Alexander Puschkin
as ärchen vom aren altan as ärchen vom goldenen ahn
Nacherzählt von Elisabeth Borchers Mit I...
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Alexander Puschkin
as ärchen vom aren altan as ärchen vom goldenen ahn
Nacherzählt von Elisabeth Borchers Mit Illustrationen von Ivan Bilibin Insel Verlag
»Je älter man wird, schreibt Fürst Mirskij in seiner Geschichte der russischen Literatur, um so mehr ist man geneigt, König Saltan als das Meisterwerk der russischen Dichtung anzusehen. Es ist reinste Kunst … zugleich universale Kunst, die das sechsjährige Kind ebenso anspricht wie den sechzigjährigen belesenen Weisen … Es ist weder leichtfertig noch geistreich, noch humorvoll, wirkt aber leicht erheiternd und erfrischend. Zugleich ist es ein sehr ernstes Werk, denn was kann ernster sein als eine Welt vollkommener Schönheit und Freude, die jedermann zugänglich ist?« (FAZ) Als Das Märchen vom Zaren Sattan, von seinem Sohn, dem berühmten und mächtigen Fürsten Gwidon, und von der wunderschönen Schwanenprinzessin von Alexander Puschkin mit Illustrationen von Bilibin erschien (1973), war die Überraschung groß: »Das helle Entzücken sind die unsäglich prunkvollen Illustrationen. Aller realer Reichtum unserer Welt ist eben nichts gegen den Reichtum, den die Märchen uns einst versprochen haben«, so schrieb Jörg Drews. Dem Märchen vom Zaren Saltan folgte auch Das Märchen vom goldenen Hahn, das die Lehre einfängt, die besagt, ein Versprechen werde gegeben, damit es gehalten wird.
insel taschenbuch 2002 Alexander Puschkin/lvan Bilibin Das Märchen vom Zaren Saltan Das Märchen vom goldenen Hahn Ein insel taschenbuch für Kinder
as ärchen vom aren altan as ärchen vom goldenen ahn von Alexander Puschkin Nacherzählt von Elisabeth Borchers Mit Illustrationen von Ivan Bilibin Insel Verlag
Die vorliegende Ausgabe enthält die Insel-Bilderbücher Das Märchen vom Zaren Saltan, von seinem Sohn, dem berühmten und mächtigen Fürsten Gwidon, und von der wunderschönen Schwanenprinzessin () und Das Märchen vom goldenen Hahn ().
Insel taschenbuch Erste Auflage © Insel Verlag Frankfurt am Main Alle Rechte vorbehalten Vertrieb durch den Suhrkamp Taschenbuch Verlag Umschlag nach Entwürfen von Willy Fleckhaus Druck: Konkordia GmbH, Bühl/Baden Printed in Germany —
as ärchen vom aren altan
T
ief lag der Schnee, und Nacht war es schon. Doch die drei Schwestern saßen immer noch vor ihren Spinnrä-
dern. »Ach«, sagte die eine, »wenn ich Zarin würde, ich würde ein Festessen kochen für alle im Land.« »Ich«, sagte die zweite, »ich würde Leinen weben für alle.« »Käm‘ der Zar zu mir«, sagte die Jüngste, »ich würde ihm einen Sohn schenken, einen schönen,
starken Sohn.« Da knarrte die Tür, und der Zar Saltan trat in die Stube. Er hatte die Mädchen reden gehört. Und weil ihm das Versprechen der Jüngsten am besten gefiel, sagte er zu ihr: »Guten Abend! Du sollst die Zarin werden, und im nächsten September schon schenkst du mir einen starken, schönen Sohn. Ihr beiden anderen sollt bei der Schwester bleiben und das tun, was ihr euch ge-
wünscht habt: du darfst kochen und du darfst Leinen weben.« Die Mädchen folgten dem Zaren aufs Wort. Und noch in derselben Nacht gab es ein Fest mit vielen Gästen, und die Jüngste wurde vom Zaren zur Zarin gemacht. Die Ehrengäste richteten das Hochzeitsbett mit den feinen elfenbeinernen Schnitzereien her. Nur die beiden Schwestern klagten, weil sie nichts anderes geworden waren als Köchin die eine und Weberin die andere. Da brach ein Krieg aus, der Zar mußte fort. Und schon auf dem Pferd rief er der Zarin zu: »Gib acht auf dich. Mir zuliebe.« Weit weg, in langen Kämpfen, war der Zar, als im September die Zarin einen Sohn zur Welt brachte. Und es war zum Staunen, wie groß er war. Sie rief den schnellsten Boten des Hofes, damit er dem Zaren Botschaft brächte. Doch die beiden neidischen Schwestern berieten Böses
