wir kein unnötiges Risiko eingehen. Heute nacht werden wir die Stufe eins unseres Plans starten.“ Ramsy blickte auf. „Dann bin ich an der Reihe.“ Der Professor nickte. „Stimmt! Wir werden die erforderliche Menge von unseren Kabinen aus loslassen, aber Sie müssen Peter und Willi die Leitungen zeigen. Ich brauche wohl nicht zu betonen, daß wir auch nicht den letzten Winkel des Raumers auslassen dürfen!“ „Das geht in Ordnung. Das Leitungssystem umfaßt den gesamten Raumer Schließlich muß ja das ganze Schiff mit Atemluft versorgt werden.“ Als später am Abend überall Ruhe herrschte, kamen die 85
drei in der Kabine Haffners zusammen und holten die harmlos aussehenden Reisetaschen ab. Mit klopfendem Herzen folgten sie Ramsy, der sie zu ihrem ersten Ziel führte. Es lag in einem schmalen Korridor, der zu den unteren Diensträumen der „Poseidon“ führte. Ramsy griff in seine Tasche und brachte eine sorgfältig verschraubte Tülle zum Vorschein. Nachdem er den Verschluß abgeschraubt hatte, steckte er sie in die vergitterte Öffnung dicht oberhalb des Fußbodens und begann wie an einem Blasebalg zu pumpen. Die anderen blieben ein paar Schritte von ihm entfernt stehen und paßten auf. Während Ramsy pumpte, ergoß sich ein unsichtbarer Strom, bestehend aus Millionen und aber Millionen von gefährlichen Viren, in den Luftschacht, durchdrang spielend alle Filter und Reinigungsanlagen und breitete sich überall aus. Und es waren keine gewöhnlichen Krankheitsviren, sondern wie Bluthunde auf ihre Sonderaufgabe abgerichtete Erreger. In ein paar Sekunden war die Arbeit getan. Ramsy schraubte den Verschluß wieder auf und steckte die Tülle in die Tasche. Dann ging er mit Howland weiter. Unterwegs begegnete ihnen ein Mannschaftsmitglied in makellos weißer Uniform. „Guten Abend, Sirs!“ grüßte er respektvoll. „Guten Abend!“ Ramsy lächelte. Es war das Lächeln eines Mannes, der geheime Macht besaß. „Damit ist Maschinenraum Nummer eins erledigt“, erklärte er leise beim Weitergehen. „Die Luftschächte stehen zwar untereinander in Verbindung, aber wir wollen doch jedes Risiko ausschalten.“ 86
Nach und nach gingen sie durch den gesamten Raumer und achteten darauf, keinen einzigen Luftkanal auszulassen, damit auch der letzte Winkel der „Poseidon“ mit den Viren verseucht wurde. Die Kenntnisse Ramsys waren dabei eine wertvolle Hilfe. Nachdem sie ihren Auftrag ausgeführt hatten, ging Howland in seine Kabine zurück. Er brauchte lange zum Einschlafen und schlief deshalb bis weit in den nächsten Morgen hinein. Nachdem er Toilette gemacht und gefrühstückt hatte, schlenderte er zum Bordschwimmbad. Er verspürte das Bedürfnis nach sauberem Wasser und frischer Luft. In seiner grünen Badehose blieb er noch ein paar Minuten am Beckenrand stehen und beobachtete das lebhafte Treiben. Die anderen Badegäste sprangen kunstvoll von den Sprungbrettern, tauchten unter, bespritzten sich lachend mit dem glasklaren Wasser oder schwammen ruhig im Becken hin und her. Auf dem künstlichen Sandstrand lagen ein paar Mädchen mit hauchzarten Andeutungen von Badekostümen. Howland holte tief Luft, hob die Arme und stieß sich ab. Im selben Augenblick hörte er eine Stimme. „Peter! Um Himmels willen – was machen Sie denn hier?“ Im Sprung noch brachte er es fertig, den Kopf zu wenden, und aus den Augenwinkeln heraus entdeckte er Professor Helen Chase. Sie trug einen winzigen diamantblauen Badeanzug und starrte aus weit aufgerissenen Augen zu ihm herüber. Dann spritzte das Wasser über ihm auf. 87
4. Kapitel „Dem Gehirn wird wirklich kein bleibender Schaden zugefügt, Peter!“ Randolph ging erregt in der Kabine auf und ab. Willi Haffner und Colin Ramsy beobachteten ihn nervös. Stella sei nicht aufzufinden gewesen, hatte Colin erklärt. Sammy Larssen, der Elektronenfachmann, rauchte schweigend, während Peter Howland noch mit dem plötzlichen Auftauchen Helens beschäftigt war. Er hatte die anderen davon unterrichtet. „Sie weiß nun, daß wir an Bord sind. Wenn das Geld fehlt und Sie dann über größere Mittel verfügen …“ „Bah! Seien Sie doch vernünftig, Peter! Wird man einem ehrenwerten Professor einen gewöhnlichen Geldraub zutrauen?“ „Wenn die Viren von Willi so gut sind, wie er behauptet“, warf Ramsy ein, „besteht keine Gefahr. Dann hat sie keinerlei Beweise.“ „Eben!“ sagte Randolph. „Keinerlei Beweise.“ „Ich vermute, daß sie sich auf dem Weg befindet, um die berühmten Handschriften zu holen“, meinte Howland nachdenklich. „Das hätten wir uns denken können, als sie uns erklärte, sie werde am Neunundzwanzigsten abreisen. Jetzt fliegt sie bestimmt nach Santa Cruz Zwei, zu diesem seltsamen Planeten mit eigener Kultur. Ob vielleicht dort die Handschriften …“ „Die interessieren mich nicht im geringsten“, unterbrach ihn der Professor ungeduldig. „Ich will nach Pochalin Neun, sonst nichts.“ 88
„Das will ich auch. Aber ich möchte nicht, daß Helen ein Leid geschieht.“ „Sie waren doch selbst an der Entwicklung des Virus beteiligt! Dann müssen Sie auch wissen, daß er unschädlich ist! Reden wir jetzt über wichtigere Dinge!“ Ein Klopfen an der Tür unterbrach ihn. Es war Stella Sie lächelte huldvoll nach allen Seiten, als sie hereinkam. „Der Kapitän war einfach toll!“ berichtete sie strahlend. „Was hattest du mit ihm?“ fuhr ihr Mann auf. „Aber Colin! Deine Eifersucht ist einfach kindisch! Ich habe ganz einfach meinen Auftrag ausgeführt.“ „Berichten Sie, Mrs. Ramsy!“ forderte Randolph sie auf. „Nun, er hat mit mir geflirtet.“ Sie zuckte die Achseln, die von einem Pelz nach der letzten Mode bedeckt waren. Randolph hatte für seine fünfte Kolonne keine Kosten gescheut. „Es gibt eine ganz große Party mit Tombola. Ich werde die Lose ziehen und die Gewinner verkünden!“ „Gut“, sagte Randolph nüchtern. „Diejenigen, die im großen Saal keinen Platz finden, werden die Übertragung der Veranstaltung in den kleineren Gesellschaftsräumen ansehen. Dieses Lotteriespiel ist ja wie eine Seuche – ein weiterer Beweis für den moralischen Verfall der menschlichen Gesellschaft.“ Er lächelte schwach. „Damit ist alles vorbereitet. Wir müssen sofort Terence verständigen!“ „Keine Sorge, Professor“, warf Ramsy ein. „Der kommt mit Volldampf her!“ „Dann nehmen wir das Geld …“ Wieder klopfte es an die Tür. Die Versammelten sahen 89
sich betroffen an. Erst nach ein paar Sekunden fragte Randolph: „Ja? Wer ist da?“ „Ich bin es, Professor. Tim Warner. Ist Willi hier? Ich dachte, wir könnten uns vor dem Essen noch einen Schluck genehmigen.“ Randolph warf Haffner einen wütenden Blick zu. „Ja, er ist da! Moment …“ Randolph wandte sich an Colin und Stella. „Verschwindet! In das andere Zimmer!“ Als der Reporter die Tür öffnete, saß Howland an einem Tisch und blätterte in einem Buch, während Haffner neben dem Eingang stand. „Gute Idee, Tim!“ strahlte er. „Da bin ich immer dabei! Kommen Sie mit, Professor? Und Sie, Peter?“ „Mich müssen Sie entschuldigen“, lehnte Randolph ab. „Ich habe noch zu tun!“ „Mich auch, Willi.“ Howland klappte das Buch zu. „Ich fühle mich nicht wohl.“ „Schade! Da kann man nichts machen.“ Haffner zuckte die Achseln. „Kommen Sie, Tim! Ich habe Durst!“ Als die beiden gegangen waren und Stella mit ihrem Mann wieder aus dem Nebenzimmer kam, bemerkte Howland ihren Pelz. Er hatte die ganze Zeit über auf der Armlehne eines Sessels gehangen. Randolph war zuerst wütend, beruhigte sich dann aber wieder. „Macht nichts“, erklärte er. „Warner ist ja nur ein Reporter.“ „Hoffentlich!“ sagte Howland, der wieder einmal ein ungutes Gefühl empfand. „Hoffentlich!“ „Ich möchte bloß wissen, was Sie mit dieser rätselhaften Bemerkung andeuten wollen!“ brauste der Professor auf. 90
„Was macht es schon, daß der Mann uns drei beisammen gesehen hat? Und der Pelz kann schließlich auch einer anderen Frau gehören.“ „Das stimmt!“ pflichtete Colin bei. „Wer Stella sieht, achtet nicht auf den Pelz!“ „Spar dir deine Komplimente!“ fuhr sie ihn an. „Jedenfalls muß der Mann jetzt denken, daß der Professor Damenbesuch in seinem Appartement empfängt. Mir gefällt dieser Warner nicht!“ Howland empfand unwillkürlich Mitleid mit Colin, und in Gedanken verglich er Stella mit Helen. „Sobald die Veranstaltung auf ihrem Höhepunkt angelangt ist“, erklärte der Professor weiter, „werden unsere Viren wirken. Dann müssen Sie sich, Mrs. Ramsy, um die Leute kümmern. Achten Sie darauf, daß sich niemand verletzt, wenn er bewußtlos vom Stuhl fällt, daß keine brennenden Zigaretten einen Brand verursachen können und so weiter. Greifen Sie überall ein, wo Sie etwas sehen. Den anderen kann nichts passieren. Fühlen Sie sich dazu imstande?“ „Natürlich, Professor! Selbstverständlich!“ Danach gingen sie auseinander, um sich für das Essen vorzubereiten. Howland mußte noch immer an Helen denken. Er war quer durch das Becken getaucht und hatte sich rasch aus dem Schwimmbad gestohlen, um ihr nicht zu begegnen. Aber er wußte, daß es zwecklos war. In dem hübsch gebundenen Bordbuch waren alle Passagiere mit ihrer Kabinennummer verzeichnet. Außer ein paar älteren Frauen, die auf der Suche nach Männern für ihre Töchter waren, las wohl niemand die Liste von über dreitausend Namen durch, aber Helen würde es nun tun. Dabei würde 91
sie auch die Namen Randolphs und Haffners entdecken und stutzig werden. Und dann kam sie bestimmt zu ihm. Beim Mittagessen würgte Howland unlustig ein paar Bissen hinunter. Er fühlte noch immer eine unerklärliche Spannung in sich, als sehe er ein Unheil auf sich zukommen. Um nicht in seine Kabine zurückgehen zu müssen, sah er sich nach dem Essen einen 3-D-Film an, ohne daß er später hätte sagen können, was er gesehen hatte. In Gedanken beschäftigte er sich unaufhörlich mit Helen. Ihr Badekostüm war eine Wucht gewesen. So hätte er sich einen Professor der Literatur niemals vorgestellt. Zum Nachtessen suchte er sich den abgelegensten Tisch aus, den er finden konnte, mußte aber feststellen, daß ihm Tim Warner schräg gegenübersaß. Zum Glück konnte er sich noch rechtzeitig zur Seite drehen, bevor der Reporter ihn entdeckte. Am Nachbartisch saß eine Gruppe von Frauen mittleren Alters, von denen jede ein junges, auffällig nach der letzten Mode zurechtgemachtes Mädchen im Gefolge hatte. Howland fühlte sich dem Schicksal zu Dank verpflichtet, daß er kein lohnendes Heiratsobjekt war. „Ich finde es einfach toll“, sagte gerade eine der vollbusigen Frauen, „obwohl ich genau weiß, daß ich nichts gewinne. Ich habe kein Glück im Spiel.“ „Warum eigentlich nicht?“ widersprach ihre Freundin. „Derartige Spiele setzen doch keine Intelligenz voraus.“ „Und alle machen mit!“ warf eine dritte ein, während sie die Hand ihrer Tochter tätschelte. „Mich wundert nur, daß der Kapitän diese – diese Mrs. Ramsy für die Ziehung ausgesucht hat. Ich meine – wer ist sie eigentlich?“ 92
Unverzüglich machten sie sich daran, die Schwächen Stellas aufzuzählen, deren Aussehen in Wirklichkeit zu dem der drei Töchter im gleichen Verhältnis stand wie das Licht einer Hundert-Watt-Birne zu dem eines Kerzenstummels. Als Howland wieder aufblickte, sah er gerade, wie Warner mit einem Offizier der Raumerbesatzung eilig das Speiselokal verließ. Das machte ihn stutzig. Er schob seine Serviette zurück und erhob sich. Als er am Tisch der drei Matronen und deren Töchter vorüberging, hörte er die eine noch sagen: „Beeilen wir uns, damit wir noch einen guten Platz bekommen. In einer halben Stunde fängt es an!“ „Ja! Ich kann es kaum noch erwarten. Wer wohl das viele Geld gewinnen wird?“ Howland war es gleichgültig. Er ging hinter Warner her, wobei er darauf achtete, in sicherer Entfernung zu bleiben. Aber plötzlich stand Helen vor ihm. Hilflos mußte er zusehen, wie Warner mit dem Offizier durch einen Korridor verschwand. „Peter! Sie Schuft! Ich glaube, Sie sind mir absichtlich aus dem Weg gegangen!“ „Wie können Sie so etwas denken, Helen! Ich habe nur …“ Nein, er konnte es ihr nicht erklären. Schade – nun, da er zum erstenmal eine Entschuldigung hatte, konnte er sie nicht anbringen. „Ich wußte nicht, daß Sie mit der ‚Poseidon’ fliegen!“ „Natürlich nicht. Ich habe mir nie eingebildet, daß Sie mir gefolgt wären! Aber wie kommt es, daß Sie hier sind? Und Professor Randolph und Haffner?“ 93
