Geisterfänger Band 12 Das unheimliche Schloss von Gordon Walby Die Söhne der Hölle lechzen nach deiner Seele.
Da hock...
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Geisterfänger Band 12 Das unheimliche Schloss von Gordon Walby Die Söhne der Hölle lechzen nach deiner Seele.
Da hockten sie, die Teufel von Manor Crawl und grinsten wie die Honigkuchenpferde. Zugegeben, sie waren nicht zu sehen, aber ihr Gewicht drückte schwer den starken Rolls Roys in die Stoßdämpfer. Jedes Schlagloch, das die Zufahrtsstraße nach dem alten Schloss zierte, erschütterte den Wagen erheblich. Das allein hatte Terry McCrawl keinen Tropfen Schweiß gekostet, der zur mitternächtlichen Stunde die Heimfahrt antrat. Aber da waren die unsichtbaren Hände. Immer wieder griffen sie ins Lenkrad und rissen es herum. Vielleicht hätte es der neunundzwanzigjährige Sohn des Schlossherrn geschafft, den Wagen in der Spur zu halten, wäre nicht der hinterhältige Teufel gewesen, dessen Klumpfuß sich auf das Bremspedal senkte. Schwer und unabänderlich. Terry McCrawl versuchte zwar noch, das Steuer herumzureißen, doch die blockierten Bremsen spielten ihm einen Streich. Der nagelneue Rolls Roys scherte aus und schlidderte auf den steil abfallenden Hang zu. Das letzte, was Terry hörte, war das satanische Gelächter der Teufel. Wieder hatten Manor Crawls Geister einen Nachkommen des Hunter McCrawl der Hölle nahe gebracht. Die Nacht schien ihre dunklen Krallen bis in die Wälder vorgestreckt zu haben, die das Schloss dicht umgaben. Mit der Dunkelheit war die Stille eingekehrt, eine Stille, die an das Vergängliche allen Irdischens erinnerte. Totenstille! Wie lange Terry McCrawl in den Trümmern seines Luxuswagens gelegen hatte, konnte er nicht sagen. Als das Bewusstsein zurückkehrte, drückte eine schwere Last auf seine Brust. Gequält röchelte er: »Warum, Ihr unseligen Geister, wollt ihr meinen Tod?« Der Wind blies dem Fragesteller ins Gesicht und der Regen peitschte durch seine Kleidung, drang bis auf die Haut durch. Terry hörte keine Antwort. Vielleicht war sie im Heulen des Windes verweht worden. 4
»Ich will nicht sterben«, schrie Terry und erschrak an der Lautstärke seiner eigenen Stimme. Der Wille zum Leben war vorhanden und so stemmte sich der hoffnungsvolle Sprössling eines alten schottischen Adelsgeschlechts gegen das Gewicht, das seine Brust einzudrücken drohte. Keinen Millimeter freien Raum bekam er, noch ließ sich der Geist erblicken, dessen Gewicht Terry den Atem nahm. Wieder stöhnte der zukünftige Erbe von Manor Crawl: »Kennt ihr kein Erbarmen. Den Urahn aller McCrawls habt ihr schon in den Tod getrieben. Warum nun mich? Genügt euch nicht ein Opfer, müsst ihr periodisch immer wieder töten?« Und als nur das Heulen des Windes an seine Ohren drang, schrie Terry noch lauter: »Sagt mir, warum ihr unser Geschlecht ausrotten wollt?« Terrys hastige, unkontrollierte Bewegungen bewirkten, dass das Unsichtbare auf seiner Brust schwand. Tief saugte er die frische Nachtluft in seine Lungen und kletterte aus den Trümmern des Wagens. Fern, aber doch sichtbar, schimmerten die Lichter von Manor Crawl durch die Nacht, wiesen den Weg, der zu gehen war. Wenn Terry mit seinem Vater auf Jagd ging, bevorzugte er immer den Pirschpfad durch die Felsen, auf dessen höchstem Gipfel das Schloss stand. In dieser Nacht, wo die Geister längst vergangener Jahrhunderte zurückgekehrt waren, graute ihm, den unsicheren Pfad zu beschreiten. Sein Instinkt sagte ihm, dass es ein Weg ohne Wiederkehr werden konnte. Es regnete nicht mehr, aber die dunklen Wolken hingen noch drohend am Himmel. Der viergezackte Blitz schoss aus solch einer schwarzen Wolke, fuhr in die nasse Erde und ließ sie bersten. Terry atmete den Schwefelgestank ein, hustete, riss die Augen auf - und konnte vor blendender Helle nichts sehen. Furchterfüllt trat Terry zwei Schritte zurück. Der Stoß traf ihn von der Seite, als hätte ein auskeilendes Pferd zugetreten. Terry wurde angehoben, schwebte Bruchteile von Sekunden in der Luft, bevor er zurückgeworfen wurde. Doch unter seinen Füßen war 5
nichts mehr. Nur Luft, Dunkelheit und Stille. Am nachtschwarzen Himmel zuckte ein neuer Blitz auf. Seine Spitze neigte sich Manor Crawl zu. Terry schrie und schrie, bis dichte Tannenzweige seinen Fall bremsten. Umständlich kletterte er abwärts. Jeder Knochen schmerzte. Und als er endlich richtigen, festen Boden unter Füßen spürte und glaubte, das Schlimmste überstanden zu haben, brandete ihm irres, kreischendes Gelächter entgegen. Das Triumphieren der Hölle kam aus allen Richtungen, nahm an Stärke zu, brandete wie haushohe Meereswogen gegen Terry, der sich die Ohren zuhielt und trotzdem das durchdringende Geheul nicht bannen konnte. Dann kamen sie, krochen aus Felsnischen, sprangen Hänge herab, brachen durch Büsche und dichtes Unterholz. Es waren viele und es wurden immer mehr. Die Hölle spuckte ihre Söhne aus. Terry begann zu rennen, stürmte blindlings einen Wildwechsel entlang, auf dem noch keine Verfolger erschienen waren. Johlend stürmte die Meute hinter ihm her, erbarmungslos, ihres Opfers sicher. Terry McCrawl wurde von tausend Teufeln gejagt, gedrückt, bedrängt. Nur ein Loch ließen ihm seine Jäger offen: Die Todesschlucht! * Wie ein Schlund, schwarz und gefährlich, riss der Fels auseinander. Eng und rissig gab er den Weg in sein Inneres frei. Gras, Unkraut und Hecken begannen den Durchschlupf zu überwuchern. Nur Eingeweihte konnten ihn finden. Terry McCrawl gehörte nicht nur zu ihnen, er würde einmal alles erben, über das seine Füße jetzt so rasend schnell hasteten. Dornen rissen an seiner Kleidung, fetzten ihm die Haut aus dem Gesicht. 6
Keuchend zwängte er sich durch den Spalt, den Urgewalten einst gerissen. Kaum hatte Terry die natürliche Felsspalte betreten, die Äste und Zweige hinter sich gerichtet, die den geheimen Zugang verbargen, hörte er auch schon seine Verfolger nahen. Es waren Teufel, die Terrys Seele wollten. Kein Lebewesen kann so schaurig brüllen. Eng drückte sich Terry gegen den nassen Fels, von dessen Wänden es stets tropfte. Die Kälte, aus dem Steinmassiv kommend, spürte er nicht. Zwischen Terrys Schulterblättern brannte ein heißer Fleck. Sein Atem ging rasselnd, ließ sich kaum unter Kontrolle halten. Angst, nackte Angst, hielt Terry McCrawl in ihren Krallen. Die ihn hetzenden Teufel jagten vorbei. Ihr Gekreisch verlor sich in der Ferne. Aus der Felsspalte hervorzutreten, wagte Terry nicht. Er zwängte sich weiter durch die Enge, bis es breiter wurde und er in eine Schlucht blicken konnte. Vor Terrys Augen lag die Todesschlucht. Er schauderte beim Anblick der hohen Wände, die das Sonnenlicht kaum bis zur Talsohle dringen ließen. Die schroffen Felsen, von kärglicher Vegetation bedeckt, flößten ihm Furcht ein. Terry empfand das Grauen nach, das seinen Urahn gepackt haben musste, bevor sich dieser in die Schlucht stürzte, den Freitod suchte, um so den rastlosen Teufeln zu entkommen, die ihn sein Leben lang gejagt hatten. »War er ihnen überhaupt entkommen?« Terry erschrak über die lauten Worte, die aus seinem Mund kamen und von den Felswänden mehrfach zurückgeworfen wurden. Am Himmel strahlte die Sonne. Auf dem Grund der Schlucht dominierten Schatten, herrschte ewige Dämmerung. Über der bizarren Landschaft lastete ein Schweigen, das unwillkürlich an Tod und Vergänglichkeit erinnerte. 7
Sichernd streckte Terry den Kopf hinter einer Felsnase hervor und witterte wie ein wildes Tier. Die Teufel von Manor Crawl konnten bereits in der Todesschlucht sein und auf ihn warten... Den Weg zurück, wagte er nicht zu gehen, denn viele Hunde sind des Hasen Tod. Er hatte schließlich über fünfzig Verfolger gezählt. Andererseits wusste er von der Todesschlucht, dass diese vor einer schroffen Felswand endete. Wenn nun die Geisel des Geschlechts derer von McCrawls bereits hinter den Büschen lauerte, dann konnte er nicht einmal ein Testament hinterlassen. Terry saß so richtig in der Patsche. Zehn Minuten lang filterte er jedes Geräusch und als er nichts verdächtiges feststellen konnte, trat er hinaus ins diffuse Licht. Feuchtwarme Luft schlug ihm entgegen - und das leise Wimmern einer unterdrückten Stimme, die am Schreien gehindert wurde. Wind? Kein Blatt bewegte sich. Hier unten auf der Schluchtsohle erstarrte alles in Reglosigkeit. Sogar die Natur schien den Atem anzuhalten. In Terrys Magen ballte sich ein dicker Klumpen zusammen. Da weinte kein Kind. Das unterdrückte Wimmern kam aus einer tiefen Männerkehle. Noch hätte Terry fliehen können. Aber da war etwas in ihm, das ihn vorwärts zog, tiefer in die Todesschlucht hinein, näher heran an das Stöhnen und Wimmern. Neugier? Ganz bestimmt nicht! Terry wusste, wer da so fürchterliche Qualen litt. Je tiefer er zwischen den Felswänden vordrang, umso dunkler wurde es. Der innere Magnet zog ihn weiter, fast bis an das Ende der verrufenen Schlucht. Einmal schaute Terry über die Schulter zurück. Noch waren keine Verfolger aufgetaucht. Die Teufel schienen unendlich Zeit zu haben... Dann kam die große Höhle. Ihr Eingang wirkte wie das nachtschwarze Auge eines Zyklopen, so finster und so drohend. 8
In der Mitte war ein wenig Helligkeit, mehr ein Strahlen, das einen Körper umgab, der es nicht wagte, ins Freie zu treten. Ehrfurchtsvoll verharrte Terry und flüsterte: »Oheim, ich bin gekommen, dich um Hilfe zu bitten.« Der helle Fleck, am Eingang der Höhle, rührte sich nicht, noch antwortete er. Flehentlich wurde Terrys Stimme, die vor Angst ganz heiser war. »Du musst mir helfen, denn nun sind sie hinter mir her. Ich bringe nicht den Mut auf, mich von den Felsen zu stürzen, so wie du es tatest.« Weit beugte Terry seinen Oberkörper vor und lauschte in die Stille, die schwer lastete. Da vernahm er die Stimme seines Urahn, der sich am 1.5.1666 freiwillig in die Todesschlucht stürzte, um den ihn jagenden Teufeln zu entkommen. »Du hast mein Abschiedspergament gefunden und gelesen!« »Ja. Vater bewahrt es in der Bibliothek auf. Ein teures Andenken an dich, der du auf Manor Crawl keine Ruhe finden konntest.« Terrys Stimme klang heiter und gelöst. Er hatte Antwort bekommen, Antwort aus dem Totenreich. Der Geist des mächtigen McCrawls, der je über diese Fluren geritten war, dämpfte seinen Optimismus. »Du weißt nicht alles. Ich starb umsonst.« Terry fühlte eisige Kälte in sich aufsteigen. »Dann haben dich die Teufel...« »Ja, sie haben mich«, dröhnte es überlaut zurück. »Ich konnte ihnen nicht entkommen. Noch heute quälen und foltern sie mich.« »Du warst meine einzige Hoffnung.« Terrys Schultern sanken nach unten. Das lange Blondhaar klebte ihm schweißig in die Stirn. Der Glanz seiner blauen Augen verlöschte. Ein Schluchzen drang aus seinem Mund. Die Minuten rannen dahin. Winzige Tropfen in der Ewigkeit. Der Höhleneingang wurde dunkel. Leise, wie auf Engelsflügeln, verschwand der Geist. 9
Die Enttäuschung schoss Terry durch die Adern wie heißes Blei. Seine Schultern sanken noch tiefer. Zurück blieb bei ihm nur dieses dunkle, dumpfe Gefühl, das ihn hinderte, sich wegzuführen, das ihn auf den Platz bannte wie eine angebundene Ziege, die auf den anschleichenden Tiger wartete. »Oheim...« Terrys Hilferuf verhallte ungehört. Dafür kam vom Schluchteingang her tierisches Gebrüll auf. Immer lauter und näher gellte es, bis Terrys Ohren so laut dröhnten, dass er nur noch dumpfen Schmerz empfand. Zu sich kam der Erbe von Manor Crawl erst, als Steine an seinem Körper abprallten. Ein von unsichtbarer Teufelshand geworfener Stein streifte seine Stirn. Der stechende Schmerz erst setzte seine Glieder in Bewegung. Automatisch rannte er in die Höhle hinein, trotz des Wissens, sich auf Gnade und Ungnade der dort hausenden Geister zu begeben. Tintenschwarze Nacht umgab Terry nach den ersten drei, vier Schritten, die er in das Geisterreich setzte. Und abgrundtiefes Schweigen. Terry verharrte auf der Stelle. Er kam sich wie ausgebrannt vor. Keinen Gedanken konnte er zu Ende denken. Bis das grelle Keuchen der ihn verfolgenden Teufel an seine Ohren schlug. Terry schrie auf und rannte tiefer in die Höhle hinein. Die aufkommende Panik machte ihn blind und taub. So merkte er nicht, dass seine Verfolger angstvoll draußen blieben, es nicht wagten, das Reich der Toten zu betreten. Ein Rumoren erschreckte Terry noch mehr. Es kam aus der Erde, ein dumpfes Grollen, das an eine Steinlawine erinnerte. Der Boden unter Terrys Füßen begann zu vibrieren und verstärkte seine Angst derart, dass er noch tiefer in die Höhle vordrang. Bis eine unsichtbare Faust seiner Flucht ein Ende setzte. Der Stoß wurde so stark und voller Kraft ausgeführt, dass er den Flüchtenden drei Schritte zurücktrieb. 10
Terry kam nicht zur Ruhe. Kaum hatte er den Stoß des unsichtbaren Geistes ausbalanciert, dröhnte ihm auch schon dessen gewaltige Stimme entgegen. »Warum störst du unsere Ruhe, Erdenwurm? Keiner rief dich. Kehre um, ehe es zu spät ist.« Terry zuckte zusammen, als die Worte auf ihn eindrangen. Sogar das Gekreische der draußen lauernden Teufel übertönten diese Drohungen. Das war nicht sein Urahn, der zu ihm sprach. Ein anderer fremder Geist stand ihm gegenüber, der es vorzog, unsichtbar zu bleiben. Der Erbe von Manor Crawl war ein befähigter Fechter, Sportschütze, Rennfahrer und Langstreckenschwimmer. Es fehlte ihm nicht an Kraft und Mut. Aber das alles half ihm nicht in dieser schrecklichen Minute der Todesangst. Seine Stimme wurde zu einem gehetzten Kreischen, als er dem Geist entgegen schrie: »Besitzt du kein Herz? Hat man dich deswegen verdammt bis in alle Ewigkeit? Hör doch, wie draußen die Teufel heulen und brüllen. Sie wollen mich töten. Warum gewährst du mir keinen Schutz?« »Ich höre nichts«, grollte es zurück, um dann jäh zu verstummen. Terry hob den Kopf. Tatsächlich, die blutrünstigen Teufelsschreie hatten aufgehört, in der Höhle widerzuhallen. Eine tiefe Stille herrschte jetzt, eine Stille freilich, die voller Beklemmung und unheimlicher Spannung war. Erschöpft lehnte sich Terry gegen die feuchte Felswand. Er wusste einfach nicht mehr weiter. »Oheim, warum willst du mich nicht hören?«, schrie er dann voller Qual auf. Die Stimme vor ihm klang nun leise, aber es war eine Männerstimme, eine harte, wohlklingende Stimme, die verriet, dass der Mann, dem sie gehörte, nicht mit sich spaßen ließ. »Ich warne nur einmal. Wir haben genug von euch McCrawls. Verschwinde auf der Stelle.« * Ihre Augen kamen zurück aus der Schreckenskammer, in die sie bis jetzt geschaut hatten. Der glasige Ausdruck verschwand und sie ver11
suchte, ihren Blick auf Detektiv-Sergeant Zack Creston zu konzentrieren. Der Sergeant griff nach Myladys Hand, doch da schreckte sie zurück. Blut floss wieder aus der offenen Wunde an ihrer Schläfe und sie öffnete den Mund zu einem Schrei. Aber der Schrei blieb stecken. Sie keuchte, das Gesicht vor Schreck verzerrt, den Mund weit aufgerissen und in den Augen einen so entsetzten Blick, als sehe sie den Tod selbst. Geduldig warten zu lernen, gehört bei den englischen Kriminalbeamten zur Ausbildung. Wer weiß, wie lange Sergeant Creston schon am Bett der Gräfin saß. Ein kleiner ruhiger Mann, bescheiden aussehend und ohne jedes Anzeichen von Härte, sofern man sie nicht in seinen Augen zu lesen verstand. Er saß einfach da, als hätte er endlos Zeit und nichts anderes zu tun, als die Verletzte zu betrachten. »Gehen Sie, Sergeant, wir brauchen Sie nicht mehr. Gehen Sie schnell«, keuchte die Gräfin und ihre schlanken Hände zuckten dabei nervös auf der Bettdecke. Müde lächelnd warf Creston ein: »Man rief mich, weil Ihr Sohn verschwunden ist, Mylady. Man fand nur seinen zertrümmerten Wagen...« »Gehen Sie!« Jetzt bekam der Gräfin Stimme das Herrische zurück, mit dem sie die Dienstboten im Zaum hielt. Aber Zack Creston war kein Lakai. Wie sehr ihn der schroffe Ton verletzte, ließ er nicht sehen. Ruhig sprach er weiter: »Ich bin, so schnell es die Umstände erlaubten, gekommen - und fand Sie, Mylady, schwer verletzt vor.« Als er dann weiter sprach, wurde seine Stimme drängender: »Wer schlug Sie nieder?« Gräfin Marcia McCrawl wandte den Kopf zur Seite. Für sie existierte der Sergeant nicht mehr. »Entschuldigen Sie«, sagte der Hausarzt, direkt neben dem Bett stehend. »Sie müssen das einsehen, Sergeant. Mylady ist noch nicht vernehmungsfähig.« Zack Crestons Gesicht verhärtete sich. Er nahm seinen Hut und stand auf. Schon an der Tür drehte er sich noch einmal um. »Doktor, Sie müssen Verletzungen, die durch Gewaltanwendung entstanden, melden.« 12
»Ich weiß. Doch niemand kann sagen, ob Mylady einen Schlag bekommen hat oder ob sie stürzte. Nur sie allein könnte es. Doch sie will nicht.« »Ich hab' mich ein wenig umgehört, Doktor. Mir wurde gesagt, die Gräfin habe mit jemandem gestritten, laut und heftig. Sie soll sogar geschrieen haben. Wenig später fand man sie blutend am Boden liegen.« Die Augenbrauen des Hausarztes schossen in die Höhe. »Sie wissen sehr viel, Sergeant, dabei sind Sie erst eine halbe Stunde im Schloss. Aber trotz allem. Ich war nicht dabei, als es passierte.« Zack Creston deutete eine Verbeugung an. »Vielen Dank für Ihre Hilfe«, kam es spöttisch von seinen schmalen Lippen. Ein livrierter Diener lief dem Sergeanten über den Weg. Er hielt ihn an und fragte: »Wo finde ich Sir McCrawl?« Hochmütig, mit näselnder Stimme, wurde geantwortet: »Mylord wünscht nicht belästigt zu werden. Guten Tag.« »Bei euch stinkt es gewaltig«, muffelte der Sergeant und ließ den verblüfften Diener stehen. * Zack Creston ging durch das totenstille, leere Wohnzimmer, von dem aus er den Balkon betrat. Einige Minuten verharrte er reglos mit zusammengekniffenen Augen. Die Sonne hatte sich verkrochen, warf aber noch ein paar purpurrote Schatten über die wildzerklüftete Landschaft. Es war kälter geworden. Als der Sergeant den Balkon verließ, schloss er hinter sich die Tür. Dann musste er weit über eine Viertelstunde laufen, bis er den Hauseingang erreichte. Auf der Freitreppe orientierte er sich kurz und nahm dann eilig den kiesbeharkten Weg zum Park. Das kleine Gebäude, inmitten eines Birkenhains, erinnerte ein wenig an eine Kirche oder Kapelle. Die Fenster waren lang und schmal und liefen oben spitz zu. Drei Marmorstufen führten zur geschnitzten Tür, in der seltsame Zeichen zu sehen waren. 13
Der Sergeant trat ein, nachdem sich niemand auf sein Klopfen hin gemeldet hatte. Das Innere war viel größer, als es von außen den Anschein hatte. Plötzlich warnte ein Gefühl den Sergeanten. In den stillen Räumen lauerten Gewalt und Hass. Schatten schienen ihre gierigen Hände nach allem auszustrecken. Ihm schauderte bei dem Gedanken. Das leise Geräusch kam aus einem der Nebenräume. Zack Creston öffnete die Tür, drückte mit spitzen Fingern auf den Lichtschalter und sah sich um. Sie war ein hübsches, glattes Wesen, geschmeidig, voll Üppigkeit. Lose, wie leblos, hingen ihre Arme links und rechts vom Sessel herunter. Während Creston näher trat, irritierte ihn wieder ein Geräusch. Diesmal kam es von links, knapp hinter ihm. Jetzt zeigte sich, dass der so ruhig wirkende Detektiv das reinste Dynamitbündel war. Explosionsgleich wirbelte er herum und noch während der Drehung hatte er die 38er Automatic aus der Halfter gerissen. Schon krümmte sich sein Finger um den Abzug. Nur noch ein kleiner Druck und die Kugel würde ins Ziel fliegen. Vor Staunen, oder war es mehr Verwunderung, vergaß er durchzuziehen. Da huschte doch, im wahrsten Sinne des Wortes, ein Kerl zur Tür hinaus, flink, geschmeidig und lautlos wie eine Katze. Mit Kerlen hatte es Zack Creston viele Jahre zu tun, schließlich versah er schon neun Jahre Polizeidienst. Er war gerade erst dreißig geworden. Dieser Typ hier, der sich so sang- und klanglos verdünnisierte, versetzte seinem gesunden Menschenverstand einen Schock. Dieser Kerl trug die Haare wie ein Gammler, nur mit dem Unterschied, dass sie von geübter Hand ringsum abgeschnitten waren, nun wie ein Bubikopf wirkten. Vom Gesicht war nur ein Teil der linken Wange zu sehen, sozusagen Halbprofil und die bedeckten tagealten Bartstoppeln. Das allein hätte Creston vielleicht noch hingenommen, aber da war die Kleidung: Sackleinen und Leder. 14
Der Sergeant musste sofort an den Bauernaufstand denken, der blutig im sechzehnten Jahrhundert hier tobte und von dem Geschlecht derer von McCrawls brutal niedergeschlagen wurde. Der Kerl sah aus wie ein Leibeigener aus dieser Zeit! Ungeachtet der schönen ohnmächtigen Dame im Sessel, begann der Sergeant laut zu fluchen. »Verdammt, seit ich das muffige Schloss betrat, glaube ich an Gespenster. Der Teufel soll mich holen, wenn das mit rechten Dingen zugeht.« Zack Creston nahm den Teufel in den Mund und so sehr er das auch abstritt, der Teufel antwortete sofort - mit einem höllischen Gelächter, dass der Finger sich wieder um den Abzug der 38er krümmte. Das Stöhnen kam von dem ohnmächtigen Mädchen, durch dessen Körper ein Zucken lief. Kurz danach schlug es die Augen auf, die ein herrliches dunkles Blau besaßen, aber vor Hysterie glänzten. »Die Toten sind über uns gekommen«, sagte eine helle, vor Angst heisere Stimme. »Meinen Sie damit den Kerl, der soeben durch die Tür da hinten flüchtete?«, fragte der Sergeant. »Wer sind Sie?« »Zack Creston. Kriminalpolizei. Man meldete uns das Verschwinden des Sohnes dieses Hauses.« »Ja, Terry, mein Bruder, ist verschwunden.« Das Mädchen sprach weiter: »Ich bin Eiren McCrawl. Haben Sie schon eine Spur von Terry?« »Nein. Leider bekam ich Hausverbot. Ihre Mutter sagte, ich werde nicht mehr benötigt.« »Mama... Ja, sie schlug man genauso nieder wie mich.« Zack Creston war beunruhigt. Er steckte sich eine Zigarette hinter der gewölbten Hand an und ließ das abgebrannte Streichholz in der Schachtel verschwinden. »Wären Sie bereit, mir mehr zu erzählen, Miss? Schließlich geht es um ihren Bruder. Das ganze Drumherum, ich meine diesen Geisterglauben, lassen wir am besten weg und halten uns an handfeste Fakten.« Eiren senkte die Hand in die weiten Falten ihres Rockes. Als die Hand wieder hervorgezogen wurde, hielt sie einen Gegenstand fest. 15
Der Sergeant sah was es war. Ein Messer mit langer Klinge. Eirens Mund verzog sich krampfhaft. »Sehen Sie es, Sir? So lebe ich schon fünf Tage. Immer in Angst und Panik. Trotz meiner Vorsicht und Wachsamkeit wurde ich überrascht. Und da sagen Sie, ich soll die Geister weglassen...« Eiren steckte das Messer weg und bat: »Kann ich auch eine Zigarette haben?« »Oh, Entschuldigung. Aber sicher doch. Bitte.« Die heimliche Furcht - man konnte sie fast riechen. Eirens Augen glänzten immer noch fiebrig, als sie erklärte: »Das alles hängt mit Hunter McCrawl zusammen, der sich 1666 in die Todesschlucht stürzte, auf die modernden Gebeine Leibeigener, die er umbrachte, weil sie es wagten, mehr Essen für ihre Kinder zu fordern.« Zack Crestons Gehirn arbeitete in diesem Augenblick rasch und klar. Er lachte kurz auf, ein bisschen verblüfft, ließ es aber schnell wieder. »Fassen wir zusammen, Miss. Ein Unbekannter schleicht durchs Schloss, schlägt Sie und Ihre Mutter nieder. Richtig?« Eiren nickte, um ihre Mundwinkel zuckte es. »All right. Weiter. Ihr Bruder Terry fuhr seinen Wagen zu Schrott und ist seitdem verschwunden.« »Auch richtig.« Jetzt lächelte die Tochter des Schlossherrn, nicht belustigt, eher hintergründig. Zack Creston wandte den Blick nicht ab, sah vielmehr tief in die kornblumenblauen Augen, wie er sie schöner noch nicht gesehen hatte. Es fiel ihm schwer, sachlich zu bleiben. »Das war es schon. Nun müsste ich zu arbeiten anfangen, Spuren suchen, Vernehmungen durchführen...« »Und warum tun Sie es nicht!« Jetzt grinste der Sergeant. »Ihr Vater lässt sich nicht sprechen. Wimmelt mich durch einen hochgestochenen Diener ab und Ihre Mutter verwies mich des Hauses. Wüssten Sie eine Möglichkeit, wie ich hier arbeiten könnte?« Mit dem Knall der zuschlagenden Tür kam die knarrende, kalt schneidende Stimme. »Die einzige Möglichkeit, am Leben zu bleiben, liegt in der Flucht. Fliehe und meide Manor Crawl.« 16
Eiren wurde nicht nur blass, sondern richtig grau im Gesicht. Ihre Hände begannen zu zittern, während ein Stöhnen zwischen ihren vollen Lippen hervordrang. Aus schreckgeweiteten Augen starrte sie den Sergeanten an. Dieser, noch immer die 38er in der Hand, fackelte nicht lange. Er hatte von den mysteriösen Geschehnissen in diesem Schloss die Schnauze regelrecht voll. Aus diesem Grund und - weil eine echte Gefahr bestand, schoss er. Zack Creston, dieser ausgekochte Fuchs, schoss nicht aufs Leben. Raffiniert zielte er auf die Beine des Geistes, der in seiner Unsichtbarkeit massive Drohungen ausstieß. Ein schauriges Geheul kam auf, als wenn ein heulender Derwisch die Zustände kriegt. Getroffen, dachte der Sergeant und näherte sich der geschlossenen Tür, verfolgt von Eirens angstvollen, aber auch neugierigen Blicken. Auch eine Komtess ist letztlich nur Frau, die der Neugier nichts entgegenzusetzen hat. Dann trat Zack Creston zu und die Tür brach auseinander, hing nur noch an einer Angel. Und mit dem lauten Bersten des Holzes mischte sich ein Entsetzensschrei. Nunmehr bremste der Sergeant seinen Sturmlauf, denn der Schrei klang zu echt, konnte niemals von einem astralen Wesen ausgestoßen sein. Hinter der eingetretenen Tür befand sich ein dunkler Gang. Aus der Schwärze hervor trat ein Mann, ungefähr sechzig Jahre alt. Er trug die grauen Haare kurz geschnitten, die kerzengerade in die Höhe ragten, ihm ein eigenartiges Aussehen verliehen. Zack Creston überzeugt, den Verursacher aller gespenstischen Laute vor sich zu haben, grollte: »Pfoten hoch, Freundchen. Wenn du nicht sofort parierst...« Eirens Aufschrei unterbrach die harte Drohung. Die Tochter des Schlossherrn sagte mit einem Flehen in der Stimme: »Mr. Creston, das ist doch mein Onkel.« 17