zusammen mit der Base Babarisch: Sie fingen den Boten der Zarin ab und schickten einen anderen an seiner statt mit einer anderen Botschaft: »Die Zarin hat dir was geboren. Das ist kein Sohn und keine Tochter, das ist nicht Maus und ist nicht Frosch. Ein Untier ist es, es sieht gräßlich aus.« Als der Zar das las, wurde er so zornig, daß er den Boten am liebsten bestraft hätte. Doch er schickte ihn
mit dem Befehl zurück: »Kein Wort darüber. Wenn ich nach Hause komme, werde ich entscheiden, was zu tun ist.« Die Schwestern und die Babarisch fingen den Boten ab, machten ihn betrunken und wechselten die Botschaft aus: »Zar Saltan an die Bojaren! Ich weiß, was geschehen ist. Die Zarin und ihr Kind sollen ins Meer geworfen werden.« Mit dieser Botschaft drangen die Bojaren in das Schlafgemach der Zarin ein, lasen
ihr die Botschaft laut und traurig vor und taten, was der Zar befohlen hatte. Mutter und Kind wurden in ein Faß gesteckt. Ausgestopft mit Werg und abgedichtet mit Teer rollte es hinaus ins blaue Meer. So schwamm es davon – darüber der Himmel, einmal mit Sternen, glänzend und hoch, ein andermal mit Wolken, tief und schwer. Die Zarin klagte und klagte. Doch der Sohn wuchs, wuchs wunderbar, stündlich wurde er größer. Er horchte auf die Wellen und rief ihnen zu: »Ihr Wellen, die ihr stark genug seid, an Felsen zu schlagen und ein Schiff mit hohen Masten zu halten, ihr Wellen, die ihr frei seid, macht uns frei, tragt uns an Land.« Als die Wellen das hörten, trugen sie das Faß an Land, setzten es behutsam ab. Das Kind stemmte sich mit Kopf und Füßen gegen das Faß. Da hob sich der Deckel, und beide waren frei.
Sie sahen sich um, sahen einen Hügel und darauf eine Eiche. Und weil sie hungrig waren, ging der Sohn zum Baum, brach einen Ast als Bogen und Äste, um sie zu Pfeilen anzuspitzen. Dann schaute er sich nach Seevögeln um, die er erreichen könnte. Als er ans Meer hinunterging, hörte er Klagen und Stöhnen und sah einen Schwan, über dem ein Geier mit gespreizten Klauen stand. Er schoß seinen Pfeil ab und traf den Geier, der aufschrie, als schreie ein Mensch, ins Meer sank und die Wellen rot färbte. Da sagte der Schwan – er sprach russisch, so daß ihn der Zarensohn verstehen konnte: »Du hast mich, eine Königstochter, aus der Macht eines Zauberers befreit. Du sollst belohnt werden. Von nun an bin ich dir zu Diensten und werde dir nahe sein und tun, was du wünschst. Geh schlafen jetzt, auch wenn du hungrig
bist.« So schliefen die Zarin und ihr Sohn hungrig ein. Doch als der Zarensohn als erster im Morgengrauen erwachte, staunte er sehr: von einer weißen Mauer umgeben stand da eine Stadt mit goldenen Kuppeln, Türmen, Kirchen und Klöstern. Er weckte die Mutter und rief: »Sieh, der Schwan hat über Nacht ein Wunder vollbracht.« Als sie durchs Tor in die Stadt gingen, läuteten die Glocken von allen Türmen, goldene Karossen kamen ihnen entgegen, und das Volk jubelte. Es grüßte den Zarensohn als Herrn, und weil es das Volk so wollte und auch die Zarin, setzten sie ihm die Krone eines Fürsten auf und riefen: »Du bist unser Fürst Gwidon.« Draußen auf dem Meer trieb der Wind ein Schiff mit weißen Segeln heran. Und die Schiffsleute staunten: »Seht euch das an! Eine Stadt auf der Insel! Wo früher gar nichts war, steht eine Stadt mit
goldenen Kuppeln, Zinnen und Türmen!« Die Leute in der Stadt hatten das Schiff entdeckt, begrüßten es mit Kanonendonner, und die Gäste wurden reichlich bewirtet. Der Fürst fragte sie, woher sie kämen und wohin sie führen. Sie erzählten, daß sie Pelzwerk von Fuchs und Zobel geladen hätten und zum mächtigen Zaren Saltan heimkehren wollten. Da bat sie der Fürst: »Grüßt mir den Zaren, grüßt ihn von mir.« Und das Schiff fuhr weiter. Voller Kummer ging der Fürst Gwidon zum Meer hinunter. Da kam auf blauen Wellen der weiße Schwan geschwommen und sagte: »Warum bist du so traurig, Fürst?« »Nein, kein Unglück ist geschehen – ich denke an meinen Vater, bei dem ich sein möchte.« »Wenn es weiter nichts ist«, antwortete der Schwan. »Nimm die Gestalt einer Mücke an und flieg zum Schiff.« Der Schwan bewegte seine Flü-
