Das allgemeine Verwaltungsrecht als Ordnungsidee
Eberhard Schmidt-Aûmann
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Das allgemeine Verwaltungsrecht als Ordnungsidee
Eberhard Schmidt-Aûmann
Das allgemeine Verwaltungsrecht als Ordnungsidee Grundlagen und Aufgaben der verwaltungsrechtlichen Systembildung Zweite, çberarbeitete und erweiterte Auflage
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Professor Dr. Dr. h.c. Eberhard Schmidt-Aûmann Ruprecht-Karls-Universitåt Heidelberg Institut fçr deutsches und europåisches Verwaltungsrecht Friedrich-Ebert-Anlage 6±10 69117 Heidelberg
Ursprçnglich erschienen in der Reihe ¹Enzyklopådie der Rechts- und Staatswissenschaft, Abteilung Rechtswissenschaftª 2004. ISBN 3-540-21073-3
ISBN-10 ISBN-13
3-540-33898-5 Springer Berlin Heidelberg New York 978-3-540-33898-7 Springer Berlin Heidelberg New York
Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet çber abrufbar. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschçtzt. Die dadurch begrçndeten Rechte, insbesondere die der Ûbersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfåltigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfåltigung dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes der Bundesrepublik Deutschland vom 9. September 1965 in der jeweils geltenden Fassung zulåssig. Sie ist grundsåtzlich vergçtungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechtsgesetzes. Springer ist ein Unternehmen von Springer Science+Business Media springer.de ° Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2006 Printed in Germany Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wåren und daher von jedermann benutzt werden dçrften. Umschlaggestaltung: Design & Production, Heidelberg SPIN 11748090
64/3153-5 4 3 2 1 0 ± Gedruckt auf såurefreiem Papier
Meiner Frau Ulrike Schmidt-Aßmann gewidmet
Vorwort
Das Verwaltungsrecht soll den Bürger gegenüber der Verwaltung in seinen Rechten schützen, die Verwaltung aber rechtlich auch so ausstatten, daß sie ihre Aufgaben wirksam wahrnehmen kann. Der Erfüllung dieses Doppelauftrages dient die Vielfalt der Rechtsvorschriften, Rechtsinstitute, Verfahrens- und Organisationsformen, die das Regelungsgefüge des Verwaltungsrechts ausmachen. Die Verwaltungsrechtswissenschaft muß diese Vielfalt nicht nur verläßlich darstellen und kommentierend beschreiben. Sie hat vielmehr auch die Aufgabe, Entwicklungslinien herauszuarbeiten, Wirkungszusammenhänge aufzuzeigen und über notwendige Veränderungen nachzudenken; neue Formen der Regulierung und die Herausforderungen der Europäisierung des Verwaltungshandelns müssen mit der überkommenen Dogmatik abgeglichen werden. Das Buch, das hier in 2. Auflage vorgelegt wird, widmet sich diesem zweiten Aufgabenbereich. Es versteht gerade den allgemeinen Teil des Verwaltungsrechts in seiner Konzentration auf grundlegende Bauformen als Ort und als Auftrag der Analyse und der Reflexion. Das verwaltungsrechtliche Denken an einer Ordnungsidee auszurichten, heißt nicht, aus einem vorgefertigten und abgeschlossenen Gefüge von Rechtserkenntnissen zu deduzieren. Vielmehr geht es darum, Beobachtungen und Überlegungen von zwei Ansätzen her Schritt für Schritt aufeinander zuzuführen. Den ersten Ansatz bilden die Verfassungsentscheidungen für Rechtsstaat und Demokratie, unverändert in ihrem Ordnungsanspruch, wandelbar aber in ihren Einzelanforderungen an die Legitimation der Verwaltung und an die Rationalität ihres Handelns. Der zweite Ansatz liegt im besonderen Verwaltungsrecht, liegt in den für die heutigen großen Verwaltungsaufgaben repräsentativen Gebieten, d.h. neben dem Recht der Gefahrenabwehr vor allem im Umwelt-, Sozial- und Wirtschaftsrecht. Der Rechtsstoff dieser Referenzgebiete läßt neue Interessenlagen und neue Formen staatlich-gesellschaftlicher Zusammenarbeit hervortreten. Er indiziert einen Wandel von einer vollziehenden zu einer stärker gestaltenden und regulierenden Verwaltung. Grund und Grenzen ihrer Eigenständigkeit zwischen parlamentarischer Steuerung und gerichtlicher Kontrolle sind zu entfalten. Dazu muß das Verwaltungsermessen als einheitliches Handlungsmandat verstanden und mit einer über den Rechtsschutz hinausführenden Kontrollehre verbunden werden. Die Rechtsformenlehre, das Verfahrensrecht und das Verwaltungsorganisationsrecht, die klassischen Gebiete des allgemeinen Verwaltungsrechts also, haben zwar auch bisher schon Entwicklungsanstöße in
VIII
Vorwort
ihre Dogmatik eingearbeitet: Verwaltungsakte mit komplexen Drittwirkungen, mehrseitige Verwaltungsverträge, informale Absprachen, planerische Abwägungsaufträge. Dieses alles sind jedoch nicht nur Einzelthemen, sondern Themen eines Handlungszusammenhangs. Systematik ist die Verpflichtung, nach Verknüpfungen und gegenseitigen Abhängigkeiten der Rechtsinstitute zu forschen und Veränderungen in einem Punkte in ihren Rückwirkungen auf andere mitzubedenken. Nur so kann auch erkannt werden, wo sich einzelne Entwicklungen übereilt vollziehen oder gegenseitig blockieren. Das gilt auch für die Erfassung dessen, was als Europäisierung des Verwaltungsrechts bezeichnet wird. Die Europäisierung hat ja nicht nur eine Veränderung des Verwaltungsrechts, sondern auch der Verwaltungsstrukturen zur Folge. Längst zeichnet sich ein europäischer Verwaltungsverbund ab, der sich nur in einem systematischen Zugriff erfassen und rechtlich kontrollieren läßt. Zur Stärkung der Ordnungskraft des Rechts gibt es keine Alternativen. Es ist meine Überzeugung, daß die Verwaltungsrechtswissenschaft hier ihren besonderen und heute besonders wichtigen Auftrag hat. Heidelberg, im Februar 2004
Eberhard Schmidt-Aßmann
Inhaltsübersicht Erstes Kapitel System und Systembildung im Verwaltungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . .
1
Zweites Kapitel Die Verfassungsentscheidungen für Rechtsstaat und Demokratie . . . .
43
Drittes Kapitel Verwaltungsaufgaben und die Rolle des besonderen Verwaltungsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 Viertes Kapitel Die Eigenständigkeit der Verwaltung zwischen Steuerung und Kontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 Fünftes Kapitel Die Verwaltung als Organisation und die Bedeutung des Organisationsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 Sechstes Kapitel Das Handlungssystem der Verwaltung: Formen, Verfahren, Rechtsverhältnisse, Maßstäbe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277 Siebentes Kapitel Die Entwicklung eines Europäischen Verwaltungsrechts . . . . . . . . . . 377
Inhaltsverzeichnis Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII Inhaltsübersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IX Inhaltsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XI Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XXI
Erstes Kapitel System und Systembildung im Verwaltungsrecht A. Das Systemdenken des Verwaltungsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Aufgaben der verwaltungsrechtlichen Systematik . . . . . . . . . . . . 1. Entlastung der Rechtspraxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die dogmatische Funktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die rechtspolitische Funktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Rezeption europäischer Rechtsentwicklungen . . . . . . . . . . . . . . . . II. Allgemeines und besonderes Verwaltungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Disziplinierung von Sonderinteressen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Bedeutung von Referenzgebieten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die systemprägende Bedeutung des Verfassungsrechts . . . . . . . . . . . 1. Abhängigkeit, Eigenständigkeit und Komplementarität des Verwaltungsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Das Grundverhältnis des Bürgers zur Verwaltung . . . . . . . . . . . . . a) Asymmetrie von Freiheit und Kompetenz . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Individualrechtliche Ausrichtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Der Doppelauftrag des Verwaltungsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Verwaltungsrechtswissenschaft als Steuerungswissenschaft . . . . . . . . . . . I. Steuerung durch Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Steuerung als analytisches Konzept . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Eigenständigkeit des verwaltungsrechtlichen Steuerungskonzepts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Weitere Steuerungsansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Das Neue Steuerungsmodell (Budgetsteuerung) . . . . . . . . . . . . b) Bleibende Bedeutung des Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1 2 3 4 4 5 6 6 7 8 10 10 12 13 15 16 18 19 19 21 22 23 24
XII
Inhaltsverzeichnis
II. Methodenfragen der Verwaltungsrechtswissenschaft . . . . . . . . . . . . 1. Herausforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Pluralität des anzuwendenden Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Organisationsabhängigkeit des administrativen Handelns . . . . 2. Das Verhältnis zu den sog. Nachbarwissenschaften . . . . . . . . . . . 3. Unterschiedliche Methoden administrativer Rechtskonkretisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Speziell: Wirksamkeitsurteile im Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Methode der „inneren“ Prozeduralisierung . . . . . . . . . . . . . . . . b) Substantielle Wirksamkeitsbewertungen . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Die Europäisierung des Verwaltungsrechts und die Entwicklung eines Europäischen Verwaltungsverbundes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Europäisierung des Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Einwirkungsbereiche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Systemprägende Vorgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Zur Stellung der Exekutive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Zur Stellung des Unionsbürgers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Europäisierung der Verwaltungsstrukturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Aufgaben der Wirtschaftslenkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Europäische Verwaltung als Informations-, Handlungsund Kontrollverbund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Ein „Europäischer Entwicklungszusammenhang“ . . . . . . . . . . . . . . .
26 26 27 27 27 29 30 30 31 31 32 32 34 34 35 36 37 38 39
Zweites Kapitel Die Verfassungsentscheidungen für Rechtsstaat und Demokratie
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1. Abschnitt: Die Bedeutung des Rechtsstaatsprinzips
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A. Die Rechtsgebundenheit der Verwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Systematik der Rechtsgebundenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Bindungsmaßstäbe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Bindungsmechanismen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Anwendung des einzelnen Tatbestandes . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Zusammenstellung des Bindungsprogramms . . . . . . . . . . . . . . II. Die Wirksamkeit des Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Wirksamkeit als hinreichende Verrechtlichung . . . . . . . . . . . . . . . a) Verrechtlichungsvorbehalte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Verrechtlichungsintensität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Wirksamkeit der Rechtsdurchsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Durchsetzungsbereitschaft der Verwaltung . . . . . . . . . . . . . . . b) Der Grundsatz der Rechtzeitigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Grundrechtliche Entwicklungsimpulse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Bedeutungsschichten der Grundrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Abwehrrechtliche Gehalte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
48 49 49 53 53 55 56 56 57 58 59 60 61 62 63 63
Inhaltsverzeichnis
2. Grundrechte als Schutzaufträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Weitere Bedeutungsschichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Leistungsrechtliche Schichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Verfahrensrechtliche Bedeutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Organisationsrechtliche Bedeutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Die Rolle von Verbänden und Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Grundrechtliche „Sensibilisierung“: mittelbare Beeinträchtigungen 1. Wandlungen des Eingriffstatbestandes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Gebot systematischer Erfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Grundrechtliche „Subjektivierung“: subjektive Rechte und die Bedeutung der Schutznormlehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Notwendigkeit einer normativen Basis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die einfach-gesetzliche Schutznormlehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Grundrechtsunmittelbare Ableitungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Kritische Entwicklungstendenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Verhältnismäßigkeit und „Billigkeitskompetenz“ . . . . . . . . . . . . 2. Grundrechtsspezifische Sonderverwaltungsrechte . . . . . . . . . . . . C. Rechtsstaatlichkeit als Struktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die rechtsstaatliche Bedeutung des Gesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Aufgaben des subjektiven Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die Gewährleistung von Rationalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Abschnitt: Die Bedeutung des demokratischen Prinzips A. Die Legitimation der Verwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Demokratische Legitimation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Das klassische Modell: parlamentsvermittelte Legitimation . . . . a) Sachlich-inhaltliche Legitimation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Personell-organisatorische Legitimation . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Das zweite Modell: Legitimation kommunaler Selbstverwaltung II. Formen autonomer Legitimation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die Wirksamkeit des Legitimationsgefüges . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die institutionelle Legitimation der Exekutive . . . . . . . . . . . . . . . 2. Das Legitimationsniveau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Staatliche Legitimationsverantwortung im intermediären Bereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Weitere Bestimmungsfaktoren eines demokratischen Verwaltungsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Akzeptanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Partizipation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Arten von Betroffenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Partizipation als Mitgestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Öffentlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Zugang zu Dokumenten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Öffentlichkeit als Forum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
XIII
64 66 66 67 68 68 69 70 72 74 75 76 77 78 78 79 80 81 81 84 87 87 88 89 90 92 93 94 97 97 99 100 101 102 104 105 106 107 108 109
XIV
Inhaltsverzeichnis
Drittes Kapitel Verwaltungsaufgaben und die Rolle des besonderen Verwaltungsrechts
111
1. Abschnitt: Verwaltungsaufgaben im Spiegel des besonderen Verwaltungsrechts
112
A. Das Recht der Umweltverwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Prinzipien des Umweltrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Vorsorge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Kooperation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Interessenstrukturen und Steuerungsansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Gebietsspezifische Interessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Gesetzliche Konkretisierungsermächtigungen . . . . . . . . . . . . . . . 3. Das Instrumentenarsenal . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Instrumente einer mittleren Steuerungsebene . . . . . . . . . . . . . b) Direkte und indirekte Verhaltenssteuerung . . . . . . . . . . . . . . . c) Organisationen als Steuerungsressource . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Das Recht der Sozialverwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Prinzipien des Sozialrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Selbstverantwortung und Solidarität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Kooperation und Subsidiarität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Aufgabenfelder und Typen sozialer Verwaltung . . . . . . . . . . . . . . . 1. Soziale Einkommenssicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Sozialpflege . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Drittvermittelte Sozialleistungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Interessenstrukturen und Steuerungsansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Das Wissenschaftsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Kooperation als Strukturprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Vielfalt der Regelungsansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Organisationsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Finanzielle Steuerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Gesetzliche Programme, Verwaltungsvollzug, Kontrolle . . . . . . D. Das öffentliche Wirtschaftsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Frage nach seiner Ausrichtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Einige Teilgebiete im Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Neue Regelungsmuster . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Regulierungsverwaltung: Telekommunikationsrecht . . . . . . . . . 2. Zertifizierung und Akkreditierung: Gerätesicherheitsrecht . . . . . E. Zusammenfassende Feststellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
113 115 116 116 117 118 119 120 121 122 123 124 124 124 125 126 127 127 128 129 130 131 132 132 133 134 134 135 137 138 139 142 144
Inhaltsverzeichnis
2. Abschnitt: Leitbegriffe der Systembildung: Interessen, Verwaltungsaufgaben, Verwaltungstypen, Verantwortungsstrukturen
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146
A. Die Bedeutung des Interessenbegriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 I. Subjektive und objektive Interessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 II. Die Realität des Interessenfeldes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 1. Interessendarstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 2. Interessenklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 III. Private und öffentliche Interessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 1. Verschränkungen am Beispiel des § 1 BauGB . . . . . . . . . . . . . . . 150 2. Wohl der Allgemeinheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 B. Verwaltungsaufgaben und Staatsziele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 I. Staatsaufgaben: Begriff und Bedeutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 1. Keine geschlossene Staatsaufgabenlehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 2. Staatsziele als Aufgabendeterminanten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 II. Das soziale Staatsziel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 1. Aufgaben für Gesetzgebung und Verwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . 158 2. Handlungsebenen und Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 III. Der Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen als Staatsziel . . . . . . 160 1. Risiko als Rechtsproblem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 2. Auftrag an das Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 C. Verwaltungstypen und Verwaltungsverantwortung . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 I. Die Lehre von den Verwaltungstypen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 1. Ordnende und leistende Verwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 2. Neuere Typenbegriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 a) Lenkende Verwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 b) Vermittelnde Verwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 II. Stufungen staatlicher Verantwortung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 1. Erfüllungsverantwortung und Auffangverantwortung . . . . . . . . . .171 2. Zwischenstufen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 3. Insbesondere: Gewährleistungsverantwortung . . . . . . . . . . . . . . . 172 III. Recht im „kooperativen Staat“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 1. Der Befund kooperativen Handelns . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 2. Die Normalität kooperativen Handelns . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176
Viertes Kapitel Die Eigenständigkeit der Verwaltung zwischen Steuerung und Kontrolle A. Der institutionelle Rahmen: das Gewaltenteilungsprinzip . . . . . . . . . . . B. Die Bedeutung des parlamentarischen Gesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Leistungsfähigkeit und Leistungsgrenzen des Gesetzes . . . . . . . . . . II. Regelungsansätze der Gesetzgebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
179 179 183 183 185
XVI
Inhaltsverzeichnis
1. Das parlamentarische Zugriffsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Gesetzesvorbehalte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Eingriffszentrierter Vorbehalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Institutioneller Vorbehalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Wesentlichkeitskriterium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Bestimmtheitsanforderungen an verwaltungsrechtliche Gesetze . . . 1. Normenklarheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Inhaltliche Bestimmtheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Bestimmtheit und Offenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Einzelne Kriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Die Eigenständigkeit der Verwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Verfassungsrechtlicher Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Gesetzesdirigierte Verwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Zur Frage eines Verwaltungsvorbehalts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Das Ermessen der Verwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Ermessen als besondere Handlungs- und Abwägungskompetenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Tatbestandsstrukturen und Ermessensarten . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die Lehre von der administrativen Rechtskonkretisierung . . . . . . . 1. Arbeit am Normtext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der Umgang mit Ermessensdirektiven . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Die Kontrollen der Verwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Der Rechtsschutz- und Kontrollauftrag der Gerichte . . . . . . . . . . . . 1. Verwaltungskontrolle als Individualrechtsschutz . . . . . . . . . . . . a) Abhängigkeit von subjektiven Rechten . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Intensität der gerichtlichen Kontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Grundmuster vollständiger Rechtsanwendungskontrolle . bb) Beschränkungen gemäß normativer Ermächtigung . . . . . cc) Muster begrenzter Kontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Kontrolleignung des Rechtsschutzkonzepts und seine weitere Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Justizzentriertheit des derzeitigen Konzepts . . . . . . . . . . b) Fortentwicklung der gerichtlichen Kontrollaufgaben . . . . . . . aa) Qualifizierter Interessenschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Rechtsgespräch und Diskursmodell . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Rechtsschutzeffektivität: Methodenfragen zum Kontrollniveau . II. Die Vielfalt der Verwaltungskontrollen und die Aufgaben einer verwaltungsrechtlichen Kontrollehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Verwaltungsrechtliche Kontrollehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Pluralisierung des Kontrollkonzepts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Finanzkontrollen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Öffentlichkeitskontrollen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
186 187 188 189 190 192 193 194 194 196 198 199 199 203 205 206 208 210 210 211 212 213 213 214 215 216 217 219 221 222 223 224 226 228 229 229 231 234 236
Inhaltsverzeichnis
Fünftes Kapitel Die Verwaltung als Organisation und die Bedeutung des Organisationsrechts A. Entwicklungsstand, Herausforderungen, Perspektiven . . . . . . . . . . . . . . I. Überkommene Dogmatik und geforderte Dynamik . . . . . . . . . . . . . 1. Kritik der derzeitigen Regelungsansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Neuere Entwicklungen der Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Organisation als Steuerungsmedium und die Aufgaben des Verwaltungsorganisationsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Grundlagen und Rahmen einer Neubestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Bedeutung der Organisationswissenschaften . . . . . . . . . . . . 2. Der Einfluß der Verwaltungsaufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Zu den verfassungs- und europarechtlichen Vorgaben . . . . . . . . III. Die systematische Perspektive des Verwaltungsorganisationsrechts B. Grundfragen der allgemeinen organisationsrechtlichen Dogmatik . . . . . I. Die Aufgaben des Gesetzes im Organisationswesen . . . . . . . . . . . . . II. Die „Einheit der Verwaltung“ als Legitimationsproblem . . . . . . . . . 1. Das grundgesetzliche Bild gegliederter Verwaltung . . . . . . . . . . 2. Verselbständigte Verwaltungseinheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Distanzschaffende Entkoppelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Einbeziehung externen Sachverstandes . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Organisation lokaler Interessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Pluralistisch geprägte Verwaltungseinheiten . . . . . . . . . . . . . . . . a) Träger funktionaler Selbstverwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Kollegialgremien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Öffentliche Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Organisationsformen staatlich-gesellschaftlicher Zusammenarbeit . 1. Formenvielfalt – keine pauschale „Re-Etatisierung“ . . . . . . . . . . 2. Beleihung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Intermediäre Organisationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Gemischt-wirtschaftliche Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
XVII
239 239 240 240 242 244 245 246 248 249 250 253 253 256 256 259 259 260 261 262 262 264 266 269 270 271 272 274
Sechstes Kapitel Das Handlungssystem der Verwaltung: Formen, Verfahren, Rechtsverhältnisse, Maßstäbe
277
1. Abschnitt: Handlungspraxis und Handlungssystem
278
A. Die Grundlage: eine öffentliche Informationsordnung . . . . . . . . . . . . . . I. Die systembildende Bedeutung der Information . . . . . . . . . . . . . . . . II. Informationsverwaltungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Individualrechtliche Schicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Institutionelle Schichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
278 279 280 281 283
XVIII
Inhaltsverzeichnis
B. Öffentliches Recht und privates Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Der Dualismus der Teilrechtsordnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Privatrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Öffentliches Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Verbindungen und Verschränkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Verwaltung in Privatrechtsform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Zwei-Stufen-Lehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Verwaltungsprivatrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Nutzung privatrechtlicher Organisationsformen . . . . . . . . . . III. „Auffangordnungen“ für die staatlich-gesellschaftliche Kooperation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Ordnungsmuster des Handlungssystems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Aufgaben der Rechtsformenlehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Bauprinzipien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Formenzwang und Formenwahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Statik und Flexibilität der Formenlehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Aufgaben der Rechtsverhältnislehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Heuristische Funktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Strukturierende Funktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Dogmatische Funktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die Bedeutung des Verwaltungsverfahrensrechts . . . . . . . . . . . . . . 1. Unterschiedlich weite Verfahrensbegriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Schichten verfahrensrechtlichen Denkens, Verfahrensziele . . . . 3. Gegensätzliche Tendenzen der Verfahrensrechtsentwicklung . . . a) Grundrechtsrelevanz des Verwaltungsverfahrens . . . . . . . . . . b) Verfahrensbeschleunigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Die Lehre von den Maßstäben des Verwaltungshandelns . . . . . . . . 1. Aufgaben und Aufbau der Maßstablehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Das Spektrum der Maßstäbe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Maßstabgehalt und Maßstabsanktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der Maßstab der Effizienz als Beispiel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Effizienz als Grundsatz der Ressourcenschonung . . . . . . . . . b) Konsequenzen des Verwaltungsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Die Wirksamkeit des Handlungssystems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Fragen der Implementation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Fragen der Sanktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
284 285 285 286 288 289 290 291 293 294 297 297 298 300 301 301 302 303 303 305 305 306 308 309 310 312 313 313 315 316 317 319 320 321 323
2. Abschnitt: Alte und neue Fragestellungen der Rechtsformenlehre 324 A. Die administrative Normsetzung und Planung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Rechtsverordnungen und Satzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Verwaltungsvorschriften: Rechtsform der differenzierten Bindungswirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Normsetzung im staatlich-gesellschaftlichen Kooperationsbereich .
324 325 328 330
Inhaltsverzeichnis
XIX
IV. Pläne und Konzepte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Raumplanung: rechtlich profilierte Handlungsform . . . . . . . . . . . 2. Neue Erscheinungsformen: Konzepte und Konzeptpflichten . . . . B. Der Verwaltungsakt: einseitiges Regeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Regeln als Verantworten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Handlungsinstrument und Rechtsquelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Stabilität und Flexibilität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Regelungsform für komplexe Verwaltungsentscheidungen . . . . . . . C. Der Verwaltungsvertrag: konsensuales Handeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Normalität des Vertrages . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Grundsatz gesetzesdirigierter Vertragsgestaltung . . . . . . . . . . . . . . . III. Vertragstypen, Vertragsverfahrensrecht und Klauselpraxis . . . . . . . 1. Analyse unterschiedlicher Regelungssituationen . . . . . . . . . . . . . 2. Prozeduralisierung und Klauselpraxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Die Herausforderung des informalen Verwaltungshandelns . . . . . . . . . . I. Informales Handeln als alternatives Handeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Informal-konsensuales Handeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Implementationsebene: normvollziehende Absprachen . . . . . . . . 2. Programmierungsebene: normersetzende Absprachen . . . . . . . . . III. Konfliktmittlung (Mediation) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
332 333 334 335 336 337 338 339 341 342 343 344 345 347 348 350 351 352 353 354
3. Abschnitt: Aufgaben des Verwaltungsverfahrensrechts
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A. Das Konzept des Verwaltungsverfahrensgesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Entwicklungsanstöße des europäischen Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Beispiele aus dem EG-Umweltrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Konzept der informierten Öffentlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Verfahrensprivatisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Rückwirkungen auf das deutsche Verfahrensrecht . . . . . . . . . . . . . . C. Zur Systematik der Verfahrensrechtslehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Das Standardverfahren und seine Bauformen . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Verfahrensphasen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Verfahrensrechtsverhältnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Verfahrensstrukturen (Überblick) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Notwendigkeit einer breiteren Verfahrenstypenlehre . . . . . . . . . 1. Einige neue Verfahrenstypen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Prozedurale Regelungsansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Neutralitätssicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Rolle der Öffentlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Das Verhältnis zu anderen Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Bedeutung des Haushaltsverfahrensrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Verhältnis zum gerichtlichen Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
356 358 358 359 360 360 362 362 363 364 365 367 368 369 370 371 372 372 374
XX
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Siebentes Kapitel Die Entwicklung eines Europäischen Verwaltungsrechts A. Die Verwaltung des Gemeinschaftsraumes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die beteiligten Verwaltungsträger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die EG-Administration . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die mitgliedstaatlichen Verwaltungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Das Verwaltungskonzept . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Das Trennungsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Vorrang des indirekten Vollzuges . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Regel des isoliert-einzelstaatlichen Vollzuges . . . . . . . . . . . . 2. Das Kooperationsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die Schichten des Europäischen Verwaltungsrechts . . . . . . . . . . . . 1. Das mitgliedstaatliche Verwaltungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Das Eigenverwaltungsrecht der EG-Administration . . . . . . . . . . 3. Das Gemeinschaftsverwaltungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Das Verwaltungskooperationsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Die Bedeutung des Rechts als Integrationskraft . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Gewährleistung wirksamen Vollzuges . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Vermittlung gemeinsamer Wertannahmen . . . . . . . . . . . . . . 3. Standards verläßlichen Verwaltens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Gemeinsame verfassungsrechtliche Grundannahmen . . . . . . . . . . . . . . I. Elemente des Rechtsprinzips . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Gerichtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Strukturprinzip funktionsbestimmter Machtverteilung . . . . . . . . 3. Materielle Determinanten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Demokratie und Verantwortungsklarheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Demokratische Legitimation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Transparenz und demokratische Kontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Europäisches Verwaltungsrecht als Aufgabe gemeinsamer Systembildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
377 378 378 379 380 381 381 382 383 383 384 385 385 388 388 390 390 391 392 393 394 394 396 397 399 400 401 403
Verzeichnis der zitierten EG-Rechtsakte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 409 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 415 Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 459
Abkürzungsverzeichnis aaO. abgedr. ABl ABlEG Abs. AcP AfK AG AJDA AktG AMG Anh. AO AöR ARSP Art. AT AtomG Aufl. ausf. Az. BauGB BayObLG BayVBl Bd. BDSG Beih. bes. BFH BFStrG BGB BGBl BGH BHO
am angeführten Ort abgedruckt Amtsblatt Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften Absatz Archiv für die civilistische Praxis Archiv für Kommunalwissenschaften Aktiengesellschaft L’Actualité Juridique Droit Administratif Aktiengesetz Arzneimittelgesetz Anhang Abgabenordnung Archiv des öffentlichen Rechts Archiv für Rechts- und Sozialphilosphie Artikel Allgemeiner Teil Atomgesetz Auflage ausführlich Aktenzeichen Baugesetzbuch Bayerisches Oberstes Landesgericht Bayerische Verwaltungsblätter Band Bundesdatenschutzgesetz Beiheft besonders Bundesfinanzhof Bundesfernstraßengesetz Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt Bundesgerichtshof Bundeshaushaltsordnung
XXII
Abkürzungsverzeichnis
BImSchG BImSchV BNatSchG BRHG BRRG BSHG BT-Drucks. BVerfG BVerfGE BVerwG BVerwGE CDE ChemG d.h. dens. ders. dies. DIN Diss. DJT Dok. DÖV Drs. DV DVBl ebd. EG EGKS EGMR EGV Einl. ELJ ELR EMRK endg. EU EUDUR EuG
Bundes-Immissionsschutzgesetz Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immissionschutzgesetzes Bundesnaturschutzgesetz Gesetz über Errichtung und Aufgaben des Bundesrechnungshofs Beamtenrechtsrahmengesetz Bundessozialhilfegesetz Bundestags-Drucksache Bundesverfassungsgericht Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Bundesverwaltungsgericht Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts Cahiers de droit européen Chemikaliengesetz das heißt denselben derselbe dieselbe(n) Deutsche Industrienorm Dissertation Deutscher Juristentag Dokument Die öffentliche Verwaltung Drucksache Die Verwaltung Deutsches Verwaltungsblatt ebenda Europäische Gemeinschaft bzw. Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft Einleitung European Law Journal European Law Review Europäische Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten endgültige Fassung Europäische Union bzw. Vertrag über die Europäische Union Rengeling (Hrsg.), Handbuch zum europäischen und deutschen Umwelt Europäisches Gericht Erster Instanz
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EuGE EuGH EuGHE EuGRZ EuR EUV EuZöR EuZW EWG EWGV f. ff. FG FIDE Fn. FS gem. GenTG GG GjS GmbH GKV GO GPSG GS GSG GVG GWB Hdb. HdbSp HdbVerfR HdUR HGrG Hrsg. HS HStR HWÖ idR i.E. i.e.S.
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Entscheidungen des Europäischen Gerichts Erster Instanz Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften Entscheidungen des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaft Europäische Grundrechtezeitschrift Europarecht Vertrag über die Europäische Union Europäische Zeitschrift des öffentlichen Rechts Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Europäische Wirtschaftsgemeinschaft Vertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft folgend folgende Festgabe Federation International de Droit Européen Fußnote Festschrift gemäß Gentechnikgesetz Grundgesetz Gesetz über die Verbreitung jugendgefährdender Schriften Gesellschaft mit beschränkter Haftung Gesetzliche Krankenversicherung Gemeindeordnung Geräte- und Produktsicherheitsgesetz Gedächtnisschrift Gerätesicherheitsgesetz Gerichtsverfassungsgesetz Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen Handbuch v. Maydell/Kannengießer, Handbuch Sozialpolitik, 1988 Benda/Maihofer/Vogel, Handbuch des Verfassungsrechts Kimminich/v. Lersner/Storm (Hrsg.): Handwörterbuch des Umweltrechts, 2. Aufl., 1994 Haushaltsgrundsätzegesetz Herausgeber Halbsatz Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts Chmielewicz, Klaus/Eichhorn Peter (Hrsg.), Handwörterbuch der öffentlichen Betriebswirtschaft, 1989 in der Regel im Erscheinen im engeren Sinne
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i.S. i.V. i.V.m. JbNPÖ JbStVwW Jhb. JöR JuS JuSchG JZ KAG BW Kap. KG KGSt KOM KonvE krit. KritV KrWAbfG KWG Lit. LPA Lsbl. LuftVG LVwG m.E. MFG Nachw. NJ NJW Nr. NuR NVwZ NVwZ-RR NWVBl NZV OVG OWiG pass. PostG PVS
im Sinne in Verbindung in Verbindung mit Jahrbuch für Neue Politische Ökonomie Jahrbuch zur Staats- und Verwaltungswissenschaft Jahrbuch Jahrbuch des öffentlichen Rechts der Gegenwart Juristische Schulung Jugendschutzgesetz Juristenzeitung Kommunalabgabengesetz Baden-Württemberg Kapitel Kammergericht Kommunale Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsvereinfachung EG-Kommission Europäischer Konvent, Entwurf eines Vertrages über eine Verfassung für Europa kritisch Kritische Vierteljahresschrift für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz Kommunalwahlgesetz Literatur Les Petites Affiches Loseblatt Luftverkehrsgesetz Landesverwaltungsgesetz meines Erachtens Mittelstandsförderungsgesetz Nachweise Neue Justiz Neue Juristische Wochenschrift Nummer Natur und Recht Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht – Rechtsprechungsreport Nordrhein-Westfälische Verwaltungsblätter Neue Zeitschrift für Verkehrsrecht Oberverwaltungsgericht Gesetz über Ordnungswidrigkeiten passim Gesetz über das Postwesen Politische Vierteljahresschrift
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RabelsZ Ratsdok. Rn. RL ROG Rs. S. SGB Sp. SRU std. Rspr. StrG StuW StWuStPr TKG TPG TVG Tz u.U. UAG UGB-AT UGB-BT
UI-RL UPR Urt. UTR UVP UVPG v. VBlBW VerwArch vgl. VO VOP Vorb VR VVDStRL VwGO VwVfG WHG
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Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht Ratsdokument (EG) Randnummer Richtlinie Raumordnungsgesetz Rechtssache Seite Sozialgesetzbuch Spalte Sachverständigenrat für Umweltfragen ständige Rechtsprechung Straßengesetz Steuer und Wirtschaft Staatswissenschaften und Staatspraxis Telekommunikationsgesetz Transplantationsgesetz Tarifvertragsgesetz Teilziffer unter Umständen Umweltauditgesetz Umweltgesetzbuch, Allgemeiner Teil (Entwurf): Kloepfer/Rehbinder/Schmidt-Aßmann/Kunig, 1991 Umweltgesetzbuch, Besonderer Teil (Entwurf): Jarass/Kloepfer/ Kunig/Papier/Peine/Rehbinder/Salzwedel/Schmidt-Aßmann, 1994 Umweltinformationsrichtlinie Umwelt- und Planungsrecht Urteil Jahrbuch des Umwelt- und Technikrechts Umweltverträglichkeitsprüfung Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung vom Verwaltungsblätter Baden-Württemberg Verwaltungsarchiv vergleiche Verordnung Verfahrensführung, Organisation, Personalwesen Vorbemerkung Verwaltungsrundschau Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer Verwaltungsgerichtsordnung Verwaltungsverfahrensgesetz Wasserhaushaltsgesetz
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weit. WissR WiVerw WpÜG z.B. ZaöRV ZEuS ZfRSoz ZG ZGR ZgS ZHR Ziff. ZLR ZÖR ZParl zutr.
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weitere(n) Wissenschaftsrecht Wirtschaft und Verwaltung Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz zum Beispiel Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht Zeitschrift für europarechtliche Studien Zeitschrift für Rechtssoziologie Zeitschrift für Gesetzgebung Zeitschrift für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht und Wirtschaftsrecht Ziffer Zeitschrift für Lebensmittelrecht Zeitschrift für öffentliches Recht Zeitschrift für Parlamentsfragen zutreffend
Erstes Kapitel
System und Systembildung im Verwaltungsrecht 1 Das allgemeine Verwaltungsrecht ist mehr als eine akademische Disziplin, die Rechtsformen und Verwaltungsverfahren, Organisationsrecht und Staatshaftungsrecht lose verbindet. Es ist eine Ordnungsidee, die dazu beitragen soll, sich immer wieder der größeren Zusammenhänge, der durchlaufenden Entwicklungslinien und der Adäquanz der in den einzelnen Rechtsinstituten getroffenen Zuordnungen zu vergewissern1. Dem liegt die Einsicht in die rationalisierende Kraft eines analytischen und der Verallgemeinerungsfähigkeit seiner Aussagen verpflichteten Denkens zugrunde2. Die Entfaltung allgemeiner Lehren aus den Besonderheiten der einzelnen Bereiche des Fachverwaltungsrechts und die Orientierung der Einzelaussage an allgemeinen Rechtsprinzipien sind, als wechselbezügliche Vorgänge verstanden, das Bauprinzip dieser Ordnungsidee. Methodisch bedient sie sich dazu eines systematischen Ansatzes. System und Systemdenken sind der Rechtswissenschaft vertraute Erscheinungen3. Ihre Voraussetzungen bilden die Vorstellungen von Ordnung und Einheit, die ihrerseits Folgerungen aus der „generalisierenden Tendenz der Gerechtigkeit“ sind4. Trotzdem ist rechtswissenschaftliches Systemdenken weder auf feste Werthierarchien fixiert noch notwendig statisch. Seine Aussagen stehen vielmehr unter dem Vorbehalt der künftig besseren Erkenntnis und der Konstanz der zugrundegelegten Maßstäbe. In diesem Rahmen sichert ein systematischer Ansatz Folgerichtigkeit und Einsehbarkeit. Es ist die zentrale These dieser Schrift, daß nur ein systematisch ausgerichtetes Verwaltungsrecht in der Lage ist, 1
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Erste Überlegungen hierzu habe ich in meiner 1982 erschienenen Schrift Das allgemeine Verwaltungsrecht als Ordnungsidee und System dargestellt. Die vorliegenden Untersuchungen wollen diese Ansätze weiterführen. Vgl. Krüger, Staatslehre, S. 296 ff., 306 f. – am Beispiel der Allgemeinheit des Gesetzes: „Hieraus folgt, daß ‚Allgemeinheit‘ auch im Zusammenhang mit den Problemen der Richtigkeit des Gesetzes als intellektueller Vorgang begriffen werden muß: Ein Gesetz ist allgemein (und deswegen richtig), wenn es der Probe unter dem Maßstab der Verallgemeinerungsfähigkeit standhält“. Heck, Begriffsbildung und Interessenjurisprudenz, bes. S. 139 ff.; Larenz, Methodenlehre, S. 437 ff.; auch Krawietz, Recht als Regelsystem, S. 50 ff. Canaris, Systemdenken und Systembegriff, bes. S. 12 ff. und 40 ff., 155. Zur Vorstellung eines „Systems der Wissenschaft“ als regulativer Idee gegenüber „Partikularisierungen“ der einzelnen Disziplinen vgl. Mittelstraß, in: Frühwald u.a., Geisteswissenschaften heute, S. 15 u. 22 ff.
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Erstes Kapitel: System und Systembildung im Verwaltungsrecht
Wertungswidersprüche bewußt zu machen und den auseinanderlaufenden Rechtsentwicklungen der Fachgebiete entgegenzuwirken. Es trägt so dazu bei, administratives Handeln transparent zu gestalten und der öffentlichen Verwaltung die notwendige Akzeptanz zu sichern5. Nur als systematische Wissenschaft kann das Verwaltungsrecht auf die großen Herausforderungen der heutigen Verwaltungssituation reagieren – auf die Chancen und Gefahren des wissenschaftlichen und technischen Fortschritts, auf die im Zuge von Privatisierungen eintretenden Verschiebungen im staatlich-gesellschaftlichen Verantwortungsgefüge, auf Verknappungen der finanziellen Rahmenbedingungen und auf die Europäisierung und Internationalisierung der Rechts-, Wirtschafts- und Sozialvorgänge. Damit sind wichtige Entwicklungsaufgaben bezeichnet. Systematik ist etwas Vorgegebenes und etwas Aufgegebenes zugleich6. Als Ordnungsidee verstanden erweist sich das allgemeine Verwaltungsrecht daher nicht so sehr als Kanon vertrauter Rechtsregeln und Rechtsinstitute, sondern vielmehr als Ort und Auftrag fortgesetzter Reflexion und Systembildung.
A. Das Systemdenken des Verwaltungsrechts 2 Historisch verdankt das Verwaltungsrecht seine Eigenständigkeit und seinen Rang als eines der großen Rechtsgebiete seiner wissenschaftlich-systematischen Entfaltung. Ziele einer an allgemeinen Prinzipien ausgerichteten Systematisierung verfolgen bereits Friedrich Franz von Mayers „Grundsätze des Verwaltungsrechts“ von 18627. Klar herausgestellt wird der Zusammenhang zwischen Systemidee und wissenschaftlichem Forschungsauftrag dann von Otto Mayer: „Wertvolle Einzeluntersuchungen sind uns in großer Zahl geliefert worden. Aber auch durch systematische Entwicklung und Zusammenordnung ihres ganzen Gehaltes an eigenartigen Rechtsideen mußte die Verwaltungsrechtswissenschaft darnach trachten, sich ebenbürtig den älteren Schwesterdisziplinen an die Seite zu stellen“8. 5
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Zu ähnlichen Überlegungen vgl. Winkler, in: FG für Antoniolli, S. 3 ff.; Schulte, Schlichtes Verwaltungshandeln, S. 183 ff.; v. Danwitz, Verwaltungsrechtliches System, S. 26 ff.; Ossenbühl, in: FG 50 Jahre Bundesverwaltungsgericht, S. 289 (304). So Canaris, Systemdenken und Systembegriff, S. 106. Dort bes. S. 46 ff. mit der Herausarbeitung der Bedeutung der Verfassung als „allgemeine Richtschnur und Schranke des Spielraums für die Bildung, Auslegung und Anwendung der besonderen verwaltungsrechtlichen Normen“. Zur Bedeutung F. F. v. Mayers als Wegbereiter eines systematischen Verwaltungsrechts Ishikawa, F. F. von Mayer, bes. S. 121 ff. und 176 ff. O. Mayer, Verwaltungsrecht, Bd. 1, S. 20; ähnlich am Beispiel der das Verwaltungsrecht durchziehenden Trennung von öffentlichem und privatem Recht Fleiner, Institutionen, S. 45 ff. Zur Ausbildung des Verwaltungsrechts ausführlich Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts, Bd. 2, S. 229 ff. und S. 381 ff.; Meyer-Hesemann, Methodenwandel, S. 15 ff. Speziell zum Beitrag Otto Mayers Heyen, Otto Mayer, S. 181 ff.; Hueber, Otto Mayer, S. 155 ff.
A. Das Systemdenken des Verwaltungsrechts
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Für das grundgesetzliche Verwaltungsrecht ist die systematische Ausrichtung durch die Struktur der normativen Verfassung vorgegeben: Die Trias der Bindungsnormen – die Bindung an die Grundrechte (Art. 1 Abs. 3 GG), an Gesetz und Recht (Art. 20 Abs. 3 GG), an das Gebot demokratischer Legitimation (Art. 20 Abs. 2 GG) – und die Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG beanspruchen für die ganze Breite administrativen Handelns Geltung. Sie definieren den Bereich der „vollziehenden Gewalt“ nicht in allen Punkten identisch. Aber sie erfassen – über den Kernbestand des öffentlich-rechtlichen Handelns der öffentlich-rechtlich organisierten Hoheitsträger hinaus – weite Gebiete privatrechtlich verfaßten Handelns und Organisierens, in deren Randzonen sich staatliche und gesellschaftliche Aktivitäten – die fortgesetzte Variabilität ihres zentralen Tatbestandsmerkmals anzeigend – verbinden, trennen und erneut zusammenfinden. Verwaltung läßt sich bekanntermaßen nicht in einer „einheitlichen Formel“ erfassen9. Sie läßt sich auch nicht ein für allemal exakt von ihrem Umfeld abgrenzen. Das gilt nicht nur für die Grenzziehung zu anderen staatlichen Funktionsträgern. Es gilt vor allem für Zuordnungsprobleme im staatlich-gesellschaftlichen Kooperationsbereich. Jede wissenschaftliche Behandlung ist folglich auf den Weg der Beschreibung, des Vergleichs und der Typisierung verwiesen. Die Entwicklung der administrativen Aufgaben, Handlungsfelder und Organisationsformen muß durch Analyse des einschlägigen Fachrechts beobachtet und zu den Regelungszielen der verfassungsrechtlichen Gewährleistungen in Beziehung gesetzt werden. Dabei sind Erkenntnisse der Nachbarwissenschaften, wie sie heute vor allem die sozialwissenschaftliche Steuerungsdiskussion vermittelt (→ 1/35–44, 47), einzubeziehen. Die Interpretationsgeschichte der oben genannten Bindungsnormen spiegelt diesen Auftrag verfassungsrechtlich konzentriert wider. Vor diesem Hintergrund geht es auch für das Verwaltungsrecht nicht um eine trennscharfe Fixierung seines Geltungsbereichs, sondern um eine Dogmatik, die ihre Konsistenz daraus bezieht, daß sie mit überprüfbaren, immer wieder überprüften und in diesem Sinne reflektierten Wertungsschwellen arbeitet.
I. Die Aufgaben der verwaltungsrechtlichen Systematik 3 Systematik und Dogmatik sind im Sprachgebrauch der Rechtswissenschaft verwandte Begriffe. Die vorliegende Schrift bezeichnet als dogmatisch ein Denken, das sich an normativ entwickelten Lehrsätzen ausrichtet. Dogmatik enthält im Regelfall zwar auch schon systematisches Arbeiten, muß das aber nicht notwendig tun. Systematik bezeichnet eine besondere Qualität des dogmatischen 9
Forsthoff, Verwaltungsrecht, S. 1 f. Kritisch zu umgreifenden Definitionen auch Ehlers, in: Erichsen/Ehlers, Verwaltungsrecht, § 1 Rn. 5 ff.; Maurer, Verwaltungsrecht, § 1 Rn. 8; Faber, Verwaltungsrecht, § 3 III. Zutreffend werden typische Aufgaben und Handlungsweisen vorgestellt. Auch dort, wo Definitionen durch Kombination mehrerer Aspekte gegeben werden (Wolff/Bachof/Stober, Verwaltungsrecht, Bd. 1, § 2 Rn. 2 ff., 12; Roellecke, DV 1996, S. 1, 9), geht es eher um Typisierungen als um trennscharfe Kriterien.
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Erstes Kapitel: System und Systembildung im Verwaltungsrecht
Denkens, eben den Versuch, für größere Regelungsbereiche Vergleichbarkeiten, Zusammenhänge und Entwicklungslinien aufzuzeigen. Leistungen und Leistungsgrenzen des rechtssystematischen Denkens sind im methodenwissenschaftlichen Schrifttum, insbesondere in den Auseinandersetzungen um den „äußeren“ und den „inneren“ Systembegriff, differenziert herausgearbeitet worden10. Systematik erfüllt im Verwaltungsrecht rechtspraktische, rechtsdogmatische und rechtspolitische Aufgaben11, zu denen im Zuge der Europäisierung des Rechts eine rezeptionsleitende Funktion getreten ist.
1. Entlastung der Rechtspraxis 4 Rechtspraktisch soll das allgemeine Verwaltungsrecht die administrative und die gerichtliche Entscheidungspraxis entlasten, indem es als Speicher wirkt. Für die Vielzahl der im Verwaltungs- und Gerichtsalltag immer wieder ähnlich auftretenden Fragen werden in abstrakter Form Aussagen bereitgehalten, die Standardantworten ermöglichen. Die Massenverkehrsvorgänge des Steuerrechts oder des Rentenrechts sind ohne Rückgriff auf das System nicht zu bewältigen. Aber auch singuläre und neue Vorgänge erhalten rechtsstaatliche Konturen erst dadurch, daß sie in die Systematik eingeordnet werden. Eine wichtige Rolle spielen dabei die Rechtsformen des Verwaltungshandelns (→ 6/34–39). Ihre Speicherleistungen erschließen sich, indem Verwaltungsvorgänge zu den Schlüsselbegriffen des Systems in Beziehung gesetzt werden: Gelingt das klassifikatorisch exakt, ist z.B. eine Maßnahme als Verwaltungsakt einzustufen, so sind die weiteren Fragen ihrer verfahrensmäßigen oder prozeßrechtlichen Behandlung direkt aus dem System heraus zu beantworten. Gelingt es nicht, so bietet die Systematik gleichwohl eine Hilfe, weil sie Vergleiche mit benachbarten Rechtsinstituten ermöglicht und Zuordnungsprobleme nach Maßgabe der Nähebeziehung „interpolierend“ zu lösen gestattet. Auch der Gesetzgeber hat sich auf diese rechtspraktische Funktion der verwaltungsrechtlichen Systematik eingestellt. Er nutzt ihre Entlastungswirkungen, indem er an ihre Schlüsselbegriffe ganze Bündel von Folgeregelungen (Systemfolgen) knüpft. § 9 VwVfG bietet dafür ein Beispiel.
2. Die dogmatische Funktion 5 Der dogmatischen Funktion geht es darum, konkrete Rechtsfragen unter Rückgriff auf das System argumentativ nachvollziehbar zu entscheiden: Vorschriften des Fachrechts werden mit Hilfe vertrauter Rechtsbegriffe und Rechtsinstitute 10 11
Heck, Begriffsbildung und Interessenjurisprudenz, bes. S. 139 ff.; Larenz, Methodenlehre, S. 437 ff. und 474 ff. Ähnlich Schulze-Fielitz, DV 1994, S. 277 (292 ff.); weiterhin Bachof, VVDStRL Bd. 30, S. 193 ff., bes. S. 224 f. und Brohm, ebd., S. 245 ff., bes. S. 246 ff.; ferner ders., in: FS für Maurer, S. 1079 ff.; Raschauer, Verwaltungsrecht, Rn. 1 f.; für das Studium Brüning, Jura 2002, S. 316 ff.
A. Das Systemdenken des Verwaltungsrechts
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des allgemeinen Verwaltungsrechts ausgelegt12. Umgekehrt werden diese Begriffe und Institute an dem sich fortlaufend ändernden Bestand der Fachgesetze immer wieder überprüft. Dogmatik ist daher Systemnutzung und Systembildung zugleich. Das allgemeine Verwaltungsrecht wirkt so als Transformator des Verfassungsrechts13. Die grundgesetzliche Durchdringung der administrativen Praxis wäre nicht so konsequent durchzusetzen gewesen, hätte nicht das allgemeine Verwaltungsrecht als Mittel der Rezeption und der Weitergabe zur Verfügung gestanden. 6 Hier ist es Aufgabe der Gerichte und der Verwaltungsrechtswissenschaft, das Recht über den einzelnen Anwendungsfall hinaus fortzubilden. Beide nehmen diese Aufgabe von unterschiedlichen Ansätzen aus wahr: Die Justiz nutzt systematische Überlegungen zunächst als Hilfsmittel bei der Auslegung des einzelnen fachgesetzlichen Tatbestandes und entwickelt von hier aus bereichsspezifische Problemstrukturen, die sich später zu einem allgemeinen Lehrsatz formen lassen. Die Verwaltungsrechtswissenschaft entfaltet die dogmatische Funktion eher durch Theorievorschläge. Erkenntnisquellen dazu sind die aus dem Vergleich von Normen und Instituten gewonnenen allgemeinen Rechtsgrundsätze sowie Erfahrungssätze und Plausibilitätsregeln eingespielter Handlungspraxen. In jüngerer Zeit tritt mehr und mehr die Rechtsvergleichung hinzu14.
3. Die rechtspolitische Funktion 7 Das allgemeine Verwaltungsrecht ist – drittens – ein Instrument der Rechtspolitik: Der Vergleich der Rechtsregeln und Rechtsinstitute miteinander und die Analyse der bestehenden Lösungen in parallelen Gebieten verdeutlichen Wertungswidersprüche und Entwicklungsrückstände innerhalb und zwischen einzelnen Rechtsgebieten. Sie geben Anstöße für eine sinnvolle Fortentwicklung des Rechts. Systeme zielen auf Stimmigkeit und Wirksamkeit: Neue Regelungsansätze werden vor dem Hintergrund allgemeiner Lehren und allgemeiner Entwicklungstendenzen betrachtet und so gewählt, daß sie sich nicht gegenseitig neutralisieren. Hier hat die verwaltungsrechtliche Systematik in der Gegenwart die wichtige Aufgabe, dem in Sonderregelungen und verstreute Details fliehenden Aktivismus der Gesetzgebung entgegenzutreten. Dabei wirkt das System mehr als Forum denn als Kanon. Es weist Argumentationslasten zu und setzt unbedachten Separatentwicklungen in Rechtsprechung und Gesetzgebung Widerstand entgegen. Die systematische Bedeutung des allgemeinen Verwaltungsrechts herauszustellen, heißt nicht, einer umfassenden Kodifikation das Wort zu reden. 12
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Dazu Haverkate, Normtext – Begriff – Telos, S. 27 ff. und S. 46 unter der Bezeichnung „begriffsorientierte Argumentation“, da sie von allgemeinen Rechtsbegriffen ausgeht (S. 9 ff.). So Wahl, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Schuppert, Reform des Verwaltungsrechts, S. 177 (212). Vgl. Häberle, JZ 1989, S. 913 ff.; Trantas, Die Anwendung der Rechtsvergleichung bei der Untersuchung des öffentlichen Rechts, pass.; Bullinger, in: FS für Schlechtriem, S. 331 ff.
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Erstes Kapitel: System und Systembildung im Verwaltungsrecht
Im Gegenteil: Wir sehen die Aufgabe des allgemeinen Verwaltungsrechts vor allem darin, Einzelvorgängen und Entwicklungsansätzen nicht nur innerhalb eines fest definierten Verwaltungsbereichs, sondern auch in dem sich fortlaufend verändernden Verantwortungsgefüge zwischen Staat und Gesellschaft einen Beobachtungs- und Analyserahmen zu bieten.
4. Rezeption europäischer Rechtsentwicklungen 8 Eine vierte Aufgabe der Systematik steht im Zusammenhang mit der Europäisierung des Verwaltungsrechts. Sie soll hier als rezeptionsleitende Funktion bezeichnet werden. Die Angleichung der nationalen Rechtsordnungen, die das EG-Recht verlangt (→ 1/50–67), kann ohne systematischen Ansatz nur schwer erreicht werden. Der Ländervergleich der einzelnen Regelungen und Rechtsinstitute darf sich nicht auf ihre äußere Erscheinung beschränken, weil diese innerhalb der jeweiligen einzelstaatlichen Rechtsordnung ganz unterschiedliche Bedeutung besitzen kann, die sich nur aus dem Zusammenhang heraus beurteilen läßt. Ob beispielsweise ein bestimmtes umweltrechtliches Überwachungsinstrument die „volle Wirksamkeit“ des EG-Rechts sicherstellt (→ 7/21), kann zuverlässig nur gesagt werden, wenn neben dem unmittelbaren Regelungszusammenhang auch das Vollstreckungsrecht, das Haftungsrecht und die Instrumente des einstweiligen Rechtsschutzes in die Betrachtung einbezogen werden. Nur ein tiefer ansetzender Grundlagenvergleich, der durch systematisches Denken geleitet wird, kann die Bedingtheiten eines Rechtsinstitutes in der eigenen Rechtsordnung aufzeigen. Das macht es notwendig, Einzelregelungen auf gemeinsame Grundgedanken und Entwicklungslinien zurückzuführen. Vereinheitlichung und Rezeption vollziehen sich im europäischen Rahmen über systematische Strukturund Funktionsvergleiche15. Sie bilden auch die Basis für einen neuen Zusammenhang des mitgliedstaatlichen und des EG-Rechts, um die ebenenübergreifende Kohärenz des Rechts zu gewährleisten: Europäisches Verwaltungsrecht als Aufgabe gemeinsamer Systembildung (→ 7/46–52).
II. Allgemeines und besonderes Verwaltungsrecht 9 Die verwaltungsrechtliche Systematik beruht auf der Trennung eines allgemeinen Teils von den besonderen Teilen der einzelnen Fachverwaltungsrechte. Diese Aufgliederung findet sich vergleichbar auch in den Darstellungen anderer europäischer Verwaltungsrechtsordnungen. Dabei werden dem „administrative law“ oder „droit administratif“ allerdings regelmäßig überhaupt nur die allgemeinen Lehren zugewiesen16, während die einzelnen Fachgebiete des Verwaltens 15 16
Grundlegend Wahl, Staat 1999, S. 495 (508 ff.): „Mehr-Ebenen-Modell der Rechtsvergleichung“. Wade/Forsyth, Administrative Law, S. 5: “administrative law may be said to be the body of general principles which govern the exercise of powers and duties by public authorities”.
A. Das Systemdenken des Verwaltungsrechts
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allein unter ihren Gegenstandsbezeichnungen als Baurecht, Umweltrecht oder Steuerrecht behandelt werden. Wenn das deutsche Verwaltungsrecht den allgemeinen Teil und die besonderen Teile in einen einheitlichen begrifflichen Rahmen stellt, will es die wechselseitige Bezogenheit beider Bereiche hervorheben. Die Gliederung ist folglich nicht eine bloß stoffabschichtende Trennung, sondern Ausdruck inhaltlicher Gestaltung17.
1. Die Disziplinierung von Sonderinteressen 10 Für die einzelnen Gebiete des besonderen Verwaltungsrechts bedeutet die Ausrichtung an allgemeinen Lehren eine Disziplinierung jener Sonderinteressen, die von Fachverwaltungen und den ihnen zugeordneten Klientelorganisationen nur zu gern in den Mittelpunkt ihrer Aktivitäten gerückt werden. Der moderne Staat ist gerade wegen seiner hohen Komplexität fortgesetzt in Gefahr, von Sonderinteressen und „besonderen Betroffenheiten“ mit diffuser Durchsetzungsmacht bestimmt zu werden. Die verwaltungsrechtliche Systematik will dem für ihren Bereich ein Rechtfertigungsgebot entgegensetzen: Standards in einem einzelnen Fachgebiet, die in vergleichbaren Gebieten nicht anzutreffen sind, können legitimerweise nur dann verlangt werden, wenn sie sich entweder als allgemeine Regelungen auch für andere Fachgebiete eignen oder aus dauerhaft rechtlich anzuerkennenden Besonderheiten des betreffenden Bereichs ableitbar sind18. Das setzt in diesen Bereichen Beobachtungsfähigkeit und Lernbereitschaft voraus19. 11 Die allgemeinen Lehren sind ferner für die Entwicklung und Bewahrung eines einheitlichen Selbstverständnisses des Verwaltungspersonals wichtig. Amt und Amtsethos bleiben auf diese edukatorische Wirkung des allgemeinen Verwaltungsrechts angewiesen. Gerade wenn man die Einheit der Verwaltung durch ein Netzwerk verselbständigter Verwaltungseinheiten ersetzen will (→ 5/33 ff.), ist es notwendig, „die differenzierten Verwaltungsfunktionen unter gemeinsamen allgemeinen Rechtsgrundsätzen vereinigt zu wissen“20. Wenn es ein Zeichen moderner Verwaltung ist, sich dem gesellschaftlichen Umfeld stärker zu öffnen und als „kooperative Verwaltung“ Aufgaben gemeinsam mit gesellschaftlichen Gruppierungen wahrzunehmen (→ 3/118–121), dann ist ein klares Bewußtsein ihrer Amtswalter, daß sie Teil einer dem allgemeinen Wohl verpflichteten, von allgemeinen 17
18 19
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Vgl. Groß, DV 1999, Beiheft 2, S. 57 ff.; Schmidt-Preuß, in: FS für Maurer, S. 777 (778): „strukturelle Ordnungsfunktion“ des Allgemeinen und „operative Problemlösungsfunktion“ des Besonderen Verwaltungsrechts. Ähnlich Brohm, Strukturen der Wirtschaftsverwaltung, S. 225. Zutreffend die Wechselseitigkeit des Lernprozesses zwischen allgemeinem Teil und besonderen Teilen betonend Vesting, in: Schmidt-Aßmann/Hoffmann-Riem, Methoden der Verwaltungsrechtswissenschaft, S. 253 (282 ff.). Forsthoff, Verwaltungsrecht, S. 55, der, freilich unter kritischer Grundeinstellung zum Verlust der Einheit der Verwaltung, hierin eine weitere wichtige Funktion des allgemeinen Teils des Verwaltungsrechts sieht.
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Erstes Kapitel: System und Systembildung im Verwaltungsrecht
Maßstäben des Rechts geleiteten Exekutive sind und bleiben, als Gegengewicht zu falschen Identifikationen und Einseitigkeiten notwendiger denn je.
2. Die Bedeutung von Referenzgebieten 12 Die in der verwaltungsrechtlichen Systematik angelegte Wechselbezüglichkeit zwischen allgemeinem Teil und besonderen Teilen stellt zugleich die notwendige Anpassungsfähigkeit der allgemeinen Rechtsinstitute und Lehrsätze an neue Entwicklungen sicher21. Das besondere Verwaltungsrecht zeigt in seinen Vorschriften Regelungsmodelle für vorgefundene Interessenkonstellationen auf. Vollzugsmängel in einem bestimmten Bereich indizieren Konflikte, die es zu analysieren und mit Mitteln zu lösen gilt, die sich schon in anderen Gebieten bewährt haben. Die Gebiete des besonderen Verwaltungsrechts sind so der Speicher gefundener Lösungen und der Spiegel bestehender Regelungsbedürfnisse. Verwaltungsrechtliche Systembildung erfolgte immer deduktiv und induktiv zugleich22. Zuweilen mag der Einfluß des praktischen Anschauungsmaterials unbewußt oder unausgesprochen geblieben sein. An seiner Wirksamkeit jedoch kann kein Zweifel bestehen. Ablauf und Struktur dieses Prozesses lassen sich am Beispiel umweltrechtlicher Fragestellungen und ihrer Einwirkung auf die Systembildung gut verfolgen23. 13 Diese Überlegungen führen zu einem für das allgemeine Verwaltungsrecht zentralen Punkt, der Auswahl seiner Referenzgebiete. Wir bezeichnen mit diesem Begriff diejenigen Gebiete des besonderen Verwaltungsrechts, die das Fallmaterial und die Beispiele für die Aussagen des allgemeinen Rechts abgeben. Die Bedeutung ihrer Auswahl für die systematische Entwicklung des Verwaltungsrechts liegt auf der Hand: Ein Teil der allgemeinen Lehren ist induktiv aus einem Vergleich und aus der Verallgemeinerung gebietsspezifischer Regelungsmuster gewonnen. Auch diejenigen Teile, die deduktiven Ursprungs sind, werden fortlaufend an Beispielen aus einzelnen Verwaltungsbereichen erläutert und erprobt. Die Referenzgebiete bringen jene Ausrichtung auf Verwaltungsaufgaben und Verwaltungszwecke in das allgemeine Verwaltungsrecht, die gegenüber einem Denken in allgemeinen Begriffen wiederholt angemahnt worden ist24. Über sie vollzieht sich zu einem wichtigen Teil auch der Austausch zwischen der Verwaltungsrechtswissenschaft und den sog. Nachbarwissenschaften (→ 1/47)25. Das allgemeine Verwaltungsrecht ist folglich keineswegs so abstrakt und aufgabenarm, wie gelegentlich kritisiert wird. Die Frage ist nur, ob es die richtigen, d.h.
21 22
23 24 25
Ausführlich Groß, DV 1999, Beiheft 2, S. 57 (70 ff.). Vgl. Meyer-Hesemann, Methodenwandel, S. 16 ff.; ferner Ishikawa, F. F. von Mayer, bes. S. 177 f.; Bachof, VVDStRL Bd. 30, S. 193 (203 f.); ähnlich Brohm, Strukturen der Wirtschaftsverwaltung, S. 36 ff. Grundlegend Hoffmann-Riem, AöR 1990, S. 400 ff.; P. M. Huber, AöR 1989, S. 252 ff. Badura, Verwaltungsrecht im liberalen und sozialen Rechtsstaat. Vgl. Möllers, VerwArch 2002, S. 22 (46 ff., 55 f.).
A. Das Systemdenken des Verwaltungsrechts
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die heute repräsentativen und wichtigen Aufgaben sind, die sich über die Referenzgebiete in den allgemeinen Lehren zur Geltung bringen. 14 Für das deutsche Verwaltungsrecht bilden traditionell das Polizeirecht und das Kommunalrecht, das Baurecht und das Beamtenrecht die vorrangigen Referenzgebiete, während das Wirtschaftsrecht, das Sozialrecht und das Recht der öffentlichen Unternehmen nur selten herangezogen werden. Die Auswahl prägt den Problemzuschnitt der allgemeinen Erörterungen, insofern Fallgestaltungen, die systematisch mitbedacht werden müßten, im Material der Referenzgebiete nicht vorkommen. Die deutlich von raumbezogenen Vorgängen bestimmte, dem kleinräumigen Interessenausgleich verpflichtete Denkweise des deutschen Verwaltungsrechts muß als eine Konsequenz dieser Gebietsauswahl angesehen werden. Auch die starke Konzentration auf verbindliche, einseitig anordnende Verwaltungsentscheidungen dürfte hierin ihre Ursache haben. Die Vielgestaltigkeit der administrativen Handlungspraxis wird damit freilich nicht erfaßt. Weder das Technik- noch das Wissenschaftsrecht haben bisher eine ihrer Bedeutung entsprechende Beachtung erlangt. Aufgabe der Verwaltungsrechtswissenschaft ist es, auf neue Referenzgebiete aufmerksam zu machen und sie zu integrieren (→ 3/2–5)26. 15 Dieses ist zugleich ein Plädoyer für eine stärkere Beachtung der Verwaltungspraxis, die dem Recht ja nicht nur unterworfen ist, sondern seine Ausbildung mit prägt. Das wird bei der starken Gerichtszentriertheit des überkommenen Verwaltungsrechts zuweilen übersehen (→ 4/73–75). So sehr es sich am Fallmaterial der Gerichtsentscheidungen orientieren mag: Ein systematisches Verwaltungsrecht kann nicht allein von denjenigen Gebieten her entwickelt werden, die mit einer reichen Urteilsauswahl zur Hand sind. Es kann überhaupt nicht allein aus der Gerichtsperspektive entwickelt werden; denn diese Perspektive bezieht sich auf den Einzelfall und auf seine verbindliche Entscheidung. Aus diesen Merkmalen folgt zwar eine hohe dogmatische Präzision, die einen Vorzug des überkommenen deutschen Verwaltungsrechts darstellt. Aber übergreifende Handlungszusammenhänge, Programme und Organisationsstrukturen, in denen die Verwaltung heute agiert und kooperiert, kommen dabei zu wenig in den Blick. Die bessere Einbeziehung der Verwaltungspraxis muß hier gegensteuern. Sie soll auch den Kriterien der Erfahrung, des Erprobten und Plausiblen – der Guten Verwaltungspraxis27 − ihren Rang in der verwaltungsrechtlichen Dogmatik sichern. 16 Allgemeiner Teil und besondere Teile des Verwaltungsrechts dürfen freilich nicht als streng getrennte Rechtssphären verstanden werden. Der Allgemeinheitsgrad der Lehrsätze ist auch innerhalb der beiden Systemteile unterschiedlich. Über manche Zuordnung in den einschlägigen Lehrbüchern, z.B. über die Stellung des öffentlichen Sachenrechts, mag man folglich streiten. Jedenfalls kennt die Aufteilung gleitende Übergänge und Lehrsätze einer „mitt26 27
Vgl. dazu Schulze-Fielitz, DV 1994, S. 277 ff.; Trute, DV 1994, S. 301 ff.; Di Fabio, DV 1994, S. 345 ff.; ders., Risikoentscheidungen, S. 4 ff.; Bethge, DV 1994, S. 433 ff. Vgl. Art. 41 EU-Grundrechtecharta; dazu Bullinger, in: FS für Brohm, S. 25 ff.
10
Erstes Kapitel: System und Systembildung im Verwaltungsrecht
leren Abstraktionshöhe“28. So besitzen Abgabenrecht und Sozialrecht eigene Allgemeine Teile. Solche bereichsspezifischen Dogmatiken führen ihre Rechtsinstitute enger mit den prägenden Zwecken zusammen und haben den Vorteil größerer Anschaulichkeit: Über Zwischenformen vollzieht sich der notwendige Austausch zwischen allgemeinem und besonderem Verwaltungsrecht29. Erweist sich, daß ein allgemeiner Lehrsatz nicht nur in einem Gebiete des besonderen Verwaltungsrechts, sondern in einem ganzen Sektor der Zwischenschicht zu keinem angemessenen Ergebnis führt, so indiziert das seine Überprüfungs- und Änderungsbedürftigkeit, wie sich umgekehrt spezielle Änderungsanliegen vor der Idee des Allgemeinen rechtfertigen müssen.
III. Die systemprägende Bedeutung des Verfassungsrechts 17 Alter Erkenntnis entspricht es, daß das Verwaltungsrecht in besonderer Weise durch das Verfassungsrecht geprägt wird. Robert v. Mohl stellte diesen Befund in seiner „Polizeywissenschaft nach den Grundsätzen des Rechtsstaates“ bereits im Titel heraus. Die Prägung erfaßt nicht nur die äußere Gestaltung, sondern auch den inneren Gehalt. Bei Ludwig v. Rönne heißt es dazu: „Aber nicht bloß die in der Verfassung festgesetzten äußeren Formen und Schranken müssen bei der Ausübung der Regierung inne gehalten werden, sondern die Verwaltung muß auch im Sinne und Geiste der Verfassung erfolgen. Daher bedarf es der Feststellung eines dem entsprechenden Verwaltungsrechts, welches überall die Grundsätze der Verfassung, sowohl formell, als materiell, zur Grundlage haben muß und diese niemals verletzen darf“30.
1. Abhängigkeit, Eigenständigkeit und Komplementarität des Verwaltungsrechts 18 Unter dem Grundgesetz hat sich, Fritz Werners einprägsamer Formel vom Verwaltungsrecht als konkretisiertem Verfassungsrecht entsprechend, die Bestimmungskraft der Verfassung schnell voll entfaltet31. Die hohe dogmatische 28
29
30 31
Groß, DV 1999, Beiheft 2, S. 57 (78 ff.); Faber, Verwaltungsrecht, §§ 19 ff., unternimmt den beachtlichen Versuch, sein Lehrbuch im Kern aus solchen Teildogmatiken für die Eingriffs-, die Leistungs- und die Infrastrukturverwaltung aufzubauen. Es bleibt aber die Frage, inwieweit die Teildogmatiken unter übergreifenden Themenstellungen wie denjenigen der Entscheidungsstabilität und Rechtsschutztauglichkeit nicht doch weiter zusammengeführt werden müssen. Schon die Verwaltungsverfahrensgesetzgebung indiziert das. Dazu Wahl, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Schuppert, Reform des Verwaltungsrechts, S. 177 ff., bes. S. 187 ff. und 210 f.; Schmidt-Preuß, in: FS für Maurer, S. 777 (780 f.). v. Rönne, Staatsrecht der preußischen Monarchie, Bd. 3, S. 4. Vgl. F. F. v. Mayer, Verwaltungsrecht, S. 46 f. Werner, DVBl 1959, S. 527 ff.; Wahl, Staat 1999, S. 495 (496 f.).
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Durchbildung des Verwaltungsrechts, die es gestattet, auch neu hinzutretende Materien des besonderen Verwaltungsrechts schnell auf Grundstrukturen zurückzuführen und manchen Mangel gesetzlicher Normierungen auszugleichen, ist das positive Ergebnis dieser Entwicklung. Freilich dürfen die Erwartungen an die Verläßlichkeit der einzelnen verfassungsrechtlichen Vorgabe nicht überspannt werden. Verfassungsrecht ist „nicht so sehr konkretes wie konzentriertes Recht“32. Es läßt oft keine unvermittelte Subsumtion unter festliegende Rechtsbegriffe zu. Treffend hat Rüdiger Breuer diesen Vorgang umschrieben33: „Ungeachtet des Vorrangs der Verfassung schieben sich die gesetzlichen Konkretisierungsakte zwischen die strukturellen Gewährleistungen wie das Rechtsstaatsgebot und die gerichtlichen Entscheidungen realer Konflikte. Hierzu bedarf es eines kooperativen, prozeßhaften und wandlungsbereiten Vorgehens mit wechselseitigen Anstößen.“ Konkretisierung hat „keinen rein nachvollziehenden und deklaratorischen Charakter“. Sie mündet folglich oft nicht in Ergebnisse ein, die nach dem Willen der Verfassung so und nicht anders hätten ausfallen können und sich daher als verfassungsfest bezeichnen dürften. Natürlich gibt es, z.B. in den Kompetenz- und Organisationsvorschriften, zahlreiche Beispiele verfassungsfixierten Verwaltungsrechts. Auch aus der Gesetzesbindung (Art. 20 Abs. 3 GG) oder der Rechtsschutzgarantie (Art. 19 Abs. 4 GG) haben sich zahlreiche verwaltungsrechtliche Lehrsätze entwickeln lassen, die an Rang und Verläßlichkeit des Verfassungsrechts heute teilhaben. Im Regelfall sind die Konkretisierungsschritte jedoch komplizierter und unsicherer. Das gilt insbesondere für Verfassungsstrukturentscheidungen und Staatszielbestimmungen34. Gerade hier ist vom Interpreten Zurückhaltung zu verlangen. Daran mangelte es in der Vergangenheit gelegentlich. Nicht selten ist versucht worden, aus Vorschriften des Grundgesetzes – zumal aus Grundrechten – sehr spezielle und eigenwillige Folgerungen zu ziehen, die mehr mit politischen Postulaten als mit rechtswissenschaftlicher Argumentation zu tun haben. Solche Aussagen geben sich als verfassungsnotwendige Ergebnisse, die die Eigenständigkeit und Veränderbarkeit des Verwaltungsrechts unzulässig einschränken35. Damit wird die Konkretisierungsidee in zweifacher Hinsicht mißdeutet: Die Leistungsfähigkeit der Einzelaussage wird überschätzt, während die übergreifende Bedeutung der Verfassung für das Konzept des Verwaltungsrechts als Ganzes nicht richtig in den Blick kommt. 19 Die wichtigste Bedeutung des Verfassungsrechts muß heute aber gerade in der Beeinflussung der verwaltungsrechtlichen Systematik gesehen werden. Hier hat sich das Verfassungsrecht als Rahmen fortlaufender Überprüfung über32 33 34 35
Lerche, DVBl 1961, S. 690 (692 ff.); vgl. auch dens., in: FS für Stern, S. 197 ff. Breuer, in: FG 50 Jahre Bundesverwaltungsgericht, S. 223 (227). Dazu Reimer, Verfassungsprinzipien, S. 470 ff. Dagegen zutreffend Wahl, Staat 1981, S. 485 (502): „Gleichwohl ist das konkretisierte Verfassungsrecht einfaches Recht und als solches am wirklichen Verfassungsrecht zu messen“.
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Erstes Kapitel: System und Systembildung im Verwaltungsrecht
kommener Dogmen und als Rezeptor neuer Entwicklungsanstöße zu bewähren. Die Fragen liegen auf der Hand: Ist das Verwaltungsrecht in seiner heutigen Gestalt flexibel genug, um auf neue Risikolagen zu reagieren? Hat es Rechtsinstitute zur Hand, die die gewandelten Steuerungs- und Bewirkungstechniken des Staates in einer rechtsstaatlich tolerablen Weise handhabbar machen? Wie lassen sich die unterschiedlichen grundgesetzlichen und europarechtlichen Legitimationsanforderungen im Verwaltungsrecht zum Ausgleich bringen? Nachdem sich das Verfassungsrecht bei der verwaltungsrechtlichen Dogmenbildung in den zurückliegenden Jahrzehnten durchgesetzt hat, muß es heute darum gehen, auch sein zweites Anliegen, die Systembildung, zu bewältigen36. 20 Das Verhältnis des Verfassungsrechts zum Verwaltungsrecht wäre allerdings unvollständig beschrieben, wollte man die Determinationskraft nur des ersteren hervorheben. Einwirkungen erfolgen auch in entgegengesetzter Richtung, vom Verwaltungsrecht auf das Verfassungsrecht: Rechtshistorisch lassen sich zahlreiche heute dem Verfassungsrecht zugeordnete Institute als Bauformen einer älteren gemeinsamen Schicht nachweisen, die zunächst in einzelnen Gebieten des besonderen Verwaltungsrechts heimisch wurden, ehe man sie als Grundsätze des Verfassungsrechts rezipierte. Das gilt z.B. für das Verhältnismäßigkeitsprinzip37. Rechtspraktisch ist das Verwaltungsrecht das Bewährungsfeld des Verfassungsrechts, auf dem neue Erkenntnisse durch Anwendung im Verwaltungsalltag und durch Auseinandersetzung mit dessen Handlungskriterien erprobt werden müssen. Die Verwaltungspraxis zeigt, wo theoretisch abstrakt ersonnene Lehrsätze abgeschliffen werden müssen, um handhabbar zu sein. Dogmatisch schließlich formt das Verwaltungsrecht die Grundzüge für die ihrerseits normgeprägten Schutzbereiche vieler verfassungsrechtlicher Gewährleistungen. Besonders deutlich wird das bei den Grundrechten (→ 2/35–44): Ihre Schutzaufgaben, ihre verfahrens- und organisationsprägenden Impulse, die Kollisionslösung in mehrpoligen Grundrechtsverhältnissen und die Grundrechtsschranken – sie alle werden zu wesentlichen Teilen erst in verwaltungsrechtlicher Ausgestaltung greifbar.
2. Das Grundverhältnis des Bürgers zur Verwaltung 21 Die wichtigste systemprägende Aufgabe des Verfassungsrechts ist es, Aussagen über das Grundverhältnis des Bürgers zur Verwaltung zu treffen. Die im Grundgesetz vorausgesetzte, aller staatlichen Gewalt vorgegebene Subjektstellung des Menschen, die sich ebenso in Art. 1 der EU-Grundrechtecharta fin36
37
Dazu Faber, in: FS für Ridder, S. 291 ff.; Dreier, in: Walter, Adolf J. Merkl, S. 55 ff.; Henke, JZ 1992, S. 541 ff.; Bauer, DV 1992, S. 301 ff.; Ladeur, DV 1993, S. 137 ff.; Schulze-Fielitz, DV 1994, S. 277 ff.; sowie die Beiträge in: Hoffmann-Riem/SchmidtAßmann/Schuppert, Reform des Verwaltungsrechts; v. Danwitz, Verwaltungsrechtliches System, S. 23 ff. Dazu Stern, in: FS für Lerche, S. 165 (168).
A. Das Systemdenken des Verwaltungsrechts
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det, durchzieht die gesamte Rechtsordnung38. „Die Verfassungsgarantie der Menschenwürde wurde so zugleich zur höchsten positivierten Rechtsquelle für das Verhältnis des Staates zum Menschen: Der Staat ist nicht um seiner selbst willen da, sondern von Menschen geschaffen, damit sie ihr Leben in Würde und Sicherheit führen können“39. Art. 1 GG bestimmt und beschränkt folglich die Legitimität von Staat und Recht aus den Werten der personalen Ethik40. Staatliches Handeln bedarf der Rechtfertigung und muß als Vorgang und Ergebnis auf Rationalität angelegt sein. Das gilt auch dort, wo der Staat nicht hoheitlich entscheidend, sondern als Wirtschaftssubjekt tätig wird41.
a) Asymmetrie von Freiheit und Kompetenz 22 Das Grundgesetz normiert die Grundbefindlichkeit des Menschen gegenüber der staatlichen Gemeinschaft als Rechtsverhältnis. Das Rechtsverhältnis verbindet Rechtssubjekte; aber es schafft zwischen ihnen auch Raum, indem es soziale Beziehungen als Rechtsbeziehungen formulierbar macht42. Demgemäß ist das Verwaltungsrechtsverhältnis eine Grundkategorie des verwaltungsrechtlichen Systems (→ 6/40–45). Es wirkt nicht als bloß formales Ordnungsmuster, sondern besitzt eine bestimmte inhaltliche Qualität, die sich in einer Rangzuordnung seiner Rechtssubjekte ausdrückt. 23 Für das ältere Verwaltungsrecht war diese Rangordnung eine solche der Subordination, der ein gleichsam naturwüchsiger Vorrang des verwaltenden Staates als einer vorgefundenen und konstanten Größe entsprach. „Aus dem Wesen des Menschen ergibt sich historisch und logisch als notwendig nur die Pflicht, aber nicht das Recht gegen den Staat“, sagt Georg Jellinek43. Und ähnlich heißt es bei Otto Mayer44: „Damit ist auch von den Rechtssubjekten, zwischen welchen das Verwaltungsrecht gelten soll, das eine gleichmäßig bestimmt als der Staat, für den jene Tätigkeit geübt wird, der also verwaltet. Dem verwaltenden Staate gegenüber steht die Masse der Menschen, die ihm untertan sind, und solcher Menschengemeinschaften und juristischer Personen. Sie liefern das andere Rechtssubjekt in der Einzahl oder Vielzahl, wie eben der Staat bei solcher Tätig38 39
40 41 42 43 44
Dazu Dreier, in: ders., Grundgesetz, Bd. 1, Art. 1 I Rn. 39 ff. Stern, Staatsrecht, Bd. 3/1, § 58 II 6; ähnlich Kunig, in: v. Münch/Kunig, Grundgesetz, Bd. 1, Art. 1 Rn. 3: Art. 1 „dokumentiert das Staatsverständnis der Bundesrepublik Deutschland“. Dürig, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 1 I Rn. 15. Löwer, VVDStRL Bd. 60, S. 416 (418 ff.); Storr, Der Staat als Unternehmer, S. 152 ff.; Schmidt-Aßmann, in: FS für Ulmer, S. 1015 ff. Anschaulich dazu Gröschner, Überwachungsrechtsverhältnis, S. 86 ff. System der subjektiven öffentlichen Rechte, S. 82. Vgl. auch Gerber, Über öffentliche Rechte, S. 61 ff. Verwaltungsrecht, Bd. 1, S. 13. Dazu die Charakterisierung der zugrundeliegenden Vorstellung Mayers bei Schapp, Subjektives Recht, S. 156: „Recht dient dem Schutze der Person, fügt ihrem Machtkreis etwas hinzu, während der Staat das, was er ist, aus sich heraus ist“.
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Erstes Kapitel: System und Systembildung im Verwaltungsrecht
keit mit ihnen in Berührung kommt“. Daß dieses keine Rangbestimmung im grundgesetzlichen Verwaltungsrechtsverhältnis sein kann, hat das Bundesverwaltungsgericht bereits in einer seiner frühesten Entscheidungen, dem Fürsorgepflicht-Urteil vom 24.6.195445, herausgestellt: „Eine solche Leitidee ist die Auffassung über das Verhältnis des Menschen zum Staat: Der Einzelne ist zwar der öffentlichen Gewalt unterworfen, aber nicht Untertan, sondern Bürger.“ 24 Ist heute statt von Subordination von einer Gleichordnung zwischen Bürger und Verwaltung auszugehen46? Die Verwaltungsrealität kennt zahlreiche Bereiche, in denen Private und Verwaltung auf dem Boden der Gleichordnung miteinander verkehren und in Formen gemeinsamen Bewirkens zusammenfinden (→ 3/118–122). Trotzdem greift die Gleichordnungsthese zu kurz. Sie ist zu undifferenziert, um als Grundmodell der Bürger-Staat-Beziehungen zu dienen. Art. 1 und Art. 20 GG gehen vom Vorrang des Individuums vor, nicht vom Gleichrang mit dem Staate aus. Der einzelne wird als Person mit unverwechselbarem Eigenwert angesehen47. Das Individuum ist zwar gemeinschaftsbezogen und gemeinschaftsgebunden48. Aus der Gemeinschaftsbezogenheit folgen Regelungsbedürfnisse, auf die der Staat zu reagieren aufgerufen ist. Aber seine Reaktionen müssen sich aus eben diesen Bedürfnissen legitimieren und finden in ihnen ihr Maß. 25 Die Gleichordnungsthese ist aber auch deshalb als Erklärungsmodell des Verwaltungsrechts ungeeignet, weil sie die Handlungsnotwendigkeiten der staatlich verfaßten Gemeinschaft negiert. Gerade in seiner rechtlichen Verfaßtheit ist der demokratische Rechtsstaat Staat, dessen Organe befugt sind, Verbindlichkeiten einseitig zu begründen49. Hier wird nicht nur kooperiert und paktiert. Der Staat hat eine Gewährleistungspflicht gegenüber dem Recht und den Rechten seiner Mitglieder, die nicht durchgängig in Gleichordnung und Konsens erfüllt werden kann. Diese Gewährleistungsaufgabe trifft nicht nur den Gesetzgeber und die Justiz; sie ist zu einem erheblichen Teil der Exekutive anvertraut. Gerade die Verwaltung ist auf ein breites Spektrum von Bewirkungsmöglichkeiten angewiesen (→ 3/58–61). Dazu gehören auch der Einsatz hoheitlicher Mittel und einseitiger Entscheidungen, die aus einer Gleichordnung nicht erklärt werden können. Rechtsetzungshoheit und Gewaltmonopol sind für die grundgesetzliche Ordnung unverzichtbar. Ohne sie ist offenen Rechtsbrüchen nicht zu begegnen. Ohne sie sind die großen Herausforderungen der Gruppenmächte, der Technik und des internationalen Verkehrs nicht zu bewältigen. Nur sind alle diese Aufgaben vom Staat nicht im freien Spiel der Kräfte, sondern auf der Grundlage verfassungs-
45 46 47 48 49
BVerwGE 1, 159 (161); vgl. Dreier, in: FG 50 Jahre Bundesverwaltungsgericht, S. 201 ff. In diesem Sinne Schapp, Subjektives Recht, S. 153; J. Martens, KritV 1986, S. 104 (122); auch Pitschas, DÖV 1989, S. 785 (795). Hesse, Verfassungsrecht, Rn. 116. BVerfGE 4, 7 (15 f.); 30, 1 (20). Dazu Isensee, in: HStR Bd. 1, § 13 Rn. 62 ff.; zur Staatlichkeit des Rechtsstaates Schmidt-Aßmann, in: HStR Bd. 1, § 24 Rn. 1.
A. Das Systemdenken des Verwaltungsrechts
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rechtlich zuerkannter Kompetenzen und in genau strukturierten Verfahren zu erfüllen. 26 Die Gleichordnungsthese kann weder die besondere Legitimationsbedürftigkeit staatlichen Handelns noch den Geltungsanspruch legitimierter staatlicher Entscheidungen erklären. Das Grundgesetz bestimmt das Bürger-StaatVerhältnis asymmetrisch in der Unterscheidung von bürgerlicher Freiheit und staatlicher Kompetenz50: Der Bürger handelt in rechtlich verfaßter Freiheit. Staatliche Organe handeln in rechtlich verliehener Kompetenz. Dieser Unterschied ist für das System des Verwaltungsrechts konstitutiv51. Die wichtigen Dogmen von der Rechtfertigungsbedürftigkeit allen Verwaltungshandelns und von seiner Verpflichtung auf das richtige Maß und einen effizienten Ressourceneinsatz knüpfen hieran an. Im Begriff der Verwaltungsverantwortung, die Ausdruck einer treuhänderischen Stellung der Verwaltung ist, setzt sich diese Unterscheidung fort (→ 3/109–117).
b) Individualrechtliche Ausrichtung 27 Mit dem Rechtsverhältnis ist auch die individualrechtliche Ausrichtung des Verwaltungsrechts vorgegeben. Das subjektive Recht als rechtsstaatliches Abwehr- und Leistungsrecht ebenso wie als demokratisches Teilhaberecht und der Individualrechtsschutz sind folglich Kernbestandteile der Systembildung (→ 2/69; 4/60). 28 Gegen eine solche Ausrichtung lassen sich freilich eine Reihe von Einwänden erheben: Das Individuum ist heute in vielfältige kollektive Systeme eingebunden. Planungszusammenhänge, undurchschaubare finanzielle Vereinnahmungen, globale ökologische Belastungen und verbandliche Mediatisierungen lassen den einzelnen nur noch als Teileinheit sehr viel größerer Systeme erscheinen, die seine Rolle definieren, ihm selbst aber kaum Eigenständigkeit belassen. Auch die neuen Informationstechnologien können in diese Richtung wirken. Alle diese Zugriffsmechanismen folgen ihren eigenen Regeln. Wenn sie sich rechtlich überhaupt steuern lassen, dann nur über Normen des objektiven Rechts, über Organisations-, Haushalts- und Verfahrensvorschriften und institutionelle Arrangements. Ist angesichts dieses Befundes die individualrechtliche Ausrichtung des Verwaltungsrechts noch durchzuhalten? 29 Es wird zu zeigen sein, daß die derzeitige Verwaltungsrechtsdogmatik diese neuen strukturellen Gefährdungen nur unzulänglich erfaßt (→ 3/58–61). Doch darum geht es an dieser Stelle noch nicht. Als individualrechtliche Ausrich50
51
Der Begriff der Asymmetrie wurde von H. Hofmann, VVDStRL Bd. 41, S. 42 (49 ff.); ders., JZ 1992, S. 165 (169) für das dem vorliegenden Problem vergleichbare Verhältnis von bürgerschaftlichen Rechten und Pflichten in der grundgesetzlichen Ordnung fruchtbar gemacht. Zu symmetrischen und asymmetrischen Rechtsverhältnissen unter rechtstheoretischen Aspekten vgl. Achterberg, Verwaltungsrecht, § 20 Rn. 72 ff. Vgl. dazu Horn, DV 1993, S. 545 (555 f.).
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Erstes Kapitel: System und Systembildung im Verwaltungsrecht
tung bezeichnen wir den Grundansatz und das stets im Auge zu behaltende Ziel allen verwaltungsrechtlichen Denkens. Sie hindert nicht, weitere, d.h. vor allem institutionell übergreifende, objektiv-rechtliche Regelungen in die Systematik einzubeziehen. Das EG-Recht und andere Rechtsordnungen weisen im europäischen Entwicklungszusammenhang in dieselbe Richtung (→ 1/58–60). Das verwaltungsrechtliche Denken darf nicht bei Individualvorgängen und bei kleinräumig wirksamen Verwaltungsentscheidungen stehen bleiben. Es muß wesentlich weiter, d.h. auf die meso- und makroadministrativen Vorgänge ausgreifen und wesentlich tiefer, d.h. bei den Entstehungsphasen des subjektiven Rechts und den hierfür wichtigen Informationsvorgängen ansetzen – Bereichen also, in denen das Recht als strukturprägende objektive Ordnung, nicht als fertige individuelle Rechtsposition präsent ist. Doch stehen auch diese Erstreckungen letztlich unter einem individualrechtlichen Schutzziel. Sie dürfen sich nicht zu einer bloß objektiven Ordnung verselbständigen. Erst recht lassen sie sich nicht gegen die individualrechtliche Ausrichtung ausspielen.
3. Der Doppelauftrag des Verwaltungsrechts 30 Wenn das Verhältnis des Individuums zum Staat umfassend als Rechtsverhältnis bestimmt wird, dann wird deutlich, daß sich das Verwaltungsrecht nicht auf punktuelle Regelungen beschränken kann. Wenn staatliches Handeln insgesamt rechtfertigungsbedürftig ist, dann kann es nicht dabei sein Bewenden haben, einzelne administrative Aktivitäten in bestimmten Schutzrelationen zu behandeln. Das Verwaltungsrecht ist folglich nicht nur Eingriffs- und Leistungsrecht, sondern ebenso Organisationsrecht und Recht der verwaltungsinternen Informationsgewinnung und Entscheidungsbildung. Es beschränkt sich nicht auf die gerichtliche Rechtsschutzperspektive, sondern nimmt auch solche Bereiche in den Blick, die die Sonde gerichtlicher Kontrolle nicht erreicht. Das Verwaltungshandeln ist nicht nur von außen einzugrenzen, sondern es ist von innen heraus rechtsstaatlich und demokratisch zu ordnen. Wie die Verfassung auf eine rechtlich konstituierte Staatlichkeit insgesamt zielt, so muß das Verwaltungsrecht die Verwaltung insgesamt, d.h. in ihren Außen- und in ihren Innenbeziehungen, im punktuellen Kontakt mit dem Bürger, aber auch in ihren größeren Entscheidungszusammenhängen erfassen. „Innen“ und „Außen“ sind damit nicht notwendig in eins zu setzen. Ihre unterschiedlichen Regelungsbedürfnisse können durchaus in unterschiedlichen Dogmatiken dargestellt werden. Aber die „inneren“ Vorgänge sind der Hintergrund, der zur Ordnung und Erklärung der einzelnen nach außen wirkenden Aktivitäten wichtig ist. 31 Auch die heute gebotene Erfassung der zwischen Verwaltung und gesellschaftlichen Gruppierungen ausgebildeten Kooperationsformen und Zwischenebenen gelingt nur von einem gesamthaften Ansatz aus. Neben den regulatorischen Handlungsformen sind die Vorgänge des einvernehmlichen Gestaltens und des freiwilligen Respektierens zu analysieren, in denen sich Individuum, Gruppenmächte, Gesellschaft und Verwaltung begegnen52. Neue Gefährdungen
A. Das Systemdenken des Verwaltungsrechts
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grundrechtlicher Freiheit, die aus dem Umgang mit staatlicher Macht resultieren können, werden sichtbar. Auch der Kooperationsbereich hat z.B. in der Schaffung des notwendigen Distanzschutzes und bei der Berücksichtigung von Interessen Dritter, die in die Kooperation nicht einbezogen waren, seine Rechtsprobleme53. Die Handlungsfelder zwischen Gesellschaft und organisierter Staatlichkeit, die das Interesse des Verwaltungsrechts zu finden haben, sind breiter, die zu bedenkenden Schutzrelationen vielfältiger geworden. Hier geht es nicht mehr nur darum, die Übermacht der Exekutive rechtlich auszugleichen. Vielmehr sind auch umgekehrt Situationen denkbar, in denen sich die Verwaltung starken Gruppenmächten gegenübersieht und ihrerseits des Schutzes bedarf (→ 3/118–122). 32 Deutlich wird, daß das Verwaltungsrecht nicht ausschließlich nach einem staatsabwehrenden Konzept verfaßt sein darf. Es hat weiterreichende Ziele, als feste Rechtspositionen gegen staatliche Eingriffe so weit wie irgend möglich abzuschirmen. Wenn Achtung und Schutz des einzelnen geboten sind, dann bleibt die Antithetik von staatlichem Zwang und individueller Freiheit – mit Ernst Forsthoff gesprochen54 – gewiß eine dogmatische Grundsituation von großer Bedeutung. Aber ihre Behandlung nach Maßgabe einer allgemeinen Freiheitsvermutung verfehlt die Gemeinschaftsgebundenheit des Individuums und den staatlichen Schutzauftrag (→ 2/35–39). Vollends müßte sie in den zahllosen mehrpoligen Interessenkonstellationen, die das Verwaltungsrecht zu verarbeiten hat, leerlaufen (→ 3/104–108). Hier konkurrieren die Freiheiten mehrerer Interessenträger, ohne daß verfassungsrechtlich ein für allemal festgelegt ist, für welche Interessen und für welche Freiheit die Vermutung streiten soll. Vorstellungen der älteren Verwaltungsrechtslehre, der es ganz vorrangig um die Disziplinierung einer ausgreifenden wohlfahrtsstaatlichen Staatsraison und ihrer monarchischen Exekutive gehen mußte, können für das Verwaltungsrecht des demokratischen Rechtsstaates nicht mehr prägend sein. Sie lassen sich auch nicht dadurch reaktivieren, daß dem Verwaltungsrecht die „katechontische“ Aufgabe zugewiesen wird, gegenwärtige Verwaltungsentscheidungen möglichst in die Länge zu ziehen, um künftige Optionen offen zu halten55. Vielmehr ist neben den Auftrag, das Verwaltungshandeln einzugrenzen, der Bewirkungsauftrag getreten, der administratives Handeln ermöglichen und seine Wirksamkeit sichern soll. Das Verwaltungsrecht erfüllt also einen Doppelauftrag: Disziplinierung und Effektuierung des Verwaltungshandelns56. Diese Aufgabenstellung wird nicht nur durch ein Zugriffsübermaß, sondern auch durch ein Untermaß an Handlungsmög52 53 54 55
Vgl. Kirchhof, in: HStR Bd. 3, § 59 Rn. 138 ff.; Burgi, Funktionale Privatisierung, S. 100 ff. Am Beispiel der Einschaltung privater Dritter in die informierende Staatstätigkeit BVerwGE 90, 112 (124 f.). Verwaltungsrecht, S. 368. Zum Gedanken einer solchen „katechontischen“ Aufgabe des Verwaltungsrechts Schlink, VVDStRL Bd. 48, S. 235 (259). Dagegen Schulze-Fielitz, in: Hoffmann-Riem/SchmidtAßmann, Innovation und Flexibilität, S. 139 (149): Verzögerung an und für sich macht rechtlich keinen Sinn und bedeutet einen Rationalitätsverlust des Rechtsstaates.
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Erstes Kapitel: System und Systembildung im Verwaltungsrecht
lichkeiten verletzt. In einem der freiheitlichen Verfassung verpflichteten Verwaltungsrecht hat folglich auch der Gedanke der Funktionsfähigkeit der Verwaltung seinen Platz57. Das EG-Recht, das dem Gedanken eines wirksamen Vollzuges, dem effet utile, deutlicher verpflichtet ist als das nationale Recht, unterstreicht das.
B. Verwaltungsrechtswissenschaft als Steuerungswissenschaft 33 Alles Recht zielt auf Wirksamkeit (→ 2/20–31). Die Rechtswissenschaft kann es folglich nicht dabei bewenden lassen, einzelne Rechtsregeln und Rechtsinstitute dogmatisch auszuformen. Sie muß sich auch mit ihren Wirksamkeitsbedingungen beschäftigen. Die einzelnen Bauformen sind in größere Bezugsrahmen einzustellen und so miteinander abzustimmen, daß das Recht seine Ordnungsaufgaben wahrnehmen kann. Die Verwaltungsrechtswissenschaft muß sich als Steuerungswissenschaft verstehen. Das verlangt vom verwaltungsrechtlichen Denken eine Veränderung seines dogmatischen (I) und methodischen Konzepts (II)58. Die überkommenen Regelungsansätze werden zwar nicht aufgegeben. Aber sie müssen ergänzt werden und verlieren in der Systematik dadurch ihre alles beherrschende Position. Sie fungieren künftig regelmäßig nur als Grundmodelle, die zusammen mit weiteren Bauformen und Modellen ein mehrgliedriges Regelungsgefüge bilden: – Gesetzesbindung und Legitimation der Exekutive sind nicht mehr allein als linear von oben nach unten verlaufende Einwirkungen, sondern als komplexe Prozesse zu betrachten, in denen sich auch gegenläufige, horizontale und rekursive Einflußmöglichkeiten zur Geltung bringen. – Verwaltungsorganisationen sind nicht länger allein als nach außen geschlossene und intern hierarchisch verfaßte Einheiten, sondern als gegliederte Vielfalt unterschiedlich zusammengesetzter Stellen und Instanzen zu sehen. – Die Rechtlichkeit des Verwaltungshandelns bestimmt sich nicht allein aus der richterlichen Kontrollperspektive, sondern primär aus der administrativen Handlungsperspektive. – Neben das hoheitliche Handeln tritt das privatrechtliche Handeln, neben das Entscheiden das Vereinbaren, neben die Form das Informale. Die Grundsituation verwaltungsrechtlicher Systematik heute heißt „Überkommenes und Neues“. Da sich aber in einem System jede Ergänzung eines Teiles notwendig auf die bisherige Stellung der anderen Teile auswirkt, kann es nicht 56
57 58
Ähnlich Schoch, DV 1992, S. 21 (27); Schulze-Fielitz, DVBl 1994, S. 657 (661 f.); v. Danwitz, Verwaltungsrechtliches System, S. 5: „Doppelfunktionalität des Verwaltungsrechts als rechtliche Ordnung“; ausführlich dort S. 45 ff. Vgl. BVerfGE 61, 82 (116); weit. Nachw. bei Kunig, Rechtsstaatsprinzip, S. 438 f. Vgl. Bumke, in: Schmidt-Aßmann/Hoffmann-Riem, Methoden der Verwaltungsrechtswissenschaft, S. 73 (128 f.); Vesting, dort S. 253 (281 f.).
B. Verwaltungsrechtswissenschaft als Steuerungswissenschaft
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einfach darum gehen, Neues neben Altes zu stellen. Die Systemteile müssen vielmehr in ihrem Verhältnis zueinander immer wieder neu justiert werden. Neben Zugewinnen gibt es Abstriche. Methodisch geht es um Rechtsarbeit an Wirkungsurteilen (→ 1/49).
I. Steuerung durch Recht 34 Unsere Überlegungen folgen nicht den generellen Zweifeln, die in der sozialwissenschaftlichen Diskussion gegenüber der Steuerbarkeit von Systemen und gegenüber der Steuerungsfähigkeit des Rechts geäußert worden sind59. Solche Einwände werden – unbeschadet aller Wirkungsschwächen des Rechts – durch die tägliche Rechtspraxis in Verwaltungen, Kanzleien und Gerichten nicht bestätigt60. Wir folgen vielmehr einer pragmatischen Lehre, die das Recht als taugliches und unverzichtbares Steuerungsmittel ansieht, dessen Wirkungsmängel es zu analysieren und dessen Wirkungsbedingungen es zu verbessern gilt61. Die grundgesetzliche Ordnung ist auf das Recht angewiesen. In noch höherem Maße gilt das für die Europäische Union, die von vornherein als Rechtsgemeinschaft gegründet wurde und ohne die Integrationskraft des Rechts nicht auskommen kann (→ 7/20–25).
1. Steuerung als analytisches Konzept 35 Die Anknüpfung an die sozialwissenschaftliche Steuerungsdiskussion erschließt einen theoretischen Rahmen, in dem die einwirkenden Kräfte, die innere Dynamik und die Umweltbedingungen sozialer Prozesse und damit auch die Wirkungsweisen von Recht analysiert werden können. Im Zentrum der Betrachtung stehen Wirkungszusammenhänge zwischen Steuerungssubjekten, -objekten, -medien und -instrumenten62. Komplexe Sozialgefüge zeichnen sich durch eine Verschränkung mehrerer Steuerungsrelationen aus. 59 60 61
62
Vgl. Teubner, Autopoietisches System, S. 21 ff.; auch Luhmann, PVS 1989, S. 4 ff. Auf der Basis empirischer Untersuchungen zum Immissionsschutzrecht ebenso Dose, Verhandelnde Verwaltung, S. 423 f. und 261 f. Grundlegend Mayntz, JbStVwW 1987, S. 89 ff.; Scharpf, PVS 1989, S. 10 ff.; ausführlich Voigt, in: ders., Politische Steuerung moderner Industriegesellschaften; Ritter, in: Grimm, Wachsende Staatsaufgaben, S. 69 (100 ff.); Schuppert, dort S. 217 ff.; ders., Staatswissenschaft, S. 389 ff.; Trute, DVBl 1996, S. 950 ff.; Braun, Politische Steuerung, S. 29 ff.; G. Müller, in: FS für Maurer, S. 227 ff. Zum folgenden Schuppert, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Schuppert, Reform des Verwaltungsrechts, S. 65 (68 ff.); König/Dose, Instrumente und Formen, insbesondere die Beiträge der Herausgeber selbst dort, bes. S. 7 ff. (zur Begriffsbildung), S. 13 ff. (zu den unterschiedlichen Steuerungsansätzen der Rechts-, Wirtschafts- und Politikwissenschaft sowie der Soziologie), S. 79 ff. (Klassifikationen von Steuerungsansätzen in den Staats- und Verwaltungswissenschaften), die Zwischenergebnisse und die Zusammenfassung dort S. 123 ff. sowie die Beiträge S. 153 ff. (Handlungsleitende Formen staatlicher Steuerung) und S. 519 ff. (Referenzen staatlicher Steuerung). Ferner die übergreifenden Beiträge von Voigt, dort S. 289 ff. und Derlien, dort S. 503 ff. Speziell zur rechtswissenschaftlichen Perspektive Lange, dort S. 173 ff.
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Erstes Kapitel: System und Systembildung im Verwaltungsrecht
36 In der verwaltungsrechtlichen Systematik sind solche Verschränkungen durch die Doppelstellung der Exekutive begründet. Die Verwaltung ist Steuerungsobjekt, insofern sie von den rechtsgestaltenden Kräften der nationalen und der europäischen Ebene durch das Recht zur Wahrnehmung ihrer Aufgaben befähigt und verpflichtet werden soll. Sie ist zugleich aber auch Steuerungssubjekt, das Steuerungsimpulse aktiv umsetzt und innerhalb der Vorgaben des Rechts eigene Aktivitäten zur Steuerung von Sozialbereichen entfaltet. Gerade an den Verschränkungen wird deutlich, daß administratives Handeln nicht allein aus dem Blickwinkel der Verwaltung betrachtet werden darf. Vorgänge der Aufnahme, Umformung und Weitergabe von Informationen bestehen in Interaktion und Rückkoppelung. Steuerung gelingt, wenn die Impulse auf die Motivationslage der Akteure abgestimmt sind. Deren Vielfalt und Vielgliedrigkeit kann Steuerungswirkungen neutralisieren, aber auch Chancen synergetischer Effekte bieten. Die Verwaltung handelt nicht als monolithischer Block, sondern als Netzwerk unterschiedlicher Organisationseinheiten, der nicht nur Einzelpersonen, sondern auch Vereinigungen, Gruppen und Verbände gegenübertreten. Das Feld verwaltungsrechtlicher Systembildung wird dadurch erweitert. Es muß sich einerseits auf den inneradministrativen Organisationsbereich erstrecken und andererseits die Erscheinungen gesellschaftlicher Selbstorganisation im Blick behalten (→ 5/53–63). 37 Das analytische Steuerungskonzept behandelt neben dem Recht auch den Markt, die Finanzen, das Personal und die Organisation als Steuerungsmedien63. Im Rechtsstaat kommt dem Recht eine zwar zentrale, aber keine exklusive Position zu. Seine Wirkungen müssen im Zusammenhang mit den anderen Medien betrachtet, auf funktionale Äquivalente untersucht und durch Abstimmung mit ihnen gegebenenfalls verbessert werden (→ 1/45–49). Ähnliche Überlegungen gelten für die vom Recht zur Verfügung gestellten Steuerungsinstrumente. Im Zentrum standen bisher die Instrumente der regulativen Politik und das ihnen zugeordnete Konzept eines „Vollzugsrechts“, das in Geboten und Verboten, Genehmigungen, Verordnungen und imperativen Verwaltungsplänen dogmatisch gut aufgearbeitet ist. Weil auf die Mittel regulativer Politik steuerungswissenschaftlich nicht verzichtet werden kann und weil sich in den ihnen zugeordneten Rechtsformen der Anspruch des demokratischen Rechtsstaates, Entscheidungen gegebenenfalls auch gegen den Willen des Adressaten durchzusetzen, am klarsten zum Ausdruck bringt, wird das Verwaltungsrecht immer auch ein Recht der einseitig regelnden Staatsakte bleiben (→ 1/25). Das ist aber nur die eine Seite. Die Steuerungsdiskussion zeigt, daß neben den regulativen Instrumenten die Schaffung von Anreizen und der gezielte Einsatz von Informationen stehen. Diese Vorgänge sind bisher nur teilweise rechtlich strukturiert, z.B. als solche der Subventionsgewährung. Es kommt jedoch darauf an, für alle Steuerungsinstrumente einen rechtlichen Ordnungsrahmen zu schaffen. Das gelingt freilich nicht schon dann, wenn man die bisherigen Ansätze ein63
Schuppert, Verwaltungswissenschaft, S. 455 ff.: institutionelle und normative Steuerung, Budget- und Personalsteuerung.
B. Verwaltungsrechtswissenschaft als Steuerungswissenschaft
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fach fortschreibt und alles informale Verwaltungshandeln zu „reformalisieren“ trachtet64. Das Verwaltungsrecht muß sich vielmehr mit den unterschiedlichen Motivationsmustern des erweiterten Instrumentariums beschäftigen und für sie geeignete Regeln zur Verfügung stellen, die den Schutz der Beteiligten und die Handlungsfähigkeit der Exekutive in einer Weise sicherstellen, wie das die überkommene Dogmatik für die Instrumente regulativen Handelns auch getan hat (→ 6/32 ff.).
2. Eigenständigkeit des verwaltungsrechtlichen Steuerungskonzepts 38 Die Anknüpfung an sozialwissenschaftliche Steuerungsvorstellungen darf freilich nicht dazu führen, die Aufgaben des Verwaltungsrechts sozialtechnologisch mißzuverstehen. Das Recht ist Steuerungsmedium; aber es ist auch materielle Ordnung. Seine Bedeutung kann folglich nicht auf eine Instrumentalfunktion beschränkt werden. Die Bezugsgrößen sozialwissenschaftlicher Modelle sind Institutionen, nicht aber einzelne Rechtsverhältnisse und Rechtsvorgänge. Das gilt insbesondere für die Systemtheorie65. Damit wird eine wichtige Ergänzung der überkommenen verwaltungsrechtlichen Systematik geboten, die in ihrer rechtsschutzzentrierten Verengung bisher zu sehr am Einzelvorgang ausgerichtet war und übergreifende Zusammenhänge nur schwer erfassen konnte. Daß diese Ergänzung nicht zum Ersatz werden darf, ist selbstverständlich. Sie wird es aber auch nicht schon dadurch, daß sie auf Zusammenhänge abhebt, die auch in der Systemtheorie eine Rolle spielen. Die Kritik der verwaltungsrechtlichen Steuerungsdiskussion geht hier zuweilen von einer theoretischen Modellgebundenheit aus66, die so nicht existiert. Das Verwaltungsrecht hat, seiner individualrechtlichen Grundlage entsprechend, immer auch den Einzelvorgängen und Einzelpositionen einen gesicherten Platz in seiner Systematik einzuräumen (→ 1/27–29). 39 Überhaupt müssen die Leistungsgrenzen aller Steuerungsvorstellungen im Blick behalten werden. Solche Vorstellungen stehen in Gefahr, mechanistisch zu wirken67. Um als Modell überschaubar zu bleiben, sind ihre Elemente in einer stark selektiven Betrachtungsweise festgelegt und ihre Gesetzmäßigkeiten auf einfache Ursache-Wirkung-Beziehungen zurückgeführt worden68. Wenig wäre gewonnen, wenn die zu einfachen tradierten Vorstellungen von einer hierarchisch geordneten, gesetzesanwendenden Verwaltung mit linear-kausalen Bewirkungs64 65 66 67
68
Dazu Schmidt-Aßmann, in: Riedel, Die Bedeutung von Verhandlungslösungen in Verwaltungsverfahren, S. 21 (27 ff.). Vgl. O. Lepsius, Steuerungsdiskussion, Systemtheorie und Parlamentarismuskritik, S. 42 ff. So z.B. O. Lepsius, Steuerungsdiskussion, S. 4. Vgl. Pitschas, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Schuppert, Reform des Verwaltungsrechts, S. 219 (224); vgl. auch Burgi, in: Erichsen/Ehlers, Verwaltungsrecht, § 51 Rn. 18 f. Vgl. Mayntz, JbStVwW 1987, S. 89 (93); krit. dies., in: Burth/Görlitz, Politische Steuerung in Theorie und Praxis, S. 17 ff.
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Erstes Kapitel: System und Systembildung im Verwaltungsrecht
vorstellungen eines ebenfalls zu einfach gedachten sozialwissenschaftlichen Steuerungsmodells verbunden würden69. Steuerung durch Recht soll sich gerade nicht in einer Verengung auf die typisch hoheitlichen Mittel des Rechtsvollzuges erschöpfen. Vielmehr müssen alle unterschiedlichen Arten des Rechts einbezogen werden, materielle Gesetzesprogramme, die auf direkten Vollzug angelegt sind, ebenso wie das Finanz-, Organisations- und Verfahrensrecht. Es bilden sich so „Arrangements“ von Steuerungsansätzen, die man – auch um zu mechanische Steuerungsvorstellungen schon begrifflich auszuschließen – als Regelungsstruktur bezeichnen70 und in Organisations-, Prozeß-, Programm- und Personalstrukturen weiter aufgliedern kann. Regelungsstrukturen schaffen die Prämissen und den Rahmen für die materielle Programmsteuerung. Sie entfalten eigenständige, mediatisierende Wirkungen, die z.B. in der Gesetzesanwendungslehre und im Verwaltungsorganisationsrecht stärker als bisher berücksichtigt werden müssen (→ 4/51–56; 5/9–11).
3. Weitere Steuerungsansätze 40 Die Verwaltungsrechtswissenschaft hat die Vielfalt der im Recht selbst verfügbaren Regelungsmöglichkeiten herauszuarbeiten. Nur so kann es gelingen, auch neue Steuerungsansätze in die rechtsstaatliche Systematik zu integrieren, die sich – jedenfalls ihrer äußeren Erscheinungsform nach – an anderen als rechtlichen Kriterien ausrichten. Die Bemühungen um eine „Verwaltungsmodernisierung“ sind heute bei allen Unterschieden und Widersprüchen im einzelnen vor allem von wirtschaftswissenschaftlichen Effizienz- und Managementansätzen bestimmt71. Der Markt und die Handlungsmuster der Privatwirtschaft wollen ins Zentrum der Steuerungsüberlegungen rücken72. Für das tradierte verwaltungsrechtliche Denken bedeutet das eine erhebliche Verunsicherung. Mit den neuen Orientierungen scheinen die vertrauten Strukturen verloren zu gehen. Recht sieht sich durch Ökonomie, Hierarchie durch lockere Netzwerkbildung ersetzt. Gegenüber solchen Alternativen ist jedoch Vorsicht geboten. Genauer betrachtet kann es nur um Ergänzungen fortbestehender rechtlicher Steuerungsansätze und um Verbindungen zwischen diesen und ökonomischen Ansätzen gehen (→ 1/33). Die Rezeption in die verwaltungsrechtliche Systematik bleibt trotzdem schwierig genug, weil vielfältige Parallelformen und Mischformen zu erfassen sind. 69
70 71
72
Bumke, in: Schmidt-Aßmann/Hoffmann-Riem, Methoden der Verwaltungsrechtswissenschaft, S. 73 (126 ff.); zur Ersetzung linear-kausaler durch prozeßhafte Steuerungsvorstellungen in der sozialwissenschaftlichen Theorie vgl. Braun, Politische Steuerung, S. 37 ff. Vgl. Mayntz/Scharpf, in: dies., Gesellschaftliche Selbstregelung, S. 9 ff.; Trute, DVBl 1996, S. 950 (951). Vgl. König, DÖV 1997, S. 265 ff.; König/Beck, Modernisierung; J.-P. Schneider, DV 2001, S. 317 ff.; Ritter, DÖV 2003, S. 93 ff.; auch Gröpl, Haushaltsrecht und Reform, S. 327 ff.; mit weit. Nachw. Burgi, in: Erichsen/Ehlers, Verwaltungsrecht, § 54 Rn. 2 ff. Vgl. König, DÖV 2001, S. 617 ff.; Wallerath, JZ 2001, S. 209 ff.
B. Verwaltungsrechtswissenschaft als Steuerungswissenschaft
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a) Das Neue Steuerungsmodell (Budgetsteuerung) 41 Ansatzpunkte für Reformvorschläge sind zum einen die Organisation und die Binnenstruktur der Verwaltung und zum anderen (mittelbar) die Beziehungen der Exekutive zum Bürger. Als Prototyp kann das von der Kommunalen Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsvereinfachung (KGSt) 1993 vorgelegte sog. Neue Steuerungsmodell gelten73. Das Modell folgt dem Leitbild „Dienstleistungsunternehmen Kommunalverwaltung“, das Verwaltungsleistungen als „Produkte“ und die Beziehungen der Verwaltung zum Bürger als „Kundenbeziehung“ deutet. Es zielt auf den Aufbau einer unternehmensähnlichen, dezentralen Führungs- und Organisationsstruktur. Zu seinen Kernelementen rechnet es eine klare Verantwortungsabgrenzung zwischen dem politischen und dem administrativen System innerhalb der Kommunalkörperschaften. Das oberste Kommunalorgan soll den gewünschten Umfang der disponiblen Aufgaben, die Führungsstruktur und die Rahmenbedingungen festlegen, Ziele für Leistungsaufträge setzen und deren Erfüllung fortlaufend kontrollieren. Die Verwaltung soll die final vorgegebenen Leistungsaufträge erfüllen. Eine wichtige Funktion wird dabei Vereinbarungen zugeschrieben, mit denen die im Rahmen von Programmbudgets zu erbringenden Leistungen zwischen Politik und Verwaltung, aber auch innerhalb des administrativen Systems näher festgelegt werden74. Das Modell ist auf eine exakte Leistungsbeschreibung nach Kennziffern angewiesen. Wettbewerb und Wettbewerbssurrogate sollen die unternehmensähnliche Ausgestaltung stärken. Den einzelnen Verwaltungsbereichen soll eine eigene Verantwortung für den zweckentsprechenden und effizienten Einsatz der ihnen global zugewiesenen Personal- und Sachmittel zukommen. Dieser dezentralen Organisationsgestaltung wird ein zentraler Steuerungsbereich gegenübergestellt, der für die strategischen Steuerungs- und Kontrollaufgaben verantwortlich sein soll. Hierarchieelemente entfallen also nicht, aber sie wechseln ihre Erscheinungsform. 42 Das Modell wird so oder ähnlich von vielen Kommunalkörperschaften in der Zwischenzeit angewandt. Zunehmend greift auch die Staatsverwaltung darauf zu. Als Form der Budgetsteuerung hat das Modell in § 6a HGrG Aufnahme gefunden. Einnahmen und Ausgaben können danach haushaltsmäßig im Rahmen eines „Systems der dezentralen Verantwortung“ veranschlagt werden. Auf diese Weise kann das Kostenbewußtsein in der öffentlichen Verwaltung deutlich gestärkt werden. In seiner einfachen kommunalspezifischen Fassung läßt sich das Modell ohne größere Gesetzesänderungen in das bestehende Kommunalrecht ein73
74
Dazu KGSt-Bericht Nr. 5/1993; Hill, in: Schmidt-Aßmann/Hoffmann-Riem, Verwaltungsorganisationsrecht, S. 65 (71 ff.); J.-P. Schneider, dort S. 103 (114 ff.); Ziekow, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann, Verwaltungsverfahren und Verwaltungsverfahrensgesetz, S. 349 ff.; Schuppert, Verwaltungswissenschaft, S. 707 ff.; Mehde, Neues Steuerungsmodell und Demokratieprinzip, S. 85 ff. Chr. Winter, Das Kontraktmanagement, bes. S. 175 ff.; Trute, WissR 2000, S. 134 ff.; Hill, NVwZ 2002, S. 1059 ff.
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Erstes Kapitel: System und Systembildung im Verwaltungsrecht
arbeiten75. Aber auch auf staatlicher Ebene ist das von § 6a HGrG vorgezeichnete Budgetierungsmodell in die grundgesetzlichen Verfassungsstrukturen zu integrieren. Es verschiebt zwar manche der überkommenen Steuerungs- und Kontrollansätze im Verhältnis von Parlament und Exekutive und innerhalb der Exekutive (→ 4/89). Doch geschieht das in einer Weise, die die für Gewaltenteilung und Legitimation insgesamt wichtige Rationalität staatlichen Entscheidens nicht mindert, sondern u.U. sogar erhöht76.
b) Bleibende Bedeutung des Rechts 43 Neues Steuerungsmodell, strategisches Controlling77, integratives Management – überhaupt die Suche nach marktwirtschaftlichen Instrumenten – sind jedoch Teil einer ausgreifenderen Debatte um die Aufgaben und Handlungsorientierungen moderner Verwaltung. „Nachdem man Versagen und Effizienzmängel des bürokratischen Verwaltungsstaates zur Kenntnis nehmen mußte, dringt das privatwirtschaftliche Leitbild einer durch Kosten- und Leistungsrechnung gesteuerten Unternehmenswirtschaft auch in den öffentlichen Sektor vor“78. Die Verwaltungsrechtswissenschaft muß daher auch die ökonomischen Grundannahmen des gesamten Diskussionszusammenhangs auf ihre Berechtigung und auf ihre Auswirkungen auf das Recht untersuchen79. Dabei darf man sich freilich nicht durch eine wenig einnehmende Begrifflichkeit bestimmen lassen. „Produkte“, „Kunden“ und „Konzerne“ als prägende Elemente von Verwaltungsrechtsverhältnissen sind gewiß eine ungewöhnliche Vorstellung. Wichtiger sind jedoch die hinter diesen Begriffen erkennbaren Bestimmungsfaktoren des Marktes, des Wettbewerbs, der Qualitätsmessung und der Kostentransparenz. Sie rufen in Erinnerung, daß die Verwaltung nicht allein Recht zu vollziehen, sondern Leistungen zu erbringen und dabei auch das Wirtschaftlichkeitsprinzip zu beachten hat. Zutreffend wird am überkommenen Verwaltungsverständnis kritisiert, daß es bei aller Stärke seiner Rechtsbindung Schwächen in den Kostenstrukturen aufweist80. Die geringe Integration des Finanz- und Haushaltsrechts in das allgemeine Verwal75 76
77 78
79 80
v. Mutius, in: FS für Stern, S. 685 ff.; Pünder, Haushaltsrecht im Umbruch, S. 405 ff. (mit Empfehlungen zur Fortentwicklung des kommunalen Haushaltsrechts, S. 450 ff.). J.-P. Schneider, DV 2001, Beiheft 4, S. 177 ff.; ders., DV 2001, S. 317 (342 f.); Kube, Finanzgewalt und Kompetenzübergriff, i.E., § 6 II. Schwierigkeiten, das NSM in das derzeitige Verwaltungsverfahrensrecht zu integrieren, sieht dagegen Ziekow, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann, Verwaltungsverfahren und Verwaltungsverfahrensgesetz, S. 349 ff. Dazu Schuppert, Verwaltungswissenschaft, S. 712 ff. Pitschas, in: Merchel/Schrapper, Neue Steuerung, S. 107 (123); ähnlich Ritter, DÖV 2003, S. 93 (94): Es gehe „nicht länger um die Übertragung von Kategorien staatlicher Rationalität auf Wirtschaft und Gesellschaft, sondern umgekehrt um die gesellschaftlich akzeptierte Übernahme von Rationalitätskriterien der Wirtschaft durch den Staat“. Dazu König, DÖV 1995, S. 349 ff.; ders., DVBl 1997, S. 239 ff.; Laux, AfK 1995, S. 229 (242 ff.); Lüder, DÖV 1996, S. 93 ff. So König, DVBl 1997, S. 239 (241) unter Bezugnahme auf Naschold.
B. Verwaltungsrechtswissenschaft als Steuerungswissenschaft
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tungsrecht bestätigt diesen Befund. Wenn neue Steuerungskonzepte Verwaltung und Verwaltungsrecht zu einem Umdenken veranlassen, so ist das zu begrüßen. Wirtschaftlichkeit und Effizienz sind legitime verwaltungsrechtliche Maßstäbe (→ 6/64–71). Auch für den Bürger wirkt eine höhere Kostentransparenz positiv, indem sie ihm freiheitsermöglichend Vergleiche gestattet und Optionen eröffnet. 44 Gefahren entstehen jedoch, wenn die „Strategie der internen Ökonomisierung der öffentlichen Verwaltung“ (König81) sich anschickt, die Rolle des Rechts in der Verwaltung durch Marktmechanismen und eine weitreichende dezentrale Ressourcenverantwortung abzulösen. Das liegt angesichts der Konzentration des Modells auf ökonomische Kriterien nicht fern82. Dieser Konzentration gegenüber muß hervorgehoben werden, daß moderne Gesellschaften – unbeschadet aller Kooperationsvorgänge – durch eine Trennung von ökonomischem und politisch-administrativem System gekennzeichnet sind. Beide Systeme folgen unterschiedlichen Handlungsmustern und sollen dieses gemäß der Trennung von Freiheit und Kompetenz auch künftig tun (→ 1/26). Verwaltung läßt sich folglich nicht allein über Rentabilitätskriterien steuern. Ihre Gemeinwohlverpflichtung ist vielmehr ein „Gesamtauftrag“, der Rechtmäßigkeit, Zweckmäßigkeit, Bürgernähe, Einsichtigkeit und Lernfähigkeit umgreift83; die Wirtschaftlichkeit gehört dazu, aber sie besitzt keinen Vorrang. Die unterschiedlichen Orientierungen im Einzelfalle zu ihrem Recht kommen zu lassen, ist eine anspruchsvolle Aufgabe (→ 2/22). Sie umgreift eine „eigene Programmfunktion“ der öffentlichen Verwaltung84 und unterstreicht ihre Eigenständigkeit (→ 4/36–56). Gerade weil die Wirtschaftlichkeit für die Verwaltung anders als für Unternehmen nicht der einzige Maßstab ist und folglich ihre Steuerungsleistungen nicht mit Eindeutigkeit zur Geltung bringen kann, bedarf es der rechtlichen Ordnung des Selektionsprozesses und der auf ihn einwirkenden Kräfte. „QuasiMärkte“ und „virtueller Wettbewerb“ bieten nur begrenzt verläßliche Gegenkontrollen, um die Entkoppelungen der dezentralen Ressourcenverantwortung auszugleichen85. Wenn die klassische rechtliche Steuerung über materielle Gesetzesprogramme deutlicher als bisher um Effizienzkriterien ergänzt werden soll, bedarf es auf einer zweiten Ebene einer Strukturierung durch Verfahrens- und Organisationsrecht. Das Recht muß für alle Maßstäbe des Verwaltungshandelns den institutionellen Rahmen bieten86. Dazu wird es notwendig, bekannte Instrumente, wie das Recht der Haushalts- und Finanzkontrollen, stärker in das allgemeine Verwaltungsrecht einzubeziehen und neue Kontrollformen zu entwickeln 81 82 83 84 85 86
DVBl 1997, S. 239 (243). Ähnlich Wallerath, JZ 2001, S. 209 ff.; Dreier, DÖV 2002, S. 537 (543 f.). Hoffmann-Riem, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Schuppert, Reform des Verwaltungsrechts, S. 115 (130 ff.). Pitschas, in: Merchel/Schrapper, Neue Steuerung, S. 107 (123). König, DVBl 1997, S. 239 (245 ff.). Vgl. J.-P. Schneider, in: Schmidt-Aßmann/Hoffmann-Riem, Verwaltungsorganisationsrecht, S. 103 (125 ff.).
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Erstes Kapitel: System und Systembildung im Verwaltungsrecht
(→ 4/86–100). Das Recht der öffentlichen Auftragsvergabe, lange Zeit ein Arkanum, ist in seiner jüngeren Entwicklung dafür ein positives Beispiel87. Richtig verstanden, können ökonomische Steuerungsansätze das Recht nicht verdrängen88. Sie verlangen aber, neben den klassischen Dogmen strikter Gesetzesbindung und der Rechtsformenlehre auch andere, insbesondere prozedurale Regelungsansätze zu aktivieren.
II. Methodenfragen der Verwaltungsrechtswissenschaft 45 Als Steuerungswissenschaft muß sich die Verwaltungsrechtswissenschaft intensiver mit ihren Methoden beschäftigen. Die im Steuerungskonzept angelegte Nähe zu den Sozialwissenschaften und die Ausrichtung an der Wirkungsdimension des Rechts verlangen einerseits eine gewisse Öffnung der auf dem Subsumtionsmodell gründenden bisherigen Methode. Zu erinnern ist aber andererseits an die Doppelfunktion jeder Methode, Argumente zu strukturieren und zu selektieren. Die verwaltungsrechtliche Methode ist immer auch eine praktische Methode, die für die gesamte Praxis handhabbar sein muß. Schon um ihres Praxisbezuges willen eignet ihr daher eine spezifische Stabilität. Sie muß zu verläßlichen und vorhersehbaren Aussagen führen, wenn das Recht selbst seine Stabilisierungsaufgabe wirksam erfüllen soll89.
1. Herausforderungen 46 Zu lange hat die richterliche Rechtsanwendung das Methodenverständnis der Verwaltungsrechtswissenschaft bestimmt. Die Rechtsarbeit der Exekutive erschöpft sich aber nicht darin, Einzelfälle zu entscheiden. Vielmehr gehören auch Planungs- und Gestaltungsaufgaben, Vertragsschluß und Normsetzung dazu. Administrative Normkonkretisierung hat viele Gesichter und Phasen. Die Methodenlehre der Verwaltungsrechtswissenschaft muß folglich „anwendungsorientierte Interpretations-“ und „rechtssetzungsorientierte Entscheidungswissenschaft“ zugleich sein90. Dazu kann als Grundmodell an das traditionelle Methodenarsenal angeknüpft werden (→ 1/48). Doch darf man nicht in einem Stande verharren, der gegenüber dem, was zur Sprachlichkeit des Rechts, zur Struktur und Steuerungsfähigkeit von Rechtsnormen und zur Vielgestaltigkeit juristischer Entscheidungssituationen anerkannt ist91, unterkomplex wirkt. 87 88 89
90 91
J.-P. Schneider, DV 2001, S. 317 (323 ff.). Ebenso König, DÖV 2001, S. 617 (624) mit dem Hinweis auch auf die starke Stellung der Justiz in der nationalen und der europäischen Rechtsordnung. Ähnlich Ladeur, in: RabelsZ 2000, S. 60 (63): In vielen Bereichen müsse „die vereinfachende Selbstvergewisserung des Rechts durch Texte“ gegen eine entdifferenzierende Materialisierung verteidigt werden. So Voßkuhle, in: Bauer/Czybulka/Kahl/Voßkuhle, Umwelt, Wirtschaft und Recht, S. 171 (179); vgl. auch E. Stein, in: FS für Maurer, S. 803 ff. Dazu anschaulich Müller/Christensen, Juristische Methodik I, S. 30 ff.
B. Verwaltungsrechtswissenschaft als Steuerungswissenschaft
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a) Pluralität des anzuwendenden Rechts Das Recht, um dessen administrative Anwendung und Gestaltung es gehen soll, läßt sich heute weniger als früher als hierarchisch geordneter Stufenbau zentraler nationaler Rechtsetzungsinstanzen verstehen. Der Regelungszusammenhang konstituiert sich vielmehr erst im konkreten Anwendungsfall als ein Gefüge unterschiedlich verdichteter und relativ autonomer Rechtsbereiche: Vertragsrecht und Gesetzesrecht, Völkerrecht und Verfassungsrecht, punktgenaue Vorgaben und rahmengebende Richtlinien. Eine wichtige Rolle spielen die unterschiedlichen Formen des von der Verwaltung selbst gesetzten Rechts. Dieser Befund kann nicht ohne Auswirkungen auf die Methodenlehre bleiben. Eine zeitgerechte Methodenlehre muß auch darüber Auskunft geben, wie die genannten Rechtsordnungen im Anwendungsfall zu verknüpfen sind (→ 2/9–19).
b) Organisationsabhängigkeit des administrativen Handelns Verwaltung ist nicht nur Handlung (→ 6/1), sondern auch Organisation (→ 5/1). Fragen des Organisationsrechts haben folglich eine wesentlich größere Bedeutung als im Zivilrecht, an dem die meisten juristischen Methodenlehren bisher vorrangig ausgerichtet sind. Eine spezielle Methodik für Organisationsrechtsnormen ist bisher nur schwach entwickelt. Sie muß geeignet sein, organisatorische Wirkungszusammenhänge und die sie prägende gegenseitige Abhängigkeit ihrer Elemente zu erfassen92. Es muß eine Methode sein, die beim Umgang mit Texten auch die organisationstypischen Funktionsweisen, Verhaltenserwartungen und funktionalen Äquivalente mit in den Blick nimmt. Erinnert sei an Begriffe wie das „Legitimationsniveau“ (→ 2/98–99). Wirksamkeitsvergleiche, Bilanzierungen und Auswahlentscheidungen werden zu Methodenaufgaben (→ 1/49).
2. Das Verhältnis zu den sog. Nachbarwissenschaften 47 Wenn das Verwaltungsrecht seine Steuerungsaufgaben in Gesellschaft, Staat und Wirtschaft wirksam wahrnehmen soll, dann ist die Verwaltungsrechtswissenschaft auf die Erkenntnisse anderer Wissenschaften angewiesen. Das gilt zum einen für die Natur- und Technikwissenschaften. Ein Informationsverwaltungsrecht (→ 6/3 ff.) und ein Risikoverwaltungsrecht (→ 3/92 ff.) lassen sich ohne intensive Beschäftigung mit den einschlägigen Fachdisziplinen nicht entwickeln. Das Recht kann der Eigendynamik der Technik nur dann etwas entgegensetzen, wenn es deren Antriebskräfte und Mechanismen versteht. Offenheit ist aber auch gegenüber den Wirtschafts- und Sozialwissenschaften angesagt93. Die Trennung von Sein und Sollen rechtfertigt keinen selbstgenügsamen juristischen Methodenkanon94. Verwehrt ist nur der ungefilterte und unreflektierte Import fremder Theoreme. Dem kann jedoch mit dem Kontrollraster 92
Vgl. dazu die Beiträge in: Schmidt-Aßmann/Hoffmann-Riem, Verwaltungsorganisationsrecht als Steuerungsressource; Schuppert, Verwaltungswissenschaft, S. 544 ff.
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Erstes Kapitel: System und Systembildung im Verwaltungsrecht
eines „differenziert integrativen Methodenverständnisses“ (Voßkuhle) entgegengewirkt werden, das in plausiblen Prüfungsschritten Anlaß, Umfang und Folgen der Rezeption fremden Wissens analysiert und methodisch bewußt hält95. Zu beachten ist, daß Sozial- und Wirtschaftswissenschaften ihrerseits keinem einheitlichen Methodenkonzept folgen. Empirische, analytische und normative Methodenansätze gehen hier vielmehr weit auseinander. Verständigungs- oder gar Rezeptionsbemühungen von juristischer Seite müssen diese Aussagenunterschiede zur Kenntnis nehmen. – Bei den empirischen Aussagen tritt das relativ klar zutage. Sie werden, sofern sie überhaupt im Rahmen juristischer Argumentation wahrgenommen werden, üblicherweise dem Bereich der Rechtstatsachen zugeschlagen96. Wie diese wirken sie bisher vorrangig in rechtspolitischen Diskussionen. Eine wesentlich größere Bedeutung erlangen sie, wenn man mit der strukturierenden Rechtslehre auch den (sach- und fallbezogenen) Normbereich als zentralen Konkretisierungsbereich behandelt97. – Bei analytischen Aussagen der Sozialwissenschaften muß methodisch vor allem ihre spezifische Aussageweise beachtet werden. Sie stellen etwas fest; aber sie sagen nichts darüber, was sein soll. Der auf normative Aussagen ausgerichtete Jurist muß sich hier vor Überinterpretationen hüten. Andernfalls kommt es zu unreflektierter Rezeption von Aussagen, die schon nach ihren eigenen Maßstäben so nicht verstanden sein wollen. – Am einfachsten sollte es methodisch sein, sich auf der Ebene der normativen Aussagen aufeinander zuzubewegen. Zu verlangen ist jedoch, daß die unterschiedlichen Ausgangspunkte, von denen her die Normativität konstruiert ist, beachtet werden. Wirtschaftlichkeit z.B. ist zwar ein Tatbestandsmerkmal zahlreicher Gesetze und hat folglich eine juristische Normativität (→ 6/66). Das besagt jedoch nicht, daß dafür dieselben Annahmen prägend sind, wie sie die Wirtschaftswissenschaften mit der Modellvorstellung des homo oeconomicus entwickelt haben (→ 1/43–44). Insgesamt kann eine methodisch reflektierte Einbeziehung ökonomischer Bewertungsmaßstäbe zu argumentativ besser aufbereiteten Rechtsentscheidungen führen, als sie die handgestrickte Praxis der üblichen Verhältnismäßigkeitsbeurteilungen zu bieten vermag.
93
94 95 96 97
Vgl. nur Hoffmann-Riem (Hrsg.), Sozialwissenschaften im öffentlichen Recht, S. 3 ff.; ders., DV 1999, Beiheft 2, S. 83 ff.; ausf. Bumke, in: Schmidt-Aßmann/HoffmannRiem, Methoden der Verwaltungsrechtswissenschaft, S. 73 ff. Vgl. Möllers/Voßkuhle, DV 2003, S. 321 (329). Voßkuhle, in: Bauer/Czybulka/Kahl/Voßkuhle, Umwelt, Wirtschaft und Recht, S. 171 (188 ff.). Zur Rechtstatsachenforschung Voßkuhle, VerwArch 1994, S. 567 ff. Müller/Christensen, Juristische Methodik I, S. 297 ff.
B. Verwaltungsrechtswissenschaft als Steuerungswissenschaft
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3. Unterschiedliche Methoden administrativer Rechtskonkretisierung 48 Jede verwaltungsrechtliche Methodenlehre muß von den Entscheidungssituationen der Exekutive ausgehen. Genauere Analyse zeigt, daß diese Situationen sehr unterschiedliche Gestalt haben, je nachdem welche Art von Recht die Verwaltung anwendet, in welchem organisatorischen Kontext dieses geschieht und welches der prägende Aufgabenbezug ist (→ 1/46). Es gibt folglich kein Einheitsmodell „der“ Rechtskonkretisierung. Der verhandelnden Verwaltung stellen sich andere Probleme als der Vollzugsverwaltung98. Beide unterscheiden sich wiederum von Situationen der administrativen Normsetzung. Methodisch können diese Tatbestände nicht über einen Leisten geschlagen werden. Auf der anderen Seite müssen Methoden den Argumentationshaushalt überschaubar halten. Das verlangt, daß sie auch in ihren Anwendungsvoraussetzungen identifizierbar und in ihren einzelnen Schritten für die Praxis handhabbar sind (→ 1/45). Folglich führt kein Weg daran vorbei, die Vielfalt denkbarer Rechtsanwendungssituationen auf einige Hauptmodelle zu reduzieren. – Das Grundmodell ist nach wie vor durch die Begriffe der Interpretation, der Tatsachenfeststellung und der Subsumtion zu bestimmen. Die verwaltungsrechtliche Methodik darf in diesem Punkte traditioneller sein als eine auf das Verfassungsrecht ausgerichtete und an verfassungsgerichtlichen Entscheidungen orientierte juristische Methodenlehre – mehr noch: Sie muß es sogar sein; denn das einfache Methodenmuster besitzt für die Verwaltung eine notwendige Disziplinierungsfunktion, indem es sie zwingt, sich mit den Rechtstexten intensiv auseinanderzusetzen. Daran festzuhalten ist ein Gebot praktischer Jurisprudenz. Dieses Grundmodell wird später im Zusammenhang mit der Rechtsbindung der Exekutive gem. Art. 20 Abs. 3 GG dargestellt (→ 2/9–19). – Ein komplexeres Modell ist dort verlangt, wo die Exekutive offene Gesetzestatbestände, d.h. Abwägungs-, Gestaltungs- und Einschätzungsermächtigungen auszufüllen hat. Komplexe Situationen sind die Situationen administrativer Planung, Normsetzung und Risikoabschätzung; auch Regulierungsaufgaben gehören hierher. Sie alle sind dadurch gekennzeichnet, daß eine Vielzahl von Interessen zu berücksichtigen und unsichere Fern- und Folgewirkungen zu bedenken sind. Dem wird bei der Darstellung des Verwaltungsermessens nachgegangen werden (→ 4/46–53). – Wenn man für die verwaltungsrechtliche Methodenlehre die unterschiedlichen Entscheidungssituationen deutlicher herausstellt, dann wird es auch notwendig, über eine eigene Methode für Kontrollsituationen und Kontrollinstanzen nachzudenken99. Das soll später für die Gerichtskontrolle, die bisher der zentrale Bezugspunkt verwaltungsrechtlicher Systembildung war und auch künftig eine wichtige Rolle einnehmen wird, entwickelt werden (→ 4/62–70). 98 99
Dazu Schmidt-Aßmann, in: FS für Brohm, S. 547 ff. Vgl. dazu die Beiträge in: Schmidt-Aßmann/Hoffmann-Riem, Verwaltungskontrolle.
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Erstes Kapitel: System und Systembildung im Verwaltungsrecht
4. Speziell: Wirksamkeitsurteile im Recht 49 An dieser Stelle zu besprechen ist der methodenbewußte Umgang mit Wirksamkeitsfragen im Verwaltungsrecht. Dieses Problem wird dringlicher. Der steuerungswissenschaftliche Ansatz macht hier nur deutlich, was in der Judikatur des Bundesverfassungsgerichts bereits angelegt ist: Als ein Schlüsselbegriff für die gesamte Lehre von der Verwaltungslegitimation hat sich der Begriff des „Legitimationsniveaus“ erwiesen (→ 2/98–99). Parallel dazu wird in der Kontrolllehre von einem „Kontrollniveau“ gesprochen (→ 4/88). Legitimationsniveau und Kontrollniveau sind keine subsumtionsfähigen Begriffe. Sie setzen komplexe Bewertungen voraus, die mit dem Urteil „hinreichend“, nicht aber „rechtmäßig“ oder „rechtswidrig“ enden. Gleichwohl geht es um verwaltungsrechtliche Fragen, die sich nicht in die Politik- oder Verwaltungswissenschaft abschieben lassen. Wenn man anerkennt, daß das einfache Modell „Gesetz − Vollzugsakt“ die Vielfalt der Verwaltungsentscheidungen nur noch teilweise erfaßt (→ 4/41–42), dann muß man sich auch darum bemühen, die Methoden der Verwaltungsrechtswissenschaft darauf einzustellen.
a) Methode der „inneren“ Prozeduralisierung Für komplexe Anwendungssituationen muß ein prozeduraler Methodenansatz gewählt werden. Interessanterweise lassen sich dafür in der Rechtsprechung bereits Beispiele finden. So spielen in der Dogmatik der planerischen Abwägung die Fragen des „Abwägungsvorgangs“ eine besondere Rolle. Damit ist nicht der äußere Ablauf des Planungsverfahrens gemeint. Vielmehr geht es um ein „inneres“ Verfahren, d.h. ein gedankliches Konstrukt, das die Verwaltung auf die Einhaltung bestimmter prozedural gedachter Rationalitätsstandards festlegt, z.B. die vollständige Erfassung der nach Lage der Dinge betroffenen Interessen, das Gebot distanzierter Abwägung etc.100. Einer ähnlichen Idee folgt die Umweltverträglichkeitsprüfung. Die Prüfung besteht, nachdem die Behörde das äußere Verfahren, d.h. vor allem die Beteiligung der Öffentlichkeit und anderer Behörden durchlaufen hat (§§ 7–9a UVPG), darin, daß die ermittelten Umweltauswirkungen „dargestellt“, „bewertet“ und „berücksichtigt“ werden (§§ 11, 12 UVPG). Auch hier zeigt sich eine innere Prozeduralisierung, die die Darstellung von der Herstellung der Entscheidung trennt und letztere an besondere Sorgfaltsregeln bindet101.
100 101
BVerwGE 45, 309 (315). Dazu Hoffmann-Riem, in: Schmidt-Aßmann/Hoffmann-Riem, Methoden der Verwaltungsrechtswissenschaft, S. 9 (19 ff.); Trute, dort S. 293 ff.
C. Die Europäisierung des Verwaltungsrechts
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b) Substantielle Wirksamkeitsbewertungen Allerdings werden sich die Wirksamkeitsfragen nicht allein prozedural lösen lassen. Auch substantielle Aussagen sind gefordert. – Dabei ist zunächst zu berücksichtigen, daß Wirksamkeitsurteile regelmäßig in einem bestimmten rechtsnormativen Zusammenhang getroffen werden, z.B. über das Legitimationsniveau einer bestimmten Instanz oder die Wirksamkeit eines bestimmten prozessualen Instruments. Der normative Verwendungskontext legt die juristische Perspektive fest. Dadurch werden die möglichen Bewertungskriterien reduziert. Ein erster methodischer Schritt muß also darin bestehen, die einschlägigen Kriterien herauszuarbeiten. – In einem zweiten Schritt sind Wirksamkeitsindikatoren zu ermitteln. Hier spielen häufig eigene Erfahrungen und Plausibilitätserwägungen eine Rolle. Bei der Bewertung des „Legitimationsniveaus“ z.B. geht das Bundesverfassungsgericht so vor, daß es die gesetzlichen Bestimmungen referiert, dabei vor dem richterlichen Auge Revue passieren läßt und dann eine (wenig begründete) Feststellung darüber trifft, inwieweit das gesetzlich vorgezeichnete Entscheidungsgefüge den Anforderungen des Art. 20 Abs. 2 GG genügt. Methodisch exakter ist es, die Erfahrungsbestände aufzuschlüsseln und dabei Erkenntnisse der Organisationswissenschaften und der Institutionenökonomik heranzuziehen102: Transaktionskostenansatz und Principal-Agent-Theorie lehren, die organisationsspezifischen Vorgänge der Informationsbeschaffung und -verarbeitung sowie deren Kontrolle besser zu verstehen. Sie ermöglichen substantielle Wirksamkeitsurteile (→ 5/14).
C. Die Europäisierung des Verwaltungsrechts und die Entwicklung eines Europäischen Verwaltungsverbundes 50 „Europäisierung“ des Verwaltungsrechts heißt die Beeinflussung, Überlagerung und Umformung der nationalstaatlichen Verwaltungsrechtsordnungen durch europäisches Rechtsdenken und Rechtshandeln. Ihre Einflußpfade sind vielfältig103: Sie verlaufen horizontal zwischen den Rechtsordnungen der Staaten und vertikal zwischen den internationalen und supranationalen europäischen Organisationen und ihren Mitgliedsländern. Die Europäisierung ist ein seit Jahren fortschreitender Prozeß. Die Rechtsentwicklung nimmt mit ihr das gesteigerte Maß wirtschaftlicher, sozialer, technischer, kultureller und administrativer Verflechtungen zwischen den Völkern und Staaten auf und gestaltet sie 102 103
Vgl. Schuppert, Verwaltungswissenschaft, S. 563 ff., bes. 575 ff. und 621 ff.; ders., DV 2001, Beiheft 4, S. 201 (223 ff.). Vgl. Ress, in: J. Burmeister, Verfassungsrechtliche Stellung der Verwaltung, S. 199 ff.; Schmidt-Aßmann, in: FS für Lerche, S. 513 ff.; kulturstaatlich ausgreifend Häberle, Europäische Rechtskultur, S. 9 ff.
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Erstes Kapitel: System und Systembildung im Verwaltungsrecht
mit104. Die folgenden Untersuchungen konzentrieren sich auf den Verwaltungsraum der Europäischen Union, speziell auf die Verwaltungssituation in der Europäischen Gemeinschaft. Dieses ist der Kernbereich der Europäisierung, der durch Einwirkungen des Rechts (I), aber auch durch Änderungen in den Strukturen des Verwaltungshandelns gebildet wird (II).
I. Europäisierung des Rechts 51 Das auf die mitgliedstaatlichen Verwaltungsrechtsordnungen einwirkende EG-Recht nennen wir Gemeinschaftsverwaltungsrecht und trennen es von dem für die EG-Administration selbst geltenden Eigenverwaltungsrecht (→ 7/14, 17). Seine vertraglichen Grundlagen sind der unmittelbare Geltungsanspruch und der Anwendungsvorrang des EG-Rechts sowie die Schlüsselstellung des Europäischen Gerichtshofs nach Art. 220 EG. In seinen Erscheinungsformen teils legislativ gesetztes Recht, teils Richterrecht, verfolgt das Gemeinschaftsverwaltungsrecht zwei Ziele105: Zum einen sollen die mitgliedstaatlichen Exekutiven auf einen gleichmäßigen, wirksamen Vollzug verpflichtet werden, der die Grundlage des Verwaltungskonzepts für den Gemeinschaftsraum bildet (→ 7/21–22). Zum anderen will es inhaltliche Änderungen des nationalen Rechts im Sinne einer Harmonisierung bestehenden oder der Ausbildung neuen Rechts erreichen. Während das erste Ziel rechtspraktisch angelegt ist, geht es dem zweiten um Rechtsinnovation.
1. Einwirkungsbereiche 52 Gemeinschaftsverwaltungsrecht ist in Rechtsakten aller Rangstufen und Typen präsent, die das EG-Recht kennt. Neben Bestimmungen des Primärrechts, z.B. Art. 34, 85–89 EG, und dem Richterrecht sind Verordnungen und Richtlinien zentrale Gestaltungselemente der Europäisierung. Bei den Verordnungen verwaltungsrechtlichen Inhalts (Art. 249 Abs. 2 EG) dominierten bisher bereichsspezifische Regelungen, z.B. des Agrarrechts oder des Sozialrechts. Verordnungen zu Gegenständen des allgemeinen Verwaltungsrechts waren in der Vergangenheit selten, punktuell und ohne übergreifendes Konzept. Hier zeichnen sich jedoch Wandlungen ab: Ausgreifendere bereichsspezifische Ansätze werden zu Teilkodifikationen, die eine natürliche Ausbreitungstendenz entfalten. Im Zollkodex von 1992 mit seinen Regelungen zur Rechtsform der Entscheidung (Art. 6 ff.), zum Zollverfahren (Art. 84 ff.) und zum innerstaatlichen Rechtsschutz
104 105
Vgl. Kreuzer/Scheuing/Sieber, Europäisierung der Rechtsordnungen, pass.; zur Entwicklungsrichtung Haltern, in: v. Bogdandy, Europäisches Verfassungsrecht, S. 803 ff. Ausführlich Scheuing, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann, Innovation und Flexibilität, S. 289 ff. mit der Unterscheidung der „Instrumentalisierung“ (S. 298 ff.) und „Umorientierung“ des nationalen Rechts durch das EG-Recht (S. 331 ff.).
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(Art. 243 ff.) wird ein erster Schritt auf dem Weg zu einem kodifizierten einheitlichen Europäischen Verwaltungsrecht gesehen106. 53 Die wichtigste Darstellungsform des Gemeinschaftsverwaltungsrechts ist derzeit die Richtlinie (Art. 249 Abs. 3 EG). Was sich unter dem Titel der Rechtsangleichung durch Richtlinienrecht vollzieht, ist längst nicht mehr eine Vereinheitlichung einzelner kleiner Bereiche des Fachrechts. Heute existieren Richtlinienwerke, die die strukturbestimmenden Merkmale der mitgliedstaatlichen Verwaltungsrechtsordnungen verändern. Ihre ursprüngliche Aufgabe, den nationalen Gesetzgebern Umsetzungsvorgaben zu machen, hat sich um zwei Funktionen erweitert107: Richtlinien sind zugleich Auslegungsdirektiven und gemäß der Rechtsprechung zur unmittelbaren Wirkung nicht oder nicht rechtzeitig umgesetzter Richtlinien ein die Bindung an das nationale Gesetz überlagernder, unmittelbarer Maßstab für alle mitgliedstaatlichen Verwaltungen (→ 2/12). Das EG-Recht ist auf diese Weise heute zu einer allgegenwärtigen Größe im Verwaltungsalltag geworden. Es erfaßt nicht mehr nur die darauf spezialisierten Fachverwaltungen, sondern kann für jeden Vorgang jeder Behörde bis in die feinsten Verästelungen kommunaler Verwaltungstätigkeit Bedeutung erlangen108. 54 Im besonderen Verwaltungsrecht läßt sich dieser Befund am Umweltrecht belegen109: Neben den Einflüssen auf das Naturschutz-, Wasser-, Gefahrstoff- und Immissionsschutzrecht hat das EG-Recht wesentliche Elemente eines allgemeinen Teils des Umweltrechts in den mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen geschaffen. Die Richtlinien zur Umweltverträglichkeitsprüfung110, zur Zugänglichkeit von Umweltinformationen111 und zu integrierten Genehmigungsverfahren112 sowie die EMAS II-Verordnung113 verfolgen ein verändertes Konzept umweltrechtlicher Steuerungsinstrumente, in dem eine informierte Öffentlichkeit und der Gedanke der Selbstregulierung das traditionelle Konzept staatlicher Kontrollverantwortung wenigstens teilweise ersetzen sollen (→ 6/143–150). Auch in der Rechtsprechung des EuGH zum Umweltschutz geht es neben der Einflußnahme auf spezielle Sachgebiete zugleich um den Durchgriff auf allgemeine Institute des Verwaltungsrechts, z.B. auf die Rechtsform der Verwaltungsvorschrift (→ 6/89). 55 Im allgemeinen Verwaltungsrecht steht das Verwaltungsverfahrensrecht, stehen vor allem die Bestandskraft von Verwaltungsakten und das Verfahren ihrer 106 107 108
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Verordnung (EWG) Nr. 2913/92. Dazu Jarass, Innerstaatliche Bedeutung des EG-Rechts, S. 67 ff. Anschaulich die Beiträge in: Bergmann/Kenntner, Deutsches Verwaltungsrecht unter europäischem Einfluß; rechtsvergleichend Schwarze, Verwaltungsrecht unter europäischem Einfluß, bes. S. 789 ff. (Zusammenfassung). Rengeling, Handbuch des deutschen und europäischen Umweltrechts (EUDUR), 3 Bde. Richtlinie 85/337/EWG. Richtlinie 2003/4/EG. Richtlinie 96/61/EG. Verordnung (EG) Nr. 761/2001.
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Rücknahme schon seit längerer Zeit unter dem Einfluß des EG-Rechts114. Die Autonomie des dabei zu beachtenden nationalen Verwaltungsverfahrensrechts ist immer mehr von gemeinschaftsrechtlichen Rechtsgrundsätzen durchwirkt worden115. Die jüngere Rechtsentwicklung bezieht das Staatshaftungsrecht116 und den einstweiligen Rechtsschutz ein117. Änderungen erfährt auch das Privatrecht der Verwaltung, insbesondere das Recht des öffentlichen Vergabewesens118. Insgesamt läßt sich feststellen: Das Verwaltungsorganisationsrecht und die Rechtsquellenlehre, die Rechtsformen des Verwaltungshandelns, die Fehlerfolgenlehre, die allgemeinen Rechtsgrundsätze, das Verwaltungsverfahren und schließlich das Konzept des Verwaltungsrechtsschutzes – sie alle sind „in das Gravitationsfeld des Gemeinschaftsverwaltungsrechts geraten“119.
2. Systemprägende Vorgaben 56 Zwei Themen sind besonders herauszustellen: die Einflüsse der Europäisierung auf die Stellung der Exekutive und auf das Verhältnis des Bürgers zur Verwaltung.
a) Zur Stellung der Exekutive 57 Veränderungen zeichnen sich für die Stellung der mitgliedstaatlichen Verwaltung innerhalb ihres Verfassungsgefüges ab. Das zeigt sich zum einen in ihrem Verhältnis zum Gesetz. Das EG-Recht hat die Zahl der Bindungsmaßstäbe erheblich erhöht und wird das auch künftig tun (→ 2/12). Dem parlamentarischen Gesetz wird dadurch ein Teil seiner bisherigen Steuerungsmöglichkeiten streitig gemacht. Der in jeden Verwaltungsvorgang hineinwirkende Geltungsanspruch des EG-Rechts birgt zudem die Gefahr einer weiteren Lockerung der Rechtsbindung in sich120, weil die Normen des EG-Rechts oft in besonderem Maße unbestimmt und mit Auslegungszweifeln behaftet sind, ohne daß der Verwaltung Möglichkeiten einer verbindlichen Klärung von Geltungs- und Interpretationsstreitigkeiten zur Verfügung stehen (→ 2/12, 19). Beachtlich ist zum zweiten eine inhaltliche Verschiebung. Hatten schon bisher die wirtschafts- und sozialgestaltenden Aufgaben mit ihren offenen Programmen zu einer deutlichen Ausweitung der administrativen Verantwortung geführt, so 114
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Ladeur, EuR 1995, S. 227 (231 ff.); Ehlers, in: Erichsen/Ehlers, Verwaltungsrecht, § 3 Rn. 55 ff.; Maurer, Verwaltungsrecht, § 2 Rn. 31 f.; Schmidt-Aßmann, in: FG 50 Jahre Bundesverwaltungsgericht, S. 487 (493 ff.); Wahl, DVBl 2003, S. 1285 ff. Vgl. nur EuGHE 1997, 1769 ff.; BVerwGE 106, 328 ff. Pfab, Staatshaftung, S. 99 ff.; v. Bogdandy, AöR 1997, S. 268 ff.; Detterbeck, AöR 2000, S. 202 ff.; Schoch, in: FS für Maurer, S. 759 ff. Schoch, in: FG 50 Jahre Bundesverwaltungsgericht, S. 507 (526 ff.). Vgl. nur Pietzcker, Die Zweiteilung des Vergaberechts, pass. So das Resümee bei v. Danwitz, Verwaltungsrechtliches System, S. 334. Ebenso v. Danwitz, Verwaltungsrechtliches System, S. 204 ff.
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wird sich diese Entwicklung unter der Herrschaft des umfassenden Integrationsziels einer Wirtschafts- und Währungsunion (Art. 2 EG) beschleunigen. Die Europäische Gemeinschaft ist nicht nur eine Rechtsgemeinschaft, sondern auch eine „gouvernementale Verwaltungs- und Politikgemeinschaft“121. Ihre Rechtsakte sind auch dort, wo sie heute unter maßgeblicher Beteiligung des Europäischen Parlaments ergehen, vorrangig durch die Exekutiven bestimmt. Das führt notwendig zu einer Verschiebung der Legitimationsgrundlagen. Das Gewaltenteilungsprinzip, unter dessen Flagge die mitgliedstaatlichen Verwaltungsrechtsordnungen diese Thematik traditionell zu behandeln pflegen, wird um neue Varianten der Balancierung ergänzt (→ 4/6; 7/43).
b) Zur Stellung des Unionsbürgers 58 Das deutsche Verwaltungsrecht ist in seinem Denken auf den materiellen Rechtsstatus des Individuums konzentriert. Grundrechtsbindung (Art. 1 Abs. 3 GG) und Rechtsschutzgarantie (Art. 19 Abs. 4 GG) bilden die verfassungsrechtliche Basis dieses Konzepts. Demgemäß ist das subjektive öffentliche Recht ein Angelpunkt der gesamten Systematik (→ 2/69). Die hohen Schutzstandards, die Verwaltungsrecht und Verwaltungsgerichtsbarkeit dem Individuum bieten, sind ein Gütesiegel des grundgesetzlichen Verwaltungsrechts geworden. Auch für das Verwaltungsrecht der EG ist der Rechtsstatus des Unionsbürgers eine wichtige Determinante (→ 7/29–30, 34–37); doch wird er im Gemeinschaftsverwaltungsrecht weniger stark individual-zentriert verstanden. Das zeigt sich an zwei Punkten122: 59 Klagebefugnisse, die dem einzelnen gegenüber den Mitgliedstaaten bei der Umsetzung von EG-Recht eingeräumt werden müssen, stellen in weit geringerem Maße auf materielle Interessenwertungen ab, als es im deutschen Recht üblich ist (→ 2/69, 74). Zwar vermeidet auch das EG-Recht Popularklagen. Doch kann die Betroffenheit, die die Klagebefugnis auslösen soll, schon aus einem recht unspezifischen allgemeinen Interesse abgeleitet werden. Sie umfaßt alle Fälle, in denen Normen des Gemeinschaftsrechts eindeutige und unbedingte Verpflichtungen der Mitgliedstaaten festlegen, die ihrem Wesen nach geeignet sind, unmittelbare Rechtsbeziehungen zwischen Mitgliedstaaten und dem einzelnen zu erzeugen123. Treffend spricht Friedrich Schoch von einem „Konzept funktionaler Subjektivierung“. Der Unionsbürger wird auf diese Weise jedenfalls bisher mit seinen Klagemöglichkeiten stärker in den Dienst einer wirksamen Umsetzung des EG-Rechts gestellt. Die Intensivierung des gemeinschaftseigenen Grundrechts121 122 123
Dazu Brenner, Gestaltungsauftrag der Verwaltung, bes. S. 217 ff. v. Danwitz, Verwaltungsrechtliches System, S. 230 ff.; Masing, Mobilisierung des Bürgers, S. 21 ff. Schoch, in: FG 50 Jahre Bundesverwaltungsgericht, S. 507 (517); von einer „überaus großzügigen Rechtsverleihungspraxis“ spricht Eilmansberger, Rechtsfolgen und subjektives Recht, S. 197.
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schutzes zeigt freilich auch, daß sich die Konzepte künftig annähern werden (→ 2/55)124. 60 Stärker auf eine objektiv-rechtliche Ausrichtung angelegt ist das Gemeinschaftsverwaltungsrecht in seiner gezielten Einbeziehung der Öffentlichkeit in das Konzept der Verwaltungskontrollen. Besonders ausgeprägt ist das im Umweltrecht zu beobachten (→ 6/145–146). Das Recht trägt dafür Sorge, daß die Öffentlichkeit informiert wird, und erwartet von ihr, daß sie sich für Umweltbelange engagiert und auf diese Weise zur Durchsetzung der Vorgaben des Gemeinschaftsrechts in den Mitgliedstaaten beiträgt. „Umsetzung und Ausgestaltung des gemeinschaftlichen Umweltrechts sollen nicht in das Arkanum nationaler Verwaltungsbehörden gehüllt werden können, sondern durch die Beteiligung wachsamer Bürger öffentlich gemacht werden. Man will die Verantwortung nicht allein dem staatlichen Exekutivapparat überlassen, sondern die Bürger selbst als Sachwalter der Umwelt mobilisieren“125. In ihren Aktionsprogrammen zum Umweltschutz weist die Gemeinschaft dieses Konzept einer informierten Öffentlichkeit als einen zusätzlichen Steuerungs- und Kontrollmechanismus aus126.
II. Europäisierung der Verwaltungsstrukturen 61 Das Verwaltungsrecht ändert sich unter europäischem Einfluß jedoch nicht nur durch Vorgaben des Rechts. Es ändert sich auch, weil sich mit der zunehmenden Verflechtung der europäischen Wirtschafts- und Sozialbeziehungen neue Verwaltungsaufgaben, neue Handlungsmöglichkeiten und neue Denkweisen der Verwaltung entwickeln. Immer mehr Verwaltungsvorgänge entfalten grenzüberschreitende Wirkungen und verlangen nach verwaltungsrechtlicher Bewältigung auch jenseits der Grenzen des Ursprungslandes. Das Sozialversicherungsrecht und das Recht der grenzüberschreitenden Umweltauswirkungen, vor allem aber das Wirtschaftsrecht, das Kartellrecht ebenso wie das Produktrecht und das Recht der Technischen Normung, bieten dafür Beispiele. Die Europäisierung des Verwaltungsrechts besteht folglich nicht nur in der Harmonisierung der Dogmen und Wertannahmen, sondern auch in einer Veränderung der Organisations- und Handlungsstrukturen. Zwischen den beteiligten Administrationen entwickelt sich ein Informations-, Handlungs- und Kontrollverbund, in dem man Grundzüge einer Europäischen Verwaltung erkennen kann127.
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Gegen einen dauerhaften Dualismus der Regelungsregime zutr. P. M. Huber, in: FS für Maurer, S. 1165 ff.; zu unterschiedlichen Rechtsschutzkonzeptionen in Europa allgemein Groß, DV 2000, S. 415 ff. So Masing, Mobilisierung des Bürgers, S. 33. Schmidt-Aßmann/Ladenburger, in: EUDUR, Bd. 1, § 18 Rn. 7 ff. Schmidt-Aßmann, in: FS für Steinberger, S. 1375 ff.
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1. Aufgaben der Wirtschaftslenkung 62 Die Gemeinschaft ist als Wirtschaftsgemeinschaft gegründet worden. Sie soll eigengesetzlichen Wirtschaftsvorgängen in einem Markt ohne Binnengrenzen Raum geben. Die Grundfreiheiten sind Marktfreiheiten: freier Warenverkehr, Freizügigkeit der Arbeitnehmer, freier Dienstleistungs- und Kapitalverkehr128. Das prägt auch das gesamte administrative Handeln und Denken. Die Verwaltung wird beaufsichtigend und lenkend vor allem als Wirtschaftsverwaltung tätig. Nicht zufällig sind Kartellaufsicht (Art. 81 ff. EG) und Beihilfeaufsicht (Art. 87 ff. EG) die wichtigsten Bereiche, in denen die Gemeinschaft nach den Gründungsverträgen zu eigener Verwaltung befugt ist. Natürlich haben die späteren Erweiterungen der Politikbereiche auch andere administrative Aufgaben nach sich gezogen, z.B. auf dem wichtigen Felde der Umweltpolitik (Art. 6 EG). Aber die Gewährleistung einer offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb ist nach wie vor der vorherrschende Ansatz (Art. 4 Abs. 1 EG)129. Das öffentliche Unternehmensrecht des Art. 86 EG und die Vorschriften über Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse (Art. 16 EG), die die überkommene Daseinsvorsorge als „Grundversorgung möglichst im Wettbewerb“ verstehen130, unterstreichen diese Ausrichtung. Jeder Steuerungsanspruch muß sich folglich von vornherein auf eine breit angelegte Zusammenarbeit mit Wirtschaft und Verbänden einstellen (→ 3/118–122). Die Einbeziehung privaten Sachverstandes und private Normierungstätigkeit erscheinen – zumal angesichts nur begrenzter eigener Kapazitäten der EG-Administration – daher als natürliche Ergänzungen. Diese Linie setzt sich beim indirekten Vollzug des Gemeinschaftsrechts durch die mitgliedstaatlichen Verwaltungen fort. Das Zertifizierungskonzept im Produktsicherheitsrecht131 und die rekursiven Instrumente der Umweltpolitik wie z.B. das Öko-Audit132 sind Ausdruck einer doppelschichtigen Kooperation zwischen den beteiligten Verwaltungen der Mitgliedstaaten und der Gemeinschaft einerseits und zwischen Verwaltung und Wirtschaft andererseits. Aus grenzüberschreitender Amtshilfe und Verfahrenskooperation, aus gegenseitigen Informationsmechanismen und aus übergreifenden Instituten, z.B. der Anerkennung der Gleichwertigkeit bestimmter Qualitätsatteste, bildet sich eine ganz neue Schicht von Verwaltungsvorgängen, die spezifische Rechtsanforderungen stellt (→ 7/18–19, 49–51). 128
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Dazu Müller-Graff, EuR 2002, Beiheft 1, S. 7 ff.; Hatje, in: v. Bogdandy, Europäisches Verfassungsrecht, S. 683 ff.; zu Weiterungen vgl. auch Langer, Grundlagen einer internationalen Wirtschaftsverfassung, pass. Ähnlich Streinz, WiVerw 1996, S. 129 (130); Müller-Graff, EuR 2002, Beiheft 1, S. 7 ff. Storr, DÖV 2002, S. 357 (364 ff.); ders., Der Staat als Unternehmer, S. 255 ff.; ähnlich Weiß, EuR 2003, S. 165 ff.; im Ergebnis auch R. Schmidt, Staat 2003, S. 225 ff. Dazu die Mitteilung der Kommission vom 15.6.1989: „Ein globales Konzept für Zertifizierung und Prüfwesen“, ABl Nr. C 267 S. 3 ff.; grundlegend Röhl, Akkreditierung und Zertifizierung. Dazu Ewer, in: EUDUR, Bd. 1, § 36.
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2. Europäische Verwaltung als Informations-, Handlungsund Kontrollverbund 63 Nach den Gemeinschaftsverträgen sind Anwendung und Durchsetzung des Gemeinschaftsrechts primär Aufgabe der Mitgliedstaaten. Dieses Konzept setzt, wenn es wirksam arbeiten soll, ein ausgebautes System administrativer Kooperation voraus (→ 7/10–11)133. Die Kooperationsbeziehungen verlaufen vertikal zwischen EG-Verwaltung und Mitgliedstaaten, aber auch horizontal zwischen den mitgliedstaatlichen Verwaltungen134. Sie haben in wichtigen Bereichen – im Agrar- und im Zollrecht, bei der Technischen Normung, bei der Produktzulassung und der Lebensmittelsicherheit, im Kartellrecht und bei der Strukturfondsförderung – eine Dichte erreicht, daß von einer sich entwickelenden Europäischen Verwaltung gesprochen werden kann. Das ist nicht organisatorisch-institutionell, sondern funktionell zu verstehen. Europäische Verwaltung bezeichnet einen Informations-, Handlungs- und Kontrollverbund. Grundlage des Verbundes sind und bleiben die Verwaltungen der Mitgliedstaaten. In der Vielfalt ihrer Aufgaben und Erscheinungsformen bilden sie den rocher de bronze jeder Verwaltung des Unionsraumes. Funktionell aber sind sie in ein Netzwerk eingebunden, das die Verwaltungseinheiten beider Ebenen, EG-Instanzen und nationale Stellen, umgreift und nach einem „Kern-Schalen-Modell“ aufgebaut ist (→ 7/4–5): – Das Zentrum dieses Modells bilden die direkten Kooperationsbeziehungen zwischen der EG-Kommission und den entsprechenden mitgliedstaatlichen Instanzen. – Flankierend hinzu treten einerseits die Europäischen Agenturen und andererseits das Ausschußwesen der Gemeinschaft. In beiden Teilsystemen haben sich eigenständige Formen multilateraler Zusammenarbeit entwickelt, in der Komitologiepraxis ebenso wie in den Verwaltungsräten der Agenturen und Ämter. In einem weiten Sinne zum Verwaltungsverbund zu rechnen sind schließlich die europäischen Normungsorganisationen und die im Vollzug der Normung tätigen Netze der zertifizierenden („benannten“) Stellen135. Organisatorisch geht es hier um gesellschaftliche Selbstregulierung (→ 3/55–57). In einem funktionellen Sinne jedoch gehören diese Phänomene zum Bild der Europäischen Verwaltung, die stärker als die meisten nationalen Verwaltungen an ihren Rändern zum gesellschaftlichen Bereich hin offen ist.
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Mit weit. Nachw. Sydow, DV 2001, S. 517 ff. Vgl. nur Sommer, Administrative Informationsverfahren im Europäischen Umweltrecht, S. 100 ff. Dazu Röhl, Akkreditierung und Zertifizierung, S. 3 ff.
C. Die Europäisierung des Verwaltungsrechts
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III. Ein „Europäischer Entwicklungszusammenhang“ 64 Die Folgen der Europäisierung für das nationale Verwaltungsrecht sind oft beschrieben136 und kritisch gewürdigt worden137. Das Konzept der funktionellen Integration und die Finalstruktur des Gemeinschaftsrechts entfalten eine Dynamik, die manche vertraute Regelung des nationalen Verwaltungsrechts zu verschütten droht138. Die Entwicklung wird dadurch verstärkt, daß sich nach allen Erfahrungen die prägenden Wirkungen des EG-Rechts nicht auf die anpassungspflichtigen Bereiche begrenzen lassen, sondern auch andere Gebiete des nationalen Verwaltungsrechts unter einen faktischen Anpassungsdruck setzen. Dauerhaft werden sich in den Mitgliedstaaten z.B. nicht unterschiedliche Kriterien des Vertrauensschutzes für den Vollzug des Gemeinschaftsrechts und für sonstige Vollzugsvorgänge nebeneinander aufrechterhalten lassen. Gerade das allgemeine Verwaltungsrecht ist ein Mittler solcher „überwirkenden“ Veränderungseffekte139. Das aber veranlaßt zu besonderer Vorsicht. Harmonisierung darf nicht in Egalisierung umschlagen. 65 Andererseits muß klar gesehen werden, daß die Gemeinschaft und die Union als Rechtsgemeinschaften konzipiert sind und als solche agieren. Eine kategoriale Zäsur zwischen vertrautem Systemdenken und neuem Funktionsdenken existiert nicht. Die grundlegenden Wertannahmen und Rechtsinstitute sind in den Gründungsverträgen angelegt und seither weiter entfaltet worden: rechtssichernde Verfahren und Handlungsformen, materielle Rechte und ein wirksamer Gerichtsschutz (→ 7/28–37). Sie bieten dem mitgliedstaatlichen Verwaltungsrecht bekannte und anschlußfähige Bezugspunkte, ohne daß in jeder Hinsicht identische Gehalte, z.B. beim einstweiligen Rechtsschutz oder bei den Maßstäben der Verhältnismäßigkeit, erwartet werden dürfen. Gerade in den die unterschiedlichen Erfahrungen und Lösungsmodelle der Mitgliedstaaten nutzenden Akten des sekundären Gemeinschaftsrechts liegt ein großer Fundus für Rechtsinnovationen, die jedes Verwaltungsrechtssystem benötigt. Die Europäisierung bietet daher trotz mancher Übertreibungen des funktionalen Integrationskonzepts die Chance, neue Entwicklungsanstöße aufzunehmen und dabei die eigene Lernfähigkeit zu erhöhen140.
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Schwarze, Verwaltungsrecht unter europäischem Einfluß; Bergmann/Kenntner, Deutsches Verwaltungsrecht unter europäischem Einfluß; über die französische Sicht dieser Entwicklung informieren die Beiträge in: le Mire, Droit Administratif et Droit Communautaire, Sonderheft der AJDA, 1996. Rengeling, VVDStRL Bd. 53, S. 202 ff.; mit weit. Nachw. Schoch, JZ 1995, S. 109 ff.; ders., in: FG 50 Jahre Bundesverwaltungsgericht, S. 507 ff.; Schmidt-Aßmann, dort S. 495 ff.; Ruffert, DV 2003, S. 293 ff. v. Danwitz, Verwaltungsrechtliches System, bes. S. 187 ff. und 334 ff. Begriff bei Ladeur, EuR 1995, S. 227 (228). In diesem Sinne auch Ladeur, EuR 1995, S. 227 ff.; Classen, in: Kreuzer/Scheuing/ Sieber, Europäisierung der Rechtsordnungen, S. 107 (122); P. M. Huber, in: FS für Maurer, S. 1165 ff.
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66 Verwaltungsrechtliche Systembildung vollzieht sich in einem „Europäischen Entwicklungszusammenhang“, zu dem alle Rechtsordnungen beitragen (→ 7/46–52). Die Europäisierung darf also nicht als ein allein von oben nach unten verlaufender Vorgang begriffen werden. Sie ist ein alle Ebenen der Gemeinschaft und alle beteiligten Rechtsordnungen umfassender reziproker Entwicklungsprozeß. Anpassung und Harmonisierung des nationalen Rechts können nicht verlangt werden, ohne daß die mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen selbst in den Blick genommen und das Maß notwendiger Vereinheitlichung unter Abwägung der positiven und negativen Effekte bestimmt werden. Vieles von dem, was das EG-Recht an Regelungsmustern vorgibt, ist nicht auf europäischer Ebene neu ersonnen, sondern aus mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen übernommen, die es verstanden haben, in den europäischen Rechtsetzungsverfahren ihre Lösungen als überzeugend zu präsentieren. In diesem „Wettbewerb“ der nationalen Rechtsordnungen erhöht derjenige seine Chancen, der die Vorzüge seines Konzepts systematisch-rechtsvergleichend vorstellen kann; wer sich auf einen „Sonderweg“ zurückzieht, verliert. Das läßt sich an der Umstellung der EG-Umweltpolitik vom materiell-konditionalen Ansatz des deutschen Rechts auf den eher verfahrensgeprägt-finalen Ansatz des englischen Rechts verfolgen141. So verstanden erweist sich die Europäisierung als Teil der noch ausgreifenderen Aufgabe, ein Europäisches Verwaltungsrecht zu entwickeln, das neben dem Gemeinschaftsverwaltungsrecht auch das Eigenverwaltungsrecht der EG-Administration umfaßt und die Rechtsvergleichung als einen integralen Bestandteil seiner Methodik behandelt (→ 7/12–19). 67 Eine besondere Herausforderung stellt die Verbundstruktur der Europäischen Verwaltung dar (→ 1/63). Das Verwaltungsrecht eines Verbundes ist mehr als die Summe der für die beteiligten Verwaltungsebenen einschlägigen Rechtsordnungen. Verbundverwaltungen generieren eigene Rechtsprobleme, für die das überkommene Verwaltungsrecht nur unzureichend Lösungen bereit hält. Das gilt z.B. für den ebenenübergreifenden Datenaustausch, für kooperativ gestaltete Entscheidungszusammenhänge und für die Erfassung transnationaler Wirkungen nationaler Verwaltungshandlungen142. Die dabei zu beantwortenden Rechtsschutz- und Haftungsfragen liegen auf der Hand143; doch sie sind nur ein Teil der Entwicklungsaufgaben, die der Verwaltungsrechtswissenschaft gestellt sind. Noch deutlicher wird das, wenn man die Verwaltungsbeziehungen der 3. Säule des EU-Vertrages in den Blick nimmt. Ein „Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts“, dessen Erhaltung und Entwicklung nach Art. 2 EU ein Ziel der Union ist, kann nur durch eine wirksame Verwaltungszusammenar141
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Vgl. Bohne, in: Schmidt-Aßmann/Hoffmann-Riem, Europäisches Verwaltungsrecht, S. 217 (227 ff.); negativer in der Bewertung der Entwicklung Breuer, AöR 2002, S. 523 (556 ff.). Anschaulich Sydow, DV 2001, S. 517 ff.; Koch, Arbeitsebenen der Europäischen Union, S. 175 ff. Dazu jetzt J. Hofmann, Rechtsschutz und Haftung im europäischen Verwaltungsverbund, i.E.
C. Die Europäisierung des Verwaltungsrechts
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beit gewährleistet werden. Europol, künftig auch operativ tätig, übt materiell Verwaltungsfunktionen aus. Hier wiederholt sich die Entwicklung des rechtsstaatlichen Verwaltungsrechts aus dem Geist der gegensätzlichen Aufträge von Schutz und Abwehr (→ 1/30–32). Folglich gilt auch hier in gewandelter Formulierung die alte Einsicht: Als rechtsstaatlicher Verbund muß sich der Europäische Verwaltungsverbund auf ein „wohlgeordnetes Verwaltungsrecht“ stützen können.
Zweites Kapitel
Die Verfassungsentscheidungen für Rechtsstaat und Demokratie 1 „Die Eckwerte des Verwaltungsrechts sind die verfassungsgestaltenden Grundentscheidungen“1: Die systemprägende Bedeutung des Verfassungsrechts ist eine Konstante in der Entwicklung des deutschen Verwaltungsrechts (→ 1/17). Ihre unterschiedlichen, rechtlich aber rekonstruierbaren Wirkungsweisen befähigen Verfassungsprinzipien dazu2, der verwaltungsrechtlichen Systembildung Orientierung für die Entwicklungsrichtung und Substanz für die Konkretisierungsaufgaben zu bieten. Zutreffend wird heute auch für das Europarecht der Ausbau einer „Prinzipienlehre“ gefordert3. Als Strukturbestimmungen formen die verfassungsgestaltenden Grundentscheidungen die staatlichen Entscheidungsprozesse und legen Muster administrativen Handelns fest, die das Verwaltungsrecht weiter ausgestalten muß. Als Staatszielbestimmungen prägen sie die Verwaltungsaufgabenlehre (→ 3/82). Als Verfassungsoptionen für die Europäische Union und die internationale Zusammenarbeit zeigen sie die Entwicklungsperspektiven einer über den nationalstaatlichen Raum hinausgreifenden Verwaltung auf. Im folgenden geht es um die Strukturentscheidungen für den Rechtsstaat und die Demokratie. Beide sind für das deutsche Verfassungsrecht in Art. 20 GG normiert und für die deutsche Integrationsgewalt in Art. 23 Abs. 1 GG verbindlich vorgegeben. Parallel und zugleich darauf Bezug nehmend sagt Art. 6 EU: Die Union beruht auf den Grundsätzen der Freiheit, der Demokratie, der Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten sowie der Rechtsstaatlichkeit; diese Grundsätze sind allen Mitgliedstaaten gemeinsam (Abs. 1). Und weiter heißt es: Die Union achtet die nationale Identität ihrer Mitgliedstaaten (Abs. 3). Rechtsstaatlichkeit und Demokratie bilden so die gemeinsame Basis des deutschen und des sich entwickelnden Europäischen Verwaltungsrechts. Beide bedürfen freilich der methodenbewußten behutsamen Konkretisierung (→ 1/18–20).
1 2 3
So Achterberg, Verwaltungsrecht, § 5 Rn. 1; vgl. aber auch den krit. Bericht von Breuer, in: FG 50 Jahre Bundesverwaltungsgericht, S. 223 ff. Systematisch dazu Reimer, Verfassungsprinzipien, bes. S. 284 ff. So überzeugend v. Bogdandy, in: ders., Europäisches Verfassungsrecht, S. 149 ff.
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Zweites Kapitel: Verfassungsentscheidungen für Rechtsstaat und Demokratie
2 Der Kern des Rechtsstaatsprinzips ist die Gewährleistung menschlicher Selbstbestimmung durch das Recht: Die Anerkennung und Abgrenzung eigener Bereiche der Individuen, ihre Sicherung und gegenseitige Zuordnung nach grundlegenden Gerechtigkeitspostulaten sowie die Vorhaltung rechtsklärender Verfahren, die Rationalität ermöglichen, sind die Zentralaufgaben der Rechtsstaatlichkeit. „Im Rechtsstaat gibt das Recht dem Staat, der Wirksamkeit des Staates, dem Gesamtleben innerhalb des Staates Maß und Form“4. Nichts anderes will die Charakterisierung der Europäischen Gemeinschaft als „Rechtsgemeinschaft“ anzeigen5. Auch hier wird Recht als ein zentrales Ordnungs- und Integrationsmedium verstanden und eingesetzt. Rechtsstaatliche Formung gliedert staatliches Handeln in Phasen der Entscheidung und der Ausführung. Sie stellt dadurch Verantwortlichkeiten klar, ermöglicht Kontrolle und Korrektur. Rechtsstaatlichkeit umgreift formelle und materielle Bestandteile. Angesichts dieses Junktims ist jede Geringschätzung der Form verfehlt. Das geordnete Verfahren ist eine Voraussetzung für die Einsichtigkeit staatlicher Entscheidungen, die Verläßlichkeit der Rechtsordnung eine Grundbedingung der Freiheit. Es geht um Maß, um Mäßigung und um Respekt vor Individualität. Rechtsstaatlichkeit erschöpft sich zwar nicht im Schutz des Individuellen und Subjektiven. Sie umschließt vielmehr auch objektiv-rechtliche Gewährleistungen, ist Status- und Funktionsordnung zugleich. Aber der Ansatzpunkt rechtsstaatlichen Denkens ist die individuelle Freiheit (→ 1/27). Auf diese Weise bewährt sich der Rechtsstaat als eine Staatsform autonomiewahrender Distanz. 3 Dieselbe Qualität als Formungsentscheidung besitzt auch die Verfassungsentscheidung für die Demokratie. Das Gebot demokratischer Legitimation, die doppelzügige Legitimation der Europäischen Gemeinschaft, das parlamentarische Regierungssystem, die kommunale Selbstverwaltung, die Ziele der Transparenz und Öffentlichkeit, die Ämterordnung, das Steuerungsmittel des demokratischen Gesetzes – sie alle sind Bauformen einer inhaltlich gestalteten Gemeinwohlordnung. Für das Verwaltungsrecht sind sie nicht minder bedeutsam als die rechtsstaatlichen Garantien. Der Gedanke der Selbstbestimmung wird hier in eine spezifisch freiheitssichernde Organisation von Herrschaft umgesetzt6. „Staatsgewalt und die mit ihr gegebene Herrschaft von Menschen über Menschen bleibt auch in der Demokratie bestehen und wirksam, löst sich nicht in einer (falsch verstandenen) Identität von Regierenden und Regierten, auch nicht im herrschaftsfreien Diskurs auf. Sie wird aber in einer Weise organisiert, daß ihre Ausübung vom Volk und damit von den Bürgern konstituiert, legitimiert und kontrolliert wird und darin als Form der Selbstbestimmung und Selbstregierung des 4 5 6
Hesse, in: FG für Smend, S. 71 (73). Der Begriff, z.B. in EuGHE 1986, 1339 (1365) verwendet, geht auf Hallstein zurück; vgl. dens., Europäische Reden, S. 341 ff.; dens., Europäische Gemeinschaft, S. 51 ff. Vgl. BVerfGE 44, 125 (142): „ Idee der freien Selbstbestimmung aller Bürger“; vgl. auch NVwZ 2003, 974 (976); Lübbe-Wolff, VVDStRL Bd. 60, S. 246 (252 f.): „Demokratie nicht als eine Veranstaltung zur Minimierung von Herrschaft, sondern als eine Veranstaltung zur Maximierung von Selbstbestimmung“.
Zweites Kapitel: Verfassungsentscheidungen für Rechtsstaat und Demokratie
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Volkes erscheint, an der alle Bürger gleichberechtigt teilzunehmen befugt sind“7. Ohne formal zu sein, ist Demokratie auf die Beachtung von Formen und Verfahrensregeln angewiesen8. Entscheidungen eines demokratisch geformten Gemeinwesens haben folglich ihr unverwechselbares demokratisches Gepräge. Sie sind allgemeine Entscheidungen und in diesem Sinne Ausdruck des Gemeinwohls. Auch die Demokratie hat folglich ihr Distanzgebot: Hier geht es um die Distanz gegenüber Sonderinteressen. 4 Rechtsstaat und Demokratie prägen das Verwaltungsrecht nicht gleichförmig, sondern eigenständig und komplementär. Im Verfahrens- und Organisationsrecht haben sie gemeinsame Gestaltungsbereiche. Rechtsstaatliche und demokratische Freiheitsidee9 müssen im Verwaltungsrecht folglich gemeinsam und gleichgewichtig ihren Ausdruck finden: Das Demokratieprinzip bedarf des Rechts zu seiner näheren Entfaltung in der Verwaltungsrealität, während das bisher vorrangig rechtsstaatlich geprägte Verwaltungsrecht der Ausrichtung an der demokratischen Ordnung bedarf, um sich von seiner entwicklungsgeschichtlich erklärbaren Abwehrperspektive zu lösen. „Das Rechtsstaatsprinzip setzt im Verfassungsgefüge des Grundgesetzes nicht eine vorhandene politische Einheit und unumschränkte Gewalt voraus, die es nur nachträglich mit Schranken zu umgeben gilt; wie die demokratische Ordnung normiert vielmehr auch die rechtsstaatliche Ordnung des Grundgesetzes Prinzipien und Verfahrensregeln, in denen die Grundlagen rechtlicher Gesamtordnung geschaffen werden, in deren Aktualisierung politische Einheit hervorgebracht und gefestigt wird, in deren Verwirklichung das durch die Verfassung konstituierte Staatswesen konkret-geschichtliche Gestalt gewinnt“10. 5 Beiden Strukturentscheidungen geht es darum, öffentliches Handeln „einer spezifischen diskursiven Rationalität zu unterwerfen und einen geordneten Argumentationsaustausch zu ermöglichen“11. In diesem Zusammenhang erhalten die Begriffe Verfahren und Kommunikation besondere Bedeutung12: der „Staat als geordnetes Verfahren“13, „Verfahren als staats- und verwaltungsrechtliche Kategorie“14. Rechtsprechung und Schrifttum haben den Verfahrensgedanken in den zurückliegenden zwei Jahrzehnten insbesondere unter dem Aspekt des Rechtsschutzes weiter entwickelt. Das verfahrensrechtliche Denken reicht aber über die individualrechtlich bestimmten Bereiche weit hinaus. Es integriert 7 8 9 10 11 12
13 14
Böckenförde, in: HStR Bd. 1, § 22 Rn. 9. Vgl. Henke, Staat 1986, S. 157 (163 f.). Dazu systematisch Starck, in: HStR Bd. 2, § 29; ferner J. P. Müller, Demokratische Gerechtigkeit. Hesse, Verfassungsrecht, Rn. 186. So im Blick auf das Rechtsstaatsprinzip Di Fabio, Risikoentscheidungen, S. 447. Pitschas, Verwaltungsverantwortung, bes. S. 135 ff. und 401 ff.; Hoffmann-Riem, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann, Verwaltungsverfahren und Verwaltungsverfahrensgesetz, S. 9 (23 ff.): „Verfahren als Wirklichkeitskonstruktion“. Krüger, Staatslehre, S. 197 ff. So der Titel der 1984 erschienenen Schrift von Lerche, Schmitt Glaeser und SchmidtAßmann.