Der Sergeant knurrte angriffslustig: »Ihr Onkel, Miss? Warum schleicht er wie ein Dieb durch das Haus? Ich glaube nicht so recht daran.« Die Erscheinung des älteren Mannes, noch immer im Dunklen stehend, schnaubte zornig: »Kerl, sind Sie des Teufels? Wissen Sie nicht, wen Sie vor sich haben?« Zack Creston scherte es nicht, dass der Sprecher einen herrischen Ton anschlug. Vielmehr erwiderte er hart und bestimmt: »Tönen Sie nicht so laut und wenn Sie nochmals die Miss erschrecken, massiere ich Sie eigenhändig.« Schon beim Klang der zornigen Stimme erhellten sich Eirens Gesichtszüge. Als der Sergeant eindeutig für sie Partei ergriff, begann sie leise zu lachen. »Mr. Creston«, sagte sie fast vergnügt. »Senken Sie die Pistole. Sie verwechseln meinen Onkel mit einem Geist.« Der Mann, der aus dem Dunklen kam, lauschte kurz, brummte dann halb zornig, halb lachend: »Mir scheint, Sie haben schon mit meiner Nichte Bekanntschaft geschlossen?« Noch war Misstrauen in Zack Creston, trotz Eirens Lachen. Ohne die 38er aus der Schussposition zu bringen, blaffte er den undeutlich erkennbaren Sprecher an: »Beweisen Sie mir, dass der Herr von Manor Crawl ihr Bruder ist. Ich will kein Risiko eingehen. Die unseligen Geister schlugen bereits zweimal zu. Mein Chef würde mich steinigen, gäbe es Tote im Schloss.« Keiner sah, wie sich hinter Creston die Stofftapete teilte und wenn es einer sah, so schwieg er. Ein kräftiger Unterarm, nackt, muskelbepackt, von dicken Adern durchzogen, kam aus der Wand. Dicht vor dem Hinterkopf des Sergeanten verharrte er. Langsam ballte sich die Hand zur Faust. Der grauhaarige Mann, der sich Horatio McCrawl nannte, sprach plötzlich schnell und wie es schien nervös: »Mein Pass liegt im Arbeitszimmer. Wenn ich Sie bitten darf, mich dorthin zu begleiten?« »Das wäre mir recht, Sir.« Zack Creston hatte Eiren nicht aus den Augen gelassen. So sah er jetzt, wie das Gesicht der Komtess in Schreck erstarrte, ihre Lippen zu zittern begannen, bevor sie sich zu einem Schrei öffneten. 18
Der anerzogene Instinkt des Profis ließ den Sergeanten reagieren, bevor er überhaupt die Gefahr erkannte. Er machte einen schnellen Schritt nach vorn, um sich dann nach links zu werfen. Die Faust schlug ins Leere. So schnell wie eine Pistolenkugel war der Arm nicht. Mit einem einzigen Schnappschuss hatte der Sergeant dem Geist einen Streifschuss beigebracht. Kein Schrei. Kein Stöhnen. Lautlos verschwand der Arm, nunmehr mit einem zehn Zentimeter langen Striemen verziert, zwischen der kostbaren Seidentapete. Zack Creston schlug den Pistolenlauf gegen die Wand. Das Echo klang voll und er musste annehmen, dass kein Hohlraum vorhanden war, nachdem er vergeblich nach einer Geheimtür gesucht hatte. Eiren schrie noch immer. Ihr Onkel versuchte sie zu beruhigen. Aber sie hörte erst auf zu schreien, als Creston neben sie trat. Mit unnatürlich großen Augen blickte sie zu ihm auf und als er auf sie nieder lächelte, sagte sie mit herausgepresstem Atem: »Das war der Arm des aufständigen Bauern, den Hunter McCrawl in blinder Wut abschlug. Er erscheint immer, wenn der Tod das Schloss betritt.« * Es wurde wieder hell um Terry. Hoffnungsvoll trat er ins Freie. Aus dem Nichts tauchten sie auf, schossen aus Erdlöchern empor, sprangen aus den nackten Felsen heraus, ließen sich von Bäumen fallen. Es wurden immer mehr und einer sah wilder aus als der andere: Tausend Teufel, die hinter einer einzigen Seele her waren. Dann begannen sie zu brüllen und zu toben. Viele bückten sich und hoben Steine auf. Aber noch warfen sie nicht, zögerten, als warteten sie auf einen Befehl. Der kam vom oberen Schluchtrand. Asmodi selbst stand da in seiner ganzen männlichen Pracht und Herrlichkeit. 19
Nackt war er, der Satan und über und über mit Haaren bedeckt, die wie das Gefieder eines Raben glänzten. Seine gewaltigen Hörner ragten steil nach oben. Wehe dem, dessen Leib sie trafen... Aus den schmutzigen Dreiecksaugen schossen Blitze. Wütend peitschte der glatte Schwanz auf und nieder, an dessen Ende das große Haarbüschel wehte. Und voller Zorn stampfte der Pferdefuß auf den Fels. Steinbrocken lösten sich, polterten krachend, sich immer wieder überschlagend, in die Tiefe. Terry sah das Unglück auf sich zukommen, wusste, dass er jeden Augenblick unter der Steinlawine begraben würde, wenn er nicht zurück in die Höhle sprang. Jeder will leben, diesen kostbaren Besitz zumindest verlängern. Auch Terry. Als der Tod auf ihn zugerast kam, fragte er nicht nach den Höhlengeistern, die ihm feindlich gesinnt waren. Er drehte sich um, mobilisierte alle Kräfte und rannte in den schwarzen Schlund hinein. Die Steinlawine prasselte nieder, wälzte eine riesige Staubwolke vor sich her, die intensiv nach Schwefel stank. Des Teufels schlechter Atem. Schlagartig wurde es finster in der Höhle. Zig Tonnen Steine verschütteten den Eingang. Für Terry gab es keine Fluchtmöglichkeit mehr. Durch Satans Klumpfuß wurde er lebendig begraben. * Harvey war der Name des Butlers. Er nahm Sergeant Creston den Hut ab, führte ihn zu der aus poliertem Walnuss gefertigten Tür der Bibliothek, öffnete sie feierlich und trat ein, um das Erscheinen des Kriminalbeamten zu verkünden. Der Herr von Manor Crawl blinzelte, suchte nach seiner Brille und setzte sie auf. »Hol mich der Teufel, Sergeant Creston.« Er steckte seine knöcherne Hand aus, ohne aufzustehen und schüttelte die des Kriminalisten. 20
Mylord war ziemlich aufgeregt, was man ihm ansah. Seine Augen waren unnatürlich weit aufgerissen und glänzten. Seine hohlen Wangen kamen deutlich zum Ausdruck und die hastige Nervosität seiner Bewegungen machten sich mehr als sonst bemerkbar. Zack Creston konnte in diesem Moment nichts mehr erschüttern, aber um zu untermauern, dass er nicht der letzte Dreck war, sagte er schärfer als üblich: »Sie haben auf einmal Zeit für mich, Sir?« Sir Paul McCrawls Augen hatten die Kälte eines Grabes, ganz im Gegensatz zu seinem hageren Gesicht, das vor Schweiß glänzte. Er machte den Mund auf, um etwas zu sagen, klappte ihn dann aber wieder zu. Das Spiel seiner langen, schlanken Finger wurde nervöser. Etwas musste in seinem Innern wühlen. Angst war in dem Mann, der über riesige Ländereien verfügte. Der Sergeant ließ ihn zappeln, zog sich einen Stuhl heran und setzte sich, ein Bein über das andere schlagend. Er wirkte hart und stählern, aber es war keine böse Härte. »Sie sind ein kaltblütiger Hund.« Mylord flüsterte es fast. »Das haben mir schon viele gesagt, Sir.« Da waren die beiden Hände vor dem Sergeanten. Zwei graue lange Hände, die ein Stück Papier umklammert hielten. »Was ist das, Sir?« Erst mit Verzögerung antwortete Mylord: »Ein Brief. Ich fand ihn vor einer halben Stunde auf meinem Schreibtisch liegend.« Eine böse Ahnung keimte in Zack Creston auf. »Darf ich sehen?«, fragte er nach dem Brief fassend. »Ja, bitte«, antwortete er tonlos. »Ich ließ Sie ja deshalb kommen.« Wieder das Hochgestochene. Der Sergeant ignorierte es und vertiefte sich in den Brief. Da stand in steiler alter Handschrift geschrieben: Bevor Du von
uns gehst, hinüberwechselst in eine andere, hoffentlich bessere Welt, verlangen wir, dass Du Deine Schuld begleichst.
Zack Creston sah auf. »Eine galante Todesdrohung, fein umschrieben, dazu Erpressung mit Samthandschuhen, Sir. Wer kann Ihr Zimmer betreten? Denken Sie gut nach.« 21
Da war Angst in Mylords hagerem Gesicht. Die kleinen, tief liegenden Augen flackerten. Als er antwortete, war seine Stimme rau und trocken: »Nur wenige. Aber die sind alle vertrauenswürdig. Ah, Mr. Creston. Das legte kein Lebender hin. Betrachten Sie doch mal die Schrift. Keiner kann mehr heute so schreiben.« »Bis auf einen.« »Wie bitte?« »Wie ich es sagte. Bis auf den, der Ihnen den Brief unterschob.« »Wie? Ach so, ja. Das ist es eben, Sergeant. Ich glaube, dass dies von Hunter McCrawl geschrieben wurde, dem Mann, dessentwegen unser Geschlecht verflucht ist.« Der Sergeant lächelte beinahe. »Sir... das glauben Sie doch selbst nicht? Wie aus der Chronik dieses Schlosses hervorgeht, beging dieser Hunter am 1.5.1666 Selbstmord. Bedenken Sie, der Mann ist genau dreihundert Jahre tot.« Mylords Kopf stieß vor wie bei einem Geier, der Atem kam stoßweise. »Sergeant, halten Sie mich nicht für übergeschnappt. Diese Zeilen schrieb wirklich mein Urahn. Sie müssen wissen, er starb unchristlich. Kein Geistlicher segnete seinen Leichnam, noch kam er in geweihte Erde. Ich bin überzeugt, er wandert ruhelos durch die Gezeiten, wartet auf Erlösung. Sie müssen noch etwas wissen, Sergeant: Hunter McCrawl mordete in blinder Wut. Damals standen die Bauern auf, deren Kinder hungerten, weil der Herr von Manor Crawl zu hohen Lehn forderte. Die armen Bauern waren anfangs unbewaffnet und wurden trotzdem von meinem Urahn niedergemetzelt. Zack Creston drückte seine Zigarette tot und grinste. »Ihre Tochter glaubt auch an die Wiederkehr längst Verstorbener. Sogar Ihr Bruder, der etwas abseits wohnt.« Mylords Mundwinkel senkten sich nach unten, gaben seinem nicht gerade schönen Gesicht einen diabolischen Ausdruck. »Ach, Horatio, der Schwachkopf... Doch diesmal hat er Recht. Ja, das hat er.« »Und Ihre Gattin, Sir?« Als Mylord antwortete, blickte er in eine andere Richtung, scheute es, den Beamten anzusehen. »Ich will Ihnen die volle Wahrheit sagen, 22
damit Sie uns verstehen. Anfangs glaubten wir, dass sich Terry, unser verschwundener Sohn, verirrt hat, in Folge des schweren Autounfalls. Bis uns eine Stimme, sie kam aus der Todesschlucht herauf, das Unheil verkündete: Terry würde nie mehr nach Manor Crawl zurückkehren.« »Weiter«, forderte der Sergeant gespannt. »Well, meine Frau verfluchte die unseligen Geister, die einst unter Flüchen in der Schlucht starben. Und was soll ich Ihnen sagen? Eine halbe Stunde später wurde meine Frau, mittels eines Leuchters, niedergeschlagen. Sie sah den Täter. Es war ein Leibeigener.« »Und was wollen die Toten von Ihnen?«, fragte Creston, der sich hütete, seine eigenen Gedanken laut werden zu lassen. Mylords Schulterzucken war mehr ein Zittern. Nervös rutschte er in seinem geschnitzten Sessel hin und her. »Eine Antwort kann ich nicht geben, Mr. Creston. Ich weiß es einfach nicht. Sagen Sie mir lieber, was ich tun soll?« Die Stimme des Sergeanten war ruhig, hatte aber einen Klang, der eine gewisse Spannung verriet. »Ich forderte Verstärkung an. Allein kann ich Sie und Ihre Familie nicht schützen. Das Terrain ist einfach zu groß.« Abwehrend hob Mylord beide Hände. »Niemals. Wenn das in die Presse kommt...« Zack Creston stand auf. Seine Miene hatte sich verfinstert. »Wenn Ihnen die öffentliche Meinung mehr wert ist, als die Sicherheit Ihrer Familie, kann ich natürlich nichts machen. Etwas aber werde ich bestimmt tun, bei dem ich jedem rate, mich nicht zu behindern: Ich werde Ihren Sohn suchen. Ich finde ihn und wenn ich dem Teufel ins Auge spucken muss.« * Der verschüttete Höhleneingang brachte absolute Finsternis. Die Erdund Steinmassen erzeugten dazu unheimlich viel Staub, der die Atmungsorgane lahmte. Er hing in dichten Massen in der Luft und es gab kein Ausweichen. 23
Die Dunkelheit raubte jegliches Zeitgefühl. Terry erlebte es, als er sich an der Höhlenwand vorwärts tastete. Er wusste nicht, wie lange er schon lief, noch wie weit er gekommen war. Einmal legte er eine längere Pause ein und kühlte seinen schmerzenden Kopf an der nassen Felswand. Der kalte Stein konnte seinen Schmerz nicht lindern. Noch beim Überlegen, ob er sein Feuerzeug anbrennen oder den Brennstoff sparen sollte, fühlte er förmlich die Ausstrahlung von etwas Fremdem. Er war sich sicher, dass mehrere Personen einen Kreis um ihn schlossen. Alles geschah lautlos und unsichtbar und berührungslos. Kein Luftzug, kein Geruch, einfach Nichts. Und doch rückten sie näher, mussten bald auf körperlicher Distanz angelangt sein. Terry bekam am ganzen Körper eine Gänsehaut und er fühlte die Ader auf der Stirn zucken und klopfen. Um überhaupt zu erforschen, wer sich ihm so geisterhaft näherte, streckte er den Arm weit aus und ließ ihn kreisen. Kein Widerstand setzte sich ihm entgegen. Seine gespreizte Hand und der Arm fuhren durch die Luft. Terry fühlte, wie ihm die Arme auf den Rücken gedreht wurden, dann kam der Druck in seinem Nacken und er sank in ein bodenloses schwarzes Loch. * Detektiv-Sergeant Zack Creston schielte zum Himmel empor. Die tief hängenden Wolken versprachen Inselwetter: Nebel oder Regen. Also ging er nochmals zu seinem Wagen und nahm den Regenmantel heraus. So ausgerüstet, setzte er sich in Marsch. Anfangs kam er gut voran, bis der Pfad steil anstieg, hinaufführte in die Felsregionen. Dort oben flatterte etwas Weißes im Wind, nicht groß, aber doch ein Fremdkörper, der nicht in die Natur passte. Eine Spur von Terry McCrawl? 24
Zack Creston bog vom Pfad ab und hangelte den Steilhang empor, in dem er sich an Krüppelkiefern festhielt, um nicht abzurutschen. Es war nicht nur ein Gefühl, das den Sergeanten plötzlich verharren ließ, es war auch der seltsame Laut, der durch die Luft vibrierte. Nach zwei Minuten des Verharrens robbte er auf allen vieren weiter, bis zu dem Felsen, an dem das flatternde weiße Ding hing. Hastig griff er danach. Ein Taschentuch, feinstes Leinen, mit einem Wappen versehen, war gefunden worden. Ein Herrentuch - und es gehörte Terry McCrawl. Besorgt stimmten den Sergeanten die roten Flecken, die seiner Ansicht nach von einer blutenden Wunde stammen konnten. Den Fund verstaute er in seiner Jackentasche und robbte dann weiter. Vom Gipfel aus hatte er einen guten Überblick. Er sah die Berge, Schluchten und den Wildwasserbach, nur nicht, wohin sich der Gesuchte gewandt haben konnte. Er hätte sich aufrichten müssen, um besser sehen zu können, aber das traute er sich nicht. Der seltsame Laut war ihm noch zu gut in Erinnerung. Er rutschte weiter nach vorn, bis er die andere Seite des Berges einsehen konnte. Eine eiskalte Hand legte sich auf Crestons Rücken. Da stand wieder der Laut in der Luft, abenteuerlich anzuhören, da er an den Schrei eines Dschungeltieres erinnerte. Und gleichzeitig mit dem Schrei trat ein Mann zwischen jungen Fichten hervor, die ihn bisher verborgen hatten. Zack Creston rutschte sehr weit vor und starrte in die tiefe, ließ den aufgetauchten Mann nicht aus den Augen, so sehr ihn auch dessen Anblick schockte. Der Höhe wegen, in der sich der Sergeant befand, war die schwankende Gestalt nicht genau zu erkennen. Lediglich, dass es sich um einen Mann handelte, höchstens vierzig Jahre alt. Aber der Mann taumelte nicht nur vor Erschöpfung. Sein Gesicht war blutverschmiert und der linke Arm hing kraftlos herab. Genauso lädiert sah sein Anzug aus. 25
Tiefe Risse und Dreiangeln hatten den Stoff total zerstört. Der Mann musste irgendwie unter die Räder gekommen sein. Zack Creston ärgerte sich, sein Fernglas im Wagen gelassen zu haben, denn die Entfernung war einfach zu groß, als dass er hätte Einzelheiten ausmachen können. Schon im Begriff, den Steilhang hinabzuklettern, zog er sich wieder zurück. Unten, im Talkessel, geschah etwas Sonderbares. Der wilde Schrei kam auf, brandete die Hänge empor und verlor sich allmählich in der Weite des Himmels. Der Schrei kam von dem Mann, dessen Verfolgung der Detektiv soeben aufnehmen wollte. Eigenartig berührte es den Detektiv, dass kein Schmerz herauszuhören war, eher Triumph und maßlose Wut. Dann kam die Antwort und die ließ den Sergeanten regelrecht frieren. Er zog die Schultern hoch und starrte weiter nach unten. Es war ein schauriges Heulen, das durch die Schlucht wehte wie Sturmgeläut und es kam aus vielen Kehlen. Die Teufel von Manor Crawl! Zack Creston kam der Gedanke an die Legende, als das Heulen noch anschwoll, lauter und stärker wurde, die da besagte, dass der Erbauer des Schlosses, Hunter McCrawl, vom Teufel und dessen Gesellen erbarmungslos gejagt worden war, weil er den Pakt brach. Teufel waren es nicht, die aus den Büschen brachen und dem tierisch schreienden Mann entgegen rannten. Nein. Aber sie sahen aus wie Strauchdiebe, abenteuerlich gekleidet, ungepflegt, geradezu gefährlich. Laut schreiend umringten sie den Verletzten, dessen Brüllen urplötzlich abbrach. Zack Creston sah nur schnelle, hastige Bewegungen. Dann war der Spuk verschwunden, untergetaucht im dichten Grün von alten Fichten. »Die Kerle können alles mögliche sein, Teufel, Geister, aber auch Menschen«, murmelte der Sergeant im Selbstgespräch und nahm sich vor, hinunter in die Schlucht zu steigen. 26
* Zack Creston trat erst mit dem Schuh gegen den vorspringenden Stein, bevor er sich ihm anvertraute. Mühsam kletterte er so in die Tiefe. Während der Pausen, die er einlegen musste, um mit den Kräften hauszuhalten, glaubte er mehrmals Schritte vernommen zu haben. Unwillig schüttelte er mit dem Kopf. Wer sollte wohl in dieser Steilwand aufrecht laufen können? Aber das Tappen blieb. Einmal kam es näher, dann wieder entfernte es sich. Schweiß trat auf seine Stirn. Plötzliche Angst verkrampfte seinen Magen. Er wusste plötzlich mit absoluter Sicherheit, dass über ihm ein Geist stand. Der Geist des Hunter McCrawl, dessen Herrschaft vielen leibeigenen Bauern das Leben kostete. Noch im Überlegen, welche Schritte er unternehmen konnte, um der Gefahr zu entrinnen, sah er plötzlich einen nackten Arm um die Ecke schießen. Es handelte sich um einen kräftigen Arm, dicht behaart und muskelbepackt, der so überraschend hinter der Felsnase hervorkam. Und der Arm war sofort dicht an Zack Crestons Hüfte, dass dieser gar nicht Gelegenheit bekam, den unerwarteten Angriff abzuwehren. Der Sergeant fühlte noch den halben Stoß und kam ins Schleudern. Er versuchte zwar, die Balance auf dem schmalen Felssims zu halten, schwankte vor- und rückwärts - und bekam einen neuen Stoß, der ihn aus der Felswand hob und abstürzen ließ. * Terry McCrawl riss verblüfft die Augen auf - und erblickte ein graues Licht, in dem sich schemenhaft Gestalten bewegten. Dem Erben von Manor Crawl war es, als hantierten die schemenhaften Wesen mit Hacke und Schaufel. Zweimal rieb sich Terry über die Augen, aber die Sicht blieb verschwommen. Zu hören war im Innern der Höhle nichts. 27
In Terrys Kopf hämmerte ein dumpfer Schmerz, aber er besaß genügend Geistesgegenwart, still liegen zu bleiben. Denn noch wusste er nicht, wer oder was sich da bewegte. Bis eine brutale Faust den Leidgeprüften hochriss. Da begann Terry zu schreien. Das graue diffuse Licht veränderte sich nicht. Nur die Gestalten erstarrten zur Bewegungslosigkeit. Die Faust ließ nicht locker, bis Terry schwankend zu stehen kam. Ein Fauchlaut schnitt ihm den Schrei vom Mund. Wieder knurrte es und fauliger Atem strich über Terrys Gesicht. Ein entsetzlicher süßlicher Verwesungsgeruch ließ ihn würgen. Terry spürte, dass sich die Haut über seinen Wangenknochen spannte und dass der Mund trocken wurde. In dem Ungewissen Licht erkannte er undeutlich eine wuchtige Gestalt. »Oheim«, gurgelte Terry im Glauben, seinen Urahn vor sich zu haben. Die Faust in seinem Nacken packte derber zu und mit ihr kam die grabestiefe, orakelnde Stimme. »Verflucht sollst du sein, McCrawl. Der Satan soll dich für deine Gier holen und in der tiefsten Hölle schmoren lassen.« Die Faust ließ los und Terry krachte auf den steinernen Boden, wo er schwer atmend liegen blieb. Noch überlegte er, wer ihn so hart angegangen sein konnte, als die bewegungslos gewordenen Gestalten auf ihn zugestürzt kamen, immer noch von dem grauen Licht umgeben. Das Licht ließ Gedanken an die Unendlichkeit aufkommen und steigerte die Angst derart, dass Panik daraus wurde. Die astralen Wesen begannen Terry einzukreisen. Sie schlichen lauernd und stumm wie Geister von allen Seiten auf ihn zu. Terry sah die erste Dolchklinge aufblitzen. Er spürte einen Kloß im Hals und schluckte. Sein Körper wollte vor Schmerz und Überanstrengung erschlaffen. Aber er spannte noch einmal die Muskeln, richtete sich auf, mit zur Abwehr angewinkelten Armen. Der schreckliche, messerbewehrte Geist wurde größer, warf einen überlangen Schatten. 28
Irgendwo im Hintergrund der Höhle ertönte plötzlich ein entsetzliches Krachen, als wäre ein erneuter Erdrutsch erfolgt. Darauf folgte ein unterirdisches Ächzen und dumpfes Grollen, darauf ein vielstimmiger Ton, der an Gesang erinnerte, ohne dass Worte verständlich wurden. Der Geist, an dessen bleicher Hand der Dolch blitzte, zuckte zurück. Für einen Augenblick verharrte er. Als aber der unheimliche, grollende Gesang anschwoll, flüchtete er zu seinen Leidgenossen, die am Rande des grauen Lichtes ausharrten. »Der Verfluchte kommt über uns«, hörte Terry den Geist rufen und sah, wie die ganze Meute kehrt machte und in langen Sätzen flüchtete. Der Chor der Toten war verstummt. Grabesstille kehrte in die Höhle ein, deren Zugang durch einen Bergrutsch verschüttet wurde. In Terry erwachte der Lebenswille. Sein Kopf schmerzte wohl noch und er fühlte das geronnene Blut an der Schläfe. Aber er konnte sich plötzlich wieder an den Autounfall erinnern - und begann leidenschaftlich zu fluchen: »Saubande, die ihr mich jagt. Ihr habt wohl den Urahn seines Geldes wegen hetzen und töten können, mich aber werdet ihr nicht bekommen. Ich will leben, leben...« * Kälte und Nässe ließen Zack Creston aufwachen. Der Sergeant wusste sofort, was mit ihm geschehen war. Ächzend stemmte er sich hoch und befühlte seine Glieder. Wie er feststellen konnte, hatte er sich nichts gebrochen. Die Hautabschürfungen beachtete er nicht. »Glück gehabt«, brummte er und sah sich um. Die Sonne ging langsam in einen dunstigen Schleier unter. Es gab kein Abendrot, alles war grau in grau. Dazu wehte ein kalter Wind Regen vor sich her, der wie mit Nadeln in die Haut stach. Zack Creston ruckte seine Sachen zurecht, überprüfte die 38er und wollte sich in Bewegung setzen. Schreck raste durch seinen Körper. 29
Wirre, brabbelnde Laute, denen das Brechen von Unterholz folgte. Endlich teilten sich die Zweige des Holunderbusches. Wieder ein Rülpser und ein anderer, sehr menschlicher Laut. Erst dann wurde der Verursacher sichtbar. Kein Benehmen. Zack Creston erkannte es schon, als er den Kerl betrachtete. So etwas wie ihn erwartete man eigentlich bei Vollmond auf Friedhöfen in der Nähe eines frischen Grabes. Groß, dürr, totenbleich. Er wirkte wie ein Gespenst im weißen Tuch. Vor dem Kerl zog eine dichte Alkoholfahne her. »Sie sind ja total besoffen.« »Yes, Sir, das bin ich, ha, ha, ha.« »Verhalten Sie sich mal ruhig.« Der Sergeant war herangetreten und begann den betrunkenen Mann abzutasten. Keine Waffe, aber auch kein blutiges, mit Grafenwappen besticktes Taschentuch. »Wo kommen Sie denn her? Die nächste Ortschaft ist doch mindestens eine Wegstunde entfernt...« »Ja, wie komme ich hierher?« Im nahen Wildbach tränkte der Sergeant sein Taschentuch und legte es dem Betrunkenen aufs Gesicht, mehrmals, ohne Erfolg. Der Alkoholspiegel übertrumpfte alles. Dabei wollte er den Kerl fragen, wohin die drei unbekannten Männer den Verletzten, der ausgesehen hatte, als wäre er in einen Erdrutsch geraten, gebracht hatten. »Haste 'ne Zigarette?«, wurde trunken gefragt. »Hier. Verbrenn dir aber nicht die Schnauze.« Während des Feuergebens polterte es wieder in der nahen Felswand. Einige Steine hatten sich gelöst. Der Ton verhallte klirrend unter den Bäumen. Und der Detektiv wusste, dass der unsichtbare Kletterer ziemlich nahe war. Die unmittelbare Gefahr näherte sich lautlos auf unhörbaren Todesschwingen. In dem Moment, in dem der Sergeant vor dem Betrunkenen stand und ihm eine erneute Kompresse auflegen wollte, geschah etwas in seiner Absurdität Erschreckendes. 30
Eine Gestalt wuchs aus dem Nichts empor. Zack Creston erkannte sie sofort. Es war der verletzte Mann, dessen triumphales Gebrüll noch in seinen Ohren nachgellte. Das Gesicht des Mannes blutete noch und an dem zerfetzten Anzug und vielen anderen Äußerlichkeiten, erkannte der Sergeant, dass der Mann verschüttet gewesen war. Es war erstaunlich, dass der Mann die Kraft aufbrachte zu laufen und noch erstaunlicher war, wie ruhig er das lange Schlachtermesser in der Hand hielt. Zack Creston schaute ihm in die Augen, sah die Härte darin und sagte: »Messer weg, Mann. Sie brauchen Hilfe...« Ganz nahe an Zack Crestons Ohren war jetzt der tierische Schrei, den er erst vor einigen Minuten vernommen hatte. Mit hervorquellenden Augen, heiser keuchend, ging ihn der Verletzte an. Das Messer stieß ins Leere, weil Creston reaktionsschnell zur Seite sprang. Aus der Abwehr heraus, ging er zum Angriff über. Sein Handkantenschlag donnerte auf den Unterarm des Messerstechers. Zack Creston war zumute, als habe er auf blanken Stahl geschlagen. Mit solch harten Unterarmknochen hatte er noch keine Bekanntschaft gemacht. Erst jetzt dämmerte ihm, wie unkenntlich das Gesicht des Angreifers eigentlich war. Trotz des Blutes hätte er doch menschliche Züge erkennen müssen. Angestachelt von der Erkenntnis, vielleicht eines der geheimnisvollen Wesen entdeckt zu haben, von denen eine ganze Anzahl Manor Crawl unsicher machte, griff er zur Automatic. Die Schusswaffe sollte ihm bei der Gefangennahme helfen. Schabende, knackende Geräusche aus den Büschen ringsum ließen ihn vorsichtig werden. Im schwindenden Tageslicht wirkten die Augenpaare geradezu irreal. Sie blickten zwischen den grünen Blättern hervor, leuchteten wie Phosphor und waren starr. Die lauernden Augen schwammen in Hass. 31
Eingekreist! Der Gedanke trieb Zack Creston den Schweiß aus allen Poren. Unsicher verharrte er auf der Stelle und ließ seine Dienstpistole kreisen. Am liebsten hätte er sich selbst gedreht, wusste er doch hinter seinem Rücken ebenfalls tödliche Blicke aus glühenden Augen. Schwankend torkelte der verletzte Messerstecher in einen Busch und war verschwunden. Bei seiner Flucht musste er dicht an dem betrunkenen Mann vorbei. Schlagartig wurde dieser nüchtern. Laut schreiend rannte er in die entgegen gesetzte Richtung. »St. Patrick, stehe mir bei. Die Leibeigenen sind auferstanden...« Ein Ruck ging durch den Sergeanten. Er nahm eines der Augenpaare ins Visier. Während er genau zielte und Druckpunkt nahm, barschte er heiser: »Rauskommen, mit erhobenen Armen.« Der Ton verhallte. Weiter starrten die Augenpaare. Die Nerven des Sergeanten begannen brüchig zu werden. Ungewollt drängten sich ihm die schaurigen Geschichten auf, die über Manor Crawl und seine Bergwälder im Umlauf waren. Fast schien es, als enthielten die sagenhaften Geschichten die lautere Wahrheit. »Der Fluch, den du über die Menschen gebracht hast, wird dich härter als die anderen treffen.« Die Stimme kam von hinten und sie klirrte vor Hass. Die Hand am Kolben der 38er Automatic drückte sich der Sergeant an den Stamm eines Baumes. Er wartete eine ganze Minute, aber es nützte nichts mehr. Wer auch immer gesprochen hatte, er war längst verschwunden, genauso lautlos wie die lauernden Augenpaare ringsum. Dafür kamen die Schritte fester Männerstiefel auf. Der Unsichtbare aus der Felswand! »Ich will leben, leben...« Terrys Ruf verhallte. Nur das stete Plätschern des Wassers antwortete, das von den Höhlenwänden tropfte. »Oheim...« Der Schrei nach dem Geist des Urahn blieb ungehört. 32
Terry begann daran zu zweifeln, ob der Erbauer von Manor Crawl je übersinnliche Kräfte besaß. Seit Kindheit paukte man ihm das ein und auch, dass er freundlich zu dem Toten sein müsse, sollte sich dieser einmal offenbaren. Denn nur er, Hunter McCrawl, wusste, wo das Vermögen versteckt lag. In wilder Verzweiflung schlug Terry mit den Fäusten gegen die Felswand. Als er zur Ruhe gekommen war, kniff er die Augen zusammen und starrte auf das graue Licht. Zögernd kamen einige Schritte näher. Kühle Luft schlug ihm entgegen. Verrückt, dachte Terry. Wie kann frische Luft in eine verschüttete
Höhle gelangen?
