NORBERT FISCHER (HG.)
Augustinus Spuren und Spiegelungen seines Denkens Band 1
Meiner
I Von den Anfängen bis zur Reformation
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Bibliothek
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Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichn et diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibli ographische Daten sind im Internet über lhttp://dnb.d -nb.dc) abrufbar. ISBN 978 -3-7873 - 1922-0 (Band I) ISBN 978 -3-7873- 1923-7 (Band 2) ISBN 978 -3-7873 -1929-9 (Bände I u. 2)
CD Felix Meiner Verlag Hamburg 2009. Alle Rechte vorbehalten. Dies betrifft auch die Vervielfaltigung und Übertragung einzelner Textabschnitte durch alle Verfah-
ren wie Speicherung und ü bertragung auf Papier. Transparente, Filme, Bänder, Platten und andere Medien. soweit es nicht §§ S3 und S4 URG ausdrücklich gestat ten. Satz: Type & Buch Kusel, Hamburg. Druck und Bindung: Hubert&Co., Göttingen. Werkdruckpapier: alterungsbeständig nach ANSI -Norm resp. DIN-ISO 9706 , hergestellt aus 100% ch lorfrei gebleichtem Zellstoff. Printed in Germany.
Inhalt
Vorwort z um ersten Ba nd . . .. .. .. . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
IX
NO RB ERT F ISC H ER DIVERSI DIV E RSA PATRES SED Hl e OMNIA DIXIT
Ei nleitung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1
RA I N ER WA RLA N D
Das älteste Bildnis des hl. Augustinus?
Zum Wandmalereifragment eines spätan tiken Autors im Lateran
13
KARLA P OL LM ANN
Von der Aporie zum Code
Aspekte der Rezeption von .De Genesi ad Litteram
I 2. Chron ologische
An alyse im Überblick (20)
I 3.
19
Schlußfol·
C HRIS T JA N GÖDEL
Fides und ratio bei Anselm (.033 - 1109) und Augustinus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
37
Anselms >jnteJl ectu s fidei<(9) 12. Augustinische Grundlagen (40 ) 1 2. 1 Augustins persönlicher Denkweg zwischen ) inte ll ege re~ und >credere< (42) 1 2.2 Systematische Hinweise (43) 13. Ausgewählte Motive des Verhältnisses von Vernunft und Glau be bei Ansolm und Augustinus (48) 13.1 Zum Vernunft· und Glaubensbegriff (48) 13.2 Zur Begrenztheit der menschlichen Vernunft (53) 13.3 Zur )metaphysischen Naturanlage< des Menschen (55) I 3.4 Vom Verstehen des Glaubens zum Ein*Sehen seines Gegen* standes (58) I 4. Zur Möglichkeit eines Gottesbeweises aus der Reflexion über >fides( und >ratio<(62) 14.1 Ansol m (63) 14. 2 Augustinus (64) 14.3 Kritische Zusa mmenschau 1.
(66)
LEN KA KARFfKO VA.
Zur Rezeption Augustins bei Peter Abaelard (ca. 1079 - 1142) ................ Die Autobiographi e (7 1) I 2. Die Trinitätslehre (72) I 3. Theologie der Liebe (75) 4· Erbsünd e und Gnade (78) 15. Die Ethik der Absicht (80) 1.
I
71
VI
I
INHALT
ANDREAS E.J. GROTE
))In arca quaedam ad Christum, quaedam ad ecdesiam
I.
referuntur~(
I
I).
(c. Faust. 12,39)
2.2
Zur Rezeption von Augustins Arche-Exegese bei Hugo von St. Viktor (1097-1141), Petrus Johannis Olivi (1247/ 48 - 1296(98) und Aegidius Romanus (1245 -1316) ......................................... .
dig Vo
85
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Einleitung (85 ) 12. Augustinus (88) 13. Hugo von SI. Viktor (9)) 14. Petrus Johannis Olivi (98) 15. Aegidius Romanus (101) 16. Zusammenfassung (10))
1.
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Ni DIETER HATTRUP
1.
I
Augustinus im ekstatischen Denken Bonaventuras (1217118 - 1274) ............ 105
Ku
1. ,De Seientia Christi< 112541 (108) 12. ,Itinerarium<112591 (u6) I). ,Hexaemeron<112731
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(U9)
thf THOMAS FLIETHMANN
Augustinische lliente in der Gotteslehre des Thomas von Aquin (1224125 - 1274) 1.
127
7. 2 Bo
Augustinus als Autorität in der )sacra doctrina< (129) 12. Augustinus in der Gottes-
lehrt: der )Summa Theologiae< (131) I 2.1 Gott als Ursache des endlichen Guten ( 132)
I
2.2 Gott verursacht das Gute durch seinen Willen (134) I 2.3 Die Person des Heiligen Geistes als trinitarische Verankerung der Gabe des Guten (136)
I 3. Augustinus -
ein
Im
Lehrer des Thomas von Aquin? (139)
1.
I
HANNES MÖHLE
Stil
Der Augustinismus des 13. Jahrhunderts als Herausforderung für die
Au
Augustinusrezeption des Johannes Duns Scotus (1265 -1308) . . . . ............
141
,. Die Illuminationslehre (142) I 2. Die doppelte Wahrheit (145) 13. Die Kritik des Johannes Duns Scotus (147) 14. Scotus' Widerlegung Heinrichs (149) 15. Erkenntnis ohne besondere Erleuchtung (152)
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Al
C, 1. '
JOHANNESBRACHTENDORF
Meister Eckhart (,260-1328) und die neuplatonische Transformation Augustins .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 157 Das Verhältnis von Gott und Welt (158) 12. Inhaerere Deo (163) I ). Die Theorie des Geistes (165) I 4 Das Bild Gottes (167) I 5. Der dreifaltige Gott und die Einheit der Gottheit (171) I 6. Der mystische Aufstieg (173)
H.
1.
RUDOLF KILIAN WEIGAND
Wissen von Augustinus deutsch? Die Rezeption der Schriften des Kirchenlehrers in deutscher Literatur des Spätmittelalters. Ein kursorischer aberblick ........................ . ...... 177
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Be UM I.
I
INHALT
I
VII
im frühen und hohen Mittelalter (177) I 2. Popularisierung im und 14. Jah rhundert (180) 1 2.1 Verdeutschung des .Speculum historiale. (182) 1 Verwertung im )Renner< des Hugo von Trimberg (183) 12.3 Augustinus in den Pre;ten Taulers (189) 1 2-4 Spruchsammlungen und Kompilationswerke (191) 13. Späte lIüberset2Ungcn und Ausblick (193) ~ezeptionsspuren
:RMANN SC HNARR
acta ignorantia' als Augustinische Denkfigur bei kolaus von Kues ('401-'464) .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195
(urze Charakterisierung der Wertschätzung von Augustinus durch Nikolaus von es (195) 1 2. Die Paradoxie im Begriff .docta ignorantia, (196) 13. Die Quellen des griffs )docta ignorantia
oduktives Mißverständnis?
" Rezeption der Theologie des lateinischen Kirchenvaters Augustinus Werk Martin Luthers (1483 - 1546) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 211 , inleitung (211) 12. Der spätmittelalterliche Augustinus (2' 3) 13. Luther und Augunus (2'5) 1 4. Luthers Verständnis der Tradition (2'7) 1 5. Zusammenfassung und .sblick (222) C HARD AUGUSTIN SOKO LOVSKI
Igustinus als matrix omnium condusionum bei .rnelius Jan senius ('585 -.638) .. . ...................................... 225
vita Incognita des Cornelius Jansen (225) 12. Der ,Augustinu s<: Janus des Jansenius ~8) I 3· Augustinus - matrix omnium conclusionum (228) I 4. Matrix sein (22.9) I Die letzte Wahrheit (230) 16. Fröhliche Wissenschaft (230) 17. Kunst des Lebens (23 ') . Sola gratia (232) 1 9. Eine verurteilte Theologie (233) 1 10. Textus Receptus (233) 1 Unerträgliche Leichtigkeit des Seins (2.35)
. ICH NAAB
Itholische Verteidigungen
obachtungen zum Augustinismus "ach Bajus (1513 -1589) ,d Jansenius (1585 - 1638) .............................................. 237
Jie bajanische Vorlage (240) I 2. Potenz und Wille in der Augustinerschule (242) ~usblick: Der sittlich gute Akt (248)
I
V III
I
IN HALT
Siglenverzeichnis . . ....... . .... , .. ... .... , . . . . . .... . ... . . ....... . .... . . 251 Quellen- und Literaturverzeichnis ...... . ......•.......... . . ...... . .. " .. 255 Namenregister ... . .......... . ....... . ......... . . . . ......... . .... .. .. .. 279
vorwort zum ersten Band
er Text des Bibliotheksdistichons unter dem berühmten Fresko aus der alten Lateran-Bibliothek. das in den vorliegenden Band aufgenommen wurde und ikonographisch untersucht wird. hat den Wortlaut: DIVERSI DIVERSA PATRES SED HIC OMNIA DIXIT / ROMANO ELOQUIO MYSTlCA SSENSA TONANS. Übersetzen könnte man: Einige Väter sagen dies. andere jenes. dieser aber hat al/es gesagt. in römischer Beredsamkeit tief gründende Erfahrungen verkündend. Zwar hat Augustinus. auf den das Distichon gemünzt sein mag. nicht >alles< gesagt. wie der Text meint. Daß er im Vollzug und im Bedenken seines Lebens um Grundfragen gerungen und viel zu ihnen gesagt hat. war ihm selbst gut bekannt. sonst hätte er mit den Retractationes, in denen er seine Werke einer Selbstrezension unterzog, nicht diese singuläre Literaturgattung eröffnet. Und so spricht das Distichon nicht gerade zaghaft von der Bedeutung des abgebildeten Autors. Augustinus hat viel und viel Beachtetes gesagt. das über viele Jahrhunderte bis auf den heutigen Tag gelesen und aufgenommen wird. Um zur Deutlichkeit dieser unbestrittenen Tatsache beizutragen. sind hier Beträge gesammelt und herausgegeben. deren größten Teil die Autoren zunächst im Rahmen eines Symposions in der Akademie des Bistums Mainz vorgetragen haben (vom 18. - 20. Januar 2008). Zur Abrundung der Thematik sind nachträglich einige zusätzliche Beiträge erbeten worden. Angesichts der immensen Wirkungsgeschichte Augustins enthalten die beiden Bände. die aus dem Symposion erwuchsen. nur Ausschnitte eines Spektrums. auch wenn es das Ziel des Herausgebers war. Darstellungen wesentlicher Spuren der Augustinus-Rezeption bei Autoren zu erbitten. die ihrerseits wirksam waren und weiter beachtenswert sind. Der vorliegende erste Band bietet Beiträge zur Wirksamkeit Augustins von deren Beginn bis zur Reformation. ein zweiter Band behandelt sie vom Beginn der Neuzeit bis in die Gegenwart. Das Werk Augustins hat bis auf den heutigen Tag zunehmend sein Potential erwiesen. originäres Denken zu initiieren und zu befruchten. Verfehlt sind die Versuche. diesem Autor entweder das Verdienst für die unterschiedlichen (förderlichen) Ergebnisse dieser Anverwandlungen zuzusprechen oder ihn für die (schädlichen) Wirkungen als Schuldigen haftbar zu machen. Rezipienten sind mitverantwortlich für das. was sie rezipieren. Zwar mag das Corpus Augustinianum für das Mittelalter zunächst als Bildungsgut gewirkt haben. Ein Lehrer des Abendlandes wurde Augustinus aber vermutlich erst durch die Echtheit und die Ruhelosigkeit seiner Suche. die auch seine Leser zu originärem Denken antrieb. das diese jedoch selbst zu vertreten haben.
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VORWORT
Das seit 1989 unter der Herausgeberschaft und Leitung von Cornelius Mayer erscheinende Augustinus-Lexikon blendet die Wirkungsgeschichte Augustins aus, bietet aber fortschreitend ein Fundament, von dem aus auch die Wirkungsgeschichte gründlicher untersucht werden kann. Diese Wirkungsgeschichte möglichst breit zu dokumentieren und zu erfassen, ist die Aufgabe eines internationalen Projekts, das Karla Pollmann unter dem Titel The Oxford Guide to the Historical Reception of Augustine (430 -2000) leitet und betreibt. In diesem Kontext mögen die vorgelegten Beiträge förderliche Hinweise, aber auch zu diskutierende Auslegungen enthalten. Herzlich danke ich allen Mitarbeitern, die Beiträge zur vorliegenden Publikation geliefert haben, in der die riesige Wirkungsgeschichte Augustins wenigstens facettenhaft präsentiert werden soll. Neben der Darstellung bekannter Stationen der Augustinus-Rezeption gibt es Bezugnahmen, die auch ausgewiesenen Kennern kaum bekannt sind. Die Begegnung mit Spuren und Spiegelungen von Augustins Denken mögen heute von besonderem Interesse für das geistige Leben des Abendlandes sein, das sich erneut in einer kritischen Phase befindet, so wie es in seiner Geschichte schon oft schweren Bedrohungen ausgesetzt war. In dieser Situation stellt sich die Aufgabe der besonnenen Wiederaneignung einer Grundquelle der abendländischen Tradition, die derzeit wieder in der Gefahr steht, zu versiegen oder durch gewollten Traditionsbruch verschüttet zu werden. Karl Rahner hat einmal notiert (unveröffentlichter Text im Karl-Rahner-Archiv, München, Signatur: KRA IV A 102 (1926): Psychologisches beim Hf. Augustin): »Es gab wohl noch nie einen größeren Abschnitt in der Geistesgeschichte des Abendlandes seit den Tagen Augustinus, in der dieser große Denker unmodern gewesen wäre und nicht unmittelbar oder mittelbar in Philosophie und Theologie irgendwie das Denken befruchtete.« Die vorgelegten Beispiele aus der überreichen Wirkungsgeschichte Augustins sind im Blick auf ihren Gehalt, ihre Methode und ihre leitenden Intentionen unterschiedlich. Der Herausgeber hatte nicht die Absicht, diese Unterschiede gleichzuschalten und einen Monismus der Methoden (und noch weniger der Intentionen) zu befördern, zumal die Unterschiedlichkeit der Perspektiven die Vielfalt zu beachtender Züge im Werk Augustins vergegenwärtigt, die über die jahrhunderte hin durch die unterschiedlichen Zugangsweisen sehr unterschiedlicher Leser Augustins (und Rezipienten Augustinischen Gedankenguts) entfaltet wurden und hervorgetreten sind. Dazu paßt Augustins These, die er im Blick auf die Schriftinterpretation vorgetragen hat und die schon für die Heiligen Schriften eine Fülle höchst wahrer Auslegungsmöglichkeiten behauptet (conf 12,35: »tanta copia verissimarum sententiarum. quae de illis verbis erui possunt«).
Mein herzlicher Dank gilt den Mitarbeitern am Lehrstuhl für Philosophische Grundfragen der Theologie der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt, meinem Assistenten Dr. Jakub Sirovatka und meiner Sekretärin Anita Wittmann, für
p VORWORT
I
XI
die Hilfe bei der Planung und Durchführung des Projekts und danach bei der Druckvorbereitung. der Diplom-Tbeologin Tberesia Maier rur die sorgfaltige Durchsicht des Textes und für die Endfassung des Anhangs. den wissenschaftlichen Hilfskräften. die an den Korrekturen und der Erstellung des Literaturverzeichnisses beteiligt waren. zunächst cand. phi!. Oliver Motz. sodann cand. theo!. Sarah Hairbucher und cand. theo!. Stefanie Teich. Oliver Motz hat zudem das vom Herausgeber in Rom digital fotografierte Fresko für die Drucklegung bearbeitet. Für die Erlaubnis. dieses Fresko zu fotografieren und zu publizieren. sei dem Rektor der Pontificia Universitas Lateranense. dem Hochwürdigsten Herrn Erzbischof Rino Fisichella. herzlich gedankt. Im vorliegenden ersten Band wird das Fresko in einer von Oliver Motz (in Absprache mit Rainer Warland) behutsam digital restaurierten Form präsentiert (S. XII). um einen möglichst treffenden Eindruck des Zustandes zu vermitteln. den es um das Jahr 600 hatte. Den Mitarbeitern des Würzburger Zentrums für Augustinus-Forschung. seinem Leiter. Professor Dr. Cornelius Mayer OSA. PD Dr. Christof Müller. Dr. Andreas E. Grote und besonders dem Diplom-Tbeologen Guntram Förster danke ich für manche bereitwillig gegebene Hilfe. Das von Cornelius Mayer herausgegebene Corpus Augustinianum Gissense erwies sich in seiner zweiten Auflage wiederum als unverzichtbare Grundlage der Arbeiten. Texte Augustins und deren Siglen sind diesem Werk entnommen. Meinem Assistenten Dr. phi!. Jakub Sirovatka danke ich für zahlreiche Gespräche und rur einige wichtige Hinweise zur Sache. Für die oft erprobte Zusammenarbeit bei der Ausrichtung des Symposions gilt der Dank des Herausgebers dem Direktor der Akademie des Bistums Mainz. Professor Dr. Peter Reifenberg. Zu danken ist auch der Deutschen Forschungsgemeinschaft für die Unterstützung dieses Symposions. Schließlich sei dem Meiner Verlag rur die inzwischen bewährte Zusammenarbeit herzlich gedankt. Eichstätt I Wiesbaden. im Januar 2009
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Norbert Fischer
Wandmalerei unterhalb der Kapelle Sancta Sanctorum beim Lateran (Foto von Norber! Fischer. digitale Restaurierung von Oliver Motz)
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DIVERSI DIVERSA PATRES SED HIC OMNIA DIXIT Einleitung des Herausgebers
»[ ... ] de divinis scribentem legentes proficiunt. sed ego arbitror plus ex eo proficere potuisse. qui eum et loquentem in ecclesia praesentem audire et videre potuerunt« (Possidius: Vita Augustini 31,9: )Gewinn hat, wer liest, was er zum Göttlichen schreibt. Mehr Gewinn aber hatte. wer ihn, wenn er in der Gemeinde sprach.
unmittelbar hören und sehen konntec).
Augustins literarisches Werk wurde seit seiner Entstehung in der Kultur des Abendlandes - von Anfang an und über die vielen Jahrhunderte bis in die Gegenwart - wie wenige andere beachtet. Augustinus hat unterschiedlichste Leser zu eigenem Denken, zur Reflexion des Lebens und zur Ausarbeitung eigener Werke angeregt, vor allem auf den Gebieten der Philosophie und der Theologie, die in den vorgelegten Bänden zu seiner Wirkungsgeschichte exemplarisch zur Sprache kommen, aber auch auf den Gebieten der schönen Künste, die hier unbeachtet bleiben.' Ihn als ,divus Augustinus< gleichsam zu vergöttlichen, der Kritik zu entheben und die Signatur seiner Werke mit Weihrauch zu vernebeln, besteht - wie bei Menschen überhaupt - kein Anlaß. Blinde Verehrung, zu der Menschen neigen, um ihrer eigenen Existenz samt deren Problemen zu entrinnen, faJ.It mit Recht dem Vergessen anheim und hat besonnenen Lesern nichts zu sagen. Ebenso ephemer - und in ihrer naseweisen Angestrengtheit lächerlich - sind Versuche, einen Autor wie Augustinus zu diskreditieren und Leser vor ihm zu warnen, obwohl er bis zu seinem Ende um die zu bedenkende Sache gerungen und seinen Lesern Stoff zum Denken gegeben hat. Die vorgelegten Beiträge sollen hingegen zeigen, wie sich Leser, die an menschlichen Grundfragen orientiert waren, auf Texte Augustins einließen und ihnen Beachtung schenkten. Beispiele für falsche Verehrung oder irreführende Angriffe sind in den beiden Bänden, die Augustinus als richtungsweisenden Lehrer des Abendlandes vorstellen, nur beiläufig erwähnt. Ein anderer Lehrer des Abendlandes, den schon Augustinus als maßgebend anerkannt hat, war Platon, der Interpreten schriftlicher Texte aufgeI
Hier sei - unter Nichtbeachtung anderer Arbeiten - nur auf zwei Texte verwiesen; zuerst
auf Johannes Schaber OSS: Spuren des Kirchenvaters Augustinus in der Musik des 20. /ahrhun· derts (zwei Teile). Knappe ausgewählte Hinweise zu den Erwähnungen der Confessiones in der deutschsprachigen schöngeistigen Literatur sind angeführt und kurz kommentiert von Norbert Fischer: Einleitung (TusculwnJ, 787-794. Vgl. dort auch die einleitenden hermeneutischen überlegungen, bes. 781-787.
2
I
NORBERT FISCHER
fordert hat, sie soUten aus >eigener Ken ntnis der Wahrhei t< imstande sein, >das
Geschriebene als minderwertig zu erweisen< (Phaidros 278c: a&bc; ii tO UA.'1SeS [... ]
umso leichter zu bewerkstelligen ist, als diese nicht mehr selbst in der Lage sind, solche Angriffe abzuwehren . Obwohl Hans-Geo rg Gadamer mit der folgenden Passage nicht auf Augustinus zielt, gilt die in ihr ausgesprochene Annahme auch für ihn (WuM 2) : »Daß im Verstehen dieser großen Denker Wahrheit erkannt wird, die auf anderem Wege nicht erreichbar wäre, muß man sich eingestehen«. Dieser Annahme hätten die meisten Autoren zugestimmt, auf die Augustinus Einfluß hatte und die hier als Beispiele fü r die philosophisch -theologische Wirkungsgeschk hte Augustins ins Auge gefaßt werden. Der vorliegende erste Band bietet Untersuchungen zur Wirkungsgeschichte Augustins vom Begin n seiner literar isch faßbaren Rezeption bis in die Reformationszeit. Der zweite Band beginnt mit der Neuzeit und füh rt bis in die Gegenwart. Welcher Schatz, welche Herausforderung und welche Bürde den Nachkommen mit dem Corpus Augustinianum überliefert war, ist nicht sofo rt nach Augustins Tod deutlich gewesen, obwohl der Autor mit den Retractationes eine ansp ru chsvolle, ja heikle Lite raturgattung eröffne t hatte (wie schon mit seinen Conf essiones, deren literarische Gattung ohne wirkliches Vorbild war) und obwohl sein Schüler Possidius trotz des Einbruchs der Vandalen dafür gesorgt hat, daß wir heute im Besitz seiner Schriften sind, vermutlich, weil er ahnte, welche Bedeutung diesem Nachlaß einst zukommen könnte. Als Schatz darf die literarische Hinterlassenschaft Augustins zum Beispiel gelten, weil bei ihm Gott und Seele vor dem H intergrund des faktischen Lebens in das Zentru m des Denkens treten, wodurch Endlichkeit, Innerlichkeit und Transzendenz in neuer Weise zum Thema werden. Als Herausf orderung mochte sie gelten, weil sein Denken systematisch nicht kohärent darstellbar ist, was zum Beispiel in der notwendigen, theoretisch unauflösbaren Spannung von Freiheit und Gnade zum Ausdruck kommt, in der sich die Ruhelosigkeit des menschlichen Herzens erweist.' Eine Bürde ist sie, weil Augustinus zuweilen in der Attitüde des 2 Vgl. civ. 5.10: »quocirca nullo modo cogimur aut retenta praescientia dei tollere volu ntatis arbitrium aut retento voluntatis arbitrio deum (quod nefas est) negare praesciurn futurorum; sed utrurnque amplectimur. utrumque fideliter et veraciter confitemur; illud. ut bene credamus; hoc, ut bene vivamus.« Also ist die Annahme der beiden konträren Positionen erforderlich. Anderslautende Stellen sind von hier aus zu interpretieren; z. B. nat. et gr. 47: 19sed putat fOTtasse ideo necessarium esse Christi nomen, ut per eius evangelium discamus quemadmodum vive re debeamus, non etiam ut eius adiuvemur gratia, quo be ne vivamus.« Vgl. Norbert Fischer: Zum heutigen Streit um Augustinus. Sein literarisches Werk als Schatz, als Bürde und als Herausforde~ rung des Denkens.
EINLEITUNG
I
3
rechthaberischen Rhetors Thesen vertritt (angeregt von biblischen Texten. z. B. im Blick auf die Erbsündenlehre und deren Folgen fur die ungetauften Kinder). die mit Gerechtigkeit und Liebe unvereinbar sind. Weil Augustins Werk bis heute als zu bewahrender Schatz. als denkerisch anspruchsvolle Herausforderung und als lästige Bürde begegnet. ist es angebracht. einen Blick auf die Wirkungsgeschichte dieses Lehrers des Abendlandes zu werfen. Sofern Augustinus sich weigerte. Autoritäten blind zu folgen. widerspricht es dem Geist seiner Werke. deren Thesen. die Wandel und Widerspruch in sich bergen. zu fraglosen Vorgaben zu stilisieren.' So genügt ihm bei der Beantwortung der Frage. was schlecht zu handeln heiße. nicht die Auskunft. Handlungen seien schlecht. weil sie vom Gesetz verboten seien; vielmehr vertritt er die konträre These. das Gesetz verbiete Handlungen. weil sie schlecht seien (/ib. arb. 1.6): »non sane ideo malum est quia vetatur lege. sed ideo vetatur lege. quia malum es!.« Gegen bloße Autoritätsgläubigkeit arbeitet er unermüdlich an der Suche nach vern ünftiger Argumentation.' Zwar zeigt er sich überzeugt. erst durch das Hören der Botschaft der Heiligen Schriften auf den Weg zum >wahren Leben< gelangt zu sein. den er zuvor auf seinen Irrwegen mit eigener Kraft ges ucht hatte;' doch beharrt er bei seiner Absicht. auch verstehen zu wollen. was er gehört und gläubig angenommen hat. Sein Leitspruch lautet folglich (conf 1l.3): »audiam et intelligarn«. Zudem betont er. daß ihm der Glaube nicht ohne kritische Vorüberlegungen zugeflogen war. Seinen Weg. den er in den Confessiones beschreibt. konnte er nämlich nur gehen. nachdem ihn das Beispiel Christi als eines sterblichen. aber heiligen Menschen überze ugt hatte. Gottes Wort (die Weisung der Gerechtigkeit und Liebe) hatte er zwar gehört. es habe ihn aber wenig beeindruckt. solange er es nicht als gelebte Botschaft glauben konnte (conf 10.6): »et hoc mihi verbum tuum parum erat si loquendo praeeiperet. nisi et faciendo praeire!.« Die Botschaft der reinen Liebe konnte ihn erst im Vertrauen darauf überzeugen. daß sie zu leben und kein Wortgeklingel war. 1 An sich mag es kein Fehler sein, Thesen gelegentlich hartnäckig zu verteidigen; Augustins WiI1e zum Sieg (z. B. vera rel. 85: ,.i nvicti esse volumus el recte.c ) zeichnet sich aber auch durch sehr befremdliche Seilen aus (z. B. in den Auseinandersetzung mit Julian). Zum Siegeswillen Augustins vg!. Norbert Fischer: Einleitung (SwL). XV. • Bloß hypothetische Imperative wie die Goldene Regel (vgl. lib. arb. 1,6) weist er als unzulänglich zurück und sucht wei ler nach einem unbedingt gebietenden Imperativ (vgl. lib. arb, J,15): ,.ut omnia sint ordinatissima.« S Vgl. die Skizzierung seines Wegs der Suche im zehnten Buch der Confessiones, der ihn auf den Weg nach innen fUhrte, dann aber zu einer >Inversion der Aktivität <, die im Wendepunkt des zehnten Buches zu r Sprache kommt (10,38): »vocasti et damasti el rupisti surdilatem meam, coruscasti, splenduisli et fugasti caecitatem meam, fragrasti, et duxi spiritum et anhelo tibi, gustavi et esurio et sitio, tetigisti me, el exarsi in pacem tuam.« Zum Aufstieg nach innen und zur Inversion der Aktivität vgl. Norbert Fischer: Einleitung (SwL), bes. XL-LXIV. Vgl. zum Hintergrund auch Norbert Fischer; Dieler Hattrup (Hg.): Irrwege des Lebens. Augustinus: >Con· !ess;ones( 1-6 .
I
4
NORB2RT FISCHER
Daß Augustinus später von manchen Lesern nur noch als >Lehrer der Gnade. betrachtet wurde, ist als eine schädliche Verengung des Blicks aufTeile seines späten Werkes zurückzuweisen.' Obwohl die großen mittelalterlichen Denker, wie auch der vorliegende Band zeigt, nicht dazu neigten, den Kirchenvater explizit der Kritik auszusetzen, entsprachen sie, indem sie sich nicht auf Pfade fuhren ließen, die sie für verfehlt hielten, auf höhere Weise seinen Intentionen. Der erste Band zur Wirkungsgeschichte Augustins enthält Untersuchungen ab deren Beginn und reicht bis zum Übergang zur Neuzeit (nämlich den AugustinusDeutungen, wie Martin Luther und Cornelius Jansen sie entfaltet haben) und endet mit deren Nachklang auf katholischer Seite. Im ersten Abschnitt der Wirkungsgeschichte fungierte das Corpus Augustinianum auch als ein bedeutsames Vehikel eines Grundbestands antik-christlicher Bildung, besonders vermittelst der von Augustinischem Gedankengut geprägten Sentenzen des Petrus Lombardus (10951 1100 -1160) , die den Eindruck erwecken konnten, Augustinus >habe alles gesagt., und deren Kommentierung bis zum Ende des Mittelalters zum Standard theologischer Universitäts-Laufbahnen gehörte (als eine Art Habilitationsschrift) und schon dadurch das geistige Milieu stark einfarbte.' Ablehnende Bemerkungen zu Augustinus, der im Bereich der westlichen Kirche als überragende Autorität und als Garant für ein einvernehmliches Verhältnis zur Philosophie galt, waren in einer Zeit, in der die arabische Aristoteles-Kornmentierung eine für die Kirche äußerst schwierige Situation he raufbeschworen hatte, wenigstens nicht opportun' Gleichwohl folgten die Leser Augustins nicht blind den Vorgaben, sondern gingen - besonders deutlich sichtbar z. B. bei Petrus Abaelardus
Zur Integration der späten Exzesse in ein Gesamtbild vgl. Norbert Fischer: Augustins Philosophie der Endlichkeit. Zur systematischen Entfaltung seines Denkens aus der Geschichte der Chorismos-Problematik, bes. 268-295: Der praktische Weg zum höchsten Gut und die Dialektik von Freiheit und Gnade; weiterhin: Freiheit und Grwde. Augusti'IS Weg zur Annahme der Freiheit des Willens als Vorspiel und bleibende Voraussetzung seiner Gnadenlehre; und: Zur Gnadenlehre in Augustins Confessiones. Philosophische überlegungen zu ihrer Problematik. 1 Vgl. Se"tentiae in IV Ubris distinctae; dieses Werk ist in zwei Redaktionen von 1150 bis 1158 entstanden; vgl. dazu Otto BaItzer: Die Sentenzen des Petrus Lombardus. Ihre Quellen und ihre dogmengeschichtliche Bedeutung; Friedricb Stegmüller: Repertorium commentarionlm in Sententias Petri Lombardi (2 Bände); außerdem Marcia CoHsh: Peter Lombard (2 Bände). Zur Bedeutung Augustins im späteren Mittelalter vgl. auch Meredith J. Gill: Augustine in Ille Italian Renaissance. Art and Philosophy from Petrarch 10 Michelangelo. 8 Papst Gregor LX. beklagte im Brief vom 19.3.1227 an die Pariser Theologen das Eindringen des Aristoteli smus; er fUrchtete. daß dessen Verfechter die von den Vätern gesetzten Grenzsteine (ltpositos a Patribus termi nos«) mißachteten und zur >philosophischen Lehre von den natürli chen Dingen( übergingen (_ad doctrinam philosophicam naturalium «; er meint die Philosophie des Aristoteles. deren Auslegung in der Art der arabischen Aristoteles-lnterpreten der kirchlichen Theologie gefahrlich zu werden drohte). die er nicht nur fUr >leichtfertig. sondern für gottlosehielt (der Brieffindet sich in DH 824); vgl. dazu Narbert Fischer: Einleitung des Heraus6
EINLEITUNG
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und Thomas von Aquin - mit eigenem. zum Teil mit ausgesprochen selbständigem Urteil an die überlieferten Thesen Augustins heran. allerdings ohne den Versuch zu machen. die Spannungen und Widersprüche im Werk Augustins zu thematisieren oder gar Lösungsmodelle für sie zu entwickeln. In voller Schärfe traten die Probleme zutage. nachdem zu Beginn der Neuzeit - auch unter Berufung auf Augustinus eine Gnadenlehre entfaltet worden war. die für die Freiheit der Willensentscheidung keinen Platz mehr ließ und so in einen klaren Widerspruch zu der im Werk Augustins (äußerlich betrachtet) unklaren Thesenlage trat.' Die Darstellungen zur Augustinus-Rezeption in den über tausend Jahren nach seinem Tod enden mit einem Beitrag. in dem sich die katholische Seite wieder an diesen Autor herantastete. Karla Pollmann nennt .eruditio< als Maßgabe. unter der Augustinus zunächst rezipiert wurde. Eine Grundlage der frühen Augustinus-Rezeption war - neben den Retractationes - die Biographie des Possidius (t nach 437). der fast vierzig Jahre mit Augustinus zusammengelebt hatte. Der Beitrag verfolgt Stationen der frühen Augustinus-Rezeption exemplarisch an De Genesi ad litterom. Erwähnt werden Salvian von Marseille (etwa 400 bis 480) und die Rezeption von De Genesi in Dichtungen (Claudius Marius Victorius. Dracontius. Avit). Ausführlicher wird EUgippius (t nach 530) dargestellt. der in Augustins Werken die orthodoxen Positionen des christlichen Glaubens sehe. Obwohl für Cassiodor (etwa 485 - 580) die erstmals bei ihm greifbare Apostrophierung Augustins als >paten signifikant sei. gebrauche er De Genesi ad litteram als >Steinbruch<. um sein eigenes systematisches Anliegen zu stützen. Gregor der Große (540 - 604) habe Augustinus bewundert und ihn für die Herausforderungen seiner Zeit fruchtbar gemacht. Isidor von Sevilla (570 - 636) habe De Genesi für seine kompilierenden Interessen benutzt. Obgleich Beda Venerabilis (67213-735) Augustins Autorität anerkannt habe. habe er es vermieden. ihm in allem zu folgen. Für Wigbod. der um 775 - 800 für Kar! den Großen einen Katenen-Kommentar zum Oktateuch verfaßt habe. sei Augustinus in der Genesis-Katene die Hauptquelle gewesen. Nach Allcuin (t 804) werden Claudius von Turin (t 827) und Hrabanus Maurus (784-856) als gute Augustinuskenner genannt. Johannes Scotus Eriugena (810 - 877) habe die Theorie der Simultanschöpfung und der >pri -
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gebers; in ders. (Hg): Karlt und der Katholizismus. StatiOtlen einer wechselhaften Geschichte,
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Mit der Tradition der Vater ist die überragende Bedeutung Augustins geme int, wie sie in den Sentenzen des Petrus Lombardus hervortritt. 9 Luther war ja kein Augustinus-Forscher und schrieb De servo arbitrio, ohne Augustins De libero arbitria zu nennen (wohl auf Grund seiner Fixierung auf das gleichnamige Werk des Erasmus von Rotterdam); Luther den kt wohl im Rahmen der Polemik, in der Augustinus JuHan von Aeclanum zu diskreditieren trachtet, indem er diesem die These des )servum arbitrium( unterstellt, weil wah re Freiheit nur durch Gnade möglich sei (c. lul. 2,23): »hjc enim vultis hominem perfid, atque utinam dei dono, et non libero, vel potius servo propriae voluntati s arbitrio«. 10 Wilhelm Geerlings (Hg.): Possidius. Vita Augustini, '4.
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mordiales causae< von Augustinus übernommen, gehe aber über Augustinus hinaus. Den Schluß bildet Remigius von Auxerre (t 908), der häufig aus De Genesi ad lit-
teram zitiert habe. Kada Pollmann belegt die bald hervortretende Autorität Augustins, die aber nicht zu sklavischer Gefolgschaft geführt habe. Christian Göbel untersucht in seinem Beitrag zur Augustinus-Rezeption des Anselm von Canterbury das Verhältnis von Glaube und Vernunft, von Theologie und Philosophie. Dieses Verhältnis wird nicht auf einer formalen Meta-Ebene oder in propädeutisch-vorthematischen Voraussetzungen diskutiert, sondern als das theologisch-philosophische Denken selbst charakterisiert. Der Beitrag durch mißt das vielschichtige Beziehungsfeld von Glaube und Vernunft mit Bezug auf zwei seiner bedeutendsten Anreger, auf Augusti nus und seine Wirkung auf seinen großen >Schüler< in der Scholastik, Anselm von Canterbury. Im Ausgang von Augustinischen und Anselmischen Motiven der Enzyklika Fides et Ratio von Papst Johannes Paul II. (1998) wi rd das Verhältnis von Glaube und Vernunft bei Anselm mit Blick auf die Hauptwerke Monologion, Proslogion und Cur Deus Homo beleuchtet. Im letzten Kapitel fragt der Autor, wie die zentralen Überlegungen zur Rolle der Vernunft in Glaubensfragen zu einem eigenen Entwurf im Kernbereich der philosophischen Gotteslehre führen, nämlich als Ve rnunftweg zu Gott oder >Gottesbeweis<, der in einer >kosmologischen< Rekonstruktio n vorgetragen wird, da auch das »aIethologische Argument« prinzipiell auf dem kosmologischen Grundgedanken gründe. Lenka Karfikova versteh t Abaelard als originalen und kühnen Autor, der zwar nicht alle Lösungen, aber doch die Fragen Augustins akzeptiert habe, auf die Abaelard eigene Antworten sucht. Konkret geht es um die trinitarische Theologie, die Soteriologie, die Gnadenlehre und die Ethik. Die christliche Existe nz wird im Sinne Augustins als Freiheit ausgelegt, in der Gebote nicht aus Furcht, sondern aus Liebe erfüllt werden. Letztlich werde sie aber nicht als sittliche Möglichkeit des Menschen verstanden, sondern als Gnade Gottes, der allein dem Menschen Gefallen am sittlich Richtigen schenken könne. So komme es in der späten Gnadenlehre Augustins zu einer (höchst problematischen) Relativierung jeder menschlichen Moral überhaupt. Ohne Hilfe der göttlichen Gnade sei eine gute Tat nach dem späten Augustinus in Gottes Augen wertlos, sofern sie eben nicht durch die Liebe motiviert ist, die nur Gott selbst schenken könne. Wo Augustinus eine solche extreme Gnadentheologie ausführe, beschränke sich Abaelard auf ihre rein ethische Anwendung, in der die Gnadenlehre als der ursprüngliche Kontext beiseite gelassen wird. Andreas E.J. Grote beginnt mit der Geschichte der Exegese zur Arche Noah, stellt Augustins Exegese in diesen Kontext und betrachtet dazu die mittelalterliche Rezeption dieser Exegese im Spannungsfeld von literalern und allegorischem Schriftsinn. Damit werden sowohl wesentliche Züge der Schriftdeutung Augustins faßbar als auch die Art von deren Aufnahme im Mittelalter. Die Untersuchung der Rezeption von Augustins Deutung der Arche-Noah-Episode beginnt bei Hugo von St. Viktor,
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den schon Zeitgenossen als )alter Augustinus
Franziskaner-Spiritualen Petrus Johannis Olivi und führt zu Aegidius Romanus, dem Haupt der sogenannten .Augustiner-Schule<. Dieter Hattrup stellt das Denken des Joh annes Bonaventura als ekstatisch gesteigerten Augustinismus dar und sieht Bonaventura positiv durch Franziskus von Assisi zu diesem Denken stimuliert, negativ durch Aristoteles. Das Begreifen von Philosophie und Wissenschaft kehre Bonaventura um in das Ergriffensein der Ekstase: »In comprehensivo cognoscens capit cogniturn, in excessivo vero cognitum capit cognoscentem.« In De Scientia Ch risti von 1254 findet Dieter Hattrup die Grund-
lage von Bonaventuras Denken, das d ieser bis zuletzt in den Ansprachen des Hexaemeron (1273) mit polemischer Heftigkeit verteid igt habe. Thomas Fliethmann schränkt das übergroße Feld der Augustinus-Rezeption bei Thomas von Aquin auf die Betrachtung der .Gotteslehre<ein . Er geht von der Annahme aus, daß Thomas die Augustinischen Vorgaben aufgenommen, wei tergeführt, oder auch, wie zum Beispiel beim Erbsündenthema, still und nachdrücklich uminterpretiert hat. Ausgangspunkt ist die trotz der Bedeutung des Aristoteles bleibende Rolle des Neuplatonismus im Denke n des Thomas, der nicht nur Sachthemen Augustins aufnehme, sondern sie präzisiere, korrigiere und neu forme, wobei die Intentionen unter gewandelten wisse nschaftsth eoretischen Vo rgaben weitergeführt werden. Augustinus werde bis in die Trinitätslehre hinein zur Absicherung des neuplatonischen Stranges der Gotteslehre herangezogen, gemäß dem die Schöpfung auf Gott als das höchste Gut (sum mum bon um ) bezogen ist und von ihm seine eigene, geschaffene bonitas empfangt. Hannes Möhle sieht die Augustinus-Rezeption des Johannes Duns Scotus vo m geistesgeschichtlichen Hintergrund der Auseinandersetzung mit den Lehren des vorchristlichen Philosophen Aristoteles geprägt. Scotus stehe vor der Herausforderung, Augusti ns Gedankengut, das ihm vor allem in der Vermittlung durch Heinrich von Gent gegenwärtig sei, in eine tragfähige Synthese mit den Ansprüchen der Aristotelischen Erkenntnis- und Wissenschaftstheorie zu bringen. Wie der Vergleich mit Heinrich zeigt, folge Scotus in erster Linie den Vo rgaben des Aristoteles, wenn er etwa die Reichweite und die Grenzen menschlicher Erkenntnis bestimmt. Einschlägige Lehrstücke Augustins, besonders dessen Betonung einer göttlichen illumination, lehne Scotus der Sache nach ab, wie der Vergleich mit Heinrich lehre. Die Autorität, die Scotus Augustinus zuschreibt, führe aber dazu, die sachliche Ablehnung eher in Gestalt einer Akzentverschiebung und Umdeutung Augustinischer Gedanken zu kleiden, die Scotus gegenüber Heinrich als wahre Augustinus-Deutung begreife. Der sachliche Vergleich mit der Augustinus-Rezeption Heinrichs lasse das Maß erkennen, in dem sich Scotus von den Lehren des Kirchenvaters entferne,
wenn anders die einschlägigen Vorgaben des Aristotelischen Denkens nicht zu erfüllen sind.