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Zweites Kapitel: Verfassungsentscheidungen für Rechtsstaat und Demokratie
Rechtsstaat und Demokratie in einem kommunikativen Modell. „Kommunikation gehört zum Leitbild eines lebendigen Staates. Sie ist Voraussetzung nicht nur für eine effektive Wahrnehmung der Rechte des einzelnen, sondern auch Bedingung für die Funktionsfähigkeit und Modernisierungsfähigkeit des Staatswesens“15: Verfahren sind rechtliche Ordnungsmuster der vielfältigen realen Kommunikationsvorgänge (→ 6/46–56).
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Hill, in: Steger, Lean Administration, S. 49 (52). Vgl. auch Schuppert, Verwaltungswissenschaft, S. 722 ff.; Kotzur, NWVBl 2003, S. 298 ff.
1. Abschnitt: Die Bedeutung des Rechtsstaatsprinzips
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1. Abschnitt: Die Bedeutung des Rechtsstaatsprinzips 6 Legalitätsprinzip, Gewaltenteilung, Grundrechte und Gerichtsschutz sind, wie der Rechtsvergleich zeigt, Kernbestandteile europäischer Rechtsstaatlichkeit16. Das Grundgesetz gewährleistet sie primär in einer Reihe von Einzelvorschriften, die ihrerseits die Anknüpfungspunkte für ausdifferenzierte Subsysteme verwaltungsrechtlicher Lehrsätze bilden17. Das gilt für die Grundrechtsbindung (Art. 1 Abs. 3 GG), die Gewaltenteilung (Art. 20 Abs. 2 GG), die Gesetzes- und Rechtsbindung (Art. 20 Abs. 3 GG) und die Staatshaftung (Art. 34 GG); besonders umfangreich ist die Dogmatik des in Art. 19 Abs. 4 GG verankerten Verwaltungsrechtsschutzes (→ 4/56–69). Ähnlich enthält das EG-Recht spezielle Gewährleistungen für die Rechtsformen (Art. 249–256 EG), den Rechtsschutz (Art. 220–245 EG), die Amtshaftung (Art. 288 Abs. 2 EG) sowie für die in Art. 5 und 7 EG niedergelegten Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und der begrenzten Ermächtigung (→ 7/28–37). Allen auftretenden Fragen ist mit dem Rückgriff auf diese besonderen Garantien jedoch nicht beizukommen18. Das gilt z.B. für das Organisations- und Verfahrensrecht und für die Sicherung der rechtsstaatlich gebotenen Wirksamkeit des Verwaltungshandelns. Hier wird es notwendig, auf das Prinzip als solches zurückzugreifen, wie es in Art. 20, 28 GG und in Art. 6 EU genannt ist19. Vor allem aber hält diese Anknüpfung bewußt, daß die positiv-rechtlich ausgewiesenen Garantieelemente in einem umgreifenden Wirkungszusammenhang stehen, in dem sie sich gegenseitig unterstützen und ergänzen, durch gegenläufige Elemente u.U. aber auch Einschränkungen erfahren20. Das Prinzip ist mehr als die Summe seiner Teile. Zu den für das Verwaltungsrecht grundlegenden Schichten des Prinzips gehören die Rechtsgebundenheit der Exekutive (A) und die Wirkungen der Grundrechte (B). Aus ihnen ergeben sich weitere Bauformen des verwaltungsrechtlichen Systems, die Rechtsstaatlichkeit als Struktur, insbesondere rechtsstaatliche Rationalität gewährleisten sollen (C).
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18 19 20
Dazu die Beiträge in Hofmann/Marko/Merli/Wiederin, Rechtsstaatlichkeit; SchulzeFielitz, in: Dreier, Grundgesetz, Art. 20 (Rechtsstaat) Rn. 20 ff.; Sommermann, Staatsziele und Staatszielbestimmungen, S. 205 ff. Dazu Stern, Staatsrecht, Bd. 1, § 20 IV; vgl. auch Schmidt-Aßmann, in: HStR Bd. 1, § 24 Rn. 46 ff. und 69 ff.; Achterberg, Verwaltungsrecht, § 5 Rn. 2 ff.; Kingreen, in: Calliess/ Ruffert, EUV/EGV, Art. 6 EU Rn. 6 ff. Ebenso Breuer, in: FG 50 Jahre Bundesverwaltungsgericht, S. 223 (226 f.); anders Kunig, Rechtsstaatsprinzip, bes. S. 457 ff. Vgl. v. Bogdandy, in: ders., Europäisches Verfassungsrecht, S. 149 (163 ff.). So in Bezug auf Art. 19 Abs. 4 GG BVerfGE 60, 253 (267); BVerwGE 67, 206 (209).
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Zweites Kapitel: Verfassungsentscheidungen für Rechtsstaat und Demokratie
A. Die Rechtsgebundenheit der Verwaltung 7 Die Ordnungs- und Gestaltungsaufgabe des Rechts verlangt die Rechtsbindung allen Verwaltungshandelns. Das Recht ordnet die Beziehungen der Verwaltung zu ihrer Umwelt und innerhalb ihrer eigenen Organisation. Es legitimiert, diszipliniert und effektuiert das Verwaltungshandeln. Die Bedeutung des Rechts zur Ordnung von Machtfragen stand am Beginn der Herausbildung eines wissenschaftlichen Verwaltungsrechts. In einigen Phasen ihrer gemeinsamen Entwicklungsgeschichte sind Rechtsstaatlichkeit und Verwaltungsrecht miteinander nahezu identifiziert worden21. Daß der Rechtsstaat der „Staat des wohlgeordneten Verwaltungsrechts“ sei22, wird heute zuweilen als Zeichen einer verkürzenden Betrachtung zitiert. Aber es ist zunächst einmal Ausdruck einer großen Leistung der Disziplinierung und Rationalisierung staatlichen Handelns23. Mochte die ältere Lehre für das Anstalts- und Beamtenverhältnis zunächst noch Ausgrenzungen versucht haben; das besondere Gewaltverhältnis war in diesem Konzept von vornherein eine Anomalie, die notwendig vom „Klima der Verrechtlichung“ (Stolleis) erfaßt werden mußte. 8 Heute muß die Bedeutung des Rechts in allen seinen Erscheinungsformen (als materielles Recht und als Verfahrens- und Organisationsrecht), in allen seinen Schichten (als nationales Recht und als Europa- und Völkerrecht) systematisch herausgearbeitet werden. Die Rechtsbindung ist das Mittel, um die Fremdsteuerung der Verwaltung durch die Vorgaben der Europäischen Gemeinschaft und durch das parlamentarische Gesetz, ihre Eigensteuerung durch das von ihr selbst gesetzte Recht und ihre Kontrolle durch die Gerichte ins Werk zu setzen. Sie bildet so das wichtigste Scharnier in einem mehrgliedrigen Gewaltenteilungssystem. „Rechtsbindungen der Verwaltung“, „government according to law“, „principe de légalité“ gehören zu den gemeinsamen Grundannahmen der europäischen Verwaltungsrechtsordnungen24. Im Spiegel des Rechts ist schließlich auch die Bedeutung der „anderen normativen Orientierungen“ (Hoffmann-Riem) zu betrachten, die das Verwaltungshandeln bestimmen, die Gesichtspunkte der Effizienz, der Flexibilität oder Akzeptanz (→ 2/22). Sie sind zwar Teil rechtsstaatlicher Rationalität (→ 2/75–78), aber inhaltlich aus dem Recht selbst heraus nicht zu definieren. Ihre Beachtung im Rahmen der verwaltungsrechtlichen Systematik verlangt von der Verwaltungsrechtswissenschaft die ständige Bereitschaft, in ihren Methoden auf Erkenntnisse anderer Disziplinen einzugehen, ihre Reflexion zu bedenken und so ihre eigene Form interdisziplinären Arbeitens zu entwickeln (→ 1/45 ff.). 21 22 23 24
Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts, Bd. 2, S. 382, zur Situation in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. So O. Mayer, Verwaltungsrecht, Bd. 1, S. 58. Anschaulich zu den dabei anzutreffenden unterschiedlichen Konzepten des Verwaltungsrechts v. Stengel, ZgS 1882, S. 219 ff. Vgl. Triantafyllou, Vertragsvorbehalt, S. 110 ff.
1. Abschnitt: Die Bedeutung des Rechtsstaatsprinzips
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Diese Thematik ist früher vielfach als Frage des Verhältnisses zwischen Verwaltungsrecht und Verwaltungswissenschaften behandelt worden25. Heute bietet die sozialwissenschaftliche Steuerungsdiskussion den Rahmen (→ 1/33 ff.), um diese Beziehungen aufzuzeigen und über Vermittlungsbegriffe, z.B. die Begriffe der „Verwaltungsverantwortung“ oder des Legitimationsniveaus, in dogmatische Argumentationszusammenhänge einzubringen (→ 2/98–99; 3/109–117).
I. Die Systematik der Rechtsgebundenheit 9 Die Rechtsbindung der Verwaltung in ihrer Vielschichtigkeit richtig zu erfassen und praktisch handhabbar zu halten, ist alles andere als ein einfaches Unternehmen. Die Formulierung einer Bindung an „Gesetz und Recht“ (Art. 20 Abs. 3 GG) indiziert die hier bestehenden Spannungen zutreffend. In der überkommenen Lehre vom „Vollzug“ des Gesetzes herrschen dagegen oft zu einschichtige Vorstellungen, die die Vielfalt der Steuerungsansätze des Rechts nicht angemessen erfassen (→ 4/38–42). Die Erkenntnisse zu den immanenten Steuerungsgrenzen des abstrakten Rechtssatzes, die die juristische Methodenlehre immer wieder herausgearbeitet hat26, sind in der verwaltungsrechtlichen Dogmatik erstaunlich wenig präsent. Dabei geht es der Bindungsthematik nicht allein um den einzelnen Tatbestand und den einzelnen Anwendungsvorgang, sondern um die Bewältigung konkurrierender Bindungsansprüche. Eine Mehrebenen-Rechtsordnung wie diejenige der Europäischen Union ist nicht strikt hierarchisch geordnet, und mit einer stärkeren Internationalisierung des Verwaltungshandelns nimmt die Notwendigkeit, mit polyzentrischen Rechtsordnungen umgehen zu lernen, weiter zu. In dieser Vielfalt liegen die Chancen, die Herausforderungen und die Gefährdungen der beanspruchten Rechtsbindung.
1. Bindungsmaßstäbe 10 Unter den Bindungsmaßstäben nimmt das Gesetz auch heute eine besondere Position ein (→ 4/7). Die Vielfalt der Bindungsansprüche wird jedoch nur deutlich, wenn daneben Verfassungs- und Richterrecht, Völkerrecht und EGRecht sowie das eigengesetzte Recht der Exekutive in die Betrachtung einbezogen werden. Als Gesetz bezeichnen wir nur das parlamentarische Gesetz, d.h. jede Art parlamentarischer Entscheidung, die in den für Gesetze verfassungsrechtlich vorgesehenen Formen und Verfahren zustandegekommen ist. Auf eine bestimmte inhaltliche Qualität kommt es nicht an. Neben der großen Gruppe der Gesetze mit generell-abstraktem Regelungsgehalt lösen auch Maßnahmegesetze und Einzelfallgesetze, Haushalts- und sonstige Organgesetze die Bindungswirkung aus27. 25 26 27
Dazu grundlegend König, Erkenntnisinteressen der Verwaltungswissenschaft, bes. S. 167 ff. Dazu die Darstellung bei Larenz, Methodenlehre, S. 155 ff., 271. Vgl. Schmidt-Aßmann, in: FS für Brohm, S. 547 ff.
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Zweites Kapitel: Verfassungsentscheidungen für Rechtsstaat und Demokratie
Das Gesetz ist Befugnisnorm, Ausgabenermächtigung, Verfahrensregelung und Organisationsstatut. Gerade diese Vielfalt unterschiedlicher gesetzlicher Steuerungsansätze ist für die Lehre von der Gesetzesbindung wichtig: Sowenig sich das Gesetz nach deutschem staatsrechtlichen Denken auf reine Verfahrensregelungen zurückziehen darf, sondern auch materielle Aussagen treffen muß, so wenig darf sich die Vorstellung von der Gesetzesbindung allein an den Tatbeständen des materiellen Rechts und an einer materiellen Programmsteuerung orientieren. 11 Rechtsbindungen der Verwaltung gehen ferner von der Verfassung aus. Für die Grundrechte ist diese Bindung in Art. 1 Abs. 3 GG ausdrücklich festgelegt (→ 2/32 ff.), im übrigen folgt sie aus dem Geltungsanspruch der normativen Verfassung. Im Verfassungsrecht tritt der Verwaltung eine zweite Gruppe von Bindungsmaßstäben gegenüber. Verfassungsaussagen determinieren, ergänzen und begrenzen die gesetzlich eröffneten Gestaltungsräume. Die Bindung der Verwaltung an die Verfassung hat den Verwaltungsalltag nachhaltig verändert. „Der unmittelbare Durchgriff des Gesetzesanwenders auf die Verfassung führt dazu, daß verfassungsrechtliche Grundprinzipien permanent in das Geschäft der täglichen Rechtsanwendung hineinwirken“28. Er kann allerdings zu erheblichen Relativierungen der Gesetzesbindung führen. Art. 20 Abs. 3 GG nimmt solche Einbußen der gesetzlichen Steuerung der Verwaltung in Kauf, ohne allerdings eine grundrechtsunmittelbare Verwaltung als „verfassungsgewollte und verfassungsnormale Größe“ zu betrachten29. Primär ist vielmehr eine tatbestandsbezogene Integration verlangt. Für den Umgang der Verwaltung mit dem verfassungswidrigen – genauer: dem von ihr für verfassungswidrig gehaltenen – Gesetz, stehen Klärungsverfahren bereit, in denen entschieden wird, ob ein Gesetz Verbindlichkeit beanspruchen kann oder von der Verwaltung nicht beachtet zu werden braucht, weil es seinerseits nicht mit der Verfassung übereinstimmt. Diesem Ziel dient vor allem die abstrakte Normenkontrolle des Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG. Eine administrative Nichtanwendungskompetenz gibt es gegenüber dem parlamentarischen Gesetz nur als eng begrenzte, temporäre Befugnis in Fällen offensichtlicher Verfassungswidrigkeit, die notwendig mit der Einleitung entsprechender Klärungsverfahren zu verbinden ist30. 12 Im Recht der Europäischen Gemeinschaft hat sich ein großes zusätzliches Bindungspotential für die Verwaltung entwickelt. Weite Teile des EGRechts gelten unmittelbar. Der nationale Rechtsanwender muß sie wie innerstaatliches Recht behandeln31. Für die Verwaltungen der Mitgliedstaaten beachtlich sind vor allem Verordnungen nach Art. 249 Abs. 2 EG. Aber auch das primäre EG-Recht enthält zahlreiche Vorschriften, die direkt in nationale Verwaltungsvor28 29 30 31
Ossenbühl, in: HStR Bd. 3, § 61 Rn. 27. Begriffsprägend, in der Sache aber gerade a.A. Horn, Die grundrechtsunmittelbare Verwaltung, bes. S. 269 ff. Schulze-Fielitz, in: Dreier, Grundgesetz, Art. 20 (Rechtsstaat) Rn. 89; zum Streitstand ausf. Wehr, Inzidente Normverwerfung der Exekutive, S. 87 ff. Jarass, Innerstaatliche Bedeutung des EG-Rechts, S. 67 ff.; Öhlinger, in: FG für Th. Fleiner, S. 719 ff.
1. Abschnitt: Die Bedeutung des Rechtsstaatsprinzips
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gänge hineinwirken. Bindungsschwierigkeiten entstehen, weil der Text des primären EG-Rechts oft nicht exakt zwischen einer Direktive für die Politik und einem Rechtssatz trennt. Ein besonderes Problem stellen die EG-Richtlinien dar (→ 1/53). Sie sind zunächst nicht an die Exekutive, sondern an die Gesetzgebung in den Mitgliedstaaten gerichtet (Art. 249 Abs. 3 EG). Nach fester Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs entfalten sie jedoch dann unmittelbare Wirkungen, wenn sie nicht rechtzeitig oder nicht hinreichend umgesetzt worden sind32. Für diese Judikatur sprechen wichtige Integrationsgesichtspunkte. Nicht übersehen werden darf jedoch, daß sie für die Rechtsbindung der mitgliedstaatlichen Verwaltungen eine erhebliche Belastung darstellt. Richtlinien durchdringen heute nahezu jeden Bereich. Ihre Beachtung ist folglich nicht nur ein Thema für Ministerien und Fachverwaltungen. Unmißverständlich heißt es: „Wenn die nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes einzuhaltenden Voraussetzungen dafür erfüllt sind, daß die einzelnen sich vor den nationalen Gerichten auf die Bestimmungen einer Richtlinie berufen können, sind folglich alle Träger der Verwaltung einschließlich der Gemeinden und sonstigen Gebietskörperschaften verpflichtet, diese Bestimmungen anzuwenden“33. Diese Rechtsprechung ist inzwischen zu einer objektiven Bindung jeder gesetzlich nicht hinreichend umgesetzten Richtlinie weitergeführt worden, sofern deren Vorschriften nur inhaltlich unbedingt und hinreichend bestimmt sind34. Schon die Kenntnisnahme der möglicherweise einschlägigen Richtlinien kann, zumal bei unteren Verwaltungsbehörden, Schwierigkeiten bereiten35. Hinzu kommt, daß der so begründete unmittelbare Bindungsanspruch nur potentieller Art ist und von unsicheren Voraussetzungen abhängt: Ob der nationale Gesetzgeber eine Richtlinie hinreichend umgesetzt hat, ist eine Frage, über die oft lange gestritten werden kann. Zur Klärung stehen zwar die Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof zur Verfügung. Nachteilig ist es jedoch, daß die Exekutive anders als die Gerichte für das wichtigste dieser Verfahren, das Vorabentscheidungsverfahren nach Art. 234 EG, nicht antragsberechtigt ist36. 13 Künftig wird auch das Völkerrecht häufiger in den einzelnen administrativen Vollzugsvorgang hineinwirken. – Die bisher schon bestehende Bindung an seine allgemeinen Regeln, die nach Art. 25 GG für jedermann unmittelbar Rechte und Pflichten erzeugen, erfaßte praktisch nur wenige Verwaltungsbereiche mit einem spezifischen Auslandsbezug37, nicht aber den Verwaltungsalltag der meisten Behörden. Sie verlangt 32
33 34 35 36 37
Grundlegend EuGHE 1974, 1337 (1348 f.); std. Rspr.; als zulässige Rechtsfortbildung anerkannt von BVerfGE 75, 223 (240 ff.). Ausführlich Jarass, Innerstaatliche Bedeutung des EG-Rechts, S. 71 ff. EuGHE 1989, 1839 (1871). EuGHE 1995, 2189 (2224 Tz. 39); dazu Epiney, DVBl 1996, S. 409 ff. Vgl. Mögele, BayVBl 1993, S. 552 (555); Koenig, DVBl 1997, S. 581 (587). Dazu Ehlers, in: Erichsen/Ehlers, Verwaltungsrecht, § 3 Rn. 58; Schmidt-Aßmann, in: FS für Stern, S. 745 (760). Vgl. Herdegen, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 25 Rn. 32 f.
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von den deutschen Behörden und Gerichten freilich auch, „alles zu unterlassen, was einer unter Verstoß gegen allgemeine Regeln des Völkerrechts vorgenommenen Handlung nicht-deutscher Hoheitsträger im Geltungsbereich des Grundgesetzes Wirksamkeit verschafft“38. – Bedeutung für alle Verwaltungen hat in der Zwischenzeit das Völkervertragsrecht, insbesondere in seinen Menschenrechtsgewährleistungen erlangt. Eine herausgehobene Stellung besitzt die Europäische Menschenrechtskonvention. Für die Verwaltungen sind die Gewährleistungen der Konvention im Rang eines einfachen Bundesgesetzes beachtlich (BGBl 1952 II S. 685, 953)39. Das Völkervertragsrecht wird als Bindungspotential für die Exekutive weiter zunehmen. Das Bundesverfassungsgericht hat denkbaren Konfliktfällen jedoch vorgebeugt, indem es für alle Gesetze eine Auslegung im Einklang mit den völkerrechtlichen Verpflichtungen der Bundesrepublik verlangt. Selbst bei Gesetzen, die zeitlich später erlassen worden sind als ein völkerrechtlicher Vertrag, ist nicht anzunehmen, daß der Gesetzgeber, sofern er dieses nicht klar zum Ausdruck gebracht hat, von völkerrechtlichen Verpflichtungen hat abweichen wollen40. Der Vorrang der lex posterior soll nur dann greifen, wenn der Gesetzgeber seinen Willen zur Derogation mit aller Deutlichkeit herausgestellt hat41. Das gilt nicht nur für das Ausländerrecht und das Steuerrecht, sondern auch für den großen Bereich des Umweltschutzes42. Die Schwierigkeiten im Umgang mit diesen Bindungsmaßstäben werden zunehmen; denn hier geht es um Rechtsregeln, die auf internationaler Ebene ausgehandelt und oft mit den Feinheiten des nationalen Fachrechts schwer harmonisierbar sind. Ihre Interpretation unterliegt eigenen Regeln43. Wo Verträge wie z.B. die EMRK über ein eigenes Rechtsschutzsystem verfügen, ist die Beachtung auch dieser Rechtsprechung eine selbstverständliche Pflicht nationaler Exekutiven. Der Inhalt, den eine Vorschrift in der Entscheidungspraxis des EGMR gefunden hat, entwickelt über den entschiedenen Einzelfall hinaus eine „normative Leitfunktion“, von der deutsche Instanzen nur abweichen dürfen, wenn sie dartun können, daß ihre Auffassung die entscheidend besseren Gründe für sich hat44. 14 Die Rechtsbindung erfaßt schließlich die Bindung an das von der Exekutive selbst gesetzte Recht, das sich vor allem in Rechtsverordnungen und Satzungen darstellt (→ 6/84–87). Die Rechtsetzung der Verwaltung ist ein notwendiges Instrument der Breitensteuerung. Sie dient zum einen der Konkretisierung gesetzlicher Vorgaben und gestattet es der Exekutive, dabei flexibel auf neue Erkenntnisse oder geänderte Lagen durch Nachsteuerung zu reagieren. Zugleich ermöglicht sie die notwendige Eigenprogrammierung der Verwaltung. Zahlreiche 38 39 40 41 42 43 44
BVerfGE 75, 1 (19). Vgl. Uerpmann, Die Europäische Menschenrechtskonvention und die deutsche Rechtsprechung, S. 69 ff. BVerfGE 74, 358 (370); vgl. auch BVerwGE 99, 331 (333). BVerwGE 110, 203 (214). Dazu Beyerlin, Umweltvölkerrecht, S. 231 f. Vgl. Art. 31–33 WVK; Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/3, § 153. BVerwGE 110, 203 (210 ff.).
1. Abschnitt: Die Bedeutung des Rechtsstaatsprinzips
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administrative Pläne ergehen in der Form von Rechtssätzen, z.B. Bebauungspläne als Satzungen, manche Regionalpläne als Rechtsverordnungen. Schließlich garantiert die Bindung an das selbstgesetzte Recht die Gleichmäßigkeit der Verwaltungsführung, indem Tatbestände geschaffen werden, die in der Regel konkretere Maßstäbe enthalten als Gesetze. Gebunden ist die Exekutive auch an Verwaltungsvorschriften (→ 6/88–90). Nach älterer Ansicht stellen Verwaltungsvorschriften allerdings keine Rechtssätze dar. Trotzdem besitzen sie auch nach dieser Auffassung Bindungswirkung: Nachgeordnete Instanzen unterliegen der Direktionsbefugnis der vorgesetzten Amtsträger. In einem umfassenderen Sinne wird die Bindungswirkung aus dem Gedanken einer auf den Gleichheitssatz (Art. 3 GG) gestützten Selbstbindung der Verwaltung abgeleitet. Anerkannt werden sollte allerdings, daß es sich hierbei nicht um eine Bindung kraft vorgängigen Verwaltungshandelns, sondern kraft „administrativen Normsetzungswillens“ (Ossenbühl) handelt. Verwaltungsvorschriften sind daher heute als Rechtssätze mit einem differenzierten Bindungsgehalt zu qualifizieren.
2. Bindungsmechanismen 15 Der Überblick über die vielfältigen Arten von Recht, die von der Verwaltung Beachtung verlangen, zeigt, daß hier nicht nur von einem großen Steuerungs-, sondern auch von einem erheblichen Konfliktpotential auszugehen ist. Die Vorstellung jedenfalls, daß jede Vermehrung der Maßstäbe notwendig eine bessere rechtliche Ordnung des Verwaltungshandelns und damit einen Gewinn für den Rechtsstaat darstelle, ist falsch. Die Umsetzung der Rechtsbindungen im Verwaltungsalltag – die Beachtung allen Rechts in jedem Einzelfall – erweist sich schon von ihrer rechtswissenschaftlich-methodischen Seite her als komplexer Vorgang. Eine systematisch entwickelte Lehre von der administrativen Rechtskonkretisierung muß daneben auch noch funktionale Elemente einbeziehen, die die Stellung einer insgesamt gesetzesdirigierten Verwaltung innerhalb der parlamentarischen Demokratie berücksichtigt (→ 4/54–56). Wir konzentrieren uns an dieser Stelle auf die Rekonstruktion des Rechtstextes. Innerhalb dieses Vorganges lassen sich die Anwendung des einzelnen Tatbestandes und die Zusammenstellung des Bindungsprogramms unterscheiden.
a) Anwendung des einzelnen Tatbestandes 16 Die Anwendung des einzelnen Tatbestandes stellt das Grundelement aller Bindung dar. Sie vollzieht sich nach Maßgabe der überkommenen Methodenlehre in den drei Schritten der Auslegung, der Tatsachenfeststellung und der Subsumtion. An diesem einfachen Modell ist oft Kritik geübt worden. Ihr gegenüber muß jedoch daran erinnert werden, daß Methoden der Rechtsdogmatik eine spezifische Stabilität gewährleisten müssen (→ 1/45). Der Argumentationsbestand darf nicht unüberschaubar werden. Methoden haben eine Selektionsleistung
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zu erbringen. Die Anknüpfung an den klassischen Dreiklang von Interpretation, Tatsachenfeststellung und Subsumtion ist folglich eine bewußte Methodenentscheidung. Sie ist rechtlich betrachtet der Grundmechanismus zur Umsetzung des Steuerungsanspruchs und die Grundlage seiner Verläßlichkeit. 17 Schon dieser Kern stellt allerdings keinen Vollzugsschematismus dar. Alle drei Erkenntnisschritte enthalten vielmehr wertende Elemente, die sich intersubjektiv nicht immer eindeutig vermitteln lassen45. – Die zur Auslegung heranzuziehenden Methoden stellen keinen geschlossenen Kanon dar, sondern sind vielfältig kombiniert. Sie werden zudem durch die Pflicht zur verfassungsorientierten und verfassungskonformen Auslegung überlagert46. Hinzugetreten ist die EG-rechtskonforme, insbesondere die richtlinienkonforme Auslegung, als ein zwar anerkanntes, in seinen Voraussetzungen und Konsequenzen aber noch recht unsicheres Instrument47. Sie soll das gesamte nationale Recht, also nicht nur die zur Richtlinienumsetzung speziell ergangenen Gesetze erfassen und nicht nur für die Gerichte, sondern auch für die mitgliedstaatlichen Verwaltungen verbindlich sein48. Das alles hat integrationspolitisch seinen guten Sinn. Doch lassen sich auch hier bedenkliche Entwicklungen nicht übersehen. Verfassungsrecht und Europarecht arbeiten häufig mit sehr weiten und in diesem Sinne unbestimmten Begriffen. Bindung dagegen setzt jedenfalls ein gewisses Maß an Stringenz voraus. Die Gefahr, daß dadurch beliebige Interessen auf vage normative Gesichtspunkte gestützt und in die gesetzliche Tatbestandsstruktur unkontrolliert eingeschleust werden, ist nicht von der Hand zu weisen. – Die Tatsachenfeststellung wird nur selten als Methodenthema behandelt. Hier dominiert eher das Beweisrecht der Prozeßordnungen. Ein prozedurales Methodenverständnis muß über dessen klassische Regeln hinaus darauf drängen, daß die verwaltungsrechtliche Methodik Regeln für Prognosesituationen und für die Typisierung von Sachverhaltsannahmen sowie Diskursregeln für den Umgang mit verwaltungsexternem Sachverstand entwickelt. Dabei ist auch darüber nachzudenken, inwieweit „vorläufige Sachverhalte“ zugrundegelegt werden dürfen und zu welchen Maßnahmen sie die Behörden legitimieren49. Europäisierung und Internationalisierung stellen mit ihren vielfältigen grenzüberschreitenden Sachverhalten Anforderungen, die in ihren Ausmaßen noch kaum erkannt sind50.
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Dazu Larenz, Methodenlehre, S. 271 ff.; zu den Kriterien der Gesetzesauslegung eingehend Brugger, AöR 1994, S. 1 ff. Vgl. BVerfGE 2, 266 (282); 101, 361 (387 f.); std. Rspr.; zur Unterscheidung Stern, Staatsrecht, Bd. 2, § 4 III 8 d, dort auch der Hinweis auf Gefahren der „Funktionsverwischung“ und der Relativierung des gesetzlichen Steuerungsanspruchs. Vgl. Brechmann, Richtlinienkonforme Auslegung; Rodriguez Iglesias/Riechenberg, in: FS für Everling, Bd. 2, S. 1213 ff. Jarass, Innerstaatliche Bedeutung des EG-Rechts, S. 92 f. Dazu Brüning, Einstweilige Verwaltungsführung, S. 174 ff. Vgl. z.B. das in Art. 16a Abs. 2 S. 2 GG zugrundegelegte „Konzept normativer Vergewisserung“, BVerfGE 94, 49 (95 ff.).
1. Abschnitt: Die Bedeutung des Rechtsstaatsprinzips
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– Die sichere Subsumtion schließlich hängt davon ab, daß die Zahl der Eingaben überschaubar bleibt. Das aber ist bei offenen Zielkatalogen und Abwägungsklauseln des Gesetzesrechts so wenig wie bei den Begründungserwägungen, die die Anwendung des EG-Rechts dirigieren, der Fall. Selbst Tatbestände, die als Programme gebundener Verwaltungsentscheidungen angesehen werden, gewährleisten daher regelmäßig nur eine relative Bindung der Exekutive. Auf der anderen Seite können Verwaltungsvorschriften und Verwaltungsroutine das Grundmodell der Gesetzesanwendung in diesem Punkte entlasten.
b) Zusammenstellung des Bindungsprogramms 18 Die Rechtsanwendung im Einzelfall besteht für die Verwaltung nicht allein in der Beachtung der einzelnen Gesetzesvorschrift. Sie verlangt vielmehr auch, daß alle einschlägigen Vorschriften in den Blick genommen und in das rechtssystematisch richtige Verhältnis gebracht werden. Das hat unter Rückgriff auf die allgemeinen Rechtsanwendungsregeln über den Vorrang höherrangigen Rechts und speziellen Rechts zu geschehen. Daneben sind besondere Rangbestimmungen, z.B. zwischen Rechtsverordnung und Satzung zu berücksichtigen. Besondere Herausforderungen ergeben sich dort, wo das Bindungsprogramm aus Völkerrecht, EG-Recht und nationalem Recht zusammengestellt werden muß51. In ihren Grundzügen wird die Thematik üblicherweise bei der Rechtsquellenlehre behandelt52. Doch muß gesehen werden, daß hierarchische Rangordnungen nur (noch) die Grundlinie vorgeben. Der Einzelfall ist daneben von Sonderregeln und flexiblen Bedeutungszuordnungen geprägt. Hier spielen auch horizontale oder von unten nach oben verlaufende Einwirkungen eine Rolle, z.B. bei der Entwicklung eines gemeinschaftsrechtlichen Staatshaftungstatbestandes aus allgemeinen Rechtsgrundsätzen, die den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten gemeinsam sind (Art. 288 Abs. 2 EG). Gerade bei der Zusammenstellung des Bindungsprogramms zeigt sich, daß die Exekutive heute in einer polyzentrischen Rechtsordnung agiert. Hinzu kommen sehr unterschiedlich strukturierte Normen, die in ihren gegenseitigen Einwirkungen erfaßt sein wollen: Verfahrens- und materielles Recht, Haushalts- und Zuständigkeitsrecht, Prinzipien und Regeln – das alles zu beachten und die unterschiedlichen abstrakten Steuerungsansprüche gegebenenfalls aufzuklären, ist eine verantwortungsvolle Aufgabe. 19 Die passiv formulierte Rechtsgebundenheit der Verwaltung ist in der Realität folglich aktiv als Auftrag zu bewußter, methodengeleiteter Rechtskonkretisierung zu verstehen. Die Erfüllung dieser Aufgabe verlangt eine besondere Loyalität gegenüber dem Recht gerade dort, wo sich dieses Recht als wenig vollzugsgeeignet erweist. Die Zusammenstellung des Bindungsprogramms darf nicht voreilig in eine allgemeine Abwägung aufgelöst werden, in der vorrangiges und 51 52
Dazu Schilling, Rang und Geltung von Normen in gestuften Rechtsordnungen, bes. S. 396 ff. Vgl. Ossenbühl, in: Erichsen/Ehlers, Verwaltungsrecht, § 7.
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nachrangiges, spezielles und allgemeines Recht durcheinander gemischt werden. Andernfalls entsteht gerade hier die Gefahr selektiver Gesetzmäßigkeit. Einen gewissen Ausgleich dieser Unsicherheiten schafft die Verwaltungsgerichtsbarkeit. Ihre Aufgaben bei der letztverbindlichen Auslegung des einzelnen Rechtssatzes und bei der Harmonisierung der unterschiedlichen Rechtsvorschriften haben eine über den Einzelfall weit hinausreichende Klärungs- und Stabilisierungsfunktion. Doch gibt es Verwaltungsbereiche, die von der Justiz nur selten erfaßt werden. Die Dogmatik darf hier wie auch sonst ihre Hoffnungen nicht allein auf die Gerichte setzen. Sie muß die Steuerungsgrenzen des Rechts nüchtern anerkennen und auf dieser Basis eine administrative Rechtsanwendungslehre entwickeln, die über ein allein an materiellen Normprogrammen ausgerichtetes Gesetzesvollzugsschema hinausgeht (→ 4/38–42, 46–53). Sie muß freilich auch ihre eigenen Tendenzen zügeln, durch immer weitere Verfeinerungen die Bindungsansprüche des Rechts um die erforderliche Klarheit und Eindeutigkeit zu bringen.
II. Die Wirksamkeit des Rechts 20 Die Rechtsbindung der Verwaltung ist kein abstrakter Lehrsatz, sondern ein auf Wirksamkeit angelegtes Verfassungsgebot. „Effektivität“ des Rechts verlangt vorwirkend ein hinreichendes Maß an rechtlicher Durchgestaltung der Sozialbeziehungen und nachwirkend adäquate Mittel zu entschiedener und rechtzeitiger Rechtsdurchsetzung.
1. Wirksamkeit als hinreichende Verrechtlichung 21 Die vorausgesetzte Verrechtlichung umfaßt zwei Punkte: Zum einen geht es darum, die erforderlichen materiellen Entscheidungsprogramme bereitzustellen, die die Interessen des jeweiligen sachlichen Regelungsbereichs erfassen und in die anzustrebende Ordnung bringen sollen. Hier spielen neben den Tatbestandsmerkmalen der einschlägigen Fachgesetze die Rechtsmaßstäbe des Verwaltungshandelns eine entscheidende Rolle, vor allem die Verfassungsprinzipien der Gleichbehandlung und der Verhältnismäßigkeit. Zum zweiten geht es der Verrechtlichung darum, diesen Maßstäben ein adäquates Verfahrens-, Sanktions- und Kontrollrecht zuzuordnen. Zur materiellen tritt so die instrumentelle Seite der Verrechtlichung. Dem (primären) Maßstabsystem muß ein (sekundäres) Sanktionssystem entsprechen, dessen wichtigste Teile die Fehlerlehre der Staatsakte, das Staatshaftungsrecht und die Möglichkeiten des gerichtlichen Rechtsschutzes sind (→ 6/57–71). 22 Jede Verrechtlichung muß sich im Bewußtsein der Steuerungsgrenzen des Rechts vollziehen, die schon bei der Beschäftigung mit den Bindungsansprüchen deutlich geworden sind. Sie hat sich ferner an der Erkenntnis auszurichten, daß das Verwaltungshandeln neben den Rechtsmaßstäben auch anderen „normativen Orientierungen“, z.B. den Maßstäben der Effizienz, der Flexibilität
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und der Akzeptanz folgt (→ 6/59 f.). Gemeinsam begründen sie das, was in einem umgreifenden Sinne die Rationalität des Verwaltungshandelns ausmacht (→ 2/75–78). Es kann nicht darum gehen, auch diese Maßstäbe möglichst weitgehend zu verrechtlichen. Von einem „Primat des Rechts“ kann daher nur insofern gesprochen werden53, als auch für die sonstigen normativen Orientierungen die Frage ihrer verfahrensmäßigen Absicherung und der Zuordnung adäquater Sanktions- und Kontrollmechanismen durch das Recht entschieden werden muß. 23 In der jüngeren Rechtsentwicklung ist diese Grundlinie nicht immer beachtet worden. Neben der viel beklagten Normenflut steht die Auszehrung der Zweckmäßigkeitsmaßstäbe durch überzogene Verhältnismäßigkeitskontrollen54. Solche Tendenzen sind Mißinterpretationen des rechtsstaatlichen Ordnungsauftrages. Sie stellen sich ein, wenn einzelne Elemente des Rechtsstaatsprinzips isoliert werden, statt sie in ihrem Wirkungszusammenhang zu betrachten. Die gute Absicht, für einen bestimmten Aspekt von Rechtsstaatlichkeit – für den Rechtsschutz, für bestimmte Verfahrenspositionen oder Entschädigungsfragen – ein Maximum zu erreichen, führt in ein Dilemma, in dem der Rechtsstaat durch seine eigene Gediegenheit Schaden nimmt55. Eine qualifizierte rechtsstaatliche Prägung des Verwaltungsrechts wird dadurch nicht erreicht. Rechtliche Übersteuerung schädigt das Recht selbst. Als Staat der Mäßigung und des Maßes verlangt der Rechtsstaat auch im Umgang mit den Ressourcen des Rechts Maß – das rechte Maß56.
a) Verrechtlichungsvorbehalte 24 Die verwaltungsrechtliche Dogmatik gibt dazu einige Leitlinien, überläßt es aber im übrigen der Rechtspolitik, diesen Grat zu finden und zu gehen. Fälle, in denen die Verwaltung nur handeln kann, wenn vorher eine rechtssatzmäßige Durchformung erfolgt ist, Verrechtlichungsvorbehalte also, sind an Hand spezieller Vorgaben zu ermitteln: Für die Fragen einer notwendigen Fundierung des Verwaltungshandelns im parlamentarischen Gesetz sind dieses die Lehren von den Gesetzesvorbehalten (→ 4/15–25). In den weiteren Zusammenhang gehören die schlichten Rechtssatzvorbehalte, die nicht auf die Gesetzesform verpflichten, sondern auch Formen administrativer Rechtsetzung, insbesondere Rechtsverordnungen und Satzungen genügen lassen (→ 6/82–99). Die von ihnen angestrebte Selbstprogrammierung der Verwaltung soll vor allem die rechtsstaatlich gebotene Transparenz und Gleichförmigkeit der Praxis sichern57. Angesichts der begrenzten Steuerungsfähigkeit des parlamentarischen Gesetzes sind Rechtssatzvorbehalte schon aus Gesichtspunkten notwendiger „Nachsteuerung“ wich53 54 55 56 57
Begriff bei Stern, Staatsrecht, Bd. 1, § 20 IV 4 f. Dagegen zutreffend Ossenbühl, in: FS für Lerche, S. 151 ff. Schmidt-Aßmann, in: HStR Bd. 1, § 24 Rn. 97. Zum vergleichbaren „Midas“-Phänomen des Verfassungsrechts Haverkate, VVDStRL Bd. 46, S. 217 (251). Vgl. Lerche, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 83 Rn. 17; Stern, Staatsrecht, Bd. 1, § 20 IV 4 f., S. 831. Deutlich z.B. im Satzungsvorbehalt des Kommunalabgabenrechts (§ 2 KAG BW).
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tig. Auch Verwaltungsvorschriften können in diese Aufgabe einbezogen werden. So kann es erforderlich sein, immissionsschutzrechtliche Vorsorgekriterien vorab allgemein durch Technische Anleitungen festzulegen, weil sie bei der unmittelbaren Anwendung des Gesetzes im Einzelfall nur unsicher gewonnen werden können58. Noch weitergehend kann man von einem Konzeptvorbehalt sprechen (→ 6/98–99), den eine Verwaltung zu beachten hat, die nach längerer Duldung rechtswidriger Zustände jetzt dagegen vorgehen möchte. Sie mag das tun; aber sie muß ihrer Vorgehensweise und Störerauswahl in dieser rechtsstaatlich prekären Situation ein Konzept zugrunde legen. Ein solches Konzept braucht nicht als förmlicher Rechtsakt erlassen zu werden, aber es muß vorweisbar sein. Immer aber sind es spezielle Vorgaben, aus denen ein solches Verrechtlichungsgebot folgt. Sie ergeben sich aus Einzelvorschriften oder sind für einzelne Situationen von der Dogmatik entwickelt worden. Eine globale Verrechtlichung allen Verwaltungshandelns ist rechtsstaatlich nicht veranlaßt.
b) Verrechtlichungsintensität 25 Aber auch dort, wo eine rechtliche Ordnung dem Grunde nach geboten ist, kann die Intensität einer solchen Durchformung sehr unterschiedlich sein. Rechtsstaatlich wird auch hier kein Maximum gefordert: Das Gebot der Gesetzesbestimmtheit zwingt den Gesetzgeber nicht, den Tatbestand stets mit genau faßbaren Merkmalen zu umschreiben (→ 4/28–35). Ebensowenig ist bei der gerichtlichen Ausformung des rechtsstaatlichen Instrumentariums die pauschale Geltungserstreckung aller Schutzmechanismen auf alle denkbaren Schutzbedürfnisse gefordert. Gerade diese notwendige Differenziertheit der rechtsstaatlichen Gewährleistungen wird zuweilen übersehen. Ein lehrreiches Beispiel bietet die Rechtsentwicklung der besonderen Gewaltverhältnisse: Als „Zustand verminderter Freiheit, in dem der Betroffene sich im gegebenen Maße nach dem zu richten hat, was hier der Zweck der öffentlichen Verwaltung erfordert“59, hatte diese Rechtsfigur dem älteren Verwaltungsrecht dazu gedient, bestimmte überkommene Erscheinungsformen einer als präexistent verstandenen Verwaltung zu rechtfertigen60. Daß daran unter dem Grundgesetz nicht festgehalten werden konnte, war spätestens seit der Strafgefangenen-Entscheidung klar61. Gezeigt hat sich in der Folgezeit freilich auch, daß es nicht darum gehen kann, die Anforderungen an eine Verrechtlichung des Eingriffsvorgangs, die z.B. im Polizei- oder Abgabenrecht gelten, pauschal auf andere Kontakte des Bürgers zur Verwaltung zu übertragen. Mit der Verabschiedung des besonderen Gewaltverhältnisses als dogmatischer Figur mußten nicht auch seine 58 59 60 61
Dazu BVerwGE 69, 37 (45). Vgl. auch die Koppelung einer Beitragsablösung an den vorherigen Erlaß normativer Festlegungen gemäß § 133 Abs. 3 S. 5 BauGB. So die Definition des besonderen Gewaltverhältnisses bei O. Mayer, Verwaltungsrecht, Bd. 1, S. 102; im Ergebnis auch noch Forsthoff, Verwaltungsrecht, S. 127. Dazu die Analyse von Rupp, Grundfragen, S. 4 f. und 41 f. BVerfGE 33, 1 ff.; Erichsen, in: FS für H. J. Wolff, S. 219 ff.
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heuristischen Funktionen aufgegeben werden62. Das Grundgesetz gestattet es vielmehr durchaus, „Eigengesetzlichkeiten von Staatsdistanz und Staatseingliederung“ bei der Ausgestaltung der rechtlichen Anforderungen zu berücksichtigen63. 26 Die Intensität der Verrechtlichung wird herkömmlicherweise nach dem Maß vorhandener materieller Vorschriften bestimmt. Das ist jedoch zu eng. Auch das Verfahrens-, das Haushalts- und das Organisationsrecht sind einzubeziehen64. Die Art des steuerungsgeeigneten Rechts liegt nicht von vornherein fest. Sie kann sich wandeln. Wenn heute darüber nachgedacht wird, den Steuerungsanspruch des regulatorischen Rechtsverständnisses zurückzunehmen und Recht eher als Rahmenregelung einzusetzen (→ 1/35–39), dann steht das Rechtsstaatsprinzip dem prinzipiell nicht entgegen. Es kann einen solchen Wandel sogar nahelegen, wenn dadurch der von ihm angestrebte rationale Ausgleich der beteiligten Interessen besser organisiert werden kann. Das gilt auch für das Verhältnis der eingesetzten Formen des Rechts zueinander, z.B. für einen stärkeren Einsatz von Verhandlungslösungen vor den Instrumenten einseitiger hoheitlicher Regelung (→ 6/112 ff., 130 ff.). Von der verwaltungsrechtlichen Dogmatik verlangt das, sich auch mit den komplementären Effekten verbundener Verrechtlichungsarten, z.B. mit den Auswirkungen unterschiedlicher Verfahrensgestaltungen auf die Anwendung des materiellen Rechts, auseinanderzusetzen.
2. Die Wirksamkeit der Rechtsdurchsetzung 27 Der Steuerungsanspruch des Rechts verlangt eine wirksame Rechtsdurchsetzung. Für das EG-Recht ist das von Anfang an als eine der wichtigsten Aufgaben angesehen worden. Die „volle Wirksamkeit“, der effet utile, stellt einen der zentralen Auslegungsgesichtspunkte des Europäischen Gerichtshofs dar, insbesondere im Blick auf die mitgliedstaatlichen Pflichten nach Art. 10 EG (→ 7/21 f.)65. Im deutschen Verwaltungsrecht dagegen ist der Gedanke der Rechtsdurchsetzung lange Zeit eher im Hintergrund geblieben. Immerhin wurde das Verwaltungsvollstreckungsrecht als Ausdruck des rechtsstaatlichen Wirksamkeitsgebotes angesehen. Die auch in der Vollstreckungsphase bestehenden Schutzinteressen des Vollstreckungsschuldners sind in einem feingliedrigen Gefüge verfahrensrechtlicher Vorkehrungen berücksichtigt, die sich streng am Verhältnismäßigkeitsprinzip orientieren66. Verwaltungszwang und Beitreibung sind jedoch nur ein schmaler Ausschnitt des Problems (→ 6/72–79)67. 62 63 64 65 66 67
So auch Ronellenfitsch, DÖV 1981, S. 933 ff. Loschelder, in: HStR Bd. 5, § 123 Rn. 14, bes. Rn. 21 ff.; im Ergebnis auch Stern, Staatsrecht, Bd. 3/1, § 74 III 5 f. Vgl. BVerfGE 83, 238 (325): „geeignete organisatorische Vorkehrungen“ zur Sicherstellung der Rundfunkfreiheit. Dazu v. Danwitz, Verwaltungsrechtliches System, S. 144 ff. Zu den einzelnen Modellen vgl. Selmer/Gersdorf, Verwaltungsvollstreckungsverfahren; zur Entwicklung Poscher, VerwArch 1998, S. 111 (113 ff.). Dazu Wolff/Bachof/Stober, Verwaltungsrecht, Bd. 2, § 65; Schmidt-Aßmann/Röhl, EuR 1997, Beiheft 1, S. 87 ff.
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a) Durchsetzungsbereitschaft der Verwaltung 28 Wirksame Durchsetzung setzt einen vollzugsgeeigneten Zuschnitt des Rechts voraus68. Dazu gehören Tatbestände, die auf politische Rhetorik verzichten, und gerichtliche Entscheidungen, die allerlei obiter dicta und unnötige Zusätze meiden. Vor allem aber muß die wirksame Rechtsdurchsetzung das Handeln der zuständigen Behörde weit über den Einzelfall hinaus bestimmen. Um diesen Auftrag zu erfüllen, bedarf es einer geeigneten Organisation und einer hinreichenden Personalausstattung. Die Implementationsforschung zeigt, daß hier Rahmenbedingungen eine Rolle spielen, die rechtlich nur zu einem Teil zu beeinflussen sind69. Von den Behörden rechtlich verlangt sind aber eine grundsätzliche Durchsetzungsbereitschaft und die dazu erforderliche Entschiedenheit. Eine zur Normalität gewordene Duldung rechtswidriger Zustände oder das Zurückweichen vor öffentlichem Druck sind auch dort, wo der Behörde ein Einschreitensermessen zusteht, rechtsstaatlich intolerabel. Dasselbe gilt für eine baurechtliche Dispensationspraxis, die die Abweichung zum Standardfall macht. Die Verwaltung darf eine gesetzlich vorausgesetzte Regelsituation durch Duldungen und Dispense nicht in ihr Gegenteil verkehren. Auch Flexibilitätsbedürfnisse können eine solche Praxis nicht legitimieren. Rechtsstaatlichkeit verlangt Rechtsanwendungsgleichheit70. Die Gerichte kommen mit den Mitteln des Individualrechtsschutzes nur an einen Teil der pathologischen Fälle heran. Verwaltungsinterne Kontrollen sind gerade hier wichtig, aber keineswegs durchgängig wirksam, zumal dann nicht, wenn sie durch andere Kontrollen, z.B. eine hineinregierende Praxis von Petitionsausschüssen, nicht unterstützt, sondern gehindert werden. 29 Wirksame Rechtsdurchsetzung besagt andererseits nicht, daß die Verwaltung nicht Mühe und Zeit aufwenden sollte, damit ihre Entscheidungen von den Betroffenen akzeptiert werden. Der vorrangig demokratisch bestimmte Begriff der Akzeptanz besitzt auch eine rechtsstaatliche Komponente71. Das folgt aus grundrechtlichen Schutzüberlegungen und aus Effizienzgesichtspunkten gleichermaßen. Gespräch, Information und die Begründung von Entscheidungen sind daher wichtige Mittel der Verständigung. Das Erforderlichkeitsgebot sichert einen Grundbestand dieser Umsetzungsmittel jeweils situationsspezifisch rechtlich ab72. Eine darüber hinausreichende allgemeine Verpflichtung der Verwaltung, vor der zwangsweisen Durchsetzung einer Maßnahme auf jeden Fall eine einvernehmliche Lösung zu suchen, existiert dagegen nicht (→ 2/103–105). 68 69 70 71
72
BVerfGE 84, 239 (268 ff.) für ein vollzugsgeeignetes Steuerrecht; ferner Sendler, DÖV 1992, S. 181 ff. (für das Atomrecht). Dazu mit weit. Nachw. am Beispiel des Umweltrechts Lübbe-Wolff, NuR 1993, S. 217 ff. Dazu im einzelnen Kirchhof, in: HStR Bd. 5, § 125 Rn. 54 ff. und 84 ff. Dazu Würtenberger, Akzeptanz von Verwaltungsentscheidungen, S. 54 ff.; HoffmannRiem, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann, Innovation und Flexibilität, S. 9 (27 f.); Hill, JZ 1988, S. 377 ff. Z.B. das „Austauschmittel“ im Polizeirecht; vgl. Schoch, in: Schmidt-Aßmann, Besonderes Verwaltungsrecht, 2. Kap. Rn. 107.
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b) Der Grundsatz der Rechtzeitigkeit 30 Wirksam wird Recht nur dann, wenn es rechtzeitig umgesetzt wird. Die Bedeutung des Zeitfaktors ist in der älteren, staatsabwehrenden Sicht des Verwaltungsrechts zuweilen verdrängt worden. Für gerichtliche Verfahren ist dieses Defizit in der Zwischenzeit erkannt. Der „Rechtsschutz in angemessener Zeit“ stellt heute eine feste Direktive für den Gesetzgeber und die Justiz dar73. Der Rechtsstaat verlangt aber auch für administrative Verfahren, daß sie in angemessener Zeit abgeschlossen werden74: Für grundrechtsrelevante Entscheidungen bilden die abwehr- und die schutzrechtliche Schicht dieser Rechte den Geltungsgrund dieser Forderung. Aber auch jenseits der Grundrechtssphäre setzt sich die Bindung der Verwaltung an das Recht in einer Pflicht zu rechtzeitigem Handeln fort. „Die Gegenwartsgebundenheit der Verwaltung beschränkt die Verfügung über die Zeit und setzt der Verwaltung – auch wenn das Gesetz keine Fristen nennt – deutliche Zeitgrenzen“75. Rechtzeitiges Handeln ist eine Maxime, die im gesamten Verwaltungsrecht Beachtung verlangt. Sie hat seit 1996 im Verwaltungsverfahrensgesetz klareren Ausdruck erhalten: Verfahren sind gemäß § 10 S. 2 VwVfG einfach, zweckmäßig und zügig durchzuführen76. Für das verfahrensgestaltende Ermessen der Behörden ist keineswegs notwendig der größte prozedurale Aufwand die rechtsstaatlich beste Lösung. 31 Die in jüngerer Zeit breit entfachte Beschleunigungsdiskussion hat das Bewußtsein für die Bedeutung des Zeitfaktors weiter geschärft. Der Gesetzgeber hat in der Zwischenzeit ein Beschleunigungsprogramm umgesetzt, das an der Umgestaltung des Anlagenzulassungsrechts ansetzte77, aber auch das allgemeine Verwaltungsrecht erreicht hat (→ 6/55–56). Ältere aufwendige Verfahrensstandards wurden reduziert, Entscheidungsfristen und Präklusionsvorschriften eingeführt. Nicht alles, was daran ungewohnt ist, sollte allein deshalb kritisiert werden, weil es von bisher Vertrautem abweicht. Beschleunigung dient der Verwaltungseffizienz, die ihrerseits ein rechtsstaatlicher Wert ist (→ 6/64–71); das gilt zumal in mehrpoligen Verwaltungsrechtsverhältnissen (→ 3/105–106). Doch steht die Beschleunigungsgesetzgebung in Gefahr, mit einer ungehinderten Eigendynamik wichtige Gegenpositionen zu überrollen78. Besonders kritisch ist die Situation im 73 74 75 76 77
78
EGMR NJW 1997, 2809 ff.; NJW 2001, 2694 ff.; std. Rspr.; BVerfGE 55, 349 (369); Kirchhof, in: FS für Doehring, S. 438 ff. Dazu Bullinger, in: Blümel/Pitschas, Reform des Verwaltungsverfahrensrechts, S. 127 (bes. S. 130 ff.). Kirchhof, in: HStR Bd. 5, § 125 Rn. 55. Zu Konsequenzen im Rahmen der Untätigkeitsklage nach § 75 VwGO vgl. A. Leisner, VerwArch 2000, S. 227 ff. Vgl. Rombach, Zeitfaktor in Genehmigungsverfahren. Dazu die Vorarbeiten der Unabhängigen Expertenkommission zur Vereinfachung und Beschleunigung von Planungsund Genehmigungsverfahren, „Investitionsförderung durch flexible Genehmigungsverfahren“, hrsg. vom Bundesministerium für Wirtschaft, 1994, S. 46 ff., bes. S. 65 ff.; ferner Stelkens/Schmitz, in: Stelkens/Bonk/Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz, § 10 Rn. 23 ff. Abgewogen dazu Bonk, NVwZ 1997, S. 320 ff.; Holznagel, in: Hoffmann-Riem/ Schmidt-Aßmann, Effizienz, S. 205 ff.
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Verwaltungsprozeßrecht, in dem durch Sonderverfahrensrecht die Rechtseinheit und durch punktuelle Eingriffe in den Bestand der Verwaltungsgerichtsordnung der klare Aufbau des Verwaltungsprozesses verloren zu gehen drohte79; inzwischen ist hier durch erneute Gesetzesänderung einiges korrigiert worden80. Mit gesetzgeberischem Aktivismus ist wenig gewonnen. Alle Beschleunigungsüberlegungen müssen breiter ansetzen. Dazu gehört es, daß die Binnenorganisation der Verwaltung auf Regeln umgestellt wird, die das Ressourcenbewußtsein fördern (→ 1/41–44). Loyalität gegenüber dem Verbindlichkeitsanspruch des Rechts, Bereitschaft zur Rechtsdurchsetzung und Zeitbewußtsein sind Elemente, die der Rechtsstaat nicht erzwingen kann, sondern die er voraussetzen muß. Das Verwaltungsrecht kann dazu aber den Weg ebnen und einen Rahmen vorgeben.
B. Grundrechtliche Entwicklungsimpulse 32 Unter allen rechtsstaatlichen Gewährleistungen haben die Grundrechte die Verwaltungsrechtsentwicklung der Nachkriegszeit am intensivsten geprägt81: Grundrechte zeigen die Grenzen von Eingriffsermächtigungen auf, lenken die Ermessensausübung und bilden Genehmigungstatbestände um82. Sie schaffen administrative Handlungspflichten und lösen einfachgesetzliche Normenkollisionen. Mit den grundrechtlichen Geboten der Verhältnismäßigkeit, der Gleichbehandlung und der Rechtssicherheit antwortet das Recht auf die elementaren Bedürfnisse nach Rationalität, Achtung und Orientierung. „Grundrechte enthalten eine Grundentscheidung für das Verhältnis des einzelnen zur staatlich verfaßten Gemeinschaft. Der einzelne ist Inhaber von Rechten gegenüber dem Staat, der sich aus der Garantie dieser Rechte legitimiert“83. Für das allgemeine Verwaltungsrecht sind drei hervorstechende Effekte zu nennen: Zum einen haben alle verwaltungsrechtlichen Lehrsätze eine deutliche Subjektivierung erfahren. Das subjektive Recht wird mit der Schutznormlehre überall dort nachweisbar, wo Normen des objektiven Rechts neben ihrer allgemeinen Regelungsfunktion auch bestimmte rechtlich geschützte Interessen einzelner zum Ausgleich bringen sollen (→ 2/55–62). Das zweite Kennzeichen eines grundrechtlich ausgerichteten Verwaltungsrechts ist seine starke Sensibilisierung: Wirkungszusammenhänge zwischen Steuerungsvorgaben und privaten Interessenpositionen werden nach allen Richtungen hin auf ihre Intensität, ihre Breitenund ihre Tiefenwirkung untersucht und auf die Angemessenheit ihrer rechtsstaatlichen Sicherungen befragt (→ 2/47–54). Als drittes Merkmal ist eine ausgeprägte 79 80 81 82 83
Kritisch dazu Redeker, NVwZ 1996, S. 521 ff.; Meissner, in: FG 50 Jahre Bundesverwaltungsgericht, S. 625 ff. Gesetz vom 20.12.2001 (BGBl I S. 3987). Dazu Schmidt-Aßmann, in: FS für Redeker, S. 225 ff.; Dreier, DV 2003, S. 105 ff. Hain/Schlette/Schmitz, AöR 1997, S. 32 ff. Grzeszick, Rechte und Ansprüche, S. 1.
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Individualisierung zu nennen, in deren Gefolge freilich zuweilen überzogene Zumutbarkeits- und Billigkeitsüberlegungen Einzug in das Verwaltungsrecht gehalten haben (→ 2/64–65). Wenn die verwaltungsrechtliche Systematik sich als offene Systematik bewährt, dann ist das zu einem wesentlichen Teil diesen Entwicklungsanstößen zuzuschreiben: Die großen Herausforderungen an ein modernes Recht, die Erhöhung gesellschaftlicher Risikopotentiale, die Ausweitung staatlichen Handlungsbedarfs und die geänderten gesellschaftlichen Einstellungen zu Art und Weise staatlicher Kompetenzausübung – sie alle werden von den Grundrechten her als Rechtsprobleme formulierbar. Neben den grundrechtlichen Ansatz müssen allerdings die objektiv-rechtlichen Gewährleistungselemente des rechtsstaatlichen Rationalitätsgebots treten, um auf die genannten Herausforderungen mit den Mitteln des Verwaltungsrechts reagieren zu können (→ 2/75–78).
I. Bedeutungsschichten der Grundrechte 33 Strukturbestimmende Einwirkungen werden sichtbar, wenn man sich an den Bedeutungsschichten der Grundrechte orientiert. Ihre in den Grundrechtslehren weiter entfalteten Gehalte sind freilich alles andere als statische Gebilde84. Die Dynamik ihrer Entwicklung, zumal die der schutzrechtlichen Grundrechtsgehalte, hat sich dem Verwaltungsrecht mitgeteilt und hier zu einer Erweiterung der Verwaltungsaufgaben, aber auch zu einer Veränderung im Verhältnis der Verwaltung zum Gesetz geführt.
1. Abwehrrechtliche Gehalte 34 Der durch regulatorische Eingriffe bestimmte Bereich war schon durch das ältere rechtsstaatliche Verwaltungsrecht mit freiheitssichernden Vorkehrungen gegenüber der Exekutive ausgestattet worden85. Die Gewährleistungsfunktion des Gesetzes gegenüber dem Eingriff in Freiheit und Eigentum, das subjektive Abwehrrecht und die eingriffsminimierende Wirkung des Verhältnismäßigkeitsprinzips waren für diese „klassische“ dogmatische Grundsituation bereits anerkannte Institute. Wenn sie heute auch oder vorrangig auf Grundrechte gestützt werden86 und dadurch einen doppelten Geltungsgrund erhalten, so geht es eher um eine Akzentuierung ihres Ranges, um die Ergänzung von Begründungsmustern und um den Zugang zur Verfassungsbeschwerde. Ferner haben die Folgenbeseitigungs- und die Unterlassungsansprüche erst auf grundrechtlichem Boden in ihrer Deutung als wesensnotwendige Hilfsrechte der Abwehrrechte ihre volle Entfal84
85 86
Systematisch Stern, Staatsrecht, Bd. 3/1, § 65 ff.; Isensee, in: HStR Bd. 5, § 111; Murswiek, in: HStR Bd. 5, § 112; Denninger, in: HStR Bd. 5, § 113; Haverkate, Verfassungslehre, S. 192 ff.; Sachs, in: ders., Grundgesetz, Vor Art. 1 Rn. 27 ff. Dazu Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts, Bd. 2, S. 364 ff. Ausführlich Kunig, Rechtsstaatsprinzip, bes. S. 316 ff. u. 350 ff.
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tung erfahren87. Heute erweisen sich Individualrechtsschutz und Staatshaftungsrecht als zwei Seiten derselben Medaille, die als Systemteile auf gemeinsamer abwehrrechtlicher Grundlage behandelt werden müssen88. Vor allem aber sind es die Ausdifferenzierungen und Erweiterungen des Eingriffsbegriffs als Reaktionen auf die erweiterten Handlungsmöglichkeiten der Verwaltung, die die systemprägenden Erträge der grundrechtlichen Durchdringung ausmachen (→ 2/47–54).
2. Grundrechte als Schutzaufträge 35 Grundrechte sind für das Verwaltungsrecht ferner in ihrer schutzrechtlichen Funktion bedeutsam89. Die neuere Grundrechtslehre formuliert hiermit jene schon in Art. 1 Abs. 1 S. 2 GG vorgezeichnete elementare Verpflichtung, die zu den ältesten Aufgaben des Rechtsstaates gehört, unter den Gliedern des Gemeinwesens eine Friedensordnung durch Recht herzustellen und zu gewährleisten90. Die verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung hatte das Thema, noch ohne grundrechtliche Fundierung, z.B. in der Lehre von der rechtsstaatlich veranlaßten Reduktion des polizeilichen Eingriffsermessens zutreffend erkannt91: Es geht darum, staatliches Handeln auch gegenüber der von privater Seite drohenden Gefährdung grundrechtlicher Schutzgüter zu aktivieren. Dieser Gedanke läßt sich heute auch in der Rechtsprechung der europäischen Gerichte nachweisen92. 36 Die Schutzpflicht ist Grundlage des Rechts der inneren und äußeren Sicherheit93. Sie hilft, die Handlungsinstrumente des Risikorechts und die mehrpoligen Rechtsverhältnisse sowie die zu ihrer Ordnung eingesetzten Formen komplexer Verwaltungsentscheidungen systematisch richtig zu erfassen. Sie bildet das grundrechtliche Widerlager für den oben beschriebenen Doppelauftrag des Verwaltungsrechts, staatliches Handeln nicht nur eingrenzend zu disziplinieren, sondern auch fördernd zu ermöglichen (→ 1/30–32). Neben das abwehrrechtliche Übermaßverbot tritt das schutzrechtliche Untermaßverbot94. Verwaltungsaufgaben und Grundrechte erscheinen nicht länger nur als Antipoden. Das 87 88 89
90 91 92
93 94
Dazu Stern, Staatsrecht, Bd. 3/1, § 66 III; am Beispiel des Folgenbeseitigungsanspruchs: BVerwGE 69, 366 (370 f.) und 82, 76 (95); Schoch, VerwArch 1988, S. 1 (34 f.). Dazu Grzeszick, Rechte und Ansprüche, bes. 186 ff. Dietlein, Grundrechtliche Schutzpflichten; Unruh, Die Dogmatik der Schutzpflichten; Dolderer, Objektive Grundrechtsgehalte, bes. S. 177 ff.; Wahl/Masing, JZ 1990, S. 553 ff.; H. H. Klein, DVBl 1994, S. 489 ff. Ähnlich Isensee, in: HStR Bd. 5, § 111 Rn. 32. Grundlegend der „Kohlenhandel“-Fall, BVerwGE 11, 95 (97). EGMR NJW 2001, 1991 (1994): Ermittlungspflichten; EuGHE 1997, 6959 (6998 f.); Ehlers, in: ders., Europäische Grundrechte, § 2 Rn. 9; § 13 Rn. 20; Jaeckel, Schutzpflichten im deutschen und europäischen Recht; Suerbaum, EuR 2003, S. 390 ff. Vgl. Möstl, Garantie für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, S. 37 ff. mit der Unterscheidung: Staatsaufgabe, Staatsziel und grundrechtliche Gewährleistung. Zum Begriff BVerfGE 88, 203 (254); zur Ausformung in die Teilprinzipien der Geeignetheit, Effektivität und Zumutbarkeit Möstl, Garantie für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, S. 99 ff.
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Schutzpflichtkonzept wird zur grundrechtlichen Antwort auf neue oder in ihrer Bedeutung erst jetzt richtig erkannte Herausforderungen95. 37 Abwehrrechtliche und schutzrechtliche Seite wurzeln zwar in demselben Freiheitsrecht, weichen aber in „Bauplan und Anwendungsschema“ erheblich voneinander ab96: Die grundrechtliche Begrenzung des Eingriffs bedarf nicht der gesetzlichen Ausformung, um als subjektives Recht einsetzbar zu sein; das gilt jedenfalls für die leicht zu identifizierenden regulatorischen Staatseingriffe. Demgegenüber bleibt die grundrechtliche Schutzpflicht zu ihrer Umsetzung im Verwaltungsalltag regelmäßig auf eine Konkretisierung durch Gesetz angewiesen. Der Gesetzgeber ist es, der das „Schutzkonzept“ aufzustellen und die komplizierten Abwägungen vorzunehmen hat, ohne die die schutzrechtliche Bedeutung der Grundrechte nicht angemessen bestimmt werden kann97. Er genießt dabei regelmäßig einen weiten Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsspielraum98. 38 Schutzpflichten müssen nicht notwendig durch Regelungen des öffentlichen Rechts oder durch Handlungsaufträge an die Verwaltung erfüllt werden. Dem Gesetzgeber stehen vielmehr alle Bereiche der Rechtsordnung, vor allem auch das Privatrecht und die privatrechtlichen Ausgleichs- und Konfliktregelungen zur Verfügung99, ohne daß das Privatrecht deshalb in seiner ganzen Breite als ein typisches Schutzrecht interpretiert werden dürfte. Über die schutzrechtliche Perspektive gewinnt das Verwaltungsrecht Anschluß an die allgemeine Steuerungsdiskussion und ihre Frage nach anderen als hoheitlich-regulatorischen Instrumenten. Verwaltungsrecht und Privatrecht werden so zu „wechselseitigen Auffangordnungen“, die – freilich mit sehr unterschiedlichen Rationalitätsmustern – dieselbe Zielrichtung verfolgen können (→ 6/28–31). 39 Eine verfassungsunmittelbare, gesetzesunabhängige Befugnis der Verwaltung, in die Rechtssphäre des Verursachers einer Drittbeeinträchtigung einzugreifen, begründet der Schutzgedanke nicht100. Diese Unterschiede zwischen abwehr- und schutzrechtlicher Bedeutungsschicht lassen sich auch nicht dadurch ausräumen, daß die privat verursachte Verletzung dem Staat unmittelbar zugerechnet und als staatlicher Eingriff definiert wird101. Die Verteilungs- und Zuweisungsfunktion des parlamentarischen Gesetzes ist für die Schutzrechtsdogmatik unverzichtbar. Die Doppelrolle, in die das Recht den Staat als potentiellen Widersacher und Garanten der Grundrechte einweist, muß durch das System der Gewal95 96 97 98 99 100 101
Vgl. Köck, AöR 1996, S. 1 ff. Isensee, in: HStR Bd. 5, § 111 Rn. 8, 37 ff. und 88 ff.; Wahl/Masing, JZ 1990, S. 553 (558) sprechen von einer „fundamentalen Differenz“. Dazu Böckenförde, Staat 1990, S. 1 (19 ff.). H. H. Klein, DVBl 1994, S. 489 (495); BVerfGE 77, 170 (214 f.) und 88, 203 (261 f.). Vgl. H. H. Klein, DVBl 1994, S. 489 (492); vgl. auch BVerfGE 81, 242 (254 f.). Ebenso Isensee, in: HStR Bd. 5, § 111 Rn. 148 u. 152; Wahl/Masing, JZ 1990, S. 553 (558 f.); auch Dreier, DV 2003, S. 105 (129 ff.). So aber mit Unterschieden in den Ansätzen Schlink, EuGRZ 1984, S. 457 ff.; Murswiek, Staatliche Verantwortung, S. 69 ff. Dagegen Stern, Staatsrecht, Bd. 3/1, § 67 V 2 a; H. H. Klein, DVBl 1994, S. 489 (496).
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tenteilung institutionell aufgenommen und ausgeglichen werden102. Dabei ist das Gesetz hier so wenig wie andernorts auf ein Höchstmaß an Bestimmtheit festgelegt (→ 4/26–35); aber eine Grundlage mindestens in der Art einer Generalklausel muß vorhanden sein.
3. Weitere Bedeutungsschichten 40 Die Auseinandersetzungen um die schutzrechtliche Bedeutung der Grundrechte machen nur dogmatische Schwierigkeiten deutlich, die sich vorher schon bei der Entfaltung der leistungsrechtlichen, der verfahrensrechtlichen und der organisationsrechtlichen Bedeutung der Grundrechte ähnlich ergeben hatten.
a) Leistungsrechtliche Schichten 41 Die leistungsrechtliche Deutung will Situationen individueller Abhängigkeit von staatlichen Leistungen verfassungsnormativ einfangen103. Die Grundrechte schaffen einen Rechtsboden, von dem aus Verteilungsmaßstäbe für vorhandene Kapazitäten entwickelt werden können. Originäre Leistungsansprüche sind dagegen selten; sie bedürfen prinzipiell der Normierung durch Gesetz. Fehlt es daran, bedarf es einer besonderen Tatbestandsverdichtung, z.B. des Rekurses auf den unabdingbaren Minimalstandard, um ausnahmsweise zu grundrechtsunmittelbaren Ansprüchen zu gelangen104. Die Verantwortung für die erforderliche Abwägung trifft also grundsätzlich das Parlament. Das gilt auch für die Aufhebung bestehender Leistungsansprüche. Dabei sind, da staatliches Geben staatliches Nehmen voraussetzt105, nicht nur konkurrierende Rechtsansprüche und Interessen der öffentlichen Haushaltswirtschaft, sondern auch die Belange derer zu berücksichtigen, die die Lasten der Mittelaufbringung zu tragen haben werden106. Grundrechtliche Teilhaberechte stehen unter dem Vorbehalt des Möglichen im Sinne dessen, was der einzelne vernünftigerweise von der Gesellschaft beanspruchen kann107. In ihrer Abhängigkeit von der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Staates und von der gesamtwirtschaftlichen Lage unterscheiden sich leistungs- und abwehrrechtliche Grundrechtsgehalte wesentlich voneinander108. Diese „finanzwirtschaftliche Anfälligkeit des Rechtsstaates“ (Kirchhof) wird durch Grundrechte ebenso wenig wie durch das Sozialstaatsprinzip aufgehoben 102 103
104 105 106 107 108
Isensee, in: HStR Bd. 5, § 111 Rn. 4. BVerfGE 33, 303 (330 ff.); Haverkate, Rechtsfragen des Leistungsstaates, S. 63 ff.; Stern, Staatsrecht, Bd. 3/1, § 67; Murswiek, in: HStR Bd. 5, § 112 Rn. 21, 69 ff.; Schmidt-Aßmann, Grundrechtspositionen und Legitimationsfragen, S. 12 ff. Sendler, DÖV 1978, S. 581 (589); Murswiek, in: HStR Bd. 5, § 112 Rn. 98 ff. Systematisch Kirchhof, in: HStR Bd. 4, § 88 Rn. 8 ff.; ders., NVwZ 1983, S. 505 (507). Zu Grenzen staatlicher Steuererhebung allgemein BVerfGE 93, 121 (138); Kirchhof, AöR 2003, S. 1 ff. BVerfGE 33, 303 (333); 87, 1 (35 f.); 97, 332 (349). Murswiek, in: HStR Bd. 5, § 112 Rn. 57 ff.; Kirchhof, in: HStR Bd. 3, § 59 Rn. 79 ff.
1. Abschnitt: Die Bedeutung des Rechtsstaatsprinzips
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(→ 3/87). Immer deutlicher tritt dabei hervor, daß leistungsrechtliche Grundrechtsgehalte auf drei- und mehrpolige Interessenstrukturen bezogen sind. Das verlangt, auf der Ebene des Verwaltungsrechts stärker als bisher Leistungsrecht und Haushaltsrecht zu verzahnen (→ 6/170–172). Das Haushaltsrecht ist eine „finanzrechtliche Konkretisierung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes“109.
b) Verfahrensrechtliche Bedeutung 42 Die rechtsschützende Funktion des Verfahrensrechts war schon dem älteren rechtsstaatlichen Verwaltungsrecht durchaus vertraut. Dennoch ist die „Prozeduralisierung des Verwaltungsrechts“ erst unter grundrechtlichen Einflüssen zu voller Entfaltung gelangt. Das Verfahrensrecht ist zu einem eigenständigen Teil des allgemeinen Verwaltungsrechts geworden (→ 6/46–56)110. Für einige Grundrechte liegt die Verfahrensabhängigkeit ihres materiellen Schutzgehalts offen zutage; das gilt z.B. für Art. 16a und Art. 4 Abs. 3 GG. Aber auch für Art. 2 Abs. 2, 12 und 14 GG lassen sich solche Bezüge nachweisen111. Eine herausgehobene Rolle spielen Verwaltungsverfahren, wenn es darum geht, Grundrechtskollisionen, z.B. solche zwischen Forschungsfreiheit (Art. 5 Abs. 3 GG) und Patientenrechten, aufzulösen112. Auch die staatsentlastende Schaffung rechtssichernder Verfahrensgestaltungen zwischen Privaten – das Privatverfahrensrecht113 – gehört systematisch in diesen Zusammenhang. 43 Freilich können unmittelbare Schlüsse von der grundrechtlichen Bedeutsamkeit des Verfahrens auf seine verfassungsnotwendige Ausgestaltung und auf die Folgen unterlaufener Verfahrensfehler nur schwer gezogen werden. Gewiß gibt es einige wesensnotwendige Verfahrensrechte wie das Anhörungsrecht des Eingriffsbetroffenen oder den Anspruch auf Schutz von persönlichen Daten. Im übrigen aber sind Verfahren Handlungszusammenhänge, in denen die einzelnen Vorgänge unterschiedliche Bedeutung haben und die daher in ihrer Wirksamkeit nur aus dem Zusammenhang heraus bewertet werden können. Welche Elemente eines solchen Zusammenhangs für den Grundrechtsschutz unverzichtbar sind und deshalb eine besondere Beachtung beanspruchen können, läßt sich nur nach sehr sorgfältiger Analyse der einzelnen Wirkungsstufen ermitteln114 (→ 1/49). Die den grundrechtlichen Verfahrensrechtsschutz ausgestaltenden Gesetze stellen daher regelmäßig Abwägungsentscheidungen dar, die über den Rang einfachen Rechts nicht hinauswachsen115. Die Bauformen eines Verfahrenszusammenhangs sind vielfältig, und ihre Verbindungen sind variabel (→ 6/151 ff.); es geht um mit109 110 111 112 113 114 115
Kirchhof, NVwZ 1983, S. 505 (514). Lerche/Schmitt Glaeser/Schmidt-Aßmann, Verfahren, bes. S. 3 ff. und S. 37 ff. BVerfGE 53, 30 (65 ff.): Grundrechtsschutz ist weitgehend auch durch die Gestaltung von Verfahren zu bewirken; ferner BVerfGE 84, 34 (45 ff.). Britz, Staat 2003, S. 1 ff. Hoffmann-Riem, DVBl 1996, S. 225 ff. Dazu Denninger, in: HStR Bd. 5, § 113 Rn. 6 ff. Grimm, NVwZ 1985, S. 865 (869); Denninger, in: HStR Bd. 5, § 113 Rn. 38.
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telbar wirkende Kontextsteuerung. Grundrechte verlangen keineswegs, daß Verfahren möglichst zeitaufwendig ausgestaltet werden. Neben subjektiven Verfahrensrechten können daher für eine grundrechtskonforme Verfahrensgestaltung auch Fristenbindungen, Mitwirkungslasten und Präklusionsregelungen eine Rolle spielen116. Das gilt zumal für Verfahren, die mehrpolige Verwaltungsrechtsverhältnisse betreffen und für die folglich auch die gebotene Rücksichtnahme auf Rechte anderer Beteiligter eine klare Struktur verlangt (→ 1/32)117.
c) Organisationsrechtliche Bedeutung 44 In noch höherem Maße ist die vorrangige Gestaltungsfunktion des Gesetzgebers dort beachtlich, wo organisationsrechtliche Schichten der Grundrechte ins Spiel kommen. Auch hier ist der abwehrrechtliche Gehalt als Schutz vor einer Vereinnahmung durch Organisationen einfacher zu konstruieren als der Schutz durch Organisationen. Das zeigt sich etwa im Rundfunk- und im Hochschulrecht. Organisationen sind nicht einfache Handlungsabläufe, sondern Netzwerke. Die Fragen ihrer grundrechtlichen Bewertung lassen sich nur über verwaltungswissenschaftliche Zwischenschritte und Plausibilitätserwägungen beantworten. Eine sachgemäße Entfaltung eines grundrechtlichen Organisationsrechts erfordert folglich eine andere Art verwaltungsrechtlichen Denkens, als sie aus einem vor allem an Zuständigkeitsfragen interessierten Organisationsrecht vertraut ist: Die Rechtsdogmatik muß hier über ihre traditionellen Interpretationsmittel hinausgreifen und sich eines Grundbestandes organisationswissenschaftlicher Erfahrungen versichern, um die „Bewegungsgesetze“ von Organisationen analysieren und rechtlich bewerten zu können (→ 5/9–14). Das Selbstverständnis von Repräsentanten gesellschaftlicher Gruppen, das typische Entscheidungsverhalten von Kollegialgremien oder die tatsächliche Wirksamkeit einer bestimmten organisationsinternen Verfahrensvariante werden so zu Bestandteilen von Rechtsaussagen118.
4. Die Rolle von Verbänden und Unternehmen 45 Die Bedeutung der Grundrechte für das Verwaltungsrecht wäre nicht hinreichend erfaßt, bezöge man nicht auch Art. 19 Abs. 3 GG in die Betrachtung ein119. Indem diese Vorschrift juristischen Personen eine Grundrechtsberechtigung zuerkennt, die sich nicht als bloß treuhänderische Wahrnehmung der Rechte 116 117 118
119
BVerfGE 61, 82 (116). Vgl. Schmidt-Preuß, Kollidierende Privatinteressen, S. 531 ff. Anschaulich BVerfGE 35, 79 (bes. 114 f.), 83, 238 (bes. 332 f.) und 90, 60 (96–105); Groß, Kollegialprinzip, S. 224 ff. Zum organisationsrechtlichen Schutz im Indizierungsverfahren nach dem GjS BVerfGE 83, 130 (149 f.). Beispielhaft belegt durch die Schriften von Gersdorf, Öffentliche Unternehmen, S. 63 ff.; Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, S. 394 ff. und 413 ff.; Storr, Der Staat als Unternehmer, S. 187 ff.
1. Abschnitt: Die Bedeutung des Rechtsstaatsprinzips
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ihrer Mitglieder darstellt, sondern eigenständig ist120, wird die verfassungsnormative Bedeutung der Verbände, der Unternehmen, der Selbstregulierungsmechanismen und der intermediären Einrichtungen hervorgehoben121. „Der Geltungsraum der Grundrechte weitet sich über die Sphäre der Privatheit und Subjektivität hinaus in die der öffentlichen Aufgaben, der gemeinwohlwichtigen Institutionen, der gesellschaftlichen Prozesse“122. 46 Art. 19 Abs. 3 GG rechnet Kollektivpersonen und Gruppenmächte nicht einem dritten Sektor, sondern der grundrechtlichen Sphäre zu123. Ihre Tätigkeit bedarf keiner besonderen Rechtfertigung, und die Legitimationsanforderungen, die das Grundgesetz an die Ausübung staatlicher Herrschaft stellt, sind auf sie grundsätzlich nicht anwendbar. Trotzdem griffe es zu kurz, die Tätigkeit juristischer Personen ganz in Parallele zum Handeln natürlicher Personen zu setzen. Die Schutzbedürfnisse, die im Tätigkeitsbereich juristischer Personen entstehen, sind mehrschichtig. Organisationen können die individuelle Grundrechtsausübung ihrer Mitglieder nicht nur absichern, sondern auch gefährden124. So sehr der Staat gemäß Art. 19 Abs. 3 GG zur Respektierung der eigenen Grundrechtssphäre einer juristischen Person gehalten ist, so kann er doch ebenso verpflichtet sein, durch rahmensetzende Regelungen die Rechte ihrer Mitglieder oder Außenstehender zu sichern125. Von dieser schutzrechtlich bestimmten staatlichen Organisationsverantwortung werden Übergänge zu einer vorwirkenden Legitimationsverantwortung sichtbar, die den Staat dort trifft, wo Einrichtungen gesellschaftlicher Selbstorganisation, z.B. bei der Technischen Normsetzung, in herausgehobener Weise in die Erfüllung öffentlicher Aufgaben einbezogen werden (→ 2/100–101; 5/59–62)126.
II. Grundrechtliche „Sensibilisierung“: mittelbare Beeinträchtigungen 47 Die Grundrechte haben das Verwaltungsrecht in einer spezifischen Weise für das „Gegenüber“ der Verwaltungshandlung sensibilisiert und damit die Handlungsorientierung des älteren Verwaltungsrechts um eine Folgenorientierung ergänzt127. Das war in zweifacher Hinsicht ein wichtiger Entwicklungsschritt: Zum einen wird das Verwaltungsrecht im Sinne eines Rechtsverhältnisdenkens davor bewahrt, Vorgänge vorrangig aus administrativer Blickrichtung zu betrach120 121 122 123 124 125 126 127
Isensee, in: HStR Bd. 5, § 118 Rn. 3; Rüfner, in: HStR Bd. 5, § 116 Rn. 31. Dreier, in: ders., Grundgesetz, Art. 19 III Rn. 17 ff. Isensee, in: HStR Bd. 5, § 118 Rn. 6. Das gilt heute auch für juristische Personen mit Sitz im EU-Ausland, vgl. Kotzur, DÖV 2001, S. 192 ff. Vgl. am Beispiel der Wissenschaftseinrichtungen Trute, Forschung, S. 349 ff. Dazu Isensee, in: HStR Bd. 5, § 118 Rn. 61 ff., bes. 68 ff. Vgl. Michael, Rechtsetzende Gewalt, S. 372 ff. Grabitz, Freiheit und Verfassungsrecht, bes. S. 32 ff., spricht von einem Grundrechtsschutz nach dem Effekt staatlichen Handelns.
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ten128. Zum anderen weitet die Folgenorientierung den Blick für neue Handlungsweisen der Verwaltung, die nicht den klaren rechtsförmlichen Zuschnitt der klassischen Handlungsformen aufweisen. Bedacht werden muß freilich auch, daß die Sensibilisierung nicht dazu führen darf, staatliche Instanzen und insbesondere die öffentliche Verwaltung für alles verantwortlich zu machen. Das soll hier beispielhaft an den Wandlungen des Eingriffsbegriffs als einer für das Verwaltungsrecht zentralen Rechtsfigur untersucht werden.
1. Wandlungen des Eingriffstatbestandes 48 Die ältere Verwaltungsrechtslehre legte mit dem Eingriff ein in zweifacher Weise, in Tatbestand und Konsequenzen, weitgehend geschlossenes Ordnungsmodell zugrunde129. Tatbestandlich wurde der Eingriff durch vier Merkmale qualifiziert: Er war eine hoheitliche, rechtsförmliche, finale und unmittelbare Beeinträchtigung eines Rechtsgutes; es ging also um imperative Zugriffe130. In seinen Konsequenzen löste der so definierte Eingriff einen festen Bestand rechtsstaatlicher Schutzmechanismen aus: den Gesetzesvorbehalt, das Übermaß- und das Willkürverbot, die Möglichkeit der Abwehrklage und in der Regel gewisse Verfahrensvorkehrungen. Auch für ein modernes Verwaltungsrecht ist dieser Grundtatbestand des Eingriffs nach wie vor ein Schlüsselbegriff (→ 4/16), der dem wichtigen und großen Bereich des imperativen Staatshandelns klar konturierte Systemfolgen zuordnet. 49 Der umfassende Geltungsanspruch der Grundrechte hat den Blick zunehmend auch auf Vorgänge gelenkt, in deren Gefolge sich grundrechtliche Interessen gemindert sehen, ohne daß der Vorgang selbst alle überkommenen Eingriffsmerkmale erfüllt131. Neben Vorgängen, die ohne weiteres dem staatlichen Steuerungsinstrumentarium zuzuordnen sind, wie bestimmte Arten des informalen Verwaltungshandelns, stehen Beeinträchtigungen durch private Dritte, die sich nur über zahlreiche Zwischenglieder auf eine staatliche Mitwirkung zurückführen lassen. Wieder andere Beeinträchtigungen sind singuläre Streu- oder unbedachte Fernfolgen anderer staatlicher Aktivitäten. Eingriffsähnliche Maßnahmen, denen nur das Merkmal der rechtsförmlichen Regelung fehlt, finden sich hier ebenso wie Beeinträchtigungen grundrechtlicher Schutzinteressen, bei denen nicht einmal die Zurechnung zum staatlichen Verantwortlichkeitsbereich eindeutig ist. Besondere Schwierigkeiten bereiten in diesem Zusammenhang die mehrpoligen Grundrechtslagen regulierter Selbstregulierung (→ 2/54). 128 129 130 131
Gröschner, Überwachungsrechtsverhältnis, S. 104: teleologisch denkende Eingriffsdogmatik und dialogisch denkende Rechtsverhältnisdogmatik. Zum folgenden Isensee, in: HStR Bd. 5, § 111 Rn. 58 ff. Vgl. die Definition in BVerfGE 105, 279 (299 f.). BVerfGE 105, 279 (303); grundlegend Gallwas, Faktische Beeinträchtigungen; Kirchhof, Verwalten durch mittelbares Einwirken, bes. S. 105 ff.; Ramsauer, Faktische Beeinträchtigungen; Stern, Staatsrecht, Bd. 3/1, § 72 III 4 und Bd. 3/2, § 78 (Sachs) mit weit. Nachw.; Michael, Rechtsetzende Gewalt, S. 320 ff.
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50 Im ersten Zugriff liegt es nicht fern, mittelbare oder faktische Grundrechtsbeeinträchtigungen in einer wenigstens eingriffsähnlichen Dogmatik aufzufangen, weil sie in Intensität und Nachhaltigkeit ihres Belastungsgehaltes dem klassischen Eingriff oft nicht nachstehen, ihn darin sogar übertreffen können. Das wurde jedenfalls bisher von der herrschenden Ansicht z.B. für amtliche Verlautbarungen, Warnungen und Empfehlungen, für staatliche Informationsakte also132, angenommen, deren wirksame Korrektur oft schwerer zu erreichen ist, als das für den auf Anfechtungsklage hin aufhebbaren und damit in seinen Rechtswirkungen obsoleten Verwaltungsakt gilt133. Dieser erste Leitsatz einer Dogmatik der faktischen und mittelbaren Grundrechtsbeeinträchtigungen findet sich bündig in der „Transparenzlisten“-Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts formuliert134: „Denn weder schützen die Grundrechte nur gegenüber obrigkeitlich regelnden Maßnahmen, noch erfordern sie generell, daß die Belastung des Einzelnen unmittelbare Folge der staatlichen Maßnahme ist. Unter Berücksichtigung der Schutzfunktion des jeweiligen Grundrechts kann vielmehr – je nach Art und Ausmaß – auch eine tatsächliche Betroffenheit des Grundrechtsträgers einen Grundrechtseingriff bedeuten“. 51 Aber noch eine zweite Diskussionslinie muß bedacht werden: Beeinträchtigungen in „grundrechtsrelevanten Bereichen“ sind Erscheinungen sehr unterschiedlicher Wirkungsintensitäten, oft auch ohne feste Verknüpfung zum staatlichen Verantwortungsbereich. Zunehmende Erkenntnisse ökonomischer, ökologischer, sozialer oder finanzieller Zusammenhänge vermögen immer neue Beeinträchtigungspfade aufzuzeigen und lassen im Wege oft recht vager Rückschlüsse immer neue Fern- und Folgewirkungen staatlichen Handelns oder Unterlassens aufleuchten. Grundrechte sind aber als Rechte auf Filterung und auf Wertungen, nicht auf schematische Rezeption wirklicher oder vermeintlicher Realbefunde angelegt. Selbst für das staatliche Informationshandeln ergibt sich hier kein eindeutiges Ergebnis. Das hat das Bundesverfassungsgericht in zwei Entscheidungen vom 26.6.2002 gezeigt135: Marktbezogene Informationen des Staates beeinträchtigen danach als solche den grundrechtlichen Gewährleistungsbereich nicht, sofern der Einfluß auf wettbewerbserhebliche Faktoren ohne Verzerrung der Marktverhältnisse nach Maßgabe der rechtlichen Vorgaben für staatliches Informationshandeln erfolgt136. Aber auch dort, wo von einer Grundrechtsbeeinträchtigung auszugehen ist, werden staatliche Informationsakte nicht auf die klassische Eingriffsdogmatik verpflichtet. Vielmehr sollen statt spezifizierender Befugnisnormen auch allgemeine Aufgabennormen als Ermächtigungsgrundlage 132 133 134 135 136
Zu Begriff und Systematik ausführlich Di Fabio, Risikoentscheidungen, S. 398 ff.; v. Danwitz, Staatliche Produktempfehlungen, S. 17 ff. und 58 ff. Isensee, in: HStR Bd. 5, § 111 Rn. 63; Murswiek, DVBl 1997, S. 1021 ff. mit Nachw. BVerwGE 71, 183 (191); ferner BVerwGE 90, 112 (121 ff.); ähnlich BVerfGE 105, 279 (303). Dazu Murswiek, NVwZ 2003, S. 1 ff.; P. M. Huber, JZ 2003, S. 290 ff.; v. Danwitz, Staatliche Produktempfehlungen, S. 28 ff. BVerfGE 105, 252 (268 ff.).
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genügen, weil sich faktisch-mittelbare Auswirkungen aus komplexen Geschehensabläufen exakter Erfassung durch den Gesetzgeber entziehen137. Erst dort, wo staatliche Informationen als funktionale Äquivalente für regulatorische Mittel eingesetzt werden, soll eine Grundrechtsbeeinträchtigung vorliegen, für die die für klassische Eingriffe geltenden rechtlichen Anforderungen gestellt werden138 (→ 4/17). Selbst wenn bisher nicht ganz eindeutig ist, ob die auf das gubernative Informationshandeln bezogenen Aussagen in gleicher Weise für die administrative Informationstätigkeit gelten sollen139, läßt sich doch eine dogmatische Grundlinie erkennen: Grundrechtliche Sensibilisierung des Verwaltungsrechts heißt danach nicht, daß jeder Empfindlichkeit rechtlich sogleich mit dem kompletten Schutzinstrumentarium der Eingriffsdogmatik beigesprungen werden muß. Eine Verwaltungsrechtsdogmatik darauf zu gründen, hieße den rechtsstaatlichen Gewährleistungen ihre Differenzierungsfähigkeit und dem staatlichen Handeln jede Flexibilität zu nehmen. Auch aus dieser Diskussionslinie zieht schon das „Transparenzlisten“-Urteil die zutreffende Konsequenz: Grundrechte schützen nicht vor jeder nachteiligen Betroffenheit des einzelnen140.
2. Gebot systematischer Erfassung 52 Genauer betrachtet geht es also darum, die ganze Palette der Sicherungsund Schutzinstrumente, über die das Verwaltungsrecht auch außerhalb des Eingriffsrechts verfügt, systematisch zu allen Arten faktischer Beeinträchtigungen in Beziehung zu setzen und funktionsgerechte Verbindungen herzustellen. Eine solche Arbeit verlangt ein zweiachsiges Koordinatensystem: Zum einen sind die Beeinträchtigungen nach Struktur und Vorgang, Art der betroffenen Rechtsposition, Intensität der Einwirkung, Vorhersehbarkeit, Häufigkeit, Außenwirkung, Gewicht, Staatsnähe u.a. zu analysieren141. Die solchermaßen „aufgeschlüsselten“ Vorgänge sind sodann darauf zu untersuchen, inwieweit die Gesetzesvorbehalte, das Verhältnismäßigkeitsprinzip, das Willkürverbot, das Bestimmtheitsgebot, Anhörungspflichten, die grundrechtlichen Reaktions-, Restitutions- und Ausgleichspflichten sowie die Mittel vorbeugenden Rechtsschutzes – einzeln oder zusammen – gefährdungsadäquate Reaktionen der Rechtsordnung bieten können. Die Frage nach der rechtsstaatlichen Notwendigkeit, informales Verwaltungshandeln behutsam zu „reformalisieren“, nimmt diese Ansätze auf (→ 6/125–137). 53 Dabei zeigt sich, daß der Gesetzesvorbehalt als ein präventiv ansetzendes Instrument keineswegs auf alle Vorgänge faktischer Beeinträchtigungen übertra137 138 139 140 141
BVerfGE 105, 279 (303 f.). BVerfGE 105, 252 (273). Dazu differenzierend v. Danwitz, Staatliche Produktempfehlungen, S. 62 ff. BVerwGE 71, 183 (192). Ausführlich dazu Stern, Staatsrecht, Bd. 3/2, § 78 III 3 (Sachs), dort als Zurechnungsproblem definiert; Michael, Rechtsetzende Gewalt, S. 353 ff.
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gen werden kann. Sein Feld sind vor allem die nicht-imperativen, gleichwohl aber finalen Einwirkungen, bei denen sich auch im Blick auf die beeinträchtigte Position überhaupt von einer Steuerung sprechen läßt142. Das sind im wesentlichen die in der verfassungsgerichtlichen Judikatur genannten „funktionalen Äquivalente“ imperativer Maßnahmen. Hier ist der volle Bestand der eingriffsrechtlichen Kautelen, vor allem auch die Pflicht zur vorherigen Anhörung der Betroffenen, geboten. Für die heterogene Gruppe der administrativen Realakte ohne zusätzlichen Steuerungsgehalt ist an ein Stufenmodell zu denken: Für minimale Beeinträchtigungen ist von einem Bagatellvorbehalt auszugehen143. Mehr als nur zufällige Beeinträchtigungen lösen dann aber auf jeden Fall die Beachtung des Verhältnismäßigkeitsprinzips aus. Sind Grundrechtsbeeinträchtigungen die vorhersehbare Standardfolge solcher Akte, so muß der Gesetzgeber die Einschränkungen der grundrechtlichen Sphäre festlegen144. Gleiches gilt für den Umgang der Verwaltung mit sensiblen Datenbeständen, auch wenn er nach außen nicht in Erscheinung tritt145. 54 Bei Beeinträchtigungen durch Verhalten privater Dritter ist nach der Verwaltungsverantwortung im Beeinträchtigungsbereich zu fragen. Eine allgemeine administrative Einstandspflicht jedenfalls besteht nicht146. Auch wird nicht jede vorbereitende Mitwirkung der Behörde an dem privaten Zugriff automatisch zum Eingriff. Daß das typisch eingriffsrechtliche Abwehrinstrumentarium folglich über diese Verknüpfung nicht mobilisiert werden kann, bedeutet jedoch nicht, daß ein verwaltungsrechtlicher Schutz gegenüber drittvermittelten Beeinträchtigungen generell ausscheidet. Er ist nur nicht nach dem Eingriffsmodell zu konstruieren, sondern muß vor allem schutzrechtlich begründet und in seinen einzelnen Elementen durch funktionsgerechte Zuordnungen eigenständig zusammengestellt werden. Einen eigenen Problemkreis bilden die grundrechtlichen Reaktionen auf Arrangements kooperativer Verwaltung (→ 3/118–122), z.B. staatlich-gesellschaftlicher Absprachen im Bereich der Normsetzung (→ 6/133). Die Schwierigkeiten in der Erfassung der Zugriffsintensität werden hier durch eine mehrpolige Grundrechtslage potenziert, die sich mit Lothar Michael folgendermaßen beschreiben läßt147: „Sowohl die Urheberschaft normativer Absprachen als auch ihre Wirkungen fordern die Grundrechtsdogmatik zu neuen Ansätzen heraus. Lösungen müssen zwischen verschiedenen Grundrechtsbetroffenen differenzieren. Je unterschiedliche Probleme ergeben sich erstens für Unternehmen, die unmittelbar an Abspracheprozessen mit dem Staat beteiligt sind, zweitens für 142 143 144 145 146 147
Einzelheiten bei A. Roth, Drittbetroffenheit, S. 118 ff., 202 ff.; Di Fabio, Risikoentscheidungen, S. 434 ff.; v. Danwitz, Staatliche Produktempfehlungen, S. 76 ff. Isensee, in: HStR Bd. 5, § 111 Rn. 66; Hochhuth, NVwZ 2003, S. 30 (33). Zur Unterscheidung atypischer und vorhersehbarer Beeinträchtigungen vgl. BVerwGE 87, 37 (45 f.); A. Roth, Drittbetroffenheit, S. 349 ff. BVerfGE 65, 1 (44). Vgl. Isensee, in: HStR Bd. 5, § 111 Rn. 116 ff. Michael, Rechtsetzende Gewalt, S. 322.
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Verbände und Unternehmen, die als Verbandsmitglieder von Absprachen der Verbände mit dem Staat betroffen sind, drittens für die wettbewerblichen Konkurrenten selbstverpflichteter Unternehmen, die nicht verbandlich repräsentiert und nicht an der Absprache beteiligt sind, viertens für Zulieferer und gewerbliche Abnehmer selbstverpflichteter Unternehmen und fünftens für Verbraucher.“ Eine Lösung dieser Fragen verlangt, die abwehr- und die schutzrechtliche Dimension der Grundrechte in einem neuen status negativus cooperationis zusammenzuführen148, der freilich dem Umstand Rechnung tragen muß, daß den Staat bei der Errichtung solcher Kooperationssysteme nur eine Letztverantwortung trifft149. Es geht um kooperativ mediatisierte Grundrechtswirkungen.
III. Grundrechtliche „Subjektivierung“: subjektive Rechte und die Bedeutung der Schutznormlehre 55 Auch die Lehre vom subjektiven Recht verdankt den Grundrechten wichtige Entwicklungsanstöße. Der grundrechtliche „Subjektivierungsauftrag“ (Wahl) hat der historisch sehr viel älteren Rechtsfigur des subjektiven öffentlichen Rechts eine einheitliche materielle Basis gegeben und weist sie als unverzichtbares Institut des Verwaltungsrechts aus150. Grundrechte sind auf der Ebene der Verfassung selbst rahmengebende Rechte, die um ihren abwehrrechtlichen Kern weitere subjektive Rechte, Unterlassungs-, Beseitigungs-, Herstellungs-, Erstattungs- oder Entschädigungsansprüche und dazugehörige Hilfsrechte ausbilden151. Die schutzrechtliche Bedeutung der Grundrechte hat die Subjektivierungstendenzen verstärkt, so die Diskussionen über neue Schutzansprüche als Reaktionen auf neue Gefährdungslagen (→ 2/36), z.B. neue technische Risiken152, und zum Interessenschutz Dritter, die nicht Adressaten der Verwaltungsentscheidung sind, in den Formen der Nachbar- und Konkurrentenklage153. In seiner grundrechtsinitiierten weiten Fassung ist das subjektive öffentliche Recht ein Eckpfeiler im System des deutschen Verwaltungsrechts154. An dieser Grundaussage ist auch im Lichte der durch das EG-Recht angestoßenen Entwicklungen festzuhalten. Mag das Verständnis des subjektiven Rechts im EG-Recht von dem des deutschen Rechts in einigen Punkten abweichen155, so weisen die Anerken148 149 150 151
152 153
154 155
Grundlegend Michael, Rechtsetzende Gewalt, S. 353 ff., 364 ff. Dazu Frenz, Selbstverpflichtungen, S. 269 ff. Wahl, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, Verwaltungsgerichtsordnung, Vorb § 42 Abs. 2 Rn. 49 ff. Stern, Staatsrecht, Bd. 3/1 § 65 IV; Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, §§ 34 ff.; Isensee, in: HStR Bd. 5, § 111 Rn. 75 f.; Schoch, DV 2001, S. 261 ff.; Grzeszick, Rechte und Ansprüche, S. 141 ff. Damm, ARSP 1993, S. 159 (168 ff.). Vgl. P. M. Huber, Konkurrenzschutz; Schmidt-Preuß, Kollidierende Privatinteressen; speziell zum vorläufigen Rechtsschutz bei Drittklagen Schoch, Vorläufiger Rechtsschutz, S. 313 ff. Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 19 Abs. 4 Rn. 116 ff. Dazu Wegener, Rechte des Einzelnen, bes. S. 125 ff.
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nung der Grundfreiheiten als subjektive Rechte156 und der Ausbau des europäischen Grundrechtsschutzes doch in dieselbe Richtung: die Anerkennung der individuellen Rechtsmacht als eines zentralen Gestaltungselements der Rechtsordnung (→ 1/59)157.
1. Notwendigkeit einer normativen Basis 56 Gerade der Drittschutz hat freilich auch ein zentrales Konstruktionsproblem der grundrechtlichen Subjektivierung deutlich gemacht: die präzise Analyse eines komplexen Interessengeflechts und die Isolierung der darauf bezogenen rechtlichen Zuordnungskriterien. Die Problematik weist ähnliche Züge auf wie die Diskussion um die faktischen Grundrechtsbeeinträchtigungen. Auch hier zeigt sich, daß die Bezugnahme auf Grundrechte nicht zu pauschalen Zuweisungen führen darf. Das subjektive Recht ist eine rechtlich zuerkannte Willensmacht158. An diesem Erfordernis einer normativen Basis haben die Grundrechte nichts geändert. 57 Der hier zugrundegelegte normative Ansatz muß sich freilich mit dem Einwand auseinandersetzen, die Bestimmung der Individualsphäre in einem zentralen Punkte doch wieder dem Staat zu überantworten und damit die von der Verfassung angenommene Grundbefindlichkeit des einzelnen gegenüber staatlicher Gewalt umzukehren. Dieser Einwand liegt mehr oder weniger deutlich allen Bemühungen zugrunde, das subjektive Recht in die faktische Betroffenheit eines weit gespannten grundrechtlichen Schutzbereichs zu verlagern, um dadurch zu verhindern, daß es dem Belieben des einfachen Gesetzes ausgeliefert wird159. Damit wird jedoch eine Zuweisungskompetenz des Rechtsanwenders in Anspruch genommen, die die Genauigkeit der von den Grundrechten selbst getroffenen normativen Zuordnungen überschätzt160. Die in Grundrechten thematisierten Sachbereiche sind weit gespannt. Kaum ein privates Interesse ist denkbar, von dem sich nicht sagen ließe, es hänge mit einem grundrechtlich geschützten Rechtsgut in irgendeiner Weise zusammen. Grundrechte sind jedoch keine in sich geschlossenen und ubiquitär einsetzbaren Programme, bisher ungeordnete Interessen mit einem Schlag in feste Rechtspositionen zu überführen. Wo sie eine solche Verteilung ansteuern und dirigieren wollen, geht es ihnen um eine stufenweise Konkretisierung, bei der dem einfachen Gesetz die vorrangige Zuteilungsaufgabe zufällt. 58 Das einfache Recht als Basis subjektiver Rechte kann auch nicht mit dem Hinweis auf einen allgemeinen Gesetzesvollziehungsanspruch verabschiedet werden. Ein solcher Anspruch ist dem Grundgesetz fremd. Art. 19 Abs. 4 GG 156 157 158 159 160
Ehlers, in: ders., Europäische Grundrechte, § 7 Rn. 8. Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 19 Abs. 4 Rn. 152 f. Grundlegend Bachof, GS Jellinek, S. 287 ff.; Erichsen, in: ders./Ehlers, Verwaltungsrecht, § 11 Rn. 30. So die Befürchtung von Bauer, Geschichtliche Grundlagen, bes. S. 167 ff. Überzeugend Wahl, DVBl 1996, S. 641 (644).
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gibt für seine Existenz nichts her. Art. 3 Abs. 1 GG kommt als Grundlage ebenfalls nicht in Betracht, sondern führt nur dort weiter, wo der Tatbestand der verletzten Norm auch den Interessen des Klägers wenigstens beiläufig dienen soll (→ 4/73). Inwieweit das der Fall ist, bestimmt sich wiederum nicht rein faktisch, sondern nach dem gesetzlichen Regelungsauftrag. Vor allem aber gewährt Art. 2 Abs. 1 GG weder einen allgemeinen Gesetzesvollziehungsanspruch noch ein Grundrecht auf allgemeine Nachteilsfreiheit161. Ein Nachteil ist zunächst ein von Fakten konstituierter Begriff. Rechtlich verwendbar ist er nur in Bereichen, die soweit rechtlich durchgebildet sind, daß auch die Erscheinungsformen und die Zurechnung von Nachteilen eine greifbare Gestalt gefunden haben. Das trifft für den klassischen Eingriffsbereich zu, paßt aber in komplexen Entscheidungssituationen nicht. Hier muß erst eine Vorstrukturierung erfolgen, in der Nachteils- und Schutzbereichsbestimmung korrelative Züge haben.
2. Die einfach-gesetzliche Schutznormlehre 59 In einer Entscheidung vom 31.5.1988 sagt das Bundesverfassungsgericht im Blick auf die Position des Klägers im Prozeß: „Welche Rechte er geltend machen kann, bestimmt sich dabei – von den Fällen der Grundrechte und sonstiger verfassungsmäßiger Regelungen abgesehen – nach den Regelungen des einfachen Rechts. Der Gesetzgeber befindet darüber, unter welchen Voraussetzungen dem Bürger ein Recht zustehen und welchen Inhalt es haben soll“162. Das gebieten Gründe der Rechtssicherheit und der Wahrung des legislatorischen Gestaltungsspielraums163. Die damit anerkannte „Konfliktschlichtungsprärogative“ des demokratischen Gesetzgebers164 schafft in selbstverständlicher Bindung an die Grundrechte (Art. 1 Abs. 3 GG) die erforderlichen normativen Interessenbewertungen und Interessenzuordnungen, die hinreichend klar konturiert sind, um als Ansprüche auf Abwehr oder Leistung rechtspraktisch handhabbar zu sein. Die rechtsanwendenden Instanzen haben die verfassungsgemäßen Entscheidungen des Gesetzes selbst dann zu respektieren, wenn sie sie nicht für optimal halten. 60 Das ist der Grundtenor der in Rechtsprechung und Literatur herrschenden Ansicht zur Schutznormlehre165. Diese Lehre ist eine Sammelbezeichnung für einen Kanon von Methoden und Regeln, nach denen der subjektiv-rechtliche Gehalt eines Rechtssatzes erschlossen werden muß. Gemeinsam ist allen diesen Gesichtspunkten die Überzeugung, daß die Ermittlung subjektiver Rechte eine 161 162 163 164 165
Ebenso Erichsen, in: HStR Bd. 6, § 152 Rn. 18 und 79; Pietzcker, in: FS für Bachof, S. 131 (146 f.). BVerfGE 78, 214 (226); 83, 182 (195). Im Ergebnis ebenso Wahl, DVBl 1996, S. 641 (645). Schmidt-Preuß, Kollidierende Privatinteressen, S. 213. BVerwGE 98, 118 (120); 107, 215 (220); 111, 276 (280): „Schutznormcharakter des Abwägungsgebots“; auch BVerfGE 83, 182 (194 f.); Stern, Staatsrecht, Bd. 3/1, § 65 II 3 und 4; Schmidt-Preuß, Kollidierende Privatinteressen, S. 186 ff.
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Aufgabe juristischer Auslegung ist, die nicht durch die Feststellung wie immer gearteter faktischer Beeinträchtigungen ersetzt werden kann. Der Kanon der darunter zusammengefaßten Regeln und Methoden ist nicht geschlossen, sondern entwicklungsoffen. Das Gewicht der einzelnen Kriterien hat in der Vergangenheit geschwankt und wird das auch künftig tun. Für das derzeitige Verständnis der Schutznormlehre sind drei Punkte wesentlich166: Der Schutzzweck der Norm ist – erstens – nicht ausschließlich und nicht einmal vorrangig aus dem nachweisbaren Willen des Normsetzers abzuleiten. Der Schutzzweck ist – zweitens – oft nicht allein aus der unmittelbar einschlägigen Norm, sondern durch systematische Auslegung auch aus dem umgebenden Normengefüge und aus den institutionellen Rahmenbedingungen zu ermitteln. Dieses Umfeld kann einerseits subjektivierend wirken; es kann aber der Entstehung eines subjektiven Rechts auch entgegenstehen. Bei der Ermittlung des Schutzzwecks können – drittens – Grundrechte eine verdeutlichende Rolle spielen. Sie besitzen insofern eine „norminterne“ Wirkung167.
3. Grundrechtsunmittelbare Ableitungen 61 Fraglich ist demgegenüber, inwieweit sich subjektive Rechte der Verwaltungsrechtsordnung darüber hinaus auch unmittelbar aus Grundrechten ableiten lassen, ob der anerkannten „norminternen“ Wirkung auch eine „normexterne“ der Grundrechte zur Seite tritt. Solche grundrechtsunmittelbaren Ableitungen sind dort akzeptiert, wo sich der Verletzungsvorgang, die betroffenen Rechtsgüter und die notwendigen rechtlichen Reaktionen innerhalb des grundrechtlichen Schutzbereichs bereits hinreichend deutlich bestimmen lassen: Das ist bei der Abwehr gesetzwidrigen regulatorischen Verwaltungshandelns durch den Adressaten der Fall. Die überwiegende Ansicht entnimmt das Abwehrrecht hier unmittelbar Art. 2 Abs. 1 GG. Eine genauere Analyse zeigt freilich, daß selbst hier nicht jede Form rechtswidrigen Entscheidens den Abwehranspruch auslöst. Auch bei Adressatenklagen muß vielmehr ein Rechtswidrigkeitszusammenhang zwischen der verletzten Norm des einfachen Rechts und dem grundrechtlichen Schutzbereich nachgewiesen werden (→ 4/60). 62 Jenseits dieses Bereichs relativer Rechtsgewißheit, insbesondere in den schwierigen Bereichen mehrpoliger Interessenlagen, kommt dagegen eine grundrechtsunmittelbare Zuerkennung weiterer subjektiver Rechte nur ausnahmsweise in Betracht. Die ältere Rechtsprechung hatte einen Abwehranspruch gegen „schwere und unerträgliche“ Beeinträchtigungen angenommen168. In dieser Formel wurde das Bemühen deutlich, herausgehobenen Kollisionsfällen von der 166
167 168
Dazu meine Ausführungen in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 19 Abs. 4 Rn. 127 ff.; Wahl, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, Verwaltungsgerichtsordnung, Vorb § 42 Abs. 2 Rn. 98 ff. Nachw. bei Schmidt-Preuß, Kollidierende Privatinteressen, S. 41 ff. BVerwGE 32, 173 (178 f.); 36, 248 (249); 44, 244 (246); 45, 309 (330); 50, 282 (287).
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Intensität des Eingriffsgehalts her klarere Konturen zu geben. In einer jüngeren Entscheidung läßt das Bundesverwaltungsgericht die Frage, inwieweit Abwehransprüche Dritter überhaupt unmittelbar auf Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG gestützt werden können, jedoch offen und betont, daß jedenfalls dann, wenn drittschützende Regelungen des einfachen Rechts vorhanden seien, ein weitergehender grundrechtsunmittelbarer Anspruch ausscheide169. In der Literatur wird ein „Abschied von Ansprüchen direkt aus Grundrechten“ befürwortet170. Dabei geht es freilich nicht um eine Verabschiedung vom Wertungsgehalt der Grundrechte, sondern von einer Rechtskonstruktion ihrer Umsetzung171. Sofern die norminternen Wirkungen gesetzlich oder richterrechtlich hinreichend entfaltet sind, wie das in den klassischen Bereichen des eigentumsrechtlichen Nachbarschutzes gemäß Art. 14 GG heute der Fall ist, besteht in der Tat kein Bedürfnis nach einer zusätzlichen grundrechtsunmittelbaren Ableitung subjektiver Rechte. Es sind jedoch nicht alle Verwaltungsbereiche so intensiv durchstrukturiert wie das Baunachbarrecht. In ihnen kann auf eine von den Schutznormen abgelöste Zuerkennung subjektiver Rechte in Fällen krasser Verfehlung eines materiell gebotenen Interessenausgleichs nicht verzichtet werden. Grundrechte entfalten folglich ausnahmsweise auch normexterne Wirkungen.
IV. Kritische Entwicklungstendenzen 63 Der grundrechtliche Entwicklungsansatz hat die verwaltungsrechtliche Systembildung in der Vergangenheit wesentlich vorangebracht. Doch sind auch Gefahrenpunkte dieses Ansatzes zu nennen, die gerade den systematischen Anspruch des Verwaltungsrechts beeinträchtigen können: die Gefahren überzogener Billigkeitsvorstellungen und einer zu starken einzelgrundrechtlichen Spezialisierung.
1. Verhältnismäßigkeit und „Billigkeitskompetenz“ 64 Die Grundrechte haben eine starke Individualisierung in das verwaltungsrechtliche Denken hineingetragen. Der einzelne Verwaltungsvorgang ist auf die individuelle Lage der Betroffenen auszurichten; ihre Belange bringen sich als „Grundrechtsinteressen“ (Häberle) zur Geltung. Die wichtigsten Ansätze der Individualisierung sind das Übermaßverbot, insbesondere als Verhältnismäßigkeitsprinzip im engeren Sinne mit den Kriterien der Angemessenheit und Zumutbarkeit, ferner die Gleichbehandlungsgebote und das Vertrauensschutzprinzip (→ 6/59–60). Lassen sich diese Maßstäbe zu einer allgemeinen „Billigkeitskompetenz der Verwaltung“ zusammenfügen172? Grundanliegen eines solchen, die Verwirklichung des Rechts methodisch leitenden Prinzips soll es sein, gegenüber 169 170 171 172
BVerwGE 89, 69 (78); vgl. auch BVerwGE 88, 191 (203). Wahl, in: FS für Redeker, S. 245 ff.; ders., DVBl 1996, S. 641 ff. Wahl, DVBl 1996, S. 641 (649). Dazu Pernice, Billigkeit und Härteklauseln, bes. S. 325 ff.
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schematischer Gesetzesanwendung und typisierender Verwaltungspraxis den Einzelfall herauszustellen. Das soll einen bestimmten Zuschnitt der Verwaltungsorganisation und der einschlägigen Verfahren voraussetzen, in denen die individualisierenden Kenntnisse gesammelt und umgesetzt werden. Dabei wird dem Verwaltungsrechtsverhältnis eine herausgehobene Bedeutung beigemessen, in dem nicht nur Individualisierungspflichten der Verwaltung, sondern auch Individualisierungslasten der Beteiligten herauszuarbeiten sind. 65 Zwei Gefahren einer solchen Billigkeitskompetenz dürfen jedoch nicht übersehen werden: Die Verwaltung kann durch sie veranlaßt werden, Gesetzesbindungen weiter abzustreifen und das Gebot der Gleichbehandlung durch immer weiter getriebene Billigkeitsdifferenzierungen zu unterlaufen. Für die Gerichte führt eine Verstärkung der ohnehin prozeßtypischen Konzentration auf den Individualvorgang dazu, daß die größeren Zusammenhänge der zu überprüfenden Verwaltungsentscheidung noch stärker ausgeblendet bleiben als bisher (→ 4/73). Verhältnismäßigkeitskontrollen werden dabei leicht zu Zweckmäßigkeitsbeurteilungen, die sich ganz am klägerischen Individualinteresse orientieren, ohne die gesamte Aufgabe in den Blick zu nehmen und notwendige Typisierungsbedürfnisse anzuerkennen. In der Literatur wird demgegenüber zutreffend ein „Maßhalten mit dem Übermaßverbot“ gefordert173. Eine über die vorhandenen Maßstäbe noch hinausreichende allgemeine Billigkeitskompetenz der Verwaltung ist deshalb abzulehnen. Eher muß das Verhältnismäßigkeitsprinzip von seiner derzeit zuweilen überzogenen Handhabung auf seine gesicherte rechtliche Substanz zurückgeführt werden174.
2. Grundrechtsspezifische Sonderverwaltungsrechte 66 Grundrechtliches Denken nimmt seinen Ausgang bei den einzelnen Grundrechtstatbeständen. Ein solcher Ansatz fördert die Ausbildung grundrechtsspezifischer Sonderverwaltungsrechte, die sich nicht mehr nach den Einteilungen des Fachverwaltungsrechts175, sondern nach grundrechtlichen Themenbereichen gliedern. Solche neuen Zuordnungen können fruchtbare Entwicklungsanstöße bieten. Unter Umständen lassen sich auf einer solchen dritten Ebene neue Rechtsfiguren entwickeln, die als Zwischenformen den Austausch zwischen den einzelnen Gebieten des besonderen und den Lehren des allgemeinen Verwaltungsrechts organisieren (→ 1/16). Die wohl gelungenste Rechtsschöpfung ist die Dogmatik der planerischen Abwägung, die unter Rückgriff auf Art. 14 GG im Städtebaurecht entwickelt176, sodann auf andere eigentumsrelevante Planungen 173 174 175 176
Ossenbühl, in: FS für Lerche, S. 151 (bes. 156 f.). Vgl. Kirchhof, in: FS für Lerche, S. 133 (135–137). Zur Entwicklung dieser Gliederung Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts, Bd. 2, S. 395 f. BVerwGE 45, 309 (312 ff.); in der Sache schon BVerwGE 34, 301 ff.; Weyreuther, DÖV 1977, S. 419 (423 f.).
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übertragen wurde und heute die rechtliche Struktur planender Verwaltungstätigkeit allgemein bildet177. Solche Wirkungen des einzelgrundrechtlichen Ansatzes sind jedoch die Ausnahme. Eher kann von ihm umgekehrt die Gefahr ausgehen, daß eine zu starke Konzentration auf die jeweilige Grundrechtsthematik das Durchhalten allgemeiner rechtsstaatlicher Standards erschwert. Zutreffend hat das Bundesverfassungsgericht davor gewarnt, das allgemeine Verfahrensrecht in ein „aktionenrechtliches Verfahrensgeflecht“ aufzulösen178. Gerade die stärkere Betonung der schutzrechtlichen Bedeutungsschicht droht sonst in eindimensionale Intensitätsdogmatik abzugleiten. Die Weite der Grundrechtswirkungen läßt sich im verwaltungsrechtlichen System angemessen nur in ständiger Reflexion mit der bisherigen Dogmatik und den in ihr gespeicherten Erfahrungen praktischen Verwaltens verarbeiten; beide stehen in einem komplementären Verhältnis179.
C. Rechtsstaatlichkeit als Struktur 67 Das Rechtsstaatsprinzip ist grundrechtliche Statusordnung und gewaltenteilende Funktionenordnung. Es verbindet objektiv-rechtliche und subjektivrechtliche Elemente miteinander180. Die verwaltungsrechtliche Systematik hat dieses doppelte Gewährleistungsanliegen aufgenommen. Es sieht im Gesetz und im subjektiven Recht zwei zentrale Bauelemente. Beide bilden nicht zwei getrennte Schichten, sondern sind ineinander verschränkt: Subjektive Rechte ergeben sich ganz vorrangig aus dem Gesetz und sind durch Auslegung des Gesetzes zu ermitteln (→ 2/55–62). Umgekehrt steuert das subjektive Recht den Einsatz der gesetzlich begründeten Schutzinstrumente. Das wird an Art. 19 Abs. 4 GG deutlich, der die bis heute wichtigste Art der Verwaltungskontrolle, nämlich die gerichtliche Kontrolle, dann – aber auch nur dann – ins Spiel bringt, wenn subjektive Rechte verletzt sind (→ 4/60). Die objektiv-rechtliche und die subjektiv-rechtliche Schicht sind aufeinander bezogen, aber nicht deckungsgleich konstruiert. Die Achtung der Gesetzesbindung ist zwar eine durchgängig bestehende objektive Pflicht der Verwaltung; aber sie läßt sich nicht durch einen ebenso weit gespannten individuellen Gesetzesvollziehungsanspruch einfordern (→ 2/58). Um so wichtiger ist es, nach übergreifenden Strukturen zu suchen, die die erforderliche rechtsstaatliche Rationalität sicherstellen.
177 178 179 180
Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 19 Abs. 4 Rn. 208 ff. BVerfGE 60, 253 (297); vgl. Raschauer, Verwaltungsrecht, Rn. 27: „Flucht in Grundrechtsfragen“. Pietzcker, in: FS für Bachof, S. 131 (149); ähnlich Zuck, in: FS für Sendler, S. 155 (156 f.). Schmidt-Aßmann, in: HStR Bd. 1, § 24 Rn. 46 ff. Zu den Verbindungen zwischen Menschenrechten und Volkssouveränität Habermas, Faktizität und Geltung, S. 112 ff.
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I. Die rechtsstaatliche Bedeutung des Gesetzes 68 Das Gesetz ist aus rechtsstaatlicher Sicht Garant von Vorhersehbarkeit, Gleichmäßigkeit und Stabilität. Es ist materielles Programm und formelle Verfahrensordnung (→ 2/10). Es formuliert Kollisionslösungen zwischen konkurrierenden Privatinteressen und ist Gestaltungsmittel zur Verfolgung öffentlicher Interessen. Im Gesetz begegnen sich parlamentarischer Steuerungsanspruch, administrative Umsetzungskompetenz und gerichtlicher Kontrollauftrag. Als Instrument der Inhalts- und Schrankenbestimmung ist es für den Grundrechtsschutz und für die gewaltenteilende Funktionsordnung gleicherweise wichtig. Die zentrale Stellung des Gesetzes innerhalb der Verwaltungsrechtsordnung entspricht überkommenem Verständnis: Die rechtsförmige Disziplinierung der Verwaltung erfolgte durch ihre Bindung an das Gesetz, dessen materielles Entscheidungsprogramm in methodisch exakten Schritten durch Einzelakte umgesetzt werden mußte. Gerade deshalb ist die Bedeutung des Gesetzes für ein modernes Verwaltungsrecht heute immer wieder Zweifeln ausgesetzt. Die schnellwechselnden Aktivitäten des sozialen Leistungsstaates und die Eigendynamik der technologischen Entwicklung erscheinen wenig geeignet, um durch vorab formulierte abstrakte Programme gesteuert zu werden. Solche Einwände können jedoch nicht zu einer Verabschiedung des Gesetzes aus der verwaltungsrechtlichen Systematik führen. Zum einen erfassen sie überhaupt nur einige Verwaltungsbereiche, während in anderen Gebieten das Gesetz in seiner klassischen Steuerungsfunktion unbestritten ist. Wo Wirkungsdefizite festzustellen sind, muß kompensatorisch über andere Steuerungsmittel und andere Vollzugsformen nachgedacht werden. Auch hierfür bietet das Gesetz in seinen Funktionen als Finalprogramm, als Verfahrensregelung oder als Rahmenordnung für organisatorische Gestaltungen die Grundlage. Im einzelnen können seine Aufgaben und die dazu geeigneten Tatbestandsstrukturen erst bestimmt werden, wenn auch seine demokratische Bedeutung ermittelt und das Gewaltenteilungsgefüge genauer entfaltet ist. Schon aus rechtsstaatlicher Sicht läßt sich aber sagen, daß das Gesetz in seiner strukturierenden, Transparenz schaffenden Funktion neben dem subjektiven Recht auch heute ein unersetzbarer Eckpfeiler des Verwaltungsrechts ist (→ 4/7–11).
II. Die Aufgaben des subjektiven Rechts 69 Das subjektive Recht verkörpert die Rechtsmacht, die Rechtsordnung zur Verfolgung eigener Interessen einzusetzen181. Es gewährleistet einen Willensschutz und gibt damit der Individualität und Personalität im Rechtssystem ihren notwendigen zentralen Platz (→ 1/27–29). Individualität besagt, daß Achtung und Berücksichtigung des je Besonderen verlangt und durchgesetzt werden können. Personalität verwehrt die pauschale Gleichsetzung von öffentlichen und pri181
Erichsen, in: ders./Ehlers, Verwaltungsrecht, § 11 Rn. 30; Stern, Staatsrecht, Bd. 3/1, § 65 II.
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vaten Interessen, die Vereinnahmung des Bürgers für staatliche Zwecke in öffentlichen Organisations- und Pflichtenrollen. In der Verfolgung seiner subjektiven Rechte ist der einzelne weder Treuhänder noch Repräsentant gesellschaftlicher oder öffentlicher Interessen. Das Rechtsverhältnisdenken macht das subjektive Recht nicht überflüssig, sondern ergänzt und konkretisiert es182. Rechtsverhältnisse sind teils Entstehungsbedingungen, teils Rahmen subjektiver Rechte. Die Ausrichtung an subjektiven Rechten hat den klassischen Gewährleistungen des Rechtsstaates ein hohes Maß an Durchsetzungsfähigkeit und Präzision vermittelt. Das subjektive Recht bündelt materielle Schutzaussagen zu einem Status: Neben seinen primären Effekten als materielles Abwehr-, Unterlassungs- oder Leistungsrecht steuert es die sekundäre Ebene des verwaltungsrechtlichen Systems, indem es als Klagebefugnis über den Einsatz des Justizapparats und als Drittbezogenheit der Amtspflicht über Entschädigungsfolgen bestimmt. 70 Das subjektive öffentliche Recht ist zwar eine sehr viel ältere Rechtsfigur183. Die durchgängige Subjektivierung des Bürger-Staat-Verhältnisses dagegen stellt erst ein Ergebnis der Nachkriegsentwicklung dar. Fritz Ossenbühl hat sie „eine geradezu kopernikanische Wende im Verwaltungsrechtssystem“ genannt184. Das Konzept umfassenden Individualrechtsschutzes unterstreicht das (→ 4/59–70). Auch hier ist Kritik freilich nicht ausgeblieben: So wird die Vielzahl gesetzlich oder richterrechtlich entwickelter subjektiver Rechte für die Überlastung der Verwaltungsgerichte und für eine überzogene Verrechtlichung verantwortlich gemacht. Andererseits scheint das subjektive Recht als ein überholtes Institut in einer Gegenwart, in der die „Gesellschaft der Organisationen“ die „Gesellschaft der Individuen“ längst abgelöst habe (→ 1/28)185. Schließlich wird bezweifelt, ob ein vom subjektiven Recht geprägtes Verwaltungsrechtssystem in der Lage sei, die stärker auf eine objektive Rechtsdurchsetzung ausgerichteten Entwicklungsimpulse des EG-Rechts zu integrieren. 71 Das Grundgesetz hat hier jedoch eine klare Position bezogen: Mit der in Art. 1 Abs. 3 GG festgelegten Bindung aller staatlichen Gewalt an die Grundrechte ist eine Subjektivierung der Rechtsordnung unaufhebbar vorgegeben. Darin drückt sich zugleich die individualrechtliche Grundausrichtung des gesamten Verwaltungsrechts aus (→ 1/27–29). Nicht sie zu relativieren, sondern zu ergänzen muß die Entwicklungsrichtung sein. Dabei gewinnen eine stärkere Prozeduralisierung der Lehre vom subjektiven Recht, der Schutz gesellschaftlicher Selbststeuerung und der Ausbau von Verbandsklagebefugnissen Bedeutung.
182 183 184 185
So auch Maurer, Verwaltungsrecht, § 8 Rn. 16. Dazu Bauer, Geschichtliche Grundlagen, S. 22 ff.; Masing, Mobilisierung des Bürgers, S. 56 ff. Ossenbühl, in: Jeserich/Pohl/v. Unruh, Deutsche Verwaltungsgeschichte, Bd. 5, S. 1143 (1146). Vgl. Bauer, Geschichtliche Grundlagen, S. 128 ff.; ferner die Nachw. bei Damm, ARSP 1993, S. 159 (162).
1. Abschnitt: Die Bedeutung des Rechtsstaatsprinzips
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72 Wenn sich das subjektive Recht vom Schutz fester Rechtspositionen zum Instrument eines qualifizierten Interessenschutzes in mehrpoligen Verwaltungsrechtsverhältnissen fortentwickelt, dann muß es darum gehen, sich mit den realen Entstehungsbedingungen solcher Rechte zu beschäftigen. Je häufiger sich subjektive Rechte in Planungszusammenhängen erst nach und nach ausbilden, desto wichtiger wird es, die Realvorgänge der Interessenartikulation und des Interessenabgleichs zu analysieren und gegebenenfalls rechtlich zu ordnen (→ 3/69–71). Auch hier zeigt sich die Bedeutung der kommunikativen Voraussetzungen aller verwaltungsrechtlichen Rechtsinstitute186. Die Entstehungssicherung subjektiver Rechte ist eine wichtige Aufgabe des Rechtsverhältnisdenkens. Man kann von einer Prozeduralisierung der Lehre vom subjektiven Recht sprechen187. 73 Formen gesellschaftlicher Selbstregulierung können die Möglichkeiten individuellen Handelns erweitern und zugleich den Staat von Steuerungsaufgaben entlasten. Sie können individuelle Freiheiten aber auch beeinträchtigen. Die Anerkennung der Grundrechtsberechtigung von Verbänden ist daher nur die eine Seite, mit der das Grundgesetz auf Entwicklungen zu einer stärkeren „Ent-Individualisierung“ reagiert hat (→ 2/45–46). Hinzu treten Schutzpflichten, die den Staat gegenüber denjenigen treffen, die sich in verbandliche Entscheidungsmechanismen eingebunden sehen (→ 2/35–39). Staatlich regulierte Selbstregulierung, die heute ein wichtiges Thema des Verwaltungsrechts darstellt188, muß daher in zweifacher Hinsicht als ambivalent betrachtet werden: in ihren Vorzügen und Nachteilen für die Verwirklichung des öffentlichen Wohles, aber auch in ihren positiven und negativen Auswirkungen auf das subjektive Recht des Individuums189. 74 Neben diesen am subjektiven Recht selbst ansetzenden Entwicklungsüberlegungen ist über komplementäre Institute nachzudenken. Der europäische Rechtsvergleich und das EG-Recht rücken das Thema einer über das subjektive Recht hinausgreifenden Klagebefugnis („interêt pour agir“, „sufficient interest“) in den Vordergrund190. Auch für das deutsche Recht kann es angezeigt sein, den gerichtlichen Kontrollauftrag zum Schutz allgemeiner Rechtsdurchsetzungsinteressen weiter auszubauen und dazu neben Verbänden auch Einzelpersonen, die zu den betreffenden Verwaltungsvorgängen eine gewisse Nähebeziehung haben, als „Repräsentanten“ Klagerechte zuzuerkennen (→ 4/77–80). Nur sollte das nicht in den fest gefügten Schutzbereich des subjektiven Individualrechts einbezogen, sondern getrennt gehalten werden. Was jemand als Repräsentant zu tun 186 187
188 189 190
Speziell im Blick auf das subjektive Recht Habermas, Faktizität und Geltung, S. 112 ff. Zur prozeduralen Systemfunktion des subjektiven öffentlichen Rechts Pitschas, Verwaltungsverantwortung, S. 649 ff.; für vertragliche Rechtsverhältnisse Krebs, VVDStRL Bd. 52, S. 248 (bes. S. 258). Dazu Schmidt-Preuß und Di Fabio, VVDStRL Bd. 56, S. 160 ff. und 235 ff.; Trute, DVBl 1996, S. 950 ff. Dazu Schmidt-Aßmann, DV 2001, Beiheft 4, S. 253 ff.; vgl. auch Michael, Rechtsetzende Gewalt, bes. S. 320 ff. Dazu Gerstner, Drittschutzdogmatik, S. 54 ff. und 75 ff.
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hat, wird im wesentlichen von den Erwartungen der Repräsentierten und der Öffentlichkeit bestimmt. Es kann, zumal im weiteren Verlauf solcher Interessenwahrnehmungen, erheblich von dem abweichen, was der Repräsentant aus eigenem Interesse für sinnvoll hält. Der status procuratoris ist gerade nicht ein status libertatis. Der kompakte materielle Schutzstandard des subjektiven Rechts zur Sicherung individueller Freiheit muß in seiner Grundstruktur eigenständig erhalten bleiben.
III. Die Gewährleistung von Rationalität 75 Gesetz und subjektives Recht sind zwei wichtige, aber nicht die einzigen Bauformen, die das Rechtsstaatsprinzip der verwaltungsrechtlichen Systembildung an die Hand gibt. Gerade weil die Leistungsgrenzen beider sichtbar geworden sind, muß die Bedeutung weiterer rechtsstaatlicher Garantieelemente im Verwaltungsrecht herausgearbeitet werden. Der Rechtsstaat hat nicht nur den isolierten Schutz einer kleinräumig bestimmten Privatsphäre im Blick. Er zielt vielmehr – wie Konrad Hesse es formuliert hat – auf eine „Rationalisierung des öffentlichen Gesamtzustandes“191 in umfassendem Sinne (→ 2/2). Folglich muß nach Regelungsansätzen gesucht werden, die eine über die Individualsphäre hinausgreifende Interessenklärung zwischen abstraktem Gesetz und konkreter Gesetzesanwendung ermöglichen. Rechtsstaatliche Rationalisierung ist „als planmäßige Organisierung einer möglichst zweckmäßigen und effektiven Erledigung der staatlichen Aufgaben“ zu verstehen192. Rechtsstaatlichkeit als Verpflichtung zu Rationalität zu interpretieren, heißt nicht, alle normativen Orientierungen staatlichen Handelns einem uniformen Verrechtlichungsgebot zu unterwerfen (→ 2/22–23). Vielmehr geht es darum, die Eingliederung aller Regeln des Rechts in einen größeren Kreis handlungsleitender Kriterien herauszustellen und auf Zusammenhänge zwischen ihnen hinzuweisen. Dazu bieten die unterschiedlichen Bedeutungsvarianten des Rationalitätsbegriffs Anhaltspunkte193. 76 Unter diesen Ansätzen haben Verfahren und Organisation einen anerkannten Rang. Auf die grundrechtliche Bedeutung beider ist bei den Grundrechtslehren hingewiesen worden (→ 2/42–44). Doch erschließen sie sich nicht nur von diesem Ansatz, sondern sind ganz allgemein Mittel rationaler Strukturen. „Daher folgt das Gebot rationaler Organisation aus dem material verstandenen Rechtsstaatsprinzip“194. Verlangt werden nicht nur die Durchschaubarkeit der einzelnen Verfahrensschritte (→ 6/151–161) und die Klarheit der Kompetenzordnung, son191 192 193
194
Hesse, in: FG für Smend, S. 71 (83); Schulze-Fielitz, Parlamentarische Gesetzgebung, S. 454 ff. Trute, Forschung, S. 194. Zu den Zusammenhängen von Gemeinwohl und Rationalität auch v. Arnim, Wirtschaftlichkeit als Rechtsprinzip, S. 75 f. Dazu W. Lübbe, in: Gawel/Lübbe-Wolff, Rationale Umweltpolitik − Rationales Umweltrecht, S. 13 ff.; Schulze-Fielitz, in: FS für Vogel, S. 311 (320 f.): Zweckrationalität, Wertrationalität; prozedurale und materiale Rationalität. Krebs, in: HStR Bd. 3, § 69 Rn. 77; Groß, Kollegialprinzip, S. 199 ff.
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dern auch eine rationale Zuordnung von Aufgabe und Organisation (→ 5/15–17). Zuständigkeiten sollen, dem neueren Verständnis der Gewaltenteilung entsprechend, so zugewiesen sein, daß Entscheidungen „möglichst richtig“ getroffen werden können195 (→ 4/1). Auf einem ähnlichen Gedanken beruht die Annahme einer „Richtigkeitsgewähr durch Verfahren“ (→ 6/149). Eine herausgehobene Stellung unter den prozeduralen Rationalitätsgarantien kommt dem Gebot individueller und institutioneller Unabhängigkeit zu, die ihrerseits im Rechtsstaatsprinzip angelegt ist196 (→ 6/165–166). 77 Wichtige Aufgaben rechtsstaatlicher Rationalität können Planung und Plan übernehmen (→ 6/95–99). Planung ist die Erarbeitung eines Entwurfs normativer Ordnung, die auf einer analysierenden Erfassung gegenwärtiger Lagen und auf einer Prognose künftiger Entwicklungen beruht. Ausgangslage, Ziele und Mittel werden durch den Plan in ein durchdachtes Verhältnis gebracht. Als normativer Entwurf soll der Plan spätere Vollzugsmaßnahmen in ein abgestimmtes Verhältnis bringen. Der Rationalitätsgewinn liegt jedoch nicht nur in diesen Steuerungswirkungen. Er liegt vor allem im Planungsverfahren, das als offenes Verfahren der Interessendarstellung und der Interessenklärung zu verstehen ist. Die Bedeutung von Planung und Plan als rechtsstaatliche Institute einer mittleren Konkretisierungsebene hat das Bundesverfassungsgericht in einer Entscheidung vom 17.7.1996 herausgearbeitet: „Nach diesem Merkmal kann staatliche Planung weder eindeutig der Legislative noch eindeutig der Exekutive zugeordnet werden. Zum einem kann Planung nicht als ein Vorgang der Subsumtion eines bestimmten Lebenssachverhalts unter die Tatbestandsmerkmale einer generellabstrakten Norm verstanden werden. Zum andern stellt die Planungsentscheidung auch keine generell-abstrakte Vorgabe für eine unbestimmte Vielzahl von Fällen dar. Es handelt sich vielmehr um einen komplexen Prozeß der Gewinnung, Auswahl und Verarbeitung von Informationen, der Zielsetzung und der Auswahl einzusetzender Mittel. Planung hat mithin finalen und keinen konditionalen Charakter“197. 78 Rechtsstaatlich gebotene Rationalität wird schließlich durch Finanzrecht und Finanzkontrollen angestrebt (→ 4/92–97). Der hier vorherrschende Maßstab der Wirtschaftlichkeit gilt als besondere Ausprägung des Rationalprinzips198. Das Finanz- und Haushaltsrecht ist bisher in die allgemeinen verwaltungsrechtlichen Lehren wenig integriert. Wenn es heute häufiger in Bezug genommen wird, so werden damit zutreffend ausgreifendere Interessen der Ressourcenschonung und eine Schonung der Abgabenpflichtigen herausgestellt (→ 6/65–69). Finanzrecht und Finanzkontrollen sind notwendig, um die rechtsstaatliche Qualität des Ver195 196 197 198
BVerfGE 68, 1 (86). Von einem objektiv-rechtlichen „Effektivitäts- und Rationalitätsgebot“ spricht in diesem Zusammenhang Di Fabio, VerwArch 1990, S. 193 (210). Vgl. differenzierend Fehling, Verwaltung zwischen Unparteilichkeit und Gestaltungsaufgabe, bes. S. 235 ff. und 282 ff.; Groß, Kollegialprinzip, S. 199 ff. BVerfGE 95, 1 (16). Vgl. dazu Eichhorn, in: HWÖ, Sp. 1795 ff.
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waltungshandelns zu sichern. „Haushaltsrecht und Verwaltungsschuldrecht, Rechnungsprüfung und Gerichtskontrolle bewähren sich als zwei nebeneinanderstehende Kontrollmaßstäbe und Kontrollen im Hinwirken auf ein gemeinsames Ziel: die wirtschaftliche, d.h. die öffentliche Finanzkraft schonende, qualitativ hochwertige Erfüllung von Verwaltungsaufgaben“199.
199
Kirchhof, NVwZ 1983, S. 505 (515).
2. Abschnitt: Die Bedeutung des demokratischen Prinzips
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2. Abschnitt: Die Bedeutung des demokratischen Prinzips 79 Die Verfassungsentscheidung für die Demokratie wirkt einerseits durch das Legitimationsgebot (A) und andererseits vor allem durch die Anforderungen an die Öffentlichkeit und Akzeptanz staatlicher Entscheidungen auf die verwaltungsrechtliche Systembildung ein (B). Sie zielt auf die Organisation einer „Gemeinwohlordnung durch Selbstbestimmung“ (→ 2/3). Folglich geht es hier von vornherein sehr viel mehr um Zusammenhänge und um Handlungsgefüge als um Einzelvorgänge200. Rechtswissenschaftliches Arbeiten, das isolierbare und überschaubare Vorgänge zu behandeln gewohnt ist, wird dadurch erschwert. In einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts aus dem Jahre 1990 heißt es deshalb: „Das Demokratieprinzip ist ein objektives Staatsprinzip, das – auch soweit es auf Konsens zwischen Staat und Bürgern und auf die Transparenz staatlichen Handelns angelegt ist – konkrete rechtliche Schlußfolgerungen zugunsten des einzelnen Bürgers nicht ohne weiteres zuläßt“201. Auf der anderen Seite enthalten das Organisations- und das Verfahrensrecht – auch in ihren besonderen Anwendungsfeldern wie z.B. dem Kommunalrecht – zahlreiche Institute und Vorkehrungen von unzweifelhaft demokratischem, den einzelnen Bürger berechtigendem Regelungsgehalt. An diese ist anzuknüpfen: Analyse, Vergleich, Systematisierung und Analogie sind Mittel, um Konkretisierungsschwierigkeiten zu überwinden. An der Bedeutung des demokratischen Prinzips für das Verwaltungsrecht kann kein Zweifel bestehen202. Seine Konsequenzen sind über das nationale Verwaltungsrecht hinaus auch im Europäischen Verwaltungsrecht zu entfalten (→ 7/38–45).
A. Die Legitimation der Verwaltung 80 Legitimation fragt nach der Rechtfertigung von Herrschaft. Ihr Wesen zeigt sich am klarsten in der demokratischen Legitimation (→ 2/81–89). Es muß aber auch dort zur Geltung gebracht werden, wo in verselbständigten Bereichen der organisierten Staatlichkeit Formen autonomer Legitimation hinzutreten (→ 2/90–93). Beide dienen dem Ziel des demokratischen Prinzips, freie Selbstbestimmung zu ermöglichen (→ 2/3). Beide sind in einer normativen Legitimationslehre unter Beachtung ihrer jeweils spezifischen Selektionsleistungen zu verbinden (→ 2/94–101). Nach den Vorstellungen des Grundgesetzes wird staatliche Herrschaft durch ihre Rückführbarkeit legitimiert. Rückführbarkeit meint zweierlei: Sie ist zum einen reale Rückführbarkeit, die durch bestimmte Zurech200 201 202
Vgl. Achterberg, Verwaltungsrecht, § 5 Rn. 36, 38; Faber, Verwaltungsrecht, § 12. BVerwG NJW 1991, 936 (937). Vgl. Brohm, DVBl 1986, S. 321 (329); Hill, DVBl 1993, S. 973 (977); Schulte, Schlichtes Verwaltungshandeln, S. 156 ff.
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Zweites Kapitel: Verfassungsentscheidungen für Rechtsstaat und Demokratie
nungszusammenhänge vermittelt wird203. Zum anderen ist sie ideelle Rückführbarkeit, in der sich die besondere Struktur des Legitimationssubjekts inhaltlich den getroffenen Entscheidungen mitteilt204. Beide Aspekte sollen eine spezifische Qualität von Herrschaft als selbstbestimmter und als gemeinwohlfähiger Herrschaft sichern. Die Legitimation der Verwaltung ist neben der Rechtsbindung das zweite große Thema eines verfassungsstaatlichen Verwaltungsrechts. Der rechtsstaatlichen Sicherung des Individualinteresses gegenüber der Durchsetzungsmacht öffentlicher Interessen tritt die demokratische Sicherung des allgemeinen Wohles gegenüber dem Partikularinteresse als zweites Ordnungssystem an die Seite205. Dabei darf kein mechanistisches Modell zugrundegelegt werden. Vielmehr geht es darum, ein den Aufgaben und der beanspruchten Steuerungsintensität entsprechendes Legitimationsniveau zu erreichen (→ 2/98–99).
I. Demokratische Legitimation 81 Die in Art. 20 Abs. 2 GG vorgeschriebene Legitimation durch das Volk ist der Grundtatbestand aller Legitimation staatlicher Herrschaft. Sie muß auf jeden Fall sichergestellt sein, wo immer staatliches Handeln wirksam werden soll. Legitimationssubjekt ist das Volk als verfaßte Personengesamtheit, die sich nicht nach gruppenspezifischen Kriterien oder Interessen bestimmt, sondern eine „‚offene‘ und in diesem Sinne unbestimmte Allgemeinheit“ ist206. Sektorale und singuläre Interessen sollen sich im Medium demokratischer Distanz zur politischen Entscheidung zusammenfügen. Distanz setzt ein Absehen von Besonderheiten voraus. Allgemeinheit kommt dem Volk als Bundesvolk und nach den Traditionen und Vorstellungen föderaler Staaten auch den Landesvölkern zu. Dazu treten anerkanntermaßen die Bevölkerungen in Kreisen und Gemeinden 203 204 205
206
BVerfGE 83, 60 (72 f.); 93, 37 (66 f.), NVwZ 2003, 974 (975). Für die Ausübung von Herrschaft durch die Europäische Union BVerfGE 89, 155 (182 ff.). Schmidt-Aßmann, AöR 1991, S. 329 (355); Trute, in: Schmidt-Aßmann/HoffmannRiem, Verwaltungsorganisationsrecht, S. 249 (270 ff.). Zur deutschen Staatsgewalt: Oebbecke, Weisungs- und unterrichtungsfreie Räume, S. 67 ff.; Emde, Funktionale Selbstverwaltung; Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, bes. S. 138 ff.; Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, S. 353 ff.; Groß, Kollegialprinzip, S. 163 ff. mit der Unterscheidung zwischen einer monistischen und einer pluralistischen Legitimationslehre. Von einem breiteren, auch Fragen der Partizipation und Akzeptanz einbeziehenden Legitimationsbegriff ausgehend Czybulka, Legitimation, pass.; Mehde, Neues Steuerungsmodell und Demokratieprinzip, S. 163 ff., 398 ff. und 572 ff. Zur Legitimation der Europäischen Union: Kluth, Demokratische Legitimation der EU; Oeter, ZaöRV 1995, S. 659 ff.; M. Kaufmann, Europäische Integration und Demokratieprinzip; H.-P. Folz, Demokratie und Integration, S. 36 ff. (→ 7/38 ff.). Beide Ebenen analysierend Lübbe-Wolff, VVDStRL Bd. 60, S. 246 ff. Für die deutsche Staatsgewalt BVerfGE 83, 37 (55); ausführlich Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, S. 204 ff. Der Gedanke kehrt in BVerwGE 90, 104 (108) als organisationsrechtlicher Grundsatz wieder, daß Entscheidungen von Repräsentationskörperschaften von allen Mitgliedern, nicht nur von einzelnen oder bestimmten Gruppen von Mitgliedern getroffen sein müssen.
2. Abschnitt: Die Bedeutung des demokratischen Prinzips
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(Art. 28 Abs. 1 S. 2 GG). Das demokratische Prinzip läßt es jedoch nicht beliebig zu, anstelle des Gesamtvolkes jeweils einer durch örtlichen Bezug bestimmten kleineren Gemeinschaft Legitimationskraft beizulegen207. Auch hier zeigt sich das Spezifikum der demokratischen Freiheitsidee, zu möglichst umfassend interessengerechten Entscheidungen durch Distanz zu gelangen208. Keine demokratische Legitimation im Sinne des Art. 20 Abs. 2 GG vermitteln Gremien, deren Mitglieder vorrangig durch ein gemeinsames sektorales Interesse verbunden sind. Die fachliche Ausdifferenzierung bewirkt vielmehr eine Konzentration auf ein bestimmtes Interesse, die der distanzschaffenden Allgemeinheit entbehrt209. Folgerichtig werden die eigenständigen Legitimationsformen der fachlich ausdifferenzierten funktionalen Selbstverwaltungskörperschaften nicht als demokratische, sondern als autonome Legitimation bezeichnet, die sich auf mitgliedschaftlich-partizipatorische Gedanken stützt (→ 2/90–93)210.
1. Das klassische Modell: parlamentsvermittelte Legitimation 82 Legitimation wird nach den Vorstellungen des Art. 20 Abs. 2 GG durch Wahlen und Abstimmungen vermittelt. Diese sind die Nahtstellen zwischen Gesellschaft und verfaßter Staatlichkeit. Die aus Wahlen hervorgegangenen Parlamente in Bund und Ländern bilden folglich das Zentrum eines Gefüges, das demokratische Legitimation in den Verwaltungsbereich hinein über einen Zurechnungszusammenhang vermittelt. „Das setzt voraus, daß das Volk einen effektiven Einfluß auf die Ausübung der Staatsgewalt durch diese Organe hat. Deren Akte müssen sich daher auf den Willen des Volkes zurückführen lassen und ihm gegenüber verantwortet werden“211. Die Wirksamkeit der Legitimitätsvermittlung beruht danach auf zwei Elementen, auf der eher quantitativ zu deutenden Stringenz der Rückführbarkeit und auf der Verantwortbarkeit, die eine bestimmte Entscheidungsqualität anzeigt. Beide Elemente sind nach überkommener Auffassung vorrangig von Hierarchievorstellungen geprägt. Verantwortungsklarheit, Stringenz und die Garantie eines gleichmäßigen Verwaltungsvollzuges sind positive Effekte bürokratisch-hierarchischer Entscheidungsstrukturen, die auch künftig unverzichtbar sind. Eine realitätsbewußte Legitimationslehre darf jedoch allein hierauf nicht bauen. Sie muß vielmehr auch die unübersehbaren Schwächen, die Hierarchien bereits bei der Erlangung und Verarbeitung der steuerungsnotwendigen Informationen haben, in den Blick nehmen und Formen kooperativer Entscheidungsfindung einbeziehen212. Innerhalb dieses Zusammenhangs 207 208 209 210 211 212
BVerfGE 83, 60 (75). Vgl. auch BVerfGE 47, 253 (272, 275). Vgl. Sommermann, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Grundgesetz, Art. 20 Abs. 1 Rn. 77. Zum folgenden mit weit. Nachw. Dreier, in: ders. Grundgesetz, Art. 20 (Demokratie) Rn. 104 ff.; Kahl, Staatsaufsicht, S. 479 ff. BVerfGE 83, 60 (71 f.); 93, 37 (66). Trute, in: Schmidt-Aßmann/Hoffmann-Riem, Verwaltungsorganisationsrecht, S. 249 (275 ff.); J.-P. Schneider, dort S. 103 (106 ff.); Mehde, Neues Steuerungsmodell und Demokratieprinzip, S. 444 ff.
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sind unterschiedliche Vermittlungsmechanismen wirksam, die als sachlich-inhaltliche und als personell-organisatorische Legitimation bezeichnet werden213.
a) Sachlich-inhaltliche Legitimation 83 Sachlich-inhaltliche Legitimation wird durch die Bindung der Exekutive vor allem an inhaltliche Vorgaben der parlamentarisch getroffenen Willensentscheidungen vermittelt. Angesprochen ist damit ein eigenständiges Subsystem präventiver und nachträglicher, direkter und indirekter Steuerungstechniken. Seine Hauptelemente sind das Gesetz, das Budget und die Aufsicht. 84 Obwohl es gegenüber der gouvernementalen europäischen Rechtsetzung an Bedeutung verloren hat (→ 2/12), nimmt das parlamentarische Gesetz auch heute unter den Formen präventiver Steuerung die Schlüsselstellung ein. Die Gesetzesbindung der Exekutive ist ein Eckpfeiler nicht nur eines rechtsstaatlichen, sondern auch eines demokratischen Verwaltungsrechts (→ 4/7–32)214. Ihre dogmatischen Ausformungen in den Lehren vom Gesetzesvorrang, vom Gesetzesvorbehalt und von der Gesetzesbestimmtheit haben folglich eine doppelte Funktion: Sie sollen rechtsstaatliche Rationalität und parlamentarische Steuerbarkeit administrativer Entscheidungen sichern. Freilich sind dabei unterschiedliche Akzentsetzungen beachtlich: Dem Rechtsstaat geht es vorrangig um Berechenbarkeit; die Demokratie verlangt, Möglichkeiten der „Nachsteuerung“ offenzuhalten und setzt damit ein erhebliches Maß an Flexibilität voraus. Besondere Bedeutung gewinnt dieser Gesichtspunkt in Regelungsbereichen, die durch ein hohes Maß an Ungewißheit gekennzeichnet sind, wie das z.B. für manche Sektoren der technologischen Entwicklung gilt. Eine gesetzliche Entscheidung kann sachliche Legitimation nur vermitteln, wenn sie vom Parlament dauerhaft getragen und verantwortet werden kann. Wo parlamentarisch zunächst auf einer höchst unsicheren Daten- und Prognosebasis entschieden werden mußte, verlangt der Gedanke einer wirksamen Legitimation, daß die weitere Entwicklung beobachtet und dazu gegebenenfalls besondere Instrumente vorgehalten werden, die dem Parlament eine Nachbesserung erleichtern und nahelegen215. Eine zu schwache inhaltliche Legitimationsleistung des Gesetzes muß u.U. dadurch aufgebessert werden, daß das Gesetz die administrativen Konkretisierungszüge genau vorzeichnet216. Hier zeigt sich die legitimatorische Bedeutung des 213
214 215
216
Böckenförde, in: HStR Bd. 1, § 22 Rn. 14 ff.; Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, S. 265 ff. mit weit. Nachw.; Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, S. 354 ff. Zusammenfassend Ossenbühl, in: HStR Bd. 3, § 62 Rn. 32 ff.; Schulze-Fielitz, Parlamentarische Gesetzgebung, S. 207 ff. Dazu mit Nachw. Schulze-Fielitz, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann, Innovation und Flexibilität, S. 139 (162 ff.); speziell zur Beobachtungspflicht des Gesetzgebers Huster, ZfRSoz 2003, S. 3 ff. BVerfG NVwZ 2003, 974 (975), unter Bezugnahme auf Groß, Kollegialprinzip, S. 239 (251 f.).
2. Abschnitt: Die Bedeutung des demokratischen Prinzips
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für das Verwaltungsorganisationsrecht wichtigen institutionellen Gesetzesvorbehalts (→ 5/26–32). 85 Sachlich-inhaltliche Legitimation wird ferner über das Haushaltsrecht vermittelt217. Der Haushalt ermächtigt die Exekutive zu eigenverantwortlicher Aufgabenerfüllung im Rahmen der parlamentarisch vorgegebenen Zeitfolge. Er enthält die „periodische Aufgabenlehre für finanzstaatliches Geben“218. Die neuere finanzverfassungsrechtliche Lehre hat neben der Ermächtigungsfunktion eine Programm-, eine Kontroll-, eine wirtschaftspolitische sowie eine freiheitsund gleichheitssichernde Funktion herausgearbeitet, an denen die Bedeutung des Haushaltsplanes für die demokratische Legitimation anschaulich wird219. Zumal für die gesetzlich nur schwach dirigierte Förderungsverwaltung sind Haushaltsplan und Haushaltsansatz wichtige parlamentarische Steuerungsmittel. Auf die Komplementarität zwischen Budgetrecht und materiellem Gesetzesrecht ist schon früh hingewiesen worden. Zwischen beiden Steuerungsansätzen bildet das in den Haushaltsordnungen niedergelegte allgemeine Haushaltsverfahrens- und Haushaltsvollzugsrecht das Verbindungsglied (→ 6/170–172). Das Budgetierungsmodell des § 6a HGrG steigert die parlamentarischen Lenkungsmöglichkeiten (→ 4/45)220. Haushaltsplan, Haushaltsgesetz und Haushaltsordnung stellen so ein feingliedriges Gefüge dar, das in die verwaltungsrechtliche Systembildung stärker als bisher integriert werden muß (→ 6/69–71)221. Diese schon im Zusammenhang mit der leistungsrechtlichen Bedeutung der Grundrechte getroffene Feststellung (→ 2/41) wird durch die demokratische Legitimationslehre unterstrichen. 86 Für die sachliche Legitimation bedeutsam sind schließlich alle diejenigen Instrumente, die die parlamentarische Verantwortung ex post sicherstellen222. Auf Regierungsebene sind das in der Regel die parlamentarischen Kontroll- und Korrekturrechte. Für die nachgeordnete Verwaltung wird Verantwortung durch ministerielle Weisungsrechte223 festgelegt und über die Aufsicht aktualisiert. Dieses ist die Kehrseite der durchgängig bestehenden Rechtsgebundenheit der Verwaltung und wie diese ein Zentralpunkt, in dem Rechtsstaat und Demokratie zusammenfinden. Besondere Bedeutung kommt den Finanzkontrollen zu. Die notwendige Integration des Haushaltsrechts in die verwaltungsrechtliche Syste-
217 218 219 220 221 222 223
Dazu systematisch Heun, Staatshaushalt und Staatsleitung, bes. S. 259 ff. und 406 ff. Kirchhof, in: HStR Bd. 3, § 59 Rn. 74. Mußgnug, Haushaltsplan, S. 297 ff., 329 ff.; Kisker, in: HStR Bd. 4, § 89 Rn. 12 ff.; Puhl, Budgetflucht und Haushaltsverfassung, S. 3 ff. Hoffmann-Riem, DÖV 1999, S. 221 (226 f.); Mehde, Neues Steuerungsmodell und Demokratieprinzip, S. 572 ff.; Kube, Finanzgewalt und Kompetenzübergriff, i.E., § 6 II 2. Vgl. dazu v. Mutius, VVDStRL Bd. 42, S. 147 ff.; Heun, Staatshaushalt und Staatsleitung, S. 406 ff. Dazu Loschelder, in: HStR Bd. 3, § 68 Rn. 3 ff.; Einzelheiten bei Emde, Funktionale Selbstverwaltung, S. 343 ff. Dazu systematisch Krebs, Kontrolle, S. 120 ff.; zu Grenzen des Modells Groß, Kollegialprinzip, S. 184 ff.
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matik muß sich in einer verstärkten Einbeziehung der Finanzkontrollen in das Verwaltungskontrollsystem fortsetzen (→ 4/92–97).
b) Personell-organisatorische Legitimation 87 Die personelle Legitimation fragt nach den Rückbindungen, die zwischen der Person des die Staatsgewalt ausübenden Amtswalters und dem Träger der Staatsgewalt bestehen. Die herrschende Ansicht bezieht diese Bindung ganz vorrangig auf den Einsetzungsakt. Verlangt wird eine „ununterbrochene Legitimationskette“224. „Ein Amtsträger ist uneingeschränkt personell legitimiert, wenn er sein Amt im Wege einer Wahl durch das Volk oder das Parlament oder durch einen seinerseits personell legitimierten Amtsträger oder mit dessen Zustimmung erhalten hat“225. Verfügen in Kollegialgremien nicht alle Mitglieder über eine entsprechende Legitimation, so sollen die Entscheidungen nach dem Prinzip der doppelten Mehrheit getroffen werden müssen226. Personelle Legitimation kann sich jedoch in der Vorstellung einer Kette von Einsetzungsakten nicht erschöpfen. Hier gewinnt das Amt seine für die grundgesetzliche Demokratie unverzichtbare Bedeutung227. Als normativ festgelegte Ämterordnung stellt es eine von der Verfassung vorausgesetzte Rahmenbedingung personeller Legitimation dar228: „Im Amt wird der treuhänderische, verantwortliche, sachliche Dienst für die Allgemeinheit organisiert. Die rechtliche und ethische Inpflichtnahme des Amtswalters dient dazu, unabhängig von seinem subjektiven Willen den objektivierten Willen der Allgemeinheit zu definieren und zu vermitteln“. Dieser Vorgang vollzieht sich freilich nicht von selbst, sondern verlangt nach Vorkehrungen, um die Realfaktoren personeller Legitimation zu sichern. Dabei spielt das Selbstverständnis der Amtswalter eine wichtige Rolle. Sie müssen sich dauerhaft zu einer distanzierten und neutralen Amtsführung verpflichtet sehen. Rechtlich sind hier die Befangenheitsvorschriften (§§ 20, 21 VwVfG) und die dienstrechtlichen Pflichten zu parteipolitischer Neutralität und zu uneigennütziger Amtsführung (§§ 35, 36 BRRG) wichtig229. Daneben ist die tägliche Einbindung des Amtswalters in einen durch Laufbahnordnungen und Professionalität bestimmten öffentlichen Dienst ein wichtiges Gewährleistungselement der personellen Legitimation230. 224 225 226 227 228 229 230
BVerfGE 83, 60 (73): „unmittelbarer Legitimationszusammenhang“. BVerfG NVwZ 2003, 974 (975). BVerfGE 93, 37 (72); krit. Mehde, Neues Steuerungsmodell und Demokratieprinzip, S. 497 f. Vgl. Krüger, Staatslehre, S. 256 ff.; Böckenförde, in: FS für Eichenberger, S. 301 (320 f.). Zum folgenden Isensee, in: HStR Bd. 3, § 57 Rn. 60 ff.; ders., in: Schuppert/Neidhardt, Gemeinwohl, S. 241 ff.; restriktiver Uerpmann, Das öffentliche Interesse, S. 47 ff. Vgl. Fehling, Verwaltung zwischen Unabhängigkeit und Gestaltungsaufgabe, S. 198 ff. Im einzelnen Trute, in: Schmidt-Aßmann/Hoffmann-Riem, Verwaltungsorganisationsrecht, S. 249 (273 ff.).
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2. Das zweite Modell: Legitimation kommunaler Selbstverwaltung 88 Der parlamentsvermittelten Legitimation hat das Grundgesetz das Legitimationsmodell der kommunalen Selbstverwaltung an die Seite gestellt. Die Verpflichtung auf die demokratische Legitimation folgt hier allerdings nicht bereits aus dem Wesen der Selbstverwaltung. Wäre dies gewollt, so hätte sie bei der Selbstverwaltungsgarantie selbst, d.h. in Art. 28 Abs. 2 GG normiert werden müssen. Die Fixierung der kommunalen Verwaltung auf eine Legitimation durch das Volk erfolgt jedoch im Kontext der Länder als Repräsentanten grundgesetzlicher Staatlichkeit in Art. 28 Abs. 1 S. 2 GG. Der hier verankerten Gleichstellungsregel geht es um „die Einheitlichkeit der demokratischen Legitimationsgrundlage“ im Staatsaufbau231. Die damit getroffene Entscheidung gegen eine körperschaftliche und für eine demokratische Legitimation hat ihren guten Sinn: Sie trägt der besonderen Stellung der kommunalen Gebietskörperschaften im Staate Rechnung. Gemeinden und Kreisen sind Strukturelemente eigen, wie sie auch einen staatlichen Verband kennzeichnen. Beide Körperschaften sind – sei es von Verfassungs wegen, sei es kraft einfachen Rechts – mit Allzuständigkeit ausgestattet. Dem umfassenden Aufgabenbestand der Kommunalkörperschaften entspricht die Festlegung ihrer Legitimationsgrundlagen auf eine eigene demokratische Legitimation. Hierin unterscheidet sich die kommunale Selbstverwaltung von anderen Selbstverwaltungsformen. Sie ist über Art. 28 Abs. 1 S. 2 GG in das Legitimationsprogramm des Art. 20 GG integriert. 89 Trotz der Gleichstellungsregel ist die kommunale Selbstverwaltung legitimatorisch nicht schematisch wie die Staatsverwaltung zu behandeln232. Das in Art. 28 Abs. 2 GG verfassungsrechtlich anerkannte, räumlich enger definierte Allgemeininteresse erhält einerseits eine eigene demokratische Legitimation und bleibt zugleich eingebunden in die parlamentsvermittelte Legitimation, insbesondere durch seine Verpflichtung auf das staatliche Gesetz. Diese zweifache demokratische Legitimation ist das Spezifikum kommunaler Verwaltung, das sie von der Staatsverwaltung klar abhebt und ihr eine besondere Aufgeschlossenheit gegenüber neueren Entwicklungen zuweist. Zutreffend setzt auch das Wahlrecht der EU-Bürger daher auf der kommunalen Ebene an (Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG). Gesetzesbindung und Rechtsaufsicht sind die distanzschaffenden, stabilisierenden Elemente. Die Gesetzesvorbehaltslehre gilt auch für gemeindliches Handeln – allerdings in einer kommunalspezifischen Fassung233. Alle Zweige öffentlicher Verwaltung müssen mindestens einer Rechtsaufsicht unterworfen sein. Davon freigestellte Bereiche kann es nicht geben234. In ihrem Rahmen aber soll kommunale Verwaltung bürgerschaftliche Beteiligungsinteressen auf zusätz231 232 233 234
Vgl. BVerfGE 83, 37 (53). Ebenso Dreier, in: ders., Grundgesetz, Art. 20 (Demokratie) Rn. 117 f. Vgl. Waldhoff, in: FS für Vogel, S. 495 (511 f.). BVerfGE 78, 331 (341): „Die Kommunalaufsicht ist das verfassungsrechtlich gebotene Korrelat der Selbstverwaltung“. Kahl, Staatsaufsicht, S. 498 ff.
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lichen Wegen erschließen (→ 2/102–116)235. Zentrale Bedeutung besitzt auch hier die Volkswahl der Vertretungsorgane, die nach denselben Grundsätzen wie die Wahlen zu den Parlamenten in Bund und Ländern erfolgt (Art. 28 Abs. 1 S. 2 GG). Das Kommunalrecht hat dieses Gefüge weiter ausgebaut. Es schreibt heute in den meisten Bundesländern die direkte Wahl auch für die kommunale Verwaltungsspitze vor und kennt weitere Institute unmittelbarer bürgerschaftlicher Mitwirkung236. Gerade die Palette der hier anzutreffenden Bürgerentscheide, Bürgerbegehren, Bürgerversammlungen und Informationsforen ist Ausdruck des Übergangs zwischen demokratischer Legitimation, autonomer Legitimation und Partizipation, insofern nur einige dieser Institute auf den Bürgerstatus als Element des demokratischen Volksbegriffs festgelegt sind, während andere auf die Einwohnerstellung und damit stärker auf die mitgliedschaftlich-partizipatorische Komponente abheben, die der Selbstverwaltung eignet. Diese eigenständige Legitimation begründet auch einen eigenständigen, von der staatlichen Verwaltung abgesetzten Stil kommunalen Verwaltens. Neue Kommunikationsformen mit den Einwohnern und neue Organisationsformen der politischen Steuerung können und sollen gerade hier erprobt werden.
II. Formen autonomer Legitimation 90 Schon die besonderen Legitimationsstrukturen der kommunalen Selbstverwaltung belegen, daß sich das Grundgesetz keinem Schematismus der Legitimationsvorstellungen verschrieben hat237. Die Verfassung anerkennt neben den volkszentrierten Legitimationsarten noch andere Formen, die sich in einem weniger deutlichen Sinne auf das Volk zurückführen lassen oder überhaupt von einem anderen Legitimationssubjekt ausgehen, gleichwohl aber das Grundanliegen der demokratischen Idee verfolgen, durch Mitwirkung an staatlicher Herrschaft Selbstbestimmung in organisierter Form zu gewähren. Das Bundesverfassungsgericht hat das in seiner jüngeren Rechtsprechung klar herausgestellt: „Im Rahmen der repräsentativ verfaßten Volksherrschaft erlaubt das Grundgesetz auch besondere Formen der Beteiligung von Betroffenen bei der Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben“238. Staatliche Herrschaft und gesellschaftliche Interessen können in bestimmten Bereichen institutionell so ineinander verschränkt sein, daß die Gewährleistung demokratischer Legitimation und demokratisch-distanzierter Entscheidungsqualität allein den gemeinsamen Entscheidungsbedarf nicht hinrei235 236 237
238
BVerfGE 79, 127 (148) spricht von „Selbst-Verwaltung“. Dazu v. Arnim, DÖV 1990, S. 85 ff.; Hartmann, DVBl 2001, S. 776 ff.; P. M. Huber, AöR 2001, S. 165 ff. Ähnlich Emde, Funktionale Selbstverwaltung, S. 363 ff.; Trute, Forschung, S. 211 ff.; Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, S. 361 ff. Stärker auf das Bild der Ministerialverwaltung abhebend dagegen Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, S. 305 ff.; auch dort wird aber betont, daß der „Regeltypus Ministerialverwaltung“ nicht mit einem verfassungskräftigen Exklusivitätsanspruch auftrete (S. 329). BVerfG NVwZ 2003, 974 (975).
2. Abschnitt: Die Bedeutung des demokratischen Prinzips
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chend abdecken kann. Zwischen demokratischer Egalität als Basis des Allgemeininteresses und grundrechtlicher Individualität als Grundlage des Partikularinteresses gibt es Zwischenformen, die auf einer autonomen Legitimation durch einen abgrenzbaren Teilnehmerkreis beruhen. Autonome Legitimation zielt anders als demokratische Legitimation nicht auf eine Zurückdrängung, sondern auf eine funktionsgerechte Repräsentanz des besonderen Interesses zur Gewährleistung von „Selbst-Verwaltung“. In ihrer mitgliedschaftlich-partizipatorischen Komponente findet sich jene Vorformung demokratischer Mitwirkungsfreiheit, die stärker auf eine konkrete Betroffenheit abhebt, als das für die demokratische Legitimation im Sinne des Art. 20 Abs. 2 GG gilt. Selbstverwaltung und Demokratie haben im Grundgesetz gemeinsame ideelle Wurzeln239. Sie lassen sich freilich in ihren dogmatischen Ausformungen nicht ineinssetzen. Das mitgliedschaftlichpartizipatorische Element führt folglich zu einer neben die Legitimation im Sinne des Art. 20 Abs. 2 GG tretenden Form autonomer Legitimation. 91 Autonome Legitimation kennzeichnet vor allem die unter der Bezeichnung der „funktionalen Selbstverwaltung“ zusammengefaßten Bereiche der Universitäten, der Sozialversicherungsträger und der Kammern (→ 5/42–43)240. Auch sie sind als Verwaltungsträger durch Art. 20 Abs. 2 GG zunächst einmal auf eine demokratische Legitimation festgelegt, die vor allem durch das Gesetz vermittelt wird und in der Unterworfenheit unter eine staatliche Aufsicht konkretisiert ist. Das parlamentarische Gesetz muß die Bereiche eigenverantwortlicher Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben abgrenzen, interessengerecht ordnen und inhaltlich steuern (→ 5/42). Daneben besteht aber für diese Selbstverwaltungskörperschaften als zweiter Zug eine mitgliedschaftlich-partizipatorisch bestimmte Legitimation. Legitimationssubjekt ist insofern nicht das Volk, sondern eine nach besonderen Merkmalen verfaßte Betroffenengemeinschaft (→ 2/110–112). Anders als bei der kommunalen Selbstverwaltung bestehen nicht nur zwei Legitimationszüge, sondern diese sind zu einer vollständigen dualen Ordnung ausgebaut, die zu zwei unterschiedlichen Legitimationssubjekten führt. Was sich in der kommunalen Selbstverwaltung bereits andeutete, durch die Gleichstellungsregel des Art. 28 Abs. 1 S. 2 GG aber doch in eine demokratische Legitimation durch das Volk einmündete, ist in der funktionalen Selbstverwaltung vollzogen: eine Erweiterung der grundgesetzlichen Legitimationsformen über den Bereich des Art. 20 Abs. 2 GG hinaus. „Die funktionale Selbstverwaltung ergänzt und verstärkt insofern das demokratische Prinzip“241. Mit diesen Worten 239 240
241
BVerfG NVwZ 2003, 974 (975): „die sie verbindende Idee des sich selbst bestimmenden Menschen in einer freiheitlichen Ordnung“. Zur funktionalen Selbstverwaltung darstellend Hendler, Selbstverwaltung als Ordnungsprinzip, S. 208 ff.; Dreier, Hierarchische Verwaltung, S. 231 ff.; Emde, Funktionale Selbstverwaltung, S. 87 ff.; Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, bes. S. 30 ff.; speziell zu den Verbänden der Wasserwirtschaft Tettinger/Mann und Salzwedel, Wasserverbände und demokratische Legitimation, pass.; Britz, VerwArch 2000, S. 418 ff.; zur Selbstverwaltung im Gesundheitswesen Schmidt-Aßmann, Grundrechtspositionen und Legitimationsfragen, S. 64 ff. BVerfG NVwZ 2003, 974 (976).
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dürfte die Entscheidung des 2. Senats vom 5.12.2002 eine Fortentwicklung des vor allem in seinen Entscheidungen vom 31.10.1990 zugrunde gelegten restriktiven Konzepts zu einem „gemäßigten Hierarchieansatz“ eingeleitet haben. 92 Gleichwohl ist es nicht einfach, die autonome Legitimation in die grundgesetzliche Gemeinwohlordnung einzugliedern (→ 5/42)242. Wie der demokratische Staat den Trägern von Sonderinteressen nicht leichthin den Zugriff auf das Allgemeininteresse gestatten darf, so sind besondere Rechtfertigungsgründe und Sicherungsvorkehrungen geboten, wenn autonom legitimierte Entscheidungen rechtlich als Verwaltungsentscheidungen anerkannt werden sollen. Dabei ergeben sich Unterschiede zwischen einem eher grundrechtlich und einem eher institutionell geprägten Typus funktionaler Selbstverwaltung. Für ersteren steht die universitäre Selbstverwaltung. Sie ist Ausdruck der Freiheitssicherung für ein sensibles Grundrecht (Art. 5 Abs. 3 GG), das in wesentlichen Bereichen nur innerhalb staatlich verfügbar gemachter Institutionen ausgeübt werden kann243. Neben der Bindung der grundrechtlichen Selbstverwaltung an staatliche, insbesondere gesetzliche und haushaltsrechtliche Vorgaben als Ausdruck demokratischer Legitimation steht eine autonome Legitimation244, für die der Umfang und die Intensität der Mitwirkungsrechte nur von der Struktur der betroffenen Individualrechte her bestimmt werden können. Nicht demokratische Egalität der Mitwirkungschance, sondern grundrechtliche Differenziertheit ist hier ein verfassungsnotwendiges Organisationsgebot245. 93 Andere Formen funktionaler Selbstverwaltung sollen weniger ein individuelles als ein breiter gefaßtes institutionelles Interesse repräsentieren246. Der Breite des Interessenansatzes entsprechend sind hier die Übergänge zum staatlich repräsentierten Allgemeininteresse oft schwer zu fassen. Während sich in der wirtschaftlichen Selbstverwaltung der berufsständischen Kammern noch ein substantielles Eigeninteresse nachweisen läßt247, steht in der sozialen Selbstverwaltung der Charakter mittelbarer Staatsverwaltung im Vordergrund248. Im Modell einer dualen Legitimationsordnung führt das zu einer Verlagerung von der autonomen zur demokratischen Legitimation. Je blasser das institutionelle Eigeninteresse der verfaßten Beteiligtengemeinschaft wird, desto nachhaltiger hat die 242
243 244 245 246 247 248
Ausführlich schon Brohm, Strukturen der Wirtschaftsverwaltung, S. 243 ff.; Emde, Funktionale Selbstverwaltung, bes. S. 302 ff.; Trute, in: Schmidt-Aßmann/HoffmannRiem, Verwaltungsorganisationsrecht, S. 249 (278 ff.); Darstellung des Meinungsstandes bei Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, S. 342 ff. Dreier, Hierarchische Verwaltung, S. 236 f.; ferner Oppermann, in: HStR Bd. 6, § 145 Rn. 54. Dazu Trute, Forschung, S. 381 ff. Vgl. BVerfGE 39, 247 (254); 47, 327 (388); 66, 270 (291); Schmidt-Aßmann, in: FS für Thieme, S. 697 ff. Dreier, Hierarchische Verwaltung, S. 235 f. Dazu anschaulich Tettinger, Kammerrecht, S. 129 ff. Vgl. die Darstellung bei Hendler, Selbstverwaltung als Ordnungsprinzip, S. 218 ff.; Emde, Funktionale Selbstverwaltung, S. 89 ff. und S. 142 ff.; Dreier, Hierarchische Verwaltung, S. 235 f.
2. Abschnitt: Die Bedeutung des demokratischen Prinzips
97
demokratische Legitimation auch diejenigen Bereiche zu besetzen, die bei der grundrechtlich bestimmten Selbstverwaltung der autonomen Legitimation überlassen bleiben dürfen. Das gilt insbesondere dann, wenn Entscheidungen über den Kreis der Mitglieder hinausgreifen und (in begrenztem Umfang) auch Dritte erfassen sollen249. Dazu stehen vor allem die Standardinstrumente der gesetzlichen Steuerung und der ministeriellen Aufsicht zur Verfügung. Eine auf egalitäre Beteiligungschancen gegründete Binnenorganisation dagegen kann die notwendige demokratische Legitimation im Sinne des Art. 20 Abs. 2 GG nicht ersetzen, da sie im Beziehungsrahmen der engeren Beteiligtengemeinschaft verharrt250.
III. Die Wirksamkeit des Legitimationsgefüges 94 Als Frage nach der inneren Rechtfertigung von Herrschaft geht es allen Legitimationsformen letztlich um eine tatsächlich wirksame gemeinwohlfähige Struktur des öffentlichen Handlungs- und Entscheidungssystems. Erscheinungsformen dieses demokratischen Effektivitätsgedankens sind die institutionelle Legitimation (→ 2/95–97) und das erreichbare Legitimationsniveau (→ 2/98–99). Neue Formen staatlich-gesellschaftlicher Kooperation können außerdem zu einer überwirkenden Legitimationsverantwortung des Staates führen (→ 2/101). Alle drei Rechtsfiguren stellen Rezeptionsbegriffe dar. Sie veranlassen dazu, Erfahrungssätze über organisationstypisches Verhalten und organisationswissenschaftliche Erkenntnisse in die rechtsdogmatisch entwickelte Legitimationslehre einzubeziehen (→ 5/13 ff.)251. Das ist ein methodisch schwieriges Unterfangen (→ 1/49). Hier kann man nicht einfach subsumieren. Es müssen vielmehr Regelungszusammenhänge analysiert und in ihren Legitimationsleistungen bewertet werden. Der notwendige normative Ansatz liegt darin, das einschlägige Organisations- und Verfahrensrecht einschließlich des Binnenorganisationsrechts zu systematisieren und in seinen Steuerungseigenheiten zu erfassen252.
1. Die institutionelle Legitimation der Exekutive 95 Institutionell ist die Exekutive legitimiert, insofern das Verfassungsgesetz selbst ihre Stellung und ihre Funktion als besonderes Organ innerhalb der Gewaltengliederung bestimmt (→ 4/37)253. Mit den konkreten Zurechnungszusammenhängen, die unter den Begriffen der personellen und der sachlichen Legi249 250 251 252 253
BVerfG NVwZ 2003, 974 (977); zur grundsätzlichen Geltung eines „sog. Korresspondenzgebots“ → 5/44. Anders Emde, Funktionale Selbstverwaltung, S. 382 ff. Ebenso Trute, in: Schmidt-Aßmann/Hoffmann-Riem, Verwaltungsorganisationsrecht, S. 249 (272). Vgl. z.B. BVerfG NVwZ 2003, 974 (977 f.). BVerfGE 49, 89 (125), ferner 68, 1 (88); referierend BVerfGE 83, 60 (72).
98
Zweites Kapitel: Verfassungsentscheidungen für Rechtsstaat und Demokratie
timation thematisiert werden, hat eine so ausgerichtete institutionelle Legitimation zunächst wenig zu tun. Jedenfalls bildet sie zu diesen beiden Formen nicht eine dritte, parallele Legitimationsform im Sinne eines Ableitungszusammenhangs254. Sie lenkt den Blick vielmehr auf die spezifischen Funktionsweisen der Verwaltung. Zutreffend wird daher auch von „institutioneller und funktioneller Legitimation“ im Sinne eines Doppelbegriffs gesprochen. 96 Zur spezifischen Funktionsweise der Verwaltung als einer verfassungsrechtlich anerkannten eigenständigen Institution (→ 4/36–53) zählen die Spontaneität des administrativen Handlungsauftrags, die Breite des verfügbaren Handlungsinstrumentariums und eine starke Ausdifferenzierung des organisierten Sachverstandes. Diesen Gedanken aufnehmend sagt das Bundesverwaltungsgericht255: „Die Exekutive verfügt nicht nur gegenüber der Legislative, sondern auch im Verhältnis zu den Verwaltungsgerichten über rechtliche Handlungsformen, die sie für die Verwirklichung des Grundsatzes bestmöglicher Gefahrenabwehr und Risikovorsorge sehr viel besser ausrüsten.“ Die institutionelle Legitimation der Verwaltung verdeutlicht, daß die grundgesetzliche Legitimationsordnung auf zwei Prinzipien, auf der Rückbindung an den Volkswillen und auf der Fähigkeit der Funktionsträger beruht, mit den ihnen eigenen Handlungsinstrumenten, Verfahrensweisen und Organisationsformen zur Konkretisierung des Gemeinwohls beizutragen. Zur rechtsstaatlichen tritt die demokratische Rationalität (→ 2/75–78). 97 Das Legitimationskonzept wird so ein Stück davon gelöst, nur in hierarchischen Entscheidungsstrukturen zu denken. Steuerung und Kontrolle setzen Information voraus. Die notwendigen Informationsstränge verlaufen nicht nur von oben nach unten, sondern auch in umgekehrter Richtung. Sie greifen zudem über die Vertikalbeziehungen innerhalb der staatlichen Aufbauorganisation hinaus und erstrecken sich auch auf den Informationsaustausch zwischen Staat und Gesellschaft (→ 3/118–122). Eine gegliederte und plurale Struktur der Verwaltung wird durch die Legitimationsordnung daher nicht ausgeschlossen, sondern ist in der institutionellen Legitimation mitverarbeitet (→ 5/33–58). Das Organisations- und das Verfahrensrecht sind Speicher praktischer Legitimationsleistungen. Für den Behörden- und den Amtsbegriff sowie für den im überkommenen Verwaltungsorganisationsrecht zentralen Organbegriff ist das leicht einsichtig. Sie sind Schaltstellen für parlamentszentrierte Steuerungs- und Ableitungszusammenhänge. Vergleichbar wichtig für das institutionelle Verständnis von Legitimation sind aber auch die verselbständigten Verwaltungseinheiten und die mit ihrer Errichtung angestrebte spezifische Art der Interessenfilterung und Interessenrepräsentanz.
254 255
Kritik an dieser dritten Form bei Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, S. 276 ff.; positiver dagegen Horn, AöR 2002, S. 427 (455 f.). BVerwGE 72, 300 (317).