gel so mächtig, daß das Meer schäumte, die Wellen hochschlugen und den Fürsten ergriffen. Als er wieder auftauchte, war er eine Mücke geworden, flog zum Schiff und versteckte sich in einer Spalte im Holz. Eifrig trieb der Wind das Schiff fort zum Inselland Bujan, dem Reich des mächtigen Zaren. Und als sie angekommen waren, lud sie der Zar zum Fest. Die Mücke flog ihnen nach ins Schloß, wo Saltan mit goldener
Krone und finsteren Blicks auf seinem ron saß, ihm zu Füßen die Schwestern und Babarisch. »Seid willkommen«, sagte der Zar, »sagt, wo ihr herkommt, wie lang ihr unterwegs wart und was es jenseits des Meeres an Wunderbarem gibt.« Und sie antworteten: »Wir
haben viele Länder umfahren, und auch jenseits des Meeres ist es schön, und es lebt sich dort gut. Doch das Wunderbarste, das wir sahen, war eine Insel im blauen Meer. Früher war sie leer, nichts als Felsen und auf dem Hügel eine Eiche. Nun steht dort plötzlich eine
große reiche Stadt mit Gärten ringsumher, einem Palast, und auf goldenem ron sitzt Fürst Gwidon. Er läßt dich grüßen, das trug er uns auf.« »Wenn es wirklich so ist, wie ihr sagt«, sagte der Zar, »dann möchte ich selber zum Fürsten fahren.« Als die Schwestern das hörten, berieten sie sich schnell mit der Base Babarisch, denn sie wollten den Zaren nicht fahren lassen. »Das wäre ja noch schöner«, riefen sie. »Haben wir nicht Wunderbares genug? Am Waldrand unter einer Tanne sitzt ein Eichhörnchen, das singen kann und im Takt der Lieder Nüsse knackt. Nüsse, mit Schalen ganz aus Gold, und jeder Kern ist ein Smaragd.« Der Zar staunte über diese Geschichte. Doch die Mücke stach Babarisch wütend ins Auge, daß sie nicht mehr sehen konnte. Die Schwestern, die Diener wollten die Mücke fangen, aber die flog durchs Fenster, übers Meer und
nach Haus. Wieder ging der Fürst Gwidon mit seinem Kummer ans Meer hinunter. Da kam auf blauen Wellen der weiße Schwan geschwommen und sagte: »Warum bist du so traurig, Fürst?« »Im Land des Zaren Saltan«, sagte der Fürst, »gibt es ein Eichhörnchen, das singen kann und im Takt der Lieder goldene Nüsse knackt, und jeder Kern ist ein Smaragd - wenn es wahr ist, was sie sagen.« »Wahr ist es«, sagte der Schwan, »denn das Eichhörnchen ist mein Wunder, das ich dir gern schenke.« Glücklich kehrte der Fürst zum Schloß zurück und sah im Schloßhof unter einer großen Tanne das Eichhörnchen sitzen, sah die goldenen Nüsse auf der einen Seite blitzen, auf der anderen die Smaragde. »Der Schwan hat mich reich gemacht«, rief der Fürst, stellte Wachen vor dem Wunder auf und einen Schreiber dazu, der jede Nuß zählte und aufschrieb. Er
ließ auch ein Haus bauen für das Eichhörnchen, ganz aus Kristall. Draußen auf dem Meer trieb der Wind ein Schiff mit weißen Segeln heran. Und als es im Hafen anlegte, wurden die Fremden mit Kanonendonner begrüßt, und ein Fest wurde bereitet. Wieder fragte der Fürst, woher sie kämen und wohin sie führen und anderes mehr. »Von weit her kommen wir«, erzählten die Schiffsleute, »wir haben viele Länder gesehen, haben Hengste am Don gehandelt, und nun sind wir auf dem Heimweg zum Inselland Bujan, dem Reich des großen Zaren.« »Grüßt mir den Zaren Saltan«, sagte der Fürst. »Wenn ihr heimkehrt, grüßt ihn von mir.« Als das Schiff gefahren war, ging der Fürst am Ufer entlang. Da kam auf blauen Wellen der weiße Schwan geschwommen. »Ich möchte fort«, sagte der Fürst zum Schwan. Da schlugen die Wellen an ihm hoch, und