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Johannes Brachtendorf behandelt die nicht leicht zu bestimmende Beziehung Meister Eckharts zu Augustinus, der in Eckharts Texten häufiger zitiert wird als jeder andere Autor. Einerseits versuche Eckhart auf vielen Gebieten, seine Grundpositionen durch die Autorität des Kirchenvaters abzusichern. Dieser Versuch betreffe vor allem den Seinsbegriff, die Deutung des ,inhaerere Deo' als Lebensziel des Menschen, die Theorie des menschlichen Geistes, die Lehre vom Bild Gottes, die Trinitätslehre und schließlich die Konzeption des mystischen Aufstiegs. Andererseits zeige ein genauer Vergleich, daß Eckhart Augustinus auf neuplatonische Positionen hin zurückbiege, von denen der Kirchenvater selbst sich gelöst hatte. Eckhart denke wieder stärker in den Bahnen des Neuplatonismus als Augustinus. Insofern sei Eckharts Augustinus-Rezeption durch eine neuplatonische Transformation des Kirchenvaters gekennzeichnet. Rudolf Kilian Weigand untersucht die frühe Aufnahme Augustinischer Gedanken in deutschsprachigen Werken. Auch wenn bereits unter sehr frühen Zeugnissen des Deutschen eine Augustinus-Predigt übersetzt sei (Sermo 76 in den MonseeWiener Fragmenten), bleibe die Kenntnis des Kirchenvaters in der deutschen Sprache im frühen und hohen Mittelalter marginal. Erst ab dem '3. Jahrhundert seien deutsche Texte zu fassen, deren Augustinus-Verwertungen die Popularisierung von Gedanken des Bischofs von Hippo vorantreiben. Als Beispiel wird das gereimte didaktische Großwerk Renner des Hugo von Trimberg angeführt. Über das Schrifttum der deutschen Mystik (Eckhart, Tauler) seien dann im 14. Jahrhundert breite Kreise mit Augustinischem Gedankengut versorgt worden. Allerdings fehlten in dieser Zeit noch immer umfassende Übersetzungs unternehmungen, die sich erst für das 15. Jahrhundert nachweisen ließen. Hermann Schnarr widmet sich der Vorgeschichte der Cusanischen Wortverbindung ,docta ignorantia, (gelehrtes oder belehrtes Nichtwissen). Er zeigt, wie Augustinus und der von diesem geprägte Bonaventura den Begriff ,docta ignorantia, jeweils in einer auf bestimmte Bereiche der Gotteserkenntnis beschränkten Weise gebrauchen. Nikolaus von Kues dehne den Begriff auf den gesamten Bereich menschlichen Erkennens aus. Als er wegen dieser scheinbar dem Aristotelischen Wissenschaftsverständnis widersprechenden Erkenntnistheorie von dem Heidelberger Theologie-Professor Johannes Wenck von Herrenberg angegriffen wurde, habe Nikolaus seine Theorie des Nichtwissens zu verteidigen versucht - und zwar unter
ausdrücklicher Berufung auf den Kirchenvater Augustinus und dessen Verwendung des Begriffs )docta ignorantiac
Markus Wriedt zeigt, wie Luther den Augustinismus des Spätmittelalters - wenn auch nicht ausschließlich, so doch ganz wesentlich - durch seinen Orden kennengelernt und übernommen hat. Die Theologie der Augustiner spiegele die ganze Bandbreite der Augustinus-Rezeption des Spätmittelalters wider. Angesichts dieses diffusen Befundes könne man jene Form der Augustinus-Rezeption kaum so bela-
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sten, um in ihr jene entscheidende Initiation zu erblicken, die Luther auf seinen weiteren Weg zur Reformation leitete. Nach eigenem Bekunden hat die seelsorgerliche Zuwendung des Johann von Staupitz (1465 -1524) Luther für die Wahrnehmung von dessen antipelagianischer Gnaden- und Rechtfertigungslehre sensibilisiert. Daneben seien aber auch andere theologische Zeitströmungen für die Entwicklung des theologischen Profils des jungen Luther von gleichberechtigter Bedeutung gewesen. Augustinus sei gleichwohl für Luther eine, wenn nicht phasenweise die unbezweifelbar auch von den Gegnern anerkannte Autorität, die ihn in seiner Auslegung des Evangeliums bestärkt und die damit entscheidende reformatorische Einsichten ermöglicht habe. Luther habe Augustinus als Inbegriffkatholischer Orthodoxie gesehen, die sich freilich je neu im Licht der Heiligen Schrift zu bewähren hatte. Richard Sokolovski beginnt mit dem Hinweis, daß Cornelius Jansenius weder als Professor noch als Theologe noch als Bischof in die Geschichte eingegangen ist, obgleich er doch Professor der Heiligen Schrift, Theologe zu Löwen und Bischof von Ypern war. Sogar sein persönlicher Name sei diesem Augustinuskenner des 17. Jahrhunderts weggenommen und durch einen Allgemeinbegriff ersetzt worden: Jansenismus. Sein Meisterwerk Augustinus, in dem Jansenius den grandiosen Versuch unternommen habe, die Gnadenlehre des Aug ustinus als die einzig plausible und kirchlich rezipierte Theologie für das 17. jahrhundert auszulegen, sei ein nie gelesenes Buch geblieben .• AugustillUS - matrix omnium concJusionum<, so laute das Motto des Cornelius jallsenius. Die Methode, derer die Lektüre Augustins bedürfe, wende jansenius auf die gesamte Gnadentheologie des Doetor gratiae an: Innerlich müsse das Werk des Lehrers des Abendlandes gemäß seiner eigenen theologischen Entwicklung gelesen werden; äußerlich verstehe er Augustinus als Rettungsanker gegen die Ambivalenz der kirchlichen Tradition. Die Widersprüchlichkeit der Augustinus-Rezeption wie der kirchlichen Überlieferung überhaupt deute er als .Iabyrinthus quaestionum<. Den Augustinus des jansenius legt Richard Sokolovski als den ersten katholischen Versuch der Neuzeit aus, mit Hilfe des Kirchenlehrers Augustinus aus der Finsternis und Gefangenschaft des Labyrinths in das Licht und in die Freiheit der göttlichen Gnade zu gelangen. Erich Naab behandelt Enrico Noris (1631-1704), Fulgencio BeUelli (1675 -1742) und Gianlorenzo Serti (1696 -1766) als die Hauptverteter der sogenannten jüngeren Augustinerschule, die modifizierend Ansätze des Michael Sajus und Cornelius Jansenius aufnehmen, um gegen die neuzeitliche Konstruktion einer reinen, sich
selbst genügenden und gottlosen Natur die stete Beziehung des geschaffenen Geistes zu seinem transzendenten Ziel zu wahren. Die Diskussion fokussiere sich auf die Fragen des Urstandes. bestimme die Bedeutung der Gnadentheorie und wurzele im Gottesverständnis. [n der Auseinandersetzung mit den innerkatholischen Gegnern werde die Unterscheidung zwischen einer potentia absoluta und ihrer Ausgestaltung
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als potentia ordinata gebraucht (und so rue Möglichkeit einer reinen Natur nicht einfach bestritten). Der Verfasser achtet darauf, welche Bedeutung rueser Differenz gegenüber den Vorgängern im Denken der Augustiner zukommt, und zeigt auf, wie sie versuchen, die Transzendenz Gottes nicht durch rue Scheidung zwischen Natu r und Gott, sondern durch rue Gnade und Einung mit ihm auszudrücken. Im Entwurf von luan Martinez de Ripalda SI (1594 -1648) werde zwar die natura pura erschreckend deutlich entwickelt, aber in der Situation des Menschen nach dem Sündenfall in der Intention Augustinischer Theologie, doch unter scholastischem Gewand, mit der Annahme einer universalen initialen Gnade wiederum weitgehend neutralisiert. ll
Rückblickend läßt sich die ,eruditio<, die durch rue Sentenzen des Petrus Lombardus institutionalisiert war, als wichtiges Merkmal der mittelalterlichen AugustinusRezeption festhalten. Wo Augustinus über diesen Gesichtspunkt hinaus aufgenommen wurde, sind die von ihm ausgehenden Impulse keineswegs unterwürfig oder autoritätsgläubig übernommen worden. Bemerkenswert ist vielmehr, wie eigenstänrug rue großen Leser Augustins im Mittelalter mit dessen Texten umgegangen sind. Noch bemerkenswerter scheint allerdings, daß Augustinus, nachdem sich der Traditionsbruch der Neuzeit ereignet hatte und die Berufung auf tradierte Autoritäten vollends obsolet geworden war, zuneh mend als ernstzunehmender Denker anerkannt worden ist, auch in Kontexten, in der seine Bedeutung als ,Kirchenvater< von geringerer Bedeutung war, beispielsweise bei den Begründern der ,Phänomenologischen Philosophie,.I' Die fortbestehende Beachtung Augustins wird im zweiten Band dargetan, in dem Augustinus als Lehrer des Abendlandes vom Beginn der Neuzeit bis in die Gegenwart ins Auge gefaßt wird. Wie immer man die AugustinusDarstellung von Kar! Jaspers in ihrer spröden, oft uneinheitlichen Art beurteilen mag: Es ist ein deutliches Zeichen für das geistige Klima des 20. Jahrhunderts, daß Jaspers Augustinus als einen der »fortzeugenden Gründern des Philosophierens« hervorhebt, zu denen er ansonsten nur Platon und Kant rechnet. 13 11 Vgl. Hermann-]osef Sieben SI: Der Beitrag der Jesuiten zur Ober windung des extremen Augustinismus im I/. Jahrhundert, der mit dem Augusti nismus des Cornelius ]ansenius beginnt
(186 -196), dann die kontroversen Diskussionen der Jesuite ntheologen vor 1640 behandelt (196 -104) und mit Diskussionen zur Autorität Augustins von ]esuitentheologen nach 1640 schließt. die an Heftigkeit heutigen Diskussionen nicht nachstehen (204 - 216). 12 Vgl. dazu den Beitrag von Friedrich- Wilhelm von Herrmann: Begegnungen mit Augustinus in den Phänomenologien von Edmund Husserl (1859 -1938), Max Scheler (1874 -1928) Lmd Martin Heidegger (1889 -1976); in Band 11: Von Descartes bis in die Gegenwart. Il Vgl. Die großen Philosophen, 229; bes. 231: »Wer Platos, Augustins, Kants Werke liest, macht die Erfahrung der Produktivität des Denkens selber, die Erfahrung dessen, was Kant sagt: man könne nicht Phüosophie, sondern nur Philosophieren lernen. « Zu Augustinus: 319 - 396. Mit Recht betont Jaspers (333): »Augustinus denkt fragend. « Seine Resümees sind oft ein wenig nebulös (334 f.): »Die Zeit wird erst durch das fragende Erdenken. was sie sei, als Geheimnis
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Ein Grund, aus dem Augustinus sich ganz unterschiedlichen Lesern zur Lektüre aufdrängen konnte, sind auch die sehr unterschiedlichen Aufgaben, denen er sich in seinen Schriften stellt. l' Augustinus hat zunächst hartnäckig den Weg zur Wahrheit und zum seligen Leben gesucht und auch Irrwege nicht gescheut. Nach der >Bekehrungl wollte er seine Leser zum Mitgehen auf dem von ihm gefundenen Weg der Wahrheit antreiben, der ihn selbst zum Lob Gottes geführt hatte,l' Eine wichtige Frucht des Antriebs, Gott zu loben, den er selbst von Gott empfangen zu haben glaubte (conf 1,1: »tu excitas, ut laudare te delectet«), sind die Confessiones, die Augustinus in den RelTactationes besonders hervorgehoben und ausdrücklich als >excitalionesl verstanden hat. Dort sagt er, daß die dreizehn Bücher seiner Bekenntnisse zunächst den Blick auf das Schlechte und auf das Gute an ihm richten und dabei Gott als gerecht und gut loben, sodann Geist und Sinn des Menschen auf Gott hin antreiben - was sie bei ihm schon bewirkt hätten, als er diese Bücher schrieb und es jetzt noch täten, wenn er sie wieder liest. 16 Es mag sein, daß Augustins eigener Denkweg, sofern er von den Fragen nach Gott und der Seele beslimmt war, in den Confessiones seinen gültigen Ausdruck gefunden hat, der in den späteren Werken keine wirkliche Wandlung, sondern nur noch seine Ausgestaltung hinsichtlich neuer Kontexte erfahren hat. Insbesondere durch das Amt des Bischofs sah Augustinus sich gedrängt, sich anderen Aufgaben zu widmen, nämlich der Auslegung der Heiligen Schriften I' und ganz fühlbar. Aber ich denke es, um durch dies Geheimn is selbst mich des Sinns der Ewigkeit, Gottes Ewigkeit und der eigenen, in der die Zeit getilgt ist, zu vergewissern.« Er trägt eine antithetische Charakterisierung Augustins vor (387): »Er ist ein chaotischer Mensch, darum begehrt er die absolute Autorität, - er neigt zum N ih ilismus, darum bedarf er absoluter Garantie, - er bleibt in der Welt ohne wirkl iche Bindung, weder an ein e Frau, noch an Freunde, darum sucht er Gott ohne Welt.« Andererseits sagt er (ebd.): »Solche Gegensatzpsychologie ist v iel· leicht auf eine r Ebene klärend, aber auf ihr wird der Ernst Augustinischen Denkens nicht e rreicht.« 14 Hinweise zu Augustins Wirkung in der Neuzeit gibt Band 11 (vgl. dort auch die Einleitung
des Herausgebers) . IS Vgl. z. B. con!
1,1; 10,4;
dazu Norbert Fische r: Einleitung (SwL), XXXI - XXXIII; XXXV;
xxxvn;xcl. Vgl. retr. 2,6,1: »confessionum mearum libri tredecim et de malis et de bonis meis dewn laudant iustum et bon um, atque in eurn excitant humanum intellectum et affectum interim quod ad me attinet, hoc in me egerunt cum scriberentur et agunt cum leguntur. « Bemerkenswert ist, daß die Confessiones im systematisch orientierten Denken des Hochmittelalters im Hintergrund blieben, daß sie mit dem Aufkommen der spirituell ausgerichteten >devotio modernal in den Blickpunkt der Aufmerksamkeit traten und in de r neuere n Ph ilosoph ie, besonders seit dem Beginn ihrer phänomenologischen Ausrichtung, auch denkerisch als zentraler Text beachtet wurden. 17 Diese Auslegung war - im Gegensatz zur heute vorherrschenden Exegese - stark von philosoph ischen und spirituellen Motiven und einer allegorischen Methode bestimmt. A ls Beispiel, daß diese Exegese auch heute noch positive Resonanz findet, vgl. Ludger Schwienhorst16
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der systematischen Reflexion der Inhalte der Glaubensbotschaft (z. B. De trinitate)." Dabei begab er sich in zuweilen unerbittliche Debatten mit abweichenden Lehren (z.B. Contra Iulianum)l' oder betrieb als beredter Advokat die Abwehr feindlicher Angriffe gegen die christliche Kirche (z. B. De civitate dei).20 Die Unterschiedlichkeit der Gesichtspunkte, die Augustinus zum Denken, Lehren und Schreiben bewegt haben, spiegelt sich in einer facettenreichen, teils auch widersprüchlich scheinenden Wirkungsgeschichte, deren Untersuchung nicht nur historischen Interessen dient, sondern auch Anregungen zur sachgemäß reflektierten Lektüre seiner Werke gibt, sofern sie von Blickverengungen zu befreien vermag, die endlichen geschichtlichen Situationen immer anhaften.
Schönberger: Augustins Auslegung von Genesis 1 in Confessiones 11 - 13 und die moderne Bibelwissenschaft· 18 Vgl. dazu z.B. Johannes Brachtendorf: Gott und sein Bild. Augustins De Trinitate im Spiegel gegenwärtiger Forschung. Basil Studer: Augustinus. De Trinitate. Eine Einführung. 19 vgl. Mathjis Lamberigts: Julian von Aeclanum und seine Sicht der Gnade: Eine Altemative? (mit weiteren Literaturangaben). 10 Vgl. z. B. Christoph Horn: Augustinus. De civitate dei; zur Bedeutung der ihn prägenden Last des Bischofamtes vgl. Gerhard May: Augustin als Prediger, Seelsorger und Bischof
Das älteste Bildnis des hl. Augustinus? Zum Wandmalerei fragment eines spätantiken Autors im Lateran
von Rainer War/and
In den verwinkelten Substruktionen der Kapelle San eta Sanctorum beim Lateran stieß Philippe Lauer bei Ausgrabungen des Jahres 1900 auf das Wandmalereifragment eines spätantiken Autorenbildes (Abb. reV Die zwischenzeitlich restaurierte und neu fixierte Malerei befindet sich an schwer zugänglichem Ort, in einem niedrigen Querstollen, und es ist höchst zweifelhaft, ob sich der originale Bauzusammenhang noch klären lassen wird (Gesamthöhe der Malerei ca. 260 cm, Maße des Figurenfeldes 140 x 120 cm). Vermutlich handelt es sich um Räume des päpstlichen Archivs beim Lateran. Von Papst Zacharias (741-752) wird berichtet, daß dieser bei seinen umfangreichen Restaurierungsmaßnahmen des päpstlichen Palastes beim Lateran auch Baumaßnahmen >ante scrinium sanctuffi< durchfüh· ren ließ.2
Weitere Wandmalereifragmente, die im Kontext des Autorenbildes angetroffen wurden, zeigen einen zweizeiligen lateinischen Titulus, ferner einen Tondo mit Inschrift sowie den Dekor einer Nische mit einem radschlagenden Pfau.' Alle Fragmente wurden von Wilpert in seinem kapitalen Werk zu den Mosaiken und Malereien der Spätantike bekannt gemacht. Giovanni Tabanelli, der Mitarbeiter Wilperts, fertigte eine zeichnerische Kombination der Malereifragmente an und ordnete sie in einen mehrzonigen, ho1 Grundlegend sind folgende Veröffentlichu ngen: }oseph Wilpert: Die römischen Mosaiken und Malereien der kirchlichen Bauten vom IV. bis XIII. Jahrhundert. Fig. 37. IV Taf. 140 - 141; Fabrizio Bisconti: L'Affresco det S. Agostino; Mafia Andaloro: La Fittura Medievale aRoma 312 -1431; PhiJ ippe Lauer: Les fauilles du Saneta Sanctorum. 1 Vgl. Liber Pontificalis 1,432; dazu zuletzt Bisconti: L'Affresco dei S. Agostino, 62; ferner Manfred Luchterhandt: Päpstlicher Palastbau und höfisches Ze remoniell unter Leo 111. 3 Zum Typus der Nische. dekoriert mit ei nem radschlagenden Pfau, vgl. Jean-Pie rre Sodini:
Les paons de saint-Polyeucte cl leurs mode/es.
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hen Wandaufbau ein (Abb. Li.).' In der Gesamtwirkung und der spezifischen Typologie dieser Schmuckfelder muß es sich um einen spätantiken Bibliotheksraum gehandelt haben. der höchsten Repräsentationsbedürfnissen gerecht wurde. War Lauer noch zurückhaltend bei der Zuschreibung des Autorenbildes. so trat Joseph Wilpert in einem Aufsatz von 1931 nachdrücklich für die Identifizierung als Augustinus ein. Er sah den überragenden Autor der spätantik-Iateinischen Literatur hier im römischen Archiv erstmals mit veristischen Bildnismerkmalen wiedergegeben.' Augustinus von Hippo (354 - 430) hatte damit die individuelle Physiognomie eines Mannes in fortgeschrittenem Alter erhalten. mit markanter ho her Stirnglatze. das gerundete Gesichtsfeld gerahmt von einem Bart. Und dennoch. die ebenso gelehrte wie suggestive Beweisführung von ~'\..~"'.\:~\.~\.V:l:b:r/1:7/. Wilpert muß vor der heutigen Denkmälerdiskussion relativiert werden. Das Autorenbild behält seinen bildgeschichtlichen Wert. doch die Authentizität des lebensnahen Porträts kann nicht aufrechterhalten werden. Wilpert verwies auf Siegelbilder und Bildnistafeln. deren Gebrauch im Schriftverkehr spätantiker Autoren literarisch bezeugt ist. Augustinus selbst erwähnt in einem Brief ein solches beglaubigendes Ringbild (ep. 59.2: »hanc epistulam signatarn misi anulo, qui exprimit fadem hominis adtendentis in latus«). Erhalten ist davon freilich nichts und das Kleinformat läßt spezifische Porträtmerkmale nicht zu. Stattdessen sind es andere Bildn isgattungen. in denen verläßliche Porträts spätantiker Zeitgenossen zu erwarten wären . Dies sind hochrechteckige Bildnistafeln (>tabulae imaginis<). auf die der falschlieh »rechteckiger Nimbus« genannte Rahmen um die Köpfe historischer Personen der Spätantike und des Frühmittelalters hinweist.' In der Theodotuskapelle von Santa Maria Antiqua in Rom war der rechteckig gerahmte Kopf des Stifters separat gearbeitet und mit Stiften in die Wandmalerei eingefügt.' Noch verbreiteter war der Bildtypus der Imago clipeata. der schildgerahmten Bildnisbüste. die als Porträtträger diente. Die Clipeus-Serie der frühchristlichen Päpste in der 1823 niedergebrannten Paulus-Basilika in Rom bot eine solche offiziöse Bild-~
Joseph Wilpert: Die römischen Mosaiken und Malereien IV, Fig. 37. S Joseph Wilpert: [J piu antieo ritratto di S. Agostino. (\ Gerhart B. Ladner: Die Papstbildnisse des Altertums und des Mitte/alters. 7 Joseph Wilpert: Die römischen Mosaiken und MalereietllI, 191; ferner Arno Renner: Drei ~ mal7heodotus? Stifterbild und Grabstiftung in der Theodotus~Kapelle von Santa Maria Antiqua in Rom. 4
DAS ÄLTESTE BILDN IS DES HL. AUGUSTINUS?
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nisfolge der Amtsträger.' Auch das Clipeus-Porträt des nordafrikanischen Bischofs Quodvultdeus, der vor den Vandalen geflüchtet war, gehört in diese Bildnisgattung. In der Bischofsgruft von S. Gennaro in Neapel gehört sein Mosaikbildnis über dem verehrten Grab zu den wenigen verläßlichen Zeugnissen spätantiker Porträts.' Als Bildargument für Wilperts Interpretationsansatz bleibt allein das frühmittelalterliche Zeugnis des Boethius-Diptychons aus dem Jahr 487 n. Chr. in Brescia." Auf den Innenseiten (Abb. 0.) ist dort eine frühmittelalterliche Eintragung mit der übergreifenden Rubrizierung »Quo deo offerimus« erhalten, unter der die Namen der verstorbenen Bischöfe links und die der lebenden Bischöfe und Gläubigen rechts 8
Maria Andaloro: La Pittura medievale aRoma J12 -1431,
97 -121.
, Umberto M. Fasola: Le catacombe di S. Ge,maro a Capodimonte, 154 Taf. XII. l(} Richard Delbrueck: Die Consu lardiptychen und verwandte Denkmäler. Studien zur Spätantiken Kunstgeschichte 2, Nr. 7. 103 -106 Abb. I. Nr. VIII 03, 176-177 (Giovanni Vezzoli).
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San Salvatore di Brescia. Materiali per un museo
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zum liturgischen Gedenken (>in diptychis<) der Kanongebete aufgelistet sind. Zusätzlich wurden über den Namen der Verstorbenen links das Bild der Auferweckung des Lazarus eingefügt> über den Lebenden dagegen drei Brustbilder von lateinischen Bischöfen als Autoritäten und Vorbilder im kirchlichen Amt. Diese sind in Beischriften als Hieronymus, Augustinus und Gregor benannt. Augustinus ist hier also nicht als spätantiker Autor, sondern als Bischof mit Casel und liturgischem Codex charakterisiert. Tatsächlich kehren in seinem Bild typologische Merkmale der Lateranmalerei wieder: die gerundete Kopfform mit der markanten hohen Stirn> in der noch ein letztes Haarbüschel auszumachen ist. Es fehlt der Bart des römischen Wandbildes. Die Malerei des Diptychons ist nach 604, dem Tod Gregors des Großen, ins 7. oder 8. jh. anzusetzen. Neu in die Diskussion kann an dieser Stelle das Augustinusbild des Egino-Codex (BerIin, Staatsbibliothek Ms. Phillips 1676) eingeführt werden. 1I Der Codex, der vor 799 im Auftrag des Bischofs Egino von Verona angefertigt wurde, enthält eine Predigtsammlung unterschiedlicher Autoren für kirchliche Festtage (.Sermones legendi in festivitatibus ecclesia.. ). Das herkömmliche Bildproömium der vier Evangelistenbilder wird dabei neuartig umgeformt und mit vie r bischöflichen Autoritäten besetzt. Von spätantiken Vo rbildern geprägt thronen diese, von Klerikern umringt, unter Arkaden, die mit Muschelkalotten gefüllt sind. Augustinus (Abb. re.) macht - bemerkenswerter Weise - den Anfang (fol. 18 v). Er diktiert einem Kleriker den Text ins Buch, mit dem auch die erste Predigt des Codex beginnt, die als Predigt des Augustinus identifiziert wurde (»AUDISTIS FF KM « = Audistis fratres quemadmodum beatus evangelista hodie generationis Christi retulit sacramentum, PL 39, 1997 -1999)." Ihm gegenüber ist auf de r geöffneten Doppelseite Leo der Große zu sehen (fol. 19 r). Später folgen als Einzelbilder Ambrosius (fol. 24 r) und Gregor (fol. 25 v). Die beiden römischen Bischöfe thronen in hieratischer Frontalität mit dem Pallium als »römischer« Insignie, die Bischöfe von Hippo und Mailand sind dagegen ins Dreiviertelprofil gewendet. Wiederum wird Augustinus, wie im Wandbild des Lateran und auf dem Diptychon in Breseia, mit hoher, freier Stirn im Typus des Philosophen gezeigt. Er ist erneut bartlos. Im Kontext der vier Kirchenväter vertritt er einen spezifischen Alterstypus des Literaten und Philosophen, des Denkers allgemein, so wie Leo der Große in seiner Frisur dem spätantik-römischen Typus des Petrus mit charakteristischer Stirntolle angeglichen wird. Fazit: woraufWilpert gestoßen war, begründet kein veristisches Bildnis, sondern einen Eigentypus, einen geläufigen altersspezifischen Philosophentypus, der nun auf Augustinus übertragen wurde und für ihn dann offensichtlich reserviert blieb. Erst durch diese Festschreibung der Bildtradition wurde Augustinus wiedererkennbar ]oachim Kirchner: Beschreibendes Verzeichnis der Miniaturen und des Initialscllmuckes itl den Plljlippshandschriften. 6 - 9; Karl der Große. Werk und Wirkung. N r. 459. 11
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Christiane Mattke: Memoire et devoirs d 'un eveque.
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DAS ÄLTESTE BILDNIS DES HL. AUGUSTINUS?
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und aus dem Typus generierte sich im Laufe der Bildgeschichte Individualität. Das Wandmalereifragment des Lateran wird insgesamt durch Konventionen und Requisiten spätantiker Bibliotheksausstattungen geprägt. Das Autorenbild bezieht seine Aura von einem bildmächtigen Klappstuhl, der den Sitzenden raumhaltig umfangt, dabei aber in unterschiedliche Ansichtsseiten auseinanderfillt. Details des Stuhles, wie die gebogenen Beine des scherenartigen Klappmechanismus, die weich einschwingenden Armlehnen, die andernorts mit kopfstehenden Delphinen dekoriert sein können, und die schirmartige, geschwungene Lehne greifen erneut Requisiten des Philosophenbildes auf. Als Beispiele kann das Carrand-Diptychon im Bargello in Florenz aus dem 5. jh. mit einem lehrenden Paulus genannt werden." Im Wandbild des Lateran wendet sich der Autor im Redegestus mit vorgestreckter Rechter und einem Rotulus in der geschlossenen Linken an den Betrachter. Wegen des Wechsels vom Rotulus zum Codex, der sich in der Spätantike vollzieht, ist nun dem Autor zusätzlich ein Pult mit einem geöffneten Codex beigesteIlt. Der für den Betrachter einsehbare Schriftspiegel, mit breiten Binnenrahmen, läßt die Herkunft des spätantiken Buches von den Diptychen mit eingefügten Blättern erkennen. Noch ein anderes Nebenmotiv spricht die Aufmerksamkeit des Betrachters an : eine voluminöse Gewandbahn des Palliums stülpt sich an ihrem Ende zu einem großfOrmigen Trichter auf und öffnet der Figur eine Zugangsseite, die mit der Schulteraehse und der Neigung des Kopfes zum Betrachter hin korrespondiert. Auch die Disproportion der weit vortretenden Stuhlbeine folgt derselben Absicht. Die effektheischende Inszenierung, die die gesamte Komposition in eine aufsteigende Diagonale einspannt, spricht für eine bewußte Berechnung der Figur auf die Unteransicht. Der prominente Autor war, wie schon die Rekonstruktion von Tabanelli zu Recht vermutete, der höchste Teil einer raumhohen Wanddekoration. 13 Kathleen J. Shelton: Roman Aristocrats. Christian Commissions: The Carrand Diptych, 166 -180 Taf. 28. Es ließe sich für die Stuhl formen auch auf Autorenhilder des Wiener Dioskurides und des Rabbula-Codex in Florenz verweise n, heide 6. Jh.
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RAINER WARLAND
Eine derartige Figur muß als Bestandteil eines ausgeklügelten Raumkonzeptes verstanden werden. Die Figur, die zu ihrer rechten Seite von einer Wandkante begrenzt wurde, eröffnete eine Raumflucht zu ihrer Linken, in die sie mit ihrer Sitzhaltung hinführte. Die Figur diente demnach als Blickfang für den Eintretenden und zugleich als Wegweisung und Orientierung zu m Auffinden der Literatur. Bibliotheksbestände unterlagen in der Antike einer sorgfaltig durchdachten Aufstellung. Selbst in der Privatbibliothek einer spätantiken Landvilla, von der Apollinaris Sidonius berichtet (Epistula H, 9 an Donidius), waren die Bücher der spätantiken Autoren nach literarischen Gattungen geordnet, und nicht etwa nach Kriterien wie »heidnisch« oder »christlich«. Die Schriften des Augustinus standen in dieser spätantiken Villa neben denen des Varro und die des Prudentius bei denen des Horaz." Im Bibliothekssaal des Lateran verwies das Bild des Augustinus auf die lateinischen Autoren. Die Lesung und Interpretation der Inschrift unter der Autorenfigur ist nach Wilpert wie folgt: DlVERSI DIVERSA PATRE S sed hic OMNIA DlXIT ROMANO ELOQVio MYSTICA SSENS A TO NANS Verschiedenes haben die Vater geschrieben; doch dieser hier hat in lateinischer Sprache alles behandelt, mystische Sentenzen mi t Donnerstimme verkündend." Ob es weitere Figuren gab und wer diese waren, kann dagege n nicht mehr entschieden werden. Aus der Bibliothek des Papstes Agapet (535 - 536) beim Clivus Scauri am Hang des Caelius ist eine Inschrift überliefert, die eine Reihung von derartigen Autorenbildern vermuten läßt (ebd.): »Die ehrwürdige Schar der Heiligen sitzt hier in langer Reihe und lehrt die geheimnisvollen Aussprüche des göttlichen Gesetzes«. Daß aber gerade Augustinus an hervorgehobener Stelle den Anfang einer derartigen Autorenreihe machen konnte, stützt nachdrückl ich das Beispiel des Egino-Codex. Mit dem Wandmalereifragment in den Gewölben der Kapelle San eta Sanctorum beim Lateran ist somit die letzte Spur eines bedeutenden spätantiken Bibliothekssaales aus dem spätantiken Rom überkommen. Stilistisch und ikonographisch weist die Malerei in das 6. Th.
Gaius SoHius ApoHinaris Sidonius: Poems and letters: in two volumes. 1,453 - 455: »Die Bücher waren so angeordnet, daß sich die religiöse Erbauungsliteratur in der Nähe der Damenstühle befand, während sich um die Sitze für die Herren Hauptwerke der lateinischen Literatur befanden. Unte r letzteren befanden sich bestimmte Werke einzelner Autoren, deren Stil Ähnlichkeiten aufweist, obwohl sie unterschiedlichen Glaubens sind; denn es war üblich, Autoren ähnlicher Kunstfertigkeit zu lesen: hier Augustinus, dort Varro, hier Horaz, dort Prudentiusto! (Übersetzung A.L. de la Iglesia, Freihurg). 15 Joseph Wilpert: Die römischen Mosaiken und Malereien I, 150. 14
Von der Aporie zum Code' Aspekte der Rezeption von Augustins >De Genesi ad Litteram< bis auf Remigius von Auxerre (t 908)
von Karla Pollmann
1.
Einführung
Augustins umfangreicher >Wörtlicher Kommentar zur Genesis< (De Genesi ad Litteram). der etwa in den Jahren von 404 bis 414 entstand. ist wohl eines seiner am wenigsten erforschten Hauptwerke.' Dies ist nicht nur an sich gesehen auffallend, sondern steht auch in eklatantem Gegensatz zu der signifikanten Rezeption, derer sich dieses Werk von Anfang an und bis in die jüngere Gegenwart erfreut. Diese Rezeptionsgeschichte soll im folgenden von ihren Anfangen bis in die Karolingerzeit hinein skizziert werden. ein Zeitraum. dem für die Augustinus-Rezeption bisher nicht genügend Aufmerksamkeit gewidmet wird.' Dabei soll im Mittelpunkt die Frage stehen. welche Funktionen dieses Werk für eine Reihe seiner Rezipienten bis zur Karolingerzeit haben kann und was dies für deren Einstellung zu tradierten Texten allgemein. zu religiösen nichtbiblischen Autoritäten im besonderen sowie zu ihrer eigenen Position in der Geschichte der Weitergabe. der Erklärung oder der Generierung von Wissen bedeutet. Es soll dabei nicht um den >materialen
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Im Sinne von »System verabredeter Zeichen «; vgl. den Titel des faszini erenden Buchs von
Thomas O'Loughlin: Teachers and Code- breakers: The Latin Genesis Tradition, 430 - 800.
Vgl. die wen igen, allerdings in der Tat ungenügenden Literaturangaben bei Wilhelm Geerlings: Augustinus - Leben und Werk. Eine bibliographische Einführung, 141. 3 So fehlt er z. B. in Volker Henning DrecoI1: Augustin Handbuch , 557 ff. (>0. Aspekte der Wirkun gsges,hichte~) nach dem Jahr 529 gänzlich. 4 Fü r einen knappen, hilfreichen Überblick hierzu vgl. Roland J. Teske: Genesi ad litteram (De-). 124 f. 5 Vgl. Karla Poil mann; David Lambert: After Augustine. A Survey 0/ His Reception from 430 to 2000, und www.st-and.ac.ukJelassics/after-augustine für weitere Details. Das Projekt wird vom britischen Leverhulme Trust großzügig unterstützt. 6 Peter Lebrecht Schm idt: Rezeptionsgeschichte und Oberlieferungsgeschichte der klassischen lateirlischen Literatur. 1
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sen Augustins zu dessen Lebzeiten auf dieses Werk noch der Sonderfall der Selbstrezeption Augustins in seinen Retractationes am Ende seines Lebens berücksichtigt, wo er betont, daß in De Genesi ad litterarn mehr Fragen gestellt als Antworten ge-
geben werden' 2.
Chronologische Analyse im Oberblick
Possidius (t nach 437), der fast vierzig Jahre als Schüler und Freund mit Augustinus zusammenlebte, verfaßte kurz nach Augustins Tod, zwischen 431 und 437,' eine Biographie über Augustins Leben, der auch ein Indiculum mit einer (nicht vollständigen) Liste der von Augustinus verfaßten Werke angefügt ist. Dieses historisch wichtige Verzeichnis hat Possidius in zehn Abteilungen gegliedert. De Genesi ad litterarn libri duodecirn figuriert unter dem Abschnitt X.: •• !tem diversi libri et tractatus vel epistulae ad utilitatem studiosorum omnium conscriptae« (.Ferner verschiedene zusammengestellte Bücher und Abhandlungen oder Briefe zum Nutzen aller Studierwilligen<)' Possidius betrachtet den Genesis-Kommentar also als .neutral
Salvian von Marseille (etwa 400 bis 480), Angehöriger der Oberschicht und später Presbyter von Marseille, verfaßte ein Hexaemeron, also einen Kommentar
zum biblischen Sechstagewerk, der aber verloren ist. In seinen übrigen Schriften taucht De Genesi ad litterarn nicht auf, was angesichts von deren ganz anders gelagerter Thematik nicht weiter verwundert. Interessanterweise läßt sich die Rezeption von De Genesi ad litteram in der Dichtung beobachten, und zwar besonders in Claudius Marius Victorius' Alethia (entstanden um 420 bis 430), in dem pseudo-hilarianischen Metrum in Genesin (wohl zwischen 440 und 461 entstanden"), in den De laudibus dei des Dracontius. sowie in Avits (t 528) Bibelepos De spiritalis historiae gestis, geschrieben nach Dracontius' De laudibus dei." Hingegen findet Augustinus in Venantius Fortunatus (t nach 600) zwar mehrere Male namentliche Erwähnung, aber De Genesi ad litterarn ist 7 Gfl. litt. 2,24,1; vgl. Karla Poil mann: >Alium sub meo nomine<: Augustine between His OW~I Self-Fashiorling and His Later Reception. 8 Wilhel.m Geerlings (Hg.): Possidius. Vita Augustini, 14. 9 Wilhelm Geerlings (Hg.): Possidius. Vita Augustini, 123, 156. 10 Karla PoUmann: AugusUfle, Genesis and Controversy, 211, 213 f. It Gottfried Eugen Kreuz (Hg.): Pseudo-Hilarius. Metrum in Genesin. Carmen de Evangelio.
Einleitung, Text und Kommentar,
129.
12 Claude Moussy; Colette Camus (Hgg.): Dracontius. Louanges de Dieu. Livres I-Tl: Moussy (28 f.) datiert die Veröffentlichung von laud. überzeugend nach 496.
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weder ftir seine Prosa noch für seine Gedichte faßbar, wiederum wohl aus thematischen Gründen." In den davor genannten Fällen ist stets eine sehr unabhängige Rezeption charakteristisch, wobei Augustins Gedankengut der übergeordneten poetischen Absicht angepaßt wird und nicht umgekehrt. Marius Victorius betont im Zusammenhang mit seiner dichterischen Paraphrase der Schöpfungsgeschichte das Paradox von Gottes arbeitsamer Ruhe am siebten Tag (Alethia 171-194), was auf De Genesi ad litteram zurückgeht (5,20,4 1: »quod [sc. deus] consummaverit omnia opera sua in die sexto«). Jedoch folgt Victorius, als einer der ersten Zeugen, der Vul. gata- Übersetzung von Genesis 2,2 >die septimo<, und nicht wie Augustinus der Vetus Latina," weswegen Victorius wesentlich dezidierter als Augustinus Gottes >Arbeit< für den siebten, anstatt für den sechsten Tag betont. Victorius behält die Kontrolle über seine intellektuellen Quellen, und besonders die Freiheit, Augustinus zu gebrauchen, aber ihm nicht notwendigerweise zu folgen." Auch das anonyme Metrum in Genesin zeichnet sich durch einen selbstbewußten Umgang mit Augustinus aus, indem es z. T. exegetischen Traditionen folgt, die Augustinus explizit ablehnte (z. B. die Auffassung, daß die Doppelun g der Erschaffung des Menschen in Genesis 2 lediglich eine genauere Darstellung als Genesis 1 darstelle; so Metrum 111 - 124, gegen Gn. litt. 6,1,1- 6,11), oder P roblematisches einfach wegläßt (z. B. streicht es die Tageszählung). Dagegen folgt das Metrum Augustinus aber in seiner Erklärung der Erschaffung der Frau aus der Rippe des Man nes als Zeichen dafür, daß sie seine Gef,hrtin sei (Metrum 124; Gn. litt. 9,13,23), J6 sowie in der Betonung der schrittweisen Verschlechterung der Menschheit nach dem Sündenfall (Metrum 170 - 184; Gn. litt. 11,35>48).17 Dagegen ist die im Metrum vertretene Auffassung von Gottes schaffender Tätigkeit als Simultanschöpfung nicht nur bei Augustinus zu finden." Auch das karolingische Lehrgedicht De creatione mundi des Wandalbert von Prüm (um 850) enthält sowohl Elemente. die mit Augustinus übereinstimmen, als auch solche, die ihm widersprechen. Direkte Abhängigkeit von Gn. litt. ist nicht eindeutig zu erkennen. 14 Bonifatius Fischer (Hg.): Genesis. Vetus Latina, 34 f.; an anderen Stellen redet Augustinus I)
aber durchaus vom siebten Tag. IS Daniel D. Nodes: 7he Sevetlth Day of Creation in »Alethia« 01 Claudius Marius Victor. 64- 67. 69. damit Pieter Frans Hovingh modifizierend (Claudius Marius Victor;us. Alethia. 1,188). der eine stärkere auch inhaltliche Abhängigkeit des Victorius von Augustinus postulierte. Nodes betont (70), daß eine weitere wichtige Konzeption Augustins. näm lich die notwend ige aktive Rolle von Gottes Gnade fü r die Erneuerung des Menschen, bei Victorius aufgenommen wird. 16 Ähnlich betont Avit (spir. 1,183 f.) die mit der Erschaffung der Frau aus der Rippe des Mannes verbundene gegenseitige Treue, geht aber in 1,184 f. mit der Erwähnung, daß de r Mann daflir seine Eltern verlasse (nach Gen 2,24), über Augustinus hinaus, der in Gn. adv. Man. 2,13, 19 beken nt, mit diesem Vers außer im prophetischen Sinn nichts anfangen zu können. 11 Vg!. für all dies ausfüh rlicher Gottfried Eugen Kreuz (Hg.): Pseudo-Hilarius, Metrum in Genesin. Camlen de Evatlgelio, 102 -122. Ja Vg!. Johannes Zah lten: Creatio Mundi. Darstellungen der sechs Schöpjullgslage und naturwissetlSchaftliches Weltbild im Mittelalter, 92, was zu ungenau ist; vgJ. Metrum 9: .exorta repentc(; Ambrosius: Hex. 1,3,8f.; Augustinus: Gn.litt. 4.33(·; Marius Victo rius: Alet". Prec. uf.
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Einige Handschriften nennen bezeichnenderweise Augustinus als den Verfasser der De laudibus dei des Dracontius." Wenngleich es wenig hilfreich und zu allgemein ist, den Ton dieses Gedichts als >Augustinischinspirat< als Übersetzung von Gen 2,7 EveepucrTlcrev), im Gegensatz zu Augustinus, der der Vetus Latina folgt und deshalb >(suf)f1avit< schreibt (Gn. litt. 7,1,2), wo er sich auch explizit gegen das in einigen Codi.ces enthaltene >(in)spiravit< entscheidet." Dagegen charakterisiert Avit die Schlange als ..ltior astu< (spir. 2,118), gegen >callidior
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der Augen aus Genesis 3,7 (wie Gn. litt. 11,31,40 f.) als symbolisch für die Erkenntnis von Gut und Böse (spir. 2,265 f.) . Er gebraucht (spir. 2,303) wie Augustinus (Gn. litt. 11,28,35) und Eugippius (Exeerpta 35; eSEL 911, 219, 19 - 21) die aus Latium stammenden Marser, die seit der Antike für ihre magischen Kräfte bekannt waren, als Illustration für das Böse." Er scheint Augustinus vor allem für inhaltlich gelehrte Details benutzt zu haben, aber manchmal durchaus auch für ernstere theologische Themen," wie z. B. die Überzeugung, daß die giftigen und wilden Tiere bereits im Rahmen des ursprünglichen Schöpfungsaktes geschaffen wurden (spir. 3,320 - 322; Gn. litt. 3,15,24; ebenso Marius Victorius: Aleth. 1,353).26 Im Anschluß an Genesis 3,18 folgern sowohl Augustin us (Gn. li tt. 8,10,19- 23 ) als auch Prudentius (harn. 247-250), Marius Victorius (Aleth. 1,514f.) und Avit (spir. 3,160f.), daß der Ungehorsam des Menschen gegenüber Gott den Ungeho rsam der Materie gegenüber dem Menschen zur Folge hat. Im Gegensatz zu Augustin us und Marius Victorius, den Avit du rchgängig benutzt, akzentu iert Avit aber anders: Die verschlechterte Leben sweise des Menschen ist bei ihm nich t so sehr eine Strafe Gottes als vielmehr eine notwendige Konsequenz." Augustinus (Gen.adv. Man. 2,21,32; Gn . litt. 3,12,20) sowie Avit (spir. 3,170 ) betonen, daß die ersten Menschen nach dem Sündenfall den Tieren gleichgestellt werden. Das Scriptorium des Eugippius (t nach 530) in seinem Kloste r in Castellum Lllcullanllm bei Neapel stellt eine der ersten Stufen der Produktion lateinischer Bücher in Italien dar, von de r de utliche Spuren erhalten sind." Einige de r ältesten erhaltenen Handschriften, die De Genesi ad litteram überliefern, stammen von einer Handschrift aus der Bibliothek des Eugippius ab wld enthalten die Kapitelüberschriften, die Eugippius in De Genesi ad litteram einfügte." Für die Unterweisung seiner klösterlichen Gemeinschaft verfaßte Eugippius nach 5" die sogenannten Exeerpta ex operibus SaneN Augustini, welche 348 Auszüge aus einigen Werken Augustins (eSEL 911,1 »de nonnullis operibus«) enthalten, die einen Umfang von wenigen Zeilen bis zu über zehn eSEL-Seiten haben kö nnen. In einer Widm ungsepistel an Proba, die dem Werk vorangestellt ist, rechtfertigt Eugippius sein Vorgehen mit dem Hinweis auf die übe rragend e Stellung Augustins in Vergangenheit und Gegenwart, nich t ehva aufgrund seiner Stellung als Bischof oder seiner Heiligkeit, 24 Vgl. Nicole Hecquet-Noti (Hg.): Avit de Vienne, 227 (Anm. 3); lan Wood: Avitus de Vienne, 267 - 269, geht von der Möglichkeit aus, daß der Schlangenkult der Marser bis ins 7. rh. überlebt haben könnte. 25 Was sich manchmal bei Avit in der bewußten Wahl eines einzigen Wortes niederschlagen kann, s. z. B. Nicole Hecquet-Noti (Hg.): Avit de Vienne, 192 Anm. 4. 26 Ausführlicher Manfred Hotfmann: A.E. Avitus, 2 18 - 222. 27 Manfred Hoffman n: A.E. Avitus, 123 f. 28 Michael M. Gorman: Eugippius and the origins of the manuscript tradition of Saint Augustines De Genes; ad Lilteram, 11. 29 Michael M. Gorman: Eugippius and the origins, 15, 19.
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sondern aufgrund seiner Gelehrsamkeit (eSEL 911,15 -17: »praeclarum nüsse et esse [ . .. ], cum divina et humana eruditione mirabilem.).JO Dies würde durch bedeutende Kirchenmänner bestätigt, die die Lektüre von Augustins Werken als trostreich im Kampf gegen Gegner der Kirche empfanden und die Bedeutung seiner Werke wohl mit ihrer Autorität bestätigten (CSEL 911, 1,19 - 2,1: »sua probabiliter auctoritate firmantes«). Eugippius ist sich also der Rolle prominenter und mächtiger Leser im Rezeptionsprozeß deutlicb bewußt. Die Anordnung der Auszüge orientiert sich nicht an der chronologischen Abfassung von Augustins Werken, wie er sie selber in seinen Retractationes proklamiert, sondern sie soll die verschiedenen Stufen der Heilsgeschichte, wie sie aus der Bibel deutlich werden, vom Beginn der Schöpfung bis zum Jüngsten Gericht erhellen. Auffallend ist das exegetisch (nicht dogmatisch -systematisch) orientierte interesse (eSEL 911,2,7 f.: »catholica divinae legis explanatio«), da Augustins Passagen zumeist herangezogen werden, um eine heilsgeschichtlich relevante Bibelstelle zu erläutern. Daß Eugippius seine Excerpta als Einheit auffaßt (eSEL 911,3,4: »in unum corpus redacta.), wird auch an deren Rahmung durch Passagen aus Augustinus deutlich, die die Liebe (>caritas<) als das die Heilsgeschichte durchwaltende Prinzip markieren. In De doctrina christiana 1,39 - 44 erklärt Augustin us, daß die Grundlage und das Ziel aller Bibelauslegung die Liebe zu Gott und den Mitmenschen sei. Die entsprechende Rahmung der Excerpta macht auch aus dieser Perspektive deutlich, daß ihr Anliegen exegetisch ausgerichtet ist. Eugippius bietet vor jedem Exzerpt eme (mehr oder weniger korrekt) zusammenfassende Überschrift seines Inhalts und eine Stellenangabe. Die Auszüge aus Augustins Werken sollen Fragen beantworten, die der Leser an die Bibel stellen könnte; die Bibelstellen als solche werden aber z. T. nicht eigens zitiert. Es ist auffallend, daß Eugippius z. B. bei der Erklärung von Genesis sowohl allegorische Auslegungen aus den Confessiones und De civitate dei anführen kann, als auch die anders gearteten Erklärungen aus De Genesi ad litteram." Eugippius betrachtet somit Augustins Werke als repräsentativ für die orthodoxen positionen des christlichen Glaubens und sieht dessen gesamte schriftliche Hinterlassenschaft als ein mehr oder weniger kohärentes Ganzes an, aus dem er nach Belieben zitieren kann" Die Excerpta sind gleichsam eine ganz aus Augustinus zusammengestellte Proto-Katene, die nach Eugippius eventuell auch durch spätere Redaktoren erweitert werden kann, vorausgesetzt, daß die abschließenden Abschnitte zur >caritas< ihren Ort behalten (eSEL 911, 4, 3-6). Eugippius macht )0 Gelehrsamkeit (,eruditio() ist der Gesichtspunkt, unter dem Augustinus durch das Mittelalter hindurch als Autorität benutzt werden wird; vgl. Douglas Gray: T. Saint Augusti"e afld
Medieval Literature: Part I.
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InteressantenY'eise zitiert er nicht aus Gn. adv. Man. Gegen Paul-Irenee Fransen: D'Eugippius cl Bede le venerable. Apropos de leurs florileges augustiniens. 189. liest Eugippius Augustins Werke eben nicht um ihrer selbst willen. 31
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immer wieder deutlich, daß es sich um Auszüge handelt, die dem Leser Appetit auf mehr Lektüre über seine Excerpta hinaus machen sollen." Er preist Augustinus ausdrücklich als überragende Autorität, dessen nahtlose und ausschließliche Verwendung als des Repräsentanten christlicher Positionen eine besondere, exklusive Auffassung von Augustins Denken kreiert bzw. widerspiegelt. Eugippius kann in diesen Exzerpten man chmal Sätze der Vorlage auslassen, SatzanHinge modifizieren, um übergänge zu kaschieren, oder sogar die Reihenfolge von Sätzen ändern." Aber generell ist seine Zitiermethode so exakt, daß er manchmal Fehler seiner Vorlage kritiklos übernimmt und sein Text als Spiegel von Autographen mancher Werke Augustins gelten kann" Eugippius zitiert vierzehn Auszüge aus De Genesi ad litteram, alle im Zusammenhang mit Fragen zur Schöpfungsgeschichte, sechs aus Buch 11 (zu Fragen des Ursprungs des Bösen, des Wesens des Teufels bzw. der Schlange), fünf aus Buch 8 (zum Baum der Erkenntn is, zu Providenz, zum Verhältnis des Schöpfers zu seinen Geschöpfen), sowie je einmal aus Buch 1 (der komplexe Charakter der Genesis-Erzählung mit ihren verschiedenen Bedeutungsebenen), 6 (die Erschaffung des ersten Menschen und die ,rationes seminales<) und 10 (Levi und Abraham). Allgemein auffallend ist die relativ geringe Anzahl von Exzerpten zu Fragen der Gnadenlehre. Cassiodor (etwa 485-580) verwendet De Genesi ad litteram weder in seinen Variae noch in seinen Enarrationes in Psalm os. D as Werk war jedoch in seiner Bibliothek vorhanden, was aus Institutiones 1,1,4 und 2 praef. 3 de utlich wird (geschrieben in mehreren Versionen von ca. 530 bis nach 562"). Er führt er aus, daß De Genesi ad litteram durch den ,disertus atque cautissimus disp utaton Augustinus mit nahezu enzyklopädischer Gelehrsamkeit verfaßt wurde (Ins!. 1,1,4: »doctrinarum paene omnium decore vestivit«). Ferner habe Augustinus mit Gottes Hilfe ein Thema, welchem sich bereits Basilius und Ambrosius ruhmreich gewidmet hätten," zu neuen Höhen geführt (»longe in aliam summitatem Domino largiente perduxit«), was ein besonders schwer zu erreichendes Ziel sei. In Buch 2 seiner Institutiones (mit dem Untertitel Ober weltliche Gelehrsamkeit) zeigt Cassiodor, dem Programm von Augustins De doctrina christiana 2 folgend," den Wert mancher weltlicher Wissenschaften für Christen auf. Dazu gehört auch die Arithmetik, da die Schöpfung nicht in heillosem Durcheinander, sondern in geordneten Zahlen proportionen erschaffen )) Vgl. Paul·lrenee Fransen: D'Eugippius aBede le venerable,188f. loI Vgl. Paul·lrenee Fransen: D'Eugippius a Bede le venerable. 189. 15 Erneut bestätigt durch Michael Gorman: Eugippius and the origins, 25. der den Wert des Eugippius aber für Gn. litt. wegen mehrerer erhaltener früher MSS relativiert. J6 Jarnes W. Halporn; Mark Vessey: Cassiodorus. Institut'ions ojDivine and SecuJar Learning. On the Sou l, 23 f., 39 - 4 1. 17 Nämlich in ihren jeweiligen Werken, die beide den Titel Hexaemeron tragen. JJj Karla PolJmann: Doctrina christiana. Untersuchungen zu den Anfängen christlicher Hermeneutik mit besonderer BerücksichtigwJg von Augustinus, De doctrina christiana, 150 f., 192 -195.