„Sie haben also in der Passagierliste geschnüffelt!“ „Frauen sind nun mal neugierig.“ Sie nahm seinen Arm. „Kommen Sie mit, wir trinken etwas! Bis zur Ziehung ist noch Zeit. Ich möchte alles darüber wissen.“ „Worüber?“ „Aber, Peter! Was die gesamte außerirdische mikrobiologische Abteilung der Universität hier im Weltraum sucht!“ „Außerirdische Mikro-Biologie natürlich!“ Sie sah fabelhaft aus mit ihrem enganliegenden, tief ausgeschnittenen Kleid und ihrem prächtigen, kunstvoll frisierten Haar, indem geschickt angebrachte Schmucksteine funkelten. Je länger er Helen ansah, desto ungestümer begehrte er sie. Aber jetzt war keine Zeit dafür. Heute nacht sollte die Verwirklichung des Planes beginnen. Aber vielleicht später. Später, wenn er so berühmt war, wie sie es bald sein mußte. „Kam das so überraschend?“ Er wich der Frage aus. „Und Sie? Sie fliegen wohl auf Santa Cruz Zwei?“ Unterdessen waren sie vor der Bar angelangt. Er blieb unschlüssig stehen. „Ich brauche jetzt keinen Drink und Sie wahrscheinlich auch nicht. Hören Sie zu, Helen. Ich würde Ihnen gern eine romantische oder abenteuerliche Erklärung dafür liefern, warum wir hier sind. Aber ich bin ganz einfach in Urlaub. Die anderen auch. Wir sind weder auf der Jagd nach alten Handschriften noch …“ „Wenn Sie keinen Drink wollen, was wollen Sie dann?“ Er sah sie an, schaut ihr in die Augen. Sie erwiderte sei94
nen Blick, lange. Plötzlich wandte sie den Kopf ab und errötete. „I – ich weiß nicht, Helen. Ich glaube fast …“ Eigentlich wollte er nichts anderes als ihr alles sagen, ihr alles erklären. Aber das ging nicht. So sagte er nur: „Vielleicht wollen Sie zu Professor Randolph mitkommen? Wir gehen in den großen Saal.“ Sie nickte ein wenig zu bereitwillig. „Aber gern!“ Howland wollte sie in seiner Nähe wissen, wenn die Ziehung stattfand. Dann konnte er dafür sorgen, daß mir nichts passierte. Sie gingen durch den Korridor bis zum Appartement des Professors. Als Howland die Hand hob, um anzuklopfen, wurde die Tür aufgerissen. Professor Randolph hatte das Essen in seine Kabine bestellt. Nach beendeter Mahlzeit trank er noch einen Schluck Wein und tupfte sich dann die Lippen mit der Serviette ab. Er war mit sich zufrieden. In fünf Minuten würde er in den großen Saal gehen und die Ziehung beobachten. Und dann – nun ja, dann würde die Stufe zwei des Plans Randolph beginnen. Jetzt, da sein Ziel in greifbare Nähe gerückt war, fühlte er doch eine prickelnde Erregung in sich. Als es klopfte, öffnete er die Tür und ließ Haffner ein. „Dieser Warner kommt mit einem Offizier der Besatzung hierher. Ich habe keine Ahnung, was sie wollen.“ Randolph runzelte die Stirn. „Der Bursche fällt mir allmählich auf die Nerven!“ Es klopfte wieder. Randolph öffnete die Tür. Warren und der Offizier traten ein. 95
„Was kann ich für Sie tun, Mr. Warner?“ fragte der Professor. „Vielleicht eine ganze Menge. Ich bin ein paar merkwürdigen Umständen nachgegangen, die mir beim Tod eines gewissen Kirkup aufgefallen sind …“ „Und? Wieso kann ich Ihnen dabei behilflich sein? Mein Fachgebiet …“ „Sie haben doch einen Neffen namens Terence Mallow, Professor?“ „Ja.“ „Ich hatte eigentlich gedacht, er sei auch hier an Bord der ,Poseidon’.“ „Er ist es nicht. Aber ich glaube, Sie sind mir zumindest eine Erklärung schuldig für diese – diese aufdringlichen Fragen!“ Warner lächelte. Der Besatzungsoffizier, ein junger, athletisch gebauter Bursche mit einer weißen Uniform, war scheinbar unbeteiligt an der Tür stehengeblieben. Randolph hatte zu seinem Unbehagen festgestellt, daß er eine Waffe am Koppel trug. „Eine Erklärung? Die will ich Ihnen gern geben, Professor. Howland wird gleich hiersein. Dann haben wir die ganze Bande beieinander – oder wenigstens das Gehirn der Organisation. Es ist noch eine Frau dabei, aber die holen wir uns noch zu gegebener Zeit.“ „Was soll das heißen?“ brauste Randolph auf. „Ich denke, Sie sind Reporter? Verlassen Sie sofort meine Kabine! Ich werde mich beim Kapitän beschweren!“ Warner warf dem Offizier einen Blick zu. „Ich bin kein Reporter. Hier!“ Er griff in die Tasche und 96
zog ein Lederetui hervor. Als er es aufgeklappt hatte, konnte Randolph das Medaillon aus Bronze sehen, das den Erdball darstellte und unter zwei gekreuzten Palmen die Inschrift trug: „Abwehrdienst der Terranischen Raumflotte“. Randolph sagte kein Wort. „Wir arbeiten vielleicht altmodisch, aber wir haben oft Erfolg. Langfinger Kirkup ließ uns wissen, daß er eine interessante Story für uns habe. Aber bevor er sprechen konnte, wurde er ermordet. Doch ich weiß genug, um Sie alle durch Leutnant Atherstone verhaften zu lassen. Ich wollte nur noch etwas abwarten. Was wir wissen, genügt vollauf, um Ihre Pläne zu durchkreuzen. Wir haben – halt!“ Haffner war mit einem Satz auf die Tür zugesprungen. Aber schon hatte der Leutnant seine Waffe in der Hand. Haffner erstarrte. Randolph hatte sich besser in der Gewalt. Er blitzte Warner aus seinen hervorquellenden Froschaugen an. „Sie sind vollständig übergeschnappt, Warner! Ich bin Professor der außerirdischen Mikro-Biologie bei der Universität Lewistead, und ich kenne diesen … diesen Ketchup überhaupt nicht.“ „Kirkup!“ verbesserte Warner ruhig. „Aber ich werde die Sache nicht auf sich beruhen lassen. Und Sie werden es bereuen, Warner!“ „Warten wir es ab!“ Randolph schaute auf seine Uhr. In diesem Augenblick mußte Stella im großen Saal erscheinen. Überall im Raumer waren bereits die Lautsprecher eingeschaltet, um ihre Stimme zu übertragen. 97
„Ich warne Sie zum letztenmal, Warner! Ich weiß nicht, was Sie vorhaben. Ich bin hier auf Urlaub und weiß nichts von diesem Mord. Mein Neffe ist ebenfalls in Urlaub gefahren. Haben Sie nicht kurz nach dem Mord mit ihm gesprochen?“ „Doch! Aber er hatte ein Alibi!“ „Na also! Sie haben einen bewaffneten Mann bei sich. Ich kann mich deshalb nicht zur Wehr setzen. Aber ich garantiere Ihnen dafür, daß Sie für diese unerhörte Beleidigung noch büßen werden!“ Randolph holte tief Luft. „Was wollen Sie eigentlich von mir? Ich bin ein ehrlicher Mensch!“ „Das weiß ich, Professor. Deshalb sorge ich auch dafür, daß Sie es bleiben. Aus den Andeutungen Kirkups ging hervor, daß Sie einen Überfall auf diesen Raumer planen. Sie wissen, daß er die Lohngelder für die Raumflotte transportiert. Ich habe den Auftrag, dafür zu sorgen, daß die Leute zu ihrem Geld kommen. Und aus meinen Beobachtungen habe ich geschlossen, daß die Sache heute nacht steigen soll. Kommen Sie!“ Atherstone öffnete die Tür. Als sie auf den Korridor hinaustraten, standen ihnen Howland und Helen Chase gegenüber. „Aha!“ sagte Warner grinsend. „Das Liebespärchen! Kommen Sie mit, Sie beide! Wir gehen alle zum Kapitän. Und dann werde ich Sie auf Nummer Sicher setzen!“ * Die „Poseidon“ war ein großer Raumer. Sie fuhren mit einem Lift hinunter in den Teil des Schiffes, der für die Pas98
sagiere gewöhnlich gesperrt war und der deshalb auf die weiblichen Fahrgäste eine um so größere Anziehungskraft ausübte. Atherstone hatte seine Waffe wieder in die Halfter gesteckt, aber Howland wußte, daß er sofort schießen würde, wenn Warner den Befehl gab. Er schaute auf seine Uhr. Noch zehn Minuten, dann war alles im großen Saal und in den kleineren Räumlichkeiten versammelt, um an dem großen Ereignis der Überfahrt teilzunehmen. Aber wie gesagt – die „Poseidon“ war ein großer Raumer, und die Zeit verging, während sie durch die endlosen Korridore marschierten. Randolph stolzierte hoch aufgerichtet, aber mit vor Wut verzerrtem Gesicht vor ihnen her. In Peter Howland tobte ein Wirrwarr von Gefühlen – teils empfand er Furcht, teils aber auch Erleichterung darüber, daß ihm nun die Verantwortung aus der Hand genommen war. Haffner hatte sich nach seinem ersten Ausbruchsversuch offenbar in sein Schicksal ergeben und hielt nun den Kopf auf die Brust gesenkt. Weiter vorn erweiterte sich der Korridor zu einem Aufenthaltsraum, zu dem man durch eine weiße Tür mit der Aufschrift: PRIVAT! NUR FÜR BESATZUNGSMITGLIEDER! gelangte. Darin saß eine Anzahl Passagiere, die offenbar auf den Beginn der Ziehung warteten. Sie nahmen keine Notiz von den Männern. Howland schaute sie flüchtig an und überlegte, ob sich hier eine Gelegenheit zur Flucht biete, verwarf aber diesen Gedanken sofort wieder. Warner öffnete die Tür und trat zur Seite, um sie vorbeizulassen. Als Howland an ihm vorüberging, fragte er: „Wa99
ren Sie das, Warner, in meiner Kabine, der mich auf den Kopf schlug?“ „Natürlich!“ Warner lächelte dabei. „Das nächste Mal bin ich gewarnt. Hüten Sie sich!“ „Passen Sie lieber auf sich selbst auf! Kommen Sie jetzt herein!“ Hinter der Tür sah der Raum plötzlich ganz anders aus. Die Beleuchtung war spärlicher, der Teppich weniger dick, und der Anstrich der Wände diente mehr dem Schutz des Materials als der Dekoration. Von einem Durchgang aus führte ein breiter Korridor zu den Maschinenräumen. Auf diesen Korridor deutete Atherstone mit seinem Revolver, den er inzwischen wieder gezogen hatte. Sie waren schon fast an diesem Durchgang angelangt, als plötzlich hinter ihnen die Tür aufgerissen wurde. Howland sah, daß Atherstone herumfuhr, und drehte sich ebenfalls um. Durch die weiße Tür, durch die sie eben gekommen waren, drängten sich die Passagiere herein, die sie draußen gesehen hatten. Und genau wie der Korridor hatten auch sie ihr Aussehen plötzlich verändert. Ihre Gesichter blickten ernst und grimmig. Es war etwa ein Dutzend Männer. Sie bewegten sich flink und gewandt und hatten dabei ihre Hände in den Taschen. Atherstone hielt den Revolver noch immer schußbereit in der Hand. „Was wollen Sie hier? Der Zugang ist für Passagiere verboten!“ Das waren die letzten Worte seines Lebens. Der Anführer der Passagiere hatte einen Revolver aus der Tasche gerissen, und die Kugel traf den Leutnant mitten in die Brust. Er stürzte vornüber. Sein Blut floß auf den Teppich. 100
Tim Warner stieß einen Schrei aus. Er packte Randolph am Arm und zog ihn mit sich hinter eine Ecke. Howland hatte die Situation noch nicht begriffen. Er warf sich zurück und stieß dabei gegen Haffner. Dicht über ihm knallte es ein paarmal. Es hörte sich an wie trockener Peitschenschlag. „Die Burschen gehören also zu euch!“ zischte Warner wütend. „Aber damit kommt ihr nicht weit!“ Er brüllte etwas durch den Korridor und rannte dann auf den Maschinenraum zu. Randolph und Haffner blieben zurück. Howland zog Helen an sich. „Was, zum Teufel!“ schnaubte der Professor. Haffner begann zu lachen. In seinem Gesicht war die Farbe wiedergekehrt, „Wir sind nicht die einzigen, die sich für das Geld interessieren! Köstlich!“ „Wir müssen verschwinden!“ drängte Howland. Er fühlte, wie ihm der Schweiß von der Stirn perlte. Die Zunge lag wie ein Stück Leder im Mund. Von der einen Seite des Korridors zweigte eine Tür ab. Sie drängten sich hindurch. Die Passagiere, Gangster oder Bankräuber, oder was immer sie auch sein mochten, arbeiteten sich durch den Korridor vor. Ein paar Revolverschüsse peitschten auf, dann antwortete das Hämmern einer automatischen Waffe. Pulverrauch breitete sich aus. Howland spähte zur Tür hinaus. Auf dem Fußboden des Korridors robbte ein Mann. Sein Gesicht war blutüberströmt, und sein rechtes Bein stand in einem unnatürlichen Winkel ab. Am Ende des Korridors entdeckte er ein paar Gestalten, die sich in einen heftigen Nahkampf verbissen hatten. Immer noch dröhnten Schüsse. 101
Plötzlich wurde die weiße Tür wieder aufgerissen. Etwa zwanzig Mann und ein paar Frauen erschienen. Sie bewegten sich in Formation wie auf einem Truppenübungsplatz. Vier von ihnen blieben an der Tür stehen und eröffneten das Feuer mit Maschinenpistolen, die anderen gingen unter ihrem Feuerschutz vor. Ein Mädchen mit langem schwarzem Haar kniete bei dem Verwundeten nieder, nahm ein Verbandspäckchen aus ihrer Handtasche und leistete ihm Erste Hilfe. Howland drehte sich zu den anderen um. „Ich weiß nicht, wer sie sind. Aber die Sache ist gut organisiert.“ Auch Randolph warf einen Blick hinaus. „Eine ganze Menge Leute. Das ist unsere Chance. Ein blutiger Kampf um den Raumer, ein Überfall auf das Geld … aber wie primitiv!“ „Das ist die Art, die Mallow wollte!“ erinnerte ihn Howland. Die Schüsse waren verstummt. Zwei Mädchen und ein Mann stießen die Tür auf und richteten ihre Waffen auf die drei Wissenschaftler. Howland stellte sich rasch vor Helen. „Mitkommen! Aber Tempo!“ Sie wurden durch den Korridor in den Maschinenraum geführt. Dort mußten sie stehenbleiben. Die Leiche Atherstones war schon weggeschafft worden. Ein paar Mädchen und Frauen in Zivil kümmerten sich um die Verletzten beider Seiten. Alles schien wieder unter Kontrolle zu sein. An den Geräten saßen Mitglieder der Besatzung, und hinter ihnen standen Passagiere und hielten sie mit ihren Waffen in Schach. „Ich kann nicht glauben, daß diese Leute Gangster sind“, raunte Howland. 102