als Fliege flog der Fürst hinter dem Schiff her und versteckte sich dort. Eifrig trieb der Wind das Schiff fort zum Inselland Bujan, dem Reich des mächtigen Zaren. Und als sie angekommen waren, lud sie der Zar zum Fest. Die Fliege folgte ihnen ins Schloß, wo Saltan mit goldener Krone und finsteren Blicks auf seinem ron saß, ihm zu Füßen die Schwestern und Babarisch. »Seid willkommen«, sagte der Zar, »sagt, wo ihr herkommt, wie lang ihr unterwegs wart und was es jenseits des Meeres an Wunderbarem gibt.« – Wir haben alle Länder umfahren, und auch jenseits des Meeres ist es schön, und es lebt sich dort gut. Doch das Wunderbarste, das wir sahen, war die Insel im blauen Meer, mit einer Stadt, herrlich gebaut, mit Türmen und Kuppeln aus Gold. Und vor dem Schloß steht eine hohe Tanne und darunter ein kleines Haus aus
Kristall. Darinnen sitzt ein Eichhörnchen, das singen kann und im Takt der Lieder Nüsse knackt, Nüsse mit Schalen ganz aus Gold, und jeder Kern ist ein Smaragd. Wachtposten halten Wacht, und einer schreibt die Zahl der Nüsse auf. Die Soldaten erweisen ihm Ehre, aus dem Gold wird Geld geprägt, das der Fürst verteilt. Die Edelsteine aber füllen Kisten und Kasten. Dort gibt es nirgendwo Hütten, nur Paläste. Und auf dem goldenen ron des Schlosses sitzt Fürst Gwidon, der Mächtige, der dich grüßen läßt, das trug er uns auf.« Staunend hörte es der Zar und sagte: »Wenn es wirklich so ist, und wenn ich noch zu leben habe, will ich selbst zum Fürsten gehn.« Als die Schwestern das hörten, berieten sie sich schnell mit Babarisch, und die eine sagte: »Was ist schon Besonderes daran, wenn ein Eichhörnchen Nüsse knackt. Viel größer ist das Wun-
der des Meeres, wo die Wellen steigen und brausen, tosen und stürmen, über den Strand brechen, und gewaltig wie Gewitter springen dreiunddreißig Ritter in blinkenden Rüstungen aus der Flut, riesenstark und heldenhaft, schön und kühn, angeführt von Tschernomor. Das ist ein Wunder, und wahr ist es auch.« Keiner sagte ein Wort, weil niemand widersprechen woll-
te. Und der Zar staunte. Doch die Fliege stach Babarisch wütend ins andere Auge, daß sie nicht mehr sehen konnte. Die Schwestern, die Diener wollten die Fliege fangen, aber die flog durchs Fenster, übers Meer und nach Haus. Und wieder ging der Fürst zum Meer und schaute hinaus. Da kam auf blauen Wellen der weiße Schwan geschwom-
men und sagte: »Warum bist du so traurig, Fürst?« »Das Wunder der dreiunddreißig riesenstarken Ritter in stählernen Rüstungen, die aus schäumender, tosender Flut steigen«, antwortete der Fürst, »gibt es das wirklich?« »Auch dieses Wunder ist wahr«, sagte der Schwan. »Die Ritter sind meine Brüder und kommen, wenn ich es will. Sei ohne Sorge und geh ins Schloß.« Als der Fürst vom Turm des Schlosses aufs Meer schaute, sah er gewaltig wie Gewitter dreiunddreißig Ritter aus der Flut springen, voran Tschernomor mit schneeweißem Haar. Der Fürst eilte ihnen entgegen, und Tschernomor sagte: »Der Schwan hat uns herbefohlen, deine Stadt zu schützen. Jeden Tag zur selben Stunde kommen wir vom Meeresgrund nach oben. Doch nun eilen wir zurück. Es fällt uns schwer, die Luft der Erde zu atmen.« Und so verschwanden sie wieder. Draußen
auf dem Meer trieb der Wind ein Schiff mit weißen Segeln heran. Und als es im Hafen anlegte, wurden die Fremden mit Kanonendonner begrüßt, und ein Fest wurde bereitet. Wieder fragte der Fürst, woher sie kämen, wohin sie führen und anderes mehr. »Von weit her kommen wir«, erzählten die Schiffsleute, »wir haben viele Länder gesehen. Wir haben mit Gold und Silber und Stahl gehandelt. Nun sind wir auf dem Heimweg zum Inselland Bujan, dem Reich des großen Zaren.« »Grüßt mir den Zaren Saltan«, sagte der Fürst. »Wenn ihr heimkehrt, grüßt ihn von mir.« Als das Schiff gefahren war, ging der Fürst zum Meer hinunter. Da kam auf blauen Wellen der weiße Schwan geschwommen. »Ich möchte fort«, sagte der Fürst. Da schlugen die Wellen an ihm hoch, und als Wespe flog der Fürst hinter dem Schiff her und versteckte sich
