Das Glück kam in der Weihnachtsnacht
Lyndsey Stevens
Julia Weihnachten 1/96
Gescannt von suzi_kay Korrigiert von spac...
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Das Glück kam in der Weihnachtsnacht
Lyndsey Stevens
Julia Weihnachten 1/96
Gescannt von suzi_kay Korrigiert von spacey
Der Festtagsbesuch bei ihrem Großvater verändert Jazmins Leben völlig! Das ahnt sie, als sie ihre große Liebe Kael wiedersieht. Wie sehr begehrt sie ihn noch immer. Zu gern möchte sie seine Frau werden. Aber kann sie ihm seine Jugendsünde verzeihen?
1. KAPITEL „Die Wolkenkratzer dort, das ist Brisbane", sagte Mark, als sie einer langgestreckten Kurve auf dem Freeway folgten. „Schlafen die beiden noch?" Jazmin McCann drehte sich nach dem Paar auf dem Rücksitz um. „Sie schlafen wie zwei Babies", sagte sie leise. „Dann laß sie bloß schlafen", flüsterte Mark ihr hastig zu. „Sonst fangen sie sofort wieder an, auf uns einzureden." Jazmin unterdrückte ein Kichern. Mandy war ihre beste Freundin. Von Sydney waren sie in einem Stück durchgefahren, mehr als tausend Kilometer. Mandy, deren derzeitiger Freund Paul, dessen Freund Mark und Jazmin. Alle vier gehörten demselben Freizeitclub an, in dem man sich allgemein darüber amüsierte, daß Mandy und Paul beide ausgesprochen redselige Persönlichkeiten waren. Nachdem sie nun elf Stunden zusammen verbracht hatten, schloß Jazmin sich ohne Zögern Marks Meinung an. Es war sicher ratsam, die beiden schlafen zu lassen. Mit gemischten Gefühlen betrachtete sie die Skyline der Stadt, die beständig näher rückte. „Mandy hat mir erzählt, daß du hier in Brisbane gewohnt hast", riß Mark sie unvermittelt aus ihren Gedanken. Sie nickte. „Ja. Eine Zeitlang. Vor fünf Jahren." Und sie hatte geglaubt, nie hierher zurückzukehren. Sie wäre auch nicht auf die Idee gekommen, wenn sich nicht vor einer Woche plötzlich alles geändert hätte. Als sie ihre Mutter angerufen hatte, um sich zu dem allwöchentlichen Einkaufsbummel zu verabreden, waren Brisbane und alles, was damit zusammenhing, noch in die hinterste Ecke ihrer Erinnerung verdrängt gewesen. „Kannst du dir vorstellen, daß diese Frau die Stirn besitzt, mir zu schreiben?" begann ihre Mutter, noch bevor Jazmin sich aufs Sofa gesetzt hatte. „Nach all den Jahren? Nach allem, was sie getan hat? Ehrlich, Jazmin, als ich den Umschlag gesehen habe, hörte mein Herz für einen Moment zu schlagen auf." Um ihrer Bemerkung Nachdruck zu verleihen, legte Moira McCann beide Hände auf die Brust. Bei dieser dramatischen Geste mußte Jazmin ein Lächeln unterdrücken. Doch als sie einen mißtrauischen Blick auf den Brief warf, den ihre Mutter in der Hand hielt begann auch ihr Herz zu flattern. „Und schau dir nur diesen Umschlag an." Sie gab ihrer Tochter den Brief. „Mit Prägung!" empörte sie sich, als Jazmin gehorsam einen Blick auf die rote Schrift warf, bevor sie den Brief zurückgab. „Lorelle und James McCann, Throckley, Newmarket", wiederholte Moira für den Fall, daß Jazmin die Adresse nicht gelesen hatte. „Nun, dort wohnen sie, Mutter", stellte Jazmin nüchtern fest. Ihre Mutter zog verächtlich die Mundwinkel nach unten. „Das ist typisch Lorelle. Dein Großvater würde nie so schamlos angeben." „Spielt das wirklich eine Rolle?" Jazmin zog das dicke Sofakissen hinter ihrem Rücken hervor und legte es beiseite, um bequemer zu sitzen. „Sie haben ihr Leben, und wir haben unseres. Es ist nun fünf Jahre her. Findest du nicht, daß du langsam damit abschließen solltest?" „Hast du das getan?" gab Moira die Frage direkt zurück. Jazmin zuckte zusammen. „Was soll ich getan haben?" Sie nahm ein Magazin von dem polierten Kaffeetisch. „Tu nicht so begriffsstutzig, Jazmin. Du weißt ganz genau, was ich meine. Hast du damit abgeschlossen?" „Natürlich." Wütend begann sie in dem Magazin zu blättern. „Wie kommst du überhaupt auf diese Frage?"
„Manchmal mache ich mir eben so meine Gedanken", sagte ihre Mutter mit einer Stimme, die nichts Gutes ahnen ließ. Jazmin legte das Magazin auf den Tisch zurück. „Es gibt aber nichts, worüber du dir Gedanken machen müßtest, Mutter. Es gibt kein Drama. Das Leben geht weiter." „Wenn das so ist, frage ich mich, warum du nie jemanden zu uns mitbringst." „Jemand bedeutet in diesem Fall ein Mann?" Jazmin zog eine Augenbraue hoch. „Nun, ich glaube, du hattest keine einzige Verabredung, ganz zu schweigen von einem Freund, seit..." „Ich habe viele gute Freunde, Männer und Frauen", fiel Jazmin ihr ins Wort. „Und ich bin mit meinem Leben sehr zufrieden." Wirklich sehr zufrieden, versicherte sie sich im stillen. Sie hatte einen guten Job, der sie zwar nicht immer in dem Maße forderte, wie sie es sich vorstellen konnte, aber auf jeden Fall war es ein guter Job. Sie war Mitglied in einem Club, spielte regelmäßig Tennis und ging mit Freunden und Bekannten ins Theater oder in Konzerte. Erst letzte Woche hatten sie alle an einer Autorallye teilgenommen, die mit einer Barbecue -Party am Strand ausgeklungen war. „Du arbeitest, und danach gehst du nach Hause in dieses kleine Zimmer", unterbrach Moira ihre Gedanken. Die Tatsache, daß Jazmin sich vor drei Jähren dazu entschlossen hatte, zu Hause auszuziehen, um in einer kleinen Wohnung zu leben, einer Einzimmerwohnung, war zwischen Mutter und Tochter auch heute noch ein Streitpunkt. „Und ab Freitag habe ich einen ganzen Monat Urlaub", konterte Jazmin prompt, um das Gespräch in eine andere Richtung zu lenken. „Ich nehme an, du machst eine romantische Kreuzfahrt. Oder eine Pauschalreise auf eine der Barrier Reef Inseln, hm?" fragte Moira sarkastisch. Jazmin seufzte resigniert. „Vielleicht, Mutter, in den letzten zwei Wochen." Moira McCann musterte ihre Tochter skeptisch. „Aber ich habe vor, die freien Tage vor Weihnachten in aller Ruhe für die Weihnachtseinkäufe zu nutzen. Das ist mir lieber, als in der Mittagspause oder nach Feierabend durch die Läden zu hasten." „Hast du wirklich eine Reise gebucht?" fragte ihre Mutter. Jazmin warf ihr einen argwöhnischen Blick zu. Der beschwichtigende Tonfall machte sie mißtrauisch. „Nein, noch nicht", erwiderte sie vorsichtig. „Aber ich habe mir Kataloge besorgt. Warum?" „Nur so." Nach einer längeren Pause fragte Jazmin schließlich skeptisch: „Nur so?" Ihre Mutter kam zu ihr herüber und setzte sich ihr gegenüber auf einen Sessel. „Nun ja." Mit dem Brief, den sie immer noch in der Hand hielt, fächerte sie sich Luft zu. „Es ist nur wegen dieses Briefs von deinem Großvater. Genauer gesagt von seiner Frau." Verächtlich blickte sie auf den Brief. „Seine Frau! Meine Güte, das ist beinah obszön." „Es war Großvaters Entscheidung, Lorelle zu heiraten", bemerkte Jazmin wie immer in solchen Situationen. Sie strich sich die roten Locken aus dem Gesicht. Dieses Gespräch hatte sie mit ihrer Mutter doch schon unzählige Male geführt. „Er wollte es so", fügte sie hinzu. „Er war ein erwachsender Mann und bestimmt alt genug, um seine eigenen Entscheidungen zu treffen." „Alt genug, um einen Narren aus sich zu machen. Das trifft den Kern sicher besser", entgegnete Moira. „Und Jazmin, du mußt doch zugeben, daß Lorelle schon immer so ... so protzig war. So angeberisch." Jazmin zuckte die Achseln. „Sie war eine äußerst attraktive Frau. Im Grunde hat sie doch nur das Beste aus sich gemacht." „Schönheit ist immer noch Geschmackssache. Ich fand sie eher billig." „Mutter!" protestierte Jazmin. Vergebens. Ihre Mutter fuhr unbeirrt fort.
„Was soll denn das für eine Ehe sein? Ich meine, dein Großvater war damals schon fast sechzig und auch nicht ganz gesund. Lorelle ist gut zwanzig Jahre jünger als er. Ich finde das Ganze ziemlich geschm acklos." „Mutter, jetzt ist es genug", versuchte Jazmin, sie endlich zu bremsen. „Ich habe wirklich keine Lust, mir auch noch über das Sexualleben meines Großvaters den Kopf zu zerbrechen." „Du brauchst gar nicht so aufzubrausen, Jazmin", beharrte ihre Mutter mit ihrer üblichen Leidensmiene. ' „Aber..." Moira hob abwehrend die Hand. „Ich denke, wir sollten dieses abscheuliche Thema ruhen lassen. Außerdem wollte ich ohnehin nur über den Brief mit dir sprechen." „Dann laß uns zur Sache, kommen", erwiderte Jazmin mit unverhohlener Wut, während sie auf ihre goldene Armbanduhr blickte. „Ich dachte, du wolltest noch deine Einkäufe erledigen. Wie sollen wir das schaffen, wenn wir so weiterreden." „Dieser Brief hat alles andere in den Hintergrund gedrängt." „Mutter!" sagte Jazmin warnend, woraufhin ihre Mutter übertrieben seufzte. „Sie wollen, daß wir sie zu Weihnachten besuchen", erklärte Moira ohne Umschweife. Für einen Augenblick verschlug es Jazmin die Sprache. „Wir sollen nach Brisbane kommen?" fragte sie schließlich ungläubig. Allein bei dem Gedanken krampfte sich ihr Magen zusammen. „Ja. Nach Throckley. Wir alle drei", sagte Moira mit feierlichem Ernst. Es war absurd. Allein der Gedanke, nach Brisbane zu fahren, war absurd. Den Ort des Verbrechens zu besuchen. Diese Formulierung hallte in Jazmins Kopf wider, bis sie fast in hysterisches Lachen ausbrach. Verbrechen? Gegen welche Gesetze hatte er denn verstoßen? Raub? Natürlich hatte er ihr Herz gestohlen. Betrug? In der Tat hatte er sie betrogen, indem er ihr vo rgespielt hatte, er wäre frei, um mit ihr eine Beziehung zu beginnen. Schwere Körperverletzung? Vielleicht. Jedenfalls war sie durch seine Unaufrichtigkeit emotional zerbrochen. Versuchter Mord? So wie sie nach außen hin hartnäckig behauptete, das Leben würde weitergehen, so wußte sie auch, daß ein Teil von ihr, nämlich das Licht in ihrem tiefsten Innern, vor fünf Jahren erloschen war. Und er hatte es ausgeblasen. „Natürlich fahren wir nicht hin", erklärte Moira bestimmt. „Das kann sie auch kaum von uns erwarten, wo sie uns doch selbst vertrieben hat." „Was?" brachte Jazmin hervor. Sie schluckte. „Warum wollen sie uns denn sehen?" Sie gab sich alle Mühe, ihre Aufregung zu verbergen. Ihre Mutter zog mit verächtlicher Miene den Brief aus dem Umschlag und gab ihn wortlos ihrer Tochter. Jazmin überflog hastig die Zeilen, die in sauberer Handschrift geschrieben waren. Wie es schien, hatte ihr Großvater vor einem halben Jahr eine schwere Herzattacke erlitten. Wegen kleinerer Attacken, die darauf gefolgt waren, machte seine Genesung nur zögernde Fortschritte. Er hatte seine Frau gebeten, den Brief für ihn zu schreiben und seine Schwiegertochter sowie seine Enkelkinder Jazmin und Rick zu Weihnachten einzuladen. Er befürchtete, bald zu sterben, und wollte sich mit seinen einzigen Verwandten aussöhnen, bevor es zu spät war. Es wäre zu traurig, hatte Lorelle für ihren Mann geschrieben, wenn die Familie wegen längst vergessener Meinungsverschiedenheiten zerstritten bliebe. Und sie sei sicher, daß niemand sich so genau an die Gründe erinnern könnte. Lorelle schloß den Brief mit der Bitte um Antwort, damit Jazmins Großvater für sie die Flugtickets nach Brisbane bestellen konnte. Man müsse doch einem kranken alten Mann die Chance geben, eventuelle Fehler, die er begangen hatte , wiedergutzumachen.
„Vielleicht haben sie den Grund für den Streit vergessen, ich jedenfalls habe ihn noch immer nicht vergessen." Moira runzelte die Stirn. „Er kann doch nicht im Ernst von uns erwarten, daß wir ihn besuchen und so tun, als wäre nichts geschehen." „Großvaters Prognose klingt nicht gerade positiv", sagte Jazmin nachdenklich, doch ihre Mutter reagierte nicht auf diese Bemerkung. „Als wir nach Throckley gezogen sind und Rick dort zur Schule ging, hat diese Frau uns behandelt, als wären wir Eindringlinge. Sie hat sich in alles eingemischt und sich ständig beklagt, am meisten über deinen Bruder. Der arme Rick war damals noch ein Kind, und er hatte gerade seinen Vater verloren. Er hatte keine Orientierung." Jazmin seufzte. Ihr Bruder Rick war ein schreckliches Kind gewesen. Das konnte sie ohne Übertreibung bestätigen. Ihre Eltern hatten es leider nie so gesehen und ihn obendrein auch noch verwöhnt. Rick hatte sich immer darauf verlassen, daß sein gutes Aussehen ihm über alle Schwierigkeiten hinweghelfen würde. Und tatsächlich war diese Rechnung meistens aufgegangen. Nur bei Lorelle nicht. Dieser Streitpunkt hatte die ohnehin schon gespannte Beziehung zwischen Lorelle und Moira nur noch weiter verschlechtert. „Ganz davon zu schweigen, wie ihr Sohn dich behandelt hat! Wir können diese Leute nicht besuchen." „Mutter!" Jazmin erhob sich vom Sofa. Ein vertrautes Gefühl überfiel sie plötzlich. Der Wunsch, die Flucht zu ergreifen. „Es ist doch wahr", fuhr Moira fort, ohne das Entsetzen ihrer Tochter zu beachten. „Lorelles Sohn hat dich ausgenutzt. Er hat meine Tochter zum Narren gehalten. Ich jedenfalls vergesse das nicht so einfach."
2. KAPITEL Kael Craigen. Allein in ihrer Wohnung, zwang Jazmin sich dazu, diesen Namen laut auszusprechen. Das Echo hallte wie eine unheimliche Botschaft in dem kleinen Zimmer wider. Kael Craigen. Na bitte. Sie hatte den Namen ausgesprochen und dennoch drehte sich die Erde weiter. Siehst du, sagte sie zu sich selbst, sein Name verwandelt dich nicht mehr in ein zitterndes Häufchen Elend. Sie hatte die ganze Sache hinter sich gelassen und empfand keinen Schmerz mehr. Abgesehen von diesem Knoten aus Eis tief in ihrem Innern. Aber wenn sie nicht daran rührte, ging es ihr gut. Daran zweifelte sie nicht. Jazmin begann vor ihrer Bettcouch auf und ab zu gehen. Unbewußt verschränkte sie die Arme vor der Brust, als wollte sie sich verteidigen. Wenigstens war sie jetzt wieder allein und in ihren eigenen vier Wänden. Ihre Mutter hatte das Thema Lorelle McCann und ihre Fehler so lange breitgetreten, bis Jazmin sich am liebsten die Ohren zugehalten hätte. Irgendwie war es ihr trotzdem gelungen, Moira durch die Gänge des Supermarkts zu begleiten, vor der Bank auf sie zu warten und sie anschließend nach Hause zu fahren. Sie hatte ihr sogar noch geholfen, die Vorräte zu verstauen, bevor sie in ihre eigene Wohnung geflüchtet war. Nun konnte sie ihren Gedanken endlich freien Lauf lassen und einige der Erinnerungen, die ihr vor fünf Jahren soviel Schmerz zugefügt hatten, genauer betrachten. Natürlich mußte sie zugeben, daß längst nicht alle Erinnerungen schmerzvoll waren. Die letzte quälende Erinnerung jedoch hatte all die vorangegangenen schönen Erlebnisse überschattet. Zum Beispiel die erste Begegnung mit Kael Craigen. Die anfängliche Unsicherheit, und danach das Knistern, als sie spürten, daß der Funke übergesprungen war. Jazmin verzog das Gesicht. Wenn sie gewußt hätte, wie sehr sie am Ende leiden würde, wie sehr sein Verrat sie quälen würde, wäre sie rechtzeitig davongelaufen. Wirklich? Sie lachte bitter. Natürlich hätte sie das nicht getan. Sie war gar nicht in der Lage gewesen, irgendwohin zu flüchten. Sie hatte sich zu ihm hingezogen gefühlt wie eine Motte zum Licht, instinktiv. Ein zweifellos verlockendes Licht. Doch ihre Flügel waren dabei verbrannt, so daß sie nie wieder fliegen konnte. Seit dieser Zeit hatte sie in der Tat keine Lust mehr verspürt, auch nur den Versuch zu unternehmen, ihren sicheren Boden zu verlassen. Trotzdem, diese fünf Jahre hatten ihre Wunden geheilt. Davon war sie überzeugt. Sie betrachtete sie als einen kostenlosen Unterricht in Lebenserfahrung. Und wenn sie heute etwas zynisch war, ein wenig reserviert und definitiv unfähig, hinter einer charmanten Miene und einem guten Aussehen mehr zu vermuten, so war dies eher eine positive Entwicklung als eine negative. Wie sie ihrer Mutter gesagt hatte, war sie mit ihrem Job und ihrem Bekanntenkreis zufrieden. Sie sah keine Notwendigkeit, ihr Leben zu verändern. Doch obwohl sie davon überzeugt war, daß sie die Vergangenheit bewä ltigt hatte, fühlte sie sich kaum in der Lage, nach Brisbane zurückzukehren. Jazmin runzelte die Stirn. Natürlich hatte sie für die Bitte ihres Großvaters Verständnis. Was geschehen war, hatte nichts mit ihm zu tun. Er war ein alter Mann, ein sehr kranker alter Mann, der mit Recht erwarten konnte, daß seine Familie ihn besuchte. Wenn es nun mit ihm zu Ende ging? Jazmin biß sich auf die Lippen. Es war ihr aufrichtiger Wunsch, ihn zu besuchen, doch sie hatte nicht die Absicht, bei dieser Gelegenheit womöglich Kael Craigen über den Weg zu laufen. Und schon gar nicht seiner Frau und seiner Familie. Sie verspürte einen kleinen Stich in ihrer Brust, den sie mühsam bekämpfte. Es ist vorbei, sagte sie sich bestimmt. Kael Craigen bedeutete ihr nichts mehr. Und es
war nun einmal die grausame Wahrheit, daß sie ihm nie etwas bedeutet hatte. Zwei Tage lang dachte sie unentwegt über Lorelles Brief nach, bis sie schließlich zu dem Schluß kam, daß sie mit ihrer Vergangenheit fertigwerden konnte. Doch mit dieser Erkenntnis stellte sich eine andere beunruhigende Entwicklung ein. Zu ihrem Entsetzen ertappte sie sich dabei, wie sie auf der Straße Männern nachschaute ... großen, dunkelhaarigen Männern. Und damit lebte ihre Erinnerung auf. Kaels weiche, sonnengebräunte Haut. Seine kräftigen Arme, die sich um sie schlangen. Seine feuchten Lippen. Sein wilder Herzschlag, den sie unter ihren Händen spürte. Als sie bei ihrem allwöchentlichen Tennisabend ein gemischtes Doppel spielte und einen Return verpaßte, nur weil sie das Muskelspiel ihres männlichen Gegenspielers beobachtete, beschloß sie, daß sie sich ernsthaft zur Ordnung rufen mußte. Es sind nur die Hormone, sagte sie sich. Vielleicht hatte sie sich allzulange jede physische oder emotionale Reaktion auf Männer untersagt und war deshalb jetzt übereifrig. Vielleicht war es an der Zeit, neue Kontakte zu knüpfen. Man konnte nicht alle Männer als unaufrichtig verurteilen, nur weil man einmal eine schlechte Erfahrung gemacht hatte. Aber genau das hatte Jazmin getan. Daß sie nun plötzlich sehnsüchtig nach allen Männern schielte, die ihren Weg kreuzten, betrachtete sie als eine Überreaktion. Dann verriet ihr Mandy, daß auch sie Jazmins Veränderung bemerkt hatte. Jazmin hatte Mandy Parker kennengelernt, als sie in Sydney einen Job bei einer Anwaltssozietät angenommen hatte. Mandy arbeitete genau wie sie als Rechtsanwaltsgehilfin in derselben Firma. Nach einer ersten schüchternen Kontaktaufnahme hatten sie sich schnell angefreundet. Mandy war es auch gewesen, die Jazmin dazu überredet hatte, ihrem Freizeitclub beizutreten. „Es hat keinen Zweck, Mark mit diesen spekulativen Blicken zu mustern", bemerkte Mandy, als sie sich auf die Bank setzten und sich das nächste Match anschauten. „Er wird es nicht einmal bemerken." „Ich weiß gar nicht, was du meinst", murmelte Jazmin. Sie wurde rot, weil sie sich ertappt fühlte. „Du warst die ganze Zeit ihm gegenüber eiskalt. Ich kenne Mark und weiß, daß er ein dickes Fell hat, aber selbst er wird jetzt nicht angelaufen kommen, um weitere Zurückweisungen einzustecken." „Nur weiter so, Mandy. Und nur zu deiner Information, falls du die Absicht hast, wieder einmal Amor zu spielen, ich habe kein Interesse an ihm. Okay?" „Das ist verständlich." Sie blickte zu Mark Dean hinüber und schüttelte den Kopf. „Ist es nicht wirklich schade? Er hat einen Körper, nach dem jedes Mädchen sich den Kopf verrenkt." Sie seufzte. „Ist dir schon einmal aufgefallen, daß es mit diesen gutaus sehenden Männern immer dasselbe ist? Sie sind phantastisch, bis sie den Mund aufmachen." Vergeblich versuchte Mandy, ein Lachen zu unterdrücken. „Sexismus beiseite, findest du nicht, daß du eine Lappalie überbewertest?" „Soll das ein Scherz sein? Ich habe noch untertrieben. Das beste Beispiel ist doch mein Paul. Ein Kinn wie Robert Redford, Haare wie Richard Gere, ein Lächeln, das Tom Cruise und Mel Gibson in den Schatten stellt. Aber kaum mehr Konversation als diese Bank dort drüben. Und machen wir uns doch nichts vor. Ab und zu muß man mit ihnen reden. Ich kann dir sagen, das ist vielleicht deprimierend." „Armer Paul. Er wird also in der Schublade der Ablehnungen landen wie die vielen anderen vor ihm." „Nun, noch ist es nicht soweit. Es macht mir immer noch Spaß, ihn anzuschauen. Aber ich gebe zu, daß ich wähle risch bin. Genau wie du, Jazmin." Jazmin zog die Augenbrauen hoch.