„Den Eindruck habe ich auch“, erwiderte Randolph. „Habt ihr die Armbänder schon bemerkt?“ fragte Haffner. „Ja.“ Randolph verfiel wieder in seinen alten, selbstsicheren Ton. „Eine Unsitte, die offenbar in der Menschheit nicht auszurotten ist. Ein unbewußter Trieb, sich mit irgendwelchen Abzeichen zu schmücken, um sich aus der Masse hervorzuheben. Aber was sind das für Abzeichen? Sie sehen aus wie ein Ring Würste, die mit einem Metzgermesser aufgeschnitten werden.“ Haffner grinste. Eines der Mädchen, mit einem enganliegenden Raumanzug bekleidet, hatte die Worte gehört. „Sagen Sie das nicht noch einmal!“ warnte sie. „Wir von der Freiheitsfront lassen unsere Abzeichen nicht verhöhnen!“ Howland fühlte, wie sich Helens Hand auf seinem Arm zusammenkrampfte. „Die Freiheitsfront!“ wiederholte sie, und ihre Stimme bebte. „Davon hat mir Terry erzählt! Das sind die Rebellen – und die Abzeichen sollen Ketten darstellen, die von einer Axt zerschlagen werden!“ Einer der beiden männlichen Wachen drehte sich zu ihr um und musterte sie mit ausdruckslosem Gesicht. „Die Ketten der Sklaverei!“ erklärte er. „Sie werden von der zweischneidigen Axt der Freiheit gesprengt. Aber wir lieben es nicht, Rebellen genannt zu werden!“ „Unsinn!“ widersprach ihm Randolph lebhaft, als handle es sich um ein wissenschaftliches Streitgespräch. „Das sind Sie doch!“ „Nein! Die eigentlichen Rebellen sitzen in der Regie103
rung auf der Erde. Sie haben die Macht an sich gerissen, die rechtmäßig den Menschen in der Galaxis gehört. Sie säen Unruhe und Aufruhr, erlassen ungerechte Gesetze, blähen ihre Armee ins Ungeheure auf – und verdrehen dadurch die Gesetze der Gerechtigkeit und der Menschlichkeit!“ „Ein wahres Wort!“ pflichtete Randolph bei. Offenbar dachte er dabei an das Maxwell-Stipendium. Auch Haffner nickte. „Meine Freunde sind sie auch nicht. Mich haben sie entlassen, versteht ihr? Gefeuert! Rausgeschmissen! Von mir habt ihr nichts zu befürchten!“ Das Mädchen lächelte verächtlich. Howland mußte an Helen denken. „Was geschieht nun mit uns?“ fragte er. „Mit Ihnen? Was meinen Sie damit? Die Freiheitsfront kämpft nur gegen die Regierung und ihre Beamten. Für Sie empfinden wir nur Verachtung, weil Sie diese skrupellosen Machthaber jedes Jahr von neuem wählen. Aber wir werden Sie nicht töten, wenn Sie das meinen!“ Howland fühlte, wie sich Helen enger an ihn preßte, und er wußte, daß er von nun an für sie verantwortlich war. Wenn ihr etwas zustieß, würde er vor keiner Gewalttat mehr zurückschrecken. Und seltsamerweise kam ihm dieser Gedanke so vertraut vor, als habe er immer so gedacht. In diesem Augenblick kamen drei Männer in den Maschinenraum. Sie gingen hintereinander. Der zweite hielt den Lauf seiner Maschinenpistole auf den Rücken des ersten gerichtet, während der dritte hinter ihnen hermarschierte, als ginge ihn das Ganze nichts an. „Dieser Mann namens Warner“, erklärte dieser dritte, 104
„behauptet, daß er Sie vier gerade verhaften wollte. Warum?“ „Das wissen wir nicht“, gab der Professor rasch zur Antwort. „Wir sagten ihm schon, er müsse übergeschnappt sein. Wahrscheinlich hat er uns mit Ihnen verwechselt!“ Howland empfand Mitleid mit Warner. Schließlich hatte der Mann nur seine Pflicht getan. „Das kann sein. Er ist ein elender Spion. Aber wir werden ihm nichts tun. Wir töten nicht ohne Grund. Und Sie werden warten müssen, bis unser Raumer kommt!“ „Und die Passagiere?“ wandte Haffner ein. „Die fragen sich doch bestimmt, was hier …“ Der Mann lachte. Er hatte ein makelloses Gebiß und einen ausdrucksvollen Mund unter einer breiten, energischen Nase und dunklen, feurigen Augen. Er trug einen Raumanzug. In seinem Gürtel steckte ein Revolver. „Die Passagiere wissen von nichts! Die sitzen im großen Saal und warten gespannt auf das Ergebnis der Lotterie!“ Er lachte wieder. „Und dabei wird das eigentliche Spiel hier ausgetragen!“ Randolph zuckte die Achseln. „Diese Spielleidenschaft“, dozierte er. Howland starrte den Mann verblüfft an, „Wollen Sie etwa behaupten, Mister …“ „Nennen Sie mich Marko! Das ist zwar nicht mein richtiger Name, aber darunter bin ich bekannt!“ „Haben Ihre Leute denn nicht mitgespielt?“ „Doch, natürlich! Wir mußten ja den Anschein wahren!“ Die Veranstaltung mußte inzwischen ihrem Höhepunkt zusteuern, aber hier im Maschinenraum waren die Lautsprecher nicht eingeschaltet, damit die Mannschaft an den Gerä105
ten nicht abgelenkt würde. Howland schluckte mühsam. „Mr. Marko, Sie sehen ja, wir leisten keinen Widerstand. Können wir nicht wenigstens die Übertragung anhören?“ Der Mann machte aus seiner Verachtung für diesen primitiven Wunsch keinen Hehl. „Gut, hören Sie sich an, wie der Kapitän den Hanswurst spielt und wie die Herde der Passagiere blökt. Alaric – schalte die Lautsprecher ein!“ Eine der beiden Wachen drückte auf einen Schalter. Die Lautsprecher an den Wänden begannen zu summen. Haffner hatte die Absicht Howlands durchschaut. „Schade, daß wir nicht dabeisein können!“ seufzte er wehmutsvoll. „Ich wollte, ich könnte die Gesichter der Leute sehen!“ Aus den Lautsprechern kam Musik. Die Kapelle im großen Saal spielte einen modernen Schlager, und man hörte die Leute im Chor mitsingen. „Und nun habe ich das Vergnügen, die junge Dame vorzustellen, die das Los ziehen wird.“ Das war die Stimme des Bordzahlmeisters. Man hörte sie, als die Musik langsam verstummte. Der Kapitän stand sicher neben ihm und strahlte über das ganze Gesicht. Er konnte noch nicht wissen, daß das Kommando über seinen Raumer längst in andere Hände übergegangen war. „Meine Damen und Herren – Mrs. Stella Ramsy!“ Applaus rauschte auf und verebbte wieder. Im Maschinenraum drehten ein paar Leute den Kopf und erhaschten einen Blick auf das gelbe Papier, das Howland rasch wieder in seiner Tasche verschwinden ließ. „Meine Damen und Herren, ich danke Ihnen!“ Stellas Stimme klang ruhig und selbstsicher. „Es ist eine große 106
Ehre für mich, heute abend bei Ihnen sein zu dürfen. Ich bin sicher, daß Sie alle diese Stunden genießen werden – genauso wie diese wundervolle Reise zu den Sternen mit unserem wundervollen Kapitän! Und zu allem kommt nun noch die Chance hinzu, einen großen Preis zu gewinnen.“ Die Leute klatschten wieder. „Hier ist das Glücksrad. Ich drehe es!“ Das war wieder die Stimme des Zahlmeisters. Danach hörte man ein Geräusch, wie wenn eine Eisenstange über einen eisernen Gartenzaun rattert. Im Saal war es still. „Und nun, Mrs. Ramsy, sind Sie wieder an der Reihe!“ Die Kapelle spielte einen Tusch, dann trat wieder lautlose Stille ein. Howland konnte hören, wie Haffner mühsam atmete. In diese Stille hinein wurde plötzlich das Geräusch von Schneidbrennern laut, die sich durch Metall fraßen. Randolph lächelte unmerklich. Die Leute arbeiteten für ihn, ohne es zu wissen. Mittlerweile hatte die Spielleidenschaft alle gepackt und hielt sie in eisernem Griff. Überall in der „Poseidon“ saßen in diesem Augenblick die Leute und warteten mit atemloser Spannung darauf, daß Stella in die Trommel griff und das Glückslos zog. Jeder war bemüht, sich keine einzige Silbe von dem entgehen zu lassen, was auf der Bühne gesprochen wurde – und das, fuhr es Howland durch den Sinn, war genau, was sie für ihr Vorhaben brauchten. Die Spannung erreichte ihren Höhepunkt. Selbst Marko konnte sich ihr nicht ganz entziehen. Nervös schielte er zu dem Lautsprecher hin. Endlich wurde Stellas Stimme wieder hörbar. „Um den glücklichen Gewinner anzukündigen, werde ich in diese silberne Pfeife blasen …“ 107
In diese zwei so verschiedene Atmosphären – die eine voll ausgelassener Fröhlichkeit und Erwartung, die andere voll Entschlossenheit und grimmiger Spannung – ertönte ein sanfter, leiser Pfeifton. Howland konnte ihn nicht hören, aber er spürte ein schwaches Kribbeln in den Ohren. Stella hatte in die Pfeife geblasen, die er und Haffner eigens für diesen Zweck konstruiert hatten. Marko stand noch immer mit verächtlichem Lächeln auf den Lippen da, die Hand auf den Kolben seiner Waffe gelegt. Neben ihm stand Warner, die Augen weit aufgerissen. Sein Bewacher hielt den Revolver auf ihn gerichtet, rührte sich aber nicht. Helen hatte den Arm Howlands losgelassen und den Kopf gehoben. Jetzt starrte sie ihn aus großen Augen an. Die beiden Rebellen und ihre Begleiterin, das junge Mädchen, hielten ihre Blicke auf Marko gerichtet. Randolph drehte sich strahlend zu seinen Begleitern um. „Gut, gut!“ Er lächelte. „Hat alles geklappt! Aber jetzt müssen wir nach den Leuten draußen sehen, damit kein Unheil mit den Schneidbrennern passiert!“ „Ramsy und Larssen müssen gleich kommen!“ erinnerte Howland. „Stimmt! Moment!“ Der Professor schaute auf seine Uhr. „Vergleichen Sie! Ich habe jetzt genau null Uhr, vier Minuten, dreißig Sekunden!“ „Null Uhr vier, dreißig Sekunden!“ wiederholten Howland und Haffner gleichzeitig. „Peter, Sie gehen hinaus und sagen den anderen Bescheid. Willi, Sie kommen mit mir. Wir müssen die Schneidbrenner abschalten!“ Unter der Tür drehte sich Howland noch einmal nach 108
Helen um. Ihre Augen waren noch immer wie verwundert aufgerissen, aber ihr Gesicht blieb ruhig und zeigte keine Furcht. Er ging an den beiden Rebellen vorbei, die wie eherne Standbilder dastanden, und traf draußen auf Ramsy und Larssen. „Richtig gespenstisch sieht das aus“, sagte Larssen scheu. „Man könnte meinen, sie wären plötzlich alle eingefroren.“ „Hm!“ grunzte Ramsy selbstzufrieden. „Stella hat ihre Arbeit gut gemacht!“ Howland mußte lächeln. „Eine herrliche Sache, dieser Gehirnvirus, der über das Gehör wirkt“, sagte er plötzlich erleichtert. „Und wenn man bedenkt, daß Milliarden dieser Viren bereitstanden und nur auf das Signal aus der Ultrakurzwellenpfeife von Stella warteten, dann …“ „Es kommt einem wirklich vor wie ein Märchen“, bestätigte Ramsy. „Das war der wirksamste Pfiff aller Zeiten!“ Im Korridor waren noch die Spuren des Kampfes zu sehen. „Was war denn hier los?“ wollte Ramsy wissen. „Da hatte jemand dieselbe Idee wie wir. Die Freiheitsfrontkämpfer, wie sie sich nennen. Sie wollten den Raumer in ihre Gewalt bringen.“ „Wo ist der Professor jetzt?“ erkundigte sich Ramsy weiter. „Er sieht nach den Leuten mit den Schneidbrennern. Ihr beide müßt euch jetzt um die Navigation kümmern. Mallow wird bald hier eintreffen.“ Howland schaute auf seine Uhr. „Wir haben genau vierundzwanzig Stunden Zeit. Solange wird die Wirkung des Virus anhalten. Hoffentlich geht alles gut!“ 109
„Keine Angst, Peter“, beruhigte ihn Randolph, der gerade zu ihnen trat. „Bis jetzt hat alles vorzüglich geklappt.“ Larssen setzte sich an das Funkgerät. Der Bordfunker stand hölzern wie ein Telegraphenmast neben seinem Stuhl und starrte auf die Revolvermündung, die ein Rebell auf ihn gerichtet hielt. Howland wußte, daß alle in dieser Stellung verharren und beim Erwachen keine Ahnung davon haben würden, daß sie für die Dauer eines Tages ohne Bewußtsein gewesen waren. Ramsy vergewisserte sich anhand der Instrumente, daß der Raumer seine vorgeschriebene Bahn zog. Von ihm und seiner Navigationskunst hing das weitere Gelingen des Planes ab. In diesem Augenblick schaute Larssen auf. Er lächelte triumphierend. „Terry ist pünktlich! Da kommt ein Raumer. Er muß dicht außerhalb der Reichweite unserer Instrumente geflogen sein. Auf ihn kann man sich eben verlassen!“ Er schaltete das Sprechgerät ein. Die Stimme kam laut und gut verständlich durch den Äther. „Gut gemacht!“ sagte sie. „Wir kommen längsseits. Haltet euch an der Luke bereit! Wir bringen für alle Fälle unsere Waffen mit, Marko. Jetzt darf nichts mehr schiefgehen!“ 5. Kapitel Marko! Der Name schlug wie der Blitz unter den Männern im Maschinenraum ein. Howland sah zu Randolph hinüber. 110
Der kleine Professor hob seine Hand, an der die Knöchel weiß hervortraten. Dann ließ er sie wieder fallen. „Die Rebellen!“ knurrte Larssen, nachdem er das Empfangsgerät ausgeschaltet hatte. „Was soll ich ihnen antworten?“ „Laßt sie an Bord kommen!“ schlug Haffner vor. „Sobald sie tief Luft geholt haben, blasen wir mit unserem Pfeifchen!“ „Das hat keinen Zweck, Willi“, widersprach Howland. Randolph nickte. „Wirklich nicht, Willi. Sie sehen doch sofort, daß ihre Leute hier wie zu Salzsäulen erstarrt herumstehen. Außerdem kommen sie nicht alle gleichzeitig durch die Luke!“ „Aber was sollen wir dann tun?“ fragte Haffner. „Sollen wir sie ruhig gewähren lassen? Dann ist alles verloren.“ Randolph trat zu Larssen. „Geben Sie mir das Mikrophon und schalten Sie das Gerät ein!“ Larssen tat, wie ihm geheißen. Im Maschinenraum herrschte lautlose Stille. Dann kam wieder die Stimme des fremden Sprechers von dem anderen Raumer. „Beeil dich, Marko! Wir sind schon fast bei euch. Schalte mal den Fernsehschirm ein, damit wir sehen, wie ihr gesiegt habt!“ Randolph gab Larssen ein Zeichen, die Fernsehkamera nicht einzuschalten. Dann hob er das Mikrophon an den Mund und richtete sich auf, als spreche er vom Katheder aus zu seinen Studenten. „Hier spricht die ,Poseidon’! Es wäre besser, wenn ihr euch ergeben würdet! Es hat keinen Zweck mehr, ihr habt 111