Trotz aller Zweifel keimte Hoffnung in ihm auf. Er wollte fort, raus aus dem nassen Loch, das von unseligen Geistern beherrscht wurde. Die Seelen ermordeter Leibeigener ließen noch nie einen McCrawl in Frieden leben. Zutiefst erstaunt war Terry, als er noch weiter heranging und ein winziges Stück Himmel über sich erblickte, ein Stück Himmel, das die Nacht allmählich zu überziehen begann. Im abnehmenden Licht entdeckte Terry frische Spuren an den Steinen, die nur von eisernen Werkzeugen stammen konnten. Terry kletterte über Steine, kroch durch Schutt und Dreck und gelangte an die Fortführung der großen Tropfsteinhöhle. Erst hier entdeckte er Fußabdrücke, die der nasse Dreck festgehalten hatte. Und noch bevor die Schmerzen im Kopf überhand nahmen, errechnete er, dass er sich direkt unter Manor Crawl befinden musste. Dann brüllte und schrie er nur noch, versuchte den stechenden Schmerz so zu betäuben. Unerwartet, heimlich und lautlos, tauchten die Teufel auf. Aus allen Ritzen und Ecken und Nischen drangen sie hervor. Stumm bildeten sie einen Kreis. Terry blickte in hässliche Fratzen, sah züngelnde Zungen, wich zurück, als er erkannte, wie einige der Teufel ihre Hörner senkten. Zwischen bebenden Lippen brachte er ein Gebet hervor, glaubte er doch, seine letzte Stunde sei gekommen. 33
Da begannen die Teufel aus tausend Kehlen zu kreischen und zu brüllen. Der Ring, den die wilde Horde bildete, zog sich enger zusammen. Aus dem schwarzen Schlund der Höhle hervor, trat eine mächtige Gestalt. Die riesigen Körpermaße steckten in Bärenfellen, festgehalten von Lederriemen. Ein langer weißer Bart wallte, verdeckte fast ganz ein grob gehauenes rotes Gesicht. Die Stimme war so gewaltig, wie die Erscheinung selbst. Ehern donnerte sie in dem steinernen Loch. »Fürchte dich nicht, McCrawl, der du mein Nachkomme bist. Wir, die einst das Land in Besitz nahmen, kannten sie auch nicht. Nimm dein Schwert und mähe sie nieder, denn diese Hunde wollen nur dein Leben.« Terry wollte der Erscheinung antworten, formte Worte, die nicht über seine Lippen kamen. Von Angst und Panik getrieben, rannte er los, versuchte die schützenden Arme zu erreichen, die der Geist des Hunter McCrawl ausgebreitet hielt. Aber da traf ihn ein harter Schlag am Hinterkopf. Bewusstlos sank er in eine Pfütze Sickerwasser. * Es war still geworden. Zu still. Sogar das Vogelgezwitscher verstummte. Und es wurde immer dunkler unter den hohen Bäumen. Zack Creston wich zurück, bis dicke Baumstämme seinen Rücken schützten, er nicht mehr lautlos von hinten niedergestochen werden konnte, oder welche Todesart die nahen Geister auch für ihn parat hielten. Der Sergeant wusste, dass sein Instinkt ihn nicht ohne Grund zur Übervorsicht mahnte. Er rührte sich nicht. Jede Bewegung hätte ihm den Tod bringen können, folglich rührte er sich nicht von der Stelle. Das änderte sich erst, als leise, schleichende Schritte an seine Ohren drangen. Jemand ging durch das hohe Gras am Wildbach. Dann war wieder Stille. 34
Zack Creston blieb noch in der Hocke und verfluchte die einsetzende Dunkelheit, denn er sah kaum noch die Hand vor den Augen. Nur dort, wo die Wiese an die Bäume grenzte, schimmerte noch diffuses Licht. Und aus diesem schälten sich die groben Formen eines Burschen, der zum Baumbestand herüber lauerte, gespannt, in äußerster Wachsamkeit. Der Unsichtbare aus der Felswand! Nach einigen Sekunden des Verharrens kam Bewegung in die Gestalt. Einen schmalen, langen Gegenstand nahm die Erscheinung von der Schulter und hielt ihn mit beiden Händen umklammert. Dann machte sie die ersten zögernden Schritte, wurde schneller und alsbald verschlang sie die lastende Dunkelheit unter den Bäumen. Der Kerl hat den Instinkt eines Raubtieres, schoss es Zack Creston durch den Kopf, als er ansehen musste, wie der Unförmige mit untrüglicher Sicherheit auf sein Versteck zugeschlichen kam. Der Sergeant fühlte, wie seine Beherrschung schwand, wie seine Lippen schmaler wurden. Geradewegs kam der Lautlose aus der Felswand auf ihn zu. Zweimal atmete er durch. Die Hand, die den Kolben der 38er umklammert hielt, wurde feucht. Dann befahl er: »Legen Sie das Gewehr ab und heben die Hände hoch.« Die Zeit tropfte dahin. Noch immer verharrte die Gestalt wie erstarrt. Kein einziger Laut kam von ihr. Schon glaubte der Sergeant, seinen Worten mit einem Schuss in die Luft Nachdruck verleihen zu müssen, als das Gewehr in den Händen des Schleichers zu Boden fiel. »All right. Nun treten Sie mal näher.« Zack Creston kam aus der Hocke hoch und näherte sich dem Stummen von der Seite, bohrte ihm den Lauf der 38er in die Rippen. Und wie vor kurzem den Betrunkenen, tastete er den vor ihm stehenden nach Waffen ab. Alles, was er fand, war eine Taschenlampe. Er schnippte sie an und richtete den Strahl auf den Kopf. 35
Kein Geist stand vor Zack Creston, sondern ein junger Mann. Es war ein großer schwerer Bursche, von der Sonne gebräunt und scheinbar träge. Seinen Mund hielt er wie in ohnmächtiger Wut zusammengepresst. »Wer sind Sie?« Der Bursche begann rot anzulaufen, schielte verschlagen auf die schussbereite 38er und fragte dann arrogant zurück: »Und wer sind Sie?« Der Detektiv grinste den Burschen an, der mit seiner Wut kämpfte. »Ich bin Sergeant Creston.« Sichtliche Erleichterung ging durch den Burschen, die sich nun in Hohn wandelte. »Ho und ich dachte, endlich einem Wilddieb auf der Spur zu sein und dabei läuft mir nur ein gewöhnlicher Polyp über den Weg.« Er verstummte voller Spott und legte seinen Kopf weit in den Nacken, um schallend lachen zu können. Dem Sergeanten gefiel das nicht und er drückte die runde Mündung der Dienstpistole tiefer zwischen die Rippen des Spötters. Das Lachen erstarb. »Die kleine Laus erlaubt sich viel«, bellte er zurück. »Sie wissen wohl nicht, wen Sie vor sich haben?« »Nein. Weiß ich nicht, auch wenn ich annehme, einen Spinner vor mir zu haben.« Das Kalte in der Stimme des Sergeanten ließ den arroganten Burschen vorsichtig werden. Einigermaßen manierlich stellte er sich vor: »Marc Withers. Ich bin der Verlobte von Eiren McCrawl.« Sein ausgestreckter Jackenärmel war bloß, Handgelenk und Unterarmmuskel zeugten von Kraft. Marc Withers trug nur kurze Ärmel, wie Leute, die nichts Hinderndes im Wege haben wollen, wenn sie schnell ihre Fäuste zur Hand haben müssen. Zack Creston prägte sich diese Merkmale ein, bevor er weiter fragte: »Und was haben Sie getan, um Ihren verschwundenen Schwager zu finden?« »Eigentlich....« Er unterbrach sich und dann zeigte Marc Withers eine weitere seltsame Reaktion. Er war nicht mehr wütend, sondern zeigte einen Ausdruck außergewöhnlicher Pein. Er biss die Zähne auf36
einander, atmete laut durch seine bebenden Nasenflügel ein und seine Kinnmuskeln bewegten sich alarmierend. »Ja?« Der Sergeant beugte sich vor und hoffte, den Augenblick nutzen zu können. Vergeblich. Marc Withers hob seine Jagdflinte auf, schulterte sie, bevor er in den spöttischen Ton zurückfiel. »Wenn Sie nach Manor Crawl wollen, haben Sie noch einen ordentlichen Marsch vor sich.« Der Sergeant fiel in den gleichen Tonfall ein, als er fragte: »Sie nicht? Aah, Sie können sicher fliegen.« Ein kurzes schlurfendes Geräusch, ein Rascheln, dann war der eigenartige Verlobte der Komtess verschwunden. Er musste verstanden haben, sich in einen unsichtbaren und lautlosen Geist zu verwandeln. »Saftarsch.« Der Sergeant konnte nicht umhin, diesen Fluch hinter dem Verschwundenen herzuschicken. Er vertrat die Meinung, dass sogar hart gesottene Gangster bessere Manieren zeigten. Fahl schien der Mond über einen wolkenlosen Himmel. Der Wind raschelte leise durch die Blätter. Zack Creston lauschte den geheimnisvollen Nachtgeräuschen: das Huschen eines Nagetiers, das Flattern eines Nachtvogels, das Bellen eines Fuchses in der Ferne. Konnte ihm jemand gefolgt sein? Er hatte alle Vorsicht walten lassen. Aber wie es schien, musste er einem falschen Pfad gefolgt sein, denn immer dichter und undurchdringlicher wurde der Wald. Er beugte sich zur Erde und horchte. Aber alles, was er hören konnte, war das Pochen seines eigenen Herzens. Die Begegnung mit Eirens Verlobten ging ihm nicht aus dem Kopf. Er hatte wohl die Tochter des Grafen nur kurz gesehen, traute ihr aber einen besseren Geschmack zu. Aber er wusste auch, dass in diesen Kreisen die Liebe kaum zu Wort kam. Unerwartet tauchte der Eingang zu einer Schlucht vor ihm auf. Gespenstisch weiß leuchteten die Felsen im fahlen Mondschein. Im Hintergrund kicherte etwas, mal nahe, mal entfernt. Die Todesschlucht! Zack Creston brauchte sich nicht nach den Sternen zu orientieren, er wusste einfach, dass es die berüchtigte Schlucht sein musste. Und 37
da er einmal hier war, sich dazu noch verlaufen hatte, beschloss er, allen Teufeln zum Trotz, die verrufene Schlucht zu betreten. Immer enger rückten die hohen Felsen zusammen, zuletzt so stark, dass kein Mondschein mehr auf die Talsohle fiel. Mit gemischten Gefühlen durchschritt der Sergeant den Engpass und gelangte in den von allem gemiedenen Talkessel, wo einst leibeigene Bauern den Tod durch das Schwert ihres unerbittlichen Herrn fanden. Staub hing in der Luft. Zack Creston atmete um mit jedem Atemzug ein. Da der Boden stein- und moosbedeckt war, musste es eine Ursache geben. Begünstigt durch das Mondlicht, das voll in den breiten Talkessel fiel, fand der Detektiv sehr schnell die Stelle, an der eine Steinlawine niedergegangen war. Auch entdeckte er mehrere Höhleneingänge. Vom Hörensagen wusste er um diese Naturerscheinungen. Angezogen von etwas nicht Erklärbarem, lenkte er seinen Blick auf den hohen, schmalen Spalt, der ein riesiges Felsmassiv teilte. Genau in diesem Augenblick, im oberen Viertel des Engpasses, schoss eine grellrote Feuerzunge leckend in die Höhe. Zuerst schaute der Sergeant zum klaren Himmel empor. Ein Blitzschlag war ausgeschlossen. Und wie ein Stromschlag durchzuckte ihn die Antwort. Aus dem Stand heraus, warf er sich der Länge nach zu Boden, drückte das Gesicht ins taunasse Gras und schlug die Hände schützend über dem Kopf zusammen. Und dann kam die Explosion, dumpf, grollend, alles erbeben lassend. Immer lauter grollte er, wurde zum ohrenbetäubenden Krach und Zack Crestons gewiss nicht leichter Körper hob sich empor. Minuten dauerte das Dröhnen, Krachen und Splittern. Im Abklingen des Lärms tönte das Springen der Steine und ihr Aufschlagen seltsam hell, wie viele kleine Detonationen. Während sich der Sergeant den Dreck aus den Augen wischte, hob er den Kopf und begann seine Glieder zu bewegen. Er sah weiß aus wie ein Müller und vor ihm lagen riesige Steine, die eine unsichtbare Hand von ihm abgelenkt haben musste. 38
Es dauerte ziemlich lange, bis der Staubschleier aus dem tiefen Talkessel abgezogen war und die Sicht frei machte. Wo einst der Engpass Zugang zur Todesschlucht ermöglichte, türmten sich jetzt einige tausend Tonnen Steine. Zack Creston starrte und starrte und konnte es nicht fassen, dass der Anschlag aus dem Jenseits ihm gegolten hatte. Und noch eins war ihm klar: Wollte er nicht in der von allen gemiedenen Todesschlucht verhungern, musste er einen Ausweg finden. * Zack Creston hörte jemanden atmen. Er wusste jetzt ganz genau, wo der Heckenschütze war, hinter den Disteln auf seiner linken Seite. Er zielte mit der 38er und wartete, bis sich etwas bewegte. Sie sahen sich im gleichen Augenblick. Während der Sergeant aber darauf vorbereitet war, entfuhr der großen Gestalt ein überraschtes Zischen. Die Erscheinung beugte sich vor und ihre Augen öffneten sich so weit, dass das Weiß die gesamte Iris in Beschlag nahm. Ein Gewehr blinkte, noch nicht im Anschlag. Der Sergeant sah nur die Waffe und erst allmählich - obwohl es in Wirklichkeit nur Sekunden gewesen sein konnten - zeichnete sich ein Gesicht ab - ein greller weißer Fleck, auf den voll das Mondlicht fiel, es dadurch verzerrt und unwirklich wiedergab. Das Gesicht eines Toten, dem satanische Kräfte Leben verliehen hatten. Der Kriminalist hatte nicht gehört, dass repetiert wurde. Er hörte überhaupt nichts von seinem Gegner, weil schwach, fast verweht, ein Ruf an seine Ohren gedrungen war. Erst das wütende Spucken des Gewehres riss ihn in die Wirklichkeit zurück. Er fühlte, wie die Kugel so nahe an seinem Kinn vorbei flog, dass Blut herauskam und dann hörte er sie als Querschläger durch die Luft surren. Zusammenzucken, die 38er in Schussposition bringen und abdrücken war eins. Er sah den Gegner fallen, sprang auf und rannte auf die Stelle zu. Und dort, wo er einen Toten, zumindest aber einen Verletzten zu finden hoffte, stieg Nebel auf. 39
Eine Vision. Eine furchtbare Vision, gellte es durch sein Gehirn. Das spurlose Verschwinden des Mörders überstieg sein Begriffsvermögen. »Ich bin der Wächter.« Die Stimme aus dem Nichts klang ätzend wie Säure. Höllenatem wehte durch die Todesschlucht. Der kalte Schweiß brach aus Creston, tränkte sein Hemd und drang durch die Jacke. Es war weniger die Geisterstimme, als vielmehr die Gewissheit, jeden Augenblick durch eine Kugel sterben zu müssen, die ein Verrückter jederzeit in diesem unübersichtlichen Gelände abfeuern konnte, die Zack Creston auf allen vieren los kriechen ließ. Er hielt sich immer im Schatten der Felsen, die bleich im Mondlicht lagen und sicherte lange, bevor er eine freie Fläche überquerte. Ein dunkler Schlund gähnte ihm entgegen. Bevor er in das abweisende Loch trat, warf er einige Steine hinein. Nun lauschte der Polizei-Sergeant auf dem Bauch liegend. Er fieberte dem Wahnsinnigen entgegen, der sich so großspurig ›Wächter‹ nannte. Da er an Geister nicht glauben konnte, war er sicher, dass es einen Ausgang aus der Todesschlucht gab, den der Mordschütze kennen musste. Ein lang gezogener, gequälter Schrei ließ ihn herumfahren. Der Schrei kam von hinten aus der Höhle und er klang, als befände sich jemand in Todesnot. »Die Schlucht macht ihrem Namen Ehre«, knurrte der Sergeant. Dann begann das innere Ringen. Sollte er dem Schrei nachgehen oder noch etwas auf seinen Mörder warten? Plötzlich erscholl eine Stimme, die von überall zu kommen schien. Eine hohle Grabesstimme, die den Sergeanten umfasste wie eine eisige Faust und ihn vor Schreck erstarren ließ. »Verfluchter, der du es wagtest, unsere Ruhe zu stören. Niemals mehr wirst du die Todesschlucht verlassen können, so wenig wie wir, die dem Herrn ihren Gehorsam verweigerten. Auch dich wird sein Fluch treffen.« 40
Die letzten Worte kamen als vielfaches Echo zurück. Der Sprecher musste seinen Standort gewechselt haben - wie eine Seele, die in der Unendlichkeit umherirrt. Das Gefühl, nicht allein zu sein, dieses Kitzeln der Nerven im Nacken, wenn alle Sinne angespannt sind, Gefahren zu erahnen, ehe man sie erkennt, ließ Zack Creston schnell umdrehen, als er hinter sich wieder einen Hilferuf vernahm. »Terry McCrawl! Das ist der junge Graf!«, stieß der Sergeant überrascht hervor und lauschte weiter in die Dunkelheit, die aus der Höhle strömte. Dann tödliche Stille. Eine gespenstische Atmosphäre entstand, die sogar der Nachtwind zu erlegen schien, denn er raunte und wisperte nicht mehr um die Felsgrate. * Ein weiterer Hilferuf hätte dem Sergeanten eine Orientierungshilfe sein können, doch er erfolgte nicht. Um sich zu vergewissern, rief nun der Detektiv, bekam aber keine Antwort. »Finster wie im Bärenbauch«, fluchte Zack Creston, als er sich, wie oft schon, gegen die Schulter stieß. Es war schon eine komische Höhle, einmal breit, einmal eng, dann wieder hoch oder auch niedrig. Zack Creston ließ sein Feuerzeug aufleuchten und untersuchte kurz die Wände. Wenn auch Jahrhunderte vergangen waren, die Spuren von Menschenhand konnten sie nicht verwischen. Ja, es waren Menschen, die diesen Gang in den Fels trieben. Ohne von den Spuren der Vergangenheit beeindruckt zu werden, drang der Sergeant weiter vor. Nicht lange. Da stieß er auf Widerstand. Der Gang endete vor einer natürlichen Wand aus Granit. Fluchend kehrte er um, dabei mit der linken Hand an der Wand entlang fahrend, da er beim Eindringen rechts gegangen war. Er sah schon von weitem den hellen Fleck des Eingangs und er frohlockte, hatte er doch problemlos die Abzweigung gefunden. Schnell knipste er auch noch einmal das Feuerzeug an. 41
Ein rechteckiges Loch, auch von Menschenhand geschaffen, tat sich auf. Dahinter gähnte tiefste Dunkelheit. Etwas huschte über Crestons Fuß. Eine Ratte! Tief musste er sich bücken, als er sich durch das künstlich geschaffene Loch zwängte. Er steckte schon mit dem Oberkörper weit in dem darunter liegenden, modrig riechenden Gang, als die tiefe, kalte Grabesstimme drohte: »Tritt näher, Verfluchter. Ich wusste, dass du kommen würdest, wo dich doch der Herr rief.« »Wer ist dieser verdammte Herr?«, brüllte Zack Creston erschrocken los, da er jeden Augenblick mit einem Angriff rechnete, dem er nichts entgegensetzen konnte, weil er in dem engen Loch eingeklemmt war. »Los, nun sage schon, wer er ist.« Galgenhumor und laute Worte, die die Angst übertönen sollten. Der Sergeant schob sich vollends durch das Loch. Ein kleiner Ruck noch und er hätte es geschafft. Da streichelten nasse, zarte, sehr sanfte Hände über sein Gesicht. Alles Leben schien aus dem Sergeanten gewichen. Zur Salzsäule erstarrt, verharrte er. Plötzlich ein Schrei, grell, hysterisch hoch, der in einem Röcheln endete. Sehr nahe klang es, bedeutend näher, als vom Höhleneingang aus, wo der Ruf erstmals vernommen wurde. Der Schrei klang zu echt, als dass ihn jemand nachmachen konnte. Unsicher geworden, tastete sich der Sergeant tiefer in die Finsternis hinein. Sehen konnte er nichts, aber er fühlte, dass der Gang einen Knick machte. Unter seinen Schuhsohlen meinte er Schlamm zu spüren, da er ständig ins Rutschen geriet, eine Sache, die in dem unbekannten Terrain tödliche Gefahren barg. Zack Creston kam noch ein gutes Stück voran, ehe er den Geist lachen hörte. Es war ein böses Lachen, das ihm lange nachgellte. Wieder überlief eine Gänsehaut seinen ganzen Körper und er fühlte, wie die Nackenhaare abzustehen begannen. Er ging weiter, wollte nicht in der absoluten Dunkelheit mit dem Geist zusammenstoßen. Entweder war sich dieser seiner Sache zu si42
cher und spielte mit ihm Katz und Maus, oder seine satanischen Kräfte wurden schwächer, weil die Geisterstunde längst geschlagen hatte. Der Sergeant machte sich darüber keine Gedanken. Mit angespannten Sinnen schlich er weiter, bis ein Grauschimmer das Ende des Ganges anzeigte. Und dort stand eine Gestalt. Groß, wuchtig, dunkel. Zack Creston kniete nieder. Nässe drang durch seine Hosenbeine. Er nahm es in Kauf, weil es besser war, als tief gebückt einen Angriff abwehren zu müssen. Eine Bewegung. Das schemenhafte Wesen, hinter dem stupide das graue Licht stand, unwirklich, ohne Leuchtkraft, erbebte. Wellengleich ging die kleine Bewegung durch den ganzen massigen Körper, so dass er wie ein Wabbelpudding wirkte. Zack Creston kniff die Augen enger zusammen. Klarer konnte er dadurch nicht sehen. Alles blieb verschwommen. Dann schien alles auf einmal zu passieren, die wilden Schmerzensschreie, das brutale Lachen der unförmigen Gestalt und ihr Näher kommen. Zack Crestons Reaktion verriet den Profi. Er streckte den Arm vor, umspannte die Automatic fest mit beiden Händen und zog durch. Einer gewaltigen Explosion gleich, löste sich der Schuss. In der Finsternis des Ganges leckte die Mündungsflamme besonders hell. Die Kugel hieb mitten ins Zentrum ein. Der Geist zeigte keine Wirkung. Unheimlich langsam schob er sich weiter vor. Aber es war kein Laufen. Alles, Kopf, Brust, Bauch und Beine, bewegte sich zur gleichen Zeit. Es war mehr ein Quellen riesiger, unförmiger Fleischmassen. Auf einmal sah der Sergeant nichts mehr. Eine nasse graue, nicht fühlbare Substanz umschloss ihn von oben bis unten, hüllte ihn ein wie mit einem Leichentuch. Eisige Kälte kroch in die Knochen, legte sich wie ein nasser Schal um seine Brust. Wohin der Sergeant auch blickte – überall umgaben ihn feine graue Schleier. 43
Bis ein lautes, grollendes Lachen über seine Lippen brach, dem Geist mit der Grabesstimme entgegenschlug. Nebel, unheimlich dichter Nebel war in den Gang gedrungen. Zack Creston lachte noch, als der Geist schon hohnvoll rief: »Bald wirst du brüllen vor Schmerzen, Erdenmensch. Aus deinem Lachen höre ich den Wahnsinn heraus, der dich bald umfangen wird. Blanker Wahnsinn, du Narr, der du ungerufen in Hunter McCrawls Reich eindrangst.« Spätestens zu diesem Zeitpunkt hätte der Sergeant die Konsequenzen ziehen und umkehren müssen. Doch er beachtete die Warnung aus dem Jenseits nicht. Stattdessen bekam er plötzlich einen Wutanfall. Ihm stieg die Galle hoch und der Kopf schwirrte ihm wie ein Bienenstock. Er sprang aus der Hocke hoch und stieß das Magazin zurück in den Rahmen, riegelte durch. Wieder feuerbereit, begann er zu schießen und stürmte dabei auf das graue Licht zu, das so rätselhaft am Gangende matte Helligkeit verbreitete. Wie eine Rakete kam der Sergeant aus dem Gang herausgeschossen, kam ins Stolpern, weil sich vor ihm ein Wirrwarr von Steinen auftürmte. Durch ein kleines Loch in der Decke drang Nebel. Und noch während er bemüht war, das Gleichgewicht zu halten, sah er einen Schatten im Hintergrund blitzschnell verschwinden. * Auch der Detektiv-Sergeant erkannte, dass durch die eingestürzte Höhlendecke ein Entkommen unmöglich war, da das Loch, durch das der Morgennebel drang, eine viel zu kleine Öffnung besaß. Noch im Betrachten der Möglichkeiten, fiel ihm der entschwundene Geist ein, der so schnell im Hintergrand der Höhle verschwunden war. Auf allen vieren kroch er über die losen, ratschenden Steine, überwand den Geröllberg und war dabei, auf der anderen Seite hinunter zu klettern. Der markerschütternde Schrei lahmte jede Bewegung. Und er war nahe, so verdammt nahe, dass höchste Wachsamkeit geboten schien. 44