2. Abschnitt: Die Bedeutung des demokratischen Prinzips
99
2. Das Legitimationsniveau 98 Die oben herausgearbeiteten Arten der sachlich-inhaltlichen und der organisatorisch-personellen Legitimation kennzeichnen Zurechnungszusammenhänge zwischen dem Legitimationssubjekt und den legitimationsbedürftigen Handlungen. Beide Arten ergänzen einander und sind folglich füreinander ausgleichsfähig, nicht aber gänzlich austauschbar. „Aus verfassungsrechtlicher Sicht entscheidend ist nicht die Form der demokratischen Legitimation staatlichen Handelns, sondern deren Effektivität; notwendig ist ein bestimmtes Legitimationsniveau. Dieses kann bei den verschiedenen Erscheinungsformen von Staatsgewalt im allgemeinen und der vollziehenden Gewalt im besonderen unterschiedlich ausgestaltet sein; innerhalb der Exekutive ist dabei auch die Funktionenteilung zwischen der für die politische Gestaltung zuständigen, parlamentarisch verantwortlichen Regierung und der zum Gesetzesvollzug verpflichteten Verwaltung zu berücksichtigen“256. 99 Diese für die demokratische Legitimation geltenden Grundsätze sind auch für die autonome Legitimation und für das Zusammenspiel der unterschiedlichen Legitimationsarten beachtlich257. Insgesamt ist das Legitimationskonzept nicht auf feste Bindungsregeln fixiert, sondern arbeitet – wie sich z.B. im Zentralbankwesen zeigt (Art. 108 EG, Art. 88 GG)258 – auch mit bewußten Entkoppelungen (→ 5/35 ff.). Wenn für das gesamte Legitimationskonzept letztlich das Legitimationsniveau entscheidend ist, erweist sich die Vorstellung, es gebe zu Art. 20 Abs. 2 GG an sich ein Legitimationsmaximum, von dem abzuweichen ein begründungsbedürftiges Legitimationsdefizit darstelle, als Fehlvorstellung259. Es gibt unterschiedliche, verfassungsrechtlich gleichwertige Legitimationsmodelle. Ein Legitimationsmaximum verlangt das Grundgesetz so wenig wie ein Rechtsschutz- oder ein Bestimmtheitsmaximum (→ 4/29–30). Soweit es um die Legitimation staatlicher Herrschaft geht, dürfen die Hauptlinien der Ableitungszusammenhänge von den gewählten Organen zu den legitimationsbedürftigen Akten aber nicht durch Einflüsse um ihre Wirkung gebracht werden, die sich nicht auf das Volk zurückführen lassen. Auch insoweit sind Mitwirkungen Dritter selbst im engeren administrativen Bereich nicht ausgeschlossen (→ 2/110–112). Das Bundesverfassungsgericht hat hierzu für das Personalvertretungsrecht ein Drei-Stufen-Modell entwickelt, das sich an der Intensität ausrichtet, mit der der Amtsauftrag der Verwaltung betroffen ist260. Wo letzterer 256 257 258 259
260
BVerfGE 83, 60 (72); 93, 37 (67). Trute, in: Schmidt-Aßmann/Hoffmann-Riem, Verwaltungsorganisationsrecht, S. 249 (284 ff.). Vgl. BVerfGE 89, 155 (209 f.); Herdegen, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 88 Rn. 53 ff.; Brosius-Gersdorf, Deutsche Bundesbank und Demokratieprinzip, S. 127 ff. Zum Problem vgl. Gersdorf, Öffentliche Unternehmen, S. 211 ff.: „Konkretisierung des Legitimationsniveaus oder Rechtfertigung von Legitimationsdefiziten?“, der selbst allerdings zu stark von einem „Regeltypus Ministerialverwaltung“ ausgeht (S. 175 ff.). BVerfGE 93, 37 (70 ff.); mit weit. Nachw. Sachs, in: ders., Grundgesetz Art. 20 Rn. 43.
100
Zweites Kapitel: Verfassungsentscheidungen für Rechtsstaat und Demokratie
nur unerheblich berührt ist, gestattet das Demokratieprinzip eine weitreichende Mitwirkung der Beschäftigten, während bei erheblicher Auswirkung die Entscheidung der demokratisch legitimierten Instanzen „keine substantielle Einschränkung“ erfahren darf. Wo sich staatliche Organisationen stärker zur Gesellschaft öffnen, werden die Mitwirkungsmöglichkeiten vielfältiger. Man muß sich nur davor hüten, diese Möglichkeiten, z.B. wegen ihres akzeptanzsichernden Zwecks, ihrerseits zu eigenen Legitimationsformen aufzuwerten. Andernfalls geht der normative Gehalt des Legitimationskonzepts, der auch darin besteht, Darlegungslasten für Sondereinflüsse zu begründen, schnell verloren. Eine wichtige Rolle, solche Einflüsse beim Namen zu nennen und zu ordnen, erfüllt das parlamentarische Gesetz. Es ist also nicht nur Mittler sachlich-inhaltlicher Legitimation, sondern schafft legitimierende Entscheidungsstrukturen (→ 5/26–33).
3. Staatliche Legitimationsverantwortung im intermediären Bereich 100 Die dargestellten Legitimationsanforderungen betreffen die Ausübung staatlicher Herrschaft. Auch die autonome Legitimation bezieht sich auf Organisationseinheiten, die öffentlich-rechtlich verfaßt und zu hoheitlichen Entscheidungen befähigt sind. Der Kooperationsbereich zwischen Staat und Gesellschaft reicht jedoch weiter261. Er bezieht Erscheinungen ein, die nicht – nicht mehr oder noch nicht – in öffentlich-rechtlicher Organisationsform verfaßt sind. Theoretisch lassen sich hier die Entscheidungsbeiträge staatlicher Stellen und privater Interessenträger trennen und ihren jeweils eigenen Rationalitätsanforderungen unterstellen. Nach einem solchen Trennungsmodell ließe sich dann sagen, daß die staatlichen Entscheidungskomponenten dem Legitimationsgebot des Art. 20 Abs. 2 GG unterfallen, während die Beiträge der anderen Seite als Ausdruck gesellschaftlicher Selbststeuerung nichts mit den für öffentliche Funktionsträger gedachten staatsrechtlichen Anforderungen zu tun haben. 101 Bei näherem Hinsehen zeigt sich jedoch, daß es Kooperationsvorgänge mit starken Verflechtungserscheinungen gibt. Für sie ist eine Aufspaltung nach einem solchen Trennungsmodell nicht sachgerecht262. Beispiele für diesen intermediären Bereich bilden die Verschränkungen zwischen privater Normsetzung und deren staatlicher Rezeption, z.B. im technischen Sicherheitsrecht263. Ähnliches gilt für die Begegnungen zwischen Wissenschaft und Staat in der Deutschen Forschungsgemeinschaft oder der Max-Planck-Gesellschaft. Auch der durch das Subsidiaritätsprinzip bestimmte Bereich der sozialen Dienste ist hierher zu zählen. Wollte man das Anliegen des Legitimationsgebots, nämlich gemeinwohl261
262 263
Zu den unterschiedlichen Formen hier ansässiger „Kooperativorganisationen“ grundlegend Brohm, Strukturen der Wirtschaftsverwaltung, S. 119 ff.; Schmidt-Preuß, VVDStRL Bd. 56, S. 160 ff.; Schuppert, Verwaltungswissenschaft, S. 281 ff. Dazu Trute, DVBl 1996, S. 950 ff. Dazu schon BVerfGE 64, 208 (214 f.) mit dem Hinweis auf eine doppelte, „staatlichdemokratische“ und „mitgliedschaftliche“ Legitimation; ausführlich Lamb, Kooperative Gesetzeskonkretisierung, S. 71 ff.
2. Abschnitt: Die Bedeutung des demokratischen Prinzips
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fähige, interessengerechte Entscheidungen zu erzielen, hier nur für den staatlichen Kooperationsbeitrag gelten lassen, so wären wesentliche Vorentscheidungen bereits gefallen, ohne daß notwendig auch nur die faktischen Voraussetzungen solchen Entscheidens beachtet worden wären. Das heißt auf der anderen Seite nicht, das Legitimationsgebot des Art. 20 Abs. 2 GG kurzerhand auf private Tätigkeitsbereiche nach Maßgabe ihrer Bedeutsamkeit zu übertragen. Wohl aber muß von einer überwirkenden Legitimationsverantwortung des Staates ausgegangen werden, die vor allem den Gesetzgeber dazu veranlaßt, in den genannten Bereichen darauf zu achten, daß sich die beteiligten Interessen angemessen darstellen können und zu Wort kommen (→ 5/59–62; 6/30). Ähnlich der schutzrechtlichen Wirkung der Grundrechte geht es darum, „Vorfeldsicherungen“ im Bereich privaten Interessenabgleichs aufzubauen und auf eine ausgewogene Interessenrepräsentanz hinzuwirken. „Das Konzept einer Legitimationsverantwortung des Staates zielt darauf, durch legitimatorische Vor- und Nachwirkungen den Status der privaten Akteure ihrer Funktion anzupassen und ihnen bestimmte Bindungen aufzuerlegen, um auf diese Weise eine mangelnde inhaltliche Entscheidungsbeherrschung des Staates zu kompensieren“264.
B. Weitere Bestimmungsfaktoren eines demokratischen Verwaltungsrechts 102 Die verwaltungsrechtliche Bedeutung der Verfassungsentscheidung für die Demokratie erschöpft sich nicht in der Sicherung demokratischer und in der Organisation autonomer Legitimation. Sie erfaßt darüber hinaus ganz allgemein Verwaltungsführung, Verwaltungsstil und Verwaltungsorganisation265: Geht man davon aus, daß das Verwaltungshandeln neben der Rechtmäßigkeit auch andere Richtigkeitskriterien zu erfüllen hat, so gewinnt der Begriff der Akzeptanz Bedeutung. Ein besonderes Thema eines demokratischen Verwaltungsrechts ist ferner die Partizipation. Schließlich ist zu überlegen, ob aus den der Demokratie zugeordneten Begriffen des Öffentlichen und der Öffentlichkeit zusätzliche demokratische Bestimmungsfaktoren gewonnen werden können. Diese Begriffe überlappen sich teilweise. Nicht selten werden sie mit Legitimationsvorstellungen vermischt. Das schadet jedoch der dogmatischen Präzision und beachtet die notwendigen Selektionsleistungen zu wenig, die eine normative und rechtsdogmatisch ergiebige Legitimationslehre erbringen muß. Verfassungs264
265
Trute, in: Schmidt-Aßmann/Hoffmann-Riem, Verwaltungsorganisationsrecht, S. 249 (290); Groß, Kollegialprinzip, S. 233 ff.: „Organisationsverantwortung des Gesetzgebers“; auch Fehling, Verwaltung zwischen Unabhängigkeit und Gestaltungsaufgabe, S. 351 ff.: „staatliche Unabhängigkeitsverantwortung“. Ähnlich Achterberg, Verwaltungsrecht, § 5 Rn. 32 ff.; auch Hill, DVBl 1993, 973 (977); zurückhaltender Faber, Verwaltungsrecht, § 12 I.
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Zweites Kapitel: Verfassungsentscheidungen für Rechtsstaat und Demokratie
rechtlich gehören Akzeptanz, Partizipation und Öffentlichkeit eher den ideellen Schichten des Demokratieprinzips, aber auch des Rechtsstaatsprinzips an. In mancher Hinsicht lassen sie sich zu den Voraussetzungen der Demokratie rechnen266. Jedenfalls muß bei ihrer Umsetzung in feste verwaltungsrechtliche Gebote und Lehrsätze behutsam vorgegangen werden. Ungeachtet dieser Schwierigkeiten aber ist mit ihnen ein beträchtliches „Entwicklungspotential“ umrissen. Dem gemäßigten Hierarchieansatz der verfassungsgerichtlichen Legitimationslehre (→ 2/91) werden − bei Anerkennung seiner Eigenständigkeit − auf diese Weise weitere nicht-hierarchische Politikformen an die Seite gestellt267.
I. Akzeptanz 103 Als Akzeptanz bezeichnen wir den Tatbestand der Hinnahme von Entscheidungen. Akzeptanz umfaßt die Spannbreite des Bewertens von Verwaltungsentscheidungen von richtig bis noch anerkennenswürdig268. Nicht selten werden Akzeptanz und Legitimation synonym gebraucht. Nach dem oben entwickelten normativen Legitimationskonzept besteht jedoch eine klare Trennung. Akzeptanz ist kein dogmatischer Begriff der Legitimationslehre. Begriff und Funktion hängen mit der Überschaubarkeit von Situationen und mit der Einsehbarkeit von Wertungen – kurz mit dem zusammen, was der soziologische Sprachgebrauch „soziale Evidenz“ oder „alltagsweltliche Plausibilität“ nennt269. 104 In der verwaltungsrechtlichen Systematik kann der Gedanke der Akzeptanz bei der Ordnung von Verfahrensabläufen Bedeutung erlangen270. Er veranlaßt zu analysieren, welche Schwachstellen des Verfahrens zu Akzeptanzmängeln führen: Das kann die Undurchsichtigkeit des Entscheidungsgefüges und seiner normativen Grundlagen, aber auch ein vermuteter oder bestehender Mangel administrativer Neutralität oder aber ein grundlegender Wertedissens sein. Als Risikoakzeptanz bildet der Begriff ein Strukturziel für Verfahren eines Risikomanagements271. Die Mittel einer Akzeptanzverbesserung sind danach unterschiedlich: Oft können schon eine bessere Informationspolitik und eine größere Dialogbereitschaft der Verwaltung ausreichen. Treten Akzeptanzmängel auf, weil die Neutralität der Verwaltung wegen besonders enger Bindungen an den Verfahrensgegenstand zweifelhaft erscheint, können Zuständigkeitsverlagerungen oder -trennungen geboten sein272. Auf jeden Fall hat eine Rollentren266 267
268 269 270 271 272
Allgemein zu diesen Voraussetzungen Böckenförde, in: HStR Bd. 1, § 22 Rn. 58 ff. Vgl. Ritter, in: Grimm, Wachsende Staatsaufgaben, S. 69 (103 f.); für die politikwissenschaftliche Forschung ähnlich Scharpf, PVS 1991, S. 621 (627 ff.). Ferner Craig, Public Law and Democracy. Würtenberger, Akzeptanz von Verwaltungsentscheidungen, S. 61. Würtenberger, NJW 1991, S. 257 (260). Ausführlich Würtenberger, Akzeptanz von Verwaltungsentscheidungen, S. 98 ff. Dazu Scherzberg, VerwArch 1993, S. 484 (503 f.). Dazu − auch mit Angaben zum US-amerikanischen Recht – Fehling, Verwaltung zwischen Unabhängigkeit und Gestaltungsaufgabe, S. 84 ff., bes. 251 ff.
2. Abschnitt: Die Bedeutung des demokratischen Prinzips
103
nung zwischen Projektträger und Zulassungsbehörde als selbstverständlich zu gelten273. Verfahren können u.U. auch stärker gerichtsähnlich, u.U. unter Einbeziehung von Parallelbegutachtungen ausgestaltet werden274. Auf Feldern tiefergreifender Akzeptanzprobleme ist daran zu denken, verwaltungsexterne Konfliktmittler heranzuziehen. Konfliktmittler können der Verwaltung die Verantwortung für gesetzlich verlangte Entscheidungen nicht abnehmen. Sie können aber das Interessenfeld so organisieren, daß trotz divergierender Standpunkte nach Gemeinsamkeiten gesucht und ein Ausgleich zwischen den Beteiligten angestrebt wird (→ 6/136–137). 105 Schwieriger zu bestimmen ist die Rolle der Akzeptanz im Blick auf ein Verfahrensergebnis. Zutreffend wird in der Akzeptanz, die eine Verwaltungsentscheidung findet, ein positiver Wert gesehen. Akzeptanz ist ein Element der über die Rechtmäßigkeit hinausgreifenden „Richtigkeit“ des Verwaltungshandelns (→ 6/149–150)275. Das veranlaßt freilich auch zu der Frage, wie der Rang zwischen beiden dann zu bestimmen ist, wenn sie nicht im Verhältnis der positiven Entsprechung, sondern der Divergenz stehen. Dabei sind es nicht eigentlich die Fälle klarer Kollisionen, die Schwierigkeiten bereiten. Für sie gilt der Vorrang des Rechtsmaßstabes, d.h. fehlende Akzeptanz nimmt der rechtmäßigen Entscheidung nichts von ihrer Verbindlichkeit, wie umgekehrt eine rechtswidrige Entscheidung nicht dadurch von den Reaktionen des Rechts freigestellt wird, daß sie akzeptiert ist. Eigenes Gewicht gewinnt die Akzeptanz in offenen Ermessensund Abwägungsrelationen. Das Bundesverfassungsgericht hat ihr Bedeutung z.B. für Entscheidungen in der kommunalen Gebietsreform zuerkannt276: Das Gericht grenzt den Tatbestand fehlender Akzeptanz zunächst vom bloßen „Unwillen im Sinne einer Stimmung der Unzufriedenheit“ ab. Von einem Defizit an Akzeptanz sei erst dann zu sprechen, wenn sich der Mangel auf vernünftige Gründe zurückführen lasse, so daß mit seinem Schwinden in einem überschaubaren Zeitraum nicht zu rechnen sei. Ein in dieser Weise spezifiziertes Akzeptanzdefizit kann dann ein zulässiger Grund sein, der z.B. zu einem (erneuten) gebietsreformerischen Eingriff berechtigt. Akzeptanz bildet hier zwar keinen eigenständigen Rechtsgrund; sie kann aber in weiten Gemeinwohlklauseln zu einem Tatbestandsmerkmal und so mittelbar auch zu einem rechtlichen Legitimationsfaktor werden. Nicht undenkbar erscheint es zudem, daß die gerichtliche Abwägungskontrolle von Verwaltungsentscheidungen unterschiedlich intensiv danach ausfällt, inwieweit die Verwaltung Akzeptanz für ihr Vorhaben gefunden hat oder nicht.
273 274 275
276
Steinberg/Berg/Wickel, Fachplanung, § 2 Rn. 9 mit zutreffender Kritik an BVerwG DVBl 1987, 1267 ff.; ferner Fehling, Verwaltung, S. 284 f. Würtenberger, Akzeptanz von Verwaltungsentscheidungen, S. 120 ff. Dazu Hoffmann-Riem, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Schuppert, Reform des Verwaltungsrechts, S. 115 (133 ff.); ders., DVBl 1994, S. 1381 (1382); ähnlich Würtenberger, Akzeptanz von Verwaltungsentscheidungen, S. 61 f. BVerfGE 86, 90 (111).
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Zweites Kapitel: Verfassungsentscheidungen für Rechtsstaat und Demokratie
II. Partizipation 106 Partizipation meint die Beteiligung der in einer spezifischen Weise von einer bestimmten Entscheidung Betroffenen277. Daß Betroffenengemeinschaften nicht „Volk“ im Sinne des Art. 20 Abs. 2 GG sind und folglich die von dieser Bestimmung geforderte Legitimation nicht erbringen können, ist oben herausgearbeitet worden (→ 2/81). Partizipationsformen lassen sich folglich nicht als Ausdruck eines „besseren“ Demokratieverständnisses gegen die geformten Züge der Verwaltungslegitimation ausspielen. Gleichwohl gibt der in den ideellen Schichten der Demokratie und der Rechtsstaatlichkeit angelegte Gedanke der Selbstbestimmung dem Verwaltungsrecht Entwicklungsanstöße. Dabei sind zwei große Bereiche der Partizipationsdiskussion im Blick zu behalten: Zum einen geht es um die aus dem Planungs- und Umweltrecht bekannte Beteiligung von Bürgern und Bürgergruppen in einzelnen Verwaltungsverfahren278. Sie gilt heute in den Ländern der Europäischen Union praktisch als gemeinsamer Rechtsstandard279. Aber auch zahlreiche organisatorisch verfestigte Kooperationsformen zwischen Staat und Gesellschaft lassen sich als Ausdruck einer fortgeschrittenen Partizipation deuten. Das Spektrum gesetzlich anerkannter Formen reicht von der klassisch-rechtsstaatlichen Individualbeteiligung über die Verbands-, Gruppenund Repräsentantenbeteiligungen bis zur Öffentlichkeitsbeteiligung280. Das EGRecht hält die Mitgliedstaaten dazu an, diese Formen auszubauen und um Möglichkeiten grenzüberschreitender Partizipation zu ergänzen (→ 6/145). Hier zeichnet sich eine Verbindungslinie zwischen demokratischen Partizipationsansätzen und den oben herausgestellten rechtsstaatlichen Entwicklungsimpulsen ab, zu einer über die individuellen Rechtspositionen hinausreichenden Interessenklärung „mittlerer Ebene“ zu gelangen281.
277
278 279 280 281
Nach einer breiten Behandlung des Themas zu Beginn der siebziger Jahre (vgl. Schmitt Glaeser, VVDStRL Bd. 31, S. 179 ff.) ist es in der juristischen Literatur um diesen Begriff still geworden; wichtige Fragen werden heute allerdings in den Themen „Legitimation“, „kooperativer Staat“ und „integratives Verwaltungshandeln“ (dazu Hill, in: Blümel/Pitschas, Reform des Verwaltungsverfahrensrechts, S. 339 ff.) mitgeführt. In den Sozialwissenschaften ist der Begriff durchgängig wichtig; vgl. die Nachw. bei Bora, in: van den Daele/Neidhardt, Kommunikation und Entscheidung, S. 371 (403 ff.); auch Schuppert, Verwaltungswissenschaft, S. 723 ff.: „Kommunikation“. Dazu grundlegend Battis, Partizipation im Städtebaurecht. Schmidt-Eichstaedt, DÖV 1995, S. 969 (973). Dazu Schmitt Glaeser, in: Lerche/Schmitt Glaeser/Schmidt-Aßmann, Verfahren, S. 35 (45 ff.). Differenzierend aus sozialwissenschaftlicher Sicht Bora, in: van den Daele/Neidhardt, Kommunikation und Entscheidung, S. 371 ff.
2. Abschnitt: Die Bedeutung des demokratischen Prinzips
105
1. Arten von Betroffenheit 107 Dazu müssen zunächst die unterschiedlichen Arten möglicher Betroffenheit analysiert werden282: Zu denken ist zum einen an die von einer Verwaltungsentscheidung in ihren Rechten Betroffenen. In diesem Bereich hat der Partizipationsbegriff seine höchste Dichte und die größte Nähe zum grundrechtlich veranlaßten Anhörungsrecht (→ 6/152). Die dogmatische Präzision setzt aber exakte Vorstellungen über den Bestand und den Umfang möglicher Rechtspositionen und über die Wirkungsweise der jeweiligen Verwaltungsentscheidung voraus. 108 Andere Beteiligungsvorschriften knüpfen an die Betroffenheit von Interessen an. Der Kreis wird damit wesentlich weiter und unbestimmter (→ 3/53 ff.). Neben den Rechtsbetroffenen stehen hier diejenigen, die in ihren rechtlich geschützten Interessen, aber auch solche, die nur in sonstigen, durch die Rechtsordnung nicht besonders hervorgehobenen Interessen betroffen sind. Diese Ausweitung des Interessenfeldes macht auch die Arten der Betroffenheit vielfältiger: Neben den Eingriffstatbestand treten die weniger intensiven Formen der Beeinträchtigung und des bloß marginalen Berührens von Interessen. Demgemäß können in einer so ausgerichteten Partizipationssystematik neben Individuen auch Vereinigungen, Verbände und Gruppen stehen, die Kollektivinteressen vertreten oder an der Verteidigung der Rechte ihrer Mitglieder ein satzungsmäßiges Interesse haben (→ 3/13). Da das deutsche Verwaltungsrecht traditionell eher an überschaubaren, kleinräumigen Rechtsverhältnissen ausgerichtet ist, existieren Erfahrungen mit der Analyse solcher Interessengeflechte am ehesten im Blick auf raumgestaltende Entscheidungen, Baugenehmigungen und standortgebundene Zulassungen. So ist nach § 73 Abs. 4 VwVfG „jeder, dessen Belange durch das Vorhaben berührt werden“, zur Erhebung von Einwendungen im Planfeststellungsverfahren berechtigt283. Ökologische Interessen haben, sofern sie ebenfalls raumbezogen sind, daran anknüpfen können. Dagegen befinden sich die Analyse wirtschafts-, finanzoder sozialpolitisch bestimmter Interessen und die Erfassung der zwischen ihnen bestehenden Interdependenzen verwaltungsrechtlich wie verwaltungswissenschaftlich erst in den Anfängen284. Das hat es bisher erschwert, für die Interessenbetroffenheit insgesamt ausgewogene Ordnungsmodelle zu entwickeln. Doch muß sich das angesichts des breiteren Interessenansatzes des EG-Rechts und der großen Bedeutung komplexer Verteilungsentscheidungen in der Wirtschaftsverwaltung (Fusionskontrolle, Subventionswesen, Lizenzvergaben) ändern (→ 3/48–57). 109 Schließlich kann man von einer Betroffenheit der Öffentlichkeit schlechthin sprechen. Die Übergänge zu der vorstehend genannten Gruppe sind gleitend, weil die Öffentlichkeit sich nicht abstrakt, sondern nur mittels eines spe282 283 284
Vgl. Hill, Fehlerhaftes Verfahren, S. 267 ff.; Bonk/Kallerhoff, in: Stelkens/Bonk/Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz, § 28 Rn. 16 ff. Dazu Steinberg/Berg/Wickel, Fachplanung, § 2 Rn. 84 ff. Vgl. z.B. § 74 Abs. 2 Nr. 3 TKG; § 55 Abs. 2 Nr. 3 GWB; dazu Bosch, in: Trute/Spoerr/ Bosch, Telekommunikationsgesetz, § 74 Rn. 21 ff.
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Zweites Kapitel: Verfassungsentscheidungen für Rechtsstaat und Demokratie
zifischen Interesses an dem jeweiligen Verwaltungsvorgang erfassen läßt, z.B. als von städtebaulichen Planungen betroffene Öffentlichkeit im Sinne des § 3 BauGB. Auch hier dominiert in der Rechtspraxis bisher der Raumbezug. Insgesamt kennzeichnet der Betroffenenbegriff keinen einheitlichen Tatbestand. Er wird vielmehr von zahlreichen, in sich wiederum heterogenen Faktoren bestimmt, die die Anknüpfung strikter Rechtsfolgen erschweren (→ 2/116).
2. Partizipation als Mitgestaltung 110 Information, Anhörung und Bemühen um Verständigung sind verwaltungspolitisch sinnvolle Handlungsweisen, die der Exekutive vielfach auch gesetzlich zur Pflicht gemacht sind. Daß die Beteiligung Betroffener in den genannten Formen darüber hinaus einen offenen, transparenten und damit rechtsstaatlich und demokratisch gewünschten Verwaltungsstil fördert, steht außer Streit. Das Gespräch mit dem Bürger entspricht, wie das Bundesverfassungsgericht bereits im Jahre 1977 sagte, dem grundgesetzlichen Verständnis der Stellung des Bürgers im Staat285. Die hier angesprochene Kommunikation erschöpft sich nicht darin, in einem unter der Verfahrensherrschaft der Verwaltung ablaufenden Entscheidungsverfahren den eigenen Standpunkt vortragen zu dürfen. Die Unzulänglichkeiten eines engen Beteiligungsverständnisses werden in komplexen Verwaltungsverfahren deutlich, weil in ihnen nicht feste und als solche isolierbare Rechtspositionen verteidigt, sondern offene Interessengefüge aufgehellt werden sollen286. 111 Für das allgemeine Verwaltungsrecht geht es angesichts dieses Befundes darum, die vielfältigen gesetzlichen Beteiligungsvorschriften systematisch zu erfassen und zu untersuchen, inwieweit sie zu neuen Bauformen interessengerecht strukturierter Verwaltungsverfahren fortentwickelt werden können. Dabei läßt sich nicht durchgängig zwischen Mitwirkung und Mitentscheidung trennen. In der Realität existieren vielfältige Übergänge. Das „Gespräch“ soll gerade nicht durch eine strikte Zäsur zerteilt werden. Zutreffend hat Walter Schmitt Glaeser darauf aufmerksam gemacht, daß Partizipation „gestaltende Einflußnahme“ auf den Entscheidungsprozeß und damit auch auf die Entscheidung selbst sei287. Dieser Gedanke der Mitgestaltung wird den gesteigerten Einflußnahmemöglichkeiten Dritter vor allem dort besser gerecht, wo es um die Konkretisierung finaler Gesetzestatbestände, z.B. einer Gestaltung planerischer Konzepte oder sozialer Dienste geht. Mitgestaltende Beteiligung kann die sachlich-inhaltliche demokratische Legitimation insofern verbessern, als sie die vom Parlament geschaffenen 285 286 287
BVerfGE 45, 297 (335); auch Schuppert, Verwaltungswissenschaft, S. 772 ff. Anschaulich Gerhardt/Jacob, DÖV 1986, S. 258 ff.; Voßkuhle, in: Hoffmann-Riem/ Schmidt-Aßmann, Verwaltungsrecht in der Informationsgesellschaft, S. 349 (365 ff.). In: Lerche/Schmitt Glaeser/Schmidt-Aßmann, Verfahren, S. 35 (47); zu sozialwissenschaftlichen Partizipationskonzepten vgl. Bora, in: van den Daele/Neidhardt, Kommunikation und Entscheidung, S. 371 (378 ff.).
2. Abschnitt: Die Bedeutung des demokratischen Prinzips
107
offenen Entscheidungsprogramme von innen her mit aufbereitet. Sie kann in entsprechend organisierter Form auch ein Element der institutionellen Legitimation der Verwaltung werden (→ 2/95–97); das gilt etwa für die Beteiligung repräsentativ verfaßter Interessen in Kollegialgremien (→ 5/44–47)288. Die staatliche, in der Regel gesetzlich wahrzunehmende Legitimationsverantwortung hat jedoch darauf zu sehen, daß die entsprechenden Verfahren nicht unter den einseitigen Druck von Sonderinteressen gelangen (→ 2/100). Eine spezielle Form organisierter und rechtlich geordneter Partizipation stellt die funktionale Selbstverwaltung dar (→ 2/91–93; 5/42–43). 112 Weitergeführt werden diese Überlegungen durch das EG-Recht: Betroffene, Konkurrenten und Dritte, Vereinigungen, Verbände und Öffentlichkeit erhalten im Gemeinschaftsverwaltungsrecht und im Verwaltungsrecht der EGAdministration Beteiligungsmöglichkeiten auch mit dem Ziel, zu diskursiver Rationalität staatlicher Entscheidungen beizutragen. Dadurch ändert sich die Konzeption des Verwaltungsverfahrens: Vom alten Zweck behördlicher Information über das grundrechtssichernde Verfahren nach den Vorstellungen der Mülheim-Kärlich-Entscheidung führt die Linie zu einem Verständnis, das das Verfahren und die Verfahrensbeteiligung als eher objektiv-rechtliche, strukturprägende Elemente betrachtet (→ 6/148–149).
III. Öffentlichkeit 113 „Öffentlich“ und „Öffentlichkeit“ zählen zu den traditions- und beziehungsreichsten Begriffen der politischen Theorie289. In der Mehrdeutigkeit ihrer Verwendungsweisen bewahren sie Problemstellungen, „deren Überzeugungskraft in der Möglichkeit liegt, verschiedene Bedeutungen in einem Wort zugleich anzusprechen. Beziehen sich diese Bedeutungen wechselseitig aufeinander, dann artikuliert sich in der Spannung der verschiedenen Bedeutungen ein dem Begriff eigentümliches Problembewußtsein“290. Gerade die Verbindung der Aspekte des „Offenbaren“ und des „öffentlich Einsehbaren“ mit dem politisch-sozialen Aspekt des „Allgemeinen“, des das „Gemeinwesen Betreffenden“, wie sie im deutschen Wort „öffentlich“ angelegt ist, erschließt ein breites Spektrum von Bedeutungsvarianten291: „In Kombination mit dem Gegenbegriff ‚privat‘ dient ‚öffentlich‘ der Abgrenzung und Bezeichnung von sozialen Handlungs- und Verantwortungsbereichen mit grundsätzlich verschiedenem normativen Charakter. In einer zweiten Begriffskonstellation wird ‚öffentlich‘ verbunden mit zwei Gegenbegriffen: ‚privat‘ und ‚geheim‘; die entsprechenden Unterscheidungen dienen einer sozialen Grenzziehung im Bereich von Kommunikation und Wissen. Der dritte Sinn von ‚Öffentlichkeit‘ nimmt Elemente der beiden ersten Begriffsverwendungen auf 288 289 290 291
Vgl. Groß, Kollegialprinzip, bes. S. 138 ff. Dazu mit zahlreichen Nachw. die Beiträge in: Neidhardt, Öffentlichkeit. So Hölscher, in: Brunner/Conze/Koselleck, Geschichtliche Grundbegriffe, Bd. 4, S. 413. Peters, in: Neidhardt, Öffentlichkeit, S. 42 (42 f.).
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Zweites Kapitel: Verfassungsentscheidungen für Rechtsstaat und Demokratie
und verknüpft sie mit zusätzlichen normativen Gehalten. Öffentlichkeit bezeichnet hier eine Art Kollektiv mit einer bestimmten Kommunikationsstruktur oder eine Sphäre kommunikativen Handelns mit bestimmten anspruchsvollen Merkmalen und Funktionen.“ Während die Abgrenzung von Verantwortungsbereichen ein Thema der Verwaltungsaufgabenlehre ist (→ 3/109–117), werden die beiden anderen Bedeutungsvarianten in verwaltungsrechtlichen Schriften als „rezeptive“ und „aktive“ Öffentlichkeit bezeichnet und als Fragen nach dem Zugang zu Dokumenten (1) und der Öffentlichkeit als Forum (2) behandelt292.
1. Zugang zu Dokumenten 114 Juristisch fällt es nicht schwer, „Öffentlichkeit“ und „öffentlich“ zu traditionellen Elementen des Rechtsstaatsprinzips und des Demokratieprinzips in Beziehung zu setzen: Die Schutzfunktion öffentlicher Gerichtsverhandlungen ist früh erkannt worden (Art. 6 Abs. 1 EMRK)293. Daß die Veröffentlichung für Rechtsverordnungen und Satzungen auch dort, wo das positive Recht das nicht ausdrücklich vorsieht, ein Gebot der Rechtsstaatlichkeit ist, gehört zu den Grunderkenntnissen des öffentlichen Rechts294. Für parlamentarische und kommunale Gremien stellt die Öffentlichkeit ihrer Sitzungen eine Rechtsregel dar, von der abzuweichen besonderer Ermächtigung bedarf295. Das alles sind wichtige Einzelpunkte, die im Verwaltungsrecht beheimatet sind oder hierhin ausstrahlen. Aber auch weit darüber hinaus veranlaßt die Bedeutungsvielfalt des Begriffs, weitere Verbindungen zwischen demokratischem Rechtsstaat und den im Begriff der Öffentlichkeit gespeicherten Wertfaktoren herzustellen296. So kann die Verpflichtung zur Publizität ein Schritt zur rechtsstaatlichen Disziplinierung informalkonsensualen Verwaltungshandelns sein (→ 6/135). 115 Angesichts der Vielzahl möglicher Verwendungszusammenhänge hat Wolfgang Martens 1969 allerdings vor einer Überforderung des Öffentlichen als Rechtsbegriff gewarnt; jedenfalls lasse sich ein Gebot prinzipiell unbegrenzter Publizität allen staatlichen Handelns weder aus den Verbindungen zur Demokratie noch zum Rechtsstaatsprinzip ableiten297. Die Entwicklung ist jedoch heute weiter fortgeschritten. Für die Öffentlichkeit behördlicher Umweltinformationen ist die allgemeine Zugänglichkeit nach Vorgaben des EG-Rechts heute geltendes Recht. Damit ist der dem deutschen Verwaltungsrecht vertraute Grundsatz einer auf die Verfahrensbeteiligten begrenzten Aktenöffentlichkeit (§ 29 VwVfG) in einem wichtigen Referenzbereich überwunden (→ 6/145). In den meisten ande292
293 294 295 296 297
Vgl. Rossen, in: Schmidt-Aßmann/Hoffmann-Riem, Verwaltungskontrolle, S. 117 ff.; mit einer dreigliedrigen Begriffsbildung ähnlich Scherzberg, Öffentlichkeit der Verwaltung, S. 19 f. Dazu Grabenwarter, Verfahrensgarantien, S. 465 ff. BVerfGE 65, 283 (291). Vgl. Groß, Kollegialprinzip, S. 303 ff. Vgl. v. Arnim, Staatslehre, S. 508 ff.; Jestaedt, AöR 2001, S. 204 ff. W. Martens, Öffentlich als Rechtsbegriff, S. 59 ff.
2. Abschnitt: Die Bedeutung des demokratischen Prinzips
109
ren Ländern der Europäischen Union ist der allgemeine Zugang zu Verwaltungsinformationen heute gesetzlich, teilweise sogar verfassungsrechtlich anerkannt. In einer die Aktenöffentlichkeit der EG-Eigenverwaltung betreffenden Streitsache vor dem Europäischen Gerichtshof sagt Generalanwalt Tesauro, die rechtsvergleichenden Erkenntnisse zusammenfassend: „Mit anderen Worten, es stimmt nicht mehr, daß alles vertraulich ist, was nicht ausdrücklich für zugänglich erklärt ist, sondern das Gegenteil ist der Fall“298. Die deutsche Rechtsentwicklung sucht hier in vorsichtiger Form Anschluß299, insbesondere durch allgemeine Informationszugangsgesetze einiger Bundesländer. Allerdings verlangt die herrschende Ansicht bisher eine eigenständige normative Grundlage300. Mehr spricht dafür, daß sich zur Zeit ein allgemeiner Rechtsgrundsatz ausbildet, in dessen Rahmen der Datenschutz, das Steuer- und Sozialgeheimnis und der öffentliche Interessenschutz allerdings wichtige Gegengründe darstellen, die den Informationszugriff ausschließen können. Eine totale Öffentlichkeit gibt es also nicht; sie wäre so wenig freiheitlich wie demokratisch. Entscheidend ist die „rechte Mischung“ von Publizität und Geheimhaltung301. Sind Gegengründe im konkreten Falle aber nicht einschlägig oder können sie sich in der gebotenen Abwägung nicht durchsetzen, so ist der freie Zugang zu Verwaltungsdokumenten als Grundtatbestand anzusehen302. Systematisch gehört die Frage in den Kontext des Informationsverwaltungsrechts (→ 6/9).
2. Öffentlichkeit als Forum 116 Die Bedeutung von Öffentlichkeit in verwaltungsrechtlichen Handlungszusammenhängen reicht jedoch darüber hinaus. Öffentlichkeit läßt sich auch aktiv „als besonderer Typus sozialer Beziehungen“ verstehen303. Sie kann als Forum der Rationalisierung und damit zur Verbesserung der Qualität administrativer Entscheidungen genutzt werden (→ 4/98–100). Auch hier gibt das EGRecht zusätzliche Anstöße. Es möchte eine informierte Öffentlichkeit in den Mitgliedstaaten als eine besondere Art von Verwaltungskontrolle einsetzen, die Kontrollschwächen des dezentralen Vollzugsmodells ausgleichen soll (→ 7/6–9). Darin kann eine Ergänzung der deutschen Systematik um Kontrollmechanismen
298 299
300 301 302
303
EuGHE 1996, 2169 (2179 mit rechtsvergleichenden Nachw. dort Tz. 15). Vgl. Art. 255 EG; Art. 42 EU-Grundrechtecharta; Art. I-49 KonvE. Grundlegend Schoch/Kloepfer, Informationsfreiheitsgesetz, S. 25 ff.; Voßkuhle, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann, Verwaltungsrecht in der Informationsgesellschaft, S. 349 (380 ff.). Nachw. bei Bonk/Kallerhoff, in: Stelkens/Bonk/Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz, § 29 Rn. 18. So zutreffend Jestaedt, AöR 2001, S. 204 (215 ff.). Ähnlich Nolte, DÖV 1999, S. 363: Jedermanns-Recht auf freie Ermessensentscheidung; weitergehend Scherzberg, Öffentlichkeit der Verwaltung, S. 403 f.: „allgemeiner öffentlich-rechtlicher Informationsanspruch des Bürgers“. Rossen, in: Schmidt-Aßmann/Hoffmann-Riem, Verwaltungskontrolle, S. 117 (145 f.).
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Zweites Kapitel: Verfassungsentscheidungen für Rechtsstaat und Demokratie
einer „mittleren“ Ebene liegen, wie sie an anderer Stelle für notwendig erachtet wurde (→ 2/75–78). Vor überzogenen Erwartungen ist insoweit jedoch zu warnen. Die Öffentlichkeit ist ein sehr unstetes Beziehungsgefüge zwischen Akteuren, Medien und Publikum304. Themenwahl und Reaktionen sind oft von eher beiläufigen Bedingungen abhängig, schwer vorhersehbar und wenig beständig. Die dem normativen Konstrukt von Öffentlichkeit zugeschriebenen Transparenz-, Validierungs- und Orientierungsfunktionen werden in der Realität nur eingeschränkt erfüllt. Öffentlichkeit ist keine Institution, die nach festen Regeln agiert. Sie läßt sich daher auch nicht mit festen Funktionserwartungen in eine staats- oder verwaltungsrechtliche Systematik einbauen. Wenn der Gedanke einer Öffentlichkeit als Forum und Gegenmacht gezielt weiterverfolgt werden soll, so verlangt das zunächst ein intensives Studium soziologischer Forschungsergebnisse. Auszuwerten sind dabei auch Untersuchungen, die selbstselektive Verzerrungen in der Interessenrepräsentanz beobachten. So stellt Friedhelm Neidhardt305 fest: „Im Regelfall ist das Publikum alles andere als bevölkerungsrepräsentativ“. Weiter heißt es bei ihm: „Geht es um politische Kommunikation, so erscheint mit seinen Orientierungsbedürfnissen ein Publikumskern politisch Interessierter überrepräsentiert, der nach Merkmalen von Bildung, Geschlecht, Alter, sozialem Status und ideologischer Orientierung selbstselektiv verzerrt ist“. Das Recht kann, wenn es die Öffentlichkeit in seine Regelungsmodelle einbeziehen will, solche Verzerrungen und neuen Machtgefälle nicht einfach akzeptieren, sondern es muß gegebenenfalls strukturierende und balancierende Gegenmaßnahmen treffen (→ 6/167–168).
304 305
Neidhardt, in: ders., Öffentlichkeit, S. 7 ff. Neidhardt, aaO. S. 13.
Drittes Kapitel
Verwaltungsaufgaben und die Rolle des besonderen Verwaltungsrechts 1 In diesem Kapitel geht es um Sachgegebenheiten, Handlungspraxen und Regelungsmuster aus den einzelnen Fachgebieten der Verwaltung. Den abstrakten Determinanten der Staatsstrukturentscheidungen, die im vorigen Kapitel dargestellt worden sind, treten die konkreten Bestimmungsfaktoren des besonderen Verwaltungsrechts gegenüber. Hier werden die unterschiedlichen Verwaltungsaufgaben und die spezifischen Erfordernisse ihrer Erfüllung anschaulich: Die den Fachgebieten des Verwaltungsrechts entstammenden Gerichtsentscheidungen sind das Material für die Formulierung allgemeiner Lehren, und aus den Rechtsinstituten der einzelnen Bereiche werden Bauelemente einer allgemeinen Ordnung, an der sich die besonderen Teile wiederum auszurichten haben. Auf dieser Annahme wechselseitigen Lernens beruht der Gedanke der Referenzgebiete (→ 1/12–16). Er ist ein Zentralpunkt der verwaltungsrechtlichen Ordnungsidee. Im folgenden wird gefragt, welche neuen Referenzgebiete das allgemeine Verwaltungsrecht in seinen Systembildungsauftrag einbeziehen muß (1. Abschnitt) und wie die dort anzutreffenden Regelungsansätze über Leitbegriffe in die allgemeinen Lehren eingebracht werden können (2. Abschnitt).
112
Drittes Kapitel: Verwaltungsaufgaben und besonderes Verwaltungsrecht
1. Abschnitt: Verwaltungsaufgaben im Spiegel des besonderen Verwaltungsrechts 2 Die Vorstellungswelt des allgemeinen Verwaltungsrechts hat sich vorrangig am Anschauungsmaterial des Polizei-, Kommunal-, Bau- und Beamtenrechts entwickelt. Dieses sind auch heute unbestreitbar wichtige Gebiete: Das Polizeirecht bildet den Grundtyp des Sicherheitsrechts, dessen Bedeutung angesichts des elementaren staatlichen Auftrags zur Gefahrenabwehr und Sicherheitsgewährleistung offen zutage liegt; hier geht es um „Grundbedingungen für die individuelle Freiheitsentfaltung und die Aufrechterhaltung sozialer Wohlfahrt“1. Im Kommunalrecht verbinden sich das Organisationsrecht der Selbstverwaltung und das Recht der Daseinsvorsorge zum Standardrecht demokratisch eigenständig legitimierter, ortsnaher täglicher Verwaltung2. Das Baurecht stellt ein Rechtsgebiet dar, das die Wandlungen der Verwaltungsaufgaben von der punktuellen Intervention zur planerischen Gestaltung gut erkennen läßt3. Trotzdem kann man nicht davon ausgehen, daß die bisherigen Referenzgebiete die großen Verwaltungsaufgaben unserer Zeit, um deren systematische Erfassung es im allgemeinen Verwaltungsrecht gehen muß, umfassend zur Darstellung bringen. 3 In diesem Sinne wichtige Bereiche sind heute die Verantwortung des Staates für die Wirtschaft, für den Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen, für die soziale Sicherheit und für die Wissenschaft. Von ihnen sollen hier zunächst das Umweltverwaltungsrecht (A) und das Sozialverwaltungsrecht (B) untersucht werden. Die herausgehobene Bedeutung beider Gebiete wird dadurch unterstrichen, daß sie verfassungsrechtlich in den Staatszielen der Art. 20 und 20a GG verankert sind. Das Umweltverwaltungsrecht ist zudem ein Gebiet, in dem die Europäisierung weit fortgeschritten ist; seine Regelungsmuster in die verwaltungsrechtliche Systembildung einzubeziehen heißt folglich, die Rezeption des EG-Rechts – auch auf indirektem Wege – zu verstärken (→ 1/50–60). Im Umweltverwaltungs- und im Sozialverwaltungsrecht geht es um Rechtsvorschriften, die die Verteilung von Gemeinschaftsgütern normieren4. Ihre Regelungsansätze weichen allerdings erheblich voneinander ab: Das Sozialverwaltungsrecht geht von der personalen Begegnung zwischen Individuum und Verwaltung im Sozialverwaltungsverhältnis aus, während im Umweltverwal1
2 3 4
Schoch, in: Schmidt-Aßmann, Besonderes Verwaltungsrecht, 2. Kap. Rn. 2; ausf. Möstl, Garantie für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, bes. S. 37 ff.: Staatsaufgabe, Staatszielbestimmung, grundrechtliche Gewährleistung; Stoll, Sicherheit als Aufgabe von Staat und Gesellschaft, S. 15 ff. Zu Erweiterungen des Auftrags Albers, Die Determination polizeilicher Tätigkeit in den Bereichen der Straftatenverhütung und der Verfolgungsvorsorge, bes. S. 97 ff.; Pitschas, DÖV 2004, S. 231 ff. Vgl. nur Oebbecke und Burgi, VVDStRL Bd. 62, S. 366 ff. und 405 ff. Schmidt-Aßmann, Grundfragen des Städtebaurechts, bes. S. 63 ff.; Wahl, Rechtsfragen der Landesplanung und Landesentwicklung, Bd. 1, S. 21 ff. und S. 114 ff. Zur Bedeutung dieses Begriffs für die Rechtssystematik Zacher, in: FS für Lerche, S. 107 ff.; Engel, DV 1997, S. 429 ff.
1. Abschnitt: Verwaltungsaufgaben im Spiegel des besonderen Verwaltungsrechts
113
tungsrecht ein medialer Steuerungsansatz vorherrscht. Beide Gebiete folgen insofern einem klassischen Konzept, als in ihnen bisher Handlungs- und Organisationsformen des öffentlichen Rechts dominieren. 4 Das ist im Wissenschaftsverwaltungsrecht, das hier als drittes Referenzgebiet vorgestellt wird, anders (C). Seine Behandlung rechtfertigt sich gerade aus der Vielfalt der Verwaltungsvorgänge in Privatrechtsform und aus der besonderen Sensibilität freier Wissenschaft gegenüber den Steuerungsansprüchen des Rechts überhaupt. Nicht ausgeschlossen erscheint zudem, daß sich, z.B. in der Behandlung von Risikoentscheidungen, ein Überschneidungsbereich zwischen Umwelt- und Wissenschaftsrecht bestimmen läßt, der nur durch eine Verbindung von Steuerungsansätzen beider Gebiete rechtlich strukturiert werden kann. Der „Stand von Wissenschaft und Technik“ als ein Schlüsselbegriff des Umweltrechts deutet in diese Richtung5. 5 Die Zahl der für das allgemeine Verwaltungsrecht bedeutsamen Referenzgebiete ist damit freilich nicht erschöpft. Einen Fundus ganz unterschiedlicher Regelungsansätze enthält das Wirtschaftsverwaltungsrecht – besser: das öffentliche Wirtschaftsrecht. Ordnungs-, Leistungs- und Lenkungsrecht befinden sich hier mit dem öffentlichen Unternehmensrecht in einer Gemengelage, in der es schwerfällt, gebietsprägende einheitliche Systemgedanken auszumachen. Die Vielfalt immer wieder neuer Organisations- und Handlungsformen belegt, wie sehr auch von den allgemeinen Lehren Anpassung und Fortentwicklung verlangt werden6. Ein besonders wichtiges Beispiel sind neue Formen einer Gewährleistungsverwaltung, die sich im Verkehrs- und Energierecht ausgebildet haben. Sie sind Ausdruck einer geänderten Aufgabenverteilung zwischen Staat und Wirtschaft. Verwaltungshandeln tritt hier nicht mehr als Eigenerfüllung, sondern als Marktregulierung in Erscheinung (D).
A. Das Recht der Umweltverwaltung 6 Der große Bereich des Umweltverwaltungsrechts faßt Rechtsgebiete zusammen, die ganz unterschiedlichen Schichten der Rechtsentwicklung entstammen7: Immissionsschutz-, Strahlenschutz- und Gefahrstoffrecht sind aus dem Polizeirecht hervorgegangen, während im Gewässerschutz Traditionen des öffentlichen Sachenrechts und einer hierauf gestützten Bewirtschaftungsordnung wirksam sind. Im Naturschutzrecht wiederum waren von Anfang an pflegerische 5
6
7
Dazu Ladeur, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann, Innovation und Flexibilität, S. 111 (124 f.); Di Fabio, Risikoentscheidungen, S. 78 ff., 192 ff.; Trute, in: Eifert/HoffmannRiem, Innovation und rechtliche Regulierung, S. 290 ff. Vgl. Brohm, Strukturen der Wirtschaftsverwaltung, S. 36 ff.; ders., DÖV 1979, S. 18 ff.; Schmidt-Aßmann, in: Bauer/Czybulka/Kahl/Voßkuhle, Umwelt, Wirtschaft und Recht, S. 15 ff. Vgl. Kloepfer, Umweltrecht, § 2; Sparwasser/Engel/Voßkuhle, Umweltrecht, § 1 Rn. 13 ff.
114
Drittes Kapitel: Verwaltungsaufgaben und besonderes Verwaltungsrecht
Aufgaben angelegt, deren über die Gefahrenabwehr hinausreichender Anspruch spätestens seit der Weimarer Reichsverfassung als anerkannt gelten konnte. Im Abfallrecht sind daseinsvorsorgende und polizeirechtliche Belange eine Verbindung eingegangen, der das Kreislaufwirtschaftsrecht das klassische öffentliche Recht überschreitende privatrechtsgestaltende Steuerungsansätze implantiert hat. Die Zusammenfassung dieser Rechtsgebiete unter der gemeinsamen Bezeichnung des Umweltrechts verklammert zwei Systemgedanken: Das Umweltrecht ist einerseits Risikorecht, insofern es, z.B. im Chemikalienrecht, mit den Unsicherheiten technologischer Entwicklungen fertig werden muß8; und es ist, vor allem im Gewässer- und Naturschutzrecht, ein Verteilungs- und Schutzrecht für Gemeinschaftsgüter, die durch die Vielzahl der Nutzungsinteressen überlastet werden. Die Zusammenfassung der Rechtsgebiete unter einer einheitlichen Bezeichnung hat programmatischen Charakter: Es geht darum, ein einheitliches und übergreifendes Regelungsgefüge zu bilden, das der Umwelt, verstanden als Wirkungsgefüge, adäquaten Schutz gewähren kann. Der Schutzauftrag ist weitgespannt: Er zielt darauf, Umweltschäden zu beseitigen, Umweltgefahren abzuwehren, sonstige Umweltrisiken zu vermeiden und die Funktionsfähigkeit des Naturhaushalts wiederherzustellen9. 7 Ein so ausgerichtetes Rechtsgebiet ist durch eine extrem hohe Komplexität gekennzeichnet. Sie zeigt sich besonders deutlich an drei Punkten: als Erkenntnisproblem angesichts des nur unzulänglich zu erfassenden Wirkungsgefüges der natürlichen Lebensgrundlagen, als Steuerungsproblem angesichts der Gefahr irreversibler Schäden und als Verteilungsproblem angesichts vielfältiger Nutzungsinteressen und Rechte, die auf den Schutzgegenstand zugreifen wollen. Für das Verwaltungsrecht stellt dieses „Komplexitätsdilemma“10 eine seine zentralen Dogmen ergreifende Herausforderung dar11: Individualverantwortung wird durch Gruppenverantwortung überlagert, das Bezugsraster der Verhältnismäßigkeitsprüfung auf eine generalisierende Betrachtung umgestellt, rechtsbegriffliche Fixierungen werden in typisierende und standardisierende Aussagen aufgelöst. Das Beziehungsgefüge zwischen Verwaltung und Bürger wird durch Öffentlichkeit und Verbandsrollen mediatisiert. „Informale“ oder „kooperative“ Handlungsformen, Vorabsprachen und Duldungen bestimmen das Feld, das nach überkommenem Konzept doch von klar definierten Vollzugsakten bestimmt sein sollte. 8 Alle diese Fragestellungen erwachsen primär aus den Sachanforderungen des Aufgabenbereichs „Umweltschutz“ und sind daher zunächst Entwicklungen 8 9 10 11
Dazu grundlegend Di Fabio, Risikoentscheidungen, bes. S. 41 ff., 94 ff., 98 ff. Dazu UGB-ProfessorenE: AT, S. 107 ff.; zum Entwurf Kloepfer, Umweltrecht, § 1 Rn. 44 ff. So die im SRU-Gutachten 1994, Tz. 109 ff. benutzte einprägsame Formel. Zum folgenden Breuer, Verwaltungsrechtliche Prinzipien, S. 18 ff.; Kloepfer, Rechtsumbildung durch Umweltschutz; Ritter, DÖV 1992, S. 641 ff.; Hill, UTR 1994, S. 91 (96 ff.); Wahl, Prävention und Vorsorge; Lübbe-Wolff, NVwZ 2001, S. 481 ff.
1. Abschnitt: Verwaltungsaufgaben im Spiegel des besonderen Verwaltungsrechts
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in einzelnen Gebieten des besonderen Verwaltungsrechts. Das gerade hier besonders einflußreiche EG-Recht weist aber schon eine über die Spezialität hinausführende Entwicklungsrichtung. Mit den Verfahrensregelungen der Umweltverträglichkeitsprüfung, des Zugangs zu Umweltakten und der integrierten Umweltgenehmigung ist eine Zwischenschicht eines allgemeinen Umweltrechts geschaffen worden (→ 1/54)12. In einem nächsten Schritt wird zu fragen und im Vergleich mit anderen Aufgabenbereichen zu ermitteln sein, inwieweit hier nicht ausgreifendere Entwicklungen angesprochen sind, die im Verwaltungsrecht insgesamt und dann folglich vorrangig in seinem allgemeinen Teil ihren Niederschlag finden müssen (→ 1/16). Der Umweltschutz kann so als „Katalysator des Reformbedarfs“ der allgemeinen Lehren wirken13. Er ist zugleich ein Gebiet, das sich zunehmend auch dem internationalen Recht geöffnet hat14 und mit der Entwicklung „paralleler“ Handlungsformen auf nationaler und internationaler Ebene beginnt15. Gerade hier wird deutlich, daß die verwaltungsrechtliche Systembildung heute schon über die europäische Dimension hinausdenken und regionales wie universales Völkerrecht einbeziehen muß.
I. Prinzipien des Umweltrechts 9 Um das Umweltrecht als einheitlichen Regelungszusammenhang zu erfassen, sind schon früh die Leitgedanken des Rechtsgebietes herausgearbeitet worden: Verursacher-, Vorsorge- und Kooperationsprinzip wollen Richtungen aufzeigen, in denen Lösungen zu suchen sind, und als Argumentationsmuster zur Abgrenzung von Verantwortungsbereichen wirken16. Eindeutige Antworten auf rechtsdogmatische Fragen können sie regelmäßig nicht geben17. Es geht um Leitprinzipien, nicht um Rechtsprinzipien.
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17
Vgl. – auch zu Spannungen zwischen deutschem und europäischem Umweltrecht – Kloepfer, NVwZ 2002, S. 645 ff. So Hoffmann-Riem, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Schuppert, Reform des Verwaltungsrechts, S. 115 (120); Hill, UTR 1994, S. 91 (96 ff.); Sparwasser/Engel/Voßkuhle, Umweltrecht, § 2 Rn. 1: „zentrales Referenzgebiet“. Beyerlin, Umweltvölkerrecht, bes. S. 231 ff.; Morrison/Wolfrum, International, Regional and National Environmental Law. Vgl. Schmidt-Aßmann, in: FS für K. Ipsen, S. 305 ff.; Tietje, Internationalisiertes Verwaltungshandeln, S. 349 ff. Vgl. Hoppe/Beckmann/Kauch, Umweltrecht, § 1 Rn. 76: „Diese Prinzipien des Umweltschutzes geben Leitbilder, Grundkonzeptionen und politische Handlungsanweisungen für eine rationale Umweltpolitik ab“. Ähnlich R. Schmidt, DÖV 1994, S. 749 (755). Zu den Prinzipien des Umweltschutzes im EG-Recht (Art. 174 Abs. 2 EG) vgl. Schröder, in: EUDUR, Bd. 1, § 9 Rn. 32 ff. Zur Kritik an ihrer Unbestimmtheit vgl. die Nachw. bei Kahl, in: Bauer/Czybulka/Kahl/ Voßkuhle, Umwelt, Wirtschaft und Recht, S. 111 (112, 137 f.).
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Drittes Kapitel: Verwaltungsaufgaben und besonderes Verwaltungsrecht
1. Vorsorge 10 Innerhalb dieser Prinzipientrias bringt das Vorsorgeprinzip das Wesen des Umweltverwaltungsrechts am klarsten zum Ausdruck18: „Durch geeignete Maßnahmen, insbesondere durch eine vorausschauende Planung und eine dem Stand der Technik entsprechende Begrenzung von Emissionen, ist darauf hinzuwirken, daß vermeidbare oder hinsichtlich ihrer langfristigen Folgen nicht absehbare Umweltbeeinträchtigungen möglichst ausgeschlossen werden“19. Als Risikovorsorge ist das Prinzip Antwort auf den Prozeß der technischen Realisation, in dem Neben-, Fern- und Folgewirkungen sich nicht mehr anhand gesicherter Lebenserfahrungen abschätzen lassen20. Demgemäß können sich staatliche Handlungsaufträge nicht auf die Beseitigung eingetretener Schäden und die Abwehr voraussehbarer Gefahren beschränken. Der Gefahrenbegriff vermag für Fälle, in denen naturwissenschaftliches Erfahrungswissen nicht vorliegt, keine adäquate Bewertung der Bewahrungs- und Entwicklungsinteressen zu bieten21. Im vorsorgebestimmten Umweltrecht stellt sich der Staat auf seine Verantwortung für weiterreichende Risiken der Technik ein. „Aus dem Gedanken der Vorsorge kann eine Risikominimierung bereits verlangt werden, wenn kausale oder statistische resp. empirische Verursachungszusammenhänge nicht oder nicht hinreichend bekannt oder nachweisbar sind“22. Die Reaktionsmöglichkeiten des hoheitlichen Eingriffsinstrumentariums werden damit unter die Gefahrenschwelle abgesenkt und die individuelle Verursacherverantwortung zu einer Kollektivzurechnung von Risiken umgeformt23. Die bewirtschaftungsrechtliche Variante des Prinzips, die Ressourcenvorsorge, soll Lebensräume oder Belastbarkeitsreserven für die Zukunft offenhalten. Hier dominiert eine planerische Ausrichtung (→ 6/95–99). Deutlich wird das z.B. an den Bewirtschaftungskonzepten des Wasserrechts und an den integralen Raumplänen24.
2. Kooperation 11 Das Kooperationsprinzip verweist darauf, daß die Grenze zwischen gesellschaftlichem und staatlichem Verantwortungsbereich flexibel ist. Der Schutz der Umwelt ist Bürgern und Staat gemeinsam anvertraut, und sie haben ihn 18 19
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Kloepfer, Umweltrecht, § 4 Rn. 4, spricht bei der Vorsorge von einem Primärziel, während die beiden anderen Prinzipien als Sekundärziele bezeichnet werden. So UGB-ProfessorenE: AT, § 4; systematisch Trute, Vorsorgestrukturen, S. 29 ff.; Schulze-Fielitz, in: R. Schmidt, Öffentliches Wirtschaftsrecht, Bes. Teil, Bd. 1, § 3 Rn. 34 ff.; zum EG-Recht Rengeling, DVBl 2000, S. 1473 ff.; Appel, NVwZ 2001, S. 395 ff. Murswiek, VVDStRL Bd. 48, S. 207 (208). So zutreffend Trute, Vorsorgestrukturen, S. 28 f. Di Fabio, NuR 1991, S. 353 (357). Vgl. Trute, Vorsorgestrukturen, S. 64 ff. Trute, Vorsorgestrukturen, S. 112 ff.; Erbguth, Grundfragen des Umweltrechts, S. 102 ff., 124 ff.
1. Abschnitt: Verwaltungsaufgaben im Spiegel des besonderen Verwaltungsrechts
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mit je spezifischen Beiträgen zu leisten. Eine Verwischung aller Grenzen ist damit nicht gemeint; die staatliche Verwaltung bleibt auch dort, wo sie kooperiert, auf die Regeln des rechtsstaatlichen und des demokratischen Distanzschutzes verpflichtet25. „Nur aus einer Mitverantwortlichkeit und Mitwirkung der Betroffenen kann sich ein ausgewogenes Verhältnis zwischen individueller Freiheit und gesellschaftlichen Bedürfnissen ergeben“, hieß es schon im Umweltbericht der Bundesregierung 197626. Das Kooperationsprinzip setzt auf Eigeninitiative und Einsicht. Es umfaßt die individuelle Kooperation ebenso wie die Zusammenarbeit mit verbandlich organisierten Interessen, z.B. in der technischen Normsetzung. Auch die Einbeziehung der Öffentlichkeit, z.B. durch Umweltinformationen und durch die Nutzung des Umweltbewußtseins als Steuerungsressource gehört hierher. Neben diesen grundsätzlichen Aspekten hat das Kooperationsprinzip instrumentellen Charakter27: Es bildet so die Basis für die in der Umweltpolitik vielfach genutzten Verträge, Vereinbarungen und Absprachen. Auch in neuen Organisationsformen und Verfahrensgestaltungen kann sich Kooperation zur Geltung bringen. Das alles ist jedoch nicht dadurch zu erreichen, daß die vorhandenen Institute und eingespielten Verhaltensweisen in einem äußerlichen Sinne zu Formen gemeinsamen Bewirkens zusammengeführt werden. Kooperation greift tiefer. Sie setzt eine Änderung überkommener Kommunikationsmuster zwischen Verwaltung, Bürgern und Öffentlichkeit voraus (→ 2/106–116)28.
II. Interessenstrukturen und Steuerungsansätze 12 Komplex wie die Aufgabe des Umweltschutzes sind auch die Strukturen und die Träger der berührten Interessen. Als Wirkungsgefüge verstanden, indiziert der Begriff der Umwelt selbst, daß mit dem Umweltzugriff die Begünstigung des einen Interesses regelmäßig nicht ohne Verkürzung anderer Interessen zu haben ist. Interessen an der Fortentwicklung und solche an der Bewahrung des status quo, räumlich und fachlich-sektoral definierte, kurzfristig andrängende und langfristig zu wahrende Interessen befinden sich hier in einer kaum auflösbaren Gemengelage. Mehrpolige Interessenstrukturen sind daher der Standardbefund des Umweltverwaltungsrechts (→ 3/105 f.).
25
26 27 28
Schon das spricht dagegen, das Kooperationsprinzip selbst zum Rechtsprinzip aufzuwerten und es gegen Instrumentenverbindungen im Umweltrecht einzusetzen. So aber BVerfGE 98, 83 (98) und 106 (121); Di Fabio, NVwZ 1999, S. 1153 ff.; dagegen zutr. Murswiek, DV 2000, S. 241 (276 ff.). Bundestags-Drs. 7/5684 Tz. 8; Kloepfer, Umweltrecht, § 4 Rn. 45 ff. Dazu Breuer, in: Schmidt-Aßmann, Besonderes Verwaltungsrecht, 5. Kap. Rn. 110. Hill, DÖV 1994, S. 279 (282 f.).
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Drittes Kapitel: Verwaltungsaufgaben und besonderes Verwaltungsrecht
1. Gebietsspezifische Interessen 13 In kleinräumig wirksamen Vorgängen stehen sich nach traditionellem Verständnis Individualinteressen gegenüber, die vor allem über das Institut des Eigentums ihre rechtliche Verfestigung erfahren. Die privatrechtsgestaltende Wirkung der Anlagengenehmigung (§ 14 BImSchG) ist Ausdruck dieser Sicht. Die die Lehre vom subjektiven Recht bestimmende Schutznormlehre hat den Kreis rechtlich geschützter Interessen in den vergangenen Jahren zunehmend ausgeweitet (→ 2/60). Sie gestattet heute einen Schutz auch gegen konkrete Gesundheitsgefährdungen, die freilich weniger durch personale Merkmale als vielmehr für Gruppen oder Raumsituationen typisiert festgestellt werden. In Vorsorgewerten sind nach herrschender Anschauung rechtlich differenzierbare Individualinteressen regelmäßig noch nicht auszumachen29. Schon die genauere Analyse kleinräumig wirksamer Entscheidungen zeigt jedoch, daß sich Umweltauswirkungen oft nicht allein auf dem Hintergrund individueller Privatinteressen bestimmen lassen30. Der Ferntransport von Luftverunreinigungen, summierte Immissionen, die diffus wirksamen Beeinträchtigungen der Grundwasser- oder Bodenqualität und die erst auf verschlungenen Wirkungspfaden greifbare Toxizität von Stoffen bringen aggregierte und kollektive Interessen ins Spiel. Gleiches gilt umgekehrt auch für die Zurücksetzung z.B. von Gebietsentwicklungs- oder Arbeitsmarktinteressen durch eine umweltrechtlich bestimmte negative Standortentscheidung. Gerade im Umweltschutz läßt sich die wichtige komplementäre Bedeutung der Gruppeninteressen nachweisen (→ 2/108). In Einzelbereichen, wie dem Naturschutzrecht, ist das bereits früh erkannt und in Formen der Laien- und Verbandsbeteiligung zu erfassen versucht worden. Bürgerinitiativen haben das Gruppeninteresse dann zu einem festen Bestandteil umweltrechtlicher Entscheidungszusammenhänge gemacht. Neben die Betroffenenbeteiligung, die sich aus dem individualschützenden Anhörungsrecht des allgemeinen Verfahrensrechts erklären läßt (§ 28 VwVfG), sind die Verbandsbeteiligung an raumgestaltenden Entscheidungen (§§ 58–61 BNatSchG) und die Anhörung beteiligter Kreise (§ 51 BImSchG) als Formen der Repräsentantenbeteiligung an der umweltrechtlichen Normsetzung getreten. 14 Das Umweltrecht belegt schließlich einen erheblichen Differenzierungsbedarf auch innerhalb allgemeiner öffentlicher Interessen. Schon unter den beteiligten Staatsbehörden können die Meinungen darüber, welches Interesse im konkreten Falle als legitimes öffentliches Interesse anzuerkennen ist, weit auseinandergehen. Kommen Selbstverwaltungsträger, die räumlich oder fachlich ausdifferenzierte Interessen vertreten, hinzu, wird das Bild noch unübersichtlicher. Das Allgemeininteresse kann als Interesse einer gegenwärtigen engeren Raumgemeinschaft oder als ein auch nachfolgende Generationen umgreifendes Interesse einer Nation, einer Region oder gar Weltgemeinschaft bestimmt werden. Diese Beobachtung läßt Zweifel an der ausschließlichen Bestimmungsbefugnis einer einzigen 29 30
Dazu krit. Böhm, Normmensch, S. 111 ff. Vgl. Lübbe-Wolff, NuR 1993, S. 217 ff.; dies., NuR 2000, S. 19 (29 f.).
1. Abschnitt: Verwaltungsaufgaben im Spiegel des besonderen Verwaltungsrechts
119
staatlichen Stelle über das Allgemeininteresse aufkommen. Umweltinformation und Umweltaufklärung werden so zu Voraussetzungssicherungen gesellschaftlicher Gemeinwohlartikulation.
2. Gesetzliche Konkretisierungsermächtigungen 15 Umweltrecht ist einerseits Recht der Technik und andererseits Recht der Verteilung und planerischen Gestaltung. Das zeigt sich in der Tatbestandsstruktur der einschlägigen Gesetze und in der Stellung der Exekutive. Wichtige Aussagen finden sich als Zielvorgaben in finaler Programmierungsform31. Aber auch dort, wo Gesetzestatbestände in eingriffsrechtlicher Tradition die Form des konditionalen Programms beibehalten haben, geht es oft um sehr weit gefaßte Konkretisierungsermächtigungen. Begriffe wie der „Stand der Technik“ werden zuweilen geradezu als Ausdruck dafür genommen, daß das Recht seine Aufgabe hier praktisch auf eine „notarielle Funktion“ zurückgenommen habe32. Dem Recht kann es jedoch gegenüber der Technik so wenig wie gegenüber allen anderen Sozialbereichen darum gehen, einen umfassenden Steuerungsanspruch zu erheben (→ 1/33–49). Es bewährt sich als Rahmenordnung und strebt eine prozeßhafte Strukturierung des jeweiligen Bereichs an. Das muß auch gegenüber der Technik gelten. Technische Gesetzesbegriffe sind keine reinen Rezeptionsklauseln, mit denen der Gesetzgeber auf einen unter Technikern anerkannten Standard verweist, sondern ebenso Wertungsbegriffe, die Risikoannahmen und Akzeptanzschwellen formulieren und folglich insoweit staatlich verantwortet sein müssen33. Notwendig sind spezifische Verfahrens- und Organisationsformen, die ein phasengegliedertes Abarbeiten technisch-sachverständiger und politisch-wertender Entscheidungselemente ermöglichen34. Doch nicht nur bei der Setzung technischer Standards, sondern auch im Einzelvollzug zeichnet sich die Notwendigkeit kooperativer Rechtskonkretisierung ab. 16 Umweltrechtliche Gesetze enthalten zahlreiche offene oder verdeckte Abwägungsklauseln. § 2 Abs. 1 BNatSchG stellt die Abwägungsbestimmtheit des gesamten Naturschutzrechts bereits einleitend heraus, wenn er festlegt, daß die gesetzlichen Zielvorgaben „untereinander und gegen die sonstigen Anforderungen der Allgemeinheit an Natur und Landschaft abzuwägen“ seien. Vor allem in Planungsermächtigungen wird der Abwägungsgedanke wieder aufgenommen35. Er ist aber nicht auf raumgestaltende Entscheidungen beschränkt, sondern findet sich überall dort, wo es um die Kennzeichnung von weiten Ausfüllungs31 32 33 34 35
Z.B. § 1 BNatSchG, § 1a WHG, § 1 BImSchG, § 1 ChemG, § 1 GenTG. So Nocke, in: Bryde/Hoffmann-Riem, Rechtsproduktion und Rechtsbewußtsein, S. 81 (110). Vgl. auch BVerfGE 49, 89 (135 f.); Murswiek, VVDStRL Bd. 48, S. 207 (218 f.). Dazu mit weit. Nachw. UGB-KommissionsE, S. 491; ferner Lamb, Kooperative Gesetzeskonkretisierung, bes. S. 175 ff. So § 15 Abs. 2 BNatSchG für die Landschaftsplanung; ähnlich, wenn auch in der Formulierung abweichend § 50 BImSchG.
120
Drittes Kapitel: Verwaltungsaufgaben und besonderes Verwaltungsrecht
ermächtigungen geht, die durch eine Vielzahl unterschiedlicher gesetzlicher Determinanten geprägt werden. Auch der große Bereich der Risikovorsorge ist in diesem Sinne abwägungsbestimmt. Auch hier geht es nicht um die Anordnung des „technisch Machbaren“, die in strenger rechtlicher Gebundenheit zu treffen wäre, sondern „um eine komplexe Neubewertung der Frage, welche Emissionsbegrenzung künftig von allen Anlagen über einen beträchtlichen Zeitraum hinweg als angemessene Vorsorge verlangt wird“36. 17 Die Abwägung bezeichnet in der verwaltungsrechtlichen Dogmatik zwar kein einheitliches Institut. Zwischen den eingeführten Begriffen der „nachvollziehenden“ und der „planerischen“ Abwägung liegt ein breites Band unterschiedlich weiter Konkretisierungsaufgaben (→ 4/50)37. Gemeinsam ist allen diesen Formen und Zwischenformen jedoch, daß sie die hier bestehenden Bewertungsspielräume als eigenständige Kompetenzen der gesetzesanwendenden Stellen ausweisen und mit einer aufgabenadäquaten Entscheidungsorganisation auszustatten trachten38. Dabei hat der Abwägungsauftrag zunehmend eine differenzierte Struktur erhalten: Mehr und mehr ist deutlich geworden, daß die Breite der integralen Abwägung, wie sie für das Recht der Bauleitplanung entwickelt worden ist, zunächst in bereichsspezifischen Abwägungen abgearbeitet werden muß, weil darstellungsschwache Belange in einer umfassenden Abwägung sonst leicht zu kurz kommen. Gerade das Umweltrecht hat auf die Notwendigkeit verwiesen, einzelne Belange zunächst selbständig zu artikulieren und förmlich zu verfestigen, um sie erst danach in einem weiteren Schritt in die umfassende Abwägung zu integrieren39.
3. Das Instrumentenarsenal 18 Das Umweltrecht ist eines der wichtigsten Felder, auf denen Leistungsfähigkeit und Leistungsgrenzen des klassischen administrativen Vollzugsinstrumentariums deutlich geworden sind. Das gerade hier früh festgestellte Vollzugsdefizit hat eine breite, auf nationaler und europäischer Ebene geführte Steuerungsdebatte angeregt40. Dabei sind besonders kooperative Modelle, die 36 37 38
39 40
So BVerwGE 69, 37 (45). Zum Abwägungsgehalt von Vorsorgeentscheidungen ferner Trute, Vorsorgestrukturen, S. 296 ff. Systematisch Trute, Vorsorgestrukturen, S. 288 ff.; ferner Schmidt-Aßmann, in: Maunz/ Dürig, Grundgesetz, Art. 19 Abs. 4 Rn. 208. Zutreffend BVerwGE 69, 37 (45) mit dem Hinweis, die Entfaltung des Vorsorgegrundsatzes lasse sich „nicht in unmittelbarer Anwendung des § 5 Nr. 2 BImSchG [Anmerkung: § 5 Abs. 1 Nr. 2 n.F.] auf den jeweiligen Einzelfall entscheiden“, sondern setze vorab eine Konkretisierung durch Rechtsverordnung oder Verwaltungsvorschrift voraus. Dazu Schmidt-Aßmann, DÖV 1990, S. 169 ff.; auch UGB-KommissionsE, S. 573 f.: „eigene Darstellungsmöglichkeit“. Vgl. Hoffmann-Riem, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Schuppert, Reform des Verwaltungsrechts, S. 115 (135 ff.); Schulze-Fielitz, in: R. Schmidt, Öffentliches Wirtschaftsrecht, Bes. Teil, Bd. 1, § 3 Rn. 42 ff.; mit weit. Nachw. Köck, VerwArch 1996, S. 644 ff.; Trute, in: Hendler/Marburger/Reinhardt/Schröder, Rückzug des Ordnungsrechts, S. 13 ff. Art. 3 des 6. Umweltaktionsprogramms der EG vom 22.7.2002, ABl. Nr. L 242 S. 1.
1. Abschnitt: Verwaltungsaufgaben im Spiegel des besonderen Verwaltungsrechts
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hoheitliches Ordnungsrecht mit privater Selbstüberwachung verbinden, und Modelle einer rekursiven Steuerung hervorgetreten, die eine Rückverlagerung von Umweltverantwortung in die Entscheidungssphäre der privaten Akteure anstreben. Systematisch lassen sich heute neben dem Ordnungsrecht ökonomische (Umweltabgabe, Umwelthaftung), reflexive und konsensuale Instrumente sowie als Steuerungsansätze zweiter Ordnung die umweltrelevante Planung und die Umweltinformation ausmachen41. Oft dienen zudem zwingende oder optionale Kompensationsregelungen dazu, die Rigidität des imperativen Rechts unter Wahrung seines Steuerungsanspruchs situationsgerecht zu variieren42. Zieht man aus ihr eine eher rechtspraktische Bilanz, so zeigt sich, daß Steuerung und Vollzug nicht länger als einseitig hoheitliche Vorgänge zu deuten, sondern als Geflecht von Abstimmungs- und Verständigungsprozessen zu betrachten sind43. Die Basis der Steuerung sind Interaktionen und Informationen. Die Steuerungsansätze liegen regelmäßig tiefer, als eine rechtsförmliche Behandlung erkennen läßt. Aber auch dort, wo es um Fragen der rechtsförmlichen Umsetzung geht, haben die Instrumente kooperativer Rechtsgestaltung, haben Vertrag, Vereinbarung und schlichtes Zusammenwirken erheblich an Bedeutung gewonnen. Manches kann bei entsprechenden Anreizsystemen der freiwilligen Umsetzung überlassen werden, für die gegebenenfalls von Seiten des Staates ein Rahmen gesetzt werden muß: regulierte Selbstregulierung. Dessen ungeachtet bleiben jedoch die ordnungsrechtlichen Instrumente unverzichtbar. Trotz aller Durchsetzungsschwächen dokumentiert sich in ihnen die staatliche Verantwortung für den Gesamtbereich. Die ihnen zugeordneten rechtsstaatlichen Sicherungen sind vor allem dort notwendig, wo einvernehmliche Bewirkungsformen das Spektrum betroffener Interessen nicht angemessen erfassen können oder Gefahr laufen, sich in einer Minimallösung zu erschöpfen.
a) Instrumente einer mittleren Steuerungsebene 19 Das Umweltrecht belegt die Bedeutung von Instrumenten einer mittleren Steuerungsebene, die zwischen Gesetz und Einzelfall Konzepte und zielkonkretisierende Rahmenvorgaben bieten. Solche Instrumente kommen als generellabstrakte Normsetzung, als situationsbezogen-konzeptionelle Planung oder als kooperative Konkretisierungstechniken vor44.
41 42
43
44
So Lübbe-Wolff, NVwZ 2001, S. 481 ff.; Kloepfer, Umweltrecht, § 5 Rn. 153 f.; Sparwasser/Engel/Voßkuhle, Umweltrecht, § 2 Rn. 57 ff. Grundlegend Voßkuhle, Kompensationsprinzip, bes. S. 103 mit der Unterscheidung von 5 Grundformen prospektiver Kompensation: Neutralisierungs-, Saldierungs-, Konzeptwechsel-, Abgaben- und Entschädigungsmodell. Dazu mit weit. Nachw. die Landesberichte von Schmidt-Aßmann, Ohashi, Jansen und Ruthig, in: Riedel, Die Bedeutung von Verhandlungslösungen im Verwaltungsverfahren, S. 21 ff., 31 ff., 68 ff. und 152 ff. Dazu auch Di Fabio, Risikoentscheidungen, S. 299 f.
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Drittes Kapitel: Verwaltungsaufgaben und besonderes Verwaltungsrecht
Wichtigster Repräsentant der administrativen Normsetzung im Umweltrecht ist die Rechtsverordnung. Sie zeigt die Dynamik des Rechtsgebietes, die eine schnelle Anpassung vieler Regelungsdetails an neue wissenschaftliche Erkenntnisse oder technische Möglichkeiten gestattet. Zutreffend haben daneben auch Verwaltungsvorschriften eine besondere Ausformung gefunden (§ 48 BImSchG). Sie sind dadurch verfahrensrechtlich und funktionell den Rechtsverordnungen angenähert worden. In der – freilich umstrittenen – Rechtsfigur der normenkonkretisierenden Verwaltungsvorschrift steht so ein Instrument zur Verfügung, das der Verordnung vergleichbar eine gesetzesinduzierte Außenverbindlichkeit beanspruchen kann, allerdings anders als die Verordnung eine Widerlegung ihrer Regelaussagen gestattet und sich damit vor allem für Experimentierstadien als Konkretisierungstechnik anbietet (→ 6/95–98). Die Unverzichtbarkeit planerischer Instrumente steht gerade im Umweltrecht außer Streit. Ein neues Planungsverständnis strebt dabei nicht so sehr eine möglichst weitgreifende regulatorische Steuerung an. Umweltleitpläne sollen vielmehr vorrangig der Darstellung der Situation, der Analyse und der in sich abgestimmten Umweltbelange dienen. In den Vordergrund tritt so der informierende Charakter der Planung. Pläne dienen als Argumentationsgrundlage für Umweltschutzbelange in Abwägungsprozessen oder als Maßstäbe für Umweltverträglichkeitsprüfungen, die eine Begründungspflicht für abweichende Nutzungsansprüche auslösen (→ 6/95–98). Schließlich treten auch auf der mittleren Ebene der Normsetzung kooperative Handlungsformen stärker hervor und zeigen Übergänge zwischen staatlicher Regelung und gesellschaftlicher Selbststeuerung auf. Hierher gehören die private technische Normsetzung unter staatlicher Beteiligung in den entsprechenden Normungsorganisationen45 und die normvertretenden und normprägenden Selbstverpflichtungsabkommen der Wirtschaft46.
b) Direkte und indirekte Verhaltenssteuerung 20 Das Umweltrecht bestätigt die Bedeutung der Instrumente der direkten Steuerung. Ohne ein hinreichendes Arsenal imperativer Handlungsformen, zu denen präventive Eröffnungskontrollen ebenso gehören wie reaktive Verbotsund Auflagentatbestände, ist Umweltpolitik nicht umzusetzen. Diese Formen sind ihrerseits nicht statisch; sie lassen sich fortentwickeln. Die Notwendigkeit, privatem Verhalten nicht nur die Übereinstimmung mit dem geltenden Recht zu attestieren, sondern Verteilungsentscheidungen zu treffen, führt selbst bei dem traditionellen Institut der Kontrollerlaubnis dazu, die Maßstäbe für Zuteilungskriterien zu öffnen und den Bestandsschutz einzuschränken47. Für die verwal45 46 47
Lamb, Kooperative Gesetzeskonkretisierung, S. 71 ff. Begriffe und Typologie bei Michael, Rechtsetzende Gewalt, S. 37 ff.; ferner Frenz, Selbstverpflichtungen, S. 11 ff.; Volkmann, UTR 2001, S. 97 ff. Vgl. Wahl/Hermes/Sach, in: Wahl, Prävention und Vorsorge, S. 217 ff.
1. Abschnitt: Verwaltungsaufgaben im Spiegel des besonderen Verwaltungsrechts
123
tungsrechtliche Dogmatik ergibt sich daraus die Notwendigkeit, nach Maßgabe des Gefährdungspotentials der Vorhaben weitere Typen von Zulassungsentscheidungen auszubilden, die die Kollisionen zwischen den unterschiedlichen grundrechtlich abgesicherten Privatinteressen des Projektträgers und der von dem Vorhaben Belasteten auflösen und die Verantwortung des Staates für die Risiken der Technik stärker zur Geltung bringen48. Daneben haben die Eigenüberwachung und die selbstinitiierte Privatüberwachung in Öko-Audit-Systemen zunehmende Bedeutung erlangt (→ 6/147). 21 Das Umweltrecht hat zudem die wichtige Rolle der indirekten Steuerung für die verwaltungsrechtliche Systematik hervortreten lassen. Abgaben und Subventionen können funktionale Äquivalente für die klassischen regulatorischen Instrumente bilden. Hinzugetreten sind Mittel informierender Verhaltenssteuerung. Umweltwarnungen und Umweltempfehlungen, Umweltaufklärung und Umweltberichterstattung sind wichtige Handlungsformen geworden49. Der Ausbau des Umweltrechts zu einem ausgreifenden Informationsrecht, der vor allem durch das EG-Recht vorangetrieben wird (→ 1/54), kennzeichnet eine allgemeine Entwicklungsrichtung des Verwaltungsrechts, das sich folglich nicht mehr nur mit den einzelnen Formen, sondern auch mit der richtigen Instrumentenwahl und mit der Frage wirksamer und rechtsstaatlich akzeptabler Instrumentenverbindungen beschäftigen muß (→ 6/75).
c) Organisationen als Steuerungsressource 22 Das Umweltrecht gibt schließlich Beispiele für die Bedeutsamkeit organisationsrechtlicher Regelungen (→ 5/9–11): Fachliche Ausdifferenzierungen von Sonderbehörden bieten die Chance einer konzentrierten Interessenverfolgung, lassen sich aber nicht einfach mit dem Postulat einer „Einheit der Verwaltung“ vereinbaren. Sachverständigenberatung ist gerade in wissenschaftlich oder technisch komplizierten Materien unverzichtbar, muß aber organisationsrechtlich abgesichert sein, um Einseitigkeiten zu vermeiden, und stellt deshalb besondere Anforderungen an die Legitimationslehren des Verwaltungsrechts. Über den öffentlichen Bereich hinaus hat sich das Organisationsrecht auch der privaten Unternehmen als Anknüpfungspunkt für die umweltrechtliche Steuerung erwiesen. Beispiele bilden der Betriebsbeauftragte für den Umweltschutz und zertifizierte Umweltmanagement-Systeme. Privatorganisationsrecht wird hier genutzt, um Umweltbelangen in den betriebsinternen Entscheidungsstrukturen eine eigene Darstellungsmöglichkeit zu eröffnen50. Öffentliches Recht und Privatrecht zeigen ihr gemeinsames, aber auch ihr je eigenes Steuerungsarsenal. Sie 48 49 50
Kloepfer, Umweltrecht, § 5 Rn. 36 ff.; Sparwasser/Engel/Voßkuhle, Umweltrecht, § 2 Rn. 62 ff. Kloepfer, Umweltrecht, § 5 Rn. 163 ff. Kloepfer, Umweltrecht, § 5 Rn. 318 ff.; Sparwasser/Engel/Voßkuhle, Umweltrecht § 4 Rn. 52 ff.
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Drittes Kapitel: Verwaltungsaufgaben und besonderes Verwaltungsrecht
erweisen sich – in einer Formulierung Wolfgang Hoffmann-Riems – als wechselseitig nutzbare „Auffangordnungen“ (→ 6/28–31).
B. Das Recht der Sozialverwaltung 23 Neben dem Umweltrecht muß heute das Sozialrecht als ein herausragendes Referenzgebiet für das allgemeine Verwaltungsrecht genommen werden. Sozialrecht soll „individuelle Güterdefizite und hierauf beruhende Bedarfe“ verhindern, mindern oder beseitigen51. Auch das Sozialrecht ist kein geschlossenes Rechtsgebiet mit festen Außengrenzen52. Als Sozialverwaltungsrecht schält sich jedoch eine Kernzone heraus. Für dieses Sozialrecht im engeren Sinne sagt § 1 Abs. 1 SGB I, es solle dazu beitragen, ein menschenwürdiges Dasein zu sichern, gleiche Voraussetzungen für die freie Entfaltung der Persönlichkeit zu schaffen, die Familie zu schützen und zu fördern, den Erwerb des Lebensunterhalts durch eine frei gewählte Tätigkeit zu ermöglichen und besondere Belastungen des Lebens, auch durch Hilfe zur Selbsthilfe, abzuwenden oder auszugleichen. Kennzeichen des Sozialverwaltungsrechts ist eine hohe „personale Intensität“ seiner Rechtsbeziehungen53.
I. Prinzipien des Sozialrechts 24 Auch das Sozialverwaltungsrecht wird durch Prinzipien geprägt, in denen sich die wesentlichen sozial-ethischen Grundüberzeugungen der Gesellschaft widerspiegeln54. Normativ stehen sie zu den Grundrechten und dem sozialen Staatsziel in Beziehung. Ihre Bedeutung liegt auch darin, das Selbstverständnis der Beteiligten zu bestimmen.
1. Selbstverantwortung und Solidarität 25 Das Grundanliegen sozialer Verwaltung ist die Sicherstellung von Individualität durch Solidarität. Damit tritt zunächst einmal der Gedanke der Selbstverantwortung als bereichsbestimmend hervor. Er setzt sich in den Konzepten der Selbsthilfe und der Selbstorganisation fort. Der Gedanke der Solidarität steht dazu in einem komplementären Verhältnis: „Der solidarische Charakter der sozialen Leistungen führt dazu, die Leistungserbringung nicht allein einseitig in 51 52 53 54
So Pitschas, in: Schmidt-Aßmann/Hoffmann-Riem, Verwaltungsorganisationsrecht, S. 151 (164); Rüfner, in: HStR Bd. 3, § 80 Rn. 75 ff. Vgl. Zacher, in: Kübler, Verrechtlichung, S. 11 (14 f.); Ruland, in: Schmidt-Aßmann, Besonderes Verwaltungsrecht, 7. Kap. Rn. 1 ff. Vgl. Bieback, in Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann, Effizienz, S. 127 (129 f.). Dazu Schulin, in: v. Maydell/Kannengießer, HdbSp, S. 85 ff.
1. Abschnitt: Verwaltungsaufgaben im Spiegel des besonderen Verwaltungsrechts
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dem Sozialrechtsverhältnis zwischen dem Leistungsträger und dem Bürger anzusiedeln, sondern ihre weitere Einbettung in den Verbund des solidarischen Ausgleichs zu sehen“55. Der Staat wird auf die Einrichtung und stetige Aktivierung der solidarischen Leistungs- und Mittelkreisläufe, auf die Organisation der Transferleistungen zurückgenommen56. Das Recht der Sozialverwaltung kann wie seine verfassungsrechtliche Basis, das soziale Staatsziel (→ 3/83–90), freilich nur dialektisch erschlossen werden. Das verlangt dem Solidargedanken Flexibilität auch gegenüber neuen Situationen und Herausforderungen ab. Zur heutigen Lage sagt Rainer Pitschas57: „Das Leitbild der Solidarität mit der Konsequenz umfassender staatlicher Leistungsgewähr, gleicher Leistungsinanspruchnahme und sozialer Umverteilung, das eine entsprechende Organisation der Sozialverwaltung ausprägte, dürfte der Vergangenheit angehören.“
2. Kooperation und Subsidiarität 26 Selbstverantwortung und Solidarität werden durch das Kooperationsprinzip fortgeführt. Das Sozialverwaltungsrecht präsentiert sich als die rechtliche Ordnung solidarischer Kooperation58. Hier lassen sich mindestens drei Wirkungsebenen ausmachen: Kooperation besteht zum einen dort, wo die Leistungen nicht vom Sozialverwaltungsträger selbst, sondern von Dritten als Leistungsmittlern erbracht werden, wie das in den meisten Bereichen sozialer Dienst- und Sachleistungen, z.B. in der Kranken- und Pflegeversicherung, der Fall ist. Ähnlich durchzieht der Kooperationsgedanke den Bereich zwischen staatlicher Sozialverantwortung und der Tätigkeit freier Wohlfahrtsträger. Schließlich bestimmt kooperatives Bewirken auch das individuelle Sozialleistungsverhältnis. Auch dort, wo auf den ersten Blick hoheitliche Entscheidungsformen vorherrschen, offenbart genauere Betrachtung vielfältige Möglichkeiten individueller Mitgestaltung59. Wenn Sozialverwaltung die Selbstverantwortung des Individuums respektieren soll, dann hat sie dem einzelnen primär dabei zu helfen, seine Interessen zu formulieren und so ein starkes Selbstbewußtsein zu entwickeln. Diese Grundaufgabe allen Verwaltens im materiell bestimmten grundgesetzlichen Rechtsverhältnis ist in der Sozialverwaltung deshalb mit besonderer Umsicht wahrzunehmen, weil sie den einzelnen als Jugendlichen, alten Menschen oder sonst Hilfsbedürftigen in Lagen trifft, in denen die Aktivierung selbsthelfender Kräfte erschwert sein kann. Die Fähigkeit zur Selbsthilfe wird nicht durch feste administrative Regeln zurückgewonnen, sondern durch Unterrichtung und 55 56 57 58
59
Simons, Verfahren im Sozialrecht, S. 76. Simons, Verfahren im Sozialrecht, S. 72. Pitschas, in: Schmidt-Aßmann/Hoffmann-Riem, Verwaltungsorganisationsrecht, S. 151 (167). Vgl. Simons, Verfahren im Sozialrecht, S. 76; ähnlich Dreier, Hierarchische Verwaltung, S. 150 ff.; Pitschas, in: Schmidt-Aßmann/Hoffmann-Riem, Verwaltungsorganisationsrecht, S. 151 (169 ff.). Ausführlich Simons, Verfahren im Sozialrecht, S. 107 ff.
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Drittes Kapitel: Verwaltungsaufgaben und besonderes Verwaltungsrecht
eine situationsgerechte gemeinsame Suche nach Optionen. Den hier zu Tage tretenden – von der klassischen Leistungs- und Ordnungsverwaltung abgehobenen – besonderen Verwaltungsauftrag kennzeichnet Eckart Pankoke60: „Das Kriterium sozial verweist also nicht nur auf den zu verwaltenden Objektbereich, sondern auch auf den Modus sozialer Umweltbeziehung“. Und er fügt an: „Was die bürokratischen Rationalitätskriterien als informell und extrafunktional ausklammern müssen, gewinnt nun an Bedeutung: die soziale Dynamik von Verhandlungen und Verständigungen, Auseinandersetzungen und Vereinbarungen, Rücksichtnahmen und Einflußnahmen“. 27 Organisatorisch-instrumentell wird die Dialektik des Sozialstaatsprinzips durch den Gedanken der Subsidiarität ausgeformt. Sozialstaatliche Intervention hat nur dort Platz zu greifen, wo die gesellschaftliche Selbstregulierung den Erfordernissen sozialer Gerechtigkeit nicht genügt61. Subsidiarität ist im grundrechtlichen Schutz der Individualsphäre und im Kompetenzschutz der im Sozialwesen tätigen nicht-staatlichen Institutionen hinreichend abgesichert. Die einzelnen Sozialverwaltungsgesetze haben sie konkretisiert62. Subsidiarität widerstreitet nicht der staatlichen Sozialverantwortung. Aber sie verteilt sie und bildet sie unter dem Dach einer staatlichen Rahmenverantwortung zu einem Gefüge aus, in dem der Gedanke der Selbstorganisation mit Formen unterschiedlich intensiver staatlicher Eigenvornahme verbunden ist.
II. Aufgabenfelder und Typen sozialer Verwaltung 28 Die Aufgabenfelder sozialer Verwaltung werden üblicherweise mit den Begriffen der Fürsorge, der Sozialversicherung und der Versorgung bezeichnet63. Diese Aufteilung orientiert sich an der historischen Schichtung der Sozialleistungsbereiche. Für den vorliegenden Untersuchungszusammenhang, in dem es um die Aufgabenstruktur und um ein darauf bezogenes Konzept des Verwaltungsrechts geht, tritt eine andere Typenbildung in den Vordergrund: die Unterscheidung zwischen sozialer Einkommenssicherung, Sozialpflege und drittvermittelter Sozialverwaltung. Diese Begriffe erschöpfen freilich die vorhandenen sozialadministrativen Tätigkeitsfelder nicht. Sie sollen drei charakteristische Bewirkungsformen sozialen Handelns herausstellen und auf unterschiedliche Arten der Begegnung zwischen Individuum und Sozialverwaltung aufmerksam machen64. Daneben ist das Sozialrecht ein wichtiges Gebiet europäischer Verwaltungskooperation65. Vor allem für die horizontale Verwaltungszusammen60 61 62 63 64 65
DV 1988, S. 429 (429). Isensee, in: HStR Bd. 3, § 57 Rn. 167; eher krit. Bieback, in: Hoffmann-Riem/SchmidtAßmann, Effizienz, S. 127 (132 ff.). Vgl. z.B. §§ 4 II, 69 ff. SGB VIII, §§ 10, 93 BSHG. Ruland, in: Schmidt-Aßmann, Besonderes Verwaltungsrecht, 7. Kap. Rn. 14 ff. Vgl. auch die vergleichbare funktionale Gliederung in Einkommenssicherung und Sachoder Dienstleistungen bei Simons, Verfahren im Sozialrecht, S. 136 ff. und pass. Systematisch Pitschas, in: Schmidt-Aßmann/Hoffmann-Riem, Europäisches Verwaltungsrecht, S. 123 ff.; Eichenhofer, Sozialrecht der Europäischen Union, S. 55 ff., 227 ff.
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arbeit zwischen den Mitgliedstaaten bietet es ein ausgebautes Kooperationsregime. Es zeigt, daß ein europäischer Verwaltungsverbund – von der Theorie des allgemeinen Verwaltungsrechts bisher zu wenig beachtet – in wichtigen Bereichen längst existiert (→ 1/63).
1. Soziale Einkommenssicherung 29 Als soziale Einkommenssicherung werden jene Vorgänge zusammengefaßt, in denen Geldleistungen, in der Regel nach einem gesetzlich festgelegten Entscheidungsprogramm, erbracht werden. Dieser Typus herrscht in der Sozialversicherung und der Sozialversorgung vor. Das Handeln des Staates ist an der schonenderen Variante der monetären Intervention ausgerichtet66. Die Inanspruchnahme von Leistungen kann den Antragsteller zwar dazu zwingen, der Verwaltung persönliche Lebensumstände offenbaren zu müssen. Diesen Gefährdungslagen kann jedoch mit einem gegenüber dem allgemeinen Verfahrensrecht punktuell verschärften, im übrigen aber gleich strukturierten Verfahrensrecht begegnet werden67, dem das klassische rechtsstaatliche Formenprinzip der Rechtsentscheidung zugrunde liegt. Das Verwaltungshandeln selbst ist eher dem bürokratischadministrativen Typ zuzurechnen. Der Verwaltungsakt hat hier nach wie vor einen seiner großen Wirkungsbereiche als Instrument der Massenverkehrsverwaltung (→ 6/100). Er ist hoheitliche Entscheidung, ohne den Empfänger dadurch jedoch von der Mitgestaltung der Leistungsbeziehungen auszuschließen68 (→ 3/34).
2. Sozialpflege 30 Als Sozialpflege bezeichnen wir jene Vorgänge, in denen der verwaltende Staat persönliche Leistungen, regelmäßig in einem längeren Kontakt mit dem Leistungsempfänger, selbst erbringt. Die Übergänge können, wie die bald auf Geldzahlungen, bald auf persönliche Betreuung zielenden Maßnahmen der Sozialhilfe zeigen, fließend sein. Als Typus läßt sich die so bestimmte Sozialpflege durchaus fassen. Es handelt sich um Vorgänge, bei denen die oben genannte „personale Intensität“ des Verwaltungshandelns besonders hoch ist. Ein anschauliches Bild von der Breite sozialpflegerischer Aufgaben der öffentlichen Verwaltung vermittelt das Kinder- und Jugendhilferecht. Neben Formen intensiver und anhaltender Beratung stehen Betreuung, Versorgung, Erziehung und Therapie. Sozialpflegerische Aufgaben haben jedoch nicht nur bei jungen Menschen einen Schwerpunkt. Sie finden sich ebenso als Altenhilfe, Nachsorgehilfe oder Drogenhilfe. Alles spricht dafür, daß gerade dieser Bereich künftig erheblich expandieren wird; denn die Ursachen für die Nachfrage nach Sozialleistun66 67 68
Zur Freiheitsschonung bei Wahl der ökonomischen Variante vgl. Zacher, in: HStR Bd. 1, § 25 Rn. 68 f. Simons, Verfahren im Sozialrecht, S. 227 ff. und 351 ff. Ruland, in: Schmidt-Aßmann, Besonderes Verwaltungsrecht, 7. Kap. Rn. 9, 228 ff.: Aufklärung, Beratung, Antragstellung, Mitwirkung bei der Sachverhaltsermittlung.
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Drittes Kapitel: Verwaltungsaufgaben und besonderes Verwaltungsrecht
gen dieser Art liegen in einer von der sozialen Theorie zutreffend beschriebenen forcierten Individualisierung, in der schnellen Veränderung von Rollenerwartungen und in der nachlassenden Wirkkraft fester Bindungen und Orientierungsmuster69. Zahlreiche auf bestimmte Normbilder ausgerichtete gesellschaftliche Institutionen vermögen die ihnen angesonnene Stabilität und Sicherheit immer weniger zu bieten, so daß der Bedarf nach externer Orientierung, Sinnvermittlung, Fortbildung und Anpassungshilfe zunimmt. Deutlicher noch als in den klassischen Bereichen tritt hier der ambivalente Freiheitsbezug des Sozialrechts hervor. Die staatliche Sicherung individueller Handlungsmöglichkeiten begründet neue Abhängigkeiten, neue Gleichheitsprobleme und überzieht personale Handlungsbereiche mit staatlichen Handlungsrationalitäten, vor allem der Bürokratisierung, der Professionalisierung oder der Spezialisierung.
3. Drittvermittelte Sozialleistungen 31 In mancher Hinsicht zwischen den eben skizzierten Typen sozialen Verwaltens liegen die drittvermittelten Sozialleistungen. Bei ihnen lassen sich nach der Art und der Intensität der staatlichen Verantwortung zwei Untergruppen ausmachen: Grundlage kann zum einen eine originäre staatliche Leistungsverantwortung sein. Drittvermittelte Sozialleistungen dieses Typs kennzeichnen z.B. die Krankenversicherung. Die Einschaltung privater Dritter neutralisiert die personalen Elemente der Leistungsbeziehungen. Das gilt zumal dort, wo der Leistungsempfänger den Leistungsmittler frei wählen kann. Die staatliche Verwaltung bleibt auf die Funktion des Kostenträgers begrenzt, ohne in die sensible Situation eigener Realleistungspflichten zu kommen. Drittvermitteltes Sozialhandeln schafft so sozialstaatliche Distanz zwischen Verwaltung und Bürger und läßt in der Regel eine kooperative Gestaltung der Leistungserbringung zu70. Auf der anderen Seite entstehen neue Gefährdungslagen, denen verwaltungsrechtlich vorzubeugen ist. Das Beziehungsgeflecht der Beteiligten muß in einem Gefüge von mehrpoligen Rechtsverhältnissen organisiert werden (→ 3/106). In ihm obliegt der Verwaltung auf Grund ihrer Leistungspflichtigkeit nicht nur eine Finanzierungs-, sondern auch eine Gewährleistungsverantwortung dafür, daß drittvermittelte Dienste in hinreichendem Umfang und in der erforderlichen Qualität verfügbar sind71. 32 Drittvermittelte Sozialleistungen eines anderen Typs finden sich dort, wo die Aufgabe selbst nicht in der Leistungsverantwortung eines Verwaltungsträgers steht, sondern mindestens auch oder u.U. sogar vorrangig von gesellschaftlichen Kräften als eigene Aufgabe wahrgenommen wird72. Die Aufgabenverteilung zwischen Staat und Gesellschaft ist nicht in allen Bereichen des Sozialwesens normativ fixiert. Manches wird durch Traditionen bestimmt. Aber 69 70 71 72
Beck, Risikogesellschaft, S. 205 ff. Dazu ausführlich Simons, Verfahren im Sozialrecht, S. 527 ff. Vgl. zum Qualitätsmanagement in der GKV §§ 106, 135–139 SGB V. Dazu Geis, Die öffentliche Förderung sozialer Selbsthilfe, S. 63 ff.
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auch dort, wo neue Bedürfnisse erkannt und neue Aufgaben virulent werden, sollte ein recht verstandenes Subsidiaritätsprinzip die staatliche Verwaltung davon zurückhalten, sogleich die volle Erfüllungsverantwortung an sich zu ziehen. Was die Verwaltung hier primär trifft, ist eine Informationsverantwortung73, über bestehende Hilfsmöglichkeiten zu unterrichten und Kontakte zu Selbsthilfeoder anderen Einrichtungen zu vermitteln. Dazu kann eine Organisationshilfe für sich bildende freie Einrichtungen und für ihr Zusammenwirken treten. Hier zeichnet sich ein neuer Typus vermittelnder Verwaltung ab (→ 3/107–108).
III. Interessenstrukturen und Steuerungsansätze 33 Die Prinzipien der Solidarität und der Kooperation führen zu vielfältig verschränkten Interessenlagen74. Eine schlichte Gegenüberstellung eines öffentlichen und eines privaten Interesses, wie sie sich im einfachen zweipoligen Rechtsverhältnis monetärer Leistungsgewährung widerspiegelt und wie sie das Vorstellungsbild des überkommenen Sozialverfahrensrechts im SGB X bestimmt, reicht nicht aus: Verschränkt, divergent und oft diffus sind schon die das Gebiet prägenden Privatinteressen75. Hier stehen sich die Interessen der Sozialleistungsempfänger und der in die Leistungserbringung eingeschalteten privaten Leistungsmittler gegenüber. Häufig finden sich rollenbestimmte Interessendivergenzen, in denen der einzelne als Beitragszahler und als Leistungsempfänger, als Vertreter zunächst der jungen und dann der alten Generation unterschiedliche Vorstellungen über eine restriktive oder expansive Sozialpolitik vertritt. Auffällig sind ferner auf der einen Seite der hohe verbandliche Organisiertheitsgrad von Interessen und auf der anderen Seite eine oft nur schlecht ausgebildete Fähigkeit des Hilfsbedürftigen, sich seiner eigenen Interessen bewußt zu werden und diese deutlich genug zu formulieren. Öffentliche und private Interessen gehen in einem breiten Bereich ineinander über. Erstere werden nicht allein von der Sozialverwaltung und den öffentlich-rechtlich organisierten Leistungsträgern, sondern auch von Verbänden der freien Wohlfahrtspflege und anderen Sozialeinrichtungen des gesellschaftlichen Bereichs vertreten. Die Koordination ist oft gemeinsam gebildeten Gremien anvertraut. Dem hohen Maß an Verrechtlichung des einzelnen Sozialleistungsverhältnisses auf der Vollzugsebene steht der der freien Vereinbarung zugängliche autonome Ausgleich aggregierter Interessen auf mittlerer Ebene gegenüber. 34 Vielfältig wie die Interessenstrukturen sind die Steuerungsinstrumente und administrativen Handlungs- und Organisationsformen76. Das Sozialverwal73 74 75 76
Vgl. die grundlegenden Informationspflichten der Leistungsträger gem. §§ 13–15 SGB I. Vgl. Bieback, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann, Effizienz, S. 127 (129 f.). Anschaulich dazu A. Wahl, Kooperationsstrukturen im Vertragsarztrecht, S. 107 ff. Vgl. zum folgenden Pitschas, in: Schmidt-Aßmann/Hoffmann-Riem, Verwaltungsorganisationsrecht, S. 151 (191 ff.). Zur Verzahnung der Verantwortungsbereiche auch Trute, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann, Öffentliches Recht und Privatrecht, S. 167 (197 ff.).
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Drittes Kapitel: Verwaltungsaufgaben und besonderes Verwaltungsrecht
tungsrecht ist eines jener Gebiete, in denen das Verwaltungsrechtsverhältnis als Regelungsmodell Tradition besitzt (→ 6/40–45). Es ordnet die Beziehung zwischen Leistungsträger und Leistungsempfänger und ist eine unverzichtbare Gestaltungsform dort, wo es um drittvermittelte Leistungen geht. Mehrpolige Rechtsverhältnisse sind der Rahmen, in dem Schutzwirkungen und Rücksichtnahmepflichten zugunsten Dritter differenziert entfaltet und zugeordnet werden können. Als Dauerrechtsverhältnis verarbeitet es die besonderen Sicherungsbedürfnisse, die sich im zeitlichen Wandel der Sozialbeziehungen ergeben. 35 Für die Abwicklung der Standardvorgänge steht die Regelungsform des Verwaltungsakts zur Verfügung. Auch in diesem Falle handelt es sich substantiell jedoch keineswegs notwendig um eine einseitig hoheitliche Rechtsfolgenanordnung, sondern oft nur um den letzten Punkt eines Verständigungsvorganges (→ 6/102). Überhaupt ist die Entscheidungstätigkeit der Behörden nur die eine Seite. Neben den Entscheidungsverfahren stehen die Verfahren der realen Leistungsbewirkung. Bei der Erfassung komplizierter Lagen herrschen vertragliche Gestaltungen vor (→ 6/112–124). Planerische Rechtsformen finden sich bei Bedarfs- und Infrastrukturplanungen, vor allem dort, wo es um die Einrichtung sozialer Dienste in Zusammenarbeit mit freien Trägern geht. Der Entscheidungsbedarf der mittleren Ebene wird durch kooperative Organisationsformen zwischen Staat, Selbstverwaltungsträgern und Verbänden abzudecken versucht, die als Verhandlungssysteme ausgebildet sind77. Die sog. gemeinsame Selbstverwaltung in der Gesetzlichen Krankenversicherung bildet ein hochgradig verflochtenes korporatistisches Regelungsgefüge, dessen Handlungs- und Organisationsformen interessante Beispiele für den Formenreichtum des Fachverwaltungsrechts bieten. Sie können die Systembildung des allgemeinen Verwaltungsrechts anregen, bedürfen aber wegen ihrer bisherigen Sonderrolle umgekehrt dringend der Ausrichtung an den allgemeinen Regeln rechtsstaatlicher Formenklarheit und demokratischer Legitimation (→ 5/42–43)78.
C. Das Wissenschaftsrecht 36 „Moderne Gesellschaften sind in einem Maße von Wissenschaft und Technik abhängig geworden, daß jede Veränderung im Wissenschafts- und Techniksystem unmittelbar ihre Grundlagen berührt“79. Die Förderung der Wissenschaft, die rahmensetzende Ordnung ihrer Organisation und die Hilfe bei der 77 78
79
Dazu A. Wahl, Kooperationsstrukturen im Vertragsarztrecht, S. 172 ff., 217 ff. und 288 ff. Dazu A. Wahl, Kooperationsstrukturen im Vertragsarztrecht, S. 385 ff.; Schmidt-Aßmann, Grundrechtspositionen und Legitimationsfragen, S. 82 ff.; Axer, Normsetzung der Exekutive in der Sozialversicherung, S. 153 ff.; Hänlein, Rechtsquellen im Sozialversicherungsrecht, bes. S. 125 ff., 235 ff. und 453 ff. Mittelstraß, Leonardo-Welt, S. 106; vgl. Braun, Politische Steuerung, S. 17 ff.
1. Abschnitt: Verwaltungsaufgaben im Spiegel des besonderen Verwaltungsrechts
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Bewältigung ihres Akzeptanzbedarfs gehören folglich zu den zentral wichtigen Staatsaufgaben. Schon dieses rechtfertigt es, nach der Bedeutung des Wissenschaftsrechts als Referenzgebiet des allgemeinen Verwaltungsrechts zu fragen80.
I. Kooperation als Strukturprinzip 37 Das Wissenschaftssystem ist durch eine besondere Geschlossenheit gekennzeichnet, die nach überkommenem Verständnis in Art. 5 Abs. 3 GG als Eigengesetzlichkeit der Wissenschaft normativ abgesichert wird. Staatliche Regelungsansprüche ordnungs- und vollzugsrechtlichen Zuschnitts sind in diesem Bereich stets schnell auf Grenzen und Gegenpositionen gestoßen und daher überhaupt nur schwach ausgebildet. Um seinen Steuerungsinteressen Ausdruck zu geben, mußte der Staat folglich andere Instrumente entwickeln und hat dieses auch getan. Gemeinsames „Bewirken“ geht hier einseitiger staatlicher „Steuerung“ vor. Gerade wenn im allgemeinen Verwaltungsrecht ein möglichst umfangreiches Spektrum solcher Formen erfaßt werden soll, ist das Wissenschaftsrecht wichtig, weil die hier anzutreffenden Handlungspraxen von vornherein aus einem anderen Verständnis heraus gebildet worden sind, das – wie HansHeinrich Trute zutreffend beobachtet hat – „in gewisser Weise quer zur allgemeinen verwaltungsrechtlichen Entwicklung“ liegt. 38 Seine strikte Ausrichtung an der Wissenschaftsfreiheit des Art. 5 Abs. 3 GG81 und seine Entfaltung „im Ordnungsrahmen des öffentlichen Rechts“82 haben die Prinzipien dieses Rechtsgebietes deutlicher hervortreten lassen. Unter diesen nimmt das Kooperationsprinzip einen herausragenden Platz ein83, weil sich in ihm das Wesen der Wissenschaft selbst zur Geltung bringt. Wissenschaft, Forschung und Lehre sind auf Kommunikation angelegte Erkenntnisprozesse84: zwischen Wissenschaftlern und zwischen Wissenschaftseinrichtungen, zwischen Wissenschaft und Gesellschaft, zwischen nationalen und zwischen internationalen Forschungseinrichtungen – aber auch zwischen Wissenschaft und Staat. Ohne umfassende Information über das Wissenschaftssystem und ohne fortdauernde Kooperation mit der Wissenschaft ist dem Staat weder die Förderung noch die schrankensetzende Regelung wissenschaftlicher Prozesse möglich. Kooperation ist im Wissenschaftsrecht in den Sachstrukturen angelegt und damit als 80 81
82 83 84
Zum folgenden Trute, DV 1994, S. 301 ff.; Meusel, Außeruniversitäre Forschung, bes. Rn. 196 ff.; Schmidt-Aßmann, in: FS für Meusel, S. 217 ff. Dazu Oppermann, in: HStR Bd. 6, § 145; Schulze-Fielitz, in: HdbVerfR, § 27; Pernice, in: Dreier, Grundgesetz, Art. 5 III (Wissenschaft) Rn. 16 ff.; Losch, Wissenschaftsfreiheit; Trute, Forschung, S. 280 ff.; Classen, Wissenschaftsfreiheit, S. 72 ff. Schmidt-Aßmann, JZ 1989, S. 205 ff.; ders., in: Müller-Graff/Roth, Recht und Rechtswissenschaft, S. 371 ff.; Schulze-Fielitz, in: HdbVerfR, § 27 Rn. 11. Trute, Forschung, bes. S. 312 ff.; Schmidt-Aßmann, in: Morlok/Häberle, Verfassungsstaat, S. 19 ff. Zacher, Forschung, Gesellschaft, Gemeinwesen, S. 2 f.; vgl. Scholz, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 5 III Rn. 10: Wissenschaftsfreiheit als „Kommunikationsfreiheit“.
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Drittes Kapitel: Verwaltungsaufgaben und besonderes Verwaltungsrecht
Regelungsansatz vorgegeben. Hinzu treten Überlegungen des Grundrechtsschutzes; denn wenn Art. 5 Abs. 3 GG die Wissenschaftsfreiheit gewährleisten will, dann muß sichergestellt werden, daß wissenschaftsrelevante staatliche Entscheidungsprozesse das Selbstverständnis der Grundrechtsträger berücksichtigen. Das Kooperationsprinzip dient folglich auch dazu, als Form schonenden Ausgleichs die Wissenschaftsadäquanz staatlicher Regelungen vorzubereiten.
II. Die Vielfalt der Regelungsansätze 39 Nimmt man die Regelungen des Hochschulrechts und des Rechts der außeruniversitären Forschungseinrichtungen insgesamt in den Blick und beschränkt sich dabei nicht auf die gesetzlichen Grundlagen, sondern bezieht Verträge und Verwaltungsvereinbarungen mit ein, so erweist sich der Gegenstandsbereich des Wissenschaftsrechts als ein Feld sehr unterschiedlicher Regelungsansätze. Was in der steuerungswissenschaftlichen Diskussion theoretisch entwickelt worden ist, prägt hier schon seit längerer Zeit die Praxis: eine Verbindung von Verfahrensrecht, Organisationsrecht, Finanz- und Haushaltsrecht, privatem Recht und öffentlichem Recht.
1. Organisationsrecht 40 Unter ihnen dominieren organisationsrechtliche Regelungsansätze. Organisationsrechtsformen sind für das Wissenschaftsrecht ähnlich prägend, wie die Handlungsrechtsformen es für andere Gebiete des besonderen Verwaltungsrechts und für das gesamte allgemeine Verwaltungsrecht sind85. Die für die Organisation der Wissenschaft eingesetzten Rechtsformen weisen eine große Vielfalt auf. Deutlich wird, wie sehr das überkommene Verwaltungsorganisationsrecht am Bilde bürokratischer Vollzugsverwaltung ausgerichtet ist und damit wichtige Gebiete des besonderen Verwaltungsrechts nicht erfaßt (→ 5/3–6). Nahezu das gesamte Formenspektrum des öffentlichen und des privaten Organisationsrechts ist anzutreffen: Körperschaften und Anstalten finden sich hier ebenso wie Stiftungen und die Formen des Kapitalgesellschaftsrechts. Rechtsfähige und nichtrechtsfähige Einheiten, Arbeitsgemeinschaften und Verbände beherrschen die Szene. Das Privatrecht hat sich als besonders anpassungsfähig erwiesen, um die Übergänge zwischen gesellschaftlichen Forschungsaktivitäten und staatlicher Mitwirkung rechtlich zu erfassen, indem es Gemeinschaftsgründungen und eine wechselseitige Beteiligung in den Gesellschaftsformen gestattet. Auffällig ist die geringe Bedeutung behördlicher Organisationsformen. Sie sind vor allem dort anzutreffen, wo es um Aufsicht und Staatseinfluß geht, auch hier abgewandelt, z.B. durch die Einbeziehung sog. Ethikkommissionen86. Im übrigen aber bestä85 86
Als Organisationsgrundrecht deutet die Wissenschaftsfreiheit Kleindiek, Wissenschaft und Freiheit in der Risikogesellschaft. Dazu Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 588 ff.
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tigt sich, daß Wissenschaft und Wissenschaftsverwaltung mit klassischen Hierarchievorstellungen nicht zu bewältigen sind, sondern sich der Kooperation und des Kollegialprinzips bedienen. „Organisation wird so zum Medium der Vermittlung staatlicher Verantwortung und grundrechtlicher Freiheit, nicht zum Instrument der Umsetzung materieller Entscheidungsprogramme durch eine staatliche Exekutive“87. Das gilt für das Hochschulrecht als das klassische Gebiet des Wissenschaftsrechts. Erst recht gilt es für die außeruniversitären Forschungseinrichtungen und für die hochstufigen Organisationsformen, mit denen Wissenschaft und Wissenschaftsverwaltung ihren Anschluß an die Ebene der Politik sicherstellen.
2. Finanzielle Steuerung 41 Finanzen sind der zweite bedeutsame Regelungsansatz des Staates, der allerdings anders als die Organisationssteuerung höchst unmittelbar wirkt. Daher müssen gerade hier spezielle Mechanismen eingebaut werden, wenn die Finanzabhängigkeit nicht zur „Achillesferse“ der Wissenschaft werden soll88. Diese Aufgabe wird im Wissenschaftsrecht durch ein zweiteiliges Verhandlungssystem geleistet, das die sonst üblicherweise getrennten Regelungsansätze des Haushaltsrechts und des Zuwendungsrechts zusammenfaßt. Den ersten Teil bildet die Hochschulbauförderung gem. Art. 91a GG. Sie hat durch das Hochschulbauförderungsgesetz eine formalisierte, einheitliche Struktur erhalten. Der zweite Teil findet seine Grundlage in der Rahmenvereinbarung zwischen Bund und Ländern über die gemeinsame Förderung der Forschung nach Art. 91b GG89. Die übergreifende Organisationsstruktur bilden für beide Systemteile der Wissenschaftsrat und die Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung90. Die Grundlage des Verhandlungssystems ist der Ausgleich föderaler Interessen. Bund und Länder sind folglich die Hauptakteure91. Doch ist die Wissenschaft selbst in diesem System durchgängig repräsentiert und zur Artikulation ihrer Belange befähigt. In direkter Form geschieht das über den Wissenschaftsrat, mittelbar auch durch die Beteiligung der Forschungs- und Forschungsförderungseinrichtungen an der Erarbeitung staatlicher Programme der projektbezogenen Forschungsförderung92. Finanz- und organisationsbezogene Regelungsansätze sind hier in einer Weise zusammengeführt, die die Bedeutung einer „mittleren Ebene“ unterstreicht, auf der Kooperationskonzepte entwickelt werden. Die typische Organisationsform sind intermediäre Einrichtungen (→ 5/59–62). Bei der Umsetzung finan87
88 89 90 91 92
Trute, DV 1994, S. 301 (309); ausführlich ders., Forschung, S. 328 ff.; ländervergleichend aus politikwissenschaftlicher Sicht Braun, Politische Steuerung, S. 183 ff., bes. 209 ff. Dazu Trute, Forschung, S. 412 ff. und 427 ff. Vom 28.11.1975, Bundesanzeiger 1975, Nr. 240, S. 4; zuletzt geändert am 25.10.2001. Vgl. Röhl, Wissenschaftsrat, bes. S. 33 ff. Röhl, Wissenschaftsrat, S. 188 ff. Trute, Forschung, S. 585 ff.
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Drittes Kapitel: Verwaltungsaufgaben und besonderes Verwaltungsrecht
zieller Programme spielen neben Zuwendungsbescheiden vertragliche Regelungen eine große Rolle. Die Wissenschaft ist durch Kommissionen oder die Einbeziehung von Gutachtern in den Entscheidungsprozeß beteiligt93.
3. Gesetzliche Programme, Verwaltungsvollzug, Kontrolle 42 Natürlich kennt das Wissenschaftsrecht auch die materielle Programmsteuerung durch Gesetze. Das Gesetz ist notwendig, um die äußeren Grenzen der Wissenschaft festzulegen. Kollisionslösende Regelungen, z.B. zwischen Gesundheitsschutz, Datenschutz, Tierschutz oder Umweltschutz und wissenschaftlichen Zugriffsansprüchen, müssen gesetzlich getroffen werden. Hier ist jedoch besondere Vorsicht geboten: Ziele, Inhalte und Methoden der Forschung selbst dürfen durch solche verhaltensregelnden Normen nicht festgelegt werden. Art. 5 Abs. 3 GG sichert die Wissenschaft zudem dagegen, daß unterschiedliche Wertauffassungen in der Gesellschaft durch Gesetz in Forschungsverbote umgemünzt werden; auch Moratorien sind nicht beliebig zulässig. Ein Ausgleich zwischen den betroffenen Rechtsgütern läßt sich oft gerade dadurch finden, daß Beobachtungsvorbehalte geschaffen und mit besonderen grundrechtsschützenden Verfahren verbunden werden94. Gerade in den Bereichen, in denen der Forschung Grenzen gesetzt werden sollen, ist das Wissenschaftsrecht ein wichtiges Anwendungsfeld prozeduralen Rechts95. Die eingeschränkte Bedeutung hierarchischer Vollzugsformen verlangt nach zusätzlichen Kontrollen96. Auch hier zeigt sich die Bedeutsamkeit der Finanzkontrollen (→ 4/92–97). Sie genügen aber nicht, sondern sind um Verfahren zu ergänzen, die die Qualität der Forschung zum Gegenstand haben. Solche Kontrollen können nur durch die Wissenschaft selbst organisiert werden. Die auch sonst kenntliche Entwicklung zu stärkerer Eigenüberwachung findet in der Evaluation von Forschung als wissenschaftsadäquater Form von Kontrolle eine Parallele. Zugleich kann das Wissenschaftsrecht ein Gebiet werden, in dem neue Formen öffentlicher Kontrolle durch Expertendiskurse und ein unabhängiges Berichtswesen erprobt und für weitere Politikfelder fruchtbar gemacht werden.
D. Das öffentliche Wirtschaftsrecht 43 Das öffentliche Wirtschaftsrecht ist für die Systematik des allgemeinen Verwaltungsrechts zunächst einmal ein Feld größter Formenvielfalt und Anschaulichkeit. Ganz unterschiedliche Interessenstrukturen, Instrumente und 93 94 95 96
Braun, Steuerung der Wissenschaft, S. 339 ff. Vgl. Trute, in: GS für H. Krüger, S. 385 ff. Anschaulich G.-P. Calliess, Prozedurales Recht, S. 224 ff. Trute, Forschung, S. 464 ff.; auch Schmidt-Aßmann, NVwZ 1998, S. 1225 ff.
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Rechtsverhältnisse kommen in den Blick. Über die klassischen Materien der Gewerbeaufsicht und des Handwerksrechts ist das Gebiet längst hinausgewachsen, und schon diese vertrauten Bereiche bieten z.B. mit den Organisationsformen wirtschaftlicher Selbstverwaltung97 interessante und keineswegs überholte Regelungsmodelle an. Gefahren- und Mißstandsabwehr, Ordnung, Lenkung und Förderung gehören als Verwaltungsaufgaben im öffentlichen Wirtschaftsrecht von vornherein zusammen. „Die Eigenart dieser Verwaltungszwecke und das Bedürfnis nach einem den wahrzunehmenden Aufgaben angepassten Instrumentarium des Vorgehens haben eine bewegliche Vielfalt von Rechtsformen hervorgebracht. Das gilt für die Organisation, besonders aber für die Entscheidungsverfahren und Tätigkeitsformen der planenden, beeinflussenden, lenkenden, gebietenden und leistenden Verwaltung“98.
I. Die Frage nach seiner Ausrichtung 44 Die Vielfalt der Aufgabenstellungen erschwert die Bestimmung gebietsprägender Prinzipien99. Das wird im Vergleich zum Umwelt- und zum Sozialrecht deutlich, die im Sozialstaatsgebot (Art. 20 GG) und im Schutzauftrag für die natürlichen Lebensgrundlagen (Art. 20a GG) immerhin eine gewisse Regelungstendenz erkennen lassen (→ 3/65–76). Auch das Wissenschaftsrecht erhält durch Art. 5 Abs. 3 GG eine übergeordnete Ausrichtung. Die für das öffentliche Wirtschaftsrecht vor allem einschlägigen Grundrechte der Art. 12 und 14 GG100 dagegen sind in hohem Maße gesetzgeberischer Gestaltung offen101. Sie sollen freies Wirtschaften ermöglichen. Die divergierenden Freiheitsvorstellungen der Wirtschaftssubjekte führen jedoch schnell zu wirklichen oder vermeintlichen Regelungsbedürfnissen, die den Staat auf den Plan rufen. Wenn man trotzdem eine durchgängige Ausrichtung des öffentlichen Wirtschaftsrechts angeben soll, so ist am ehesten an die kategoriale Unterscheidung von individuellem Freiheitsgebrauch und staatlicher Kompetenzausübung zu erinnern (→ 1/22–26)102. Staatliches Handeln ist in allen seinen Erscheinungsformen rechtlich gegründet und rechtfertigungsbedürftig. Das gilt für Gesetzgebung, Verwaltung und Justiz; 97 98 99 100
101 102
Dazu nur E. R. Huber, Wirtschaftsverwaltungsrecht, Bd. 1, S. 182 ff.; Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, S. 142 ff. Badura, in: Schmidt-Aßmann, Besonderes Verwaltungsrecht, 3. Kap. Rn. 70. Vgl. R. Schmidt, Öffentliches Wirtschaftsrecht, Allg. Teil, S. 37 f. R. Schmidt, Öffentliches Wirtschaftsrecht, Allg. Teil, S. 117 ff.; Stober, Allgemeines Wirtschaftsverwaltungsrecht, §§ 21, 22; zur Wettbewerbsfreiheit vgl. Tsiliotis, Der verfassungsrechtliche Schutz der Wettbewerbsfreiheit und seine Einwirkung auf die privatrechtlichen Beziehungen. Zutr. Kritik an der verfassungsgerichtlichen Judikatur zu Art. 12 GG bei Hufen, NJW 1994, S. 2913 ff. Daß das Grundgesetz „wirtschaftspolitisch neutral“ sei, heißt nicht, daß es für jede wirtschaftspolitische Zweckmäßigkeit offen ist; so zu Recht Badura, in: FS für Stern, S. 409 (415).
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Drittes Kapitel: Verwaltungsaufgaben und besonderes Verwaltungsrecht
aber es gilt auch dort, wo der Staat selbst als Wirtschaftsakteur auftritt103. Privatautonomie kommt ihm auch hier nicht zu. „Der Erfolg des sozialen Staatsziels und die Wahrung der Erfordernisse des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts sind nicht in erster Linie von staatlichen Interventionen abhängig, sondern von der Leistungsfähigkeit und Leistungsbereitschaft der Einzelnen und der Unternehmen“104. Das ist insbesondere dort im Auge zu behalten, wo Staat und Wirtschaft in gemischt-wirtschaftlichen Unternehmen kooperieren (→ 5/63) oder nach funktionaler Privatisierung aufeinander bezogen bleiben. Die Handlungsrationalitäten beider sind unterschiedlich und können nicht vergemeinschaftet werden. Das schließt die Orientierung staatlichen Handelns an Effizienzkriterien keineswegs aus. Die öffentliche Verwaltung hat ihr eigenes Wirtschaftlichkeitsgebot (→ 6/66); aber dieses ist nur ein Aspekt ihrer normativen Orientierungen, der durch andere Maßstäbe überlagert werden kann, während die privaten Wirtschaftssubjekte im Rahmen des Rechts autonom handeln. 45 Ein Grundzug des öffentlichen Wirtschaftsrechts ist seine „universalistische Tendenz“105. Sie ist die Ursache auch seiner großen Entwicklungsdogmatik106. Die europäische Dimension liegt dabei offen zutage: Wichtige Anstöße zum Subventionsrecht, zum Recht der öffentlichen Aufträge, zum Kartell- und zum öffentlichen Unternehmensrecht sind vom EG-Recht ausgegangen. Die Grundfreiheiten des Gemeinschaftsrechts haben zu Privatisierungen angeregt und den Gedanken der Selbstverantwortung gefördert, in deren Gefolge neue Formen der Regulierungsverwaltung (→ 3/49–54) und der Akkreditierung (→ 3/ 55–57) entstanden sind107. Dem öffentlichen Wirtschaftsrecht ist aber auch die darüber hinausreichende internationale Dimension nicht fremd: Außenwirtschaftsrecht und Kapitalmarktrecht dokumentieren seit je die universalistische Tendenz des Rechtsgebietes. Das Kartellrecht mit seinen die Grenzen des eigenen Hoheitsgebiets übergreifenden Aufträgen der Kartellbehörden ist eines der wichtigsten Referenzgebiete, um die Verzahnung des Verwaltungsrechts mit dem Völkerrecht darzustellen108. Gerade das öffentliche Wirtschaftsrecht zeigt die Notwendigkeit, in die verwaltungsrechtliche Systematik nicht nur das europäische, sondern auch das internationale Verwaltungsrecht einzubeziehen.
103 104 105 106 107 108
Löwer, VVDStRL Bd. 60, S. 416 (424 ff.). Badura, in: Schmidt-Aßmann, Besonderes Verwaltungsrecht, 3. Kap. Rn. 20. Begriff und Beschreibung bei R. Schmidt, in: VVDStRL Bd. 36, S. 65 (87); vgl. auch Di Fabio, in: FS für Vogel, S. 3 ff. Dazu Stober, in: FS für Maurer, S. 827 (840 ff.). Vgl. R. Schmidt, DV 1999, Beiheft 2, S. 165 ff.; ders., in: FS für Vogel, S. 21 ff. Vgl. Meng, ZaöRV 1984, S. 675 ff.; Herdegen, Internationales Wirtschaftsrecht, § 14; Tietje, Internationalisiertes Verwaltungshandeln, S. 424 ff.
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II. Einige Teilgebiete im Überblick 46 Alle Teilgebiete, die das öffentliche Wirtschaftsrecht bilden, können zur Fortentwicklung der allgemein-verwaltungsrechtlichen Lehren beitragen109: – Das Subventionsrecht hat gerade in den letzten Jahren gezeigt, wie sich die Bestandskraftlehre des Verwaltungsakts, wie sich ein (zu) hoch angesetzter Vertrauensschutz für begünstigende Verwaltungsakte im deutschen Recht, unter dem Einfluß des EG-Rechts wandelt110. Die Entwicklung belegt zugleich die Abhängigkeit der allgemeinen Lehren vom Fallmaterial der herangezogenen Referenzgebiete111. – Das Recht der öffentlichen Aufträge spezifiziert für einen wirtschaftlich hoch bedeutsamen Bereich die Lehre vom Verwaltungsprivatrecht (→ 6/24–26): Das Vergabeverfahren ergänzt das für das allgemeine Verwaltungsrecht beachtliche Spektrum der Verwaltungsverfahren. Die Vergabekriterien bereichern die Maßstablehre um stark formalisierte Effizienzkriterien (→ 6/64). Vergabeentscheidungen erweisen sich als eine eigenständige Art der Verwaltungsentscheidung mit Doppelwirkung, für die qualifizierte Verfahren (→ 6/162 ff.) und Möglichkeiten eines ausgewogenen (Eil-)Rechtsschutzes verfügbar sein müssen112. – Das Banken- und Versicherungsaufsichtsrecht dokumentiert den Wandel der Staatsaufsicht von der punktuellen Intervention zur Ausbildung von Dauerrechtsverhältnissen mit starken Elementen der Eigenkontrolle. Als Recht der Finanzdienstleistungen ist es heute ein gut durchgebildetes Anwendungsfeld regulierter Selbstregulierung113. – Das Lebensmittelrecht, das sich erst in jüngeren Jahren vom Nebenstrafrecht zu einem eigenständigen Gebiet des Wirtschaftsverwaltungsrechts entwickelt hat, steht für die Leistungsfähigkeit eines sich ausdifferenzierenden Steuerungsarsenals, das systematisch alle Glieder des Wirtschaftskreislaufs einbezieht und statt repressiver Gefahrenbeseitigung auf Risikovorsorge setzt114. Weitere Stichworte sind Information und Kooperation der Beteiligten zur Klärung von Verantwortlichkeiten im vorhinein115. Hinzu treten neue Formen der präventiven Qualitätssicherung und der Zertifizierung entsprechender Sicherungssyteme. – Das öffentliche Unternehmensrecht indiziert einen Ergänzungs- und Veränderungsbedarf des Verwaltungsorganisationsrechts (→ 5/48–52). Behörde, Körperschaft und Anstalt sind nicht die einzigen interessanten Organisationsformen. 109 110 111 112 113 114 115
Anschaulich dazu die Präsentation von 15 Einzelgebieten in: R. Schmidt, Öffentliches Wirtschaftsrecht, Bes. Teil, 2 Bde. Vgl. nur Blanke, Vertrauensschutz im deutschen und europäischen Verwaltungsrecht, bes. S. 445 ff.; Schwarz, DV 2001, S. 397 ff. Schmidt-Aßmann, in: FG 50 Jahre Bundesverwaltungsgericht, S. 487 (493 ff.). Vgl. Puhl, VVDStRL Bd. 60, S. 456 ff. Dazu Junker, Gewährleistungsaufsicht über Wertpapierdienstleistungsunternehmen, bes. S. 101 ff. Dazu Knipschild, Lebensmittelsicherheit, bes. S. 170 ff. und 224 ff. Hufen, in: R. Schmidt, Öffentliches Wirtschaftsrecht, Bes. Teil, Bd. 2, S. 291 (300 f.).
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Drittes Kapitel: Verwaltungsaufgaben und besonderes Verwaltungsrecht
Wenn die öffentliche Verwaltung seit langem und im Zuge von Organisationsprivatisierungen in jüngerer Zeit vermehrt in den Formen der GmbH und der Aktiengesellschaft agiert116, dann muß sich das Verwaltungsrecht auch mit dem Kapitalgesellschaftsrecht beschäftigen, dann sind die Fragen der notwendigen Ankoppelung oder Entkoppelung der verselbständigten Wirtschaftseinheiten der öffentlichen Hand ein eigenständiger Beitrag zur Dogmatik der Verwaltungslegitimation (→ 2/94–101)117. Das Kommunalwirtschaftsrecht, das diese Probleme seit Jahrzehnten auf eine praktische Weise durchaus anspricht und konkrete Lösungen bereithält, hat eine systemprägende Bedeutung für das allgemeine Verwaltungsrecht nicht zu entwickeln vermocht. Das Konzept eines „Verwaltungsgesellschaftsrechts“ wiederum isoliert das öffentliche Unternehmen zu stark von seinem wirtschaftlichen Umfeld118. Verwaltungsorganisationsrecht ist hier vielmehr vor allem Privatorganisationsrecht. Seine Dogmatik gründet primär auf den eigenständigen Steuerungsleistungen des Kapitalgesellschaftsrechts unter Einschluß des Konzernrechts119. Hinzu treten die Sonderregelungen, die das Haushaltsrecht für öffentliche Unternehmen trifft. Zu ergänzen sind diese Vorgaben um neue Steuerungsformen wie das Controlling. 47 Die Reihe der zunächst analytisch zu erfassenden Gebiete des öffentlichen Wirtschaftsrechts ließe sich fortsetzen. Neben vertrauten Instituten des allgemeinen Verwaltungsrechts, deren Bedeutung ihre durchgängige Verwendung im Fachverwaltungsrecht bestätigt, werden Instrumente und Institute sichtbar, die sich neu gebildet haben oder in anderen Verwaltungszusammenhängen in neuem Licht erscheinen und deren Platz in der Systematik deshalb neu bedacht werden muß. Letzteres gilt z.B. für das Institut der Beleihung (→ 5/57). Die Analyse macht auch interessante Parallelen zum Instrumentenbesatz des Umweltverwaltungsrechts deutlich, insbesondere im Zusammenspiel zwischen Staatsaufsicht und unternehmerischen Eigenkontrollen. Dem kann hier nicht im einzelnen nachgegangen werden.
III. Neue Regelungsmuster 48 Im folgenden sollen zwei Gebiete vorgestellt werden, in denen Handlungsweisen, Verfahren und Organisationsvorkehrungen so verbunden worden sind, daß sich daraus neue Regelungsmuster ergeben. Beide Gebiete repräsentieren neue Verwaltungsaufgaben. Es fragt sich, inwieweit ihre Grundformen und Formenverbindungen auch im allgemeinen Verwaltungsrecht Berücksichtigung verdienen. 116 117 118 119
Vgl. Löwer, VVDStRL Bd. 60, S. 416 (417 f.); Storr, Der Staat als Unternehmer, S. 6 ff. Gersdorf, Öffentliche Unternehmen, bes. S. 166 ff.; auch Storr, Der Staat als Unternehmer, S. 52 ff. Vgl. Gersdorf, Öffentliche Unternehmen, S. 259 ff.; Mann, Öffentlich-rechtliche Gesellschaft, S, 279 ff. Vgl. Gersdorf, Öffentliche Unternehmen, S. 267 ff.
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1. Regulierungsverwaltung: Telekommunikationsrecht 49 Das Regelungsmuster der Regulierungsverwaltung wird hier am Beispiel des Telekommunikationsrechts erläutert. Die Bedeutung dieses Rechtsgebiets für die verwaltungsrechtliche Systembildung ist früh erkannt worden120. Vergleichbare Strukturen finden sich im Postgesetz von 1997. Für die schienenbzw. leitungsgebundene Infrastruktur folgen das Allgemeine Eisenbahngesetz von 1994 und das Energiewirtschaftsgesetz von 1998 ähnlichen Grundmustern121. Im weiteren Sinne können auch Teile des Medienrechts, insbesondere die Aufgaben der Landesmedienanstalten, diesem Aufgabentypus zugerechnet werden. Gemeinsam ist den Kerngebieten des Regulierungsrechts ihr Bezug auf ein dominantes Netz. Gemeinsam ist ihnen ferner eine starke Prägung durch das EG-Recht und in zunehmendem Maße auch durch internationales Wirtschaftsrecht122. 50 Regulierung ist gem. § 1 i.V.m. § 3 Nr. 13 TKG darauf gerichtet, den Wettbewerb zu fördern und flächendeckend angemessene und ausreichende Dienstleistungen zu gewährleisten. Sie ist ein durch gesetzliche Ziele (§ 2) gesteuerter Gestaltungsauftrag, der über die allgemeine Gewerbeaufsicht, aber auch über die Wettbewerbsaufsicht der Kartellbehörden erheblich hinausgeht123. Auf einem bisher monopolistisch geprägten Markt sollen Wettbewerb organisiert und Versorgungssicherheit gewährleistet werden. Das ist ein Auftrag zur Marktstrukturierung. Seine wichtigsten Mechanismen sind124: – Auf der Basis der Grundentscheidung des freien Marktzugangs unterliegt jeder, der Telekommunikationsdienstleistungen erbringen will, nur einer Anzeigepflicht (§ 4 TKG). – Für einen engeren Bereich, insbes. den Betrieb von Übertragungswegen, besteht eine Lizenzpflicht (§ 6 TKG). Die Lizenz dient primär gewerberechtlichen Zwecken. In Knappheitssituationen ist sie aber auch eine Verteilungsentscheidung mit einer begrenzten administrativen Gestaltungsbefugnis durch Nebenbestimmungen (§ 8 Abs. 2 TKG). Die Anzahl der Lizenzen kann beschränkt werden (§ 10 TKG); hier kommt eine Rückkoppelung an die planerischen Instrumente der Frequenzordnung zum Tragen, die Ausdruck staatlicher Ressourcenbewirt120
121
122 123 124
Grundlegend Hoffmann-Riem, in: Schmidt-Aßmann/Hoffmann-Riem, Europäisches Verwaltungsrecht, S. 191 ff.; mit zahlreichen Nachw. ders./Eifert, in: Schulte, Handbuch des Technikrechts, S. 489 ff.; Eifert, Telekommunikationsdienstleistungen, pass.; Trute, in: FS für Brohm, S. 169 ff.; ders., in: FG 50 Jahre Bundesverwaltungsgericht, S. 857 ff. Zum Energierecht J.-P. Schneider, Liberalisierung der Stromwirtschaft, bes. S. 444 ff. und 525 ff.; Hermes, ZHR 2002, S. 433 ff. Umfassend zur Regulierung in den Netzwirtschaften Kühling, Sektorspezifische Regulierung. Zusammenfassend Kühling, Sektorspezifische Regulierung, S. 65 ff., 160 ff. Trute, in: Trute/Spoerr/Bosch, Telekommunikationsgesetz, § 1 Rn. 10; Masing, DV 2003, S. 1 (5 f., 24). Ruffert, AöR 1999, S. 237 (251 ff.); Masing, DV 2003, S. 1 (8 ff.); Kühling, Sektorspezifische Regulierung, S. 164 ff..
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Drittes Kapitel: Verwaltungsaufgaben und besonderes Verwaltungsrecht
schaftung sind (§§ 44–49 TKG)125. Die Vergabe von Lizenzen erfolgt, wenn ihre Anzahl beschränkt ist, im Versteigerungs- oder im Ausschreibungsverfahren. Über die Vergabebedingungen und Durchführung sind durch die Regulierungsbehörde vorab Regelungen zu treffen und zu publizieren (§ 11 TKG)126. – Ein zentraler Regulierungsmechanismus ist die Gewährleistung des offenen Netzzugangs. Zu diesem Zwecke unterstehen marktbeherrschende Anbieter von Telekommunikationsdienstleistungen einer besonderen Mißbrauchsaufsicht, die sie verpflichtet, Wettbewerbern diskriminierungsfrei den Zugang zu ihren Leistungen zu ermöglichen (§§ 33, 36 TKG). Netzbetreiber müssen in dieser Situation anderen Nutzern gegen Entgelt den Zugang zum Netz einräumen (§§ 34, 39 TKG). Die Einzelheiten sind privater Verhandlung und Vereinbarung vorbehalten; kommt eine solche nicht zustande, ordnet die Behörde die Zusammenschaltung hoheitlich an (§§ 36 f. TKG)127. In den weiteren Zusammenhang gehören Publizitätsregeln für getroffene Vereinbarungen und die Festlegung von Mindestinhalten für Zusammenschaltungsvereinbarungen (§§ 5, 6 NetzzugangsVO). – Mit der Entgeltregulierung trägt das Gesetz der zwar abnehmenden, aber dennoch derzeit eindeutigen Existenz marktbeherrschender Unternehmen Rechnung (§§ 23–32 TKG). Grundlinie der tarifären Regulierung ist die Orientierung an den „Kosten der effizienten Leistungsbereitstellung“ (§ 24 Abs. 1 TKG). Im Einzelfall bilden Kostenermittlung und Entgeltgenehmigung komplizierte Bewertungsvorgänge. Sind die gesetzlichen Kriterien erfüllt, besteht allerdings ein Rechtsanspruch auf Genehmigung. – Das Regime der Universaldienstleistungen soll sicherstellen, daß für die Öffentlichkeit ein Mindestangebot an Telekommunikationsdienstleistungen ubiquitär verfügbar ist (§ 17 TKG)128. Den Inhalt und die Qualität im einzelnen festzulegen, ist einer Verordnung der Bundesregierung überlassen. Entspricht das Angebot diesen Maßstäben nicht, so sind die am Markt relevanten Lizenznehmer in Pflicht genommen (§ 18 TKG). Die Regulierungsbehörde legt einem von ihnen durch Hoheitsakt auf, die geforderten Leistungen zu erbringen. Dafür kann unter bestimmten Voraussetzungen ein Entgelt als Ausgleich gewährt werden (§ 20 TKG), das wiederum durch eine Abgabe der anderen Lizenznehmer zu refinanzieren ist (§ 21 TKG). 51 Das Regulierungsverwaltungsrecht besteht demnach aus einem bunten Strauß von Rechtsregeln und Rechtsinstituten: Konsensuale und imperative, planerische und implementierende, normative und einzelfallbezogene Entscheidungen wechseln einander ab. Privatrecht wird ebenso eingesetzt wie öffentliches Recht. Ein nicht selten genutztes Instrument ist der Kontrahierungszwang129. Die 125 126 127 128 129
Spoerr, in: Trute/Spoerr/Bosch, Telekommunikationsgesetz, Vor § 44 Rn. 6 ff.; § 46 Rn. 1, 7 ff.; Ruffert, AöR 1999, S. 237 (252 ff.). Zur Verfahrensauswahl vgl. Hufeld, JZ 2002, S. 871 ff. Dazu M. Röhl, Die Regulierung der Zusammenschaltung, S. 127 ff. Dazu Windthorst, Der Universaldienst im Bereich der Telekommunikation, bes. S. 247 ff. Dazu Hermes, ZHR 2002, S. 433 (441 ff.).
1. Abschnitt: Verwaltungsaufgaben im Spiegel des besonderen Verwaltungsrechts
141
Verfahren sind regelmäßig aufwendig ausgestaltet; Transparenzregeln haben ein besonderes Gewicht. Das Spezifikum des Rechtsgebietes liegt in dem hohen Maß an Verschränkungen seiner Instrumente, deren Einsatz durch § 2 TKG zielgesteuert ist. In dem allen zeigt sich eine eigenständige Steuerungsform für eine eigenständige Verwaltungsaufgabe. „Das Regulierungsverwaltungsrecht hat sich dabei als Gegenmodell zum Verständnis des Staats als Leistungsstaat und der zugehörigen Lehre vom Verwaltungsprivatrecht entwickelt, grenzt sich auch von der Vorstellung staatlicher Planbarkeit gesellschaftlicher Entscheidungen ab und ist aber doch nicht nur eine Rückkehr zur Gefahrenabwehr und dem alten Modell der Gewerbeordnung“130. Diese zwischen den traditionellen Verwaltungstypen angesiedelte und über sie hinausführende Aufgabe verlangt nach angemessener Berücksichtigung in der Systematik des allgemeinen Verwaltungsrechts. Ein radikaler Umbau ist zwar nicht indiziert131; aber Perspektivenänderungen sind zu bedenken. 52 Die geringsten Probleme dürfte die Rechtsformenlehre bereiten (→ 6/34 ff.). Die wichtigsten Entscheidungen treffen die Regulierungsbehörden in den Formen des Verwaltungsakts, oft in der Gestalt eines Verwaltungsakts mit komplexen Drittwirkungen (→ 6/110). Formfragen werfen allerdings die Vorentscheidungen auf, die die Behörden zur Vorordnung mehrschichtiger Verfahrensgegenstände oder -abläufe bei der Lizenzvergabe und bei der Entgeltgenehmigung zu treffen haben132. Ihre Einstufung als Allgemeinverfügungen befriedigt wegen der Rechtsschutzfolge einer Anfechtungslast nicht. Eher müssen sie der sich ausbildenden Form der verfahrensimmanenten Strukturvorgaben zugeordnet werden, die Selbstbindung und Transparenz gewährleisten sollen (→ 6/98 f.). 53 Regulierung ist eine Gestaltungsaufgabe. Regulierungsbehörden werden im Rahmen der gesetzlichen Verfahrens- und Formvorgaben final gesteuert. „Diese Zielorientierung spricht dafür, dass die normsetzende Exekutive ebenso wie die Regulierungsbehörde mit einem weiteren Optionsspielraum zur Konkretisierung einer oftmals eher temporären Regulierungsstrategie und ihrer Implementation im Einzelfall ausgestattet sind“133. Die einschlägigen Entscheidungsmaßstäbe müssen hier oft erst im Verwaltungsverfahren fixiert werden. Behördliche Einschätzungsprärogativen sind nicht wie die Beurteilungsermächtigungen im Prüfungswesen Ausnahmeerscheinungen, sondern gehören zur Grundausstattung. Sie zielen auf eine gestufte Abarbeitung des gesetzlichen Entscheidungsprogramms, die prozedural abgesichert und im Gerichtsverfahren gegebenenfalls nach einem „Diskursmodell“ zu überprüfen ist (→ 4/81–83)134.
130 131 132 133 134
So Masing, DV 2003, S. 1 (31). So auch Ruffert, AöR 1999, S. 237 (280); Masing, DV 2003, S. 1 (24). § 11 Abs. 4, S. 2 und 3, Abs. 5, S. 2 und 4 TKG. Trute, in: Trute/Spoerr/Bosch, Telekommunikationsgesetz, § 1 Rn. 13; ähnlich Bullinger, DVBl 2003, S. 1355 (1358 f.). Vgl. auch Trute, in: FG 50 Jahre Bundesverwaltungsgericht, S. 857 (866 ff.); M. Röhl, Die Regulierung der Zusammenschaltung, S. 105 ff.
142
Drittes Kapitel: Verwaltungsaufgaben und besonderes Verwaltungsrecht
54 Für das Verwaltungsorganisationsrecht stellt die Regulierungsbehörde nach §§ 66–70 TKG eine Herausforderung dar. Ihre Rechtsstellung und interne Organisation sind detailliert gesetzlich festgelegt. Hervorstechendes Merkmal ist ein Beirat aus Mitgliedern des Bundestages und des Bundesrates, der an politisch geprägten Einzelentscheidungen der Lizenzvergabe und der Auferlegung von Universaldienstleistungen mitwirkt. Die Regulierungsbehörde hat keine so unabhängige Position, wie sie manchen Europäischen Agenturen oder amerikanischen agencies eignet. Vieles spricht aber dafür, dass sie für die genannten herausgehobenen Entscheidungen von Einzelweisungen des zuständigen Ministeriums freigestellt ist135. Auch insofern erweitert das Regulierungsrecht den Kanon der allgemein-verwaltungsrechtlichen Lehren, hier zur Zulässigkeit sog. ministerialfreier Räume (→ 5/35). Nach der EG-Richtlinie 2002/21 über einen gemeinsamen Rechtsrahmen für elektronische Kommunikationsnetze und -dienste (ABl. Nr. L 108 S. 33) wird dieses Problem durch eine verstärkte Anbindung der nationalen Regulierungsbehörden an die Vorgaben der EG-Kommission überlagert. Organisationseinheiten und Organisationsrecht der Mitgliedstaaten werden damit eingegliedert in eine Verwaltung des Gemeinschaftsraumes, die Züge einer „Mischverwaltung“ bekommt.
2. Zertifizierung und Akkreditierung: Gerätesicherheitsrecht 55 Am Gerätesicherheitsrecht läßt sich das Entstehen einer eigenständigen Kontroll- und Überwachungsstruktur erkennen, die rechtssystematisch zu großen Teilen außerhalb des Verwaltungsrechts angesiedelt, mit dem Verwaltungssystem aber mehrfach rückgekoppelt ist. Das Gerätesicherheitsrecht baut in bestimmten Bereichen auf Bescheinigungen durch zugelassene benannte Stellen (Zertifizierungen) und nur mittelbar ansetzenden administrativen Bestätigungen (Akkreditierungen) auf. Hierin liegt nicht nur ein weiteres Anschauungsgebiet staatlichgesellschaftlicher Kooperation, sondern vor allem ein wichtiger Beispielbereich für eine sich entwickelnde gemeinschaftsweite Vollzugsstruktur, die nur noch teilweise auf die mitgliedstaatlichen Verwaltungen gegründet ist136. 56 Die prägenden Vorgaben entstammen dem EG-Recht: Grundlage sind die „Neue Konzeption“ und das „Globale Konzept“, durch die die gemeinschaftsweite Verkehrsfähigkeit von Waren und Dienstleistungen sichergestellt werden soll137. Zu trennen ist zwischen Normsetzung, Marktzugang und Marktüberwachung. Auf der Ebene des Marktzugangs ist das System gestuft aufgebaut:
135 136 137
Ausf. Oertel, Unabhängigkeit der Regulierungsbehörde, bes. S. 397 ff. und 432 ff.; Kühling, Sektorspezifische Regulierung, S. 365 ff. Grundlegend Röhl, Akkreditierung und Zertifizierung, S. 3 ff., 23 ff. Dazu Langner, in: Dauses, HdbEU-WirtschaftsR unter C VI; Di Fabio, Produktharmonisierung durch Normung und Selbstüberwachung.
1. Abschnitt: Verwaltungsaufgaben im Spiegel des besonderen Verwaltungsrechts
143
– Bestimmte Produkte dürfen nur dann in Verkehr gebracht werden, wenn sie den sicherheitstechnischen Anforderungen entsprechen und aufgrund einer Zertifizierung ein Prüfzeichen führen dürfen (vgl. § 4 GPSG). Eine behördliche Zulassung findet nur für besondere Produkte statt. Die Zertifizierung obliegt zugelassenen Stellen (§ 11 GPSG). Das sind in der Regel private Stellen und Prüflaboratorien; sie können auch in einem anderen Mitgliedstaat der Gemeinschaft ansässig sein. Sie erfüllen ihre Aufgaben im Rahmen privatrechtlicher Verträge mit den Herstellern. – Die zugelassenen Stellen ihrerseits müssen bestimmten Anforderungen an Unabhängigkeit, Ausstattung und Sachkunde entsprechen, die das EG-Recht vorgibt138. Die Gewährleistung dieser Anforderungen wird auch anhand einer Akkreditierung festgestellt. Zugelassene Stellen werden der EG-Kommission benannt. Ohne miteinander in Beziehung zu stehen, bilden sie praktisch ein europaweites Netz. 57 Das Gerätesicherheitsrecht gibt ein Beispiel für ein auch sonst in dem durch das EG-Recht geprägten Verwaltungsrecht mehr und mehr anzutreffendes Konzept einer Kontrolle der Kontrolleure (→ 4/89)139. Staatliche Aktivitäten kommen, von konkret veranlaßten Gefahrenabwehrmaßnahmen abgesehen (vgl. § 8 GPSG), nur mittelbar ins Spiel, indem die Zertifizierungsgefüge der Akkreditierung bedürfen. Die so begründeten Kontrollverhältnisse sind rechtlich nicht einfach einzustufen. In der Literatur finden sich Stimmen, die die Akkreditierung als Beleihung und die Zertifizierung folglich als eine hoheitliche Produktzulassung nach Art traditioneller Genehmigungen einstufen140. Andere sehen zertifizierende Stellen als Repräsentanten einer gemeinschaftsrechtlich gegründeten eigenen Hoheitsgewalt an141. Beide Ansichten dürften jedoch dem gewandelten Aufgabenverständnis nicht hinreichend Rechnung tragen: Produktsicherheit ist nicht nur substantiell und haftungsrechtlich die Verantwortung der beteiligten Wirtschaftskreise; sie wird auch kompetentiell dort belassen. Die zertifizierenden Stellen nehmen nicht vom Staat übertragene Aufgaben wahr, sondern handeln als vom Hersteller Beauftragte142. Das Beispiel zeigt die Notwendigkeit, das überkommene Verwaltungsorganisationsrecht um Formen zu ergänzen, die die genannten Entwicklungen im Schnittpunkt von Europäisierung und Privatisierung aufzunehmen geeignet sind.
138 139 140 141 142
Vgl. die Normenreihe EN 45000. Dazu am Beispiel europarechtlicher Inspektionen David, Inspektionen im Europäischen Verwaltungsrecht, S. 118 ff. So z.B. Scheel, DVBl 1999, S. 442 (444 f.); auch Bonk/Schmitz, in: Stelkens/Bonk/ Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz, § 1 Rn. 240a. So Röhl, Akkreditierung und Zertifizierung, S. 28 ff. Ebenso Seidel, Privater Sachverstand und staatliche Garantenstellung, S. 269 ff.
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Drittes Kapitel: Verwaltungsaufgaben und besonderes Verwaltungsrecht
E. Zusammenfassende Feststellungen 58 Die untersuchten Referenzgebiete zeigen eine Vielfalt der in ihnen wirksamen Handlungsaufträge und Bewirkungsformen: Die Verwaltungen bewegen sich nicht mehr nur im Rahmen des nationalen, sondern auch des europäischen Rechts und der europäischen Verwaltungszusammenarbeit (→ 1/61–63). Im Umwelt- und Wirtschaftsverwaltungsrecht wird mehr und mehr auch internationales Verwaltungshandeln deutlich143. 59 Ausgreifender als erwartet ist in den untersuchten Gebieten der Kooperationsgedanke wirksam. Er zeigt sich vor allem in einer sehr viel differenzierteren Aufteilung der Verantwortungssphären zwischen öffentlicher Verwaltung und gesellschaftlichen Kräften, als das nach dem Modell klassischer Verwaltungszuständigkeiten anzunehmen wäre. Er zeigt sich aber auch in einer Änderung der Kommunikationsstrukturen, die nicht so sehr durch einander entgegengesetzte Rechtspositionen bestimmt sind, sondern als Dialog über Optionen verstanden werden müssen144. Damit zusammen hängt ein breites Spektrum von Bewirkungsformen: Verwaltungsentscheidungen in der Form von Rechtssätzen und Verwaltungsakten spielen nach wie vor eine sehr wichtige Rolle. Daneben sind Formen konsensualen Bewirkens und die Einflußnahme durch informierendes Verwaltungshandeln wichtig geworden. Die „verhandelnde Verwaltung“ erfordert die Aufmerksamkeit der rechtsstaatlichen Verwaltungsrechtsdogmatik; sie läßt sich nicht einfach übergehen. Dasselbe gilt für die Erscheinungsformen „regulierter Selbstregulierung“. Eines der großen Probleme bleibt die rechtliche Bewältigung der technischen Risiken und der Flexibilitätsbedürfnisse sich schnell wandelnder sozialer Lagen. Ein geschlossenes Konzept hierzu lassen die untersuchten Rechtsgebiete noch nicht erkennen. Wohl aber enthalten sie z.B. in gesetzlichen Revisionsklauseln, in den Sicherheitsmargen der Vorsorge und im wandelbaren Ordnungsrahmen des Dauerrechtsverhältnisses Lösungsansätze. 60 Die untersuchten Rechtsgebiete erschöpfen sich nicht darin, eine Vielzahl einzelner Vollzugsvorgänge zu organisieren, sondern halten auch Instrumente einer mittleren Steuerungsebene vor: administrative Normen, Pläne und Konzepte, Organisationsstrukturen und Rahmenabsprachen. Auffällig ist ferner die Typenvielfalt der eingesetzten Organisationseinheiten. Die staatliche Behördenorganisation ist von einem Kreis von Sachverständigengremien und Kommissionen umlagert. Daneben stehen eigenständige Trägerorganisationen sowie die Einheiten der kommunalen und der funktionalen Selbstverwaltung. Von letzteren spannt sich der Bogen zu freien Formen der Selbstorganisation und Selbsthilfe, die nach überkommenem Verständnis zwar nicht mehr dem Verwaltungsrecht 143 144
Dazu Tietje, Internationalisiertes Verwaltungshandeln, S. 293 ff., 349 ff. und 424 ff. Hill, DÖV 1994, S. 279 (282 f.).
1. Abschnitt: Verwaltungsaufgaben im Spiegel des besonderen Verwaltungsrechts
145
zuzurechnen sind, für die aber u.U. eine Organisationsverantwortung des Staates angenommen werden muß. 61 In der überkommenen Systematik des allgemeinen Verwaltungsrechts freilich finden sich diese Bauformen und Fragestellungen oft nur undeutlich wieder. Zwar haben die grundrechtlichen Entwicklungsanstöße auch die traditionellen Rechtsinstitute und Lehrsätze an vielen Punkten umgeformt. Das läßt sich z.B. an der Gesetzesvorbehaltslehre oder am Konzept des subjektiven Rechts nach Maßgabe der Schutznormlehre belegen (→ 2/59–62). Von einer der Bedeutung der neuen Referenzgebiete angemessenen systematischen Einarbeitung der in ihren Lösungsansätzen erkennbaren Sachprobleme in die allgemeinen Lehren kann aber noch nicht gesprochen werden. Ebenso fehlt es an einer daran ausgerichteten Gewichtsverlagerung zwischen den einzelnen Systemteilen des allgemeinen Verwaltungsrechts. Nach wie vor werden die Gesetzesanwendungslehre von Vollzugsvorstellungen und die Rechtsformenlehre vom Bild der hoheitlichen Entscheidung beherrscht. Ähnlich steht es mit dem Verwaltungsorganisationsrecht. Es ist in der Theorie noch immer auf eine vorgebliche „Einheit der Verwaltung“ fixiert, statt sich um die Funktionsdifferenzierungen innerhalb eines Gefüges je spezifisch arbeitender Verwaltungseinheiten zu kümmern; die Legitimationslehre gestattet Varianten durchaus (→ 5/33–52).
146
Drittes Kapitel: Verwaltungsaufgaben und besonderes Verwaltungsrecht
2. Abschnitt: Leitbegriffe der Systembildung: Interessen, Verwaltungsaufgaben, Verwaltungstypen, Verantwortungsstrukturen 62 Die aufgezeigten Entwicklungen lassen sich freilich nicht in einem einfachen Schlußverfahren in allgemein-verwaltungsrechtliche Erkenntnisse umformen. „Da aber System und Begrifflichkeit der Verwaltungsrechtslehre sich nicht in Verallgemeinerung der Verwaltungswirklichkeit erschöpfen, sondern eines die Auswahl und Ordnung des Materials bestimmenden Blickwinkels bedürfen, um wissenschaftliche Theorie und nicht bloß pragmatische Handfertigkeit zu sein, und da diese Systemidee aus einer übergeordneten Vorstellung vom Staate abzuleiten ist, muß die Wandlung der Staatsaufgaben auch zu einer Wandlung der Methode des wissenschaftlichen Verwaltungsrechts führen“145. Demgemäß geht es nicht oder jedenfalls nicht vorrangig darum, einzelne neue Institute aus den untersuchten Referenzgebieten in die allgemeinen Lehren aufzunehmen und letztere dadurch in dem einen oder anderen Punkte zu modifizieren. Notwendig ist es vielmehr, aus der Vielfalt der zutage getretenen Lösungsansätze und Regelungsversuche das für die derzeitige Situation des Verwaltens Typische, das für ein allgemeines Verwaltungsrecht Strukturbestimmende herauszuarbeiten. Das kann nur in mehreren Zwischenschritten erfolgen, in denen das Anschauungsmaterial des besonderen Verwaltungsrechts über Leitbegriffe zu den Vorgaben des Verfassungsrechts und zu den Erkenntnissen der Steuerungsdiskussion in Beziehung gesetzt wird. Diese Begriffe sind zugleich Rezeptoren verwaltungswissenschaftlicher Erkenntnisse. Hier werden die Begriffe Interesse (A), Verwaltungsaufgaben (B) und Verantwortung (C) untersucht.
A. Die Bedeutung des Interessenbegriffs 63 Recht schützt Interessen, bewertet Interessen und ordnet durch Verfahrensregeln den Ausgleich von Interessen. Das Interesse ist folglich ein zentraler Gegenstand juristischen Denkens. Es ist selbst jedoch kein normativer Begriff. Dies mag erklären, warum es bei der Formulierung verwaltungsrechtlicher Lehrsätze eher im Hintergrund zu bleiben pflegt und in den Lehrbüchern selten gesondert behandelt wird146. Wenn das Interesse aber in den Tatbeständen verwaltungsrechtlicher Gesetze immer wieder genannt wird und wenn Schlüsselbegriffe des Verwaltungsrechts wie das subjektive Recht und das Abwägungsgebot das Interesse zu ihren wichtigsten Bausteinen zählen, dann kann der Begriff 145 146
Badura, Verwaltungsrecht im liberalen und sozialen Rechtsstaat, S. 5. Eine Ausnahme bildet das Lehrbuch von Wolff/Bachof/Stober, Verwaltungsrecht, Bd. 1, § 29; ferner Ehlers, in: Erichsen/Ehlers, Verwaltungsrecht, § 1 Rn. 25 ff. zu öffentlichen Interessen.
2. Abschnitt: Interessen, Verwaltungsaufgaben, Verantwortungsstrukturen
147
selbst bei der verwaltungsrechtlichen Systembildung nicht außer Ansatz bleiben147.
I. Subjektive und objektive Interessen 64 In einem sehr allgemeinen Sinne läßt sich das Interesse als Anteilnahme eines Subjekts an einem Gegenstand definieren148. „Interessen sind konstitutiv für den Menschen als Person“149. Der Begriff gehört zunächst der psychischen Sphäre an und wirkt von dort in die Sozialordnung hinüber150. Hier nehmen ihn die Philosophie, die Sozial-, Wirtschafts- und Rechtswissenschaften auf151. Er ist folglich ein auf Interdisziplinarität angelegter Begriff. 65 Bereits der Übergang von subjektiver Innenwelt zur Außenwelt bereitet freilich Schwierigkeiten. In der Literatur wird in diesem Zusammenhang zwischen einem subjektiven Interesse, das ein bestimmtes Subjekt tatsächlich hat (faktisches Interesse), und einem objektiven Interesse, das ein „wohlverstandenes“ Interesse sein soll und damit extern schon gewertet ist, getrennt152. Mit der Unterscheidung verbindet sich die Frage, inwieweit es dem einzelnen überhaupt möglich ist, seine Interessen ohne Beeinflussung durch den jeweiligen gesellschaftlichen Kontext zu formulieren, wie das im subjektiven Interessenbegriff vorausgesetzt wird153. Auch subjektive Interessen bilden sich erst in Kommunikationsvorgängen und lassen sich von diesen folglich nicht streng trennen. Diesem weit in die Psychologie hineinreichenden Streit braucht hier indessen nicht im einzelnen nachgegangen zu werden. Vielmehr sind für unseren Untersuchungszusammenhang zwei Konsequenzen wichtig, mit denen die Verfassung auf die hier bestehenden Unsicherheiten antwortet: Ein Verwaltungsrecht, das vom Individuum als autonomer Persönlichkeit ausgeht (→ 1/27–29), hat die Interessen des einzelnen zunächst so zur Kenntnis zu nehmen, wie subjektives Gutdünken sie formuliert. Interessen mögen von ihrem Träger irrig bestimmt sein, sie mögen subjektiv überzogen und rechtlich nicht billigenswert erscheinen – dieses alles sind Probleme, für die die Rechtsordnung Vorkehrungen treffen muß. Aber der Ausgangspunkt hat das real zum Ausdruck gebrachte Interesse zu sein154. 66 Das Verwaltungsrecht muß folglich ein durch den Interessenträger selbst bestimmtes natürliches Interesse zugrunde legen. Jede immanente Beschränkung, die den Interessenbegriff definitorisch von vornherein auf das „wohlver147 148 149 150 151 152 153 154
Dazu Reiling, DÖV 2004, S. 181 ff.; am Beispiel des Verwaltungsorganisationsrechts Ruffert, DÖV 1998, S. 897 (898 ff.). So Wolff/Bachof/Stober, Verwaltungsrecht, Bd. 1, § 29 Rn. 3. Grimm, Zukunft der Verfassung, S. 176. Vgl. W. Martens, Öffentlich als Rechtsbegriff, S. 173. Zur Begriffsgeschichte Orth u.a., in: Brunner/Conze/Koselleck, Geschichtliche Grundbegriffe, Bd. 3, S. 305 ff. Wolff/Bachof/Stober, Verwaltungsrecht, Bd. 1, § 29 Rn. 4. Koselleck, in: Brunner/Conze/Koselleck, Geschichtliche Grundbegriffe, Bd. 3, S. 344 ff. Ähnlich die Kritik bei Uerpmann, Das öffentliche Interesse, S. 11 f.
148
Drittes Kapitel: Verwaltungsaufgaben und besonderes Verwaltungsrecht
standene“ Interesse festlegt, bringt normative Wertungen und damit zugleich eine externe Wertungskompetenz zu früh, nämlich in einem Augenblick ins Spiel, da sich das Interesse überhaupt erst äußern will. Um der Freiheit willen müssen Interesse und Wertungsbefugnis jedoch auseinandergehalten werden. Die Rechtsordnung braucht nicht jedes subjektive Interesse mit Schutzrechten auszustatten; aber sie muß es wenigstens zur Kenntnis nehmen. Die Aufklärungs- und Ermittlungspflichten der Verwaltung erstrecken sich folglich auch auf solche Interessen, die sie nicht als „wohlverstandene“ oder „wahre“ Interessen ansieht. Verfassungsrechtlich unbedenklich und u.U. sogar geboten sind dabei allerdings verfahrensmäßige Vorkehrungen, um den einzelnen Interessenträger, vor allem in Situationen einer komplexen Interessenstruktur, zu veranlassen, sich seiner Interessen bewußt zu werden und sie zu äußern. Auch verwaltungsfern organisierte Vorklärungsverfahren, z.B. Konfliktmittlung und Mediation (→ 6/136–137), können dazu beitragen, daß subjektive Interessen von den Beteiligten klarer formuliert werden.
II. Die Realität des Interessenfeldes 67 Die Kenntnis der realen Interessen eines bestimmten Anwendungsgebietes, ihrer Strukturen und typischen Bewegungsgesetze ist für ein Verwaltungsrecht, das Steuerungsaufgaben erfüllen soll, eine notwendige Voraussetzung. Dazu gehört auch die Beobachtung von Veränderungen155, die die überkommenen Denkmuster z.B. durch die neuen Informationstechnologien erfahren156. Über die Schutzbedürftigkeit eines Interesses oder über eine interessengerechte Organisation läßt sich ohne diese Kenntnis nicht entscheiden. Wie eine exakte Interessenanalyse für die rechtliche Bewertung dieser Fragen fruchtbar gemacht werden kann, hat das Bundesverfassungsgericht beispielhaft im Urteil vom 5.2.1991 gezeigt157. Seine Ausführungen zur verfassungsgebotenen Zusammensetzung von Rundfunkkontrollgremien setzen die normativen Vorkehrungen des nordrhein-westfälischen Rundfunkgesetzes Stück für Stück zu typischen Verhaltensweisen gruppenentsandter Kollegialmitglieder in Beziehung. Das Urteil bietet so ein Lehrstück für eine realitätsbezogene, d.h. auf Interessenanalyse beruhende Dogmatik (→ 1/49). 68 Die Existenz von Individualinteressen wird von der Rechtsordnung vorausgesetzt. Ihre Fassung ist gleichwohl weder selbstverständlich noch einheitlich. Sie hängt von der Konstitution der Persönlichkeit und von den Gegeben155 156
157
Vgl. zum folgenden auch Kirste, in: Brugger/Kirste/Anderheiden, Gemeinwohl, S. 327 ff. Dazu Pitschas, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Schuppert, Reform des Verwaltungsrechts, S. 219 (bes. 232 ff.); Britz, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann, Verwaltungsverfahren und Verwaltungsverfahrensgesetz, S. 213 ff.; Groß, DÖV 2001, S. 159 ff. BVerfGE 83, 238 (332–336).
2. Abschnitt: Interessen, Verwaltungsaufgaben, Verantwortungsstrukturen
149
heiten des sozialen Umfeldes ab. Die zunehmend größere Bedeutung von Gruppeninteressen in verwaltungsrechtlichen Zusammenhängen veranlaßt dazu, über ihren legitimen Rang, aber auch über den Zusammenhang von Gruppeninteressen und Individualinteressen nachzudenken. Gruppeninteressen lassen sich als „summierte“, „aggregierte“ oder „sublimierte“ Individualinteressen ausmachen. Sie haben unterschiedliche Stadien der Entwicklung durchlaufen und unterschiedliche Dichtegrade erreicht. Im Gruppeninteresse wird die Komplexität des Interessenbegriffs selbst deutlich: Gleichgerichtete, komplementäre, aber auch konträre Interessen derselben Gruppe treten hervor. Auch das öffentliche Interesse ist kein einheitlicher Begriff. Neuere Gesetze erkennen das dadurch an, daß sie die Formulierung öffentlicher Interessen nicht einer einzigen staatlichen Stelle, sondern kumulativ oder kompetitiv unterschiedlichen Organisationseinheiten anvertrauen. Verbandsbeteiligungen nach Art der §§ 58–61 BNatSchG indizieren zudem eine Hineinnahme gesellschaftlicher Kräfte in die Gemeinwohlverantwortung staatlicher Stellen. Umfassende Abwägungsaufträge zeigen auch materiell die Übergänge zwischen öffentlichen und privaten Interessen auf (→ 3/72–77)158.
1. Interessendarstellung 69 Interessen sind auf Darstellung angewiesen. Folglich sind die Formen und die Verhaltensregeln, in denen sich Interessen zur Geltung bringen, auch für das öffentliche Recht von Bedeutung. Das zeigt sich bereits in der frühen Phase der Interessenartikulation. Gerade neue sensible Formen administrativer Interessenbeeinflussung müssen Wert darauf legen, daß eine sensible Interessenartikulation möglich bleibt. Dieser Gedanke gilt nicht nur in den besonders personal ausgerichteten Bereichen der Sozialverwaltung. Er findet sich ebenso im Umweltverwaltungsrecht. Umweltverträglichkeitsprüfung und Umweltplanung sind zunächst einmal Formen selbständiger Artikulation umweltspezifischer Interessen. Zutreffend erkannt ist darin, daß allein schon die Möglichkeit einer eigenständigen manifesten Artikulation von Interessen einen Rechtswert bilden kann. 70 Das Verwaltungsrecht muß sich ferner mit der Interessenorganisation beschäftigen. Für den Bereich öffentlicher Interessen und die auf ihre Darstellung und Umsetzung verpflichtete öffentliche Verwaltung ist das selbstverständlich. Das Verwaltungsorganisationsrecht vermittelt zwar den Eindruck, ein rein abstraktes Zurechnungsrecht zu sein. Im Grunde aber geht es ihm darum, bestimmte Strukturen der Interessenverarbeitung festzulegen (→ 5/21–24). Aber auch die Interessenorganisation im privaten Bereich ist verwaltungsrechtlich nicht ohne Bedeutung. Nur dort, wo den Interessen auch eine adäquate Organisation zur Verfügung steht, können die handelnden Organisationseinheiten als relevante Repräsentanten angesehen und in Verwaltungsverfahren herangezogen 158
Vgl. Ladeur, in: Brugger/Kirste/Anderheiden, Gemeinwohl, S. 257 ff.
150
Drittes Kapitel: Verwaltungsaufgaben und besonderes Verwaltungsrecht
werden. Das folgt aus dem, was oben zur vorwirkenden Legitimationsverantwortung des Staates gesagt worden ist (→ 2/100–101). Zutreffend wird daher z.B. die Verbandsbeteiligung im Naturschutzrecht an bestimmte Minimalvoraussetzungen angemessener Interessenorganisation geknüpft.
2. Interessenklärung 71 Über Interessen wird in den komplexen Lagen wirtschafts-, umweltoder sozialpolitischer Aktionen nicht schlagartig, sondern in vielfältigen Vorklärungen und Vorabstimmungen entschieden. Hier kann die Öffentlichkeit als Forum der Interessenklärung bedeutsam werden (→ 2/116). Mit gebotener Vorsicht lassen sich neue Entscheidungs- und Kontrollverfahren bilden. Neben den auf harte Entscheidungen ausgerichteten rechtlichen Regelungen sind diskursiv angelegte Mechanismen zu erschließen, z.B. Vorschlagsrechte, Begründungspflichten bei Abweichungen oder Organisationsformen gemeinsamen Ausgleichs wie Arbeitsgemeinschaften und Kommissionen. Materiell kann die Interessenentscheidung über gesetzliche Vorrangklauseln gesteuert werden. Die Abwägungslehren des Umweltverwaltungsrechts zeigen hier durchaus einzelne neuere Elemente, die über eine unstrukturierte Abwägung hinausreichen159.
III. Private und öffentliche Interessen 72 Die Gesetze ordnen das Gefüge der Interessen vielfach durch die Begriffe des privaten und des öffentlichen Interesses160. Signifikant sind in der neueren Gesetzespraxis Klauseln nach Art des § 1 Abs. 6 BauGB, die die Verwaltung verpflichten, „die öffentlichen und privaten Belange gegeneinander und untereinander gerecht abzuwägen“. Hier ist ein komplexes Interessenfeld in einen Gesetzestatbestand rezipiert und der Rechtspraxis zu situationsbezogener Gestaltung überantwortet worden. „Der Gesetzgeber, der Verwaltungsbeamte und der Richter haben mit dem Gemeinwohlbegriff zu arbeiten, sie tun es, und sie können es auch, wie zu zeigen ist“161.
1. Verschränkungen am Beispiel des § 1 BauGB 73 Besser als aus abstrakten Lehren lassen sich aus Rechtsprechung und Kommentarliteratur zu § 1 Abs. 6 BauGB Erkenntnisse gewinnen, die für die 159 160
161
Z.B. in der Festlegung eines relativen Abwägungsvorrangs (vgl. § 1a Abs. 1 BauGB, § 50 BImSchG). Grundlegend die Untersuchung von Häberle, Öffentliches Interesse, bes. S. 204 ff.; anschaulich auch die zahlreichen Beispiele aus Gesetzgebung und Judikatur bei Uerpmann, Das öffentliche Interesse, pass. Häberle, Rechtstheorie 1983, S. 257 ff.; abgedruckt auch in: ders., Europäische Rechtskultur, S. 323 ff.
2. Abschnitt: Interessen, Verwaltungsaufgaben, Verantwortungsstrukturen
151
Interesseneinordnung allgemein bedeutsam sind162: Die Unterscheidung zwischen öffentlichen und privaten Interessen knüpft nicht an den Interessenträger an. Die öffentliche Verwaltung ist zwar ein zentral wichtiger Träger öffentlicher Interessen. Sie besitzt aber kein Monopol der Darstellung und Durchsetzung öffentlicher Interessen163. Letztere können vielmehr auch von nicht-staatlichen Verbänden, Interessengruppen und Privatpersonen wahrgenommen werden. Vom Vorliegen eines öffentlichen Interesses kann folglich nicht zwingend auf einen Kompetenztitel der Verwaltung geschlossen werden. 74 Öffentliche und private Interessen unterscheiden sich in der Zielrichtung: Öffentliche Interessen sind solche, die auf unmittelbare Förderung des Allgemeininteresses gerichtet sind. Sie sind nicht mit dem Allgemeininteresse identisch, haben aber, indem sie auf die staatliche Gemeinschaft hin denken, eine Tendenz, sich zum Allgemeininteresse fortzuentwickeln. Über Rang und Legitimität privater Interessenverfolgung ist damit nichts gesagt. Die Verfassung geht gerade von einem Zusammenwirken öffentlicher und privater Interessen aus. Beide Interessenarten sind oft Vorformen auf dem Wege zu einem sich nach und nach herausbildenden Allgemeininteresse (→ 3/76). In dieser Phase lassen sich öffentliche und private Interessen folglich nicht strikt trennen. Ein Interesse kann beide Merkmale zugleich erfüllen. Oft laufen private und öffentliche Interessen in engem Abstand parallel, unterstützen sich oder sind miteinander verschränkt. So können jeweils miteinander verbundene öffentliche und private Interessen in der Abwägung gegen ebenso strukturierte Interessenbündelungen auf der anderen Seite stehen. 75 Öffentliche Interessen sind keine statisch vorgegebenen Größen. Sie entwickeln sich im Verfahren164. Das Gesetz bestätigt die heute ganz herrschende Gemeinwohltheorie (→ 3/76)165. Die mit § 1 Abs. 6 BauGB verbundenen Verfahren der Öffentlichkeitsbeteiligung (§ 3 BauGB) und der Beteiligung von Trägern öffentlicher Belange (§ 4 BauGB) zeigen, daß innerhalb der Verwaltung von unterschiedlichen öffentlichen Interessen und von unterschiedlichen Bewertungen auch hinsichtlich des einzelnen öffentlichen Interesses ausgegangen werden muß. Die Verwaltung selbst ist im Gesetz als Gefüge einer pluralen Repräsentanz öffentlicher Interessen ausgewiesen. Die beiden zitierten Vorschriften stehen zugleich für Offenheit und für Kompetenz. Hinzu treten die anerkannten Regeln zur Gewährleistung von Unparteilichkeit166.
162 163 164
165 166
Vgl. BVerwGE 34, 301 ff. und 45, 309 ff.; Söfker, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg, Baugesetzbuch, § 1 Rn. 198 ff.; Schulze-Fielitz, Sozialplanung im Städtebaurecht, S. 306 ff. Ebenso Ehlers, in: Erichsen/Ehlers, Verwaltungsrecht, § 1 Rn. 32. Häberle, Öffentliches Interesse, S. 87 ff., 95: Das von der Verwaltung zu realisierende öffentliche Interesse wird „mit Hilfe im Verfahren zur Geltung kommender betroffener pluraler und privater Interessen erst mitkonstituiert“. Vgl. Engel, Rechtstheorie 2001, S. 23 ff. Vgl. Uerpmann, Das öffentliche Interesse, S. 51 ff.; allg. Fehling, Verwaltung zwischen Unparteilichkeit und Gestaltungsaufgabe, S. 216 ff., auch 387 ff.
152
Drittes Kapitel: Verwaltungsaufgaben und besonderes Verwaltungsrecht
Es gibt keinen automatischen Vorrang öffentlicher Interessen. § 1 Abs. 6 BauGB spricht von einer „gerechten“ Abwägung und vertraut diese letztlich dem demokratisch unmittelbar legitimierten Gemeindeorgan an. Aber auch dort, wo ein Eingriffstatbestand ein einzelnes öffentliches Interesse besonders herausstellt und es allein genügen läßt, um den Eingriff zu legitimieren, bedarf es einer abwägenden Entscheidung darüber, inwieweit sich dieses Interesse gegenüber dem eingriffsbetroffenen Privatinteresse wirklich durchsetzen kann. Die Rangbestimmung ist ein besonderer Vorgang, der durch Zuständigkeitsvorschriften und Gewichtungsregelungen genauer festgelegt sein muß.
2. Wohl der Allgemeinheit 76 Unter dem Wohl der Allgemeinheit (Gemeinwohl) ist das aus den besonderen privaten und öffentlichen Interessen zusammengeführte Gemeininteresse zu verstehen167. Der Gemeinwohlbegriff ist unbestimmt und weit, aber er ist für die Rechtsordnung unverzichtbar und in der Rechtsordnung handhabbar168. „Er fungiert dann – und das kann er auch – als tragfähige Brücke zu vor-positiven legitimatorischen Gehalten der Verfassungs- und Rechtsordnung, die er innerhalb dieser Ordnung lebendig erhält“169. Im Alltag des Verwaltungshandelns ist dieses Gemeininteresse dasjenige öffentliche Interesse, das sich in dem jeweiligen fachgesetzlichen Rahmen als durchsetzungsfähig erwiesen hat. Die Bestimmung des Wohles der Allgemeinheit ist folglich zuallererst ein Abwägungsproblem170. Es löst sich nach dem einschlägigen positiven Recht, das regelmäßig verfahrensmäßige Vorkehrungen und materielle Vorgaben zur Verfügung stellt. „Das Gemeinwohl ist im Rahmen des Grundgesetzes weniger vorgegeben als je konkret aufgegeben; es ist weithin Ergebnis von komplexen Prozessen (des ‚trial and error‘) im vielgliedrigen Zusammenspiel staatlicher Funktionen und öffentlicher Vorgänge, so sehr es gewisse inhaltliche Direktiven des Grundgesetzes gibt und geben muß“171. Ein rein prozedurales Gemeinwohlverständnis ist der grundgesetzlichen Ordnung jedoch fremd, wie die materiellen Gehalte der Grundrechte und die Staatsaufgabennormen zeigen. Gerade der Verfahrensgedanke ermöglicht es aber, den Kooperationsbereich zwischen Verwaltung, Gesellschaft und Individuen in die konkrete Gemeinwohlbestimmung hineinzunehmen172.
167 168
169 170 171 172
Vgl. Wolff/Bachof/Stober, Verwaltungsrecht, Bd. 1, § 29 Rn. 15. Dazu nur die Beiträge in: Münkler/Fischer, Gemeinwohl, insbes. von Schuppert (S. 67 ff.) und Häberle (S. 99 ff.) und zusammenfassend die Einleitung der Herausgeber (S. 9 ff.); sowie die Beiträge in: Brugger/Kirste/Anderheiden, Gemeinwohl. Böckenförde, in: Münkler/Fischer, Gemeinwohl, S. 43 (63). Im Ergebnis auch Uerpmann, Das öffentliche Interesse, S. 269 ff. Häberle, Europäische Rechtskultur, S. 323 ff. (341). Schuppert, in: Münkler/Fischer, Gemeinwohl, S. 67 (81 ff.): „Verwaltungsverfahren als Ordnungsidee kooperativer Gemeinwohlkonkretisierung“.