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worden sei (Inst. 2 praef. 3) . Hier verweist Cassiodor abschließend auf eine ausführliche Darlegung dieses Themas in Augusti ns De Genesi ad litteram Buch 4: »unde pater Augustinus in libro quarto de Genesi ad Litteram minutissime disputavit«. Signifikant ist die Apostrophierung Augustins als >pater<, ein Zeichen seiner besonderen Autorität, was in der Zeit Cassiodors zum ersten Mal greifbar wird." Ferner ist bemerkenswert, daß Cassiodor hier weder direkte noch indirekte Zitate aus De Genesi ad litteram anführt. Zwar berufen sich beide Autoren (Gn. litt. 4,1,1. ; Cass. Inst. 2 praef. 3; 2,4,1) auf Weisheitll,21 (»omnia in numero, mensura et pondere fecisti«), doch geht es Cassiodor im Zusammenhang darum, die Arithmetik als ein den gesamten Schöpfungsbau durchwaltendes Prinzip herauszuheben. Dies ist Erweis des göttlichen Ursprungs der Schöpfung im Gegensatz zu den chaotischen Werken des Teufels; ferner ist so auch eine begrenzte Erkenntnis ihrer Prinzipien für den Menschen möglich." Dies führt er dann weiter aus (Inst. 2,4: De Arithmetica), wobei der Schwerpunkt aber auf einer nicht spekulativen Darstellung der verschiedenen Typen von Zahlen und deren Eigenschaften liegt, woran sich ein kurzer Exkurs zur biblischen Numerologie der Zahlen 1 bis 7 anschließt (2,4,8). Das Kapitel schließt mit der Bemerkung: »et ut res summae atque omnipotentissimae intellegantur, numerus nobis necessarius invenitur«, Weder deckt sich all dies direkt mit dem in der Praefatio Angekündigten, noch stimmt es wi rklich mit dem überein, was Augustinus in De Gen esi ad litteram 4 unternimmt. Dort geht es im wesentlichen um ein e spiritualisierende Auslegung der Zahlen 6 und 7 im Zusam menhang mit dem Problem, wie das Sechstagewerk und der Tag de r Ruh e überzeugend erklärt werden können. Dabei kommt es Augustinus besonders darauf an, sein Konzept der Simultanschöpfung mit dem der biblischen sechs Tage (4,33,51 - 34,55), sowie auch das Problem der Ruhe Gottes am letzten Tag mit der Tatsache seiner kontinuierlichen Schöpfungstätigkeit im Johannes-Evangelium 5,17 (4,1l,21 -12,23) zu vereinbaren, Abschließend kann man sagen, daß Cassiodor also entweder De Genesi ad litteram 4 nicht zur Gänze gelesen hat oder ihm die Erwähnung von Augustinus als Autorität zur generellen Unterstützung seiner grundsätzlichen Ausführungen zu Nutzen und Wichtigkeit der Arithmetik dringlicher erschien als eine präzise faktische übereinstimmung mit dem von Augustinus tatsächlich Ausgeführten. Obgleich in Cassiodors Traktat De anima (entstanden um 538) Augustins De quantitate animae die HauptqueUe darstellt, greift Cassiodor u.a. auch mehrere Male auf De Genesi ad litteram zurück, allerdings ohne dieses Werk ausdrücklich als Quelle zu benennen. Dies liegt am kompilatorisch-didaktischen Charakter von De anima; nichtsdestotrotz ist Augustinus die einzige Autorität, die dort namentlich Vgl. Karla Pollmann: Re-appropriation and Disavowal: Pagan and Christian Authorities in Cassiodorus and Venantius Fortunatus, 292 . .a Dies ist ebenfalls e,in Augustinischer Gedanke (z. B. Cn. litt. 4,3,7), was Cassiodor abe r 39
nicht explizit sagt.
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genannt wird (anim. 9, s. u.; ll). Cassiodor folgt Augustinus in der Bestimmung der Seele als spirituell (anim. 4; Gn.litt. 7,21,27-29) und nicht körperlich (ibid.), sowie in der Feststellung ihrer Einzigartigkeit in ihrer Annahme eines Körpers (an im. 4, wobei in Gn. litt. 7,27,38 aber die Freiwilligkeit der Seele in dieser Hinsicht diskutiert wird) und in der Ve rn einung der Behauptung, die Seele stamme von Erde, Wasser, Luft oder Feuer ab (anim. 4; Gn. litt. 7,21,27). An letzterer Stelle rekombiniert er Aussagen Augustins um der Knappheit und Deutlichkeit willen, indem er die Verneinung der Abstammung der Seelen von de n vier Elementen beibehält, die bei Augustinus erwähnte Quintessenz aber wegläßt, sondern unmittelbar eine an De quantitate animae 1,2 anklingende Aussage anschließt, daß die Seele eine einfache und einzigartige Substanz habe. Harmonisierun g von Augus tins Aussagen ist das Ziel, wenn Cassiodor den Sehvorgang des Auges dami t erklärt, daß eine spirituelle Kraft der Seele (anim. 11: »vis animae spiritalis«) nicht allzu weit entfernte Gegenstände berühre. In De Genesi ad litteram sagt Augustin us aber, daß ein Strahl körperlichen Lichts (4,34,54: »corporeae lueis est radius«) dies tue, was sich nicht so recht mi t der auch von Augustinus proklamie rten Unkörperlichkeit der Seele ve reinbaren läßt. Bemerkenswerterweise ist sich Cassiodor der Unsicherheit Augustins bezüglich des Ursprungs der Seele bewußt. So hebt er einmal Augustins Skrupel in dieser Hinsicht als lobenswertes Beispiel hervor, wobei er ihn hier au ßergewöhnlicherweise ausdrü cklich beim Namen nennt, wieder mit dem Autoritätsepitheton >pater<: »unde Pater Augusti nus, religiosissima dubitatio ne laudandus, nihil temere dieit esse firmandum, sed in ipsius esse secreto sieut et alia muha sunt quae nasse non potest nostra mediocritas« (anim. 9)." Cassiodor folgt Augustinus auch, wenn er hervorhebt, daß die Seele bei besonderer Konzentrationsanstrengung zu bestimm ten Formen der Geistesabwesenheit neigt, die sich körperlich äußern. In teressanter weise demonstrieren die beiden Autoren dies aber anh and unterschiedlicher Beispiele: Augustin us (Gn. litt. 7,20,26) schildert, daß jemand, der beim Gehen tief in Gedanken versunken ist, entweder plötzlich stehen bleibt oder an dem Haus, das er eigentlich anstrebte, vorbeigeht. Cassiodor dagegen (anim. 10) beschreibt körperliche Symptome der Gedankenversunkenheit wie Schweigen, gesenkte Augen, sowie den temporären Verlust von Hör-, Geschmacks- oder Geruchssinn. Diese Änderung der Beispiele bei Cassiodor hat ihre Ursache darin, daß für sein Anliegen in De anima die körperlichen Sinne allgemein eine wichtige Rolle spielen (z. B. auch in animo ll); er strebt also eine thematisch-argumentative Geschlossenheit an, die bei Augustinus so nicht gegeben ist. Cassiodor gebraucht De Genesi ad litteram als >Steinbruch<, um sein systematisches Anliegen zu unterstützen, und zwar in De anima 3 (Quare anima dicatur), 4 vg!. James W. Halporn; Mark Vessey: Cassiodorus, 260 (Aom. 54), wo auf /ib. arb. 3.:;6 - 59, Gtl. litt. 10 allgemein, sowie ep. 143 und 166 als Zeugnisse für Augustins Zweifel verwiesen wird. 41
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(De definitione animae), 5 (De qualitate animae), 9 (De origine animae), 10 (De sede animae) und 11 (De positione corporis). Jedoch sind in den bei Cassiodor anklingenden Passagen aus De Genesi ad litteram (Bücher 4, 7, und 10) die übergeordnete Intention sowie der unmittelbare Kontext anders: Buch 4 will das Sechstagewerk erklären (s.o.); Buch 7 hat eigentlich die Erklärung von Genesis 2,7 (Einhauchen des göttlichen Odems) zum Ziel, wobei der aporetische Charakter dieser Untersuchung hervorgehoben wird (7,28.43); Buch 10 ist ein Exkurs, der die Entstehung und potentielle Weitergabe der Seele, auch im Lichte der Frage der Erbsünde, klären will, wobei der Mangel an Evidenz aus Bibeltexten betont wird (10,10,17). Am besten sind die Zersplitterung und die den ursprünglichen Kontext vernachlässigende Resystematisierung bei Cassiodor durch thematische Kompilationen, Exzerpte oder Anthologien aus Augustins Werken denkbar, wie sie z. B. bei Eugippius greifbar sind (s.o.). Ob Cassiodor De Genesi ad litteram auch selber teilweise oder zur Gänze gelesen hat, ist nicht einwandfrei feststell bar. Wesentlich ist weiter die Tatsache, daß, was bei Augustinus als tentativ-aporetisches Gedankenexperiment mit teilweise spekulativem Charakter intendiert war, hier nun teilweise als verfestigtes, unhinterfragtes Wissen erscheint. Gregor der Große (540 - 604) war ein großer Bewunderer Augustins und machte ihn gerne für die Herausforderungen seiner eigenen Zeit fruchtbar." Der direkte Gebrauch von De Genesi ad litteram ist jedoch meines Wissens wenig erkennbar. Es gibt keine wörtlichen Zitate, nur an einigen Stellen scheint Gregor von Argumenten aus De Genesi ad litteram beeinflußt zu sein, gibt sie aber in eigenen Worten wieder, oft sehr pointiert und elegant." Hier benutzt Gregor allgemein das Augustinische Konzept der Simultanschöpfung in Verbindung mit einer andauernden Schöpfungstätigkeit Gottes, um Hiob 40,10 zu erklären: »ecce Behemoth, quem fee i tecum«. Er löst also den Gedanken Augustins aus seinem ursprünglichen Zusammenhang, um ihn für ein auslegerisches Problem in einer anderen biblischen Schrift fruchtbar zu machen. Andere Aussagen, wie z. B., daß der Mensch nach dem Fall der Sterblichkeit unterworfen wurde (Moralia 25,3.4), sind verbreitetes christliches Gedankengut und nicht eindeutig auf Augustinus zurückzuführen. Ähnliches gilt, wenn Gregor sich, wie Augustinus in De Genesi ad litteram, für ein historisch-lite42
Vgl. jüngst Katharina Greschat: Feines Weizenmehl und ungenießbarer Spelzen. Gregors des
Großen Wertschätzung augustinischer Theologie. 43 Moralia 32,12.16: »rerwn quippe substantia simul creata est, sed simul species formata non est«, widerspricht aber z. B. Gn.litt. 2,11,24: »in principio feeit deus caelum et terram, nihiI aliud his verbis quam materiae corporalis informitatem insinuare voluisse, eligens earn usitatius appell are quam obscurius, si tarnen tardo intelIectui non subrepat, ut, materiam et speciem quia ve rbis scriptu ra separat, conetur haec duo etiam tempore separare, tamquarn prius fuerit materia et ei temporis intervallo interposito postea sit addita species, cum deus haec simul creaverit materiarnque formatam instituerit, cuius informitatem usitato, ut dixi, vocabulo vel terrae veJ aquae scriptura praedixit.«
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rales Schriftverständnis ausspricht (Moralia 1.56; Horn. in Ev. 40.1; Horn. in Ez. 1.6.7; 2.3.18). Gregors Anthropologie ist von Augustinus beeinflußt. hauptsächlich durch De civitate dei." Die FesteIlung. daß der Mensch in Gehorsam ohne Mühe zur ewigen Seligkeit gelangt wäre (Moralia 35.14.28). geht auf De Genesi ad litteram zurück (8.13.29). Moralia 24.6.11 (»ibi mens ex immenso fonte infusione superni roris aspergitur«) klingt an De Genesi ad litteram an (12.26.54: »ibi beata vita in fonte suo bibitur unde aspergitur aliquid huic humanae vitae«). aber der Kontext der Visionen ist ein anderer. da Augustinus von der ewigen Gottesschau am Ende der Zeit spricht, während es Gregor um eine kurze diesseitige Gottesschau geht. die uns unSere Unvollkommenheit nur noch mehr bewußt macht. Isidor von Sevilla (570 - 636) verfügte über eine breite Kenntnis von Augustins Schriften. einschließlich De Genesi ad litteram. die er für seine kompilierenden in teressen benutzte. Es überrascht nicht. daß sein Umgang mit den Quellen eher centonenhaft anmutet und häufig die ursprüngliche polemische oder aporetische Intention einer Aussage Augustins der neuen Funktion der enzyklopädischen Information weichen muß." Eine der wenigen Ausnahmen hierzu findet sich bezüglich der Frage. ob die Sterne eine Seele hätten (De rerum natura 27): Aneinandergereihte Texte" beantworten dies tentativ mit Ja. wobei der aporetische Charakter der hier zitierten Augustinus-Passage erhalten bleibt und >sanctus Augustinus< ausdrücklich genannt wird." Isidor beschließt diesen Abschnitt sogar mit der hypothetischen Frage. was mit den Seelen der Sterne nach der Auferstehung geschehen würde. so die Sterne denn Seelen hätten. womit er selbst über den spekulationsfreudigen Augustinus hinausgeht. Generell war [sidor aber in guter patristischer Tradition streng gegen astrologischen Aberglauben (Etym. 3.27.1- 2). In De natura rerum 14.2 kombiniert er zu der Frage der in Genesis I,7 erwähnten Wasser über dem Firmament Ambrosius, Hexaemeron 2,3,9.12 und De Genesj ad litteram 2,5,9, um deren Plausibilität mit Gottes Allmacht zu erhärten." In seinen Etyma/agiae (8.11: .Über pagane Götte«) greift er mehrmals auf De Genesi ad litteram zurück: In 8.11.16 rekurriert er. stark paraphrasierend. auf 2.17.37. daß Dämonen manchmal ein den Menschen überlegenes Wissen bezüglich der Wirklichkeit haben. In 8.11.17 greift er ... Katharina Greschat: Die Mora/ia in Job Gregors des Großen, 85 f. 4S Katherine N. MacFarlane: lsidore 0/ Seville on the Pagan Gods (Origenes Vlll. 11),9 -11; }acques Fontaine: lsidore de Seville et Ia culture c1assique dans I'Espagne wisigotllique. 476, 479, mit Anm. 3, 518 und 686 mit weiteren Beispielen (zur Kugelgestalt des Himmels, zu den unre~ geimäßigen Bewegungen mancher Gestirne, über den Zusammenhang der Lichtintensität der Gestirne und ihrer Entfernung von der Erde, sowie über die Beschaffenhei t der Seele). 46 Aus Gen.litt. 2,18.38; Hieronymus: In ECCL. 1,6; Vergil: Aen. 3.284 und 6,725 f. 41 lsidor nennt hier. wie noch zweimal in De natura rerum, }(sanctus) Augustinus( ausdrücklich als Quelle. 48 Thomas Q'Loughlin: Jeachers and Code-breakers: n,e Latin Genesis Tradition. 430-800. 196 f.
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betreffs der möglichen körperlichen Beschaffenheit von Dämonen vor und nach ihrem Fall auf 3.10.15 zurück. wieder relativ eigenständig formulierend. vielleicht sogar frei aus dem Kopf." Zum Teil zitiert er aber nahezu wörtlich. wie etwa zur Platonischen Vorstellung eines inneren Feuers. das sich nicht nur auf die Augen sondern auch alle anderen Sinnesorgane des Menschen ausbreitet (in Etym. 2.17.67 aus Gn. litt. 7.13.20). Isidor nennt hier in der Regel nie die Namen der von ihm als Quellen benutzten Autoren. In den sein Lebenswerk krönenden" Sententiae greift Isidor siebenmal auf De Genesi ad litteram zurück (je einmal auf Buch 1. 8 und 9. je zweimal auf Buch 4 und 11). wieder jeweils ohne Namensnennung der Quelle." Hier ist der normative Charakter der Zitate besonders eindrücklich. die als definitionsartige Sentenzen unter Mißachtung des ursprünglichen Zusammenhangs zur moralisch-theologischen Belehrung des Lesers in der konzisen Form einer ersten Summa theologiea präsentiert werden:" Im Falle von De Genesi ad litteram. um das Wesen der Engel zu erhellen. die Unnatur des .malum< einzuprägen. die notwendigen von den möglichen Ereignissen innerhalb des Weltenlaufs zu unterscheiden. den Teufel als vor der Erschaffung des Menschen Gefallenen sowie die Kreatur als Gott ähnlich aber nicht in der Essenz verwandt zu definieren. Beda Venerabilis (672/3 -735) ist sich in seinem Kommentar zur Genesis (Libri Quattuor in Principium Genesis. GGL u8A) der gewaltigen Fülle von bereits vo r ihm verfaßten gewichtigen und wortreichen Genesis-Kommentaren bewußt. Daher fühlt er sich im Prolog zu diesem Kommentar (GGL u8A. 1) verpflichtet. fü r seine intendierten Leser von diesen Schätzen zu pflücken (.decerpere<) und aus ihnen zu sammeln (.colligere<). als Hilfe fü r den Anfänger (.rudis lecton). damit er dadurch unterwiesen zu einer for tgeschrittenen Lektüre der Hl. Schrift emporschreiten (.ascendere<) kann. Beda sagt. daß er im folgenden z. T. in den Worten der anderen Quellen. z. T. in seinen eigenen. z. T. unter Angabe der Quelle. z. T. nicht. die Genesisverse erklären wird. Auffallend ist hier das fragmentierte Verständnis von Tradition. wobei die pädagogische Zielsetzung eine Mischung von allem (inklusive eigenem) erlaubt und es auf eine saubere Trennung der Quellen nicht ankommt. Dieser pick-and-choose-Ansatz53 macht es natürlich leicht. einen Autor sozusagen 49 Katherine N. MacFariane: Isidore of Seville on the Paga" Gods (Origenes VIII. 11), 14. Jacques Fontaine: Isidore de Seville et la culture classique dans I'Espagne wisigothique, 382 Anm. 4 illustriert anhand von Augustins Ausführungen zur Vollkommenheit der Zahl Sechs, daß dies von Isidor z. T. wohl auswendig und z. T. ganz präzise zitiert wird . so Pierre Cazier (Hg.): Isidorus Hispalensis Sententiae, XIV - XIX. SI Augustinus ist nach Gregor dem Großen die zweitwichtigste Quelle in den Sententiae, wobei hauptsächlich seine Confessiones, in der Regel nicht Wort für Wort, aufgegriffen werden, Pierre Cazier (Hg.): Isidorus Hispalensis SentenU,u LV - LVII. S1 Pierre Cazier (Hg.): Isidorus Hispalensis Sententiae. X - X.lll. 53 VgL auch Bedas Colle.ctio ex opusculis saneti Augustini in epistolas Pauli Apostoli; andere Beda zugeschriebene IKatenen c sind aber nicht von ihm, vgL Anm . 55.
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auch gegen seine Intention zu gebrauchen. Zwn Beispiel vertri tt Augustinus in De Genesi ad litteram, wie bereits erwähnt, die These von der Simultanschöpfung; dieser stimmt Beda nicht zu, der auf einem tatsächlichen Ablauf der sechs Tage insistiert. Dies hindert ihn aber nicht daran, Augustinus sehr häufig zu zitieren, am häufigsten De Genesi ad litteram. Dabei akzeptiert Beda das Anliegen dieses Werkes, daß die Bibel historische Bedeutung hat, aber er ist mehr noch an Allegorie interessiert, dabei Stellen bei Augustinus ausnutzend, wo dieser ebenfalls allegorisiert." Obgleich Beda Augustins Autorität anerkennt, füh lt er sich nicht verpflichtet, ihm in allem zu folgen, schon gar nicht in zentralen Theorien wie der Simultanschöpfung. Wigbod verfaßte um 775 - 800 für Karl den Großen einen stark kampilatorischen Katenen-Kommentar zum Oktateuch, d ie Quaestiones in Octateuchum." Abgesehen von der Kommentierung zu Genesis 1 - 3 basiert diese Katene nabezu ausschließlich auf Isidors allegorischen Kommentaren.56 Das einzige Werk Augustins, das er direkt zitiert, ist De Genesi contra Manichaeos, während er aus De Genesi ad litteram zwar
häufig schöpft, aber indirekt durch mittelalterliche Florilegien, nämlich durch De sex dierum ereatione (PL 93,207 - 234), einen Kommentar zu Genesis 1- 3, in dem allegorische Auslegungen aus Isidor in der Regel durch literale Erklärungen aus De Genesi ad litteram vorbereite t werden, ferne r durch das Exhymeron , eine irische Epitome von De Genesi ad litteram aus dem späten 7. Ih., und schließlich durch de n Dialogus quaestiom/m LXV (PL 40,733 - 752, auch un ter dem Titel Quaestiones Orosii et responsiones saneti Augustini), ein sehr beliebtes Florilegium, das in 65 Fragen und Antworten nahezu ausschließlich aus Augustinus schöpft." Die beiden letzteren Werke wurden von Wigbod als von Augusti nus selbst verfaßt angesehen." Es verwunder t angesichts dieser Quellenlage nicht, daß in der Auslegung von Genesis 1 - 3 bei Wigbod die literale Auslegung zwei Drittel einnimmt." Die Form des Kommentars ist ein Lehrdialog aus Fragen und Antworten, was seine pädagogische Funktion reflektiert. Sein Anspruch war enzyklopädisch, Augustinus ist in der Genesis- Katene mit Abstand die Hauptquelle, aber Wigbod rekurriert auch auf andere christliche Autoren, besonders Hieronymus und Isidor, sowie christliche Dichter."
54 Joseph F. Kelly: Bedes Use of Augustine for His Commentarium in principium Genesis, 193. ss PL 93,233- 430 der gesamte Kommentar als Pseudo·Beda: PL 96,l l01 -u68IedigHch der Kommentar zu Ge n 1- 3 unter dem richtigen Autor Wigbod: vgl. Michael Gorman: The Eney· clopedic Commentary on Genesis Prepared for Charlemagne by Wigbod. 175 . S6 Michael Gorman: TJle Eneyclopedic Commentary on Genesis Prepared for Charlemagne by
Wigbod, 176. 57 Micheal Gor man: 7he Commentary on Genesis of Claudius of Turin and Biblical Studies tmder Louis the P;ous, 313. 53 Michael Gorman: The Encyclopedic Commen tary on Genesis. 178 - 182.185.193. 59 Michael Gorman: The Encyclopedic Commerltary on Genesis. 185. 60 Michael Gorman: The E'lcyclopedic Commerltary on Genesis. 179. 183 f.
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Alkuin (t 804) ist in seiner katenenartigen Exegese ebenfalls als relativ unorigineH verschrieen, was sich erst in jüngerer Zeit etwas zu ändern beginnt. 61 In seinen Quaestiones in Genesim (wohl um 796 entstanden) konzentriert er sich im Wesent-
lichen aufhistorisch-literale Aspekte der Genesis-Auslegung.62 die als Einführung zu Genesis dienen sollen." Dabei ist Alkuin z. T. erstaunlich eigenständig. da rund die Hälfte der Fragen zu Genesis 1- 3 nicht auf patristische Quellen zurückzugehen scheinen." Offensichtlich hatte er kein Textexemplar von De Genesi ad litteram zur Verfligung. sondern zitiert aus diesem Werk durch Bedas Genesis-Kommentar." während er z. B. De Genesi contra Manichaeos und De civitate Dei aus erster Hand zitiert.
Claudius von Turin (t 827) ist in seiner Synthese. die auch eigenes Gedankengut enthält. relativ selbständig. Er war ein guter Augustinuskenner und schrieb Kommentare zu vielen biblischen Büchern. die auch zu einem Gutteil aus Kompilationen früherer Autoren. besonders Beda und Isidor. bestehen. aber eine eigenständige Struktur aufweisen.66 Wie bei Wigbod. haben seine Kommentare die pädagogische Form der >quaestiones et respo nsiones<. worin aber abhandlungsartige Exkurse eingefügt sind. Claudia !taliani hat herausgearbeitet. daß Claudius' Kommentar zu Königen eine Vielzahl von Quellen hat. aber in den Exkursen alleine Augus tinus verwendet wird.67 Ferner sollen die Kommentare besonders wichtige oder kritische
Punkte des Bibeltextes behandeln und eine Lektüre der AT-Schriften im Lichte des NT ermöglichen." Zur Erklärung von Elijahs Auffahrt in den Himmel (2 Kg 2) zitiert Claudius (PL 50.11820 -1183B) den gesamten Abschnitt aus De Genesi ad litteram 9.6.11. Zur Erklärung. daß Gott Ezechiel fünfzehn zusätzliche Lebensjahre gibt (2 Kg 20.6). greift Claudius (PL 50.1199A - B) auf einen Teil von De Genesi ad litteram 6.17.28 zurück. woran er aber eine unaugustinische mystische Auslegung der Zahl 15 anschließt. In seinem Genesis- Kommentar (PL 50.893 -104869 ). der literale und allegorische Auslegung verbinden soll. vermeidet er. wie Wigbod. den direkten Gebrauch von De Genesi ad litteram und rezipiert es durch die EX2erptsammlungen Intexuimus. einen größtenteils auf De Genesi ad litteram basierenden wisigothischen Genesis-Kommentar aus dem 7- jh .• 70 und Quaestiones Orosii et responsiones AuguVgl. bes. Michael Fox: Alcuin the Exegete: the evidenee of the Qu.aestiones in Genesim. 62 Michael Fox: Aleuin the Exegete, 41. 6J Michael Fox: Alcu.in the Exegete. 51: »a primer for the literal interpretation of Genesis«. 601 Michael Fox: Alcuin the Exegete. 42 f., 48. 6S Michael Fox: Alcuin the Exegete. 4 8. 51. 66 Michael Gorman: The Commentary on Genesis 0/ Claudius ofTurin, 317 f. 61 Claudia ltaliani: La tradizione esegetica nel eommento ai Re di Claudio di Torino. 73. 68 Claudia Ital iani: La tradizione esegetica, 67. 69 Eine ungenügende )Ausgabet. vgL Michael Gorman: The CommetTtary on Genesis ofClaudius ofTurh" 307, mit Ergänzungen 323-329. 10 Michael Gor man: The Commentary orl Genesis ofClaudius ofTurin. 308. 313. 61
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stini (= Dialogus quaestionurn LXV, S.O.)." Im Gegensatz zu Wigbod, dem die Kompilation patristischer Exegeten am Herzen lag, wollte Claudius primär den Bibeltext besser verstehen, wofür er auch patristische Quellen in Anspruch nahm." Hrabanus Maurus (784 - 856) griff in seinem Kommentar zu Genesis (PL 107,439 - 670) hauptsächlich auf Hieronymus, Beda und Isidor zurück. Augustinus figuriert mit relevanten Passagen aus seinen Quaestiones in Heptateuchum, aber De Genesi ad litterarn wird nicht aus erster Hand zitiert." Hrabanus hatte aber wenigstens eine ungefahre Vorstellung von dessen Inhalt, da er dessen Lektüre als vorbildliches und sein eigenes Werk übertreffendes Beispiel für ein e historisch-Iiterale Auslegung von Genesis empfiehlt (MGH epist. 5, n. 39, 476) . Was aber seinen eigenen Gebrauch von Augustins exegetischem Werk anbelangt, verließ er sich auf die Synthesen anderer," im Falle von De Genesi ad litterarn sieben mal auf diejenige von Bedas Collectio ex opusculis sancti Augustini in epistulas Pauli Apostoli." Diese indirekte Rezeption, die gemessen an der unglaublichen Zahl von Quellen bei Hrabanus verschwindend gering ist, soll hier nicht eigens behandelt werden. Johannes Scotus Eriugena (810 - 877), der große karolingische Denker, ist in seinem Meisterwerk Periphyseon u. a. um eine Ause inanderse tzung mi t fundamen-
talen theologischen Anliegen seiner Vorgänger bemüht. So übernimmt er die Theorie von der Simultanschöpfung und auch die >primordiales causae< (>Keimkräfte< oder >Entstehungsgründe<) von Augustinus, der die stoisch-neuplatonische Theorie der >primordiales causae< dazu gebraucht hatte, um zu erklären, warum sich die gesamte Schöpfung simultan ereignen konnte und sich doch erst im Laufe der Zeit entfaltet und offenbart (z. B. in Gn. litt. 6,10,17). Dort gebraucht er auch de n ebenfalls bei Eriugena verwendeten Terminus >primordiales causae<," während er an anderen Stellen andere Ausdrücke verwendet. Augustins Überlegungen zu diesem 11 Michael Gorman: 1he Commentary on Genesis 0/ Claudius 0/ Turitl, 317. der 286 aber die direkte Lektüre von Gn. litt. nicht ausschließen will, und 320 vermutet, daß GtI. litt. vielleicht in der Privatbibliothek des Claudius vorhanden war. n Fundamental hierfür ist Michael Gorman: The Commentary on Genesis Claudius
0/
0/
TUrin, 317 - 319. Silvia Cantell i Berarducci: Hrabani Mauri Opera Exegetica 1, 184; 2, 453-480. 74 Silvia Cantelli Berard ucci: Hrabani Mauri Opera Exegetica 1, 194. 75 Silvia Cantelli Berarducci: Hrabani Mauri Opera Exegetica 3, 1349. Alle Stellen figu rieren in Hrabans Kommentaren zu Paulusbriefen und gehen auf Gn. litt. Buch 2, 4. 5. 10, 12 je einmal, und zweimal Buch 11 zurück. 16 Dies ist Gangolf Schrimpf (Das Werk des Joha"nes Scottus Eriugena im Rahme" des Wissensehaftsverständnisses seiner Zeit. Eine Hinjiihrutlg zu Periphyseon, 260 ff.) en tgangen, wodurch manche sei ner fo lgenden Überlegungen obsolet werden. Die Rezeption gerade dieses Terminus wurde durch das entsprechende Exzerpt bei Eugippius (eSEL 9/1, 226, 3) begünstigt. Bei Augustinus un d Eugippius steht aber )quasi primo rdiales causae(. während bei Eriugena 'quasi( nicht mehr vorkommt. Wiederum habe n wir es also mit ei ner Verschiebung vom Speku lativen hin zum Affirmativen zu tun. 73
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Konzept sind systematisch nicht ganz in sich geschlossen; z. B. sind die >primordiales causae< nicht geschaffen , sondern ewig, existieren aber dennoch in der geschaffenen Materie. Eriugena geht über AUgUStU1US hinaus, und unter Zuhilfenahme der griechischen philosophischen Tradition gelingt es ihm das erste Mal, eine systematisch geschlossene Erklärung zu entfalten, wie die Entstehungsgründe zu ihren Wirkungen fortschreiten: Die >primordiales causae< sind sowohl ewig als auch geschaffen, sie sind göttliche Ideen als Prinzipien der Schöpfung und zugleich deren Manifestationen." Im Gegensatz zu Augustinus ist Eriugena die historische Auffassung des Paradieses aber ein Greue!. Er faßt das Paradies ganz intellektualistisch auf; hierfür nutzt er unterschiedliche Aussagen in verschiedenen Werken Augustins aus, um damit Augustinus sozusagen gegen sich selbst auszuspielen und in sein eigenes (Eriugenas) inteUektualistisch-immaterialistisches Weltbild einfügen zu können." Augustin us folgend und noch weiter ausdifferenzierend besteht Eriugena auf einer strengen Scheidung von }sapienti a~ und >sci entia ~ als verschiedenen Wegen zur Wahrheit. Generell setzt sich Eriugena methodisch systematischer und organischer als z. B. Beda mit Augustins Werk auseinander. Aber im Resultat, d.h. der Anverwandlung Augustins fü r seine Zwecke, ist er nicht so weit von Beda entfernt. Remigius von Auxerre (t 908) produzierte »perhaps the most original of all Carolingian commentaries on Genesis«." Es handelt sich dabei nicht um ein einfaches Florilegium, obgleich er Quellen, oft nicht wörtlich, zitiert, in der Regel ohne sie zu identifizieren. De Genesi ad litteram wird fast fünfzigmai zitiert (einmal aus Buch 5, je dreimal aus Buch 1 und 2, je fün fmal aus Buch 3, 8 und 9 sowie 24 m al aus Buch 11), was seinen Grund darin hat, daß Remigius dort, wo seine HauptqueUe Hrabanus Maurus keine Literalauslegung bietet, diese aus Augustinus bezieht; denn Remigius' Ziel ist eine durchgängig wörtliche Erklärung des gesamten Buches Genesis." Seine intendierte Leserschaft ist fortgeschritten und gebildet (CCCM 136, 3,14 -4,19). Augustins De Genesi ad litteram verarbeitet er für Genesis 1 - 3; die paraphrasierten Abschnitte können bis zu zwanzig Zeilen umfassen . Die meisten, aber nicht alle der von Remigius verwendeten Passagen finden sich in Eugipps Excerpta, manche finden sich auch in Beda, Wigbod, Hrabanus Maurus und/oder Claudius von Turin. n GangolfSchrimpf: Das Werk des Johannes Scottus Eriugena, 263. 268; Dermot Moran: The Philosophy 0/ J.S. Eriugena, 262 - 268; Robert D. C rouse: Primordiales Causae in Eriugena's Interpretation 01 Genesis: Sources and Significance, 214 - 216. der aber etwas zu wenig auf die Unterschiede eingeht. 711 Dermot Moran: 7he Philosophy 0 / J.S. Eriugena, 115. Eriugena hat auch das Anliegen, Augustinus und griechische Denker zu harmonisieren: vgl. Brian Stock: Observations on the Use 0/ Augustine
by f.S. Eriugena. 219.
Michael Gorman: 7he Encyclopedic Commentary on Genesis. 201. 80 Burton Van Name Edwards (Hg.): Remigii Autissiodorensis Expositio Super Genesim, XLVII f.; LI!. 7'J
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Manche Zitate aus De Genesi ad litterarn haben aber offenbar keine feststellbare Zwischenquelle, nämlich die Erklärungen der verschiedenen Tierbezeichnungen in Genesis 1,24 (aus Gn. litt. 3,1l,16f. in Remigius p. 24,514-525), die Frage, warum in Genesis 1,25 Gott die Tiere segnet, aber nicht die zuvor geschaffenen Pflanzen (aus Gn. litt. 3.l3.21 in p. 25,549 - 558), die Möglichkeit lustfreier sexueller Aktivität vor dem Fall (aus Gn. litt. 9,10,16 -18 in p. 46,1052 - 47,1063), sowie die ,Etymologie< von ,Eva< (aus Gn. litt. 11,38,51 in p. 64,1464 -1469). Dagegen ist die Betonung, daß Gott in Genesis 3,9 Adam nicht aus Ignoranz nach seinem Verbleib fragt (p. 58,1319), trotz der Parallele in De Genesi ad litterarn (1l,34.45) gegen Edwards durch Bedas GenesiS-Auslegung (CCL 118A,63,2023 f.) vermittelt denkbar. Bemerkenswert ist, daß - ganz im Sinne Augustins - ,literaI< (also historisch-faktisch zutreffend) manchmal bedeutet, daß eine Stelle übertragen aufgefaßt werden muß, z. B. in Genesis 3,7 das Öffnen der Augen der ersten Menschen, was nicht physiologisch zu verstehen ist (p. 56,1269 -1277, über Hrabanus und Beda auf Gn. litt. 1l,31,40 - 42 zurückgehend). Auf der anderen Seite kann Remigius aber auch Passagen Augustins mit einer Aussage aus einem anderen Autor verbinden, der eine Theologie vertritt, die derjenigen Augustins entgegensteht; z. B. wird im Anschluß an Genesis 3,14 die Verfluchung der Schlange als auf den Teufel gemünzt erklärt (p. 60,1364 - 1369, über Hrabanus und Beda auf Gn. litt. 1l,36.49 zurückgehend). Im Anschlußsatz wird dann jedoch nach der lateinischen Version des Flavius Josephus erklärt (Historiae antiquitatis ludaicae 1,1,4), daß die Schlange, die zuvor nicht giftig war, durch diese Verwünschung ihr Gift erhielt, was ein unaugustinischer Gedanke ist (vgl. Gn. litt. 3,15.24) .
3. Schlußfolgerungen Die im vorigen gebotene überblicksartige Analyse verschiedener Möglichkeiten der Rezeption von De Genesi ad litterarn machen eine Anzahl von rezeptionsgeschichtlich wichtigen Aspekten deutlich: Auffallend ist die Breite der rezipierten Passagen, die nicht auf wenige besonders beliebte Stellen beschränkt sind. Ab Cassiodor, Gregor dem Großen und Isidor läßt sich ein Einschnitt beobachten, ein Übergang von der anspruchsvollen spätantiken Rezeption komplizierter theologischer Konstrukte in der Dichtung und in den ausdrücklich als ,Appetitanreger< erklärten Exzerpten des Eugippius hin zu einer den aporetischen Charakter von De Genesi ad litterarn , der von Augustinus wiederholt betont wird, ignorierenden, enzyklopädischen Sicherheit. Das gewaltige Werk wird gerne durch Exzerpte rezipiert, was zwar nicht überrascht, aber den ursprünglichen Kontext noch unkenntlicher macht. Auffallenderweise können andere Werke direkt zitiert werden, wie De Genesi adversus Manichaeos, das viel kürzer ist als De Genesi ad litteram, aber auch De civitate dei, obgleich dies noch umfangreicher ist als De Genes; ad litteram. Passagen aus De Genesi
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ad litterarn werden auch zur Erklärung anderer als ursprünglich intendierter Bibelstellen verwendet (z. B. bei Gregor dem Großen oder Claudius von Turin), und ihre Reihenfolge kann geändert werden (z. B. bei Remigius von Auxerre). Zudem können sie mit anderen Quellen kombiniert werden, so daß Augustins Gesamtintention oder übergeordnete Theologie verlorengeht. Dadurch wird eine systematisch präsentierte Masse an Wissen geschaffen, das für absolut verbindlich und wahr gehalten wird und das später die Grundlage für einen neuartigen Umgang mit Autoritäten der Vergangenheit bildet."
I L Die Ergebnisse meiner Analyse decken sich im wesentJichen mit den vorzüglichen Bemerkungen bei Thomas Q'Loughlin: Teachers and Code-breakers, 318 f., der diese Entwickl ung eindrücklich als den übergang von der urbanen theologischen Spekulation der Spätantike hin zum systematischen Denken der Scholastik und der Verfestigung eines mittelalterlkhen Weltbildes charakterisiert.
Fides und ratio bei Anselm (1033-1109) und Augustinus von Christian Gäbel
Anse1m von Canterbury darf in einer Darstellung der Wirkungsgeschichte Augustins nicht fehlen . Aus der intensiv erforschten Geistesverwandtschaft' sei hier ein Motiv herausgegriffen, das beide nachhaltig geprägt haben: das Verhältnis vonjides und ratio und seine Implikationen wie der thematisch verwandte alethologische Gottesbeweis. Glaube und Vernunft - oder Denken, Einsicht, Wissen' - bestimmen das Grundverständnis der christlichen Theologie, insbesondere in ihrem Verhältnis zur Philosophie, aus der sie in vielerlei Hinsicht erwachsen ist und vor der sie ihre Grundannahmen rechtfer tigen muß, will und kan n.3 So impliziert die Frage nach jides und ratio die Frage nach dem Verhältnis der Disziplinen Theologie und Philosophie. Historisch nahm sie seit Paulus und den Kirchenvätern oft apologetische Formen an, als Verteidigung der Glaubenslehre gegen die heidnisch-säkulare Vernunft und zugleich als Vernunft-Vorbereitung Nichtgläubiger für die Aufnahme der christlichen Bekenntnisse (praeambula / praeparatio jidei), hat aber stets auch der Selbsterkenntnis des Glaubens gedient. Zuletzt hat das katholische Lehramt das Verhältnis im Lehrschreiben Fides et Ratio von 1998 (=FR) von Johannes Paul 11. eigens thematisiert und als innere Verwandtschaft charakterisiert. Systematisch bietet die Enzyklika Erläuterungen zum epistemologischen Status des Glaubens, bringt aber auch die besondere Wertschätzung des Papstes für die Philosophie zum Ausdruck, die er als Professor unterrichtet hatte. Zugleich wird den vielfaltigen historischen Beziehungen zwischen Theologie und Philosophie Rechnung getragen. Unter anderem wird auf die Wandlungen verwiesen, die die Philosophie durch ihre christliche Aufnahme erfuhr, aber auch an ihrer propädeutischen Rolle festgehalten, durchaus im Sinn der mittelalterlichen Bestimmung als anci/la theologiae - doch mit dem Kant'schen Zusatz, daß diese Magd der Theologie ,die Fackel vor-
Vgl. zuletzt Reinhold Rieger: Anse/rn. 2 Die Titelbeg riffe fides und ratio wurden nach der Enzyklika stellvertretend für das vielschichtige Verhältnis gewählt und wären im Einzelnen zu präzisieren. Doch geht es uns nicht um DetaiJanalyse der Vollzüge, Termini, EntwickIungslinien bei Augustinus und Anse1m. Hinweise geben die entsprechenden Artikel in AL. vg!. John Rist: Faith arid Reason; Andreas HoffI
mann: Hermeneutische Frage'l; Richard W. Southern: Saint Anse1m, 123 -127. l Das ist Kern thema der Fundamentaltheologie. Unter den einschlägigen Lehrbüc hern sei, aufgrund des besonderen Interesses an Anse1m, nur verwiese n auf Hallsjürgen Verweyen: Gottes letztes Wort.
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trägt<.' In Fides et Ratio kehrt auch auf neue Weise ein Aspekt wieder, der von Anfang an bedeutsam war: das Gespräch des Christentums .mit der Welt<. Die Vernunft ist nicht nur Maßstab und Richterin, sondern auch gemeinsame Basis im Menschsein, auf der mit anderen Kulturen auch über Religion und Glaube in den Dialog zu treten ist. Dies ist der Kirche heute in neuer Offenheit bewußt. In der Enzyklika ist Anse1m mit seiner .Interpretation des intellectus fidei< (FR 42) ein herausragendes Beispiel der Suche des Glaubenden nach Erkenntnis. Nie zuvor wurde ihm vom Lehramt eine so herausgehobene RoUe zugestanden (FR 14, 42). Doch Anseims Beispielhaftigkeit gründet in seiner Anknüpfung an die Augustinische Tradition. Fides et Ratio ist insgesamt von Augustinischer Theologie geprägt. Das wird zwar nicht immer ausdrücklich gemacht; doch nennt Fides et Ratio 40 Augustinus als erste große Synthese philosophischen und theologischen Denkens, und das doppelte Wechselverhältnis zwischen Glaube und Vernunft wird in Kapitel 2 und 3 mit den Augustinischen Worten credo ut intellegam und intellego ut credarn überschrieben. Auch im Apostolischen Schreiben Augustinus von Hippo (1986) hatte Johannes Paulll. seine Hochschätzung für den Heiligen mit dessen Entwurf einer christlichen Philosophie aus der Harmonie von Vernunft und Glaube begründet (Nr. 3, 13 f.) , wobei beiden, je nach .Zeit oder Bedeutung<, .Primat
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Anse1ms )intellectus fidei.
Anse1ms Ausgangspunkt ist der Glaube. Es geht ihm aber um dessen vernünftige Durchleuchtung: ratio fidei (P Prooemium). Die Leitformel )sola ratione<, )mit der bloßen Vernunft. oder bloß mit Hilfe der Vernunft zu verfahren, Vernunftnotwendigkeit bzw. Vernunftgründe ()rationis necessitas<, .rationes necessariae<) zu suchen (M Prolog, 1; P Prooemium; CDH Praefatio, I 20.25, 1I '3 .22 u. a.), bedeutet keine grundsätzliche Abkehr von den auctoritates (Schrift, Vater, Magisterium). Die Originalität seines theologischen Strebens ist eher methodisch.' Zwar formuliert Anse1m im Prolog des Monologion den Anspruch. daß darin »nichts durch die Autorität der Schrift zur Überzeugung gebracht wird«, und sagt in der späten Epistola de incarnatione verbi 6: »Was wir im Glauben von der göttlichen Natur und ihren Personen annehmen, kann mit notwendigen Gründen dargelegt werden, ohne auf die Autorität der Schrift zurückzugreifen .« Es geht ihm aber um eine Dialektik zwischen Glauben und Denken, der zumindest die Autorität der Bibel und die grundsätzlichen Glaubens-Daten (als Denk-Vorgaben) bleiben. Als Voraussetzung des wei teren Denkwegs umfaßt .Glaube< nicht nur die persönliche Glaubenserfahrung; auch sein Gegenstand ist (ontisch) der Erkenntnis vorgeordnet. So heißt es am Schluß von Cur deus homo (I1 22): »Ich sehe ein, daß bewiesen ist, was im Neuen und Alten Testament enthalten ist«. Und zu Beginn (CDH 11): »Die rechte Ordnung verlangt, daß wir die Tiefen des christlichen Glaubens zuerst glauben, ehe wir es wagen, sie mit der Vernunft durchzudiskutieren«.' Es gibt einen ontisch-noetischen Stufenweg von den Glaubensdingen zur Glaubenserfahrung und zur Erkenntnisanstrengung (wobei erstere faktische Möglichkeitsbedingungen der letzteren sind). Anselm betont aber das Einsehen. das am Ende von Cur deus homo steht. und mahnt. überhaupt den Weg der Reflexion zu gehen. Der Glaubende soU .verstehen, was er glaubt« (CDH 11.8); in rationaler Durchdringung wird er zu den Glaubens-
Zent rums - auf versch iedene klassische übersetzungen zurückgegriffen (BKV, e arl Johann Perl, Hans Urs von Balthasar u. a.), z. T. modifiziert. Wesentliche Textgrundlage war die lat.-ital. Ausgabe der Opera Omnia. Anselm wird nach der kritischen Edition von Franciscus Salesius Schm itt und nach dessen dt.-Iat. Ausgaben zitiert, CDH auch in eigener Übersetzung unter Rückgriff auf Hans Zim mermann (http://t2koerbe.de/pan /curdeus.htm). 7 Zu Anspruch und Methode Anse1ms vgl. Giulio D'Onofrio: Anselmo d'Aosta, 484-5J4; Zum Disput über die Bedeutung der auctoritates für Anselm zuletzt David S. Hogg: Anselrn 0/ Canterbury, 162 -165 .
• Im selben Kapitel stellt Anselm auch fest, daß ,.was von den heiligen Vatern bereits gesagt wurde, genügen dürfteoK. Er selbst steHt sich den Glaubensfragen noch einmal, um sie >allen verständliche zu machen. Mehr noch, es bedarf eigener Begründung, wenn die Ausführungen einer )geheiligten Autoritäte entgegenstehen (J 3). Zugleich ist klar, daß es sich dabei nur um ~ scheinbaree Widersprüche handeln wird. Grundsätzlich bleibt >falsche, was ,.der Heiligen Schrift ohne Zweifel widerspricht.c (CDH 118). Es geht nie um ein Vernunfturteil über diese.