Auf dem Hintern rutschte Zack Creston abwärts, steuerte mit der linken Hand sein Gleichgewicht. In der rechten hielt er die 38er - und die war auf den lang gestreckten Körper gerichtet, der halb in einer Pfütze lag, in die stetig Tropfwasser floss, das aus den Wänden kam. Nahe an den Körper heran trat der Sergeant nicht. Er hielt Distanz. Den still liegenden Körper bedeckte Schlamm und Dreck, so stark, dass kaum noch etwas von der Kleidung zu erkennen war. Deutlich sichtbar, überhaupt erkennbar, präsentierte sich ein blutverkrusteter Hinterkopf. »Hallo, Sie da.« Zack Crestons Augen verengten sich. Er wartete. Nach einigen Minuten des Schweigens überwand er den Sicherheitsabstand, neugierig geworden durch die stumme Reglosigkeit des Körpers. Der wie tot daliegende Mann wurde plötzlich von einem geheimnisvollen und gespenstischen Leben erfüllt. Die Arme begannen zu rucken, ahmten Schwimmbewegungen nach, begleitet von einem ächzenden Stöhnen. »Ihr Teufel, lasst mich in Ruhe. Ich rufe meinen Oheim, dessen Schwert den Schatz bewacht, nach dem ihr Jahrzehnte vergeblich sucht. Tötet mich nur. Seiner Rache entkommt ihr nicht.« Das sinnlose Gestammel endete in einem erstickten Schrei. Der Körper erschlaffte wieder, als wären die kleinen Bewegungen schon zuviel gewesen. Auf die Gefahr hin, einem Trick zum Opfer zu fallen, bückte sich der Sergeant und drehte den Mann um. Ein blutverkrustetes Gesicht starrte ihm entgegen, bleich, hohlwangig und angstverzerrt. Die geschlossenen Augenlider flatterten. Eine schreckliche Ahnung überfiel den Sergeanten. Hastig begann er in den Jackentaschen des Ohnmächtigen zu suchen, fand eine Brieftasche, klappte sie auf und entdeckte einen Pass, der auf den Namen Terry Donald Hunter McCrawl ausgestellt war. Zack Creston hatte den verschwundenen Sohn des Grafen gefunden. Der Verletzte bedurfte dringender ärztlicher Hilfe. Am meisten 45
bereitete die schwere Kopfverletzung Sorge, die den Kranken in geistige Umnachtung hüllte, aus der er nur selten erwachte. Das andere Problem stellte die verschüttete Höhle dar, aus der es kein Entkommen zu geben schien. An den verdammten Geist dachte der Sergeant erst wieder, als dieser erneut auftauchte. Das Erscheinen geschah so plötzlich und leise, dass Creston meinte, der Verfluchte müsse sich in der Luft geformt haben. Groß und übermächtig, von dem hereinfallenden Licht angestrahlt, stand er drei Schritte entfernt und starrte stumm herüber. Er war bekleidet mit einem viel zu weiten Mantel, der ihn völlig umhüllte, seine wirkliche Größe verbarg. Ein heller Fleck war dort zu erkennen, wo sich sein Gesicht befinden musste, aber nicht vorhanden war. Zack Creston hatte das Gesicht des jungen Grafen gewaschen und die Wunde mit einem abgerissenen Streifen seines Oberhemds verbunden. »Was das nur für ein Kerl ist?«, murmelte er in einer Art Selbstgespräch, den Geist aus den Augenwinkeln heraus beobachtend. Terry McCrawl, eben erwacht, antwortete sofort flüsternd: »Es ist ein Knappe meines Oheims.« »Der schon ein paar Jahrhunderte tot ist«, kam es wütend vom Sergeanten. »Sie glauben doch nicht im Ernst, dass die Toten auferstanden sind?« »Warum nicht? Als sie starben, waren überstarke Gedanken in ihnen, sagen wir besser, ein fester Wille. Der Geist triumphierte über den Körper. Können Sie das nicht verstehen?« Mitleidig beugte sich Zack Creston über den Kranken, ohne die Erscheinung aus den Augen zu lassen. »Natürlich kann es so etwas geben. Ich kann mir vorstellen, wenn ich mir Mühe gebe, dass Gedanken in bestimmten Räumen erhalten bleiben. Man merkt das deutlich, spürt die Atmosphäre, wenn man das Zimmer eines kürzlich Verstorbenen betritt. Dass aber ein nach Jahrhunderten Verstorbener sichtbar wird... Beim besten Willen, Sir, an so etwas kann ich nicht glauben.« Terry stöhnte. Die Schmerzen setzten wieder ein. Fast flüsternd, unter größter Anstrengung, sagte er: »Schauen Sie hin. Da steht so 46
ein Toter. Ist das nicht Beweis genug? Sie müssten mal eine Nacht auf Manor Crawl verbri...« Mitten im Satz brach er ab, sein Kopf sank zur Seite. Eine erneute Ohnmacht nahm ihm die Schmerzen. Während Zack Creston seine Jacke auszog, zusammenfaltete und Terry unter den Kopf schob, sah er zu der reglos verharrenden Gestalt hin. Im Zwielicht des beginnenden Morgens, das durch das kleine Loch in der Decke fiel, erinnerte sie ihn an einen mittelalterlichen Bauern, der bei Schlechtwetter sein Feld bestellte. Damals trugen die Bauern solche Kapuzenumhänge aus grob gewebten Leinen. Der Sergeant erhob sich, reckte seinen steif gewordenen Körper, ohne die 38er aus der Hand zu geben. Richtig knurrig wandte er sein angespanntes Gesicht der Erscheinung zu und sagte übellaunig. »So, nun zu uns, Halunke. Du kannst auf meine Hilfe rechnen, wenn du uns den Ausgang aus diesem Loch und der Todesschlucht zeigst. Ich lege ein gutes Wort für dich ein.« Der gesichtslose Geist, vielleicht sah er nur so aus, weil das Licht blendete, rührte sich nicht. Mit über der Brust verschränkten Armen stand er nur da. Eine lautlose Drohung. »Ich kann auch anders«, drohte nun der Sergeant. »Ich kann dir zum Beispiel ein Loch verpassen, durch das eine Katze springen kann. Noch gab es keinen Toten. Noch nicht. Sollte mir aber der junge Graf unter den Händen weg sterben, dann ist das vorsätzliche Tötung. Also, Halunke?« Der Geist lachte mit seiner tiefen, kehligen Stimme. Und er lachte immer noch, als der Detektiv zu ihm hinaufkletterte. Bis auf einen Schritt Distanz schaffte es der Sergeant, dem der Schweiß kitzelnd den Rücken hinunter rieselte. Unter dem langen weiten Mantel, der den Geist umhüllte, stieß ein Fuß hervor. Zum Vorschein kam rotbraunes Leder. Mehr war in der Schnelligkeit, in der alles ablief, nicht zu erkennen. Der zustoßende Fuß löste einen großen Stein aus dem Geröllberg, der viele kleine mit sich riss. Unter Gepolter und körperlichen Prellungen landete der Detektiv wieder am Beginn seines gefahrvollen Weges, verfolgt von dem schaurigen, gespenstischen Lachen. 47
Als Zack Creston seine Knochen gesammelt hatte und mit der 38er zu zielen begann, löste sich der Geist einfach auf. Ja, er löste sich auf, war von einem Moment zum anderen verschwunden. Nur ein sonderbarer Laut hing noch ein paar Sekunden in der nebelhaltigen Luft. Dort, wo der Geist verschwunden war, befand sich ein Loch in der Höhlenwand, knapp einen halben Meter im Durchmesser. Ein feuchter, stickiger Gestank überfiel Zack Crestons Nase - aber das war auch alles. Vorsichtig steckte er seinen Kopf in das Loch. Da war wieder dieses verrückte Gefühl, das ihn ungewollt beschlich. Es schien ihm, als würde ihn jemand beobachten, doch niemand war zu sehen noch zu hören. Aber das Gefühl, von versteckten Augen beobachtet zu werden, blieb. Schließlich glaubte er sogar leises Lachen zu vernehmen. Terry McCrawl kniete neben dem Sergeanten. Sein Zustand hatte sich gebessert, nachdem er den Kopf ins Sickerwasser gesteckt hatte. Auch an seine Ohren war das verhaltene Lachen gedrungen. Er erschrak und stammelte: »Das ist eine Schleuse zum Jenseits, Mr. Creston. Sie hat sich geöffnet und ein gespenstisches Wesen ins Diesseits gespieen.« Die Züge des Sergeanten bekamen Falten. Er sah Terry fragend an. »Vielleicht sind wir im Begriff, eine dieser Schwellen zu überschreiten«, fuhr Terry fort. »Der Geist ist unsichtbar, aber ich spüre deutlich seine Gegenwart.« »Man hat Sie von Jugend auf mit Sagen und Legenden konfrontiert«, stellte Zack Creston gelassen fest. »Das verliert man auch im erwachsenen Alter nicht. Ich habe Verständnis dafür, Sir. Doch, verzeihen Sie mir, ich kann an solchen Mummenschanz nicht glauben. Zugegeben, uns setzt einer zu, schwer sogar, aber muss es deshalb gleich ein Geist sein?« Zack Crestons Gelassenheit flößte dem Grafensohn Vertrauen ein. Er bekam wieder Mut und Lebenswillen. 48
»Sir«, sagte er mit Begeisterung in der Stimme. »Mit Ihnen zusammen würde ich in das Maul des Teufels spucken.« »Fein. Aber vergessen Sie nicht: Gehen Sie immer dicht an der Wand entlang.« »Für Sie bin ich Terry.« Er streckte seine feingliedrige Hand aus. Zack Creston zwang sich zu einem Grinsen, packte die Hand und sagte: »Allright. Ich bin Zack. Und nun los, Terry. Ich klettere als erster in das Loch. Sollte ich im Jenseits landen, wenn es eine Schleuse ist, dann reserviere ich ihnen einen Logenplatz.« »Logenplatz?« »Ja, der vielen kleinen Englein wegen.« Sehr eng tat sich ein Gang auf, der in unbekannte Tiefen führte. Zack Creston schnippte sein Feuerzeug an und ließ Terry nachkommen. »Ihre Vorfahren, Terry, müssen in enger Verbindung zur Todesschlucht gestanden haben, denn dieser Gang wurde auch von Menschenhand gehauen. Es wäre interessant, der Vergangenheit auf die Spur zu kommen. Man könnte zum Beispiel ein Buch darüber schreiben. So etwas wird immer gern gelesen.« »Nur ein Buch schreiben?«, fragte Terry zurück und in seiner Stimme lag ein Lauern, das nicht zu überhören war. Im neu entdeckten Gang war es kühl - eine dumpfe, modrige Grabeskühle. Der Sergeant schüttelte sich. Dann lachte er salzig auf. »Ich bin Polizeibeamter, vergessen Sie das nicht, Terry. Mich fesselt wirklich nur alles, was einst gewesen war.« Terry nickte, den Sergeanten prüfend anschauend. Als er sprach, blinzelte er über die schwache Flamme des Feuerzeuges hinweg. »Und wenn Sie bei Ihren Nachforschungen auf etwas Wertvolles stoßen?« Zack Creston löschte das Feuerzeug. Dunkelheit umgab die zwei Männer, in die die Worte besonders schwer fielen. »Möglich ist alles. Vielleicht finde ich etwas. Aber Sie denken an die Mär der verschwundenen Schatztruhen, nicht wahr?« Bevor Terry zu einer Antwort ansetzte, schallte ihm ein wildes, teuflisches Gelächter entgegen, das nicht von dieser Welt war. 49
Zack Creston drückte den Grafensohn gegen eine Wand des Ganges. »Still!« Der Nachhall des Höllengelächters zitterte noch immer in der Luft. Terrys keuchender Atem stockte. »Zack, werden wir bald Geistergesellschaft erhalten?« »Möglich. Es könnte Hunter McCrawl sein, der vor dreihundert Jahren in die Todesschlucht sprang«, unkte der Detektiv. »Lassen Sie ihn nur kommen. Er muss den Weg aus diesem Labyrinth besser kennen, als jeder andere.« »Ihre spöttischen Reden, Zack, bringen Unglück.« »Bockmist. Meinen Sie, es könnte noch schlimmer kommen?« Der Gang schlängelte sich unterirdisch dahin. Keine Nässe tropfte mehr von den Wänden. Die nach einem Ausweg suchenden Männer waren umgeben von nacktem Felsgestein. »Lange macht das Feuerzeug nicht mehr mit«, sagte der Sergeant, alle Winkel ausleuchtend auf der Suche nach einer Fackel, die von den alten Rittersleuten in Geheimgänge deponiert wurden. »Sie werden keine finden, Zack«, erklärte Terry. »Seit damals, wo man die Gänge benutzte, sind Jahrhunderte vergangen.« »Na ja. Ich dachte halt, man hätte im letzten Weltkrieg die Anlage als Luftschutzbunker benutzt.« »Nicht, dass ich wüsste.« »Aber es müssen Leute hier gewesen sein«, beharrte der Sergeant. »Schauen Sie selbst. Alle Spinnengewebe sind zerrissen.« Wieder durchrieselte Terry dieses seltsame Gefühl der Angst. »Oheim«, murmelte er, als riefe er um Hilfe. Und als hätte der Geist des Hunter McCrawl den Ruf vernommen und gäbe ein Zeichen, leuchtete ein Feuer auf, hüpfte empor und hüllte die zwei Männer ein, umgab sie mit starkem Schwefelgestank. »Jemand gibt sich große Mühe, uns am Vorwärtskommen zu hindern«, sagte der Sergeant kehlig. »Es ist die Handschrift eines Profis.« »Sie meinen...?« »Ich weiß nur mit Bestimmtheit, dass es noch nicht vorbei ist.« »Alles deutet auf Hunter McCrawl hin, Zack. Wenn Sie die Chronik lesen würden, was der alles...« 50
Schroff unterbrach der Sergeant. »Lassen Sie mich mit diesem Hunter McCrawl in Ruh. Appellieren Sie lieber an Ihren Verstand. Oder wollen Sie mir tatsächlich einreden, dieser Tyrann gehe heute noch um?« »Ich weiß nicht«, sagte Terry laut. »Es gibt da ein paar interessante Aspekte. Die dürfen wir nicht vergessen.« In wortloser Wut schlich der Sergeant weiter. Jeder Schritt bereitete ihm große Mühe, denn der Gang blieb niedrig, erweiterte sich auch nicht in der Fortführung. Minutenlang ging es schweigend weiter. Bis von hinten, wo Terrys schleifende Schritte erklangen, ein Schrei aufbrandete. Nur der Grafensohn konnte geschrieen haben! Zack Creston presste seinen Rücken gegen die Gangwand und spähte hinter sich, wo schwärzeste Finsternis lastete, er beim besten Willen nichts sehen konnte. »Terry, was ist los?« Keine Antwort. Die Hände ertasteten den liegenden Körper, zuckten zurück, schossen aber nach der Schrecksekunde wieder nach vorn. »Terry...?« Zack Creston rief nach dem jungen Grafen. Er war sich völlig sicher, dessen Körper erfühlt zu haben. Die Ratlosigkeit machte ihn nervös, tauchte doch die Frage auf, ob Terry von dem hier unten herrschenden ›Geist‹ getötet worden war. Der Rest Gas im Feuerzeug genügte vollauf, um festzustellen, dass Terry nur ohnmächtig war durch zu große Anstrengung. Der Sergeant befand sich allein, mit einem Schwerkranken, in dem Ganggewirr unter Manor Crawl, von dem er nicht wusste, wie er ihm entrinnen konnte, das mit größter Wahrscheinlichkeit den Tod für ihn bedeuten konnte. Der Körper des jungen Grafen war schwer. Sicher hätte ihn der Sergeant auf seinen breiten Schultern tragen können, wäre der Gang nicht so niedrig gewesen und so verdammt eng. So musste er den Körper hinter sich herschleifen, womit viel Zeit verloren ging. 51
Zack Creston erreichte das Gangende, ohne dass Terry aus seiner Ohnmacht erwacht war. Erstaunt sah er sich um. Da befand sich doch tief unter der Erde ein saalartiges Gewölbe, gemauert aus Natursteinen, gestützt mit Marmorsäulen, das vom Zahn der Zeit angenagte Möbel, Teppiche und Gobelins beherbergte, ein riesiger, unterirdischer Raum, den frühere Ritter aufsuchten, wenn oben Gefahr drohte. Neue Kraft schöpfte der Sergeant, sagte er sich doch folgerichtig, dass es nunmehr Ausgänge geben musste, die ihn ans Tageslicht führten. Terry McCrawl schlug die Augen auf, als ihn der Sergeant auf einen flachen Stein legte, der sehr an einen mittelalterlichen Altar erinnerte, vielleicht sogar ein Opferstein gewesen war. »Was ist passiert, Zack?« »Sie waren weggetreten. Aber keine Sorge, das bekommen wir schon hin. Jedenfalls haben wir den engen Durchschlupf hinter uns. Sehen Sie sich mal um. Ist das nicht ein gemütlicher Raum?« Terrys Augen begannen zu glänzen und seine Stimme wurde stärker. »He, Zack, wenn wir nicht auf Hunter McCrawls Geheimnis gestoßen sind?« »Ich weiß nicht.« »Ganz bestimmt sogar. Sehen Sie mal die Ornamente an, die in den Gobelins drüben eingewebt sind. Wenn das keine Zeichnung ist, die uns Hinweise auf...« Zack Creston schaute zu dem Kranken, wollte fragen, warum dieser mitten im Satz abbrach. Da brachte er selbst kein Wort mehr hervor. Terrys Augen waren schreckgeweitet und blickten in eine ganz bestimmte Richtung. Seine Lippen zitterten über zusammengebissenen Zähnen. Das war Angst, nackte, entsetzliche Angst. Der Sergeant beugte sich vor, erweckte den Anschein, als wollte er sich um Terry kümmern. Dass er dabei, unter dem linken Arm hervor, in die Ecke schielte, in der etwas Gespenstisches stehen musste, das Angst einjagte, wurde nicht bemerkt. 52
Seine Gedanken stockten. In diesem Augenblick verdichtete sich eine Gestalt, gewann Plastizität und trat mit lautlosen, schwebenden Schritten näher und verharrte erst, als der Sergeant einen fauchenden Laut von sich gab. Ein großer, hagerer Mann mit einem grauen Gewand, das bis hinab auf den Boden reichte, so dass es aussah, als würden die Füße den Boden nicht berühren, war erschienen. Der Mann stand dort, wo der Sergeant einen Ausgang vermutete ohne Licht, umgeben von einer Aura des Bösen. Er verharrte jetzt stumm und starrte aus hellen Augen herüber. Der Sergeant spürte die wachsende Spannung körperlich. Als sie immer größer wurde, sagte er: »Tritt näher und gebe dich zu erkennen.« Er verstummte hart. Dann wartete er mit hängenden Fäusten. »Zack, Sie können nicht...« Terry beließ es bei dem angefangenen Satz und knackte seine Finger vor Nervosität. Aber da war der Sergeant schon unterwegs, konnte nicht mehr gebremst werden. Die drohende Erscheinung wich nicht zurück. Vielmehr holte sie zum Schlag aus. In diesem Moment wurde sie von der Faust des Sergeanten getroffen. Ohne einen Ton von sich zu geben, torkelte sie wie trunken hin und her und ging zu Boden. Der Fuß des Detektivs wollte das Gespenst am Boden festnageln, kam aber um den gewissen Bruchteil einer Sekunde zu spät. Schlangengleich glitt der Geist des Mannes zur Seite, der einst Manor Crawl und seine Menschen beherrschte. Es war eindeutig der Tyrann, bestätigt durch Terry, der wimmernd rief: »Oheim, helfe uns hier heraus, lasse uns nicht verhungern. Siehst du nicht, dass wir am Ende sind?« Ein grelles, teuflisches Gelächter, das überhaupt durch den unterirdischen, einst prunkvollen Raum hallte, kam als Antwort zurück. Terry McCrawl stieß ein irres Lachen aus. »Der lacht nur über Sie, Zack. Ich warf faustgroße Steine nach ihm - und was machte er? Er fing sie auf und bombardierte mich damit. Ich sage Ihnen, nichts und 53
niemand ist dem gewachsen. Well, ich hätte nicht die Höhle betreten dürfen. Mein Erscheinen muss ihn geweckt haben.« Zack Crestons verhärtete Miene lockerte sich etwas, als er fragte: »Warum kamen Sie überhaupt nach hier? Sie hatten doch einen Autounfall?« Er war mit einemmal heiser, hatte ein verkniffenes Gesicht und glänzende Augen. »Autounfall?«, echote er. »Ja. Ihr Wagen steht noch an der steilen Böschung. Ich habe ihn mir angesehen, dabei Ihr blutiges Taschentuch gefunden.« Terry wich zurück, streckte die Hände abwehrend vor und begann mit schriller Stimme zu kreischen: »Die Teufel, Zack. Tausend Teufel jagten mich. Überall saßen sie, auf dem Wagendach, auf der Motorhaube...« Des Sergeanten Augen glitten zu Terry hinüber. »Teufel? Viele Teufel?« »Ja, Zack. Es waren viele, sehr viele und sie trieben mich in die Todesschlucht. Ich flüchtete in die Höhle. Erst von da an ließen sie mich in Ruhe. Hunter Crawl, mein Ahne, flößte ihnen Furcht ein.« Der Sergeant rang mit sich. Den Urahn aller McCrawls hatte er kennen gelernt, zumindest seine spukhafte Gestalt gesehen, die von Terry identifiziert worden war. Aber was faselte da der Grafensohn von vielen Teufeln? War er geistig verwirrt oder war es die Nachwirkung eines Schocks, hervorgerufen durch den Autounfall? Fragen, die er nicht klären konnte. Stattdessen sagte er in einem fast kasernenhaften Ton: »Wir müssen nach einem Ausgang sehen, Terry. Suchen Sie da drüben, während ich hier beginne, die Wände abzuklopfen.« * Der Gang wurde immer enger. Die Männer konnten ihn nur noch robbend begehen. Und er war brüchig. Der nackte, blanke Fels war Tonerde gewichen, die hart verkrustet Wände und Decke bildeten. 54
»Ich komme kaum noch vorwärts«, sagte der Sergeant. »Das Ding ist so schmal wie ein Fuchsbau geworden. Fast glaube ich, dass ich wie ein Keil stecken bleibe.« Von hinten kam die flehentliche Bitte. »Versuchen Sie es noch einmal, Zack. Es ist unsere letzte Chance, lebend aus diesem Gewirr herauszukommen, wo wir doch diesen Gang, versteckt hinter einer Wand, fanden. Bitte, nur noch einmal.« »All right. Lassen Sie mich erst verschnaufen.« Dann, nach einer knappen Minute: »Wenn ich mich fest ramme, müssen Sie mich rausziehen, Terry.« Mit aller ihm zur Verfügung stehenden Kraft stieß Zack Creston seine geballte Faust nach vorn. Er traf auf einen Stein und zuckte stöhnend zurück. Dann versuchte er es noch einmal - und stieß durch. Als er die Hand zurückzog, rieselten Erdklumpen auf ihn nieder. Doch mit ihnen kam frische, würzige Waldluft. Wie ein Maulwurf schaufelte und grub der Sergeant mit bloßen Händen ein Loch, durch das er sich stemmen und später Terry nachziehen konnte. Als er freien Himmel über sich sah, warf er sich der Länge nach hin und saugte die Luft ein. »Terry?« »Ja?« »In meiner rechten Jackentasche... die Zigaretten...« Zack Creston rauchte und als er später die Kippe wegwarf, fragte er: »Wo befinden wir uns? Kennen Sie sich aus?« Terry nickte. »Und ob ich mich auskenne. Wir befinden uns in einem abgelegenen Hof des Schlosses und zwar in einem Teil, der seit vielen Jahren nicht mehr benutzt wird. Früher, als wir noch Landwirtschaft betrieben, befanden sich hier die Stallungen, Wagenremisen und Gesindehaus.« »Mann, dann haben wir es ja geschafft.« Terry blieb sitzen, den Kopf zwischen den Händen. »Ja, wir haben es geschafft. Ein paar Schritte und ich bin zu Hause. Aber ich wäre lieber woanders.« 55
Ohne aufzusehen und ohne seine Stellung zu verändern, die tiefste Niedergeschlagenheit ausdrückte, antwortete der junge Graf tonlos: »Sie laufen mir alle weg.« »Hä...?« »Ja, Sie hören schon richtig. Kein Mädchen hält es bei mir aus. Sobald ich eine meinen Eltern vorgestellt habe, kommen sie höchstens noch einmal. Damit Sie mich richtig verstehen, Zack. Es liegt...« »Es liegt an eurem verdammten Starrsinn«, unterbrach der Sergeant. »Jeder quatscht nur von der Vergangenheit, beschwört damit förmlich den Aberglauben herauf.« »Aber das...« »Und dazu kommt eure Raffsucht. Ihr seid nämlich gar nicht so reich, wie ihr tut. Jeder glaubt an die verschwundenen Schatztruhen des Hunter McCrawl und achtet eifersüchtig darauf, dass ihm kein anderer zuvorkommt. Ich glaube, jeder von euch sucht danach, heimlich, nachts, wenn alle Katzen grau sind.« »Nun ja«, bequemte sich Terry zu antworten. »Zum Teil mag es stimmen. Aber ich, zum Beispiel, habe nie nach den Truhen gesucht. Die Mädchen meiden mich, weil ich ihnen Angst einflöße. Ich wäre so melancholisch, düster, unnahbar.« »Logisch«, kam es sofort vom Sergeanten. »Bei der Umgebung... Ich hätte schon längst Reißaus genommen, wenn ich nicht im Dienst wäre.« »Ach, lassen wir das, Zack. Ich habe Hunger und Durst. Lassen Sie uns hinüber ins Schloss gehen.« * Ein eigenartiges Gefühl ergriff Besitz von Zack Creston, es wurde ihm bewusst, dass er es bis zu diesem Augenblick nicht geglaubt hatte. Aber jetzt konnte er es sehen, konnte es hören. Es herrschte früher Morgen. Die Dunkelheit kämpfte noch gegen den aufkommenden Tag an. Dicht über der Erde wogten Nebel, kompakt, noch von keinem Sonnenstrahl getroffen. 56
Etwa hundert Meter voraus, ragten die gezackten, brüchigen Reste einer Wehrmauer aus den Nebelwolken hervor. Ganz in der Nähe krächzte ein Rabe. Sein schwerfälliger, klatschender Flügelschlag durchbrach die Stille. Aber das kümmerte den Geist nicht. Unbeirrbar stolzierte er auf den Resten der Wehrmauer hin und her wie ein Spaziergänger im Park. Der lange, viel zu weite Mantel des Geistes schleifte. Eigentlich hätte er loses Mauerwerk nieder rieseln lassen müssen. Aber dem war nicht so. Alles blieb still. Unheimlich still. Ein gespenstisches Schweigen lag über dem Vorhof von Manor Crawl, das keinen natürlichen Ursprung hatte. Es war geradezu irreal mit ansehen zu müssen, wie die männliche Gestalt lautlos über die Mauerkrone glitt, umhüllt von Nebelschwaden, die ein genaues Erkennen unmöglich machten. Terry McCrawl musste mit Blindheit geschlagen sein, ging er doch geradenwegs auf die Mauer zu, die Besuch aus dem Jenseits beherbergte. Der Warnruf des Sergeanten kam zu spät, ging unter im Hohngelächter des Geistes, der von der Wehrmauer herunter gesprungen kam. Knapp vor dem Erben von Manor Crawl kam er zum Stehen. Terry verharrte schreckgelähmt. Als er endlich reagieren und die Flucht ergreifen wollte, kam unter dem weiten Mantel des Geistes ein nackter Arm zum Vorschein. Zack Creston, der alles beobachtet hatte, sah das Messer in der Hand des schrecklichen Hunter McCrawl aufblitzen. Der Geist, dessen Habsucht die bluteigenen Nachkommen nicht verschonte, war bereit zum Morden. Das Ziehen der Dienstpistole hätte zu lange gedauert. Das Messer war bereits erhoben, musste nur noch gesenkt werden, um Terrys Brust zu treffen. Wie ein verwundeter Elefantenbulle brüllte der Sergeant auf. Sein Schrei prallte regelrecht gegen den mordenden Geist, ließ ihn zögern, sein blutiges Handwerk zu vollenden. 57