dort. Eifrig trieb der Wind das Schiff fort zum Inselland Bujan, dem Reich des mächtigen Zaren. Und als sie angekommen waren, lud sie der Zar zum Fest. Die Wespe folgte ihnen ins Schloß, wo Saltan mit goldener Krone und finsteren Blicks auf seinem ron saß, ihm zu Füßen die Schwestern und Babarisch. »Seid willkommen«, sagte der Zar, »sagt, wo ihr herkommt, wie lang ihr unterwegs wart und was es jenseits des Meeres an Wunderbarem gibt.« »Wir haben alle Länder umfahren, und auch jenseits des Meeres ist es schön, und es lebt sich dort gut. Doch das Wunderbarste, das wir sahen, war die Insel im blauen Meer, mit einer Stadt, herrlich gebaut, mit Türmen und Kuppeln aus Gold. Und aus der tosenden Flut steigen vom Meeresgrund täglich zur gleichen Stunde dreiunddreißig Ritter, angeführt von Tscher-nomor. Jung sind sie und stark,
und der Stahl ihrer Rüstungen glänzt. Sie stehen im Dienst des Fürsten Gwidon und beschützen die Stadt. Der Fürst, der Mächtige, läßt dich grüßen, das truger uns auf.« Staunend hörte es der Zar und sagte: »Wenn es so ist, und wenn ich noch zu leben habe, will ich selbst zum Fürsten gehn.« Das lächelte Babarisch und sagte: »Was bedeutet schon das Wunder der dreiunddreißig Ritter! Viel wunderbarer ist die Zarentochter
jenseits des Meeres. Am Tage ist ihre Schönheit heller als das Licht, und nachts ist sie hell wie die Sonne. In ihrem Haar leuchtet ein Mond, und auf der Stirn trägt sie einen Stern. Sie geht majestätisch, und die Stimme ist klar wie der Quell im Wald. Ich glaube doch, an dieses Wunder reicht kein anderes heran.« Da schwiegen die Gäste still, weil niemand zanken wollte. Und der Zar staunte noch mehr, daß so etwas möglich sei. Die Wespe aber war wütend und stach Babarisch in die Nase, daß die Nase schwoll. Und die Wespe flog aus dem Fenster, übers Meer und nach Haus. Wieder ging der Fürst Gwidon mit seinem Kummer ans Meer hinunter. Da kam auf blauen Wellen der weiße Schwan geschwommen und sagte: »Warum bist du so traurig, Fürst?« »Es macht mich traurig, allein zu sein«, sagte er. »Ich hörte von einer Zaren-
tochter, jenseits des Meeres. Am Tage ist ihre Schönheit heller als das Licht, und nachts ist sie hell wie die Sonne. In ihrem Haar leuchtet ein Mond, und auf der Stirn trägt sie einen Stern. Majestätisch ist sie, und die Stimme ist klar wie ein Quell im Wald.« Ängstlich fragte der Fürst: »Sag, ist dieses Wunder wahr?« Der Schwan schwieg ein Weilchen, dann antwortete er: »Überleg dir gut, ob du‘s dir wünschst. Es ist nicht leicht, die Pflichten sind schwer. Hast du erst eine Frau gewählt, so muß sie auch deine Frau bleiben.« »Es ist alles bedacht«, sagte der Fürst, »um die Zarentochter zu sehen, würde ich weite Länder durchwandern.« »Nein«, seufzte der Schwan, »du brauchst nicht weit zu gehen. Ich bin es.« Er erhob sich, flog an Land, sank in ein grünes Gebüsch und trat als Zarentochter hervor – einen Mond im Haar, einen Stern auf der Stirn, mit
einer Stimme so klar wie ein Quell. Der Fürst küßte sie glücklich und brachte sie auf das Schloß, um den Segen der Zarin zu erbitten. Draußen auf dem Meer trieb der Wind ein Schiff mit weißen Segeln heran. Und als es im Hafen anlegte, wurden die Fremden mit Kanonendonner begrüßt, und ein Fest wurde bereitet. Wieder fragte der Fürst, woher sie kämen und wohin sie führen und anderes mehr. »Von weit her kommen wir«, erzählten die Schiffsleute, »wir haben viele Länder gesehen und mit verbotenen Waren gehandelt. Nun sind wir auf dem Heimweg zum Inselland Bujan, dem Reich des großen Zaren.« »Grüßt mir den Zaren Saltan«, sagte der Fürst. »Wenn ihr heimkehrt, grüßt ihn von mir. Und erinnert ihn daran, daß er sich oft vorgenommen hat zu kommen.« Und das Schiff zog weiter. Der Fürst aber blieb zu Hause.
