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Metin Akyürek
Das Assoziationsabkommen EWG – Türkei Aufenthalt und Beschäftigung von türkischen Staatsangehör...
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I
III
Metin Akyürek
Das Assoziationsabkommen EWG – Türkei Aufenthalt und Beschäftigung von türkischen Staatsangehörigen in Österreich
SpringerWienNewYork
IV
Univ.-Ass. Dr. Metin Akyürek Fachbereich öffentliches Recht Verfassungs- und Verwaltungsrecht Universität Salzburg, Salzburg, Österreich
Mit freundlicher Unterstützung von Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur, Wien Stiftungs- und Förderungsgesellschaft, Paris-Lodron-Universität Salzburg Evers-Marcic-Fonds der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Salzburg
Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdruckes, der Entnahme von Abbildungen, der Funksendung, der Wiedergabe auf fotomechanischem oder ähnlichem Wege und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. © 2005 Springer-Verlag/Wien Printed in Austria SpringerWienNewYork ist ein Unternehmen von Springer Science + Business Media springer.at Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Buch berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Druck: Börsedruck Ges.m.b.H., 1230 Wien, Österreich Gedruckt auf säurefreiem, chlorfrei gebleichtem Papier – TCF SPIN: 10981531
Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
ISBN-10 3-211-20820-8 SpringerWienNewYork ISBN-13 978-3-211-20820-5 SpringerWienNewYork
V
Für Mónica und meine Familie
VII
Vorwort
Die vorliegende Arbeit beruht auf einer im Rahmen des Doktoratsstudiums an der Universität Salzburg im Jahr 2003 verfassten Dissertation unter der Betreuung von Herrn Univ.-Prof. Dr. Georg Lienbacher und Herrn o. Univ.-Prof. Dr. Heinz Schäffer. Die Überarbeitung für die Drucklegung des ersten Wurfs brachte es mit sich, dass kein Stein auf dem anderen geblieben ist, sodass letztendlich ein neues Werk mit demselben Titel entstanden ist. Bei der Bewältigung dieser mitunter sehr zähen Aufgabe sind mir viele Kollegen und Freunde zur Seite gestanden, denen ich nicht genug danken kann: Meinem verehrten Lehrer und lieben Freund Heinz Schäffer gilt mein größter Dank für die grenzenlose fachliche und persönliche Unterstützung von der ersten bis zur letzten Sekunde meiner Auseinandersetzung mit dem vorliegenden Werk. Zu ganz besonderem Dank bin ich ebenso meinem Freund Georg Lienbacher verpflichtet, der mich durch unzählige Gespräche vom Entstehen der Dissertation an bis jetzt nicht nur immer wieder auf den richtigen Pfad gebracht hat, sondern auch in einer nicht zu übertreffenden Art bestärkt und motiviert hat. Meinem Freund und Kollegen Herrn Univ.-Doz. Dr. Rudolf Feik bin ich zweifachen Dank schuldig: erstens dafür, dass er als erster in Österreich diese Materie in grundlegender Weise beackert hat und so ein fruchtbares Land zurückgelassen hat und zweitens für seine zahlreichen Ratschläge und Verbesserungsvorschläge während der gesamten Dauer meiner Arbeit. In gleicher Weise geht mein Dank an meinen Kollegen Herrn Univ.-Doz. Dr. Roland Winkler, der die Arbeit einer gründlichen Lektüre und Prüfung unterzogen hat, welche das Profil dieser Monografie geprägt hat. Außerdem bedanke ich mich herzlich bei Frau Veronika Mayregg und Frau Martina Wurnitsch, die mir jederzeit größte technische Unterstützung zuteil werden ließen. Meiner lieben Kollegin an der Deutschen Hochschule für Verwaltungswissenschaften in Speyer, Frau Annette Schorr, danke ich für ihre große und spontane Hilfsbereitschaft. Ferner bedanke ich mich bei allen Bediensteten des AMS, die meine Neugier stets mit größter Geduld und Fachkenntnis befriedigten und für zahlreiche Gespräche zur Verfügung standen. Mein großer persönlicher Dank schließlich gilt meiner lieben Freundin Frau Dr. Nicola Hödl, die in einer unschätzbaren Art und Weise die große Mühe auf sich genommen hat, die Arbeit einem Lektorat zu unterziehen. Salzburg, im Mai 2005
Metin Akyürek
IX
Inhaltsverzeichnis
Übersicht über die amtlich publizierten Entscheidungen des EuGH . . . . . . . . . . . . XIII I. Die Entstehung und Entwicklung der Assoziation EWG-Türkei . . . . . . . A. Historischer Hintergrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Die Verhandlungen über das Abkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Das Assoziationsabkommen EWG-Türkei . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Ziele der Vertragspartner – Mitgliedschaft als längerfristiges Ziel? 2. Drei Phasen der Umsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Das institutionelle Funktionieren der Assoziation . . . . . . . . . . . D. Das Zusatzprotokoll von 1970 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Historischer Hintergrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der Inhalt des Zusatzprotokolls . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . E. Die zentralen Beschlüsse des Assoziationsrates . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der ARB 2/76 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der ARB 1/80 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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1 2 4 4 7 8 10 10 11 12 12 13
II. Assoziationsrecht EWG-Türkei und Gemeinschaftsrecht . . . . . . . . . . . .
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A. Regelungsbefugnis der Gemeinschaft und die Auslegung durch den EuGH B. Rechtsnatur und Rechtswirkungen des Assoziationsrechts EWG-Türkei . . 1. Primäres Assoziationsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Sekundäres Assoziationsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Rechtswirkungen von primärem und sekundärem Assoziationsrecht . . a) Unmittelbare Geltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Unmittelbare Anwendung und Vorrang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
14 19 19 21 28 28 30
III. Assoziationsrecht EWG-Türkei und nationales Recht
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1
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A. Geltung und Anwendbarkeit in Österreich . . . . . . . . . . B. Die Durchführung von Assoziationsrecht . . . . . . . . . . . 1. Gemeinschaftsrechtliche Maßstäbe zur Durchführung 2. Verfassungsrechtliche Maßstäbe für die Umsetzung .
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IV. Der Arbeitnehmer als Ausgangspunkt des ARB 1/80 . . . . . . . . . . . . . . .
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A. Arbeitnehmer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Erbringung wirtschaftlicher Leistungen für einen anderen 2. Weisungsgebundenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Entgeltlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Tätigkeit im Wirtschaftsleben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Besondere Berufsgruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Auszubildende . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Volontäre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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48 50 51 52 53 53 53 54
X
Inhaltsverzeichnis
3. Ferial- oder Berufspraktikanten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Studenten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Au-Pair-Kräfte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Sportler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Künstler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Seelsorger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9. Angehörige des diplomatischen Dienstes . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10. Rehabilitation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Die ordnungsmäßige Beschäftigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Aufenthalts- und beschäftigungsrechtliche Stabilität . . . . . . . . . . . 2. Einhaltung von fremden- und ausländerbeschäftigungsrechtlichen Bestimmungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Zugehörigkeit zum regulären Arbeitsmarkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. „Legale“ Beschäftigung und Aufenthalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Zweckorientierte und historische Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Arbeitsmarkt des Mitgliedstaates . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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V. Das Beschäftigungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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A. Arbeitnehmer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Art 6 Abs 1 UAbs 1 – die einjährige Beschäftigungszeit . . . . . . . . . . . . a) Wechsel des Arbeitgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Betriebsübergang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Arbeitskräfteüberlassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Art 6 Abs 1 UAbs 2 – die dreijährige Beschäftigungszeit . . . . . . . . . . . 3. Art 6 Abs 1 UAbs 3 – die vierjährige Beschäftigungszeit . . . . . . . . . . . 4. Art 6 Abs 2 – der Unterbrechungstatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Der ordnungsgemäßen Beschäftigung gleichzuhaltende Fehlzeiten c) Den Lauf der Beschäftigungszeiten hemmende Unterbrechungen . (1) Unverschuldete oder unfreiwillige Arbeitslosigkeit? . . . . . . . . . (2) Freiwillige Aufgabe des Arbeitsplatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Lange Krankheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (4) Wehrdienst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (5) Strafhäftlinge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Befristet Beschäftigte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Besonderheiten von Art 6 ARB 1/80 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Familienangehörige . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Art 7 Satz 1 ARB 1/80 – nachgezogene Familienangehörige . . . . . . . . a) Kreis der Familienangehörigen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Zugehörigkeit der Bezugsperson zum regulären Arbeitsmarkt . . . . c) Familienzusammenführung als Ziel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Gemeinsamer Wohnsitz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Die dreijährige Wohnsitzdauer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Die fünfjährige Wohnsitzdauer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Art 7 Satz 2 ARB 1/80 – Kinder mit Berufsausbildung . . . . . . . . . . . . . C. Die innerstaatliche Umsetzung im Ausländerbeschäftigungsgesetz . . . . . . 1. Die Beschäftigungsbewilligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Arbeitserlaubnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Der Befreiungsschein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Der Niederlassungsnachweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Art 6 Abs 3 ARB 1/80 – Behörden und Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Zuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Verfahrensvorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Antragstellung und Parteistellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Inhaltsverzeichnis
XI
4. Deklarative Wirkung nationaler Bewilligungen . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Bestrafung des Arbeitgebers bei Nichtvorliegen einer Berechtigung 6. Widerruf erteilter Bewilligungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Widerruf wegen Scheinehe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Auswirkungen eines Widerrufs auf die „Erlaubtheit“ vorheriger Beschäftigungszeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Auswirkungen des Unterbleibens eines Widerrufs bei Scheinehe d) Das Verhältnis zwischen Wiederaufnahme und Widerruf . . . . . . 7. Gebühren und Abgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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VI. Das Aufenthaltsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 A. Arbeitnehmer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Familienangehörige . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Grenzen des Aufenthaltsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Statusverlust . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Arbeitnehmer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Pensionisten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Dauerinvalide . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Familienangehörige . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Ordre Public . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Öffentliche Ordnung und Sicherheit . . . . . . . . . . . . . . . b) Die öffentliche Gesundheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Verfahrensrechtliche Garantien der RL 64/221/EWG . . . . . . D. Die innerstaatliche Umsetzung im Fremdengesetz . . . . . . . . . . 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Integrationsvereinbarung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Sichtvermerkspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Aufenthaltserlaubnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Niederlassungsbewilligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Niederlassungsnachweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Bleiberecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Aufenthaltsbeendigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Verspätete Antragstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Behörden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Rechtsschutz gegen aufenthaltsbeendende Maßnahmen
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VII. Das Ausbildungsrecht der Kinder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 A. Allgemeine Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 B. Gleichberechtigte Zulassung zur Ausbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 C. Gleichberechtigter Anspruch auf staatliche Leistungen . . . . . . . . . . . . . . 152 VIII. Diskriminierungsverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 A. Das allgemeine Diskriminierungsverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Das Diskriminierungsverbot im Rahmen der Arbeitnehmerfreizügigkeit . . 1. Unmittelbare Wirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Persönlicher Geltungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Sachlicher Geltungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Aufenthaltsrecht aus dem Diskriminierungsverbot? . . . . . . . . . . . . . . . . .
155 157 157 158 158 160
IX. Stand-still . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 A. Art 13 ARB 1/80 – die Arbeitnehmerfreizügigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 1. Unmittelbare Wirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162
XII
Inhaltsverzeichnis
2. Persönlicher Geltungsbereich . . . . . . . . . . . 3. Sachlicher Geltungsbereich . . . . . . . . . . . . . B. Art 41 Abs 1 ZProt – der Dienstleistungsverkehr 1. Unmittelbare Wirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Persönlicher Geltungsbereich . . . . . . . . . . . 3. Sachlicher Geltungsbereich . . . . . . . . . . . . .
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Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177
XIII
Übersicht über die amtlich publizierten Entscheidungen des EuGH
Abatay ua, 21.10.2003, Rs C-317/01, Slg 2003, I-12301 AETR, 31.3.1971, Rs 22/70, Slg 1971, 263 Agegate, 14.12.1989, Rs 3/87, Slg 1989, 4459 Akman, 19.11.1998, Rs C-210/97, Slg 1998, I-7519 Antonissen, 26.2.1991, Rs 292/89, Slg 1991, I-0745 Asscher, 27.6.1996, Rs C-107/94, Slg 1996, I-3089 ASTI, 4.7.1991,Rs C-213/90, Slg 1991, I-3507 Ayaz, 30.9.2004, Rs C-275/02, Slg 2004 Bernini, 26.2.1992, Rs C-3/90, Slg 1992, I-1071 Bettray, 31.5.1989, Rs 344/87, Slg 1989, 1621 Birden, 26.11, 1998, Rs C-1/97, Slg 1998, I-7747 Bonsignore, 26.2.1975, Rs 67/74, Slg 1975, 297 Bosman, 15.12.1995, Rs C-415/93, Slg 1995, I-4921 Bouchereau, 27.10.1977, Rs 30/77, Slg 1977, 1999 Bozkurt, 6.6.1995, Rs C-434/93, Slg 1995, I-1475 Breciani, 5. 2.1976, Rs 87/75, Slg 1976, 129 Brown, 21.6.1988, Rs 197/86, Slg 1988, 3205 Calfa, 19.1.1999, Rs C-348/96 Slg 1999, I-11, Cetinkaya, 11.11.2004, Rs C-467/02, Slg 2004 Demirel, 30.9.1987, Rs 12/86, Slg 1987, 3719 Dogan, Rs C-383/03 Dörr und Ünal, Rs C-136/03 Eker, 29.5.1997, Rs C-386/95, Slg 1997, I-2697 El-Yassini, 2.3.1999, Rs C-416/96, Slg 1999, I-1209 Ergat, 16. 3.2000, Rs C-329/97, Slg 2000, I-0000 Eroglu, 5.10.1994, Rs 355/93, Slg 1994, I-5113 Ertanir, 30.9.1997, Rs C-98/96, Slg 1997, I-5179 Eyüp, 22.6.2000, Rs C-65/98, Slg 2000, I-4747 Gaal, 4.5.1995, Rs C-7/94, Slg 1995, I-1031 Gravier, 13.2.1985, Rs 293/83, Slg 1985, 593 Griechenland/Kommission, 14.11.1989, Rs 30/88, Slg 1989, 3711 Griechenland/Rat, 27.9.1988, Rs 204/86, Slg 1988, 5323 Günaydin, 30.9.1997, Rs C-36/96, Slg 1997, I-5143 Gürol, Rs C-374/03 Hägeman, 30.04.1974, Rs 181/73, Slg 1974, 449 Humbel, 27.9.1988, Rs 263/86, Slg 1988, 5365 International Fruit, 12.12.1972, Rs 21-24/72, Slg 1972, 1219 Kadiman, 17.4.1997, Rs C-351/95, Slg 1997, I-2133 Kempf, 3.6.1986, Rs 139/85, Slg 1986, 1741 Kocak/Örs, 14.3.2000, Rs C-102/98 und C-211/98, Slg 2000, I-1287 Kol, 5.7.1997, Rs C-285/95, Slg 1997, I-3069
XIV
Übersicht über die amtlich publizierten Entscheidungen des EuGH
Kommission/Belgien, 26.5.1982, Rs 149/79, Slg 1980, 3881 Kommission/Griechenland, 2.7.1996, Rs C-290/94, Slg 1996, I-3285 Kommission/Luxemburg, 18.5.1994, Rs C-118/92, Slg 1994, I-1891 Kupferberg I, 26.10.1982, Rs 104/81, Slg 1982, 3641 Kurz, 25.4.2002, Rs C-188/00 Kus, 16.12.1992, Rs C-237/91, Slg 1992, I-06781 Lair, 21.6.1988, Rs 39/86, Slg 1988, 3161 Lawrie-Blum, 3.7.1986, Rs 66/85, Slg 1986, 2121 Le Manoir, 21.11.1991, Rs C-27/91, Slg 1991, 5531 Lebon, 18.6.1987, Rs C-316/85, Slg 1987, 2832 Levin, 23.3.1982, Rs 53/81, Slg 1982, 1035 Lopes da Veiga, 27.9.1989, Rs 9/88, Slg 1989, 2989 Messner, 12.12.1989, Rs C-265/88, Slg 1989, 4209 Metalsa, 1.7.1993, Rs C-312/91, Slg 1993, I-3751 Meyers, 13.7.1995, Rs C-116/94, Slg 1995, I-2131 Michel S., 27.9.1988, Rs 76/72, Slg 1973, 457 Nazli, 10.2.2000, Rs C-340/97, Slg 2000, I-957 Ninni-Orasche, 6.11.2003, Rs C-413/01, Slg 2003 Nolte, 14.12.1995, Rs C-317/93, Slg 1995, I-4625 Öztürk, 28.4.2004, Rs C-373/02, Slg 2004 Orfanopoulos und Oliveri, 29.4.2004, Rs C-482/01 und C-493/01, Slg 2004 Pabst & Richarz, 29.4.1982, Rs 17/81, Slg 1982, 1331 Pieck, 3.7.1980, Rs 157/79, Slg 1980, 2171 Prodest, 12.7.1984, Rs 237/83, Slg 1984, 3153 Ratti, 5.4.1979, Rs 148/78, Slg 1979, 1650 Raulin, 26.2.1992, Rs C-357/89, Slg 1992, I-1027 Razanatsimba, 24.11.1977, Rs 65/77, Slg 1977, 2229 Rutili, 28.10.1975, Rs 36/75, Slg 1975, 1219 Sagulo ua, 14.7.1977, Rs 8/77, Slg 1977, 1495 Sala, 12.5.1998, Rs C-85/96, Slg 1998, I-02691 Savas, 11.5.2000, Rs C-37/98, Slg 2000, I-2927 Sevince, 20.9.1990, Rs C-192/89, Slg 1990, I-3461 Steymann, 5.10.1988, Rs 196/87, Slg 1988, 6159 Sotgio, 12.2.1974, Rs 152/73, Slg 1974, 153 Sürül, 4.5.1999, Rs C-262/96, Slg 1999, I-2685 Taflan-Met, 10.9.1996, Rs C-277/94, Slg 1996, I-4085 Tetik, 23.1.1997, Rs C-171/95, Slg 1997, I-329 Unger, 19.3.1964, Rs 75/63, Slg 1963, 379 van Gend & Loos, 5.2.1963, Rs 26/62, Slg 1963, 1 Wählergruppe Gemeinsam, 8.5.2003, Rs C-171/01, Slg 2003, I-04301 Walrave, 12.12.1974, Rs 36/74, Slg 1974, 1405 Watson und Belman, 7.7.1976, Rs 118/75, Slg 1976, 1185
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I. Die Entstehung und Entwicklung der Assoziation EWG-Türkei
A. Historischer Hintergrund Das intensive Bemühen der griechischen Nachbarn in den späten 50-er Jahren, mit der EWG in eine institutionalisierte Form der Zusammenarbeit zu treten, ließ in den Ohren der türkischen Regierung die Ansage klingen: „Achtung Bahnsteig EWG, Zug fährt ab!“. Aus diesem Grund stellte die Türkei am 31. Juli 1959 – ein paar Wochen nach den Griechen – den Antrag, mit der EWG in Verhandlungen über den Abschluss eines Assoziationsabkommens einzutreten und nahm so eine Weichenstellung vor, die sowohl von starker wirtschaftlicher als auch von politischer Motivation getragen war.1 Das Verhältnis der Türkei zu Griechenland war aus politischen Gründen ständigen Spannungen und Schwankungen unterworfen, sodass jede direkte oder indirekte Einflussnahme auf dieses Kräfteverhältnis empfindliche Störungen hervorrufen konnte. Daher war es aus türkischer Sicht dringend geboten, ein Gleichgewicht in den Beziehungen der beiden Ägäis-Staaten zu Westeuropa (wieder-) herzustellen. Der zweite Grund war rein wirtschaftlicher Natur: Griechenland war der Hauptkonkurrent türkischer Exportwaren auf dem EWG-Markt und hätte durch eine Assoziation mit der EWG und den daraus folgenden Zollbegünstigungen einen merklichen Wettbewerbsvorteil gegenüber der Türkei gehabt. Nicht zuletzt erhoffte man sich durch eine Assoziation eine weitgehende Entlastung des türkischen Arbeitsmarktes und als Folge dieses Arbeitskräfteexportes einen ständigen Devisenzufluss. Auch hatte man durch die zu erwartenden Finanzhilfen der Gemeinschaft eine Beschleunigung des Entwicklungsprozesses ins Auge gefasst.2 Zu dieser Zeit korrespondierte dem türkischen Anliegen nach intensivem Arbeitskräfteexport auf deutscher Seite der Wille nach weitgehender Freizügigkeit der Arbeitnehmer. In diesem Zusammenhang sind die am 30. Oktober 1961 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Türkischen Republik geschlossene Vereinbarung „zur Regelung der Vermittlung von türkischen Arbeitnehmern nach der Bundesrepublik Deutschland“3 und das am 30. April 1964 unterzeichnete 1 Eine ausführliche Darstellung der historischen Abläufe und deren Analyse bietet der Journalist Mehmet Ali Birand, Bir Pazar Hikayesi. 2 Erst in den 80er Jahren, nach einer Liberalisierung des türkischen Marktes durch die Regierung Özal, ist ein verstärktes Bestreben nach Direktinvestitionen westeuropäischer Unternehmen spürbar. 3 BArbBl 3/1962, 69.
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Die Entstehung und Entwicklung der Assoziation EWG-Türkei
Abkommen über die Soziale Sicherheit4 erwähnenswert. Der Wunsch, engere Beziehungen zu der EWG aufzunehmen, gründet aus türkischer Sicht daher sowohl auf ökonomischen als auch auf politischen Entscheidungskomponenten. Die Gegenseite ließ sich in ihrer Reaktion auf den Antrag der türkischen Regierung vielmehr als von wirtschaftlichen Überlegungen deutlich von politischen Ambitionen leiten.5 So versuchte die noch verhältnismäßig junge Institution ihr internationales Ansehen aufzuwerten, indem sie vielfältige Beziehungen zu Drittländern forcierte. Die Assoziationsanträge waren daher als eine Form der Selbstbestätigung willkommene Initiativen.6 Einer vorausschauenden Politik zu Folge konnte man der türkischen Seite – nach einer positiven Reaktion auf den griechischen Antrag – die Tür zur EWG wohl kaum verschlossen halten. Wie weit der Türspalt geöffnet werden sollte, war zu diesem Zeitpunkt noch unklar. Eine Strapazierung der griechisch-türkischen Balance war jedenfalls schon aus Gründen des wirtschafts- und sicherheitspolitischen Interesses Westeuropas nicht hinnehmbar, besaß doch die Region einen auch aus westeuropäischer Sicht äußerst großen strategischen Wert. Die NatoMitgliedschaft der Türkei – die Türkei war wie Griechenland am 18.2.1952 dem Nord-Atlantik-Pakt beigetreten – dürfte neben der Mitgliedschaft im Europarat (13.4.1950) bei der Annäherung der EWG an den vorwiegend muslimischen Staat eine nicht unwesentliche Rolle gespielt haben. Doch wäre es sicherlich verfehlt, aus diesen Erwägungen heraus die Interessen auf westeuropäischer Seite auf rein sicherheitspolitisch-militärische zu reduzieren.
B. Die Verhandlungen über das Abkommen Die Position Türkei war während der gesamten Verhandlungsdauer vom Bestreben getragen, nicht schlechter gestellt zu werden als Griechenland. Die EWG versuchte diesem Anliegen anfänglich Rechnung zu tragen, indem sie zunächst Bereitschaft zeigte, mit Griechenland und der Türkei gleiche Verträge auszuhandeln. Diese Linie wurde jedoch bald aufgegeben und die Gemeinschaft kam zur Erkenntnis, dass zwischen den beiden Vertragspartnern unterschiedliche wirtschaftliche und politische Voraussetzungen gegeben waren, die es unmöglich machten, gleiche Konditionen zu gewähren. Als belastender Faktor kam hinzu, dass die türkische Seite Forderungen an die Gemeinschaft stellte, denen diese nicht nachkommen konnte. Die türkische Regierung beanspruchte neben einem freien Marktzugang für industrielle und landwirtschaftliche Produkte, finanzielle Hilfeleistungen in der Höhe von 500 Mio US-Dollar, den automatischen Übergang von der Vorbereitungsphase zur Übergangsphase der Assoziation und letztendlich eine verbindliche Zusage für eine Mitgliedschaft nach einem Zeitraum von 22 Jahren.7 4
DBGBl II 1965/1170. Eine übersichtliche Darstellung der assoziationsrechtlichen Geschichte samt den politischen und wirtschaftlichen Implikationen nahm Kramer vor: Die Europäische Gemeinschaft und die Türkei. 6 Vgl Kramer, ibid 32. 7 Vgl Kramer, ibid 33. 5
Die Verhandlungen über das Abkommen
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Die Entwicklung führte schließlich dazu, dass sich einige Mitgliedstaaten der Gemeinschaft – allen voran Frankreich und Italien – von der ursprünglichen gemeinsamen Verhandlungsposition zu distanzieren begannen und eine eher defensive und reservierte Haltung gegenüber der Türkei einnahmen. Der Verhandlungsprozess wurde sicherlich durch den Putsch des türkischen Militärs am 27. Mai 1960 verzögert, doch spricht die Geschichte der Assoziation zwischen der EWG und der Türkei eher dafür, dass die EWG die zum Teil sehr demokratiefeindlichen Entwicklungen in der Türkei zwar mit größter Besorgnis beobachtete, jedoch diesen Umständen, wenn es um eigene vitale Interessen ging, wohl eher eine untergeordnete Rolle beigemessen hat. In Anbetracht der Tatsache, dass die grundlegenden Entscheidungen im Assoziationsverhältnis zwischen der EWG und der Türkei8 einem enormen zeitlichen Naheverhältnis zu den in regelmäßigen Abständen von 10 Jahren erfolgten Putschen unterliegen, lässt sich schwer die These vertreten, die EWG hätte vorwiegend aus demokratiepolitischen Gründen eine distanzierte Haltung zur Türkei eingenommen. Insofern ist die im Schrifttum vereinzelt vertretene Einschätzung zu relativieren, „das Risiko, mit einem politischen Regime, dessen Zukunft keineswegs vorhersehbar oder gesichert erschien und das nicht davor zurückgeschreckt war, … zwei seiner Minister hinzurichten, eine so enge Bindung einzugehen, wie sie die Assoziation darstellt, mag in Brüssel als zu groß eingeschätzt worden sein“.9 Erst in jüngerer Zeit ist ein verstärktes Bemühen der Gemeinschaft und umgekehrt eine große Kooperationsbereitschaft der Türkei hinsichtlich der Erfüllung politischer Kriterien wie Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Menschenrechte und Minderheitenschutz zu verspüren.10 Am 20. November 1961 erst wurde die Militärdiktatur von einer zivilen Regierung unter der Leitung von Ministerpräsident Ismet Inönü abgelöst. Zu diesem Zeitpunkt war bereits mit dem zweiten Assoziationswerber Griechenland eine für damalige Verhältnisse sehr weitreichende Assoziationsvereinbarung getroffen worden.11 Die inhaltliche Reichweite des am 9. Juli 1961 mit Griechenland abgeschlossenen Assoziationsabkommens ermutigte und bestätigte zugleich die türkische Regierung in ihrer Forderung einer schrittweisen Herbeiführung einer Zollunion als Grundelement der Assoziation. Die Verhandlungen dauerten fast vier Jahre bis letztendlich die wesentlichen Bestandteile des Vertrages konsensfähig waren. Dass das Griechenland-Abkommen im weiteren Verlauf der Verhandlungen den Maßstab für die mit der Türkei einzugehende Bindung bildete, erhellt schon aus einem flüchtigen Vergleich der beiden Texte.12 Trotz weitgehender Parallelitäten gibt
8 Das Abkommen vom 12. September 1963, das Zusatzprotokoll von 1970 und die Assoziationsratsbeschlüsse aus 1980. 9 Vgl Kramer, Die Europäische Gemeinschaft und die Türkei 34; Breidenbach, Auswirkungen des Assoziationsrechts EG/Türkei 7. 10 Vgl Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Regelmäßiger Bericht 2001 über die Fortschritte der Türkei auf dem Weg zum Beitritt (2001) 15. 11 Abkommen zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und Griechenland (ABl 1963, 26/294). 12 Vgl A. Weber in Groeben/Thiesing/Ehlermann (Hrsg), Art 238 EGV, Rz 66, der feststellt: „Nach dem Muster des Griechenland-Abkommens wurde auch das Assoziationsabkommen mit der Türkei geschlossen …“
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Die Entstehung und Entwicklung der Assoziation EWG-Türkei
bereits der unterschiedliche Umfang und Bestimmtheitsgrad der beiden Vertragswerke Aufschluss darüber, dass sich die Gemeinschaft im Falle Griechenlands bereitwilliger zeigte, konkretere Verpflichtungen einzugehen. Dies dürfte nicht zuletzt auf den unterschiedlichen Entwicklungsstand zwischen den Mitgliedstaaten und dem Assoziationswerber Türkei zurückzuführen sein, sodass es aus Sicht der Gemeinschaft wohl notwendig erschien, vor allem längere Zeiträume für eine volle Integration der Türkei vorzusehen.13
C. Das Assoziationsabkommen EWG-Türkei In diesem Kapitel wird der Frage nachgegangen, welche Ziele die Vertragsparteien bei der Unterzeichnung des Abkommens am 12. September 1963 in Ankara vor Augen gehabt haben, um im weiteren Verlauf der Arbeit eine Bilanz ziehen zu können, in welchem Maße die gewünschten Zielvorstellungen realisiert werden konnten. Zugleich sollen die inhaltliche Reichweite des Vertrages und das institutionelle Funktionieren der Assoziation dargelegt werden.
1. Ziele der Vertragspartner – Mitgliedschaft als längerfristiges Ziel? Die vom damaligen Kommissionspräsidenten Walter Hallstein anlässlich der Unterzeichnung des Abkommens gehaltene Rede, in der er des Öfteren betonte: „Die Türkei gehört zu Europa“, unterstreicht die dem Vertrag beigemessene Bedeutung und die zugrunde liegende Absicht der Parteien. Ein direkter Vergleich mit dem griechischen Assoziationsabkommen erweist sich bei der Beurteilung der angestrebten Ziele als äußerst aufschlussreich. Dieser Vergleich bietet sich aus mehreren Gründen an: 1. Zunächst stehen beide Verträge in einem besonderen zeitlichen Naheverhältnis, 2. sie gelten als die ersten Assoziationsabkommen, die Freizügigkeitsbestimmungen enthalten. Insofern galten diese Verträge seinerzeit als ein Novum der Assoziationspraxis der Gemeinschaft; und schließlich, 3. ist die schriftlich bekundete Absicht, die Assoziationspartner in eine Mitgliedschaft in der Gemeinschaft zu führen, nur diesen beiden Verträgen eigen.14 Ein Blick auf die Präambel des Abkommens lässt auf die sehr weit gehenden Erwartungen der Vertragsparteien schließen, wenn es darin heißt: „ …in dem festen Willen, immer engere Bande zwischen dem türkischen Volk und den in der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft vereinten Völkern zu schaffen, entschlossen, durch einen beschleunigten wirtschaftlichen Fortschritt und durch eine harmonische Erweiterung des Handelsverkehrs die stetige Besserung der Lebensbedingungen in der Türkei und innerhalb der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft zu 13
Vgl Kramer, Die Europäische Gemeinschaft und die Türkei 35 f. Eine eingehende Analyse der bisherigen Assoziationspraxis unter besonderer Berücksichtigung des Türkei-Abkommens findet sich bei Guild, Immigration Law in the European Community, siehe insb 121 ff. 14
Das Assoziationsabkommen EWG-Türkei
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sichern sowie den Abstand zwischen der türkischen Wirtschaft und der Wirtschaft der Mitgliedstaaten der Gemeinschaft zu verringern, unter Berücksichtigung der besonderen Probleme, die sich beim Aufbau der türkischen Wirtschaft stellen, und der Notwendigkeit, der Türkei während einer bestimmten Zeit eine Wirtschaftshilfe zu gewähren, in der Erkenntnis, daß die Hilfe, welche die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft dem türkischen Volk bei seinem Bemühen um die Besserung seiner Lebenshaltung zuteil werden lässt, später den Beitritt der Türkei zur Gemeinschaft erleichtern wird, gewillt, durch gemeinsames Streben nach dem hohen Ziel des Vertrages zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft Frieden und Freiheit zu wahren und zu festigen – haben beschlossen, ein Abkommen zu schließen, durch das im Einklang mit Artikel 238 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft zwischen dieser Gemeinschaft und der Türkei eine Assoziation hergestellt wird, …“.
Sicherlich kann dieser feierlichen Proklamation ein gewisses Maß an Übermut und überschießendem Klang nicht abgesprochen werden. Dennoch machen diese Sätze klar, dass es den Vertragsparteien um viel mehr als nur eine wirtschaftliche Annäherung gegangen sein muss. Distanzen – gleich auf welchem Gebiet, ob kulturelle oder wirtschaftliche – sollten überwunden werden, um letztendlich die Beitrittsmöglichkeit der Türkei zur Gemeinschaft herbeizuführen. Neben dem eigenen Bemühen der türkischen Regierung sollte die Unterstützung der EWG zur Realisierung dieses Zieles beitragen. Nachdem die Dauer dieses Aufholprozesses schwer vorhersehbar war, finden sich auch im Vertragstext eine Reihe von Bestimmungen, die programmatischen Charakters sind oder bloß Ziele vorgeben. Dass dieses politische Bekenntnis im Vertrag seinen rechtlichen Niederschlag gefunden hat, zeigen die ersten Bestimmungen des Abkommens: So sieht Art 2 Abs 1 als Ziel des Abkommens, eine beständige und ausgewogene Verstärkung der Handels- und Wirtschaftsbeziehungen zwischen den Vertragsparteien mit der Folge eines beschleunigten Aufbaus der türkischen Wirtschaft sowie der Hebung des Beschäftigungsstandes und der Lebensbedingungen vor. Gemäß Art 2 Abs 2 des Abkommens sollte diesem Anliegen durch die schrittweise Errichtung einer Zollunion Rechnung getragen werden. Auch wenn sich die Freizügigkeitsbestimmungen aus systematischen Gründen nicht unter den Grundsätzen des Abkommens (Titel I) befinden, so gehören sie doch zu den tragenden Säulen des Abkommens15 und machen einen wesentlichen Bestandteil dieses Rechtsbestandes aus. Gemäß Art 12 des Abkommens vereinbaren die Vertragsparteien, sich von den Artikeln 48, 49 und 50 des Vertrages zur Gründung der Gemeinschaft leiten zu lassen, um untereinander die Freizügigkeit der Arbeitnehmer schrittweise herzustellen. Nach Art 13 lassen sich die Vertragsparteien von den Artikeln 52 bis 56 und 58 des Vertrages zur Gründung der Gemeinschaft leiten, um untereinander die Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit aufzuheben. Art 14 sieht schließlich unter Bezugnahme auf die entsprechenden Bestimmungen des EG-Vertrages die Aufhebung der Beschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs vor. Da15
Vgl C. Weber, Der assoziationsrechtliche Status Drittstaatsangehöriger 10.
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Die Entstehung und Entwicklung der Assoziation EWG-Türkei
mit wird augenscheinlich, dass das AssAbk dem System der Grundfreiheiten des EG-Vertrages folgt. Nach Art 15 soll sich die Verkehrspolitik der Türkei an der der Gemeinschaft orientieren. Des Weiteren sollen die Bestimmungen des EGV über den Wettbewerb, die Steuern und die Angleichung der Rechtsvorschriften auch im Rahmen des Assoziationsverhältnisses anwendbar gemacht werden (Art 16). Außerdem besteht ein Gebot für die Vertragsparteien des Abkommens, eine ausgewogene Finanz- und Wirtschaftspolitik zu betreiben, um somit ein beständiges Wirtschaftswachstum in Einklang mit einem stabilen Preisniveau und einer ausgeglichenen Gesamtzahlungsbilanz zu gewährleisten. Daneben sollte jeder Teilnehmerstaat jene Währungs- und Wechselkurspolitik betreiben, die der Verwirklichung der Ziele der Assoziation entspricht (Art 17, 18). Bestimmungen zur Erleichterung des Kapitalverkehrs finden sich in den Artikeln 19 und 20. Danach sollen nicht nur Transaktionen auf dem Gebiet des Waren-, Dienstleistungs- und Kapitalverkehrs erleichtert, sondern auch Bemühungen unternommen werden, um den Aufbau der türkischen Wirtschaft durch Kapitalanlagen der Mitgliedstaaten in der Türkei zu fördern. Letztendlich vereinbaren die Parteien, im Rahmen eines Konsultationsmechanismus ihre Handelspolitik gegenüber Drittländern abzustimmen und im Falle eines späteren Beitritts dritter Länder zur Gemeinschaft ihre gegenseitigen Interessen zu wahren (Art 21). Weder im Abkommen mit Griechenland noch im Assoziationsabkommen wurde ein automatischer Übergang vom assoziierten Status in eine Mitgliedschaft vorgesehen. Art 28 des Türkei-Abkommens stellt insofern eine Besonderheit dar, nachdem sich die Vertragsparteien die Pflicht auferlegen, die Möglichkeit eines Beitritts der Türkei zur Gemeinschaft zu prüfen, sobald das Assoziationsverhältnis es in Aussicht zu nehmen gestattet, dass die Türkei die Verpflichtungen aus dem EGV vollständig übernimmt.16 Um die Vertragsziele durch eine Ungleichbehandlung aus Gründen der Staatsangehörigen nicht zu unterlaufen, verbietet Art 9 AssAbk unter Bezugnahme auf das nun in Art 12 EG enthaltene allgemeine Diskriminierungsverbot jede Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit.17 Nach den bisherigen Darlegungen ist zu konstatieren, dass die Ziele des Abkommens – und in gleichem Maße die damit verfolgten Absichten – klar über die Schaffung einer „reinen“ Zollunion hinausgehen und weit in Bereiche des sonstigen Wirtschaftslebens eindringen. Kramer zieht folglich den naheliegenden Schluss, „…dass das Ziel aller Maßnahmen eine über die reine Zollunion beträchtlich hinausreichende Wirtschaftsunion zwischen der EWG und der Türkei sein sollte. Das ist letztlich faktisch gleichbedeutend mit einer türkischen Mitgliedschaft in der Gemeinschaft.“18 Insofern stellt das Abkommen ein Musterbeispiel einer Beitrittsassoziierung, also eines Assoziationsabkommens mit der Perspek16 Vgl Guild, Immigration Law in the European Community 102 f. Vgl auch Hailbronner, Immigration and Asylum Law and Policy of the European Union 24. 17 Vgl EuGH, Sürül, Rz 64; zur unmittelbaren Geltung der Bestimmung siehe Schlussanträge des GA La Pergola, Savas, Rz 18-20; EuGH, Kocak/Örs, Rz 36 f. 18 Vgl Kramer, Die Europäische Gemeinschaft und die Türkei 40. Siehe auch Gümrükcü, Rechts(un)sicherheit in Europa? 30.
Das Assoziationsabkommen EWG-Türkei
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tive eines späteren Beitritts zur Gemeinschaft dar.19 Die ebenfalls auf Kramer zurückgehende Feststellung mancher Autoren, das AssAbk sei so konzipiert, dass ein späterer Beitritt der Türkei nicht ausgeschlossen werden sollte, kann aus meiner Sicht nicht geteilt werden, da sie dem evidenten Anliegen einer gegenseitigen Annäherung nicht hinreichend Bedeutung beimisst.20 Eine dahingehende Interpretation des Abkommens unterschätzt den Zweck dieser Bindung – nämlich den, wenn auch noch zeitlich ungewissen, Beitritt. Vielmehr ist das Abkommen so konzipiert, dass der Türkei ein Beitritt ernsthaft in Aussicht gestellt wird, sollte sie im Stande sein, den gemeinschaftlichen acquis zu übernehmen (was im Übrigen das Wesen einer Beitrittsassoziierung ausmacht). Die Absicht der Vertragsparteien war es geradezu, die Möglichkeit einer späteren Mitgliedschaft der Türkei durch eine institutionalisierte Form verstärkter Zusammenarbeit herbeizuführen. Die Dauer dieses Prozesses konnte aus besagten Gründen noch nicht konkretisiert werden, weshalb man sich zum Teil mit Bestimmungen programmatischen Charakters behelfen musste, ohne jedoch vom Fernziel eines Beitritts abzurücken. Während Griechenland am 1.1.1981 den Gemeinschaften beigetreten ist, wurde der Türkei erst nach dem Gipfel von Helsinki im Dezember 1999 der Kandidatenstatus zuerkannt.21 Im Dezember 2004 hat der Europäische Rat schließlich bei seinem Treffen in Brüssel entschieden, dass Beitrittsverhandlungen mit der Türkei im Oktober 2005 aufgenommen werden sollen. Gleichzeitig hat er aber auch beschlossen, dass mit einem Beitritt nicht nur lange Übergangszeiten, sondern auch Ausnahmeregelungen oder dauerhafte Schutzklauseln insbesondere im Bereich des freien Personenverkehrs verbunden werden können.22 Vor dem Hintergrund der mit dem AssAbk eingegangenen völkerrechtlichen Verpflichtung zur schrittweisen Herstellung der Arbeitnehmerfreizügigkeit ist die Forderung des Rates nicht nachvollziehbar. Es scheint, als würde der Rat sich seiner völkerrechtlichen Verantwortung nicht hinreichend bewusst sein.
2. Drei Phasen der Umsetzung Zur Verwirklichung der oben genannten Ziele gliedert sich die Assoziation in a) eine Vorbereitungsphase, die es der Türkei ermöglichen soll, ihre Wirtschaft mit Hilfe der Gemeinschaft zu festigen, b) eine Übergangsphase, die der schrittweisen Errichtung einer Zollunion und der Annäherung der Wirtschaftspolitiken der Vertragsparteien gewidmet ist, und 19 Vgl Herrnfeld in Schwarze (Hrsg), Art 310 EGV, Rz 10; A. Weber in Groeben/ Thiesing/Ehlermann (Hrsg), Art 238 EGV, Rz 65 ff. 20 Vgl Kramer, Die Europäische Gemeinschaft und die Türkei 35 und ihm folgend W. Breidenbach, Auswirkungen des Assoziationsrechts EG/Türkei 11 f. 21 Siehe Beschluss des Rates vom 8.3.2001 über die Grundsätze, Prioritäten, Zwischenziele und Bedingungen der Beitrittspartnerschaft für die Türkische Republik, 2001/235/EG. 22 Vgl Schlussfolgerungen des Vorsitzes zur Tagung des Europäischen Rates (Brüssel) vom 16./17. Dezember 2004 (Dok 16238/1/04). Eine Zusammenfassung der Schlussfolgerungen des Europäischen Rates zum Beitritt der Türkei findet sich unter http://europa.eu. int/comm/enlargement/turkey/pdf/european_councils_.pdf.
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c) eine Endphase, die auf der Zollunion beruht und eine verstärkte Koordinierung der Wirtschaftspolitiken einschließt.23 Für die Vorbereitungsphase wurde ein Zeitraum von fünf Jahren vorgesehen, der jedoch nach Maßgabe des Vorläufigen Protokolls verlängert werden kann.24 Danach soll die Überleitung zur Übergangsphase vollzogen werden, indem die Einzelheiten und der Zeitplan der Verwirklichung dieser Phase durch ein vom Assoziationsrat zu beschließendes ZProt festgelegt werden. In diesem Sinne sieht Art 8 des Abkommens vor, dass zur Verwirklichung der in Art 4 genannten Ziele der Assoziationsrat vor Beginn der Übergangsphase die Bedingungen, die Einzelheiten und den Zeitplan für die Durchführung der Bestimmungen bezüglich der einzelnen Sachbereiche des Vertrages zur Gründung der Gemeinschaft bestimmt, die zu berücksichtigen sind. Diese Konkretisierung wurde jedoch nicht vom Assoziationsrat, sondern mit einem am 23. November 1970 in Brüssel von den Vertragsparteien unterzeichneten und dem Abkommen EWG-Türkei beigefügten ZProt25 bewerkstelligt. Der Beschluss Nr 1/95 des Assoziationsrates EG-Türkei legt schließlich die Vorschriften für die Durchführung der Endphase fest.26
3. Das institutionelle Funktionieren der Assoziation Die Durchführung des Assoziationsabkommens obliegt dem Assoziationsrat, der bei seiner Tätigkeit von einem Assoziationsausschuss unterstützt wird. Der Assoziationsrat ist gemäß Art 22 des Abkommens befugt, zur Verwirklichung der Ziele verbindliche Beschlüsse zu fassen. Die zweite Rechtssatzform, der er sich bedient, sind „zweckdienliche Empfehlungen“. Seine Befugnisse und Arbeitsregeln sind im Abkommen selbst festgelegt und in der Geschäftsordnung konkretisiert. Ihm ist die Kompetenz zugewiesen, zu allen Sachbereichen des Abkommens konkretisierende materielle und formelle Regelungen zu schaffen.27 Seine Rechtssetzungsbefugnis geht jedoch weiter als das „bloße“ Schaffen von Durchführungsbestimmungen. Nach Art 22 Abs 3 ist ihm die Befugnis eingeräumt, mit Beginn der Übergangsphase auch in jenen Fällen Beschlüsse zu fassen, in denen zur Zielerreichung ein gemeinsames Tätigwerden der Vertragspartner geboten erscheint, jedoch die dafür erforderlichen Kompetenzen im Abkommen nicht vorgesehen sind. Diese Ermächtigung steht in einem scheinbaren Spannungsverhältnis zu Art 6 AssAbk,28 der den aus dem EG-Vertrag bekannten Grundsatz der begrenzten Ermächtigung statuiert. Die Ähnlichkeit der Bestimmungen des Abkommens zur Systematik und Konzeption des EG-Vertrags (vgl Art 5 EG iVm Art 308 EG) lassen den Schluss zu, dass die Vertragspartner den Bestimmungen des Abkommens mutatis mutandis jenen Inhalt unterstellen wollten, der der im EG-Vertrag entspre23
Siehe Art 3-5 des Abkommens. Art 3 Abs 2 iVm Art 1 des Vorläufigen Protokolls. 25 ABl 1972 L 293/4. Zum Zusatzprotokoll siehe Kapitel I/D. 26 Beschluss vom 22. Dezember 1995 über die Durchführung der Endphase der Zollunion (ABl 1996 L 35/1). 27 Vgl Art 8 des Abkommens. 28 Der letzte Satz legt fest, dass der AssRat im Rahmen der Befugnisse tätig wird, die ihm in dem Abkommen zugewiesen sind. 24
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chenden Norm zukommt. Aus diesem Grund erscheint es nicht nur zweckmäßig, sondern unumgänglich, die Tragweite der Ermächtigung des Art 22 Abs 3 AssAbk über die „Vorbildbestimmung“ des Art 308 EG zu definieren. Die Quintessenz des Gutachtens 2/94 vom 28.3.1996, in dem sich der Gerichtshof mit der Frage der Rechtmäßigkeit eines Beitritts der Gemeinschaft zur EMRK auseinandersetzte, war, dass die Ermächtigung des Art 308 EG (damals Art 235 EGV) lediglich Abhilfe zur Besorgung von Aufgaben im Hinblick auf die Erreichung von vertraglich zugewiesenen Zielen bieten soll, wenn die dafür nötigen Befugnisse fehlen. Keineswegs darf mit Inanspruchnahme dieser „Notkompetenz“ unter Außerachtlassung der vertraglich vorgesehenen Verfahren ein Zustand herbeigeführt werden, der gemessen an seinen Auswirkungen einer Vertragsänderung gleichkäme. Übertragen auf Art 22 Abs 3 des Abkommens bedeutet die Schlussfolgerung des EuGH, dass der AssRat auch in jenen Fällen Beschlüsse fassen kann, in denen ausdrückliche und stillschweigende Befugnisse fehlen, wenn sie zur Erreichung eines der Ziele des Abkommens erforderlich erscheinen. Unter Ziele iS dieser Vorschrift werden sowohl die in der Präambel und der Grundsatzbestimmung des Art 2 AssAbk verankerten Ziele als auch die in den einzelnen Politikfeldern (wie zB Zollunion, Freizügigkeit und Dienstleistungsverkehr) zu besorgenden Aufgaben zu verstehen sein. Dem zentralen Organ des Assoziationsverhältnisses „AssRat“ kommt daher die Befugnis zu, vertragsergänzende Bestimmungen zu erlassen, wenngleich seine Regelungsbefugnis nicht soweit geht, dass durch Beschlüsse des Assoziationsrates das Abkommen selbst geändert werden kann, wie es etwa im EWR-Abkommen vorgesehen ist.29 Der Assoziationsrat ist neben seiner Eigenschaft als „Verwaltungs- und Gesetzgebungsorgan“ auch zur Streitschlichtung berufen und übt im Rahmen des Art 25 die Funktion eines judikativen Organs aus. Nach Abs 1 können die Vertragsparteien den Assoziationsrat mit Streitigkeiten in Bezug auf die Anwendung oder Auslegung des Abkommens befassen. Nach Abs 2 stehen dem Assoziationsrat in diesem Fall zwei Möglichkeiten offen: a) Er kann entweder den Konflikt durch Beschluss beilegen oder b) er kann beschließen, die Beilegung der Streitigkeit dem EuGH oder einem anderen bestehenden Gericht zu übertragen. Abs 3 statuiert die Pflicht der Parteien, die zur Durchführung des Beschlusses oder Schiedsspruches erforderlichen Maßnahmen zu treffen. Der Assoziationsrat besteht aus Mitgliedern der Regierungen der Mitgliedstaaten, des Rates und der Kommission der Gemeinschaft einerseits und Mitgliedern der türkischen Regierung andererseits. Die Beschlüsse des Assoziationsrates werden nach dem Einstimmigkeitsprinzip gefasst, wobei sowohl der Gemeinschaft als auch der Türkei eine Stimme zusteht.30 Soweit nichts anderes beschlossen wird, tagt der Rat mindestens einmal halbjährlich auf Ministerebene.31 Der Vorsitz im 29 Art 89 Abs 1: „Es wird ein EWR-Rat eingesetzt. Er hat insbesondere die Aufgabe, die politischen Anstöße für die Durchführung dieses Abkommens zu geben und die allgemeinen Leitlinien für den Gemeinsamen EWR-Ausschuß festzulegen… Er trifft die politischen Entscheidungen, die zu Änderungen des Abkommens führen.“ 30 Vgl Art 23 des Abkommens. 31 Art 1 der GO, welche durch den Beschluss 1/64 genehmigt wurde.
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Assoziationsrat wird von einem Vertreter der Gemeinschaft und einem Vertreter der Türkei abwechselnd für sechs Monate wahrgenommen.32 Um eine gewisse Beständigkeit der Zusammenarbeit zu sichern, hat der Assoziationsrat zu seiner Unterstützung einen Assoziationsausschuss gem Art 24 Abs 3 eingesetzt, der für das organisatorische Funktionieren der Assoziation verantwortlich ist, aber keine Entscheidungskompetenz besitzt.33 Außerdem wird gemäß Art 1 des Beschlusses Nr 1/65 ein Parlamentarischer Assoziationsausschuss aus Mitgliedern des EP und der Großen Nationalversammlung der Türkei auf der Grundlage von Art 27 des Assoziationsabkommens geschaffen, um dem Ziel einer verstärkten Kooperation gerecht zu werden.34
D. Das Zusatzprotokoll von 1970 Das Zusatzprotokoll35 vom 23.11.1970 ist ein weiterer wichtiger Bestandteil des Assoziationsrechts EG-Türkei, da es durch detailliertere Regelungen den Schritt in die Übergangsphase der Assoziation einleitet. Im Verhältnis zu den Art 8 ff des AssAbk bildet das ZProt eine lex specialis und gilt gemäß seinem Art 62 als Bestandteil des Assoziationsabkommens. Das Primärrecht des Assoziationsverhältnisses ergibt sich somit aus der Zusammenschau von Zusatzprotokoll und AssAbk, wenngleich dabei die wesentliche Funktion des Assoziationsabkommens als Interpretationsgrundlage für die Bestimmungen des ZProt nicht übersehen werden darf. 36
1. Historischer Hintergrund Das AssAbk sieht vor, dass der Vorbereitungsphase eine Übergangsphase folgt, die neben der schrittweisen Errichtung einer Zollunion zwischen der Türkei und der Gemeinschaft innerhalb von zwölf Jahren die Annäherung der türkischen Wirtschaftspolitik an diejenige der Gemeinschaft und das für das ordnungsgemäße Funktionieren der Assoziation erforderliche gemeinsame Handeln zum Ziel hat (Art 4 AssAbk). Die Überleitung von der mindestens fünf Jahre dauernden Vorbereitungsphase in die Übergangsphase geschieht nicht automatisch (Art 3 Abs 2). Gem Art 1 des Vorläufigen Protokolls prüft der Assoziationsrat vier Jahre nach Inkrafttreten des Abkommens, somit ab Dezember 1968, ob bei Berücksichtigung der Wirtschaftslage der Türkei die Bedingungen, die Einzelheiten und der Zeitplan der Verwirklichung der Übergangsphase in Form eines ZProt festgelegt werden können. Die Empfehlung des Assoziationsrates Nr 1/67 vom 9.10.1967 sah vor, jeweils intern die notwendigen Vorarbeiten bereits einzuleiten, um die Überleitung in die Übergangsphase zu erleichtern. Am 9.12.1968 hat der Assoziationsrat eine Entschließung angenommen, in der die sofortige Einleitung des in Art 1 des 32
Art 24 des Abkommens. Beschluss Nr 3/64. 34 Daneben bestehen noch weitere Ausschüsse, auf die jedoch im Rahmen dieser Arbeit nicht eingegangen werden kann. 35 ABl 1972 L 293/4. Das ZProt wurde durch VO (EWG) Nr 2760 des Rates vom 19. Dezember 1972 (ABl L 293/1) im Namen der Gemeinschaft gebilligt und trat gemäß seinem Artikel 63 Absatz 2 am 1. Januar 1973 in Kraft. 36 Vgl Vedder in Grabitz/Hilf (Hrsg), Art 238 EGV, Rz 40a. 33
Das Zusatzprotokoll von 1970
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Vorläufigen Protokolls vorgesehenen Verfahrens angeordnet wurde, um das ZProt festzulegen.37 Am 23.11.1970 konnte in Brüssel auf Grundlage dieser Vorarbeiten das ZProt unterzeichnet werden.
2. Der Inhalt des Zusatzprotokolls Durch das Zusatzprotokoll werden die Bedingungen, die Einzelheiten und der Zeitplan für die Realisierung der Übergangsphase zum Zwecke der schrittweisen Errichtung einer Zollunion und der Annäherung der Wirtschaftspolitiken der Vertragsparteien festgelegt.38 Der Inhalt unterteilt sich in vier Titel und mehrere Unterkapitel. Während der erste Titel den freien Warenverkehr behandelt, widmet sich der zweite Titel mit den Art 36 ff der Freizügigkeit und dem Dienstleistungsverkehr. Der dritte Titel beschäftigt sich mit der Angleichung der Wirtschaftspolitik und im Titel IV finden sich Allgemeine und Schlussbestimmungen. Von besonderem Interesse sind für die vorliegende Arbeit die Bestimmungen über die Arbeitnehmerfreizügigkeit und das Niederlassungsrecht, weshalb auf sie im weiteren Verlauf der Untersuchung das Hauptaugenmerk gerichtet wird. Artikel 12 des Abkommens wird durch Art 36 ZProt dahingehend konkretisiert, dass die Freizügigkeit der Arbeitnehmer zwischen den Mitgliedstaaten der Gemeinschaft und der Türkei zwischen dem Ende des zwölften und dem Ende des zweiundzwanzigsten Jahres nach dem Inkrafttreten des genannten Abkommens (also bis zum 30.11.1986) schrittweise hergestellt werden soll. Die genaueren Modalitäten überantwortete man dem Assoziationsrat. Ergiebiger, weil konkreter, stellt sich Art 37 dar, der sich augenscheinlich an die Bestimmung des Art 39 Abs 2 EG anlehnt. Er verpflichtet jeden Mitgliedstaat, für die in der Gemeinschaft beschäftigten türkischen Arbeitnehmer eine Regelung vorzusehen, die in Bezug auf die Arbeitsbedingungen und das Entgelt keine auf der Staatsangehörigkeit beruhende Diskriminierung gegenüber Arbeitnehmern enthält, die Staatsangehörige der anderen Mitgliedstaaten sind. Diese Bestimmung bildet eine nähere Bestimmung des allgemeinen Diskriminierungsverbotes des Art 9 AssAbk, wobei das Verhältnis zwischen Art 9 des Abkommens und Art 37 des ZProt mutatis mutandis dem Verhältnis zwischen Art 12 und Art 39 Abs 2 EG entspricht,39 was unter anderem Konsequenzen für die Auslegung des Arbeitnehmerbegriffes mit sich bringt. Nach Art 39 Abs 1 erlässt der Assoziationsrat vor dem Ende des ersten Jahres nach Inkrafttreten des ZProt Bestimmungen auf dem Gebiet der sozialen Sicherheit für Arbeitnehmer türkischer Staatsangehörigkeit, die von einem Mitgliedstaat in einen anderen zu- oder abwandern, sowie für deren in der Gemeinschaft wohnende Familien. Art 41 enthält in seinem Abs 1 eine Stillhalte-Klausel,40 in dem sich die Vertragsparteien das Verbot auferlegen, nach Inkrafttreten des ZProt neue Be37
Vgl vierter jährlicher Tätigkeitsbericht des Assoziationsrates EWG-Türkei (1.1. – 31.12.1968) 26. 38 Vgl Art 1 des ZProt, ABl 1972 L 293/1. 39 Siehe SA des GA La Pergola, Sürül, Rz 4 und 15. 40 Vgl SA des GA La Pergola, Savas, Rz 12 und ihm folgend EuGH, Savas, Rz 46.
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schränkungen der Niederlassungsfreiheit wie auch der Dienstleistungsfreiheit einzuführen.41 Abs 2 hingegen verleiht dem Assoziationsrat die Befugnis, die Zeitfolge und die Einzelheiten festzulegen, nach denen die Vertragsparteien die Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit und des freien Dienstleistungsverkehrs untereinander schrittweise beseitigen. Der Assoziationsrat hat jedoch bisher keine Maßnahme auf der Grundlage von Art 41 Abs 2 des ZProt erlassen, weshalb davon auszugehen ist, dass gegenüber türkischen Staatsangehörigen in Bezug auf Niederlassungsfreiheit und Freiheit des Dienstleistungsverkehrs die Rechtslage zum Tragen kommt, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des ZProt in den Mitgliedstaaten gegolten hat. Schließlich wird die Dauer der Übergangsphase gem Art 61 auf einen Zeitraum von zwölf Jahren bemessen.
E. Die zentralen Beschlüsse des Assoziationsrates Gerade die Beschlüsse 2/76 und 1/80 sind von erheblichem Einfluss auf die aufenthaltsrechtliche und beschäftigungsrechtliche Situation türkischer Arbeitnehmer und ihrer Familienangehörigen. Aus diesem Grund wird diesen Beschlüssen das Hauptaugenmerk der Arbeit gewidmet. Daneben erließ der AssRat – auf Grundlage des Art 39 ZProt – den Beschluss 3/80. Dieser soll türkischen Staatsangehörigen, die in der Gemeinschaft gearbeitet haben, ihren Familienangehörigen und ihren Hinterbliebenen den Zugang zu den Leistungen der herkömmlichen Zweige der sozialen Sicherheit ermöglichen.
1. Der ARB 2/76 Mit dem Beschluss des Assoziationsrats über die Durchführung des Art 12 AssAbk wurden Durchführungsbestimmungen zu Art 36 ZProt festgelegt,42 um dem Ziel der schrittweisen Herstellung der Freizügigkeit der Arbeitnehmer Rechnung zu tragen. Der Beschluss definiert sich gemäß seinem Art 1 Abs 1 als erste Stufe der Freizügigkeit, welche nach Abs 2 einen Zeitraum von vier Jahren – vom 1.12.1976 an – umfassen sollte. Wie zögerlich man der Verwirklichung des Ziels der Arbeitnehmerfreizügigkeit nachging, zeigt der Inhalt des Beschlusses, der in gewissen Punkten mehr einem Minimalkonsens gleicht, als der Festlegung von Durchführungsbestimmungen.43 Kernbereich der Bestimmungen des Beschlusses Nr 2/76 ist die Regelung der Rechtsverhältnisse türkischer Arbeitnehmer, die bereits in einem „ordnungsgemäßen Beschäftigungsverhältnis“44 in einem der 41 Vgl Hofstötter, Niederlassungsfreiheit und die unmittelbare Wirkung von Stillhalteklauseln im Zusatzprotokoll zum Assoziationsabkommen EWG-Türkei, ELR 2000, 262. Gutmann, Die Standstill-Klausel im Assoziatiosnrecht, InfAuslR 2000, 318. Zur unmittelbaren Anwendbarkeit dieser Bestimmung siehe im Folgenden. 42 Siehe Art 1 Abs 1 des Beschlusses Nr 2/76. 43 Vgl Art 5 des Beschlusses, der davon spricht, dass im Falle mangelnder Verfügbarkeit mitgliedstaatlicher Arbeitskräfte, die Mitgliedstaaten sich bemühen, „den türkischen Arbeitnehmern in diesem Falle den Vorrang einzuräumen“. 44 Zum Begriff der „ordnungsgemäßen Beschäftigung“ siehe 60 ff.
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Mitgliedstaaten der Gemeinschaft stehen. Unter der Voraussetzung einer Beschäftigung von fünf Jahren gewährt der Beschluss freien Zugang zum Arbeitsmarkt.45 In der Literatur wurde konstatiert, der Beschluss Nr 2/76 sei durch den weitergehenden Beschluss Nr 1/80 „de facto abgelöst“.46 In der Tat gibt der ARB 1/80 den gesamten Regelungsinhalt des Beschlusses Nr 2/76 in fortentwickelter Form wieder, weshalb nach hier vertretener Auffassung von einer teilweisen materiellen Derogation des letztgenannten Beschlusses gemäß dem lex posteriorPrinzip ausgegangen wird. Von der Derogationswirkung bleibt lediglich die Standstill-Klausel des Art 7 ARB 2/76 verschont, denn die im Art 13 ARB 1/80 enthaltene Standstill-Klausel erweitert zwar den persönlichen Geltungsbereich auf Familienangehörige; für Arbeitnehmer gilt aber nach wie vor der Standstill-Zeitpunkt des ARB 2/76.
2. Der ARB 1/80 Der Beschluss Nr 1/80 soll nach seiner dritten Begründungserwägung zugunsten der Arbeitnehmer und ihrer Familienangehörigen zu einer besseren Regelung im sozialen Bereich führen. Während der Regelungsinhalt des ARB 2/76 auf die Situation des Arbeitnehmers fokussiert ist, lässt der ARB 1/80 die Familienangehörigen des türkischen Arbeitnehmers an seinen Freizügigkeitsrechten teilhaben. Der Beschluss ist von der Vorstellung getragen, die Integration des Wanderarbeitnehmers durch die Begünstigungen im Rahmen der Familienzusammenführung zu erleichtern. Die Vorschriften des Abschnitts 1 Kapitel II des ARB 1/80 bilden somit eine weitere Stufe bei der Herstellung der Arbeitnehmerfreizügigkeit im Geiste der Art 39, 40 und 41 EG.47 Auf den Gehalt dieses Beschlusses wird unten (69 ff) eingegangen.
45 46 47
Vgl Art 2 Abs 1 lit b des Beschlusses. C. Weber, Der assoziationsrechtliche Status 8. Vgl ua EuGH, Bozkurt, Rz 14 und 19, und Tetik, Rz 20.
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II. Assoziationsrecht EWG-Türkei und Gemeinschaftsrecht
Wie soeben dargelegt,48 treten in der assoziationsrechtlichen Geschichte der EG mit Drittstaaten Regelungen über die Arbeitnehmerfreizügigkeit erstmals in den Abkommen mit Griechenland und der Türkei auf. Während das Abkommen zwischen Griechenland und der EWG auf Grund des verhältnismäßig frühen Beitritts zur Europäischen Union im Jahre 1981 eine untergeordnete Rolle spielte, gab das Türkei-Abkommen (nicht zuletzt wegen der Vielzahl von türkischen Gastarbeitern) samt seinen darauf basierenden Beschlüssen oftmals Anlass zu einem Vorabentscheidungsverfahren gem Art 234 EG und ist mittlerweile zu einer wesentlichen Grundlage der Einwanderungspolitik der EG gegenüber Personen aus Drittstaaten geworden.49
A. Regelungsbefugnis der Gemeinschaft und die Auslegung durch den EuGH Die Befugnis der Gemeinschaft, Assoziationsabkommen mit einem Drittstaat zu schließen, stützt sich auf Art 310 EG. Dieser hält in lapidarer Form fest: „Die Gemeinschaft kann mit einem oder mehreren Staaten oder einer oder mehreren internationalen Organisationen Abkommen schließen, die eine Assoziierung mit gegenseitigen Rechten und Pflichten, gemeinsamem Vorgehen und besonderen Verfahren herstellen.“ Welche Sachbereiche Gegenstand eines auf Grundlage dieser Bestimmung geschlossenen Abkommens sein können, lässt sich aus dem Wortlaut zumindest nicht erschließen. Die Frage nach der inhaltlichen Reichweite dieser Kompetenz gab verständlicher Weise Anstoß zu Meinungsverschiedenheiten. Der Rat vertrat in Anlehnung an einen Teil der Literatur50 die restriktivere Auffassung, dass aus Art 310 EG (ex-238) keine eigene Sachkompetenz erwachse, sondern den Abschluss von Abkommen seitens der EG nur insoweit gestatte, als andere Vorschriften eine diesbezügliche Vertragsabschlusskompetenz bieten,51 wie sie in der allgemeinen Ermächtigung der Art 133 bzw 181 EG enthalten sind. 48
Siehe 4 f. Vgl Guild, Immigration Law in the European Community 65. 50 Vgl Hailbronner, Die Freizügigkeit türkischer Staatsangehöriger, EuR 1984, 58 (mwN). 51 Vgl Vedder in Grabitz/Hilf (Hrsg), Art 238 EGV, Rz 7 (mwN). 49
Regelungsbefugnis der Gemeinschaft
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Demgegenüber ist die Kommission in Einklang mit der hM schon seit jeher der Ansicht, Art 310 EG sei als eine Kompetenznorm mit originärem sachlichem Regelungsbereich zu betrachten.52 Erst die Rs Demirel,53 in der sich der Gerichtshof mit der Interpretation von Bestimmungen betreffend die Freizügigkeit türkischer Arbeitnehmer auseinandersetzen musste, führte zu einer ersten Klärung der Frage, ob die verhandlungsgegenständlichen Bestimmungen in die Gemeinschaftszuständigkeit fallen bzw der gesamte Regelungsinhalt der gemischten Abkommen in seine Zuständigkeit gehört. Hatte der EuGH bis dahin seine Kompetenz zur Auslegung von Bestimmungen gemischter Abkommen54 – wie es das AssAbk zwischen der EWG und der Türkei darstellt – stets stillschweigend vorausgesetzt,55 ging GA Darmon in seinen Schlussanträgen ausdrücklich auf diese Frage ein.56 Die deutsche und die britische Regierung waren – ohne dabei die grundsätzliche Kompetenz des Gerichtshofes zur Auslegung aller Abkommen mit Drittstaaten, bei denen die Gemeinschaft Vertragspartei ist, in Zweifel zu ziehen – der Ansicht, dass der EuGH nicht zur Auslegung von Vorschriften betreffend die Freizügigkeit der Arbeitnehmer berufen sei, da diese der ausschließlichen Zuständigkeit der Mitgliedstaaten unterworfen seien.57 GA Darmon stützte sich bei seinen Ausführungen auf die einschlägige Vorjudikatur des Gerichtshofes, welche mit Rücksicht auf die einheitliche Anwendung der in Frage stehenden Bestimmungen innerhalb der Gemeinschaft keinen Zweifel an der Zuständigkeit des EuGH zur Auslegung der Bestimmungen dieser Abkommen ließ. Nachdem die zur Durchführung der Abkommen notwendigen Maßnahmen je nach Maßgabe des Gemeinschaftsrechts von den Mitgliedstaaten oder von der Gemeinschaft zu treffen sind, dürfen die Rechtswirkungen der in Frage stehenden Bestimmungen innerhalb der Gemeinschaft nicht davon abhängen, ob sie von den Gemeinschaftsorganen oder von den Mitgliedstaaten anzuwenden sind. Die im Schlussantrag herangezogene Rechtsprechungslinie des EuGH ließ klar erkennen, dass die aus einem gemischten Abkommen erwachsenden Verpflichtungen der Mitgliedstaaten nicht rein völkerrechtlicher Natur sind, sondern auch – oder insbesondere – gemeinschaftsrechtlichen Charakter aufweisen, da der Gemeinschaft die Verantwortung für eine ordnungsgemäße Durchführung des Abkommens obliege. Dies rechtfertige die Zuständigkeit des EuGH zur Interpretation der Bestimmungen der Abkommen, schließe jedoch nicht aus, dass eine Bestimmung eines gemischten Abkommens kraft ihrer Natur oder aufgrund eines ausdrücklich bedungenen Vorbehalts von dieser Auslegungsprärogative ausgenommen sein könnte. 52 Vgl Vedder in Grabitz/Hilf (Hrsg), Art 238 EGV, Rz 8; Hirsch, Die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zu Assoziierungsabkommen, BayVBl 1997, 449. Herrnfeld in Schwarze (Hrsg), Art 310 EGV, Rz 5. 53 EuGH, Demirel, Rz 6 ff. 54 Das bedeutet, dass es sich um ein Abkommen handelt, dessen Vertragsparteien auf Gemeinschaftsseite die EG einerseits und die einzelnen Mitgliedstaaten andererseits bilden. Zu den aus „gemischten Abkommen“ resultierenden Problemen siehe Vedder in Grabitz/Hilf (Hrsg), Art 238 EGV Rz 18 ff. 55 Vgl insb EuGH, Hägeman, das die Auslegung des Assoziierungsabkommens zwischen der EWG und Griechenland betraf. Vgl auch die Urteile Breciani und Razanatsimba. 56 SA des GA Darmon, Demirel, Rz 7 ff. 57 Vgl SA des GA Darmon, Demirel, Rz 5.
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Für die aus Art 238 EWGV (Art 310 EG) ableitbare Außenkompetenz der Gemeinschaft führt Darmon insbesondere den Umstand ins Treffen, dass das AssAbk mit Blick auf einen späteren Beitritt geschlossen wurde, was deutlich ein Indiz dafür darstelle, dass es sich um die Handlung eines Organs im Sinne von Art 177 EWGV (Art 234 EG) handle. Aus der späteren Beitrittsperspektive des Abkommens zieht er den Schluss, dass in diesem Falle der Gemeinschaft notwendigerweise eine sehr weitgehende Befugnis zum Abschluss von Verträgen mit Drittländern zustehe, damit alle vom EWGV erfassten Sachbereiche abgedeckt werden könnten. Somit vermittle Art 238 EWGV (jetzt: Art 310 EG) – ohne auf die in der AETR-Rechtsprechung58 eingeräumten impliziten Zuständigkeiten zurückgreifen zu müssen – „für sich allein schon eine ausdrücklich geregelte besondere Außenkompetenz,59 die nach Maßgabe des verfolgten Zieles und der Interessen der Gemeinschaft auszuüben ist.“ An dieser Stelle wird der Argumentationsstrang mE äußerst dünn, da eine allenfalls mangelnde vertragliche Kompetenz nicht durch eine weite Zielsetzung im Abkommen selbst kompensiert werden kann. Natürlich ist GA Darmon darin zuzustimmen, dass ein Beitrittsabkommen, dessen Zweck es geradezu ist, den beitrittswilligen Drittstaat innerhalb einer gewissen Zeit in die Lage zu versetzen, den gesamten Rechtsbestand der Gemeinschaft zu übernehmen, notwendigerweise eine Kompetenzgrundlage voraussetzt, die sehr weit ist, ergo all jene Sachbereiche umfassen muss, die Gegenstand einer solchen Übernahme sein können. Als Wesenskern dieses gemeinschaftlichen Rechtsbestandes müssten namentlich die Grundfreiheiten vom Regelungsgehalt der Kompetenznorm erfasst sein. Aus der lapidaren Feststellung des Art 310 EG (ex 238 EWGV) alleine lässt sich die Tragweite der Regelungsbefugnis jedenfalls nicht bestimmen. Der Gerichtshof folgte den Ausführungen des Generalanwalts in der Rs Demirel und bekräftigte seine Kompetenz zur Auslegung der fraglichen Bestimmungen sowie die Befugnis der Gemeinschaft, über Art 238 EWGV Verpflichtungen gegenüber Drittstaaten in allen vom EWGV erfassten Bereichen einzugehen. In diesem Urteil stellte der EuGH in Anlehnung an seine Vorjudikatur60 fest, dass ein vom Rat gemäß den Art 228 und 238 EWGV geschlossenes Abkommen für die Gemeinschaft die Handlung eines Gemeinschaftsorgans iSd des Art 177 Abs 1 lit b EWGV darstelle, dass die Bestimmungen eines solchen Abkommens seit dessen Inkrafttreten einen integrierenden Bestandteil der Gemeinschaftsrechtsordnung bilden und ihm insoweit die Kompetenz zukomme, durch Vorabentscheidung über die Auslegung dieses Abkommens zu befinden: „Da ein Assoziierungsabkommen besondere und privilegierte Beziehungen mit einem Drittstaat schafft, der zumindest teilweise am Gemeinschaftssystem teilhaben muss, muss Artikel 238 [EWGV] der Gemeinschaft notwendigerweise die Zuständigkeit dafür einräumen, 58 EuGH, AETR, Rz 15–19. Dort wird die Feststellung getroffen, dass bei der Ermittlung der Zuständigkeit der Gemeinschaft zum Abschluss internationaler Abkommen auf das System und die materiellen Vorschriften des Vertrages zurückzugreifen ist. Eine diesbezügliche Zuständigkeit „ergibt sich nicht nur aus einer ausdrücklichen Erteilung durch den Vertrag wie der Art 113 und 114 für die Zoll- und Handelsabkommen und in Artikel 238 für die Assoziierungsabkommen ausgesprochenen, sondern sie kann auch aus anderen Vertragsbestimmungen und aus in ihrem Rahmen ergangenen Rechtsakten […] fließen“. 59 Hervorhebungen von mir. 60 EuGH, Hägeman. Hier ging es um die Auslegung des Assoziierungsabkommens zwischen der EWG und Griechenland.
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die Erfüllung der Verpflichtungen gegenüber Drittstaaten in allen vom EWGVertrag erfassten Bereichen sicherzustellen. Die Freizügigkeit der Arbeitnehmer stellt nach den Artikeln 48 ff EWG-Vertrag einen der vom Vertrag erfassten Bereiche dar; daraus folgt, dass die diese Materie betreffenden Verpflichtungen in die Zuständigkeit der Gemeinschaft im Rahmen des Artikels 238 EWGV fallen“.61 Durch diese Aussagen fand sich die Mehrzahl der Literaturstimmen in ihrer Auffassung einer umfassenden Vertragsabschlusskompetenz der Gemeinschaft bestätigt.62 Insbesondere Vedder weist zutreffend auf das Erfordernis einer systematischen Auslegung dieser Bestimmung hin und leitet aus dem Kontext zu den inzwischen in den EUV verlagerten Bestimmungen der Art 236 (Vertragsänderung) und 237 EWGV (Beitritt neuer MS) eine Kompetenz zum Abschluss von Verträgen mit eigenem sachlichen Regelungsbereich ab.63 Daneben wurde auch das Argument ins Treffen geführt, dass bei einer Beschränkung dieser Befugnis auf explizit zugewiesene Vertragsabschlusskompetenzen neben Art 113 EWGV kein sinnvoller Anwendungsbereich mehr verbliebe. Im Ergebnis ist mit der hM festzuhalten, dass Art 310 EG eine Kompetenznorm mit eigenem sachlichen Regelungsbereich ist und der Gemeinschaft das Recht vermittelt, Verpflichtungen gegenüber Drittländern im Rahmen aller vom EGVertrag erfassten Materien einzugehen. Wortlaut und systematische Auslegung der Bestimmung legen eine großzügigere Auslegung nahe, zumal keine triftigen Gründe dafür ersichtlich sind, warum Art 310 EG restriktiv verstanden werden sollte. Die Gemeinschaft verlässt erst dort den Boden der eigenständigen Vertragsabschlusskompetenz und handelt kompetenzwidrig, wo sie die Grenzen des in Art 5 Abs 1 EG verankerten Grundsatzes der begrenzten Ermächtigung überschreitet, der zugleich einen Schutz der Befugnisse der Mitgliedstaaten darstellt.64 Demnach darf sich die Gemeinschaft selbst in einem Assoziationsabkommen nur nach Maßgabe der vertraglichen Befugnisse und Ziele verpflichten. Die Überschreitung der Verbandskompetenz führt jedoch nicht per se zur absoluten Nichtigkeit des Abkommens, macht aber die Handlung des Gemeinschaftsorgans vernichtbar im Sinne des Art 230 EG. Ein weiterer Gesichtspunkt, der in der Literatur und Rechtsprechung bisher keine gebührende Beachtung gefunden hat, sollte mE nicht übersehen werden. Dass die vom EuGH dem Art 310 EG unterstellte Tragweite vom Willen der Vertragspartner des EG-Vertrages getragen ist, wird zusätzlich durch den Umstand belegt, dass den bisherigen Vertragsänderungen kein diesbezüglicher Verständniswandel zu entnehmen ist. Vielmehr haben die Mitgliedstaaten als Herren der Verträge die Norm stets unverändert gelassen und somit zumindest stillschweigend zum Ausdruck gebracht, dass dieser Norm kein anderer Inhalt zuzusinnen ist, als der vom Gerichtshof unterstellte. Die einheitliche Anwendung des Assoziationsrechts innerhalb der gesamten Gemeinschaft wird demnach im Wege des Vorabentscheidungsverfahrens nach 61
EuGH, Demirel, Rz 7 und insb Rz 9. Vgl Vedder in Grabitz/Hilf (Hrsg), Art 238 EGV, Rz 10 63 Ibidem Rz 9. 64 Vgl Lienbacher in Schwarze (Hrsg), Art 5 EGV, Rz 7. Zur Problematik von Kompetenzbestimmungen mit „bloßen Zielvorgaben“ und der damit verbundenen „Unmöglichkeit einer trennscharfen Abgrenzung“ siehe ibidem Rz 8. 62
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Art 234 EG sichergesestellt. Was die Art und Weise der Auslegung anlangt, wurde vielfach von Literaturstimmen gefordert, dass diese primär nach den allgemeinen völkerrechtlichen Interpretationsregeln erfolgen müsste und der EuGH seine für das Primär- und Sekundärrecht entwickelte integrationsbezogene Dynamik nicht grenzenlos auf das Assoziationsrecht übertragen dürfte.65 Die für die Auslegung von internationalen Verträgen einschlägige Norm des Art 31 WVK bestimmt, dass ein Vertrag nach Treu und Glauben in Übereinstimmung mit der gewöhnlichen, seinen Bestimmungen in ihrem Kontext zukommenden Bedeutung und im Lichte seines Zieles und Zweckes auszulegen ist. Selbst wenn man den völkerrechtlichen Charakter eines im Rechtsbestand der Gemeinschaftsrechtsordnung befindlichen Abkommens bei der Interpretation des in Frage stehenden Vertrages in den Vordergrund stellte, führen die Auslegungsgrundsätze der WVK, insbesondere das Gebot der ziel- und zweckorientierten Auslegung, deutlich vor Augen, dass das in der Literatur gelegentlich zum Ausdruck kommende Postulat, der EuGH möge seine Auslegungskompetenz im Hinblick auf Assoziationsabkommen zurückhaltender ausüben und sich nicht von der für das innergemeinschaftliche EG-Recht entwickelten gesteigerten Dynamik leiten lassen, im Zusammenhang mit dem Abkommen EWG-Türkei keine allgemeine Berechtigung hat. Denn was ist Ziel und Zweck des Abkommens? Im Vertrauen auf eine spätere Beitrittsmöglichkeit des assoziierten Drittstaates wurde ein Vertrag geschlossen, dessen Ziel und Zweck die Angleichung der Wirtschaftsund Rechtsordnung ist. Dies soll etappenweise und zunächst im Bereich der Grundfreiheiten geschehen.66 Ist das Ziel dieses Abkommens die Harmonisierung der Rechts- und Sozialordnung durch die Heranführung in Form der Übertragung von Teilbereichen der Gemeinschaftsfreizügigkeiten und eine nachfolgende Gesamtübernahme der Rechte und Pflichten aus dem EG-Vertrag, so ist es notwendig, dass Bestimmungen, die den Verpflichtungen des EG-Vertrags nachgebildet sind, in gleicher Weise verstanden werden. Diese Annahme wird dadurch erhärtet, dass viele Bestimmungen im Assoziationsrecht EWG-Türkei explizit auf eine entsprechende Regelung im EG-Vertrag Bezug nehmen. Als Beispiel kann Art 12 des Abkommens herangezogen werden, der den Vertragsparteien die Pflicht auferlegt, sich bei der schrittweisen Herstellung der Arbeitnehmerfreizügigkeit von den Art 48, 49 und 50 des Vertrages zur Gründung der Gemeinschaft leiten zu lassen. Nach der Rsp des EuGH steht der Übertragung der Auslegung einer Vertragsbestimmung des EG-Vertrags auf eine vergleichbar, ähnlich oder übereinstimmend formulierte Bestimmung eines Abkommens zwischen der Gemeinschaft und einem Drittland dann nichts entgegen, wenn sich bei einem zweckorientierten Vergleich der fraglichen Bestimmungen eine inhaltliche Deckung feststellen lässt.67 Mit anderen Worten: wenn Übereinstimmung hinsichtlich Ziel und Zweck der Regelungen in dem ihnen je eigenen 65 Vgl zB Tomuschat in Groeben/Thiesing/Ehlermann (Hrsg), Art 228 EGV, Rz 58; Krück in Schwarze (Hrsg), Art 281 EGV, Rz 25. 66 Vgl die Präambel des AssAbk. Die Vertragsparteien haben sich gem Art 28 des Abkommens die Pflicht auferlegt, die Möglichkeit eines Beitritts zu prüfen, sobald das Funktionieren der Assoziation es in Aussicht zu nehmen gestattet. Die Herstellung der Arbeitnehmerfreizügigkeit ist ein Vertragsziel gem Art 12 AssAbk iVm Art 36 ZProt. 67 GA La Pergola, SA zu Sürül, Rz 3, 8, 15.
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Rahmen herrscht. Gerade diesen Übereinstimmungen begegnet man bei einem Vergleich von Ziel und Zweck im jeweiligen Kontext des Abkommens mit demjenigen des Vertrages oft, da sich Aufbau und Inhalt des AssAbk geradezu als verkleinertes Abbild der grundfreiheitlichen Bestimmungen des EG-Vertrages erweisen. Daraus schließt der EuGH, dass die vom Gerichtshof für das „eigene Gemeinschaftsrecht“ entwickelten Auslegungsregeln mutatis mutandis auf die zum Teil identischen Begriffe des Assoziationsrechts anzuwenden sind. Auch Generalanwalt Darmon hat in seinen Schlussanträgen zur Rs Eroglu68 den Standpunkt bezogen, das Abkommen verfolge dasselbe Ziel, das sich der EWGVertrag für die Gemeinschaftsangehörigen gesetzt hat. Vor diesem Hintergrund und dem besonders integrationsnahen Charakter des Assoziationsabkommens wäre es wohl kaum ersichtlich, warum den Bestimmungen des Abkommens ohne besonderen Grund ein anderer Inhalt unterstellt werden sollte als den entsprechenden Regelungen im EG-Vertrag.