„Ich muß mich verbessern", fuhr Mandy fort. „Ich bin fast so wählerisch wie du. Immerhin gebe ich ihnen die Chance, den Mund aufzumachen und ihren patriarchalischen Fuß in die Tür zu setzen." „Das ist es nicht, Mandy. Ich gla ube nur, daß ich für eine Beziehung noch nicht bereit bin." Jazmin hatte Mandy von ihrer kurzen und schmerzvollen Affäre mit Kael Craigen erzählt. „Fünf Jahre in der Einöde ist lange genug." „Ich weiß, aber..." „Aber dieser Typ muß wirklich etwas Besonderes gewesen sein", beendete Mandy ihren Satz. „Das habe ich jedenfalls geglaubt." Wieder seufzte Mandy. „Wer behauptete, daß Leben sei in der Vergangenheit eine Qual gewesen, wußte, wovon sie sprach." Sie schwiegen ein Weile. Und dann erzählte Jazmin ihrer Freundin von Lorelles Brief. „Mein Großvater möchte, daß wir Weihnachten zu ihm nach Brisbane kommen", sagte sie abschließend. Mandy blickte sie erstaunt an. „Hast du vor, ihm den Wunsch zu erfüllen?" „Nein, natürlich nicht." Jazmin schüttelte den Kopf. „Ich meine ... meinen Großvater würde ich schon gern besuchen, aber ich will Kael Craigen nicht begegnen." „Das macht die Sache kompliziert. Ist er denn dort? Ich meine, wohnt er noch in Brisbane?" „Ich habe keine Ahnung. Vor fünf Jahren hat er studiert. Er hat in Throckley gewohnt und ein paar Stunden täglich für meinen Großvater gearbeitet. Sein Studium hat er abgeschlossen." Jazmin verspürte einen Stich in der Brust. Über die alltäglichen Dinge hatten sie damals kaum miteinander geredet. Dazu waren sie zu verliebt gewesen. „Du könntest deine Stiefgroßmutter anrufen und sie fragen", schlug Mandy vor, doch Jazmin schüttelte den Kopf. „Nein, ich glaube ohnehin nicht, daß ich nach Brisbane fahren kann." „Das verstehe ich", sagte Mandy achselzuckend. „Warum solltest du dich mit all den Erinnerungen konfrontieren, wenn es nicht unbedingt notwendig ist? Trotzdem ist es eigentlich schade. Wir hätten dich nämlich bis Brisbane mitnehmen können. Paul, Mark und ich fahren doch Weihnachten zu Pauls Eltern nach Noosa. Wir beiden hätten mal die Weihnachtenszene im tropischen Norden unsicher machen können." Jazmin stöhnte. „Mach deine Pläne ohne mich. Bitte. Es gibt sowieso nur Ärger, wenn sie dich im sonnigen Queens land loslassen." „Keine Sorge, Jazmin. Ich habe neulich abend im Einkaufszentrum mit dem guten alten Santa Claus geredet. Ich habe ihm gesagt, daß wir beide dieses Jahr ausgesprochen artige Mädchen waren. Und ich habe ihn ganz lieb gebeten, uns etwas großes Gutaussehendes mit dunklen Haaren in den Weihnachtsstrumpf zu stecken." Jazmin lachte herzlich. Sie schmunzelte sogar noch über die freche Bemerkung ihrer Freundin, als sie einige Stunden später in ihre Wohnung zurückkehrte. Sie hatte kaum ihre Sporttasche abgestellt, als das Telefon klingelte. „Jazmin!" hörte sie die aufgeregte Stimme ihrer Mutter. Sie hielt den Hörer einige Zentimeter von ihrem Ohr entfernt. „Ja, Mutter. Was gibt's?" „Ich versuche schon den ganzen Abend, dich zu erreichen", begann Moira McCann vorwurfsvoll. Jazmin seufzte. „Heute ist Dienstag. Du weißt doch, daß ich dienstags immer Tennis spiele. „Oh. Das habe ich vergessen. Ehrlich, Rick und du, ihr habt so viele Termine. Das bringe ich immer durcheinander." „Warum rufst du an?" „Kannst du gleich mal zu mir kommen?" flehte ihre Mutter.
Jazmin blickte auf ihre Armbanduhr. „Es ist schon spät, und ich muß morgen sehr früh zur Arbeit. Kannst du mir nicht am Telefon sagen, worum es geht?" „Nein. Naja, gut. Wenn es sein muß. Ich habe beschlossen, daß wir die Einladung deines Großvaters annehmen. Wir fahren Weihnachten nach Brisbane." „Du hast... Aber ..." „Ich habe darüber nachgedacht, Jazmin. Und ich glaube, daß wir die moralische Verpflichtung haben, ihn zu besuchen. Dem steht auch gar nichts im Wege. Rick und du, ihr habt beide Urlaub, und wie ich schon zu Lorelle gesagt habe..." „Wann hast du mit Lorelle gesprochen?" unterbrach Jazmin den Redefluß ihrer Mutter. „Noch vor ein paar Tagen wolltest du sie nie im Leben wiedersehen. Ich hatte den Eindruck, daß keine zehn Pferde dich nach Brisbane zerren könnten." „Ich habe sie heute abend angerufen", erwiderte ihre Mutter ruhig. „Die Flugtickets müssen doch rechtzeitig bestellt werden." „Mutter, ich fahre nicht nach Brisbane. Und ich weiß auch nicht, warum du das willst. Woher kommt dein plötzlicher Sinneswandel?" „Nun, ich habe anfangs zu emotional reagiert. Du weißt, wie ich bin. Das ist das Alter. Aber jetzt hatte ich Zeit, in Ruhe über alles nachzudenken. Vielleicht war ich Lorelle gegenüber etwas ungerecht. Ich habe vorschnell geurteilt. Und nun habe ich meine Meinung geändert." „Warum?" „Warum was?" „Warum hast du plötzlich deine Meinung geändert?" wiederholte Jazmin mit gespielter Geduld. „Jazmin, dein Großvater wird vielleicht bald sterben." „Ich weiß, Mutter", entgegnete Jazmin ruhig. Sie seufzte im stillen. „Und was sagt Rick dazu? Wie denkt er über die Sache?" „Rick ist meiner Meinung. Wir haben darüber gesprochen. Er findet es auch richtig, wenn wir euren Großvater besuchen." „Was ist der wirkliche Grund, Mutter? Ich weiß, daß noch etwas anderes dahintersteckt. Das höre ich doch an deiner Stimme," „Das bildest du dir ein", wehrte ihre Mutter nervös ab. „Ich möchte mit Rick sprechen." „Er ist... nun, er ist nicht zu Hause", wich Moira aus. Jazmin biß die Lippen zusammen. „Das Ganze hat etwas mit Rick zu tun, habe ich recht? Anscheinend muß er die Stadt für eine Weile verlassen. Wieviel will er diesmal, Mutter?" „Ich weiß nicht, was du meinst, Jazmin." „Ich möchte die Wahrheit wissen, Mutter", beharrte Jazmin, woraufhin ihre Mutter in Tränen ausbrach. „Mutter? Was ist passiert? Also schön, ich komme gleich zu dir." „Nein, nein. Du hast recht, es ist schon spät. Und es geht mir gut..." Sie schluchzte. „Ich weiß nur nicht, was ich tun soll. Jazmin, Rick hat sich in Schwierigkeiten gebracht. Wirklich ernste Schwierigkeiten. Und er hat, nun ja, er hat mich überredet, das Haus als Pfand für seinen Kredit zu geben." „Was hat er gemacht?" „Ich wußte, daß du dich aufregen würdest. Aber er hat mir versichert, es sei nur für einen Monat oder so. Er hat von einer sicheren Investition gesprochen. Und nun ist die Sache schiefgegangen, und er brauc ht das Geld sofort. Ziemlich viel Geld. Vielleicht muß ich das Haus verkaufen", beendete ihre Mutter die Erklärung mit einem weiteren Schluchzer. „Wieviel ist ziemlich viel Geld genau?" fragte Jazmin aufmerksam. Sie hielt den Hörer so fest umklammert, daß sich ihre Knöchel weiß färbten. Wenn sie ihren Bruder in die Finger bekam...
„Zehntausend Dollar." Jazmin verschlug es die Sprache. „Zehntausend Dollar?" wiederholte sie schließlich heiser. „Mutter, das ist... wo sollen wir soviel Geld hernehmen?" „Er hat einen Monat Zeit, um es zurückzuzahlen. Und er dachte, daß sein Großvater es ihm vielleicht leihen würde." „Rick will einen todkranken Mann um Geld bitten?" „Er zahlt es zurück, sobald er dieses Grundstück, was er besitzt, verkauft hat." „Das kann irgendwann in den nächsten zehn Jahren sein. Der Grundstücksmarkt ist in einer ständigen Krise, und sein Stück Land liegt nicht einmal in einer akzeptablen Gegend. Um Himmels willen, Mutter, wie konnte Rick dich in seine haarsträubenden Projekte hineinziehen. Wie konnte er es wagen, dein Haus aufs Spiel zu setzen? Und nun auch noch Großvater um Geld bitten zu wollen ..." Sie ließ den angefangenen Satz im Raum stehen. „Was hätte ich denn tun sollen?" fragte Moira so hilflos, daß Jazmin sich mitleidsvoll in den Sessel neben ihrem Te lefon sinken ließ. „Ich weiß es nicht, Mutter", gab sie erschöpft zu. „Ich könnte..." Sie seufzte. „Sieh mal, ich könnte zu meiner Bank gehen. Ich habe etwas Geld angespart, und vielleicht bekomme ich für den Rest ein Darlehen." „Oh, Jazmin. Ich kann dich nicht schon wieder bitten ..." „Nun, so ist es immer noch besser, als Großvater um das Geld zu bitten. Für den Rest der Woche stecke ich bis über beide Ohren in Arbeit. Ich könnte also erst am Montag, wenn ich Urlaub habe, zur Bank gehen." „Jazmin, ich kann dich nicht darum bitten ... ich meine, Rick hat gesagt, ich soll dich nicht... Oh, Darling. Du warst letztes Mal so aufgebracht, als er diese kleinen fina nziellen Schwierigkeiten hatte. Er hat gesagt, ich soll es dir nicht erzählen." Wieder brach Moira in Tränen aus. „Mutter, du kannst Großvater nicht darum bitten. Ich finde, du solltest überhaupt niemanden bitten. Für diese Sache muß Rick die Verantwortung übernehmen. Und genau das werde ich ihm auch sagen, wenn er mi r unter die Augen kommt." „Das Ganze tut ihm wirklich leid, Jazmin", sagte ihre Mutter. „Hinterher tut es Rick immer leid", bemerkte Jazmin erschöpft, während sie auf ihre Uhr schaute. „Am besten, du gehst jetzt schlafen, Mutter. Und versuch, an etwas anderes zu denken. Ich kümmere mich nächste Woche um den Kredit." Doch Jazmin bekam keine Gelegenheit, irgend etwas zu unternehmen. Als sie zwei Tage später von der Arbeit nach Hause kam, fand sie eine Nachricht von ihrer Mutter auf dem Anrufbeantworter vor. „Rick und ich fahren heute morgen nach Brisbane. Ich wollte dich nicht im Büro anrufen, weil ich wußte, daß du dich aufregen würdest. Wie ich schon sagte, Rick wollte dich in diese Sache nicht hineinziehen, und ich finde auch, daß es so am besten ist. Rick sagt, er braucht Großvater vielleicht gar nicht nach dem Geld zu fragen, weil sich jemand für sein Land interessiert. Jazmin, du warst, immer der Liebling deines Großvaters. Ruf uns in Throckley an, wenn du deine Pläne änderst und doch zu Weihnachten nach Brisbane kommst." Moira McCann machte eine Pause. „Und Jazmin, Lorelle sagte, daß... daß Kael im Augenblick in Kanada ist. Bis Neujahr." Daß Kael nicht in Brisbane war, ließ sie von neuem über die Sache nachdenken. Der ausschlaggebende Faktor für ihren Entschluß war schließlich die Tatsache, daß ihr Bruder ihren Großvater um Geld bitten wollte. Jazmin wußte, daß sie das nicht zulassen durfte. Und sie hatte in der Vergangenheit die Erfahrung gemacht, daß sie Rick nur von etwas überzeugen konnte, wenn sie ihm persönlich gegenüberstand. Fünf Tage später traf Jazmin in Brisbane ein. Sie fühlte sich merkwürdig beklommen, als Mark den Wagen vor dem hohen weißen Zaun stoppte, der Throckley umgab. Throckley,
das große, alte Anwesen, das seit fast eineinhalb Jahrhunderten im Besitz der McCanns war. Mark sprang aus dem Wagen und öffnete den Kofferraum, um Jazmins Rucksack herauszunehmen. Als er ihn ihr gab, entdeckte er das Haus. Der hohe Zaum markierte nur die Grenze des fast zwei Acre großen Grundstücks. Das Haus war langgestreckt und niedrig. Aber es lag auf einem Hügel, so daß man von dort aus einen herrlichen Ausblick in alle Richtungen hatte. „Wow! Du hast uns gar nicht erzählt, daß deine Familie in so einem herrschaftlichen Haus wohnt", sagte er bewundernd und auch ein wenig provokativ. „Sicher erwartest du nicht von mir, daß ich dir den Rucksack bis zum Haus hinauftrage. Der Weg sieht ziemlich steil aus, aber ich wette, die Aussicht belohnt einen für die Mühe." „Das stimmt. Trotzdem ist es am besten, wenn ihr gleich weiterfahrt. Sonst schafft ihr es heute nicht mehr bis Noosa." Mandy und Paul waren inzwischen auch ausgestiegen und blickten begeistert zum Haus hinauf. „Es ist phantastisch", wiederholte Mandy mehrmals. Nun sah auch Jazmin sich zu dem alten Haus um und versuchte, Throckley objektiv und ohne Vorurteile zu betrachten. Sie mußte zugeben, daß es wirklich beeindruckend war. Ihr Ururgroßvater hatte das Haus Mitte des. neunzehnten Jahrhunderts erbaut, so daß es heute eine historische Bedeutung besaß. Außerdem gab es in der gesamten Stadt keine bessere Lage für ein Haus. Benannt hatte ihr Ururgroßvater das Anwesen nach seinem Geburtsort, einer kleinen Stadt in Northumberland. Jazmin wünschte nur, sie könnte das Haus leidenschaftslos betrachten, ohne dieses quälende Gefühl in der Brust. Doch der Schmerz hatte eingesetzt, als sie in die Straße eingebogen und den Hügel hinaufgefahren waren. Beim ersten Anblick des Hauses hatte sie dann fast die Beherrschung verloren. Einen Moment lang hatte sie sogar überlegt, ob sie umkehren sollten, damit sie Throckley und all die damit verknüpften Erinnerungen wieder vergessen konnte. Äußerlich hatte sich nichts verändert. Das langgestreckte, eingeschossige Haus erstreckte sich auf dem Hügel. Es war ein Steingebäude, das auf der gesamten Länge von einer mit Wellblech überdachten Veranda gesäumt war. Zwei hohe Schornsteine ragten zu beiden Seiten in den Himmel. An der Veranda hingen in regelmäßigen Abständen Töpfe mit üppig blühenden Pflanzen. Ein gepflegter Rasen erstreckte sich vom Haus bis zum Zaun. Dann sah sie, daß sich im Garten etwas bewegte. Sie hielt die Hand über ihre Augen, um die Sonne abzuschirmen. Jemand arbeitete im Garten, ganz in der Nähe vom alten Torwärter-Cottage. Hinter den Büschen konnte man nur das spitze Dach des alten Steingebäudes erkennen. Der Mann, zumindest nahm Jazmin an, daß es ein Mann war, beschnitt die niedrigen Bäume. Sie konnte ihn nur von hinten sehen, weil er ihnen den Rücken zukehrte. Er trug verwaschene Jeans, ein Hemd und einen Sonnenhut mit einer sehr breiten Krempe. „Wer ist das?" fragte Mandy im Flüsterton, obwohl der Mann viel zu weit weg war, um sie zu hören. „Der Gärtner oder der Wildhüter?" Mark und Paul lachten, während Jazmin das Gesicht verzog. „Sehr witzig, Mandy" sagte sie, bevor sie wieder zu dem Mann hinüberschaute. „Früher hat Old Joe Roberts sich um den Garten gekümmert, aber er ist wahrscheinlich inzwischen im Ruhestand. Es muß jemand Neues sein." „Auf jeden Fall sieht er gut aus", spekulierte Mandy, woraufhin Paul sofort besitzergreifend den Arm um ihre Schulter legte. „Das kannst du aus dieser Entfernung erkennen?" fragte er offensichtlich verärgert über Mandys Interesse an anderen Männern. Mark verdrehte die Augen. „Man erkennt, daß es ein Mann ist. Und das genügt
Mandy schon", neckte er seinen Freund. „Vielen Dank für das Kompliment", sagte Paul stirnrunzelnd. „Hört auf zu streiten, ihr beiden." Mandy schob die Männer zum Wagen zurück. „Die nächste Etappe fährst du, Paul. Laßt uns aufbrechen." „Hast du meine Wegbeschreibung, die euch aus Brisbane wieder herausführt?" fragte Jazmin, die sich plötzlich nur ungern von ihren Freunden trennen wollte. Mandy wedelte mit dem Zettel. „Natürlich habe ich die Beschreibung. Aber Paul meint ja, er erkennt die Straße wieder, wenn er sie sieht." „Sicher. Das kannst du mir ruhig glauben." Paul beugte sich zu Jazmin hinab und gab ihr einen Kuß auf die Wange. „Bye, Jazmin. Wir sehen uns in zehn Tagen." Um nicht hinter Paul zurückzustehen, nahm Mark Jazmin herzlich in die Arme. „Ja, bis bald, Jazmin." Sein Kuß landete ebenfalls auf ihrer Wange, da sie den Kopf ein wenig zur Seite drehte. Mandy verzog vielsagend das Gesicht, als Mark ins Auto stieg. „Bye. Und, Jazmin, vielleicht solltest du dir ein paar Tips für den Garten holen, während du hier bist." Sie deutete mit einer leichten Kopfbewegung zum Cottage hinüber. Jazmin hörte ihre Freundin noch lachen, als sie davonfuhren. Mit einem unwillkürlichen Lächeln blickte Jazmin noch einmal zu dem Mann am Cottage hinüber, der nun im Garten verschwand. Hatte er ihre Abschiedsszene beobachtet? Jazmin zuckte die Achseln. Als sie sich umdrehte, sah sie ihre Freunde gerade noch um die Ecke biegen. Sie nahm ihren Rucksack und öffnete das Tor, stieg die ausgetretenen Steinstufen hinauf und durchquerte dann den Rasen mit seinen gepflegten Blumenbeeten und niedrig blühenden Büschen. Wer immer der neue Gärtner ist, er versteht etwas von seinem Fach, überlegte sie, als sie die Holztreppe erreichte, die zur Veranda führte. Ohne sich noch Zeit zum Überlegen zu geben, ging sie zielstrebig auf die mit Schnitzereien verzierte Eingangstür zu und läutete die Glocke. Dann blickte sie zurück, um die Aussicht zu genießen. Obwohl der Anblick ihr vertraut war, raub te er ihr auch jetzt wieder den Atem. Und sie wußte, daß die Aussicht nachts noch beeindruckender war. Das Panorama der Stadt mit ihren Vororten und dem langen Bogen der Gateway Bridge lag ihr zu Füßen. Dieser Blick war wirklich eine Million Dollar wert, wie ihre Mutter zu sagen pflegte. Und von der anderen Seite des Hauses aus hatte man einen Ausblick auf die Berge hinter der Stadt. Unbewußt suchte sie die Rasenflächen nach dem neuen Gärtner ab. Sie entdeckte ihn schließlich in einem der blühenden Beete und betrachtete ihn genauer. Er hatte breite Schultern, aber das traf auf viele Männer zu, und sie wußte instinktiv, daß er auf keinen Fall so alt war wie Joe Roberts. In diesem Moment lief ein Kind durch den Garten und sprang auf den Rücken des Mannes, der durch den unverhofften Aufprall fast das Gleichgewicht verlor. Als er sich aufrichtete, rutschte das Kind Von seinem Rücken herunter und setzte sich neben ihn ins Gras. Das kindliche Lachen drang zu Jazmin herüber, die plötzlich erstarrte. Ihr Mund wurde trocken. Nein, schrie alles in ihr. Nein. Er ist in Kanada. Das hatte ihre Mutter ihr versichert. Jazmin schluckte, während sie mit allen Kräften gegen die Panik ankämpfte, die in ihr aufstieg. Das Kind trug Jeans und ein T-Shirt, so daß man von weitem nicht erkennen konnte, ob es ein Junge oder ein Mädchen war. Auch das Alter war schwer zu bestimmen. Acht oder neun, mindestens. Eine unausgesprochene Frage formulierte sich in ihrem Kopf. Nein, es war zu groß. Dieses Kind war vielleicht schon zehn. Oder etwa nicht? Als Jazmin noch wie angewurzelt dastand, drehte das Kind sich um und blickte zum Haus hinüber. Offensichtlich hatte es Jazmin entdeckt, denn nun hob es die Hand und
winkte ihr freundlich zu, während es etwas zu dem Mann sagte. Sofort drehte Jazmin sich um, das Gesicht zur Tür gewandt. Ihr Herz schlug wie wild. Nein. Er konnte es nicht sein. Der Mann war der Gärtner. Es war Ferienzeit. Das Kind war einfach nur der Sohn des Gärtners. Nervös trat sie auf den Klingelknopf zu. Doch bevor sie ihn drücken konnte, wurde die Tür geöffnet. Ihre Mutter stand vor ihr. „Jazmin!" rief sie überrascht. „Jazmin, daß du gekommen bist. Oh, ich freue mich so, daß du dich doch noch dazu entschlossen hast." Moira McCann schloß ihre Tochter in die Arme und drückte sie an sich, wie sie es schon lange nicht mehr getan hatte. „Ich habe gestern abend versucht, dich anzurufen." „Wir waren schon auf dem Weg hierher", erklärte Jazmin. „Freunde von mir sind unterwegs nach Norden. Sie haben mich mitgenommen." „O Darling, dein Großvater wird sich freuen, dich zu sehen." Sie hielt inne und sprach dann etwas leiser weiter. „Seine Gesundheit hat sich in den letzten fünf Jahren wirklich sehr verschlechtert." „Ja. Deswegen habe ich mich auch entschlossen, ihn zu besuchen." Jazmin warf ihrer Mutter einen scharfen Blick zu. „Und außerdem wollte ich verhindern, daß Rick etwas tut, was seine Gesundheit noch weiter verschlechtert. Hat er etwa ...?" „Nein, natürlich nicht", sagte ihre Mutter verteidigend. „Rick ist kaum hier. Er besucht ein paar Freunde in Brisbane." „Damit er sie schröpfen kann, nehme ich an", bemerkte Jazmin bitter. Ihre Mutter zog die Mundwinkel nach unten. „Ich weiß gar nicht, warum du so hart zu deinem Bruder bist. Er ist jung und versucht, sich eine Existenz aufzubauen." „Rick will sich keine Existenz aufbauen, Mutter. Er will einfach nur gut leben, ohne dafür zu arbeiten." Erschöpft strich Jazmin sich die roten Locken aus dem Gesicht. „Aber darüber haben wir schon oft genug gesprochen. Und alles Reden hat keinen Sinn, es wird sich nie etwas ändern." Sie seufzte. „Darf ich hereinkommen? Für eine Tasse Tee würde ich alles geben." „Natürlich." Ihre Mutter zögerte einen Moment. „Aber ich glaube, ich sollte dir sagen, Jazmin, daß ..." Sie hielt inne, als auf der Verandatreppe Schritte zu hören waren. Der plötzlich so aufgeregte Blick ihrer Mutter gab Jazmin eine eindeutige Warnung. Entsprechend raste ihr Herz, als sie sich schließlich umdrehte. Instinktiv wußte sie, wer hinter ihr die Treppe heraufgekommen war.