Eifrig trieb der Wind das Schiff fort zum Inselland Bujan, dem Reich des mächtigen Zaren. Und als sie angekommen waren, lud sie der Zar zum Fest. Auf seinem ron saß Zar Saltan mit goldener Krone und finsteren Blicks, ihm zu Füßen die Schwestern und Babarisch. »Seid willkommen«, sagte der Zar, »sagt, wo ihr herkommt, wie lang ihr unterwegs wart und was es jenseits des Meeres an Wunderbarem gibt.« »Wir haben viele Länder umfahren, und auch jenseits des
Meeres ist es schön, und es lebt sich dort gut. Doch das Wunderbarste, das wir sahen, ist eine Insel im blauen Meer, mit einer Stadt, herrlich gebaut, mit Türmen und Kuppeln aus Gold. Vor dem Schloß steht eine hohe Tanne und darunter, in einem Haus aus Kristall, sitzt ein Eichhörnchen, das singen kann und im Takt der Lieder Nüsse knackt, Nüsse mit Schalen ganz aus Gold, und jeder Kern ist ein Smaragd. Und Wachtposten bewachen das Tier. Ein anderes Wunder sind die dreiunddreißig Ritter, die aus brausendem, zischendem, tosendem Meer steigen. Der Stahl ihrer Rüstungen glänzt, jung sind sie, und bewachen die Stadt. Und der Fürst, der mächtige Herrscher, hat eine Frau – am Tag ist ihre Schönheit heller als das Licht, und nachts ist sie hell wie die Sonne. In ihrem Haar leuchtet ein Mond und auf der Stirn ein Stern. Und der Fürst läßt
dich grüßen, das trug er uns auf, und läßt dich erinnern, daß du dir oft vornahmst zu kommen.« Wieder wollten die Schwestern und Babarisch den Zaren hindern zu fahren. Doch diesmal wurde er ärgerlich und hieß die Reise vorbereiten. Fürst Gwidon saß am Fenster und sah übers blaue Meer. Da plötzlich entdeckte er Schiffe des Zaren. Sie kamen näher, und durch das Fernrohr erkannte der Fürst den Vater und in seiner Nähe die bösen Schwestern und Babarisch. Da lief der Fürst zu den Frauen und rief: »Das Schiff des Vaters kommt!« Und er ließ die Kanonen dröhnen und ließ die Glocken läuten und führte den Zaren, samt den Frauen, durch das Tor der Stadt. Und vor dem Palast sahen die Gäste dreiunddreißig Ritter, riesenstark und kühn, angeführt von Tschernomor, und im Schloßhof sahen sie
das Eichhörnchen, das Nüsse knackte zum Takt seiner Lieder, Nüsse mit Schalen ganz aus Gold und mit Smaragden, überall verstreut. Doch als sie die Fürstin sahen, wurden sie stumm. Die Fürstin hatte einen Mond im Haar und auf der Stirn einen Stern. Am Arm führte sie eine Frau, die der Zar erkannte. Er umarmte seine Zarin und weinte vor Freude, daß er sie wiedersah. Und da erkannte er auch seinen Sohn, den Fürsten Gwidon. Nun wurde ein Festmahl gehalten, so froh wie kein anderes. Die beiden Schwestern schlichen mit Babarisch davon. Aber sie wurden entdeckt und mußten ihre Tat gestehen. Doch der Zar war so glücklich, daß er sie heimschickte mitsamt ihrem Gepäck. Erst spät in der Nacht fiel Zar Saltan halb betrunken auf sein Bett.