verspielt. Ein Polizeiraumer befindet sich schon auf dem Weg hierher! Euer Marko ist unschädlich gemacht!“ Howland konnte nicht umhin, die Kaltblütigkeit des alten Professors zu bewundern. Es blieb nur abzuwarten, ob die List gelang. Aus dem Lautsprecher des Funkgeräts kam nur noch ein leises Rauschen. Offenbar herrschte drüben in dem anderen Raumer ratlose Verwirrung. Marko hatte sicher unmittelbar nach dem Handstreich seinen Sieg hinausposaunt, und daraufhin war der zweite Raumer siegessicher herbeigeeilt. Der Sprecher von dem anderen Raumer stellte noch ein paar Fragen, wobei seine Stimme merklich unsicherer klang als vorher. Randolph beantwortete sie, ohne zu zögern. Als der fremde Raumer dann abdrehte und in den Weltraum hinausschoß, atmeten alle erleichtert auf – nur der Professor nicht. „Versuchen Sie, Verbindung mit Terence zu bekommen“, sagte er nur gleichmütig zu Larssen. „Vielleicht halten die anderen ihn für den angekündigten Polizeiraumer. Es ist besser, wenn es gar nicht erst zum offenen Kampf kommt!“ „In Ordnung, Professor!“ erwiderte Larssen. Randolph hatte noch nie so klein und unscheinbar ausgesehen, und dennoch strahlte er eine Zuversicht aus, die sich nach und nach auch den anderen mitteilte. Selbst Howland fühlte sich vom allgemeinen Optimismus seiner Gefährten angesteckt. „Ich habe Lügen schon immer gehaßt“, erklärte der Professor lächelnd. „Aber hier mußte ich psychologisch richtig vorgehen. Mit anderen Worten …“ 112
„Mit anderen Worten“, unterbrach ihn Haffner, „wenn man schon lügt, dann feste!“ „Sie werden hier ohne Schwierigkeiten weiterarbeiten können“, sagte der Professor mit einem Blick auf den Maschinenraum. „Aber es sollte jemand nach Stella schauen.“ „Das mache ich!“ erbot sich Howland. Er war froh, den Maschinenraum für ein paar Minuten verlassen zu können. Der Weg zum großen Saal kam ihm wie der Gang durch eine gespenstische Geisterlandschaft vor. Stella saß in einem eleganten Abendkleid auf einem Stuhl, die kleine Trillerpfeife noch in der Hand, und weinte bitterlich. „Das war mein schönster Auftritt!“ schluchzte sie. „Alle Leute hingen an meinen Lippen, ich war der Mittelpunkt des ganzen Abends, aber Sie haben mir alles verdorben. Als ich in die Pfeife blies, war alles vorbei!“ Howland mußte lachen. Er nahm die Pfeife aus ihrer Hand und steckte sie in die Tasche. „Trösten Sie sich, Stella! Nichts ist vorbei. Die Leute haben nur einen Virus eingeatmet, der dann plötzlich aktiv wurde, als Sie die Pfeife gebrauchten. Nach genau vierundzwanzig Stunden wachen die Leute wieder auf und wissen von nichts. Sie sind gegen diese Wirkung gefeit. Erinnern Sie sich noch an die Spritze, die ich Ihnen gab und bei der ich Ihnen keine Narbe machen sollte?“ Sie zog die Nase hoch. „Ja, das weiß ich noch. Aber Sie brauchen mich nicht auszulachen. Ich habe inzwischen alles getan, was der Professor mir aufgetragen hat. Nur bin ich noch nicht fertig damit. Wenn Sie mir helfen könnten?“ Die Frau kam ihm plötzlich weniger unsympathisch vor als bisher. Zusammen machten sie sich an die Arbeit, die 113
kleinen Schäden zu beheben, die überall im Saal aufgetreten waren. Als dann später Mallow mit dem winzigen Raumer eintraf, den der Professor aus eigenen Mitteln gechartert hatte, versammelten sie sich alle vorm Eingang zum Tresorraum. Jetzt erst wurde ihnen klar, wie schwer die Aufgabe war, die sie noch zu lösen hatten. Ramsy und Larssen gingen noch einmal in den Maschinenraum, um den automatischen Piloten des Raumers zu kontrollieren. Dann kam Ramsy wieder zurück und brachte Mallow, Briggs, Cain und Kwang mit. Randolph hatte ihnen gesagt, daß sie ihr eigenes Einbruchswerkzeug nicht benötigten, aber sie hatten es trotzdem mitgebracht. Als letzter erschien Colonel Troisdorff mit seinem blitzenden Monokel. Als er hörte, was mit Tim Warner gewesen war, lachte er spöttisch. „Den kenne ich! Ein ganz gefährlicher Bursche. Nun, fangen wir an!“ Sie warteten ohnehin schon alle gespannt darauf, daß der Tresorraum geöffnet wurde und seinen wertvollen Inhalt preisgab. Howland trat einen Schritt zur Seite und sah zu, wie sich die früheren Raumflottenmänner an die Arbeit machten. Mallow rieb sich die Hände. „Seid nur nicht zu ängstlich, Leute!“ sagte er. „Schließlich haben das dann die Rebellen gemacht, oder nicht? Und wir sind nicht mehr an Bord! Uns sieht und hört keiner!“ Er lachte. Howland verzog das Gesicht. Er mochte dieses Lachen nicht. Jedesmal, wenn er Mallow sah, mußte er an Langfinger Kirkup denken. 114
Die Männer verstanden, mit dem Einbruchswerkzeug der Rebellen umzugehen, und hier war auch Colonel Troisdorff in seinem Element. Er wußte genau Bescheid über die Sicherungen der Tresorräume, die an Bord von Raumern eingebaut waren – schließlich hatte das einmal zu seinem Aufgabengebiet als Sicherheitsoffizier gehört. Unter seiner fachkundigen Leitung machten die Männer rasche Fortschritte. Howland ließ sie unter einem Vorwand allein, warf besorgt einen raschen Blick in den Maschinenraum, wo Helen noch immer regungslos stand, und ging dann wieder zurück in den großen Saal. Die tödliche Stille lastete schwer auf ihm, während er durch die langen Reihen von Stühlen und Tischen ging, wo die Menschen mitten in der Bewegung erstarrt saßen. Er empfand den Anblick als einen Vorgeschmack dessen, was alle Menschen am Ende ihres Lebens zu erwarten hatten. Er hob den Arm einer Frau, der in einer unnatürlichen Haltung über die Stuhllehne hing, und legte ihn auf den Tisch vor ihr. Zwei Tische weiter schob er einen älteren Herrn in eine bequemere Stellung. Dann hob er irgendwo eine Handtasche auf. Stella hatte inzwischen mit ein paar Männern von dem kleinen Raumer die Zigaretten eingesammelt und sie durch halbgerauchte Zigaretten ersetzt, die chemisch so präpariert waren, daß sie beim ersten Zug wieder aufglühten. Die Arbeit mußte schnell verrichtet werden, insgesamt hatten sie nur vierundzwanzig Stunden Zeit für die über dreitausend Passagiere. Aber der Professor mit seinem unvergleichlichen Organisationstalent hatte dafür gesorgt, daß alles reibungslos verlief. 115
Howland mußte wieder an Terence Mallow denken, und er empfand ein ungutes Gefühl dabei. Er ging zum Tresorraum zurück. Die Männer arbeiteten verbissen an der feuerfesten Wand, waren aber inzwischen nicht weitergekommen. Mallow ging nervös auf und ab. „Dieser verdammte Narr von Langfinger hätte uns beinahe alles verdorben!“ fauchte er, als er Howland sah. „Schade, daß wir ihn nicht vorher erwischt haben.“ „Was, zum Teufel, soll das heißen?“ Randolph sah seinen Neffen aus seinen hervorquellenden Froschaugen an. Auch die anderen schauten jetzt neugierig her, und Howland fühlte, wie die Spannung in dem Raum wuchs. „Was, zum Teufel, soll das heißen, habe ich dich gefragt!“ „Nichts für dich, Onkel! Stör die Jungs jetzt nicht bei der Arbeit!“ „Ich verlange eine Antwort!“ Randolph trat einen Schritt auf seinen Neffen zu. „Willst du behaupten, daß du beim Tode Kirkups deine Hand im Spiel hattest?“ Colonel Troisdorff richtete sich von dem Elektronenschloß auf, das in die schwere Panzertür eingelassen war, und drehte sich zu ihnen um. „Wenn Sie nichts dagegen haben, versuche ich mal mein Glück. Mit den Schneidbrennern kommen die Leute nicht voran. Wenn Sie Ihren Streit irgendwo anders austragen, kann ich inzwischen den Tresor öffnen. Gehen Sie!“ Mallow fuhr herum. Er ärgerte sich über den Ton des ehemaligen Offiziers und wollte ihm eine scharfe Antwort geben, aber Randolph kam ihm zuvor. „Eine gute Idee, Co116
lonel! Ich muß wegen des Benehmens meines Neffen um Entschuldigung bitten. Komm, Terence!“ Die Spannung lag noch immer in der Luft. Die anderen traten zurück, um dem Colonel Platz zu machen. Randolph zog Mallow zur Seite. „Vielleicht gibst du mir jetzt eine Erklärung, Terence!“ „Mit Vergnügen, Onkel!“ Mallow hatte sich wieder gefaßt. Er war seiner Sache jetzt absolut sicher. „Sobald wir das Geld haben, verladen wir es auf den anderen Raumer und verschwinden. Aber du glaubst doch nicht im Ernst, daß wir alles tun werden, nur um dir zu Hause das Geld in den Schoß zu werfen, oder?“ Er lachte. Briggs und Cain hatten zugehört und stimmten höhnisch in das Lachen ein. „Du bist doch sonst so intelligent, Onkel. Das hättest du dir eigentlich denken können!“ Randolph fiel es wie Schuppen von den Augen. Plötzlich sah er klar. Und gleichzeitig fühlte er sich ohnmächtig, hilflos und klein. Zum erstenmal in seinem Leben kam ihm seine geringe Körpergröße schmerzlich zu Bewußtsein. Seine Hände fielen kraftlos herunter, und er schaute wie hilfesuchend um sich. Willi Haffner hatte die Szene verfolgt. „Was soll das?“ fuhr er Mallow an. „Sie wollen doch nicht im Ernst …“ „Sie halten den Mund und mischen sich hier nicht ein!“ schnauzte ihn Mallow an. Randolph rang mühsam um seine gewohnte Sicherheit. „Ich wäre dir dankbar, Terence“, brachte er schließlich hervor, „wenn du diese üblen Scherze unterlassen würdest.“ 117
„Es sind keine Scherze!“ Der Professor musterte seinen Neffen mit einem unsicheren Blick. „Meine Schwester, muß ich leider sagen, scheint mit ihrem Sohn eine ebenso schlechte Wahl getroffen zu haben wie mit ihrem Mann.“ Mallow kniff wütend die Augen zusammen. Er trat einen Schritt vor und hob die Hand, in der er seinen schweren Revolver hielt, als wolle er seinem Onkel den Schädel einschlagen. „Halt, Terry!“ Mallow drehte sich überrascht um. Charles Sergejewitsch Kwang trat mit vor Wut verzerrtem Gesicht einen Schritt auf ihn zu. „Was, zum Teufel, ist in dich gefahren, Charley?“ „Von diesem Plan wußte ich überhaupt nichts!. Und er paßt mir auch nicht. Der Professor war zu uns fair – jetzt kannst du ihn nicht so übers Ohr hauen!“ „Misch dich hier nicht ein, Charley! Vergiß nicht, daß ich der Boß bin!“ Mallows Stimme klang leise und beherrscht, aber um so gefährlicher, und Randolph erkannte von neuem, wie sehr er sich in seinem Neffen getäuscht hatte. „Aber ich lasse mich …“, fuhr Kwang auf. Er verstummte mitten im Satz. Der Revolver Cains hatte sich ihm in den Rücken gebohrt. „Halt dein Maul!“ knurrte Cain bösartig. „Mallow ist der Boß! Du hast gehört, was er sagte!“ „Ich war noch nie für Gewalt“, maulte Kwang mit heiserer Stimme. „Der Professor hat uns aus der Gosse aufgelesen. Er hat uns Arbeit verschafft Jetzt wollt ihr ihn hereinlegen? Ich hätte zumindest erwartet …“ 118
„Was? Dankbarkeit vielleicht?“ höhnte Mallow. „Kein Mensch ist der Hand dankbar, die ihn aus der Gosse aufliest!“ „Das ist ein erbärmlicher Standpunkt!“ Mallow schnalzte mit den Fingern. „Wenn es dir nicht paßt, kannst du ja gehen, Charley. Um so größer wird unser Anteil!“ „Das wirst du noch bereuen!“ rief Randolph dazwischen. Die Niedertracht seines Neffen erfüllte ihn mit Scham. „Du willst mich anzeigen?“ Mallow lachte. „Nein, das tust du nicht! Wer hat denn das Ganze organisiert? Wer hat den Plan ausgeheckt? Und wen hatte Warner in Verdacht? Professor Cheslin Randolph, sonst niemand. Du brauchst nur ein Wort zu sagen, dann sitzt du lebenslänglich!“ Er warf einen Blick auf den Rücken des Colonels, der noch vor dem Elektronenschloß kauerte. „Eine feine Sache! Kein Mensch in der Nähe, ein Raumer für die Flucht und genügend Vorsprung. Den Diebstahl entdeckt man erst, wenn die ‚Poseidon’ landet!“ Howland war nicht überrascht gewesen, als Mallow die Maske fallenließ. Er bedauerte nur, daß es jetzt zu spät war, um diesem Burschen das Handwerk zu legen. Schade, daß er nicht früher den Mut gehabt hatte. Charley Kwang wischte sich den Schweiß von der Stirn. Howland konnte den Mann gut verstehen. Er schreckte vor keinem Verbrechen zurück, solange es gegen den Staat oder die Polizei ging. Aber er lehnte sich dagegen auf, seine eigenen Kameraden zu betrügen. Und als solcher sah er den Professor jetzt an. Folglich stand er auf ihrer Seite. 119