3. KAPITEL „Hallo Jazz." Seine tiefe Stimme ließ ihr eine Gänsehaut über den Rücken laufen. Sie hoffte nur, daß er ihre Reaktion nicht bemerkte. „Herzlich willkommen." Herzlich willkommen? Die Worte hallten in ihrem Kopf wider. Fast mußte sie lachen. Oder weinen. Herzlich wi llkommen. So einfach war das. So höflich. Nun, zu diesem Spiel gehörten zwei. „Wie geht es dir, Kael?" fragte, sie gleichmütig. Jazmin war froh, daß ihre Stimme nichts von dem Tumult verriet, der sich in ihrem Magen abspielte. „Gut." Er zuckte die Achseln. „Und selbst?" „Ich kann mich nicht beklagen." Sie lachte innerlich über diese alberne Unterhaltung. Ein echtes Beispiel sozialer Umgangsformen, die eine brodelnde Bitterkeit überdeckte. Zumindest was sie betraf. Kael Craigens Gedanken konnte sie nicht erraten. „Kael ist gestern abend angekommen", mischte Jazmins Mutter sich eilig ein. „Er ist genau wie du zu Weihnachten nach Hause gekommen. Ist es nicht erstaunlich, wie leicht man heutzutage solche Reisen machen kann? Stell dir vor, gestern war er noch in Kanada und heute ist er in Australien." Jazmin runzelte die Stirn, als sie den beschwichtigenden Tonfall ihrer Mutter hörte. Sie erinnerte sich noch gut daran, wie Moira sich darüber empört hatte, daß Kael Craigen ihre Tochter zum Narren gehalten hatte. Das würde sie ihm nie verzeihen, hatte sie damals behauptet. Nun, wenn das der Fall war, müßte sie ihm heute etwas kühler gegenübertreten, überlegte Jazmin. „Wir kommen gerade aus Kanada." Erst in diesem Moment bemerkte Jazmin den Jungen, der seinem Vater auf die Veranda gefolgt war. Sie blickte ihm in die Augen, die so dunkelbraun waren wie Kaels. Die Ähnlichkeit beschränkte sich nicht auf die Augen. Der Junge hatte dasselbe dichte, störrische Haar. Schon jetzt war zu erkennen, daß er einmal genauso attraktiv aussehen würde wie sein Vater. Für sein Alter ist er ziemlich groß, dachte Jazmin. Kaels Sohn konnte nicht älter als sieben sein. „Das ist Toby." Kael legte die Hand auf Tobys Schulter. „Toby, das ist Tante Moiras Tochter Jazmin." „Hallo!" Der Junge streckte Jazmin mit ernster Miene die Hand entgegen. Sie schluckte, als sie die Hand des Jungen ergriff. Ihre Kehle war wie zugeschnürt, so daß sie unfähig war, seinen Gruß zu erwidern. Er hätte mein Sohn sein können. Dieser Gedanke stieg wie bitterer Spott in ihr auf. Sie schaute Kael in die Augen und wandte den Blick dann sofort von ihm ab. „Wir haben dich ankommen sehen", erzählte Toby. „Und Dad hat gesagt, daß er dich kennt. Er hat gesagt, diese roten Locken würde er überall sofort wiedererkennen." „Toby!" ermahnte Kael den Jungen ruhig, der ihn nun fragend und immer noch grinsend anschaute. „Vielleicht sollten wir Jazz in Ruhe auspacken lassen, was meinst du?" „Ja, ja." Moira McCann ließ die Perlenkette, die ihr üppiges Dekollete schmückte, durch ihre Finger gleiten. „Es ist so schön, daß Jazmin doch noch kommen konnte, nicht wahr, Kael?" „Dein Großvater wird sich über deinen Besuch freuen", erwiderte Kael ausweichend. „Wie geht es Großvater?" fragte Jazmin. Sie hoffte, daß sie so distanziert klang wie Kael. „Den Umständen entsprechend. Man muß zufrieden sein", erklärte Kael. „Meine Mutter hat ihn zum Arzt in die Stadt gefahren. Sie müßten etwa in einer Stunde zurück sein." „James war immer ein so kräftiger Mann, Jazmin", mischte Moira sich nun ein. „Was er durchgemacht hat, hätten andere gar nicht überlebt. Trotzdem hat die Krankheit auch bei ihm Spuren hinterlassen." Sie schüttelte den Kopf. „Aber laßt uns doch hineingehen. Du möchtest jetzt bestimmt gern eine Tasse Tee, Jazmin. Und du Kael, trinkst du eine Tasse mit? Toby möchte vielleicht ein Glas Milch."
„Tee wäre jetzt genau das Richtige", nahm Kael die Einladung an. „Hast du auch noch Kekse, Tante Moira?" fragte Toby begeistert. „Ich zeige Jazz ihr Zimmer", fügte er hinzu. Ganz selbstverständlich benutzte er die Kurzform ihres Namens, die sonst nur sein Vater benutzte. „Es ist noch ein Zimmer frei, gleich neben meinem." „Nun, ich ...", begann Jazmin, doch sie hielt inne, als sie spürte, daß zwischen Kael und ihrer Mutter irgend etwas Unausgesprochenes schwebte. „Das ist dein altes Zimmer, Jazmin", sagte ihre Mutter offensichtlich verlegen. „Du kannst es benutzen. Das Bett ist schon gemacht." „Ja. Weil das..." „Toby!" unterbrach Kael seinen Sohn bestimmt. „Hilf Jazmin bei ihrem Gepäck, ja?" Toby blickte seinen Vater an. Dann zuckte er die Achseln. „Sicher, Dad. Ich nehme den Rucksack, Jazz." Jazmin hätte die Hilfe gern abgelehnt, aber sie vermutete, daß sich hinter der Oberfläche mehr verbarg, als sie im Augenblick ergründen konnte, oder wollte. Also folgte sie Toby durch die massive Doppeltür ins Innere des Hauses. Die bleiverglasten Kassetten der Eingangstür warfen bunte Muster auf das polierte englische Parkett in der großzügigen Diele, die sie nun durchquerten. Sie gingen rechts den Flur entlang, bis Toby die Tür zu Jazmins ehemaligem Zimmer öffnete und dann höflich stehenblieb, um Jazmin den Vortritt zu lassen. „Mein Zimmer ist gleich nebenan. Dad wohnt gegenüber und daneben ist Ricks Zimmer. Rick ist dein Bruder, stimmt's?" Jazmin nickte. „Wir haben ihn heute morgen kennengelernt. Ich wünschte, ich hätte auch einen Bruder, oder von mir aus auch eine Schwester. Das wäre mir egal." Toby legte Jazmins Rucksack aufs Bett. „Hier ist alles fertig. Wir hatten das Zimmer für Cathy zurechtgemacht." Jazmin erstarrte innerlich. Sie warf dem Jungen einen kurzen Blick zu, bevor sie ihren Rucksack öffnete. „Cathy?" „Meine Mutter." Toby schaute arglos zu ihr auf. „Sie will aber, daß ich sie Cathy nenne." „Aha." „Sie ist Ärztin", fuhr der Junge fort. „Genau gesagt Chirurgin. In Kanada ist sie, weil sie irgendwelche neuen Techniken lernen will. Wirklich gruselige Sachen." Er rümpfte die Nase. „Die beschreibe ich lieber nicht." „Danke. Das ist sehr rücksichtsvoll von dir", sagte Jazmin ironisch. Toby kicherte. „Habe ich mir schon gedacht, daß du das nicht hören willst." Er setzte sich aufs Bett und sah sich die Aufkleber auf ihrem Rucksack an. „Vielleicht sollte ich lieber ein anderes Zimmer nehmen", begann Jazmin. „Wann... ich meine, wann kommt denn deine Mutter wieder?" Diese Frage beherrschte im Moment ihr ganzes Denken. Sie mußte sie einfach stellen. Toby zuckte mit den Schultern. „Ich weiß nicht. Vielleicht schafft sie es zu Sylvester. Über Weihnachten muß sie jedenfalls arbeiten. Deswegen waren Dad und ich auch in Kanada. Wir hatten dies Jahr schon ein Weihnachtsfest." Er streckte seinen Arm hoch. „Cathy hat mir diese Uhr geschenkt. Ist die nicht phantastisch?" Jazmin schaute sich die große Armbanduhr an und nickte. „Sieht aus, als würde nichts daran fehlen." „Ich kann sogar ablesen, wie spät es jetzt bei Cathy ist. Die Uhr hat sämtliche Zeitzonen gespeichert. Es ist..." „Toby." Beide schauten zur Tür, in der Kael aufgetaucht war. Wieder verspürte Jazmin bei seinem Anblick das vertraute Beklemmungsgefühl in der Brust. Sie hatte fast vergessen, wie groß Kael war.
Als er die Arme verschränkte, spannten sich seine Muskeln unter dem dünnen Baumwollhemd. „Du gehst Jazz mit deinem Geschnatter doch hoffentlich nicht auf die Nerven, mein Sohn?" Toby grinste. „Ich doch nicht, Dad." Kael lächelte. In seinen Augenwinkeln und um den Mund bildeten sich tiefe Lachfalten, die ihn umso attraktiver wirken ließen. Jazmin konnte den Blick nicht von ihm abwenden. War es möglich, daß er noch besser aussah, als sie ihn in Erinnerung hatte? Er besaß immer noch diese rauhe männliche Ausstrahlung, die Frauen dazu zwang, sich nach ihm umzusehen. „Wir nennen Toby den Feind Nummer eins der Eisentöpfe", fuhr Kael fort. „Sie wissen, daß ihre kleinen Füße in seiner Nähe nicht sicher sind." Als Jazmin fragend die Augenbrauen hochzog, wurde sein Grinsen noch breiter. „Kennst du das alte Sprichwort nicht? Er schwatzt dem Eisentopf einen Fuß ab?" „Oh." Jazmin nickte zustimmend. „Ich verstehe." Sie schenkte dem Jungen ein mattes Lächeln, woraufhin er das Gesicht verzog. „Dad, bitte, sei nicht so streng mit mir." Toby stand vom Bett auf und stemmte mit gespielter Entrüstung die Hände in die Hüften. „Du nimmst mir Jazz weg, bevor ich ihr zeigen kann, was für ein großartiges Kind ich bin." Kael lächelte ihm zu. „Damit wirst du schwer zu schaffen haben", neckte er ihn. „Geh jetzt zu Tante Moira in die Küche. Sie hat Milch und Kekse für dich." „Kommt ihr nicht mit?" „Wir kommen gleich nach. Nun geh." Als Toby mit einem Seufzer das Zimmer verlassen hatte, wandte Kael sich Jazmin zu. Er schob die Hände in die Hosentaschen und lehnte sich gegen den Türrahmen. Unwillkürlich blickte sie auf seine Oberschenkel, deren feste Muskeln sich unter der Jeans spannten. Ihr Mund wurde plötzlich trocken. Schließlich zwang sie sich, ihm in die Augen zu schauen. Als ihre Blicke sich begegneten, wurde ihr bewußt, daß er sie beobachtet hatte. Vor Verlegenheit stieg ihr das Blut in die Wangen. „Du siehst... wundervoll aus", sagte er mit tiefer, sinnlicher Stimme. Jazmins Nerven begannen zu flattern. Mit aller Kraft kämpfte sie gegen den Impuls an, zu ihm zu laufen und sich ihm in die Arme zu werfen. Wie gern hätte sie diese starken Arme gespürt, seinen Herzschlag unter ihren liebkosenden Fingerspitzen. Sie konnte sich nur gegen ihre Gefühle wehren, indem sie ihm den Rücken kehrte und damit begann, ihren Rucksack auszupacken. „Danke", brachte sie schließlich hervor. Ihre Stimme klang einigermaßen selbstbewußt, angesichts des Konfliktes, den sie innerlich austrug. „Ich habe nicht geglaubt, daß du kommen würdest." Der Klang seiner Stimme ließ Sehnsüchte in ihr aufsteigen, die sie kaum noch beherrschen konnte. Sie atmete tief durch. „Ich wollte auch nicht kommen", erwiderte sie. Unwillkürlich drehte sie sich wieder zu ihm um. „Ich dachte, du bist in Kanada." Diese Bemerkung klang wie ein Vorwurf. Kael lächelte ein wenig spöttisch. „Bis gestern war ich auch in Kanada. Ich habe mit Toby seine Mutter besucht. Sie arbeitet im Augenblick dort." „Ich weiß. Toby hat es mir erzählt." Sie seufzte schwach. „Er ... Toby sieht dir ähnlich." „Das sagen alle." Wieder schauten sie sich in die Augen, bis Jazmin seinem Blick auswich. Hatte er den Schmerz in ihren Augen gesehen? Diesen entsetzlichen Liebeskummer, der ihr Herz zusammenschnürte? Kael strich sich mit der Hand durch sein dunkles Haar. Eine widerspenstige Locke fiel ihm in die Stirn. „Ich habe gehofft, daß du zurückkommen würdest", sagte er. „Dein Großvater hat dich sehr vermißt."
„Ich vermisse ihn auch", entgegnete Jazmin mit belegter Stimme. „Warum bist du nicht gekommen, als er seinen ersten Herzinfarkt hatte?" Sie hob den Kopf. „Von seiner Krankheit habe ich erst vor ein paar Tagen erfahren, als meine Mutter mir Lorelles Einladung zeigte. Deine Mutter hätte uns früher benachrichtigen können." „Soweit ich weiß, hat sie das getan." „Nein, das hat sie nicht." Glaubte er wirklich, daß sie ihrem Großvater eine Bitte abgeschlagen hätten, wenn sie gewußt hätten, daß er krank war? Allerdings bestand auch die Möglichkeit, daß Moira ihr die Sache verschwiegen hatte. Schuldbewußt senkte Jazmin den Kopf. Es stand ihr nicht zu, ihrer Mutter Vorwürfe zu machen. Schließlich war Jazmin diejenige gewesen, die diese Einladung ablehnen wollte. „Außerdem", fuhr sie Kael nun barsch an. „Wie kannst ausgerechnet du sagen, ich hätte früher kommen sollen?" Sie schluckte, um sich zu beruhigen. „Nach allem, was geschehen ist." „lch wollte nicht, daß du gehst", sagte er heiser. „Das mußt du doch gewußt haben." „O ja, ich wußte es, Kael. Es war schon fast peinlich, wie verliebt ich wa r. Darüber brauchen wir nicht zu reden. Aber der Rest hat mich aus der Fassung gebracht. Ich meine, was hast du denn erwartet? Sollte ich mich in deinen Harem einfügen? Nun, das entspricht nicht meinen Vorstellungen von Liebe." „Ich habe nie ..." Er hielt inne und verschluckte den Rest seiner Bemerkung. Mit zusammengekniffenen Augen blickte er sie an. „Es ist nicht der geeignete Moment, über all dies zu reden." „Ich habe nicht die Absicht, überhaupt über all dies zu reden, wie du es so knapp nennst." „Warum bist du dann zurückgekommen?" „Um meinen Großvater zu besuchen." Sie lächelte verächtlich. „Ich hatte jetzt fünf Jahre Zeit, zu Verstand zu kommen, Kael. Es tut mir leid, wenn du geglaubt hast, ich wäre gekommen, um dich zu sehen. Leider ist es nicht so. Und wenn ich meinen Großvater gesehen habe, reise ich wieder ab." Seine dunklen Augen wurden schmal. Lange, dichte Wimpern verdeckten, was sich in seinen Augen widerspiegelte. „Du bleibst nicht über Weihnachten?" „Nein." „Es ist James' größter Wunsch, dieses Weihnachtsfest, das vielleicht sein letztes sein wird, im Kreis seiner Familie zu verbringen. Auch mit dir, du bist seine Lieblingsenkeltochter." „Seine einzige Enkeltochter." Jazmin hielt seinem Blick stand, während sie verzweifelt versuchte, ihre Gefühle zu leugnen. Eigentlich war es ihr sehnlichster Wunsch, in Brisbane zu bleiben. Nicht nur wegen ihres Großvaters. „Ich muß zurück", erklärte sie knapp. „Wohin zurück? Oder sollte ich besser fragen, zu wem?" „Meine Arbeit wartet auf mich." Es regte sich ihr schlechtes Gewissen, denn sie wußte, daß sie nicht ganz ehr lich war. Schließlich hatte sie mehrere Wochen Urlaub. „Dann gibt es also niemanden, der dir besonders wichtig ist?" „Alle meine Freunde sind mir wichtig", gab Jazmin zurück. Plötzlich schnürte sich ihre Kehle zusammen. War sein Interesse an ihrem Liebesleben vielleicht ein Zeichen dafür, daß er immer noch Gefühle für sie hegte? Eilig schob sie diesen Gedanken beiseite und schalt sich selbst für ihre Naivität. „Auch nicht dieser Typ, der sich vorhin so innig von dir verabschiedet hat?" „Mark? Natürlich nicht. Er ist nur ein Freund", widersprach sie hastig. Im nächsten Moment wünschte sie, sie hätte die Frage nicht beantwortet. „Du weißt, wonach ich dich frage, Jazz. Gibt es jemanden in Sydney, der auf dich wartet?" fragte er nun direkt, während er sie entschlossen anblickte.
Wie sehr wünschte Jazmin, sie könnte diese Frage beja hen. Dann hätte dieses Katzund-Maus-Spiel ein Ende. Aber sie konnte die Frage nicht mit ja beantworten. Verlegen wandte sie den Blick von ihm ab. Kael schwieg einen Augenblick. „Dann gibt es doch gar keinen Grund, weshalb du nicht bleiben könntest", stellte er schließlich fest. „Ich habe dir gesagt, daß ich zurück muß", wiederholte Jazmin nicht so überzeugend, wie sie sich vorgenommen hatte. „Was müßte man tun?" Kael ging zu ihr hinüber und blieb viel zu dicht vor ihr stehen. Sein Blick ruhte auf ihr. „Wofür?" fragte sie heiser. „Damit du bleibst", erklärte er sanft. Seine tiefe Stimme ließ ihr eine Gänsehaut über den Rücken laufen. Der wahre Grund für ihren Aufenthalt in Throckley war eigentlich ihr Bruder, den sie davon abhalten wollte, ihren Großvater um Geld zu bitten. Was würde Kael sagen, wenn sie ihm das erzählte? „Zehntausend Dollar würden im Moment genügen", hörte sie sich spöttisch sagen, während sie herausfordernd das Kinn hob. „Sie gehören dir", entgegnete er ohne Zögern. Jazmin runzelte erstaunt die Stirn. „Das ist Unsinn", wehrte sie ab. „Ich habe es nicht ernst gemeint." Nun zog Kael dje Augenbrauen hoch. „Zehntausend war einfach nur eine Zahl, die du dir ausgedacht hast?" „Nein. Ich... ich brauche zehntausend Dollar." Sie schluckte nervös. Unfähig, ihm in die Augen zu blicken, lehnte sie sich gegen die Kommode, während sie fortfuhr: „Aber ich will nicht... Ich... Nun, die zehntausend Dollar... Weißt du, ich habe ein kleines Problem mit meinen Finanzen." „In Höhe von zehntausend Dollar?" Jazmin nickte unsicher. „Nun... ja. Mein Wagen hat Schwierigkeiten gemacht. Ich mußte ihn reparieren lassen. Und außerdem habe ich meine Kreditkarte überzogen. Besser gesagt, meine Kreditkarten." „Kannst du die Schulden in einem Betrag zurückzahlen?" „Ja. Das wollte ich. Aber es ist nicht so einfach. Ich dachte ... ich meine..." Jazmin richtete sich auf. „Vergiß es, Kael. Bitte. Ic h habe nur einen Scherz gemacht." „Zehntausend Dollar sind aber ein derber Scherz." Jazmin zuckte die Achseln. „Nimm es bitte nicht ernst", sagte sie leichthin. „Sollten wir jetzt nicht lieber ..." „Bist du hergekommen, um James um das Geld zu bitten?" unterbrach er sie ungläubig. „Ist es so, Jazz?" „Nein. Ja." Seine Frage kam für sie so überraschend, daß sie ins Stottern geriet. „Ich meine, nein, natürlich nicht." „Du hattest die Absicht, einen kranken alten Mann nach Geld zu fragen?" „Wir hatten es vor." Sie schluckte. „Ich wollte das Geld aber schon in ein paar Wochen zurückzahlen", fügte sie schwach hinzu. „Meine Güte, Jazz. Wie konntest du nur auf so eine Idee kommen? Ich gebe dir die zehntausend Dollar." Erstaunt weiteten sich ihre Augen. „Du hast zehntausend Dollar übrig, die du mir einfach so geben kannst?" „Nicht einfach so. Es wäre ein Darlehen. Alles müßte ordnungsgemäß unterschrieben werden." „Nein, ich meine ..." „Du hast gedacht, ich würde keinen Pfennig besitzen", beendete er ihren Satz zynisch.