Ich bin dort gewesen und auch ich habe viel Met und Bier getrunken, so viel, daß mir der Schnurrbart ganz naß davon geworden ist.
as ärchen vom goldenen ahn
E
inmal, vor langen Zeiten, lebte im neunmal weiten Rußland der berühmte Zar Dadon. Als er noch
jung war, fürchteten ihn die Völker sehr, deren Land an das seine grenzte. Krieg um Krieg hatte Zar Dadon geführt und sie alle besiegt. Nun war er alt geworden, und nichts sehnlicher wünschte er sich, als auszuruhen. Doch als die Nachbarn seines gro-
ßen Reiches vernahmen, daß Zar Dadon müde geworden sei, beschlossen sie die Zeit der Rache. Sie rüsteten ihre Heere und standen vor den Grenzen des großen Reichs. So ließ Zar Dadon ein gewaltiges Heer aufstellen, und statt seiner zog der Feldherr mit den Kriegern in den Kampf. Sie kämpften tags und kämpften nachts, doch vergebens war der Kampf. Stand das Heer im Westen, drang der Feind im Osten ein. Zog das Heer nach Osten, kam der Feind von Westen her. Zogen sie nach Westen, war der Feind im Osten da. Und aus den Himmelsrichtungen kamen Reiter zum Zaren und brachten schlimme Botschaft. Zar Dadon fand keinen Schlaf mehr, und das Volk sah, daß er oftmals weinte. Zar Dadons Not war so groß, daß er eines Sternendeuters gedachte, der irgendwo in seinem Reich als
weiser Mann berühmt geworden war. Er schickte Boten aus, ihn zu grüßen und seine Hilfe zu erbitten. So erschien der alte Mann vor Zar Dadon, neigte sein Haupt, öffnete den Sack, den er mit sich trug, und holte einen goldenen Hahn hervor. »Setz diesen Hahn auf den First deines Dachs. Er wird dein Wächter sein. Still wie eingeschlafen wird er sitzen, wenn an den Grenzen deines Landes Frieden
herrscht. Doch wenn die Feinde in Bewegung kommen und dein Land bedrohen, wird ein Zittern durch den Hahn gehen, er wird schreien, daß es alle hören, und sich in jene Richtung drehen, aus der dem Land Gefahren drohen.« Als der Zar Dadon dies hörte, war sein Glück so groß, daß er versprach: »Ich will dir erfüllen, was du dir wünschst. Dein erster Wunsch soll in Erfüllung gehen, als sei‘s mein eigener.«
Von nun an saß der goldene Hahn und wachte über das ganze Zarenreich. Kaum regte sich Gefahr, fuhr er auf und schrie wie Hähne schreien, aus Leibeskräften. Und es war wie früher, das Heer des Zaren siegte an allen Grenzen. Und die Feinde gaben Ruhe, wie im Osten so auch im Westen. Die Jahre kamen, sie kamen und gingen in Frieden. Im achten Jahr aber, und plötzlich des Nachts, krähte der Hahn wie wild. Und der Feldherr stürzte ins Schlafgemach des Zaren und rief: »Feinde!« und war schreckensbleich. »Der goldene Hahn schreit ostwärts, und das Volk strömt zum Palast!« Zar Dadon sprang aus dem Bett, lief zum Fenster, sah hinunter, sah das Volk, befahl das Heer zur Stelle und schickte seinen jüngsten Sohn hinaus. Als die Krieger, angeführt vom Zarensohn, schnell nach Osten ritten, hörte
der Hahn zu schreien auf, und beruhigt ging der Zar zu Bett, gähnte und schlief weiter. Sieben Tage wartete der Zar, doch kein Bote kam, vom Sieg zu künden. ›War es nun zum Kampf gekommen?‹ fragte sich der Zar voll Sorgen. Und am achten Tag fing der Hahn zu schreien an und drehte sich erneut nach Osten. Ein zweites Heer befahl der Zar zur Stelle und schickte seinen älteren Sohn nach Osten.