B. Rechtsnatur und Rechtswirkungen des Assoziationsrechts EWG-Türkei Im Folgenden werden neben der Einordnung des Assoziationsrechts in die gemeinschaftsrechtliche Normenhierarchie die davon ausgehenden Rechtswirkungen dargestellt. Nachdem die Rsp des EuGH hinsichtlich der Rechtsnatur und -wirkungen keine Unterschiede zwischen primärem und sekundärem Assoziationsrecht kennt,69 werden hier die zwei Regelungsbereiche in diesem Punkt zusammengefasst.
1. Primäres Assoziationsrecht Neben dem AssAbk selbst gehören das ZProt von 1970 und verschiedene – gemäß Art 30 des Assoziationsabkommens als Bestandteile des Abkommens geltende – beigefügte Protokolle zum Primärrecht dieses Rechtsbestandes. Das Abkommen selbst ist ein völkerrechtlicher Vertrag, weshalb Inkrafttreten und völkerrechtliche Bindungswirkung den Regeln des Völkerrechts folgen. Art 31 AssAbk sieht diesbezüglich vor, dass das Abkommen der Ratifizierung durch die Unterzeichnerstaaten gemäß ihren verfassungsrechtlichen Vorschriften bedarf und für die Gemeinschaft durch einen Ratsbeschluss verbindlich geschlossen wird.70 Beim AssAbk handelt es sich um ein gemischtes Abkommen, da auf Gemeinschaftsseite neben der EG als solcher die einzelnen Mitgliedstaaten als Vertragsparteien auftreten. Das bedeutet, dass die völkerrechtliche Verantwortung für die ordnungsgemäße Durchführung des Abkommens mangels eines ausdrücklichen Kompetenzvorbehaltes im Vertrag sowohl die EG als auch die einzelnen Mitgliedstaaten zur ungeteilten Hand trifft. 68
GA Darmon, Eroglu, Rz 29. Vgl EuGH, Griechenland/Kommission, Rz 13. 70 Siehe Beschluss des Rates vom 23. Dezember 1963 über den Abschluss des Abkommens zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei (64/732/EWG). 69
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Von dieser völkerrechtlichen Bindungswirkung ist die gemeinschaftsinterne Bindungswirkung zu unterscheiden, die sich nach dem Geltungs- und Anwendungsbefehl des Art 300 Abs 7 EG bestimmt. Danach sind die nach Maßgabe dieses Artikels geschlossenen Abkommen für die Organe der Gemeinschaft und für die Mitgliedstaaten verbindlich. Da die Gemeinschaft auf Grund des Grundsatzes der begrenzten Ermächtigung nach Art 5 EG in Bereichen, die nicht in ihrer Kompetenz liegen, keine Verpflichtungen im Rahmen von Assoziationsabkommen eingehen und für die Durchführung derselben die Mitgliedstaaten verantwortlich machen kann, erstreckt sich die Bindungswirkung nur auf jene Bereiche, die im Kompetenzbereich der Gemeinschaft liegen. Insofern also die Mitgliedstaaten im Rahmen gemischter Abkommen eigene völkerrechtliche Verpflichtungen in Bereichen übernehmen, die in ihre ausschließliche Zuständigkeit fallen, unterliegen sie keinen Bindungen nach Art 300 Abs 7 EG. Soweit ersichtlich, finden sich jedoch im AssAbk keine Regelungen, die in die ausschließliche Zuständigkeit der Mitgliedstaaten fallen, da sich der Kern der Bestimmungen auf die Grundfreiheiten des Vertrages, namentlich auf die Arbeitnehmerfreizügigkeit bezieht. Aus diesem Grund unterliegen die Mitgliedstaaten neben ihrer völkerrechtlichen Gebundenheit gegenüber der Türkei auch einer Bindungswirkung im Innenverhältnis zur Gemeinschaft.71 In der Rs Demirel bezog sich der Gerichtshof insbesondere auf seine Urteile Hägeman und Kupferberg und stellte abermals fest, dass die Bestimmungen eines vom Rat gemäß den Verfahrensvorschriften der Art 228 und 238 EWGV geschlossenen Abkommen mit dessen (völkerrechtlichem) Inkrafttreten einen integrierenden Bestandteil der Gemeinschaftsrechtsordnung bilden.72 Zutreffend werden daher in der Literatur diese Verträge als „Teil des in der Gemeinschaft geltenden positiven Rechts“ bezeichnet, welche nach den allgemeinen Regeln, wie sie für das Gemeinschaftsrecht gelten, angewandt und durchgeführt werden.73 Das bedeutet unter anderem, dass das Abkommen mit allen Rechtswirkungen ausgestattet ist, die auch dem „hauseigenen“ Gemeinschaftsrecht zukommen können – insbesondere der Vorrangwirkung vor jeglichem nationalen Recht. Der Austausch der Ratifikationsurkunden zu dem am 12. September 1963 in Ankara unterzeichneten AssAbk fand am 28. Oktober 1964 in Brüssel statt, somit ist das Abkommen gemäß seinem Art 32 am 1. Dezember 1964 in Kraft getreten.74 Dies ist auch gleichzeitig der Zeitpunkt, an dem das Vertragswerk in den acquis communautaire integriert wurde. Integration ist in diesem Zusammenhang nicht als Implementierung im Sinne einer „Vergemeinschaftung“ zu verstehen, vielmehr behält das Abkommen auch innerhalb der Gemeinschaftsrechtsordnung seine Rechtsnatur als völkerrechtliches Regelungswerk bei. 71
Vgl Herrnfeld in Schwarze (Hrsg), Art 310 EGV, Rz 16. Die Gemeinschaft hat die Verantwortung für die ordnungsgemäße Durchführung des Abkommens übernommen und die Mitgliedstaaten erfüllen im Rahmen der Gemeinschaftsordnung eine Pflicht gegenüber der Gemeinschaft, indem sie dafür Sorge tragen, dass die Verpflichtungen aus einem von den Gemeinschaftsorganen geschlossenen Abkommen eingehalten werden 73 Tomuschat in Groeben/Thiesing/Ehlermann (Hrsg), Art 228 EGV Rz 57 f. 74 Information über den Tag des Inkrafttretens des Abkommens zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei (64/736/ EWG). 72
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2. Sekundäres Assoziationsrecht Das abgeleitete Assoziationsrecht tritt gemäß Art 22 Abs 1 des Abkommens in Form von „Assoziationsratsbeschlüssen“ und „zweckdienlichen Empfehlungen“ zu Tage. Während erstere die Hauptform der Rechtsetzung im Rahmen des Abkommens darstellen, handelt es sich bei den Empfehlungen um nicht rechtsverbindliche Rechtsakte. Art 22 Abs 1 Satz 1 bestimmt, dass der Assoziationsrat zur Verwirklichung der Ziele des Abkommens Beschlüsse fassen kann, welche die Vertragsparteien verpflichten, die für die Durchführung der Beschlüsse erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen. Nach Art 23 gilt für jegliches Handeln des Assoziationsrates das Einstimmigkeitserfordernis. Im Schrifttum wurden derartige Beschlüsse oft als völkerrechtliche ad-hocVerträge bezeichnet,75 die zu ihrem Inkrafttreten in den Rechtsordnungen der Vertragsparteien jeweils einer besonderen Transformation bedürfen.76 Dementsprechend weist Herrnfeld darauf hin, dass die Beschlüsse des Assoziationsrates erst nach dem Erlass geeigneter Durchführungsmaßnahmen individualwirksame Rechtswirkungen entfalten können.77 So war es in der Vergangenheit Gemeinschaftspraxis, dass zur Umsetzung von Assoziationsratsbeschlüssen VO erlassen wurden (wie zB die VO 1472/84 [EWG] zur Anwendung des Beschlusses 1/84 des Assoziationsrats EWG-Malta). Beispielsweise wurde für die Umsetzung des Beschlusses 3/80 des Assoziationsrates EWG-Türkei über die Anwendung des Systems der sozialen Sicherheit der Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften auf türkische Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft von der Kommission am 8.2.1983 ein Verordnungsvorschlag vorgelegt,78 der allerdings bis dato vom Rat nicht angenommen wurde. Art 1 dieses Verordnungsvorschlags lautet: „Der Beschluß Nr. 3/80 (…) findet in der Gemeinschaft Anwendung“. Auch deutsche Gerichte schlossen sich dieser ursprünglichen Gemeinschaftspraxis an und verneinten die Geltung und damit die Anwendbarkeit der Beschlüsse, bis der EuGH erstmals im Urteil Sevince Klarheit verschaffte.79 In Einklang mit seiner Vorjudikatur80 stellte er fest, dass die Beschlüsse des Assoziationsrates auf Grund ihres unmittelbaren Zusammenhangs mit dem Abkommen, zu dessen Durchführung sie ergehen, ebenso wie das Abkommen selbst von ihrem (völkerrechtlichen) Inkrafttreten an einen integrierenden Bestandteil des Gemeinschaftsrechts bilden.81 Diese apodiktische Aussage des Gerichtshofes, die eine Geltung der Beschlüsse in der Gemeinschaftsrechtsordnung schon aus dem unmittelbaren Zusammenhang zum Abkommen selbst ableitet, wirft in dieser Knappheit einige Fragen auf.82 Fraglich ist vor allem, ob diese Feststellung vor dem Hintergrund des Art 2 Abs 1 des Abkommens über die zur Durchführung des 75
Dass die Beschlüsse des Assoziationsrates keine internationalen Verträge sind, hat GA La Pergola in seinen SA zur Rs Taflan-Met mit überzeugenden Argumenten dargelegt. 76 Vgl Vedder in Grabitz/Hilf (Hrsg), Art 238 EGV, Rz 35. 77 Vgl Herrnfeld in Schwarze (Hrsg), Art 310 EGV, Rz 19. 78 ABl 1983 C 110/1. 79 Nachweise bei Gümrükcü, Rechts(un)sicherheit in Europa? 69. 80 Vgl EuGH, Griechenland/Kommission, Rz 13. 81 EuGH, Sevince, Rz 9. 82 Vgl ua die Kritik von Herrnfeld in Schwarze (Hrsg), Art 310 EGV, Rz 19 mwN.
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Abkommens zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei zu treffenden Maßnahmen und die dabei anzuwendenden Verfahren (im Folgenden „Regierungsabkommen“)83 ohne Widerspruch bleiben kann. Art 2 Abs 1 sieht nämlich vor, dass die Anwendbarkeit der Beschlüsse des Assoziationsrats erst durch einstimmig gefasste Beschlüsse des Rates nach Stellungnahme der Kommission ausgesprochen wird. Streng wörtlich genommen, müsste daher jeder Assoziationsratsbeschluss individuell (speziell) transformiert werden, um Wirksamkeit zu erlangen. Die Tragweite der Bestimmung des Art 2 Abs 1 war bereits Thema der Untersuchungen im Rahmen von zwei Klagen der griechischen Regierung.84 Im Zuge dieser Verfahren machten Kommission sowie Rat ihren Standpunkt zur Bedeutung dieser Vorschrift bei der Umsetzung der Assoziationsratsbeschlüsse in das Gemeinschaftsrecht deutlich. Art 2 Abs 1 des Regierungsübereinkommens könne nach Ansicht dieser Organe kein Sinn unterstellt werden, wonach der Rat verpflichtet sei, jeden Beschluss, der in die Zuständigkeit der Gemeinschaft fiele, umzusetzen. Vielmehr sei die Bestimmung so zu verstehen, dass es eines einstimmigen Ratsbeschlusses nur bedürfe, wenn es für die Anwendung des Assoziationsratsbeschlusses in der Gemeinschaft unumgänglich sei und nicht „weil es für ihre Anwendung in der Gemeinschaft notwendig (oder unerlässlich) sei“. In diesen Verfahren vermochte der Rat nur auf die von ihm bei der Durchführung der vom Assoziationsrat gefassten Beschlüsse befolgte Praxis zu rekurrieren, ohne Kriterien nennen zu können, die eine Kategorisierung der Rechtsakte in umsetzungsbedürftige und unmittelbar anwendbare im Sinne der Regelung des Art 2 Abs 1 gestatten würden. Danach zeige sich, dass er immer interne Rechtsakte zur Durchführung dieser Beschlüsse erlassen habe, wenn diese rechtlich notwendig gewesen seien. Gerade die Frage, wann dies rechtlich notwendig sei, wurde jedoch keiner Klärung zugeführt. Eine Auseinandersetzung mit der Bestimmung des Art 2 Abs 1 Regierungsübereinkommen tritt – soweit ersichtlich – in der Rechtsprechung des Gerichtshofes nicht offen zu Tage, wenngleich die Auslegung dieser Regelung bestimmend für die Entscheidung in den Rs Griechenland/Rat bzw Griechenland/Kommission war. In der Rs Griechenland/Rat ging es um eine Klage der griechischen Regierung auf Nichtigerklärung einer finanziellen Sonderhilfe an die Türkei in Durchführung des ARB 2/80. In seinen SA billigt GA Mancini die Argumentation des Rates und sieht keinen Bedarf an zusätzlichen Umsetzungsmaßnahmen zur gemeinschaftsrechtlichen Wirksamkeit des Beschlusses. „Eine aufmerksame Lektüre ergebe nämlich, dass Art 2 Abs des Abkommens 64/737 zur Umsetzung nur der Entscheidungen verpflichtet, die sonst nicht angewandt werden könnten.“ Des Weiteren komme den Beschlüssen des Assoziationsrats EWG-Türkei ungeachtet ihrer Bezeichnung Vertragscharakter zu und sie gingen als Bestandteil der vertraglichen Beziehungen der Assoziation über Art 310 EG (Art 238 EWG), welche die Grundlage des Assoziationsverhältnisses bildet, in das Gemeinschaftsrechtssystem ein.85 83
64/737/EWG, ABl 1964, 3703. Vgl EuGH, Griechenland/Rat bzw Griechenland/Kommission. 85 Vgl Vedder in Grabitz/Hilf (Hrsg), Art 238 EGV, Rz 35, wonach derartige Beschlüsse als völkerrechtliche Ad-hoc-Verträge zu qualifizieren sind und kraft Transformation gemeinschaftsrechtlich Wirksamkeit erlangen. 84
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Der Meinung seines Vorgängers schließt sich GA Tesauro in der Rs Griechenland/Kommission an und beklagt die Sinnlosigkeit und Unnötigkeit einer Vorgangsweise, die bereits umfangreichen gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften dadurch noch weiter zu vermehren, dass man die formelle Umsetzung jedes beliebigen von den Assoziationsorganen erlassenen Aktes verlangt, auch wenn die interne Wirkung im Gemeinschaftsrecht in „re ipsa“ gegeben ist oder aber auf andere Weise erreicht wird.86 Die Rsp des EuGH ist, was die Einordnung von Assoziationsratsbeschlüssen in das Gemeinschaftsrechtssystem angeht, sehr apodiktisch. Immer wieder finden sich in diesem Zusammenhang Aussagen wie die folgende im Urteil Taflan-Met:87 „Aus der Gesamtheit dieser Bestimmungen ergibt sich, dass die Beschlüsse des Assoziationsrates EWG-Türkei Rechtsakte eines im Abkommen vorgesehenen Organs sind, zu deren Erlass dieses Organ von den Vertragsparteien ermächtigt worden ist. Da durch diese Beschlüsse die Ziele des Abkommens verwirklicht werden, hängen sie unmittelbar mit diesem Abkommen zusammen und sind nach dessen Artikel 22 Absatz 1 Satz 2 für die Vertragsparteien verbindlich. Die Vertragsparteien haben durch das Abkommen der Verbindlichkeit dieser Beschlüsse zugestimmt und würden daher, wenn sie sich dieser Bindung entzögen, gegen das Abkommen selbst verstoßen. … (D)ie Verbindlichkeit der Beschlüsse des Assoziationsrates [kann] somit nicht vom Erlass von Durchführungsmaßnahmen durch die Vertragsparteien abhängen.“ Damit der Beschluss des Assoziationsrats allein dazu geeignet ist, entsprechende Bindungswirkungen der Gemeinschaftsorgane bzw der Mitgliedstaaten herbeizuführen, ohne dass es einer gesonderten Transformation in das Gemeinschaftsrecht bedarf, ist es notwendig, dass dem Organbeschluss, der innergemeinschaftliche Geltung erlangen soll, die Kompetenz des Assoziationsrates zum Erlass bindender Regelungen zugrunde liegt.88 Denn nach Art 300 Abs 7 EG sind (lediglich) die nach Maßgabe dieses Artikels geschlossenen Abkommen für die Organe der Gemeinschaft und für die Mitgliedstaaten verbindlich. Soll die gleiche Wirkung auch für das Sekundärrecht der Assoziation zum Tragen kommen, bedarf es der Ermächtigung des Assoziationsrats zum Erlass bindender Beschlüsse. Es muss somit ein Delegationszusammenhang bestehen, der es dem Assoziationsrat erlaubt, in verbindlicher Weise Normen zu erlassen. Der Wille der Vertragsparteien, sich zur Durchführung der im Abkommen definierten Angelegenheiten von den Beschlüssen des AssRat unmittelbar binden zu lassen, muss demnach im Abkommen selbst – welches die Grundlage dieser Beziehung darstellt – seinen Niederschlag finden, um so den Beschlüssen über den „Generaltransformator“89 des Art 300 Abs 7 EG den Weg ins Gemeinschaftsrecht zu eröffnen. Wie weit diese Delegation zum Erlass von verbindlichen Beschlüssen geht, hängt von der individuellen Vertragsgestaltung und somit vom Willen der Vertragspartner ab. Ein Vergleich mit dem EWR-Abkommen90 gibt Aufschluss über die Gestaltungsfreiheit der Vertragspartner. So können zB durch Beschlüsse des 86 87 88 89 90
Vgl SA zu Griechenland/Kommission, Rz 9. EuGH, Taflan-Met, Rz 17 ff. Vgl Herrnfeld in Schwarze (Hrsg), Art 310 EGV, Rz 19. Dieser Begriff ist entlehnt von Herrnfeld in Schwarze (Hrsg), Art 310 EGV, Rz 19. BGBl 1993/909.
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gemeinsamen EWR-Ausschusses Veränderungen des Abkommens selbst herbeigeführt werden.91 Andererseits sieht das Abkommen auch die Möglichkeit vor, dass das Inkrafttreten eines Beschlusses des Gemeinsamen EWR-Ausschusses von der Erfüllung verfassungsrechtlicher Voraussetzungen der jeweiligen Vertragspartner abhängig gemacht werden kann:92 Artikel 103 EWR-Abkommen (1) „Wird ein Beschluß des Gemeinsamen EWR-Ausschusses für eine Vertragspartei erst nach Erfüllung verfassungsrechtlicher Anforderungen verbindlich, so tritt der Beschluß, falls er ein Datum enthält, zu diesem Zeitpunkt in Kraft, sofern die betreffende Vertragspartei den übrigen Vertragsparteien bis zu diesem Zeitpunkt mitgeteilt hat, daß die verfassungsrechtlichen Anforderungen erfüllt sind. Liegt eine solche Mitteilung bis zu dem betreffenden Zeitpunkt nicht vor, so tritt der Beschluß am ersten Tag des zweiten Monats nach der letzten Mitteilung in Kraft. (2) Liegt eine solche Mitteilung bei Ablauf einer Frist von sechs Monaten nach der Beschlußfassung des Gemeinsamen EWR-Ausschusses nicht vor, so wird der Beschluß des Gemeinsamen EWR-Ausschusses bis zur Erfüllung der verfassungsrechtlichen Anforderungen vorläufig angewendet, es sei denn, eine Vertragspartei teilt mit, daß eine solche vorläufige Anwendung nicht möglich ist. In letzterem Fall oder falls eine Vertragspartei die Nichtratifikation eines Beschlusses des Gemeinsamen EWR-Ausschusses mitteilt, wird die in Artikel 102 Absatz 5 vorgesehene vorläufige Außerkraftsetzung einen Monat nach der Mitteilung wirksam, keinesfalls jedoch vor dem Zeitpunkt, zu dem der entsprechende EG-Rechtsakt in der Gemeinschaft zur Durchführung kommt. Artikel 104 Sofern in diesem Abkommen nichts anderes vorgesehen ist, sind die Beschlüsse, die der Gemeinsame EWR-Ausschuß in den in diesem Abkommen vorgesehenen Fällen faßt, ab dem Zeitpunkt ihres Inkrafttretens für die Vertragsparteien verbindlich; diese treffen die erforderlichen Maßnahmen, um die Durchführung und Anwendung dieser Beschlüsse sicherzustellen.“
Das AssAbk ist älter und hinsichtlich Inkrafttreten und Anwendbarkeit von Beschlüssen des Assoziationsrates bei weitem unbestimmter als das EWR-Abkommen, sodass die Wirkung dieser Beschlüsse vorwiegend anhand von teleologischen und systematischen Erwägungen ermittelt werden muss. Wie zuvor dargelegt, sind die Bestimmungen dieses Abkommens stets mit Rücksicht auf die besondere Zielsetzung und in ihrem inneren Zusammenhang zu verstehen. Unter diesem Blickwinkel ist auch die Summe der Bestimmungen zu betrachten, welche die von den Assoziationsratsbeschlüssen ausgehende Wirkung festlegen. Die zentrale Norm in diesem Zusammenhang ist Art 22 des Abkommens, wonach die Befugnis, zur Verwirklichung der Ziele des Abkommens Beschlüsse zu fassen, dem Assoziationsrat überantwortet ist und die Parteien verpflichtet sind, die zur Durchführung der Beschlüsse erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen. In einer Zusammenschau mit den übrigen Bestimmungen ergibt sich, dass der Assoziationsrat für das Funktionieren der Beziehungen verantwortlich ist und seine Beschlüsse gewährleisten sollen, dass innerhalb des assoziationsrecht-
91 92
Vgl Art 98 EWR-Abkommen. Vgl Azizi in Hummer (Hrsg), Der Europäische Wirtschaftsraum und Österreich 66 f.
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lichen Verhältnisses eine Harmonisierung mit den gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben eintritt. Neben der aus Art 22 AssAbk ausgehenden Bindungswirkung (arg „sind verpflichtet“) enthält Art 7 des Abkommens auch ein Loyalitätsgebot und ordnet an, dass die Vertragsparteien alle geeigneten Maßnahmen allgemeiner oder besonderer Art zur Erfüllung der Verpflichtungen aus dem Vertrag treffen. Sie unterlassen alle Maßnahmen, welche die Verwirklichung der Ziele des Abkommens gefährden könnten. Nicht klar ersichtlich ist hingegen der Stellenwert des Art 2 Abs 1 des Regierungsübereinkommens, der im Gegensatz zum oben Gesagten einen einstimmigen Ratsbeschluss zur Anwendbarkeit der Beschlüsse erforderlich macht. Eine isolierte Interpretation der Bestimmung nach Wort und Sinn legt ohne jeglichen Zweifel klar, dass (zumindest gewisse) Beschlüsse zu ihrer Anwendbarkeit einer Umsetzung in die Gemeinschaftsordnung der Entscheidung des Ministerrates bedürfen. An diesem Ergebnis kommt auch die integrationsfreundlichste Auslegung nicht vorbei. Dass Art 2 Abs 1 kein etwaiges Transformationsgebot zu entnehmen sei, ist angesichts des Wortlauts nicht nachvollziehbar.93 Unklar ist lediglich, welche Beschlüsse des Assoziationsrats einer Transformation in Form eines einstimmigen Ratsbeschlusses bedürfen. Mit der Feststellung, die Bestimmung des Art 2 Abs 1 sei keinesfalls konkret genug, um eindeutige Schlüsse ziehen zu können, welche Beschlüsse einer Umsetzung mittels einstimmigen Ratsbeschlusses bedürfen, hat der Gerichtshof sicherlich Recht. Aus dieser Erkenntnis heraus allerdings den Umkehrschluss zu ziehen, die Umsetzung sei schlechthin entbehrlich, wäre ebenfalls nicht begründbar. Auch die Feststellung, die Assoziationsratsbeschlüsse hätten auf Grund ihres unmittelbaren Zusammenhanges mit dem Abkommen selbst – was zweifellos nicht in Abrede zu stellen ist – Vertragscharakter und würden über Art 310 EG (Art 238 EWG) mit ihrem Inkrafttreten zum integrierenden Bestandteil der Gemeinschaftsrechtsordnung werden, hat ihre Schwächen, da es sich bei den Beschlüssen keineswegs um Verträge handelt.94 Die Beschlüsse des Assoziationsrats sind als klassisches Sekundärrecht des Assoziationsverhältnisses schon von ihrem Charakter her nicht dem Abkommen selbst gleichzustellen (vgl im Gegensatz dazu Art 30 AssAbk, wonach die von den Vertragsparteien einvernehmlich dem Abkommen beigefügten Protokolle als Bestandteil des Abkommens gelten). Wenn Weber meint,95 es sei im Falle einer Bejahung der Zuständigkeit des EuGH zur Auslegung der Assoziationsabkommen und der Möglichkeit ihrer unmittelbaren Anwendbarkeit nur schwer zu begründen, warum dies für hinreichend klar und genau gefasste Beschlüsse der Assoziationsorgane nicht gleichermaßen gelten solle, übersieht er die Tatsache, dass es eben für diese Kompetenz des Gerichtshofes und die (gemeinschaftsrechtliche) Verbindlichkeit der Verträge eine klare Rechtsgrundlage (wie zB Art 300 Abs 7 EG) gibt. Für den Bereich des sekundären Assoziationsrechts sind im EG-Vertrag hingegen keine entsprechenden Rechtswirkungen vorgesehen. Das Kriterium des unmittelbaren Zusammen93
So aber Breidenbach, Auswirkungen des Assoziationsrechts EG/Türkei 53. Vgl Richter, ibidem 174 (mwN), der sich zu Recht gegen eine allgemeine Annahme ausspricht, die Beschlüsse könnten grundsätzlich als Konkretisierung völkerrechtlicher Abkommen wie diese selbst behandelt werden. 95 A. Weber in Groeben/Thiesing/Ehlermann (Hrsg), Art 238 EGV, Rz 50. 94
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hanges mit dem Abkommen, das vom Gerichtshof als Hauptargument herangezogen wird, ergibt sich aus der Natur der Sache, wenn ein von den Vertragsparteien eingesetztes Organ zur Verwirklichung der angestrebten Ziele Beschlüsse fasst. Daraus die gleichen Rechtswirkungen wie für das Abkommen selbst abzuleiten, bleibt begründungspflichtig.96 Damit die Beschlüsse auch ohne entsprechenden Umsetzungsakt zum integrierenden Bestandteil der Gemeinschaftsrechtsordnung werden und somit die gleiche verbindliche Wirkung wie die Bestimmungen des Abkommens zeitigen können, ist aus dogmatischer Sicht eine Delegation der Kompetenz an den AssRat ausschlaggebend. Diese Delegation liegt in Art 22 AssAbk. Die Vertragsparteien haben dem AssRat die zur Durchführung des Abkommens notwendige Kompetenz übertragen und sich verpflichtet, alle zur Durchführung der Beschlüsse erforderlichen Maßnahmen zu unternehmen. Auf dem Boden des bisher Gesagten Art 2 des Regierungsübereinkommens (Abkommen „über die zur Durchführung … zu treffenden Maßnahmen und die dabei anzuwendenden Verfahren“) einen Sinn zu unterstellen, der zur Anwendbarkeit der im AssRat zunächst einstimmig zu fassenden Beschlüsse einen einstimmigen Ratsbeschluss fordert, würde nicht nur im eklatanten Widerspruch zu Art 22 AssAbk stehen; es bliebe erklärungsbedürftig, warum ein Mitgliedstaat einen im AssRat einstimmig gefassten Beschluss im Ministerrat zu Fall bringen und damit die in 22 AssAbk enthaltene Verpflichtung aus den Angeln heben könnte. Das wäre ein venire contra factum proprium, was wohl nicht intendiert sein dürfte. Ob Art 2 des Regierungsübereinkommens einer teleologischen Reduktion zugänglich ist, ist ungewiss, da kein vernünftiger Anwendungsbereich für diese Vorschrift übrig bleibt. Die Beschlüsse, die der durch ein Assoziierungsabkommen zwischen der Gemeinschaft und einem Drittstaat geschaffene Assoziationsrat zur Durchführung dieses Abkommens erlässt, sind ebenso wie das Abkommen selbst von ihrem Inkrafttreten an integrierender Bestandteil der Gemeinschaftsrechtsordnung. Dieser in der Rs Sevince geäußerte Satz gilt mittlerweile als feste Rechtsprechung. Das bedeutet, dass die von den Beschlüssen ausgehende Wirkung vom Zeitpunkt des Inkrafttretens abhängt. Was aber hat zu gelten, wenn der Beschluss keine Angaben über diesen Moment enthält? Diese Frage wurde im Wege eines Vorabentscheidungsersuchens an den EuGH in der Rs Taflan-Met herangetragen, in der es um die Auslegung bzw Anwendbarkeit des ARB 3/80 ging. Im Unterschied zu den übrigen Beschlüssen Nr 1 und 2, die am selben Tag erlassen wurden, sah dieser keinen Zeitpunkt für sein Inkrafttreten vor.97 Während die Kommission in diesem Rechtsstreit die Position einnahm, dass der Beschluss 3/80 an dem Tag, an dem der Rat ihn erlassen hat, in Kraft getreten sei, zog GA La Pergola am anderen Ende des Stranges und versuchte in nahezu akribischer Weise den Gerichtshof vom Gegenteil zu überzeugen. Die Kommission versuchte ihren Standpunkt dadurch zu rechtfertigen, dass sie die Beschlüsse als „internationale Verträge in vereinfachter Form“ qualifizierte und 96
Vgl die zutreffende Kritik bei Herrnfeld in Schwarze (Hrsg), Art 310 EGV, Rz 19; Schweitzer in Winkler-FS 1036; vgl auch C. Weber, Der assoziationsrechtliche Status 58. 97 Vgl Art 16 Abs 1 des ARB 1/80, der die Anwendbarkeit mit 1.12.1980 festlegt.
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mangels ausdrücklicher Festlegung des Zeitpunkts des Inkrafttretens die allgemeinen Vertragsauslegungsgrundsätze der WVK heranzog. Für diesen Fall sieht Art 24 Abs 2 vor, dass der Vertrag in Kraft tritt, sobald die Zustimmung aller Verhandlungsstaaten vorliegt, durch den Vertrag gebunden zu sein. Im Falle des ARB 3/80 hätten die Parteien ihren Bindungswillen mit einstimmigen Beschluss zum Zeitpunkt des Erlasses der Vorschrift zum Ausdruck gebracht, weshalb davon auszugehen sei, dass dieser eben in diesem Moment in Kraft getreten sei. Dem hält GA La Pergola entgegen, dass aufgrund der Stellung des Assoziationsrates als durchführendes Organ und der ihm zukommenden autonomen Rechtssetzungsbefugnis die Beschlüsse keineswegs gleichgesetzt werden können mit internationalen Verträgen. Ein gewichtiges Argument dabei ist, dass bei gegenteiliger Annahme die in Art 22 des Abkommens normierte verbindliche Wirkung der Beschlüsse überflüssig oder eine bloße Wiederholung des völkerrechtlichen Grundsatzes pacta sunt servanda darstellte. Um jeden Zweifel aus dem Weg zu räumen, weist GA La Pergola noch darauf hin, dass auch eine etwaige Qualifikation der Beschlüsse als internationale Verträge nicht zu dem von der Kommission gewünschten Ergebnis führen könne, da Art 24 Abs 2 der WVK die Zustimmung, durch den Vertrag gebunden zu sein, verlange und eben diese im vorliegenden Fall nicht gegeben sei, da keiner der in Art 12 Abs 1 lit a bis c WVK vorgesehenen Tatbestände verwirklicht sei. Diesem Ergebnis kann mE nicht gefolgt werden. Unter der Prämisse der Anwendbarkeit der WVK auf die Beschlüsse des Assoziationsrates ergibt sich mE ein Inkrafttreten der Beschlüsse aufgrund von Art 24 Abs 2 iVm Art 12 Abs 1 lit b WVK. GA La Pergola findet bei der Subsumtion des Beschlusses unter die lit b keinen Anhaltspunkt für die Absicht der Parteien, die Wirksamkeit des Rechtsaktes vom Zeitpunkt des Erlasses abhängig zu machen. Hier hat der GA den Gehalt des Art 22 AssAbk nicht gebührend in seine Überlegungen einfließen lassen, welcher die Parteien verpflichtet, die zur Durchführung der Beschlüsse erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, mit anderen Worten alle Assoziationsratsbeschlüsse für verbindlich erklärt.98 Aus diesem Blickwinkel betrachtet, erscheint der ARB 3/80 den Anforderungen des Art 12 Abs 1 lit b WVK gerecht zu werden, was den Standpunkt der Kommission stützen würde. Nichts desto weniger muss klar gesagt werden, dass die Beschlüsse als Rechtsakte eines von den Vertragsparteien auf Grundlage des Abkommens eingesetzten Organs nicht in den Anwendungsbereich der WVK fallen können, weil sie keine völkerrechtlichen Verträge sind. GA La Pergola ging, nachdem er zu dem Zwischenergebnis gekommen war, dass die WVK nicht anwendbar war, auf den Willen der Vertragsparteien ein. Seiner Meinung nach müsse sich die Absicht der Vertragsparteien, dem Beschluss ab dem Zeitpunkt des Erlasses unmittelbare Geltung zuzuerkennen, im Rechtsakt unmissverständlich manifestieren. Im Kern leitet er aus den Grundsätzen, dass Schweigen nicht als Zustimmung gewertet werden kann und im Zweifel stets der Auslegungsvariante der Vorzug zu geben ist, welche die Vertragsparteien am wenigsten belastet, ab, dass in solcherart gelagerten Fällen der entsprechende Beschluss nicht in Kraft treten und infolgedessen nicht Bestandteil der Gemein98 Vgl FN 17 des SA zur Rs Taflan-Met, wo die Anwendung des Art 22 AssAbk wird mit einigen Wörtern ausgeschlossen wird.
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schaftsrechtsordnung werden kann, solange nicht die zu seiner Umsetzung notwendigen Rechtsakte erlassen werden.99 Der EuGH schloss sich den Ausführungen seines GA zur Frage des Inkrafttretens eines Assoziationsratsbeschlusses ohne Inkrafttretensbestimmung nicht an. Vielmehr stellt er fest, dass das Fehlen einer Vorschrift über das Inkrafttreten eines Beschlusses dessen Verbindlichkeit nicht entgegensteht. In diesem Fall sei davon auszugehen, dass der Tag des Erlasses zugleich der Zeitpunkt des Inkrafttretens des in Frage kommenden Beschlusses ist.100 Im Wesentlichen begründet er diese Aussage mit der aus Art 22 AssAbk hervorgehenden Bindungswirkung für Beschlüsse des Assoziationsrates, der ausdrücklich zum Erlass derartiger Rechtsakte seitens der Vertragsparteien ermächtigt wurde. Diese haben sich auf der Grundlage des Abkommens der Bindungswirkung der Beschlüsse unterworfen und würden, wenn sie sich dieser Bindung entzögen, ihre vertraglichen Pflichten aus dem Abkommen verletzen. Dem ist aus meiner Sicht Folgendes hinzuzufügen: Natürlich geht aus Art 22 AssAbk nicht explizit hervor, ab wann die Beschlüsse verbindlich sind, sondern ob die Beschlüsse verbindlich sind, wie GA La Pergola in seinem SA in FN 17 festgestellt hat. Auf Grund der besonderen Bedeutung und Legitimation der Beschlüsse, deren Aufgabe das Erreichen der Ziele der Assoziation ist, kann ihnen allerdings – im Gegensatz zu der restriktiven Auslegung des GA – der Wille zur sofortigen Geltung unterstellt werden, sodass die Verbindlichkeit eben nicht von zusätzlichen Durchführungsmaßnahmen abhängt. Dieser Gedanke schließt allerdings die Möglichkeit der Vertragsparteien nicht aus, das Inkrafttreten in jeder davon abweichenden Form im Beschluss zu regeln, sei es durch Bedingungen, Befristungen oder sonstige Maßnahmen, die der sofortigen Wirksamkeit des Beschlusses entgegenstehen.101
3. Rechtswirkungen von primärem und sekundärem Assoziationsrecht a) Unmittelbare Geltung Sowohl für die Beschlüsse wie auch für das AssAbk selbst gilt, dass sie ab dem Zeitpunkt ihres Inkrafttretens als integrierender Bestandteil der Gemeinschaftsrechtsordnung gelten und damit Teil des in der Gemeinschaft geltenden positiven Rechts werden.102 Daraus wurde in der Lehre vereinzelt der Schluss gezogen, dass dem Assoziationsrecht „unmittelbare Geltung“ zukomme. Begründet würde diese Auffassung damit, dass bei Normen, die sich an Individuen richten und als Teil der Gemeinschaftsrechtsordnung gelten, das Institut der unmittelbaren Wirksamkeit fehl am Platze sei, welches gerade dazu diene, „zu überbrücken, dass sich Normen nur an 99
Vgl Rz 13 des SA zur Rs Taflan-Met. Vgl EuGH, Taflan-Met, Rz 21. 101 Gerade aus diesem Grund darf zB aus der Tatsache, dass die übrigen, am selben Tag erlassenen Beschlüsse jeweils einen (in der Zukunft liegenden) Zeitpunkt des Inkrafttretens aufweisen, nicht der Umkehrschluss gezogen werden, dass in Ermangelung einer solchen Regelung die Geltung des Beschlusses vorläufig nicht in Betracht kommt und vom Erlass weiterer Umsetzungsakte abhängt. 102 Vgl EuGH, Sevince, Rz 9. 100
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die Mitgliedstaaten und nicht auch offen an Individuen als Adressaten wenden“.103 Daher sollte man in diesen Fällen von einer „unmittelbaren Geltung“ wie bei VO gem Art 249 EG ausgehen. Dem wird entgegengehalten, das Assoziationsrecht sei gem Art 300 Abs 7 EG nur für die Mitgliedstaaten, nicht aber in den Mitgliedstaaten verbindlich und besitze demzufolge keine unmittelbare Geltung.104 Die Vertreter dieser Position neigen dazu, die Beschlüsse des Assoziationsrates unter dem Aspekt ihrer innerstaatlichen Wirkungen eher den Richtlinien gleichzusetzen, insbesondere deshalb, weil ihnen nur unter bestimmten Umständen „unmittelbare Wirkung“ zukommen kann. Ob dem Assoziationsrecht unmittelbare Geltung zukommt oder nicht, kann nur anhand einer klaren begrifflichen Abgrenzung beantwortet werden. Mit dem Begriff „unmittelbare Geltung“ wird im Hinblick auf VO zum Ausdruck gebracht, „…dass die Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts ihre volle Wirkung einheitlich in sämtlichen Mitgliedstaaten vom Zeitpunkt ihres Inkrafttretens an und während der gesamten Dauer ihrer Gültigkeit entfalten müssen. Diese Bestimmungen sind somit unmittelbare Quelle von Rechten und Pflichten für alle diejenigen, die sie betreffen, einerlei, ob es sich um die Mitgliedstaaten oder um solche Einzelpersonen handelt, die an Rechtsverhältnissen beteiligt sind, welche dem Gemeinschaftsrecht unterliegen. Diese Wirkung erstreckt sich auch auf jedes Gericht, das, angerufen im Rahmen seiner Zuständigkeit, als Organ eines Mitgliedstaats die Aufgabe hat, die Rechte zu schützen, die das Gemeinschaftsrecht den Einzelnen verleiht.“105 Mit der Qualifikation einer Vorschrift als unmittelbar geltend ist daher die Eigenschaft der Norm untrennbar verbunden, für jegliches gemeinschaftliches, mitgliedstaatliches aber auch privates Handeln unmittelbare Rechtsquelle zu sein. So hat die in Art 249 EG zum Ausdruck kommende unmittelbare Geltung der VO zur Folge, dass sie mit ihrem Inkrafttreten in den und nicht nur für die Mitgliedstaaten gilt. Ab diesem Zeitpunkt ist sie, ohne nationalen Umsetzungsakt, Bestandteil der innerstaatlichen Rechtsordnung.106 Die unmittelbare Geltung dieses Rechtsakts bringt es mit sich, dass nicht nur die Gemeinschaft und ihre Organe und sonstigen Einrichtungen bzw die innerstaatlichen Stellen an sie gebunden sind, sondern sie unmittelbar Rechte und Pflichten Einzelner zu begründen vermag. Sie vermittelt daher dem Einzelnen das Recht, sich direkt auf die Bestimmung zu berufen, wenn nicht (ausnahmsweise) die Konkretisierung der Vorschrift einem weiteren Gesetzgeber überantwortet ist. Dies gilt im Gegensatz zu den Richtlinien auch im Verhältnis zwischen privaten Rechtssubjekten, natürlicher oder juristischer Art (in diesem Fall spricht man von der „horizontalen Drittwirkung“).107 103 Siehe Vedder, EuR 1994, 213; ohne Abweichungen Breidenbach, Auswirkungen des Assoziationsrechts EG/Türkei 61. 104 Vgl Obwexer in Antolovsky/König/Perching/Vana (Hrsg), Assoziierungsabkommen der EU mit Drittstaaten 90. 105 EuGH 9.3.1978, Rs 106/77, Slg 1978, 629, Rz 14 ff. 106 Vgl Streinz, Europarecht6 Rz 380. 107 Vgl Thun-Hohenstein/Cede/Hafner, Europarecht4 176; Biervert in Schwarze (Hrsg), Art 249 EGV, Rz 6, mwN.
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Dass auch einzelne Bestimmungen in Assoziationsratsbeschlüssen unmittelbare Rechte von Einzelpersonen schaffen können, ändert nichts an der Tatsache, dass sich das AssAbk bzw die darauf basierenden Beschlüsse an die Gemeinschaft und die Mitgliedstaaten richten. Ziel und Zweck des Assoziationsverhältnisses ist die Harmonisierung der Wirtschafts- und Rechtsordnung der Vertragsparteien, um die spätere Beitrittsmöglichkeit der Türkei herbeizuführen, und nicht die generelle materielle Rechtsetzung in der Gemeinschaft, wie sie dem gemeinschaftlichen Verordnungsgeber zukommt. Schon daraus wird ersichtlich, dass im Zusammenhang mit Assoziationsrecht der Begriff „unmittelbare Geltung“ eigentlich nicht angebracht ist und keineswegs überstrapaziert werden darf. In der Diktion des EuGH zum Assoziationsrecht bringt er daher nur zum Ausdruck, dass es sich um Normen handelt, die zum acquis communautaire gehören, womit jedoch noch nichts über deren Anwendbarkeit gesagt ist. So hat der Gerichtshof in der Rs Taflan-Met trotz der Feststellung, dass der Beschluss mit seinem Inkrafttreten Teil der Gemeinschaftsrechtsordnung sei, die direkte Anwendbarkeit mangels hinreichender Bestimmtheit abgelehnt.108 Die Frage der Geltung im gemeinschaftlichen Rechtsbestand ist eben eine Sache, die der Anwendbarkeit auf unter die Regelung fallende Sachverhalte eine andere, welche nach Kriterien der Klarheit, Eindeutigkeit, Bestimmtheit und Unbedingtheit usw zu beurteilen ist. b) Unmittelbare Anwendung und Vorrang Wie soeben dargelegt, sind die Normadressaten des Assoziationsrechts grundsätzlich die Vertragsparteien und nicht der Einzelne. Die daraus erwachsenden Verpflichtungen treffen daher die Gemeinschaft, die einzelnen Mitgliedstaaten und die Türkei. Erst durch eine Umsetzung mit den Mitteln des Gemeinschaftsrechts oder des nationalen Rechts entfalten die assoziationsrechtlichen Bestimmungen (mittelbare) Wirkungen für den Einzelnen. Die Umsetzung der Vorgaben des Assoziationsrechts kann – nachdem es sich um ein gemischtes Abkommen handelt – je nach Kompetenzlage dem gemeinschaftlichen oder dem nationalen Gesetzgeber vorbehalten sein.109 Dennoch kann es mitunter vorkommen, dass eine Bestimmung von vornherein darauf gerichtet ist, die rechtliche Situation des Einzelnen unmittelbar zu regeln, indem sie ihm Rechte einräumt, die ab dem Zeitpunkt ihrer Geltung wirksam werden sollen. Vermag eine Regelung dem Einzelnen subjektive Rechte zu verleihen, ohne dass es eines entsprechenden Umsetzungsaktes bedürfte, spricht der EuGH von „unmittelbarer Anwendung“. Während in den englischen Entscheidungstexten der Begriff „directly applicable“ verwendet wird oder in den französischen von „application directe“ die Rede ist, findet sich in den deutschen Übersetzungen manchmal auch die Wendung „unmittelbare Wirkung“, was dasselbe meint. 108
Vgl Rz 21 f und 37 des Urteils. Im Bereich der Arbeitnehmerfreizügigkeit besteht nach herrschender Auffassung eine konkurrierende Zuständigkeit zwischen Mitgliedstaaten und Gemeinschaft. Das bedeutet, dass die Mitgliedstaaten insoweit und solange zuständig sind, als die EG keine abschließende Regelung der Materie erlassen hat. 109
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Die Voraussetzungen, welche die unmittelbare Anwendung einer Bestimmung des AssAbk begründen, lassen sich aus dem Urteil Demirel entnehmen und gelten mittlerweile als ständige Rechtsprechung: „Eine Bestimmung eines von der Gemeinschaft mit Drittländern geschlossenen Abkommens ist als unmittelbar anwendbar anzusehen, wenn sie unter Berücksichtigung ihres Wortlautes und im Hinblick auf den Sinn und Zweck des Abkommens eine klare und eindeutige Verpflichtung enthält, deren Erfüllung oder deren Wirkungen nicht vom Erlass eines weiteren Aktes abhängen.“110 Anhand derselben Kriterien ist nach der Rsp des Gerichtshofs die unmittelbare Anwendung von Bestimmungen in Beschlüssen des AssRat zu ermitteln.111 Auszuscheiden sind daher Bestimmungen allgemeiner Natur oder programmatischen Charakters, welche keine hinreichend genauen oder an Bedingungen geknüpfte Verpflichtungen vorsehen. So verneinte der EuGH zB die Vorlagefrage des Verwaltungsgerichts Stuttgart, ob Art 12 AssAbk iVm Art 36 ZProt iVm Art 7 des Abkommens unmittelbar anwendbare gemeinschaftsrechtliche Vorschriften in der nationalen Rechtsordnung der Mitgliedstaaten seien, die die Arbeitnehmerfreizügigkeit unmittelbar regeln könnten.112 Nachdem gerade der Sinn des Erlasses von Assoziationsratsbeschlüssen darin liegt, die Ziele des Abkommens durch konkretisierende Regelungen zu realisieren, ist natürlich nicht auszuschließen, dass zwar die Bestimmungen des Abkommens und des Zusatzprotokolls im wesentlichen Programmcharakter haben, die darauf basierenden Beschlüsse jedoch die Kriterien der unmittelbaren Wirkung erfüllen. Selbst in den Beschlüssen enthaltene Regelungen, wonach die Einzelheiten der Durchführung der den türkischen Arbeitnehmern zuerkannten Rechte durch einzelstaatliche Vorschriften festgelegt werden,113 stehen der unmittelbaren Anwendung von Assoziationsratsbeschlüssen nicht entgegen, wenn sich der Bestimmung im Hinblick auf Sinn und Zweck des Abkommens eine klare und eindeutige Verpflichtung entnehmen lässt, deren Erfüllung oder deren Wirkungen nicht vom Erlass eines weiteren Aktes abhängen. In diesen Fällen handelt es sich nämlich lediglich um Verpflichtungen der Mitgliedstaaten, die zur Anwendung der Beschlüsse notwendigen innerstaatlichen Durchführungsvorschriften zu erlassen, ohne ihnen dabei die Möglichkeit einzuräumen, die auf Grund der Beschlüsse des Assoziationsrats eingeräumten Rechte an Bedingungen zu binden oder einzuschränken.114 Das Assoziationsabkommen sieht für das Inkrafttreten der Beschlüsse keine Kundmachung vor, so wurden viele der Beschlüsse des AssRat nicht veröffentlicht. Gerade der für die Rechte der türkischen Arbeitnehmer und ihrer Familienangehörigen zentrale ARB 1/80 blieb zB unveröffentlicht. Selbst die mangelnde Veröffentlichung der Beschlüsse schließt nach der Rsp des Gerichtshofes deren unmittelbare Wirkung nicht aus. Diesbezüglich stellte der EuGH fest, dass durch nicht veröffentlichte Rechtsakte zwar keine Verpflichtungen 110 111 112 113 114
Rz 14 des Urteils. EuGH, Sevince, Rz 15. EuGH, Rs Demirel, Rz 23. Vgl zB Art 2 des ARB 2/76 oder Art 6 Abs 3 ARB 1/80. EuGH, Sevince, Rz 22.
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für den Einzelnen entstehen können, die Möglichkeit, sich gegenüber einer Behörde auf die ihm durch diese Beschlüsse zuerkannten Rechte zu berufen, jedoch davon unberührt bliebe.115 Dass die Nichtveröffentlichung von Assoziationsratsbeschlüssen aus rechtsstaatlicher Sicht Bedenken aufwirft, ist nicht von der Hand zu weisen.116 Die Nichtveröffentlichung bildet aber – gerade aus Gründen der Rechtsstaatlichkeit – kein Indiz dafür, dass den Beschlüssen keine unmittelbare Wirkung zukommen soll.117 Eine der rechtsstaatlichen Grundvoraussetzungen für die Inpflichtnahme eines Adressaten einer Norm ist deren Publizität. Der Normadressat muss zwar nicht in Kenntnis gesetzt werden, doch ist ihm eine effektive Kenntnisnahmemöglichkeit zu verschaffen, mangels dieser er nicht verpflichtet werden kann. Anderseits darf aber dem begünstigten Normadressaten der ihm zu Gute kommende Rechtsanspruch aus einer Norm nicht verwehrt werden, indem man die Publizität der Norm gering hält oder gar verhindert. Es wäre geradezu ein Bruch des Rechtsstaatsprinzips, nicht veröffentlichungsbedürftigem positivem Gemeinschaftsrecht – als solches gilt es bereits mit seinem Inkrafttreten –, das den strikten Kriterien der unmittelbaren Wirkung Rechnung trägt, diese Wirkung gerade aus dem Grund der mangelnden Publizität abzusprechen. Das bedeutet, dass sie mit dem Zeitpunkt des Inkrafttretens rechtliche Wirkungen zeitigen (vgl 28). Welche Wirkungen das Assoziationsrecht als integrierender Bestandteil des Gemeinschaftsrechts zu zeitigen vermag, hängt von dessen Rang in der Gemeinschaftsrechtsordnung ab. Art 300 Abs 5 EG sieht hinsichtlich des Abschlusses von Abkommen vor, dass vor dem Abschluss eines Abkommens, welches Änderungen des EG-Vertrages zur Folge hätte, gemäß dem Vertragsänderungsverfahren nach Art 48 EU die notwendigen Anpassungen durchzuführen sind. Mit anderen Worten muss ein solches Abkommen mit dem Primärrecht der EG in Einklang stehen. Nach Abs 6 kann über die Kompatibilität eines beabsichtigten Abkommens mit dem EG-Vertrag ein Gutachten des Gerichtshofes eingeholt werden. Im Falle einer ablehnenden Haltung des Gerichtshofes kann das Abkommen nur „nach Maßgabe des Artikels 48 des Vertrages über die Europäische Union in Kraft treten“. Aus den Abs 5 und 6 des Art 300 EG lässt sich schließen, dass Assoziationsrecht unterhalb der Ebene des Primärrechts der EG anzusiedeln ist.118 Das Sekundärrecht der Assoziation – namentlich die Beschlüsse des Assoziationsrates – ist nach der Rechtsprechung des EuGH aufgrund des unmittelbaren Zusammenhangs mit dem Abkommen auf derselben Ebene anzusiedeln, wie das Abkommen selbst.119 Aus Art 300 Abs 7 EG, wonach die Abkommen für die Organe der Gemeinschaft und für die Mitgliedstaaten verbindlich sind, lässt sich eine Vorrang-
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Ibid, Rz 24. Diese Rechtssprechung fand im Schrifttum Zustimmung. Vgl in diesem Sinne zB Gutmann, Die Assoziationsfreizügigkeit türkischer Staatsangehöriger 61; Rogers, A Practitioners’ Guide to the EC-Turkey Association Agreement 9; Vedder, Rechtswirkungen von Assoziationsratsbeschlüssen, EuR 1994, 202, 212 f. 116 Siehe Vedder, EuR 1994, 212. 117 Verfehlt daher die Auffassung von C. Weber, Der assoziationsrechtliche Status 61 f. 118 Vgl Krück in Schwarze (Hrsg), Art 300 EGV, Rz 51; Schmalenbach in Callies/Ruffert (Hrsg), Art 300 EGV, Rz 77 ff. 119 Vgl EuGH, Sevince, Rz 9.
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wirkung des Assoziationsrechts gegenüber Sekundärrecht der EG ableiten. Diese rangmäßige Überordnung gegenüber dem sekundären Gemeinschaftsrecht hat der EuGH implizit mit der Feststellung anerkannt, dass die Gültigkeit der Handlungen der Organe im Sinne von Artikel 234 EG an einer Bestimmung des Völkerrechts gemessen werden kann, wenn diese Bestimmung die Gemeinschaft bindet und ein Recht der Gemeinschaftsangehörigen begründet, sich vor Gericht auf sie zu berufen.120 Mit anderen Worten hängt die erfolgreiche Berufung auf die Unvereinbarkeit einer gemeinschaftlichen (oder nationalen) Bestimmung mit dem Assoziationsrecht von dessen unmittelbarer Anwendbarkeit ab. In diesem Sinne kommt dem Assoziationsrecht Geltungsvorrang vor nachgeordnetem Sekundärrecht zu. Der Vorrang vor dem sekundären Gemeinschaftsrecht wird in der Literatur auch aus der völkerrechtlichen Verpflichtung der Gemeinschaft gegenüber dem Vertragspartner gemäß dem Grundsatz pacta sunt servanda begründet. Nur durch die Nichtanwendung entgegenstehenden innergemeinschaftlichen bzw innerstaatlichen Rechts kann dieser Verpflichtung Rechnung getragen werden.121 Als integraler Bestandteil des Gemeinschaftsrechts kommt dem Assoziationsrecht auch Anwendungsvorrang vor nationalem Recht zu122 – ungeachtet dessen innerstaatlichen Ranges. Infolgedessen haben die staatlichen Organe die mit dem Assoziationsrecht – soweit es als unmittelbar anwendbar zu qualifizieren ist – in Widerspruch stehenden Vorschriften des nationalen Rechts außer Anwendung zu lassen.123 Unterliegt ein Sachverhalt sowohl einer (unmittelbar anwendbaren) assoziationsrechtlichen, als auch innerstaatlichen Regelungen, sind aufgrund der Vorrangwirkung die den gleichen Gegenstand regelnden nationalen Regelungen unberücksichtigt zu lassen. Dem in Widerspruch stehenden nationalen Recht wird dadurch nicht derogiert, vielmehr wird die Regelung lediglich im Rahmen des Kollisionsfalles „ausgeblendet“.124 Adressaten dieses Anwendungsvorrangs sind sowohl Gerichte als auch Verwaltungsbehörden. Um eine kohärente Anwendung des Gemeinschaftsrechts (dessen Bestandteil auch das Assoziatonsrecht bildet) zu sichern, steht den nationalen Gerichten die Möglichkeit eines Vorabentscheidungsersuchens iSd Art 234 EG an den EuGH offen. Der Gerichtshof begründet seine Zuständigkeit zur Auslegung des Assoziationsrechtes durch die Qualifikation solcher Abkommen als „Handlungen der Organe“125 iSd Art 234 Abs 1 lit b EG und leitet aufgrund des unmittelbaren 120 Vgl EuGH, International Fruit. Vgl in diesem Zusammenhang die Nichtigkeitsklage im Zusammenhang mit der Einfuhr von Farbfernsehgeräten aus der Türkei: EuGI 10.5. 2001, verb Rs T 186/97, Kaufring, Slg 2001, II-1337, Rz 8. 121 Vgl A. Weber in Groeben/Thiesing/Ehlermann (Hrsg), Art 238 EGV, Rz 46. 122 Siehe Herrnfeld in Schwarze (Hrsg), Art 310 EGV, Rz 18. 123 Vgl EuGH 9.3.1978, Rs 106/77, Simmenthal II, Slg 1978, 629; VfSlg 14.886/1997; siehe weiters Öhlinger/Potacs, Gemeinschaftsrecht und staatliches Recht 70 f. 124 Aus der Vorrangwirkung des Assoziationsrechts leitet Gümrükcü zu Unrecht eine Derogation nationalen Rechts ab, wenn er meint, im Falle eines Widerspruchs zwischen dem Assoziationsrecht und dem nationalen Ausländerrecht würde dem letzteren derogiert; so Gümrükcü in Lichtenberg/Linne/Gümrükcü (Hrsg), Gastarbeiter – Einwanderer – Bürger? 47. 125 EuGH 30.4.1974, Rs 171/73, Hägeman, Slg 1974, 449
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Zusammenhangs mit dem Abkommen die Kompetenz ab, über die Auslegung der Assoziationsratsbeschlüsse zu befinden.126 Nach dieser Bestimmung haben alle staatlichen Gerichte das Recht, mit einem Vorabentscheidungsersuchen hinsichtlich der Gültigkeit und Auslegung von präjudiziellen Bestimmungen des Assoziationsabkommens samt den darauf basierenden Beschlüssen an den Gerichtshof heranzutreten. Letztinstanzliche Gerichte – also solche, deren Entscheidungen selbst nicht mehr mit Rechtsmitteln des innerstaatlichen Rechts angefochten werden können – trifft hingegen bei Unklarheiten über die Gültigkeit und Auslegung der Abkommen bzw Beschlüsse eine Vorlagepflicht. Der Gerichtsbegriff des Art 234 EG ist autonom auszulegen und muss daher nicht mit dem nationalen Begriff iSd Art 82 ff B-VG deckungsgleich sein. Der Gerichtshof legt diesen Terminus weit aus, sodass er vergleichbar mit dem Tribunalbegriff des Art 6 EMRK wirkt; dementsprechend fallen auch gerichtsähnliche Verwaltungsbehörden wie die Unabhängigen Verwaltungssenate in den Ländern gem Art 129a B-VG unter diesen Begriff. Gegen die Verletzung der Vorlagepflicht eines vorlagepflichtigen Gerichts stehen dem Rechtsunterworfenen nur beschränkte Anfechtungsmöglichkeiten offen. Innerstaatlich kann, soweit gegen den Bescheid einer Verwaltungsbehörde der Rechtsweg an den VfGH gem Art 144 B-VG offen ist, eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechts auf den gesetzlichen Richter geltend gemacht werden. Der VfGH hat im Einklang mit der Judikatur des deutschen Bundesverfassungsgerichts die Qualität des EuGH als gesetzlicher Richter anerkannt127 und eine Verletzung dieses Rechts insbesondere dann bejaht, wenn ein vom Gesetz vorgesehenes pflichtgemäßes Zusammenwirken mehrerer Behörden (nämlich der nationalen und dem EuGH) nicht erfolgt.128 Wenn sich der Gerichtshof aufgrund der Qualifikation der Abkommen und der darauf ergangen Beschlüsse als „Handlungen der Organe“ für befugt erachtet, über die Gültigkeit und Auslegung dieser Bestimmungen zu befinden, muss angenommen werden, dass in gleicher Weise die Gültigkeit einer assoziationsrechtlichen Bestimmung auch im Wege einer Nichtigkeitsklage nach Art 230 EG aufgegriffen werden kann. In beiden Fällen wäre die Gültigkeit am Maßstab des Primärrechts zu beurteilen.
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EuGH 20.9.1990, Rs C-192/89, Sevince, I-3461, Rz 10 f: „…Dies gilt um so mehr, als Artikel 177 EWG-Vertrag die einheitliche Anwendung aller zur Gemeinschaftsrechtsordnung gehörenden Bestimmungen innerhalb der Gemeinschaft sichern und damit verhindern soll, daß diese Bestimmungen je nach der Auslegung, die ihnen in den verschiedenen Mitgliedstaaten gegeben wird, unterschiedliche Rechtswirkungen entfalten.“ 127 Vgl VfSlg 14.390/1995 mit Verweis auf BVerfGE 73, 339. 128 Vgl Schima in Mayer (Hrsg), Art 234 EGV, Rz 117 ff.
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A. Geltung und Anwendbarkeit in Österreich Mit dem Beitritt zur Europäischen Union hat sich Österreich verpflichtet, die Gesamtheit des Gemeinschaftsrechtsbestandes, also den sog „acquis communautaire“, zu dem auch das Assoziationsabkommen einschließlich der darauf beruhenden Beschlüsse zu zählen ist, zu übernehmen.129 Dennoch wurde die Frage der Verbindlichkeit und Anwendbarkeit des AssAbk angesichts der zu erwartenden weitreichenden Konsequenzen für das Fremden- und Ausländerbeschäftigungsrecht unterschiedlich gesehen. So wurde von obersten Organen der staatlichen Verwaltung die Auffassung vertreten,130 das Abkommen mit der Türkei sei zwar Teil des zu übernehmenden Gesamtrechtsbestandes, in Österreich aber auf Grund der in Art 29 AssAbk131 enthaltenen – den räumlichen Geltungsbereich des Abkommens auf die ursprünglichen Mitgliedstaaten des Abkommens beschränkenden – Territorialitätsklausel nicht anwendbar. Demzufolge bedürfe es in Folge eines Beitritts neuer Mitgliedstaaten einer formellen Anpassung des Anwendungsbereiches durch ein gesondertes Beitrittsprotokoll. Im Ergebnis führe dies dazu, dass das AssAbk abweichend von Art 76 Abs 1 der EU-BA in Österreich erst nach Inkrafttreten eines diesbezüglichen Ergänzungsprotokolls zur Geltung komme, zu dessen Abschluss man sich gemeinschaftsrechtlich jedoch verpflichtet fühle.132 Diese „offizielle“ Auffassung wurde im österreichischen Schrifttum erstmals von Feik mit überzeugenden Argumenten widerlegt.133 Neben dem als wesentlicher 129 Artikel 2 der EU-Beitrittsvertrag-Akte (BGBl 1995/45) – im Folgenden EU-BA – lautet: „Ab dem Beitritt sind die ursprünglichen Verträge und die vor dem Beitritt erlassenen Rechtsakte der Organe für die neuen Mitgliedstaaten verbindlich und gelten in diesen Staaten nach Maßgabe der genannten Verträge und dieser Akte.“ 130 Vgl die auf ein Rechtsgutachten des BKA-VD (GZ 671.808/1-V/8/95) gestützte Anfragebeantwortung des damaligen BMI Caspar Einem (940/AB zu 1099/J 19. GP-NR vom 31.5.1995, Zl 97.109/37-SL III/95). 131 Dessen Abs 1 lautet: „Das Abkommen gilt für die europäischen Hoheitsgebiete des Königreichs Belgien, der Bundesrepublik Deutschland, der Französischen Republik, der Italienischen Republik, des Großherzogtums Luxemburg, des Königreichs der Niederlande einerseits und für das Hoheitsgebiet der Republik Türkei andererseits.“ 132 Vgl Bürstmayr, Assoziierungsabkommen EWG-Türkei. Ah So! Ziierung? Juridikum 4/96, 13. Zum Widerstand des BMI, die unmittelbare Wirksamkeit der ARB in Bezug auf eine veränderte Handhabung des FrG anzuerkennen siehe Egger, Wechselwirkungen zwischen dem Arbeits- und Sozialrecht der EG und Österreichs, EuroAS 1/96, 7. 133 Stellungnahme zur Rechtsansicht des BKA-VD, Salzburg (19.6.1995).
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Bestandteil des „acquis“ geltenden Primär- und Sekundärrecht der Gemeinschaften, welches die Mitgliedstaaten in der durch den EuGH bis dahin vorgegebenen Auslegung der Vorschriften übernehmen, sind die von der EG geschlossenen Abkommen ab dem Beitritt für die neuen Mitgliedstaaten verbindlich.134 Gemäß dem Prinzip der beweglichen Vertragsgrenzen bedarf es bei den Gemeinschaftsabkommen nicht des Beitritts der neuen Mitgliedstaaten zu diesen Abkommen, Änderungen dieser Abkommen sind aber idR notwendig, wenn die Anpassungen sachlicher Natur sind. So sieht auch Gilsdorf135 in der von den üblichen Formulierungen abweichenden Regelung des Art 29 AssAbk eine „atypische Ausnahme“ (idR fand sich die Formel: „Das Abkommen gilt für Hoheitsgebiete, in denen der Vertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft Anwendung findet …“). Selbst für gemischte Abkommen, denen die neuen Mitgliedstaaten beizutreten haben,136 gilt die automatische Fortgeltung für jenen Teil der Regelungen, der im Kompetenzbereich der Gemeinschaft liegt. Für die Übernahme darüber hinausgehender Inhalte bedarf es eines ausdrücklichen Beitritts zu dem betreffenden Vertrag.137 Dass Regelungen betreffend die Freizügigkeit von Arbeitnehmern im Wege des Art 310 EG von der Gemeinschaft getroffen werden können, da sie von ihrer Zuständigkeit erfasst sind, hat der EuGH schon in der Rs Demirel138 festgestellt. Ungeachtet dessen schließe die Gemeinschaft zwecks Beitritt neuer Mitglieder stets Zusatzprotokolle mit den Partnerstaaten, die zum Teil formalen Bedürfnissen – wie die Verbindlichkeit in den jeweiligen Sprachen – aber auch sachlichen Änderungen Rechnung tragen sollen. Bei gemischten Abkommen ergebe sich die Erforderlichkeit eines solchen Änderungsvertrages, selbst wenn aus gemeinschaftsrechtlicher Sicht eine Beteiligung des neuen Mitgliedstaates nicht (mehr) vonnöten wäre, schon aus dem Gedanken heraus, der Partnerstaat müsse die Sicherheit haben, dass das Abkommen auch von den neuen Mitgliedstaaten mitgetragen werde. Dieser Akt verfolgt somit primär die Interessen der Rechtssicherheit und dient dem Prinzip des völkerrechtlichen Vertrauensschutzes. Daraus schließt Feik, dass aus völkerrechtlicher Sicht die Verpflichtung zum Abschluss eines Anpassungsprotokolls durchaus gegeben sein kann. Diese diene allerdings – als eine dem Assoziationspartner zu bietende Gewähr – dem Zweck einer gemeinschaftsweit einheitlichen Vollziehung des Assoziationsrechts. 134 Vgl Art 5 Abs 1 EU-BA: „Die von einer der Gemeinschaften mit einem oder mehreren dritten Staaten, mit einer internationalen Organisation oder mit einem Staatsangehörigen eines dritten Staates geschlossenen Abkommen oder Übereinkommen sind für die neuen Mitgliedstaaten nach Maßgabe der ursprünglichen Verträge und dieser Akte verbindlich.“ 135 Gilsdorf, Art 238 EGV, in Groeben/Thiesing/Ehlermann (Hrsg), Kommentar zum EU-/EG-Vertrag4 IV (1991) Rz 43. 136 Vgl Art 5 Abs 2 EU-BA: „Die neuen Mitgliedstaaten verpflichten sich, nach Maßgabe dieser Akte den von den derzeitigen Mitgliedstaaten zusammen mit einer der Gemeinschaften geschlossenen Abkommen oder Übereinkommen sowie den von diesen Staaten geschlossenen Übereinkünften, die mit diesen Abkommen oder Übereinkommen in Zusammenhang stehen, beizutreten …“; siehe auch Vedder in Grabitz/Hilf (Hrsg), Art 237 EGV Rz 26. 137 Haak, Zur Übernahme der von der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft geschlossenen völkerrechtlichen Verträge durch die beitretenden Staaten, EuR 1971, 123. 138 Vgl Rz 9 des Urteils.
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Als Beleg für diese Auffassung dient weiters die Regelung des Art 21 AssAbk, welcher für den Fall einer Erweiterung der Gemeinschaft lediglich ein Konsultationsverfahren vorsieht, um die gegenseitigen Rechte der Assoziationspartner in diesem Falle wahren zu können.139 In der Lit wurde diese Bestimmung dahingehend interpretiert,140 dass der Türkei kein zwingendes Zustimmungsrecht zu einer räumlichen Ausdehnung des Anwendungsbereiches des Assoziationsabkommens zustehe. Die Türkei habe somit einen Vertragspartner akzeptiert, dessen Mitgliederbestand einer Erweiterung zugänglich sei. Dies könne allerdings nur dann gelten, wenn das zum Beitritt zur Gemeinschaft vorgeschriebene Verfahren – samt der daraus resultierenden Verpflichtung der Beitrittskandidaten zur Übernahme des „acquis“ – eingehalten werde. Diese Offenheit des AssAbk für neue Partner kommt auch durch die im Anhang I Pkt 3 des AssAbk festgehaltene auslegende Erklärung zur Bestimmung des Begriffs „Vertragsparteien“ zum Ausdruck.141 Demnach kommen die Vertragsparteien überein, … dass unter dem im Abkommen enthaltenen Wort „Vertragsparteien“ einerseits die Gemeinschaft sowie die Mitgliedstaaten oder aber entweder die Mitgliedstaaten oder die Gemeinschaft allein und andererseits die Republik Türkei zu verstehen ist. Die jeweilige Bedeutung dieses Wortes ergibt sich aus den in Frage stehenden Bestimmungen des Abkommens sowie aus den entsprechenden Bestimmungen des Vertrages zur Gründung der Gemeinschaft. In bestimmten Fällen können mit „Vertragsparteien“ während der Übergangszeit des Vertrages zur Gründung der Gemeinschaft die Mitgliedstaaten und nach Ablauf dieser Übergangszeit die Gemeinschaft gemeint sein. Auch weitere systematische Argumente führen zu dem Ergebnis, dass es – mangels abweichender Regelungen – nicht im Einflussbereich einzelner Staaten steht, die Anwendbarkeit des für alle Mitgliedstaaten verbindlichen Abkommens für sich in Frage zu stellen. So kann sich zwar ein einzelner Mitgliedstaat, um seinen Interessen dadurch Ausdruck zu verleihen, an die Gemeinschaft oder die anderen Mitgliedstaaten wenden, doch steht es ihm nicht zu, dem Assoziationspartner gegenüber gewisse Regelungen in Zweifel zu ziehen, deren Neuverhandlung zu verlangen oder gar sie zu kündigen.142 Schließlich würde eine – die Anwendbarkeit des Abkommens aufgrund der Territorialitätsklausel des Art 29 AssAbk ausschließende – Auslegung im Widerspruch zur Rsp des EuGH stehen, welcher in seinem Urteil in der Rs Hägeman143 festgestellt hat, dass ein vom Rat gem den Art 228 und 238 EWGV geschlossenes Abkommen für die Gemeinschaft die Handlung eines Gemeinschaftsorgans iSd Art 177 Abs 1 lit b EWGV darstelle, die Bestimmungen eines solchen Abkommens 139
Siehe auch Art 56 ZProt: „Im Falle eines Beitritts eines dritten Staates zur Gemeinschaft finden im Assoziationsrat angemessene Konsultationen statt, damit die im Assoziationsabkommen festgelegten beiderseitigen Interessen der Gemeinschaft und der Türkei berücksichtigt werden können.“ 140 Siehe Haak, EuR 1971, 121 f. 141 So schon Feik, Stellungnahme zur Rechtsansicht des BKA-VD, Salzburg (19.6. 1995). 142 Vgl Krück, Die Freizügigkeit der Arbeitnehmer nach dem Assoziierungsabkommen EWG/Türkei, EuR 1984, 305; weiters Vedder in Grabitz/Hilf (Hrsg), Art 238 EGV, Rz 40e (mwN). 143 Rz 6 des Urteils.
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seit dessen Inkrafttreten einen integralen Bestandteil der Gemeinschaftsrechtsordnung bildeten. In der Rs Kupferberg144 hat er klargestellt, dass die Mitgliedstaaten, indem sie dafür Sorge tragen, dass die Verpflichtungen aus einem von den Gemeinschaftsorganen geschlossenen Abkommen eingehalten werden, eine Pflicht gegenüber der Gemeinschaft im Rahmen der Gemeinschaftsrechtsordnung erfüllen. Denn diese habe die Verantwortung für die ordnungsgemäße Durchführung des Abkommens übernommen. Letztendlich würde die Verneinung der Anwendbarkeit des Abkommens nicht nur gegen die Grundsätze der Judikatur des EuGH und des Völkerrechts verstoßen, sondern den primärrechtlichen Vorgaben aus der EU-BA zuwiderlaufen. Art 5 Abs 1 der EU-BA erklärt die von einer der Gemeinschaften mit einem dritten Staat geschlossenen Übereinkommen für die neuen Mitgliedstaaten nach Maßgabe der ursprünglichen Verträge und der EU-BA ausdrücklich als verbindlich und legt somit den Geltungsbefehl des Abkommens fest. Im Abs 2 findet sich die Verpflichtung der neuen Mitgliedstaaten, den von den ursprünglichen Mitgliedstaaten zusammen mit einer der Gemeinschaften abgeschlossenen „gemischten Abkommen“ beizutreten. Der Anwendungsbefehl des AssAbk liegt aber in den Art 76 und 77 der EU-BA.145 Gem Art 76 Abs 1 hat Österreich die in Art 77 EU-BA genannten Regelungen ab dem 1.1.1995 uneingeschränkt anzuwenden. Unter den anzuwendenden Abkommen finden sich in Art 77 auch die Abkommen mit der Türkei. Die Auffassung, wonach das AssAbk gem Art 76 Abs 2 der EU-BA erst nach Anpassung des räumlichen Geltungsbereiches des Abkommens in Form eines Protokolls in Österreich anwendbar sein soll, ist schon im Lichte der oben angestellten Überlegungen nicht tragbar. Schon gar nicht lässt sie sich mit dem Ziel der in Frage stehenden Bestimmungen – der Anwendung der für verbindlich erklärten Abkommen ab dem Beitritt – in Einklang bringen. Die Möglichkeit des Art 76 Abs 2 EU-BA, etwaige Anpassungen in Form von Protokollen vorzunehmen, steht der Geltung bzw Anwendbarkeit des Abkommens nicht entgegen. Die Territorialitätsklausel wurde bereits durch das Ergänzungsprotokoll vom 30.6.1973146 anlässlich des Beitritts Dänemarks, Irlands und Großbritanniens geändert. Die neue Fassung sah gem Art 5 des Ergänzungsprotokolls vor, dass das Abkommen unter den im EWGV vorgesehenen Bedingungen für die europäischen Gebiete von Belgien, Dänemark, Deutschland, Frankreich, Irland, Italien, Luxemburg, Niederlande und Großbritannien und die anderen europäischen Gebiete, deren auswärtige Beziehungen ein Mitgliedstaat wahrnimmt, einerseits und für das 144
Rz 13 des Urteils. Artikel 76: „(1) Ab dem 1. Januar 1995 wendet die Republik Österreich die Bestimmungen der in Artikel 77 genannten Abkommen an. (2) Etwaige Anpassungen werden in Protokollen vorgenommen, die mit den übrigen Vertragsstaaten geschlossen und jenen Abkommen beigefügt werden. (3) Sollten die in Absatz 2 genannten Protokolle bis zum 1. Januar 1995 nicht geschlossen worden sein, so trifft die Gemeinschaft die erforderlichen Maßnahmen, um dieser Lage zum Beitritt Rechnung zu tragen.“ Artikel 77 EU-BA erwähnt unter den anzuwendenden Abkommen explizit die Abkommen mit der Türkei. 146 Vgl VO des Rates über den Abschluss eines Ergänzungsprotokolls zum Assoziierungsabkommen zwischen der EWG und der Türkei infolge des Beitritts neuer Mitgliedstaaten zu der Gemeinschaft, ABl 1977 L 361/1. 145
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Gebiet der Türkei andererseits gilt.147 So ist nun davon auszugehen, dass der Territorialitätsklausel des Art 29 Abs 1 AssAbk von den Bestimmungen der EU-BA, welche als primäres Gemeinschaftsrecht den nachrangigen Regelungen des Assoziationsrechts vorgehen, aus gemeinschaftsrechtlicher Sicht partiell derogiert wurde.148 Diese Überlegungen veranlassten auch den VwGH zur Entscheidung,149 dass sich Österreich zufolge der Art 2 und 5 Abs 2 EU-BA unter anderem verpflichtet habe, dem zwischen der EWG und der Türkei geschlossenen Assoziationsabkommen beizutreten. Diese Verpflichtung sei eindeutig und an keine Bedingungen geknüpft. Zurecht konstatierte der VwGH, dass den Vertragsstaaten des EUBeitrittsvertrages nicht zugesonnen werden kann, sie hätten in Art 76 Abs 1 und Art 77 der EU-BA eine Verpflichtung Österreichs zur Anwendung des Abkommens geschaffen, die wegen der in Art 29 Abs 1 enthaltenen Territorialitätsklausel weitestgehend ins Leere ginge. Vielmehr resultiere aus Art 76 der Beitrittsakte, dass Österreich die in Art 77 genannten Abkommen auch dann anzuwenden hat, wenn die durch den Beitritt Österreichs zur EU allenfalls notwendigen Anpassungen bis zum 1.1.1995 noch nicht vorgenommen worden sind. Die Verpflichtung Österreichs, das Assoziationsabkommen bis zum Wirksamwerden seines Beitritts hiezu, bzw der in Art 76 Abs 2 der Beitrittsakte genannten Anpassungen, ungeachtet des Umstandes anzuwenden, dass zwischen Österreich und der Türkei bis zu diesem Zeitpunkt aus dem Abkommen selbst keine unmittelbaren Verpflichtungen bestehen, ist somit eindeutig.
B. Die Durchführung von Assoziationsrecht Nach der ständigen Rsp des Gerichtshofs sind „die notwendigen Maßnahmen zur Durchführung eines von der Gemeinschaft geschlossenen Abkommens je nach dem aktuellen Stand des Gemeinschaftsrechts in den von dem Abkommen erfassten Bereichen von den Gemeinschaftsorganen oder von den Mitgliedstaaten zu treffen.“150 Aus Art 300 Abs 7 EG ergibt sich sowohl für die Gemeinschaft als auch für die einzelnen Mitgliedstaaten die Pflicht, die in ihren Aufgabenbereich fallenden notwendigen Maßnahmen für die ordnungsgemäße Durchführung des Abkommens zu ergreifen.151 Die Palette der in Frage kommenden Maßnahmen reicht dabei von gesetzgeberischen Akten bis hin zur Aufgabe einer bestehenden assoziationswidrigen Verwaltungspraxis.152 Unmittelbar anwendbares Assoziationsrecht partizipiert am Anwendungsvorrang des Gemeinschaftsrechts und geht demnach entgegenstehen147 Im Ergänzungsprotokoll 1988 anlässlich des Beitritts von Spanien und Portugal (ABl L 53/91) findet sich keine Territorialitätsklausel, wohl aber der Hinweis darauf (Art 13), dass es Bestandteil des Assoziationsabkommens ist. 148 Vgl Schweitzer in Winkler-FS 1039, der sich für eine uneingeschränkte Geltung des AssAbk in Österreich ab dem 1.1.1995 ausspricht und eine „Modifikation“ der Territorialitätsklausel annimmt. 149 VwGH 25.6.1996, 96/09/0088. 150 Vgl EuGH, Kupferberg, Rz 12. 151 Schmalenbach in Callies/Ruffert, Art 300 EGV, Rz 48 ff. 152 Vgl Mögele in Streinz, Art 300 EGV, Rz 80.
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dem nationalen Recht vor. Im Kollisionsfall wird – wie schon gesagt – die der assoziationsrechtlichen Regelung widersprechende innerstaatliche Rechtsnorm im Umfang der Inkompatibilität vom Gemeinschaftsrecht verdrängt. Der Anwendungsvorrang als Mindestgarantie zur effektiven Durchsetzung der gemeinschaftsrechtlichen Verpflichtungen entbindet allerdings die Mitgliedstaaten nicht von der Pflicht, ihre Rechtsordnung in Einklang mit dem Gemeinschaftsrecht – in concreto dem Assoziationsrecht – zu bringen. Diese Verpflichtung ergibt sich unmittelbar aus dem Abkommen: Art 7 enthält ein dem Art 10 EG vergleichbares generelles Loyalitätsgebot und verpflichtet die Vertragsparteien, alle geeigneten Maßnahmen allgemeiner oder besonderer Art zur Erfüllung der Verpflichtungen aus dem Abkommen zu treffen, und verbietet alle Maßnahmen, welche die Verwirklichung der Ziele des Abkommens gefährden könnten. Zwar ist die Bestimmung aufgrund ihres allgemein und unbestimmt gefassten Wortlautes nicht unmittelbar wirksam,153 sie kann also dem Einzelnen nicht unmittelbar Rechte vermitteln, aber sie enthält eine an die Mitgliedstaaten gerichtete Handlungs- bzw Unterlassungspflicht, die bei einer Zusammenschau von Ziel und Zweck des Abkommens nur so verstanden werden kann, dass die Mitgliedstaaten alle in ihrem Einflussbereich befindlichen Maßnahmen ergreifen müssen, um die effiziente Anwendung des Assoziationsrechts zu sichern. Bei den generell-abstrakten Durchführungsmaßnahmen muss die Umsetzung als Transformation oder inhaltliche Determinierung deutlich von der bloßen Anpassung des innerstaatlichen Rechts im Wege der Bereinigung entgegenstehender Vorschriften unterschieden werden. Während die Pflicht zur Beseitigung entgegenstehender mitgliedstaatlicher Vorschriften – ungeachtet der sich aus der Vorrangwirkung ergebenden Unanwendbarkeit nationalen Rechts – unstrittig sein dürfte, hat sich der Gerichtshof – soweit ersichtlich – hinsichtlich einer allfälligen Verpflichtung der Mitgliedstaaten zur Umsetzung von Assoziationsrecht noch nicht geäußert. Aus diesem Grund bleibt nur der Rückgriff auf Grundsätze über, die für die Anwendung und Durchführung von Sekundärrecht aufgestellt wurden, wobei auf den völkerrechtlichen Ursprung von Assoziationsrecht Bedacht zu nehmen ist. Ein mitgliedstaatliches Handeln kann aber im Einklang mit der oben zitierten Judikatur nur dann verlangt sein, wenn das nationale Recht nicht ohnehin den Vorgaben des Assoziationsrechts entspricht. Trägt die nationale Rechtslage den Erfordernissen des Assoziationsrechts vollinhaltlich Rechnung, bedarf es weder eines generell-abstrakten Durchführungsaktes noch eines Hinweises auf die, die jeweilige Materie nun regelnde assoziationsrechtliche Bestimmung. Demnach müssen die Mitgliedstaaten nur bei mangelnder Übereinstimmung der nationalen Rechtslage mit den Vorgaben des Assoziationsrechts aktiv werden und somit den Bestimmungen des Assoziationsrechts zum Durchbruch verhelfen. Ebenso sind sie gehalten, zur Sicherung des Vorrangs des Assoziationsrechts und im Interesse der Rechtssicherheit bzw Rechtsklarheit die innerstaatlichen Regelungen aufzuheben oder anzupassen, die gegen Assoziationsrecht verstoßen.154 Insofern trifft sie eine Bereinigungspflicht. 153
Vgl EuGH, Demirel, Rz 25. Vgl diesbezüglich die zu Art 10 EG ergangene reichhaltige Judikatur, dessen Erkenntnisse sich mutatis mutandis auf Art 7 des Abkommens übertragen lassen. Insb EuGH 11.6.1991, Rs C-307/89, Kommission/Frankreich, Slg 1991, I-2903, Rz 13. 154
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Auch das Gebot gemeinschaftsrechtskonformer Interpretation nationalen Rechts lässt sich unter diese Pflichten einordnen. Demgemäß haben die nationalen Stellen beim Vollzug von innerstaatlichem Recht der anzuwendenden Bestimmung jeweils die Bedeutung zu unterstellen, die dem Ziel und Zweck des Assoziationsrechts am besten Rechnung trägt. Diese aus den allgemeinen Grundsätzen des Gemeinschaftsrechts und dem Loyalitätsgebot des Art 7 AssAbk erfließenden Pflichten gelten gleichermaßen für die Beschlüsse des Assoziationsrates, hinsichtlich derer Art 22 Abs 1 Satz 2 AssAbk ausdrücklich das Gebot enthält, die zu ihrer Durchführung erforderlichen Maßnahmen zu treffen.