Da hatte sich der Detektiv schon gebückt. Jetzt bekam der Sergeant einen größeren Stein zwischen die Finger. Kurz wog er ihn. Dann holte er weit aus. Dem schnellen Flug des Steines konnte auch ein Geist nicht entfliehen. Wohl versuchte er es, ließ das Messer in der Erde stecken und sprang wie von der Sehne geschnellt hoch, wie schon einmal in der Höhle. Aber da war der Stein schon heran, traf zwischen die Schulterblätter und ließ das Phänomen eines längst Toten taumeln. Ein lauter, dumpfer Ton war aufgekommen, als habe der Stein ein mit Kleidern behangenes Skelett getroffen. Es gab sogar so etwas wie ein hohles Echo. Zack Creston setzte nach, glaubte hier im Freien leichtes Spiel zu haben. Das tiefe Knurren warnte ihn, stoppte aber nicht seinen Sprung. Knapp neben dem weiten Mantel des Gespenstes landete er, griff sofort zu und bekam derben Stoff zu fassen. Aber das war es nicht, was er bezweckte. Von Anfang an war ihm aufgefallen, wie geschickt die Erscheinung es verstand, ihr Gesicht zu verbergen. Jetzt hatte er ein Kleidungsstück von ihr fest in der Hand und es hätte schon mit dem Teufel zugehen müssen, wenn er die Geisterfratze nicht zu sehen bekam. Hunter McCrawl hatte sich dem Teufel verschrieben, nach dem er vor über dreihundert Jahren all seinen Besitzern Gold und Geld versteckt hatte und danach in die Todesschlucht sprang, umzingelt von aufständischen Bauern, deren Masse er mit dem Schwert nicht niedermähen konnte. Jetzt und hier stand ihm nun ein Mann gegenüber. Dazu ein Sterblicher, der nicht einmal die weiße Magie beherrschte. Also aktivierte er seine vom Teufel verliehenen Fähigkeiten, bildete ein Kraftfeld, dem zu widerstehen nichts und niemand in der Lage war. Zack Creston bekam einen Schlag ins Genick, der ihn in Sekundenschnelle von den Beinen holte. Halb benommen sah er einen Schatten - oder war es Nebel - über die Mauer flüchten. 58
Bevor er sich Klarheit verschaffen konnte, wer oder was ihn von hinten gefällt hatte, umgab ihn grelles satanisches Gelächter, drang auf ihn ein, dass es regelrecht schmerzte. Umhüllt von ziehenden Nebelfetzen, stand da das furchtbare Gespenst und krümmte sich vor Lachen. Als jäh das Lachen abbrach, stieß der erste Sonnenstrahl durch die Wolken und traf das lachende Gespenst voll ins Gesicht. Schmerzen mussten den Geist aus der Hölle quälen, stieß er doch einen schrecklichen Laut aus und schlug die Hände vor das Gesicht, das von der Sonne angestrahlt wurde. Nur einen Atemzug lang war das Gesicht zu erkennen gewesen, aber der genügte, um Terry zurückweichen zu lassen, der sich heimlich neben dem Sergeanten aufgestellt hatte. Ein entsetzlicher Schrei brach über die Lippen des jungen Grafen. Dann, schrill und übernatürlich hoch: »Das ist nicht Hunter McCrawl. Das... das ist der Teufel persönlich!« Die so bezeichnete Erscheinung drehte ihr Gesicht aus der Sonne, barg es im Schatten, den die alten Gemäuer warfen. Der unbekannte, geheimnisvolle, Gefahr ausstrahlende Geist stieß plötzlich einen schrillen Wutschrei aus, sprang in Richtung Wehrmauer, wobei er hassvolle Worte ausstieß. »Auch die letzten McCrawls werden von der Hölle verschlungen, bis nichts mehr an sie erinnert. Nur der Tod kann auslöschen, was sie verbrachen. Am Tage der Sonnenwende, wenn hier große Reisighaufen brennen, wird sich die Erde über den letzten McCrawl schließen.« Die furchtbare Drohung hing noch in der Luft, da wallten erneut Nebel auf und hüllten die Erscheinung ein. Zurück blieb, für das Auge sichtbar, der nackte Arm. Sein Anblick, wie er allein, ohne Körper, aus dem Nebel ragte, jagte Wellen der Furcht durch Terry. Haltlos begann er zu schreien und verstummte erst, als ihn der Sergeant hart anfuhr: »Terry, lassen Sie sich nicht bluffen.« »Was heißt bluffen? Zwei Tage lang wurde ich von Teufeln gejagt. Wissen Sie, wie der Autounfall zustande kam?« »Weiß ich, Terry. Jemand lockerte die Bremsleitung.« 59
»Nein.« »Doch. Was Sie für Teufel hielten, waren Wahnvorstellungen, genährt vom Aberglauben, den man Ihnen seit frühester Jugend einbläute.« Terrys Augen weiteten sich. »Ich sah sie rennen, Zack.« »Ja, in Ihrer Phantasie, hervorgerufen durch die Kopfverletzung. Es wird höchste Zeit, dass ein Arzt nach Ihnen schaut.« »Dann bin ich verrückt?«, kam es wie ein Aufschrei von Terry. Zack Creston klopfte ihm auf die Schulter. »So wenig verrückt wie ich. Um ehrlich zu sein: Bereits zweimal zweifelte ich an meinem Verstand. Besonders, weil mir keine logische Erklärung einfällt. Auch jetzt, wo dieser komische Kerl im Nebel verschwand, regelrecht aufgesaugt wurde, als wäre er selbst ein Teil der Natur.« »Das ist er auch.« Terry nickte heftig. »Sein Leib wurde zu Erde. Seine Seele geistert noch umher.« »Entschuldigen Sie bitte, Terry, aber das ist mir zu simpel.« Terry stieß ein nervöses Lachen aus, fing sich, sagte dann mit seltsamer Ruhe: »Wir gehen ins Schloss, Zack. Wir werden duschen, uns rasieren und frühstücken.« »Das klingt vernünftig, mein Freund. Ich könnte einen ganzen Ochsen auffressen.« * Zack Creston hörte das Hüsteln im halbdunklen Gang, als er aus dem Badezimmer kam und wirbelte herum, ließ sich auf ein Knie fallen, die 38er, vom Handtuch noch verdeckt, in der Hand. Plötzliche Furcht schwang in der Stimme, die das Hüsteln unterbrach. »Ich bin's, Sergeant, Horatio McCrawl. Sie lernten mich im Zimmer meiner Nichte kennen.« »Eben haben Sie sich sehr schnell ums Leben bringen können«, informierte Creston den Bruder des Schlossherrn. »Äh, wer konnte ahnen, dass ausgerechnet Sie hier...« 60
»Hat man's Ihnen noch nicht geblasen?«, unterbrach der Sergeant scharf grinsend. »Ich bin Gast von Mylady. Sie lud mich höchstpersönlich ein zu bleiben.« Das Familienanhängsel produzierte den Schatten eines Grinsens. »Na ja, Marcia, die alte Schachtel, hat eben Launen.« Er kicherte höhnisch und fuhr dann sarkastisch fort: »Gefrühstückt haben Sie nicht? Wahrscheinlich werden Sie Manor Crawl hungrig verlassen müssen. Das herrische Luder bringt es fertig und wirft Sie in der nächsten Minute raus.« Lachend entfernte sich das nicht arbeitende Familienmitglied. Zurück blieb Zack Creston, nur mit der Hose bekleidet, in der Hand das Frotteetuch - und die 38er. Er ging weiter, mit einem grüblerischen Ausdruck im Gesicht. Der Sergeant zog die Tür hinter sich zu und wollte nach links gehen, als er beinahe mit einem Kerl zusammenstieß. Er hatte die exakten Maße eines Skeletts und verbreitete um sich herum die kühle Kälte einer Katakombe. Zack Creston stieß den Atem über die Zähne. Unbewusst umklammerte er fester die 38er Automatic. So ein Typ flößte tiefstes Misstrauen ein. Sekunden des Anstarrens vergingen, in denen jeder den anderen einzuschätzen versuchte. Nicht einen winzigen Augenblick senkte der Detektiv-Sergeant den Blick. Im Gegenteil. Härter, zwingender wurde der Ausdruck seiner Augen. »Sir...?« Das dürre Männchen gab auf. Mit seinen Nerven war es nicht zum Besten bestellt. Zack Creston schaltete sofort, wusste, dass er einen Lakaien vor sich hatte. Nicht, dass er etwas gegen Bedienstete hätte, er war ja selbst angestellt. Ihn ärgerte das freche Starren aus den dreckigen, verschlagenen Augen. Nur deshalb sagte er barscher als gewollt: »Was willst du von mir?« Der linke Mundwinkel des menschlichen Skeletts bog sich nach unten, was dem Gesicht einen bösartigen Ausdruck verlieh. Bösartig 61
klang auch die hastig hervorgebrachte Frage. »Sie haben meinen Herrn gesehen. Wohin ist er gegangen?« »Ich habe Mylord nicht gesehen. Außerdem geht dich das nichts an.« »Aber er muss an Ihnen vorbeigekommen sein.« Der Sergeant runzelte die Stirn, antwortete unwillig: »Ich sah nur seinen Bruder, Horatio.« Die Augen des Kerlchens verengten sich. Sie sahen den Detektiv abschätzend an. »Den meine ich doch, Mann...« »Woher soll ich wissen, dass sich Horatio McCrawl einen Diener leisten kann, dazu noch einen wie dich?« »Vielleicht koste ich nichts, he?« Seltsame Worte eines Dieners, schoss es dem Detektiv durch den Kopf. Der Kerl sieht aus, als hätte der Teufel bei ihm Pate gestanden. Und während er noch in das grinsende Gesicht starrte und überlegte, wozu das lange Messer gut sei, ging der Kerl rückwärts davon, war nach zwei, drei Schritten verschwunden. Lautlos ging alles vor sich und gespenstisch. Schon atmete der Sergeant auf, denn solche Begegnungen hatten immer etwas Gefährliches an sich, da fühlte er kalte knöcherne Hände, die sich um seinen Hals schlangen. Reaktionsschnell riss er die Arme hoch, umklammerte mit beiden Händen die Gelenke des Würgers. Zack Creston bekam blanke Knochen zu fassen. So laut er konnte rief er um Hilfe, hoffte von dem skelettartigen Diener gehört zu werden, der ja eben erst gegangen war. Ungehört verhallte sein Hilferuf in der Weite des Hauses.
Der kann mich schon hören, denn es sind seine Knochen, die mich würgen. Siedend heiß durchfuhr den Sergeanten der Gedanke. Ja, nur so konnte es sein. Der Kerl, ein böser Geist, schon vom Ansehen her, hatte sich unsichtbar von hinten herangeschlichen.
Während der Sergeant alle Kräfte einsetzte, um die harten Knochen, die seinen Hals zudrückten, herunterzureißen, ging ihm die Frage nicht aus dem Sinn, warum ausgerechnet ihm der Angriff galt. Soviel hatte er nämlich schon mitbekommen. Der oder die Geister gingen 62
nur darauf aus, den Namen McCrawl zu tilgen - um die von Hunter Crawl versteckten Schatztruhen zu finden. Ersteres konnte hingenommen werden, wenn man sich in die Gedankenwelt eines Geistes versetzte, zweiteres aber auf keinen Fall. Ein Geist, als die ruhelose Seele eines Toten, kann durchaus rachelüstern sein, wenn man ihm zu Lebzeiten Übles antat. Aber dass ein Geist auf irdische Reichtümer aus war, mit denen er nichts anfangen konnte, war absurd. Ich muss etwas entdeckt oder aufgespürt haben, überlegte Zack Creston weiter, das den dunklen Mächten, die in Manor Crawl hausen, unangenehm ist, für sie Gefahr bedeutet. Aber auch wenn der Sergeant die Wahrheit erfahren hätte, als toter Mann konnte er mit ihr nichts anfangen. Der Druck auf den Hals wurde immer stärker, als presse ihn eine Stahlklammer zu. Nur noch Sekunden, dann war der letzte Rest Luft in den Lungenflügeln verbraucht. Gerade, als der Sergeant nach hinten austreten wollte, um das Schienbein des heimtückischen Angreifers zu massieren, bekam er einen kräftigen Stoß. Augenblicklich ließ er sich zur Seite fallen und drückte sein Gesicht in den persischen Teppich. Er hörte den Fuß über sich hinwegzischen. Der Absatz streifte sein Haar. Als der Fuß des Gespenstes gegen die Flurwand schrammte, wo eben noch sein Kopf gewesen war, drang der Geruch von Moder und Leichen in seine Nase. Aber da drückte er sich auch schon hoch und griff mit beiden Händen nach dem Bein, das ihn treten wollte. Er hob es an, bis das Gespenst stolperte und hinfiel. Der Angreifer trug den langen, weiten Mantel, der ihn schon vor einer reichlichen Stunde im Vorhof unkenntlich machte. Kurz nur sah der Sergeant das Gesicht, als es gerade hastig weggedreht wurde: Eine grauenerregende Maske in Hass. Die Wangen wirkten aufgeplustert, die Augen waren zu Schlitzen zusammengezogen, die Zähne schimmerten gelb bis schwarz, so richtige Stumpen, denen atemberaubender Gestank entströmte. 63
Im Abdrehen schlug der Geist mit der linken Hand eine Finte und erwischte den Sergeanten mit einer harten Rechten am Kopf. Wenn sie voll getroffen hätte, wäre der Kopf wahrscheinlich weggerissen worden. Aber Zack Creston war im letzten Augenblick nach unten weggetaucht und hatte seinem Peiniger dabei einen soliden Haken in die Magengrube gesetzt. Der Geist grunzte. Er wich vielleicht zwei Zentimeter zurück. Dann holte er seine Ramme ein zweites Mal hervor, wischte an Crestons Gesicht vorbei, nahm das linke Ohr mit. Jedenfalls hatte der Sergeant keine Hoffnung, es später noch an seinem altangestammten Platz zu sehen. Geister sind Luft oder gasförmige Körper, hatte der Sergeant gedacht. Jetzt wusste er, dass unter dem alten Mantel eine dicke Lage Zement sein musste. Er würde eher seine Handknöchel blutig schlagen, als den Geist entscheidend treffen. Von Zack Crestons letztem Hieb war die Geisel von Manor Crawl doch etwas aus dem Gleichgewicht gekommen. Das gab dem Sergeanten neuen Mut. Er zielte diesmal auf die Stelle zwischen Hals und Schulter. Aber nicht mit der geballten Faust. Er hatte die Hand ausgebreitet, den Daumen weit ausgestreckt. Der Geist war zu nahe, als dass der Sergeant alle Kraft in diesen Schlag hätte legen können, aber er tat auch so schon eine Menge Wirkung, was großes Erstaunen hervorrief, wo doch die Wesen aus den Zwischendimensionen unempfindlich gegen körperliche Schmerzen sein sollen. Der Geist, der im Mantel eines mittelalterlichen Feudalherren auftrat, stolperte zwei Schritte zurück und hielt sich mit den weißen, knöchernen Fingern an der Wand fest. Zu Boden ging er nicht, aber ein paar Sekunden lang war er nicht ganz auf der Höhe. Und das gab Zack Creston Zeit, die 38er am Lauf zu packen, anzuheben und auf den hutbedeckten Schädel zu schlagen. Der Geist ging endgültig zu Boden. Er blieb eine halbe Sekunde lang auf Händen und Knien liegen, dann sackte er mit dem Bauch auf den Teppich. 64
Während sich der Sergeant dem stöhnenden Geist näherte, wunderte er sich, dass niemand erschienen war, hatte doch der Schlagabtausch erheblichen Lärm verursacht. Die Kirchenglocke von Manor Crawl schlug mit einem dumpfen, stählernen Klang durch den beginnenden Morgen. Der Sergeant bückte sich über den besiegten Geist. Gerade da verhallte der Glockenton und es mischte sich ein anderes Geräusch hinein. Zack Creston verharrte in gebückter Stellung. Seine Augen huschten nach links und rechts. Das warnende Geräusch hatte geklungen, als wenn ein eisenbeschlagenes Pferd, auf nur einen Bein, den Flur herauf käme. Am Ende des langen Ganges tanzten Staubkringel in den durch ein Fenster hereinfallenden Sonnenstrahlen, die das graue Licht zu vertreiben suchten, das in dem alten Gemäuer lastete wie Nebel und Dunst. Aus dieser Masse der sterbenden Nacht löste sich eine Gestalt und kam humpelnd näher. Bei jedem Schritt ertönte das metallene Pochen. Sieh einer an, dachte der Sergeant. Der Teufel! Höchstpersönlich. Mit Fleisch und Knochen. Er sah immer noch so leichenhaft und tödlich aus wie das letzte Mal, als er ihn in der unterirdischen Grotte kurz gesehen hatte, aber als Einbildung abtat. Der Magen des Detektivs krampfte sich zusammen. Irgendetwas musste ihm gesagt haben, genau in diesem Augenblick aufzustehen. Eine Sekunde später wäre es zu spät gewesen. Er hatte nicht gesehen, dass der heranhumpelnde Teufel den Arm bewegte. Er hörte auch nichts - erst das Klirren des Messers, als dieses von der Flurwand abprallte. Er fühlte lediglich den Luftzug, als die Klinge danebenging. Der Rest war in wenigen Sekunden vorbei. Er dachte überhaupt nicht nach. Es war, als reagierte er automatisch, instinktiv. Er ging in die Hocke, federte dann hoch, sprang zur Seite und griff dabei zur 38er. Zack Creston war noch in der Luft und hatte das Schießeisen schon in der Hand, als er sah, wie die Teufelsgestalt ein zweites Mes65
ser warf. Auch diesmal hörte er nichts, aber er fühlte, wie die Klinge seine Rippen streifte. Da sich alles in Bruchteilen von Sekunden abspielte, war der Sergeant noch in der Luft, aber er hatte den Arm der 38er ausgestreckt und brachte einen Schuss an, kurz bevor er auf den Boden fiel und auf dem Bauch ein Stück auf den Teufel zurutschte. Der Arm mit der 38er zeigte noch auf die Höllengestalt. Aber Zack Creston feuerte nicht mehr. Der Teufel stand noch auf demselben Fleck, aber er lehnte jetzt mit dem Rücken an der Wand. Ein Ton kam von ihm. Es war kein Wort, sondern ein halberstickter Wutschrei. Zack Creston fühlte eine Bewegung ganz in seiner Nähe. Der niedergeschlagene Geist versuchte zu flüchten. Aber da war noch der knurrende Teufel, in dessen Hand ein drittes Messer blitzte. Der Detektiv sah sich gezwungen, zwei Dinge zugleich zu tun. Schon hatte sich der Geist in sitzende Stellung aufgerichtet, mit verdrehtem Kopf, um sein Gesicht zu verbergen, er war dabei, in die Höhe zu schnellen. Da zog ihm der Sergeant den Lauf der 38er nochmals von hinten über den Schädel. Das dumpfe Geräusch des Schlages war noch in Zack Crestons Ohren, als das blitzende Messer auf ihn zugeflogen kam. Diesmal hatte der Teufel richtig gezielt und Creston entging der Klinge nur, indem er zur Seite sprang. Der Sprung rettete ihm das Leben, nahm ihm aber die Sicht auf den Geist zu seinen Füßen. Er dachte, mit dem Schlag auf dessen Schädel diese Sorge losgeworden zu sein und war umso überraschter, als knöcherne Hände seine Fußgelenke umklammerten und ihn aus dem Stand rissen. Fluchend schnellte der Sergeant hoch, ließ die 38er kreisen, fand aber kein Ziel mehr. Geist und Teufel hatten sich verflüchtet. Zurück blieb nur der starke Modergeruch, der an Tod und Grab erinnerte. 66
Zack Creston stand jetzt auf der Abschussliste der Teufel von Manor Crawl. Er war wichtig genug geworden, um im Weg des Satans zu stehen, gleich, mit welcher Gestalt er diesmal auf Erden wandelte. Irgendwo musste er etwas entdeckt haben, das ihn für das große Bett reif machte. Der Detektiv-Sergeant sah Terry McCrawl an, wie ihm das Blut übers Gesicht lief und von seinem Hinterkopf auf den Boden tropfte. Er schätzte, dass er ungefähr zehn Minuten zu spät gekommen war. Es hätte ihm Schwierigkeiten bereitet, allein den Weg durch die Höfe und Nebenhöfe, Plätze und Gassen des Schlosses zu finden. Erst der kurze, gellende Schrei hatte ihm die Richtung gewiesen. Die Wunde, ein Schwartenriss, hervorgerufen durch einen dumpfen Gegenstand, bedeckte der Sergeant mit einem sauberen Taschentuch. Terry musste jeden Augenblick aus seiner Ohnmacht erwachen. Zack Creston war es, als befände er sich im Zentrum der Hölle. Wenn die Leute mit ihrem Gerede Recht hatten, dann befand sich hier der Zugang zur Behausung der Teufelsfamilie. Ringsum herrschte Stille. Schwacher Wind bewegte die Blätter in den Bäumen. Insekten zirpten und von unten aus der Todesschlucht schrie ein Vogel. Am wolkenlosen Himmel schimmerte eine Unzahl von Sternen. Von irgendwoher kam Hundegebell. Und hoch oben am schwarzen Himmel der strahlende Mond. Unerschöpfliche Quelle der schwarzen Magie. Nach einem letzten Blick auf Terry, der wieder einmal mit einem blauen Auge davongekommen war, setzte sich der Detektiv in Bewegung. Irgend etwas trieb ihn vorwärts, ohne dass ihm zum Bewusstsein kam, was und warum. Es war einfach da, ein dumpfer, tierisch anmutender Drang, dem er folgen musste, ob er wollte oder nicht. Schweißgebadet, mit stark klopfendem Herzen, verharrte er wenig später oben am Rand der Todesschlucht. Er hockte in einer unbequemen Stellung und forschte in die Dunkelheit unter sich. Die Nacht war noch voller Geräusche. Weiter links schrie jetzt ein Käuzchen. Geheimnisvolles Rascheln drang aus den Büschen. Aus dem tiefen Grund der Schlucht kam das Quaken von Fröschen. 67
Fremdartig, geradezu irreal, hörte sich der Singsang an, der immer lauter wurde und alles andere übertönte. Zack Creston zog es die Kopfhaut zusammen. Noch war nichts zu sehen, aber er wusste, dass die Seelen der toten Leibeigenen nahten, die unter dem Schwert des Hunter McCrawl ihr Leben aushauchten, bevor sie in die Todesschlucht gestürzt wurden. Immer stärker schwoll der monotone Singsang des Chors der Toten an. Jeden Augenblick mussten die ersten nicht mehr lebenden Sänger um die Felsnase biegen. Noch enger kniff der Sergeant die Augen zusammen, um besser sehen zu können. Denn gleich mussten die Geister erscheinen, auf deren Aussehen er gespannt war. Das Licht war fremd, unwirklich. Horizontale Streifen, rosa, etwas gelb, verschwammen und unstet dazu der fremdartige Gesang, mal lauter, mal gedämpfter. Eine Phantasie aus Licht und Tönen. Das Singen kam näher, wurde artikulierter, eine längst vergangene Sprache. Aber noch immer war nichts zu sehen. Dem Klang nach zu urteilen, mussten die gemordeten Leibeigenen längst vorbeigezogen sein, hallte doch nun ihr Wehklagen von der anderen Seite gegen die Felswände. Zack Creston schluckte. Unsichtbare Geister zogen singend unter ihm vorbei, umgeben von einem überirdischen Licht, das ihnen den Weg wies. Wie in jeder Vollmondnacht, pilgerten sie auch heute in die Todesschlucht, auf dessen Grund einst ihr Erzfeind den Tod fand. »Das gibt Krieg«, stöhnte der Sergeant, fasziniert von den Vorgängen. »Wenn die auf Hunter McCrawl stoßen, dessen Geist in der Schlucht umgeht.« Er hatte unbewusst laut gesprochen. Schlagartig verstimmte der Gesang. Nur das unwirkliche Licht flimmerte noch. Die schweigsame Szene in der tiefen Schlucht hatte etwas Irreales an sich. 68
Aus irgendeinem Grund war plötzlich die ganze Spannung verschwunden und Zack Creston spürte wieder die Ruhe, die er als Streifenpolizist gekannt hatte, als er alle Leute mit Hallo begrüßte und als die Jugendlichen noch mit Schlaghölzern spielten und nicht mit Schnappmessern und als der Beruf noch Freude machte, selbst am Abend, wenn die Füße schmerzten, man aber dennoch nie ganz leer gepumpt war. Zack Creston wollte sich erheben, die 38er ziehen und einen Schuss abfeuern in der Hoffnung, der Lärm könnte das gespenstische Getue vertreiben. Doch es kam anders. Die Stimme war tief und sie triefte vor Hohn. »Sie haben es uns leicht gemacht, Creston.« Der Sergeant erschrak, besaß aber die Geistesgegenwart zu antworten: »Wer hätte auch an so etwas gedacht?« »In Ihrem Beruf sollten sie immer auf Überraschungen gefasst sein«, höhnte es zurück, ohne dass sich der Sprecher sehen ließ. »Ich werde es mir merken«, sagte Creston, der dem Klang der verborgenen Stimme nachlauschte, um den Sprecher zu entdecken. »Hoffentlich«, kicherte es aus einer anderen Richtung. »Aber das macht nichts. Jetzt ist es sowieso zu spät.« Also zwei, dachte der Sergeant, als er nichts entdecken konnte. Die Heimlichen lagen versteckt in den Aushöhlungen einer chaotischen Ansammlung gigantischer Felsbrocken und waren praktisch unsichtbar. Der Sergeant wusste nicht, wen er vor sich hatte. Darum zögerte er die Entscheidung heraus. Er musste an Terry denken, den er blutend zurückgelassen hatte. Sollte es sich um die gleichen Täter handeln, die es nun auf ihn abgesehen hatten? Aus der Todesschlucht drang kein Laut mehr herauf. Der Chor der Toten war verstummt. Lagen jetzt die Geister der gemordeten Leibeigenen hinter den Steinen, auf der Suche nach einem neuen Blutopfer, das ihnen Unsterblichkeit verleihen sollte? Der Schatten glitt lautlos heran, hob sich kaum von seiner Umgebung ab, verstand es, die dunklen Stellen zwischen den Steinen für seine Zwecke auszunutzen. Er bewegte sich weich und gleitend wie 69