„Nun, früher ... ich meine, vor fünf Jahren warst du Student." „Ich habe für deinen Großvater gearbeitet. Er hatte Vertrauen zu mir und hat mir alles beigebracht, was er wußte. Inzwischen bin ich sein Partner. McCann and Son nennt sich jetzt offiziell McCann and Craigen." Jazmin konnte es kaum fassen. Sie wußte, daß ihr Vater, der Sohn im Namen McCann and Son, nie an dem Bauunternehmen seines Vaters Interesse hatte. Aber daß ihr Großvater das Geschäft tatsächlich auf Kael überschrieben hatte... Nun, es war seine Entscheidung. Kritik daran zu üben, stand ihr nicht zu. „Du hast es weit gebracht", sagte sie vorsichtig. „Ich habe hart gearbeitet", erklärte er schlicht. „Hast du das auch getan?" „Was willst du damit sagen?" „Ich meine, zehntausend Dollar ist ein ziemlich großer Betrag, wenn man ihn schuldet." Jazmin senkte den Blick. „Ich habe dir doch erzählt, wie es dazu gekommen ist." „Und ich glaube dir nicht, Jazz. Ich kannte dich vor fünf Jahren wirklich gut, besser als mich selbst, und ich habe das Gefühl, daß du die ganze Geschichte erfunden hast. Du hast ebenso wie ich keine Schulden. Und du würdest deinen Großvater nie um Geld bitten. Das ist nicht dein Stil. Also, was ist wirklich an der Geschichte dran?" „Oh! Um Himmels willen!" rief Jazmin entsetzt, während sie sich fragte, warum sie diese unsinnige Unterhaltung überhaupt angefangen hatte. Sie wollte sich nicht eingestehen, daß dieses Thema zumindest unverfänglicher war, als das persönliche Gespräch, das sie vorher begonnen hatten. „Ich sagte doch, es war ein Scherz. Ich habe es nicht ernst gemeint." „Und jemanden um zehntausend Dollar zu bitten, ist ein richtiger Partyknüller?" fragte er ironisch. „Die Leute werden sich bestimmt krümmen vor Lachen. Du hättest gleich nach einer Million fragen sollen, Jazz. Dann würden sich alle auf dem Boden wälzen." Jazmin zog ihre Jeans aus dem Rucksack und hielt sich förmlich daran fest. „Vergiß es einfach, Kael." „Du brauchst also keine zehntausend Dollar?" beharrte Kael unbeirrt. Sie erwiderte nichts. Sie breitete ihre Jeans auf dem Bett aus, strich die Falten heraus und hängte sie dann auf einen Bügel. „Ich kann mir nicht vorstellen, daß du wegen Geld zurückgekommen bist, Jazz", sagte Kael nun ohne jeden Spott in der Stimme. „Wenn es also wirklich um zehntausend Dollar geht, dann kann nur deine Mutter oder Rick etwas damit zu tun haben." Um seinem Blick auszuweichen, drehte Jazmin sich um und schloß die Schranktür. „Sag ihnen, sie sollen zu mir kommen, Jazz. Sie brauchen James nicht damit zu belästigen. Er hat im Moment genug Sorgen. Seit einem Jahr führe ich die Geschäfte ohnehin allein." „Du meinst, du unterschreibst die Schecks?" gab Jazmin bitter zurück, während sie sich zu ihm umdrehte. „Wenn du so willst", entgegnete er arrogant. „Kael, ich will nicht mehr über die Sache reden. Lassen wir es auf sich beruhen. Außerdem wird meine Mutter inzwischen den Tee fertig haben." Kael stand zwischen ihr und der Tür, so daß Jazmin um ihn herumgehen mußte, wenn sie den Raum verlassen wollte. Obwohl sie vor Nervosität zitterte, trat sie mutig auf ihn zu. Erst im letzten Moment machte er Platz und folgte ihr dann schweigend zur Küche. „Vergiß nicht, was ich dir gesagt habe, Jazz", wiederholte er, bevor sie die Küche betraten. „Kommt zu mir, nicht zu James." „Oh, da seid ihr ja, ihr beiden." Moira McCann schenkte eifrig den Tee aus der großen, silbernen Teekanne ein. „Wir dachten schon, ihr wärt verschwunden, nicht wahr, Toby?" „Es war gar nicht nötig, daß ich dir den Weg zu deinem Zimmer gezeigt habe, stimmt's, Jazz?" Toby blickte zu Jazmin auf. Die Milchreste hätten über seiner Oberlippe einen weißen Schnurrbart hinterlassen. „Tante Moira hat mir erzählt, daß du hier
gewohnt hast, als du ein kleines Mädchen warst." „Nun, richtig gewohnt habe ich hier eigentlich nicht. Als Kind habe ich die Schulferien hier verbracht. Vor ein paar Jahren habe ich auch hier gewohnt, aber da war ich schon erwachsen." Toby nickte. „In Throckley ist es schön. Ich wohne hier gern. Hast du mich kennengelernt, als ich ein Baby war, Jazz?" Die Spannung in der alten geräumigen Küche nahm plötzlich merklich zu. Sogar Toby spürte es. Er runzelte die Stirn. „Nein", erwiderte Jazmin schnell. Sie schenkte dem Jungen ein ermutigendes Lächeln. „Ich glaube, ich habe Throckley verlassen, bevor du angekommen bist." „Moira, dein Tee war wieder köstlich, vielen Dank", sagte Kael leichthin. „Hast du deine Milch ausgetrunken, Toby?" Der Junge trank gehorsam den Rest Milch aus und nickte. „Gut. Wir haben im Garten noch eine Menge zu tun. Bis später." Einen kurzen Moment lang ließ er seinen Blick auf Jazmin ruhen. Dann drehte er sich um und ging zur Tür. „Bis später, Jazz." Den Keks noch in der Hand, winkte Toby Jazmin zu, bevor er seinem Vater folgte. „Dad, du bist ein Sklaventreiber. Kinderarbeit ist verboten." Als die beiden Frauen allein waren, breitete sich ein bedrückendes Schweigen im Raum aus. Moira fand als erste ihre Sprache wieder. „Lorelle hat mir gesagt, sie würden Weihnachten in Kanada sein", sagte sie leise. „Ich habe dir nicht absichtlich etwas Falsches erzählt." „Ich weiß, Mutter. So etwas würdest du nicht tun." Jazmin zuckte die Achseln, während sie ihre Teetasse umfaßte. „Es spielt ohnehin keine Rolle. Ich bleibe nur kurz. Ich möchte nur Großvater sehen und mit Rick sprechen. Danach fahre ich wieder nach Hause." Sie würde Mandy anrufen und mit dem Bus nach Noosa fahren, damit sie Weihnachten mit ihren Freunden feiern konnte. So war es ursprünglich auch geplant gewesen. Mark würde sich auf jeden Fall freuen, wenn ich käme, überlegte sie mit einem spöttischen Lächeln. „Du fährst nach Sydney zurück? Aber Jazmin, du mußt Weihnachten hier sein. Das erwartet dein Großvater von dir. Er war sehr enttäuscht, als wir ohne dich hier ankamen." „Ich rede mit ihm und erkläre ihm, warum ich nicht bleiben kann." Jazmin stand auf. Sie trat ans Fenster, stützte die Hände auf die Spüle und blickte hinaus, ohne jedoch den liebevoll angelegten Kräutergarten zu sehen, den gepflegten Rasen oder in der Ferne die Berge. „Wenn ich erst einmal mit Großvater geredet habe, wird er auch verstehen, warum ich abreisen muß." „Das, glaube ich kaum", sagte ihre Mutter außerordentlich bedeutungsschwer. „Warum nicht?" Jazmin wirbelte ungeduldig herum. „Meine Güte, Mutter. Du müßtest doch am besten wissen, warum ich nicht hier bleiben kann, Auge in Auge mit..." Jazmin hielt inne, als ihre Mutter ihren Arm umfaßte. „Wenn du immer noch so für ihn fühlst, dann sag es ihm." „Was soll ich ihm sagen?" fragte Jazmin erschöpft. „Daß ich bereit bin, noch einmal einen Narren aus mir zu machen? Verzeih Mutter, aber das scheint mir nicht besonders sinnvoll. Außerdem wird es wohl kaum mit den Moralvorstellungen seiner Frau und seines Sohnes zusammenpassen. Es war schon vor fünf Jahren nicht meine Absicht, eine Familie zu zerstören. Und daran hat sich nichts geändert." „Ich weiß, Jazmin." Moira trank einen Schluck Tee. „Aber sie leben nicht zusammen."
4. KAPITEL „Soll das heißen, daß Kael und Cathy geschieden sind?" Jazmin setzte sich wieder, als ihre Mutter die Achseln zuckte. „Von einer Scheidung weiß ich nichts, aber Kael hat das Sorgerecht für Toby. Und Lorelle hat vor kurzem in einem Gespräch erwähnt, daß Cathy in der Nähe vom Royal Brisbane Hospital eine Wohnung hat." „Vielleicht braucht sie die Wohnung, wenn sie im Krankenhaus Nachtdienst hat", sagte Jazmin, die versuchte, möglichst neutral mit dieser Information umzugehen. „Am besten, du fragst Kael danach", schlug ihre Mutter vor. Jazmin zog die Augenbrauen hoch. „O ja. Das ist ja auch eine Frage, die man leicht mal einstreuen kann, wenn einem der Gesprächsstoff ausgegangen ist. Sieht aus, als hätten wir Weihnachten schönes Wetter. Ach, sag mal, Cathy und du, seid ihr eigentlich geschieden?" „Du brauchst gar nicht so zynisch zu sein, Jazmin", beklagte sich Moira McCann aufgebracht. Jazmin seufzte. „Ich weiß, Mutter. Es tut mir leid. Ich bin einfach ein bißchen müde." „Vielleicht sollte ich Kael fragen. Nach allem, was er dir angetan hat, habe ich das Recht, meine Tochter zu beschützen." „Mach dir bitte keine Gedanken", wehrte Jazmin hastig ab. Der Gedanke, Moira könnte Kael einem ihrer berühmten Verhöre unterziehen, entsetzte sie. „Es würde ohnehin nichts ändern. Ich habe nicht die Absicht, mich noch einmal auf Kael Craigen einzulassen. Oder auf irgendeinen anderen Mann." „Aber Jazmin, es ist doch nicht schön, allein zu sein. Jeder braucht einen Freund, einen Partner. Sogar dein Vater war ein guter Ehemann und ein noch besserer Freund, trotz all seiner Fehler. Ich vermisse ihn, und ich will nicht, daß du dir die Chance verbaust, eine Ehe einzugehen." „Das verstehe ich, aber ich bin für eine solche Beziehung wahrscheinlich noch nicht bereit, und ich bin nicht davon überzeugt, daß Kael der richtige Ehemann für mich wäre. Außerdem hätte ich nicht gedacht, daß du ausgerechnet ihn als Schwiegersohn favorisierst." Immer wenn sie über Kael Craigen gesprochen hatten, hatte ihre Mutter sich geringschätzig über ihn geäußert. „Ich gebe zu, daß Kael nicht der Mann ist, den ich für dich ausgesucht hätte, Jazmin", lenkte Moira ein. „Aber trotzdem finde ich ihn charmant und attraktiv. Und ich vermute, daß dein Großvater ihn zu seinem Erben bestimmen wird." „Mutter! Wie kannst du so gewinnsüchtig sein ..." begann Jazmin. „Sieh es, wie du willst. Aber glaube mir, wenn es auch nur die kleinsten Probleme gibt, ist es immer besser, reich zu sein. Ich bin wohlhabend gewesen und ich bin arm gewesen, Jazmin, und ich weiß, was ich bevorzugen würde." „O Mutter." Jazmin lachte schwach, während sie sich die Augen rieb. „Laß uns das Thema beenden. Ich möchte mit dir über Rick sprechen. Deswegen bin ich nämlich hier. Weißt du, was er geplant hat? Ich meine, wegen des Geldes." Ihre Mutter nahm eine abwehrende Haltung ein. „Er besucht im Augenblick Freunde. Du weißt ja, er ist hier zur Schule gegangen. Und nun besucht er einige Leute, zu denen er noch Kontakt hat." „Aber was will er wegen des Geldes unternehmen?" beharrte Jazmin. „Er sagt, daß er immer noch hofft, sein Land zu verkaufen, selbst wenn er einen kleinen Verlust hinnehmen muß." „Ich will nur nicht, daß er Großvater damit belästigt. Irgendwie bekomme ich das Geld, das habe ich dir letzte Woche schon gesagt. Wir waren doch nie auf andere angewiesen." Bevor ihre Mutter etwas erwidern konnte, hörten sie das Geräusch eines Wagens, der
die Kiesauffahrt zum Haus herauffuhr. Sie liefen zum Fenster und sahen einen silbernen Mercedes kommen. „Lorelle und dein Großvater kommen nach Hause. O Jazmin, er wird sich sehr freuen, dich, zu sehen. Auch du wirst froh sein, daß du gekommen bist." Mit einem Seufzer spülte Jazmin ihre Teetasse ab und folgte dann ihrer Mutter hinaus auf die Veranda. Wie immer war es Moira gelungen, dem leidigen Thema über Ricks Geldmangel auszuweichen. Sie war nicht bereit, Rick irgendwelche Vorschriften zu machen, was bedeutete, daß Jazmin sich selbst mit ihrem Bruder a useinandersetzen mußte. Obwohl sie darauf vorbereitet war, daß ihr Großvater sich verändert hatte, schockierte sie sein Anblick so sehr, daß sie die Probleme mit Rick vergaß. Es war eine erhebliche Untertreibung, wenn man behauptete, James McCann sei in den letzten fünf Jahren schwächer geworden. Seine einst so stattliche Statur schien zusammengesunken. Sein Gesicht war schmal und verzerrt. Lorelle stützte ihn, als sie langsam die wenigen Verandastufen hinaufgingen. Nach dieser Anstrengung atmete er schwer. „Großvater?" sagte Jazmin sanft, während sie auf ihn zutrat, nachdem er sich ein wenig erholt hatte. Der alte Mann blickte auf. Sofort breitete sich ein aufrichtiges Lächeln auf seinem blassen Gesicht aus. Seine Augen begannen zu strahlen. „Jazmin! Was für eine wundervolle Überraschung. Deine Mutter sagte, du würdest wahrscheinlich nicht kommen können. Ich freue mich sehr, daß du es ermöglicht hast. Komm zu mir. Laß dich von deinem alten Großvater umarmen." Jazmin lächelte und umarmte ihn. Als sie seinen geschwächten Körper spürte, schnürte sich ihr Herz zusammen. Seine Umarmung war jedoch erstaunlich kräftig. Sie trat einen Schritt zurück und schenkte ihm ein Lächeln. „Du siehst..." James McCann hob die Hand. „Ich will die Wahrheit hören", sagte er mit gespieltem Ernst. „Keine Schmeicheleien, bitte." Jazmin musterte ihn. „Machst du eine Diät?" fragte sie scherzhaft. Ihr Großvater lachte. „Wie ich erfahren habe, soll ich zum Weight Watcher des Jahres gewählt werden. Was meinst du, Lorelle?" Er wandte sich seiner Frau zu, die Jazmin mit einem reservierten Lächeln begrüßte. „Wie geht es dir, Jazmin?" Die fünf Jahre waren auch an Kaels Mutter nicht spurlos vorübergegangen, wie Jazmin feststellte. Sie war sichtlich gealtert, und selbst das perfekte Make-up konnte die tiefen Sorgenfalten kaum verbergen. „Geht ihr beiden doch schon ins Wohnzimmer. Ich stelle nur den Wagen in die Garage", sagte sie freundlich. „Vielleicht macht Moira inzwischen einen Tee." Zu Jazmins Erstaunen eilte ihre Mutter ohne Zögern in die Küche. Der Tee sei sofort fertig, versprach sie eifrig. Während Jazmin ihren Großvater mit langsamen Schritten zum Wohnzimmer begleitete, dachte sie über die Beziehung zwischen Moira und Lorelle nach. Allem Anschein nach respektierten die beiden Frauen sich nun gegenseitig. In dem kleinen Wohnzimmer, von dem aus man den Garten und die Hügel vor der Stadt überblickte, waren Sofas und Sessel in einem gemütlichen Kreis aufgestellt. James ließ sich in einen Sessel sinken, während Jazmin sich ihm gegenüber aufs Sofa setzte. „Ich habe dich vermißt, Jazmin", sagte er. Sie nickte. „Ich habe dich auch vermißt, aber ..." „Ich möchte mit dir reden, solange wir allein sind", unterbrach er sie schnell. Jazmin lehnte sich zurück. Sie brauchte sich also um den Gesprächsstoff keine Gedanken zu machen. „Übernimm dich nicht, Großvater. Du solltest dich ausruhen", begann sie. Er wehrte ihre Einwände gereizt ab.
„Fang nicht an, mich zu verhätscheln, Jazmin. Ich kenne meine Grenzen. Und bevor ich zur Sache komme, mußt du eins wissen: ich weiß, warum du Throckley verlassen hast und nie hierher zurückkehren wolltest." James McCann lehnte seinen Kopf gegen die Rückenlehne des Sessel. Als Jazmin etwas sagen wollte, winkte er ab. „Aber zuerst möchte mit dir über deinen Vater und Kael reden." Er seufzte. „Ich liebe Kael, als wäre er mein eigener Sohn. Nicht, daß ich deinen Vater nicht geliebt hätte, aber mit Kael ist es eben anders. Mit ihm habe ich mehr Gemeinsamkeiten als mit deinem Vater. Wenn ich so etwas sage, will ich das Andenken deines Vaters nicht herabsetzen, Jazmin." „Ich weiß", erwiderte Jazmin. Richard, ihr Vater, war eher künstlerisch begabt gewesen. Er hatte an dem Bauunternehmen, das der Lebensinhalt seines Vaters war, nie viel Interesse gehabt. „Und dich liebe ich auch", fuhr ihr Großvater fort. „Die ganze Sache hat mich in eine schwierige Lage gebracht. Kael auf der einen Seite und mein Lieblingsenkelkind auf der anderen." „Ich wollte dir keine Probleme bereiten", sagte Jazmin leise. „Aber dadurch, daß ich mir etwas wünsche, wird es noch lange nicht Realität. Das habe ich in meinem Leben gelernt", fügte er mit Bitterkeit hinzu. „Trotzdem war ich zutiefst enttäuscht, als Kael und du euch getrennt habt. Ich bin ein romantischer alter Trottel. Ich habe mir so sehr gewünscht, daß ihr ein Paar seid. Es war eine der größten Enttäuschungen meines Lebens." „Großvater, ich möchte wirklich nicht darüber reden!" Jazmin erhob sich vom Sofa. „Setz dich. Setz dich." James McCann winkte mit seiner kraftlosen Hand, so daß Jazmin gehorchte. Sie schenkte ihm ein zaghaftes Lächeln. „Findest du das Thema nicht ein bißchen zu persönlich?" Ihr Großvater zuckte die Achseln. „Ich glaube, ich würde mich in diesem Fall zu allem herablassen. Das ist einer der Vorteile, die mein Alter mit sich bringt. Ic h möchte, daß du verstehst, was Kael Craigen für mich getan hat. Als du vor fünf Jahren so überstürzt abgereist bist, hatte ich keine Gelegenheit, es dir zu erzählen." „Großvater", appellierte Jazmin. Doch der alte Mann ließ sich von ihr nicht unterbrechen. Unbeirrt fuhr er fort: „Laß mich ausreden, und dann sind wir mit dem Thema fertig. Als ich Kaels Mutter geheiratet habe, war er ungefähr zwanzig Jahre alt. Er bewarb sich für einen Job, den ich inseriert hatte. Ohne Umschweife erklärte er mir, daß er studiere und den Job nur brauche, um sein Studium zu finanzieren. Viele meiner Bekannten waren damals der Meinung, ich würde meine Zeit mit ihm verschwenden. Ich würde ihn in alle Details des Geschäfts einweihen, und am Schluß, wenn er sein Studium abgeschlossen hätte, würde er fortgehen. Aber so habe ich das nie gesehen. Schon damals waren seine Fähigkeiten zu erkennen gut. Er hat vom ersten Augenblick an gut für mich gearbeitet und meine Erwartungen in jeder Hinsicht erfüllt." Nach einer kurzen Pause fuhr er fort: „Später erfuhr ich, daß seine Eltern schon seit seiner Kindheit geschieden wa ren. Nachdem sein Vater wieder geheiratet hatte, fühlte Kael sich für seine Mutter verantwortlich. Als er sie dann zur Weihnachtsfeier im Büro mitbrachte, nun ..." James McCann lächelte bei der Erinnerung an jene Zeit. In diesem Moment wurde Jazmin klar, wie tief seine Gefühle für seine so viel jüngere Frau waren, auch wenn Moira immer daran gezweifelt hatte. „Von dem Moment an, als ich Lorelle kennenlernte", fuhr ihr Großvater lächelnd fort, „hat sich mein Leben dramatisch verändert. Sie hat meinem Dasein einen neuen Sinn gegeben. Ich habe deine Großmutter geliebt, Jazmin. Ohne Zweifel, und ich habe sie nie vergessen. Aber ich war fast zehn Jahre Witwer und ich war einsam. Wie einsam ich
wirklich war, habe ich erst begriffen, als Lorelle in mein Leben trat." James McCann seufzte erschöpft. „Ich erzähle dir dies alles, Jazmin, weil ich Kael letztes Jahr zu meinem Geschäftspartner gemacht habe. Es war das wenigste, was ich tun konnte. Er hat hart gearbeitet und er verdient die Partnerschaft. Wenn er sich nicht um alles gekümmert hätte, wäre das Geschäft ins Schwimmen geraten, als ich den ersten Herzinfarkt hatte." Jazmin rutschte auf die Sofakante. „Du brauchst dir darüber keine Gedanken zu machen, Großvater. Ich verstehe dich gut, und für uns ändert sich nichts. Ich weiß, daß Dad sich nie für das, was du aufgebaut hast, interessiert hat." James betrachtete sie eine Weile. Dann nickte er. „Ich bin froh. Ich hatte Sorge, daß deine Mutter ... nun, daß sie glauben würde, ich würde Richards Andenken nicht ehren. Und soweit ich es beurteilen kann, scheint Rick erst noch erwachsen werden zu müssen, bevor er sich etwas aufbauen kann. Aber wenn er bei McCann and Craigen mitarbeiten will, steht ihm dieser Weg offen." Jazmin senkte den Blick. Wenn ihr Großvater wüßte, wie verantwortungslos Rick gehandelt hatte, würde er sicher nicht so nachsichtig mit ihm sein. „Diese Möglichkeit besteht auch für dich, Jazmin. Du bist jederzeit willkommen." Als sie aufschaute begegnete sie seinem Blick. In diesem Moment fragte sie sich, was genau, oder besser gesagt wen er ihr anbot. Doch sie bekam keine Gelegenheit, ihn danach zu fragen, denn ihre Mutter kam nun mit einem Tablett in der Hand ins Wohnzimmer. Jazmin stand auf, um es ihr abzunehmen. Während der Tee ausgeschenkt wurde, drehte sich die Unterhaltung um oberflächliche Themen. Schließlich gesellte auch Lorelle sich zu ihnen, die nach einer Weile darauf bestand, daß James sich für eine Ruhepause zurückzog. Nach einer anscheinend gewohnheitsmäßigen Weigerung stimmte er zu. „Ich werde mich auch ein wenig ausruhen", sagte Jazmin, nachdem sie ihrer Mutter geholfen hatte, das benutzte Geschirr in den Geschirrspüler zu stellen. „Wir sind von Sydney ohne Pause durchgefahren. Die lange Fahrt war ziemlich anstrengend." Sie zog sich in ihr Zimmer zurück, wo sie die restlichen Sachen aus ihrem Rucksack auspackte. Dann legte sie sich aufs Bett und entspannte ihre verkrampften Muskeln. Während sie unter dem baldachinartigen Moskitonetz lag, ließ sie die ruhigen warmen Farben des vertrauten Zimmers auf sich einwirken. Die hellgelben Blumen auf der Tapete. Das tiefe Rot der Zedernmöbel. Das Messingbett mit den Porzellaneinlagen, die das Blumenmuster der Tapete wiederholten. Sie hätte in eine andere Welt eintreten können, eine Welt der Vergangenheit, wenn sie in der Lage gewesen wäre, sich zu entspannen. Doch die Gegenwart hielt sie mit grausamer Beharrlichkeit fest. Immer wieder tauchte dieselbe brennende Frage auf. Warum war sie zurückgekehrt? Warum war sie in dieser Zeit des Frohsinns an die Quelle ihres Schmerzes zurückgekehrt? Sie wußte, daß sie diese Frage nur ungern wirklich ehrlich beantwortete. Ein übertriebener Selbsterhaltungstrieb war daran schuld, daß sie ve rsuchte, sich selbst zu betrügen. Sie war hierher gekommen, um Rick daran zu hindern, ihren Großvater um Geld zu bitten. Außerdem hatte sie ihren schwerkranken Großvater besuchen wollen. Deswegen war sie zurückgekehrt. Und sie wollte Kael Craigen wiedersehen, damit sie sich selbst beweisen konnte, daß er ihr nichts mehr bedeutete. Jazmin schloß die Augen, um Kaels Bild zu vertreiben. Aber es war ein verlorener Kampf. Vor ihrem geistigen Auge tauchte immer wieder sein Gesicht auf. Sie schien nichts dagegen unternehmen zu können. Ebensowenig wie gegen den stechenden Schmerz in ihrer Brust. Ich fühle mich zu ihm hingezogen und er sich zu mir, gestand sie sich schließlich ein. Deswegen waren die Gründe für ihre Rückkehr nach Brisbane nun auch bedeutungslos. Sie war hier, und Kael war hier. Ihre Gefühle für ihn hatten sich in all den Jahren nicht
verändert. Und alles deutete darauf hin, daß Kael ihre Gefühle immer noch erwiderte. Bei diesem Gedanken regte sich etwas tief in ihrem Innern. Begierde stieg in ihr auf. Eine Sehnsucht, die sie seit fünf Jahren nicht mehr verspürt hatte. Wieder sah sie Kael vor sich, wie er sie vor wenigen Stunden auf der Veranda begrüßt hatte. Sie mußte sich eingestehen, daß in diesen ersten Sekunden für sie die Welt aus den Fugen geraten war. So war es immer gewesen, wenn sie ihm unverhofft begegnet war. Plötzlich wurde dann der Himmel blauer und das Gras und die Bäume grüner. Es war, als würde alles, was sie umgab, plötzlich schärfere Konturen bekommen. Die Macht seiner Anziehungskraft ängstigte sie heute ebenso wie damals, als sie ihn kennengelernt hatte. Bei ihrer allerersten Begegnung. Jazmin rief sich dieses Erlebnis ins Gedächtnis. James McCann und Lorelle Craigen hatten ihre Hochzeit ohne Jazmins Familie gefeiert. Es war eine kleine Feier im privaten Rahmen gewesen. Moira McCann hatte sich damals darüber gewundert, daß die beiden sich so plötzlich zur Ehe entschlossen hatten, was Jazmin wiederum amüsiert hatte. Als Jazmin dann später nach Brisbane geflogen war, um ihre Schulferien bei ihrem Großvater und seiner neuen Frau zu verbringen, war Kael nicht in Throckley gewesen. Er hatte seinen Vater im Norden von Queensland besucht. So hatte es sich ergeben, daß Jazmin und Kael sich erst vor fünf Jahren, kurz nach Jazmins neunzehntem Geburtstag, kennengelernt hatten. Nach dem Tod ihres Vaters hatte Moira Probleme mit Ricks Erziehung bekommen. Seine kindischen Streiche schienen den Höhepunkt zu erreichen, als er zur High-School kam. Zweimal wurde er der Schule verwiesen. Schließlich entschloß sich Moira, ihren Schwiegervater um Hilfe zu bitten. Er brachte Rick an einer Privatschule in Brisbane unter. Moira und Rick zogen sofort nach Brisbane, während Jazmin noch in Sydney blieb, um ihre Ausbildung zu beenden. Sechs Monate später kam sie dann für einen kurzen Besuch nach Throckley, bevor sie sich in Sydney einen Job suchen wollte. Ihre Ankunft war ähnlich verlaufen wie heute, nur mit dem Unterschied, daß sie nach Brisbane geflogen war und sich vom Flughafen ein Taxi nach Throckley genommen hatte. Sie lief stürmisch die Stufen zur Veranda hinauf und klingelte an der Tür, in der Absicht, ihre Mutter und ihren Bruder zu überraschen. Doch es öffnete niemand. Enttäuscht ging sie um das Haus herum und entdeckte schließlich Joe Roberts, den Gärtner, der in der Nähe der Garage arbeitete. Von ihm erfuhr sie, daß niemand zu Hause war. Kael und ihr Großvater arbeiteten im Geschäft, Lorelle besuchte Freunde, Moira und Rick waren bei einer Sportveranstaltung in der Schule. Schließlich ließ Joe, der für Notfälle einen Hausschlüssel besaß, sie ins Haus. Jazmin schlenderte durch die Räume und ließ die ruhige Atmosphäre im Haus auf sich einwirken. Dann faßte sie den spontanen Entschluß, schwimmen zu gehen. Die Luft war heiß und schwül, also zog sie ihren Bikini an und nahm sich ein flauschiges Badetuch aus dem Schrank. Mit einem Lächeln auf den Lippen ging sie den Weg zum Pool hinunter, der wie ein natürlicher Teich liebevoll in die Landschaft eingebettet war. Üppige Blumenterrassen und Felsen umrahmten den Pool. Vom Haus war er durch eine Gruppe großer Eukalyptusbäume getrennt. Der gesamte Poolbereich war von einem Zaun umschlossen. Jazmin trat durch die Pforte und ging die Schieferstufen zum Pool hinunter. Dann tauchte sie in das erfrischende Wasser ein und ließ sich eine Weile genüßlich auf dem Rücken treiben. Mit einigen kräftigen Kraul-Zügen schwamm sie zum Ufer zurück. Als sie sich am Beckenrand abtrocknete, hatte sie plötzlich das deutliche Gefühl, beobachtet zu werden. Sie blickte auf und sah tatsächlich jemanden an der Pforte
stehen. Er war groß genug, um sich mit den Ellbogen auf den Pfosten abzustützen, das Kinn auf die Hände gestützt. Jazmin schluckte. Wer war dieser Mann? Er mußte ein Eindringling sein, und sie war ganz allein hier. Sicher, Joe Roberts arbeitete in der Nähe, aber er war schwerhörig. Er würde es nicht hören, wenn sie jetzt um Hilfe rief. Doch das konnte der Fremde natürlich nicht wissen. Er konnte auch nicht wissen, daß sie allein war. Ohne sich ihre Aufregung anmerken zu lassen, schlang sie das Handtuch wie einen Sarong um ihren Körper und ging mutig die Stufen hinauf. Der Mann öffnete ihr die Pforte und trat einen Schritt zurück, um sie vorbeigehen zu lassen. „Kann ich Ihnen irgendwie helfen?" fragte sie in der Hoffnung, selbstbewußt zu wirken. Als der Mann sie nun anlächelte, begann Jazmins Herz schneller zu schlagen. Dieser Mann, dieser Eindringling oder Vertreter oder was immer er war, sah unglaublich gut aus. Sie schluckte, während sie zu ihm aufblickte. „Sehen Sie, wenn Sie irgend etwas verkaufen wollen, muß ich Sie enttäuschen. Sie verschwenden Ihre Zeit. Ich bin nicht interessiert." Die Mundwinkel des Mannes zogen sich zu einem verschmitzten Grinsen nach oben. Jazmin stockte der Atem. „Etwas verkaufen?" Seine Stimme ergänzte seine attraktive Erscheinung perfekt. Sie klang tief und sinnlich verführerisch. „Ich würde gern sagen, ich hätte nur mich selbst zu verkaufen, aber ich fürchte, Sie würden mein empfindliches Ego zutiefst verletzen." Er ließ seine Hände in die Hosentaschen gleiten. „Eigentlich habe ich meine Mutter gesucht. Ich bin Kael Craigen, und Sie können nur Jazmin McCann sein."