1. Gemeinschaftsrechtliche Maßstäbe zur Durchführung Auf welche Art und Weise Assoziationsrecht innerstaatlich durchzuführen ist, geht weder aus dem Abkommen samt den darauf basierenden Beschlüssen, noch aus dem EG-Vertrag hervor. Ebenso wenig enthält die einschlägige Judikatur des EuGH klare Vorgaben. In der Rs Sevince hat er jedenfalls festgestellt, dass die in den Beschlüssen enthaltene Regelungen, wonach die Einzelheiten der Durchführung der den türkischen Arbeitnehmern zuerkannten Rechte durch innerstaatliche Vorschriften festgelegt werden, bloß eine Verpflichtung der Mitgliedstaaten zum Ausdruck bringen, die zur Anwendung der Beschlüsse notwendigen innerstaatlichen Durchführungsvorschriften zu erlassen. Diese sei nicht mit einer Möglichkeit verbunden, die auf Grund der Beschlüsse des Assoziationsrats eingeräumten Rechte an Bedingungen zu binden oder einzuschränken.155 Mit anderen Worten darf das Resultat innerstaatlicher Gesetzgebung nicht in einer für den Berechtigten nachteiligen Weise von der gemeinschaftsrechtlichen Vorgabe abweichen. Mangels entgegenstehender Anhaltspunkte steht es jedoch zumindest aus gemeinschaftsrechtlicher Sicht grundsätzlich im Ermessen des Mitgliedstaates, welcher Rechtstechnik er sich zur Verwirklichung der assoziationsrechtlichen Rechte bedient. Die Verbindlichkeit hinsichtlich des zu erreichenden Zieles und die Wahlfreiheit von Form und Mitteln lassen Parallelen zur Richtlinie erkennen, die ebenfalls unter bestimmten Voraussetzungen unmittelbare Wirkung entfalten kann. Aus diesem Grund scheint es angebracht, die für die Umsetzung von Richtlinien entwickelten Grundsätze des Gemeinschaftsrechts auch auf die Durchführung von Bestimmungen des Assoziationsrechts zu übertragen.156 Demnach wird auch die Durchführung von Assoziationsrecht maßgeblich vom Grundsatz des effet utile bestimmt. Die rechtstechnische Wahlfreiheit entbindet die Mitgliedstaaten nämlich nicht von der Pflicht, diejenigen Formen und Mittel zu wählen, die sich zur Gewährleistung der praktischen Wirksamkeit („effet utile“) der Bestimmungen unter Berücksichtigung des mit ihnen verfolgten Zweckes am besten eignen.157 Sie müssen in jedem Fall alle erforderlichen Maßnahmen ergreifen, um die volle Anwendung der Regelungen in rechtlicher und nicht nur in tatsächlicher Hinsicht zu gewährleisten.158 155
EuGH, Sevince, Rz 22. So im Ergebnis auch Obwexer in Antolovsky/König/Perching/Vana (Hrsg), Assoziierungsabkommen 90 f. 157 Vgl sinngemäß EuGH, Rs 48/75, Royer, Slg 1976, 497, Rz 69/73. 158 EuGH, Rs C-339/87, Kommission/Niederlande, Slg 1990, I-851, Rz 25. 156
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Die Durchführung hat sich nach der Judikatur des Gerichtshofs in erster Linie von der Effizienz des Vollzugs leiten zu lassen. Zu diesem Zweck müssen die Mitgliedstaaten Rechtsvorschriften auf dem betreffenden Gebiet erlassen, die geeignet sind – soweit die assoziationsrechtliche Bestimmung subjektive Rechte des Einzelnen begründen soll –, eine so bestimmte, klare und transparente Lage zu schaffen, dass die Einzelnen von ihren Rechten Kenntnis erlangen und diese gegebenenfalls vor den nationalen Gerichten und Verwaltungsbehörden geltend machen können bzw über den Umfang ihrer Verpflichtungen hinreichend unterrichtet sind.159 Bei der Durchführung von Assoziationsrecht haben die Mitgliedstaaten den Erfordernissen der Rechtsklarheit und Rechtsicherheit Rechnung zu tragen, weshalb die Bestimmungen des Assoziationsrechts – sofern ihnen nicht ohnehin durch bestehende mitgliedstaatliche Regelungen entsprochen wird – in nationale Vorschriften umzusetzen sind, die zwingenden Charakter haben.160 Diese vom Gerichtshof hinsichtlich der Umsetzung von Richtlinien aufgestellte Anforderung sollte meines Erachtens für die Durchführung von Assoziationsratsbeschlüssen deshalb übernommen werden, weil es für die Beschlüsse keine Kundmachungsvorschrift gibt, was den Grad der Kenntnisnahmemöglichkeit des Rechtsunterworfenen erheblich schmälert. Deshalb kann weder „eine bloße Verwaltungspraxis, welche die Verwaltung naturgemäß beliebig ändern kann und die nur unzureichend bekannt ist“,161 den Umsetzungsverpflichtungen genügen, noch die „bloße Information“ von Dienststellen durch eine übergeordneten Behörde iS einer Mitteilung ohne normativen Inhalt,162 da der Einzelne in der Lage sein muss, sich auf zwingende Vorschriften zu berufen, um seine Rechte geltend zu machen. Ebensowenig reicht die schlichte Nichtanwendung der dem Assoziationsrecht entgegenstehenden Regelungen bzw ein damit einhergehendes (assoziations-) rechtskonformes Verhalten der Gerichte oder Verwaltungsbehörden,163 da für verwaltungsbehördliche oder gerichtliche Entscheidungen grundsätzlich der Satz gilt: „res judicata jus facit inter partes“. Ob eine an unterstellte Organe erteilte generelle Weisung (Erlass) – also eine Verwaltungsverordnung – den Erfordernissen einer einwandfreien Umsetzung genügt, hängt aus gemeinschaftsrechtlicher Sicht vom Regelungsgehalt der umzusetzenden Bestimmung ab. Sofern die assoziationsrechtliche Bestimmung darauf gerichtet ist, dem Einzelnen subjektive Rechte zu gewähren, scheidet natürlich eine verwaltungsinterne – wenn auch zwingende Anordnung – aus, da sonst die vom Gerichtshof geforderte effektive Kenntnisnahmemöglichkeit vereitelt werden könnte. Auf dem Boden der hier angestellten Überlegungen ist die in Österreich eingebürgerte Praxis der Umsetzung von Assoziationsratsbeschlüssen mit subjektiven Rechten durch Erlässe sicherlich bedenklich. 159
EuGH, Rs C-131/88, Kommission/Deutschland, Slg 1991, I-825, Rz 8; Rs C-200/94, Kommission/Luxemburg, Slg 1995, I-1589, Rz 10. Vgl Leonard, Die Rechtsfolgen der Nichtumsetzung von EG-Richtlinien 28 f. 160 EuGH, Rs 239/85, Kommission/Belgien, Slg 1986, 3645, Rz 7. 161 EuGH, Rs 366/98, Kommission/Italien, Slg 1993, I-4101. 162 EuGH, Rs 239/85, Giftmüll, Slg 1986, 3645. 163 EuGH, Rs 207/96, Kommission/Italien, Slg 1997, I-6869, Rz 27.
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2. Verfassungsrechtliche Maßstäbe für die Umsetzung Vor dem Hintergrund der dargelegten gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben kommen in Österreich für eine innerstaatliche Umsetzung von Assoziationsrecht durch generelle außenwirksame Normen lediglich die zwei Rechtsquellentypen Gesetz und Verordnung in Frage. Während eine Umsetzung durch Gesetz weder gemeinschaftsrechtlichen noch verfassungsrechtlichen Bedenken begegnet, ist eine Umsetzung mittels Verordnung auf der Grundlage von Art 18 Abs 2 B-VG aus verfassungsrechtlicher Sicht fraglich. Art 18 Abs 2 B-VG räumt zwar den Verwaltungsbehörden das Recht ein, innerhalb ihres Wirkungsbereiches „auf Grund der Gesetze“ Verordnungen (Durchführungsverordnungen) zu erlassen, doch ist auf den ersten Blick nicht ersichtlich, ob auch unmittelbar anwendbares Gemeinschaftsrecht als gesetzliche Grundlage im Sinne dieser Vorschrift in Frage kommt.164 Der VfGH hat zu dieser Frage im Rahmen eines Verordnungsprüfungsverfahrens ablehnend Stellung genommen und eine Durchführung der Beschlüsse des Assoziationsrats mittels Durchführungsverordnung als verfassungswidrig erachtet.165 Im konkreten Fall ging es um die Prüfung zweier Erlässe des damaligen Bundesministers für Arbeit und Soziales und einem „Leitfaden für die Anwendung“ (des ARB 1/80), welche der Gerichtshof aufgrund ihres normativen, die Rechtsposition türkischer Arbeitnehmer gestaltenden Inhalts als Rechtsverordnung iSd Art 18 Abs 2 B-VG qualifizierte und deshalb eine Prüfung gemäß Art 139 B-VG für zulässig erachtete. Dabei ging der VfGH von der Annahme aus, dass die Erlässe bzw der Leitfaden schon aufgrund ihrer Versendung an die entsprechenden Dienststellen ein solches Maß an Publizität erlangt haben, dass sie damit in die Rechtsordnung Eingang gefunden haben. Er sah sich somit zur Prüfung zuständig an. Die in Prüfung genommenen Rechtsakte stützten sich unmittelbar auf die Art 6 und 7 des ARB 1/80 und verfügten nach Ansicht des Gerichtshofes demnach über keine – dem Art 18 Abs 2 B-VG genügende – gesetzliche Grundlage. Die Annahme des VfGH, dass jede Durchführungsverordnung – auch zur Durchführung unmittelbar anwendbaren Gemeinschaftsrechts – einer Grundlage in einem Gesetz im formellen Sinn bedürfe, oder mit anderen Worten: die Normen des Gemeinschaftsrecht keine gesetzliche Grundlage iSd Art 18 Abs 2 B-VG bildeten, ist selbst von gewissen Zweifeln getragen. Dies zeigt schon die vorsichtige, vom Konjunktiv geprägte Wortwahl des Gerichtshofs im Prüfungsbeschluss: „Es dürfte angesichts des Art 18 Abs 2 B-VG von Verfassungs wegen aber nicht zulässig sein, eine Vorschrift des Gemeinschaftsrechts (und als solche dürfte der ARB 1/80 in Österreich gelten) ohne entsprechende gesetzliche Grundlage durch innerstaatliche Verordnung auszuführen. Dies dürfte auch dann unzulässig sein, wenn es sich um unmittelbar anwendbare Vorschriften des Gemeinschaftsrechts handelt. Der VfGH schließt sich vorläufig der Auffassung von Griller … an …“ Interessant ist an der Begründung des Gerichtshofs, dass er das von Griller hinsichtlich der Umsetzung von Richtlinien geforderte Erfordernis einer formellen 164 Im Hinblick auf die Umsetzung von EG-Richtlinien durch Rechtsverordnungen wird dies (entgegen der hM) etwa von Öhlinger, Verfassungsrecht5 Rz 145 bejaht; ablehnend dagegen etwa Vcelouch in Mayer, Art 249 EGV, Rz 63 ff. 165 Vgl VfSlg 15.189/1998.
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gesetzlichen Grundlage auf die Durchführung aller Gemeinschaftsrechtsakte – unmittelbar anwendbar, oder nicht – ausdehnt: eine Schlussfolgerung, die der vom VfGH zitierte Autor in diesem Ausmaß nicht mitträgt.166 Zwar stimmt Griller im Ergebnis dem Erkenntnis im konkreten Fall zu, da er die Auffassung des VfGH dort für unbedenklich hält, wo die Durchführung des unmittelbar anwendbaren Gemeinschaftsrechts durch individuell-konkrete Verwaltungsakte möglich ist, wenngleich er die Paradoxität der Situation hervorhebt, dass die individuell-konkrete Anwendung des ARB ohne gesetzliche Präzisierung geboten, hingegen die generell-abstrakte Konkretisierung durch Rechtsverordnung verboten sein soll. Die Durchbrechung des Legalitätsprinzips erschiene nicht „größer“ als im ersten Fall. So widersprüchlich das Resultat erscheinen mag, es ergibt sich bei näherer Betrachtung, dass es sich nur um einen scheinbaren Widerspruch handelt, der letztlich daraus resultiert, dass zwei voneinander verschiedene Rechtssysteme mit verschiedenen Vorgaben für die Entstehung und Anwendung von Normen aufeinander treffen. Das Gebot zur Vollziehung der unmittelbar anwendbaren Norm – auch ohne gesetzliche Präzisierung – ist Folge des Anwendungsvorrangs des Gemeinschaftsrechts und zwingt daher die österreichischen Vollzugsorgane zur Außerachtlassung des (strikten) Legalitätsprinzips, während das Verbot einer generell-abstrakten Determinierung durch Rechtsverordnung aus dem Gesetzesvorbehalt des B-VG rührt. Der Widerspruch liegt somit nicht innerhalb der Systematik des Art 18 B-VG, sondern ist vom Anwendungsvorrang des Gemeinschaftsrechts verursacht. Eben aus dieser Vorrangwirkung leitet Griller, soweit unmittelbar anwendbares EG-Recht generell-abstrakte Durchführungsregelungen erfordert, eine konkurrierende Kompetenz der Verwaltungsbehörden zur Erlassung einer „gesetzesvertretenden und eventuell sogar -ändernden Verordnung ab, die durch die spätere Erlassung eines Gesetzes wieder hinfällig wird.“ Dieser Ansicht zufolge müsse die Verwaltung im Falle der Notwendigkeit einer inhaltlich näher determinierenden, generell-abstrakten Durchführungsregelung die gesetzgeberische Tätigkeit ersetzen können, um nicht die innerstaatliche Anwendung und damit die Vorrangwirkung zu gefährden. Dem kann mE nicht gefolgt werden. Der Gesetzesbegriff in Art 18 Abs 2 orientiert sich am Begriff des Gesetzes im formellen Sinn, also am innerstaatlichen Parlamentsgesetz.167 Phänomene wie die gestufte Verordnungsgebung, bei der sich zwischen Gesetz und Verordnung eine weitere höherrangige Verordnung schiebt, welche somit die „gesetzliche Grundlage“ für die letzte Stufe der Verordungsgebung bildet, sind daher keine Ausnahme von diesem Grundsatz.168 Diesfalls ist die Verordnung durch eine Verordnung vorherbestimmt, die ihrerseits eine rechtliche Grundlage in einem Gesetz haben muss. Art 18 Abs 2 umfasst auch die durch den Nationalrat gemäß Art 50 B-VG genehmigten Staatsverträge, die somit als Rechtquellen dem Gesetz gleichgestellt sind. Zwar kann man den Standpunkt einnehmen, dass es angesichts des Beitritts zu einer nicht im Verfassungstext zu Tage tretenden Erweiterung des Anwendungsbe166 Vgl Griller in Aicher/Holoubek/Korinek (Hrsg), Gemeinschaftsrecht und Wirtschaftsrecht 69. 167 Vgl R. Winkler, Integrationsverfassungsrecht 94 mwN. 168 Zum Begriff der gestuften Verordnungsgebung siehe Aichlreiter, Österreichisches Verordnungsrecht, Bd 2, 902.
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reiches des Art 18 Abs 2 auf unmittelbar anwendbare Normen des Gemeinschaftsrechts aufgrund des EU-Beitritts-BVG gekommen ist. Diese fragliche Verfassungsänderung ist aber keine conditio sine qua non, um den Vorgaben des Gemeinschaftsrechts zu entsprechen. Bei der Erfüllung der gemeinschaftsrechtlichen Verpflichtungen ist nämlich stets jener Variante der Vorzug zu geben, die das innerstaatliche Verfassungssystem am wenigsten beeinträchtigt, weshalb sie letztendlich abzulehnen ist.169 Überträgt man diese Gedanken auf die Anwendung oder Umsetzung der ARB ergibt sich folgender Schluss:170 Assoziationsratsbeschlüsse sind, wie schon dargelegt, unter gewissen Umständen unmittelbar anwendbar. Genauer genommen sind nur die Bestimmungen der ARB unmittelbar anwendbar, die unter Ansehung ihres Wortlautes und im Hinblick auf den Sinn und Zweck des Abkommens eine klare und eindeutige Verpflichtung enthalten und deren Erfüllung oder deren Wirkungen nicht vom Erlass eines weiteren Aktes abhängen.171 Daraus folgt, dass die Beschlüsse in unmittelbar anwendbares Recht und näher determinierungsbedürftiges Recht geteilt werden können, wobei mit besonderem Nachdruck nochmals zu betonen ist, dass die unmittelbare Geltung nicht mit der unmittelbaren Anwendbarkeit von Assoziationsrecht verwechselt werden darf.172 Im Zusammenhang mit dem Assoziationsrecht meint man damit bloß die Tatsache, dass die Beschlüsse (ebenso wie die Verträge) mit ihrem völkerrechtlichen Inkrafttreten Teil der gemeinschaftsrechtlichen Rechtsordnung werden. Auf unmittelbar wirksame Bestimmungen – wie zB jene des Art 6 ARB 1/80 –, die durch individuellen Verwaltungsakt durchgeführt werden können, dürfen aus verfassungsrechtlicher Sicht keine Durchführungsverordnungen gestützt werden. Auf diese Weise wird der Parlamentsvorbehalt des Art 18 Abs 2 B-VG nicht unnötig geschmälert, und dennoch dem Anwendungsvorrang des Gemeinschaftsrechts Rechnung getragen. Wenn man unter „Umsetzung“ den technischen Vorgang der Umformung in nationales Recht und der inhaltlichen Konkretisierung der jeweiligen Bestimmung versteht, ist im Zusammenhang mit unmittelbar wirksamen assoziationsrechtlichen Bestimmungen zu betonen, dass diese zwar in nationales Recht transformiert werden können, jedoch keiner materiellen Ausgestaltung zugänglich sind. Diese Regelungen sind gerade dadurch charakterisiert, dass sie für ihre Anwendbarkeit nicht umsetzungs- oder konkretisierungsbedürftig sind, was für eine abschließende Regelung spricht. Keine Aufforderung zur näheren inhaltlichen Gestaltung – wie dies der VfGH offenbar verstanden hat173 – verbirgt sich in Art 6 Abs 3 ARB 1/80, wonach die 169
So auch der VfGH 16.6.1998, V 6-8/98. Für unmittelbar anwendbare Bestimmungen sollte nicht der Begriff der Umsetzung verwendet werden, da gerade diese dadurch gekennzeichnet sind, dass sie ohne Dazwischentreten eines Rechtsaktes vollziehbar sind. Umgesetzt im technischen Sinn kann daher nur der verbleibende Teil des Assoziationsrechts werden. 171 Vgl EuGH, Demirel, Rz 14. 172 Zur Unterscheidung siehe 28 ff. 173 Vgl VfGH 16.6.1998, V 6-8/98: „Angesichts dessen hat sich die vorläufige Annahme des Verfassungsgerichtshofes, daß zur Umsetzung gemeinschaftsrechtlicher Vorschriften, die wie die Bestimmungen des Art 6 und 7 ARB … einer mitgliedsstaatlichen Konkretisierung zugänglich sind…“ 170
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Einzelheiten der Durchführung der Bestimmungen die Mitgliedstaaten festlegen.174 Diese Bestimmung bringt bloß die Pflicht der Mitgliedstaaten zum Ausdruck, die zur Anwendung der Beschlüsse notwendigen innerstaatlichen Durchführungsvorschriften zu erlassen, ohne dabei die aus den Beschlüssen resultierenden Rechte zu schmälern. Angesichts dessen erscheint die verfahrensmäßige und organisatorische Ausgestaltung durch Festelegung von Zuständigkeiten etwa unproblematisch – in Anbetracht des aus dem Legalitätsprinzip des Art 18 B-VG erfließenden Determinierungsgebotes sogar geboten –,175 nicht hingegen die nähere inhaltliche Determinierung, selbst wenn sie nur durch Vorgabe bindender Auslegungsregeln geschieht. Fazit: Unmittelbar wirksame Regelungen können ohne Transformation in nationales Recht angewandt werden und brauchen daher grundsätzlich nicht innerstaatlich spezifiziert werden. Eine etwaige Umsetzungspflicht hinsichtlich dieser Bestimmungen könnte sich allenfalls aus dem Prinzip der Rechtsklarheit und Rechtssicherheit ergeben. Jene Regelungen, denen keine unmittelbare Anwendbarkeit zukommt, bedürfen einer näheren inhaltlichen Ausgestaltung, bevor sie von den innerstaatlichen Verwaltungsbehörden und Gerichten vollzogen werden können. Die Umsetzungspflicht ergibt sich aus der Verbindlichkeit der Abkommen und der Beschlüsse und trifft Gemeinschaft wie Mitgliedstaaten gleichermaßen. Sie ist daher je nach Kompetenz zwischen Mitgliedstaaten und Gemeinschaft aufzuteilen. Bei der Umsetzung von Gemeinschaftsrecht ist zu beachten, dass der nationale Gesetzgeber sowohl an die gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben, als auch an die des innerstaatlichen Verfassungsrechts gebunden ist. Insoweit unterliegt er daher einer „doppelten Bindung“.176
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Vgl EuGH, Sevince, Rz 22. Um diesem Gebot zu entsprechen, müssen Normen in organisationsrechtlicher, verfahrensrechtlicher und materiell-rechtlicher Hinsicht hinreichend bestimmt sein. Die materiell-rechtliche Komponente wird bereits von der gemeinschaftsrechtlichen Bestimmung vorweggenommen, wenn sie den Erfordernissen der unmittelbaren Wirksamkeit entspricht und darf – jedenfalls in einschränkender Weise – nicht angetastet werden. Die betreffenden assoziationsrechtlichen Bestimmungen enthalten jedoch keine Aussagen über die Zuständigkeiten oder über das Verfahren. Diese werden von den Mitgliedstaaten getroffen. 176 Siehe zur doppelten Bindung insb Öhlinger/Potacs, Gemeinschaftsrecht 102 mwN. 175
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IV. Der Arbeitnehmer als Ausgangspunkt des ARB 1/80
Das Assoziationsabkommen EWG-Türkei ist – wie schon gesagt – eine Beitrittsassoziierung. Es verfolgt daher das Ziel eines späteren Beitritts in die EG (vgl 6). Die schrittweise Herstellung der Freizügigkeit der Arbeitnehmer stellt sich dabei als eines der Hauptanliegen der Vertragspartner heraus. So erließ der Assoziationsrat gestützt auf Art 12 AssAbk und Art 36 ZProt den ARB 2/76, der sich gemäß seines Art 1 als eine erste Stufe bei der Herstellung der Freizügigkeit der Arbeitnehmer zwischen der Gemeinschaft und der Türkei definiert. Die Dauer dieser ersten Stufe wurde auf vier Jahre vom 1.12.1976 an festgesetzt. Die zweite Stufe der schrittweisen Herstellung der Arbeitnehmerfreizügigkeit bildet der ARB 1/80, der nach seiner dritten Begründungserwägung im sozialen Bereich zu einer besseren Regelung zugunsten der Arbeitnehmer und ihrer Familienangehörigen gegenüber der mit dem Beschluss 2/76 eingeführten Regelung führen soll. Gemäß dem allgemeinen Grundsatz „lex posterior derogat legi priori“ kommt es auf Grund der späteren Norm (der ARB 1/80 ist gem seinem Art 16 seit dem 1.12.1980 anwendbar) zu einer teilweisen materiellen Derogation des entsprechenden ARB 2/76. Die stand-still-Klausel des Art 7 ARB 2/76 bleibt von dieser Derogationswirkung unberührt, da dies eine Schmälerung der rechtlichen Position des türkischen Arbeitnehmers bedeuten würde, die nicht im Interesse der Vertragsparteien liegen kann. Durch den ARB 1/80 hat der Assoziationsrat einen weiteren Schritt gesetzt, um dem primären Anliegen des Abkommens, der schrittweisen Ausdehnung der Arbeitnehmerfreizügigkeit auf türkische Staatsangehörige, näher zu kommen. Zugleich wurde aber, was die Rechte und Pflichten der Arbeitnehmer und ihrer Familienangehörigen anbelangt, mit dem Beschluss 1/80 der Höhepunkt der assoziationsrechtlichen Bestrebungen erreicht, weshalb der vorliegende Beschluss im Mittelpunkt dieser Untersuchung steht. Sein Regelungsgehalt zielt auf die schrittweise Eingliederung der türkischen Staatsangehörigen in den Arbeitsmarkt des Aufnahmemitgliedstaates. Wie im weiteren Verlauf der Arbeit zu zeigen sein wird, vermittelt er lediglich jenen türkischen Arbeitnehmern weitergehende Rechte auf Arbeit und Aufenthalt, die den ersten Integrationsschritt eines rechtmäßigen Zugangs zum Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaates vollbracht haben. Ein Zuzugsrecht des türkischen Arbeitnehmers aus der Türkei in die Gemeinschaft ist damit nicht verbunden.177 Der 177
Vgl Feik, ZfV 1995, 8 mwN; weiters Beantwortung einer parlamentarischen Anfrage
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Der Arbeitnehmer als Ausgangspunkt des ARB 1/80
ARB 1/80 lässt daher die Kompetenz der Mitgliedstaaten, über die Einreise bzw die erstmalige Erteilung einer Arbeits- und Aufenthaltserlaubnis zu befinden, grundsätzlich unberührt.178
A. Arbeitnehmer Die die Beschäftigung und die Freizügigkeit der Arbeitnehmer regelnden Bestimmungen finden sich in Abschnitt 1 des II. Kapitels des ARB 1/80, welches die Überschrift „soziale Bestimmungen“ trägt. Im Zentrum dieser Regelungen steht dabei die Bestimmung des Art 6, der nach Maßgabe von zweierlei Kriterien, nämlich Arbeit und Zeit, türkische Arbeitnehmer stufenweise in den Arbeitsmarkt des Aufnahmemitgliedstaates eingliedern soll. Artikel 6 (1) Vorbehaltlich der Bestimmungen in Artikel 7 über den freien Zugang der Familienangehörigen zur Beschäftigung hat der türkische Arbeitnehmer, der dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaates angehört, in diesem Mitgliedstaat – nach einem Jahr ordnungsgemäßer Beschäftigung Anspruch auf Erneuerung seiner Arbeitserlaubnis bei dem gleichen Arbeitgeber, wenn er über einen Arbeitsplatz verfügt; – nach drei Jahren ordnungsgemäßer Beschäftigung – vorbehaltlich des den Arbeitnehmern aus den Mitgliedstaaten einzuräumenden Vorrangs – das Recht, sich für den gleichen Beruf bei einem Arbeitgeber seiner Wahl auf ein unter normalen Bedingungen unterbreitetes und bei den Arbeitsämtern dieses Mitgliedstaates eingetragenes anderes Stellenangebot zu bewerben; – nach vier Jahren ordnungsgemäßer Beschäftigung freien Zugang zu jeder von ihm gewählten Beschäftigung im Lohn- oder Gehaltsverhältnis. …
Art 6 knüpft somit an die Arbeitnehmereigenschaft an, für die der Beschluss 1/80 allerdings keine Legaldefinition bietet. So stellt sich die Frage, ob für die Umschreibung des Arbeitnehmerbegriffes des ARB 1/80 bereits bestehende Auslegungsergebnisse zu diesem Begriff aus verwandten Rechtsquellen fruchtbar gemacht werden können. Aufgrund des systematischen Zusammenhangs ist davon auszugehen, dass unter „Arbeitnehmer“ in Art 12 AssAbk, 36 ZProt, 2 ARB 2/76 und 6 ARB 1/80 dasselbe verstanden wird. Sowohl der zeitliche als auch der inhaltliche Nahebezug lenken den Blick zunächst auf den ARB 3/80. Dessen Art 1 lit b bietet nämlich eine Definition des Arbeitnehmerbegriffes im Zusammenhang mit der Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit der Mitgliedstaaten auf die türkischen Arbeitnehmer und auf deren Familienangehörige. Danach sind als „Arbeitnehmer“ all jene Personen zu sehen, die der gesetzlichen Sozialversicherung unterliegen. Diese Begriffsbestimmung findet sich auch (fast ident) in der VO (EWG) Nr 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und deren Familien, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern. der Abg Dr. Helene Partik-Pable, Haller ua durch den BMI Caspar Einem (Nr 1100/J) AB 1102 BlgNR 19. GP. 178 StRsp des EuGH, vgl insb Günaydin, Rz 36 bis 38; Birden, Rz 37.
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Die Übertragung dieser Definition auf die Regelung des ARB 1/80 begegnet allerdings folgendem Problem: Die Arbeitnehmereigenschaft von der Versicherung in einer gesetzlichen Sozialversicherung abhängig zu machen würde bedeuten, sie von nationalen sozialversicherungsrechtlichen Kriterien abhängig zu machen. Der nationale Gesetzgeber hätte es somit in der Hand – unter Außerachtlassung von materiell-rechtlichen Tatbestandsmerkmalen – die Tragweite der Arbeitnehmereigenschaft je nach Regelung der gesetzlichen Sozialversicherung zu bestimmen. Dieser Umstand widerspräche geradezu dem Ziel des Assoziationsabkommens, die Freizügigkeit nach den Grundsätzen der Art 39 ff EG herzustellen, und ist daher abzulehnen. Es zeigt sich, dass das Gemeinschaftsrecht eben nicht auf einen einheitlichen Arbeitnehmerbegriff abstellt, sondern die Bedeutung dieses Begriffes vom jeweiligen Anwendungsbereich abhängen lässt. So stimmt der in Art 39 EG-Vertrag und in der Verordnung 1612/68 verwendete Arbeitnehmerbegriff nicht notwendig mit dem überein, der im Bereich von Art 42 des EG-Vertrages und der VO 1408/71 gilt.179 Das Abkommen bzw die darauf basierenden Beschlüsse verfolgen – wie schon dargelegt – denselben Zweck, den sich der EG-Vertrag für die Angehörigen der Mitgliedstaaten gesetzt hat. Auf dem Boden dieses Befundes kam der EuGH zur Erkenntnis, dass der Begriff des Arbeitnehmers iSd des Assoziationsabkommens mangels irgendeines Anhaltspunktes für eine restriktivere Auslegung mit dem gemeinschaftsrechtlichen Arbeitnehmerbegriff gleichzusetzen ist und hielt es für unabdingbar, dass auf die türkischen Arbeitnehmer, denen die im Beschluss 1/80 eingeräumten Rechte zukommen, soweit wie möglich die im Rahmen der Artikel 39 ff geltenden Grundsätze übertragen werden.180 In der Rs Pabst & Richarz hat der EuGH im Zusammenhang mit allgemeinen Auslegungsgrundsätzen des Gemeinschaftsrechts festgestellt, dass dem Bestreben einer einheitlichen Anwendung von Vertragsvorschriften im gesamten Gemeinschaftsraum nur dann Genüge getan werden kann, wenn diese Vorschriften autonom ausgelegt werden.181 Aus dem Urteil in der Rs Unger182 ergibt sich, dass Begriffe wie „Arbeitnehmer“ und „Tätigkeit im Lohn und Gehaltsverhältnis“ nicht nach Maßstäben des nationalen Rechts ermittelt werden können, da ihnen eine gemeinschaftsrechtliche Bedeutung zukomme. Der Grund dafür liegt in der „gemeinschaftseinheitlichen“ Anwendung der in Frage kommenden Bestimmungen. Wäre jeder Mitgliedstaat in der Lage, die fraglichen Begriffe nach seinem Recht zu bestimmen, liefe die Einhaltung der gemeinschaftsrechtlichen Freizügigkeit Gefahr, vereitelt zu werden. Der Inhalt dieser Begriffe könnte nämlich ohne Kontrolle durch die Gemeinschaftsorgane einseitig durch nationale Rechtsvorschriften festgelegt und verändert und somit der vertragliche Schutz bei bestimmten Personengruppen umgangen werden. So erhielt der Arbeitnehmerbegriff – wie viele andere auch – erst im Rahmen des Auslegungsmonopols des EuGH klarere Konturen. Nach stRsp sind Sinn und Tragweite der Begriffe „Arbeitnehmer“ und „Tätigkeit im 179
EuGH, Sala, Rz 8. EuGH, Bozkurt, Rz 19 f. Ebenso EuGH, Tetik, Rz 20; Günaydin, Rz 21, Ertanir, Rz 21; Birden, Rz 23; Nazli, Rz 50 bis 55; Kurz, Rz 30. 181 Rz 18 des betreffenden Urteils. 182 EuGH, Unger 397. 180
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Lohn- und Gehaltsverhältnis“, da sie den Anwendungsbereich einer der vom Vertrag eingeräumten Grundfreiheiten definieren, weit auszulegen. Dabei ist zu beachten, dass dieser Begriff an objektiven Kriterien gemessen wird, die das Arbeitsverhältnis in Anbetracht der Rechte und Pflichten der betreffenden Personen gestalten. Die Beurteilung der Frage, ob die Beschäftigung einer Person Arbeitnehmereigenschaft begründet, ist daher nur anhand jener objektiven Tatbestandsmerkmale vorzunehmen, die unmittelbar die Stellung des Betroffenen als Arbeitnehmer definieren. Daraus ist zu schließen, dass Umstände, die sich auf das Verhalten des Betroffenen vor und nach der Beschäftigungszeit beziehen, keinen Einfluss auf die Beurteilung der Arbeitnehmereigenschaft haben können, zumal sie sich nicht auf die ein Arbeitsverhältnis charakterisierenden objektiven Merkmale beziehen oder anders ausgedrückt: keine solchen Merkmale darstellen.183 Der EuGH setzt für die Charakterisierung einer Person als Arbeitnehmer voraus, dass sie: … „eine tatsächliche und echte Tätigkeit ausüb(t), wobei Tätigkeiten außer Betracht bleiben, die wegen ihres geringen Umfangs völlig untergeordnet und unwesentlich sind. Das wesentliche Merkmal des Arbeitsverhältnisses besteht darin, dass eine Person während einer bestimmten Zeit für eine andere Person nach deren Weisung Leistungen erbringt, für die sie als Gegenleistung eine Vergütung erhält. Dagegen ist es für die Arbeitnehmereigenschaft im Sinne des Gemeinschaftsrechts ohne Bedeutung, dass das Beschäftigungsverhältnis nach nationalem Recht ein Rechtsverhältnis sui generis ist, wie hoch die Produktivität des Betreffenden ist, woher die Mittel für die Vergütung stammen oder dass sich die Höhe der Vergütung in Grenzen hält.“184
Der Begriff des Arbeitnehmers kann somit nur anhand einer typologischen Betrachtungsweise erfasst werden. Eine exakte und umfassende Definition ist weder möglich, noch brauchbar, da ansonsten die für die Würdigung des Einzelfalles notwendige Flexibilität verloren ginge. Dabei ist zu beachten, dass die nationalen Behörden und Gerichte bei der Beurteilung der Arbeitnehmereigenschaft im Einzelfall eine Gesamtwürdigung dieser typologischen Elemente nach einem beweglichen System vorzunehmen haben.
1. Erbringung wirtschaftlicher Leistungen für einen anderen Der Arbeitnehmer erbringt Leistungen für einen anderen, indem er Tätigkeiten jeglicher Art verrichtet, die einen gewissen wirtschaftlichen Wert darstellen. Dabei sind weder die Dauer der Tätigkeiten noch die Art der ausgeführten Arbeiten maßgebliche Faktoren, solange gewährleistet ist, dass die verlangten Leistungen „tatsächliche und echte wirtschaftliche Tätigkeiten“ sind, die auf Grund ihres Umfanges nicht als „völlig untergeordnet und unwesentlich“ betrachtet werden können.185 Auf ein Vorabentscheidungsersuchen des VwGH hin, ob eine kurzfristige (hier: zweieinhalb Monate) zeitlich von vornherein befristete Beschäftigung eines EU-Bürgers in einem Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit 183
EuGH, Ninni-Orasche, Rz 28. Siehe zu Art 48 EGV Urteile Lawrie-Blum, Rz 16 und 17; Brown, Rz 21; Bettray, Rz 15 und 16; Le Manoir, Rz 18; Raulin, Rz 10; Bernini, Rz 14 bis 17, sowie zu Art 6 Abs 1 ARB 1/80 Urteile Günaydin, Rz 31; Ertanir, Rz 43, und Birden, Rz 25 und 28, sowie Kurz, Rz 32. 185 EuGH, Levin, Rz 17 und Bettray, Rz 17. 184
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er nicht besitzt, seine Arbeitnehmereigenschaft nach Art 39 EG begründet,186 antwortete der EuGH, dass selbst die zeitlich befristete Beschäftigung von zweieinhalb Monaten die Arbeitnehmereigenschaft nach Art 39 EG begründen kann, sofern die ausgeübte unselbstständige Tätigkeit nicht völlig untergeordnet und unwesentlich ist.187 Dieses Urteil fügt sich in die Reihe der Erkenntnisse ein, wonach die Arbeitnehmereigenschaft nicht eng auszulegen ist, weshalb auch Personen, die eine Teilzeitbeschäftigung im Lohn- oder Gehaltsverhältnis ausüben, dem Anwendungsbereich des Art 39 EG unterliegen können.188
2. Weisungsgebundenheit Diese liegt dann vor, wenn die betreffende Person die von ihr zu verrichtende Tätigkeit unter der Weisung oder Aufsicht eines Dritten erbringt, sodass ein persönliches und wirtschaftliches Abhängigkeitsverhältnis zwischen Dienstnehmer und Dienstgeber entsteht.189 Das Merkmal der Weisungsgebundenheit darf nicht auf die Gehorsamspflicht des Arbeitnehmers beschränkt werden, vielmehr kann sie auf vielfältige Weise erfüllt werden. Bei der Ermittlung dieser Voraussetzung ist daher je nach Einzelfall auf diverse Umstände abzustellen, die insgesamt eine Unterwerfung in das Weisungsverhältnis rechtfertigen. Dazu zählen insbesondere die Verpflichtung zu gewissen Arbeitszeiten bzw die Freiheit von unternehmerischem Risiko. Im Regelarbeitsverhältnis wird das Vorliegen der Weisungsgebundenheit nicht hinterfragungsbedürftig sein. Ein geeignetes Abgrenzungskriterium bildet dieses Merkmal vielmehr in den Grauzonen des Arbeitslebens, wenngleich die Judikatur des EuGH an das Vorliegen dieses Tatbestandselements keinen besonders strengen Maßstab anlegt. So hat der Gerichtshof in der Rs Raulin selbst einem Dienstnehmer eines äußerst frei gestalteten Gelegenheitsarbeitsverhältnisses die Arbeitnehmereigenschaft nicht aberkannt.190 Das Kriterium der Weisungsgebundenheit bildet gleichsam die Grenze zu den selbstständigen Tätigkeiten, die entweder dem rechtlichen Regime der Niederlassungsfreiheit (Art 44 ff EG) oder der Dienstleistungsfreiheit (Art 49 ff EG) unterliegen. Als selbstständig sind jene Tätigkeiten anzusehen, die für eigenes Risiko und 186 VwGH, 13.9.2001, 99/12/0212. Im konkreten Fall ging es um eine als inkassoberechtigte Kellner, die neben der Inkassotätigkeit für den Warenbestand sowie für die Nachschaffung und Lagerhaltung der angebotenen Waren verantwortlich war. 187 EuGH, Ninni-Orasche, Rz 28. Ob es sich dabei um eine Tätigkeit handelt, die nicht völlig untergeordnet und unwesentlich ist, hat das nationale Gericht zu beurteilen, was im vorliegenden Fall bejaht wurde (vgl VwGH, 25.11.2003, 2003/12/0204). 188 EuGH, Levin, Rz 17; Kempf, Rz 14. 189 EuGH, Lawrie-Blum, Rz 18. 190 Rz 13 ff: „…Die Beschäftigungsbedingungen eines Arbeitnehmers, der durch einen Vertrag gebunden ist, der keine Garantie in Bezug auf die zu leistenden Stunden bietet, mit der Folge, dass der Betroffene nur sehr wenige Tage pro Woche oder Stunden pro Tag arbeitet, der den Arbeitgeber zur Entlohnung des Arbeitnehmers und zur Gewährung von Sozialleistungen nur insoweit verpflichtet, als dieser tatsächlich gearbeitet hat, und der keine Verpflichtung des Arbeitnehmers umfasst, einem Abruf von Seiten des Arbeitgebers nachzukommen, verbieten es nicht, den Betroffenen als Arbeitnehmer im Sinne von Artikel 48 EWG-Vertrag zu betrachten, sofern es sich um die Ausübung von tatsächlichen und echten Tätigkeiten handelt und nicht um Tätigkeiten, die einen so geringen Umfang haben, dass sie nur unwesentlich und untergeordnet sind.“
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auf eigene Rechnung durchgeführt werden.191 Abgrenzungsschwierigkeiten können sich insbesondere bei Personen mit Managementfunktionen ergeben, die zwar in einem Angestelltenverhältnis stehen, denen aber maßgeblicher Einfluss auf die Unternehmensführung zukommt. In solchen Fällen kann die Beurteilung der Weisungsgebundenheit nur nach Vornahme einer Abwägung zwischen den der betroffenen Person zukommenden Einflussmöglichkeiten und den ihre Unterordnung unter die Unternehmensführung ausmachenden Elementen gewonnen werden. Die Weisungsabhängigkeit darf jedenfalls nicht schon deshalb verneint werden, weil der Arbeitnehmer des Unternehmens zugleich Gesellschafter desselben ist, wenn die Dienste im Übrigen in einem Unterordnungsverhältnis zum Arbeitgeber durchgeführt werden. Der Geschäftsführer einer Ein-Mann-Gesellschaft übt dagegen jedenfalls eine selbstständige Tätigkeit aus.192 Denkbar ist auch die Heranziehung von Kriterien des nationalen Rechts zur Unterscheidung zwischen abhängiger und selbstständiger Tätigkeit, wenngleich nicht übersehen werden darf, dass der Arbeitnehmerbegriff ein gemeinschaftsrechtlicher ist und autonom auszulegen ist. So stellt § 2 Abs 4 AuslBG bei der Beurteilung, ob eine dem AuslBG unterliegende Beschäftigung vorliegt, auf den wahren wirtschaftlichen Gehalt und nicht auf die äußere Erscheinungsform des Sachverhaltes ab. Eine Beschäftigung idS liegt danach insbesondere auch dann vor, wenn 1. ein Gesellschafter einer Personengesellschaft zur Erreichung des gemeinsamen Gesellschaftszweckes oder 2. ein Gesellschafter einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung mit einem Geschäftsanteil von weniger als 25% Arbeitsleistungen für die Gesellschaft erbringt, die typischerweise in einem Arbeitsverhältnis geleistet werden, es sei denn, dass ein wesentlicher Einfluss auf die Geschäftsführung der Gesellschaft durch den Gesellschafter tatsächlich persönlich ausgeübt wird. Ein beherrschender Einfluss auf die Geschäftsführung ergibt sich nicht schon aufgrund der Möglichkeit, mittels Einstimmigkeitserfordernisses in der Generalversammlung Beschlüsse verhindern zu können. Vielmehr erfordert dies ein geschäftsführerisches Pouvoir, in dem Sinn, dass ein bestimmender (gestaltender, positiver) Einfluss auf die (laufende) Geschäftsführung vorliegt.193 Ein auf verschiedene administrative und kaufmännische Teilbereiche eingeschränktes Handlungsfeld eines geschäftsführenden Gesellschafters begründet noch keine wesentliche Einflussnahme, die eine Ausnahme vom AuslBG rechtfertigen würde.194
3. Entgeltlichkeit Dadurch wird zum Ausdruck gebracht, dass der zu erbringenden Arbeitsleistung ein entsprechendes Entgelt gegenüberstehen muss. Es bedarf also eines Gegenseitigkeitsverhältnisses, welches nicht notgedrungener Maßen zwischen Dienstgeber und Dienstnehmer zu herrschen hat. Der Gerichtshof legt dieses Kriterium 191 192 193 194
Vgl Troberg in Groeben/Thiesing/Ehlermann (Hrsg), Art 52 EGV, Rz 23. EuGH, Asscher, Rz 26. VwGH 25.6.1996, 95/09/0102. VwGH 26.9.1996, 94/09/0175.
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weit aus und versteht darunter alle Arten von Sach- und Geldleistungen, denen der Charakter einer Vergütung oder Gegenleistung im weitesten Sinne zukommt.195 Besteht die Gegenleistung in Geld, liegt jedenfalls Entgeltlichkeit vor. Daneben kommen aber auch Sachleistungen wie Unterkunft, Verpflegung und dergleichen in Frage. Dass die Einkünfte aus der zu vollbringenden Tätigkeit den Lebensunterhalt decken oder über einem Mindestlohnniveau für die betreffende Branche liegen, spielt dabei ebensowenig eine Rolle196 wie der Umstand, woher die Mittel für die Vergütung stammen.197 Selbst die Remuneration in Form einer Gewinnbeteiligung an den wirtschaftlichen Erträgen – wie dies bei Führungskräften manchmal vorkommt – schadet der Einordnung einer Person als Arbeitnehmer iSv Art 39 EG (oder von Art 6 ARB 1/80) nicht.198
4. Tätigkeit im Wirtschaftsleben Nach der Rsp des EuGH begünstigt die Arbeitnehmerfreizügigkeit allerdings nur jene Betätigungen, die sich als Teil des Wirtschaftslebens im Sinne von Art 2 EG erweisen.199 Dasselbe gilt uneingeschränkt für die Inanspruchnahme der aus Art 6 ARB 1/80 erfließenden Rechte. Liegen die Kriterien der Leistungserbringung für einen anderen (1), der Entgeltlichkeit (2) und der Weisungsgebundenheit (3) vor, so ist die Tätigkeit grundsätzlich schon deshalb – ungeachtet ihrer Natur – dem Wirtschaftsleben zuzurechnen. Einerseits kann es aber ausnahmsweise vorkommen, dass die Art einer Tätigkeit der Einordnung in das Wirtschaftsleben von vornherein entgegensteht. Andererseits können die wirtschaftlichen Aspekte einer Beschäftigung soweit in den Hintergrund treten, dass bei objektiver Betrachtung nicht mehr von einer dem Wirtschaftsleben angehörenden Beschäftigung die Rede sein kann.200
B. Besondere Berufsgruppen 1. Auszubildende In der Rs Kurz befasste sich der EuGH im Rahmen einer Vorlagefrage des Verwaltungsgerichts Karlsruhe unter anderem mit der Frage, ob ein türkischer 195
EuGH, Steymann, Rz 12. Vgl Brechmann in Callies/Ruffert (Hrsg), Art 39 EGV,
Rz 13. 196
EuGH, Levin, Rz 16; Nolte, Rz 19. Auch eine von einem sonstigen Rechtsträger – insb einem Sozialhilfeträger – finanzierte Tätigkeit, die den sonstigen Voraussetzungen entspricht, stellt ein Arbeitsverhältnis in dem von Art 39 EG geforderten Sinn dar. Vgl EuGH, Birden, Rz 26. Die in der Rs Günaydin vertretene, restriktivere Haltung des EuGH, wonach die aus öffentlichen Mitteln finanzierte Tätigkeit zum Zwecke der Eingliederung des Betroffenen in das Erwerbsleben ebenso aus dem Anwendungsbereich des Art 39 EG ausscheide, wie eine unterbezahlte Tätigkeit (vgl Rz 31 des Urteils), scheint mit dem Urteil in der Rs Birden überholt zu sein. Auch eine vom Arbeitsmarktservice gem den §§ 33 ff AMSG geleistete finanzielle Zuwendung erfüllt das Kriterium der Entgeltlichkeit. 198 EuGH, Agegate, Rz 36. 199 StRsp vgl EuGH, Walrave, Rz 4/10; Bosman, Rz 73. 200 Sie dazu Randelzhofer/Forsthoff in Grabitz/Hilf (Hrsg), Art 39 EGV, Rz 22 ff. 197
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Staatsangehöriger, der im Aufnahmemitgliedstaat eine Ausbildung zum Gas- und Wasserinstallateur abgeschlossen hatte, als Arbeitnehmer iSd ARB 1/80 zu betrachten sei. Dabei stellte er fest, dass die beruflichen Ausbildungszeiten, welche der Vermittlung von fachlichen Fähigkeiten zur Erlernung des eigentlichen Berufes dienen, die Arbeitnehmereigenschaft des Betroffenen begründen können, wenn diese Zeiten unter den Bedingungen einer tatsächlichen und echten Tätigkeit im Lohn- oder Gehaltsverhältnis absolviert werden.201 Dass die Produktivität des Auszubildenden gering ist, er keiner Vollzeitbeschäftigung nachgeht und deshalb nur eine verringerte Anzahl von Wochenarbeitsstunden leistet, steht diesem Umstand ebensowenig entgegen, wie die Tatsache, dass die Beschäftigung nur in geringerem Umfang entlohnt wird. Der EuGH führte die in seinen Urteilen LawrieBlum202 und Bernini203 verfolgte Linie fort und übertrug die dabei entwickelten Grundsätze auf die Situation eines türkischen Staatsangehörigen, dessen assoziationsrechtliche Freizügigkeit von der Charakterisierung als Arbeitnehmer iSd ARB 1/80 abhängig war. Dabei stützte er sich auf die unumstrittene Regel, wonach jede Person als Arbeitnehmer im Sinne des Gemeinschaftsrechts anzusehen ist, die – auch im Rahmen einer Berufsausbildung und ungeachtet dessen, wie diese rechtlich einzuordnen ist – eine tatsächliche und echte wirtschaftliche Tätigkeit für einen Arbeitgeber nach dessen Weisung gegen eine Vergütung ausübt, in der die Gegenleistung für diese Tätigkeit gesehen werden kann. Daher sind Lehrlinge nach § 1 Berufsausbildungsgesetz204 jedenfalls Arbeitnehmer iSd Art 6 ARB 1/80. Kraft gesetzlicher Anordnung (vgl § 2 Abs 4 RPG) stehen auch Rechtspraktikanten gem § 1 Abs 2 RPG205 in einem öffentlich-rechtlichen Ausbildungsverhältnis, was aber nichts an ihrer gemeinschaftsrechtlichen Arbeitnehmerstellung ändert. Ungeachtet der differenzierenden rechtlichen Regelung, die auf wissenschaftliche und künstlerische Mitarbeiter im Forschungs-, Kunst- und Lehrbetrieb anzuwenden ist, und sie in Auszubildende und in einem Arbeitsverhältnis Stehende unterteilt, erfüllen auch sie die gemeinschaftsrechtlichen Kriterien der Arbeitnehmereigenschaft.206
2. Volontäre Als Volontäre bezeichnet § 3 Abs 5 lit a AuslBG jene Ausländer, die ausschließlich zum Zwecke der Erweiterung und Anwendung von Kenntnissen zum Erwerb von Fertigkeiten für die Praxis ohne Arbeitspflicht und ohne Entgeltsanspruch beschäftigt werden. Das Volontariat dient in erster Linie der Fortbildung des Betroffenen. 201
Vgl Rz 33 des Urteils. Rz 19 ff des Urteils. 203 Rz 15 f des Urteils. 204 Bundesgesetz vom 26. März 1969 über die Berufsausbildung von Lehrlingen BGBl 1969/142 idF BGBl I 2003/79. 205 Bundesgesetz vom 15. Dezember 1987 über die Gerichtspraxis der Rechtspraktikanten (Rechtspraktikantengesetz) BGBl 1987/644 idF BGBl I 2002/136. 206 Gem § 132 Abs 1 Universitätsgesetz 2002 (Bundesgesetz über die Organisation der Universitäten und ihre Studien) BGBl I 2002/120 idF BGBl I 2004/116 sind die wissenschaftlichen und künstlerischen Mitarbeiter, die vor dem Inkrafttreten dieses Gesetzes angestellt wurden, weiterhin als Auszubildende zu betrachten (vgl § 6 Abs 3 UniAbgG, BGBl I 1974/463), es sei denn, sie treten in ein Arbeitsverhältnis zur Universität. 202
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Die mangelnde Arbeitspflicht und wie das Fehlen eines Entgeltsanspruches schließen die Arbeitnehmereigenschaft iSd Art 6 ARB 1/80 natürlich aus.
3. Ferial- oder Berufspraktikanten Bei den Ferial- und Berufspraktikanten handelt es sich um eine weitere Gruppe, die gem § 3 Abs 5 lit b von der Beschäftigungsbewilligungspflicht ausgenommen ist. Darauf können sich allerdings nur Schüler berufen, die verpflichtende Tätigkeiten im Rahmen eines geregelten Lehr- oder Studienganges einer inländischen Bildungseinrichtung mit Öffentlichkeitsrecht verrichten. Dadurch bezweckt der Gesetzgeber, dem Umstand Rechnung zu tragen, dass gewisse Studenten auf Grund ihrer Studienrichtung (insbesondere Fachhochschulstudien) verpflichtet sind, Praktika zu leisten, die unter Umständen von längerer Dauer sein können. Dieser schulischen Verpflichtung sollen ausländische Studierende – ohne dass sie einer Beschäftigungsbewilligung bedürfen – nachkommen dürfen. Von dieser im Zuge der Ausbildung angeordneten Pflicht zur praktischen Weiterbildung ist die reine Ferialarbeit, die in erster Linie aus Gründen des Erwerbs ausgeübt wird, strikt zu trennen. Dafür ist eine Beschäftigungsbewilligung vonnöten.207 Sofern das im Rahmen einer Berufsausbildung durchgeführte Praktikum dazu dient, berufliche Fähigkeiten zu entwickeln und als Folge tatsächliche und echte Leistungen erbracht werden und die vom Betroffenen verrichtete Tätigkeit nicht völlig untergeordnet und unwesentlich ist, kann bei entsprechendem Entgelt die Arbeitnehmereigenschaft nicht ausgeschlossen werden.208 In den Schlussanträgen in der Rs Eroglu hat Generalanwalt Darmon dargelegt, dass nach dem ARB 1/80 zwar der freie Zugang zum Arbeitsmarkt für türkische Staatsangehörige insbesondere von der Dauer der ersten Beschäftigung und des Aufenthalts abhängig ist. Dieser dürfe aber nicht durch eine restriktive Definition des Arbeitnehmerbegriffs beschränkt werden, der den Arbeitnehmer, der sich in der Ausbildung befindet oder ein Praktikum ableistet, vom Anwendungsbereich des Abkommens ausschließen würde.209 Dieser Auffassung hat sich der Gerichtshof angeschlossen und die Arbeitnehmereigenschaft der betreffenden Person, die nach ihrem Betriebswirtschaftsstudium eine Tätigkeit als Praktikantin zur Vertiefung der erworbenen Kenntnisse ausgeübt hat, seiner stRsp folgend nicht bezweifelt.
4. Studenten Personen, die ein Studium betreiben, verfolgen den Zweck einer sowohl wissenschaftlichen und künstlerischen Berufsvorbildung als auch der Qualifizierung für besondere berufliche Tätigkeiten bzw deren Vertiefung oder Ergänzung.210 Aus dieser Definition erhellt, dass hier die Voraussetzungen für eine Arbeitnehmereigenschaft iSd ARB 1/80 offenkundig nicht vorliegen. Weder besteht ein Vergütungsanspruch, noch werden Leistungen für einen anderen in Form einer Weisungsabhängigkeit erbracht. Vielmehr besteht im Rahmen der Lernfreiheit das 207 208 209 210
Vgl Vgl Vgl Vgl
ErläutRV 689 BlgNR 20. GP. EuGH, Bernini, Rz 16. Rz 28 der Schlussanträge. dazu die Definition von Diplomstudien in § 4 Z 3 UniStG.
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subjektiv-öffentliche Recht, ein Studium unter gewissen Voraussetzungen zu betreiben. So wird auch der Besuch von Lehrveranstaltungen vorausgesetzt, stellt allerdings keine Pflicht dar.211 Aus dem Gesagten kann die Aufnahme und das Betreiben eines Studiums zwar nicht die Arbeitnehmereigenschaft einer Person begründen. Unter gewissen Umständen sichert sie jedoch nach der Rechtsprechung des EuGH den Fortbestand derselben. Wenn nämlich ein inhaltlicher Zusammenhang zwischen der früheren Berufstätigkeit im Aufnahmemitgliedstaat und dem durchgeführten Studium besteht,212 bejaht der EuGH die Arbeitnehmereigenschaft und somit die weitere Inanspruchnahmemöglichkeit der in Art 7 Abs 2 der VO 1612/68 gewährten sozialen Vergünstigungen. Handelt es sich um einen Wanderarbeitnehmer, der unfreiwillig arbeitslos geworden ist und den die Lage auf dem Arbeitsmarkt zu einer beruflichen Umschulung in einen anderen Berufszweig zwingt, bedarf es nicht einmal eines Zusammenhangs zwischen dem betriebenen Studiums und der vorher ausgeübten Tätigkeit. Dabei darf nicht aus den Augen verloren werden, dass in diesen Konstellationen der betroffenen Person schon vorher Arbeitnehmereigenschaft zukommt. Das Bestreben, ein Studium im Ausland durchzuführen, zieht für viele die Notwendigkeit nach sich, während der – sich zum Teil über mehrere Jahre erstreckenden – Studienzeit einer Erwerbstätigkeit zum Zwecke der Finanzierung des Lebensunterhaltes nachzugehen. Nehmen türkische Studenten neben ihrem ordentlichen oder außerordentlichen Studium in Österreich eine Beschäftigung im Lohn- oder Gehaltsverhältnis auf, die den oben genannten Kriterien entspricht, so erfüllen sie jedenfalls die Arbeitnehmereigenschaft mit der Folge, dass sie unter Umständen in den Genuss der Ansprüche aus Art 6 ARB 1/80 kommen können. Angesichts ihrer besonderen Stellung sind Studenten sowohl in aufenthaltsrechtlicher als auch in ausländerbeschäftigungsrechtlicher Hinsicht einem Sonderregime unterworfen. Gemäß § 7 Abs 4 Z 1 FrG benötigen Drittstaatsangehörige, wenn ihr Aufenthalt ausschließlich dem Zweck einer Schulausbildung oder eines ordentlichen oder außerordentlichen Studiums (Ausbildung) dient, eine Aufenthaltserlaubnis. Diese (damit auch die Erteilung einer weiteren) darf gemäß § 12 Abs 2a FrG nicht versagt werden, wenn der Betroffene im Besitz einer Beschäftigungsbewilligung oder einer Anzeigebestätigung einer Beschäftigung als Volontär gemäß dem AuslBG ist, sofern die Erwerbstätigkeit nicht der überwiegenden Deckung des Unterhalts des Betroffenen dient. Nach § 5 Abs 5 AuslBG dürfen für Ausländer, die über einen Aufenthaltstitel zum Zwecke des Studiums oder der Schulausbildung verfügen, Beschäftigungsbewilligungen im Rahmen von Kontingenten, die der Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit zur Deckung eines vorübergehenden Arbeitskräftebedarfs mit Verordnung festlegt, für eine Gesamtdauer von drei Monaten pro Kalenderjahr erteilt werden. Die soeben zitierten Bestimmungen wurden mit BGBl I 2002/126 eingefügt und gehen auf die RV 1172 BlgNR, 21. GP zurück, deren erklärtes Ziel die Harmonisierung des Ausländerbeschäftigungsrechts mit dem Fremdenrecht war. Um die beschäftigungsrechtliche Situation des Fremden mit der aufenthaltsrechtlichen in Einklang zu bringen, wurde unter anderem § 9 FrG geändert. Dahinter stand die (aus den Materialien) erweisliche Absicht des Gesetzgebers, Studenten 211 212
Vgl Bast/Klemmer/Langeder, Universitäts-Studiengesetz, § 29 Abs 1 UniStG. Vgl EuGH, Lair, Rz 37; Raulin, Rz 21.
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die Möglichkeit zu bieten, einer Teilzeitbeschäftigung nachzugehen, ohne dabei ihren rechtmäßigen fremdenrechtlichen Status zu verlieren. Ob sie von dieser Möglichkeit durch die Aufnahme einer unselbstständigen oder einer selbstständigen Erwerbstätigkeit Gebrauch machen, ist ihnen belassen. Zu beachten ist aber, dass durch diese Tätigkeit nicht der Unterhalt des Studenten zum überwiegenden Teil bestritten werden darf.213 Aufgrund von § 9 Abs 1 Z 1 FrG können nun Fremde, die über eine Aufenthaltserlaubnis zum Zwecke einer Ausbildung verfügen, eine befristete Zweckänderung in Anspruch nehmen, sie müssen es aber nicht. Um bei der Regelung der jeweiligen Materie Doppelgleisigkeiten zu vermeiden, bediente sich der Gesetzgeber mancher Verweise, deren Tragweite mit Blick auf den vom Gesetzgeber verfolgten Zweck kaum verständlich ist. Problematisch ist vor allem der Verweis in § 4 Abs 3 Z 7 AuslBG auf § 12 Abs 2a FrG. In einem an den Vorstand des AMS ergangenen Durchführungserlass214, leitet das BMWA aus § 12 Abs 2a FrG ab, dass es der Aufenthaltszweck dieser Personengruppe zulässt, für sie „reguläre“ Beschäftigungsbewilligungen anstatt der auf drei Monate befristeten Kontingentsbewilligungen nach § 5 Abs 5 AuslBG zu erteilen, sofern die Beschäftigung nicht der überwiegenden Deckung des Unterhalts dient. Insofern sei es zulässig, für Studenten und Schüler (mit entsprechendem Aufenthaltstitel) bei Vorliegen aller sonstigen allgemeinen und besonderen Voraussetzungen des § 4 Abs 1 und 3 sowie des § 4b auch eine reguläre Beschäftigungsbewilligung für einen Zeitraum bis zu einem Jahr zu erteilen,215 wenn die Beschäftigung nicht der überwiegenden Deckung des Lebensunterhaltes dient und der Aufenthaltszweck „Ausbildung“ (§ 4 Abs 1 Z 1 FrG-DV) weiterhin im Vordergrund steht. Solange das Entgelt für die betreffende Beschäftigung die Grenze des Ausgleichszulagenrichtsatzes (dzt € 653,19 für Alleinstehende) nicht überschreite, soll dies angenommen werden können. Unter diesen Gegebenheiten sei es möglich, eine Beschäftigungsbewilligung gem § 4 Abs 3 Z 7 AuslBG zu erteilen. Für eine zusätzliche befristete Beschäftigungsbewilligung gemäß § 5 AuslBG bleibe nach Ansicht des Ministeriums im Hinblick auf den primären Aufenthaltszweck von Studenten neben einer regulären Beschäftigungsbewilligung iSd § 4 Abs 3 Z 7 AuslBG allerdings kein Platz mehr. Die in dem soeben zitierten Erlass vertretene Meinung ist mE rechtswidrig. Zwar deckt der – vom gesetzgeberischen Willen abweichende – Wortlaut die Erteilung einer regulären Beschäftigungsbewilligung gem § 4 Abs 3 Z 7 AuslBG, da sich in so einem Fall der objektive Gehalt des Gesetzestextes gegenüber dem Willen des Normsetzers durchsetzt.216 Ausländische Studenten haben also bei Erfüllen der in § 4 genannten Erfordernisse ein Recht auf Erteilung der Beschäftigungsbewilligung. Nicht gedeckt erscheint hingegen die Festlegung einer Einkom213
Siehe die ErläutRV 1172 BlgNR, 21. GP 28. GZ 435.006/18-II/7/02. 215 Vgl § 7 AuslBG. 216 Vgl ErläutRV 1172 BlgNR, 21. GP 28: „Studenten/Schüler sollen die Möglichkeit erhalten, als befristet beschäftigte Fremde zeitweise (zB in den vorlesungsfreien Zeiten) zu arbeiten. Hiezu ist es erforderlich, die Möglichkeit der Erteilung einer Beschäftigungsbewilligung mit einer maximalen Geltungsdauer von drei Monaten im Gesetz zu verankern (§ 9 Abs. 2), ohne dass diese Fremden ihren rechtmäßigen fremdenrechtlichen Status verlieren.“ 214
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mensgrenze durch das BMWA. Das AuslBG, für dessen Durchführung der BMWA zuständig ist, bietet jedenfalls keine rechtliche Grundlage dafür. Die das AuslBG vollziehende Behörde hat im Rahmen der Z 7 des § 4 Abs 3 lediglich zu prüfen, ob der Student über eine Aufenthaltserlaubnis zu Ausbildungszwecken verfügt. Keinesfalls darf sie aber die Einkommenshöhe bei ihrer Entscheidung über eine Beschäftigungsbewilligung als Entscheidungskriterium heranziehen. Diese ist für die aufenthaltsrechtliche Stellung des Studenten von Bedeutung, da gemäß § 12a FrG die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis für einen ausschließlich dem Zweck eines Studiums oder einer Schulausbildung dienenden Aufenthalt nicht zu versagen ist, wenn der Betroffene im Besitz einer Beschäftigungsbewilligung ist, und die Erwerbstätigkeit nur geringfügig zur Bestreitung des Lebensunterhaltes beiträgt. Dies zu konkretisieren ist Sache des ressortmäßig zuständigen BMI, nicht aber des BMWA. Durch Festlegung einer bestimmten Einkommensgrenze als Tatbestandsmerkmal für die Erteilung einer Beschäftigungsbewilligung nimmt der BMWA eine Zuständigkeit in Anspruch, die außerhalb seines sachlichen Wirkungsbereiches liegt. Aus diesem Grund ist der Erlass in diesem Punkt rechtswidrig. Für türkische Studenten bedeutet dies Folgendes: Üben sie eine Tätigkeit auf Grundlage einer regulären Beschäftigungsbewilligung aus, die gem § 7 Abs 1 AuslBG für ein Jahr erteilt wurde, erfüllen sie den Tatbestand des Art 6 Abs 1 ARB 1/80. Nach einem Jahr ordnungsgemäßer Beschäftigung könnten sie ein weiteres Beschäftigungs- und Aufenthaltsrecht direkt aus dieser Bestimmung herleiten.217
5. Au-Pair-Kräfte AuslBVO218
Gem § 1 Z 10 sind Ausländer zwischen 18 und 28 Jahren für eine sechs Monate dauernde Tätigkeit als Au-Pair-Kraft vom Geltungsbereich des AuslBG ausgenommen, sofern diese Tätigkeit von der Gastfamilie der zuständigen regionalen Geschäftsstelle des AMS zwei Wochen vor Beginn der Tätigkeit angezeigt wurde und die Geschäftsstelle eine Anzeigebestätigung ausgestellt hat. Voraussetzung für die Ausstellung einer befreienden Anzeigebestätigung ist, dass die Au-Pair-Kraft erlaubt vermittelt wurde, sie in den letzten fünf Jahren insgesamt nicht länger als ein Jahr als Au-Pair-Kraft in Österreich beschäftigt war und die Gewähr gegeben ist, dass der wahre wirtschaftliche Gehalt der beabsichtigten Tätigkeit dem einer Au-Pair-Tätigkeit entspricht. Nun ist eine Au-Pair-Tätigkeit dadurch charakterisiert, dass jemand bei einer ausländischen Gastfamilie eine Leistung im Rahmen der Haushaltshilfe erbringt und dafür Vergütungen in Form von Sachleistungen wie Unterkunft und Verpflegung bekommt. Der Zweck dieses Auslandsaufenthaltes dient vornehmlich dem Erlernen der fremden Sprache bzw der Erweiterung des kulturellen Horizonts. Der Arbeitscharakter dieser Beziehung, die auf Leistung und Gegenleistung beruht, ist von höchst untergeordneter Natur. Demnach kann die Beschäftigung als Au-Pair-Kraft nicht die Arbeitnehmereigenschaft iSd ARB 1/80 nach sich ziehen. 217
In diesem Fall blieben die §§ 12 Abs 2a und 2b FrG aufgrund des Anwendungsvorrangs des Gemeinschaftsrechts unangewendet. Die Betroffenen könnten sich auf Art 6 Abs 1 UAbs 1 ARB 1/80 iVm § 30 Abs 3 FrG berufen und ihr daraus resultierendes Bleiberecht verlangen (siehe dazu 139 f). 218 Ausländerbeschäftigungsverordnung, BGBl 1990/609 idF BGBl II 2003/469.
Besondere Berufsgruppen
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6. Sportler Der Anwendungsbereich der Arbeitnehmerfreizügigkeit erstreckt sich aber auch auf Arbeitsverhältnisse von professionellen Sportlern. Diesen Standpunkt bringt der Gerichtshof im Bosman-Urteil219 klar zum Ausdruck, als er den Sport insoweit vom Geltungsbereich des Gemeinschaftsrechts erfasst sieht, als dessen Ausübung als Teil des Wirtschaftslebens iSv Art 2 EG angesehen werden könne.220 Bei Profisportlern könne dies jedenfalls angenommen werden, da diese für ihren Verein eine unselbstständige Tätigkeit ausüben oder entgeltliche Dienstleistungen erbringen. Das bedeutet, dass türkische Berufssportler als Arbeitnehmer iSd Gemeinschaftsrechts gelten und daher in den persönlichen Geltungsbereich des ARB 1/80 fallen.
7. Künstler Für Künstler muss angesichts weitgehender Parallelitäten zu den sportlichen Tätigkeiten mutatis mutandis dasselbe gelten wie für Sportler. Besteht die künstlerische Tätigkeit in der Verrichtung einer entgeltlichen Arbeits- oder Dienstleistung, die als Teil des Wirtschaftslebens gemäß Art 2 EG betrachtet werden kann, so greifen die Rechte aus Art 6 ARB 1/80. Dies kann bei professionellen Künstlern nicht bezweifelt werden.
8. Seelsorger Nach Art 9 Abs 1 EMRK hat jedermann ua das Recht auf Religionsfreiheit. Dieses Recht räumt dem Einzelnen die Freiheit ein, seine Religion einzeln oder in Gemeinschaft mit anderen öffentlich oder privat, durch Gottesdienst, Unterricht, Andachten und Beachtung religiöser Gebräuche auszuüben. Daneben gewährt Art 15 StGG den gesetzlich anerkannten Kirchen und Religionsgemeinschaften ua das Recht, der gemeinsamen öffentlichen Religionsausübung. Diesen Vorschriften entsprechend, nimmt § 1 Abs 2 lit d AuslBG die Beschäftigung von Ausländern als Seelsorger im Rahmen von gesetzlich anerkannten Kirchen und Religionsgesellschaften vom Geltungsbereich des AuslBG aus. Als vom AuslBG ausgenommene unselbstständig Erwerbstätige kann diesen Personen sowohl eine Aufenthaltserlaubnis (§ 4 Abs 1 Z 14 FrG-DV) als auch eine Niederlassungsbewilligung (Abs 2 Z 9 leg cit) erteilt werden. Sie können sich aber deshalb nicht auf die den Arbeitnehmern gewisse Rechte einräumende Bestimmung des Art 6 ARB 1/80 berufen, da sie im Rahmen ihrer seelsorgerischen Beschäftigung keine Tätigkeiten des Wirtschaftslebens gemäß Art 2 EG verrichten. Dies schließt allerdings nicht aus, dass Arbeitnehmer bei Kirchen und Religionsgemeinschaften oder karitativen Einrichtungen in den Genuss dieser Rechte kommen können, wenn ihre Beschäftigung als Teil des Wirtschaftslebens im Sinne von Artikel 2 EG-Vertrag angesehen werden kann.221
219 220 221
Vgl EuGH, Bosman, Rz 73. Vgl Schrammel, Freizügigkeit der Arbeitnehmer in der EU, ecolex 1996, 467. EuGH, Steymann, Rz 9.
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Der Arbeitnehmer als Ausgangspunkt des ARB 1/80
9. Angehörige des diplomatischen Dienstes Türkische Diplomaten können aufgrund der ihnen zukommenden Sichtvermerksfreiheit nach § 1 Abs 5 Z 5 FrG-DV222 und der Ausnahme vom AuslBG gemäß § 1 Abs 2 lit c frei in das Bundesgebiet der Republik Österreich einreisen und dort ihren Dienst antreten. Ihre Tätigkeit besteht in der weisungsgebunden, entgeltlichen Leistungserbringung für jemand anderen, weshalb sie gewiss dem Wirtschaftsleben gemäß Art 2 EG zuzurechnen ist. Ob sich Vertreter des diplomatischen Dienstes auch auf die Arbeitnehmerfreizügigkeit und damit einhergehend auf die „Assoziationsfreizügigkeit“ berufen können, bildete bislang noch keinen Verfahrensgegenstand vor dem EuGH.223 Wenngleich diese Personengruppe die objektiven Voraussetzungen der Arbeitnehmereigenschaft erfüllt, scheitert die Berufung auf Art 6 ARB 1/80 schon daran, dass diese Tätigkeiten nicht als dem regulären Arbeitsmarkt des Mitgliedstaates zugehörig zu sehen sind (vgl dazu 66 f).
10. Rehabilitation Personen, die auf unbestimmte Zeit nicht im Stande sind, unter normalen Bedingungen zu arbeiten und deshalb im Rahmen von reinen Rehabilitationsmaßnahmen Tätigkeiten verrichten, sind vom Arbeitnehmerbegriff nicht erfasst, da sie nicht am Wirtschaftsleben iSv Art 2 EG teilnehmen.224
C. Die ordnungsmäßige Beschäftigung Der gemeinschaftsrechtliche Ursprung des Begriffes bringt es naturgemäß mit sich, dass sich seine Auslegung am assoziationsrechtlichen Begriffsverständnis zu orientieren hat. Das Assoziationsrecht selbst bietet jedoch keine explizite Erklärung, weshalb auf die allgemeinen Auslegungsgrundsätze unter besonderer Berücksichtigung von Sinn und Zweck der Bestimmung in ihrem Zusammenhang zurückzugreifen ist. Was unter „ordnungsgemäßer Beschäftigung“ zu verstehen ist, bestimmt sich somit nicht nach nationalem Recht, sondern nach dem Assoziationsrecht und den für dessen Auslegung berufenen Institutionen, namentlich des EuGH. Dieser hat im Rahmen einer Vielzahl von Vorabentscheidungsverfahren dem juristisch vagen Begriff klarere Konturen verliehen. Im Folgenden soll die Rechtsprechung des Gerichtshofs zum Terminus der „ordnungsgemäßen Beschäftigung“ kurz skizziert werden, um daraus für das nationale Recht brauchbare Schlüsse zu ziehen.
1. Aufenthalts- und beschäftigungsrechtliche Stabilität Der EuGH verlangt eine einheitliche, nach objektiven Gesichtspunkten ausgerichtete und vom Normzweck geleitete Auslegung des Begriffs. Aus seinen Entschei222 Vgl dazu das Abkommen über die Sichtvermerksfreiheit, BGBl 1955/194. Weiters §§ 27 iVm 84 FrG. 223 Randelzhofer/Forsthoff in Grabitz/Hilf (Hrsg), Art 39 EG, Rz 27 befürworten dies. 224 EuGH, Bettray, Rz 20. Vgl zB §§ 10 f OÖ BehG iZm Tätigkeiten in einer geschützten Werkstätte.
Die ordnungsmäßige Beschäftigung
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dungen lässt sich die Schlussfolgerung ziehen, dass das Kriterium der Ordnungsmäßigkeit eine gesicherte und nicht nur vorläufige Position am Arbeitsmarkt voraussetzt.225 Mit anderen Worten: der EuGH verlangt eine rechtlich stabile Stellung des Betroffenen in aufenthaltsrechtlicher und beschäftigungsrechtlicher Hinsicht. Diese ist nur dann gegeben, wenn der Aufenthalt sowie die Beschäftigung des türkischen Staatsangehörigen über einen von vornherein bestimmten Zeitraum hin nicht streitig gemacht werden können. Dazu reicht es nicht aus, dass der türkische Arbeitnehmer nur während der Dauer der aufschiebenden Wirkung eines von ihm erhobenen Rechtsmittels gegen einen aufenthaltsbeendenden staatlichen Akt vorläufig in dem betreffenden Mitgliedstaat bleiben und dort eine Beschäftigung ausüben durfte.226 Der Gerichtshof hat im Urteil Kus entschieden, dass vom Betroffenen zurückgelegte Beschäftigungszeiten solange nicht als ordnungsgemäß im Sinne des Art 6 Abs 1 des Beschlusses 1/80 angesehen werden können, als nicht endgültig feststeht, dass dem Arbeitnehmer während des fraglichen Zeitraums das Aufenthaltsrecht ex lege zusteht.227 Die Voraussetzung einer ordnungsgemäßen Beschäftigung ist jedenfalls nicht erfüllt, wenn eine Beschäftigung aufgrund eines Aufenthaltstitels ausgeübt wurde, der unrechtmäßiger Weise – insbesondere durch eine Täuschung (zB durch eine Scheinehe) – erlangt wurde.228Ansonsten wäre dem Betroffenen die Möglichkeit gegeben, die in ARB 1/80 vorgesehenen Rechte während eines Zeitraums zu erwirken, in dem er die Voraussetzungen dieser Vorschrift nicht erfüllt, weil er sich unrechtmäßiger Weise im Territorium des Mitgliedstaates befindet. Dies hätte zur Folge, dass das Aufenthaltsrecht des Mitgliedstaates umgangen werden könnte und Verstöße gegen Regelungen hinsichtlich der erstmaligen Einreise und des Aufenthalts nicht mit aufenthaltsbeendenden Maßnahmen geahndet werden könnten; ein Resultat, dass mit Sinn und Zweck der Vorschrift nicht in Einklang zu bringen wäre. In die gleiche Kerbe schlägt auch das Bozkurt-Urteil, wonach die Ordnungsmäßigkeit einer während eines bestimmten Zeitraums ausgeübten Beschäftigung des türkischen Staatsangehörigen an den aufenthaltsrechtlichen und beschäftigungsrechtlichen Regelungen des Aufnahmestaats zu messen ist. Der Umstand, dass diese Rechtsordnung bestimmte Tätigkeiten von der behördlichen (ausländerbeschäftigungsrechtlichen und/oder der fremdenrechtlichen) Genehmigung ausnimmt, steht jedoch der Ordnungsmäßigkeit nicht entgegen.229 Ebensowenig schadet das Wissen des Betroffenen um zeitliche und sachliche Beschränkungen seines Aufenthaltes und/oder seiner Arbeitstätigkeit im Aufnahmemitgliedstaat. So kann einem türkischen Staatsangehörigen nicht deshalb die Ordnungsmäßigkeit seiner Beschäftigung (und damit der Anspruch aus dem ARB 1/80) abgesprochen werden, weil er bei der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis und Beschäftigungsbewilligung von den nationalen Behörden darauf hingewiesen wurde, dass ihm diese nur für eine bestimmte Zeit und für eine bestimmte Tätigkeit gewährt werde.230 225 226 227 228 229 230
Vgl EuGH, Sevince, Rz 30 ff; Kus, Rz 12 ff; Bozkurt, Rz 26; Birden, Rz 55; Kol, Rz 24 f. Vgl EuGH, Sevince, Rz 31. Rz 16 des Urteils. EuGH, Kol, Rz 24 ff. Rz 31 des Urteils. Vgl EuGH, Ertanir, Rz 58 ff.