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daten, von denen er ausging, zurückgeführt, aber bereichert um Einsicht. Diesen Reflexionsweg des Glaubens nennt Fides et Ratio 73 eine Zirkelbewegung.' Dafür steht die Zentralformel der Anselm'schen Gottsuche fides quaerens intelleeturn, der ursprüngliche Titel von Proslogion (Prooemium; unter diesem Motto steht auch CDH; M hieß ursprünglich exemplum meditandi de ratione fidei): der Glaube auf der Suche nach Einsicht." Anselm ist einer, »der einzusehen sucht, was er glaubt. (P Prooemium), dankt aber auch Gott dafür, wenn er zur Einsicht gelangt ist (P 4). Vernunftgründe sind nicht einmal dazu nötig, um »Glauben zu stärken, sondern um den schon Befestigten mit der Einsicht in die Wahrheit zu erfreuen« (CDH 1115, vgl. 11). Erkenntnis und die Freude daran kommen zum Glauben hinzu. Damit bleibt eine Priorität des Glaubens, zeitlich wie sachlich: »denn ich suche nicht einzusehen, damit ich glaube, sondern ich glaube, damit ich einsehe« (P 1, vgl. CDH 11). Ziel ist der reflektierte Glaube dessen, »was uns der katholische Glaube zu glauben befiehlt« (CDH 125). Doch Anselm betont mit Nachdruck die Autonomie der Vernunft, die »einen vernunftgemäß festen Untergrund der Wallfheit aufzuzeigen hat. (CDH I 4). Der Glaube ist Ausgangspunkt auch philosophischer Reflexion. Anse1ms Schriften wollen in sich durch die )Notwendigkeit der Vernunft< wirken und die »Klarheit der Wahrheit offen sehen lassen« (M Prologus; CDH Praefatio). Sogar spezielle Themen der christlichen Theologie wie das Trinitätsgeheimnis, Erlösung und Menschwerdung Christi ()übernatürliche Wahrheiten<) sind mit Vernunftgründen darlegbar (CDH I 2). Die Einsicht soll so sein, )als ob< man kein vorhergehendes Wissen um die Glaubensgeheimnisse hätte (CDH Praefatio; I 21), unter methodischer Ausblendung der Bibel und )remoto Christo<(CDH Praefatio) oder )als ob Christus nicht sei< (CDH II 10).
2.
Augustinische Grundlagen
Dieser Zugang fUhrt zu Augustinus als Grund, auf dem nicht nur Anselm steht, sondern die ganze spätere Theologie. Im folgenden werden zugleich die geistigen Hintergründe Anselms sowie die thematische Frage vertieft. Die gesamte Theologie des Mittelalters steht in Augustins Tradition, besonders hinsichtlich der Bestimmung des Verhältnisses von Glaube und Vernunft l l Anselm fühlt sich )innerlich , FR 73 spricht von einer Kreisbewegung (im lateinischen allerdings )progressio(); Hans Waldenfels: ~Mit zwei Flüge1m, 29 präzisiert im Sinn der Spirale oder EUipse. 10 Dazu z. B. Klaus Kienzier: Glauben und Denken bei Anselrn von Catlterhury; Ingolf U. Dalferth: Fides quaerens intellectum; Mechthild Dreyer: Fides quaerens intellectum (mit Bezug auf die Augustinischen Hintergründe) . U Vgl. z. B. dje klassische Darstellung von Martin Grabmann: Augustins Lehre von Glauben
und Wissen und ihr Eitlfluß auf das mittelalterliche Denken.
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verwandt<" und verweist in der Einleitung zum Monologion, in dem er dann im Sinn des sola ratione auf alle weiteren Autoritätsbelege verzichtet, namentlich auf Augustinus, der ,alles so herrlich< dargelegt habe (MPrologus). Anselms Werke zeigen direkte Abhängigkeiten, z. B. Monologion (und Proslogion) von De trinitate und Proslogion von den Soliloquia und den Confessiones." Allerdings wird Augustinus insgesamt nur sechsmal genannt; Gründe daftir dürften der eigene methodische Anspruch, aber auch die tiefe Prägung selbst sein, die ,durch isolierende Zitate< gemindert wäre." Anselm entwickelt auch »seine für die Scholastik maßgebliche Konzeption einer cbristlichen Philosophie, die einen Ausgleich zwischen Vernunft und Glauben anstrebt, unter ausdrücklicher Berufung auf Augustinus«." Die kritische Edition identifiziert zahlreiche (nicht alle) Augustinusbezüge. Neben den für unser Thema relevanten Stellen" bietet die Epistola de incarnatione verbi (bes. Kap. 1) eine knappe Darstellung von Anselms Auffassung des Verhältnisses von Glaube und Vernunft und bezieht sicb dabei auf Augustinus (ep. 120; 10. ev. Ir. 28,7; 29,6; trin. 7,12), der in Kapitel 6 explizit als ,Autorität< in Glaubensfragen genannt wird (allerdings nicht speziell zur Frage nacb fides und ratio). Die Abhängigkeit wird noch deutlicher, wenn wir Augustins überlegungen zu Glaube und Vernunft an hand ausgewählter TextsteIlen näher betrachten. Das Doppelmotto von ,intellegere< und ,credere<, deren Wechselverhältnis die Lehramts-Theologie bis heute prägt, ist von }esaja 7,9 inspiriert!' und findet sich in Sermo 43,41f. Dem Wunsch der Menschen nach Sicherheit in Glaubensdingen, d. h. nach rationaler Überzeugung, nach dem Grundsatz: »Alle Menschen wollen verstehen, nur wenige glauben«, stellt Augustinus das »crede ut intellegas« entgegen. Anse1ms Wertung von Proslogion 1 (»denn ich suche nicht einzusehen, damit ich glaube, sondern ich glaube, damit ich einsehe«) findet sich wörtlich bei Augustinus (u. a. in 10. ev. tr. 29,6), wird aber in die Erkenntnis eines Wechselspiels überführt (s. 43,9): »intellege ut credas, crede ut intellegas«, freilicb mit klar zugewiesenen Be-
Franciscus Salesius Schmitt: Einjührung(CDH). VIII. Allerdings bemüht sich Anselm um einen Ausgleich des Platonisch-Augustinischen und Aristotelisch -Boethischen Denkens; zum Streit um den Augustinischen Neuplatonismus bei Anselm (zwischen Franciscus Salesius Schmitt und Kurt Flaschl vgl. zuletzt Reinhold Rieger: Anselrn, 579 f. 13 Vgl. z. B. Klaus Kienzier: Gott ist größer, 102 ff. 14 Reinhold Riege r: Anselm, 574 nach Richard W. Southern: Saint Anse1m, 72 f. IS Uwe Neumann: AUguStiflUS, 134. 16 Aus M. p. CDH: das sind z. B. M 1 = trin. 8.4 f. M 64 = s. 52,23. M 64/65 = trin. 15.57 ff. M 66 = 10. ev. tr. 18,10. P Prooemium = trin. 15 ,2. PI =5.43.7- 9; s. 89.4; s. 2 12,1; 10. ev. tr. 60.9; trin. 8.8; ep. 120.3. P 2 = con! 7.6 . CDH I 1 ::: ep. 120.4.6. CDH 118 = Gn. litt. 4,40; civ. 11 .9 u. a.; Gn. litt. imp. 31. CDH TI 8 = trin. 13,23. 17 In der Septuaginta- übersetzung »nisi crediderit is. nOIl intellegetis«. dazu Wilhelm GeerIings: Jesaja 709 bei Auguslitws; vgL 5. U8,1; 212,1; 10. ev. Ir. 27,7. 29,6; 40.9; ep. 120,3; doct. ehr. 2, l7; trin. 8,8; util. credo 22; ep. 120,3; ord. 2.26 u. a. 12
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reichen (>mein Wort/Gottes Wort<), nicht im Horizont irgendeiner Erkenntnis, sondern des besonderen Erkenntnisbereichs der göttlichen (Heils)Dinge, die »der Geist allein nicht erkennen kann«." Das Doppelmotto kann insgesamt über Denken und Leben Augustins stehen; es hat verschiedene Bedeutungen, die an den Zuordnungen von Glaube und Einsicht festzumachen sind und mit der mehrfachen Bedeutung des ut korrespondieren, das final oder schlicht konsekutiv sein kann.
2.1
Augustins persönlicher Denkweg zwischen )intel/egere, und )credere,
Das Verhältnis von Glaube und Vernunft ist bei Augustinus zuerst eine persönlichbiographische Beziehung. Das unterscheidet ihn von AnseIm, der von Beginn an auf dem sicheren Grund der Glaubensüberzeugungen steht. 1. In der Rückschau zeigt sich das Verhältnis zwischen Glaube und philosophischer Vernunfteinsicht vor der Bekehrung als intellego ut credam: Die Suche nach Einsicht (in das Sein und seinen Sinn), die Augustinus umtreibt, führ t ihn von Philosophie zu Philosophie, letztlich aber zum Christentum. Zum Glaube n gekommen, kann er sie als die von Gott angeregte Suche nach Gott verstehen: Dort fin det das >cor inquietum <sein e Ruh e (con! 1,1; vgl. 10,8). Gott selbst ruft das Erkenntnisstreben hervor (trin. 15,51). Wie Justin oder Clemens versteht er das Christentum als >wahre Philosophie< (c. 1,,1. 4,72); der >wahre PhilosophGott liebt< (civ. 8,1). Seine ruhelose Suche erscheint als wahres itinerarium mentis in Deum ." Freilich setzt das ein besonderes Verständnis von >Erkennen< als natürliche Theologie voraus (z. B. aus der Schönheit und Zweckgerichtetheit de r Welt)," das erst aus der Glau· bensperspektive möglich ist. 2 . Auch als Glaubender bewahrt sich Augustinus den philosophischen Geist, ein fundamentales Zutrauen zur Kraft der menschlichen Vernunft, die sogar imstande ist, tiefere Glaubenswahrheiten wie die Trinität einzusehen. Schließlich war er selbst
18
div. qu. 35,2. Danach kan n man zur Wahrheit gelangen, indem man sein Leben Gott weiht,
oder au f dem ~phi1osoph i schen( Weg, die ~Zejchen( in der Welt interpretierend, also durch Aktivität der Vernunft, die aber nicht dem Glauben äußerlich, sondern innerlich ist. - Zu den verschiedenen Gegenständen des ~Glaubens( (im religiösen und nicht-religiösen Sinn) vgl. div. qU.4 8.
Das Motiv (Bonaventura) hat Etienn e Gilson: Introduction a f'etude de Saint Augustin, 12 tf. auf Augustinus angewandt. Ladislaus Boros bietet eine Textauswahl dazu (vgl. Aurelius Augustinus, bes. 132 ff.). 20 Also aus den> Werken(; s. z. B. ep.12o,12; en. Ps. U8,27,1; conf 10,57; vera ref. 52.75 f.; fib. arb. 2.43; trin. '3.24 u. a. So deutet FR das intellego ut credam in Kap. 3. Natürliche Theologie kann >natürlicher Glaube( sein, im Sin n von Franciscus Salesius Schmitt: Einführung (M), 17 (zur Rationalität AnseJms, abgegrenzt von übernatürlichem Glauben und mystischer Erleuchtung oder bloßer Annahme der Schrift): ein Glaube an Gott aus Vernunftgründen. l'
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erst vom Christentum überzeugt, dessen Lehren zunächst denkerisch .unglaubwürdig<scheinen mußten, als er seine Kompatibilität mit der Philosophie erkannte." Die .wahre Philosophie, ist die .wahre Religion<, und zwar als Vernunftantwort auf den Appell zur Wahrheitssuche (vera rel. 8). Die ersten Begegnungen zwischen Christentum und Philosophie im Leben Augustins waren im Blick aufbeide enttäuschend verlaufen: Bei Cicero, der ihn fUr die Philosophie begeisterte, vermißte er den .Namen Christi< (con! 3,8), konnte aber auch nicht mehr einem unreflektierten Glauben anhängen, der ihn nun zurückstieß (con! 5,20). Dieser zunächst ungelöste Widerspruch war der biographische Ausgangspunkt seines persönlichen Wegs der Suche nach Wahrheit und Gott, der ihn durch die vieWiltige philosophische Landschaft seiner Zeit fUh rte, um encllich doch im Christentum seine Erfüllung zu finden, aber in einem reflektierten Christentum, das nicht nur auf Autoritäten hört, sondern den Glauben auch einsehen will: »audiam et intellegam« (co'if. 11,5). Beim glaubenden Augustinus kehrt sich also das Verhältnis zwischen Vernunfteinsicht und (bloßem) Glauben gleichsam in das credo ut intel/egam um, in eine fides quaerens intel/ectum'2 Die Mahnung, auch zu verstehen, was man glaubt, formuliert Augustinus immer wieder (z. B. trin. 15,51).
2.2
Systematische Hinweise
Damit beschränkt sich das Verhältnis zwischen credere und intel/egere nicht auf eine bloß einseitige Vorordnung des einen vor das andere, die sich biographischchronologisch umkehrt: erst intel/ego ut credam, dann credo ut intel/egam. Vernunft und Glauben stehen in einer thematischen Wechselbeziehung." die durch ein dreifaches Verhältnis gekennzeichnet ist: 1.) .Wissen vor dem Glauben<, 2.) .Wissen im Glauben<, 3.) •Wissen nach dem Glauben<." Deshalb sind bei Augustinus Stellen sowohl zur Vorordnung des Glaubens vor der VernUflft als auch der Vernunft vor dem Glauben zu finden. Zugleich ist in der Verwendung des Begriffs .Wissen<ein wesentlicher Schritt zur AuJhebung der vordergründigen Widersprüche zwischen fides und ratio im Sinn Augustins getan. 1.
21 Dieser Weg öffnete sich nach der geistigen Wanderung vom Eklektizism us über Manich· äismus und Skeptizismus zum Neuplatonismus in der Pauluslektüre (Acad. 2,5), setzte aber auch eine neue Sicht der Glaubenssätze voraus, den )Vernunft·GJaube n( der Ambrosianischen Schriftauslegung (con! 5.23 f.i 6,4 ff.; util. credo 5 f.). 12 Das Wort wurde auch über Augustinische Passagen gestellt, Z. B. S. 43.4; en. Ps. 118,.18,3. 13 Viele der im Blick auf Augustins Denk· und Glaubensbiographie genannte n SteUen haben hier systematische Bedeutung. 14 Martin Grabmann: Augustins Lehre von Glauben und WiSSetl und ihr Einfluß auf das mitteJaJterliclle Denken, 39 - 4 1 (freilich bleibt das thematische Wechselverhältnis in Zeitkategorien
gef.ßt).
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a) Das Wissen vor dem Glauben meint Verschiedenes. z. B. ein Welt-Wissen. das zum Glauben führt. oder die rationalen Voraussetzungen des Glaubens. ,Wissen, als Voraussetzung des Glaubens ist für Augustinus auch ein außer-philosophisches - doch nicht unvernünftiges - Wissen um die Offenbarung. das Datenwissen ist. weil die Offenbarung historische Tatsache ist (Heilswissen). Dies ist Voraussetzung ihrer gläubigen Annahme Uo. ev. tr. 29.6). Zunächst muß äußerlich verstanden werden. was man glaubt. was das besagt. was man glaubt. z. B. Worte der Schrift. Der Glaube beginnt mit dem ,Hören, (Röm 10.17); also muß zumindest Sprachverständnis vorhanden sein, um Wortbedeutungen zu erfassen, aber auch Vernunft, um den
Sinn einer Perikope zu verstehen. 25 In Epistula 120.3 wird noch lesaja 7.9 als Beleg vernünftiger Voraussetzungen des Glaubens gedeutet. der selbst vernünftig sein muß." b) Augustinus versteht den Glauben selbst als Akt der Vernunft (Wissen im Glauben). Denn »Glauben ist nichts anderes als ein zustimmendes Erkennen (Denken)«. Denken und Glauben durchdringen sich auch im Vollzug gegenseitig (praed. sanct. 5): »Man denkt im Glauben und glaubt im Denken«. Glaube ist schon ein Vernunftakt. weil er ein Urteil darüber voraussetzt. was glaubenswert ist (vera rel. 46)." und ist so auf das ,Wissen vor dem Glauben, verwiesen. Wesentlich ist die - freie (vgJ. util. credo 23ff.) - persönliche Zustimmung (ench. 20; vgJ. FR 66. 79). und zwar nicht nur im religiösen Glauben. In den Wissenschaften ist die subjektive Annahme einfacher. weil empirisch-unmittelbare Evidenz eher ein Verstehen ermöglicht." und: »was ich verstehe. glaube ich auch« (mag. 37; s. 43.4) . Die glaubende Annahme ,folgt, objektivem Wissen. das sie personalisiert. ist aber selbst ,wissend,. wenn sie rational ist. nicht unreflektierte Über- und Hinnahme." Grundsätzlich betont der antike Wissenschaftsbegriff. dem Augustinus folgt. die temporale Nachordnung des Denkens in der Meinung. daß jedes Erkennen mit Glauben beginnt. Doch der christliche Glaube ist noch darin selbst Vernunftakt. weil er eine integrale Rolle auf dem Aufstiegsweg der Vernunft hat (sol. 1.12 ff.; ep. 120.3.8; s. u.) . Er wird geleistet vom Menschen als Geist(,Herz,) -Wesen." bleibt aber der Einsicht untergeordnet.
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en. Ps. 44,25; 118,18,3.23,1; mag. 37; vgl. doet. ehr. 2,16 tr.38 tr.60. Ähnlich en. Ps. n 8, 18,3 (»Es gibt Dinge, ohne deren Einsicht wir nicht glauben können ,
und es gibt Dinge, an die wir glauben müssen, um einzusehen«), aber mit klarem Bezug auf Heilsdinge als Wissensobjekte (die noch nicht klar zu erkennen sind) . Z7 Vgl. e. litt. Pet. 3,11; e. ep. Parm . l ,n ; 2,5; ep. 179.10 u. a. 23 Dann wird auch )verstanden (. was z.B. den Augen )geglaubt( wird (vgl. div. qu . 48); das Erfahrene wird direkt geglaubt (vgl. util. credo25 zur scientia). 19 Auch das kann >Glauben ( bedeuten; Augusti nus grenzt es aber von )Me inen ( u. a. ab. das durch Zweifel gekennzeichnet ist. der aufUnwissen oder Irrtum beruht (me nd. 3; util. credo 25: wohl kann Glauben zum Verstehen geführt werden, aber »niemand, der me int, versteht«). 30 Zu m cor bei Augustinus vgL Z. B. Anton Maxsein: Philosophia eordis.
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c) Das fuhrt zum Wissen nach dem Glauben. Glaubensinhalte wollen rational durchleuchtet und intellektuell nachvollzogen, »nicht allein glaubend. sondern auch einsehend. erfaßt werden (Acad. 3.43). also nicht nur äußerlich verstehend gehört und angenommen (geglaubt). sondern in ihrem ganzen Sinn verstanden und darin umso überzeugter angenommen (>geglaubt<) werden. Obwohl der Glaube der Einsicht temporal vorgeordnet bleibt (s. n8.1: »Der Glaube geht voran. die Einsicht folgt nach.). bedeutet die Vorordnung keinen Verzicht auf Vernunft, sondern fordert Suche nach Einsicht (sie steht im Kontext des aus s. 43.9 bekannten Doppelmottos und bezieht sich auf Christus). So gilt dem Erkenntniswert nach das andere berühmte Wort (trin. 15.2): »Der Glaube sucht, die Einsicht findet«. Es bleibt bei der Priorität des Glaubens: Weil die beim Glauben ansetzende Vernunft aher über dem bloßen Glauben steht. gründet auchder Kreis- oder Zirkelweg von Fides et Ratio in der erfüllenden Selbst-Erkenntnis des Glaubens, die Anselm als jides quaerens intel/eeturn und Credo ut intelligarn faßt. Sie führt zu einer >Stufenfolge<" im Verhältnis von Glaube und Einsicht (vera rel. 45): »Die Autorität fordert Glauben und bereitet den Menschen auf die Vernunft vor. die Vernunft führt zur Einsicht und Erkenntnis«. 2. Das Verhältnis von Vernunft und Glaube hat bei Augustinus meist die Form von Vernunft wld auctoritas." Glaube meint neben dem Vollzug den Inhalt (vgl. trin. 13.5)." Das gilt im religiösen wie nichtreligiösen Sinn. Als Vollzug ist Glaube eine Erkenntnisform, und zwar nicht nur defizitäres, nichtsicheres Wissen,J4 son-
dern auch Wissen von nicht unmittelbar Gegebenem (ench. 8; ep.147.7 ff.)." Deshalb bedarf es passender >Zeugen, als >Autoritäten,. denen man sich gläubig anvertrauen kann." So ist Glaube eine dritte Erkenntnisfakultät (neben Vernunft- und Sinneserkenntnis). die indirekte Erkenntnis im Anvertrauen an das Zeugnis anderer." Der Wilhelm Weischedel: Der Gott der Philosophen. 104. 32 Stellenauswahl in Opera Omnia VlI2. 89 (Anm. zu div. qu. 48). Zur auctoritas vgl. Ernst Dassmann: Glaubenseinsicht - GlaubensgehorsDm; Karl-Heinrich Lütcke: )Auctorilas( bei Augustin; Frederick van Fleteren: Authority and Reason, Faith and Understanding in the 7hought 0/ SI. Augustine. JJ Unter den zu glaubenden Dingen wird noch einmal unterschieden zwischen Schriftdaten und Elementen theologischer Lehre (oft sind nur erstere unbed.ingt verpflichtend zu glauben, während bei letzteren eine gewisse Urteilsfreiheit herrscht). vgl. Eugene TeSelle: Credere. 123. 301 Auch bei Augustinus ist Glaube ein Gegensatz von Wissen, doch anders als das Nichtwisse n des Meinens; der Gegensatz hat z. B. die Form von )scire-credere<. ,fides!auctoritas-ratiol, )credere-intellegere, (sol. 1,8; mag. 37; ord. 2,50; Acad. 3.43 u. a.). )5 Nach Hebr 11,1; vgl. conf 6.7; civ. 11.3; tritI. 13.6; 10. ev. tr. 111 ,3. 36 Vgl. z. B. ftl. Ps. 118,1,3.18,3. Der Sinn steckt schon im lateinischen Vokabular Augustins, vgl. Eugene TeSel1e: credere,fides. 120 f. und 1333 ff. )7 Vgl. FR 31 ff. Das erweist sich darin, daß Menschen nicht alle Erkenntnisse, mit denen sie täglich leben, selbst verifizieren können (FR 31, S, cOtlf 6.7), aber auch nicht müsse n. Aus der Bestimmung des Menschen als soziales Wesen werden also epistemologische Konsequenzen gezogen. Wissensfilldung konstitu iert auch Beziehung. Zugleich stellt der personale Charakter 31
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christliche Glaubensinhalt ist nun zurückzuführen auf eine göttliche Offenbarung, die nicht an das glaubende Individuum direkt ergeht. Das Heilsgeschehen, das die Apostel unmittelbar miterIebten (ep. 120,9 f.), ist den Gläubigen nur vermittelt über die Schrift zugänglich." Augustins Lehre ist also von einer >verflechtung von Autorität und Glauben< gekennzeichnet." Philosophie und bloße Vernunft stehen nie über der Autorität des Glaubens. Im Zweifel hat diese das letzte Wort. Im Rückblick bereut Augustinus, früher die freien Künste und die heidnische Philosophie zu stark gewichtet zu haben (retr. 1,3,2). Bei >Widersprüchen< kommt letzte Wahrheit immer der >Heiligen Schrift< zu (ep. 143,7). Und die Autoritäten des Glaubens sind nicht nur die Apostel und Verfasser der Heiligen Schrift, die »nicht geirrt haben können« (ep. 82,24), oder Christus selbst, in dem sich Gott offenbart (>bezeugt<)," sondern auch die Vater und das kirchliche Lehramt (c. ep. Man. 641 ). Hier ist das ut wahrhaft final: Der Glaube, der auch bedeutet, »zuerst den Nacken unter die Au toritäten der Heiligen Schrift zu beugen«, ist Bedingung, »damit man durch den Glauben zur Einsicht gelange« (pecc. mer. 1,29; vgl. util. credo 21). Methodisch ergibt sich daraus ein expliziter Rekurs auf die Autoritäten, Z. B. im unproblematischen Argumentie ren mit de r Schrift. Anse1m geht wohl in seinem bewußt als Verzicht darauf verstandenen sola ratione über Augustinus hinaus (zumal dieser die Autorität der Schrift oft wieder nur zirkulär mit dem Glauben begründet und diesen mit der Autorität der Kirche)." Doch relativiert sich der Unterschied sowohl von Anse1m (dem der Glaube Ausgangspunkt bleibt, die Autoritäten haben das erste und letzte Wort) als auch von Augustinus her. Denn bei allem Vertrauen auf Schrift, Vater un d Lehramt bleibt es bei dem Anspruch, deren Wort und Lehre nicht nur glaubend anzunehmen, sondern auch rational nachzuvollziehen. Die Autorität (auch des Lehramts) bekommt gerade dadurch Kraft, daß sie einsichtig ist, anstatt willkürlich Unterordnung zu fordern. Letztlich der Wahrheit (in der indirekten Erkenntn is) Anforderungen an beide Seiten: die Bereitschaft, anderen zu glauben, sowie die Bereitschaft zu Verantwortlichkeit und Wahrhaftjgkeit (FR 32; vgl. ord. 2,27 ).
10. ev. Ir. 37,6 ep. 120,9; persev. 48; zur )fides historica( vgl. Eugene TeSelle: Fides, 1138. Allerdings kann das Wissen über Gott auch bei unmittelbar Gegebenem im Sinn der negativen Theologie beginnen, als Erkenntnis dessen, was Gott nicht ist (ep. 120,13; 10. ev. tr. 111,3 u. a.; s.u.). Außerdem ist der Glaube selbst unmittelbar: Er wird im eigenen Herzen als sicher erfahren (trin. l8
13,5: ep. 147,9 ff.).
Wilhelm Weischedei: Der Gott der Philosophen, 104. 40 con! 10,68; 13,17 u. a. ; vgl. adv. leg. 2,37. 41 Das berühmte Wort »Ich würde auch dem Evangelium keinen Glauben schenken, wenn nicht die Autorität der Kirche dazu bewegen würde« muß jedoch im polemischen Kontext der Frage gesehen werden, wem zu glauben ist, die die Vernunft dem Glauben beantwortet. 42 Vgl. conJ. 6,7; enclL 4; c. Faust. ll ,2. Doch sind auch praktisch-existentielle Kriterien von Autorität wesentlich, z. B. erweist ein gelebtes Ethos zumindest die )Wahrhaftigkeit( des Glaubens 19
(vgl. "tU. cred. 35).
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gründet sie in der höchsten Autorität der göttlichen Wahrheit (vera rel. 45 ff; ord. 2,26). Augustinus steUt fest (c. ep. Man. 5), daß über allem die >klar bewiesene Wahrheit< stehe; die aber sei nicht bei den Manichäern zu finden, sondern allein in der katholischen Kirche, die genau deswegen auch rational >überzeugt Weg zum Heilträgerem Geisteszustand<; wer aber in sich »das Begehren nicht zähmen kann, durch den Verstand zur Wahrheit zu gelangen«, muß ernsthaft den - mühseligen - Weg der >wahren Vernunftvo rtreffliche AutoritätFÜfwahrhalten auf Gru nd von Au torität< beginnt," von dem aus Schüler dialektisch-dialogisch zu eigenem Verstehen geführt werden." Er ist Methode der Wahrheitssuche. Freilich handelt es sich beim Ausgangsglauben um eine untergeordnete Form des Wissens, ohne eigene Einsicht." Zunächs t leitet die >Autorität zum Glauben <, dann »gelangen wir durch unsere eigene Vernunft zur Erkenntnis« (vera rel. 14). Doch da es Bereiche gibt, in denen wir Christi als Zeugen bedürfen, um zu Wissen zu gelangen (vgl. FR 34), behält der Glaube in seiner religiösen Form einen Vorrang, den die menschliche Vernunft nicht übertreffen kann: die >Autorität<des Glaubens selbst, die in Gott gründet. Hier vermittelt das >klarste ZeugniS der göttlichen Schriften< >sicherste Erkenntnis< (c. ep. Pel. 1,38).
4) +I
Zur )Notwendigkei t ~ beider vgl. ord. :1,:19. Max Seckler: Credo ut intelligam, 1344. Vgl. Basil Studer: Die Kirche als Schule des Herrn
bei Augustinus von Hippo . 4S Vgl. ord. 2,:16; Acad. 3,43; mor. 1,3. Genauer besteht erst Wahrheit; dann wird sie vom Lehrenden vermittelt, worauf der Schüler sie als wahr an nimmt, um s ie dann selbst einzusehen (vgl. spir. et litt. 54). 46 Vgl. Ragnar Holte: Beatitude et Sagesse, 325.
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3. Ausgewählte Motive des Verhältnisses von Vernunft und Glaube bei Anselm und Augustinus
3.1 Zum Vernunft- und Glaubensbegriff
In Cur deus homo wird die Vernunft als neutrale Richterin ausdrücklich durch einen .ökumenischen, Kontext bemüht: Das Christentum wird in seiner Vernünftigkeit durch andere Religionen auf die Probe gestellt (.infidelesc: CDH Praefatio, I I)." »AnseIm ist seinem Wesen nach Apologet"," .Juden, und .Heiden, seine Adressaten (CDH II 22). Gegen den Einwand der Unvernunft des christlichen Glaubens (CDH Praefalio) muß Anse1m seine .Logik' darstellen. Doch die vernunftgemäße, philosophische »Rechenschaft über die Hoffnung, die in uns ist", ist auch (und vor allem)" aus einem Bedürfnis der Gläubigen erforderlich (CDH lImit Bezug auf 1 PetT 3,15). So »fragen jene deshalb nach Gründen, weil sie nicht glauben, wir dagegen, weil wir glauben«; »es ist aber ein und dasselbe, wonach wir forschen« (CDH 13)50 Ganz ähnlich argumentiert auch Augustinus (ebenso mit Bezug auf 1 PetT 3,15, z. B. in ep. 12004). Die von den .infideles, als Urteilsmaßstab bemühte Vernunft ist keine säkulare Vernunft im modernen Sinn, die dem Glauben prinzipiell entgegenstünde, sondern grundsätzlich theistisch. Die .Ungläubigen, sind keine überhaupt-Nicht-Gläubigen, sondern Andersgläubige (der .insipiens, in P hingegen ist Atheist - aber auch unvernünftig).5\ Ihre Einwände ergeben sich aus Erwägungen über vernünftig-angemessenes Reden von Gott. Diesen Maßstab akzeptiert Anselm ausdrücklich und macht ihn zum ke rygmatischen Prinzip. Darin geht nun Einsicht dem Glauben voraus; die Glaubensfrage wird auf rationaJe Gründe zurückgeführt (CDH 110, I 3). Demnach müßte jeder die vernünftigste Religion annehmen. Tatsächlich ist Anselm nicht nur überzeugt, daß die Glaubensinhalte gedacht, sondern daß sie streng logisch und gar nicht anders gedacht werden können (ep. incarn. 6). Gott steht für 1.
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Dazu Roberto Nardin: Il Cur deus homo dj Anselmo di Aosta, 85 -107. Francisc us Salesius Schm itt : Einführung. In: Anselm von Can terbury: Cur deus homo,
VIII.
Franciscus Salesius Schmitt: Einführung. In: Anselm von Canterbury: Cur deus homo, X weist darauf hin, daß CDH zuerst für »d ie mönchische Umgebung Anse1ms und überhaup t fü r Christen verfaßt ist«. Mitbrüder haben um die Schrift gebeten (CDH Prolog, I 1). Dennoch ist Anselms Vernunftbemühen auch deswegen beispielhaft, weil seine geistige Situation durchaus dem Dialog de r Religionen ähnelt, der heute zentrale Aufgabe ist; vgl. Gerhard Gäde: Anse1ms 49
Denkregel der Unüberbietbarkeit und die pluralistische Religionstheorie. so Vgl. CDH I 25: »Nicht dazu bin ich gekommen, daß Du mir einen Glaubenszweifel nimmst, sondern daß Du mir den Grund meiner Gewißheit aufzeigst«. SI Er kann gegen alles rationale Verstehen (intelligere) nur sagen (dicere), d. h. behaupten, daß Gott nicht sei (P 4).
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Anse1m höchstens methodisch in Frage. Die Vernunft ist sogar vorzügliches Werkzeug der >höchstmäglichen' Gotteserkenntnis (M 66. s. u.). Cur deus homo (I 10; vgl. I 8. II 10) bringt die alte Überzeugung zum Ausdruck. daß Gott selbst vernünftig ist. Damit ergibt sich das Zentralprinzip. so zu argumentieren. daß »von uns keine noch so geringfügige Unziemlichkeit in Gott angenommen werde«. Die theologische Angemessenheit oder >Ziemlichkeit, (convenientia) wird methodisches Leitmotiv der logisch-rationalen Erklärung der christlichen Lehre. Vernunftgründe werden in sich als >zwingend, und >notwendig, auch von den Gegnern akzeptiert. weil die Vernünftigkeit Gottes nicht in Frage gestellt wird. Sie ist vielmehr> Vereinbarung, zum methodischen Rahmen der Untersuchung (ebd.): »Denn wie in Gott einer noch so kleinen Unziemlichkeit die Unmöglichkeit folgt. so begleitet einen noch so geringen Vernunftgrund die Notwendigkeit«. So erklärt sich die Identifikation von Vernunftgründen mit Notwendigkeit nicht nur formal (als Denk-Notwendigkeit). sondern auch inhaltlich (theo-Iogisch. als metaphysischer Realismus). Das >ratione vel necessitate, in Cur deus homo (I 1) besagt vor allem. daß. wer einen Grund nennen kann. eine Vernunft-Notwendigkeit erkannt hat. die im Sein gründet. das Wesen der Welt. Gott und sein Verhältnis zur Welt erfaßt hat und deswegen aus Vernunft mit Notwendigkeit reden kann. Anse1m ist von einem Zutrauen in die menschliche Vernunft getragen. dem die neuzeitliche Aufspaltung in Gewißheit und Wahrheit noch kein grundsätzliches Problem geworden ist. Die Erkennbarkeit von Wahrheit. Welt und Gott ist ihm fraglos gegeben. Demnach ist nicht nur. was subjektiv als vernünftig erkannt ist. unwandelbar (insofern Wahrheit) und als solches denk-notwendig. sondern. was vernünftig (als vernünftig erkannt) ist. ist auch (objektiv real). Anse1ms ratio bezeichnet zugleich die Vernunftfahigkeit des Menschen wie die Vernünftigkeit der Welt- und Heilsordnung; beide sind aufeinander zugeordnet. weil Gott vernünftig ist (vgl. CDH II 15). Damit dies nicht bloß als dogmatische Festlegung erscheint. müssen Gottes Gründe zumindest im Ansatz erkennbar sein (ebd.). 2. Auch Augustins Harmonie zwischen fides und ratio gründet darin. daß beide weder in ihrem Gegenstand noch in ihrem Grund getrennt sind: Beide richten sich auf die Wahrheit (die 1. existiert. 2 . erkennbar ist. 3. Gott ist52); beide sind menschliche Aktivitäten/Mittel. denen aber eine göttliche Gnadengabe vorausgeht. 53 Das S2 Denn beide s ind unveränderlich
(lib.arb.
2,11 tf.; M 15 ff.); allerdings ist Anse1m z. B. von
der Denknotwendigkeit seines Unvergänglichkeitsbeweises in M 18 überzeugt, womit er über Augustinus hinausgeht (vgl. Markus Enders: Wahrheit und Notwendigkeit, 34 - 51). Die Identität von Gott und Wahrheit teilt das Christentum mit der platonischen Philosophie (vgl. Friedrich Nietzsehe: Fröhliche Wissenschaft 344). Der metaphysische Realismus hat einen theologischen Grund; Gott garantiert nicht nur die Möglichkeit der Gottes- Erkenntnis. sondern die Erkennbarkeit jeder Wahrheit, da er die Welt vernünftig und geordnet einrichtet. Der Schöpfungsgedanke ist bei Augustinus wie Anselm zentral (s,u.). 53 Vgl. praed. sanct. 3ff.; Simpl. 1,2; spir. el litt. 52ff.; Jo. elf. Ir. 26,3-4; vgl. FR 7, 13.
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>Wissen nach dem Glauben, übersteigt diesen nicht aus der Erkenntnisautonomie des Menschen als >restloses Begreifen der Glaubensgeheimnisse" sondern bleibt ao eine )übernatürliche Gnadenwirkung< verwiesen. durch die es zu einer »unserem
irdischen Zustand entsprechenden Inhaltseinsicht in die christliche Wahrheit" kommt." Es hat sapientialen Charakter," hebt den Glauben nicht auf, sondern führt ihn »zur wahren Glückseligkeit, stärkt, nährt, verteidigt und befestigt ihn" (Irin . 14.3). Das sei im folgenden präzisiert. Es besteht kein Gegensatz zwischen Wissen und Glauben; unterschieden werden höchstens (philosophische) Vernunft und Schriftglaube; beides aber sind Wege zum Wissen (Einsicht). Wissen ist ein Inhaltswissen, das sich nicht auf die natürliche Ordnung beschränkt. Zunächst zeichnet sich gerade das gnadenhafte GlaubensWissen durch Irrtumsfreiheit aus, als dem Grundkriterium jedes Wissens. Augustinus ist aber nicht allein empirische Evidenz Kriterium der Irrtumsfreiheit. Die Philosophie ist zwar »der Hafen, von dem aus man zu dem Gebiet und Boden des seligen Lebens vordringt", sie schließt aber »die Irrfahrt nicht ganz aus" (beata v. 1.5). Hier wird der religiöse Glaube zur Erkenntnisfakultät: Im intel/ectus fide i istfidei nicht nur genitivus obiectivus, sondern auch subieclivus. Dem Glauben ist nachzudenken. er schafft aber auch Wissen: »Wenn Du nicht einsehen kannst, so glaube, damit du einsiehst" (lib. arb. 2,6; s. n8,1). Sein Nutzen liegt geradezu in der Einsicht (ep. 120,8).56 Wissen schafft der Glaube in mehrfacher, konvergierender Hinsicht:
besondere Bereiche des Seins, die anders nicht zugänglich sind (transzendente Realität Gottes, Schicksal de r Seele, Wissen der Glaubensdinge selbst}," lassen zugleich die Wahrheit des Seins aufleuchten und geben Antwort auf die Frage nach seinem Sinn. Die Irrtumsfreiheit dieses Glaubenswissens gründet in Gott; sonst bestünde nur eine subjektive Sicherheit, die auch dem nichtreligiösen Glauben als Sichanvertra uen und Fürwahrhalten eigen ist. Die Auffassung Augustins vom Verhältnis zwischen fides und ralio klärt sich aus der epistemologischen Aufwertung des Glaubensbegrilfs sowie aus der Besonderheit des Wissensbegrilfs." Es bedarf keines Ausgleichs, weil ihre Harmonie nicht St
Martin Grabmann: Augustins Lehre von Glauben und Wissen und ihr Einf1!lß mif das mit-
telalterliche Denken. 40. ~ Vgl. z. B. trin. 14,2;
15.51; conf 11,6. Freilich hat Gott auch (wahre) )scientia< (ebd.). Zu Unterschied und Ähnlichkeit zwischen der mit göttlichen (und existentiellen) (Heils)Dingen befaßten sapientia und scientia vgl. c. Jul. 4,72; trin. 12,22.25; 13,24 (s. KoI2,1- 3) u. a. 56 Der wwerstandene Glaube ist der )falschen Vernunft
F IDES UND RATtO BEI ANSELM UNO AUGUSTINUS
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finale Versöhnung, sondern intrinsisches Apriori ist. Der Vernunft, die nach Gott forscht, ist auch die Einheit von Glaube und philosophischem Wissen nie fremd, weil es nicht um eine Philosophie geht, die der Glaubenslehre entgegenstehen könnte. Vielmehr ist Augustins .Philosophiewahren un d echten Philosophie< sei der .eine alInlächtige Gott<, der >Ursprung aller Dinge< (ord. 2,16). Als >Liebe zur Weisheit<, die in Gott ihr Objekt hat, koinzidiert der christliche Glaube mit der rechten .Philosophie< (vera rel. 8 u. a.). Die Betonung des Theologischen in der Philosophie war Augustinus bereits im Neuplatonismus vorgegeben; sie wird durch die christliche Lehre noch ve rstärkt. So sind die philosophischen Reflexionen Augustins oft nicht von dem zu trennen, was heute >spekulative TheologieWeisheit der Welt< aus; sie erscheint den Heiden als >töricht<(1 Kor 1,18ff.). Augustinus fordert die Theologie auf, von philosophischen Mitteln Gebrauch zu machen. In der säkularen Philosophie unterscheidet er Inhalt (heidnische Lehre als Gegenstück zur christlichen >Philosophie<) und Form. Diese kann - mit Vorsicht und in Grenzen (ench . 14) - der Kirch e nicht nur apologetisch dienen, sondern auch in Bibelstudium und Theologie (ord. 2,38; doet. ehr. 2,14). So wird Philosophie instrumentalisiert, aber vor allem ihr methodischer Apparat. Schon für die vernünftige Grundiegung des Glaubens leistet sie mehr (wird aber auch als christlich-wall re Weisheitsliebe verstanden): Rechenschaft des suchenden Geists des Glaubenden über die Vernünftigkeit der christlichen Lehre einen überblick gibt Martin Grabmann: Augustins Lehre von Glauben und Wissen und ihr Ein· fluß auf das mittelalterliche Denken, 35 - 37. Dem Augustinischen Verständnis stehen aber nicht nur moderne Begriffe von Glauben und Wissen gegenüber (einschließlich der scholastischen demonstratio). sondern auch die antiker Philosophenschulen. [n Auseinandersetzung damit kam Augustinus zu seiner Lehre von fides und ratio in all ihren Nuancen; vgl. dazu Therese Fuhrer: Zwischen Glaube und Gewißheit, 248 - 255. SI) Wilhelm Weischedel: Der Gott der Philosophen, 105. belegt auch durch das Fehlen eines »eige ntlich kosmologischen [nteresses, wie es das genuin griechische Denken bestimmtt< (ebd. , 106). Die Welt als Gegenstand der Forschung und naturwissenschaftliche Studien sind bei Au~ gustinus nie Selbstzweck, sondern, wenn überhaupl, auf Gott und die existentielle Bedeutung der Suche angelegt (vgl. ench. 16; conf. 10,54). 60 Martin Grabmann: Aug!lstins Lehre von Glauben und Wisse" und ihr Eirifluß auf das mittelalterliche Denken, 40.
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gegen sich und andere. So greift Augustinus auf philosophische Analysen z. B. von Glaube und Erkennen zurück - bezieht sie aber meist auf die besonderen Gegenstände des Glaubens. Er folgt Paulus und betont die höhere Weisheit und Vernunft Gottes und den Sinn der Glaubensinhalte (c. Faust. 12,46) wie des Heilsgeschehens oder der Trinität (die in Irin. und ep. 120 Gegenstand der Erörterungen zu Glaube und Vernunft ist). Die Analogien von De trinitate sind zwar vernünftig - allerdings übertragen sie primär auf die geschöpfliche Wirklichkeit, was der Glaube von Gottes Sein sagt (um dies nachzuvollziehen)" Anse1m dagegen versucht gerade in Cur deus homo, auch für die Weisheit des Kreuzes, das Heilsgeschehen und dreifaltige Sein Gottes mit Mitteln der philosophischen ratio zu argumentieren. Doch die >Autonomie< der Philosophie zeigt sich weniger in der programmatischen Suche nach Vernunftgründen für Glaubenssätze als in der Verwendung von Logik, Grammatik, Dialektik, in Begriffsuntersuchungen und Definitionen." Doch auch dabei geht es um Theo-Iogie. In Cur deus homo kommt es darauf an, >Analogien< und >Bilder< des Glaubens in die allgemein verständliche Sprache der Vernunft zu übersetzen (I 4, II 8) und »die göttlichen Aussprüche auszulegen« (I 18). Es ist originäre Aufgabe der Theologie, klar darzulegen, was »die göttliche Autori tät nicht offen ausspricht« (CDH II 16) . Auch der Glaubende hat sich der intellektuellen Gewissensprüfung AnseIms zu stellen, die er in die Frage faß t (CDH II 10): »Verstehst Du, was Du sagst? «. Der Unterschied zu Augustinus ist nicht so groß, wie gelegentlich behauptet, da auch Anse1m philosophische Denkformen auf klar vorgegebene theologische Iuhalte anwendet, um darin zur Synthese von Glauben und philosophischem Wissen zu kommen: zur Theologie als Glaubenswissenschaft, d. h. Vernunftwissenschaft vom Glauben." Anselm vertritt eine Einheit der Vernunft von zugleich theologischer wie Daß besti mmte Dreiheiten von Seelenvermögen betrachtet werden (rnemoria-intellectllsvo/urltas), erscheint willkü rl ich und nur dadurch begründet, daß es Augustinus aufgegeben ist, 61
Dreiheiten zu finden. 62 In CDH z. B.n 5, 1I 16; das aristotelische Nichtwiderspruchsprinzip benutzt Anselm dazu. theologische Gegenentwürfe auszuschließen und auf die Richtigkeit des eigenen Ansatzes zu schließen. - Anse1m Stolz: Anse/rn von Canterbury, 323 ff. weist daraufhin, daß man im Bewußtsein Anselms kaum von einem Verständnis der Ph ilosophie als autonome D isziplin sprechen könne. Allerd ings gibt es doch eine >historische
und Wissen und ihr Einfluß auf das mittelalterliche Denken. 54).
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philosophischer Größe (darin ist er tatsächlich ein, Vater der Scholastik.),'" doch stets auf dem Grund des Glaubens. Darin folgt er Augustinus. Allerdings ist Anselm die Harmonie von Vernunft und Glaube sowie von christtheologischer und philosophischer Tradition geistesgeschichtliches Faktum; Augustinus mußte sie erst - vor sich selbst und anderen, heidnischen Philosophen wie Christen - erkämpfen, aber weniger als ,Vernunft oder Glaube., sondern als Suche nach >reeta ratio. und >reeta fides. angesichts der Heilsdinge, auch als Kriterium zur Wertung der Philosophie." Die Frage, ob Anselm ohne theologische Voraussetzungen operiere" (verwandt der Frage, ob Augustinus Philosoph sei)," mag man verneinen - dennoch hat die theologische Suche nach Einsicht auch philosophischen Wert. Glaube gibt zu denken; und wenn Reflexion vernünftig ist, ist sie gültig unabhängig vom Ausgangspunkt oder persönlichen Horizont des Denkenden. Umgekehrt kann das sola ratione von der Schrift unabhängig theologische Einsichten vorbringen, die doch mit den fundamentalen Überzeugungen des Glaubens koinzidieren, weil auch sie vernünftig sind. Das Was des Suchens ist Anselm vorgegeben. Ohne Glauben würde er nicht nach Gott fragen. Das Wie seiner Antworten aber soll allein vernünftige Überlegung sein. Doch gibt es Grenzen.