Howland trat einen Schritt vor. Die rechte Hand behielt er dabei in der Tasche. Mallow fuhr sofort herum und sah ihn tückisch an. „Ah! Der kleine Schnüffler! Damals bei Langfinger sind Sie meiner Falle entgangen, aber diesmal entkommen Sie mir nicht mehr!“ Als Howland keine Antwort gab, sah er ihn einen Augenblick ratlos an. Erst als Randolph etwas sagte, brüllte er wütend: „Stell dich zu den anderen und halte jetzt den Mund! Wir haben keine Zeit zu verlieren! Ich will außer Reichweite sein, wenn die Idioten hier aufwachen!“ „Moment, Mallow!“ Howland holte tief Luft, und seine Hand krampfte sich in der Tasche zusammen. „Sie wollen das Geld aus dem Tresor holen und es für sich behalten, nachdem Sie den Leuten ihren Anteil ausbezahlt haben. Sie wollen also den Professor um die Möglichkeit bringen, auf Pochalin Versuche durchzuführen!“ Er schluckte mühsam. „Wir erheben Anspruch auf dieses Geld, weil es sonst von einer korrupten Regierung für nutzlose Zwecke vergeudet würde!“ Mallow lachte höhnisch. „Und Ihre Zwecke – sind die besser? Wer garantiert Ihnen, daß das Leben, das Sie erzeugen wollen, sich nicht in ein menschenfressendes Ungeheuer verwandelt?“ „Die Gefahr besteht nicht!“ mischte sich Randolph ein. „Nur ein Narr kann so denken!“ „Wir wollen das Geld für nützliche Zwecke!“ fuhr Howland fort, ohne den Einwurf des Professors zu beachten. „Sie dagegen, Mallow, sind ein gewöhnlicher Dieb! Sie wollen sich persönlich bereichern. Sie wollen in Ihre eigene Tasche wirtschaften!“ 120
Langsam, mit wutverzerrtem Gesicht hob Mallow seinen Revolver. In seinen Augen leuchtete unverhüllte Mordlust. Als die Mündung genau auf Howland zeigte, legte sich sein Finger um den Drücker. Peter Howland schlug wie im Schreck die Hand vor seinen Mund. Mallow stieß die Waffe nach vorn, als könne er damit die Kugel beschleunigen. In diesem Augenblick ertönte ein leiser, kaum wahrnehmbarer Ton, der allen Anwesenden in die Ohren drang, ohne daß sie ihn richtig hören konnten. Es war der Ton, der Milliarden von Viren aktivierte und der Mallow und Cain und Briggs augenblicklich erstarren ließ. Howland nahm die Hand vom Mund. Zwischen seinen Fingern funkelte die kleine silberne Trillerpfeife. Willi Haffner warf ihm einen bewundernden Blick zu. „Sie sind ein Teufelskerl, Peter!“ Howland lächelte mühsam. So leicht, wie es schien, war ihm der Sieg nicht gefallen. Auch Randolph nickte anerkennend. „Wie sind Sie nur auf den Gedanken gekommen, Peter?“ Howland zuckte nur die Achseln, ging mit weichen Knien zum nächsten Stuhl und setzte sich. In diesem Augenblick, als sich die allgemeine Spannung löste, richtete sich Colonel Troisdorff auf und rieb sich die Hände. Dann beugte er sich nach vorn und drückte mit dem Zeigefinger auf einen cremefarbenen Knopf. Mit einem leisen Zischen drehte sich das Schloß, ein schwerer Riegel 121
sprang klirrend zurück – und dann öffnete sich die Panzertür zum Tresorraum. Alle traten neugierig näher, ohne noch auf die anderen Männer zu achten, die regungslos wie Standbilder mit ihren schußbereiten Waffen dastanden. Randolph war der erste, der die Tür passierte. Howland erhob sich von seinem Stuhl. Seine Knie zitterten nicht mehr. Er trat zu den anderen und folgte ihnen in den Tresorraum. Keiner sprach ein Wort. Sie alle starrten nur umher mit dem ungläubigen Staunen von Menschen, die einen unermeßlichen Reichtum erblicken und wissen, daß er ihnen gehören wird. An den Wänden des Tresors lag das Geld, vom Fußboden bis zur Decke gestapelt, jeweils zweihundert Scheine zusammengeheftet, davon je fünfhundert zu einem Bündel gepackt und je zwanzig Bündel zu einem Packet zusammengeschnürt. „Von Santa Cruz Zwei fliegt der Raumer zu Amir Bey Neun, diesem unwirtlichen Planeten – und von dort aus transportierte die Raumflotte alles mit eigenen Raumern. Das müssen die Lohngelder für ein ganzes Jahr sein.“ „Hurra!“ brüllte Ramsy plötzlich wie von Sinnen. Larssen klopfte ihm auf den Rücken. Haffner hatte die Hand Randolphs gepackt und bewegte sie wie einen Pumpenschwengel auf und ab. Andere tanzten vor Freude umher oder Standen nur da und lachten einfach. Einer hatte ein Paket aufgeschnürt und ein ganzes Bündel Banknoten in die Luft geworfen, so daß die einzelnen Scheine langsam zu Boden fielen. Randolph ließ die Leute gewähren. Sein faltiges Gesicht 122
strahlte, und seine Froschaugen quollen vor Freude noch weiter hervor. „Wir haben es geschafft!“ sagte er nur immer wieder. Howland war der erste, der zur Besinnung kam. „Mallow kann den Raumer nicht zurückfliegen“, sagte er. „Wer soll das tun?“ Kwang trat einen Schritt vor. „Ich weiß nicht, ob Sie mir noch vertrauen können. Aber ich bin bereit, die Aufgabe zu übernehmen.“ Randolph nickte nur, ohne etwas zu sagen. Auch Ramsy meldete sich. „Ich weiß, Professor, Sie sind schwer enttäuscht worden. Von Ihrem eigenen Neffen sogar. Aber zu mir können Sie Vertrauen haben!“ Randolph zuckte mit den Achseln. „Ich muß wohl, Colonel?“ Troisdorff hatte die regungslos dastehenden Männer mit einem langen, verwunderten Blick gemustert. Jetzt schluckte er ein paarmal und sagte dann: „Kwang und ich werden den Raumer zurückbringen, und wenn Sie noch Ramsy mitschicken, haben Sie eine zusätzliche Sicherheit. Ich habe keine Angst vor Mallow. Aber man sollte ihn im Auge behalten, wenn wir wieder auf der Erde sind.“ „Der Professor und Howland können nicht mitkommen, und ich auch nicht!“ warf Haffner ein. „Wenn Warner aufwacht, müssen wir noch hiersein, sonst schöpft er Verdacht. Aber“ – er wandte sich an den Professor – „ich bin überzeugt, daß Sie Ramsy und den anderen vertrauen können.“ „Also gut“, sagte Randolph. „Schafft das Geld auf unseren Raumer! Tempo!“ 123
Das Umladen des Geldes nahm einige Zeit in Anspruch. Alle arbeiteten mit, sogar Stella. Sie fanden ein paar elektrische Ladekarren und begrüßten sich mit fröhlichen Zurufen, wenn die schwer beladenen, vollen Wagen den leeren begegneten, die in den Tresorraum zurückfuhren, um neu beladen zu werden. Sie sammelten auch das eigene, unbenutzt gebliebene Einbruchswerkzeug ein und trugen es in den kleinen Raumer zurück. Dann schleppten sie Mallow, Cain, Briggs und die paar anderen hinüber, denen Howland destilliertes Wasser statt des Schutzimpfstoffes eingespritzt hatte. Sie waren steif wie hartgefrorene Bettücher. Ramsy trug sein Gepäck hinüber und verabschiedete sich von Stella. Howland hatte den Eindruck, daß die beiden in Zukunft besser miteinander auskommen würden. Bevor sie den Tresorraum verließen, vergewisserte sich Colonel Troisdorff noch einmal, daß keine verräterischen Spuren zurückblieben. Sie hatten die ganze Zeit über Handschuhe getragen. Nachdem alle hinausgegangen waren, ließ er die schwere Panzertür zurückschwenken und den Riegel wieder einschnappen. Dann drehte er ein paarmal am Elektronenschloß. Der Leuchtknopf daneben erlosch wieder. „Der ist zu“, stellte er befriedigt fest. „Jetzt können sich die Rebellen daran die Zähne ausbeißen. Ich wünsche ihnen viel Erfolg!“ Howland lächelte. Der Oberst hatte Humor! Kurz darauf startete der kleine Raumer und verschwand im Weltraum. Die nächsten Stunden verbrachten sie damit, sich zu säubern und wieder alles so herzurichten, wie es gewesen war, als Stella in ihre kleine Trillerpfeife geblasen 124
hatte. Inzwischen hatten sie diese auch gegen eine gewöhnliche, harmlose Pfeife ausgetauscht. „Hören Sie, Professor!“ sagte Howland, als sie in den Maschinenraum zurückgingen. „Unsere Aufgabe ist damit beendet. Larssen bringt nur noch den Raumer wieder auf den alten Kurs. Sollten wir nicht dafür sorgen, daß die Besatzung das Schiff wieder übernimmt?“ „Wie wollen Sie das machen?“ „Wir nehmen den Rebellen die Munition weg oder entschärfen sie.“ Randolph nickte. „Eine gute Idee, Peter.“ Sie machten sich sofort planmäßig an die Arbeit. Jedem Rebellen ließen sie nur einen Schuß. Wenn er den abgefeuert hatte, war seine Waffe wertlos. In einem Nebenraum entdeckte Howland die Leiche Atherstones. Die Schußwaffe steckte noch in seinem Gürtel. Einem plötzlichen Impuls folgend, bückte sich Howland und nahm sie an sich. „Noch etwas, Peter?“ „Ja.“ Howland fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. „Stella hatte doch gerade das Gewinnlos gezogen. Wir könnten es so einrichten, daß der Gewinn auf einen von uns fällt.“ „Gut! Sehr gut!“ pflichtete Haffner bei. Aber der Professor war anderer Meinung. Er drehte sich wütend nach ihnen um. „Wie stellen Sie sich das vor? Die Leute haben doch für ihre Lose bezahlt! Das wäre also glatter Betrug! Ich bin überrascht.“ Howland senkte den Kopf. Die absolute Ehrlichkeit des Professors beschämte ihn. Er verstand sich selbst nicht mehr. 125
„Alles bereit?“ fragte Larssen, der frisch und munter zur Tür hereinkam, als habe er sich die ganze Zeit über ausgeruht. „Dann gehe ich wieder hinunter.“ „Gut, Larssen!“ Randolph lächelte wieder versöhnt. Nachdem Larssen gegangen war, verglichen sie ihre Uhren untereinander und mit der Zeit, die das Chronometer am Armaturenbrett des Raumers anzeigte. Noch fünfzehn Minuten. „Alles hat einwandfrei funktioniert“, stellte Randolph befriedigt fest. „Die einzige Panne war die mit meinem Neffen. Ich werde dem jungen Mann meine Meinung sagen, wenn ich ihn wiedersehe.“ Howland dachte an Helen Chase. Haffner nahm einen letzten Schluck aus seiner Flasche und warf sie dann in den Müllschacht, obwohl sie noch halbvoll war. Er hatte sich gewaltig gebessert. Noch fünf Minuten. „Meine Herren!“ Randolph stellte sich in Positur. „Auf die Plätze!“ Howland legte seinen Arm um Helens Hüfte. Dann warteten sie schweigend. Langsam rückte der Zeiger auf null Uhr vier, dreißig Sekunden. Das erste, was sie hörten, war die Stimme Stellas. „Und nun greife ich in die Trommel und nehme ein Los. He, Sie da hinten! Schlafen Sie schon?“ Das Publikum lachte. Es klang gedämpft, wie ein Seufzer. Vielleicht wunderten sich ein paar Leute darüber, daß sie sich plötzlich so steif fühlten, daß ihr Drink so fade schmeckte und daß ihre Zigaretten nicht brannten wie ge126
wöhnlich. Aber nach wie vor sahen sie diese Mrs. Ramsy mit der kleinen silbernen Pfeife zwischen den Fingern. Mit der anderen Hand zog sie jetzt das Los, das Los des glücklichen Gewinners. Warner schielte auf den Revolver, den sein Bewacher noch immer unverwandt auf ihn gerichtet hielt. In Markos Gesicht spiegelte sich wieder der Triumph. Einer der Rebellen bewegte seine Beine. Vielleicht hatte er einen Krampf in den Muskeln. Endlich rührte sich auch Helen. Howland fühlte, wie sein Herz schneller schlug, als sie sich zu ihm umwandte. „Der Volltreffer fällt auf die Nummer * 787!“ Willi Haffner zerknüllte wütend sein Los und warf es auf den Boden. „Eine Niete!“ schnaubte er. „Wenn ich daran denke, daß ich der Gewinner hätte sein können!“ Randolph lächelte. „Machen Sie sich nichts daraus! Es gibt wertvollere Dinge im Leben als einen Lotteriegewinn!“ Marko nickte. „Jawohl! Und hier im Tresor liegt so etwas.“ Er wandte sich zu den Wachen am Eingang zum Tresor. „Wie kommt ihr vorwärts, Alwyn?“ „Nur langsam, Chef. Wir hatten eine kleine Panne. Die Schneidbrenner waren ausgegangen!“ „Beeilt euch, die anderen müssen gleich kommen!“ Randolph, Haffner und Howland tauschten einen vielsagenden Blick. Sie wußten, daß sie nichts mehr zu befürchten hatten, und fühlten sich deshalb sicher. Howland wollte auch Helen beruhigen, aber er konnte ihr nur sagen: „Haben Sie keine Angst, Helen, was auch geschieht. Ihnen passiert nichts, das verspreche ich Ihnen!“ 127
Statt einer Antwort drückte sie nur stumm seine Hand. Danach ging alles sehr schnell. Howland wußte, daß er nie mehr den Blick in Markos Augen vergessen würde, den dieser ihm zuwarf, als der heftige, aber unblutige Kampf vorüber war. Larssen hatte den Kapitän im großen Saal durch einen anonymen Anruf gewarnt. Bei dem Handgemenge hatte Howland nicht umhin können, zwei der Rebellen zu verwunden. Er hatte es nur getan, um Helen zu schützen. Als alles vorüber war, dankten ihnen der Kapitän und Warner und entschuldigten sich wegen ihres Verdachtes. Howland aber konnte kaum den Blick von Marko wenden, der mit erhobenen Händen an der Wand stand und dessen Augen unsägliche Trauer verrieten. Howland wandte sich ab. „Wir mußten uns zur Wehr setzen“, sagte er zum Kapitän, „schon der Frauen wegen. Aber sie tun mir leid – sie kämpfen aus innerer Überzeugung.“ * „Eine wundervolle Kultur, mein lieber Peter!“ strahlte Randolph. Sie standen inmitten des neu eingerichteten Labors, dessen Anlage nicht nur eine genaue, wohl durchdachte Planung, sondern auch viel Geld verriet. Der alte Gussman schaute vom Labortisch auf und nickte bedächtig. „Ich meine diese Versuchsreihe hier“, fuhr der Professor fort. „Die bringt uns sicher ein gutes Stück weiter. Nehmen Sie sie heute noch mit hinaus?“ „Ja“, erwiderte Howland. Die Erregung über den Fort128