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Der Arbeitnehmer als Ausgangspunkt des ARB 1/80
2. Einhaltung von fremden- und ausländerbeschäftigungsrechtlichen Bestimmungen Der VwGH hatte bisher in einer Reihe von Entscheidungen darüber zu befinden, unter welchen Umständen Beschäftigungszeiten eines türkischen Staatsangehörigen als ordnungsgemäße – also anspruchsbegründende – Zeiten gem Art 6 Abs 1 ARB 1/80 zu betrachten sind. In Anlehnung an die Rechtsprechung des EuGH ist nach Ansicht des VwGH die Beschäftigung des Fremden nur dann als ordnungsmäßig zu bewerten, wenn die Beschäftigung während der in Art 6 Abs 1 genannten Zeiträume in Einklang mit dem Ausländerbeschäftigungsrecht erfolgt und seine aufenthaltsrechtliche Situation rechtmäßig und hinreichend gesichert ist.231 Ein türkischer Arbeitnehmer, der nicht über einen gültigen Aufenthaltstitel verfügt, kann indes keine ordnungsgemäße Beschäftigung geltend machen.232 Wurde der Aufenthaltstitel durch die Vorspiegelung falscher Tatsachen – wie insbesondere durch das Eingehen einer Scheinehe – erlangt, gilt in Anlehnung an die Rsp des EuGH in seinem Urteil Kol (Rz 29), dass Beschäftigungen, die sich auf einen derartigen Aufenthaltstitel stützen, nicht als ordnungsgemäß gelten233 und insofern keine anspruchsbegründenden Zeiten vermitteln.234 Ebensowenig eignet sich Verbleib im Bundesgebiet, der sich rechtmäßiger Weise aus einigen – vorläufige Aufenthaltsrechte einräumenden – Vorschriften ergibt, Rechte aus Art 6 Abs 1 abzuleiten.235 So vermittelt nach stRsp des VwGH eine vorläufige Aufenthaltsberechtigung eines Asylwerbers gem § 19 AsylG keine gesicherte Position des Fremden am Arbeitsmarkt, da sie nach Abs 4 mit Einstellung oder rechtskräftigem Abschluss des Asylverfahrens endet.236 Gegen diese Feststellung lässt sich auch nicht argumentieren, dass nach dem Urteil Günaydin der Annahme einer ordnungsgemäßen Beschäftigung iSd Art 6 Abs 1 ARB 1/80 nicht entgegenstehe, wenn dem betroffenen Arbeitnehmer im Aufnahmemitgliedstaat (lediglich) befristete und mit Bedingungen versehene Aufenthalts- und/oder Arbeitserlaubnisse ausgestellt wurden. Diesem Fall lag nämlich eine Konstellation zugrunde, in der das Aufenthaltsrecht des türkischen Arbeitnehmers im Aufnahmemitgliedstaat in keiner Weise strittig war und er sich nicht in einer Situation befand, die nur vorläufig war und jederzeit hätte in Frage gestellt werden können. Gegen den Standpunkt des VwGH lässt sich insoweit nichts einwenden, als der das vorläufige Aufenthaltsrecht ex lege beendende Ausgang eines Asylverfahrens – wie er selbst betont – zu einem ungewissen Zeitpunkt eintreten kann.237 231
Vgl jüngst VwGH 1.7.2004, 2004/18/0164. Vgl VwGH 11.6.1997, 96/21/0100; 24.9.1999, 99/19/0061; 10.6.1999, 96/21/0382; 12.4.2000, 97/09/0202; 5.5.2000, 98/19/0251; 17.3.2000, 97/19/1680; 31.5.2000, 97/18/0104. 233 So auch der VwGH 13.3.1997, 97/18/0105; 17.4.1997, 97/18/0132; 5.11.1997, 96/ 21/0587; 5.11.1997, 96/21/0941; 3.8.2000, 98/18/0100; 14.9.2000, 97/21/0366; 28.9.2000, 99/09/0086; 28.9.2000, 99/09/0088. 234 Siehe jüngst VwGH 1.7.2004, 2004/18/0164. 235 Vgl zB VwGH 4.9.2003, 2001/21/0159. 236 Vgl VwGH 22.5.1997, 97/18/0150; 22.1.1998, 96/180350; 23.7.1998, 97/18/0498; 5.8.1998, 97/21/0806; 10.6.1999, 96/21/0382; 7.4.2000, 99/19/0210; 30.5.2001, 99/21/0310; 1.6.2001, 2001/19/0001. 237 Vgl VwGH 7.4.2000, 99/19/0210, wo sich der Gerichtshof dahin äußert, dass der 232
Zugehörigkeit zum regulären Arbeitsmarkt
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Ob dasselbe mutatis mutandis auf den Fall einer befristeten Aufenthaltsberechtigung nach § 15 AsylG zutrifft, ist fraglich. Bisher bildete die Frage jedenfalls nicht den Gegenstand einer höchstgerichtlichen Entscheidung. Ist ein Asylantrag abzuweisen, so hat die Behörde gem § 8 AsylG im Rahmen einer non-refoulementPrüfung festzustellen, ob die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in den Herkunftsstaat zulässig ist. Diese Entscheidung geht mit dem abweisenden Bescheid des Asylantrags einher. Geht aus dieser Prüfung hervor, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung aus Gründen der Art 2 und 3 EMRK unzulässig ist, so ist dem Fremden gem § 15 AsylG eine „befristete Aufenthaltsberechtigung“ zu erteilen. Nach Abs 2 erfolgt die erstmalige Erteilung für höchstens ein Jahr, danach ist sie für höchstens fünf Jahre zu bewilligen. Fallen die Gefahren weg, denen die Art 2 und 3 EMRK vorzubeugen suchen, so ist die befristete Aufenthaltsberechtigung mittels Bescheid gem §§ 8 Abs 4 iVm 15 Abs 2 des Bundesasylamtes zu widerrufen. Selbiges gilt, wenn der Betroffene einen Asylausschließungsgrund gemäß § 13 verwirklicht. Bei einer Gegenüberstellung der oben genannten zwei Regelungen des Asylgesetzes scheint auf den ersten Blick die vorläufige Aufenthaltsberechtigung des § 15 ob ihrer bescheidmäßig fixierten Dauer höhere Bestandskraft zu haben als die vorläufige Aufenthaltsberechtigung nach § 19 AsylG. Bei näherer Betrachtung erweist sich diese Annahme allerdings als falsch. § 19 will lediglich dem Umstand Rechnung tragen, dass sich der Asylwerber während der Zeit seines Asylverfahrens nicht illegal im Bundesgebiet aufhält. Nichts anderes bezweckt § 15 AsylG, der nach Feststellen von Art 2 bzw Art 3 EMRK-widrigen Umständen, eine Art Aufschub für die Außerlandesschaffung in Gestalt der befristeten Aufenthaltsberechtigung garantiert. Wenngleich das AuslBG einer Beschäftigung von Inhabern einer vorläufigen oder befristeten Aufenthaltsberechtigung nicht entgegensteht, befindet sich dieser Personenkreis in einem „aufenthaltsrechtlichen Schwebezustand“. Mit anderen Worten: Ihr Aufenthalt ist zwar rechtmäßig, aber nur von ungewisser Dauer, sodass sie sich in keiner gesicherten Position am Arbeitsmarkt befinden und infolgedessen keine Ansprüche aus Art 6 ff ARB 1/80 ableiten können. Fazit: Aus der Judikatur und den dazu angestellten Überlegungen lässt sich der Schluss ziehen, dass sich ein Arbeitnehmer solange in keiner gesicherten Position befindet und daher nicht ordnungsgemäß beschäftigt ist, solange die Beendigung seines rechtmäßigen Aufenthaltes außerhalb seiner Einflusssphäre liegt.
D. Zugehörigkeit zum regulären Arbeitsmarkt Wie beim Begriff der „ordnungsgemäßen Beschäftigung“ entzieht sich die Beurteilung dessen, was unter „regulärer Arbeitsmarkt“ zu verstehen ist, der Prärogative Inlandsaufenthalt während der Dauer eines Abschiebungsaufschubes keine gesichertere Position als die eines aufenthaltsrechtlichen „Schwebezustandes“ bietet, wie er etwa bei Bestehen einer vorläufigen Aufenthaltsberechtigung für die Dauer des Asylverfahrens bestanden hätte. Siehe auch Huber, Das Kus-Urteil des EuGH: Weitere Aufenthaltsrechtliche Sicherungen für türkische Arbeitnehmer, NVwZ 1993, 247.
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Der Arbeitnehmer als Ausgangspunkt des ARB 1/80
der Mitgliedstaaten und muss anhand von Sinn und Zweck vorgenommen werden, den der Normsetzer vor Augen gehabt hat.238 Diese Absicht tritt insbesondere bei multilateralen Beschlüssen durch einen Vergleich der verschiedenen Textfassungen besser zu Tage.239
1. „Legale“ Beschäftigung und Aufenthalt – „… die tot de legale arbeidsmarkt van een Lid-Staat behoort“ und „legale arbeid“ (niederländische Fassung) – „… med tilknytning til det lovlige arbejdsmarked i en bestemt medlemsstat“ und „lovlig beskæftigelse …“ (dänische Fassung) – „… bir üye ülkenin yasal isgücü piyasasina nizamlara uygun bir surette“ und „yasal calismadan“ (türkische Fassung) Auffallend ist, dass die Eigenschaft „legal“ in allen drei sprachlichen Fassungen sowohl dem Arbeitsmarkt des Mitgliedstaats wie auch der in diesem Staat ausgeübten Beschäftigung vorangestellt wird. – „duly registered as belonging to the labour force of a Member State“ und „legal employment“ (englische Fassung) Die englische Fassung spricht zwar nur einmal von „legal“, meint jedoch offenkundig dasselbe. Auf dem Boden dieser verschiedenen Textfassungen kam der Gerichtshof in der Rs Birden zu dem Schluss, dass die Geltendmachung der in Art 6 Abs 1 erster bis dritter UAbs verankerten Rechte die Rechtmäßigkeit des Aufenthaltes bzw der Beschäftigung des Arbeitnehmers im Aufnahmemitgliedstaat bedingt.240 Dass die Beschäftigung des türkischen Arbeitnehmers im Rahmen eines rechtmäßigen Aufenthaltes zu geschehen hat, kommt zwar nicht expressis verbis zum Ausdruck; auf den Aufenthalt geht Art 6 ARB 1/80 ausdrücklich gar nicht ein. Vielmehr ergibt sich diese Voraussetzung implizit bei einer teleologischen Betrachtungsweise, ist doch eine rechtmäßige Beschäftigung bei unrechtmäßigem Aufenthalt nicht denkbar. Die französische Fassung („appartenant au marché régulier de l’emploi d’un État membre“ und „emploi régulier“) und die italienische Fassung („inserito nel regolare mercato del lavoro di uno Stato membro“ und „regolare impiego“) verwenden anstatt der Bezeichnung „legal“ das Wort „regulär“, während bei der deutschen Textfassung („der dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaats angehört“ und „ordnungsgemäße Beschäftigung“) eine sprachliche Variation zu erblicken ist, die den Sinn der Norm jedoch nicht verändert. Dem EuGH ist darin zu folgen, dass ungeachtet der sprachlichen Modifikationen allen Fassungen gemeinsam ist, dass die Zugehörigkeit zum „regulären Arbeitsmarkt“ eine rechtmäßige („legale“) Beschäftigung voraussetzt.241 238
Vgl idS Gutmann, Die Assoziationsfreizügigkeit türkischer Staatsangehöriger 95. Vgl Schubarth in Schäffer/Triffterer (Hrsg), Rationalisierung der Gesetzgebung 90 (94), nahm auf den großen Nutzen mehrerer sprachlicher Fassungen von Rechtstexten Bezug mit der Feststellung: „Bei Mehrsprachigkeit des Gesetzes ist die Chance größer, dass der Rechtsgedanke des Gesetzgebers im Gesetz seinen Ausdruck findet, …“ 240 EuGH, Birden, Rz 48. 241 EuGH, Birden, Rz 50. 239
Zugehörigkeit zum regulären Arbeitsmarkt
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Mittlerweile gilt als ständige Rechtsprechung, dass der Begriff „regulärer Arbeitsmarkt“ die Gesamtheit der Arbeitnehmer bezeichnet, welchen nach den Rechts- und Verwaltungsvorschriften des jeweiligen Aufnahmemitgliedstaates das Recht zukommt, eine Beschäftigung in seinem Hoheitsgebiet auszuüben.242
2. Zweckorientierte und historische Auslegung Zum gleichen Ergebnis führt auch eine Interpretation unter Zugrundelegung der Genealogie dieser Bestimmung. Dabei ist zunächst zu berücksichtigen, dass der Beschluss das Ziel verfolgt, im sozialen Bereich eine bessere Regelung zugunsten der Arbeitnehmer und ihrer Familienangehörigen zu bewirken, als sie durch den ARB 2/76 getroffen worden war. Die Vorschriften des Kapitels II Abschnitt 1 des ARB 1/80, zu denen Art 6 gehört, bilden einen weiteren, durch die Artikel 39, 40 und 41 EG geleiteten Schritt zur Herstellung der Freizügigkeit der Arbeitnehmer. Hinzu kommt der Umstand, dass die Vorgängerregelung (Art 2 ARB 2/76) nur den Begriff der „ordnungsgemäßen Beschäftigung“ verwendete. In Anbetracht dessen kann der im Art 6 ARB 1/80 neben dem Begriff der ordnungsgemäßen Beschäftigung hinzutretende Begriff der Zugehörigkeit zum regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaats nicht so verstanden werden, dass er die Rechte, die Art 6 den Arbeitnehmern verleiht, von zusätzlichen Voraussetzungen abhängig macht, die sich von der Ausübung einer ordnungsgemäßen Beschäftigung unterscheiden. Aus diesen Gründen kann die rechtliche Schlussfolgerung nur jene sein, dass es sich bei dem neu eingefügten Begriff vielmehr nur um eine Konkretisierung des bereits im Beschluss Nr 2/76 enthaltenen gleichartigen Erfordernisses handelt. Die Inanspruchnahme der in Art 6 Abs 1 erster bis dritter UAbs des ARB 1/80 verankerten Rechten setzt – wie schon gesagt – voraus, dass der türkische Arbeitnehmer die Rechtsvorschriften des Aufnahmemitgliedstaats über die Einreise in das Hoheitsgebiet und die Ausübung einer Tätigkeit im Lohn- oder Gehaltsverhältnis beachtet hat.243 Mit anderen Worten gebietet diese Norm die Ausübung einer Beschäftigung unter rechtmäßigen („legalen“) Umständen.
3. Arbeitsmarkt des Mitgliedstaates Hier stellt sich die Frage nach der räumlichen Dimension des regulären Arbeitsmarktes. Der Großteil der Beschäftigungen ist zweifellos dem Arbeitsmarkt des Mitgliedstaates zuzurechen. Was aber hat zu gelten, wenn einerseits die Tätigkeiten vorübergehend oder gänzlich außerhalb des Territoriums der Gemeinschaft verrichtet werden oder andrerseits die Tätigkeiten auf nationalem Boden ausgeübt werden, aber deren Zuordnung zum nationalen Arbeitsmarkt zweifelhaft erscheint? Ersteres beschäftigte den EuGH in der Rs Bozkurt. Dabei ging es um einen türkischen Fernfahrer, der bei einem niederländischen Unternehmen nach niederländischem Recht angestellt war, welches die im grenzüberschreitenden Verkehr 242 243
EuGH, Birden, Rz 51 Vgl EuGH, Nazli, Rz 32; Kurz, Rz 40.
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tätigen Fahrer von der Aufenthalts- und Beschäftigungsbewilligung ausnahm. Bei der Beurteilung der Zugehörigkeit dieses Arbeitnehmers zum regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaates zog der Gerichtshof die im Rahmen der Freizügigkeit der Arbeitnehmer entwickelte Judikatur heran.244 Demnach sei zu prüfen, ob das Arbeitsverhältnis im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats lokalisiert werden kann oder eine hinreichend enge Anknüpfung an dieses Gebiet aufweist. Dies zu beurteilen, obliegt den nationalen Stellen, die dabei insbesondere den Ort der Einstellung, die für das Arbeitsrecht und die soziale Sicherheit maßgebliche Rechtsordnung und das Gebiet, von dem aus die Tätigkeit im Lohn- oder Gehaltsverhältnis ausgeübt wird, zu berücksichtigen haben. Aufgrund der besonderen Eignung zur Darstellung der vom EuGH verlangten Kriterien sollen zwei Berufsgruppen, die Angehörigen des diplomatischen Dienstes und die „betriebsentsandten Türken“ in Österreich unter dem Aspekt der Zugehörigkeit zum regulären Arbeitsmarkt näher beleuchtet werden. Türkische Diplomaten können – wie auch ihr Hilfsdienst – wegen ihrer Privilegien der sichtvermerksfreien Einreise und des Aufenthalts nach § 1 Abs 5 Z 5 FrG-DV245 und der Ausnahme vom AuslBG gemäß § 1 Abs 2 lit c bewilligungsfrei ihren Dienst in der Republik Österreich antreten. Zweifellos liegt unter diesen Umständen eine ordnungsgemäße Beschäftigung iSd Art 6 ARB 1/80 vor, da ihre Beschäftigung im Einklang mit den Rechtsvorschriften des Aufnahmemitgliedstaats über die Einreise in das Hoheitsgebiet und die Ausübung einer Tätigkeit im Lohnoder Gehaltsverhältnis ist.246 Dass diese Beschäftigung nach österreichischem Recht genehmigungsfrei ausgeübt wird, schadet nach der diesbezüglich klaren Rechtsprechung des EuGH nicht.247 Um aber als dem regulären Arbeitsmarkt des Mitgliedstaates zugehörig angesehen zu werden, muss die Beschäftigung einen hinreichend engen Bezug zum Hoheitsgebiet des Mitgliedstaates aufweisen. Die hinreichende Anknüpfung ist allerdings nicht schon dadurch erreicht, dass die Tätigkeit auf dem Staatsgebiet des Mitgliedstaates verrichtet wird. Mit der demonstrativen Aufzählung jener Elemente, die eine solche Anknüpfung gerechtfertigt erscheinen lassen, macht der EuGH deutlich, dass weitere Umstände hinzutreten müssen. Neben die örtlichen treten somit jene rechtlichen Anknüpfungspunkte, die das Arbeitsverhältnis von seinem Beginn bis zu seinem Ende samt den sozialversicherungsrechtlichen Belangen regeln. Weisen diese rechtlichen Aspekte keinen Nahebezug zum Recht des Mitgliedstaates auf, hat das zur Folge, dass der Umstand der Beschäftigung auf dem Staatsgebiet dadurch aufgewogen wird und die für die Zugehörigkeit zum regulären Arbeitsmarkt erforderliche Anknüpfung fehlt. Überträgt man diese Überlegungen auf die Situation von türkischen Mitgliedern diplomatischer und konsularischer Vertretungen in Österreich, zeichnet sich ab, dass sie nicht dem regulären Arbeitsmarkt angehören. Sowohl ihre beschäftigungs244 Vgl EuGH, Bozkurt, Rz 22, mit Verweis auf das Urteil Lopes da Veiga. Vgl Mallmann, Zur aufenthaltsrechtlichen Bedeutung des Assoziationsratsbeschlusses EWG/ Türkei, JZ 1995, 918. 245 Vgl dazu das Abkommen über die Sichtvermerksfreiheit, BGBl 1955/194. Weiters §§ 27 iVm 84 FrG. 246 Vgl EuGH, Nazli, Rz 32; Kurz, Rz 40. 247 Vgl EuGH, Bozkurt, Rz 31.
Zugehörigkeit zum regulären Arbeitsmarkt
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rechtliche als auch ihre sozialversicherungsrechtliche Situation richtet sich ausschließlich nach türkischem Recht.248 Davon zu unterscheiden sind jene türkischen Arbeitnehmer, die bei österreichischen Auslandsvertretungen arbeiten (Ortskräfte).249 Sie können – ungeachtet dessen, dass sie außerhalb des Territoriums des Mitgliedstaats ihren Dienst verrichten – dem regulären Arbeitsmarkt zugerechnet werden, wenn der Arbeitsvertrag nach dem Recht des Mitgliedstaats abgeschlossen wurde, der sie beschäftigt und sie zumindest teilweise dessen Einkommensteuer- und/oder dem Sozialversicherungssystem angehören. Nach § 10 Abs 2 des BG über Aufgaben und Organisation des auswärtigen Dienstes (BGBl I 1999/129) sind allerdings auf das Dienstverhältnis von Ortskräften die am Dienstort geltenden Rechtsvorschriften anzuwenden. Außerdem sind sie weder einkommensteuer- noch sozialversicherungspflichtig in Österreich (vgl § 3 Abs 1 Z 30 EStG). Mangels hinreichenden Bezuges zum nationalen Arbeitsmarkt können sich Ortskräfte somit nicht auf die Regelung des Art 6 ARB 1/80 berufen. Ausländer, die von einem ausländischen Arbeitgeber ohne einen im Bundesgebiet vorhandenen Betriebssitz im Inland beschäftigt werden, gelten als Betriebsentsandte. Diese bedürfen, soweit die Beschäftigung länger als sechs Monate dauert, gem § 18 Abs 1 AuslBG einer Beschäftigungsbewilligung. Ansonsten reicht eine Entsendebewilligung aus. Zwar verrichten sie ihre Tätigkeit auf dem Staatsgebiet der Republik Österreich, doch richtet sich ihr Dienstverhältnis nach dem Recht des ausländischen, hier: türkischen Dienstgebers. Die Anwendung der Syteme der sozialen Sicherheit richtet sich nach Art 9 ARB 3/80, welcher auf Art 14 der VO 1408/71 EWG verweist.250 Dieser bestimmt, dass aus einem Mitgliedstaat in einen anderen entsandte Arbeitnehmer weiterhin den Rechtsvorschriften des Entsendestaates unterliegen, sofern die voraussichtliche Dauer dieser Arbeit zwölf Monate nicht überschreitet und er nicht einen anderen Arbeitnehmer ablöst. Eine einmalige Verlängerung dieser Frist um weitere 12 Monate ist mit einer Genehmigung des Aufnahmestaates möglich. Diese Genehmigung ist in Österreich nicht notwendig, da aufgrund eines zwischenstaatlichen Abkommens zwischen Österreich und der Türkei betriebsentsandte Dienstnehmer zumindest innerhalb der ersten 24 Monate vom österreichischen Sozialversicherungssystem ausgenommen sind.251 Aufgrund von § 1 Abs 2 EStG sind diese Personen allerdings unbeschränkt einkommensteuerpflichtig. Ob daraus der Schluss gezogen werden kann, dass diese Personen dem regulären Arbeitsmarkt des Mitgliedstaates angehören, ist fraglich. In der Literatur wird bislang beides vertreten.252 Die Argumentation, wonach angesichts der Übereinstimmung der jeweils einjährigen Frist in Art 6 ARB 1/80 248 Vgl zB die Ausnahme von der Versicherungspflicht nach § 5 Abs 1 Z 9 ASVG. Wiener Übereinkommen über diplomatische Beziehungen, 18.4.1961. 249 Vgl EuGH, Boukhalfa. 250 Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und deren Familien, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern (ABl 1971 L 149/2). 251 Vgl Art 7 des Abkommens zwischen der Republik Österreich und der Republik Türkei über soziale Sicherheit, BGBl III 2000/219. 252 Vgl insb Gutmann, Assoziationsfreizügigkeit 91 ff, der diese Personen dem regulären Arbeitsmarkt des Mitgliedstaates zurechnet und nach einjähriger Beschäftigung ein
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Der Arbeitnehmer als Ausgangspunkt des ARB 1/80
und in Art 14 VO 1408/71 davon auszugehen sei, dass nach einjähriger Beschäftigung ein entsandter Arbeitnehmer die Tatbestandsvoraussetzungen des Art 6 UAbs 1 erfüllt, vermag nicht zu überzeugen. Erstens ist die Jahresfrist in Art 14 nicht zwingend, da sie verlängert werden kann. Gewichtiger ist aber der Einwand, dass Art 6 Abs 1 UAbs 1 vom „gleichen Arbeitgeber“ spricht. Erst UAbs 2 gewährt dem Arbeitnehmer die Möglichkeit, sich „bei einem Arbeitgeber seiner Wahl auf ein unter normalen Bedingungen unterbreitetes und bei den Arbeitsämtern dieses Mitgliedstaates eingetragenes anderes Stellenangebot zu bewerben“. Bei einer Zusammenschau dieser beiden Bestimmungen kann eine Auslegung im Sinne der Vertragsparteien nur ergeben, dass damit der Arbeitgeber mit einem Sitz im Inland gemeint ist. Eine Ansicht, der zufolge Art 6 auch die Situation der entsandten Arbeitnehmer erfasse, überspannt den Bogen des rechtlich Möglichen und befindet sich mE nicht im Einklang mit dem Willen des Normsetzers, welcher der einzig maßgebliche ist. Dem regulären Arbeitsmarkt gehören infolgedessen grundsätzlich nur Beschäftigte eines Unternehmens mit Sitz im Inland an, weshalb die klassischen Entsandten nicht in den Anwendungsbereich des Art 6 ARB 1/80 fallen können.253
Aufenthaltsrecht aus Art 6 ARB 1/80 ableitet. AM Pflegerl, Beschäftigungs- und Aufenthaltsrechte 32. 253 In diesem Sinne schon Pflegerl, Beschäftigungs- und Aufenthaltsrechte 32.
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V. Das Beschäftigungsrecht
A. Arbeitnehmer Gemäß Art 6 Abs 1 hat der türkische Arbeitnehmer, der dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaates angehört, in diesem Mitgliedstaat: – nach einem Jahr ordnungsgemäßer Beschäftigung Anspruch auf Erneuerung seiner Arbeitserlaubnis bei dem gleichen Arbeitgeber, wenn er über einen Arbeitsplatz verfügt; – nach drei Jahren ordnungsgemäßer Beschäftigung – vorbehaltlich des den Arbeitnehmern aus den Mitgliedstaaten einzuräumenden Vorrangs – das Recht, sich für den gleichen Beruf bei einem Arbeitgeber seiner Wahl auf ein unter normalen Bedingungen unterbreitetes und bei den Arbeitsämtern dieses Mitgliedstaates eingetragenes anderes Stellenangebot zu bewerben; – nach vier Jahren ordnungsgemäßer Beschäftigung freien Zugang zu jeder von ihm gewählten Beschäftigung im Lohn- oder Gehaltsverhältnis. Systematik und Wortlaut des ersten Absatzes tragen ganz offensichtlich dem Umstand Rechnung, dass der Vorrang der EG-Arbeitnehmer längere Zeit gewahrt werden und zugleich ein Schutz der heimischen Arbeitsmärkte sichergestellt werden soll. Einerseits wird die Entscheidungsfreiheit der Mitgliedstaaten hinsichtlich der Frage, ob sie einen Arbeitnehmer zu ihrem Arbeitsmarkt zulassen oder nicht durch Art 6 ARB 1/80 nicht eingeschränkt. Nach stRsp des EuGH bleibt nämlich die Kompetenz der Mitgliedstaaten, einem türkischen Staatsangehörigen sowohl Einreise in ihr Hoheitsgebiet, als auch die Ausübung einer ersten unselbständigen Erwerbstätigkeit zu verwehren oder seine Beschäftigung innerhalb der in Art 6 Abs 1 erster UAbs genannten Jahresfrist Bedingungen zu unterwerfen, von Art 6 ARB 1/80 unberührt.254 Dieser gestaltet lediglich die Rechtssphäre jener türkischen Arbeitskräfte, die bereits ordnungsgemäß im Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaates eingegliedert sind. Der EuGH hat hinsichtlich dieser Bestimmung ausgesprochen, dass sie eine klare und eindeutige Verpflichtung enthält, deren Erfüllung oder deren Wirkungen nicht vom Erlass eines weiteren Aktes abhängt und daher unmittelbar anwendbar ist.255 Art 6 Abs 1 berechtigt somit die von ihr begünstigten Arbeitnehmer, ihre dort festgelegten Rechte – ungeachtet der betreffenden innerstaatlichen Rechtslage – vor den nationalen Behörden unmittelbar aufgrund dieser Regelung durchzu254 255
Vgl EuGH, Kus 25; Tetik, Rz 21; Savas, Rz 58. Vgl EuGH, Demirel, Rz 14 und Sevince, Rz 15–17.
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Das Beschäftigungsrecht
setzen.256 Die nach Erfüllung der Tatbestandsvoraussetzungen unmittelbar aus dem Beschluss fließenden Rechte stehen den Berechtigten unabhängig von einer nationalen Genehmigung zu. Jede entgegenstehende Bestimmung des nationalen Rechts ist aufgrund des Vorranges gemeinschaftsrechtlicher Vorschriften von den Behörden unangewendet zu lassen.257 Außerdem ist es für die Geltendmachung der in Art 6 Abs 1 zuerkannten Rechte nach ständiger Rechtsprechung unerheblich, aus welchem Grund den Arbeitnehmern ursprünglich die Einreise, die Aufnahme einer Arbeitstätigkeit oder Aufenthalt gestattet worden sind.258 So sind durchaus Konstellationen denkbar, in denen der ursprüngliche Zweck der („legalen“) Einreise eines Ausländers in den Aufnahmemitgliedstaat zwar nicht in erster Linie auf das Ausüben einer Erwerbstätigkeit zielte, die jeweiligen Begleitumstände es allerdings mit sich bringen, dass sich der Betroffene im Erwerbsleben findet. Der Rs Eroglu lag zB folgender Sachverhalt zugrunde: Frau Eroglu reiste 1980 zu ihrem Vater in die Bundesrepublik Deutschland ein, um dort ein Betriebswirtschaftsstudium zu betreiben. Während ihres Studiums wurden ihr mehrere befristete Aufenthaltserlaubnisse nur für Studienzwecke erteilt. Am 7. Februar 1991 erhielt Frau Eroglu eine bis zum 1.3.1992 befristete Aufenthaltsbewilligung, mit der ihr ein Praktikum jeweils bei zwei verschiedenen namentlich genannten Firmen erlaubt wurden. Nachdem sie unter Berufung auf die Art 6 und 7 des ARB 1/80 die Erneuerung ihrer Aufenthaltserlaubnis zur Fortsetzung ihrer Tätigkeit beantragte, kam es zu einem Rechtsstreit, der letztendlich das Verwaltungsgericht Karlsruhe dazu veranlasste, den EuGH unter anderem mit der Vorabentscheidungsfrage zu befassen, ob Frau Eroglu als türkische Staatsangehörige die Voraussetzungen des Art 6 Abs 1 UAbs 1 ARB 1/80 erfüllte. Obwohl der Gerichtshof die Arbeitnehmereigenschaft von Frau Eroglu angesichts der ausgeübten Tätigkeit mit einem monatlichen Bruttogehalt von über € 1.500 nicht in Abrede stellte, lehnte er den Anspruch aus Art 6 Abs 1 UAbs 1 ab, da dieser nur die Fortsetzung der Beschäftigung bei ein und demselben Arbeitgeber gewährleiste, was bei ihr nicht zutraf. Aus diesem Grund sah der Gerichtshof für eine tiefere Auseinandersetzung mit der (ersten) Vorlagefrage keinen Anlass und widmete sich dem Art 7 ARB 1/80. Die Ausführungen dazu lassen allerdings bei einer Zusammenschau mit den oben genannten (vorige FN) Urteilen keinen Zweifel daran, dass Art 6 wie Art 7 Satz 2 ARB 1/80 die Zuerkennung der in ihnen vorgesehenen Rechte nicht davon abhängig machen, aus welchem Grund den Betroffenen die Einreise- und Aufenthaltsgenehmigung ursprünglich erteilt wurde. Selbst der Umstand, dass diese Genehmigung – wie im geschilderten Fall – nur zu Studienzwecken erteilt wurde, vermag die aus diesen Bestimmungen berechtigten Personen nicht von den Rechten auszuschließen, die ihnen diese Regelungen unabhängig vom Beschäftigungs- und Aufenthaltstitel verleihen.259 Nach der Konzeption des Abs 1 verfestigt sich die beschäftigungsrechtliche (und damit auch die aufenthaltsrechtliche) Situation des türkischen Arbeitnehmers stufenweise nach Zeiten ordnungsgemäßer Beschäftigung: 256 257 258 259
Vgl EuGH, Ergat, Rz 40. Vgl EuGH, Eyüp, Rz 42, 47. EuGH, Kus, Rz 21 bis 23; Günaydin, Rz 52; Birden, Rz 67. Vgl EuGH, Eroglu, Rz 15 und insb 22.
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1. Art 6 Abs 1 UAbs 1 – die einjährige Beschäftigungszeit UAbs 1 räumt dem türkischen Arbeitnehmer ein Recht auf Verlängerung seiner behördlichen Bewilligung zur Fortsetzung seiner bisherigen Beschäftigung ein und soll offensichtlich eine Kontinuität der Rechtmäßigkeit der Beschäftigung über die ursprüngliche Dauer ordnungsgemäßer Beschäftigung von einem Jahr hinaus beim selben Arbeitgeber gewährleisten. Hat ein Arbeitnehmer ein Jahr lang ununterbrochen eine ordnungsgemäße Beschäftigung bei ein und demselben Arbeitgeber ausgeübt, erwächst ihm unmittelbar aufgrund dieser Bestimmung ein Rechtsanspruch auf Weiterbeschäftigung bei demselben Arbeitgeber. Die Formulierung, der sich der Assoziationsrat bedient hat, („…Erneuerung seiner Arbeitserlaubnis bei dem gleichen Arbeitgeber, wenn er über einen Arbeitsplatz verfügt …“) darf nicht in dem Sinne missverstanden werden, dass sie einen Anspruch auf Erteilung einer konstitutiv wirkenden behördlichen Bewilligung – wie etwa einer Beschäftigungsbewilligung oder Arbeitserlaubnis nach dem AuslBG – vermittelt, da es für die Ausübung der in Abs 1 eingeräumten Rechte einer solchen nicht bedarf (aufgrund unmittelbarer Anwendbarkeit – vgl 69 f). Genauso wenig kann der Bestimmung ein Sinn unterstellt werden, wonach der Verlängerungsanspruch sich lediglich auf einen bestimmten Arbeitsplatz oder auf die bisher ausgeübte berufliche Tätigkeit erstrecke, spricht die Regelung doch vom „gleichen Arbeitgeber“ und nicht etwa von der „selben Beschäftigung“.260 Mangels hinreichender Konkretisierung und der sich daraus ergebenden Vollzugsschwierigkeiten kommt mE dem Beisatz, dass der Arbeitgeber über irgendeinen Arbeitsplatz verfügen müsse, keine gesonderte rechtliche Bedeutung zu. Die gegenteilige Auffassung würde – soll eine einfache Behauptung des Unternehmers der Verfügbarkeit eines Arbeitsplatzes nicht ausreichen – der Behörde die Aufgabe überantworten, im Zuge des Bewilligungsverfahrens die wirtschaftlichen Bedürfnisse eines Betriebes zu beurteilen, was angesichts der vagen Formulierung dieses passus nicht ernsthaft in Erwägung gezogen werden kann. Ebensowenig kann daraus ein Vorrang der Gemeinschaftsbürger abgeleitet werden, da den Assoziationsrat nichts hinderte, dies in klarer Weise zu formulieren, wie UAbs 2 der Bestimmung zeigt. Allenfalls dient der Passus der Klarstellung, dass der Arbeitgeber nicht gegen seinen Willen gezwungen werden kann, den türkischen Arbeitnehmer weiterhin zu beschäftigen. Zusammenfassend kann daher gesagt werden, dass die Versetzung eines Arbeitnehmers auf einen anderen Arbeitsplatz, verbunden mit einer anderen Art der beruflichen Tätigkeit, oder dessen Einsatz an einem anderen Betriebsstandort oder Beschäftigungsort der Ausübung des in UAbs 1 gewährten Rechts auf Erneuerung der Arbeitserlaubnis nicht entgegensteht, solange das Arbeitsverhältnis zum selben Arbeitgeber aufrecht bleibt. So besteht dieses Recht ab dem Zeitpunkt einjähriger ordnungsgemäßer Beschäftigung auch dann, wenn zB der türkische Bauarbeiter fortan als Kranfahrer oder Schlosser beschäftigt werden soll oder bei einer Zweigniederlassung eingesetzt wird.
260 Vgl Gutmann, GK-AuslR, IX – 1 Art 6, Rz 127 ff mit Hinweisen auf die gegenteilige Auffassung.
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Das Beschäftigungsrecht
a) Wechsel des Arbeitgebers Zweifellos ergeben Sinn und Zweck der Regelung, dass die Anwendung dieser Bestimmung nicht auf den Fall ausgedehnt werden darf, dass ein türkischer Arbeitnehmer nach einem Jahr ordnungsgemäßer Beschäftigung den Arbeitgeber gewechselt hat und die Verlängerung seiner behördlichen Erlaubnis beantragt, um wieder in dem Betrieb seines ersten Arbeitgebers zu arbeiten.261 Das Recht, ohne Verlust der assoziationsrechtlichen Ansprüche den Arbeitgeber freiwillig zu wechseln, entsteht erst nach einer dreijährigen Beschäftigungszeit (UAbs 2) und steht zudem unter dem Vorrang der Gemeinschaftsbürger. Das bedeutet, dass bei einem Wechsel des Arbeitgebers die einjährige Anwartschaftsdauer von neuem zu laufen beginnt.262 b) Betriebsübergang Zu einem Wechsel des Arbeitgebers kann es mitunter durch einen Betriebsübergang kommen. Gemeinschaftsrechtlich werden diese Vorgänge durch die RL 2001/ 23/EG des Rates vom 12.3.2001 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Wahrung von Ansprüchen der Arbeitnehmer beim Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Unternehmens- oder Betriebsteilen (ABl 2001 L 82/16), welche die RL 77/187/EWG samt ihren Änderungen durch die RL 98/50/EG kodifiziert hat, geregelt. Diese gilt grundsätzlich beim Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Unternehmens- bzw Betriebsteilen auf einen anderen Inhaber durch vertragliche Übertragung oder durch Verschmelzung, sofern die Identität der betreffenden wirtschaftlichen Einheit bewahrt bleibt. Davon ist jedenfalls bei einem Übergang unter Beibehaltung oder Fortführung derselben oder einer gleichartigen Geschäftstätigkeit eines Unternehmens auszugehen.263 Nach Art 3 der RL gehen die Rechte und Pflichten aus einem zum Zeitpunkt des Übergangs bestehenden Arbeitsvertrag oder Arbeitsverhältnis auf den Erwerber über.264 Um diese Rechtsfolge nicht ins Leere laufen zu lassen, gewährt zwar Art 4 der RL einen Schutz der Arbeitnehmer gegen eine Kündigung aufgrund des Übergangs, der nach der ständigen Rechtsprechung des EuGH als zwingend in dem Sinne anzusehen sind, dass davon nicht zum Nachteil der Arbeitnehmer abgewichen werden darf.265 Der Kündigungsschutz ändert aber ebensowenig wie die Pflicht zur Beibehaltung der Arbeitsbedingungen nichts an der Tatsache, dass mit dem Übergang ipso iure ein Arbeitgeberwechsel stattfindet, mit anderen Worten: der neue Arbeitgeber von Gesetzes wegen mit allen Rechten und Pflichten an Stelle des alten tritt. Einem derartigen „fliegenden“ Wechsel des einen Vertragspartners in dem zweiseitigen Rechtsgeschäft Arbeitsvertrag kann der Einfluss auf die Identität des Arbeitsverhältnisses nicht ernsthaft abgesprochen werden.266 Angesichts dessen 261
Vgl EuGH, Eroglu, Rz 14. Vgl EuGH, Eker, Rz 25. 263 Vgl Stix-Hackl, AnwBl 1996, 835, mit Verweisen auf entsprechende Rsp. 264 Entsprechende Bestimmungen finden sich in § 3 AVRAG, BGBl 1993/459. 265 EuGH 14.11.1996, Claude Rotsart de Hertaing gegen J. Benoidt SA, in Liquidation und IGC Housing Service SA, Rs C-305/94, Slg 1996, I-5926, Rz 17 (zur RL 77/187/EWG). 266 Vgl aber den Ansatz bei Gutmann, GK-AuslR 69, IX-1 Art 6, Rz 125 f, der den 262
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kann auch die gemeinschaftsrechtsfreundlichste Auslegung nicht darüber hinweggesehen, dass es sich eben nicht mehr um den gleichen Arbeitgeber im Sinne des Arbeitsvertragsrechts handelt. Würde die Wendung „bei dem gleichen Arbeitgeber“ sensu stricto beim Wort genommen, wäre der Betriebsübergang iS eines Wechsels des Arbeitgebers für die Ausübung des in UAbs 1 gewährten Rechts schädlich. Führt man sich allerdings vor Augen, welchen Zweck die Regelung in ihrem Kontext verfolgt, so zeigt sich, dass der Begriff des „gleichen Arbeitgebers“ im UAbs 1 weiter auszulegen ist als im arbeitsrechtlichen Sinne. Wenn der Assoziationsrat dem türkischen Arbeitnehmer das Recht, den Arbeitgeber zu wechseln, erst nach einer Zeit dreijähriger ordnungsgemäßer Beschäftigung bei ein und demselben Arbeitgeber eingeräumt hat (UAbs 2), dann deshalb, weil er sich seine Freizügigkeit stufenweise erarbeiten muss. Innerhalb dieser Zeit ist es ihm zwar nicht völlig verwehrt, den Dienstgeber zu wechseln, er verliert aber die in der Zeit erworbenen Anwartschaften und der dreistufige Integrationsprozess beginnt von vorne. An die Konstellation, dass der türkische Arbeitnehmer unter Beibehaltung derselben Beschäftigung anlässlich eines Betriebsübergangs gezwungener Maßen den Arbeitgeber wechseln muss, wurde womöglich bei der Regelung des Abs 1 nicht gedacht. Dass ihm dieser Umstand zum Nachteil gereichen soll, kann aber vor dem Hintergrund des Zieles des ARB 1/80 einer nachhaltigen Integration des Arbeitnehmers, der seinen Integrationswillen und seine Integrationsfähigkeit durch die Beständigkeit seines Arbeitsverhältnisses beweist, nicht gerechtfertigt werden. Einem türkischen Pizzakoch zB sind daher die vor dem Übergang des Betriebs auf eine andere Person zurückgelegten Beschäftigungszeiten im selben Betrieb als Zeiten ordnungsgemäßer Beschäftigung iSd Art 6 ARB 1/80 anzurechnen. Bei der Auslegung des Begriffs des „gleichen Arbeitgebers“ ist somit nicht auf die Person des Arbeitgebers abzustellen, sondern vielmehr auf die Wahrung der wirtschaftlichen Einheit bzw auf die Kontinuität des Dienstverhältnisses aus der Sicht des Arbeitnehmers. c) Arbeitskräfteüberlassung Es ist keine Seltenheit, dass sich Betriebe anstelle der hauseigenen Arbeitnehmer der Beschäftigung von Arbeitskräften bedienen, die ihnen zur Arbeitsleistung überlassen werden. Auf derartige Beschäftigungsverhältnisse ist das AÜG (BGBl 1988/196) anzuwenden, dessen § 3 Abs 1 die Überlassung von Arbeitskräften als die Zurverfügungstellung von Arbeitskräften zur Arbeitsleistung an Dritte definiert. Von den Regelungen des AÜG sind daher Sachverhalte erfasst, in denen dem Begriff der „Beschäftigung bei dem gleichen Arbeitgeber“ mit der Auslegung des Arbeitnehmerbegriffs erläutern möchte, aber eine befriedigende Antwort schuldig bleibt, wenn er sagt: „Bei einem Unternehmensübergang ist der Begriff des Arbeitnehmers so auszulegen, dass er sich auf das vom Arbeitnehmer eingegangene Arbeitsverhältnis bezieht. … Die Identität dieses Arbeitsverhältnisses ist allerdings zu verlangen.“ Außerdem ist nicht ersichtlich, welche Rechte aus der Betriebsübergangs-RL, deren Sinn und Zweck der Schutz der Arbeitnehmer vor dem neuen Arbeitgeber ist, für die Behauptung eines Anspruchs aus Art 6 Abs 1 UAbs 1 fruchtbar gemacht werden könnten (Rz 126).
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Das Beschäftigungsrecht
Dritten ein Weisungsrecht über die Arbeitskraft zukommt, welches ihm erlaubt, wie ein Arbeitgeber über sie zu verfügen. Gemäß § 6 Abs 1 leg cit gilt der Beschäftiger – also derjenige, der Arbeitskräfte eines Überlassers zur Arbeitsleistung für betriebseigene Aufgaben einsetzt – für die Dauer der Beschäftigung in seinem Betrieb als Arbeitgeber im Sinne der Arbeitnehmerschutzvorschriften. Zum Arbeitnehmerschutz gehören nach der Rsp des VfGH all jene Maßnahmen, die zum Schutz der Arbeitnehmer gegen eine Ausbeutung oder vorzeitige Abnützung ihrer Arbeitskraft (persönlicher Arbeitsschutz) und gegen Gefährdung ihres Lebens, ihrer Gesundheit und ihrer Sittlichkeit in den Betrieben (technischer Arbeitsschutz) erlassen werden.267 Die Arbeitgeberstellung des Überlassers bleibt für den persönlichen Arbeitsschutz allerdings weiterhin daneben bestehen. Das heißt, dass die Arbeitgeberstellung des Beschäftigers lediglich hinsichtlich des Arbeitnehmerschutzes gesetzlich fingiert wird. Die Stellung des Überlassers als Arbeitgeber bleibt somit von dieser Konstellation unberührt. Bedeutet das, dass im Falle der Weiterbeschäftigung der Arbeitskraft seitens des Beschäftigers nach Ablauf der vertraglich vereinbarten Überlassungsdauer (zB durch die Begründung eines neuen Arbeitsverhältnisses) zum Verlust seiner Rechte aus UAbs 1 führt? Hier darf nicht aus den Augen verloren werden, dass der Begriff des Arbeitgebers in Art 6 – wie auch der des Arbeitnehmers – ein gemeinschaftsrechtlicher ist und daher einer autonomen Auslegung folgt; nur im Zweifel ist ein Rückgriff auf das nationale Recht bei der Auslegung nicht völlig verwehrt. Der Sinn und Zweck der Beschäftigung beim selben Arbeitgeber liegt darin, dass die Nachhaltigkeit des Arbeitsverhältnisses bei einem Arbeitgeber sowohl integrationsstärkender Faktor sein, wie auch als Beweis für die Fähigkeit und Bereitwilligkeit des Arbeitnehmers dienen soll, sich im Aufnahmemitgliedstaat einzugliedern.268 Wenngleich zu diesen integrationspolitischen Überlegungen gleichermaßen arbeitsmarktpolitische Erwägungen – wie ein effektiver Schutz der heimischen Wirtschaft bzw des Arbeitsmarktes – treten, liegt der Sinn dieser Maßnahme eindeutig darin, dass der Arbeitnehmer in der gewohnten Umgebung eine Zeit lang verweilen soll. Diesem Anliegen würde es widersprechen, einem Arbeitnehmer, der ein ganzes Jahr lang im Dienste eines anderen Arbeitgebers war, dort sich gewissermaßen integriert hat, die Weiterbeschäftigung beim Beschäftiger zu verwehren und ihn aus dieser gewohnten Umgebung herauszureißen. In diesem Fall ist daher nicht von einem Wechsel des Arbeitgebers auszugehen, der die Anwartschaftszeit von neuem beginnen lässt.
2. Art 6 Abs 1 UAbs 2 – die dreijährige Beschäftigungszeit UAbs 2 gewährt dem türkischen Staatsangehörigen, der in einem Mitgliedstaat ohne Unterbrechung über drei Jahre lang rechtmäßig eine tatsächliche und echte wirtschaftliche Tätigkeit im Dienst ein und desselben Arbeitgebers ausgeübt hat, das Recht auf einen Arbeitsplatz im gleichen Beruf.269 Wenngleich das Erfor267 268 269
Vgl VfSlg 1936/1950; 8830/1980. Vgl SA, Kurz, Rz 61. Vgl EuGH, Günaydin, Rz 55.
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dernis der Anstellung bei ein und demselben Arbeitgeber nicht explizit aus dem Wortlaut der Bestimmung ableitbar ist, so ergibt eine systematische Betrachtungsweise im Kontext des Art 6 Abs 1 keinen anderen Sinn. Hat ein türkischer Arbeitnehmer diese Kriterien erfüllt, muss ihm die Besetzung einer offenen Stelle genehmigt werden, wenn für diesen Arbeitsplatz kein EG-Arbeitnehmer vermittelt werden kann. Interessant ist dabei die Frage, ob auch den Arbeitnehmern aus den EWR-Staaten ein Vorrang zukommt, die nicht EU-Mitglied sind (zB Island, Liechtenstein und Norwegen). Mit anderen Worten: ob einem türkischen Staatsangehörigen die behördliche Bewilligung zur Aufnahme einer neuen Beschäftigung in der selben Berufssparte versagt werden könnte, mit dem Argument, dass auf diesen Arbeitsplatz EWR-Bürger vermittelt werden könnten.270 Dazu genügt der Hinweis, dass UAbs 2 des Art 6 ausdrücklich nur den Vorrang der Arbeitnehmer aus den Mitgliedstaaten der Gemeinschaft statuiert. Ebensowenig sind andere Drittstaatsangehörige – auch wenn sie im Besitz einer besonderen Bewilligung wie zB Arbeitserlaubnis, Befreiungsschein oder Niederlassungsnachweis sind – vorzuziehen. Zu beachten ist, dass es sich um eine Stelle handeln muss, die bei den regionalen Geschäftsstellen des AMS als offen gemeldet ist.
3. Art 6 Abs 1 UAbs 3 – die vierjährige Beschäftigungszeit Nach der Konzeption des ARB 1/80 erreicht der türkische Arbeitnehmer die höchste Integrationsstufe nach vierjähriger ununterbrochener ordnungsgemäßer Beschäftigung. Auf dieser Stufe hat der Arbeitnehmer nach UAbs 3 das Recht des uneingeschränkten Zugangs zu jeder Beschäftigung im Lohn- oder Gehaltsverhältnis. Im Gegensatz zu den beiden UAbs 1 und 2 fordert UAbs 3 nicht die Beschäftigung bei ein und demselben Arbeitgeber oder im selben Beruf. Wenngleich sich diese Feststellung nicht wörtlich belegen lässt, kann sie damit begründet werden, dass der türkische Arbeitnehmer andernfalls um seine Rechte aus UAbs 2 fallen würde, was von den Vertragspartnern nicht beabsichtigt sein kann. Bei der Feststellung der Zeiten ordnungsgemäßer Beschäftigung nach UAbs 3 sind daher sämtliche Beschäftigungszeiten bei diversen Arbeitgebern zusammenzurechnen. Nicht anzurechnen sind Zeiten, die bei einem Arbeitgeber in einem anderen Mitgliedstaat zurückgelegt worden sind. Art 6 Abs 1 bringt klar zum Ausdruck, dass der Anspruchsberechtigte seine (aus der ordnungsgemäßen Beschäftigung in einem Mitgliedstaat erwachsenden) Rechte nur gegenüber jenem Mitgliedstaat durchsetzen kann, dessen regulärem Arbeitsmarkt er angehörte. Nicht Ursache – wie der VwGH oder manche Literaturstimmen meinen –, sondern Folge dessen ist, dass dem türkischen Staatsangehörigen nach dem Assoziationsabkommen bzw dem ARB 1/80 keine Freizügigkeit innerhalb der EG zukommt.271
270
Der am 1.1.1994 in Kraft getretene EWR-Vertrag ist ebenso ein Assoziationsabkommen, das als gemischter Vertrag konzipiert ist. Auf der einen Seite stehen dabei sowohl die EG und die EGKS, als auch ihre Mitglieder als Vertragspartner, auf der anderen Seite die Mitgliedstaaten der EFTA. 271 Vgl VwGH 10.3.1999, 97/09/0059; Gutmann, GK-AuslR IX-1 Art 6, Rz 146.
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4. Art 6 Abs 2 – der Unterbrechungstatbestand a) Allgemeines Die in Art 6 Abs 1 erster bis dritter UAbs zuerkannten Rechte setzen – wie schon gesagt – grundsätzlich die Ausübung einer ordnungsgemäßen ununterbrochenen Beschäftigung von einem, drei oder vier Jahren voraus. Innerhalb der ersten drei Jahre wird vom Arbeitnehmer zudem eine ordnungsgemäße Beschäftigung bei ein und demselben Arbeitgeber verlangt. Nach allgemeiner Lebenserfahrung sind allerdings gewisse Unterbrechungen – seien sie gewollt oder unvorhergesehen – im Arbeitsleben keine Seltenheit. Um in diesem Fall den türkischen Arbeitnehmer vor dem Erlöschen bereits erworbener Rechte zu bewahren und die Aufrechterhaltung von Anwartschaften, die der Betroffene aufgrund vorheriger Beschäftigungszeiten erworben hat, zu gewährleisten, regelt Art 6 Abs 2 ARB 1/80 die Auswirkungen von Unterbrechungen der Beschäftigung für die Anwendung von Art 6 Abs 1. Während die Konsequenzen der Abwesenheit oder eingeschränkten Verfügbarkeit am Arbeitsmarkt aus der Regelung klar hervorgehen, muss die Interpretation der Unterbrechungssachverhalte angesichts ihrer vagen Formulierungen und hinzutretenden textlichen Unterschieden zwischen den verschiedenen Sprachfassungen jeweils mit Blick auf Sinn und Zweck der Bestimmung in ihrem Regelungsrahmen erfolgen. Die zT sehr unbestimmten Begriffe wie zB „Mutterschaft“ müssen zwar einheitlich ausgelegt werden, erlauben dem nationalen Gesetzgeber jedoch einen großen Ermessensspielraum. Satz 1 der Bestimmung nennt jene Arbeitsunterbrechungen, die den Zeiten ordnungsgemäßer Beschäftigung gleichzustellen sind, sodass sie bei der Prüfung der Beschäftigungszeiten gem UAbs 1 bis 3 anzurechnen sind. Satz 2 bezieht sich hingegen auf jene Sachverhalte, die zwar den Lauf von Zeiten ordnungsgemäßer Beschäftigung hemmen, jedoch den Fortbestand einmal erworbener Rechte bzw Anwartschaften nicht berühren, sie gewissermaßen „einfrieren“. Ein Vergleich der Unterbrechungstatbestände leitet zur Annahme, dass Satz 1 ausschließlich Unterbrechungen kürzerer Dauer anspricht, die in aller Regel nicht zum Ende des Dienstverhältnisses führen. Dagegen könnte man nun einwenden, dass darin auch die „Abwesenheit wegen Mutterschaft“ und der „Arbeitsunfall“ genannt sind, keiner dieser zwei Unterbrechungsgründe jedoch zwingend auf eine Abwesenheit von kürzerer Dauer schließen lässt, während der ebenfalls in Satz 1 befindliche „Jahresurlaub“ und die „kurze Krankheit“ klar erkennen lassen, das sie nur von kurzer Zeit sind. Bei einer Betrachtung mit Blick auf Sinn und Zweck der Vorschrift im Kontext des Abkommens verliert allerdings der Einwand seine Berechtigung. Stellt man sich nämlich die Frage nach dem Schutzzweck der Norm im Lichte des Abkommens, kommt man schnell zum Ergebnis, dass nur die in Art 6 Abs 1 gewährleisteten Rechte geschützt werden sollen. Dieser macht die Inanspruchnahme der aus ihm erwachsenden Rechte im Unterschied zu Art 7 ARB 1/80, welcher bloß auf den gemeinsamen Wohnsitz mit einem Familienangehörigen abstellt, von einer aktiven Teilnahme am Wirtschaftsleben durch Beschäftigung abhängig. Das Ausmaß der Beschäftigungszeit ist daher maßgeblich für die Zuerkennung der in Art 6 Abs 1 ARB 1/80 verankerten Rechte. Nach dem offensichtlich zu Tage tretenden Verständnis des AssRat sollen dabei Abwesenheiten kürzeren Ausmaßes,
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die aufgrund gesetzlicher Regelungen oder unvorhergesehener Ereignisse unumgänglich sind, so gehandhabt werden, als wären sie nicht eingetreten. Obwohl der Betroffene vom Arbeitsplatz tatsächlich abwesend ist, soll aufgrund der kurzen Dauer der Lauf der Beschäftigungszeiten nicht unterbrochen werden, sodass er auch während der Unterbrechung nicht daran hindert ist, in die nächste Integrationsstufe zu gelangen. Dieses Ergebnis wird bestärkt durch die Unterscheidung von kurzer und langer Krankheit in Satz 1 und 2.272 Der 2. Satz der Bestimmung stellt nämlich Arbeitsunterbrechungen unter Schutz, die darauf hindeuten, dass der Arbeitnehmer längere Zeit dem Arbeitsplatz fern bleiben wird, er aber den regulären Arbeitsmarkt des Mitgliedstaates nicht verlässt (arg: „… unverschuldete Arbeitslosigkeit, …, sowie die Abwesenheit wegen langer Krankheit …“). Der Schutz dieser Unterbrechungen ist ein im Vergleich zum Satz 1 aufgrund der vom Normsetzer eingeräumten geringeren Schutzwürdigkeit des Verhaltens geminderter. Soziale Härten sollen damit auf ein Mindestmaß reduziert werden, indem Personen, die arbeitslos oder krank werden, ohne Aussicht auf rasche Genesung zu haben, nicht zudem das Recht auf Beschäftigung aberkannt wird.273 Lange Abwesenheiten wegen Krankheit oder unverschuldete Arbeitslosigkeit werden demnach bei Berechnung der maßgeblichen Beschäftigungszeiten gem Art 6 Abs 1 nicht mitgerechnet, berühren jedoch nicht die aufgrund vorheriger Beschäftigung erworbenen Rechte und Anwartschaften. In einem von Art 6 Abs 2 begünstigten Fall längerer Abwesenheit wird daher der Lauf der Beschäftigungszeit gehemmt. Zu beachten ist, dass Art 6 Abs 2 nicht nur eine Unterbrechung der Dauer ordnungsgemäßer Beschäftigung rechtfertigt, sondern auch einen nach dieser Unterbrechung eingetretenen Arbeitgeberwechsel. Ansonsten könnte der Arbeitgeber über das aufenthaltsrechtliche Schicksal des Arbeitnehmers disponieren, was in Widerspruch zum Schutzzweck der Norm wäre. Nachdem durch Satz 2 der Bestimmung auch Anwartschaftszeiten geschützt sind, muss der Schutz auch schon vor Erreichen der ersten Integrationsstufe greifen.274 b) Der ordnungsgemäßen Beschäftigung gleichzuhaltende Fehlzeiten Als den Lauf der ordnungsgemäßen Beschäftigungszeiten nicht hemmende Arbeitsunterbrechungen nennt Satz 1 den Jahresurlaub, die Mutterschaft, den Arbeitsunfall und kurze Krankheit. Diese Zeiten der Abwesenheit werden daher bei der Berechnung der maßgeblichen Beschäftigungszeiten gem Art 6 Abs 1 UAbs 1 bis 3 als Zeiten ordnungsgemäßer Beschäftigung betrachtet. Wie bei den übrigen Tatbeständen wird auch hinsichtlich der Dauer des Jahresurlaubs keine Aussage getroffen, weshalb die Bestimmung des gemeinschaftsrechtlichen Begriffs nur nach nationalen Gesichtspunkten erfolgen kann. In Österreich besteht Anspruch auf Erholungsurlaub und Pflegefreistellung nach Maßgabe des UrlG,275 soweit das Arbeitsverhältnis auf einem privatrechtlichen 272
Vgl EuGH, Tetik, Rz 37. Vgl SA des GA Mischo, Nazli, Rz 24. 274 AM Gutmann, GK-AuslR, IX-1 Art. 6, Rz 174.1. 275 Bundesgesetz vom 7. Juli 1976, betreffend die Vereinheitlichung des Urlaubsrechtes und die Einführung einer Pflegefreistellung (StF: BGBl 1976/390). 273
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Vertrag beruht und nicht aufgrund seiner besonderen gesetzlichen Regelung (vgl zB das Bauarbeiter-Urlaubsgesetz 1972, BGBl 1972/414) gem § 1 Abs 2 UrlG vom Anwendungsbereich dieses Gesetzes ausgenommen ist. Daneben kann allerdings eine für den Arbeitnehmer günstigere Regelung durch sonstige gesetzliche Vorschriften, Kollektivverträge, Arbeits-(Dienst)ordnungen, Betriebsvereinbarungen oder Arbeitsverträge geschaffen werden. Deshalb umfasst der Begriff des Jahresurlaubs gem Art 6 Abs 2 ARB 1/80 alle aus diesen gesetzlichen Vorschriften und privatrechtlichen Vereinbarungen erwachsenden Ansprüche auf Erholungsurlaub und sonstige Dienstfreistellungen kürzerer Art, die dem einzelnen Arbeitnehmer zukommen. Ebenfalls den Zeiten ordnungsgemäßer Beschäftigung gleichzustellen ist die Abwesenheit wegen Mutterschaft. Auch hier stellt sich die Frage nach dem höchsten zulässigen zeitlichen Ausmaß der Unterbrechung. Mangels einer zeitlichen Einschränkung in Art 6 Abs 2 Satz 1 ist davon auszugehen, dass es im Ermessen des nationalen Gesetzgebers liegt, diesen Zeitraum zu bestimmen, soweit er die vom Gemeinschaftsrecht vorgegebene Mindestgrenze nicht unterschreitet. In der deutschen Literatur wurde daher der Vorschlag gemacht, bloß Zeiten eines Beschäftigungsverbotes aufgrund von Mutterschutzbestimmungen den Beschäftigungszeiten gleichzustellen.276 Eine darüber hinausgehende Abwesenheit vom Arbeitsplatz – insbesondere eine anschließende Elternzeit gem §§ 15 ff BErzGG (Gesetz über die Gewährung von Erziehungsgeld und Erziehungsurlaub, dBGBl I 1985, 2154) – soll nach dieser Auffassung nicht mehr vom Schutz des Art 6 Abs 2 Satz 1 umfasst sein. Dem ist beizupflichten, wenngleich deutlich zu betonen ist, dass eine darüber hinausgehende Abwesenheit nicht gänzlich vom Schutz des Art 6 Abs 2 ausgenommen ist. Jede andere Auslegung hätte systemwidrige Wertungsunterschiede zur Folge, kann doch nicht nachvollzogen werden, warum die unverschuldete Arbeitslosigkeit oder lange Krankheit gem Satz 2 die aufgrund der vorherigen Beschäftigung erworbenen Ansprüche unberührt lassen, eine Zeit der unmittelbar an die Mutterschutzfrist anknüpfenden Elternzeit nach den §§ 15 ff BErzGG Kinderbetreuung hingegen anspruchsvernichtend sein soll. Angesichts des Fortbestands des Arbeitsverhältnisses während der Elternzeit kann auch nicht argumentiert werden, es handle sich um Zeiten unverschuldeter Arbeitslosigkeit. In diesem Fall wäre die betroffene Person gezwungen, auf die vom nationalen Recht zuerkannten Ansprüche zu verzichten und das Arbeitsverhältnis zu kündigen, um den Tatbestand der unverschuldeten Arbeitslosigkeit für sich beanspruchen zu können: ein Ergebnis, das weder dem Rechtsunterworfenen zumutbar ist, noch sich mit dem Schutzweck der Norm vereinbaren lässt.277 Die auf einem Erlass des damaligen BM für Arbeit, Gesundheit und Soziales zum ARB 1/80 beruhende österreichische Verwaltungspraxis erkennt neben der Abwesenheit wegen Mutterschaft in der gesetzlichen Mutterschutzfrist (grundsätz276 Vgl Gutmann, GK-AuslR, IX-1 Art. 6, Rz 165 f, mit Verweis auf Huber, Handbuch des Ausländer- und Asylrechts, B 402 Art. 6, Rn. 52. 277 Zu undifferenziert Gutmann, GK-AuslR, IX-1 Art. 6, Rz 166, der auf ein Alter des Kindes abstellt, in dem es statt durch die Mutter grundsätzlich durch eine andere Person betreut werden kann. Vielmehr kommt es darauf an, welche Freistellungsmöglichkeiten der nationale Gesetzgeber neben den absoluten Beschäftigungsverboten vorgesehen hat.
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lich ein Zeitraum von acht Wochen vor bis acht Wochen nach der Entbindung gem §§ 3 Abs 1 und 5 Abs 1 MSchG), den Müttern wie Vätern zukommenden Karenzurlaub nach dem MSchG bzw nach dem EKUG als Beschäftigungszeiten gem Art 6 Abs 1 ARB 1/80 an.278 Damit wird zwar den Vorgaben des Art 6 Abs 2 sogar in überschießender Weise materiell Rechnung getragen, jedoch die für eine einwandfreie Umsetzung der assoziationsrechtlichen Bestimmung maßgebliche formelle Hürde unterschritten. Ohne auf die verfassungsrechtlich relevante Frage einzugehen, ob es sich beim anzuwendenden Erlass um eine Verwaltungsverordnung oder zu Unrecht nicht kundgemachte Rechtsverordnung handelt, kann festgestellt werden, dass in einem Fall wie diesem, wo die assoziationsrechtliche Bestimmung darauf gerichtet ist, dem Einzelnen subjektive Rechte zu gewähren, eine verwaltungsinterne – wenn auch zwingende – Anordnung kein taugliches Umsetzungsmittel darstellt. Als dritte Arbeitsunterbrechung nennt Satz 1 den Arbeitsunfall. Ob auch die Abwesenheit infolge eines Arbeitsunfalls nur von kurzer Dauer sein darf, um den Zeiten ordnungsgemäßer Beschäftigung gleichgestellt zu werden, geht aus dem Wortlaut der Bestimmung nicht eindeutig hervor, kann aber – wie eingangs dargelegt (siehe oben) – zweifelsfrei angenommen werden. Handelt es sich um einen längere Abwesenheit bedingenden Arbeitsunfall, greift Satz 2 Platz und garantiert den Fortbestand bereits erworbener Rechte und Anwartschaften wegen „langer Krankheit“. Gem dem Erlass Zl 35.601/12-7/98 sind Abwesenheiten infolge von Arbeitsunfällen als Beschäftigungszeiten anzurechnen, womit die österreichische Durchführung des ARB 1/80 die inhaltlichen Vorgaben aus Art 6 Abs 2 übertrifft. Ob ein Arbeitsunfall vorliegt, ist nach den Bestimmungen des ASVG, BGBl 1955/189 zu beurteilen.279 Viel leichter fällt die zeitliche Begrenzung des vierten und letzten Tatbestandes der kurzen Krankheit. Schon der Wortlaut bringt unverkennbar zum Ausdruck, dass nur Fehlzeiten von kürzerer Dauer den Zeiten ordnungsgemäßer Beschäftigung gleichgestellt werden, während längere Phasen der Abwesenheit wegen Krankheit der Regel des Satz 2 folgen. Der oben genannte Erlass setzt Zeiten der Entgeltfortzahlung gem dem EFZG, BGBl 1974/399, oder nach AngG, BGBl 1921/ 292 bzw dem LAG, BGBl 1984/287 den Beschäftigungszeiten gleich. c) Den Lauf der Beschäftigungszeiten hemmende Unterbrechungen Darunter fallen nach Art 6 Abs 2 Satz 2 jene Sachverhalte, die zwar nicht den Beschäftigungszeiten gleichgestellt werden, jedoch bereits erworbene Rechte und Anwartschaften nicht berühren. Mit anderen Worten führen sie ein „Einfrieren“ bestehenden Rechtszustands des türkischen Arbeitnehmers herbei. Diese Regelung soll daher nur gewährleisten, dass der Arbeitnehmer beim Wiedereinstieg in das Berufsleben nach einer langen Krankheit oder unverschuldeten Arbeitslosigkeit an seinen zuvor bestehenden assoziationsrechtlichen Status anknüpfen kann und nicht die in den drei Unterabsätzen des Art 6 Abs 1 vorgesehenen Zeiten von neuem zurücklegen muss.280 278 279 280
Vgl Erlass Zl. 35.601/12-7/98. Vgl § 175 ASVG. Vgl EuGH, Tetik, Rz 39.
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(1) Unverschuldete oder unfreiwillige Arbeitslosigkeit? In der Literatur wurde unter Hinweis auf die von der deutschen Fassung abweichenden übrigen Sprachfassungen (die meist von „unfreiwilliger Arbeitslosigkeit“ sprechen) der Vorschlag gemacht, den Begriff der „unverschuldeten Arbeitslosigkeit“ als Übersetzungsfehler durch „unfreiwillige Arbeitslosigkeit“ zu ersetzen. Dies mit der Folge, dass ein Verschulden des Arbeitnehmers an der Arbeitslosigkeit für den Fortbestand der in Art 6 Abs 1 zuerkannten Rechte keine Auswirkung hätte.281 In einer Gemeinschaft, der mittlerweile 25 Mitgliedstaaten angehören, sind Abweichungen verschiedener sprachlicher Fassungen einer Gemeinschaftsvorschrift keine Ausnahmeerscheinung. Dennoch müssen die Regelungen, um ihre kohärente Anwendung innerhalb der Gemeinschaft nicht zu gefährden, einheitlich ausgelegt werden. Nach ständiger Rechtsprechung muss daher eine Vorschrift im Falle von sprachlichen Unterschieden in den jeweiligen Fassungen „anhand der allgemeinen Systematik und des Zweckes der Regelung ausgelegt werden, zu der sie gehört.“282 Daher ist nach dem Zweck der Regelung des Art 6 Abs 2 zu trachten: Wie schon erwähnt, sollen die Folgen existenzieller Risiken für türkische Arbeitnehmer offensichtlich dadurch auf ein Mindestmaß begrenzt werden, dass die naturgemäß harte Situation dessen, der sein Beschäftigungsverhältnis verliert oder krank wird, ohne Aussicht auf rasche Genesung zu haben, nicht noch durch den Verlust des Rechts auf Zugang zur Arbeit erschwert wird.283 Dabei wird aber danach zu differenzieren sein, wie die Arbeitslosigkeit zustandegekommen ist. Bei einer Gesamtbetrachtung aller in Art 6 Abs 2 angeführten Unterbrechungsgründe fällt auf, dass nur jene Sachverhalte nach der Intention des Normsetzers als schutzwürdig betrachtet werden sollen, auf deren Eintritt er keinen Einfluss hat, oder die als sozial adäquat gelten. Die Wiedereingliederung der unter den in Abs 2 genannten Umständen arbeitslos gewordenen Personen in den regulären Arbeitsmarkt soll dadurch erleichtert werden. Sinnvoller Weise kann der Schutz nur jenen Personen zu Gute kommen, deren Interesse nicht darauf gerichtet ist, den Arbeitsmarkt zu verlassen.284 Daher führt ein Versuch, die „unverschuldete Arbeitslosigkeit“ negativ abzugrenzen, zu dem Ergebnis, dass grundsätzlich alle Formen der Arbeitslosigkeit geschützt sind, mit Ausnahme jener, die auf den Willen zurückzuführen ist, den nationalen Arbeitsmarkt zu verlassen: also Arbeitsunwilligkeit.285 Ein Beispiel soll dies veranschaulichen: Nehmen wir an, ein Hilfsarbeiter verursacht durch fahrlässiges Verhalten einen erheblichen Produktionsschaden und wird deshalb gekündigt. In Anbetracht dessen, dass Art 6 Abs 2 dem Schutz der Rechte des Arbeitnehmers, der weiterhin dem Arbeitsmarkt angehören möchte, dienen soll (den Arbeitgeber schützen in diesem Fall ohnehin die schaden281
So Gutmann, GK-AuslR, IX-1 Art. 6, Rz 175 ff (180). Vgl EuGH 27.10.1977, Rs 30/77, Bouchereau, Slg 1977, 1999, Rz 14; 7.12.1995, Rs C-449/93, Rockfon, Slg 1995, I-4291, Rz 28; 17.12.1998, Rs C-236/97, Codan, Slg 1998, I-8679, Rz 28. 283 So die SA des GA Mischo, Nazli, Rz 24. 284 So auch Gutmann, ibid, der mit dieser Feststellung zu Recht seine in FN 311 wiedergegebene Aussage relativiert. 285 So schon Gutmann, Die Assoziationsfreizügigkeit türkischer Staatsangehöriger 108. 282
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ersatzrechtlichen Regelungen), können dem – wenn auch grob fahrlässigen – Arbeitnehmer nicht die Rechte aus Art 6 Abs 1 aberkannt werden. Anders ist die Lage, wenn der Arbeitnehmer grundlos seinen Heimaturlaub überzieht und deshalb gekündigt wird. Diese Beispiele machen deutlich, dass der unfreiwilligen („unverschuldeten“) Arbeitslosigkeit kein dem nationalen Recht entsprechendes Verständnis von gestuftem Verschulden iSv leichter bzw grober Fahrlässigkeit und Vorsatz zugrunde liegt. Dennoch ist selbst bei einem der Sache näher liegenden Sprachgebrauch der „unfreiwilligen Arbeitslosigkeit“ eine materielle Prüfung der Umstände, unter denen es zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses gekommen ist, nicht entbehrlich, zumal Satz 2 eine solche ausdrücklich vorsieht (arg: „… Arbeitslosigkeit, die von den zuständigen Behörden ordnungsgemäß festgestellt worden sind, …“).286 Aufgrund dieser Überlegungen kann festgehalten werden, dass es sinnvoller Weise nur darauf ankommen kann, ob die Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses erfolgt, um den Arbeitsmarkt zu verlassen, und nicht darauf, von wem die einseitige Willenserklärung der Kündigung ausgeht. Der oben zitierte Erlass Zl. 35.601/12-7/98 besagt, dass bei der Beurteilung der unverschuldeten Arbeitslosigkeit die genauen Gründe zu ermitteln sind, die zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses geführt haben, „sofern nicht von vornherein klar ist, daß das Arbeitsverhältnis aus in der Person des Arbeitnehmers liegenden Gründen beendet wurde (was jedenfalls bei Kündigung durch den Arbeitnehmer der Fall ist).“ Gegen diese Annahme bestehen jedoch Bedenken ob ihrer Vereinbarkeit mit dem von Art 6 Abs 2 verfolgten Schutzzweck. 1. Zur Kündigung aus Gründen in der Person des Arbeitnehmers: Was die Gründe in der Person des Arbeitnehmers anlangt (§ 105 Abs 3 Z 2 lit a ArbVG), kommen als solche in Betracht: mangelnde körperliche oder geistige Eignung, die zwar den Arbeitnehmer nicht schlechthin arbeitsunfähig macht, aber eine ins Gewicht fallende Minderleistung verursacht, oder im Verhalten des Arbeitnehmers gelegene Pflichtverletzungen.287 Während bei letzteren nur dann anzunehmen ist, dass sie vom Schutz des Art 6 Abs 2 ausgenommen sind, wenn sie „Arbeitsunwilligkeit“ im oben definierten Sinn bedeuten, kann dies für die mangelnde körperliche oder geistige Eignung, die nach hM nicht verschuldet sein muss, nicht behauptet werden. Nach der Judikatur des OGH ist „dieser Kündigungsgrund nicht nur dann erfüllt, wenn die mangelnde körperliche oder geistige Eignung für die Erfüllung der Dienstpflichten dauernd vorliegt, sondern auch dann, wenn der Bedienstete durch die genannten Umstände in einem Maß eingeschränkt ist, das ihn von einer regelmäßigen Dienstleistung ausschließt. Treten Krankenstände auf, die den Bediensteten laufend in einem weit über dem 286 Verfehlt daher die arbeitnehmerfreundliche Auffassung bei Gutmann, der zunächst meint, „Es bedarf deshalb keiner Überprüfung, ob der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber Anlass zur Kündigung gab …“, also bei der „Unfreiwilligkeit“ bloß auf den formellen Akt der Kündigung seitens des Arbeitgebers abstellt, zugleich aber eine Kündigung des Arbeitnehmers wegen „arbeitsvertraglicher Verstöße des Arbeitgebers“ (mE zu Recht) unter Schutz stellt (ibid Rz 182), und damit einen Widerspruch schafft. 287 Vgl Floretta/Spielbüchler/Strasser, Arbeitsrecht I4 389; OGH 28.10.1986, 2 Ob 554/86.
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Durchschnitt liegenden Maß an der Dienstleistung hindern, so ist er zur Erfüllung seiner Dienstpflichten ungeeignet. Auf welche Gründe diese – berechtigten – Krankenstände zurückzuführen sind, ist nicht erheblich (SozM I D 67). Auch wenn sie zum Teil dadurch verursacht worden sein sollten, daß der Beruf des Klägers besondere Anforderungen stellte, würde dies nichts daran ändern, daß er in diesen Zeiten zur Leistung der arbeitsvertraglich vereinbarten Tätigkeit nicht in der Lage war.“288 In diesem Fall kann aber weder von „freiwilliger“ noch von „verschuldeter“ Arbeitslosigkeit ausgegangen werden, weshalb der Erlass die hier gebotene Differenzierung zwischen Pflichtverletzungen und unverschuldeter mangelnder körperlicher oder geistiger Eignung zu Unrecht unterlässt. 2. Zur Kündigung durch den Arbeitnehmer: Der Erlass geht – wie schon gesagt – davon aus, dass unverschuldete Arbeitslosigkeit insbesondere dann nicht vorliegt, wenn der Arbeitnehmer selbst kündigt. Auch diese Feststellung ist zu undifferenziert, weil durchaus Fälle denkbar sind, wo zB der Arbeitgeber durch grobes Fehlverhalten Anlass zur Kündigung durch den Arbeitnehmer gibt. In diesem Fall kann wohl nicht davon ausgegangen werden, dass der Arbeitnehmer die Arbeitslosigkeit verschuldet oder freiwillig in Kauf nimmt, weshalb diese Zeiten der Beschäftigungslosigkeit die aufgrund vorangegangener Beschäftigung erworbenen Ansprüche nicht berühren dürfen.289 Daher darf „unfreiwillige“ Arbeitslosigkeit iSd Art 6 Abs 2 ARB 1/80 auch nicht anhand des § 11 AlVG geprüft werden, dem ein anderes Verständnis von „Verschulden“ bzw „Freiwilligkeit“ zugrunde liegt. Danach erhalten Arbeitslose, deren Dienstverhältnis infolge eigenen Verschuldens beendet worden ist oder die ihr Dienstverhältnis freiwillig gelöst haben, für die Dauer von vier Wochen, gerechnet vom Tage der Beendigung des Dienstverhältnisses an, kein Arbeitslosengeld. Der Ausschluss vom Bezug des Arbeitslosengeldes ist in berücksichtigungswürdigen Fällen, wie zB bei freiwilliger Beendigung eines Dienstverhältnisses aus gesundheitlichen Gründen oder wegen Aufnahme einer anderen Beschäftigung, nach Anhörung des Regionalbeirates ganz oder teilweise nachzusehen. Um den Behörden die Prüfung der Anspruchsvoraussetzungen administrativ zu erleichtern, sieht der Erlass vor, dass in Fällen, wo sich die „Schuld“ nicht eindeutig zuordnen lässt, von unverschuldeter Arbeitslosigkeit ausgegangen werden soll, sofern nicht begründete Zweifel an der Schuldlosigkeit bestehen oder die Aktenlage etwas Gegenteiliges ergibt. „Unverschuldete Arbeitslosigkeit ist daher insbesondere bei einer einvernehmlichen Auflösung des Dienstverhältnisses anzunehmen“. In diesem Punkt geht der Erlass wiederum über die inhaltlichen Vorgaben des ARB 1/80 hinaus und schafft eine für den türkischen Staatsbürger bessere Situation, mit dem positiven Nebeneffekt der Verfahrensvereinfachung und -beschleunigung. Solange türkische Staatsangehörige Arbeitslosengeld oder Notstandshilfe beziehen oder einen Anspruch darauf haben, gelten sie gem Erlass als dem regulären Arbeitsmarkt zugehörig. Darüber hinaus können Zeiten, in denen weder eine Beschäftigung vorliegt noch Arbeitslosengeld bezogen wird, sowie bei freiwilliger 288
Vgl OGH 19.5.1993, 9 Ob A 85/93 Verfehlt daher Lobner in Muzak et al (Hrsg), Art 6 Abs 2 ARB 105, die eine – wenn auch gerechtfertigte – Kündigung seitens des Arbeitnehmers „bis zur mittleren Integrationsstufe“ auf jeden Fall als anspruchsvernichtend betrachtet. 289
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Unterbrechung des Arbeitslosengeld- bzw Notstandshilfebezuges im Ausmaß von jeweils 28 Tagen als rahmenfristerstreckend berücksichtigt werden. Weiters werden Zeiten der Gewährung von Beihilfen zur Deckung des Lebensunterhaltes durch das AMS den Zeiten unverschuldeter Arbeitslosigkeit gleichgestellt. Hier nimmt der Erlass nicht in ausreichendem Maße darauf Bedacht, dass eine Arbeitslosigkeit im Sinn des Art 6 Abs 2 ARB 1/80 nicht notwendiger Weise den Bezug von Arbeitslosengeld oder Notstandshilfe voraussetzt.290 Andernfalls würde für Personen, die die Anwartschaftszeiten nach dem AlVG nicht erfüllen, der Schutz des Art 6 ins Leere laufen. § 14 Abs 1 verlangt nämlich bei der erstmaligen Inanspruchnahme des Arbeitslosengeldes grundsätzlich eine arbeitslosenversicherungspflichtige Beschäftigung von insgesamt 52 Wochen in den letzten 24 Monaten vor Geltendmachung des Anspruches. Dies bedeutete, dass sich türkische Staatsangehörige erst nach Erreichen der ersten Integrationsstufe (Art 6 Abs 1 UAbs 1) auf Art 6 Abs 2 ARB 1/80 berufen könnten. Den Mitgliedstaaten ist es aber verwehrt, die aus dem Beschluss des AssRat unmittelbar erwachsenden Rechte an weitere Bedingungen zu knüpfen und somit die Ansprüche der daraus Berechtigten zu beschneiden, weshalb der Erlass in diesem Punkt zu restriktiv ist. Art 6 Abs 2 ist so auszulegen, dass Zeiten unverschuldeter Arbeitslosigkeit selbst dann nicht die aufgrund vorangegangener Beschäftigungszeiten erworbenen Ansprüche berühren, wenn der Betroffene keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld oder Notstandshilfe geltend machen kann. (2) Freiwillige Aufgabe des Arbeitsplatzes Nachdem bereits unter (1) konstatiert wurde, dass sich die unfreiwillige Arbeitslosigkeit auf die Rechte aus Art 6 Abs 1 nicht nachteilig auswirkt, kann anknüpfend an dieses Ergebnis an die Frage herangegangen werden, ob im Umkehrschluss daraus zu schließen ist, dass die freiwillige Arbeitslosigkeit zwangsläufig zum Verlust der eben angesprochenen Rechte führt. Nur auf den ersten Blick scheint dieses Ergebnis nahe liegend, wie sich aus den Schlussanträgen des GA Elmer in der Rs Tetik zeigt (vgl Rz 23 und 25). Diesem Fall lag eine Konstellation zugrunde, in der ein türkischer Arbeitnehmer, der über vier Jahre lang im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats ordnungsgemäß beschäftigt war und freiwillig seine Beschäftigung aufgab, um in demselben Mitgliedstaat eine neue Beschäftigung zu suchen, dem es jedoch nicht gelang, unmittelbar anschließend ein neues Arbeitsverhältnis einzugehen. Dem Vorschlag des GA, daraus zu schließen, er habe den regulären Arbeitsmarkt mit der freiwilligen Aufgabe der Beschäftigung verlassen und stehe nicht mehr unter dem Schutz des Art 6 ARB 1/80, ist der Gerichtshof nicht gefolgt. Seine Auffassung beruht auf der stRsp, wonach die im Rahmen der Art 39 ff EG geltenden Grundsätze auf die türkischen Arbeitnehmer, denen die im ARB 1/80 eingeräumten Rechte zukommen, soweit wie möglich übertragen werden müssen.291 In der Rs Antonissen hat er im Zusammenhang mit der Arbeitnehmerfreizügigkeit gem Art 39 EG entschieden, dass diese das Recht eines Arbeitnehmers 290
Vgl VwGH 15.3.2000, 98/09/0054. EuGH, Bozkurt, Rz 19 f. Ebenso EuGH, Tetik, Rz 20; Günaydin, Rz 21, Ertanir, Rz 21; Birden, Rz 23; Nazli, Rz 50 bis 55; Kurz, Rz 30. 291
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impliziert, sich in einem anderen Mitgliedstaat aufzuhalten, um dort eine Stelle zu suchen. Wenngleich den türkischen Staatsangehörigen aufgrund des AssAbk bzw des ARB 1/80 keine Freizügigkeit innerhalb der Gemeinschaft zukommt, erfordere es der effet utile des Art 6 Abs 1, „daß ein türkischer Arbeitnehmer nach mindestens vier Jahren ordnungsgemässer Beschäftigung in einem Mitgliedstaat seine derzeitige Beschäftigung aus persönlichen Gründen aufgeben und innerhalb eines angemessenen Zeitraums in demselben Mitgliedstaat eine neue Beschäftigung suchen können muß, wenn sein Recht auf freien Zugang zu jeder von ihm gewählten Beschäftigung im Lohn- oder Gehaltsverhältnis im Sinne dieser Vorschrift nicht ausgehöhlt werden soll.“292 Damit hat der Gerichtshof dem Vorschlag, dass aus Art 6 Abs 2 folge, dass ein türkischer Arbeitnehmer, der bereits über vier Jahre lang ordnungsgemäß beschäftigt war und seine Arbeit freiwillig aufgibt, um eine andere Beschäftigung zu suchen, seine Rechte aus Abs 1 automatisch verliere, eine klare Absage erteilt. Vielmehr betrachtet der Gerichtshof den Arbeitnehmer als weiterhin dem regulären Arbeitsmarkt iSd Art 6 Abs 1 angehörend, verlangt aber dafür, dass er den arbeitsmarktbehördlichen Verpflichtungen des Mitgliedstaates nachkommt (zB indem er sich als Arbeitssuchender meldet und der Arbeitsverwaltung dieses Mitgliedstaates während des dort vorgeschriebenen Zeitraumes zur Verfügung steht).293 Diese Feststellung des EuGH ist von zweifacher Bedeutung: Einerseits ist damit klargestellt, dass der Arbeitnehmer solange unter dem Schutz des Art 6 ARB 1/80 steht, solange er dem regulären Arbeitsmarkt zugehört. Diesem sind nicht nur Personen zuzuzählen, die sich in einem aufrechten Dienstverhältnis befinden, sondern auch solche, die aus berücksichtigungswürdigen Gründen beschäftigungslos sind, aber dennoch dem Arbeitsmarkt des Mitgliedstaates zur Verfügung stehen. Nach der stRsp des EuGH sind für die Zugehörigkeit zum regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaates unter anderem auch die nationalen Vorschriften im Bereich des Arbeitsrechts und der sozialen Sicherheit zu berücksichtigen.294 Das bedeutet, dass für die Beurteilung des gemeinschaftsrechtlichen Begriffes der Zugehörigkeit zum regulären Arbeitsmarkt das nationale Recht Indizien liefern kann.295 Die nationalen Bestimmungen sind allerdings so auszulegen, dass sie der praktischen Wirksamkeit der gemeinschaftsrechtlichen Vorschrift nicht entgegenstehen. Aus Art 6 ARB 1/80 folgt daher, dass der Aufnahmemitgliedstaat den Betroffenen einen angemessenen Zeitraum für die Suche eines anderen Arbeitsplatzes einzuräumen hat. Wie lange dieser Zeitraum zu sein hat, bestimmt gem Art 6 Abs 3 ARB 1/80 der nationale Gesetzgeber. Jedenfalls hat er mindestens lange genug zu sein, um das Recht des türkischen Arbeitnehmers, eine neue Beschäftigung zu suchen, nicht praktisch wirkungslos zu machen. Sind der nationalen Rechtsordnung keine diesbezüglichen Zeiträume zu entnehmen, ist es Sache 292
EuGH, Tetik, Rz 31. EuGH, Tetik, Rz 40 f. So auch der VwGH 17.11.2004, 2001/09/0026. 294 EuGH, Birden, Rz 33. In Anlehnung daran der VwGH 10.3.1999, 97/09/0031. 295 So setzt nach der Rsp des VwGH eine Arbeitslosigkeit im Sinn des Art 6 Abs 2 ARB 1/80 zwar nicht den Bezug von Arbeitslosengeld voraus (15.3.2000, 98/09/0054). Der Bezug von Arbeitslosengeld lässt aber auf die Zugehörigkeit zum regulären Arbeitsmarkt und damit auf den Fortbestand der bereits erworbenen Rechte schließen (17.11.2004, 2001/09/0026). 293
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des nationalen Gerichts, einen den Umständen entsprechenden Zeitraum festzulegen. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass durch das Assoziationsrecht EWG-Türkei keine Schlechterstellung von EU-Bürgern bewirkt werden kann.296 Daher muss die Grenze dort gezogen werden, wo sie auch für Gemeinschaftsbürger maßgeblich ist. Das Gemeinschaftsrecht enthält keine diesbezügliche Zeitvorgabe. Der EuGH hat für Angehörige aus den Mitgliedstaaten der Gemeinschaft einen der Stellensuche dienenden Zeitraum von sechs Monaten als grundsätzlich ausreichend bezeichnet, und für den Fall, dass der Betroffene nach Ablauf dieses Zeitraumes den Nachweis erbringt, dass er weiterhin mit begründeter Aussicht auf Erfolg an der Stellensuche festhält, ein weiteres Aufenthaltsrecht zugebilligt.297 In der Literatur wurde bereits auf die Bestimmung des § 34 Abs 3 Z 2 FrG als eine Regelung hingewiesen, die einen „angemessenen Zeitraum“ bestimme.298 Diese Annahme ist deshalb und soweit gerechtfertigt, als § 7 Abs 3 Z 3 AlVG ausdrücklich bei der Festlegung der der Arbeitsvermittlung zur Verfügung stehenden Personen auf sie verweist. Personen die den Tatbestand des § 34 Abs 3 Z 2 FrG erfüllen – also noch nicht acht Jahre in Österreich leben und ein Jahr nahezu ununterbrochen arbeitslos waren – stehen nach § 7 Abs 3 Z 2 AlVG nicht mehr der Arbeitsvermittlung zur Verfügung. Im Sinne der Rsp des EuGH und des VwGH zum Assoziationsrecht bedeutet das, dass sie nicht mehr dem regulären Arbeitsmarkt angehören.299 ME ist damit zugleich auch die äußerste Grenze des Art 6 Abs 2 im Falle der unfreiwilligen Arbeitslosigkeit markiert.300 Nachdem ein freiwillig arbeitslos gewordener Arbeitnehmer nicht besser behandelt werden kann als einer, der unfreiwillig seine Beschäftigung aufgegeben hat, kommt einem türkischen Staatsangehörigen, der seine Beschäftigung mit der Absicht aufgegeben hat, eine neue Arbeit zu suchen, längstens ein Zeitraum von einem Jahr für die Stellensuche zu. Nach erfolglosem Ablauf der Frist verliert er die aus Art 6 Abs 1 ARB 1/80 zukommenden Rechte. 296 Dieser Grundsatz ist in Art 59 ZProt explizit festgelegt und gilt für alle vom ZProt erfassten Bereiche, daher insb für die Arbeitnehmerfreizügigkeit. 297 Vgl EuGH, Antonissen, Rz 21; EuGH 26.2.1991, Rs C-292/89, The Queen gegen Immigration Appeal Tribunal Ex Parte Gustaff Desiderius Antonissen, Slg 1991, I-0745, Rz 21. 298 Vgl Lobner in Muzak et al (Hrsg), Art 6 Abs 2 ARB 106. 299 Vgl EuGH, Tetik Rz 40/41: „Wenn ausserdem ein türkischer Arbeitnehmer …, der bereits über vier Jahre lang im Aufnahmemitgliedstaat eine ordnungsgemässe Beschäftigung ausgeübt hat, seine Arbeit freiwillig aufgibt, um in demselben Mitgliedstaat eine andere Beschäftigung zu suchen, so folgt daraus nicht ohne weiteres, daß er den Arbeitsmarkt dieses Staates endgültig verlassen hat, sofern er dort weiterhin dem regulären Arbeitsmarkt im Sinne von Artikel 6 Absatz 1 angehört. In einer Situation wie der des Ausgangsverfahrens, in der es dem türkischen Arbeitnehmer nicht gelingt, unmittelbar nach Aufgabe seiner vorherigen Beschäftigung ein neues Arbeitsverhältnis einzugehen, ist diese Voraussetzung grundsätzlich nur dann weiterhin gegeben, wenn der Betroffene alle Formalitäten erfüllt, die im betreffenden Mitgliedstaat gegebenenfalls vorgeschrieben sind, z. B. indem er sich als Arbeitssuchender meldet und der Arbeitsverwaltung dieses Mitgliedstaats während des dort vorgeschriebenen Zeitraums zur Verfügung steht.“ Ähnlich VwGH 17.11.2004, 2001/09/0026. 300 Dies entspricht auch der Praxis der Arbeitsmarktbehörden, wonach bei länger als ein Jahr dauernder Arbeitslosigkeit nicht mehr von einer ernsthaften Arbeitssuche mit begründeter Aussicht auf Erfolg gesprochen werden kann.