3.2 Zur Begrenztheit der menschlichen Vernunft Die ,Ziemlichkeit, des Gott-Denkens in Cur deus homo definiert sich von Anselms Gottesbegriff her, der im Proslogion in die berühmte Formel id quo maius cogitari nequit gefaßt wird. Es handelt sich dabei zuerst um eine Regel für das Denken von Gott, dem Unüberbietbaren ." ln Cur deus homo kommt dem Begriff der (Denk) Notwendigkeit, des (Nicbt)Könnens besondere Bedeutung zu (CDH 110, Il 5, Il 10, II 17 u. a.). Dabei geht es auch um das Verhältnis zwischen Geist und Gott und um
Zu dem traditionellen, umstrittenen Attribut vgl. Anselm Stolz: Anse/rn von Canterbury, 30 ff., Richard W. Southern: Saint Anselrn, 441 ff. 6S Vgl. doct. chr. 3,2. Nicht jede Philosophie wird im Dienst der Theologie akzeptiert; deren Vernunfteinsicht ist nicht schon die der säkularen Denker. Koinzidenz ist möglich. aber nicht notwendig. Deshalb kann Augustinus nach seiner Bekehrung die heidnische Philosophie auch verdammen (z. B. con! 7.14). Vor allem die ratio des Glaubenden bleibt in ihrem Recht; nur die )wahre Philosophie( des Christentums ist ,nicht zu fliehen(; )die Philosophen dieser Weite soll der Glaubende gemäß der Schrift meiden. Sie geben sich als )Freundec und) Verteidigen der Wahrheit. fallen aber in den neuen )Aberglauben<. die )Dinge der Welt zu verehren( (en. Ps. 8.6) . . 66 Nach Kar! Barth: Fides quaerens intelleetum kann zumindest das P 2-Argument Anse1ms mcht ohne das theologische Gesamtprogramm verstanden werden, in dem es steht. 67 Vgl. lohn Rist: Faith and Reasotl, 27 ff. 1>1 Vgl. Gerhard Gäde: Anselrns Denkregel der Uniiberbietbarkeit und die pLuralistische Religionstheorie. 64
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die Fähigkeiten der Vernunft. Anse1m muß stets der Sorge begegnen, das menschliche Denken könne sich >über' Gott erheben, »was gänzlich widersinnig ist« (P 3) . Angesichts des Göttlichen besteht ein Vernunftvorbehalt, der der negativen Theologie Raum gibt, als Bewußtseinsmoment innerhalb der Theologie, nicht alles über Gott sagen zu können. Wert und Grenzen der Erkenntnis werden im Monologion differenziert (64 - 67). Der begrenzte Verstand kan n das Unbegrenzte weder denken noch aussprechen" Der Gegenstand der Theologie, Gott, •• ist auch an Vernunftklarheit schön über das Begreifen der Menschen« (CDHI I), nicht un-, sondern überaus vernünftig, aber unsere Kräfte übersteigend. Gott steht (nach P 15 mit Bezug auf P 2) noch .über, allem Denken, selbst wenn es das Unüberbietbare denkt: .)Du bist größer als das, worüber hinaus nichts Größeres gedacht werden kann.« Im Gebet bekennt Anse1m die Unzulänglichkeit des menschlichen Ve rstands angesichts des )unzugänglichen Lichts, (mit 1 Tim 6,16 wird in P 16 die Unbegreifbarkeit Gottes benannt). Augustinus bringt dieses Bewußtsein auf die Formel, ein erkan nter Gott wäre >kein Gott, (s. 117.5) .70 Vor dem .Licht , der letzten . Wah rheit, muß der endliche Verstand in seinem bis dahin mit Eifer betriebenen Bemühen um Gotteserkenntnis bescheiden einhalten (P 14). Er kann einiges nur glaubend hinnehmen, .nicht begreifen, (CDH II 17), obwohl es eindeutig Teil der Wirklichkeit ist, ja sie erst ermögHcht (P 16). Das erkennt die Vernunft selbst, es ist nicht nur Glaubenspostulat (P 15). So kann eine Synthese von Vernunft und glaubender Annahme geboten sein (CDH 125): »Was durch einen notwendigen Grund als wahr erschlossen ist, das darf man nicht in Zweifel ziehen, auch wenn man den Grund, warum es ist, nicht erkennt« .
Besondere Wesenseigenschaften (M 64) und die .unbegreifliche Weisheit, Gottes entziehen sich der vollständigen Erkenntnis (CDH 1 7).'1 Da Gott vernünftig ist, hat alles Gründe (CDH 18), aber nicht alle kann der Mensch ergründen (CDH I 2, II 16.19). Darin folgt Anse1m Augustinus, bei dem der letzte epistemische Vorrang des Glaubens ebenfalls in der wesenhaften Begrenztheit der Vernunft gründet, die weiß, daß sie Glaubensgeheimnisse nur .in den Grenzen des Möglichen, (ep. 120,2) einsehen kann. Zwar meinen beide, die Trinität Go ttes sei analogisch der Vernunft " Zur spezifisch anselmisch negativen Theologie des Nicht-Aussprechen- Könnens vgl. Paul
Gilber!: Dire I'Ineffable. Noch Kants Diktum, das ~Wissen aufhebene zu müssen, um ~zum Glauben Platze ZU bekommen (KrV B XXX), zielt darauf: Gott ist nicht Gegenstand einer Gewißheit nach dem Muster der empirischen Wissenschaften. Damit ist aber weder Gott bzw. ein Wissen von Gott ausgeschlossen, noch wird die Rolle der Vernunft in der Rede von Gott negiert. Es wird lediglich die UnterschiedHchkeit der Wissensbereiche und Erkenntnisarten unterstrichen. ln der Neuzeit ist ~ Wisse n e empirisch-naturwissenschaftlich definiert, darin ist der menschliche Verstand sicher. es gibt es aber nicht von Gott. 71 Hier ist nur ein daß einsehbar, das letzte wie bleibt dem Menschen verschlossen (vgl. 5.th. 1,3); er ist aber zu >Erforschung( und, Vernunftschlüssen( auch in dieser ,Sache< aufgefo rdert (M 64). 70
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zugänglich. Anderes, was die Kirche lehrt, ist nur zu glauben (mag. 37; mend. ll) . Der Mensch ist angesichts des Unendlichen »zu schwach, um mit der reinen Vernunft die Wahrheit zu finden«, deshalb ist ihm »die Autorität der Heiligen Schrift nötig« (con! 6,8), die allein - und .sicher< - »den Weg zur Gottesschau verkündet« (civ. 10,32,3). Gott bleibt unbegreiflich (trin. '5,2,2; s. ]]7,5). Die SeJbstbeschränkung vor dem Göttlichen, die angesichts ausftihrlicher theologischer Traktate suspekt erscheinen mag (AnseJm nimmt sogar in Anspruch, Gottes Heilsabsicht nicht nur zu kennen, sondern einsichtig darlegen zu können), ist nicht nur Stilmittel," dogmatisches Muß oder Polemik." Vielmehr gibt es Grün de, mit der theologischen Argumentation fortzufahren: die positiven Aussagen der Schrift; Gottes Vernunft, die Vernünftigkeit garantiert, auch wenn der Mensch sie nicht erkennt;" schließlich das Verständnis der Vernunft als göttlicher Gabe. Aus dem Glauben kann man ihr vertrauen. Sie nicht zu benutzen, wäre .nachlässig<(CDH I 1).
3.3 Zur ,metaphysischen Na turanlage, des Menschen
Daß Einsicht gesucht wird, liegt im Wese n des Menschen begründe t, zu dem Reflexion gehört, die beim Glaubenden den Glauben zum Objekt macht. Augustinus und Anselm folgen der Anth ropologie des animal rationale und homo sapiens. Dem als ,wissendes Wese n, bezeichneten Menschen ist zunächst das Wissen- Wollen innerlich. In seiner Natur liegt das Fragen," das auch vor letzten Geheimnissen keinen Halt macht. Anse1m teilt mit Augustinus das cor inquietum, eine existentielle Unruhe, aus der erst eine Einsicht erlöst, die begrifflich überzeugend zu form ulieren ist. Im Prolog des Proslogions ist es konkret die Unruhe der Suche des Glaubenden nach einem überzeugenden Argument in der Frage nach Gott." Bewußtsein der Vorläufigkeit und Grenzen der eigenen Ausführungen. bescheidenes Bekenntnis zur .K1einheit des eigenen Verstands( (s. 52,23; ep. 120,6), Offenheit fü r .Verbesserunge (freilich )begründete Ve rbesserung< durch verständigere .Gelehrte( oder durch Gottes Offenbarung: CDH I 1.1; 11 16.17.22), Anrufung von Gottes Hilfe usw. sind häufige Motive bei Anselm und AugusOnus. die als Stilmittel erscheinen können. 7J Augustinus wertet den Glauben (religiös wie nichtreligiös) gegen die Manichäer. die das Vernunftvermögen elitär ve rabsol uti eren (Eingeständnisse der eigenen Kleinheit sind oft aus diesem Kontext zu verstehe n), wie gegen die akademische Philosophie auf; all erdings legt er Christen und Heiden auch die Wah rheitsfahigkeit der Vernun ft dar und durchbricht die Identifikation von Philosophie und Skepsis. ,~ Auch nach Augustinus gibt es neben dem unmittelbaren Glaubens-Wissens philosophische Erkenntnis der Nicht unmöglichkeit der Glaubensdinge (vera rel. 14.79). Ma n kan n )) ve rstehen. daß man nicht [alles} wissen kann f( und den »Glauben bewahren muß. auch wenn noch nicht alles verstanden istf( (util. credo 25). 7S So beginnt für Platon und Aristoteles Philosophie (71leaitetos 155d; Metaphysik 98zb). '6 Vgl. Ead ll1er: Vita S. Ansefmi I 26 (PL 158,63). 72
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Norbert Fischer hat die ,metaphysische Naturanlage< des Menschen als Grundmotiv Augustins mehrfach beschrieben." Die Elemente sind bereits angeklungen: die Definition des Menschen als Vernunft- und Fragewesen (conf 10,10); die Ausrichtung des Fragens auf Wahrheit und Gott (conf 1,1; vera rel. 85), die von Gott selbst angelegt ist (conf 10,8; Irin. 15,51). Im Schöpfungsgedanken ist der anthropologische Ausgang theologisch verankert: die Vermögen der Gotteserkenntnis, Glaube und Vernunft, sind Gottesgabe. Umso mehr ist der Mensch zur VernunftSuche nach Einsicht berufen in das, was er glaubt, weil »Gott das, was er uns als Vorzug vor den Tieren verliehen hat, nicht hassen wird« (ep. 120,3; en. Ps. 118,18,3) . Doch Erkenntnis kann auch als ,weitere< Gnadengabe verstanden werden." Die Allmacht Gottes erschöpft sich nicht darin, dem Menschen Vernunft zu geben und die Heilserkenntnis (oder -leistung) dann seiner Autonomie zu überlassen, sondern er wirkt auch weiterhin und gibt dem Suchenden ,Hilfe< und das ,Licht<der Erkenntnis;" dem Menschen ist in seiner natürlichen Verfassung das Organ zur Gotteserkenntnis gegeben, doch ist es durch die Sünde verdunkelt. 80 Augustinus vergleicht es mit einem ,verletzten Auge< (en. Ps. 118,18,3), das eines zusätzliches ,Heilmittels< bedarf, das ebenfalls von Gott kommt, aber nicht Glaube allein ist: »Unsere Einsicht schreitet fort zum Verstehen dessen, was sie glaubt, und der Glaube schreitet fort zum besseren Glauben dessen, was er [auf gewisse Weisel verstand, und damit dies mehr und mehr eingesehen werde, schreitet der Geist in der Einsicht fort. Das aber geschieht nicht mit eigenen, gleichsam naturhaften Kräften, sondern durch Beistand und Geschenk Gottes, so wie es durch Heilmittel und nicht durch Natu r geschieht, daß ein verletztes Auge die Sehkraft wieder gewinnt.« Das theoanthropologische Zusammenspiel von Vernunft und Glaube faßt Augustinus auch als Suchen und Finden . Gott wird im Glauben gefunden, will aber weiter be-dacht werden; unerZuletzt im vo rliegenden Werk im Vergleich mit Kant, von dem der Grundgedanke inspi· riert ist. Augustins Theo·Anthropologie hat auch Eingang in die Karfreitagsftirbitten des Missale Romanum gefunden (vgl. FR 24). 78 Im engeren Sinn konzentriert sich die Frage der weiteren Gnadengaben (als hinzukom· mend) bei Augustinus auf Hoffnung und Liebe als Konsequenzen des Glaubens (z. B. exp. Gal. 44); Gottes Gnade komme jedenfalls nicht erst den Glaubenswilligen zu, sondern rufe grund· sätzlicher den Glaubenswillen des Menschen hervor (c. ep. Pel. 1,37). 79 Verwandt ist die umstrittene Frage nach Freiheit und Gnade, dazu zuletzt Norbert Fischer: EinLeitung. In: Aurelius Augustinus: Suche nach dem wahren Leben, LIII ff. Auch seine eigene ,Erkenntnis< des Glaubens (und seiner Vernünftigkeit) begreift Augustinus als Gnade. 80 Vg!. ep. 82,15 -17; 177,12; en. Ps. 77,2. Die Lidttmetapher wird auch für das > Licht des Glau· bens< gebraucht, das das Dunkel der Sünde und des Nichtglaubens erhellt, d.i. ,Christus<; in dem Horizont kommt es dann zum Verstehen (s. 14 0,1 nach loh 8,12; en. Ps. 123,2), aber nur, wenn »Gott die Vernunft erleuchtet« (ep. 120,6). Durch Glaube n gereinigt (ebd. 2), ist auch >geringen Geistern< Einsicht möglich - und auch hier geht es darum, das »einzusehen, was man glaubt«, die Heilsdinge (ebd. 3 mit Bezug auf fes 7.9); insofern .führt die Autorität( des Glaubens auch zum .Licht der Wahrheit< (mor. 1.3). Vg!. weiter Kap. 3.4. 71
FlDES UND RATIO BEI ANSELM UND AUGUSTINUS
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meßlich, ist er nie vollends zu finden; dennoch bleibt die Suche weitere Aufgabe im unablässigen Streben nach Gott: ein» Verstehen, um zu suchen« (trin. 15,2 nach Ps 14,2). Bereits das Suchen ist ein Finden, sofern sich der Mensch darin selbst findet: Er verwirklicht sein natürliches Streben nach Gott. Die letzte Erfüllung der GottesSchau kann aber auch im rellektierten Glauben als >Finden< nur Hoffnung bleiben (ebd.) . Das verdeutlicht Augustinus so (Jo. ev. tr. 63,1): »Ihn wollen wir suchen, bis wir ihn finden; und wenn wir ihn gefunden haben, wollen wir ihn weiter suchen! Weil er verborgen ist, wollen wir ihn suchen; weil er unermeßlich ist, wollen wir ihn nach dem Finden weiter suchen.« Da alle menschlichen Aktivitäten endliche Vermögen sind, Vernunft wie Glauben, endet >auf Erden< das Suchen nie: Die letzte Erfüllung in Gott bleibt >hier unten< aus (ebd.); es ist unabschließbar (trin. 9,1), wird aber »dort erfüllt, wo die Vollendung nicht weiter vervollkommnet werden muß«; so »eilen wir suchend und gelangen findend zu etwas; und suchend un d findend gehen wir weiter hinauf zu dem, was uns noch fehlt, und erreichen einst das Ende unseres Suchens« (Jo. ev. tr. 63,1) ." Die Augustinische Inspiration Anselms ist offensichtlich. So gibt es in der Theologie auch eine >Ziemlichkeit< des Menschen: Es ist seinem Wesen angemessener, den Glauben zu rellektieren, als nur zu glauben. Zugleich verheißt der Glaube aber, daß diese Suche nicht nur im Negativen endet. Anselm verwendet den Begriff des anima I rationale in einem doppelt theologischen Ralunen. Schon die Gebetsbitte eingangs der Kernargumentation von Proslogion 2 stellt die dem Menschen wesentliche Einsichtssuche in den für die christliche Anthropologie typischen Bezug zu Gott: »Herr, der Du dem Glauben die Einsicht verleihst, verleih mir, daß ich einsehe, daß Du bist, wie wir glauben, und das bist, was wir glauben.« Gott ist Grund (und Endpunkt) nicht nur der Erkenntnis, sondern auch der Erkenntnissuche;" in ihm erfüllt sich die menschliche Suche nach Erkenntnis, und er ist als Grund aller Schöpfung auch Grund dafür, daß der Mensch überhaupt nach Erkenntnis sucht, da er ihm Geist gegeben hat und Erkenntnis gewährt. Der Mensch ist Vernunftwesen (anders wäre Anse1ms Methode sola ratione nicht möglich), weil er von Gott so geschaffen wurde (CDH II 1.4). Deshalb ist die >mens rationalis< höchster Erkenntnisweg zu Gott und >Spiegel des höchsten Wesens< (M 66 - 67); die >creatura rationalis< ist dazu >geschaffen<, Gott zu erkennen und >zu lieben< (M 68). Die Vernunftbegabung ist reale Möglichkeitsbedingung der Gotteserkenntnis, diese Aufgabe des Menschen. Anselm verknüpft die Bestimmung, >selig zu werden<, mit der Vernunftbegabung (CDHII 1), deren Zweck die Gotteserkenntnis ist. Ohne sie bleibt der Mensch >unglücklich< (P 1). In Proslogion 1 (vgl. FR 42) wird das zu einem per81
Zur Augustinischen Suche vgl. Norbert Fischer: Zu Ursprung und Sinn merlschfichen Fra-
gens und Suchens. 82
244f.
Auch bei Anselm sind Suchen und Finden Zentralwärter. dazu Italo Sciuto: Anselmo.
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sönlichen Bekenntnis: »Ich bin dazu geschaffen, Dich zu erkennen; aber noch habe ich nicht getan, wozu ich geschaffen bin. «" Weil Gott vernünftig und die Vernunft >göttlich< ist,84 kann Anselm das ganze Unterfangen der theologischen )Beweise( nicht »im Vertrauen auf mich, sondern auf Gott« leisten (CDH I 25). Gott aber hat dem Menschen nicht nur Vernunft gegeben. Wer sich auf den Erkenntnisweg des Glaubens macht, darf auf seine weitere Gnadenhilfe rechnen (ebd.). Anse1m dankt deshalb Gott für alle Einsicht (P 4, vgl. 1 und Prolog: das unum argurnenturn als Erleuchtung), »ohne den wir nichts vermögen« und der »uns führt, wo immer wir den Weg der Wahrheit einhalten« (CDH II 9). So ist die theologische Erkenntnissuche nicht nur ein faktisch-natürliches, sondern auch ein sinnvolles Unterfangen. Die menschliche Vernunft und die Vernünftigkeit des Welt- und Heilsgeschehens korrespondieren, weil Gott die Wah rheit ist, die sich in Glauben und Vernu nft mit Autorität darstellt: Die Koinzidenz von Glaubenszeugnis und Vernunfte rwägungen ist gegenseitige Bestätigung der in Cur deus homo entfalteten Gedanken (CDH II 22 nach Röm 1,25): »Wenn aber durch das Zeugnis der Wah rheit bekräftigt wird, was wir auf dem Vernunftweg gefunden zu haben glaube n, so müssen wir es Gott zuschreiben, der hochgelobt ist in Ewigkeit. Amen.«
3-4 Vom Verstehen des Glaubens zum Ein·Se hen seines Gegenstands
Daß ein moderner Wissensbegriff Augustinus und Anse1m nicht gerecht wird, erhellt auch aus ihrem >mystischen< Erkenntnisbegriff. Der menschliche Geist erlangt nich t nu r begrenztes Verständnis im Nach-Denken z.B. der Glaubensdaten; als höchster Seelenteil hat er das Vermögen der Begegnung mit dem Göttlichen. Das gilt zunächst für jede (di rekte) Erkenntnis von Wahrheit, die Augustinus, in Übereinstimmung mit der (neu)platonischen Philosophie, als erleuchtete Ein-Sicht, als >geistige Schau< des Ewigen versteht (trin. 1,17), doch wird es akzentuiert auf die ch ristliche GotDamit kan n auch Philosophie nicht antitheologisch sein (wie in den zeitgenössischen Auseinandersetzungen zwischen Lau franc und Berengar und später zwischen Bernhard und Abaelard vermutet; vgl. Roberto Nardin: Il Cur deus homo di AnseLmo di Aosta, 71-74). Die Bedenken ihr gegenüber (aber auch der negativen Theologie gegenüber dem Bemühen um positiv theologische Aussagen) übersehen auch, daß der Sinn des theologischen Reflexionswegs nicht bei Gott liegt, sondern beim Menschen. - Zur scholastischen Streitfrage um den minderen Heils· und Gnadenwert des Wissens gegenüber dem reinen Glauben und zur Revision der umfassenden ratio vgl. Donato ValentinilMax Seckler: Glauben und Wissen/Denken, 695 f. und Martin Grabmann: Augustins Lehre von Glauben und Wissen und ihr Einfluß auf das mittelalterliche Denken 57 ff. (zur Frage, ob etwas Gegenstand von Glaube und Wissen sein könne) . 64 Die Göttlichkeit des Intellekts, mit dem der Mensch am Göttlichen partizipiert (und daher auch dieses erkennen kann), ist altes Motiv der Philosophie, das im christlichen Mittelalter auch von den Mystikern aufgenommen wird (z. B. Meister Eckharts )scintilla<). 8J
FIDES UND RATIO BEI ANSE LM UND AUGUSTINUS
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teserkenntnis übertragen. wobei das entgrenzende Potenzial der ratio nicht nur epistemisch ist (als Wissen von Gott), sondern ontisch (als Sein bei Gott, das doch Vernunft allein nicht vermag, sondern das der Seele aus Gnade zuteil wird)" Jedenfalls stellt die Gotteserkenntnis ethische Bedingungen an die Reinheit des Erkennenden." Hier ist Glaube Voraussetzung und notwendige Stufe des Erkenntnis- und >Perfektionsweges, der in der visio Erfüllung findet.," weil er den Geist, der sich in der Welt verliert, anstatt Gott zu suchen, vom Irrtum befreit, das >Herz<, als Organ der ganzheitlichen Gotteserkenntnis, von der Sünde >reinigt. (ep. 120,3)," SO >den festen Stand. gibt, aus dem Erkenntnis möglich ist (doet. ehr. 2,17)." Seine Funktion besteht im Exerzitium, damit (u t) der Mensch zu Erkenntnis komme, die er im Glauben allein noch nicht hat.'" Die letzte Erfüllung, die das Vernunfterkennen in die visio überführt und vom Glauben ausging, ist dessen >Frucht., >Lohn. und Verdienst (trin. 1,17; s. 140,1; 10. ev. tr. 22,2f.; 39,3; 1II,3): Hören-Glau ben-Purifikati on-Schau (en. Ps. 44,25)'1 Als Lebensform erhält der Glaube die Bedeutung des existentiellen Elements der antiken Philosophie;" der >Grund. solchen >Philoso-
as Zu trennen ist also zwischen Vermögenl Akt und ,O rgan(. Die Betonung der Gnade auch in der Erkenntnis richtet sich gegen Philosophen wie Häretiker (s.o.). Zu Augustins Erkenntnisbegriff, analog zum körperlichen Sehen und anth ropologisch verankert in der christian isierten antiken Seelenlehre, vgl. z. B. trin. 12,24; ep. 120,9f; dazu Matthews: Knowledge and IlLumination. Zum (Neu)Platonismus vgl. Bernard McGi nn: 'Vle Fou ndatio'ls 0/ Mysticism , 23 - 61. Die Unterteilung der Geistvermögen in diskursive Verstandes- und rezeptive Vernunfttätigkeit, die offenbarungsgleich Letzteinsicht über das Sein empfangt (z. 8., aber keineswegs eindeutig, in der lat. Unterscheidung von intellectus un d ratio) kehrt noch in FR wieder, s. Waldenfels, 29 tf. Zur Möglichkeit.jede Erke nntnis, insofern letztlich unerklärliche , Einsicht~ in ichtranszendente Seinszusammenhänge, als )Mys tik~ zu verstehen, vgl. Christ ian Göbel: Griechische Selbsterkenntnis, 92 ff. Zur Frage, ob Augustinus und Anselm Mystike r se ien, vgl. Dieter Hatlrup: Die Mysti k von Cassiciacum und Ostia, 414ff., Italo 5ciuto: Anse/mo , 248ff. 86 Die Befreiung vom Körperlichen (div. qu. 46,2) war schon (neu)platon ische Erkenntnisbedingung. vgl. Christian Göbel: Griechische Selbsterkenntnis, 52 tf. und 70 C. Für die irdische Kontemplation des Göttlichen ist nach Augustin us auch >Mußeinnere Ruhe( nötig (ve ra
,ei. 65). Nach Eugene TeSelle: Fides, 1335; vgl. z. B. erlch. 5; en. Ps. 123,2 nach 2 Kor 5,7. 88 Vgl.. nach Mt 5.8 und Apg 15,9. gr. el pecc. or. 2,29; Jo. ev. tr. 22.2 ff.; en. Ps. n8,18,3; util. credo 34; bapt. 4,29 zur )conversio cordisc U. a. 89 50 erkennt die Vernunft >Zeichen<, von denen sie zur Wahrheit steigen kann (util. credo 28). 90 Vgl. sol. 1,12; agon. 14; S. 43,1; 2l4,10; C. Faust. 12,46; ep. 120,3.8. 91 Heiden können daher Gott auch nicht erkennen (en. Ps. 8,6). Der Glaube hat auch explizit soteriologische Funktion (vgl. Eugene TeSelle: Credere, 126 -129). nicht nur im Erkenntnisprozeß des Heils- Wissens, das Christen Heiden voraus haben, sondern freie Glaubensan nahme als individuelle Heilsvoraussetzung. Ähnlich hat der Erlösungs- und Perfektionsweg auch der Erkenntnis insgesamt sein Fundament in Christus (endl. 5). Freilich bleibt der Erkenntnis (im Glauben) auch die ,höherrangige Heilsfunktionc (Max SeckJer: Credo ut intelligam, 1344) . 92 Vgl. mor.; div. qu. 35,2. Zur Ganzheitl ichkeit der antiken Philosophie vgl. Pierre Hadot: Exercices spiritueJs el philosophie antique. Die moralische Bedeutu ng der )Würdigwerdung< 87
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phierens, ist allein der Wunsch, >glückselig zu werden, (civ. 19,1,3). Doch als Denkund Lebensweise ist Glaube auch ethische Konsequenz der Gott suchenden Vernunft; der Glaubende muß seine Erkenntnis leben, Wahrheit zur Wahrhaftigkeit machen, dem Aufstieg zu Gott den Abstieg zur Welt folgen lassen." Die Gotteserkenntnis ist eine besondere Form des> Wissens nach dem Glauben" nicht bloß spekulative Erkenntnis, sondern angetrieben und erfüllt von einer personalen Liebe (div. qu. 35,2), die mehr ist als das Streben nach dem Erkenntnisobjekt. Nur mit Liebe kann man sich der Wahrheit nähern, die Gott ist (conf 2,1; 11,1; sol. 1,12.22 f.), in Glaube und Erkenntnissuche als Doppelantwort auf die erste Liebe Gottes (mor. 1,24). Einprägsam kennzeichnet Augustinus das Sein am Ziel, in dem wir werden schaueu, lieben und loben werden (vgl. s. 254,8). Hier erfüllt sich wahrhaft das audiam et intellegam, das zu Lebzeiten nur Programm des Suchenden sein kann. Gewisser Glaube ist der Beginn von Erkenntnis, aber gewisse Erkenntnis ist erst mach diesem Leben, vollendet, in der Schau >Antlitz zu Antlitz, (Irin. 9,1)." Dies intellegere ist >dearly eschatologieal,," nicht >profanes Wissen" sondern >Weisheit, als >unverhüllte Gottesschau< (Irin. 12,22) - das der Glaube als »temporary act which envisages the eternal«96 vor-wissen kann. Das >Mystische, gibt dem Menschen sicheres Wissen und unverlierbares Glück (conf 5,7)·" Alles andere ist dagegen nichtig; wer es hat, ist >unüberwindlich, (vera rel. 86). Christliche Gotteserkenntnis schafft Glückseligkeit, da Seligkeit nichts anderes ist, »als etwas Ewiges durch Erkenntnis haben« (div. qu. 35,2), mehr aber, da
entspricht dem epistemologischen Prinzip der Seinskorrespondenz zwischen Erkennendem und Erkanntem: Wer Gott erkennen will. muß rein sein - deswegen ist für August inus die Reinigungskraft des Glaubens selbst )Erfo rdernis der Vernunft( (en. Ps. 118,18.3). Zum Glauben
als Tugend und Lebensform vgl. Eugene TeSelle: Fide5, 1l)7 f. Hier erhält jede Gotteserkenntnis ihren praktischen Sinn; zu con! vgl. Norbert Fischer: Einleitung (SwL) , LXIV ff. Auch das Mystische impliziert ethisch-existent iell ein Leben aus Gott. 94 Vgl. en. Ps. 123,2; S. 362,29 u.a. nach J Kor 13, 12. 95 Eugene TeSelle: Credere. 117. 96 Eugene TeSeUe: Credere, 127 nach tTin. 14.3. Zwar ist aUe Erkenntnis )geistiger Dinge(, die »unsichtbar genannt werden. weil sie nicht mit Auge n zu sehen sind«. über-sinnliche Schau; letztlich ist aber Christus konkretes Objekt dieser )Schaul (ep. 120.9 f.). Doch ist Glaube noch indirekte Erkenntnis des Jetzt-Nicht-Gegenwärtigen und als christlicher Glaube Verheißung der Schau (er )schaut< Gott noch nicht. ist noch nicht da) sowie Zeugnis der histor ischen Gegenwart Christi auf Erden und erst als glaubendes Verstehen auch Erfahrung Gottes in der eigenen Innerlichkeit (s.u.). 'ff7 Gewißheit jenseits des ,Sin nessehensl bietet jede Wah rheitserkenntnis als Erkenntnis von ewig Gültigem (ep. 120,9); Gotteserkenntnis bietet auch existentielle Sicherheit. ln diesem Kontext erklärt Augustinus die unterschiedlichen Obersetzungen von Jes 7.9: Nur im Glauben kann man zur letzten Schau kommen (s. 51,6, insofern ist auch er ,Geistschau<: ep. 147.40). die sicheren Halt gibt (doct . ehr. 2,17). Der Glaube allein ist aber Gabe für die ,kleinen Geisten; für Menschen mit 'geri ngem Verstand< bietet er Wissen und ,G lückseligkeit{ (ep. 120,4). 93
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sie die Bestimmung des Menschen erfüllt (lib. arb. 2,41). Die letzte Schau Gottes vollendet die ,metaphysische Naturanlage, nicht nur erkenntnis- sondern auch seinsmäßig, im meta-physischen Sein der Seele bei Gott. Deshalb lobt der Erkennende Gott mit Freude, wenn er bei ihm zur Ruhe gefunden hat (con! 1,1; 10,8 ff.). Auch Anse/rns »Ringen nach dem intellectus fidei ist kein rein intellektuelles Erforschen, es ist ein Fortschreiten des ganzen Menschen auf der Bahn der Vollkommenheit«." Der Glaube ist notwendig, weil er ,das Herz reinigt<, um die zugleich im Glauben gegebene Gotteserfahrung intellektuell einholen zu können (ep. incarn. 1): »Wer nicht glaubt, der wird auch nicht erken nen. Denn wer nicht glaubt, wird es nicht erfahren, und wer es nicht erfahren hat, wird es nicht erkennen«." ln diesen Kontext gehört die Mehrfachbedeutung der rectitudo: Wahrheit ist nur in der rechten Geistesverfassung zu erkennen. loo Doch die letzten Geheimnisse kann »kein Mensch in diesem Leben vollständig enthüllen« (CDH 1116). Es gibt aber die glaubende Hoffnung auf Erfüllung in einem ,anderen Leben< (P 26). Bei aller spekulativen Tiefe gibt gerade das Proslogion dem mystisch-existentiellen Charakter der Erkenntnissuche Raum, nicht nur in der Gebetssprache, auch in der Übernahme des Augustinischen Gangs in die Innerlichkeit als Gotterkenntnis in Form einer trinitätsmystischen Begegnung. IOI Diese ,Mystik, erschöpft sich freilich in der denkerischen Einkehr, deren anthropologischer Grund letztlich theologischer Natur ist (P 1): »Ich bekenne, Herr, und sage Dank! Du hast in mir Dein Bild geschaffen, daß ich Deiner gedenke, Dich erkenne, Dich liebe.« Der Glaube an Gott ruft die Erkenntnissuche hervor, die Liebe zur Wahrheit Gottes ist (P 1; CDH 16). Doch weil die Vernunft (trotz und nach aller Einsicht) als begrenzt erfahren wird (P 14-16, I), geht Anse1m zu einer negativen Theologie über (P 17 - 23), um in den Schlußkapiteln (24-26) doch die Hoffnung der Seele auf die einstige Schau in ewiger ,Freude des Herrn< zum Ausdruck zu bringen {P 26 nach Röm 1,25).\02 9S Anse1m Stolz.: Anselrn von Canterbury, 39. " Auch nach les 7,9; vgl. P 1 (vgl. FR 4 2). 100 Hier hat die rectitudo ethische und methodisch-gnoseologische Bedeutung. Vgl. Bernd Goebel: Rectitudo, Engelbert Recktenwald: Die ethische Struktur des Denkens VOtl Anselrn vo" Catlterbury. 101 S. U.; vgl. M 67 nach trit/. Die ,Mystik( Anse1ms entwertet aber nie die Vernunfteinsicht. Richard W. Southern: Saint Anselm, 93 ff. führt auch die Gebetselemente auf den monastischen
Hintergrund zurück; in der Introspektion unterstreich t er eher ei nen Unterschied zu Augustinus: Anselm gebe sie nicht Sicherheit, sondern verursache Angst als Erkenntnis der Sünde und existentiellen Ungewißheit (84 tT.). 102 P ist für Italo Sciuto: Anse/mo. 247 gerade darin deutlicher .Augustinisch
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So kann die >Stufenfolge< (WeischedeI) vo n Glaube und Vernunft bei Augustinus und Anse1m erweitert und präzisiert werden: Weder kann die Vernunft Wahrheit finden. solange sie nicht zu Gott gefunden hat. noch reicht die glaubende Vernunft. in ihrer bleibenden Endlichkeit. schon zur Gottesschau. Der Glaube übersteigt die Bestrebungen der Vernunft. aber nicht als menschliche Aktivität; vielmehr verspricht er die einstige Vollendung der Suche in der Gottesschau. in der die Zweiheit von Vernunft und Glaube endgültig aufgehoben ist (Gn. litt. 4.29). Da dem ersten Glaubensakt des Menschen (als Annahme der Offenbarung) auch eine Vernunftetappe vorgeordnet und diese wiederum in der transzendenten Realität Gottes geborgen ist,l" ergibt sich insgesamt folgende ontisch-noetische Stufung: Glaubensdatum und -gegenstand: Schöpfergott. der selbst Vernunft ist - Vernunft (philosophische Suche) - Glaube (christliche Lehre/Schrift- und Autoritätsglaube) - Vernunft- oder reflektierter Glaube - glaubende Hoffnung auf Erfüllung - Gottesschau, die als Krönung des Wegs zugleich den Glauben erfüllt (Sein bei Gott), wie >Erkenntnis
4. Zur Möglich keit eines Gottesbeweises aus der Reflexion über >lides< und >ratio<
Philosophisch ist Anselm vor allem für sein unum argumentum bekannt. in dem aus einem Begriff Gottes. den auch der gottleugnende ,Tor< versteht (das Motiv als Ausgangspunkt entspricht lib. arb. 2.5),1" dem id quo maius cogitari nequit. dessen (notwendige) Existenz abgeleitet wi rd (P 2 - 4). Auch dieses Argument steht in der Tradition Augustins; es wird aus dem Sein der Wahrheit im noologischen oder alethologischen Gottesbeweis vorbereitet (lib. arb. und vera rel.),1" der aus Erwägungen über die Erkenntnisfahigkeit des Menschen erwächst, also aus dem Kontext von Glaube und Vernunft. So vertiefen einige abschließende Erwägungen dazu das Augustinisch-Anselmische Verständnis in einer konkreten Frage. Erste Annahme der fides, die nach dem Dafürhalten nicht nur mittelalterlicher Denker mit der ratio nachvollzogen werden kann, ist die Existenz Gottes. Vernunfthinweise auf das Dasein Gottes werden gerade in Neuzeit und Gegenwart Höhepunkt der philosophischen Theologie (nachdem die Inhalte von Gottes Wiesein der 10) Die Vernünftigkeit des Glaubens existiert unabhängig von der Erkenntnisaktivität, ist ihr allerdings zugängHch. Daß eine göttliche Initiative Beginn und Möglichkeitsbedin gung von Glaube und Vern unft ist, ist ein Verständnis, das erst vom Glauben her möglich ist. sein Gegenstand besteht aber von Beginn an . 10( Nach Ps 14( 13), 1; 53(52),1; vgl. 10,4; vgl. erl. Ps. 52,2. lOS Vgl. an. quant. 77f.; ep. 162,2.; ttlor. 1,24.
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spekulativen The%gie übergeben wurden). Eine besondere Rolle kommt dabei dem sogenannten .ontologischen Argument< zu. das meist auf Anselm zurückgefiihrt wird un d nicht nur Ablehnung. sondern auch zustimmende Rekonstruktionsversuche z. B. in der analytischen Philosophie erfahren hat. Die jahrhundertelange Kritik an der Gültigkeit des Arguments - von Gaunilo und Thomas über Kan t his in die Gegenwart - braucht hier nicht refe riert zu werden. l " Sie hat gezeigt. daß Sein kein Prädikat ist un d von der Denk- nicht einfach auf die Seinsebene zu gelangen ist. Allerdings waren Anse/ms In tentionen anderer Art. Sein Leitmotiv so/a ratione ist immer im Glauben verankert; auch das unum argumentum ist kein Gottesbeweis der reinen Vern unft. sonde rn GlaubenserheIlung: Es steht laut Prooem ium des Pros/ogians unter dem Titelmotto fides quaerens intel/ectum. Deshalb verdienen besonders die Rekonstruktionsversuche Gehör. die zeigen. daß Anselm auch im Pros/ogion keinen apriori-Beweis Gottes präsentiert. sondern eine vorgängige Gotteserf ahrung entfaltet. Pros/ogion 2 gibt dem alten Gottesbegriff des Höchsten. Unbedingten. Unwandelbaren. Absoluten. Notwendigen eine besondere Form; der spezifi sche Begriff war aber nur zu bilden. weil Anselm zuvor das Unbedingte direkt oder indirekt erfahren hatte. Schon Anse1m Stolz hat daraufhingewiesen. daß Anse1 m. im expliziten Rek'u rs auf d ie Augustinische Formel .vere esse<. nicht das Dasein Gottes - das ih m klar ist - . sondern seine besondere Daseinsweise thematisiert. 107 Hier sei ein Deutu ngsansatz herausgegriffen. der den Augustinischen Hintergrund von Anselms Argument aufzeigt. und zwar genau im Kontext unserer Frage nach fides und ratio - wobei letztere auch hier auf erstere ve rwiesen bleibt. lJ13
4.1 Anse/m Anselms vorgängige Gottes-Erfahrung besteht in einer unthematischen Erfahrung des Unbedingten. und zwar in eine r Weise. die universalen Anspruch erheben kann (und damit doch wieder als eine Art .Gottesbeweis< geeignet ist): die .transzendentale Erfahrung< (Kar! Rahner) der Erkenntnis-Bedingullgen. In der menschlichen Erkenntnis sei eine Erfahrung des Unbedingten mitgegeben. also (da Gott als das 106
Die besondere Rolle läßt sich auch in Kants Kritik des von ihm so bezeichneten Argu-
ments (bei Descartes und Leihniz. nicht Anselm) erkennen (KrV B 618 tf.). Neuaufnahme n u. a. bei A. Plantinga; C. Hartshorne. Darstellungen geben z. B. Jan Rohls: 111eologie und Metaphysik; Wolfgang Röd: Der Gott de r reinen Vernunft; CangolfSchrimpf: Anselm Weisser: Vom Unentschieden zur Entscheidung. 41- 56.
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Canterbury; Patrick
Anselm Stolz: Vere esse im Proslogion des M. Anse1m. Vgl. Norma n MaJcolm: Anselm's Ontological Arguments mit der Diskussion um die Frage zweier Beweise in P 2 und 3. wonach p 3 das wese ntliche Argument (zum notwendigen Sein Gottes) bie te; dazu Theodor G. Sucher: Zur Entwicklung des ontologischen Beweises nach '960. 103 Nach Joser Schm idt: Philosophische Theologie. 106 ff. 107
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Unbedingte definiert ist, das Unbedingte als Gott verstanden wird) eine unthematische Gotteserfahrung. Diese Rekonstruktion bietet sich an, weil Anse1m eine Gedankenoperation vornimmt, die an das transzendentale Vorgehen moderner Philosophie erinnert: das Aufzeigen immer schon vorhandener und im Sprechoder Erkenntnisakt vom Gegner selbst vollzogener Implikationen. Bevorzugtes Mittel, diese explizit zu machen, ist die Retorsion, bei der die Ungültigkeit einer Aussage bewiesen, indem ihre selbstreferentielle und performative Widersprüchlichkeit offenbar gemacht wird. Dazu wird der Gehalt der Aussage auf sie selbst (ihren Vollzug) angewandt. Klassisch ist die Widerlegung des Skeptizismus: Wer behauptet, es gebe keine Wahrheit, widerspricht sich, da er für seine Behauptung einen Wahrheitsanspruch erhebt. l " Anse1m geht es aber nicht nur - wie bei der klassischen Retorsion - um die Möglichkeitsbedingungen der Rede von Gott im engeren Sinn, die dem Gesprächsgegner aufgezeigt werden, wenn er Gott leugnetYo Vielmehr sei die Denk-Erfahrung des Unbedingten Innewerdung eines höchsten Maßstabs für jedes Urteil: Wahrheit. Der Mensch wird der Größe seiner Vernunft eingedenk, erfahrt diese aber auf Größeres verwiesen. Denken, Vernunft, Erkenntnis werden auf das unüberbietbar Unbedingte ihrer Möglichkeitsbedingungen zurückgeworfen, das Anselm in die Formel von Proslogion 2 faßt und das ihm im Denken selbst erfahrbar wurde. Das lontologische. Argument Anse1ms ist damit in einem kosmologischen Sinn rekonstruiert oder genauer im Sinn des alethologisehen Arguments, das als Variante des kosmologischen zu verstehen ist, das, als Inbegriff aUer Beweise a posteriori, aus der Erfahrung von Kontingenz auf etwas Notwendig-Unbedingtes schließt, das als Gott verstanden wird.
4.2 Augus tinus
Seine klassische Form hat der alethologische Gottesbeweis bei Augustinus. Seine Entfaltung ist Folge der Vernunftanstrengung des Glaubens: Nach De libero arbitria ist die Existenz Gottes zunächst nur dem Glaubenden gewiß (2,5); doch auch dieser muß sich um Verständnis bemühen, denn »was wir glauben, wollen wir erkennen und einsehen«. Es geht also, wie bei Anselm, um ISelbstvergewisserung von Glaubenden"lII um den Glaubensinhalt ,ais sicher zu genießen, (2,37-41; vgl. CDH 11; II 15). Zu diesem Zweck - zugleich in Iretorsiven Operation gegen die Skeptiker - zeigt Augustinus zunächst, daß es zumindest eine Gewißheit gibt: die der eigenen Exi109
Zur Darstellung und Kritik der Retorsion vgl. Christian Göbel: Widersprüchlichkeit und
Sophistik. llO Ein gewöhnlich retorsiv-transzendentales Argument ginge so vor: Wenn der Gegner noch
in der Ablehnung die Bedingungen erfüllt, müssen sie - und somit Gott - wirklich sein. m Norbert Fischer: Die philosophische Frage nach Gott. 201. Vgl. Anselm: De Iibertate arbitrii 3.