Sieben Tage gingen hin, doch keine Nachricht kam. Als der achte Tag anfing, begann der goldene Hahn erneut zu schreien, er schrie nach Osten, schrie wie wild. Zar Dadon rief den Propheten: »Hilf, Elias, hilf!«, er nahm sein Schwert und nahm ein drittes Heer und zog nach Osten. Sieben Tage zog der Zar mit seinen Kriegern durch das Land. Sieben Tage lang war nichts zu sehen, kein
Feind war da, nirgendwo Verwüstung, keine Toten, keine Gräber. Er wunderte sich sehr, der Zar. Doch als die Sonne dann zum achten Male unterging und der Zar am Waldrand stand, sah er in der Schlucht der hohen Berge ein Zelt aus Seide stehen. Es leuchtete wie Licht, und ringsumher lagen tote Krieger. Still war alles, lag wie im Zauber da, daß Zar Dadon ganz tief erschrak. Er lief hinunter und sah im Gras vor diesem
Zelt aus Seide die beiden Söhne blaß und blutig liegen. Sie lagen ohne Helm und Rüstung, durchbohrt vom Schwert, der eine mit dem Schwert des anderen. Der Zar schrie auf vor Schmerz, raufte sich das weiße Haar und sah die List, die ihn besiegte. »Weh mir!« rief er. »Weh mir.« Er wollte sterben. Als die Krieger das Schreckliche hörten und sahen, jammerten auch sie, daß ihr Klagen zwanzig Mei-
len weit, bis hinauf zum höchsten Berg und bis hinab ins tiefste Tal, zu hören war. Da – wie von Zauberhand berührt – öffnete sich mit einem Mal das seidene Zelt, und jung und schön wie die Morgenröte trat die Zarin Schamachan hervor. Sie sah den Zaren an und lächelte. Geblendet, wie ein Vogel der Nacht, stand er da, stumm, sah die Schönheit an, vergaß die Söhne, ihren Tod und seinen Schmerz.
Schamachan ging lächelnd auf ihn zu, verneigte sich. Sie nahm behutsam seinen Arm und führte ihn ins Zelt, an ihren reich gedeckten Tisch. Als der Zar aufs köstlichste gegessen und getrunken hatte, lud sie ihn ein, auf dem brokatenen Bett zu ruhen. Sieben Tage gingen hin und sieben Nächte, der Zar war voller Seligkeit und sah nichts anderes als nur die schöne Zarin Schamachan. Als der achte Tag begann, betete der Zar, nahm die Zarin, seine Krieger und zog heimwärts. Die Kunde von der Heimkehr lief voraus, und alle hörten, daß der Zar die Zarin lieb-te. Jubelnd stand das Volk und drängte sich heran, als sie alle in die Stadt einzogen. Als der Zar das Volk begrüßte, sah er in der Menge jenen alten Weisen stehen. Er rief ihn zu sich her und sagte: »Ich hab‘ dich lange nicht gesehen, mein Freund. Sag, was führt dich her?« »Erinnere
dich«, sprach da der Alte, »daß du versprachst vor Jahren, als Lohn für meinen goldenen Hahn den ersten Wunsch mir zu erfüllen. Erfüllen wolltest du, was immer ich mir wünschte, als sei‘s dein eigener Wunsch.« »Was du dir wünschst, ich will es dir erfüllen.« »Schenk mir die Zarin Schama-chan.« Der Zar betrachtete den Alten und glaubte seinen Ohren nicht zu trauen. »Bist du von Sinnen, Narr? Hat dich der Teufel eingenom-
men? Was willst du, Alter, mit der Zarin? Wünsch dir ein Bojarenschloß, ein Zarenroß, das edelste von allen, wünsch dir Palast und Kronschatz, ein halbes Zarenreich. Das will ich dir erfüllen.« »Kein Schloß, kein Schatz, kein Roß und nicht das halbe Reich. Die Zarin Schamachan, die ist der Lohn für meinen goldenen Hahn«, sprach da der Alte mit dem weißen Haupt. »Wenn nicht, dann nicht«, schrie der Zar voll Zorn. »Scher dich zum Teufel«, schrie er und spuckte aus. Doch weil der Alte zögerte, schlug ihn der Zar mit seinem Stab, so schnell und hart, daß er zusammenbrach und nicht mehr lebte. Die Menge stand ganz stumm und starr. Nur die Zarin lachte leise und war ohne Furcht. Sehr zärtlich sah der Zar sie an, und beide gingen weiter. Der goldene Hahn hatte finster zugesehen, vom
Dach herab, und flog nun auf und setzte sich Dadon aufs Haupt und schlug mit seinem Schnabel in den Kopf des Zaren, er hackte, hackte, bis der Zar zu Boden sank, als hätte ihn ein Blitz getroffen. Da war die schöne Zarin Schamachan verschwunden, und niemand sah sie jemals mehr. Ein Märchen ist nichts anderes als ein Märchen. Doch eine Lehre ist brauchbar für jeden.