2. Abschnitt: Interessen, Verwaltungsaufgaben, Verantwortungsstrukturen
153
77 Unbeschadet ihrer Beantwortung bei der Anwendung des einzelnen Gesetzestatbestandes bleibt die Frage nach dem Wohl der Allgemeinheit zugleich an darüber hinausgreifende Gemeinwohlvorstellungen rückgebunden173. Das Gemeinwohl hat so auf einer zweiten Argumentationsebene die Bedeutung einer regulativen Idee. Um sie genauer zu entfalten, lassen sich mit Winfried Brugger folgende Stufen unterscheiden174: – Herausarbeitung der (materiellen) Ziele: Rechtssicherheit, Legitimität, Zweckmäßigkeit, – Benennung unterschiedlicher Konkretisierungsprozeduren: juristischer, politisch-moralischer, sozialwissenschaftlicher Diskurs, – Erfassung der Konkretisierungsebenen: Lebensbereiche, Rechtsregeln und Rechtsprinzipien, Präjudizien. Die regulative Idee hält bewußt, daß es überall dort, wo öffentliche Gewalt wirksam wird, um das Gemeinwesen, um die Gesamtheit der Bürger nicht als Summe von Individuen, sondern als integrale Allgemeinheit geht175. „Das Gemeinwohl enthält die Absage an selbstzweckhafte Ausübung politischer Macht. Diese bedarf der Rechtfertigung, die außerhalb ihrer selbst, im Wohl des Volkes, begründet ist“176. Unter dem Grundgesetz sind dieses nicht nur Aussagen der politischen Ideengeschichte und der Staatslehre. Rechtfertigungsbedürftigkeit und Gemeinwohlfähigkeit öffentlicher Gewalt folgen vielmehr aus dem Menschenbild des Art. 1 und dem Demokratieprinzip des Art. 20 GG. Die regulative Idee hat folglich eine normative Grundlage (→ 1/21; 2/81). Die Verallgemeinerungsfähigkeit ihres Gehalts macht die demokratische Entscheidungsqualität aus. Gerade wenn das Verwaltungsrecht von der Vorstellung einer alleinigen Gemeinwohlverantwortung der Exekutive abgehen und stattdessen zu einem pluralistischen Konkretisierungskonzept gelangen will, ist ein materiell verstandener Gemeinwohlbegriff als regulative Idee wichtig. Gerade der kooperative Staat muß auf die Gemeinwohlfähigkeit seiner Verfahren und seiner Organisationsgestaltungen besonders achten. „Es hängt von der Rationalität, der Differenziertheit und dem verfassungs- und wissenschaftstheoretischen Hintergrund sowie der aufgeklärten pluralistischen Öffentlichkeit ab, wie positiv Gemeinwohlformeln in freiheitlichen – demokratischen – Rechtsordnungen wirken können“177.
173 174 175 176 177
Vgl. Böckenförde, in: Münkler/Fischer, Gemeinwohl, S. 43 (62 f.). In: Brugger/Kirste/Anderheiden, Gemeinwohl, S. 17 (22 ff.). Sog. fiskalische Interessen sind damit keineswegs ausgeschlossen (→ 6/69); vgl. Uerpmann, Das öffentliche Interesse, S. 124 ff. Isensee, in: HStR Bd. 3, § 57 Rn. 8. Häberle, Verfassung als öffentlicher Prozeß, S. 563 f.
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Drittes Kapitel: Verwaltungsaufgaben und besonderes Verwaltungsrecht
B. Verwaltungsaufgaben und Staatsziele 78 Die verwaltungsrechtliche Systematik muß in der Lage sein, das Spektrum zeitgenössischer Verwaltungsaufgaben in seiner Breite zu erfassen. An der überkommenen Lehre ist oft kritisiert worden, daß sie diesen Aufgabenbezug ganz vermissen lasse oder ihn auf den Gefahrenabwehrzweck des liberalen Rechtsstaates verkürzt habe178. Die Analyse neuer Referenzgebiete soll dem entgegenwirken.
I. Staatsaufgaben: Begriff und Bedeutung 79 Die notwendige Ausrichtung des Verwaltungsrechts an den Verwaltungsaufgaben bekommt es allerdings sogleich mit Begriffen zu tun, die keinen festen normativen Gehalt besitzen und deren Bedeutung für die verwaltungsrechtliche Systembildung nur differenziert erfaßt werden kann179: öffentliche Aufgaben, Staatsaufgaben, Verwaltungsaufgaben180. Unter öffentlichen Aufgaben sind diejenigen Sachbereiche zu verstehen, deren Wahrnehmung der unmittelbaren Förderung des Allgemeininteresses durch Befriedigung kollektiver Bedürfnisse dient181. – Staatsaufgaben sind jene öffentlichen Aufgaben, die vom Staat oder den ihm zugeordneten Hoheitsträgern sowie von zwischenstaatlichen Einrichtungen wahrgenommen werden. Nicht alle öffentlichen Aufgaben sind folglich Staatsaufgaben182. Zwar ist der Staat, insofern allein er einer Rechtfertigung durch einen Gemeinwohlauftrag bedarf (→ 1/22–26), in spezifischer Weise dem gesamten Felde öffentlicher Aufgaben verpflichtet. Es gibt jedoch wichtige öffentliche Aufgaben, die von privaten Aufgabenträgern erfüllt werden. Andere öffentliche Aufgaben werden von staatlichen und privaten Aufgabenträgern gemeinsam wahrgenommen. – Verwaltungsaufgaben schließlich sind diejenigen Staatsaufgaben, die Verwaltungsträgern zur Wahrnehmung zugewiesen sind. Die Zuweisung erfolgt regelmäßig durch Aufgaben- oder Zuständigkeitsnormen. Die nach dem Universalitätsprinzip zuständigen Verwaltungsträger (Bund, Länder, Gemeinden) haben darüber hinaus in den Schranken der Gesetzesvorbehaltslehre für ihren Bereich 178 179
180 181 182
Badura, Verwaltungsrecht des liberalen Rechtsstaates, bes. S. 16, 23. Vgl. Schulze-Fielitz, in: Grimm, Wachsende Staatsaufgaben, S. 11 ff. Zu den unterschiedlichen Erkenntnisinteressen, die die Wissenschaften an diesem Begriff haben, Bull, Staatsaufgaben, S. 5 ff. Zum folgenden Häberle, AöR 1986, S. 595 ff.; Lecheler, Verwaltungslehre, S. 56 ff. Erhardt, in: HWÖ, Sp. 1004; Bull, Staatsaufgaben, S. 50, spricht insofern von „gemeinwohlbezogenen Aufgaben“. Isensee, in: HStR Bd. 3, § 57 Rn. 136 f.; Schulze-Fielitz, in: Grimm, Wachsende Staatsaufgaben, S. 11 (16 f.); Burgi, Funktionale Privatisierung, S. 41 ff.
2. Abschnitt: Interessen, Verwaltungsaufgaben, Verantwortungsstrukturen
155
ein Aufgabenzugriffsrecht183. Die Zuweisung einer Aufgabe als Verwaltungsaufgabe sagt aber idR noch nichts über die Art der Wahrnehmung und über die Intensität, in der die Verwaltung die Aufgabe mit eigenen Mitteln wahrnehmen muß (→ 3/109–117). Administrative Mittel sind auch nicht notwendig hoheitliche Mittel; ebensowenig ist die Verwaltung bei der Wahrnehmung der öffentlichen Aufgaben darauf festgelegt, nur die Handlungs- oder Organisationsformen des öffentlichen Rechts zu benutzen (→ 6/21–27).
1. Keine geschlossene Staatsaufgabenlehre 80 Die Unsicherheiten dieser Definitionen liegen darin begründet, daß die Begriffe der „Wahrnehmung“ oder „Erfüllung“ keinen einheitlichen Handlungstyp bezeichnen, sondern unterschiedliche Bewirkungsarten umfassen, die von der legislativen Programmsteuerung einer im übrigen privaten Wahrnehmung bis zur flächendeckenden Leistungserbringung durch staatliche Aufgabenträger reichen. Im Grunde werden mit den drei Begriffen nicht fest abgrenzbare Sektoren, sondern Zonen unterschiedlich intensiver Verantwortlichkeitsmischungen charakterisiert184. Eine allgemeingültige Staatsaufgabenlehre ist oft versucht, aber nie erreicht worden185. Es lassen sich zwar in der Gewährleistung der äußeren und inneren Sicherheit, in der Gefahrenabwehr und in der Grundversorgung der Bevölkerung Komplexe ausmachen, die alle modernen Staaten als ihre Aufgaben anzusehen pflegen186. Gleichsam natürliche Staatsaufgaben aber existieren nicht187. Staatsaufgaben ergeben sich nicht aus einem abstrakten Staatsbegriff, sondern im Rahmen der jeweiligen Verfassungsordnung. Aber auch dann, wenn man die Untersuchung auf das Grundgesetz konzentriert, zeigt sich keineswegs ein geschlossenes Staatsaufgabensystem188. Die Entfaltung und Wahrnehmung staatlicher Aufgaben ist folglich in weiten Bereichen nicht Vollzug von Verfassungsrecht, sondern politische Entscheidung. Im Blick auf eine Aufgabensystematik muß eher umgekehrt gesagt werden, daß es – von Grenzpositionen abgesehen189 – keinen Bereich des 183 184
185 186 187 188
189
Zur „staatlichen Bestimmungskompetenz“ über seinen Aufgabenbestand vgl. Burgi, Funktionale Privatisierung, S. 49 ff. Ähnlich Schulze-Fielitz, in: Grimm, Wachsende Staatsaufgaben, S. 11 (17): „Der Kern der Staatsaufgaben-Diskussion liegt in den Abstufungen der öffentlich-rechtlichen Organisationsrahmen für die private Freiheitsbetätigung im öffentlichen Interesse“. Herzog, in: HStR Bd. 3, § 58 Rn. 1. Dazu Gusy, DÖV 1996, S. 573 ff. Bull, Staatsaufgaben, S. 99 ff.; Häberle, AöR 1986, S. 595 (601); im Ergebnis auch Kämmerer, Privatisierung, S. 157 ff. Herzog, in: HStR Bd. 3, § 58 Rn. 28; Storr, Der Staat als Unternehmer, S. 138 ff. Vgl. auch BVerfG NVwZ 2003, 974 (977): Art. 20 Abs. 2 GG ist nicht zu entnehmen, welche Aufgaben dem Staat als im engeren Sinne staatliche Aufgaben vorzubehalten sind. Hierzu sind einerseits die Respektierung und der Schutz eines unantastbaren Bereichs privater Lebensgestaltung gem. Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 2 Abs. 1 GG (dazu BVerfGE 80, 367 [373 f.]) und andererseits der Bestandserhalt der staatlichen Ordnung als solche zu zählen.
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Drittes Kapitel: Verwaltungsaufgaben und besonderes Verwaltungsrecht
privaten bzw. gesellschaftlichen Lebens gibt, in dem der Staat nicht mindestens eine Mitsprachemöglichkeit besitzt190, wie auf der anderen Seite keine Aufgabe vorstellbar ist, für die ihn notwendig die volle Erfüllungsverantwortung trifft. 81 Festmachen läßt sich als allgemeine Erkenntnis eine Einstandsverantwortung, derzufolge der Staat in den Schranken des Verfassungsrechts dort tätig werden muß, wo Gemeinschaftsgüter sonst ohne ein Minimum an Schutz blieben. Die Art staatlichen Tätigwerdens – als rechtliche Rahmensetzung, ordnende Kontrolle, planerische Gestaltung oder eigene Leistung – und damit auch die Auswahl der Regelungstechniken ist damit noch nicht fixiert (→ 3/109–117). Dafür gibt es zwei Gründe: Zum einen ist die Bezeichnung bestimmter Aufgabenfelder nicht aussagekräftig genug, um die unterschiedlichen Erfüllungsarten hinreichend zu erfassen, in denen staatliche Verantwortung sich niederschlagen kann191. Zum anderen ist es das Grundgesetz selbst, das neben aufgabenstimulierenden Normen in den abwehrrechtlichen Gehalten der Grundrechte und in den Kompetenzvorschriften ein sehr differenziertes Bild von den Staatsaufgaben und den Arten ihrer Erfüllung entwirft, das sich exakt erst angesichts bestimmter Lagen, nicht aber abstrakt fixieren läßt192. Für das Verwaltungsrecht ergeben sich daraus zunächst zwei negative Folgerungen193: Es kann – erstens – von der Existenz einer Staatsaufgabe nicht auf eine Kompetenz gerade der Verwaltung geschlossen werden. Es kann – zweitens – aus einer Verwaltungsaufgabe nicht die Befugnis abgeleitet werden, sie mit imperativen Mitteln zu erfüllen.
2. Staatsziele als Aufgabendeterminanten 82 Das Fehlen einer geschlossenen Aufgabenlehre bedeutet wiederum nicht, daß das Grundgesetz nicht Aussagen darüber enthielte, mit welchem Rang und welcher Intensität bestimmte Aufgaben vom Staate zu verantworten sind. An erster Stelle zu nennen sind die Staatszielbestimmungen. Sie bezeichnen die großen Politikfelder, denen nach den Vorstellungen der Verfassung besondere staatliche Aufmerksamkeit zugewandt werden soll. Über alle Einzelpunkte des jeweiligen Fachrechts und über die Grenzen der einschlägigen Gesetze hinaus nötigen sie dazu, sich mit den „längerfristigen Handlungs- und Evolutionsmustern“ der Aufgabenfelder zu beschäftigen194. Wenn es den Verfassungsstrukturentscheidungen um die normativ-institutionellen Bedingungen staatlichen Handelns geht, dann wollen die Staatsziele auf Sachaufgaben zuleiten. Staatsziele denken ihre Realisierung und ihre Realisierungsbedingungen – prozeßhaft in 190 191
192 193 194
Schulze-Fielitz, in: Grimm, Wachsende Staatsaufgaben, S. 11 (30) mit weit. Nachw. Ebenso Isensee, in: HStR Bd. 3, § 57 Rn. 138; Herzog, in: HStR Bd. 3, § 58 Rn. 32: „Die Lösung des Rätsels besteht darin, daß die Aufgabenerfüllung durch den Staat in aller Regel nur eine partielle ist.“ Schulze-Fielitz, in: Grimm, Wachsende Staatsaufgaben, S. 11 (20 ff.). Vgl. Isensee, in: HStR Bd. 3, § 57 Rn. 140 ff. J. J. Hesse, JbStVwW 1987, S. 55 (77); folgend Pitschas, in: Hoffmann-Riem/SchmidtAßmann/Schuppert, Reform des Verwaltungsrechts, S. 219 (226).
2. Abschnitt: Interessen, Verwaltungsaufgaben, Verantwortungsstrukturen
157
Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft – mit. Zwischen den konkreten Lösungsmodellen des Fachverwaltungsrechts und den abstrakt-normativen Anforderungen der Staatsstrukturentscheidungen bilden sie für die verwaltungsrechtliche Systematik eine Zwischenebene, auf der übergreifende Steuerungsbedingungen thematisiert werden können. Sie ergänzen damit die individualrechtliche Perspektive des grundrechtlichen Ansatzes. Das ist wichtig; denn so sehr die intensive grundrechtliche Durchdringung dem Verwaltungsrecht der zurückliegenden vier Jahrzehnte viele Entwicklungsimpulse vermittelt hat und dieses auch weiter tun wird (→ 2/32–66), so sind doch die komplexen Verteilungsprobleme mit diesem Ansatz allein nicht zu bewältigen. Von den Staatszielen sollen hier das soziale Staatsziel und der Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen behandelt werden.
II. Das soziale Staatsziel 83 „Der soziale Rechtsstaat ist ein Sozialstaat, der sich in den Verfahren, Formen und Grenzen des Rechtsstaates verwirklicht, und ein Rechtsstaat, der offen ist dafür, vom sozialen Zweck erfüllt und in Dienst genommen zu werden“195. Das Verhältnis von Sozialstaatlichkeit und Recht ist damit vorrangig als Ziel-Mittel-Relation bestimmt. Doch hat das Recht gegenüber dem Anspruch des Sozialen auch eigenständige inhaltliche Gewährleistungsziele. Es soll zum einen auch denjenigen schützen, der für die Lasten sozialer Aktivitäten in Pflicht genommen werden soll; das können Dritte, es können aber auch diejenigen sein, die zugleich Nutznießer dieser Aktivitäten sein sollen. Unabhängig davon hat das Recht die Eigenverantwortung der Empfänger sozialstaatlicher Leistungen, d.h. den individuellen Distanzschutz und den Schutz vor den „strukturellen Mißbrauchsgefahren“196 sozialstaatlicher Leistungssysteme sicherzustellen. 84 Die Wortverbindung des „sozialen Rechtsstaates“ betont die Gemeinsamkeiten und nimmt die gegenläufigen Impulse in die zielinterne Abwägung hinein. Das ist systematisch sinnvoll, weil sich die Gegensätzlichkeiten zwischen rechtsstaatlichen und sozialstaatlichen Gewährleistungen nicht mit einer einheitlichen Formel auflösen lassen. Auch die häufig genannten Gegensatzpaare von rechtsstaatlicher Statik und sozialstaatlicher Dynamik, von Bewahrung und Gestaltung sind keine verläßlichen Wegzeichen. Für den konsolidierten Sozialstaat ist die Sicherung des Erlangten wichtig, wie umgekehrt der Rechtsstaat auf die Veränderung vorgefundener Besitzstände drängen kann. Die gegenüber dem allgemeinen Recht erweiterte Bestandskraft, die sozialrechtlichen Verwaltungsakten zuerkannt wird (§§ 44–48 SGB X), belegt, wie sehr sich die Frontstellungen zwischen Bewahrung und Veränderung verschoben haben. Der überforderte Sozialstaat muß heute erneut auf Flexibilität sehen, die nicht weite195 196
Zacher, in: HStR Bd. 1, § 25 Rn. 96; vgl. auch Herzog, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 20 VIII. Abschnitt Rn. 34. Badura, DÖV 1989, S. 491 (493).
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Drittes Kapitel: Verwaltungsaufgaben und besonderes Verwaltungsrecht
ren Ausbau, sondern Änderung und Zurückführung zu weit gehender Rechtspositionen meint.
1. Aufgaben für Gesetzgebung und Verwaltung 85 Das soziale Staatsziel ist kein bloßer Programmsatz, sondern unmittelbar geltendes Recht. Zu seiner Konkretisierung heißt es allerdings: „Das Sozialstaatsprinzip des Grundgesetzes enthält infolge seiner Weite und Unbestimmtheit regelmäßig keine unmittelbaren Handlungsanweisungen, die durch Gerichte ohne gesetzliche Grundlage in einfaches Recht umgesetzt werden könnten“197. Demgemäß gilt seine rechtliche Entfaltung als eine in erster Linie dem parlamentarischen Gesetz obliegende Aufgabe198. Begründet wird das zum einen mit den rechtsstaatlich veranlaßten Bestimmtheitserfordernissen und mit der notwendigen Bewegungsfreiheit, die der demokratische Gesetzgeber, insbesondere in seiner Funktion als Haushaltsgesetzgeber behalten müsse199. Subjektive Rechte für einen wie immer zu bestimmenden Begünstigtenkreis oder Eingriffsbefugnisse der Verwaltung in Rechte Dritter soll das Sozialstaatsprinzip danach aus sich heraus ohne gesetzliche Fundierung nicht begründen. Exekutive und Justiz scheinen danach auf die Berücksichtigung sozialstaatlicher Direktiven bei der Anwendung der Gesetze beschränkt. 86 Die Aussagen wären allerdings mißverstanden, wenn aus ihnen auf eine nur mediatisierte Bedeutung des sozialen Staatszieles in der Verwaltungsrechtsordnung geschlossen würde. Seine Angewiesenheit auf die Gesetzgebung gilt dort nicht, wo die Exekutive nach den allgemeinen Lehren des Gesetzesvorbehalts ohne gesetzliche Grundlage tätig werden darf200. Die öffentliche Daseinsvorsorge ist das klassische Feld einer keineswegs auf gesetzliche Vermittlung angewiesenen administrativen Konkretisierung des sozialen Staatszieles201. Die notwendige demokratische Legitimation wird hier durch das Haushaltsrecht vermittelt, in der Kommunalverwaltung auch durch entsprechende Einrichtungsoder Schließungsbeschlüsse des Gemeinderates. Beachtliche soziale Aktivitäten finden sich ferner auf Gebieten, die zwar im Kern dem Eingriffsvorbehalt unterstehen, ihr Instrumentarium aber sozial abfedern müssen, um Akzeptanz zu finden. Hier existieren typisch sozialstaatliche Handlungsformen wie Sozialpläne und Härteausgleichsregelungen, die von der Verwaltung zunächst praeter legem entwickelt und später zuweilen vom Gesetzgeber rezipiert werden202. Wo Geset197 198 199 200 201 202
BVerfGE 65, 182 (193); 71, 66 (80); aber auch 84, 90 (125 f.). Stern, Staatsrecht, Bd. 1, § 18 III 3; Zacher, in: HStR Bd. 1, § 25 Rn. 108; Denninger, in: HStR Bd. 5, § 113 Rn. 43. Vgl. BVerfGE 59, 231 (263). Nachw. zur Bedeutung des Sozialstaatsauftrages für die Verwaltung bei Zacher, in: HStR Bd. 1, § 25 Rn. 108 Fn. 440. Stern, Staatsrecht, Bd. 1, § 21 II 3 e; Rüfner, in: HStR Bd. 3, § 80 Rn. 28 ff.; Zacher, in: HStR Bd. 1, § 25 Rn. 57 ff. Z.B. §§ 180 f. BauGB; zur Entwicklung Schulze-Fielitz, Sozialplanung im Städtebaurecht, S. 279 ff.
2. Abschnitt: Interessen, Verwaltungsaufgaben, Verantwortungsstrukturen
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zesvorbehalte bestehen (→ 4/15–25), befähigt die Berufung auf das soziale Staatsziel die Exekutive dagegen nicht, ohne Gesetz zu handeln203. 87 Vor diesem Hintergrund stellt sich die Aufgabe der Verwaltung, die Sozialstaatsklausel vornehmlich als „eine Auslegungsmaxime und eine Ermessensrichtlinie“ bei der Anwendung der Gesetze zu nehmen204, keineswegs als ein nur beschränktes Mandat dar. Sie darf freilich auch nicht zur bequemen Formel werden, um differenzierte Regelungen der Gesetze zu nivellieren und einmal Erreichtes zu zementieren. Das Sozialstaatsprinzip selbst begründet keine Gewähr für den Erhalt öffentlicher Einrichtungen, Leistungen und Besitzstände205. Vorhandene Einrichtungen können geschlossen, überkommene Leistungsstandards abgesenkt werden. Soweit für lebenswichtige Angebote eine staatliche Infrastrukturverantwortung besteht206, kann diese auch durch Regulierung wahrgenommen werden (→ 3/49–54). Im übrigen verhindert das Sozialstaatsprinzip Privatisierungen nicht207. Auch ein „Verbot sozialen Rückschritts“ gibt es nicht208. Ebensowenig dürfen soziale Aspekte zum Anlaß genommen werden, Vorschriften, deren Anwendung in bestimmten Fällen zu politisch unliebsamen Härten führt, nicht zu vollziehen209. Im Ermessensrahmen können soziale Aspekte nicht ubiquitär herangezogen werden. Sie müssen sich vielmehr gemäß ihrer Nähe zum jeweiligen fachgesetzlichen Regelungszweck einordnen.
2. Handlungsebenen und Verfahren 88 Das soziale Staatsziel verweist das verwaltungsrechtliche Denken zurück auf die Realität des Verwaltens, auf die Sozialordnung und ihre einzelnen Handlungsfelder. Es verpflichtet zu gründlicher Bestandsaufnahme und Analyse der betroffenen Interessen. Dabei ist mehr zu leisten als die für jede Rechtsanwendung selbstverständliche Erfassung des Sachverhalts. Es geht vielmehr darum, „die sachwidrigen Gefälle in der Wahrnehmung und Artikulation sozialer Meinungen und Interessen abzubauen“, um eine „umfassende, differenzierte und kohärente Ermittlung, Durchdringung und Darstellung des sozialen Gesamtfeldes“ zu erreichen210. Die Wandlungen der administrativen Handlungspraxen sind ebenso zu erfassen wie die Kräfteverhältnisse und die Rationalisierungsprozesse des gesellschaftlichen Umfeldes. Dazu gehört auch die Beobachtung der Verschiebungen und Verschränkungen von Verantwortungsbereichen zwischen Individuen, Verbänden und Verwaltung. Hier wird an einem bestimmten Sachbereich 203 204 205 206 207 208 209 210
Sommermann, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Grundgesetz, Art. 20 Rn. 120. Stern, Staatsrecht, Bd. 1, § 21 III 4. Isensee, in: HStR Bd. 5, § 115 Rn. 161. Dazu grundlegend Hermes, Infrastrukturverantwortung, S. 323 ff. Vgl. Bauer, VVDStRL Bd. 54, S. 243 (254); Weiß, Privatisierung, S. 137 ff.; Kämmerer, Privatisierung, S. 179 ff. Kämmerer, Privatisierung, S. 177 f. Stern, Staatsrecht, Bd. 1, § 21 II 4 c, S. 913. So Zacher, in: HStR Bd. 1, § 25 Rn. 92.
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Drittes Kapitel: Verwaltungsaufgaben und besonderes Verwaltungsrecht
deutlich, welche Bedeutung dem Begriff des Interesses bei der Vorformung verwaltungsrechtlicher Fragestellungen zukommt (→ 3/63–71). Ist das Interesse als Individualinteresse im subjektiven Recht zutreffend erfaßt? Lassen sich Gruppeninteressen in dieser Rechtsfigur abbilden? Stellen Verfahrens- und Organisationsrecht eine angemessene Interessenartikulation sicher? 89 Der soziale Rechtsstaat entfaltet sein Handeln auf mehreren Ebenen: Sozialstaatliche Verwaltung ist zum einen im individuellen Verwaltungsvorgang, im punktuellen oder im dauerhaften Kontakt mit dem Empfänger sozialrechtlicher Leistungen oder mit dem Nutzer daseinsvorsorgender Einrichtungen aktiv. Nicht zufällig gewinnt das Rechtsverhältnisdenken im allgemeinen Verwaltungsrecht Anstöße immer wieder aus dem Recht der Sozialverwaltung (→ 6/40–45). Heute ist von der Verwaltung soziale Innovation gefordert: Sie selbst muß lernen, nicht in den überkommenen Bahnen staatlicher Erfüllungsverantwortung zu verharren, und sie muß Sozialleistungsempfänger dazu anhalten, Leistungen als Hilfe zur Selbsthilfe einzusetzen. Handlungsformen der Kooperation sind dazu wichtig. Die sorgfältige Erfassung dieser mikroadministrativen Vorgänge ist folglich eine wichtige Aufgabenstellung des Verwaltungsrechts. Vieles spricht dafür, daß die Einsatzfelder des Verwaltungsvertrages im Sozialrecht neu bestimmt werden müssen. 90 Zugleich aber wird an sozialstaatlichen Aktivitäten deutlich, daß das Verwaltungshandeln über den Einzelvorgang hinausreichen muß. Die gesetzlich nur abstrakt und rahmenmäßig vorgezeichneten Verteilungsentscheidungen müssen stufenweise abgearbeitet, die erforderlichen Leistungssysteme in Abstimmung mit anderen Akteuren, mit Verbänden, Kirchen und Berufsgruppen eingerichtet werden. Das Verwaltungsrecht ist daher auch zu einem Recht des makroadministrativen Handelns zu entwickeln. Das macht es notwendig, über neue Formen des Handelns nachzudenken. Schon früh ist auf die sozialstaatliche Funktion administrativer Pläne aufmerksam gemacht worden211. In der jüngeren Literatur erscheint auch der Begriff des Konzepts (→ 6/98–99). Vor allem finden sich zahlreiche Typen komplexer Verträge (z.B. Gesamtverträge, Rahmenverträge, Empfehlungsvereinbarungen)212, die das Vertragsrecht der öffentlichen Verwaltung weit über das hinausführen können, als es der derzeitigen Dogmatik entspricht (→ 6/118–124).
III. Der Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen als Staatsziel 91 Der Staat schützt gemäß Art. 20a GG „auch in Verantwortung für die künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen und die Tiere im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung durch die Gesetzgebung und nach Maßgabe von Gesetz und Recht durch die vollziehende Gewalt und die Recht211 212
Würtenberger, Staatsrechtliche Probleme, S. 108 ff., 387 ff. Vgl. nur A. Wahl, Kooperationsstrukturen im Vertragsarztrecht, bes. S. 292 ff.
2. Abschnitt: Interessen, Verwaltungsaufgaben, Verantwortungsstrukturen
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sprechung.“213 Das 1994 in das Grundgesetz förmlich aufgenommene Staatsziel teilt mit dem sozialen Staatsziel nicht nur die verfassungssystematisch herausgehobene Stellung, sondern auch ein zentrales Merkmal: Beide rezipieren (Teil-)Systeme höchster Komplexität, die schon für eine analytische Erfassung in vielfältiger Hinsicht unverfügbar erscheinen, als Tatbestandsmerkmale von Rechtsprinzipien. Sie führen die herkömmlichen Aufgaben des Rechts an Grenzen und nötigen dazu, neue Formen rechtlicher Steuerung zu entwickeln.
1. Risiko als Rechtsproblem 92 Die geforderte „systemare Betrachtung“ des Schutzgutes, der Beeinträchtigungsvorgänge und der gegensteuernden staatlichen Maßnahmen ist immer wieder mit Kenntnis- und Beurteilungslücken konfrontiert214. Diese Grenzen werden unter dem Begriff des Risikos thematisiert215. Der Schutz der Umwelt steht insofern stellvertretend auch für andere Politikfelder, z.B. die Informations- oder die Biotechnologie, die es ebenfalls mit neuen, noch wenig erprobten Verfahrensweisen und Entwicklungszusammenhängen zu tun haben216. Aber auch die tagtäglichen Beanspruchungen der natürlichen Lebensgrundlagen lassen sich als Risikoprobleme definieren. Ihre Synergien können unüberschaubar und ihre Fernwirkungen für künftige Generationen existenzbedrohend werden, weil sie die Regenerationsfähigkeit des Naturhaushalts zerstören. 93 In verwaltungsrechtlichen Zusammenhängen wird der Risikobegriff üblicherweise dem klassischen ordnungsrechtlichen Begriff der Gefahr gegenübergestellt: Beide verlangen Entscheidungen unter Ungewißheit. Während sich aber die Gefahrenprognose auf vertraute Erfahrungen linearer Kausalketten stützen kann, bezieht sich der Risikobegriff auf Situationen, in denen die Wahrscheinlichkeit bekannter Möglichkeiten nicht abschätzbar ist (Ungewißheit im weiteren Sinne) oder nicht einmal die möglichen Handlungsverläufe oder ihre Folgen abschätzbar sind (Ungewißheit im engeren Sinne)217. In Wirkungszusammenhängen sind sprunghafte Entwicklungen in Rechnung zu stellen, über die Erfahrungswissen nicht vorliegt: „Der Risikobegriff wird dergestalt zu einer mehrdimensionalen Größe, in die das Ausmaß der prognostizierten Gefahr, ein 213 214 215
216
217
Scholz, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 20a Rn. 32 ff.; Murswiek, in: Sachs, Grundgesetz, Art. 20a.; Schulze-Fielitz, in: Dreier, Grundgesetz, Art. 20a Rn. 20 ff. Anschaulich SRU-Gutachten 1994, Tz. 109 f. Dazu mit weit. Nachw. Scherzberg, VerwArch 1993, S. 484 ff.; ders., in: Engel/Halfmann/Schulte, Wissen – Nichtwissen – Unsicheres Wissen, S. 305 ff.; Ladeur, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann, Innovation und Flexibilität, S. 111 ff.; Di Fabio, Risikoentscheidungen, bes. S. 52 ff. Zum folgenden J. Ipsen, Murswiek und Schlink, VVDStRL Bd. 48, S. 177 ff., 207 ff. und 235 ff.; die Beiträge in: Kloepfer, Technikentwicklung und Technikrechtsentwicklung; Stoll, Sicherheit als Aufgabe von Staat und Gesellschaft, S. 65 ff. und 213 ff. So Ladeur, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann, Innovation und Flexibilität, S. 111 (122).
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Drittes Kapitel: Verwaltungsaufgaben und besonderes Verwaltungsrecht
von der Erkenntnisdichte bei der Gefahrenberechnung abhängiger Unsicherheitsfaktor und die möglichen Folgekosten einer Fehlprognose einfließen“218. 94 Mit dem Bedeutungsverlust des Erfahrungswissens geht ein Funktionsverlust vertrauter rechtlicher Begriffe einher: die Zurechenbarkeit von Folgen und die Plausibilität von Entscheidungen219. Die verwaltungsrechtlichen Instrumente überkommenen Zuschnitts sind auf Überschaubarkeit und auf Isolierbarkeit von Realfaktoren und Bewertungsrelationen ausgelegt. Wo es an diesen Merkmalen mangelt, kann Entscheidungsrationalität mit den tradierten Argumentationsmustern nicht oder jedenfalls nicht in erforderlichem Maße hergestellt werden. Die bisherigen Anforderungen an Bestimmtheit und Bestandskraft staatlicher Entscheidungen können so nicht auf Entscheidungen unter Unsicherheit übertragen werden. Die Prüfungskriterien des Verhältnismäßigkeitsprinzips werden zwangsläufig unschärfer, wenn ein so komplexes Schutzziel wie das des Art. 20a GG in die Abwägung einbezogen werden muß. Nicht zufällig wird mit dem Risikobegriff immer zugleich die Risikoakzeptanz als eigenständige Frage aufgeworfen. „Die Ungewißheit wird zu einer Kategorie für sich: der Grad der Ungewißheit, die Akzeptanz der Ungewißheit, die Zumutbarkeit der Ungewißheit“220. Risikoermittlung ist ein offener Prozeß, der als Risikomanagement neue Kommunikationsformen zwischen Verwaltung, Sachverständigen, Unternehmen und Öffentlichkeit verlangt und für den neue organisatorisch-institutionelle Rahmenbedingungen geschaffen werden müssen221.
2. Auftrag an das Recht 95 Die Verfassung setzt, unbeschadet aller neuen technologischen und erkenntnismäßigen Herausforderungen, auf die Kontinuität der Rechtsentwicklung. Ein „katechontischer“ Zuschnitt des Rechts ist folglich umweltpolitisch so wenig wie sonst veranlaßt (→ 1/32). Der Schutz soll sich innerhalb, nicht außerhalb des Rechts vollziehen. Das Recht ist folglich so zu gestalten, daß bestehende Ungewißheiten verringert und neues Wissen generiert werden kann: Recht als Rahmenordnung für Risikomanagement222. In Bezug genommen und in die Auftragserfüllung eingebunden werden alle auch sonst bekannten oder in der Entwicklung begriffenen Formen des Rechts: das innerstaatliche Recht, das Gemeinschaftsrecht und das Völkerrecht; Recht als materielle Entscheidungsregel, als 218 219
220 221 222
Scherzberg, VerwArch 1993, S. 484 (498). Vgl. Zacher, in: FS für Lerche, S. 107 (112 f.); Hoffmann-Riem, in: Hoffmann-Riem/ Schmidt-Aßmann/Schuppert, Reform des Verwaltungsrechts, S. 115 (165 f.); Di Fabio, Risikoentscheidungen, S. 113 f. Zacher, in: FS für Lerche, S. 107 (113). Ladeur, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann, Innovation und Flexibilität, S. 111 (122 ff.); Pitschas, in: Hart, Privatrecht im „Risikostaat“, S. 215 (bes. 232 ff.). Vgl. Scherzberg, in: Engel/Halfmann/Schulte, Wissen – Nichtwissen – Unsicheres Wissen, S. 113 (135 ff.); Schmidt-Preuß, in: Kloepfer, Kommunikation – Technik – Recht, S. 175 ff.
2. Abschnitt: Interessen, Verwaltungsaufgaben, Verantwortungsstrukturen
163
Verfahrensrecht und als Rahmenordnung. Die erforderlichen Innovationen des Rechts sollen in der Fortentwicklung schon vorhandener Ansätze, nicht in einem radikalen Bruch mit bestehenden Rechtsstrukturen gesucht werden. In der Langzeitwirkung wird sich das gleichwohl als nachhaltige Veränderung des Rechts niederschlagen223. 96 Systematisch lassen sich mit Arno Scherzberg vier Reaktionen des Rechts auf die genannten Fälle von Ungewißheit unterscheiden224: – Flexibilisierung und Temporalisierung: z.B. vorläufige Regelungen, Regelungen unter Vorbehalt, Beobachtungspflichten; – Entmaterialisierung des staatlichen Rechts: Technikklauseln („Stand von Wissenschaft und Technik“) mit Verweisen auf Kenntnisstände, die außerhalb staatlicher Rechtserzeugung liegen; – Delegation von Entscheidungsbefugnissen: erweiterte Aufgaben der normsetzenden und vollziehenden Verwaltung, Veränderungen der Anforderungen an die Gesetzesbestimmtheit; – Prozeduralisierung der Entscheidungsfindung: zum Gesetzesvorbehalt komplementäre Verfahrenssicherungen; Verfahren auch als „Prozeß sozialer Verständigung“. 97 Der von Art. 20a GG formulierte Vorrang des Gesetzgebers schließt Konkretisierungsaufgaben der vollziehenden und der rechtsprechenden Gewalt nach Maßgabe von Gesetz und Recht so wenig aus, wie das für das soziale Staatsziel gilt – im Gegenteil: Die gesetzesimmanenten Gestaltungsermächtigungen werden beim Umgang mit dem Risiko eher größer sein. Das gilt vor allem für die Exekutive225. In ihren Ermessensermächtigungen wird der Schutz der Lebensgrundlagen zu einer ubiquitären Größe, die das gesamte, nicht nur das umweltspezifische Fachrecht erfaßt, freilich nicht jede Abwägung überrollen darf, sondern sich je nach Nähebeziehung unterschiedlich stark zur Geltung bringen kann. Gesetzesunabhängige Eingriffsbefugnisse und neue subjektive Rechte begründet Art. 20a GG allerdings nicht. Wohl aber drängt er auf eine Nutzung der sonst verfügbaren Handlungsformen in ganzer Breite: „Multikausalität und Vernetzung erfordern eine neue Querschnittsorientierung. Ungewißheiten, Unsicherheiten und verstreutes Wissen gehen mit der Auflösung, Erweiterung und Verschränkung von Rechtspositionen einher. Dynamische Veränderungen, schleichende Entwicklungen und Allmählichkeitsschäden erfordern fortlaufende Beobachtung und eine Beschäftigung mit den Folgen eigenen und fremden 223
224 225
Ähnlich Kloepfer, DVBl 1996, S. 73 (79 f.); von einem „Strukturwandel des Verwaltungsrechts“ spricht Pitschas, in: Sommermann/Ziekow, Perspektiven der Verwaltungsforschung, S. 223 (240). In: Engel/Halfmann/Schulte, Wissen – Nichtwissen – Unsicheres Wissen, S. 113 (124 ff.). Zur gesteigerten Bedeutung administrativer Beurteilungsermächtigungen Di Fabio, Risikoentscheidungen, S. 460 ff.; Ladeur, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann, Innovation und Flexibilität, S. 111 (128 f.) mit dem Vorschlag eines Experimentierspielraums nach dem Muster planerischer Entscheidungen. Vgl. auch 4/63–66.
164
Drittes Kapitel: Verwaltungsaufgaben und besonderes Verwaltungsrecht
Handelns“226. Beobachtung, Information, die Unterhaltung von Netzwerken, in denen Kooperation mit Wirtschaft und Gesellschaft schnell aktualisiert werden kann, und die Schaffung von Anreizen, um Lernprozesse anzustoßen, werden neben den vertrauten Ordnungs- und Leistungsaufträgen zu neuen Verwaltungsaufgaben227. Wie schon das soziale Staatsziel, so erweitert auch Art. 20a GG die eigenständige Stellung der Exekutive innerhalb der Staatsfunktionen (→ 4/36–56).
C. Verwaltungstypen und Verwaltungsverantwortung 98 Das Verwaltungsrecht muß die Veränderungen der Verwaltungsaufgaben in mehreren Zwischenschritten, die eher durch Phantasie und Plausibilität als durch streng dogmatische Ableitungen bestimmt sind, in seine Systematik integrieren. Notwendige Zwischenschritte bilden die heuristischen Begriffe der Verwaltungstypenlehre (I) und die Ausdifferenzierung unterschiedlicher Arten staatlicher, insbesondere administrativer Verantwortung (II). Während die Typenlehre verschiedene dogmatische Grundsituationen untersucht, die das Verhältnis des einzelnen zur Verwaltung bestimmen, soll der Begriff der Verwaltungsverantwortung auf unterschiedliche Leistungsmodalitäten administrativer Aufgaben zuführen. Geht es ersterer darum, für spezifische Verwaltungssituationen Schutzbedürfnisse herauszuarbeiten, so dient eine Stufung der Verantwortung dazu, die Rollenverteilung zwischen Staat und Gesellschaft bereichsspezifisch zu analysieren, komplementäre Handlungsbereiche festzulegen und auf eine Abstimmung der Instrumente hinzuarbeiten. Beide Begriffe repräsentieren unterschiedliche Phasen der dogmatischen Entwicklung. Während die ältere Typenlehre am Schutz des einzelnen gegenüber der Verwaltung ausgerichtet ist, zielt die jüngere Lehre von den Verantwortungsstufungen auf die strukturellen Handlungsbedingungen der Verwaltung. Die Frage nach der Rolle des Rechts im „kooperativen Staat“ indiziert den aus „Verantwortungsgemeinschaften“ folgenden Entwicklungsbedarf des Verwaltungsrechts (III).
I. Die Lehre von den Verwaltungstypen 99 Der mit der Verwaltungstypenlehre verfolgte aufgabenbezogene Ansatz hat in der Verwaltungsrechtswissenschaft Tradition, seit Ernst Forsthoff in seiner Schrift „Die Verwaltung als Leistungsträger“ mit dem Begriff der Daseinsvorsorge soziologische Analyse und juristische Dogmatik zu verknüpfen unter226 227
So Hill, in: Böhret/Hill, Ökologisierung des Rechtssystems, S. 208 (209); ähnlich SRUGutachten 1994, Tz. 76. Zur Bedeutung der Kooperation im Rahmen des Art. 20a GG vgl. Pitschas, in: Lüder, Staat und Verwaltung, S. 269 (269 f.).
2. Abschnitt: Interessen, Verwaltungsaufgaben, Verantwortungsstrukturen
165
nahm228. Die Erkenntnisfortschritte, die mit einer solchen Methode der Annäherung zu erreichen sind, aber auch die Grenzen eines solchen Vorgehens lassen sich an der Wirkungsgeschichte dieses Begriffs recht gut erfassen229: Die Lehre von der Daseinsvorsorge hat die verwaltungsrechtliche Dogmatik dem Wandel der Staatsaufgaben geöffnet und sie von einer stark normativistischen zu einer institutionell-teleologischen Begriffsbildung geführt. Auf der anderen Seite ist der Begriff der Daseinsvorsorge stets unsicher geblieben. Bezeichnete er zunächst nur existenznotwendige Staatsleistungen, so wurden später darunter alle Leistungen der Verwaltung ohne Rücksicht darauf verstanden, ob sie lebensnotwendig sind oder nicht230. Auch wird zwischen einem engeren, auf Sach- und Dienstleistungen der Verwaltung bezogenen und einem weiteren, auch die Geld-, insbesondere die Sozialleistungen einbeziehenden Begriff der Daseinsvorsorge unterschieden231. Und ebenso ist bis heute umstritten, ob der Begriff eine dogmatische232 oder nur eine heuristische Funktion besitzt233. Trotz dieser Unsicherheiten hat der Begriff der Daseinsvorsorge der Verwaltungsrechtswissenschaft eine „neue Dimension“ erschlossen234, weil es gelang, die rechtlichen Sicherungsbedürfnisse des einzelnen gegenüber einer neuen und anders strukturierten großen Verwaltungsaufgabe auf den Punkt zu bringen. In dieser heuristischen Funktion kann eine Verwaltungstypenlehre dabei helfen, „einen neuen Zusammenhang treffender und gliedernder Begriffe zu entwickeln, welche eine systematische Darstellung erst ermöglichen“235. Der aus den einzelnen Referenzgebieten gewonnene Bestand an Rechtsinstituten, Regelungsmodellen und Problemstellungen läßt sich so unter übergreifenden Gesichtspunkten neu durcharbeiten.
228
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In zwei Kapiteln wiedergegeben auch in: Forsthoff, Rechtsfragen der Leistungsverwaltung, S. 22 ff. Zur nachfolgenden Entwicklung Pielow, Grundstrukturen öffentlicher Versorgung, S. 353 ff. Badura, DÖV 1966, S. 624 ff.; Meyer-Hesemann, Methodenwandel, S. 81 ff.; Pielow, Grundstrukturen öffentlicher Versorgung, S. 353 ff. Forsthoff, Verwaltungsrecht, S. 370 und 372: neben der wirtschaftlichen Tätigkeit in dem bezeichneten Sinne die hoheitliche Verwaltung, soweit sie bestimmungsgemäß dem einzelnen unmittelbar Leistungen und Vorteile zuwendet. So z.B. Rüfner, in: HStR Bd. 3, § 80 Rn. 6, der in den weiten Begriff der Daseinsvorsorge sogar die Garantie der öffentlichen Sicherheit und Ordnung einbeziehen will; gegen letztere Ausdehnung schon Forsthoff, Verwaltungsrecht, S. 370 Fn. 3. So Ronellenfitsch, in: HStR Bd. 3, § 84 Rn. 48. So Ossenbühl, DÖV 1971, S. 513 (516); Meyer-Hesemann, Methodenwandel, S. 104 ff.; mit weit. Nachw. Pielow, Grundstrukturen öffentlicher Versorgung, S. 379 ff.; R. Schmidt, Staat 2003, S. 225 (229 f.). Vermittelnd Rüfner, in: HStR Bd. 3, § 80 Rn. 51: kein Rechtsbegriff im strengen Sinne des Wortes und deshalb nur in sehr engen Grenzen Anknüpfungspunkt für Rechtsfolgen. So Badura, DÖV 1966, S. 624 (625); ähnlich E. R. Huber, in: FS für Forsthoff, S. 139: eine neue Epoche der Verwaltungsrechtslehre. Zur aktuellen politischen Virulenz des Begriffs vgl. den Bericht der EG-Kommission für den Europäischen Rat von Laeken „Leistungen der Daseinsvorsorge“ vom 17.10.2001, KOM (2001) 598. Forsthoff, Verwaltungsrecht, S. 369; vgl. auch Menger, DVBl 1960, S. 297 ff.
166
Drittes Kapitel: Verwaltungsaufgaben und besonderes Verwaltungsrecht
1. Ordnende und leistende Verwaltung 100 Dieses sind eingeführte Typenbegriffe, die ungeachtet mancher Übergänge und Gemeinsamkeiten als Gegensatzpaar dargestellt zu werden pflegen. Ordnende Verwaltung ist nach überliefertem Bilde diejenige Tätigkeit, der es um die Abwehr von Gefahren geht236. Die Verwaltung reagiert auf konkrete und überschaubare Situationen. Sie ist Überwachungsverwaltung, die mit punktuellen Zugriffen, insbesondere Geboten, Verboten und Eröffnungskontrollen, auf Gebieten tätig wird, die sich im übrigen nach ihren eigenen Gesetzmäßigkeiten entwickeln. Ordnende Verwaltung benutzt vorrangig imperative Instrumente. Sie setzt der privaten Interessenverfolgung Schranken. Daher ist sie typischerweise Eingriffsverwaltung in zweipoligen Verwaltungsrechtsverhältnissen237. Gesetzesvorbehalt, Bestimmtheitsgebot, Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage sind die Schutzmechanismen zwischen Ordnungspflichtigem und ordnendem Staat. 101 Die ordnende Verwaltung ist freilich in ihrem überkommenen Bilde nicht erstarrt. Moderne Ordnungsverwaltung denkt über die konkrete Gefahrenabwehr hinaus. Sie erfaßt auch den Gefahrenverdacht und greift in den Bereich der Risikovorsorge aus (→ 3/93)238. Zugleich aber wandeln sich ihre Rechtsinstitute: Das Handeln bleibt nicht auf den Einsatz imperativer Mittel begrenzt, sondern nutzt die Instrumente der Warnung und Empfehlung, der Vorabstimmung und Verständigung. Das zweipolige Eingriffs-Abwehr-Verhältnis hat sich zum mehrpoligen Rechtsverhältnis fortentwickelt. Als solche ist die ordnende Verwaltung kein überholter Verwaltungstyp, sondern Ausdruck zentral wichtiger und notwendiger staatlicher Aufgabenerfüllung, die auch auf neue Gefahrenpotentiale reagieren muß. Die Breite des Aufgabenfeldes reicht heute vom technischen Sicherheitsrecht bis zur vorbeugenden Verbrechensbekämpfung (→ 3/2). Geblieben ist trotz aller Erweiterungen freilich die Grundstruktur des Modells, ein Verteilungsprinzip, das vom Rechtseingriff her denkt und folglich in der Eingriffsminimierung eine wichtige Aufgabe des Rechts sieht. Von diesem Ansatz her fällt es schwer, z.B. den Bestandsschutz einmal erteilter Genehmigungen später einzuschränken, ein Bewirtschaftungsermessen anzuerkennen oder Mitwirkungslasten und Beweislastregelungen nach der Größe des Gefahrenpotentials statt nach der formalen Struktur des Verwaltungsverhältnisses zu bestimmen. 102 Leistende Verwaltung ist demgegenüber diejenige Tätigkeit, „die für die Lebensmöglichkeit und Lebensverbesserung der Mitglieder des Gemeinwesens sorgt, indem sie deren Interessenverfolgung durch Gewährungen unmittelbar fördert“239. Sie umgreift die staatliche, insbesondere die kommunale 236 237 238 239
Vgl. Ehlers, in: Erichsen/Ehlers, Verwaltungsrecht, § 1 Rn. 35 ff.; Maurer, Verwaltungsrecht, § 1 Rn. 15. Wolff/Bachof/Stober, Verwaltungsrecht, Bd. 1, § 3 Rn. 5; vgl. auch Faber, Verwaltungsrecht, § 20 vor I. Vgl. Möstl, Garantie für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, S. 391 ff. So Wolff/Bachof/Stober, Verwaltungsrecht, Bd. 1, § 3 Rn. 6.
2. Abschnitt: Interessen, Verwaltungsaufgaben, Verantwortungsstrukturen
167
Daseinsvorsorge, die Sozialverwaltung sowie die subventionierende Förderungsverwaltung. Gemeinsam ist allen Teilbereichen die Interessensituation der Teilhabe. Diese Teilhabe des Bürgers kann aus unterschiedlichen Gründen gefährdet sein. Dem soll das Recht vorbeugen, indem es funktionsgerechte Rechtsformen zur Verfügung stellt. Ging es am Beispiel der staatlichen Daseinsvorsorge um die Einbindung der privatrechtsförmigen Verwaltung, so sind heute Fragen gleichmäßiger Teilhabe an beschränkten Ressourcen, die Stabilität des Leistungsangebots und die Qualität der Leistung wichtige Regelungsinteressen. Die Schaffung subjektiver Leistungsrechte, das Dogma von der Selbstbindung der Verwaltung, der begünstigende Verwaltungsakt und seine Bestandskraft, der Verwaltungsvertrag sowie besondere Betreuungspflichten sind Antworten des Verwaltungsrechts auf diese Regelungsbedürfnisse240. Auch hier ist die Entwicklung freilich nicht bei zweipoligen Verwaltungsrechtsverhältnissen als Ausdruck einfacher, punktueller Rechtsbeziehungen stehengeblieben, sondern hat die Dauerhaftigkeit und Mehrpoligkeit von Rechtsverhältnissen herausgearbeitet (→ 3/104–106). Auch hier gebieten die erkennbaren Belastungsfolgen, die Leistungen bei Dritten, z.B. Konkurrenten oder Refinanzierungspflichtigen, auslösen können, einem leichtfertigen Umgang mit Leistungswünschen rechtlich gegenzusteuern.
2. Neuere Typenbegriffe 103 Die Entwicklungen der Verwaltungsaufgaben und der mit ihnen verbundenen verwaltungsrechtlichen Regelungserfordernisse werden heute durch weitere Typenbegriffe charakterisiert. Als „Leitbilder des Verwaltungshandelns“ (Fehling) können ihnen spezifische Regelungsaufgaben zugewiesen werden, die auf typische Rechtsprobleme zuführen241. So will der Begriff der „Infrastrukturverwaltung“ auf das Verwaltungshandeln in mehrpoligen Rechtsverhältnissen aufmerksam machen, dem sich Pläne und Normsetzungsakte als typische Handlungsformen zuordnen lassen242. In jüngerer Zeit hat sich der Begriff der Gewährleistungsverwaltung als fruchtbar erwiesen (→ 3/114–117).
a) Lenkende Verwaltung 104 In ähnlichem Sinne wird hier von lenkender Verwaltung gesprochen. Der Begriff soll die Erscheinungen einer breiter angelegten Steuerung und Förderung ganzer Bereiche des sozialen, wirtschaftlichen oder kulturellen Lebens kennzeichnen243. Lenkende Aufgaben können sich aus der ordnenden oder aus 240 241 242 243
Vgl. Faber, Verwaltungsrecht, §§ 24–30; Schenke, DÖV 1989, S. 365 ff.; SchmidtAßmann, VR 1989, S. 37 ff. Vgl. – freilich in einem spezifischen Kontext – Fehling, Verwaltung zwischen Unparteilichkeit und Gestaltungsaufgabe, S. 189. Grundlegend Faber, Verwaltungsrecht, §§ 19, 31–34; enger Hermes, Infrastrukturverantwortung, S. 164 ff. Badura, DÖV 1966, S. 624 (630); Maurer, Verwaltungsrecht, § 1 Rn. 17; als gestaltende oder planende Verwaltung bei Brohm, VVDStRL Bd. 30, S. 245 (258 ff.).
168
Drittes Kapitel: Verwaltungsaufgaben und besonderes Verwaltungsrecht
der leistenden Verwaltung entwickeln. Sie sind Ausdruck einer gesteigerten staatlichen Verantwortung, die es nicht bei der Steuerung von Einzelfällen bewenden läßt, sondern Konzepte verlangt. Das wiederum ist eine Antwort auf eine Verknappung gesellschaftlicher und staatlicher Ressourcen und auf eine ökologische und ökonomische Wirkungsforschung, die die Folge-, Fern- und Drittwirkung allen Handelns in das Bewußtsein gehoben hat. Standortgenehmigung und Subventionsbescheid sind eben nicht nur begünstigende Entscheidungen, sondern lösen in einer bestimmten Umwelt- oder Marktsituation oft weitreichende Folgewirkungen aus. Sie müssen ebenso wie die Entscheidungen von Regulierungsbehörden die Interessen der Marktteilnehmer, der konkurrierenden Anbieter, Nutzer und Verbraucher, einbeziehen und zum Ausgleich bringen (→ 3/53). 105 Verwaltungsrechtlicher Ausdruck administrativer Lenkung ist die komplexe Verwaltungsentscheidung. Sie soll ein Beziehungsgeflecht unterschiedlicher – divergenter und konvergenter, konkurrierender und kollidierender – Interessen regeln. Auf Seiten der Verwaltung sind an ihrem Erlaß oft mehrere Stellen beteiligt. Als komplex erweisen sich regelmäßig auch die einschlägigen Rechtsgrundlagen, die aus ganz unterschiedlichen Gesetzen erst zu einem Entscheidungsprogramm zusammengefügt werden müssen und erhebliche Prognose-, Gestaltungs- und Abwägungsspielräume enthalten244. Das Bedürfnis nach gesetzeskonkretisierenden Vorgaben einer mittleren Entscheidungsebene ist folglich groß. Das für komplexe Entscheidungen bekannte Raumordnungs- und Baurecht hat hierauf mit der Ausbildung eines gestuften Planungssystems reagiert, das die einzelne Entscheidung in einen Ableitungszusammenhang zu stellen versucht (→ 6/97)245. In anderen Bereichen fehlen solche Abstützungen. Die Aufgabe der Exekutive, eine situations- und interessengerechte Entscheidung zu treffen und dafür Akzeptanz zu finden, kann dann über ihre Leistungsfähigkeit hinausgehen. Dieses gilt um so mehr, als die Konnexität der Entscheidungsinhalte spätere Kontrollen und Korrekturen erheblich erschweren kann. 106 Die dogmatische Bewältigung komplexer Verwaltungsentscheidungen ist in Angriff genommen, aber noch nicht abgeschlossen246: Die Rechtsverhältnislehre versucht, die komplexen Interessenstrukturen in mehrpoligen Verwaltungsrechtsverhältnissen abzubilden, in denen die Verwaltung die Pflicht zu gleichmäßig-neutraler Berücksichtigung aller Belange hat, während den Beteiligten auch untereinander bestimmte Rücksichtnahmepflichten und Mitwirkungslasten entstehen können. In der Rechtsformenlehre ist es vor allem der Verwaltungsakt mit Doppelwirkung, der solchen Entscheidungen eine Darstellungsform 244 245
246
Dazu Schmidt-Aßmann, VVDStRL Bd. 34, S. 221 (223–227); Hoppe, in: FG 25 Jahre BVerwG, S. 295 (297–299); J. Burmeister, UTR 1988, S. 121 ff. Vgl. die Raumordnungsklauseln (z.B. § 1 Abs. 4 BauGB, § 4 Abs. 1 ROG), ferner die Entwicklungsklausel des § 8 Abs. 2 und den Grundsatz der Planakzessorietät in § 8 Abs. 1 S. 2 BauGB. Dazu Hoppe/Bönker/Grotefels, Öffentliches Baurecht, § 3 Rn. 14 ff.; § 5 Rn. 56 ff. und 166 ff. Grundlegend Schmidt-Preuß, Kollidierende Privatinteressen, S. 495 ff. und 550 ff.
2. Abschnitt: Interessen, Verwaltungsaufgaben, Verantwortungsstrukturen
169
gibt (→ 6/110). Die Beispiele reichen vom baurechtlichen Dispens über Verteilungsentscheidungen des Subventionsrechts zu Anlagengenehmigungen und marktregulierenden Entscheidungen des Energie- und Verkehrsrechts. Über den Begriff des Verwaltungsakts haben sich gemeinsame Standards einer Verfahrens-, Bestandskrafts-, Fehler- und Rechtsschutzlehre entfalten lassen. Für komplexe Verwaltungsentscheidungen in anderen Rechtsformen sind die Systemfolgen weniger sicher. Möglichkeiten, Lenkungsverwaltung in mehrseitigen Verwaltungsverträgen zu erfassen, sind bisher noch wenig erforscht, obwohl die Praxis z.B. im Sozialrecht zahlreiche Typen komplexer Verträge, Abreden und Verhandlungssysteme kennt (→ 3/90; 6/120–121).
b) Vermittelnde Verwaltung 107 Von vermittelnder Verwaltung soll dort gesprochen werden, wo die Verwaltung nicht in ihrer Entscheidungsfunktion, sondern in Beratung, Informationsvermittlung oder Organisationshilfe hervortritt. Erscheinungsformen vermittelnder Verwaltung sind zuerst im Sozialverwaltungsrecht, z.B. bei den sozialen Diensten, systematisch erfaßt worden247. Sie sind aber auf das Sozialwesen nicht begrenzt. Anschaulich zeigt z.B. das bad.-württ. Mittelstandsförderungsgesetz248 mögliche Handlungsformen vermittelnder Verwaltung: Unternehmensberatung, Kooperationsförderung, Information, Dokumentation, Mittelstandsforschung, Erschließung ausländischer Märkte. Administrative Projektberater und Dienste, für die die Bezeichnung eines Managements üblich geworden ist, sind ebenfalls hierher zu zählen. 108 Systematisch gehört die vermittelnde Verwaltung in einen Zusammenhang mit den Begriffen der Selbstverantwortung und der Selbstorganisation, denen gegenüber sie die komplementäre Rolle der Administration ins Spiel bringt249. Vermittelnde Verwaltung kann so auf eine „Dogmatik des selbstregulativen Sozialstaates“ zuleiten250. Nur auf den ersten Blick scheinen ihre Wirkungen dem Verwaltungsrecht weniger abzuverlangen als die Mittel der direkten Verhaltenssteuerung Befehl und Zwang. Genauer betrachtet führen sie nicht zu geringeren, sondern zu anderen Gefährdungen251. So stellen sich Fragen der Neutralitätssicherung für eine Verwaltung, die zunächst engagiert vermittelt hat, 247 248 249
250 251
Dazu Pankoke, DV 1988, S. 429 ff. Gesetz vom 19.12.2000 (GBl S. 745). § 5 Abs. 1 bad.-württ. MFG: „Die Selbsthilfe geht der staatlichen Förderung vor“. Vgl. Pankoke, DV 1988, S. 429 (431); Hufen, VVDStRL Bd. 47, S. 142 (156 f.); auch Schuppert, AöR 1989, S. 127 (141 f.). Vgl. Hoffmann-Riem, Diskussionsbeitrag, VVDStRL Bd. 47, S. 210 (212); dort S. 219 auch mein Hinweis auf den Begriff der vermittelnden Verwaltung. Dazu anschaulich Pankoke, DV 1988, S. 429 (434 ff.). Vgl. auch den Diskussionsbeitrag von Suhr, VVDStRL Bd. 47, S. 219 f.: Asymmetrien der justitia commutativa in der Welt der Selbstregulierung, die später mit großem Aufwand an Normen, Leistungen und Freiheitsbeschränkungen mit den Mitteln der leistungsstaatlichen justitia distributiva nachgebessert werden müssen.
170
Drittes Kapitel: Verwaltungsaufgaben und besonderes Verwaltungsrecht
dann aber distanziert entscheiden soll. Darauf ist bei der Ausgestaltung eines dem Vermittlungsziel adäquaten Verwaltungsverfahrensrechts zu achten.
II. Stufungen staatlicher Verantwortung 109 Der Begriff der Verantwortung umgreift in öffentlich-rechtlichen Untersuchungszusammenhängen mindestens drei Relationen252: das Verhältnis von staatlicher Aufgabenerfüllung zur gesellschaftlichen Aufgabenwahrnehmung, das Verhältnis der Staatsfunktionen zueinander und schließlich das inneradministrative Verhältnis mehrerer an der Erfüllung der Verwaltungsaufgaben beteiligter Verwaltungseinheiten. Im vorliegenden Kontext geht es um die erste Bedeutungsschicht. Verantwortung nimmt hier das ganze Spektrum öffentlicher Aufgaben in den Blick und will die Art und das Maß bestimmen, mit denen der Staat im Verhältnis zum privaten Sektor in die Erfüllung eingebunden ist253. Verantwortung fungiert dabei als heuristischer Begriff: Er leitet darauf zu, eingespielte Handlungspraxen, neue Schutzbedürfnisse und bestehende Aufgabenund Organisationsvorschriften gebietsspezifisch in Beziehung zu setzen. Rechtsdogmatische Konsequenzen können aus ihm nur gezogen werden, wenn eine entsprechende normative Basis besteht, die durch staatstheoretische Überlegungen verdeutlicht und angereichert, nicht aber ersetzt werden kann254. Als solcher hat sich der Begriff der Verantwortung in der jüngeren verwaltungsrechtlichen Diskussion als wissenschaftlich fruchtbar erwiesen, selbst wenn Mahnungen vor normativer Überforderung ernstzunehmen sind255. 110 In dem genannten Spektrum lassen sich die Eckpositionen durch die Begriffe der „Erfüllungsverantwortung“ und der „Auffangverantwortung“ kennzeichnen256. Zwischen beiden liegt die Gewährleistungsverantwortung (→ 3/114). In gewisser Weise quer zu diesem die Stellung speziell der Verwaltung betreffenden Spektrum liegt die Rahmenverantwortung als Ausdruck der Grundverantwortung des Staates für einen gemeinwohlverträglichen Interessenausgleich unter Privaten257. Sie ist ein Thema der staatlichen Gesetzgebung und wird primär durch 252
253
254 255 256 257
Systematisch Hoffmann-Riem, in: FS für Vogel, S. 47 ff. Vgl. auch Schmidt-Aßmann, VVDStRL Bd. 34, S. 221 (231 ff.: Verwaltungsverantwortung und Verwaltungsgerichtsbarkeit). Zur staatstheoretischen und rechtlichen Seite des Verantwortungsbegriffs ferner Pitschas, Verwaltungsverantwortung, bes. S. 240 ff. Zur Struktur des Verantwortungsbegriffs Sachs, DVBl 1995, S. 873 (876 ff.); Voßkuhle, VVDStRL 62, S. 266 (270 Fn. 10). Vgl. dazu nur die Beiträge in: Schuppert, Jenseits von Privatisierung und „schlankem“ Staat, insbes. Trute, dort S. 13 ff. („Verantwortungsteilung als Schlüsselbegriff“) und Voßkuhle, dort S. 47 ff.; Schuppert, Verwaltungswissenschaft, S. 400 ff. („Denken in Verantwortungsstufen“); Pielow, Grundstrukturen öffentlicher Versorgung, S. 344 ff. Trute, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann, Öffentliches Recht und Privatrecht, S. 167 (198); Hoffmann-Riem, DVBl 1996, S. 225 (229 ff.). Dazu grundlegend Röhl, DV 1999, Beiheft 2, S. 33 ff. Schuppert, Verwaltungswissenschaft, S. 404. So Trute, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann, Öffentliches Recht und Privatrecht, S. 167 (198).
2. Abschnitt: Interessen, Verwaltungsaufgaben, Verantwortungsstrukturen
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die Schaffung privatrechtlicher Vorschriften unter Einschluß des Sonderprivatrechts, z.B. des Mieter- und Verbraucherschutzrechts, erfüllt (→ 6/14–15). Auch die Realisierung gründet auf privatrechtlichen Ansprüchen, die der Durchsetzung im Zivilrechtsweg überlassen werden. Verbandsklagen und Verbraucherberatung zeigen freilich auch in diesem Bereich Übergangserscheinungen, zunächst Formen gemeinschaftlicher privater Interessenverfolgung und – auf der Skala der Intensität staatlichen Engagements fortschreitend – gegebenenfalls auch administrative Kompetenzen. Das Wettbewerbsrecht macht diesen Übergang zwischen privatorganisiertem Schutz vor unlauterem Wettbewerb und dem administrativen Schutz durch Wettbewerbsaufsicht anschaulich. Schon hier werden die Verzahnungen und bis zu einem gewissen Grade die Austauschbarkeit zwischen privatrechtlichen und verwaltungsrechtlichen Gestaltungsformen deutlich (→ 6/28–31).
1. Erfüllungsverantwortung und Auffangverantwortung 111 Die Erfüllungsverantwortung umschreibt im Verantwortungsspektrum Fälle, in denen der betreffende Sozialbereich ganz in staatliche, d.h. vor allem administrative Regie genommen worden ist258. Die verwaltungsrechtlichen Schutzerfordernisse richten sich nach den rechtlich vorgesehenen und praktisch eingespielten Erfüllungsmodalitäten. Sie kennzeichnen typische Arbeitsschritte und Arbeitszusammenhänge bei der Aufgabenerledigung, die bestimmte personelle, technische und organisatorische Vorkehrungen verlangen. So lassen sich z.B. Vollzugsaufgaben, Planungsaufgaben und Kontrollaufgaben unterscheiden. Erfüllungsmodalitäten können aber auch nach Entscheidungsaufgaben, Realleistungsaufgaben oder Finanzierungsaufgaben differenziert werden. Schon diese Unterscheidungen zeigen, daß sich selbst in denjenigen Bereichen, für die die Verwaltung die Erfüllungsverantwortung trägt, auch gewisse private Aktivitäten finden. So verlangt die Erfüllung der meisten Leistungsaufgaben oft mindestens eine Ausführungshilfe privater Unternehmen, die freilich auf technische Handreichungen begrenzt sein muß und keine eigenen Entscheidungsfunktionen umgreifen darf. 112 Die Auffangverantwortung (Einstandsverantwortung) ist der Gegenpol. Sie tritt zunächst nicht mit eigenen administrativen Aktivitäten in Erscheinung. Erst wenn in einem bestimmten Bereich Gefahrenlagen oder gravierende Versorgungslücken auftreten, wird Auffangverantwortung wirksam und hält die Verwaltung an, im Wege der „Ersatzvornahme“ selbst entsprechende Leistungen anzubieten oder für ihre Beschaffung konkret Sorge zu tragen259.
258
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So auch Schuppert, Verwaltungswissenschaft, S. 404 mit dem Hinweis auf die klassischen Ressorts Inneres, Äußeres, Verteidigung, Finanzen und Justiz; Hoffmann-Riem, in: FS für Vogel, S. 47 (52 ff.). Hoffmann-Riem, in: FS für Vogel, S. 47 (54 f.).
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Drittes Kapitel: Verwaltungsaufgaben und besonderes Verwaltungsrecht
2. Zwischenstufen 113 Zwischen diesen Eckpunkten spannt sich mit gleitenden Übergängen das Spektrum unterschiedlicher Verantwortungsarten260. Die Literatur unterscheidet u.a. eine Überwachungsverantwortung, eine Beobachtungsverantwortung, eine Förderungs- bzw. Finanzierungsverantwortung, eine Beratungsverantwortung und eine Organisationsverantwortung. Schreitet die Verwaltung zu Privatisierungen, so kann eine Folgenverantwortung entstehen, die Umstellung der Marktstrukturen zu beobachten und übergangsbedingten Versorgungsmängeln abzuhelfen261. Begibt sie sich in ein enges Kooperationsverhältnis mit Verbandsmächten und ist sie bereit, wichtige dort getroffene Entscheidungen zu übernehmen oder mit allgemeiner Anerkennung auszustatten, wie das bei der technischen Normung geschieht, so veranlaßt eine Organisations- und überwirkende Legitimationsverantwortung darauf zu sehen, daß ein hinreichend breites Interessenspektrum in den Verbandsstrukturen repräsentiert ist (→ 2/101; 5/60). Gerade der kooperative Staat verlangt nach solchen Sicherungen, um partikulare Interessen und verbandsstrategisches Verhalten zu disziplinieren. Hans-Heinrich Trute unterscheidet im Kooperationsbereich typisierend eine staatliche Verantwortung für das Kooperationsergebnis, eine Gewährleistungsverantwortung bei privater Leistungserbringung und eine Regulierungs- und Koordinationsverantwortung im Blick auf Wirtschaft und Infrastruktur262. „Die Sicherung von praktischer Konkordanz der verschiedenen Interessen im multipolaren und multidimensionalen Interessenfeld soll möglich bleiben“263.
3. Insbesondere: Gewährleistungsverantwortung 114 Eine besondere Karriere hat der Begriff der Gewährleistungsverantwortung gemacht264: Gewährleistungsverantwortung wird wirksam, wenn die Exekutive – regelmäßig im Rahmen gesetzlicher Vorgaben – darauf hinwirkt, daß öffentliche Aufgaben von Privaten gemeinwohlförderlich wahrgenommen werden. Es handelt sich um Vorgänge gemeinsamer staatlich-gesellschaftlicher Gemeinwohlkonkretisierung. Verwandte Begriffe aus dem Umfeld sind die „regulierte Selbstregulierung“, die „kooperative Verwaltung“, die „funktionale Privatisierung“ und die „public-private-partnership“. Soweit von einer Verantwortungsteilung gesprochen wird265, muß bedacht werden, daß die Verantwor260 261 262 263 264 265
Vgl. Ritter, in: Schmidt-Aßmann/Hoffmann-Riem, Verwaltungsorganisationsrecht, S. 207 (231 ff.); Schuppert, Verwaltungswissenschaft, S. 403 f. Dazu Bauer, VVDStRL Bd. 54, S. 243 (279 f.). In: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann, Öffentliches Recht und Privatrecht, S. 167 (199 ff.). So Hoffmann-Riem, DVBl 1996, S. 225 (230). Zum folgenden systematisch grundlegend Voßkuhle, VVDStRL Bd. 62, S. 266 ff.; ferner Weiß, DVBl 2002, S. 1167 ff. Dazu die Nachw. bei Voßkuhle, VVDStRL Bd. 62, S. 266 (285 mit Fn. 63).
2. Abschnitt: Interessen, Verwaltungsaufgaben, Verantwortungsstrukturen
173
tung der Verwaltung für das öffentliche Wohl wegen der Rechtfertigungsbedürftigkeit allen staatlichen Handelns (→ 1/21) eine originäre ist, während Private auch bei der Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben grundrechtliche Freiheiten, nicht aber öffentliche Pflichten wahrnehmen; eine Verantwortung im Sinne einer Verantwortungsteilung erwächst ihnen erst sekundär durch vertragliche Übernahme oder Übertragung durch Rechtssatz. 115 Die Gewährleistungsverantwortung ist der Ausgangspunkt für eine breite Palette administrativer Aktivitäten, die darauf zielen, privatautonomes und privatwirtschaftliches Handeln auch für die Förderung öffentlicher Zwecke zu nutzen266: – Oft genügt es dazu, daß Interessen der Eigenüberwachung als Anknüpfungspunkt genommen und durch eine hinzutretende staatliche Aufsicht verstetigt werden (Überwachungsverantwortung)267. Beispiele bieten die Banken- und Versicherungsaufsicht sowie die deregulierte Bauaufsicht. Auch das Umweltmanagement nach der VO (EG) Nr. 761/2001 und das Zusammenspiel von Zertifizierung und Akkreditierung (→ 3/55–57) gehören hierher. – In anderen Fällen werden private Unternehmen über ihren autonom bestimmten Tätigkeitsbereich hinaus mit öffentlich veranlaßten Zusatzaufgaben betraut. Besonders deutlich wird das bei der Auferlegung von Universaldienstleistungen nach § 18 TKG (→ 3/49–54). Nicht selten drückt sich Gewährleistungsverantwortung auch in der Schaffung gemeinsamer Einrichtungen oder im Abschluß von Kooperationsverträgen aus, in denen sich die Verwaltung besondere Direktionsrechte vorbehält. 116 Die Vielfalt von Aktivitäten, in der Gewährleistungsverantwortung wahrgenommen wird, rechtfertigt es, Gewährleistungsverwaltung als eigenen Verwaltungstyp zu behandeln. Sie steht neben der ordnenden und der leistenden Verwaltung (→ 3/100–102). In vielen Punkten gibt es Gemeinsamkeiten mit der lenkenden Verwaltung, insofern es auch die Gewährleistungsverwaltung regelmäßig mit mehrpoligen Interessenkonstellationen, mit Grundrechten als Abwehrund als Schutzrechten, mit Fragen des Drittschutzes und komplexen Verwaltungsentscheidungen zu tun hat (→ 3/104–106). Entscheidend aber ist für die Gewährleistungsverwaltung, daß es ihr um eine gemeinsame Gemeinwohlkonkretisierung mit Privaten geht. Private Initiativen und private Rationalitätskriterien werden nicht durch ein von der Verwaltung bestimmtes Gemeinwohl überformt und damit „etatisiert“. Vielmehr bleiben sie in ihrer eigenen Dynamik erhalten. „Soll die hierzu angestrebte Parallelschaltung von privaten und öffentlichen Interessen dauerhaft gelingen, müssen die Funktionsfähigkeit von Staat und Gesellschaft und die Eigenrationalität beider Subsysteme erhalten bleiben“268. Die Grundlinie einer Gewährleistungsverwaltung läßt sich durch folgende vier Punkte bestimmen: 266 267 268
Vgl. Schuppert, Verwaltungswissenschaft, S. 406 ff. und 898 ff. Ewer, in: Nolte, Kontrolle im verfassten Rechtsstaat, S. 145 ff. Voßkuhle, VVDStRL Bd. 62, S. 266 (307).
174
Drittes Kapitel: Verwaltungsaufgaben und besonderes Verwaltungsrecht
– Erhalt der Eigenrationalität beider Subsysteme, d.h. einerseits der staatlichen Neutralität und andererseits der gesellschaftlichen Spontanität. – Erhalt der Flexibilität gegenüber einmal getroffenen gemeinsamen Arrangements. – Notwendigkeit der fortgesetzten Selbstbeobachtung in beiden Teilsystemen, die mit einer Tendenz zur Publizität verbunden ist. – Strukturbildung mit Hilfe staatlicher Gesetze, die dem Regelungszusammenhang Zielvorgaben und Rahmen bieten, ihn aber nicht zementieren. 117 Das sich ausbildende Gewährleistungsverwaltungsrecht muß die große Zahl positiv-rechtlicher Ansätze, die sich im Fachrecht bereits finden, zu Rechtsinstituten ausformen. Das Verwaltungsrecht wird auch künftig ein Recht der ordnenden, leistenden, lenkenden, planenden Verwaltung sein (→ 3/100–108). Aber es wird auch ein Recht der Gewährleistungsverwaltung sein müssen! Die Grundzüge eines solchen Rechts sind systematisch von Andreas Voßkuhle entwickelt worden269: Ein solches Recht wird im Rahmen finaler und strukturgebender Gesetzesvorgaben vor allem auf verfahrens- und organisationsrechtliche Arrangements setzen müssen. Es wird nicht nur öffentliches Recht sein, sondern privatrechtliche Gestaltungsmittel einzubeziehen und mit dem Gedanken funktionaler Äquivalente zu arbeiten haben (→ 6/28–31). Als Regelungsaufträge der Dogmatik lassen sich nennen: – die Ausformung von Instrumenten der Qualitäts- und Ergebnissicherung privater Leistungserbringung, – Verfahren zur Qualifikation und Auswahl privater Kooperationspartner, – Drittschutz für Konkurrenten, Nutzer und Verbraucher, – Mechanismen zur Gewährleistung notwendiger Evaluationen und Lernbereitschaft, – effektive staatliche Rückholoptionen.
III. Recht im „kooperativen Staat“ 118 Als Steuerungswissenschaft sieht sich die Verwaltungsrechtswissenschaft durch die Erscheinungsformen des „kooperativen Staates“ besonders herausgefordert270. Kooperationsvorgänge scheinen die Unterscheidung von Kompetenz und Freiheit überspielen zu wollen. Wichtige Systemzäsuren des Verwaltungsrechts und die darauf gegründete Zuordnung rechtsstaatlicher Schutzmechanismen sehen sich so in Zweifel gezogen.
269 270
Zusammenfassend in: VVDStRL Bd. 62, S. 266 (310 ff.) Grundlegend Ritter, in: Grimm, Wachsende Staatsaufgaben, S. 69 ff.; früher schon ders., AöR 1979, S. 389 ff.; Pitschas, Verwaltungsverantwortung, S. 275 ff. Zu weit. Nachw. vgl. Dose, Verhandelnde Verwaltung, S. 17 ff.; Morlok, VVDStRL Bd. 62, S. 37 (42 ff.); Schuppert, Staatswissenschaft, S. 317 ff.; Scherzberg, Wozu noch öffentliches Recht?, S. 10 ff.
2. Abschnitt: Interessen, Verwaltungsaufgaben, Verantwortungsstrukturen
175
1. Der Befund kooperativen Handelns 119 Freilich ist das Phänomen des kooperativen Staates so neu nicht, wie es zuweilen dargestellt wird271. Wahrscheinlich war das Sozialmodell einer vom Staat strikt getrennten Gesellschaft in der Verwaltungspraxis niemals eine Realität und erscheint nur deshalb als eine solche, weil das Verwaltungsrecht entsprechende Übergangserscheinungen nicht hat zur Kenntnis nehmen wollen. Neu aber ist der Umfang, in dem eine „kooperative Verwaltung“ heute agiert272: Eine ausgedehnte Praxis der Verwaltungsverträge steht neben Abreden und Absprachen minderen Verbindlichkeitsgrades; dazu getreten ist der Aufbau komplexer Verhandlungssysteme z.B. im Gesundheits- und im Umweltrecht. Der Gesetzesvollzug ist ebenso erfaßt wie die Normsetzung. Punktuelle Kontakte haben sich längst zu Dauerbeziehungen fortentwickelt. Einzelentscheidungen sind in kooperative Verfahrensgestaltungen übergeleitet worden273. Die Normsetzungsebene ist durch Absprachen bestimmt274. In allen untersuchten Referenzgebieten hat sich der Kooperationsgedanke als virulent erwiesen. Verhandlungslösungen sind allgegenwärtig; verhandlungsresistente Gebiete gibt es praktisch nicht275. Die Politik der Privatisierung erweitert die Kooperationstatbestände. Die häufig anzutreffende Abfolge von einer Organisations- zur späteren Aufgabenprivatisierung führt über zahlreiche Zwischenschritte, die nur in Kooperation mit privaten Leistungsanbietern vollzogen werden können. Viele Privatisierungen verabschieden den Staat nicht aus der Arena, sondern stellen seine Handlungsweisen auf Kooperation um276. Verträge und gemischt-wirtschaftliche Unternehmen sind ihre typischen Gestaltungsmittel. Auch hier gehen starke Entwicklungsimpulse vom EG-Recht aus277. Beispiele bilden das Telekommunikationsund das Energierecht. 120 Die Arbeitsweisen kooperativer Verwaltung verändern die Steuerungsansätze des Verwaltungsrechts. Ernst-Hasso Ritter hat diese Veränderungen durch mehrere Trends charakterisiert278: Unter ihnen stellt die Entwicklung vom hierarchischen Recht zum vereinbarten Recht den Hauptpunkt dar, in dem der hoheitliche Rechtsvollzug durch Überzeugungs- und Überredungsstrategien und die Rechtsbindung durch eine sozial-normative Bindung ergänzt oder sogar partiell ersetzt werden. Weitere Entwicklungen verlaufen von der Vollsteuerung zur bloßen Teilsteuerung und vom dauerhaften Recht zu einem auf rasche Situations271 272 273 274 275 276 277 278
So zutreffend Benz, Kooperative Verwaltung, S. 13 unter Bezugnahme auf Forsthoff. Dazu Benz, Kooperative Verwaltung, S. 23 ff.; ferner die Beiträge in Dose/Voigt, Kooperatives Recht; Dose, Verhandelnde Verwaltung, insbes. S. 199 ff. J.-P. Schneider, VerwArch 1996, S. 38 ff. Michael, Rechtsetzende Gewalt, S. 47 ff. Schmidt-Aßmann, in: Riedel, Die Bedeutung von Verhandlungslösungen im Verwaltungsverfahren, S. 21 (23 f.). Ebenso Dreier, DÖV 2002, S. 537 (542). Dazu R. Schmidt, DV 1995, S. 281 ff. In: Grimm, Wachsende Staatsaufgaben, S. 69 (82 ff.).
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Drittes Kapitel: Verwaltungsaufgaben und besonderes Verwaltungsrecht
änderungen reagierenden „Recht auf Zeit“. Oft ist kooperatives Handeln mit informalem Handeln verbunden: von der Anordnung zur Vorabverständigung, vom Rechtsetzungsverfahren zur Normsetzungsabsprache. In der Tradition einseitig hoheitlich gesetzten Rechts wird der „kooperative Staat“ oft als Schwächung überkommener Wohlgeordnetheit interpretiert, weil – wie es heißt – „wesentliche Rationalitätsvorkehrungen“ unterlaufen werden, die die Verfassung im Interesse der Legitimität von Herrschaft getroffen hat279. Das mag für die staatspolitische Ebene zutreffen, selbst wenn auch dort die Realität des kooperativen Staates keinem Idealbild eines von allen Bindungen freien Parlamentarismus kontrastiert werden darf 280. Für die Ebene der gesetzesdirigierten Verwaltung dürfen die Gefahren nicht überzeichnet werden. Es handelt sich oft eher um eine Verlagerung zwischen den Steuerungsansätzen des Rechts. Dabei ist ein Bedeutungszuwachs des Verfahrens- und Organisationsrechts festzustellen281. Auch über neue Formen externer und interner Verwaltungskontrollen ist nachzudenken (→ 4/71 ff.). Eine Kapitulation des Rechts vor den Erscheinungen des kooperativen Staates ist nicht angezeigt. Vielmehr muß es darum gehen, die „neue Verwaltungswirklichkeit in das Verwaltungsrecht zurückzuführen“282. Eine durchgängige Re-Etatisierung ist damit freilich nicht gemeint.
2. Die Normalität kooperativen Handelns 121 Dazu verläßliche normative Grundlagen zu finden, fällt freilich nicht leicht. Mit einzelnen Einpassungsvorschlägen ist es nicht getan. Gefragt ist vielmehr, ob und inwieweit Kooperation eine legitime Perspektive staatlichen Handelns sein kann und damit auch zur Normalität verwaltungsrechtlicher Dogmatik gehören darf. Zu einseitig hat sich die Lehre vom öffentlichen Recht bisher auf ein hierarchisch geprägtes Konzept staatlicher Ordnung ausgerichtet, in dem das Gesetz und der Gesetzesvollzug, die Einheit der Verwaltung und die Mittel einseitiger regulatorischer Steuerung die bestimmenden Elemente waren (→ 5/3–6). Das dabei vorausgesetzte umfassende Steuerungswissen des Staates aber ist nach Art und Umfang so nicht vorhanden. Die Beobachtungen der Praxis zeigen, daß Kooperation zu den Funktionsbedingungen staatlichen Regelns gehört. Nur in Zusammenarbeit zwischen Staat und Gesellschaft lassen sich jene Informationen gewinnen, die Steuerung z.B. im Umweltrecht überhaupt erst ermöglichen283. Dazu genügen punktuelle Kontakte nicht. Vorausgesetzt werden vielmehr eingespielte, dauerhafte Handlungspraxen, in denen Probleme gemeinsam identifiziert und Lösungen gemeinsam erarbeitet werden. Das polyzentrisch angelegte staat279 280 281 282 283
So Grimm, in: HStR Bd. 1, 3. Aufl., § 1 Rn. 79 ff. Abgewogen dazu Mehde, AöR 2002, S. 655 ff. Schulze-Fielitz, DVBl 1994, S. 657 (664 ff.); aus verwaltungswissenschaftlicher Sicht Benz, Kooperative Verwaltung, S. 318 ff. So im Ansatz zutreffend Di Fabio, VVDStRL Bd. 56, S. 235 (242). Ladeur, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann, Verwaltungsrecht in der Informationsgesellschaft, S. 225 (233 ff.).
2. Abschnitt: Interessen, Verwaltungsaufgaben, Verantwortungsstrukturen
177
liche Entscheidungsgefüge (→ 5/33–52) findet in unterschiedlich dichten Netzen staatlich-gesellschaftlicher Kooperationsbeziehungen seine Entsprechung284. 122 Die Politikwissenschaften betonen die Bedeutung eines Verhandlungsmodells, das heute als zweiter regulärer Koordinationsmechanismus neben das Hierarchiemodell getreten ist285. Erst wenn man die kooperativen Komponenten des politischen Prozesses als Normalität annimmt, wird es möglich, ihre strukturellen Eigenheiten, Vorzüge und Gefahren systematisch zu analysieren, mit den Funktionsweisen hierarchischer Herrschaft zu vergleichen und zu den verfassungsrechtlichen Grundanforderungen rechtsstaatlicher Demokratie in Beziehung zu setzen286. Die Verfassung ist nicht auf theoretische Modelle festgelegt – weder auf Hierarchie, noch auf Verhandlungssysteme. Als gemischte Verfassung will sie unterschiedliche Funktionsweisen verbinden. Die jüngere Verwaltungsrechtswissenschaft hat daher die ältere Abwehrhaltung gegenüber Erscheinungen des kooperativen Staates überwunden und Regelungsmuster entwickelt, um das kooperative Verwaltungshandeln seinen Eigengesetzlichkeiten entsprechend zu erfassen. Die Legitimität kooperativer Handlungsformen wird dabei ebenso deutlich wie die Unverzichtbarkeit einer staatlichen Initiativ-, Organisations- und Gewährleistungsverantwortung (→ 3/114–117), zu der auch die einseitige Regelsetzung und der hoheitliche Vollzug gehören287. Auch dort, wo Kooperation die Normalität darstellt, ist der Staat daher nicht ein Partner unter anderen, sondern hat wegen seiner komplementären Aufgaben eine Sonderstellung inne, die sein Handeln rechtfertigt und zugleich bindet. Hierarchisches Modell und Verhandlungsmodell stehen folglich nicht vollständig gleich. Die Asymmetrie von Kompetenz und Freiheit hat auch hier Geltung (→ 1/22–26), mindert jedoch nicht die Legitimität kooperativen Handelns. Die verwaltungsrechtliche Systematik muß sich um dessen rechtsförmige Strukturierung, die Einpassung der Verhandlungsergebnisse in größere Entscheidungszusammenhänge, den Drittschutz und den Erhalt staatlicher Aktionsfähigkeit gegenüber veränderten Lagen kümmern (→ 5/53–63; 6/112 ff., 130 ff.)288.
284 285 286 287 288
Vgl. Ladeur/Gostomzyk, DV 2003, S. 141 (151 f.). Scharpf, PVS 1991, S. 621 (627 ff.); Benz, Kooperative Verwaltung, S. 309 ff.; Braun, Politische Steuerung, S. 29 ff., 47 ff., 370 ff. Benz, in: Seibel/Benz, Regierungssystem und Verwaltungspolitik, S. 83 (97 ff.). Vgl. Benz, Kooperative Verwaltung, S. 311 f.; ähnlich Ritter, in: Grimm, Wachsende Staatsaufgaben, S. 69 (87 f. und 102). Ähnlich Schulze-Fielitz, DVBl 1994, S. 657 ff.; J.-P. Schneider, VerwArch 1996, S. 38 ff.
Viertes Kapitel
Die Eigenständigkeit der Verwaltung zwischen Steuerung und Kontrolle A. Der institutionelle Rahmen: das Gewaltenteilungsprinzip 1 Rechtsstaat und Demokratie zielen als Formungsentscheidungen auf einen strukturierten öffentlichen Entscheidungsprozeß und auf Rationalität seiner Ergebnisse (→ 2/2–5)1. Dieses Anliegen beider Verfassungsentscheidungen wird vom Gewaltenteilungsprinzip aufgenommen und in eine entsprechende Organisation überführt. Die Bedeutung der Gewaltenteilung für das Verwaltungsrecht ist ausführlich zuerst von Otto Mayer herausgearbeitet worden2. Bei ihm stand der Machtmäßigungs- und Trennungsgedanke ganz im Vordergrund. Das Konzept der Gewaltentrennung war folglich statisch. Es sollte der Disziplinierung des Verwaltungshandelns nach dem Bilde möglichst weitreichender Justizförmigkeit dienen3. Die grundgesetzliche Gewaltenteilung folgt demgegenüber keinem reinen Trennungsprinzip, sondern einem Konzept der Konstituierung, Zuordnung und Balancierung staatlicher Gewalten4. „Es kommt vielmehr darauf an“, – so formulierte Werner Weber vor vier Jahrzehnten5 – „daß in ihr mit den Segnungen einer Disziplinierung des Machtgebrauchs auch eine wirkliche Ordnung der tragenden Kräfte des Staates und ihre Erhebung zu verantwortlicher Sachwalterschaft wirksam wird“. Diese Doppelschichtigkeit herausstellend, sagt das Bundesverfas1 2
3 4
5
Zu den einzelnen Bedeutungen des Rationalitätsgebots vgl. Schulze-Fielitz, Parlamentarische Gesetzgebung, S. 454 ff. Verwaltungsrecht, Bd. 1, S. 55 ff.; folgend Fleiner, Institutionen, S. 9 ff. Demgegenüber betont L. v. Stein, Verwaltungslehre, Bd. 1, S. 14 ff. die Bedeutung des einheitlichen Zusammenwirkens der Organe. „Der Rechtsstaat bedeutet die tunlichste Justizförmigkeit der Verwaltung“ (Verwaltungsrecht, Bd. 1, S. 62 und 131). Hesse, Verfassungsrecht, Rn. 482; Krebs, Kontrolle, S. 49 f.; Schmidt-Aßmann, in: HStR Bd. 1, § 24 Rn. 47 ff.; Pitschas, Verwaltungsverantwortung, S. 536. Die einzelnen Elemente sind dargestellt bei Stern, Staatsrecht, Bd. 2, § 36. Zur Bedeutungsgeschichte vgl. Fenske, in: Brunner/Conze/Koselleck, Geschichtliche Grundbegriffe, Bd. 2, S. 923 ff. Die Teilung der Gewalten als Gegenwartsproblem, in: FS für C. Schmitt, S. 253 (271); auch abgedr. in: Weber, Spannungen und Kräfte, S. 152 (173).
180
Viertes Kapitel: Die verfassungsrechtliche Stellung der Verwaltung
sungsgericht6: „Die dort als Grundsatz normierte organisatorische und funktionelle Unterscheidung und Trennung der Gewalten dient zumal der Verteilung von politischer Macht und Verantwortung sowie der Kontrolle der Machtträger; sie zielt auch darauf ab, daß staatliche Entscheidungen möglichst richtig, das heißt von den Organen getroffen werden, die dafür nach ihrer Organisation, Zusammensetzung, Funktion und Verfahrensweise über die besten Voraussetzungen verfügen, und sie will auf eine Mäßigung der Staatsgewalt insgesamt hinwirken“. 2 Wenn die Verfassung unterschiedliche Gewalten mit unterschiedlichen Organisations- und Verfahrensstrukturen konstituiert, dann müssen diese Strukturen zur Verteilung der staatlichen Aufgaben in Beziehung gesetzt werden7. Im Rahmen der von der Verfassung selbst getroffenen großen Zuweisungsentscheidungen wird das „politische Prinzip einer Gewaltenbeschränkung […] somit in ein Organisationsmodell übersetzt“8. Gefragt wird nach der spezifischen Leistungsfähigkeit jedes Funktionsträgers, Informationen aufzunehmen und zu verarbeiten, nach Möglichkeiten abschichtenden Entscheidens, nach der Fähigkeit, flexibel zu reagieren (→ 5/21–23)9. Die Überlegungen zu einer funktionsgerechten Organstruktur helfen, eine Reihe rechtsdogmatischer Einzelfragen, z.B. den Bindungsanspruch von Verwaltungsvorschriften oder die Maßstäbe der administrativen Ermessensausübung und der gerichtlichen Ermessensüberprüfung, von einem einheitlichen verfassungsrechtlichen Bezugspunkt aus zu bedenken. Mehr noch: Zentralthemen der heutigen Verwaltungsrechtswissenschaft, die Fragen nach dem gebotenen „Legitimationsniveau“ (→ 2/98–99) und dem erforderlichen „Kontrollniveau“ (→ 4/88), hängen systematisch und methodisch an diesem Verständnis des Gewaltenteilungsprinzips. 3 Freilich kann eine funktionale Betrachtung in Gefahr kommen, die Verläßlichkeit von Rechtsaussagen zu relativieren10. Über die Funktionen eines Organs und über die Organadäquanz seiner Aufgaben lassen sich Aussagen nämlich nur nach einer komplexen Bewertung treffen. Solche Bewertungen ergeben sich regelmäßig erst aus einem methodisch nicht in allen Einzelschritten aufgliederbaren Gedankengang, der an einigen Stellen eher auf Erfahrungen und auf Plausibilitätserwägungen als auf eindeutigen normativen Deduktionen beruht. Ein klares Trennungsdenken, das den einzelnen Funktionsträgern fest umrissene Kompetenzen zuweist, scheint den Vorteil größerer Verläßlichkeit zu bieten. Gegenüber solchen Bedenken ist jedoch darauf hinzuweisen, daß es bei der Bezugnahme auf die Gewaltenteilung als Rechtsprinzip um die „Rückübersetzung“ eines politischen Prinzips in Rechtsdogmatik geht. Dieser Vorgang kann 6 7 8 9 10
BVerfGE 68, 1 (86); 98, 218 (251 f.); dazu Heun, Staatshaushalt und Staatsleitung, S. 95 ff. Ausführlich Staupe, Parlamentsvorbehalt, S. 201 ff.; Pitschas, Verwaltungsverantwortung, S. 538 ff.; Horn, AöR 2002, S. 427 (447 ff.). So Pitschas, Verwaltungsverantwortung, S. 538. Dazu v. Danwitz, Staat 1996, S. 329 (340 ff.). Dazu die Kritik von Lecheler, NJW 1979, S. 2273 ff.; auch Lerche, in: Isensee, Gewaltenteilung heute, S. 75 ff.; gegen Lecheler aber schon Klauser, NJW 1980, S. 753 ff.
A. Der institutionelle Rahmen: das Gewaltenteilungsprinzip
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ohne Zwischenschritte nicht auskommen11. Das Trennungsdenken gibt eine größere Sicherheit vor, als sie der Sache nach bestehen kann. Es baut nicht notwendig auf methodisch festerem Grunde als funktionale Überlegungen. 4 Für die Bildung von Brücken zwischen der politischen Idee der Gewaltenteilung und der juristisch-dogmatischen Handhabung einzelner Probleme bietet es sich deswegen an, den Zusammenhang zwischen dem prozedural-organisatorischen Prinzip der Gewaltenteilung und den substantiellen Anforderungen von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit deutlicher herauszuarbeiten, als das bisher geschehen ist. Hebt die rechtsstaatliche Seite der Gewaltenteilung Trennungen und Kontrollmechanismen in ihrer freiheitsschützenden Wirkung hervor, so betont die demokratische Seite die Eignung bestimmter Organe zur politischen Gestaltung. Hinter beiden Elementen lassen sich, wie Christoph Möllers jüngst gezeigt hat, konkurrierende Legitimationsansprüche demokratischer Selbstbestimmung und individueller Freiheitsausübung erkennen, deren Gehalte bei der Konkretisierung der Gewaltenteilung weiterhelfen12. Die Gewaltenteilung des Grundgesetzes garantiert somit „eine staatliche Organisation, die demokratische Willensbildung ermöglicht, individuelle Willensbildung schützt und durchsetzt und beide Formen der Selbstbestimmung in einen abgestuft verrechtlichten Konkretisierungszusammenhang stellt“13. Gewaltenteilung als Gewaltengliederung verstanden, privilegiert keines dieser beiden Anliegen. Eine funktionale Betrachtung gewinnt ihre Anbindung an das Grundgesetz vielmehr durch diesen Bezug auf beide Legitimationsansprüche, ohne daß dem Prinzip der Gewaltenteilung eher das Leitbild der Machthemmung als das demokratischer Herrschaftsermöglichung zugeordnet werden könnte. Individuelle Selbstbestimmung wird durch Verfahren geschützt, die mit individualisierter Reichweite, ex-post ansetzend allein auf Grundlage von Recht entschieden werden. Demokratische Willensbildung soll dagegen in einem potentiell allumfassenden, möglichst wenig verrechtlichten und zukunftsbezogenen Prozeß entstehen. 5 Ein solches an der Legitimationsstruktur des Grundgesetzes orientiertes Verständnis der Gewaltenteilung kann viele alltägliche Phänomene der Verfassungs- und Verwaltungspraxis integrieren, die bisher oft als „Krisen“ eines vermeintlich „klassischen“ Gewaltenteilungsverständnisses verstanden worden sind. Die bekannte enge informale Verzahnung von Ministerialbürokratie und Parlamentsmehrheit schafft zwar manches Unbehagen, ist aber auch Ausdruck einer der Gesetzgebung eigenen Offenheit der demokratischen Willensbildung, die der Teilungsgedanke zu respektieren hat. Auch das Phänomen delegierter exekutiver Rechtsetzung sollte nicht als ein Verfallssymptom verstanden werden (→ 6/83). Es ist Ausdruck einer bestimmten Gestaltungsvorstellung des demokratischen Gesetzgebers und seines Vertrauens in die eigenständigen Leistungen der Exeku11 12 13
Ähnlich Brohm, DVBl 1986, S. 321 (326); gegen die Vorstellung fester Funktionsdefinitionen auch Horn, AöR 2002, S. 427 (437 ff.). Dazu grundlegend Möllers, Gewaltengliederung, i.E.. Möllers, Gewaltengliederung, i.E., § 9, 2.
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Viertes Kapitel: Die verfassungsrechtliche Stellung der Verwaltung
tive bei der Gesetzeskonkretisierung. Die demokratische Seite des Gewaltenteilungsprinzips garantiert, daß das Grundgesetz nicht vom Bilde einer isolierten, von den gesellschaftlichen Kräften getrennten Staatlichkeit ausgeht. Das Zusammenwirken staatlicher Amtsträger und gesellschaftlicher Interessenträger stellt folglich als solches keinen pathologischen Befund dar. Der kooperative Staat ist nicht nur eine Realität, sondern soll als strukturierte Kooperation selbst Teil der Verfassungsordnung sein (→ 3/118–121). Intermediäre Organisationen können – wie am Beispiel des Wissenschaftssystems gezeigt worden ist (→ 3/40–41)14 – bei entsprechender Ordnung ihres Zusammenspiels einen „funktionalen Antagonismus“ entwickeln, der die Kräftebalancierungen erleichtert und die Rationalität des politischen Prozesses erhöht. Nicht geduldet werden können allerdings Einseitigkeiten, Fälle unausgewogener Interessenbeteiligung oder eine dauerhafte Ballung partikularer Macht. Die Gewaltenteilungslehre hat es in der Vergangenheit immer wieder verstanden, konstruktive Ideen freizusetzen15. Neben dem Steuerungs- kommt dabei dem Kontrollgedanken eine wichtige Aufgabe zu (→ 4/57). In diesen Zusammenhang gehört die systematische Entwicklung des Informationsverwaltungsrechts (→ 6/7–11), das auf der Informationszugangsfreiheit und dem Datenschutz als Grundpfeilern aufbaut und beide (auch) als komplementär wirkende Ansätze zur Mäßigung und Kontrolle staatlicher Macht versteht16. Eine stärker prozedural gedeutete Gewaltenteilung kann Bauelemente aus unterschiedlichen Bereichen heranziehen und neu kombinieren. „Nicht allein der Blick auf das informale Regierungs- und Verwaltungshandeln, sondern erst die Untersuchung des Zusammenspiels zwischen Entscheidungen nach dem Majoritätsprinzip, Entscheidungen nach dem Konsensprinzip und den diese ergänzenden dezentralen Kommunikationsprozessen eröffnet hinreichende Einsichten in die reale Komplexität von Politik.“17 Das Grundanliegen der Gewaltenteilung, Rationalität durch unterscheidbare Strukturen herzustellen, ist weder faktisch noch rechtlich überholt. 6 Die Europäische Union führt zu neuen Gewichtsverlagerungen und bringt neue Verschränkungen ins Spiel. Deutlich ist der Bedeutungsgewinn der Exekutive (→ 1/57). Er gründet in der Rechtsetzungsfunktion der im Rat vertretenen mitgliedstaatlichen Regierungen und in der zentralen Stellung der Kommission als Exekutivorgan18. Die Verwaltung des Gemeinschaftsraumes wird damit jedoch nicht zu einem blockhaften, nach einheitlichen Kriterien handelnden Gebilde, sondern formt eigene interne Kontrollzüge – z.B. zwischen der EGEigenverwaltung und den nationalen Vollzugsverwaltungen – aus (→ 4/89). Die für den Bundesstaat beobachteten gewaltenteilenden Effekte vertikaler Gewalten14 15 16 17 18
Braun, Politische Steuerung, S. 391 f. Dazu Stern, Staatsrecht, Bd. 2, § 36 V; Michael, Rechtsetzende Gewalt, S. 457 (460): „Die Wandlungsfähigkeit des Rechtsstaates ist als Auftrag zu begreifen“. Kloepfer, DÖV 2003, S. 221 (225 f.). So Benz, in: Seibel/Benz, Regierungssystem und Verwaltungspolitik, S. 83 (100). Ausführlich Brenner, Gestaltungsauftrag der Verwaltung, S. 217 ff.; Dreier, DÖV 2002, S. 537 (541).
B. Die Bedeutung des parlamentarischen Gesetzes
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gliederung finden hier eine Parallele. Geteilt und verschränkt wird im EURahmen genug – eher zuviel und auf Kosten notwendiger Transparenz und Verantwortungsklarheit (→ 7/38–45). Problematisch bleibt der Bedeutungsverlust der mitgliedstaatlichen Parlamente. Er muß durch eine verbesserte Konsultationsund Kooperationspraxis zwischen Europäischem Parlament, Ministerrat und nationalen Parlamenten ausgeglichen werden19.
B. Die Bedeutung des parlamentarischen Gesetzes 7 Der Angelpunkt der Gewaltenteilung ist das parlamentarische Gesetz20. Im Gesetz finden die Gewährleistungsanliegen des Rechtsstaats- und des Demokratieprinzips zusammen21: Das Gesetz ist Garant rechtsstaatlich gebändigter Sozialgestaltung und Mittler demokratischer Legitimation. Es strukturiert Entscheidungsprozesse und legt Funktionsbereiche fest22. Das Gesetz ist Grenze und Auftrag des Verwaltungshandelns23. Es formt Handlungsanweisungen und Befugnisse der Verwaltung, gibt administrativen Planungen Ziele vor und bestimmt die Grundzüge der Verwaltungsorganisation (→ 2/10; 5/26). In allen ihren Handlungen ist die Verwaltung an das Gesetz gebunden (Gesetzesvorrang). In vielen Bereichen kann sie überhaupt nur auf der Grundlage eines ermächtigenden Gesetzes handeln (Gesetzesvorbehalt).
I. Leistungsfähigkeit und Leistungsgrenzen des Gesetzes 8 Freilich sind auch gegenläufige verfassungsrechtliche Vorgaben beachtlich. Schon Art. 20 Abs. 3 GG kennt neben der Gesetzesbindung die Verfassungsbindung der Exekutive. Hinzugetreten ist der Bindungsanspruch des Europäischen Gemeinschaftsrechts, dessen ständig wachsende Rechtsmassen auf die Verwaltung eindrängen. Verfassungsbindung und Europarechtsbindung sind im Verhältnis zur Gesetzesbindung nicht nur komplementäre, sie sind vielmehr auch konkurrierende Bindungsformen, die der Gesetzesbindung den Steuerungsanspruch streitig machen können (→ 2/11–12). Wenn wir die Bindung der Verwaltung an das parlamentarische Gesetz gleichwohl in das Zentrum des Verwaltungsrechts stellen, so deshalb, weil das Gesetz nach wie vor das geeignetste Mittel zur Strukturierung von Handlungszusammenhängen ist. Ohne seine legitimierende, 19 20 21 22 23
Dazu das Protokoll des EU-Konvents „Über die Rolle der nationalen Parlamente“, abgedr. in: EuGRZ 2003, S. 373 f. Im einzelnen Möllers, Gewaltengliederung, i.E., § 7 I. Böckenförde, Gesetz und gesetzgebende Gewalt, S. 381; Dreier, Hierarchische Verwaltung, S. 160 f. Eichenberger, VVDStRL Bd. 40, S. 7 (10); deutlich krit. dagegen v. Bogdandy, Gubernative Rechtsetzung, S. 199 ff. Dazu BVerfGE 90, 286 ff., 389 f. Grundlegend Scheuner, DÖV 1969, S. 585 ff.
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Viertes Kapitel: Die verfassungsrechtliche Stellung der Verwaltung
abschichtende und entlastende Wirkung ist die erforderliche Transparenz administrativer Entscheidungsbildung nicht zu erreichen24. 9 Die Bedeutung des parlamentarischen Gesetzes für ein rechtsstaatlichdemokratisches Verwaltungsrecht gilt unbeschadet aller Gesetzgebungskritik. Solche Kritik freilich ist allgegenwärtig25. Sie gibt sich als Institutionenkritik und als Steuerungskritik und greift als Parlamentarismuskritik auf das große Feld allgemeiner politischer Systemkritik über. „Normenflut“ und „Harmonisierungsmängel“ sind ebenso ihr Gegenstand wie die „Flucht in die Generalklauseln“, die „Normenschwäche“ und die „symbolische Gesetzgebung“. Schwankend und oft gegensätzlich sind die aus alledem gezogenen Konsequenzen. Forderungen nach mehr gesetzgeberischer Zurückhaltung finden sich mit dem Ruf nach einem für notwendig befundenen häufigeren Eingreifen des Gesetzgebers in unklarer Gemengelage. Im Blick auf die Verwaltung werden bald ein legislatorisches Bindungsübermaß und bald eine zu große administrative Selbständigkeit beklagt. Die Gesetzeskritik geht freilich oft vom idealistischen Bilde einer sich selbst steuernden Vernunftgesetzgebung aus, die in wohlbedachten Gesetzeskodifikationen bleibende Wertaussagen trifft. Ob dieses Bild der Erscheinungsform verwaltungsrechtlicher Gesetze jemals entsprach, ist zweifelhaft. Schon in der Frühzeit des Verwaltungsrechts wurde über Gesetzesflut und einen zu schnellen Wechsel des einschlägigen Rechts geklagt26. In der Realität der parlamentarischen Demokratie jedenfalls ist das Gesetz primär ein Instrument der Politik27, aber eben ein Instrument der „Transformation von Politik in Recht“28. 10 Die Verfassung hat Vorkehrungen getroffen, um die Politik gleichwohl zu möglichst rationalen und gemeinwohlfähigen Gesetzesentscheidungen anzuhalten. Diesem Ziel dienen die Kompetenz-, Organisations- und Maßstabsvorgaben für den Gesetzgeber. Leistungsfähigkeit und Leistungsgrenzen des Gesetzes müssen vor diesem Hintergrund bewertet werden. Helmuth Schulze-Fielitz hat die Vielfalt der verfassungsrechtlich entweder direkt festgelegten oder verfassungsinitiierten Vorkehrungen für die vorparlamentarische Vorklärung und für die parlamentarischen und die nachparlamentarischen Verfahrensphasen in ihrem funktionalen Zusammenhang exakt beschrieben29. Dabei wird deutlich, daß mancher Befund, der bei isolierter Betrachtung als ein Kritikpunkt erscheinen mag, im Zusammenhang bewertet durchaus eine positive Bedeutung haben 24 25
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Schuppert, Verwaltungswissenschaft, S. 461 ff. Vgl. die Darstellung bei Eichenberger, VVDStRL Bd. 40, S. 7 (15 f.); Stern, Staatsrecht, Bd. 2, § 37 IV; Schulze-Fielitz, Parlamentarische Gesetzgebung, S. 9 ff.; Herdegen und Morlok, VVDStRL Bd. 62, S. 7 ff. und 37 ff. Vgl. schon F. F. Mayer, Verwaltungsrecht, S. IV. Auf Übergänge zwischen Einzelnormregelungen, Maßnahme- und Zeitgesetzen und Kodifikationen schon im konstitutionellen Staatsrecht macht Grawert, Staat 1984, Beiheft 7, S. 113 (142) aufmerksam. Badura, Staatsrecht, F Rn. 14; Schulze-Fielitz, Parlamentarische Gesetzgebung, S. 375 ff. Luhmann, Das Recht der Gesellschaft, S. 429. Schulze-Fielitz, Parlamentarische Gesetzgebung, S. 213 ff. und 255 ff.; ferner Lerche, in: Lerche/Schmitt Glaeser/Schmidt-Aßmann, Verfahren, S. 97 (bes. 109 ff.).
B. Die Bedeutung des parlamentarischen Gesetzes
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kann30. Gesetzeskritik darf nicht gering veranschlagt werden. Aber sie hat die zentrale Stellung des Gesetzes im System rechtsstaatlich-demokratischer Gewährleistungen nicht aufgehoben31. Es gibt für das Gesetz keinen Ersatz (→ 2/84). 11 Seine besonderen Qualitäten gewinnt das Gesetz aus einem Entstehungsverfahren, das durch die unmittelbare demokratische Legitimation des Entscheidungsorgans, durch plural und regelmäßig auch föderal ausdifferenzierte Beteiligungschancen, durch die Publizität der Entscheidungsfindung und eine (relative) Stabilität des Entscheidungsergebnisses unter den verfügbaren Verfahren eines möglichst umfassenden Interessenabgleichs hervorgehoben ist32. Dazu tritt die Allgemeinheit seiner Regelungen. Sie ist zwar kein Essentiale des Gesetzesbegriffs33, wohl aber eine regelmäßig anzutreffende Qualität des Gesetzes und ein wichtiges Mittel demokratischen und rechtsstaatlichen Distanzschutzes34.
II. Regelungsansätze der Gesetzgebung 12 Der Steuerungsanspruch des Gesetzgebers gegenüber der Verwaltung ist auf zwei Rechtstitel gegründet: das parlamentarische Zugriffsrecht und den Gesetzesvorbehalt35. Beide werden abgerundet durch den Gesetzesvorrang: Bestehende Gesetze müssen angewandt, von ihnen darf nicht abgewichen werden36. Anwendungsgebot und Abweichungsverbot hängen in ihrer Reichweite freilich von der Intensität des gesetzgeberischen Bindungsanspruchs ab, die durch Auslegung zu ermitteln ist (→ 4/38–42). Die Intensität kann für die unterschiedlichen Instrumente, die die Exekutive zum Gesetzesvollzug einsetzt (Verwaltungsakt, Vertrag) unterschiedlich zu bestimmen sein (→ 4/41). – Eine offene Form eines verminderten Bindungsanspruchs stellen Dispensermächtigungen dar37. Ihre ordnungsgemäße Anwendung verlangt eine im Zwei30
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Ein Beispiel ist der starke Einfluß der Ministerialverwaltung auf die Gesetzgebung, der oft als Beeinträchtigung der Gewaltenteilung angesehen wird, im Gesamtzusammenhang jedoch die Aufgabe distanzschaffender Rationalisierung gegenüber ungefilterten Verbands- oder Parteiwünschen haben kann; vgl. Schulze-Fielitz, Parlamentarische Gesetzgebung, S. 280 ff. und 573. So zutreffend Dreier, Hierarchische Verwaltung, S. 161 f.; mit diskurstheoretischer Begründung Habermas, Faktizität und Geltung, S. 211; aus politikwissenschaftlichempirischer Bewertung im Ergebnis auch v. Beyme, Der Gesetzgeber, S. 358 ff. Schulze-Fielitz, Parlamentarische Gesetzgebung, S. 154; Trute, Forschung, S. 232 ff. Anschaulich die Darstellung der Verfahrensphasen und der dabei praktizierten Beteiligungsformen bei H. Schneider, Gesetzgebung, §§ 5, 6. BVerfGE 95, 1 (17): „Dem Grundgesetz kann nicht entnommen werden, daß es von einem Gesetzesbegriff ausgeht, der nur generelle Regelungen zuläßt“. Vgl. Ossenbühl, in: HStR Bd. 3, § 61 Rn. 11 f.; H. Schneider, Gesetzgebung, § 3 mit weit. Nachw. Zum folgenden aus steuerungspraktischer Sicht auch Schuppert, Verwaltungswissenschaft, S. 471 ff. Ossenbühl, in: HStR Bd. 3, § 62 Rn. 1 ff; die Begriffe Anwendungsgebot und Abweichungsverbot bei Gusy, JuS 1983, S. 189 (191). Grundlegend Mußgnug, Der Dispens von gesetzlichen Vorschriften, 2. Kap.
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Viertes Kapitel: Die verfassungsrechtliche Stellung der Verwaltung
felsfall restriktive Auslegung ihrer Tatbestandsmerkmale und eine am Zweck der Gesamtregelung ausgerichtete Ausübung des Dispensationsermessens. In der Praxis darf die Ausnahme nicht zur Regel gemacht werden38. – Eine zweite Form sind die z.B. im Umweltrecht anzutreffenden Kompensationsregelungen39. Ihre Anwendung kann deshalb schwierig sein, weil sich die mit ihnen verbundene Relativierung des Gesetzesvorrangs oft nur durch eine genaue Analyse des gesamten gesetzlichen Regelungssystems ermitteln läßt. Ein übergreifendes Mandat zu Abweichungen oder zur situativen Gesetzesanpassung steht der Verwaltung nicht zu40. Vielmehr gilt die Loyalitätspflicht gegenüber dem Recht (→ 2/27–31).
1. Das parlamentarische Zugriffsrecht 13 Das Zugriffsrecht ist ein umfassender Titel, der aber nur dann, wenn er auch genutzt worden ist, nach Maßgabe des Vorrangprinzips Einfluß sichert und es im übrigen bei konkurrierenden Parlaments- und Exekutivkompetenzen beläßt. Thematisch ist das Zugriffsrecht denkbar weit gespannt. Es erfaßt die Rechtssphären der Bürger ebenso wie den staatlichen Organisationsbereich und die Kooperationszonen zwischen Gesellschaft und Staat. Das Gesetz kann das ganze Spektrum rechtlicher Steuerungsansätze ausschöpfen. Dem traditionellen Bilde verwaltungsrechtlicher Gesetze entspricht es, daß der Schwerpunkt auf den materiellen Regelungen liegt, während das Verfahrensrecht eher akzessorische Aufgaben hat. In neueren Gesetzen z.B. des Umwelt- und Technikrechts gewinnen Verfahrens- und Organisationsvorschriften eine erweiterte Bedeutung. Sie beschränken sich nicht darauf, den Verwaltungsaufbau zu regeln, sondern greifen auf die private Betriebs- und Verbandsorganisation über. Weitere wichtige Steuerungsansätze erschließt das Haushaltsgesetz (→ 2/85). Die Mischung der Steuerungsformen ist in der Gesetzgebungspraxis wesentlich weiter entwickelt, als es die Verwaltungsrechtsdogmatik bisher wahrgenommen hat. 14 Daß bestimmte Sachbereiche staatlichen oder gesellschaftlichen Lebens als solche dem gesetzlichen Zugriff entzogen wären, läßt sich nicht feststellen. Weder die Privatsphäre noch sonstige verfassungsrechtlich anerkannte Autonomiebereiche schließen eine gesetzliche Regelung schlechthin aus. Begrenzt werden nur die Art und die Intensität der Regelung41. Mindestens gesetzliche Rahmenvorgaben, Grenzziehungen und Verfahrensvorkehrungen sind durchgängig zulässig. Feste Rechtsschranken gegenüber dem gesetzgeberischen Zugriff bilden die Verbote des grundrechtseingreifenden Einzelfallgesetzes (Art. 19 Abs. 1 S. 1 GG), das Verbot des rechtsstaatswidrigen Formenmißbrauchs und die Kernbe38 39 40 41
Schenk, Befreiungsermessen, S. 24 ff.; Wolff/Bachof/Stober, Verwaltungsrecht, Bd. 1 § 31 Rn. 34. Voßkuhle, Kompensationsprinzip, bes. S. 103. Vgl. Lange, VerwArch 1991, S. 1 (16 ff.). Vgl. Janssen, Grenzen des legislativen Zugriffsrechts, pass.
B. Die Bedeutung des parlamentarischen Gesetzes
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reichsschranke des Exekutivbereichs (→ 4/43–45). Diese Grenzen sind struktureller, nicht sachspezifischer Art. Sie werden durch die verfassungspolitische Leitlinie ergänzt, gesetzliche Regelungen als allgemeine Regelungen zu treffen (→ 4/11).
2. Die Gesetzesvorbehalte 15 Die gegenüber dem Zugriffsrecht engere Thematik des Gesetzesvorbehalts42, die Frage nach der „Erforderlichkeit des Gesetzes“ (W. Jellinek), hat für die Exekutive unmittelbar kompetenzbegrenzende Wirkung: Was gesetzlich nicht zuvor erschlossen ist, kann administrativ nicht geregelt werden. „Dieser Grundsatz verlangt, daß staatliches Handeln in bestimmten grundlegenden Bereichen durch förmliches Gesetz legitimiert wird“43. Dies ist in einer Zeit sich schnell wandelnder Lagen und Anforderungen, in der die Verwaltung politisch an ihrer Fähigkeit zu rechtzeitiger Reaktion gemessen wird, keine Selbstverständlichkeit. Der politische Charakter der Gesetzesvorbehaltslehre ist im Laufe ihrer geschichtlichen Entwicklung stets anerkannt gewesen44. Er ist auch in der gegenwärtigen Entwicklung manifest. Alle großen auf das Verwaltungsrecht einwirkenden Wandlungen – sie mögen die Technik, die Wirtschaft, die Wissenschaft oder die gesellschaftliche Wertordnung betreffen – haben in der Gesetzesvorbehaltslehre folglich ihren Niederschlag gefunden45. Dabei sind zwei Entwicklungslinien zu beobachten: eine eingriffszentrierte und eine institutionell ansetzende Vorbehaltslehre46. 42
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Hier bedarf es zunächst zweier terminologischer Klarstellungen: – Die Begriffe Gesetzesvorbehalt und Vorbehalt des Gesetzes werden hier synonym verwandt. – Neben dem Begriff des Gesetzesvorbehalts wird der Begriff des Parlamentsvorbehalts nicht benutzt. Da Gesetz nach hier zugrundegelegter Begrifflichkeit nur das parlamentarische Gesetz meint (→ 2/10), geht es stets um Parlamentskompetenzen, und zwar sowohl in der Frage, ob eine Regelung notwendig ist, als auch in der Frage, wie bestimmt sie sein muß (→ 4/26 ff.). Zum unterschiedlichen Sprachgebrauch in Literatur und Rechtsprechung vgl. die Zusammenstellung bei Staupe, Parlamentsvorbehalt, S. 27 ff. BVerfGE 98, 218 (251). Vgl. Jesch, Gesetz und Verwaltung, bes. S. 74 ff.; Erichsen, Verfassungs- und verwaltungsgeschichtliche Grundlagen, S. 148 ff. Zur geschichtlichen Entwicklung auch Seiler, Parlamentsvorbehalt, S. 40 ff. Vgl. die Darstellung bei Stern, Staatsrecht, Bd. 1, § 20 IV b, S. 805 ff. und Bd. 3/2, § 80 (Sachs); Ossenbühl, in: HStR Bd. 3, § 62 bes. Rn. 26 ff. In der Systematik ähnlich Lerche, in: HStR Bd. 5, § 121 Rn. 9; Jarass/Pieroth, Grundgesetz, Art. 20 Rn. 44 ff.: grundrechtliche und organisationsrechtliche Gesetzesvorbehalte. Die Unterscheidung eines „rechtsstaatlichen“ und eines „demokratischen“ Gesetzesvorbehalts dagegen dient eher nur dazu, die Dogmengeschichte zu gliedern; systematisch führt sie nicht weiter. Wenn mit dem Gesetz i.S. der Vorbehaltslehre nur das parlamentarische Gesetz gemeint ist, dann verfolgen alle Gesetzesvorbehalte rechtsstaatliche und demokratische Regelungsinteressen. Dabei können die Akzente variieren. Entscheidend bleibt, daß die Vorbehaltslehre im Schnittpunkt beider Verfassungsstrukturentscheidungen liegt.
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Viertes Kapitel: Die verfassungsrechtliche Stellung der Verwaltung
a) Eingriffszentrierter Vorbehalt 16 Den Ausgangspunkt der ersten Entwicklungslinie bildet der Tatbestand des Eingriffs in Individualrechte. Eingriff war zunächst nur der mit hoheitlichen Mitteln erfolgende imperative Rechtszugriff, der administrativ verordnete Zwang zu einem Handeln, Dulden oder Unterlassen47. Seine großen Anwendungsbereiche waren und sind das Ordnungsrecht und das Abgabenrecht. Aber auch für die neuen Formen des Gewährleistungsverwaltungsrechts sind imperative Maßnahmen regelmäßig die Auffangoptionen der Verwaltung, wenn andere Mittel nicht zum Erfolg führen (→ 3/52). Für den imperativen Eingriff hat die verwaltungsrechtliche Dogmatik den größten Bestand an Sicherungsmechanismen entwickelt. Man muß sich aber davor hüten, die zu den imperativen Eingriffen entwickelten Standards unbesehen auf alle erst neu der Vorbehaltslehre hinzugewonnenen Bereiche zu übertragen48. 17 Solche Bereiche sind durch Entwicklungen erschlossen worden, die oben als grundrechtliche Sensibilisierung des Verwaltungsrechts bezeichnet worden sind (→ 2/47–54). – Zum einen ging es darum, tradierte Dogmen zu korrigieren, die mit den Vorstellungen des Grundgesetzes nicht mehr vereinbar waren. Das wichtigste Beispiel dafür ist die Öffnung des besonderen Gewaltverhältnisses49, die insbesondere zu einer gesetzlichen Durchstrukturierung des Schulrechts geführt hat50. Gesetz und Gesetzesvorbehalt sind hier eingesetzt worden, um Transparenz und politischer Diskussion gegenüber einer undurchsichtigen administrativen Erlaßpraxis Raum zu geben. Die Besonderheiten der betroffenen Eingliederungslagen lassen es allerdings zu, die Vielfalt möglicher Regelungssituationen durch Generalklauseln zu erfassen (→ 2/25). – Zum zweiten hat die grundrechtlich veranlaßte Erstreckung des Eingriffsvorbehalts das Recht in die Lage versetzt, auf neue Informationstechniken in der Verwaltung und die mit ihnen verbundenen Gefährdungspotentiale, vor allem den massiven Einsatz der elektronischen Datenverarbeitung zu reagieren51. Aufgenommen wird der Gesetzesvorbehalt hier durch eine kombinierte Regelungstechnik, die materielle Befugnisnormen mit prozedural-organisatorischen Sicherungen verbindet (→ 6/7–11). – Die wichtigste Erweiterung, die der Eingriffsbegriff in jüngerer Zeit erfahren hat, will dem Wandel des administrativen Handlungsinstrumentariums Rechnung tragen. Neben die Formen des imperativen Eingriffs sind die mittelbaren Einwirkungen getreten, die als Produktwarnungen, Empfehlungen, Aufklärungs47
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Ausdrücklich formuliert z.B. in Art. 58 der bad.-württ. Landesverfassung: „Niemand kann zu einer Handlung, Unterlassung oder Duldung gezwungen werden, wenn nicht ein Gesetz oder eine auf Gesetz beruhende Bestimmung es verlangt oder zuläßt.“ So jetzt auch BVerfGE 105, 279 (303 f.); Ladeur/Gostomzyk, DV 2003, S. 141 (155 ff.). BVerfGE 33, 1 (10 f.). BVerfGE 34, 165 ff.; 58, 257 (268 ff.), aber auch 98, 218 (252 f.) „Rechtschreibreform“. BVerfGE 65, 1 (44).
B. Die Bedeutung des parlamentarischen Gesetzes
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maßnahmen und überhaupt als Verwaltungsinformationen indirekte Steuerungswirkungen auslösen (→ 2/48–51). Hier ist allerdings zu beachten, daß nicht klar definierte Handlungen, sondern komplexe gesellschaftliche Verhaltensweisen beeinflußt werden sollen, für die oft „kein erwartungsbildendes Muster“ bereitliegt52. Das kann nicht ohne Einfluß auf die Gesetzesvorbehaltslehre bleiben. Das Bundesverfassungsgericht hat in den Entscheidungen vom 26.6.2002 darauf in der Weise reagiert, daß es nur funktionale Äquivalente zu imperativen Maßnahmen als erweiterte Eingriffstatbestände anerkennt. Staatliches Informationsverhalten, das keine steuernden Markteffekte auslöst, wird dagegen aus der Eingriffsdogmatik herausgenommen und nur einer Bindung an Aufgabennormen unterstellt. Dogmatisch einleuchtender erscheint es, den Eingriffstatbestand nicht so weit zu verengen, der erschwerten Normierbarkeit aber mit variablen Anforderungen an die gebotene Genauigkeit der Ermächtigungsnorm Rechnung zu tragen53.
b) Institutioneller Vorbehalt 18 Wichtige Organisationsentscheidungen und komplexe administrative Aktionen können mit dem eingriffszentrierten Ansatz der Vorbehaltslehre allerdings nicht erfaßt werden. Hier ist der institutionelle Gesetzesvorbehalt gefragt54 (→ 5/26–32). Seine Entwicklungslinien führen zurück in das 19. Jahrhundert, in die Auseinandersetzungen um die Verteilung der ursprünglich monarchischen Organisationsgewalt zwischen Parlament und Regierung. „Keineswegs nur über das Budgetrecht des Parlaments hat sich der Vormarsch des Bürgertums in das Innere des monarchischen Beamtenstaates vollzogen. Eine wesentlich breitere Plattform boten ihm jene institutionellen Gesetzesvorbehalte, deren eigentliche Aufgabe es war, eine der Verfassungsorganisation adäquate Organisation der Verwaltung zu erzwingen“55. 19 Am deutlichsten ausgeprägt ist das im Landesverfassungsrecht: Die grundlegenden Entscheidungen über Aufbau, räumliche Gliederung und Zuständigkeiten der Landesverwaltung verlangen ohne Rücksicht auf denkbare Eingriffswirkungen eine gesetzliche Basis56. Das Verfassungsrecht des Bundes ist im engeren Bereich des Organisationswesens zurückhaltender und nennt nur eine Anzahl spezieller Vorbehalte, ohne ein durchgängiges Dogma ausgebildet zu haben57. Nimmt man jedoch die Gesetzesvorbehalte für die kommunale Selbst52 53 54 55 56 57
Ladeur/Gostomzyk, DV 2003, S. 141 (157). Ähnlich Ladeur/Gostomzyk, DV 2003, S. 141 (159 f.). Die Ergebnisse liegen freilich nicht weit auseinander. Dazu G. C. Burmeister, Institutioneller Gesetzesvorbehalt, S. 47 ff. Köttgen, VVDStRL Bd. 16, S. 154 (162) mit Nachw.; Böckenförde, Organisationsgewalt, S. 95 ff.; Grawert, Staat 1984, Beiheft 7, S. 113 (154 f.). Nachw. bei Köttgen, VVDStRL Bd. 16, S. 154 (163); Schmidt-Aßmann, in: FS für H. P. Ipsen, S. 333 (341 f.). Differenzierend Lerche, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 86 Rn. 78 ff. Zu einer Reihe spezieller Vorbehalte dieser Art vgl. Ossenbühl, in: HStR Bd. 3, § 62 Rn. 28; Krebs, in: HStR Bd. 3, § 69 Rn. 58 f.
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Viertes Kapitel: Die verfassungsrechtliche Stellung der Verwaltung
verwaltung (Art. 28 Abs. 2 GG), für das Beamtenrecht (Art. 33 Abs. 5 GG), das Parteienwesen (Art. 21 Abs. 3 GG), die Europäische Union (Art. 23 Abs. 1 GG) und die internationalen Beziehungen (Art. 24, 59 Abs. 2 GG) hinzu, so wird auch für das Grundgesetz ein Verteilungsprinzip zwischen notwendiger parlamentarischer Grundlagenklärung und administrativen Handlungsbefugnissen deutlich58: Die Grundstrukturen der Staatsorganisation (im weiteren Sinne) können danach durch die Exekutive dauerhaft weder neugestaltet noch grundlegend umgestaltet werden, ohne daß der Gesetzgeber selbst die Eckpunkte und Grundlinien der Lösung vorzeichnet. 20 Was zu diesen Merkmalen gehört, kann nicht nach einer abstrakten Formel bestimmt werden. Auszugehen ist vielmehr von den ausdrücklich normierten Vorbehalten. Die in diesen Tatbeständen zugrundegelegten Wertungen können Orientierung auch für benachbarte Fragenbereiche geben. Vor allem aber muß die Bedeutung der betreffenden Organisationsmaßnahmen für das staatliche Entscheidungssystem insgesamt betrachtet werden. Folge- und Fernwirkungen, insbesondere Bindungswirkungen für spätere Entscheidungen sind zu analysieren. Die Untersuchungen müssen dabei über den staatlichen Organisationsbereich hinausgreifen und auch Formen der Kooperation zwischen Exekutive und gesellschaftlicher Selbstorganisation einbeziehen59. Vorbehaltslehre und Gesetz haben hier Verantwortungsklarheit und Legitimation strukturell zu sichern (→ 5/29–31).
c) Wesentlichkeitskriterium 21 Die Ausrichtung der Vorbehaltslehre an einem eingriffszentrierten und einem institutionellen Entwicklungsansatz geht von anerkannten und konkreten Vorbehaltsbereichen aus, die vorsichtig erweitert werden. Die durch Änderungen der administrativen Aufgaben und Arbeitstechniken nahegelegten Modifikationen der Vorbehaltslehre sollen so durch einen wertenden Vergleich mit überkommenen Strukturen abgesichert werden. Es bleibt jedoch die Frage, ob darüber hinaus für eine tiefergreifende Umformung der Dogmatik ein noch allgemeinerer Bezugspunkt gewählt werden muß. Dieser Punkt könnte in einem Wesentlichkeitskriterium gesehen werden, wie es vom Bundesverfassungsgericht zunächst wiederholt verwendet worden ist60. Trotzdem ist hier Vorsicht geboten. Der Wesentlichkeitsgedanke bestimmte zwar schon die überkommenen Ausformungen der einzelnen Vorbehalte61. Historisch ist er also eine Wiederentdeckung, die den inneren Zusammenhang der Vorbehaltslehre aufzeigt. 58
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Böckenförde, Organisationsgewalt, S. 96; Emde, Funktionale Selbstverwaltung, S. 70 ff.; in der Tendenz auch Schulze-Fielitz, in: Dreier, Grundgesetz, Art. 20 (Rechtsstaat) Rn. 114; a.M. mit weit. Nachw. Maurer, in: FS für Vogel, S. 331 (343). Vgl. Trute, Forschung, S. 242 ff. BVerfGE 34, 165 (192 f.); 40, 237 (245 f.); 49, 89 (126); weit. Nachw. bei Staupe, Parlamentsvorbehalt, S. 104 ff.; Seiler, Parlamentsvorbehalt, S. 64 ff. Vgl. Grawert, in: Brunner/Conze/Koselleck, Geschichtliche Grundbegriffe, Bd. 2, S. 863 (905 f.).
B. Die Bedeutung des parlamentarischen Gesetzes
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22 Dogmatisch jedoch vermag das Wesentlichkeitsmerkmal keine eigenständige Funktion zu erfüllen62: Zum einen ist es als isoliertes Kriterium zu unbestimmt; zufällige Aktualität oder politischer Streit sind keine tauglichen Anknüpfungspunkte für die Wesentlichkeit63. Zum anderen ist das Wesentlichkeitskriterium zu undifferenziert; denn es überspielt alle notwendigen funktionalen, auf die Organadäquanz abhebenden anderen Gesichtspunkte. So lassen sich z.B. für wichtige Grenzwerte des Technik- und Umweltrechts oder für Versorgungsstandards im Gesundheitswesen sicher Argumente beibringen, die eine genauere gesetzliche Fundierung und Fixierung nahelegen. Die damit erzielte Statik würde jedoch der Dynamik des wissenschaftlichen, medizinischen oder technischen Fortschritts nur schwer gerecht. Die Zuordnung der Entscheidungskompetenzen innerhalb des Gewaltenteilungsgefüges kann aber nicht nach einem einzigen abstrakten Kriterium erfolgen. Auch das Bundesverfassungsgericht hat das ersichtlich nicht angestrebt, denn es verknüpft die Wesentlichkeit entweder mit dem Gedanken der Grundrechtsrelevanz64, oder es stellt ihr konkrete Gegenpositionen gegenüber, die sie von außen begrenzen65. Ein Satz, demzufolge alle wesentlichen Entscheidungen in der Demokratie vom Parlament getroffen werden müssen, entspräche nicht dem in einer Reihe differenzierter Vorbehalte sichtbaren verfassungsrechtlichen Verteilungsprinzip. Wie es keinen „Totalvorbehalt“ gibt, so gibt es auch keinen totalen Wesentlichkeitsvorbehalt66. 23 Daher läßt sich auch die Frage eines Gesetzesvorbehalts für die Leistungsverwaltung nicht einheitlich beantworten. Nicht der Begriff der Leistungsverwaltung, sondern der jeweilige Leistungsvorgang und seine Wirkungen haben Ausgangspunkt der Analyse zu sein (→ 3/102). Von diesem Ansatz her ist kein durchgängiger Gesetzesvorbehalt für die Leistungsverwaltung, sondern es sind gefahrenspezifische Vorbehalte zu fordern, wenn die vorgesehenen Leistungen zu erheblicher Abhängigkeit des Leistungsempfängers, zu einer greifbaren Beeinträchtigung Dritter oder zu einem neuen Leistungssystem mit weitreichenden finanzwirtschaftlichen Folgen führen67. Auch Unzulänglichkeiten der Subventionskontrolle und mangelhafte Transparenz können einen Tatbestand bilden, der eine vorherige gesetzliche Grundlegung verlangt68. Für Maßnahmen, die als Standardfälle ablaufen, kann es dagegen bei der bisherigen Rechtsprechung bewenden, den Haushaltsansatz und Subventionsrichtlinien als Grundlage und
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Im Ergebnis ebenso Ossenbühl, in: HStR Bd. 3, § 62 Rn. 46. BVerfGE 98, 218 (251). So z.B. BVerfGE 77, 170 (230); 98, 218 (252 ff.); zu Inkonsistenzen der Rechtsprechung Bauer/Möllers, JZ 1999, S. 697 (701 f.). So BVerfGE 68, 1 (86); 90, 286 (386 f.). Im Ergebnis BVerfGE 68, 1 (109); 98, 218 (252). Ähnlich Vogel, in: HStR Bd. 4, § 87 Rn. 111 ff.; vgl. auch Heun, Staatshaushalt und Staatsleitung, S. 419 ff.; Seiler, Parlamentsvorbehalt, S. 106 ff. BVerwGE 58, 45 (48); 75, 109 (117); Jarass, NVwZ 1984, S. 473 ff.
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Viertes Kapitel: Die verfassungsrechtliche Stellung der Verwaltung
Verteilungsregel genügen zu lassen. Der Haushaltsplan übernimmt so eine beschränkte Komplementärfunktion69. 24 Die vorsichtige Erstreckung der Gesetzesvorbehaltslehre zeigt die Anpassungsfähigkeit der verwaltungsrechtlichen Systematik in einem ihrer Zentralgebiete70. Der zur Regelung aufgerufene Gesetzgeber hat den neuen Vorbehaltsbereichen nicht nur formell die erforderlichen Rechtsgrundlagen geschaffen. Die gesetzgeberische Beschäftigung hat vielmehr auch zu einer substantiellen Auseinandersetzung mit Interessenstrukturen und überkommenen Regelungsmechanismen geführt, wie z.B. das Datenschutzrecht zeigt. In der Sache sind so, vor allem auf dem Wege zu einer Informationsordnung (→ 6/5–6), Innovationen angestoßen worden. Diese positive Wirkung wird verstärkt, wenn die Vorbehaltslehre Organisations- und Verfahrensregelungen in ihr Konkretisierungsprogramm einbezieht (→ 5/26–32)71. 25 Allerdings wird man auch umgekehrt fragen müssen, ob die Vorbehaltslehre nicht auch eine überzogene Verrechtlichung auslöst72. Die Analyse zeigt jedoch, daß die Vorbehaltslehre gerade in ihrer differenzierten Fassung nicht zu einer größeren Normenmasse führen muß, sondern umgekehrt zur Schaffung besser geordneter und damit überschaubarer Rechtsgrundlagen veranlassen kann. Die Verrechtlichung stellt sich als strukturierter Vorgang dar (→ 2/20–26). Die unterschiedlichen Arten von Normen, über die das Rechtssystem verfügt, werden aufeinander abgestimmt. Die Gesetzesvorbehaltslehre mündet daher nicht in eine durchgängige gesetzliche Vollregelung. Wo untergesetzliche Normen einen Regelungsauftrag besser erfüllen, bleibt Raum für eine abschichtende Regelungssystematik (→ 6/82–99). Hier sollte der Wesentlichkeitsgedanke als Maxime der Gesetzespolitik fruchtbar gemacht werden, die eine Beschränkung der gesetzgeberischen Regelungsintensität eben auf wesentliche Punkte nahelegt.
III. Bestimmtheitsanforderungen an verwaltungsrechtliche Gesetze 26 Die primär mit der Notwendigkeit einer gesetzlichen Regelung befaßte Vorbehaltslehre beeinflußt auch deren notwendigen Genauigkeitsgrad. Diese teilweise auch als „Parlamentsvorbehalt“ behandelte Konsequenz wird hier als Teil der Gesetzesvorbehaltslehre thematisiert73. Das Gesetz kann seine rechtsstaatli69
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Mußgnug, VVDStRL Bd. 47, S. 113 (122 ff.); H. P. Ipsen, in: HStR Bd. 4, § 92 Rn. 35 ff., 39; für eine gesetzliche Regelung dagegen Haverkate, in: R. Schmidt, Öffentliches Wirtschaftsrecht, Bes. Teil, Bd. 1, § 4 Rn. 29 ff. Ladeur/Gostomzyk, DV 2003, S. 141 (142): „In einer mehr als 200-jährigen Geschichte signalisiert der Gesetzesvorbehalt ein hohes Maß an Überlebenskunst“. Zum Gedanken einer (ergänzenden) prozeduralen Konzeption der Vorbehaltslehre Schmidt-Aßmann, Grundrechtspositionen und Legitimationsfragen, S. 61 ff.; Ladeur/ Gostomzyk, DV 2003, S. 141 (150 ff.). In diesem Sinne die Kritik bei Janssen, Grenzen des legislativen Zugriffsrechts, S. 26 ff. Ebenso v. Bogdandy, Gubernative Rechtsetzung, S. 167 ff. und 175 ff.
B. Die Bedeutung des parlamentarischen Gesetzes
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che Sicherungs- und seine demokratische Legitimationsfunktion nicht ohne ein hinreichendes Maß an Bestimmtheit seiner Regelungen wahrnehmen74. Steuerungswissenschaftliche Überlegungen veranlassen allerdings dazu, bei den Bestimmtheitsanforderungen die überkommene Dogmatik zu überprüfen und entschiedener nach der Art der gesetzlichen Programmierung zu fragen (→ 2/8). Die bisherige Lehre ist vorrangig an den Tatbestandsstrukturen materieller Gesetzesprogramme ausgerichtet. Künftig kommt es darauf an, auch solche Vorschriften einzubeziehen, die der Verfahrens- oder Organisationssteuerung dienen sollen (→ 5/9–11). Ähnlich hat Winfried Brohm vorgeschlagen, zwischen Gesetzesbefehl, Gesetzesauftrag, Optimierungsgebot, Gesetzesermächtigung und Gesetzesschranken zu unterscheiden75. Das Bestimmtheitsgebot muß sich auf ganz unterschiedliche Arten gesetzlicher Steuerung einstellen.
1. Normenklarheit 27 Bestimmtheit meint zum einen (äußere) Normenklarheit. Das Gesetz muß sprachlich verständlich, es darf nicht widerspruchsvoll oder irreführend sein76. Das Gebot der Normenklarheit bezieht sich auf die Tatbestandsmerkmale und auf die Tatbestandsstruktur der einzelnen Vorschrift einschließlich der Rechtsfolge. Es ergreift auch die Einordnung der einzelnen Gesetzesbestimmung in das jeweilige Gesetz und darüber hinaus das gesamte gesetzliche Bindungsprogramm einschließlich praktizierter Verweisungen77. Das verlangt gute gesetzestechnische Vorarbeiten, zu denen auch die Harmonisierung der Rechtsgebiete untereinander gehört. Die Praxis läßt hier, wie das Beispiel des Umweltrechts zeigt, durchaus Wünsche offen. Mangelt es schon an der äußeren Gesetzesbestimmtheit, so wird die Rechtsanwendung der Verwaltung überlastet (→ 2/18). Die Exekutive kann ihre ohnehin schwer zu erfüllende Aufgabe, aus der Vielzahl der Bindungsmaßstäbe ihr konkretes Entscheidungsprogramm zusammenzustellen, nicht wirksam wahrnehmen, wenn schon im Zentralbereich der gesetzlichen Maßstäbe Unklarheit über den Geltungsanspruch der Tatbestandsmerkmale herrscht. Das Gebot der Normenklarheit gilt für jede Art von Gesetzgebung ohne Rücksicht darauf, ob das Gesetz einen Gesetzesvorbehalt ausfüllt oder Ausdruck freier Gestaltung ist.
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Ausführlich Osterloh, Gesetzesbindung und Typisierungsspielräume, S. 93 ff.; Papier/ Möller, AöR 1997, S. 177 ff. Brohm, in: Hill, Zustand und Perspektiven der Gesetzgebung, S. 217 (229). Stern, Staatsrecht, Bd. 1, § 20 IV 4 f, S. 829 ff.; Schulze-Fielitz, in: Dreier, Grundgesetz, Art. 20 (Rechtsstaat) Rn. 129 ff.; vgl. auch BVerfGE 1, 16 (45). Vgl. Jarass/Pieroth, Grundgesetz, Art. 20 Rn. 63 ff.
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2. Inhaltliche Bestimmtheit 28 Zum zweiten zielt das Gebot der Bestimmtheit auf die inhaltliche Aussagekraft des Gesetzes. Diese (innere) Bestimmtheit verlangt mehr als sprachliche und gesetzestechnische Verständlichkeit. Hier geht es um eine hinreichende Steuerungsgenauigkeit gegenüber den Normadressaten. Das Bestimmtheitsgebot ist herkömmlich als Bestandteil des Rechtsstaatsprinzips behandelt worden78. In neuerer Zeit wird auch seine demokratische Seite herausgearbeitet: Als „Parlamentsvorbehalt“ verpflichtet es den Gesetzgeber im Rahmen der Vorbehaltslehre, die wesentlichen Punkte selbst festzulegen; den Bestimmtheitsanforderungen entspricht ein Delegationsverbot. Außerhalb der Gesetzesvorbehalte ist der Gesetzgeber dagegen freier gestellt: Er hat zwar stets das Gebot der Normenklarheit zu achten; inhaltlich kann er es hier aber bei Teilregelungen oder weiten Programmvorgaben und Zielformulierungen bewenden lassen.
a) Bestimmtheit und Offenheit 29 Behandelt man die Gesetzesbestimmtheit als Steuerungsproblem, so wird deutlich, daß es nicht darum geht, zu einem möglichst schematischen Gesetzesvollzug zu gelangen. Die Maßstäbe des in Art. 103 Abs. 2 GG normierten strafrechtlichen Bestimmtheitsgebotes passen für das Verwaltungsrecht nicht. Rechtsstaat- und Demokratiegebot lenken die Anforderung keineswegs eindeutig auf ein Höchstmaß an Bestimmtheit zu, sondern verhalten sich zu dieser Frage ambivalent79. Das Bundesverfassungsgericht warnt zutreffend vor der zu weitgehenden Ansicht, eine Norm müsse in jeder Hinsicht absolute Gewißheit geben80. Dieser Hinweis ist wichtig; denn die Vorstellung, ein höheres Maß an Bindung sei auf jeden Fall der bessere und rechtsstaatlich eher erwünschte Zustand, baut auf eine landläufige Plausibilität, die ebenso falsch wie unausrottbar ist. Das Verhältnis der Verwaltung zum Gesetz läßt sich nicht richtig erfassen, wenn man jede Form eingeschränkter Gesetzesbestimmtheit als rechtsstaatliches Defizit mißversteht. Die Verfassung betrachtet die strukturellen Grenzen, die jeder rechtssatzmäßigen Steuerung bereits durch die textliche Formulierung eines abstrakten Tatbestandes gesetzt sind, als Normalität. Dazu zählt die Verwendung von unbestimmten Gesetzesbegriffen, Generalklauseln81 und Ermessenstatbeständen82. Die legislatorische Einzelfallentscheidung als Höchstmaß an Bestimmtheit ist gerade keine Idealvorstellung83. Das Gewaltenteilungsprinzip zielt vielmehr
78 79 80 81 82 83
Vgl. Kunig, Rechtsstaatsprinzip, S. 200 ff. und S. 396 ff. Ausf. Seiler, Parlamentsvorbehalt, S. 73 ff. BVerfGE 80, 103 (108); vgl. auch BVerfGE 47, 327 (385 f.). BVerfGE 8, 274 (326); 49, 89 (133); vgl. auch 87, 234 (263 f.); mit weit. Nachw. Stern, Staatsrecht, Bd. 1, § 20 IV 4 f., S. 830. Vgl. BVerfGE 49, 89 (144 ff.), aber auch BVerwGE 77, 214 (219). Vgl. BVerfGE 95, 1 (17).
B. Die Bedeutung des parlamentarischen Gesetzes
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darauf, daß auch die gesetzesanwendenden Instanzen einen substantiellen Beitrag zur Rechtskonkretisierung leisten können84. 30 Einige verfassungsrechtliche Gewährleistungen setzen sogar eher umgekehrt ein gesteigertes Maß an gesetzlicher Offenheit voraus. Besonders deutlich und durch Art. 28 Abs. 2 GG gestützt ist das bei Gesetzen, die sich an die kommunale Selbstverwaltung wenden85. Darüber hinaus ist die Offenheit des Gesetzes ein Mittel, um die notwendige Flexibilität und Innovationsfähigkeit gegenüber neuen technischen und ökonomischen Entwicklungen zu ermöglichen86. In anderen Gebieten kann es dagegen notwendig sein, der Verwaltung ein Punkt für Punkt festgelegtes Vollzugsprogramm an die Hand zu geben. Das Grundgesetz legt die Auswahl der Tatbestandsstrukturen nicht fest, sondern überläßt sie in weitem Umfang dem Gesetzgeber selbst. Die Auswahlmöglichkeiten werden im Schrifttum mit den Begriffen der konditionalen und der finalen Rechtsetzung bezeichnet87. Das sind freilich nur Typenbegriffe; die Rechtspraxis ist voller Übergänge und Zwischenformen. – Konditionale Gesetzesvorschriften gelten als die genauer programmierenden Bestimmungen. Ihr Aufbau nach dem Wenn-Dann-Schema und ihre Trennung von Tatbestand (im engeren Sinne) und Rechtsfolge verpflichten die Exekutive, die Regelungsanliegen des Gesetzgebers Schritt für Schritt zu ermitteln und abzuarbeiten. Schon der Normtext veranlaßt dazu, die einzelnen Gesichtspunkte, die die Verwaltung ihrer Entscheidung zugrunde zu legen hat, in einer klaren Abfolge der Argumente darzulegen. Das setzt allerdings voraus, daß die konditional gefaßte Vorschrift nicht mit weiten unbestimmten Gesetzesbegriffen überladen ist. Ein negatives Beispiel bietet dafür § 35 BauGB. Im Grunde kommt es mehr auf die einzelnen Tatbestandsmerkmale als auf die Tatbestandsstruktur an. An konditionaler Rechtsetzung ausgerichtet sind die Standardvorgänge der Sozialleistungs- und der Abgabenverwaltung sowie das Recht der Ordnungsverwaltung unter Einschluß des Anlagengenehmigungsrechts. Der Vorzug klar gegliederter Rechtsanwendungsregeln stützt die Gleichmäßigkeit des Gesetzesvollzuges und kann die Verwaltung von politischem Druck und manchen Zumutungen entlasten88. Bezieht man andere Referenzgebiete wie das Kommunal-, Planungs- oder Wirtschaftsrecht in die Betrachtung ein, so zeigt sich allerdings, daß die konditionale Programmierung keineswegs durchgängig das traditionelle Bild des Fachverwaltungsrechts bestimmt. Sie ist auch nicht der rechtsstaatlich erwünschte Regeltyp, demgegenüber andere Arten die begründungsbedürftige Ausnahme zu bleiben hätten. Erst recht sollte sie nicht zum „fundamentalen 84 85 86 87 88
Dreier, Hierarchische Verwaltung, S. 170 f.: „Die notgeborene Offenheit gesetzlicher Vorgaben entpuppt sich in gewisser Weise als eine Tugend“. Vgl. Janssen, Grenzen des legislativen Zugriffsrechts, S. 128 ff. Dazu Schulze-Fielitz, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann, Innovation und Flexibilität, S. 139 (172 ff.). Grundlegend Luhmann, Zweckbegriff und Systemrationalität, S. 101 ff.; krit. zur Unterscheidung aber Koch, in: Erbguth, Abwägung im Recht, S. 9 (15 f.). Überzeugend dazu Breuer, AöR 2002, S. 523 (534 ff. und 567 ff.).
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Viertes Kapitel: Die verfassungsrechtliche Stellung der Verwaltung
Systemunterschied“ zwischen dem deutschen Recht und anderen europäischen Verwaltungsrechtsordnungen erklärt werden89. – Finale Gesetzesvorschriften geben der Exekutive einen Handlungsauftrag und legen dazu Ziele und Erwägungsgesichtspunkte fest. Sie sind z.B. dort sinnvoll und üblich, wo sich ein Regelungsmuster nicht schon auf gesetzlicher Ebene, sondern erst angesichts einer konkreten räumlichen Situation entwickeln läßt. Ein traditionelles Anwendungsfeld sind daher die sektorale und die integrale Raumplanung. Aber auch das Regulierungsverwaltungsrecht ist teilweise final gestimmt, genauer: Viele seiner Vorschriften sind durch die Regulierungsziele „überprogrammiert“ (→ 3/51). Die Gestaltungsermächtigung, die mit finalen Rechtsvorschriften verbunden ist, kann also im Tatbestand selbst (§ 1 Abs. 6 BauGB) oder in einzelnen seiner Begriffe liegen und ist regelmäßig mit besonderen Verfahrensvorschriften verbunden. Die Gesetzgebungspraxis im Umweltund im Sozialrecht hat dafür mit den Tatbestandsmerkmalen „Stand der Technik“ (§ 3 Abs. 6 BImSchG), „Stand von Wissenschaft und Technik“ (§ 7 Abs. 2 AtomG) oder „allgemein anerkannter Stand der medizinischen Erkenntnisse“ (§ 2 Abs. 1 SGB V) längst Mechanismen ausgebildet. Solche Rezeptionsklauseln, die regelmäßig materielle und verfahrensbezogene Komponenten verbinden, und die ihnen zugeordneten Konkretisierungsverfahren müssen angesichts der Bedeutung gerade dieser Referenzgebiete stärker als bisher in die allgemeinen Lehren zur Gesetzesbestimmtheit und zur administrativen Gesetzesanwendung einbezogen werden90. Dazu treten nachträgliche Revisionsklauseln und gesetzliche Überprüfungsaufträge. Anders als durch eine Prozeduralisierung der Tatbestandsstrukturen sind gerade die wichtigen Bereiche des Wissenschafts- oder des Technikrechts nicht sachgerecht normierbar. Ähnliches gilt für Organisationsgesetze (→ 5/29–31)91.
b) Einzelne Kriterien 31 An einigen Stellen nennt das Grundgesetz selbst die Bestimmtheitsanforderungen, die an bestimmte Typen von Gesetzen zu stellen sind. Die wichtigste dieser Vorschriften ist Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG: Gesetze, die zum Erlaß von Rechtsverordnungen ermächtigen, müssen ein nach Inhalt, Ausmaß und Zweck festliegendes Ermächtigungsprogramm bieten92. Sie wird mit Hilfe einer „Formeltrias“ angewendet, die den Gesetzgeber zur Selbstentscheidung der Hauptpunkte, zu hinreichend deutlicher Programmierung und zur Gewährleistung von Vorhersehbarkeit verpflichten soll93; die gerichtliche Praxis ist allerdings durch eine zuneh89 90 91 92 93
So aber Breuer, AöR 2002, S. 523 (571). Anschaulich BVerfGE 49, 89 (133 ff.); vgl. auch Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 19 Abs. 4 Rn. 202 ff. Ossenbühl, Die Not des Gesetzgebers, S. 22 ff. Zu diesen Anforderungen vgl. Stern, Staatsrecht, Bd. 1, § 20 IV 4 c, S. 815 ff.; Ossenbühl, in: HStR Bd. 3, § 64 Rn. 13 ff. BVerwGE 100, 323 (325 f.); 116, 347 (349 f.).
B. Die Bedeutung des parlamentarischen Gesetzes
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mende Lockerung dieser Kriterien geprägt94. Für Satzungen sind die Anforderungen an die Gesetzesbestimmtheit schon vom theoretischen Ansatz, der besonderen Legitimation der satzungsgebenden Selbstverwaltungskörperschaften her geringer95, wobei zwischen kommunaler und funktionaler Selbstverwaltung nochmals zu unterscheiden ist (→ 6/86)96. Systematisch gehören auch die in Art. 110 Abs. 4 GG festgelegten Inhaltsanforderungen an das Haushaltsgesetz zu den speziellen Bestimmtheitsregeln der Verfassung. 32 Soweit keine speziellen Verfassungsvorschriften bestehen, sind die allgemeinen Bestimmtheitsanforderungen nach den Sachgesetzlichkeiten, den betroffenen Rechten und den Vorkehrungen der untergesetzlichen Konkretisierungsverfahren zu bestimmen. Die wichtigste Rolle spielen die Sachgegebenheiten des Regelungsgegenstandes97. Gesetze, die die Verwaltung auf ein Sachprogramm festlegen sollen, verlangen einen anderen Zuschnitt als Organisationsgesetze. Entwicklungsoffene Gebiete berechtigen dazu, Begriffe mit stark prognostischem Gehalt zu benutzen. Auch finale Programmierungen nach Art einer planerischen Abwägungsklausel (→ 4/30) sind trotz ihrer eigentumsbindenden Wirkung zulässig, ohne daß das Gesetz selbst konkrete Maßstäbe für die Gewichtung der einzelnen abwägungserheblichen Belange vorsehen muß98. Sind in einem Gebiet mit zunächst unsicherem Kenntnisstand nach einiger Zeit hinreichende Erfahrungen gesammelt worden, so sind die gesetzlichen Grundlagen u.U. nachzubessern. In risikobehafteten Materien müssen gegebenenfalls materielle Sicherheitsmargen oder Revisionsklauseln eine unvermeidbare Offenheit des Gesetzes ausgleichen99. 33 Bedeutung kommt ferner den Grundrechten zu (→ 2/33–46). Ihre differenzierten Wertungsschwellen können den Rang der betroffenen Rechtsposition und die Intensität des Rechtszugriffs anzeigen100. In der Literatur wird daher teilweise zwischen einem grundrechtlichen und dem allgemeinen Bestimmtheitsgebot unterschieden. Wir folgen dieser Trennung nicht; denn die Grundrechtsbetroffenheit ist im vorliegenden Zusammenhang letztlich nur ein Kriterium, um die Bestimmtheitsanforderungen festzulegen. Eine automatische Steigerung dieser Anforderung nach einer an der Eingriffsintensität ausgerichteten je-desto-Formel ist folglich nicht veranlaßt. Gerade das mit hochrangigen Schutzgütern befaßte technische Sicherheitsrecht zeigt, daß z.B. der schnelle Wandel der Lebensverhältnisse einen Tatbestandszuschnitt verlangen kann, der hinsichtlich seiner Bestimmtheit deutlich unterhalb derjenigen Maßstäbe liegt, die in weniger bedeutsamen, regelungstechnisch aber überschaubaren Gebieten anzuwenden sind. 94 95 96 97 98 99 100
Vgl. z.B. BVerfGE 100, 1 (31 ff.); Schmidt-Aßmann, in: FS für Vogel, S. 477 ff. Dazu BVerfGE 33, 125 (156 f.); Ossenbühl, in: HStR Bd. 3, § 66 Rn. 36 f. Waldhoff, in: FS für Vogel, S. 495 (510 ff.). BVerfGE 49, 89 (136 f.); 76, 1 (74 f.); Schuppert, Verwaltungswissenschaft, S. 476 ff. BVerfGE 79, 174 (198 f.); ferner BVerfGE 80, 137 (161 f.). Vgl. Denninger, Verfassungsrechtliche Anforderungen, S. 168 ff.; Scherzberg, VerwArch 1993, S. 484 (505). Vgl. dazu Kunig, Rechtsstaatsprinzip, S. 396 ff.
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Viertes Kapitel: Die verfassungsrechtliche Stellung der Verwaltung
34 Das Maß der gebotenen Gesetzesbestimmtheit wird ferner durch Art und Struktur derjenigen Verfahren bestimmt, in denen die gesetzesanwendenden Instanzen die Unbestimmtheit abarbeiten. Bieten diese Verfahren Gewähr für eine besonders sorgfältige und interessenneutrale Gesetzeskonkretisierung, so sind Unbestimmtheiten auf der Gesetzesebene eher hinzunehmen101. Gesetzgebung und Gesetzesanwendung werden so als Teile eines Steuerungskreislaufes verstanden, in dem besondere Verwaltungsverfahren und gerichtliche Verfahren die Aufgabe haben, gesetzliche Offenheit auszugleichen102. Im einzelnen hat der Gesetzgeber die Art der Konkretisierungsverfahren festzulegen. Er kann dabei der Exekutive auch die Letztentscheidungsbefugnis zuweisen (→ 4/65–68). Die üblicherweise im Zusammenhang mit dem gerichtlichen Rechtsschutz behandelte Frage der Beurteilungs-, Prognose- und Abwägungsermächtigungen hat ihren systematischen Standort daher schon bei der Gesetzesvorbehalts- und Gesetzesbestimmtheitslehre (→ 4/65–68). 35 Auf diesem Wege erlangen auch die administrativen Rechtsformen Bedeutung für die zu fordernde Bestimmtheit des Gesetzestatbestandes; denn es sind diese Formen, von denen Art und Zuschnitt der Verfahren vielfach abhängen. Normsetzungsverfahren der Verwaltung besitzen wegen ihrer größeren Distanz insofern regelmäßig einen Qualitätsvorsprung vor Verfahren zur Entscheidung von Einzelfällen. Ist ein Gesetz typischerweise darauf angelegt, in konsensualer Form umgesetzt zu werden, so kann sich der Gesetzgeber mit einem geringeren Maß an Bestimmtheit begnügen, als wenn er zu einem Zwangseingriff ermächtigt. Sind wiederum nicht alle materiell Beteiligten in die Kooperation einbezogen, steigen die Bestimmtheitsanforderungen. Keinesfalls darf das Gesetz Dritte ohne deren Mitwirkung der normsetzenden Gewalt nichtstaatlicher Einrichtungen, die ihnen gegenüber weder demokratisch noch mitgliedschaftlich legitimiert sind, aussetzen, ohne die vorgesehenen Beschränkungen in den wesentlichen Punkten selbst festzulegen103.
C. Die Eigenständigkeit der Verwaltung 36 Innerhalb der gewaltenteilenden Funktionenordnung kommt Eigenständigkeit nicht nur der Legislative und der Justiz, sondern auch der Exekutive zu. Diese Eigenständigkeit ist ein verfassungsrechtlicher Tatbestand (I), der verwaltungsrechtlich dazu führt, das Verwaltungsermessen als umgreifende Handlungsund Abwägungskompetenz zu definieren (II).
101 102 103
BVerfGE 33, 303 (341); 49, 169 (181). Hill, ZG 1995, S. 82 (85), der von einem „Lernprogramm“ spricht. BVerfGE 64, 208 (214 f.); 78, 32 (36); vgl. auch BVerfG NVwZ 2003, 974 (977).
C. Die Eigenständigkeit der Verwaltung
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I. Verfassungsrechtlicher Tatbestand 37 Art. 20 GG bestimmt gesetzgebende, vollziehende und richterliche Gewalt zu eigenständigen Staatsfunktionen. Verfassungsbegründete Eigenständigkeit meint nicht „Selbstherrlichkeit“. Sie ist kein naturwüchsiger Zustand einer vorverfassungsmäßigen Legitimität, sondern durch das Recht konstituiert. Die grundgesetzliche Gewaltenteilung muß nicht präexistente, souveräne Gewalten nachträglich bändigen. Sie kann vielmehr ihre unterschiedlichen Organisationsstrukturen und Arbeitsweisen nutzen, um daraus ein Gefüge zu bilden, in dem staatliche Entscheidungen stufenweise abgeschichtet, öffentlich verantwortet und kontrolliert getroffen werden104. Eigenverantwortung setzt Eigenständigkeit voraus105. Nur eigenständige, nicht aber nachgeordnete, mit reinen Vollzugsaufgaben betraute Funktionsträger können zur Ausbalancierung und damit zur Erhöhung der Rationalität des Gesamtsystems beitragen. Die Vorstellung einer zwischen der Ersten und der Dritten Gewalt, zwischen parlamentarischer Steuerung und gerichtlicher Kontrolle, fest eingespannten Exekutive vereinfacht zu sehr, um die von der Verfassung intendierten Gewichtungen ausdrücken zu können106. Hier gilt es, sich von überkommenen Formeln zu lösen, so einprägsam sie sein mögen. „Es reicht nicht mehr zu“, so hat Ulrich Scheuner schon 1969 gesagt, „allein mit den älteren Vorstellungen vom Gesetz als Schranke und von einer Vorstellung einfacher extensiver Ausdehnung strenger Gesetzesbindung an die Probleme heranzutreten“107.
1. Gesetzesdirigierte Verwaltung 38 Die Eigenständigkeit der Verwaltung zeigt sich näherhin im Spiegel ihrer Bindung an das Gesetz. Hier sind zwei Argumentationslinien beachtlich108: Die erste dieser Linien setzt an der gesetzlichen Tatbestandsstruktur an. Gesetzliche Regelungen können schon um ihrer generell-abstrakten Fassung willen die vielfältig differenzierten, sich wandelnden Lebenssachverhalte, mit denen die Verwaltung täglich konfrontiert ist, nur unvollständig erfassen. Gesetzesvollzug ist folglich schon vom methodischen Ansatz her niemals schematische Ableitung gesetzgeberisch vorentschiedener Einzelaussagen, sondern auch ein rechtsschöpferischer Vorgang, der den gesetzesanwendenden Instanzen eigene Entscheidungsräume beläßt. Diese „unhintergehbare Konkretisierungsbedürftigkeit“ 104
105 106
107 108
Ganz anders W. Leisner, Die undefinierbare Verwaltung, bes. S. 191 ff., der in diesen Strukturen die Verwaltung eher als „organisatorisch zersplitterte Gewalt“ sieht und darin den „Zerfall“ einer (zunächst wohl als einheitlich gedachten) Gewalt ausmacht. BVerfGE 68, 1 (87). Ossenbühl, Verwaltungsvorschriften, S. 187 ff.; Stern, Staatsrecht, Bd. 2, § 41 III 1; Brohm, DVBl 1986, S. 321 (329 f.); Schröder, in: HStR Bd. 3, § 67 Rn. 28; ausführlich Dreier, DV 1992, S. 137 ff. So Scheuner, DÖV 1969, S. 585 (593). Dreier, DV 1992, S. 137 (S. 146 ff.) mit weit. Nachw.
200
Viertes Kapitel: Die verfassungsrechtliche Stellung der Verwaltung
(Dreier) ist keine neue Erkenntnis. Sie liegt dem grundgesetzlichen Bild von der Gesetzesgebundenheit der vollziehenden Gewalt zugrunde und ist verfassungsrechtlich anerkannt (→ 2/15–19). Das Gesetz ist kein Speicher fertiger Antworten, sondern entfaltet seine Wirkungen in einem arbeitsteiligen Konkretisierungsprozeß109. 39 Die zweite Argumentationslinie nimmt ihren Ausgang bei den Differenzierungen der Vorbehaltslehre (→ 4/15–25). Danach beläßt das Grundgesetz der Exekutive durchaus Handlungsfelder, in denen sie unbeschadet des legislatorischen Zugriffsrechts ohne gesetzliche Grundlage eigenständige Aktivitäten entfalten kann. Die Beispiele der daseinsvorsorgenden, der planenden und der vorbereitenden Verwaltung zeigen110, daß dieses große und wichtige Gebiete sind. Aber auch innerhalb des Vorbehaltsbereichs gibt es Zonen administrativer Eigenständigkeit; denn mit ihrer Entscheidung gegen ein Bestimmtheitsmaximum und für flexible Bestimmtheitsmaßstäbe hat die Verfassung dem Gesetzgeber die Möglichkeit eingeräumt, durch offene oder verdeckte Delegationsnormen die Verwaltung gezielt zur Mitgestaltung heranzuziehen (→ 4/28–35). Ihre eigenständigen Beiträge sind hier geringer als in den vorbehaltsfreien Bereichen. Aber sie sind, wie das in den Rahmen des Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG gestellte Normsetzungsermessen belegt, von substantiellem Gewicht. 40 Aus parlamentarischen Vorbehalten und Zugriffsbefugnissen einerseits und administrativen Eigenbereichen andererseits ergibt sich in der Realität des modernen Gesetzgebungsstaates das Bild einer gesetzesdirigierten Verwaltung111. Bezeichnet ist damit ein Spektrum unterschiedlicher Dichtegrade gesetzlicher Steuerung, in dem eine vollständig gesetzesgebundene Verwaltung ebenso wie eine gänzlich gesetzesfreie Verwaltung als äußerste Eckpunkte nur theoretisch Platz haben. Realität besitzen beide nicht. Das Bild einer „gesetzesfreien Verwaltung“ führt in die Irre. Immer existieren mindestens Organisations-, Haushalts- und Verfahrensregelungen. Dazu treten selbst in gesetzlich wenig erschlossenen Bereichen Aufgabenvorschriften, Zielvorgaben und Rahmenregelungen. Verwiesen sei auch auf die zunehmende Bedeutung europarechtlicher Normen (→ 2/12). Die neuere Steuerungsdiskussion nennt neben der materiellen Programmsteuerung die Rahmen-, die Verfahrens- und die Organisationssteuerung mit je eigenen Bindungsansprüchen und Bindungstechniken ihrer Gesetze (→ 1/37–39)112. Auch die privatrechtlich handelnde Verwaltung ist nicht geset109
110 111
112
Schulze-Fielitz, Parlamentarische Gesetzgebung, S. 135 ff.; Pernice, Billigkeit und Härteklauseln, S. 539 ff.; Dreier, Hierarchische Verwaltung, S. 165 ff.; Schuppert, Verwaltungswissenschaft, S. 514 ff.; ausführlich schon W. Schmidt, Gesetzesvollziehung durch Rechtsetzung, S. 114 ff. Dazu Lerche, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 83 Rn. 61. Schmidt-Aßmann, VVDStRL Bd. 34, S. 221 (231, 252); Krebs, Kontrolle, S. 71 ff.; Dreier, DV 1992, S. 137 (145); vgl. auch Wolff/Bachof/Stober, Verwaltungsrecht, Bd. 1, § 31 Rn. 1 ff. Dazu Schuppert, in: Hoffmann–Riem/Schmidt-Aßmann/Schuppert, Reform des Verwaltungsrechts, S. 65 (72 ff.).
C. Die Eigenständigkeit der Verwaltung
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zesfrei. Sie findet heute in einem diffizilen Vergaberecht (§§ 97–101 GWB) und im übrigen in der Privatrechtsordnung ihren Rahmen, die die Interessen des Massenverkehrs in Versorgungsbedingungen und Verbraucherschutzvorschriften oft wesentlich differenzierter verarbeitet hat als das öffentliche Recht (→ 6/24–26). Die Vorstellung einer durchgängig gesetzesdirigierten Verwaltung führt den Steuerungsanspruch des Gesetzes und die Eigenständigkeit der Verwaltung in einem einheitlichen Modell zusammen. 41 Die Erscheinungsformen administrativer Eigenständigkeit richten sich vor allem nach der Aufgabenstruktur und den aufgabenspezifischen Erfüllungsmodalitäten: Dabei darf das Bild der Verwaltung, das die Vorstellungen des allgemeinen Verwaltungsrechts prägt, nicht allein von der Vollzugsverwaltung im engeren Sinne und von ihren Weisungshierarchien bestimmt sein (→ 5/5–6). – Die Vollzugsverwaltung ist unbestreitbar ein nach wie vor wichtiger und häufiger Verwaltungstypus. Das belegen die großen Massenverwaltungen der Sozialversicherung und des Abgabewesens. In ihnen hat die moderne Datentechnik die Präzision des Vollzugsvorgangs zum Teil in einer Weise gesteigert, daß hier die alte Maschinen-Metapher der Staatslehre Realität gewonnen zu haben scheint113. Auf der anderen Seite sind selbst diese Bereiche keineswegs auf einen schematischen Vollzug festgelegt. Vielmehr finden sich auch hier Entscheidungen, die vom Gesetz inhaltlich nur unvollständig dirigiert werden. Das beginnt bei der Typisierungspraxis der Finanzämter und geht von dort zu Verständigungsformen, mit denen z.B. Betriebsprüfungen abgeschlossen werden114. Auch die vertragliche Festlegung der Rahmenbedingungen der Leistungserbringung in der Krankenversicherung gehört hierher. Wenn das Gesetz nur mit qualitativ-abstrakten Begriffen arbeitet, „muß die Exekutive von sich aus Klarheit schaffen, selber quantifizieren und so das Gesetz zur Anwendungsreife fortbilden“115. – Schon der äußeren Erscheinung nach sind erhebliche eigenständige Handlungsmöglichkeiten in der planenden Verwaltung auszumachen. Das ist allgemein anerkannt, wird aber, wenn über Verwaltung allgemein gesprochen wird, oft zu wenig im Blick behalten. Gesetzlicher Planungsauftrag und Planungsermessen gehören, wie die Rechtsprechung schon früh herausgearbeitet hat, typischerweise zusammen116. Planerisches Handeln durchzieht die Verwaltungstätigkeiten vielfältig. Es findet sich nicht nur dort, wo es sich in festen Rechtsformen ausdrückt, wie das für das Raumplanungssystem gilt. Es prägt vielmehr auch weite Bereiche der Wirtschaftsförderung, der Bodenpolitik, der Infrastrukturverwaltung und des Personal- und Beschaffungswesens (→ 6/95–99).
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Dazu Voßkuhle, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann, Verwaltungsrecht in der Informationsgesellschaft, S. 349 (389); auch Britz, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann, Verwaltungsverfahren und Verwaltungsverfahrensgesetz, S. 213 (267). Zur MaschinenMetapher historisch Dreier, Hierarchische Verwaltung, S. 36 ff. Vgl. nur Seer, Verständigungen in Steuerverfahren, S. 8 ff., 25 ff. So zutreffend Isensee, StuW 1994, S. 3 (11). BVerwGE 48, 56 (63).
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Viertes Kapitel: Die verfassungsrechtliche Stellung der Verwaltung
– Aufgaben der Gewährleistungsverwaltung lassen sich ohne Gestaltungsmöglichkeiten nicht erfüllen (→ 3/116). Überhaupt sind Vorgänge staatlich-administrativer Kooperation regelmäßig nicht reiner Gesetzesvollzug, sondern Handeln unter Nutzung unterschiedlicher Instrumentenkombinationen. Wie Verwaltung und Unternehmen z.B. bei der Wahrnehmung von Aufsicht und Eigenkontrollen zusammenwirken, läßt sich rechtlich nicht in allen Einzelheiten vorzeichnen. Gleiches gilt für Verhandlungslösungen, die (auch) von der Verwaltung eine Optionenauswahl verlangen. – Gestaltungsräume besonderer Art besitzt die Exekutive in ihrer eigenen Wirtschaftstätigkeit, insbesondere durch den Einsatz öffentlicher Unternehmen. Öffentliche Unternehmen sind regelmäßig auf unterschiedliche Ziele hin ausgerichtet. Neben den klassischen Formalzielen der Unternehmen (Gewinn, Liquidität, Wachstum) stehen die Sachziele der öffentlichen Aufgaben, um derentwillen die Verwaltung öffentliche Unternehmen einsetzt117. Die konkrete Zielbildung ist ein mehrphasiger, komplexer Entscheidungsprozeß, der sich im Rahmen und unter den Vorgaben der einschlägigen Rechtsvorschriften bewegt, aber nicht als Gesetzesvollzug gedeutet werden kann118 (→ 5/48–52). – Unterschiedliche Formen eigenständiger Verwaltung lassen sich aber nicht nur in verschiedenen Aufgabenfeldern beobachten. Ein durchlaufendes Thema sind die Handlungs- und Gestaltungsmöglichkeiten, die die Verwaltung innerhalb jedes Verwaltungsverfahrens besitzt (→ 6/152 ff.)119: in der Mithilfe bei der Formulierung eines Antrages, im Hinweis auf Alternativen, in der Beschaffung von Beweismitteln, in der Beeinflussung des Zeitfaktors, in neuerer Zeit auch durch Auslagerung bestimmter Verfahrensabschnitte und ihre Übertragung auf private Einrichtungen120. Administrative Gesetzesanwendung ist nicht nur ein Problem der Methode, sondern auch der Zeit. Die intensivere Beschäftigung mit dem Verfahrensgedanken im öffentlichen Recht hat hier selbst in der gebundenen Verwaltung ein erstaunlich großes Maß administrativer Eigensteuerung deutlich werden lassen, das die Gesetzesvollzugslehre bisher zu wenig beachtet hat. Zutreffend wird von einer spezifischen Verfahrensverantwortung der Verwaltung gesprochen121. Das Erscheinungsbild wird noch differenzierter, wenn man sich nicht auf die Beobachtung des äußeren Verfahrensablaufs beschränkt, sondern auch das innere Verfahren, d.h. jenen Entscheidungsvorgang, der rechtlich verkürzt als Subsumtion eines Sachverhalts unter eine Norm vorgestellt wird, auf Handlungs- und Gestaltungsspielräume hin analysiert. Managementansätze und Neues Steuerungsmodell bringen weitere Kriterien ins Spiel, weil sie auf anderen als den für 117 118 119 120 121
Vgl. Chmielewicz, in: HWÖ, Sp. 1094 (1099). Vgl. Diederich, in: HWÖ, Sp. 1835 (1862 f.). Anschaulich dazu Simons, Verfahren im Sozialrecht, pass.; Brohm, DVBl 1994, S. 133 (138). Vgl. Wahl, DVBl 1993, S. 517 ff.; Burgi, Funktionale Privatisierung, S. 137 ff. Grundlegend Pitschas, Verwaltungsverantwortung, bes. S. 287 ff.; ferner Hill, DVBl 1993, S. 973 (977); Würtenberger, Akzeptanz von Verwaltungsentscheidungen, S. 98 ff.
C. Die Eigenständigkeit der Verwaltung
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den Gesetzesvollzug typischen Motivationsstrukturen aufbauen (→ 1/40–44). Die „normativen Orientierungen“ des Verwaltungshandelns sind vielfältiger als die Maßstäbe der Gesetz- und Rechtmäßigkeit (→ 2/22; 6/57). 42 Vollziehende Gewalt im Sinne des Art. 20 Abs. 2 GG ist gesetzesdirigierte Gewalt. Trotz erheblicher Konkretisierungsräume bleibt das Gesetz der zentrale Bezugspunkt. Das Gesetz ist für die Verwaltung nicht nur eine Randerscheinung oder ein „Auffangnetz für das Scheitern von Primärbeziehungen“122, sondern mit seinem normativen Anspruch Leitlinie administrativen Handelns. Diese Aussage ist verfassungsrechtlich unverzichtbar, und sie ist, wenn man die Vielfalt der täglichen Verwaltungspraxis in den Blick nimmt, auch plausibel. Aber der Vollzug des Gesetzes stellt sich komplexer dar, als es in der überkommenen Vorstellung von der Gesetzesanwendung abgebildet wird. Präziser Umgang mit den Gesetzesbegriffen, Definition, Tatsachenfeststellung und Subsumtion sind gewiß der unverzichtbare methodologische Grundtatbestand (→ 1/48). Gesetzesvollzug erschöpft sich jedoch regelmäßig nicht darin. Administratives Handeln – juristisch rekonstruiert als Gesetzesvollzug – bewegt sich auch in gesetzlich zuerkannten Gestaltungsräumen. Das ist kein anormaler Zustand, den es möglichst einzuengen oder mit Stillschweigen zu übergehen gälte. Es ist auch keine neuere Entwicklung, die sich mit einer perfekteren Bindung in einer guten alten Zeit konfrontieren ließe123. Der Umgang mit Gestaltungsräumen gehört zu dem, was die Gesetzesanwendung durch die Verwaltung ausmacht. Das wird in verengender Konzentration auf den Subsumtionsmechanismus gelegentlich verkannt. In den meisten Lehrbüchern liest man zwar viel über den Gesetzesvorbehalt, aber wenig über die Gesetzesanwendung124. Erst eine systematisch entwickelte Gesetzesanwendungslehre vervollständigt das Programm des Art. 20 Abs. 3 GG. Sie muß so aufgebaut sein, daß sie den Steuerungsansprüchen, den Steuerungsgrenzen und den bewußten Steuerungsverzichten des Gesetzes Rechnung trägt, bestehende administrative Entscheidungsspielräume zur Kenntnis nimmt und die komplementären Rationalisierungsleistungen der anderen Maßstäbe und der ihnen zuzuordnenden Sanktions- und Kontrollmechanismen und der Eigenprogrammierung der Verwaltung einbezieht (→ 4/54).
2. Zur Frage eines Verwaltungsvorbehalts 43 Die Eigenständigkeit der Verwaltung ist nicht identisch mit dem, was in der staatsrechtlichen Diskussion als Verwaltungsvorbehalt behandelt wird. Dabei geht es nicht einfach um solche Bereiche, die der Verwaltung gleichsam auf natürliche Weise deshalb zufallen, weil die anderen Funktionsträger aus sachlich122 123 124
So die soziologische Aussage bei Luhmann, Das Recht der Gesellschaft, S. 430. Zutreffend Groß, Kollegialprinzip, S. 181: „Im Grunde war es schon immer ein Mißverständnis, Verwaltung ausschließlich als Normvollzug zu konzipieren“. Systematisch herausgearbeitet als Zusammenhang zwischen „Programmierung“ und „Vollzug“ aber von Rossen, Vollzug und Verhandlung, S. 15 ff.
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Viertes Kapitel: Die verfassungsrechtliche Stellung der Verwaltung
praktischen Gründen zu einer Regelung nicht in der Lage sind125. Die Frage nach einem Verwaltungsvorbehalt ist sinnvoll nur als normative Frage zu stellen, inwieweit das Verfassungsrecht der Exekutive bestimmte Entscheidungen oder Handlungen reserviert und sie gegenüber Einwirkungen der anderen Funktionsträger, insbesondere gegenüber dem parlamentarischen Zugriffsrecht, abschirmt126. Soweit keine speziellen Vorschriften bestehen, wie z.B. für die verfassungsrechtlich anerkannten Selbstverwaltungsträger, kommt als Grundlage eines solchen Vorbehalts nur der mit der Gewaltenteilungslehre notwendig verbundene Kernbereichsgedanke in Betracht: Ein Einbruch in zentrale Gestaltungsbereiche der anderen Gewalten ist keinem Funktionsträger gestattet. Der Kernbereichsgedanke ist wegen seiner Unbestimmtheit zwar oft kritisiert worden127. Er ist aber für das Gewaltenteilungsgefüge eine unverzichtbare Auslegungshilfe128. 44 Der „Kernbereich exekutivischer Eigenverantwortung“129 besteht allerdings nicht aus einzelnen Sachaufgabenfeldern, sondern in Handlungsweisen, Ressourcen, Verfahren und Organisationszusammenhängen, die für die Funktionsfähigkeit der Zweiten Gewalt unverzichtbar sind. Auch auf diese Faktoren kann gesetzlich zwar in Einzelpunkten zugegriffen werden. Aber das darf nicht in einer Weise geschehen, die die zentralen Vorgänge exekutivischer Informationsgewinnung, Konzepterarbeitung oder Selbstprogrammierung praktisch lähmen würde130. Ein so begründeter Verwaltungsvorbehalt wendet sich vor allem gegen den Erlaß von Sperrgesetzen oder gegen die Annahme von Richtervorbehalten, die der Verwaltung bereits die Möglichkeiten zur Vorplanung ihrer Aktivitäten nehmen sollen. So kann der Verwaltungsvorbehalt Bedeutung gewinnen, wenn es darum geht, Flexibilität und Innovationsfähigkeit der Exekutive und damit das planerische Vorfeld des Verwaltungshandelns zu sichern. Die mit der Budgetsteuerung (§ 6a HGrG) eintretenden Kompetenzverlagerungen zwischen Parlament und Regierung berühren dagegen den Kernbereich der Exekutive wenig, wie sie umgekehrt keine Gefährdungen parlamentarischer Gestaltungsmöglichkeiten darstellen131. 125
126 127 128 129 130
131
Von „sachstrukturellen Gründen“, die einen gesetzgeberischen Zugriff ausschließen, spricht Ossenbühl, in: HStR Bd. 3, § 62 Rn. 63 ff. Vgl. auch BVerfGE 105, 270 (303 f.): „Der Sachbereich muß staatlicher Normierung zugänglich sein“. Vgl. Maurer, VVDStRL Bd. 43, S. 135 (140) mit der Unterscheidung zwischen faktischem und normativem Verwaltungsvorbehalt. Dazu nur Baer, Staat 2001, S. 525 ff. Stern, Staatsrecht, Bd. 2, § 36 IV 5, S. 541 f. So BVerfGE 68, 1 (87); BVerfGE 95, 1 (16); vgl. Seiler, Parlamentsvorbehalt, S. 122 ff. Schnapp, VVDStRL Bd. 43, S. 172 (193 ff.); Krebs, in: HStR Bd. 3, § 69 Rn. 85; differenzierend Pitschas, Verwaltungsverantwortung, S. 612 ff. Ablehnend Ossenbühl, in: HStR Bd. 3, § 62 Rn. 59; Schröder, in: HStR Bd. 3, § 67 Rn. 22 ff., die nur „disponible Restkompetenzen“ der Verwaltung, aber keinen festen Vorbehalt anerkennen wollen. Auf Gefährdungen der Gewaltenteilung durch die gesetzgeberische Statuierung von Verwaltungsöffentlichkeit macht Rossen-Stadtfeld, in: Schmidt-Aßmann/HoffmannRiem, Verwaltungskontrolle, S. 117 (192 ff., 197 f.) aufmerksam. J.-P. Schneider, DV 2001, Beiheft 4, S. 177 (186); Kube, DÖV 2000, S. 810 ff.; auch Hoffmann-Riem, in: Schmidt-Aßmann/Hoffmann-Riem, Verwaltungskontrolle, S. 73 (83 ff.).
C. Die Eigenständigkeit der Verwaltung
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45 Zu Handlungen, die nach der Lehre vom Gesetzesvorbehalt nur auf gesetzlicher Grundlage vorgenommen werden dürfen, befugt der Verwaltungsvorbehalt niemals. Ebensowenig ist er als administrativer Vollzugsvorbehalt begründbar. Die Vollzugsbedürftigkeit des Gesetzes ist zwar der Normaltatbestand der grundgesetzlichen Gewaltenteilung. Soll davon abgewichen und sollen einzelne und typischerweise als Verwaltungsentscheidungen getroffene Akte ausnahmsweise in Gesetzesform getroffen werden, so bedarf das besonderer Begründung; es ist aber verfassungsrechtlich nicht schlechthin unmöglich132. Die Vollzugskompetenz eröffnet der Exekutive Gestaltungsmöglichkeiten und ist eine Komponente ihrer Eigenständigkeit (→ 4/41–42), kann aber nicht zu einem verfassungsfesten Vorbehalt überhöht werden.