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Der Verweis auf § 35 Abs 1 FrG, wonach Personen, die bereits länger als fünf Jahre in Österreich leben, solange nicht ausgewiesen werden dürfen, als sie darlegen, dass sie die Mittel zu ihrem Unterhalt selbst verdienen wollen und dieses Bemühen nicht aussichtslos scheint, kann die Grenzen des Art 6 Abs 2 ARB 1/80 nicht erweitern.301 Das Recht auf Aufenthalt ist nach der Konzeption des ARB 1/80 ein vom Beschäftigungsrecht abgeleitetes. Aus diesem Grund ist es angebracht, aufgrund des Verweises in § 7 Abs 3 Z 3 AlVG die zeitlichen Grenzen des § 34 Abs 3 Z 2 FrG auf Art 6 Abs 2 anzuwenden. Umgekehrt kann aber nicht vom Recht auf Aufenthalt auf ein Recht auf Beschäftigung geschlossen werden.302 Dieser Zeitraum ist allerdings nur jenen Arbeitnehmern einzuräumen, die bereits die dritte Integrationsstufe erreicht haben und somit den Arbeitnehmern aus den Mitgliedstaaten hinsichtlich des Zugangs zum Arbeitsmarkt gleichgestellt sind. Nur in diesem Fall ist die Übertragung der im Rahmen der Art 39 ff EG geltenden Grundsätze sachlich gerechtfertigt. Angesichts des für Gemeinschaftsbürger während der zweiten Integrationsstufe noch geltenden Vorrangs, war eine Gleichstellung nach dreijähriger Beschäftigungsdauer offensichtlich nicht erwünscht. Gelingt es daher einem türkischen Arbeitnehmer der mittleren Integrationsstufe (Art 6 Abs 1 UAbs 2) nicht, ein neues Arbeitsverhältnis einzugehen, nachdem er seine Beschäftigung aufgegeben hatte, um eine neue Arbeit zu suchen, ist entgegen dem VwGH anzunehmen, dass er seine bisherigen Rechte aus Art 6 Abs 1 verliert.303 (3) Lange Krankheit Art 6 Abs 2 unterscheidet explizit zwischen kurzer Krankheit in Satz 1 und langer Krankheit in Satz 2. Damit ist klargestellt, dass der türkische Arbeitnehmer die Ansprüche, die er nach Art 6 Abs 1 erworben hat, nicht dadurch verliert, dass er aus gesundheitlichen Gründen längere Zeit der Arbeit fern bleiben muss. Der Begriff „Abwesenheit“ meint die vorübergehende Abwesenheit, setzt also voraus, dass der Betreffende zu einem bestimmten Zeitpunkt wieder dem Arbeitsmarkt aktiv zur Verfügung steht. Krankheitsbedingte Unterbrechungen berühren demnach die aufgrund vorheriger Beschäftigung erworbenen Ansprüche nicht, solange nicht feststeht, dass der Betroffene dauernd arbeitsunfähig ist und damit den Arbeitsmarkt endgültig verlassen hat. Sobald er wieder gesund und arbeitsfähig ist, ist ihm für seine Arbeitssuche ein angemessener Zeitraum zur Verfügung zu stellen, der analog zum Fall der unfreiwilligen Arbeitslosigkeit mit einem Jahr bemessen werden kann.304 Unerheblich ist mangels entgegenstehender Anhalts301
Verfehlt Lobner in Muzak et al (Hrsg), Art 6 Abs 2 ARB 106. § 35 Abs 1 FrG kann aber dort von Bedeutung sein, wo das Assoziationsrecht nicht mehr greift. 303 So auch Rumpf, NVwZ 1994, 1189. Anders der VwGH 19.11.1997, 97/09/0261; 17.11.2004, 2001/09/0026, der die freiwillige Aufgabe der Beschäftigung schon nach Erfüllen der Voraussetzungen des UAbs 2 unter Schutz stellt. 304 Sind seit dem Arbeitsunfall fast 3 Jahre vergangen und wurde in diesem Zeitraum keine neue Arbeitsstelle gefunden, so ist damit jener Zeitraum abgelaufen, der iSd Urteils des EuGH im Fall Tetik, vernünftiger Weise einzuräumen ist, um eine neue Beschäftigung zu finden (VwGH 27.10.1999, 97/09/0361). 302
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punkte der Ort, an dem der Arbeitnehmer erkrankt, soweit er einen entsprechenden Nachweis der Arbeitsunfähigkeit zu erbringen vermag. Der Erlass ordnet an, dass krankheitsbedingte Unterbrechungen, die die Dauer der Entgeltfortzahlungspflicht übersteigen, als lange, der Beschäftigung nicht gleichgestellte Krankheiten zu behandeln sind. Zeiten des Bezuges aus dem Versicherungsfall der Invalidität oder Berufsunfähigkeit sind langer Krankheit gleichzuhalten. (4) Wehrdienst Männliche Arbeitskräfte sehen sich idR mit der Situation konfrontiert, dass sie zum Zwecke der Wehrdienstleistung in ihrem Heimatstaat ihre Beschäftigung für eine gewisse Dauer unterbrechen müssen.305 Guild stellt in ihrem Vergleich der Freizügigkeitsentwicklungen nach Gemeinschaftsrecht und Assoziationsrecht EWG-Türkei fest, dass die Leistung des Wehrdienstes die aufenthaltsrechtliche Position des Gemeinschaftsbürgers gem der VO 15/61/EWG306 nicht beeinträchtigt, hingegen der türkische Arbeitnehmer keinen entsprechenden Schutz nach Art 2 Abs 1 lit c ARB 2/76 (dieser entspricht Art 6 Abs 2 ARB 1/80) genießt.307 Diese Feststellung träfe nur dann zu, wenn Art 6 Abs 2 abschließend und explizit all jene Unterbrechungstatbestände aufzählt, in denen der türkische Arbeitnehmer vom Verlust der vorher erworbenen Ansprüche verschont bleibt. Dafür könnte man ins Treffen führen, dass weitgehende Parallelität zwischen der VO 15/61/EWG und dem ARB 2/76 besteht, was zur Annahme leiten könnte, dass der Assoziationsrat nicht wollte, dass Wehrdienstzeiten von der Regelung der zulässigen Unterbrechungen umfasst werden. Die herrschende Auffassung geht allerdings von einem anderen Verständnis aus, und macht den Verlust der aus Art 6 Abs 1 erworbenen Rechte davon abhängig, ob jemand mit seiner Entscheidung, den Arbeitsplatz zu verlassen, auch gleichzeitig den Arbeitsmarkt nachweislich verlässt.308 Angesichts dieser Überlegung lässt sich die Ableistung des Wehrdienstes unschwer als einen Unterfall der unfreiwilligen Arbeitslosigkeit einordnen, welche zwar nicht bewirkt, dass sich die Ansprüche des Arbeitnehmers weiter konsolidieren, aber den Fortbestand der einmal erworbenen Rechte nicht beeinträchtigt. Diese Feststellung gilt allerdings nur unter der Prämisse, dass der Arbeitnehmer den regulären Arbeitsmarkt nur vorübergehend verlässt, was bei einer Unterbrechung von einem Monat (im Falle des türkischen Staatsangehörigen) wohl nicht in Abrede gestellt werden kann. (5) Strafhäftlinge In der Rs Nazli entschied der EuGH über den Fall eines türkischen Staatsangehörigen, der nach vierjähriger ordnungsgemäßer Beschäftigung in einem Mitgliedstaat 305 Für türkische Staatsangehörige, die im Ausland beschäftigt sind, besteht die Möglichkeit der Leistung eines gebührenpflichtigen verkürzten Wehrdienstes von einem Monat (1111 Sayili Askerlik Kanunu, Ek madde 1 – Türkisches Wehrgesetz 1927/1111, Zusatzartikel 1). 306 ABl 1961 57/1073. 307 Guild, Immigration Law in the European Community 132. 308 Vgl EuGH, Tetik, Rz 38 und 40. Nazli, Rz 40 ff.
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über ein Jahr in Untersuchungshaft angehalten, zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe in der Dauer von 21 Monaten verurteilt worden ist und nach Beendigung seiner Untersuchungshaft wieder eine Erwerbstätigkeit ausgeübt hat. Der EuGH sprach aus, dass nicht jede Abwesenheit des türkischen Arbeitnehmers vom Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaats automatisch zum Verlust der auf Grund von Art 6 Abs 1 ARB 1/80 erworbenen Rechte führe (Rz 36) und diese Rechte auch für einen arbeitsunfähigen türkischen Arbeitnehmer gelten, sofern die Arbeitsunfähigkeit nur vorübergehend sei (Rz 38). Die vorübergehende Unterbrechung des Beschäftigungszeitraums eines türkischen Arbeitnehmers während der Untersuchungshaft sei als solche nicht geeignet, diesem die Zugehörigkeit zum regulären Arbeitsmarkt abzusprechen, sofern er innerhalb eines angemessenen Zeitraums nach seiner Haftentlassung wieder eine Beschäftigung findet (Rz 49). Die vorübergehende Abwesenheit auf Grund einer solchen Haft stelle die weitere Teilnahme des Betroffenen am Erwerbsleben keineswegs in Frage (Rz 42). In dem Fall kam der Gerichtshof zu dem Ergebnis, dass dem Arbeitnehmer weiterhin die Rechte aus Art 6 Abs 1 ARB 1/80 zustehen. Auffallend ist, dass sowohl die Schlussanträge des GA Mischo, wie auch in Anlehnung daran das Urteil des EuGH mit besonderem Nachdruck den vorübergehenden Charakter der Untersuchungshaft betonen. Die Quintessenz des Urteils dürfte daher wohl darin liegen, dass die vorübergehende Unterbrechung eines Arbeitsverhältnisses nach vierjähriger Beschäftigungsdauer selbst dann die Ansprüche aus Art 6 Abs 1 unberührt lässt, wenn sie dem Arbeitsnehmer vorzuwerfen ist (Rz 45).309 Vielmehr wird objektiv darauf abgestellt, ob er nur vorübergehend oder endgültig dem Arbeitsmarkt entzogen ist. Während die Folgen einer Untersuchungshaft aus dargelegten Gründen nicht ins Gewicht fallen, sind die Folgen einer Strafhaft noch keiner Klärung durch die Rechtsprechung des EuGH zugeführt worden.310 In einem Teil der deutschen Literatur wurde die Auffassung vertreten, dass die Verbüßung einer Strafhaft als Zeit einer verschuldeten Arbeitslosigkeit die Rechte aus Art 6 Abs 1 ARB 1/80 vernichte.311 Dagegen wurde eingewandt, dass ein mit einer Strafhaft verbundener automatischer Verlust der Rechte aus Art 6 die Familienangehörigen besser stellen würde als die Arbeitnehmer, was als Systemwidrigkeit nicht hinnehmbar sei.312 Dieses Argument überzeugt nicht, da nicht anzunehmen ist, dass sich die Tragweite der Unterbrechungsklausel mit Erlass des ARB 1/80 geändert hat. Vor diesem Zeitpunkt war sie wortgleich in Art 2 Abs 1 lit c des ARB 2/76 verankert, der keine Regelungen hinsichtlich der Familienangehörigen enthält. Die Bezugnahme auf 309 Anders noch in der Rs Tetik, Rz 38: „The second sentence of Article 6(2) relates to periods of inactivity due to long-term sickness or involuntary unemployment, that is to say, where the failure to work is not attributable to any misbehaviour on the part of the worker (as also follows from the use of the adjective ‘unverschuldet’ in the German version). Die Argumentation des GA, dass die U-Haft dem türkischen Arbeitnehmer ungeachtet des Umstands der rechtskräftigen Verurteilung nicht vorwerfbar wäre, überzeugt indes nicht (SA, Rz 41). 310 Dies veranlasste den VwGH zu einem Vorabentscheidungsersuchen hinsichtlich der Frage, ob ein türkischer Staatsangehöriger seine Rechte aus Art 6 Abs 1 ARB 1/80 verliert, wenn er sich im Vollzug einer Freiheitsstrafe in der Dauer von drei Jahren in Haft befindet (4.9.2003, 2000/21/0134-11). 311 Vgl die Nachweise bei Gutmann, GK-AuslR, IX-1 Art. 6, Rz 183 ff. 312 Vgl Laubach, Bürgerrechte 121; Gutmann, GK-AuslR, IX-1 Art. 6, Rz 184.
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den besseren Schutz der Familienangehörigen – die erst durch den ARB 1/80 eine Regelung erfahren haben – scheitert daher. Art 6 Abs 2 ist so zu verstehen, wie er im Zeitpunkt des Erlasses des ARB 2/76 verstanden wurde. Dies ändert jedoch nichts an den vom Gerichtshof bisher getroffenen Feststellungen betreffend Art 6 ARB 1/80. Im Lichte dieser Rechtsprechung kommt einem türkischen Arbeitnehmer gem UAbs 3 der Bestimmung das Recht zu, sein Arbeitsverhältnis vorübergehend zu unterbrechen. Sofern er innerhalb eines angemessenen Zeitraums eine neue Beschäftigung findet, gehört er weiterhin dem regulären Arbeitsmarkt an und bleibt im Genuss seiner Rechte.313 Wird aber nicht auf das „Verschulden“ abgestellt, erscheint die vom VwGH in seinem Vorlagebeschluss in Erwägung gezogene Auffassung, dass auch eine Strafhaft nur eine vorübergehende Unterbrechung der Zugehörigkeit zum regulären Arbeitsmarkt des Mitgliedstaates darstelle, sofern nicht im Anschluss ein angemessener Zeitraum zur Eingehung eines neuen Arbeitsverhältnisses (oder zur Fortsetzung des bestehenden Arbeitsverhältnisses) überschritten werde, durchaus gerechtfertigt. Zu klären bleibt noch, über welchen Zeitraum sich diese Unterbrechung erstrecken darf, um noch als „vorübergehend“ betrachtet zu werden. Mit dem Wort „vorübergehend“ wird zum Ausdruck gebracht, dass nur jene Unterbrechungen den Fortbestand der Rechte aus Art 6 Abs 1 nicht beeinträchtigen, die nicht eine endgültige Beschäftigungslosigkeit bedeuten. Sofern nicht ausgeschlossen ist, dass der Inhaftierte nach Verbüßung der Haft wieder eine Erwerbstätigkeit ausüben kann, ist daher von einer vorübergehenden Unterbrechung auszugehen, die nicht automatisch dazu führt, dass der Betroffene den regulären Arbeitsmarkt verlässt. Dies ist jeweils anhand des Einzelfalles zu beurteilen und gewährt den nationalen Behörden einen Beurteilungsspielraum. Bei einer lebenslangen Freiheitsstrafe wie sie § 321 StGB kennt, erübrigt sich diese Frage.314 d) Befristet Beschäftigte Gem § 5 Abs 1 AuslBG ist der BMWA im Falle eines vorübergehenden zusätzlichen Arbeitskräftebedarfs ermächtigt, Verordnungen für die vorübergehende Beschäftigung von Ausländern zu erlassen. Im Rahmen dieser „Saisonkontingente“ dürfen Beschäftigungsbewilligungen mit einer maximalen Geltungsdauer von sechs Monaten erteilt werden. Eine anschließende Verlängerung um sechs Monate ist jedoch möglich, wenn dies in der Verordnung vorgesehen ist und der Arbeitskräftebedarf nicht durch eine bevorzugt zu vermittelnde in- oder ausländische Ersatzkraft abgedeckt werden kann. Im Falle einer durchgehenden Beschäftigung von einem Jahr darf eine neue Beschäftigungsbewilligung für denselben Ausländer jedoch frühestens zwei Monate nach Beendigung der letzten Beschäftigung erteilt werden (Abs 3). Personen, die mit einer saisonalen Beschäftigungsbewilligung aufgrund einer solchen Verordnung arbeiten, sollen gem Erlass nicht dem regulären Arbeitsmarkt 313
Vgl EuGH, Nazli, Rz 40. Außerdem wäre in diesem Fall wegen der Schwere des Verbrechens, die der Strafe zugrunde liegt, ein Eingriff in die Rechte des Arbeitnehmers wohl auch im Hinblick auf Art 14 ARB gerechtfertigt. 314
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angehören. Für die Zugehörigkeit eines Arbeitnehmers zum regulären Arbeitsmarkt kommt es nach stRsp des EuGH darauf an, ob das Arbeitsverhältnis im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats lokalisiert werden kann oder eine hinreichend enge Verknüpfung mit diesem Gebiet aufweist. Dabei sind insbesondere der Ort der Einstellung des türkischen Staatsangehörigen, das Gebiet, in dem oder von dem aus die Tätigkeit im Lohn- oder Gehaltsverhältnis ausgeübt wurde, und die nationalen Vorschriften im Bereich des Arbeitsrechts und der sozialen Sicherheit zu berücksichtigen.315 Daher bezeichnet der Begriff „regulärer Arbeitsmarkt“ die Gesamtheit der Arbeitnehmer, die den Rechts- und Verwaltungsvorschriften des betroffenen Staates nachkommen und somit das Recht haben, eine Berufstätigkeit in seinem Hoheitsgebiet auszuüben (Birden, Rz 51). Nach dieser Definition steht die Zugehörigkeit eines saisonal beschäftigten türkischen Arbeitnehmers zum regulären Arbeitsmarkt außer Frage. Zwar steht der ARB 1/80 nicht der Befugnis der Mitgliedstaaten entgegen, die Bedingungen des Aufenthaltes und einer Beschäftigung bis zum Ablauf des in Art 6 Abs 1 UAbs 1 genannten Jahres zu regeln; jedoch gestattet Art 6 Abs 1 es einem Mitgliedstaat nicht, einseitig den Inhalt des Systems der schrittweisen Eingliederung der türkischen Staatsangehörigen in den Arbeitsmarkt des Aufnahmemitgliedstaats zu verändern, indem er einem Arbeitnehmer, dem die Einreise in sein Hoheitsgebiet gestattet worden ist und der dort über ein Jahr ununterbrochen für den gleichen Arbeitgeber rechtmäßig eine tatsächliche und echte wirtschaftliche Tätigkeit ausgeübt hat, die Rechte vorenthält, die ihm Art 6 Abs 1 abgestuft nach der Dauer seiner Beschäftigung als Arbeitnehmer verleiht. Würde eine zeitliche Befristung des Arbeitsverhältnisses genügen, um die Zugehörigkeit der vom Betroffenen rechtmäßig ausgeübten Beschäftigung zum regulären Arbeitsmarkt in Frage zu stellen, würden die Rechte aus Art 6 ins Leere laufen und ihrer praktischen Wirksamkeit beraubt.316 Ein türkischer Arbeitnehmer, der im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis gem § 12 Abs 2 FrG ist und zwei Mal hintereinander eine unselbstständige Erwerbstätigkeit aufgrund einer Beschäftigungsbewilligung nach § 5 AuslBG ausübt, erfüllt demnach den Tatbestand des Art 6 Abs 1 UAbs 1 (ordnungsgemäße Beschäftigung im regulären Arbeitsmarkt von einem Jahr). Außerdem hat der EuGH festgestellt, dass bei der Berechnung der Zeiten ordnungsgemäßer Beschäftigung im Sinne dieser Vorschrift kurze Zeiträume zu berücksichtigen sind, in denen der türkische Arbeitnehmer im Aufnahmemitgliedstaat keine gültige Aufenthalts- oder Arbeitserlaubnis besaß und die nicht in den Anwendungsbereich des Art 6 Abs 2 dieses Beschlusses fallen, wenn die zuständigen Behörden des Aufnahmemitgliedstaats nicht deswegen die Ordnungsmäßigkeit des Aufenthalts des Betroffenen im Inland in Frage gestellt, sondern ihm vielmehr eine neue Aufenthalts- oder Arbeitserlaubnis erteilt haben.317 Somit könnte einem befristet beschäftigten Türken gem § 5 AuslBG nach einem Jahr ordnungsgemäßer Beschäftigung auch nicht entgegengehalten werden, zwischen seiner ersten und zweiten Beschäftigungsbewilligung liege – aus welchem Grund auch immer, zB weil der Arbeitgeber den Verlängerungsantrag zu spät eingereicht 315 316 317
Bozkurt, Rz 22 und 23; Günaydin, Rz 29 und Ertanir, Rz 39. EuGH, Günaydin, Rz 36 bis 40; Birden, Rz 37 bis 39 und 64; zuletzt Kurz, Rz 55. EuGH, Ertanir, Rz 69.
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hat – ein kurzer Zeitraum illegaler Beschäftigung, wenn die Behörde diesen Umstand zum gegebenen Zeitpunkt widerspruchslos hingenommen hat. Im Lichte der oben genannten Judikatur kann schwerlich behauptet werden, ein nach § 5 AuslBG zwölf Monate ununterbrochen beschäftigter türkischer Staatsangehöriger erfülle nicht die Voraussetzungen des Art 6 Abs 1 UAbs 1.318 § 5 Abs 3 letzter Satz AuslBG bliebe in diesem Fall auf Grund des Anwendungsvorranges des ARB 1/80 unanwendbar. Dem Betroffenen ist in diesem Fall eine Beschäftigungsbewilligung gem § 4c AuslBG von Amts wegen zu erteilen. Hingegen kann er keinen Anspruch auf eine Arbeitserlaubnis geltend machen, da Beschäftigungszeiten im Rahmen eines Saisonkontingents keine anrechenbaren Zeiten darstellen (§ 14a Abs 1 Z 3 AuslBG).
5. Besonderheiten von Art 6 ARB 1/80 Gem der stRsp bleibt zwar die Befugnis der Mitgliedstaaten, die rechtlichen Rahmenbedingungen der Beschäftigung (und der Einreise bzw des Aufenthaltes) eines türkischen Staatsangehörigen innerhalb des in Art 6 Abs 1 UAbs 1 vorgesehenen Zeitraums von einem Jahr festzulegen, vom ARB 1/80 unberührt. Nach Ablauf einer einjährigen ordnungsgemäßen Beschäftigung im regulären Arbeitsmarkt schränkt sich jedoch die Dispositionsbefugnis des Mitgliedstaates hinsichtlich der Beschäftigung und damit des Aufenthaltes (vgl 124 f) des Betroffenen insoweit ein, als er die aus dem Beschluss unmittelbar zustehenden Ansprüche nicht ihrer praktischen Wirksamkeit berauben darf, indem er sie an Bedingungen knüpft oder auf sonstige Weise einschränkt.319 Unzulässige Einschränkungen des Beschäftigungsrechts wären etwa nationale Regelungen, welche den Zugang zum Arbeitsmarkt von einer konstitutiven Bewilligung abhängig machen.320 Nachdem das Beschäftigungsrecht notwendiger Weise eng mit dem Aufenthaltsrecht verbunden ist, sind ebenso Beschränkungen des Aufenthaltsrechts nur unter den im Beschluss selbst genannten Bedingungen zulässig. Nicht zulässig wäre zB die Voraussetzung eines Nachweises einer für Inländer ortsüblichen Unterkunft für den weiteren Verbleib im Bundesgebiet. Der Grundsatz des effet utile steht des Weiteren nationalen Modalitäten entgegen, welche die Beschäftigung (oder den Aufenthalt) von zeitlichen oder sachlichen Kriterien dergestalt abhängig machen, dass trotz Erfüllung der Voraussetzungen der Regelung die Rechte daraus verwehrt werden. Andernfalls hätte es der einzelne Mitgliedstaat (als Verpflichteter aus dem Beschluss) in der Hand, die Inanspruchnahme der im Beschluss eingeräumten Rechte zu vereiteln oder ins Leere laufen zu lassen, was dem offenkundigem Sinn und Zweck der Regelung zuwider laufen würde. Aus diesem Grund ist es für die Geltendmachung der Ansprüche aus Art 6 unerheblich, ob der betroffene Arbeitnehmer im Aufnahmemitgliedstaat nur befristete und mit Bedingungen versehene Aufenthalts- und/oder Arbeitserlaubnisse erhalten hat.
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AM Lobner in Muzak et al (Hrsg), Art 6 Abs 1 ARB 104. EuGH, Günaydin, Rz 36 bis 38, Birden, Rz 37. Vgl VwGH 25.6.1996, 96/09/0088.
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Auf dem Boden dieser Überlegungen bestätigte der EuGH in der Rs Günaydin die Ansprüche eines türkischen Staatsangehörigen auf Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis im Aufnahmemitgliedstaat, dem Arbeits- und Aufenthaltserlaubnisse nur zum Zweck der vorübergehenden Ausübung einer unselbstständigen Erwerbstätigkeit bei einem namentlich bezeichneten Arbeitgeber erteilt worden sind, um sich mit einer Tätigkeit in einem Tochterunternehmen seines Arbeitgebers in der Türkei vertraut zu machen und sich auf sie vorzubereiten.321 Diese Rechtsprechung setzt er mit dem Urteil Ertanir fort, indem er einem türkischen Staatsangehörigen, der in einem Mitgliedstaat ohne Unterbrechung über ein Jahr lang rechtmäßig eine Beschäftigung im Dienst ein und desselben Arbeitgebers ausgeübt hat, einen Anspruch auf Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis im Aufnahmemitgliedstaat zubilligte, obwohl er bei der Erteilung der Arbeits- und Aufenthaltserlaubnisse darauf hingewiesen worden ist, dass ihm diese nur für maximal drei Jahre und ausschließlich zum Zweck der Ausübung einer bestimmten Tätigkeit (hier: als Spezialitätenkoch) bei einem namentlich bezeichneten Arbeitgeber erteilt würden.322
B. Familienangehörige Wie schon aus der dritten Begründungserwägung des ARB 1/80 zu entnehmen ist, bezweckt dieser Beschluss – neben der kontinuierlichen Fortführung der Bestrebungen der schrittweisen Herstellung der Arbeitnehmerfreizügigkeit – vor allem die soziale Situation des türkischen Arbeitnehmers und seiner Familienangehörigen dadurch zu verbessern, dass er letzteren unter gewissen Voraussetzungen ebenfalls die Möglichkeit bietet, sich am gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Leben im Aufnahmemitgliedstaat zu beteiligen.323 Diesem Ziel soll vor allem Art 7 ARB 1/80 Rechnung tragen, der den Familienangehörigen eines dem regulären Arbeitsmarkt angehörenden türkischen Arbeitnehmers, die die Genehmigung erhalten haben, zu ihm zu ziehen, ein Recht auf Zugang zum Arbeitsmarkt (und damit ein Recht auf Aufenthalt) zuerkennt. Die Regelungsstruktur der Norm unterscheidet zwischen Familienangehörigen des türkischen Arbeitnehmers, die die Genehmigung erhalten haben, zu ihm zu ziehen (Satz 1), und Kindern, die im Aufnahmestaat eine Berufsausbildung abgeschlossen haben (Satz 2). Art 7 Satz 2 stellt für Kinder, die im Aufnahmeland eine Berufsausbildung geschlossen haben, erleichterte Voraussetzungen für die Inanspruchnahme der aus diesem Beschluss resultierenden Rechte. Aus diesem Grund empfiehlt sich eine getrennte Behandlung der jeweiligen Tatbestände.
1. Art 7 Satz 1 ARB 1/80 – nachgezogene Familienangehörige Die Verwirklichung der Rechte aus Art 7 Satz 1 hängt vom Vorliegen von vier Voraussetzungen ab: 1. Der Betroffene muss ein Familienangehöriger des türkischen Arbeitnehmers sein, 321
Vgl EuGH, Günaydin, Rz 48 und insb 55. EuGH, Ertanir, Rz 58 ff. 323 Die den Familienangehörigen aus dem ARB 1/80 zustehenden Rechte waren im ARB 2/76 noch nicht vorgesehen. 322
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2. letzterer muss dem regulären Arbeitsmarkt des Mitgliedstaates angehören, 3. der Familienangehörige muss die Genehmigung erhalten haben, zu ihm zu ziehen und 4. er muss in diesem Mitgliedstaat seinen ordnungsgemäßen Wohnsitz über drei oder fünf Jahre haben. a) Kreis der Familienangehörigen Wie Art 6 des Beschlusses hinsichtlich des Arbeitnehmerbegriffs, entbehrt auch Art 7 einer genauen Definition der zum Kreis der begünstigten Familienangehörigen iS dieser Bestimmung gehörenden Personen. Satz 2 dieser Bestimmung beschränkt sich lapidar auf die Kindeseigenschaft und gibt nicht eindeutig Aufschluss über deren Alter oder darüber, wie die Kinder des Ehegatten zu behandeln sind. Angesichts der Vieldeutigkeit des Wortlauts kann der Begriff des „Familienangehörigen“ und damit der persönliche Geltungsbereich der Bestimmung nur mit Blick auf Sinn und Zweck der Regelung verstanden werden. Art 7 schränkt nach stRsp des EuGH nicht die Befugnis der Mitgliedstaaten ein, den Zugang der Familienangehörigen türkischer Arbeitnehmer zu ihrem Hoheitsgebiet zu regeln. Ihnen ist es – aus Sicht des Assoziationsrechts – unbenommen, Regeln über die erstmalige Zulassung der Einreise in ihr Hoheitsgebiet zu erlassen.324 So verleiht Art 7 den Familienangehörigen des türkischen Staatsangehörigen, die die Genehmigung erhalten haben, zu ihm zu ziehen, erst von einer bestimmten Dauer des Wohnsitzes an ein Recht auf Zugang zum Arbeitsmarkt. Dabei wird in keiner Weise die Entscheidungsfreiheit der Mitgliedstaaten berührt, über die Genehmigung zum Nachzug der Familienangehörigen zu befinden. Mittels Art 7 soll die Integration des türkischen Arbeitnehmers und seiner Familie im Aufnahmemitgliedstaat durch die Möglichkeit der Beschäftigung seiner Familienangehörigen nachhaltig gefördert werden. Damit verfolgt die Bestimmung einen ähnlichen Zweck wie sich die VO 1612/68 für die Angehörigen der Arbeitnehmer der Mitgliedstaaten gesetzt hat, nämlich die soziale Integration der Familie des Arbeitnehmers im Aufnahmeland.325 Dies veranlasste einige Autoren dazu, den Kreis der Familienangehörigen über Art 10 VO 1612/68326 zu definieren, der den Familienangehörigen eines EGWanderarbeitnehmers das Recht gewährt, zu ihm zu ziehen.327 Auch GA La Pergola ging in seinen Schlussanträgen in der Rs Sürül davon aus, „dass der Begriff des Familienangehörigen genauso zu verstehen ist, wie derselbe Begriff, der in Art 10 der VO 1612/68 verwendet wird.“ Danach gehören zur Familie des Arbeitnehmers sein Ehegatte sowie die Verwandten in absteigender Linie, die noch nicht 21 Jahre alt sind oder denen Unterhalt gewährt wird, seine Verwandten (und diejenigen des Ehegatten) in aufsteigender Linie, denen er Unterhalt gewährt, sowie alle anderen 324
Vgl EuGH, Kadiman, Rz 32. Vgl die Begründungserwägungen zur VO 1612/68 EWG (ABl L 257/2). 326 ABl 1968 L 257/2 327 Vgl Zuleeg, Ausweisung von Türken und Assoziationsvertrag EG-Türkei, in Barwig et al (Hrsg), Ausweisung im demokratischen Rechtsstaat (1996) 201, der zwar nicht ausdrücklich auf Art 10 der VO verweist, dies aber implizit zu erkennen gibt, indem er Verwandte in aufsteigender Linie miteinbezieht. 325
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Familienangehörigen, denen der Arbeitnehmer Unterhalt gewährt oder mit denen er im Herkunftsland in häuslicher Gemeinschaft lebt.328 Die Übertragung der Auslegung einer Bestimmung des EG-Vertrags auf eine vergleichbar, ähnlich oder sogar übereinstimmend gefasste Bestimmung eines Abkommens zwischen der Gemeinschaft und einem Drittland hängt nach stRsp insbesondere davon ab, welchen Zweck diese Bestimmungen in dem ihnen je eigenen Rahmen verfolgen, wobei dem Vergleich von Gegenstand und Kontext einerseits des Abkommens und andererseits des EG-Vertrags erhebliche Bedeutung zukommt.329 Wie in der Literatur schon betont, herrscht jedoch zwischen Art 7 ARB 1/80 und Art 10 der VO hinsichtlich des angestrebten Zieles und der dafür vorgesehenen Mittel keine Deckungsgleichheit.330 Art 10 der VO ist sichtlich weiter als Art 7 ARB 1/80 und gewährt den dort genannten Familienangehörigen ein Nachzugsrecht. Erst Art 11 bezieht sich auf jenen Kreis der Familienangehörigen, denen das Recht zukommt, ungeachtet ihrer Staatsangehörigkeit im gesamten Hoheitsgebiet des Mitgliedstaates irgendeine Tätigkeit im Lohn- oder Gehaltsverhältnis auszuüben. Wollte man daher im Lichte der Rsp des EuGH auf die türkischen Arbeitnehmer, denen die im Beschluss 1/80 eingeräumten Rechte zukommen, soweit wie möglich die im Rahmen der Artikel 39 ff geltenden Grundsätze übertragen,331 wäre wohl eher Art 11 heranzuziehen, der zumindest der Sache nach das Gleiche regelt, nämlich den Zugang zur Beschäftigung zum Arbeitnehmer zugezogener Familienangehöriger. Der Kreis der begünstigten Personen ist hier jedoch enger gefasst als in Art 10. Zum persönlichen Geltungsbereich des Art 11 sind ausschließlich der Ehegatte des EG-Wanderarbeitnehmers und die Kinder, die noch nicht 21 Jahre alt sind, zu zählen, es sei denn, der Arbeitnehmer gewährt ihnen darüber hinaus Unterhalt. Daher fallen die Verwandten in aufsteigender Linie bzw weitere Verwandte in absteigender Linie – wie Enkel, usw – des Arbeitnehmers nicht in den Anwendungsbereich des Art 11. Die Tatsache, dass der ARB 1/80 keine Freizügigkeit der Arbeitnehmer und seiner Familienangehörigen vorsieht, steht der Feststellung nicht entgegen, dass Art 7 ARB 1/80 – wie gerade dargelegt – dasselbe Ziel vor Augen hat, wie Art 11 der VO 1612/68. Während Art 11 bestmögliche Bedingungen für die Integration der Familie des EG-Arbeitnehmers im Aufnahmeland zu schaffen sucht, bezweckt dies Art 7 für die nachziehenden Familienangehörigen eines türkischen Staatsangehörigen, die bereits ordnungsgemäß niedergelassen sind. Aufgrund der vorstehenden Überlegungen kann als Zwischenergebnis festgehalten werden: Familienangehörige iSd Art 7 Satz 1 sind jedenfalls neben dem Ehegatten des türkischen Arbeitnehmers und seinen Kindern, die Abkömmlinge seines Ehegatten, die das 21. Lebensjahr noch nicht erreicht haben; es sei denn, sie erhalten Unterhalt.332 Dabei kommt es nach der Rsp des EuGH auf das 328
Vgl SA, Sürül, Rz 16. Vgl EuGH 29.1.2002, Rs C-162/00, Pokrzeptowicz-Meyer, Slg 2002, I-1049, Rz 32 f. 330 Vgl C. Weber, Der assoziationsrechtliche Status 86; Gutmann, Die Assoziationsfreizügigkeit türkischer Staatsangehöriger 116. 331 EuGH, Bozkurt, Rz 19 f. Ebenso EuGH, Tetik, Rz 20; Günaydin, Rz 21, Ertanir, Rz 21; Birden, Rz 23; Nazli, Rz 50 bis 55; Kurz, Rz 30. 332 Zu Recht diese Auslegung noch erwägend der VwGH 29.9.1998, 97/09/0255. 329
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tatsächliche Gewähren von Unterhalt an. Das Bestehen einer Unterhaltspflicht ist ebensowenig eine notwendige Tatbestandsvoraussetzung, wie eine Situation sozialer Bedürftigkeit.333 Der Status von Adoptiv- oder Stiefkindern muss nicht vor dem 21. Lebensjahr bestanden haben.334 Weder Art 11 VO 1612/68 noch Art 7 ARB 1/80 stellen Anforderungen an die Staatsangehörigkeit der begünstigten Familienangehörigen. Sohin ist davon auszugehen, dass die Vergünstigungen des Art 7 gleichermaßen für Familienangehörige türkischer Arbeitnehmer anderer oder auch ohne Staatsangehörigkeit gelten.335 Bei der Bestimmung des begünstigten Personenkreises ist aber auch darauf abzustellen, wie der Gerichtshof den Begriff des „Familienangehörigen“ des Arbeitnehmers bisher in ähnlichen Zusammenhängen verstanden hat. So hat er sich im Urteil Mesbah, bei dem es um die Auslegung dieses Begriffes in Art 41 Abs 1 des Kooperationsabkommens zwischen der Europäischen EWG und dem Königreich Marokko ging,336 für eine weite Auslegung entschieden. Aufgrund der allgemeinen Ausdrucksweise erfasse der Begriff „Familienangehöriger“ nicht nur den Ehegatten und die Kinder des Arbeitnehmers, sondern auch Personen, die mit ihm in sonstiger Weise eng verwandt sind, insbesondere seine Verwandten in aufsteigender Linie, sowie mit ihm eng verschwägerte Personen, sofern sie tatsächlich mit dem Arbeitnehmer zusammenleben. Eine Beschränkung des Begriffs „Familienangehörige“ auf die Blutsverwandten des Arbeitnehmers sei mangels besonderer Anhaltspunkte nicht gerechtfertigt.337 Diese Rechtsprechung hat der Gerichtshof in der Rs Ayaz analog auf die Auslegung des Begriffs „Familienangehöriger“ in Art 7 ARB 1/80 mit der Begründung übertragen, dass sie erst recht für das AssAbk gelten müsse, „welches weitergesteckte Ziele verfolgt“. Zufolge dieses Urteils gilt, „dass bei der Bestimmung der Bedeutung des Begriffes Familienangehöriger in Art 7 Satz 1 ARB 1/80 auf die dem gleichen Begriff im Bereich der Freizügigkeit der Arbeitnehmer aus den Mitgliedstaaten der Gemeinschaft gegebene Auslegung abzustellen ist, insbesondere auf die Art 10 Abs 1 der Verordnung Nr. 1612/68 zuerkannte Bedeutung“.338 Die Ausfüllung der Lücke im persönlichen Geltungsbereich des Art 7 im Wege der Analogie zu Art 10 oder, anders formuliert, die Übertragung der für Art 10 geltenden Grundsätze verkennt die bereits dargelegte Tatsache, dass der Regelungszweck des Art 10 der VO ein anderer ist als jener des Art 7 ARB 1/80. Im Übrigen leidet die extensive Interpretation unter einem offensichtlichen Widerspruch zum Verbot der Schlechterstellung von Gemeinschaftsbürgern gegenüber den nach dem AssAbk berechtigten türkischen Staatsbürgern gem Art 59 ZProt. Infolge allerdings verfehlt VwGH 27.10.1999, 97/09/0019; 15.12.1999, 97/09/0102 und 97/ 09/0234. 333 Vgl EuGH, Lebon, Rz 21 f. 334 Vgl den Erlass des BMAGS vom 22.12.98 zum Beschluss 1/80, Zl. 35.601/12-7/98, nachzulesen bei Pflegerl, Beschäftigungs- und Aufenthaltsrechte integrierter türkischer Staatsangehöriger (Aktualisierung, 1999). 335 Vgl VwGH 28.10.2004, 2001/09/0058. Gutmann, Die Assoziationsfreizügigkeit türkischer Staatsangehöriger 116, mwN; Lobner in Muzak et al (Hrsg), Art 7 ARB 106. 336 Siehe VO 2211/78 EWG des Rates vom 26.9.1978 (ABl L 264/1). 337 EuGH 11.11.1999, Mesbah, Rs C-179/1998, Slg 1999, I-07955, Rz 42 ff. 338 EuGH, Ayaz, Rz 45 bis 47.
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Zwar macht der Wortlaut des Art 7 Satz 1 ARB 1/80 die darin den Familienangehörigen eines dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaats angehörigen türkischen Arbeitnehmers eingeräumten Rechte weder vom Lebensalter, noch von einer Unterhaltsleistung oder von einem gewissen Verwandtschaftsgrad abhängig. Gemäß Art 59 ZProt darf jedoch der Türkei keine günstigere Behandlung gewährt werden als diejenige, die sich die Mitgliedstaaten untereinander aufgrund des Vertrages zur Gründung der Gemeinschaft einräumen. In Anbetracht einer dieserart vorliegenden Schranke kann eine Auslegung des Art 7 ARB 1/80 nicht die persönlichen Grenzen jener gemeinschaftsrechtlichen Bestimmungen überschreiten, die dasselbe Recht für Angehörige von EG-Arbeitnehmern vorsehen. Der aus der VO 1612/68 zur Aufnahme einer Beschäftigung im Aufnahmemitgliedstaat berechtigte Personenkreis der Familienangehörigen beschränkt sich aber auf die Ehegatten und die Kinder des Arbeitnehmers. Daraus folgt, dass der EuGH zu Unrecht den Kreis der begünstigten Familienangehörigen über diejenigen hinaus erweitert, die von der dem Art 7 korrespondierenden Norm des Art 11 VO 1612/68 erfasst werden. Selbst wenn man das Verbot nach Art 59 ZProt ausblenden wollte, ist die Auffassung des EuGH nicht überzeugend. Es ist zuzugestehen, dass Art 7 Satz 1 keinen Anhaltspunkt dafür enthält, dass die Bedeutung des Begriffes „Familienangehöriger“ des Arbeitnehmers auf Blutsverwandte beschränkt wäre. Diese am Wortlaut klebende apodiktische Behauptung muss jedoch gegen sich gelten lassen, dass umgekehrt nichts zu einer Auslegung zwingt, die den Kreis der begünstigten Personen über das hinaus erweitert, was erforderlich ist, um dem Zweck des Art 7 gerecht zu werden. Entgegen dem EuGH ist sohin davon auszugehen, dass der Begriff „Familienangehöriger“ in Art 7 Satz 1 lediglich den Ehegatten des türkischen Arbeitnehmers und seine Kindern bzw die Kinder seines Ehegatten umfasst, die das 21. Lebensjahr noch nicht erreicht haben oder tatsächlich Unterhalt erhalten. b) Zugehörigkeit der Bezugsperson zum regulären Arbeitsmarkt Als zweite Voraussetzung verlangt die Bestimmung, dass es sich bei der Bezugsperson um einen „dem regulären Arbeitsmarkt … angehörenden“ türkischen Arbeitnehmer handeln muss. Aus den Urteilen Kadiman und Akman hat der VwGH abgeleitet, dass die im ersten Satz des Art 7 ARB 1/80 den Familienangehörigen türkischer Arbeitnehmer eingeräumte Rechtsstellung daher davon abhängig sei, dass diese Bezugsperson dem regulären Arbeitsmarkt aktuell angehöre. Dadurch unterscheide sich der erste Satz des Art 7 vom zweiten Satz dieser Bestimmung, wonach für bestimmte, den Kindern türkischer Arbeitnehmer eingeräumte Rechte ausreichend ist, dass ein Elternteil in der Vergangenheit ordnungsgemäß „beschäftigt war“.339 Das in der Rs Cetinkaya ergangene Urteil des EuGH veranlasste den VwGH, von seiner bisherigen Rsp abzugehen und im Lichte dieses Urteils anzunehmen, dass die nach Erfüllen der im Art 7 Satz 1 genannten Voraussetzungen gewonnene Rechtsstellung der Familienangehörigen nicht dadurch wieder beseitigt werde, dass die Bezugsperson zu irgendeinem Zeitpunkt nicht mehr dem regulären Arbeitsmarkt angehört.340 339
Vgl VwGH 7.4.1999, 97/09/0175; 19.12.2000, 98/09/0220; 27.6.2001, 99/09/0196; 18.4.2002, 99/09/0222; zum Begriff „regulärer Arbeitsmarkt“ siehe 63 ff. 340 Vgl VwGH 15.12.2004, 2001/09/0034. EuGH, Cetinkaya, Rz 29 ff.
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Das bedeutet, dass die von Art 7 Satz 1 begünstigten Familienangehörigen sich auch dann noch auf ihre Rechte aus diesem Artikel berufen können, wenn der Arbeitnehmer den Arbeitsmarkt aus irgendwelchen Gründen verlassen hat. Ist das Recht des Familienangehörigen nach der Systematik des Art 7 leg cit erst einmal entstanden, erhält es somit einen individuellen Charakter, der unabhängig vom Status der Bezugsperson ist, von dem er seine Rechte ursprünglich ableitete. Mit GA Léger ist anzunehmen, dass die Voraussetzung der Zugehörigkeit des Arbeitnehmers zum regulären Arbeitsmarkt des Aufnahmestaats nur während der in SS 1 und 2 genannten Zeiträume von drei oder fünf Jahren gelten kann. Innerhalb dieser muss der Familienangehörige ununterbrochen bei dem türkischen Arbeitnehmer wohnen und darf vor deren Ende die durch diese Bestimmung unmittelbar verliehenen Rechte noch nicht erlangt haben. Ab diesem Zeitpunkt kann die Geltendmachung der in Art 7 Satz 1 zuerkannten Rechte nicht mehr davon abhängig gemacht werden, ohne dem Regelungszweck der Norm und der dazu ergangenen Rsp des EuGH zu widersprechen.341 c) Familienzusammenführung als Ziel Drittens macht Art 7 Satz 1 die Zuerkennung der darin vorgesehenen Rechte der Familienangehörigen davon abhängig, dass diese die Genehmigung erhalten haben müssen, zu dem türkischen Arbeitnehmer in das Aufnahmeland zu ziehen. Die Norm bezweckt nach der Rsp des EuGH die Förderung einer dauerhaften Integration der Familie des türkischen Arbeitnehmers im Aufnahmemitgliedstaat, indem sie die Beschäftigung und den Aufenthalt des türkischen Arbeitnehmers dadurch erleichtert, dass die Familienangehörigen, die zu dem Wanderarbeitnehmer ziehen durften, zunächst bei diesem leben dürfen und später zudem das Recht erhalten, in diesem Staat eine Beschäftigung aufzunehmen.342 Damit wird den Familienangehörigen zwar nicht das Recht auf Nachzug in den Mitgliedstaat eingeräumt, wohl aber günstigere Bedingungen für die Familienzusammenführung geschaffen, da den Mitgliedern der Familie des im Arbeitsmarkt des Mitgliedstaates integrierten Arbeitnehmers, nach einer der Nachzugsgenehmigung folgenden bestimmten Aufenthaltsdauer selbst der Zugang zum Arbeitsmarkt eröffnet wird.343 Die Formulierung „die die Genehmigung erhalten haben zu ihm zu ziehen“ ist daher vor der Hintergrund zu sehen, dass die Regelungsbefugnis der Mitgliedstaaten, Vorschriften über die Einreise türkischer Staatsangehöriger in ihr Hoheitsgebiet zu erlassen, durch das AssAbk und die darauf basierenden Beschlüsse nicht berührt wird. So sollen Familienangehörige, die unter Missachtung der Einreise- und Aufenthaltsvorschriften des Mitgliedstaates beim Arbeitnehmer wohnen, vom Anwendungsbereich dieser Vorschrift ausgenommen sein.344 Nach der Rsp des VwGH ist diese Voraussetzung auch dann erfüllt, wenn ein Familienangehöriger zunächst unter Verstoß gegen die Einreisebestimmungen, also ohne gültiges Einreisevisum und ohne die Genehmigung erhalten zu haben, 341 342
Vgl die SA des GA Léger, Cetinkaya, Rz 25. Vgl EuGH, Kadiman, Rz 34 ff; Eyüp, Rz 26; Ayaz, Rz 41; VwGH 18.12.1997, 96/09/
0334. 343 344
Vgl SA GA Léger, Akman, Rz 48 ff. Vgl EuGH, Cetinkaya, Rz 22.
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zu seinem im Bundesgebiet lebenden Ehegatten zu ziehen, in das Bundesgebiet eingereist sei, ihm in der Folge jedoch ein Sichtvermerk erteilt wurde. Zwar führte dies zu keiner nachträglichen Legalisierung ihres Aufenthaltes bis zur Erteilung des (ersten) Sichtvermerkes, bewirkte aber eine Genehmigung, zur fraglichen Bezugsperson zu ziehen.345 Die Wendung darf jedoch nicht zu streng beim Wort genommen werden, in dem Sinn, dass sie einem Familienangehörigen entgegengehalten werden könnte, der sich bereits rechtmäßig im Aufnahmemitgliedstaat befindet (zB weil er dort geboren wurde) und daher keiner förmlichen Erlaubnis bedarf, um zu dem Arbeitnehmer zu ziehen.346 Für eine derartige Ungleichbehandlung der Familienangehörigen können dem Satz 1 keine Anhaltspunkte entnommen werden. Vielmehr widerspräche eine Auslegung in diesem Sinne dem Regelungszweck der Bestimmung – nämlich, günstige Voraussetzungen für die Familienzusammenführung im Aufnahmeland zu schaffen – aber auch dem Geiste des Abkommens. Unter welchem Titel die Familiengemeinschaft letztendlich zustande kommt, ist für das Erfüllen des Tatbestandes nicht von Bedeutung, solange gewährleistet ist, dass der erteilte Aufenthaltstitel seinem Zwecke nach dem Entstehen einer Familiengemeinschaft dient. Es kommen somit alle im nationalen Recht zur Verfügung stehenden Aufenthaltstitel in Betracht, die auf das Herstellen einer Familiengemeinschaft gerichtet sind.347 Der Regelaufenthaltstitel für nachziehende Familienangehörige ist nach dem österreichischen Einwanderungswesen eine quotenpflichtige Niederlassungsbewilligung für jeglichen Aufenthaltszweck, ausgenommen Erwerbstätigkeit (§ 21 Abs 4 FrG). Bestimmten Personengruppen, die nur die Absicht haben, sich vorübergehend in Österreich niederzulassen, kommt die Möglichkeit einer Familiengemeinschaft aufgrund einer Aufenthaltserlaubnis zu. So sieht § 7 Abs 4 Z 3 für Ehegatten und minderjährige Kinder der in Z 1 (Studenten) und Z 2 (Rotationsarbeitskräfte) der Bestimmung genannten Personen die Möglichkeit einer Familiengemeinschaft vor. Selbst eine Aufenthaltserlaubnis gem § 10 Abs 4 FrG (humanitäre Gründe) kann eine anspruchsbegründende Grundlage gem Art 7 Satz 1 ARB 1/80 darstellen, wenn sie zum Zwecke der Herstellung der Familieneinheit gewährt wurde.348 345
VwGH 20.11.2001, 2000/09/0031. EuGH, Cetinkaya, Rz 23 ff. 347 Wie oben dargelegt, hat Art 7 Satz 1 – im Unterschied zu Satz 2 – eindeutig die Familienzusammenführung vor Augen, weshalb nur jene Aufenthaltstitel anspruchsbegründend sein können, die nach der Intention des nationalen Gesetzgebers diesem Ziel dienen. AM Lobner in Muzak et al (Hrsg), Art 7 ARB 107, die nur auf das Kriterium des Nachzugs und die tatsächliche Begründung des gemeinsamen Haushalts abstellt. Nach dieser vom Sinn der Bestimmung abweichenden Meinung hätte wohl auch die Erteilung einer Einreise- und Aufenthaltserlaubnis zu Studienzwecken anspruchsbegründenden Charakter gem Satz 1. Dieser Sachverhalt fällt aber vielmehr in den Anwendungsbereich des Satz 2. Genausowenig kann es aber – wie Gutmann, Assoziationsfreizügigkeit 117 meint – auf die bloße Rechtmäßigkeit des Aufenthalts ankommen, kämen doch in diesem Fall auch einem Asylwerber aufgrund seines vorläufigen rechtmäßigen Aufenthalts die Rechte aus Art 7 zu. 348 Der VfGH hat am 8.10.2003 in G 119/03 ausgesprochen, dass die Möglichkeit der humanitären Aufenthaltserlaubnis im Fall des Bestehens eines aus der EMRK abzuleitenden Rechtsanspruches auf Familiennachzug den Anforderungen des Art 8 EMRK genügt. 346
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Ein Touristenvisum nach § 6 FrG wird diesen Anforderungen naturgemäß nicht gerecht. Selbst wenn der Betroffene danach einen dreijährigen ununterbrochenen Aufenthalt im Bundesgebiet vollzieht, stehen ihm keine Rechte aus Art 7 Satz 1 zu.349 d) Gemeinsamer Wohnsitz Die vierte Voraussetzung des Art 7 Satz 1 besteht darin, dass die Familienangehörigen, die die Genehmigung erhalten haben, zu dem Arbeitnehmer in den Aufnahmemitgliedstaat zu ziehen, in diesem Land über eine bestimmte Zeit hin mit dem Arbeitnehmer, der ihre Bezugsperson ist, zusammenwohnen. Zwar lässt sich dieser Schluss nicht unmittelbar aus dem Wortlaut der Bestimmung ableiten, da dieser lediglich vom „ordnungsgemäßen Wohnsitz“ über drei bzw fünf Jahre spricht. Doch hat der Gerichtshof aus dem Regelungszweck dieser Bestimmung geschlossen, dass der Familienangehörige grundsätzlich während dieser ersten drei Jahre ununterbrochen bei dem türkischen Arbeitnehmer wohnen müsse.350 Den Mitgliedstaaten ist es nicht verwehrt, den Aufenthalt eines Familienangehörigen während der ersten drei Jahre von Bedingungen abhängig zu machen, die gewährleisten, dass die Anwesenheit des Familienangehörigen in seinem Hoheitsgebiet dem Regelungszweck des Art 7 Satz 1 entspricht. Deshalb ist es legitim zu fordern, dass sich die Familienzusammenführung, die der Grund für ihre Einreise war, in einem tatsächlichen Zusammenleben mit dem Arbeitnehmer in häuslicher Gemeinschaft manifestiert, und dieses Zusammenleben so lange andauern muss, wie der Betroffene nicht selbst Rechte aus dem Beschluss herleiten kann.351 Dabei kann es nicht ausreichen, dass der Familienangehörige zwar in derselben Gemeinde wie der Arbeitnehmer, jedoch an einer anderen Adresse wohnt, selbst wenn sich der Wohnsitz in unmittelbarer Nähe zu dem der Bezugsperson befindet; ebensowenig verhilft der Umstand, dass während der Zeiträume, in denen der Familienangehörige und die Bezugsperson nicht im gemeinsamen Haushalt leben, keine praktische räumliche Trennung voneinander vorliegt und die Familienangehörigen ein intensives Familienleben im Sinne einer Familiengemeinschaft führen, zur Berechtigung nach Art 7 Satz 1.352 Angesichts des Regelungszwecks ist allerdings davon auszugehen, dass bei Vorliegen eines nachweislichen tatsächlichen Zusammenlebens mit dem Arbeitnehmer der Mangel eines förmlichen Meldenachweises der Zuerkennung der Rechte nicht entgegenstehen kann. Dabei handelt es sich nicht um einen ausnahmslosen Grundsatz, der es auch bei Vorliegen von objektiven Gründen nicht zulässt, davon abzugehen. In Anbetracht der immer mehr Flexibilität erfordernden Arbeitswelt stellt es keinen lebensfremden Sachverhalt dar, wenn Personen ein Pendlerdasein führen, indem 349
So auch der VwGH 2.10.1996, 96/21/0641; 7.11.1997, 96/19/0962; 5.4.1998, 96/09/0383; 5.8.1998, 97/21/0392. 350 EuGH, Kadiman, Rz 47. 351 Vgl EuGH, Kadiman, Rz 33, 37, 40; Ergat, Rz 36. Der Meldezettel bietet zwar einen geeigneten Nachweis über das tatsächliche Zusammenleben, kann aber das Nichtvorliegen eines solchen nicht kompensieren. 352 Vgl VwGH 28.2.2002, 99/09/0228.
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sie sich zeitweise an einem anderen Ort als dem ihres gewöhnlichen Wohnsitzes aufhalten, um ihrer Beschäftigung nachzugehen.353 In derartigen Fällen ist die vorübergehende Unterbrechung des Zusammenwohnens durchaus gerechtfertigt und zweckdienlich. Aber auch private oder familiäre Gründe können es notwendig machen, den gemeinsamen Wohnsitz für eine angemessene Dauer zu verlassen. Sofern diese kurzzeitigen Unterbrechungen der Lebensgemeinschaft ohne die Absicht erfolgen, den gemeinsamen Wohnsitz im Aufnahmemitgliedstaat aufzugeben, werden sie den Zeiten gleichgestellt, während derer ein tatsächliches Zusammenleben der Familienangehörigen stattgefunden hat.354 Die Beendigung des Zusammenlebens eines Kindes mit den Eltern aufgrund einer Eheschließung des Kindes stellt nach der Judikatur des VwGH keinen Rechtfertigungsgrund für die getrennte Wohnsitznahme dar und ist somit nicht auf die Anwartschaftsdauer gem Art 7 Satz 1 anzurechnen.355 Der VwGH hat aber desgleichen ausgesprochen, dass auch eine etwas mehr als elfmonatige Unterbrechung des Zusammenlebens bei Berechnung der Wohnsitzzeiten als angemessen zu berücksichtigen sei, wenn die Ausreise nicht „freiwillig“, sondern zum Zwecke einer erzieherischen Maßnahme erfolgte und der Betroffene nicht Absicht hatte, den gemeinsamen Wohnsitz in Österreich aufzugeben.356 Ob die außereheliche Lebensgemeinschaft diesen Ansprüchen genügt, ist zumindest fraglich und wurde im Urteil Eyüp thematisiert. Vorweg ist festzuhalten, dass zunächst ein formelles Eheband jedenfalls bestanden haben muss, damit Art 7 Abs 1 überhaupt Platz greift. Nachdem der ARB 1/80 kein Zuzugsrecht für den ledigen Lebenspartner gewährt,357 kann der Begriff in diesem Fall nur formell verstanden werden. Dem Fall Eyüp lag eine Konstellation zugrunde, in der die Ehe der türkischen Ehegatten nach zwei Jahren geschieden wurde. Die Lebensgemeinschaft wurde dennoch eheähnlich fortgeführt, sodass das Familienleben keine Einschränkungen erfahren hat. Zudem zeugte das Paar in der Zeit der außerehelichen Lebensgemeinschaft vier Kinder. Anschließend heirateten die Betroffenen wieder und der 353 Vgl GA Elmer SA, Kadiman, Rz 31: „Viele Angehörige der Mitgliedstaaten müssen sich auf diese Weise einrichten, und es ist trotz allem leichter, zwischen München und Rosenheim zu pendeln als zwischen München und Konya.“ 354 In der Rs Kadiman, Rz 48 ff, hat der EuGH einen weniger als sechsmonatigen Aufenthalt des Betroffenen in seinem Heimatland als unschädlich betrachtet. Der Erlass vom 22.12.98, Zl. 35.601/12-7/98 stellt sogar eine mehr als sechsmonatige Abwesenheit vom Bundesgebiet mit vorübergehender Aufgabe des gemeinsamen Wohnsitzes den Zeiten des ordentlichen Wohnsitzes gleich, wenn die Familieneinheit gewahrt bleibt und besonders berücksichtigungswürdige Gründe die Ausreise erforderlich machen. Als solche Gründe werden beispielsweise familiäre (zB Krankenpflege der Eltern), gesundheitliche (zB medizinische Behandlung im Ausland) oder sonstige zwingende Gründe (zB Wehrdienst im Heimatland) genannt. Man wird auf Grund des offenbar demonstrativen Charakters der Aufzählung wohl auch die notwendige Betreuung der Kinder als berücksichtigungswürdigen Grund ansehen müssen. 355 VwGH 21.2.2001, 98/09/0228. 356 VwGH 18.4.2002, 99/09/0157. 357 Für Gemeinschaftsbürger kann sich ein solches aus den sozialen Vergünstigungen des Art 7 Abs 2 der VO 1612/68 ergeben, vgl Schneider/Wunderlich in Schwarze (Hrsg), Art 39 EGV, Rz 101 mwN.
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Ehemann erkannte die außerehelich geborenen Kinder an. Der EuGH hat in diesem Fall entschieden, dass der Zeitraum des außerehelichen Zusammenlebens der Ehegatten zwischen der Scheidung ihrer ersten Ehe und der erneuten Eheschließung nicht als eine Unterbrechung ihres gemeinsamen Familienlebens iSd des Art 7 Satz 1 angesehen werden kann.358 Angesichts des Regelungszwecks der Bestimmung ist kaum einzusehen ist, warum ein aufgrund einer Scheidung entstandener formeller Mangel des Ehebandes nicht nachträglich durch Eheschließung mit derselben Person saniert werden könnte, wenn während dieses Zeitraums bis zur neuerlichen Eheschließung die Ehegatten ihr Eheleben nicht aufgegeben haben. Anders wäre die Situation allerdings zu beurteilen, wenn der Mangel inhaltlicher Natur wäre, die Lebensgemeinschaft als solche aufgegeben würde. Diese Tatsache würde die bereits erworbene Anwartschaft zum Erlöschen bringen. Es muss daher nicht die Angehörigeneigenschaft durchgehend vorliegen, sondern die Familieneinheit.359 Diese Überlegungen gelten allerdings nur unter der Prämisse, dass das Aufenthaltsrecht der betroffenen Person – welches sich während der Anwartschaftszeit ausschließlich nach nationalem Recht richtet – nicht von den Verwaltungsbehörden infolge Scheidung vom Ehegatten streitig gemacht wird. Zu den Zeiten, die dem ununterbrochenen drei- bzw fünfjährigen Wohnsitz des betroffenen Familienangehörigen ebenfalls gleichgestellt werden, sind die Zeiträume zu rechnen, in denen der Betroffene nicht im Besitz eines gültigen Aufenthaltstitels war, wenn die zuständigen Behörden des Aufnahmemitgliedstaates nicht aus diesem Grund die Ordnungsmäßigkeit seines Wohnsitzes im nationalen Hoheitsgebiet in Frage gestellt, sondern ihm vielmehr eine neue Aufenthaltserlaubnis erteilt haben.360 (1) Die dreijährige Wohnsitzdauer Art 7 Satz 1 erster Spiegelstrich gewährt den Familienangehörigen eines türkischen Arbeitnehmers, die den oben genannten vier Voraussetzungen entsprechen, nach einer Wohnsitzdauer von drei Jahren, vorbehaltlich des den Arbeitnehmern aus den Mitgliedstaaten der Gemeinschaft einzuräumenden Vorrangs das Recht, sich auf jedes Stellenangebot zu bewerben. Dabei handelt es sich um einen unmittelbar auf Gemeinschaftsrecht gestützten Anspruch, der unabhängig davon besteht, ob die Vorschriften des Aufnahmemitgliedstaates für den Zugang zur Beschäftigung eine behördliche Bewilligung voraussetzen.361 Sieht das nationale Recht dennoch vor, dass für die Beschäftigung eines türkischen Staatsangehörigen ein behördliches Dokument zu erwirken ist, so ist diesem für die Anerkennung der aus dem ARB 1/80 erfließenden subjektiven Rechte lediglich deklarative Wirkung beizumessen.362 358
Vgl EuGH, Eyüp, Rz 36, 48. Der oben genannte Erlass widerspricht in Punkt 4b den Vorgaben des Art 7 Satz 1 und ist somit nicht anwendbar. 360 Vgl EuGH, Kadiman, Rz 54; Ertanir, Rz 69; Ergat, Rz 29. 361 Vgl EuGH, Kadiman, Rz 27 f und 51; Ergat, Rz 38. 362 Vgl EuGH, Bozkurt, Rz 29 f; Günaydin, Rz 49; Ertanir, Rz 55; Birden, Rz 65; Ergat, Rz 61 f; Eyüp, Rz 61 f; VfSlg 16.293/2001; VwGH 1.12.2000, AW 2000/09/0058. 359
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Die innerstaatliche Durchführung dieses gemeinschaftsrechtlichen Anspruches geschieht aufgrund von § 4c Abs 1 AuslBG, der bei Vorliegen der Voraussetzungen des Art 7 Satz 1 erster Spiegelstrich ARB 1/80 die amtswegige Erteilung oder Verlängerung einer Beschäftigungsbewilligung vorsieht (vgl 108). (2) Die fünfjährige Wohnsitzdauer Nach dem zweiten Spiegelstrich der Bestimmung kommt den Familienangehörigen ein Recht auf freien Zugang zu jeder von ihnen gewählten Beschäftigung im Lohn- oder Gehaltsverhältnis zu, wenn sie dort seit mindestens fünf Jahren ihren ordnungsgemäßen Wohnsitz haben. Damit sind die begünstigten Familienangehörigen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung mit den Arbeitnehmern aus dem Aufnahmeland und anderer Mitgliedstaaten gleichgestellt. In der Rs Ergat hat der EuGH hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung ausgesprochen: „Die unmittelbare Wirkung dieser Bestimmung bewirkt zumindest von dem Zeitpunkt an, zu dem der in Art 7 Satz 1 bezeichnete türkische Staatsangehörige nach fünfjährigem ordnungsgemäßem Wohnsitz aufgrund der Familienzusammenführung mit dem Arbeitnehmer gemäß dem zweiten Gedankenstrich dieser Bestimmung ein Recht auf freien Zugang zur Beschäftigung im Aufnahmemitgliedstaat erworben hat, dass der Betroffene hinsichtlich der Beschäftigung ein individuelles Recht aus dem Beschluss 1/80 herleiten kann“.363 Die Rechtsstellung der aus Art 7 Satz 1 berechtigten Personen verselbstständigt sich nach diesem Zeitpunkt und bildet eine von der Bezugsperson unabhängige. § 4c Abs 2 AuslBG ordnet für die nach dieser Regelung berechtigten Personen die amtswegige Ausstellung oder Verlängerung eines Befreiungsscheines an (vgl 108).
2. Art 7 Satz 2 ARB 1/80 – Kinder mit Berufsausbildung Wenn die Kinder türkischer Arbeitnehmer im Aufnahmemitgliedstaat eine Berufsausbildung abgeschlossen haben, steht ihnen gem Art 7 Satz 2 das Recht zu, sich für jeden Arbeitsplatz zu bewerben, wenn ein Elternteil in der Vergangenheit mindestens drei Jahre lang ordnungsgemäß in diesem Staat „beschäftigt war“. Im Unterschied zu den Familienangehörigen nach Satz 1 erster Spiegelstrich unterliegt dieses Recht keinem Vorrang der Arbeitnehmer aus den Mitgliedstaaten. Zwar können sich Kinder eines türkischen Arbeitnehmers als Familienangehörige auch auf die in Art 7 Satz 1 eingeräumten Rechte berufen. Die in dieser Bestimmung aufgestellten Voraussetzungen sind jedoch enger als die Voraussetzungen, die nach Art 7 Satz 2 nur für Kinder gelten. So macht Satz 2 die Inanspruchnahme der darin vorgesehenen Rechte nicht von der Wohndauer im Aufnahmemitgliedstaat abhängig. Außerdem verlangt Satz 2 anders als Satz 1 nicht, dass die Kinder die Genehmigung erhalten haben, zu ihren Eltern im Aufnahmestaat zu ziehen. Wie der EuGH feststellte, vermag die Tatsache, dass diese Genehmigung nicht zum Zweck der Familienzusammenführung, sondern zB zu Studienzwecken erteilt wurde, das Kind eines türkischen Arbeitnehmers nicht von den Rechten auszuschließen, die ihm Art 7 Satz 2 verleiht.364 363 364
Rz 40 des Urteils – Hervorhebung vom Verfasser. EuGH, Eroglu, Rz 22; Akman, Rz 34 ff. Das Kind braucht daher nicht aufgrund
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Ebenso wie Satz 1 enthält der Wortlaut des Satz 2 für die Personengruppe der „Kinder“ keine altersmäßige Begrenzung. Dies könnte zu der Annahme leiten, dass die für Satz 1 geltenden Regeln hinsichtlich des Alters auch auf Satz 2 Anwendung finden. Die in der Literatur dagegen geltend gemachten Bedenken, dass damit die Kinder genötigt wären, ihre Ausbildung vor dem Erreichen des 21. Lebensjahres zu beenden und ihnen dadurch höhere universitäre Bildung verwehrt bliebe, erweisen sich bei näherer Betrachtung als unbegründet.365 Dazu genügt zum einen der Hinweis, dass den Kindern aufgrund von Art 9 ARB 1/80 ein vom Alter unbegrenztes Recht auf Bildung zusteht (vgl dazu unten Kap VII 149 ff). Nun wäre es sicherlich sinnwidrig, einerseits dieser Personengruppe ein derartiges Recht zuzugestehen, sie aber nach Abschluss der Ausbildung wegen Überschreitung der Altersgrenze vom Recht auf Zugang zur Beschäftigung gem Art 7 Satz 2 auszuschließen. Vom Anwendungsbereich des Art 7 Satz 1 sind aber nicht nur jene Kinder erfasst, die das 21. Lebensjahr noch nicht erreicht haben, sondern auch ältere, sofern ihnen Unterhalt gewährt wird. In Anbetracht der Tatsache, dass die Unterhaltsbedürftigkeit eines Kindes grundsätzlich erst mit dem Eintritt in die Erwerbstätigkeit endet, befindet sich ein studierendes Kind eines türkischen Staatsangehörigen solange im Geltungsbereich des Satz 2, als ihm Unterhalt gewährt wird. Eine Auslegung, wonach den Kindern die Bewerbungsfreiheit gem Satz 2 nach Vollendung des 21. Lebensjahres nur dann zusteht, wenn ihnen Unterhalt gewährt wird, berührt nicht im Geringsten das Regelungsziel der Vorschrift und ermöglicht außerdem – wie soeben dargelegt – eine kohärente Anwendung mit Art 9 ARB 1/80. Ungeachtet des mehrdeutigen Wortlautes „sofern ein Elternteil in dem betreffenden Mitgliedstaat seit mindestens drei Jahren ordnungsgemäß beschäftigt war“, verlangt die Bestimmung nur, dass die dreijährige Beschäftigungsdauer des Elternteils irgendwann vor dem Zeitpunkt liegt, zu dem sein Kind seine Berufsausbildung beendet. Zu diesem Zeitpunkt ist es ferner nicht erforderlich, dass sich der türkische Arbeitnehmer noch im Aufnahmeland aufhält.366 Liegen die zwei Voraussetzungen (abgeschlossene Berufsausbildung im Aufnahmeland und ordnungsgemäße Beschäftigung eines Elternteils in diesem Mitgliedstaat von mindestens drei Jahren) vor, so hat das Kind des türkischen Arbeitnehmers ein unmittelbar aus dem Beschluss erwachsendes Recht, sich auf jedes Stellenangebot zu bewerben.367 Gem § 4c AuslBG ist für diesen Personenkreis eine Beschäftigungsbewilligung von Amts wegen zu erteilen oder zu verlängern (vgl dazu unten 108). Was unter einer „Berufsausbildung“ iSd Art 7 Satz 2 zu verstehen ist, geht aus dem Text des Art 7 nicht hervor, doch bildete der gleiche Begriff in Art 12 VO 1612/68 den Gegenstand der Auslegung in der Rs Gravier. Der EuGH stellte fest, dass „jede Form der Ausbildung, die auf eine Qualifikation für einen bestimmten Beruf oder eine bestimmte Beschäftigung vorbereitet oder die die besondere einer zum Zwecke der Familienzusammenführung dienenden Aufenthaltserlaubnis eingereist sein. 365 So aber Gutmann, Assoziationsfreizügigkeit 116; ders in GK-AuslR, IX – 1 Art 7, Rz 92 ff. 366 Vgl EuGH, Akman, Rz 47 ff; Ergat, Rz 44. 367 Vgl EuGH, Akman, Rz 23.
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Befähigung zur Ausübung eines solchen Berufes oder einer solchen Beschäftigung verleiht, zur Berufsausbildung gehört, und zwar unabhängig vom Alter und vom Ausbildungsniveau der Schüler oder Studenten und selbst dann, wenn der Lehrplan auch allgemeinbildenden Unterricht enthält“. Zweifellos kann diese Auslegung auf die übereinstimmend gefasste Bestimmung des Satz 2 übertragen werden, da das Verhältnis zwischen Art 11 und 12 VO 1612/68 mutatis mutandis dem zwischen Art 7 und Art 9 ARB 1/80 entspricht; die Regelungen verfolgen in dem ihnen je eigenen Rahmen denselben Zweck.368 In Anbetracht dieser Definition sind jedenfalls unter dem Begriff der Berufsausbildung einzureihen: alle Arten der beruflichen Lehre,369 der Abschluss einer berufsbildenden mittleren oder höheren Schule, von Fachhochschulen sowie von Hochschulstudien370 (neuerdings wohl auch Bakkalaureatsstudien). Der Besuch einer allgemeinbildenden Schule sowie der Abschluss eines Polytechnikums fallen demgemäß nicht darunter. Ebenso dürften postgraduale Ausbildungen, die ausschließlich der Vertiefung der spezifischen Kenntnisse dienen, nicht vom Regelungszweck des Art 7 Abs 2 erfasst sein. Manche Stimmen in der Literatur wollen jede Form der organisierten Berufsausbildung – ohne näher darauf einzugehen – von dieser Bestimmung abgedeckt wissen, „da eine Beschränkung auf staatlich anerkannte Ausbildungslehrgänge die Dynamik der Entwicklung von Wirtschaft und Berufsleben sowie die Unterschiede der Ausbildungssysteme ignorieren würde.“371
C. Die innerstaatliche Umsetzung im Ausländerbeschäftigungsgesetz Die Beschäftigung von Ausländern wird nach § 3 AuslBG grundsätzlich von einer entsprechenden behördlichen Bewilligung oder Bestätigung abhängig gemacht. Nach dieser Bestimmung darf ein Arbeitgeber einen Ausländer, der nicht vom AuslBG ausgenommen ist,372 nur beschäftigen, „wenn ihm für diesen eine Beschäftigungsbewilligung, eine Zulassung als Schlüsselkraft oder eine Entsendebewilligung erteilt oder eine Anzeigebestätigung ausgestellt wurde, oder wenn der Ausländer eine für diese Beschäftigung gültige Arbeitserlaubnis oder einen Befreiungsschein oder einen Niederlassungsnachweis besitzt.“ Nachdem das Assoziationsrecht beim gegenwärtigen Stand die Regelungsbefugnis der Mitgliedstaaten hinsichtlich der erstmaligen Aufnahme einer Beschäftigung eines türkischen Arbeitnehmers unberührt lässt, sind diese bis zur Erreichung der ersten Assoziationsstufe des Art 6 Abs 1 UAbs 1 ganz auf die nationale Rechtslage angewiesen. Solange sie die im ARB 1/80 vorgesehenen Voraussetzungen nicht erfüllen, 368
So auch Feik, ZUV 2001, 17; ebenso VwGH 20.5.1998, 96/09/0297. In der Rs Kurz ist der EuGH nicht auf die Ausbildung zum Gas- und Wasserinstallateur im Rahmen des Art 7 Abs 2 ARB 1/80 eingegangen und hat für den Betroffenen direkt Rechte aus Art 6 Abs 1 hergeleitet. 370 Ihre Rechte aus Art 7 Abs 2 machten daher Frau Eroglu nach einen BWL-Studium und Herr Akman nach einem Ingenieurstudium geltend. 371 Vgl Lichtenberg in Lichtenberg/Linne/Gümrükcü (Hrsg), Gastarbeiter – Einwanderer – Bürger? 71. Ihm folgend Feik, ZUV 2001, 17. 372 Eine Aufzählung von Ausnahmen enthält § 1 Abs 2 leg cit. 369
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unterscheidet sich ihre Situation nicht von den sonstigen nicht begünstigten Drittstaatsangehörigen.