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stenz (2,7).1<2 Unter den Existierenden ist aber die Vernunft das höchste, weil sie über alles andere urteilen kann, nichts über sie (lib. arb. 2,12 f.). Der Grundgedanke der folgenden Argumentationsschritte, neu platonisch-aristotelische Analyse der spekulativ-mathematischen und praktischen Vernunftvermögen, ist (2,14): »Wenn wir etwas finden können, was zweifellos nicht nur ist, sondern auch noch unseren Verstand überragt«, so ist das >Gott zu nennen<. Die Suche geht auf etwas, das Maßstab der urteilenden Vernunft des Menschen ist, die in der Welt das Höchste ist. Hier zeigt sich, daß Anse1m in seinem berühmten Gottesbegriff auf Augustinus zurückgreifen kann, der Gott als das begreift, »dem nichts übergeordnet ist«, (lib. arb. 2,14).113 Der doppelte Grundgedanke der Suche, als Bedingung für das Gelingen des Gottesbeweises aus der Analyse des Vernunftvermögens, findet seine Einlösung darin, daß (1.) ein Orientierungsmaßstab der Vernunft existiert, der als solcher diese (2.) überragt: die Wahrheit: »nach ihr urteilen wir auch über unsern Geist, während wir über sie auf keine Weise urteilen können« (2,34). So ist die >ein e, unwandelbare Wahrheit, (2,33), das >summum bon um, (2,36), für Augustinus letztlich Gott, wie es die Schrift bekennt. '14 Und es ist bestätigt, daß >einzig das Ewige sicher< ist (en. Ps. 8,6). Zumindest aber gilt im Rahmen der Voraussetzungen des Gesprächs (lib. arb. 2,39): »Du hast mir zugestanden, wenn ich zeigen würde, daß es etwas über unserem Verstand gibt, daß das Gott ist, sofern es nicht noch etwas Höheres gibt. Ich nahm dein Zugeständnis an und sagte, es genüge, dies zu beweisen. Denn wenn es etwas noch Erhabeneres gibt, so ist dies Gott, wenn aber nicht, so ist die Wahrheit selbst Gott« (vgl. conf 10,35). Der Gedanke begegnet auch in De vera religione. Dort steht die berühmte Mahnung: »Geh nicht nach außen; kehr zu Dir selbst zurück! lm inneren Menschen
So ist Glaube zwar Voraussetzung, aber nicht erste Gewißheit. - Der Gedanke wurde nach civ. 11,26, »si enirn faUor surn« (vgl. Acad. 3,23; trin. 10,10.13 f.; 15,21; vgl. Aristoteles: NE 1170a/b), und im cartesischen cogito ergo sum berühmt: Selbstbewußtheit belegt Existenz und dar in Gewißheit (Principia philosophiae I 7; Discours de la methode IV 3; im Grunde gilt diese Gewißheit nur für den Mome nt des Zweifelns selbst, deswege n die Fassung cogitans sum, vgl. Meditationes de prima philosophia II 6 u. a.; die Gewißheit ist nicht Schluß, sondern Intuition). 113 Vgl. con! 7,6; mor. 2,24; doctr. ehr. 1.7. Andere Vorbilder sind Boethiu s. Seneca. Cicero. Die Abhängigkeiten sind vielerorts dargestellt (z. B. Josef Schmidt: Philosophische 71leologie. 106 f.). Anselms Originalität wird meist in der Kraft gesehen, die er dem Begriff als Argument selbst zuschreibt. Eine nicht-ontologische Rekonstruktion kann sie mindern. allerdings jene Gültigkeit zurückgewinnen. die aposteriori-Wegen zu Gott zugeschrieben wird (dazu Adriano Alessio: Sui sentieri di Dia). Eine umfassende Darstel1ung von Boethius' Einfluß. neben Augustinus Anse1ms wichtigstes Vorbild auch für die Synthese von fides und ratio, erarbeitet z. Zt. E. C. Sweeney (Bosto n). 114 loh 14,6. Augustinus nennt hier loh 8,31 f. und betont den Zusammenhang von Wahrheit und Freiheit: Diese besteht positiv darin, sich der Wahrheit zu unterwerfen. Die Autorität der Wahrheit (und Gottes) ist gerade keine Einschränkung der menschlichen Autonomie. 112
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wohnt die Wahrheit« (72),11' die den theologischen Charakter der Augustinischen Philosophie bestätigt; denn die Selbsteinkehr fordert einen Überstieg des Selbst auf Gott hin, allerdings im Innem des Menschen. Das höchste Irdische ist die Vernunft, sie ist aber nicht Letztgrun d, sondern stammt von Gott, auf den sie hingeordnet ist. Sie hat also einen .internen und doch übergeordneten Maßstab< ihres SeinsY' Hier hat das Augustinische Wissen seinen .mystischen Charakter
4.3 Kritische Zusammenschau Die Verwandtschaft der Gottesbeweise Anse1ms und Augustins ist nicht nur aus den expliziten Bezugnahmen offensichtlich. »Der Gedanke von der Implikation der Existenz im Vollzug der Vernunft [ist] in gewisser Weise ein Vo rgriff auf den ontologischen Gottesbeweis. Wenn nämlich die höchste Vernunft als Maß unseres Vernunftvollzugs nicht dessen Produkt sein kann, dann muß ihre sich selbst genügende, vollkommene Reflexivität auch ihre Existenz enthalten. Diese höchste und zugleich reale Vernunft ist uns zwar in nerlich (Gehe in dich!), aber sie ist doch von uns un terschieden.«118 In beiden Argumenten wird die Tatsache, daß der Mensch wissen
kann, daß er den Glauben zu Wissen füh ren kann, selbst Gottesbeweis. Im Denken, in dem ihm wesentlichen Inneren (Geist), kommt der Mensch zu einer Erfahrung des Höchsten oder Unbedingten (der Wahrheit), welches alles Denken und Urteilen erst möglich macht und mit Gott identifiziert wird. Den Gedanken nimmt Anse1m auch in De veritate aufY' Dort, wie im Proslogion und in De libero arbitrio, steht der
Zuvor auch 51 zur )Erl euchtung des inneren Menschen< . 116 Josef Schmidt: Philosophische Theologie, 83; vgl. conf 10,7. U1 Die Analogien der Trinität im Geistwesen des Menschen beruhen auf einem vergleichs weise einfachen Glaubenssatz: Als imago dei muß in der Struktur des Geistes auch Erhellendes zum Wesen Gottes zu finden sein. 118 Josef Schmidt: Philosophische Theologie, 84. Augustins Argument für diesen Untersch ied ist klassisch (vera rel. 72): »G ib zu, daß du nicht bist, was sie ist. Denn sie selbst sucht sich nicht; du aber bist suchend zu ihr gelangt.• ll~ Ausdrücklich wird Anse1ms Untersuchung von dem Grundsatz geleitet, verstehen zu wollen, was er glaubt, hier angewandt auf den Glauben, daß Gott die Wahrheit sei (ver. 1). AnseIm fUhrt die verschiedenen Wahrheiten auf eine allgemeine Wahrheit zurück, die >Maßstab einer letzten Angemessenheit (rectitudo)< sei Oosef Schmidt: Philosophische Theologie, 84) und als )höchste. in sich bestehende Wahrheit< (ver. 13) mit der in M entwickelten Ontologie des notwendigen, göttlichen Seins verbunden wird (vgl. RolfSchönberger: Anseltn von Canterbury, 104 ff.). 1IS
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Erweis der Existenz Gottes im Kontext des Programms einer jides quaerens intellecturn als ihr erster Inhalt. Es stellen sich jedoch einige kritische Fragen. So kann bezweifelt werden, daß die Erkenntnisbedingungen tatsächlich auf eine unbedingt-objektive Letztwahrheit verweisen.'" Problematisch ist auch die IdentiJikation der Wahrheit mit Gott. Der ohnehin nicht selbstverständliche Schritt am Ende der aposteriori-Argumente, das Ergebnis der philosophischen Reflexion mit )Gott< zu identifizieren,'" ist hier am wenigsten einsichtig: Daß ein Satz )unbedingt< wahr ist, wenn er mit objektiven Sachverhalten übereinstimmt, mag sein; eine solche Satz- und Sachwahrheit ist aber nicht das Sein Gottes. Sie ist nicht einmal Unbedingtheit im starken Sinn des Begriffs, sondern bleibt an eine Bedingung gebunden, daß nämlich der ausgesagte Sachverhalt tatsächlich besteht. Auch gibt es nicht eine solche Wahrheit, sondern so viele, wie es Sachverhalte (und Sätze darüber) gibt.'" Ähnlich ist der recht problemlosen Identifikation Augustins entgegenzuhalten, daß er nicht das Dasein Gottes erwiesen hat, sondern »höchstens das Dasein einer an sich bestehenden, vom erkennenden Subjekt unabhängigen Wahrheit«, von der nicht einmal erwiesen, sondern vorausgesetzt wird, daß sie unveränderlich und ewig ist.'" Allerdings verdeutlicht Augustinus am Ende seines Arguments selbst, daß er sich seiner Vorläufigkeit und Unsicherheit bewußt ist. Der Vorwurf philosophischer Schwäche kann gerade aus dem Kontext der Lehre von Glauben und Wissen seine Intention nicht treffen: Er strebt, genau wie Anse1m, kein Argument für eine säkulare Vernu nft im modernen Sinn an, sondern bemüht sich um GlaubenserheIlung, aus einem grundsätzlich theistischen Verständnis der Vernu nft. Das zeigen auch die Konsequenzen, die Augustinus zieht: Er ist sich bewußt, daß sein Denken nicht zu der Weisheit reicht, die Gott selbst erkennt. So hat sich der Mensch gefunden, wenn er bewußt nach Weisheit strebt ()Philosoph
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ep. '30,28)'" und Fides et Ratio in der Kreisbewegung von Glaube und Vernunft neu gefaßt. In De libero arbitrio heißt es in diesem Sinn, daß »der Unweise die Weisheit erkennen« kann (2,40); er ist aber nicht in ihrem endgültigen Besitz, als .Finder Gottes< auf Erden (2,34). Auch nach einem .Gottesbeweis< vermag die Vernunft nicht alles, kann das menschliche Strebewesen seine Erfüllung in Gott nicht erzwingen, sondern muß weiter glaubend auf die jenseitige Glückseligkeit und .Schau< vertrauen, die das ohnehin auf ein rezeptiv-passives Erleuchtetwerden verwiesene höchste Geistvermögen noch einmal übersteigt. An diesen Charakter der Vernunft erinnert De vera religione, wo der Appell zur Wendung in die eigene Innerlichkeit - nach der Aufnahme des Gottesbeweises - in den Folgeappell mündet, »über sich hinauszuschreiten«; wer aber »über sich hinausschreitet, schreitet über seine ver-
ständige Seele hinaus« und begibt sich in den Bereich der .Erleuchtbarkeit«, wo »das Licht der Vernunft selbst entzündet wird« (72).126 Anselms ähnliche Gedanken wurden schon dargestellt. So zeigt sich noch einmal, daß sich das Menschsein (in seiner Vernunftbestimmung) in der aufrichtigen - und lebenspraktisch werdenden - Suche nach Wahrheit realisiert, die wiederum ihre letzte Erfüllung nur in Gott findet - weil es nicht nur um eine .Satzwahrhei!< geht, sondern um Sinn und Heil (im .Licht des Glaubens<). Das hat besonders Augustinus existentiell erfahren. Erst in diesem Kontext der Lehre von fides und ratio zeigt sich, daß Augustinus und Anselm nicht philosophisch nur begrenzt gültige Argumente für das Dasein Gottes präsentieren, sondern aus einem theo-logischen Bewußtsein der eigenen Begrenztheit argumentieren.
Im Blick auf Anselm ist allerelings fraglich, ob die alethologische Interpretation nötig ist. Sein Gott-Denken läßt sich angemessener mit einem einfachen Rückgriff auf das kosmologische Argument in Reinform verstehen, was aus dem - gedanklich, textuell und biographisch belegbaren - Zusammenhang von Monologion und Proslogion erhellt. Anse1ms Theologie kreist um den Gottesbegriff der Tradition, den er nur immer präziser zu fassen und auch in Cur deus homo in seiner ontologischen Relevanz zu verstehen sucht. 127 Methodisch bleiben diese Versuche durch die 12$ Dort wird die menschliche Schwäche durch den göttlichen Geisterleuchtet. Bei Bonaventura und Cusanus wird daraus wieder eine }Form der Gotteserkenntnis<, im bewußten Verzicht auf unpassende Wissensformen der Vernunft (komparative Erkenntnis). Schon bei Sokrates belegt der Gedanke nicht nur ein generelles Bewußtsein der eigenen Begrenztheit, sondern steht im Horizont der besonderen Frage nach Gott und Unsterblichkeit; vgl. Christian Göbel: Griechische Selbsterkenntnis. 33 - 35· 126 Vgl. en. Ps. 118.23.1: Als Geschöpfe haben Geistwesen Erkenntn is nicht aus sich. sondern durch Erleuchtung, aus Teilhabe an der ewigen, göttlichen Wahrheit (auch hier ist Christus. der logos, das Licht der Welt). 117 D ie Homogenität von Anse1ms Theologie und ihre Zuspitzung auf die soteriologische Frage als ontologisches Problem hat Gerhard Gäde da rgestellt; vgl. Eine andere Barmherzigkeit.
FloES UND RATIO BEI ANSELM UNO AUGUSTINUS
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Grundüberzeugungen vom rechten Verhältnis zwischen Glaube und Denken bestimmt. Sicher kommt Anse1m nicht apriori zu seinem Gottesbegriff, sondern aufgrund vorgängiger Erfahrungen; aber nicht nur aufgrund der .direkten< (doch unthematischen) Erfahrung des Unbedingten im Denken, sondern 1.) aus der religiösen Erfahrung des Glaubenden: Glaube und Gottesbegriff stammen aus der Tradition'" und gehen damit dem eigenen philosophischen Durchdenken voraus (während dieses, Augustinisch, in ein persönliches Liebes-Verhältnis zu Gott im religiösen Glauben zurückführt, was gerade P betont); und 2_) aus der ' philosophisehen< Kontingenzerfahrung: Die Erfahrung des Seins als zufällig, bedingt, abhängig'" läßt (indirekt) auf ein unbedingtes, notwendiges Sein schließen_ Daraus entwickelt Anselm im Monologion seine Ontologie des Seins per aliquid und des Seins per selens subsistens, die im Proslogio" ausdrücklich aufgenommen wird130 Dieser Gottesbegriff wird im Proslogion neu entfaltet; sein kosmologischer Hintergrund wurde oft übersehen, weil die Vorgeschichte selbst im Proslogion nicht mehr thematisiert wird. Neben den Bezügen auf die kosmologische Ontologie des Monologion verweist zwar Anse1ms Vorwort explizit darauf, allerdings wurde der Kontext des unum argumentum oft ignoriert. Diese Dinge können hier nur angedeutet und müssen an anderer Stelle näher ausgeführt werden; dabei ist auch zu zeigen, daß doch eine Identifikation des Unbedingten, das am Ende aUer .Gottesbeweise< steht, mit Gott, und zwar dem christlichen Gott, möglich und sogar .Iogisch
Umso deutlicher ist das in der monastischen Tradition und Lebensweise Anselms; darauf hat zuletzt Richard W. Southern hingewiesen; vgl. Saint Anselm. 113 ff. 129 Bei Descartes ist es gerade das eigene Sein in se iner Vernunftfahigkeit. das sich als abhängig erfahrt und mithin auf Gott verwiesen (in jedem Denken. nicht nur im Gottdenken), dazu Leonardo Mess inese: Die Gottesfrage in der Philosophie der Neuzeit. 59. Auch die Erfahrung des Unbed ingten im Denken kann damit freilich als indirekt verstanden werden. 130 Nicht nur in Anse1ms Antwort an Gaunilo. sondern auch in P 3.5.1 4. 12.1
Zur Rezeption Augustins bei Peter Abaelard (ca. 1079-1142) von Lenka Kar{fkova Dubitalldo ad inquisitionem ven im us, inquirendo veritatem percipimus. 1
In diesem Beitrag möchte ich den Einfluß Augustins auf Peter Abaelard darstellen, und zwar in der trinitarischen Theologie, der Soteriologie, der Gnadenlehre und der Ethik. Wie wir sehen werden, heißt Augustinus-Rezeption bei diesem originalen und kühnen Autor keineswegs die An nahme aller Lösungen, sondern vielmehr die Annahme der Fragen Augustins, auf die Abaelard seine eigenen Antworten versucht, die zwar wiederum durch Augustinus beeinflußt sind, jedoch anders als im Sinne einer bloßen Wiederholung.
1.
Die Autobiographie
Bevor wir uns den genannten theologischen Themen zuwenden, soll ein anderes Augustinisches Unternehmen Abaelards erwähnt werden, nämlich seine Autobiographie. Sie heißt allerdings nicht Confessiones, sondern Historia ca/amitatum ,' und auch die Strategie dieses Werkes unterscheidet sich ganz von derjenigen Augustins - obwohl der Zweck der beiden Schriften einigermaßen ähnlich erscheint, nämlich die Rehabilitation des Verfassers vor einem Publikum, dessen Vertrauen er gewinnen will. Augusti ns Bekenntnis ist an Gott selbst adressiert, wobei die Verfehlungen seiner Kindheit und Jugend - im Dienst der Sündenlehre Augustins - bis zur Unglaublichkeit übertrieben werden. Abaelard will zwar seine Fehltritte nicht ganz verdecken, er läßt jedoch keinen in Verlegenheit, daß die Plagen, die ihn getroffen haben, vorwiegend durch die Dummheit und Böswilligkeit der anderen verursacht worden sind. Das öffentliche Bekenntnis Augustins soll, wenn nicht hauptsächlich, dann mindestens nebenbei auch seine gedanklichen Irrtümer rückgängig machen, vor allem will er sich von seiner manichäischen Vergangenheit distanzieren. Abaelard hat gar keine Zweifel an der Richtigkeit seiner Lehre und verbindet daher die Klage über die Kalamitäten seines Lebens keineswegs mit doktrinären Ausführun-
Peter Abaelard: Sie et nOfl. Prolog. 2 Der handschriftl iche Titel heißt jedoch: Abelardi ad am icum suum cOfTSolatoria. Die Schrift wird erst seit Petrarcas Zeite n Historia calamitatum genannt; vgl. Etien ne Wolff: Abelard et !
lautobiographie, 41.
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gen (es sei denn um die Fehler der anderen zu zeigen) . Seine Schrift ist als Trost an einen Freund abgefaßt. der selber in Schwierigkeiten geriet; dieser Adressat bleibt jedoch namenlos - und es ist nicht einmal ausgeschlossen. daß es sich um eine fiktive Gestalt handelt. Tröstet sich unser Autor hier vielleicht selbst. ähnlich wie er in seinem Soliloquium >Peter<mit >Abaelard< sprechen läßt? Auch dieses Augustinisehe Genre verwendet Abaelard also anders als Augustinus selbst. der in seinen Soliloquia ein Gespräch mit der >Ratio< führt.
2.
Trinitätslehre
Das wichtigste theologische Interesse Abaelards galt der Trinitätslehre (die auch zu seiner doppelten Verurteilung führte. 1121 in Soissons und 1141 in Sens). d. h. einem Thema. dessen für die abendländische Theologie in ihrer ganzen Geschichte maßgebenden Grundzüge Augustinus in seiner Abhandlung De Trinita te entworfen hat.' In diesem Werk hinterließ Augustinus seinen Nachfolgern ein (mindestens) doppeltes Bild der Dreifaltigkeit: Neben der Gemeinschaft zweier Personen. die durch eine in die dritte Person hypostasierte Liebe verbunden werden (vgl. trin. 6.7; 15.27). ist es der Vergleich des innergöttlichen Lebens zum menschlichen Geist (mens ) mit seinen Bewegungen des Denkens - nach Augustinus einem Hervorrufen aus dem Gedächtnis - und des Wollens. das zu diesem Hervorrufen notwendig ist (vgl. trin. 15.40f.; 15.50). Ebenso wichtig erscheint auch seine Appropriationslehre. nach der die einzelnen Charakteristika der göttlichen Essenz den einzelnen Personen zu ei· gen gemacht werden. besonders die Weisheit dem Sohn und die Liebe dem Heiligen Geist (vgl. Irin. 15.29). Peter Abaelard knüpft mit der Hauptintention seiner Trinitätslehre (wie er sie in der ersten Version seiner >Theologie< darstellt. der Theologia ,Summ i boni<. die auch für die beiden späteren Versionen entscheidend blieb)4 an keines dieser Motive Vgl. Michael Schmaus: Die psychologische Trinitätslehre des hl. Augustinus; Johannes Brach· tendorf: Die Struktur des menschlichen Geistes nach Augustinus; ders. (Hg.): Gott und sein Bild. Augustins De Trinitate im Spiegel gegenwärtiger Forschung. 4 Die )Theologie( Abaelards ist in drei Versionen (und deren einzelnen Redaktionen) erhalten: (I) 7heologia >Summi bonil, verurteilt 11 21 in Soissons; (11) 7heologia Christiana, verfaßt (in zwei Redaktionen) als Reaktion auf die Verurteilung, wahrscheinlich 1122-1126 bzw. 1133 - 1137; diese Version übernimmt neun Zehntel der verurteilten Schrift und erhöht zugleich seinen Umfang etwa ins Dreifache, vorwiegend durch Zugaben apologetischen Inhalts; (lU) 7heologia >Schola· riur1H, datiert 1133 - 1138 bzw. (in der zweiten, längeren Version) 1136 -1139 (diese zweite Fassung wurde bis zu Abaelards zweiter Verurteilung in Sens 1141 wahrschein lich noch zweimal überar· beitet). Zur inhaltlichen Entwicklung dieser Versionen vgl. Jean Jolivet: La theologie, 24 - 67; Eligius Ma riae Buytaert: Abelard's Trinitarian DociTitle; Constant J. Mews: 7he Developmetlt 0/ tile Theologia 0/ Peter Abelard. 3
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direkt an; dennoch ist die Theologie Augustins eine Grundlage, ohne die seine Ausführungen nicht möglich wären. Die tradierte Trinitätslehre, die er interpretieren will, faßt Abaelard in ihrer abendländischen, von Augustinus abgeleiteten Version zusammen (theol. s.b. II,Z9-4Z) : Die drei einander gleichen göttlichen Personen zeichnen sich durch eine einzige Substanz aus; sie sind einander durch ihre Ursprungsrelationen verknüpft, die zugleich ihre reale Verschiedenheit begründen: Der Vater stammt nicht von einem Anderen, der Sohn hat seinen Ursprung im Vater, der Geist im Vater und Sohn, mit der Präzisierung, daß der Sohn vom Vater geboren wird (>gigni.), während der Geist von beiden hervorgeht (>procedere.). Abaelard erklärt, daß die Aussagen, die vom Vater bzw. vom Sohn bzw. vom Geist gemacht werden (z. B. der Vater stammt nicht von einem Anderen, gebärt ewiglich den Sohn usw.), ihre eigentümlichen Charakteristika (>propria.) betreffen, die für ihre Unterschiedlichkeit als Personen (>personaliten) verantwortlich sind. Dank dieser >propria. ist der Vater weder der Sohn noch der Geist (und umgekehrt), obwohl aUe dieselbe Substanz sind. Ähnlich charakterisiert das >proprium., z. B. die Fähigkeit zu lachen beim Menschen, in Abaelards logischen Ausführungen eine Art im Rahmen ihrer Gattung - jedoch mit dem Unterschied, daß es sich in der Trinitätslehre nicht um eine Art, sondern um eine Person handelt. Mit der einen Substanz meint Abaelard nicht nur die gleiche Natur, nämlich die göttliche, sondern die individuelle Substanz (>singularis substantia.): Alle drei Personen sind der eine Gott. Es handelt sich also nicht um eine Unterscheidung, durch die sich im Rahmen der gemeinsamen Art zwei me nschliche Personen unterscheiden, die beide je eine individuelle Substanz darstellen, obwohl auch diese Unterscheidung >personal. heißt. Die drei göttlichen Personen besitzen die gleiche Substanz oder Essenz (während die menschlichen Personen nach Abaelard drei Substanzen oder Essenzen sind); trotzdem unterscheiden sie sich durch die personale Differenz, die mit ihren >propria. gegeben ist. Drei Personen in der einen göttlichen Substanz sind jedoch nicht ihre Teile. Auch kann man das allen Personen Gemeinsame nicht für Eigenschaften halten, die der Substan z eine bestimmte Form gäben. Weil die göttliche Substanz nämlich einfach ist und jeder Form entbehrt (sie ist >informis.), ist alles, was von ihr ausgesagt wird (z. B. die Macht oder die Weisheit), sie selbst; es ist nicht eine Form, an der die Substanz partizipierte und durch die sie als Art bestimmt würde oder die ihre akzidentelle Eigenschaft wäre. Gegen diese Trinitätslehre können vom Gesichtspunkt der Dialektik aus wichtige Einwände erhoben werden, die Abaelard (in Anlehnung an seinen Lehrer Roscelin) in der Tat einführt.' Ihre gemeinsame Voraussetzung lautet, daß der Rede von drei S theot. s.b. 1I .44 - 63. Roscelin war höchstwahrschein lich geneigt, die drei Personen in Gott als )drei Dinge<(t res res) ode r drei Substanzen zu verstehen. Vgl. dazu Constant J. Mews: No mi-
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göttlichen Personen entweder etwas in Gott selbst entspricht oder nicht entspricht (aber nicht beides zugleich). Die drei Personen in Gott sind also entweder nicht real unterschiedlich, sondern bloße Namen für die einzige Substanz (was jedoch die unzulässige Folge des Patripassianismus und der Autogenese mit sich bringt); oder die Personen sind drei real unterschiedliche Substanzen und der Name .Gott< ist ein (rein sprachlicher) Universalname, wie z. B. der Name .Mensch< (was jedoch in einen Tritheismus einmündet). Der Kern von Abaelards Polemik gegen diese Argumentation besteht in der Bestimmung der Begriffe .idem< (dasselbe) und .diversum< (das Unterschiedliche), die in einer mehrfachen Bedeutung ausgesagt werden' Die drei göttlichen Personen, so Abaelard, sind dasselbe der Essenz nach (.der Essenz nach Dasselbe< ist in der Terminologie Abaelards das Einzelne, das durch synonyme Ausdrücke beschrieben wird, z. B. .ensis< und .mucro <, oder auf verschiedener Stufe der Allgemeinheit, wie .Sokrates<, .Mensch< und .Lebewesen<, oder als ein Träger verschiedener Eigenschaften, z. B. dieses Weiße und dieses Harte); sie unterscheiden sich jedoch der Definition nach (der Definition nach unterscheiden sich die durch unterschiedliche Definitionen charakterisierten Seinsweisen des Einzelnen, z. B. Lebewesen-sein und
Mensch-sein; vgl. theol. s.b. n ,83). Die unterschiedlichen Definitionen der einzelnen göttlichen Personen nennt Abaelard ihre ' propria<. Er versteht sie jedoch n icht nur traditionell als »aus sich selbst sein und den gleichewigen Sohn gebären« für den Vater, »aus dem Vater geboren sein« für den Sohn und »von den beiden ausgehen«
für den Geist, sondern zugleich - und das ist eine kontroverse Neuigkeit seiner Trinitätslehre - als »mächtig sein« für den Vater, »weise sein« fü r den Sohn und »gütig sein« für den Heiligen Geist (vgl. theol. s.b. Il,103 -104). Der (im zwölften Jahrhundert sehr beliebte) Ternar Macht-Weisheit-Güte (. potentia<, .sapientia<, .benignitas<) ist nämlich für Abaelard nicht nur eine appropriierte Charakterisierung der einzelnen Personen, sondern ist de facto diese Personen selbst. Manchmal scheint es, als ob die göttlichen Personen durch diese Dreiheit ersetzt, d. h. auf die drei Charakterisierungen reduziert werden sollten.' Deswegen nalism and Theology be/are Abaelard, 6 - 33; ders.: The Trinitarian Doctrine of Roscelin of Compiegne and its Influence: Twelfth-century Nomirlalis11l and Theology Re-considered, 351- 358; ders.: St Anselm and Roscelin o/Compiegne. Some New Texts and Their Jmplications, 55-68 . 6 theol. s.b. 11,82 - 102 (CCM 13,142-150): 0) der Essenz nach (secundum essentiam); (ii) numerisch (secundum numerum); (üi) der Definition nach (diffinitione); (iv) durch eine Ähn lichkeit (similitudine); (v) dasselbe bzw. unterschiedliches als unverändert (pro incommutato) bzw. verändert; (vi) dasselbe bzw. unterschiedliches nach der Auswirkung (effectu). Zu Abaelards Auffassung des Gleichen und Verschiedenen vg!. Jeffrey E. Brower: Trinity; zu seiner Trinitätslehre im allgemeinen Jeffrey Garrett Sikes: Peter Abailard. 145 -167. 7 VgL theol. s.b. 1,2; ibid. JI,lOS; ähnlich ibid. 1,5. Zum Ternar der Macht, Weisheit und Güte vgl. z. B. Matthias Perkarns: The Origins 0/ the Trinitarian attributes potentia. sapientia. benignilas.
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versucht Abaelard zu zeigen, daß die Charakterisierungen der Macht, der Weisheit und der Güte alle Vollkommenheiten der Gottheit enthalten - oder auf diese überführbar sind (theol. s. b. n,u3 -u6). Diese drei erfordern jedoch einander, da mit der Gottheit weder eine blinde Macht, noch ein der Tat unkräftiger Tiefsinn, noch eine Verknüpfung von Macht und Tiefsinn, jedoch nicht auf das Gute gerichtet, verbunden werden kann (theol. s.b. 1,3; 1,5). Mit einer gewissen Vereinfachung können wir sagen, daß die Trinitätsinterpretation Abaelards einen Versuch darstellt, die Dreieinigkeit Gottes als eine dreifache Charakterisierung der einfachen göttlichen Substanz zu denken, wobei diese dreifache Charakterisierung die dreifache Natur der göttlichen Wirkung betrifft (die Macht, die Weisheit und die Güte)' und die Distinktion der drei Personen auf eine ungleiche Bedeutung dieser Charakterisierungen reduziert wird. Daß Abaelard Augustinus rezipiert, heißt also keineswegs, daß unser Autor Augustins Konzeption der Trinitätslehre in einer ihrer Varianten ausführen würde. Abaelard nimmt jedoch die Herausforderung Augustins an, die Trinität in Gott zu denken und versucht diese Aufgabe auf Grund der essentiellen Identität und der definitionellen Verschiedenheit durchzuführen. Er nutzt dabei Augustins Appropriationsgedanken, nach dem die einzelnen Charakterisierungen der göttlichen Substanz den einzelnen Personen zugeschrieben werden) den er jedoch in einer neuen Weise radikalisiert.
3- Theologie der Liebe
In seinem Römerbriejkommentar hat Abaelard zwar wahrscheinlich nicht aus Augustins beiden (partiellen) Auslegungen dieser Schrift geschöpft (Expositio quarundam proposition um ex Epistola ad Romanos und Epistolae ad Romanos inchoata expositio ),' der systematische Grundgedanke der Ausführungen Abaelards, nämlich seine Interpretation der Paulinischen Theologie, findet aber trotzdem in Augustinus eine deutliche Inspiration. Wie in der Trinitätslehre, bedeutet dies jedoch nicht, daß Abaelard notwendig auch Augustins Soteriologie selbst übernehmen würde. Abaelard war, verständlicherweise, mit dem zeitgenössischen soteriologischen Konzept unzufrieden {wie es z. B. bei seinen Lehrern Anselm von Laon und Wil• Deswegen wird die Trinitätsleh re Abaelards als .,ausschließlich ökonomisch, d. h. mit der Schöpfung und dem Heil verbunden" bezeichnet; vgl. Eligius M. Buytaert: Abelard 's Trinitarian Doctrine, U9; ähnlich auch Walter Sirnonis: Trinität und Vernunft. Untersuchungen zur Möglich~ keit einer rationalen TrinitätsJehre bei AnseJm, AbaeJard, den Viktorinern, A. Günther und J. Froh~ schammer, 55. !J Nach RolfPeppermüller (vgl. Exegetische Traditionen und theologische Neuansätze in Aboelords Kommentar zum Römerbrief, nS) waren Abaelards Quellen vielmehr Origenes in Rufins übertragung, Ambrosiaster, Pelagius (den er als Hieronymus zitiert) und Haimo.
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helm von Champeaux zu finden ist), nach dem die Menschwerdung Gottes ein Weg war, den Teufel zu besiegen und den Menschen legitim aus seiner Macht zu befreien, ohne das Recht zu verletzen, das sich aus der Annahme ergibt, daß der Mensch dem Teufel die Macht über sich freiwillig gegeben hatte. LO Der Teufel (so Abaelard mit Anselm von Canterbury) hat über den Menschen kein Recht, das ihm Gott selbst nicht gegeben hätte. Noch absurder jedoch wäre zu meinen (so Abaelard gegen Anselm von Canterbury), daß Gott sich durch den Tod Christi mit sich selbst versöhnt. Wie könnte er als Gerechter den Tod eines Unschuldigen fordern? Und wie könnte Adams Verfehlung, die ja bloß eine kleine Frucht betraf und doch so fatale Folgen für die ganze Menschheit mit sich brachte, nur durch eine viel schlimmere Übeltat, nämlich die Ermordung Christi, gut gemacht werden? Wie läßt sich denken, daß der Mensch auf diese Weise vor Gott gerechter werden könnte (vgl. comm. Rom. 3,26)1 Angesichts solcher Fragen entwickelt Abaelard seine Soteriologie der Liebe, nach der Gott in der Menschwerdung und im Tod Christi seine Liebe bis zum Äußersten erwiesen hat, um damit die Liebe des Menschen zu erwecken . Sofern der Glaube an Christus eine Voraussetzung dieser Liebe ist, kann auch gesagt werden, daß der Mensch durch seinen Glauben an Christus gerechtfertigt wird. Was jedoch den Menschen in Gottes Augen 'gerecht< werden läßt, ist erst die aus dem Glauben erwachsende Liebe (vgl. comm. Rom. 3,22 - 25; 3,26)." Die Liebe, die wirkliche Freiheit hervorbringt, die also nicht mit sklavischer Abhängigkeit einhergeht, liebt Gott nicht wegen eines Nutzens, sondern um seiner selbst willen (>propter ipsum< oder >gratis<). Ähnlich werden ja die Freunde oder die Gattin um ihrer selbst willen geliebt, ohne daß ihr Wert nach ihrer Nützlichkeit abgemessen wäre. Der Gipfel der Liebe wäre, so Abaelard, Gott deswegen zu schätzen, wie er ist, nicht wegen einer Belohnung, auf die wir hoffen, oder wegen der Gaben, die wir bekommen haben, sondern um seiner Güte selbst willen, die unserer Liebe würdig ist (vgl. comm. Rom. 7,13; 13,10). Erst diese Liebe erfüllt das Gesetz, wie der Apostel behauptet (Röm 13,10), da sie den Menschen dazu führt, um Gottes Zur Soteriologie Ansellns von Laon vgl. nE. de Clerck: Questions de soteriologie medievale, 174 -184 (ähnlich wahrscheinlich auch Wilhe1m von Champeaux. ibid. 173 f.); Richard E. Weingart: The Logie of Divine Love. A CriticaJ Analysis of the Soteriology of Peter Abailard, 8t- 93. Abaelards Ablehnung dieser Position wurde sogar zu einem Punkt seiner Anklage in Sens (vgL Constant J. Mews: The Lists of Heresis Imputed to Peter Abelard, 108, der Satz No 4; auf der Liste des Thomas von Morigny, der Satz No 4: CCM 12, 474 ff.). Es handelte sich jedoch wahrscheinJich um ein Mißverständnis, da die VorsteUung Abaelards und diejenige seiner Ankläger grundsätzlich nicht auseinandergingen (vgl. dazu D.E. de Clerck: Droits du demon et rlecessire de la redempNon. Les ecoles d'Abelard et de Pierre Lombard, 33 - 39). 11 Zur Soteriologie Abaelards vgl. Jeffrey Garrett Sikes: Peter Abailard, 204-211; Richard E. Weingart: The Log;c oJ Divine Love; Rolf Peppermüller: Erlösung durch Liebe. Abaelards Soteriologie; Thomas Williams: Sin, Grace, and Redemption. 10
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selbst willen keines seiner Gebote zu verletzen und auch die anderen Menschen zu lieben (vgJ. comm, Rom. 7,6), Das Leiden Christi erweckt damit nicht nur Liebe zu Gott, sondern auch die Liebe zum Anderen, den wir wie uns selbst lieben sollen (Lev. 19,18; Mk 12,31), den wir also so behandeln sollen, wie wir von ihm behandelt werden wollen (vgJ. comm. Rom, 3,22; 13,10). Diese Auslegungen zur Theologie des Apostels Paulus kommen Augustins Überlegungen zum Sinn der Liebe sehr nahe, die Gott um seiner selbst willen und den Anderen Gottes wegen liebt. Augustinus nennt diese Einstellung, in der er die einzig adäquate Antwort an das umsonst (gratis) geschenkte Heil sieht, »Gott umsonst (gratis) zu lieben«, d. h. um seiner selbst willen, nicht seiner Gaben oder der Freude wegen, die er uns schenkt." Gott um seinetwegen zu lieben und zu schätzen ist in Augustins Augen ein Charakteristikum der christlichen Epoche. Falls nämlich die Menschen von Gott weltliche Gaben oder Belohnungen erwarten, finden sie sich noch »unter dem Gesetz«, nicht »unter der Gnade«, die gratis geschenkt wird und deswegen nur mit der gratis liebenden Liebe beantwortet werden kann, mit einer Liebe, die Gott als Ziel, nicht als ein Mittel liebt." Die christliche Existenz ist damit für Augustinus eine Freiheit, in der die Gebote nicht aus Furcht, sondern aus Liebe erfüllt werden. Nur auf diese Weise wird das Gesetz tatsächlich erfüllt (Gal. 5,ll-14), nämlich wenn wir auch im Verhältnis zu den Anderen nicht Strafe oder Belohnung im Sinn haben, sondern die Gerechtigkeit selbst beachten (exp. Ga{, 43,3 - 8; 44,1- 3). Diese Einstellung ist jedoch für Augustinus im eigentlichen Sinne keine lediglich sittliche Möglichkeit der menschlichen Freiheit der Entscheidung; sie ist vielmehr erst ermöglicht durch die Gnade Gottes, der allein dem Menschen ein Gefallen am sittlich Richtigen schenken kann (gr, et pecc. or. 1,13,14; c. ep. Pel. II,9,21; c. Iul. IV,3,33)· Die Intentionen Augustins und Abaelards waren damit teilweise unterschiedlich. Abaelard beabsichtigte, gegen die Soteriologie des Lösegelds diejenige der Liebe zu stellen (was manchmal als eine unangemessene Subjektivierung des Heils kritisiert wird),14 Augustins Anliegen war dagegen die Überwindung einer Gerechtigkeit, die sich auf Furcht vor Strafe oder auf Sehnsucht nach Belohnung gründet; er wollte den Gedanken einer Gerechtigkeit entwickeln, die aus der Liebe als einer Gottesgabe hervorgeht. Seine Vorstellung der umsonst geschenkten Liebe sollte die Soteriologie nicht ersetzen, obschon sicherlich wahr ist, daß seine fast ausschließlich der Gnadenlehre geWidmete Aufmerksamkeit die Soteriologie teilweise in den Hintergrund rückte. 12 Vgl. Hiob 1.9; dazu en. Ps. 26.8; 34(1).l2; 43.15; 52,8; 55.20;gr. t. nov. 17.44 -18.45. cat. rud. 22,39.3; 27.55.12; Ja. ev. tr. 3.21; ep. Ja. tr. 10,4 - 6. Walter von Mortagne: Epistolcl tU/ Petrum Abuelardum (40.14 f. Ostlender); Bernhard von Clairvaux: ep. 190 (Ledercq-Rochais. VIU. 36 ff.). Vgl. lean Jolivet: Sur queLques critiques de La theologie d 'Abe/ard, 17 r. 11
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4. Erbsünde und Gnade
Zu einer schwierigen Frage wird für Abaelard in seinem Römerbriefkommentar die Augustinische Vorstellung der Erbsünde (>peccatum originale<), die seit der Verfehlung der Ureltern der Menschheit von einer Generation auf die andere mit dem biologischen Leben selbst tradiert wird. Jeder Mensch, so Augustinus, kommt mit einer Sünde belastet auf die Welt, und diese Sünde, als Schuld aufgefaßt, verdient die Strafe nicht nur des körperlichen, sondern auch des ewigen Todes. " Diese Lehre, welche er durch die Praxis der Kindertaufe begründete, entwickelte Augustinus als eine Voraussetzung seiner Gnadenlehre, wie sie zwn ersten Mal in seiner Antwort
Ad Simplicianum 1,2 formuliert wird. Hier erklärt der Bischof von Hippo, daß alle Menschen seit ihrer Geburt (oder besser gesagt schon vor ihrer Geburt) eine >Sündenmasseculpa<), die eine willentliche Gottesverachtung impliziert, sondern als eine bloße Strafe (>poena<) verstanden werden soll, der jeder Mensch ohne jede persönliche Verfehl ung unterworfen ist" (diese überzeug ung entspricht der frühen Vors tellung Augustins selbst)." Es ist jedoch sehr schwierig zu erklären, warum der gerechte Gott den Menschen ohne jede persönliche Schuld einer Strafe unterwirft, die erst durch den Ritus der Taufe aufgehoben wird, und warum die ungetauften Kinder einen ewigen Untergang (wenn auch nach Abaelard eine leichtere ewige Strafe) verdienen - und Abaelard behauptet auch nicht, daß er es erklären könnte. Vielleicht ist das unglückliche Schicksal der persönlich unschuldigen Menschen eine Warnung für die anderen, vielleicht ist es nicht ganz sinnlos, daß die Kinder unter den Sünden ih rer Eltern leiden. Abaelard scheint in seinem Kommentar sogar Augustins merkwürdige Konstruktion zu übernehmen, nach der die Erbsünde (für Abaelard lediglich die Strafe für die Sünde) auf die Nachkommenschaft durch die sexuelle Konkupiszenz überL5 Zum Beispiel pecc. mer. l ,ll,13; gr. et pecc. or. 2.30.35 - 31,36; c. Iul. 6.24,79; ibid. 3,21,46; c. Iul. imp. 2.42. L6 Simpl. 1.2. 16 - 17. S. dazu Kurt Flasch: Logik des Schreckens, 72 ff.; 84; 312 (. Diese Vorstellung
wird von Augustinus später mehrmals wiederholt bzw. weiter entwickelt in se iner Polem ik gegen die Pelagianer. vgl. z. B. ep. 194; c. Iul. imp. 4.125; 4.131. 11 Vgl. Constant J. Mews: The Lists, 109, der Satz No 9; auf der Liste des Thomas von Morigny der Satz No 8 (CCM 12. 478). 18 comm. Rom. 5.19 . Ähnlich auch scito 1,13; ibid. 1,38. Zu Abelards ErbsÜßdenlehre vgl. Jeffrey
Garrett Sikes: Peter Abailard, 200 - 202; Julius Grass: Abälards Umdeuhlng des Erbsündendogmas; Paul C. Kemeny: Peter Abelard. An Examinati01J of His Doctrine of Original Sin. 111 lib. arb. 3,19,53, 180 - 20.55.187; 3,22,64.218 - 220.
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geht, die zur Empfangnis notwendig ist'O (diese Vorstellung scheint jedoch Abaelard später relativiert zu haben)." Neben der Erbsündenkonstruktion verläßt Abaelard die späte Gnadenlehre Augustins noch in einem anderen Punkt, nämlich in seiner Auffassung des Zusammenwirkens von Gnade und Freiheit in der menschlichen Entscheidung. In seiner Antwort an Simplicianus und besonders später in seiner antipelagianischen Polemik kam Augustinus zum Schluß, daß wegen der notorischen Not des Menschengeschlechts, zu der auch die WWenversklavung gehöre, die ganz unverdient geschenkte Gnade den Taten des Menschen vorausgehen und jede menschliche Entscheidung, soweit sie als gut angesehen werden kann, motivieren müsse." Diese Gnade wird nach Augustinus jedoch, wie wir schon wissen, nur einigen Menschen gegeben, die zu diesem glücklichen Schicksal ohne jedes Verdienst vorherbestimmt wurden, während die anderen ihrem gerechten Untergang verfallen. Ist dann aber, so fragt Abaelard (vgl. comm. Rom. 9,21), nicht Gott selbst für den Untergang derjenigen verantwortUch, die er ihrem trüben Schicksal überläßt (dem sie nur dank seiner unverdienten Gnade entgehen können)? Falls der Mensch ohne die Gnade die angebotene Hilfe nicht annehmen kann (wenn sie auch allen angeboten wäre, was nach Augustinus nicht der Fall ist), ist er noch schuldig, wenn er sie nicht an nimmt? Wenn ein Arzt mit einem Medikament zum Kranken kommt, das der Patient ohne seine Hilfe nicht anzuwenden Hihig ist, kann dem Kranken noch vorgehalten werden, es nicht angewandt zu haben? Und was ist dan n das Medikament wert? Und was ist der Arzt dan n wert? Deswegen meint Abaelard (gegen Augustinus, jedoch oh ne mit ihm öffentlich zu polemisieren), es kö nne zu den einzelnen Taten des Menschen, soweit sie gut sein sollen, nicht jeweils eine neue Gnade notwendig sein. Die gleiche Gnade, so Abaelard, werde allen angeboten, die einzelnen Menschen nähmen sie jedoch unte rschiedlich an, und damit bringe dieselbe Gnade unterschiedliche Folgen, für die jedoch die Menschen selbst verantwortlich sind. Zu ihrer Annahme reicht dabei lediglich der Wille, d. h. der Glaube des Menschen (comm . Rom. 9,21). 20 Zum Beispiel pecc. mer. 1.9.9; 3.12,2 1; gr. et pecc. or. 2.37.42. comm. Rom. 5.19 (zur Erbsündenlehre vgl. den ganzen Passus ibid. 163 - 175). Die Vorstel-
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lung der sexuellen Konkupiszenz als des Mediums der Übe rtragung der Erbsünde scheint Abaelard in seiner Ethik korrigie rt zu haben. wo er in einem ungewöhnlich langen Passus die neutrale Natur der sexuellen Lust behandelt (vgl. scito 1.11-13). Diese überzeugung wurde zu einem Punkt Abaelards Anklage in Sens (vg!. Constant J. Mews: The Lists. 110, der Satz No 19; in der Liste des Thomas von Morigny wird der Satz etwas abgeändert. vg!. CCM 12, 480, der Satz No 13). Zu Abaelards )inkonsequentenoperaturc). jedoch so, daß dieser Wille aus dem Menschen selbst hervorgeht (>o riatun). vgl. c. lul. imp. 5.42.
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Obwohl Abaelard seine Soteriologie also auf Grund der >gratis geschenkten Liebe, Augustins entwickelt, lehnt er doch zugleich Augustins Vorstellung der >uno verdienten Gnade, ab, die den WilJen motivieren müßte und die zu jeder positiven Entscheidung notwendig wäre. Abaelard, der zuweilen des Pelagianismus verdäch· tigt wurde." ist überzeugt, daß die Liebe in aUen ihren Auswirkungen nicht eine unverdiente Gottesgabe sei (wie Augustinus in seinen späten Jahren meinte)," son· dem wirklich eine Tat des Menschen, zu der aUen Menschen die gleiche Möglichkeit gegeben wird. 5. Die Ethik der Absicht
Eine unterschiedliche Einschätzung der menschlichen Freiheit und ihrer Chancen ist auch in der Ethik der beiden Autoren sichtbar. Wahrend Augustinus seit seiner Jugend eine theologisch orientierte Ethik entwickelt - zu einem wirklich guten Leben reicht nach seiner überzeugung nicht der gute Wille allein, vielmehr sei zu ihm eine durch den Geist Gottes geschenkte Liebe notwendig (mor. 1,13,22 - 23) -, entwirft Abaclard eine Art philosophischer Selbstüberprüfung des menschlichen Geistes, die sich in die Tradition der antiken Selbsterkenntnis eingliedert. Wir wer· den sehen, daß Abaelard trotz der großen Unterschiedlichkeit des Gesamtkonzepts auch in seiner Ethik vieles Augustillus verdankt. Mit seiner Ethik Scito te ipsum, die er also unter das delphische Motto des >Er· kenne dich selbst, steUt, knüpft AbaeJard nicht nur an den Sokratischen Zugang zu den Fragen der Ethik an, sondern auch an die Tradition der Augustinischen Inner· lichkeit, die Gotteserkenntnis auf dem Weg der Selbstreflexion sucht. Abaelard gibt jedoch, wie wir sehen werden, diesem Programm einen neuen, rein moralischen Sinn." Wegen der UnabgeschJossenheit seiner Ethik haben wir leider nur Abaelards Abhandlung über das Böse völlig zur Verfügung, nicht die über das Gute. Nach Abaelards Vorstellung neigen (>pronos faciunt,) die Laster (d. h. die einge· borenen oder gewonnenen Habitus) den Willen (>voluntas,) zu einer unangemes· senen Handlung (>actio mala,). Diesem Willen als der Aktualisierung der habitueI· Bernhard von Clairvaux: ep. 190 (Ledercq· Rochais VIII. 36.22 f.; 37,16 f.); ep. 330 (LedercqRochais VIII, 268,8f.); ep. 33' (Leclercq·Rochais VIII, 270,5); ep. 332 (Leclercq·Rochais VIII, 272,5); ep. 336 (Leclercq·Rochais VIII, 276,2 f.); ep. 338 (Leclercq·Rochais VlIl, 278,13 f.). Vgl. auch die Anklage Abaelards in Sens. Constant J. Mews: The Lists. 109, der Satz No 6; auf der Liste des Thomas von Morigny (CCM u. 476, der Satz No 6). Zu dieser Auswertung der Theologie Abaelards neigt auch z. B. Thomas Williams: Si", Grace, and Redemption, 260 und 276. Dagegen jedoch z. B. }effrey Garrett Sikes: Peter Abailard. 202 - 204; Richard E. Weingart: The Logic ofDivine Love, 202 f.; Ralf Peppermüller: Exegetische Traditionen. 1 ~ Zum Beispiel spir. et litt. 305; 19.32; 25,42; 29.51; gr. et pecc. or. 1,14· 15 Zu Abaelards Anwendung der delphischen Aufforderung vgl. Gerard Verbeke: Elhique et conna;ssatlce de soi mez Abelard. 23
ZUR REZEPTION AUGUST I NS BEI ABAELARD
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len Anlage kann. aber muß nicht zugestimmt werden. wobei erst diese Zustimmung (.consensus<) für die Sünde (.peccatnm<) entscheidend ist. In Abaelards Terminologie ist damit ein Wille denkbar. dem nicht zugestimmt wird; zugleich ist aber auch - und das ist ein wenig überraschend - eine Zustimmung denkbar. die nicht auf einem Willen gründet. jedoch nichtsdestoweniger eine Sünde ist (Scito 1.1- 4). Als ein Beispiel der letztgenannten Lage nennt Abaelard einen Diener. der seinen Herrn tötet. um sein eigenes Leben zu retten. Er handelt nicht auf Grund des eigenen Willens (sein Wille zielt lediglich darauf. das eigene Leben zu retten. nicht dasjenige des Herrn zu vernichten). sondern unwillig und von der Not der Situation gedrungen (.nolens et coactus<). Trotzdem handelt der Diener. so Abaelard. auf Grund der eigenen Zustimmung (wenn auch nicht zu seinem eigenen Willen). Er stimmt nämlich der Tötung zu. obwohl er zugleich weiß. daß er kein Recht hat. seinen Herrn zu töten. und begeht deswegen eine Sünde (Scito 1.5; vgl./ib.arb.I,9f.) . Diese durch die Ums tände herbeigeführte Zustimmung ist weiterhin von derjenigen zu unterscheiden. die von der eigenen Schwachheit verursacht wird. Als Beispiel nennt Abaelard einen Menschen. der entgegen seinem Vorsatz. treu zu bleiben. auf Grund der .Schwachheit des Körpers< Ehebruch begeht (d. h. der Durchführung dieser Tat zustimmt) - was etwas anderes sei. als Möglichkeiten zum Ehebruch gezielt zu suchen und ihn dann zu begehen. Vom Willen ist damit das Begehren (.concupiscentia<) zu unterscheiden. das nicht nur gegen den eigenen Willen die Zustimmung erzwingt (wie der Druck der Umstände es tun kann). son dern das den Willen selbst .dazu bringt zu wollen. was er nie wollen wü rde<. d. h. das den Willen von innen her spaltet. Für die Beurteilung der Tat bleibt aber auch hier die Zustimmung entscheidend." Die grundlegende Bedeutung. die Abaelard der Zustimmung zuschreibt. zieht jedoch noch eine weitere wichtige Folge nach sich: Die Zustimmung zu einer unangemessenen Tat ist selbst eine Sünde. ihre Durchführung kann nichts weiter hinzufügen (wie sie auch ihr Scheitern nicht leichter macht). und ähnlich mindert die äußere Unmöglichkeit der Durchführung einer guten Absicht keineswegs deren inneren Wert (Scito 1.9; 1.31- 32). Ebenso wenig kann ein Gefallen oder eine Abneigung. die während der Handiung empfunden werden. ihren Wert ändern. Entscheidend ist. so Abaelard. allein die Zustimmung selbst. nicht aber der Wille. der ihr vorausgeht. nicht die Tat. die auf der Zustimmung gründet. noch weniger ein Gefühl. das die Tat begleitet (Scito 1.n). In Abaelards Augen ist daher nur die Absicht (.intentio<) sittlich relevant. die für die äußerlich gleiche Tat sehr unterschiedlich sein kann (derjenige. der aus Gerechtigkeit handelt. tötet mit einer anderen Absicht als derjenige. der sich vom Haß führen läßt). Die äußeren Taten selbst sind indifferent (Scito 1.17; 1.30). 16
Scito
1, 10.