II. Das Ermessen der Verwaltung 46 Im Konzept der gesetzesdirigierten Verwaltung ist das Verwaltungsermessen der zweite, neben der Arbeit am Rechtstext stehende Eckpfeiler. Das tritt in der überkommenen Lehre allerdings nicht deutlich genug hervor. Die Ermessenslehre stand nämlich für mehr als ein Jahrhundert in engstem Zusammenhang mit dem Ausbau des Verwaltungsgerichtsschutzes133. „Die Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte bricht an dem Punkte ab, an dem das freie Ermessen der Verwaltungsbehörden beginnt“134. In dieser Verbindung hatte der Ermessensbegriff kompetenzscheidende Kraft. An dieser Grenze fanden die Auseinandersetzungen um eine zunehmende Intensivierung des gerichtlichen Kontrollauftrages statt135: die Differenzierungen einzelner Ermessensarten, die Umformung des freien in ein pflichtgemäßes Ermessen, die Entwicklung der Ermessensfehlerlehre, die Unterscheidung zwischen Ermessen und unbestimmtem Gesetzesbegriff, die Verengung des Ermessens auf das Rechtsfolgenermessen. Die Gerichtszentriertheit der Ermessenslehre hat zu den scharfsinnigen Verfeinerungen der Beurteilungs-, Prognose- und Einschätzungsprärogativen geführt. Das Ausmaß der Differenzierungen ist im Rechtsvergleich einmalig136. In einer sich ausbildenden euro132 133 134
135
136
Ebenso Maurer, VVDStRL Bd. 43, S. 135 (158); auch Ossenbühl, in: HStR Bd. 3, § 62 Rn. 58. Vgl. auch BVerfGE 95, 1 (16). So zutreffend Ehmke, Ermessen, S. 7, 12 ff.; ebenso für England Brinktrine, Verwaltungsermessen, S. 169 ff. Fleiner, Institutionen, S. 257 unter Bezugnahme auf die älteren Verwaltungsgerichtsgesetze Bayerns, Badens, Thüringens, Württembergs. Dagegen aber O. Mayer, Verwaltungsrecht, Bd. 1, S. 133: „Akte des freien Ermessens sind oft, vielleicht meistens, aber doch keineswegs unbedingt, von der Rechtspflege ausgeschlossen.“ Darstellend Ehmke, Ermessen, S. 7 ff.; Remmert, Grundlagen des Übermaßverbotes, S. 124 ff.; zur Stellung des Planungsermessens Rubel, Planungsermessen, S. 140 ff.; historisch noch weiter in die vorkonstitutionelle Staatslehre ausgreifend Held-Daab, Das freie Ermessen, S. 20 ff. Vgl. die Beiträge in: Frowein, Kontrolldichte; zusammenfassend dort Oeter, S. 266 (277); Classen, Europäisierung der Verwaltungsgerichtsbarkeit, S. 19 ff.; Grabenwarter, Verfahrensgarantien, S. 109 ff.; vgl. Groß, DV 2000, S. 415 (427 f.).
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päischen Verwaltungsrechtslehre findet es jedoch wenig Anerkennung; eher wird man eine „Marginalisierung durch Überdogmatisierung“ befürchten müssen.
1. Ermessen als besondere Handlungs- und Abwägungskompetenz 47 So sehr dieses alles dogmengeschichtlich erklärlich ist, so muß doch gefragt werden, ob die vorherrschende Gerichtsschutzperspektive die Breite der Ermessensthematik erfassen kann. Daran bestehen schon deshalb Zweifel, weil sich das Verwaltungsrecht heute mit zahlreichen administrativen Tätigkeiten beschäftigen muß, in denen Rechtsschutzprobleme nicht oder doch in ganz anderer Art, z.B. als zivilrechtliche Vertragsstreitigkeiten, auftreten. Das gilt für große Teile des Organisations- und Kooperationsrechts, des Leistungsrechts und für die wirtschaftliche Verwaltungstätigkeit. Auch hier aber geht es darum, auf welche Weise die Verwaltung rechtlich gebunden ist und inwieweit ihr die gesetzlichen Direktiven die Aufgabe eigener Gestaltung zuweisen. Das Verwaltungsermessen kann folglich nicht als Restkategorie dessen verstanden werden, was die Auseinandersetzungen mit den Verwaltungsgerichten der Exekutive übriggelassen haben137. Es muß vielmehr von seiner bisherigen Kontrollperspektive auf eine Handlungsperspektive umgestellt werden. Ausgangspunkt der Ermessenslehre ist die methodenbestimmte Arbeit am Gesetz (→ 4/56). 48 Das Ermessen der Verwaltung kann allgemein als „eine besondere Zuständigkeit zur Rechtskonkretisierung im Rahmen einer vorgegebenen Zweckbestimmung“ verstanden werden (→ 4/50)138. Es ist nicht auf die Rechtsfolgenseite der Norm beschränkt, sondern kann auch auf der Tatbestandsseite angesiedelt sein. Folglich sind Ermessen und Beurteilungs- und Gestaltungsermächtigungen nicht streng getrennte Rechtsfiguren, sondern gehen auf unterschiedliche Formulierungstechniken des Gesetzgebers zurück und können unter methodischen Gesichtspunkten austauschbar sein139. Ein vereinheitlichender Sprachgebrauch wird auch durch ein rechtsvergleichendes Argument nahegelegt. Das gesamte Ermessensthema wird nämlich in anderen europäischen Rechtsordnungen üblicherweise mit einem einheitlichen Begriff (discretionary power, pouvoir discrétionnaire) belegt140. Sich über die Grundlagen der Problematik zu verständigen, sollte nicht schon durch Verkürzungen eingeführter Schlüsselbegriffe erschwert werden.
137 138 139
140
Ehmke, Ermessen, S. 45; Bullinger, JZ 1984, S. 1001 (1006). Starck, in: FS für Sendler, S. 167 (167); Pache, Tatbestandliche Abwägung, S. 479 ff. Koch, Unbestimmte Rechtsbegriffe und Ermessensermächtigungen, S. 172 ff.; Sendler, in: FS für Ule, S. 337 ff.; Herdegen, JZ 1991, S. 747 ff.; Dreier, DV 1992, S. 137 (151 f.); Pache, Tatbestandliche Abwägung, S. 482 f.; Wahl, in: FG 50 Jahre Bundesverwaltungsgericht, S. 571 (598). Craig, in: Bullinger, Verwaltungsermessen, S. 79; Wade/Forsyth, Administrative Law, S. 347 ff., 379 ff.; Schlette, Kontrolle von Ermessensakten, S. 109 ff., 119; Brinktrine, Verwaltungsermessen, S. 554 ff.; Pache, Tatbestandliche Abwägung, S. 499 ff.
C. Die Eigenständigkeit der Verwaltung
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49 Ermessen bezeichnet keine „Wahlfreiheit“141. Die Verwaltung wählt nicht frei, sondern sie hat sich als durchgängig rechtlich dirigierte Gewalt an den in Gesetz und Handlungsauftrag angelegten Maßstäben auszurichten und diese im Ermächtigungsrahmen eigenständig abzuwägen. Auch Ermessensausübung ist Rechtskonkretisierung (→ 4/54). Die Maßstäbe sind zunächst einmal die Zielvorgaben, die sich dem Programm der einschlägigen Gesetze entnehmen lassen, u.U. in Finalprogrammen auch ausdrücklich als Ermessensdirektiven ausgewiesen sind. Dazu treten die Maßstäbe der Verfassung, insbesondere die Grundrechte, das Verhältnismäßigkeitsprinzip und die Gleichheitsgebote (→ 6/59) sowie die zunehmend dichteren Vorgaben des Europarechts (→ 2/9–14). Aber auch jenseits dieser Rechtsmaßstäbe im engeren Sinne beginnt keine Sphäre freier Zweckmäßigkeit. Es folgen vielmehr die Maßstäbe der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit. Sie sind deshalb besonders wichtig, weil sie über ein eigenes Kontrollsystem, die Rechnungsprüfung, verfügen. Zudem zeigen sie, daß zwischen rechtlichen und anderen normativen Orientierungen gleitende Übergänge bestehen. So ist das Verhältnismäßigkeitsprinzip kein in jeder Hinsicht strikter Rechtsmaßstab. Umgekehrt umgreift die Wirtschaftlichkeit breite Zonen rechtlicher Gebundenheit. Ermessen ist folglich ein durch ein ganzes Bündel von Maßstäben strukturierter und auf Rationalität ausgerichteter Handlungsauftrag der Verwaltung (→ 6/64–71). „Richtig“ ist dieser Auftrag nicht schon dann erfüllt, wenn keine Rechtsfehler unterlaufen sind. „Richtigkeit“ des Verwaltungshandelns verlangt auch ressourcenschonendes und akzeptanzförderndes Handeln142. 50 Verwaltungsermessen ist also ein durch den Gesetzeszweck angeleitetes administratives Abwägen von Richtigkeitskriterien. § 40 VwVfG drückt das zutreffend aus, indem er auf die Grenzen und den Zweck der Ermächtigung als zentrale Handlungsdirektiven abstellt. Der Zweck ist das Primäre und wird zutreffend an erster Stelle genannt: Er bestimmt das Spektrum der legitimerweise heranzuziehenden Kriterien. Dabei ist auch zu ermitteln, inwieweit die einzelnen Kriterien untereinander kompensationsfähig sind143. Die Grenzen sind der äußere Rahmen, in dem die Gestaltungsbefugnis ausgeübt werden darf. Aus der Zweckorientierung wird zugleich die Eigenheit der ermessensprägenden Abwägung deutlich. Wenn von Abwägung gesprochen wird, muß allerdings beachtet werden, daß das Recht unterschiedliche Arten der Abwägung kennt144:
141 142 143 144
Vgl. Koch/Rubel/Heselhaus, Verwaltungsrecht, § 5 Rn. 83 ff. Hoffmann-Riem, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann, Innovation und Flexibilität, S. 9 (27). Zur Kompensation als Element der von ihm sogenannten gestaltenden Abwägung vgl. Weyreuther, Bauen im Außenbereich, S. 18 f. Mit weit. Nachw. Pache, Tatbestandliche Abwägung, S. 486 ff. Vgl. auch die von Weyreuther, Bauen im Außenbereich, S. 18 f. entwickelte Unterscheidung zwischen gestalterischer und nachvollziehender Abwägung.
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Viertes Kapitel: Die verfassungsrechtliche Stellung der Verwaltung
– Abwägung kann einmal die Auflösung von Normen- oder Rechtsgüterkollisionen bedeuten. Ihre Kriterien sind dann als Rechtskriterien in den einschlägigen Rechtsvorschriften vollständig enthalten und gestatten keine Ergänzung. – Abwägung kann aber auch die Rangbestimmung zwischen Kriterien sein, über deren Kreis die einschlägige Gesetzesvorschrift nur insofern eine Festlegung trifft, als sie diejenigen Kriterien ausgrenzt, die nach diesem Gesetz nicht handlungsleitend sein dürfen. Die das Verwaltungsermessen prägende Abwägung ist eine solche der zweiten Art: Auch sie ist Rechtskonkretisierung. Der Zweck der Ermächtigungsnorm gibt an, in welche Richtung die Handlungsoption ausgeübt werden soll. Im übrigen aber ist ihr nur zu entnehmen, welche Punkte sich nicht mehr auf der Bandbreite der zur Rationalisierung dieses Handlungsauftrages zugelassenen Kriterien bewegen. Die als handlungsleitend nicht ausgeschlossenen Kriterien werden dadurch nicht notwendig zu Rechtskriterien, sondern bleiben Gesichtspunkte der Praktikabilität, Akzeptabilität etc.
2. Tatbestandsstrukturen und Ermessensarten 51 Ermessensermächtigungen haben in den unterschiedlichen Verwaltungsbereichen unterschiedliche Gestalt145: Handelt es sich um einen Bereich, der wie die meisten Bereiche der Ordnungsverwaltung seine Grundlage in einem eigenen Fachgesetz besitzt und in der Tradition des Eingriffsrechts intensiv durchnormiert ist, so ergeben sich Bindungsanspruch und Offenheit des gesetzlichen Programms aus einer innerhalb des jeweiligen Gesetzes durchzuführenden Analyse, die sich mit den einzelnen Rechtsbegriffen und den im Regelfall konditional aufgebauten Tatbestandsstrukturen auseinandersetzen muß (→ 4/30). Es gibt jedoch auch Verwaltungsbereiche, die der Gesetzgeber nach Maßgabe der Lehren vom Gesetzesvorbehalt keiner systematischen Durchnormierung unterziehen muß und dieses auch nicht getan hat. Auch diese Bereiche sind nicht gesetzesfrei, sondern werden durch Vorschriften des Organisations-, Verfahrens- und Haushaltsrechts sowie durch Bestimmungen dirigiert, die aus anderen Rechtsgebieten in den entsprechenden Bereich hineinwirken (→ 4/40). Oft wird die ermessenstypische offene Entscheidungssituation vor allem in den Räumen zwischen den einschlägigen Gesetzesbestimmungen liegen. Das Ermessen kann hier, ohne daß es textlich in Erscheinung tritt, sogar den Kern des Tätigkeitsbereichs ausmachen. Ein Beispiel bildet die gemeindliche Wirtschaftstätigkeit, die durch die Kommunalgesetze einerseits und das privatrechtliche Unternehmensrecht andererseits nur rahmenmäßig dirigiert ist, während der Zentralbereich der Unternehmensentscheidungen von ungeschriebenen Ermessensermächtigungen ausgefüllt wird. 145
Darstellung unterschiedlicher Typen von Ermessensermächtigungen bei SchmidtAßmann, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 19 Abs. 4 Rn. 188–217 (dort als „Letztentscheidungsermächtigungen“ bezeichnet); ferner Schuppert, Verwaltungswissenschaft, S. 475 ff.
C. Die Eigenständigkeit der Verwaltung
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52 Der hier zugrundegelegte weite Ermessensbegriff (→ 4/48) gestattet es, äußerlich unterschiedliche Tatbestandsstrukturen begrifflich zu verklammern und sie nach Funktionen und eingesetzten Konkretisierungsverfahren zu ordnen. Ermessensausübung ist situationsbestimmtes Abwägen. Die Entscheidungssituation, ihre Rahmenbedingungen und die in ihr verfügbaren Instrumente und Verfahren haben in einer administrativen Ermessenslehre folglich einen wichtigen Platz. Eine bestimmte Ermächtigung zur Verordnungsgebung oder zur Aufstellung eines Bebauungsplans ist Gegenstand nicht nur des materiellen Rechts, sondern besitzt, da ihr eine spezifische Handlungsform zugeordnet ist, auch eine verfahrensrechtliche Komponente. Durch die gesetzliche Ausgestaltung dieses Verfahrens werden die Faktoren der Ermessensentscheidung mittelbar gesteuert, indem z.B. je nach eingesetzter Rechtsform eine abstrakte oder eine konkrete Betrachtung der entscheidungserheblichen Sachverhaltselemente verlangt wird. Das ist für die Bedeutung der polizeirechtlichen Generalklausel und ihren Einsatz als Grundlage für Verfügungen oder für Polizeiverordnungen seit langem anerkannt146. Ein Ermessenstatbestand kann folglich unterschiedlich auszulegen sein, je nachdem in welcher administrativen Rechtsform er umgesetzt werden soll. 53 Eingeführte Kennzeichnungen unterschiedlicher Entscheidungssituationen sind die Begriffe des „Vollzugsermessens“, des „Planungsermessens“ und des „Normsetzungsermessens“. Schwierige prognostische Entscheidungen ergehen auf der Basis eines „Prognoseermessens“, das zu besonderer Methodentransparenz verpflichtet147. Im einzelnen Verwaltungsvorgang können sich einzelne Elemente dieser Ermessensarten verbinden148. Ein eigenständiges Thema ist das „Verfahrensermessen“, das selbst in die gesetzlich strikt gebundene Sachentscheidung weit hineinreicht. Seine Determinanten sind Einfachheit, Zweckmäßigkeit und Zügigkeit (§ 10 S. 2 VwVfG), und seine Bewährung ist die Nutzung des Verfahrens als Forum rechtlich geordneter Kommunikation149. In neuerer Zeit sind weitere Typisierungen entwickelt worden150: Ein „taktisches Ermessen“ soll die besondere Beweglichkeit kennzeichnen, die die Verwaltung in die Lage versetzt, auf Augenblickslagen flexibel reagieren zu können. Ein „Managementermessen“ prägt Entscheidungen unter Marktbedingungen, wie sie in öffentlichen und gemischt-wirtschaftlichen Unternehmen zu treffen sind. Auch von einem „Regulierungsermessen“ läßt sich sprechen (→ 3/53). Die Analyse des Fachrechts zeigt, daß Ermessenstatbestände das gesamte Verwaltungsrecht in großer Zahl durchziehen. Die von Art. 19 Abs. 4 GG inspirierte Ansicht, der Verwaltung dürfe nur in Ausnahmefällen eine Beurteilungsermächtigung erteilt werden (→ 4/65–68), stimmt nur für das Prüfungswesen. Auf die Verwaltungsrechtsordnung insgesamt bezogen sind Ermessensermächtigungen keine Ausnah146 147 148 149 150
Vgl. nur BVerwGE 116, 347 (351 f.). Vgl. BVerwGE 75, 214 (233 f.). Waechter, VerwArch 1997, S. 298 (bes. S. 310 ff.). Dazu Hill, NVwZ 1985, S. 449 (453 ff.); ders., DÖV 1994, S. 279 (282 ff., 286). Grundlegend Bullinger, JZ 1984, S. 1001 (1007 ff.).
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Viertes Kapitel: Die verfassungsrechtliche Stellung der Verwaltung
metatbestände; sie nehmen in fachgesetzlichen Steuerungszusammenhängen oft gerade die Schlüsselposition ein.
III. Die Lehre von der administrativen Rechtskonkretisierung 54 Die von der Verfassung geforderte Lehre von der administrativen Rechtskonkretisierung muß hinreichend differenziert sein, um den unterschiedlichen Tatbeständen und der jeweiligen Entscheidungssituation der Verwaltung gerecht zu werden151. Daß das reine Subsumtionsmodell zwar nach wie vor eine wichtige Rolle spielt (→ 1/48; 2/16–18), allein aber nicht genügt, wird durch das Fachrecht ebenso wie durch die Verwaltungspraxis belegt. Die verhandelnde Verwaltung sieht sich einer anderen Situation gegenüber als die befehlende Verwaltung. Ob die regelmäßig für den imperativen Vollzug vorgesehenen Rechtsvorschriften für die vertragliche Gestaltung dieselbe Aussage treffen, ist gesondert zu prüfen. Auf der anderen Seite ist und bleibt die verwaltungsrechtliche Gesetzesanwendungslehre eine juristische Rekonstruktion des Umgangs der Verwaltung mit Gesetz und Recht. Sie hat die tatsächliche Lage nicht einfach nachzuzeichnen, sondern verfolgt eigene normative Aufgaben152. Insgesamt sind dazu in den voraufgehenden Überlegungen schon die wichtigsten Elemente entwickelt worden (→ 1/48–49; 2/9–19), die hier nur noch einmal zusammengestellt und ergänzt werden sollen.
1. Arbeit am Normtext 55 Die Arbeit am Normtext ist diejenige Aufgabe, die in jedem Fall, d.h. sowohl bei den sog. gebundenen als auch bei den ermessensbestimmten Entscheidungen zu leisten ist; denn auch das Ermessen bewegt sich auf normativer Basis und in normativem Rahmen. Zu ihr gehören die Interpretation des Gesetzestextes nach Maßgabe der Methodenlehre, die Feststellung des Sachverhalts nach Maßgabe des Beweisrechts und die Subsumtion unter Einschluß rechtsgebundener Abwägungen (→ 2/17; 1/48). Besonders zu achten ist dabei auf folgende Punkte153:
151 152
153
So auch Trute, in: Schmidt-Aßmann/Hoffmann-Riem, Methoden der Verwaltungsrechtswissenschaft, S. 293 (303). So der zutreffende Grundansatz von Rossen, Vollzug und Verhandlung, S. 12 f.: „Ein solches Modell verfährt also nicht etwa in dem Sinne empirisch, daß es die tatsächlich operativ wirksamen Determinanten, Routinen und Restriktionen des Verwaltungsvollzuges auf einen zusammenfassenden Begriff brächte. Es handelt sich vielmehr um eine Art strategischen Entwurf, der die Selbst- und Fremdbeobachtung des Vollzugs weitgehend unabhängig davon anzuleiten sucht, ob und in welchem Ausmaß er tatsächlich verwirklicht wird.“ Vgl. Schmidt-Aßmann, in: FS für Brohm, S. 547 (549 ff.).
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– die Zusammenstellung des gesetzlichen Bindungsprogramms aus den unterschiedlichen Normschichten und den einschlägigen speziellen und generellen Gesetzestatbeständen (→ 2/18–19); – die Erfassung der unterschiedlichen Steuerungsmodi des Gesetzes als Programm, Verfahrens- oder Kontextsteuerung und eventuell bestehender Komplementaritäten (vielfach, aber nicht stets als systematische Gesetzesauslegung wirksam); – die Erfassung der unterschiedlichen Normstrukturen im Blick auf offene oder verdeckte Ermessenstatbestände, ihre Grundlagen, Zwecke und Grenzziehungen. Die Arbeit am Normtext ist nicht einfach das Nachzeichnen gesetzgeberischer Vorentscheidungen. Sie kann dem Rechtsanwender schwierige Rechtsgüterabwägungen abverlangen, die erhebliche dezisionistische Momente umgreifen. Aber sie muß sich als methodenbestimmtes Arbeiten i.S. der juristischen Methodik ausweisen können. Schon in diesem Rahmen ist es nicht ausgeschlossen, daß z.B. auch Kriterien ökonomischer Effizienz Bedeutung erlangen. Neues Steuerungsmodell und Gesetzesanwendung schließen sich schon auf dieser Ebene nicht aus, insoweit die Effizienz rechtlich rezipiert ist. Ziele einer Leistungsvereinbarung können z.B. in einem bestimmten Gesetzestatbestand unter den Begriff des öffentlichen Interesses gefaßt werden.
2. Der Umgang mit Ermessensdirektiven 56 Auch der administrative Umgang mit den Ermessenskriterien, die „Ausübung des Verwaltungsermessens“, ist Rechtskonkretisierung154. Aber er ist es auf eine besondere Art. Im juristischen Aussagenzusammenhang ist das Verwaltungsermessen die Chiffre für eine besondere, eigenständige Form gesetzesdirigierten Abwägens (→ 4/48–50). Der Begriff bezeichnet also die rechtliche Struktur der darunterliegenden, regelmäßig sehr viel breiteren administrativen Handlungsmuster. Auch das Ermessen ist folglich ein Rechtsbegriff und nicht einfach die Bezeichnung für freie politische Gestaltung. Seine rechtliche Struktur ist prozedural im Sinne eines „inneren Verfahrens“ (Hill) geprägt. Den Umgang mit den Ermessenskriterien als juristische Handlungsanleitung für die Verwaltung hat Michael Gerhardt folgendermaßen umschrieben155: „Der nicht näher ableitungsbedürftigen Grundforderung des Rechtsstaats nach Rationalität (intersubjektiver Nachvollziehbarkeit) staatlicher Machtausübung entsprechend steht die behördliche Entscheidung unter einem dreifachen Handlungsgebot: – Die Entscheidungsfindung ist zu strukturieren und damit transparent zu machen; das anhand des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes entwickelte planungsrechtliche Abwägungsgebot steht dafür modellhaft zur Verfügung. 154 155
Dazu dogmengeschichtlich Held-Daab, Das freie Ermessen, S. 236 ff. Gerhardt, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, Verwaltungsgerichtsordnung, § 114 Rn. 5.
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– Ermittlungen, Abschätzungen und Wahrscheinlichkeitsurteile über künftige Entwicklungen haben soweit wie möglich realitätsbezogen zu sein. Ungewißheiten sind durch entsprechende Methoden zu minimieren oder, soweit unausräumbar, als solche in die Abwägung aufzunehmen. – Die Behörde hat bei ihren Gewichtungen und Abwägungen einerseits die normativen Vorgaben (Direktiven) zu beachten, wobei dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz als (materiellem) Grundgesetz rechtsstaatlichen Abwägens zentrale Bedeutung zukommt. Sie ist aber andererseits von Gesetzes wegen vor allem auch dazu verpflichtet, die mit der Zuweisung einer Aufgabe zur Wahrnehmung in Letztverantwortung – meist stillschweigend – verbundenen ‚außerrechtlichen‘ Richtigkeitskriterien anzuwenden und in Entscheidungen umzusetzen, also den Einzelfall zweckmäßig und gerecht zu regeln (allgemeines Verwaltungsermessen), Vor- und Nachteile einer Anlage der Infrastruktur gestalterisch zu optimieren (Planungsermessen) oder fachliche Bewertungen nach bestmöglichem Wissen zu treffen (Beurteilungsermächtigungen).“ Alle diese Begriffe wollen auf typische Entscheidungssituationen aufmerksam machen und deren Sachanforderungen in das Rationalitätsmuster der administrativen Abwägung einarbeiten, die die Grundstruktur des Ermessens ausmacht. Dabei geht es weder vorrangig noch notwendig um die Schaffung neuer gerichtlicher Kontrollmaßstäbe, sondern primär um die Formulierung administrativer Verhaltensregeln. Zu ihrer Entwicklung ist auf Erfahrungssätze und eingeführte Handlungspraxen, wie sie in den Handbüchern zu den jeweiligen Sachaufgaben dargestellt sind, eher zurückzugreifen als auf prozeßrechtliche Dogmen. Die Ermessenslehre verweist in diesem Teil auf die administrative Maßstablehre (→ 6/57–61).
D. Die Kontrollen der Verwaltung 57 Der Eigenständigkeit der Verwaltung muß ein darauf abgestimmtes System der Verwaltungskontrollen entsprechen. „Verantwortung und Kontrolle bilden Grundelemente einer demokratischen Verfassungsordnung“156. Kontrolle hat wie die Gewaltenteilung insgesamt die Aufgaben der Machtbegrenzung und der Gewährleistung von Rationalität. „Die Kontrolle ist darauf gerichtet, durch Rationalisierung des Entscheidungsprozesses die inhaltliche Sachrichtigkeit der Entscheidung zu erhöhen“157. Dazu wird ein bestimmter Modus von Kommunikation eingesetzt: Vorgänge oder Ergebnisse sollen aus einer bestimmten Distanz noch einmal betrachtet werden. Es geht um ein „Gegen-Denken“ und gegebenenfalls auch „Gegen-Gestalten“158. Kontrolle bildet dogmatisch das Widerlager zu den weit ausgreifenden Handlungskompetenzen der Exekutive. 156 157 158
Scheuner, in: FS für G. Müller, S. 379 (384). Krebs, Kontrolle, S. 50. Hoffmann-Riem, in: Schmidt-Aßmann/Hoffmann-Riem, Verwaltungskontrolle, S. 325 (343); Schmidt-Aßmann, dort S. 9 (10 f.).
D. Die Kontrollen der Verwaltung
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Das Grundgesetz geht von einem Zusammenspiel parlamentarischer, gerichtlicher, verwaltungseigener und sonstiger Kontrollen aus159, ohne ein festes System zugrunde zu legen (→ 4/86 ff.). Das Zentrum dieses Gefüges bilden die Verwaltungsgerichte. Hier hat die Kontrolle rechtlich betrachtet ihre höchste Dichte (I). Wie sich das Verwaltungshandeln jedoch nicht in der Gesetzessubsumtion erschöpft, sondern auch andere Richtigkeitsmaßstäbe zu beachten hat (→ 2/22), so muß auch die Kontrollsystematik breiter entfaltet werden: Wirtschaftlichkeits- und Finanzkontrollen, Öffentlichkeitskontrollen und die Kontrollen, denen die nationalen Verwaltungen von Seiten der EG-Kommission unterliegen, haben ebenfalls Bedeutung für ein umfassendes Recht der Verwaltungskontrollen (II)160. Wichtig ist, daß insgesamt ein hinreichendes Kontrollniveau erreicht wird; ein Kontrollmaximum eines einzelnen Kontrollmechanismus ist damit nicht gemeint.
I. Der Rechtsschutz- und Kontrollauftrag der Gerichte 58 Verwaltungskontrolle ist in der Wahrnehmung des Verwaltungsrechts bisher ganz vorrangig gerichtliche Kontrolle. Es fällt nicht schwer, die Hauptbegriffe des Prozeßrechts (Rechtswegeröffnung, Klagebefugnisse, Rechtskraft und Vollstreckbarkeit) in eine kontrollsystematische Begrifflichkeit zu übersetzen und sie als Fragen nach Kontrollöffnung, Kontrollmaßstäben, Kontrollwirkungen und Kontrollverfahren umzuformulieren161.
1. Verwaltungskontrolle als Individualrechtsschutz 59 Die Kontrolleffekte des gerichtlichen Tätigwerdens ergeben sich aus einer spezifischen Verbindung mit dem Rechtsschutzauftrag, der den Gerichten unter dem Grundgesetz mit besonderem Nachdruck erteilt worden ist162. Mit dieser Systementscheidung für den Individualrechtsschutz hat Art. 19 Abs. 4 GG subjektiv-rechtliche und institutionelle Elemente des Rechtsstaatsprinzips in einer besonders konzentrierten Weise zusammengeführt (→ 2/6). Sie ist die Basis für das Gebot wirksamen Rechtsschutzes, die oft zitierte Rechtsschutzeffektivität. Aus dem Ziel, den Individualrechten zu dienen, hat dieses Gebot seine große Entwicklungskraft gezogen. Das klägerische Recht ist ein materielles Recht und soll als solches nicht nur Anstoß für ein gerichtliches Verfahren, sondern dessen Schutzziel sein. Das verlangt ausgeprägt rechtsschutzfreundliche Verfahrensstan159
160 161 162
Systematisch dazu Krebs, Kontrolle, S. 38 ff. und 220 ff.; Schwarze, DVBl 1974, S. 893 ff.; Kirchhof, in: HStR Bd. 3, § 59 Rn. 188 ff.; Voßkuhle, Rechtsschutz, S. 45 ff.; v. Arnauld, ZParl 2001, S. 678 ff.; Schulze-Fielitz, in: Schmidt-Aßmann/HoffmannRiem, Verwaltungskontrolle, S. 291 ff. Schuppert, Verwaltungswissenschaft, S. 892 ff. Vgl. Krebs, Kontrolle, S. 66 ff. Zur Entwicklung Ibler, Rechtspflegender Rechtsschutz, S. 167 ff.; zur Systematik Dörr, Rechtsschutzauftrag, S. 7 ff.
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Viertes Kapitel: Die verfassungsrechtliche Stellung der Verwaltung
dards, die insbesondere die gerichtliche Kontrollintensität und den einstweiligen Rechtsschutz prägen. Im europäischen Rechtsvergleich weicht der deutsche Verwaltungsrechtsschutz von dem der meisten anderen Länder dadurch ab, daß er enger gefaßt ist, dafür aber ein höheres Maß individueller Rechtsschutzeffektivität gewährleisten will163.
a) Abhängigkeit von subjektiven Rechten 60 Der garantierte Rechtsschutz ist von der Existenz subjektiver Rechte abhängig164. Nach der neueren, auch grundrechtlich ausgerichteten Schutznormlehre ist von einem subjektiven Recht dann auszugehen, wenn das einschlägige Gesetzesprogramm die klägerischen Interessen in individualisierender Weise aufnimmt, die Rechtsnorm also mindestens auch diesem Interesse dient (→ 2/55–62). Das hat zu einer erheblichen Ausweitung vor allem des Nachbarschutzes geführt, der sich systematisch innerhalb der von Art. 19 Abs. 4 GG bestimmten Rechtsschutzzone hält. Die Klage bleibt eine durch das materielle Recht geprägte Verletztenklage. Interessentenklagen und Verbandsklagen werden nicht erfaßt165. Art. 19 Abs. 4 GG macht die Gerichte folglich nicht zu universalen Kontrollinstanzen. Wo Verwaltungsvorgänge nicht auf subjektive Rechte stoßen oder wo sich der Träger dieser Rechte zu einer gerichtlichen Auseinandersetzung nicht bereit findet, bleibt die Exekutive nach diesem Konzept von einer gerichtlichen Überprüfung verschont. Gesetzliche Steuerung und gerichtliche Kontrolle sind folglich nicht spiegelbildlich aufgebaut. Die gerichtliche Kontrolle hängt von der Existenz und der Geltendmachung subjektiver Rechte ab. Man muß dieses nüchtern feststellen, um sich gegebenenfalls nach weiteren Kontrollmöglichkeiten umzusehen, die aber außerhalb des Schutzbereichs des Art. 19 Abs. 4 GG angesiedelt sind und für die aus dieser Vorschrift folglich nichts abgeleitet werden kann (→ 4/74, 77–79). Das subjektive Recht ist nicht nur für den Zugang zum Gericht, sondern auch für den Umfang der gerichtlichen Überprüfung bedeutsam. Die Klage ist nur dann erfolgreich, wenn die Verwaltungsentscheidung rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist. Die objektive Rechtsverletzung reicht nicht aus166. Verlangt wird vielmehr ein spezifischer Rechtswidrigkeitszusammenhang167, der durch die Schutznormen des einschlägigen Entscheidungsprogramms bestimmt wird. Das Erfordernis eines solchen Zusammenhangs ist keine 163 164 165 166 167
Vgl. Classen, Europäisierung der Verwaltungsgerichtsbarkeit, bes. S. 190; vgl. auch die rechtsvergleichenden Angaben von Epiney, VVDStRL Bd. 61, S. 362 (365 ff., 384 f.). BVerfGE 78, 214 (226); 84, 34 (49); ausführlich Wahl, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/ Pietzner, Verwaltungsgerichtsordnung, Vorb § 42 Abs. 2 Rn. 42 ff. Skouris, Verletztenklagen und Interessentenklagen; Ehlers, VerwArch 1993, S. 139 ff. Weyreuther, in: FS für Menger, S. 681 (691); auch BVerwGE 47, 19 (21 f.) und BVerwG NVwZ 1990, 857 f. Krebs, in: FS für Menger, S. 191 (204); Gerhardt, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, Verwaltungsgerichtsordnung, § 113 Rn. 11 ff.; Dörr, Rechtsschutzauftrag, S. 19.
D. Die Kontrollen der Verwaltung
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Sonderanforderung, die nur an Drittklagen gestellt wird; es gilt für Adressatenklagen ebenso168. Nur tritt es dort üblicherweise nicht eigenständig hervor, weil die gesetzlichen Eingriffsgrundlagen einschließlich der Zuständigkeits- und Verfahrensregeln üblicherweise mindestens auch dem Schutz des Eingriffsadressaten dienen. Es können jedoch auch hier, z.B. bei Verfahrensregelungen zugunsten Dritter, Schutznorm und Eingriffsprogramm auseinandertreten. Je dichter das von der Verwaltung zu beachtende objektiv-rechtliche Normengefüge ist und je stärker sich in ihm Rechtsnormen unterschiedlicher Funktion und unterschiedlicher Herkunft mischen, z.B. Normen des nationalen und des EG-Rechts zusammenwirken, desto notwendiger wird es, den differenzierten Schutzgehalt der einzelnen Bestandteile herauszuarbeiten. Für den Individualrechtsschutz ist das systematisch zwingend, obwohl gerade bei Entscheidungen mit einer komplexen Abwägungsstruktur die Aufspaltung der Abwägungsdeterminanten und ihre jeweils gesonderte Zuordnung systematisch und verwaltungspolitisch nicht in jeder Hinsicht befriedigen169.
b) Intensität der gerichtlichen Kontrolle 61 Für die ihm eigene Rechtsschutzzone verlangt Art. 19 Abs. 4 GG eine besonders gründliche gerichtliche Überprüfung des Verwaltungshandelns. Die ganz herrschende Ansicht bildet das Gebot wirksamen Rechtsschutzes insoweit in einem zweigliedrigen Kontrollkonzept ab, in dem die vollständige Rechtsanwendungskontrolle das Grundmuster (aa), die reduzierte Kontrolle bei Anerkennung einer administrativen Letztentscheidungsermächtigung die Ausnahme darstellt (bb). Vergleichbare Unterscheidungen vollständiger und begrenzter Kontrolle finden sich auch in den anderen europäischen Rechtsordnungen und in der Rechtsprechung der Europäischen Gerichtshöfe in Luxemburg und Straßburg170. Die besonders hohe deutsche Kontrollintensität liegt in der strikten Begrenzung des zweiten Kontrollmusters auf Ausnahmefälle. Begründet wird sie mit der herausragenden Stellung des Individualrechtsschutzes nach Art. 19 Abs. 4 GG171. Rechtsprechung und Lehre haben sie bisher ohne größere Umschweife aber auch auf diejenigen Verwaltungsprozesse übertragen, in denen es nicht um Individualrechte geht. Solange es sich dabei nur um einen schmalen Bereich handelt, ist das aus Gründen der Einheitlichkeit der prozeß168
169 170
171
Vgl. Erichsen, in: HStR Bd. 6, § 152 Rn. 43 ff.; ähnlich Schmidt-Preuß, Kollidierende Privatinteressen, S. 553 f.; Gerhardt, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, Verwaltungsgerichtsordnung, § 113 Rn. 11; anders Papier, in: HStR Bd. 6, § 154 Rn. 44 f. Dazu BVerwGE 48, 56 ff. und 67, 74 ff.; mit weit. Nachw. Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 19 Abs. 4 Rn. 159 ff. Mit weit. Nachw. Classen, Europäisierung der Verwaltungsgerichtsbarkeit, S. 118 ff. und 175 ff.; Schmidt-Aßmann, DVBl 1997, S. 281 (283 ff.); Grabenwarter, Verfahrensgarantien, S. 109 ff.; Groß, DV 2000, S. 415 (427 f.). Vgl. die Einzelnachweise in meiner Kommentierung des Art. 19 Abs. 4 (2003) Rn. 181 f., in: Maunz/Dürig, Grundgesetz.
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rechtlichen Dogmatik sinnvoll. Sollen die Kontrollaufträge der Gerichte aber künftig über den Bereich des Art. 19 Abs. 4 GG hinaus erheblich weiter erstreckt werden, so muß diese schematische Übertragung kritisch geprüft werden.
aa) Grundmuster vollständiger Rechtsanwendungskontrolle 62 Die Gerichte haben die Verwaltungsentscheidungen grundsätzlich in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht vollständig zu überprüfen172. Verlangt wird freilich nur eine Nachprüfung. Selbst im qualifizierten Schutzbereich des Art. 19 Abs. 4 GG geht es nicht um eine totale Kontrolle im Sinne einer Ersetzung der administrativen Entscheidung durch eine solche des Gerichts. Art. 19 Abs. 4 GG normiert eine Rechtsschutzgarantie, keinen Richtervorbehalt. Die verfassungsrechtlich geschuldete Überprüfung ist eine vollständige Rechtsanwendungskontrolle. Sie umgreift die Schritte der Definition, der Tatsachenfeststellung und der Subsumtion (→ 2/16–17). Ein Schwerpunkt liegt dabei auf der ersten Stufe, bei der begriffs- und systembildenden Arbeit am Recht. Bei der regelmäßig notwendigen letztverbindlichen Festlegung des konkreten Entscheidungsprogramms und der Bindungsmaßstäbe erfüllen die Gerichte über den einzelnen Prozeß hinaus wichtige Aufgaben zur Stabilisierung der Rechtslage. Diese Kompetenz zu letztverbindlicher Definition ist das herausragende und unbestrittene Merkmal aller gerichtlichen Kontrolltätigkeiten. 63 Im Grundmodell vollständiger Rechtsanwendungskontrolle trägt das Gericht aber auch die Verantwortung für die Tatsachenfeststellung. Eine förmliche Bindung an administrativ festgestellte Sachverhaltselemente, wie einige andere Rechtsordnungen sie kennen173, ist mit Art. 19 Abs. 4 GG unvereinbar. Ebensowenig genügt eine Entscheidung nach Lage der Akten. Auf der anderen Seite ist das gerichtliche Verfahren kein zweites Verwaltungsverfahren. Das Gericht wird eigene Ermittlungen folglich nur anstellen, wenn ihm selbst Zweifel an dem von der Verwaltung zugrundegelegten Sachverhalt kommen oder solche Zweifel von den Beteiligten vorgetragen werden. Dann aber muß es alle verfügbaren Beweismittel ausschöpfen. 64 Auch der dritte Schritt der Rechtsanwendung, die Subsumtion, unterfällt der richterlichen Entscheidungskompetenz. Das gilt auch für die Anwendung solcher Begriffe, die erhebliche Wertungs- oder Prognoseelemente umgreifen174. In diesem zentralen Punkte verlangt Art. 19 Abs. 4 GG nach herrschender Auffassung mehr, als in anderen europäischen Rechtsordnungen für notwendig gehalten wird. Die Subsumtionskompetenz der Gerichte führt bei komplexen Wertungsfragen an die Grenze dessen, was mit Hilfe der juristischen Methodenlehre ver172 173 174
BVerfGE 15, 275 (282); 78, 214 (266); 103, 142 (156 f.). Dazu C. Lerche, in: Frowein, Kontrolldichte, S. 249 ff. Zur besonderen Lage bei der materiellen Präklusion vgl. Röhl/Ladenburger, Materielle Präklusion, S. 16–20, 47 ff. BVerfGE 84, 34 (49 f.); BVerwGE 94, 307 (309).
D. Die Kontrollen der Verwaltung
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läßlich zu bestimmen ist175. Sie soll der Theorie nach zwar Rechtskontrolle bleiben, indem sie eine schon getroffene Entscheidung an den Maßstäben des Rechts überprüft. Doch werden unbestimmte Gesetzesbegriffe und eine intensive Verhältnismäßigkeitskontrolle leicht zu Ansatzpunkten, gerichtlich über die Rechtskontrolle hinaus auf Zweckmäßigkeitsfragen zuzugreifen und sie nach eigenen Vorstellungen zu entscheiden. Die Vorteile eines intensiven Individualrechtsschutzes sind bei diesem Grundmodell gerichtlicher Kontrolle folglich mit Gefährdungen für die eigenständige Verwaltungsverantwortung erkauft.
bb) Beschränkungen gemäß normativer Ermächtigung 65 Die vollständige Rechtsanwendungskontrolle ist freilich nur das Grundmuster. Es schließt Gestaltungs-, Ermessens- und Beurteilungsspielräume der Verwaltung nicht von vornherein aus176. Auch im Schutzbereich des Art. 19 Abs. 4 GG ist die Kontrollintensität nicht schematisch festgelegt, sondern hängt von der Ausgestaltung des materiellen Rechts ab. Beschränkungen der gerichtlichen Kontrolle müssen aber normativ, d.h. grundsätzlich vom Gesetzgeber anerkannt und durch Auslegung feststellbar sein177. Aus der Natur der zu regelnden Angelegenheit folgen sie nicht automatisch. Weder die besondere Sachkunde der Verwaltung noch der stark prognostische Charakter einer Entscheidung können sie aus sich heraus rechtfertigen178. Solche typischen Entscheidungssituationen können aber als Interpretationshilfen bei der Ermittlung normativer Ermächtigungen genutzt werden179. 66 Keine Auslegungsschwierigkeiten gibt es beim Rechtsfolgenermessen, das als Kann-Vorschrift formuliert oder sonst als Ermessen bezeichnet ist. Daß dieses ein großer, keineswegs auf Ausnahmetatbestände begrenzter Bereich ist, der durch das den Rechtsanwendungsvorgang begleitende Verfahrensermessen der Verwaltung noch erheblich erweitert wird, wurde oben gezeigt (→ 4/51–53). Ähnliches gilt für Abwägungsklauseln des Planungsrechts180. In einzelnen Fällen erschließen sich entsprechende Ermächtigungen aus der gesetzlichen Zuweisung einer bestimmten Rechtsform an die Verwaltung. So umfaßt die Ermächtigung zum Erlaß von Rechtsverordnungen oder Satzungen regelmäßig schon „ratione formae“ ein Normsetzungsermessen181. Zutreffend hat die Rechtsprechung darüber hinaus aus der Planfeststellungsbefugnis für öffentliche Infrastrukturvorhaben eine Abwägungsermächtigung auch dort abgeleitet, wo sie gesetzlich nicht 175 176 177 178 179 180 181
Im Ergebnis ebenso Gerhardt, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, Verwaltungsgerichtsordnung, Vorb § 113 Rn. 24. BVerfGE 61, 82 (111); 88, 40 (56). BVerwGE 94, 307 (309 f.). Vgl. BVerfGE 88, 40 (57–61); anders Ossenbühl, in: FS für Redeker, S. 55 (61 f.). Ausführlich dazu Gerhardt, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, Verwaltungsgerichtsordnung, § 114 Rn. 57 ff. § 1 Abs. 6 BauGB, § 17 Abs. 1 BFStrG, § 15 Abs. 2 BNatSchG. Herdegen, AöR 1989, S. 607 (609); vgl. auch Weitzel, Justitiabilität des Rechtsetzungsermessens.
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ausdrücklich genannt ist182. In allen diesen Bereichen kann von einer Ausnahmesituation der Ermessensermächtigung nicht die Rede sein. 67 Probleme bereiten demgegenüber die unbestimmten Gesetzesbegriffe. Hier – und letztlich nur hier – soll nach herrschender Ansicht die Aussage gelten, Fälle beschränkter Kontrolle müßten im Rahmen des Art. 19 Abs. 4 GG die Ausnahme sein. Die im unbestimmten Gesetzesbegriff angelegte Kontraktion des gesamten gesetzlichen Entscheidungsprogramms auf ein einziges Tatbestandsmerkmal begründet die Vermutung, der Gesetzgeber habe den Regelungsgegenstand, unbeschadet aller Unbestimmtheit, rechtlich erfassen und im Streitfalle dem Grundmuster vollständiger gerichtlicher Kontrolle unterstellen wollen. Diese Vermutung muß sich aus dem Gesetz heraus entkräften lassen. Eindeutig geschieht das dort, wo der Vorschrift ein entsprechender Ermächtigungsvorbehalt angefügt ist, z.B. in Klauseln, die ein materielles Gesetzestatbestandsmerkmal mit dem Zusatz „nach behördlicher Bestätigung“ oder „nach Auffassung der Behörde“ verknüpfen183. Wo solche eindeutigen Zuweisungen fehlen, muß der Gehalt der Norm durch Auslegung weiter aufgeklärt werden184. Einschlägig sind alle auch sonst anzuwendenden Auslegungsmethoden einschließlich der systematischen, der teleologischen und der verfassungskonformen Auslegung. Daß es um Verwaltungsentscheidungen geht, die Grundrechte betreffen, hindert die Anerkennung einer Beurteilungs-, Einschätzungs- oder Gestaltungsermächtigung nicht. Innerhalb der systematischen Auslegung spielen auch die überkommenen Typisierungen des juristischen Schrifttums eine Rolle185. Die Einbettung eines bestimmten materiellen Tatbestandsmerkmals in spezifische Organisations- und Verfahrensvorschriften, die zu seiner Konkretisierung besondere Vorkehrungen treffen, kann ein Indiz für eine Beurteilungsermächtigung sein. Insgesamt enthält das Fachrecht eine nicht geringe Zahl solcher Ermächtigungen186. Bei der Anwendung direkt wirkender Vorschriften des EG-Rechts oder von Gesetzesbegriffen, die Vorgaben des EG-Rechts umsetzen, ist die Frage einer Beurteilungsermächtigung eigenständig nach gemeinschaftsrechtlichen Maßstäben zu beantworten. Das deutsche Verfassungsrecht setzt einer sich dabei ergebenden Kontrollbeschränkung keine unüberwindlichen Hindernisse entgegen187. 68 Läßt sich eine entsprechende Ermächtigung nicht nachweisen, so ist nach dem Grundmuster vollständiger gerichtlicher Kontrolle zu verfahren188. Die 182 183 184 185 186 187
188
BVerwGE 48, 56 (59). Vgl. OVG Lüneburg NVwZ-RR 1991, 576 ff.; auch BVerwGE 99, 355 (358). Ausführlich BVerwGE 94, 307 (309 ff.). Vgl. Papier, in: HStR Bd. 6, § 154 Rn. 62 ff. Vgl. Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 19 Abs. 4 Rn. 188 ff, 217a. Ausführlich, in der Tendenz aber kontrollintensiver v. Danwitz, Verwaltungsrechtliches System, S. 326 ff.; für praktische „Parallelität“ der Maßstäbe Dörr, Rechtsschutzauftrag, S. 230 ff. Eher für einen richterlichen Pragmatismus und eine Tendenz, das Modell vollständiger Gerichtskontrolle auf Fälle zu beschränken, „in denen die Anwendung des geltenden Rechts zu eindeutigen Ergebnissen führt und nicht mehrere gleichwertige Lösungen zuläßt“, Ramsauer, in: FG 50 Jahre Bundesverwaltungsgericht, S. 699 (706 ff., 726).
D. Die Kontrollen der Verwaltung
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Gerichte haben weder hier noch anderswo autonom über ihre Kontrollkompetenzen zu disponieren. Sie können weder eine fehlende normative Ermächtigung selbst schaffen noch umgekehrt der Verwaltung eine erteilte Ermächtigung aberkennen. Gelangt ein Gericht zu dem Ergebnis, daß eine im Gesetz erteilte Ermächtigung nach Verfassungsrecht nicht hätte erteilt werden dürfen, so darf es jenseits der Grenzen verfassungskonformer Interpretation nicht von sich aus zum Grundsatz vollständiger Kontrolle übergehen, sondern hat nach Art. 100 GG zu verfahren. Kommt der Gesetzgeber zu der Erkenntnis, das Grundmuster vollständiger Kontrolle verschiebe bei einer bestimmten Verwaltungsaufgabe die Verantwortlichkeit zu sehr auf die Dritte Gewalt, so ist es an ihm, unter Berücksichtigung aller Schutz- und Gestaltungsinteressen der Verwaltung gegebenenfalls eine Ermächtigung zur Letztentscheidung einzuräumen. Pauschale Klauseln, z.B. in einer Ergänzung zu § 114 VwGO, genügen dazu nicht189. Oft aber erfassen die vorhandenen Rechtsmaßstäbe den betroffenen Sachbereich überhaupt nur partiell. Hier gelangt die gerichtliche Kontrolle an ihre Grenze: Was rechtlich nicht geregelt ist, kann gerichtlich nicht kontrolliert werden190.
cc) Muster begrenzter Kontrolle 69 Letztentscheidungsermächtigungen der Verwaltung schließen die gerichtliche Kontrolle nicht aus, sondern reduzieren ihre Intensität. In welchen Punkten des Rechtsanwendungsvorgangs das der Fall ist, entscheidet sich wiederum primär nach den einzelnen einschlägigen Gesetzestatbeständen. Übergreifend haben sich für bestimmte Typen von Letztentscheidungsermächtigungen, z.B. für Prognose-, Planungs- oder Rezeptionsermächtigungen, jeweils eigene Kontrollraster ausgebildet191. Sie legen Parameter fest, die auf die besonderen Strukturen der unterschiedlichen Verwaltungsentscheidungen als bewertender, begutachtender, technischer oder prognostischer Entscheidungen abgestimmt sind, und sollen den Gerichten damit die schwierige Grenzziehung zwischen vollständiger und begrenzter Rechtsanwendungskontrolle erleichtern. Wenn das Verwaltungsermessen künftig aber wieder als einheitliches Institut verstanden werden soll (→ 4/48), dann ist es geboten, auch für die gerichtliche Ermessenskontrolle nach einem einheitlichen Muster zu suchen, das den spezifischen Kontrollrastern einen zusammenfassenden Rahmen bieten kann. 70 Ein solches Grundmuster für die Fälle begrenzter gerichtlicher Kontrolle hat jüngst Michael Gerhardt aus der planerischen Abwägungsdogmatik entwickelt. Er bezeichnet es allgemein als Abwägungsmodell und stellt es für alle Ermessensentscheidungen dem für gebundene Entscheidungen geltenden Modell nachvollziehender Verwaltungskontrolle gegenüber192. Das Abwägungs189 190 191 192
Dagegen schon Ule, in: GS für W. Jellinek, S. 309 (330). BVerfGE 88, 40 (56). Dazu Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 19 Abs. 4 Rn. 188 ff.; Grabenwarter, Verfahrensgarantien, S. 242 ff.. Gerhardt, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, Verwaltungsgerichtsordnung, Vorb § 113 Rn. 19 ff. und § 114 Rn. 4 ff.
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Viertes Kapitel: Die verfassungsrechtliche Stellung der Verwaltung
kontrollmodell nimmt die Handlungsperspektive der neueren Ermessenslehre auf (→ 4/47–50) und orientiert sich daher vorrangig prozedural. Als solche ist es zweistufig aufgebaut: – Zunächst werden die rechtlichen Voraussetzungen der Ermessensermächtigung überprüft. An welche Tatbestandsmerkmale ist sie gebunden? Ist von ihr Gebrauch gemacht? Sind Verfahrensvorschriften und sonstiges zwingendes Recht beachtet? Liegt ein Mißbrauch der Ermächtigung vor? Diese Punkte sind vom Gericht vollständig zu kontrollieren. – Auf der zweiten Stufe ist die Kontrolle an den Begriffen der Abwägungsdirektiven, des Abwägungsmaterials und der Abwägung ausgerichtet. Die Abwägungsdirektiven sind Konkretisierungsermächtigungen, die die Verwaltung im Blick auf das Gesamtergebnis bei der Stoffauswahl leiten und nur begrenzter Kontrolle offenstehen. Die Tatsachen des Abwägungsmaterials sind gerichtlich sorgfältig unter Beachtung im materiellen Recht begründeter spezifischer Ermittlungsaufträge der Behörde aufzuklären. Wo das an Erkenntnisgrenzen führt, ist im Dialog mit den Parteien möglichst weit vorzustoßen. Gegebenenfalls sind Sachverständige heranzuziehen. Umgekehrt kann besonders sachverständigen Aussagen der Verwaltung praktisch die Bedeutung eines Sachverständigengutachtens zuwachsen, das nur mit hohem Argumentationsaufwand erschüttert werden kann193. – Die Kontrolle der Abwägung selbst bezieht sich vorrangig auf den Abwägungsvorgang und die darin sichtbaren Faktoren der Begründung. Wie in anderen Rechtsordnungen auch, sollte das Durcharbeiten der Begründung der Hauptpunkt der Abwägungskontrolle sein194. Das ist keineswegs nur ein rein formaler Vorgang195. Das Abwägungsergebnis kann demgegenüber – je nach der Dichte der Direktiven – nur darauf überprüft werden, ob Belange in einer zu ihrer objektiven Gewichtigkeit außer Verhältnis stehenden Weise behandelt sind. Mit der objektiven Gewichtigkeit ist dann – freilich erst in der letzten Prüfungsphase – ein Evidenzkriterium eingeführt196. Beruht die Verwaltungsentscheidung auf sachgerechten Erwägungen, ist sie vom Gericht als rechtmäßig anzuerkennen. Fehlt es daran, so ist sie aufzuheben. Das Gericht kann nicht selbst nachbessern.
193 194 195 196
So BVerwGE 91, 211 (216). Ähnlich Ramsauer, in: FG 50 Jahre Bundesverwaltungsgericht, S. 699 (718 ff.): „Technik nachvollziehender Kontrolle“. Dazu Shapiro, in: The University of Chicago Legal Forum, 1992, S. 179 (184 ff.) zur Entwicklung in den USA und zur Rechtsprechung des EuGH. Vgl. Krebs, in: Schmidt-Aßmann, Besonderes Verwaltungsrecht, 4. Kap. Rn. 106 f.
D. Die Kontrollen der Verwaltung
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2. Die Kontrolleignung des Rechtsschutzkonzepts und seine weitere Entwicklung 71 Die Verbindung von subjektivem Rechtsschutz- und objektivem Kontrollauftrag, diese durch Art. 19 Abs. 4 GG bestimmte deutliche „Gerichtszentriertheit der Gewaltenteilung“, hat sich – auf das Ganze gesehen – bewährt. Für die Verwaltung ist die Justiz ein ernstzunehmendes Gegenüber, darüber hinaus aber auch ein Helfer bei der Stabilisierung komplexer Verwaltungsverfahren und bei der Ordnung des oft zunächst ziemlich ungeordneten rechtlichen Entscheidungsprogramms (→ 2/10–19)197. Die gelegentlich befürchtete Lähmung der Exekutive durch zu weitreichende gerichtliche Interventionen ist, unbeschadet einzelner Kompetenzübergriffe insbesondere bei der Ermessens- und der Verhältnismäßigkeitskontrolle, nicht eingetreten. Inwieweit die Exekutive die Gerichtszentriertheit dergestalt in ihre Handlungsmuster aufgenommen hat, daß sie eher ängstlich versucht, Entscheidungen hinauszuzögern und Verantwortung abzuschieben, ist nicht sicher zu beantworten. Es kann jedenfalls nicht allgemein als Negativum des vorherrschenden Kontrollmodells verbucht werden. 72 Für zahlreiche neue Herausforderungen haben die Gerichte adäquate neue Lösungen entwickelt. Beispiele sind die Abwägungsdogmatik als Rechtsschutz in Planungssachen und der Drittschutz gegen raumbezogene Verwaltungsentscheidungen. Auch manche Fragen der verhandelnden und kooperierenden Verwaltung lassen sich im Rahmen eines gerichtszentrierten Kontrollkonzepts beantworten. Für den „Rechtsschutz im kooperativen Verfassungsstaat“ (Michael) werden vor allem verlangt198: – die Akzentuierung des Gebots der Rechtswegklarheit; viele Formen der Zusammenarbeit sind rechtsschutzmäßig nur zu erfassen, wenn öffentlich-rechtlicher Rechtsschutz, Kartellrechtsschutz und Zivilrechtsschutz, primärer und sekundärer Rechtsschutz zu einem „binnenpluralistischen Rechtsschutzmodell“ verbunden werden199; – der Ausbau des allgemeinen Justizgewährungsanspruchs zur Erfassung derjenigen Kooperationsbeiträge, die von Privaten stammen und nicht in den Schutzbereich des Art. 19 Abs. 4 GG fallen; – Verbesserungen des Drittschutzes in wirtschaftlichen Konkurrenzsituationen; – eine Neujustierung des Verfahrensrechtsschutzes. Freilich zeigen sich am Beispiel des kooperativen Verwaltungshandelns auch die Grenzen des justizzentrierten Kontrollkonzepts.
197 198 199
Wenig Änderungsbedarf sieht daher Pietzcker, in: Schmidt-Aßmann/Hoffmann-Riem, Verwaltungskontrolle, S. 89 ff. Michael, Rechtsetzende Gewalt, S. 627 ff.; Frenz, Selbstverpflichtungen, S. 284 ff. So grundlegend Höfling, VVDStRL Bd. 61, S. 260 (284 ff.).
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a) Die Justizzentriertheit des derzeitigen Konzepts 73 Diese Justizzentriertheit ist schon deshalb nicht unproblematisch, weil sich der Zuschnitt des gerichtlichen Verfahrens notwendig auf die gesamte Sichtweise der verwaltungsrechtlichen Dogmatik überträgt. Der Grundtyp des gerichtlichen Verfahrens ist das Individualrechtsschutzverfahren. In seinem Zentrum steht der einzelne Rechtsschutzsuchende, der seine individuellen Interessen gegen eine bestimmte Verwaltungsentscheidung verteidigt200. Der größere Zusammenhang, innerhalb dessen die streitige Entscheidung doch nur ein Element ist, das von voraufgehenden Entscheidungen mitbestimmt und von parallelen Entscheidungen schwer zu isolieren ist, tritt allenfalls als Hintergrund in Erscheinung201. Das führt zu einer strukturellen Asymmetrie: Der Prozeß ist notwendig ausschnitthaft und läßt die Interessenkonstellation nur in einer ganz bestimmten Perspektive hervortreten. Vieles ist aber bereits vorentschieden, bevor es sich in Einzelmaßnahmen der Verwaltung umsetzt und in einem gerichtlichen Verfahren erfaßt werden kann. Die spät einsetzende Konzentration auf ein bestimmtes Interesse, eben das Interesse des rechtsschutzsuchenden Klägers, führt dann wiederum leicht zu einer Überreaktion, die dem Interessenfeld insgesamt nicht gerecht wird. Manches wird zu detailliert, vieles dagegen gar nicht erfaßt. Was für den Individualrechtsschutz funktionsadäquat ist, kann sich für den Kontrollauftrag nachteilig auswirken. 74 Wo subjektive Rechte nicht im Spiel sind, fällt die gerichtliche Verwaltungskontrolle aus. Die Gerichte haben zwar durch eine extensive Handhabung der Schutznormlehre (→ 2/59–62) für manche, keineswegs aber für alle Bereiche, die eine intensivere Kontrolle verdienen, gegengesteuert. Auch hier zeigt sich aber eine gewisse Schwäche des überkommenen verwaltungsrechtlichen Denkens, das zwar die Wirkungen raumbezogener Entscheidungen (Nachbarschutz) gut, die durch Wirtschafts- und Wettbewerbsvorgänge vermittelten Auswirkungen dagegen nur unzulänglich erfaßt. An vier Punkten wird das deutlich: Unbefriedigend ist der Schutz privater Unternehmen gegenüber expansiver kommunaler Wirtschaftstätigkeit202. Unbefriedigend ist ferner der Konkurrentenschutz gegenüber extensiver Subventionstätigkeit203. Der dritte traditionell defizitäre Bereich, das Vergaberecht, ist erst unter massivem Druck des EG-Rechts der gerichtlichen Kontrolle weiter geöffnet worden204. Nach wie vor nur schwer zu 200 201
202
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So zutreffend Voßkuhle, Rechtsschutz, S. 128 für Gerichtsverfahren allgemein. Erbguth, VVDStRL Bd. 61, S. 221 (237: „Ausschnittfixiertheit unter Vernachlässigung vorgelagerter Entscheidungen“); vgl. die Kriterien bei Schmidt-Aßmann, VVDStRL Bd. 34, S. 221 (237 f.). Vgl. BVerwGE 39, 329 ff.; BGH NJW 2002, 2645 ff.; zutreffend demgegenüber aber jetzt OVG Münster NVwZ 2003, 1153 ff. Vgl. Schoch, VBlBW 2000, S. 41 (44); Schmidt-Aßmann, in: FS für Ulmer, S. 1015 ff. Vgl. BVerwGE 30, 191 ff. Zu Verbesserungen des Schutzes durch Rückgriff auf das EG-Recht Koenig/Kühling/Ritter, EG-Beihilfenrecht, S. 203 ff.; Soltész bzw. SchmidtKötters, in: Heidenhain, Europäisches Beihilfenrecht, § 44 bzw. §§ 56 ff. Pietzcker, ZHR 1998, S. 427 ff.
D. Die Kontrollen der Verwaltung
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fassen ist der Verbraucherrechtsschutz gegenüber der Regulierungsverwaltung (→ 3/49–54). An ihm zeigen sich überhaupt die Probleme aggregierter Interessen in einem gerichtszentrierten Kontrollkonzept (→ 2/74). 75 Die Wirkungen der Gerichtszentriertheit werden durch die vorherrschende Ausrichtung des deutschen Verwaltungsrechts an materiellen Gesetzestatbeständen und materiellen Kontrollparametern verstärkt. Der Grundsatz vollständiger Kontrolle und die Neigung der Gerichte, die Verantwortung für die inhaltliche Richtigkeit der Verwaltungsentscheidungen zu übernehmen, führen dazu, daß das Verwaltungsverfahrensrecht in seiner eigenständigen Bedeutung für die Richtigkeitsgewähr nicht hinreichend erfaßt wird. Die Rechtsprechung zu den Folgen einer unterbliebenen Umweltverträglichkeitsprüfung zeigt das ebenso wie die gesetzgeberischen Korrekturen an den §§ 45, 46 VwVfG. Eine stärkere Rückbesinnung auf die eigenständige rechtssichernde Aufgabe des Verfahrensrechts, verbunden mit einer vermehrten Anerkennung administrativer Letztentscheidungsbefugnisse erscheint – auch mit Rücksicht auf die Entwicklung in anderen europäischen Ländern – angezeigt (→ 6/148–150)205. Das Kontrollpotential des Verwaltungsverfahrensrechts ist bisher nicht hinreichend erschlossen; es wird durch die Gerichtszentriertheit in ihrer derzeitigen Ausprägung eher behindert. Notwendig erscheinen eine bessere Einbeziehung des Haushaltsverfahrensrechts und eine genauere Abstimmung der gerichtlichen Verwaltungskontrolle mit der Finanzkontrolle (→ 4/92–97; 6/170–174).
b) Fortentwicklung der gerichtlichen Kontrollaufgaben 76 Diese Kritik zielt nicht darauf, die Justizprägung des Verwaltungsrechts zu verabschieden. Verwaltungsrechtsschutz und Verwaltungsgerichtsbarkeit – in zunehmendem Maße auch die Zivilgerichtsbarkeit206 – sind nach wie vor herausragend wichtige Entwicklungskräfte der Verwaltungsrechtsidee und bestimmende Kräfte der Verwaltungsrechtsordnung. Auch dafür kann auf den europäischen Kontext verwiesen werden. Art. 220 EG und Art. 6 Abs. 1 EMRK weisen Rechtsschutz und gerichtliche Verwaltungskontrollen als Erscheinungsformen eines allgemeinen Rechtsgrundsatzes aus, der den gemeinsamen Verfassungstraditionen der Mitgliedstaaten ebenso wie den Gemeinschaftsverträgen zugrundeliegt (→ 7/29–30)207. Notwendig ist aber ein Konzept, das auf die unterschiedlichen normativen Orientierungen des Verwaltungshandelns (→ 2/22) mit differenzierten Sanktions- und Kontrollmechanismen antwortet. In ihm erhalten die Gerichte nach wie vor eine außerordentlich wichtige, gegenüber der traditio205 206
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Für eine Rücknahme der deutschen Kontrolldichtemaßstäbe Brenner, Gestaltungsauftrag der Verwaltung, S. 391 ff. Ähnlich Wahl, DVBl 2003, S. 1285 (1290 ff.). Neben den traditionellen Gebieten des Sekundärrechtsschutzes (Art. 14 Abs. 3 S. 4, Art. 34 S. 3 GG) sind das vor allem der Bereich der privatrechtsförmigen Verwaltung (§ 13 GVG), das Vergaberecht (§§ 116 ff. GWB), das Kartellverfahren (§§ 63 ff. GWB), das Verwaltungsverfahren nach dem WpÜG (§§ 48 ff.). Streinz, VVDStRL Bd. 61, S. 300 (306 ff.); Dörr, Rechtsschutzauftrag, S. 40 ff.
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Viertes Kapitel: Die verfassungsrechtliche Stellung der Verwaltung
nellen Ausrichtung am Individualrechtsschutz allerdings veränderte Stellung. Die Theorie der Verwaltungsgerichtsbarkeit darf sich nicht länger allein auf Art. 19 Abs. 4 GG konzentrieren.
aa) Qualifizierter Interessenschutz 77 Ansätze für weitere Funktionen sind bereits im derzeitigen Prozeßrecht erkennbar208. So leisten die Verwaltungsgerichte schon heute den für das Verhältnis der Verwaltungseinheiten untereinander wichtigen Kompetenzschutz. Sie nehmen damit Entwicklungen auf, die mit der Ausdifferenzierung der Verwaltungsorganisation zu einem pluralen Gefüge zu tun haben (→ 5/33–52). Dogmatisch ist dieser Schutz, soweit es um rechtlich verselbständigte Verwaltungsträger geht, als (erweiterter) Schutz subjektiver Rechte ausgestaltet. Das subjektive Recht ist hier von seiner grundrechtlichen Wurzel gelöst und dazu eingesetzt, gerichtliche Klärungsmöglichkeiten für Situationen zu eröffnen, in denen es um die Artikulation öffentlicher Interessen aus den unterschiedlichen Perspektiven staatsunmittelbarer und räumlich oder fachlich verselbständigter staatsmittelbarer Verwaltungen geht (→ 3/63–77). Zum Kompetenzschutz rechnen ferner Streitverfahren aus dem organschaftlichen Rechtskreis innerhalb desselben Verwaltungsträgers, z.B. Kommunal- oder Hochschulverfassungsstreitigkeiten. Das gerichtliche Verfahren dient hier vor allem dazu, nicht-hierarchisch gestaltete trägerinterne Kontrastpositionen zu stabilisieren209. Das ist eine Form der Verwaltungskontrolle durch „Entscheidungsstrukturschutz“. In Einzelfällen ist sie sogar innerhalb hierarchischer Entscheidungszüge anerkannt. Ansätze eines rein objektiv-rechtlichen Kontrollverständnisses lassen sich im Behördenantragsrecht des Normenkontrollverfahrens nachweisen210. 78 Ansätze für Funktionserweiterungen bietet das Prozeßrecht aber auch für den privaten Interessenschutz. Auch hier werden Ausdifferenzierungsprozesse aufgenommen, die aus dem gesellschaftlichen Bereich auf das Prozeßrecht ausstrahlen. Vor dem Hintergrund rechtsvergleichender Betrachtungen wirken die Ansätze immer noch wenig ausgeprägt211, selbst wenn man in Rechnung stellt, daß die heutige Praxis des Drittschutzes einen Teil des Differenzierungspotentials intern aufgefangen hat (→ 2/55; 4/72)212. Eine weitere Erstreckung subjektiver 208 209
210 211 212
Dazu Schmidt-Aßmann, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, Verwaltungsgerichtsordnung, Einleitung Rn. 170 ff.; Masing, Mobilisierung des Bürgers, S. 89 ff. Wahl, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, Verwaltungsgerichtsordnung, Vorb § 42 Abs. 2 Rn. 120, der zutreffend von „apersonalen Kompetenzen“ spricht; BVerwGE 45, 207 (210); BVerwG NJW 1992, 927; Herbert, DÖV 1994, S. 108 ff.; ausf. Groß, Kollegialprinzip, S. 315 ff. § 47 Abs. 2 S. 1 HS 2 VwGO; dazu BVerwGE 81, 307 (310). Zur Kritik Classen, Europäisierung der Verwaltungsgerichtsbarkeit, S. 39 ff.; differenzierend Ehlers, VerwArch 1993, S. 139 ff. Dazu Brohm, DV 1991, S. 137 (141): der Drittschutz habe sich zum „kollektiven Minderheitenschutz“ entwickelt.
D. Die Kontrollen der Verwaltung
225
Rechte auf Situationen, in denen der Kläger nicht eigene Interessen verfolgt, sondern als Repräsentant öffentlicher Interessen auftreten will, lehnt die herrschende Ansicht auf dem Boden der Schutznormlehre bisher ab213. Es wird als Aufgabe der Fachgesetzgeber in Bund und Ländern angesehen, Verbänden, Interessengruppen oder Einzelpersonen besondere Klagerechte einzuräumen, die entweder dem Gedanken der gesetzlichen Prozeßstandschaft folgen oder aber auf jeglichen Individualbezug des Klägers zum streitigen Sachverhalt verzichten. Dieser Weg ist für das Naturschutzrecht beschritten worden214. 79 Tendenzen zur Erweiterung gerichtlicher Kontrollaufträge werden durch das EG-Recht verstärkt (→ 1/59). Im Zusammenhang mit nicht umgesetzten Richtlinien hat der Europäische Gerichtshof mehrfach ausgesprochen, das mitgliedstaatliche Recht habe sicherzustellen, daß sich „die Betroffenen“ auf ihnen günstige Vorschriften der Richtlinie vor Gericht müssen berufen können215. Selbst wenn nicht endgültig geklärt ist, ob damit eine für das subjektive Recht typische materielle Interessenwertung oder nur eine rein prozessuale Initiativberechtigung angesprochen ist, so wird doch deutlich, daß eine Erweiterung der Klagemöglichkeiten im Verhältnis zu den bisherigen Vorstellungen des deutschen Prozeßrechts veranlaßt ist216. Diese Einschätzung wird durch rechtsvergleichende Überlegungen unterstrichen217: Auch andere europäische Rechtsordnungen gehen von einem stärker objektiv-rechtlich geprägten Kontrollkonzept aus, das zwar nicht gerade Popularklagen, wohl aber Klagerechte von Interessenten und von bereichsspezifisch tätigen Verbänden anerkennt. Jedenfalls wird sich die justizpolitische Vorstellung, man könne die in Deutschland (zu) hohe gerichtliche Kontrollintensität dadurch ausgleichen, daß man den Rechtsschutz auf einen engen Tatbestand subjektiver Rechte begrenzt hält218, im Zeichen europäischer Rechtsangleichung nicht durchhalten lassen. 80 Auch Überlegungen der innerstaatlichen Rechtsentwicklung legen es nahe, den Kreis der gerichtlichen Kontrollaufträge über den Individualrechtsschutz hinaus zu erweitern (→ 2/74). Verwaltungsentscheidungen sind in erheblichem Maße komplexe Entscheidungen, die sich über individuelle Rechtspositionen allein nicht rekonstruieren lassen. Der Weg, über eine extensive Anwendung der Schnutznormlehre zu helfen – so geboten er für den Konkurrentenschutz ist 213 214
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Dazu die Darstellung von Masing, Mobilisierung des Bürgers, bes. S. 111 ff. § 61 BNatSchG vom 25.3.2002 (BGBl I S. 1193); dazu Seelig/Gündling, NVwZ 2002, S. 1033 ff.; zur Wirksamkeit älterer landesrechtlicher Regelungen Schmidt/Zschiesche, NuR 2003, S. 16 ff. EuGHE 1991, 2567 (2601); EuGHE 1995, 2311 (2318 f.). Weit. Nachw. bei Classen, Europäisierung der Verwaltungsgerichtsbarkeit, S. 73 ff.; Schoch, in: FG 50 Jahre Bundesverwaltungsgericht, S. 507 (517 f.). Schoch, Europäisierung des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes, S. 11 f. und 33; Epiney, VVDStRL Bd. 61, S. 362 (396 ff.). Vgl. Cappelletti, Judicial Process, S. 268 ff.; Gerstner, Drittschutzproblematik, bes. S. 54 ff. und 75 ff.; Schmidt-Aßmann, DVBl 1997, S. 281 (283 ff.); Epiney, VVDStRL Bd. 61, S. 362 (365 ff.). Überlegungen in diese Richtung bei Herzog, NJW 1992, S. 2601 f.
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Viertes Kapitel: Die verfassungsrechtliche Stellung der Verwaltung
(→ 4/72) –, kann nicht beliebig erstreckt werden. Der Gesetzgeber wird sich nach allen Erfahrungen nur zögerlich zu entsprechenden Schritten entschließen. Gleichwohl sollte die zunehmend wichtigere Handlungsebene, auf der Eckwerte, Verteilungskriterien oder Qualitätsstandards festgelegt werden und auf der über konkurrierende Interessenbündel entschieden wird, nicht ohne jede gerichtliche Kontrolle bleiben219. Das Prozeßrecht muß über den engeren Kreis der üblicherweise durch ihre Raumrelevanz bestimmten Interessen hinausgreifen und einer angemessenen Berücksichtigung aggregierter ökonomischer, sozialer oder finanzieller Interessen den Weg ebnen. Art. 19 Abs. 4 GG sperrt eine solche Fortentwicklung der gerichtlichen Kontrollaufträge nicht. Notwendig ist es, § 42 Abs. 2 VwGO („soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist“) so zu interpretieren, daß nicht zwingend eine ausdrückliche gesetzliche Verleihung einer Klagebefugnis verlangt, sondern (auch) eine im Gesetz als substantiell anerkannte Interessenposition als ausreichend angesehen wird.
bb) Rechtsgespräch und Diskursmodell 81 Wenn es darum gehen soll, die Gerichte mit ihrer spezifischen Leistungsfähigkeit im Kontrollsystem zur Geltung zu bringen, dann tritt die Rolle des Gerichtsverfahrens als Forum der Interessenklärung auf neutralem Boden besonders hervor. Unabhängigkeit und Unbeteiligtheit des Richters (Art. 97 GG), Waffengleichheit und umfassende Artikulationsmöglichkeiten der Beteiligten sind seine besonderen Qualitätsmerkmale220. Eine Schlüsselfunktion kommt dabei dem Rechtsgespräch zu221. Nicht die Rechtsentscheidung, auch nicht das Entscheidungsverfahren als abstraktes Ablaufmodell, sondern die kommunikative Komponente des Prozesses tritt damit in den Vordergrund (→ 2/5). Streitiges und streitschlichtendes Verhandeln sind in ihm noch nicht geschieden. 82 Die Dogmatik muß ihre konfrontativen Vorstellungen von Rechtsstreit, Entscheidung und Vollstreckung um Elemente ergänzen, die eine zunächst kontroverse Situation in eine einvernehmliche Regelung überführen. Das Rechtsgespräch kann beides bewirken: Es kann den Boden für eine solche einvernehmliche Beendigung des Verfahrens bereiten, und es kann den Grund dafür legen, daß die streitige Entscheidung Akzeptanz findet. Wichtig sind auch Zwischenlösungen, die den Streit zwar nicht in jeder Hinsicht beenden, wohl aber Punkte einvernehmlich klären, die für das weitere Verfahren von zentraler Bedeutung sind. Ein wichtiges Feld solcher Zwischenlösungen bildet die Aufklärung komplexer Sachverhalte. Schon die Verständigung über die Grundlagen einer behördlichen Prognose, über ihre Methoden oder über heranzuziehende Sachverständige 219 220 221
Dazu Erbguth, VVDStRL Bd. 61 S. 221 (246 ff.), allerdings konzentriert im wesentlichen auf raumrelevante Entscheidungen. Dazu Voßkuhle, Rechtsschutz, S. 94 ff. unter Bezugnahme vor allem auf Zimmer, Funktion – Kompetenz – Legitimation, S. 293. Dazu Ortloff, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, Verwaltungsgerichtsordnung, § 104 Rn. 2 ff., § 106 Rn. 4 ff.
D. Die Kontrollen der Verwaltung
227
kann das Verfahren, selbst wenn es im übrigen streitig weitergeführt wird, wesentlich entlasten222. Gerichtliche Verwaltungskontrolle erhält hier sensible Züge; sie kann aber, weil sie die Verwaltung zu intensiver Darlegung veranlaßt, durchaus wirksam sein. Freilich muß dabei beachtet werden, daß die richterliche Distanz gewahrt bleibt; eine begleitende Verwaltungskontrolle sollte nicht angestrebt werden223. Für eine festere Institutionalisierung bietet das „Modell gerichtsverbundener Mediation“ (Ortloff), das den konfliktschlichtenden und den streitentscheidenden Richter trennt, einen Weg, Gespräch und Distanz in ein ausgewogenes Verhältnis zu bringen224. 83 Überlegungen zur kommunikativen Aufgabe des Verwaltungsprozesses können auch die Grundlage sein, um die herrschende Dogmatik zur gerichtlichen Kontrolldichte fortzuentwickeln. Die angenommene Zäsur zwischen voll kontrollierbaren und nur begrenzt überprüfbaren Verwaltungsentscheidungen bleibt in ihren Voraussetzungen und Konsequenzen unsicher (→ 4/61 ff.). Das gilt für die Trennung zwischen Tatsachenkontrolle und Subsumtionskontrolle ebenso wie für die Maßstäbe der reduzierten Überprüfung. Stattdessen können die nachvollziehende und die abwägungsbestimmte Kontrollkonzeption auf längere Sicht in einem einheitlichen Diskursmodell zusammengeführt werden225. Im Vordergrund eines solchen prozeduralen Konzepts der Kontrolldichte226 steht der Kontrollvorgang im Gespräch mit den Beteiligten und gegebenenfalls mit den Sachverständigen. Ein „Nacharbeiten“ wird zur Leitvorstellung: Unter Führung des Gerichts müssen die Begründungen und Tatsachenannahmen der Verwaltung Punkt für Punkt durchgegangen, Streitpunkten muß entsprechend dem Stande der Rechtsprechung und der öffentlichen Diskussion nachgegangen und die Einwände der Beteiligten müssen, gegebenenfalls nach weiterer Substantiierung, gewürdigt werden227. „Die im Verwaltungsverfahren angelegte Richtigkeitsgewähr wird in das gerichtliche Verfahren hinein fortgedacht. Dieses dient dazu, Stichhaltigkeit und Belastbarkeit behördlicher Ermittlungen, Bewertungen, Gewichtungen und Abwägungen zu eruieren“228.
222 223 224 225 226 227 228
Anschaulich dazu Ozawa/Susskind, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann, Konfliktbewältigung durch Verhandlungen, Bd. 1, S. 177 ff. Teilweise bedenkenswerte Kritik am Diskursmodell bei Erbguth, VVDStRL Bd. 61, S. 221 (242 f.). Ortloff, in: FG 50 Jahre Bundesverwaltungsgericht, S. 727 ff. Dazu Überlegungen bei Schmidt-Aßmann, DVBl 1997, S. 281 (288 f.). Vgl. Goerlich, DVBl 1993, S. 490 (491). Vgl. BVerfGE 85, 36 (58). Gerhardt, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, Verwaltungsgerichtsordnung, Vorb § 113 Rn. 20.
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Viertes Kapitel: Die verfassungsrechtliche Stellung der Verwaltung
3. Rechtsschutzeffektivität: Methodenfragen zum Kontrollniveau 84 Die Garantie gerichtlichen Rechtsschutzes umgreift ein Wirksamkeitsgebot: Rechtsschutzeffektivität ist ein fester Begriff bei der Auslegung des Art. 19 Abs. 4 GG ebenso wie bei der Erläuterung der europäischen Rechtsschutzgarantien229. Was darunter zu verstehen ist, findet sich in den Kommentaren ausführlich erläutert230: adäquate Klage- und Urteilsarten, hinreichende Prüfungs- und Aufklärungskompetenzen des Gerichts, geeignete Vollstreckungsmöglichkeiten, Mittel vorläufigen Rechtsschutzes, rechtzeitiger Rechtsschutz, Prozeßkostenhilfe, Rechtsbehelfsbelehrungen und andere Forderungen nach einer rechtsschutzfördernden Gestaltung von Verwaltungsverfahren etc. Vieles ist seit langem anerkannt und unstreitig, manches gut begründbar, einiges Spekulation und überzogene Konstruktion. Zu Einzelpunkten muß hier nicht Stellung genommen werden. Die Standards sind regelmäßig im Blick auf die Effektivität des Individualrechtsschutzes entfaltet worden. Die meisten von ihnen bieten aber ebenso Kriterien für die Effektivität gerichtlicher Verwaltungskontrolle. Sie indizieren das notwendige „Kontrollniveau“ (→ 4/88). Insofern laufen subjektiver Rechtsschutz- und objektiver Kontrollauftrag der Gerichte ein erhebliches Stück des Weges parallel. 85 An dieser Stelle interessiert die Methode. Rechtsprechung und Schrifttum haben keinen Zweifel, die Frage, was die Rechtsschutzeffektivität im Einzelfalle verlangt, als eine Frage der Interpretation der jeweils einschlägigen Garantienorm – für Verwaltungsrechtsschutz und Verwaltungskontrolle also vorrangig des Art. 19 Abs. 4 GG – zu behandeln. Daß es sich dabei um sehr viel mehr als um einfache Subsumtionsschlüsse handelt, wird selten deutlich gemacht. Im Grunde aber gehen Aussagen zur Wirksamkeit einer Norm über den einfachen interpretatorischen Umgang mit dem Normtext weit hinaus. Sie setzen Kenntnisse des Realbereichs voraus und verlangen u.U. komplizierte Analysen der Wirkungsforschung (→ 1/49). Bei der Rechtsschutzeffektivität tritt das deshalb nicht deutlich hervor, weil der Realbereich selbst in hohem Maße durch Recht, d.h. durch Gerichtsverfassungs- und Prozeßrecht, gebildet ist. Der Jurist bewegt sich hier, wenn er z.B. über die Effektivität vorläufigen oder vorbeugenden Rechtsschutzes urteilt, sozusagen in vertrauter Realität, die nicht als solche, sondern als Interpretation wahrgenommen wird. Fragen der Rechtsschutzeffektivität bzw. der Effektivität der gerichtlichen Verwaltungskontrolle erscheinen ihm deshalb als Rechtsfragen. Sie werden ohne Umschweife rechtlich beantwortet und nicht als eine Überschreitung der der Rechtsanwendung methodisch gesetzten Grenzen betrachtet. Diese Beobachtung ist für die Entwicklung der allgemeinen Lehren von den Verwaltungskontrollen wichtig.
229 230
Dörr, Rechtsschutzauftrag, S. 26 ff., 45 f., 53 f. Vgl. nur Ibler, in: Friauf/Höfling, Grundgesetz, Art. 19 IV Rn. 167–306.
D. Die Kontrollen der Verwaltung
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II. Die Vielfalt der Verwaltungskontrollen und die Aufgaben einer verwaltungsrechtlichen Kontrollehre 86 Neben der Gerichtskontrolle gibt es einen großen Bestand anderer Verwaltungskontrollen (→ 4/57). Problematisch ist nicht ihre zu geringe Zahl, sondern ihre zu geringe Ordnung. Natürlich läßt sich diese Vielfalt nach äußeren Kriterien gliedern und beschreiben. Solche Darstellungen finden sich seltener im verwaltungsrechtlichen und eher im verwaltungswissenschaftlichen Schrifttum231. Sie machen Kontrolle anschaulich und verwehren es, zu schnell von einem (rechtlich) verengten Kontrollbegriff auszugehen. Kontrollen müssen nicht notwendig über eigene Instanzen oder Verfahren verfügen. Sie können u.U. auch nur ein einzelnes Segment eines Verwaltungsverfahrens sein. Oft sind sie, wie z.B. die Fach- und die Dienstaufsicht, als Über- und Unterordnungsverhältnisse ausgebildet. Doch gibt es auch kooperative Kontrollrelationen. „Kontrolle und Kooperation sind nicht notwendige Gegensätze“232. Entscheidend ist, daß eine kontroll-spezifische Distanz gewahrt bleibt, die personell, organisatorisch oder prozedural sichergestellt werden kann.
1. Verwaltungsrechtliche Kontrollehre 87 Die Vielfalt der Kontrollen läßt sich in folgenden Kontrollparametern abbilden233: – Gegenstand: z.B. Ergebnis-, Verfahrens-, Systemkontrollen. – Ansätze: z.B. Planungs-, Entscheidungs-, Realisationskontrollen. – Maßstäbe: u.a. Rechtmäßigkeit, Wirtschaftlichkeit, Effektivität, Bürgernähe, Zweckmäßigkeit, technische Qualität. – Phasenbezug: vorherige, begleitende, nachträgliche Kontrollen. – Bezugszeitraum: kurzfristige und längerfristige, punktuelle und permanente, spontane oder periodische Kontrollen. – Akteure: Staatskontrollen, gesellschaftliche Kontrollen; aber auch staatsintern parlamentarische, administrative und judikative Kontrollen. – Initiative: eigeninitiierte und fremdinitiierte Kontrollen (mit fakultativer oder obligatorischer Folgepflicht), automatische Kontrollen. – Kontrollinstrumente: insbesondere Mittel der Informationsgewinnung, z.B. Aktenanforderung, Anzeige- und Berichtspflichten, Zustimmungsvorbehalte, Rechnungslegung, Netzplantechniken, Kontrastorgane. 231
232 233
Vgl. Wolff/Bachof, Verwaltungsrecht III, §§ 161–166; knapp Bull, Verwaltungsrecht, § 18; Lecheler, Verwaltungslehre, S. 215 ff.; Thieme, Verwaltungslehre, Rn. 495 ff.; ausf. Becker, Öffentliche Verwaltung, S. 624 ff., 870 ff.; vgl. auch Lüder, in: SchmidtAßmann/Hoffmann-Riem, Verwaltungskontrolle, S. 45 ff. Hoffmann-Riem, in: Schmidt-Aßmann/Hoffmann-Riem, Verwaltungskontrolle, S. 325 (366). Eichhorn/Friedrich, Verwaltungsökonomie I, S. 252 ff.; vgl. auch Hoffmann-Riem, in: Schmidt-Aßmann/Hoffmann-Riem, Verwaltungskontrolle, S. 325 (345 ff.).
230
Viertes Kapitel: Die verfassungsrechtliche Stellung der Verwaltung
– Umfang und Genauigkeit: Total- oder Teilkontrollen, Grob- oder Feinkontrollen. – Kontrollorganisation: zentrale oder dezentrale, integrierte oder sektorale Kontrollen. – Sanktionen: Berichtspflichten, Beanstandung, Kassation, Ersatzvornahme, Selbsteintritt; haftungs-, disziplinar- und strafrechtliche Konsequenzen; Einsetzung eines Staatskommissars. – Systemzusammenhang: Einbindung der Kontrolle in das weitere Organisations- und Entscheidungsgefüge. 88 Der Vielfalt der Verwaltungskontrollen liegt kein einheitliches Konzept zugrunde. Zwar lassen sich manche Kontrollarten in ein komplementäres Verhältnis zueinander setzen, als Teilgefüge verstehen und u.U. als funktionale Äquivalente behandeln. Aber ein System der Verwaltungskontrollen existiert nicht234. Das hat zur Konsequenz, daß auch die Inhalte einer verwaltungsrechtlichen Lehre von den Verwaltungskontrollen nicht aus einem vorfindbaren, einigermaßen konsistenten Gefüge von Rechtserkenntnissen abgeleitet werden können, wie das trotz mancher Schwächen für die Gesetzesanwendungslehre gilt. Kontrolle ist kein Begriff von einer dem Gesetzesbegriff vergleichbaren juristischen Substanz; sie ist vielmehr ein offener Funktionsmechanismus235. Wenn Verwaltungskontrolle aber im Rahmen der Gewaltenteilung das verfassungsgebotene Widerlager zur Eigenständigkeit der Verwaltung bildet (→ 4/57), dann muß die verwaltungsrechtliche Systematik hier Boden gewinnen. Zwei Entwicklungsrichtungen sind zu bedenken: – Die einzelnen Kontrollarten sind in ihrer rechtlichen Substanz zu erfassen und in sektoralen Teildogmatiken darzustellen. Die reine Beschreibung der Kontrollinstanzen und ihrer Tätigkeit genügt dazu so wenig wie die Schilderung der einschlägigen Rechtsvorschriften. Vielmehr muß zunächst das Spezifikum des jeweiligen Kontrollmechanismus erfaßt werden. Dazu zählen die Kontrollansätze, die Motivationsstrukturen und die Leitgedanken236. Sodann sind der verfassungstheoretische Hintergrund und die verfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen aufzuzeigen. Das alles bildet die Basis, um aus dem positiven Recht heraus die dogmatischen Fragen in einer standardisierten Form zu behandeln: das Kontrollverhältnis, die Phasen des Kontrollverfahrens, die Initiativberechtigungen und Zeitpunkte, die Kontrollmaßstäbe sowie die Kontrollergebnisse und ihre Umsetzung. Daß die Entfaltung solcher Teildogmatiken fruchtbar sein kann und wie sie zu leisten ist, zeigt das Beispiel der Staatsaufsicht und ihrer förderlichen Behandlung in der jüngeren Literatur237. 234 235 236
237
Krebs, Kontrolle, S. 220 ff.; Schulze-Fielitz, in: Schmidt-Aßmann/Hoffmann-Riem, Verwaltungskontrolle, S. 291 (302). Ähnlich Pitschas, DÖV 1998, S. 907 (908 f.). Dazu (allerdings mit einem abweichenden Aufsichtsbegriff) Schuppert, Verwaltungswissenschaft, S. 892; aus ökonomischer Sicht Suchanek, in: Schmidt-Aßmann/HoffmannRiem, Verwaltungskontrolle, S. 247 ff.; auch Hoffmann-Riem, dort S. 325 (345 ff.). Vorbildlich Kahl, Staatsaufsicht, bes. S. 472 ff.
D. Die Kontrollen der Verwaltung
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– Eine verwaltungsrechtliche Lehre von der Verwaltungskontrolle muß aber noch einen Schritt über Teildogmatiken hinaus tun. Sie muß einen normativen Richtpunkt suchen. Dieser Richtpunkt ist der Gedanke des „Kontrollniveaus“238. Daß im Bereich der gerichtlichen Verwaltungskontrollen die überkommenen Erkenntnisse zur Rechtsschutzeffektivität auch als solche zum gebotenen Kontrollniveau interpretiert werden können, ist bereits gezeigt worden (→ 4/82–83). Die Frage nach dem erforderlichen „Niveau“ der angestrebten Steuerungsintensitäten ist im übrigen breit in der Lehre von der demokratischen Legitimation behandelt (→ 2/98–99). Der Begriff des „Kontrollniveaus“ (Hill) wird bewußt genutzt, um die Parallelität der Fragestellung anzuzeigen. Es geht um das Problem der Wirksamkeit des Rechts, des Verwaltungsrechts und hier des Verwaltungskontrollrechts. Wirksamkeitsfragen sind kein außerhalb des Verwaltungsrechts angesiedeltes Thema, sondern in entsprechender Verdichtung Teil der normativen Fragestellungen selbst. Die verwaltungsrechtliche Kontrollehre muß sich, die Aussagen ihrer Teildogmatiken übergreifend, folglich auch zu zulässigen und zu gebotenen Kontrollverstärkungen und Kontrollverschränkungen insoweit äußern, als es um das gebotene Kontrollniveau geht. Die dafür zu entwickelnden Maßstäbe sind nicht einfach aus den einschlägigen Gesetzen abzuleiten. Notwendig sind die Analyse von Informationsflüssen und die Ermittlung organisationstypischer Verhaltensregeln (→ 1/49). Daß diese Arbeit in Auseinandersetzung mit dem Regelungsgefüge des jeweils einschlägigen Fachrechts als Rechtsarbeit geleistet werden kann, zeigen die verfassungsrechtlichen Judikate zum Legitimationsniveau. Die Erkenntnisse zum Kontrollniveau sind dann ihrerseits im Sinne einer Wechselwirkung z.B. bei der teleologischen Auslegung eines einzelnen Kontrolltatbestandes heranzuziehen.
2. Pluralisierung des Kontrollkonzepts 89 Die zentrale Frage nach dem gebotenen Kontrollniveau veranlaßt dazu, die auch sonst auf Verwaltung und Verwaltungsrecht einwirkenden Entwicklungsfaktoren auf ihre kontrollrelevanten Folgen zu beobachten. Dabei können sich Schwächungen bisheriger Kontrollen, aber auch neue direkt oder indirekt wirkende Kontrollzüge ergeben: – Die Budgetsteuerung fördert bewußt eine dezentrale Ressourcenverantwortung der einzelnen Leistungseinheit (→ 1/41–44). Die Zugriffsmöglichkeiten der hierarchisch angelegten Fachaufsicht werden dadurch eingeschränkt239. Rechtlich bleibt die Einzelweisung idR zwar möglich, sie stört jedoch die neue Verantwortungsteilung, weil sie auf Einzelpunkte zugreift, während das Neue Steue238 239
Vgl. Schmidt-Aßmann, in: Schmidt-Aßmann/Hoffmann-Riem, Verwaltungskontrolle S. 9 (40) mit dem Hinweis auf die Begriffsprägung durch Hermann Hill. Zum folgenden Pitschas, DÖV 1998, S. 907 (909 ff.); auch Lüder, in: SchmidtAßmann/Hoffmann-Riem, Verwaltungskontrolle, S. 45 (54 ff.).
232
Viertes Kapitel: Die verfassungsrechtliche Stellung der Verwaltung
rungsmodell gerade davon absehen will240. § 6a Abs. 1 S. 3 HGrG verlangt daher (kompensatorisch) geeignete „Informations- und Steuerungsinstrumente“. Der Begriff der Steuerung wird hier in einem weiten, präventiven, den begleitenden und nachträglichen Einfluß umgreifenden Sinne gebraucht. Er bezieht sich vor allem auf das Controlling und die Fixierung von Leistungsvereinbarungen. Beide müssen prozeßhaft verstanden werden und weisen damit auch Elemente auf, die zum Bild der überkommenen Aufsichtsmittel gehören. Sie können im Rahmen der Budgetsteuerung sogar besser eingesetzt werden, da die Kontrollinstanzen über detailliertere Informationen verfügen. Aufsicht ist mehr als „Strukturaufsicht“ zu verstehen, die sich nicht auf die einzelne Sachentscheidung, sondern auf die Kontextbedingungen des Verwaltungsvollzuges, z.B. die Professionalität des eingesetzten Personals beziehen soll241. Ihr läßt sich jedenfalls partiell mit den Mitteln der klassischen Dienstaufsicht Nachdruck verleihen. – Der Europäische Verwaltungsverbund ist auch ein Kontrollverbund (Art. 211, 284 EG)242. In ihm unterliegen die Mitgliedstaaten teilweise einer intensiveren Aufsicht, als das für die Länder im deutschen Föderalismus gilt. Besonders deutlich ist das bei der Beihilfeaufsicht (Art. 88 EG)243. Auch das Rechnungsabschlußverfahren des Agrarrechts244 und die Finanzkorrekturen bei der Verwaltung der Strukturfonds gehören hierher245. Ein weiteres Aufsichtsmittel sind schließlich die im Sekundärrecht vorgesehenen Inspektionen (VorortKontrollen), die die Kommission gegenüber mitgliedstaatlicher Verwaltung in zahlreichen Gebieten des Fachverwaltungsrechts idR als „Kontrolle der Kontrolle“ in der Art der genannten Strukturaufsicht einsetzen kann246. Insgesamt hat das EG-Recht zu einem deutlichen Zuwachs an Verwaltungskontrollen geführt – und zwar keineswegs nur in quantitativer, sondern auch in substantieller Hinsicht. Daß Aufsichtsmaßnahmen der Kommission durchaus als wirksam empfunden werden, wird durch beredtes Klagen der Beaufsichtigten insbesondere gegenüber der Beihilfeaufsicht indiziert. 90 Noch ausgreifender fragt Gunnar Folke Schuppert nach einer „notwendigen Neubestimmung der Staatsaufsicht im verantwortungsteilenden Verwaltungsstaat“247. Er gebraucht den Begriff der Staatsaufsicht bewußt weit und ver240 241 242
243 244 245 246 247
Vgl. Hoffmann-Riem, in: Schmidt-Aßmann/Hoffmann-Riem, Verwaltungskontrolle S. 73 (78 f.): „Grundsatz der detailabstinenten Globalsteuerung“. Pitschas, DÖV 1998, S. 907 (915). Grundlegend Gil IbáÛez, The Administrative Supervision and Enforcement of EC Law, pass.; ferner Kadelbach, in: Schmidt-Aßmann/Hoffmann-Riem, Verwaltungskontrolle, S. 205 (223 ff.) Dazu Koenig/Kühling/Ritter, EG-Beihilfenrecht, S. 174 ff., Sinnaeve, in: Heidenhain, Europäisches Beihilfenrecht, §§ 32 ff. Dazu Mögele, Die Behandlung fehlerhafter Ausgaben im Finanzierungssystem der gemeinsamen Agrarpolitik, S. 68 ff. Dazu Schöndorf-Haubold, Die Strukturfonds der Europäischen Gemeinschaft, i.E., Kap. 2 C. V.; zur Rechtskontrolle durch die Kommission dort Kap. 2 C. IV. Dazu David, Inspektionen im Europäischen Verwaltungsrecht, bes. S. 225 ff. Schuppert, Verwaltungswissenschaft, S. 887 ff.
D. Die Kontrollen der Verwaltung
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steht darunter das gesamte Spektrum von Aufsichtstypen zwischen der Staatsaufsicht (im engeren Sinne), klassisch repräsentiert durch die staatliche Aufsicht über die Kommunalkörperschaften, und der Wirtschaftsaufsicht über private Wirtschaftssubjekte. Die Beobachtungen vermehrter staatlich-gesellschaftlicher Kooperation aufnehmend (→ 3/118–122) und in eine moderne Aufsichtstypologie einbeziehend, bildet Schuppert zwischen den Eckpositionen dieses Spektrums zwei neue Aufsichtstypen, die Steuerungsaufsicht und die Gewährleistungsaufsicht: Steuerungsaufsicht gilt für Einheiten mit dezentraler Ressourcenverantwortung nach dem Neuen Steuerungsmodell (→ 1/41) und vor allem für öffentliche Unternehmen. Die Gewährleistungsaufsicht soll dagegen privaten Unternehmen gelten, und zwar entweder als Überwachungsaufsicht dort, wo zunächst private Eigenüberwachung das Feld bestimmt, oder als Regulierungsaufsicht in dem Bereich des Regulierungsrechts (→ 3/49–54). Die Typologie arbeitet die unterschiedlichen Zwecke und Wirkungsbedingungen von Aufsicht anschaulich heraus. Gleichwohl ist sie mit der Kontrollehre des Verwaltungsrechts nicht kompatibel: Der Kontrollbegriff muß auf Vorgänge beschränkt bleiben, bei denen Einheiten der öffentlichen Verwaltung Kontrollunterworfene sind. Die Beaufsichtigung privater Wirtschaftssubjekte ist nicht Verwaltungskontrolle248. Zwischen beiden gibt es auch kaum erkenntnisfördernde Gemeinsamkeiten. Von den Typen des beschriebenen Spektrums gehören nur die klassische Staatsaufsicht über Selbstverwaltungsträger und die Steuerungsaufsicht im Gefolge des Neuen Steuerungsmodells zu den Verwaltungskontrollen. 91 Auch in diesem (engeren) begrifflichen Rahmen zeigt sich eine deutliche Pluralisierung der Verwaltungskontrollen: Innerhalb von hierarchischen Kontrollformen der klassischen Staatsaufsicht sind heute auch kooperative Mechanismen anzutreffen249. Neben den Kontrollen der hoheitlichen Entscheidungsaufgaben gewinnen Qualitätskontrollen der Leistungserbringung und die Steuerungsaufsicht über öffentliche Unternehmen Bedeutung. Rechtskontrollen besitzen nach wie vor eine zentrale Position; doch veranlassen die weiteren normativen Orientierungen der Verwaltung (→ 2/22), nach zusätzlichen Kontrollinstanzen zu fragen. Eine schwächere materielle Steuerung wird durch Mittel prozeduraler Kontrolle auszugleichen versucht250. – Unübersehbar ist die große Bedeutung administrativer Eigenkontrollen, vor allem solcher im Innenbereich der Behörden, Ämter und anderer Leistungseinheiten. Sie unterstreichen die Bedeutung des Verwaltungsorganisationsrechts und des öffentlichen Dienstrechts als Steuerungsressourcen.
248 249
250
Zu dieser „Dichotomie“ von Staatsaufsicht und Wirtschaftsaufsicht Kahl, Staatsaufsicht S. 366 ff. Sie veranlassen z.B. zu einem anderen Verständnis der amtshaftungsrechtlichen Konsequenzen aufsichtsbehördlicher Beratungstätigkeit; vgl. H. Meyer, NVwZ 2003, S. 818 ff. gegen BGH NJW 2003, 634 ff. Dazu Groß, Kollegialprinzip, S. 300 ff.
234
Viertes Kapitel: Die verfassungsrechtliche Stellung der Verwaltung
– Deutlich ist weiter die Verlagerung von der punktuellen Kontrolle der Sachvorgänge zu Struktur- oder Systemkontrollen im Sinne „übergreifender Lernprozesse“251. – Zu beobachten ist die Nutzung von Kontrollmechanismen, die sich ähnlich im privaten Sektor finden, z.B. besondere Beauftragte (Datenschutzbeauftragte), Auditverfahren. – Erkennbar ist schließlich eine Zunahme selbstreflexiver Kontrollmechanismen, insbesondere durch eine stärkere Einbeziehung der Öffentlichkeit in Entscheidungs- und Kontrollzusammenhänge. Konsequenzen des Kontrollrechts werden im folgenden für Finanzkontrollen (3) und für Öffentlichkeitskontrollen (4) betrachtet.
3. Finanzkontrollen 92 Die notwendige stärkere Integration des Haushaltsrechts in das Verwaltungsrecht (→ 2/78, 85; 6/70, 170–172) veranlaßt dazu, auch den Finanzkontrollen mehr Bedeutung als bisher beizumessen. Finanzkontrollen stehen in unmittelbarem Bezug zum Rechtsstaatsprinzip252. Im System der Verwaltungskontrollen bilden sie neben der Rechtskontrolle durch Aufsichtsbehörden und Gerichte die zweite tragende Säule253. Zu den Finanzkontrollen gehören verwaltungsinterne Selbstkontrollen und Fremdkontrollen. In ihrem Zentrum steht im nationalen Recht wie im EG-Recht die Institution der Rechnungsprüfung. Die Haushaltsreform legt auf ihren Ausbau zutreffend besonderes Gewicht und will durch Schaffung eigener Prüfungsämter unter der Dienst- und Fachaufsicht des Bundesrechnungshofes die Stellung der externen Kontrolle stärken254. Der Ausbau institutionalisierter Formen darf aber die verwaltungsinternen Finanzkontrollen nicht schwächen255. Die Zunahme budgetärer Steuerungsformen verlangt neue Formen begleitender und beratender Finanzkontrollen256; das Maß kooperativer Elemente sollte bei internen und externen Kontrollen aber bewußt unterschiedlich sein. 93 Gegenstand der Rechnungsprüfung ist die gesamte Haushalts- und Wirtschaftsführung der öffentlichen Hand (§ 42 HGrG)257. Einbezogen sind Sondervermögen, die mittelbare Staatsverwaltung, die Selbstverwaltung sowie die öffentlichen Unternehmen und Stellen, die Zuwendungen aus öffentlichen Haus251 252 253 254 255 256 257
Schulze-Fielitz, in: Schmidt-Aßmann/Hoffmann-Riem, Verwaltungskontrolle, S. 291 (322). So zutreffend Schwarz, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Grundgesetz, Art. 114 Rn. 59. Vgl. v. Mutius, VVDStRL Bd. 42, S. 147 (186 f.); Schmidt-Aßmann, VVDStRL Bd. 34, S. 221 (266 f.); auch Schuppert, Staatswissenschaft, S. 725 ff. § 100 BHO, § 20a BRHG. Zur Entwicklung vgl. Wieland, in: Schmidt-Aßmann/Hoffmann-Riem, Verwaltungskontrolle, S. 59 (70 f.). Hoffmann-Riem, in: Schmidt-Aßmann/Hoffmann-Riem, Verwaltungskontrolle, S. 73 ff. Vgl. Schulze-Fielitz, VVDStRL Bd. 55, S. 231 (241 f.).
D. Die Kontrollen der Verwaltung
235
halten bekommen haben (§ 43 HGrG). Auch Institutionen mit besonderem Autonomieanspruch, z.B. die Wissenschaftseinrichtungen258, sind nicht ausgenommen. Als Betätigungskontrolle (§ 44 HGrG) wirkt die Prüfung zudem weit in den staatlich-gesellschaftlichen Kooperationsbereich hinein. 94 Prüfungsmaßstäbe sind die Wirtschaftlichkeit und Ordnungsgemäßheit der Haushalts- und Wirtschaftsführung. Zur Ordnungsgemäßheit gehört auch die Rechtmäßigkeit, die nach zutreffender Ansicht das gesamte für die Verwaltung beachtliche Bindungsprogramm des Art. 20 Abs. 3 GG umfaßt259. Daß sich die Praxis bisher möglichst auf die Kontrolle des Haushaltsrechts beschränkte, heißt nicht, daß sie nicht intensiviert werden könnte, zumal in Bereichen, in die gerichtliche Kontrollen üblicherweise nicht vordringen. Hier sollte sich ein stärker auf systematische Abstimmung zwischen den Instanzen ausgerichtetes Kontrollverständnis entwickeln. 95 Der Maßstab der Wirtschaftlichkeit umfaßt die Minimierung des Mitteleinsatzes bei vorgegebenem Zweck und die Maximierung des Nutzens bei vorgegebenen Mitteln (→ 6/66). Das Maximalprinzip anzuwenden bereitet Schwierigkeiten, weil es eine Bewertung der Zwecke einschließt und damit „Züge einer politischen Rationalität“ annimmt260. Natürlich können die Rechnungshöfe ohne greifbare Zweckhierarchien keine umfassenden Politikbewertungen vornehmen; aber grobe Mißverhältnisse und Unvertretbarkeiten sind zu benennen261. Im übrigen haben sich in Querschnitts-, Organisations-, System- und Programmprüfungen hinreichende Kontrollraster herausgebildet, die in der argumentativen Auseinandersetzung mit den kontrollierten Stellen mindestens eine prozedurale Rationalität zu erreichen gestatten262. 96 Die spezifische Leistungsfähigkeit der Rechnungshofkontrollen liegt zum einen in ihrer Unabhängigkeit und in ihrer Professionalität. Sie können so den Bedarf nach objektiver, ungeschönter Information abdecken, der in der Öffentlichkeit immer deutlicher formuliert wird, weil administrative und parlamentarische Kontrollen häufig nicht die politische Kraft zu klaren Bewertungen haben oder sich gegenseitig paralysieren263. Unabhängigkeit setzt dauerhafte Distanz zu den kontrollierten Stellen und Vorgängen voraus. Beratungstätigkeiten, die neben der Prüfungstätigkeit ausgeübt werden, müssen daher begrenzt bleiben und dürfen nicht zu einer Übernahme von Mitverantwortung führen. 258 259
260 261 262 263
Trute, Forschung, S. 474 ff.; vgl. BVerwGE 74, 58 (Stiftung Volkswagenwerk). Stern, Staatsrecht, Bd. 2, § 34 III 3 c, S. 434; Kisker, in: HStR Bd. 4, § 89 Rn. 110. Für das EG-Recht weist Art. 248 Abs. 2 EG die Rechtmäßigkeit als Kontrollmaßstab eigenständig aus. Reinermann, DV 1981, S. 483 (491); folgend Schulze-Fielitz, VVDStRL Bd. 55, S. 231 (256). Kisker, in: HStR Bd. 4, § 89 Rn. 113 f.; vgl. Stern, Staatsrecht, Bd. 2, § 34 III 3 c, S. 439; Degenhart, VVDStRL Bd. 55, S. 190 (208 ff.). Dazu Schulze-Fielitz, VVDStRL Bd. 55, S. 231 (258 ff. und 264 ff.); Schwarz, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Grundgesetz, Art. 114 Rn. 89. Vgl. Kisker, in: HStR Bd. 4, § 89 Rn. 97 ff., 126 ff.
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Viertes Kapitel: Die verfassungsrechtliche Stellung der Verwaltung
97 Die Rechnungshöfe sind über die Stellung von Hilfsorganen der Parlamente längst hinausgewachsen264. Ihre Prüfungsberichte bilden nicht nur die Basis für die Entlastung der Regierung (Art. 114 Abs. 1 GG), sondern sie wirken zugleich dahin, die Kontrollfunktion der Öffentlichkeit zu aktivieren265 (→ 4/98–100). Für den Rechnungshof der EG ist die Veröffentlichung seiner Berichte im Amtsblatt der Union ausdrücklich vorgeschrieben (Art. 248 Abs. 4 EG). In den Sanktionsmechanismen unterscheiden sich die Rechnungshöfe von den Verwaltungsgerichten, die vorrangig mit der verbindlichen Korrektur punktuell erfaßter administrativer Vorgänge beschäftigt sind. Das Verhalten beider Kontrollinstanzen zueinander ist bisher nahezu ausschließlich als Frage nach dem Gerichtsschutz gegen die Tätigkeit von Rechnungshöfen erörtert worden266. Für eine verbesserte Kontrollsystematik kommt es jedoch darauf an, das Verhältnis nicht auf konfrontative, sondern auf komplementäre Elemente zu untersuchen267. Ein besseres Zusammenspiel hängt vor allem von einer stärkeren materiellen Integration des Haushaltsrechts in das allgemeine Verwaltungsrecht ab. Spezifische Kontrollverknüpfungen sollten bei der gegenseitigen Information beginnen. Zu denken ist daran, daß Rechnungshöfe pathologische Verwaltungspraxen, die in gerichtlichen Urteilen punktuell identifiziert worden sind, in größerer Breite aufnehmen. Das kann z.B. im Subventionswesen und bei der Vergabe öffentlicher Aufträge zu einer strikteren Rechtsdurchsetzung führen. Weitere Verschränkungen sind denkbar, wenn der gerichtliche Interessenschutz weiter ausgebaut und Interessentenklagen auch der Verletzung von Haushaltsrecht geöffnet werden sollten (→ 4/80).
4. Öffentlichkeitskontrollen 98 Im Gegensatz zu den institutionell und rechtlich fest ausgeprägten Finanzkontrollen erscheinen Öffentlichkeitskontrollen bisher eher amorph. Öffentlichkeit verstanden als aktive Beteiligtenöffentlichkeit, als „Kommunikations- und Interaktionsvorgänge, in denen Informationen erzeugt, bewertet, ausgetauscht und verarbeitet werden“268, bleibt ein unstetes Medium (→ 2/116). Das Recht kann hier nur einige Vermittlungsleistungen zwischen der Eigendynamik der Kommunikationsprozesse und Kontrolleffekten bieten und muß im übrigen 264 265
266 267 268
Zur Stellung zwischen den Funktionsträgern Stern, Staatsrecht, Bd. 2, § 34 IV 2–4; ders., DÖV 1990, S. 261 (264). Vgl. Schulze-Fielitz, VVDStRL Bd. 55, S. 231 (242 f., auch 239): parlamentsunabhängiger Öffentlichkeitsstatus der Rechnungshöfe; ferner Krebs, Kontrolle, S. 214 f.; Heun, Staatshaushalt und Staatsleitung, S. 516. Dazu mit weit. Nachw. Schwarz, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Grundgesetz, Art. 114 Rn. 177 f. Ansätze dazu bei Krebs, Kontrolle, S. 220 ff.; Schulze-Fielitz, in: Schmidt-Aßmann/ Hoffmann-Riem, Verwaltungskontrolle, S. 291 (321 ff.). Rossen-Stadtfeld, in: Schmidt-Aßmann/Hoffmann-Riem, Verwaltungskontrolle, S. 117 (146).
D. Die Kontrollen der Verwaltung
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als Rahmenordnung darauf sehen, daß einzelne private oder staatliche Interessen nicht evident benachteiligt werden. 99 Trotzdem kann auf das Kontrollpotential einer aktiven Öffentlichkeit innerhalb der verwaltungsrechtlichen Kontrollehre nicht verzichtet werden: – Ansätze finden sich in der Öffentlichkeitsbeteiligung, die für komplexe Verwaltungsverfahren vorgeschrieben ist. Die Umweltverträglichkeitsprüfung zieht einen wesentlichen Teil ihres Effekts aus einer rechtlich geordneten Kommunikation der beteiligten Behörde mit der Öffentlichkeit (→ 6/145–146). – Weiter hierher zu zählen ist das öffentliche Berichtswesen der Verwaltung. Subventions- und Umweltberichte können mehr sein als reine Unterrichtungsvorgänge. An sie lassen sich Kontrolldiskurse anknüpfen. Mit den derzeit vorherrschenden regierungs- und verwaltungsamtlichen Berichten ist allerdings wenig gewonnen, weil es an Elementen institutionalisierter Kritik fehlt. Wenn Kontrolle Schwächen parlamentarischer Steuerung ausgleichen soll (→ 4/5), dann müssen an diesem Punkte weitere Neutralitäts- und Unabhängigkeitsgarantien in die Kontrollordnung eingebaut werden. Ansätze dazu bieten die Prüfungsberichte der Rechnungshöfe (→ 4/97). Öffentlichkeitskontrollen können auch dadurch wirken, daß sie den Resonanzboden für andere Kontrollinstanzen bilden. 100 Vieles spricht dafür, diese Kontrollansätze vorsichtig auszubauen: Qualitätssicherung in der Leistungsverwaltung geschieht am besten durch Kontrollen von Seiten der Nutzer (Marktöffentlichkeit als Kontrollmedium). Die Kontrolle öffentlicher Unternehmen wird durch die Publizitätspflichten des Kapitalgesellschaftsrechts gestärkt269. Die EG-Kommission schließlich sieht in Öffentlichkeitskontrollen ein wichtiges – freilich schwer zu quantifizierendes – Mittel, um die Verwaltungen der Mitgliedstaaten im dezentralen Vollzugskonzept der Gemeinschaft zur Erfüllung ihrer europarechtlichen Pflichten anzuhalten. Zu große Erwartungen dürfen an alle diese Ansätze freilich nicht geknüpft werden. Die Maßstäbe der Kontrolle bleiben ebenso schwer faßbar wie die Kontrollinstanz selbst, die bald eine sich autonom konstituierende Öffentlichkeit (z.B. innerhalb eines bestimmten Verwaltungsverfahrens), bald eine medien-konstituierte Öffentlichkeit ist. Die Berechenbarkeit ihrer Reaktionen wird dadurch nicht leichter (→ 2/116).
269
Vgl. Loeser, Berichtswesen der öffentlichen Verwaltung, bes. S. 92 ff., 102 ff.
Fünftes Kapitel
Die Verwaltung als Organisation und die Bedeutung des Organisationsrechts A. Entwicklungsstand, Herausforderungen, Perspektiven 1 „Der moderne Staat existiert als entscheidungs- und handlungsfähiges Subjekt nur nach Maßgabe des ihn konstituierenden Organisationsrechts“1. In und durch Organisationen vollziehen sich die administrativen Aktivitäten, in ihnen begegnen sich organisierte Staatlichkeit und gesellschaftliche Kräfte. Die Systematik des Verwaltungsrechts muß dem Organisationsrecht daher eine Zentralposition zuweisen, weil es Leistungsvorgänge und Beteiligungschancen in Strukturen überführt. In ihm finden die Forderungen nach rechtsstaatlicher Verantwortungsklarheit und Effektivität mit den Geboten demokratischer Legitimation zusammen. Gerade das Verwaltungsorganisationsrecht hat das abzubilden, was als „Gemeinwohlordnung“ immer wieder hergestellt werden muß2. Organisationsrecht hat für die verwaltungsrechtliche Systematik eine zweifache Aufgabe3: – In seiner Konstitutionsfunktion verfaßt es die Verwaltung als Handlungsgefüge rechtlich und legt die administrative Binnenstruktur fest. – In seiner Steuerungsfunktion nimmt es Einfluß auf die Arbeitsabläufe und Entscheidungen der Verwaltung; es formiert eine Kontextsteuerung.
1 2
3
So Ritter, in: Schmidt-Aßmann/Hoffmann-Riem, Verwaltungsorganisationsrecht, S. 207 (207); zur Praxis anschaulich B. Becker, Öffentliche Verwaltung, S. 115 ff., 529 ff. BVerfGE 93, 37 (74): „gemeinwohlorientierte, an Gesetz und Recht gebundene, wirksame Erfüllung des Amtsauftrages“; Trute, in: Schmidt-Aßmann/Hoffmann-Riem, Verwaltungsorganisationsrecht, S. 249 (269, 294): „Umsetzung struktureller Gemeinwohlanforderungen“; vgl. auch Kirchhof, in: HStR Bd. 3, § 59 Rn. 87 f.; Kirste, in: Brugger/ Kirste/Anderheiden, Gemeinwohl, S. 327 (389 f.). Zur historischen Entwicklung des Organisationsrechts Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts, Bd. 1, S. 366 ff., Bd. 2, S. 416 f.; ferner, über ihren Themenbereich weit hinausgreifend, die Schrift von Bieback, Öffentliche Körperschaft, bes. S. 362 ff. Groß, Kollegialprinzip, S. 10 ff.; ähnlich Burgi, in: Erichsen/Ehlers, Verwaltungsrecht, § 51 Rn. 4, 14 f.: institutionelle und instrumentelle Funktion des Organisationsrechts.
240
Fünftes Kapitel: Die Verwaltung als Organisation
I. Überkommene Dogmatik und geforderte Dynamik 2 Trotzdem gilt das Verwaltungsorganisationsrecht üblicherweise als ein ausgesprochen statisches Gebiet, in dem sich neuere Entwicklungen nur mit erheblicher Verzögerung niederschlagen4. Die überkommene Dogmatik erschöpft sich gerade hier oft in der Deskription, ohne daß ihre Formen erkennbar zu positiver Steuerung fähig sind.
1. Kritik der derzeitigen Regelungsansätze 3 Das Verwaltungsorganisationsrecht setzt sich aus drei Komponenten, aus Rechtsformen, aus systemprägenden Zäsuren und aus bestimmten materiellen Rechtsgrundsätzen zusammen5. Die Organisationsrechtsformen bilden die Grundelemente: Amt, Behörde, Körperschaft, Anstalt und Stiftung des öffentlichen Rechts, ergänzt um die von der Verwaltung genutzten Organisationsrechtsformen des Gesellschaftsrechts (AG und GmbH), sind folglich auch in den Lehrdarstellungen des Verwaltungsorganisationsrechts die wichtigsten Gegenstände. Durch sie werden vor allem die Handlungsfähigkeit einer Organisationseinheit im Rechtsverkehr und ihre Rechtsstellung im Verhältnis zu anderen Verwaltungseinheiten einschließlich der Fähigkeit, diese Rechtsstellung gerichtlich zu verteidigen, gesichert. Wenig ausgeprägt ist dagegen der Aussagegehalt der Formen für die Binnenstruktur von Organisationseinheiten. Allein die Körperschaft mit ihrer notwendigen Verbandsstruktur trifft hier formenspezifisch gewisse Festlegungen. Die anderen Rechtsformen sind insofern weitgehend indifferent. 4 Unter den systemprägenden Einteilungen hat vor allem die Unterscheidung von Verwaltungsträgern und Verwaltungsstellen Bedeutung: Da der Trägerbegriff üblicherweise durch die Rechtsfähigkeit bestimmt wird6, steht hinter der Unterscheidung die Rechtsfigur der juristischen Person als Bezugspunkt. Ihre primäre Aufgabe ist es, den Rechten und Pflichten im Bürger-Staat-Verhältnis ein einheitliches Zurechnungssubjekt zu verschaffen. Die über diese rechtstheoretische Funktion hinausreichende Bedeutung der Rechtsfigur wird für das Organisationsrecht heute eher gering veranschlagt. Das Konzept einer einheitlichen Rechtsfähigkeit ist von den Anforderungen des Privatrechts her gedacht7. Die spezifischen Fragen des Verwaltungsorganisationsrechts nach der Eigenständig4
5
6 7
Vgl. Forsthoff, Verwaltungsrecht, S. 431: das Behörden- und Organisationsrecht habe „in den Lehrsystemen des deutschen Verwaltungsrechts keinen festen und gesicherten Platz gefunden“; ebenso Schuppert, Verwaltungswissenschaft, S. 579: eine dem Organisationsrecht „bisher vorenthaltene zentrale Rolle“. Zum folgenden die systematischen Darstellungen von Loschelder, in: HStR Bd. 3, § 68 Rn. 3 ff. und Krebs, in: HStR Bd. 3, § 69 Rn. 23 ff. Zur historischen Analyse und Kritik Rupp, Grundfragen, S. 18 ff. und 181 ff.; Böckenförde, in: FS für Wolff, S. 269 ff.; ferner Schnapp, AöR 1980, S. 243 ff.; ders., Rechtstheorie 1978, S. 275 ff. Vgl. Wolff/Bachof/Stober, Verwaltungsrecht, Bd. 1, § 4 Rn. 2 und § 34 Rn. 6 ff. Zutreffende Kritik bei Rupp, Grundfragen, S. 81 ff.
A. Entwicklungsstand, Herausforderungen, Perspektiven
241
keit oder Abhängigkeit von Verwaltungseinheiten untereinander werden dagegen nur unzulänglich beantwortet. Die Anerkennung zahlreicher Fälle sog. Teilrechtsfähigkeit indiziert einen größeren Differenzierungsbedarf, als er mit dem Begriff der juristischen Person im öffentlichen Recht erfüllt werden kann. Die zweite grundlegende Unterscheidung, diejenige zwischen Außenrecht und Innenrecht8, zeigt sich heute in unterschiedlichen Rechtsformen, in denen sich der Verkehr zwischen Organisationseinheiten zu vollziehen hat. Formen des Innenrechts (Weisungen und Organisationserlasse) sind üblicherweise mit geringeren rechtsstaatlichen Standards hinsichtlich des Verfahrens und des Rechtsschutzes verbunden. Das Innenrecht erscheint so flexibler als das Außenrecht. Es tritt in der Dogmatik aber auch weniger hervor, so daß die Vielzahl interner Vorschriften, insbesondere des Organisationsverfahrensrechts, und ihre strukturbildende Aufgabe für den inneradministrativen Entscheidungsprozeß rechtlich nicht hinreichend erfaßt werden. Die bisher unzulängliche dogmatische Erfassung der Verwaltungsvorschriften zeigt sich auch hier (→ 6/88–90). 5 Die materiellen Rechtsvorstellungen sind beherrscht vom Begriff der Weisungshierarchie9. In ihr wird nicht selten das zentrale Bauprinzip des Verwaltungsorganisationsrechts gesehen. In dieselbe Richtung zielen die Aussagen über die eingeschränkte Zulässigkeit des ministerialfreien Raumes10. Stets geht es um Einheitsvorstellungen, die am Bild der bürokratisch organisierten, staatsunmittelbaren Verwaltung ausgerichtet sind. Diese Form gilt als Standardtyp. Von ihm abzuweichen wird teilweise mit einer besonderen Rechtfertigungspflicht belegt. Aber auch dort, wo die Vorbildfunktion der hierarchisch geordneten Verwaltung nicht so weit dogmatisiert ist, prägen Hierarchie und monokratischer Verwaltungsvollzug die Vorstellungen11: Die Rechtsform des Amtes wird am beamteten Amtswalter, die der Behörde am Bild der monokratischen Behörde vorgestellt. Der Status anderer Mitglieder von Organisationseinheiten, wie z.B. der gewählten Mandatsträger oder punktuell berufener Sachverständiger, hat in den allgemeinen Lehren des Verwaltungsorganisationsrechts selten einen Platz. Allenfalls werden solche Fragen in den besonderen Teilen des Organisationsrechts, z.B. im Kommunalrecht, behandelt. 6 Auch gegenüber der Methode ist Kritik angesagt: Vorrangstellung und Vorbildfunktion der staatsunmittelbaren Verwaltung geben sich als Ergebnisse einer strikt juristischen Ableitung aus der Dogmatik der Gesetzesbindung. Sie beruhen jedoch auf außerrechtlichen Voraussetzungen, die ebenso unausgespro8 9 10 11
Krebs, in: HStR Bd. 3, § 69 Rn. 26 ff.; Lange, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/ Schuppert, Reform des Allgemeinen Verwaltungsrechts, S. 307 ff. Vgl. etwa Loschelder, in: HStR Bd. 3, § 68 Rn. 23 ff.; Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, S. 342 f.; Dreier, Hierarchische Verwaltung, S. 129 ff. Dazu Kirchhof, in: HStR Bd. 3, § 59 Rn. 101; E. Klein, Ministerialfreier Raum, S. 43 ff., 207 ff. Repräsentativ dargestellt von Wolff/Bachof, Verwaltungsrecht II (4. Auflage), §§ 71 ff.; breiter die verwaltungswissenschaftliche Darstellung bei B. Becker, Öffentliche Verwaltung, bes. S. 221 ff.
242
Fünftes Kapitel: Die Verwaltung als Organisation
chen wie ungeprüft sind. Zugrundegelegt ist die Annahme, daß sich der Bindungsanspruch des Gesetzes gegenüber der Verwaltung am besten in einem Modell umsetzen lasse, das rechtstheoretisch auf dem Subsumtionsschema und rechtspraktisch auf der Weisungshierarchie beruht. Ob dieses wirklich die Gesetzesgebundenheit der Verwaltung gewährleistet, wird nicht weiter untersucht. Die Verläßlichkeit der Dogmatik beruht folglich auf Urteilen einer landläufigen Plausibilität, die durch neuere sozialwissenschaftliche Forschungen so nicht bestätigt werden. Auch Bürokratien sind keine neutralen Vollzugsinstanzen, sondern haben ihre Eigeninteressen und ihre Probleme bei der Aufnahme und Verarbeitung von Informationen12. Die Beziehungen, die das überkommene Organisationsrecht erfassen will, werden als lineare, vertikal verlaufende Entscheidungszüge vorgestellt. Rückkoppelungen und Netzwerkstrukturen bleiben unberücksichtigt. Damit hängt die geringe Beachtung des innerorganisatorischen Verfahrensrechts z.B. der Kollegialorgane zusammen13. Die verfügbaren Rechtsformen wirken zu starr, um den Druck des Informalen abfangen zu können.
2. Neuere Entwicklungen der Praxis 7 Die Statik der überkommenen organisationsrechtlichen Dogmatik steht im Gegensatz zur Vielfalt der Entwicklungen, die sich in der Organisationspraxis und in ihrem Gefolge auch in der Organisationsgesetzgebung vollzogen haben und fortlaufend vollziehen. Schon Ernst Forsthoff hatte auf diese Grenzverschiebungen hingewiesen und die Bedeutung der Verwaltungsorganisation als „Arbeitsinstitution“ herausgestellt14. Auf den Einwand, dadurch gehe das Spezifikum staatlicher Verwaltung verloren, antwortet er: „Dieser Einwurf ist auf eine Weise richtig; tatsächlich wird die Sonderung der Staatsorganisation von privaten Organisationen, zumal der Wirtschaft, durch die Betonung des Arbeitscharakters stark relativiert. Diese Relativierung entspricht jedoch der Wirklichkeit.“ Noch deutlicher sagt Helmut Klages zur derzeitigen Situation: „Dezidiert ausgedrückt vollzieht sich heute eine Auswanderung der Verwaltung aus der Organisationsgestaltungswelt Max Webers, d.h. aus der Welt der hochformalisierten und hochzentralisierten, hierarchisch strukturierten ‚bürokratischen Organisation‘, in die Welt der weitgehend informalen, dezentralisierten, durch horizontale Vernetzungen und Kooperationsbeziehungen bestimmten ‚fraktalen‘ Organisation“15. Damit ist eine Entwicklungstendenz aufgezeigt, die freilich nicht mißverstanden werden darf: Auch künftig werden hierarchisch organisierte Entscheidungszusammenhänge eine wichtige Rolle spielen. Aber ihre Erscheinungsformen und Bestimmungsfaktoren ändern sich. Neben die Weisung treten die Instrumente des strategischen und des operativen Controlling16. 12 13 14 15 16
Dazu mit weit. Nachw. J.-P. Schneider, JbNPÖ 1996, S. 82 (87 ff.). Zutreffende Kritik bei Groß, Kollegialprinzip, S. 5 f.: „Wahrnehmungsverzerrung“. Forsthoff, Verwaltungsrecht, S. 439. Klages, in: Hill/Klages, Reform der Landesverwaltung, S. 7 (12). Ritter, DÖV 2003, S. 93 (99 ff.).
A. Entwicklungsstand, Herausforderungen, Perspektiven
243
8 Schon die Betrachtung der Referenzgebiete zeigt sehr unterschiedliche und für das überkommene Formenarsenal ungewohnte Erscheinungen. Eine Pluralisierung nach innen und außen hat die Verwaltungsorganisation erfaßt17. – Wo das Neue Steuerungsmodell eingesetzt wird, ist es ein Mittel, die Verwaltungsorganisation von innen heraus umzugestalten (→ 1/41–44). Traditionelle Bindungen und Entscheidungszüge werden gelockert und sollen auf eine „dezentrale Ressourcenverantwortung“ umgestellt werden, die freilich auf Zielvorgaben ausgerichtet und durch Leistungsvereinbarungen fremdgesteuert bleibt. – Organisationsformen der Marktordnung und Marktregulierung: Privatisierungen und Deregulierung lösen staatliche Aktivitäten nicht auf, sondern formen sie um (→ 3/113): Erfüllungsverantwortung wird zur Überwachungsverantwortung, die zu organisatorischen Konsequenzen veranlaßt. Besonders interessante Entwicklungen ergeben sich bei der Organisation von Regulierungsaufgaben, z.B. im Medien-, Eisenbahn-, Post- und Telekommunikationsrecht. Hier zeichnet sich die Tendenz zur Bildung hochstufiger fachlicher Sonderbehörden ab (Eisenbahn-Bundesamt, Regulierungsbehörde nach §§ 66 ff. TKG, Landesmedienanstalten), die faktisch oder sogar rechtlich weisungsfrei agieren (→ 3/54). – Organisationen staatlich-gesellschaftlichen Zusammenwirkens: Besondere Herausforderungen an das Organisationsrecht stellen jene Zwischenformen, in denen Private mit öffentlichen Aufgaben betraut werden oder sich solcher im Rahmen regulierter Selbstregulierung annehmen. In ihrem Rahmen bilden sich Grenz- und Übergangszonen zwischen Verwaltungsorganisation und gesellschaftlicher Selbstorganisation, die zu neuen Verantwortungsstrukturen führen. Hier bereitet u.U. schon die Zuordnung zur Verwaltungsorganisation Schwierigkeiten: Beliehener, Beauftragter, Verwaltungshelfer, intermediäre Einrichtung. Nichts anderes gilt für Fragen der angemessenen Interessenrepräsentanz (→ 3/60). – Probleme funktionaler Selbstverwaltung: Manche der genannten Kooperationsbeziehungen haben in der funktionalen Selbstverwaltung (→ 2/91–93) eine anerkannte Organisationsform gefunden. Es ist aber fraglich, inwieweit die Betrauung dieser Form mit weiteren Verteilungsaufgaben rechtlich noch akzeptiert werden kann (→ 5/42–43). Die gesetzliche Krankenversicherung steht hier als Beispiel für eine Entwicklung, die die organisationsrechtlichen Zusammenhänge nicht hinreichend im Blick hat. – Organisation wissenschaftlich-technischen Sachverstandes: Sachverständigenkommissionen, Ressortforschungseinrichtungen und die administrative Beteiligung an externen Sachverständigensystemen scheinen weit auseinanderliegende Erscheinungen zu sein. Sie müssen jedoch im Zusammenhang betrachtet werden, weil sie gemeinsame Organisationsprobleme aufwerfen. Sachverstand besitzt eine Eigengesetzlichkeit, die sich den Ordnungsvorstellungen des klassischen 17
So Krebs, in: Schmidt-Aßmann/Hoffmann-Riem, Verwaltungsorganisationsrecht, S. 339 (340). Zum folgenden auch Pitschas, dort S. 151 ff.; Ruffert, DÖV 1998, S. 897 ff.; Schmidt-Preuß, DÖV 2001, S. 45 ff.
244
Fünftes Kapitel: Die Verwaltung als Organisation
Verwaltungsrechts zu entziehen trachtet. Die Berechtigung solchen Autonomiestrebens ist zu überprüfen und durch neue Organisationsvorkehrungen rechtsstaatlich zu ordnen18. – Öffentliche und gemischt-wirtschaftliche Unternehmen: Wirtschaftsunternehmen der öffentlichen Hand in den Formen des Privatrechts waren zwar auch bisher schon vertraute Erscheinungen. Das Umfeld, in dem öffentliche Unternehmen national und zunehmend auch international tätig sind, hat sich jedoch erheblich gewandelt und einen hohen Anpassungsdruck auf die Unternehmensorganisation ausgelöst (→ 5/48–52, 63). Die laufenden Privatisierungsdiskussionen lassen die Bedeutung der Formen des Kapitalgesellschaftsrechts für das Verwaltungsorganisationsrecht stärker hervortreten. Privatisierungen sind dynamische Prozesse. Sie erschöpfen sich nicht darin, der Verwaltung die Nutzung privatrechtlicher Formen zu ermöglichen (formelle Privatisierung), sondern zielen auch darauf, privates Kapital und technisches Know-how einzubeziehen (materielle Teilprivatisierung). Gemischt-wirtschaftliche Unternehmen bestimmen z.B. das Bild der öffentlichen Versorgungswirtschaft und zunehmend auch des öffentlichen Nahverkehrs.
3. Die Organisation als Steuerungsmedium und die Aufgaben des Verwaltungsorganisationsrechts 9 Schon dieser Überblick belegt die Bedeutsamkeit, die organisatorischen Gestaltungselementen bei der Erfüllung ganz unterschiedlicher Aufgaben zugemessen wird. Administrative Steuerung muß zu einem wesentlichen Teil Organisationssteuerung sein19. Das wird in Gebieten, die einer materiellen Programmsteuerung nur schwer zugänglich sind, besonders deutlich: im Wissenschaftsrecht, bei der Einbeziehung von Sachverständigen oder bei den Realleistungen des Sozialrechts. Über organisatorische Gestaltungen wird auch ein großer Teil des Anpassungsbedarfs moderner Verwaltungen abgedeckt. Organisationen können eine Vielzahl von Steuerungsansätzen aufnehmen, umformen und weitergeben. Neue Führungstechniken, privatrechtliche Verfahrensgestaltungen und Verhandlungssysteme ersetzen institutionelle Verfestigungen. 10 Ein Recht, das Organisationen von innen heraus steuern und die in ihnen angelegten Steuerungsmöglichkeiten nutzen soll (→ 5/1), muß auf die Spezifika von Organisationen eingehen: Es muß die Vielfalt der in ihnen wirksamen Kräfte erfassen und ihrem Zusammenspiel einen flexiblen, aber verläßlichen Rahmen geben. Das Verwaltungsorganisationsrecht ist folglich durch seinen Rahmencharakter gekennzeichnet. Es bringt seine Steuerungsansprüche mediatisiert zur 18 19
Vgl. Ritter, in: Schmidt-Aßmann/Hoffmann-Riem, Verwaltungsorganisationsrecht, S. 207 ff. Ausf. Schuppert, Verwaltungswissenschaft, S. 544–624: „Steuerungsebene Organisation“; Voßkuhle, Kompensationsprinzip, S. 406 ff. Zur Empirie dieser These Breunung, Die Vollzugsorganisation als Entscheidungsfaktor des Verwaltungshandelns, S. 15 ff.
A. Entwicklungsstand, Herausforderungen, Perspektiven
245
Geltung20, indem es Prämissen des Verwaltungshandelns setzt. Unschärfen der Steuerungsgenauigkeit und Verzögerungen der Steuerungseffekte sind folglich unvermeidbar21. Dafür wird eine beachtliche Breitenwirkung entfaltet. Eine allgemeine Nachrangigkeit der Organisationssteuerung gegenüber der Steuerung durch materielle Gesetzesvorschriften, auf die die verwaltungsrechtliche Dogmatik bisher konzentriert ist, folgt daraus nicht. 11 Die Komplexität von Organisationen verlangt ein komplexes Denken auch in der organisationsrechtlichen Dogmatik: Die Betrachtung kann nicht auf das Organisationsrecht im engeren Sinne, d.h. auf die Rechtsregeln, die den Aufbau, die räumliche Gliederung und die Zuständigkeit der Verwaltung betreffen, beschränkt bleiben. Vielmehr sind die gleitenden Übergänge zum Verwaltungsverfahrensrecht, zum öffentlichen Dienstrecht und zum Haushaltsrecht in die Überlegungen einzubeziehen. Wirksam wird das Organisationsrecht jedoch nicht so sehr durch den isolierten Einsatz dieser Einzelregelungen, sondern durch ihre überlegte Kombination. Erst solche organisationsrechtlichen Arrangements bilden die Strukturen von Organisationen richtig ab und helfen ihnen, ihre Steuerungsleistungen zu entfalten. Die Zusammenstellung der Arrangements ist eine Tätigkeit im Umgang mit rechtlichen Regeln, aber sie ist keine ausschließlich rechtsdogmatische Tätigkeit. Sie verlangt, die Organisationswissenschaften mit ihren Erfahrungen und Modellannahmen einzubeziehen, und erweist sich folglich auch als Methodenproblem. Die neuere verfassungsrechtliche Judikatur zum Rundfunk- oder zum Personalvertretungsrecht zeigt diese Verwiesenheit der juristischen Methodik auf sozialwissenschaftliche Erkenntnisse sehr deutlich und hat dafür, z.B. im Begriff des Legitimationsniveaus, entsprechende Rezeptionsmechanismen geschaffen (→ 1/49). Die besondere Aufgabe der organisationsrechtlichen Forschung besteht darin, diese in der Regelungsmaterie angelegte Interdisziplinarität nicht zu verdrängen, sondern in der Dogmatik zu verarbeiten22.
II. Grundlagen und Rahmen einer Neubestimmung 12 Organisationen sind soziale Gefüge, deren Steuerungsleistungen sich nur nach einer genauen Analyse ihrer Strukturen erschließen. Gerade hierin zeigt sich die besondere Verwiesenheit des Organisationsrechts auf die Organisationswis-
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21 22
Trute, in: Schmidt-Aßmann/Hoffmann-Riem, Verwaltungsorganisationsrecht, S. 249 (256 ff.); Faber, Verwaltungsrecht, § 9 III, spricht von einem „weichen Steuerungsprinzip“ (S. 58). Vgl. Schuppert, Verwaltungswissenschaft, S. 564: „nicht etwa punktgenaue, sondern bestimmte Handlungskorridore eröffnende oder verschließende mittelbare Steuerung“. Dazu Schmidt-Aßmann, in: Schmidt-Aßmann/Hoffmann-Riem, Verwaltungsorganisationsrecht, S. 9 (33 ff.); vgl. schon Arnold Köttgens Bemerkung in seinem Referat auf der Staatsrechtslehrertagung 1957, VVDStRL Bd. 16, S. 154 (155): „Wer über die Organisationsgewalt als ein aktuelles Problem referiert, muß sich vorbehaltlos auf den Boden der juristischen, aber auch der soziologischen Gegebenheiten von heute stellen.“
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Fünftes Kapitel: Die Verwaltung als Organisation
senschaften. Beachtlich sind ferner die von der Verwaltungsorganisation zu erfüllenden Verwaltungsaufgaben und die Strukturvorgaben der Verfassung.
1. Die Bedeutung der Organisationswissenschaften 13 Als soziale Systeme leben Organisationen von den Interaktionen ihrer Mitglieder, als Teilsysteme der Gesellschaft stehen sie zugleich in Wechselbeziehung zu anderen Teilsystemen23. Sie sind arbeitsteilige Gebilde, die unterschiedliche Handlungsrationalitäten zu verbinden gestatten. Das Organisationsrecht muß die als Organisationen greifbaren sozialen Wirkungsgefüge rechtlich ordnen. Es muß ihnen ihre Stellung im Verhältnis zu anderen Sozialsystemen und überhaupt im Rechtsverkehr zuweisen und die Bahnen der inneren Willensbildung festlegen. „Organisation im Rechtssinn und Organisation im faktischen Sinn können daher nicht als voneinander unabhängige, je eigenen Voraussetzungen und Konstruktionsprinzipien folgende Erscheinungen verstanden werden, sondern nur als zwei Seiten einer, und zwar derselben Sache. Diese organisationsrechtlichen Grundbegriffe sind infolgedessen darauf verwiesen, eine schon vorgegebene rechtlich-soziale Wirklichkeit gedanklich zu erfassen und zum Ausdruck zu bringen“24. 14 Eine erste Orientierung können die sog. Organisationstheorien bieten25. Die Bezüge zwischen Max Webers klassischer Bürokratietheorie und dem Organisationskonzept staatsunmittelbarer Verwaltung sind oft beschrieben worden und liegen auf der Hand. Aber auch aus organisationspsychologischen Theorieansätzen, aus der Institutionenökonomie und aus der vergleichenden Verwaltungswissenschaft sind Gesetzmäßigkeiten organisationstypischen Verhaltens zu ermitteln, die in einem systematischen organisationsrechtlichen Konzept genutzt werden können. Das gilt z.B. für ausländische Erfahrungen mit unabhängigen Regulierungsbehörden oder für den Transaktionskostenansatz und seine Bedeutung für intra- und interadministrative Kontrollzüge26. Wie die sozialwissenschaftlichen Organisationstheorien sich in ihrer Abfolge nicht gegenseitig verdrängen, sondern ergänzen, so geht es auch im Organisationsrecht nicht darum, auf hierarchische Formen zu verzichten, sondern ihnen weitere Organisationstypen in der verwaltungsrechtlichen Systembildung an die Seite zu stellen. In einem ersten Untersuchungsschritt lassen sich, an organisationswissenschaftliche Erkenntnisse anknüpfend, Bereiche für eine rechtliche Folgebetrachtung festlegen, in denen besondere Regelungsbedürfnisse ermittelt und spezifische Steuerungsmöglichkeiten des Rechts analysiert werden können. Solche 23 24 25
26
Vgl. Mayntz, Soziologie öffentlicher Verwaltung, S. 82. Böckenförde, in: FS für Wolff, S. 269 (294); ähnlich Brohm, Strukturen der Wirtschaftsverwaltung, S. 16 ff. Dazu B. Becker, Öffentliche Verwaltung, S. 547 ff.; Kieser, Organisationstheorien; Schimank, in: Kerber/Schmieder, Spezielle Soziologien, S. 240 ff.; weit. Nachw. bei Groß, in: Schmidt-Aßmann/Hoffmann-Riem, Verwaltungsorganisationsrecht, S. 139 ff. Vgl. Schuppert, Verwaltungswissenschaft, S. 568 ff. und 575 ff.
A. Entwicklungsstand, Herausforderungen, Perspektiven
247
„Aufmerksamkeitsfelder“ bündeln Beobachtungen, Erfahrungssätze und Perspektiven, die in der Analyse organisationsspezifischen Verhaltens gewonnen worden sind27. – Organisationen als Systeme der Informationsverarbeitung: Die Gewinnung und Verarbeitung von Informationen; die Abschottung von Informationsflüssen innerhalb und zwischen Organisationseinheiten; die Erschließung externer Informationsquellen, z.B. durch Einbeziehung von Sachverständigen oder durch Kooperation mit dem privaten Sektor, z.B. bei der Rezeption der privaten technischen Normsetzung. – Organisationen als Koordinationssysteme: Instrumente und Verfahren interner Abstimmung und Willensbildung; horizontale und vertikale Koordination; Organe und Willenszurechnung; besondere Koordinationsmechanismen wie z.B. Kollegialgremien. – Machtstrukturen von Organisationen: die Ausübung von Staatsgewalt und die besonderen organisatorischen Vorkehrungen ihrer rechtsstaatlich-demokratischen Verfassung; hierarchische Entscheidungszüge; Herrschaftsteilhabe durch Delegation und Partizipation. – Formale und informale Organisationen: Die Bedeutung der Organisationsrechtsformen; Befugnisse zur Formenwahl; die Rechtsqualität von Organisationsrecht; Zulässigkeit und Zulässigkeitsgrenzen für informale Organisationen. – Organisationszusammenhänge: Selbständigkeit und Unselbständigkeit von Organisationseinheiten innerhalb der Verwaltung; unterschiedliche Arten von Abhängigkeiten; Mechanismen externer Koordination (Recht, Finanzen, Weisungen); Organisationsrechtskreise und ihre Ordnung nach Maßgabe der Rechtsverhältnislehre. – Organisation und Umwelt: Organisationsformen im Zwischenbereich zwischen Verwaltung und Gesellschaft; Beteiligung administrativer Organisationseinheiten an Unternehmen und Verbänden (gemischt-wirtschaftliche Unternehmen); Verhandlungssysteme. In einem zweiten Untersuchungsschritt lassen sich die wichtigsten Beobachtungen als Fragen nach unterschiedlichen Formen der Interessenorganisation und des Interessenausgleichs (→ 3/67–71) verstehen und mit Matthias Ruffert vier Strukturprinzipien zuordnen28: dem Hierarchie- und dem Kollegialprinzip, dem Abwägungsgrundsatz und dem Verhandlungsprinzip. Die beiden ersten sind klassische Organisationsprinzipien. Abwägungs- und Verhandlungsgrundsatz dagegen erscheinen dem Organisationsrecht zunächst fremd; sie verweisen aber auf die Gestaltung organisatorischer Arrangements gerade im wichtigen staatlichgesellschaftlichen Kooperationsbereich (→ 5/8)29. 27
28 29
Zu diesem Begriff und zum parallelen Vorgehen für das Entscheidungsverhalten von Verwaltungen Hoffmann-Riem, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann, Innovation und Flexibilität, S. 9 (19 ff.); ders., in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann, Öffentliches Recht und Privatrecht, S. 261 (290 ff.). DÖV 1998, S. 897 (904). Vgl. Schmidt-Preuß, DÖV 2001, S. 45 (51 f.).
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Fünftes Kapitel: Die Verwaltung als Organisation
2. Der Einfluß der Verwaltungsaufgaben 15 „Die historische Entwicklung der Verwaltungsorganisation ist untrennbar mit der Entwicklung der zu erfüllenden Verwaltungsaufgaben verbunden, welche wiederum Teil der Entwicklung der Staatlichkeit ist“30. Das Recht kann seine Regelungsansätze nur dann richtig entfalten, wenn es nach Entsprechungen zwischen Verwaltungsorganisation und Verwaltungsaufgaben sucht. Hier gibt es freilich keine unmittelbaren Zusammenhänge, die sich in einem kurzen und knappen Schlußverfahren dartun ließen. Der Aufgabenbezug muß vielmehr über mehrere Zwischenschritte ermittelt werden. Gleichwohl ist über die Wirksamkeitsbedingungen des Organisationsrechts ohne Aufgabenanalyse nicht sinnvoll zu diskutieren. 16 Verwaltungsaufgaben werden nur dann hinreichend erfaßt, wenn man sie in Aufgabenbereiche eingliedert (→ 3/98–117). Aufgabenbereiche sind durch die Merkmale der Sachaufgabe, der Erfüllungsmodalitäten und der staatlich-gesellschaftlichen Rollenverteilung bestimmt: Die Sachaufgaben finden sich in den Aufgabengliederungsplänen der Gebietskörperschaften als große Aufgabenblöcke formuliert, z.B. „Sicherheit“, „Soziales“, „Umwelt“, „Wirtschaft“, „Verkehr“, „Energie“ usw. Für organisatorische Überlegungen ist die Kennzeichnung der Sachaufgaben noch nicht aussagekräftig. Konkreter wirken die Erfüllungsmodalitäten ein. Sie kennzeichnen typische Arbeitsschritte und Arbeitszusammenhänge, die bestimmte personelle, technische und organisatorische Vorkehrungen verlangen. So lassen sich z.B. Vollzugsaufgaben, Planungsaufgaben und Kontrollaufgaben unterscheiden. Erfüllungsmodalitäten können aber auch nach Entscheidungsaufgaben, Realleistungsaufgaben oder Finanzierungsaufgaben differenziert werden. Über die Zusammenhänge zwischen Erfüllungsmodalitäten und Organisationsstrukturen kann die Verwaltungsökonomie eine Reihe weiterführender Aussagen treffen31. 17 Die Hauptentscheidung, die das Junktim zwischen Aufgabe und Organisation herstellt, wird in der Regel politisch durch eine gesetzliche Zuständigkeitszuweisung getroffen. Wichtige überkommene Bauprinzipien der Verwaltung (Raum, Sachkunde, Hierarchie) finden in den Formen der örtlichen, der sachlichen und der instanziellen Zuständigkeit ihre Entsprechung32. Das Organisationsrecht wirkt hier zum einen bereitstellend, indem es über die Zuständigkeiten Verknüpfungen zu bestimmten Organisationstypen vorzunehmen gestattet, auf die der Fachgesetzgeber in seinen Zuweisungsentscheidungen zugreifen kann. Dabei kann es zwar nicht darum gehen, einen ganz bestimmten Organisationstypus oder eine ganz bestimmte Organisationsgestaltung als von der Aufgabe her rechtlich so und nicht anders gefordert herauszustellen. Die Zahl der Variablen ist zu groß, 30 31 32
Burgi, in: Erichsen/Ehlers, Verwaltungsrecht, § 54 Rn. 1. Vgl. dazu Eichhorn/Friedrich, Verwaltungsökonomie I, bes. S. 181 ff.; ders., in: HWÖ, Sp. 1063 ff. Vgl. Burgi, in: Erichsen/Ehlers, Verwaltungsrecht, § 52 Rn. 34 ff.
A. Entwicklungsstand, Herausforderungen, Perspektiven
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und die Bewertung schon eines einzelnen Kriteriums ist zu komplex33. Wohl aber lassen sich gewisse Bandbreiten festlegen, in denen eine Organisationsgestaltung für die Erfüllung einer bestimmten Aufgabe leistungsfähig ist.
3. Zu den verfassungs- und europarechtlichen Vorgaben 18 Verfassungsrechtliche Vorgaben enthalten zum einen die Grundrechte (→ 2/33–46): Als Abwehrrechte begrenzen sie z.B. die Gründung und den Aufgabenbereich von Körperschaften mit Zwangsmitgliedschaft34. Als Schutzrechte strukturieren sie Organisationen mit dem Ziele der Sach- und Gemeinwohlrichtigkeit35, indem sie Pluralität, Minderheitenschutz, Neutralität und Offenheit organisationsinterner Verfahren sichern36. Damit wird über die individualrechtliche Schutzrichtung der Grundrechte bereits hinausgegriffen auf das Anliegen der Verfassung, Verantwortungsklarheit, Rationalität und Effizienz des öffentlichen Entscheidungsgefüges zu gewährleisten (→ 2/75–78)37. 19 In diesem Anliegen begegnet das Rechtsstaatsprinzip dem demokratischen Prinzip, das in besonderer Weise auf eine Entfaltung durch das Verwaltungsorganisationsrecht angelegt ist. Herausragende Bedeutung kommt insoweit dem Legitimationsgebot zu. Es erfaßt ohne Rücksicht auf ihre Rechtsform alle Einheiten, die der öffentlichen Verwaltung zuzurechnen sind, und gilt für amtliches Handeln mit Entscheidungscharakter ebenso wie für Entscheidungen, die nur behördenintern die Voraussetzungen für die Wahrnehmung der Amtsaufgaben schaffen38. Im einzelnen hat das Grundgesetz dieses schwierige Problem in einem Stufenmodell abgearbeitet, dessen Basis die demokratische Legitimation im Sinne des Art. 20 Abs. 2 GG ist und das von dort über die demokratische Legitimation der kommunalen Selbstverwaltung zu einer autonomen Legitimation fortschreitet (→ 2/80–93). Entscheidend ist das mit den unterschiedlichen Legitimationsformen erreichbare Legitimationsniveau (→ 2/98–99). Für die Strukturen kooperativer intermediärer Einrichtungen trifft den Staat eine vorwirkende Legitimationsverantwortung (→ 2/100–101; 5/60). Wichtige Ziele eines demokratischen Organisationsrechts sind ferner die Akzeptanz von Entscheidungen, die Beteiligung Betroffener, die Transparenz von Entscheidungs- und Organisationsstrukturen und die Öffentlichkeit der Entscheidungsverfahren. Sie treten zum Legitimationsgebot hinzu und sollen dieses ergänzen und stärken (→ 2/102–116). Allerdings sind Spannungen zwischen den einzelnen Elementen des demokratischen Prinzips nicht ausgeschlossen. Die Vorstellung, daß eine Verwaltungsor33 34 35 36 37 38
Schreyoegg, Umwelt, Technologie, Organisationsstruktur, S. 159 ff.; Schuppert, Verwaltungswissenschaft, S. 563 f. Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, S. 275 ff.; Schöbener, VerwArch 2000, S. 374 ff. Dazu Denninger, in: HStR Bd. 5, § 113 Rn. 34 ff.; vgl. auch BVerfGE 83, 238 (315 ff.); 90, 60 (97 ff.). Denninger, in: HStR Bd. 5, § 113 Rn. 36. Dazu Di Fabio, VerwArch 1990, S. 193 (210 f.). BVerfG NVwZ 2003, 974 (975).
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ganisation desto demokratischer sei, je extensiver partizipative Elemente in sie eingeflochten sind, greift daher zu kurz. Es muß um ihre Integration, nicht bloß um ihre Summierung gehen. 20 Das EG-Recht wirkt von drei Richtungen her auf das nationale Verwaltungsorganisationsrecht ein39: – Zum einen verpflichtet es die Mitgliedstaaten, in ihren finanziellen Beziehungen zu ihren öffentlichen Unternehmen Transparenz zu schaffen40 und auch sonst Hoheits- und Leistungsaufgaben getrennt zu organisieren41. – Ferner wird von den Mitgliedstaaten ganz allgemein verlangt, daß sie für den dezentralen Vollzug des EG-Rechts eine vollzugsgeeignete Organisation verfügbar halten. Das hat gelegentlich dazu geführt, daß die Mitgliedstaaten zur Errichtung unabhängiger Verwaltungsstellen verpflichtet wurden42. Solche Entkoppelungen von den nationalen Weisungshierarchien sollen Neutralität und Qualität der Entscheidungen verbessern. Sie sind freilich, da die EG-Rechtsetzung die parlamentarische Legitimation der mitgliedstaatlichen Verwaltungen auch sonst lockern kann (→ 2/12), nicht unproblematisch43. – In seinen Wirkungen noch kaum auszumachen ist der in jüngster Zeit zu beobachtende Versuch, nationale Behörden in einen spezifischen Handlungsverbund mit der EG-Kommission einzubeziehen. Entsprechende Entwicklungen sind im Kartellrecht und im Telekommunikationsrecht zu beobachten. Der europäische Verwaltungsverbund wird immer stärker auch zu einem Organisationsverbund (→ 1/63).
III. Die systematische Perspektive des Verwaltungsorganisationsrechts 21 Der Gedanke der Systembildung wird hier genutzt, um den Zusammenhang zwischen rechtlichen und außerrechtlichen Regelungsmechanismen sowie innerhalb des Rechts den Zusammenhang zwischen Rechtsvorschriften, Rechtsformen, Verfahrensregeln und Dogmen – die Arrangements des Organisationsrechts – zu betonen. Den Aufmerksamkeitsfeldern kommt dabei eine heuristische Bedeutung zu (→ 5/14): Sie heben organisationsspezifische Leistungsmöglichkeiten und Problembereiche hervor, auf die sich das Recht einstellen muß. 39 40 41
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43
Vgl. Kahl, DV 1996, S. 343 ff.; Burgi, in: Erichsen/Ehlers, Verwaltungsrecht, § 51 Rn. 31 ff. Richtlinie 80/723/EWG vom 25.6.1980, ABl. Nr. L 195 S. 35. Zu dieser sog. funktionellen Unabhängigkeit im Telekommunikationssektor z.B. Art. 3 Abs. 2 der ONP-Rahmenrichtlinie 2002/21/EG vom 7.3.2002, ABl. Nr. L 108 S. 33; vgl. Oertel, Unabhängigkeit der Regulierungsbehörde, S. 104 ff. Art. 20 der VO (EWG) Nr. 2075/92 über die gemeinsame Marktorganisation für Rohtabak; Art. 2 der KOM-VO (EWG) Nr. 85/93 über Kontrollstellen im Tabaksektor; Art. 4 der VO (EWG) Nr. 95/93 über gemeinsame Regeln für die Zuweisung von Zeitnischen auf Flughäfen. So auch v. Danwitz, Verwaltungsrechtliches System, S. 200 ff.
A. Entwicklungsstand, Herausforderungen, Perspektiven
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Organisationen setzen eine spezifische Differenz von Innen und Außen voraus. Das Recht hat diese Differenz in seinen Aussagen zum Status der jeweiligen Organisationseinheit und der Organisationsmitglieder abzubilden. Besondere Probleme entstehen an der Innen-Außen-Grenze für den Umgang mit Informationen. Betroffen sind Interessen des Datenschutzes und des Schutzes vor informierender Staatstätigkeit; beides verlangt auch organisatorische Vorkehrungen. Organisationsrelevante Probleme entstehen aber auch bei der Hereinnahme von Informationen in die Organisation. Wo externe Sachverständigensysteme genutzt werden sollen und es zu einer weitreichenden Inkorporation ihres Informationsstandes in die Verwaltungsorganisation kommt, müssen „überwirkende“ Organisationsregelungen die Qualität der Informationen und gegebenenfalls eine angemessene Interessenrepräsentation im Kooperationsbereich sicherstellen. 22 Die spezifische Leistungsfähigkeit von Organisationen besteht in der Transformation individueller Willensakte in kollektive Handlungen. Die rechtliche Ordnung dieses Prozesses durch ein innerorganisatorisches Verfahrensrecht erscheint besonders wichtig. Für kollegiale Entscheidungen ist das in den entsprechenden Regelungen des Kommunal-, Wissenschafts- und Verwaltungsverfahrensrechts anerkannt. Diese Regelungen müssen daraufhin analysiert werden, ob sie sich auf ein allgemeines Modell zurückführen lassen44. Rechtliche Ordnungsaufgaben entstehen aber auch dort, wo die organisationsspezifischen Transformationsleistungen von einer monokratischen Struktur erbracht werden. Erneut stellen sich Rechtsprobleme im Umgang mit Informationen. Partizipation, Delegation und Transfer von organisationsinterner Entscheidungsmacht werfen zusätzliche Fragen auf. Besonders deutlich wird das, wenn die Führungsstruktur von Verwaltungsorganisationen auf neue Managementlehren umgestellt werden soll (→ 1/41–42). Die Steuerung über Zielvorgaben und globale Haushaltstitel verlangt unter anderem nach neuen Kontrollformen. Das Verwaltungsorganisationsrecht greift hier in das Finanz-, Haushalts- und Rechnungsprüfungsrecht über. 23 Die verfassungsrechtlichen Vorgaben lassen drei Grundfragen hervortreten, die als durchlaufende Themen jeder typenspezifischen Dogmatik behandelt werden müssen: – Als Legitimationsordnung hat das Organisationsrecht festzulegen, welche Bauformen notwendig sind, um den verfassungsrechtlichen Legitimationsgeboten, den Anforderungen an das Legitimationsniveau (→ 2/98–99), gerecht zu werden, und wie die Strukturen der Verwaltungsorganisation beschaffen sein müssen, um nicht nur externe Legitimationsvorgaben umzusetzen, sondern die Gemeinwohlfähigkeit ihres Handelns selbst von innen heraus fortlaufend zu generieren. – Als Informationsordnung muß das Organisationsrecht die organisationsinternen Kommunikationsvorgänge rechtlich in Form bringen. Organisationsrechtskreise sind nach Maßgabe einer Rechtsverhältnisordnung einander zuzu44
Grundlegend Groß, Kollegialprinzip, S. 280 ff.
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Fünftes Kapitel: Die Verwaltung als Organisation
ordnen, die Informationsflüsse darauf abzustimmen und, sofern es um Datenschutz geht, durch besondere Vorkehrungen zu sichern. Der Dualismus von Innenrecht und Außenrecht wird auf diese Weise durch ein Spektrum von Rechtsverhältnissen ersetzt, das auch Auskunft über die Folgen fehlgelaufener Informationsvorgänge geben kann. – Als Kontrollordnung hat das Organisationsrecht über die bekannten Formen der Rechts-, Fach- und Dienstaufsicht hinaus neue Kontrollmechanismen zu entwickeln. Dabei ist an Effizienzkontrollen, an neue Formen der Evaluation und eines komplexen Controlling und u.U. an die Öffentlichkeit als Kontrollmedium zu denken (→ 4/86–100)45. 24 Das Verwaltungsorganisationsrecht hat einen ersten Schwerpunkt bei der Staatsverwaltung: Ministerialverwaltung, Vollzugsverwaltungen und Sonderbehörden (mit Tendenzen der Entkoppelung) bieten eingeführte, sich freilich auch wandelnde, aber insgesamt unverzichtbare Grundformen, in denen viele der genannten Aufmerksamkeitsfelder, insbesondere die Informationsproblematik, verarbeitet worden sind46. Dessen ungeachtet darf sich das Verwaltungsorganisationsrecht jedoch nicht auf die Staatsverwaltung beschränken. Die Organisation der Selbstverwaltung ist einzubeziehen – und zwar gleichgewichtig, weil sie einen zweiten Standardtyp der Verwaltungsorganisation darstellt. In ihren beiden Ausprägungen als kommunale und als funktionale Selbstverwaltung zeigt sie Grundformen originärer Interessenartikulation47. Weiter wird deutlich, daß sich das Verwaltungsorganisationsrecht nicht nur mit den öffentlich-rechtlich verfaßten Verwaltungseinheiten beschäftigen darf. Soweit das private Recht der öffentlichen Unternehmen bisher schon einbezogen worden war48, bedarf die Systematik der Ergänzung um die Formen gemischt-wirtschaftlicher Unternehmen als Ausdruck kooperativer Aufgabenwahrnehmung zwischen Staat und Gesellschaft. Der Untersuchungsbereich des Verwaltungsorganisationsrechts ist aber noch weiter zu fassen: Auch andere Kooperationsbeziehungen zum gesellschaftlichen Bereich sind einzubeziehen49. Das gilt zum einen dort, wo staatlich institutionalisierte Formen der Kooperation entwickelt worden sind, z.B. im Ausschußwesen. Probleme des Organisationsrechts sind aber auch dort auszumachen, wo es um die Beteiligung der Verwaltung an Einrichtungen und Organisationen geht, die als
45 46
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Dazu Hoffmann-Riem, in: Schmidt-Aßmann/Hoffmann-Riem, Verwaltungsorganisationsrecht, S. 355 (390 ff.); ferner B. Becker, Öffentliche Verwaltung, S. 870 ff. Vgl. nur Dittmann, Bundesverwaltung, bes. S. 78 ff.; Burgi, in: Erichsen/Ehlers, Verwaltungsrecht, § 53; grundlegend immer noch Köttgen, JöR 1954, S. 67 ff. und 1962, S. 173 ff. Dazu Hendler, Selbstverwaltung als Ordnungsprinzip, S. 301 ff.; Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, S. 217 ff.; auch Schmidt-Aßmann, in: GS für Martens, S. 249 ff.; Oebbecke und Burgi, VVDStRL Bd. 62, S. 366 (389 ff.) und S. 405 (414 ff., 426 ff.). Ehlers, Verwaltung in Privatrechtsform, S. 109 ff., 293 ff., 374 ff.; Gersdorf, Öffentliche Unternehmen, bes. S. 222 ff. Vgl. Benz, Kooperative Verwaltung, S. 171 ff.
B. Grundfragen der allgemeinen organisationsrechtlichen Dogmatik
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solche dem gesellschaftlichen Sektor zuzurechnen sind, z.B. Gremien der technischen Normung. Ein systematisch entwickeltes Verwaltungsorganisationsrecht muß folglich mindestens sechs Organisationstypen mit typenspezifischen Dogmatiken umgreifen: – Organisationen mit hierarchischer Struktur, – Organisationen mit kollegialer Struktur, – Organisationsformen wissenschaftlichen Sachverstandes, – Organisationsformen der Selbstverwaltung, – Organisationsformen wirtschaftlicher Unternehmen, – Strukturen für intermediäre Organisationen.
B. Grundfragen der allgemeinen organisationsrechtlichen Dogmatik 25 Die Überlegungen zu einer allgemeinen Dogmatik können an das überkommene Organisationsrecht zwar anknüpfen. Vor allem aber müssen sie die Bereichsdogmatiken eines ausdifferenzierten Verwaltungsorganisationswesens auswerten und danach fragen, inwieweit die darin gespeicherten Erfahrungen neue, übergreifende Rechtsinstitute ausbilden können. Die Entwicklung allgemeiner Lehren dient so auch dazu, die Konsistenz der Wertungsschwellen zu überprüfen, die in den Bereichsdogmatiken deutlich geworden sind. Die Fragestellungen der typenspezifischen ebenso wie der allgemeinen Dogmatik sind durch die Doppelfunktion des Organisationsrechts vorgezeichnet (→ 5/1): Zu untersuchen sind zum einen die Rechtmäßigkeitsbedingungen, unter denen Verwaltungsorganisationseinheiten geschaffen, geändert oder aufgelöst werden dürfen. Zu untersuchen sind zum zweiten die Rechtmäßigkeitsbedingungen des organisationstypischen Handelns. Für beide Fragen bildet die Thematik der demokratischen Legitimation einen konstanten Bezugspunkt. Beide Fragen sind nur zu beantworten, wenn nicht nur die äußeren Merkmale der Organisationsrechtsformen, sondern ebenso das binnenorganisatorische Entscheidungsgefüge und die binnenorganisatorischen Verfahren in ihrer rechtlichen Substanz erfaßt werden.
I. Die Aufgaben des Gesetzes im Organisationswesen 26 Für die Verwaltungsorganisation hat das parlamentarische Gesetz stets eine eigenwillige, nie ganz festliegende Rolle gespielt50. So sehr sich in ihrer Organisation das Wesen der Verwaltung selbst darstellt und folglich keiner aus50
Vgl. dazu nur Köttgen, VVDStRL Bd. 16, S. 149 (161 ff.: institutioneller Gesetzesvorbehalt); Maurer, in: FS für Vogel, S. 331 (337 ff.: legislatives Zugriffsrecht).
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Fünftes Kapitel: Die Verwaltung als Organisation
greifenden Fremdsteuerung unterworfen werden darf (→ 4/44), so wenig ist die Verwaltungsorganisation ohne die strukturierenden und stabilisierenden Leistungen des Gesetzes denkbar. Auch hier ist das Gesetz Garant von Überschaubarkeit und Mittler demokratischer Legitimation. Es steuert auf zweifache Weise: unmittelbar, indem es eine bestimmte parlamentarische Organisationsentscheidung ausdrückt, und mittelbar, indem es Verwaltungsstrukturen schafft, in denen sich demokratische Legitimation fortlaufend ereignen kann51. 27 Die Frage nach der Notwendigkeit des Gesetzes beantwortet sich für einzelne grundrechtsrelevante Organisationsentscheidungen, z.B. für Beleihungen oder die Gründung von Pflichtmitgliedschaften, nach Maßgabe des Eingriffsvorbehalts, allgemein und vorrangig aber nach der Lehre vom institutionellen Gesetzesvorbehalt (→ 4/18–20). Ihre auf die Wesentlichkeit von Organisationsentscheidungen abhebende allgemeine Linie führt dazu52, daß die Grundstrukturen der Behördenorganisation, d.h. Aufbau, Zuständigkeiten und räumliche Gliederung, durch Gesetz festgelegt sein müssen. Dasselbe gilt, wenn in der staatsunmittelbaren Verwaltung weisungsfreie Räume eingerichtet werden sollen53. Einer gesetzlichen Grundlage bedürfen ferner pluralistisch geprägte Ausdifferenzierungen von Verwaltungseinheiten. Ob die Einheit eigene Rechtsfähigkeit erlangen soll, ist dabei nicht allein entscheidend, wie umgekehrt nicht jede Auflösung einer rechtsfähigen Einheit nach einer gesetzlichen Basis verlangt. 28 Speziell Organisationsprivatisierungen bedürfen jedenfalls bei singulären, großen Verwaltungsapparaturen besonderer gesetzlicher Absicherung, weil sie nachhaltige Änderungen der Verantwortungsstrukturen mit sich bringen. Ohne besondere gesetzliche Basis zulässig sind dagegen der Erwerb und die Veräußerung von Unternehmensbeteiligungen. Das wird, wie sich einem Gegenschluß aus Art. 87e Abs. 3 S. 3 GG entnehmen läßt, auch für die materielle Privatisierung privatrechtsförmig organisierter öffentlicher Unternehmen zu gelten haben. Im kommunalen Bereich sind Verlagerungen zwischen öffentlich-rechtlichen und privatrechtlichen Organisationsformen Standardvorgänge, für die die Grundlagen des Gemeinde- und Gemeindewirtschaftsrechts ausreichen54. 29 Nur differenziert zu lösen sind die Fälle funktionaler Privatisierung55: Inwieweit für sie eine gesetzliche Grundlage zu fordern ist, hängt von der Art der übertragenen Aufgaben und von der Intensität und dem Umfang ab, mit denen das administrative Organisationsgefüge dadurch affiziert wird. Aufgaben, die üblicherweise unter Einsatz von Befehl und Zwang wahrgenommen werden, sind besonders sensibel. Hier muß alles, was über die rein technische Vollzugshilfe 51 52 53 54 55
Zutreffend G. C. Burmeister, Institutioneller Gesetzesvorbehalt, S. 320 f. Vgl. Böckenförde, Organisationsgewalt, S. 95 ff.; Burgi, in: Erichsen/Ehlers, Verwaltungsrecht, § 52 Rn. 4 f. Vgl. Lerche, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 86 Rn. 70, der allerdings auch eine gewohnheitsrechtliche Grundlage genügen läßt. Als politisch bedeutsame Entscheidungen sind sie in den Gemeindeordnungen zutreffend dem Gemeinderat vorbehalten, z.B. § 39 Abs. 2 Nr. 11 und 12 bad.-württ. GO. Dazu mit weit. Nachw. Burgi, Funktionale Privatisierung, S. 283 ff.
B. Grundfragen der allgemeinen organisationsrechtlichen Dogmatik
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hinausgeht, selbst dann gesetzlich fundiert sein, wenn es sich nur um eine gelegentliche Heranziehung Privater handelt56; die Maßstäbe für die förmliche Beleihung gelten entsprechend (→ 5/57). Leistungs- und Planungsaufgaben sind freier gestaltet. Die Verwaltung kann hier selbst entscheiden, ob sie Private mit Vorbereitungs- oder Durchführungsaufgaben betraut, selbst wenn das über den Einzelfall oder bloß technische Hilfeleistungen hinausgeht. Zur Vorprüfung bei der Standortsuche oder zur Konfliktmittlung in einzelnen Verwaltungsverfahren können Private also ohne gesetzliche Grundlage eingesetzt werden. „Erst wenn es neben der Aufgabenbewältigung in concreto (und sei es in einer Vielzahl von Fällen) um die Etablierung von Instituten der Verwaltungshilfe (Sachverständige in der Umweltüberwachung, Projektmanager im Verwaltungsverfahren, Betreibermodelle in der Infrastrukturverwaltung, Private in einer Sicherheitspartnerschaft mit der Polizei etc.) geht“, greift der institutionelle Gesetzesvorbehalt57. Das Wesentlichkeitskriterium dirigiert auch das vom Gesetz selbst zu leistende „institutionelle Regelungsminimum“58. 30 Organisationsgesetze verlangen ein anderes Verständnis der Gesetzesbestimmtheit, als es – ausgerichtet auf materielle Gesetzestatbestände – üblicherweise zugrundegelegt wird (→ 4/26–35). Organisationsvorschriften sollen Verhalten nicht von außen lenken. Sie wollen es vielmehr von innen heraus gestalten. Ihre typischen Bauformen sind Vorschriften zum internen Verfahren, Auswahlund Zuständigkeitsregelungen, Grenzziehungen zwischen Verantwortungsbereichen, Vorschriften über gestufte Konsensfindungen oder über Letztentscheidungsrechte, Regelungen im Umgang mit Informationen und distanzschützende neutralitätssichernde Vorkehrungen. In diesem Sinne läßt sich vom Rahmencharakter des Organisationsrechts sprechen. Wirksamkeit erzielen diese Elemente nicht so sehr als einzelne, sondern wenn sie als organisationsrechtliche Arrangements richtig zusammengestellt worden sind (→ 5/11). 31 Die Beurteilung ihres Erfolges verlangt eine Gesamtbilanzierung der Effekte aller Einzelregelungen. Das ist ein komplizierter Bewertungsvorgang, der in der Komplexität der Regelungsstruktur und in einer spezifischen Zeitoffenheit begründet ist. Der Organisationsgesetzgeber hat folglich einen besonders weiten Gestaltungsspielraum. Wie sich das Zusammenwirken der einzelnen Regelungsansätze einspielen wird, läßt sich oft nur unsicher prognostizieren. Die Organisationswissenschaften können dazu zwar über manche Verhaltensweisen informieren, die für bestimmte Konfigurationen organisationstypische „Bewegungsgesetze“ ausmachen. Die wirkliche Entwicklung hängt jedoch vor allem von den Organisationsmitgliedern und ihren sich ausbildenden Handlungspraxen ab. 56 57
58
Z.B. zu verkehrspolizeilichen Geschwindigkeitskontrollen zur Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten nach § 35 OWiG, KG NZV 1997, 48; BayObLG NZV 1997, 486. Burgi, Funktionale Privatisierung, S. 290; hinsichtlich der Sicherheitspartnerschaft unter Hinweis auf Pitschas, DÖV 1997, S. 393 (398 f.), der insoweit einen gesetzlichen Rahmen fordert. Zu Begriff und Maßstäben vgl. G. C. Burmeister, Institutioneller Gesetzesvorbehalt, S. 323 ff.
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Fünftes Kapitel: Die Verwaltung als Organisation
Wenn eine sich abzeichnende Entwicklungsvariante zu einer Verletzung der verfassungsrechtlichen Rahmenvorgaben führen kann, trifft den Organisationsgesetzgeber eine Pflicht zur Beobachtung und gegebenenfalls zur Korrektur59. Diese Pflichten bilden das Korrelat zu einer Tatbestandsstruktur, die nur in einem ersten Schritt bestimmt, im übrigen aber entwicklungsabhängig ist. 32 Wenn die Wirkungen eines organisationsrechtlichen Arrangements nur mediatisiert zur Geltung kommen und erst nach längerer Zeit beurteilt werden können, dann müssen organisationspraktische „Vorläufe“ zulässig sein. Die Organisationspraxis befindet sich in fortgesetzten Veränderungen. Die Anforderungen des institutionellen Gesetzesvorbehalts sollen dies nicht schlechthin unterbinden. Sie gewähren einen Experimentierspielraum der Exekutive für solche begrenzten und reversiblen Organisationsentscheidungen, die, wären sie dauerhafte Aktionen, dem Wesentlichkeitskriterium unterfielen.
II. Die „Einheit der Verwaltung“ als Legitimationsproblem 33 Für die allgemeine organisationsrechtliche Dogmatik ist die Frage nach der Einheit oder Vielgliedrigkeit der Verwaltung von zentraler Bedeutung: Einheits- und Vielgliedrigkeitsvorstellungen prägen das gesamte System der Informationszugänge und der Informationsverarbeitung in der öffentlichen Verwaltung. Sie bestimmen Verantwortungsstrukturen und Mitgestaltungschancen. Schließlich sind sie Anknüpfungspunkt für die Zuordnung konkreter Rechtsfolgen, z.B. in Haftungsfragen. Unbeschadet dieser ihrer dogmatischen Bedeutung findet sich die Einheit der Verwaltung in der Literatur nicht selten im Zusammenhang mit den Attributen von Staatlichkeit behandelt, deren Verlust beklagt und deren Notwendigkeit beschworen wird60.
1. Das grundgesetzliche Bild gegliederter Verwaltung 34 Systematisch kann die Frage nach der Einheit oder Vielfalt der Verwaltung von unterschiedlichen Ansätzen her behandelt werden61: Die historische Betrachtung zeigt, daß die deutsche Verwaltung seit langem eine föderal und kommunal gegliederte Verwaltung ist. Verselbständigungen haben hier eine feste Tradition. Einheitsvorstellungen sind eher im Wege des Gegenstromprinzips herausgebildet worden, als daß sie einem ursprünglichen Bauprinzip entsprochen hätten. Organisationswissenschaftlich ist die gegliederte Verwaltung eine Ant59 60
61
BVerfGE 93, 37 (74). Als Verfallsvorgang dargestellt von W. Leisner, Die undefinierbare Verwaltung, S. 191 ff.; von Einheit der Verwaltung als einer „Beschwörungsformel“ spricht zutreffend Krebs, HStR Bd. 3, § 69 Rn. 11; krit. zum Wert staatstheoretischer Einheitsvorstellungen Möllers, Staat als Argument, S. 228 ff., speziell zur Einheit der Verwaltung S. 147 f. und Fn. 78. Dazu Bryde und Haverkate, VVDStRL Bd. 46, S. 181 ff. und 217 ff.
B. Grundfragen der allgemeinen organisationsrechtlichen Dogmatik
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wort auf die komplexen Aufgaben- und Interessenstrukturen moderner Gesellschaften62. Verselbständigte Verwaltungseinheiten wirken als Rezeptionsmechanismen für neue gesellschaftliche Bedürfnisse. Nur in einem dauerhaften, fest organisierten Kontakt mit den den Sachbereich bestimmenden Kräften und Interessenträgern sind Verwaltungen in der Lage, jenen Kenntnisstand zu gewinnen, der jeder Steuerungsabsicht vorauszugehen hat. Eine zum gesellschaftlichen Bereich hin offene und differenzierte Verwaltung dient so dazu, dem Gesamtsystem die notwendige Innovationsfähigkeit zu erhalten63. Sie ist ein Gebot rationaler Entscheidungsfindung und effizienter Entscheidungsumsetzung. Überlegungen zur Verwaltungseffektivität sind es andererseits aber auch, die auf einheitliche Entscheidungszüge, auf klare Organisations- und Zuständigkeitsregeln sowie auf möglichst ungebrochene hierarchische Weisungsstrukturen drängen oder immerhin zu drängen scheinen64. 35 Die beobachtete Ambivalenz des Einheits- und des Vielgliedrigkeitsgedankens wirkt durch die verfassungsrechtliche Beurteilung fort65: So deutlich Art. 83 ff. und Art. 28 Abs. 2 GG das Bild eines tief gegliederten Verwaltungsorganisationsgefüges zeichnen, so sehr tendiert das parlamentarische Regierungssystem zu zentralen Steuerungsmechanismen und zu Weisungs- und Kontrollmöglichkeiten. Grundrechte drängen zwar auf einen gleichmäßigen, wirkungsvollen Gesetzesvollzug, für den sich vor allem bürokratische Organisationsformen anbieten mögen. Sie können aber auch, wie die Beispiele des Rundfunk- und des Wissenschaftsrechts zeigen, gerade umgekehrt Abkoppelungen von den politischen Entscheidungsebenen verlangen. Im Lichte dieser unterschiedlichen Vorgaben kann die Einheit der Verwaltung nicht einfach als Konsequenz des rechtsstaatlichen oder des demokratischen Prinzips gedeutet werden66. Demokratie und Rechtsstaatlichkeit zielen zwar auf staatliche „Handlungs- und Entscheidungseinheit“ – aber eben nicht auf eine präexistente, statische Einheit, sondern auf eine sich immer wieder neu herstellende Einheit, die sich in den einzelnen Phasen ihrer Entwicklung aus unterschiedlichen Bauformen bildet67. Hierarchische Entscheidungszüge, Weisungsrechte und feste organisatorische Anbindungen sind nur ein Gestaltungselement, dem distanzschaffende Verselbständigungen gegenüberstehen und dessen Wirkungen durch andere Mittel der Vereinheitlichung, z.B. durch eine stärkere gesetzliche Einbindung oder neue Formen der Kontrolle, substituiert werden kön62 63 64 65 66 67
Schuppert, Verselbständigte Verwaltungseinheiten, bes. S. 191 ff.; ders., Verwaltungswissenschaft, S. 831 ff. Dreier, Hierarchische Verwaltung, S. 296 ff.; ferner Ladeur, DV 1993, S. 137 ff. Für die Kreisverwaltung Schmidt-Aßmann, DVBl 1996, S. 533 (536 f.). Ähnlich Bryde, VVDStRL Bd. 46, S. 181 (186); Krebs, in: HStR Bd. 3, § 69 Rn. 80. In diese Richtung – freilich behutsam und differenzierend – Haverkate, VVDStRL Bd. 46, S. 217 (221 f.). Zutreffend spricht Bryde, VVDStRL Bd. 46, S. 181 (198) von der „Herstellung einer differenzierten Handlungs-, Informations- und Entscheidungseinheit im Verfahren“; ähnlich Schuppert, DÖV 1987, S. 757 (761).
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nen68. Das Grundgesetz behandelt die gegliederte Verwaltung als Normalität69, aus der Entscheidungen hervorgehen sollen, die dem Staat als einheitliche, d.h. als demokratisch verantwortete Entscheidungen zugerechnet werden können. Eine stärkere Ausrichtung des Organisationsrechts an der neueren Legitimationslehre hat von der Erkenntnis auszugehen, daß es entscheidend darauf ankommt, ein hinreichendes Niveau demokratischer Legitimation zu erreichen, das in einer Gesamtbewertung einheitsstiftender und entkoppelnder Faktoren festzustellen ist (→ 2/98–99). Nicht alles, was von überkommenen Vorstellungen enger Anbindungen abweicht und als „ministerialfreier Raum“ erscheint, ist im Legitimationskonzept des Art. 20 Abs. 2 GG ein bedenkliches Defizit70. Vielmehr kann gerade die institutionelle Legitimation umgekehrt einen Ausbau verselbständigten Entscheidens und eine entsprechende „Ausdünnung“ der sachlichen oder personellen Legitimation71 verlangen, um die inhaltliche Qualität der Entscheidung zu verbessern (→ 2/99). Ein entscheidendes Kriterium ist dabei, inwieweit das Feld der reduzierten demokratischen Legitimation durch andere Interessenrepräsentanten besetzt wird oder unbeschadet der ausgedünnten Ableitungszusammenhänge allein auf eine Legitimation durch das Volk rückbezogen bleibt. Wir unterscheiden im folgenden zwischen (schlicht) verselbständigten Einheiten, pluralistisch geprägten Einheiten, privatrechtsförmigen Wirtschaftsunternehmen und intermediären Einrichtungen72. Erstere stellen reine Entkoppelungen bei im übrigen unveränderter Legitimationsgrundlage dar, während bei pluralistisch besetzten Gremien zur Verselbständigung als weiteres Problem eine Verschiebung der Legitimationsgrundlagen hinzutritt. Für privatrechtsförmige 68
69 70
71 72
Ähnlich Schuppert, Staat 1993, S. 581 (607 f.). Zu Formen professioneller Eigenkontrolle vgl. Trute, in: Schmidt-Aßmann/Hoffmann-Riem, Verwaltungsorganisationsrecht, S. 249 (283 f.). Krebs, in: HStR Bd. 3, § 69 Rn. 22; Groß, Kollegialprinzip, S. 165 (173); Kahl, Staatsaufsicht, S. 470 f., 476 ff. Zum mehrdeutigen Begriff der Ministerialfreiheit E. Klein, Ministerialfreier Raum, S. 58 ff.; mit umfassenden Nachw. Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, S. 102 ff. Jedenfalls dann, wenn sogar alle Formen von Selbstverwaltung als ministerialfreie Verwaltung eingestuft und einem besonderen Rechtfertigungsgebot unterstellt werden (so Jestaedt, S. 107 f.; enger dagegen Dreier, in: ders., Grundgesetz, Art. 20 (Demokratie) Rn. 116 und Fn. 306), leistet der Begriff der Ministerialfreiheit der unzutreffenden Vorstellung Vorschub, die staatsunmittelbare Verwaltung sei der einzige Standardtyp grundgesetzlicher Verwaltung. Der Begriff der „Verdünnung“ der Legitimation findet sich bei Emde, Funktionale Selbstverwaltung, S. 12. Ähnlich Schuppert, Diskussionsbeitrag in VVDStRL Bd. 46, S. 277: Herausarbeitung „organisationstypische[r] Gefährdungslagen“ für die drei Gruppen der öffentlichen Unternehmen, der interessenvertretenden Körperschaften und der klientelorientierten Verwaltungseinheiten. Ferner Haverkate, VVDStRL Bd. 46, S. 217 (223): Abkoppelung durch „Isolierung von Verwaltungsinteressen“ und „Übertragung von Entscheidungsbefugnissen an organisierte Privatinteressen“; vgl. auch die Unterscheidung zwischen einfacher Weisungsfreiheit und Weisungsfreiheit für pluralistische Entscheidungsgremien bei Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, S. 115 f.