1. Die Beschäftigungsbewilligung Der erstmalige Zugang des türkischen Arbeitnehmers zum Arbeitsmarkt führt daher idR über die Beschäftigungsbewilligung. Diese ist gem § 19 AuslBG vom Arbeitgeber bei der regionalen Geschäftsstelle des AMS zu beantragen, in dessen Sprengel der in Aussicht genommene Beschäftigungsort liegt. Bei wechselndem Beschäftigungsort richtet sich die örtliche Zuständigkeit nach dem Sitz des Betriebes. Die Voraussetzungen für die Erteilung einer Beschäftigungsbewilligung sind in § 4 AuslBG normiert. Danach sind neben allgemeinen Interessen arbeitsmarktpolitischer, gesamtwirtschaftlicher und öffentlicher Art individuelle Voraussetzungen, die entweder seitens des Arbeitgebers oder des ausländischen Arbeitnehmers gegeben sein müssen, zu erfüllen. So hat gem § 4 Abs 1 iVm § 4b der Erteilung einer Beschäftigungsbewilligung eine Ersatzkraftvermittlung in dem Sinne voranzugehen, dass seitens des AMS zu prüfen ist, ob die Besetzung der konkreten offenen Stelle mit dem beantragten Ausländer weder durch einen Inländer, noch durch einen anderen Ausländer mit einem höheren Integrationsgrad ersetzt werden kann. Unter den bevorzugt zu vermittelnden Ausländern finden sich neben jenen mit Anspruch auf Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung, Inhabern einer Arbeitserlaubnis, eines Befreiungsscheines oder eines Niederlassungsnachweises oder EWR-Bürgern (§ 2 Abs 6) auch türkische Assoziationsarbeitnehmer, welche bereits die Voraussetzungen des ARB 1/80 erfüllen. Der Umstand der Verfügbarkeit einer Person aus dem bevorzugten Kreis von Arbeitssuchenden, welche den im Antrag auf Beschäftigungsbewilligung angegebenen Anforderungsprofil zum Ausdruck kommenden betrieblichen Notwendigkeiten Rechnung trägt und bereit und fähig ist, die beantragte Beschäftigung zu den gesetzlich zulässigen Bedingungen auszuüben, steht der Erteilung einer Beschäftigungsbewilligung entgegen.373 Damit wird die in den Art 5 und 6 StGG verbürgte Privatautonomie bzw die unternehmerische Dispositionsbefugnis des Arbeitgebers in verfassungsrechtlich zulässiger Weise eingeschränkt. Unter den individuellen Voraussetzungen des § 4 Abs 3 AuslBG verdient insbesondere Z 7 gesondert Erwähnung. Während nach der ursprünglichen Rechtslage (AuslBG idF BGBl 1992/475) die Beschäftigungsbewilligung (unter anderem) nur erteilt werden durfte, wenn der Ausländer zum Aufenthalt in Österreich nach dem Aufenthaltsgesetz (BGBl 1992/466) berechtigt war, also jeder Aufenthaltstitel – unabhängig vom Zweck – zur Aufnahme einer Beschäftigung legitimierte,374 schränkt die aktuelle Fassung der Z 7 die Erteilung einer Beschäfti373
Nach der stRsp des VwGH (15.9.2004, 2001/09/0189) „ist es das Recht jedes Arbeitgebers, sofern er damit nicht gegen zwingendes Recht verstößt, die Anforderungen festzusetzen, die er an eine von ihm zu beschäftigende Person stellt. Finden diese Anforderungen in objektiven Notwendigkeiten eine Grundlage, dann gehören sie zu den gesetzlich zulässigen Bedingungen der Beschäftigung, die bei der Prüfung nach § 4 Abs. 1 AuslBG zugrunde zu legen sind.“ 374 Vgl die Judikatur des VwGH, wonach allenfalls verfügte Einschränkungen des Aufenthaltsrechts rechtlich unerheblich waren: 18.5.1994, 94/09/0032 und 94/09/51; 15.9. 1994, 94/09/0062; 19.1.1995, 94/09/1994; 17.11.1994, 93/09/0478 ua.
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gungsbewilligung von vornherein auf Inhaber gewisser Aufenthaltstitel ein. Die vom Bestreben nach einer Harmonisierung des Ausländerbeschäftigungsrechts mit dem Fremdenrecht getragene Regelung gestattet die Erteilung einer Beschäftigungsbewilligung nur, wenn der Ausländer über eine Niederlassungsbewilligung oder über eine Aufenthaltserlaubnis verfügt, die den Zweck der Aufnahme einer unselbstständigen Erwerbstätigkeit bereits abdeckt (verwiesen wird dabei auf die §§ 10 Abs 4, 12 Abs 2 und 12 Abs 2a FrG375). In Frage kommen weiters nur Ausländer, die über eine befristete Aufenthaltsberechtigung gemäß § 15 AsylG verfügen oder einen Asylantrag eingebracht haben, über den seit drei Monaten nicht rechtskräftig abgesprochen wurde, und das Verfahren nicht eingestellt wurde (§ 30 AsylG) oder die auf Grund einer Verordnung gemäß § 29 FrG zum Aufenthalt im Bundesgebiet berechtigt sind oder Sichtvermerks- und Niederlassungsfreiheit genießen. Bei Verlängerungsanträgen auf eine Beschäftigungsbewilligung entfällt die Prüfung der Aufenthaltsberechtigung. Sind die allgemeinen und individuellen Voraussetzungen des § 4 Abs 1 und 3 AuslBG erfüllt, so ist zu prüfen, ob die vom BMWA im Verordnungswege festgelegte Bundeshöchstzahl oder die Landeshöchstzahlen der Erteilung einer Beschäftigungsbewilligung entgegenstehen. Gemäß § 13 Abs 1 ist der BMWA ermächtigt, 1. auf gemeinsamen Vorschlag der Interessenvertretungen der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer,376 2. auf Antrag eines Bundeslandes oder 3. zur Sicherung der Bundeshöchstzahl gemäß § 12a durch Verordnung für einzelne Bundesländer Höchstzahlen für die beschäftigten und arbeitslosen Ausländer festzusetzen. Die Landeshöchstzahlenverordnung 2005 (BGBl II 2004/443) sieht folgende Zahlen vor: Burgenland Kärnten Niederösterreich Oberösterreich Salzburg
3.100 7.000 27.600 28.500 15.000
Steiermark Tirol Vorarlberg Wien
11.600 16.000 12.400 66.000
Wird die verordnete Landeshöchstzahl überschritten, greift gem § 4 Abs 6 ein erschwertes Zulassungsverfahren Platz und es treten zu den allgemeinen und besonderen Kriterien der Abs 1 und 3, die jedenfalls erfüllt sein müssen, zusätzlich noch die Voraussetzungen des Abs 6. In diesem Fall sind Beschäftigungsbewilligungen neben Saisonarbeitskräften (Z 3) und Personengruppen, die gem § 12a 375
Dass der Verweis auf § 12 Abs 2a FrG nicht die aus den Materialien erweisliche Absicht des Gesetzgebers spiegelt, wurde zuvor (57) dargelegt. 376 Der VfGH hat in VfSlg 12.506/1990 zu § 12 AuslBG idF BGBl 1988/231 festgestellt, dass die Festsetzung von Kontingenten mit den daraus resultierenden Folgen nicht mehr zum Kreise der berechtigten Interessen einer kollektivvertragsfähigen Körperschaft zu zählen ist, die zu besorgen sie berufen wäre. Das jetzige Vorschlagsrecht der Sozialpartner stößt vor dem Hintergrund des Art 20 Abs 1 B-VG mangels Einschränkung der Entscheidungsfreiheit des BM als oberstes Verwaltungsorgan auf keine verfassungsrechtlichen Bedenken.
Die innerstaatliche Umsetzung im Ausländerbeschäftigungsgesetz
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Abs 2 auch nach Überziehung der Bundeshöchstzahl zu einer Beschäftigung zugelassen werden dürfen (Z 6), für besonders integrierte (Z 2) oder qualifizierte Fremde (Schlüsselarbeitskräfte nach § 2 Abs 5 – Z 4) und deren Angehörige (Z 4a) zu erteilen, es sei denn, eine zwischenstaatliche Vereinbarung gebietet (Z 5),377 oder der Regionalbeirat befürwortet einstimmig die Beschäftigung (Z 1). Die Bundeshöchstzahl stellt die zulässige Gesamtzahl der unselbstständig beschäftigten und arbeitslosen Ausländer dar. Für das Jahr 2005 beträgt sie 275.003 (BGBl II 2004/444). Ist diese Zahl überschritten, dürfen Beschäftigungsbewilligungen nur aufgrund von Verordnungen des BMWA nach § 12a Abs 2 (Bundeshöchstzahlüberziehungsverordnung), in Ermangelung einer solchen, nur für Ausländer erteilt werden, die Ansprüche auf Leistungen nach dem AlVG 1977 (vgl dessen § 6: zB Arbeitslosengeld oder Notstandshilfe) haben oder sich auf eine zwischenstaatliche Vereinbarung berufen können.378 Sind sämtliche allgemeine und individuelle Voraussetzungen des § 4 AuslBG erfüllt, bleibt kein Raum für behördliches Ermessen, sondern besteht ein Rechtsanspruch des Arbeitgebers auf Erteilung einer Beschäftigungsbewilligung.379 Der Gesetzgeber bedient sich nämlich in § 4 Abs 1 einer Formulierung (arg: „Die Beschäftigungsbewilligung ist, …, zu erteilen, …“), mit der legistisch typischerweise eine Behördenzuständigkeit zur Entscheidung im Rahmen gesetzlicher Gebundenheit zum Ausdruck gebracht wird. Der Umstand, dass er sich in Abs 3 für eine sprachliche Variation entschieden hat („… darf weiters nur erteilt werden, wenn …“), vermag daran nichts zu ändern. Keineswegs darf die Bestimmung so verstanden werden, dass sich die Behörde trotz Erfüllung der gesetzlichen Voraussetzungen rechtmäßiger Weise gegen die Erteilung einer Beschäftigungsbewilligung aussprechen dürfte. Zwar erfolgt die Formulierung der rechtserheblichen Tatbestandsmerkmale in Abs 3 vorwiegend durch unbestimmte Rechtsbegriffe, was der Behörde sicherlich bei der Beurteilung des rechtserheblichen Sachverhaltes einen Spielraum zugesteht, jedoch kein Ermessen einräumt. Wenngleich Abs 3 von „darf“ spricht, erwächst dem Arbeitgeber bei Vorliegen der rechtserheblichen Tatsachen ein Rechtsanspruch auf Stattgebung seines Antrages. Vielmehr wird umgekehrt durch das Wort „darf“ zum Ausdruck gebracht, dass es der Behörde von Gesetzes wegen verwehrt ist, schon bei Fehlen auch nur eines der Tatbestandselemente die Beschäftigungsbewilligung zu erteilen. 377
Zu diesen zählt auch das Assoziationsabkommen EWG-Türkei. Entgegen Lobner in Muzak et al (Hrsg), § 4 Abs 7 AuslBG, stellt sich im Falle der Überziehung der Bundeshöchstzahl (was idR zugleich die Erschöpfung der Landeshöchstzahlen bedeutet) die Frage angesichts der eindeutigen Konzeption der Regelung nicht, ob auch die Voraussetzungen des erschwerten Verfahrens nach Abs 6 zu prüfen sind. Wäre dem so, müsste konsequenter Weise – nachdem nichts für eine partielle Prüfung des Kriterienkatalogs des Abs 6 spricht – angenommen werden, dass dem Regionalbeirat auch im Falle der Überschreitung der Bundeshöchstzahl das Recht zukommt, durch die einhellige Befürwortung des Antrags eine Erteilung einer Beschäftigungsbewilligung zu bewirken. § 20 Abs 2 sieht jedoch für diesen Fall nicht einmal ein Anhörungsrecht des Regionalbeirats vor. 379 Vgl § 4 Abs 1 erster Satz, der davon spricht, dass die Beschäftigungsbewilligung zu erteilen ist, …; siehe zB VwGH 26.6.1991, 91/09/0030; 19.2.1993, 92/09/0242; 18.3.1993, 92/09/0392. Ebenso Schrammel, ecolex 1997, 726. 378
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Das Beschäftigungsrecht
Nach § 6 Abs 1 AuslBG ist der Geltungsbereich einer Beschäftigungsbewilligung beschränkt auf einen konkreten Arbeitsplatz und gilt nur für den politischen Bezirk, in dem der Beschäftigungsort liegt. Die Geltungsdauer einer Beschäftigungsbewilligung kann nach § 7 AuslBG bis zu einem Jahr betragen und ist nach den Bedürfnissen der Art der Beschäftigung zu befristen. Abweichend von der oben dargestellten Rechtslage ist die Erteilung einer Beschäftigungsbewilligung für jene türkische Staatsangehörige geregelt, die die Kriterien des ARB 1/80 erfüllen. Gemäß § 4c AuslBG ist für diese bei Vorliegen der Voraussetzungen des Art 6 Abs 1 UAbs 1 oder 2 eine Beschäftigungsbewilligung von Amts wegen zu erteilen oder zu verlängern. Zur Einführung dieser Bestimmung in das AuslBG durch BGBl I 1997/78, welche mit 1.1.1998 in Kraft getreten ist, hatte nicht zuletzt die von der Rsp des EuGH zum Assoziationsrecht beeinflusste Judikatur des VwGH Anlass gegeben. Nachdem er mit Erkenntnis vom 25.6.1996, 96/09/0088 ausdrücklich festgestellt hatte, dass die Bestimmungen des ARB 1/80 in Österreich unmittelbar anwendbar und dementsprechend von den Verwaltungsbehörden anzuwenden sind, folgte das AMS der Rechtsansicht des Gerichtshofs durch die Erlassung von Feststellungsbescheiden, die nach den materiellen Bestimmungen des ARB 1/80 den Zugang zur Beschäftigung ermöglichten. Auf diese Weise wurde zwar die Diskrepanz zwischen dem nationalen Recht und den Vorgaben des ARB 1/80 überbrückt und die Anwendbarkeit des Gemeinschaftsrechts gewährleistet, doch stieß diese Art der Umsetzung beim Gesetzgeber auf Bedenken ob der Rechtssicherheit, was ihn anlässlich der AuslBG-Novelle (BGBl I 1997/78) zur Einfügung der Bestimmung des § 4c veranlasste. Mit Inkrafttreten des § 4c AuslBG und der darin vorgesehenen Verpflichtung, für gemäß Art 6, 7 und 9 des ARB 1/80 berechtigte Personen Beschäftigungsbewilligungen und Befreiungsscheine auszustellen, sowie mit Inkrafttreten des § 30 Abs 3 des FrG 1997, wonach niedergelassene, sichtvermerkspflichtige Drittstaatsangehörige, die auf Grund ua eines unmittelbar anwendbaren Rechtsaktes der Europäischen Union ein Bleiberecht genießen, Anspruch auf Erteilung eines weiteres Aufenthaltstitels haben, ist das zur Erlassung eines Feststellungsbescheides maßgebliche Interesse weggefallen.380 Dem – auch weiterhin im Hinblick auf die Rechtssicherheit bestehenden – Interesse wird nun durch die nach dieser Bestimmung erteilten Beschäftigungsbewilligungen und Befreiungsscheine Rechnung getragen. Mit besonderem Nachdruck ist allerdings zu betonen, dass die Einfügung des § 4c jedoch nichts daran geändert hat, dass die gemäß Art 6, 7 und 9 ARB 1/80 bestehenden Rechte von den dadurch Berechtigten unmittelbar geltend gemacht werden können und ihnen auch „ohne irgendeine Genehmigung“ zustehen.381 Um dem mit der Gesetzesänderung verfolgten Ziel der EU-Konformität gerecht zu werden, muss die Regelung des § 4c Abs 1 so verstanden werden, dass bei der amtswegigen Erteilung einer Beschäftigungsbewilligung die Lage und Entwicklung des Arbeitsmarktes gem § 4 Abs 1 außer Acht bleibt. Das bedeutet, dass kein Ersatzkräfteverfahren nach § 4b durchzuführen ist. Ebensowenig dürfen gesamt380 Vgl VwGH 15.3.2000, 98/09/0054; Erk v 12.4.2000, 98/09/0065, 98/09/0109, 98/09/ 0187; 30.1.2003, 99/21/0263. 381 Vgl EuGH, Eyüp, Rz 42, 47. Aus diesem Grund verfehlt Schnorr, AuslBG4, § 4c, Rz 3, der weiterhin bescheidmäßige Bewilligungen für erforderlich hält.
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wirtschaftliche Interessen gem § 4 Abs 1 gegen die Erteilung geltend gemacht werden. Der Versagungsgrund der „wichtigen öffentlichen Interessen“ desselben Absatzes lässt sich hingegen mit Art 14 Abs 1 ARB 1/80 in Einklang bringen, der Beschränkungen nur aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit zulässt. Gerechtfertigt wäre demnach zum Schutze der Gesundheit die Versagung der Erteilung oder Verlängerung einer Beschäftigungsbewilligung für eine Prostituierte, die zB den Nachweis der Freiheit von Geschlechtskrankheiten (gem § 2 der Verordnung über die gesundheitliche Überwachung von Personen, die der Prostitution nachgehen, BGBl 1993/591) nicht erbringen kann oder, weil es ihr aufgrund des AidsG verboten ist, gewerbsmäßig sexuelle Handlungen am eigenen Körper zu dulden oder solche Handlungen an anderen vorzunehmen (vgl § 4 leg cit). Angesichts des strikten Gesetzesvorbehalts des Art 14 ARB 1/80 können die subjektiven Voraussetzungen des § 4 Abs 3 AuslBG in einem Verfahren nach § 4c nur eingeschränkt Platz greifen, da nicht alle unter Z 1 bis 16 angeführten Versagungsgründe die Schwere aufweisen, die einen so schwerwiegenden Eingriff in das Weiterbeschäftigungsrecht rechtfertigen würde. Gerechtfertigt ist die Anwendung der • Z 1 innerhalb einer Beschäftigungszeit von drei Jahren, da dem Betroffenen danach eine Bewerbungsfreiheit zukommt; • Z 4 (Einhaltung der Lohn- und Arbeitsbedingungen einschließlich der sozialversicherungsrechtlichen Vorschriften); • Z 8 und Z 9. Aus den parlamentarischen Materialien zum AuslBG geht hervor, dass die nach der Sonderbestimmung des § 4c für „Assoziationstürken“ auszustellenden Bewilligungen weiterhin wie alle anderen Berechtigungen nach dem AuslBG auf bestehende Höchstzahlen anzurechnen sind.382 Nach Ansicht des Gesetzgebers sollen aber die sich aus den Höchstzahlen ergebenden Beschränkungen im Einzelfall nicht zur Anwendung kommen. Mit anderen Worten: Einem aus dem ARB 1/80 und somit gem § 4c berechtigten türkischen Arbeitnehmer, der zwar zu Lasten anderer Drittstaatsangehöriger auf die bestehende Quote angerechnet wird, darf die Erteilung oder Verlängerung einer Beschäftigungsbewilligung weder wegen einer bereits erschöpften Landes- oder Bundeshöchstzahl, noch wegen Überschreitung eines Kontingents gem § 5 versagt werden.383 Beschränkungen des sachlichen und örtlichen Geltungsbereiches einer nach § 4c erteilten Beschäftigungsbewilligung sind nur dann rechtens, wenn sie sich mit den Vorgaben des Art 6 Abs 1 ARB 1/80 decken. Aus diesem Grund ist eine Beschränkung der Bewilligung auf einen Arbeitsplatz oder einen politischen Bezirk gem § 6 Abs 1 AuslBG unzulässig, erlaubt doch UAbs 1 eine solche lediglich hinsichtlich desselben Arbeitgebers. Weiters steht die unmittelbare Wirkung der aus dieser Bestimmung erfließenden Rechte einer zeitlichen Befristung derselben entgegen. Solange der Arbeitnehmer Rechte aus dem Beschluss geltend machen kann, sind die dennoch gem § 7 AuslBG verfügten Beschränkungen hinsichtlich der Geltungsdauer unbeachtlich (vgl 112 für Befreiungsscheine). 382 383
Vgl ErläutRV 689 BglNR 20. GP. Vgl VwGH 4.4.2001, 98/09/0047.
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Das Beschäftigungsrecht
Aus der stRsp des EuGH ergibt sich zudem, dass Sinn und Zweck des ARB 1/80 einer mitgliedstaatlichen Schmälerung der in diesem Beschluss gewährten Rechte entgegenstehen. Insbesondere erlaubt es Art 6 Abs 1 ARB 1/80 nicht, einem Arbeitnehmer die Ausübung der in diesem Beschluss genau bestimmten Rechte von Bedingungen oder weiteren Voraussetzungen des nationalen Rechts abhängig zu machen.384 Schon aus diesem Grund dürfen etwaige Auflagen gem § 8 AuslBG nicht mit der Beschäftigungsbewilligung gem § 4c verbunden werden. Außerdem widerspräche dies dem in Art 10 Abs 1 ARB 1/80 statuierten Gleichbehandlungsgebot. § 4c Abs 3 AuslBG bestimmt, dass die Rechte türkischer Staatsangehöriger auf Grund der sonstigen Bestimmungen des AuslBG unberührt bleiben. Das bedeutet, dass türkische Staatsangehörige weiterhin im Genuss der rein innerstaatlichen Begünstigungen nach dem AuslBG bleiben. Damit setzt der Gesetzgeber das Günstigkeitsprinzip des Art 14 Abs 2 ARB 1/80 um, wonach der ARB 1/80 nicht die Rechte und Pflichten berührt, die sich aus einzelstaatlichen Rechtsvorschriften oder zweiseitigen Abkommen zwischen der Türkei und den Mitgliedstaaten der Gemeinschaft ergeben, soweit sie für ihre Staatsangehörigen keine günstigere Regelung vorsehen.
2. Die Arbeitserlaubnis Der nächste Schritt zur Freizügigkeit des Fremden am österreichischen Arbeitsmarkt führt über eine Arbeiterlaubnis. Die Arbeitserlaubnis verfolgt das Ziel, die Integration jener Ausländer am Arbeitsmarkt zu verbessern, die bereits eine Zeit lang in Österreich gearbeitet haben, aber noch keinen Anspruch auf den Befreiungsschein haben.385 Die Erfordernisse zur Erlangung sind für türkische Staatsangehörige dieselben wie für andere Drittstaatsangehörige, da auf Grund des ARB 1/80 kein Anspruch auf Ausstellung einer konstitutiv wirkenden Arbeitserlaubnis besteht. Die zur Umsetzung des ARB 1/80 erlassene Regelung des § 4c AuslBG sieht für die aus dem Beschluss berechtigten türkischen Staatsangehörigen lediglich die Rechtsakte der Beschäftigungsbewilligung und des Befreiungsscheines vor, weshalb für die Erteilung einer Arbeitserlaubnis einzig und allein die Erfordernisse nach § 14a Abs 1 AuslBG maßgeblich sind. Dieser Bestimmung zufolge ist Voraussetzung, dass der Antragsteller innerhalb eines Zeitraumes von 14 Monaten, rückgerechnet ab dem Tag seiner Antragstellung (arg „… in den letzten …“), insgesamt 52 Wochen im Bundesgebiet erlaubt beschäftigt war. Nicht zu berücksichtigen sind dabei Zeiten einer Beschäftigung: 1. 2. 3. 4. 5.
als Volontär oder als Praktikant gem § 3 Abs 5 oder als Betriebsentsandter gem § 18 oder im Rahmen eines Kontingents gem § 5 oder als Grenzgänger (§ 2 Abs 7) oder auf Grund einer Beschäftigungsbewilligung für Künstler gem § 4a.
Die Arbeitserlaubnis berechtigt den Inhaber zur Aufnahme einer Beschäftigung iSd § 2 Abs 2 seiner Wahl für höchstens zwei Jahre in dem Bundesland, in dem die letzte Beschäftigungsbewilligung erteilt oder die erlaubte Beschäftigung zuletzt 384 385
Vgl EuGH, Günaydin, Rz 36 bis 38, Birden, Rz 37. Vgl AB 1462 BlgNR 17. GP 2.
Die innerstaatliche Umsetzung im Ausländerbeschäftigungsgesetz
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ausgeübt wurde (§ 14a Abs 2 und 3 AuslBG), sofern der sachliche Geltungsbereich nicht durch eine Verordnung gem § 14b eingeschränkt wird. Sie ermöglicht daher einen Wechsel des Arbeitsplatzes auch ohne das Erfordernis der Erteilung einer Beschäftigungsbewilligung. Nimmt allerdings ein türkischer Staatsangehöriger dieses Recht in Anspruch und wechselt vor Ablauf der DreiJahres-Frist den Arbeitgeber, verliert er mit dem Wechsel etwaige bereits bestehende Ansprüche oder Anwartschaften aus Art 6 Abs 1 UAbs 1 und 2 ARB 1/80, nicht jedoch aus UAbs 3. Da § 4c AuslBG gem seinem Abs 3 die Rechte türkischer Staatsangehöriger aufgrund sonstiger Bestimmungen des AuslBG nicht berührt, ist es dem türkischen Arbeitnehmer anheim gestellt, entweder das ihm unmittelbar aus dem Art 6 Abs 1 UAbs 1 oder 2 zustehende Recht in Anspruch zu nehmen und die amtswegige Verlängerung seiner Beschäftigungsbewilligung gem § 4c abzuwarten, oder aber den aus dem nationalen Recht erwachsenden Anspruch auf Erteilung einer Arbeitserlaubnis einzulösen. Nachdem die Ausstellung einer Arbeitserlaubnis mit nicht unerheblichen Kosten in der Höhe von € 125,50 verbunden ist, ist es jedoch empfehlenswert, auf den Eintritt des Anspruchs auf einen Befreiungsschein gem § 4c zu warten, ansonsten von diesem Recht nur bei einem anstehenden bewilligungspflichtigen Wechsel des Arbeitgebers Gebrauch zu machen.386
3. Der Befreiungsschein Der Befreiungsschein erlaubt seinem Inhaber, frei von Bindungen örtlicher oder sachlicher (beruflicher) Art eine Beschäftigung bei einem beliebigen Arbeitgeber aufzunehmen. Mit anderen Worten verschafft er dem daraus Berechtigten die Freizügigkeit auf dem österreichischen Arbeitsmarkt. Einen Rechtsanspruch auf Erteilung des (regulären) Befreiungsscheines hat ein Ausländer – sofern er über keinen Niederlassungsnachweis verfügt – gem § 15 Abs 1 AuslBG, wenn er: 1. während der letzten acht Jahre mindestens fünf Jahre im Bundesgebiet mit einer dem Geltungsbereich des AuslBG unterliegenden Tätigkeit erlaubt beschäftigt war oder 2. mindestens fünf Jahre mit einem österreichischen Staatsbürger verheiratet war und seinen Wohnsitz im Bundesgebiet hat oder 3. das letzte volle Pflichtschuljahr in Österreich absolviert hat, über eine Niederlassungsbewilligung verfügt und wenigstens ein niedergelassener Elternteil während der letzten fünf Jahre mindestens drei Jahre in Österreich rechtmäßig erwerbstätig war oder 4. bisher aufgrund des § 1 Abs 2 lit l vom AuslBG ausgenommen war und sich während der letzten fünf Jahre mindestens zweieinhalb Jahre rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat. Im Gegensatz dazu erfolgt die Gleichstellung von assoziationsintegrierten Türken mit den EU-Arbeitnehmern hinsichtlich des Zugangs zum Arbeitsmarkt schon nach einer durchgehenden Beschäftigungszeit von vier Jahren. Nach Ablauf dieser Zeitspanne erwächst dem türkischen Arbeitnehmer aufgrund von Art 6 Abs 1 386
Zu den Kosten siehe 122 ff.
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Das Beschäftigungsrecht
dritter UAbs das unbedingte Recht, jede von ihm frei gewählte Tätigkeit im Lohnoder Gehaltsverhältnis nachzufragen und aufzunehmen. In Umsetzung dieser Bestimmung ordnet § 4c Abs 2 AuslBG an, dass diesen Personen von Amts wegen ein Befreiungsschein auszustellen oder zu verlängern ist, wenn sie die im Art 6 Abs 1 UAbs 3 genannten Voraussetzungen erfüllen. Mit anderen Worten befinden sie sich solange im Genuss der dort zuerkannten Rechte, solange sie den dort festgelegten Voraussetzungen entsprechen. Aufgrund des eindeutigen Wortlautes ist entgegen dem VwGH anzunehmen, dass eine zeitliche Befristung dieser Befreiungsscheine, so wie sie in § 15 Abs 5 AuslBG für reguläre Befreiungsscheine vorgesehenen ist, auch bei den § 4cBefreiungsscheinen zum Tragen kommt.387 Andernfalls würde das Wort „verlängern“ keinen Sinn ergeben (arg: „Türkischen Staatsangehörigen ist von Amts wegen ein Befreiungsschein … zu verlängern …“). § 4c Abs 2 ordnet an, dass der Befreiungsschein eines türkischen Staatsangehörigen von Amts wegen zu verlängern ist, wenn er weiterhin die Voraussetzungen des ARB 1/80 erfüllt. Das bedeutet, dass die Behörde von sich aus tätig werden und von Zeit zu Zeit das Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen überprüfen muss. Nach Ablauf der Gültigkeitsdauer des Befreiungsscheines führt die Säumnis der Behörde bei der Verlängerung nicht dazu, dass die betreffende Person unerlaubt beschäftigt ist, zumal ihr Recht auf Beschäftigung von einer arbeitsmarktbehördlichen Genehmigung unabhängig ist.
4. Der Niederlassungsnachweis Der Integrationsprozess am österreichischen Arbeitsmarkt ist aus nationaler Perspektive erst mit Erlangen eines Niederlassungsnachweises vollendet. Diese im Zuge der FrG-Nov 2002 geschaffene Einrichtung bezweckt eine weitere Verzahnung zwischen dem aufenthaltsrechtlichen und dem beschäftigungsrechtlichen Status des Fremden,388 und gestattet gem § 17 AuslBG Inhabern einer solchen die unbeschränkte Ausübung einer Beschäftigung im gesamten Bundesgebiet ohne zusätzliche arbeitsmarktbehördliche Genehmigung. Das Assoziationsrecht vermittelt keinen Anspruch auf einen Niederlassungsnachweis, die Voraussetzungen ergeben sich ausschließlich aus § 24 FrG (zu den Erfordernissen siehe 139).
D. Art 6 Abs 3 ARB 1/80 – Behörden und Verfahren Art 6 Abs 3 bestimmt, dass die Einzelheiten der Durchführung der Abs 1 und 2 durch die Mitgliedstaaten bestimmt werden. Dazu hat der EuGH in der Rs Sevince bereits ausgesprochen, dass diese Regelung die Mitgliedstaaten nur zum Erlass derjenigen Verwaltungsmaßnahmen verpflichtet, die zur Durchführung der Abs 1 und 2 gegebenenfalls erforderlich sind. Mit dieser Verpflichtung wird den Mitglied387
Anders VwGH 23.5.2002, 2000/09/0212, der davon ausgeht, dass sich die in § 15 Abs 5 vorgesehene Befristung nur für Befreiungsscheine nach § 15 AuslBG ergibt. Der Gerichtshof übersieht dabei, dass der Gesetzgeber ganz offensichtlich auch für Befreiungsscheine gem § 4c Abs 2 von einer Befristung ausgeht. 388 Vgl RV 1172, AB 1244 BlgNR 21. GP 45.
Art 6 Abs 3 ARB 1/80 – Behörden und Verfahren
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staaten jedoch nicht die Möglichkeit eingeräumt, die unmittelbar aus dem Beschluss erwachsenden Rechte an Bedingungen zu binden oder einzuschränken.389 Neben diesem verpflichtenden Charakter gewährleistet die Bestimmung, dass in die bestehende Verwaltungsorganisation der Mitgliedstaaten nicht eingegriffen wird. Demnach fällt die zur Durchsetzung der Rechte aus dem ARB 1/80 erforderliche Regelung des Verfahrensrechts in die Kompetenz der Mitgliedstaaten, die sich vom Effektivitätsgrundsatz zu leiten lassen haben. Die Festlegung von Zuständigkeiten oder sonstigen verfahrensrechtlichen Regelungen darf nicht dazu führen, dass es zu einer materiell-rechtlichen Einschränkung der Rechte aus dem Beschluss kommt. Keinesfalls darf die praktische Wirksamkeit der Bestimmungen darunter leiden. Die ausdrückliche Bezugnahme bloß auf die Abs 1 und 2 des Art 6 ist teleologisch zu erweitern und für alle Bestimmungen des ARB 1/80 anzunehmen.
1. Zuständigkeit In den Art 6 und 7 sind aus oben genannten Gründen keine Regelungen hinsichtlich der sachlichen oder örtlichen Zuständigkeit von Behörden getroffen worden. Nach hM ist auch bei Fehlen einer ausdrücklichen Zuständigkeitsnorm jene Behörde zum Vollzug berufen, zu deren Wirkungsbereich der engste sachliche Zusammenhang besteht. § 4c Abs 3 AuslBG stellt klar, dass die Durchführung der Verfahren gem der Abs 1 und 2 den Bestimmungen des AuslBG unterliegt. Der Antrag auf Erteilung einer (regulären) Beschäftigungsbewilligung ist gem § 19 Abs 1 vom Arbeitgeber bei der regionalen Geschäftsstelle des AMS einzubringen, in deren Sprengel der in Aussicht genommene Beschäftigungsort liegt, bei wechselndem Beschäftigungsort bei der nach dem Sitz des Betriebes zuständigen regionalen Geschäftsstelle des AMS. Beschäftigungsbewilligungen sowie Befreiungsscheine nach § 4c sind nicht antragsbedürftig, sondern werden von Amts wegen erteilt. Der Antrag auf Ausstellung einer Arbeitserlaubnis oder eines (regulären) Befreiungsscheines ist gem § 19 Abs 4 vom Ausländer bei der nach seinem Wohnsitz, in Ermangelung eines solchen bei der nach seinem gewöhnlichen Aufenthalt zuständigen regionalen Geschäftsstelle des AMS einzubringen. Während gem § 20 Abs 1 die regionale Geschäftsstelle des AMS zum Erlass all dieser Behördenakte zuständig ist, entscheidet über die Berufungen die Landesgeschäftsstelle (Abs 3). Hinsichtlich der Verfahrensdauer gilt eine von § 73 AVG abweichende Entscheidungsfrist von sechs Wochen (§ 20a).
2. Verfahrensvorschriften Neben den im AuslBG enthaltenen verfahrensrechtlichen Regelungen findet gem Art II Abs 2 lit D Z 41 EGVG auf das behördliche Verfahren der Landesgeschäftsstellen des Arbeitsmarktservice und der regionalen Geschäftsstellen des Arbeitsmarktservice das AVG, dessen § 64 jedoch nur, wenn nicht anderes ausdrücklich bestimmt ist, Anwendung.
389
EuGH, Sevince, Rz 22.
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Das Beschäftigungsrecht
3. Antragstellung und Parteistellung Gem § 21 AuslBG haben Ausländer Parteistellung in allen Verfahren, in denen ihre persönlichen Umstände für die Entscheidung von Bedeutung sind. In einem Verfahren zur Erteilung einer Beschäftigungsbewilligung gem § 4c hat somit neben dem Arbeitgeber auch der Arbeitnehmer Parteistellung und kann gegen die Entscheidung der regionalen Geschäftsstelle Berufung erheben. Bescheidadressat und einzige Partei im Verfahren zur Erteilung eines Befreiungsscheines ist der Arbeitnehmer. Zu beachten ist, dass § 4c AuslBG die amtswegige Erteilung vorsieht. Das bedeutet, dass die Einleitung des Verfahrens keines verfahrenseinleitenden Antrags gem § 13 Abs 8 AVG bedarf. Die Behörde hat von sich aus zu prüfen und darüber zu befinden, ob die in § 4c genannten Voraussetzungen des Art 6 bzw 7 ARB 1/80 für die Erteilung einer Beschäftigungsbewilligung oder eines Befreiungsscheines vorliegen. An der aus dem Wortlaut der Bestimmung eindeutig hervorgehenden Amtswegigkeit der Erteilung einer Beschäftigungsbewilligung oder eines Befreiungsscheines vermag auch Abs 3 dieser Norm nichts zu ändern, welcher bloß die verfahrensrechtlichen Vorschriften des AuslBG – soweit sie nicht dem ARB 1/80 entgegenstehen – für die Durchführung der Verfahren nach § 4c Abs 1 und 2 in pauschaler Weise für anwendbar erklärt. Dem Ausländer kommt nach der Konzeption dieser Regelung kein diesbezügliches Antragsrecht zu. Kann aber ein Verfahren nur von Amts wegen eingeleitet werden, so sind diesbezügliche „Anträge“ von Beteiligten durch Bescheid zurückzuweisen oder – je nach Inhalt des „Antrags“ – als Anregung zur amtswegigen Einleitung des Verfahrens zu behandeln.390 Dies führte zu dem sinnwidrigen Ergebnis, dass der Betroffene nicht die Entscheidungspflicht der Behörde gem § 73 AVG iVm § 20a AuslBG geltend machen könnte. Die mangelnde legistische Qualität der Bestimmung ist daher durch teleologischsystematische Interpretation zu kompensieren, um dem vom Gesetzgeber verfolgten Ziel der Rechtssicherheit Rechnung zu tragen. § 19 AuslBG bestimmt, dass Anträge auf Erteilung einer Beschäftigungsbewilligung oder eines Befreiungsscheines bei der regionalen Geschäftsstelle des AMS einzubringen sind. Lege non distinguente kann daher angenommen werden, dass sich die Antragsbefugnis auch auf Verfahren zur Erteilung einer Beschäftigungsbewilligung oder eines Befreiungsscheines gem § 4c erstreckt, sodass ein diesbezügliches Verfahren auch auf Antrag eines Rechtsunterworfenen einzuleiten ist, wenn dem Antrag klar zu entnehmen ist, dass die Erlassung eines Bescheides verlangt wird. Für derartige Anträge bestehen jedoch gem § 19 Abs 3 besondere Formvorschriften, die auch bei einem auf § 4c gestützten Antrag zu Tragen kommen.391 Regt der Betroffene hingegen lediglich die amtswegige Einleitung des Verfahrens nach § 4c an, kommt jede in § 13 Abs 1 AVG genannte Form in Frage.
390
Vgl VwGH 30.4.1998, 98/18/0129. Für Anträge auf einen Befreiungsschein von integrierten türkischen Arbeitnehmern besteht keine Formfreiheit. IdS VwGH 17.12.1998, 98/09/0319. 391
Art 6 Abs 3 ARB 1/80 – Behörden und Verfahren
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4. Deklarative Wirkung nationaler Bewilligungen Die unmittelbare Anwendbarkeit der aus dem ARB 1/80 erwachsenden Rechte steht nationalen Vorschriften entgegen, welche den Zugang zum Arbeitsmarkt von einer konstitutiven Bewilligung abhängig machen.392 Sobald der Betroffene die Voraussetzungen der UAbs 1 bis 3 des Art 6 Abs 1 erfüllt, kann er hinsichtlich der Beschäftigung und damit auch des Aufenthaltes ein individuelles Recht unmittelbar aus dem Beschluss herleiten. Diese subjektiven Rechte werden somit nicht erst durch eine behördliche Bewilligung begründet. Sieht das nationale Recht dennoch vor, dass für die Beschäftigung eines türkischen Staatsangehörigen ein behördliches Dokument zu erwirken ist, so ist diesem für die Anerkennung der aus dem ARB 1/80 erfließenden subjektiven Rechte lediglich deklarative Wirkung beizumessen.393 Sowohl die Beschäftigungsbewilligung als auch ein Befreiungsschein gem § 4c sprechen in einer der Rechtskraft fähigen Weise über die Rechtmäßigkeit der Beschäftigung des Ausländers ab. Es handelt sich bei diesen Verwaltungsakten daher nicht um „Bescheinigungen“ oder „Beurkundungen“, sondern um „Bescheide“. Nach hL und Rsp ist innerhalb dieser Kategorie von Verwaltungsakt – je nach ihrem normativen Inhalt – zwischen Gestaltungsbescheiden, Leistungsbescheiden und Feststellungsbescheiden zu unterscheiden.394 Soweit die Geltendmachung eines Rechts an die Erledigung in Form eines Bescheides gebunden ist, kommt dem Bescheid konstitutiver Charakter zu, der die Rechtssphäre des Betroffenen in verbindlicher Weise ändert. Wird hingegen darüber abgesprochen, ob bzw in welchem Umfang ein Recht oder Rechtsverhältnis als bestehend anzusehen ist, liegt ein Feststellungsbescheid vor, der über die schon bestehende Rechtslage in verbindlicher Weise Auskunft gibt.395 Überträgt man diese Regeln des allgemeinen Verwaltungsrechts auf die Situation eines im Anwendungsbereich des ARB 1/80 befindlichen türkischen Arbeitnehmers bedeutet dies Folgendes: Im Lichte der oben wiedergegebenen Judikatur, ist das Bestehen der unmittelbar aus dem Beschluss erwachsenden Rechte unabhängig von einer nationalen Bewilligung. Das Recht existiert kraft Gemeinschaftsrecht. Während der Erteilung einer Beschäftigungsbewilligung oder eines Befreiungsscheines gem § 4 oder § 15 demnach konstitutive Wirkung zukommt, haben Bewilligungen nach § 4c lediglich deklarative Funktion. Im einen Fall handelt es sich um Rechtsgestaltungsbescheide, im zweiten um Feststellungsbescheide, die aber ebenso verbindlich, weil rechtskräftig werden. Wenngleich zwischen Gestaltung und Feststellung ein logischer Unterschied besteht, ist dennoch keine trennscharfe Abgrenzung zwischen Feststellungsbescheiden und Rechtsgestaltungsbescheiden möglich.396 Dass die Unterschiede nur graduell sind, zeigt folgendes Beispiel: Nehmen wir an, die Voraussetzungen, die zur Erteilung der Berechtigung nach § 4c geführt haben, fallen nachträglich weg. Wird mit dem Verlust der Rechte aus dem ARB 1/80 zugleich der Bescheid nach § 4c gegenstandslos? Dies wäre 392
Vgl VwGH 25.6.1996, 96/09/0088. Vgl EuGH, Bozkurt, Rz 29 f; Günaydin, Rz 49; Ertanir, Rz 55; Birden, Rz 65; Ergat, Rz 61 f; Eyüp, Rz 61 f; VfSlg 16.293/2001; VwGH 1.12.2000, AW 2000/09/0058. 394 Vgl Raschauer, Allgemeines Verwaltungsrecht2 Rz 937. 395 Vgl G. Winkler, Der Bescheid (1956) 50. 396 G. Winkler, Der Bescheid 58. 393
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Das Beschäftigungsrecht
dann der Fall, wenn die Bescheidwirkungen sich lediglich auf die Feststellung beschränkten, dass die Voraussetzungen gem Art 6 oder 7 ARB 1/80 vorliegen, denn die Verbindlichkeit der Feststellung bezieht sich nur auf den ihr zugrunde liegenden Sachverhalt und kann nicht im Hinblick auf einen geänderten Sachverhalt erstreckt werden.397 Die Gesetzesmaterialien zu § 4c AuslBG deuten allerdings in eine andere Richtung.398 Vielmehr wollte der Gesetzgeber dem im Hinblick auf die Rechtssicherheit bestehenden Interesse dadurch Rechnung tragen, dass er die nach § 4c gebotenen Berechtigungen mit einer Befristung verbunden hat, innerhalb derer die Beschäftigung auf jeden Fall zulässig ist, selbst wenn die gemeinschaftsrechtlichen Voraussetzungen nachträglich weggefallen sein sollten. Insoweit schafft die Regelung eine für den Arbeitnehmer günstigere Position, da sie über den Schutz des ARB 1/80 hinausgeht. Der Arbeitnehmer wie auch der Arbeitgeber können darauf vertrauen, dass die Beschäftigung rechtens ist, solange nicht die Gültigkeitsdauer der jeweiligen Berechtigung abgelaufen ist, oder die Behörde das Gegenteil festgestellt hat.
5. Bestrafung des Arbeitgebers bei Nichtvorliegen einer Berechtigung § 28 Abs 1 Z 1 lit a AuslBG stellt einen Arbeitgeber unter Strafe, der entgegen § 3 einen Ausländer beschäftigt, für den weder eine Beschäftigungsbewilligung (§§ 4 und 4c) erteilt, noch eine Anzeigebestätigung (§ 3 Abs 5) oder eine Arbeitserlaubnis (§ 14a) oder ein Befreiungsschein (§§ 15 und 4c) ausgestellt wurde. Wie oben dargelegt, kann ein den Voraussetzungen des ARB 1/80 entsprechender türkischer Arbeitnehmer seine Rechte unmittelbar aus dem Beschluss herleiten. Seine Beschäftigung ist unabhängig von einer nationalen Bewilligung kraft Assoziationsrecht rechtens. Die Strafnorm des § 28 Abs 1 Z 1 soll jedoch lediglich die unberechtigte Beschäftigung von Ausländern erfassen, was im Falle eines vom ARB 1/80 berechtigten Arbeitnehmer denkunmöglich ist.399 Daran ändert auch die Zitierung des § 4c in § 28 Abs 1 nichts, da aufgrund des Anwendungsvorrangs des Gemeinschaftsrechts entgegenstehende nationale Bestimmungen unangewendet bleiben. Die Beschäftigung eines aus dem ARB 1/80 berechtigten türkischen Staatsangehörigen, der nicht im Besitz einer entsprechenden arbeitsmarktbehördlichen Bewilligung ist, stellt demnach kein strafbares Verhalten nach § 28 Abs 1 Z 1 AuslBG dar.400 397
Vgl Raschauer, Allgemeines Verwaltungsrecht2 Rz 942. Vgl RV 689 BlgNR, 20. GP 14: „Türkische Staatsbürger sollen im wesentlichen anstatt der derzeit ausgestellten Feststellungsbescheide Rechtsansprüche auf die entsprechenden Berechtigungen (Beschäftigungsbewilligung und Befreiungsschein) nach dem Ausländerbeschäftigungsgesetz erhalten. Im Sinne der Rechtssicherheit soll damit auch klargestellt sein, unter welchen Voraussetzungen und vor allem wie lange ein Arbeitgeber einen türkischen Staatsbürger beschäftigen kann, der die Voraussetzungen nach dem ARB 1/1980 erbringt.“ 399 Vgl VfSlg 16.293/2001. 400 So kommt eine Bestrafung des Arbeitgebers wegen Beschäftigung eines gem Art 6 oder 7 ARB 1/80 berechtigten türkischen Arbeitnehmers oder Familienangehörigen noch vor der (amtswegigen) Ausstellung einer Bewilligung ebensowenig in Betracht wie die Bestrafung wegen Ablaufs der Gültigkeitsdauer der Bewilligung (vgl VwGH 23.5.2002, 2000/09/0212). 398
Art 6 Abs 3 ARB 1/80 – Behörden und Verfahren
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Nach der Rsp des EuGH ist es den Mitgliedstaaten allerdings nicht verwehrt, die Beschäftigung gem Art 6 und 7 ARB 1/80 begünstigter türkischer Staatsangehöriger an Pflichten zu binden, die Verwaltungserfordernissen entsprechen.401 Einem derartigen „Verwaltungserfordernis“ entspricht zweifellos auch die in § 26 Abs 1 AuslBG normierte Pflicht des Arbeitgebers, dafür Sorge zu tragen, dass die Überprüfung der für die Beschäftigung eines – wenn auch begünstigten – türkischen Staatsangehörigen erforderlichen Unterlagen durch die zuständigen Behörden jederzeit möglich ist. Das Gemeinschaftsrecht verbietet es den Mitgliedstaaten nicht, für die Ausübung der durch den ARB 1/80 eingeräumten Rechte Ordnungsvorschriften zu erlassen und deren Verstoß mit einer verhältnismäßigen Verwaltungsstrafsanktion zu belegen. Unterlässt es somit der Arbeitgeber, für die Beschäftigung eines begünstigten türkischen Staatsangehörigen eine Beschäftigungsbewilligung oder einen Befreiungsschein beizubringen, kann er zwar nicht nach § 28 Abs 1 Z 1 lit a, sehr wohl hingegen nach Z 2 lit c leg cit bestraft werden.
6. Widerruf erteilter Bewilligungen § 9 AuslBG unterscheidet zwei Fälle des Widerrufs einer Beschäftigungsbewilligung: Nach Abs 1 hat die Behörde die Beschäftigungsbewilligung zwingend zu widerrufen, wenn der Antragsteller im Antrag auf Erteilung der Beschäftigungsbewilligung über wesentliche Tatsachen wissentlich falsche Angaben gemacht oder solche Tatsachen verschwiegen hat. Zu beachten ist dabei, dass Antragsteller in einem Verfahren auf Erteilung einer Beschäftigungsbewilligung gem § 19 nur der Arbeitgeber ist. Dieser Widerrufsgrund greift also dann nicht, wenn der Arbeitgeber selbst der Täuschung des Arbeitnehmers zum Opfer fiel und auf Grund dessen falsche Angaben vor der Behörde machte. In diesem Fall kommt allerdings der Widerruf nach § 9 Abs 2 lit b zum Tragen, der das Vorliegen von „wichtigen Gründen in der Person des Ausländers“ als Widerrufsgrund nennt. Nachdem keine Auflagen zu einer Bewilligung nach § 4c hinzutreten dürfen (siehe oben 110), verbleibt daneben nur die lit a, welche den Widerruf an eine grundlegende Änderung der Voraussetzungen bindet, unter denen die Beschäftigungsbewilligung erteilt wurde. Als Beispiel dient etwa der Wechsel des Arbeitgebers innerhalb der in Art 6 Abs 1 UAbs 2 genannten Frist von drei Jahren. Während bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 9 Abs 1 die Beschäftigungsbewilligung zwingend zu widerrufen ist, stellt Abs 2 den Widerruf in das Ermessen der Behörde. § 14f Abs 1 verpflichtet die Behörde zum Widerruf der Arbeitserlaubnis, wenn der Ausländer im Antrag auf Ausstellung der Arbeitserlaubnis über wesentliche Tatsachen wissentlich falsche Angaben gemacht oder solche Tatsachen verschwiegen hat (Z 1), oder wenn der Ausländer während der Geltungsdauer der Arbeitserlaubnis seinen Aufenthalt im Bundesgebiet länger als sechs Monate im Kalenderjahr unterbricht, es sei denn, dass die Voraussetzungen für die Ausstellung einer Arbeitserlaubnis gemäß § 14a Abs 1 vorliegen (Z 2). Der Widerruf des Befreiungsscheines ist demgegenüber nach § 16 nur bei einer wissentlichen Täuschung der Behörde seitens des Antragstellers zwingend zu verfügen. 401 Vgl EuGH, Ergat, Rz 52 ff zur gesetzlich auferlegten Pflicht, Formalitäten zu beachten, die dem Nachweis des Aufenthaltsrechts dienen.
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Das Beschäftigungsrecht
a) Widerruf wegen Scheinehe Ein in der Praxis häufig auftretendes Problem ist das Eingehen einer Scheinehe zur Erlangung von aufenthaltsrechtlichen oder beschäftigungsrechtlichen Berechtigungen. § 15 Abs 1 AuslBG gewährt jenen Ausländern einen Rechtsanspruch auf Erteilung eines Befreiungsscheines, die mindestens fünf Jahre mit einem österreichischen Staatsbürger verheiratet waren und ihren Wohnsitz in Österreich haben (Z 2) oder bisher als Angehörige von Österreichern oder EWR-Bürgern überhaupt vom Geltungsbereich des AuslBG ausgenommen waren und sich während der letzten fünf Jahre mindestens zweieinhalb Jahre rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten haben (Z 4). Ausgehend vom Wortlaut der Bestimmung wurde in der Literatur in Frage gestellt, ob im Falle einer Scheinehe ein Widerruf in Frage komme, da die Bestimmungen des AuslBG lediglich auf das formelle Bestehen einer aufrechten Ehe und nicht auf ein tatsächliches Zusammenleben abstellten.402 Zwar verlangt die Regelung kein Familienleben iSd Art 8 EMRK, doch ist dem Gesetzgeber, der aus familienpolitischen Gründen ausländischen Ehepartnern die Beschäftigung im Bundesgebiet erleichtern wollte, nicht zuzumuten, dass er auch ein Eheband privilegiert, das lediglich in der rechtsmissbräuchlichen Absicht der Erlangung eines fremdenrechtlichen Vorteils geschlossen wurde.403 § 23 Abs 1 EheG stellt eine Ehe unter Nichtigkeit, wenn sie ausschließlich oder vorwiegend zu dem Zweck geschlossen ist, der Frau die Führung des Familiennamens des Mannes oder den Erwerb der Staatsangehörigkeit des Mannes zu ermöglichen, ohne dass die eheliche Lebensgemeinschaft begründet werden soll.404 Der OGH hat in Abkehr von seiner früheren Rsp405 den Nichtigkeitstatbestand des § 23 Abs 1 EheG im Wege der Gesetzesanalogie auf jene Fälle ausgedehnt, in denen die Ehe in der ausschließlichen oder überwiegenden Absicht geschlossen wurde, die unbeschränkte Aufenthaltsmöglichkeit und/oder den ungehinderten Zugang zum österreichischen Arbeitsmarkt zu erlangen.406 Einem Ehenichtigkeitsurteil gem § 23 EheG kommt eine ex-tunc-Wirkung zu, sodass die Ehegatten als von Anfang an nicht verheiratet anzusehen sind. Zweifellos bildet ein in diesem Sinn gesprochenes Urteil eine adäquate, wenngleich aber nicht notwendige Grundlage dafür, eine erteilte Bewilligung wegen Täuschung der Behörde gem dem AuslBG zu widerrufen. Denn ob die Ehe lediglich in der verpönten Absicht geschlossen wurde, einen fremdenrechtlichen Vorteil zu erlangen, bildet im Verfahren nach § 16 AuslBG eine Vorfrage, die gem § 38 AVG auch von der Behörde nach der über die maßgebenden Verhältnisse gewonnenen 402
Vgl Muzak, Glosse zu VwGH 10.2.1999, 98/09/0144, ZAS 2000, 10. Vgl RV 1451, BlgNR 13. GP 30. 404 Die durch die StbGNov 1983 nachträglich bewirkte Lücke im Abs 1 ist nach der Rsp durch Analogie zu schließen. Demnach ist § 23 Abs 1 EheG in seinem zweiten Regelungsfall auch dann anwendbar, wenn der Fremde der männliche Ehepartner ist, vgl SZ 61/262 = JBl 1989, 306 ua. 405 Vgl OGH 9.7.1992, 6 Ob 564/92 = JBl 1993, 245; 6.9.1994, 5 Ob 547/94 = ZfRV 1995/8, 34. 406 Vgl OGH 17.7.1996, 7 Ob 2176/96t und die dort zit Vorjudikatur; vgl auch Bürstmayr, Existenzvernichtung auf Verdacht, Juridikum 3/96, 8. Zur Nichtigkeit von „Aufenthalts-“ und „Beschäftigungsehen“ siehe weiters Schrammel, Rechtsfragen der Ausländerbeschäftigung (1995) 72 ff. 403
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eigenen Anschauungen selbst beurteilt werden kann. So spricht etwa nichts gegen einen Widerruf auch ohne ein rechtskräftiges Ehenichtigkeitsurteil, wenn die Betroffenen den ihnen zur Last gelegten Vorwurf der Scheinehe nicht bestreiten. b) Auswirkungen eines Widerrufs auf die „Erlaubtheit“ vorheriger Beschäftigungszeiten Von besonderer Bedeutung praktischer Bedeutung ist die Frage, ob dem rechtskräftigen Widerrufsbescheid ex-nunc- oder ex-tunc-Wirkung zukommt. Diese Beurteilung ist mitentscheidend dafür, ob der Ausländer vor dem Widerruf iSd § 14a AuslBG „erlaubt beschäftigt war“ und somit während der Geltungsdauer seines Befreiungsscheines einen Anspruch auf eine Arbeitserlaubnis begründet hat. Die hL und Rsp gehen zwar hinsichtlich der Rechtswirkungen eines Widerrufsbescheides in zeitlicher Hinsicht einhellig von einer ex-nunc-Wirkung aus, kommen aber dabei zu unterschiedlichen Ergebnissen. Zwar beteuert der VwGH hinsichtlich der in diesem Fall verfahrensgegenständlichen Arbeitserlaubnis, dem Widerruf komme keine rückwirkende Kraft dergestalt zu, dass die Arbeitserlaubnis als von Anfang an nicht erteilt anzusehen wäre (daher sei schon aus diesem Gesichtspunkt keine Rückabwicklung des Dienstvertrages nötig). Die erteilte Arbeitserlaubnis gelte ab dem Zeitpunkt der Rechtskraft des Widerrufsbescheides als nicht mehr existent. Er kommt aber zu dem in der Literatur kritisierten Ergebnis, dass die bis zur Rechtskraft des Widerrufsbescheides auf der Grundlage der widerrufenen Arbeitserlaubnis zurückgelegten Beschäftigungszeiten als nicht erlaubte Beschäftigungszeiten im Sinne des AuslBG anzusehen sind.407 Dagegen geht – soweit ersichtlich – ein überwiegender Teil der Lehre uneingeschränkt davon aus, dass ein Widerruf zuvor zurückgelegte Beschäftigungszeiten nicht „unerlaubt“ macht.408 Dabei wird vor allem der sowohl in § 14f Abs 2 als auch in § 16 Abs 2 enthaltene Verweis auf die sinngemäße Anwendung des § 7 Abs 8 AuslBG ins Treffen geführt und daraus geschlossen, dass der Widerruf aufgrund der hier angeordneten ex-nunc-Wirkung die „Erlaubtheit“ vorheriger Beschäftigungszeiten nicht berührt. Dieser besagt, dass die rechtskräftige Abweisung eines Verlängerungsantrages nicht automatisch die Rechtswidrigkeit des Arbeitsverhältnisses bedeutet, sondern der Arbeitnehmer bis zur ordnungsgemäßen Beendigung als rechtmäßig beschäftigt gilt. Beim Widerruf nach dem AuslBG handelt es sich um eine Sonderbestimmung zur Durchbrechung der Bestandskraft des Bescheides iSd § 68 Abs 6 AVG, welche die Behörde unter den im AuslBG genannten Voraussetzungen zur Aufhebung rechtskräftig erteilter Bewilligungen bzw Berechtigungen ermächtigt.409 Zu Recht betonen Judikatur und Literatur, dass im Falle des Widerrufs von einer pro-futuro407
Vgl zB VwGH 10.2.1999, 98/09/0144; 7.7.1999, 97/09/0340 und 97/09/0376. Vgl Lobner in Muzak et al (Hrsg), § 16 AuslBG 57; Muzak, Glosse zu VwGH 10.2. 1999, 98/09/0144, ZAS 2000, 10 ff; Schnorr, AuslBG4, § 16, Rz 2. Trattner, Ausländerbeschäftigung: Auslaufen der Beschäftigungsbewilligung bzw des Befreiungsscheines. Was geschieht mit dem Arbeitsverhältnis? ASoK 2003, 159. 409 In der österreichischen Verwaltungsrechtslehre hat sich für das Phänomen der grundsätzlichen Unwiderrufbarkeit eines Bescheides der rechtswissenschaftliche Begriff „materielle Rechtskraft“ eingebürgert. 408
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Das Beschäftigungsrecht
Wirkung auszugehen ist,410 weil nach der eindeutigen Absicht des Gesetzgebers auch im Falle eines Widerrufs dem Ausländer nicht alle Mittel für den Lebensunterhalt entzogen werden sollten. So bliebe beispielsweise der Anspruch auf Arbeitslosengeld erhalten. Die Materialien sehen diesen Schutz lediglich im Falle eines Widerrufs wegen Verstoßes gegen § 25 AuslBG nicht vor.411 Dieser bildet aber mittlerweile keinen Widerrufstatbestand mehr, sodass nunmehr davon ausgegangen werden kann, dass die Rechtswirkungen eines Widerrufsbescheides in zeitlicher Hinsicht nur in die Zukunft gerichtet sind. Dagegen kann auch nicht argumentiert werden, dass der Gesetzgeber bloß die Rechtskraft des Widerrufsbescheids unter die aufschiebende Bedingung der ordnungsgemäßen Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses stellen wollte – ohne auf die Frage ex-nunc oder ex-tunc einzugehen.412 Schließt man sich der hM an, dass ein Widerruf nicht bewirkt, dass die Berechtigung nach dem AuslBG als von Anfang an nicht erteilt anzusehen wäre, folgt daraus aber noch immer nicht – und hier irrt die Literatur –, dass eine vor dem Widerruf ausgeübte Beschäftigung „erlaubt“ iSd § 14a AuslBG ist. Die Rechtskraft eines – wenn auch rechtswidrigen – Bescheides bewirkt bloß dessen Verbindlichkeit. Die Behörden haben sich, bis er aus dem Rechtsbestand ausgeschieden wird, an den Ausspruch des Bescheides zu halten.413 Diese Bindung bewirkt jedoch nicht dessen objektive Rechtmäßigkeit, welche in § 14a AuslBG mit dem Wort „erlaubt“ zum Ausdruck gebracht wird. „Erlaubt“ iS dieser Norm ist vielmehr teleologisch zu reduzieren und bedeutet nicht „legal“, sondern „rechtmäßig im Sinne des Gesetzes“ oder anders gesagt, nicht bescheidkonform, sondern gesetzeskonform. Jede andere Auslegung würde ein gleichheitswidriges (weil unsachliches) – und vor allem der Absicht des Gesetzgebers widersprechendes – Ergebnis nach sich ziehen. Lässt ein Gesetz aber mehrere Auslegungsmöglichkeiten offen, so sind zunächst jene auszuscheiden, die das Gesetz verfassungswidrig erscheinen lassen.414 Das bedeutet, dass der betroffene Ausländer nach einem Widerruf aufgrund einer Täuschungshandlung bis zu dem in § 7 Abs 8 AuslBG bezeichneten Zeitpunkt „legal“, aber nicht „erlaubt“ iSd § 14a beschäftigt ist. Aufgrund vorstehender Überlegungen kann festgehalten werden, dass der rechtskräftige Widerruf wegen einer Täuschungshandlung einer Beurteilung der vor diesem Zeitpunkt auf Grundlage der widerrufenen Berechtigung zurückgelegten Beschäftigungszeiten als Zeiten erlaubter Beschäftigung iSd § 14a AuslBG jedenfalls entgegensteht.415 410 In der Tat zeigt auch ein Vergleich diverser Materiengesetze, dass der Gesetzgeber mit dem Wort „Widerruf“ grundsätzlich eine ex-nunc-Wirkung verbindet (vgl zB § 15 AsylG, § 25 AlkoholsteuerG, § 15 TabaksteuerG, § 13 BiersteuerG und § 7 TabMG). 411 Vgl ErläutRV 1451, BlgNR 13. GP 27. 412 Vgl ErläutRV 449, BlgNR 17. GP 12 zu § 7 Abs 8: „… ein Widerruf soll erst zu jenem Zeitpunkt wirksam werden, der sich bei frühestmöglicher Kündigung durch den Arbeitgeber unter Berücksichtigung der für das jeweilige Beschäftigungsverhältnis geltenden … Kündigungsfristen … erforderlichen Zeit ergibt“. 413 Vgl zB VwGH 8.2.194, 93/08/0166. 414 Vgl VfSlg 11.466/1987. 415 Im Ergebnis zwar richtig, jedoch in der Begründung äußerst widersprüchlich ist der VwGH, der zwar den Wegfall der rechtsgestaltenden Wirkung (der Arbeitserlaubnis) mit dem Zeitpunkt der Rechtskraft des Widerrufsbescheides gleichsetzt, dennoch aber auf
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c) Auswirkungen des Unterbleibens eines Widerrufs bei Scheinehe Der VwGH vertritt zu Recht die Meinung, dass auch nach einem Ehenichtigkeitsurteil die Beschäftigung des Ausländers so lange als „erlaubt“ iSd § 14a AuslBG zu betrachten ist, solange die Behörde ihrer Pflicht zum Widerruf der entsprechenden Bewilligung nicht nachkommt.416 Dies deshalb, weil ein Ehenichtigkeitsurteil gem § 23 EheG eines Zivilgerichtes nicht eine von einer Verwaltungsbehörde erlassene individuell-konkrete Norm – wie sie die Bewilligungen nach dem AuslBG darstellen – aus dem Rechtsbestand auszuscheiden vermag. Zwar ist die Behörde gem § 38 AVG bei der Beurteilung dessen, ob der Scheinehentatbestand verwirklicht ist, an ein rechtskräftiges Urteil gem § 23 EheG gebunden. Das Gericht kann aber wegen Art 94 B-VG weder über die Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsaktes absprechen, noch dessen Rechtskraft durchbrechen. Kommt die Behörde allerdings ihrer Pflicht, den Widerruf zu verfügen, nicht nach, gilt die Beschäftigung des Ausländers aufgrund der Normativität des Bescheides und der damit einhergehenden Bindungswirkung als rechtmäßig. Solange die jeweilige Berechtigung nach dem AuslBG (als individuell-konkrete Norm) noch dem Rechtsbestand angehört, muss deshalb davon ausgegangen werden, dass die darauf gründenden Beschäftigungszeiten auch „erlaubt“ iSd § 14a AuslBG sind. Während Ansprüche gem § 14a daher nicht, ohne die Berechtigung zu widerrufen, abgelehnt werden dürfen, können Rechte gem § 4c nicht geltend gemacht werden. Dieser stellt nämlich auf die ordnungsgemäße Beschäftigung iSd Art 6 ARB 1/80 ab, welche jedenfalls dann nicht erfüllt ist, wenn eine Beschäftigung aufgrund eines Titels ausgeübt wurde, der unrechtmäßiger Weise – insbesondere durch eine Täuschung (zB durch eine Scheinehe) – erlangt wurde.417 d) Das Verhältnis zwischen Wiederaufnahme und Widerruf Statt eines Widerrufs wegen Täuschung könnte man auch eine Wiederaufnahme gem § 69 AVG in Erwägung ziehen. Abs 3 dieser Bestimmung erlaubt der Behörde, die Wiederaufnahme von Amts wegen zu verfügen, wenn die Behörde durch unrichtige Angaben oder durch Verschweigen wesentlicher Umstände mit der Absicht irregeführt wurde, einen günstigen Bescheid zu erlangen (Erschleichung des Bescheids – Abs 1 Z 1). Auffallend ist, dass ein und derselbe Sachverhalt – nämlich die Bescheiderschleichung – sowohl vom Widerruf nach dem AuslBG, als auch von der Wiederaufnahme nach AVG erfasst wird. Fraglich ist demnach, ob den Grundsätzen „lex specialis derogat legi generali“ bzw „lex posterior derogat der Grundlage der widerrufenen Arbeitserlaubnis zurückgelegte Beschäftigungszeiten als unerlaubt bezeichnet (10.2.1999, 98/09/0144). Anknüpfend an das vom Gerichtshof gewählte Beispiel ist ihm entgegenzuhalten, dass ein während der Gültigkeit eines Baubewilligungsbescheides errichteter Bau erst ab dem Zeitpunkt der Rechtskraft einer Nichtigerklärung der Baubewilligung nach § 68 Abs 4 AVG zum „Schwarzbau“ wird und nicht von Anfang an als solcher zu betrachten ist. Bis zu diesem Zeitpunkt ist der Bau als konsensgemäß anzusehen. Gleiches gilt für den Widerruf: Bis zu dem in § 7 Abs 8 genannten Zeitpunkt ist die Beschäftigung des Ausländers legal. Der rechtskräftige Widerruf kann daran nichts ändern. 416 Vgl VwGH 18.10.2000, 98/09/0145; 20.3.2002, 99/09/0036. 417 EuGH, Kol, Rz 24 ff. Verfehlt daher VwGH 20.3.2002, 99/09/0036.
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Das Beschäftigungsrecht
legi priori“ entsprechend davon auszugehen ist, dass die Widerrufsbestimmungen des AuslBG dem § 69 AVG für den Bereich der amtswegigen Abänderung von rechtskräftig erteilten Bewilligungen nach dem AuslBG bei Bescheiderschleichung derogieren. Mit anderen Worten: bilden die §§ 9 Abs 1, 14f Abs 1 Z 1 und 16 Abs 1 eine lex specialis zu § 69 Abs 1 Z 1 AVG? Dies hängt wesentlich davon ab, ob die Rechtsfolgen der konkurrierenden Normen sich gegenseitig ausschließen.418 Nach hM hat die rechtskräftig verfügte Wiederaufnahme die Wirkung, dass der Bescheid des wieder aufgenommenen Verfahrens aus dem Rechtsbestand ausgeschieden wird.419 Insoweit besteht kein Unterschied zu den Rechtswirkungen des Widerrufs. Der Unterschied setzt aber mit der rechtskräftigen Entscheidung im wieder aufgenommenen Verfahren gem § 70 AVG ein, da mit ihr dieselbe Verwaltungssache, die Gegenstand des früheren Verfahrens war, ex-tunc erledigt wird. Dem Gesetzgeber kann aber nicht unterstellt werden, er wollte für ein und denselben Tatbestand in einem Fall ex-nunc (Widerruf) und im anderen ex-tunc-Wirkung anordnen. Ansonsten wäre es dem Gutdünken der Behörde überlassen, die Methode der Aufhebung und damit die Folgewirkungen zu bestimmen, was nicht erwünscht sein kann. Es ist daher davon auszugehen, dass die materiell-rechtliche Spezialnorm der (subsidiären) verfahrensrechtlichen lex generalis vorgeht und somit die Widerrufsbestimmungen des AuslBG die generelle Norm der Wiederaufnahme für den Anwendungsbereich der Bescheiderschleichung verdrängen.
7. Gebühren und Abgaben Für Amtshandlungen zur Erteilung von Bewilligungen und Erlaubnissen nach dem AuslBG werden derzeit folgende Gebühren und Abgaben verrechnet: Ausstellung einer regulären Beschäftigungsbewilligung Gebühr gem § 14 GebührenG, Tarifpost 6 Abs 1 Abgabe gem Z 1 des Tarifs Allgemeiner Teil der BVwAbgV420 Ausstellung einer regulären Arbeitserlaubnis oder eines Befreiungsscheines Tarifpost 1 Abs 1 Z 1 für amtliche Ausfertigungen TP 6 Abs 2 Eingabegebühr Abgabe gem Z 1 des Tarifs Allgemeiner Teil der BVwAbgV Ausstellung einer Beschäftigungsbewilligung gem § 4c Gebühren für Beilagen und Eingaben nach § 14 GebG TP 5 und 6 entfallen wegen der Amtswegigkeit des Verfahrens Abgabe gem Z 1 des Tarifs Allgemeiner Teil der BVwAbgV 418
€ 13,00 € 6,50 € 19,50
€ 76,00 € 43,00 € 6,50 €125,50
€ €
6,50 6,50
Vgl Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft6 266 ff. Vgl Walter/Mayer, Verwaltungsverfahrensrecht8 Rz 606. 420 Verordnung der Bundesregierung über die Verwaltungsabgaben in den Angelegenheiten der Bundesverwaltung und über die Art ihrer Einhebung bei den Bundesbehörden (Bundesverwaltungsabgabenverordnung 1983 – StF: BGBl 1983/24). 419
Art 6 Abs 3 ARB 1/80 – Behörden und Verfahren
Ausstellung eines Befreiungsscheines gem § 4c Gebühr gem § 14 GebG Tarifpost 1 Abs 1 Z 1 für amtliche Ausfertigungen Abgabe gem Z 1 des Tarifs Allgemeiner Teil der BVwAbgV
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€ 76,00 € 6,50 € 82,50
§ 14 Tarifpost 2 Abs 1 GebG sieht unter der Überschrift „Amtliche Ausfertigungen“ für die „Erteilung einer Befugnis oder Anerkennung einer Befähigung oder sonstigen gesetzlichen Voraussetzung zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit“ eine feste Gebühr von € 76,00 vor. Darunter versteht man Erledigungen einer Behörde, zu deren Ausstellung ein gesetzlicher Auftrag oder der Antrag einer Partei notwendig ist.421 Zweifellos handelt es sich bei der Erteilung einer Beschäftigungsbewilligung oder eines Befreiungsscheines nach § 4c um eine amtliche Ausfertigung iSd Bestimmung. Dennoch sind nach dem GebG „Amtliche Ausfertigungen“ nicht schlechthin gebührenpflichtig, sondern nur, wenn sie unter einen in diesem Gesetz aufgezählten Tatbestand fallen. Die Gebührenpflicht einer solchen wird gem § 14 TP 2 Abs 1 Z 1 GebG durch die Erteilung einer Befugnis oder die Anerkennung einer Befähigung oder sonstigen gesetzlichen Voraussetzung zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit begründet. Damit werden aber nur jene Befugnisse und Anerkennungen erfasst, in denen die Rechtsordnung die Aufnahme und Entfaltung einer Erwerbstätigkeit von einer behördlichen Bewilligung abhängig macht oder, anders ausgedrückt, die behördliche Erledigung in rechtsgestaltender Weise den Betroffenen dazu befähigt, die Erwerbstätigkeit auszuüben. Nicht gebührenpflichtig sind demnach Genehmigungen, die jemandem im Rahmen einer schon bestehenden Berechtigung zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit erteilt werden und die über den materiellen Umfang dieser Bewilligung nicht hinausgehen.422 In Anbetracht dieser Feststellung kann aber die Erteilung einer „Genehmigung“ nach § 4c AuslBG, ungeachtet dessen, dass sie in einer der Rechtskraft fähigen Weise über die Rechtmäßigkeit der Beschäftigung des Ausländers abspricht, keineswegs die Gebührenpflicht nach § 14 TP 2 Abs 1 Z 1 GebG begründen. Nach stRsp kommt nämlich einem türkischen Arbeitnehmer, der die Voraussetzungen der UAbs 1 bis 3 des Art 6 Abs 1 ARB 1/80 erfüllt, ein individuelles Recht auf Beschäftigung schon unmittelbar aus dem Beschluss zu und wird nicht erst durch eine behördliche Bewilligung begründet.423 Die rechtsgestaltende Wirkung einer § 4c-Berechtigung geht zum Zeitpunkt der Erlassung somit nicht über den materiellen Umfang der aus Art 6 oder 7 ARB 1/80 erwachsenden Rechte hinaus, weshalb die bisher entrichteten Gebühren jedenfalls zu Unrecht eingehoben wurden.
421 Vgl Fellner, Die Stempel- und Rechtsgebühren7 (2002) § 14 TP 2, 77 mit weiteren Verweisen. 422 Vgl Fellner, ibid, der Sperrstundengenehmigungen als Beispiel nennt. 423 Vgl EuGH, Bozkurt, Rz 29 f; Günaydin, Rz 49; Ertanir, Rz 55; Birden, Rz 65; Ergat, Rz 61 f; Eyüp, Rz 61 f; VfSlg 16.293/2001; VwGH 1.12.2000, AW 2000/09/0058.
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VI. Das Aufenthaltsrecht
A. Arbeitnehmer Während Gemeinschaftsbürgern das Recht auf freie Einreise und Aufenthalt in einem anderen Mitgliedstaat zur Suche einer unselbstständigen Erwerbstätigkeit unmittelbar aus dem EGV zukommt (vgl Art 39 Abs 3 lit a bis c), müssen sich türkische Staatsangehörige ihr Recht auf Aufenthalt im wahrsten Sinne des Wortes „erarbeiten“. Dem Wortlaut des ARB 1/80 sind nämlich keine expliziten aufenthaltsrechtlichen Vergünstigungen zu entnehmen. Dieser bezieht sich lediglich auf die beschäftigungsrechtliche Situation des Arbeitnehmers. Daraus hat der EuGH geschlossen, dass die Entscheidungsfreiheit der Mitgliedstaaten, ob sie die Einreise und die Ausübung einer ersten unselbstständigen Erwerbstätigkeit eines türkischen Staatsangehörigen in ihrem Hoheitsgebiet gestatten, unberührt bleibt. Weiters liegt es grundsätzlich in der Gestaltungsfreiheit der Mitgliedstaaten, die Bedingungen seiner Beschäftigung und seines Aufenthaltes bis zum Ablauf des in Art 6 Abs 1 UAbs 1 genannten Jahres zu regeln.424 Wiewohl die genannte Bestimmung explizit nur beschäftigungsrechtliche Garantien – nicht aber aufenthaltsrechtliche – gewährt, hat der EuGH in der Rs Sevince festgestellt, dass ein Recht auf Beschäftigung notwendigerweise ein Aufenthaltsrecht impliziert. Diese beiden Aspekte der persönlichen Situation türkischer Arbeitnehmer seien untrennbar miteinander verknüpft. Indem die Bestimmungen diesen Arbeitnehmern nach einem bestimmten Zeitraum ordnungsgemäßer Beschäftigung in dem betreffenden Mitgliedstaat Zugang zur Beschäftigung im Lohn- oder Gehaltsverhältnis eröffnen, implizieren sie zwangsläufig, dass ihnen zumindest zu diesem Zeitpunkt ein Aufenthaltsrecht zusteht; anderenfalls wäre das Recht auf Zugang zum Arbeitsmarkt und auf Ausübung einer Beschäftigung völlig wirkungslos.425 Das Aufenthaltsrecht als Folge des Rechts auf Zugang zum Arbeitsmarkt und auf die tatsächliche Ausübung einer Beschäftigung lässt sich ab diesem Zeitpunkt unmittelbar aus dem ARB 1/80 herleiten und wird nicht erst durch die Erteilung einer entsprechenden nationalen Erlaubnis – wie eines konstitutiv wirkenden Aufenthaltstitels – begründet. Es steht dem Betroffenen unabhängig davon zu, ob die Behörden des Aufnahmemitgliedstaats ein derartiges Dokument ausstellen, das das Bestehen dieses Rechts lediglich bestätigt. Denn nach stRsp hat die Aufenthaltserlaubnis für die Anerkennung des Aufenthaltsrechts nur eine 424 425
EuGH, Günaydin, Rz 36 ff; Birden, Rz 37; Kadiman, Rz 33. Rz 28 f des Urteils. Seither stRsp, vgl insb Kus, Rz 30; Bozkurt, Rz 28; Ertanir, Rz 26.
Grenzen des Aufenthaltsrechts
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deklaratorische Bedeutung und Beweisfunktion.426 Unter Bezugnahme auf sein Urteil Sagulo ua427 betonte der Gerichtshof die unterschiedliche Stellung türkischer Staatsangehöriger, die sich im Anwendungsbereich des ARB 1/80 befinden. Er stellte fest, dass ein derartiges Dokument nicht der allgemeinen Aufenthaltserlaubnis für nicht begünstigte Ausländer gleichgestellt werden darf, bei deren Erteilung die nationalen Behörden idR über ein Ermessen verfügen.428 Bei Erfüllen der Voraussetzungen des Art 6 Abs 1 kommt demnach türkischen Staatsangehörigen auch in aufenthaltsrechtlicher Hinsicht eine gesicherte Rechtsstellung zu. Diese verwehrt es den Mitgliedstaaten, das aus dem Beschluss unmittelbar zustehende Aufenthaltsrecht von anderen als sich aus dem Beschluss ergebenden Voraussetzungen abhängig zu machen, oder auf sonstige Weise einschränken.429 Ab diesem Zeitpunkt ist es daher den Mitgliedstaaten untersagt, Vorschriften hinsichtlich des Aufenthaltes zu erlassen, die nicht mit dem ARB 1/80 verträglich sind (dasselbe gilt hinsichtlich der Beschäftigung – vgl 91).
B. Familienangehörige Dieselben – soeben dargelegten – Überlegungen, wie sie vom Gerichtshof im Rahmen von Art 6 für Arbeitnehmer angestellt wurden, führen auch zu einem Aufenthaltsrecht der aus Art 7 begünstigten Familienangehörigen. Das in den Sätzen 1 und 2 der Bestimmung den Berechtigten zuerkannte Recht auf Zugang zum Arbeitsmarkt und auf die tatsächliche Ausübung einer Beschäftigung, setzt zwangsläufig die Existenz eines korrelierenden Aufenthaltsrechtes voraus, um nicht völlig wirkungslos zu sein.430
C. Grenzen des Aufenthaltsrechts 1. Statusverlust Die in Art 6 und 7 ARB 1/80 verbürgten Rechte setzen eine jeweils besondere Stellung der begünstigten Personen voraus. Während Art 6 auf die Eigenschaft als Arbeitnehmer abstellt, leiten die aus Art 7 berechtigten Personen ihre Rechte aus ihrem Status als Familienangehörige her. Soweit keine abweichenden Regelungen bestehen, ist es eine logische Konsequenz, dass die Rechtsposition die aufgrund eines bestimmten Status ausgeübt wird, mit Verlust dieses Status ebenso erlischt. a) Arbeitnehmer So ist für Arbeitnehmer der Mitgliedstaaten ein Verbleiberecht in dem Hoheitsgebiet des Mitgliedstaates, in dem sie beschäftigt waren, in § 39 Abs 3 lit d EG auch 426
Vgl EuGH, Bozkurt, Rz 29 und 30; Günaydin, Rz 49; Ertanir, Rz 55 und Birden, Rz 65. Rz 8 des Urteils. 428 Vgl EuGH, Ergat, Rz 63. 429 EuGH, Günaydin, Rz 36 bis 38; Ertanir, Rz 30 f; Birden, Rz 37. 430 Vgl EuGH, Akman, Rz 42, für die aus Satz 1 berechtigten Familienangehörigen und Eroglu, Rz 20, hinsichtlich Satz 2 der Bestimmung. 427
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Das Aufenthaltsrecht
nach Beendigung ihrer Beschäftigung vorgesehen. Diese vertragliche Garantie wird durch die VO 1251/70431 näher determiniert. Nach Art 2 Abs 1 dieser VO hat ein Arbeitnehmer nach Erreichen des gesetzlichen Rentenalters des Beschäftigungsstaates ein Verbleiberecht, wenn er in diesem Mitgliedstaat mindestens in den letzten 12 Monaten eine Beschäftigung ausgeübt und sich dort seit mindestens drei Jahren ständig aufgehalten hat. Für Arbeitnehmer, die den Arbeitsmarkt infolge dauernder Invalidität verlassen müssen, bestehen erleichterte Kriterien. Nach Art 3 Abs 1 dieser VO erstreckt sich dieses Verbleiberecht auch auf die Familienangehörigen, die bei ihm wohnen.432 Ob sich ein entsprechendes Verbleiberecht auch für einen türkischen Staatsangehörigen, der seine Stellung als Arbeitnehmer iSd Art 6 ARB 1/80 verliert, herleiten lässt, wurde vom EuGH bereits in der Rs Bozkurt thematisiert.433 In diesem Urteil hat der Gerichtshof betont, dass Art 6 nur die Situation derjenigen regle, die erwerbstätig oder vorübergehend arbeitsunfähig sind, nicht hingegen die Stellung von Arbeitnehmern, die mangels Fähigkeit zur Beschäftigung die in diesem Artikel vorgesehenen Rechte gar nicht ausüben können. Wie bereits in den Ausführungen zu Art 6 Abs 2 erläutert (vgl 76 ff), führt zwar nicht jede Unterbrechung der Beschäftigungszeiten eines Arbeitnehmers – sei sie von kürzerer oder längerer Dauer – automatisch zum Verlust des bereits erworbenen Status. Art 6 Abs 2 sichert nämlich den Fortbestand des Anspruchs auf Beschäftigung und damit den Status als Arbeitnehmer iSd Norm während der Abwesenheit vom Arbeitsmarkt, solange gewährleistet ist, dass der Arbeitnehmer ihn nicht endgültig verlassen hat. Damit wird allerdings die Möglichkeit einer Rückkehr in ein Beschäftigungsverhältnis zwangsläufig zu einer conditio sine qua non.434 Eine dem Verbleiberecht nach Art 39 Abs 3 lit d EG entsprechende spezielle Bestimmung, die es türkischen Arbeitnehmern gestatten würde, im Hoheitsgebiet des Beschäftigungsstaates nach Beendigung der Beschäftigung zu verbleiben, kennt das Assoziationsrecht EWG-Türkei hingegen nicht. Mangels einer solchen Bestimmung entfällt daher das Recht auf Aufenthalt, wie es in Art 6 ARB 1/80 stillschweigend, aber zwangsläufig als notwendige Folge des Rechts auf Zugang zur Beschäftigung garantiert wird, wenn der Betroffene sein Beschäftigungsrecht nicht mehr ausüben kann.435 Nachdem das Arbeitsleben nicht nur rechtlichen, sondern auch physischen Grenzen unterliegt, ist daraus zu schließen, dass das Aufenthaltsrecht nach Art 6 ARB 1/80 jedenfalls von zeitlich beschränkter Natur ist und nach endgültiger Beschäftigungslosigkeit des Arbeitnehmers in die Regelungskompetenz der Mitgliedstaaten zurückfällt.436 Neben dem Umstand, dass ein türkischer Arbeitnehmer wegen mangelnder Arbeitsbereitschaft seine Rechte aus Art 6 verliert oder in seinen Heimatstaat mit 431
ABl 1970 L 142/24. Vgl Schneider/Wunderlich in Schwarze (Hrsg), Art 39 EGV, Rz 92 f. 433 Ein türkischer Arbeitnehmer, der fast zehn Jahre ordnungsgemäß in einem Mitgliedstaat beschäftigt war, war infolge eines Arbeitsunfalls vollständig arbeitsunfähig. Sein Antrag auf unbefristete Aufenthaltserlaubnis – gestützt auf Art 6 Abs 1 ARB 1/80 – wurde von den Behörden abgelehnt. 434 Vgl dazu EuGH, Bozkurt, Rz 38. 435 Vgl EuGH, Bozkurt, Rz 39 f. 436 Das FrG gewährt zwar kein Verbleiberecht aber ein dem vergleichbares unbefristetes Aufenthaltsrecht nach Maßgabe des § 24 FrG (Niederlassungsnachweis). 432
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der Absicht zurückkehrt, den Arbeitsmarkt des Mitgliedstaates endgültig zu verlassen, kommen insbesondere die Fälle des Austritts aus dem Erwerbsleben wegen Eintritts der Alterspension und die Berufsunfähigkeit als anspruchsvernichtende Faktoren in Frage. (1) Pensionisten Pensionisten verlieren ihre Ansprüche aus Art 6 Abs 1 ARB 1/80 nur dann, wenn sie endgültig aus dem Erwerbsleben ausscheiden. Dafür ist nicht der Eintritt des Rentenalters maßgeblich, sondern die Inanspruchnahme der Versicherungsleistung. Wird eine verringerte Alterspension (Teilpension) bei gleichzeitiger Ausübung einer Erwerbstätigkeit in reduziertem Ausmaß bezogen, so gilt diese Person als noch dem regulären Arbeitsmarkt angehörend, sofern es sich um eine tatsächliche und echte Tätigkeit handelt, die nicht völlig untergeordnet und unwesentlich ist. Gleichermaßen ist bei Beziehern einer Invaliditätspension zu unterscheiden: Handelt es sich um unbefristete Berufsunfähigkeit, liegt es auf der Hand, dass diese Personen nicht mehr dem Arbeitsmarkt angehören können und folglich ihre Rechte aus Art 6 Abs 1 verlieren. Dagegen bringt die „befristete Berufsunfähigkeit“ per se zum Ausdruck, dass es sich nur um eine vorübergehende Abwesenheit vom Erwerbsleben handelt. (2) Dauerinvalide In der Rs Bozkurt stellte der EuGH fest, dass Art 6 ARB 1/80 ausschließlich türkische Arbeitnehmer vor Augen hat, die erwerbstätig oder vorübergehend arbeitsunfähig sind, sich jedoch nicht auf die Lage eines türkischen Staatsangehörigen bezieht, der – sei es auch durch einen Arbeitsunfall – vollständig und dauernd arbeitsunfähig wird.437 Durch die Dauerinvalidität wird der Arbeitsmarkt eines Mitgliedsstaats endgültig verlassen. b) Familienangehörige Ausgehend von dem Grundsatz, dass die aus einem bestimmten Status hergeleiteten Rechte einer Person gleichzeitig mit Verlust dieser Eigenschaft entfallen, könnte angenommen werden, dass ebenso eine aus Art 7 begünstigte Person ihre Rechte infolge eines Statuswechsels einbüßt. Zu einem solchen kann es bei Ehegatten durch eine Scheidung, bei Kindern dadurch kommen, dass sie ab einem gewissen Alter nicht mehr als Familienangehörige iSd Art 7 zu betrachten sind (zB weil sie das 21. Lebensjahr überschritten haben und keinen Unterhalt beziehen). Sowohl bei den Ehegatten, als auch bei den Abkömmlingen ist es außerdem denkbar, dass sie bereits selbst am Erwerbsleben teilnehmen und so den Status eines Arbeitnehmers iSd Art 6 angenommen haben. Um nicht die Familienangehörigen besser zu stellen als den Arbeitnehmer, haben die Generalanwälte im Interesse der Kohärenz bis zuletzt gefordert, die hinsichtlich des Art 6 geltenden Grundsätze auf die Situation der Familienangehö437
Rz 39 des Urteils; vgl auch Tetik, Rz 36 ff.