eine Raupe, verhielt, wenn er Gefahr witterte, bewegte sich danach um so schneller vorwärts. Nach einigen Minuten befand er sich hinter der Deckung des Sergeanten. Still und beweglos lag er auf einem erhöhten Stein. Zack Creston verlagerte sein Gewicht von dem linken auf den rechten Fuß. Er lauerte in die Finsternis, aus der seine Gegner kommen mussten. Das Warten machte ihn nervös. Ein offener Kampf wäre ihm lieber gewesen. Leise fluchte er vor sich hin, schalt sich einen Tölpel, allein in das Felsgewirr vorgedrungen zu sein. Unruhig bewegte er die Hand, die den 38er umkrampft hielt, hin und her. Der Schatten wurde eins mit dem Stein, auf dem er lauernd lag. Noch immer umgab ihn absolute Lautlosigkeit. Nur seine Augen, grellhelle, runde Punkte in der pechschwarzen Finsternis, glühten gefährlich, wenn sie auf den Rücken des Mannes blickten, der sich in guter Deckung glaubte. Der Triumph, endlich den verhassten Feind vor sich zu haben, suchte einen Ausweg, der in einem wilden, gellenden Schrei endete, einem Schrei, der allen Hass dieser Erde auszudrücken schien. Unkontrolliert, vom Schreck beherrscht, den dieser wilde Schrei auslöste, fuhr der Sergeant herum. Gerade wollte er die 38er Automatic in Anschlag bringen, als er den dunklen Klumpen auf sich zugeflogen kommen sah. Er brachte es gerade noch fertig, seinen Körper herumzudrehen, da landete auch schon der schwarze Geist auf seinem Rücken, drückte ihn flach auf den felsigen Boden nieder. Der Finger des Sergeanten krümmte sich um den Abzug der Pistole und zog ihn durch. Donnernd löste sich der Schuss. Wirkungslos heulte die Kugel durch die Luft. Härter, erbarmungsloser packten die kalten Hände zu, rissen den Sergeanten an den Haaren nach hinten, dass sich vorn der Hals fast ausrenkte. Dann stach der Geist mit dem Messer zu. Von der Seite her. Die Klinge ritzte Crestons Hüfte. 70
»Noch einmal machst du so etwas nicht mit mir«, grollte Creston wütend. Seine Stimme zischte wie ein Nest voller Vipern. Noch hielt der Sergeant seine Waffe in der Hand, aber er wusste auch, dass er nicht schießen konnte, weil die Messerspitze schon in seiner Hüfte steckte. »Was willst du«, krächzte er, fieberhaft nach einem Ausweg suchend. Doch vorerst hatte das gespenstische Wesen alle Trümpfe in der Hand. Ohne dass der starke Druck nachließ, sagte die kalte, tonlose Stimme: »Du bist auch einer von denen, die suchen.« Er glaubte nicht recht gehört zu haben und fragte zurück: »Ich und suchen?« Ein wenig tiefer drang die Messerspitze ins Fleisch. Erst dann kam die Antwort. »Ich habe dich beobachtet. Du bist nicht besser als die anderen. Merke dir: Niemand darf es finden!« Trotz der Möglichkeit, weitere Schmerzen erleiden zu müssen, spannte der Sergeant seinen Körper. Überrascht stieß er hervor: »Was soll nicht gefunden werden und warum nicht?« »Weil es Unglück bringt«, orakelte es zurück. Zack Creston war genauso schlau wie vorher, aber er wollte mehr erfahren, wo er doch nun schon mit einem Geist zusammengeraten war. »Wer bist du überhaupt«, fragte er und bohrte weiter: »Müssen die McCrawls in Angst und Schrecken leben, nur weil ein Vorfahre Böses tat?« »Schweig!« Vielleicht, dass der Geist den Erdenmensch mit hinübernehmen wollte ins Totenreich, wurde doch der Druck des Messers stärker und Zack Creston konnte seine Lippen nicht mehr zusammenpressen, riss sie auf zum Schrei, weil der Schmerz in seiner Hüfte unmenschlich wurde. Der Schrei schallte durch die Nacht. Aber noch bevor er in der Ferne verebbte, übertönte ihn ein anderer Ruf. »Hallo, ist da jemand?« 71
Der Sergeant fühlte das Zusammenzucken des Geistes, der schwer auf seinem Rücken hockte und er hoffte, noch einige Minuten durchhalten zu können, da scheinbar Hilfe nahte. »Sei ja still«, drohte da das überirdische Wesen. »Du stirbst auf alle Fälle.« Zack Creston vernahm mehrmals die suchenden Rufe. Jedes mal musste er mit Gewalt den Schrei zurückhalten, der über seine Lippen brechen wollte. Kommt endlich, hoffte er, sonst ist es aus mit mir. In der steil abfallenden Felswand leuchtete ein Licht auf. Jemand arbeitete sich mühsam aus der Todesschlucht herauf. Das Knacken und Brechen von Zweigen wurde lauter. Dazwischen erschollen immer wieder Rufe. Des Sergeanten Lage war mehr als prekär, aber er musste an den Chor der Toten denken und daran, wie es den Kletterern gelungen war, den Unsichtbaren zu entkommen. »Fluch und Schande über euch«, grollte in verhaltener Wut die Stimme des Geistes. »Tote lässt man ruhen oder man muss die Folgen tragen. Ich blase dir jetzt dein Lebenslicht aus, Schnüffler.« Zwei Möglichkeiten habe ich, überlegte der Sergeant. Entweder
verhalte ich mich passiv und warte, dass es die zwei Männer in der Felswand rechtzeitig schaffen. Wenn nicht, dann kann man von mir sagen, dass mich ein Geist getötet hat. Oder aber, ich versuche es...
Als hätte der Geist die Gedanken gelesen, drohte er: »Versuche es, wenn du qualvoll sterben willst.« Doch da hatte der Sergeant schon seinen Körper zusammengekrümmt, einen Buckel gemacht, von dem das unheimliche Gespenst abrutschte, weil es keinen Halt mehr finden konnte. Als der Sergeant das Gewicht auf seinem Rücken nicht mehr spürte, wälzte er sich um die eigene Achse. Die Wunde in seiner Hüfte brannte wie Feuer. Das Messer des Unholds musste ganz schön tief eingedrungen sein. Schon im Ansatz, sich aufzurichten, streifte heißer Atem Zack Crestons Nacken. Dann drückte wieder die Messerspitze zu. Diesmal zwischen die Schulterblätter. 72
Der Geist hatte sich nicht verflüchtet, sondern war geblieben, um seine Drohung wahr zu machen. Ein Schauer nach dem anderen jagte über Crestons Rücken. Heißer wurde der Atem des Geistes. Keuchend drohte er: »Ruf den Kerlen zu, sie sollen umkehren - oder du musst sterben.« »Das war doch schon beschlossene Sache«, kam es wütend von dem Sergeanten, der es nicht begreifen konnte, wieso er zweimal überrumpelt worden war. »Ich huste dir was«, setzte er noch hinzu. Noch hatte der Sergeant nicht ganz ausgesprochen, als er eine Kugel aus der 38er jagte. Mit dem Schuss wollte er die nahenden Männer warnen, gleichzeitig aber auch seinen Bezwinger erschrecken. Er hätte es nicht tun sollen, legte sich doch der muskelbepackte Arm des Geistes um seinen Hals und drückte zu. Mit seinem Kinn, das auf den luftabpressenden Arm ruhte, fühlte der Sergeant einen Mullverband. Das machte ihn stutzig. Und noch, während er sich gegen die Umklammerung wehrte, keuchte er mit Wut in der Stimme: »Du bist also der Kerl, dessen Arm Bekanntschaft mit meiner 38er machte.« Alles erstarrte. Der tatenlose Zustand dauerte nur Sekunden aber die genügte dem Sergeanten. Er ballte seine rechte Faust und schlug sie kraftlos nach hinten. Die schreckhafte Erstarrung des Geistes wandelte sich in Wutgebrüll, ein wenig mit Schmerz gemischt. Als Zack Creston nochmals seine Faust nach hinten donnern wollte, bekam er einen furchtbaren Stoß in die Seite, der ihn bis knapp an den Abgrund trieb. Er ruderte mit den Armen, um das Gleichgewicht zu halten - aber der Stoß war zu hart, zu kräftig. Detektiv-Sergeant Zack Creston kippte über den Abgrund, in eine unbekannte dunkle Hefe. * 73
Als der Mond am Himmel aufging, überflutete sein silbernes Licht die wuchtigen Mauern von Manor Crawl und ließ alles nur noch düsterer erscheinen. Eiren, die Tochter des Schlossherrn, stand am Fenster und starrte in die schwüle Nacht. Furcht und Besorgnis zeichneten dünne Striche in die schmalen Wangen, auf der Stirn standen kleine Schweißperlen. Ein Schrei war in ihr Zimmer gedrungen, so laut und entsetzlich, als brüllte einer seine Seele aus dem Leib. Die Furcht vor den Geistern, die seit eh und je Manor Crawl heimsuchten, schreckten Eiren nicht ab, ihren Oberkörper weit aus dem Fenster zu beugen, um besser sehen zu können. Es dauerte etwas, bis sie die Dunkelheit mit ihren Augen durchdringen konnte, die vom schwachen Sternenlicht kaum erhellt wurde. Eiren zuckte zurück, raffte ihr dünnes Nachthemd über den vollen Brüsten zusammen. Als präsentierte sich der Geist absichtlich, stand er auf einem Hügel, das Gesicht voll dem Schloss zugewandt. Seine trüben kleinen Augen waren rot und böse. Eiren meinte, diese stechenden Augen auf ihrer nackten Haut zu fühlen. Dass der Geist viel zu weit entfernt stand und sie aus dem dritten Stock herunter schaute, kam ihr nicht zum Bewusstsein. Vielleicht, dass sie derartige Geistererscheinungen nicht zum ersten Male sah, ihr das Wundern schon vergangen war. Sie fühlte sich durch die Blicke allerdings peinlich berührt und machte Anstalten, das Fenster zu schließen. Der Geist, in der Gestalt eines großen, kräftigen, aber hageren Mannes, ließ den Umhang, der seine Schultern bedeckte, zu Boden fallen. Eiren wurde förmlich auf der Stelle gebannt. Sie sah, dass dem Geist der linke Arm fehlte. Ein qualvolles Stöhnen drang aus Eirens weit geöffnetem Mund. Verwirrt stammelte sie: »Es ist wieder der Leibeigene, den Hunter McCrawl mit seinem Schwert strafte.« 74
Sie konnte nicht weg, musste ausharren und nach unten in die kleinen roten Augen blicken, die einen hypnotischen Zwang ausübten. Scham und Ekel überkam sie, denn der Geist betrachtete sie lüstern, tastete mit den Augen ihre Nacktheit ab, die durch das dünne Nachthemd nicht verborgen blieb. Es war eigenartig. In diesen Sekunden der Angst und Scham wünschte sie sich den Detektiv-Sergeanten herbei - und nicht ihren Verlobten, der sich schon seit vierundzwanzig Stunden hatte nicht mehr sehen lassen. Keinen Gedanken verschwendete sie an Marc Withers, der auf eine baldige Hochzeit drängte. Schüttelfrost befiel Eiren, den die schwülwarme Luft nicht mildern konnte. Tränen rannen auf ihren schmalen Wangen herunter. Der Geist hob seinen einen Arm, als winkte er herauf. Sein Gesicht, unkenntlich, leuchtete wie ein weißer Fleck. Ein Totenkopf, durchfuhr es Eiren. Und da begann sie zu schreien. Die Schlafzimmertür ging auf. In der Öffnung stand ein Mann. Er war schon älter, groß und hager und seinen schmalen kantigen Schädel zierten graue Haare, die eine Bürstenfrisur bildeten. Er hatte etwas Aalglattes an sich, lachte lautlos mit dem Mund, doch seine Augen blieben kalt. Das Licht der Nachttischlampe fiel von hinten auf Eiren, durchdrang den Seidenstoff des Nachthemdes, machte ihn durchsichtig. Der kalte glasige Glanz in den Augen des Mannes wurde für einen Augenblick gierig. Schnell aber wandelte er sich, bekam wieder das Lauernde. Noch schrie Eiren, entsetzt auf den Armstummel des Geistes blickend, den dieser hoch zum Schloss empor reckte. Ihre Schreie waren so laut, dass sie nicht das Näher kommen schleichender Schritte vernahm. Eirens Schreie brachen abrupt ab. Schreckerstarrt versteifte sie sich. Wild begann ihr Herz zu schlagen. Zwei kalte Hände umkrampften plötzlich ihre Schultern. Tief sog der Mann den betörenden Duft ein, der Eirens blonden Haaren entströmte. 75
Sein Griff lockerte sich und er fragte: »Warum schreist du so schrecklich?« Eiren erschlaffte, ließ sich gegen den Mann sinken. »Onkel Horatio...« Schmale knöcherne Hände streichelten über Eirens gelocktes Haar. »Schnell, was ist passiert?« Sprechen konnte sie nur stockend. Darum deutete sie mit dem Kopf zum offenen Fenster. Der Bruder ihres Vaters kam der stummen Aufforderung nach. Achselzuckend kam er zurück. »Was soll da sein?« »Der einarmige Leibeigene.« Blässe überzog sein Gesicht. »Bist du dir sicher?« »Aber Onkel. Glaubst auch du, dass ich hysterisch bin?« »Nein, nein, Kind. Das bist du nicht.« »Ist er weg?« »Ja. Du kannst beruhigt sein.« »Besorge dir ein Gewehr aus Vaters Waffenschrank und suche ihn«, forderte Eiren. »Du musst ihn töten. Er darf nie mehr erscheinen.« Wieder fuhr er ihr mit dem Finger durch das seidige Haar, bevor er fragte: »Meinst du nicht, dass ich zu alt für solch ein Abenteuer bin?« Eiren nickte. Ihr Gesicht wirkte blass und angespannt und die nächste Frage war nur rhetorischer Natur. »Soll ich gehen?« »Nein. Niemals. Ich werde nach Fugger klingeln.« Aber er tat es nicht und Eiren ging zum Bett, las den niedergefallenen Morgenmantel auf und legte ihn sich um die Schultern. Ihre Augen zogen sich zusammen und ihr voller weicher Mund wurde zum Strich. »Hast du es versucht, Onkel?« Horatio McCrawl nestelte an der Jacke herum, ohne aufzuschauen. »Einer von uns muss mit der Suche wieder begonnen haben«, sprach Eiren weiter. »Du meinst...?« 76
Eiren nickte heftig. »Immer, wenn ein McCrawl nach den sagenhaften, vergrabenen Schätzen des Hunter McCrawl suchte, erschien der Geist.« »Hm.« Lauter, heftiger, fuhr Eiren fort und es hatte ganz den Anschein, als wäre ihre Angst verflogen, zumindest geringer geworden: »Warum willst du Fugger nicht rufen oder gehst selbst nach ihm sehen? Du weißt, wie sehr ich mich vor deinem Diener fürchte.« Der Bruder des Schlossherrn lächelte nicht häufig. Er bewegte sich auch nicht sehr viel - obwohl er sich ziemlich schnell bewegen konnte, wenn es darauf ankam. »Ich habe nie verstanden, warum du ihn nicht leiden kannst, dich sogar vor ihm fürchtest. Zugegeben, er sieht nicht anziehend aus, aber er ist mir treu ergeben.« Eiren zögerte mit der Antwort. Kälte kroch in ihr hoch, wenn sie nur an den Schleicher dachte, der dazu noch wie der leibhafte Tod aussah. Die Kälte in ihr hatten aber auch des Onkels Hände erzeugt, die sich knöchern wie die eines Verstorbenen, in ihre Schultern gekrallt hatten. Es war nicht nur ein Gefühl. Nein. Sie meinte noch jetzt das Zittern der Hände zu spüren, die Gier ausdrückte. Er scheint tatsächlich verrückt zu sein, dachte sie und nahm sich vor, mehr auf die warnenden Worte der Eltern zu hören. Doch jetzt war sie allein mit einem Mann in ihrem Schlafgemach, der wohl ihr Onkel war, vor dem sie sich aber zu fürchten begann. Völlig vom Thema abkommend, fragte plötzlich der, vor dem sie Angst bekam: »Wieso haben deine Eltern beschlossen, Manor Crawl dir und Terry zu gleichen Teilen zu vererben?« Völlig überrascht antwortete Eiren: »Weil Vater keinen Zwist mehr duldet.« »Du und Terry, ihr habt euch doch nie gestritten.« »Nein. Aber du und Vater. Wenn du etwas weiter zurückschaust, so wirst du zugeben müssen, dass auf Manor Crawl des Öfteren Bruderblut floss.« »Ja, ja«, kicherte der von allen Familienmitgliedern als schrullig verschriene Bruder des Schlossherrn. »Ja, ja, jeder wollte mehr haben, 77
als vorhanden war. Seit dieser alberne Kerl von Hunter den Freitod suchte, ist die Kasse der McCrawls leer. Und dabei...« »Ja?« Wieder schweifte der sich betrogen fühlende zweite Erbe von Manor Crawl völlig vom Thema ab. Sein hinterhältiges Grinsen brach in ein lautes Lachen aus und er sagte mit heiserer Stimme: »Weißt du überhaupt, wie schön du bist, Eiren?« Erschrocken wich die Angesprochene bis ans Fenster zurück und krampfte die Hände noch fester über ihrer Brust zusammen. Sie begann zu zittern, als ihr Onkel schrill weiter lachte. »Eiren, wie konntest du dich mit diesem Mitgiftjäger Marc Withers verloben?« Hysterisch laut antwortete Eiren: »Wie kannst du es wagen, Marc einen Mitgiftjäger zu nennen?« »Das sieht doch jeder, dass er dich nicht liebt. Wo ist er denn? Wie mir bekannt, treibt er es zurzeit mit der drallen Tochter des Bürgermeisters.« »Onkel...« Horatio McCrawl lachte weiter, was seinem hageren Gesicht einen mehr als hässlichen Ausdruck verlieh. Er krümmte sich sogar dabei, so sehr amüsierte ihn Eirens Entsetzen. So krumm, wie ihn das Lachen bog, verharrte er, als der gellende Schrei weit durch die Nacht hallte, laut durch das geschlossene Fenster drang. Sein Mund blieb offen, entblößte lange gelbe Zähne, die in Richtung Fenster fletschten. Weit traten die Augen aus ihren Höhlen. Sekunden dauerte das Erstarren. Dann lallte der Mann, der nie genug Geld bekommen konnte: »Du hast wirklich den Geist gesehen, den echten, Eiren. Und er holte sich wieder ein Opfer.« * Detektiv-Sergeant Zack Creston, der zum zweiten Male innerhalb von sechsunddreißig Stunden aus einer Felswand gestoßen wurde, hing keuchend am Ast einer Krüppelkiefer. Um ihn war Dunkelheit. Das Sternenlicht fiel nicht in die Schlucht, die im Nachtschatten lag. So 78
konnte er nicht erkennen, wie tief und steil der Abgrund unter ihm war. Bedenklich knarrte der Ast und Creston fragte sich, wie lange er sein Gewicht noch tragen konnte. Darum begann er vorsichtig zu pendeln, fühlte mit den Füßen das Steinmassiv ab, das drohend vor ihm aufragte. Mit der linken Schuhspitze fand er Halt, der ausreichte, den Kiefernast zu entlasten. Zähe, qualvolle Minuten vergingen, schlichen dahin wie Stunden. Es gab nur eine Chance, lebend aus der Wand zu kommen: Warten, bis der Tag anbrach. Aber das Bein fing an einzuschlafen und wurde gefühllos. Der Sergeant fischte das Zigarettenpäckchen aus der Jackentasche. Er musste sich dabei ganz schön verrenken, bis so ein Glimmstängel zwischen seinen Lippen hing - aber der erste Zug war unter Brüdern ein kleines Vermögen wert. Als ahnte der schreckliche Geist den Fehlschlag seines Mordanschlages mit feinen, übernatürlichen Sinnen, ließ er doch ein knurrendes Lachen hören, das mehr wie ein Fluch klang. Dann begann der Geist Steine zu lösen. Zack Creston rauchte, in dem er die Zigarette in der hohlen Hand hielt. Die Glut konnte ihn nicht verraten haben. Aber was nützte ihm diese Erkenntnis, wo der Steinschlag immer näher kam. Jeden Augenblick konnte er getroffen werden. Also ließ der Sergeant die halbaufgerauchte Zigarette fallen und sah dem glimmenden Punkt nach, der durch die Dunkelheit glitt, ohne dass er Widerstand fand. Jetzt brach dem Bedrängten der Schweiß aus, konnte er sich doch ausrechnen, wie tief der Abgrund unter ihm gähnte. »Hundesohn«, knurrte der Sergeant. Dann griff er zum Gürtelhalfter und zog die 38er, entsicherte die Waffe mit dem Daumen. Stille umgab ihn. Der Geist hatte es aufgegeben. Kein Stein polterte mehr herunter. Nach fast drei Stunden schickte die Sonne ihre ersten Strahlen wie Feuerpfeile in die Schlucht. Dort, wo sie aufging, schien der Himmel zu brennen. 79
Zack Creston verkrallte sich in dem Kiefernzweig, entlastete das Standbein, bis wieder Gefühl in ihm war, Nach einigen vorsichtigen Bewegungen pulsierte schmerzhaft brennend das Blut durch die Adern. Dann begann er den Abstieg, ohne noch einmal nach unten zu schauen. Wenn er in diese Tiefe gestürzt wäre... Zwei Gedanken beschäftigten ihn bei diesem lebensgefährlichen Abstieg. Da war einmal Eiren, die blonde Komtess, deren Angst soweit ging, dass sie immer ein Messer bei sich trug. Vor Zack Crestons geistigem Auge tauchte das rassige Gesicht auf und er begann seine Armut zu verfluchen. Einem Mädchen wie diesem konnte man nur betucht einen Antrag machen. Der Sergeant fluchte weiter, während er sich die Hände an scharfkantigen Steinen aufriss. Als der Schmerz einmal besonders heftig wurde, verblasste das Bild der schönen Komtess - und seine Gedanken drehten sich plötzlich um die ermordeten Leibeigenen, die bei Vollmond singend durch die Todesschlucht zogen. Nun blickte der Sergeant doch nach unten. Schwarz gähnte ihm die Talsohle entgegen. Das Morgenlicht war noch nicht so tief vorgedrungen. Die Gedanken an den Chor der Toten ließen sich nicht bannen. Es bestand die Möglichkeit des Sinnesimpulses, ausgestrahlt von einem astralen Wesen, das unsichtbar in einer der Höhlen verborgen lauerte. Die Kopfhaut zog sich immer enger zusammen, das Genick wurde steif. Zack Creston verschnaufte, als er festen Halt fand. Da er beide Hände für die waghalsige Kletterei benötigte, konnte er nicht zur Waffe greifen, wenn es nötig wurde. Aber er musste weiter, um endlich festen Boden unter die Füße zu bekommen. Mit zusammengebissenen Zähnen ging der Sergeant die letzten Meter an, seiner Schätzung nach fünf. Diffuses Licht umgab ihn, kam doch nun die Talsohle näher, in die sich nicht einmal die Sonne wagte. Es war nichts zu hören, in dieser absoluten Stille. Und doch wusste der Sergeant, dass er nicht mehr allein war. Er spürte den feindlichen Strom fast körperlich, der von unten her auf ihn einprallte. 80
Ausgerechnet in diesen Sekunden der Gefahr befand sich der Sergeant in einem Abschnitt, wo ein Anhalten unmöglich war. Er musste weiterklettern - oder abstürzen. Über den linken Arm hinweg, schielte er hinunter zur Talsohle. Schreck ließ ihn erstarren und er fühlte, wie ihm die Knie weich wurden. Umwallt von Bodennebel, stand da eine urwüchsige Gestalt. Riesige Körpermaße stellte sie über normales menschliches Aussehen. Der mächtige Leib war bedeckt mit einem schwarzen Bärenfell. Ein gleiches Fell war über den Kopf gezogen, ließ nur kleine, tückisch blickende Augen frei. Und diese nahmen gerade Ziel, visierten den Sergeanten über eine Armbrust an. Hunter McCrawl! Der Stahlpfeil kam laut sirrend heran geflogen. Zack Creston krallte sich an vorspringenden Steinen fest, um den Pfeil, wenn er ihn treffen sollte, Widerstand entgegenzusetzen, um nicht abzustürzen und wie eine reife Frucht dem Schrecklichen vor die Füße zu rollen. Mit einem hohen, singenden Ton prallte der Pfeil an der Steilwand ab, knapp neben Zack Crestons rechter Schulter. Noch einmal davongekommen. Aber der Geist des Tyrannen, der für menschliches Leid kein Herz besaß und nie besessen hatte, legte einen neuen Pfeil auf die Sehne und spannte die Armbrust. Zack Creston musste alles riskieren, um nicht abgeschossen zu werden. Mit einem Schrei auf den Lippen stieß er sich ab. An die fünf Meter betrug die Distanz und er fiel schwer nach unten, krachte bombengleich dem Geist ins Genick. Lautlos ging die wuchtige Gestalt in die Knie, wobei das Bärenfell auseinanderklaffte. Nur für Sekunden, doch deutlich erkennbar, kam ein magerer Körper zum Vorschein. Zack Creston stutzte. Der Anblick stand im krassen Gegensatz zu dem, was er vorher zu sehen bekam. Konnte sich ein Geist so schnell verwandeln? 81