schritt ihrer Arbeit prickelte in ihm nicht weniger heftig. aber die anderen hatten keine Helen Chase, die ihre Gedanken beschäftigte. „Die Abteilung sieben-drei, glaube ich, wäre die beste dafür. Dort sind die Voraussetzungen am günstigsten, so daß wir innerhalb von zehn Tagen mit einem Ergebnis rechnen können.“ „Zehn Tage!“ flüsterte Randolph. „Zehn Tage für die Zeugung des Lebens – auf der Erde hat es Millionen von Jahren gedauert. Aber hier auf Pochalin Neun sind die Bedingungen auch ideal dafür.“ Er vermied es dabei, zum Fenster hinauszuschauen. Das hatten sie nur am Anfang getan, bis ihre erste Versuchsreihe mißglückt war. Jetzt hatten sie sich an die ewige Dämmerung gewöhnt, an das flackernde, zuckende Licht und an die wilden Stürme, die das Laborgebäude erzittern ließen. Wenn die Sonne zwischen den tief hängenden Wolken hindurchkam und das Land aufleuchten ließ, war ihr erster, alles beherrschender Gedanke immer: Diese Erde ist tot. Es gab keinen Sauerstoff in der Luft, keinen Humus in der Erde, keinen Virus und keine Bakterie in der Atmosphäre – eine absolut leblose Welt. Aber gerade das brauchten sie für ihre Arbeit. Colin Ramsy kam herein. „Wenn Sie fertig sind, Peter, können wir starten!“ Ramsy war ein anderer Mensch geworden. Sein Gang war elastisch, und aus seinen Augen leuchtete eine neue Energie. Die Plünderung der „Poseidon“ hatte in ihm, im wahrsten Sinne des Wortes, neues Leben erzeugt. „Danke, Colin. Wie wird der Flug heute sein?“ „Schlecht, wie immer. Die Sterilisationsleute reinigen 129
noch rasch den Apparat. Ich will gar nicht daran denken, was der Professor sagen würde, wenn wir auch nur einen kleinen Virus mit hinausschleppen würden.“ Randolph drohte ihm mit der Faust. „Dann schicke ich Sie hinterher, Colin. Aber ohne Raumanzug.“ Sie waren alle hier beisammen auf Pochalin Neun. Alle außer Mallow, Barny Cain, Duffy Briggs und deren Kameraden. Sie hatten ihnen ihren Anteil ausbezahlt – der Professor hatte sich widerstrebend damit einverstanden erklärt. Mallow hatte gesagt, was er für nötig fand: „Ich weiß nicht, was mich gepackt hatte, Onkel. Tut mir furchtbar leid, Onkel. Kannst du mir verzeihen?“ Aber auch: „Natürlich hatte ich mit dem Tod von Langfinger Kirkup nichts zu tun. Er muß von seinen Verbrecherkumpanen umgebracht worden sein.“ Howland war auf diese Heuchelei nicht hereingefallen, aber er hatte nichts dazu gesagt. Der alte Professor war allein dadurch genug bestraft, daß er einen solchen Verwandten hatte, und für die Menschheit war Langfinger Kirkup kein unersetzlicher Verlust. Dagegen hätte jedes weitere Aufsehen Warner auf die richtige Spur gebracht, und dann wäre vielleicht das Rätsel gelöst worden, vor dem noch alle standen. Die Rebellen behaupteten nämlich, sie hätten das Geld nicht. Mit ihren Schneidbrennern waren sie noch nicht durch die schwere Panzerung vorgedrungen, als die Besatzung wieder die Herrschaft über ihren Raumer an sich brachte. Und doch war das Geld verschwunden. Die drei Männer aber und das Mädchen, die Warner verhaftet hatte, konnten mit dem Diebstahl nichts zu tun haben, das stand zweifelsfrei fest. 130
Man hatte zwar die Spuren der schwer beladenen Elektrokarren entdeckt, und das Geld war verschwunden. Aber auf welche Weise blieb ein Rätsel. Howland war mit den anderen Beteiligten auf Gagarin Drei ausgestiegen. Im Trubel des allgemeinen Aufbruchs war es ihnen gelungen, das Fehlen Colin Ramsys zu verbergen. Stella Ramsy hatte dabei geholfen, und bei der Zollkontrolle hatte Sammy Larssen eine Doppelrolle gespielt. Stella hatte sich ebenfalls sehr verändert. Als sie wieder zur Erde zurückflogen, um dort die letzten Vorbereitungen für ihre Expedition zu treffen und ihre Ausrüstung zu kaufen, hatte sie ihren Mann wie ein verliebter Backfisch begrüßt. Die ehemaligen Angehörigen der Raumflotte waren den Wissenschaftlern sehr willkommen gewesen. Mit ihnen kam die Arbeit gut voran. Howland hatte ursprünglich bezweifelt, daß sich die Leute auf Pochalin Neun wohl fühlen würden, aber dann hatte sich das Gegenteil herausgestellt. Sie gingen alle mit Eifer an die Arbeit und waren froh, daß ihnen eine neue Chance geboten wurde – eine Chance für ein neues, ehrliches Leben. Wenn Charles Sergejewitsch Kwang nicht den Versorgungsraumer flog, half er Sammy Larssen bei der Bedienung der zahllosen elektronischen Geräte, die den von ihnen bewohnten Teil des Planeten in ein kleines Paradies verwandelten, insgesamt waren alle Beteiligten des Raubüberfalls mit der Zeit zu einer richtigen Mannschaft zusammengewachsen. Die Arbeit ging zügig voran. Durch Düsen an der unteren Bordwand spritzten sie ein letztes Mal eine bakterientö131
tende Lösung über die Reagenzbehälter. Dann nahmen sie die Behälter mit künstlichen, sinnvoll konstruierten Greifern, die sie vom Innern der Kabine aus bedienen konnten, und schoben sie an die Stelle, die Howland ausgesucht hatte. Zum Schluß wurden die Deckel von den Behältern entfernt. Dann konnte der Versuch seinen Lauf nehmen. Die ganze Arbeit hätte innerhalb einer Stunde getan werden können, aber Howland nahm es damit so genau, daß sie fast drei Stunden brauchten, bis alles beendet war. „Gut, Colin“, sagte Howland dann. „Ab nach Hause!“ Als sich die Maschine in die Luft erhob, blickte er ein letztes Mal zurück. Dort in der unberührten, keimfreien Schlamm-Mulde lagen jetzt die lebenden Zellen und warteten darauf, daß das Sonnenlicht und die Nährsalze des Wassers das von Menschenhand begonnene Werk fortsetzten. Der Gedanke daran faszinierte ihn immer wieder von neuem. Während des Rückflugs sagte Sammy plötzlich: „Weißt du, Peter, ich habe mir das ganz anders vorgestellt. Als ich hörte, daß ihr künstliches Leben erzeugen wollt, da dachte ich an riesengroße Apparate mit vielen Instrumenten. Und ich glaubte, eines Tages würdet ihr dann plötzlich …“ „Ein hübsches Mädchen mit langem blondem Haar und unschuldigen blauen Augen hervorzaubern, was?“ „Ja, so ähnlich stellte ich mir das vor. Aber jetzt weiß ich, daß die Experimente, die ihr hier durchführt, fast noch abenteuerlicher sind – rein wissenschaftlich gesehen.“ Howland nickte. „Ja. Wir versuchen, in ein paar Tagen zu erzielen, was die Natur in Millionen von Jahren geschaffen hat. Aber wir gehen auf dieselbe Weise vor wie die Na132
tur. Wir arbeiten nicht gegen die Natur, sondern mit ihr, und machen uns lediglich ihre Kräfte zunutze. Deine hübsche Blondine dagegen wäre etwas Unnatürliches, verstehst du?“ „Hm.“ Colin verzog das Gesicht. „Ich weiß nicht recht. Aber da ist die Station. Charley ist schon gelandet.“ Sie warteten, bis ihnen Landeerlaubnis erteilt wurde, dann flog Colin in die Schleusenkammer ein und landete sicher auf dem Boden der Halle. Der erste, den Howland sah, als er aus der Maschine kletterte, war Terence Mallow. „Auf Sie habe ich noch gewartet“, erklärte dieser höhnisch. „Kommen Sie mit, Howland! Und keine verdächtige Bewegung!“ Howland folgte ohne Widerspruch. Mallow hielt einen Revolver in der Hand und wartete offensichtlich nur auf einen Anlaß, um abzudrücken. Vorher aber wollte er anscheinend noch seinen Triumph auskosten. Ramsy und Howland wurden in das Laborgebäude geführt, wo Randolph und Larssen schon warteten. Cain, Briggs und ihre Kumpane bewachten sie mit vorgehaltenem Revolver. „Tut mir leid, Professor“, erklärte Kwang unglücklich. „Sie haben mich überrumpelt, als ich den Raumer auslud. Ich konnte nichts mehr machen, sie waren in der Überzahl.“ „Wir sind gekommen, um das restliche Geld abzuholen“, unterbrach ihn Mallow. „Es muß noch etwas dasein Ihr habt es nicht zurückgegeben, wie ihr ursprünglich behauptet habt. Wahrscheinlich hattet ihr überhaupt nie die Absicht.“ 133
„Doch, Terence!“ widersprach ihm der Professor. „Auf der Erde finden zur Zeit Wahlen statt, wie du vielleicht weißt. Wir werden das Geld zurückgeben, sobald die neue Regierung im Amt ist. Vorher nicht.“ „Und nachher nicht. Dafür sorge ich.“ Howland fühlte, wie die Angst in ihm hochkroch. Das Geld war ihm gleichgültig. Aber er wollte am Leben bleiben, Helen heiraten, Kinder haben und eine Familie gründen – und auch ein berühmter, erfolgreicher Wissenschaftler werden. Gleichzeitig sah er, daß Mallow vorhatte, sie alle umzubringen. „Die Situation ist die gleiche wie damals“, fuhr Mallow höhnisch fort. „Genau wie damals auf dem Raumer. Nur habt ihr jetzt keine Pfeife und keinen Gehirnvirus, der euch rettet. Diesmal, Howland, entkommen Sie mir nicht.“ „Nein“, erwiderte Howland dumpf. Plötzlich leuchtete eine Lampe am Funkgerät auf. Mallow fuhr herum. „Wer, zum Teufel …“ „Ich muß antworten“, unterbrach ihn Larssen mit zusammengekniffenen Augen. „Sonst schöpfen Sie Verdacht.“ Mallow nickte. „Gut. Aber ohne faule Tricks!“ Larssen setzte sich an das Gerät. „Bitte melden!“ „Wir rufen Pochalin Neun! Wir rufen Pochalin Neun! Bitten um Landeerlaubnis! Wir werden Ihre Vorschriften genau befolgen!“ „Wer ist da?“ „Hier spricht Dudley Harcourt!“ „Dudley!“ rief der Professor dazwischen. „Wie kommen Sie hierher?“ 134
„Hallo, Randolph! Wir wollten nur sehen, was der Wunderknabe unserer Universität macht! Bleiben Sie am Gerät, wir landen!“ Mallow nickte. „Gut, sollen sie landen. Die Fernsehkamera war nicht eingeschaltet. Sie wissen also nicht, was sie hier erwartet. Es wird ihnen genauso ergehen wie euch.“ Der unerschrockene Professor wollte einen Warnruf ausstoßen, aber die knochige Pranke Barny Cains verhinderte es. Mallow hielt die anderen mit dem Revolver in Schach. „Sowie einer eine Dummheit versucht …“ Er brauchte den Satz nicht zu vollenden. Sie begriffen alle, was er meinte. Howland wußte, daß die Verbrecher ihr Ziel erreichen würden. Ihr Ziel, das war der Rest des Geldes, das sie auf der „Poseidon“ geraubt hatten, und das konnten sie leicht finden. Der Wandsafe im Arbeitszimmer des Professors bot Typen wie Cain und Briggs keine nennenswerten Schwierigkeiten. Mallows Leute trieben inzwischen die anderen Mitarbeiter der Station zusammen. „Haffner und Howland, Sie kommen beide mit!“ befahl Mallow. „Wenn du uns den Weg zeigen würdest, Onkel …“ Er hatte seinen Revolver wieder weggesteckt. Er brauchte ihn nicht mehr. Die Überrumpelten gehorchten. Widerstand wäre sinnlos gewesen. Howland war noch immer wie gelähmt. Er hörte das durchdringende Heulen des Raumers, der außen landete, und spürte, wie der Boden vibrierte, als die Maschine aufsetzte. Sobald die Leute von der Universität herein135
kamen, würden sie von den Verbrechern überwältigt werden. Der Arbeitsraum des Professors, der ihm sonst so vertraut war, kam ihm nun plötzlich fremd und unbekannt vor. Ein paar der Verbrecher hatten ihn schon durchwühlt. Den Safe entdeckte Mallow auf den ersten Blick. Seine Lippen verzogen sich zu einem breiten Grinsen. „Sehr schön, Onkelchen. Mach ihn auf, aber schnell!“ Randolph blieb keine andere Wahl. Er trat vor den Safe und begann, am Kombinationsschloß zu drehen. Plötzlich sah er wieder klein und hilflos aus, zerbrechlich, fast armselig. Bevor er den letzten Riegel zurückschob, drehte er sich noch einmal um. „Warum hast du so lange gewartet, Terence?“ „Ich mußte meine Vorbereitungen treffen, Onkelchen. Inzwischen hattest du dein Geld schon ausgegeben, und ich wußte, daß du hier nichts mehr verbrauchen konntest. Es bestand deshalb kein Grund zur Eile.“ Inzwischen waren noch mehr Verbrecher in das Zimmer gekommen. Howland spürte den Revolverlauf noch immer im Rücken und trat einen Schritt vor. Briggs nahm keine Notiz davon. Er schaute wie gebannt auf den Safe, den der Professor öffnete. In diesem Augenblick, während die dicke Panzertür zurückschwenkte, krachte draußen der erste Schuß. Durch die dünne Luft hallte es wie ein Donnerschlag. „Wer, zum Teufel, ist das?“ schrie Mallow. Er hielt es noch immer nicht für nötig, seinen Revolver zu ziehen, aber er gab Cain ein Zeichen. „Schau mal nach, Barny, aber schnell!“ 136
„Die Bullen!“ brüllte Cain aufgeregt. „Polizei! Sie sind schon überall!“ Mallow stieß einen gotteslästerlichen Fluch aus. Er drehte sich zu dem Professor um. Dieser stand noch vor dem Safe. Jetzt richtete er sich hoch auf und musterte seinen Neffen mit seinen hervorquellenden Froschaugen. „Verschwinde, Terence – das ist noch der beste Rat, den ich dir geben kann! Versuche, dich in Sicherheit zu bringen! Ich werde dich nicht festhalten oder der Polizei übergeben, aber von nun an bist du nicht mehr mein Neffe!“ Instinktiv ahnte Howland, was Mallow vorhatte. Er sprang einen Schritt zur Seite und wirbelte herum. Seine Handkante traf die Luftröhre Briggs’ mit voller Wucht. Im nächsten Augenblick entriß er ihm den Revolver. Ramsy und Larssen waren bereits in ein Handgemenge mit ihren Bewachern verwickelt. In dem Zimmer herrschte ein unbeschreibliches Durcheinander. Die anderen Verbrecher stürzten hinaus, um sich mit ihrem Raumer in Sicherheit zu bringen. Howland ließ sie fliehen. Seine Sorge galt dem Professor. Dieser war auf die Knie gebrochen und hielt seine Hände schützend über den Kopf. Vor ihm stand Mallow, den schweren Revolver zum tödlichen Schlag erhoben. Howland reagierte sofort, hatte aber keine Zeit, genau zu zielen. Die Kugel ging an Mallows Kopf vorbei und schlug in die Wand. Mallow fuhr mit wutverzerrtem Gesicht herum und sah, daß Howland bewaffnet war. Im nächsten Augenblick setzte er mit einem gewaltigen Sprung zum geschlossenen Fenster hinaus. Der Rahmen und die Scheibe gingen unter seinem Anprall in Stücke. 137