5. KAPITEL „Habe ich recht?" fragte Kael, als sich das Schweigen hinzog. „Du bist Jazmin." Jazmin konnte nur nicken. „Also lernen wir uns am Ende doch noch kennen", fügte er hinzu. Seine Stimme strahlte eine Sinnlichkeit aus, die sie verzauberte und ganz und gar in seinen Bann zog. Kael Craigen. Das also war Lorelles Sohn, den ihre Mutter so gehässig als den Günstling ihres Großvaters bezeichnet hatte. Er ist unbeschreiblich attraktiv. Das war der einzige Gedanke, den Jazmin in diesem Moment fassen konnte. Nicht in gewöhnlichem Sinne attraktiv. Es war eher eine Aura des Vertrauens, die ihn umgab. Die Art, wie er sich bewegte, so als hätte er die Welt erobert und wäre sich dessen bewußt. Seine körperlichen Attribute unterstützten diese Aus strahlung noch. Er hatte dichtes, schwarzes Haar, das ihm frech in die Stirn fiel, über den Ohren im Nacken etwas länger, als die Mode es diktierte. Seine Augen waren braun. Sie strahlten faszinierend und wurden von pechschwarzen Wimpern umrahmt. Später stellte Jazmin fest, daß diese Augen einen schwarzen Glanz bekamen, wenn er erregt war. Sein Kinn war kräftig und energisch. Wenn er lächelte, so wie er es im Augenblick tat, bildeten sich zwei tiefe Falten um seinen Mund, und seine weißen Zähne blitzten auf. In jenen ersten Momenten verspürte Jazmin das instinkti ve Bedürfnis, vor ihm zu fliehen. Er war der herausforderndste und gefährlichste Mann, der ihr je begegnet war. Trotzdem wußte sie, daß sie ihm nicht entkommen konnte, denn die Faszination besiegte ihre ängstliche Zurückhaltung mit erschreckender Leichtigkeit. Von dieser ersten Begegnung an schien Jazmins Leben zwischen Verzückung und Zweifel zu pendeln. Verzückung über die Tatsache, mit Kael zusammen zu sein. Und Zweifel, daß jemand, der so gut aussah, so umwerfend war, auch nur im geringsten an ihr, die sie doch nur durchschnittlich war, interessiert sein könnte. Jazmin konnte sich nichts vormachen. Sie wußte, daß sie eine durchschnittliche Figur hatte und ein mittelmäßig hübsches Gesicht. Nach ihrer Meinung konnte ihr wilder roter Lockenschopf dieses Bild höchstens verschlechtern. Ihr Teint war blaß, so daß sie sich immer schützen mußte, wenn sie in die Sonne ging, um keinen Sonnenbrand zu bekommen. Sie hatte blaue Augen. Die schmale Nase war von Sommersprossen übersät. Mit anderen Worten, sie war nichts Besonderes. Auch wenn sie selbst sich der Ehrlichkeit, die ihre Augen ausstrahlten, nicht bewußt war und auch den entschlossenen Ausdruck ihres Kinns nicht kannte, so schien sie doch Kael Craigen insgesamt zu gefallen. Jazmin war wie verzaubert. Schon in jenem allerersten Augenblick hatte sie sich hoffnungslos in ihn verliebt. Jede freie Minute verbrachten sie zusammen, obwohl Kael ihre Beziehung auf eine ausschließlich freundliche Basis stellte. Wenn Jazmin allein war, träumte sie davon, daß sie sich näherkamen. Manchmal fürchtete sie, sie würde sterben, wenn er sie nicht küßte. Schließlich fragte sie sich, ob er ihre Gefühle vielleicht gar nicht erwiderte. Dieser Gedanke brach ihr fast das Herz. Und dann, eines Abends im Sommer, fuhren sie zum Autokino, wo sie von einem Platzregen überrascht wurden, so daß sie den Film nur zur Hälfte sehen konnten. „Es ist so heiß und schwül", sagte Jazmin, als sie wieder zu Hause waren und die Veranda hinaufgingen. „Der Regen hat überhaupt keine Abkühlung gebracht." Sie verzog das Gesicht, weil die hellen Lampen, die aus Sicherheitsgründen die ganze Nacht lang brannten, sie blendeten. „Himmel, ich fühle mich so verschwitzt. Laß uns schwimmen gehen."
„Es wird gleich wieder anfangen zu regnen", entgegnete Kael, während er die Haustür öffnete. Von drinnen schlug ihnen die warme, stickige Luft entgegen. Der Rest der Familie war ausgegangen und wurde erst spät zurückerwartet. „Mir macht es nichts aus, wenn es regnet", sagte Jazmin. „Im Pool werden wir doch ohnehin naß. Oh", stöhnte Jazmin, während sie sich das feuchte Haar aus der Stirn strich. „Das Wasser wäre herrlich erfrischend." „Jazz, ich glaube, das ist keine gute Idee." Kael lehnte sich gegen den Türrahmen. „Ist dir gar nicht heiß?" „Doch, mir ist heiß. Und nicht nur wegen des Wetters", fügte er hinzu. Jazmin wurde rot. Vielleicht hatte Kael recht. Am Pool wären sie allein. Aber auch im Haus waren sie jetzt allein. Ebenso wie im Autokino, wo sie nebeneinander im Wagen gesessen hatten. Durch die Feuchtigkeit beim Regen waren die Fenster von innen beschlagen gewesen. Vielleicht hätten sie lieber in die Stadt gehen sollen, in eine gut beleuchtete Disko voller junger Leute. „Okay." Kael seufzte. Dann streckte er sich. „Laß uns schwimmen gehen. Nasser kann ich, glaube ich, nicht mehr werden. Wir müssen hundert Prozent Luftfeuchtigkeit haben." „Prima." Jazmin lief lachend in ihr Zimmer, um ihren Bikini anzuziehen. Sie schlüpfte in ihren Bademantel und lief auf die Veranda zurück. Kael, der sich ebenfalls umgezogen hatte, wartete bereits auf sie. Vor der grellen Außenbeleuchtung traten die Konturen seines muskulösen Körpers kraß hervor. Jazmin schluckte. Das inzwischen vertraute Gefühl von Sehnsucht stieg in ihr auf, als sie zu ihm ging. Wortlos folgte sie ihm zum Pool, wo er das Licht einschaltete. Der Poolbereich war nur schwach mit indirektem Licht ausgeleuchtet. „Es sieht wunderschön aus", sagte Jazmin, während sie die Wassertemperatur mit den Zehenspitzen testete. „Es ist nicht besonders kalt", bemerkte sie. Dann legte sie ihren Bademantel ab und ließ sich vom Beckenrand ins Wasser gleiten. „Komm schon, Kael. Das Wasser ist weich wie Samt." Kael warf sein Handtuch neben ihren Bademantel, blieb einen Moment am Beckenrand stehen und sprang dann mit einem Kopfsprung ins Wasser. In der Mitte des Pools tauchte er wieder auf und schüttelte sich das Wasser aus dem Haar. „Angeber", neckte Jazmin ihn. Er lächelte. „Ich dachte, das Wasser wäre kälter. Ich wollte schnell eintauchen, um die Qualen nicht hinauszuzögern." Jazmin schwamm zu ihm. „Das war doch wirklich eine gute Idee. Es ist herrlich. Viel besser, als einen Film anzuschauen, der uns nicht gefällt." Kael lachte. „Viel besser." Sie schwammen zum flachen Bereich hinüber, wo sie stehen konnten. Jazmin legte die Hand auf seinen Arm, zugleich kämpfte sie gegen den Wunsch an, ihn zärtlich zu streicheln. „Du wolltest doch auch nicht im Kino bleiben und zwischen den Schauern den Film ansehen, oder?" fragte sie. Er schüttelte den Kopf. „Nein. Zuviel Gewalt für meinen Geschmack. Es tut mir leid, daß ich gerade diesen Film ausgesucht habe. Aber ich wußte nicht, daß er so blutrünstig ist. Ich mag diese Art von Filmen nicht. Und ich finde es schrecklich, wenn man sich so etwas ungerührt anschaut, als wäre es selbstverständlich." Sie unterhielten sich eine Weile über verschiedene Filme. Dann schwammen sie wieder ein paar Züge. Jazmin schaute bewundernd zu, wie Kael mit energischen Zügen durchs Wasser glitt. Der Mond wurde von den schweren Regenwolken verdeckt, aber das matte Lampenlicht beleuchtete seine breiten Schultern. Ohne besondere Phantasie konnte sie sich leicht das Spiel seiner Muskeln unter Wasser vorstellen. Er hat eine perfekte Figur, schoß es ihr durch den Kopf. Wie gern hätte sie den Arm ausgestreckt, um ihn zu berühren und seine Konturen mit den Fingerspitzen nachzuempfinden. Sie strich sich mit der Hand durch das nasse Haar, als sie eine
Hitzewelle in sich aufsteigen spürte. Hastig wandte sie den Blick von ihm ab und hielt sich mit beiden Händen am Beckenrand fest. Schlag dir diese sehnsüchtigen Phantasien aus dem Kopf, ermahnte sie sich bestimmt. Die Situation war ohnehin schon explosiv genug . Absichtlich hatten sie den Abend über Abstand voneinander gehalten, wenn auch nicht viel. Wenn Kael nun ahnte, wie erregt sie war, wenn sie ihn nur anschaute ... Plötzlich spürte sie, wie seine starken Arme ihre Taille von hinten umfaßten. Sein Atem kühlte ihren Hals. „Was soll das bedeuten? Willst du flüchten? Wir sind doch erst ein paar Meter geschwommen." „Ich ..." Jazmin schluckte. „Ich ruhe mich nur einen Moment aus." Sie hoffte, daß ihre Kurzatmigkeit die Ausrede glaubhaft machte. Aber nichts auf der Welt hätte sie in diesem Moment dazu bewegen können, sich vom Beckenrand und damit von Kael zu lösen. Seine Hände auf ihrer Haut zu spüren, machte alle guten Vorsätze zunichte. Ihr Gesicht fühlte sich an, als würde es glühen. In ihren Ohren hörte sie ihr eigenes Blut rauschen. Kael schien keine Eile zu haben, den Kontakt zu lösen. Wieder schluckte Jazmin. Sie wußte, daß sie selbst die Initiative ergreifen konnte. Wenn sie sich nur ein wenig bewegte, würde er sie loslassen. Aber sie schien die Gewalt über ihre Muskeln verloren zu haben. Obwohl sie sich der wachsenden Spannung bewußt war, konnte sie sich nicht gegen die Faszination wehren. Ein wildes Verlangen, sich in das Unbekannte zu stürzen, überkam sie. Dann wurde es um sie herum still. Kurz darauf fielen die ersten schweren Tropfen aus den tiefhängenden Wolken. Keiner von ihnen bemerkte es. Für Jazmin gab es in diesem Moment nur noch Kael, der sie mit leichtem Druck seiner Hände zu sich herumdrehte. Seine Augen waren tiefschwarz. Wie eine körperliche Berührung spürte sie seinen Blick, der auf ihren Lippen haften blieb. Er umfaßte ihre Taille fester, bevor er den Kopf ganz langsam senkte. Es dauerte Sekunden, eine Ewigkeit, bis sein Mund ihre Lippen berührte. Jazmin stöhnte leise, ohne ihre Erregung zu ve rbergen. Sie schlang die Arme um seine Schultern, um nicht den Boden unter den Füßen zu verlieren. „Meine Güte, Jazz. Ich wußte, das dies passieren würde", flüsterte er atemlos. „Wolltest du ... wolltest du mich nicht küssen?" fragte Jazmin heiser. Kael sagte etwas, das sie nicht verstand. „Ob ich dich nicht küssen wollte?" wiederholte er nun mit einem spöttischen Lachen. „Ich habe mir vom ersten Augenblick an gewünscht, dich zu küssen. Vielleicht schon vorher." „Schon vorher?" Jazmin ließ seine feuchten Haarsträhnen durch ihre Finger gleiten. „Ich liebe das Foto von dir, das James in seinem Büro hängen hat", sagte er gleichmütig. Sie lächelte. „Wirklich?" „Ja. Sehr sogar." Als er lächelte, blitzten seine weißen Zähne auf. Dann wurde er wieder ernst. „Und ich glaube, ich werde wahnsinnig, wenn ich dich nicht noch einmal küsse." Als er sie diesmal küßte, wurden seine Lippen fordernd. Jazmin erwiderte sein Verlangen leidenschaftlich. Kael zog sie dicht zu sich heran, als wollte er sie nie wieder loslassen. Zärtlich ließ er seine Hände über ihren Rücken gleiten, bevor er mit den Fingerspitzen die Mulden ihrer Wirbelsäule nachempfand. Nie hätte sie für möglich gehalten, daß ein Mann sie so intensiv erregen konnte, nicht in ihren wildesten Träumen. Schließlich öffnete er den Verschluß ihres Bikinioberteils. Er löste sich ein wenig von ihr, um ihr die Träger über die Schultern zu schieben. Kael hielt den Atem an, als er nun zärtlich ihre Brüste umfaßte. „Du bist wunderschön", sagte er heiser. Mit den Daumen umkreiste er ihre straffen Brustspitzen. Jazmin stöhnte, als sie tief in sich eine Begierde verspür te, die ihren ganzen Körper
erfaßte. Sie legte den Kopf in den Nacken. Kael beugte sich zu ihr hinab und bedeckte ihren Hals mit Küssen, während er mit den Händen immer noch zärtlich ihre Brüste liebkoste. Als er mit den Lippen die feste Brustspitze berührte, rief Jazmin seinen Namen. Zugleich versuchte sie, ihn noch dichter an sich heranzuziehen. „Oh, Jazz", flüsterte er heiser. „Du fühlst dich so gut an. Du bist wundervoll." Als er mit der Zunge ihre Brustspitze umkreiste, hatte sie das Gefühl, sie müsse vor Verlangen zerspringen. Sie hielt ihn fest, als er sich von ihr lösen wollte. „Nein", rief sie, ohne zu wissen, was sie tat. „Nein." Sie erkannte ihre erregte Stimme kaum wieder. „Bitte, Kael. Hör nicht auf." „Ich muß, Jazz", erklärte er mit belegter Stimme. „Wenn ich jetzt nicht aufhöre, vergesse ich mich." „Ich will aber nicht, daß du aufhörst", flüsterte Jazmin, die über ihre Bestimmtheit selbst erstaunt war. Ihre Blicke begegneten sich. Die Sekunden verstrichen. Schließlich atmete Kael tief ein. Als er sich erneut über sie beugte, öffnete sich der Himmel. Dicke Regentropfen fielen sintflutartig zu Boden. Kael löste sich nach einer Weile von ihr. Als Jazmin ihn wieder zu sich heranziehen wollte, wehrte er ab. „Laß uns ins Haus gehen", rief er laut, um das Prasseln des Regens zu übertönen. Er nahm ihre Hand und half ihr, aus dem Wasser zu steigen. Dann liefen sie den Pfad zum Haus hinauf. Wie tausend Stiche brannte der Regen auf ihrer Haut. Als sie die schützende Veranda erreicht hatten, streifte Kael das Wasser von seinem Körper und lief dann ins Haus, um Handtücher zu holen. Sein eigenes Handtuch warf er sich über die Schulter, während er Jazmin in dem zweiten Handtuch einwickelte. Sie war froh über die Wärme. Aus unerfindlichen Gründen zitterte sie am ganzen Körper. Damit Kael nicht bemerkte, wie sehr sie ihre Reaktion auf seine Küsse schockierte, ließ sie sich beim Abtrocknen viel Zeit. Immer noch nahm sie seine Nähe intensiv wahr. Jazmin beobachtete ihn verstohlen, während er sich abtrocknete. Das Geräusch, das das Handtuch auf seiner Haut verursachte, schien selbst das beständige Trommeln des Regens auf dem Vordach zu übertönen. Als sie mit dem Handtuch über ihre nackten Brüste rieb, hatte sie das Gefühl, Kaels Hände immer noch zu spüren. „Zieh dir lieber etwas Trockenes an." Seine Stimme rieß sie aus ihren erotischen Gedanken. Als sie sich nicht von der Stelle rührte, nahm er ihre Hand und führte sie ins Haus. Schweigend gingen sie durch die Eingangshalle zu ihrem Zimmer. Vor ihrer Tür küßte er ihre Fingerspitzen und ging dann zu seinem eigenen Zimmer hinüber. Tat es ihm leid, daß er sie geküßt hatte? „Kael?" Als er sich zu ihr umdrehte, las sie die Antwort auf ihre Frage in seinen dunklen Augen. Die Leidenschaft, die sie darin entdeckte, ließ sie erneut erzittern. In diesem Moment rutschte das Handtuch, das sie sich umgeschlungen hatte, herunter und entblößte ihre Brüste. Als er den Blick zu ihren Brüsten hinabgleiten ließ, spürte sie seine Spannung. Mit einem Schluchzer lief sie ihm entgegen. Kael nahm sie auf den Arm und trug sie in sein Schlafzimmer. Mit der Schulter warf er die Tür hinter sich ins Schloß. Jazmin spürte seinen Atem auf ihrer Haut. Ohne den Blick von ihr abzuwenden, ließ er sie herunter und beugte sich zu ihr hinab, um sie zu küssen. Jazmin schmiegte sich an ihn. Ganz langsam ließ er seine Lippen zu ihren Brüsten hinabwandern. Während er ihre Brustspitzen liebkoste, schob er ihren Bikinislip über die Hüften. Dann kniete er sich hin und bedeckte ihren Bauch mit Küssen. „Oh, Jazz", flüsterte er. „Ich begehre dich so sehr. Ich weiß, wir sollten dies nicht..." „Warum nicht?" fragte sie heiser mit trockenem Mund.
„Weil ich zu alt für dich bin", erwiderte er prompt. „Und mein Leben ist schon ..." Er beendete den Satz nicht. Statt dessen flüsterte er ihren Namen. Dann hob er sie hoch und legte sie auf sein Bett. Kael streckte sich neben ihr aus. Engumschlungen küßten sie sich leidenschaftlich und erforschten sich gegenseitig, bis Jazmin glaubte, vor Verlangen die Besinnung zu verlieren. „Bitte Kael", flüsterte sie mit belegter Stimme. „Wir müssen ..." Er atmete tief durch. „Wir müssen Vorkehrungen treffen." Ein kühler Luftzug streifte ihren Körper sanft, als er sich zur Seite drehte und die Schublade seines Nachttisches öffnete. „Ich habe noch nie ... ich weiß nicht, wie", sagte sie. Das Blut stieg ihr in die Wangen. „Zum Glück weiß ich Bescheid", sagte er mit einem frechen Grinsen, bevor er sie in die Verhütungsmethode einweihte. Dann küßte er sie, und seine Hände begannen erneut ihre erotische Entdeckungsreise. Als Jazmin seinen Namen rief, legte er sich auf sie und drang behutsam in sie ein. Jazmin stimmte in seine Bewe gungen ein, die erst langsam und zärtlich waren und schließlich schneller und energischer wurden, bis sie gleichzeitig erbebten und sich in die Arme fielen. Ganz allmählich kehrte sie in die Wirklichkeit zurück und begann, ihre Umgebung wahrzunehmen. Sie wußte, daß sie sich in Kaels Zimmer befand, in seinem Bett. Immer noch prasselte der Regen aufs Dach. Und sie wußte, daß ihr Leben nie wieder so sein würde wie vorher. „Ich liebe dich, Kael", flüsterte sie ihm ins Ohr. Er zog die Decke etwas höher über ihre Schultern. „Ich liebe dich auch, Jazz", hörte sie ihn mit heiserer Stimme sagen, bevor sie in den Schlaf fielen.