Wieselflink wand sich die gespenstische Erscheinung im Bärenfell unter dem Sergeanten hervor und hechtete zur Armbrust, die durch den Aufprall weggeschleudert worden war. Zack Creston, noch benommen von dem Fall, sprang hinterher, erwischte mit drei Fingern das Fell des Geistes und krallte sich fest. Die Erscheinung reagierte schnell und brutal, wie sie es schon zu Lebzeiten getan hatte. Sie rammte einfach beide Ellbogen nach hinten. Schwer wie Hammerschläge, bohrten sich die spitzen Ellbogen in Crestons Hüften. Der sofort einsetzende, stechende Schmerz raubte ihm den Atem. Aber er konnte dem Schmerz nicht nachgeben, musste durchhalten, weil ihn sonst der Geist mit hinübernehmen würde ins Totenreich. Vom Schmerz getrieben, krallte er sich fester in das Fell - und er trat noch mit dem rechten Fuß zu. Der so äußerlich gewaltig wirkende Geist knurrte. In Crestons Ohren klang es wie ein Wehlaut, was ihn befleißigte, nochmals zuzutreten. Schwer wie eine Tonne Steine wurde das astrale Wesen. Es ließ sich einfach nach vorn fallen. Der Druck, der durch den Vorwärtsfall entstand, wurde so groß, dass der Sergeant das Fell loslassen musste. Er tat es rechtzeitig, so dass er nicht mitgerissen wurde. Ein wenig verblüfft starrte er auf das unförmige Gebilde nieder, das sich am Boden kollerte wie ein Igel in Abwehrstellung. Dann - der Sergeant machte einen Satz rückwärts - kam der existent gewordene Geist hoch, brüllte urig auf und griff mit geballten Fäusten an. Der Detektiv trat aus, stach mit den Fingern nach den Augen des gewaltigen Unholds und traf. Das geballte Bündel aus satanischen Kräften bestehend, kam nicht dazu, aufzubrüllen, denn es lief genau in Crestons Rechte. Der Schlag, tief von unten heraufgeholt, fällte nicht den Gegner, dessen Hier sein ein einziges Rätsel war. Vielmehr steckte er die Schläge ein, als berührten sie ihn nicht. Aber sein Zorn wurde größer, wandelte sich in blindwütige Raserei. 82
Der Sergeant verlor Terrain, musste zurückweichen vor dem Hass, der wie eine geballte Ladung auf ihn eindrang. Es entbrandete ein Kampf auf Leben und Tod, wie ihn einst die mittelalterlichen Recken führten, mit Füßen, Fäusten, Nägeln und Zähnen. Die Stille der morgendlichen Natur wurde zerrissen vom keuchenden Atem der Kämpfenden, von satten, fetten Klatschen, wenn eine geballte Faust auf Fleisch traf. Langsamer wurden die Bewegungen, heiserer und kürzer das Keuchen des Atems. Zack Creston war am Ende. Zuviel musste er einstecken. Und seine Schläge, die nicht von schlechten Eltern waren, verpufften wirkungslos. Es war, als würden seine Fäuste auf dicke Polster treffen, die jeden Schlag milderten, geradezu abfederten. Aufgabe bedeutete Tod. Der Sergeant musste weiterkämpfen, auch wenn kaum noch Kraftreserven vorhanden waren. Er änderte seine Taktik, schlug nicht mehr boxend zu, sondern kämpfte mit offenen Händen. Zuerst versuchte er es mit Handkantenschlägen, suchte dazu den unbedeckten Hals des Geistes, der als solcher wuchtig aus dem Fell herausragte. Es ging besser als gedacht und der Sergeant bekam im doppelten Sinne Luft. Dann kam der Augenblick, wo der schreckliche Hunter McCrawl einen Handkantenschlag einstecken musste, der ihn aus dem Gleichgewicht brachte. Im Nachsetzen bekam der Sergeant ein Stück des Bärenfells zwischen die Finger, das den Geist völlig bedeckte. Er riss und zerrte und als sich ein Stück Fell löste, zwischen seinen nervigen Fingern hängen blieb, riss er weit die Augen auf. Die Innenseite des Fells war doch tatsächlich dick ausgepolstert, was dem Geist die urwüchsige, übernatürlich große Körperform gab und auch die Schläge wirkungslos machte. Noch hatte sich der körperlich gewordene Geist nicht gefangen und drehte dem Sergeanten einen Teil seines Rückens zu. 83
Reaktionsschnell ballte Zack Creston seine Faust und ließ sie vorschießen. Als sein Gegner, der aus dem Reich der Toten kam, nach einem kurzen Nierenhaken aufschrie und in die Knie brach, wusste er, dass ihn der Tod wohl gestreift, aber nicht bekommen hatte. Schon allein dieses Bewusstsein gab ihm die Kraft, beide Hände zu einem Hammer zu falten und mit Wucht in das Genick des am Boden keuchenden Geistes zu schlagen. Schlagartig brach das Keuchen und Ächzen ab. Wie im Zeitlupentempo streckte sich die Gestalt im Bärenfell und blieb reglos liegen. Zack Creston wischte sich mit dem Handrücken das Blut aus dem Gesicht. Allmählich beruhigte sich sein wild schlagendes Herz. Der Appetit auf eine Zigarette wurde übermächtig und er kam ihm nach. Schwitzend, blutend, aber innerlich zufrieden, lehnte er sich gegen einen Stein und sog genussvoll den Rauch tief in die Lungen. Schon nach dem vierten Zug meinte der Sergeant, Rufe vernommen zu haben. Hastig stieß er den Rauch durch die Nasenlöcher und drehte sich um. Irgendetwas tat sich im Hintergrund der Talsohle. Im wabenden Morgennebel huschten Schatten. Des jungen Grafen Teufel, an die ich nicht glauben wollte, durchzuckte es den Detektiv und er griff zur Pistole. In dem Augenblick, wo seine Finger fest den Kolben der 38er umklammerten, bekam er einen Schlag auf den Hinterkopf. Drei, vier Herzschläge lang blieb er aufrecht stehen, dann brach er wie vom Blitz getroffen in die Knie. Um ihn war nichts mehr als Leere. Zack Creston wachte auf, als eine Hand seine Wange tätschelte, ziemlich grob und eine höhnische Stimme rief: »Aufwachen, Polyp. Es ist keine Zeit zum Schlafen. So wie Sie arbeiten, möchte ich meinen Urlaub verbringen.« Als die Stimme endete, klatschte nochmals die Hand schmerzhaft zu. Unter hunderten hätte der Detektiv die unangenehme Stimme herausgehört. Während sich seine Lippen vor Schmerz und Wut zusammen pressten, packte er zu, bekam ein Handgelenk zu fassen und drehte es in einer schnellen Bewegung. Als der gellende Schrei aufbrach, lachte er rau und sagte: »Ich rate Ihnen, so etwas nie mehr zu 84
tun, Mr. Withers. Auch wenn Sie des Grafen zukünftiger Schwiegersohn sind.« Marc Withers, Eirens Verlobter, plusterte sich auf. »Von einem kleinen, hergelaufenen Polyp lasse ich mir...« Noch einmal schrie der arrogante Bursche auf, als des Sergeanten Hand nach seiner Krawatte fasste. »Marc Withers, was suchen Sie hier?« »Das geht Sie einen Dreck an.« Unnatürliche Ruhe klang in Crestons Stimme mit, als er weiter fragte: »Was haben Sie gesehen oder gehört?« »Mit einem Wicht, wie Sie einer sind, spreche ich nicht.« Röte schoss in Crestons Gesicht, das blutverkrustet vom Kampf mit dem Geist war. Eisern beherrschte er sich. »Sie müssen aber etwas gesehen oder gehört haben. Wenn Sie nicht antworten, lasse ich Sie aufs Revier vorladen, außerdem erstatte ich Anzeige wegen Begünstigung eines Verbrechens.« Marc Withers Gedanken mussten rasen. Sein arrogant verzogenes Gesicht bekam einen erschreckten Ausdruck. »Und wenn ich nichts gesehen und gehört habe?«, fragte er lasch. Zack Creston erwiderte nichts. In seine Augen aber kam ein kaltes Licht. »Was soll ich denn gesehen haben?«, fragte trotzig Marc Withers, doch schon im Ton vorsichtiger. Des Sergeanten Stimme klang jetzt, als spalte sie Diamanten. »Hunter McCrawl war hier. Um ein Haar hätte er mich umgebracht.« Der Ausdruck von Withers Gesicht wandelte sich in spöttisches Grinsen. »Ein Geist wollte Sie umbringen?« Und als keine Antwort erfolgte, grollte er: »Der hat 'nen Geist gesehen, ha, ha, ha.« Zack Creston gab dem widerlichen Kerl einen Stoß, ging zwei Schritte zur Seite, bückte sich und hob das abgerissene Stück Bärenfell auf. »Eigenartig, sehr eigenartig, dass Sie nichts gesehen haben wollen, wo Sie doch ganz in der Nähe waren...?« Der Verlobte von Eiren rückte seine Krawatte zurecht. Um seine Mundwinkel zuckte ein heimliches Grinsen. »Lassen Sie sich mal ärztlich untersuchen, Sie.... Polyp.« 85
Zwischen den beiden Männern wurde die Spannung größer. Der Polizeibeamte beherrschte sich und senkte seinen Blick tief in die kalten Augen seines Gegenübers. Nach einer Weile des Schweigens sagte er fast lässig: »So weit mir bekannt, befinden Sie sich in Zahlungsschwierigkeiten. Die Gläubiger halten wohl still, warten ab, ob Sie die Komtess heiraten.« Marc Withers ließ zischend Luft ab. »Sie, Sie Schnüffler. Das werden Sie mir büßen...« »Übernehmen Sie sich bloß nicht.« Abrupt machte Withers auf dem Absatz kehrt und stampfte davon. Zack Creston grinste hinter ihm her. Es war ein scharfes Grinsen und alles andere als freundlich. * In dem Augenblick, in dem Zack Creston in das dunkle Zimmer trat, wusste er, dass er in eine Falle gegangen war. Dem ersten Schlag konnte er noch halb ausweichen, aber er ging dabei in die Knie. Der zweite machte ihn fertig. Er kam fast wie eine Erleichterung. Das plötzliche Anbranden der Bewusstlosigkeit überdeckte den schrecklichen, explodierenden Schmerz in seinem Schädel, dämpfte ihn immer mehr, bis er nur noch eine Erinnerung war. Der Sergeant war nur Sekunden weggetreten und rollte sich zur Seite, als das Bewusstsein zurück kam und der Gedanke an den nackten Arm. Diesem dicht behaarten Muskelstrang hatte er seine Niederlage zu verdanken. Er hielt sich dicht am Boden, um dem Geisterarm zu entkommen, der aus der Wand geschossen kam, umhüllt von einem grünlichen Leuchten. Die tiefe Dunkelheit, die ansonsten im Zimmer herrschte, verwirrte ihn und er konnte die Tür nicht finden. Während er auf allen vieren durch das Zimmer kroch, achtete er auf jedes mögliche Geräusch. Alles blieb still, nichts rührte sich. Es war auch nichts zu hören, als die Tür aufsprang und grelles Licht durchs Zimmer flutete. Bis eine kalte, jetzt vor Spott glucksende Stimme fragte: »Haben Sie etwas verloren, Sergeant?« 86
Zack Creston sank nicht in den Boden vor Scham. In ihm war eine Wut, der er Luft machen musste, die sich sogar noch steigerte, als er das Skelett vom Diener sah, der so dumm fragte: »Fugger«, fauchte er. »Schon einmal liefen Sie mir über den Weg, in einer Situation, die der jetzigen fast gleicht. Ich werde den Verdacht nicht los, dass Sie ein ganz verdammter Schleicher sind.« Fugger, der spindeldürre Diener des Bruders vom Schlossherrn, verzog sein knochiges Gesicht, dass es einer hässlich verzerrten, hölzernen Tanzmaske glich, die frühere Eingeborene zum Opfertanz trugen. Dieses bleiche Gesicht war ein Alptraum. »Mach's Maul auf«, forderte der Sergeant so grob er konnte. Er musste diesen Ton anschlagen, um seine innere Beklommenheit zu bekämpfen, die ihn beim Anblick der lebenden Leiche befallen hatte. Zack Creston gestand es sich ehrlich ein: Er hatte Angst. »Was soll ich antworten?« Fuggers Stimme flüsterte, glich der eines Geistes. »Was du hier suchst, will ich wissen.« Wieder ein verhaltenes Lachen. Dann: »Sie verwechseln die Begriffe, Sergeant. Ich gehöre hierher. Sie nicht.« Der Detektiv hatte sich soweit gefangen, dass er prompt antworten konnte. »Wo warst du letzte Nacht? Komm mir ja nicht damit, du hättest im Bett gelegen.« »Und wenn?« »Dann erkläre mir, wie deine Fußspuren, der Dreck klebt ja noch jetzt an deinen Schuhen, an den Rand der Todesschlucht kommen.« Der Diener kniff seine so schon schmalen Lippen zusammen, dass sie einen rasiermesserdünnen Strich bildeten. Sein Totenkopfgesicht wurde zur steinernen Maske. Hautnah trat der Sergeant an ihn heran. Mit dem linken Zeigefinger strich er über die Wange des Dieners, auf der sich plötzlich ein Strich bildete und gesunde Hautfarbe zum Vorschein kam. »Ich, ah...« 87
»Der Puder in deinem Gesicht soll wohl etwas geisterhaftes vorstellen wie?«, fragte hart der Detektiv. »Also warst du es, der mich von den Klippen stieß!?« Als der windige Bursche die Antwort schuldig blieb, packte ihn der Sergeant am Brustlatz des schneeweißen Dienerhemds. »Los, pack schon aus. Du glaubst doch nicht, dass ich dir den Mordversuch durchgehen lasse?« Zack Creston bluffte. Das einzige, was überhaupt stimmte, waren Fuggers lehmverschmierte Schuhe. Aber der Bluff war ein Treffer ins Volle. »Sir... Ich habe Sie nicht von den Klippen gestoßen. Das schwöre ich.« »Außer dir war niemand dort.« »Sie vergessen den Geist.« »Mann, ich...« »Wirklich, Sir. Ich spotte nicht. Sind Sie mal solange in diesem Haus wie ich, dann glauben auch Sie an Hunter McCrawls Existenz.« Fester packte der Sergeant zu und als er sprach, grollte seine Stimme vor unterdrückter Wut: »Du ahmst einen Geist nach. Kannst du mir wenigstens sagen, warum?« »Seien Sie nicht so grob. Sie tun mir weh.« »Ich mache gleich noch was ganz anderes mit dir.« Der knochige Typ versuchte sich aus dem festen Griff zu winden, was daneben ging. Vor hilfloser Wut entblößte er sein gelbbraunes Gebiss zu einem widerlichen Grinsen. »Das werden Sie noch bereuen, Schnüffler.« Zähne blitzend grinste der Sergeant zurück. »Raus mit der Sprache.« Es war ein leises Geräusch, fast so fein, um als solches zu gelten. Fugger schielte zur Seite, konnte sich nicht drehen, weil ihn der Sergeant noch gepackt hielt. Sein gepudertes Gesicht bekam Risse. »Großer Gott«, keuchte er. »Die Toten stehen auf. Lassen Sie los, Mr. Creston. Ich will...« »So nicht, Bursche. Mich trickst du nicht aus.« 88
»Sehen Sie doch selbst, da...« Die Stimme stockte. Mehrmals schluckte das Skelett von Diener. »Da, der nackte Arm. Er greift nach Ihnen.« Das ist kein Trick, keine Falle, dachte Creston und er fühlte Kälte in sich aufsteigen. Aber dachte auch nicht daran, den zwielichtigen Diener laufen zu lassen. Hart knirschte er: »Antworte - oder ich stoße dich in den Geisterarm.« Aller Widerstand erschlaffte und Fugger wimmerte: »Bitte, tue es nicht! Wenn ich hier lebend herauskomme, erzähle ich alles.« Mit seinem ganzen Gewicht warf sich der Sergeant nach vorn, riss Fugger mit sich und beide landeten auf dem Boden. Aber während der Diener laut zu schreien anfing, wälzte sich Creston herum und starrte die leere Wand an. Wütend griff er nach dem hageren Gesellen. »Sir... der nackte Arm ragte wirklich hinter der Tapete hervor.« »All right. Lassen wir das mal. Viel wichtiger ist für mich zu erfahren, warum du einen Geist spielst.« Fugger sah jetzt das Gesicht des Sergeanten deutlich - und aller Mut verließ ihn. Einen Augenblick starrte er ins Leere und überlegte. Als ihm Creston einen fünften Stoß in die Rippen gab, begann er zu erzählen: »Mein Herr, Horatio McCrawl, bezahlt mich dafür, dass ich den Frauen Angst ma...« Gurgelnd brachen die Worte ab, erstickten in einem dumpfen Röcheln. Wieder war hinter der Tapete hervor der nackte Arm gestoßen, dessen bleiche Finger sich um Fuggers Hals gelegt hatten. Der Geist wollte nicht töten, zumindest nicht sofort. Er riss das Federgewicht von Diener zu sich heran. Jeden Augenblick musste Fugger gegen die Zimmerwand krachen. Aber da öffnete sich diese lautlos. Ein breiter Spalt wurde frei, durch den der nackte Arm den Diener zog. Zack Creston sah den nackten weißen Arm, umrahmt von schwärzester Finsternis, ohne den dazugehörigen Körper und er wusste, dass der Geist Fuggers Geständnis verhindern wollte. 89
Mit Waffengewalt konnte er nicht umgehen. Ein Schuss hätte den Diener töten können. Also versuchte der Sergeant es mit einem wilden Sprung, um dem entschwindenden Geist seine Beute abzujagen. Schon war er an der Wand, wollte den Fuß in die Öffnung setzen da schloss sich diese gespenstisch lautlos. Fluchend begann der Sergeant nach dem geheimen Mechanismus zu suchen. Die Zeit verstrich, ohne dass er etwas entdecken konnte. Zähneknirschend musste er sich eingestehen, dass ihn der Geist überlistet hatte. * Zehn Minuten später saß der Detektiv vor Mylords Schreibtisch. Nervös rauchte er eine Zigarette und genehmigte sich ab und zu einen Schluck aus dem Glas, das goldgelben schottischen Whisky barg, während der Schlossherr in alten Papieren blätterte. Achselzuckend lehnte sich Mylord zurück. »Tut mir leid, Mr. Creston. Aus den überlieferten Pergamenten geht nicht hervor, dass in diesem Teil des Schlosses Geheimtüren existieren.« »Bockmist.« »Aber, Mr. Creston.« »Sie haben gut reden«, fauchte da der Sergeant los. »Vor meinen Augen entführte dieser mysteriöse Geist einen Menschen.« Mylord zeigte ein kaltes Lächeln. »Um den ist es nicht schade.« »Aber... Sir?« »Doch, doch, mein Lieber. Jedes mal, wenn er mir über den Weg lief, überfiel mich das kalte Grauen. Der stand mit dem Teufel im Bund. Warum ihn mein Bruder um sich duldete...?« Zack Creston trank sein Glas leer. Vor so viel Gefühlskälte musste er kapitulieren. Während er sich aus dem tiefen Sessel hochstemmte, sagte er ein wenig hinterhältig: »Sie reden von Fugger in der Vergangenheit, Sir. Womöglich ist Ihnen bekannt, dass er nicht mehr unter den Lebenden weilt?« 90
Auf die Frage folgte bleiernes Schweigen. Ein scharfes, schnelles Lächeln dehnte die eingesunkenen Wangen Mylords. Zack Creston blieb knapp vor der Tür stehen. »Haben Sie mir etwas zu sagen, Sir?« Er fragte es mit einem Klang von Beleidigung in seiner Stimme. In Mylords Stimme kam ein drängender und bittender Klang. »Manor Crawl ist seit einem halben Jahr die Hölle auf Erden, von der jetzt noch wenig zu spüren ist, deren besondere Einflüsse erst beim Sabbat wirksam werden. Warten Sie es ab, Mr. Creston.« Mylord nickte, dann spielte er mit seinen langen bleichen Fingern an den geschnitzten Verzierungen der hölzernen Wandverkleidung. Eine Geheimtür sprang auf, deren Existenz er soeben verleugnete und der Herr von Manor Crawl verschwand in der dahinter liegenden Dunkelheit, ohne einen Laut zu verursachen. Zack Creston schauerte zusammen, als die Tür leise zurück schwang. Dieser Mann bewegte sich wie ein Gespenst in der Nacht. * Die kleine Kapelle, in der für die Bewohner des Schlosses der Gottesdienst abgehalten wurde, war dem Ostflügel angegliedert und etwas später erbaut worden als Manor Crawl selbst. Inzwischen war sie auch einige hundert Jahre alt und von den jeweiligen Besitzern mit immer mehr Prunk und Kostbarkeiten ausgestattet worden. Der Vater des jetzigen Lord McCrawl hatte von einem berühmten Künstler die hohen Fenstern mit herrlichen Glasmalereien versehen lassen, so dass der Innenraum durch gedämpftes Licht eine eigene Atmosphäre erhielt. Von dem jetzigen Lord McCrawl stammte die Marienstatue in der linken Apsis. Er hatte sie dort aufstellen lassen, als er wohlbehalten aus dem Krieg heimkehrte. Als Eiren die Kapelle an diesem Spätnachmittag betrat, fiel durch die hohen Fenster ein seltsam bläuliches Licht, gerade, als schiene bereits der Mond. 91
Ein schwerer Duft wie von weißen Lilien lag in der Luft, obwohl nirgendwo Blumen zu sehen waren. Eiren ging zögernd den Mittelgang entlang. Das Atmen wurde ihr immer schwerer und der süßliche Duft betäubte ihre Sinne. Wenig später spürte sie einen kühlen Luftzug im Nacken, als habe sich hinter ihr die Tür zur Kapelle geöffnet und wieder geschlossen. Sie hatte das sichere Gefühl, dass jemand eingetreten war und sie sich nicht mehr allein im Raum befand. Eiren wollte sich umdrehen, um festzustellen, wer gekommen war. Doch da fühlte sie sich von hinten bei den Schultern gefasst. »Dreh dich nicht um«, flüsterte es hinter ihr. Ein kalter Atem streifte sie, so dass es ihr eisig den Rücken hinunterlief und sie am ganzen Körper zu zittern begann. Jemand zog ihr das Kopftuch von den Haaren. »Ich bin bei dir«, flüsterte die Stimme. »Du darfst mich nicht ansehen, weil jetzt nicht meine Stunde ist.« »Hunter McCrawl«, stieß Eiren mit bebenden Lippen hervor. »Du bist Hunter McCrawl. Du bist gekommen, um mich zu holen. Ich habe es immer geahnt.« »Würdest du zu mir in die Todesschlucht kommen?«, fragte es hinter ihr und wieder streifte so ein eisiger Atem ihren Nacken, dass sie fröstelte. »Du zögerst, weil du dich fürchtest«, sagte die Stimme mit dem eisigen Atem. »Reichtum aber gewinnt man nur, wenn man furchtlos ist.« »Ich, ich will nichts von diesen Schätzen haben, auf die der Teufel seine Hand hält«, erwiderte Eiren schwach, aber mit Entschlossenheit. Der Druck an ihren Schultern löste sich so plötzlich, dass sie taumelte. Schritte kamen hinter ihr auf. Aber bis sie sich gefangen hatte und umdrehen konnte, war nichts mehr zu sehen. Nur ihr buntes Kopftuch lag neben ihren Füßen am Boden. Eiren vergaß, dass sie vor der Marienstatue hatte beten wollen. Sie verließ die kleine Kapelle mit zitternden Knien. 92
Die untergehende Sonne blendete Eiren. Aber so viel konnte sie doch erkennen, dass eine breite Männergestalt mitten auf dem Pfad stand und ihr den Weg zum Schloss versperrte. Die Todesangst, die Furcht und das Entsetzen vor dem Unheimlichen, sprang sie wie ein wildes Tier an. Wild schreiend flüchtete sie über den gepflegten Rasen. Hastende Schritte hinter ihr. Eiren wagte nicht, einen Blick zurückzuwerfen. Sie flüchtete weiter und schrie noch gellender. Bis hinter Ziersträuchern hervor ein Mann trat und ihre Flucht stoppte, in dem er sie einfach in seine Arme riss und festhielt. Eiren drohte vor Schreck das Herz still zu stehen. Schreien konnte sie nicht mehr. Eine unsichtbare Faust drückte ihr die Kehle zu. Ein, zwei Sekunden fühlte sie sich wie tot und hing schwer, mit geschlossenen Augen in den starken Armen des Mannes, der ihre Flucht beendet hatte. Die laut pochenden Schritte des Verfolgers meinte sie noch zu vernehmen. Dabei hatte er sie längst überholt und gefangen genommen. Aber die Schritte wollten nicht verstummen, waren schneller geworden und ganz nah. Weit riss Eiren die Augen auf - und blickte in das sonnengebräunte, aber sorgenvolle Gesicht von Zack Creston. »Sie...?« Der Sergeant lächelte. »Ich hörte Hilferufe, sah sie und da...« Verwirrung verdrängte die Furcht. Ihre Lippen kräuselten sich leicht. »Danke, Zack.« Wärme kam in dem Sergeanten auf, Wärme, die nicht nur seine Hände führten, die den zierlichen Körper der Komtess umschlossen hielten. Er spürte sie auch innerlich und das kam von dem Lächeln, das man ihm schenkte, das Lächeln einer Frau, die ihm zugetan war. Plötzlicher Schreck in Eirens leicht gerötetem Gesicht veränderte die Situation schlagartig. 93
Das Knallen harter, rennender Schuhsohlen verstummte abrupt. Eine unangenehm knarrende Stimme forderte: »Lassen Sie Ihre dreckigen Pfoten von meiner Verlobten.« Zack Creston sah in Eirens blaue Augen und las das Erschrecken darin. Er deutete es auf seine Art. Seine Antwort auf die harten Worte war ein unartikuliertes Grunzen. Ein Faustschlag auf die rechte Wange steigerte Verdruss in Wut. Vorsichtig stellte der Sergeant Eiren auf die Füße. Für Bruchteile von Sekunden genoss er ihren warmen Blick. Dann wirbelte er herum und streckte mit einem einzigen Schlag Marc Withers nieder. Eirens Verlobter saß da und massierte sich das Kinn. Er nickte langsam und seine Augen sprühten Mord. Während Eiren die Falten ihres duftigen Sommerkleides ordnete, erklärte sie mit Schärfe in der Stimme: »Du müsstest dich bei Mr. Creston bedanken. Er eilte mir zu Hilfe, als mich der furchtbare Geist verfolgte.« »Ein Geist hat dich verfolgt?«, klang es zurück und Marc Withers hatte dabei ein höhnisches Kichern in seiner Stimme. »Der Geist war ich, meine Liebe.« »Du...?« »Erraten. Ich sah dich aus der Kapelle gestürzt kommen.« »Dann warst du es, der mitten auf dem Weg stand?« »Wer denn sonst?« »Aber in der Kapelle packte mich einer von hinten.« »Du bist hysterisch geworden.« Es ging dem Sergeanten nichts an, zumindest nicht der Ton, in dem Marc Withers zu seiner Verlobten sprach, aber - sein Herz schlug für die Komtess - und er hatte die schwere Aufgabe, dem gespenstischen Treiben auf Manor Crawl ein Ende zu setzen. »Sie lügen«, stellte er darum scharf fest. Marc Withers, längst wieder auf eigenen Beinen stehend, fuhr herum. Sein Gesicht zeigte Zornesröte. »Hau ab, Polyp, sonst mache ich dir Beine.« Er sagte es böse und giftig. 94