Bevor Howland ihm folgen konnte, stürzten Beamte in der dunkelblauen Polizeiuniform in das Zimmer, an ihrer Spitze Tim Warner. Als er Howland sah, grinste er. „Schon gut, Howland! Geben Sie auf!“ Mit einem Satz sprang Howland durch die zertrümmerte Fensterscheibe. Mallow hatte schon einen Vorsprung von dreißig oder vierzig Metern gewonnen. Er rannte, so schnell er konnte, quer über den Rasen. Howland versuchte nicht erst zu schießen, sondern setzte hinter ihm her. Vom Fenster aus brüllte jemand, er solle aus der Schußlinie gehen, aber er achtete nicht darauf. Mallow wußte, daß er um sein Leben lief. In weiten Sätzen jagte er auf eine Tür zu, die in eine Maschinenhalle führte. Erst dort holte ihn Howland ein. In der Maschinenhalle standen sie sich gegenüber. Mallow hatte sich mit dem Rücken gegen eine Flugmaschine gestellt und blickte seinem Verfolger entgegen. Als Howland herankam, riß er den Revolver hoch. Howland sprang mit einem Satz auf ihn zu. Seine geballte Faust traf Mallows Handgelenk und schlug ihm die Waffe aus der Hand. Im selben Augenblick taumelte er zurück. Eine eisenharte Faust war mit voller Wucht gegen seinen Unterkiefer geprallt. Ein zweiter Schlag traf ihn zwischen die Rippen und trieb ihm die Luft aus den Lungen. Dem nächsten Schlag entging er dadurch, daß er sich mit letzter Kraft zur Seite warf. Dann kam er wieder hoch und holte zu einem wilden Schwinger aus. Als der Schlag landete, hatte er das Gefühl, er habe sich sämtliche Knochen in der Hand gebrochen. Sie 138
färbte sich rot mit Blut, aber er wußte nicht, ob es sein eigenes war oder das von Mallow. Er bekam einen Tritt gegen das Schienbein, und fast gleichzeitig landete er den nächsten Schlag. Er traf Mallow genau auf die Kinnspitze. Keuchend vor Anstrengung setzen sie den Kampf fort. Endlich bekam Howland den Arm Mallows zu fassen. Er drehte ihn mit einem Griff herum, den er als Schuljunge gelernt hatte. Mallow wehrte sich verzweifelt und schlug mit der anderen Hand wild um sich. Das Wutgebrüll, das er dabei ausstieß, wurde von den Metallwänden der Halle zurückgeworfen. Es verlieh der Szene etwas Alptraumhaftes, Unwirkliches und Gespenstisches. Aber Howland ließ nicht locker. Während er Mallow mit letzter Kraft in dem Fesselgriff hielt, schlug er mit der anderen Hand weiter zu, immer wieder, blindlings. Längst hatte er jedes Gefühl in der Faust verloren. Er sah nur noch das Gesicht des verhaßten Gegners vor sich und setzte seine Faust hinein. „Schaffen Sie Mallow weg und legen Sie ihm Handschellen an!“ befahl Warner seinen Leuten. „Wie fühlen Sie sich, Howland?“ „Prächtig!“ „Hm, das dachte ich mir. Ein bißchen sportliche Betätigung tut euch Bücherwürmern ganz gut, wie? Kommen Sie mit! Der Doktor soll Ihnen ein paar Heftpflaster aufkleben und Ihnen ein bißchen Jod verpassen. Und dann gießen wir einen doppelten Scotch in Sie hinein!“ „Und dann?“ „Und dann werden Sie hören, warum wir gekommen sind.“ 139
„Da habe ich einen Brief für Sie, Peter“, erklärte Charley Kwang. „Ich brachte ihn mit der Post mit, aber vor lauter Aufregung kam ich nicht dazu, Ihnen den Brief schon früher zu geben.“ Es war ein Brief von Helen. Howland behielt ihn ungeöffnet in der Hand, um ihn später in Ruhe zu lesen. Zuerst wollte er hören, was Dudley Harcourt zu berichten hatte, der Vizekanzler der Universität. „…und, mein lieber Cheslin“, sagte dieser gerade, „ich kann Ihnen verraten, daß es mich überhaupt nicht überrascht hat, was Sie taten. Vielleicht hätte ich in Ihrer Situation dasselbe getan, wenn ich es wahrscheinlich auch weniger geschickt angestellt hätte. Ein Überfall auf einen Raumer, weit draußen im Weltraum, ist schließlich kein Kinderspiel.“ „Ein Überfall?“ Randolph war wieder der alte. Aus seinen hervorquellenden Froschaugen starrte er die Beamten hochmütig und selbstbewußt an. „Ich weiß nicht, wovon Sie sprechen!“ „Schon gut, Professor!“ Warner nahm sich eine Zigarre aus der Kiste, die auf Randolphs Schreibtisch stand. „Wir wissen, was Sie getan haben – und wir wissen auch, wie Sie es getan haben.“ „Wirklich? Dann klären Sie mich bitte auf!“ „Hören Sie, Cheslin. Sie brauchen kein Theater mehr zu spielen. Sie müssen wissen, daß auf der Erde inzwischen Wahlen stattgefunden haben. Kennen Sie das Ergebnis schon?“ „Die Regierung wird ihre alte Mehrheit behalten haben!“ Der schlaue Fuchs sprach mit einem Eifer, als handelte es 140
sich um eine politische Diskussion. Vielleicht ließen sich die Beamten von dem Überfall aus dem Raumer ablenken. „Diese korrupte Bande!“ Harcourt lächelte. „Sehen Sie mich an, Cheslin. Ich bin das Urbild der Korruption. Als Vizekanzler der Universität stand ich in enger Verbindung mit Mahew, der gleichzeitig Kanzler und Minister für Außerirdische Angelegenheiten war.“ „War?“ „War, jawohl. Die alte Regierung ist nämlich weg. Weg, verstehen Sie? Und jetzt sind wir an der Reihe. Ich weiß Sie hatten keine Ahnung von meinen politischen Bestrebungen und Absichten. Aber ich befinde mich jetzt in der beneidenswerten Lage, den Stall Mahews ausmisten zu dürfen. Mit anderen Worten – ich bin jetzt Minister für Außerirdische Angelegenheiten geworden!“ „Ein hohes Tier!“ knurrte Howland im Hintergrund, aber es achtete niemand auf ihn. Die ganze Aufmerksamkeit war auf Randolph gerichtet. „Dudley!“ rief dieser lächelnd aus. „Natürlich wußte ich, daß Sie politischen Ehrgeiz besaßen. Und daß Sie mit Mahew unter einer Decke steckten. Aber das freut mich jetzt für Sie. Ich gratuliere.“ „Danke, Cheslin. Aber ich wollte eigentlich etwas anderes sagen. Nämlich, daß ich jetzt als Mitglied der Regierung Sie zu verfolgen habe. Und zwar wegen dem, was die Leute den ‚Überfall des Jahrhunderts’ nennen.“ Warner mischte sich ein, bevor der Professor eine Antwort geben konnte. „Wir wissen, daß Sie der Täter waren, Professor. Mr. Harcourt brachte uns auf die Spur, als er 141
von den Forschungen Haffners erzählte. Wir brauchten nur noch zwei und zwei zusammenzuzählen.“ „Seien Sie nicht so bescheiden“, ermahnte ihn Randolph väterlich. „Wären die Wahlen früher abgehalten worden“, fuhr Harcourt fort, „dann hätten Sie das Maxwell-Stipendium ohne Schwierigkeiten bekommen. Aber so – nun, reden wir nicht mehr darüber. Es genügt wohl, daß die neue Regierung, der ich angehöre, Ihre Forschungsarbeit für so wichtig hält, daß Sie nicht nur das Maxwell-Stipendium bekommen sollen, sondern auch weitere Zuschüsse vom Staat. Insgesamt, Cheslin, soll sich die Summe der Gelder, die Sie bekommen, genau auf den Betrag belaufen, der von der ,Poseidon’ geraubt wurde!“ Howland hatte mit offenem Mund zugehört. Randolph musterte seinen Freund, den Vizekanzler von Lewistead und jetzigen Minister für Außerirdische Angelegenheiten, mit einem ungläubigen Blick seiner Froschaugen. Dann verzog er sein faltiges Gesicht zu einem strahlenden Lächeln von unglaublicher Häßlichkeit. „Ich danke Ihnen, Dudley. Wenn ich recht verstehe …“ „Ich bin noch nicht fertig, Cheslin. Wegen des Überfalls ist leider schon Anklage erhoben worden. Die Verhandlung muß also stattfinden. Ich kann Ihnen zwar zusichern, daß Sie nicht persönlich zu erscheinen brauchen und daß auch Ihr Name in der Verhandlung nicht genannt werden darf. Dasselbe gilt für Ihre Mitarbeiter. Aber die Strafe steht schon fest. Mindestens zwei Jahre Gefängnis.“ „Gefängnis! Zwei Jahre!“ „Ja, Cheslin. Das Gesetz kann schließlich nicht umgan142
gen werden. Der Name der Strafkolonie, zu der Sie verschickt werden, steht übrigens auch schon fest. Pochalin Neun heißt sie. Da werden Sie zwei Jahre lang bleiben müssen.“ Randolph und die anderen atmeten auf. Fast hätten sie vor Freude laut hinausgejubelt, aber das durften sie nicht. Pochalin sollte ihr Gefängnis sein – der Planet, den sie sich für ihre Arbeit ausgesucht hatten und an dem sie mit ihrem ganzen Herzen hingen. Der Planet, auf dem sie gern zehn Jahre verbracht hätten, wenn es ihre Arbeit erfordert hätte. „Danke, Dudley!“ sagte Randolph wieder, doch dieses Mal kam sein Dank aus ehrlichem Herzen. Das Geld hatte für ihn nicht mehr bedeutet als bedrucktes Papier – die Arbeit aber auf Pochalin Neun bedeutete sein Leben. An ihr hing er mit jeder Faser seines Herzens. Während der Professor mit Harcourt zurückblieb, um alle Einzelheiten zu besprechen, suchten die Männer ihre Unterkünfte auf, und bald verriet der Lärm, der von dorther drang, mit welcher Inbrunst sie die freudige Nachricht feierten. Nur Haffner und Howland gingen ihre eigenen Wege. Howland suchte eine stille Ecke auf, um Helens Brief zu lesen. Sie liebe ihn ebenfalls, schrieb sie, und wolle ihn heiraten. Er setzte sich auf sein Bett und las begierig weiter. Sie sei wieder bei der Universität und arbeite an den alten Handschriften. Sie seien schwieriger zu entziffern, als sie ursprünglich geglaubt habe, aber sie halte noch immer an ihrer alten Theorie fest. „Wenn ich recht habe“, hieß es weiter, „so bedeutet das, daß ich noch sehr lange bei der Universität zu arbeiten ha143
be. Dann muß ich das Ergebnis meiner Forschungen veröffentlichen und die bisherigen Lehrmeinungen widerlegen. Das tut mir sehr leid, Peter – ich sehne mich ebensosehr nach einer Heirat wie du –, aber so wie dich deine Arbeit auf Pochalin Neun festhält, so erfordert meine Arbeit meine Anwesenheit an der Universität.“ Howland ließ den Brief sinken. Irgendwo in den Unterkünften sang jemand – eine weibliche Stimme. Es war Stella. Sie feierten das freudige Wiedersehen. Ein paar Männerstimmen fielen ein. Helen paßte vielleicht nicht hierher – aber Howland glaubte es nicht. Warum sollte sie sich hier nicht wohl fühlen? Statt dessen blieb sie an der Universität und grübelte über längst vergessene Schriftsteller nach. „Natürlich“, las er weiter, „bin ich unsterblich blamiert, wenn ich nicht recht habe, wenn Shaw und Wells nicht dieselbe Person waren. Aber daran will ich gar nicht denken. Sollte sich das wider Erwarten herausstellen, dann nehme ich den nächsten Raumer, der mich in deine Nähe bringt, und du kannst mich mit eurem Versorgungsraumer abholen. Aber ich fürchte, Liebling, daß du noch eine Weile warten mußt.“ Nachdenklich blickte Howland auf. Randolph besprach inzwischen sicher die letzten Einzelheiten mit Harcourt, so daß ihre weitere Arbeit gesichert war. Haffner hatte sich mit der einen Flasche, die er sich pro Tag genehmigte, in sein Zimmer zurückgezogen und leerte sie dort glücklich und selbstzufrieden. Die Leute drüben in den Unterkünften feierten glückselig. Sogar der alte, griesgrämige Gussman strahlte. Er dagegen konnte erst glücklich sein, wenn sich Helen 144
Chase davon überzeugt hatte, daß George Bernhard Shaw und Herbert George Wells zwei verschiedene Personen gewesen waren. Und trotz der großen Worte, die er damals an der Universität zu ihr gesprochen hatte, konnte er jetzt nur hoffen, daß sich die Experten nicht geirrt hatten. Er erhob sich. „Es müssen zwei Personen gewesen sein“, murmelte er. „Beim Himmel. Es muß einfach so gewesen sein. Es muß!“ Er betrachtete das Bild Helens, das er in einem Lederrahmen auf seinem Nachttisch stehen hatte, und lächelte ihr zu. „Dieses eine Mal mußt du dich irren, Helen. Dann könnten wir beide vielleicht darangehen, auf Pochalin Neun Leben zu erzeugen. Aber auf die altmodische Weise!“
Die Irrsinnigen (The Insane Ones) von J. G. Ballard (1. Fortsetzung und Schluß) Eine halbe Stunde später jagte Gregory seinen Sportwagen über die Straße nach Uenghasi. Er reagierte damit seinen Ärger über den Zwischenfall ab. Er war erst seit zehn Tagen frei und doch schon wieder in einen ernsten Fall verwickelt. Aber der Zwang, tatenlos zusehen zu müssen, wie andere ins Verderben rannten, war schlimmer als die Gefahr für die eigene Person. Das Gesetz band ihm die Hände. Das Gesetz war Wahnsinn, das lag auf der Hand. Män145