Zu diesem Passus vgl. William E. Mann: Ethics. 286.
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Die Ethik Abaelards beschreibt damit nicht die gesellschaftlichen Aspekte der üblen Absicht und der bösen Tat, sondern versucht zu zeigen, wie die Handlungen in den Augen Gottes beurteilt werden, die auch die unsichtbaren Absichten, nicht nur die sichtbaren Taten und ihre Folgen sehen (Seito 1,25 - 26; 1,29). Diese (nicht gerade bescheidene) Ambition unseres Autors erklärt seine etwas einseitige Hervorhebung der inneren .Absicht des Geistes
J. Mews: The Lists, 10 9 f., der Satz. No 10 und 11
ZUR REZEPTION AUGUSTINS BE I ABAELARD
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der menschlichen Handlung nicht die Tat selbst, sondern ihre durch den Willen bestimmte Absicht (.propter quid<, .finis<) entscheidend ist (c. lul. 4,21f.). Wenn jemand durch sich selbst, ohne Hilfe der göttlichen Gnade, eine inhaltlich gute Tat vollbrächte, dann wäre diese, so Augustinus, in Gottes Augen dennoch ganz wertlos, weil sie nicht durch die Liebe motiviert ist, die ausschließlich Gott selbst schenken kann (vgl. e. lul. 4,33). Wie wir sehen, kam die durch Augustinus in das abendländische Denken eingeführte Willensanalyse bei Abaelard zu einem spezifischen Ausdruck, der sich von der Absicht Augustins aber teilweise unterscheidet. Wo Augustinus seinen gnadentheologischen Ausführungen folgt, beschränkt sich Abaelard auf ihre rein ethische Anwendung, in der die Gnadenlehre als der ursprüngliche Kontext beiseite gelassen wird. Auf allen erwähnten Gebieten (in der Trinitätslehre, der Soteriologie, der Gnadenlehre und der Ethik) haben wir beobachtet, daß Abaelard sein Denken nach den von Augustinus entworfenen Grundlinien entwickelt, obwohl er in allen genannten Fällen auf Augustins Fragen seine eigenen Antworten gibt. D ie Freiheit, die er im Umgang mit dem Augustinischen Erbe zeigt, verrät eine tiefgehende Aneignung nicht nur der traditionell gewordenen Lehren, die er manchmal auf eine riskante Weise neu interpretiert, sondern auch der fragen den und immer weitersuchenden Einstellung, die Augustinus zu r Formulierung dieser Lehren geführt hatte und die Augustinus (in seinen Retraetationes) auch auf seine eigenen Einsichten anzuwenden bereit war. So kann Abaelard als guter Schüler Augustins schreiben (Sie et non. Prolog): »Dubitando ad inquisitionem venimus, inquirendo veritatem percipimus.«28
•
U
Vgl. dazu Beryl Smalley: Prima Clavis Sapientiae; A ugustine and Abelard.
»In arca quaedam ad Christum, quaedam ad ecclesiam referuntur« (c. Faust. 12,39) Zur Rezeption von Augustins Arche-Exegese bei Hugo von SI. Viktor
(1097-1141), Petrus Johannis Olivi (1247/48-1296/98) und Aegidius Romanus (1245-1316)
von Andreas E.I. Grate
1.
Einleitung
Die Deutung der Arche Noah-Episode aus dem Buch Genesis 6 - 9 hat in der Forschung mit Blick auf patristische Autoren vielfach Aufmerksamkeit gefunden,' und auch zu Autoren der Neuzeit existieren hinsichtlich dieser Thematik einige Studien.' Dagegen ist der Umgang von Autoren des Mittelalters mit diesem Stoff kaum untersucht worden. Der vorliegende Beitrag will daher Texte von drei Verfassern eben jener Epoche, die sich mit diesem Thema - unter gleichzeitiger Berücksichtigung von Augustins Exegese - beschäftigt haben, näher beleuchten. Die Untersuchung der Rezeption von Augustins Deutung der Arcbe-Noah-Episode soU ihren Ausgang nehmen bei Hugo von SI. Viktor, den schon Zeitgenossen als >alter AugustinusAugustiner-Schule< zu gelangen. Der begrenzte Umfang dieser Studie läßt aUerdings nur einige Schlaglichter auf diese Texte zu. Zunächst ist jedoch ein kurzer, keine Vollständigkeit beanspruchender überblick über das Verständnis der Arche Noah-Erzählung in der Patristik vor Augustinus zu geben. Danach soll Augustins eigener Umgang mit dieser Thematik fokussiert werden.
Die Sintflut-Erzählung aus dem Buch Genesis mit dem Protagonisten Noah und seiner Arche ist bereits in der jüdischen Exegese Gegenstand einer ausführlichen
Vgl. z. B. Hendrik S. Benjamins: Noah, the Ark, and the Flood; Hartmut Bohlitz: Die Allegorese der Arche Noahs; Christfried Böttrich: Die Baumaße der Arche; Norman eohn: Noah's Flood, 13 - 37; Ma rti ne Dulaey: Le Oe arca Noe de Gregoire d'Elvire; Bertrand Harn: L'interpretation de l'arche de Noe; Hugo Ra hner: Anterlna crueis VII; F. Schmidtke: Arche. Für DarstelJungen dieses Themas in der antiken christlichen Kunst vgl. v.a. Henri Leclercq: Arche. 2 Zum Beispiel Jirn Bennett/Scotl Mandelbrote: The Garden, lire Ark, lire Tower, the TempLe; No rrnan Cohn: Noah's F1ood, 47-133I
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Beschäftigung.' Auf der einen Seite wird versucht, Verständnisschwierigkeiten oder Widersprüche (z. B. die 100jährige Bauzeit oder die Frage nach der Größe der Arche angesichts der vielen Tiere und des für sie benötigten Futters) zu erklären sowie nicht geschilderte Details zu ergänzen. Andererseits beginnt schon in dieser Zeit die allegorische Deutung der Episode. Bekanntester Vertreter für beide Interpretationsmuster - die Erklärung nach dem Literal- wie nach dem symbolischen Sinn - , jedoch mit Schwerpunkt auf der Allegorese, ist der Gelehrte Philo von Alexandrien, vor allem mit seinem Werk Quaestiones et solution es in Genesin .4 Auch das noch junge Christentum beginnt bereits in seinen Anfangen, sich mit Noah und der Arche auseinanderzusetzen. So wird schon im Neuen Testament' die Flut mit den Konzepten von Gericht und Taufe verbunden' Ohne grundsätzlich die Historizität des biblischen Berichtes anzuzweifeln, werden die im Alten Testament geschilderten Ereignisse jedoch typologisch gedeutet, d. h., alles wird im Licht der christlichen Offenbarung gesehen: Die prophetischen Vorausdeutungen des Alten erfüllen sich im Neuen Testament, im Alten liegt das Neue Testament bereits verborgen und erst im Neuen wird die Bedeutung des Alten Testamen tes klar.' Daher ist es nicht weiter verwunderlich, daß auch die Kirchenväter gerade die allegorische Interpretation bevorzugen.' Insbesondere gilt ihnen Noah als Typus für Christus. So sieht Justin in der Noah-Episode das gesamte Mysterium der Errettung durch Christus präfiguriert: Das Holz der Arche entspricht dem Kreuz Christi, die acht geretteten Personen stehen für die Auferstehung Christi am Tag nach Sabbat, also am 8. Tag, und die die gesamte Erde bedeckende Flut weist auf die Botschaft Gottes hin, die allen Menschen, nicht nur den Juden, gilt.' Der Arche selbst nähern sich die Kirchenväter von zwei Seiten, wobei besonders Origenes für die Exegese im 3. und 4. Jahrhundert" wichtig ist: Gegen den Vorwurf des Gnostikers Apelles, daß die Arche mit ihren überlieferten Maßen (300 Ellen Narman eahn: Noah's Flood, 32-37: Jack P. Lewis: A Study ofthe Interpretation ofNoah and the Flood, 10 - 100.121-155 . • F Schmidtke: Arche, 598 f.; lack P. Lewis: A Study of the Interpretation of Noah and the Flood, 42 -74; zu Philos allegorischer Deutung jü ngst Bertrand Harn: L'interpretation de l'arche 3
de No<. s Mt 24,37 - 39; Lk 17,26 f,; Hebr 11,7: I Petr 3,20 f.; 2 Petr 2,5: 3,6. 6 Norman Cohn: Noah 's Flood, 23 - 25. 1 Norman Cohn: Noah's Flood, 23. Zur Archensymbolik bei den Ki rchenvätern ausführlich Hugo Rahner: Antenna cruds Vll; vgJ. auch F. Schm idtke: Arche, 600; Jean Danielou: Sacramentum Futuri, 69 - 94 und Jack P. Lewis: A Study of the Interpretation 0/ Noah and the Flood, 101-120.156 -180; hinsichtlich spe· zieH der Deutung des architektonischen Gebildes der Arche vgl. Hartmut Boblitz: Die Allegorese der Arche Noahs. 9 Justinus: Dialogus cum Tryphone 138; vgL Jack P. Lewis: A Study 0/ the Interpretation of Noah and the Flood, 1I2-114; Norman Cohn: Noah's Flood, 26. 10 Hendrik S. Benjamins: Noah, the Ark, and the Flood, 149. 8
ZUR REZEPTION VON AUGUSTINS ARCHE-EXEGESE
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lang. 50 Ellen breit und 30 Ellen hoch) kaum groß genug für vier Elefanten gewesen sei, verweist jener darauf. daß Moses als Verfasser des Pentateuchs aufgrund seiner ägyptischen Erziehung die geometrische Elle gemeint habe. die sechsmal so groß wie die übliche sei" - hier findet sich eine Erklärung nach dem Literalsinn. 12 Dem steht das Verständnis der Arche als Präfiguration der Kirche gegenüber." indem Grigenes z. B. die unterschiedlichen Räumlichkeiten bzw. Decks. die den Tieren auf der Arche zugewiesen sind. als Symbole für die unterschiedlichen Stufen des geistlichen Fortschritts der Mitglieder der Kirche versteht" - dieser Ansatz basiert auf dem allegorischen Sinn. Aus der Deutung der in der Sintflut Sicherheit und Überleben garantierenden Arche als Kirche in den Wogen der Zeit leiten in der Folge andere Kirchenväter wiederum ab. daß es außerhalb der Kirche kein Heil gebe. weil ja alles Leben. das nicht in der Arche war, vernichtet wurde." Andererseits gilt die Flut nicht nur als zerstörend. sondern auch als Typus für den rettenden Ri tus der Taufe: Wie die aus den Fluten auftauchende Welt gereinigt ist. so ist auch der auftauchende Konvertit durch das Taufwasser von der Sünde gereinigt." Auch das Motiv vom Raben und der Taube wird typologisch-allegorisch interpretiert: So steht der Rabe für alles Sündhafte oder Gottlose und die Taube z. B. für den Heiligen Geist bzw. verweist ihre Rückkehr mit dem Ölzweig auf das ewige Leben." Johannes Chrysostomus hingegen will die Tugendhaftigkeit Noahs zeigen. den er seinen Zuhörern als Beispiel einwandfreien Lebenswandels inmitten der Übel seiner Zeit präsentiert. L8 Neben den mehr oder weniger vollständigen Auslegungen des Buches Genesis als ganzes werden speziell der Arche Noah-Thematik komplette Schriften gewidmet: In Spanien legt Gregor von Elvira eine vorwiegend anagogische Deutung der Arche vor. d. h. er sieht in der Sintflut einen Vorverweis auf das Jüngste Gericht samt Auferstehung. indem er z. B. die Kammern der Arche als Wohnungen versteht. die den Heiligen im Himmelreich bereitet sind." Ambrosius von Mailand hingegen deutet in seinem Werk De Noe die Arche als .imago hominis<. wobei er besonders hinsichtlich der Allegorese ihrer Baumaße weitgehend Philo folgt. 20 Origenes: Homilia 2 in Genesim 2. 11 Hartmut Boblitz: Die Allegorese der Arche Noahs. 161 f. Il Hartmut Bohlitz: Die Allegorese der Arche Noahs.163- 166. 14 Origenes: Homilia 2 in Genesim 3 f. L' Cyprianus: De catholicae ecclesiae unitate 6; Hieronymus: Epistu lae 15,2: 22.38; 123. 11 ; Johannes Chrysostomus: In Lazarum 6,7; vgl. Gregorius IlIiherritanus: De arca Noe. L6 Zum Beispiel Amhrosius: De mysteriis 3,lOf.; vgl. Norman Cohn: Noah's Flood, 30f. L7 Norman Cohn: Noah's Flood.31. 11 Johannes Chrysostomus: Homifiae 21 - 29 ;'1 Genesim. L9 Hartmut Bohlitz: Die Allegorese der Arche Noahs. 169; insgesamt zu diesem Werk jüngst Martine Dulaey: Le Oe arca Noe de Grigo;re d'Elvire. d lQ Hartmut Bohlitz: Die Allegorese der Arche Noahs. 166 f.; Christfried Böttrich: Die Baumaße tI
er Arche,
101 n. 39.
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2.
ANDREAS E. J. GROTE
Augustinus
Augustinus verwendet das Wort )arca< gut 400mal in seinem CEuvre,21 wovon die
weitaus meisten Belege das Gefahrt bezeichnen, mit dem Noah, seine engste Familie sowie die Tiere aus der Sintflut gerettet wurden. Erstaunlicherweise beschäftigt sich Augustinus mit der Arche Noah-Episode nicht in seinen drei ausdrücklichen Kommentaren zum Buch Genesis, die alle vor dem Sintflutgeschehen enden, vielmehr finden sich seine Deutungen über das gesamte Werk verstreut." Allerdings gibt es zwei Passagen, in denen er sich sehr ausführlich mit der Arche-Thematik befaßt und die folglich auch im Zentrum dieses Teils der Untersuchung stehen sollen: Contra Faustum 12,14-24 und De civitate dei 15,24-27. In der zwischen 400 und 404 in Form einer Disputatio verfaßten antimanichäischen Schrift Contra Faustum" verteidigt Augustinus das Alte Testament und legt dessen Einheit mit dem Neue" Testament dar. 1m 12. Buch dieses Werkes geht es darum, gegen Faustus aufzuzeigen, daß bereits die Propheten das Kommen Jesu angekündigt haben. Augustinus argumentiert dabei nicht nur mit Stellen aus dem Neuen Testament, sondern er deutet ausführlich - bei Adam beginnend - etliche Personen des Alten Testaments typologisch auf Christus hin;" das gesamte Buch Genesis ist für ihn eine Prophezeiung auf Christus und die Kirche hin" Zu de n überze ugendsten Beispielen dafür rechnet er Noah: »quod Noe cum suis per aquam et lignum liberatur: sicut familia Christi per baptismum crueis passione signaturn. (c. Faust. 12,14). Um dies zu beweisen und es seinem Kontrahenten geradezu einzuhämmern, läßt Augustinus nun über sieben Paragraphen hinweg (ebd. 12,14-20) gleichsam ein Trommelfeuer von über 20 Argumenten auf Faustus niederprassein, eingeleitet jeweils mit einem faktischen >quod, (meist kombiniert mit einem parallelen, das >quod, aufgreifende >sicut,) , was deren rhetorische Wirkung noch verstärkt." Dabei deutet er viele einzelne Elemente der Arche-Episode, insbesondere Zahlenangaben, allegorisch." Diese Argumente seien in der Folge genannt:
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Vgl. das Corpus Auguslinianum Gissense (CAG) 2. Laut CAG 2 (Wortstatistik) fin det sich das Wort )arcac signifikant überproportional in
Contra Faustum, De cathecizandis rudibus. De baptismo. De civitate dei. Locutiones. Quaestiones, In Iohannis evangelium tractatus CXX1V und Sermones Da/beau. u Vgl. Fran~ois Oecret: Faustum Manicheum (Contra-). dort auch weitere Literatur. 14 Vgl. Cornelius Mayer: Figura(e). v.a. 6-8; siehe auch Oers.: Allegoria. 15 c. Faust. J2,8: Itom nia. quae illic intelleguntur, enuc1eate minutatimque tractanda Christum. et ecclesiam praeloquuntuI«. Vgi. z. B. Emilien Lamirande: Ecclesiaefigurae. 724f. 16 Zum Beispiel c. Faust. 12,15: »quod et m unda et inmunda ibi sunt animalia: sicut in ecdesiae sacrarnentis et boni et mali versantur.« 11 Zum Beispiel c. Faust. \2.16: Itquod inferiora arcae bicamerata et tricamerata construuntur: sicut ex omnibus gentibus vel bipertitam multitudinem congregat ecclesia propter circumcisionern et praeputium, vel tripertitam propter tres filios Noe. quorum progenie repletus est orbis.«
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(1) Noah wurde mit seiner Familie durch das Wasser und das Holz gerettet, wie die Taufe und das Leiden Christi am Holz des Kreuzes die Familie Christi retteten; (2) die Arche wurde aus quadratischen Balken gezimmert, wie später die Kirche aus Heiligen, die stets zu jedem guten Werk bereit waren, errichtet wurde, denn der quadratische Querschnitt garantiert besondere Stabilität bzw. Standhaftigkeit; (J) da die Größenverhältnisse der Arche - 300 Ellen lang, 50 Ellen breit, 30 Ellen hoch, also sechsmallänger als breit und zehnmallänger als hoch - denen des menschlichen Körpers entsprechen, wird mit ihnen auf Christus in der Gestalt eines Menschen verwiesen; (4) die Breite von 50 Ellen symbolisiert die Aussendung des Heiligen Geistes am 50. Tag nach der Auferstehung Christi, wodurch die Herzen der Gläubigen geweitet wurden; (5) die Zahl 300 bei der Archelänge setzt sich aus sechsmaI 50 zusammen, was die sechs Weltzeitalter bedeutet, in deren ersten fünf die Propheten Christus ankündigten, der dann im sechsten durch das Evangelium verkündet wurde; (6) die Höhe von 30 Ellen bedeutet, daß Christus, unsere Höhe, im Alter von 30 Jahren das Evangelium verkündete, um das Gesetz zu erfüllen - das Herz des Gesetzes aber sind die zehn Gebote, weshalb die Länge der Arche zehn mal dreißig beträgt und Noah als der zehnte Urvater ab Abraham gezählt wird; (7) das Pech, das die Balken der Arche nach innen wie nach außen abdichtet und der stärkste Leim ist, bezeichnet die glühende Liebe, durch welche die Einheit der kirchlichen Gemeinschaft in brüderlicher Verbundenheit und das Band des Friedens weder von außen noch von innen gelöst werden; (8) daß auf der Arche alle Tiergattungen vertreten sind, symbolisiert die Gesamtheit der Völker, aus denen die Kirche besteht; (9) daß es sich dabei um reine wie auch unreine Tiere handelt, verweist darauf, daß gute wie schlechte Menschen an den Sakramenten der Kirche teilhaben; (10) daß nur jeweils zwei Tiere von unreiner Art mitfahren, ist nicht so zu verstehen, daß die schlechten Menschen in der Minderheit seien, sondern bezeichnet die Leichtigkeit von Schismen und Abspaltungen, während die jeweils sieben reinen Tiere als die sieben Werke des Heiligen Geistes zu verstehen sind (Weisheit, Einsicht, Rat, Tapferkeit, Wissen, Frömmigkeit, Gottesfurcht), zumal die Ankunft des Heiligen Geistes nach sieben mal sieben plus einem Tag geschah; (u) auf der Arche befanden sich acht Menschen (einschließlich Noah), und diese Zahl steht flir die Auferstehung Christi am Tag nach dem Sabbat, also dem 8. Tag; (12) vertikal laufen die Seitenwände der Arche bis auf eine Elle oben zusammen, was auf die Kirche verweist, deren Einheit im Körper Christi besteht; (13) der seitliche Zugang zur Arche bedeutet, daß keiner Zutritt zur Kirche erhält, ohne zuvor das Sakrament der Vergebung der Sünden empfangen zu haben, welches aus der geöffneten Seite Christi strömt; (14) die Gliederung der unteren Decks in zwei bzw. drei Teile ist als die Vielfalt der Völker zu verstehen, aus denen die Kirche besteht, d. h. aus Beschnittenen und Unbeschnittenen, bzw. als die Nachkommen der drei Söhne Noahs; (15) der Beginn der Flut am siebten Tag, nachdem Noah die Arche betreten hatte, ist ein
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Hinweis auf die zukünftige Ruhe des siebten Tages, auf die wir getauft sind; (16) das Wasser, das alles Fleisch auf der Erde außerhalb der Arche vernichtete, symbolisiert die durch das Wasser der Taufe gestiftete Gemeinschaft der Kirche, und es ist dasselbe Wasser, das nicht nur Verderben, sondern auch Heil bewirkt; (17) der 40 Tage und Nächte anhaltende Regen steht dafür, daß das Sakrament der Taufe die in allen vier Himmelsrichtungen bei Tag oder Nacht begangenen Ve rstöße gegen die Zehn Gebote abwäscht; (18) Noahs Alter von 600 Ja hren sowie die 100jährige Bauzeit der Arche bedeuten das jetzige 6. Zeitalter, in dem durch die Verkündigung des Evangeliums die Kirche errichtet wurde, und auch der zweite Monat im 600. Jahr, in dem Noah die Arche betrat, also nach insgesamt 600 Jahren und 60 Tagen, verweist - neben weiteren Vielfachen von sechs - auf das 6. Zeitalter; (19) der Hinweis auf den 27. Tag des Monats zeigt die Bedeutung nicht nur des Quadrats, sondern auch des Kubus, da sich 27 aus 3 x 3 x 3 zusammensetzt, was auf verschiedene Dreiheiten (Trinität!) im Zusammenhang mit Gott zu de uten ist; (20) der siebte Monat, in dem die Arche auf Grund lief, d. h. zur Ruhe kam, ist ein weiterer Hinweis auf die Ruhe des siebten Tages, aber auch auf die Ruh e am Ende der Zeiten, wofür ebenfalls die 15 Ellen, die die Arche über den höchsten überfluteten Gipfeln schwamm, stehen, nämlich als Summe von sieben und acht: Die letztere Zahl ist darüber hinaus ein Symbol der Auferstehung, so wie auch die Zahl '50, die als Summe von 70 und 80 die Zahl der Tage angibt, an denen die Flut stand, auf die Höhe der Taufe verweist, in welcher der neue Mensch zum Glauben an Ruhe und Auferstehung geführt wird; (21) der nach vierzig Tagen ausgesandte und nicht wieder zurückgekeh rte Rabe - sei es daß er ertrank oder von Kadavern angelockt wurde - bezeichnet Menschen, die - wegen der Unreinheit ihrer Begierde verabscheut oder zu sehr von äußeren Dingen dieser Welt verleitet - von solchen wiedergetauft oder verführt bzw. fehlgele itet wurden, die außerhalb der Arche, d. h. der Kirche, stehen und deren Taufe tötet; (22) die mangels eines Ruheplatzes zurückgekehrte Taube zeigt, daß du rch das Neue Testament den Heiligen in dieser Welt keine Ruhe versprochen wurde, und der fruchttragende, von ihr herbeigeschaffte Olivenzweig ist ein Zeichen dafür, daß manche, auch wenn sie außerhalb der Kirche getauft sind, unter der Voraussetzung, daß es ihnen nicht an Liebe fehlt, gleichsam noch am Abend in die Einheit der Gemeinschaft gelangen können; (23) daß schließlich die Taube nach wei teren sieben Tagen nicht erneut zurückkehrte, symbolisiert das Ende der Zeit, wenn für die Heiligen die ersehnte Ruhe eingekehrt sein wird. In Contra Faustum 12,21 beendet Augustinus seine Beweiskette, jedoch nicht ohne zu bemerken, daß es noch weitere Argumente gebe, die aber nicht im Rahmen einer kurzen, listenartigen Aufzählung vorgelegt werden könnten. Später, in Contra Faustum 12,39, kommt er nochmals auf die Notwendigkeit der allegorischen Deutung des Alten Testamentes zu sprechen. da sonst etliches albern und unanständig erscheine. Den Versuch, dieses Problem zu beheben, habe schon Philo unternom-
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men, der jedoch trotz seiner Gelehrsamkeit letztlich gescheitert sei, weil er als Jude das Alte Testament nicht auf Christus hin gedeutet habe. Dies untermauert Augustinus zum einen damit, daß Philo zwar sehr treffend und detailliert auf die übereinstimmung der Maße der Arche mit den Proportionen des Menschen aufmerksam gemacht, jedoch niebt darauf hingewiesen habe, daß der Erlöser eben in einem menschlichen Körper erschienen sei. Zum anderen verweist Augustinus auf eine seiner Meinung nach völlig mißglückte Allegorese Philos für die seitliche Tur der Arche: Gemäß dessen Interpretation stehe diese Öffnung für die Ausscheidungsorgane des Menschen. Hätte Philo sich bei seinem Deutungsversuch an Christus orientiert, so wäre ihm klar geworden, daß es sich bei der Tür um ein Symbol für die offene Seite Christi handelt, aus dem die Sakramente der Kiche fließen. Da also die gesamte Arche für Christus steht, so faßt Augustinus schließlich zusammen, beziehen sich einige Elemente der Arebe-Episode auf Christus, andere auf die Kirche, denn beide gehören zusammen: .propterea et in arca quaedam ibi ad Christum, quaedam vero ad ecclesiam referuntur, quod totum Christus est« (e. Faust. 12,39). Hinsichtlich der Exegese der Arche auf die Kirebe hin formuliert er in einem seiner Traktate zum Johannes-Evange1ium: »arca figurabat ecclesiarn« (Io. ev. Ir. 6,2) bzw. »arca enim ecclesia est« (ebd. 6,19). Ganz allgemein gelte: Der Unterschied, ob die Deutungen sämtlicher >Figuren, in den Büchern der Heiligen Schrift zutreffen oder fehlgehen - Augustinus sagt sogar: »verdreht sind« (>detorquere,) - , liege genau in der vorgenommenen oder unterlassenen Interpretation auf Christus hin." Im 15. Buch von De civitate dei beschäftigt sich Augustinus im Rahmen der biblischen Geschichte mit der ersten >aetas, - der >infantia, der Menschheit (vgl. ebd. 16,43) -, d. h. der Zeit von der Ersebaffung der Welt bis zu Noah." Die letzten beiden Paragraphen (ebd. '5,26 f.) sind somit der Deutung der Arche-Episode gewidmet. Dabei macht er am Anfang des 27. Paragraphen deutlich, daß die in der Bibel berichteten Geschehnisse sowohl als historisch anzusehen sind, als auch in der Vorausdeutung auf die Kirche eine symbolische Bedeutung besitzen." Die methodische Voraussetzung und der Rahmen, in dem sich die Allegorese zu bewegen habe, sei jedoch die übereinstimmung mit dem katholischen Glauben. 'l U c. Faust. 12,39: »sie et in eeteris interpretationibus figurarum per universum textum divinae scripturae Iieet considerare et eonparare sensus eorum, qui Christum ibi intellegunt, et eorum, qui praeter Christum ad ali a quaelibet ea detorquere conantur. « " Vgl. Ger.cd}. P. O'D.ly: Civitate dei (De·), 991- 995. 10 civ. 15,27: "non tarnen qUisquam putare debet aut frustra haec esse eonscripta, aut ta ntummodo rerum gestarum veritatem si ne ullis allegoricis sign ifieation ibus hie esse quaerendam, aut e eontrario haec omnino gesta non esse, sed solas esse ve rborum figuras, aut quidqu id ilIud est nequaquarn ad prophetiam ecdesiae pertinere«. lL civ. 15,26: ,.hoc eHarn de ceteris, quae hic exponenda sun l, dixerim, quia. ets i non uno disseruntur modo, ad unarn tarnen catholicae fidei concordiarn revocanda sunt •.
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Gleich zu Beginn seiner Ausführungen stellt Augustinus fest, daß die Arche ein Symbol für die hier auf Erden pilgernde ,civitas dei<, d. h. die Kirche ist, um sogleich fortzufahren, daß die Kirche durch das Kreuz gerettet wird, an dem der Mittler zwischen Gott und den Menschen, Jesus Christus, hing. Daß die Arche zugleich eine Vordeutung auf Christus ist, belegt Augustinus erneut mit der Identifikation ihrer Größenverhältnisse mit den Proportionen des Menschen sowie ihrer Tür mit der geöffneten Seite Christi, aus der die Saluamente der Kirche herausfließen, durch die aber auch die Gläubigen zu Christus gelangen. Nach der Deutung der Vierkanthölzer der Arche als die standhaften Heiligen der Kirche bricht Augustinus die allegorische Deutung des Fahrzeugs ab und verweist explizit auf seine umfangreicheren Ausführungen in der Schrift Contra Paustum. Außerdem stellt er klar, daß es für ein biblisches Motiv durchaus mehrere allegorische Deutungsmöglichkeiten geben könne, und spielt dabei auf die verschiedenen Schriftsinne an - z. B. müssen die drei Decks nicht für die von den drei Söhnen Noahs abstammenden Völker stehen, sondern können gemäß Paulus auch Glaube, Hoffnung und Liebe bedeuten oder die drei unterschiedlichen Fruchtbarkeiten (dreißig-, sechzig- , hundertfach) oder die sich daraus im übertragenen Sinne ergebenden Stände der ehelichen Keuschhei t, der Witwenschaft und der Jungfräulichkeit. Jede Interpretation müsse sich jedoch auf den Gottesstaat beziehen, wolle sie nicht den vom Verfasser intendierten Sinn verfehlen. Im letzten Paragraphen von De civitate dei 15 setzt sich Augustinus schließlich mit dem Verständnis der Hl. Schrift nach dem Literalsinn und dem allegorischen Sinn auseinander - beide sind für ihn untrennbar. So seien offensichtliche Merkwürdigkeiten der Arche-Episode wie z. B. die Frage, warum von den reinen Tieren je sieben und von den unreinen nur je zwei mitgenommen werden sollten oder warum überhaupt die Arche nötig gewesen sei, da Gott nach der Flut die Tiere erneut hätte erschaffen können, nur mittels allegorischer Deutung verständlich zu machen. Daraus dürfe man aber andererseits nicht folgern, die in der Bibel geschilderten Ereignisse seien nur symbolisch gemeint, denn die meisten Details dieser Geschichte ließen sich durchaus plausibel als tatsächliche Begebenheiten erklären. Augustinus betont zu diesem Zweck, daß die im Buch Genesis angegebenen Maße der Arche zum Transport so vieler Tiere und ihrer Verpflegung ausreichend waren, wenn man bedenkt, daß die Arche über drei Decks verfügte, und - hier verweist er ausdrücklich auf Origenes - annimmt, daß Moses als in Ägypten ausgebildeteter Verfasser des Pentateuch die dort verwendete geometrische Elle gemeint habe, die sechsmal so groß wie die sonst bekannte sei. Weitere Fragen, die das Thema ,An zahl der mitgenommenen Tiere< betreffen, wie etwa die nach der Stabilität einer solchen Schiffskonstruktion, nach den Arten und der Menge von Kleintieren und Insekten, nach der Aufnahme von sich (vermeintlich) nicht geschlechtlich fortpflanzenden Tieren oder nach der Art des mitgenommenen Futters - besonders
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für fleischfressende Tiere - lassen sich nach Augustinus auch ohne symbolische Deutung erklären. Die Augustinische Interpretation der Arche-Episode geht also zunächst von ihrer Historizität aus. Zugleich besitzen diese Ereignisse jedoch auch weitere Bedeutungsinhalte, die auf das Neue Testament vorausweisen. Bei Augustinus, der offensichtlich in besonderem Maße Origenes rezipiert, ohne ihm jedoch in allen Details zu folgen, bündeln sich etliche der oben für die Kirchenväter insgesamt skizzierten Interpretationsstränge: »Augustine's explanation is a fine example of the main slream of early Christian interpretation«." Seine Überlegungen finden sich schließlich komprimiert bei Isidor von Sevilla." Die Besonderheit der Augustinischen Deutung liegt jedoch in der - gegenüber früheren Vatern - wesentlich konsequenteren und auch im Detail durch gehaltenen Fokussierung der Allegorese auf Christus und rue Kirche hin.
3. Hugo von Sankt Viktor Im folgenden soll nun exemplarisch gezeigt werden, wie die dargelegte Augustinisehe Exegese der Arche-Episode im Mittelalter rezipiert oder auch modifiziert wurde. Zunächst sei daher Hugo von SI. Viktor aus der ersten Hälfte des 12. Jahr· hunderts in den Blick genommen - der ,zweite Augustinus<." Bei ihm ist vorab zu bemerken, daß Hugo den Vätern eine besonders große Bedeutung beim ißt, da er ihnen einen eigenen Ort im Korpus der heiligen Schriften zubilligt, quasi als dritten Teil des Neuen Testamentes" Im Mittelpunkt der Überlegungen zu Hugos Arche-Interpretation sollen die folgenden beiden Werke stehen: De arca Noe morali (so der Titel in PL), von Sicard jüngst unter dem Titel De archa Noe pro archa sapientie cum archa ece/esie et archa matris gratiae ediert (CCM '76), und De arca Noe mystica (so der Titel in PL) bzw. n Hendrik S. Benjamins: Noah, the Ark, and tlle Flood, 137 n. 9. lJ Hartrnut Boblitz: Die Allegorese der Arche Noahs . 169. J.l Belege in den Veterum aliquot scriptorum de Hugone Victorino testimonia in der Einleitung zu dessen Opera omnia in PL 175. CLXllI - CLXVIlI; vgL Dominique Poirel: ,Alter Augustinus - Der zweite Augustinusl, besonders 664 n. 66, und Grover A. Zinn: De gradiblls ascensionum, 62. }5
Didasca[icon 4,2: »O mnis divina scriptura in duobus Testamentis continetur, in Veteri
scHicet et Novo. Utrumque Testamentum tribus ordinibus disti ngu itu r. Vetus Tes tamenturn continet legern, prophetas, hagiographos, Novum autem euangelium, apostolos, Patres [ ... ]. In tertio ordine (sc. Novi Testamenti) primum locum habent DecretaJia, quos canODes, id est regulares appellamus, deinde sanctorum Patrum et doctorum EccJesiae scripta: Hieronymi , Au· gustini, Gregorii, Ambrosii,lsidori, ürigenis, Bedae, et aljorum multorum orthodoxorum((; vgl. ~Om~nique Poirel: )Alter Augustiflus - Der zweite Augustinu$(, 649 f. und Roger Baron: Hugues e Samt· Victor, 919. Zu den Vatern bei Hugo allgemein vgl. Ludwig au: Huga von SI. Viktar, zu Augustinus besonders ebd. 182 f.186.294 - 301.
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bei Sicard Libellus de formatione aree (ebd.)." Eine ungefahre Datierung zumindest der letzteren Schrift ermöglicht der dortige Päpstekatalog, welcher mit Honorius 11. endet (c. 2), dessen Pontifikat in die Zeit 1124 -1130 fallt. In diesem Zeitraum dürften also der Libellus und - wegen dessen enger Verbindung zur Areha - auch dieses Werk entstanden sein. Für den Zweck dieser Studie ist es unerheblich, in welcher zeitlichen Relation diese Schriften zueinander und zu einem möglicherweise zumindest in St. Viktor angefertigten graphischen Kunstwerk mit einer allegorischen Deutung der Arche stehen bzw. ob dieses Gemälde anhand des Libellus geschaffen oder aber der Libellus nachträglich zu dessen Beschreibung oder gar zur Wiedergabe an einem andere n Ort verfaßt wurde." Gleichfalls braucht hier nicht der Frage nachgegangen zu werden, ob der Libellus von Hugo selbst verfaßt und später von ihm überarbeitet wurde oder ob er eine mehrfach bearbeitete Mitschrift eines seiner Zuhörer darstellt;" denn auch die Gegner ein er direkten Auto rschaft Hugos räumen ein, daß der Viktoriner zumindest Autor im moralischen Sinne ist. 39
Mit dem vier Bücher umfassenden Werk De area Noe morali will Hugo die ArcheEpisode der Bibel auf vier verschiedene Weisen erläutern, was auch der Titel der Neuedition De areha Noe pro areha sapientie cum areha eee/esie et areha matris gratiae bereits andeutet. Das erste Buch beginnt mit einem Prolog, der die Abhandlung motiviert - eine an Augustins berühmten Confessiones-An fang angelehnte Feststellung der durch die ständige Sehnsucht des Menschen nach Gott veru rsachten Unruhe des Herzens," der es auf den Grund zu gehen und dann Abhilfe zu schaffen gilt. Dabei fingiert Hugo eine nach Augustins De divinatione daemonum 1 gestaltete Situation und präsentiert das Werk als seine Antwort auf die von den Mitbrüdern aufgeworfenen Fragen." Den Grund für diese Ruhelosigkeit sieht Hugo in der durch den Sündenfall Adams verlorenen Fähigkeit des Menschen zur Kontemplatio n, mittels derer die Anwesenheit Gottes vergegenwärtigt werden konnte; statt dessen liebt der Mensch nun die Welt (>amor mundi<). Außer diesen beiden Werken thematisiert Hugo Noahs Arche noch in De vanitate mund; sowie in der Sententia »Quod amor sit vita cordis\( (PL 177, 563D - 565A). Hier werden jedoch über weite Strecken lediglich Gedanken der beiden oben genannten Schriften wiederholt; vgl. Aelred Squire: !ntroduction, 11.24 f. 37 Die heiden entgegengesetzten Positionen werden vertreten von Patrice Sicard: Hugues de Saint- Vietor et son Eeole und Conrad Rudolph: »First, I Find the Center Point\( , 38 Auch hier divergieren die Ansichten von Patrice Sicard: Hugues de Saint-Vietor et son Eeole und Conrad Rudolph: »First. I Find the Center Point«. J9 Conrad Rudolph: »First.! Firld the Cerlter Point«, 83 . .0 Archa 1,1: »de humani potissimum cordis instabiütate et inquietudine ammirari om nes simul et suspirare inciperemus«. 41 Emma dei Basso: II De arca Noe morali di Ugo di S. Vittore, 234: »Questo trattato, dunque, e un'espressione Iiricamente vibrante di un colloquio che non e solo col1oquio di uomini, ma med itato e sofferto dialogo dell'uomo co n Dio«. l6
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Abhilfe schafft nur >amor dei<. Um Gott jedoch lieben zu können> ist es nötig> ihn kennenzu lernen, was wiederum nur durch die Kenntnis seiner Aufenthaltsorte
(>domus dei <) gelingt: die Welt, die katholische Kirche, die Seele des Gläubigen dort wohnt Gott jeweils auf unterschiedliche Weise (Archa 1,2). Über die doppelte Interpretation der Vision aus fes 6,1- 3 von Gott/Christus und den Seraphinen gelangt Hugo zum Thema >Arche<: Der Körper Gottes steht fiir die Kirche, deren Haupt Christus ist und die seit dem Beginn der Welt bis zum Ende der Zeiten besteht." Sie wird von Gott ebenso durch die Stürme und Fluten der Zeiten bis in den Hafen der ewigen Ruhe geleitet, wie er einst die Arche lenkte. Wer demzufolge gerettet werden wül, muß diese Arche besteigen und diese Arche in sich bauen." Nachdem Hugo hie r bereits mehrere Bedeutungsebenen der Arche genannt hat, zählt er nun programmatisch insgesamt vier Bereiche auf," nach denen die Arche in der Folge interpretiert werden soU (Archa 1,3): »Prima (sc. arca) est quam fecit Noe securibus et dolabris ex materia lignorum et bitumine. Secunda est quarn fecit Christus per predicatores suos ex coUectione populorum in una fidei confessione. Tertia est quam cotidie sapientia edificat in cordibus nostris ex iugi legis Dei meditatione. Quarta est quam mater gratia operatur in nobis ex confederatione multarum virtuturn in una caritate. Prima est in re, secunda in fide, tertia in cognitione. quarta in virtute. Primam vocemus archam Noe, secundam archam Ecclesie, tertiam archarn sapientie. quartam archam matris gratie.«
Von den hier aufgezählten vier Schriftsinnen" will sich Hugo in diesem Werk hauptsächlich dem dritten Sinn, d. h. der Arche der Weisheit widmen. Daher handelt er zuvor die Deutung der Arche nach dem Literalsinn sowie nach dem allegorischen Sinn noch im ersten Buch ab.
Hugos Betrachtung nach dem Literalsinn (Archa 1,4) konzentriert sich auf die Form und Größe der Arche, weil hier besonders die Wahrheit des Genesis- Berichtes überprüft werden könne. Dabei ist - wie bereits fiir Augustinus - auch fiir den Viktoriner Origenes eine Autorität, jedoch nicht in jeder Hinsicht." So hält er z. B. die von Origenes beschriebene Form der Arche bei voller Beladung für nicht schWimmfahig." Andererseits stimmt er dessen Deutung der geometrischen EUe,
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41 Archa 1.3: Ithec archa Ecclesiam significat. Ecclesia autem corpus Christi est. 4t '' 1 Archa 1.3: It Si ergo salvari cupimus. oportet nos intrare hanc archam et 1... 1hanc archarn
nobis debernus facere. ut possimus intra nos in ea habitare.tI 'i1 Archa 1.3: _[ . . . 1non de una (sc. archa) tantum. sed de quatuor loquendum nobis [ ... 1.« 4S Vgl . den berühmten mittelalterlichen Merkve.rs: »Iittera gesta docet. quid credas aJlegoria. moralis quid agas. quo tendas anagogia«; immer noch grundlegend zu dieser Thematik ist Henri de Lubac: Exegese Medievale . 46 Archa 1.4: »Cui sententie plura refragari videntur. « ' 1 Zu Hugos Ablehnung der von Origenes begründeten Tradition hinsichtlich der Form der Arche und zu seiner eigenen. eher subti l vorgebrachte n Konzeption vgl. Grover A. Zinn: Hugh °ISt. Victor and the Ark 0/ Noalr. In
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die Moses in Ägypten kennen gelernt habe, als zugrundeliegendem Maß für ein entsprechendes Fassungsvermögen der Arche zu. Die allegorische Arche-Deutung besteht für Hugo in der Bezugnahme auf die Kirche (>archa ecclesiae<) sowie in der typologischen Interpretation von Noah als dem Steuermann der Arche auf)esus Christus hin (Archa 1,5). Hugo sieht besonders Länge, Breite und Höhe der Arche sowie deren Relationen untereinander als hilfreich für das Verständnis an. So bezeichnet ihre Länge von 300 Ellen die gegenwärtige Zeit, die sich über die drei Epochen zu je 100 Jahren, nämlich die Epoche des Naturgesetzes, die des geschriebenen Gesetzes und die Zeit der Gnade, erstreckt," durch welche die heilige Kirche seit de m Anfang der Welt bis zu ihrem Ende existiert. Sie wird unterteilt in 6 >aetates<," was bereits Augustinus gelehrt hatte." Die Breite von 50 Ellen bezeichnet alle Gläubigen, die unter dem Haupt Christi versammelt sind, denn die Zahl 50 setzt sich aus 7 x 7 (= Zahl aller Gläubigen) + 1 (= Christus) zusammen. Die Höhe von 30 Ellen bezeichnet die 30 Bücher der HI. Schrift, d. h. 22 aus dem Alten Testament und 8 aus dem Neuen Testament, worin die Summe
aller Taten Gottes für die Kirche enthalten ist. Die drei Stockwerke bezeichnen die drei Stände der Gläubigen der Kirche: (1) diejenigen, welche die Welt gebrauchen, (2) diejenigen, welche der Welt fliehen und (3) diejenigen, welche die Welt vergesssen haben und Gott nahe sind. Daß die Arche unten breit ist und sich nach oben bis auf eine Elle verjüngt, heißt: In der Kirche befinden sich mehr Personen, die ein fleischliches Leben führen, als solche mit einem geistlichen Leben, wie auch sonst die Vollkommeneren proportional weniger sind; Christus ist dabei die Spitze der Arche wie der Kirche. Besonders deutlich werden die Parallelen zu Augustinus bei Hugos Deutung de r hundertjährigen Bauzeit der Arche: Diese bezeichnet dasselbe wie die 100 Ellen der Epoche der Gnade, d. h. die Zeit, seit der der Kirche durch das Opfer des Lammes die Erlösung zuteil wurde" Denn diese Arche wurde in dem Moment gebaut, als aus der Seite des am Kreuz hängenden Christus Blut und Wasser, also die Sakramente der Kirche herausflossen." Ebenso erscheint bei Hugo die Augustinische Interpretation der Größenrelationen der Arche als Allegorie des menschlichen Körpers, womit wiederum Christus gemeint ist. 5J Viele weitere Beispiele für Zah Archa 1,5: »tempore naturalis legis, tempore scripte legis, tempore gratie.« Archa 1,5: »[ ... } sex etates sunt in tribus temporibus secu]j«; vgl. Libellus 2. so Vgl. auch Bernhard KöttinglWilhelm Geerlings: Aetas. S I Archa 1,5: »Nam centum anni significant tempus gratie, quia sancta Ecclesia, que ab init io
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mundi cepit, in tempore gratie per immolationem Agni immaculati redemptionem accepi t. ~( S2 VgL Augustinus c. Faust. 12,16; en. Ps. 40,15 - 20; 56.27 - 29; 103,4,24- 30; 126,7 -15; 127,1- 25· S} Archa 1.5: »Quod vero hec archa sexies longa est ad latitudinem suam et decies ad altitudlnem suam, human i corpor is instar ostend it in quo Chr istus apparuit. nam et ipsa corpus eius est. Corpo ris enim longitudo a vertiee usque ad vestigium sexics tantum habet quam latitudo, que est ab lIno late re l1sque ad aherum latus, et decies tantum quam et altitudo.«
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lenallegoresen, in denen Hugo Augustinus folgt, finden sich zum Thema der )archa ecclesiae<.