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Wirtschaftsunternehmen bewirken die Rationalitätskriterien des Marktes eine weiterreichende Entkoppelung. Mit den intermediären Einrichtungen wird der Bereich des Verwaltungsorganisationsrechts überschritten; doch bedürfen sie als zweite Organisationsform des staatlich-gesellschaftlichen Kooperationsbereichs neben den pluralistischen Verwaltungseinheiten einer kurzen Würdigung.
2. Verselbständigte Verwaltungseinheiten 36 Die Schaffung (schlicht) verselbständigter Verwaltungseinheiten folgt unterschiedlichen Systemgedanken, die auch Umfang und Art der Entkoppelung bestimmen. Die Rechtsform hat insofern nur eine Indizfunktion, insoweit für rechtsfähige Einheiten nicht nur im Rechtsverkehr mit Dritten, sondern auch gegenüber dem Staat von einem Grundtatbestand der Eigenständigkeit und der Entkoppelung auszugehen ist. Doch gibt es, wie das Beispiel der Fachaufsicht über Selbstverwaltungsträger zeigt, auch Fälle engerer Anbindung; umgekehrt können sich Entkoppelungen auch im Bereich der Behördenorganisation finden.
a) Distanzschaffende Entkoppelungen 37 Eine Entkoppelung kann veranlaßt sein, um einem Entscheidungsträger die notwendige Distanz gegenüber einer den ausgewogenen Interessenausgleich beeinträchtigenden Einflußnahme der aktuellen Politik zu sichern. Das Hauptbeispiel für solche Entkoppelungen bietet das Zentralbankwesen (Art. 108 EG, Art. 88 GG)73. Seine Unabhängigkeit zielt auf einen Funktionsschutz der Währungspolitik gegenüber dem schwankenden Reaktionsdruck des politischen Tagesgeschehens. Die Leitungsorgane der Zentralbanken bleiben aber allein demokratisch legitimiert. Sie repräsentieren keine Sonderinteressen, sondern sind nur dem Allgemeininteresse verpflichtet. Ihre besondere Stellung ist heute verfassungsrechtlich ausdrücklich anerkannt. Entkoppelungen haben aber auch dort Bedeutung, wo eine Weisung sonst aus einer interessenvermischenden Doppelfunktion, z.B. als Hoheitsträger und Eigentümer, heraus getroffen werden müßte. Wenn der Gesetzgeber weisungsfreie Räume einrichten will, muß er dafür überzeugende Sachgründe haben; einer ausdrücklichen verfassungsrechtlichen Anerkennung bedarf es aber nicht74. Zutreffend wird z.B. der Regulierungsbehörde nach §§ 66 ff. TKG für ganz bestimmte Entscheidungen eine Freiheit von Einzelweisungen zugestanden (→ 3/54)75. Im übrigen sollte die praktische Bedeutung des Weisungsrechts für die Gewährleistung des erforderlichen Niveaus demokratischer Legitimation nicht überschätzt werden (→ 2/86). „Die auf diese Ver73 74 75
Dazu nur Brosius-Gersdorf, Deutsche Bundesbank und Demokratieprinzip, S. 266 ff. So trotz eines restriktiven Ansatzes auch Lerche, in: Maunz/Dürig, Art. 83 Rn. 70. Oertel, Unabhängigkeit der Regulierungsbehörde, S. 397 ff. (419 f.) betr. die Beschlußkammer, S. 420 (444 f.) betr. die Präsidentenkammer; Trute, in: Trute/Spoerr/Bosch, Telekommunikationsgesetz, § 66 Rn. 30 f.
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waltungsbereiche bezogene Diskussion leidet darunter, daß sie die vielfältigen Möglichkeiten parlamentarischer Kontrolle unterschätzt und zu Unrecht davon ausgeht, daß ,Ministerialfreiheit‘ auch ,parlamentarische Kontrollfreiheit‘ bedeute“76. Die gesetzliche Vorzeichnung und damit parlamentarisch verantwortete Gestaltung des Entscheidungszusammenhangs, in dem die freier gestellte Verwaltungsinstanz agiert, ist wichtiger. 38 Distanzschaffende Entkoppelungen können, wie das Beispiel des Datenschutzes zeigt, auch grundrechtlich veranlaßt sein77. Entkoppelungen dienen hier der inneradministrativen Gewaltenteilung78. Das Bundesverfassungsgericht spricht anschaulich von „Abschottungsregelungen“79. Der Gedanke einer Aufgliederung zwischen Wissenskonzentration und spezifiziertem Handlungsauftrag kann so zu einem das gesamte Informationsverhalten der Exekutive bestimmenden Verfahrens- und Organisationsprinzip werden, das nicht auf bestimmte Verwaltungssektoren begrenzt ist, sondern durchgängig Beachtung verlangt80. Die Literatur behandelt auch die verselbständigte Organisation der öffentlichen Rundfunkanstalten und der öffentlich-rechtlich verfaßten Wissenschaftseinrichtungen als Fälle des Distanzschutzes81. Das ist im Ansatz zutreffend; doch muß beachtet werden, daß dabei zusätzlich Entscheidungselemente des Binnenpluralismus oder der funktionalen Selbstverwaltung ins Spiel kommen und sich damit die Legitimationsgrundlagen verschieben (→ 2/90–93). Die hier zugrundegelegte Systematik weist diese Formen einer Verbindung von Distanzschutz und besonderer Interessenrepräsentation den pluralistischen Organisationseinheiten zu (→ 5/41–47).
b) Einbeziehung externen Sachverstandes 39 Ein weiteres Ziel von Entkoppelungen kann es sein, dem verwaltungsexternen Sachverstand gesteigerte Mitwirkungsmöglichkeiten einzuräumen. Schon von ihrer Natur her sind Aufgabenbereiche, in denen ein hohes Maß sachverständiger Beratung nachgefragt ist, wegen ihrer ökonomischen oder technischwissenschaftlichen Struktur den üblichen Zurechnungsvorstellungen demokratischer Legitimation schwerer zugänglich; denn gesetzliche Steuerung und ministerielle Kontrolle können hier schon von der Sache her kaum mehr bieten als einen weitgespannten Rahmen. Das Gebot demokratischer Legitimation zwingt aber nicht dazu, die in der Vollzugsverwaltung einzuhaltenden Maßstäbe auch hier anzulegen. Es gestattet vielmehr, unter Reduktion der staatlichen Aufsicht 76 77 78 79 80
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Krebs, in: HStR Bd. 3, § 69 Rn. 82; Groß, Kollegialprinzip, S. 184 ff.; auch Burgi, in: Erichsen/Ehlers, Verwaltungsrecht, § 52 Rn. 48. Schlink, Amtshilfe, bes. S. 82 ff.; Bryde, VVDStRL Bd. 46, S. 181 (198 ff.). Grundlegend Schlink, Amtshilfe, S. 11 ff.; ferner Krebs, in: HStR Bd. 3, § 69 Rn. 78. BVerfGE 65, 1 (49). Vgl. die von öffentlichen wie nicht-öffentlichen Stellen zu bestellenden Beauftragten für den Datenschutz, die in Ausübung ihrer Fachkunde weisungsfrei sind (§ 4 Abs. 3 S. 2 BDSG). Vgl. Dreier, Hierarchische Verwaltung, S. 240 f.
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auf eine reine Rechtskontrolle (fach-)weisungsfreie Sachverständigengremien einzurichten. Freilich ist darauf zu achten, daß es um Sachverständigentätigkeit und nicht um die Artikulation von Sonderinteressen geht. Die Grenzziehung zwischen beidem mag schwierig und oft unsicher sein; sie ist aber nicht unmöglich82. Ein positives Element institutioneller demokratischer Legitimation ist der externe Sachverstand nur, soweit er das Ziel verfolgt, übergreifende Zusammenhänge und allgemeine Aspekte herauszuarbeiten. Die Schlüsselbegriffe heißen Sachkunde, Objektivität und Neutralität83. Hier gilt ein Konsistenzgebot zwischen Qualifikation, Rekrutierung und Selbstverständnis der Gremienmitglieder. Nur dieses rechtfertigt eine gelockerte Einbindung. Je stärker der Sachverständige sich dagegen als Vertreter sektoraler Interessen versteht, desto klarer muß seine Mitwirkung den strengeren Anforderungen unterworfen werden, die für pluralistisch besetzte Gremien gelten (→ 5/41).
c) Organisation lokaler Interessen 40 Eine dritte Gruppe bilden die Träger der kommunalen Selbstverwaltung. Ihre Verselbständigung hat das Ziel, ein räumlich enger bestimmtes Allgemeininteresse gegenüber dem sonst auf den höheren Ebenen des Landes und des Bundes formulierten Allgemeininteresse zur Geltung zu bringen (→ 2/88–89). Dadurch sollen ein zusätzliches bürgerschaftliches Engagement geweckt und die Qualität der Entscheidungen durch die Vorteile dezentraler Verwaltung verbessert werden84. Legitimationssubjekt bleibt aber gemäß Art. 28 Abs. 1 S. 2 GG das Volk. In der Frage der demokratischen Rückführbarkeit auf den Träger der Staatsgewalt steht die kommunale Verwaltung folglich nicht schlechter da als die staatsunmittelbare Verwaltung. Das legitimatorische Problem kommunaler Verwaltung ist das Problem der hinreichenden Distanz, die durch die Verselbständigung des kleinräumig bestimmten Allgemeininteresses verloren gehen kann. Das Grundgesetz hat diesen Konflikt dadurch entschärft, daß es die kommunalen Verwaltungsträger auf eine zweifache demokratische Legitimation, auf eine parlamentsvermittelte und auf eine auf direkter Volkswahl beruhende Legitimation, verpflichtet. Eine im Regelfall auf eine Rechtmäßigkeitskontrolle beschränkte Staatsaufsicht korrespondiert dem (→ 2/89)85. Mit diesen ausgewogenen Legitimationsgrundlagen ist die kommunale Selbstverwaltung im Gesamtgefüge der Exekutive keine Ausnahme- oder Randerscheinung, sondern der zweite Standardtyp86. Das bestätigt zugleich die These, daß verselbständigte Einheiten eine Normalität grundgesetzlicher Verwaltung darstellen (→ 5/34).
82 83 84 85 86
Vgl. auch Brohm, in: HStR Bd. 2, § 36 Rn. 13 ff.; Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, S. 41 ff.; Braun, Politische Steuerung, S. 385 f. Vgl. dazu M. Schwab, Rechtsfragen der Politikberatung, S. 564 ff. Vgl. BVerfGE 79, 127 (148 ff.). Dazu Kahl, Staatsaufsicht, S. 498 ff. Ebenso Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, S. 361 ff.
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3. Pluralistisch geprägte Verwaltungseinheiten 41 Als pluralistisch geprägt werden Verwaltungseinheiten bezeichnet, in denen Träger gesellschaftlicher Interessen in mitgestaltender Funktion tätig sind (→ 2/110–112). Substantiell sind sie eine Ausformung des staatlich-gesellschaftlichen Kooperationsbereichs87. Organisatorisch sind sie – anders als die intermediären Einrichtungen (→ 5/59–62) – der Exekutive zuzurechnen.
a) Träger funktionaler Selbstverwaltung 42 Hierher gehören zum einen die Träger funktionaler Selbstverwaltung in Wirtschaft, Hochschulen und im Sozialwesen. Sie bilden ein eigenes Subsystem der öffentlichen Verwaltung von kaum zu überschätzender Vielfalt und Bedeutung. Klassifikatorisch lassen sich mindestens fünf Gruppen bilden88: grundrechtsgetragene Selbstverwaltung, Selbstverwaltung der freien Berufe, wirtschaftlich-gruppenplurale Selbstverwaltung, Realkörperschaften insbes. des Wasser-, Forst- und Jagdrechts sowie die soziale Selbstverwaltung. Kennzeichnend für sie alle ist ein mitgliedschaftliches Element. Dieses stellt sich, wie Winfried Kluth herausgearbeitet hat, in mehreren Varianten dar89: als Partizipation von Betroffenen, als Ausdruck des Genossenschaftsprinzips, als Organisation von Solidargemeinschaften oder aber als Darstellungsform grundrechtlich gebotener Staatsferne (→ 2/93). Diese Unterschiede der Systemgedanken muß der Gesetzgeber beachten, wenn er Selbstverwaltungskörperschaften z.B. mit Pflichtmitgliedschaft ausstatten will. So kann solidarische Lastentragung dort nicht verlangt werden, wo es an jedem sachlichen Fundament für eine gruppenspezifische Solidarität fehlt90. Zur demokratischen Legitimation tritt die autonome Legitimation mit einem anderen Legitimationssubjekt (→ 2/90–93)91. Die Verbindung der Legitimationszüge verlangt gut durchdachte Bauformen des Organisationsrechts. Die Formen müssen einerseits dem verbandsinternen Interessenausgleich und andererseits der Einbindung des Verbandes in das allgemeine Organisationsgefüge einen verläßlichen Rahmen bieten. Verbands- und Mitgliederinteressen, individuelle Interessen und kollektive Interessen untereinander können gerade in der funktionalen Selbstverwaltung in scharfen Widerstreit geraten. Die Konzentration auf eine spezifische Sachaufgabe, wie sie dieser Form 87 88 89 90 91
Ähnlich Horn, DV 1993, S. 545 (562). Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, S. 30 ff. Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, S. 236 ff. Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, S. 240. Vgl. Emde, Funktionale Selbstverwaltung, S. 49 ff.; a.M. Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, S. 369 ff., der eine besondere, auf das Volk i.S. des Art. 20 Abs. 2 GG zurückgehende personelle Legitimation der Selbstverwaltungsorgane annimmt, die eine „kollektive personelle“, d.h. durch den parlamentarisch legitimierten Gründungsakt vermittelte Legitimation sein soll (S. 379 f.). Diese indirekte Zurechnung wird m.E. dem mitgliedschaftlich geprägten Wahlmodus in der funktionalen Selbstverwaltung nicht gerecht.
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der Selbstverwaltung eigen ist, polarisiert; es fehlt die neutralisierende Wirkung der Universalität des Aufgabenkreises, die die kommunale Selbstverwaltung kennzeichnet. 43 Analysiert man die organisationsrechtliche Dogmatik unter diesem Gesichtspunkt, so ergibt sich für die einfachen Wirkungsformen funktionaler Selbstverwaltung, z.B. für Kammern und Universitäten, insgesamt ein positiver Befund92: Mitgliedschaft und Entscheidungsbildung sind idR klar umrissen. Repräsentations- und Vollzugsorgane ermöglichen es, daß sich unterschiedliche Interessen zur Geltung bringen können. Verfahrenspolitische und rechtliche Interessenklärung einschließlich gerichtlicher Organstreitverfahren sind verfügbar. Parlamentsgesetzliche Vorgaben und Staatsaufsicht sorgen für die Rückbindung an das staatliche Entscheidungsgefüge und schützen zugleich die Verbandsmitglieder gegenüber der Verbandsgewalt. Deutlich schlechter sind dagegen die komplexen Wirkungsformen funktionaler Selbstverwaltung zu bewerten. Das läßt sich an der sozialen Selbstverwaltung im Gesundheitswesen zeigen93. Aus den gesetzlichen Krankenkassen einerseits und aus den kassenärztlichen Vereinigungen andererseits ist hier ein höchst verflochtener Überbau entstanden, der sich weder durch Formen- noch durch Verantwortungsklarheit auszeichnet. Innerhalb jedes der beiden Teilsysteme gibt es neben den Hauptträgern vielfältig ausdifferenzierte Organisationseinheiten, Fachausschüsse, Arbeitsgemeinschaften und Spitzenorganisationen. Als „gemeinsame Selbstverwaltung“ treffen diese Hybridformen teils im Verhandlungswege, teils in gemeinsamen Gremien weitreichende Entscheidungen für das gesamte Gesundheitswesen, ohne daß ihre gruppenparitätisch angelegte Selbstverwaltungssubstanz dazu ausreichte94. Damit aber wird gegen zwei für die funktionale Selbstverwaltung wichtige Einsichten verstoßen: – Selbstverwaltung setzt bei aller Unterschiedlichkeit der Interessen im einzelnen ein Mindestmaß an Gleichrichtung der Interessen voraus. Ein so definiertes Homogenitätsgebot bildet die Basis, daß die verbandliche Interessenbestimmung durch Mehrheitsentscheidungen als solche akzeptiert werden kann. Wo es an dieser Grundlage fehlt, wo die Interessenpositionen so stark divergieren, daß sie innerhalb des institutionellen Rahmens schon im Ansatz nicht zum Ausgleich gebracht werden können, ist die funktionale Selbstverwaltung kein geeignetes Organisationsmodell. – Wenn die funktionale Selbstverwaltung ihre zweite Legitimationsquelle in ihren Mitgliedern besitzt, dann müssen auch ihre Entscheidungen auf den Kreis der legitimationsstiftenden Mitglieder beschränkt bleiben. Dieses Korrespondenzgebot verhindert es, daß unbeteiligte Dritte in verfassungsrechtlich unzuläs92 93 94
Vgl. die Darstellung der Hauptpunkte bei Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, insbes. S. 458 ff., zum Rechtsschutz auch S. 275 und S. 330 ff. Dazu darstellend A. Wahl, Kooperationsstrukturen im Vertragsarztrecht, S. 288 ff. Zum folgenden Schmidt-Aßmann, Grundrechtspositionen und Legitimationsfragen, S. 86 ff.
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siger Weise mehr als marginal fremder Rechtsetzungshoheit unterworfen werden95. Die funktionale Selbstverwaltung ist ein breit und vielfältig einsetzbares Organisationsmodell; aber sie bleibt an gewisse vorgegebene Sachgesetzlichkeiten gebunden. Universal nutzbar ist sie nicht.
b) Kollegialgremien 44 Pluralistisch geprägte Verwaltungseinheiten finden sich jedoch weit über diesen Bereich hinaus. Wichtige Erscheinungsformen sind unter dem Begriff der „Kondominialverwaltung“ analysiert worden. Es handelt sich bei ihnen um weisungsfreie Gremien, in denen „privater (Gruppen-)Sachverstand und gesellschaftliche Partikularinteressen staatlicherseits institutionalisiert und damit in gewisser Weise inkorporiert“ werden96. Solche Gremien können, wie das Beispiel der Verwaltungsräte des Anstaltsrechts zeigt, Leitungsfunktionen in großen verselbständigten Leistungsapparaturen ausüben. Sie können aber auch als gruppenpluralistische Bewertungs-, Prüfungs- oder Kontrollgremien innerhalb der Staatsverwaltung tätig sein97. Anders als der funktionalen Selbstverwaltung fehlt der Kondominialverwaltung die mitgliedschaftlich-partizipative Komponente. Das sonst eher statische Verwaltungsorganisationsrecht zeigt gerade bei den pluralistisch geprägten Einheiten, daß es ein entwicklungsoffenes Gebiet sein kann. Die Organisationsformen erweisen sich als rechtliche Konstrukte, um jene Wellenbewegungen einzufangen, in denen sich die Zuordnung von Aufgaben zum staatlichen oder zum gesellschaftlichen Bereich ändern. Das „Hineinwachsen“ gesellschaftlicher Kräfte in die organisierte Staatlichkeit und das „Herauswachsen“ staatlicher Agenden aus der Staatsverantwortung lassen sich ohne Zwischenformen rechtlich nicht erfassen98. Entsprechend vielfältig sind die hinter den Organisationsformen stehenden Systemgedanken99: die Ermöglichung ebenso wie der Abbau von Distanz, die Interessenrepräsentation, die Selbststeuerung und die partizipative Teilhabe. Dabei ist die von diesen Gremien geübte Entscheidungstätigkeit nur die eine Seite. Ihr voraus liegt die dauerhafte Informationsbeziehung. Ihr folgen kann die Schaffung kommunikativer Netzwerke, die weit mehr erfassen, als nur den Kreis der in den Gremien tätigen Repräsentanten. Staatliche Funktionsträger werden mit steuerungsnotwendigen Informationen in 95 96 97
98 99
Dazu Tettinger/Mann/Salzwedel, Wasserverbände und demokratische Legitimation, S. 62, dort auch der Begriff des Korrespondenzgebots. Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, S. 120 f. Systematik und Beispiele bei Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, S. 124 ff.; Groß, Kollegialprinzip, S. 63 ff. mit der weiteren Unterscheidung zwischen partizipativen und korporativen Gremien. Vgl. Schuppert, Verselbständigte Verwaltungseinheiten, S. 93 ff.; ders., Verwaltungswissenschaft, S. 831 ff. Vgl. Dreier, Hierarchische Verwaltung, S. 270 ff.; Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, S. 131 f.; Groß, Kollegialprinzip, S. 194 ff.
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sonst schwer zugänglichen Gebieten versehen und können umgekehrt durch die Vorinformation gesellschaftlicher Akteure frühzeitig indirekte Selbststeuerungsimpulse auslösen. Gelingt es, die eigenverantwortliche Wahrnehmung einer öffentlichen Aufgabe mit privater Interessenwahrnehmung zu verbinden, so steigert dies die Wirksamkeit des parlamentarischen Gesetzes. Denn die an der Selbstverwaltung beteiligten Bürger nehmen die öffentliche Aufgabe dann auch im wohlverstandenen Eigeninteresse wahr; sie sind der öffentlichen Gewalt nicht nur passiv unterworfen, sondern an ihrer Ausübung aktiv beteiligt100. 45 Freilich sind auch negative Effekte nicht zu übersehen. Sie sind als „Neokorporatismus“ und als Phänomen des „Verbändestaates“ oft beschrieben worden. Dabei geht es nicht allein um den Verlust hierarchisch geformter staatlicher Einheit, sondern vor allem um den Zugriff partikularer Interessen101. Mit der Aufspaltung der Legitimationsgrundlagen kann ein Verlust an inhaltlicher Entscheidungsqualität einhergehen. So formuliert läßt sich den bezeichneten Gefahren der Ausdifferenzierung aber auch mit konkreten Maßnahmen begegnen102. Jedenfalls bedarf die Pluralisierung einer besonderen Rechtfertigung. Die Rechtfertigung kann sich, wie am Beispiel der Rundfunkräte deutlich wird, direkt aus der Verfassung ergeben. Sie kann aber auch aus den Gedanken der Distanz oder der Akzeptanz abgeleitet werden, die im Verfassungsrecht nur als Direktive angelegt und im übrigen der einfach-rechtlichen Ausformung überlassen sind. Die institutionelle Legitimation ermöglicht es, solche Gesichtspunkte in das demokratische Ordnungsmodell einzubeziehen (→ 2/95–97)103. 46 Pluralistisch geprägte Ausdifferenzierungen bleiben an das Gebot demokratischer Legitimation, insbesondere an eine Steuerung durch das Parlament gebunden (→ 2/91). Sie unterfallen dem institutionellen Gesetzesvorbehalt (→ 5/26–31). Das Gesetz muß strukturbildend sein. Zu regeln sind nicht nur die Zulässigkeit der Ausgliederung, sondern auch die wesentlichen Verfahrensfragen der Besetzung der Gremien und der Entscheidungsbildung104. Weiter ist auf jeden Fall eine aufsichtsbehördliche Rechtskontrolle erforderlich. Pluralistische Gremien sind Teil der öffentlichen Verwaltung und unterliegen allen Rechtsbindungen der Exekutive einschließlich ihrer gerichtlichen Kontrolle. Die gerichtliche Überprüfung ist hier keinesfalls notwendig beschränkt; sie kann vielmehr umgekehrt zu besonderer Wachsamkeit aufgerufen sein105. 100 101 102 103 104 105
BVerfG NVwZ 2003, 974 (976). Vgl. Haverkate, VVDStRL Bd. 46, S. 217 (239 f.): „Es geht um die institutionellen Bedingungen der Durchsetzung öffentlicher Interessen“. Dreier, Hierarchische Verwaltung, S. 285 ff.; Schmidt-Aßmann, AöR 1991, S. 329 (377 f.). Anders im Ergebnis für die Kondominialverwaltung Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, S. 594 ff. BVerfGE 83, 130 (152 f.); vgl. §§ 19, 20 JuSchG; §§ 21–23, 26, 27 UAG. Dazu Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 19 Abs. 4 Rn. 196; teilweise anders BVerwGE 39, 197 (204); Groß, Kollegialprinzip, S. 324 (385); zutr. auf eine Analyse der Beurteilungsmaßstäbe abstellend BVerwGE 108, 47 (52).
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47 Bei der Einbeziehung von Trägern partikularer Interessen ist auf eine adäquate Repräsentanz der materiell beteiligten Belange zu achten106, ohne daß dieses zu einem exakten Spiegelbild der Interessenstrukturen in den betreffenden Gremien und in seinen Stimmverhältnissen führen müßte. Wird das Interessenfeld von starken Gegensätzen geprägt, so sind Vertreter der unterschiedlichen Richtungen zu berücksichtigen. Dieses Adäquanzgebot zeigt sich zum einen in einer ausgewogenen Zusammensetzung des Gremiums selbst. Es kann aber auch schon bei der Auswahl der benennungsberechtigten Verbände und Gruppen oder bei der Gestaltung des Benennungs- und Auswahlverfahrens beachtlich sein.
4. Öffentliche Unternehmen 48 Das Bild der vielfältig gegliederten öffentlichen Verwaltung wird schließlich durch die öffentlichen Unternehmen bestimmt (→ 3/46)107. Öffentliche Unternehmen können in öffentlich-rechtlichen Formen oder in den Formen des Gesellschaftsrechts organisiert sein. In der Praxis dominieren Kapitalgesellschaften, Aktiengesellschaft und GmbH, nicht selten in Konzernstrukturen miteinander verbunden (§§ 291 ff. AktG). Für die Eisenbahnunternehmen des Bundes ist diese Form in Art. 87e Abs. 3 S. 1 GG zwingend vorgeschrieben108, für die Luftverkehrsverwaltung in Art. 87d Abs. 1 S. 2 GG als Wahlmöglichkeit genannt. Die Unternehmen der Bundespost sind im Rahmen des Art. 87f GG in Aktiengesellschaften umgewandelt worden. Sonstige Privatisierungsaktionen haben die Bedeutung privater Organisationsformen in der Verwaltung und für die Verwaltung verstärkt109. Wirtschaftsunternehmen in privater Rechtsform erschließen der Verwaltung zusätzliche Steuerungsmöglichkeiten über den Markt und in der Kooperation mit privatem Kapital (→ 6/27)110. In der kommunalen Praxis bilden sie neben den politischen und den administrativen Instanzen die dritte Säule des gemeindlichen Verwaltungssystems111. 49 Das öffentliche Unternehmensrecht ist nicht nur dort, wo es sich mit öffentlich-rechtlichen Sonderformen wie den Eigenbetrieben befaßt, sondern auch hinsichtlich der privatrechtlich organisierten Eigengesellschaften in das Verwaltungsrecht einzubeziehen112. Eine Differenzierung zwischen erwerbswirt106
107 108 109 110 111 112
Ähnlich Fehling, Verwaltung zwischen Unabhängigkeit und Gestaltungsaufgabe, S. 415 f.: „staatliche Unparteilichkeitsverantwortung bei der Strukturierung solcher Gremien“. Grundlegend Ehlers, Verwaltung in Privatrechtsform, S. 109 ff. und 292 ff.; ders., in: 64. DJT, Gutachten, Teil E; Löwer, VVDStRL Bd. 60, S. 416 ff. Dazu Schmidt-Aßmann/Röhl, DÖV 1994, S. 577 ff., Hommelhoff/Schmidt-Aßmann, ZHR 1996, S. 521 ff. Vgl. Brohm, NJW 1994, S. 281 ff.; Osterloh und Bauer, VVDStRL Bd. 54, S. 204 ff. und 243 ff. Vgl. Storr, Der Staat als Unternehmer, S. 60 ff., 130 ff., 140 ff. Zur Illustration der Vielfalt Knemeyer/Kempen, in: Achterberg/Püttner/Würtenberger, Besonderes Verwaltungsrecht, Bd. 2, § 17 Rn. 9. Als öffentliche Unternehmen werden – anders als in der Vorauflage (Rn. 49) – nicht die gemischt-wirtschaftlichen Unternehmen behandelt (→ 5/63).
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schaftlich und daseinsvorsorgend tätigen Unternehmen ist nicht angezeigt. Beide Arten haben die elementaren Anforderungen rechtsstaatlicher Verwaltung, den Vorrang des Gesetzes und die Grundrechte zu beachten. Ebenso gilt für beide das Legitimationsgebot des Art. 20 Abs. 2 GG113. In seinen Grundlinien folgt das Recht der öffentlichen Unternehmen den das Verwaltungsrecht auch sonst durchziehenden Fragestellungen: Es ist einerseits Handlungsrecht und muß insofern die Grundlagen und Grenzen sowie die Rechtsformen, Verfahren und Maßstäbe des unternehmerischen Handelns der öffentlichen Verwaltung darstellen. Es ist zum anderen Organisationsrecht, das sich mit den Verselbständigungstendenzen und mit den Rückbindungen von Verwaltungseinheiten zu beschäftigen hat, die nicht oder jedenfalls nicht allein den üblichen administrativen Handlungsmustern folgen, sondern wirtschaftlich tätig sein sollen. Das ist keine einfache Aufgabe. 50 Die geringeren Probleme bereiten öffentliche Unternehmen in den Organisationsformen des öffentlichen Rechts. Auch in ihnen können sich zwar faktisch stark zentrifugale Kräfte entfalten. Es existieren aber rechtliche Vorkehrungen, die die aus Legitimationsgründen notwendige Steuerung durch die Trägerkörperschaft sicherstellen114. Das gilt insbesondere für den Eigenbetrieb. Er ist organisatorisch und finanzwirtschaftlich (als Sondervermögen) zwar relativ selbständig. Die eigene Rechtsfähigkeit fehlt ihm jedoch, und die wichtigsten unternehmenspolitischen Entscheidungen werden von den Organen des Trägers selbst getroffen, in der kommunalen Praxis also von dem Gemeinderat und einem als Gemeinderatsausschuß gebildeten Betriebsausschuß; die Betriebsleitung untersteht den Weisungen des Bürgermeisters. Ein etwas anderes Bild vermitteln die öffentlichen Unternehmen in der Form rechtsfähiger öffentlicher Anstalten – traditionell im Sparkassenwesen und neuerdings auch in dem gesetzlich speziell festgelegten Formtyp des (anstaltlichen) Kommunalunternehmens. Letzteres soll, was die Beweglichkeit im Rechtsverkehr anbetrifft, mit den Formen des Gesellschaftsrechts, insbesondere mit der GmbH konkurrieren, zugleich aber die im öffentlichen Recht verfügbaren Steuerungsmöglichkeiten der Verwaltung und der Kommunalaufsicht wahren115. Das Vorstandsmodell und die vermittelnde Stellung des Verwaltungsrats zeigen, daß der Gesetzgeber sich bewußt gewesen ist, ein Höchstmaß an Bindung, insbesondere an die Wünsche der politischen Gemeindeinstanzen sei nicht angezeigt116. 51 Bei den privatrechtlich organisierten Unternehmen ist die Verselbständigung schon ratione formae gegeben (→ 6/27). Das begegnet aus öffentlich-recht113 114 115
116
Böckenförde, in: HStR Bd. 1, § 22 Rn. 13; Gersdorf, Öffentliche Unternehmen, S. 134 ff. Zum folgenden Knemeyer/Kempen, in: Achterberg/Püttner/Würtenberger, Besonderes Verwaltungsrecht, Bd. 2, § 17 Rn. 70 ff. Festlegung des Unternehmenszwecks und der Binnenorganisation in einer kommunalen Anstaltssatzung; Schlüsselstellung eines Verwaltungsrates, an dessen Spitze der Bürgermeister steht. Der Verwaltungsrat setzt den Unternehmensvorstand ein und kontrolliert ihn. Mann, NVwZ 1996, S. 557 (558); Ehlers, ZHR 2003, S. 546 ff.
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licher Sicht nicht selten erheblichen Vorbehalten. Die Einbeziehung des öffentlichen Unternehmensrechts in das Verwaltungsorganisationsrecht darf jedoch nicht dazu führen, die für Behörden und Körperschaften entwickelten Organisationsregeln schematisch zu übertragen. Die Vorstellung, mit der Gründung öffentlicher Unternehmen als Aktiengesellschaften oder Gesellschaften mit beschränkter Haftung sei die Verwaltung in das Privatrecht „geflohen“ und müsse soweit wie irgend möglich in das administrative Vollzugsrecht zurückgeholt werden, hilft hier wie andernorts wenig. Vielmehr muß, wenn die Einbeziehung gelingen soll, auch das Verwaltungsorganisationsrecht über seine überkommenen Erkenntnisinteressen hinausgehen und sich mit den Verhaltensmustern unternehmerischen Handelns auseinandersetzen. Das legt es nahe, zunächst die Möglichkeiten des privaten Gesellschaftsrechts auszuschöpfen117, um die erforderlichen Bindungen sicherzustellen. Das Aktienrecht und mehr noch das GmbH-Recht bieten hinreichend differenzierte und wirksame Vorkehrungen, um eine Ausrichtung des Unternehmens an spezifisch öffentlichen Zwecken ebenso wie die notwendige Transparenz zu gewährleisten118. Die Gründer einer Aktiengesellschaft sind frei, darüber zu entscheiden, ob das Unternehmen erwerbswirtschaftliche oder gemeinwirtschaftliche Aufgaben erfüllen, ob es die Gewinnerzielung oder eine bedarfsgerechte Versorgung der Bevölkerung als oberstes Ziel haben soll119. Für die GmbH können darüber hinaus satzungsmäßig auch Geschäftsführungsregeln vorgesehen werden. Daneben enthalten das öffentliche Haushaltsrecht (§§ 53 f. HGrG) und einige Vorschriften des Aktienrechts (§§ 394 f. AktG) Sonderregelungen, die die besonderen Steuerungs- und Kontrollinteressen des Staates sicherstellen120. 52 Gleichwohl ist unverkennbar, daß gerade die privatrechtlich organisierten öffentlichen Unternehmen ein hohes Maß an Selbständigkeit zu entfalten pflegen121. In der Literatur hat dieser Befund dazu veranlaßt, eine allgemeine Einwirkungspflicht des Staates auf seine Unternehmen zu konstruieren122. Das verdient Zustimmung, soweit das Rechtsinstitut die bestehenden Steuerungsansätze zu einer Systematik fortentwickeln und ein hinreichendes Legitimationsniveau im Sinne des Art. 20 Abs. 2 GG sicherstellen soll (→ 2/98–99). Soweit die Ingerenzpflicht jedoch genutzt wird, um alle gesellschaftsrechtlichen Wertungen durch strikte Bindungsmechanismen zu überspielen, kann dem nicht gefolgt werden. Wenn das Grundgesetz der öffentlichen Verwaltung die Teilnahme am Wirt117 118 119 120 121 122
Zu ihrer Eignung Lerche, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 86 Rn. 66; Gersdorf, Öffentliche Unternehmen, S. 267 ff. Dazu R. Schmidt, ZGR 1996, S. 345 (349 ff.); Schön, ZGR 1996, S. 429 ff. Schön, ZGR 1996, S. 429 (440). Dazu Loeser, Berichtswesen der öffentlichen Verwaltung, S. 102 ff. Vgl. zu jüngeren Entwicklungstendenzen nur Stober, NJW 2002, S. 2357 ff.; speziell zu kommunalen Unternehmen Schink, NVwZ 2002, S. 129 ff. Ehlers, Verwaltung in Privatrechtsform, S. 124 ff.; Püttner, Öffentliche Unternehmen, S. 86 (137 f.); Dreier, Hierarchische Verwaltung, S. 258 f.; Spannowsky, DVBl 1992, S. 1072 ff.; ders., ZGR 1996, S. 400 ff.; v. Danwitz, AöR 1995, S. 595 (603 ff.).
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schaftsverkehr mit privatrechtlich organisierten Wirtschaftseinheiten auch dort, wo es um die Erfüllung von Verwaltungsaufgaben geht, gestattet und für manche Bereiche sogar vorschreibt, dann kann es dieses nicht ohne Rücksicht auf die Rationalitätskriterien der Wirtschaft tun. Die Verwaltung genießt zwar auch in diesem Bereich nicht die Handlungsfreiheit privater Wirtschaftssubjekte. Ihr Handeln bleibt kompetenzgebundenes Handeln (→ 1/26)123. Die verselbständigten Wirtschaftseinheiten der öffentlichen Hand können am Markt aber nicht agieren, ohne wirtschaftliches Denken zugrundezulegen124. Art. 87e Abs. 3 S. 1 GG spricht ausdrücklich davon, daß die Eisenbahnen des Bundes „als Wirtschaftsunternehmen“, d.h. nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten, zu führen sind. Wer die staatliche Einwirkungspflicht von den für hierarchische Verwaltungen geltenden Maßstäben her entwickeln will, verfehlt diesen Ansatz. Die wirtschaftliche Orientierung öffentlicher Unternehmen ist als solche nicht zu beanstanden. Art. 114 Abs. 2 GG weist das Wirtschaftlichkeitsprinzip für das gesamte Verwaltungshandeln als legitimes Ziel aus (→ 6/66)125. Ein strukturelles Dilemma zu den Legitimationsanforderungen des Demokratieprinzips folgt daraus nicht126. Es geht nicht darum, ein Legitimationsmaximum durchzusetzen, sondern ein Legitimationsniveau zu erreichen, das den Sachgesetzlichkeiten des Aufgabenbereichs entspricht. Art. 114 Abs. 2 GG ist ein Faktor in diesem Bestimmungsprozeß127. Wenn eine stärkere Bindung für notwendig gehalten wird und sich die politischen Instanzen zusätzlichen Einfluß sichern wollen, dann müssen sie auf Organisationsformen wie den Eigenbetrieb oder die öffentliche Anstalt zurückgreifen. Im übrigen sei daran erinnert, daß das wirtschaftliche Staatshandeln nicht allein durch eine stärkere Anbindung an das administrative System, sondern auch durch bessere Eigen- und Fremdkontrollen zu steuern ist; dazu gehört auch ein besserer Gerichtsschutz für private Konkurrenten (→ 4/74).
III. Organisationsformen staatlich-gesellschaftlicher Zusammenarbeit 53 Eigene Organisationsfragen stellen die vielfältigen Vorgänge staatlichgesellschaftlicher Zusammenarbeit (→ 3/118–122). Bei weitem nicht alle Arten dieser Kooperation führen allerdings zu institutioneller Verfestigung und werden dadurch zum Gegenstand des Organisationsrechts. Die meisten bewegen sich vielmehr in vertraglichen Formen. Nur wenige wie z.B. der Beliehene lassen 123 124
125 126 127
Ebenso Trute, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Grundgesetz, Art. 83 Rn. 18. Nur die Anerkennung besonderer bereichsspezifischer Sachstrukturen kann u.U. auch eine Grundlage dafür sein, für öffentliche Unternehmen Formen der Mitbestimmung vorzusehen, die in der übrigen Verwaltung unzulässig wären. Zur Verfassungswidrigkeit Ossenbühl, ZGR 1996, S. 504 ff. Ausführlich Gersdorf, Öffentliche Unternehmen, S. 408 ff. Anders Gersdorf, Öffentliche Unternehmen, S. 476 (500). So im Ergebnis auch Löwer, VVDStRL Bd. 60, S. 416 (443).
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Fünftes Kapitel: Die Verwaltung als Organisation
sich umstandslos als Teil der öffentlichen Verwaltung qualifizieren. Aber trotz dieser Eingrenzung bleibt ein Kernbestand von Rechtsproblemen, die die organisationstypischen Verhaltensweisen kooperativer Arrangements betreffen und Rückwirkungen auf die kooperierende Verwaltung haben, indem sie ihr bestimmte Organisationspflichten auferlegen128. Es handelt sich um einen Zwischen- oder Grenzbereich, bei dem besonders darauf zu achten ist, daß er nicht durch eine verengte Sichtweise versperrt wird. Daher ist es notwendig, unterschiedliche Referenzgebiete heranzuziehen, nicht nur das Umweltrecht, sondern auch das Sozialrecht129, nicht nur das Wirtschaftsrecht, sondern auch das Wissenschaftsrecht.
1. Formenvielfalt – keine pauschale „Re-Etatisierung“ 54 Die Probleme staatlich-gesellschaftlicher Kooperation werden heute vielfach im Zusammenhang mit der jüngeren Privatisierungsdiskussion behandelt. Richtig daran ist, daß die Privatisierung in ihren unterschiedlichen Varianten als Aufgaben-, Organisations-, Vermögens- und funktionale Privatisierung die Zahl der Kooperationsformen erhöht und zahlreiche Folgeprobleme deutlich gemacht hat130. Die Zusammenarbeit zwischen Verwaltung und Wirtschaft, Staat und Privaten ist jedoch eine sehr viel ältere, breitere und in den denkbaren Interessenkonstellationen vielfältigere Erscheinung131. 55 Gerade der letztere Punkt ist wichtig, um Perspektivenverzerrungen zu vermeiden: – Der Begriff der Privatisierung ist seinerseits zwar mehrdeutig132; in der verwaltungsrechtlichen Literatur ist er heute jedoch fest etabliert, so daß auch hier nicht auf seine Verwendung verzichtet werden kann. Er indiziert eine spezifische Situation des Rückzugs der Exekutive, der aus öffentlich-rechtlicher Sicht häufig eine verbleibende Auffangverantwortung zugewiesen wird. Das Regulierungsverwaltungsrecht ist dafür ein Beispiel (→ 3/49–54). Die der Privatisierung folgenden Typen staatlich-gesellschaftlicher Zusammenarbeit sind hier in einem hohen Maße öffentlich-rechtlich überformt.
128
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130 131 132
Vgl. nur die Typologien bei Trute, DVBl 1996, S. 950 ff.; Schmidt-Preuß, VVDStRL Bd. 56, S. 160 (bes. 185 ff.); Burgi, Funktionale Privatisierung, S. 100 ff.; Fehling, Verwaltung zwischen Unparteilichkeit und Gestaltungsaufgabe, S. 351 ff.; Heintzen, VVDStRL Bd. 62, S. 220 (239 ff.): Befugnis-, Organisations-, Verfahrens- und Aufgabenbeteiligung. Vgl. Zacher, Diskussionsbeitrag VVDStRL Bd. 62, S. 349: die „Einseitigkeit der Postprivatisierungsproblematik“ bekäme durch Beispiele aus dem Sozialrecht „ein starkes Gegengewicht“. Vgl. Bauer, VVDStRL Bd. 54, S. 243 (279): „Privatisierungsfolgenverantwortung“; Burgi, in: Erichsen/Ehlers, Verwaltungsrecht, § 54 Rn. 7 ff. Vgl. nur Brohm, Strukturen der Wirtschaftsverwaltung, S. 53 ff. Ausf. dazu Kämmerer, Privatisierung, S. 16 ff.
B. Grundfragen der allgemeinen organisationsrechtlichen Dogmatik
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– Formen staatlich-gesellschaftlicher Zusammenarbeit sind jedoch nicht notwendig Privatisierungsfolgen. Sie können auch umgekehrt das Ergebnis von Publifizierungstendenzen sein. Die z.B. im Produktrecht anzutreffenden Zertifizierungs- und Akkreditierungssysteme sind nicht alle aus einem Rückzug der klassischen Gewerbeaufsicht entstanden. Vielmehr werden neue Verwaltungsleistungen nachgefragt, eben die einer hinzutretenden Kontrollinstanz für Eigenkontrollen (→ 3/55–57). Folglich ist hier auch kein wie immer gearteter Verlust an Staatlichkeit dadurch auszugleichen, daß die üblichen Rechtsregeln für Verwaltungsaufgaben möglichst weit in den Kooperationsbereich hinein erstreckt werden. Es ist zu einseitig, Kooperation allein als Beteiligung Privater an administrativen Aufgaben zu definieren. Sie kann auch durch Beteiligung der Verwaltung an gesellschaftlichen Aufgaben entstehen. – Schließlich können sich Formen der Zusammenarbeit daraus entwickeln, daß ein zunächst nicht vermessenes Tätigkeitsfeld gemeinsam bearbeitet werden soll. Die Leistung der privaten Seite in diesen Fällen ganz aus der Sicht der Verwaltung zu deuten, wird dem Selbstverständnis der Beteiligten und der wirklichen Interessenlage nicht gerecht. Wenn die Sozialverwaltung z.B. mit Kirchen und freien Wohlfahrtsträgern Vereinbarungen nach § 93 BSHG trifft, werden keine Verwaltungsaufgaben übertragen oder Verwaltungshelfer herangezogen. Die Kooperationspartner handeln vielmehr aus einem eigenen Anlaß. 56 Das alles heißt nicht, daß sich für die Zusammenarbeit nicht bestimmte staatliche Regelungsbedürfnisse stellten. Aber es ist verfehlt, kooperative Formen so weit wie irgend möglich in das öffentliche Recht hineinziehen zu wollen. Die Regelungsbedürfnisse sind je nach der Situation, in der die Zusammenarbeit stattfindet, unterschiedlich (→ 3/116). Die Funktionslogik der Verwaltung ist hier nur die eine Seite. Ebenso anzuerkennen sind die Motive und Handlungsmuster der privaten Seite. Sie entwickeln sich regelmäßig in Ausübung grundrechtlicher Freiheiten und sind nicht deshalb zu beargwöhnen, weil sie ökonomische Interessen verfolgen. Das zu entwickelnde Schutzregime muß daher bald ganz vorrangig mit den Interessenwertungen der Privatrechtsordnung arbeiten, bald typisch öffentlich-rechtliche Instrumente heranziehen. Privatrecht und Öffentliches Recht wirken so gegenseitig als Auffangordnungen (→ 6/28–31). Drei Organisationsformen sollen hier vorgestellt werden:
2. Beleihung 57 Ein vertrautes Institut des Verwaltungsorganisationsrechts ist die Beleihung. Beliehene sind „Privatrechtssubjekte, die mit der hoheitlichen Wahrnehmung bestimmter Verwaltungsaufgaben betraut sind“133. Mit der herrschenden Lehre ist auf die Art der Aufgabenerfüllung abzustellen. Sie erfolgt mit den Standardinstrumenten imperativen Verwaltungshandelns durch den Erlaß von Verwaltungsakten. Nicht undenkbar ist aber auch eine Beleihung mit begrenzten Recht133
Burgi, in: Erichsen/Ehlers, Verwaltungsrecht, § 54 Rn. 24.
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Fünftes Kapitel: Die Verwaltung als Organisation
setzungsaufgaben (→ 6/94). In jedem Falle setzt die Beleihung nach der Lehre vom institutionellen Gesetzesvorbehalt eine gesetzliche Grundlage voraus, die Art und Umfang der Befugnisse festlegen muß (→ 5/27). Der Beliehene wird, unbeschadet seiner fortbestehenden Grundrechtsträgerschaft im Verhältnis zum beleihenden Staat, mit seinen Außenfunktionen Teil der öffentlichen Verwaltung. Er nimmt eine Behördenstellung ein und unterliegt den allgemeinen materiellen und prozeduralen Rechtmäßigkeitsanforderungen, die auch sonst für Verwaltungshandlungen gelten134. Seine Handlungsrationalität ist die der öffentlichen Verwaltung. Die von ihm wahrgenommenen Aufgaben bleiben in vollem Umfang Verwaltungsaufgaben. Beleihung ist kein Fall der Aufgabenprivatisierung oder der funktionalen Privatisierung. Diese klaren dogmatischen Konsequenzen sind ein Vorzug des Instituts. 58 Bei weitem nicht alle Organisationsprobleme des staatlich-gesellschaftlichen Kooperationsbereichs lassen sich jedoch mit dem Institut der Beleihung lösen135. Im Fachrecht finden sich Beleihungsregelungen zwar heute häufiger als früher136. Insgesamt bleibt das aber immer noch ein schmaler Ausschnitt aus dem breiten Kooperationsspektrum. Recht verstanden geht es in den meisten Fällen nicht darum, Private in vollem Umfang in die Verwaltung hineinzuziehen, sondern einen gemeinsamen Aktionsbereich zu bilden, in dem jeder der Beteiligten mit Beiträgen vertreten ist, die seinen Handlungskriterien entsprechen. Die Beleihung dagegen führt zu einer „Etatisierung“, die wegen ihrer „überschießenden Innentendenz“ gerade nicht die Zielperspektive der meisten Kooperationsformen ist. Das läßt sich z.B. an der Formenvielfalt zeigen, in der private Sachverständige für Verwaltungen tätig sind137. Nur ein kleiner Teil der einschlägigen Gesetzestatbestände läßt sich als Basis für eine Beleihung interpretieren. Weder die öffentliche Bestellung von Sachverständigen nach § 36 GewO noch die Akkreditierungen nach § 11 GPSG sind Beleihungen. Die Tätigkeit der meisten Normsetzungsorganisationen im technischen Sicherheitsrecht stellt sich schon mangels gesetzlicher Grundlage nicht als Beleihung dar (→ 6/93).
3. Intermediäre Organisationen 59 Als intermediäre Organisationen werden hier Organisationen behandelt, die unbeschadet einer staatlichen Beteiligung dem gesellschaftlichen Bereich zuzurechnen sind. Die Abgrenzung zur Verwaltungsorganisation, insbesondere 134 135 136
137
Vgl. Stelkens/Schmitz, in: Stelkens/Bonk/Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz, § 1 Rn. 231 ff. Überlegungen dazu bei Di Fabio, VVDStRL Bd. 56, S. 235 (271 f.); dagegen SchmidtPreuß, dort S. 160 (167 Fn. 18). § 44 Abs. 3 BHO: Verwaltungsaufgaben bei der Vergabe von Zuwendungen; § 33 PostG: Zustellung von Schriftstücken; § 17 Abs. 3–5 KrWAbfG: Übertragung von Entsorgungsaufgaben auf Verbände; § 29 Abs. 1 S. 3 LuftVG: Fluggastkontrolle. Dazu die Typologie von Seidel, Privater Sachverstand und staatliche Garantenstellung, S. 195 ff.
B. Grundfragen der allgemeinen organisationsrechtlichen Dogmatik
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zur funktionalen Selbstverwaltung, kann im Einzelfall schwierig sein. Eindeutig ist sie für die Rechtsformen des öffentlichen Rechts; hier hat die Form systematischen Zuweisungsgehalt138: Öffentlich-rechtlich verfaßte Organisationen gehören zur öffentlichen Verwaltung und unterliegen damit den Legitimationsgeboten und der Bindung an das Gesetz. Einrichtungen in Privatrechtsform, an denen Staat und Gesellschaft beteiligt sind, werden dagegen selbst durch einen bedeutenden Staatseinfluß oder durch ihre Abhängigkeit von öffentlichen Haushaltsmitteln noch nicht notwendig zu Teilen der Verwaltungsorganisation. Auch eine vertragliche Anerkennung genügt nicht. Organisationen der technischen Normung oder private Rechnungslegungsgremien gehören danach nicht zur öffentlichen Verwaltung139. Eher können der Gründungsvorgang oder die Bestimmungsbefugnis über die Gremienzusammensetzung Indizien einer solchen Zuordnung sein. Ist eine Einrichtung geschaffen, um Grundrechtsinteressen eine zusätzliche organisatorische Absicherung zu bieten, so spricht das gegen eine pluralistische Verwaltungseinheit und für eine intermediäre Einrichtung. Das gilt z.B. für Trägerorganisationen der Wissenschaft wie die Max-Planck-Gesellschaft und die Deutsche Forschungsgemeinschaft140. 60 Zählen intermediäre Einrichtungen nicht zur Verwaltung, so ist auch ihre verselbständigte Stellung in der Systematik des Organisationsrechts kein Thema einer wie immer gearteten Einheit der Verwaltung und ihrer Legitimation. Wohl aber ist hier von einer überwirkenden Legitimationsverantwortung des Staates auszugehen (→ 2/100–101), der sich mit diesen Einrichtungen in besonderer Weise identifiziert, weil er in ihren Gremien vertreten und an ihrer Willensbildung beteiligt ist. Diese staatliche Verantwortung zielt darauf, intermediäre Einrichtungen auf eine interessenadäquate Organisations- und Entscheidungsstruktur zu verpflichten, die der wichtigen Rolle dieser Einrichtungen als Ausdruck „kooperativen“ Handelns entspricht141. Zwei Punkte sind wichtig:
138
139 140 141
Eine Ausnahme bilden aus verfassungsrechtlichen Gründen nur die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten. Für die Landesmedienanstalten bleibt es dagegen bei der Regelzuweisung, die freilich eine der Staatsferne entsprechende Variante des Legitimationskonzepts nicht ausschließt; stärker noch i.S. einer Zwischenform „gesellschaftlicher Mitverwaltung“ U. Bumke, Die öffentliche Aufgabe der Landesmedienanstalten, bes. S. 193 ff. Für einzelne Tätigkeiten solcher Einrichtungen kann aber, sofern das Gesetz das anordnet, ein Fall der Beleihung vorliegen. Trute, Forschung, S. 521 ff. und 677 f.; anders für die DFG Classen, Wissenschaftsfreiheit, S. 139 ff. Grundlegend Trute, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann, Öffentliches Recht und Privatrecht, S. 167 (197 ff.); ders., in: Schmidt-Aßmann/Hoffmann-Riem, Verwaltungsorganisationsrecht, S. 249 (bes. S. 288 ff.). Der Gedanke findet sich ähnlich bei Burgi, Funktionale Privatisierung, S. 378 ff.: „Strukturverschaffungspflicht“, ist dort aber in seinen Konsequenzen weniger strikt gefaßt, weil die idR nicht organisatorisch verfestigten, sondern prozeduralen Arrangements der funktionalen Privatisierung auch Fälle einer nur lockeren Kooperation erfassen. Die Besonderheit intermediärer Einrichtungen ist die Intensität der Zusammenarbeit.
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Fünftes Kapitel: Die Verwaltung als Organisation
61 Gebot adäquater Interessenberücksichtigung: Die einzelnen Folgerungen dieses Gebotes müssen eigenständig entwickelt werden, können aber Anregungen aus dem öffentlichen Organisationsrecht aufnehmen. So gilt für Gremien gemeinsamer Grundrechtssicherung im öffentlichen Recht, daß sie die in den beteiligten Kreisen vertretenen Auffassungen möglichst vollständig zu erfassen geeignet sein müssen142. Dieser Gedanke ist für intermediäre Einrichtungen zu übernehmen. Ausdrücklich findet er sich in den Vorschriften zur Technischen Normung, die für die Arbeitsausschüsse des DIN einen Grundsatz der angemessenen Vertretung interessierter Kreise festlegen143. Gegebenenfalls muß die Verwaltung darauf hinwirken, daß z.B. im Wege öffentlicher Ausschreibung vorab ein Interessenbekundungsverfahren die erforderliche Transparenz schafft. 62 Distanz- und Neutralitätsschutz: Intermediäre Einrichtungen müssen außerdem Mindeststandards neutralen Verhaltens gewährleisten. Die rechtlichen Vorkehrungen lassen sich teilweise schon dem allgemeinen Privatrecht, z.B. dem Verbot des Selbstkontrahierens, und teilweise dem Sonderprivatrecht, z.B. dem Schenkungsverbot des § 14 HeimG, entnehmen. Ferner ist auf die distanzschützenden Regeln des öffentlichen Rechts über Befangenheit und Inkompatibilität zurückzugreifen. Das wird heute z.B. für Fälle diskutiert, in denen Private bei der Planung und Ausführung von Infrastrukturvorhaben Ordnungsfunktionen übernehmen144. Das Gebot des nemo iudex in causa sua kann heute als eine den gesamten Bereich institutionell verfestigter Kooperation durchziehende Maxime betrachtet werden (→ 6/165–166).
4. Gemischt-wirtschaftliche Unternehmen 63 Nicht zum Organisationsbereich der öffentlichen Verwaltung gehören staatlich-private Gemeinschaftsunternehmen. Auf wirtschaftlichem Felde handelnd und auf die Funktionsbedingungen des Marktes ausgerichtet, müssen sie vor allem die unterschiedlichen Ziele der Kooperationspartner organisationsintern verarbeiten. Systematisch gehören gemischt-wirtschaftliche Unternehmen zum gesellschaftlich-administrativen Kooperationsbereich (→ 5/53). Die Literatur versucht demgegenüber teilweise eine Zuordnung nach Maßgabe des beherrschenden Einflusses. Soweit die Verwaltung einen solchen Einfluß besitzt, sollen die für öffentliche Unternehmen beachtlichen Maßstäbe gelten145. Das wird der kooperativen Zwecksetzung der Gemeinschaftsunternehmen jedoch nicht gerecht. Hinzu kommt, daß die Beteiligungsverhältnisse oft nicht auf Dauer angelegt sind, weil sich das Unternehmen als Ergebnis einer Teilprivatisierung auf 142 143
144 145
BVerfGE 83, 130 (153). So die DIN 820 über die Grundsätze der Normungsarbeit in Teil 1 Ziff. 3.3; dazu LübbeWolff, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann, Konfliktbewältigung durch Verhandlungen, Bd. 2, S. 87 (100 f.). Vgl. Wahl, DVBl 1993, S. 517 ff.; Hoppe, DVBl 1994, S. 255 (261). Vgl. Krebs, in: Schmidt-Aßmann/Hoffmann-Riem, Verwaltungsorganisationsrecht, S. 339 ff.
B. Grundfragen der allgemeinen organisationsrechtlichen Dogmatik
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dem Weg zur Vollprivatisierung befindet. Von den Fällen einer privaten Bagatellbeteiligung abgesehen sind gemischt-wirtschaftliche Unternehmen Grundrechtsberechtigte im Sinne des Art. 19 Abs. 3 GG und unterfallen als solche nicht dem Legitimationsgebot146. Die Pflichten der staatlichen Seite aus der staatlichen Legitimationsverantwortung (→ 2/100–101) sind hier vielmehr allein mit den Mitteln des Gesellschaftsrechts zu erfüllen. Sofern keine Sondervorschriften existieren, genießt die Verwaltung keine Privilegien, die ihr die Durchsetzung von ihr definierter öffentlicher Interessen erleichtern könnten. Gegenüber dem Grundrechtsschutz, den die privaten Mitgesellschafter für sich in Anspruch nehmen dürfen, erscheint sie sogar in der schwächeren Position. Inwieweit der einfachrechtliche Grundsatz der Gesellschaftergleichheit ihr wenigstens einen Gleichstand verschafft, ist offen. Ein Vorrang des Verwaltungsinteresses ist in der Gesellschaftsform keinesfalls angelegt. Vorrangig geht es um den Schutz und die Entwicklungsfähigkeit der Kooperation selbst. Interessengegensätze sind auf der Basis des satzungsmäßigen Gesellschaftszweckes zu lösen. Soweit nichts anderes bestimmt ist, ist die Gewinnerzielung nicht abbedungen. Für die Gesellschaftsgremien stehen die Gesellschaftsinteressen, nicht besondere administrative Interessen im Vordergrund147. Eine Verfassungspflicht der Verwaltung, sich an gemischt-wirtschaftlichen Unternehmen nur dann zu beteiligen, wenn ihr ein beherrschender Einfluß eingeräumt ist, existiert nicht148.
146 147 148
Streitig; wie hier Ehlers, in: Erichsen/Ehlers, Verwaltungsrecht, § 2 Rn. 85. Dazu Habersack, ZGR 1996, S. 544 ff. Ebenso Heintzen, VVDStRL Bd. 62, S. 220 (247); anders u.U. nach einfachem Recht.
Sechstes Kapitel
Das Handlungssystem der Verwaltung: Formen, Verfahren, Rechtsverhältnisse, Maßstäbe 1 Öffentliche Verwaltung lebt in ihren Handlungen, die ein Feld größter Vielfalt bilden1: Rechtsakte und Realakte, Planungen und planakzessorische Instrumente, Vorklärungen und Durchsetzungsmaßnahmen, Informationserhebung und Verlautbarung, Auskünfte, Abreden und Entscheidungen, rechtsförmliche und schlichte Verwaltungshandlungen. Wir nennen diese Vielfalt die administrative Handlungspraxis. Zu ihr gehört alles, was der Verwaltung zurechenbar ist. Das sind nicht nur die von ihr einseitig getroffenen Entscheidungen, sondern auch das kooperative und konsensuale Handeln und die administrative Beteiligung an Aktivitäten Dritter. Aufgabe des Verwaltungsrechts ist es, die Handlungspraxis als Handlungssystem zu erfassen und rechtlich zu strukturieren (1. Abschnitt). Gesondert zu untersuchen sind neuere Entwicklungen der Rechtsformenlehre (2. Abschnitt) und des Verwaltungsverfahrensrechts (3. Abschnitt).
1
Vgl. Wolff/Bachof/Stober, Verwaltungsrecht, Bd. 2, § 44; Raschauer, Verwaltungsrecht, Rn. 710 ff.; aus verwaltungswissenschaftlicher Sicht B. Becker, Öffentliche Verwaltung, S. 413 ff. Zur Entwicklung Henneke, DÖV 1997, S. 768 ff.
278
Sechstes Kapitel: Das Handlungssystem der Verwaltung
1. Abschnitt: Handlungspraxis und Handlungssystem 2 Grundlage des Handlungssystems muß eine öffentliche Informationsordnung sein (A). Wichtige Orientierungen geben sodann die Teilrechtsordnungen des öffentlichen und des privaten Rechts, die beide von der Verwaltung genutzt werden und insofern beide in den systematischen Rahmen des Verwaltungsrechts gehören (B). Rechtsformen-, Rechtsverhältnis-, Verfahrens- und Maßstablehre entfalten in ihren Ordnungsmustern die einzelnen Bauformen des Handlungssystems, das – dem Doppelauftrag des Verwaltungsrechts entsprechend (→ 1/30–32) – die Verwaltung zu ihren Handlungen befähigen und in ihren Handlungen begrenzen muß (C).
A. Die Grundlage: eine öffentliche Informationsordnung 3 Alles Handeln setzt die Gewinnung von Informationen voraus. Das gilt für das Handeln der Verwaltung und für das Handeln des Individuums gleichermaßen. Der Umgang mit Informationen in der Verwaltung und im Kontakt mit der Verwaltung besitzt eine Tiefendimension, mit der das heutige Verwaltungsrecht über das ältere, ergebnisorientierte Entscheidungsdenken hinausgreift. Informationen sind Wirtschaftsfaktoren und Wissensgüter. Sie erweitern Handlungsmöglichkeiten und Freiheitsbereiche; aber sie führen auch neue Gefährdungen herauf. Freilich lassen sie sich nicht als geschlossene Bestände verwalten, sondern müssen immer wieder neu generiert werden2. Die „Informationsgesellschaft“ – hier als heuristischer Begriff genutzt3 – kann ohne ein systematisch entwickeltes Informationsrecht nicht auskommen, das die Verfügungsrechte an Informationen und die Ansprüche auf Informationen ebenso regelt wie den Geheimnisschutz und die Haftungsfragen4. Die Bedeutung von Information, von Kommunikation und Wissen als Grundlagen für andere Instrumente und als eigenständige Steuerungsansätze ist in allen Referenzgebieten des besonderen Verwaltungsrechts hervorgetreten (→ 3/58-61). Neue Informationstechniken der Verwaltung, die Vielzahl der verfügbaren Informationen und ihre Vernetzung haben zu einem Wandel vertrauter Verhaltensmuster und Entscheidungsstrukturen geführt5. 2
3
4 5
Ladeur, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann, Verwaltungsrecht in der Informationsgesellschaft, S. 225 (229): „Von der Voraussetzung stabiler Wissensbestände zur Notwendigkeit ihrer kooperativen Erzeugung“. Hoffmann-Riem, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann, Verwaltungsrecht in der Informationsgesellschaft, S. 9 (10 ff.): Der Begriff bündelt Entwicklungen, die in einer „gewaltigen Zunahme der Informationsproduktion, -verteilung und -vernetzung“ liegen. Dazu Sieber, NJW 1989, S. 2569 ff.; Kloepfer, Informationsrecht, pass.; Vesting, in: FS 50 Jahre Bundesverfassungsgericht, Bd. 2, S. 219 ff. Reinermann, DV 1995, S. 1 ff. sowie die Beiträge in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann, Verwaltungsrecht in der Informationsgesellschaft.
1. Abschnitt: Handlungspraxis und Handlungssystem
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I. Die systembildende Bedeutung der Information 4 Diese Entwicklung wird oft allein von ihren bedrohlichen Seiten her betrachtet: Waren es in der Frühphase der Verwaltungsautomation eher die Gefahren der Schematisierung und eines Verlustes an Einzelfallgerechtigkeit6, so lassen heute die integrierten Informations- und Kommunikationstechniken Verschiebungen in der überkommenen Machtverteilung und eine Einbuße an grundrechtlich gebotener Staatsdistanz befürchten. So wichtig alle diese Gesichtspunkte sind, so griffe es doch zu kurz, ein Informationsrecht allein als Abwehrrecht zu konzipieren. In den Blick zu nehmen sind vielmehr auch die positiven Effekte der neuen Informationstechniken und die mit ihnen eröffneten Möglichkeiten einer direkteren, schnelleren und umfassenderen Vergewisserung über Vorgänge und Zustände. Der Gewinn an Effektivität und Innovationsfähigkeit der Verwaltung darf nicht außer Ansatz bleiben7. Es geht – negativ wie positiv – um Herausforderungen, denen sich Verwaltung und Verwaltungsrecht in der Informationsgesellschaft gegenübersehen8. 5 Das Verwaltungsrecht kann an der zentralen Rolle des „Vorsorgefaktors Information“9 nicht vorbeigehen. Es muß, wie Rainer Pitschas gezeigt hat10, in einem Informationsverwaltungsrecht das Modell einer öffentlichen Informationsordnung entwickeln und dieses in seine allgemeinen Lehren so integrieren, daß die anderen Teile darauf aufbauen können. „Das Verwaltungsrecht der Zukunft“, so kann man mit Thomas Vesting sagen, „hat ein Informationsverwaltungsrecht zu sein“11. Hier wie auch sonst hat das Verwaltungsrecht Disziplinierung und Effektuierung des administrativen Handelns zu gewährleisten (→ 1/30–32). Nicht ein Datenschutzrecht allein ist also gemeint, sondern ein umfassendes rechtliches Informationskonzept, das ebenso auch Informationszugangsrechte kennt und die staatliche Kommunikationsverantwortung geordnet zu erfüllen ermöglicht12. Die Erfahrungen und Regelungsmuster des Medien- und Telekommunikationsrechts sind hierin ebenso einzubeziehen wie die des Wissenschaftsrechts13. 6 Für die verwaltungsrechtliche Systembildung insgesamt ist eine Informationsordnung in zweifacher Hinsicht bedeutsam: 6 7
8 9 10 11 12 13
Umfassend dazu Lazaratos, Auswirkungen der Verwaltungsautomation; Polomski, Automatisierter Verwaltungsakt. Reinermann, DV 1995, S. 1 ff. Lenk, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann, Verwaltungsrecht in der Informationsgesellschaft, S. 59 ff. und Roßnagel, dort S. 257 ff.; speziell zum Einsatz des Internets Groß, DÖV 2001, S. 159 ff. Dazu Eberle, DV 1987, S. 459 ff. So Hufen, VVDStRL Bd. 47, S. 142 (165). Speziell zur Verwaltungsinformatik auch Czerwick, DV 1991, S. 47 ff.; ders., VerwArch 1992, S. 436 ff. In: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Schuppert, Reform des Allgemeinen Verwaltungsrechts, S. 219 (bes. 241 f., 279 ff.). In: Schmidt-Aßmann/Hoffmann-Riem, Methoden der Verwaltungsrechtswissenschaft, S. 253 (284); ähnlich Albers, Rechtstheorie 2002, S. 61 ff. Vgl. Kloepfer, DÖV 2003, S. 221 ff. Dazu grundlegend Schoch und Trute, VVDStRL Bd. 57, S. 158 ff. und 216 ff.
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Sechstes Kapitel: Das Handlungssystem der Verwaltung
– Zum einen sind Information, Kommunikation und Wissen Elemente, Vorgänge und Ziele, die den grundlegenden Dogmen vorgelagert sind und folglich schon bei der Bestimmung des Bürger-Staat-Verhältnisses und bei der Festlegung des organisatorischen Rahmens beachtet werden müssen. Nicht erst die in einem späten Verfahrensstadium getroffenen Entscheidungen der Exekutive, sondern die Vorgänge der Informationsgewinnung und -verwendung bilden dann den Bezugspunkt der Systematik. – Zum anderen geht es um die Verarbeitung der spezifischen Schutz- und Bewirkungsanforderungen, die mit den neuen Informationstechniken verbunden sind. Diese können jeweils an den sachnächsten Stellen der Systematik, z.B. im Verfahrens- oder Entschädigungsrecht, eingearbeitet werden14. Betrachtet man das Informationsverwaltungsrecht seinerseits als Einheit, so lassen sich mindestens vier Regelungssektoren erkennen15: das die Informationsbeziehungen zwischen Staat und Bürger betreffende Verwaltungskommunikationsrecht, das die administrative Binnenstruktur betreffende informationelle Verwaltungsorganisationsrecht, das Regulierungsrecht für den privaten Informationssektor und ein alle drei anderen Sektoren durchziehendes Datenverkehrsrecht.
II. Informationsverwaltungsrecht 7 Das Informationsverwaltungsrecht selbst umfaßt individualrechtliche und institutionelle Schichten16. Bei seiner Ausbildung sind wichtige Entwicklungsanstöße des europäischen Rechts zu beachten. Bereits der EG-Vertrag widmet dem Informationsrecht Aufmerksamkeit17: Für das Eigenverwaltungsrecht der EGOrgane sind das die Vorschriften über den Datenzugang (Art. 255), die Datenqualität bei Gemeinschaftsstatistiken (Art. 285) und den Datenschutz (Art. 286). Das Sekundärrecht trifft Regelungen zum Datenschutz, zum Zugang zu Umweltinformationen und zur Liberalisierung des Datenverkehrs in den verschiedenen Politiken der Gemeinschaft. Der europäische Verwaltungsverbund selbst ist zuallererst ein Informationsverbund. Zutreffend herausgestellt wird dabei die Aufgabe der beteiligten Verwaltungen, die Verläßlichkeit der Daten und die Qualität von Informationen sicherzustellen. 14
15 16
17
Zu den Reaktionen des Verwaltungsverfahrensrechts auf die informationelle und technische Vernetzung der Verwaltung Britz, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann, Verwaltungsverfahren und Verwaltungsverfahrensgesetz, S. 213 ff; Schliesky, NVwZ 2003, S. 1322 ff. Voßkuhle, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann, Verwaltungsrecht in der Informationsgesellschaft, S. 349 (355 ff.). Zu den Strukturen einer öffentlichen Informationsordnung vor allem Pitschas, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Schuppert, Reform des Verwaltungsrechts, S. 219 (279 ff.) mit der Unterscheidung von Individualkommunikation und Publikumsinformation. Kloepfer, Informationsrecht, § 2 Rn. 10 ff.
1. Abschnitt: Handlungspraxis und Handlungssystem
281
1. Individualrechtliche Schicht 8 Die Eckpunkte der individualrechtlichen Schicht des Informationsverwaltungsrechts – die informatorische Rechtsstellung des Bürgers18 – sind bereits herausgearbeitet worden: Das Bundesverwaltungsgericht hat, beginnend mit der „Transparenzlisten“-Entscheidung, die Bedeutung des informierenden Verwaltungshandelns als Steuerungsressource aufgezeigt und versucht, die davon ausgehenden Gefährdungen individueller Freiheit durch eine Erstreckung der klassischen Schutzmechanismen des Eingriffsverwaltungsrechts zu zügeln (→ 2/50–51). Von einem strukturell vergleichbaren Ansatz aus will die Datenschutzrechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts das informationsgewinnende und -verarbeitende Verwaltungshandeln rechtsstaatlich disziplinieren. Die Gesetzgebung ist dem – zunächst für den Bereich des Datenschutzes, mehr und mehr aber auch für gezielte administrative Publikumsinformationen19 – gefolgt. Für die Eingriffswirkungen informierender Verwaltungstätigkeit zeichnen sich so Konturen eines allgemeinen Informationsverwaltungsrechts ab. Seine Grundlagen bilden das Konzept der normativen Zweckbegrenzung und das Konzept des Systemdatenschutzes20. Seine Bauformen sind Gesetzesvorbehalte, Transparenzgebote, Verfahrenssicherungen, Organisationsvorkehrungen, Löschungsansprüche, spezifizierte Verwertungsverbote und Kontrollmechanismen, die u.U. mit eigenen Klagerechten auszustatten sind21. Ferner kann es auf das Sanktionensystem des Haftungsrechts zurückgreifen. Mit der Richtlinie 95/46/EG, der Datenschutzrichtlinie, haben die Gestaltungselemente dieses Rechts eine europaweit einheitliche Fassung erhalten22. Im Fachrecht des Bundes und der Länder herrscht trotzdem eine Unsicherheit über das Zusammenspiel von allgemeinem Datenschutzrecht und einer Vielzahl von speziellen Regelungen im Polizei-, Melde-, Gewerbe- oder Sozialrecht. Auch das Verhältnis zum Recht des Geheimnisschutzes ist nicht in allen Punkten eindeutig23. 9 Das Informationsverwaltungsrecht besitzt aber auch eine Teilhabedimension24. Die individuellen Auskunfts- und Akteneinsichtsrechte des allgemeinen Verwaltungsverfahrensrechts (§§ 25, 28–30 VwVfG) repräsentieren nur einen
18 19 20
21 22 23 24
Kugelmann, Informatorische Rechtsstellung, S. 3, unter zutr. Betonung der abwehr- und leistungsrechtlichen Komponenten; Pohl, Informationsbeschaffung, S. 146 ff. Z.B. § 8 Abs. 4 UAbs. 2 GPSG, § 78 AMG. Zum Konzept der normativen Zweckbegrenzung v. Zezschwitz, in: Roßnagel, Handbuch Datenschutzrecht, Abschnitt 3.1; zum Konzept des Systemdatenschutzes Dix, aaO. Abschnitt 3.2. Vgl. Kloepfer, Informationsrecht, § 8 Rn. 121 ff. Dazu Simitis, NJW 1997, S. 281 ff.; Brühann, in: Roßnagel, Handbuch Datenschutzrecht, Abschnitt 2.4. Vgl. Kloepfer, Informationsrecht, § 9 Rn. 4 f.: „zwei sich schneidende Kreise“. Dazu systematisch Kugelmann, Informatorische Rechtsstellung, bes. S. 159 ff. (Regelungsmodelle) und S. 281 ff. (subjektive Rechte); Trantas, Akteneinsicht und Geheimhaltung (Rechtsvergleich zu Deutschland und Frankreich).
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Sechstes Kapitel: Das Handlungssystem der Verwaltung
Ausschnitt dieser Thematik25. Weiter hierher zu rechnen sind die Informationsangebote der öffentlichen Berichte, Bücher und Register. Das Verwaltungsrecht kannte darüber hinaus seit langem Formen der Öffentlichkeitsinformation, vor allem bei raumbezogenen Verwaltungsentscheidungen. Die Vorgaben des EGRechts haben diese Tatbestände wesentlich erweitert. Die Richtlinie 90/313/EWG hat die Mitgliedstaaten veranlaßt, für Umweltinformationen der Verwaltung ein verfahrensunabhängiges Zugangsrecht vorzusehen (→ 6/146). Einige Bundesländer haben in jüngerer Zeit ein allgemeines Zugangsrecht zu Behördenakten geschaffen. Aufgenommen wird diese Entwicklung von dem 2002 vorgelegten „Entwurf eines Informationsfreiheitsgesetzes“26. Der Entwurf beobachtet zutreffend einen Bewußtseinswandel in der Frage des freien Informationszugangs und schlägt daher die Einführung eines allgemeinen Zugangsrechts vor, das gegenüber öffentlichen Stellen des Bundes und der Länder bestehen soll (§ 2) und isoliert durchgesetzt werden kann. Das Informationsteilhaberecht nutzt als Bauelemente objektive Pflichtentatbestände und subjektive Teilhaberechte einschließlich bestimmter Nebenrechte und Nebenpflichten. So soll als Nebenpflicht die Pflicht der Behörden begründet werden, Informationsverzeichnisse zu führen (§ 15). Ausführlich widmet sich der Entwurf aber auch den Problemen des Daten- und des Geheimnisschutzes sowie der Abstimmung des Zugangsrechts mit dem Schutz der staatlichen Rechtsdurchsetzung und des behördlichen Entscheidungsprozesses (§§ 5–8). Er unterstreicht damit die Notwendigkeit, das Informationsverwaltungsrecht systematisch zu entfalten. Der Umgang der Exekutive mit den ihr verfügbaren Informationen ist ein Zentralthema demokratisch-rechtsstaatlicher Verwaltungskultur. Falsche Frontstellungen sind zu vermeiden. Das Rechtsstaats- und das Demokratiegebot lassen sich weder für strikte Geheimhaltung noch für strikte Publizität vereinnahmen (→ 2/115). Ebensowenig sind Datenschutz und Informationszugang notwendige Gegensätze; beide können vielmehr „gleichberechtigt als Funktionsbedingungen der freiheitlichen Demokratie mit einer fairen Informationsverteilung zwischen Staat und Bürger“ begriffen werden27. Auf der Grundlage des Entwurfs lassen sich folgende Eckpunkte formulieren: – Vorrang eines spezifizierten Bestandes öffentlicher und privater Geheimhaltungsinteressen. – Allgemeiner Informationsfreiheitsanspruch bei fehlendem Vorrang besonderer Gegengründe.
25 26 27
Vgl. Kluth, in: Wolff/Bachof/Stober, Verwaltungsrecht, Bd. 2, § 60 Rn. 90 ff.; Trantas, Akteneinsicht und Geheimhaltung, S. 440 ff. Schoch/Kloepfer, Informationsfreiheitsgesetz (IFG-ProfE). Schoch/Kloepfer, Informationsfreiheitsgesetz, S. 38; ausf. Kloepfer, DÖV 2003, S. 221 (225 f.).
1. Abschnitt: Handlungspraxis und Handlungssystem
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– Konkreter Ausgleich nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeitsprinzips, soweit Teillösungen möglich sind, z.B. „beschränktes Informationszugangsrecht“ im Sinne des § 9 IFG-ProfE. – Behördliche Abwägungsbefugnis als rechtsgebundene Entscheidung. Das Konzept behandelt die unterschiedlichen Belange nicht als fest fixierte gegensätzliche Positionen, sondern will die Spannungen konkret und gestuft im Sinne eines „Regelungsgefälles“ lösen28.
2. Institutionelle Schichten 10 Die Aufgaben eines Informationsverwaltungsrechts gehen über die aufgezeigten eingriffs- und teilhaberechtlichen Perspektiven jedoch noch erheblich hinaus29. Die subjektiv-rechtlich konstruierten neuen Rechtsregeln und Rechtsinstitute bedürfen objektiv-rechtlicher Absicherung. – In den Blick zu nehmen sind auch die allgemeinen Änderungen, die die zunehmenden Informationsbedürfnisse und Informationstätigkeiten in die Kommunikationsbeziehungen zwischen Bürger und Verwaltung und zwischen Verwaltungseinheiten untereinander hineintragen30: Neue Informationstechniken ändern nicht nur einzelne Tatbestände des Verwaltungsverfahrensrechts. Sie ändern auch den Stil und das Selbstverständnis der Verwaltung. Informationstechnische Vernetzungen schaffen neue Erledigungsformen und bilden die verwaltungsinternen Hierarchien um. Die eingesetzten Programme, die die Verfahrensabläufe automatisch steuern, bilden eine Zwischenebene, deren Voraussetzungen und Eigengesetzlichkeiten schwer zu durchschauen sind. Zutreffend werden der Verwaltung deshalb Dokumentationspflichten auferlegt31. Überhaupt führt das gesteigerte Maß verfügbarer Informationen keineswegs notwendig zu gleichmäßigen Zugewinnen an Freiheit. Es schafft vielmehr neue Asymmetrien, die nach einer staatlichen Informationsverantwortung fragen lassen. Die Neutralitätspflicht der Verwaltung hat sich künftig auch auf die Auswahl der verfügbar gemachten Informationen und auf den Schutz vor Manipulation zu beziehen. – Weitere Themen dieser institutionellen Schicht des Informationsverwaltungsrechts sind der Umgang mit unsicheren Informationen und die Gewährleistung von Datenqualität. Dieser Punkt ist in den Diskussionen bisher im Hintergrund geblieben. Er ist aber nicht nur praktisch, sondern auch rechtlich wichtig. Wissensmanagement verlangt nach adäquaten Verfahren. Verfahren verlangen nach rechtlich geordneten Grundmustern, in denen Kommunikation 28 29 30 31
Begriff und staatstheoretische Typologie modaler und materialer Geheimhaltungsgründe bei Jestaedt, AöR 2001, S. 204 (220 ff.). Zum folgenden Pitschas, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Schuppert, Reform des Verwaltungsrechts, S. 219 (bes. 295 ff.). Britz, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann, Verwaltungsverfahren und Verwaltungsverfahrensgesetz, S. 213 ff. Britz, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann, Verwaltungsverfahren und Verwaltungsverfahrensgesetz, S. 213 (268).
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Sechstes Kapitel: Das Handlungssystem der Verwaltung
öffentlich wird. Das Informationsverwaltungsrecht ist zu einem erheblichen Teil prozedurales Recht, d.h. ein Recht der Auditverfahren und der Risikoverfahren (→ 6/163)32. 11 Eine staatliche Informationsverantwortung muß sich freilich eher in der Rahmensetzung für eine freie Kommunikation und in der Organisation von Ausgleichsmechanismen als in klassischen Steuerungsinstrumenten bewähren. Es geht um nicht weniger als um die rechtliche Strukturierung einer neuen Wissensordnung und um die adäquate Bestimmung der zu ihrer eigengesetzlichen Konstitution erforderlichen administrativen Beiträge. Spätestens an dieser Stelle wird freilich auch deutlich, wie sehr ein Informationsverwaltungsrecht die informationsbedingten Änderungen der Strukturen und Ausdrucksformen des Rechts selbst einbeziehen muß. Das Informationsverwaltungsrecht zu einem neuen Grundlagenteil des Verwaltungsrechts zu machen, zielt folglich nicht auf eine schlichte Ergänzung als vielmehr auf immanente Umformung und veränderte Zuordnung der überkommenen Systemteile. Die Sicherung des Zugangs zur Informationsinfrastruktur, die staatliche Informationsvorsorge, der Schutz gegenüber unkontrollierter Steuerung durch Information, der Ausbau von Mechanismen der Selbstregulierung und der Schutz durch Systemgestaltung sind seine wichtigsten Richtpunkte und Rahmenbedingungen33.
B. Öffentliches Recht und privates Recht 12 Als umfassendes Recht der Verwaltung wird das Verwaltungsrecht in seinen Kernzonen vom spezifischen Amtsrecht gebildet, das die Verwaltung als Hoheitsträger verfaßt und mit besonderen Befugnissen ausstattet. Daneben aber existieren große und wichtige Bereiche, in denen das Privatrecht und das öffentliche Recht gemeinsam den Ordnungsrahmen des administrativen Handelns bilden34. Eine seit langem vertraute Erscheinung ist die privatrechtsförmige Verwaltung (→ 6/21–27). Die Interessen der verwaltungsrechtlichen Systematik greifen jedoch über diesen Bereich noch erheblich hinaus und erfassen auch jene Verflechtungen, in denen hinter den beteiligten Rechtsregimen des öffentlichen und des privaten Rechts unterschiedliche reale Kräfte stehen (→ 6/28–30).
32 33 34
Voßkuhle, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann, Verwaltungsverfahren und Verwaltungsverfahrensgesetz, S. 277 (320 ff. und 332 ff.). Dazu Trute, VVDStRL Bd. 57, S. 216 (257 ff.); grundlegend zum Grundrechtsvoraussetzungsschutz in diesem Zusammenhang Schoch, VVDStRL Bd. 57, S. 158 (186 ff.). Zu solchen Verflechtungen schon Fleiner, Institutionen, S. 59 f.; Wolff/Bachof/Stober, Verwaltungsrecht, Bd. 1, § 22 Rn. 1; Ehlers, in: Erichsen/Ehlers, Verwaltungsrecht, § 2 Rn. 10 ff. sowie die Beiträge in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann, Öffentliches Recht und Privatrecht, pass.; europäische Theorieansätze einbeziehend Napolitano, Pubblico e Privato nel Diritto Amministrativo, bes. 52 ff.
1. Abschnitt: Handlungspraxis und Handlungssystem
285
I. Der Dualismus der Teilrechtsordnungen 13 Der Dualismus von öffentlichem und privatem Recht ist an wichtigen Stellen des positiven Rechts festgelegt und der verwaltungsrechtlichen Dogmatik als solcher vorgegeben35: Das gilt für das deutsche Recht ebenso wie für die anderen Rechtsordnungen des kontinental-europäischen Rechtskreises. Auch dem Eigenverwaltungsrecht der EG liegt, wie Art. 238 EG zeigt, diese Trennung zugrunde. Die Unterscheidung der Rechtsregime nimmt die Trennung von Freiheit und Kompetenz auf (→ 1/22–26). Sie soll dazu beitragen, „die im Grundsatz verschiedenen Handlungsprinzipien“ der Privatpersonen einerseits und der öffentlichen Verwaltung andererseits klarer zu erfassen und ihren Einsatz in den Bereichen staatlich-gesellschaftlicher Kooperation gezielter zu steuern36.
1. Privatrecht 14 Das Schlüsselthema des Privatrechts sind die freien, keinem Begründungszwang unterliegenden Entscheidungen gleichgeordneter Rechtssubjekte. Ihnen soll eine verläßliche Rahmenordnung geboten werden37. Die inhaltliche Gestaltung dieser Beziehungen dagegen bleibt grundsätzlich der Privatautonomie überlassen und bedarf keiner gesonderten Rechtfertigung. Die Individuen formulieren ihre Interessen im gesetzlichen Rahmen selbst und bringen sie eigenständig zum Ausdruck. Vertragsfreiheit, die Freiheit, Vereinigungen zu bilden, und Eigentumsfreiheit stellen notwendige Voraussetzungen dar. Die Fähigkeit zu eigenverantwortlicher Interessenwahrnehmung ist die Grundlage; Vertragsbindung und Haftung sind notwendige Folgen38. Die Privatrechtsordnung baut auf der Privatautonomie und der Eigendynamik einer freien Wirtschaftsordnung auf; aber sie ist keine private, selbstgenügsame oder staatsferne Ordnung39. Sie ist staatliches Recht und Ausdruck seiner Formungskraft: Die Ausgleichsmechanismen des Marktes müssen, um handhabbar zu sein, rechtlich in Form gebracht, Vertrag und Eigentum nicht nur anerkannt, sondern als Rechtsinstitute verfügbar gemacht werden. Das verlangt, daß Außengrenzen gezogen, Positionen abgesteckt, Schutz- und Sicherungsinteressen bewertet werden. Der Rahmen prägt den Inhalt mit. Auch die rahmensetzende Privatrechtsgesetzgebung schafft normative 35 36 37
38 39
Dazu die Nachw. bei Wolff/Bachof/Stober, Verwaltungsrecht, Bd. 1, § 22 Rn. 5 f.; Manssen, Privatrechtsgestaltung, S. 52 ff. Ähnlich Kahl, Jura 2002, S. 721 (724 f.). Zum folgenden Medicus, BGB-AT, § 1 Rn. 4 f. und § 32 Rn. 472 ff.; Rehbinder, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann, Innovation und Flexibilität, S. 355 (356); D. Schmidt, Unterscheidung von privatem und öffentlichem Recht, S. 174 f.; Bydlinkski, AcP 1994, S. 319 ff. Vgl. Raiser, DJT 46, Bd. 2, B 1 (16); Hoffmann-Riem, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann, Öffentliches Recht und Privatrecht, S. 261 (268 f.). Ebenso D. Schwab, Einführung in das Zivilrecht, Rn. 84: Zivilrechtsnormen nicht als Schöpfungen „privaten“ Willens, sondern der im Staat politisch organisierten Gesellschaft.
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Sechstes Kapitel: Das Handlungssystem der Verwaltung
Konfliktschlichtungsprogramme und verfolgt damit öffentliche Zwecke. Diese können vor allem in den Gebieten, in denen das Privatrecht zugunsten von Verbrauchern, Nachbarn, Mietern oder Wettbewerbern besondere Schutzregime eingerichtet hat, in einer dem öffentlichen Recht durchaus vergleichbaren Intensität hervortreten. Beide Teilrechtsordnungen lassen sich folglich nicht nach der sog. Interessentheorie trennen. 15 Für das Privatrecht prägend ist der Rahmencharakter einer Regelung. Er soll die rechtlichen Bedingungen freier Kommunikation sichern und ihren Ergebnissen Verbindlichkeit verleihen40. Er zeigt sich besonders deutlich dort, wo die Parteien von gesetzlichen Regelungen, dem ius dispositivum, abweichen und diese als variable Modelle nutzen können. Der Rahmen mag aus besonderen Schutzbedürfnissen durch Klauseln und Verbotsgesetze eingeengt, im Einzelfalle durch die gesetzliche Festlegung eines Kontrahierungszwanges sogar vollständig ausgefüllt werden – er bleibt gleichwohl die prägende Steuerungsvorstellung des Privatrechts. Die Motivation, die das einzelne Rechtssubjekt dazu veranlaßt, seine Interessen so und nicht anders zu verfolgen, ist dagegen regelmäßig unbeachtlich. Folglich stellen Begründungspflichten, die im Verwaltungsrecht ein wichtiges Element sind, im Privatrecht Ausnahmeerscheinungen dar41. Diese zurückgenommene Art der Steuerung sichert die Breite, in der privatrechtliche Regelungen über das gesamte Feld der Rechtsbeziehungen hin eingesetzt werden können. Hier liegt der Grund dafür, daß das Privatrecht als das allgemeine Verkehrsrecht gilt, dem das öffentliche Recht als Sonderrecht der Amtsträger gegenübersteht. Zugleich erleichtert es der Rahmencharakter, auf neue Vorgänge schnell zu reagieren, indem (zunächst) nur ein Grundstandard an Regelungen verfügbar gehalten wird. Man kann von einer besonderen Rezeptionsfähigkeit des Privatrechts sprechen.
2. Öffentliches Recht 16 Dem öffentlichen Recht geht es um die besondere Stellung der staatlichen Hoheitsträger und ihrer Handlungsaufträge. Es ist das „Amtsrecht“ der mit einem besonderen Gemeinwohlauftrag betrauten und dazu besonders organisierten Entscheidungseinheiten42. Ein weiterer Akteur kommt ins Spiel, der das öffentliche Wohl nicht monopolisieren, aber in verantwortlicher Sachwalterschaft dauerhaft fördern soll43. Unter einer Verfassungsordnung, die einen staatlichen und einen gesellschaftlichen Bereich, die Freiheit und Kompetenz unterscheidet und von der Legitimationsbedürftigkeit allen staatlichen Handelns ausgeht, liegt es nahe, dafür ein eigenes Rechtsregime, eben ein Sonderrecht vorzuhalten. Das 40 41 42 43
Vgl. dazu Druey, JöR 1991/92, S. 149 (159 f.). Medicus, BGB-AT, § 1 Rn. 4. Dazu die Darstellung bei Wolff/Bachof/Stober, Verwaltungsrecht, Bd. 1, § 22 Rn. 13 ff. Dies ist der zutreffende Kern der als Abgrenzungslehre genutzten sog. Sachwaltertheorie; vgl. Achterberg, Verwaltungsrecht, § 1 Rn. 27.
1. Abschnitt: Handlungspraxis und Handlungssystem
287
dualistische Konzept wird von der Verfassung zwar nicht zwingend verlangt44. Aber es ist als Konzept plausibel und trotz aller Überlappungen praktisch, weil es die sich für Staat und Gesellschaft unterschiedlich stellenden Vermachtungs-, Gemeinwohl- und Legitimationsfragen in Regelungsmodellen aufzufangen versucht, die systematisch bewußt unterschiedlich entwickelt worden sind. 17 Staatliche Herrschaft ist rechtfertigungsbedürftige Herrschaft (→ 1/21). Sie kann einseitig Rechtsfolgen festlegen, muß sich aber mit einem besonderen Gemeinwohlbezug ihrer Entscheidungen legitimieren. Wo staatliche Herrschaft eingesetzt wird, kann es das Recht folglich nicht dabei bewenden lassen, ihr von außen bestimmte Schranken zu setzen. Es muß sie vielmehr so organisieren, daß sie durchsetzungsfähig und von innen heraus gemeinwohlfähig konstituiert ist. Diese doppelschichtige Gemeinwohlproblematik muß das öffentliche Recht neben dem Vermachtungsproblem eigenständig verarbeiten. Rechtfertigung verlangt eine Darlegung der Ausgangsüberlegungen und der Ziele. Entscheidungen von Hoheitsträgern sind folglich anders als solche Privater grundsätzlich begründungsbedürftig. Das ist nicht nur das Thema einzelner gesetzlicher Tatbestände, die die Begründungspflichten konkret festlegen45. Begründungsbedürftigkeit und Begründbarkeit führen vielmehr zu spezifischen Rechtsstrukturen, die sehr viel tiefer in den Innenbereich der Entscheidungsbildung hineinreichen als die dem Privatrecht vertrauten Regelungen des äußeren Verfahrens. 18 Die spezifischen Regelungsaufträge des öffentlichen Rechts bedingen seine spezifischen Rechtsstrukturen. Dabei geht es um Typisierungen, nicht um begriffsscharfe Abgrenzungen. Nicht jede Norm des öffentlichen Rechts verfolgt alle Aufträge zugleich. Vielmehr gibt es Abstufungen, die sich als unterschiedliche Rechtskreise oder Rechtsverhältnisordnungen interpretieren lassen46. Neben dem Recht der imperativen Hoheitsakte steht z.B. das Recht der verwaltungsrechtlichen Verträge. Das öffentliche Recht ist als „Amtsrecht“ zunächst einmal Organisationsrecht. Gerade die organisatorischen Regelungsgehalte, zu denen auch das Zuständigkeits-, Haushalts- und Rechnungsprüfungsrecht, Teile des öffentlichen Wirtschaftsrechts und überhaupt das Recht der verwaltungsinternen Entscheidungsbildung gehören, verfolgen wichtige Funktionen zur Sicherung demokratischer Legitimation und Distanz (→ 5/18–23). Außerdem dienen sie der Gewährleistung rechtsstaatlicher Verantwortungsklarheit. In der wissenschaftlichen Diskussion wird die organisatorische Seite des öffentlichen Rechts oft nicht hinreichend gewürdigt, weil man nur das außenwirksame Handeln der Exekutive in den Blick nimmt. Damit wird aber das Steuerungspotential des öffentlichen 44
45 46
Nachw. zur Frage, inwieweit der Dualismus der Rechtsregime den Dualismus von Gesellschaft und Staat widerspiegelt, bei Manssen, Privatrechtsgestaltung, S. 112 ff.; Kempen, Formenwahlfreiheit, S. 29 ff.; Kahl, Jura 2002, S. 721 (724). Dazu Lücke, Begründungszwang und Verfassung, S. 125 ff.; Kischel, Begründung, bes. S. 63 ff. Achterberg, Verwaltungsrecht, § 1 Rn. 26, will den bestehenden Dualismus durch einen „Pluralismus von Rechtsverhältnissen, der die Rechtsordnung als Rechtsverhältnisordnung erscheinen läßt“, ersetzen.
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Sechstes Kapitel: Das Handlungssystem der Verwaltung
Rechts nicht ausgeschöpft: Auch dort, wo die Exekutive außenwirksam in den Formen des Privatrechts handelt, bleibt sie an ihr Organisationsrecht gebunden. Auch dort, wo sie sich privatrechtlich zu organisieren versucht, bleiben Bindungen des Haushalts- und öffentlichen Wirtschaftsrechts beachtlich (→ 5/48–52). Der organisationsrechtliche Teil des öffentlichen Rechts ist folglich das Basisund Standardrecht der Exekutive. 19 Seine besonderen Regelungsaufträge verwehren es, daß sich das öffentliche Recht auf eine Rahmensteuerung beschränkt, wie sie für das Privatrecht kennzeichnend ist. Steuerung hat für das öffentliche Recht immer auch Programmsteuerung zu sein, die sich über materielle Gesetzestatbestände und über Transformatoren verfassungsrechtlicher Wertvorgaben, z.B. das Verhältnismäßigkeitsprinzip, vollzieht. Das folgt aus der sachlich-inhaltlichen Komponente demokratischer Legitimation ebenso wie aus dem rechtsstaatlichen Bestimmtheitsgebot und aus den Grundrechten, die nicht nur Verfahrens-, sondern auch Inhaltsgarantien darstellen. Sie alle verbieten es, die Auflösung eines Interessenkonflikts allein einer situativ-konsensualen Regelung der Betroffenen zu überantworten. Aber auch dort, wo das öffentliche Recht Instrumente der Verfahrenssteuerung einsetzt, weichen diese von dem vergleichbaren Steuerungsansatz des Privatrechts ab. Das öffentliche Recht kann es nicht dabei bewenden lassen, den Verständigungshorizont der Beteiligten und das äußere Verfahren der Verständigung zu normieren. Die Rechtfertigungsbedürftigkeit staatlichen Handelns verlangt Vorkehrungen auch für das innere Verfahren der Entscheidungsbildung. Die zentrale Figur des Verwaltungsermessens wird ein eigenständiges Thema erst vor diesem Hintergrund (→ 4/46–53). Das Gebot demokratischer Legitimation unterstreicht die Besonderheiten des verfahrensrechtlichen Steuerungsansatzes, indem es einen besonderen Distanzschutz, z.B. durch Befangenheitsregelungen, verlangt. Dafür können demokratisch getroffene Entscheidungen Beachtung über den Kreis der Zustimmenden hinaus erwarten und damit die Vorteile der regulatorischen Breitensteuerung nutzen.
3. Verbindungen und Verschränkungen 20 Öffentliches und privates Recht sind mithin zu trennen, insofern sie unterschiedliche Regelungsmuster für unterschiedliche Grundsituationen festlegen, in denen die Bürger entweder anderen Privatrechtssubjekten oder aber der organisierten Staatlichkeit gegenübertreten. Beide Rechtsregime lassen sich als Arsenale typischer Bewirkungs- und Schutzmechanismen betrachten. Beide stehen freilich nicht beziehungslos nebeneinander. Sie sind vielmehr vielfach miteinander verwoben. Zuweilen ist versucht worden, beide in einem Gemeinrecht zusammenzuführen47. Gegen eine solche Lösung spricht jedoch nicht nur das positive Recht, das in zahlreichen Schlüsselbestimmungen von einer Trennung 47
Bullinger, in: FS für Rittner, S. 69 ff.; dagegen Wolff/Bachof/Stober, Verwaltungsrecht, Bd. 1, § 22 Rn. 46.
1. Abschnitt: Handlungspraxis und Handlungssystem
289
ausgeht. Dagegen spricht vor allem die Überlegung, daß differenzierte Rechtsformen die Vielfalt der Lebensvorgänge besser zu erfassen vermögen als Einheitsmodelle. Verschränkungen halten das Bewußtsein für die unterschiedlichen Regelungsansätze offen. Entscheidend bleibt, daß die Differenzierungen ebenso wie Verbindungen und Verschränkungen reflektiert vorgenommen werden. Das Handeln der Verwaltung in Privatrechtsform und eine Orientierung der für private Akteure geltenden Regeln an den Maßstäben administrativen Handelns erscheinen dann nicht als Ausdruck mißbräuchlicher Ausbruchs- oder Fluchtversuche aus ein für allemal zugewiesenen Rechtsregimen48, sondern als sinnvolle Mittel, um den fortlaufenden Veränderungen der staatlich-gesellschaftlichen Verantwortungsverteilung und dem dabei entstehenden Kooperationsspektrum (→ 3/109–113) einen juristischen Rahmen zu bieten. In diesem Sinne steht der Verwaltung eine begrenzte Befugnis zur Formenwahl, genauer zur Rechtsregimewahl, zu49.
II. Verwaltung in Privatrechtsform 21 Die erwerbswirtschaftliche Verwaltung, der nicht-beamtete öffentliche Dienst, der Grundstücksverkehr der öffentlichen Hand und das öffentliche Vergabewesen, aber auch weite Bereiche der leistenden und fördernden Verwaltung, des Subventionswesens und der Daseinsvorsorge sind in den Handlungs- und Organisationsformen des Privatrechts verfaßt50. Für die Eisenbahnen des Bundes und für das Post- und Telekommunikationswesen ist das in Art. 87e und 87f GG sogar ausdrücklich vorgeschrieben51. Vergleichbare Beobachtungen lassen sich für die Organisations- und Handlungspraxis der EG-Verwaltung machen52. Entwicklungsoffene Bereiche sollen so mit einem Rechtsregime versehen werden, das sich auf die hier stattfindenden Wanderungsprozesse zwischen den Aktivitäten staatlicher und nicht-staatlicher Stellen einstellt. Das Privatrecht fungiert so als allgemeines Verkehrsrecht. Es schafft der Verwaltung die notwendige „Anschlußfähigkeit“ ihrer Handlungen an den Markt und an die Handlungen ihrer privaten Kooperationspartner. Als Experimentierrecht kann es ferner für neue Aktivitäten zunächst eine Vorordnung bieten, bis sich mit einer zunehmend intensiveren Verwaltungspraxis die Notwendigkeit einer eigenständigen öffentlichrechtlichen Normierung herausstellt. Das gilt auch für die grenzüberschreitenden administrativen Aktivitäten, die im Verwaltungsalltag zunehmen und ohne besondere völkerrechtliche Absicherung nur in den Formen des Privatrechts möglich 48 49 50 51 52
Zur viel zitierten Vorstellung einer „Flucht in das Privatrecht“ vgl. Fleiner, Institutionen, S. 326. BVerwGE 92, 56 (64); Wolff/Bachof/Stober, Verwaltungsrecht, Bd. 1, § 23 Rn. 4 ff. Dazu Ehlers, Verwaltung in Privatrechtsform, pass.; Wolff/Bachoff/Stober, Verwaltungsrecht, Bd. 1, § 23 Rn. 16 ff. Hommelhoff/Schmidt-Aßmann, ZHR 1996, S. 521 ff.; Windthorst, in: Sachs, Grundgesetz, Art. 87e Rn. 33 ff., Art. 87f Rn. 22 ff. Brenner, Gestaltungsauftrag der Verwaltung, S. 132 ff.
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Sechstes Kapitel: Das Handlungssystem der Verwaltung
sind53. Die Privatrechtsfähigkeit des Staates und seine Befugnis zur Wahl des Rechtsregimes sind also weder allein rechtspraktisch begründet, noch stellen sie privates und administratives Handeln auf eine Stufe54. Sie sollen es der Verwaltung vielmehr ermöglichen, sich in Übergangsbereichen ein Stück weit auf die Funktionsbedingungen privatrechtlichen Handelns einzulassen – freilich in einer zu rechtfertigenden und von daher eingeschränkten Weise. Das kann in unterschiedlichen Rechtskonstruktionen geschehen:
1. Zwei-Stufen-Lehre 22 In manchen Bereichen verhilft eine zweistufige Gestaltung der Rechtsverhältnisse dazu, öffentlich-rechtliche Schutzmechanismen und privatrechtliche Gestaltungsformen aneinander heranzuführen, sie dogmatisch aber getrennt zu lassen. Es ist kennzeichnend, daß diese Zwei-Stufen-Lehre vor allem dort herangezogen wird, wo die Verwaltung in den Vorgang der Leistungserbringung, z.B. im Subventionsrecht und im Recht der öffentlichen Einrichtungen, Private eingeschaltet hat, das Leistungsprogramm also letztendlich kooperativ erfüllt wird55. Ihren Kritikern ist einzuräumen, daß die Zweistufigkeit Vorgänge, z.B. hinsichtlich des zu beschreitenden Rechtswegs, aufspaltet56, die sich ihrer äußeren Erscheinungsform nach als einheitliche darstellen. Eine genauere Analyse zeigt jedoch, daß die Handlungsrationalitäten auf beiden Stufen durchaus unterschiedlich sind: Die im öffentlichen (Gestaltungs-)Interesse gegebene Kreditzusage und die abwicklungstechnisch bestimmte Bürgschaftsübernahme verlangen von der Verwaltung funktional klar differenzierte Orientierungen; entsprechend differenziert sind die Rollen der anderen Beteiligten als Adressaten einer hoheitlichen Regelung bzw. als Partner eines (Beschaffungs-)Vertrages. Die Zweistufigkeit bildet diese differenzierte Interessenstruktur zutreffend ab. Will man den Gesamtvorgang rechtlich künftig eher in einer einheitlich vertraglichen Rechtsform erfassen, so muß zunächst eine Dogmatik mehrseitiger Verwaltungsverträge unter Einschluß ihrer Rechtsschutzprobleme entwickelt werden (→ 6/120 ff.). 23 Gerade für den Rechtsschutz bietet die Zwei-Stufen-Lehre den Vorteil, für Streitigkeiten über Grundfragen auch im Blick auf den Konkurrentenschutz zunächst einmal Rechtswegklarheit zu vermitteln. Es ist kein Zufall, daß sie nach der Neuordnung des öffentlichen Auftragswesens neue Befürworter findet57, weil 53 54
55 56 57
Vgl. Hellermann, in: FS für Böckenförde, S. 277 ff.; Niedobitek, Grenzüberschreitende Verträge, S. 407 ff. Vgl. dazu mit weit. Nachw. Manssen, Privatrechtsgestaltung, S. 68 ff.; zur Gegenposition Kempen, Formenwahlfreiheit, S. 112 ff.; J. Burmeister, VVDStRL Bd. 52, S. 190 (210 ff.). Wolff/Bachof/Stober, Verwaltungsrecht, Bd. 1, § 22 Rn 65 ff.; kritisch Ehlers, in: Erichsen/Ehlers, Verwaltungsrecht, § 2 Rn. 39. Anschaulich dazu BGH NJW 1997, 328. Vgl. Triantafyllou, NVwZ 1994, S. 943 (946); Pietzcker, Die Zweiteilung des Vergaberechts, S. 18 ff.
1. Abschnitt: Handlungspraxis und Handlungssystem
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mit der Stärkung der subjektiv-rechtlichen Stellung aller Bieter im Vergabeverfahren (§ 97 Abs. 7 GWB) der Zuschlag eine Doppelfunktion als Auswahlentscheidung und Vertragsschlußerklärung erhält, die zwei ganz unterschiedliche Aufgaben darstellen.
2. Verwaltungsprivatrecht 24 Versucht die Zwei-Stufen-Lehre eine vertikale Abschichtung der Rechtsverhältnisse, so geht es dem Verwaltungsprivatrecht darum, privatrechtliche Handlungsweise und öffentlich-rechtliche Schutzmechanismen horizontal zu integrieren58. Wir nutzen diesen Begriff hier in einem weiten, auch die bedarfsdeckende und die erwerbswirtschaftliche Verwaltung mit umfassenden Sinne. Das ist verfassungsrechtlich mindestens nahegelegt. Die zentralen Bindungsnormen der Art. 1 Abs. 3 und Art. 20 Abs. 2 und 3 GG gelten für jede Art des Verwaltens59. Privatrecht ist nicht in der Lage, die Exekutive von den Erfordernissen ihrer Zuständigkeits- und Legitimationsordnung freizustellen. Auch privatrechtsförmiges Verwaltungshandeln ist staatliches Handeln und muß öffentlich verantwortet werden. Die an der Rechtsfigur des Verwaltungsprivatrechts geübte Kritik60, es fehle an einem klar umrissenen Maßstabskanon, übersieht, daß es sich um ein offenes Programm rechtlicher Disziplinierung handelt, das erst dort greift, wo die sonst ohnehin verfügbaren Maßstäbe zuviel Bewegungsraum belassen. Mit diesem begrenzten Anspruch erfaßt das Verwaltungsprivatrecht die in marktnahen Leistungs- und Tätigkeitsbereichen unvermeidbaren Verschränkungen zwischen öffentlichen und privaten Interessen zutreffend. 25 Um die rechtliche Bedeutsamkeit der Konstruktion nicht überzubewerten, muß zunächst an die Tatsache erinnert werden, daß wichtige Schutzbedürfnisse in administrativen Leistungsverhältnissen durch Vorschriften des Wettbewerbs- und des Verbraucherschutzrechts abgedeckt werden, die das Machtproblem auf monopolistischen Märkten sehr viel detaillierter und sachnäher behandeln, als es die herkömmliche verwaltungsrechtliche Dogmatik bieten kann61: Es ist daher nur folgerichtig, daß Verbraucherverträge der Verwaltung heute dem Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen nach §§ 305 ff. BGB unterstellt werden, und zwar unabhängig davon, ob sie solche des öffentlichen oder des privaten Rechts sind62. Für daseinsvorsorgende Leistungen speziell sind zudem Allgemeine Versorgungsbedingungen, die für die großen Bereiche der 58
59 60 61 62
Aus jüngerer Zeit dazu systematisch Lerche, in: FS für Winkler, S. 581 ff.; Einzelheiten bei Wolff/Bachof/Stober, Verwaltungsrecht, Bd. 1, § 23 Rn. 18 ff. und 29 ff., die von einem engeren Begriff ausgehen, Grundrechtsbindungen aber auch bei der fiskalischen und erwerbswirtschaftlichen Verwaltung annehmen. Höfling, in: Sachs, Grundgesetz, Art. 1 Rn. 91 ff. mit weit. Nachw. Röhl, VerwArch 1995, S. 531 ff.; Unruh, DÖV 1997, S. 653 ff. Röhl, VerwArch 1995, S. 531 (545 ff.); Wolff/Bachof/Stober, Verwaltungsrecht, Bd. 1, § 23 Rn. 5. Basedow, in: Münchner Kommentar zum BGB, § 305 Rn. 8 und § 310 Rn. 40.
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Elektrizitäts-, Gas- und Wasserversorgung sowie für die Abwasser- und Abfallentsorgung bestehen und als Rechtsverordnungen die Leistungsbeziehungen direkt gestalten, zu beachten63. Abschluß, Kündigung und Leistungsstruktur der Lieferverträge, Haupt- und Nebenpflichten und zahlreiche weitere Schutzvorkehrungen sind hier unabhängig davon festgelegt, ob der Anbieter dem öffentlichen oder dem privaten Sektor zuzurechnen ist. Schließlich hat das öffentliche Auftragswesen durch die Neuordnung in §§ 97 ff. GWB klare rechtsstaatliche Strukturen erhalten, die jedenfalls für wirtschaftlich bedeutsame Vorgänge den Rückgriff auf allgemeine Schutzüberlegungen überflüssig machen. Das verwaltungsrechtliche Schrifttum hat diese wichtigen Rechtsvorschriften, die weite Bereiche des privatrechtlichen Verwaltungshandelns erfassen, bisher zu wenig zur Kenntnis genommen. Sie entlasten das Problem des Verwaltungsprivatrechts nachhaltig. 26 Der eigentliche Bereich eines sozusagen verfassungsunmittelbar konstruierten und deshalb in seinen Aussagen nicht immer eindeutigen Verwaltungsprivatrechts ist in der Theorie bedeutsamer als in der Praxis. Er findet seine Basis in der umfassenden Bindung aller vollziehenden Gewalt an die Grundrechte und an die Regeln rechtsstaatlich-demokratischen Verwaltens. Das verlangt, die außenwirksamen Maßstäbe, insbesondere das Verhältnismäßigkeitsprinzip und die Gleichbehandlungsgebote, regimeunabhängig zu formulieren. Dabei bleibt für Differenzierungen nach Maßgabe der erkennbaren Schutzbedürfnisse Raum. Erwerbswirtschaftliche und daseinsvorsorgende Tätigkeiten sind folglich keineswegs schematisch auf dieselben Standards festgelegt64; denn selbst innerhalb des öffentlichen Rechts haben diese Rechtsregeln keinen ganz einheitlichen Bindungsgehalt, sondern variieren je nach Anwendung auf Vorgänge der eingreifenden, leistenden oder planenden Verwaltung. – Materiell-rechtlich kann der Bindungsgehalt des Verwaltungsprivatrechts im einzelnen nur nach einer „Je-desto-Formel“ entfaltet werden, die auf die Nähe der privatrechtsförmig ausgeübten Tätigkeit zu den eigentlichen Hoheitsaufgaben abhebt. Soweit der Staat sich in gemischt-wirtschaftlichen Unternehmen engagiert, ist Anknüpfungspunkt für verwaltungsprivatrechtliche Sonderbindungen nur die staatliche Beteiligung, nicht das Handeln der Unternehmen selbst, die ihrerseits nur im Wege einer weiteren Pflichtentransformation in einen (erneut) reduzierten Bestand von Bindungen einbezogen werden können (→ 5/63). – Klarere Konturen kann künftig die verfahrensrechtliche Seite des Verwaltungsprivatrechts gewinnen. Hier liegt es nahe, Grundanforderungen, z.B. zu Fragen der Befangenheit, der Anhörung und der Begründung, aus einer analogen Anwendung des Verwaltungsverfahrensgesetzes zu entwickeln65. Beim Daten63 64 65
Dazu Schmidt-Aßmann, VR 1989, S. 37 ff.; Schneider/Theobald, Handbuch zum Recht der Energiewirtschaft, § 10 Rn. 235 ff. Ebenso Lerche, in: FS für Winkler, S. 581 (591 f.). Vgl. – freilich noch mit restriktiver Tendenz – Stelkens/Schmitz, in: Stelkens/Bonk/ Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz, § 1 Rn. 92 (99).
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und Geheimnisschutz zeigt das positive Recht bereits jetzt eine Annäherung der für die administrative und für die private Datenverarbeitung geltenden Vorkehrungen66. Zusätzliche disziplinierende Wirkungen sind von den Verfahrensregeln des Haushaltsrechts zu erwarten, wenn dieses künftig nicht mehr als bloßes „Innenrecht“ qualifiziert wird (→ 6/70, 170–172).
3. Die Nutzung privatrechtlicher Organisationsformen 27 Systematisch gehört auch die Nutzung privatrechtlicher Organisationsformen durch die öffentliche Verwaltung in den vorliegenden Untersuchungszusammenhang67. Auch hier geht es darum, der Verwaltung die Flexibilitätsspielräume des Privatrechts zu erschließen, ohne sie in Bindungslosigkeit zu entlassen. Die Anwendungsfelder dieses Formenzugriffs sind breit: So bilden rechtsfähige Vereine nach §§ 55 ff. BGB eine gern eingesetzte Form für die auswärtige Kulturund Entwicklungspolitik68. Besonders formenreich ist das Wissenschaftsrecht, das neben Vereinen das private Stiftungs- und Gesellschaftsrecht nutzt69. Das Privatrecht dient hier dazu, die gleitenden Übergänge zwischen staatseigenen Einheiten und wissenschaftseigenen intermediären Organisationen zu erfassen (→ 3/40; 5/59–62). Das Hauptanwendungsfeld aber sind die daseinsvorsorgenden Tätigkeiten der öffentlichen Verwaltung unter Einschluß der Infrastrukturgewährleistung. Hier dominieren die Formen des Kapitalgesellschaftsrechts (→ 5/48 ff.). Sie sind oft das Resultat von Organisationsprivatisierungen. Der Komplementarität von Handlungs- und Organisationsrecht entsprechend, genießt die Exekutive auch in Organisationsfragen im Grundsatz eine begrenzte Formenwahlkompetenz. Diese ist angesichts der strukturprägenden Bedeutung von Organisationsentscheidungen jedoch durch den institutionellen Gesetzesvorbehalt zusätzlich eingeschränkt (→ 5/28). Hat sich die Verwaltung für eine privatrechtliche Organisationsform entschieden, hat sie damit im Regelfall auf den Einsatz öffentlich-rechtlicher Handlungsformen verzichtet. Privatrechtlich organisierte Verwaltungseinheiten können, vom Sonderfall einer speziell vorgesehenen und vorgenommenen Beleihung abgesehen70, ihre Rechtsbeziehungen zu Dritten weder durch Verwaltungsakt noch durch Satzung regeln. Zulässig bleibt es, daß sich die Verwaltung selbst den Einsatz dieser Instrumente vorbehält. Sie muß dabei allerdings das Gebot rechtsstaatlicher Formen- und Rechtswegklarheit beachten. Der Einsatz privatrechtlicher Organisationsformen kann zu starken Entkoppelungstendenzen der so verfaßten Einheiten gegenüber den politischen Systemen 66 67 68 69 70
Vgl. Hoeren bzw. Globig, in: Roßnagel, Handbuch Datenschutzrecht, Abschnitt 4.6 bzw. 4.7. So auch Ehlers, Verwaltung in Privatrechtsform, S. 3 ff. Vgl. Dittmann, Bundesverwaltung, S. 123 ff. Vgl. Trute, Forschung, S. 493 ff. Vgl. z.B. § 18 Abs. 2a WHG; dazu Zacharias, DÖV 2001, S. 454 ff.
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führen. Das gilt insbesondere für die in den Formen des Kapitalgesellschaftsrechts als Eigengesellschaften organisierten öffentlichen Unternehmen. Die Probleme sind aus dem Recht der Kommunalwirtschaft bekannt (→ 3/46). Der Gefahr demokratischer Steuerungs- und Kontrollverluste soll vor allem durch eine Einwirkungspflicht der Gemeinde auf ihre Unternehmen zu begegnen gesucht werden. Streitig ist die Umsetzung einer solchen Pflicht: Richtigerweise muß sie mit den Mitteln des Gesellschaftsrechts erfüllt werden (→ 5/51–52). Die Konstruktion eines „Verwaltungsgesellschaftsrechts“, das das bestehende Recht ganz im Sinne öffentlichen Interessenschutzes überformt, ist nicht veranlaßt71.
III. „Auffangordnungen“ für die staatlich-gesellschaftliche Kooperation 28 Die gegenseitigen Verschränkungen der beiden Rechtsregime greifen jedoch über die Nutzung des Privatrechts durch die Verwaltung weit hinaus. „Beide Rechtsregime sind Teilgebiete einer einheitlichen Rechtsordnung und wirken in vielfältiger Weise aufeinander ein“72. Das ist seit langem anerkannt, und das Gesetzesrecht liefert dafür zahlreiche Beispiele: Teilweise wird damit eine eher rechtspraktische Entlastungsfunktion vorhandener Rechtsvorschriften genutzt, wenn z.B. § 62 S. 2 VwVfG zur Ergänzung der Regeln des öffentlichrechtlichen Verwaltungsvertrages auf eine entsprechende Anwendung des BGB verweist73. Teilweise sollen spezifische Schutzinteressen der einen Teilrechtsordnung auch in der anderen zur Geltung gebracht werden. Ein Beispiel dafür ist der privatrechtsgestaltende Verwaltungsakt. Niemals geht es darum, die in den Teilrechtsordnungen ausgeprägten unterschiedlichen Handlungsrationalitäten einfach zu überspielen und die Rechtsregime starr zusammenzukoppeln. Stets sind Fragen der Analogiefähigkeit, der Vergleichbarkeit von Interessen, der funktionalen Analysen, der Bewertungen und der Rücksichtnahme im Spiel74. Sie gehören in diesem Grenzbereich zur normalen juristischen Arbeit. 29 Die gegenseitigen Verschränkungen der Teilrechtsordnungen und ihrer Rechtsinstitute nehmen zu, wenn man Handlungsfelder betrachtet, die schon bisher oder erst neuerdings von intensiver staatlich-gesellschaftlicher Zusammenarbeit bestimmt sind. In keinem der untersuchten Referenzgebiete geht es ausschließlich und einseitig um den Einsatz des klassischen Hoheitsinstrumentariums. Überall lassen sich Zonen gemeinsamer Aufgabenerfüllung ausmachen, in denen die einzelnen Handlungen der administrativen und der privaten Akteure aufeinander abgestimmt werden müssen und erst im Zusammenwirken ihren Auftrag erfüllen können. Die Privatisierungsaktionen haben diese Bereiche ausge71 72 73 74
Vgl. Mann, DV 2002, S. 463 ff.; a.M. v. Danwitz, AöR 1995, S. 595 ff. Ehlers, in: Erichsen/Ehlers, Verwaltungsrecht, § 2 Rn. 63 ff. De Wall, Die Anwendbarkeit privatrechtlicher Vorschriften im Verwaltungsrecht, S. 53 ff. Vgl. Manssen, Privatrechtsgestaltung, S. 274 ff.
1. Abschnitt: Handlungspraxis und Handlungssystem
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weitet. Aufgabenprivatisierungen führen nicht zu einer deutlicheren Trennung öffentlicher und privater Verantwortungsbereiche. Sie lassen die bisherige staatliche Erfüllungsverantwortung vielmehr in eine Einstandsverantwortung übergehen, die oft stärker auf Kooperation angewiesen ist als die verwaltungseigene Leistungserbringung alten Zuschnitts. Im Lichte der Wirksamkeitsfrage, wie sie ein steuerungswissenschaftlich verstandenes Verwaltungsrecht zu stellen hat, erscheinen Verwaltungsvorgänge überhaupt nur als Teile komplexer Handlungsgefüge oder längerer Handlungsketten, die nicht ohne das von privater Seite in den Formen des Privatrechts geregelte Umfeld betrachtet werden können. Für das Verwaltungsrecht rücken die beiden Rechtsregime folglich auch insofern näher zusammen, als ihre Institute als funktionale Äquivalente und die Regime selbst als sich wechselseitig stützende und ergänzende Auffangordnungen genutzt werden. 30 Die Idee der „Auffangordnungen“ (Hoffmann-Riem) knüpft an die unterschiedlichen Steuerungsleistungen der beiden Teilrechtsordnungen an. Sie betont die Einheitlichkeit öffentlicher Aufgaben und fragt danach, wie sich Regelungsbedürfnisse, die im Rahmen der einen Teilrechtsordnung nicht hinreichend befriedigt werden können, durch Rückgriff auf Gestaltungselemente der anderen Teilrechtsordnung erfüllen lassen75. Zum Umweltordnungs- tritt das Umwelthaftungsrecht, zur privatrechtlichen Produktzertifizierung die öffentlich-rechtliche Akkreditierung des Zertifizierungssystems, zum öffentlichen Baurecht der privatrechtliche Nachbarschutz76. Mußten sich im Privatrecht der Verwaltung letztlich doch typisch öffentlich-rechtliche Schutzüberlegungen durchsetzen, weil es die Verwaltung ist, die das Privatrecht für eigenes Handeln nutzt, so muß es bei den Auffangvorgängen darum gehen, gerade die Unterschiedlichkeit der Instrumente der beiden Rechtsordnungen zu wahren und durch einen bewußten Ausbau ihrer komplexen Strukturen die Problemlösungsfähigkeit des Rechtssystems insgesamt zu erhöhen. Es gilt das Gesetz möglichst weitgehenden Erhalts von Eigenrationalität. Gleichwohl liegt ein Einwand nicht ganz fern: Werden hier nicht Zäsuren der bisherigen Systematik überspielt, die dem individuellen Freiheitsschutz ebenso wie dem administrativen Kompetenzschutz zu dienen bestimmt sind? Gegenüber solchen Fragen ist zunächst einmal darauf hinzuweisen, daß die Idee der Auffangordnungen einen Analyse- und Bewertungsrahmen für Verzahnungen bieten soll, die in der Gesetzesrealität – offen oder verdeckt – längst existieren. Deren Probleme werden nicht dadurch gebannt, daß man sie verschweigt. Erst dort, wo äußerlich getrennte Regelungen in ihren Verbundwirkungen erfaßt werden, lassen sich auch Friktionen, dysfunktionale Zurechnungen und unbemerkte Lastenverschiebungen erkennen. Die der rechtsstaatlichen Klärung der Regelungsstruktu75
76
Hoffmann-Riem, DVBl 1994, S. 1381 (1386 f.); ders., AöR 1994, S. 590 (609 ff.) sowie die Beiträge in Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann, Öffentliches Recht und Privatrecht, pass.; dazu Spannowski, AöR 1998, S. 307 ff. Vgl. Calliess, DV 2001, S. 169 (176 ff.).
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ren dienende Analyse befähigt dann auch, in einem zweiten Schritt über weitere Verschränkungen und Austauschbeziehungen zwischen den Instrumenten der beiden Teilrechtsordnungen nachzudenken und dafür geeignete Rechtsinstitute und Verfahren zu entwickeln77. 31 Das Verwaltungsrecht geht damit über seinen traditionellen Ansatz, von den Aktivitäten der Verwaltung her zu denken und diese mittels eines im wesentlichen rechtsschutzorientierten Konzepts „von außen“ in Form zu bringen, hinaus. Die verwaltungsrechtliche Systembildung interessiert sich auch für parallele Regelungsmöglichkeiten, für Schnittstellen und gegenseitige Einwirkungsbereiche zwischen beiden Teilrechtsordnungen78. Auf dieser Basis läßt sich – durchaus im normativen Rahmen und nicht nur rechtspolitisch – nach der Notwendigkeit bestimmter Auffangarrangements fragen: Verlangt z.B. eine Normsetzungsabsprache, mit der die Exekutive ihre Steuerungsmöglichkeiten zurücknimmt, daß die dadurch in die Verantwortung genommenen privaten Normierungsverbände eine hinlänglich breite Interessenrepräsentanz garantieren? Der Antwort auf diese Frage kann nicht ausgewichen werden, wenn der rechtliche Stellenwert der Normsetzungsergebnisse beurteilt werden soll. Zum Verwaltungsprivatrecht muß ein Privatverwaltungsrecht hinzukommen, das die besonderen Schutz- und Entlastungsinteressen berücksichtigt, die dort entstehen, wo Handlungen der Verwaltung und Privater in spezifischer Weise miteinander verknüpft sind79. Die Probleme einer solchen Verfahrens- und Organisationsvorsorge sind früher in Ansätzen für den Verwaltungshelfer und den Beliehenen entwickelt worden. Die Gesetzgebung zum Öko-Audit-System hat weitere Elemente eines sich ausbildenden übergreifenden Schutzrechts aufgezeigt80. Auch im Zusammenhang mit dem Verfahren der privaten Konfliktschlichtung lassen sich verallgemeinerungsfähige Erkenntnisse gewinnen. Wichtig sind Regeln, die eine adäquate Erfassung und Repräsentation aller im Kooperationsbereich wirksamen Interessen sichern: Inkompatibilitäts-, Neutralitäts- und Geheimnisschutzregelungen werden so auch für die privaten Kooperationspartner in einer dem öffentlichen Recht vergleichbaren Weise beachtlich; Haftungsrisiken sind zum Schutz Dritter gegebenenfalls durch den Abschluß einer Pflichtversicherung abzudecken81. Wo Private z.B. als Umweltgutachter Aufgaben förmlicher Überwachung und Kontrolle ausüben, müssen Zuverlässigkeit und Fachkompetenz sichergestellt sein (§§ 4–8 UAG). 77
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79 80 81
Dazu meine Vorschläge in Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann, Öffentliches Recht und Privatrecht, S. 7 (30 ff.); Hoffmann-Riem, dort S. 261 (309 ff.); Ritter, in: SchmidtAßmann/Hoffmann-Riem, Verwaltungsorganisationsrecht, S. 207 (240 ff.). Anschaulich dazu Pitschas, in: Hart, Privatrecht im „Risikostaat“, S. 215 (228 ff.), der das Zusammenwirken von Privatrecht und öffentlichem Recht als „duales Funktionsmuster“ bezeichnet. Dazu ausführlich Trute, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann, Öffentliches Recht und Privatrecht, S. 167 ff. Pitschas, in: Lüder, Staat und Verwaltung, S. 269 (279 ff.); J.-P. Schneider, DV 1995, S. 361 (380 ff.). So die Elemente eines „Privatverfahrensrechts“ für zertifizierende Stellen im Produktsicherheitsrecht, z.B. RL 97/23/EG, Anhang IV.
1. Abschnitt: Handlungspraxis und Handlungssystem
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C. Ordnungsmuster des Handlungssystems 32 Das Ergebnis der rechtlichen Strukturierung des Verwaltungshandelns in seiner allgemeinen Form nennen wir das Handlungssystem. Das Handlungssystem ist das rechtliche Gerüst der Handlungspraxis. In ihm sind die vier wichtigsten Steuerungsansätze des Verwaltungsrechts zusammengefaßt: die Lehre von den Rechtsformen (I), den Rechtsverhältnissen (II), dem Verwaltungsverfahren (III) und den Maßstäben (IV)82. Was auf den ersten Blick als eine eher zufällige Zusammenstellung unterschiedlicher Rechtsinstitute erscheinen mag, erweist sich als eine sinnvolle Verbindung und funktionale Ergänzung unterschiedlicher Regelungsansätze: Das Verwaltungsverfahrensrecht dient der prozeduralen Steuerung, während die Lehre von den Maßstäben des Verwaltungshandelns unterschiedliche Arten der Programmsteuerung behandelt83. Die Rechtsverhältnislehre und die Rechtsformenlehre sagen etwas zu den kommunikativen Grundanforderungen jedes Steuerungsanliegens: Die Rechtsverhältnislehre legt den Rahmen und die Verständigungsweisen fest. Die Formenlehre soll Transparenz und Stabilität der Ergebnisse gewährleisten. 33 Gemeinsam ist allen vier Ansätzen des allgemein-verwaltungsrechtlichen Regelungskanons der Rückgriff auf die Formungskraft des Rechts. Das Recht tritt nicht nachträglich von außen beschränkend an ein aus sich heraus existentes reales Verwaltungshandeln heran, sondern es ist dazu da, dieses als Rechtshandeln überhaupt erst zu konstituieren84. Andere Steuerungsansätze, z.B. Finanzmittel oder Informationen, sind damit so wenig ausgeklammert wie Steuerungsmodelle, die auf den Markt, auf Verhandlungen oder auf Selbstregulierung setzen. Sie alle können im Rechtsstaat aber nur durch das Medium des Rechts wirken. Folglich geht es nicht um Alternativen zum Recht, sondern darum, das Recht für die geänderte Bedeutung anderer Regelungsansätze aufnahmefähig zu machen: Recht als Garant der Rationalität des Verwaltungshandelns – auch unter veränderten Steuerungsbedingungen (→ 1/33–44).
I. Aufgaben der Rechtsformenlehre 34 Die Lehre von den Rechtsformen des Verwaltungshandelns gehört dogmengeschichtlich zu den ältesten Teilen des Verwaltungsrechts. Sie ist aber auch heute ein Kernelement des administrativen Handlungssystems85. Das gilt nicht 82 83
84
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Ähnlich Schulte, Schlichtes Verwaltungshandeln, S. 187 ff.; auch Schmidt-Preuß, in: FS für Maurer, S. 777 (781 ff.). Vgl. König/Dose, in: dies., Instrumente und Formen, S. 3 (115 ff.); Schuppert, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Schuppert, Reform des Verwaltungsrechts, S. 65 (101 ff.): Bereitstellung von Entscheidungstypen und funktionstauglichen Verfahren. Ebenso Pauly, in: Becker-Schwarze/Köck/Kupka/v. Schwanenflügel, Wandel der Handlungsformen, S. 25 (27) unter Bezugnahme auf Merkl: Verwaltungsrecht „nicht bloß die condicio sine qua non, sondern die condicio per quam der Verwaltung“. Schoch, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann, Innovation und Flexibilität, S. 199 (205).
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nur für das deutsche Recht, sondern, wie die Art. 249–252 EG zeigen86, ebenso für das Verwaltungsrecht der Gemeinschaft. Verordnung, Richtlinie, Satzung, Verwaltungsakt und Vertrag, Verwaltungsvorschrift, Weisung und schlichte Willenserklärung – sie alle sind Schlüsselbegriffe, die den Zugang zu wichtigen Erkenntnissen des Verfahrens- und Prozeßrechts ebenso wie zur Fehler- und Bestandskraftlehre eröffnen87. Begrifflich von ihnen zu trennen sind die administrativen Handlungsformen88. Bei ihnen steht die instrumentelle Seite im Vordergrund. Subvention und behördliche Warnung drücken zwar auch schon eine geordnete und strukturierte Handlungspraxis aus. Sie erhalten ihre Gestalt aber nicht durch Rechtskriterien. Die von ihnen umgriffenen Handlungen und Entscheidungsphasen sind mit denen der Rechtsformen nicht identisch. Handlungsformen können zu Rechtsformen werden, wenn sie unter rechtlichen Gesichtspunkten hinreichend klar abgrenzbar sind und ihnen bestimmte Rechtsfolgen zugeordnet werden können. Rechtsformen dagegen haben einen ganz spezifischen Bezug zum Rechtssystem89: Rechtspraktisch wirken sie als fertige Zuordnungsmuster, die das Auffinden konkreter Lösungen erleichtern (Speicherfunktion). Rechtskonstruktiv sollen sie das Verwaltungshandeln nach den Prinzipien der distanzschaffenden Konzentration und der adäquaten Rechtsfolgenverknüpfung strukturieren (Ordnungsfunktion).
1. Bauprinzipien 35 Formung isoliert aus der komplexen Realität des Verwaltungshandelns in einem ersten Schritt einzelne Elemente und analysiert ihre Bedeutung im Handlungszusammenhang. Otto Mayer hat diese ordnende Kraft der Rechtsformenlehre anschaulich umschrieben, wenn er ihr die Aufgabe zuweist, in der „flutenden Masse der Verwaltungstätigkeit“ dort und dort feste Punkte auftauchen zu lassen, „welche dem Einzelnen Halt gewähren und ihn darüber sicherstellen, wohin es geht“90. Der rechtsstaatliche Effekt der Formenlehre besteht auf dieser ersten Stufe in der Förderung von Rechtsklarheit, die auch der Verwaltung zugute kommt, weil sie die Rationalität und Akzeptanz ihrer Entscheidungen stärkt. Als 86
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Dazu grundlegend Ipsen, Europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 405 ff.; Oppermann, Europarecht, Rn. 535 ff.; vgl. auch Bast, in: v. Bogdandy, Europäisches Verfassungsrecht, S. 479 ff. Der Entwurf des Konvents für einen EU-Verfassungsvertrag behandelt das Thema der Rechtsformen in Art. I–32 bis 38. Schmidt-Aßmann, DVBl 1989, S. 533 ff.; Pauly, in: Becker-Schwarze/Köck/Kupka/ v. Schwanenflügel, Wandel der Handlungsformen, S. 25 ff.; Schulze-Fielitz, DVBl 1994, S. 657 (660 ff.); Pitschas, in: Blümel/Pitschas, Reform des Verwaltungsverfahrensrechts, S. 229 (238 ff.); v. Danwitz, Verwaltungsrechtliches System, S. 67 ff.; Ladeur, VerwArch 1995, S. 511 ff.; Schulte, Schlichtes Verwaltungshandeln, bes. S. 32 ff.; ferner Krause, Rechtsformen des Verwaltungshandelns; Ossenbühl, JuS 1979, S. 681 ff. J. Burmeister, VVDStRL Bd. 52, S. 190 (206) mit weit. Nachw. in Fn. 29. Vgl. Schulte, Schlichtes Verwaltungshandeln, S. 17 ff. (zur Begriffsbildung und Typologie), S. 183 ff. (zur rechtlichen Strukturierung). Verwaltungsrecht, Bd. 1, S. 92 f.
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Handlung kommt grundsätzlich jedes der Exekutive zurechenbare Verhalten in Betracht. Praktisch ist die Formenlehre jedoch durch eine starke Konzentration nur auf wesentliche Handlungsabschnitte bestimmt. Gerade diese Selektivität des Ordnungsansatzes soll Überschaubarkeit in das breite Feld administrativer Aktivitäten bringen. Bisher spielen in der Rechtsformenlehre nur solche Handlungen eine Schlüsselrolle, die unmittelbare Rechtsfolgen herbeiführen sollen91. In ihnen zeigt sich die Ordnungsfunktion der Formenlehre am deutlichsten, insofern ihre Wirkungen, anders als die Wirkungen von Realakten, durch das Recht vermittelt eintreten und folglich rechtlich leichter beherrschbar sind. Doch ist das für den Formungsgedanken keine zwingende Voraussetzung. Gerade die in den Referenzgebieten beobachtete Vielfalt und unterschiedliche Intensität der Steuerungsansätze legt es nahe, von einem weiten Anwendungsbereich der Rechtsformenlehre auszugehen. In dieselbe Richtung weist das EG-Recht, das neben Verordnung, Richtlinie und Entscheidung auch Stellungnahmen und Empfehlungen zu seinen Rechtsformen rechnet (Art. 249 EG)92. Auch entscheidungsvorbereitende, informierende oder sogar real-leistende Tätigkeiten können dem Formungszugriff unterstellt werden93. Neben voll ausgebildeten Rechtsformen stehen so Rechtsinstitute, denen zwar kein Kanon fester rechtlicher Gestaltungswirkungen, wohl aber einzelne disziplinierende und handlungsstrukturierende Rechtsfolgen zugeordnet sind. Auch sie erfüllen den Auftrag der Formenlehre, das Verwaltungshandeln in einem größeren Ordnungsrahmen erfaßbar zu machen94. 36 In einem zweiten Schritt werden den so gewonnenen Handlungsausschnitten bestimmte Rechtsanforderungen und Rechtsfolgen zugeordnet. Diese Verknüpfung – regelmäßig ein Gemeinschaftswerk von Richterrecht, Verwaltungsrechtswissenschaft und Gesetzgebung – vollzieht sich nach dem Gedanken der Adäquanz: Wirkungsziel, Wirkungsweise und rechtliche Absicherungen müssen in einem ausgewogenen Verhältnis stehen. Das Adäquanzgebot bildet den Zentralpunkt der Rechtsformenlehre. Wichtig dafür ist wiederum die Festlegung des Bewertungsrahmens. In der Vergangenheit wurde dieser vorrangig durch Rechtsschutzgesichtspunkte bestimmt. Das wird dem Doppelauftrag des Verwaltungsrechts jedoch nicht gerecht (→ 1/30–32). Stärker als bisher sind die Rechtsformen auch als Instrumente zu betrachten. Die überkommene Folgenorientierung muß auf eine Handlungsorientierung umgestellt werden. 91
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Vgl. Pauly, in: Becker-Schwarze/Köck/Kupka/v. Schwanenflügel, Wandel der Handlungsformen, S. 25 (32): „Rechtsformen des Verwaltungshandelns sind nicht nur vom Recht zur Verfügung gestellte Formen, Formen des Rechts, sondern Formen, Gußformen von Recht, sind also selber Recht; ihre Arten bezeichnen unterschiedliche Rechtsquellen“. Zur Wirkungsweise der beiden letzteren Formen Ipsen, Europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 459 ff.; v. Bogdandy/Bast/Arndt, ZaöRV 2002, S. 77 (114 ff.). Ebenso Pitschas, in: Blümel/Pitschas, Reform des Verwaltungsverfahrensrechts, S. 229 (242). Am Beispiel des von ihm sogenannten Informationsaktes Di Fabio, Risikoentscheidungen, S. 395 ff.
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2. Formenzwang und Formenwahl 37 Unter diesen Begriffen werden Fragen unterschiedlicher Ebenen zuweilen zu undifferenziert behandelt95: Zum einen geht es um Probleme der Wahl zwischen den Regimen des öffentlichen und privaten Rechts, die durch die Existenz des Verwaltungsprivatrechts entschärft sind (→ 6/20, 24–26). Zum zweiten interessiert die Wahl zwischen rechtsförmlichem und schlichtem Verwaltungshandeln, über die an späterer Stelle zu sprechen ist (→ 6/125, 129). Im vorliegenden Zusammenhang geht es allein um die Wahl zwischen den Rechtsformen selbst, vor allem zwischen Verwaltungsakt und öffentlich-rechtlichem Vertrag, sowie zwischen diesen Formen und den normativen Formen der Rechtsverordnung und Satzung. Für diese Formenwahlfrage gilt: Die Formenlehre dient dazu, das Verwaltungshandeln mit Rechtsinstrumenten zu versehen und es rechtsstaatlich zu disziplinieren. Ein genereller Formenzwang aber besteht nicht. Welche Formen die Verwaltung benutzen muß, um bestimmte Wirkungen zu erzielen, beantwortet sich nach einem differenzierten Verwendungsmodell 96: – Seine erste Schicht stellen Rechtsformgebote und Rechtsformverbote dar, die sich an einigen wenigen Stellen den Gesetzen direkt oder im Wege systematischer Auslegung entnehmen lassen97. – Eine zweite Schicht bilden die im Recht vielfach anzutreffenden Bewirkungssperren. Sie steuern den Einsatz der Formen mittelbar, indem sie bestimmte Effekte nur bei Anwendung einer bestimmten Form eintreten lassen. So sind die Vorteile der verwaltungseigenen Vollstreckung regelmäßig nicht ohne Nutzung des Instituts des Verwaltungsakts und die Beachtung seiner Verfahrens- und Formmerkmale zu haben. Gerade hier müssen sich die in den Formen angelegten Adäquanzkriterien bewähren. Der durch die Bewirkungssperren beeinflußte Einsatz der Rechtsformen hat so zu erfolgen, daß administrative Handlungsfähigkeit und individueller Interessenschutz möglichst weitreichend zum Ausgleich gebracht werden. 38 Im Rahmen dieser Vorgaben besitzt die Verwaltung ein Ermessen der Formenwahl 98. Ein solches Ermessen bedeutet nicht Beliebigkeit, wie es umgekehrt nicht durch eine Maxime bestimmt ist, gerade diejenige Form benutzen zu müssen, die den meisten Rechtsschutz bietet. Vielmehr hat es sich an den Maßstäben des § 10 VwVfG zu orientieren. Das gilt auch für das Verhältnis von Verwaltungsakt und Vertrag zueinander99: Weder läßt sich sagen, daß die Verwaltung 95 96 97
98 99
Klar differenziert aber bei Spannowsky, Verträge und Absprachen, S. 84 ff. und 122 ff. Ebenso Schulte, Schlichtes Verwaltungshandeln, S. 124 f.; Erichsen, in: FS für Kruse, S. 39 (62 f.). Z.B. § 28 Abs. 2 S. 1 BauGB: Ausübung des gemeindlichen Vorkaufsrechts durch Verwaltungsakt; § 2 Abs. 3 2. HS BauGB: Verbot, einen Anspruch auf Aufstellung von Bauleitplänen durch Vertrag zu begründen; § 13 Abs. 3 S. 1 WohnraumförderungsG: Förderzusage durch Verwaltungsakt oder öffentlich-rechtlichen Vertrag. Dazu mit Nachw. J. Burmeister, VVDStRL Bd. 52, S. 190 (207 ff.). Henneke, in: Knack, Verwaltungsverfahrensgesetz, Vor § 54 Rn. 28 ff.; Kopp/Ramsauer, Verwaltungsverfahrensgesetz, § 54 Rn. 15; Bonk, in: Stelkens/Bonk/Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz, § 54 Rn. 12 ff.
1. Abschnitt: Handlungspraxis und Handlungssystem
301
aus Gründen des Verhältnismäßigkeitsprinzips grundsätzlich verpflichtet sei, zunächst eine vertragliche Regelung anzustreben, noch genießt der Verwaltungsakt als Instrument einseitiger Regelung einen Vorrang. § 54 S. 2 VwVfG geht vielmehr davon aus, daß beide Gestaltungsmittel situationsgerecht austauschbar sind (→ 6/113 ff.)100.
3. Statik und Flexibilität der Formenlehre 39 Rechtsformen verlangen ein bestimmtes Maß an Statik. Die Statik gewährleistet die für die Speicheraufgaben der Formenlehre notwendige Verläßlichkeit der dogmatischen Einzelaussage. Sie ist freilich nur eine relative Statik. Rechtsprechung und Lehre überprüfen immer wieder, ob die mit der jeweiligen Form verbundenen Rechtsfolgen dem Regelungsgehalt nach wie vor adäquat sind, ob sie weiter differenziert oder geändert werden müssen. Daß schon diese fortlaufende Adäquanzkontrolle zur Ausbildung neuer Regelungsgefüge führen kann, zeigt z.B. die Fehlerlehre für kommunale Satzungen, die das Nichtigkeitsdogma als Fehlerregelung für normative Handlungsformen nachhaltig verändert hat101. Wichtig ist, daß sie nicht allein fall- oder sachgebietsbezogen, sondern im Reflexionsrahmen des allgemeinen Verwaltungsrechts erfolgt (→ 1/10). Größere Herausforderungen ergeben sich dann, wenn neue Handlungspraxen von starker Eigendynamik rechtliche Respektierung einfordern. In jüngerer Zeit ist das am informalen Verwaltungshandeln deutlich geworden. Die jeweils eigenen Entwicklungsgesetze der Handlungsformen und der Rechtsformen, aufgabenbestimmte Praktikabilität einerseits und rechtsstaatliche Rationalität andererseits, stoßen hier aufeinander und fordern vor allem die Ordnungsfunktion der Formenlehre heraus (→ 6/125–137)102.
II. Aufgaben der Rechtsverhältnislehre 40 Einen zweiten Zugang zur verwaltungsrechtlichen Systembildung eröffnet die Rechtsverhältnislehre103. Ähnlich der Formenlehre will das Rechtsverhältnisdenken die Vielfalt der Lebensvorgänge durch die Konzentration auf bestimmte Elemente strukturieren. „Aus dem Kontinuum der Lebensverhältnisse wird für die rechtliche Betrachtung ein Teil herausgegriffen“104. Anders als die 100 101 102 103
104
Kunig, DVBl 1992, S. 1193 (1195 ff.); Schulze-Fielitz, DVBl 1994, S. 657 (663); differenzierend Spannowsky, Verträge und Absprachen, S. 144 ff. Dazu Morlok, Folgen von Verfahrensfehlern; speziell zu städtebaulichen Satzungen Gaentzsch, UPR 2001, S. 201 ff. und 287 ff. Dazu anschaulich Pitschas, in: Blümel/Pitschas, Reform des Verwaltungsverfahrensrechts, S. 229 ff.; Michael, Rechtsetzende Gewalt, S. 457 ff. Dazu Rupp, Grundfragen, S. 15 ff.; Achterberg, Rechtstheorie 1978, S. 385 ff.; Hill, Fehlerhaftes Verfahren, S. 271 ff.; Henneke, in: Knack, Verwaltungsverfahrensgesetz, Vor § 35 Rn. 14 ff. Zur theoretischen Grundlegung Gröschner, Überwachungsrechtsverhältnis, S. 67 ff. Medicus, BGB-AT, § 9 Rn. 54.
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Sechstes Kapitel: Das Handlungssystem der Verwaltung
Formenlehre nimmt sie nicht Entscheidungen, sondern die Beziehungen der Akteure zueinander zum Anknüpfungspunkt und ordnet sie als Rechtsbeziehungen (→ 1/22–26)105. Während die Formenlehre ergebnisbezogen ist, denkt die Verhältnislehre situationsbestimmt. 41 Dogmengeschichtlich ist das Denken in Rechtsverhältnissen für das Verwaltungsrecht keine neue Erkenntnis. Schon die ältere rechtsstaatliche Lehre griff darauf zurück, um verwaltungsrechtliche Rechte und Pflichten einander zuzuordnen106. Die Literatur stellt das Verwaltungsrechtsverhältnis neben die Rechtsformenlehre107. Man sollte sie folglich nicht zu Gegensätzen ausmünzen oder einen Richtungsstreit zwischen einem Rechtsformen- und einem Rechtsverhältnisdenken konstruieren. Die Hoffnung, mit dem Rechtsverhältnis einen neuen „archimedischen Punkt“ der verwaltungsrechtlichen Systembildung gefunden zu haben, ist heute verklungen108; aber die intensive Beschäftigung mit ihm hat die kommunikative Seite des administrativen Handlungssystems besser zu verstehen gelehrt109. Rechtsverhältnislehre und Rechtsformenlehre wirken komplementär110. Im einzelnen lassen sich heuristische, strukturierende und dogmatische Funktionen unterscheiden, die das Rechtsverhältnisdenken im Handlungssystem der Verwaltung erfüllt.
1. Heuristische Funktion 42 Als Ordnungsmodell dient das Verwaltungsrechtsverhältnis primär dazu, typische Kommunikationsvorgänge zwischen Verwaltung und Bürger oder zwischen Verwaltungseinheiten zu analysieren, um deren Eigenart und Regelungsbedürfnisse zu erfassen und aus dem vorhandenen Normenmaterial wiederkehrende Bauformen herauszupräparieren111. Ein Denken vom Verwaltungsrechtsverhältnis her veranlaßt zu einer Gesamtbetrachtung des erfaßten Lebenssachverhalts. Rechtsverhältnisse beruhen auf einer Verbindung von Rechten und Pflichten, 105
106 107
108 109 110
111
Ähnlich Ipsen, Verwaltungsrecht, § 3 Rn. 168: Das Verwaltungsrechtsverhältnis verdeutlicht die „Intersubjektivität jegliches Verwaltungshandeln“ und die „Rechtssubjektivität der Akteure“. Vgl. Fleiner, Institutionen, S. 141 ff.; W. Jellinek, Verwaltungsrecht, S. 191 ff.; zur Entwicklung Gröschner, DV 1997, S. 301 (310 ff.). Erichsen, in: ders./Ehlers, Verwaltungsrecht, § 11; Bull, Verwaltungsrecht, § 14 Rn. 710 ff.; Ipsen, Verwaltungsrecht, § 3; Wolff/Bachof/Stober, Verwaltungsrecht, Bd. 1, § 32 Rn. 35 ff.; eher nur im Zusammenhang mit dem subjektiven Recht Maurer, Verwaltungsrecht, § 8 Rn. 16 ff. Erichsen, in: ders./Ehlers, Verwaltungsrecht, § 11 Rn. 7; Michael, Rechtsetzende Gewalt, S. 463 f. Vgl. Gröschner, DV 1997, S. 301 (337). So im Ergebnis auch Bauer, DV 1992, S. 301 (315 f.); Pauly, in: Becker-Schwarze/ Köck/Kupka/v. Schwanenflügel, Wandel der Handlungsformen, S. 25 (40); v. Danwitz, DV 1997, S. 339 (344); Henneke, in: Knack, Verwaltungsverfahrensgesetz, Vor § 35 Rn. 17 . Vgl. Schmidt-Aßmann, DVBl 1989, S. 533 (539 f.); Schoch, in: Hoffmann-Riem/ Schmidt-Aßmann, Innovation und Flexibilität, S. 199 (212 f.); v. Danwitz, DV 1997, S. 339 (347 ff.); Henneke, in: Knack, Verwaltungsverfahrensgesetz, Vor § 35 Rn. 17.
1. Abschnitt: Handlungspraxis und Handlungssystem
303
deren Gegenseitigkeit und Konnexität betont werden. Das Verwaltungsrechtsverhältnis arbeitet die Relativität rechtlicher Zuordnungen heraus. Es gestattet so eine differenzierte Analyse der Beziehungen auch innerhalb der Verwaltung selbst. Rechtsverhältnisse lenken den Blick auf die rechtliche Regelungen beeinflussenden Sachstrukturen. Besonderheiten („Sonderbefindlichkeiten“) lassen sich so klarer erfassen und einer strukturangemessenen Lösung zuführen (→ 2/25–26). Schließlich setzt das Rechtsverhältnis einer statischen Betrachtung, wie sie mit den dogmatischen Figuren des Rechtsstatus und des Rechtseingriffs verbunden ist, die Entwicklungsoffenheit der Rechtslage entgegen und gestattet es so, die Dimension der Zeit besser zu erfassen.
2. Strukturierende Funktion 43 Neben die Analyse treten die Einordnung unterschiedlich gestalteter Rechtsverhältnisse in bestimmte Rechtskreise und der Aufbau einer gestuften Rechtsverhältnisordnung. Die Fruchtbarkeit dieses Ansatzes hat Norbert Achterberg für das Verwaltungsorganisationsrecht und die angrenzenden Bereiche des Aufsichts- und des Amtsrechts aufgezeigt112. Er unterscheidet Rechtsverhältnisse zwischen Organisation und Organisationsmitglied, zwischen Organisationen untereinander, Organisation und Organ, Organen und Organ sowie zwischen Organisation und Organwalter, Organ und Organwalter. Dieser Ansatz kann über das klassische Organisationsrecht hinaus auf neue organisatorische Erscheinungen erstreckt werden, in denen Verwaltung und gesellschaftliche Kräfte und Gruppierungen zusammenwirken. Mit der Unterscheidung einzelner Schichten von Rechtsrelationen stellt sich die Frage der richtigen Zuordnung der Rechtskreise zueinander deutlicher113. Die Rechtskreise dürfen nicht voreilig kurzgeschlossen werden. Sie existieren aber auch nicht unverbunden nebeneinander. Die Rechtsverhältnisordnung veranlaßt dazu, Verkoppelungen und Übergänge zwischen ihnen mit reflektierten Wertungsschwellen zu versehen. Das Phänomen unterschiedlicher Rechtswidrigkeitsurteile wird besser erklärbar. Zwischen Außenrecht und Innenrecht lassen sich weitere Rechtskreise ausmachen, die den strengen Dualismus in eine Stufenordnung überführen.
3. Dogmatische Funktion 44 Fraglich ist, inwieweit das Verwaltungsrechtsverhältnis darüber hinaus auch als dogmatische Kategorie nutzbar ist, so daß aus dem Begriff selbst normative Konsequenzen gezogen werden können114. Hier ist Vorsicht geboten: Dog112 113 114
Achterberg, Verwaltungsrecht, § 20 Rn. 34 ff. Dazu grundlegend Rupp, Grundfragen, S. 15 ff. Dazu Bauer, DV 1992, S. 301 (319 ff.); Schoch, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann, Innovation und Flexibilität, S. 199 (bes. 211 ff., 218 ff., 240 ff.); Schulte, Schlichtes Verwaltungshandeln, S. 205 ff.; Gröschner, DV 1997, S. 301 (302 ff. und 319 ff.).
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Sechstes Kapitel: Das Handlungssystem der Verwaltung
matischen Gehalt hat das Rechtsverhältnis vor allem in den einzelnen Gebieten des Fachverwaltungsrechts. Es ist dort durch die einschlägigen Gesetzesbestimmungen zum Subventions-, Anstaltsnutzungs-, Überwachungs- oder Beamtenrechtsverhältnis, zum Sozialrechtsverhältnis (§§ 30–67 SGB-AT) oder Steuerschuldverhältnis (§§ 37–50 AO) ausgeformt. Bei der Anwendung dieser Bestimmungen kann es zur Auslegung und Lückenschließung herangezogen werden, indem es die Gesichtspunkte des funktionalen Zusammenhangs und der gegenseitigen Abhängigkeit von Einzelregelungen in die juristische Argumentation einführt. Unter Umständen dient der Rückgriff auf das Verwaltungsrechtsverhältnis eines bestimmten Typs auch dazu, den subjektiv-rechtlichen Gehalt einer Vorschrift aufzuklären115. Ähnlich beantwortet sich die Frage, inwieweit ein Organ gegen ein anderes Organ desselben Rechtsträgers gerichtlichen Rechtsschutz in Anspruch nehmen kann, aus dem einschlägigen Fachrecht, z.B. dem Kommunal- oder Hochschulrecht, im Interpretationszusammenhang der Rechtsverhältnislehre und ihrer Stufungen (→ 4/77). 45 Um die normativen Gehalte des Verwaltungsrechtsverhältnisses auch im allgemeinen Verwaltungsrecht zu entfalten, bedarf es dagegen weiterer Zwischenschritte; denn als allgemeine Rechtsfigur ist das Rechtsverhältnis aus sich heraus zu wenig greifbar. Es muß folglich erst durch Vermittlungsbegriffe zu typischen Regelungssituationen in Beziehung gesetzt werden: – So stellt das Dauerrechtsverhältnis die Wandelbarkeit der Rechtsbeziehung in der Zeit heraus. Mit seiner Hilfe werden die Anpassungsbedürfnisse, z.B. gegenüber bestandskräftig abgesicherten Positionen, in den juristischen Argumentationskontext eingeführt. Das ist für das Verhältnis des Verwaltungsakts zur Rechtsverhältnislehre aufgezeigt worden116. – Zum Verwaltungsschuldverhältnis verdichtet ist das Verwaltungsrechtsverhältnis der Ordnungsrahmen, um richterrechtlich entwickelte Haftungsfolgen zu legitimieren117. – Das Verfahrensrechtsverhältnis betont den Zusammenhang der einzelnen Verfahrensabschnitte und kann – insbesondere als mehrpoliges Rechtsverhältnis – dabei helfen, über die gesetzlichen Verfahrensregelungen hinaus Nebenrechte und Nebenpflichten zu entwickeln (→ 6/156–157). – Das Partizipationsverhältnis hebt Mechanismen privaten Ausgleichs zwischen den Beteiligten hervor118. Vorausgesetzt wird allerdings stets ein engerer realer Kontaktbereich, wie er besonders auf der Umsetzungs- und Vollzugsebene existiert (→ 3/34). Administrative Planungen und Normsetzungen dagegen lassen sich mit dem Rechtsverhältnisdenken nur schwer weiter aufhellen. 115 116 117 118
Dazu Bauer, AöR 1988, S. 582 (610 ff.). Schoch, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann, Innovation und Flexibilität, S. 199 (211 ff.). Vgl. Meysen, Die Haftung aus Verwaltungsrechtsverhältnis, S. 277 ff. Dazu Schmitt Glaeser, in: Lerche/Schmitt Glaeser/Schmidt-Aßmann, Verfahren, S. 35 (84 ff.).
1. Abschnitt: Handlungspraxis und Handlungssystem
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III. Die Bedeutung des Verwaltungsverfahrensrechts 46 Daß bestimmte Verfahrensgestaltungen die Anwendung des materiellen Rechts beeinflussen, sie z.B. im Sinne eines gesteigerten Individualrechtsschutzes lenken können, und daher eigenständige Bedeutung haben, entspricht einer alten Erkenntnis. Die Verfahrensregelungen, die bereits das Enteignungsrecht des 19. Jahrhunderts kannte, zeigen das119. Doch ist diese Erkenntnis im Verwaltungsrecht lange Zeit nicht hinreichend systematisch verarbeitet worden. Das zeigt sich an der bis heute gebräuchlichen Formel von der dienenden Funktion des Verfahrensrechts. Vorstellungen einer „serving function“ des Verfahrensrechts finden sich zwar auch in anderen Rechtsordnungen, die dem Verfahrensrecht traditionell ein größeres Gewicht beimessen120. Sie sind dort jedoch in ihren Konsequenzen gemäßigter und belassen dem Verfahren seine selbständige Bedeutung: „Justice must not only be done, it must also be seen to be done“121. Im deutschen Recht bewirken sie in Verbindung mit der traditionell vorherrschenden Ausrichtung an materiellen Gesetzesprogrammen dagegen einen Nachrang des Verfahrensrechts, der dem Eigengewicht prozeduraler Steuerung nicht gerecht wird. Natürlich steht das Verfahrensrecht im Dienste korrekter Umsetzung dessen, was das Gesetz anordnet. Doch ist das nicht seine einzige Aufgabe. Die Analyse der Gesetzesanwendungsvorgänge zeigt, daß selbst gebundene Entscheidungen vielfach erhebliche Konkretisierungsspielräume umgreifen (→ 4/38–42). Gerade hier setzt die eigenständige Aufgabe verfahrensmäßiger Steuerung an122. Ihr Ziel ist Richtigkeitsgewähr durch Verfahren (→ 6/149–150).
1. Unterschiedlich weite Verfahrensbegriffe 47 Verwaltungsverfahren sind planvoll gegliederte Vorgänge der Informationsgewinnung und Informationsverarbeitung, die in der Verantwortung eines Trägers öffentlicher Verwaltung ablaufen123. Sie geben den vielfältigen Kontakten zwischen Verwaltung und Bürgern oder zwischen Verwaltungseinheiten untereinander Struktur, indem sie sie zu einem Handlungsgefüge integrieren. 48 Die Verfahrenslehre hat von einem denkbar weiten Verfahrensbegriff auszugehen: – Im Vordergrund des verwaltungsrechtlichen Interesses stehen Verfahren, die den Informationsfluß zu Entscheidungen verarbeiten: Entscheidungsverfahren. Die Entscheidungen können einseitig oder konsensual getroffen werden (vgl. § 9 119 120 121
122 123
Frenzel, Staat 1979, S. 592 ff. Dazu Schmidt-Aßmann/Krämer, EuZöR 1993, Sonderheft, S. 99 (101). Zu diesem Topos De Smith/Woolf/Jowell, Judicial Review, S. 500; vgl. auch Craig, EuZöR 1993, Sonderheft, S. 55 (57); Ladenburger, Verfahrensfehlerfolgen im französischen und deutschen Recht, S. 345. Vgl. Schuppert, Verwaltungswissenschaft, S. 772 ff. Hill, Fehlerhaftes Verfahren, S. 193 ff.; Kluth, in: Wolff/Bachof/Stober, Verwaltungsrecht, Bd. 2, § 58 Rn. 1; Schoch, DV 1992, S. 21 (23 ff.).
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Sechstes Kapitel: Das Handlungssystem der Verwaltung
VwVfG). Sie müssen nicht notwendig öffentlich-rechtlicher Art sein, sondern können sich auch privatrechtsförmig darstellen. Auch Vergabeverfahren des Beschaffungswesens sind folglich Verwaltungsverfahren und damit Gegenstand des Verwaltungsverfahrensrechts. Gleiches gilt für die administrative Normsetzung und Planung (→ 6/82–99). – Nicht alles Handeln der Verwaltung läßt sich jedoch als Entscheidung definieren oder über Entscheidungen hinreichend erfassen. Bei sozialen Diensten und bei Beratungsleistungen der vermittelnden Verwaltung treten die realen Vorgänge ganz in den Vordergrund (→ 3/30). Um auch sie systematisch zu erfassen, muß die Verfahrenslehre neben Entscheidungsverfahren einen zweiten Verfahrenstyp anerkennen: Verfahren der realen Leistungsbewirkung. – Ferner ist zu bedenken, daß Verwaltungsverfahren nicht notwendig eine rechtlich geordnete Struktur haben müssen. Auch in der Verfahrenslehre gibt es, ähnlich wie in der Formenlehre, Erscheinungen der Informalität. Sie treten, da Verfahren Handlungsgefüge mit unterschiedlich exakt durchgebildeten Elementen sind, hier nicht so deutlich hervor. Viele Vorgänge, die im Rahmen der Formenlehre als Ausdruck informalen Handelns dargestellt werden, sind jedoch prozedurale Vorgänge: Vorgespräche, abgestimmte Verhaltensweisen. Oft sind es gerade verfahrensrechtliche Schutzvorkehrungen, die den ersten Ansatz zur Ordnung des informellen Verwaltungshandelns bieten (→ 6/131). Informales Handeln ist systematisch ein die Formen- und Verfahrenslehre übergreifendes Phänomen. Es belegt die Notwendigkeit, beide nicht getrennt zu betrachten, sondern als gleichermaßen bedeutsame Bestandteile des administrativen Handlungssystems anzusehen (→ 6/32). – Schließlich sind für die verwaltungsrechtliche Systembildung auch solche Verfahren wichtig, in denen die Verfahrensverantwortung nicht allein bei der öffentlichen Verwaltung, sondern auch bei privaten Akteuren liegt. Verfahren kooperativen Interessenausgleichs finden sich z.B. bei der privaten Standardsetzung im Sicherheitsrecht, als Mediationsverfahren im Vorfeld förmlicher Verwaltungsverfahren oder als Verfahren privater Auditierung als Teil einer veränderten Wirtschaftsaufsicht (→ 6/91–94, 136–137, 162–168).
2. Schichten verfahrensrechtlichen Denkens, Verfahrensziele 49 Verwaltungsverfahren spielen für das verwaltungsrechtliche Denken unter zwei Aspekten eine Rolle: Sie sind einmal konkrete Vorgänge und zum zweiten Ordnungsmuster. In ersterer Hinsicht geht es um die richtige Handhabung der Verfahrensregeln, wie sie die Gesetze in Zuständigkeits-, Beteiligungs- und Bekanntmachungsvorschriften u.ä. vielfältig enthalten. Systematisch wichtiger ist die Betrachtung des Verwaltungsverfahrens als Ordnungsmuster. Als phasenspezifisch gegliederte Vorgänge zeigen Verfahren Knotenpunkte der Informationsverarbeitung auf, markieren Ansatzstellen für Einflußnahmen auf diesen Prozeß und machen auf Regelungsbedürfnisse zur Gewährleistung der erforderlichen Neutralität, Effizienz und Gleichmäßigkeit administrativen Handelns aufmerksam.
1. Abschnitt: Handlungspraxis und Handlungssystem
307
50 Im Rechtsvergleich lassen sich drei Schichten verfahrensrechtlichen Denkens ausmachen, die jeweils unterschiedliche Verfahrensziele herausstellen und auf drei Idealtypen von Verfahren zuführen124: – Einen ersten Typus bilden Verwaltungsverfahren im Umfeld gerichtlicher Auseinandersetzungen, Widerspruchs- und Beschwerdeverfahren. Historisch ist der Gerichtsschutz in Verwaltungssachen oft aus solchen Rekursverfahren hervorgegangen125, wie umgekehrt Verfahrensstandards für die Verwaltung von gerichtlichen – regelmäßig zivilgerichtlichen – Verfahrensregelungen abgeleitet worden sind. Heute findet sich dieser Verfahrenstypus regelmäßig als fakultativ oder obligatorisch zu durchlaufendes Vorverfahren126. Auch Art. 13 EMRK spricht, wenn er eine Beschwerdemöglichkeit zu einer nationalen Instanz garantiert, den Verfahrensgedanken in dieser Variante an, bei der es um ein auf nachträgliche Kontrolle angelegtes kontradiktorisches Verfahren geht127. Man kann Verfahren dieser Art als justitiellen Typus bezeichnen. Sie sind konfrontativ angelegt und bilden entwicklungsgeschichtlich eine ältere Schicht von Verfahrenskonzepten. – Dem Verwaltungsverfahrensrecht geht es heute jedoch nicht allein und nicht einmal vorrangig darum, für schon getroffene Verwaltungsentscheidungen die Möglichkeit einer nachträglich ansetzenden Kontrolle durch eine zweite Instanz zu bieten. Es will vielmehr vor allem das Zustandekommen von Verwaltungsentscheidungen ex ante steuern. Die Verwaltung soll zu sorgfältiger Vorbereitung der Entscheidung veranlaßt werden. Adressaten oder Antragsteller erhalten Gelegenheit, ihre Interessen wirksam zu vertreten. Typische Gestaltungselemente dieses zweiten Verfahrenstyps sind Anhörungs- und Akteneinsichtsrechte sowie Beratungs- und Auskunftspflichten der Verwaltung, aber auch Mitwirkungslasten der Beteiligten bei der Aufhellung des Sachverhalts. Es geht um präventiv-rechtsschützende Verfahren. Das Verfahrensrechtsverhältnis ist nicht konfrontativ angelegt, aber es bleibt ein bilaterales Verhältnis, zu dem Dritte in der Regel erst hinzugezogen werden müssen (§ 13 VwVfG). Dieses ist das Standardverfahren der Verwaltungsverfahrensgesetze des Bundes und der Länder. Es findet sich in unterschiedlichen Varianten vielfältig auch im Fachrecht. Überhaupt ist es das Arsenal für die wichtigsten Bauelemente „des“ derzeitigen Verwaltungsverfahrens (→ 6/152–161). Man muß sich aber seines auf die Vollzugsverwaltung ausgerichteten Konzepts bewußt bleiben (→ 6/139–140).
124
125 126 127
Zum folgenden Cassese, EuZöR 1993, Sonderheft, S. 15 ff., der von zwei gegenläufigen Entwicklungen des Verwaltungsverfahrensrechts ausgeht: zur Stärkung der Justizförmigkeit von Verwaltungsverfahren einerseits und zur Stärkung der politischen Funktion andererseits. Schmidt-Aßmann, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, Verwaltungsgerichtsordnung, Einl. Rn. 71. Dazu D. Oppermann, Funktion des verwaltungsgerichtlichen Vorverfahrens; Kluth, in: Wolff/Bachof/Stober, Verwaltungsrecht, Bd. 2, § 63. Vgl. EGMR NJW 2001, 2694 ff. („Fall Kudla“).
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Sechstes Kapitel: Das Handlungssystem der Verwaltung
– Von Verwaltungsverfahren läßt sich aber auch noch in einem wesentlich weiteren Sinne sprechen. In Verfahren dieses dritten Typs geht es um die Abklärung vielpoliger Interessengeflechte (→ 6/163). Beispiele sind Planungs-, Verteilungs- und Qualitätssicherungsverfahren sowie Normsetzungsverfahren128. Obwohl sich in solchen Verfahren einzelne Schutzpositionen oft noch nicht ausmachen lassen, unterliegt es keinem Zweifel, daß auch hier die Strukturierung der Entscheidungsbildung von erheblicher Bedeutung für ein rechtsstaatliches und demokratisches Verwaltungsrecht ist. Verfahren werden eingesetzt, um den Vorgang der Interessendarstellung und -abklärung durchschaubar zu machen und auf eine adäquate Interessenrepräsentanz zu achten (→ 3/69–71). Als Verfahrensbeteiligte zur Interessenbalancierung wirken auch Sachverständige, Verbände und Interessentengruppen oder die Öffentlichkeit mit. Die rechtsvergleichende Literatur stellt dem justitiellen Verfahren diese Art als Verfahren politischen Charakters gegenüber129. Verfahren sollen hier ganz allgemein das Medium sein, um rechtsstaatliche und demokratische Rationalität zu gewährleisten (→ 2/75–78; 102–116). 51 In das verfahrensrechtliche Denken des Verwaltungsrechts nur in geringem Umfange einbezogen waren bisher inneradministrative Verfahren, z.B. das Haushaltsverfahren und Verfahren zwischenbehördlicher Zusammenarbeit. Auch diese Verfahren wollen jedoch „Richtigkeitsgaranten“ administrativen Handelns sein. Sie dienen dem Ziel effizienten und effektiven Verwaltens, indem sie Verantwortung zuweisen und die situationsbezogen notwendige Handlungseinheit organisieren. Ihre Aufgaben sind schon heute wichtig, und sie werden in einem sich ausbildenden europäischen Verwaltungsverbund noch notwendiger werden. Daß sie mit der Richtigkeit administrativen Entscheidens zugleich auch den Rechtsschutz fördern, zeigt sich z.B. an den Übergängen zwischen Haushaltsverfahren und öffentlichem Vergabeverfahren (→ 6/170–172).
3. Gegensätzliche Tendenzen der Verfahrensrechtsentwicklung 52 Die verwaltungsrechtliche Entwicklung der zurückliegenden drei Jahrzehnte ist in Deutschland durch ihre deutliche Ausrichtung auf ein verfahrensrechtliches Denken gekennzeichnet gewesen130. Auf diese Weise ist das Verwaltungsverfahrensrecht in den verwaltungsrechtlichen Lehrbüchern zum zweiten Eckpfeiler des administrativen Handlungssystems geworden (→ 6/32–33). Das 128 129 130
Zu „neuen“ Verfahrenstypen Voßkuhle, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann, Verwaltungsverfahren und Verwaltungsverfahrensgesetz, S. 277 (290 ff.). So Cassese, EuZöR 1993, Sonderheft, S. 15 (19), in Übernahme einer Formulierung von R.B. Stewart: Verwaltungsverfahren als „a surrogate political process“. Brohm und Bachof, VVDStRL Bd. 30, S. 245 (279) und S. 193 (230 f.); Walter und Schmitt Glaeser, VVDStRL Bd. 31, S. 147 ff. und 179 ff.; Wahl und Pietzcker, VVDStRL Bd. 41, S. 151 ff. und 193 ff.; Hill, Fehlerhaftes Verfahren, bes. S. 189 ff.; Hufen, Fehler im Verwaltungsverfahren, S. 59 ff.; Lerche/Schmitt Glaeser/Schmidt-Aßmann, Verfahren; Pitschas, Verwaltungsverantwortung.
1. Abschnitt: Handlungspraxis und Handlungssystem
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„Gespräch mit dem Bürger“ als Ausdruck zeitgerechten Verwaltens, die „kooperative Verwaltung“, die Verzahnungen zwischen staatlicher Steuerung und gesellschaftlicher Selbststeuerung – sie alle führen auf eine Prozeduralisierung des Verwaltungsrechts zu131. Die Entwicklung in Europa weist in dieselbe Richtung: Der „due process of law“ ist eine Grundannahme eines gemeinsamen europäischen Rechtsverständnisses. Die Empfehlungen des Europarats zu Fragen des Verwaltungsrechts setzen regelmäßig verfahrensrechtlich an132. Besondere Entwicklungsanstöße hält das EG-Recht für das Verwaltungsverfahren bereit (→ 6/144–150). Auf längere Sicht dürfte sich von allen Gebieten des Verwaltungsrechts als erstes das Verfahrensrecht dazu eignen, Gegenstand einer gemeinschaftsrechtlichen Kodifikation zu werden133. Die Einordnung des deutschen Verfahrensrechts in diesen Kontext verlangt, seine derzeit prägenden Faktoren, die „Grundrechtsrelevanz des Verfahrens“ und die „Verfahrensbeschleunigung“, zu analysieren134.
a) Grundrechtsrelevanz des Verwaltungsverfahrens 53 Die seit langem bekannte Bedeutung des Verfahrensrechts für den Grundrechtsschutz wurde mit besonderem Nachdruck durch Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zunächst für das gerichtliche und später auch für das administrative Verfahren herausgearbeitet (→ 2/42–43)135. Grundrechtliche Schutzbereiche umgreifen teils ausdrücklich, teils inzidenter verfahrensrechtliche Gewährleistungen. Grundrechtliche Schutzziele strahlen auf das einfach-gesetzliche Verfahrensrecht aus, leiten seine Anwendung und verlangen unter Umständen seine Ergänzung. Zumal mehrpolige Grundrechtssituationen mit konkurrierenden Rechtsträgern sind auf Verteilungsmechanismen und kollisionslösende Verfahren angewiesen. Der status activus processualis, von Peter Häberle 1971 als Teil der Grundrechtslehren entfaltet136, ist schnell zu einer wichtigen verfassungsrechtlichen Grundlage der Verfahrensrechtslehre geworden. Verfassungsgerichtliche Leitentscheidungen haben den Gedanken aufgenommen und verfahrensrechtliche Gestaltungselemente herausgearbeitet: die „Mülheim-Kärlich“Entscheidung das Beteiligungsrecht, die „Sasbach“-Entscheidung die Mitwirkungslast137, die „Prüfungs“-Entscheidungen den Gedanken diskursiver Pro131 132 133 134 135
136 137
Vgl. nur G.-P. Calliess, Prozedurales Recht, S. 181 ff. Dazu die Nachw. bei Stelkens/Bonk/Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz, Einleitung Rn. 138 ff. Vgl. Harlow, ELJ 1996, S. 3 ff.; Schwarze, DVBl 1996, S. 881 ff.; Schmidt-Aßmann, in: Müller-Graff, Perspektiven des Rechts in der EU, S. 131 (160 ff.). Wahl, DVBl 2003, S. 1285 ff. Dazu die Nachw. bei Goerlich, Grundrechte als Verfahrensgarantien, S. 57 ff.; Held, Grundrechtsbezug, S. 68 ff.; Kunig, Rechtsstaatsprinzip, S. 373 ff.; Stern, Staatsrecht, Bd. 3/1, § 69 V 6 und 7; Denninger, in: HStR Bd. 5, § 113 Rn. 5 ff. Häberle, VVDStRL Bd. 30, S. 43 (86 ff.). BVerfGE 53, 30 (62 ff.) und 61, 82 (109 ff.).
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Sechstes Kapitel: Das Handlungssystem der Verwaltung
blembewältigung und vorbeugender Fehlervermeidung138. Die ältere Verfahrenslehre hatte einen Grundbestand an verfahrensrechtlichen Instituten aus dem Rechtsstaatsprinzip abgeleitet139. Ihre grundrechtliche Absicherung führte in Literatur und Rechtsprechung zu einer Steigerung ihrer Beachtlichkeit140. 54 Die rechtsdogmatischen Konsequenzen dürfen allerdings nicht überbewertet werden141. Verwaltungsverfahren sind Handlungsgefüge, in denen sich die Bedeutung eines einzelnen Verfahrenselements nur in einer Gesamtbewertung feststellen läßt (→ 2/43). Folglich kann über das, was verfahrensmäßig durch die Grundrechte konkret gefordert und mit der gesteigerten Bedeutung verfassungsrechtlicher Gewährleistungen in das Rechtssystem einzustellen ist, isoliert selten ein verläßliches Urteil gefällt werden142. Ebensowenig führt der Umstand, daß eine Verwaltungsentscheidung Grundrechte berührt, notwendig dazu, daß alle Vorschriften des voraufgehenden Verfahrens subjektiv-rechtlich aufgeladen werden. Der Grundrechtsbezug von Verwaltungsverfahren ist auch kein Hebel, um in die verwaltungsrechtliche Systematik eine „katechontische Wirkung“ zu transportieren (→ 1/32). Die Anforderungen der überkommenen materiell-rechtlichen und der neueren verfahrensrechtlichen Ausrichtung des verwaltungsrechtlichen Denkens lassen sich nicht einfach summieren. Wenn man im Lichte des Art. 19 Abs. 4 GG eine möglichst intensive gerichtliche Inhaltskontrolle einfordert, so bleibt für eine eigenständige Aufgabe des Verfahrensrechts wenig Raum. Bedeutung erlangt das Verfahrensrecht gerade dort, wo die gerichtliche Inhaltskontrolle auf das Modell einer Abwägungskontrolle zurückgenommen wird (→ 4/70).
b) Verfahrensbeschleunigung 55 Die Gegentendenz zu diesen Entwicklungen bildet in gewisser Weise der Gedanke der Verfahrensbeschleunigung (→ 2/30–31). Auch dieser Begriff umgreift viele zutreffende Überlegungen, aber auch manche überzogenen Positionen. Richtig ist es, daß Verwaltungsverfahren Bestandteile des administrativen Handlungssystems sind, die innerhalb dieses Systems bestimmte Zwecke verfolgen. Auch ein auf gründliche Aufklärung und fundierten Interessenausgleich gerichtetes Verfahren muß daher mit angemessenem Aufwand und in angemessener Zeit zu einem Abschluß gebracht werden. Verfahrensvorschriften sollen für die Verwaltung nicht Anlaß sein, unbequeme Entscheidungen auf die lange Bank zu schieben. Die Pflicht zur Durchführung eines Verwaltungsverfahrens in vernünftiger Zeit und mit angemessenem Aufwand folgt aus dem rechtsstaatlichen Wirksamkeitsgebot (→ 2/30). Die Kritik, die ältere Verwaltungspraxis und 138 139 140 141 142
BVerfGE 84, 34 (54 f.) und 59 (73). Dazu Laubinger, VerwArch 1982, S. 60 ff. Anschaulich die Nachw. bei Stelkens/Bonk/Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz, § 1 Rn. 33 ff., § 9 Rn. 46 ff. Vgl. Gellermann, Grundrechte in einfachgesetzlichem Gewande, S. 255 ff. Zutreffend kritisch Dolde, NVwZ 1982, S. 65 ff.; im Ergebnis auch Denninger, in: HStR Bd. 5, § 113 Rn. 9.
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Rechtsdogmatik hätten diese Determinante des Verwaltungshandelns in der Vergangenheit nicht immer hinreichend berücksichtigt, ist nicht von der Hand zu weisen143. 56 Die sog. Beschleunigungsgesetzgebung, insbesondere die Novellen von 1996 haben hier einen Gegenakzent gesetzt. Wenn der ergänzte § 10 und der neue § 71b VwVfG heute klar festlegen, daß Verfahren zügig durchzuführen sind, so ist das rundherum zu begrüßen. Positiv zu bewerten sind auch die einer schnelleren zwischenbehördlichen Abstimmung dienenden Sternverfahren und Antragskonferenzen (§§ 71d, 71e VwVfG), die Einführung von Stellungnahme- und Bearbeitungsfristen, die Festlegung einer Präklusionsfrist im Planfeststellungsrecht (§ 73 VwVfG) und die Schaffung vereinfachter Zulassungsverfahren, z.B. in Form der Plangenehmigung (§ 74 VwVfG). Die Beschleunigungsregelungen waren jedoch in zentralen Punkten überstürzt und zu einseitig. Greift der Gesetzgeber derart auf die Grundlagen der Verwaltungsrechtsordnung zu, so ist eine besonders kritische Begleitung angesagt144, die auf eine längerfristige, ausgewogene Entwicklung sehen muß145: Verwaltungsverfahren dürfen späteren Gerichtsschutz nicht unzumutbar erschweren, aber auch die Verantwortung nicht auf die Gerichte abschieben (→ 6/174). Sie müssen der Fairneß unter den Beteiligten und der Effizienz des Verwaltungshandelns verpflichtet sein. Zwischen diesen beiden Doppelgeboten besitzt der Verfahrensgesetzgeber zwar erhebliche Gestaltungsmöglichkeiten. Besondere Beschleunigungsnovellen aber stehen in der Gefahr, diese Margen zu überschreiten. In der Vergangenheit haben das Bemühen der Kommunalgesetzgeber, die Folgen von Verfahrensfehlern bei kommunalen Satzungen einzuschränken, und die mehrfachen Aktivitäten des Baugesetzgebers, für städtebauliche Pläne und Satzungen diese Entwicklungstendenz zu einem Sonderrecht auszuformen, Kritik hervorgerufen146. Auch die Beschleunigungsgesetze legen einen Schwerpunkt auf die Verfahrensfehlerlehre. Damit treffen sie einen besonders sensiblen Punkt, weil das Verfahrensrecht seinen normativen Ernst einbüßt, wenn seine Verletzung in großem Umfang ohne rechtliche Sanktionen bleibt. Der Gesetzgeber verfügt auch hier zwar über einen Sanktionierungsspielraum147. Doch beeinträchtigt ein weitreichendes Abweichen von der Standardfolge der Rechtswidrigkeit und Angreifbarkeit nicht nur die Bedeutung der verletzten Verfahrensvorschrift, sondern zugleich die Gesetzesgebundenheit der Verwaltung. Die Neufassung der 143 144
145 146 147
Dazu Bullinger, JZ 1994, S. 1129 ff.; auch Schlichter, DVBl 1995, S. 173 (174). Bonk, NVwZ 1997, S. 320 (322 f.); Voßkuhle, DV 2001, S. 347 (349 ff.); Kahl, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann, Verwaltungsverfahren und Verwaltungsverfahrensgesetz, S. 67 (72 ff.) mit weit. Nachw. Positiver in der Bewertung der Beschleunigungsgesetze Gerhardt, dort S. 413 (421 f.). Daß eine Neuregelung in § 87 Abs. 1 Nr. 7 VwGO von 1996 bereits wenige Jahre später rückgeändert wurde, indiziert eher gesetzgeberischen Aktivismus als langen Atem. Dazu Morlok, Folgen von Verfahrensfehlern, S. 24 ff.; Schoch, NVwZ 1990, S. 801 (806 f.). Ausführlich Hill, Fehlerhaftes Verfahren, S. 332 ff.
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§§ 45, 46 VwVfG ist zwar nicht gerade verfassungswidrig148. Aber zwischen einer besonderen Ausrichtung an Grundrechten und der Gewährleistung nur eines verfassungsrechtlichen Minimums hat die verfahrensrechtliche Entwicklung eine verläßliche Linie noch nicht gefunden. Das ist – auch im Blick auf das EG-Recht – unbefriedigend149.