ner wie Bortmann und die anderen Verantwortlichen mußten hinweggefegt werden, denn sie waren für das Elend verantwortlich. Gregory sah Bortman deutlich vor sich. Dieser Mann hatte es fertiggebracht, Höchststrafen für kriminelle Psychopathen zu fordern, lehnte es aber ab, diesen bedauernswerten Menschen zu helfen. Das war ein Rückfall in die Inquisition. Jede vernünftige Gesellschaft mußte einen solchen Mann ablehnen und die verdammte puritanische Bürokratie zerschlagen. Für Gregory war dieser Bortman ein tausendfacher Mörder. Er hätte dem armen Mädchen die Rasierklinge ebensogut in die Hand drücken können. Es war absoluter Wahnsinn, den Geisteskranken Hilfe zu verweigern, sie andererseits aber wie normale Menschen zu bestrafen, wenn sie Gesetze brachen. Der Arzt ließ Lybien und Tunis hinter sich. Der Wagen jagte über die Küstenstraße am Meer entlang, das wie geschmolzenes Blei unter der Sonne glitzerte. Gregory mied die Städte, obwohl die Straßen nicht so verstopft waren wie in den großen europäischen Städten. Allerdings war die Not der Geisteskranken in diesen Städten noch größer. Sie trieben sich auf den Straßen und lungerten in den Parkanlagen umher. Niemand durfte sie verjagen oder isolieren, denn nach dem Gesetz war der Irrsinn ihr heiliges Recht. Wenn sie aber die Gesetze übertraten, wurden sie genau wie normale Menschen bestraft. In Algier logierte Gregory im Hilton. Er ließ einen neuen Motor in den Wagen einbauen und machte sich auf die Suche nach Philip Kaiundborg, einem Kollegen aus Toronto, der jetzt in einem Kinderkrankenhaus arbeitete. 146
Nach der dritten Flasche Wein erzählte er Kaiundborg von Carole Surgeon und seiner Not. „Es ist absurd, aber ich fühle mich verantwortlich. Selbstmörder erhalten oft von außen den letzten Anstoß. loh erzählte ihr von Muriel Bortmann. Verdammt noch mal, ich hätte ihr doch einen Rat geben müssen.“ „Du darfst dir keine Vorwürfe machen“, sagte Kaiundborg versöhnlich. „Nach drei Jahren Gefängnis wird das keiner von dir erwarten.“ Gregory blickte von der Terrasse aus auf die überfüllte Straße. Grelle Leuchtreklamen flackerten auf und beleuchteten die eingefallenen Gesichter der am Straßenrand hockenden Bettler. „Du hast sicher keine Ahnung, wie es in Europa aussieht, Philip“, sagte Gregory dumpf. „Mindestens fünf Prozent aller Menschen benötigen klinische Hilfe. In Amerika ist es nicht anders. Ich habe direkt Angst, dorthin zu fahren. Allein in New York stürzen sich täglich mindestens zehn Menschen von den Dächern in die Tiefe. Die Welt verwandelt sich allmählich in ein Irrenhaus. Was ist das für ein Zustand. Die Hälfte der Menschheit wacht ängstlich darüber, daß der anderen nicht das Recht genommen wird, unglücklich und wahnsinnig zu werden. Hier ist das noch nicht so kraß, aber in den großen Städten werden die Zustände allmählich unhaltbar.“ Ein hochaufgeschossener junger Mann in schäbiger Baumwollkleidung kam über die Terrasse und legte seine Hände auf den Tisch. Seine Augen lagen tief in dunkle Höhlen eingebettet, um den Mund herum hatte er die braunen Rückstände narkotischer Kräuter. 147
„Christian!“ rief Kaiundborg verärgert. Dann zuckte er aber resigniert die Achseln. „Es hat keinen Zweck, Christian. Ich kann Ihnen wirklich nicht helfen. Quälen Sie mich doch nicht.“ Der junge Mann nickte geduldig. „Es geht um Marie“, erklärte er mit leiser Stimme. „Ich kann sie nicht mehr kontrollieren. Ich habe Angst um das Kind.“ „Unsinn, Christian. Das Kind ist fast drei Jahre alt. Wenn Marie jetzt ein nervöses Wrack ist, dann durch Ihre Schuld. Ich kann nicht helfen, selbst wenn es gestattet wäre. Sie müssen sich selber helfen, wenn das überhaupt noch möglich ist. Ihre Sucht ist wahrscheinlich schon chronisch. Dr. Gregory kann Ihnen das bestätigen.“ Gregory nickte ernst. Der junge Mann starrte Kaiundborg an, warf dann einen kurzen. Blick auf Gregory und taumelte wieder davon. Kaiundborg goß sein Glas voll „Grauenhaft“, murmelte er. „Dabei wäre dem armen Kerl so leicht zu helfen.“ „Das ist Bortmans Schuld“, knurrte Gregory. „Nach seiner Meinung ist die Behandlung solcher Leiden ein Eingriff in den freien Willen eines Menschen Bortman ist ein besessener Neurotiker, weiter nichts.“ Als Gregory sein Zimmer im zehnten Stockwerk des Hotels betrat, fand er den jungen Mann, der in seiner Tasche herumkramte. Für einen kurzen Augenblick hielt er ihn für einen Spion. Vielleicht hatte er den Auftrag, ihn in eine Falle zu locken. „Haben Sie gefunden, was Sie suchen“, überraschte er den Eindringling. Christian richtete sich auf und warf die Tasche aufs Bett. 148
Gregory begriff, daß der junge Mann nach starken Narkotika gesucht hatte. „Zwecklos“, sagte er nur. Christian schüttelte den Kopf. „Sie irren sich, Dr. Gregory. Ich suche kein Rauschgift. Halten Sie mich für so unverantwortlich? Ich habe Frau und Kind. Ich bin auch nicht unintelligent oder schwach.“ Christian lief langsam auf und ab und betrachtete Gregory prüfend. Der Arzt sagte: „Kaiundborg hat mir erzählt, daß Sie Jurist sind. Konzentrieren Sie sich auf Ihre Arbeit. Es gibt genug zu tun, denke ich.“ „Hat er Ihnen nicht alles gesagt?“ „Was denn noch?“ „Ich habe Mordanklage gegen Bortman erhoben.“ Christian sah Gregorys Zweifeln und fuhr hastig fort. „Es ist natürlich eine Zivilklage. Mein Vater nahm sich vor fünf Jahren das Leben. Bortman hatte ihn aus der Juristenvereinigung ausgestoßen.“ „Das ist bedauerlich“, antwortete Gregory teilnahmsvoll. „Was ist aus Ihrer Klage geworden?“ „Was soll schon daraus geworden sein? Sie wurde unterdrückt. Ich wurde höflich aufgefordert, mich aus dem Staub zu machen. Seitdem lebe ich hier. Ich brauche Narkotika, weil ich sonst wahnsinnig werde. Ich habe große Lust, Bortman eine Bombe in den Wagen zu werfen.“ Plötzlich raste der junge Mann durch das Zimmer auf den Balkon und beugte sich weit über die Brüstung. Gregory war sofort bei ihm und zerrte ihn mit aller Kraft zurück. Tief unter sich sah er die Straßenlaternen und die Scheinwerfer der vorbeifahrenden Fahrzeuge. 149
Wieder im Zimmer, lachte Christian laut auf. Er ließ sich in einen Sessel fallen und deutete mit ausgestrecktem Arm auf Gregory. „Das war ein Fehler. Machen Sie sich lieber davon, bevor ich die Polizei rufe. Sie haben einen Selbstmordversuch verhindert. Auf Grund Ihrer Vorstrafen sind Ihnen mindestens zehn Jahre sicher.“ Gregory packte den jungen Mann an der Schulter und schüttelte ihn. „Was haben Sie vor?“ fragte er wütend. „Sie wollen doch etwas von mir.“ Christian machte sich frei. Sein triumphierendes Lächeln erstarb. „Ich brauche Ihre Hilfe“, flüsterte er. „Ich denke Tag und Nacht nur daran, wie ich Bortman beseitigen könnte. Sie müssen mich von dieser Zwangsvorstellung befreien. Sie müssen meine Lage verstehen. Ich haßte meinen Vater und war damals froh, als Bortman ihn auf die Straße setzen ließ.“ Gregory stand auf und schloß die Balkontür. Niemand durfte hören, was im Zimmer gesprochen wurde. * Zwei Monate später war Gregory wieder in dem Motel bei Casablanca und verbrannte die letzten Notizen seiner Analyse. Christian stand sauber rasiert und gekleidet an der Tür und sah zu. Er trug einen weißen Tropenanzug und wirkte wie ein gesitteter Mensch. Gregory verbrannte die Unterlagen im Waschbecken und spülte die Asche in die Kanalisation. Später luden sie ihre Koffer in den Wagen. Gregory sah sich erst um und sagte dann leise: „Es ist natürlich mög150
lich, daß Sie einen Rückfall erleiden. Wenn ja, kommen Sie zu mir, ganz gleich, ob ich mich auf Tahiti oder in Archangelsk befinde. Sie wissen natürlich, was geschehen wird, wenn die Sache auffliegt.“ Christian nickte und blickte an den Palmen vorbei zur gähnenden Öffnung des Transatlantik-Tunnels. Gregory spürte die Anspannung sehr deutlich. Er wußte, daß er nun lange Zeit keine Ruhe mehr finden würde. Plötzlich kam ihm die ganze Angelegenheit wie eine zur Bewährung ausgesetzte Strafe vor. Jeden Augenblick konnten sie ihn greifen und wieder ins Gefängnis sperren. Er war aber auch zufrieden, denn die Behandlung des jungen Mannes hatte sich als erfolgreich erwiesen. „Mit viel Glück können Sie jetzt ohne fremde Hilfe auskommen, Christian. Sie haßten Ihren Vater, weil Ihre Mutter kurz nach seinem Hinauswurf an einem Schlaganfall starb. Nach dem Tod Ihres Vaters erkannten Sie die Schuld und konzentrierten Ihren Haß auf Bortman, den Urheber Ihrer Leiden. Wenn Sie nicht mehr an ihn denken, werden Sie frei sein. Die Versuchung wird natürlich immer groß sein.“ Christian nickte schweigend. Er wirkte in seinem makellosen Anzug wie ein gepflegter Bürokrat der allmächtigen Weltregierung. Auch sein Gesicht sah nun wieder gesund aus, nicht mehr so grau und eingefallen wie noch zwei Monate zuvor. Gregory nahm eine Zeitung auf und las die Schlagzeile laut vor. „Bortman greift die amerikanische Juristenvereinigung an und bezeichnet sie als eine subversive Organisation. Wenn er damit durchkommt, wird das ein entscheidender Schlag gegen die noch verbliebenen Rechte sein.“ 151
Er beobachtete seinen Schützling sehr genau und atmete auf, als dieser keine Reaktion zeigte. „Na, dann los. Wollen Sie wirklich nach Amerika zurück?“ „Natürlich!“ Christian ging voran und bestieg den Wagen. Gregory wollte in Afrika bleiben und in einem Krankenhaus arbeiten. „Marie wartet in Algier, bis ich mein Vorhaben erledigt habe.“ „Was ist das für ein Vorhaben?“ Christian startete den Wagen und ließ den Motor aufheulen. „Ich werde Bortmann töten!“ sagte er ruhig. Gregory hielt sich an der Windschutzscheibe fest. „Das ist ein unpassender Scherz, Christian.“ „Es ist kein Scherz. Sie haben wieder einen normalen Menschen aus mir gemacht, Doktor. Heutzutage gibt es leider nur sehr wenige ganz normale und logisch denkende Menschen. Bortman muß beseitigt werden, das denken Sie doch auch. Versuchen Sie nicht, mich aufzuhalten. Wenn Sie es tun, wird die Polizei erfahren, was wir hier getrieben haben.“ Gregory sprang zurück, denn der Wagen machte einen Satz nach vorn. „Halt!“ brüllte er und lief in die Staubwolke hinein. Es war bereits zu spät. Gregory erkannte seine Hilflosigkeit. Sie würden Christian erwischen und ausquetschen. Dabei würden sie den wahren Urheber des Anschlags erkennen, einen um seine Aufgabe gebrachten Arzt, der in drei qualvollen Jahren einen unbändigen Haß in sich aufgestaut hatte. „Christian!“ brüllte Gregory und schluckte den aufgewirbelten Staub. „Halten Sie an! Sie sind wahnsinnig!“ 152
Nach ein paar Schritten blieb er stehen und starrte dem im Tunnel verschwindenden Wagen nach. „Ich habe meine Kunst mißbraucht, Christian“, murmelte er. „Ich habe es unbewußt getan und Sie zum Instrument meiner Rache gemacht!“
Utopia-Zukunft erscheint wöchentlich im Verlagshaus Erich Pabel GmbH & Co. 7550 Rastatt (Baden), Pabel-Haus. Einzelpreis 0,70 DM. Anzeigenpreise laut Preisliste Nr. 13. Die Gesamtherstellung erfolgt durch die Druckerei Erich Pabel GmbH. 7550 Rastatt (Baden). Verantwortlich für die Herausgabe und den Inhalt in Österreich: Eduard Verbik. Alleinvertrieb und -auslieferung in Österreich: Zeitschriftenvertrieb Verbik & Pabel KG – alle in Salzburg, Bahnhofstraße 15. Nachdruck, auch auszugsweise, sowie gewerbsmäßige Weiterverbreitung in Lesezirkeln nur mit vorheriger Zustimmung des Verlegers gestattet Gewerbsmäßiger Umtausch, Verleih oder Handel unter Ladenpreis vom Verleger untersagt. Zuwiderhandlungen verpflichten zu Schadenersatz. Für unverlangte Manuskriptsendungen wird keine Gewähr übernommen Printed in Germany 1965. – Scan by Brrazo 06/2008 – Copyright © 1963, by Ace Books, Inc. – Die Kurzgeschichte ist aus BILLENIUM © 1962, by J. G. Ballard. Alle Rechte vorbehalten.
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Anders als wir Menschen (The Planet Seekers) von Erle Barton Die Passagiere des Raumschiffes hören ein eigenartiges Geräusch aus der Kabine der Mods. Die Stewardeß erscheint und klopft an das versiegelte Metallschott. Sie erhält keine Antwort, aber das schabende Geräusch wird lauter. Eine Stimme dringt aus dem Bordlautsprecher: „Die Mods, die versuchen, das Schott aufzubrechen, wollen sich bitte mit Captain oder Mannschaft in Verbindung setzen.“ Aber die Mods reagieren nicht. Statt dessen fällt ein Stück Metall aus dem Schott, und ein Riegel springt auf. Eine Hand greift von innen durch das Loch. Es ist die Hand eines Menschen, wie es scheint. Eine Hand mit fünf Fingern. Aber das Wesen, das jetzt die versiegelte Kabine öffnet, ist kein Mensch. Diesen spannenden Utopia-Zukunftsroman erhalten Sie nächste Woche bei Ihrem Zeitschriftenhändler. WOLLEN SIE IN DIE ZUKUNFT SEHEN? DANN LESEN SIE UTOPIA-ZUKUNFTSROMANE!
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