»Sie sollten weniger in der Dorfschenke des Bürgermeisters zechen«, antwortete der Sergeant nicht weniger giftig. »Ich will Ihnen mal etwas sagen: Wenn mich ein besoffener Kerl anpöbelt, stülpe ich ihm einen Eimer kaltes Wasser über den Kopf.« Völlig unbewusst schielte der Sergeant bei seinem Zornesausbruch zu Eiren hin und sah deren vergnügliches Schmunzeln, wo sie doch hatte böse sein müssen. Zwischen den beiden ist doch nicht alles perfekt, dachte er, aber da musste er schon Withers Faust einstecken, die sich in seinen Magen bohrte und zwei Schritte zurück drosch. »Marc, du bist mehr als gemein.« Eiren begann laut zu weinen. Der Sergeant schüttelte sich wie ein nasser Hund und fauchte: »Irgendwann treffe ich Sie allein, Withers. Geschenkt lasse ich das Ihnen nicht.« Er war schon einige Schritte entfernt, als Withers drängende Worte zu hören waren. »Eiren, so geht es nicht weiter. Wir müssen so schnell wie möglich heiraten.« Nun blieb der Sergeant stehen, wartete auf Eirens Antwort, die ihm viel bedeutete. Aber er wurde enttäuscht, hörte statt des Erhofften nur eilige, trippelnde Schritte, wie sie nur eine Frau zustande bringt. Aber dann, wie viel wenige Sekunden waren vergangen, übertönte alles ein gewaltiger Krach, dem sofort eine meterhohe Stichflamme folgte, die taghell den beginnenden Abend Lügen strafte. Zack Creston rannte, so schnell ihn seine Füße tragen konnten. Als er den oberen Rand der Todesschlucht erreicht hatte, sah er die Stichflamme in sich zusammensinken. Wieder einmal war von unbekannter Hand in dem Höhlengewirr der mysteriösen Schlucht gesprengt worden. * Zack Creston hatte die Fußabdrücke mit Gips ausgegossen, die hinter der Schlosskapelle vorbei in einen verwilderten Vorhof des Schlosses führten, wo er sie, der Pflastersteine wegen, nicht weiter verfolgen 95
konnte. Eines stand fest: Der Geist, der Eiren in der Kapelle zu Tode erschreckt hatte, kam nicht aus der Todesschlucht. Sein Domizil musste sich in Manor Crawls Mauern befinden. Der Sergeant sammelte gewissenhaft alle vorhandenen Spuren, weil er überzeugt war, dass sie ihm am Ende von Nutzen sein und die Beweisführung festigen konnten. Er klemmte sich die Gipsabdrücke unter den Arm, lief ein paar Schritte - und erstarrte, aber nur für einen Augenblick, für einen Sekundenbruchteil. Er hatte entweder etwas gesehen oder irgendein Geräusch gehört, aber er hielt sich nicht damit auf, herauszufinden, was es gewesen war. Er warf sich zu Boden, riss den rechten Arm ans Gürtelhalfter, erwischte den Griff der Pistole. Noch ehe er auf dem Kiesweg aufschlug, wurde die beginnende Nacht taghell und ein Krachen drohte seine Trommelfelle zu zerreißen. Aus nur zehn Meter Entfernung zuckte die Flamme auf ihn zu, von einer Stelle neben der Kapelle. Und das Krachen des Schusses war höllisch laut, tief und dröhnend, die Flamme groß. Etwas durchschlug den Muskel über seinem Schlüsselbein und er dachte: Schrotflinte. Der Sergeant drückte den Abzug der 38er Automatic durch, drückte ihn gleich noch einmal und zielte auf die Stelle, wo dass Mündungsfeuer aufgeflammt war. Noch einmal und noch einmal feuerte er. Dann nahm er den Finger vom Abzug, instinktiv zunächst. Dann erst kam ihm der Gedanke, dass hier draußen mehr als ein Gegner auf der Lauer liegen konnte. Wenn es so war, wollte er nicht mit einer leer geschossenen Pistole auf dem Kiesweg liegen. Der Detektiv hörte einen harten Aufschlag. Das war alles. Kein Stöhnen, keinen Laut irgendeiner Bewegung. Vom nahen Schloss her schrie jemand. Lichter gingen an, beleuchteten den kurz gehaltenen Rasen und eine männliche Gestalt, die - das Gesicht am Boden - neben einem Gebüsch lag. Sie bewegte sich nicht. Jemand hastete durch das Licht, das verschwenderisch aus einem weit geöffneten Fenster des Schlosses fiel. Dieser Jemand trug ein Gewehr. Blitzschnell lud der Sergeant seine Pistole auf. Als er das Magazin einrasten ließ und den Schlitten nach hinten zog, so die Waffe schuss96
klar machte, war dieser Jemand heran und starrte erschrocken in das runde schwarze Loch der 38er. »Mylord...?« Zack Creston versteifte sich, zeigte auf die Jagdflinte. »Wann haben sie mit ihr zuletzt geschossen?« Paul McCrawl zeigte ein dümmliches Grinsen. »Wie bitte?« Der Sergeant nahm die Jagdwaffe an sich und roch am Lauf. Mit einem entschuldigenden Lächeln gab er sie zurück. »Sie sollten Ihre Waffen besser pflegen, Sir.« »Geh' ja kaum noch auf Jagd. Aber - was ist denn geschehen? Ich hörte Schüsse.« Der Sergeant zeigte mit dem Daumen hinter sich. »Da liegt einer, der es auf mich abgesehen hatte.« Mylord trat näher, schüttelte den Kopf, wandte sein erstauntes Gesicht dem Detektiv zu. »Ich kann nichts sehen.« Mit einem Fluch auf den Lippen, wirbelte der Sergeant herum. Die Stelle vor dem Busch war leer. Als er näher herantrat, sogar das Feuerzeug anschnippte, konnte er keinen einzigen Tropfen Blut entdecken, noch niedergedrückte Grashalme. Als der Sergeant wütend mit den Zähnen knirschte, drang Mylords leise Stimme an sein Gehör. »Um ehrlich zu sein, junger Freund, es geht mir wie Ihnen. Ich wage nicht auszusprechen, was ich die letzten Nächte gesehen habe. Aber am hellen Tag?« Er schüttelte den Kopf. »Wenn es in der Geisterstunde spukt, ist es in diesem Teil Schottlands... wie soll ich mich ausdrücken... eine Eigenart der Landschaft. Aber am Tage?«, wiederholte er kopfschüttelnd. »Sie kamen doch nicht mit der Flinte, um mir zu helfen?«, platzte der Sergeant. »Seit Tagen schon verkriechen Sie sich aus lauter Angst in den dunkelsten Winkel.« Mylords Adamsapfel hüpfte hoch und runter, aber er hielt dem Blick stand. In seiner Stimme war ein wilder Trotz, als er sagte: »Ja, ich bin ein Feigling. Viele, sehr viele McCrawls starben eines unnatürlichen Todes, weil jeder, aber auch jeder, sich für reich hielt. Dabei wurden die Schatztruhen bis heute nicht gefunden. Sie haben recht, Mr. Creston, ich verkroch mich, weil ich um mein Leben bangte.« 97
»Und warum verließen Sie die Sicherheit Ihrer vier Wände«, fragte der Sergeant, während er sich eine Zigarette anbrannte. »Sie sagen das so verächtlich, Mister, aber es stimmt trotzdem. Well, meine so genannten vier Wände, eine kleine Geheimkammer, sind nicht mehr sicher genug. Seit gestern höre ich Stimmen - und grässliche Flüche.« Zack Creston beugte sich vor und fragte mit schmalem Mund: »Was hörten Sie genau?« Aus rotgeränderten Augen blickte Mylord auf und sagte: »Nichts. Ich höre nur Stimmengemurmel, kein vernünftiges Wort. Nur diese Flüche, unanständig, hart und roh. Und es schallt dabei, als spreche der Teufel selbst in einer großen Halle, in der er seine Opfer röstet.« Der Sergeant stieß eine Rauchwolke aus und schnippte den Stummel in die Nacht. »Das will ich selbst hören.« * Nur ein bestimmter Teil des Schlosses wurde von einem Generator mit Strom versorgt. Noch war es hell, denn die Männer befanden sich in Mylords Arbeitszimmer, an dessen Decke ein Kronleuchter hing. »Sind Sie bereit, Mr. Creston?« Der Sergeant schob die Pistole ins Gürtelhalfter und griff nach der Taschenlampe. Er grinste sparsam. Das Grinsen als Zustimmung nehmend, betätigte der Herr von Manor Crawl den geheimen Mechanismus. Sofort öffnete sich ein Teil der Wandverkleidung. Jetzt grinste Mylord und sagte: »Nach Ihnen, Mr. Creston.« Ein kurzer Gang mündete in einem kleinen quadratischen Raum, dessen Wände aus gemauerten Felssteinen bestanden, die aber nicht störten, weil Möbel, Teppiche, Bilder und Gobelins sie fast völlig verdeckten. »Mein Reich«, erklärte Mylord. »Wenn ich der Ruhe bedarf, ziehe ich mich nach hier zurück. Da kann man mich lange suchen«, kicherte er. 98
Die Männer nahmen in bequemen Sesseln Platz, schenkten sich alten schottischen Whisky in die Gläser und rauchten dicke Zigarren. Das Warten begann. »Der Rauch, Sir«, unterbrach nach einer Weile Creston das Schweigen. »Er zieht ab, trotzdem die Tür geschlossen ist und keine Fenster vorhanden sind.« »Tja, früher wunderte ich mich auch darüber. Jetzt nehme ich es als gegeben hin.« »Es muss einen geheimen Abzug geben.« »Leise, bitte, wenn Sie die Geisterstimmen hören wollen.« Mylord gab sich Mühe, den Unbekümmerten zu spielen, aber ganz gelang es ihm nicht. Die Angst forderte ihren Tribut. Er trank mehr als verträglich. In immer engerer Folge schaute der Sergeant auf seine Uhr, dann auf die Petroleumlampe, die den kleinen Raum erhellte und seit einigen Minuten zu flackern begann. Mylord füllte wieder sein Glas und sagte leutselig, als hätte er einen kleinen Jungen vor sich: »In zwanzig Minuten beginnt die Geisterstunde.« »Die Zeit, wo alle Katzen grau sind, in der dunkle Elemente ungestört ihrem Treiben nachgeben können.« »Ah...?« Mylord trank hastig sein Glas leer. »Sie sind ein eigenartiger Mensch.« »Wieso?« »Well, seit einigen Tagen wohnen Sie hier. Seit einigen Tagen mussten Sie schwer einstecken - und trotzdem glauben Sie nicht an Geister.« Der Sergeant genehmigte sich einen kleinen Schluck und erwiderte salzig lachend: »Was ich erleben musste, könnte einen an Geister glauben lassen, das gebe ich gern zu. Aber da sind einige Ungereimtheiten, die mich veranlassen...« Kerzengerade richtete sich Mylord auf und neigte lauschend den Kopf zur Seite, während er mit der Hand Crestons Rede unterbrach. Seine sowieso nicht gesunde Gesichtsfarbe bekam einen Stich ins 99
Graue, während seine Augen immer größer und sein Maul immer schmaler wurde. Jetzt hörte es auch der Sergeant. Leise, raunende Stimmen, ein Gemurmel, das tief unten aus der Erde zu kommen schien. Die Zigarre in seiner Hand glimmte dahin. Er vergaß zu rauchen. Denn jetzt drang so etwas wie ein Hall aus der Tiefe, dem ein Fluch folgte. Jemand verdammte sein eigenes Pech. Von gelegentlichen Unterbrechungen abgesehen, ging das Fluchen und das Gemurmel weiter, ab und zu ein scharfer Laut, als arbeiten welche schwer in einer Mine. Zack Creston hielt es in seinem Sessel nicht mehr aus und wanderte in dem kleinen Raum hin und her. Ein dicker Teppich verschluckte das Geräusch seiner Schuhe. Nach einer Weile lehnte er sich gegen die Wand und begann wieder zu rauchen. Seine Finger allerdings kratzten in nervöser Unruhe in den Mauerfugen herum. Plötzlich, der Sergeant sprang erschrocken in die Zimmermitte, wich ein Teil des Mauerwerks zurück. Schnell fasste er sich und ging näher an den schmalen Spalt heran, der sich aufgetan hatte. Vorsichtig drückte er mit der linken Hand gegen die Steinwand, während er in der rechten die 38er schussbereit hielt. Die gemauerte Wand ließ sich verschieben. Der Spalt wurde größer. Dunkelheit. Noch einmal drückte er gegen die Steine. Es begann mit einem sanften Luftzug. Je weiter er die Wand aufschob, die sich als Geheimtür entpuppte, desto stärker wurde der Sog. Bis der Ausgleich geschaffen war, die seit zig Jahren angestaute Luft ihren Ausweg fand. »Damned«, schimpfte Mylord aufspringend. »Dieser Hunter McCrawl, der den alten Kasten bauen ließ, muss wirklich in Angst und Schrecken gelebt haben, dass er sich so viele Geheimtüren anlegen ließ, die ihm zu jeder Zeit die Flucht ermöglichten.« »Scheint so, Sir. Aber nun wollen wir sehen, wohin uns der Gang führt.« »Sie meinen, ich soll mitkommen?« Zack Creston verbarg sein Schmunzeln, sagte ernst: »Unbedingt, Sir. Wenn wir zufällig auf den verborgenen Schatz stoßen sollten...« 100
Wie von einem plötzlichen Fieber befallen, griff Mylord nach seiner Jagdflinte, entsicherte sie und stieg als zweiter in das dunkle Loch. Wenige Minuten vergingen und schon versperrte eine Mauer das weitere Vordringen. Ohne sich entmutigen zu lassen, leuchtete der Sergeant die Wand ab und fand sofort einen eisernen, angerosteten Riegel, der stark quietschte, als er ihn zurückschob. Das Erstaunen war groß, als er sich in dem Zimmer wieder fand, in dem der nackte Arm den Diener Fugger verschwinden ließ. Zack Creston machte auf der Stelle kehrt und suchte nach einer Abzweigung, die er fand, weil an dieser Stelle das dichte Spinnengewebe zerrissen war. Kaum hatte er die verborgene Tür geöffnet, als ihm laute Stimmen entgegenschallten. Bevor der Sergeant die einzelnen Stimmen unterscheiden und Worte verstehen konnte, dröhnte ihm ein lautes, irres Lachen entgegen - und scharfer, beißender Qualm. »Die Hölle, das ist die Hölle«, quetschte Mylord hustend hervor. Die Angst hatte ihn mit tausend Krallen gepackt. Da half der genossene Alkohol, noch der Gedanke an die Schätztruhen, nicht mehr. »Lassen Sie sich nicht bluffen, Sir«, hustete der Sergeant, »das ist kein Teufelsatem, sondern Pulverdampf. Hier unten ist gesprengt worden.« »Wer soll hier sprengen?«, kam es verblüfft zurück. »Das werden wir feststellen.« Träge verzog sich der Qualm, bildete Nebel, durch den der Strahl der Stablampe kaum dringen konnte. So musste es passieren, dass der Sergeant ins Stolpern geriet, weil er zu spät das Hindernis erkannte: lose Steine, die wahllos den Boden bedeckten. »Zeichen einer Sprengung, Sir. Mein Verdacht nimmt immer mehr realistische Formen an.« »Welcher Verdacht?« »Dass es unterirdische Verbindungen zu den Höhlen der Todesschlucht gibt. Gänge, die einst von Ihren Ahnen und seinen getreuen Knappen zur Flucht benutzt wurden.« 101
Von hinten krallte sich eine Hand in Crestons Jacke. Wütend wollte der Sergeant herumfahren, als ihn Mylords hastig hervorgestoßene Worte trafen. »Der Geheimgang. Durch ihn ließ Hunter McCrawl die Schatztruhen verschwinden. Mr. Creston, wir sind auf dem richtigen Weg. Oh, mein Gott, wenn wir das Gold finden würden, alle Not wäre zu Ende. Und Sie, Sergeant, werde ich fürstlich belohnen.« Ich will was von dir, dachte der Detektiv, ohne es auszusprechen.
Mir wäre lieber, wir würden keinen Schatz finden. Meine Chancen bei Eiren stünden dann besser. Unwirsch erwiderte er laut: »Lassen wir
die Träumereien, Sir. Wenn mich meine Ahnung nicht trügt, lauert da vorn schon einer auf uns.« Die Hand löste sich von Crestons Jacke und Mylord tat einen mächtigen Satz rückwärts. Heiser keuchte er: »Er bewacht die Truhen und wird uns nicht heranlassen. In meiner Bibliothek existiert ein altes Handschreiben, aus dem hervorgeht, dass es schon einmal einem McCrawl gelang, den Schatz zu finden. Nach vier Tagen tauchte der Finder auf, gebrochen an Leib und Seele und ohne Geld und Edelsteine.« »Und was steht noch geschrieben?« Mylord hustete und keuchte weiter: »Sie können es ja selbst lesen, Mr. Creston. Es passierte vor annähernd einhundertzehn Jahren. Well, da steht noch geschrieben, dass der Finder die Truhen sah, aber auch den Geist des Hunter McCrawl. Und dieser habe ihn mit dem Schwert gezüchtigt, drei Tage in ein steinernes Verlies geworfen und erst freigelassen, als der Finder bei Gott - und dem Teufel schwor, nichts über das Versteck zu verraten.« »Klingt wie ein Märchen, könnte aber wahr sein«, erwiderte der Detektiv. »Nur schade, dass nichts mehr über den Geist berichtet wurde.« »Sie glauben wohl noch immer nicht an ihn?«, empörte sich Mylord. »Nein«, kam es knapp zurück. Der Sergeant drang weiter vor, angelockt von einem dumpfen Stimmengemurmel, das aus der Tiefe heraufdrang. Er achtete nun besonders auf Abzweigungen, denn er war sich sicher, dass es eine 102
geben musste, die weiter in die Tiefe führte - in die Höhlen der Todesschlucht. Zack Creston hatte plötzlich ein ungutes Gefühl. Es war, wie wenn er die Witterung eines Tigers in die Nase bekommen hatte. Er verharrte und lauschte in den dunklen, verqualmten Gang. Mylord fröstelte, als habe ihn ein eisiger Wind gestreift. Denn da schallte wieder das irre Lachen an seine Ohren und es kam ihm vor, als verspotteten ihn die unterirdischen Geister, von deren Existenz er voll überzeugt war. Aber da war die Armut, die er kaum noch nach außen hin verbergen konnte. Eine peinliche Sache für ihn, glaubte doch alle Welt, die McCrawls wären steinreich. Der Gedanke, dass hier unten ein Vermögen verborgen lag, ließ ihn ausharren, ja, sogar vorwärts schreiten. Zack Creston fand die steinernen Stufen und kletterte auf ihnen nach unten. Moder hatte die Steine schlüpfrig gemacht, so dass nur ein langsames Vorwärtskommen möglich war. Kurz vor dem Ende der langen Treppe kam Mylord ins Rutschen und riss den Sergeanten mit sich. Die Fahrt auf den Knochen des Rückens dauerte mindestens eine Minute und endete vor einer vermoderten Holztür. Das heißt, die Rutschpartie endete in dem kleinen Verlies, das die Tür verbarg, denn der Sergeant schlug mit den Füßen gegen die morschen Bretter, die knallend auseinanderplatzten und sauste in das Verlies. Den eigentlichen Halt geboten drei Truhen aus massivem Eichenholz, die dicht nebeneinander fast vollständig den kleinen Raum füllten. Als der Sergeant sich aufgerappelt hatte und noch vor Schmerzen pfiff, stieß ihn Mylord zur Seite. »Mr. Creston, wir haben sie gefunden. Jetzt sind wir reich.« »Bei Gott, es scheint, wir haben Hunter McCrawls geheimnisvolle Schatztruhen gefunden, Sir.« »Ja, das haben wir. Ich bin mir sicher.« Dann, völlig verwandelt: »Los, Sergeant, sprengen Sie eine auf...« 103
»Sir, die Gefahr, überrascht zu werden, ist viel zu groß. Bisher wichen alle Wesen zurück, die wir im Nebel des Pulverdampfes sehen konnten, aber...« »Quatsch. Jetzt und hier will ich sehen, wie reich ich bin. Wenn Sie nicht helfen wollen, tue ich es allein.« »Ums Helfen geht es nicht. Hören Sie nicht den Irren lachen? Er kommt näher, muss den Knall gehört haben, der entstand, als ich durch die vermoderte Tür sauste.« Mylords Gesicht war hochrot und verzerrt. Seine Stimme überschlug sich. »Schön, halten Sie Wache. Ist vielleicht besser so. Ich aber werde die Schlösser knacken.« Noch nicht völlig ausgesprochen, sprengte er mit dem Lauf der Jagdflinte die altertümlichen Schlösser, zu denen es keine Schlüssel gab. Der dadurch entstandene Lärm hing noch in der Luft, als Mylord schon den Deckel anhob. Schlechte Luft, Modergeruch schlug ihm entgegen. Mit einem Fluch stieß er den Truhendeckel ganz nach hinten. Die Truhe war angefüllt mit kostbaren Kleidungsstücken, die aber der Moder und Schimmel in vielen Jahrhunderten zerstört hatte. »Es sind ja noch zwei Truhen da«, tröstete der Sergeant, dessen Aufmerksamkeit nicht nachließ, lachte doch noch immer einer irr und höllisch und es klang unmenschlich, eher tierisch. Zack Creston war auf alles gefasst. Wieder heulte der Herr von Manor Crawl enttäuscht auf, fand er doch in der zweiten Truhe ebenfalls nur vermoderte Kleidungsstücke. »Los, wir müssen weg«, drängte der Sergeant. Aber Mylord war stur wie ein Büffel und ging die dritte und letzte Truhe an. Als der Deckel aufsprang, sank er in die Knie. Vor seinen Augen breiteten sich gut erhaltene, altertümliche Waffen aus, wie Schwerter und Dolche aber kein Gold, Silber, noch Edelsteine. »Beschiss auf der ganzen Linie«, sagte der Sergeant und es kam ihm aus vollem Herzen. Als sich Mylord einigermaßen gefasst hatte, sagte er dumpf: »Das Rätsel um Hunter McCrawls Tod ist gelöst. Der Kerl beging Selbstmord, weil er pleite war.« 104
* Poltern, Klirren, vermischt mit lautem Gebrüll, schreckte die Männer auf. Der Sergeant kniff die Augen zusammen, starrte durch den Rauch - und konnte dennoch nichts erkennen. Plötzlich, er wusste nicht, wie ihm geschah, bekam er einen fürchterlichen Stoß, der ihn ins steinerne Verlies schleuderte. Und dann - drang ein Ritter durch die Türöffnung. Seine Rüstung war schwarz, nur das breitklingige Schwert, das er mit beiden Händen hielt, glänzte und funkelte, blendete die Augen. Mylord fiel auf die Knie, steckte dem erschienenen Geist die gefalteten Hände entgegen und flehte: »Vergiss, Oheim, dass ich dich deine Truhe berauben wollte. Zürne nicht mehr und sage mir, was ich tun kann, damit du die ewige Ruhe findest. Der gehamischte Ritter drehte seinen Kopf, um die Truhen betrachten zu können. Die Rüstung schepperte und quietschte. Knurrend, von giftigem Atem begleitet, zischte er: »Ist ja nur Plunder drin.« Vielleicht wollte sich Mylord noch mehr erniedrigen, kam aber nicht zu Wort, weil der Geist das Schwert anhob, als wollte er dem Herrn von Manor Crawl den Schädel spalten. Aus dem Hintergrund kam die harte Stimme des Sergeanten: »Fugger, du verfluchter, meineidiger Halunke. Wenn du nicht sofort das Schwert fallen lässt, durchlöchere ich dir deine Rüstung.« Unter dem Visier hervor kam ein Fluch. »Verdammter Polyp.« Aber das Schwert klirrte zu Boden. Der eiserne Helm wurde abgenommen und zum Vorschein kam tatsächlich Fugger, der skelettartige Diener des Bruders von Mylord. »Sir... Mylord«, wandte sich der Mann, der schon einmal Geist spielte, an den Schlossherrn. »Mein Herr befahl mir...« Lautlos kam der Stein geflogen und genauso lautlos sank Fugger in die Knie. Der unkenntliche Schatten vor der Tür flüchtete. 105
Als der Detektiv-Sergeant zur Verfolgung ansetzte, hielt ihn Mylord am Arm fest. »Mr. Creston, ich kann doch auf ihre Verschwiegenheit rechnen?« Für Zack Creston gab es kein Überlegen. Zu genau wusste er, was die Angst aus Menschen machen kann. »Keine Frage, Sir. Aber wenn wir schon wie Männer miteinander reden - ich habe mich in Ihre Tochter rettungslos verliebt.« Hinter dem Schlossherrn lagen viele Enttäuschungen, trotzdem kerbte ein Lächeln sein hageres Gesicht. »Teufelskerl«, kam es zwischen seinen schmalen Lippen hervor. »Wenn Eiren Sie mag? Sie sind mir hundertmal lieber als dieser Marc Withers. Ein undurchdringlicher Kerl, das...« Zack Creston klopfte Mylord auf die Schulter. »Danke, Sir. Mit Eiren komme ich schon klar.« Er sah nur die Komtess, ihr vom Blondhaar umrahmtes schmales Gesicht, das vor Angst und Aufregung blass war. Seltsam steif ging er auf sie zu. »O Zack. Ist Ihnen auch nichts geschehen?« »Nein.« Seltsam blechern klang es, der Sergeant kannte seine eigene Stimme nicht wieder. Eiren lachte leise. Dann verstummte sie, denn der Detektiv-Sergeant war heran. Zwei, drei Herzschläge lang stand er steif da. Dann ging ein Ruck durch seinen Körper. Mit seltsam verschleierten Augen riss er Eiren in seine Arme und küsste sie. Ein Räuspern schreckte ihn auf. »Sergeant, können Sie überhaupt eine echte Komtess ernähren?« »Yes, Sir... wenn ich befördert werde!« Ende
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