IV. Die Lehre von den Maßstäben des Verwaltungshandelns 57 Die Lehre von den Maßstäben thematisiert Grundfragen rechtmäßiger, vernünftiger und praktischer Verwaltungsführung. Maßstäbe bilden „normative Orientierungen des Verwaltungshandelns“ in einem über die Rechtmäßigkeit hinausgreifenden, auf Richtigkeit zielenden Sinne150: Gleichbehandlung, Verhältnismäßigkeit, Wirtschaftlichkeit, Effizienz, Transparenz, Akzeptanz u.a. Sie sind Garantien der Rationalität des Verwaltungshandelns (→ 2/22, 75). Entwicklungsgeschichtlich schöpfen sie aus der Rechtsidee und aus dem Erfahrungsschatz allgemeiner Billigkeits- und Praktikabilitätsüberlegungen, die in der Begründungspraxis anderer Rechtsordnungen oft klarer herausgestellt werden. Für das deutsche Verwaltungsrecht existiert bisher keine systematisch geschlossene Maßstablehre151. Bei der Darstellung des europäischen Verwaltungsrechts werden die Maßstäbe dagegen als ein wichtiges systemleitendes Gliederungskriterium genutzt152. Deutlicher als bei den Rechtsformen des Verwaltungshandelns, die eher Konstrukte unterschiedlicher dogmatischer Traditionen sind, bestimmen hier gemeinsame Grundüberzeugungen das Feld. EG-Recht und EMRK gewinnen gerade hier immer größere Bedeutung. Ein Ausbau der Maßstablehre wird daher auch durch Überlegungen der Rechtsvergleichung nahegelegt. Im folgenden werden zunächst Aufgaben und Aufbau der Maßstablehre behandelt. Am Beispiel des 148 149 150
151
152
Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 19 Abs. 4 Rn. 157 f. Zu Konvergenzmöglichkeiten Wahl, DVBl 2003, S. 1285 (1291 ff.). Hoffmann-Riem, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Schuppert, Reform des Verwaltungsrechts, S. 115 (130 ff.): rechtmäßiges, optionales, optimierendes und akzeptanzsicherndes Verwaltungshandeln; ders., in: Schmidt-Aßmann/Hoffmann-Riem, Methoden der Verwaltungsrechtswissenschaft, S. 9 (46 ff.). Eine Behandlung der Maßstäbe mit übergreifender Fragestellung findet sich bei Achterberg, Verwaltungsrecht, § 19: Rechtmäßigkeit, Zweckmäßigkeit, Wirtschaftlichkeit, Einsichtigkeit, Verantwortlichkeit, Gemeinwohlbezüglichkeit. Grundzüge einer Maßstablehre ferner bei Mayer/Kopp, Verwaltungsrecht, § 30: Grundsätze der Bestimmtheit, Vorhersehbarkeit, Meßbarkeit und Wägbarkeit des Verwaltungshandelns, Willkürverbot, Übermaßverbot, Treu und Glauben, Vertrauensschutz, Zumutbarkeit, Koppelungsverbot, Effizienz und Gemeinwohlrelevanz. Schwarze, Europäisches Verwaltungsrecht, Bd. 1 und 2: Die die Gliederung des Werkes leitenden Verwaltungsmaximen, die in den mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen ebenso wie in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs nachgewiesen werden, sind Gleichheitsgebot und Diskriminierungsverbot (4. Kapitel), Verhältnismäßigkeit (5. Kapitel), Rechtssicherheit und Vertrauensschutz (6. Kapitel) sowie die rechtsstaatlichen Grundsätze des Verwaltungsverfahrens (7. Kapitel).
1. Abschnitt: Handlungspraxis und Handlungssystem
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Grundsatzes der Effizienz soll sodann untersucht werden, inwieweit aus einer Verbindung unterschiedlich ansetzender Maßstäbe noch übergreifendere Rationalitätskriterien für das Verwaltungshandeln zu gewinnen sind.
1. Aufgaben und Aufbau der Maßstablehre 58 Maßstäbe sollen durchlaufende Orientierungslinien geben, die das Verwaltungshandeln über die jeweils einschlägigen Tatbestände des Fachrechts hinaus bestimmen. Sie wirken vor allem auf Ermessens- und Abwägungsklauseln ein. Aber auch die Interpretation und Anwendung unbestimmter Gesetzesbegriffe können von ihnen geprägt werden. So heißt es in einer sozialrechtlichen Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts zur Beachtlichkeit von Wirtschaftlichkeitsgesichtspunkten153: „Bei der Gesetzesauslegung kann deshalb nicht unberücksichtigt bleiben, daß das Maß dessen, was der einzelne von der Gemeinschaft vernünftigerweise verlangen kann, durch die Finanzierbarkeit der in Anspruch genommenen Leistungen bestimmt wird“. In den Einzelpunkten weisen Aussagegehalt, Rang und Einwirkungspfade der Maßstäbe noch manche Unsicherheit der Dogmatik auf.
a) Das Spektrum der Maßstäbe 59 Für das Verwaltungsrecht haben bisher vor allem die zu „allgemeinen Rechtsgrundsätzen“ erstarkten Maßstäbe eine Rolle gespielt154. Unter ihnen lassen sich eher verfahrensbezogene und eher materielle Maßstäbe ausmachen. Wir beschränken uns an dieser Stelle auf die materiellen Maßstäbe, unter denen dem Verhältnismäßigkeitsprinzip und den Gleichheitsmaßstäben eine herausgehobene Bedeutung zukommt. Beide haben sich zu eigenen Maßstabbündeln entwickelt: – Für das Verhältnismäßigkeitsprinzip sind das die Gebote der Geeignetheit, der Erforderlichkeit und der Proportionalität, die sich ihrerseits bereichsspezifisch weiter aufgliedern155. Ihre Grundlage bilden das Rechtsstaatsprinzip und insbesondere die Freiheitsgrundrechte. Ihr Anwendungsfeld sind vorrangig Eingriffsvorgänge, aber auch Aufgaben planerischer Gestaltung und Risikoabschätzung unterfallen ihnen – freilich unter Beachtung eines den Ausgleichsgedanken betonenden, weniger strikten Kontrollrasters. Von hieraus bestehen Übergänge zum Grundsatz der Ressourcenschonung (→ 6/64–67).
153 154 155
BVerwGE 72, 113 (115); vgl. auch BVerwGE 97, 110 (114). Dazu Ossenbühl, in: Erichsen/Ehlers, Verwaltungsrecht, § 6 Rn. 84 ff.; Wolff/Bachof/ Stober, Verwaltungsrecht, Bd. 1, § 25 Rn. 2 ff. Mit weit. Nachw. Stern, Staatsrecht, Bd. 3/2, § 84 II; Kloepfer, in: FG 50 Jahre Bundesverwaltungsgericht, S. 329 ff.; zur rechtstheoretischen Fundierung v. Arnauld, JZ 2000, S. 276 ff. Zur Verbindung mit dem Untermaßverbot und zur Bildung einer „Gesamtverhältnismäßigkeit“ vgl. Hoffmann-Riem, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann, Innovation und Flexibilität, S. 9 (50 ff.).
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– Ähnlich ausdifferenziert sind die Gleichheitsmaßstäbe. Das Willkürverbot und die Rechtsanwendungsgleichheit, die beiden wichtigsten Komponenten, werden von weiteren Gleichbehandlungs- und Gleichstellungsregeln umgeben, die für typische Entscheidungssituationen der Verwaltung (→ 4/54) den Vergleichsrahmen spezifizieren156. Im Anwendungsbereich des EG-Rechts wirken zudem die zahlreichen Diskriminierungsverbote, die der EG-Vertrag in Art. 12 und 141 und in den Grundfreiheiten festgelegt hat157, maßstabintensivierend. Ein subjektives Recht auf Erhalt oder Fortführung einer vorteilhaften Verwaltungspraxis folgt daraus aber nur, soweit die Rechtsbeziehungen als solche schon durch Schutznormen bestimmt sind (→ 2/58)158. Art. 3 Abs. 1 GG gibt kein Recht, Ermessensentscheidungen der Verwaltung allgemein anzugreifen. – Die Grundsätze der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes werden bisher vor allem bereichsspezifisch wirksam, z.B. bei der Aufhebung von Verwaltungsakten, der Plangewährleistung oder der Rückwirkung von Normen159. Eine übergreifende Dogmatik muß in einer Verbindung der Rechtssicherheit mit dem Gegenprinzip der Flexibilität des Rechts gesucht werden160. Das deutsche Verwaltungsrecht hat bisher zu einseitig Gesichtspunkte des Vertrauensschutzes herausgestellt. Andere Rechtsordnungen und auch das EG-Recht sind insofern zurückhaltender161. Die europäische Rechtsentwicklung sollte dazu veranlassen, eine Grundlinie zu suchen, die Beständigkeit und Beweglichkeit gleichermaßen als Rechtswerte anerkennt: „Das Recht steht im Spannungsverhältnis von Stabilität und Flexibilität, von Tradition und Innovation“162. 60 Im weiten begrifflichen Rahmen der Rechtsmaßstäbe vollzieht sich fortlaufend auch die Rezeption von Plausibilitätserwägungen und Kriterien guter Verwaltungspraxis in Rechtsregeln. Oft helfen allgemeine Rechts- und Verwaltungsgrundsätze gerade wegen ihrer relativen Offenheit dazu, diesem Übergang einen methodologischen Rahmen zu geben163. Die Katalysatoren in diesem Entwicklungsvorgang sind die Verwaltungsgerichtsbarkeit und die verwaltungsrechtliche Dogmatik: Zum Rechtsmaßstab wird ein Kriterium dann, wenn es von den 156
157 158 159
160 161 162 163
Dazu Kirchhof, in: HStR Bd. 5, § 124 Rn. 193 ff.; § 125 Rn. 5 ff., 54 ff., 65 ff. und 84 ff.; Huster, in: Friauf/Höfling, Grundgesetz, Art. 3 Rn. 49 ff.; Seibert, in: FG 50 Jahre Bundesverwaltungsgericht, S. 535 ff. Dazu Kingreen, in: Ehlers, Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, § 17; Walter, dort § 1 Rn. 39 f.; Kischel, EuGRZ 1997, S. 1 ff. BVerwGE 39, 235 (238 f.); Seibert, in: FG 50 Jahre Bundesverwaltungsgericht, S. 535 (548 f.). Dazu Maurer, in: HStR Bd. 3, § 60; Blanke, Vertrauensschutz im deutschen und europäischen Verwaltungsrecht, S. 148 ff.; Schwarz, Vertrauensschutz als Verfassungsprinzip, S. 321 ff. Dazu R. Schmidt, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann, Innovation und Flexibilität, S. 67 (104 ff.). Vgl. dazu Schwarze, Europäisches Verwaltungsrecht, Bd. 2, S. 1044 ff.; Schwarz, Vertrauensschutz als Verfassungsprinzip, S. 430 ff. und 504 ff. Maurer, in: HStR Bd. 3, § 60 Rn. 1. Vgl. Ossenbühl, in: FG 50 Jahre Bundesverwaltungsgericht, S. 289 ff.
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Gerichten als Kontrollmaßstab anerkannt und seine Nichtbeachtung mit den üblichen Folgen der Rechtswidrigkeit von Staatsakten (Nichtigkeit oder Vernichtbarkeit, Staatshaftung) verbunden wird. Entwicklungsgeschichtlich bestätigt sich so, daß Rechtsmaßstäbe und andere Maßstäbe nicht zwei streng getrennte Gruppen sind. Die Grenzziehung zwischen ihnen ist fortlaufend in Bewegung. Systematisch lassen sich folglich alle normativen Orientierungen zu einem Spektrum mit gleitenden Übergängen ordnen164. Den Eckpunkt auf der einen Seite bildet das Willkürverbot; die andere Eckposition nimmt das Prinzip der freien Zweckmäßigkeit ein. Zwischen beiden sind zahlreiche Kriterien und handlungsleitende Gesichtspunkte angesiedelt, die in dieser oder jener Hinsicht auch rechtliche Relevanz entfalten können, ohne stets in vollem Umfang zu einem Rechtsmaßstab erstarkt zu sein. Ein Beispiel bietet das Wirtschaftlichkeitsprinzip. Es ist einerseits Tatbestandsmerkmal in Vorschriften des Haushalts- und Gemeindewirtschaftsrechts, tritt aber als Prüfungskriterium in der gerichtlichen Kontrolle praktisch nicht in Erscheinung, sondern verfügt in der Haushaltskontrolle über einen eigenen Sanktionsmechanismus (→ 6/92–97).
b) Maßstabgehalt und Maßstabsanktion 61 Die Vorstellung, alle normativen Orientierungen der Verwaltung bildeten ein Maßstabspektrum, führt auf die Aufgaben und die Struktur der verwaltungsrechtlichen Maßstablehre zu: Materiell muß sie den sachlichen Gehalt der Maßstäbe entfalten. Hier ist die Rechtswissenschaft auf die Erkenntnisse u.a. der Wirtschafts-, Finanz- und Organisationswissenschaften angewiesen (→ 1/47). In einem zweiten Schritt sind den Maßstäben adäquate Sanktionsmechanismen zuzuordnen; das ist die instrumentelle Seite. Diese doppelte Aufgabe der Maßstablehre wird nicht deutlich, wenn man sich ganz auf den Gerichtsschutz konzentriert; denn jeder handlungsleitende Gesichtspunkt, der vom Gericht zum Kontrollthema gemacht wird, wird letztlich automatisch zum Rechtsmaßstab. Nicht zufällig werden Gerichtsurteile zum Verhältnismäßigkeitsprinzip zuweilen als Eingriff in den Bereich der administrativen Zweckmäßigkeit kritisiert. Strukturell läßt sich die Verhältnismäßigkeit als „Bindeglied zwischen Rechtmäßigkeit und Zweckmäßigkeit“ verstehen165, dessen rechtliche Verfestigung genau so weit reicht, wie die Gerichte es als Prüfungskriterium heranziehen. Zwischen Maßstabgehalt und Maßstabsanktionen muß getrennt werden. Das ist verkürzt die richtige Erkenntnis der Unterscheidung von Handlungs- und Kontrollmaßstab166.
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165 166
Ähnliche Überlegungen bei Achterberg, Verwaltungsrecht, § 19 Rn. 18, der die Maximen der Rechtmäßigkeit und der Zweckmäßigkeit als zwei sich schneidende Kreise versteht; Kahl, Staatsaufsicht, S. 537 ff. So schon Achterberg, Verwaltungsrecht, § 19 Rn. 18. Vgl. Hoffmann-Riem, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann, Verwaltungsverfahren und Verwaltungsverfahrensgesetz, S. 9 (26 f.).
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Sechstes Kapitel: Das Handlungssystem der Verwaltung
62 Der Begriff der Maßstabsanktion als Ausdruck für die instrumentelle Seite der Maßstablehre will dieses Phänomen in einen noch weiteren Zusammenhang stellen. Sanktionen ergeben sich zum einen aus dem Gefüge der Verwaltungskontrollen (→ 4/86–100; 6/79). Schon hier zeigt die systematische Betrachtung zwischen gerichtlichen, parlamentarischen, aufsichtsrechtlichen und haushaltsrechtlichen Kontrollen eine beachtliche Bandbreite institutioneller Sanktionen. Dazu treten materielle Reaktionsregelungen. Unter ihnen stellen die Fehlerfolgenlehre, das Staatshaftungsrecht und das Disziplinarrecht „harte“ Sanktionen dar. Aber auch Berichtspflichten, Gegenäußerungsrechte sowie Devolutiv- und Stichentscheidsregelungen sind Sanktionen, mit denen auf die Nichtbeachtung von Handlungsmaßstäben reagiert werden kann. Der klassische Rechtsmaßstab, so läßt sich jetzt präzisierend sagen, ist dadurch herausgehoben, daß ihm ein festgeschnürtes Bündel harter Sanktionen zugeordnet ist. Andere Maßstäbe sind nicht so kompakt bewehrt, trotzdem aber nicht sanktionslos. Für das Wirtschaftlichkeitsprinzip ist auf seine spezifische Verbindung mit der Rechnungsprüfung bereits hingewiesen worden (→ 4/92–97). Für andere Effizienzkriterien ist an verwaltungsinterne Kontrollen und an effizienzfördernde Verfahrensgestaltungen zu denken. Selbst das Prinzip der freien Zweckmäßigkeit ist nicht nur ein Sachmaßstab primären Entscheidens, sondern besitzt als Kontrollgegenstand von Widerspruchsverfahren rechtliche Bedeutung (→ § 68 VwGO). 63 Die verwaltungsrechtliche Maßstablehre muß den Handlungsmaßstäben der Verwaltung als Sanktionen diejenigen Durchsetzungsmechanismen zuordnen, die den Steuerungsansätzen des jeweiligen Maßstabs entsprechen und seine Beachtung im Verwaltungsalltag sichern. Dabei kann es nicht das Ziel sein, möglichst alle Maßstäbe zum Gegenstand gerichtlicher Kontrolle und ihre Nichtbeachtung zur Grundlage von Staatshaftungsansprüchen zu machen. Nicht die schematische Verrechtlichung, sondern die Schaffung von Anreizen und Verfahrensgestaltungen, die die Rationalität des Verwaltungshandelns erhöhen, muß das Ziel sein. Ähnlich der Formenlehre besitzt auch die Maßstablehre ihr Adäquanzgebot (→ 6/36).
2. Der Maßstab der Effizienz als Beispiel 64 Besondere Entwicklungsaufgaben lassen sich am Maßstab der Effizienz aufzeigen. Im älteren juristischen Schrifttum wird Effizienz regelmäßig mit den Begriffen der Effektivität, der Leistungsfähigkeit oder Funktionstüchtigkeit gleichgesetzt167. Wir folgen dagegen dem wirtschaftswissenschaftlichen Sprachgebrauch168. Effektivität ist danach eine Maßgröße für die Zielerreichung. Effizienz beschäftigt sich demgegenüber mit dem Verhältnis der eingesetzten Kosten 167 168
Vgl. Leisner, Effizienz als Rechtsprinzip; Häberle, AöR 1973, S. 625 ff.; Mayer/Kopp, Verwaltungsrecht, § 30 IX. Vgl. Scholz, in: HWO, Sp. 533 ff.; Reding, in: HWÖ, Sp. 277 ff.; wie hier auch Gröpl, VerwArch 2002, S. 459 (463 f.).
1. Abschnitt: Handlungspraxis und Handlungssystem
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(Mittel, Ressourcen) zu dem anzustrebenden Ziel (Nutzen, Erfolg). Als Minimalprinzip verpflichtet sie, ein festgelegtes Ziel mit geringsten Mitteln zu erreichen. Als Maximalprinzip veranlaßt sie, mit feststehenden Mitteln den größtmöglichen Nutzen anzustreben. Sie will Entscheidungsalternativen bewerten und einen möglichst günstigen Einsatz der verfügbaren Mittel fördern. Stellt die Effektivität das Ziel in den Mittelpunkt, so bringt die Effizienz die Kosten in Erinnerung. Kostenanalysen sind das notwendige Gegengewicht zu manchen Effektivitätsforderungen, denen sich Verwaltung und Verwaltungsrecht ausgesetzt sehen.
a) Effizienz als Grundsatz der Ressourcenschonung 65 Verwaltungseffizienz und Recht dürfen sich nicht gegeneinander ausspielen lassen. Nichts wäre verfehlter, als die überholten Gegensätze zwischen einem „Rechtswert“ und einem „Verwaltungswert“ unter neuem Vorzeichen aufzunehmen169. Wenig ist auch mit dem Hinweis gewonnen, Effizienz in der öffentlichen Verwaltung dürfe nicht als reine Rentierlichkeit der eingesetzten Mittel mißverstanden werden. Natürlich läßt sich die Gemeinwohlverpflichtung der öffentlichen Verwaltung nicht auf ihren finanziellen Nutzen reduzieren. Vielmehr sind unterschiedliche Nutzendimensionen in den Bewertungsrahmen einzustellen. Die Wirtschaftswissenschaften kennzeichnen diese Variationsbreite von Effizienzüberlegungen mit den Begriffen der betriebswirtschaftlichen und der volkswirtschaftlichen Effizienz. Es ist unvermeidlich, daß mit der Ausdehnung des Bewertungsrahmens die Genauigkeit der Aussagen nachläßt. Das spricht aber nicht gegen die Verwendbarkeit von Effizienzgesichtspunkten als Handlungsmaßstäben, und es entbindet nicht von der Pflicht, dort konkret zu argumentieren, wo der Rahmen durch relativ stabile Bewertungskriterien gebildet werden kann. Für die Verwaltung ist die Effizienz kein variables Kriterium, sondern ein im Recht fundierter Grundsatz. 66 Ihren festen Standort hat sie zum einen im öffentlichen Haushaltsrecht, in dem sie als Wirtschaftlichkeit definiert wird. In diesem Sinne legt Art. 114 Abs. 2 GG nicht nur einen Kontrollauftrag der Rechnungsprüfung, sondern vor allem einen Handlungsmaßstab der Exekutive fest170. Der gleiche Befund ergibt sich für das EG-Haushaltsrecht aus Art. 274 Abs. 1 EG. § 6 HGrG und § 7 BHO heben die Bedeutung von Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit bei der Ausführung des Haushaltsplanes in der Art einer Generalklausel noch einmal hervor und stellen eine Reihe verfahrensrechtlicher Vorkehrungen zu ihrer Sicherung zur Verfügung. Staatliche Handlungen sind wirtschaftlich dann, „wenn die Bedeutung der durch sie erreichbaren Ziele für das Gemeinwohl den eingesetzten Aufwand an Zeit, Arbeitskraft, Finanzmitteln usw. – unter Einschluß etwaiger abträglicher 169 170
Vgl. dazu Krüger, Staatslehre, S. 730 ff. Verfassungsgerichtshof Rheinland-Pfalz, NVwZ-RR 1998, 145 (149); Verfassungsgerichtshof Nordrhein-Westfalen, NVwZ 2004, 217 (218); Gröpl, VerwArch 2002, S. 459 (474).
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Nebenfolgen – als gerechtfertigt erscheinen läßt und wenn die gleichen Ziele nicht auch mit geringerem Aufwand – in dem eben umrissenen weiten Sinne – erreicht werden könnten“171. Ökonomische Effizienz ist für die Verwaltung in der Regel kein reines Rechenexempel. Aber sie verpflichtet zu rationalen Entscheidungen. Das entspricht der treuhänderischen Funktion staatlicher Herrschaft (→ 1/26)172. Haushaltswirtschaftlich kann nicht etwas ausgegeben werden, was die Allgemeinheit nicht vorher durch öffentliche Abgaben und Kreditaufnahmen aufgebracht hat. 67 Ein zweites Wirkungsfeld der Effizienz ist die Umweltpolitik. Effizienz erscheint hier als Nachhaltigkeit. Zutreffend wird der Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen, den Art. 20a GG dem Staat zur Pflicht macht, als Ausdruck des Nachhaltigkeits- und Sparsamkeitsprinzips interpretiert173. Noch deutlicher spricht Art. 174 EG von einem Ziel „umsichtiger und rationeller Verwendung der natürlichen Ressourcen“. Damit treten das gemeinsame Anliegen und die gemeinsame Fragestellung von ökonomischer und ökologischer Effizienz deutlich hervor. „Diese wertende Entscheidung wird in der Ökonomie als Kosten-Nutzen-Analyse bezeichnet, in der Ethik als Übelabwägung und in der Rechtswissenschaft als Beachtung der Grundsätze der Geeignetheit, Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit“174. 68 Das macht auf einen dritten Bereich aufmerksam, in dem die effizienztypischen Fragen nach der Erforderlichkeit und der Proportionalität eine zentrale Rolle spielen: Verhältnismäßigkeit, die die Frage eines schonenden Ausgleichs aus individualrechtlicher Sicht stellt (→ 2/64; 6/59). „Das Gebot eines angemessenen Verhältnisses zwischen Mittel und Zweck ist der allgemeinste und früheste Ansatz zu einer Kontrolle des Staates“175. Haushaltsrecht, Umweltrecht und Grundrechtsschutz haben zwar jeweils unterschiedliche Gefährdungssituationen, unterschiedliche Bewertungsrelationen und unterschiedliche Rechtsgüter im Blick, die sich durch den Gedanken der Effizienz nicht einfach zusammenführen lassen. Aber sie eröffnen von unterschiedlichen Seiten Zugänge zu einem Prinzip der Ressourcenschonung, das mithin drei verfassungsrechtliche Wurzeln besitzt. Effizienz hat folglich im Recht ihre unbestreitbare Legitimität. Sie gewährleistet – freilich mit ganz unterschiedlichen Vorkehrungen – Freiheitsschutz gegenüber individuellen ebenso wie gegenüber kollektiven Gefährdungen, die aus einem unkontrollierten Verbrauch öffentlicher Güter folgen.
171 172 173 174 175
So Vogel/Kirchhof, in: Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Art. 114 Rn. 90. Vgl. dazu v. Arnim, Wirtschaftlichkeit als Rechtsprinzip, S. 74. Dazu Murswiek, in: Sachs, Grundgesetz, Art. 20a Rn. 27 ff.; vgl. auch Sparwasser/ Engel/Voßkuhle, Umweltrecht, § 2 Rn. 23 ff. SRU-Gutachten 1994, Tz 26*. Haverkate, Rechtsfragen des Leistungsstaates, S. 13; siehe auch Verfassungsgerichtshof Nordrhein-Westfalen, NVwZ 2004, 217 (218): das Wirtschaftlichkeitsgebot als „finanzrechtliche Ausprägung des rechtsstaatlichen Verhältnismäßigkeitsprinzip“.
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b) Konsequenzen des Verwaltungsrechts 69 Natürlich haben Effizienzfragen im allgemeinen Verwaltungsrecht auch bisher schon eine Rolle gespielt176. Teilweise finden sich Gesichtspunkte eines vertretbaren Aufwandes in den Gesetzen selbst verarbeitet, indem sie dort zu einer Abweichung von den sonst üblichen Standards führen. So lassen sich die Vorschriften über Verfahrensvereinfachungen für Massenverfahren (§§ 17, 18 VwVfG) als gesetzesunmittelbare Effizienzvorschriften ansehen. Meistens aber beantworten die Gesetze Effizienzfragen nicht abschließend, sondern formulieren – in der Regel eher konkludent als ausdrücklich – punktuelle Effizienzgebote, Effizienzoptionen oder Effizienzschranken. Für das Verfahrensrecht finden sich solche Regeln z.B. in § 28 Abs. 2 Nr. 3, § 39 Abs. 2 Nr. 2 und allgemein in § 10 S. 2 VwVfG. Zu einer konsistenten Fassung des Effizienzmaßstabs ist es bisher allerdings nicht gekommen. Sie wurde im Gegenteil durch die Ausklammerung des Haushaltsrechts aus dem allgemeinen Verwaltungsrecht, durch die weitgehende Ablehnung der typisierenden Sachverhaltsermittlung177 und durch die Verbannung sog. fiskalischer Gründe aus der Ermessenslehre178 eher verhindert. Zutreffend hat Günter Dürig schon vor 25 Jahren demgegenüber verlangt: „Ganz grundsätzlich wird man einmal überdenken müssen, und zwar nicht nur für die Leistungs-, sondern auch die Eingriffsverwaltung, ob unter einer Verfassung, die das ‚gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht‘ in Verfassungsrang erhebt (Art. 109), noch die gängigen Thesen haltbar sind, ‚fiskalische Motive‘, ‚Einsparung von Verwaltungsarbeit‘ usw. seien verwaltungsrechtlich ‚sachfremde Motive‘“179. Die regelmäßig an Beispielen aus dem Polizei- und Baurecht entwickelte überkommene Auffassung kann als allgemeine Ermessenslehre heute weniger denn je überzeugen. Der Nachrang, der in diesen Äußerungen finanziellen Gesichtspunkten und damit Kostenüberlegungen in der Verwaltung überhaupt zugewiesen wird, ist systematisch nicht zu rechtfertigen. Der schonende Umgang mit Ressourcen ist ein verfassungsrechtlich abgestütztes Prinzip, das in der verwaltungsrechtlichen Systematik ernstgenommen werden muß. Die Ermessenslehre beginnt, dieses zutreffend in Rechnung zu stellen180. Wie stets so ist auch hier nach dem Schutzzweck der Norm zu fragen und danach zu beantworten, ob die Berücksichtigung wirtschaftlicher Kriterien verwehrt, in gewisser Bandbreite zulässig oder sogar geboten ist.
176 177 178 179 180
Vgl. Schwarze, DÖV 1980, S. 581 ff.; am Beispiel der Wirtschaftsförderung Spannowsky, DÖV 1995, S. 41 ff. Dazu Osterloh, Gesetzesbindung und Typisierungsspielräume, bes. S. 208 ff. und 451 ff. Dazu die Nachw. bei Keppeler, Behördliches Versagungsermessen, S. 159 ff. In: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 3 I Rn. 456, 362. Henneke, in: Knack, Verwaltungsverfahrensgesetz, § 40 Rn. 47; Kopp/Ramsauer, Verwaltungsverfahrensgesetz, § 40 Rn. 50; auch Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz, § 40 Rn. 65 f.; Gröpl, VerwArch 2002, S. 459 (476 ff.).
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70 Hier kommt dem Verwaltungsverfahren besondere Bedeutung zu. Das Verfahrensrecht muß so ausgeformt werden, daß es über effizienzfördernde Mittel verfügt. Für die ökonomische Effizienz bietet das Haushaltsverfahrensrecht dazu Ansätze. Die überkommene Trennung zwischen Haushaltsverfahrensrecht und allgemeinem Verfahrensrecht kann folglich nicht länger aufrecht erhalten werden (→ 6/170). Haushaltsrecht ist kein bloßes „Innenrecht“. Seine Sanktionen sind im Rahmen der allgemeinen Verfahrenslehre auf ihre Stimmigkeit neu zu überprüfen. Das Vergaberecht der §§ 97–129 GWB zeigt, wie ein ursprünglich allein haushaltsrechtlicher Maßstab zum Gegenstand gerichtlicher Kontrollen gemacht werden kann. Auch die umweltrechtliche Nachhaltigkeitsforderung ist in hohem Maße verfahrensabhängig181. Wichtige Instrumente sind die Umweltverträglichkeitsprüfung und die naturschutzrechtliche Eingriffsregelung (§ 18 BNatSchG)182. 71 Für das allgemeine Verwaltungsrecht bieten alle diese Regelungen Rohmaterial, aus dem im Wege vergleichender Analyse allgemeine Bauformen eines effizienzfördernden Verfahrensrechts gewonnen werden können. Dabei ist daran zu erinnern, daß es nicht darum gehen kann, möglichst alle handlungsleitenden Kriterien der Verwaltung mit den Standardsanktionen der anerkannten Rechtsmaßstäbe zu verbinden und sie unter Gerichtskontrolle zu stellen (→ 2/22). Die verwaltungsrechtliche Maßstablehre will vielmehr adäquate Anreiz-, Durchsetzungs- und Sanktionsmechanismen entwickeln. Erneut tritt die Bedeutung der Öffentlichkeit als Kontrollforum hervor (→ 4/98–100; 6/167–168). Elemente des neuen Typus eines „Verteilungsverfahrens“, z.B. öffentliche Ausschreibungen, können genutzt werden183. Wichtig sind ferner Pflichten der Verwaltung, Kostenbzw. Belastungsindikatoren zu entwickeln und ihre Entscheidungen daran zu orientieren. Die Verbesserung der Effizienz geht also keineswegs notwendig mit dem Abbau von Verfahrensregelungen einher. Vielmehr kommt es darauf an, Maßstablehre und Verfahrenslehre über den Adäquanzgedanken zu verbinden.
V. Die Wirksamkeit des Handlungssystems 72 Rechtsformen und Rechtsverhältnisse, Verfahren und Maßstäbe bilden den Kern des administrativen Handlungssystems (→ 6/32–33). An ihnen läßt sich die Ordnungsidee des allgemeinen Verwaltungsrechts am besten aufzeigen. Es geht darum, Verwaltungshandeln in rechtliche Strukturen einzuordnen, an rechtliche Vorgaben rückzubinden und durch Schaffung eines Beobachtungsrahmens diskursive Rationalität zu ermöglichen. Ihr Ziel ist, dem oben herausgearbeiteten Doppelauftrag entsprechend (→ 1/30–32), die Disziplinierung und die Effektuierung der Exekutive in allen ihren Erscheinungsformen. 181 182 183
Dazu im einzelnen Groß, VerwArch 1997, S. 89 (93 ff.). Zu diesen Verfahren Sparwasser/Engel/Voßkuhle, Umweltrecht, § 4 Rn. 10 ff. Zu diesem Typus Voßkuhle, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann, Verwaltungsverfahren und Verwaltungsverfahrensgesetz, S. 277 (290 ff.).
1. Abschnitt: Handlungspraxis und Handlungssystem
321
73 Der aufgezeigte Regelungskanon erschöpft die Ordnungsinteressen des allgemeinen Verwaltungsrechts allerdings nicht. Seine steuerungswissenschaftliche Ausrichtung veranlaßt dazu, auch nach der Wirksamkeit des Handlungssystems zu fragen. Wie die Verwaltung Steuerungssubjekt und Steuerungsobjekt zugleich ist (→ 1/36–37), so sind auch hier zwei Perspektiven zu verfolgen: Fragen der Implementation (1) und solche der Sanktion (2). Sie werfen, so unterschiedlich sie sonst sind, methodisch ähnliche Probleme auf, insofern sie Wirksamkeitsurteile verlangen (→ 1/49).
1. Fragen der Implementation 74 Als Implementation sollen hier Vorgänge bezeichnet werden, die es mit der Verwirklichung verwaltungsrechtlicher Zielvorgaben durch Private zu tun haben (→ 2/27–31). Die Vorgaben können in einer administrativen Einzelentscheidung oder aber in einem Verwaltungsvertrag, in Rechtsnormen oder in Programmen enthalten sein. Ein wichtiger Teil des Implementationsrechts ist das Verwaltungsvollstrekkungsrecht184: Beitreibung, Verwaltungszwang und Bußgeldbescheid sind in ihren Voraussetzungen und Grenzen dogmatisch gut durchgebildet. Rechtsförmlichkeit, Verfahrenssicherungen und die Maßstäbe der Verhältnismäßigkeit und der Rechtsanwendungsgleichheit indizieren hier das, was von einem rechtsstaatlichen Vollzug erwartet werden kann. Auch der Instrumenteneinsatz wird von ihnen rechtlich gesteuert, indem eine bestimmte Abfolge der Vollstreckungsphasen und der Zwangsmittel vorgezeichnet ist. 75 Implementationsfragen gehen jedoch über diesen engeren Kreis imperativer Instrumente weit hinaus. Die Probleme sind unter dem Begriff der „direkten“ und der „indirekten“ Verhaltenssteuerung oft behandelt worden185: – Sie betreffen zum einen die Breite des verfügbaren Instrumentenarsenals. Neben der zwangsweisen Rechtsdurchsetzung stehen finanzielle Implementationsanreize und die Schaffung geeigneter Implementationsstrukturen. – Zum zweiten sind Implementationsfragen solche der Zeit. Rechtsverwirklichung ist im Verwaltungsrecht oft ein Vorgang von längerer Dauer, der beobachtet, dokumentiert und gegebenenfalls neu justiert werden muß. Die einfache Abfolge von Entscheidung und Vollstreckung, wie sie dem Vollstreckungsrecht als Grundvorstellung dient, erfaßt diese Dimension zeitlicher Entwicklung nur unzulänglich. Viele Implementationsprozesse sind zudem nicht linear, sondern iterativ angelegt: Dem Erlaß der förmlichen Entscheidung folgen Phasen der Überprüfung und des Lernens (→ 6/155). 76 Insgesamt führen die Fragen nach der Implementation die Rechtsformenund die Verfahrens-, die Rechtsverhältnis- und die Maßstablehre auf ein Feld schwer zu bewältigender Komplexität. Welche Aufgaben können Verwaltungs184 185
Kluth, in: Wolff/Bachof/Stober, Verwaltungsrecht, Bd. 2, § 64 Rn. 10 ff. Vgl. nur Sparwasser/Engel/Voßkuhle, Umweltrecht, § 2 Rn. 57 ff.
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Sechstes Kapitel: Das Handlungssystem der Verwaltung
recht und verwaltungsrechtliche Systembildung angesichts dieses Befundes leisten? Die Antwort darauf ist in zwei Schritten zu entwickeln: 77 Ein erster Fragenkreis betrifft die Zulässigkeit von Instrumentenverbindungen. Die Antworten sind primär dem einschlägigen Fachrecht zu entnehmen186. Hier finden sich nicht selten Aussagen darüber, welche Instrumente in welcher Regelungssituation austauschbar oder kombinierbar sind. Eine Vermutung, daß innerhalb desselben Gesetzes oder innerhalb desselben Regelungszusammenhangs nur „systemkonforme Mittel“ zugelassen seien, ist nicht nachweisbar. Ein Gesetz, das nur ordnungsrechtliche Vollzugsformen zum Gegenstand hat, verbietet nicht notwendig daneben den Einsatz konsensualer Implementationsformen. Umgekehrt schließt ein gesetzliches Kooperationsmodell den Übergang zu imperativen Instrumenten nicht per se aus187. Wo der Gesetzessystematik die Wirkung einer Sperrklausel entnommen werden soll, muß sich das aus Entstehungsgeschichte und Gesetzeszweck eindeutig belegen lassen. Sagt das Fachrecht zur Frage der Instrumentenverbindungen nichts, so ist von einem Implementationsermessen der Verwaltung auszugehen. Bei seiner Ausübung sind folgende Kollisionsregeln beachtlich: – das im Willkürverbot wurzelnde Verbot des Formenmißbrauchs, – das aus dem Vertragsrecht bekannte Koppelungsverbot, – das Gebot der Rechtswegklarheit. Im übrigen gelten die allgemeinen Regeln zur Formenwahl (→ 6/37–38) und zu Instrumentenverbindungen in der Gewährleistungsverwaltung (→ 3/116–117). Sie sind Ermessensdirektiven und Maßstäbe guter Verwaltungspraxis, ohne strikte Gebote oder Verbote aufzurichten. So zwingt das Verhältnismäßigkeitsprinzip regelmäßig nicht dazu, eine konsensuale Lösung vor dem Einsatz ordnungsrechtlicher Instrumente anzustreben188. 78 Ein zweiter Fragenkreis betrifft die Effektivität des Instrumenteneinsatzes. Hier liegen verwaltungswissenschaftliche und verwaltungsrechtliche Aspekte dicht beieinander. – Das Recht muß sich mit der Wirksamkeit seiner Umsetzung jedenfalls insoweit befassen, als sein Vollzug nicht generell in Zweifel gezogen werden darf. Das Bundesverfassungsgericht hat diesen Zusammenhang zwischen Gesetzestatbestand und Implementationsstruktur mit aller Schärfe für das Steuerrecht herausgearbeitet189: „Wirkt sich indes eine Erhebungsregelung gegenüber dem Besteuerungstatbestand in der Weise strukturell gegenläufig aus, daß der Besteuerungsanspruch weitgehend nicht durchgesetzt werden kann, und ist dieses Ergebnis dem Gesetzgeber zuzurechnen, so führt die dadurch bewirkte Gleichheits186 187
188 189
Dazu Rodi, ZG 2000, S. 231 ff. In diese Richtung aber BVerfGE 98, 83 (97 ff.) und 106 (121 ff.) mit der Unterscheidung zwischen „zielgebundener Kooperation“ und „zielorientierter steuerlicher Verhaltenslenkung“. Anders für spezielle Situationen des Enteignungsrechts z.B. § 87 Abs. 2 BauGB. BVerfGE 84, 239 (268 ff., 272).
1. Abschnitt: Handlungspraxis und Handlungssystem
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widrigkeit zur Verfassungswidrigkeit auch der materiellen Norm“. Dieses verfassungsrechtliche Junktim ist über das Steuerrecht hinaus auch in anderen Bereichen beachtlich, die auf einen flächendeckenden und standardmäßigen Gesetzesvollzug besonders angewiesen sind. – Rechtlichen Gehalt hat der Effektivitätsgedanke auch im Zusammenhang mit festen institutionellen Gewährleistungen, z.B. als Rechtsschutzeffektivität. Er verlangt regelmäßig einen Instrumentenvergleich und die Suche nach funktionalen Äquivalenten. Für die rechtswissenschaftliche Argumentation können hier Erkenntnisse der Nachbarwissenschaften, insbesondere der Institutionenökonomik methodisch hilfreich sein (→ 1/49).
2. Fragen der Sanktionen 79 Unter Sanktionen werden hier – in einem vom EG-Recht abweichenden Sprachgebrauch190 – diejenigen Instrumente verstanden, die die Verwirklichung verwaltungsrechtlicher Zielvorgaben durch die Verwaltung sicherstellen sollen. In einem engeren Sinne ist das Sanktionsrecht die Kehrseite der Rechtsgebundenheit der Verwaltung (→ 2/7–31). In einem weiteren Sinne hat es alle normativen Orientierungen, also auch die über das Recht hinausreichenden Maßstäbe einzubeziehen (→ 6/61–62). Entsprechend groß ist sein Instrumentenbestand: Die Verwaltungskontrollen gehören ebenso hierher wie die Lehre von den fehlerhaften Staatsakten, das Staatshaftungsrecht und das Disziplinarrecht. Sie alle bilden je für sich wiederum eigene Subsysteme mit ausgefeilten Teildogmatiken. Besonders ausgeprägt ist das bei den Verwaltungskontrollen der Fall. Allein für die Gerichtskontrolle läßt sich bereits ein ganzes Gefüge von Kontrollparametern aufzeigen, die ihre Wirksamkeit, die Rechtsschutzeffektivität, bestimmen (→ 4/57–85). Bezieht man weitere Kontrollen in die Betrachtung ein, so wird eine Vielzahl von Instrumenten sichtbar, für die jeweils eigene Rechtsfragen identifiziert werden können, die aber über diese klassischen rechtswissenschaftlichen Probleme hinaus auch Fragen nach gegenseitigen Abhängigkeiten, nach Wechselwirkungen und funktionalen Äquivalenten stellen (→ 4/86–88). Für das Sanktionsrecht gilt das, was für die Frage der Wirksamkeit verwaltungsrechtlicher Regelungen insgesamt gilt: Sie sind ein integraler Bestandteil der verwaltungsrechtlichen Systembildung, die hier auf ein erweitertes Methodenverständnis angewiesen ist (→ 1/49).
190
Dazu Wolff/Bachof/Stober, Verwaltungsrecht, Bd. 2, § 65 Rn. 1 ff.
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2. Abschnitt: Alte und neue Fragestellungen der Rechtsformenlehre 80 Die Rechtsformenlehre spiegelt heute besonders deutlich die Wandlungen der administrativen Handlungspraxis. Die überkommenen Rechtsformen sind Instrumente, die vorwiegend zum Arsenal der direkten, regulatorischen Steuerung gehören191. Sind sie in ihrer tradierten, statisch wirkenden Gestalt elastisch genug, um neue Steuerungsansätze und neue Kommunikationsmuster zwischen Verwaltung und Privaten aufzunehmen? Lassen sich Grundlinien allgemeinverwaltungsrechtlicher Orientierung angesichts des Erfindungsreichtums der Gesetzes- und Verwaltungspraxis, wie er in den Referenzgebieten deutlich wird, durchhalten? An dieser Stelle sind Erkenntnisse der sozialwissenschaftlichen Implementations- und Steuerungsforschung für das Verwaltungsrecht besonders wichtig192. 81 Die großen Herausforderungen heißen Kooperation und Informalität (→ 3/118–122). Beide sind der Formenlehre, wie die Institute des Vertrages und des Realaktes zeigen, zwar auch bisher nicht unbekannt. Beide sind in jüngerer Zeit jedoch in einem Umfang und mit einer Intensität wirksam geworden, daß eine vertiefte Auseinandersetzung notwendig ist. Die Formen der Einzelfallentscheidungen, aber auch die Verfahren der Normsetzung sind angesprochen. Um Kooperation und Informalität mit ihren bedenklichen ebenso wie mit ihren befruchtenden Konsequenzen Punkt für Punkt und umfassend in das Handlungssystem des Verwaltungsrechts zu integrieren, müßte mit einer doppelten Matrix gearbeitet werden. Die nachfolgenden Ausführungen stellen dagegen nur einige zentrale Punkte heraus. Sie beruhen auf der Erkenntnis, daß die Formengebundenheit ein tragender Pfeiler der verwaltungsrechtlichen Systematik bleiben wird. Die Formenlehre muß sich allerdings unter Einbeziehung von Elementen der Rechtsverhältnis- und der Verfahrenslehre fortbilden. Sie muß sich auch mit den Verbindungen zwischen den einzelnen Formen zur Erfassung komplexer Vorgänge beschäftigen193.
A. Die administrative Normsetzung und Planung 82 An die Spitze der Rechtsformenlehre gehören heute die administrative Normsetzung und Planung. Beide sind Instrumente einer „mittleren“ Steuerungsebene. Gesetzeskonkretisierung vollzieht sich häufiger als im klassischen Sub191 192 193
Anschaulich dazu Kirchhof, in: HStR Bd. 3, § 59 Rn. 102 ff.; König/Dose, in: dies., Instrumente und Formen, S. 24 ff. Zur Rechtstatsachenforschung Voßkuhle, VerwArch 1994, S. 567 ff. Dazu Pitschas, in: Blümel/Pitschas, Reform des Verwaltungsverfahrensrechts, S. 229 ff.; Hill, DVBl 1993, S. 973 ff.; Ladeur, VerwArch 1995, S. 511 ff.
2. Abschnitt: Alte und neue Fragestellungen der Rechtsformenlehre
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sumtionsmodell angenommen über Zwischenschritte des von der Exekutive selbst gesetzten Rechts. Normsetzung und Planung sind so Garanten von Überschaubarkeit, Nachvollziehbarkeit und Gleichmäßigkeit der Gesetzesanwendung. In gesetzlich nur wenig geregelten Bereichen bieten sie zugleich ein unverzichtbares Mittel administrativer Selbstprogrammierung. Zudem können sie einer staatlich-gesellschaftlichen Kooperation z.B. in gemeinsam entwickelten Standards ebenenspezifisch zusätzliche Ansatzpunkte erschließen. Herausragende Bedeutung haben sie für das Umwelt- und Technikrecht (→ 3/19)194. Wichtige Gesetze wie das Bundesimmissionsschutzgesetz sind ohne einen dichten Ring umlagernder Rechtsverordnungen und Verwaltungsvorschriften praktisch nicht anwendbar. Vergleichbares gilt für das Regulierungsrecht. In den Referenzgebieten des Sozialverwaltungsrechts und des Wissenschaftsrechts wirken oft komplexe Verhandlungssysteme als funktionale Äquivalente; doch ist die Normenvielfalt auch hier beachtlich (→ 3/35). 83 Die Rechtsformenlehre kann es daher nicht bei den Formen des Verwaltungsakts und des Verwaltungsvertrages bewenden lassen. Sie hat das auch nie getan, selbst wenn die traditionelle Darstellung der administrativen Normsetzung in der Rechtsquellenlehre ihre systematische Behandlung bisher eher behindert hat. Kooperation und Informalität stellen auch in diesem Bereich große Herausforderungen dar. Doch liegen die Probleme noch tiefer: Im Grunde erfaßt die überkommene Dogmatik gerade die Rechtsetzung der Exekutive nur ausschnitthaft und in einem äußerlichen Sinne, weil sie bis heute von einem „Generalverdacht gegen jede Form exekutivischer, d.h. nicht-parlamentarischer Rechtsetzung“ umgetrieben wird195.
I. Rechtsverordnungen und Satzungen 84 Immerhin sind die Ausgangspunkte fixiert: Rechtsverordnungen und Satzungen, die beiden wichtigsten administrativen Rechtsvorschriften, haben in der Formenlehre ihren festen Platz. Zu zentralen Fragen, zu ihrem Verhältnis zum Gesetz und zu ihrer gerichtlichen Kontrolle, hat sich eine herrschende Dogmatik herausgebildet196: Rechtsverordnungen bedürfen einer den Anforderungen des Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG genügenden Ermächtigungsgrundlage. Satzungen sind freier gestellt; doch müssen auch sie, wenn sie Grundrechtseingriffe normieren, dafür eine gesetzliche Grundlage besitzen, die mindestens das Eingriffsprogramm festlegt. Beide Normsetzungsarten unterfallen der Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG197, ohne daß allerdings notwendig ein prinzipaler Rechtsschutz verfügbar sein müßte. Inhaltlich ist Normsetzung durch ein Normset194 195 196 197
Ebenso Di Fabio, Risikoentscheidungen, S. 299: Rechtsverordnungen, bereichssteuernde Verwaltungsvorschriften, Risikokonzepte, Modellfestlegungen. Wahl, in: FG 50 Jahre Bundesverwaltungsgericht, S. 577 (594). Dazu Ossenbühl, in: HStR Bd. 3, §§ 64, 66. BVerwGE 111, 276 (278).
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zungsermessen geprägt, das die gesetzgeberischen Vorgaben als Grenzen und Zielvorgaben aufnehmen muß, im übrigen aber einen weiten Gestaltungsauftrag umgreift. Normsetzung ist kein bloßer Nachvollzug gesetzgeberisch vorgeformter Entscheidungen, sondern administrative Selbstprogrammierung innerhalb eines gesetzlichen Rahmens198. Ansprüche Dritter auf Normsetzung sind nur in Ausnahmefällen begründbar, gelegentlich sogar ausdrücklich ausgeschlossen (§ 2 Abs. 3 BauGB). Wenn sie aber existieren, muß es auch einen Weg zu ihrer verwaltungsgerichtlichen Durchsetzung geben199. Diese Grundlinien sind heute allgemein anerkannt. Sieht man jedoch genauer hin, so zeigen sich jenseits dieser Aussagen nicht unerhebliche Spannungen. 85 Für die Rechtsverordnung ist das historisch erklärbar. Sie trägt eine doppelte Erblast, erscheint manchem nach wie vor eher suspekt, jedenfalls aber nur als delegierte Rechtsetzung denkbar, der durch eine möglichst strenge Interpretation des Art. 80 Abs. 1 GG besondere Zügel angelegt werden müssen. Verordnungsgebung wird dann schnell zur rechtfertigungsbedürftigen Ausnahme200. Eine solche Einstellung übersieht jedoch nicht nur die praktische rechtsstaatliche Bedeutung, die den Rechtsverordnungen in nahezu allen Bereichen des besonderen Verwaltungsrechts zukommt. Sie erfaßt auch die Rechtsetzung als ein allgemeines Gestaltungsmittel nur unzureichend. Insbesondere wird verkannt, daß die grundgesetzliche Gewaltenteilung gerade kein Rechtsetzungsmonopol des Parlaments kennt. Die anders lautenden Formulierungen des Bundesverfassungsgerichts201 ebnen die unterschiedlichen Verteilungsregeln der Gesetzesvorbehaltslehre unzutreffend ein. Art. 20 GG geht vielmehr auch hier von einer organadäquaten Zuordnung der Kompetenzen aus (→ 4/1–6)202. Rechtsetzung greift über Gesetzgebung hinaus. Sie ist als eine Gesamtaufgabe zu verstehen, an deren Erfüllung Parlament, Regierung und administrative Instanzen mit eigenen Kompetenzen beteiligt sind. In diesem Zusammenspiel steht der Exekutive zwar kein originäres Verordnungsrecht zu. Rechtsverordnungen benötigen wegen ihres ausgreifenden Bindungsanspruchs stets einer gesetzlichen Grundlage. Sie sind aber andererseits nicht das Ergebnis delegierter Rechtsetzung; denn die Delegation verlagert eine Kompetenz, die ursprünglich dem Delegatar zusteht. Daran fehlt es mangels parlamentarischen Rechtsetzungsmonopols. Die Verordnung ist vielmehr ein gesetzesakzessorisches Institut203. Eine besonders einengende Interpretation des Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG ist so wenig veranlaßt wie eine Grundeinstellung, die in der Rechtsverordnung nach wie vor etwas Irreguläres sehen will (→ 4/31). Man kann das verwaltungsrechtliche Handlungssystem nicht adäquat 198 199 200 201 202 203
Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 19 Abs. 4 Rn. 217 f. BVerwGE 80, 355 (361 f.); BVerwG NVwZ 2002, 1505 f.; Sodan, NVwZ 2000, S. 601 (608 f.). So noch die Formulierung in BVerfGE 24, 184 (197). BVerfGE 95, 1 (15 f.). Zum folgenden Schmidt-Aßmann, in: FS für Vogel, S. 477 (484 ff.). Grundlegend – auch mit rechtsvergleichenden Nachw. – v. Bogdandy, Gubernative Rechtsetzung, S. 304 ff.
2. Abschnitt: Alte und neue Fragestellungen der Rechtsformenlehre
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konzipieren, wenn man eines seiner wichtigsten Institute nur von seinen Schranken her betrachtet. 86 Bei Satzungen verlaufen die Konfliktlinien anders: Hier stößt ein an sich anerkanntes Institut in jüngster Zeit an Grenzen seiner Einsetzbarkeit. Die Rede ist von Satzungen funktionaler Selbstverwaltungsträger im Sozialrecht. Eine „kommunalspezifisch“ reduzierte Ausprägung der Gesetzesvorbehaltslehre (→ 2/89) kann hier wegen der gegenüber der kommunalen Selbstverwaltung veränderten Legitimationsgrundlage nicht anerkannt werden – im Gegenteil: Das Grundproblem, die Gefahr mangelnder Distanz, ist bereits im „Facharzt“Beschluß vom 9.5.1972 angesprochen204. „Solchen Gefahren, die der Freiheit des Einzelnen durch die Macht gesellschaftlicher Gruppen drohen, vorzubeugen und die Interessen von Minderheiten und zugleich der Allgemeinheit zu wahren, gehört mit zu den Funktionen des Gesetzesvorbehalts“. Für das Recht der sog. verkammerten Berufe hat der Gesetzgeber seither die erforderlichen Entscheidungen selbst getroffen und entsprechende Ermächtigungen geschaffen. Unbefriedigend ist die Lage nach wie vor im Sozialversicherungsrecht. Hier erweist sich nicht selten schon die Qualifikation einer von den Selbstverwaltungsorganen erlassenen Norm als Satzung als schwierig205. Vor allem aber bereitet die Erstrekkung autonomer Regelungsbefugnisse auf Dritte, also auf in den Gremien nicht hinreichend repräsentierte Personen Probleme. Funktionale Selbstverwaltung ist ein grundgesetzlich zulässiges Legitimationsmodell nur insoweit (→ 2/91–93), als ihre Entscheidungsverfahren auf einem Homogenitätsminimum aufbauen und das Korrespondenzgebot beachten (→ 5/43). Außenseiter dürfen nicht in mehr als marginaler Weise fremder Rechtsetzungsmacht unterworfen werden. Erweist sich ihre Einbeziehung wegen des Regelungszusammenhangs als unbedingt notwendig, so müssen die Vorgaben des staatlichen Gesetzgebers und die Ingerenzmöglichkeiten der staatlichen Exekutive erhöht werden206. Die Anforderungen an Satzungen funktionaler Selbstverwaltungsträger können u.U. sogar schärfer sein als diejenigen an die staatliche Verordnungsgebung, insofern die Einbeziehung von Außenseitern eine Legitimationsverzerrung darstellt, die ausgeglichen werden muß. 87 Für Rechtsverordnungen und Satzungen gleichermaßen fortzuentwikkeln ist das Verfahrensrecht. Viel spricht dafür, daß die bisherige Behandlung beider Rechtssatztypen im Kontext der Rechtsquellenlehre die Ausbildung des Verfahrensrechts erschwert hat, weil sie die politische Gestaltungsfunktion, die in beiden Handlungsinstrumenten angelegt ist, nicht hinreichend hervortreten läßt. Das heißt nicht, daß es im Fachrecht nicht zahlreiche Regelungen über das Erlaßverfahren von Rechtsverordnungen oder Satzungen gäbe. Kommunalrecht, 204 205 206
BVerfGE 33, 125 (160). Vgl. Axer, Normsetzung der Exekutive in der Sozialversicherung, S. 148 ff. In ähnliche Richtung Axer, Normsetzung der Exekutive in der Sozialversicherung, S. 367 ff. und 379 ff.: Normsetzung kraft gesetzlicher Ermächtigung unter Anwendung der Maßstäbe des Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG.
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Sechstes Kapitel: Das Handlungssystem der Verwaltung
Baurecht und Immissionsschutzrecht zeigen Beispiele für einzelne Verfahrenselemente, unter anderem zur Publikation von Entwürfen, zur Anhörung von Sachverständigen und zur Öffentlichkeitsbeteiligung. Künftig sollte untersucht werden, inwieweit aus diesen Formen ein Kanon allgemeiner Verfahrensstandards – gegebenenfalls typenspezifisch gegliedert207 – entwickelt werden kann. Dabei sind Anregungen aus anderen Rechtsordnungen aufzunehmen208, auch aus dem EG-Recht, das in Art. 253 EG für Verordnungen und Richtlinien der Gemeinschaft unterschiedslos eine Begründung vorschreibt. Zu den Verfahrensregeln der Normsetzung sollte ferner die Pflicht der normerlassenden Stelle gehören, Normen periodisch auf ihre Aktualität und Notwendigkeit zu überprüfen. Auch Regeln über ein automatisches Außerkrafttreten nach Ablauf bestimmter Fristen gehören in diesen Zusammenhang. Für Normen herausgehobener Bedeutung ist zudem über die Ausbildung eines förmlichen Verfahrens nachzudenken, das in der Art eines gesetzlichen Regelungsmodells vorgehalten und vom jeweiligen Fachgesetzgeber spezifisch gewählt werden kann, wie das für das förmliche Verwaltungsverfahren und das Planfeststellungsverfahrensrecht nach §§ 63 ff. und 72 ff. VwVfG gilt. In einem solchen Verfahren ist auch die Rolle von Sachverständigenberatung und Sachverständigengremien genauer zu definieren. Die erheblichen Gestaltungsspielräume der Normsetzung verlangen, daß „prozedurale Unabhängigkeit im Sinne einer Sicherung gleicher Verfahrensteilhabe und pluraler Informations- und Interessenverarbeitung“ gewährleistet wird209.
II. Verwaltungsvorschriften: Rechtsform der differenzierten Bindungswirkungen 88 Zu keiner einheitlichen Form hat bisher die große Gruppe der Verwaltungsvorschriften gefunden. Das ist angesichts der unterschiedlichen Vorschriften organisationsrechtlichen, verhaltenslenkenden und inter- oder intrabehördlichen Charakters an der schwer fixierbaren Grenzlinie zwischen einem „Außen“ und „Innen“ der Verwaltungsrechtsverhältnisse (→ 5/4) nur langsam zu ändern210. Jedenfalls sollte der Satz, sie seien „keine Rechtsnormen“, der Vergangenheit 207
208
209 210
Vgl. dazu für das Umweltrecht UGB-ProfessorenE: AT, §§ 145 ff. und die Begründung dort S. 460 ff.; Gößwein, Allgemeines Verwaltungs(verfahrens)recht der administrativen Normsetzung?, S. 133 ff. Speziell zur Parlamentsbeteiligung Joh. Schmidt, Die Beteiligung des Bundestages beim Erlaß von Rechtsverordnungen, S. 56 ff. Zur Rechtslage in Kanada und den USA vgl. Frankenberger, Umweltschutz durch Rechtsverordnung, S. 111 ff.; zu derjenigen in den USA Pünder, Exekutive Normsetzung in den Vereinigten Staaten von Amerika und in der Bundesrepublik Deutschland. Fehling, Verwaltung zwischen Unparteilichkeit und Gestaltungsaufgabe, S. 329 f. Zur Typologie Ossenbühl, in: HStR Bd. 3, § 65 Rn. 14 ff.; Wolff/Bachof/Stober, Verwaltungsrecht, Bd. 1, § 24 mit der Unterscheidung von Richtlinien „im interpersonalen Außenbereich“ (Rn. 14 ff.) und Verwaltungsvorschriften „im intrapersonalen Bereich“ (Rn. 21 ff.).
2. Abschnitt: Alte und neue Fragestellungen der Rechtsformenlehre
329
angehören211. Verwaltungsvorschriften sind eine eigenständige, neben Gesetz und Rechtsverordnung stehende „dritte Kategorie“ staatlicher Rechtsetzung212, die sich durch ihre differenzierten Bindungswirkungen auszeichnet. Die kanonisierten stabilen Wirkungen von Rechtsverordnungen und von Satzungen können sie nicht erreichen. Stattdessen eignen sie sich, in offenen Entscheidungssituationen Orientierung zu bieten. Dabei müssen sie ein „Abstandsgebot“ zu den anderen Normsetzungsakten einhalten. 89 Einen besonderen Streitpunkt bilden die normkonkretisierenden Verwaltungsvorschriften213. Nach ihrer Anerkennung in der „Wyhl“-Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts sahen sie sich durch Urteile des EuGH vom 30.5.1991 zunächst erneut in Zweifel gezogen214: Verwaltungsvorschriften sollen danach zur Umsetzung von EG-Richtlinien mangels hinreichend nachgewiesener Verbindlichkeit für Dritte untauglich sein. Der deutsche Gesetzgeber hat auf diese Rechtsprechung dadurch reagiert, daß er die entsprechenden Grenzwerte in die Verordnungsform überführt hat215. Unbeschadet ihres auf die Umsetzung von EG-Recht beschränkten Geltungsbereichs sollte die Rechtsprechung des EuGH zu der Frage veranlassen, inwieweit neben der Rechtsverordnung für normkonkretisierende Verwaltungsvorschriften überhaupt noch Raum ist. Ältere Vorstellungen, Verwaltungsvorschriften seien schneller änderbar und folglich flexibler als Rechtsverordnungen, überzeugen jedenfalls nicht. 90 Sinnvoll ist dagegen eine Differenzierung der Bindungswirkungen: Während die Rechtsverordnung den ihr zugewiesenen Ermächtigungsraum bis an die Grenze entgegenstehenden Gesetzesrechts eigenständig und verbindlich ausfüllen darf, läßt sich der normkonkretisierenden Verwaltungsvorschrift eine labile und gegenüber Erkenntnisfortschritten offenere Wirkung zuordnen, die sich in einer Regelvermutung ausdrückt, im atypischen Fall oder durch neue Entwicklungen aber ausgeräumt werden kann216. Ist aber damit eine sinnvolle Funktionsdifferenzierung zwischen beiden Rechtsformen auszumachen, so sollten normkonkretisierende Verwaltungsvorschriften in ihren Form- und Verfahrenselementen so weit fortentwickelt werden, daß sie als rechtsstaatlich unbedenklich 211 212 213
214 215 216
Verfehlt daher auch in jüngerer Zeit BVerwG (3. Senat) NVwZ 2003, 1384 betr. Subventionsrichtlinien. So Wahl, in: FG 50 Jahre Bundesverwaltungsgericht, S. 571 ff. Vgl. BVerwGE 72, 300 (320); mit weit. Nachw. zur Rechtsprechung 107, 328 (340 f.); Gerhardt, NJW 1989, S. 2233 ff.; Erbguth, DVBl 1989, S. 473 ff.; Hill, NVwZ 1989, S. 401 ff.; Jachmann, DV 1995, S. 17 ff.; Di Fabio, Risikoentscheidungen, S. 354 ff.; Ladeur, DÖV 2000, S. 217 ff. EuGHE 1991, 2567 (2601 ff.) und 2607 (2629 ff.); dazu v. Danwitz, VerwArch 1993, S. 73 ff. Vgl. u.a.Verordnung über Immissionswerte – 22. BImSchV – vom 26.10.1993 (BGBl I, S. 1819), ersetzt durch die Verordnung vom 11.9.2002 (BGBl I S. 3626). Vgl. UGB-ProfessorenE: AT, §§ 155, 156 und die Begründung dort S. 478 ff. Ähnlich v. Bogdandy, Gubernative Rechtsetzung, S. 464 ff., 487: Sie enthalten als ungeschriebene Tatbestandsmerkmale die Klauseln „vorbehaltlich eines im Lichte des Art. 3 Abs. 1 GG relevanten Sonderfalls“ bzw. „vorbehaltlich des Erkenntnisfortschritts“.
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und zur Umsetzung des EG-Rechts tauglich gelten können217. Dazu gehören neben der heute schon üblichen Publikation die Bindung an ein qualifiziertes Erlaßverfahren und die Öffnung des Normenkontrollverfahrens nach § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO. Die Begrenzung der gerichtlichen Kontrollintensität und damit eine begrenzte Bindung der Gerichte folgen aus der Funktion normkonkretisierender Verwaltungsvorschriften, die unbestimmte Gesetzesbegriffe gemäß der normativen Ermächtigungslehre (→ 4/65–68) ausfüllen218.
III. Normsetzung im staatlich-gesellschaftlichen Kooperationsbereich 91 Der Staat besitzt kein Rechtsetzungsmonopol. Rechtsetzung – auch Rechtsnormsetzung – erfolgt in vielfältiger Weise auch durch Private, z.B. im Rahmen des Vereins- und Gesellschaftsrechts. Sie bedarf staatlicher Mitwirkung nur, wenn sie zwangsweise durchgesetzt werden soll219. Über diesen Normalfall staatlich-gesellschaftlichen Zusammenwirkens hinaus hat die genauere Beobachtung der kooperativen Verwaltung die Aufmerksamkeit auf einen Grenzbereich gelenkt, in dem sich staatliche und gesellschaftlich-selbstregulative Aktivitäten der Normsetzung in intensivierter Weise begegnen220. Dabei sind die an dieser Stelle allein interessierenden Tatbestände verbindlicher Normsetzung und die später zu untersuchenden informalen Normsetzungsabsprachen zu trennen (→ 6/133). Insbesondere für das Umwelt- und Technikrecht ist eine breite Palette institutionalisierter Kooperationsformen feststellbar, die von der Einbeziehung privater Sachverständiger in staatliche Normsetzungsverfahren bis zur privatverbindlichen Normsetzung als Rezeptionsangebot an den Staat reichen221. Die Anforderungen der Formenlehre, die die Gebote rechtsstaatlicher Verantwortungsklarheit und demokratischer Gemeinwohlsicherung zu transportieren haben, variieren hier nach dem Maß der Staatsnähe: 92 Soweit die Normsetzung von Gremien vorgenommen wird, die rechtlich dem staatlichen Organisationsbereich zuzuordnen sind, gelten grundsätzlich dieselben Anforderungen des Gesetzmäßigkeitsprinzips, des Legitimationsgebots und der daraus abzuleitenden Anforderung an Transparenz und Ausgewogenheit 217 218
219 220 221
Zum folgenden v. Danwitz, VerwArch 1993, S. 73 (90 ff.). So im Grundsatz schon Krebs, VerwArch 1979, S. 259 (269 ff.); sodann Beckmann, DVBl 1987, S. 611 (616 ff.); Gerhardt, NJW 1989, S. 2233 (2235 f.); Jachmann, DV 1995, S. 17 (29 f.); Di Fabio, Risikoentscheidungen, S. 370 ff.; Schmidt-Aßmann, in: FS für Vogel, S. 477 (491 ff.); BVerwGE 107, 338 (341); auch 114, 342 (344). Dazu F. Kirchhof, Private Rechtsetzung, S. 107 ff. und 138 ff. Ein klassisches Beispiel bildet die Allgemeinverbindlichkeitserklärung von Tarifverträgen nach § 5 TVG; dazu BVerfGE 44, 322 (340 ff.); BVerwGE 80, 355 (357 ff.). Dazu Lamb, Kooperative Gesetzeskonkretisierung, S. 71 ff.; auch Denninger, Verfassungsrechtliche Anforderungen, S. 54 ff.; M. Schwab, Rechtsfragen der Politikberatung, S. 314 ff.; Holle, Verfassungsrechtliche Anforderungen, S. 153 ff.; Augsberg, Rechtsetzung zwischen Staat und Gesellschaft, S. 124 ff.
2. Abschnitt: Alte und neue Fragestellungen der Rechtsformenlehre
331
des Verfahrens, die beim Erlaß von Rechtsverordnungen oder Verwaltungsvorschriften auch sonst beachtlich sind. Auch gegenüber einer stark ins Gewicht fallenden Rolle von Sachverständigen muß die Entscheidungsverantwortung der legitimierten Amtsträger gewahrt bleiben. Eine stärkere Abkoppelung von Sachverständigengremien ist nur gerechtfertigt, wenn sie dem organisationsrechtlichen Konsistenzgebot genügen (→ 5/39). 93 Die Formenlehre muß aber über diesen Bereich weiter hinausgreifen. Sie muß auch diejenigen Vorgänge kooperativer Normsetzung erfassen, die zwar dem gesellschaftlichen Bereich zugeordnet sind, durch eine Beteiligung staatlicher Vertreter in den entsprechenden Gremien und durch die erklärte Bereitschaft des Staates, die Ergebnisse dieser Normsetzung in staatliches Recht zu rezipieren, aber nicht als eine Angelegenheit allein privater Verbände charakterisiert werden können. Das trifft z.B. für das Regelungssystem des DIN zu. Rechtsstaatliche Anforderungen sind hier nicht nur an eine spätere amtliche Einführung der Technischen Regelwerke zu stellen. Eine vorwirkende staatliche Legitimationsverantwortung veranlaßt vielmehr dazu, schon bei der Organisation des Systems auf eine angemessene Breite der vertretenen Interessen und auf ein transparentes Verfahren zu sehen222. Die Ausbildung eines Privatverfahrens- und Privatorganisationsrechts wird notwendig (→ 5/59–62). 94 Eine dritte Erscheinungsform kooperativer Normsetzung ist die Festlegung berufs- oder tätigkeitsbezogener Standards durch besonders betraute private Instanzen. So soll die Bundesärztekammer in Richtlinien den „Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft“ für einige im wirklichen Sinne lebensentscheidende Fragen des Transplantationswesens feststellen (§ 16 TPG). Die Kammer selbst ist ein privatrechtlicher Verein, dessen Mitglieder die als Körperschaften des öffentlichen Rechts organisierten Landesärztekammern sind. Ein weiteres Beispiel stellt das private Rechnungslegungsgremium dar, dem der Staat u.a. die Entwicklung der für das Gesellschaftsrecht zentral wichtigen „Empfehlungen zur Anwendung der Grundsätze über die Konzernrechnungslegung“ und die Vertretung der Bundesrepublik in internationalen Standardisierungsgremien übertragen kann. Den Normsetzungsakten beider Instanzen wird gesetzlich eine Vermutungswirkung im Rechtsverkehr zugemessen. In beiden Fällen hat der Gesetzgeber die Notwendigkeit einer interessenadäquaten Organisation der Normsetzungsgremien erkannt und durch Auswahlregelungen Vorsorge getroffen. Ob das ausreicht, ist zweifelhaft. In beiden Fällen geht es nämlich um mehr als um eine in ihren Wirkungen begrenzte Rezeption privatgesetzten Rechts. Viel spricht dafür, daß hier ein Stück öffentlicher Normsetzungsgewalt übertragen und
222
Vgl. Trute, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann, Öffentliches Recht und Privatrecht, S. 167 (198 f.); dens., in: Schmidt-Aßmann/Hoffmann-Riem, Verwaltungsorganisationsrecht, S. 249 (288 ff.); ferner die Darstellung der Verfahrensweisen des DIN nach den selbstgesetzten Verfahrensregeln der DIN 820 bei Lamb, Kooperative Gesetzeskonkretisierung, S. 75 ff.
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Sechstes Kapitel: Das Handlungssystem der Verwaltung
deshalb eine stärkere Anlehnung an die öffentlich-rechtliche Legitimationslehre geboten ist (→ 5/57)223.
IV. Pläne und Konzepte 95 Planung besteht in der analysierenden Erfassung gegenwärtiger Lagen, in der Prognose künftiger Entwicklungen und im Vorentwurf einer normativen Ordnung224. Sie zielt auf den Ausgleich von Interessen und die Koordination von Aktivitäten in einem Gefüge abgestimmter, miteinander zu einem Konzept verflochtener Maßnahmen. Komplexität, Konnexität und gestalterische Kreativität zeichnen Planung und Plan aus. „Planung hat mithin finalen und keinen konditionalen Charakter“225. Die planerische Ordnung ist aber auch keine abstrakte Ordnung. Sie geht vielmehr aus einer besonderen Lage hervor und bleibt von der weiteren Entwicklung dieser Lage abhängig. Auch der fertige Plan ist stets nur ein Vorentwurf, der anpassungsfähig bleiben muß226. Einen allgemeinen Plangewährleistungsanspruch gibt es nicht227. 96 Pläne stellen unverzichtbare Handlungsformen moderner Verwaltung dar (→ 2/77; 3/19, 35). Ihre Bedeutung ist in den zurückliegenden Jahrzehnten ständig gewachsen und wird das unter europäischem Einfluß auch weiter tun. Das EG-Umweltrecht z.B. verpflichtet die Mitgliedstaaten zur Erstellung vielfältiger Aktions- und Maßnahmenprogramme228. Die Zusammenarbeit der Verwaltungen in der Union ist ohne die Abstimmungsleistungen von Plänen und Programmen nicht denkbar (→ 6/97). Pläne nutzen alle Intensitätsgrade der Verhaltenssteuerung. Sie können imperativer, influenzierender oder indikativer Art sein. Die von Josef H. Kaiser seinerzeit angestoßene Beschäftigung mit dem Phänomen der Planung bietet ein gutes Beispiel für eine frühe Auseinandersetzung der Verwaltungsrechtswissenschaft mit der Problematik staatlicher Steuerung. Die unterschiedlichen Ansätze, die Interdependenzen und die rechtlichen Rahmenbedingungen von Steuerung sind bereits dort ausführlich behandelt229.
223 224 225 226 227 228 229
Vgl. Höfling, Transplantationsgesetz, § 16 Rn. 7 ff.; M. Schwab, BB 1999, S. 731 ff. und S. 783 ff. Zum folgenden Stern, Staatsrecht, Bd. 2, § 40; Schmidt-Aßmann, in: FS für Schlichter, S. 3 ff.; Schuppert, Verwaltungswissenschaft, S. 198 ff. BVerfGE 95, 1 (16). Die Planfeststellung (§§ 72 ff. VwVfG) gehört systematisch nicht zur Planung, sondern zur Vollzugsebene. Vgl. Rüfner, in: Erichsen/Ehlers, Verwaltungsrecht, § 49 Rn. 48 ff.; Schuppert, Verwaltungswissenschaft, S. 211 ff. Dazu Krämer, in: Lübbe-Wolff, Vollzug des europäischen Umweltrechts, S. 7 (22 ff.). Kaiser, Planung I – VI; insbesondere die wichtigen Beiträge von Kaiser, Planung I, S. 11 ff. und Planung II, S. 11 ff.; Forsthoff, in: Planung III, S. 21 ff.; Ipsen, in: Planung I, S. 35 ff. und Planung II, S. 63 ff.; und Scheuner, in: Planung I, S. 67 ff.
2. Abschnitt: Alte und neue Fragestellungen der Rechtsformenlehre
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1. Raumplanung: rechtlich profilierte Handlungsform 97 Rechtsdogmatisch ist die Verwaltungsplanung vor allem für das Bauund Raumordnungsrecht230, später auch für das Umweltrecht aufgearbeitet worden231. Dabei standen diejenigen Plantypen im Vordergrund des Interesses, die unmittelbare Auswirkungen auf das Verhalten von Privatpersonen oder anderer Verwaltungsträger haben, wie das für den Bebauungsplan und den Regionalplan gilt. Auch für diesen engeren Bereich der Raumplanung hat sich zwar keine einheitliche eigene Rechtsform herausgebildet. Rechtsprechung und Literatur haben aber eine Reihe typischer Merkmale planerischen Entscheidens und darauf bezogener Rechtsanforderungen entwickelt232, so daß Pläne nicht nur als Handlungsformen, sondern auch als Rechtsinstitute charakterisiert werden können. Planung und Plan haben sich hier als spezifische Institute des modernen „Verwaltungshandelns rechtlich profiliert“233. Ihre Merkmale sind: – die finale Struktur der Planungsnormen, – die Planungsverfahren mit besonderen internen Rationalitätsmechanismen234, – die planerische Abwägungsdogmatik als rechtliche Handlungs- und Kontrollanleitung, – Klauseln zur Einbindung des einzelnen Planes in das umgebende Gefüge vorhergehender und nachfolgender Entscheidungen (Entwicklungs-, Anpassungsklauseln), – eine Bestandskraftlehre nach dem Grundsatz der Planerhaltung (vgl. §§ 214 ff. BauGB). Alle diese Punkte trennen Planung und Plan nicht kategorisch von anderen Handlungsformen; aber sie geben ihnen ein eigenes rechtliches Gepräge. Zutreffend rechnet Gunnar Folke Schuppert den Plan ähnlich der Subvention zu den „Handlungsformen der Verwaltung auf der Schwelle zur Rechtsformenqualität“235. Im System der Raumplanung mit seinen gesetzlich fixierten Plänen und Ableitungszusammenhängen hat dieser Typus einer hierarchisch geordneten, auf direkte Verhaltenssteuerung angelegten Planung eine beispielhafte Darstellung gefunden236. 230 231 232 233 234
235 236
Dazu Hoppe/Bönker/Grotefels, Baurecht, §§ 5 ff.; Brohm, Baurecht, §§ 6 ff. Vgl. nur Erbguth, Grundfragen des Umweltrechts, S. 103 ff. und 146 ff.; Kloepfer, Umweltrecht, § 5 Rn. 5 ff. Grundlegend BVerwGE 34, 301 ff. und 45, 309 ff.; Weyreuther, DÖV 1977, S. 419 ff. So Forsthoff, Verwaltungsrecht, S. 303; ähnlich Schuppert, Verwaltungswissenschaft, S. 204 ff.; dort auch zu den nachfolgenden Kriterien. Vgl. die Standardanforderungen der Richtlinie 2001/42/EG über die Prüfung der Umweltauswirkungen bestimmter Pläne und Programme vom 27.6.2001 (ABl. Nr. L 197 S. 30). Verwaltungswissenschaft, S. 198. Dazu Wahl, Rechtsfragen der Landesplanung und Landesentwicklung, Bd. 1, S. 114 ff. Zu flexibleren Planungsvorstellungen in anderen europäischen Staaten vgl. SchmidtEichstaedt, DÖV 1995, S. 969 ff.
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Sechstes Kapitel: Das Handlungssystem der Verwaltung
2. Neue Erscheinungsformen: Konzepte und Konzeptpflichten 98 Pläne haben jedoch seit jeher noch andere Funktionen. Sie sollen den Entscheidungen des Planungsträgers selbst mehr Ordnung, Durchschaubarkeit und Stimmigkeit vermitteln. „Planung ist eine bestimmte Methode des Vorgehens, durch die eine rationale Erledigung staatlicher Aufgaben gewährleistet werden soll“237. Von einer solchen Planung können dann mittelbar Einflüsse auch auf das Verhalten Dritter erwartet werden. Primär geht es ihr aber nicht um Fremd-, sondern um Eigensteuerung. Pläne dieser Art wollen konzeptionelle Überlegungen zu einem bestimmten Politikbereich zunächst einmal darstellen und den Diskurs darüber eröffnen238. Sie lassen sich daher als Konzepte bezeichnen239. Die planerische Darstellungsweise bewirkt ein Artikulationsprivileg, indem sie konkurrierenden Interessen Begründungslasten zuweist240. Konzepte lassen sich als Sanierungs-, Energie- oder Entwicklungskonzepte in der Verwaltungspraxis vielfach nachweisen. Vor allem für Querschnittsaufgaben sichern sie einen ganzheitlichen Ansatz und erhöhen dadurch die Rationalität gerade solcher Folgeentscheidungen, die gesetzlich nur schwach vorgezeichnet sind. Das hat das Bundesverwaltungsgericht bereits 1984 an den Vorsorgeanforderungen nach § 5 BImSchG aufgezeigt241. Ähnlich wird für die Entgeltregulierung nach § 27 Abs. 1 Nr. 2 TKG „eine regulatorisch hoch anspruchsvolle Konzeptsetzung“ verlangt242. 99 Die jüngste Rechtsentwicklung zeigt eine Tendenz, die Exekutive in bestimmten Situationen auf eine vorherige Konzepterstellung sogar förmlich festzulegen. So verlangt der Sächsische Verfassungsgerichtshof in einer Entscheidung vom 10.7.2003, daß die Polizei, soweit sie verdachtslose Personenkontrollen auch auf „anderen Straßen von erheblicher Bedeutung für die grenzüberschreitende Kriminalität“ durchführen will, gesetzlich dazu verpflichtet wird, ein nachvollziehbares und rechtlich verbindliches Konzept vorzuhalten243. Auch das neue Produktsicherheitsrecht normiert ein förmliches Konzepterfordernis für Überwachungsbehörden und legt für den Konzeptinhalt die Mindestanforderungen selbst fest244. Die rechtliche Einordnung ist schwierig: Die Grundlage, das Konzepterfordernis, ist eine Rechtspflicht; das Ergebnis, das Konzept, dagegen 237 238 239 240
241 242 243 244
Badura, in: Erichsen/Ehlers, Verwaltungsrecht, § 39 Rn. 1. Ritter, JbStVwW 1987, S. 321 (345 ff.); vgl. Trute, Vorsorgestrukturen, S. 209 ff.: „Konzept vertikaler Eigensteuerung“. Systematisch A. Müller, Konzeptbezogenes Verwaltungshandeln, S. 72 ff. Vgl. Schmidt-Aßmann, DÖV 1990, S. 169 (175 f.); für die Infrastrukturverwaltung Aulehner, in: Haratsch/Kugelmann/Repkewitz, Herausforderungen an das Recht der Informationsgesellschaft, S. 195 (202 ff.). BVerwGE 69, 37 (44 f.); Pitschas, in: Blümel/Pitschas, Reform des Verwaltungsverfahrensrechts, S. 229 (255). So Spoerr, in: Trute/Spoerr/Bosch, Telekommunikationsgesetz, § 27 Rn. 15. Vf. 43-II-00 (http://www.justiz.sachsen.de/gerichte/homepages/verfg). Vgl. auch Möllers, NVwZ 2000, S. 382 ff. § 8 Abs. 2 GPSG. Vorgabe ist Art. 9 der Richtlinien 2001/95/EG, ABl. Nr. L 11 S. 4.
2. Abschnitt: Alte und neue Fragestellungen der Rechtsformenlehre
335
stellt keinen Rechtsakt, sondern eine schlichte Handlungsform dar, deren Existenz u.U. Voraussetzung für weitere Verwaltungsmaßnahmen ist245. Weniger noch als für die bekannten Arten der Raumplanung läßt sich für Konzepte eine feste einheitliche Rechtsform finden. Überhaupt kann es bei ihrer verwaltungsrechtlichen Erfassung nicht darum gehen, sie stärker zu verrechtlichen. Konzepte tragen ihre Richtigkeitsgarantien vielmehr in sich, weil sie überhaupt nur durch Plausibilität und eigene Stimmigkeit ihren argumentativ vermittelten Steuerungsanspruch durchsetzen können246.
B. Der Verwaltungsakt: einseitiges Regeln 100 Im Handlungssystem der Verwaltung kommt dem Institut des Verwaltungsakts gegenwärtig und künftig eine besondere Bedeutung zu. „Ohne seine stabilisierende Wirkung kann kein Verwaltungszweig auskommen, kann kein Gebiet des Besonderen Verwaltungsrechts seine praktische Umsetzung in die Lebenswirklichkeit erfahren“247. Das gilt für die Massenverkehrsvorgänge der Sozial- und Finanzverwaltung. Es gilt aber auch für komplexe Regelungssituationen des Wirtschafts- und Umweltverwaltungsrechts. Der Begriff, dessen „Ursprung vornehmlich in der Wissenschaft“ liegt248, bezeichnet ein für das Verwaltungsrecht zentrales Steuerungsbedürfnis. Das europäische Recht bestätigt das249: Der dem Verwaltungsakt nachgebildete Regelungstyp der Entscheidung gem. Art. 249 Abs. 4 EG ist Ausdruck des unmittelbaren Verbindlichkeitsanspruchs der Gemeinschaftsgewalt. Gerade die schwierigen Doppelwirkungen der an Mitgliedstaaten und die Gemeinschaftsbürger gleichermaßen gerichteten Maßnahmen finden in dieser Form ihren regelungstechnisch adäquaten Ausdruck. Ein „transnationaler Verwaltungsakt“ beginnt, sich auf der Grundlage des Anerkennungsprinzips zu einem Schlüsselelement der horizontalen Kooperation zwischen den mitgliedstaatlichen Verwaltungen zu entwickeln (→ 7/50). Die Einsatzbereiche des Verwaltungsakts sind nicht weniger, sondern mehr geworden250. 245
246 247
248
249 250
In mancher Hinsicht zeigen sich Parallelen zur Entwicklung vom Flächennutzungsplan; dazu nach wie vor grundlegend Löhr, Die kommunale Flächennutzungsplanung, S. 133 ff. Ausführlich A. Müller, Konzeptbezogenes Verwaltungshandeln, S. 178 ff. Schoch, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann, Innovation und Flexibilität, S. 199 (206).; im Ergebnis ebenso Henneke, in: Knack, Verwaltungsverfahrensgesetz, Vor § 35 Rn. 20 ff.; Erichsen, in: ders./Ehlers, Verwaltungsrecht, § 12 Rn. 5 f.; Wolff/Bachof/ Stober, Verwaltungsrecht, Bd. 2, § 45 Rn. 1 ff. Forsthoff, Verwaltungsrecht, S. 195. Zur Begriffsbildung Kormann, System der rechtsgeschäftlichen Staatsakte, S. 13 ff.; Schmidt-De Caluwe, Der Verwaltungsakt in der Lehre Otto Mayers, S. 206 ff. Vgl. Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz, § 35 Rn. 250 ff. Kahl, Jura 2001, S. 505 ff.; H. Meyer, in: FG 50 Jahre Bundesverwaltungsgericht, S. 551 ff.
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I. Regeln als Verantworten 101 Als dogmatisch exakt geformtes Institut zeichnet sich der Verwaltungsakt durch seine besonders klar zugeordneten Systemfolgen aus. Die Speicherleistungen der verwaltungsrechtlichen Dogmatik (→ 1/4) werden von ihm am anschaulichsten repräsentiert. Eben das sollen seine materiell-, verfahrens-, vollstreckungs- und prozeßrechtlichen Funktionen ausdrücken251. Doch nicht diese Folgen im einzelnen, sondern die in ihm zugrundegelegte spezifische Verantwortungsverteilung des Instituts ist das Essentiale. Als Regelung ist der Verwaltungsakt Ausdruck verantwortlichen Gestaltungswillens auf Seiten der Verwaltung und einer von Verantwortung entlasteten Gestaltungserwartung auf Seiten der Adressaten und Dritter. „Der Kern der mit dem Verwaltungsakt getroffenen Regelung liegt in der Verbindlichkeit kraft hoheitlichen Geltungsanspruchs“252. Daß darin nicht obrigkeitsstaatliche Bevormundung, sondern eine wichtige Leistung für das praktische Rechtsleben gesehen wird, haben jüngst die Einwände gegen die Deregulierung des Baugenehmigungsrechts gezeigt253. Gerade in Zeiten, in denen sich fortlaufend Grenzverschiebungen zwischen gesellschaftlichem und staatlichem Verantwortungsbereich ergeben (→ 3/109–117), ist für konkrete Begegnungssituationen ein Instrument verläßlicher Sphärenbestimmung notwendig. „Regeln als Verantworten“ – darin liegt die durch die Form vermittelte, eigene Handlungsrationalität des Verwaltungsakts. Sie ist das Spezifikum seines Steuerungsauftrages und weist ihm seine besondere Rolle im Kreis der Rechtsformen zu254. 102 Die Einseitigkeit der Regelung ist nicht Ausdruck eines selbstherrlichen Verwaltungsstils. Sie ist, sofern die Regelung selbst einen eigenen Belastungsgehalt aufweist, durch einen eigenen Gesetzesvorbehalt abgedeckt255. Die Kritik, der Verwaltungsakt passe nicht in das Bild einer kooperativen Verwaltungsführung, trifft so nicht zu. Das Verwaltungsverfahrensrecht mit seinen Antragserfordernissen, Anhörungsrechten und Begründungspflichten zeigt, daß Verwaltungsakte aus einem Geflecht kommunikativer Beziehungen hervorgehen, für das das Verfahrensrechtsverhältnis den rechtlichen Rahmen bietet (→ 6/45). In ein solches Geflecht bleiben sie, sofern sich ihre Regelung nicht in einem Augenblickseffekt erschöpft, auch weiterhin eingebunden. Das belegen die immissionsschutzrechtlichen Auflagen- und Überwachungsvorbehalte, die auf einen dauerhaften Kontakt zwischen Adressaten und Behörde zielen. In manchen Regelungssituationen erscheinen Vertrag und Verwaltungsakt als funktionale Äquivalente. Auch 251 252 253 254 255
Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz, § 35 Rn. 24 ff.; Schuppert, Verwaltungswissenschaft, S. 154 ff. So Kopp/Ramsauer, Verwaltungsverfahrensgesetz, § 35 Rn. 4; vgl. auch Forsthoff, Verwaltungsrecht, S. 205 ff. Vgl. Ortloff, NVwZ 1995, S. 112 ff. mit dem bezeichnenden Titel „Abschied von der Baugenehmigung – Beginn beschleunigten Bauens?“. Nachw. zur Kritik dieser Rolle bei Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz, § 35 Rn. 4 ff. Vgl. Henneke, in: Knack, Verwaltungsverfahrensgesetz, Vor § 35 Rn. 37 ff.
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Verwaltungsakte können Kooperationsvorgänge aufnehmen und in Form bringen. Sie tun das in der ihnen eigenen Weise, indem sie die Verantwortungssphären klar aufteilen.
1. Handlungsinstrument und Rechtsquelle 103 Der Verwaltungsakt ist ein Ausdruck gesetzesdirigierter, eigenständiger Verwaltungsführung (→ 4/38–42), die so ein Instrument mit rechtsstaatlich ausgewogen festgelegten Systemfolgen erhält: Die Möglichkeiten administrativer Rechtsgestaltung und individueller Rechtsverteidigung sind zu einem angemessenen Ausgleich gebracht. Heute wird dem Verwaltungsakt im Vergleich zum konsensualen und informalen Verwaltungshandeln nicht selten sogar eine besondere rechtsstaatliche Dignität beigemessen. Gegenüber solchen Vergleichen ist allerdings Vorsicht geboten: Auch der Verwaltungsakt hat seine rechtsstaatlich nicht unbedenklichen Seiten. Er bietet der Verwaltung eine scharfe, vollstreckungsrechtlich armierte einseitige Zugriffsmöglichkeit, die durch eine restriktive Fehlerfolgenregelung (vgl. § 44 VwVfG) zusätzliche Brisanz erhält256. Aber es ist gelungen, den daraus möglicherweise folgenden Gefahren für Freiheit und Gesetzmäßigkeit durch einen spezifisch ausgebauten Rechtsschutz im Verwaltungs- und Gerichtsverfahren gegenzusteuern257. Die Bauprinzipien der Formenlehre (→ 6/35–36) haben hier zu einem insgesamt akzeptablen und akzeptierten Formentyp geführt. Daher sollte der Verwaltungsakt nicht als heller Stern am sonst dunklen Himmel heutiger Informalität gefeiert, sondern als nachahmenswertes Beispiel für die Ordnungskraft des systematischen Rechtsdenkens genommen werden! 104 In den unterschiedlichen Situationen der administrativen Rechtsanwendung (→ 4/54) deckt der Verwaltungsakt keineswegs nur die Fälle ab, in denen das Gesetz in einer dem Subsumtionsideal nahekommenden Weise vollzogen wird. Er ist vielmehr ebenso als Konkretisierungsform gesetzlicher Gestaltungsermächtigungen notwendig. Das wird schon an der Regelung alltäglicher Gefahrenlagen durch Polizeiverfügungen deutlich. Sehr viel klarer zeigt sich die eigenständige Konkretisierungsleistung in Planfeststellungsbeschlüssen, Subventionsbescheiden und Lizenzvergaben (→ 3/52). Der Verwaltungsakt reduziert Unsicherheit und schafft einen Tatbestand, an den Folgeregelungen verläßlich anknüpfen können (Titel-, Legalisierungs-, Konzentrations- und Präklusionswirkungen). Seine Fähigkeit, „Entscheidungen zu binden und horizontale Anschlußmöglichkeiten für weitere Handlungen zu eröffnen, die nicht in jedem Entscheidungspunkt neu ‚vertikal‘ aus dem Gesetz abgeleitet werden müssen“258, wird gerade dort besonders wichtig, wo die Weite und die Steuerungsgrenzen materieller gesetzlicher Programme erkannt und die Eigenständigkeit der Verwaltung 256 257 258
Vgl. Schmidt-De Caluwe, VerwArch 1999, S. 49 ff. Vgl. Wolff/Bachof/Stober, Verwaltungsrecht, Bd. 2, § 45 Rn. 8. Ladeur, VerwArch 1995, S. 511 (527).
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Sechstes Kapitel: Das Handlungssystem der Verwaltung
besonders herausgestellt werden. Hier liegt die Rechtfertigung dafür, Verwaltungsakten Rechtsquellencharakter zuzusprechen259. „Der Verwaltungsakt ist eine Rechtsquelle, weil er auch unabhängig von einer Rechtsgrundlage, ja grundsätzlich gegen sie, ein Recht, eine Rechtslage oder eine Verpflichtung verbindlich festzulegen in der Lage ist“260.
2. Stabilität und Flexibilität 105 Dem Verwaltungsakt ist gelegentlich eine besondere Inflexibilität angelastet worden. Schon die Lektüre dessen, was die Kommentare zum Tatbestandsmerkmal der „Regelung“ im Rahmen des § 35 und zu den Nebenbestimmungen des § 36 VwVfG sagen, belehrt eines Besseren. Der Verwaltungsakt besitzt in seinen Entstehungsbedingungen ebenso wie in seinen Regelungswirkungen erhebliche Flexibilisierungsreserven261. Freilich ist das keine Flexibilität, die auf jeden Anstoß sogleich zu reagieren sich anschickt. Im Regelungsrahmen des Verwaltungsakts ist Flexibilität nur zusammen mit Stabilität als Komplementärfunktion verfügbar. Das ist ein Vorzug, weil die verlangte Flexibilität auf diese Weise an Wertungsschwellen ausgerichtet und damit kontrollierbar wird. Die für Verwaltungsakte geltende Bestandskraftslehre (vgl. § 43 VwVfG) und die besonderen Bestandsschutzlehren für einzelne Typen begünstigender Verwaltungsakte262 können so ein Gefüge abgestimmter Reaktionen auf Flexibilitätsanforderungen bieten. Die Legitimität einer Dauerregelung läßt sich aus der Rechtmäßigkeit im Zeitpunkt ihres Erlasses nicht für unbegrenzte Zeit ableiten. Aber sie entfällt auch nicht angesichts jeder neuen Erkenntnis oder Situationsänderung. Am Beispiel des Risikoverwaltungsrechts läßt sich zeigen, daß gezieltes „Lernen“ auf Seiten der Verwaltung wie der Adressaten eine rechtliche Struktur voraussetzt. Dazu kann das formbestimmte Institut des Verwaltungsakts mehr leisten als das informale Verwaltungshandeln263. 106 Für die Anpassung an dieses Bedürfnis nach Flexibilität stehen mehrere Regelungsinstrumente zur Verfügung, die teils in Gesetzen ausdrücklich vorgesehen, teils von der Praxis ausgebildet worden sind264. Sie alle müssen so eingesetzt werden, daß das für den Verwaltungsakt formtypische Stabilisierungsziel nicht aufgegeben wird:
259 260 261
262 263 264
Dazu systematisch Schoch, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann, Innovation und Flexibilität, S. 199 (233 f.). H. Meyer, in: FG 50 Jahre Bundesverwaltungsgericht, S. 551. Schoch, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann, Innovation und Flexibilität, S. 199 (231 ff.); Henneke, DÖV 1997, S. 768 (777 ff.); Erichsen, in: ders./Ehlers, Verwaltungsrecht, § 12 Rn. 6 f. Dazu Hansmann, in: FG 50 Jahre Bundesverwaltungsgericht, S. 935 ff. Dazu Ladeur, VerwArch 1995, S. 511 (521 ff.). Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz, § 35 Rn. 171 ff.; Brüning, Einstweilige Verwaltungsführung, S. 144 ff., 211 ff. und 263 ff.
2. Abschnitt: Alte und neue Fragestellungen der Rechtsformenlehre
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– Zu den gesetzlich anerkannten Möglichkeiten, schon beim Erlaß der Regelung auf künftige Flexibilitätsbedürfnisse Rücksicht zu nehmen, gehören die Nebenbestimmungen (§ 36 VwVfG), insbesondere die Befristung und der Widerrufsvorbehalt. – Ein Instrument, die Situation einer vorübergehenden Ungewißheit zu bewältigen und noch vor Erlaß eines endgültigen Verwaltungsakts zu einer zeitweisen Bindung zu gelangen, ist der vorläufige Verwaltungsakt265. – Aus dem besonderen Verwaltungsrecht bekannt sind ferner die Institute gestufter Verwaltungsentscheidungen, die Teilgenehmigungen und die Vorbescheide. – Schließlich ist z.B. für die Genehmigung von Produktionsverfahren ein Rahmenverwaltungsakt in Betracht zu ziehen, der z.B. die Versuchsanordnungen sowie Selbstüberwachungs- und Forschungspflichten festlegt266.
II. Regelungsform für komplexe Verwaltungsentscheidungen 107 Eine wichtige Entwicklungsaufgabe der Formenlehre liegt darin, die Leistungsfähigkeit des Verwaltungsakts zur Bewältigung komplexer Entscheidungssituationen zu stärken und auszubauen. Komplexe Entscheidungssituationen haben einen gesteigerten Klärungs-, Abschichtungs- und Stabilisierungsbedarf. Mit dem deskriptiv-analytischen Begriff der komplexen Verwaltungsentscheidung werden Steuerungsvorgänge bezeichnet, die in mehrfacher Hinsicht schwer faßbar, vielschichtig und wenig strukturiert erscheinen (→ 3/105–106). Der Verwaltungsakt ist zwar nicht das einzige Instrument, um solche Entscheidungssituationen zu erfassen (→ 3/114–117). Unter Umständen kann eine planerische Vorstrukturierung geboten sein (→ 6/98). Aber er ist ein vielfach anzutreffendes und angesichts des besonderen Klärungs- und Stabilisierungsbedarfs solcher Situationen funktionsgerechtes Institut. 108 Dogmatisch werden die meisten neueren Entwicklungen über das Tatbestandsmerkmal der „Regelung“ (§ 35 VwVfG) in das Formengerüst des Verwaltungsakts rezipiert. Die exakte Analyse der beabsichtigten Regelungswirkungen und ihr Abgleich mit den formbestimmten Rechtsfolgen nach Maßgabe des Adäquanzgebots sind die Grundlage, um der Gestaltung durch Verwaltungsakt neue Anwendungsfelder zu erschließen267. Dazu bietet es sich an, den Gehalt komplexer Entscheidungen in temporaler, personaler und instrumentaler Hinsicht zu gliedern und drei Entscheidungstypen mit jeweils spezifischem Formungsbedarf zu unterscheiden: 265
266
267
Schimmelpfennig, Vorläufige Verwaltungsakte, bes. S. 85 ff.; Lücke, Vorläufige Staatsakte, bes. S. 139 ff.; Di Fabio, Risikoentscheidungen, S. 300 ff.; Peine, in: FS für Thieme, S. 563 ff. Dazu Ladeur, VerwArch 1995, S. 511 (528); Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz, § 35 Rn. 190: Zulassung „nur skelettartig, im Gegensatz zum vorläufigen Verwaltungsakt aber endgültig“. Vgl. nur Schmidt-Preuß, Kollidierende Privatinteressen, S. 499 ff.
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109 Sequentielle Entscheidungen: Sie sollen Anpassungen, insbesondere gegenüber neuen Erkenntnissen ermöglichen, zugleich aber Verläßlichkeit für ein zunächst in den Grundzügen erarbeitetes Konzept gewährleisten (→ 6/105 f.). Das setzt eine präzise Einpassung der jeweils nachfolgenden Entscheidung in den vorher entwickelten Rahmen voraus. Die erforderlichen dogmatischen Schritte lassen sich an der Ausbildung des Instituts der Teilgenehmigung gut nachvollziehen268. Aus den Rechtsfiguren des vorläufigen positiven Gesamturteils und der Bestandskraftspräklusion ist hier ein Regelungsmuster entstanden, das den unterschiedlichen Interessen an gestuften Verwaltungsentscheidungen Rechnung tragen soll. Besondere Fragen stellen sich für ein phasenspezifisches Verfahrensund Rechtsschutzkonzept269. Es muß aus den Gedanken der Verfahrensfairneß und der Verfahrenspraktikabilität entwickelt werden. Abschichtende Wirkungen dürfen nicht dadurch erkauft werden, daß jemand in einer späteren Phase mit Einwendungen ausgeschlossen wird, deren substantielle Gründe er in einer früheren Phase nicht hat erkennen können. Auf der anderen Seite darf die Sensibilität gegenüber diffusen Vorwirkungen nicht überzogen werden. Abschichtung beruht auch auf dem Gedanken der Bündelung. 110 Interessenausgleichend-konnexe Entscheidungen: Der Prototyp dieser Entscheidungen ist der Verwaltungsakt mit Doppelwirkung270. Er trifft eine Konfliktlösung zwischen konkurrierenden oder kollidierenden Privatinteressen in mehrpoligen Verwaltungsrechtsverhältnissen (→ 3/105). Für die Nutzung dieses Instituts im Bau- und Umweltverwaltungsrecht hat sich in der Zwischenzeit eine im wesentlichen gesicherte Teildogmatik herausgebildet271. Eine Aufgabe künftiger Entwicklung ist es, den Verwaltungsakt auch für Regelungssituationen der Wirtschaftsverwaltung handhabbar zu machen, in denen Marktordnungsentscheidungen zur Sicherstellung von Gruppeninteressen, z.B. solchen der Versorgungssicherheit und des Verbraucherschutzes, getroffen werden müssen (→ 3/46–54)272. Wie die Regelungselemente, die sich hier um den Verwaltungsakt als die zentrale Gestaltungsentscheidung lagern, miteinander verbunden sind, läßt sich z.B. an der Zusammenschaltungsanordnung nach § 37 TKG analysieren273. Die Ausgleichsfunktion zeigt sich in einem Bündel von Maßnahmen, aus dem einzelne Begünstigungen oder Belastungen nicht herausgelöst werden dür268
269 270 271 272
273
Z.B. §§ 8, 9 BImSchG. Grundlegend BVerwGE 72, 3000 (306 ff.); 92, 185 (195); 106, 115 (124); Schmidt-Preuß, DVBl 2000, S. 767 (768 ff.); Salis, Gestufte Verwaltungsverfahren, S. 294 ff. Dazu Schmidt-Aßmann, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, Verwaltungsgerichtsordnung, Einleitung Rn. 201 f. Zur Entwicklung Laubinger, Verwaltungsakt mit Doppelwirkung, S. 5 ff. Schmidt-Preuß, Kollidierende Privatinteressen, S. 155 ff. und 499 ff.; auch Henneke, in: Knack, Verwaltungsverfahrensgesetz, § 35 Rn. 100 f. Zur Situation vgl. Koenig, Verteilungslenkung, S. 238 ff.; zu älteren Typen von Vergabeentscheidungen, z.B. Konzessionen und Kontingenten, und der Nutzung des Verwaltungsakts dort S. 99 ff. Trute, in: Trute/Spoerr/Bosch, Telekommunikationsgesetz, § 37 Rn. 16 ff.; ausf. M. Röhl, Regulierung der Zusammenschaltung, S. 139 ff.
2. Abschnitt: Alte und neue Fragestellungen der Rechtsformenlehre
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fen. Ähnliches gilt für Kompensationsanordnungen274. Die Rechtsform hat die Wirksamkeit dieses Junktims sicherzustellen. Stärker als bisher sollten als Teilelemente Ergebnisse privater Konfliktschlichtung eingebunden werden275. 111 Instrumenten-kombinierende Entscheidungen: Komplexe Regelungssituationen lassen sich oft nicht durch Nutzung einer einzigen Entscheidungsform bewältigen. Sie verlangen vielmehr, unterschiedliche Rechtsformen zu einem Regelungswerk zusammenzustellen (→ 6/77). Das ist ein Teilaspekt der auch sonst empfohlenen Einbeziehung des Verwaltungsakts in das Rechtsverhältnisdenken276. Bekannt sind die zweistufigen Rechtskonstruktionen des Subventions- und Anstaltsnutzungsrechts (→ 6/22). Ähnliche Verbindungen können sich zu einer neuen Ordnung des Vergabewesens anbieten. Besondere Gestaltungsmöglichkeiten eröffnen Kombinationen eines Verwaltungsakts mit einem Vertrag zugunsten Dritter. In allen diesen Fällen muß die Dogmatik Aussagen zu den Rück- bzw. Vorwirkungen treffen, die aus Geltungszweifeln am Grundverwaltungsakt oder aus Leistungsstörungen auf der vertraglichen Ebene folgen können.
C. Der Verwaltungsvertrag: konsensuales Handeln 112 Mit dem Vertrag ist das Thema des „kooperativen Staates“ angeschlagen (→ 3/118–122). Dabei ist freilich zunächst daran zu erinnern, daß manches von dem, was heute als Ausdruck kooperativen Verwaltens geschildert wird, Vorgänge alltäglichen Kontakts zwischen Verwaltung und Bürgern betrifft, von denen das Bundesverfassungsgericht zutreffend sagt277: „Die Notwendigkeit des Gesprächs zwischen Verwaltung und Bürger entspricht dem grundgesetzlichen Verständnis der Stellung des Bürgers im Staat“ (→ 2/110). Diese positive Seite sollte bei allen Bedenken, die gegenüber bestimmten Phänomenen kooperativer Verwaltung geltend gemacht werden, nicht übersehen werden. Für die Antragstellung im Sozialrecht und für das Angebot des Austauschmittels im Polizeirecht sind wie für viele andere Verwaltungsleistungen Gespräche und Beratung seit langem der normale Rahmen, für den das Verwaltungsrecht allenfalls punktuell, z.B. für die Haftungsfolgen unrichtiger Beratung, keineswegs aber durch Ausbildung eigenständiger Formelemente Vorsorge treffen muß (→ 6/128–129). Die Rechtsformenlehre ist so wenig wie die Rechtsverhältnis- und die Verfahrenslehre darauf angelegt, die Beziehungen zwischen Verwaltung und Bürgern in allen Einzelheiten oder mit einem möglichst weitreichenden Vollständigkeitsanspruch zu erfassen. Viele Vorgänge kooperativen Verwaltens dürfen daher außer274 275 276 277
Dazu Voßkuhle, Kompensationsprinzip, S. 411 ff. Vgl. zur Bedeutung von Vereinbarungen zur Substitution von Zulassungsentscheidungen § 74 Abs. 7 Nr. 2 VwVfG. Dazu Gröschner, Überwachungsrechtsverhältnis, bes. S. 145 ff.; erweiternd Koenig, Verteilungslenkung, S. 91 ff. BVerfGE 45, 297 (335).
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Sechstes Kapitel: Das Handlungssystem der Verwaltung
halb rechtlicher Regelung bleiben, ohne daß sie sogleich als „Vorfestlegung“ oder „Schaffung vollendeter Tatsachen“ beargwöhnt werden müssen. 113 Anders ist das freilich dort, wo die Beteiligten durch Verständigung weiterreichende Effekte anstreben278. Diese qualifizierten Fälle kooperativen Verwaltens werden hier als konsensuales Handeln bezeichnet. Teilweise sind solche Verständigungen bewußt so gestaltet, daß sie unterhalb der Schwelle der rechtlichen Verbindlichkeit bleiben sollen (→ 6/130–133). Keineswegs gilt Informalität jedoch für den gesamten oder auch nur für den größten Teil kooperativen Verwaltens. Die kooperative Verwaltung allein als informale Verwaltung zu sehen, verengt die Perspektive. Der Verwirklichungsmodus der Kooperation ist in weiten Bereichen die Rechtsform. Rechtsformen und rechtsformabhängige Verfahrensregeln bilden folglich die ersten Ansätze, um Vorgängen kooperativen Verwaltens rechtliche Strukturen zu geben279. Eine nicht unwichtige Rolle spielt dabei der mitwirkungsbedürftige Verwaltungsakt, insbesondere in seiner qualifizierten Form als „Verwaltungsakt auf Zustimmung“. Vor allem ist der Verwaltungsvertrag die Rechtsform der kooperativen Verwaltung280.
I. Die Normalität des Vertrages 114 Als Verwaltungsvertrag wird hier jeder Vertrag bezeichnet, an dem auf mindestens einer Seite eine Stelle öffentlicher Verwaltung beteiligt ist. Verwaltungsverträge können öffentlich-rechtlicher oder privatrechtlicher Natur sein281. Für sie alle gilt, daß sie von Seiten der Verwaltung nicht auf der Grundlage privater Vertragsfreiheit abgeschlossen sind. Das ist eine Konsequenz der für das Verwaltungsrecht grundlegenden Trennung von Freiheit und Kompetenz, an der die unbestrittene Legitimität eines neben das Hierarchiemodell getretenen Verhandlungsmodells nichts ändert: Die Verwaltung handelt bei Vertragsschlüssen wie bei allen anderen Gestaltungsmöglichkeiten auf der Grundlage rechtsgebundener Kompetenz (→ 1/26). Das gesamte Vertragsrecht der Verwaltung ist – wie Hans Christian Röhl herausgearbeitet hat282 – von diesen Sonderbindungen her zu entwickeln. Die Sonderbindungen bezwecken einerseits den Schutz des Vertragspartners. Sie zielen aber ebenso auf den Schutz Dritter und auf die Wahrung öffentlicher Interessen. Diese Mehrschichtigkeit der Schutzzwecke ist entscheidend, um eine ausgewogene Vertragsrechtsdogmatik zu entwickeln283. 278 279 280 281
282 283
Schmidt-Aßmann, in: Riedel, Die Bedeutung von Verhandlungslösungen im Verwaltungsverfahren, S. 21 (27 ff.); ders., in: FS für Brohm, S. 547 (560 ff.). Dazu Schulze-Fielitz, DVBl 1994, S. 657 (660 ff.). Vgl. Henneke, in: Knack, Verwaltungsverfahrensgesetz, Vor § 54 Rn. 32 ff. So schon Schmidt-Aßmann/Krebs, Städtebauliche Verträge, S. 120 ff.; ebenso Erichsen, in: ders./Ehlers, Verwaltungsrecht, § 24 Rn. 1; Gurlit, Verwaltungsvertrag, S. 24; P. M. Huber, Verwaltungsrecht, S. 222; Reimer, VerwArch 2003, S. 543 (547 mit Nachw. in Fn. 20). Röhl, Verwaltung durch Vertrag, i.E., § 2 A I 1. Zu eng daher BVerwGE 111, 162 (168 ff.).
2. Abschnitt: Alte und neue Fragestellungen der Rechtsformenlehre
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115 Auf dieser Basis aber ist der Verwaltungsvertrag ein Institut, das an rechtsstaatlicher Dignität dem Verwaltungsakt nicht nachsteht (→ 6/38). Die Ansicht, der Verwaltungsvertrag diene in der Praxis häufig dazu, rechtswidrige Zustände abzusichern, ist rechtstatsächlich nicht zu halten284. Einen Vorrang „Entscheiden vor Vereinbaren“ gibt es für die Verwaltung nicht285. Selbst das kompetentiell strikt gebundene EG-Recht verharrt nicht bei den Formen einseitigen Gestaltens (Art. 249 EG), sondern erkennt öffentlich-rechtliche und privatrechtliche Verträge als Handlungsmittel der Gemeinschaft ausdrücklich an (vgl. Art. 238 EG)286. Im System der Rechtsformen nimmt das Vertragsrecht keine Ausnahmeposition ein. Es gehört vielmehr zur Normalität287.
II. Grundsatz gesetzesdirigierter Vertragsgestaltung 116 Handeln in gebundener Kompetenz verlangt von der vertragschließenden Verwaltung die Beachtung aller gesetzlichen Vorgaben288. Das Gesetz gibt dem Vertrag Rahmen und Richtpunkte. Es ist nicht nur Schranke, sondern auch Determinante der Vertragsgestaltung. Dabei muß die Grenze, die ein Gesetz für einseitig-regulatorisches Verwaltungshandeln zieht, nicht notwendig auch die Grenze für vertragliche Gestaltungen sein289. Letztere können freier gestellt sein. Umgekehrt kann in seltenen Fällen ein institutionell begründeter Gesetzesvorbehalt eine genauere gesetzliche Vorstrukturierung verlangen (→ 4/18–20). Im Regelfalle aber bedarf die Verwaltung für Vertragsschlüsse keiner besonderen gesetzlichen Grundlage. Es gilt der Grundsatz gesetzesdirigierter Vertragsgestaltung290. 117 Die Beachtung des Gesetzmäßigkeitsprinzips gilt für Verträge der Verwaltung auf den Gebieten des öffentlichen Rechts und des privaten Rechts gleichermaßen. Der Begriff des Verwaltungsvertrages will die dafür notwendige begriffliche Klammer bieten. Er läßt auf der anderen Seite genügend Raum, um für unterschiedliche Vertragssituationen jeweils eigene Gruppen von Rechtsanforderungen zusammenzustellen. Eine strikte Zäsur zwischen öffentlich-rechtlichen und privatrechtlichen Verwaltungsverträgen aber hat sich sowenig wie die 284 285 286 287
288 289
290
Maurer/Bartscher, Die Praxis des Verwaltungsvertrags, S. 145 f.; vgl. auch Schlette, Verwaltung als Vertragspartner, S. 257 ff. Anders in der Tendenz Kirchhof, in: HStR Bd. 3, § 59 Rn. 122 ff., auch 149 ff. Vgl. Grunwald, EuR 1984, S. 227 ff.; Spannowsky, Verträge und Absprachen, S. 490 ff.; Röhl, Verwaltung durch Vertrag, i.E., § 2 A III. Im Ergebnis ähnlich Krebs, VVDStRL Bd. 52, S. 248 (253 ff.); Bauer, in: FS für Knöpfle, S. 11 ff.; Kahl, DÖV 2000, S. 793 (801) für städtebauliche Verträge. Zur Dogmengeschichte Maurer, DVBl 1989, S. 798 (799 ff.). Vgl. Schlette, Verwaltung als Vertragspartner, S. 65 ff.; Gurlit, Verwaltungsvertrag, S. 63 ff. und 245 ff. Vgl. BVerwG NJW 1985, 989 f. und BVerwGE 84, 236 (238); Bauer, in: FS für Knöpfle, S. 11 (18 ff.); Gurlit, Verwaltungsvertrag, S. 335; Schlette, Verwaltung als Vertragspartner, S. 508. So auch Hien, in: FS für Schlichter, S. 129 (137); Kahl, DÖV 2000, S. 793 (795 ff.).
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Sechstes Kapitel: Das Handlungssystem der Verwaltung
in § 54 S. 2 VwVfG festgelegte Trennung zwischen koordinationsrechtlichen und subordinationsrechtlichen Verträgen bewährt291. Die besonderen Regelungsbedürfnisse bei Vertragsschlüssen der Verwaltung liegen nicht selten quer zu diesen Einteilungen. So verlangen beispielsweise privatrechtliche Verträge zur Regelung von Privatisierungsfolgen, um legitime Versorgungsinteressen zu berücksichtigen und einer nachwirkenden staatlichen Gewährleistungspflicht zu genügen (→ 6/121), eine wesentlich differenziertere rechtliche Ordnung als der einfache Folgekostenvertrag, der in § 56 VwVfG alle erdenkliche Sorgfalt einer gesetzlichen Regelung erfahren hat. Das dort normierte Koppelungsverbot wiederum ist kein Spezifikum subordinationsrechtlicher Verträge, sondern eine Grundregel für das gesamte Verwaltungsvertragsrecht, die in unterschiedlichen Vertragssituationen freilich unterschiedlich zu konkretisieren ist292.
III. Vertragstypen, Vertragsverfahrensrecht und Klauselpraxis 118 Bildet der Vertrag im Rahmen der Rechtsformenlehre eine Normalität, so sind seine spezifischen rechtlichen Regelungserfordernisse eigenständig zu entwickeln. Ein Verwaltungsvertragsrecht läßt sich nicht dadurch ausbilden, daß die für das einseitige Hoheitshandeln geltenden Regeln möglichst weitgehend auf den Vertrag erstreckt werden. Regeln und Vereinbarungen bieten unterschiedliche Gestaltungsmöglichkeiten, die als komplementäre und nicht als möglichst einander angenäherte Handlungsmöglichkeiten wichtig sind. Vertragliche Gestaltungssituationen müssen daher in ihren Chancen und Gefahren eigenständig erfaßt und durch Rechtsregeln soweit eingefangen werden, daß dem Bewirkungs- ebenso wie dem Begrenzungsauftrag des Verwaltungsrechts entsprochen wird (→ 1/30–32). 119 Chancen und Gefahren vertraglicher Regelungssituationen liegen in der Eigendynamik, die dem Unternehmen eines gemeinsamen Interessenausgleichs innewohnt. Die Konzentration auf nur diesen Ausgleich ermöglicht Feinabstimmungen, die als ein positiver Effekt vertraglicher Gestaltung gelten. Auf der anderen Seite tendiert gerade diese Konzentration dazu, externe Bindungen abzustreifen und Drittinteressen auszublenden. Damit zusammen hängt die Gefahr einer übermäßigen Einschnürung der Verwaltung, die ihr auf spätere Situationsänderungen nur schwer zu reagieren gestattet (pacta sunt servanda). Um diese Regelungsgesichtspunkte bei Verwaltungsverträgen angemessen zu erfassen, reichen die allgemeinen Vertragsvorschriften des Zivilrechts nicht aus. Sie können als Basisvorschriften fungieren, die für Verwaltungsverträge aber durch eine Reihe von Sondervorschriften ergänzt werden müssen. Dazu zählt auch eine besondere Fehlerfolgenlehre, die Ausbruchsversuchen deutlicher entgegentritt, als das allgemeine Privatrecht das tun muß. Insoweit kann die zu § 59 VwVfG 291 292
Kritik auch bei Henneke, in: Knack, Verwaltungsverfahrensgesetz, Vor § 54 Rn. 1. BVerwGE 92, 56 (65); Spannowsky, Verträge und Absprachen, S. 339 ff. und 359 ff. (für einzelne Vertragstypen).
2. Abschnitt: Alte und neue Fragestellungen der Rechtsformenlehre
345
entwickelte Dogmatik293 als Regelungsmuster für das gesamte Verwaltungsvertragsrecht angesehen werden294. Ähnliches gilt für das besondere Kündigungsrecht der Verwaltung gem. § 60 Abs. 1 S. 2 VwVfG295. Inwieweit das Schriftformerfordernis des § 57 VwVfG als durchlaufendes Regelungselement des Verwaltungsvertragsrechts anerkannt werden sollte, bedarf gesonderter Untersuchung. Die Schriftform bewahrt vor übereilten Entscheidungen, sichert Beweise und ist die Vorstufe der Publizität; für Massenverkehrsvorgänge mit standardisierten Leistungsbeziehungen ist sie dagegen ungeeignet. Für komplexe Verträge, die die Organisation öffentlicher Aufgaben betreffen, z.B. Verträge zwischen Verwaltung und Einrichtungen gesellschaftlicher Selbstorganisation, ist darüber hinaus an die Einführung einer allgemeinen Veröffentlichungspflicht zu denken.
1. Analyse unterschiedlicher Regelungssituationen 120 Eine konsistente Systematik des Verwaltungsvertragsrechts läßt sich nur entwickeln, wenn die Vielfalt der Regelungssituationen in den Blick genommen wird, in denen die Verwaltung den Vertrag nutzt. Neben den Vertrag im Städtebau-, Umwelt-, Subventions- und Beamtenrecht296 gehören die Verträge im Vergabewesen, im Sozialrecht, im Recht der öffentlichen und gemischt-wirtschaftlichen Unternehmen sowie Verträge zur Vorbereitung und Durchführung von Privatisierungen297. Ein zu kleiner Kreis von Referenzgebieten hat bisher die Perspektive zu stark eingeengt. Zutreffend wird heute gegenüber den als unvollständig empfundenen §§ 54 ff. VwVfG z.B. eine bessere Erfassung sog. Kooperationsverträge gefordert298. Notwendig ist es, typische Interessenkonstellationen herauszuarbeiten299. Zu analysieren sind die unterschiedlichen Rechtstitel, auf 293 294 295
296 297 298
299
Dazu ausführlich Efstratiou, Bestandskraft, S. 194 ff.; Schlette, Verwaltung als Vertragspartner, S. 536 ff.; Röhl, Verwaltung durch Vertrag, i.E., § 7 C. Vgl. auch Gurlit, Verwaltungsvertrag, S. 438 f. Vgl. Efstratiou, Bestandskraft, S. 310 ff. Zu den umfassenderen Interventionsrechten der Verwaltung im französischen Vertragsrecht dort S. 278 ff.; Röhl, Verwaltung durch Vertrag, i.E., § 4 C I. Zur daneben bestehenden, beiden Parteien zugänglichen Berufung auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage vgl. Lorenz, DVBl 1997, S. 865 ff. Dazu ausf. Schlette, Verwaltung als Vertragspartner, S. 263 ff.; Nachw. auch bei Henneke, in: Knack, Verwaltungsverfahrensgesetz, Vor § 54 Rn. 11 f. und § 5 Rn. 6 ff. Vgl. die Auflistung bei Bonk, in: Stelkens/Bonk/Sachs, Verwaltungsverfahrensrecht, § 54 Rn. 81. Vgl. die Beschlußempfehlung des Beirats Verwaltungsverfahrensrecht beim Bundesministerium des Innern, abgedruckt NVwZ 2002, S. 834 f.; ausf. Schuppert und Ziekow, in: Bundesministerium des Innern, Verwaltungskooperationsrecht; dazu SchmidtAßmann, in: FS für Brohm, S. 547 (560 ff.). Dazu Krebs, VVDStRL Bd. 52, S. 248 (277 ff.); Schuppert, Verwaltungswissenschaft, S. 174 ff.; ausf. Röhl, Verwaltung durch Vertrag, i.E., § 3 unter der Bezeichnung „Vertragskategorien“: Grundkategorien (Verträge in Ausübung vorbehaltener Regelungsbefugnisse, Verträge für den Transfer staatlicher Ressourcen, vertragliche Formen der Leistungserbringung durch öffentliche Einrichtungen) und Strukturverträge als Repräsentanten für komplexe Vertragsgestaltungen.
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Sechstes Kapitel: Das Handlungssystem der Verwaltung
Grund derer die Verwaltung beim Vertragsschluß handelt, die Vertragsziele im Lichte der Verwaltungsaufgaben, die Rechtsstellung und die Zahl der an der Regelungssituation materiell Beteiligten und die angestrebte Dauer der vertraglichen Regelung. 121 Zwei Regelungssituationen verdienen besondere Aufmerksamkeit. Sie betreffen das Zustandekommen und die weitere Entwicklung der Vertragsbeziehungen und belegen, daß das Verwaltungsvertragsrecht vor allem als ein Recht der mehrpoligen und der dauerhaften Verwaltungsrechtsverhältnisse auszugestalten ist.300 – Auswahl des Vertragspartners: Der Bedeutungszuwachs dieses Themas läßt sich am Beispiel des Vergaberechts zeigen. Für die traditionelle haushaltsrechtliche Sicht dieses Rechtsgebiets stand das Interesse an der Gewinnung des kostengünstigsten Anbieters im Vordergrund. Das ist ein nach wie vor wichtiges Kriterium; aber der Kreis der Auswahlgesichtspunkte ist größer geworden. Vergabetätigkeit selbst ist Verwaltungstätigkeit, die für weitere ökonomische, soziale oder ökologische Verwaltungszwecke instrumentalisiert wird (→ 3/46). Das neue Vergaberecht trägt dem zutreffend Rechnung, indem es auf die Eindeutigkeit der Auswahlkriterien und den Schutz konkurrierender Anbieter besonderen Wert legt. Beides wird durch eine Formalisierung und Publifizierung des Vertragsschlußverfahrens angestrebt301. – Dauerhafter Einfluß auf die Leistungsqualität: Verträge sind heute Gestaltungsmittel zur Organisation gemeinsamer staatlich-gesellschaftlicher Leistungserbringung. Die Beiträge des privaten Vertragspartners sind nicht nur Vorbereitungs- oder technische Hilfsleistungen für eine daran anschließende eigene Verwaltungstätigkeit. Sie sind nicht nur neutrale Bedarfsdeckung, sondern Substitution von Verwaltungsleistungen. Für Sachleistungen bieten das Sozialhilfeund das Krankenversicherungsrecht dafür Beispiele. Im Rahmen funktionaler Privatisierungen und bei der Nutzung privater Normsetzung greift die Substitution sogar in den Entscheidungsbereich hinüber. Hier kommt der Gedanke einer staatlichen Gewährleistungsverantwortung ins Spiel (→ 3/114–117). Es geht darum, hohe Qualitätsstandards zu definieren und dauerhaft zu sichern. Das Vertragsrecht muß daher so ausgestaltet sein, daß die Verwaltung die Leistungserbringung ihres Vertragspartners fortlaufend beobachten, beeinflussen und gegebenenfalls durch Ausstiegsoptionen schnell beenden kann.
300 301
Reimer, VerwArch 2003, S. 543 ff.: Ring-, Netz-, Fächer- und Übereckverträge. § 97 GWB: Aufträge sind an fachkundige, leistungsfähige und zuverlässige Unternehmen zu vergeben; andere Anforderungen dürfen nur gestellt werden, wenn sie gesetzlich vorgesehen sind (Abs. 4). Die Unternehmen haben Anspruch darauf, daß die auftraggebende Verwaltung die Bestimmungen über das Vergabeverfahren einhält (Abs. 7).
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2. Prozeduralisierung und Klauselpraxis 122 Die erforderliche Analyse der Interessenstrukturen führt zu einer stärkeren Ausrichtung des Verwaltungsvertragsrechts an sachgeprägten Vertragstypen302. Eine solche Typologie muß über die Beschreibung der Vertragsrechtspraxis in den einzelnen Gebieten des Fachverwaltungsrechts hinausführen und gemeinsame Strukturen, z.B. von Konzessionsverträgen herausarbeiten. Eine besondere Aufgabe ist die Analyse von komplexen Vertragswerken und Verhandlungssystemen303. Dazu gehören Langzeitverträge und Rahmenverträge, die heute z.B. Verfahrensprivatisierungen begleiten und überhaupt zu einem Mittel geworden sind, Verantwortungsstufungen im administrativ-gesellschaftlichen Kooperationsbereich rechtlich zu erfassen (→ 3/109–113). 123 Auf dieser Basis muß die Dogmatik des Verwaltungsvertragsrechts auf eine stärkere Prozeduralisierung ausgerichtet werden304. Die Verwaltungsverfahrensgesetze bieten hierzu bisher wenig. Ergiebiger erweist sich das Recht der öffentlichen Auftragsvergabe. Einzelne Bauformen des Verfahrensrechts, mit denen Interessenkonflikte der vertragstypischen Regelungssituationen phasenweise abgearbeitet werden sollen, sind: – Konzeptpflichten, die die Verwaltung vor Beginn von Vertragsverhandlungen dazu anhalten, sich über die Ziele und die wichtigsten Inhalte des angestrebten Vertragswerkes klar zu werden und dieses schriftlich niederzulegen; wo es um die Auswahl unter mehreren Vertragspartnern geht, sind auch die Auswahlkriterien zu nennen (→ 6/98, 163). – Publikationspflichten und Regeln über öffentliche Ausschreibungen, die über den Anwendungsbereich des neuen Vergaberechts hinausreichen305. – Regeln zur Sicherung administrativer Unparteilichkeit und zum Geheimnisschutz. – Neben dem besonderen Anpassungs- und Kündigungsrecht des § 60 Abs. 1 S. 2 VwVfG auch das Recht der Verwaltung, über die Erbringung drittbezogener Leistungen immer wieder unterrichtet zu werden und Qualitätskontrollen vornehmen zu können. Schwierigkeit bereitet es, Dritten, die durch den Vertragsinhalt in ihren Rechten beeinträchtigt werden können, eine angemessene Rechtsstellung zuzuweisen. Der Zustimmungsvorbehalt des § 58 Abs. 1 VwVfG belastet, wenn er interessengerecht nicht zu eng interpretiert wird, die Frage der Vertragswirksamkeit mit einer dauerhaften Rechtsunsicherheit. Eine prozedurale Lösung des Problems könnte darin bestehen, Dritte von einem beabsichtigten Vertragsschluß – gegebe302 303 304
305
Dazu Krebs, VVDStRL Bd. 52, S. 248 (277 ff.). Dazu Röhl, Verwaltung durch Vertrag, i.E., § 8 C; Ziekow, in: Bundesministerium des Innern, Verwaltungskooperationsrecht, S. 72 ff. Krebs, VVDStRL Bd. 52, S. 248 (260 ff.); Gurlit, Verwaltungsvertrag, S. 320 ff. und 562 ff.; Röhl, Verwaltung durch Vertrag, i.E., § 6; Reimer, VerwArch 2003, S. 543 (561 ff.). Dazu Burgi, DVBl 2003, S. 949 ff.
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Sechstes Kapitel: Das Handlungssystem der Verwaltung
nenfalls auch öffentlich – zu informieren und ihnen Einspruchsmöglichkeit zu geben, die fristgebunden ausgeübt werden müssen306. 124 Ein weiterer Entwicklungsschritt zu einer umfassenden Dogmatik des Verwaltungsvertrages ist die Ausbildung einer Klauselpraxis. Die Vertragslehre des Privatrechts kann hier Vorbild sein. Klauseln sind Antworten auf Gestaltungswünsche und Schutzinteressen in konkreten Regelungssituationen. Sie lassen sich auch für das Verwaltungsvertragsrecht formulieren. Eine „verwaltungsvertragliche Kautelarjurisprudenz“ (Krebs) kann z.B. für Privatisierungsverträge zeigen, mit welchen spezifischen Klauseln eine fortbestehende Verwaltungsverantwortung oder besondere Flexibilitätsbedürfnisse abgesichert werden können307. Gesetzliche Vorzeichnungen einer solchen Klauselpraxis finden sich in Vorschriften, die einen Mindestinhalt festlegen308. Darüber hinaus lassen sich durch Klauseln insbesondere Verpflichtungen des privaten Vertragspartners zur Einhaltung gesetzlicher Bestimmungen, die bei primärer Aufgabenerfüllung an die Verwaltung gerichtet sind, ferner Betriebspflichten, Informationspflichten, Prüfungs-, Kontroll- und Weisungsrechte der vertragschließenden Verwaltung festlegen309. Befristungsklauseln und vertragliche Kündigungsklauseln können sicherstellen, daß die Verwaltung über die gesetzlichen Befugnisse des § 60 VwVfG hinaus auf neue Situationen trotz der eingegangenen Bindung reagieren kann. Eine von der Judikatur immer wieder durchgearbeitete Klauselpraxis ist die dem Grundsatz gesetzesdirigierter Vertragsgestaltung angemessene Form der Konkretisierung.
D. Die Herausforderung des informalen Verwaltungshandelns 125 Das Handeln der Verwaltung hat sich nie ausschließlich in den Bahnen der kanonisierten Rechtsformen vollzogen und wird das auch künftig nicht tun. Neben dem rechtsförmlichen Handeln steht das schlichte Verwaltungshandeln, das breite Spektrum der rechtlich weniger strukturierten und vorrangig auf tatsächliche Wirkungen angelegten Verwaltungsrealakte310. Auch dieses Handeln 306
307
308 309
310
So auch Röhl, Verwaltung durch Vertrag, i.E., § 5 E I und § 6 C III. Eine entsprechende Gesetzesänderung empfiehlt der Beirat Verwaltungsverfahrensrecht, NVwZ 2002, S. 834 (835). Überzeugend Bauer, in: FS für Knöpfle, S. 11 (22 ff.) unter Bezugnahme auf die wichtigen vertragsrechtlichen Arbeiten von Henke, Recht der Wirtschaftssubventionen; ders., JZ 1984, S. 441 ff. und DÖV 1985, S. 41 ff. Z.B. § 159 Abs. 2 BauGB für den Sanierungsträgervertrag; dazu Schmidt-Aßmann/ Krebs, Städtebauliche Verträge, S. 101 ff. Vgl. Bauer, in: FS für Knöpfle, S. 11 (23 ff.); Ziekow, in: Bundesministerium des Innern, Verwaltungskooperationsrecht, S. 190 ff.: Mindestinhaltsklauseln, Berücksichtigungsklauseln, fakultative Klauseln. Dazu Erichsen, in: ders./Ehlers, Verwaltungsrecht, §§ 30–32; Maurer, Verwaltungsrecht, § 15; Wolff/Bachof/Stober, Verwaltungsrecht, Bd. 2, § 57; Ruthig, Staatliche Realakte, i.E., bes. § 2.
2. Abschnitt: Alte und neue Fragestellungen der Rechtsformenlehre
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ist nicht rechtsfreies Handeln, denn Art. 20 Abs. 3 GG gilt für alle Tätigkeiten der Verwaltung ohne Rücksicht auf ihren Formalisierungsgrad. Gesetzesvorrang, die Gebote der Verhältnismäßigkeit und der Gleichbehandlung, die elementaren Verfahrensregeln der Unparteilichkeit und Neutralität und – nach Maßgabe seines genau zu ermittelnden Belastungsgehalts (→ 2/48–54) – der Gesetzesvorbehalt sind auch hier beachtlich. Rechtlich eingegrenzt, aber nicht in die kompakten Strukturvorgaben der Rechtsformenlehre eingespannt, bildet das schlichte Handeln oft die kleine Münze, oft auch eine notwendige Flexibilitätsreserve des Verwaltungshandelns. Über den damit eröffneten Einsatz der Handlungsmöglichkeiten wird vorrangig nach Gesichtspunkten der Praktikabilität entschieden. Die Befugnis zur Instrumentenauswahl umgreift grundsätzlich auch das Verhältnis der schlichten zu den rechtsförmlichen Handlungen311. Schlichtes Verwaltungshandeln ist gegenüber rechtsförmlichem Handeln keine Kategorie minderen Ranges. Die meisten der hierher zu zählenden Vorbereitungs- und Durchführungshandlungen, Verlautbarungen und Realleistungen sind seit Jahrzehnten bekannt, ohne daß sich ein Bedarf nach durchgängiger Formalisierung ergeben hätte. 126 Die Beschäftigung mit neuen Referenzgebieten des Verwaltungsrechts, insbesondere mit dem Umweltverwaltungsrecht, hat jedoch auf eine Reihe von Phänomenen aufmerksam gemacht, für die die beschriebene Normalität nicht ohne weiteres gilt: das informale Verwaltungshandeln312. Hier will bereits der Begriff Spannungen zur Formenlehre anzeigen; denn als informal wird nicht einfach das nicht-rechtsförmige Handeln bezeichnet. Informales Handeln ist vielmehr eine Untergruppe des schlichten Verwaltungshandelns, dessen praktischer Nutzen und rechtsstaatliche Problematik sich gerade daraus ergeben, daß es in seinen Voraussetzungen und Wirkungen nahe an das förmliche Handeln heranführt, letztlich aber doch auf Distanz bleibt313: Informales Verwaltungshandeln ist sensibel in seinen Ansätzen und subtil in seinen Wirkungen. Zur genaueren Kennzeichnung dieses Befundes werden in der Literatur die Kriterien „Alternativität“ zu rechtlichen Verfahren und „Tauschbeziehungen“ zwischen Handlungsbeteiligten genannt314. Inwieweit beide Merkmale kumulativ vorliegen müssen, ist umstritten und eher eine Frage einer engeren oder weiteren Begriffsbildung315. Beide Kriterien stellen jedenfalls unterschiedliche Herausforderungen für die 311 312
313
314 315
Ausf. und differenzierend Spannowsky, Verträge und Absprachen, S. 122 ff. Dazu Fallmaterial und Analysen bei Dose, Verhandelnde Verwaltung, S. 133 ff.; ferner die Nachw. bei Stelkens/Schmitz, in: Stelkens/Bonk/Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz, § 9 Rn. 162 ff. Ähnlich Brohm, DVBl 1994, S. 133 (134): „Für alle informellen Verwaltungshandlungen ist charakteristisch, daß sie bewußt nicht in einer rechtlich vorgesehenen Form vorgenommen werden, weil man die damit verbundenen Rechtsfolgen vermeiden möchte.“ Bohne, in: HdUR Bd. 1, Sp. 1046 mit weit. Nachw. Zur Begrifflichkeit ferner Kippes, Bargaining, S. 11 ff. Zum Meinungsstand in dieser Frage Dreier, StWuStPr 1993, S. 647 (649 f.). Teilweise wird auch das informierende Verwaltungshandeln der Produktwarnungen, Empfehlungen und Verlautbarungen als „einseitiges“ informales Verwaltungshandeln einbezogen (Brohm, DVBl 1994, S. 133 ff.).
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Sechstes Kapitel: Das Handlungssystem der Verwaltung
Rechtsformenlehre dar. Der Tatbestand der Alternativität verdeutlicht das Grundproblem (→ 6/127–129). Durch das Hinzutreten von Tauschbeziehungen entsteht ein gesteigerter Bewältigungsbedarf (→ 6/130–132). Einen Sonderfall stellt die Konfliktmittlung dar (→ 6/136 f.).
I. Informales Handeln als alternatives Handeln 127 Informales Handeln wird als „alternativ“ charakterisiert, weil es für eine konkrete Regelungssituation Effekte anstrebt, die mit rechtsförmlichem Handeln in den Rechtswirkungen zwar strikter, aber eben nur mit mehr rechtlichem Aufwand zu erreichen sind316. Effizienzgewinn und Umgehungsgefahr liegen hier dicht beieinander. Die Informalität ist nicht schon deshalb zu akzeptieren, weil sie die Instrumentenpalette erweitert und die Reaktionsmöglichkeiten der Verwaltung vielfältiger macht. Sie ist aber umgekehrt auch nicht schon deshalb diskreditiert, weil bewußt vom rechtsförmlichen Weg abgewichen wird. Die Stringenz förmlicher Rechtsfolgen kann für alle Beteiligten u.U. sogar eine Belastung darstellen, weil sie in eine Konfrontation führen kann, die so niemand will. Die Abfolge Befehl, Widerspruch, aufschiebende Wirkung, Sofortvollzug, Anfechtungsklage ist nur in juristischer Vorstellung eine optimale Konstruktion. Die „kommunikativen Kosten“ bleiben dabei unberücksichtigt. 128 Für die rechtliche Bewältigung der Alternativitätsproblematik gelten folgende Leitlinien: Von Rechts wegen besteht kein Gebot zu informalem Verwaltungshandeln. Insbesondere enthält das Verhältnismäßigkeitsprinzip keine allgemeine Regel, die zurückhaltendere Art eines Handelns ohne Regelungsabsicht dem rechtlich verpflichtenden Handeln vorzuziehen317. Umgekehrt läßt sich aus dem Formungsauftrag des Rechts aber auch kein generelles Verbot des informalen Verwaltungshandelns ableiten. Die Rechtsformenlehre ist primär ein Angebot, rechtlich besonders abgesicherte Institute als Handlungsmöglichkeiten aus funktionalen Gründen einzusetzen (→ 6/37). Zu einem allgemeinen „Rechtsformvorbehalt“ ist sie nicht verdichtet318. Ihre Ordnungsfunktion veranlaßt allerdings dazu, informales Verwaltungshandeln in seinen positiven wie in seinen negativen Folgen zu analysieren und an den Schutz- und Bewirkungsinteressen zu messen, die in der Rechtsformenlehre gespeichert sind. Im Einzelfalle kann sich daraus die Pflicht ergeben, für eine bestimmte informale Verhaltensweise dieselben Anforderungen zu stellen, wie sie für das entsprechende rechtsförmliche Handeln zu beachten sind. Für einige Arten informalen Handelns kann sich u.U. aus einer Verbindung von überkommenen Form- und Verfahrenselementen 316 317 318
Ähnlich Bohne, in: HdUR Bd. 1, Sp. 1046 (1049). Bohne, in: HdUR Bd. 1, Sp. 1046 (1066 f.). Ebenso Erichsen, in: ders./Ehlers, Verwaltungsrecht, § 32 Rn. 5. Anders J. Burmeister, VVDStRL Bd. 52, S. 190 (230 ff.) auf der Basis der Annahme, der individuelle Rechtsschutz sei das ausschließliche Interesse an dogmatischer Formung des Verwaltungsrechts.
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auch eine neue Form oder Vorform gewinnen lassen319. Ein solches Vorgehen bietet sich dort an, wo informale Handlungen in ihren beabsichtigten faktischen Wirkungen sehr nahe an eine rechtsverbindliche Regelung heranreichen. So lassen sich dem finalen Informationsakt bestimmte Verfahrensregeln, z.B. besondere Sachaufklärungs- und Anhörungspflichten der Behörde, zuordnen, die ihn zwar nicht zu einer voll ausgebildeten Rechtsform, wohl aber zu einem eigenständigen Rechtsinstitut machen (→ 2/53)320. 129 Eine durchgängige „Reformalisierung“ ist jedoch weder geboten noch sinnvoll. Werden die Anforderungen der Form zu weit getrieben, so entsteht vielmehr die Gefahr, daß sich unterhalb der fixierten Formen erneut apokryphe Praxen bilden, deren einziger Zweck der Ausweichversuch ist. Im übrigen unterliegt, wie alles schlichte Verwaltungshandeln, so auch das informale Handeln dem Gesetzmäßigkeitsprinzip. Inwiefern für bestimmte Handlungen eine gesetzliche Grundlage vorhanden sein muß, richtet sich nach der Dogmatik des Gesetzesvorbehalts, insbesondere nach der Lehre von den mittelbaren Grundrechtseingriffen und vom institutionellen Vorbehalt (→ 2/47–54; 4/15–25). Auf diese Weise bleiben Belastungsfolgen für Dritte, aber auch Belastungsfolgen für den Kooperationspartner, die über den Abspracherahmen hinausgehen, beherrschbar.
II. Informal-konsensuales Handeln 130 Die Schwierigkeiten rechtlicher Bewältigung steigern sich, wenn zur Alternativität die „Tauschbeziehung“ hinzutritt, das informale Handeln ein informal-konsensuales Handeln ist, wie es sich in Vorverhandlungen, normvollziehenden oder normersetzenden Absprachen und Duldungszusagen präsentiert321. Begegnete schon der förmlich abgeschlossene Vertrag in der Theorie lange Zeit grundsätzlichen Bedenken, so scheinen sich für das juristische Schrifttum die Gefährdungen der Gesetzesbindung, des Drittschutzes und des Gemeinwohls zu potenzieren, wenn die Austauschvorgänge und Verständigungen auch noch unterhalb der Schwelle rechtsförmlicher Verbindlichkeit bleiben322. Sozialwissenschaftliche Untersuchungen geben dagegen ein differenzierteres Bild: Sie bestätigen auf der einen Seite die Neigung der Verwaltung zu selektiver, bilateraler Kooperation323. Auf der anderen Seite zeigen sie aber, daß das einschlägige Recht, 319
320
321 322 323
Zu japanischen Erfahrungen mit der informalen „Verwaltungsleitung“ und ihrer Erfassung im Verwaltungsverfahrensgesetz von 1993 vgl. Ohashi, in: Riedel, Die Bedeutung von Verhandlungslösungen im Verwaltungsverfahren, S. 51 ff. Dazu Di Fabio, Risikoentscheidungen, S. 395 ff., bes. 438 ff. und 443. Zur Sicherungsaufgabe des Gesetzesvorbehalts und des Anhörungsrechts auch Brohm, DVBl 1994, S. 133 (135 ff.). Dazu Dreier, StWuStPr 1993, S. 647 (652 ff.); Schmidt-Aßmann, in: Riedel, Die Bedeutung von Verhandlungslösungen im Verwaltungsverfahren, S. 21 ff. Pointiert J. Burmeister, VVDStRL Bd. 52, S. 190 (241): an der Grenze des „Faulen“ stehende Kompromißbereitschaft der Verwaltung. Dazu mit Nachw. J.-P. Schneider, JbNPÖ 1996, S. 82 (87 ff.); Bora, Differenzierung und Inklusion, S. 183 ff. und 339 ff.
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allen Steuerungszweifeln zum Trotz, auch gegenüber dem informal-konsensualen Handeln eine beachtliche Wirkungskraft behält. Die Verhandlungen bewegen sich „im Schatten des Rechts“ und legen es nicht darauf an, Rechtspositionen bewußt zu überspielen324. Es lassen sich informale Praxen und Verfahren nachweisen, die ganz gezielt auf umfassende, d.h. alle beteiligten Interessen einbeziehende Lösungen zielen. Die Reaktionen des Rechts dürfen daher nicht allein abwehrendeingrenzender Art sein. Dabei ist zwischen Verhandlungslösungen auf der Implementations- und auf der Programmierungsebene zu unterscheiden325.
1. Implementationsebene: normvollziehende Absprachen 131 Sie betreffen zum einen den Gang eines bevorstehenden oder schon begonnenen Verwaltungsverfahrens; das Spektrum reicht von informaler Beratung über einzureichende Unterlagen bis zur Vorabzuleitung von Entscheidungsentwürfen. Zum andern wird über Sachfragen der endgültigen Regelung, über einzuhaltende Pflichten, zu erbringende Leistungen und ein später notwendiges Monitoring verhandelt. Aufwendigere Projekte beginnen nun einmal nicht schlagartig mit einem offiziellen Antrag auf Einleitung des förmlichen Verfahrens, sondern setzen Vorgespräche über Zielperspektiven voraus. Das Bundesverwaltungsgericht hat das in der „Flachglas“-Entscheidung anerkannt und dazu ein Stufenmodell rechtlicher Strukturierung entwickelt326. § 5 UVPG und § 71c Abs. 2 VwVfG haben diesen Gedanken aufgenommen. Damit ist ein Weg gewiesen, der nicht auf eine vollständige Verrechtlichung, sondern auf die konkrete Analyse möglicher Gefährdungen und auf konkrete Reaktionen der Rechtsordnung zuführt327. Das Stufenmodell zur rechtlichen Ordnung des informal-konsensualen Verwaltungshandelns greift auf die Rechtsverhältnislehre und einzelne Bauelemente der Verfahrens- und Formenlehre zurück. Die Rechtsverhältnislehre hilft dazu, Gefährdungssituationen genauer zu identifizieren328. Gefährdet erscheinen vor allem die Interessen nicht beteiligter Dritter, die als Nachbarn, Verbraucher oder Konkurrenten vom Ergebnis der Absprache in der Sache betroffen werden. Ein wichtiges Sicherungsmittel ist die rechtzeitige Information des weiteren Betroffenenkreises. Informales Handeln muß keineswegs notwendig mit geheimem Handeln zusammengehen. Auch ist eine vorsichtige Erstreckung von Beteiligungsmöglichkeiten in die Stadien der Vorverhandlungen hinein denkbar. Dabei kann sich bei großen Projekten eine Beschränkung gegenüber der für das 324 325 326 327 328
Dose, Verhandelnde Verwaltung, bes. S. 260 f. und 423 ff.; auch Kippes, Bargaining, S. 243 ff. Ähnlich Michael, Rechtsetzende Gewalt, S. 37 ff: normvollziehende und normative Absprachen. BVerwGE 45, 309 (317 ff.). Zum folgenden Dreier, StWuStPr 1993, S. 647 (667 ff.); Fehling, Verwaltung zwischen Unabhängigkeit und Gestaltungsaufgabe, S. 315 ff. Henneke, NuR 1991, S. 267 (274 f.); Schulte, Schlichtes Verwaltungshandeln, S. 203 ff.; v. Danwitz, DV 1997, S. 339 (358 f.).
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förmliche Verfahren vorgesehenen Öffentlichkeitsbeteiligung auf eine Repräsentantenbeteiligung empfehlen. Ähnlich ist an die Beteiligung einzelner Personen besonderen Vertrauens zu denken. Bei der Auswahl der Beteiligungsformen kann der Behörde ein Ermessen eingeräumt werden. 132 Diese Regelungsansätze wollen das informal-konsensuale Verwaltungshandeln soweit ordnen, daß es rechtsstaatlich toleriert werden kann. Auf längere Sicht muß man jedoch über eine solche Minimaleinpassung hinaus zu einem positiven Verhältnis der Formenlehre zum informalen Verwaltungshandeln kommen. In der großen Gruppe der als informal bezeichneten Vorgänge finden sich prozedurale Arrangements, die über neue Anreizstrukturen und Kompensationslösungen neue Steuerungsmöglichkeiten erschließen329. Die verwaltungsrechtliche Systembildung muß diese positiven Gestaltungselemente integrieren. Integration bedeutet nicht Verrechtlichung, sondern Abstimmung des rechtlichen Instrumentariums auf die Entlastungswirkungen informaler Arrangements330. So kann die veränderte Rollenverteilung zwischen Behörde und Antragsteller bei der „nachvollziehenden Amtsermittlung“ bewirken, daß die Behörde aus größerer Distanz entscheiden kann als dort, wo sie selbst die volle Ermittlungsverantwortung trägt331.
2. Programmierungsebene: normersetzende Absprachen 133 Informal-konsensuales Verwaltungshandeln findet sich auch auf der Ebene der Normsetzung und Programmierung. Die damit verbundenen Rechtsfragen sollen am Beispiel der normersetzenden Absprachen behandelt werden, die Selbstverpflichtungserklärungen der Wirtschaft mit dem Verzicht des Staates auf den Einsatz seiner Rechtsetzungsbefugnisse verbinden. Absprachen dieser Art finden sich vor allem im Umweltrecht; doch lassen sie sich auch im Produktsicherheits- und im Wettbewerbsrecht nachweisen332. Sie haben Pflichten z.B. zur Reduktion schädlicher Einsatzstoffe, Kennzeichnungs- und Recyclingpflichten, Entflechtungspflichten, Selbstbeschränkungen und Selbstkontrollen zum Gegenstand. Die Erklärungen werden auf privater Seite von einzelnen Unternehmen, häufiger aber von Wirtschaftsverbänden abgegeben. Der Breitenwirkung normativer Handlungsformen entsprechend berühren sie regelmäßig nicht nur die Absprachepartner selbst, sondern auch Konkurrenten, benachbarte Wirtschaftskreise, Zulieferer und gewerbliche Abnehmer sowie Verbraucher und Öffentlichkeit (→ 2/54). Entsprechend vielschichtig sind die Ansätze zu ihrer rechtlichen Ordnung333. 329 330 331 332 333
Anschaulich Kippes, Bargaining, S. 161 ff. und 243 ff. J.-P. Schneider, VerwArch 1996, S. 38 (50 ff.). Dazu J.-P. Schneider, Nachvollziehende Amtsermittlung, bes. S. 126 ff. Michael, Rechtsetzende Gewalt, S. 47 ff. Volkmann, UTR 2001, S. 97 ff.; Frenz, Selbstverpflichtungen, S. 104 ff. Besonders interessant der Versuch der Niederlande, Absprachen („Convenanten“) durch ein Zirkular des Premierministers Leitlinien und damit einen Ordnungsrahmen zu geben; dazu Jansen, in: Riedel, Die Bedeutung von Verhandlungslösungen im Verwaltungsverfahren, S. 68 (86 ff.).
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134 Klarheit muß darüber bestehen, ob und inwieweit Selbstverpflichtungen rechtlich verbindlich sein sollen. Das beantwortet sich primär nach dem Bindungswillen der Beteiligten. Im Zweifel ist davon auszugehen, daß die übernommenen Verpflichtungen nicht rechtlich, sondern nur politisch durchsetzbar sein sollen. Dafür sollten Fristen, Ziele und Kontrollinstrumente, z.B. Pflichten zur Berichterstattung oder zur Beibringung unabhängiger Gutachten in der Abrede vorgesehen werden. Die staatliche Seite kann sich rechtlich zur (zeitweiligen) Nichtausübung ihrer Normsetzungsbefugnisse ohnehin nur unter einem „Gefahrenvorbehalt“ und nur insoweit verpflichten, als die ordnungsgemäße Ausübung des Normsetzungsermessens gewährleistet bleibt. Um dafür Maßstäbe zu erhalten, sind die gesetzlichen Vorgaben der entsprechenden förmlichen Rechtsetzungsermächtigungen auszuwerten. Ausgreifende Selbstverpflichtungssysteme bedürfen, wenn der Staat sie unter erheblichem Druck veranlaßt hat, nach Maßgabe des grundrechtlichen und u.U. auch des institutionellen Gesetzesvorbehalts einer gesetzlichen Grundlage334. 135 Abgeschlossene Abreden müssen aus rechtsstaatlichen Gründen veröffentlicht werden. Eine Publikation von Entwürfen kann sinnvoll sein, ist aber nicht geboten. Die Verpflichtung sollte in geeigneten Fällen mit der Anforderung an bisher nicht einbezogene Konkurrenten verbunden werden, der Absprache beizutreten. Dadurch werden die Drittschutzprobleme entlastet (→ 6/123). Im übrigen ist insoweit auf das Kartell- und Kartellverfahrensrecht als Auffangordnung zurückzugreifen335.
III. Konfliktmittlung (Mediation) 136 In den größeren Zusammenhang des informalen Verwaltungshandelns gehört auch die Konfliktmittlung in oder im Vorfeld von Verwaltungsverfahren336. Hier hat sich ein informales Verfahren zu einer möglichst einvernehmlichen Bewältigung von Konflikten unter Leitung einer neutralen dritten Person herausgebildet. Beispiele finden sich vor allem im Umweltrecht, z.B. bei der Standortsuche für Großprojekte oder der Trassenfestlegung im Straßenbau. Aber auch im öffentlichen Baurecht, im Schulrecht und im Sozialrecht hat die Mediation an Boden gewonnen337. Ihr Ziel, die Beteiligten zur klaren Formulierung ihrer Interessen, zur Abschichtung der Probleme, zu Kompensationsüberlegungen und zu 334 335 336
337
Vgl. Michael, Rechtsetzende Gewalt, S. 364 ff. So überzeugend Michael, Rechtsetzende Gewalt, S. 519 ff.; Frenz, Selbstverpflichtungen, S. 296 ff. Dazu Hoffmann-Riem, Konfliktmittler; Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann, Konfliktbewältigung durch Verhandlungen; Holznagel, Konfliktlösung durch Verhandlungen; ders., Jura 1999, S. 71 ff.; Weidner, in: van den Daele/Neidhardt, Kommunikation und Entscheidung, S. 195 ff.; Holzinger, dort S. 232 ff.; Fietkau, dort S. 275 ff.; Sünderhauf, Mediation bei der außergerichtlichen Lösung von Umweltkonflikten, S. 31 ff. Weit. Nachw. bei Kopp/Ramsauer, Verwaltungsverfahrensgesetz, Einl. Rn. 97 ff. Vgl. Preusser, in: Henssler/Koch, Mediation in der Anwaltspraxis, S. 405 (435 ff.).
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eigenverantwortlichem Interessenausgleich zu veranlassen, setzt die Bereitschaft voraus, gemeinsam für eine angemessene Interessenrepräsentation zu sorgen. Das Grundmodell ist die frei vereinbarte und einvernehmlich organisierte Mediation. 137 Die Verhandlungsdynamik entwickelt sich autonom und ist durch die verwaltungsrechtliche Dogmatik nicht gebunden. Der Mediator ist, wenn nicht der vom Grundmodell abweichende Sonderfall des administrativ eingesetzten Mittlers vorliegt, kein Verwaltungshelfer. Rechtsregeln haben hier zunächst einmal nur eine Bereitstellungsfunktion (Schuppert). Sie können Anreize zur Einigung bieten, die Verhandlungsergebnisse stabilisieren und das Vertrauen in die Ordnungsmäßigkeit des informalen Verfahrens stärken. Das gilt insbesondere für die Sicherung der erforderlichen „quasi-justiziellen“ Unparteilichkeit des Mediators338. Strengere Maßstäbe gelten dort, wo die Verwaltung von sich aus in Wahrnehmung ihrer Verfahrensverantwortung einen Verfahrensmittler beauftragt. Einen solchen Sonderfall stellt die Beauftragung Dritter durch die Gemeinde nach § 4b BauGB dar339. Die Bedeutung gemeinsam entwickelter Lösungen für ein späteres Verwaltungsverfahren hängt von der prozeduralen Validität des informalen Mediationsverfahrens ab: Verfahrensersetzende Wirkung kann der Konfliktmittlung nicht zuerkannt werden. Die Verantwortung der Verwaltung für die in ihre Zuständigkeit fallenden Verwaltungsverfahren ist unverrückbar und kann nur gesetzlich verändert werden. Als interessenadäquat ausgebautes informales Verfahren kann die Konfliktmittlung aber zu gemeinsamen Festlegungen kommen, die zwar nicht ungeprüft, aber immerhin mit der Vermutung der Richtigkeit in spätere formale Verwaltungsverfahren eingestellt werden dürfen340.
338 339 340
Fehling, Verwaltung zwischen Unparteilichkeit und Gestaltungsaufgabe, S. 419 ff. Dazu Köster, Privatisierung des Bauleitplanverfahrens, S. 147 ff. Hoffmann-Riem, Konfliktmittler, S. 60 ff.: „Indizwirkung des Konsenses“.
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3. Abschnitt: Aufgaben des Verwaltungsverfahrensrechts 138 Das verfahrensrechtliche Denken des deutschen Verwaltungsrechts ist heute auf das Bundesverwaltungsverfahrensgesetz (und die entsprechenden Landesgesetze) konzentriert. Mit beachtlicher Kraft hat dieses Gesetzgebungswerk in den 25 Jahren seines Bestehens die praktischen und die wissenschaftlichen Interessen auf sich gezogen. Die gesetzgeberischen Ziele, der Verwaltungspraxis mehr Übersichtlichkeit, Einheitlichkeit und Verständlichkeit zu bieten, sind insgesamt erreicht worden.
A. Das Konzept des Verwaltungsverfahrensgesetzes 139 Welchem Verfahrenskonzept folgt das Gesetzgebungswerk? Diese Frage läßt sich mit einem Verweis auf die Anwendungsregeln der §§ 1 und 9 VwVfG allein nicht beantworten. Manches erschließt sich erst aus der Analyse von Einzelregelungen. Danach ergeben sich neun das Gesetzeskonzept bestimmende Merkmale: (1) Der zugrundegelegte Regeltypus des Verwaltens ist die Hoheitsverwaltung. Allein das für diese typisch öffentlich-rechtliche Handeln ist Gegenstand des Verwaltungsverfahrensgesetzes (§ 1 Abs. 1). (2) Das Gesetz ist entscheidungsorientiert. Die Verwaltung wird als Organisation zur Herstellung verbindlicher Entscheidungen gesehen. Realleistungen, schlichtes Verwaltungshandeln oder administrative Dienste interessieren das Gesetz nur so weit, als es um die diesen Vorgängen zugrundeliegenden Entscheidungen geht. (3) Unter den Entscheidungen sind es wiederum die Einzelentscheidungen, die das Gesetz in den Mittelpunkt rückt (§ 9). Das erfaßte Verwaltungshandeln ist Vollzugshandeln. Die administrative Normsetzung als Form einer zwischen das parlamentarische Gesetz und den Einzelvollzug tretenden Konkretisierung und Selbstprogrammierung hat in der Systematik des Gesetzes keinen Platz. (4) Unter den Vollzugsentscheidungen dominieren die einseitigen Regelungen. Das Zentralinstitut ist der Verwaltungsakt. Öffentlich-rechtliche Verträge der Verwaltung finden zwar ebenfalls Anerkennung. Das Gesetz interessiert sich allerdings vor allem für (subordinationsrechtliche) Verträge in Situationen, in denen der Vertrag den Verwaltungsakt ersetzt (§ 54 S. 2). Der koordinationsrechtliche Vertrag und mit ihm Situationen, in denen Verwaltung und Vertragspartner auf dem Boden der Gleichordnung gemeinsam an der Gemeinwohlkonkretisierung beteiligt sind, bleiben eher blaß. Die Anforderungen kooperativer Verwaltung sind allenfalls in Ansätzen erfaßt. (5) Das Gesetz geht von einer dienenden Funktion der verfahrensrechtlichen Regelungen gegenüber dem materiellen Recht aus (§ 46). Dahinter steht ein spezifisches Richtigkeitsverständnis von Entscheidungen, das stärker kontroll- als
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handlungsorientiert ist und der gerichtlichen Kontrolle die zentrale Position zuweist. (6) Die kommunikativen Beziehungen zwischen Bürger und Verwaltung werden als Rechtsverhältnis mit festen Rollen definiert. Der Bürger verfolgt seine individuellen Rechte; die Verwaltung ist zwar rechtsgebunden, aber für die Definition des Gemeinwohls letztlich allein verantwortlich. Besonders deutlich zeigt sich das bei den Ausprägungen des Untersuchungsgrundsatzes (§ 24). (7) Die Interessen des Bürgers sind nach den Vorstellungen des Gesetzes vor allem auf den Bestandserhalt einmal erlangter Vergünstigungen gerichtet. Rechtssicherheit, Bestandskraft und Vertrauensschutz spielen eine zentrale Rolle (§§ 43, 48, 59). Der Vertrauensschutz war ein Schlüsselthema bei der Ausarbeitung des Gesetzes. Die Vertrauensbasis ist von der Vorstellung bestimmt, die Verwaltung trage für die Rechtmäßigkeit ihrer Akte grundsätzlich die alleinige Verantwortung. (8) Die handelnde Verwaltung ist als in sich geschlossene Einheit vorgestellt. Es herrscht das Prinzip der Aktengeheimhaltung, das nur durch das Akteneinsichtsrecht der Verfahrensbeteiligten relativiert wird (§ 29). Die inneradministrativen Datenflüsse sind nicht als eigenständiges Rechtsproblem erfaßt. (9) Das Gesetz ist inlandszentriert. Vorgänge des internationalen Verwaltungsverkehrs sind, wie die spärlichen Amtshilferegelungen der §§ 4–8 dokumentieren, nicht sein Interesse. 140 Insgesamt ist das zugrundegelegte Verfahrenskonzept des Verwaltungsverfahrensgesetzes das der klassischen gesetzesvollziehenden Verwaltung (→ 4/41). Dieses Konzept besitzt auch heute seine unbestreitbare Bedeutung. Täglich wird eine Vielzahl von Verwaltungsentscheidungen des Bau- und Gewerberechts, des Subventions-, des Abgaben- und des Sozialrechts nach diesem Modell getroffen. Ergänzend kann für einige andere Entscheidungstypen auf eigene Verfahrensvorschriften verwiesen werden, so z.B. für das Planungswesen auf das Baugesetzbuch, für das Vergabewesen auf das Wettbewerbsrecht und für die allgemeinen Fragen der Geheimhaltung personenbezogener Informationen auf die Datenschutzgesetze. An verfahrensrechtlichen Regelungen, mit denen auf neue Entwicklungen und Anforderungen reagiert worden ist, besteht kein Mangel. 141 Doch darum geht es uns bei unseren Überlegungen zu den Perspektiven verwaltungsrechtlicher Systembildung nicht. Im Zentrum dieser Überlegungen steht vielmehr die Frage, inwieweit neue Herausforderungen nicht auch zu immanenten Änderungen des geschilderten Verfahrenskonzepts geführt haben oder führen müssen. Nicht die Addition von Verfahrensregelungen, sondern die Integration neuer Verfahrensaspekte ist das Thema. Zu fragen ist, ob die Verfahrensziele hinreichend differenziert erfaßt, die kommunikativen Beziehungen zwischen Verwaltung und Bürgern zutreffend beschrieben und die typisch prozeduralen Rechtsinstitute funktionsgerecht zugeschnitten sind, um die Rationalisierungsaufgaben, die dem Verwaltungsverfahrensrecht zufallen, für die Vielfalt der Regelungssituationen, denen die Verwaltung heute begegnet, verläßlich zu erschließen.
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142 Die Herausforderungen, denen sich das Verwaltungsverfahrensrecht gegenübersieht, werden durch folgende Themen verdeutlicht341: – neue Verantwortungsteilungen zwischen Staat und Gesellschaft: von der Erfüllungs- zur Gewährleistungsverantwortung, regulierte Selbstregulierung; – neue Informations- und Kommunikationsformen: Verwaltungsrecht in der Informationsgesellschaft342; – Anforderungen der Wissensgesellschaft und ihrer technischen Realisation: Flexibilität und Innovationsfähigkeit; – Konsequenzen der Europäisierung und Internationalisierung: Vernetzungen. Dazu sollen zunächst die Einflüsse des europäischen Rechts (B) und danach die Bauformen des Verwaltungsverfahrensrechts untersucht werden (C).
B. Entwicklungsanstöße des europäischen Rechts 143 Das Verwaltungsverfahrensrecht ist heute derjenige Bereich, in dem das EG-Recht die Systembildung am intensivsten beeinflußt. Hier geht es nicht nur um einzelne Umstellungen oder um die Sicherung eines gemeinschaftsweit einheitlichen Vollzuges. Das EG-Recht zielt vielmehr auf eine Veränderung des überkommenen deutschen Verfahrenskonzepts und zwei seiner wichtigen Komponenten, der individualrechtlichen und der materiell-akzessorischen Ausrichtung (→ 1/58–60)343.
I. Beispiele aus dem EG-Umweltrecht 144 Die Entwicklungen zeigen sich besonders deutlich im Umweltrecht, dessen schwierige Verwirklichungsbedingungen stets darauf drängten, neben regulatorischen Vollzugsmechanismen die ganze Palette der Steuerungsmöglichkeiten in den Blick zu nehmen344. Die Formen kooperativer Bewirkung unter Beteiligung aller Akteure und die Möglichkeiten einer rekursiven Steuerung, die die Lösung von Umweltproblemen stärker in den Handlungs- und Verantwortungsbereich der Privaten zurückverlagert, sind gerade hier besonders nachdrück341 342
343
344
Vgl. Hoffmann-Riem, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann, Verwaltungsverfahren und Verwaltungsverfahrensgesetz, S. 9 (16 ff.); Schmidt-Aßmann, dort S. 429 (433 ff.). Dazu Britz, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann, Verwaltungsverfahren und Verwaltungsverfahrensgesetz, S. 213 ff.; Schmitz, in: FG 50 Jahre Bundesverwaltungsgericht, S. 677 ff. Schoch, in: Schmidt-Aßmann/Hoffmann-Riem, Europäisches Verwaltungsrecht, S. 279 (295 ff.); ders. in: FG 50 Jahre Bundesverwaltungsgericht, S. 507 (524 f.); Wahl, DVBl 2003, S. 1285 ff.; Schmidt-Aßmann, in: FG 50 Jahre Bundesverwaltungsgericht, S. 487 ff.; Kahl, VerwArch 2004, S. 1 ff. Vgl. Art. 3 und 9 des 6. Umweltaktionsprogramms der EG, Beschluß des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22.7.2002, ABl. Nr. L 242 S. 1; mit weit. Nachw. Rengeling, in: EUDUR, Bd. 2/2, §§ 92, 93.
3. Abschnitt: Aufgaben des Verwaltungsverfahrensrechts
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lich herausgearbeitet worden345. Beide Steuerungsansätze sind in spezifischer Weise verfahrensabhängig. Die beiden Hauptpunkte des „prozeduralen Umweltschutzes“ sind eine informierte Öffentlichkeit und eine Tendenz zur Verfahrensprivatisierung346.
1. Konzept der informierten Öffentlichkeit 145 Dieses Konzept besteht aus den Komponenten verfahrensakzessorischer und verfahrensunabhängiger Öffentlichkeit. Repräsentativ für den ersten Ansatz ist die Richtlinie über die Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP-RL)347. Sie knüpft an vorhandene Zulassungsverfahren des nationalen Rechts und die dort bekannten Formen der Publizität an. Die Unterscheidung zwischen allgemeiner Öffentlichkeit und betroffener Öffentlichkeit zeigt eine Doppelung der Systemgedanken, der es einerseits um eine möglichst breite Informationsgewinnung und Interessendarstellung und andererseits um die Aktivierung der Öffentlichkeit als Kontrollmedium geht. Vor diesem Hintergrund verfolgt die Richtlinie das Konzept eines gestuften „inneren Verfahrens“, das den Umweltbelangen eine eigene Darstellungschance eröffnet, bevor sie sich der Abwägung mit anderen öffentlichen und privaten Interessen stellen müssen. Das ist der Sinn der Unterscheidung von Beschreibung, Bewertung und Berücksichtigung der Umweltauswirkungen bei der Entscheidungsfindung (Art. 3 i.V.m. 8 RL). Neuere Rechtsetzungsakte wollen die Öffentlichkeitsbeteiligung über den Bereich raumbezogener Zulassungsentscheidungen hinaus auf die Erstellung bestimmter Pläne erstrekken348. Ein weiteres Element ist die Veröffentlichung der getroffenen Entscheidung – künftig auch der Entscheidungsbegründung –, zu der die Verwaltungen verpflichtet sind. 146 Verfahrensunabhängig wird das Konzept der informierten Öffentlichkeit durch die Umweltinformationsrichtlinie (UI-RL)349 verfolgt. Jedermann hat danach ohne Nachweis eines besonderen Interesses ein Recht auf Zugang zu Umweltinformationen aus Akten von Behörden und von Stellen, die öffentliche Aufgaben im Bereich der Umweltpflege wahrnehmen und der Aufsicht der Behörden unterstellt sind. Gegen die Ablehnung des Informationsbegehrens muß Rechtsschutz vor Gericht oder vor einer Verwaltungsstelle gewährt werden. Weiter gehören in den Zusammenhang verfahrensunabhängiger Öffentlichkeit die Bestimmungen, die die Behörden zur periodischen Veröffentlichung von Lageberichten oder Vollzugsberichten verpflichten.
345 346 347 348 349
Dazu Köck, VerwArch 1996, S. 644 (646 ff.). Zum folgenden Schmidt-Aßmann/Ladenburger, in: EUDUR, Bd. 1, § 18 Rn. 4 ff.; Rossen, in: Schmidt-Aßmann/Hoffmann-Riem, Verwaltungskontrolle, S. 117 (131 ff.). RL 85/337/EWG; zuletzt geändert durch Art. 3 der RL 2003/35. Dazu Feldmann, in: EUDUR, Bd. 1, § 34. RL 2001/42/EG. RL 90/313/EWG; jetzt RL 2003/4/EG. Dazu Schendel, in: EUDUR, Bd. 1, § 39.
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2. Verfahrensprivatisierung 147 Diese Entwicklung wird durch die Umwelt-Audit-Verordnungen350 repräsentiert. Der damit gewählte rekursive Regelungsansatz liegt zwar auch schon dem Institut der Betriebsbeauftragten für den Umweltschutz zugrunde. Er wird jetzt aber wesentlich weitergeführt351: In den Unternehmen sollen fortlaufende Lern- und Selbstkontrollprozesse angeregt werden. Das unternehmerische Handeln soll sich nicht nur auf Rentabilität und Realisierbarkeit richten, sondern die Umweltauswirkungen des eigenen Handelns in seine Denkmuster integrieren. Auf diese Weise soll das Umweltrecht von innen heraus ohne materielle staatliche Steuerungsvorgabe flexibilisiert werden. Erst auf einer weiteren Stufe kommen externe Einflüsse ins Spiel. Auch sie bleiben aber privat organisiert. Die betriebliche Umwelterklärung wird durch private Umweltgutachter validiert. Selbst auf einer dritten Stufe, bei der Zulassung und Beaufsichtigung dieser Gutachter, bei der „Kontrolle der Kontrolle“ also, wird vom EG-Recht nicht notwendig ein Verwaltungsverfahren, sondern nur eine unabhängige und neutrale Aufgabenwahrnehmung verlangt.
II. Rückwirkungen auf das deutsche Verfahrensrecht 148 Dem deutschen Verwaltungsrecht, das traditionell an einer weitgespannten behördlichen Überwachungsverantwortung ausgerichtet ist, fällt es nicht leicht, sich auf die veränderten Ansätze prozeduraler Steuerung einzustellen. Hier werden Änderungen in den systematischen Grundlagen erforderlich. Vorschläge, im Gefolge des Umwelt-Audit künftig nur noch eine Rahmengenehmigung zu erteilen und alle weiteren Details den Unternehmen zu überlassen, zeigen eine denkbare Entwicklungsrichtung auf 352. In der Zwischenzeit hat es der Gesetzgeber ermöglicht, die Intensität der laufenden behördlichen Kontrolle der in das Umwelt-Audit einbezogenen Anlagen zu begrenzen353. Eine sinnvolle Ergänzungsfunktion kann das Privatverfahrensrecht nur dort entfalten, wo das Verwaltungsverfahrensrecht bereit ist, seinen Anwendungsbereich zurückzunehmen. Die rechtspolitischen Auseinandersetzungen um das richtige Maß staatlichgesellschaftlicher Verantwortungsteilung dauern an, zeigen aber die Bereitschaft, sich auf Entwicklungsanstöße einzulassen354.
350 351 352 353 354
VO (EWG) Nr. 1836/93; jetzt VO (EG) Nr. 761/2001 (EMAS II). Dazu Ewer, in: EUDUR, Bd. 1, § 36. Vgl. dazu nur J.-P. Schneider, DV 1995, S. 361 ff.; Köck, VerwArch 1996, S. 644 ff.; Schmidt-Aßmann/Ladenburger, in: EUDUR, Bd. 1, § 18 Rn. 41 ff. Vgl. Schmitt-Kötters, in: Hoffmann-Riem/Schneider, Verfahrensprivatisierung, S. 31 (86 ff.). § 58e BImSchG i.V.m. der EMAS-Privilegierungs-VO vom 24.6.2002 (BGB. I S. 2247). Vgl. Sparwasser/Engel//Voßkuhle, Umweltrecht, § 4 Rn. 60 ff.
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149 Dieselbe Beobachtung betrifft das Verhältnis der materiellen zur prozeduralen Ausrichtung des verwaltungsrechtlichen Denkens insgesamt (→ 6/46). Die Schwierigkeiten, in diesem Verhältnis zu Gewichtsverlagerungen zu kommen, werden an zwei Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts aus dem Jahre 1996 zur Umweltverträglichkeitsprüfung in Planfeststellungsverfahren deutlich355. Das Gericht stellt die UVP in die Systematik der planerischen Abwägungslehren ein. Die UVP wird dabei als reines Verfahrenselement verstanden, das den Abwägungsvorgang strukturieren soll. Fehler bei der UVP sollen weder automatisch Abwägungsfehler sein noch auch nur ein Indiz für solche abgeben. Dominierend bleibt also der traditionelle Denkansatz, der vom Vorrang der materiellen Gesetzesbegriffe und folglich der materiellen gerichtlichen Kontrolle geprägt ist. Zutreffend hatte dagegen der Bayerische Verwaltungsgerichtshof auf das andere Konzept der UVP abgehoben, das auf eine „Richtigkeitsgewähr durch Verfahren“ angelegt ist356. Ob die vom Bundesverwaltungsgericht verfolgte Sicht der UVP und die sehr zurückhaltende Art, in der für isolierte Verfahrenspositionen Rechtsschutz gewährt wird, den Anforderungen des EG-Rechts entsprechen, ist unsicher357. Die offene Formel des EuGH, die nationalen Gerichte hätten die „volle Wirksamkeit“ des EG-Rechts zu gewährleisten (→ 7/21–23), läßt das zweifelhaft erscheinen. Die weitere Bedeutungsminderung des Verwaltungsverfahrensrechts, wie sie in der jüngeren deutschen Beschleunigungsgesetzgebung zutage tritt (→ 6/55–56), befindet sich mit dem verfahrensrechtlichen Denken des EGRechts auf Kollisionskurs. Es ist allerdings nicht damit getan, dem deutschen Verwaltungsrecht die volle Wirksamkeit verfahrensrechtlicher Vorkehrungen neben der Ausrichtung am materiellen Steuerungsprogramm anzuempfehlen. Wenn die prozeduralen Vorgaben des EG-Rechts künftig besser rezipiert werden sollen, dann ist das Zentralthema der verwaltungsgerichtlichen Kontrolldichte einzubeziehen358. Solange die Verwaltungsgerichte dazu verpflichtet sind, Verwaltungsentscheidungen inhaltlich grundsätzlich vollständig zu kontrollieren, und damit Verantwortung für die Ergebnisrichtigkeit übernehmen, kommt das Verwaltungsverfahrensrecht aus seiner „dienenden Funktion“ nicht heraus (→ 4/75). 150 Die jüngste Rechtsentwicklung hat diese Zusammenhänge zutreffend erkannt. Im Entwurf des Gesetzes, mit dem das Baugesetzbuch insbesondere an die UVP-Richtlinie angepaßt werden soll359, sind die bisherigen Regelungen, die 355 356 357 358
359
BVerwGE 100, 238 (242 ff.) und 370 ff.; erläuternd Hien, NVwZ 1997, S. 422 (423 ff.); krit. Erbguth, UPR 2003, S. 321 (324). BayVGH DVBl 1994, 1199 ff. Vgl. aber auch die jüngere Entscheidung BVerwG NVwZ 1999, 989 f. Vgl. Pernice/Kadelbach, DVBl 1996, S. 1100 (1108); Schmidt-Aßmann/Ladenburger, in: EUDUR, Bd. 1, § 18 Rn. 79 ff. Ebenso Wahl, DVBl 2003, S. 1285 (1291): „Man kann mit der Kontrolle nicht auf beiden Seiten maximieren, sowohl beim Verfahren wie beim materiellen Recht, jedenfalls tut dies keine Rechtsordnung der Welt“. Bundesrats-Drucks. 756/03.
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Sechstes Kapitel: Das Handlungssystem der Verwaltung
planerische Ermittlungsfehler (Fehler im Abwägungsvorgang) weitgehend sanktionslos stellten, korrigiert360. Korrespondierend hebt der Entwurf die Bedeutung der Vorschriften über die Öffentlichkeits- und Behördenbeteiligung für die „vollständige Ermittlung und zutreffende Bewertung“ der von der Planung berührten Belange besonders hervor (§ 4a Abs. 1). Die Begründung verweist auf den europarechtlichen Ansatz, die inhaltliche Qualität von Planungsentscheidungen durch die Gestaltung des Verfahrens zu gewährleisten361. Damit wird eine behutsame Umsteuerung von einem zu stark materiell ausgerichteten auf ein prozedurales Konzept initiiert362.
C. Zur Systematik der Verfahrensrechtslehre 151 Wie alles Recht soll auch das Verfahrensrecht den Phänomenen des sozialen Lebens durch analytische Trennung und formende Unterscheidung Struktur geben. Doch ist im Verfahrensrecht von Anfang an zu berücksichtigen, daß alle seine Bauelemente und Regelungsmuster ihre Aufgaben nur in ihrem Zusammenwirken erfüllen können (→ 2/43). Die gesamte Verfahrensrechtslehre muß von einem „Denken in Zusammenhängen“ bestimmt sein. Dabei empfiehlt es sich, von einem Standardverfahren auszugehen, das in seinen Grundzügen der Definition des § 9 VwVfG entspricht. An ihm ist der Bauplan eines Verwaltungsverfahrens am besten verdeutlicht (I); auch die Notwendigkeit einfacher Modifikationen, die das zu enge Verfahrenskonzept des Verwaltungsverfahrensgesetzes in Einzelpunkten ergänzen, läßt sich in diesem Rahmen behandeln. Die Analyse des Fachverwaltungsrechts in ausgewählten Referenzgebieten veranlaßt jedoch, über das Standardverfahren hinaus auch neue Verfahrenstypen in die verwaltungsrechtliche Verfahrenslehre einzubeziehen (II).
I. Das Standardverfahren und seine Bauformen 152 Zunächst werden Abläufe in personeller, sachlicher und zeitlicher Hinsicht aufgegliedert363: Verfahrenssubjekte, Verfahrensgegenstand und Verfahrensablauf bilden mit ihren jeweiligen Ordnungsbedürfnissen dann die Anknüpfungspunkte für rechtliche Folgeüberlegungen. An dieser Stelle entfalten die beiden Verfahrensmaximen des „audiatur et altera pars“ und des „nemo iudex in 360
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Sie sind nur dann noch unbeachtlich, wenn nach den Umständen der Einzelfälle offensichtlich ist, daß der Fehler das Ergebnis des Verfahrens nicht beeinflußt hat (§ 214 Abs. 1 Nr. 1 n.F.). Bisher: nur dann erheblich, „wenn sie offensichtlich und auf das Abwägungsergebnis von Einfluß gewesen sind“ (§ 214 Abs. 3 S. 2 BauGB). Ansätze dazu schon in BVerwG NVwZ 1999, 989. So zutreffend Schoch, in: Schmidt-Aßmann/Hoffmann-Riem, Europäisches Verwaltungsrecht, S. 279 (311 ff.). Zum folgenden Hill, Fehlerhaftes Verfahren, S. 227 ff.
3. Abschnitt: Aufgaben des Verwaltungsverfahrensrechts
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causa sua“ ihren Maßstabs- und Rechtsquellencharakter. Sie sind Ausdruck einer im europäischen Rechtsbewußtsein tief verwurzelten Vorstellung von Verfahrensfairneß, aus der sich eine Vielzahl einzelner prozeduraler Vorkehrungen ableiten läßt (→ 6/165–166; 7/37)364. Typische Bauformen des Verfahrensrechts sind die Phasenabfolge, der Rechts- und der Pflichtenstatus der Beteiligten, die Verfahrensmaximen und die Beweisregelungen sowie ein Sanktionssystem, insbesondere von Verwertungsverbots-, Fehler- und Fehlerfolgenregelungen365. Verfahrensverantwortung und Verfahrensermessen stellen das dynamische Element dar (→ 4/53). 153 Wichtig für die Verbindung der Bauformen sind die Verfahrensziele (→ 6/50). Verfahren können dem Rechtsschutz konkret Betroffener, der Verbesserung der administrativen Entscheidungsgrundlagen, der Interessendarstellung eines größeren Beteiligtenkreises, der Unterrichtung und Aktivierung der Öffentlichkeit sowie der Verwaltungsvereinfachung durch Ausbildung einer Routinepraxis und schließlich der zwischenbehördlichen Abstimmung dienen366. Je nach den verfolgten Zielen sind die Verfahrenselemente unterschiedlich zusammenzustellen und bilden jeweils eigene „prozedurale Arrangements“367. Wir heben im folgenden nur die Verfahrensphasen, das Verfahrensrechtsverhältnis und die strukturbestimmenden Bauformen im Überblick hervor.
1. Verfahrensphasen 154 Im einfachsten Modell sind Verfahren in die Phasen der Einleitung, der Vorbereitung, der Findung und der Bekanntgabe der Entscheidung gegliedert. Komplexe Verwaltungsverfahren differenzieren diese Grundphasen weiter aus und bilden Zwischenstufen und Rückkoppelungen zwischen ihnen. Durch Abschichtung soll Ordnung in den Informationsfluß gebracht werden, die durch Präklusionsvorschriften weiter stabilisiert oder aber durch Wiederaufnahmeregelungen den Sacherfordernissen entsprechend flexibilisiert werden kann. Sensible Informationen, z.B. persönlichkeitsbezogene Daten oder Geschäftsgeheimnisse, können durch besondere Abschottungsregelungen wie Begrenzungen der Akteneinsicht oder Weitergabeverbote partiell ausgesondert und so besonders geschützt 364
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367
Schwarze, Europäisches Verwaltungsrecht, Bd. 2, S. 1201 ff.; T. Maier, Befangenheit im Verwaltungsverfahren, S. 231 ff.; Fehling, Verwaltung zwischen Unparteilichkeit und Gestaltungsaufgabe, S. 8 ff. Kluth, in: Wolff/Bachof/Stober, Verwaltungsrecht, Bd. 2, §§ 58, 59. Ähnlich Wahl, VVDStRL Bd. 41, S. 151 (157); ausf. Hill, Fehlerhaftes Verfahren, S. 199 ff. Ähnlich werden im französischen Recht als Funktionen genannt: Rechtsschutz des Betroffenen, Vergewisserung der Verwaltung über ihre Entscheidung, Verwaltungsvereinfachung. Zum britischen Recht vgl. De Smith/Woolf/Jowell, Judicial Review, S. 375: „An important concern of procedural justice is to provide the opportunity for individuals to participate in decisions that affect them. Another is to promote the quality, accuracy and rationality of the decision-making process. Both concerns aim at enhancing the legitimacy of that process.“ Begriff und Beispiele dazu bei Hagenah, Prozeduraler Umweltschutz, S. 58 ff.
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Sechstes Kapitel: Das Handlungssystem der Verwaltung
werden (→ 6/8). Auf der anderen Seite müssen die Phasen zu einem Entscheidungszusammenhang verbunden werden. Für aufwendigere Verfahren geben die einschlägigen Vorschriften regelmäßig nicht nur die Abfolge vor, sondern lassen auch erkennen, in welcher Weise die Sammlung und Selektion der Informationen von Phase zu Phase fortschreiten sollen. Änderungs- und Bearbeitungsfristen bringen den Verfahrenszusammenhang zeitlich in Form. 155 In einem noch ausgreifenderen Sinne will Wolfgang Hoffmann-Riem das Verwaltungshandeln in zwölf Abschnitte gliedern368: Problemidentifikation, Verfahrenswahl, Sachverhaltsermittlung, Maßstabkonkretisierung, Zurechnung, Optionenauswahl, Instrumentenbestimmung, Rechtfertigung, Implementation, Kontrolle, Revision und Lernen. Die Aufgliederung soll kein reales Ablaufschema wiedergeben. Sie legt vielmehr aus der Sicht der entscheidenden Behörde Knotenpunkte eines „inneren“ Verfahrens fest369, ordnet diesen Punkten besondere Aufgaben zu und fragt nach besonderen Regelungsbedürfnissen. Verfahrensbezogenes Denken wird hier noch deutlicher als in der üblichen Phasenabfolge als Ordnungsidee genutzt. Analysiert man das Verfahrensrecht wichtiger Referenzgebiete, z.B. des Arzneimittel- oder Gentechnikrechts, so finden sich zahlreiche Vorschriften, die diese im Modell ermittelten Punkte für ihren Bereich aufnehmen. Sie können auf diese Weise auf ihre Eignung auch für andere Gebiete untersucht und gegebenenfalls in das allgemeine Verfahrensrecht integriert werden. Wichtig ist vor allem die Einbeziehung der Stufen der Implementation, Kontrolle, Revision und des Lernens in die Verfahrensrechtslehre. Diese Stufen verdeutlichen, daß das einzelne Verfahren nicht isoliert genommen und nach seinem Abschluß als erledigt betrachtet werden darf. Die Unsicherheiten des Erfahrungswissens, mit der das Risikoverwaltungsrecht zu kämpfen hat, und der schnelle Wandel sozialer und ökonomischer Lagen, die das Sozial- und das Wirtschaftsverwaltungsrecht zu bewältigen haben, verlangen für jedes Verwaltungsverfahren Flexibilitätsreserven (→ 3/59). Sie weisen Verfahren über die klassischen Funktionen hinaus die Aufgabe zu, Lernfähigkeit zu organisieren und Innovationen anzustoßen370.
2. Verfahrensrechtsverhältnis 156 Ein weiteres Strukturelement der Verfahrenslehre ist das Verfahrensrechtsverhältnis371. Es lenkt die Aufmerksamkeit auf das Beziehungsgefüge zwischen den Verfahrenssubjekten (→ 6/159). Das Verfahrensrechtsverhältnis kann zeitlich über die Dauer des Verfahrens hinausgreifen. Ein Verfahren kann aus 368 369 370 371
In: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann, Innovation und Flexibilität, S. 9 (29 ff.). Zum Begriff des „inneren“ Verfahrens Hill, Fehlerhaftes Verfahren, S. 286 ff. Dazu Hoffmann-Riem, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann, Innovation und Flexibilität, S. 9 (60 ff.); Ladeur, dort S. 111 (122 ff.). Dazu Hill, Fehlerhaftes Verfahren, S. 271 ff.; Stelkens/Schmitz, in: Stelkens/Bonk/ Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz, § 9 Rn. 5 ff.