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rigen zu übertragen.438 Das würde etwa bedeuten, dass ein volljähriges Kind eines türkischen Arbeitnehmers, welches ein Recht auf freien Zugang zu jeder entgeltlichen Beschäftigung erworben hat, analog zu Art 6 nicht mehr im Aufnahmemitgliedstaat verbleiben kann, wenn es arbeitslos ist und sich nicht innerhalb einer angemessenen Zeit um eine Beschäftigung bemüht. Die Rsp des Gerichtshofs ist diesen Forderungen bislang nicht gefolgt. Vielmehr hat sich seit dem Urteil in der Rs Ergat (mit Hinweisen auf die Rs Kadiman) eine gefestigte Rsp gebildet, wonach es den Mitgliedstaaten verwehrt ist, den Aufenthalt eines Familienangehörigen eines türkischen Arbeitnehmers über den in Art 7 Satz 1 vorgesehenen Zeitraum von drei Jahren hinaus, geschweige denn nach fünf Jahren des ordnungsgemäßen Wohnsitzes – wenn der Betreffende in den Anwendungsbereich von Art 7 Satz 1 zweiter Spiegelstrich fällt –, Voraussetzungen zu unterwerfen. Ihre Befugnis, sowohl Vorschriften über die Einreise von Familienangehörigen türkischer Arbeitnehmer in ihr Hoheitsgebiet zu erlassen als auch die Bedingungen des Aufenthalts dieser Personen zu regeln, beschränke sich auf den Zeitraum der ersten drei Jahren. Nach Ablauf dieses Zeitraums folge aus der unmittelbaren Wirkung der Bestimmung zweierlei: Erstens könnten die Begünstigten ein individuelles Recht auf Zugang zum Arbeitsmarkt aus dem ARB 1/80 herleiten; zweitens setze die praktische Wirksamkeit dieses Rechts notwendiger Weise das Vorliegen eines korrelierenden Aufenthaltsrechts voraus, welches vom Fortbestehen der Voraussetzungen für den Zugang zu diesen Rechten unabhängig ist (Ergat, Rz 38 – 40) . Die Quintessenz des Urteils liegt darin, dass sich ab dem Zeitpunkt der Verwirklichung der Voraussetzungen des Art 7 mit dem Recht auf Beschäftigung auch das Recht auf Aufenthalt verselbstständigt und damit unabhängig vom Verhältnis zum Arbeitnehmer wird. Daraus hat der EuGH geschlossen, dass die den Familienangehörigen durch Art 7 Satz 1 verliehenen Rechte nur in zwei Fällen beschränkt werden können: erstens, wenn Art 14 ARB 1/80 anwendbar sei, und zweitens, wenn der betreffende Familienangehörige das Gebiet des Aufnahmemitgliedstaats für einen nicht unerheblichen Zeitraum ohne berechtigte Gründe verlassen habe.439 In Anbetracht des Urteils in der Rs Akman unterliegt es keinem Zweifel, dass dies auch hinsichtlich des 2. Satzes des Art 7 anzunehmen ist.440 Somit unterliegt das Aufenthaltsrecht eines – vielleicht auch jahrelang im Aufnahmeland beschäftigten – Arbeitnehmers strengeren Anforderungen, als sie für die nachgezogenen Familienangehörigen gelten. Ob diese Auslegung des EuGH von der Regelungsintention des Assoziationsrates getragen wird, geht zumindest aus dem Beschluss nicht eindeutig hervor. Nach Art 12 des AssAbk vereinbaren die Parteien, sich bei der schrittweisen Herstellung der Arbeitnehmerfreizügigkeit von den Art 48, 49, 50 EWGV (neu 39, 40, 41 EG) leiten zu lassen. Die Rechte, die den Familienangehörigen auf Grundlage der gemeinschaftsrechtlichen Bestimmungen im Rahmen der Arbeitnehmerfreizügigkeit zukommen, gehen jedoch als derivative Ansprüche keinesfalls über den materiellen Umfang 438
Vgl SA der GA Léger, Akman, Rz 59 ff; GA Mischo, Ergat, Rz 59 und 64 ff; GA L. A. Geelhoed, Ayaz, Rz 53. Davon abweichend kürzlich GA Léger, Cetinkaya, Rz 37 ff. 439 Vgl EuGH, Ergat, Rz 45 – 48; Cetinkaya, Rz 38. 440 Die von den GA vorgeschlagene dritte Möglichkeit einer Beschränkung – mangelnder Arbeitswille – hat der EuGH nicht akzeptiert (vgl SA, Akman, Rz 59 ff).
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dessen hinaus, der dem Arbeitnehmer zuerkannt wird. Angesichts der sich nahezu über das gesamte Assoziationsrecht erstreckenden Parallelitäten zur Arbeitnehmerfreizügigkeit nach dem Muster des EG-Vertrages kann dem AssRat schwer zugesonnen werden, gerade bei der Regelung der Familienangehörigen im ARB 1/80 von diesem Grundsatz abzuweichen. Weiters steht seit dem Erlass des ARB 2/76 der Arbeitnehmer im Mittelpunkt der Bestrebungen, die Arbeitnehmerfreizügigkeit herzustellen. Es wäre geradezu unverständlich und systemfremd, dass mit dem ARB 1/80, der die soziale Situation des Arbeitnehmers durch die Integration seiner Familie im Aufnahmeland bezweckt, die Familienangehörigen den Arbeitnehmer mit ihren Rechten „überholen“. Ein weiterer Nachteil der Auslegung des EuGH liegt darin, dass sie unnötige Kollisionen verursacht, wenn ein nach Art 7 berechtigter Familienangehöriger nach Wegfall der Voraussetzungen selbst zum Arbeitnehmer wird. Wollte man in diesem Fall nicht zwei Kategorien von Arbeitnehmern von unterschiedlicher aufenthaltsrechtlicher Stabilität schaffen, wäre die Konsequenz die Reduzierung des Aufenthaltsrechts des Familienangehörigen auf das Niveau von Art 6. Gerade dies lehnt die stRsp jedoch strikt ab. Wenngleich kaum davon auszugehen ist, dass der Gerichtshof seine stRsp in diesem Punkt korrigieren wird, muss festgehalten werden, dass sie nicht unerhebliche methodische Bedenken aufwirft.
2. Ordre Public Aus dem Gesagten ergibt sich, dass das Aufenthaltsrecht eines türkischen Arbeitnehmers sowie seiner Angehörigen weder zeitlich unbeschränkt, noch ein unbedingtes ist. Wie schon gesagt, ist das Aufenthaltsrecht des Arbeitnehmers nach Art 6 besonders von der Zugehörigkeit zum regulären Arbeitsmarkt abhängig, als dessen Folge es sich implizit herleiten lässt. Es erlischt eo ipso, sobald das dem Aufenthaltsrecht zu Grunde liegende Recht auf weitere Beschäftigung nicht mehr ausgeübt wird oder nicht mehr ausgeübt werden kann, während bei Familienangehörigen diese Rechtsfolge nur dann eintritt, wenn sie das Gebiet des Aufnahmemitgliedstaats für einen nicht unerheblichen Zeitraum ohne berechtigte Gründe verlassen haben. Außer in den soeben genannten Fällen ermöglicht es jedoch Art 14, in die unmittelbar aus dem ARB 1/80 erwachsenden Rechte einzugreifen, da diese unter dem Vorbehalt der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit stehen.441 Welche Sachverhalte unter diesen Vorbehalt zu subsumieren sind, geht mangels einer Legaldefinition nicht aus dem ARB 1/80 hervor. Letztendlich handelt es sich um unbestimmte Rechtsbegriffe, die der EuGH im Wege der Übertragung der im Rahmen der Arbeitnehmerfreizügigkeit geltenden Grundsätze einer Konkretisierung zugeführt hat. Seit dem Urteil in der Rs Nazli gilt daher als stRsp, dass bei der Bestimmung des Umfangs der in Art 14 Abs 1 vorgesehenen Ausnahme der öffentlichen Ordnung darauf abzustellen ist, wie die gleiche Ausnahme im Bereich der Freizügigkeit der Arbeitnehmer, die Angehörige der Mitgliedstaaten der Gemeinschaft sind, verstanden wird. Dies scheint umso mehr gerechtfertigt, als die genannte Vorschrift nahezu denselben Wortlaut wie Art 39 Abs 3 EG-Vertrag hat.442 441 442
Vgl EuGH, Nazli, Rz 44. Ergat, Rz 45 – 48; Cetinkaya, Rz 38. Vgl EuGH, Nazli, Rz 56; Cetinkaya, Rz 43.
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Die Tragweite dieses Eingriffsvorbehalts ergibt sich wiederum nahezu vollends aus der RL 64/221/EWG,443 welche den Vorbehalt des Art 39 Abs 3 EG an inhaltliche und verfahrensrechtliche Schranken bindet, und der darauf basierenden Judikatur des EuGH. a) Öffentliche Ordnung und Sicherheit Nach der stRsp des Gerichtshofes ist der Grundsatz der Freizügigkeit der Arbeitnehmer weit auszulegen, während die Ausnahmen von diesem Grundsatz eng auszulegen sind.444 Dieser Rsp zufolge ist die Befugnis der Mitgliedstaaten, die Freizügigkeit von Arbeitnehmern aus Gründen der öffentlichen Ordnung zu beschränken, nur bei Vorliegen folgender Voraussetzungen gerechtfertigt: Zunächst muss es sich – wie der Wortlaut schon zum Ausdruck bringt – um eine „Störung der öffentlichen Ordnung“ handeln. Zwar kommt den Mitgliedstaaten bei der Definition jener Umstände, unter denen sie eine Störung ihrer öffentliche Ordnung erblicken, ein gewisser Beurteilungsspielraum zu, jedoch ist angesichts der Notwendigkeit einer einheitlichen Auslegung hinsichtlich der in Kauf zu nehmenden Schwere dieser Störungen ein einheitliches Maß anzulegen. Neben der öffentlich-rechtlichen Gesetzesordnung gehören jedoch auch ungeschriebene, staatlich sanktionierte Regeln für das Verhalten des Einzelnen nach Maßgabe nationaler Regelungssysteme zum Ordnungsbegriff des Gemeinschaftsrechts.445 Daher gehören auch all jene von § 81 SPG erfassten Straftatbestände unter diesen Begriff. Der Gerichtshof verlangt jedoch neben der bloßen Störung der öffentlichen Ordnung, die seiner Judikatur zufolge schon „jede Gesetzesverletzung darstellt“, einen Verstoß gegen die rechtliche Ordnung, der ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Damit fallen die meisten Tatbestände der Störung der öffentlichen Ordnung des § 81 SPG wieder weg, da ihnen die eine aufenthaltsbeendende Maßnahme rechtfertigende Schwere in aller Regel fehlt. Selbst wenn das wirtschaftliche Wohl eines Landes zu den Kerninteressen der Gesellschaft gehört, ist eine freiheitsbeschränkende Maßnahme vor dem Hintergrund der RL 64/221/EWG nicht gerechtfertigt, da „wirtschaftliche Zwecke“ gem Art 2 Abs 2 von diesem Vorbehalt nicht erfasst sind. Darüber hinaus muss sich dieser Verstoß als tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung dieser Rechtsgüter erweisen.446 Aus Art 3 Abs 1 RL 64/221/ EWG, wonach bei Maßnahmen aus Gründen der öffentlichen Ordnung und Sicherheit ausschließlich auf das persönliche Verhalten der in Betracht kommenden Einzelpersonen abzustellen ist, hat der EuGH geschlossen, dass auf die vom konkreten Täter ausgehende Gefährdung der öffentlichen Ordnung abzustellen ist. Den Mitgliedstaaten ist es daher insbesondere verwehrt, die Aufenthaltsrechte aus generalpräventiven Gründen einzuschränken, die keinen Zusammenhang zum Einzelfall haben. Das Gemeinschaftsrecht steht somit der Ausweisung eines Angehörigen eines Mitgliedstaats entgegen, die nur zum Zweck der 443 444 445 446
ABl 1964, 56/850. Vgl EuGH, Orfanopoulos und Oliveri, Rz 64 mwH. Vgl Hauer, Ruhe Ordnung Sicherheit 286 mwH. Vgl EuGH, Bouchereau, Rz 35.
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Abschreckung anderer Ausländer verfügt wird.447 Vielmehr bedarf es einer gegenwärtigen und konkreten Gefährdung der öffentlichen Ordnung. Nach Art 3 Abs 2 können „strafrechtliche Verurteilungen allein … ohne weiteres diese Maßnahmen nicht begründen“. Der Gerichtshof schließt daraus, dass eine strafrechtliche Verurteilung nur insoweit eine aufenthaltsbeendende Maßnahme rechtfertigen kann, als die ihr zugrunde liegenden Umstände ein persönliches Verhalten erkennen lassen, das eine gegenwärtige Gefährdung der öffentlichen Ordnung darstellt.448 Nach der Rechtsprechung ist es daher zwingend notwendig, dass die Entscheidung der zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten auf einer Prognose über das zukünftige Verhalten des Betroffenen basiert. In diese Beurteilung sind die Art und Anzahl bisheriger Verurteilungen ebenso miteinzubeziehen, wie die verbrecherische Intensität, die vom Delinquenten ausgeht. Ein weiteres zu berücksichtigendes Element ist die begründeter Maßen in Betracht kommende Wiederholungsgefahr, wobei es nicht ausreichen kann, dass neue Störungen nicht ausgeschlossen werden können.449 Dabei kann von wesentlicher Bedeutung sein, dass die Strafvollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde, weil dies zur Annahme leitet, dass vom Betroffenen keine konkrete Gefahr mehr ausgeht.450 Insgesamt richtet sich diese Rsp gegen pauschale Wertungen und damit einhergehende Regelausweisungen.451 Von besonderer Bedeutung ist außerdem, dass der Gerichtshof hinsichtlich des Vorliegens einer gegenwärtigen Gefährdung verlangt, dass sie zum dem Zeitpunkt gegeben ist, zu dem die Aufenthaltsbeendigung erfolgt. Somit ist auch ein nach dem Zeitpunkt der fremdenbehördlichen Entscheidung über die Aufenthaltsbeendigung erstattetes Parteivorbringen, welches einen Wegfall oder eine nicht unerhebliche Verminderung der Gefährdung der öffentlichen Ordnung behauptet, von dem mit der Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Aufenthaltsbeendigung befassten Gericht zwingend zu berücksichtigen.452 Damit steht aber fest, dass Art 3 RL 64/221/EWG auch einer Regelung wie der des § 41 Abs 1 VwGG entgegensteht, die eine Bindung des VwGH an den von der belangten Behörde angenommenen Sachverhalt und damit ein Neuerungsverbot statuiert. Des Weiteren muss die mitgliedstaatliche Maßnahme nach Art 39 Abs 3 EG „gerechtfertigt“ sein, mithin dem Gebot der Verhältnismäßigkeit genügen. Sie muss einerseits geeignet sein, die Verwirklichung des mit ihr verfolgten Zieles zu erreichen, und darf andrerseits nicht über das hinausgehen, was zur Erreichung 447
Vgl insb EuGH, Bonsignore, Rz 7. Vgl EuGH, Rutili, Rz 49; Calfa, Rz 22 bis 24; Nazli, Rz 58. 449 Ein Indiz für eine konkrete Wiederholungsgefahr kann zB eine Suchtgiftabhängigkeit oder eine Spielsucht bilden, die dazu veranlassen könnte, zu deren Finanzierung weitere Straftaten zu begehen (vgl Rs Orfanopoulos und Oliveri). 450 Eine aufenthaltsbeendende Maßnahme wäre demnach nicht gerechtfertigt, wenn das Gericht die Vollstreckung der Freiheitsstrafe in nachvollziehbarer Weise aussetzt, weil es sich um ein einmaliges Versagen handelt und der Betroffene Reue und Bestürzung über seine Tat und deren Folgen zeigt (vgl Rs Nazli). 451 EuGH, Nazli, Rz 52 ff. 452 EuGH, Orfanopoulos und Oliveri, Rz 79; dass dieses Erfordernis auch für türkische Staatsangehörige gilt, die sich im Anwendungsbereich des ARB befinden, stellte der EuGH explizit in der Rs Cetinkaya, Rz 48, fest. 448
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dieses Zieles erforderlich ist. Bei ihrer Abwägungsentscheidung hat die Behörde insbesondere Art und Schwere der vom Betroffenen begangenen Straftat, die Dauer seines Aufenthalts im Aufnahmemitgliedstaat, die Zeit, die seit der Begehung der Straftat verstrichen ist, die familiäre Situation des Betroffenen und das Ausmaß der Schwierigkeiten zu berücksichtigen, denen sein Ehegatte und ihre möglicherweise vorhandenen Kinder im Herkunftsland des Betroffenen begegnen können.453 In diesem Zusammenhang sieht der Gerichtshof auch die Verletzung von Ordnungsvorschriften, wie etwa Aufenthalts- oder Meldeformalitäten: Der EuGH sieht in der Befugnis der Mitgliedstaaten, von den in ihrem Gebiet anwesenden Ausländern zu verlangen, dass sie eine gültige Aufenthaltserlaubnis besitzen und, wenn diese nur befristet erteilt worden ist, rechtzeitig ihre Verlängerung beantragen, eine Obliegenheit der Ausländer, welche im Wesentlichen bestimmten Verwaltungserfordernissen entspricht.454 Die genaue Kenntnis der Bevölkerungsbewegungen in ihrem Hoheitsgebiet ist genauso wie das Anliegen einer Einwanderung in geordneten Bahnen ein berechtigtes Anliegen der Mitgliedstaaten, das den Erlass von bestimmten Maßnahmen notwendig macht. Die Kompetenz der Mitgliedstaaten zur Ahndung von Verstößen gegen diese Obliegenheiten bleibt vom Gemeinschaftsrecht grundsätzlich unberührt. Die Verletzung nationaler Vorschriften zur Überwachung von Ausländern kann mit allen geeigneten Sanktionen belegt werden, die zur Gewährleistung der Wirksamkeit dieser Vorschriften erforderlich sind.455 Bei der Sanktionierung der Missachtung der aufenthaltsrechtlichen Formalitäten durch eine unter dem Schutz des Gemeinschaftsrechts stehende Person haben die Mitgliedstaaten aber stets auf die Verhältnismäßigkeit der Maßnahme Bedacht zu nehmen und dürfen keine Strafe vorsehen, die eine Beeinträchtigung dieses Aufenthaltsrechts schaffen würde.456 Eine Ausweisung, mit der das Recht des Betroffenen zur Gänze beseitigt wird, ist mit Blick auf diese Judikatur außer Verhältnis und somit nicht rechtfertigbar. Aus diesem Grund hat der Gerichtshof in der Sache Ergat entschieden, dass das dem türkischen Staatsangehörigen unmittelbar durch das Gemeinschaftsrecht verliehene Recht auf freien Zugang zu jeder beruflichen Tätigkeit und das entsprechende Recht, sich zu diesem Zweck im Aufnahmemitgliedstaat aufzuhalten, nicht dadurch beschränkt werden kann, dass die Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis mit der Begründung abgelehnt wird, er habe sie verspätet beantragt. b) Die öffentliche Gesundheit Die RL 64/221/EWG enthält eine Legaldefinition der „öffentlichen Gesundheit“, als ihr Art 4 auf eine erschöpfende Aufzählung von Krankheitsgruppen in ihrem Anhang verweist. Die dort genannten Krankheiten und Gebrechen können zwar die Verweigerung der Einreise oder der Erteilung der ersten Aufenthaltsgenehmigung rechtfertigen, jedoch keine aufenthaltsbeendende Maßnahme wie zB eine 453 454 455 456
EuGH, Orfanopoulos und Oliveri, Rz 99. Vgl EuGH, Ergat, Rz 54; entsprechend Watson und Belman, Rz 17. Vgl EuGH, Royer, Rz 42; MRAX, Rz 77 f. Vgl EuGH, Pieck, Rz 19, und Messner, Rz 14.
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Ausweisung.457 Der weitere Aufenthalt von „assoziationsintegrierten“ Türken kann somit – in Analogie zu Art 4 Abs 2 der RL – nicht bloß unter Hinweis auf die öffentliche Gesundheit verweigert werden.
3. Verfahrensrechtliche Garantien der RL 64/221/EWG Die RL 64/221/EWG enthält bedeutende Verfahrensgarantien, die sich zum einen auf die Erfordernisse des Verwaltungsverfahrens (Art 5 bis 7) beziehen, und zum anderen Mindestgarantien hinsichtlich des Rechtsschutzes gegen aufenthaltsbeendende Maßnahmen festlegen (Art 8 und 9). Nach Art 8 muss der Betroffene gegen sämtliche seinen Verbleib im Hoheitsgebiet des Mitgliedstaates beschränkende Maßnahmen die Rechtsbehelfe einlegen können, die Inländern gegenüber Verwaltungsakten zustehen. Art 9 ergänzt Art 8 und sichert den von einer solchen Maßnahme betroffenen Personen verfahrensrechtliche Mindestgarantien, weshalb der Gerichtshof auf die offensichtliche Verzahnung dieser Regelungen aufmerksam macht.458 Dieser Artikel ist nach der Rsp des Gerichtshofs in drei Fällen anwendbar, nämlich dann, wenn keine Rechtsmittel gegeben sind, wenn die Rechtsmittel nur die Gesetzmäßigkeit der Entscheidung betreffen oder wenn sie keine aufschiebende Wirkung haben. In diesen Fällen wirkt Art 9 wie eine Auffangregelung459 und sieht die Einschaltung einer „zuständigen Stelle“ vor, die eine andere sein muss als diejenige, die für die Entscheidung hinsichtlich der Aufenthaltsbeendigung zuständig ist. Aus dem Wortlaut der RL lassen sich zwar keine näheren materiellen Vorgaben im Hinblick auf diese Stelle entnehmen, doch hat der EuGH festgestellt, dass diese Voraussetzung von jeder unabhängigen Verwaltungsbehörde erfüllt werden kann; außerdem muss sie so beschaffen sein, dass der Betroffene das Recht hat, sich vor ihr vertreten zu lassen und zu verteidigen.460 Gem Art 9 darf die Verwaltungsbehörde – außer in dringenden Fällen – ihre Entscheidung erst nach Erhalt der Stellungnahme dieser Stelle treffen, die wohl aus Gründen der praktischen Wirksamkeit für die Verwaltungsbehörde verbindlich sein muss. Um die Gemeinschaftskonformität der mitgliedstaatlichen Rechtsschutzsysteme im Hinblick auf die Art 8 und 9 der RL beurteilen zu können, ist es von essenzieller Bedeutung, wie der Rechtsmittelbegriff in Art 9 zu verstehen ist.461 Angesichts der 457
Vgl Demmelbauer, Ansteckende Krankheiten, Stb vom 1.4.2003. EuGH, Royer, Rz 53 bis 61. 459 Vgl Wölker in Groeben/Thiesing/Ehlermann (Hrsg), Art 48 EGV, Rz 111. 460 EuGH, Orfanopoulos und Oliveri, Rz 105, mwH auf Judikatur. 461 Das Vorabentscheidungsersuchen des VwGH (18.3.2003, 99/21/0018 und 2002/21/0067), ob die Art 8 und 9 dahin auszulegen sind, dass die Verwaltungsbehörden – ungeachtet des Bestehens eines innerbehördlichen Instanzenzuges – die Entscheidung über die Entfernung aus dem Hoheitsgebiet ohne Erhalt der Stellungnahme einer (in der österreichischen Rechtsordnung nicht vorgesehenen) zuständigen Stelle nach Art 9 Abs 1 der RL – außer in dringenden Fällen – dann nicht treffen dürfen, wenn gegen ihre Entscheidung bloß die Erhebung von Beschwerden an Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts … zulässig ist, wurde durch den Gerichtshof noch nicht beantwortet. Aus den SA des GA Maduro in der Rs lässt sich aber implizit entnehmen, dass es sich um eine Stelle 458
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Feststellung, dass Art 9 gewissermaßen eine Art Auffangregelung mit Mindestgarantien darstellt, ist es unumgänglich, die in Art 9 verbürgten Mindeststandards, hinsichtlich der Qualität der gegen eine aufenthaltsbeendende Maßnahme anzurufenden Stelle, auch für Art 8 zu verlangen. Jede andere Auslegung wäre sinnwidrig, da Art 9 nur zur Anwendung gelangt, wenn nicht ohnehin der Schutz nach Art 8 schon hinreichend ist. Von besonderer Bedeutung ist in diesem Zusammenhang die Feststellung des EuGH, wonach „Artikel 9 Absatz 1 der Richtlinie 64/221 … einer Bestimmung eines Mitgliedstaats entgegen(steht), die gegen eine von einer Verwaltungsbehörde getroffene Entscheidung über die Ausweisung eines Staatsangehörigen eines anderen Mitgliedstaats ein Widerspruchsverfahren und eine Klage, in denen auch eine Prüfung der Zweckmäßigkeit stattfindet, nicht mehr vorsieht, wenn eine von dieser Verwaltungsbehörde unabhängige Stelle nicht besteht.“462 Daraus lässt sich herleiten, dass ein Rechtsmittel iSd Art 8 nur dann gegeben ist, wenn (a) es an eine unabhängige Behörde erhoben werden kann, (b) die zur umfassenden Prüfung aller Tatsachen und Rechtsfragen einschließlich der Zweckmäßigkeit der beabsichtigten Maßnahme befugt ist, und (c) ihm aufschiebende Wirkung zukommt.
D. Die innerstaatliche Umsetzung im Fremdengesetz 1. Allgemeines In Anlehnung an die Judikatur des EuGH stellte der VwGH in einer Reihe von Erkenntnissen schon recht bald fest, dass türkische Staatsangehörige, die den Anforderungen des ARB 1/80 entsprechen, ein autonomes Aufenthaltsrecht genießen.463 Der Gerichtshof bezeichnete damals das Aufenthaltsrecht nach § 6 Abs 2 AufG als eine – ein „rechtliches aliud“ bildende – Bewilligung.464 Mit der FrG-Novelle, die das FrG 1992 (BGBl 1992/838) und das AufG (BGBl 1992/466) in ein FrG 1997 (BGBl 1997/75) zusammenfasste, versuchte der Gesetzgeber unter anderem diesem Umstand Rechnung zu tragen, indem er in das FrG 1997 ein „Bleiberecht“ für türkische Staatsangehörige einführte (vgl § 30 Abs 3). Demnach kommt diesen Personen zwar weder Niederlassungsfreiheit noch Sichtvermerksfreiheit zu, sie können aber nach Maßgabe des ARB 1/80 einen Anspruch auf Erteilung eines weiteren Aufenthaltstitels geltend machen. Von den Fremden, die Niederlassungsfreiheit genießen, unterscheiden sie sich dadurch, dass ihr handeln muss, die die Anforderungen der Unabhängigkeit entspricht und auf der Grundlage einer vollen Kognitionsbefugnis handelt. 462 EuGH, Orfanopoulos und Oliveri, Rz 116. 463 VwGH 22.2.1996, 95/19/1661; 22.2.1996, 95/18/1882; 14.3.1996, 95/19/0125; 19.4.1996, 95/19/0799; 19.4.1996, 95/19/1171; 19.4.1996, 95/19/1175; 19.4.1996, 95/19/ 1176; 30.5.1996, 96/19/0393; 20.6.1996, 95/19/ 0513; 20.6.1996, 95/19/1584; 20.6.1996, 96/ 19/1281; 20.6.1996, 96/19/1381; 19.9.1996, 96/19/1438; 19.9.1996, 96/19/1450; 26.9.1996, 95/19/0494; 26.9.1996, 95/19/1075; 26.9.1996, 96/19/0333; 26.9.1996, 96/19/1651; 26.9. 1996, 96/19/1707; 3.10.1996, 96/19/0374; 12.11.1996, 96/19/1658; 12.11.1996, 96/19/3068; 19.12.1996, 96/19/1945. 464 Vgl VwGH 30.1.1996, 95/19/1549.
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Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels erst nach bestimmter Zeit rechtmäßigen Aufenthalts entsteht.465 Die FrG-Novelle 2002466 brachte gegenüber dem FrG 1997 wesentliche Änderungen vor allem im Bereich der Integration von Ausländern. Die bisherigen Bestrebungen der Drosselung des Neuzuzugs auf ein Mindestmaß werden mit diesem Gesetz intensiviert. Das Ziel des Gesetzgebers – Integration vor Neuzuzug zu forcieren – soll vor allem durch integrationspolitische Maßnahmen erreicht werden, die in einer so genannten „Integrationsvereinbarung“ festgelegt sind. a) Die Integrationsvereinbarung467 Ziel der Integrationsvereinbarung ist der „Erwerb von Grundkenntnissen der deutschen Sprache (§ 10a StBG) zur Erlangung der Befähigung des Fremden zur Teilnahme am gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und kulturellen Leben in Österreich“. Dieses Ziel kann der Immigrant dem Verständnis des Gesetzgebers zufolge schon durch einen Deutsch-Integrationskurs erlangen (§ 50a Abs 2).468 Man darf allerdings entgegen der etwas irreführenden Bezeichnung dieses Rechtsinstitutes kein enges zivilrechtliches Vertragsverständnis zu Grunde legen und daraus ableiten, der Abschluss dieser Vereinbarung sei dem Willen der Vertragsparteien unterworfen und hänge daher auch vom Einverständnis des Zuwanderers ab. Das Eingehen und die Erfüllung der Integrationsvereinbarung ist nämlich für Neuzuwanderer und Drittstaatsangehörige, die sich nach dem 1.1.1998 auf Dauer niedergelassen haben, obligatorisch, da die Erteilung einer Erstniederlassungsbewilligung oder einer weiteren Niederlassungsbewilligung von der Bereitschaft des Fremden abhängt, eine solche Integrationsvereinbarung einzugehen (§ 12 Abs 1a). Angesichts dieser weit reichenden Konsequenzen hat der Gesetzgeber in § 14 Abs 3a vorgesehen, dass die Behörde Drittstaatsangehörige, die dieser gesetzlichen Verpflichtung nachkommen müssen, vor Erteilung einer Erstniederlassungsbewilligung oder anlässlich der Stellung eines Antrages auf Erteilung einer weiteren Niederlassungsbewilligung darüber zu informieren hat, dass sie eine Integrationsvereinbarung einzugehen haben.469 § 50b Abs 1 FrG nennt eine Reihe von ausgenommenen Personen, befreit aber nicht die nach dem ARB 1/80 berechtigten türkischen Staatsangehörigen von der Pflicht, sich einer Integrationsvereinbarung zu unterwerfen. In den verpflichteten Personenkreis fallen nach den gesetzlichen Regelungen daher auch türkische Arbeitnehmer bzw ihre Familienangehörigen, die sich rechtmäßig im Zeitraum zwischen dem 1.1.1998 und dem 1.1.2003 – aus welchem Grund auch immer – in Österreich niedergelassen haben und bereits auf der Grundlage des ARB 1/80 ein eigenes Aufenthaltsrecht genießen. 465 Vgl ErläutRV 685 BlgNR 20. GP zu § 30 FrG; vgl zu den Begriffen insb Wiederin, Die Einreise- und Aufenthaltstitel nach dem Fremdengesetz 1997, ecolex 1997, 719. 466 Bundesgesetz, mit dem das Fremdengesetz 1997 (FrG-Novelle) und das Asylgesetz 1997 (AsylG-Novelle 2002) und das Ausländerbeschäftigungsgesetz geändert werden, BGBl 2002/126. 467 Siehe dazu die eingehende rechtliche Würdigung bei Pöschl in Sahlfeld ua (Hrsg), Integration und Recht 197. 468 Vgl RV 1172 BlgNR 21. GP, 34. 469 Es handelt sich eigentlich um einen Verwaltungsakt auf Unterwerfung.
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Das Aufenthaltsrecht
Es stellt sich hier die Frage, was mit diesen „assoziationsintegrierten“ Türken zu geschehen hat, wenn sie sich weigern, die Integrationsvereinbarung einzugehen. Kann ihnen die Erteilung eines weiteren Aufenthaltstitels – hier in Form einer Niederlassungsbewilligung – gem § 12 Abs 1a FrG versagt werden? Aus zwei Gründen findet die Integrationsvereinbarung auf die vom ARB 1/80 begünstigten Personen keine Anwendung: erstens bleiben für jene türkischen Arbeitnehmer und ihre Familienangehörigen, die sich vor Inkrafttreten des § 50a FrG, somit vor dem 1.1.2003 in Österreich rechtmäßig niedergelassen haben, die Bestimmungen hinsichtlich der Integrationsvereinbarung unangewendet, da sie eine verbotene Beschränkung für den Zugang zum Arbeitsmarkt iSd Art 13 ARB 1/80 darstellen (vgl 162 ff). Zweitens gilt nach Ablauf der in Art 6 Abs 1 erster UAbs ARB 1/80 festgelegten Jahresfrist – wie bereits oben dargelegt – ein anderes rechtliches Regime, und die Mitgliedstaaten sind an die Vorgaben des Beschlusses gebunden und dürfen insbesondere nicht die Arbeits- und Aufenthaltsrechte türkischer Arbeitnehmer von zusätzlichen Bedingungen abhängig machen.470 Die Rsp des EuGH, wonach es einem Mitgliedstaat verwehrt ist, die Ausübung dieser Rechte der schon in den Arbeitsmarkt eingegliederten türkischen Arbeitnehmer an Bedingungen zu binden oder einzuschränken, steht einer derart auferlegten Verpflichtung – wie der Integrationsvereinbarung – entgegen. Beschränkungen der Rechte dieser Personengruppe dürfen lediglich aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit verfügt werden, was bei einer gesetzlich statuierten Spracherwerbspflicht wohl nicht angenommen werden kann (vgl 130 ff zu Art 14 Abs 1 ARB 1/80).471 § 30 Abs 3 FrG, der türkischen Staatsangehörige, die dem Anwendungsbereich des ARB 1/80 unterfallen, nach Maßgabe dieses Beschlusses einen Rechtsanspruch auf Erteilung eines weiteren Aufenthaltstitels gewährt, steht daher in einem Spannungsverhältnis zu § 12 Abs 1a FrG, wonach Integrationsverweigerern, die keinen der Ausnahmetatbestände des § 50b FrG für sich beanspruchen können, keine weitere Niederlassungsbewilligung erteilt werden darf. Diese scheinbare Kollision ist im Sinne einer systematisch-teleologischen Reduktion dahin zu lösen, dass die nach § 30 Abs 3 FrG bleibeberechtigten Ausländer nicht vom Tatbestand des § 12 Abs 1a FrG erfasst sind. Die gesonderte Regelung über das Bleiberecht im 6. Abschnitt neben der Sichtvermerksfreiheit und der Niederlassungsfreiheit deutet auf die Besonderheit dieser Personengruppe hin, die vom klassischen Genehmigungsmechanismus des FrG ausgenommen ist und ihr Aufenthaltsrecht auf eine supranationale Rechtsquelle stützt. Auf § 34 Abs 2a und 2b, welche die Ausweisung Fremder auch mit Aufenthaltstitel anordnen („Fremde, die eine Integrationsvereinbarung eingegangen sind, sind mit Bescheid auszuweisen, wenn…“) braucht im gegebenen Zusammenhang nicht eingegangen werden, da sich diese Regelung nur auf Ausländer bezieht, die eine Integrationsvereinbarung eingegangen sind. Daher ist festzuhalten, dass türkische Staatsangehörige, die nach dem 1.1.1998 und vor dem 1.1.2003 rechtmäßig eingereist sind und sich hier niedergelassen haben, einen Rechtsanspruch auf weitere Niederlassungsbewilligung haben, der ihnen nicht wegen Verweigerung der Integrationsvereinbarung abgesprochen werden kann, solange sie unter dem Schutz 470 471
Vgl EuGH, Sevince, Rz 22; Kus, Rz 31; Günaydin, Rz 39; Birden, Rz 38. StRsp vgl insb Sevince, Rz 22; Kus, Rz 31; Günaydin, Rz 39; Birden, Rz 38.
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des ARB 1/80 stehen. Neben den aufenthaltsbeendenden Maßnahmen drohen dem, der aus Gründen, die ausschließlich in seinem Einflussbereich liegen, mit der Erfüllung der Integrationsvereinbarung nach zwei Jahren nicht begonnen oder sie nach drei Jahren nicht abgeschlossen hat, Verwaltungsstrafen in der Höhe von € 100 oder € 200 gem § 108 Abs 1a und 1b. Türkische Staatsangehörige, welche sich im Anwendungsbereich des ARB 1/80 befinden, können aus den oben dargelegten Gründen nicht zum Eingehen einer Integrationsvereinbarung verpflichtet werden, folglich fehlt bei ihnen die eine Strafe bedingende Tatbestandsmäßigkeit. Im Gegensatz zu den bereits aus dem ARB 1/80 begünstigten Personen können türkische Neuzuwanderer zum Eingehen der Integrationsvereinbarung verpflichtet werden, da sie eine Voraussetzung für die Erstniederlassungsbewilligung darstellt (§ 12 Abs 1a FrG). Wie bereits oben erwähnt, bestehen aus assoziationsrechtlicher Sicht dagegen keine Bedenken, da den Mitgliedstaaten durch den ARB 1/80 nicht die Befugnis genommen worden ist, die Einreise, den Aufenthalt und die Beschäftigung türkischer Staatsangehöriger innerhalb jenes Zeitraumes, in dem sie noch nicht „assoziationsintegriert“ sind, ihren nationalen Regelungen zu unterwerfen und sie wie gewöhnliche Drittstaatsangehörige zu behandeln.472 Nach Ablauf der im ARB 1/80 vorgesehenen Fristen steht diesen Personen jedoch ein unmittelbar aus dem Gemeinschaftsrecht abgeleitetes und der Disposition der Mitgliedstaaten weitgehend entzogenes Aufenthaltsrecht zu.473 Für die aus der Integrationsvereinbarung gem § 50a resultierenden Verpflichtungen für Neuzuwanderer ist daraus zu folgern, dass sie nur innerhalb der im ARB 1/80 vorgesehenen Fristen rechtliche Wirkungen entfalten können, da türkische Staatsangehörige während dieser Frist keinen Sonderstatus genießen. Anders verhält es sich nach Erreichen einer der im ARB 1/80 vorgesehenen Integrationsstufen. Arbeitnehmer dürfen nach einem Jahr ordnungsgemäßer Beschäftigung auch nach Eingehen einer Integrationsvereinbarung nicht mehr dazu verhalten werden, den Nachweis der Erfüllung zu erbringen. Sie genießen ab diesem Zeitpunkt ein autonomes, vom nationalen Aufenthaltsrecht unabhängiges Bleiberecht und sind nicht mehr zur Erfüllung der Integrationsvereinbarung verpflichtet. Das bedeutet weiter, dass nach Ablauf dieser Frist die Verpflichtungen aus der Integrationsvereinbarung allenfalls als Obliegenheit weiter bestehen und keinerlei fremdenpolizeiliche Konsequenzen nach sich ziehen können. Einen gravierenden Nachteil hat allerdings die Nichterfüllung der Integrationsvereinbarung, da der Nachweis der Erfüllung eine der Voraussetzungen für das Recht auf unbefristeten Aufenthalt (Niederlassungsnachweis § 24) bildet und das Assoziationsrecht alleine dem Arbeitnehmer keinen unbefristeten Verbleib im Bundesgebiet zu gewähren vermag. b) Sichtvermerkspflicht Türkische Staatsangehörige unterliegen gem § 5 FrG der Sichtvermerkspflicht und benötigen demnach für ihre rechtmäßige Einreise und ihren Aufenthalt in Österreich einen Aufenthaltstitel. § 7 Abs 1 FrG sieht folgende Aufenthaltstitel vor: 472 473
Vgl EuGH, Günaydin, Rz 36 bis 38; Birden, Rz 37. Vgl Feik, ZfV 1995, 8 mwN.
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Das Aufenthaltsrecht
• Aufenthaltserlaubnis (Z 1) • Niederlassungsbewilligung (Z 2) • Niederlassungsnachweis (Z 3) Die befristeten Aufenthaltstitel „Aufenthaltserlaubnis“ und „Niederlassungsbewilligung“ sind zweckgebunden; ihnen ist bei der Erteilung der jeweilige Aufenthaltszweck beizufügen.474 Sofern einer Niederlassungsbewilligung keine Zweckangabe beigefügt ist, gilt sie für jeglichen Aufenthaltszweck (vgl § 13 Abs 2). (1) Aufenthaltserlaubnis Einer Aufenthaltserlaubnis bedürfen Drittstaatsangehörige gem § 7 Abs 4 FrG, die nur die Absicht haben, sich vorübergehend niederzulassen (zB Schüler, Studenten, leitende Angestellte internationaler Konzerne, deren Tätigkeiten Rotationen hinsichtlich ihres Dienstortes erfordern), oder sich hier ständig aufhalten, ohne sich niederzulassen (zB Grenzgänger oder Tagespendler).475 Die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis ist im Unterschied zur Erteilung einer Niederlassungsbewilligung grundsätzlich nicht vom Bestehen eines freien Quotenplatzes abhängig. Quotenpflichtig sind aber Pendler gem § 25 Abs 1 FrG476 und befristet beschäftigte Fremde nach § 5 AuslBG iVm § 9 FrG. Die Anzahl der Beschäftigungsbewilligungen, mit denen aufgrund einer Verordnung des BMWA gem § 5 AuslBG ein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis oder auf befristete Zweckänderung verbunden werden darf, ist gem § 18 Abs 3 FrG der Niederlassungsverordnung zu entnehmen. (2) Niederlassungsbewilligung Auf Dauer niedergelassene Drittstaatsangehörige – das sind nach der Legaldefinition des Begriffs jene, die entweder in Österreich ihren Lebensmittelpunkt haben (Z 1) oder zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit an einem Wohnsitz niedergelassen sind (Z 2) – brauchen gem § 7 Abs 3 eine Niederlassungsbewilligung. Eine Erstniederlassungsbewillung kann gem § 19 Abs 1 erteilt werden, wenn die Voraussetzungen des § 8 FrG gesichert erscheinen und kein Versagungsgrund gem § 10 vorliegt. Die Erteilung einer solchen ist überdies nur nach Maßgabe der in der Niederlassungsverordnung vorgesehenen Quote möglich. Diese Anzahl der Niederlassungsbewilligungen wird jährlich von der BReg im Einvernehmen mit dem Hauptausschuss des NR mittels Verordnung festgelegt.477 Im Gegensatz dazu unterliegt die Erteilung weiterer Niederlassungsbewilligungen (Verlängerung) gem § 23 keiner Quotierung. Sofern keine Versagungsgründe 474
Vgl § 4 Abs 3 FrG-Durchführungsverordnung BGBl II 1997/418 idF 2002/364. Vgl ErläutRV 685 BlgNR 20. GP 63. 476 Beachte die Möglichkeit der Bundesregierung nach § 1 Abs 5 AuslBG, durch Abkommen mit den Nachbarstaaten Kontingente für die Beschäftigung von Schlüsselkräften und Pendlern festzulegen, die von der Quote, die in der NiederlassungsV jährlich festgelegt wird, nicht erfasst werden. 477 Im Jahr 2004 betrug die Höchstzahl der zu vergebenden Erstniederlassungsbewilligungen 8050 für ganz Österreich. Daneben durften 15.000 Beschäftigungsbewilligungen für befristet beschäftigte Erntehelfer und Saisonniers erteilt werden (vgl BGBl II 2003/616). Zur Verfassungsmäßigkeit des Quotensystems vgl VfSlg 14191/1995. 475
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vorliegen, ist auf Antrag eine weitere Niederlassungsbewilligung mit demselben Zweckumfang zu erteilen. Die Gültigkeitsdauer einer Erstniederlassungsbewilligung beträgt nach § 19 Abs 6 FrG höchstens ein Jahr. Die weiteren Niederlassungsbewilligungen werden für die Dauer von höchstens zwei Jahren erteilt, es sei denn, der Fremde ist nach dem 1.1.2003 eingereist und integrationsvereinbarungspflichtig. In diesem Fall ist die weitere Niederlassungsbewilligung mit einem Jahr zu begrenzen, solange bis der Betroffene die Integrationsvereinbarung erfüllt (§ 23 Abs 4). (3) Niederlassungsnachweis Fremde, die die Voraussetzungen des § 24 Abs 1 erfüllen, haben einen Rechtsanspruch auf eine unbefristete Niederlassungsbewilligung (Niederlassungsnachweis). Dieser ist auf Antrag zu erteilen, wenn die Voraussetzungen des § 8 Abs 1 vorliegen, keine Tatsache es wahrscheinlich macht, dass in Zukunft ein Versagungsgrund wirksam werde, er entweder die Integrationsvereinbarung erfüllt hat (§ 50c) oder keine Integrationsvereinbarung zu erfüllen hatte (§ 50b) und der Fremde 1. seit fünf Jahren im Bundesgebiet dauernd niedergelassen ist und über ein regelmäßiges Einkommen aus erlaubter Erwerbstätigkeit verfügt; 2. Ehegatte oder minderjähriges Kind eines unter Z 1 fallenden Fremden ist, mit ihm in gemeinsamem Haushalt lebt und seit fünf Jahren seinen Hauptwohnsitz im Bundesgebiet hat; 3. seit fünf Jahren in Österreich niedergelassen ist und in Österreich schulpflichtig war oder ist; 4. begünstigter Drittstaatsangehöriger eines EWR-Bürgers (§ 47) oder eines Österreichers (§ 49) ist und seit zwei Jahren seinen Hauptwohnsitz in Österreich hat.
2. Bleiberecht § 30 Abs 3 FrG gewährt niedergelassenen, sichtvermerkspflichtigen Drittstaatsangehörigen, die auf Grund eines unmittelbar anwendbaren Rechtsaktes der EU ein Bleiberecht genießen, nach Maßgabe dieses Rechtsaktes einen Anspruch auf Erteilung eines weiteren Aufenthaltstitels. Ein solches Bleiberecht genießen türkische Arbeitnehmer und Familienangehörige nach der stRsp des EuGH aufgrund der unmittelbar anwendbaren Bestimmungen der Art 6 und 7 ARB 1/80.478 Der ARB 1/80 überlässt die Festlegung von Zuständigkeiten oder sonstigen verfahrensrechtlichen Regelungen den Mitgliedstaaten, ohne den Betroffenen einen Anspruch auf einen ganz bestimmten Aufenthaltstitel mit einer bestimmten Dauer zu gewähren. Es ist daher Sache des Mitgliedstaates, für die Durchsetzung der Rechte aus dem ARB 1/80 erforderliche Regelung des Verfahrensrechts zu erlassen. Die Festlegung von Zuständigkeiten oder sonstigen verfahrensrechtlichen Regelungen darf jedoch nicht den materiellen Umfang der im ARB 1/80 zuerkannten Rechte schmälern (vgl 46). Das FrG sieht in § 7 Abs 3 für eine dauerhafte Niederlassung das Rechtsinstitut der Niederlassungsbewilligung vor.
478
EuGH, Sevince, Rz 28 f; Kus, Rz 30; Bozkurt, Rz 28; Ertanir, Rz 26.
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Das Aufenthaltsrecht
§ 30 Abs 3 dient somit der innerstaatlichen Umsetzung der aus den Art 6 und 7 erwachsenden Aufenthaltsrechte und ist im Zusammenhang mit § 23 Abs 1 zu sehen, welcher das Verfahren für die Erteilung weiterer Niederlassungsbewilligungen regelt. Ab dem Zeitpunkt, ab dem die Betroffenen ihr Aufenthaltsrecht unmittelbar und unbedingt aus dem ARB 1/80 herleiten können, verbietet es die unmittelbare Wirkung der Regelungen, den weiteren Verbleib der aus dem Beschluss in aufenthaltsrechtlicher Hinsicht begünstigten Personen im Hoheitsgebiet von Voraussetzungen abhängig zu machen. (Dass es sich dennoch nicht um ein zeitlich unbeschränktes und unbedingtes Aufenthaltsrecht handelt, wurde schon dargelegt – vgl 126 f). Demnach ist § 23 Abs 1 FrG für die vom ARB 1/80 Berechtigten in folgenden Sinn zu lesen: „Fremden, die nach Ablauf der Gültigkeitsdauer ihrer Niederlassungsbewilligung auf Dauer niedergelassen bleiben, ist – sofern die Voraussetzungen nach Art 6 oder 7 ARB 1/80 weiterhin gesichert scheinen – auf Antrag eine weitere Niederlassungsbewilligung für jeglichen Aufenthaltszweck zu erteilen.“479 Damit entfällt im Übrigen die Wartefrist von vier Jahren für nachgezogene Familienangehörige iSd § 21 Abs 4, da ein Recht auf Zugang zum Arbeitsmarkt nach Art 7 ARB 1/80 schon nach dreijährigem Wohnsitz begründet wird. Das Recht, weiterhin niedergelassen zu sein, bleibt Ehegatten türkischer Arbeitnehmer, die im Wege des Familiennachzugs nach Österreich gekommen sind, entgegen § 20 Abs 1 auch dann erhalten, wenn die Voraussetzungen für den Familiennachzug schon nach drei Jahren nach der Erteilung der Erstniederlassungsbewilligung wegfallen. Nach einer dreijährigen Wohnsitzdauer verselbstständigt sich nämlich das Aufenthaltsrecht eines Familienangehörigen nach Art 7 Satz 1 ARB 1/80 (vgl 102). Die Versagungsgründe des 2. Abschnitts des FrG reduzieren sich mit Blick auf die ordre public-Klausel des Art 14 ARB 1/80 im Falle der Erteilung einer weiteren Niederlassungsbewilligung auf die Tatbestände des § 10 Abs 2 Z 3 (der Aufenthalt des Fremden die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit gefährden würde) und Z 4 (der Aufenthalt des Fremden die Beziehungen der Republik Österreich zu einem anderen Staat beeinträchtigen würde). Die innerstaatlichen verfahrensrechtlichen Regelungen werden durch den ARB 1/80 nicht beeinflusst, weshalb sich die Gültigkeitsdauer der weiteren Niederlassungsbewilligungen nach § 23 Abs 4 richtet. Dies gilt jedoch mit der Maßgabe, dass assoziationsintegrierte türkische Staatsangehörige nicht mehr integrationspflichtig sind. Das heißt, dass der ins Ermessen der Behörde gestellte Zeitraum von bis zu zwei Jahren voll ausgeschöpft werden kann.
3. Aufenthaltsbeendigung Vorweg ist zu betonen, dass den aus den Art 6 und/oder 7 ARB 1/80 berechtigten Personen der weitere Verbleib in Österreich gem Art 14 Abs 1 ARB 1/80 nur noch aus Gründen der öffentlichen Ordnung und Sicherheit verwehrt werden kann.480 479 Dies gilt unabhängig vom Bestehen eines freien Quotenplatzes im Rahmen der Niederlassungsverordnung. 480 Gesundheitliche Gründe können – wie oben dargelegt – nur der Einreise, nicht hingegen einem weiteren Verbleib entgegengehalten werden.
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Das FrG sieht im 2. Abschnitt des 3. Hauptstücks zwei Formen aufenthaltsbeendender Maßnahmen vor. Erstens die Ausweisung, eine mit Bescheid verfügte Verpflichtung, das Bundesgebiet (einmalig) zu verlassen. Zweitens das Aufenthaltsverbot, das auch ein Rückkehrverbot beinhaltet. Neben den allgemeinen, für alle Fremden geltenden Bestimmungen, sind in § 48 Sonderbestimmungen für EWR-Bürger vorgesehen. Nach der stRsp des EuGH ist bei der Bestimmung des Umfangs der in Art 14 Abs 1 ARB 1/80 vorgesehenen Ausnahme der öffentlichen Ordnung darauf abzustellen, wie die gleiche Ausnahme im Bereich der Freizügigkeit der Arbeitnehmer, die Angehörige der Mitgliedstaaten der Gemeinschaft sind, verstanden wird.481 Das bedeutet, dass die Befugnis der Mitgliedstaaten, im Einzelfall und bei Vorliegen ausreichender Rechtfertigungsgründe die Ausübung des unmittelbar aus dem Gemeinschaftsrecht fließenden Aufenthaltsrechts zu beschränken, bei assoziationsintegrierten Personen nicht weiter ist als bei Gemeinschaftsarbeitnehmern: Demnach können die vom ARB 1/80 in aufenthaltsrechtlicher Hinsicht begünstigten Personen gem § 34 Abs 1 FrG nur ausgewiesen werden, wenn – bestimmte Versagungsgründe iSd Z 1 und 2 vorliegen, nämlich der Aufenthalt des Fremden die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit gefährden würde, oder der Aufenthalt des Fremden die Beziehungen der Republik Österreich zu einem anderen Staat beeinträchtigen würde (vgl § 10 Abs 2 Z 3 und 4), oder – nach Z 3 der Aufenthaltstitel einem Fremden erteilt wurde, weil er sich auf eine Ehe berufen hat, obwohl er ein gemeinsames Familienleben im Sinne des Art 8 EMRK nicht geführt hat. In diesem Fall gilt der Betroffene ohnehin nicht als im Anwendungsbereich des ARB 1/80 befindlich, da ein unrechtmäßiger Weise – insbesondere durch eine Täuschung (zB durch eine Scheinehe) – erlangter Aufenthaltstitel keine Ansprüche aus dem ARB 1/80 vermittelt.482 Die Abs 2, 2a, 2b und 3 kommen bei türkischen Staatsangehörigen, solange sie die Kriterien der Art 6 und 7 ARB 1/80 erfüllen, nicht zur Anwendung, da einerseits die Verpflichtung, eine Integrationsvereinbarung einzugehen oder zu erfüllen bei assoziationsintegrierten Personen nicht mehr besteht (vgl oben); andererseits regelt der ARB 1/80 selbst die Voraussetzungen des Verlusts der daraus erwachsenden Rechte, sodass eine Abwesenheit vom Arbeitsmarkt iSd § 34 Abs 2 und 3 nur nach Maßgabe der Art 6 und 7 ARB 1/80 das Aufenthaltsrecht im Mitgliedstaat zum Erlöschen bringen kann (siehe dazu 125 ff). Die Verhängung eines Aufenthaltsverbotes gegen einen vom ARB 1/80 berechtigten Ausländer ist im Lichte der Rsp des EuGH daher nur (analog zu § 48 Abs 1 Satz 1 hinsichtlich der EWR-Bürger) nach § 36 Abs 1 Z 1 FrG zulässig. Voraussetzung ist daher, dass das Verhalten des Fremden aufgrund bestimmter Tatsachen die Annahme rechtfertigt, dass sein Aufenthalt die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet. Dagegen, dass Z 1 neben der „öffentlichen Ordnung“ oder „Sicherheit“ auch die „öffentliche Ruhe“ nennt, bestehen aus gemeinschaftsrechtlicher Sicht keine Einwände, da es nur auf die inhaltliche, und nicht auf die wörtliche Deckungs481 482
Vgl EuGH, Nazli, Rz 56; Cetinkaya, Rz 43. EuGH, Kol, Rz 24 ff.
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Das Aufenthaltsrecht
gleichheit ankommt. Außerdem werden mit der „öffentlichen Ruhe“ keine Zwecke verfolgt, die nicht schon in den Schutzgütern der öffentlichen Ordnung und Sicherheit erfasst werden.483 Der das Aufenthaltsverbot normierende Spruch des Bescheides kann sich rechtmäßiger Weise nur auf die Bestimmung des § 36 Abs 1 Z 1 FrG stützen. Rechtswidrig wäre es demnach, das Aufenthaltsverbot wegen Gefährdung anderer im Art 8 Abs 2 EMRK genannter öffentlicher Interessen zu erlassen (Z 2). Eine Definition der Begriffe „öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit“ ist im FrG zwar nicht zu finden. Gleichwohl liefert die demonstrative Aufzählung in § 36 Abs 2 Anhaltspunkte dafür, wie diese Begriffe abgegrenzt werden können. Der VwGH geht in seiner stRsp davon aus, dass bei der Beurteilung der Zulässigkeit im Hinblick auf eine Verletzung der öffentlichen Ruhe, Ordnung und Sicherheit auf den Katalog des Abs 2 als „Orientierungsmaßstab“ zurückgegriffen werden kann.484 Dass es sich dabei um eine bloß beispielhafte Aufzählung jener Verstöße handelt, die die Annahme einer hinreichenden Gefährdung dieser Schutzgüter gerechtfertigt erscheinen lassen, lässt sich ebenso der Judikatur des Gerichtshofs entnehmen. Der zufolge setzt die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes nicht zwingend voraus, dass eine in § 36 Abs 2 FrG näher genannte bestimmte Tatsache gegeben ist.485 Auf der anderen Seite kann aber festgestellt werden, dass nicht sämtliche in Abs 2 aufgezählten Übertretungen der vom EuGH verlangten Voraussetzung einer schweren Gefährdung der öffentlichen Ordnung, die mithin ein Grundinteresse der Gesellschaft berühren muss, standhalten. Die Behörde darf daher nicht bei Vorliegen einer dieser Tatbestände automatisch davon ausgehen, dass es sich um einen die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes rechtfertigenden Verstoß gegen den ordre public handelt. Lediglich gravierende Verstöße gegen die öffentliche Ordnung oder Sicherheit können einen derart schweren Eingriff mit Blick auf Art 14 Abs 1 ARB 1/80 rechtfertigen. So ist die Mittellosigkeit iSd Z 7 (wenn der Fremde den Besitz der Mittel zu seinem Unterhalt nicht nachzuweisen vermag, es sei denn, er wäre rechtmäßig zur Arbeitsaufnahme eingereist und innerhalb des letzten Jahres im Inland mehr als sechs Monate einer erlaubten Erwerbstätigkeit nachgegangen) nicht geeignet, den Aufenthalt des Assoziationsberechtigten zu beenden, da nach Art 2 Abs 2 der RL 64/221/EWG „wirtschaftliche Zwecke“ nicht unter den ordre public-Vorbehalt fallen. Außerdem wird in aller Regel zB eine Vielzahl von Verstößen gegen die öffentliche Ordnung gem § 81 Abs 1 SPG nicht geeignet sein, ein Grundinteresse der Gesellschaft zu berühren. Wodurch sich die Grundinteressen der Gesellschaft kennzeichnen, bestimmt nicht zuletzt der nationale Gesetzgeber. Daher ist bei der Beurteilung der Schwere des Vergehens insbesondere auf die vom Gesetzgeber dem zu schützenden Rechtsgut beigemessene Bedeutung abzustellen, wie sie sich üblicher Weise in dem für den Fall ihrer Verletzung angedrohten Strafrahmen widerspiegelt. In Anbetracht der im AuslBG für den Arbeitgeber vorgesehenen Strafen für Schwarzarbeit bis zu € 25.000,– (vgl § 28) ist zu Recht davon auszugehen, dass die 483 484 485
Vgl Hauer, Ruhe 191 ff. VwGH 17.2.2000, 2000/18/0008; 19.10.1999, 99/18/0155; VwGH 24.6.2002, 2000/18/0088.
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rechtswidrige unselbstständige Beschäftigung ein Grundinteresse der Gesellschaft verletzt, selbst wenn die Geldstrafe nicht den Arbeitnehmer trifft.486 Dem Erfordernis aus Art 3 RL 64/221/EWG, wonach bei Maßnahmen aus Gründen der öffentlichen Ordnung und Sicherheit ausschließlich auf das persönliche Verhalten der in Betracht kommenden Einzelpersonen abzustellen ist,487 und strafrechtliche Verurteilungen allein ohne weiteres keine aufenthaltsbeendenden Maßnahmen begründen können,488 wird durch die Verpflichtung der Behörde (arg: „wenn … die Annahme gerechtfertigt ist“) Genüge getan, das Aufenthaltsverbot auf eine auf bestimmte Tatsachen gegründete Prognose, dass der Betroffene die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährden werde, zu stützen.489 Die gegenwärtige und konkrete Gefährdung muss zu dem Zeitpunkt gegeben sein, zu dem die Aufenthaltsbeendigung erfolgt, sodass die während eines Verfahrens zur Aufenthaltsbeendigung auftretende positive Entwicklung des Betroffenen ebenso berücksichtigt werden muss. Sollte sich ergeben, dass von ihm keine Gefährdung mehr ausgeht, ist die aufenthaltsbeendende Maßnahme unzulässig. § 36 Abs 1 FrG ermächtigt die Behörde, von der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes trotz Vorliegens der dort normierten Tatbestandsvoraussetzungen abzusehen. Nach Art 130 Abs 2 B-VG hat die Behörde von dem eingeräumten Ermessen „im Sinne des Gesetzes“ Gebrauch zu machen. Liegt somit ein Sachverhalt vor, der Grund zur Annahme einer gegenwärtigen und konkreten Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit iSd § 36 Abs 1 Z 1 gibt, die zugleich ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt, darf eine aufenthaltsbeendende Maßnahme – wie ein Aufenthaltsverbot – nur verhängt werden, wenn sie zur Verwirklichung des mit ihr verfolgten Zieles geeignet und darüber hinaus erforderlich ist. Existiert ein gelinderes Mittel, um diesem Ziel gerecht zu werden, so erweist sich die Maßnahme als unverhältnismäßig und damit rechtswidrig. Die Behörde hat demnach die für die Verhängung eines Aufenthaltsverbotes gegen den Betroffenen sprechenden öffentlichen Interessen und das Interesse des Betroffenen am weiteren Verbleib im Bundesgebiet gegeneinander abzuwägen. Bei der Ausübung ihres Ermessenspielraums hat sie sich insbesondere von der Art und Schwere der vom Betroffenen begangenen Straftat, der Dauer seines Aufenthalts im Bundesgebiet und der Zeit, die seit der Begehung der Straftat verstrichen ist, leiten zu lassen. Wird mit der aufenthaltsbeendenden Maßnahme in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, muss zudem die materielle Schranke des Art 8 Abs 2 EMRK berücksichtigt werden und ist auf die familiäre Situation des Betroffenen und das Ausmaß der Schwierigkeiten Bedacht zu nehmen, denen sein Ehegatte und ihre möglicherweise vorhandenen Kinder im Herkunftsland des Betroffenen begegnen können (beachte § 37 FrG, der für alle Drittstaatsangehörige gilt).490 Neben diesen gemeinschafts- und verfassungsrechtlichen Eingriffsvorbehalten gehen unmittelbar aus dem FrG für alle Drittstaatsangehörigen gewisse Gewährleistungen hervor, die den Bestand des Aufenthaltsrechts in Österreich nach einer längeren Zeit rechtmäßigen Aufenthalts sichern. Es handelt sich dabei um ein 486 487 488 489 490
Vgl VwGH 3.7.2003, 98/21/0167. Vgl insb EuGH, Bonsignore, Rz 7. Vgl EuGH, Rutili, Rz 49; Calfa, Rz 22 bis 24; Nazli, Rz 58. VwGH 20.10.1998, 98/21/0183. EuGH, Orfanopoulos und Oliveri, Rz 99.
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Das Aufenthaltsrecht
System der stufenweisen Aufenthaltsverfestigung, das je nach Aufenthaltsdauer des Fremden die Möglichkeiten seiner Ausweisung oder eines Aufenthaltsverbots gegen ihn einschränkt oder gänzlich verbietet:491 Fremde, die im Besitz einer Niederlassungsbewilligung sind, dürfen • gem § 35 Abs 1 nach einem rechtmäßigen ununterbrochenen Aufenthalt von fünf Jahren wegen Mittellosigkeit nicht ausgewiesen werden, soweit erkennbar ist, dass sie bestrebt sind, die Mittel zu ihrem Unterhalt zu sichern und dies nicht aussichtslos erscheint. • Nach achtjähriger Niederlassung dürfen sie nur mehr ausgewiesen werden, wenn sie von einem inländischen Gericht rechtskräftig verurteilt wurden und ihr weiterer Aufenthalt die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit gefährden würde (§ 35 Abs 2). • Nach zehnjähriger Niederlassung ist die Ausweisung nur noch infolge einer Verurteilung zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr auf Grund bestimmter Strafdelikte oder wegen einer Wiederholungstat zulässig. Ab diesem Zeitpunkt darf gegen sie auch kein Aufenthaltsverbot erlassen werden (§§ 35 Abs 3 und 38 Abs 1 Z 2). • Gegen einen Fremden, der bereits die Voraussetzungen zur Verleihung der Staatsbürgerschaft gem § 10 Abs 1 StbG erfüllt, darf ein Aufenthaltsverbot nur dann erlassen werden, wenn er wegen einer gerichtlich strafbaren Handlung zu einer mehr als zweijährigen Freiheitsstrafe verurteilt wurde (§ 38 Abs 1 Z 3). • Gegen Ausländer der zweiten Generation, die von klein auf im Inland aufgewachsen sind,492 darf keine aufenthaltsbeendende Maßnahme ergriffen werden, wenn sie die Hälfte ihres Lebens im Bundesgebiet verbracht haben und zuletzt seit mindestens drei Jahren hier niedergelassen sind (§§ 35 Abs 4 und 38 Abs 1 Z 4). Bei einem Eingriff in die Aufenthaltsrechte einer aus dem ARB 1/80 berechtigten Person ist daher infolge des Günstigkeitsprinzips gem Art 14 Abs 2 ARB 1/80 neben dem ordre public-Vorbehalt auch die Schranke der Aufenthaltsverfestigung nach dem FrG zu beachten. a) Verspätete Antragstellung Aus dem Grundsatz heraus, dass das Aufenthaltsrecht eines türkischen Arbeitnehmers unmittelbar aus dem ARB 1/80 ableitbar ist und deshalb ein formeller Aufenthaltstitel nur Beweisfunktion hat, lassen sich auch Schranken für die Konsequenz einer verspäteten Antragstellung auf einen weiteren Aufenthaltstitel folgern. Gemäß § 33 Abs 1 FrG können Fremde mit Bescheid ausgewiesen werden, wenn sie sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten. Nach § 31 Abs 4 FrG halten sich Fremde bis zum Zeitpunkt der rechtskräftigen Entscheidung über den Antrag auf Ausstellung eines weiteren Aufenthaltstitels – bzw bis zu einer gem § 15 491
Vgl Feik in Bachmann et al, Besonderes Verwaltungsrecht5 (2004) 99 f. Von klein auf im Inland aufgewachsen sind nach der Rsp des VwGH Personen, die vor Vollendung des vierten Lebensjahres nach Österreich eingereist sind und bei denen danach kein längerer durchgehender Auslandsaufenthalt mehr stattfand (VwSlg 14972 A/ 1998). 492
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leg cit veranlassten Aufenthaltsbeendigung – rechtmäßig im Bundesgebiet auf, wenn sie den Antrag vor Ablauf der Gültigkeitsdauer des ihnen zuletzt erteilten Aufenthaltstitels (…) eingebracht haben. Gem § 23 Abs 1 letzter Satz FrG beginnt die Gültigkeitsdauer einer weiteren Niederlassungsbewilligung mit dem Tag ihrer Erteilung. Somit könnte man den Schluss ziehen, ein Fremder befinde sich im Falle einer verspäteten Antragstellung auf weitere Niederlassungsbewilligung unrechtmäßiger Weise, weil ohne Aufenthaltstitel, im Bundesgebiet und könnte deshalb gem § 33 ausgewiesen werden. Dass dieser Schluss ins Leere geht, ergibt sich indes aus teleologisch-systematischen Erwägungen und den ihnen zugrunde liegenden Gesetzesmaterialien: Nach § 23 Abs 1 erster Satz ist Fremden, die nach Ablauf der Gültigkeitsdauer ihrer Niederlassungsbewilligung auf Dauer niedergelassen bleiben, – sofern keine Versagungsgründe nach dem 2. Abschnitt bestehen – auf Antrag eine weitere Niederlassungsbewilligung mit demselben Zweckumfang zu erteilen. Daneben sieht § 14 Abs 2 zweiter Satz FrG – als Ausnahme vom Grundsatz, dass Anträge auf Erteilung eines Einreise- oder Aufenthaltstitels vom Ausland zu stellen sind – vor, dass der Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels im Inland gestellt werden kann, wenn es sich um eine weitere Aufenthaltserlaubnis oder Niederlassungsbewilligung handelt. Nach Ablauf der Gültigkeitsdauer ist die Inlandsantragstellung zur Erteilung eines weiteren Aufenthaltstitels nur dann nicht erlaubt, wenn der weitere Aufenthaltstitel eine Erwerbstätigkeit zulassen soll, die der ursprüngliche Aufenthaltstitel nicht zugelassen hätte, mit anderen Worten: eine Erweiterung des Aufenthaltszweckes eintreten würde.493 Dass diese verspäteten Anträge als Verlängerungsanträge zu werten sind, ist mittlerweile in der Literatur und Judikatur unbestritten, da der eindeutige Wortlaut des Abs 2 von „weiteren Aufenthaltstiteln“ spricht.494 Dem Gesetzgeber ist angesichts der oben genannten Möglichkeit einer verspäteten Antragstellung im Inland nicht zuzusinnen, dass er diesem Personenkreis einerseits diese Erleichterung der aufenthaltsrechtlichen Situation gewährt und andererseits den Verwaltungsbehörden die Möglichkeit einräumt, ihre Ausweisung auf Grund unrechtmäßigen Aufenthalts gem § 33 iVm § 31 Abs 4 zu verfügen. Die Gesetzesmaterialen sprechen eine hinreichend klare Sprache: Im Falle einer Entscheidung der Behörde nach Ablauf der Gültigkeitsdauer des Aufenthaltstitels „… entstehen zwischen den einzelnen Niederlassungsbewilligungen Lücken. Diese werden, je nachdem ob die Antragstellung rechtzeitig erfolgte, also vor Ablauf der Gültigkeitsdauer der vorhergehenden Niederlassungsbewilligung, durch § 31 Abs. 4 zu Zeiten rechtmäßigen Aufenthaltes, oder, wenn dies nicht der Fall ist, als Zeiten nicht rechtmäßigen Aufenthaltes zu gelten haben. Im letzteren Fall wird die Fremdenpolizeibehörde unter dem Gesichtspunkt des § 34 Abs 1, aber auch des § 107 Abs 1 Z 4 ihr weiteres Vorgehen festzulegen haben. Freilich wird es in all diesen Fällen nicht mehr dazu kommen, dass wegen einer Fristversäumnis eine Antragstellung aus dem Ausland erforderlich ist, da der Fremde ununterbrochen niedergelassen war.“495 Aus den Erläuterungen zur RV wird hinreichend klar, dass 493
Vgl die ErläutRV 685 BlgNR 20. GP, 68. Vgl Rath-Kathrein, Fragen der Aufenthaltssicherheit im FremdenG 1997, ecolex 1997, 716; Wiederin, ecolex 1997, 723; Muzak in Muzak et al, § 14 Abs 2 FrG; VwGH 14.5.1999, 98/19/0230 entsprechend 28.6.2000, 99/18/0436. 495 Vgl die ErläutRV 685 BlgNR 20. GP zu § 23. 494
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die Absicht des Gesetzgebers darauf gerichtet war, neben der Androhung von Verwaltungsstrafen der Behörde die Möglichkeit zu geben, eine in Betracht kommende Ausweisung nur anhand der Kriterien des § 34 FrG insbesondere darauf zu prüfen, ob gewisse Versagungsgründe nach den §§ 10 bis 12 FrG vorliegen.496 Für Personen, die ihr Aufenthaltsrecht unmittelbar aus dem ARB 1/80 herleiten, kommt eine Aufenthaltsbeendigung – wie zuvor schon dargelegt – aufgrund einer Verletzung ihrer Pflicht, sich rechtzeitig um die Verlängerung ihrer Erlaubnis zum Aufenthalt zu bemühen, aus Gründen der Verhältnismäßigkeit nicht in Betracht. Zwar kann nach der Rsp des EuGH die Verletzung nationaler Vorschriften zur Überwachung von Ausländern mit allen geeigneten Sanktionen belegt werden, die zur Gewährleistung der Wirksamkeit dieser Vorschriften erforderlich sind.497 Die Behörden müssen jedoch auf die Verhältnismäßigkeit der Maßnahme Bedacht nehmen und dürfen keine Strafe vorsehen, die eine Beeinträchtigung des gemeinschaftsrechtlichen Aufenthaltsrechts schaffen würde.498 Wie aus den erläuternden Bemerkungen zu § 23 (RV 685 BlgNR 20. GP) zu entnehmen ist, geht der Gesetzgeber davon aus, dass der Zeitraum zwischen der Antragstellung nach Ablauf der Gültigkeitsdauer und der behördlichen Entscheidung im Hinblick auf § 107 Abs 1 Z 4 als Zeiten unrechtmäßigen Aufenthalts zu behandeln ist. Dieser sieht eine Geldstrafe bis zu € 726,– vor. Zu klären ist demnach, ob diese Verwaltungsstrafe auch eine assoziationsrechtlich begünstigte Person im Falle der verspäteten Antragsstellung trifft. Bei Bejahung dieser Frage müsste weiter untersucht werden, ob sie im Hinblick auf die Verhältnismäßigkeit zulässig ist.499 Die Passage in den Erläuterungen zu § 23 FrG, der zufolge eine verspätete Antragstellung auf jeden Fall zu einem nicht rechtmäßigen Aufenthalt führt, hat offensichtlich den Regelfall im Auge, wonach das Aufenthaltsrecht des Fremden ausschließlich auf einer nationalen behördlichen Bewilligung gründet. So macht § 31 Abs 1 Z 2 den rechtmäßigen Aufenthalt eines Fremden vom Vorliegen eines zum Aufenthalt berechtigenden (konstitutiven) Aufenthaltstitels abhängig. Was die aufenthaltsrechtliche Situation eines vom ARB 1/80 Berechtigten anlangt, so ist schon die stRsp des EuGH dargelegt worden, wonach der Betroffene ab dem Zeitpunkt des Entstehens seiner Rechte aus dem ARB 1/80 ein unmittelbar aus dem Gemeinschaftsrecht fließendes Aufenthaltsrecht hat. Dieses subjektive Recht wird nicht erst dadurch begründet, dass dem Betroffenen eine 496 Auch der VwGH stellt fest, dass eine Ausweisung aufgrund einer verspäteten Ausweisung nicht wegen unrechtmäßigen Aufenthalts verfügt werden darf: vgl 8.6.2000, 99/18/0436. In diesem Fall handelte es sich um einen türkischen Staatsangehörigen, der sich seit 11.11.1994 in Österreich aufgehalten und eine gültige Aufenthaltsbewilligung bis 14.7.1998 hatte. Nachdem er die Verlängerung erst zwei Tage später, also am 16.7.1998 beantragt hatte, wies ihn die SDion für das Bundesland OÖ gem §§ 31, 33 und 37 Abs 1 FrG 1997 aus. 497 Vgl EuGH, Royer, Rz 42; MRAX, Rz 77 f. 498 Vgl EuGH, Pieck, Rz 19, und Messner, Rz 14. 499 Im Urteil Watson und Belman hat der EuGH es für zulässig erachtet, dass Mitgliedstaaten für derartige Verstöße gegen Ordnungsvorschriften Sanktionen verhängen, die denen vergleichbar sind, die wegen gleichwertiger strafbarer Handlungen gegen Inländer verhängt werden (Rz 21 f).
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behördliche Bewilligung erteilt wird, und kann folglich auch nicht mit Ablauf dieser innerstaatlichen Bewilligung entfallen.500 Der Aufenthalt einer im Anwendungsbereich des ARB 1/80 liegenden Person gilt daher jedenfalls solange als rechtmäßig, soweit sie die Voraussetzungen der Art 6 und 7 ARB 1/80 erfüllt. Dies wird auch mit § 30 Abs 3 FrG zum Ausdruck gebracht, der für diese Personengruppe ein Bleiberecht nach Maßgabe der gemeinschaftsrechtlichen Norm verbürgt. Nachdem somit schon der Tatbestand des unbefugten Aufenthalts iSd § 107 nicht vorliegt, braucht auf die Verhältnismäßigkeit der Strafe nicht weiter eingegangen zu werden. b) Behörden Gemäß § 88 Abs 1 FrG hat über die Erlassung einer Ausweisung oder eines Aufenthaltsverbots in erster Instanz die Bezirksverwaltungsbehörde, im örtlichen Wirkungsbereich einer Bundespolizeibehörde diese, zu entscheiden. Gemäß § 94 Abs 1 FrG entscheiden über Berufungen gegen Bescheide nach diesem Bundesgesetz, sofern nichts anderes bestimmt ist, die Sicherheitsdirektionen in letzter Instanz. c) Rechtsschutz gegen aufenthaltsbeendende Maßnahmen Nach § 56 FrG können Ausweisungen und Aufenthaltsverbote im Wege der Abschiebung vollstreckt werden. Die Durchsetzbarkeit dieser Maßnahmen tritt in der Regel mit ihrer Rechtskraft ein.501 Der Berufung an die Sicherheitsdirektion kommt dem allgemeinen Grundsatz des § 64 Abs 1 AVG zufolge aufschiebende Wirkung zu. Die Behörden erster Instanz können jedoch gem § 45 Abs 3 und 4 FrG die aufschiebende Wirkung ausschließen, wenn die sofortige Ausreise des Fremden im Interesse der öffentlichen Ordnung oder aus Gründen der nationalen Sicherheit erforderlich ist. Gegen die letztinstanzliche Entscheidung der Sicherheitsdirektion steht den Betroffenen die Möglichkeit einer Beschwerde an die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts gem Art 131 Abs 1 Z 1 und Art 144 Abs 1 B-VG offen. Diesen Beschwerden kommt nach § 30 VwGG und nach § 85 VfGG zwar keine aufschiebende Wirkung zu, doch ist sie auf Antrag des Beschwerdeführers zuzuerkennen, wenn keine zwingenden öffentlichen Interessen entgegenstehen und mit dem Vollzug des Bescheides ein unverhältnismäßiger Nachteil für den Beschwerdeführer verbunden wäre. Weder der Verwaltungsgerichtshof noch der Verfassungsgerichtshof verfügen über eine umfassende Entscheidungsbefugnis in allen Sach- und Rechtsfragen. So ist der VwGH nach § 41 Abs 1 VwGG an den von der belangten Behörde angenommenen Sachverhalt gebunden (Neuerungsverbot) und kann lediglich eine Schlüssigkeitsprüfung der behördlichen Beweiswürdigung vornehmen, bzw schwere Verfahrensmängel geltend machen. 500 Vgl beispielsweise EuGH, Bozkurt, Rz 29 und 30; Günaydin, Rz 49; Ertanir, Rz 55 und Birden, Rz 65. 501 Die Regelung des § 33 Abs 3 stellt eine Ausnahme dar, derzufolge Ausweisungen gem § 33 Abs 2 sofort – das heißt vor ihrer Rechtskraft – durchsetzbar sind.