6. KAPITEL Erschrocken fuhr Jazmin im Bett hoch, als es an ihrer Schlafzimmertür klopfte. Sie schloß die Augen und versuchte, sich zu orientieren. Vorsichtig streckte sie dann den Arm aus, um den Platz neben sich abzutasten. Sie ließ sich erleichtert in die Kissen zurücksinken, als sie nur ihre Decke fühlte. Sie hatte geschlafen. Ihr Traum, ihre Erinnerung war so real gewesen, daß sie erwartet hatte, Kael neben sich vorzufinden. Aber natürlich war sie allein, und es waren fünf Jahre vergangen. Und Kael ist immer noch verheiratet, rief sie sich brutal ins Gedächtnis. „Jazz." Eine Jungenstimme riß sie aus ihren masochistischen Gedanken. „Jazz, bist du wach?" Jazmin setzte sich auf und blieb einen Moment auf der Bettkante sitzen, bevor sie aufstand, um die Tür zu öffnen. „Ja. Ich bin wach." Als Toby sie mit Kaels Lächeln begrüßte, schnürte sich ihre Kehle zusammen. Sie wollte ihn in die Arme nehmen, zugleich hätte sie die Tür am liebsten wieder zugemacht. Der Junge wurde ernst, als er ihren verstörten Gesichtsausdruck bemerkte. „Ist alles in Ordnung?" fragte er unsicher. „Tante Moira hat mich geschickt. Ich soll dir sagen, daß das Essen fertig ist." Jazmin riß sich zusammen und brachte ein Lächeln zustande. „Alles in Ordnung. Ich glaube, ich bin nur immer noch ein bißchen verschlafen." „Oh." Toby schien erleichtert. Doch Jazmin fühlte sich noch schlechter, als sie feststellte, daß Toby ihr glaubte. „Kommst du zum Essen?" Sie nickte. „Ja, natürlich. Ich will mich nur schnell waschen, damit ich wach werde." Sie nahm ein frisches T-Shirt und ging ins Bad, wo sie ihr glühendes Gesicht mit kaltem Wasser erfrischte. Dann zog sie ihr Schlaf-Shirt aus und schlüpfte in das kurzärmlige T-Shirt. Sie verzog unzufrieden das Gesicht, als sie in den Spiegel schaute. Seufzend nahm sie die Haarbürste und versuchte, ihre störrischen Locken zu einer Frisur zu bändigen. Dann zog sie eine leichte Baumwollhose an und verließ ihr Zimmer. Toby hatte im Flur auf sie gewartet. „Weißt du, was, Jazz?" begann er aufgeregt, als sie zum Eßzimmer gingen. „Dad und ich haben einen Weihnachtsbaum besorgt. Einen richtigen Baum, den wir nach Weihnachten in den Garten pflanzen können. Heute abend wollen wir ihn schmücken, mit Kerzen und allem. Omi hat die Kugeln und das ganze Zeug herausgesucht. Sie hat gesagt, wir können nach dem Essen damit anfangen. Hilfst du uns?" „Oh ... Nun, ich weiß gar nicht..." wich Jazmin unsicher aus. „Bitte Jazz. Es wird bestimmt lustig", bettelte Toby. „Was wird lustig?" fragte sein Vater, als sie das Eßzimmer betraten. Alle Blicke ruhten nun auf Jazmin und Toby. James McCann saß an der Stirnseite des großen Holztisches, an dem bequem zwölf Personen Platz fanden. Seine Frau und sein Stiefsohn saßen rechts von ihm, seine Schwiegertochter auf der linken Seite. Toby würde sicher neben seinem Vater sitzen, vermutete Jazmin, was bedeutete, daß für sie der Platz neben ihrer Mutter gedeckt war. Direkt gegenüber von Kael. „Ich habe Jazz erzählt, wie lustig es ist, den Weihnachtsbaum zu schmücken." Toby drückte Jazmins Hand. „Du hilfst uns doch dabei, Jazz?" „Ich denke, wir sollten alle helfen", mischte Jazmins Mutter sich ein. „Wenn wir alle mit anfassen, wird der Weihnachtsbaum dieses Jahr perfekt." Toby lief lachend zu seinem Stuhl. „Siehst du, Jazz. Es wird phantastisch." Als Jazmin sich an den Tisch setzte, begegnete sie Kaels Blick. Sofort spürte sie einen Kloß in der Kehle, der ihr fast den Atem abschnürte. Doch sie konnte sich soweit beherrschen, daß sie immerhin an der allgemeinen Unterhaltung teilnahm. Ihr Groß-
vater fragte sie über ihre Arbeit in Sydney aus. Und sie beantwortete seine Fragen, obwohl sie an diesem Tisch eigentlich nur eine Person wahrnahm, Kael. „Jazmin ist zu bescheiden", sagte ihre Mutter stolz. „Sie hat es in dieser kurzen Zeit weit gebracht. Sie ist die persönliche Sekretärin einer der Partner. Mr. Dalton spricht sehr anerkennend von ihr." Jazmin fühlte sich wie ein Kind, das von einer ehrgeizigen Mutter gelobt wird. Als ihr Großvater seine Freude über ihren Erfolg ausdrückte, begegnete Jazmin Kaels Blick. Er setzte schweigend sein Weinglas an die Lippen. Bevor er einen Schluck trank, nickte er ihr zu. Sie schien den Blick einfach nicht von seinen schlanken, kräftigen Fingern, mit denen er das Glas umfaßt hielt, abwenden zu können. Auch ihr Traum spukte noch in ihrem Kopf, so daß sie sich unwillkürlich vorstellte, daß diese Hände sie streichelten und ihren Körper in Flammen setzten. Jazmin wurde rot bei diesen Phantasien. Wie sie das Abendessen überstanden hatte, hätte sie hinterher nicht beschreiben können. Sie wußte nur, daß sie mehr als erleichtert war, als sie schließlich aufstehen und beim Abräumen helfen konnte. Es wurde beschlossen, den Weihnachtsbaum im kleineren Wohnzimmer aufzustellen, wo Jazmin und ihr Großvater am Vormittag miteinander gesprochen hatten. Kael schob einen Sessel beiseite, damit der Baum in die Ecke paßte. Als sie Toby beim Schmücken des Baumes halfen, entspannte sich Jazmin allmählich. Es tat ihr fast leid, als die Zweige schließlich so beladen waren, daß kaum noch eine weitere bunte Kugel Platz hatte. Und Toby war so begeistert, daß man sich einfach mit ihm freuen mußte. Jazmin setzte sich auf den Fußboden, schlang die Arme um die Knie und betrachtete bewundernd die bunten Lichter am Baum, der fast zwei Meter hoch war. Ihre Mutter war gerade zu Bett gegangen, Lorelle und ihr Großvater hatten sich vor einer halben Stunde zurückgezogen. „Sieht er nicht einmalig aus, Jazz?" fragte Toby, während er sich neben sie setzte und sich in kindlicher Unbefangenheit an ihre Schulter lehnte. Man sah ihm an, daß er gegen die Müdigkeit ankämpfte. „Ich glaube, das ist der schönste Weihnachtsbaum, den ich je gesehen habe", stimmte sie zu. „Wir haben unsere Sache gut gemacht. Santa Claus wird diesen Baum auf gar keinen Fall auslassen." „Auf keinen Fall, Jazz." Toby lachte. „Aber ich werde ihn trotzdem morgen noch einmal erinnern, wenn ich ihn mit Großmutter besuche. Und ich werde ihm auch erzählen, daß du hier bist und nicht in Sydney. Oder hast du ihm schon Bescheid gesagt?" fügte er stirnrunzelnd hinzu. In diesem Moment kam Kael ins Wohnzimmer zurück. Er hatte die leeren Kartons für die Dekoration im Flurwandschrank verstaut und setzte sich nun im Schneidersitz neben seinen Sohn. Als er Jazmins Blick auffing, wurde seine Miene ernst. Sie mußte Toby sagen, daß sie noch vor dem Fest wieder nach Hause fuhr. Wenn sie das wirklich vorhatte. „Nein. Nein, ich habe Santa Claus nicht erzählt, wo ich bin", erwiderte sie ausweichend. „Ich wette, er weiß trotzdem, wo du bist. Irgendwie scheint er solche Dinge zu erfahren. Er weiß bestimmt auch, daß Cathy in Kanada ist. Was meinst du, Jazz?" Sie schluckte und blickte zum Weihnachtsbaum hinüber, während sie antwortete. „Sicher weiß er das." „Stell dir vor, als wir in Kanada waren, hat es geschneit", fuhr er fort zu erzählen. „Daddy und ich haben einen Schneemann gebaut." Er grinste seinen Vater an. „Naja, ein richtiger Schneemann war es eigentlich nicht. Es fing nämlich an zu tauen, bevor er fertig war. Aber es hat Spaß gemacht, oder Dad?" Kael lächelte zu Toby hinab. „Spaß gemacht hat es, und kalt war es." Toby kicherte. „Besonders, als der Schnee dir in den Nacken fiel." Er schüttelte sich, als
würde er frieren. „Hast du schon einmal Schnee gesehen, Jazz?" „Nein, leider nicht. Aber es muß sehr schön sein", bemerkte sie, während sie verzweifelt versuchte, das Bild zu vertreiben, das vor ihrem geistigen Augen auftauchte. Toby, wie er mit seinen Eltern im Schnee spielte. Mit Kael und Cathy. „Es sah genauso aus wie auf manchen Weihnachtskarten", erklärte Toby. „Die Bäume und Dächer waren ganz weiß. Aber es war auch irgendwie komisch. Ich denke zu Weihnachten nicht an Schnee. Ich möchte schwimmen gehen, weil es so heiß ist. Und Eis essen." Er blickte zu Jazmin auf. „Ich glaube, das muß für die Leute in den kalten Ländern auch ziemlich komisch klingen." „Ich denke an Fruchtsalat." Jazmin lächelte. „Aber auch an Plumpudding und Brandysauce." Toby zählte weitere Lieblingsspeisen auf. Während er von Schokoladenkeksen und eisgekühlten Wassermelonen schwärmte, schien er nicht zu bemerken, daß Jazmin und sein Vater wenig zur Unterhaltung beitrugen. Plötzlich brach er mitten im Satz ab und lehnte sich schwer gegen Jazmins Schulter. Als sie zu ihm hinabblickte , sah sie, daß der Schlaf ihn schließlich doch übermannt hatte. Kael verzog das Gesicht. „Nun sind seine Batterien doch endlich leer", sagte er leise, während er aufstand. „Ich bringe ihn ins Bett." Er beugte sich hinab, um den Jungen hochzuheben. Plötzlich verspürte Jazmin mitten in der Sommerhitze einen Kälteschauer. Tobys Wärme fehlte ihr. „Ich werde auch schlafen gehen." Als sie aufstehen wollte, hielt Kael sie zurück. „Nein, bitte geh noch nicht. Warte auf mich, Jazz. Ich möchte noch mit dir reden." Jazmin zögerte. Sie sah ihn forschend an. „Bitte. Es dauert nicht lange", fügte er hinzu. Er wartete, bis Jazmin schließlich nickte. „Ich will bei Jazz und dem Baum bleiben", murmelte Toby schlaftrunken. „Das kann ich verstehen", sagte Kael so sanft, daß Jazmin eine Gänsehaut über den Rücken lief. Sie wußte, was sie tun sollte. Sie sollte sofort schlafen gehen und Abstand zu Kael halten. Auf keinen Fall sollte sie sich in eine Situation begeben, wo sie mit ihm allein war. Das war verrückt und konnte nur zu Schwierigkeiten führen. Dennoch gewann jener Teil von ihr, der Kael gehörte und nur ihm allein, die Oberhand und beharrte energisch darauf, daß sie blieb. Auch wenn es gegen den Verstand und jede Logik verstieß. Ganz gleich, was passierte, sie wollte hören, was er ihr zu sagen hatte. Jazmin ließ sich auf die Couch sinken und blickte auf den Weihnachtsbaum, ohne jedoch die bunten Lichter oder die glitzernden Kugeln und liebevoll verpackten Geschenke zu sehen. Mit aller Kraft kämpfte sie gegen die Tränen an, die ihr in die Augen stiegen. Sie schluckte, um den Kloß in ihrer Kehle aufzulösen. Kein Wunder, daß sie sich dagegen gewehrt hatte, hierher zu kommen. Im Unterbewußtsein war ihr längst klar gewesen, was sie jetzt begriff. Sie fühlte sich immer noch zu ihm hingezogen. An ihren Gefühlen für ihn hatte sich in all den Jahren nichts geändert. Als Kael seinen Sohn hochgehoben hatte, damit er den Engel an der Spitze des Baums befestigen konnte, hatte sie einen stechenden Schmerz in der Brust verspürt. Die Hülle aus Eis, die ihr Herz umschlossen hatte, war gesprungen und begann zu schmelzen. Sie wollte um all das weinen, was Kael ihr bedeutet hatte. Wie sehr hatte es geschmerzt, als sie von Cathy und dem Baby erfahren hatte. Es ist Vergangenheit, sagte sie sich wütend. Was machte es für einen Sinn, um etwas zu weinen, das ihr verlorengegangen war? Wütend wischte sie sich eine Träne von der Wange. Würde sie der Vergangenheit denn nie entkommen? Von jener Nacht an, als sie zum ersten Mal miteinander geschlafen hatten, waren sie
unzertrennlich gewesen. Wenn Kael arbeiten mußte oder in der Universität war, hatte Jazmin im Pool ihre Runden gedreht oder einfach nur dagesessen und an ihn gedacht. Damals war ihr das Leben unglaublich einfach erschienen. Sie liebte Kael, und er liebte sie. Und so würde es immer bleiben. Wie sehr sie sich getäuscht hatte. Das qualvolle Ende hatte sich mit der zunehmenden Feindschaft zwischen ihrer Mutter und Lorelle angedeutet. Lorelle hatte sich mit Jazmins jüngerem Bruder Rick nie anfreunden können. Sein jungenhafter Charme hatte seine Wirkung bei Kaels Mutter verfehlt. Wann immer Rick im Hause war, schien es Streit zu geben. Jazmin war so an Ricks Benehmen gewöhnt, daß sie Lorelles wachsendes Mißfallen gar nicht bemerkt hatte. Außerdem war sie so sehr mit Kael beschäftigt gewesen, daß sie ohnehin nicht viel bemerkt hatte. Als Lorelle schließlich vorschlug, Moira, Jazmin und Rick sollten vom Haupthaus ins Torwärter-Cottage ziehen, geriet Moira McCann außer sich. Lorelle wolle nur einen Keil zwischen James und seine Familie treiben, behauptete sie. Lorelle wolle sie schlicht und einfach loswerden. Jazmin kam von ihrem morgendlichen Bad im Pool zurück und platzte mitten in den Streit hinein, den Lorelle und Moira in der Küche austrugen. „Lorelle? Mutter? Was ist passiert?" Beide Frauen drehten sich zu ihr um. „Lorelle ist viel zu streng mit Rick. Der Junge versucht nur, Aufmerksamkeit zu erwecken, weil er seinen Vater vermißt", rief ihre Mutter. „Um Himmels willen", fuhr Lorelle sie an. „Rick ist sechzehn Jahre alt. Er ist kein Baby mehr. Du kümmerst dich zuviel um ihn, auf Kosten deiner Tochter. Vielleicht solltest du dich lieber mehr mit Jazmin beschäftigen." Vor Erstaunen verschlug es Moira die Sprache . Sie blickte Jazmin an, die spürte, daß sie in diesem Moment rot wurde. Wußte Lorelle etwa von ihren nächtlichen Besuchen in Kaels Zimmer? Unmöglich. Sie waren sehr vorsichtig. Wut stieg in ihr auf. „Was willst du damit sagen, Lorelle?" fragte ihre Mutter zornig. Lorelle wandte sich ab. Dann atmete sie tief ein und blickte Jazmins Mutter an. „Sieh mal, ich mache mir eben Sorgen. James arbeitet so hart, daß es mich manchmal ängstigt. Und Kael, nun, auch um ihn mache ich mir Sorgen." Jetzt schaute sie zu Jazmin hinüber, die inzwi schen kreidebleich war. „Und um dich, Jazmin, mache ich mir auch Sorgen", fügte sie mit etwas sanfterer Stimme hinzu. „Du und Kael, ihr verbringt viel Zeit miteinander, und er, nun, er steht kurz vor dem Examen." „Soll das heißen ..." begann Moira McCann, doch sie verstummte, als Jazmin abwehrend die Hand hob. Jazmin blickte Lorelle in die Augen. Was sie dort entdeckte, machte ihr angst. Es konnte unmöglich nur die Sorge um Kaels Examen sein. „Worum geht es wirklich, Lorelle?" fragte sie ruhig. „Es ist doch nicht nur Kaels Examen, habe ich recht?" „Ich glaube, wir beenden das Gespräch lieber. Kael würde es nicht gefallen, wenn ich über, nun, über seine Angelegenheiten diskutiere." Nervös zupfte sie ihre Bluse zurecht. „Ich liebe Kael", sagte Jazmin. „Und ich denke, er liebt mich auch." Ihre Mutter sah sie erstaunt an. „Ihr liebt euch? Aber ihr kennt euch doch kaum." „O Jazmin." Lorelle setzte sich erschöpft an den Tisch. „Vielleicht steht es mir nicht zu, mich einzumischen." Sie seufzte. „Was immer es ist. Du hast es angefangen und solltest es jetzt auch beenden", sagte Jazmin mit einem Selbstvertrauen, das schon bald erschüttert werden sollte. „Vielleicht sprichst du lieber mit Kael", schlug Lorelle vorsichtig vor. „Worüber soll sie mit ihm sprechen?" fragte Moira. Doch weder Lorelle noch Jazmin gingen auf ihre Frage ein.
Eine beunruhigende Stille breitete sich im Raum aus, bis Lorelle sich schließlich zurücklehnte. Offensichtlich hatte sie eine Entscheidung getroffen. „Es tut mir leid, Jazmin. Kael hat sich bereits für eine andere Frau entschieden." „Nein." Jazmin schüttelte den Kopf. „Das ist nicht wahr." Doch noch während sie dies sagte, kamen ihr Zweifel. Sie erinnerte sich an verschiedene Situationen, in denen Kael sehr still geworden war und sich von ihr zu entfernen schien. „Das hätte er mir gesagt", fügte sie verzweifelt hinzu. „Doch, es ist leider wahr. Er hat ein Kind, einen kleinen Jungen. Sie wohnen nicht weit von hier. Es wurde Zeit, daß du das erfährst, Jazmin, bevor du dich zu sehr auf Kael verläßt. Ich liebe meinen Sohn, aber ich sorge mich auch um dich, Jazmi n um deine Zukunft. Ich möchte nicht, daß du leiden mußt." Jazmin schüttelte wieder den Kopf. „Nein. Ich glaube dir nicht", sagte sie energisch, bevor sie die Küche verließ und in ihr Zimmer lief. Sie verriegelte die Tür hinter sich. Es war nicht wahr, nein, es durfte nicht wahr sein. Sie war wie von Sinnen. Aber wenn es nun doch stimmte ... Ihre Mutter klopfte an der Tür und rief nach ihr. Aber Jazmin sagte ihr, daß sie allein sein wollte. Nach einer Weile gab ihre Mutter es auf und ging wieder. Jazmin durchquerte unzählige Male ihr Zimmer und ließ sich schließlich auf die Bettkante sinken. Erst das Geräusch von Kaels Wagen in der Auffahrt rieß sie aus ihrem Schock. Es erschien ihr wie eine Ewigkeit, bis sie seine Schritte auf dem Flur vernahm. Seine Mutter hatte womöglich in der Zwischenzeit mit ihm gesprochen und ihn gewarnt. „Jazz. Mach auf." Als sie zur Tür hinüberschaute, fiel ihr Blick auf den Wandspiegel. Sie sah ihr kreidebleiches Gesicht, ihre blutleeren Lippen. Jazmin fühlte sich wie gefesselt. Sie konnte nicht aufstehen und zur Tür gehen. Ausgeschlossen. Ein Teil von ihr wollte Kael nicht begegnen oder die Wahrheit von ihm hören. „Jazz, bitte. Mach die Tür auf. Laß mich alles erklären." Die Worte trafen sie wie ein Messerstich ins Herz. Erklären. Dieses eine Wort löste sich von den anderen. Erklärung. Wofür? Nur für ein Vergehen gab man Erklärungen ab. Es war doch bestimmt nicht wahr ... Wie in Trance ging sie zur Tür und drehte den Schlüssel herum. Kael öffnete die Tür, blieb aber im Flur stehen. Als sich ihre Blicke begegneten, wußte Jazmin, daß Lorelle sie nicht belogen hatte. In seinen Augen las sie das Schuldbekenntnis, das mehr als Worte sagte. „Es ist wahr, habe ich recht? Was deine Mutter mir gesagt hat, ist wahr", fragte sie ohne Umschweife und ohne Emotionen in der Stimme. Am liebsten hätte sie sich zu einer Kugel zusammengerollt und die Welt um sie herum einfach ausgeschaltet. „Sie hatte kein Recht..." Kael hielt inne und seufzte. Er strich sich mit der Hand durchs Haar. „Jazz, ich wollte es dir sagen. Wie oft habe ich versucht, die richtigen Worte zu finden, von Anfang an..." Er schüttelte den Kopf. „Aber irgendwie konnte ich nicht." In ihren Schmerz mischte sich jetzt Wut, so daß ihre Augen zu funkeln begannen. „Versucht, die richtigen Worte zu finden?" rief sie zynisch. „Was war denn daran so schwierig, schlicht und einfach die Wahrheit zu sagen? Ich habe eine Frau und ein Kind. Das ist eine unmißverständliche Äußerung. Ich hätte die Bedeutung schon begriffen." „Jazz, es ist nicht so, wie du denkst", begann er, doch Jazmin schnitt ihm das Wort ab. „So naiv bin ich nicht, Kael. Ich habe sehr gut verstanden. Ich wüßte auch nicht, was man daran mißverstehen könnte." „Die wenigsten Dinge sind so, wie sie auf den ersten Blick scheinen. Nichts ist nur schwarz oder nur weiß." „Soll das heißen, du hast keine Frau und kein Kind?"