3. Abschnitt: Aufgaben des Verwaltungsverfahrensrechts
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mehreren oder Bündeln von Verfahrensrechtsverhältnissen bestehen. Rechtsverhältnisse verklammern Rechte, Befugnisse, Pflichten und Obliegenheiten, die primär gesetzlich begründet sein müssen. Im Rahmen der entsprechenden gesetzlichen Tatbestände ist der Gedanke des Verfahrensrechtsverhältnisses ein Element der systematischen und teleologischen Interpretation. Darüber hinausgehend kann er Grundlage ungeschriebener verfahrensrechtlicher Nebenpflichten sein372, die als Obliegenheiten auch private Beteiligte treffen, ohne daß es zu ihrer Begründung einer speziellen gesetzlichen Regelung bedarf 373. Erzwingbare Pflichten und strikte Sanktionen, z.B. Präklusionsregelungen, müssen dagegen stets gesetzlich begründet sein. 157 Besondere Bedeutung erlangt das Verfahrensrechtsverhältnis im Zusammenhang mit mehrpoligen Interessenlagen und ihrer Klärung durch komplexe Verwaltungsentscheidungen (→ 3/104–106). Das Verfahrensrecht muß hier den gerechten Ausgleich kollidierender Privatinteressen nach Maßgabe des materiell-rechtlichen Konfliktschlichtungsprogramms sicherstellen374. Das Verfahrensrechtsverhältnis dient hier dazu, dem Gedanken der Waffengleichheit zwischen den privaten Interessenträgern in konkreten Mitwirkungsrechten und -lasten Ausdruck zu geben.
3. Verfahrensstrukturen (Überblick) 158 Die Struktur des Standardverfahrens ist durch folgende Koordinaten festgelegt: Konzept und Kommunikationsbeziehungen (a) Konzept und Konzeptwandel Im Grundsatz ein zweipoliges, rechtssicherndes Entscheidungsverfahren der Vollzugsverwaltung (→ 6/139). Es ist aber geeignet, eine Reihe neuer Entwicklungen aufzunehmen. Die großen „Rezeptoren“ sind die Formenfreiheit und das Zweckmäßigkeitsgebot (§ 10 VwVfG). (b) Vielfalt der Verfahrensmedien – Sprachenfragen (§ 23 VwVfG), – Mündlichkeit und Schriftlichkeit, – Nutzung der elektronischen Form, – Konzeptwandel in der elektronischen Welt.
372
373 374
Stelkens/Schmitz, in: Stelkens/Bonk/Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz, § 9 Rn. 30 ff.; Bauer, DV 1992, S. 301 (321 f.); zurückhaltender v. Danwitz, DV 1997, S. 339 (350 ff.). BVerwGE 69, 46 (47 f.): Obliegenheit zu unverzüglicher Rüge einer Prüfungsstörung aufgrund des Prüfungsverhältnisses i.V.m. dem Grundsatz von Treu und Glauben. So Schmidt-Preuß, Kollidierende Privatinteressen, S. 495 ff.
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Sechstes Kapitel: Das Handlungssystem der Verwaltung
(c) Unterschiedliche Verfahrenspraktiken – der äußere rechtliche Ordnungsrahmen und die informale Handhabung: Vorgespräche nach Vorverständigung, – das sich wandelnde Rollenverständnis: zwischen „hoheitlicher“ und „verhandelnder“ Verwaltung, – Verfahrenspraxis zwischen Konfrontation, Paternalismus und Eigenverantwortung. 159
Die Verfahrensbeteiligten und ihre Verantwortung
(a) Die förmlichen Beteiligtenrollen – Verfahrensleitende Behörde, – Private: Adressaten, Antragsteller, Dritte, – Verbandsbeteiligungen, – Beteiligung weiterer öffentlicher Stellen, – Verfahrensmittler, – Exkurs: Sachverständige und Auskunftspersonen. (b) Verfahrensrechtsverhältnisse – Zwei- und mehrpolige, echte und „hinkende“ Verfahrensverhältnisse, – Vertretung im Verfahren (§§ 14 ff. VwVfG). (c) Verfahrensverantwortlichkeiten Von der Verfahrensherrschaft der Behörde zum gemeinsamen Verfahrensförderungsinteresse: Wandlungen des Untersuchungsgrundsatzes (§ 24 VwVfG): – Alleinauftrag der Behörde oder nachvollziehende Amtsermittlung, – Mitgestaltungschancen und Mitwirkungslasten. (d) Die verfahrensinterne Verwaltungskoordination: – Beteiligungsregelungen für andere Behörden, – Zusammenarbeit (z.B. §§ 71a ff. VwVfG). 160
Der Verfahrensablauf und seine Phasen
(a) Sein äußerer Ablauf und seine informale Handhabung – Eröffnung, Antragstellung, Ermittlung und Verhandlung, Entscheidung und Entscheidungsbekanntgabe, – Zwischenentscheidungen in Verfahren, – Nachholung von Verfahrenshandlungen. (b) Die Eigendynamik des Verfahrens – Verfahrensbeschleunigung, Verfahrensaussetzung, Verfahrensabbruch, – Mittel gegen Widerstände, Verzögerungen, Obstruktion, – Verfahren „in“ Verfahren. (c) Die Veränderungen der Entscheidungsstruktur durch die Besonderheiten der verhandelnden Verwaltung – alternative Verhandlungslösungen Einbeziehung von Kompensationslösungen, Koppelungsverbote;
3. Abschnitt: Aufgaben des Verwaltungsverfahrensrechts
367
Reformalisierung, z.B. durch Verhandlungsverbote, Dokumentationspflichten bei ex-parte-Gesprächen. – gesetzesakzessorische Verhandlungslösungen (d) Die Veränderungen der Entscheidungsstruktur durch das Neue Steuerungsmodell (NSM) – Traditionelle Entscheidungsdeterminanten, – Veränderungen durch Binnensteuerung, – zur Legitimität des Effizienzkriteriums. 161
Verfahrensergebnisse und ihre Umsetzung
Sie sind Ergebnisse der Rechtsanwendung und eines durchlaufenen kommunikativen Prozesses. (a) Die rechtsförmliche Fassung – Verwaltungsakte Ihre äußere Form (§§ 37, 39, 41 VwVfG), vor allem die Erfassung und Gestaltung ihres „Regelungsgehalts“ (§ 35 VwVfG) auch durch Nebenbestimmungen (§ 36 VwVfG); Bestandskraft und Flexibilitäten, Wiederaufnahme (§ 51 VwVfG), Aufhebung (§§ 48, 49 VwVfG); vorläufige Akte, Teilentscheidungen. – Verträge Erfassung ihres „Vereinbarungsgehalts“ nach Maßgabe des Privatrechts und der §§ 54 ff. VwVfG. Bestandskraft und Flexibilitäten; clausula rebus sic stantibus (§§ 59, 60 VwVfG). – Negative Verfahrensergebnisse; der Abbruch von Verfahren. (b) Besondere Entscheidungswirkungen insbes. zu gestuften und parallelen Verfahren: – Gestattungs- und Gestaltungswirkung, – Konzentrationswirkung, Präklusionswirkung. (c) Umsetzung Einordnung der Verfahrensergebnisse in den weiteren Aufgabenkontext: – Verwaltungsvollstreckung, – sonstige Sanktionen, – Umsetzungsanreize, – Beobachtungs- und Berichtspflichten, – Korrekturen: z.B. konkrete Rückforderungen, Programmänderungen.
II. Die Notwendigkeit einer breiteren Verfahrenstypenlehre 162 Das Standardverfahren faßt die grundlegenden prozeduralen Bauformen des Rechts zusammen. Es soll der Praxis ein einfaches Handlungsraster für den ersten Zugriff verfügbar machen und der Wissenschaft allgemeine Einsichten in die Wirkungszusammenhänge des Verfahrensrechts erschließen. Diese Orien-
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tierungsleistungen werden wie bei allen abstrakten Rechtsformen dadurch erkauft, daß das Standardverfahren keinen spezifischen Bezug zu einzelnen Aufgabenfeldern der Verwaltung besitzt und seine Regelungen insofern „typenarm“ erscheinen375. Das stellt eine Einbuße an Anschaulichkeit dar und birgt die Gefahr in sich, das Verwaltungsverfahrensrecht von den Entwicklungen des Fachverwaltungsrechts abzuschneiden. Eine systematische Verfahrensrechtslehre muß daher in einem zweiten Schritt eine Typenlehre schaffen, die die Vielfalt der fachgesetzlichen Verfahrensvorschriften auswertet und zu Regelungsmustern einer mittleren Ebene der Verallgemeinerung zusammenführt (→ 1/16). Daß dieses geleistet werden kann, belegen die Vorschriften über das Planfeststellungsverfahren in den §§ 72–78 VwVfG376.
1. Einige neue Verfahrenstypen 163 Zur Ausbildung einer solchen Typenlehre haben in jüngerer Zeit die Untersuchungen von Andreas Voßkuhle wesentlich beigetragen. Mit ihm lassen sich drei interessante neue Typen von Verwaltungsverfahren herausarbeiten: Verteilungsverfahren, Qualitätssicherungsverfahren und Risikoverfahren377. – Verteilungsverfahren dienen der Distribution knapper Ressourcen und haben insbesondere im Schutzbereich des Art. 12 GG eine wichtige grundrechtssichernde Bedeutung. Hierher gehören u.a. die Konzessionierung und andere Formen der Vergabe von Nutzungsrechten an öffentlichen Einrichtungen, ferner die Bewerberauswahl z.B. im öffentlichen Dienst und bei Privatisierungsvorgängen378. Besonders genau geregelt ist die Vergabe öffentlicher Bau-, Liefer- und Dienstleistungsaufträge. Gemeinsame Strukturelemente, mit denen das Verfahrensrecht auf die besonderen rechtsstaatlichen Anforderungen an Rationalität und Sachgerechtigkeit der Verteilung antwortet, sind u.a. die Information potentiell interessierter und qualifizierter Personen am Beginn und die Unterrichtung der Beteiligten über die beabsichtigte Verteilungsentscheidung vor dem Ende des Verfahrens, ferner die Vorhaltung eines rationalen Auswahlkonzepts, das eine abschichtende Behandlung der Verteilungskriterien ermöglicht, sowie Regeln zur Sicherung der behördlichen Neutralität. – Qualitätssicherungsverfahren stehen heute neben den klassischen administrativen Prüfungsverfahren und sind dadurch gekennzeichnet, daß private Sachverständige in ihnen eine eigenständige Rolle spielen. Beispiele bilden das Zusammenspiel von Zertifizierung und Akkreditierung im Produktsicherheitsrecht, das Umwelt-Audit (→ 6/147) und das Datenschutz-Audit (§ 9 BDSG). 375 376 377 378
So Wahl, NVwZ 2002, S. 1192 ff. Dazu Kluth, in: Wolff/Bachof/Stober, Verwaltungsrecht, Bd. 2, § 62. In: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann, Verwaltungsverfahren und Verwaltungsverfahrensgesetz, S. 277 (290 ff.). Vgl. zu letzterem Burgi, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann, Verwaltungsverfahren und Verwaltungsverfahrensgesetz, S. 155 ff.
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Typisch für Qualitätssicherungsverfahren ist die Abfolge von privatrechtlichen und öffentlich-rechtlichen Verfahrensabschnitten. Verfahren dieser Art verlangen eine exakte und transparente Aufteilung der privaten und der behördlichen Prüfungsaufgaben. Registrierungs- und Dokumentationspflichten haben in ihnen besondere Bedeutung. – Risikoverfahren haben die Aufgabe, für risikobehaftete Innovationen zu verantwortbaren und akzeptierbaren Verwaltungsentscheidungen zu gelangen, obwohl hinreichendes Erfahrungswissen nicht verfügbar ist. Die Behörden haben hier einen erheblichen Gestaltungsspielraum, weil sie nicht nur prüfen und prognostizieren, sondern auch eine Risikoabwägung treffen müssen. Die entsprechend aufwendigen Verfahrensvorkehrungen lassen sich z.B. im Arzneimittelund im Technikrecht analysieren379: Aufbereitungspflichten des Antragstellers, Risikokommunikation unter Einschluß der Öffentlichkeit, Entscheidungsvorbereitung durch kollegiale Sachverständigengremien, ausgeprägte Möglichkeiten der Reversibilität von Entscheidungen.
2. Prozedurale Regelungsansätze 164 Entsprechende aufgabengeprägte Verfahrensstrukturen können z.B. auch für die Regulierungsverwaltung, für komplexe Verhandlungsverfahren mit korporativen Akteuren, für die administrative Ressourcenplanung und für die grenzüberschreitende Verwaltungskooperation herausgebildet werden. Ein solches Vorgehen zeigt auf, wo die vorhandenen Bauformen des Verfahrensrechts weiter ausgestaltet oder ergänzt werden sollten. Zum Beispiel kann der Gedanke des Rechtsverhältnisses für die verfahrensleitende Behörde zusätzliche Pflichten begründen, etwa solche zur rechtzeitigen Information über den Ausgang eines Auswahlverfahrens vor dem Vollzug der Auswahlentscheidung380. Gleiches gilt für die Absicht der Behörde, als vertraulich bezeichnete Daten an Dritte weiterzugeben. Auch hier muß der Betroffene rechtzeitig informiert werden, bevor die Bekanntgabe erfolgt. Überhaupt zeichnet sich für schwierige dreipolige Datenbeziehungen im Spannungsfeld zwischen Geheimnisschutz und Aktenzugänglichkeit die Notwendigkeit ab, als eigene Bauform ein Zwischenverfahren auszubilden, für das kurze Erklärungsfristen und ein auf eine Instanz begrenzter Gerichtsschutz vorgesehen werden sollten. Dazu sind ausländische Erfahrungen mit einem in-camera-Verfahren heranzuziehen381.
379 380 381
Voßkuhle, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann, Verwaltungsverfahren und Verwaltungsverfahrensgesetz, S. 277 (330 ff.); G.-P. Calliess, Prozedurales Recht, S. 224 ff. BVerfG (Kammer), DVBl 1989, 1247 (1248) zu beamtenrechtlichen Konkurrenzbeziehungen; weiter Schmidt-Preuß, Kollidierende Privatinteressen, S. 515 ff. Dazu Gurlit, Verwaltungsöffentlichkeit im Umweltrecht, S. 201 ff. und 242 ff.
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Sechstes Kapitel: Das Handlungssystem der Verwaltung
a) Neutralitätssicherung 165 Ein wichtiges Ziel, dessen Rang in allen neuen Verfahrenstypen deutlich wird, ist die Sicherung von Neutralität. Unparteilichkeit ist die Ausdrucksform notwendiger Distanz, die ihrerseits ein Gebot des Rechtsstaats- und des Demokratieprinzips darstellt (→ 2/2 f.). Ohne sie sind staatliche Entscheidungen, die als Ausdruck des Gemeinwohls genommen werden sollen, nicht zu treffen382. Art. 41 der Europäischen Grundrechtecharta hebt die Unparteilichkeit als ein Element eines Rechts auf gute Verwaltung ausdrücklich hervor. Gerade dort, wo die eigene Gestaltungsaufgabe der Verwaltung betont wird, wie das im Planungs-, Regulierungs- und Risikorecht geschieht, ist Unparteilichkeit eine unverzichtbare Entscheidungsvoraussetzung. 166 Unparteilichkeitsforderungen haben unterschiedliche Erscheinungsformen. Unparteilichkeit ist – wie Michael Fehling gezeigt hat – ein Relationsbegriff 383. Entsprechend vielgestaltig und situationsabhängig sind die Verfahrensvorkehrungen zu ihrer Sicherung384: – Die Regeln der personell-individuellen Neutralität des einzelnen Amtswalters bilden in gewissem Sinne den Kern. Die Vorschriften der §§ 20, 21 VwVfG und die entsprechenden Bestimmungen des Kommunalrechts zur Unbefangenheit von Mitgliedern kollegialer Beschlußorgane sind für jede Art administrativen Handelns beachtlich. Sie gelten auch außerhalb konkreter Verfahren, sind also allgemeines Verhaltensrecht von Amtsträgern. Das schließt die Rücksichtnahme auf spezifische Entscheidungssituationen, z.B. im Rahmen gesellschafts- oder vergaberechtlicher Vertretungsbefugnisse nicht aus385. – Die organisatorisch-institutionelle Neutralität ist primär nach Maßgabe der Zuständigkeitsordnung zu sichern. Daß eine Behörde ihre sachlichen Zuständigkeiten wahrnimmt und in diesem Sinne für die Sache engagiert ist, macht sie noch nicht parteilich. Prekär aber sind administrative Doppelrollen, die unterschiedlichen Handlungsmustern zu folgen nötigen, z.B. als Genehmigungsbehörde und Eigentümer, Projektträger oder Unternehmer. Aufgerufen ist hier in erster Linie der Gesetzgeber, für funktionentrennende Entkoppelungen und Möglichkeiten der Zuständigkeitsverlagerung zu sorgen. – Gefahren für die Neutralität können sich auch aus einer bestimmten Verfahrenskonstellation, z.B. durch zu intensive einseitige Vorgespräche, ergeben. Diese verfahrensbezogene Unparteilichkeit (Fehling) kann durch eine gewisse Formalisierung des Kontakts, durch Dokumentations- und Transparenzpflichten, gesichert werden. – Besondere Pflichten treffen die Verwaltung dort, wo sie Dritte z.B. im Wege der sog. funktionalen Privatisierung in Entscheidungszusammenhänge einbe382 383 384 385
Häberle, Öffentliches Interesse, S. 100. Verwaltung zwischen Unparteilichkeit und Gestaltungsaufgabe, S. 20 ff. und 93 ff. Zum folgenden Fehling, aaO. S. 195 ff. Vgl. § 16 VergabeVO vom 9.1.2001, BGBl I, S. 110.
3. Abschnitt: Aufgaben des Verwaltungsverfahrensrechts
371
zieht. Sicherungen der Unbefangenheit sind hier eine Konsequenz einer vorwirkenden Legitimationsverantwortung (→ 2/100–101)386.
b) Rolle der Öffentlichkeit 167 Zahlreiche Bauformen des Verfahrensrechts beruhen auf der Herstellung von Öffentlichkeit: öffentliche Information über Beginn und Ergebnisse von Verfahren, öffentliche Auslegung, Aktenöffentlichkeit und öffentliche Verhandlungen. Diese Formen dienen der Transparenz, der Sicherung von Neutralität und der verfahrensakzessorischen Partizipation (→ 2/108–109). Das EG-Recht intensiviert diese Ausrichtung: Öffentlichkeit wird ganz allgemein zum Medium der Verwaltungskontrolle (→ 1/60; 6/145–146). Prozedurale Rationalität soll dabei in einem über den individuellen Rechts- und Interessenschutz hinausgehenden Sinne wirken. Das ist im Ansatz zu begrüßen. Kritisch muß freilich auch gefragt werden, ob die Ausweitung der Informationsflüsse wirklich zu Verbesserungen und nicht zu Selbstblockaden von Verfahren führen. Eine positive Entwicklung ist nur dann zu erwarten, wenn die Verwaltung angesichts notwendiger Entscheidungen unter Unsicherheitsbedingungen weitere Spielräume zur Flexibilität erhält387. Außerdem muß die Öffentlichkeitsbeteiligung besser strukturiert werden. Die bisherige Praxis öffentlicher Anhörungen in Planfeststellungsverfahren erweist sich als unzulänglich. Zu ihrer Ergänzung sollte auch an eine Vorordnung durch Konfliktmittlung gedacht werden (→ 6/136–137), z.B. bei Verfahren mit stark wissenschaftlichem Einschlag388. 168 Sofern die Öffentlichkeit als Kontrollinstrument eingesetzt werden soll, sind die Konsequenzen für das Gewaltenteilungsgefüge zu bedenken (→ 4/100). Die Öffentlichkeit ist keine Instanz wie die etablierten und organisierten staatlichen Entscheidungsträger. Ihre Wirkungsweise ist in erheblichem Maße gerade mit ihrer Spontaneität und Unorganisierbarkeit verbunden. Hier liegen ihre Vorteile, aber auch ihre Gefahren: Die öffentliche Aufmerksamkeit besetzt Politikfelder und einzelne Angelegenheiten oft eher zufällig und in der Nachhaltigkeit unberechenbar. Öffentlichkeit als Gestaltungselement in ein Verfahrenskonzept einzubeziehen, verlangt folglich, auf „strukturelle Asymmetrien“ zu achten und gegebenenfalls Gegengewichte vorzusehen, weil sonst nur solche Interessen zu Worte kommen dürfen, denen die Aktivierung der Öffentlichkeit leicht fällt. Öffentlichkeit im Verwaltungsverfahren soll eine bessere Interessendarstellung
386 387 388
Ähnlich Fehling, aaO. S. 351 ff., 430: „staatliche Unparteilichkeitsverantwortung“. In diesem Sinne nachdrücklich Ladeur, in: Roßnagel/Neuser, Reformperspektiven, S. 171 (182 ff.). Zu Möglichkeiten einer auf die methodische Aufarbeitung konzentrierten sog. DataMediation Ozawa/Susskind, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann, Konfliktbewältigung durch Verhandlungen, Bd. 1, S. 177 ff. Zur Rolle der Öffentlichkeit bei Fragen des Risikomanagements vgl. auch den Diskussionsbericht von Lorz, in: Riedel, Risikomanagement, S. 221 (221 f.).
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ermöglichen. Sie darf aber nicht ihrerseits zum Vehikel einseitiger Interessenselektion werden (→ 2/116).
III. Das Verhältnis zu anderen Verfahren 169 Die verwaltungsrechtliche Verfahrenslehre muß über ihren engeren Geltungsbereich hinaus auch das Verhältnis des allgemeinen Verwaltungsverfahrensrechts zu anderen Verfahren systematisch in den Blick nehmen.
1. Bedeutung des Haushaltsverfahrensrechts 170 Als Haushaltsverfahrensrecht werden hier diejenigen Regeln bezeichnet, die das Haushaltsrecht in Bund, Ländern und Gemeinden für den verwaltungsmäßigen Haushaltsvollzug vorsieht389. Im Bereich der Bundeshaushaltsordnung sind dieses neben haushalts- und buchungstechnischen Bestimmungen vor allem die Vorschriften über Zuwendungen (§ 44), über Billigkeitsleistungen (§ 53), über öffentliche Ausschreibungen (§ 55), Vorleistungen (§ 56) und über die Änderung von Verträgen und Ansprüchen (§§ 58, 59). Weiter gehören die nach § 7 BHO bestehenden Pflichten zu fortlaufender Aufgabenkontrolle, zu Kosten-Nutzen-Untersuchungen und zur Durchführung eines Interessenbekundungsverfahrens dazu. 171 Das Haushaltsrecht überkommenen Zuschnitts ist wegen seiner zu geringen effizienzfördernden Wirkungen vielfach kritisiert worden. Sein kameralistisches Konzept erscheint der in der Privatwirtschaft praktizierten doppelten Buchführung deutlich unterlegen390. Die Wirkungsschwächen des Haushaltsrechts beruhen darauf, daß der Haushaltsplan über die falschen Dinge in falschen Zusammenhängen informiert. Die Informationsstruktur des Haushaltes ist es folglich, die verbessert werden muß: Denn erst die im Haushaltsentwurf zusammengefaßten Daten versetzen das Parlament in die Lage, seine Steuerungsabsichten gezielt zu entfalten, und sie geben den rechnungsprüfenden Instanzen Maßstäbe für die Haushaltskontrolle. An der derzeitigen Systematik des Haushalts wird kritisiert, daß sie Einnahmen- und Ausgabenpositionen unterschiedlichen Ressorts zuweist und dadurch Verantwortungszusammenhänge auseinanderreißt. Gerügt wird ferner, daß nur die laufenden Ausgaben und Einnahmen, nicht aber Ausgaben für zukünftige Perioden, z.B. Pensionslasten, und Abschreibungen als Äquivalente für den Wertverlust des Anlagevermögens ausgewiesen sind. Gerügt wird schließlich, daß die Haushaltspläne zu wenig Angaben über die mit den Haushaltsansätzen zu erbringenden Verwaltungsleistungen enthielten. Wer aber den Aufwand für seine Leistungen nicht überblickt, kann auch kein Kosten389 390
Vgl. Gröpl, Haushaltsrecht und Reform, S. 359 ff. Bals, in: Henneke, Steuerung kommunaler Aufgabenerfüllung, S. 97 ff.; ferner die Begründung des Regierungsentwurfs eines Gesetzes zur Fortentwicklung des Haushaltsrechts von Bund und Ländern, Bundesrats-Drs. 366/97, S. 15 ff.
3. Abschnitt: Aufgaben des Verwaltungsverfahrensrechts
373
bewußtsein entwickeln. Die angelaufene Novellierung des Haushaltsrechts will durch Rückgriff auf Elemente des Neuen Steuerungsmodells Verbesserungen bringen (→ 1/41–42). Die Eigenverantwortung der einzelnen Behörde und des einzelnen Beamten soll dadurch gestärkt werden, daß die Deckungsmöglichkeiten zwischen den einzelnen Titeln des Haushalts in Richtung auf einen Globalhaushalt erweitert werden. Von einer Dezentralisierung des Haushaltsvollzugs erwartet der Gesetzgeber eine Stärkung von Motivation und Eigeninteresse auf allen Haushaltsebenen. Die Kostentransparenz soll zudem durch angemessene Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen und in geeigneten Bereichen durch Kostenund Leistungsrechnungen verbessert werden. In denselben Zusammenhang gehören Verbesserungen der Rechnungsprüfung (→ 4/92–97). 172 Das gilt auch für die prozeduralen Instrumente des Neuen Steuerungsmodells im Verhältnis zum Verwaltungsverfahrensgesetz391. Haushaltsverfahrensrecht und (sonstiges) Verfahrensrecht können nicht länger als zwei streng getrennte Rechtsbereiche behandelt werden. Beide sind Garanten rationalen Verwaltungshandelns. Eine systematisch entwickelte Verfahrensrechtslehre muß folglich beide Rechtsgebiete umfassen. Daß Haushaltspläne Ansprüche oder Verbindlichkeiten weder begründen noch aufheben (§ 3 Abs. 2 HGrG), sagt nichts darüber, daß das Haushaltsrecht auf die Funktion eines „Innenrechts“ begrenzt ist. Auf der anderen Seite zwingt die Einbeziehung des Haushaltsverfahrensrechts in den systematischen Zusammenhang des allgemeinen Verfahrensrechts nicht dazu, für die Verletzung von Vorschriften der einen wie der anderen Art dieselben Sanktionen vorzusehen. Wohl aber ist in einer Einzelnormanalyse festzustellen, welche Bestimmungen des Haushaltsverfahrensrechts in das allgemeine Verfahrensrecht hinüberwirken und dadurch eine bessere Durchsetzungsfähigkeit erhalten sollen392. Genau das ist auch der Weg des Vergaberechts. Das Vergabeverfahren wird auf diese Weise zu einem übergreifenden Rahmen, dessen Vorschriften dem Wirtschaftlichkeitsgebot und dem Bieterschutz gleichermaßen dienen und folglich auch gerichtlich durchsetzbar sein müssen. Zu prüfen ist ferner, inwieweit z.B. die haushaltsverfahrensrechtlichen Zustimmungsvorbehalte in die Verfahrensfehlerregelungen der §§ 44 ff. VwVfG einbezogen werden sollten. Schließlich erscheint die planungsrechtliche Abwägungsdogmatik flexibel genug, um grobe Verstöße gegen die Wirtschaftlichkeitsregeln des § 7 BHO nicht ohne jede Sanktion zu lassen und umgekehrt die Ergebnisse einer positiven Kosten-Nutzen-Analyse als Abwägungskriterium zugunsten des Projekts in Ansatz zu bringen (→ 4/70).
391 392
Vgl. dazu Ziekow, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann, Verwaltungsverfahren und Verwaltungsverfahrensgesetz, S. 349 (376 ff.). Vgl. dazu v. Mutius, VVDStRL Bd. 42, S. 147 (189 ff.); Gröpl, Haushaltsrecht und Reform, S. 359 ff.
374
Sechstes Kapitel: Das Handlungssystem der Verwaltung
2. Verhältnis zum gerichtlichen Verfahren 173 Das Verhältnis von Verwaltungsverfahren und Verwaltungsprozeß ist durch zwei gegensätzliche Vorstellungen bestimmt: durch die Trennung beider Verfahrenstypen und durch ihren funktionalen Zusammenhang. Das Trennungsprinzip weist beide Verfahren als klar getrennte Vorgänge mit jeweils eigenen Aufgaben, Parteirollen und Rechtsregeln, vor allem aber mit unterschiedlichen Verantwortlichkeiten aus: Die Verwaltung bleibt in allen Verfahren, selbst dort, wo sie in mehrpoligen Rechtsverhältnissen eine streitentscheidende Aufgabe zwischen kollidierenden Privatinteressen wahrnimmt, den jeweils fachgesetzlich formulierten öffentlichen Interessen verbunden und ist insofern niemals eine gänzlich neutrale Instanz. Das Gericht dagegen verfolgt allein das Ziel der Rechtswahrung. Es ist selbst dort, wo ihm eine ausschließlich objektive Kontrolle aufgegeben ist, nicht zur Verfolgung des jeweiligen Fachinteresses aufgerufen. Handlungsperspektive und Kontrollperspektive sind auseinanderzuhalten. 174 Auf der anderen Seite stehen Verwaltungsverfahren und Gerichtsverfahren in einem funktionalen Zusammenhang393. Verwaltungsverfahren können Gerichtsverfahren entlasten. Ein qualifiziertes Verwaltungsverfahren kann ein Indiz für eine normative Ermächtigung zu letztverbindlicher Verwaltungsentscheidung und einer entsprechend eingeschränkten gerichtlichen Kontrolle sein (→ 4/65). Zwingend verlangt wird ein besonderes verwaltungsbehördliches Kontrollverfahren in Fällen eingeschränkter gerichtlicher Überprüfbarkeit allerdings nur in Ausnahmefällen394. Soweit es um Individualrechtsschutz im Sinne des Art. 19 Abs. 4 GG geht, kann auch das bestausgestattete Verwaltungsverfahren den Gerichtsschutz allerdings nicht ersetzen. Für andere Streitigkeiten aber kann eine verbindliche Entscheidung auch durch ein gerichtsförmig ausgestaltetes Verwaltungsverfahren gesetzlich vorgesehen werden. Die meisten anderen europäischen Rechtsordnungen, die nicht dem strikten Trennungsprinzip zwischen beiden Verfahrensarten folgen, kennen solche Zwischenformen. Auch das EG-Recht stellt sie gelegentlich zur Verfügung395, läßt ihnen aber nur einen engen Rahmen, weil sie als letztinstanzlich entscheidende gerichtsähnliche Gremien die Vorlagefähigkeit im Sinne des Art. 234 EG besitzen müssen396. Im übrigen besteht für die gesetzliche Ausgestaltung und die praktische Handhabung beider Verfahrenstypen ein Gebot institutioneller Rücksichtnahme: Verwaltungsverfahren dürfen den Zugang zum Gerichtsverfahren nicht unmöglich machen 393
394 395 396
Dazu Schwarze, Verwaltungsverfahrensrecht und Rechtsschutz, pass.; v. Mutius, in: FS für Menger, S. 575 ff.; Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 19 Abs. 4 Rn. 26; Schulze-Fielitz, in: Schmidt-Aßmann/Hoffmann-Riem, Verwaltungskontrolle, S. 291 (305 ff.). Zum Prüfungsverfahren vgl. BVerfGE 84, 34 (46 ff.); BVerwGE 92, 132 (136). So Art. 2 Abs. 8 der RL 89/665/EWG; Art. 2 Abs. 9 der RL 92/13/EWG. Zum gemeinschaftsrechtlichen Begriff des Gerichts i.S. dieser Bestimmung vgl. EuGHE 1997, 4961 (Tz. 22 ff.); Ehlers, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, Verwaltungsgerichtsordnung, Anh § 40 Art. 177 EGV Rn. 12 ff.
3. Abschnitt: Aufgaben des Verwaltungsverfahrensrechts
375
oder unzumutbar erschweren. Gerichtsverfahren dürfen nicht so geführt werden, daß Verwaltungsverfahren nur noch als bloße Vorprüfungsverfahren erscheinen. Das schließt ein eigenes „Nacharbeiten“ der Verwaltungsentscheidung durch das Gericht nicht aus397. Dem Verwaltungsverfahren muß aber seine Funktion als Garant von Entscheidungsrichtigkeit erhalten bleiben (→ 6/150).
397
Vgl. mit weitergehenden Konsequenzen Gerhardt, in: Hoffmann-Riem/SchmidtAßmann, Verwaltungsverfahren und Verwaltungsverfahrensgesetz, S. 413 (419 ff.); dagegen Schmidt-Aßmann, dort S. 429 (451 f.).
Siebentes Kapitel
Die Entwicklung eines Europäischen Verwaltungsrechts 1 Die wichtigste Zukunftsaufgabe verwaltungsrechtlicher Systembildung ist die Entwicklung eines Europäischen Verwaltungsrechts. Ein solches Recht ist mehr als die Summe der durch das EG-Recht überformten und in diesem Sinne „europäisierten“ nationalen Verwaltungsrechtsordnungen (→ 1/50–67). Es ist die Antwort des Rechts auf die Herausforderung, Europa – in unterschiedlicher räumlicher Grenzziehung und mit unterschiedlichen Intensitätsgraden der interadministrativen Beziehungen1 – als einheitlichen Verwaltungsraum zu verstehen. Die Kernzone des Europäischen Verwaltungsrechts bilden die Verwaltungsvorgänge unter dem Dach der Europäischen Gemeinschaft. Auf längere Sicht muß die Systematik jedoch darüber hinausgreifen und die Verwaltungsaktivitäten im Rahmen der zweiten und dritten Säule der Europäischen Union, vor allem die Rechtsfragen der polizeilichen Zusammenarbeit nach Art. 30 EU einbeziehen2. In einem noch weiteren Sinne sind auch andere, auf bilateralem oder multilateralem Völkervertragsrecht beruhende Formen der Verwaltungskooperation in Europa3, ferner die in Empfehlungen des Europarats und in der Rechtsprechung des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofs entwickelten gemeinsamen Standards rechtsstaatlicher Verwaltungsführung4 zur europäischen Verwaltungsrechtsord1 2 3 4
Vgl. Thürer, VVDStRL Bd. 50, S. 97 (101 ff.). Dazu Harings, Grenzüberschreitende Zusammenarbeit, S. 46 ff.; Martínez Soria, VerwArch 1998, S. 400 ff.; Hecker, EuR 2001, S. 826 ff. Dazu Niedobitek, Grenzüberschreitende Verträge, S. 7 ff. Insbesondere die Resolution vom 28.9.1977, die sich allgemein mit einigen fundamentalen Prinzipien beschäftigt, die das Verfahren der Behörden im Umgang mit den Bürgern bestimmen sollen (z.B. Anhörung, Zugang zu Informationen, Verfahrensbeistand, Entscheidungsbegründung, Rechtsbehelfsbelehrung); ferner die Empfehlung vom 17.9.1987 betreffend den Schutz einzelner in Massenverfahren und die Empfehlung vom 13.2.1991 betreffend Verwaltungssanktionen. Im weiteren Sinne gehören auch die Empfehlung vom 25.11.1985, die sich mit dem Zugang der Öffentlichkeit zu behördlichen Akten befaßt, die Empfehlung zum Datenschutz vom 17.9.1987 sowie die Empfehlung vom 11.3.1980 betreffend die Ermessensausübung der Verwaltung hierher. Nachw. bei Stelkens/Bonk/ Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz, Einl. Rn. 138 ff.; ferner die Rechtsprechungsnachw. bei Frowein/Peukert, EMRK, insbes. zu Art. 6 Abs. 1 und Art. 13. Speziell zu den Anforderungen an den Verwaltungsgerichtsschutz Grabenwarter, Verfahrensgarantien, S. 467 ff.
378
Siebentes Kapitel: Die Entwicklung eines Europäischen Verwaltungsrechts
nung zu rechnen. Die folgenden Untersuchungen konzentrieren sich auf den Rahmen der Europäischen Gemeinschaft.
A. Die Verwaltung des Gemeinschaftsraumes 2 Die Errichtung des Binnenmarktes ist nicht nur eine Sache gemeinschaftsweit geltender Rechtsvorschriften. Sie ist „ein kontinuierlicher Prozeß, mit dem sicherzustellen ist, daß der gemeinsame Rechtsrahmen umfassend verstanden, angewendet, überwacht und, wenn nötig, zur Deckung eines neuen Bedarfs folgerichtig weiterentwickelt wird“5. Viele der damit bezeichneten Aufgaben sind Verwaltungsaufgaben: Dezentrale Entscheidungen der mitgliedstaatlichen Verwaltungen haben das EG-Recht wirksam und gleichmäßig anzuwenden. Zentrale Entscheidungen der EG-Administration müssen auf gemeinschaftsweit verläßlich ermittelter Tatsachengrundlage getroffen und von den Mitgliedstaaten in ihrem Hoheitsbereich umgesetzt werden. Mehr und mehr entwickelt auch das mitgliedstaatliche Verwaltungshandeln gemeinschaftsweite Bedeutung: Zollrechtliche Entscheidungen, Einfuhr- und Ausfuhrgenehmigungen, Produktzulassungen, gewerberechtliche Erlaubnisse und Prüfungsentscheidungen können auf der Basis des Anerkennungsprinzips nur gemeinschaftsweit gelten. Ihre Anerkennung in den Bestimmungsländern setzt Vertrauen in die Ordnungsgemäßheit der im Ursprungsland getroffenen Entscheidungen voraus. Bei all dem geht es nicht mehr nur um gelegentliche Vorgänge, sondern um eine breite und dauerhafte gemeinsame Verwaltungspraxis. Zutreffend wird die Verwaltung des Gemeinschaftsraumes in jüngeren Dokumenten der Europäischen Kommission als eigener, neben Rechtsetzung und Rechtsprechung stehender Aufgabenbereich herausgearbeitet (→ 1/63)6.
I. Die beteiligten Verwaltungsträger 3 Die Verwaltung des Gemeinschaftsraumes ist der EG-Administration und den mitgliedstaatlichen Verwaltungen gemeinsam anvertraut, obwohl die beteiligten Verwaltungsträger auf den ersten Blick unterschiedlicher kaum gedacht werden können7: auf der EG-Ebene eine relativ kleine, hierarchisch organisierte, 5
6
7
So die Mitteilung der Kommission an den Rat „Die optimale Gestaltung des Binnenmarkts: Strategisches Programm“ vom 22.12.1993, KOM (93) 632 endg., S. 1. Anschaulich dazu die Beiträge in: Wallace, Policy-Making in the European Union. Vgl. Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament über „Die Entwicklung der Zusammenarbeit der Verwaltungen bei der Anwendung und Durchsetzung des Gemeinschaftsrechts für den Binnenmarkt“ vom 16.2.1994, KOM (94) 29 endg.; ferner: Bericht der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament „Verwaltungszusammenarbeit bei der Anwendung des Gemeinschaftsrechts im Rahmen des Binnenmarkts“ vom 29.1.1996, KOM (96) 20 endg. Siedentopf/Ziller, Making European Policies Work.
A. Die Verwaltung des Gemeinschaftsraumes
379
hochprofessionelle Administration – auf der mitgliedstaatlichen Ebene eine Vielfalt zentraler und dezentraler, konzentrierter und dekonzentrierter Staats- und Selbstverwaltungseinheiten.
1. Die EG-Administration 4 Selbst wenn es zwischen Parlament, Rat und Kommission keine Funktionentrennung nach klassischem Gewaltenteilungskonzept gibt, so läßt sich das Schwergewicht administrativer Aufgaben doch eindeutig der Kommission zuordnen. Unbeschadet ihrer Regierungsfunktion und ihrer Beteiligung am Rechtsetzungsverfahren ist sie das Verwaltungsorgan der Gemeinschaft8. Der administrative Zuschnitt ihrer Aufgaben ist in Art. 211 EG teilweise direkt erkennbar, teilweise folgt er aus dem Zusammenhang mit den dort genannten Kompetenzen: Aufsichts-, Informations-, Durchführungs- und Förderungsaktivitäten9. Der kollegial verfaßten Kommission steht zur Vorbereitung und zur Durchführung ihrer Aufgaben eine Verwaltung zur Verfügung, die in Generaldirektionen, Direktionen und Referate gegliedert und in sich strikt hierarchisch geordnet ist10. Der hohe Zentralisierungsgrad ist nach und nach allerdings durch die Ausdifferenzierung weiterer Administrativinstanzen, die teilweise eigene Rechtsfähigkeit haben, relativiert worden11. Nur ein Teil dieser Einrichtungen ist der Kommission nachgeordnet. Die wichtigeren, neuerdings als Regulierungsagenturen bezeichneten Einheiten folgen dagegen eher dem Modell unabhängiger Ämter, in deren Leitungsorganen die Vertreter mitgliedstaatlicher Verwaltungen diejenigen der Kommission an Zahl übertreffen12. Gerade in den letzten Jahren hat eine Welle von Gründungen solcher Einrichtungen die Entwicklung eines dezentralen Verwaltungsgefüges auf EG-Ebene verstärkt13. In einigen Fällen han8 9 10
11
12 13
Möllers, Gewaltengliederung, i.E., § 7 I 5. Speziell zu Fragen der Verwaltungsreform vgl. Mehde, ZEuS 2001, S. 403 ff. Vgl. Kugelmann, in: Streinz, EUV/EGV, Art. 211 EGV Rn. 13 ff.; speziell zum Begriff der Durchführung im Sinne von Art. 202, 211 EG Möllers, EuR 2002, S. 483 ff. Art. 19 ff. der auf Art. 218 Abs. 2 EG beruhenden Geschäftsordnung vom 29.11.2000, ABl. Nr. L 308 S. 26, zuletzt geändert durch Beschluß vom 26.3.2003, ABl. Nr. L 92 S. 14. Dazu Hilf, Organisationsstruktur, bes. S. 109 ff.; Priebe, Entscheidungsbefugnisse vertragsfremder Einrichtungen, S. 15 ff.; Kugelmann, in: Streinz, EUV/EGV, Art. 218 EGV Rn. 15 ff. Vgl. die Mitteilung der Kommission „Rahmenbedingungen für die europäischen Regulierungsagenturen“ vom 11.12.2002, KOM (2002) 718 endg. Vgl. die Nachw. im Beschluß der Vertreter der Regierungen der Mitgliedstaaten über die Festlegung des Sitzes bestimmter Einrichtungen und Dienststellen der Europäischen Gemeinschaften sowie des Sitzes von Europol vom 29.10.1993, ABl. 1993 Nr. C 323 S. 1 und im Beschluß vom 13.12.2003, ABl. 2004 Nr. L 29 S. 15: u.a. Europäische Umweltagentur, Europäische Arzneimittelagentur, Europäisches Markenamt; Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit, Europäische Agenturen für die Sicherheit des Seeverkehrs sowie für Flugsicherheit, Europäisches Amt für chemische Stoffe und eine Europäische Eisenbahnagentur.
380
Siebentes Kapitel: Die Entwicklung eines Europäischen Verwaltungsrechts
delt es sich um Ämter mit eigenen außenwirksamen Entscheidungsbefugnissen14. Die meisten der neugegründeten Regulierungsagenturen nehmen nur Aufgaben der Datensammlung, der Beobachtung und der fachlichen Beratung wahr. Die Steuerungsmöglichkeiten, die mit diesen Verwaltungstätigkeiten verbunden sind, dürfen jedoch im europäischen Verwaltungsgefüge, das in hohem Maße auf Informationsvermittlung angewiesen ist, keineswegs gering veranschlagt werden15. Der Entwurf der Europäischen Verfassung widmet der hier entstandenen eigenständigen Vollzugsstruktur zu Recht Aufmerksamkeit16. Neben dieser immer weiter verfeinerten Ämterorganisation hat sich ein ausgedehntes Ausschußwesen entwickelt, das teilweise der Zusammenarbeit mit den Verwaltungen der Mitgliedstaaten, teilweise der Einbeziehung externen Sachverstandes und der Öffnung gegenüber gesellschaftlichen Kräften dient17. Die Ausschüsse sind für die Kommission unverzichtbare Kontaktstellen der Informationsgewinnung und Informationsvermittlung, ohne die sie angesichts begrenzter eigener Ressourcen nicht arbeiten könnte. Speziell die Komitologiepraxis ist zudem ein wichtiger Kooperationsmechanismus (→ 7/11). Ihre besondere Ausrichtung auf ein komplementäres Ausschußwesen ist ein Merkmal der EG-Administration, das sich in der deutschen Verwaltung so nicht findet.
2. Die mitgliedstaatlichen Verwaltungen 5 Das Erscheinungsbild der mitgliedstaatlichen Verwaltungen ist nicht nur von Land zu Land, sondern auch innerhalb der einzelnen Länder außerordentlich vielgestaltig18. Neben Ministerialverwaltungen und großen, hierarchisch geordneten Fachverwaltungen stehen dezentral geordnete Selbstverwaltungsgefüge. Nur ein kleiner Teil der Verwaltungseinheiten ist speziell für den Vollzug des EG-Rechts geschaffen worden oder auf diese Aufgabe beschränkt; denn nur selten verlangt das Gemeinschaftsrecht von den Mitgliedstaaten besondere organisatorische Vorkehrungen, z.B. seinen Vollzug durch eigenständige unabhängige Stellen19.
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15
16 17 18 19
Z.B. Entscheidungen über die Eintragung einer Gemeinschaftsmarke durch das Harmonisierungsamt für den Binnenmarkt gem. Art. 6 ff. VO (EG) Nr. 40/94; Zulassungsentscheidungen der Europäischen Agentur für Flugsicherheit gem. Art. 15 Abs. 1 lit. f, Abs. 2 lit. b VO (EG) Nr. 1592/2002. Vgl. v. Bogdandy, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann, Verwaltungsrecht in der Informationsgesellschaft, S. 133 (172 ff.); E. Chiti, Le agenzie europee, bes. S. 315 ff.; Fischer-Appelt, Agenturen der Europäischen Gemeinschaft, bes. S. 218 ff. Art. I-49; Art. III-270, III-304 und III-305. Dazu die Beiträge in: Joerges/Falke, Ausschußwesen der EU; Knipschild, ZLR 2000, S. 693 ff. Überblick bei Hilf, Organisationsstruktur, S. 260 ff.; an Fallbeispielen Siedentopf/Ziller, Making European Policies Work, Bd. 1, S. 57 ff. Vgl. zu Ansätzen einzelner Ingerenzen v. Danwitz, Verwaltungsrechtliches System, S. 194 ff., insbes. S. 200 ff.; Kahl, DV 1996, S. 341 (353 ff.).
A. Die Verwaltung des Gemeinschaftsraumes
381
Für die meisten Verwaltungen ist das EG-Recht erst nach und nach zu jener allgegenwärtigen Größe geworden, die es selbst für die lokale Verwaltung darstellt. Desungeachtet ist sein Vollzug für die meisten Verwaltungen nur eine Aufgabe unter anderen, von denen oft manch andere für Profil und Selbstverständnis der betreffenden Verwaltung wichtiger ist. Ein auf seine wirksame Umsetzung bedachtes Recht muß diesen Befund berücksichtigen und entsprechende Vorkehrungen treffen. Es darf sich dabei allerdings nicht allein auf die Mechanismen einer zwangsweisen Durchsetzung gegenüber widerstrebenden mitgliedstaatlichen Verwaltungen verlassen. Ebenso wichtig ist es, die Kenntnisse über das Gemeinschaftsrecht und die Legitimität seiner Anliegen zu stärken, so daß sich der einzelne Beamte mit seinem Vollzugsauftrag identifizieren kann.
II. Das Verwaltungskonzept 6 Das Konzept der Verwaltung des Gemeinschaftsraumes ist durch die gegensätzlichen Prinzipien der Trennung und der Kooperation geprägt. Bestimmt das Trennungsprinzip die Struktur, so bildet das Kooperationsprinzip die funktionelle Komponente der europäischen Verwaltungsordnung. Auf dieser Grundlage hat sich ein Informations-, Handlungs- und Kontrollverbund gemeinschaftlicher und mitgliedstaatlicher Verwaltungsinstanzen entwickelt, der als Europäische Verwaltung bezeichnet werden kann (→ 1/63)20.
1. Das Trennungsprinzip 7 Das Verwaltungssystem der Gemeinschaft beruht auf einer Aufteilung der Aufgaben und Zuständigkeiten zwischen den Mitgliedstaaten und der Kommission. Dieses Trennungsprinzip bestimmt die dualistische Grundstruktur der Verwaltung des Gemeinschaftsraumes. Es drückt sich in den beiden unterschiedlichen Formen aus, in denen das EG-Recht „vollzogen“ wird, dem direkten Vollzug durch gemeinschaftseigene Organe und dem indirekten Vollzug durch die Organe der Mitgliedstaaten21. Die mitgliedstaatlichen Verwaltungen bleiben auch dort, wo sie EG-Recht vollziehen, organisatorisch Teil der nationalen Exekutive. Die entsprechenden Rechtshandlungen sind solche des mitgliedstaatlichen Rechts. Das Trennungsprinzip ist in zweifacher Weise qualifiziert: Es geht von einem indirekten, isoliert-einzelstaatlichen Vollzugsmodell aus.
20 21
Schmidt-Aßmann, in: FS für Häberle, S. 395 ff.; sowie die Beiträge in: Schmidt-Aßmann/ Hoffmann-Riem, Strukturen des Europäischen Verwaltungsrechts. Dazu Rengeling, Rechtsgrundsätze beim Verwaltungsvollzug, S. 9 ff.; Schwarze, Europäisches Verwaltungsrecht, Bd. 1, S. 25 ff.; Trute, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Grundgesetz, Art. 83 Rn. 57 ff.
382
Siebentes Kapitel: Die Entwicklung eines Europäischen Verwaltungsrechts
a) Vorrang des indirekten Vollzuges 8 Der Schwerpunkt der Verwaltung in EG-Sachen liegt bei den Mitgliedstaaten. Das folgt schon aus den begrenzten Kapazitäten der EG-Administration, an denen sich trotz aller organisatorischen Ausdifferenzierungen im Grundsatz nichts ändern wird. Rechtlich wird der Vorrang des mitgliedstaatlichen Vollzuges aus dem in Art. 5 Abs. 1 EG normierten Grundsatz der begrenzten Ermächtigung abgeleitet. Formen des direkten Vollzuges sollen die Ausnahme, die Anwendung des EG-Rechts durch nationale Behörden dagegen die Regel darstellen22. Allerdings hat sich daraus bisher keine so strikte Kompetenzverteilungsregel ableiten lassen, wie sie sich für das deutsche Bundesstaatsrecht in Art. 83 GG findet. Die Gemeinschaftsverträge trennen nur selten exakt zwischen legislativen und administrativen Kompetenzen. Der Rat hat es folglich in der Hand, der Kommission im Rahmen einer Sachregelung zur Durchführung der von ihm erlassenen Vorschriften gem. Art. 202 EG auch Vollzugsaufgaben zuzuweisen23. Daneben geben Art. 308 EG und die Lehre von den mitgeschriebenen Kompetenzen weitere Ansätze, um vom Vorrang des indirekten Vollzuges abzuweichen24. Der Europäische Gerichtshof verfolgt eher eine pragmatische als eine dogmatische Linie und fragt nach der Funktionsnotwendigkeit der getroffenen Kompetenzentscheidung25. Das Subsidiaritätsprinzip des Art. 5 Abs. 2 EG wird kaum zu einer restriktiveren Praxis veranlassen. In der Theorie bestätigt es zwar den Grundsatz vom Vorrang des indirekten Vollzuges26. In einer konkreten Regelungssituation aber sind schnell gute Gründe zur Hand, die eine einheitliche, zentrale und direkte Aktion auf Gemeinschaftsebene und gegebenenfalls auch die Errichtung einer eigenen Agentur geboten erscheinen lassen27. Insgesamt ist der Vorrang eine Grundlinie mit erheblichen Abweichungstoleranzen28.
22 23 24
25 26
27 28
Oppermann, Europarecht, Rn. 636 ff.; Zuleeg, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 5 EG Rn. 14; v. Borries, in: FS für Everling, S. 127 (127). EuGHE 1989, 3457 (3485). Vgl. v. Bogdandy/Nettesheim, in: Grabitz/Hilf, Europäische Union, Art. 3b EGV Rn. 7 ff.; restriktiver dort Grabitz, Art. 189 Rn. 18. Zur Einrichtung eigener Verwaltungsbehörden auf Grund dieser Titel vgl. Priebe, Entscheidungsbefugnisse vertragsfremder Einrichtungen, S. 91 ff.; ausf. Schreiber, Verwaltungskompetenzen, S. 69 ff. Vgl. EuGHE 1994, 3681 (3707 ff., insbes. 3711 f.). So die Schlußfolgerungen des Europäischen Rates von Essen, die der Vertrag von Amsterdam in einer Protokollerklärung über die Anwendung der Grundsätze der Subsidarität und der Verhältnismäßigkeit bekräftigt, ABl. 1997 Nr. C 340 S. 105. Beispiele bei Streinz, in: ders., EUV/EGV, Art. 308 EGV Rn. 34, 43. Im Ergebnis auch Jarass, AöR 1996, S. 173 (181 ff.); enger Wahl/Groß, DVBl 1998, S. 2 (12).
A. Die Verwaltung des Gemeinschaftsraumes
383
b) Regel des isoliert-einzelstaatlichen Vollzuges 9 Das Trennungsprinzip geht stillschweigend davon aus, daß jede nationale Verwaltung das Gemeinschaftsrecht grundsätzlich nur in ihrem eigenen Hoheitsbereich vollzieht. Diese Annahme gründet auf dem völkerrechtlichen Souveränitätsprinzip, das die Gründungsverträge der Union für das Verhältnis der Mitgliedstaaten untereinander nicht aufgehoben haben. Folglich sind die Anknüpfungen für das, was dem eigenen Hoheitsgebiet zugerechnet wird, die Anknüpfungen z.B. an den Wohnsitz oder die Belegenheit der Sache, dieselben, wie sie das Internationale Verwaltungsrecht auch sonst auf der Grundlage des Völkerrechts entwickelt hat29. Auch insofern handelt es sich freilich nur um eine Grundregel, von der sich im Gemeinschaftsrecht mehr und mehr Abweichungen finden30. Zutreffend wird eine „entgrenzende“ Wirkung des EG-Rechts festgestellt, die sich auf der Grundlage des Anerkennungsprinzips in einer gemeinschaftsweiten, transnationalen Wirkung der einzelstaatlich getroffenen Vollzugsentscheidungen zeigt31.
2. Das Kooperationsprinzip 10 Der Gemeinschaftsraum kann allerdings – so wird schon hier deutlich – nach einem allein am Trennungsprinzip ausgerichteten Konzept nicht wirksam verwaltet werden. Es bedarf der Ergänzung durch einen Grundsatz der Zusammenarbeit. Erst so wird die notwendige Effektivität des Verwaltungshandelns im Gemeinschaftsraum insgesamt sichergestellt32. Das Kooperationsprinzip findet seine allgemeine primärrechtliche Grundlage in Art. 10 EG. Diese Bestimmung begründet Kooperationspflichten der Mitgliedstaaten nicht nur gegenüber den EG-Organen, sondern sie verpflichtet sie zur Zusammenarbeit auch untereinander. Darüber hinaus legt sie Pflichten der EG-Organe gegenüber den Mitgliedstaaten fest33. Das Kooperationsprinzip gilt also in vertikaler und in horizontaler Hinsicht. Art. 10 EG wird so zum Ausdruck eines allgemeinen Rechtsgrundsatzes, der ein System gegenseitiger Pflichten zu loyaler Zusammenarbeit und 29 30
31
32 33
Neumeyer, Internationales Verwaltungsrecht, Bd. 4, S. 436 ff.; Vogel, Der räumliche Anwendungsbereich der Verwaltungsrechtsnorm, S. 341 ff. Z.B. Inspektionsbefugnisse eines Mitgliedstaates in anderen Mitgliedstaaten im Rahmen von bankaufsichtsrechtlichen Kontrollen nach Art. 15 Abs. 1 der Zweiten Bankrechtskoordinierungsrichtlinie (89/646/EWG), jetzt Art. 29 Abs. 1 der Richtlinie Nr. 12/2000; vgl. auch § 53b Abs. 6 KWG als deutsches Umsetzungsgesetz; Royla, Grenzüberschreitende Finanzmarktaufsicht, S. 98 ff.; David, Inspektionen im Europäischen Verwaltungsrecht, S. 60 f., 122 ff. Dazu E. Klein, in: Starck, Rechtsvereinheitlichung durch Gesetze, S. 117 (140 f.); Ruffert, DV 2001, S. 453 ff.; Schlag, Grenzüberschreitende Verwaltungsbefugnisse, S. 246 ff. Mit Blick auf das Grundgesetz als „horizontale Öffnung des Staates“ bei Hecker, AöR 2002, S. 291 ff. Ebenso Trute, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Grundgesetz, Art. 83 Rn. 68 ff. EuGHE 1990, 3365 (3372); Streinz, in: ders., EUV/EGV, Art. 10 EGV Rn. 47 ff.
384
Siebentes Kapitel: Die Entwicklung eines Europäischen Verwaltungsrechts
Unterstützung umfaßt34. Organisatorisch bleiben die beteiligten Verwaltungen selbständig, funktionell aber sind sie „kodependente Organismen“35. 11 Kooperation erfüllt im Gemeinschaftsrecht mehrere Aufgaben: – Ihre Grundfunktion ist es, den beteiligten Verwaltungen die erforderlichen Informationen zu erschließen (informationelle Kooperation). Hierher gehören der punktuelle und gelegentliche Datenaustausch ebenso wie der Aufbau zentraler Netze36. Besondere Formen sind das Berichtswesen und die Statistik37. Am Kooperationsprinzip wird deutlich, daß die Basis der verwaltungsrechtlichen Systematik heute ein Informationsverwaltungsrecht sein muß (→ 6/3–11). – Kooperation zeigt sich zum zweiten in vielfältigen Formen gegenseitiger Abstimmung und gemeinsamer Verfahrensführung (prozedurale Kooperation). So können z.B. Pflichten gegenseitiger Anerkennung praktisch nicht ohne begleitende Verfahren normiert werden, die für Eil- oder Streitfälle schnell greifende Klärungsmechanismen verfügbar machen38. – Schließlich kann Kooperation in eigens dazu gebildeten Gremien geleistet werden (institutionelle Kooperation). Beispiele dafür sind die Verwaltungsräte der Europäischen Agenturen und das System der Komitologieausschüsse auf der Grundlage des Ratsbeschlusses vom 28.6.199939.
III. Die Schichten des Europäischen Verwaltungsrechts 12 Das dualistische Verwaltungskonzept der Gemeinschaft führt zu einer mehrschichtigen Verwaltungsrechtsordnung, für deren differenzierende Bezeichnung bisher keine einheitliche Begrifflichkeit besteht40. Eine allein auf die Rechtsquellen abhebende Betrachtung erfaßt sie nur unvollständig. Hinzutreten muß eine Orientierung an Rechtsverhältnissen.
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37 38 39 40
Vgl. EuGHE 1986, 29 (81); ferner Mitteilung der Kommission über „Die Entwicklung der Zusammenarbeit der Verwaltungen“ vom 16.2.1994, KOM (94) 29 endg., S. 1; v. Bogdandy, in: Grabitz/Hilf, Europäische Union, Art. 5 EGV Rn. 6 ff.; Kahl, in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, Art. 10 EGV Rn. 23 ff.; Zuleeg, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 10 EG Rn. 1 ff. So Cassese, Staat 1994, S. 25 (26). Dazu v. Bogdandy, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann, Verwaltungsrecht in der Informationsgesellschaft, S. 133 ff.; Sommer, Administrative Informationsverfahren im europäischen Umweltrecht, S. 73 ff. Vgl. VO (EG) Nr. 322/97 des Rates vom 17.2.1997, ABl. Nr. L 52 S. 1. Z.B. im dezentralen Arzneimittelzulassungsverfahren gem. Art. 29–34 der RL 2001/83/ EG. ABl. Nr. L 184 S. 23; Gellermann, in: Streinz, EUV/EGV, vor Art. 250 EGV Rn. 20 ff. Zum folgenden vgl. Schwarze, Europäisches Verwaltungsrecht, Bd. 1, S. 74 ff.; SchmidtAßmann, DVBl 1993, S. 924 ff.; v. Danwitz, Verwaltungsrechtliches System, S. 15 ff.; Hegels, Eigenverwaltungsrecht und Gemeinschaftsverwaltungsrecht, S. 26 ff.; ferner Sommermann, DVBl 1996, S. 889 (insbes. 891); Schwarze, EuR 1997, S. 419 (420 f.).
A. Die Verwaltung des Gemeinschaftsraumes
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1. Das mitgliedstaatliche Verwaltungsrecht 13 Die Basis bildet das nationale Verwaltungsrecht. Die weitaus meisten Verwaltungsvorgänge werden nach wie vor – wenn schon nicht mehr allein, so doch vorrangig – von den mitgliedstaatlichen Verwaltungen unter dem Regime ihres Rechts erledigt. Das nationale Recht ist bisher die einzige umfassend entwickelte Schicht der europäischen Verwaltungsrechtsordnung. Die Dogmen zur verfassungsrechtlichen Stellung der Exekutive, zu ihrer Legitimation, zu ihrer Rechtsbindung und zu ihren Handlungsaufträgen sind hier am klarsten entfaltet. Verwaltungserfahrung und Verwaltungsselbstverständnis finden sich nur hier umgreifend widergespiegelt. Dabei stehen die nationalen Verwaltungsrechtsordnungen nicht beziehungslos nebeneinander. Vorgänge gegenseitiger Beeinflussung lassen sich bis in das 19. Jahrhundert zurückverfolgen41 und haben, z.B. in der Ausprägung des Verwaltungsrechtsschutzes, zur Bildung von Rechtsfamilien geführt42. Heute veranlassen die gemeinsamen Herausforderungen der Verwaltungsmodernisierung dazu, aufeinander zu achten und voneinander zu lernen43. Für das EG-Recht ist das nationale Verwaltungsrecht ein unverzichtbarer Fundus von Regelungsmodellen und das wichtigste Medium der Umsetzung in allen denjenigen Fällen, in denen die Gemeinschaft selbst keine direkt vollziehbaren Normen geschaffen hat. Dies rechtfertigt es, das nationale Verwaltungsrecht auch begrifflich in das System des Europäischen Verwaltungsrechts im weiteren Sinne einzubeziehen. Demgegenüber bezeichnet das Europäische Verwaltungsrecht im engeren Sinne diejenigen Schichten der europäischen Verwaltungsrechtsordnung, die nach ihrem Rechtscharakter EG-Recht darstellen: das Eigenverwaltungsrecht und das Gemeinschaftsverwaltungsrecht.
2. Das Eigenverwaltungsrecht der EG-Administration 14 Dieses ist das Recht, nach dem die EG-Organe ihre eigenen administrativen Tätigkeiten ausüben. In der Literatur wird das Eigenverwaltungsrecht als Recht des direkten Vollzuges bezeichnet44. Das scheint jedoch angesichts vielfältiger Verwaltungsaktivitäten, in denen die Gemeinschaft keineswegs nur fertige Rechtsprogramme vollzieht, zu eng. Das gilt z.B. für Statistik, Informationstätigkeit und den Aufbau administrativer Netzwerke. Sie sind „rechtsdirigierte“, im übrigen aber gestaltende Vorgänge, für die u.U. auch auf die Formen des Privatrechts zurückgegriffen wird. Das Eigenverwaltungsrecht ist eine eigenständige Rechtsschicht, die durch die Ausdifferenzierung der EG-Administration mehr und mehr eigene Konturen erhalten hat. 41 42 43 44
Dazu Heyen, in: Jahrbuch für Europäische Verwaltungsgeschichte 1996, S. 163 ff.; Schmidt-Aßmann, in: FS für Lerche, S. 513 (517). Allg. zu Rechtsfamilien im öffentlichen Recht Grote, AöR 2001, S. 10 ff. Vgl. Ruffert, in: Schmidt-Aßmann/Hoffmann-Riem, Methoden der Verwaltungsrechtswissenschaft, S. 165 ff. Schwarze, Europäisches Verwaltungsrecht, Bd. 1, S. 25 ff.
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Siebentes Kapitel: Die Entwicklung eines Europäischen Verwaltungsrechts
– Es ist zum einen Organisationsrecht. Hierher zählen die Vorschriften über den Aufbau und die Funktionsweise der Kommission (Art. 213, 217–219 EG), ferner die Geschäftsordnungen und interinstitutionellen Vereinbarungen sowie die zahlreichen Verordnungen und Einsetzungsbeschlüsse, die die Basis für die selbständigen Verwaltungseinheiten der EG bilden (→ 7/4). Dabei zeigt sich in neuerer Zeit das Bemühen, von vorfixierten Organisationstypen auszugehen45. Systematisch sind hierher ferner das Haushaltsrecht und das Dienstrecht der Gemeinschaft, repräsentiert durch die auf Art. 279 EG gestützte Haushaltsordnung46 und das auf Art. 283 EG gegründete Beamtenstatut47, zu rechnen. – Das Eigenverwaltungsrecht hat ferner ein eigenes Handlungsrecht ausgebildet. Hierher gehören vor allem diejenigen Vorschriften, die die EG-Verwaltung zu direktem Handeln gegenüber dem Gemeinschaftsbürger befähigen und dieses Handeln ordnen. Einige wichtige Regelungen treffen die Gründungsverträge selbst: Hier haben die Rechtsformen der Verordnung und der Entscheidung ihren Platz (Art. 249 Abs. 2 und 4 EG)48. Andere Teile des Handlungsrechts, z.B. das Recht des Verwaltungsverfahrens, sind in allgemeiner Form bisher nicht kodifiziert, werden aber durch richterrechtlich entwickelte allgemeine Rechtsgrundsätze erfaßt49. Für einzelne Fachgebiete bestehen darüber hinaus eigene Teilregelungen. Bekannte Beispiele bilden das Kartell- und das Antidumpingrecht; aber auch das Recht der zentralisierten Arzneimittelzulassung gehört hierher50. 15 Ursprünglich betraf das Eigenverwaltungsrecht nur die wenigen administrativen Aktivitäten einer auf Kernaufgaben beschränkten Zentralverwaltung. Diese Situation hat sich jedoch geändert: In traditionellen Gebieten der Eigenverwaltung ist die Entscheidungsfolge dichter geworden, so z.B. im Beihilfeaufsichtsrecht. Andere Gebiete wie das Markenschutz- und das Sortenrecht sind (partiell) in Eigenverwaltung genommen worden51. Ein eigenständiges Kapitel stellt die Forschungsförderung der Gemeinschaft dar, die ebenfalls in Expansion begriffen ist52. Praktisch ist kaum ein Rechtsbereich vorstellbar, in dem neben der Rechtsetzung nicht auch eigene Verwaltungsentscheidungen der Gemeinschaft ergehen. Das kann an den Erscheinungen der zentralisierten Entscheidungen und der Inspektionen vor Ort verdeutlicht werden: Zentralisierte Entscheidungen folgen mit einer gewissen verwaltungspolitischen Notwendigkeit aus den Koordinationsaufgaben, die der Kommission in harmonisierten Bereichen zufallen. Ihre Genese 45 46
47 48 49 50 51 52
Z.B. VO (EG) Nr. 58/2003 des Rates zur Festlegung des Statuts der Exekutivagenturen vom 19.12.2002, ABl. 2003 Nr. L 11 S. 1. VO (EG, Euratom) Nr. 1605/2002 des Rates vom 25.6.2002, ABl. Nr. L 248 S. 1 sowie VO (EG, Euratom) Nr. 2342/2002 der Kommission vom 23.12.2002 mit Durchführungsbestimmungen zur HaushaltsO, ABl. Nr. L 357 S. 1. VO (EWG, Euratom, EGKS) Nr. 259/68. Vgl. v. Bogdandy/Bast/Arndt, ZaöRV 2002, S. 77 ff. Dazu Schwarze, Europäisches Verwaltungsrecht, Bd. 2, S. 1135 ff. VO (EWG) Nr. 2309/93. VO (EG) Nr. 40/94 über die Gemeinschaftsmarke; VO (EG) Nr. 2100/94 über den gemeinschaftlichen Sortenschutz. Dazu Pfeiffer, Forschungs- und Technologiepolitik der EG, S. 145 ff.
A. Die Verwaltung des Gemeinschaftsraumes
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verläuft eher unmerklich über die Stufen der Beanstandungsbefugnis, des Stichentscheids in Fällen widersprechender dezentraler Entscheidungen und schließlich der Schaffung zentralisierter Verfahren. Die Entwicklung läßt sich am Arzneimittelrecht, in dem dezentralisierte mitgliedstaatliche Entscheidungen und zentralisierte Verwaltungsentscheidungen der Gemeinschaft nebeneinander stehen, recht gut nachzeichnen53. Auch die Tatbestände, in denen Beamte der Gemeinschaft zu Inspektionen vor Ort ermächtigt werden, sind häufiger geworden54. Traditionell im Kartellrecht sowie bei der Lebensmittel- und Veterinäraufsicht55 bekannt, erfassen sie heute mit dem Ziel eines Schutzes der finanziellen Gemeinschaftsinteressen weite Bereiche der Förderverwaltung und haben in der Verordnung 2185/96, der sog. Kontrollverordnung, eine kodifizierte Fassung gefunden56. 16 Der Ausbau der EG-Eigenverwaltung hat zu Regelungsbedürfnissen geführt, die sonst Standardverwaltungen kennzeichnen: Ein eigenes Vergabewesen macht ein Vergaberecht notwendig57. Der Aufbau großer Daten- und Aktenbestände verlangt es, die Fragen des Datenschutzes58, aber auch die Frage des Zugangs der Öffentlichkeit zu Informationen der EG-Eigenverwaltung59 gründlicher zu regeln. Interessant ist, daß die in jüngerer Zeit dazu erlassenen Vorschriften häufig auf die parallelen Richtlinien verweisen, mit denen die Gemeinschaft den Mitgliedstaaten für ihre eigenen Verwaltungen entsprechende Regelungen vorgegeben hat. Dahinter steht erkennbar die Vorstellung, daß sich die Erwartungen der Bevölkerung von dem, was Verwaltungen zu leisten und wie sie vorzugehen haben, gemeinschaftsweit und auf allen Ebenen der Verwaltung des Gemeinschaftsraumes annähern (→ 7/25). 53
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Dezentralisiertes Arzneimittelzulassungsverfahren gem. RL 2001/83/EG; zentralisiertes Verfahren gem. VO (EWG) Nr. 2309/93; vgl. auch Collatz, Europäische Arzneimittelzulassungsverfahren. Zum Lebensmittelrecht Wahl/Groß, DVBl 1998, S. 2 (8 ff.); Groß, Produktzulassung von Novel Food. Ausführlich und systematisch dazu jetzt David, Inspektionen im Europäischen Verwaltungsrecht, S. 30 ff.; Sommer, Administrative Informationsverfahren im europäischen Umweltrecht, S. 150 ff. Vgl. Knipschild, Lebensmittelsicherheit, S. 213 f. David, Inspektionen im Europäischen Verwaltungsrecht, S. 95 ff. Siehe nunmehr die ausführlichen Regelungen in Art. 88–107 der Haushaltsordnung VO (EG, Euratom) Nr. 1605/2002 und Art. 116–159 der VO (EG, Euratom) Nr. 2342/2002 der Kommission mit Durchführungsbestimmungen zur HaushaltsO. Vgl. den durch den Vertrag von Amsterdam eingefügten Art. 286 EG; nunmehr in enger Anlehnung an die Datenschutzrichtlinie 95/46/EG VO (EG) Nr. 45/2001 vom 18.12.2000 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten durch die Organe und Einrichtungen der Gemeinschaft und zum freien Datenverkehr, ABl. 2001 Nr. L 8 S. 1; hierzu Kingreen, in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, Art. 286 EGV Rn. 3 f. Seit dem Vertrag von Amsterdam Art. 255 EG; hierauf gestützt VO (EG) Nr. 1049/2001 vom 30.5.2001, ABl. Nr. L 145 S. 43; dazu Heitsch, Verordnung über den Zugang zu Dokumenten; Riemann, Transparenz der EU. Siehe auch „Bericht der Kommission über die Anwendung der Grundsätze der Verordnung (EG) Nr. 1049/2001“ vom 30.1.2004, KOM (2004) 45 endg.
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Siebentes Kapitel: Die Entwicklung eines Europäischen Verwaltungsrechts
3. Das Gemeinschaftsverwaltungsrecht 17 Mit diesem Begriff lassen sich die kraft Gemeinschaftsrechts in allen oder für alle Mitgliedstaaten verbindlichen Verwaltungsrechtsregeln der EG bezeichnen. Vom Eigenverwaltungsrecht ist es zu trennen, weil es sich unmittelbar oder mittelbar auf das Handeln nationaler Verwaltungen bezieht. Es hat damit einen in seinen Legitimationsgrundlagen, Traditionen und Strukturen anders geprägten Adressaten vor Augen (→ 7/5). Ihm vor allem hat bisher das wissenschaftliche Interesse der Dogmatik gegolten. Ein wichtiges Regelungsziel des Gemeinschaftsverwaltungsrechts ist es, den wirksamen Vollzug des EG-Rechts gemeinschaftsweit sicherzustellen (→ 7/21 f.). Diesem Ziel dienen neben zahlreichen rechtspraktischen Regelungen die richterrechtlich entwickelten Dogmen der unmittelbaren Wirkung, des Vorrangs und der Einheitlichkeit des Gemeinschaftsrechts60. Noch wichtiger aber ist die Bedeutung des Gemeinschaftsverwaltungsrechts als Mittel gemeinschaftsweiter Rechtsinnovation. Der erweiterte Kreis der Gemeinschaftspolitiken (Art. 3 EG), z.B. die Sozial- und die Umweltpolitik, führt zu neuen Verwaltungsaufgaben, für die neue Rechtskonzepte entwickelt worden sind. Das Verwaltungsrecht der Mitgliedstaaten steht folglich unter einem ständigen Anpassungszwang, der vor allem durch Richtlinien nach Art. 249 Abs. 3 EG ausgelöst wird. Die wissenschaftlichen Diskussionen um die „Europäisierung“ des deutschen Verwaltungsrechts haben das Ausmaß dieser Entwicklung aufgezeigt (→ 1/51–60)61.
4. Das Verwaltungskooperationsrecht 18 Wie die Verwaltung des Gemeinschaftsraumes nur in einem Zusammenwirken der EG-Administration mit den mitgliedstaatlichen Verwaltungen bestehen kann (→ 7/10–11), so existieren nationales Verwaltungsrecht, Eigenverwaltungsrecht und Gemeinschaftsrecht nicht unverbunden nebeneinander. Entscheidend ist vielmehr das Zusammenspiel der Rechtsregime, die das Handeln der Kooperationspartner bestimmen. Zur Bezeichnung dieser Zwischenschicht wird hier der Begriff des Verwaltungskooperationsrechts genutzt 62. Von seinem Rechtscharakter her ist das Kooperationsrecht keine neue, vierte Kategorie. Vielmehr verbinden sich in ihm Akte unterschiedlicher Rechtsschichten. Das wird 60
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Std. Rspr. seit EuGHE 1963, 1 (25); EuGHE 1964, 1251 (1269 ff.); EuGHE 1973, 101 (113); dazu v. Danwitz, Verwaltungsrechtliches System, S. 104 ff.; Streinz, Europarecht, Rn. 168 ff. und 470 ff.; Jarass/Beljin, NVwZ 2004, S. 1 ff. Vgl. nur die Beiträge in: Schwarze, Verwaltungsrecht unter europäischem Einfluß; Scheuing, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann, Innovation und Flexibilität, S. 289 ff.; zur französischen Diskussion die Beiträge in: AJDA Numéro Spécial 1996, Droit administratif et droit communautaire. Dazu Schmidt-Aßmann, EuR 1996, S. 270 ff.; Streinz, WiVerw 1996, S. 129 (140 ff.); Pitschas, in: Schmidt-Aßmann/Hoffmann-Riem, Europäisches Verwaltungsrecht, S. 123 (130 ff.); vgl. auch v. Danwitz, dort S. 171 (182 ff.). Für die polizeiliche Zusammenarbeit nach Art. 29–42 EU auch Hecker, EuR 2001, S. 826 ff.
A. Die Verwaltung des Gemeinschaftsraumes
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deutlich, wenn zwischen vertikaler und horizontaler Kooperation unterschieden wird: – Die vertikale Kooperation zwischen Mitgliedstaaten und EG-Verwaltungsstellen hat ihre normativen Grundlagen im EG-Recht, das von einer zweiseitigen Pflichtenbindung ausgeht (→ 7/10). Die konkreten Kooperationshandlungen der beteiligten Verwaltungen können auf unterschiedlichen Rechtsgrundlagen beruhen und besitzen unterschiedliche Rechtsqualität: Die EG-Verwaltungsstellen handeln auf Grund des Eigenverwaltungsrechts. Die Handlungen nationaler Stellen können auf direkt anwendbarem EG-Recht, auf vergemeinschaftetem nationalen Recht, aber auch auf sonstigem nationalen Recht beruhen. Sie sind in ihrer Rechtsqualität Akte nationalen Rechts. – Die horizontale Kooperation zwischen den mitgliedstaatlichen Verwaltungen hat ihre allgemeinen normativen Grundlagen ebenfalls im EG-Recht. Die einzelnen Kooperationshandlungen können sich auf direkt anwendbares Gemeinschaftsverwaltungsrecht oder auf gemeinschaftsrechtlich vereinheitlichtes oder auf sonstiges nationales Recht stützen; auch zwischen den Mitgliedstaaten geschlossene Verträge und sonst getroffene Vereinbarungen kommen in Betracht63. Die einzelnen Kooperationsbeiträge der beteiligten mitgliedstaatlichen Verwaltungen bleiben unbeschadet ihrer Rechtsgrundlagen solche nationalen Rechts. Sie sind auch dann, wenn sie sich auf EG-Recht stützen und auf Rechtsverhältnisse in anderen Mitgliedstaaten auswirken, keine supranationalen Rechtsakte. 19 Mit dem Kooperationsrecht wird innerhalb der Diskussion um das Europäische Verwaltungsrecht eine andere als die übliche Perspektive gewählt: Stehen bisher die Einwirkungen des EG-Rechts auf das nationale Verwaltungsrecht im Zentrum, so geht es dem Kooperationsrecht darum, die neuen, auf praktische Zusammenarbeit angelegten Verwaltungsstrukturen zu beleuchten (→ 1/61–63). Gerade an den Schnittstellen, an denen die Handlungen der beteiligten mitgliedstaatlichen Verwaltungen und der EG-Verwaltungsstellen aufeinanderstoßen, entwickeln sich spezifische Rechtsinstitute und Rechtsprobleme, weil im Kooperationsrahmen die einzelnen Beiträge niemals vollständig isoliert betrachtet werden dürfen. Dieser integrative Charakter der Kooperation setzt sich in spezifischen Rechtsproblemen fort, auf die das Kooperationsrecht aufmerksam machen soll. Nicht nur die rechtliche Ordnung der einzelnen Beiträge, sondern auch die Strukturierung ihrer Abstimmung sowie die Beachtung ihrer Vor- und Nachwirkungen im gemeinsamen Handlungsrahmen sind Gegenstand des Verwaltungskooperationsrechts.
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Vgl. Bücker/Schlacke, in: Joerges/Falke, Ausschußwesen der EU, S. 161 (234 f.): „transnationale Verwaltungsvereinbarungen“.
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Siebentes Kapitel: Die Entwicklung eines Europäischen Verwaltungsrechts
IV. Die Bedeutung des Rechts als Integrationskraft 20 Für die Verwaltung des Gemeinschaftsraumes ist das Recht von herausragender Bedeutung. Recht vollzieht die politischen, ökonomischen und sozialen Entwicklungen in Europa nicht nur nach, sondern soll selbst als Integrationsmittler wirken64. Die Gemeinschaft war von Anfang an auf eine „Integration durch Recht“ deshalb so zentral angewiesen, weil ihr die klassischen Integrationsfaktoren nationaler Staatsbildung nicht zur Verfügung standen65. Für die verwaltungsrechtliche Betrachtung stand bisher die technisch-instrumentelle Seite im Vordergrund (1). Notwendig erscheint es künftig jedoch, ebenso die wertmäßigintegrativen Komponenten herauszuarbeiten (2)66 und auf einheitliche Standards verläßlichen Verwaltens in den beteiligten Exekutiven des europäischen Verwaltungsverbundes zu achten (3).
1. Die Gewährleistung wirksamen Vollzuges 21 Das vom Vorrang des einzelstaatlichen Vollzugs bestimmte Konzept der Verwaltung des Gemeinschaftsraumes muß auf die Gewährleistung der praktischen Wirksamkeit des Rechts besonderes Gewicht legen. Dieser Gesichtspunkt der Wirksamkeit (effet utile) hat die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs in Verwaltungsrechtssachen zutreffenderweise von Anfang an geleitet67. Abstimmungs- und Rücksichtnahmepflichten müssen rechtlich abgesichert werden, um hinreichend verläßlich, transparent und gegebenenfalls durchsetzbar zu sein. Vor allem aber darf unterschiedliches mitgliedstaatliches Recht, auf das die nationalen Verwaltungen bei der Anwendung des EG-Rechts regelmäßig zurückgreifen müssen, die Wirksamkeit der Umsetzung nicht beeinträchtigen. Zwischen dem immer wieder betonten „Grundsatz der institutionellen und verfahrensrechtlichen Eigenverantwortlichkeit der Mitgliedstaaten“68 und dem Wirksamkeitsgebot besteht ein ähnlich labiles Gleichgewicht wie zwischen dem Vorrang des dezentralen Vollzuges und der Ausbildung einer gemeinschaftseigenen Verwaltungsorganisation (→ 7/8). 22 Der Gefahr, daß unterschiedliches Verfahrensrecht der Mitgliedstaaten den gleichmäßigen, wirksamen Vollzug des EG-Rechts verhindert, wirkt die Rechtsprechung mit einer Koordinationsregel entgegen, die in ihrer ursprünglichen Fassung eine doppelte Verbotsformel darstellt69: Als „Diskriminierungs64 65 66 67 68 69
Vgl. die Darstellung der Argumentationslinien bei v. Bogdandy, Staat 2001, S. 3 (19 ff.). Dazu Gaja/Hay/Rotunda, in: Cappelletti/Seccombe/Weiler, Integration through Law, Bd. 2, S. 113 ff. Ähnlich v. Bogdandy, in: ders., Europäisches Verfassungsrecht, S. 149 mit der Einforderung einer „Europäischen Prinzipienlehre“. Vgl. nur EuGHE 1983, 2633 (2665 ff.); Nettesheim, in: GS für Grabitz, S. 447 ff. Vgl. Rodríguez Iglesias, EuGRZ 1997, S. 289 ff.; Schoch, in: FG 50 Jahre Bundesverwaltungsgericht, S. 507 (509 ff.); Streinz, in: ders., EUV/EGV, Art. 10 EGV Rn. 25 ff. EuGHE 1976, 1989 (1998) und 1983, 2633 (2665 ff.); ferner EuGHE 1995, 4599 (4620 f.); vgl. Schwarze, Europäisches Verwaltungsrecht, Bd. 2, S. 1058 ff. (insbes. 1062 f.); Streinz, in: Schweitzer, Europäisches Verwaltungsrecht, S. 240 (264 ff.).
A. Die Verwaltung des Gemeinschaftsraumes
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verbot“ untersagt sie, das beim Vollzug des EG-Rechts praktizierte Verfahren in einer Weise zu führen, die Gemeinschaftsinteressen gegenüber gleichartigen, rein innerstaatlichen Sachverhalten in gleichheitswidriger Weise zurücksetzt. Als „Vereitelungsverbot“ steht sie einer Anwendung des nationalen Verfahrensrechts entgegen, die die Durchführung des EG-Rechts praktisch unmöglich macht oder übermäßig erschwert. In dieser Verbotsfassung gewährleistet die Koordinierungsregel systematisch konsequent eine Grundharmonisierung der mitgliedstaatlichen Vollzugspraxis in all denjenigen Fällen, in denen die Gemeinschaft den politisch schwierigeren Weg einer weiterreichenden Rechtsharmonisierung durch Schaffung eigener Vollzugsvorschriften nicht eingeschlagen hat. Es muß daher bedenklich stimmen, wenn der Europäische Gerichtshof die Verbotsfassung der Koordinierungsregel in eine Gebotsformel ummünzt70. Kritikwürdige Beispiele dafür bieten die Urteile vom 25.7.1991 („Emmott“) und vom 14.12.1995 („Peterbroeck“)71. Die anerkannte Stellung von Klagefristen und Präklusionsvorschriften in den mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen ist hier durch eine allein auf technische Vollzugsrationalität ausgerichtete Rechtsprechung erschüttert worden72.
2. Die Vermittlung gemeinsamer Wertannahmen 23 So wichtig ein wirksamer Vollzug des Gemeinschaftsrechts ist, so läßt sich die geforderte normative Qualität mit einer technisch-instrumentellen Ausrichtung der einschlägigen Rechtsvorschriften allein nicht erreichen. Die Vollzugsrationalität droht vielmehr zu einer unbeherrschbaren Formel zu werden, die sich über die Erkenntnis hinwegsetzt, daß Recht es immer auch mit Maß und Mäßigung zu tun hat (→ 2/23). Übersteigerte Vereinheitlichungsforderungen verschütten den Erfahrungsschatz, über den die mitgliedstaatlichen Verwaltungsrechtsordnungen verfügen. Ein Europäisches Verwaltungsrecht, das mehr ist als die Summe der europäisierten nationalen Rechtsordnungen, kann jedoch nur gemeinsam entwickelt werden73. Dazu genügt es nicht, daß Rechtsgedanken und Rechtsinstitute aus den Mitgliedsländern in das vereinheitlichende Verordnungsund Richtlinienrecht eingearbeitet werden. So wichtig diese Einflüsse des einzelstaatlichen Verwaltungsrechts sind, so muß doch die Bereitschaft des EG-Rechts hinzukommen, Eigenheiten der mitgliedstaatlichen Verwaltung und ihres Rechts auch im einzelnen Anwendungsvorgang zu akzeptieren. Das nationale Recht widersetzt sich der Vereinheitlichung regelmäßig nicht aus bloßem Beharrungsinteresse. Oft sind es vielmehr ähnliche Überlegungen, wie sie das EG-Recht selbst für das Handeln der eigenen Verwaltung durchaus anerkennt. Noch deutlicher unterstreicht das Kooperationsprinzip, indem es die Verwaltung des Gemein70 71 72 73
Scheuing, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann, Innovation und Flexibilität, S. 289 (308); v. Danwitz, UPR 1996, S. 323 (327 f.). EuGHE 1991, 4269 und 1995, 4599; vgl. auch EuGHE 1999, 2517 („Ciola“). v. Danwitz, UPR 1996, S. 323 (325 f.); abwägend Röhl/Ladenburger, Materielle Präklusion, S. 71 ff. v. Danwitz, Verwaltungsrechtliches System, S. 394 ff.
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Siebentes Kapitel: Die Entwicklung eines Europäischen Verwaltungsrechts
schaftsraumes als gemeinsame Aufgabe herausstellt (→ 7/10), die Bedeutung gemeinsamer rechtlicher Grundannahmen, die aus gemeinsamen Erfahrungen gewonnen sind. 24 „Integration durch Recht“ als eine qualitative Leistung gelingt nur, wenn ein Europäisches Verwaltungsrecht drei Anforderungen genügt: – Es muß die in den mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen existierenden Lösungsmodelle beachten und dort, wo um eines einheitlichen Vollzuges willen Strukturveränderungen im nationalen Recht verlangt werden sollen, Gesichtspunkte technischer Vollzugsrationalität und wertmäßig-integrative Elemente, die sich im mitgliedstaatlichen Recht ausdrücken, gegeneinander abwägen: Abwägungsthese. – Es muß die innere Stimmigkeit seiner Systemteile gewährleisten. Insbesondere darf es keine gravierenden Wertungsunterschiede zwischen dem Eigenverwaltungsrecht und dem Gemeinschaftsverwaltungsrecht geben. Beide Rechtsschichten haben es mit vergleichbaren Herausforderungen zu tun. Das Verwaltungsrechtsverständnis in der Gemeinschaft ist einheitlich und unteilbar: Parallelisierungsthese. – Es muß das Verwaltungshandeln über ein bloßes Vollzugsdenken hinausführen und eine kommunikative Komponente entwickeln. Dazu ist vor allem das Verwaltungsverfahren als Forum umfassender Interessenklärung z.B. in den Fragen des Datenschutzes, der Aktenöffentlichkeit und der ressourcenbezogenen Folgenprüfungen auszubauen: Modernisierungsthese.
3. Standards verläßlichen Verwaltens 25 Wenn die Verwaltungen der Mitgliedstaaten und der Gemeinschaft mehr und mehr zu einem Verwaltungsverbund zusammenwachsen (→ 1/63), dann muß künftig noch eine dritte Komponente der Integrationskraft des Rechts herausgearbeitet werden: Standards verläßlichen Verwaltens. Der wirksame Vollzug des EG-Rechts ist bisher vor allem durch Anforderungen an die Vollzugseignung des nationalen Rechts zu sichern gesucht worden. Unter den Bedingungen vertikaler und horizontaler Verwaltungskooperation muß heute aber ebenso die Realität der Rechtsanwendung in den beteiligten Verwaltungen interessieren. Kooperation zwischen den Exekutiven läßt sich nur dort verlangen, wo sich jeder Kooperationspartner darauf verlassen kann, daß auch die anderen nach vergleichbaren Sorgfalts-, Unbefangenheits- und Verläßlichkeitsstandards verfahren. Anders ist das notwendige interadministrative Vertrauen nicht zu gewinnen. Die automatische gegenseitige Anerkennung administrativer Akte, die ein Kernelement der horizontalen Kooperation ist, hängt nicht nur von der Existenz eines einheitlichen Rechtsrahmens, sondern mehr noch davon ab, daß alle beteiligten Verwaltungen verläßlich arbeiten. Andernfalls besitzt der gesamte Verwaltungsverbund eine offene Flanke. Die entsprechenden Standards lassen sich nicht dekretieren; sie müssen sich entwickeln. Aber das Recht kann dazu mittelbar beitragen, indem es Anreize und Sanktionen, z.B. Haftungs- und Aufsichtsinstrumente zur Verfügung stellt.
B. Gemeinsame verfassungsrechtliche Grundannahmen
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B. Gemeinsame verfassungsrechtliche Grundannahmen 26 Um diesen Anforderungen nachkommen zu können, muß die Systematik des Europäischen Verwaltungsrechts in ähnlicher Weise an verfassungsrechtlichen Vorgaben ausgerichtet werden, wie das für das nationale Verwaltungsrecht gilt (→ 1/17-29; 2/1, 6). Der verfassungsrechtliche Zugang gibt Orientierung an Grundlinien und öffnet den Blick für längerfristige Entwicklungen. Zur „Verfassung“ der Europäischen Union sind dabei nicht nur die Gründungsverträge, sondern auch diejenigen Rechtsgrundsätze zu rechnen, die den mitgliedstaatlichen Verfassungsordnungen entstammen und diesen dauerhaften Einfluß auf die Ausbildung des Gemeinschaftsrechts sichern (vgl. Art. 6 EU). Es geht um einen Verfassungsverbund 74. 27 Die beiden Rechtskreisen entnommenen grundlegenden Konstitutionsregeln der Union lassen sich als Verfassung verstehen, obwohl unsicher ist, ob die „neue Stufe bei der Verwirklichung einer immer engeren Union der Völker Europas“, die Art. 1 des Unionsvertrages beschreibt, jemals zu einer europäischen Staatlichkeit überkommener Prägung führen wird. Der Begriff der Verfassung ist nicht auf den Nationalstaat festgelegt. Er eignet sich auch dazu, den rechtlichen Rahmen hochintegrierter politischer Gefüge zu bezeichnen, die die Ebenen der Union, der Mitgliedstaaten, der Regionen und der lokalen Einheiten differenziert einander zuordnen und die Souveränitätsfrage offen lassen75. Entscheidungsbefugnisse und Folgepflichten müssen diesen Ebenen nicht notwendig in großen Kompetenzblöcken zugewiesen werden; sie können auch feineren Verteilungsregeln folgen: „Regieren in Mehrebenensystemen“76. Das Analysekonzept des Mehrebenensystems weist die Europäische Union als ein Gefüge aus, „das sich aus nationalstaatlichen und europäischen Institutionen zusammensetzt, die sich nur noch in Relation zueinander konstituieren“77. Das gilt auch für die Konstitutionsprinzipien78. Gerade die Verflochtenheit ihrer Rechtsquellen macht das Wesen der Unionsverfassung aus. Dem realen Verwaltungsverbund entspricht ein normativer Verfassungsverbund. Die zur Verwaltung des Gemeinschaftsraumes notwendigen administrativen Verflechtungen erhalten durch diese Verfassung ihre normative Absicherung, Ausrichtung und Begrenzung. Die Verfassungsent74
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Dazu Pernice, VVDStRL Bd. 60, S. 148 (163 ff.); Beutler, in: von der Groeben/ Schwarze, Art. 6 EU Rn. 7 ff.; Grabenwarter, in: v. Bogdandy, Europäisches Verfassungsrecht, S. 283 (335 ff.). Vgl. Schuppert, StWuStPr 1994, S. 35 (53 ff.); Frowein, EuR 1995, S. 315 ff.; Oeter, ZaöRV 1995, S. 659 (678 ff.); differenzierend Möllers, in: v. Bogdandy, Europäisches Verfassungsrecht, S. 1 (18 ff.). Dazu Jachtenfuchs/Kohler-Koch, in: dies., Europäische Integration, S. 11 ff.; v. Bogdandy, Supranationaler Föderalismus; Möllers, Gewaltengliederung, i.E., §§ 6 und 8. Zürn, PVS 1996, S. 27 (36 f.). Vgl. Ress, in: FS für Winkler, S. 897 (928): Drei-Ebenen-Konzept aus nationalem Verfassungsrecht, EG-Recht und EMRK.
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Siebentes Kapitel: Die Entwicklung eines Europäischen Verwaltungsrechts
scheidungen für Rechtsstaatlichkeit und Demokratie, für Effizienz und Subsidiarität, die bereits in der Präambel des Unionsvertrages anklingen und die in den folgenden Bestimmungen weiter ausgeformt sind79, bilden den Rechtsboden des Europäischen Verwaltungsrechts, das unbeschadet aller Anpassungsschwierigkeiten des mitgliedstaatlichen Rechts als gemeinsames Recht zu entwickeln ist (→ 7/46–52).
I. Elemente des Rechtsprinzips 28 Die Gemeinschaft ist als Rechtsgemeinschaft gegründet und in den Verträgen entsprechend ausgestattet worden (→ 2/2, 6). Die strukturellen Parallelen zu den Elementen des Rechtsstaatsprinzips liegen auf der Hand: Gerichtsschutz, Regeln funktionsbestimmter Machtverteilung, Grundrechtsgewährleistungen und rechtssichernde Form- und Verfahrensvorschriften sind Kernbestandteile des gemeinschaftsrechtlichen Rechtsprinzips80. Der sachliche Gehalt im einzelnen muß freilich unter den Gegebenheiten eines Mehrebenensystems eigenständig bestimmt werden. Die Inhalte der entsprechenden mitgliedstaatlichen Garantien lassen sich nicht einfach übernehmen. Hier wirken auch die unterschiedlichen historischen Ausgangssituationen nach: Während sich das nationale Verwaltungsrecht in der Auseinandersetzung mit der Exekutive als einer vorhandenen und ausgreifend zuständigen Staatsgewalt entwickelte, mußte es beim Ausbau des EG-Verwaltungsrechts zunächst darum gehen, administratives Handeln eines neu ins Leben gerufenen „Zweckverbandes funktioneller Integration“ (Ipsen)81 überhaupt erst zuzulassen. Heute gilt freilich als einheitliche Linie der gemeinschaftsrechtlichen und der deutschen rechtsstaatlichen Gewährleistungen, daß sie hoheitliches Handeln nicht nur eingrenzen und disziplinieren, sondern ebenso ermöglichen und konstituieren sollen. Der Doppelauftrag des Verwaltungsrechts (→ 1/30–32) bestimmt beide Rechtsordnungen gleichermaßen.
1. Gerichtsschutz 29 Eine zentrale Stellung hat das Gemeinschaftsrecht von vornherein den Gerichten zugewiesen82. Entsprechende Vorkehrungen gab es bereits in der ursprünglichen Fassung der Gründungsverträge. Dabei war von vornherein auch der Individualrechtsschutz durch eine Kontrollinstanz, die alle Unabhängigkeitsmerkmale besitzt und im vollen Sinne „Dritte Gewalt“ ausübt, in den Blick 79
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Vgl. nur v. Bogdandy, in: ders., Europäisches Verfassungsrecht, S. 149 (163 ff.). Zu den davon umgriffenen Zielen der Effizienz und der Bürgernähe Blanke/Kuschnick, DÖV 1997, S. 45 ff. Zum folgenden auch Hofmann, in: Hofmann/Marko/Merli/Wiederin, Rechtsstaatlichkeit, S. 321 ff. Europäisches Gemeinschaftsrecht, § 8 Rn. 24 ff. Dazu Rengeling/Middeke/Gellermann, Rechtsschutz in der EU, § 1 Rn. 5 ff.
B. Gemeinsame verfassungsrechtliche Grundannahmen
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genommen worden. In diesem wichtigen Punkt steht das EG-Recht dem deutschen Konzept eines justizstaatlichen Verwaltungsrechtsschutzes durchaus nahe. Art. 225, 225a EG haben diese Tendenz durch Schaffung eines Instanzenzuges für den Individualrechtsschutz verstärkt. Das Gericht erster Instanz ist vor allem das „Verwaltungsgericht“ der Gemeinschaft. 30 Art. 220 EG ist anders als Art. 19 Abs. 4 GG keine Generalklausel des Verwaltungsrechtsschutzes. Trotzdem hat er mehr als nur eine deklaratorische Bedeutung. Er bietet einer systematischen Interpretation die Möglichkeit der Lückenschließung. Die Gemeinschaft ist danach eine Rechtsgemeinschaft derart, „daß weder die Mitgliedstaaten noch die Gemeinschaftsorgane der Kontrolle darüber entzogen sind, ob ihre Handlungen im Einklang mit der Verfassungsurkunde der Gemeinschaft, dem Vertrag, stehen“83. In einem zweiten Schritt hat der Europäische Gerichtshof die gemeinschaftsrechtliche Garantie des Verwaltungsrechtsschutzes auf das Verwaltungshandeln der Mitgliedstaaten bei der Anwendung des sekundären Gemeinschaftsrechts erstreckt84. Zutreffend wird dabei auch an die den Mitgliedstaaten gemeinsamen Verfassungsgrundsätze angeknüpft, wie sie für den Rechtsschutz in Art. 6 und 13 EMRK niedergelegt sind. Art. 47 der Grundrechtecharta fügt diese beiden Garantien zu einem Justizgrundrecht auf einen wirksamen Rechtsbehelf und ein unparteiisches Gericht zusammen, das gegenüber gemeinschaftlichem und mitgliedstaatlichem Verwaltungshandeln im Anwendungsbereich des Gemeinschaftsrechts gilt (Art. 51). Gerade hier zeigt sich die Verflochtenheit der Verfassungsvorgaben des Europäischen Verwaltungsrechts. Die einzelnen Schutzstandards sind ähnlich, aber nicht identisch mit denen des deutschen Rechts85: Während das EG-Recht in den Fragen der Klagebefugnis einen umfassenderen Ansatz verfolgt, verzichtet es im einstweiligen Rechtsschutz auf die automatische aufschiebende Wirkung und bleibt in der Frage der Kontrolldichte durch eine häufigere Anerkennung von Ermessens- und Bewertungsermächtigungen der Verwaltung restriktiver. Aus solchen Vergleichen sogleich Rechtsschutzdefizite zu folgern, verkennt den Ausgestaltungsspielraum, der allen beteiligten Rechtsordnungen im europäischen Entwicklungszusammenhang verbleiben muß86.
83 84 85
86
EuGHE 1986, 1339 (1365). EuGHE 1986, 1651 (1682). Dazu Classen, Europäisierung der Verwaltungsgerichtsbarkeit, S. 65 ff., 100 ff. und 163 ff.; Schmidt-Aßmann, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, Verwaltungsgerichtsordnung, Einleitung Rn. 101 ff.; Groß, DV 2000, S. 415 ff.; Pache, NVwZ 2001, S. 1342 ff.; Epiney, VVDStRL Bd. 61, S. 362 ff. Vgl. speziell zur Bedeutung des Art. 6 EMRK für die Verwaltungsgerichtsbarkeit Grabenwarter, Verfahrensgarantien, S. 355 ff. Zu einer aktuellen Problematik, dem Rechtsschutz gegen EG-Verordnungen, vgl. Röhl, Jura 2003, S. 830 ff.; allg. Schönberger, EuR 2003, S. 600 ff.
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Siebentes Kapitel: Die Entwicklung eines Europäischen Verwaltungsrechts
2. Strukturprinzip funktionsbestimmter Machtverteilung 31 Die organisatorische Komponente des Rechtsprinzips bildet das vertraglich festgelegte institutionelle System der Gemeinschaft. Art. 7 EG geht von einem numerus clausus der Organe aus, benennt diese und begrenzt ihr Handeln auf die ihnen durch den Vertrag zugewiesenen Befugnisse. Das damit normierte und in Art. 189–280 EG weiter ausgeformte Gefüge der Machtträger ist Ausdruck und Garant „eines – allerdings noch nicht voll ausgereiften – gewaltenteiligdemokratischen Organisationsprinzips, das sich aus den grundlegenden Strukturprinzipien der Verfassungen der Mitgliedstaaten ableitet. In der Ausgestaltung der Organe verbanden sich in Ansätzen staatliche Vorstellungen von der Legitimation öffentlicher Gewalt, von Gesetz- und Rechtmäßigkeit der Entscheidungsverfahren, von ‚checks und balances‘ innerhalb des Systems und die Absicht, die Integration der Völker und Staaten zu fördern“87. 32 Zwischen den in unterschiedlicher Weise gouvernemental bestimmten Institutionen Rat und Kommission, dem Europäischen Parlament, dessen Kompetenzen in den Verträgen von Amsterdam und Nizza weiter gestärkt wurden, sowie dem Gerichtshof und dem Rechnungshof als Kontrollinstanzen ist auf diese Weise ein Beziehungsgefüge geschaffen, das den Grundgedanken freiheitssichernder Machtbegrenzung und effizienzorientierter Machtzuordnung in einer gemeinschaftsspezifischen, der klassischen Gewaltenteilung aber immerhin nicht unähnlichen Weise gewährleisten soll88. Es folgt dem Strukturprinzip funktionsbestimmter Machtverteilung89. Die Rechtsprechung hat diesen Gedanken aufgenommen und nutzt die systematische Analyse der vertraglichen Balancierungsregelungen, um Verschiebungen am Maßstab des institutionellen Gleichgewichts zu messen90. Wie bei anderen organisationsrechtlichen Dogmen zeigt sich auch bei diesem Begriff freilich, daß er keinen in allen Punkten festliegenden Gehalt besitzt, sondern die wertende und bilanzierende Beurteilung der Leistungsfähigkeit und der Entwicklungsfähigkeit von Organisationen einschließt (→ 5/12–14). 33 Das Gleichgewicht ist nicht statisch. Das gilt besonders für die Verwaltungsorganisation, die sich unterhalb der durch Art. 7 EG festgelegten Organebene ausgebildet hat. Vor allem die allgemeine Ermächtigung des Art. 308 EG ist genutzt worden, um eine Reihe nachgeordneter Einrichtungen zu schaffen, die das Gewicht der europäischen Administration erhöhen (→ 7/4). Selbst wenn diesen Einrichtungen dem Rechte nach keine Aufgaben übertragen werden dürften, die der Gemeinschaft nicht ohnehin zustehen, und sie darüber hinaus nicht mit 87 88
89 90
So Bieber, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 4 EG Rn. 6. Ähnlich Oppermann, Europarecht Rn. 243; Hofmann, in: Hofmann/Marko/Merli/Wiederin, Rechtsstaatlichkeit, S. 321 (326 f.). Ausführlich Möllers, Gewaltengliederung, i.E., § 7 I. In Anlehnung an Ipsen, Europäisches Gemeinschaftsrecht, § 11. Vgl. die Nachw. bei Calliess, in Calliess/Ruffert, EUV/EGV, Art. 7 EG Rn. 12; P. M. Huber, EuR 2003, S. 574 (576 ff.); Streinz, in: ders., EUV/EGV, Art. 7 EGV Rn. 3, 14, 20 f.; kritisch zu diesem Begriff Bieber, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 7 EG Rn. 66.
B. Gemeinsame verfassungsrechtliche Grundannahmen
397
politischen Ermessensentscheidungen betraut werden könnten91, unterstreichen sie die Tendenz, die Gemeinschaft nicht nur als Rechtsetzungs-, sondern auch als Verwaltungsgemeinschaft zu verstehen92. Die EG ist Verwaltungsgemeinschaft durch die deutlich exekutivische Ausrichtung zweier ihrer Organe und durch ihre Aufgabe, die Verwaltung des Gemeinschaftsraumes durch die Mitgliedstaaten und eigene Instanzen zu organisieren. Manches spricht dafür, daß nach einer Zeit extensiver Rechtsetzungstätigkeit heute eine Phase folgt, in der typisch administrative Aufgaben der effektiven Gewährleistung von Sicherheit und Gesundheit besonderes Gewicht erhalten. Die Bürger erwarten, daß Qualitäts- und Schutzstandards z.B. des Lebensmittel- oder Gewässerrechts nicht nur abstrakt geschaffen, sondern in ihrer praktischen Einhaltung gemeinschaftsweit wirksam kontrolliert werden. Dem EG-Recht fällt es nicht schwer, auf solche Akzentuierungen der Verwaltungsfunktion zu reagieren, denn seine Vorstellungen über die Machtverteilung zwischen den Gemeinschaftsorganen sind von vornherein stärker aufgabenorientiert als die der überkommenen deutschen Gewaltenteilungslehre. Der Maßstab der Effizienz ist in die rechtliche Bewertung des institutionellen Gefüges einbezogen. Die dem Rechnungshof in Art. 7 EG eingeräumte eigenständige organschaftliche Stellung verdeutlicht den Rang, der Wirtschaftlichkeits- und Effizienzkriterien im Europäischen Verwaltungsrecht zukommt. Die Erhaltung der Funktionsfähigkeit, das Gebot effizienter Aufgabenerfüllung und die Pflicht der Organe zur Kooperation sind integrale Bestandteile des institutionellen Gleichgewichts93.
3. Materielle Determinanten 34 Das gemeinschaftsrechtliche Rechtsprinzip erschöpft sich nicht in institutionell-organisatorischen Vorkehrungen. Es enthält zudem, auch insofern dem Rechtsstaatsprinzip vergleichbar (→ 2/32–66), materielle Gewährleistungen. Sie vor allem sind als Integrationsfaktoren wichtig. Gerade sie müssen eine Systembildung im Europäischen Verwaltungsrecht, der es um mehr als um technische Vollzugsrationalität geht, bestimmen (→ 7/23–24). 35 Materielle Determinanten sind zum einen die Grundfreiheiten des EGVertrages94: Warenverkehrs-, Dienstleistungs-, Niederlassungs- und Kapitalverkehrsfreiheit sowie die Freizügigkeit der Arbeitnehmer steuern als Schranken, Abwägungspositionen oder Ermessensdirektiven vor allem wirtschaftsverwaltungsrechtliches Handeln. Sie sind die Basis des Anerkennungsprinzips und der damit verbundenen gemeinschaftsweiten transnationalen Wirkung mitgliedstaatlicher Verwaltungsentscheidungen (→ 7/50)95. 91 92 93 94 95
Dazu EuGHE 1958, 9 (40, 44); Streinz, in: ders., EUV/EGV, Art. 7 EGV Rn. 29–39. Vgl. Priebe, Entscheidungsbefugnisse vertragsfremder Einrichtungen, S. 171 ff. Vgl. Bieber, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 7 EG Rn. 57 ff. Zum folgenden Ehlers, Europäische Grundrechte, § 7 ff. Vgl. Ruffert, DV 2001, S. 453 (458 ff.); Michaels, Anerkennungspflichten, S. 215 ff.
398
Siebentes Kapitel: Die Entwicklung eines Europäischen Verwaltungsrechts
– Neben den Grundfreiheiten ist der gemeinschaftseigene Schutz von Grundrechten immer stärker ausgebaut worden96. Den größten Entwicklungsbeitrag leistete die Luxemburger und die Straßburger Rechtsprechung97. Wichtige Rechtserkenntnisquellen bilden dafür die gemeinsamen Verfassungstraditionen der Mitgliedstaaten und die Europäische Menschenrechtskonvention (Art. 6 Abs. 2 EU). Mittlerweile ist neben Einzelgrundrechten eine allgemeine Grundrechtsdogmatik anerkannt98. Im Rechtsgrund stellen die nicht ausdrücklich normierten Grundrechte allgemeine Rechtsgrundsätze des Gemeinschaftsrechts dar, die richterrechtlich ausgeformt werden. Die derzeit rechtlich unverbindliche Grundrechtecharta99 will den Grundrechtsbestand erweitern, kann zur Zeit jedoch allenfalls als Rechtserkenntnisquelle wirken100. – Allgemeine Rechtsgrundsätze stellt auch eine dritte Gruppe materialer Gehalte des Rechtsprinzips dar, zu der die ebenfalls im wesentlichen richterrechtlich ausgeformten Grundsätze der Verhältnismäßigkeit101, der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes102 gehören. 36 Die Unterschiede in den Bindungsadressaten dieser Gewährleistungen haben sich mehr und mehr abgeschwächt: Die primär die Mitgliedstaaten verpflichtenden Grundfreiheiten sind Bestimmungsfaktoren auch für das Handeln der Gemeinschaft geworden103, und umgekehrt können die zunächst gegen die Gemeinschaftsgewalt gerichteten gemeinschaftseigenen Grundrechte auch von den Mitgliedstaaten Beachtung verlangen, wenn diese Vorschriften des EGRechts anwenden104. Auch ohne förmlichen Beitritt der Gemeinschaft zur EMRK105 läuft die Entwicklung auf eine weitere Entfaltung des Grundrechtsschutzes zu. Das gilt zumal dann, wenn z.B. im Blick auf den Gesundheits- und Verbraucherschutz neben abwehrrechtlichen künftig auch schutzrechtliche Grundrechtsgehalte herausgearbeitet werden106. Die Folgen einer solchen Entwicklung für die Ausweitung von Gemeinschaftsaktivitäten – auch im administrativen Bereich – und die damit verbundenen Fragen des Kompetenzrechts liegen auf der Hand107. 96 97 98
99 100 101 102 103 104 105 106 107
Vgl. Kokott, AöR 1996, S. 599 ff.; Nicolaysen, EuR 2003, S. 719 ff. Mit weit. Nachw. Walter, in: Ehlers, Europäische Grundrechte, § 1. Beutler, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 6 EU Rn. 60 ff.; Ehlers, in: ders., Europäische Grundrechte, § 13; Kühling, in: v. Bogdandy, Europäisches Verfassungsrecht, S. 583 (596). ABl. 2000 Nr. C 364 S. 1. Streinz, in: ders., EUV/EGV, Vorbem. GR-Charta Rn. 4 ff. Vgl. nur v. Danwitz, EWS 2003, S. 393 ff. Schwarz, Vertrauensschutz als Verfassungsprinzip, S. 376 ff.; mit weit. Nachw. Schwarze, Europäisches Verwaltungsrecht, Bd. 2, S. 661 ff. und 911 ff. Ehlers, in: ders., Europäische Grundrechte, § 7 Rn. 41. Vgl. EuGHE 1991, 2925 (2964); Ehlers, in: ders., Europäische Grundrechte, § 13 Rn. 29 f. Ausdrücklich Art. 51 Abs. 1 GR-Charta. Gutachten 2/94 des EuGH, EuGHE 1996, 1759 ff.; Beutler, in: von der Groeben/ Schwarze, Art. 6 EU Rn. 191 ff. Dazu EuGHE 1997, 6959 (6998 f.). Vgl. nur Kanitz/Steinberg, EuR 2003, S. 1013 ff.
B. Gemeinsame verfassungsrechtliche Grundannahmen
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37 Für das Verwaltungsrecht besondere Bedeutung besitzen die Allgemeinen Rechtsgrundsätze des Verwaltungsverfahrens, insbesondere die Verteidigungsrechte108. Die Rechtsprechung und das sekundäre EG-Recht haben hier ein dichtes Netz prozeduraler Schutzvorkehrungen entwickelt, das aus Begründungspflichten, Akteneinsichts- und Aussageverweigerungsrechten sowie aus Beweisverwertungsverboten besteht. Die entsprechenden Institute finden sich ähnlich zwar auch im mitgliedstaatlichen Verwaltungsrecht. Die Regeln des Gemeinschaftsrechts, zunächst für die Eigenverwaltung geschaffen und an diese gerichtet, entfalten jedoch Vorbildwirkung, wo es um die Vervollständigung des mitgliedstaatlichen Verfahrensrechtsschutzes in EG-Sachen geht109. Gerade hier liegt die Entwicklung gemeinsamer Regeln, die für das Verwaltungshandeln aller Ebenen gelten sollen, besonders nahe110. Solche Regeln bilden den Rechtsboden, um das Europäische Verwaltungsrecht z.B. auch in den Fragen der Aktenöffentlichkeit, der Begründungspflichten oder der Behandlung von Verfahrensfehlern im Sinne der „Parallelisierungsthese“ fortzubilden (→ 7/24). Für den Datenschutz bestätigt Art. 286 Abs. 1 EG diese Entwicklungsrichtung.
II. Demokratie und Verantwortungsklarheit 38 Die europäische Verwaltungsrechtsordnung gründet auf dem demokratischen Prinzip111. Die Verfassungsentscheidung für die Demokratie strukturiert nicht nur das nationale Verwaltungsrecht (→ 2/79–116), das die Basis dieser Ordnung bildet, sondern sie bestimmt ebenso die Arbeit der Gemeinschaftsorgane und muß folglich auch für den Bereich der vertikalen und horizontalen Verwaltungskooperation beachtet werden112. Demokratische Verwaltung verlangt eine hinreichende Legitimation der zuständigen Verwaltungsstellen und ihrer Handlungen. Sie setzt außerdem ein Organisationsgefüge voraus, das Verantwortungsklarheit und demokratische Kontrolle gewährleistet. Die Verflochtenheit der Verwaltungen des Gemeinschaftsraumes, der Verbundcharakter der Europäischen Verwaltung (→ 1/63), gibt gerade diesen Faktoren ein besonderes Gewicht.
108 109 110 111
112
Dazu Lenaerts, in: 17. FIDE Kongreß, Bd. 3, S. 506 (510 ff.); Kokott, AöR 1996, S. 599 (616 ff.); Haibach, NVwZ 1998, S. 456 ff. Gundel, in: Ehlers, Europäische Grundrechte, § 17 Rn. 33 ff.. Dazu systematisch Nehl, Europäisches Verwaltungsverfahren, S. 90 ff., 173 ff. und 223 ff. Hallstein, Europäische Gemeinschaft, S. 43: „Zwei oberste Gestaltungsprinzipien beherrschen die Gemeinschaftsordnung: Recht (die ‚rule of law‘ – um nicht zu früh von Rechts ‚staatlichkeit‘ zu sprechen) und Demokratie.“ Allg. zum Demokratieprinzip im Mehrebenensystem der EU Hoffmann-Riem, in: Schmidt-Aßmann/Hoffmann-Riem, Europäisches Verwaltungsrecht, S. 317 (374 ff.); v. Bogdandy, in: ders., Europäisches Verfassungsrecht, S. 149 (171 ff.); Möllers, Gewaltengliederung, i.E., § 6 II; Beutler, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 6 EU Rn. 27 ff.; Dreier, in: ders., Grundgesetz, Art. 20 (Demokratie) Rn. 27 ff.; Lübbe-Wolff, VVDStRL Bd. 60, S. 246 ff.
400
Siebentes Kapitel: Die Entwicklung eines Europäischen Verwaltungsrechts
1. Demokratische Legitimation 39 Die Gemeinschaftsgewalt stützt sich auf eine doppelzügige Legitimation, die durch den Rat und das Europäische Parlament nach unterschiedlichen Prinzipien vermittelt wird. Die im Rat vereinigten Regierungen sind durch ihre Einbindung in das parlamentarische System ihres Landes legitimiert und geben mitgliedstaatliche Legitimation weiter113. Das Europäische Parlament verfügt über eine eigenständige, aus unmittelbaren Wahlen hervorgegangene Legitimation durch die Völker der in der Gemeinschaft zusammengeschlossenen Staaten (Art. 189 EG). Mitgliedstaatliche und eigenständige Legitimation gemeinsam bilden die demokratische Grundlage der Gemeinschaftsgewalt. Hierüber besteht Einigkeit114. Umstritten sind dagegen die Gewichtung beider Arten von Legitimation und die künftige Entwicklung ihres Verhältnisses zueinander. Eine eher statische Betrachtung mißt der Legitimation durch das Europäische Parlament nur eine stützende Funktion zu und zeigt eher ihre Entwicklungsgrenzen auf, die ein am Begriff des Staatsvolkes orientiertes Legitimationskonzept festlegt115. Demgegenüber läßt die hier zugrundegelegte Vorstellung der Europäischen Union als eines Integrationsprozesses Raum, die durch das Europäische Parlament vermittelte Legitimation als gleichgewichtigen Modus anzuerkennen und in den „Völkern“ der in der Gemeinschaft zusammengeschlossenen Staaten auf Dauer ein eigenständiges, nicht auf die Summe der nationalen Staatsvölker reduziertes Legitimationssubjekt anzuerkennen116. 40 Für das um die Kommission konzentrierte Verwaltungssystem der Gemeinschaft ist schon nach derzeitigem Recht eine starke Verschränkung der Legitimationszüge festzustellen. – Die Kommission erhält ihre personelle Legitimation durch die Benennung ihrer Mitglieder seitens der Regierungen der Mitgliedstaaten, der ein Zustimmungsvotum des Parlaments zu folgen hat, bevor die Ernennung erfolgen darf, die wiederum in den Händen der mitgliedstaatlichen Regierungen liegt (Art. 214 EG). Das Parlament verfügt zudem über die üblichen parlamentarischen Frageund Auskunftsrechte sowie das Recht, Untersuchungsausschüsse einzusetzen; es kann der Kommission außerdem das Vertrauen entziehen und sie so zum geschlossenen Rücktritt zwingen (Art. 201 EG)117. Dieses Instrument parlamentarischer Kontrolle ist wie das Zustimmungsvotum allerdings dadurch in seiner Einsatzfähigkeit gemindert, daß jeweils nur das Kollegium insgesamt, nicht aber einzelne Mitglieder betroffen werden dürfen.
113 114
115 116 117
Zur Entscheidungsfindung Röhl, EuR 1994, S. 409 ff.; Schäffer, ZÖR 1996, S. 3 ff. Vgl. mit weit. Nachw. Kluth, Demokratische Legitimation der EU, S. 67 ff; Oeter, ZaöRV 1995, S. 659 (bes. 681 ff.). Vgl. Huber, in: Streinz, EUV/EGV, Art. 189 EGV Rn. 29: „Komplementarität unionaler und nationaler Legitimationsvermittlung“. BVerfGE 89, 155 (185 f.). Zum Begriff des Unionsvolkes vgl. Schmitz, EuR 2003, S. 217 ff. Zu den Kontrollbefugnissen im einzelnen vgl. Ott, ZEuS 1999, S. 231 ff.
B. Gemeinsame verfassungsrechtliche Grundannahmen
401
– Die sachliche Legitimation der EG-Administration wird vor allem durch ihre Bindung an das von Rat und Parlament gesetzte Recht und durch die Steuerung über den Gemeinschaftshaushalt gem. Art. 274 EG bewirkt. Gelockert erscheint demgegenüber die sachliche Legitimation der selbständigen Einrichtungen. Soweit deren Aufgaben technische Hilfsfunktionen darstellen, kann dies toleriert werden. Das zunehmende politische Gewicht selbständig wahrgenommener Tätigkeiten verlangt nach zusätzlichen Legitimationsansätzen, die in der Sicherung sachverständiger Expertise eher als in partizipativen Elementen zu suchen sind118. 41 Soweit Durchführungsaufgaben an die Verfahren der Komitologie gebunden sind, bewirkt das eine Doppelung der Legitimationsmechanismen (→ 7/4). Die in den Komitologieausschüssen tätigen nationalen Beamten bringen so auch auf der Durchführungsebene Elemente mitgliedstaatlicher Legitimation ein. Dieser Zugewinn wird freilich durch eine gewisse Unübersichtlichkeit des Entscheidungsverfahrens erkauft119. Die auf der Ebene der Rechtsetzung zwischen Kommission, Rat und Parlament bestehende komplizierte Struktur wird auf diese Weise in den Verwaltungsbereich hinein fortgeschrieben120. 42 Wenig durchdacht sind bisher die Legitimationsfragen der horizontalen Verwaltungskooperation und der in ihrem Gefolge auftretenden transnationalen Wirkung mitgliedstaatlicher Verwaltungsentscheidungen121. Ähnliches gilt für Fälle, in denen Beamte eines Mitgliedstaates auf der Grundlage von EG-Recht z.B. bankrechtliche Inspektionsbefugnisse auf dem Gebiet eines anderen Mitgliedstaates ausüben (→ 7/9).
2. Transparenz und demokratische Kontrolle 43 Eine breitere Entfaltung der Legitimationsmodalitäten allein genügt den Geboten des demokratischen Prinzips allerdings nicht. Das Beispiel der Komitologieausschüsse zeigt, daß der in der Struktur der Gemeinschaft angelegte Dualismus der Legitimationszüge die Durchschaubarkeit und Verantwortungsklarheit u.U. sogar erheblich beeinträchtigen kann. Damit aber geht eine Voraussetzung bürgerschaftlichen Engagements und demokratischer Kontrollierbarkeit verloren. Das häufig beklagte Demokratie-Defizit der Gemeinschaft ist primär ein „Transparenz-Defizit“122. Die Politikverflechtungen erschweren es, Entscheidungsträ118 119 120 121
122
Dazu Fischer-Appelt, Agenturen der Europäischen Gemeinschaft, S. 184 ff. Krit. Bücker/Schlacke, in: Joerges/Falke, Ausschußwesen der EU, S. 161 (240): „Mischverantwortung in der Komitologie“; positiver Neyer, dort S. 257 (322 ff.). Zur Beteiligung des Europäischen Parlaments s. Art. 8 des Komitologiebeschlusses vom 28.6.1999 (ABl. Nr. L 184 S. 23). Vgl. Röhl, Akkreditierung und Zertifizierung, S. 44 ff.: „Konzept struktureller Legitimation“, die auf gegenseitigem Vertrauen in die gemeinwohlfähige Organisation der beteiligten Verwaltungen beruht. Ferner Royla, Grenzüberschreitende Finanzmarktaufsicht, S. 80 f., 89 f.; Michaels, Anerkennungspflichten, S. 378 ff. Als „horizontale Öffnung“ im Rahmen des Grundgesetzes thematisiert bei Hecker, AöR 2002, S. 291 (297 f., 319 ff.). So zutreffend Oeter, ZaöRV 1995 S. 659 (703).
402
Siebentes Kapitel: Die Entwicklung eines Europäischen Verwaltungsrechts
ger und Entscheidungsfolgen klar identifizieren und Verantwortung einfordern zu können123. Dieses Hauptproblem der Demokratie im europäischen Mehrebenensystem trifft gerade auch die Verwaltung des Gemeinschaftsraumes und ihre komplizierten Implementationsstrukturen. Zwischen den möglichen Alternativen, das demokratische Prinzip fortzuentwickeln124, läßt sich daher keine einfache Wahl treffen: Eine größere Bürgernähe spricht für einen dezentralen Verwaltungsvollzug und für eine Stärkung der mitgliedstaatlichen Legitimationskomponenten im europäischen Verwaltungskonzept. Wo auf diese Weise gemeinschaftsweite Vollzugswirkungen jedoch nur zu Lasten der Verantwortungsklarheit zu erzielen sind, erweisen sich zentralisierte Entscheidungen der EG-Administration als vorteilhaft. Ihr Ausbau muß freilich auf EG-Ebene mit einer Stärkung parlamentarischer Kontrollen unter Einschluß der Rechnungsprüfung verbunden werden. 44 Zutreffend macht der Vertrag von Amsterdam die Transparenz zu einem eigenen Thema. Die Grundlinie soll in der Neufassung des Art. 1 Abs. 2 EU verdeutlicht werden, dergemäß Entscheidungen nicht nur möglichst bürgernah, sondern auch „möglichst offen“ zu treffen sind. Ein neuer Art. 255 EG soll zudem den bisher nur sekundärrechtlichen Anspruch auf Zugang zu Dokumenten der Gemeinschaftsorgane in den vertraglichen Grundlagen der Gemeinschaft absichern. Er überläßt allerdings die schwierige Aufgabe, die Aktenöffentlichkeit mit dem künftig ebenfalls vertraglich anerkannten Recht auf Datenschutz (Art. 286 EG) in Einklang zu bringen125, dem Rat im Verfahren des Art. 251 EG. Über diese Verbesserungen hinaus sollte überlegt werden, inwieweit das in der EG bisher schon breit entfaltete Berichtswesen (vgl. Art. 212 EG) dadurch verbessert werden kann, daß Tätigkeitsberichte von unabhängigen Sachverständigen erstellt oder mindestens mit einer kritischen Gegenstellungnahme versehen werden (→ 4/99). 45 Demokratische Verwaltungsstrukturen im Gemeinschaftsraum lassen sich – ähnlich wie im nationalen Verwaltungsrecht (→ 2/79–116) – nur in der Art eines Mosaiks entwickeln. Sie unterscheiden sich darin nicht von den rechtsstaatlichen Strukturen. Wichtig ist die Einsicht, daß vorhandene Ansätze zu einem Konzept ausgebildet werden müssen, das Legitimation, Transparenz und Entscheidungsqualität verbindet. Der hohe Verflechtungsgrad der Verwaltungen im Gemeinschaftsraum bringt es mit sich, daß die Unionsbürger die Kenntnisse der Entscheidungszusammenhänge und der Punkte, an denen diese demokratische Mitwirkung ermöglichen, erst erwerben und Vertrauen in die Wahrnehmung von Verantwortung erst gewinnen müssen. Dazu sind Transparenz, Sachverstand und Öffentlichkeit die wichtigsten Voraussetzungen126. 123 124
125 126
Dazu die Analyse von Zürn, PVS 1996, S. 27 (bes. 39 ff.). Dazu Craig/de Búrca, S. 171 ff.; Lübbe-Wolff, VVDStRL Bd. 60, S. 246 (273 ff.); v. Bogdandy, in: ders., Europäisches Verfassungsrecht, S. 149 (178 ff.); Möllers, Gewaltengliederung, i.E., § 10. Vgl. Art. 4 VO (EG) Nr. 1049/2001 vom 30.5.2001, ABl. Nr. L 145 S. 43; Heitsch, EuR 2001, S. 809 ff. Dazu Schmidt-Aßmann, in: FS für Häberle, S. 395 ff.
C. Europäisches Verwaltungsrecht als Aufgabe gemeinsamer Systembildung
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C. Europäisches Verwaltungsrecht als Aufgabe gemeinsamer Systembildung 46 Die Beschäftigung mit dem Europäischen Verwaltungsrecht muß über das Thema der Europäisierung des nationalen Rechts, wie sie die deutsche Diskussion in den zurückliegenden Jahren beherrscht hat, hinausgreifen. Einflüsse des EG-Rechts auf das tradierte Verwaltungsrecht sind zwar ein nach wie vor außerordentlich wichtiges Thema (→ 1/50–60); aber sie dürfen nicht aus einer Abwehrhaltung bewertet werden, die in jeder Änderung eine Gefährdung sieht. Umgekehrt kann die Aufgabe aber auch nicht darin bestehen, das mitgliedstaatliche Verwaltungsrecht durch das Gebot eines möglichst einheitlichen Vollzuges des EG-Rechts festzulegen. Vollzugsrationalität schafft keinen dauerhaft tragfähigen Rechtsboden, weil sie zu wenig beachtet, daß jede Verwaltungsrechtsordnung zuallererst eine materielle Rechtsverhältnisordnung zwischen Bürger und Verwaltung ist. Die Entwicklung eines Europäischen Verwaltungsrechts kann nur als eine alle Rechtsschichten mit ihren Erfahrungen und Funktionsbedingungen umgreifende gemeinsame Aufgabe verstanden werden. Hier hat sich die Einsicht zu bewähren, daß alle Systembildung im Verwaltungsrecht eine „diskursive“ Aufgabe ist127. 47 Die mitgliedstaatlichen Verwaltungen und die EG-Administration haben gewiß unterschiedliche Positionen inne. Für die Gemeinschaftsebene ist die große Nähe zur Politik kennzeichnend. Die Kommission ist vor allem ein politisch handelndes Organ (→ 7/4). Ihre wichtigsten Aufgaben liegen hier, zumal im Rechtsetzungsverfahren. Aber sie ist auch ein administrativ handelndes Organ. Die Herausforderungen an das, was administrativ zu leisten und wie zu handeln ist, sind für die Verwaltungen des Gemeinschaftsraumes auf allen Ebenen ähnlich. Die Erwartungen und die Schutzbedürfnisse des Unionsbürgers, die Anforderungen der Technik und der im internationalen Wettbewerb stehenden Wirtschaft lassen sich heute kaum noch nach Ebenen aufspalten. Auch die Grundannahmen des Verwaltungsverständnisses befinden sich in einem Prozeß der Angleichung und Vereinheitlichung. Ihre wichtigste Determinante bleibt die individualrechtliche Ausrichtung der verwaltungsrechtlichen Systematik. Sie folgt aus den Grundrechten, deren Geltung für alle Rechtsschichten gesichert ist (→ 7/35). Unterschiedliche Ausprägungen in Einzelpunkten, z.B. bei der Ausgestaltung des Vertrauensschutzes durch das deutsche und das EG-Recht, stellen keine unüberbrückbaren Gegensätze dar128. Da diese gemeinsame Basis besteht, darf das Europäische Verwaltungsrecht aber auch andere Steuerungsmechanismen einbeziehen, die über den individualrechtlichen Ansatz hinausgehen, wie das mit der Betonung der Öffentlichkeitsfunktion geschieht. 127
128
Vgl. dazu v. Danwitz, Verwaltungsrechtliches System, S. 40 f. und 479 f.; ähnliche Überlegungen bei Schoch, DVBl 1997, S. 289 (296) und DV 1999, Beiheft 2, S. 135 (148 ff.). Schwarz, Vertrauensschutz als Verfassungsprinzip, S. 529 ff.
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Siebentes Kapitel: Die Entwicklung eines Europäischen Verwaltungsrechts
48 Im Bau des Europäischen Verwaltungsrechts finden sich eben jene Systemteile wieder, die auch das deutsche Recht und die meisten mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen prägen: – Die Orientierung an Rechtsformen – in der deutschen Diskussion zuweilen als Ausdruck einer inadäquaten und überholten Statik mißverstanden – wird durch den Formenbestand des Art. 249 EG in ihrer europäischen Bedeutung bestätigt. Die Form ist ein auf allen Ebenen wichtiges Rationalisierungs- und Orientierungsmittel, selbst wenn es keine geschlossene Rechtsformenlehre, keine exklusiven Zuweisungen bestimmter Formen zu bestimmten Organen gibt. Vielmehr finden sich auch in der Praxis der EG-Administration zahlreiche informelle Handlungsweisen, die sich unbeschadet des Grundsatzes der begrenzten Ermächtigung (Art. 5 Abs. 1 und Art. 7 Abs. 1 S. 2 EG) als unvermeidbare Flexibilisierungsmöglichkeit in einem formgeprägten Verwaltungsrecht erweisen129. Ihre Analyse und punktuelle Disziplinierung bleibt eine Daueraufgabe des Verwaltungsrechts aller Rechtsschichten130. – Das Handlungssystem des Europäischen Verwaltungsrechts nutzt in besonderer Weise den Ordnungsgedanken des Verfahrens. Neben der rechtsschützenden Funktion wird gerade in diesem Bereich die politische Aufgabe prozeduraler Arrangements deutlich (→ 6/50). Gerade in Verfahrensregelungen bestätigt sich schon heute die oben herausgearbeitete Parallelisierungsthese (→ 7/24), im Datenschutz ebenso wie im Vergaberecht131. Die in Art. 253 EG vorgesehene Begründung auch der normativen Rechtsakte der Verordnung und der Richtlinie sollte der Ansatzpunkt sein, um das Verfahren der administrativen Rechtsetzung allgemein weiter auszubauen (→ 6/87). – Die Lehre von den Maßstäben des Verwaltungshandelns zeigt bei Unterschieden im einzelnen eine vergleichbare Grundstruktur132. Die stärkere Integration des Effizienzmaßstabs auf europäischer Ebene kann für das deutsche Verwaltungsrecht ebenso ein Anstoß sein, wie das umgekehrt für das Verhältnismäßigkeitsprinzip im Blick auf das EG-Recht gilt. – Entsprechungen finden sich schließlich in der Ergänzung des Handlungssystems um ein Haftungs- und Rechtsschutzsystem. Staatshaftung und Gerichtsschutz bilden auf allen Ebenen der Verwaltungsrechtsordnung die dem Handlungsregime komplementären Mechanismen einer ex post ansetzenden Steuerung des Verwaltungshandelns. 49 Besondere Anforderungen an die verwaltungsrechtliche Systematik stellen die zahlreichen Vorgänge vertikaler und horizontaler Verwaltungskooperation. Sie sind ein Spezifikum der Europäischen Verwaltung als eines Informations-, Handlungs- und Kontrollverbundes und verlangen folglich die Ausbildung
129 130 131 132
Vgl. v. Bogdandy/Bast/Arndt, ZaöRV 2002, S. 77 ff. Schmidt-Aßmann, DVBl 1989, S. 533 ff. Vgl. Art. 88–107 der Haushaltsordnung VO (EG, Euratom) Nr. 1605/2002. Schwarze, Europäisches Verwaltungsrecht, Kap. 4–6.
C. Europäisches Verwaltungsrecht als Aufgabe gemeinsamer Systembildung
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eigener Rechtsinstitute. Wer sie entwickeln will, muß sich an den Strukturen der Verwaltungsvorgänge orientieren (→ 1/61–63)133: Eine herausragende Rolle für die administrative Zusammenarbeit spielt der Informationsaustausch. Er ist die Basis jeder Verwaltungskooperation. Kooperationsrecht ist in seiner Grundlage folglich Informationsverwaltungsrecht (→ 6/7–11)134. Die eigenständige Bedeutung der Information für die Rechtssystematik ist hier klarer als im nationalen Verwaltungsrecht erkennbar, weil Informationszusammenhänge im Gemeinschaftsrahmen nicht vorgefunden werden, sondern sich erst nach und nach ausbilden müssen. Die Pflichten zum Informationsaustausch, die dabei entstehenden Schutzbedürfnisse und die rechtlichen Steuerungseffekte der Informationsgewährung bzw. -vorenthaltung systematisch zu erfassen, bildet die erste Schicht eines Verwaltungskooperationsrechts135. 50 Weitere Aufgaben stellen sich der Systematik dort, wo die Informationsbeziehungen zu Entscheidungszusammenhängen verdichtet worden sind. Die Analyse solcher Zusammenhänge und die Bestimmung derjenigen Knotenpunkte, an die verwaltungsrechtliche Stabilisierungs- und Schutzvorkehrungen anknüpfen können, stehen in den Anfängen. – Immerhin sind in jüngster Zeit die unterschiedlichen Arten „mehrstufiger“ oder „gemischter“ Verfahren genauer analysiert und die wichtigen prozeduralen Schutzregelungen (Anhörungs-, Ermittlungs- und Begründungspflichten) auf die Verflochtenheit der Verfahrensphasen abgestimmt worden136. – Ein weiterer Schritt muß die Entwicklung eines einheitlichen Rechtsinstituts der europäischen Entscheidung sein, das zentrale und dezentrale Regelungsakte umfaßt137. Bindungswirkungen, Bestandskraft und Anfechtungslasten, die mit einer solchen Rechtsform verbunden sind, werden nicht für alle Situationen einheitlich entwickelt werden können, sie werden aber in ihrer Unterschiedlichkeit nach einem stimmigen Konzept auszubilden sein. In diesen Rahmen gehören auch transnationale Verwaltungsakte als eine besondere Art dezentralisierter Entscheidung mit gemeinschaftsweiter Wirkung138. Ihre Basis im Anerkennungsprinzip des EG-Rechts (→ 7/35), die unterschiedlichen Anerkennungstechniken
133
134 135 136 137 138
Dazu die Beiträge in: Schmidt-Aßmann/Hoffmann-Riem, Strukturen des Europäischen Verwaltungsrechts; am Beispiel der Verwaltung der Strukturfonds grundlegend Schöndorf-Haubold, Die Strukturfonds der Europäischen Gemeinschaft, i.E., bes. Kap. 3. Vgl. Hatje, in: Magiera/Sommermann, Verwaltung in der EU, S. 193 ff. Sommer, Administrative Informationsverfahren im europäischen Umweltrecht, bes. S. 475 ff. und 681 ff. Dazu Nehl, Europäisches Verwaltungsverfahren, pass.; Sydow, DV 2001, S. 517 ff.; M. Chiti, Diritto amministrativo europeo, S. 331 ff.: procedimenti composti. Zu zentralen Entscheidungen vgl. Blattner, Europäisches Produktzulassungsverfahren, S. 125 ff. Neßler, Europäisches Richtlinienrecht, S. 5 ff. und 76 ff.; Groß, JZ 1994, S. 596 (599); Schmidt-Aßmann, EuR 1996, S. 270 (299 ff.); Ruffert, DV 2001, S. 453 ff.; Michaels, Anerkennungspflichten, S. 359 ff.
406
Siebentes Kapitel: Die Entwicklung eines Europäischen Verwaltungsrechts
und ihre über das Herkunftsland hinausgreifenden Wirkungen bilden dazu die Grundelemente der Dogmatik. 51 Die Analyse der Kooperationsvorgänge zeigt schließlich, wo Schwerpunkte in der Entwicklung des Rechtsschutzkonzepts gesetzt werden müssen139. Der Gerichtsschutz im europäischen Rahmen ist bisher durch ein Trennungsdenken gekennzeichnet, das dem isoliert-einzelstaatlichen Vollzugsmodell entspringt (→ 7/9). Die Kooperationspflichten, die Art. 234 EG für die mitgliedstaatlichen Gerichte und die Gemeinschaftsgerichte begründet140, entlasten den Rechtsschutzsuchenden nicht davon, innerhalb des Kooperationszusammenhangs diejenigen Punkte zu identifizieren, die zum Gegenstand einer gerichtlichen Klage gemacht werden können und bei Gefahr, das Anfechtungsrecht zu verlieren, auch gemacht werden müssen. Die hier bestehenden Risiken sind an den Rechtssachen „Borelli“ und „Textilwerke Deggendorf“ deutlich geworden141. Der Rechtsschutz im Gemeinschaftsrahmen muß jedoch nicht nur auf jeder Ebene isoliert als wirksamer Rechtsschutz gewährleistet sein142. Er muß auch in die Überlappungsbereiche und Grauzonen der Kooperationszusammenhänge eindringen143. In einem ersten Schritt verlangt das von den beteiligten Verwaltungen eine hinreichende Aufklärung der Adressaten über Regelungsgehalt und Rechtsschutzmöglichkeiten. Auf Dauer aber werden im Lichte des alle Mitgliedstaaten bindenden Art. 6 EMRK vorsichtige Modifikationen des Trennungsprinzips nicht vermeidbar sein, die dem Maße der Vergemeinschaftung der Verwaltungsaktivitäten entsprechend ein „Überwirken“ der Gerichtsbarkeit eines der Kooperationspartner in den Gestaltungsbereich eines anderen einschließen144. Wie bei der Formung der nationalen Verwaltungsrechtsordnungen erweist sich die Gerichtsbarkeit auch für die Entwicklung des Europäischen Verwaltungsrechts als eine der wichtigsten systemprägenden Kräfte. Das ist für den Europäischen Gerichtshof oft festgestellt worden145. Es hat aber für den Verbund der Gemeinschaftsgerichte und der mitgliedstaatlichen Gerichte insgesamt zu gelten. 52 Zur Gerichtsbarkeit muß eine europäische Verwaltungsrechtswissenschaft treten. Systembildung erweist sich auch insofern als gemeinsame Aufgabe, als sie aus einer Verbindung entscheidungsbezogener und theoriegeleiteter 139 140
141 142 143 144 145
Burgi, Verwaltungsprozeß und Europarecht, S. 55 f.; Ehlers, Europäisierung des Verwaltungsprozeßrechts, S. 8 ff. Dazu Rengeling/Middeke/Gellermann, Rechtsschutz in der EU, § 10; vgl. auch die Hinweise des EuGH zur Vorlage von Vorabentscheidungsersuchen durch innerstaatliche Gerichte, abgedruckt in EuZW 1997, S. 142. EuGHE 1992, 6313 (6334 f.) und 1994, 833 (852 f.); ferner EuGHE 1997, 585 (603 f.). Vgl. dazu Tomuschat, in: FS für Redeker, S. 273 ff.; Schmidt-Aßmann, in: FS für Bernhardt, S. 1283 ff. Dazu J. Hofmann, Rechtsschutz- und Haftungsfragen des Europäischen Verwaltungsverbundes, i.E. Vgl. Schmidt-Aßmann, in: FS für Häberle, S. 395 (412); dens., in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 19 Abs. 4 Rn. 48. Vgl. Schwarze, Europäisches Verwaltungsrecht, Bd. 1, S. 57 ff.; Everling, NVwZ 1987, S. 1 ff.; mit krit. Tenor v. Danwitz, Verwaltungsrechtliches System, S. 132 ff.
C. Europäisches Verwaltungsrecht als Aufgabe gemeinsamer Systembildung
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Zugänge zu entwickeln ist. Anders als in dieser Komplementarität kann sie ihr Ziel, Orientierungslinien und Reflexionsrahmen zugleich zu bieten, nicht erreichen (→ 1/1–2). Der Aufbau einer europäischen Verwaltungsrechtswissenschaft schreitet fort146: In Fachgesellschaften und Fachzeitschriften bildet sich die erforderliche wissenschaftliche Infrastruktur aus. Rechtsvergleichung und eine intensive Beschäftigung mit dem EG-Recht und der EMRK haben substantielle Beiträge dazu geleistet. Wichtig ist es, heute nicht nur das Recht, sondern auch die Erfassung des Verwaltungsverbundes mit seinen eigenen Handlungsweisen und Netzwerken als Aufgabe der Verwaltungsrechtswissenschaft anzuerkennen. Seine Wirkungsbedingungen zu sichern und seinen Gefährdungssituationen vorzubeugen, kann nicht allein der einzelnen Rechtsvorschrift oder Rechtsentscheidung überlassen bleiben. Es fordert ein übergreifendes Konzept von den Regelungsansätzen und Steuerungsgrenzen des Rechts: eine europäische Ordnungsidee und eine europäische Verwaltungsrechtswissenschaft.
146
Vgl. Ruffert, DV 2003, S. 293 ff.; speziell zu Methodenfragen Müller/Christensen, Juristische Methodik II.
Verzeichnis der zitierten EG-Rechtsakte A. Verordnungen Nr. 259/68
Nr. 1231/77
Nr. 1210/90
Nr. 1588/90
Nr. 2075/92
Nr. 2913/92
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410
Verzeichnis der zitierten EG-Rechtsakte
Nr. 95/93
des Rates vom 18.1.1993, ABl. Nr. L 14 S. 1: Verordnung (EWG) über gemeinsame Regeln für die Zuweisung von Zeitnischen auf Flughäfen in der Gemeinschaft (zuletzt geändert durch Verordnung (EG) Nr. 1554/2003 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22.7.2003, ABl. Nr. L 221 S. 1). Nr. 85/93 der Kommission vom 19.1.1993, ABl. Nr. L 12 S. 9: Verordnung (EWG) über die Kontrollstellen im Tabaksektor. Nr. 1836/93 des Rates vom 29.6.1993, ABl. Nr. L 168 S. 1: Verordnung (EWG) über die freiwillige Beteiligung gewerblicher Unternehmen an einem Gemeinschaftssystem für das Umweltmanagement und die Umweltbetriebsprüfung (aufgehoben durch Verordnung (EG) Nr. 761/2001 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19.3.2001, ABl. Nr. L 114 S. 1). Nr. 2309/93 des Rates vom 22.7.1993, ABl. Nr. L 214 S. 1: Verordnung (EWG) zur Festlegung von Gemeinschaftsverfahren für die Genehmigung und Überwachung von Human- und Tierarzneimitteln und zur Schaffung einer Europäischen Agentur für die Beurteilung von Arzneimitteln (zuletzt geändert durch Verordnung (EG) Nr. 1647/ 2003 des Rates vom 18.6.2003, ABl. Nr. L 245 S. 19). Nr. 3418/93 der Kommission vom 9.12.1993, ABl. Nr. L 315 S. 1: Verordnung (Euratom, EGKS, EG) mit Durchführungsbestimmungen zu einigen Vorschriften der Haushaltsordnung vom 21.12.1977 (aufgehoben durch Verordnung (EG, Euratom) Nr. 2342/2002 der Kommission vom 23.12.2002, ABl. Nr. L 357 S. 1). Nr. 40/94 des Rates vom 20.12.1993, ABl. Nr. L 11 S. 1: Verordnung (EG) über die Gemeinschaftsmarke (zuletzt geändert durch Verordnung (EG) Nr. 1992/2003 des Rates vom 27.10.2003, ABl. 1994 Nr. L 296 S. 1). Nr. 2100/94 des Rates vom 27.7.1994, ABl. Nr. L 227 S. 1: Verordnung (EG) über den gemeinschaftlichen Sortenschutz (zuletzt geändert durch Verordnung (EG) Nr. 1650/2003 des Rates vom 18.6.2003, ABl. Nr. L 245 S. 28). Nr. 322/97 des Rates vom 17.2.1997, ABl. Nr. L 52 S. 1: Verordnung (EG) über die Gemeinschaftsstatistiken (zuletzt geändert durch Verordnung (EG) Nr. 1882/2003 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29.9.2003, ABl. Nr. L 284 S. 1). Nr. 761/2001 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19.3.2001, ABl. Nr. L 114 S. 1: Verordnung (EG) über die freiwillige Beteiligung von Organisationen an einem Gemeinschaftssystem für das Umweltmanagement und die Umweltbetriebsprüfung (EMAS) (zuletzt geändert durch Anhang II: Liste nach Art. 20 der Akte über die Bedingungen des Beitritts, ABl. 2003 Nr. L 236 Nr. 706).
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Verzeichnis der zitierten EG-Rechtsakte
2000/12/EG
2001/42/EG
2001/83/EG
2001/95/EG
2002/21/EG
2003/4/EG
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Sachverzeichnis
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Sachverzeichnis Absprachen 6/133 ff. Abwägen, Abwägung – Arten 4/50 – Kern des Ermessens 4/47 ff. – Kontrollmuster 4/70 Akkreditierung 3/55 Akzeptanz von Verwaltungsentscheidungen 1/29; 2/103 ff. → Demokratieprinzip Asymmetrie von Freiheit und Kompetenz 1/22 ff. Auffangordnungen: öffentl. und privates Recht 6/28 ff. Beleihung 5/57 f. Beschleunigung von Verfahren 1/31; 6/55 f. Beurteilungsermächtigung 4/69 f. Budgetsteuerung 1/41 ff. Demokratieprinzip 2/3 ff., 79 ff.; 7/38 ff. – Akzeptanz 2/103 ff. – Distanz 2/3, 81; 5/37 – in der EU 7/38 ff. – Partizipation 2/90, 106 ff. – Verwaltungsorganisation 5/19, 33 ff. → Gesetz → Legitimation der Verwaltung → Öffentlichkeit Dispensationsermächtigung 4/12; auch 2/28 Distanzschutz 2/2 f., 81; 5/37 f., 62 Doppelauftrag des Verwaltungsrechts 1/30 ff. Durchsetzungsbereitschaft der Verwaltung 1/28 f. effet utile 1/52; 7/21 f. Effizienz 6/64 ff. – als Grundsatz der Ressourcenschonung 6/65 – als Wirtschaftlichkeitsprinzip 6/66
– Effizienzkontrollen 6/71 – im Verfahrensrecht 6/69 f., 170 ff. – Maßstab 6/64 ff. – Neues Steuerungsmodell 1/41 ff. → Finanzkontrollen Eigenständigkeit der Verwaltung 4/36 ff. Eigenverwaltungsrecht der EG 1/51; 7/14 ff. → Europäisches Verwaltungsrecht Einheit der Verwaltung 5/33 ff. Einwirkungspflicht 5/52 Ermessen der Verwaltung 4/46 ff. – Abwägungskompetenz 4/47 ff. – Arten 4/51 ff. – Bedeutung sog. fiskalischer Gründe 6/69 – Kontrolle durch Gerichte 4/69 ff. – Letztentscheidungsermächtigung 4/65 ff. – Rechtsbegriff 4/56 – Umgang mit Ermessenskriterien 4/56 → Maßstäbe des Verwaltungshandelns → unbestimmter Gesetzesbegriff Europäische Verwaltung – als Informations-, Handlungs- und Kontrollverbund 1/63 – beteiligte Verwaltungsträger 7/3 ff. – Verwaltungskonzept 7/6 ff. Europäisches Verwaltungsrecht 1/66; 7/1 ff., 46 ff. – Begriffe 7/12 ff. – Grundannahmen 7/26 ff. – Schichten 7/12 ff. – Thesen zur Entwicklung 7/24, 46 ff. → Europäisierung Europäisierung 1/50 ff.; 7/1 ff. – der Verwaltungsstrukturen 1/61 ff.; 5/20; 7/6 ff. – des Rechts durch Recht 1/51 ff. – durch EG-Richtlinien 1/53; 2/12, 17 – Einwirkungsbereiche 1/52 ff.
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Folgen für Gesetzmäßigkeit 2/12 im Verfahrensrecht 6/143 ff. Rezeption durch Systematik 1/8 reziproker Entwicklungsprozeß 1/66 f. „überwirkender“ Veränderungseffekt 1/64 – und Verwaltungsorganisation 5/20 Finanzkontrollen 4/92 ff. → Haushaltsrecht Funktionale Selbstverwaltung – Legitimation 2/91 f. – Organisation 5/42 f. – Satzungen 6/86 Gemeinschaftsverwaltungsrecht – Begriff 1/51; 7/17 – EG-Richtlinien 1/53; 2/12 – Einwirkungsbereiche 1/52 ff.; 6/143 ff. – Vollzug 7/21 ff. → effet utile → Europäisches Verwaltungsrecht Gemeinwohl 3/76 f. → Interesse, Interessenstrukturen Gerichtsschutz – Individualrechtsschutz 4/59 ff. – Interessenschutz 4/77 ff. – Konkurrentenschutz 4/74 – Kontrollintensität 4/61 ff. – Recht der EG 1/59; 7/29 f., 51 – Rechtsschutzeffektivität 4/46 ff., 84 f. – Rolle subjektiver Rechte 4/59 f. – Überlegungen zur Fortentwicklung 4/76 ff. – Verwaltungsverfahrensrecht 6/46, 52 ff., 149, 173 f. – Verwaltungskontrolle 4/57 ff. → Verwaltungsgerichtsbarkeit Gesetz – Begriff 2/10 – Bestimmtheitsanforderungen 4/26 ff. – demokratische Bedeutung 2/84; 4/7 ff. – finale und konditionale Programmierung 4/30 – Gesetzesanwendung 2/9-19; 4/38-42 – gesetzesdirigierte Verwaltung 4/38 ff. – Gesetzeskritik 4/8 ff. – Gesetzesvollzug 4/42, 56 f. – Gesetzesvorbehalte 4/15 ff. – Gesetzesvorrang 4/12 – parlamentarisches Zugriffsrecht 4/13 f.
– rechtsstaatliche Bedeutung 2/10, 68 – Rezeptionsbegriffe 3/15 – unbestimmte Gesetzesbegriffe 4/28 ff., 67 – und Verwaltungsorganisation 5/26 ff. → Rechtsgebundenheit der Verwaltung Gesetzesvorbehalt – eingriffszentrierter 4/16 ff.; auch 2/47 ff. – institutioneller 4/18 ff.; 5/26 ff. – Parlamentsvorbehalt 4/15 Fn. 42 – Wesentlichkeitskriterium 4/21 ff. Gesetzesvorrang 4/12 Gewährleistungsverwaltungsrecht 3/114 ff.; 6/107 ff., 120 ff., 162 ff. Gewaltenteilung 4/1 ff. – Bedeutung des Gesetzes 4/7 ff. – Eigenständigkeit der Verwaltung 4/36 ff. – funktionale Deutung 4/2 ff. – Gefährdungen 4/4 ff. – inneradministrative 5/37 f. – institutionelles Gleichgewicht (EU) 7/32 – Legitimationsaufgaben 4/4 – Verwaltungskontrollen 4/57 ff. – Verwaltungsvorbehalt 4/43 ff. – Zugriffsrecht des Parlaments 4/13 f. → Demokratieprinzip → Rechtsstaatsprinzip Grundfreiheiten 7/35 Grundrechte – als Abwehrrechte 2/34 – als Schutzaufträge 2/35 ff. – Bedeutung für Verwaltungsrecht 2/32 ff., 7/35 f. – Eingriffe in 2/48 ff., 4/16 f. – faktische Betroffenheit 2/57 – grundrechtliche „Sensibilisierung“ 2/47 ff. – grundrechtliche „Subjektivierung“ 2/55 ff. – im EG-Recht 7/35 – juristischer Personen 2/45 f. – kritische Entwicklungen 2/63 ff. – leistungsrechtliche Bedeutung 2/41 – mittelbare Beeinträchtigungen 2/47 ff. – und Organisationsrecht 2/44; 5/18 – und Verfahrensrecht 2/42 f.; 6/53 f. Subjektives Recht → Verhältnismäßigkeitsprinzip → Wesentlichkeitslehre
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Handlungsformen – Handlungssystem 6/2 ff. – Ordnungsmuster 6/32 ff. → Informales Verwaltungshandeln → Rechtsformenlehre → Verwaltungshandeln Haushaltsrecht 1/42; 2/78, 85; 4/82 ff.; 6/70, 170 ff. → Finanzkontrollen Implementation 6/74 ff. Informales Verwaltungshandeln 6/81, 125 ff.; auch 2/48 ff.; 3/118 ff. – allgemeine Anforderungen 6/125 ff. – als alternatives Handeln 6/127 ff. – als konsensuales Handeln 6/130 ff. – normersetzende Absprachen 6/133 ff. – normvollziehende Absprachen 6/131 f. – „Reformalisierung“ 6/129 Informationen – Bedeutung 6/4 ff. – EG-Recht 1/60; 6/8 f., 145 f.; 7/44 – Informationsakte 2/50 – Informationsfreiheitsgesetz/Entwurf 6/9 – Informationsordnung 5/38; 6/3 ff.; 7/49 – Informationsverantwortung 6/11 – Informationsverwaltungsrecht 6/7 ff. – Organisationsrecht 5/14 – Steuerung 2/50; 3/21 – Zugang zu Dokumenten 2/114; 6/9, 145; 7/44 → Kommunikation → Öffentlichkeit Informationsverwaltungsrecht 6/7 ff. Interesse, Interessenstrukturen – Begriffe 3/63 ff. – Gemeinwohl 2/80 f.; 3/76 f. – im Sozialverwaltungsrecht 3/33 f. – im Umweltverwaltungsrecht 3/12 ff. – Interessendarstellung 3/69 f. – Interessenorganisation 5/12 ff. – Interessenschutz durch Gerichte 4/77 f. – objektive und subjektive 3/64 ff. – öffentliche und private 3/72 ff. – Organisation lokaler I. 5/40 – Wohl der Allgemeinheit 3/76 f. → Öffentlichkeit → subjektives Recht → Verwaltungsorganisation Intermediäre Organisationen 5/59 ff.
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„Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung“ 4/43 ff. Kollegialgremien 5/44 ff. Komitologie 7/41 Kommunikation 2/5; 6/6, 31 – Berichtswesen 4/99 – Konfliktmittler 6/136 f. – Rechtsgespräch 4/81 ff. – Verwaltungsverfahren 6/46 ff. → Informationen → Öffentlichkeit Komplexe Verwaltungsentscheidungen 3/105 f.; 6/107 ff. – Pläne 6/95 ff. – Verwaltungsakte 6/107 ff. – Verwaltungsverfahren 6/162 ff. – Verwaltungsverträge 6/118 f. Konfliktmittler 2/104; 6/136 f. Kontrollen → Verwaltungskontrollen Konzepte 2/24; 3/35 – als Planungsform 6/95 – Konzeptpflichten 6/99 Kooperationsprinzip → „kooperativer Staat“ → Verwaltungskooperation (EG) „Kooperativer Staat“ 3/118 ff. – „Auffangordnungen“ 6/28 ff. – bei der Normsetzung 6/91 ff. – gemischt-wirtschaftliche Unternehmen 5/63 – intermediäre Einrichtungen 5/59 ff. – konsensuales Handeln 6/130 ff. – Kooperationsprinzip 3/11, 26, 37 f. – Organisationsrecht 5/53 ff. – pluralistisch geprägte Organisationen 5/41 ff. – Rechtsschutzfragen 4/72 – überwirkende Legitimationsverantwortung 2/100; 5/60 – Verantwortungsstufung 3/109 ff. – Verträge der Verwaltung 6/112 ff. Legitimation der Verwaltung 2/80 ff.; 5/19, 34 ff.; 7/39 ff.; auch 5/14 – autonome 2/90 ff. – demokratische 2/81 ff. – Einwirkungspflicht 5/52 – institutionelle 2/95 ff. – Legitimationsniveau 2/98 f.
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– Legitimationsverantwortung 2/100 f.; 5/55 – Modell der L. kommunaler Selbstverwaltung 2/88 f. – Modell der parlamentsvermittelten L. 2/82 ff. – personell-organisatorische 2/87; 7/40 – sachlich-inhaltliche 2/83 ff.; 7/40 – u. Einheit der Verwaltung 5/33 ff. Maßstäbe des Verwaltungshandelns 6/57 ff. – andere „normative Orientierungen“ 2/22, 75 – Aufbau der Maßstablehre 6/58 ff. – Effizienz 6/64 ff. – Gleichheitsmaßstäbe 6/59; auch 2/28 – Maßstabsanktionen 6/62 f. – Rechtsmaßstäbe 6/59 – Richtigkeitsgewähr durch Verfahren 6/149 – Richtigkeitskriterien 4/49 – Verhältnismäßigkeit 6/59, 68 Mediation 6/136 → Konfliktmittler Mehrebenen-System (EG) – Analysekonzept 7/27 – institutionelles Gleichgewicht 7/32 – Komitologie 7/41 – Legitimation 7/38 – Verantwortungsklarheit 7/43 ff. – Verwaltungskonzept 1/61 ff.; 7/6 ff. – Verwaltungsverbund 1/63 → Europäische Verwaltung → Gewaltenteilung → Verwaltungskooperation (EG) Mehrpolige Verwaltungsrechtsverhältnisse → Verwaltungsrechtsverhältnis Methodenlehre – Aufgaben im Verwaltungsrecht 1/45 – für Wirksamkeitsurteile 1/49 – Nachbarwissenschaften 1/47 – Rechtskonkretisierung 1/48; 2/9-19; 4/54 ff. – Verwaltungsermessen 4/46 ff. Nachbarwissenschaften (sog.) – Methoden 1/47 – Organisationswissenschaften 5/13 ff. Neues Steuerungsmodell 1/41 ff.; 4/89; 5/8
Neutralitätssicherung, Unbefangenheit 6/152, 165 f. Normen der Verwaltung – Bindungswirkung 2/14 – Instrumente einer „mittleren“ Steuerungsebene 6/82 f. – kooperativ gesetzte Normen 6/91 ff. – Normsetzungsermessen 4/53 – Rechtsverordnungen 6/84 f. – Satzungen 6/86 – Verfahrensrecht 6/87 – Verwaltungsvorschriften 2/14; 3/19; 6/88 ff. → Plan, Planung Normsetzung der Exekutive 6/82 ff. → Normen der Verwaltung Öffentliche Unternehmen 3/46; 5/48-52; 6/27 – Einwirkungspflicht 5/52 – Privatisierung 5/28 Öffentliches Recht 6/12 ff. – Aufgaben 6/16 ff. – Idee der „Auffangordnungen“ 6/28 ff. → Privatrecht Öffentliches Wirtschaftsrecht – als Referenzgebiet 3/5, 43 ff. – Bedeutung von Teilgebieten 3/46 – internationale Ausrichtung 3/45 – öffentliche Unternehmen 3/46; 5/48 ff. – Regulierungsverwaltung 3/49 ff. – Telekommunikationsrecht 3/49 ff. – „universalistische Tendenz“ 3/45 – Vergaberecht 3/46 – Wirtschaftslenkung im EG-Recht 1/62 – Zertifizierung und Akkreditierung 3/55 ff. → Gewährleistungsverwaltungsrecht Öffentlichkeit 2/113 ff.; 6/145 f., 167 f. – als Forum 2/116 – EG-Recht 1/60; 6/145 – Erscheinungsformen 2/113 ff. – Konzept informierter 6/145 – Mittel der Verwaltungskontrolle 4/98 ff. – Öffentlichkeitsbeteiligung 2/109 – Zugang zu Dokumenten 2/114 f.; 7/16 → Demokratieprinzip → Verwaltungskontrollen Organisationsrecht 5/1 ff. → Verwaltungsorganisation
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Partizipation 2/106 ff. – Ausschußwesen der EG 7/4 – bei informalem Handeln 6/71 → Demokratieprinzip Plan, Planung 6/95 ff. – im Sozialrecht 3/35 – im Umweltrecht 3/19 – Konzepte 6/98 f. – Mittel rechtsstaatlicher Rationalität 2/77 – Raumplanung 6/97 → komplexe Verwaltungsentscheidungen Pluralistische Verwaltungseinheiten 5/41 ff. Prinzip funktionsbestimmter Machtverteilung 7/31 ff. → Gewaltenteilung Privatisierung 3/119; 5/8 – funktionale Privatisierung 5/29 – gemischtwirtschaftliche Unternehmen 5/63 – Organisationsprivatisierung 5/28 – staatliche Verantwortung 3/114 ff. – Verfahrensprivatisierung 6/147 Privatrecht 6/12 ff. – Aufgaben 6/14 f. – grundrechtliche Aufträge 2/38 – Idee der „Auffangordnungen“ 6/28 ff. – Organisationsrecht 6/27 ff. – Privatverwaltungsrecht 6/31 – Sonderprivatrecht 6/15 – Verwaltungsprivatrecht 6/23 ff. – Zwei-Stufen-Lehre 6/22 f. → Öffentliches Recht Qualitätssicherung – Verfahren 6/163 – Vertragsgestaltung 6/121 Rationalität – Element von Rechtsstaatlichkeit 2/75 ff. – Verwaltungsmaßstäbe 6/57 ff. Rechtsanwendungsgleichheit 2/28 Rechtsformenlehre – Adäquanzgebot 6/36 – Aufgaben 6/34 ff. – Formenwahl, Formenzwang 6/37 f. – im EG-Recht 7/48, 50 – informales Verwaltungsverhandeln 6/125 ff. – Neue Entwicklungen 6/80 ff.
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Rechtsgebundenheit der Verwaltung 2/7 ff. – „Billigkeitskompetenz“ 2/64 f. – Bindungsmaßstäbe 2/10 ff. – Bindungsmechanismen 2/15 ff. – Gefahr selektiver Gesetzmäßigkeit 2/19 – gesetzesdirigierte Verwaltung 4/38 ff. – Gesetzesvollziehungsanspruch 2/58 – Gesetzesvollzug 4/42 – Rechtsanwendung 2/15 ff.; 4/54 ff. → Ermessen der Verwaltung → Gesetz → Methoden → Steuerung Rechtsprinzip (EU-Recht) – Elemente 2/6; 7/28 ff. – Integration durch Recht 7/20 ff. Rechtsschutz – in angemessener Zeit 2/30 f. – Verfahrensrechtsschutz 6/50 – Vergabeverfahren 3/46; 6/162 ff. → Gerichtsschutz Rechtsstaatsprinzip – Aufgabe 2/2, 4 f. – Beschleunigungsdiskussion 2/31; 6/55 f. – Besondere Gewaltverhältnisse 2/25; 4/17 – Bestimmtheitsgebot 4/26 ff. – Distanz 2/2; 5/38 – Elemente 2/6 – Formungskraft des Rechts 1/43; 2/2; 6/33 – Gerichtsschutz 4/58 ff.; 7/29 f., 51 – Gesetz 2/10, 68 – Gesetzesbestimmtheit 4/26 ff. – Gewaltenteilung 4/1 ff. – Grundrechte 2/32 ff. – Normenklarheit 4/27 – Rationalität 1/21; 2/75 ff.; 5/18 – Rechtsdurchsetzung 2/28 f. – Rechtzeitigkeit 2/30 f.; 6/55 f. – Verrechtlichung 2/21 ff. – Wirksamkeit des Rechts 2/20 ff.; 7/21 ff. – Wirkungszusammenhang 2/6 → Gewaltenteilung → Grundrechte → Rechtsgebundenheit der Verwaltung → Rechtsprinzip (EU-Recht) → Rechtsschutz
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Rechtsverhältnislehre 6/40 ff., 71 → Verhältnis Bürger-Verwaltung → Verwaltungsrechtsverhältnis Rechtsverordnungen – Bedeutung 6/82 ff. – gesetzliche Grundlage 4/31 – Verfahrensanforderungen 6/87 Rechtswidrigkeitszusammenhang 4/60 Rechtzeitigkeit 2/30 f. Referenzgebiete – Bedeutung für Systembildung 1/12 ff.; 3/2 ff., 58 ff. – bisherige 1/14; 3/2 – Sozialrecht 3/23 ff. – Umweltrecht 3/6 ff.; 6/143 ff. – Wirtschaftsrecht 3/43 ff. – Wissenschaftsrecht 3/36 ff. Regulierungsverwaltung 3/49 ff. – Bauformen 3/50 – Gewährleistungsverwaltung 3/114 ff. – Regulierungsbehörde 3/54; 5/37 – Regulierungsverwaltungsrecht 3/51 ff. – Telekommunikationsrecht 3/49 Risiko – als Rechtsproblem 3/92 ff. – Risikomanagement 3/94 – Sachverständigengremien 5/39 – Verfahren 6/162 Satzungen – Bedeutung 6/82 ff. – rechtliche Anforderungen 6/86 ff. Selbstverwaltung – funktionale 2/91 ff.; 5/42 – kommunale 2/88 f.; 5/19, 40 – Standardtyp der Verwaltung 5/24 → Satzungen Sozialstaatsprinzip 3/83 ff. Sozialverwaltungsrecht 3/23 ff. – Aufgabenfelder 3/28 ff. – Interessenstrukturen 3/33 ff. – Prinzipien 3/24 ff. – Soziales Staatsziel 3/83 ff. – Steuerungsansätze 3/33 ff. Staatsaufgaben 3/78 ff. → Staatsziele → Verwaltungsaufgaben Staatsaufsicht 4/90 → Verwaltungskontrollen
Staatsziele – Aufgabendeterminanten 3/82 ff. – Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen 3/91 ff. – soziales Staatsziel 3/83 ff. → Umweltschutz → Verwaltungsaufgaben Steuerung – analytisches Konzept 1/35 ff. – andere Steuerungskonzepte 1/40 ff. – Aufgabe des Verwaltungsrechts 1/33 ff. – Budgetsteuerung 1/41 f.; 4/89 – durch Gesetz 2/68; 4/7 ff. – durch Markt 1/40 ff. – durch Recht 1/34 ff.; 2/7 ff., 26; 4/12 ff. – Methodenfragen 1/45 ff. – mittlere Steuerungsebene 3/19 – Organisationsrecht 5/9 ff. – Rechtsformen 6/80 ff. – Regelungsstrukturen 1/38 f. – Steuerungsinstrumente 1/37; 3/58 ff.; 6/45 ff. – Steuerungsmedien 1/37 – Wirksamkeit 6/72 ff. – Wirkungszusammenhänge 1/35 ff. – Verhaltenssteuerung: direkte und indirekte 3/20 f. → Legitimation der Verwaltung → Neues Steuerungsmodell → Öffentliches Wirtschaftsrecht → Rechtsgebundenheit der Verwaltung → Sozialverwaltungsrecht → System, Systemgedanke → Umweltverwaltungsrecht → Verwaltungsrechtswissenschaft → Wirksamkeit des Rechts subjektives Recht – Ableitung aus Grundrechten 2/55 ff. – Aufgaben 2/69 – Begriff 2/69 – Drittschutz 2/56 ff.; 4/74 – EG-Recht 1/58 f. – Gerichtsschutz 4/59, 74 – grundrechtsunmittelbare Ableitung 2/61 f. – Klagebefugnis 1/59; 2/67; 4/59, 73 ff. – Leistungsgrenzen 2/70 ff.
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– Rechtswidrigkeitszusammenhang 4/60 – Schutznormlehre 2/59 ff. → Interesse System, Systemgedanke – Bedeutung im Verwaltungsrecht 1/2 ff.; 4/1 ff. – Europäisches Verwaltungsrecht 7/46 ff. – Handlungssystem 6/1 ff., 32 ff. → Steuerung Systematik – Bedeutung von Referenzgebieten 1/12 ff.; 3/2 ff. – Funktion des subjektiven Rechts 2/69 ff. – Leitbegriffe: Interesse, Aufgabe, Verantwortung 3/62 ff. Umweltschutz – Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen 3/91 ff. – Staatsziel 3/3, 91 ff. – Verwaltungsverfahren 6/143 ff. → Risiko → Umweltverwaltungsrecht Umweltverträglichkeitsprüfung 6/143, 149 Umweltverwaltungsrecht – als Referenzgebiet 3/6 ff. – Einflüsse des EG-Rechts 1/54; 6/143 ff. – Instrumente 3/18 ff. – Interessenstrukturen 3/12 ff. – „Komplexitätsdilemma“ 3/7 – Prinzipien 3/9 ff. – Risikorecht 3/6, 92 ff. – Steuerungsansätze 3/12 ff. – Umweltverträglichkeitsprüfung 6/143, 149 – Verhaltenssteuerung 3/20 f. Unbestimmter Gesetzesbegriff – Bestimmtheitsanforderungen 4/26 ff. – gerichtliche Kontrolle 4/67 f. – Letztentscheidungsermächtigungen der Verwaltung 4/69 f. → Ermessen der Verwaltung Verantwortung → V. des Staates gegenüber der → Gesellschaft → V. im Mehrebenen-System der EG Verantwortung des Staates gegenüber der Gesellschaft 3/109 ff. – Auffangverantwortung 3/112 – Basis in Asymmetrie 1/26
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bei Kooperation 3/122 Erfüllungsverantwortung 3/90 Gewährleistungsverantwortung 3/114 ff. Legitimationsverantwortung 2/101; 5/59 ff. – Leitbegriff 1/26; 3/109 ff. – Rahmenverantwortung 3/110 – Verantwortungsspektrum 3/109 ff. – Verwaltungsakt 6/101 ff. – Verwaltungsverträge 6/112 ff. → „kooperativer Staat“ Verantwortung im Mehrebenen-System der EG 7/38 ff. Verbände – Grundrechtsschutz 2/45 f. – Verbandsklage 4/78 Verfahrensrecht → Verwaltungsverfahren Verfahrensrechtslehre 6/138 ff. Verfassungsrecht – Bedeutung für verwaltungsrechtliche Systembildung 1/17 ff.; 2/1 ff.; 7/26 ff. – Bindungsmaßstab 2/11 – Europäische Konstitutionsprinzipien 7/26 ff. – Grundverhältnis Bürger-Verwaltung 1/21 ff. – Staatsziele 3/78 ff. – Verfassungsstrukturentscheidungen 2/1 ff. – Verhältnis zum Verwaltungsrecht 1/18 ff. – Verwaltungsorganisationsrecht 5/18 f., 34 ff. → Demokratieprinzip → Gerichtsschutz → Grundrechte → Rechtsstaatsprinzip Verhältnis Bürger-Verwaltung 1/21 ff. – Asymmetrie von Freiheit und Kompetenz 1/22 f. – Grundrechte 2/33 ff. – Stellung des Unionsbürgers 1/58 f. → Rechtsverhältnislehre → subjektives Recht → Verwaltungsrechtsverhältnis Verhältnismäßigkeitsprinzip 2/64 f.; 6/59, 68 – allgemeiner Maßstab 6/68
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Sachverzeichnis
– im EG-Recht 7/35 → Maßstäbe des Verwaltungshandelns Verwaltung – Aufgaben 3/78 ff.; auch 4/41 – des Gemeinschaftsraumes der EG 7/2 ff. – Eigenständigkeit 1/57 f.; 4/36 ff. – „Einheit der Verwaltung“ 5/33 ff. – Ermessen 4/46 ff. – Erscheinungsformen 4/41; 5/8 – Europäische 1/63; 7/3 ff. – gegliederte 5/32 ff. – gesetzesdirigierte 4/38 ff. – Gewährleistungsverwaltung 3/116; 4/41 – Kernbereich 4/44 – „kooperative“ 3/16; auch 5/53 ff. – leistende 3/102 – lenkende 3/104 – Maßstäbe 1/44; 2/22; 6/57 ff.; 7/35 – ordnende 3/100 f. – Organisation 1/46; 5/1 ff. – planende 4/41; 6/95 ff. – Rechtsgebundenheit 2/7 ff. – Regulierungsverwaltung 3/49 ff. – Typenbegriffe 3/99 ff. – Verantwortung 3/109 ff. – Verhältnis des Bürgers zur 1/21 ff., 58 ff. – vermittelnde 3/107 f. – Verwaltung in Privatrechtsform 5/51 f., 59 ff.; 6/21 ff. – Verwaltungsvorbehalt 4/43 ff. – Vollzugsverwaltung 4/41; auch 1/48 → Verwaltungshandeln Verwaltung des Gemeinschaftsraumes (EG) 7/2 ff. – beteiligte Verwaltungsträger 7/3 ff. – effet utile 7/21 – EG-Administration 7/4 – Gewährleistung wirksamen Rechtsvollzuges 7/21 ff. – Integration durch Recht 7/20 – Verwaltungskonzept 7/6 ff. → Europäische Verwaltung → Verwaltungskooperation Verwaltungsakt 6/100 ff. – Ausdruck gesetzesdirigierter Verwaltung 6/104 – Bedeutung 6/100 – Flexibilität 6/105 f.
– mit Doppelwirkung 3/105; 6/110 – Rechtsquelle 6/103 – Regeln als Verantworten 6/101 ff. – transnationaler 7/50 → komplexe Verwaltungsentscheidungen → Rechtsformenlehre Verwaltungsaufgaben 3/78 ff. – Einfluß auf Verwaltungsorganisation 5/15 – Staatsaufgaben 3/79 – Staatsziele 3/82 ff. – Stufungen von Verantwortung 3/109 ff. – Verwaltungstypen 3/98 ff. → Sozialstaatsprinzip → Umweltschutz Verwaltungsermessen → Ermessen der Verwaltung Verwaltungsgerichtsbarkeit – Aufgaben 4/58 ff. – Funktionsänderungen 4/76 ff. – Individualrechtsschutz 4/59 ff. – Kontrollinstanz 4/58 ff. – Kontrollintensität 4/61 ff. – Rechtsschutzeffektivität 4/84 – Verwaltungsverfahren 6/148 ff., 173 f. → Gerichtsschutz → Verwaltungskontrollen Verwaltungshandeln – dogmatische Grundsituation 1/22 ff. – Handlungsformen 3/59 f.; 6/32 ff. – Handlungspraxis 1/15; 6/1 f. – Handlungssystem 6/1 ff., 32 ff. – im EG-Recht 7/46 ff. – Implementation 6/74 ff. – informales 6/125 ff.; auch 2/48 ff. – Informationshandeln 2/50; 6/2 ff. – komplexe Verwaltungsentscheidungen 3/105; 6/107 ff.; auch 6/95 ff., 120 ff. – konsensuales 6/112 ff., 130 ff. – Maßstäbe 6/57 ff. – Ordnungsmuster 6/32 ff. – Prägung durch Organisation 5/9 ff. – privatrechtliches 6/21 ff. – Rationalität 2/75 ff.; auch 6/57 ff. – Rechtfertigungsbedürftigkeit 1/21 ff. – Rechtsformen 6/34 ff., 80 ff.; 7/48 – Sanktionen 6/79 – Steuerung durch Recht 1/34 ff. – Verwaltungstypen 3/98 ff.
Sachverzeichnis
– Wirksamkeit 6/72 ff. → Maßstäbe des Verwaltungshandelns Verwaltungskontrollen 4/57 ff. – als Maßstabsanktion 6/62 – Bauformen 4/87 f. – EG-Verwaltung 7/44 – Europäischer Kontrollverbund 4/89 – Finanzkontrollen 4/92 ff. – gerichtliche 4/58 ff. – Gewaltenteilung 4/5, 57 f. – Kontrollehre 4/87 ff. – Kontrollniveau 4/84, 88 – Öffentlichkeitskontrolle 4/98 ff. – Pluralisierung 4/89 ff. – Sicherung von Legitimation 2/86 – Systemkontrollen 4/91 – Verwaltungsorganisation 5/23 – Vielfalt 4/86 ff. → Maßstäbe des Verwaltungshandelns → Verwaltungsgerichtsbarkeit Verwaltungskooperation (EG) 1/63; 7/10 f. – horizontale und vertikale 7/10 f. – Kooperationsprinzip 7/10 f. – Verwaltungskooperationsrecht 7/18 f., 49 ff. → Europäische Verwaltung → Europäisches Verwaltungsrecht → Mehrebenen-System (EG) Verwaltungsorganisation 5/1 ff. – Bedeutung des Rechts 5/1, 9 ff.; 6/18 – Beleihung 5/57 f. – „Einheit der Verwaltung“ 5/33 ff. – Einwirkungen des EG-Rechts 5/20 – Entkoppelungen 5/37 f. – Entwicklungen 5/7 f., 20 – Europäische Verwaltung 1/63 – externer Sachverstand 5/39 – Gesetzesvorbehalt 5/18 f., 26 ff. – Kollegialgremien 5/44 ff. – Kompetenzschutz durch Gerichte 4/75 – Kontextsteuerung 5/10 f. – Legitimationsordnung 5/19 f., 23, 33 ff.; auch 2/80 ff. – Öffentliche Unternehmen 3/46; 5/8, 48 ff.; 6/27 – Organisationswissenschaften 5/13 ff. – organisatorische Arrangements 5/11 – pluralistische Einheiten 5/41 ff.
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– Steuerungseffekte 3/22, 40, 43, 54; 5/9 ff. – überkommene Dogmatik 5/2 ff. – verselbständigte Verwaltungseinheiten 5/36 ff. – Verwaltungsprivatrecht 6/23 ff., 27 f. – Vorgaben der Verfassung 5/18 f., 33 ff.; auch 2/80 ff. – Weisungshierarchie 5/5 → Selbstverwaltung Verwaltungsrecht – allgemeines und besonderes 1/9 ff. – Amtsrecht der Verwaltung 6/12, 16 ff. – Aufgaben der Steuerung 1/33 ff. – Doppelauftrag 1/30 ff. – Eigenverwaltungsrecht der EG 7/14 ff. – Europäisierung 1/50 ff. – Gemeinschaftsverwaltungsrecht 7/17 – Gerichtszentriertheit 4/73 ff. – Gewährleistungsverwaltungsrecht 3/117; auch 6/162 ff. – grundrechtsspezifisches Sonderverwaltungsrecht 2/66 – individualrechtliche Ausrichtung 1/27 ff. – Informationsverwaltungsrecht 6/7 ff. – Methoden 1/45 ff. – objektive Ordnung 1/29; 2/71; 6/10 – öffentliches und privates Recht 6/12 ff. – Ordnungsmuster 6/32 ff. – Organisationsrecht 5/9 ff. – Rechtskonkretisierung 4/54 ff. – Systemdenken 1/2 ff.; 7/46 ff. – Verhältnis zum Verfassungsrecht 1/17 ff. – Verrechtlichung 2/21 ff. – Verwaltungsermessen 4/46 ff. – Verwaltungsprivatrecht 6/23 ff. – Wirksamkeit 1/33 ff.; 2/20 ff.; 6/72 ff. → Europäisches Verwaltungsrecht → Rechtsformenlehre → Steuerung → Verwaltungsverfahren Verwaltungsrechtsverhältnis – Arten 6/45 f. – Asymmetrie 1/21 ff. – Bedeutung von Grundrechten 2/32 ff. – Funktionen 6/42 ff. – im Sozialrecht 3/34 – mehrpoliges 3/106; 6/120 f. – Verfahrensrechtsverhältnis 6/156 f.
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Sachverzeichnis
→ Rechtsverhältnislehre → Verhältnis Bürger-Verwaltung Verwaltungsrechtswissenschaft – als Steuerungswissenschaft 1/33 ff. – Aufgaben der Systembildung 1/3 ff.; 7/26 ff., 46 ff. – Europäische 7/52 – Methodenfragen 1/45 ff. – Nachbarwissenschaften 1/37, 49 – Organisationswissenschaften 5/13 ff. – Rechtskonkretisierung 4/54 ff. Verwaltungstypen 3/98 ff. – Gewährleistungsverwaltung 3/116 – leistende und ordnende Verwaltung 3/100 ff. – lenkende Verwaltung 3/104 ff. – vermittelnde Verwaltung 3/107 f. Verwaltungsverfahren – Arten 6/50 ff., 151 ff. – Bedeutung für Gesetzesanwendung 4/42, 52 ff. – Begriffe 6/47 f. – Beschleunigung 2/31; 6/55 f. – „dienende Funktion“ 6/46, 149 f. – eigenständige Aufgabe 4/75; 6/149 f. – Einwirkungen des EG-Rechts 6/143 ff. – Europäisches Verwaltungsrecht 7/48 – Grundrechtsrelevanz 2/42 f.; 6/53 f. – Haushaltsverfahrensrecht 6/170 ff. – Konzept des VwVfG 6/139 f. – neue Verfahrenstypen 6/163 ff. – Neutralität, Unbefangenheit 6/165 f. – Normsetzungsverfahren 6/87 – Öffentlichkeit 6/145, 167 f. – Privatverfahrensrecht 6/31 – Richtigkeitsgewähr durch 6/149 f. – Standardverfahren 6/152 ff. – Strukturen (Überblick) 6/158 ff. – Verfahrensphasen 6/154 f. – Verfahrensrechtslehre 6/138 ff. – Verfahrensrechtsverhältnis 6/156 f. – Verhältnis zum Gerichtsschutz 4/75; 6/173 f. – Verteidigungsrechte 7/37 – Ziele 6/50 ff. Verwaltungsverfahrensgesetze 6/138 ff. Verwaltungsverträge 6/112 ff. – als Normalität 6/114 ff.
– Ausdruck rechtsgebundener Kompetenz 6/114 – Begriffe 6/114 – Grundsatz gesetzesdirigierter Vertragsgestaltung 6/116 ff. – im Sozialrecht 3/35 – Klauselpraxis 6/118 ff. – mehrseitige 6/120 f. – Verfahrensrecht 6/122 ff. – Vertragstypen 6/120 ff. → Absprachen Verwaltungsvollstreckung 2/27; 6/74 Verwaltungsvorbehalt 4/43 ff. Verwaltungsvorschriften 6/88 ff. – Abstandsgebot 6/88 – Bedeutung 6/82; auch 3/19 – Bindung an 2/14 – normenkonkretisierende 6/89 f. Völkerrecht – Bindung der Verwaltung 2/13 Wesentlichkeitslehre 4/21 ff. Wirksamkeit des Rechts – effet utile 7/21 f. – Implementation 6/74 ff. – Rechtsdurchsetzung 2/27 ff. – Rechtzeitigkeit 2/30 – Sanktionen 6/79, auch 61 f. – Verwaltungskontrollen 4/57 ff. → Steuerung Wirksamkeitsurteile – Bedeutung im Verwaltungsrecht 1/49 – Legitimationsniveau 2/98 f. – Methoden 1/49 – Rechtsschutzeffektivität 4/84 f. – über Instrumenteneinsatz 6/78 Wirtschaftlichkeit – Ausdruck der Effizienz 6/64 – Finanzkontrollen 4/95 – Handlungsmaßstab 6/66 – Haushaltsrecht 6/170 f. → Maßstäbe des Verwaltungshandelns Wirtschaftsunternehmen der Verwaltung – Einwirkungspflicht 5/52 – gemischtwirtschaftliche Unternehmen 5/63 – öffentliche Unternehmen 5/48 ff. – privatrechtliche Organisationsformen 6/27
Sachverzeichnis
Wirtschaftsverwaltungsrecht → Öffentliches Wirtschaftsrecht Wissenschaftsrecht – als Referenzgebiet 3/36 ff. – intermediäre Organisationen 5/59 f. – Kooperation als Strukturprinzip 3/37 f.
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– Regelungsansätze 3/39 ff. Wohl der Allgemeinheit 3/76 f. Zwei-Stufen-Lehre 6/22 f. Zertifizierungen 3/55 ff.; 6/163 Zugang zu Dokumenten 2/114; 6/9, 145; 7/44
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