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Das Aufenthaltsrecht
Bei Ermessensentscheidungen – wie sie im Falle der im FrG vorgesehenen aufenthaltsbeendenden Maßnahmen gegeben sind – begrenzt sich seine Rechtmäßigkeitskontrolle gem Art 130 Abs 2 B-VG darauf, ob die Behörde ihr Ermessen im Sinne des Gesetzes ausgeübt hat. Sie erstreckt sich hingegen nicht auf die Frage der Zweckmäßigkeit der Entscheidung. Den Fall einer generellen rechtswidrigen Norm beiseite gelassen, beschränkt sich der VfGH im Rahmen einer Prüfung nach Art 144 B-VG auf die Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte. Beiden Gerichtshöfen ist gemeinsam, dass sie im Rahmen der Bescheidbeschwerde nur kassatorische Entscheidungsbefugnis besitzen, den angefochten Bescheid daher im Falle seiner Rechtswidrigkeit beheben. Darüber hinaus entscheiden beide Gerichtshöfe auf Grundlage der zum Zeitpunkt der Entscheidung der Verwaltungsbehörde gegebenen Sach- und Rechtslage, sodass eine nach der letztinstanzlichen Entscheidung eingetretene Änderung der Sach- oder Rechtslage im Verfahren vor den Gerichtshöfen unberücksichtigt bleibt. Ob dieses mehrstufige Rechtsschutzsystem mit einer Berufungsmöglichkeit vor weisungsabhängigen Verwaltungsbehörden und anschließender höchstgerichtlicher Kontrolle mit den soeben genannten Besonderheiten den Anforderungen der RL 64/221/EWG genügt, wurde dem EuGH bereits vom VwGH zur Vorabentscheidung vorgelegt.502 Ausgehend von den von GA Maduro angestellten Überlegungen lässt sich feststellen, dass die im ordentlichen Instanzenzug vorgesehene Berufung an eine weisungsabhängige Behörde auch nicht durch die nachprüfende gerichtliche Kontrolle durch den VwGH und den VfGH kompensiert werden kann – dies schon deshalb, weil den Beschwerden nach Art 131 und Art 144 B-VG nicht von vornherein aufschiebende Wirkung zukommt.503 Zwar steht die unmittelbare Wirkung der RL504 einer Abschiebung der von ihr begünstigten Personen vor Ausgang des Beschwerdeverfahrens vor den Gerichtshöfen des öffentlichen Rechts (sofern ein solches angestrengt wurde) entgegen und gebietet die richtlinienkonforme Auslegung nationalen Rechts die zwingende Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung gem § 30 Abs 2 VwGG und § 85 Abs 2 VfGG, doch reicht dies nicht, einen gemeinschaftsrechtskonformen Zustand herzustellen. Ein solcher ließe sich etwa mit einer Einrichtung einer Berufungsmöglichkeit gegen Bescheide aufenthaltsbeschränkenden Inhalts an die Unabhängigen Verwaltungssenate gem Art 129a B-VG erreichen.505
502
18.3.2003, 99/21/0018 und 2002/21/0067. Vgl die SA zur Rs Dörr und Ünal, Rz 45. 504 Der EuGH hat in der Rs 131/79, Santillo, Slg 1980, 551, Rz 13, den Art 8 und 9 der RL unmittelbare Wirkung zugesprochen. 505 Den Anforderungen der RL ist nicht nur mit einem „gerichtlichen Rechtsbehelf“ entsprochen, sondern schon dann, wenn ein Rechtsmittel an eine unabhängige und voll kognitionsbefugte Verwaltungsbehörde offen steht. 503
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VII. Das Ausbildungsrecht der Kinder
A. Allgemeine Voraussetzungen Art 9 ARB 1/80 besagt: „Türkische Kinder, die in einem Mitgliedstaat der Gemeinschaft ordnungsgemäß bei ihren Eltern wohnen, welche dort ordnungsgemäß beschäftigt sind oder waren, werden unter Zugrundelegung derselben Qualifikationen wie die Kinder von Staatsangehörigen dieses Mitgliedstaates zum allgemeinen Schulunterricht, zur Lehrlingsausbildung und zur beruflichen Bildung zugelassen. Sie können in diesem Mitgliedstaat Anspruch auf die Vorteile haben, die nach den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften in diesem Bereich vorgesehen sind.“ Die Geltendmachung von Rechten aus Art 9 setzt demnach das Vorliegen von drei Voraussetzungen voraus: Erstens kommen als Begünstigte nur türkische Kinder in Betracht. Zweitens müssen diese in einem Mitgliedstaat der Gemeinschaft ordnungsgemäß bei ihren Eltern wohnen, welche drittens in demselben eine ordnungsgemäße Beschäftigung haben oder hatten. Unter diesen Voraussetzungen verbürgt die Regelung in Satz 1 ein Recht auf Gleichbehandlung hinsichtlich des Zugangs zur Ausbildung und in Satz 2 im Hinblick auf ausbildungsfördernde Leistungen. Auffallend ist, dass die Bestimmung ausdrücklich nur Kinder türkischer Nationalität nennt, und damit vom Kreis der begünstigten Personen nach Art 7 Satz 2 abweicht, welcher Kinder unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit umfasst. Selbst wenn davon ausgegangen werden sollte, dass es sich dabei um ein Versehen handelt, ändert dies nichts daran, dass der objektive Wille des Gesetzgebers klar zum Ausdruck kommt und der zu respektieren ist. Eine weitere Abweichung ist hinsichtlich des Alters festzustellen. Während der Gerichtshof die Altersgrenze von 21 Jahren für Kinder iSd Art 7 Satz 2 ARB 1/80 aus einer sinngemäßen Anwendung des Art 10 der VO 1612/68 herleitete,506 zwingt nichts, eine solche auch im Rahmen des Art 9 anzunehmen. Im Gegenteil: Die Auslegung des EuGH zu Art 12 VO 1612/68, an den sich Art 9 offensichtlich anlehnt, leitet eher zur Annahme, dass dieser Kinder ungeachtet ihres Alters oder des Erhalts von Unterhalt erfasst.507 Diese Annahme scheint unter Berücksichtigung der stRsp des Gerichtshofs, wonach die im Rahmen der Art 39 EG bis 41 EG geltenden Grundsätze soweit wie möglich auf die aus dem ARB 1/80 berechtigten Personen zu übertragen sind, gerechtfertigt.508 506 507 508
Vgl EuGH, Ayaz, Rz 45. EuGH, Gaal, Rz 25. EuGH, Bozkurt, Rz 19 f. Ebenso EuGH, Tetik, Rz 20; Günaydin, Rz 21; Ertanir,
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Das Ausbildungsrecht der Kinder
Das Kriterium des „ordnungsgemäßen Wohnens bei den Eltern“ kann im Hinblick auf den Regelungszweck der Norm nur so verstanden werden, dass zumindest ein ordentlicher Wohnsitz mit einem Elternteil bestehen muss.509 Der Wortlaut stellt keine weiteren Anforderungen, wie etwa das Bestehen einer ständigen Wohn- und Familiengemeinschaft. Ebensowenig ist es angesichts des unzweideutigen Texts erforderlich, dass die Kinder vor Beginn ihrer Ausbildung bei ihren Eltern gewohnt haben müssen.510 Die gegenteilige Auffassung führte dazu, dass die Kinder, die im Aufnahmemitgliedstaat ihrer Eltern ein Studium betreiben möchten, nicht in den Genuss der Rechte aus Art 9 kommen können, wenn sie ihren Wohnsitz mit den Eltern erst nach Zulassung zum Studium begründet haben. Die Rechte aus der Bestimmung wären lediglich jenen Kindern vorbehalten, die schon vor Beginn der Ausbildung die Genehmigung erhalten haben, zu ihren Eltern zu ziehen. Gerade dies wird jedoch in Art 9 – im Gegensatz zu Art 7 Satz 1, der dieses Erfordernis explizit nennt – nicht zur Voraussetzung gemacht, weshalb eine derartige Differenzierung aus Sachlichkeitsgründen nicht unterstellt werden darf. Zu dem gleichen Ergebnis kommt man mit Rücksicht auf die Kohärenz zwischen Art 9 und Art 7 Satz 2 des Beschlusses. Dieser eröffnet Kindern türkischer Arbeitnehmer, die im Aufnahmemitgliedstaat eine Berufsausbildung abgeschlossen haben, den Zugang zum Arbeitsmarkt, sofern ein Elternteil mindestens drei Jahre in diesem Mitgliedstaat ordnungsgemäß beschäftigt war. Dieses Recht existiert unabhängig von der Dauer des Aufenthaltes des betreffenden Kindes im Mitgliedstaat und verlangt insbesondere keine Einreise zu Zwecken der Familienzusammenführung. Nun wäre es systemwidrig, auf der einen Seite anzunehmen, der Assoziationsrat wollte einem türkischen Kind, welches nur zu Studienzwecken in das Aufnahmemitgliedsland seiner Eltern eingereist ist, nach Abschluss dieser Ausbildung den gleichberechtigten Zugang zum Arbeitsmarkt eröffnen; andererseits diesen Kindern nur deshalb, weil sie nicht vor Beginn der Ausbildung in der elterlichen Wohnung gewohnt haben, den gleichberechtigten Zugang zu dieser – die Grundlage des Zugangs zur Beschäftigung bildenden – Ausbildung verwehren. Aus diesem Grund muss es reichen, wenn zum Zeitpunkt der Aufnahme der Ausbildung der Wohnsitz mit dem betreffenden Elternteil begründet wird. Außerdem verlangt Art 9 nicht eine besondere Form des „Wohnens“, etwa in Gestalt eines Haupt- oder eines Nebenwohnsitzes, sodass die Voraussetzung des Wohnens bei den Eltern auch dann erfüllt ist, wenn der Betroffene in der Wohnung seiner Eltern bloß mit Nebenwohnsitz gemeldet ist. Der durch Art 9 gewährte Anspruch kann in umfassender Weise nur dann ausgeübt werden, wenn den Kindern die Möglichkeit eingeräumt wird, am Ausbildungsort, der mitunter fern vom elterlichen Wohnort sein kann, einen eigenen Wohnsitz zu begründen. Jede engere Auslegung würde die in Art 9 verbürgten Ansprüche teilweise ihrer praktischen Wirksamkeit berauben. Die Voraussetzung der ordnungsgemäßen Beschäftigung der Eltern ist schon dann erfüllt, wenn der Elternteil, bei dem der Betroffene wohnt, gegenwärtig Rz 21; Birden, Rz 23; Nazli, Rz 50 bis 55; Kurz, Rz 30. Neuerdings Wählergruppe Gemeinsam, Rz 72; Cetinkaya, Rz 43 und Ayaz, Rz 45. 509 So schon der VwGH 29.9.1998, 98/09/0081. 510 So wie der GA L. A. Geelhoed in den SA zur Rs Gürol, Rz 34 meint.
Gleichberechtigte Zulassung zur Ausbildung
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arbeitet oder zumindest irgendwann in der Vergangenheit in diesem Mitgliedstaat rechtmäßig beschäftigt war.511 Somit kommt es weder auf die Dauer der Beschäftigung an, noch darauf, dass beide Elternteile arbeiten.
B. Gleichberechtigte Zulassung zur Ausbildung Art 9 Satz 1 gewährt türkischen Kindern eindeutig und ohne dass dies an Bedingungen geknüpft wäre, ein Recht auf Zulassung zur Ausbildung unter Zugrundelegung derselben Anforderungen wie den eigenen Staatsangehörigen. Die Bestimmung enthält eine klare und eindeutige Verpflichtung der Mitgliedstaaten, türkische Auszubildende hinsichtlich der Zulassungsvoraussetzungen zu Ausbildungseinrichtungen den Inländern gleich zu behandeln. Damit weist Art 9 Satz 1 das für eine unmittelbare Anwendbarkeit erforderliche Maß an Bestimmtheit und Unbedingtheit auf. Auch die Voraussetzungen, unter denen das Recht gewährt wird, sind eindeutig festgelegt und bedürfen nicht notwendigerweise einer Konkretisierung durch den nationalen Gesetzgeber. Die Erfüllung und die Wirksamkeit der in Art 9 Satz 1 statuierten Gleichbehandlungspflicht hängt damit nicht vom Erlass eines weiteren Aktes ab, sodass die Bestimmung unmittelbar anwendbar ist.512 Wie die Begriffe „allgemeiner Schulunterricht“, „Lehrlingsausbildung“ und „berufliche Bildung“ zu verstehen sind, kann aus der Auslegung des EuGH zu den nahezu wortgleichen Begriffen in Art 12 der VO 1612/68 entnommen werden.513 Daher sind von Art 9 ARB 1/80 jedenfalls alle Arten und Stufen der Ausbildung – von der Vorschule bis zur Universität – erfasst, ungeachtet dessen, ob es sich um Berufsausbildung handelt oder nicht.514 Auch der Unterricht für besondere Gruppen, wie zB körperlich oder geistig behinderte Personen, gehört dazu.515 Daraus ist zu schließen, dass für türkische Schüler, die die Voraussetzungen des Art 9 ARB 1/80 erfüllen, dieselben Zulassungskriterien für ein Hochschulstudium gelten wie für Österreicher. Davon sind auch Beiträge wie Studiengebühren erfasst. Die Zulassung zu einem ordentlichen Studium setzt nach § 35 UniStG einerseits die allgemeine Universitätsreife voraus, welche im Wesentlichen durch ein Reifezeugnis oder ein gleichwertiges ausländisches Zeugnis nachgewiesen werden kann. Zusätzlich zur allgemeinen Universitätsreife ist gem § 36 Abs 1 die Erfüllung der studienrichtungsspezifischen Zulassungsvoraussetzungen einschließlich des Rechts zur unmittelbaren Zulassung zum Studium nachzuweisen, die im Ausstellungsstaat der Urkunde, mit der die allgemeine Universitätsreife nachgewie511
Verfehlt daher Lobner in Muzak et al (Hrsg), Art 9 ARB 109. Vgl die SA des GA L. A. Geelhoed, Gürol, Rz 29. 513 Dieser bestimmt: „Die Kinder eines Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats, der im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats beschäftigt ist oder gewesen ist, können, wenn sie im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats wohnen, unter den gleichen Bedingungen wie die Staatsangehörigen dieses Mitgliedstaats am allgemeinen Unterricht sowie an der Lehrlings- und Berufsausbildung teilnehmen. …“ 514 Vgl Wölker in Groeben/Thiesing/Ehlermann (Hrsg), Art 48 EGV, Rz 77 ff; Schneider/Wunderlich in Schwarze (Hrsg), Art 39 EGV Rz 112 ff. 515 Vgl EuGH, Michel S., Rz 12-15. 512
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Das Ausbildungsrecht der Kinder
sen wird, bestehen. Dass diese Bestimmung Inhaber vergleichbarer Zeugnisse aus anderen Mitgliedstaaten den in diesen Staaten geltenden, oftmals strengeren Voraussetzungen unterwirft und deshalb auf eine unzulässige Diskriminierung hinausläuft, wurde von GA Jacobs dargetan.516 Demnach wäre der nach Art 9 begünstigte Personenkreis schon bei Nachweis der allgemeinen Universitätsreife gem § 34 Abs 3 UniStG zum Studium unbefristet zuzulassen. Das Hochschulstudium ist in Österreich allerdings nicht kostenlos. § 91 Abs 1 UG517 ordnet für Studierende, welche die österreichische Staatsbürgerschaft besitzen oder denen Österreich auf Grund eines völkerrechtlichen Vertrages dieselben Rechte für den Berufszugang zu gewähren hat wie Inländern, einen Studienbeitrag in der Höhe von 363,36 Euro pro Semester an. Die doppelte Summe wird nach Abs 2 von den übrigen Ausländern verlangt. Abs 1 ist gemeinschaftsrechtskonform dahin zu interpretieren, dass die von Art 9 ARB 1/80 erfassten türkischen Studenten aufgrund „eines völkerrechtlichen Vertrages dieselben Rechte für den Berufszugang“ haben wie Inländer und somit im Semester 363,36 Euro bezahlen müssen. Hält man diese Interpretation – als eine Auslegung contra legem – für nicht möglich, weil § 91 Abs 1 explizit auf den Berufszugang abstellt und nicht auf den Zugang zur Ausbildung, steht die unmittelbare Wirkung des Art 9 der Anwendung dieser Differenzierung entgegen, was ebenfalls zum gleichen Ergebnis führt.
C. Gleichberechtigter Anspruch auf staatliche Leistungen Ob auch der Regelung des Art 9 Satz 2 unmittelbare Wirkung zukommt, ist fraglich.518 Dieser bestimmt: „Sie können in diesem Mitgliedstaat Anspruch auf die Vorteile haben, die nach den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften in diesem Bereich vorgesehen sind.“ GA L. A. Geelhoed hat unlängst in seinen Schlussanträgen zur Rs Gürol zu dieser Frage einen ablehnenden Standpunkt vertreten. Er beruft sich auf die vom Assoziationsrat gewählte Wortwahl, die – seiner Ansicht nach – bewusst eine Verbindlichkeit der Mitgliedstaaten bei der Gewährung staatlicher Leistungen zum Zwecke der Ausbildung ausschließt.519 Zwar räumt er ein, dass anhand einer zusammenschauenden Auslegung der Sätze 1 und 2 „sich die Verpflichtung der Mitgliedstaaten ergibt, den Anspruch der türkischen Kinder auf Zulassung zur Ausbildung auch materiell abzusichern. Eine solche materielle Verpflichtung belässt den Mitgliedstaaten einen gewissen Ermessensspielraum, der nach dem Wortlaut des Artikels 9 Satz 2 auch gewollt war; im Zusammenhang mit Satz 1 betrachtet, ist dieser Spielraum jedoch beschränkt. Türkische Kinder müssen dem Unterricht und der Ausbildung, zu denen sie Zulassung beanspruchen können, auch tatsächlich folgen können.“ Er schließt daraus, dass sämtliche für Ausbildungszwecke vorgesehenen öffentlichen Leistungen und Maßnahmen in Form von Stipendien, Zulagen, Vorschüssen und Darlehen usw gem Art 9 auch türkischen Kindern zugute kommen müssen, allerdings 516
Vgl 20.1.2005, Rs C-147/03, Kommission gg Österreich, Rz 51. Universitätsgesetz 2002, BGBl 2002/120. 518 Befürwortend etwa Gutmann, GK-AuslR, IX – 1 Art 9, Rz 34 f, mH auf gegenteilige Ansichten. 519 Vgl Rz 53 f. 517
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nur soweit, als dies auch tatsächlich dazu dient, der in Satz 1 angesprochenen Ausbildung zu folgen.520 Beispielhaft ausgedrückt, hätten sie demnach zB einen Anspruch auf Studienbeihilfen nach den §§ 6 ff StudFG, nicht jedoch auf ein Leistungsstipendium, das nach seinen Förderungsziel insbesondere dazu dient, hervorragende Studienleistungen zu honorieren (vgl § 57 Abs 2 StudFG).521 In diesem Zusammenhang kann nebenbei angemerkt werden, dass § 4 Abs 2 StudFG daher schon nach dieser restriktiveren Auffassung gemeinschaftsrechtswidrig, weil im Widerspruch zu Art 9 ARB 1/80 ist. § 4 zählt nämlich nur jene Ausländer und Staatenlose zu dem nach diesem Gesetz begünstigten Personen, die vor der Aufnahme an einer Bildungseinrichtung 1. gemeinsam mit wenigstens einem Elternteil zumindest durch fünf Jahre in Österreich unbeschränkt einkommensteuerpflichtig waren und 2. in Österreich während dieses Zeitraumes den Mittelpunkt ihrer Lebensinteressen hatten. Wie oben dargelegt, stellt Art 9 keine Anforderungen hinsichtlich einer bestimmten Wohnsitzdauer der Eltern oder der Kinder, solange gesichert ist, dass zumindest ein gemeinsamer Wohnsitz mit einem Elternteil besteht, der irgendwann in der Vergangenheit rechtmäßig beschäftigt war oder noch ist. Die in der Rs Gürol verfolgte Linie des GA L. A. Geelhoed beruht im Wesentlichen darauf, dass die Grundsätze der Arbeitnehmerfreizügigkeit, namentlich Art 12 der VO 1612/68, nicht auf einen Sachverhalt übertragen werden dürfe, wie ihn Art 9 ARB 1/80 für türkische Kinder regle. Dabei führt der GA als gewichtigstes Argument die für ihn nicht genügend verbindliche Wortwahl des Assoziationsrats ins Treffen. „Können“ iSd Art 9 Satz 2 stelle keine rechtliche Verbindlichkeit dar, sondern sei als Ermessen zu qualifizieren. Dem Assoziationsrat wäre nichts im Weg gelegen, die Bestimmung etwa so zu formulieren: „Sie haben in gleicher Weise wie die Angehörigen des Mitgliedstaats Anspruch auf die Vorteile, die nach den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften in diesem Bereich vorgesehen sind.“ Nach der stRsp des Gerichtshofs sind die Grundsätze im Rahmen der Arbeitnehmerfreizügigkeit so weit wie möglich auf den ARB 1/80 zu übertragen. So hat der Gerichtshof ausgesprochen, dass die Übertragung der Auslegung einer Bestimmung des EG-Vertrags auf eine vergleichbar, ähnlich oder sogar übereinstimmend gefasste Bestimmung eines Abkommens zwischen der Gemeinschaft und einem Drittland insbesondere davon abhängt, welchen Zweck diese Bestimmungen in dem ihnen je eigenen Rahmen verfolgen, wobei dem Vergleich von Gegenstand und Kontext einerseits des Abkommens und andererseits des EG-Vertrags erhebliche Bedeutung zukommt.522 Eine ähnlich gefasste Bestimmung ist Art 12 der VO 1612/68. Dieser lautet: „Die Mitgliedstaaten fördern die Bemühungen, durch die diesen Kindern ermöglicht werden soll, unter den besten Voraussetzungen am Unterricht teilzunehmen.“ Beiden Regelungen ist gemeinsam, dass sie die Förderung der sozialen Integration der Kinder von EG-Wanderarbeitnehmern bzw. türkischen Arbeitnehmern bezwecken, indem ihnen die Aufnahme einer Ausbildung unter den gleichen Bedingungen wie den für die Kinder, die Staatsangehörige des Aufnahmemitgliedstaats sind, geltenden ermöglicht wird. 520 521 522
Vgl Rz 56 ff. Studienförderungsgesetz 1992, BGBl 1992/305. Vgl EuGH 29.1.2002, Rs C-162/00, Pokrzeptowicz-Meyer, Slg 2002, I-1049, Rz 32 f.
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Ein Vergleich mit den übrigen Sprachfassungen zeigt jedoch, dass die Bestimmung von einer im Vergleich zum Art 9 Satz 2 ARB 1 /80 zwingenderen imperativen Wortwahl geprägt ist. Die englische Fassung sieht etwa vor: „Member States shall encourage all efforts to enable such children to attend these courses under the best possible conditions.“ So hat der Gerichtshof im Hinblick auf Sinn und Zweck der Regelung entschieden, dass Art 12 eine Pflicht der Mitgliedstaaten begründet, auch alle bildungsfördernden Vergünstigungen diskriminierungsfrei zu gewähren.523 Auf Grund der in ihrer Verbindlichkeit unterschiedlichen Wortwahl kann daher die Maxime, dass die im Rahmen der Arbeitnehmerfreizügigkeit aufgestellten Grundsätze so weit wie möglich auf die vom ARB 1/80 begünstigten Personen zu übertragen sind, nicht dazu führen, dass Art 9 Satz 2 ARB 1/80 wie 12 der VO 1612/68 zu verstehen sei. Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass türkische Kinder unter den Voraussetzungen des Art 9 ARB 1/80 einen Rechtsanspruch auf Beschäftigungsbewilligung gem § 4c AuslBG haben.
523
EuGH 3.7.1974, Rs 9/74, Casagrande, Slg 1974, 773, Rz 4 und 6.
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VIII. Diskriminierungsverbot
Wie sehr sich die Väter des AssAbk bei ihrem Bestreben, eine beständige und ausgewogene Verstärkung der Handels- und Wirtschaftsbeziehungen zwischen den Vertragsparteien zu fördern (Art 2 AssAbk) und schließlich der Türkei den Beitritt zur Gemeinschaft zu erleichtern (vierte Begründungserwägung der Präambel und Art 28 AssAbk), von der Konzeption des EG-Vertrages inspirieren ließen, verdeutlichen die in diesem Rahmen verankerten Diskriminierungsverbote. Sowohl Wortlaut, Aufbau und Struktur, als auch die damit verfolgten Zwecke der im AssAbk anzutreffenden Diskriminierungsverbote bilden nahezu ein Abbild der im EG-Vertrag verankerten Diskriminierungsverbote.
A. Das allgemeine Diskriminierungsverbot Art 9 AssAbk enthält ein für den gesamten Anwendungsbereich des Abkommens geltendes Verbot der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit und verweist ausdrücklich auf Art 7 EWG-Vertrag (jetzt Art 12 EG). Gleichzeitig grenzt sich die Regelung – entsprechend ihrem Vorbild nach Art 12 EG – von den sonstigen Diskriminierungsverboten ab, indem sie festlegt, dass sie unbeschadet der besonderen Bestimmungen, die möglicherweise aufgrund von Art 8 AssAbk noch erlassen werden, gilt. Gemeint sind damit jene besonderen Vorschriften, die der AssRat in Konkretisierung des allgemeinen Verbots nach Art 9 für die einzelnen Sachgebiete des Abkommens erlässt. Daraus hat der Gerichtshof geschlossen, dass dem allgemeinen Diskriminierungsverbot – parallel zu Art 12 EG – kein Raum zur eigenständigen Anwendung verbleibt, soweit ein spezielles Verbot der Ungleichbehandlung den betreffenden Sachverhalt regelt. In diesem Fall stellt dieses besondere Diskriminierungsverbot eine lex specialis zu Art 9 dar und verdrängt ihn.524 Die Auslegung der besonderen Diskriminierungsverbote hat sich jedoch am Art 9 zu orientieren, als dessen Konkretisierung sie für einen Teilbereich des Abkommens in Erscheinung treten.525 Art 9 kommt unmittelbare Wirkung zu. Die Bestimmung enthält – mit den Worten des Gerichtshofs ausgedrückt – eine klar, eindeutig und unbedingt formulierte Erfolgspflicht: Die Vertragsparteien unterlassen im Anwendungsbereich des Abkommens jegliche Ungleichbehandlung aus Gründen der Staatsangehörigkeit, soweit sie einer sachlichen Rechtfertigung entbehrt. Es handelt sich um eine 524 525
Vgl EuGH, Öztürk, Rz 49. Vgl für Art 12 EG EuGH, 28.6.1978, Rs 1/78, Kenny, Slg 1978, 1489, Rz 10/12.
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Diskriminierungsverbot
Bestimmung, deren Beachtung und deren Wirkungen nicht vom Erlass weiterer normativer Akte abhängen. Sie weist sohin alle Merkmale einer gemeinschaftsrechtlichen Vorschrift auf, die nach der Judikatur des EuGH vom Einzelnen unmittelbar vor den nationalen Gerichten (Behörden) geltend gemacht werden kann. Wie GA La Pergola schon in der Rs Sürül festgestellt hat, sind die Parallelitäten zu Art 12 EG nicht nur auf den Wortlaut der Bestimmung beschränkt; auch Sinn und Zweck der Regelung gehen eindeutig in dieselbe Richtung, weshalb die für den Art 12 EG geltenden Grundsätze mutatis mutandis auch die Tragweite des Art 9 AssAbk bestimmen (vgl Rz 7 ff der SA). Aus der unmittelbaren Wirkung der Bestimmung folgt, dass sich die Begünstigten vor den staatlichen Stellen direkt auf das Verbot der Ungleichbehandlung nach Art 9 berufen und so die Unanwendbarkeit entgegenstehender nationaler Normen herbeiführen können. Hinsichtlich des persönlichen Geltungsbereichs ist festzustellen, dass das unmittelbar aus Art 9 fließende Recht der Inländergleichbehandlung – unter Berücksichtigung seines offenen Wortlauts und im Hinblick auf seine Zielsetzung – natürlichen wie juristischen Personen zusteht. In erster Linie richtet sich dieser Anspruch neben der Gemeinschaft und ihren Organen vor allem gegen die Mitgliedstaaten. Der „Staat“ wird in all seinen Erscheinungsformen, ungeachtet der Qualifikation seines Handelns als hoheitlich oder nicht hoheitlich, von der Verpflichtung zur Gleichbehandlung erfasst.526 Inwieweit auch Privatpersonen einer Bindung an Art 9 unterliegen, spielte bisher zwar nie eine Rolle, doch kann nichts anderes gelten als für Art 12 EG. In diesem Zusammenhang hat der Gerichtshof bisher bloß für den Bereich der kollektiven Rechtssetzungsbefugnisse privater Verbände eine horizontale Drittwirkung im Verhältnis zwischen Privatpersonen bejaht. Der sachliche Geltungsbereich des Diskriminierungsverbotes umfasst sämtliche vom AssAbk geregelten Sachverhalte. Der „Anwendungsbereich des Abkommens“ iSd Art 9 AssAbk darf allerdings nicht auf jene Regelungen reduziert werden, die hinreichend bestimmt sind und deshalb unmittelbar angewandt werden können. In Anbetracht der Tatsache, dass die Assoziation in manchen Tätigkeitsfeldern – wie zB der Niederlassungsfreiheit oder der Dienstleistungsfreiheit – noch nicht über die Festlegung von Zielen hinaus gediehen ist (vgl Art 13 f AssAbk und 41 ZProt), kommt der Anwendungsbereich des Abkommens oftmals schon durch die Festlegung von Aufgaben oder Regelungsbereichen zum Ausdruck und erstreckt sich somit auf alle Situationen, die vom Assoziationsrecht in irgendeiner Weise berührt werden.527 Damit ist auch klar, dass die Angelegenheiten innerstaatlicher Normsetzung im weiten Sinn, die keinen Zusammenhang zum AssAbk aufweisen, dem Diskriminierungsverbot des Art 9 AssAbk nicht unterliegen. In allen übrigen Bereichen ist es den Mitgliedstaaten verwehrt, türkische Staatsangehörige gegenüber ihren eigenen Staatsangehörigen zu benachteiligen; es sei denn, diese Differenzierung wäre sachlich gerechtfertigt. Entsprechend dem Art 12 EG muss auch für Art 9 angenommen werden, dass er sowohl unmittelbare Diskriminierungen – also unsachliche Differenzierungen anhand der Staatsangehörigkeit –, wie auch mittelbare Diskriminierungen 526
Vgl für Art 12 EG EuGH 19.1.1988, Rs 223/86, Pesca Valentia, Slg 1988, 83, Rz 18. Der EuGH spricht sich für eine weite Auslegung dieser aus Art 12 EG stammenden Wendung aus (zB Gravier, Rz 18 ff). 527
Diskriminierungsverbot im Rahmen der Arbeitnehmerfreizügigkeit
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verbietet. Es handelt sich dabei um Regelungen, deren Folgen zwar nicht unmittelbar von der Staatsangehörigkeit abhängig sind, die aber im Ergebnis durch das Abstellen auf Kriterien, welche in der Regel die Einheimischen leichter zu erfüllen vermögen, zu einer Benachteiligung Fremder führen.528
B. Das Diskriminierungsverbot im Rahmen der Arbeitnehmerfreizügigkeit Neben dem allgemeinen Grundsatz des Art 9 AssAbk, wonach eine Ungleichbehandlung aus Gründen der Staatsangehörigkeit grundsätzlich unzulässig ist, bestehen für den Bereich der Arbeitnehmerfreizügigkeit spezielle Regelungen, die vor einer unsachlichen Differenzierung schützen. So sieht nach Art 37 ZProt jeder Mitgliedstaat für die in der Gemeinschaft beschäftigten Arbeitnehmer türkischer Staatsangehörigkeit eine Regelung vor, die in Bezug auf die Arbeitsbedingungen und das Entgelt keine auf der Staatsangehörigkeit beruhende Diskriminierung gegenüber Arbeitnehmern enthält, die Staatsangehörige der anderen Mitgliedstaaten sind. Darauf stützt sich Art 10 Abs 1 ARB 1/80, der folgenden Wortlaut hat: „Die Mitgliedstaaten der Gemeinschaft räumen den türkischen Arbeitnehmern, die ihrem regulären Arbeitsmarkt angehören, eine Regelung ein, die gegenüber den Arbeitnehmern aus der Gemeinschaft hinsichtlich des Arbeitsentgeltes und der sonstigen Arbeitsbedingungen jede Diskriminierung auf Grund der Staatsangehörigkeit ausschließt.“
1. Unmittelbare Wirkung Der EuGH hat in der Rs Wählergruppe Gemeinsam zu Recht erkannt, dass Art 10 Abs 1 ARB 1/80 unmittelbare Wirkung hat. Demnach handelt es sich um eine Bestimmung, die unter Berücksichtigung ihres Wortlautes und im Hinblick auf den Sinn und Zweck des Abkommens die klare und eindeutige Verpflichtung der Mitgliedstaaten enthält, türkische Arbeitnehmer, die ihrem regulären Arbeitsmarkt angehören, hinsichtlich des Arbeitsentgelts und der sonstigen Arbeitsbedingungen ihren eigenen Staatsangehörigen gleichzustellen. Das Diskriminierungsverbot verleiht dem Einzelnen das Recht, seinen Anspruch auf Gleichbehandlung vor einer staatlichen Behörde unmittelbar auf Art 10 Abs 1 ARB 1/80 zu stützen und damit zu bewirken, dass entgegenstehende (diskriminierende) nationale Vorschriften von dieser Behörde unangewendet bleiben.529 Insbesondere die Urteile Sürül und ElYassini scheinen für die Bestimmung der unmittelbaren Anwendbarkeit von besonderem Gewicht zu sein. Im erstgenannten Urteil konstatierte der Gerichtshof die unmittelbare Wirkung des mit Art 10 Abs 1 ARB 1/80 vergleichbaren Diskriminierungsverbotes in Art 3 Abs 1 ARB 3/80. Diese Vorschrift enthält ebenso wie Art 10 Abs 1 ein klares, präzises und unbedingtes Verbot, türkische Arbeitnehmer und ihre Familienangehörigen im Bereich der sozialen Sicherheit aus Gründen der 528
Vgl Kucsko-Stadlmayer in Mayer (Hrsg), Art 12 EGV, Rz 40, mit entsprechenden Hinweisen auf die Judikatur des EuGH. 529 EuGH, Wählergruppe Gemeinsam, Rz 57 ff.
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Diskriminierungsverbot
Staatsangehörigkeit zu diskriminieren.530 Im zweitgenannten Urteil stellte der EuGH die unmittelbare Wirkung der nahezu gleichlautenden Bestimmung des Art 40 Abs 1 des Abkommens EWG-Marokko fest.531
2. Persönlicher Geltungsbereich Art 10 Abs 1 ARB 1/80 berechtigt seinem in dieser Hinsicht eindeutigen Wortlaut nach nur türkische Arbeitnehmer, die dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaates angehören. Die Begriffe „Arbeitnehmer“ und „regulärer Arbeitsmarkt“ stimmen mit denen in Art 6 ARB 1/80 überein, weshalb auf die vorstehenden Ausführungen verwiesen werden kann. Daraus ergibt sich zweierlei: Erstens können sich nur jene Personen auf Art 10 Abs 1 berufen, die entweder schon eine Beschäftigung aufgenommen haben oder vorübergehend arbeitslos sind. Zweitens können nur jene Arbeitnehmer das Gleichbehandlungsrecht für sich in Anspruch nehmen, die sich rechtmäßiger Weise auf einen Anspruch stützen können, im Hoheitsgebiet des jeweiligen Aufnahmemitgliedstaates eine Beschäftigung auszuüben.532 Davon abweichend regelt Abs 2 auch die Situation der noch nicht in den Arbeitsmarkt eingegliederten oder sich auf Arbeitssuche befindenden Personen und gewährt sowohl Arbeitnehmern wie auch ihren Familienangehörigen, denen der Zugang zur Beschäftigung offen steht, gleichberechtigten Anspruch auf die Unterstützung „der Arbeitsämter bei der Beschaffung eines Arbeitsplatzes“.
3. Sachlicher Geltungsbereich Der Inhalt des Art 10 Abs 1 ARB 1/80 kann nach der Rsp des EuGH nur mit Blick auf die entsprechenden Regelungen im EG-Vertrag bestimmt werden. Der Gerichtshof folgt seiner seit dem Urteil Bozkurt etablierten stRsp, wonach die im Rahmen der Grundfreiheiten des EG-Vertrages geltenden Grundsätze soweit wie möglich auf die türkischen Arbeitnehmer, welche in den Anwendungsbereich des ARB 1/80 fallen, übertragen werden müssen.533 Der nahezu idente Wortlaut des Art 10 Abs 1 mit Art 39 Abs 2 EG rechtfertige diese Annahme umso mehr.534 Nach Art 39 Abs 2 EG umfasst die Freizügigkeit der Arbeitnehmer die Abschaffung jeder auf der Staatsangehörigkeit beruhenden unterschiedlichen Behandlung der Arbeitnehmer der Mitgliedstaaten in Bezug auf Beschäftigung, Entlohnung und sonstige Arbeitsbedingungen. Auch die VO 1612/68 – eine auf der Grundlage von 530 Art 3 ARB 3/80 lautet: „Die Personen, die im Gebiet eines Mitgliedstaats wohnen und für die dieser Beschluss gilt, haben die gleichen Rechte und Pflichten aufgrund der Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats wie die Staatsangehörigen dieses Staates, soweit dieser Beschluss nichts anderes bestimmt.“ 531 Vgl EuGH, El-Yassini, Rz 27. Art 40 lautet. „Jeder Mitgliedstaat gewährt den Arbeitnehmern marokkanischer Staatsangehörigkeit, die in seinem Hoheitsgebiet beschäftigt sind, eine Behandlung, die hinsichtlich der Arbeits- und Entlohnungsbedingungen keine auf der Staatsangehörigkeit beruhende Benachteiligung gegenüber seinen eigenen Staatsangehörigen bewirkt. Marokko gewährt den in seinem Hoheitsgebiet beschäftigten Arbeitnehmern, die Staatsangehörige der Mitgliedstaaten sind, die gleiche Behandlung.“ 532 EuGH, Birden, Rz 51 533 EuGH, Bozkurt, Rz 14 und 19 f. 534 EuGH, Wählergruppe Gemeinsam, Rz 73 f.
Diskriminierungsverbot im Rahmen der Arbeitnehmerfreizügigkeit
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Art 40 EG ergangene Maßnahme zur Herstellung der Arbeitnehmerfreizügigkeit iSd Art 39 EG – nennt die „sonstigen Arbeitsbedingungen“ und führt in Art 7 einige Beispiele auf, die jedenfalls darunter fallen. Dieser bestimmt: Abs 1. Ein Arbeitnehmer, der Staatsangehöriger eines Mitgliedstaats ist, darf aufgrund seiner Staatsangehörigkeit im Hoheitsgebiet der anderen Mitgliedstaaten hinsichtlich der Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen, insbesondere im Hinblick auf Entlohnung, Kündigung und, falls er arbeitslos geworden ist, im Hinblick auf berufliche Wiedereingliederung oder Wiedereinstellung, nicht anders behandelt werden als die inländischen Arbeitnehmer. Abs 2. Er genießt dort die gleichen sozialen und steuerlichen Vergünstigungen wie die inländischen Arbeitnehmer. … Abs 4. Alle Bestimmungen in Tarif- oder Einzelarbeitsverträgen oder sonstigen Kollektivvereinbarungen betreffend Zugang zur Beschäftigung, Beschäftigung, Entlohnung und alle übrigen Arbeits- und Kündigungsbedingungen sind von Rechts wegen nichtig, soweit sie für Arbeitnehmer, die Staatsangehörige anderer Mitgliedstaaten sind, diskriminierende Bedingungen vorsehen oder zulassen.
Von besonderer Bedeutung ist die Feststellung des EuGH, wonach der materiellrechtliche Umfang der VO 1612/68 als eine Maßnahme des abgeleiteten Rechts nicht über den in Art 39 EG (ex Art 48 EGV) vorgesehenen Rahmen hinaus gehen kann.535 Damit entzieht der EuGH jener Argumentation den Boden, wonach für die Bestimmung der Tragweite des Art 10 Abs 2 ARB 1/80 nicht auf Art 39 Abs 2 EG abzustellen sei, da dieser erst durch die VO 1612/68 inhaltlich konkretisiert wurde. Vielmehr betont der EuGH, dass den türkischen Staatsangehörigen zwar keine Arbeitnehmerfreizügigkeit innerhalb der Gemeinschaft aus Art 10 Abs 1 ARB 1/80 zukommt, die genannte Bestimmung jedoch türkischen Arbeitnehmern, die rechtmäßig in einem Mitgliedstaat beschäftigt sind, ein Recht auf Gleichbehandlung hinsichtlich des Arbeitsentgeltes und der sonstigen Arbeitsbedingungen gewährt, „das den gleichen Umfang hat wie das den Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten durch Artikel 48 Absatz 2 EG-Vertrag mit ähnlichen Worten zuerkannte Recht“ (jetzt Art 39 Abs 2).536 Der Begriff „sonstige Arbeitsbedingungen iSd Art 39 Abs 2 EG ist nach der Judikatur des Gerichtshofs weit auszulegen und umfasst alle Sachverhalte, die von unmittelbarem oder mittelbarem Einfluss auf die Ausübung einer Erwerbstätigkeit im Aufnahmemitgliedstaat sein können. Damit kommt in Art 39 Abs 2 ein allgemeines und umfassendes Verbot der Diskriminierung des Arbeitnehmers zum Ausdruck, welches auch alle Diskriminierungen im Umfeld der Aufnahme und Ausübung einer Beschäftigung verbietet.537 Demgemäß vermittelt Art 10 Abs 1 ARB 1/80 türkischen Arbeitnehmern über den Wortlaut hinaus ein umfassendes Recht auf Gleichbehandlung.538 So sind nicht nur gesetzlich oder im Rahmen der Hoheitsverwaltung angeordnete Maßnahmen 535
Ibid, Rz 83. EuGH, Wählergruppe Gemeinsam, Rz 89. 537 Vgl Randelzhofer/Forsthoff in Grabitz/Hilf (Hrsg), Art 39 EGV, Rz 134 mit zahlreichen Hinweisen auf Rsp. 538 So schon Randelzhofer/Forsthoff in Grabitz/Hilf (Hrsg), Art 39 EGV, Rz 118, die von einem „umfassenden Diskriminierungsverbot“ des Art 10 ausgehen. 536
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oder auf Einzel- oder Kollektivvertrag beruhende Bedingungen von dieser Regelung erfasst, sondern auch alle vom Arbeitgeber freiwillig gewährten Nebenleistungen.539 Die hL zählt zum Anwendungsbereich des Diskriminierungsverbotes insbesondere die Regelung der Arbeitszeit, die Arbeitsschutzbestimmungen, den Kündigungsschutz, ergänzende Vergütungen (wie diverse Zulagen), Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall, Aufstiegsmöglichkeiten, Befristung von Arbeitsverträgen ohne entsprechende Verlängerungsgarantie uvm. Auf dem Boden vorstehender Erwägungen hat der EuGH im Urteil in der Rs Wählergruppe Gemeinsam entschieden, dass es keinem Zweifel unterliegen kann, dass die in Art 8 VO 1612/68 für Wanderarbeitnehmer aus den Mitgliedstaaten ausdrücklich vorgesehene Gleichberechtigung hinsichtlich der Zugehörigkeit zur Arbeitnehmervertretung auch türkischen Staatsangehörigen, die rechtmäßig in einem Mitgliedstaat beschäftigt sind, zukommen muss.540 Daraus hat er geschlossen, dass Art 10 Abs 1 ARB 1/80 einer mitgliedstaatlichen Regelung, wie der des § 21 AKG entgegensteht, die türkische Arbeitnehmer von der Wählbarkeit in die Vollversammlung einer Arbeiterkammer ausschließt.
C. Aufenthaltsrecht aus dem Diskriminierungsverbot? Im Urteil El-Yassini hat der Gerichtshof dem Diskriminierungsverbot des Art 40 Abs 1 des Abkommens EWG-Marokko eine aufenthaltsrechtliche Komponente zugesprochen, was angesichts des Wortlauts der Bestimmung große Beachtung verdient. Der EuGH hat festgestellt, dass Art 40 Abs 1 des Marokko-Abkommens ein dem Art 37 ZProt entsprechendes Diskriminierungsverbot enthält, wobei das AssAbk ambitioniertere Ziele aufweise.541 In Anbetracht dieser Feststellung könnte der für die verfahrensgegenständliche Bestimmung gezogene Schluss auf Art 37 ZProt als Mindestinhalt übertragen werden.542 Der EuGH hat in diesem Urteil zwar ausgesprochen, dass es den Mitgliedstaaten nicht verwehrt ist, die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis eines marokkanischen Staatsangehörigen, dem Einreise und Aufenthalt erlaubt wurde, abzulehnen, wenn der ursprüngliche Grund für die Aufenthaltserteilung weggefallen ist. Dass die mit dem Arbeitgeber vertraglich vereinbarte Dauer noch nicht ausgeschöpft ist, schränkt nach Meinung des EuGH die Befugnis der Mitgliedstaaten noch nicht ein, aufenthaltsbeendende Maßnahmen zu ergreifen. 539
Vgl EuGH, Sotgio, Rz 9. Vgl Rz 89 des oben genannten Urteils. Art 8 Abs 1 der VO 1612/68 vermittelt EGArbeitnehmern Anspruch auf gleiche Behandlung hinsichtlich der Zugehörigkeit zu Gewerkschaften und der Ausübung gewerkschaftlicher Rechte, einschließlich des Wahlrechts sowie des Zugangs zur Verwaltung oder Leitung von Gewerkschaften; er kann von der Teilnahme an der Verwaltung von Körperschaften des öffentlichen Rechts und der Ausübung eines öffentlich-rechtlichen Amtes ausgeschlossen werden. Er hat ferner das Recht auf Wählbarkeit zu den Organen der Arbeitnehmervertretungen in den Betrieben. 541 EuGH, El-Yassini, Rz 57 ff und insb 60. 542 Vgl Dienelt, NVwZ 2003, 55; Gutmann, Europarechtliches Diskriminierungsverbot und Aufenthaltsrecht, NVwZ 2000, 282; Rogers, Comments on Nour Eddline EL-Yassini v. Secretary of States für the Home Department, 2 March 1999 (Case C-416/96), European Journal of Migration and Law 1999, 369 f. 540
Aufenthaltsrecht aus dem Diskriminierungsverbot?
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Anders – so der EuGH – ist die Sache jedoch zu beurteilen, wenn die vom Mitgliedstaat eingeräumte Arbeitserlaubnis über den Zeitraum der Aufenthaltserlaubnis hinausgeht. So soll es den Behörden verwehrt sein, dem betroffenen Arbeitnehmer, dessen Aufenthaltserlaubnis kürzer ist als seine Arbeitserlaubnis, eine beantragte Verlängerung des Aufenthaltstitels abzusprechen, ohne dies aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit rechtfertigen zu können.543 Mit anderen Worten verlangt der Gerichtshof eine Bindung der Fremdenbehörde an die Entscheidung der Arbeitsmarktverwaltungsbehörde. Wie GA Léger in seinen Schlussanträgen zu dieser Rs ausführt, gebiete das Diskriminierungsverbot die Gleichbehandlung hinsichtlich der Entgelts- und Arbeitsbedingungen zumindest für den Zeitraum, für den ein Mitgliedstaat dem betreffenden Arbeitnehmer gestattet, in seinem Hoheitsgebiet einer Beschäftigung im Lohn- oder Gehaltsverhältnis nachzugehen. Die praktische Wirksamkeit der Bestimmung erfordere, dass einem Arbeitnehmer, der nach dem betreffenden nationalen Recht während eines bestimmten Zeitraums eine Tätigkeit im Lohnoder Gehaltsverhältnis im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats ausüben darf, auch das Recht zusteht, sich während dieses genannten Zeitraumes im Hoheitsgebiet aufzuhalten, da der oben erwähnte Grundsatz andernfalls praktisch völlig wirkungslos wäre.544 Aus dem Urteil geht jedoch klar hervor, dass das Diskriminierungsverbot lediglich bei aufrechter Beschäftigungsbewilligung vor Aufenthaltsbeendigung schützt. Vor Ablauf dieser Bewilligung darf der weitere Verbleib des betroffenen Arbeitnehmers nur aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit verwehrt werden (vgl insb Rz 65 des Urteils). Für das österreichische Fremden- und Ausländerbeschäftigungsrecht ist diese Entscheidung nicht von großer Bedeutung, da die Beschäftigungsbewilligung an den aufenthaltsrechtlichen Status anknüpft und bei Ablauf des Aufenthaltstitels gem § 9 Abs 2 lit a AuslBG jederzeit widerrufen werden kann, es sei denn, der Betroffene kann seine Rechte bereits aus den sonstigen Bestimmungen des ARB 1/80 herleiten (zB nach Art 6 ARB 1/80).
543 544
Rz 64 f des Urteils. EuGH, El-Yassini, Rz 66.
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IX. Stand-still
Regelungen, die es den Mitgliedstaaten verbieten, für türkische Staatsangehörige neue Beschränkungen für die vom AssAbk verfolgten Freiheiten – namentlich der Arbeitnehmerfreizügigkeit, der Niederlassungsfreiheit und der Dienstleistungsfreiheit – einzuführen, finden sich im ARB 1/80 und im ZProt. Aus thematischen Gründen wird nachstehend die Bedeutung dieser Stillhalteklauseln lediglich aus der Perspektive der Arbeitnehmer und ihrer Familienangehörigen dargelegt.
A. Art 13 ARB 1/80 – die Arbeitnehmerfreizügigkeit Art 13 ARB 1/80 verbietet die Einführung neuer Beschränkungen für den Zugang zum Arbeitsmarkt für Arbeitnehmer und ihre Familienangehörigen, deren Aufenthalt und Beschäftigung im jeweiligen Hoheitsgebiet ordnungsgemäß sind. Diese Stillhalteverpflichtung wurde schon in Art 7 ARB 2/76 festgelegt und ihr persönlicher Geltungsbereich mit Art 13 auf die Familienangehörigen der Arbeitnehmer erstreckt. Dies hat Folgen für den maßgeblichen Zeipunkt, ab dem die Stillhalteklausel ihre Wirkungen entfaltet und die Staaten keine neuen Beschränkungen mehr auferlegen dürfen. Während für Arbeitnehmer der Zeitpunkt des Inkrafttretens des ARB 2/76, somit der 20.12.1976 gilt, dürfen für Familienangehörige erst nach dem 1.12.1980 keine neuen Beschränkungen mehr eingeführt werden.
1. Unmittelbare Wirkung Der Gerichtshof hat im Urteil Sevince (vgl Rz 26 des Urteils) festgestellt, dass die Stillhalteklausel in Art 13 ARB 1/80 alle Wesensmerkmale der unmittelbaren Wirkung erfüllt und eine Verpflichtung der Vertragsparteien darstellt, neue Beschränkungen für den Zugang zum Arbeitsmarkt zu unterlassen. Türkische Staatsangehörige, welche in den Anwendungsbereich der Bestimmung fallen, können sich demnach vor den innerstaatlichen Behörden auf sie berufen, um entgegenstehende nationale Vorschrifen unangewendet zu lassen.545
2. Persönlicher Geltungsbereich Art 13 begünstigt Arbeitnehmer und ihre Familienangehörigen, deren Aufenthalt und Beschäftigung „in ihrem Hoheitsgebiet ordnungsgemäß sind“. Während die 545
EuGH, Abatay, Rz 59.
Art 13 ARB 1/80
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Begriffe „Arbeitnehmer“, „Familienangehörige“ und „ordnungsgemäße Beschäftigung“ hinreichend durch die ständige EuGH-Judikatur geklärt sind, wurde erst im Urteil Abatay festgestellt, dass der Bestimmung nicht unterstellt werden dürfe, dass sie nur diejenigen Personen begünstige, die zum Zeitpunkt der Einführung der fraglichen Beschränkungen bereits eine ordnungsgemäße Beschäftigung ausübten und demnach über ein Aufenthaltsrecht im Mitgliedstaat verfügten.546 Vielmehr sei der Wortlaut der Bestimmung teleologisch um das Kriterium der Beschäftigung zu reduzieren, womit sich eine Verpflichtung der Mitgliedstaaten ergäbe, Beschränkungen für den Zugang zum Arbeitsmarkt für jene türkischen Staatsangehörigen zu unterlassen, die sich rechtmäßig im Hoheitsgebiet des betreffenden Mitgliedstaates aufhalten.547 Dabei kommt es nicht auf einen bestimmten Aufenthaltszweck an.548 Diese Aussage wird jedoch gleichzeitig dadurch relativiert, dass die Stillhalteverpflichtung nach Auffassung des EuGH nur jenen Personen zugute kommt, deren Aufenthalt und gegebenfalls deren Beschäftigung auf die schrittweise Integration in diesem Mitgliedstaat gerichtet sind. Ausgeschlossen sind somit nicht nur alle potenziellen zukünftigen türkischen Arbeitnehmer, die sich noch nicht im betreffenden Mitgliedstaat niedergelassen haben, sondern auch alle, die sich nicht mit der Absicht, im Arbeitsmarkt des jeweiligen Mitgliedstaates zu integrieren, in diesem aufhalten.549 Dies festzustellen obliegt den nationalen Behörden, die sich dabei von den im Urteil Bozkurt aufgestellten Kriterien leiten zu lassen haben. Als maßgebliche Faktoren kommen daher insbesondere in Betracht: der Ort der Einstellung, die für das Arbeitsrecht und die soziale Sicherheit maßgebliche Rechtsordnung und das Gebiet, von dem aus die Tätigkeit im Lohn- oder Gehaltsverhältnis ausgeübt wird.550
3. Sachlicher Geltungsbereich Gem Art 76 Abs 1 EU-BA hat Österreich das Assoziationsrecht EWG-Türkei ab dem 1.1.1995 uneingeschränkt anzuwenden. Das bedeutet, dass in Österreich für die oben genannten Personen seit diesem Zeitpunkt keinen neuen Beschränkungen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung eingeführt werden dürfen. Mit anderen Worten hängt die Anwendbarkeit aller nach diesem Zeitpunkt eingeführten rechtlichen Hindernisse für den Zugang zum Arbeitsmarkt im Einzelfall davon ab, ob sich der Betroffene zum Zeitpunkt der Einführung der beschränkenden Regelung bereits ordnungsgemäß im Inland niedergelassen hat. Wenn dies bejaht wird, findet die nachträglich erlassene Norm auf die Situation der betreffenden Person keine Anwendung. Von dieser Rechtsfolge sind alle Regelungen betroffen, die die abstrakte Eignung besitzen, den Zugang zur Beschäftigung zu beschränken. Vor 546
Vgl Rz 75 ff des betreffenden Urteils. EuGH, Abatay, Rz 84 f. 548 Vgl EuGH, Abatay, Rz 82. 549 Wie zB türkische Fahrer im grenzüberschreitenden Güterverkehr, die sich zu Ladezwecken in einem Mitgliedstaat kurzfristig aufhalten. Vgl EuGH, Abatay, Rz 87 ff. AM Gutmann, GK-AuslR, IX – 1 Art 13, Rz 9, der auch Arbeitnehmer und Familienangehörige vom Geltungsbereich der Norm erfasst wissen will, die sich zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der „Verschärfung“ für die Zulassung zum Arbeitsmarkt noch nicht im Hoheitsgebiet des Mitgliedstaats niedergelassen haben. 550 Vgl EuGH, Bozkurt, Rz 24. 547
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Stand-still
diesem Hintergrund kommen auch Bestimmungen in Betracht, die zwar primär die Regelung anderer Sachverhalte im Auge haben, mittelbar jedoch auf die beschäftigungsrechtliche Situation des Fremden einwirken. Beispielsweise macht § 12 Abs 1a FrG für Neuzuwanderer und Drittstaatsangehörige, die sich nach dem 1.1. 1998 auf Dauer niedergelassen haben, die Erteilung einer Erstniederlassungsbewilligung oder einer weiteren Niederlassungsbewilligung von der Bereitschaft des Fremden abhängig, eine Integrationsvereinbarung einzugehen. Zwar regelt die Norm bloß die aufenthaltsrechtliche Stellung, doch ist diese mit der beschäftigungsrechtlichen Situation untrennbar verbunden, sodass eine Verschärfung der Bedingungen für den Aufenthalt zugleich eine weitere Beschränkung für den Zugang zum Arbeitsmarkt darstellt. Aus Art 13 ARB 1/80 folgt, dass diese Bestimmung für jene Personen, die bereits zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der Norm im Inland über einen rechtmäßigen Aufenthalt verfügten, unangewendet bleibt.
B. Art 41 Abs 1 ZProt – der Dienstleistungsverkehr Art 41 Abs 1 besagt, dass die Vertragsparteien untereinander keine neuen Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit und des freien Dienstleistungsverkehrs einführen werden. Daraus darf jedoch nicht geschlossen werden, dass die Stillhalteklausel allein für sich geeignet ist, dem Einzelnen ein Niederlassungs- oder ein Aufenthaltsrecht zu vermitteln.551 Nach stRsp des Gerichtshofs bleibt beim gegenwärtigen Stand des Gemeinschaftsrechts die Befugnis der Mitgliedstaaten, Vorschriften sowohl über die Einreise türkischer Staatsangehöriger in ihr Hoheitsgebiet als auch über die Voraussetzungen für deren erste Beschäftigung zu erlassen, vom Assoziationsrecht EWG-Türkei unberührt. Die erstmalige Zulassung der Einreise eines türkischen Staatsangehörigen in einen Mitgliedstaat bestimmt sich daher grundsätzlich ausschließlich nach dem Recht dieses Staates; der Betroffene kann sich auf bestimmte Rechte auf dem Gebiet der Ausübung einer Beschäftigung als Arbeitnehmer oder einer selbstständigen Tätigkeit und damit verbunden auf dem Gebiet des Aufenthalts von Gemeinschaftsrechts wegen nur berufen, wenn er sich in dem betreffenden Mitgliedstaat bereits in einer ordnungsgemäßen Situation befindet.552 Die Stillhalteklausel in Art 41 Abs 1 des ZProt führt allerdings zu einem Einfrieren des zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des ZProt in dem betreffenden Mitgliedstaat geltenden Rechtszustands und steht somit neuen Maßnahmen entgegen, die entweder die Niederlassungsfreiheit oder die Dienstleistungsfreiheit in diesem Mitgliedstaat strengeren Bedingungen unterwerfen.553
1. Unmittelbare Wirkung Art 41 Abs 1 ZProt lehnt sich offenkundig an den durch den Vertrag von Amsterdam aufgehobenen Art 53 EG-Vertrag an, wonach die Mitgliedstaaten keine neuen Niederlassungsbeschränkungen für Angehörige der anderen Mitgliedstaaten 551 552 553
EuGH, Savas, Rz 64 und 67. Ibid, Rz 58 f. Vgl EuGH, Savas, Rz 69; Abatay, Rz 66 f.
Art 41 Abs 1 ZProt
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einführen. Der nahezu idente Wortlaut und die Übereinstimmung hinsichtlich Sinn und Zweck der Regelungen veranlassten den Gerichtshof, schon in der Rs Savas festzustellen, dass Art 41 Abs 1 – gleich dem ehemaligen Art 53 EGV – eine hinreichend klare und unbedingte Verpflichtung der Mitgliedstaaten enthält, die zu ihrer Durchsetzbarkeit oder Wirksamkeit keiner weiteren Handlungen bedarf. Art 41 Abs 1 ist demnach eine Vorschrift mit unmittelbarer Wirkung und vermittelt den von ihr Begünstigten das Recht, sich vor den Gerichten (Behörden) der Mitgliedstaaten auf sie berufen zu können.554
2. Persönlicher Geltungsbereich Während aus dem Verbot, keine neuen Beschränkungen hinsichtlich der Niederlassungsfreiheit zu verfügen, für türkische Arbeitnehmer nichts zu gewinnen ist, gilt in Bezug auf die Dienstleistungsfreiheit, dass sich sowohl türkische Dienstleistungserbringer wie auch die von ihnen beschäftigen Arbeitnehmer auf das Recht berufen können, keine neuen Beschränkungen hinnehmen zu müssen. Diese Feststellung hat der EuGH im Urteil Abatay getroffen, indem er seine Auslegung zur innergemeinschaftlichen Dienstleistungsfreiheit nach den Grundsätzen des Art 49 EG auf Art 41 Abs 1 ZProt mit der Maßgabe übertragen hat, dass der von Art 15 AssAbk anvisierte freie Dienstleistungsverkehr zwischen der Gemeinschaft und der Türkei noch nicht verwirklicht ist.555
3. Sachlicher Geltungsbereich Art 50 Abs 1 EG definiert Dienstleistungen als „Leistungen, die in der Regel gegen Entgelt erbracht werden, soweit sie nicht den Vorschriften über den freien Warenverkehr und über die Freizügigkeit der Personen unterliegen“ und zählt einige Tätigkeiten auf, die jedenfalls in den Anwendungsbereich dieser Vorschrift fallen (wie gewerbliche, kaufmännische, handwerkliche und freiberufliche). Zudem ergibt sich aus Art 49 EG, dass nur Leistungen von grenzüberschreitendem Charakter davon erfasst sind.556 Der Gerichtshof hat im Urteil Abatay festgesestellt, dass die Ausnahmeregelung des Art 51 EG hinsichtlich der Verkehrsdienstleistungen im Rahmen der Assoziation EWG-Türkei keine Anwendung findet, sodass dafür ebenfalls die allgemeinen, für Dienstleistungen geltenden Grundsätze gelten (Rz 99 des Urteils). Infolgedessen kann sich neben einem Unternehmen mit Sitz in der Türkei, das rechtmäßig Dienstleistungen in einem Mitgliedstaat erbringt, auch der Arbeitnehmer dieses Unternehmens auf Art 41 Abs 1 berufen. Ist der türkische Dienstleistungserbringer in einem Mitgliedstaat ansässig, kann er sich jedoch gegenüber diesem Staat nur dann auf die Stillhalteklausel stützen, wenn er seine Dienstleistungen in einem anderen Mitgliedstaat erbringt.557 Dabei muss jedoch nicht 554
EuGH, Savas, Rz 47 bis 54. EuGH, Abatay, Rz 106, mit Verweis auf EuGH 7.5.1998, Rs C-350/96, Clean Car Autoservice, Slg 1998, I-2521, Rz 19 bis 21. Vgl auch die SA des GA, Rz 202 bis 205. 556 Für eine genaue Darstellung der erfassten Dienstleistungen sei auf Müller-Graf in Streinz (Hrsg), Art 49 EGV, Rz 14 ff verwiesen. 557 EuGH, Abatay, Rz 107 mwH. 555
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notwendiger Weise eine Grenzüberschreitung des Dienstleistungserbringers vorliegen, es genügt, dass die erbrachte Leistung grenzüberschreitenden Charakter hat. So zB im Fall der „Korrespondenzdienstleistungen“, bei der Dienstleistungserbringer und Dienstleistungsempfänger in zwei verschiedenen Mitgliedstaaten ansässig sind, und allein die Dienstleistung eine Binnengrenze überschreitet.558 Demnach könnte sich zB ein türkisches Medienunternehmen mit Sitz in Deutschland auch gegenüber der Bundesrepublik auf die Stillhalteklausel des Art 41 berufen, wenn seine Dienstleistungen die Grenzen dieses Staates überschreiten.
558 Vgl die möglichen Konstellationen der Grenzüberschreitung einer Dienstleistung bei Müller-Graf in Streinz (Hrsg), Art 49 EGV, Rz 31 ff.
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Anhang
Beschluß Nr. 1/80 des Assoziationsrates EWG – Türkei vom 19. September 1980 (Auszug) Über die Entwicklung der Assoziation DER ASSOZIATIONSRAT – gestützt auf das Abkommen zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei in Erwägung nachstehender Gründe: Neubelebung und Entwicklung der Assoziation müssen sich, wie am 5. Februar 1980 vereinbart, auf sämtliche derzeitigen Probleme der Assoziation erstrecken. Bei der Suche nach einer Lösung für diese Probleme ist die Besonderheit der Assoziationsbindungen zwischen der Gemeinschaft und der Türkei zu berücksichtigen. Im Agrarbereich kann durch die Abschaffung der Einfuhrzölle der Gemeinschaft für türkische Erzeugnisse das angestrebte Ergebnis erreicht und den Bedenken der Gemeinschaft Rechnung getragen werden. Im übrigen muß als Voraussetzung für die Einführung des freien Verkehrs von Agrarerzeugnissen Artikel 33 des Zusatzprotokolls durchgeführt werden. Das vorgesehene System muß unter Einhaltung der Grundsätze und der Regelungen der gemeinsamen Agrarpolitik angewandt werden. Im sozialen Bereich führen die vorstehenden Erwägungen im Rahmen der internationalen Verpflichtungen jeder der beiden Parteien zu einer besseren Regelung zugunsten der Arbeitnehmer und ihrer Familienangehörigen gegenüber der mit Beschluß Nr. 2/76 des Assoziationsrates eingeführten Regelung. Im übrigen müssen die Bestimmungen über die soziale Sicherheit und über den Austausch junger Arbeitskräfte durchgeführt werden. Die Entwicklung der Assoziation rechtfertigt den Aufbau einer wirtschaftlichen, technischen und finanziellen Zusammenarbeit, die insbesondere durch einen Beitrag der Gemeinschaft zur wirtschaftlichen Entwicklung der Türkei in verschiedenen Bereichen die Verwirklichung der Ziele des Assoziationsabkommens erleichtern kann – BESCHLIESST: Artikel 1 Die Maßnahmen zur Neubelebung und Entwicklung der Assoziation zwischen der Gemeinschaft und der Türkei in jedem der vom Assoziationsrat am 5. Februar 1980 erwähnten Bereiche sind in den nachstehenden Kapiteln festgelegt.
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KAPITEL I: Landwirtschaft ... KAPITEL II: Soziale Bestimmungen ABSCHNITT 1: Fragen betreffend die Beschäftigung und Freizügigkeit der Arbeitnehmer Artikel 6 (1) Vorbehaltlich der Bestimmungen in Artikel 7 über den freien Zugang der Familienangehörigen zur Beschäftigung hat der türkische Arbeitnehmer, der dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaates angehört, in diesem Mitgliedstaat – nach einem Jahr ordnungsgemäßer Beschäftigung Anspruch auf Erneuerung seiner Arbeitserlaubnis bei dem gleichen Arbeitgeber, wenn er über einen Arbeitsplatz verfügt; – nach drei Jahren ordnungsgemäßer Beschäftigung – vorbehaltlich des den Arbeitnehmern aus den Mitgliedstaaten einzuräumenden Vorrangs – das Recht, sich für den gleichen Beruf bei einem Arbeitgeber seiner Wahl auf ein unter normalen Bedingungen unterbreitetes und bei den Arbeitsämtern dieses Mitgliedstaates eingetragenes anderes Stellenangebot zu bewerben; – nach vier Jahren ordnungsgemäßer Beschäftigung freien Zugang zu jeder von ihm gewählten Beschäftigung im Lohn- oder Gehaltsverhältnis. (2) Der Jahresurlaub und die Abwesenheit wegen Mutterschaft, Arbeitsunfall oder kurzer Krankheit werden den Zeiten ordnungsgemäßer Beschäftigung gleichgestellt. Die Zeiten unverschuldeter Arbeitslosigkeit, die von den zuständigen Behörden ordnungsgemäß festgestellt worden sind, sowie die Abwesenheit wegen langer Krankheit werden zwar nicht den Zeiten ordnungsgemäßer Beschäftigung gleichgestellt, berühren jedoch nicht die aufgrund der vorherigen Beschäftigungszeit erworbenen Ansprüche. (3) Die Einzelheiten der Durchführung der Absätze 1 und 2 werden durch einzelstaatliche Vorschriften festgelegt. Artikel 7 Die Familienangehörigen eines dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaates angehörenden Arbeitnehmers, die die Genehmigung erhalten haben, zu ihm zu ziehen, – haben vorbehaltlich des den Arbeitnehmern aus den Mitgliedstaaten einzuräumenden Vorrangs das Recht, sich auf jedes Stellenangebot zu bewerben, wenn sie dort seit mindestens drei Jahren ihren ordnungsgemäßen Wohnsitz haben; – haben freien Zugang zu jeder von ihnen gewählten Beschäftigung im Lohnoder Gehaltsverhältnis, wenn sie dort seit mindestens fünf Jahren ihren ordnungsgemäßen Wohnsitz haben. Die Kinder türkischer Arbeitnehmer, die im Aufnahmeland eine Berufsausbildung abgeschlossen haben, können sich unabhängig von der Dauer ihres Aufenthalts in dem betreffenden Mitgliedstaat dort auf jedes Stellenangebot bewerben, sofern ein Elternteil in dem betreffenden Mitgliedstaat seit mindestens drei Jahren ordnungsgemäß beschäftigt war.
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Artikel 8 (1) Kann in der Gemeinschaft eine offene Stelle nicht durch die auf dem Arbeitsmarkt der Mitgliedstaaten verfügbaren Arbeitskräfte besetzt werden und beschließen die Mitgliedstaaten im Rahmen ihrer Rechts- und Verwaltungsvorschriften zu gestatten, daß zur Besetzung dieser Stelle Arbeitnehmer eingestellt werden, die nicht Staatsangehörige eines Mitgliedstaates der Gemeinschaft sind, so bemühen sich die Mitgliedstaaten, den türkischen Arbeitnehmern in diesem Fall einen Vorrang einzuräumen. (2) Die Arbeitsämter der Mitgliedstaaten bemühen sich, die bei ihnen eingetragenen offenen Stellen, die nicht durch dem regulären Arbeitsmarkt dieses Mitgliedstaates angehörende Arbeitskräfte aus der Gemeinschaft besetzt werden konnten, mit regulären als Arbeitslose gemeldeten türkischen Arbeitnehmern zu besetzen, die im Hoheitsgebiet des genannten Mitgliedstaates ihren ordnungsgemäßen Wohnsitz haben. Artikel 9 Türkische Kinder, die in einem Mitgliedstaat der Gemeinschaft ordnungsgemäß bei ihren Eltern wohnen, welche dort ordnungsgemäß beschäftigt sind oder waren, werden unter Zugrundlegung derselben Qualifikationen wie die Kinder von Staatsangehörigen dieses Mitgliedstaates zum allgemeinem Schulunterricht, zur Lehrlingsausbildung und zur beruflichen Bildung zugelassen. Sie können in diesem Mitgliedstaat Anspruch auf die Vorteile haben, die nach den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften in diesem Bereich vorgesehen sind. Artikel 10 (1) Die Mitgliedstaaten der Gemeinschaft räumen den türkischen Arbeitnehmern, die ihrem regulären Arbeitsmarkt angehören, eine Regelung ein, die gegenüber den Arbeitnehmern aus der Gemeinschaft hinsichtlich des Arbeitsentgeltes und der sonstigen Arbeitsbedingungen jede Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit ausschließt. (2) Vorbehaltlich der Artikel 6 und 7 haben die in Absatz 1 genannten türkischen Arbeitnehmer und ihre Familienangehörigen in gleicher Weise wie die Arbeitnehmer aus der Gemeinschaft Anspruch auf die Unterstützung der Arbeitsämter bei der Beschaffung eines Arbeitsplatzes. Artikel 11 Staatsangehörige der Mitgliedstaaten, die dem regulären Arbeitsmarkt der Türkei angehören, und ihre Familienangehörigen, welche die Genehmigung erhalten haben, zu ihnen zu ziehen, genießen dort die in den Artikeln 6, 7, 9 und 10 gewährten Rechte und Vorteile, wenn sie die in diesen Artikeln vorgesehenen Voraussetzungen erfüllen. Artikel 12 Wenn in einem Mitgliedstaat der Gemeinschaft oder in der Türkei der Arbeitsmarkt ernsten Störungen ausgesetzt oder von ernsten Störungen bedroht ist, die ernste
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Gefahren für den Lebensstandard und das Beschäftigungsniveau in einem Gebiet, einem Wirtschaftszweig oder einem Beruf mit sich bringen können, so kann der betreffende Staat davon absehen, automatisch die Artikel 6 und 7 anzuwenden. Der betreffende Staat unterrichtet den Assoziationsrat von dieser zeitweiligen Einschränkung. Artikel 13 Die Mitgliedstaaten der Gemeinschaft und die Türkei dürfen für Arbeitnehmer und ihre Familienangehörigen, deren Aufenthalt und Beschäftigung in ihrem Hoheitsgebiet ordnungsgemäß sind, keine neuen Beschränkungen der Bedingungen für den Zugang zum Arbeitsmarkt einführen. Artikel 14 (1) Dieser Abschnitt gilt vorbehaltlich der Beschränkungen, die aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit gerechtfertigt sind. (2) Er berührt nicht die Rechte und Pflichten, die sich aus den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften oder zweiseitigen Abkommen zwischen der Türkei und den Mitgliedstaaten der Gemeinschaft ergeben, soweit sie für ihre Staatsangehörigen eine günstigere Regelung vorsehen. Artikel 15 (1) Damit der Assoziationsrat in der Lage ist, die ausgewogene Anwendung dieses Abschnitts zu überwachen und sich zu vergewissern, daß sie unter Bedingungen erfolgt, die die Gefahr von Störungen auf den Arbeitsmärkten ausschließen, führt er in regelmäßigen Zeitabständen einen Meinungsaustausch durch, um für eine bessere gegenseitige Kenntnis der wirtschaftlichen und sozialen Lage einschließlich der Lage auf dem Arbeitsmarkt und seiner Entwicklungsaussichten in der Gemeinschaft und in der Türkei zu sorgen. Er legt jährlich dem Assoziationsrat einen Tätigkeitsbericht vor. (2) Der Assoziationsausschuß ist befugt, sich im Hinblick auf die Durchführung von Absatz 1 von einer ad-hoc-Gruppe unterstützen zu lassen. Artikel 16 (1) Die Bestimmungen dieses Abschnitts sind ab 1. Dezember 1980 anwendbar. (2) Ab 1. Juni 1983 prüft der Assoziationsrat insbesondere im Lichte der in Artikel 15 genannten Tätigkeitsberichte die Ergebnisse der Anwendung dieses Abschnitts, um die ab 1. Dezember 1983 möglichen Lösungen auszuarbeiten. ABSCHNITT 2: Soziokulturelle Förderung und Austausch junger Arbeitnehmer Artikel 17 Die Mitgliedstaaten und die Türkei arbeiten entsprechend ihrer jeweiligen einzelstaatlichen Lage und gemäß ihrer Rechtsordnungen bei Maßnahmen zur soziokulturellen Förderung der türkischen Arbeitnehmer und ihrer Familienangehörigen zusammen, insbesondere im Hinblick auf das Schreibenlernen, die Erlernung der
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Sprache des Aufnahmelandes, die Wahrung der Bindungen zur türkischen Kultur sowie den Zugang zur Berufsausbildung. Artikel 18 Der Assoziationsausschuß arbeitet eine vom Assoziationsrat an die Mitgliedstaaten und an die Türkei zu richtende Empfehlung für die Durchführung von Maßnahmen aus, um jungen Arbeitnehmern, welche eine Grundausbildung in ihrem Land erhalten haben, die Möglichkeit zu geben, an ihre Berufsausbildung ergänzenden Praktika unter den Bedingungen des Artikels 40 des Zusatzprotokolls teilzunehmen. Er verfolgt die tatsächliche Durchführung dieser Bestimmung. KAPITEL III: Wirtschaftliche und technische Zusammenarbeit ... Geschehen zu Brüssel am 19. September 1980 Im Namen des Assoziationsrates Der Präsident C. KESKIN
N. AKYOL
Die Sekretäre G. L. GIOLA
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Sachverzeichnis Abkommen, gemischtes 15, 19 Abschiebung 147 Acquis communautaire 20, 35 Anwendungsvorrang 20, 32 f Arbeiterkammerwahlrecht 159 Arbeitgeberwechsel 72 Arbeitnehmer – Aufenthaltsrecht 124 ff – Begriff 48 ff, 50 – Beschäftigungsrecht 69 ff – Zuzugsrecht, keines 47, 124 Arbeitnehmerfreizügigkeit, schrittweise Herstellung 5, 11 f, 46 Arbeitsbedingungen, sonstige 159 Arbeitserlaubnis 110 ff – Behördenzuständigkeit 113 – Geltungsbereich 111 – Voraussetzungen 110 – Widerruf 117 Arbeitskräfteüberlassung 73 f Arbeitslosigkeit – durch Arbeitnehmerkündigung 82 – freiwillige 84 f – unverschuldete 80 Arbeitsmarkt – des Mitgliedstaats 65 ff – regulärer 64 ff Arbeitsunfall 79 Assoziationsabkommen 4 ff – Abschluss 4 – Anwendungsvorrang 32 f – Auslegungsbefugnis des EuGH 15 f, 33 f – Geltung 28 f – Gemischtes 15, 19 – Inkrafttreten 19 – Interpretationsregeln 18 f – Kompetenz zum Vertragsabschluss 14 ff – Rechtsnatur 19 – Unmittelbare Anwendbarkeit 30 f – Ziele 4 Assoziationsausschuss 10 Assoziationsrat – Aufgaben 8 f – Beschlussfassung 9, 21 – Zusammensetzung 9
Assoziationsratsbeschlüsse – Anwendungsvorrang 32 f – Geltung 28 f – Inkrafttreten 26 ff – Kundmachung 31 f – Unmittelbare Anwendbarkeit 30 f – Verbindlichkeit 8 Assoziationsrecht – Durchführung 39 ff – primäres 19 f – Rang 32 f – sekundäres 21 f Asylwerber 62 Aufenthalt, rechtmäßiger 64 Aufenthaltsbeendigung 140 ff – Behörden 147 – Rechtsschutz 147 f Aufenthaltsberechtigung – befristete 63 – vorläufige 62 Aufenthaltserlaubnis 138 Aufenthaltsrecht – Arbeitnehmer 124 f – Familienangehörige 125 – Verlust des 125 ff Aufenthaltsrecht, autonomes 134 Aufenthaltstitel 138 f – durch Täuschung erlangter 62 – zweckgebundener 61 f – zeitlich begrenzter 61 f – Antragstellung, verspätete 144 ff Aufenthaltsverbot 141 f Aufenthaltsverfestigung 144 Au-Pair 58 Ausbildungsrecht der Kinder 149 ff – ausbildungsfördernde Leistungen 152 ff – Zugang zur Ausbildung 151 f Ausweisung 141 Befreiungsschein 111 ff – Antragstellung 114 – Behördenzuständigkeit 113 – Deklarative Wirkung 115 f – Formvorschriften 114
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Sachverzeichnis
– Nach § 4c AuslBG 112 – Parteistellung 114 – Recht auf 111 – Widerruf 117 Beitrittsassoziierung 6 Bereinigungspflicht 40 Berufsausbildung – Ausbildungsrecht → dort – Begriff 103 f, 151 Berufspraktikanten 55 Berufsunfähigkeit 127 Beschäftigung – befristete 89 ff – illegale 116 f – legale 64 f – ordnungsgemäße 60 ff Beschäftigungsbewilligung 105 ff – Anrechnung auf Höchstzahlen 109 – Antragstellung 114 – Behördenzuständigkeit 113 – Deklarative Wirkung 115 f – Formvorschriften 114 – Geltungsbereich 108 – Geltungsdauer 108 – nach § 4c AuslBG 108 ff – Parteistellung 114 – Recht auf 107 – Voraussetzungen 105 ff – Widerruf 117 Beschäftigungsbewilligungspflicht, Ausnahmen 55 Beschäftigungsrecht – des Arbeitnehmers → dort – der Familienangehörigen → dort Bestrafung des Arbeitgebers 116 f Betriebsentsandte 67 f Betriebsübergang 72 Bewerbungsfreiheit – der Arbeitnehmer 74 – der Famlienangehörigen 101 Bezugsperson 96 Bindungswirkung – gemeinschaftsrechtliche 20 – völkerrechtliche 19 Bleiberecht 134, 137, 139 f Bundeshöchstzahl 107
Diskriminierungsverbot 155 ff – Allgemeines 6, 155 ff – bei Arbeitnehmern 11, 157 ff – bei ausbildungsbezogenen Leistungen 152 Durchführungsverordnung(en) – auf Grund von Assoziationsrecht 43
Dauerinvalide 127 Deklarative Bewilligungen – Aufenthalt 125 – Beschäftigung 115 f Dienstleistungsverkehrsfreiheit 5 – Stand-still 164 ff Diplomaten 60, 66 f
Landeshöchstzahlen 106 Lehrlinge 53 f Leistungen, wirtschaftliche 50 f Loyalitätsgebot 25, 40
Einreise – Grund für 70 – zu Studienzwecken 70 Entgeltlichkeit 52 f Ersatzkraftvermittlung 105 Familienangehörige – Adoptiv- und Stiefkinder 95 – Aufenthaltsrecht – Begriff 93 ff – Beschäftigungsrecht 92 ff – Familienzusammenführung 93 – Illegale Einreise 97 f – Unterhalt 94 f Familienzusammenführung 93, 97 Ferialpraktikanten 55 Fernfahrer 66 Freizügigkeit der Arbeitnehmer → Arbeitnehmerfreizügigkeit Gebühren und Abgaben 122 f Gesellschafter 52 Günstigkeitsprinzip 110, 144 Inlandsantragstellung 145 Integrationsvereinbarung 135 ff Interpretation, gemeinschaftskonforme 41 Jahresurlaub 77 f Karenzurlaub 79 Kinder 92 ff – Ausbildungsrecht → dort – mit Berufsausbildung 102 ff Krankheit – kurze 79 – lange 86 f Künstler 59
Meldeformalitäten 132 Mutterschaft 78
Sachverzeichnis
Nichtigkeitsklage 34 Niederlassungsbewilligung138 f Niederlassungsfreiheit 5 Niederlassungsnachweis 112, 139 Öffentliche Gesundheit 132 f Öffentliche Ordnung und Sicherheit 130 ff, 142 Ordnungsgemäße Beschäftigung → Beschäftigung Ordnungsvorschriften 132 Ordre Public 129 Ortskräfte 67 Pensionisten 127 Rechtspraktikanten 54 Rehabilitation 60 Rentner 127 Saisonkontingent 89 Scheinehe 61, 62, 118, 141 Seelsorger 59 Sichtvermerkspflicht 137 ff Sportler 59 Stand-still → Stillhalteklausel Statusverlust 125 Stillhalteklausel 11, 13, 47, 162 ff Strafhaft 87 ff Streitschlichtung 9 Studenten 55 ff
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Umsetzung von Assoziationsrecht 21 ff, 30, 40 f, 43 – Bindung, doppelte 46 – Gemeinschaftsrechtliche Vorgaben 43 ff – Verfassungsrechtliche Vorgaben 41 ff Unmittelbare Anwendbarkeit 30 f, 69 f Unmittelbare Geltung 28 ff Unmittelbare Wirkung → unmittelbare Anwendbarkeit Unterbrechung der Beschäftigung 76 ff Verwaltungserfordernis 117, 132 Volontäre 54 f Vorabentscheidung 33 f Vorlagepflicht 34 Vorrang der Gemeinschaftsarbeitnehmer 75, 101 Wehrdienst 87 Weisungsgebundenheit 51 f Weiterbeschäftigungsrecht 71 ff Wideraufnahme Widerruf erteilter Bewilligungen 117 ff – Auswirkungen 119 – wegen Scheinehe 118 Wirtschaftsleben 53 Wissenschaftliches Personal 54 Wohnsitz, gemeinsamer 99 f Zollunion 5 Zusatzprotokoll 10 ff