„Doch, ich habe einen Sohn, aber ..." „Dann warst du auch nicht frei, als du mit mir geschlafen hast?" fragte Jazmin. Er hielt sich am Türrahmen fest, als müßte er sich stützen. „Ich war nicht frei, Jazz", gestand er, ohne sie anzuschauen. „Ich glaube, dann haben wir uns auch nichts mehr zu sagen. Außer Lebewohl. Ich nehme den nächsten Flug nach Sydney." „Ich möchte nicht, daß du abreist." „Und ich möchte nicht bleiben", gab sie kalt zurück. „Laß mich jetzt allein, Kael. Ich muß packen." „Jazz?" „Ich will dich nie wiedersehen." Mit diesen Worten schloß sie die Tür und drehte den Schlüssel herum. Erst jetzt ließ sie ihren Tränen freien Lauf. Sie flossen in Strömen über ihre Wangen und durchnäßten ihr T-Shirt. Fünf Jahre später, nach unzähligen durchweinten Nächten, rieb Jazmin sich wieder die tränenerfüllten Augen. Sie hatte Kael nie wiedersehen wollen. Fünf Jahre lang hatte sie sich das immer wieder eingeredet. Und nun hatte sie ihn gesehen. Deswegen war sie nach Throckley gekommen. Tief in ihrem Innern hatte sie den Wunsch verspürt, ihn wiederzusehen. Aus welchen Gründen auch immer. Ihr Denken und Handeln war von diesem Wunsch erfüllt. Daran konnte auch die Tatsache nichts ändern, daß Kael nicht frei war. Sie liebte ihn immer noch so wie vor fünf Jahren. Jazmin putzte sich die Nase und richtete sich auf. Sie mußte wieder abreisen. Das hatte sie schon einmal getan. Warum sollte sie es heute nicht schaffen? Sie konnte einfach nicht blieben. Niemals würde sie irgend etwas tun, was Kael und Tobys Mutter auseinander brachte. Als sie Kaels Schritte auf dem Parkett hörte, vertrieb sie hastig ihre Gedanken und Gefühle. Bewußt vermied sie es, ihn anzuschauen, als er hereinkam. Kael setzte sich schweigend neben sie auf die Couch. Er berührte sie zwar nicht, aber er saß viel zu dicht neben ihr. Seine Nähe spürte sie so intensiv, daß sie aufs neue wehmütig an all das dachte, was sie verloren hatte. Das belastende Schweigen zog sich eine Weile hin, bis Kael seufzte und schließlich ihre Hand ergriff. „Danke, daß du beim Dekorieren geholfen hast", sagte er. „Die Sache hat Toby viel Spaß gemacht. Er war schon am Nachmittag ganz aufgeregt." „Mir hat es auch Spaß gemacht", erwiderte sie knapp, während sie ihre Hand wegzog. „Letztes Jahr hatten wir nur einen kleinen Baum", fuhr Kael fort, ohne auf ihre abweisende Reaktion einzugehen. „Meine Mutter und James waren in New York, deswegen konnten wir Weihnachten nicht zusammen sein. Aber das ist doch gerade der Sinn des Weihnachtsfestes. Daß die Familien zusammen sind, oder?" Jazmin schaute ihn nun doch an. Er hatte sich zu ihr gewandt und beobachtete sie. Sein Blick blieb auf ihren Lippen haften. Sofort funkelten seine Augen genießerisch, als hätte er ihre Lippen tatsächlich berührt. Als er dann auf ihren Hals und schließlich auf ihren V-Ausschnitt hinabblickte, beschleunigte sich ihr Pulsschlag. Um ihre Reaktion zu verbergen, legte sie die Hand auf ihren Hals . Dann streckte er den Arm auf der Rückenlehne des Sofas aus und ließ ihre weichen Locken durch seine Finger gleiten. Jazmin hielt den Atem an. Sie war sicher, daß sie nie wieder einen weiteren Atemzug tun konnte. „Jazz", sagte er heiser. „Ich möchte mit dir über das, was vor fünf Jahren geschehen ist, reden. Aber ich kann nichts dagegen tun. Unentwegt denke ich nur daran, wie wundervoll es war, wenn wir uns geküßt haben, wie herrlich es war, dich in den Armen zu halten, und wie sehr ich mich danach sehne, das alles noch einmal zu tun,"
Sie spürte seinen warmen Atem auf ihrer Wange, bevor er flüchtig ihre erhitzte Haut mit den Lippen berührte. Jazmin konnte sich nicht rühren. Sie saß reglos da, während auch sie von der Erinnerung überwältigt wurde. Schließlich umfaßte er sanft ihr Kinn und drehte ihr Gesicht zu sich. Als sie ihn nun ansah, wurde ihr fast schwindelig vor Verlangen. Sie schloß einen Moment lang die Augen. Jazmin wußte, daß sie ihn zurückweisen sollte, daß sie aufstehen und ihn verlassen sollte, aber seine dunklen Augen und sein begehrender Blick zogen sie in einen Bann, dem sie nichts entgegensetzen konnte. „Jazmin." Zärtlich und voller Verlangen flüsterte er ihren Namen. Sein Mund war nur noch Zentimeter von ihrem entfernt. Und dann küßte er sie. Diese Berührung entfachte eine unbeschreibliche Sehnsucht in Jazmin. Willenlos schmiegte sie sich an ihn. „Es gab nicht einen einzigen Tag in diesen fünf Jahren, an dem ich nicht an dich gedacht habe", flüsterte er, während er sie in die Arme nahm. Jazmin konnte ihre Gefühle nicht zurückhalten. Die Liebe, die sie so sorgsam verdrängt hatte, bahnte sich nun ihren Weg zu ihm. Unwillkürlich stöhnte sie, als er sie lange und leidenschaftlich küßte. Ihr eigenes erregtes Stöhnen brachte sie ein Stück in die Wi rklichkeit zurück. Sie löste sich ein wenig von ihm, drängte ihn halbherzig von sich weg, so daß er schließlich den Kopf hob. Als Jazmin seinen heftigen Herzschlag unter ihren Händen spürte, zog sie schnell die Hände weg, als hätte sie sich verbrannt. Dann preßte sie die Augen zusammen, um so die Realität aus ihren Sinnen zu verbannen. Wieso hatte sie das geschehen lassen? „Jazz, bitte nicht. Schick mich nicht weg. Wir haben uns beide nach diesem Augenblick gesehnt. Das kannst du nicht leugnen. Wir sind die zwei Hälften von einem Ganzen." Jazmin öffnete die Augen und schüttelte den Kopf. Es fiel ihr nicht leicht, vom Sofa aufzustehen, aber es gelang ihr, obwohl sie fürchtete, ihre Beine würden sie nicht tragen. „Jazz." Kael war aufgestanden. Wieder streckte er die Hand nach ihr aus, aber Jazmin wich vor ihm zurück. „Wir fühlen uns körperlich zueinander hingezogen, Kael. Das war von Anfang an so, und ich kann es nicht leugnen", fügte sie hinzu. „Aber dadurch wird es nicht richtiger. Es ist ein rein animalischer Instinkt..." Wütend trat Kael einen Schritt auf sie zu und ergriff ihren Arm. „Sag so etwas nicht. Du glaubst es doch selbst nicht." „Was immer uns miteinander verbindet, Kael", sagte sie gefaßt, „wir müssen uns davon loslösen. Bitte, laß mich jetzt gehe n." „Das meinst du nicht im Ernst", sagte er langsam. Jazmin wußte, daß er die Wahrheit aussprach. Dennoch hielt sie an ihrem Entschluß fest. „Ich glaube schon, daß ich es ernst meine. Seit fünf Jahren denke ich so über unsere Beziehung. Sicher hattest du für mein Leben eine Bedeutung. Gerade am Anfang. Ich dachte, ich würde sterben ohne dich. Aber ich bin nicht gestorben. Ich habe mir bewiesen, daß ich dich nicht so brauche, wie ich geglaubt habe. Ich brauche nur mich selbst." „Und außerdem", fuhr sie nach einer kurzen Pause fort, „wollte ich mich damals nicht zwischen dich und deine Frau stellen, und ich will es auch heute nicht. Ich kann mein eigenes Glück nicht auf Kosten anderer durchsetzen. Du kannst es auch nicht. Besonders nicht, weil einer der Beteiligten ein unschuldiger siebenjähriger Junge ist." „Glaubst du, das weiß ich nicht?" Seine Stimme war unheimlich ruhig. „Was meinst du, warum ich dich vor fünf Jahren habe gehen lassen?" Jazmins Entschluß geriet ins Wanken, als sie die Qual in seinem Gesicht las. „Du hast mich nicht gehen lassen, Kael. Ich bin gegangen."
„Ohne mir die Chance zu geben, die Situation zu erklären", warf er ihr vor. „An diesem Punkt waren wir schon einmal angekommen, und ich will immer noch nicht darüber diskutieren", rief sie über die Schulter, bevor sie mit festen Schritten zur Tür ging. „Catherine und ich sind nie verheiratet gewesen", erklärte Kael geradeheraus. „Wir waren vor fünf Jahren nicht verheiratet, und wir sind es heute nicht. Es gibt auch für die Zukunft keine derartigen Pläne."
7. KAPITEL Jazmins Schritte wurden langsamer. Schließlich blieb sie stehen und drehte sich zu ihm um. „Das ist die Wahrheit, Jazz. Ich liebe sie nicht, und ich habe sie nie geliebt. Cath und ich waren befreundet, nicht mehr und nicht weniger. Toby ist praktisch das Ergebnis eines Riesenfehlers, den wir beide begangen haben. Ich kann mir heute ein Leben ohne Toby nicht mehr vorstellen. Ich liebe ihn sehr, aber ..." Kael zuckte die Achseln, als er erschöpft zu Jazmin hinüberblickte. „Ich habe mich in dich verliebt, Jazz. Vom ersten Augenblick an. Und ich liebe dich immer noch." Während sie sich nun schweigend in die Augen schauten, wirkte Jazmin äußerlich völlig ruhig, fast wie gelähmt. Aber in ihrer Brust schlug ihr Herz immer lauter und schneller, bis sie das Gefühl hatte, es müsse zerspringen. Trotzdem konnte sie diesen einen kleinen Schritt nicht auf ihn zugehen. Ängstlich rief sie sich alle negativen Sze nen aus der Vergangenheit und Gegenwart in Erinnerung. Sie stand einfach nur da und schaute ihn an, voller schmerzlicher Unentschiedenheit. „Jazmin", hörte sie plötzlich die erstaunte Stimme ihrer Mutter. „Ich dachte, du wärst schon schlafen gegangen." Moira McCann blickte nun an ihrer Tochter vorbei und entdeckte Kael. Sie machte keinen Hehl aus ihrem Erstaunen. „Ich wollte nur nachsehen, ob das Licht draußen brennt... damit Rick sich zurechtfindet, wenn er nach Hause kommt." Kael schien sich als erster wieder unter Kontrolle zu haben. „Ich schaue für dich nach, Moira", sagte er emotionslos. „Ich war ohnehin auf dem Weg nach draußen." Mit diesen Worten drehte er sich um und verließ das Zimmer durch die gegenüberliegende Tür. „Jazmin?" Moira legte die Hand auf Jazmins Schulter. „Du siehst blaß aus. Ist alles in Ordnung?" „Ja." Sie strich sich das Haar aus der Stirn. „Ich habe mich noch mit Kael unterhalten und wollte jetzt gerade Schlafengehen." Auf dem Weg zu den Schlafzimmern ging ihre Mutter schweigend neben ihr her. Nach einem freundlichen gute Nacht verschwand Jazmin eilig in ihrem Zimmer und schloß die Tür hinter sich. Als sie hörte, daß Kael mit dem Wagen wegfuhr, ging sie ins Bad, entkleidete sich und stellte sich unter die heiße Dusche. Nach der üblichen Routine verließ sie schließlich das Bad, ohne sich irgendwelche Sorgen zu machen. Doch als sie in ihr Nachthemd geschlüpft war und endlich im Bett lag, war an Schlaf plötzlich nicht mehr zu denken. Die verschiedenen Gespräche gingen ihr durch den Kopf, angefangen von der verheerenden Unterhaltung mit Lorelle bis hin zu dem letzten Gespräch mit Kael vor ihrer Trennung. Und nun seine Enthüllungen. Durfte sie Hoffnung schöpfen? Sie wagte es nicht, diesen Gedanken auszuspinnen. Es war zu verlockend, zu phantastisch, es sich auch nur vorzustellen. Aber er hat gesagt, daß er mich liebt, rief sie sich in Erinnerung. Trotzdem hatte er doch Tobys Mutter gegenüber immer noch Verpflichtungen. Sie malte sich alle möglichen Versionen aus, bis sie schließlich in einen unruhigen Schlaf fiel. Sie wußte, daß Kael in dieser Nacht nicht in sein Zimmer zurückgekehrt war. Obwohl es heiß und schwül war, und die Luft nach wochenlanger Trockenheit nun nach Regen roch, schlief Jazmin länger als gewöhnlich. Sie erwachte mit Kopfschmerzen und völlig zerschlagen. Schlaftrunken ging sie ins Bad, wo sie lange in den Spiegel schaute. Ihre Wangen waren blaß, ihre Augen wiesen graue Ränder auf. Es nützt nichts, wenn ich mich in diesem Zimmer verkrieche, sagte sie sich ein wenig aufgebracht. Also wusch sie sich das Gesicht und putzte sich die Zähne. Ihre Gefühle schwankten zwischen froher Erwartung und Furcht hin und her, als sie in ihre weißen Shorts und ein trägerloses gelbes Top schlüpfte, das ihre Schultern
entblößte. Als sie in die Küche kam, stellte sie schnell fest, daß die anderen längst gefrühstückt hatten. Alle Teller waren abgeräumt. Während sie auf ihren Toast wartete, füllte sie eine Schale mit Fruchtsalat aus frischen Mangos, Passionsfrucht und Orangensaft. Sie war gerade mit dem Frühstück fertig und spülte die Teller ab, als Lorelle, offensichtlich sehr aufgeregt, in die Küche stürzte. „Gott sei Dank, daß du hier bist, Jazmin." Bei dieser Begrüßung zuckte Jazmin zusammen. War ihrem Großvater etwas zugestoßen? „Geht es Großvater gut?" fragte sie besorgt. „Ich wollte dir keinen Schrecken einjagen, Jazmin", sagte Lorelle nun etwas entspannter. „Es geht ihm gut. Ich ärgere mich nur über mich selbst. Ich habe Toby nämlich versprochen, heute mit ihm ins Einkaufszentrum zu gehen und Santa Claus zu besuchen. Dabei habe ich komplett vergessen, daß James heute vormittag einen Termin bei seinem Anwalt hat. Ich muß ihn in die Stadt bringen und wo llte dich eigentlich fragen, ob du vielleicht Lust hast, mit Toby ins Einkaufszentrum zu fahren." „Nun", begann Jazmin unsicher, während sie sich fragte, wie Toby wohl auf die geänderten Pläne reagieren würde. „Mußt du nicht vielleicht auch noch ein paar Weihnachtsgeschenke besorgen?" fragte Lorelle hoffnungsvoll. „Ich könnte noch ein paar Dinge erledigen", räumte Jazmin ein. „Aber ich weiß nicht recht. Ich meine, ist Toby denn nicht e nttäuscht, wenn ich für dich einspringe?" „Er geht bestimmt gern mit dir, Jazmin. Ich bin doch nur seine alte Großmutter. Mit mir kann er jederzeit losgehen." Sie lächelte. Dann wurde sie wieder ernst. „Aber ich möchte schon gern erfahren, was er sich von Santa Claus wünscht. Ich kann mich beim besten Willen nicht zwischen einem Kricketschläger und einem Fußball entscheiden." Sie hielt inne. „Toby mag dich sehr gern." „Ich mag ihn auch", entgegnete Jazmin ehrlich. „Er ist seinem Vater so ähnlich", fuhr Lorelle fort. „Als ich ihn zum ersten Mal gesehen habe, dachte ich, ich hätte Kael als Baby vor mir. Ich war wirklich erstaunt, wie wichtig mir dieser kleine Kerl war." Sie lächelte zaghaft. „Großmutter zu werden, ist überwältigender, als ich es mir vorgestellt hatte. Was natürlich mein Verhalten dir gegenüber vor fünf Jahren nicht entschuldigt." Jazmin hielt sich am Tresen fest, während sie die Szene mit Lorelle, die sich in dieser Küche abgespielt hatte, noch einmal vor sich sah. „Jazmin, laß uns diese paar Minuten, die wir allein sind, nutzen, um miteinander zu reden." „Wo sind denn die anderen?" fragte Jazmin, die nicht davon überzeugt war, daß sie noch weitere Aussprachen verkraften konnte. Nach dem Gespräch mit Kael gestern abend waren ihre Nerven bereits zum Zerreißen gespannt. „Nun, Kael ist im Büro", sagte Lorelle. „Toby ist bei deinem Großvater, und deine Mutter ist mit Rick irgendwohin gegangen. Wir sind also ungestört. Wollen wir uns setzen? Ich möchte ein oder zwei Dinge ins rechte Licht rücken." Jazmin nickte zögernd. Daraufhin setzten sich die beiden Frauen an den alten Küchentisch. Lorelle seufzte und schüttelte den Kopf. „Ich weiß einfach nicht, wo ich anfangen soll." „Du mußt eigentlich gar nichts sagen, Lorelle", half ihr Jazmin. „Doch. Ich muß etwas sagen. Gerade dir muß ich es sagen. Vor fünf Jahren ... nun, es war für uns alle keine besonders gute Zeit. Wir hatten alle unsere eigenen Probleme, die uns gefangengenommen haben. Ich weiß, daß es für dich und für Kael eine besonders schlechte Zeit war. Daran ließ sich nichts ändern. Die Weichen waren schon gestellt, bevor du nach Brisbane gekommen bist." Sie seufzte. „Weißt du, als deine Mutter hier mit Rick ankam, ging es deinem Groß-
vater nicht sehr gut. Er wollte aber nicht zum Arzt gehen, und er wollte auch nicht, daß ich dir erzähle, wie schlecht es ihm ging. Ich mußte ihm versprechen, dir nichts davon zu erzählen. Ich liebe ihn und ich habe mir damals große Sorgen um ihn gemacht." „Heißt das, daß er schon vor fünf Jahren einen Herzanfall hatte?" fragte Jazmin. Lorelle schüttelte den Kopf. „Nein, aber ich bin sicher, daß die damaligen Probleme noch heute ihre Auswirkungen auf seine Gesundheit haben. Er hat so intensiv an diesem Projekt gearbeitet. Er wollte es einfach nicht fallenlassen. Kael und ich haben nach Kräften auf ihn eingeredet, aber aus unerfindlichen Gründen mußte er eben gerade diesen einen schwierigen Job zu Ende bringen. Und dann kam noch dazu, daß ich nie die richtigen Worte gefunden haben, wenn ich mit deiner Mutter gesprochen habe. Ich dachte, es wäre das beste, wenn wir ein wenig Distanz zueinander hätten. Deswegen habe ich vorgeschlagen, daß ihr ins Cottage zieht. Das sollte nicht heißen, daß ich euch loswerden wollte, aber im nachhinein kann ich mir natürlich vorstellen, daß es so gewirkt hat." Lorelle rieb sich die Stirn. „Auch um Kael habe ich mir damals Sorgen gemacht. Er ist mein Sohn, und ich liebe ihn. Aber er war eben auch schon erwachsen. Also wußte ich nicht, wie weit ich mich einmischen durfte. Ich habe ja schnell gesehen, daß er mit Cathy nicht glücklich werden würde. Aber gleichzeitig wußte ich, daß er sich niemals vor seiner Verantwortung drücken würde. Und dann warst du da. Als seine Mutter habe ich gewußt, wie sehr er dich liebt." Jazmin wurde rot. „Ich habe ihn auch geliebt, Lorelle", sagte sie schlicht, während sie sich eine Träne von der Wange wischte. Lorelle reichte ihr ein Taschentuch. „Catherine war nie seine Ehefrau", sagte Lorelle mit zitternder Stimme. Jazmin blickte sie unsicher an. „Das weiß ich inzwischen. Aber warum ..." „Warum habe ich so geredet, daß du das glauben mußtest?" Lorelle lachte verbittert. „Ich habe dich in dem Glauben gelassen, Kael sei mit ihr verheiratet, weil ich gefürchtet habe, ich würde mein Enkelkind verlieren, wenn Kael sich von Catherine trennen würde. Ich liebe Toby doch so sehr. Ich dachte, ich würde ihn verlieren, wenn Cathy fortging. Verstehst du das, Jazmin?" Für einen kurzen Augenblick flammte Wut in ihr auf, doch dieses Gefühl verschwand schnell wieder. Wenn sie ehrlich war, so mußte sie zugeben, daß sie damals schon die Wahrheit hätte erkennen können, wenn sie es nur gewollt hätte. Einmal hatte sie Kael und seine Mutter unabsichtlich belauscht. Lorelle hatte ihm gesagt, daß er sein Leben in Ordnung bringen mußte. Daß er sich niemandem gegenüber fair verhielt. Jazmin nickte zögernd. „Kael liebt dich immer noch", fuhr Lorelle fort. „Gib ihm noch eine Chance." „Es ist womöglich zu spät. Keiner von uns ist mehr so, wie er vor fünf Jahren war. Ich bin mir nicht sicher, ob ich die ganze Sache noch einmal aufleben lassen kann." Aber hatte sie die Kraft, ihn noch einmal gehen zu lassen? Lorelle drückte ihre Hand. „Wenn du Kael so sehr liebst, wie ich es vermute, dann wirst du auch das Richtige tun. Da bin ich ganz sicher." Toby suchte sich gerade diesen Moment aus, um in die Küche zu stürmen. „Gehen wir bald los, Großmutter?" fragte er aufgeregt mit glühendem Gesicht. Er trug Shorts und ein helles T-Shirt. Jemand hatte versucht, sein störrisches Haar zu bändigen. „Was würdest du dazu sagen, wenn Jazmin mit dir ins Einkaufszentrum geht?" fragte seine Großmutter. Toby grinste. „Das wäre phantastisch. Gehst du mit mir einkaufen, Jazmin?" „Sieht aus, als hätten wir keine andere Wahl", sagte sie gut gelaunt. Toby ergriff ihre Hand. „Gehen wir gleich los? Wir wollen Santa Claus doch nicht verpassen. Ich habe ihm eine
Menge zu sagen." Lorelle lächelte Jazmin zu, während sie ihr die Wagenschlüssel reichte. „Hier, du kannst Kaels Jaguar nehmen. Er ist heute mit dem Jeep unterwegs, weil er einige Baustellen besichtigen wollte." Toby ergriff begeistert Jazmins Hand und zog sie mit sich aus der Küche, so daß ihr keine Gelegenheit blieb, noch weitere Einwände zu erheben. Den ganzen Weg bis zum Einkaufszentrum unterhielt er sie mit netten, kleinen Geschichten. Natürlich waren die Läden weihnachtlich dekoriert, und durch das gesamte Einkaufszentrum hallten fröhliche Weihnachtslieder. Toby wußte genau, wo Santa Claus sein Quartier aufgeschlagen hatte. Auf einem kleinen, hübsch geschmückten Podium, das auf dem zentralen Platz aufgebaut war. Dort saß er ganz in der Nähe seines Schlittens, der von sechs großen Känguruhs statt der traditionellen Rentiere gezogen wurde. Koalas und Opossums mit Weihnachtshüten auf dem Kopf grinsten von den Bäumen. Schließlich entdeckte Jazmin ein Wombat, das den Kopf aus seinem Bau streckte. Sie stellte sich mit Toby in die Schlange, wo all die anderen Frauen mit ihren Sprößlingen standen. Als er schließlich an der Reihe war, erzählte er Santa Claus seine Wünsche. Seine Wangen glühten vor Aufregung, als er am Schluß für das Erinnerungsfoto in die Kamera lächelte. Danach ging Jazmin mit ihm zum Lunch, das aus seinem Lieblingshamburger und Chips bestand. Anschließend wollte sie ein paar Geschenke einkaufen. „Was schenkst du denn Dad, Jazz?" fragte Toby. Sein Vater stellte offensichtlich den Mittelpunkt seines Lebens dar. „Ich habe mir noch nichts überlegt", erwiderte Jazmin. „Vielleicht hast du eine Idee." Toby dachte einen Moment nach. „Großmutter schenkt ihm Hemden. Er braucht wohl neue", erklärte er ernst. „Ich durfte ihr beim Aussuchen helfen. Von mir bekommt er die passenden Krawatten zu den Hemden." Toby runzelte nachdenklich die Stirn. „Er liest viel." Ja, Kael hat gern gelesen, überlegte Jazmin, Abenteuerromane, Spionagekrimis, Fantasy-Geschichten. „Vielleicht schenke ich ihm einen Gutschein, dann kann er sich einige Bücher selbst aussuchen." Toby nickte. Inzwischen war es Zeit, die Fotos von Santa Claus abzuholen. Jazmin schlug vor, einen Rahmen für das Foto zu kaufen. So könnte Toby es seinem Vater schenken. Diese Idee fand der Junge großartig. Nachdem sie alle Besorgungen erledigt hatten, gingen sie zum Wagen zurück. Auf der Fahrt saßen sie eine Weile schweigend nebeneinander. Toby lutschte den Lutscher, den er von Santa Claus bekommen hatte. „Jazz?" „Ja?" Jazmin bog in die Newmarket Road ein. „Wenn man Geburtstag hat, dann darf man sich doch etwas wünschen. Man muß dabei die Kerzen auspusten und darf es aber niemandem verraten, weil der Wunsch sonst nicht in Erfüllung geht. Ist das eigentlich genauso mit den Wünschen, die man Santa Claus erzählt hat? Ich meine, wird der Wunsch nicht erfüllt, wenn ich dir jetzt davon erzähle?" Jazmin fiel ein, daß Lorelle sie gebeten hatte, herauszufinden, was Toby sich zu Weihnachten wünschte. Sie unterdrückte ein Lächeln. „Ich glaube, diese Regeln gelten nicht für die Weihnachtswünsche. Du kannst es mir ruhig erzählen. Was hast du dir gewünscht?" fragte sie. Natürlich glaubte sie, er würde sagen, einen Truck oder ein Kricket-Spiel. „Ich habe mir gewünscht, daß mein Vater immer glücklich ist, und nicht nur dann, wenn er glaubt, daß ich zuschaue." Jazmin war zutiefst gerührt. „Ich bin sicher, dein Vater ist glücklich, Toby", begann sie verunsichert. Im Grunde wußte sie nicht, wie sie auf Tobys Äußerung reagieren sollte.
„Meistens ist er glücklich. Aber ich glaube wirklich, daß er eine richtige Mutter braucht." „Er hat doch eine Mutter. Lorelle, deine Großmutter." „Nein. Ich meine eine andere Mutter. Eine Mutter für mich. Du weißt schon, eine Frau eben. Die ihn in die Arme nimmt und so." Jazmin war sprachlos. „Wenn ich drüben bei Jake bin ..." Er nahm seinen Lutscher aus dem Mund und drehte sich zu Jazmin um. „Jake ist mein bester Freund. Er wohnt ganz in der Nähe, und wir fahren zusammen zur Schule. Wenn ich bei Jake bin ..., naja, seine Mutter und sein Vater drücken und küssen sich die ganze Zeit." Er zuckte die Achseln. „Sie lachen auch die ganze Zeit. Sie sind bestimmt richtig glücklich. Und ich will, daß Dad genauso glücklich ist wie sie."
8. KAPITEL Jazmin lenkte den Wagen durch die schmale, steile Auffahrt. „Ich glaube, du brauchst dir um deinen Vater keine Sorgen zu machen, Toby", sagte sie sanft, als sie vor der Garage anhielt und per Fernbedienung das Tor öffnete. Toby löste seinen Sicherheitsgurt, als sie den Motor abgeschaltet hatte. „Aber er würde es schön finden, wenn wir eine richtige Familie wären, Jazz." Eine eiskalte Hand schien Jazmins Herz zu umklammern. Sie ging zum Kofferraum, um ihre Pakete herauszunehmen. „Vielleicht, wenn deine Mutter zurückkommt..." begann sie. Toby blickte sie erstaunt an. „Cathy? Nein, doch nicht mit Cathy. Ich weiß, sie ist meine Mutter und sie liebt mich, aber Dad und Cathy lieben sich nun mal nicht, verstehst du?" Er zuckte die Achseln. „Dad hat das alles genau erklärt. Schon vor langer Zeit. Wie Mütter und Väter sich eben ganz besonders lieben müssen. Und das wünsche ich mir für meinen Vater." „Es wäre ganz bestimmt ein besonders nettes Weihnachtsgeschenk", stimmte Jazmin zu, die Toby am liebsten in die Arme geschlossen hätte, um ihn nie wieder loszulassen. Statt dessen ging sie neben ihm her zum Haus hinüber. Sie hatte kaum ihre Pakete im Flur abgestellt, als sie draußen eine Wagentür klappen hörten. Toby rannte zum Fenster und schaute hinaus. „Es ist Dads Jeep", sagte er aufgeregt. Jazmins Puls schlag beschleunigte sich. „Aber Dad sitzt nicht hinterm Steuer", fügte Toby hinzu. Sein Lächeln wurde von Enttäuschung abgelöst, ebenso wie Jazmins. Sie lief nach draußen, gefolgt von Toby. Ein stämmiger Mann im Arbeitsanzug kam die Treppen herauf und nahm seine zerbeulte Mütze ab. „Mrs. Craigen?" fragte er unsicher. Jazmin schüttelte den Kopf. „Nein. Ich bin eine ..." Sie überlegte einen Moment. „Ich bin eine Freundin", beendete sie den Satz hastig. Eine ehemalige Geliebte wäre sicher eine unpassende Bemerkung gewesen, dachte sie zynisch. „Was kann ich für Sie tun?" „Wo ist mein' Vater?" fragte Toby. Der Mann blickte ihn lächelnd an. „Nun, junger Mann, du bist bestimmt Toby. Habe ich recht?" Toby nickte. „Ich sehe genauso aus wie mein Vater." „Das stimmt." „Ist irgend etwas mit Kael passiert?" fragte Jazmin nun verunsichert. Im Unterbewußtsein nahm sie wahr, daß Toby ihre Hand ergriffen hatte. „Nein, eigentlich nicht." Der Mann fuhr sich mit der Hand durch das ze rzauste Haar. „Kael hat mich gebeten, den Wagen hierher zu bringen. Wissen Sie, er hatte einen kleinen Unfall. Nichts Schlimmes", beeilte er sich zu sagen, als er sah, wie Jazmin zusammenzuckte. „Ist er verletzt?" fragte Jazmin mit erstickter Stimme. Im selben Moment umklammerte Toby ihre Hand fester. „Was ist passiert?" „Es geht ihm gut. Er ist gestürzt und hat sich geschnitten. Mit ein oder zwei Stichen ist die Sache erledigt", sagte der Mann beruhigend. Es konnte nichts Ernsthaftes passiert sein, versuchte Jazmin sich zu versichern, sonst wäre der Mann bestimmt viel aufgeregter. Oder er verharmloste die Sache, weil Toby zuhörte. „In welches Krankenhaus hat man ihn gebracht?" fragte sie so harmlos wie möglich, um Toby nicht noch mehr zu verunsichern. „Wir besuchen ihn dort." „Das ist nicht nötig, Miss. Er wird gleich hier sein. Pete hat den Boß zum Arzt gefahren und bringt ihn hinterher nach Hause. Ich fahre dann mit Pete zurück. Soll ich den Jeep in den Carport stellen?" „Oh, ja, vielen Dank. Sind Sie sicher, daß ihm nichts Ernsthaftes passiert ist?"
„Absolut. Nur sein Temperament ist mit ihm durchgegangen." Der Mann grinste. „Er hat die ganze Zeit geflucht. Wenn ich darüber nachdenke ... ich habe den Boß auch noch nie so ungeschickt erlebt. Es war, als würde er über seinen eigenen Schatten stolpern." Er schüttelte noch den Kopf, als er wieder in den Wagen einstieg. „Muß Dad ins Krankenhaus?" fragte Toby mit dünner Stimme. Jazmin hockte sich neben ihn hin. „Ich glaube nicht. Der Mann hat gesagt, daß er bald nach Hause kommt." Toby schlang die Arme um ihren Hals. „Wenn er nun doch ins Krankenhaus muß, weiß Santa Claus dann, wo er ihn findet?" Bevor Jazmin etwas erwidern konnte, sahen sie ein Baustellenfahrzeug den Weg zum Haus herauf fahren. Es hielt vor dem Haus. Zwei Männer stiegen aus. Sofort rannte Toby die Stufen hinunter. „Dad! Dad! Was ist passiert?" Jazmin folgte dem Jungen mit zitternden Knien. Am liebsten wäre auch sie auf Kael zugelaufen und hätte sich ihm in die Arme geworfen, so wie Toby es tat. Kael hob den Jungen mit seinem gesunden Arm hoch und zeigte ihm seine saubere, weiße Bandage. „Nur ein kleiner Schnitt. Das ist alles. Es ist nichts weiter passiert." „Wir fahren dann zurück auf die Baustelle, Boß", sagte der Mann, der den Jeep gebracht hatte. Kael drehte sich zu den beiden Männern um. „Okay. Vielen Dank, Dave, Pete. Wir sehen uns morgen." „Nehmen Sie sich einen Tag frei." Pete grinste. „Wir sind großzügig mit unserem Boß." Die beiden lachten und winkten, bevor sie davonfuhren. „Wie viele Stiche hast du bekommen?" fragte Toby mit großen Augen. Kael ließ ihn wieder herunter. „Nur ein paar. Es war nicht so schlimm." „Aber es hat doch bestimmt weh getan", beharrte der Junge. „Nein, wirklich nicht. Aber es war ziemlich peinlich, als ich über den Balken gestolpert bin." Er schaute Jazmin an. „Ich war in Gedanken bei anderen Dingen", fügte er vieldeutig hinzu. Jazmin schluckte. „Toby hat sich Sorgen gemacht." Kael wandte den Blick nicht von ihr ab. „Und ich auch", sagte sie heiser. „Wirklich?" Ihre Blicke verrieten ganz andere Gedanken als ihre banalen Worte. Wie sehr begehrte Jazmin diesen Mann. Wenn sein Unfall nun ernsthaftere Folgen gehabt hätte. Dann hätte sie womöglich keine Gelegenheit mehr gehabt, ihm zu sagen, was sie fühlte. Wie sehr sie ihn liebte. „Möchtest du eine Tasse Tee oder irgend etwas?" hörte sie sich sagen. Im selben Moment hätte sie sich am liebsten verkrochen. Wie konnte sie nur so sachlich sein? „Kaffee wäre mir recht." Er blickte an seiner verstaubten Kleidung hinab. „In der Zwischenzeit ziehe ich mich um." „Kannst du ... Ich meine, schaffst du das allein? Mit der Bandage und ..." Jazmin brachte den Satz nicht zu Ende. „Ich müßte es eigentlich schaffen. Aber vielleicht rufe ich um Hilfe, wenn ich nicht weiterkomme", sagte er mit seinem umwerfenden Lächeln. Dieses Lächeln bewirkte, daß Jazmin in der Küche hantierte, als hätte sie zwei linke Hände. Sie verschüttete die Kaffeebohnen. Um ein Haar ließ sie die Becher fallen, die sie aus dem alten Küchenschrank nahm. Außerdem konnte sie sich kaum auf Tobys lebhaftes Geplauder konzentrieren. Als schließlich sein Freund Jake kam und die beiden Jungen nach draußen liefen, um auf der Wiese Fußball zu spielen, atmete sie erleichtert auf, Doch dieses Aufatmen war nur von kurzer Dauer, denn kurz darauf kam Kael in die
Küche. Er trug eine abgeschnittene Jeans und ein ärmelloses schwarzes T-Shirt. Kael setzte sich an den Tisch und bedankte sich für den Kaffee, den sie ihm brachte. Als er mit seinem bandagierten Arm gegen die Tischkante stieß, verzog er vor Schmerz das Gesicht. Jazmin lehnte sich gegen den Küchentresen, als sie spürte, daß ihre Knie weich wurden. In das Mitgefühl für seine Schmerzen mischte sich die vertraute Sehnsucht, die seine Gegenwart immer in ihr erweckte. „Hat der Arzt dir Schmerztabletten mitgegeben?" fragte sie, nachdem sie einen Schluck Kaffee getrunken hatte. „Ich habe in der Notfallaufnahme schon mehrere genommen." Er ballte die Hand zu einer Faust. „Im Moment ist es erträglich. Wo ist Toby?" „Im Garten. Er spielt mit Jake Fußball." Kael trank einen Schluck Kaffee. Offenbar fühlte er sich ebenso befangen wie Jazmin. „Ich hoffe, es hat dir nichts ausgemacht, den Tag heute mit Toby zu verbringen", sagte er. Sie schüttelte den Kopf. „Es hat mir Spaß gemacht. Toby ist ein netter Junge." „Normalerweise ist er wirklich ein liebes Kind." Er seufzte leise. „Um ehrlich zu sein, ich weiß manchmal gar nicht, wieso es so wenig Probleme mit ihm gibt." „Du bist ein guter Vater", erwiderte Jazmin. Sie schluckte, als er sie nun mit einem etwas spöttischen Lächeln anschaute. „Das bin ich ihm schuldig, Jazz. Findest du nicht auch?" Sie setzte sich ihm gegenüber an den Tisch. „Ich würde nun doch gern erfahren ..." Sie atmete tief durch. „Ich meine, wenn du es mir immer noch erzählen willst..." Ihr versagte die Stimme. „Ich will es dir erklären, Jazz. Das wollte ich immer." Kael stellte den Kaffeebecher auf den Tisch, während er sich zurücklehnte. „Es ist die alte Geschichte. Wir sind von einer ungewollten Schwangerschaft überrascht worden", bemerkte er knapp. Plötzlich schien er sich ein wenig zu entspannen. Er beugte sich vor und stützte sich mit den Ellbogen auf dem Tisch ab. „Catherine und ich haben uns an der Uni kennengelernt und uns angefreundet. Mehr als Freundschaft wollten wir beide nicht. Meist haben wir uns mit anderen Freunden getroffen, beim Sport oder bei Musikveranstaltungen. Sie war ebensowenig wie ich an einer Beziehung interessiert. Ich habe neben dem Studium für James gearbeitet, und sie hatte nur ein Ziel. Sie wollte Chirurgin werden. Das war immer ihr Wunsch gewesen." Er hielt kurz inne. „Catherines Eltern waren früh gestorben. Sie verdiente sich ihren Lebensunterhalt als Kellnerin." Er blickte zu Jazmin hinüber. „Ich kenne kaum einen Menschen, der sich so zielstrebig einer Sache verschrieben hat. Vielleicht ist deshalb auch alles so gekommen. Eines Abends sind wir zu ihr gegangen. Ihre Mitbewohner waren nicht zu Hause. Sie war deprimiert, weil sie dachte, sie hätte bei einer Prüfung versagt. Ich hatte gerade erfahren, daß meine Stiefschwester ... Mein Vater hat nach der Scheidung von meiner Mutter wieder geheiratet. Er hatte drei Töchter. Nun, an jenem Tag hatte meine zwölfjährige Stiefschwester einen Unfall mit dem Fahrrad. Sie war auf der Stelle tot. Ich mochte das Mädchen sehr gern und war völlig durcheinander, als ich davon erfuhr. Catherine und ich haben uns mit einem Drink getröstet. Bei diesem einen Drink blieb es aber nicht, und schließlich landeten wir zusammen im Bett." Kael stand auf und begann, in der Küche hin und her zu laufen. „Als dann feststand, daß Catherine schwanger war, waren wir beide verzweifelt. Wir konnten es nicht fassen. Schließlich mußten wir entscheiden, was wir tun wollten." „Habt ihr nicht daran gedacht zu heiraten?" fragte Jazmin. „Eigentlich nicht. Wir waren uns zum Glück darüber im klaren, daß wir in einer Ehe nicht glücklich werden würden." Er atmete tief durch. „Catherine wollte das Kind haben, und wir sind uns einig gewesen, gemeinsam für seine Erziehung zu sorgen. Sie unterbrach ihr Studium, damit sie sich um das Baby kümmern konnte.
Aber es stellte sich schnell heraus, daß sie diesen Entschluß bereute. Deswegen habe ich sie unterstützt, bis sie mit dem Studium fertig war. Ich fand, es war das wenigste, was ich in dieser Situation tun konnte." Er blickte Jazmin an. „Trotzdem habe ich damals zwei entscheidende Fehler gemacht. Ich habe nicht damit gerechnet, daß ein kleines Baby mein Herz erobern würde. Und ich habe nicht damit gerechnet, daß mir jemand begegnen würde, in den ich mich auf den ersten Blick verlieben würde. So ist Catherine nun Chirurgin", fuhr er schnell fort, „wie sie es sich gewünscht hat, und ich bin ein alleinerziehender Vater, der versucht, das Beste für seinen Sohn zu tun." „Der das Beste für seinen Sohn tut", verbesserte Jazmin ihn. „Danke, Jazz", erwiderte er sanft. Jazmin stand auf und ging um den Tisch herum zu ihm. „Ich hatte ja keine Ahnung ..." Sie schluckte, um ihre Tränen zurückzuhalten. Kael schloß sie zärtlich in seine Arme. „Ich liebe dich, Jazz. Ich habe dich immer geliebt", sagte er, bevor er sie fast ehrfürchtig küßte. Sie schmiegten sich aneinander und vertieften den Kuß, bis sie sich schließlich atemlos voneinander lösten. Kael setzte sich auf seinen Stuhl und zog sie zu sich auf den Schoß. „Du kannst dir nicht vorstellen, wie sehnsüchtig ich auf diesen Moment gewartet habe", flüsterte er. Jazmin lehnte sich an ihn und umfaßte sein Kinn. „Genau wie ich", murmelte sie heiser. Er drehte den Kopf ein wenig, damit er ihre Hand küssen konnte. „Ich konnte nicht glauben, daß du mich wirklich gehen läßt", sagte Jazmin. „Ich habe damals auf dem Flughafen gewartet und gehofft, daß du noch kommst." „Ich bin gekommen. Wie ein Verrückter bin ich hinter dir hergefahren. Und dann mußte ich tatenlos zusehen, wie du an Bord gingst. An jenem Tag hatte ich das Gefühl, ein Teil von mir war gestorben." „Aber warum ..." „Warum ich dich gehen ließ? Wie hätte ich dich bitten können zu bleiben? So wie die Dinge standen, hatte ich in meinem Leben ein Riesenchaos angerichtet. Und nicht nur in meinem Leben. Auch für Catherine und Toby war die Welt nicht in Ordnung. Sollte ich dich auch noch auf die Liste setzen? Wir haben uns zu einem denkbar schlechten Zeitpunkt kennengelernt. Aber ich hatte nicht vor, dich aufzugeben. Ich hatte mir vorgenommen, mein Leben in Ordnung zu bringen und dich dann zu bitten, mir zu verzeihen. Catherine hat vor einem Jahr ihr Examen gemacht. Sie hat mir offiziell das Sorgerecht für Toby übertragen, obwohl sie ihn natürlich jederzeit sehen kann. Dann wurde James krank, und ich mußte für zwei arbeiten. Aber glaube mir, Jazz, wenn du seine Einladung zu Weihnachten nicht angenommen hättest, wäre ich im neuen Jahr nach New York gekommen, um dich wiederzusehen. Ich hätte nicht länger warten können." Kael schloß die Augen. „Fünf Jahre lang habe ich in der Angst gelebt, du würdest dich in einen anderen Mann verlieben." „Wir haben soviel kostbare Zeit verschwendet", sagte Jazmin leise. „Das stimmt. Aber vielleicht brauchte ich die Zeit, um mein Leben wieder in Ordnung zu bringen." Er seufzte bedauernd, während er ihre roten Locken durch seine Finger gleiten ließ. „Ich glaube, daß jeder von uns sein Päcklein im Leben zu tragen hat. Wir tragen die Überreste einer Beziehung mit uns herum, ganz gleich, ob die Beziehung gut oder schlecht war. Und ich wollte mein Päcklein nicht an dich weitergeben, Jazz. Sicher, ich wollte mein Leben mit dir teilen. Am liebsten hätte ich alles hinter mir gelassen und wäre mit dir fortgegangen. Aber das konnte ich nicht. Ich hatte Schuld auf mich geladen.
Catherine gegenüber, Toby gegenüber und auch dir gegenüber." „O Kael. Ich hatte auch Schuldgefühle. Ich habe mich dir so blind in die Arme geworfen, daß ich dachte, ich hätte es verdient, verletzt zu werden. Ich meine, ich habe damals gespürt, daß irgend etwas nicht stimmte, aber ich habe die Augen davor verschlossen und nur egoistisch an mein Glück gedacht." Sie verzog das Gesicht. „Es tut mir leid, daß ich dir nicht die Chance gegeben habe, die Dinge zu erklären." „Ich weiß gar nicht, ob ich vor fünf Jahren in der Lage gewesen wäre, alles zu erklären. Ich habe mich so elend gefühlt. Ich dachte, ich hätte das Leben zweier Menschen rui niert. Erst Catherines und dann deins." Jazmin lachte leise. „Wir waren beide ziemlich dumm." „Soviel ist sicher", stimmte er ohne Zögern zu. Dann küßte er sie noch einmal. Schließlich hob er den Kopf und schaute ihr in die Augen. „Gibst du mir noch eine Chance, Jazz? Heiratest du mich? Nimmst du einen Mann, der alles andere als perfekt ist und noch dazu eine fertige Familie in die Ehe mitbringt, der dich aber mehr liebt als sein eigenes Leben?" Eine Träne lief ihr über die Wange, die er mit der Zungenspitze aufhielt. „Ich hoffe, das ist eine Freudenträne und bedeutete ja", sagte er mit belegter Stimme. Jazmin schlang die Arme um seinen Hals und nickte. „Sie bedeutet ja." In diesem Moment hörte sie einen Wagen vorfahren. Sie wollte aufstehen, doch Kael hielt sie fest. „Ich lasse dich nicht gehen, Jazmin McCann, ganz gleich, wessen Mutter gerade nach Hause gekommen ist." Tatsächlich trafen Lorelle und James sowie Jazmins Mutter mit ihrem Bruder fast gleichzeitig zu Hause ein. Sie waren ehrlich erfreut über die Neuigkeiten. Jazmins Großva ter nickte lächelnd und bat Lorelle, die Flasche Champagner zu holen, die er eigens für diesen Zweck gekauft hatte. Er habe gewußt, daß sich die Dinge zum Guten wenden würden, erklärte er der Familie. Später nahm Moira ihre Tochter beiseite, um ihr zu erzählen, daß Rick sein Grundstück verkauft hatte. Er hatte einen Verlust hinnehmen müssen, aber zumindest konnte er seine Schulden nun zurückzahlen, so daß sie ihr Haus nicht verkaufen mußte. Hoffentlich, fügte sie hinzu, habe Rick aus dieser Geschichte gelernt. Als Kael Toby von seinen Heiratsplänen erzählt hatte, warf der Junge sich in Jazmins Arme. „Gehen wir morgen noch einmal zu Santa Claus?" fragte er aufgeregt. „Ich will mich bei ihm bedanken, daß er dich nach Brisbane geschickt hat. Sonst hätte Dad dich ja nicht gefunden. Junge, Santa Claus arbeitet wirklich schnell." Viel später, nachdem ein überdrehter Toby schließlich doch schlafen gegangen war, trat Jazmin auf die Veranda. Sie lehnte sich gegen einen Pfosten und schaute hinab auf das Panorama der Stadt, die unter ihr lag. Während sie die blinkenden Lichter betrachtete und die unendliche Autoschlange, die die Gateway Bridge passierte? atmete sie den Duft der Sommerblumen ein und seufzte zufrieden. Ein schöneres Weihnachten hätte sie sich nicht vorstellen können. Sie hörte die alten Holzbohlen hinter sich knarren. Im nächsten Moment spürte sie Kael, der sie sanft zu sich heranzog. Während er zärtlich ihren Nacken liebkoste, sagte er: „Wenn ich dies alles nur träume, weck mich nicht auf." Jazmin drehte sich zu ihm herum. „Du darfst schlafen, solange du willst, wenn ich nur bei dir bin." „War das ein Antrag, Jazmin McCann?" „Der beste, den ich mir vorstellen kann." Er lehnte sich ein wenig zurück. „Vorher müssen wir aber noch eins klären, Jazz." „Was denn?" fragte sie, während sie mit den Fingerspitzen über seine Schultern strich. „Du heiratest mich doch nicht wegen der zehntausend Dollar?" fragte er mit gespieltem Ernst.
Sie blickte zu ihm auf. „Findest du, daß ich nicht mehr wert bin?" Er lachte leise. „Du weißt, daß du unbezahlbar bist." „Ich hätte Großvater nie um das Geld gebeten. Das wußtest du, oder?" „Natürlich." Er küßte sie flüchtig auf den Mund. „Ich nehme an, es ging um Rick. Braucht er immer noch Hilfe?" „Nein. Glücklicherweise hat er seine Probleme diesmal allein gelöst." „Gut. Du mußt mir die Geschichte bei Gelegenheit erzählen, aber jetzt..." Er zog etwas aus seiner Tasche und hielt es über ihren Kopf. „Es ist ein Mistelzweig." „Ein Mistelzweig?" Jazmin lachte glücklich. „Du weißt doch bestimmt, daß es in manchen Ländern Sitte ist, sich unter einem Mistelzweig zu küssen", fuhr er erns t fort. „Und du weißt doch bestimmt, daß Misteln in Australien keinen besonders guten Ruf haben", gab Jazmin zurück. „Sie lassen die Eukalyptusbäume absterben." „Wo bleibt dein Sinn für Romantik, Jazz?" schalt er sie. „Du magst recht haben, aber dies ..." Er drehte den Zweig zwischen den Fingern. „Dies ist nur ein Exemplar aus Plastik. Wir brauchen uns also keine Sorgen zu machen. Die Eukalyptusbäume sind nicht in Gefahr." „Ich bin ehrlich beeindruckt." Jazmin schenkte ihm ein strahlendes Lächeln. „Wie es scheint, hast du an alles gedacht." Er erwiderte ihr Lächeln. „Ich versuche es. Aber wo war ich gerade stehengeblieben? Ach ja, der Mistelzweig. Es ist Sitte, den Menschen den man wirklich liebt, unter einem Mistelzweig zu küssen." Als er ihr nun in die Augen schaute, wurde seine Miene ernst. „Der Mistelzweig ist nur eine Imitation, aber ich garantiere dir, daß der Kuß echt ist." „Ich liebe dich", sagte Jazmin, bevor er sie mit einer Leidenschaft küßte, die ihre Gefühle erwiderte. -ENDE-