Die Bücher 2-4 widmet Hugo der )archa sapientie<, in denen es nicht mehr um äußere Dinge, sondern um die Erkenntnis ()cogitatio<) geht (Archa 2,1), insbesondere um die Frage, wie man über insgesamt 15 Stufen dorthin gelangen kann (Archa 3,2 -16) . Deutliche Einzelbezugnahmen auf Augustinus sind hier seltener (etwas mehr in Buch 4, meist aus den Enarratiolles in Psalmos) , stattdessen rekurriert Hugo hier öfter auf die Moralia in lob Gregors des Großen. Allerdings atmet das program matische Kapitel gleich zu Beginn das große Augustinische Thema der Verinnerlichung," das er explizit im 4. Buch nennt" Die zweite für diese Untersuchung zu betrachtende Schrift, De archa Noe mystica bzw. Libellus de formatione arche," stellt eine Beschreibung oder Anleitung für ein Gemälde dar, das gleichfalls eine Interpretation der Arche liefern soll. Sie liefert die Konstruktion eines universalen Weltmodells mit detaillierten Zeichenanweisungen und erklärenden Inschriften, insgesamt eine symbolische und geschichtstheologische Interpretation." Ausgehend von einem zentralen Viereck, um das Rechtecke konstruiert sind und in dessen Mitte sich eine Säule erhebt, zeigt sich die farbig gestaltete Arche in einer Draufsicht. Jedem graphischen (Teil -)Element weist Hugo eine Bedeutung zu: z. B. die IGrche im Laufe ihrer Geschichte vor und nach Christus, d. h. von Adam über die Patriarchen und Apostel bis zu den Päpsten hin, die Epochen der Heilsgesch ichte, die zwölf Stufen des Aufstiegs zur Tugend,53 den Kosmos mit den Tierkreiszeichen bis zu der ihn umfassenden Majestät Gottes. Auch hier geht es also letztlich um die allegorische Deutung der Arche als Bild für die Kirche." Das Werk bringt gleichsam einen Leitfaden durch die Heilsgeschichte mit der Inkarnation als deren GipfeipunktOO - es ist »an elaborate visual summary of the entire history of salvation [ ... J from the beginning until the end of Vgl. Emma dei Basso: 11 De arca Noe morali di Ugo di S. Vittore.227. Archa 4.8: Ubi vero est cogitatio. ibi est in terioris hominis habitatio.« 56 Mitunter lautet der Titel auch Depinctio arche oder De pictura arche. was noch deutlicher auf den Charakter der Schrift hinweist. Sie wird in einem Teil der Handschriften zusammen mit De arca Noe morali unter dem gemeinsamen Titel Tractatus magistri Hugonis de archa überliefert; vgl. Joachim Ehlers: Arca significat ecclesiam, 178 n. 28. 57 Joachim Ehlers: Arca significat ecc[esiam. 171.176. SI Libellus 4 - 6; gegliedert in vier Gruppen zu je 3 Stufen: Au fsti eg aus der ~superbial mittels .timon, >dolorl und >amorl; Aufstieg aus der >concupiscentia camis( mittels 'patientia(. >misericordial und >compunctiol; Aufstieg aus der >ignorantial mittels ~cognitiol , > medjtatio~ und 'Contemplatiol; Aufstieg aus dem >spiritus fervor( als Aufstieg zur Vollkommenheit mittels 'temperantia<. >prudentia< und ,fortitudo<; vgl. z. B. Grover A. Zinn: De gradibus ascensionum, 6} f. " Libellus 2: »Si enim archa Ecdesiam significat, restat ut longitudo arche longitudinem fig uret Ecdesie. Longitudo autem Ecdesie consideratur in diuturnitate tempo ru m [... I . ~ 60 Dominiquc Poirel: ,After Augustirms - Der zweite Augustinus<, 645 f. 54
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time. [ ... ] fuHy integrated with it is a complex schema of individual salvation that is also related to the salvation ofhumankind as a whole«.61 Hugos Interpretation der Arche-Episode bewegt sich also zunächst im Rahmen der traditionellen Exegese: Die Arche wird als Figur der Kirche mit Christus an der Spitze gedeutet, außerhalb derer es kein Heil gibt. Für diese ekklesiologische und christologische Exegese spielt ohne Zweifel Augustinus eine herausragende Rolle. Jedoch geht Hugo noch weiter: Die Arche Hugos, die sich der Leser in seinem Verstand errichten und darin wie in einer geistigen Wohnung leben solle, symboliSiert nicht einfach eine abstrakte, statische und hierarchisch geprägte Kirche, sondern eher eine »dynamic, historical conception or the Christian community in transit between the creation and consummation of all things«." Die umfangreichen Zahlenspekulationen dienen zugleich einer Periodisierung der Geschichte. Dagegen besitzt die Flut keinerlei positiven Aspekt mehr - wie noch zuweilen bei den V,tern, die sie z. B. als Allegorie der Taufe deuteten -, sondern sie steht für Chaos, Zerstörung und innere Unruhe." Unverkennbar ist bei Hugo allerdings die Augustinische Tendenz der Verinnerlichung in Verbindung mit einer scharfen Trenn ung von materieller und spiritueller Welt, Vergänglichkeit und Ewigkeit; die Arche bietet ihm als )OPuS restaurationis< und durch kontemplativen Aufstieg einen Ruhepunkt in aller Veränderlichkeit der Welt."
4. Petrus Johannis Olivi
Etwa 150 Jahre nach Hugo, in der 2 . Hälfte des 13. Jahrhunderts, lebte der mehrfach als Häretiker verurteilte und zwischendurch wieder rehabilitierte südfranzösische Franziskaner-Sprirituale Petrus Johannis Olivi (1247/48 -1298)." Olivi vertrat nich t nur ein strenges Armutsideal, sondern war auch in einigen seiner theologischen Vorstellungen umstritten (so in der teilweise stark an Joachim von Fiore orientierten Geschichtstheologie). Dennoch konnte er etliche Jahre in Florenz am Franziskaner Studium Generale Santa Croce lehren, wo ihn möglicherweise Dante hörte." Conrad Rudolph: »First, I Find the Center Point«, 3. 62 Grover A. Zinn: De gradibus ascensionum, 65. 63 Grover A. Zinn: De gradibus ascensionum, 65 f. 64 Grover A. Zinn: De gradibus ascensionum, 66 f. Ausführlich wird dort 70 -78 der im Libellus geschilderte Aufstieg durch Kontemplation samt weiteren Parallelen zu Augustinus be61
handelt. 6S ZU OHvi vgl. v.a. Robert Pasnau: Peter John Oliy;; Pierre Peano: Olieu (Oliv;; Pierre }ean); Werner Packull: Olivi, Petms Johannis; Ludwig Hödll Edith Päsztor: P. Joharmis Olivi; Fra nz Ehrle: Petrus Johannis Oliv; und Peter Nick1: Einleitung zu Petrus Johannis Olivi, jeweils mit weiterer LiteratuI. 66 Vgl. Peter Nidel: Einleitung zu Petrus Johannis Olivi, 10.
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Zu den exegetischen Werken Olivis gehört auch ein Genesis- Kommentar mit dem Titel Postilla super/in librum Geneseos bzw. Lectura super Genesim 61 Die schwierige Überlieferungssituation" wird noch dadurch verkompliziert. daß von dieser Schrift offenbar mehrere Fassungen existieren. von denen sich eine seit dem '7. Jh. in der Gesamtausgabe der Werke des Thomas von Aquin befindet - wenn auch schon bald als apokryph erkannt und dann Olivi zugewiesen -. während eine andere bis vor kurzem nur in Handschriften vorlag." Allerdings weichen die bekannten Texte nur unwesentlich voneinander ab. 70 Bei seinen überwiegend Vers für Vers oder gar Wort für Wort vorgenommenen Erläuterungen zum Buch Genesis rekurriert Olivi namentlich - oft unter Nennung von Werk und Kapitel - auf Autoritäten. besonders häufig auf Hieronymus. jedoch noch mehr auf Augustinus. Diese Kommentierungen gelten zunächst einem Schriftverständnis .ad litterarn<. wie z. B. betreffend das 6. Genesis-Kapitel hinsichtlich der Erklärungen zur Kapazität der Arche anhand der These von der geometrischen Elle. bei welcher er der durch Augustinus vermittelten Ansicht des Origenes folgt." Im Verlauf der Erörterungen zum 8. Kapitel geht Olivi jedoch über den Literalsinn hinaus. So begründet er mit Hinweis auf den 2. Petrusbrief 5.5 - 9. daß die Flut als Strafgericht Gottes auf das Jüngste Gericht vorverweist. auf den ,. Petrusbrief3.20 f.. daß sie auf die Taufe vorverweist;" die Arche selbst jedoch ist ein Verweis auf das Kreuz. 7J Unter den möglichen Gründen. warum Gott Noah mittels einer Arche retten wollte. nennt Olivi als fünften und letzten Grund. daß Gott so am besten die Vielgestaltigkeit der vorausweisenden Wunder gelingen konnte." Denn die Arche
Diese beiden Titelvarianten verzeichnet die Regensburger lnfothek der Scholastik ALCUIN (www-cgi.uni-regensburg.de/Fakultaeten/Philosophie/I nfotek!). 68 Die Postilla in librum Geneseos ist unter der Nummer 14S XGN im Index Thornisticus im 7· Band der Thomas-Ausgabe von Busa ediert. Daneben findet sich im Internet unter www.cor pusthomisticum.org der auf der Busa-Ausgabe basierende Text zwar unter (fast) demsel ben Titel (Postilla in librQi [?) Geneseos), jedoch als ,ignoti auctoris< geken nzeichnet. 69 Vg!. Sylvain Piron: Note sur le commentaire sur la Genese (zu Ms. BNF lat. 15559) und schon früher Arno Borst: Der Turmbau von Babel, 821 (zu Ms. BibI. Vat. eod. Otto.lat 694; vg!. auch Franz Ehrle: Petrus Joha nnis Oliv;, 48 1 f.). Piron neigt der Ansicht zu, daß es sich bei dem unter den Werken des Thomas überlieferten Text um einen zwar unleugbar sehr eng an Olivi angelehnten, jedoch nicht wirklich authentischen Text von ihm handelt. 70 Endgültigen Aufschluß könnte die jüngst (2007) publizierte Edition von Flood bringen, die jedoch für den Verfasser nicht gre ifbar wa r. 71 Olivi: Gen. 6 (soo, Z. 380 - 385): »quaerit augustinus 15 de civitate dei, cap. 27, quomodo tarn parva arca potuerit corltinere omnium anima/ium gerrera? et respondet quod ilIi cubiti erant geometrici. et imponit istam opinionem origen i; et dicit, quod istud non ineleganter astruxit.« 72 Olivi: Gen. 8 (S. 502, Z. 123-156). 7J OJivi: Gen. 8 (S. S02, Z. 154 f.); »quasi noe in eruds area« . 7~ Olivi: Gen. 8 (S. S02, Z. 262 f.): »mulliformitas mysteriorum hic optime praesignatorum«. 67
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bezeichnet nach dem moralischen Sinn (,moraliter<) den heiligen Verstand (,mens saneta<). weil sie aus quadratischen Balken besteht, welche Beständigkeit in den Tugenden >perfecta continentia seu moderantiac, >perfecta prudentia< und >tacita sapientia< symbolisieren." Nach dem allegorischen Sinn (,allegoria<) verweist die Arche jedoch vierfach voraus: auf die Kirche, auf die ,religio sacra< (spezifiziert als ,religio evangeHca<), auf die Hl. Schrift und auf >doctorum praedicatio et doctrina saJutuera<,76 Darüber hinaus steht die Arche auch für Maria, die Christus in seiner körperlichen Gestalt trug.n Daran fügt Olivi ein fast wörtliches Zitat Augustins zur christologische Deutung der Arche in De civitate dei 15,26 anhand des Kreuzes und des Menschseins Christi an: Die Größenverhältnisse der Arche entsprechen dene n des menschlichen Körpers." Breite, Höhe und Länge der Arche setzt Olivi dabei in unterschiedliche Beziehung zu ,caritas<, >remissio<, >gratia< oder zur Erfüllung des Dekalogs im Ternar Glaube, Liebe, Hoffnung." Gleichfalls unter Berufung auf Augustinus bedeutet für ihn die seitliche Öffnung der Arche die Seitenwunde Christi, durch welche die Gläubigen zu ihm gelangen und aus der die heilbringenden Sakramente fließen. Olivi schließt Deutungen zu den in der Bibel genannten Zeiträumen der Flut an, immer wieder verbunden mit Verweisen auf die Situation der >ecclesia<, die schließlich, trotz aller Bedrängnisse der Fluten, zum Gipfel der Kontemplation und Vollkommenheit, ja zu ihrem Platz im Himmel gelangen wird." Augustinus ist für Olivi in seinem Genesis-Kommentar der wichtigste Bezugspunkt der Arche-Exegese. Dies betrifft nicht nur die Erläuterungen nach dem Literalsinn, sondern in noch wesentlich stärkerem Maße nach der allegorischen Auslegung. Wenn Olivi Augustins ekklesiologischer und christologischer Exegese folgt, schreibt er diese jedoch nicht ab, sondern ergänzt sie durch eigene Überlegungen, die durchaus die auch aus anderen Werken Olivis bekannte apokalyptische oder amtskirchenkritische Tendenz erkennen lassen." Dies kann jedoch im vorgegebenen Rahmen dieser Untersuchung nicht im einzelnen gezeigt werden. Olivi: Gen. 8 (S. 502. Z. 263 - 272). " Olivi: Gen. 8 (S. 502, Z. 279 - 296). " Olivi: Gen. 8 (S. 502. Z. 297 f.): )J Vel etiam est virgo beata. in qua Christus corporaliter mansit.« n Olivi: Gen. 8 (S. 502. Z. 305-310): )Jnotandum tamen. quod secundum augustinum. 15 de civitate dei cap. 26. talis proportio mensurae datur arcae. qualls est in corpore humano [ ... J.« 79 Olivi: Ge". 8 (S. 502. Z. 311- 320). 80 Zum Beispiel Olivi: Gen. 8 (502. Z. 359 - 363): _Ecclesia autem tarn primitiva quam finalis per pressuram diluvii adscendjt ad contemplationis et evangelicae perfectionis apicem el tandem ad caelestem sedem .• 1 1 Auch für dieses Werk gilt dje FeststeIJung von Arno Borst: Der Turmbau von Babel. 821. daß sich Olivi im Spannungsfeld zwischen Augustin. den Viktorinern . Joach im von Fiore und Bonaventura bewege. 7$
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5. Aegidius Romanus Der Augustiner-Eremit Ägidius von Rom (ca. 1245 -1316)," e.in Zeitgenosse Olivis," gehörte zu den bedeutendsten Schülern des Thomas von Aquin in Paris und bekleidete dort als Vertreter einer aristotelisch-thomistischen, aber auch stark neuplatonisch-augustinisch geprägten Lehre seit 1285 einen Lehrstuhl. Ab 1292 leitete er als Generalprior seinen Orden, bis er 1295 Erzbischof von Bourges wurde und als solcher in der Auseinandersetzung zwischen Philipp dem Schönen und Bonifatius VIII. für die Oberhoheit des Papstes auch in weltlichen Dingen eintrat." Er gilt als Begründer der sogenannten .Augustinerschule., nachdem seine Lehre 1287 beim Generalkapitel von Florenz zur Ordensdoktrin erklärt worden war." Unter den exegetischen Werken des Ägidius findet sich auch die speziell der Arche Noah gewidmete kurze Abhandlung Tractatus de arca Noe, in der der Augustiner das christologische Thema der zwei Naturen in einer Person (>una in duabus naturis persona.) bebandelt. Ägidius' Intention besteht darin aufzuzeigen, daß (I) bereits in der Arche Noah-Episode auf diese zweifache Natur Christi vorverwiesen wird und daß (2) die daraus resultierende Erlösung der Gläubigen sowohl im literalen (.ad veritatem.) wie auch (3) im figuralen Sinne (.. d opinionem.) in der Arche-Thematik präfiguriert ist." Ein gewichtiges Argument für die zweifacbe, also die göttliche und die menschliche Natur Christi, gewinnt Ägidius aus den auf der Arcbe befindlichen Lebewesen. Sie lassen sich in >volatiles<, die für die >quasi caelestis natura< Christi, d. h. seine >divinitas<, stehen, und in >gressibiles<, die wiederum für seine >quasi terrestris natura., also seine .humanitas., stehen, einteilen (Arca 19 I D). Mit einer Fülle antithetischer Qualitäten, die jeweils weiter paarweise untergliedert werden (u. a. >ratio sensualitas., .animalia feroda - animalia mitia.), unterstreicht er seine Behauptung, daß »omnis igitur alietas naturarum animalium existentium in arca, referri potest ad alietatem naturae in Christo« (Arca 19 II A). Vgl. David Gulierrez: Gitles de Rome. 81 Nach dessen Tod war Ägidius als Gutachter auf dem Konzil von Vienne 1311hl wohl maßgeblich an der Verurteilung von vier dem Olivi ohne Namensnennu ng zugeschriebenen Irrtümern beteiligt; vgl. Josef Koch: Das Gu.tachten des Aegidius Romanus. M Sein Traktat De ecclesiastica potestate diente als Vorlage fur die Bulle Unam sanetam, mit welcher der päpstliche Unive rsalismus begründet werden sollte; vgl. David Gutierrez, GilIes de Rome, 386 sowie Eckard Homann: Totum posse, quod esl in ecclesia. reservatur in summo pontiliee und Elmar Krüger: Der Traktat . De eec/esiastica polestale« des Aegidius Rommms. IU Vgl. Adolar ZumkeUer: Die Augustinerschule des Mitte/alters, 174 -176 und Kaspar Elm: Mendikanten und Humarlisten im Florenz des Tre- und Quattrocento, 62 f. 86 Arca 19 I C: »primum quidem, quomodo sit duplex natura in Christo. et quomodo hoc fuit figuratum in arca Noe; secundum videndum est, quomodo in arca Noe per duas naturas fuit facta sanctoru m redemptio quo ad veritatem; tertium, quomodo hoc fuit quo ad opinionem, siue quo ad figuram .• 82
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Daß die Erlösung der Gläubigen durch eile zwei Naturen Christi schon auf der Arche präfiguriert wird, belegt Ägidius gemäß dem Literalsinn damit," daß (1) die durch das Wasserfahrzeug Geretteten sowohl männlichen wie auch weiblichen Geschlechtes waren (Arca 19 II B: »per duas naturas, id est per naturam masculinam et femininam«), (2) deren Nachkommenschaft männlich und weiblich war, (3) Christus selbst von ellesem abstammte und (4) eile Tiere der Arche den Gläubigen beiderlei Geschlechtes nach der Flut als Nahrung dienten" Im figuralen Sinn wurde die Arche gemäß der Exegese des Ägiellus zum Heil der Gerechten insgesamt." Dazu rekurriert er expressis verbis auf das 15. Buch von Augustins De civitate dei (Arca 19 III C - IV Cl. Die vier Qualitäten Größe, Form, Einteilung und Material der Arche dienen hierbei als Tertium comparationis. Zunächst weisen auch für Ägiellus die Größenverhältnisse der Arche auf die Proportionen des menschlichen Körpers und damit auf Christus hin, der in menschlicher Gestalt erscheint, um eile Gläubigen zu erlösen. Sodann zeigt die sich von unten nach oben verjüngende Form der Arche auf die Kirche voraus, in der eile Erlösung der Gläubigen geschieht; denn auch diese ist unten breit, d. h. umfaßt dort viele eher >tierische Menschen~ (>bestiales homines<), während sie nach oben hin immer we-
niger, jedoch vernunftgeleitete Menschen (.rationales [sc. homines]<) besitzt, bis an der Spitze Christus als einziger Fehlerloser steht. Die Einteilung der Arche in Decks mit zwei bzw. drei Räumen ist entweder als Hinweis auf die aus bekehrten Juden und Griechen/Heiden bestehende Kirche zu verstehen oder als ein solcher auf die drei Söhne Noahs, von denen die gesamte Menschheit nach der Flut abstammt. Auch bei Ägidius fehlt überdies nicht der Bezug der seitlichen Öffnung der Arche auf die geöffnete Seite Christi - wieder unter Verweis auf Augustinus -, aus der die Sakramente der Kirche flossen, die zugleich ihren Beginn darstellen. Schließlich präfiguriert das Baumaterial der Arche, d. h. eile Holzbalken und der Bitumen, die Heiligen: Ihre Standhaftigkeit zeigt sich anhand der quadratischen und somit auf jeder Seite gleich starken Form der Balken, während der Bitumen auf die Liebe als das festigende Band der Heiligen und Gläubigen verweist. Standhaftigkeit und Liebe aber sind Teil der Erlösung. In ellesem Kontext sei ergänzt, daß sich die Deutung der Arche als Kirche auch in der am 18.11.1302 von Papst Bonifatius VIII. erlassenen Bulle Unam sanctam 87 Arca 19 IJ B: »[ ... J in arca Noe per duas naturas fuit sanctorum redemptio facta quo ad veritatem: quod potest quadrupliciter declarari. Primo quantum ad ipsas personas quae fuerun t in arca Noei sec undo quantum ad illos qui descenderunt ab illisi tertio quantum ad Christum qui assumpsit camem ex earum stirpe; quarto quantum ad alia quae fuerunt in arca.« 88 Arca 19 111 A: »materialiter saItem deservierunt illa animalia ad formationem corporum existentium de numero electorum. qui sunt sa]vati et redempti.« 89 Arca 19 IU B: »cum enim in arca facta sit salus iustorum. qu ia Noe et plures alU iust i sunt saluati l ... j in arca Noe facta fui t salus multorum, s ive redemptio sanctorum, qui secundum duplicem naturam habent esse in arca. 4C
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gegen Philipp den Schönen findet, als deren geistiger Vater Aegidius Romanus anzusehen ist." In ihr wird in extremer Weise die Oberordnung der geistlichen über die weltliche Gewalt einschließlich ihrer höchsten Repräsentanten formuliert. Die diesen Anspruch stützende Argumentation nimmt ihren Ausgang von der Exegese der Arche als )ecclesia<, ~extra quam nec salus est, nec remissio peccatorum«, weil
ja nur diejenigen, die an Bord der Arche waren, die Flut überlebten. Aegidius Romanus deutet also gleichfalls die Arche Noah- Episode sowohl christologisch als auch ekklesiologisch. Auch für ihn präfiguriert die Arche das Erlösungswerk Christi und der Kirche. Daß er dabei auf Augustinus als Autorität zurückgreift, ist angesichts der Tradition nicht mehr überraschend - schon gar nicht angesichts der Tatsache, daß er Generalprior der Augustiner-Eremiten war.
6. Zusammenfassung
Zunächst ist festzuhalten, daß sowohl Augustinus als auch die drei hier näher betrachteten Rezipienten Hugo von St. Viktor, Petrus Johannis Olivi und Ägidius von Rom die Historizität der Arche Noah-Erzählung im Buch Genesis als selbstverständlich voraussetzen, jedoch durchaus nach Erklärungen fü r n icht unmittelbar verständliche Elemente suchen. Darüber hinaus bietet ihnen diese Thematik einen weiten Spielraum für allegorische Interpretationen, wobei die Deutungen Augustins im wesentlichen von den genannten mittelalterlichen Theologen rezipiert werden. Die herausragenden gemeinsamen Merkmale sind dabei die beiden von Augustinus besonders akzentuierten Interpretationen der Arche sowohl auf Christus als auch auf die Kirche hin. Diese christologischen und ekklesiologischen Deutungsstränge setzen sich bei den Autoren des Mittelalters häufig sogar in Detailübereinstimmungen fort, beispielsweise bei der Exegese des Baumaterials der Arche, den vielf:iltigen Deutungen ihrer Proportionen, bei architektonischen Einzelheiten wie der seitliche Öffnung oder den verschiedenen Decks und bei ihrem Steuermann Noah. Als einheitliche Quelle hierfür dient allen dreien der von Augustinus in Contra Paustum 12,14 - 20 bereitgestellte Katalog von Argumenten (mitunter modifiziert gemäß civ. 19,26 f.). Doch die Rezipienten bleiben bei der Augustinischen Exegese nicht stehen, sondern variieren oder erweitern die Argumente, indem sie diese jeweils an ihre eigene
Intention adaptieren. Daß dies eine legitinte Methode ist, hatte ihnen bereits der Kirchenvater selbst in De civitate dei 15,26 vorgeführt, als er gestattete, das biblische 'kI Vgl. dazu jüngst Agostino Paravicini Bagliani: Egidio RomcHlo. I'arca di Noe e la tiara di BOnifacio VIII sowie Elmar Krüger: Der Traktat "De ecclesiaslica poleslaIe« des Aegidius Roma-
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Motiv der drei Söhne Noahs auf vier unterschiedliche, offensichtlich den vier Schriftsinnen entsprechende Weisen auszulegen , und dafür sogleich selbst Beispiele präsentierte. Hugo von St. Viktor setzt in der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts bei seiner zum Teil mystisch geprägten Arche-Exegese zwei Schwerpunkte: Zum einen zielt er auf Verinnerlichung, indem er dazu auffordert, die Arche mit Hilfe der Erkenntnis in sich selbst zu bauen und geistig in ihr zu wohnen (.archa mystica,), zum anderen bedient er sich der Arche, um die Geschichte der Kirche als Heilsgeschichte in Raum und Zeit zu erklären. Die Interpretation des Petrus Johannis Olivi in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts bleibt - nicht zuletzt aufgrund der literarischen Gattung eines Kommentars - deutlich enger am Bibeltext; sie greift jedoch auch auf die ganze Bandbreite der Augustinischen Exegese zurück, wobei Olivi den Kirchenvater häufig, unter exakter Angabe von Werk und Kapitel, wörtlich zitiert. Sein Zeitgenosse Aegidius Romanus schließlich, zugleich hoher Repräsentant der Amtskirche, interpretiert Genesis 6 - 9 zunächst ebenfalls in den von Augustinus (auf den er ausdrücklich verweist) vorgezeichneten Bahnen, jedoch instrumentalisiert er zugleich die Möglichkeiten, die die Verbindung von christologischer und ekklesiologischer Deutung der Arche auch kirchenpolitisch bietet: Ägidius betont in besonderem Maße die absolute Notwendigkeit der Kirche zur Erlangung des Heils und folgert daraus die Oberordnung der geistlichen über die weltliche Macht. Ungeachtet der verschiedenen persönlichen Akzente und Intentionen der mittelalterlichen Rezipienten bleibt zu konstatieren, daß für ihre Exegesen die Deutungen des Kirchenvaters Augustinus stets den gemeinsamen Ausgangspunkt bilden - getreu der ersten Zeile des Distichons auf dem Fresko im Lateran mit der älteste n Darstellung Augustins: »Diversi diversa patres, sed hic omnia dixit.«
Augustinus im ekstatischen Denken Bonaventuras
(1217/18-1274) von Dieter Hattrup
Was der hl. Franziskus (t 1226) gelebt hat. das hat der hl. Bonaventura (t 1274) gelehrt.' Ohne Zweifel hat der Poverello aus Assisi einen überragenden Einfluß auf das Denken des Franziskaners Bonaventura genommen. Doch Franziskus ist nicht als Denker bekannt. er ist der ekstatische Heilige. der jeden Augenblick in clie Gegenwart Gottes übergehen konnte. wozu er nichts weiter tun mußte. als sich die Kapuze über den Kopf zu ziehen. 2 Bonaventura verbeugt sich in seinen Schriften auch nicht vor dem Denker Franziskus. er preist den unvergleichlichen Mystiker und Heiligen aus Assisi. Direkt ist der Ordensvater für ihn nicht zitierbar. Was Bonaventura in seinen theologischen Schriften anführt. das sind die Werke von Augustinus und Aristoteles. von Anselm von Canterbury. den Viktorinern und Pseudo-Dionysios. Doch auf welche Weise er diese Autoren liest. darin zeigt sich die Gegenwart des seraphischen Franziskus. weshalb Bonaventura den Titel des seraphischen Lehrers trägt. Dieser Sprachgebrauch Iindet sich schon in seinem eigenen Munde. so an der genannten Stelle.' Nun war Augustinus im 13. Jahrhundert bei allen Theologen die überragende Autorität. auch bei Bonaventura. weshalb er ihn schon ganz früh den größten lateinischen Ki rchenvater nennt (3 Sent; III 86b): »AugustillUS. praecipuus doctor Latinus«. Wie geht Bonaventura mit dieser Quelle um? Der Franziskaner-Historiker Bougerol empliehlt zur Untersuchung dieser Frage das Werk über das) Wissen Christi, gen au zu studieren.' Diese Quaestio disputata stammt wohl aus dem Jahre 1254. I Etienne Gilson: La Philosophie de Saint Bonavttlture, 59: )fCe que saint Fran~ois n'avait fait que sentir et vivre. saint Bonaventure allait le penser. tlDie Werke Bonaventuras liegen noch immer gültig vor in der Ausgabe Doctoris Seraphici S. Bonaventurae opera amnia. Edita studio el Cura PP. Collegii a S. Bonaventura. 10 vol. Quaracchi: Typogr. Coll. S. Bonaventurae 18821902. Deshalb wird hier nach diesen zehn Bänden zitiert, also meint etwa (V, 440b - 4413) Band V, S. 440 Sp. rechts bis S. 441 Sp.links. Es gibt verdienstvolle Einzeleditionen und übersetzungen ins Deutsche, vor allem von Marianne Schlosser und And reas Speer. Einen besseren Text als Quaracchi können sie al1erdings auch nicht bieten, außer in einem Falle: Bonaventura: Collationes in Hexaemeron. Hg. von Ferdinand Delorme OFM. Das ist eine in vieler Hinsicht bessere Mitschrift. was hier nicht diskutiert werden kann. Vgl. zur Entstehung der beiden Fassungen: Dieter Hattrup: Ekstatik der Geschichte; 270 - 276. Internet: http://wwwJranciscan-archive.orgl bonaventura. 2 VgL Hex XXJl; V, 44ob-44Ia: »De isto videtur fuisse Franciscus. Et dicebat, quod etiam antequam haberet habitum. raptus fuit et inventus iuxta quandam sepem.« ) Vgl. Hex XXIl; V, 440b: ,.El dicebat: Quis enim iste est? Iste est ordo seraphicus.« .. Jacques BOllgerol: lr,lroductiotl cl J'et ude de saint BOtlaVenlure, 72: »Mais iI faudrait une
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vielleicht 1253 begonnen. als Bonaventura seinen Kommentar über die Sentenzen des Petrus Lombardus abgeschlossen hatte. Über eine Einzelfrage wollte er noch einmal gesondert nachdenken. Das Thema ist das Verhältnis von Endlichkeit und Unendlichkeit. von Gott und Welt. Wie ist Erkenntnis in diesem Verhältnis möglieh? Trotz der theologischen Hülle ist die Schrift ganz philosophisch gemeint. Wie kann der endliche Mensch Christus. wie kann jeder Mensch als geschaffenes Wesen die Schöpfung und den Schöpfer erkennen? Wie erkennen sich der Logos und der Mensch in Christus? Wie vor allem kommt die Sicherheit in die Erkenntnis? Der Rat Bougerals ist gut. doch müssen wir noch Aristoteles hinzufügen. weil der Stagirite in der Quaestio ebenso häufig zitiert wird wie Augustinus. Ich bündle den Inhalt von De Seientia Christi zu einer Hauptthese: Das Denken des hl. Augustinus wird aus dem begrifflichen in den ekstatischen Modus umgewendet - mit den Mitteln des Philosophen Aristoteles. Dieses Denken bleibt bis in das Hexaemeron von 1273 bestehen. wo Bonaventura im Ton aggressiv wird und Bilder der Endzeit aufsteigen läßt. Man könnte einwenden: Warum beschäftigt sich ein Franziskaner mit Augustinus? Was will er gar mit Aristoteles? Ist das Franziskaniseh? Am Ende wird Bonaventura selbst so fragen. als er in der Schlacht des Hexaemeron' die Philosophie und die positive Wissenschaft für unvereinbar erklärt mit dem Ideal des Poverello. Ein Franziskaner soll Gott und die Armut lieben. doch warum liebäugelt er mit der Wissenschaft? Der Generalminister Bonaventura ruft im Frühjahr 1273 vor der Generalversammlung der Franziskaner in Paris a us: ,Viele Anhänger der Wissenschaft sind zu uns gestoßen. nämlich zu unserem Orden und zu unserer Frömmigkeit; doch in diesen Dingen muß die Frömmigkeit ihnen eine Grenze ziehen< (V. 413b): "Sed in his debet industria ponere term inum .• Die Grenze hatte Bonaventura zwanzig Jahre vorher schon einmal gezogen. Damals war er zuversichtlich gewesen. die Synthese von Aristoteles und Augustinus im Geiste des hl. Franziskus wagen zu können." Allerdings auf delikatem Wege: Eine direkte Anknüpfung an Aristoteles verbietet sich für den frühen wie für den späten Bonaventura. zuerst wegen dessen Lehre von der Ewigkeit der Welt. dann wegen der Denkform des Stagiriten. Der Begriffsmodus des Aristoteles ist für den Franziskaner ein zu stolzes Denken und auch sachlich falsch. Aristoteles denkt von den Dingen
etude plus poussee de chacllne des ceuvres du docteur d 'Hippone pOllr montrer comment Saint Bonaventure utilise la pensee de son maitre. Les questions disputees de Scientia Christi nouS permettront de nOllS e n rendre compte d'une maniere plus complete.« 5 btienne Gilson: La Philosophie de Saint Bonaventure, 15: »[ ... J la bataille de I'Hexaemeron
[ ... ]
..
So auch Therese Scarpelli: Bonaventure's christocentric epistemology, 85: »By a union of Aristotelian and Augustinian principles, Bonaventu re is able to refine illuminationism .1·« Allerdi ngs hält Scarpelli die lI1umination nur bei den göttlichen Dingen für nötig, Bonaventura nimmt sie wohl auch bei der Erken ntni s der Dinge in der Welt in Anspruch. 6
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her, als ob sie ihren Grund in sich selber hätten. Doch wo sie herkommen und wer sie gegeben hat, bedenkt er nicht. Kann man den Aristoteles vielleicht umdrehen, fragt der junge Bonaventura ? Wenn aus dem Ergreifen, das ich tue, das Ergriffensein wird, das an mir geschieht, dann könnte aus dem Vorrang der Gnade, den Augustinus so stark betont hat, ein Aristotelisches Denken werden. Ein umgekehrtes Denken natürlich, das mit dem ekstatischen Leben des W. Franziskus versöhnt wäre. »Für Bonaventura ist nur Gott ein Aristo teliker, denn nur Gott hat die Idee seiner selbst und die Ideen aller Dinge in sich selbst. Alles, was nicht Gott ist, hat seine Idee außerhalb seiner selbst und ist darauf ekstatisch bezogen.«' Dennoch bleibt die Frage bestehen: Warum vergißt Bonaventura nicht einfach den Aristoteles? Warum hält er sich nicht schlicht an die Lehrer der Gnade, vor allem an Augustinus? Diese Frage ist zu prüfen. Die Antwort ergibt eine Nebenthese: Aristoteles stellt das gültige
Weltwissen des '3. Jahrhunderts dar, das sich jeder Theologe aneignen mußte, wenn er über Gott und Welt angemessen sprechen wollte. Inkulturation heißt der Vorgang heutzutage; doch auch die Theologen der Vor- und Mittelzeit haben diese Anknüpfung an die Weltplausibilität vollzogen, mit mehr, dann mit weniger Widerspruch. Bei Bonaventura bis zu einer völligen Umkehrung: Einzig Gott kan n ein vollständiger Aristoteliker sein, nur für ihn ist das Sein der Dinge in ihnen selbst begründet. Das Weltwissen späterer Zeiten war die Mechanik der frühen Neuzeit, später die Darwinische Evolutionslehre un d heu te vor allem die Quantentheorie. All dieses Weltwissen war niemals Weltweisheit, war nie vollständig gewesen, wie schon der Wechsel der Weltbilder zeigt. Immer mußte es unter Einsatz der Freiheit auf eine vollständige Wirklichkeit hin gedeutet werden. Bonaventura macht in Achtung vor dem Weltwissen des '3. Jahrhunderts eine originelle Deutung, die nie viel Beachtung gefunden hat. Er gehört nicht zu den Siegern der Geistesgeschichte. Eine Wirkung auf die Folgezeit läßt sich kaum ausmachen, er hat nicht schulbildend gewirkt. Es haben große Thomas- und Duns Scotus-Schulen bestanden, eine Schule mit seinem Namen hat es nie gegeben. Auf die Mystik hat er einigen Einfluß genommen, weshalb Papst Leo XII!. ihn in einer Ansprache am 11. November 1890 als ,Fürsten der Mystiker< gelobt hat,' zum Ausgleich für den Thomismus, den dieser Papst noch weit stärker gelobt hat. Die Mystik ist der rechte Ort für das erfolglose Denken, da sich in ihr das Vergessene und Verdrängte, das Vergangene und das Zukünftige sammelt - als der abgetane Unsinn oder als die größere Wirklichkeit.
7 Dieter Hattrup: Ekstatik der Geschichte, 207. • Vgl. Leonhard Lemmens: Der heilige Bonaventllra, 98: ltls [ ... 1de mystica theologia tanta perfectione disseruit, ut in ea communi hominum peritissimorum suffragio habeatur facHe princeps.tC
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1. >Oe Scientia Christi< (1254)' »Bonaventura ist Augustinist und entschiedener Anti-Aristoteliker.« Mit diesem Paukenschlag betritt Etienne Gilson im Jahre 1924 die Bühne der Mittelalterforschung. Die hohe Scholastik habe nicht nur den Thomismus auf der Grundlage des Aristoteles erzeugt, sondern auch - auf der Grundlage des h1. Augustinus - den bisher gar nicht so genannten Bonaventurismus. Wie zwei Olivenbäume bringen sie Früchte, wie zwei Leuchter spenden sie Licht im Hause Gottes. So beschließt Gilson voll Emphase mit einem Doppelbild gleich zweier Päpste seine große Monographie. 'o Bonaventura entwickle nicht einen traditionellen, er schaffe vielmehr einen aus der Überwindung des Aristoteles neu geborenen Augustinus. Jetzt bekomme das Denken den Namen Weisheit, die Weisheit den Namen Frieden und der Friede den Namen Ekstase.'l Der franziskanische Lehrer kenne seit dem Beginn seiner akademischen Laufbahn die Schriften des Aristoteles genau, was er schon im Sentenzenkommentar bewiesen und in allen späteren Schriften bekräftigt habe. Doch beurteile er ihn anders als Thomas, obwohl beide ihn einfach wie üblich >den Philosophen< nennen. Nicht aus Mangel an Zeit oder gar aus Unkenntnis sei Bonaventura andere Wege gegangen, wie manche gemeint haben. Bis zum Ende seiner magistralen Zeit im Jahre 1257 lassen sich Hunderte von Stellen anführen, in denen Aristoteles freundlich behandelt wird, was schon oftmals beobachtet wurde: »Mir ist nicht aufgefallen, auch nur einer einzigen begegnet zu sein, von der man das Gegenteil behaupten könnte.«12 Von seinem Lehrer A1exander von HaIes, der ihm Anlaß war, bei den Franziskanern einzutreten, hatte Bonaventura schon frühzeitig den ganzen Aristoteles kennengelernt. Alexander war zum Wegbereiter des Philosophen geworden. Ja, Alexander scheint eine Schar von Schülern um sich versammelt zu haben, denen sein Hauptwerk Summa universae theologiae die letzte Gestalt verdankt. Diese Summa verwendet fast schon den ganzen Aristoteles, dessen Ansehen und Gültigkeit um 1240 schnell zu steigen begann. Das hindert diese Franziskaner »freilich nicht, Aristoteles zu kritisieren und in wichtigen Fragen von ihm abzuweiDer Text ist der Quaraeehi-Ausgabe entnommen: V, 3 -43. Vgl. Etienne Gilson: La Philosophie de Saint Bonaventure, 396: _Et e'est sans doute pourquoi des 1588 Sixte V proclamait, et en 1879 Leon XIII rappeJait, qu'ils furent deux a construire Ja synthese de la pensee seolastique au moyen äge et qu'aujourd'hui eneore ils reste nt dem: ala representer; deux nourritures et deux lurnieres: Duae olivae et duo candelabra in domo Dei lucentia.« !l Vgl ttienne Gilson: La Philosophie de Saint Bonaventure, 65: »C'est done bien la contemplation divine que saint Bonaventure met au centre rneme de I'ideal franeiscain, et par consequent la paix vers laquelle toute sa pensee va se diriger et nous conduire s'appellera, de son vrai nom,l'extase. « U Joseph Ratzinger: Die Geschichtstheologie des heiligen BOflaventura, 122 . 9
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ehen«." Eben das tut auch Bonaventura, der Schüler Alexanders, von Anfang an, zuerst in einem unpolemischen Ton, später dann ab 1267 aggressiv und kämpferisch, wobei wir den originalen vom averroistischen Aristoteles unterscheiden müssen. Bonaventura hat nach Gilson die Aristotelische Philosophie und die Wissenschaften bewußt nieht zur Grundlage seines Denkens gemacht, er hat Wissenschaft und Philosophie als untere Erscheinungsform des Geistes angesehen. Aristoteles ist nach ihm für die Einzelwissensehaften zuständig, den Gesamtrahmen des Denkens, die Metaphysik. kann man von ihm nicht übernehmen, da der Grundfehler des Stagiriten mit seiner Lehre von der ewigen Welt unausrottbar ist. Dadurch werde das Gegebensein der Dinge, der Quellgrund in Gott, unerkennbar. Die Lehre von der ewigen Welt müsse den Übergang des Lebens verkennen und so tun, als ob dieses in sich selber stünde. Entsprechend versuche der Philosoph, die Vernunft in sich selbst zu begründen. Aus dem einen und ersten Grundirrtum folgten alle weiteren Irrtümer. »Diesem Philosophen muß man somit einen dreifachen Irrtum zur Last legen: Verkennung des Exemplarismus, der Vorsehung Gottes und der Letzten Dinge."" Als später der Ton gegen Aristoteles schärfer wird, hält Bonaventura ilm noch immer für einen großen Wissenschaftler, doch für einen schlechten Philosophen, der die Philosophie des Unnützen ausarbeite. 15 Wie Aristoteles mit Hilfe von Augustinus umgedreht wird, läßt sich an den sieben Quaestiones De Scientia Christi gut erkennen . Das Thema ist völlig philosophisch gemeint, es geht um die Erkenntnisgewißheit. Weil die wichtigen Schritte in der Quaestio vier und in der letzten Quaestio sieben geschehen, darf man sich nicht allein auf die Nummer vier stützen. Diese Quaestio ist ein direkter Reflex auf die Illuminationslehre des hl. Augustinus, während die Nummer sieben den aristotelischen Begriffsmodus in den ekstatischen umdreht. Die Frage wird in der vierten Quaestio noch etwas ungewiß beantwortet: Jede Erkenntnis, wenn sie sicher sein soU, muß irgendwie den ewigen Urgrund berühren (SeChr 4; V, 22b): »Ad certitudinalem cognitionem intellectus etiam in viatore requiritur, ut aliquo modo attingatur ratio aeterna ut ratio regulans et motiva.( )Berühren( und 'irgendwie( sind nicht gerade Signalworte der Genauigkeit. Sie sind mehr eine neue Frage als eine Antwort auf die Frage. Das Berühren des Ewigen in jedem Erkenntnisakt, auch in der Zeit, ist ursprünglich Augustinisches Denken, auch wenn für Bonaventura zunächst nicht klar ist, was Augustinus mit ,Berühren. gemeint haben kann. Fernand Van Steenberghen: Die Philosophie im 13. Jahrhundert, 162 . I~ Btienne Gil son: La Philosophie de Saint Bonaventure. 85: "Voici do ne une tripie erreur a porter au co mpte de cette phiJosophe: ignoranee de exempl arisme, de la providenee divine et des fi ns du mo nde. 4I 13 Vgl. Btienne Gilson: La Philosophie de Sahlt Bonaventure, 89: .. C'est le cas d 'Aristote; grand sava nt, mais mauvais philosophe, il elabore en quelque sorte la philosophie de I'inutile, et sa philosophie existe bien apart , mais c'est justement pour cela qu'elle ne vaut rien. 4I Il
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Der junge Ratzinger hat vor einem halben Jahrhunde rt gemeint. die Wendung gegen Aristoteles entwickle sich nicht zwingend aus dem frühen Werk Bonaventuras. Zu dieser Meinung kann man angesich ts des rubigen Tones gelangen. den der seraphische Lehrer 1254 in De Scientia Christi anschlägt. »Der Antiaristotelismus Bonaventuras hebt an im Jahre 1267 mit den in der Fastenzeit dieses Jahres in Paris gehaltenen Collationes de deeem praeeeptis.«\6 Wie wir sehen werden. ist die Geschichtstheologie von 1267 bis 1273 zur Entscheidung für Augustinus gegen Aristoteles nicht unbedingt nötig. da diese schon früh feststeht. wenigstens ab 1254. Der Antiaristotelismus rührt einfach vom ekstatischen Denken. das von Augustinus kommt. Deshalb ist es unerlaubt. sich im Blick auf die Erkenntnisgewißheit auf die Nummer vier zu beschränken. Die Quaestio vier wird oft die Magna Charta des Exemplarismus genannt" und als klassischer Text der Illuminationslehre gepriesen." Das Lob kann den Gedanken verzerren. wenn man bei Quaestio vier stehenbleibt. was leider häufig geschieht." Dann sieht der Interpret zwar noch d ie drei Seinsweisen der Dinge. denn so legt sich Bonaventura die lIluminationslehre Augustins zurecht. also das Sein im Verstand. in der eigenen Gattung und in der ewigen Kun st (SeChr IV; V. 23a: »unde eum res habeant esse in mente et in proprio genere et in aeterna arte. [... ] «). doch die Umkehrung des begrifflichen Modus in den ekstatischen Modus sieht er nicht mehr. Der zentrale Begriff also in der vierten Quaestio ist das .tangere< oder .attingere< (SeChr IV; V. 23b): .Unsere Vernunft berührt. wenn sie sicher erkennt. auf gewisse Weise jene Regeln und unveränderlichen Ideen; das erfordert schon die Sicherheit der Erkenntnis und die Echtheit des Erkennenden« (» [ ... ] req uirit necessario nobilitas cognitionis et dignitas cognoscentis«). Das Stichwort stammt aus dem 14. Buch der Trinitätsschrift des hl. Augustinus. Bonaventura zitiert präzise: Es erinnert sich der sündige Mensch. wenn er zu Gott heimkehrt. gleichsam an das Licht. durch das er auch. als er von ihm abgewandt lebte. irgendwie berührt wurde (.quodam modo tangebatun). Von daher denken auch die sündigen Menschen an die Ewigkeit. und oftmals mit Recht tadeln oder loben sie das Handeln der Menschen (vgl. SeChr IV; V.23b).
Joseph Ratzinger: Die Geschichtstheologie des heiligen Bonaventura, 136. Jacques Bougerol: Introduction cl I' etude de saint Bonaventure. 164: ,.[ ... ]depuis sa decou· verte.la q. 4 est la plus connue et la plus commentee parmi les sept questions De Seientia Chr;· sn.« 1I Pau! Vignau.x: Note sur [a considera tion de l'infini dans fes questions disputfes de Seientja Christi. In: S. Bonavetltura 1274-1974. Volumen 111, 107: »[ ... ] dans la Question IV de scientia 16
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Christi, texte devenue dassique [ ... ].« 19 Vgl. t tienne Gilson: La Certitude et les Raisons erernelles.ln: Ders.: La Philosophie de Sai,,! Bonaventure, 304 - 324; Alme Solignac: Corma;ssance Itumaine et relation aDieu selot, SaitJt Bonaventure (De Sc. Chr., Q. 4). In: S. Bonavetltura 1274 - 1974· Volumen 111,393 -405.
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Einen kleinen Unterschied gibt es. Augustinus sagt .tangere<, während Bonaventura nur das Wort )attingere
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erkannt. Diese Dreiteilung gilt für Bonaventura, zum einen weil auch Augustinus so denkt, zum anderen weil er nicht sieht, wie sonst sichere Erkenntnis möglich sein soll. Als Problem bleibt für ihn nur die Frage: Wie und auf welche Weise kann das Ewige im Zeitlichen anwesend sein? Im 14. Abschnitt des 3. Sentenzenkommentars verweist Bonaventura auf Augustinus und die Stelle aus De Genesi ad litteram, die ihn auf den Gedanken gebracht hat. Allerdings ist die Ähnlichkeit sehr vage. Bei Augustinus geht es um die Erkenntnis der Engel am ersten Schöpfungstag: »Die Schöpfung des Himmels war zuerst im Wort Gottes in Form der gezeugten Weisheit; dann entstand sie als geistige Schöpfung, das heißt in der Erkenntnis der Engel wegen der in ihnen erschaffenen Weisheit; schließlich wurde sie zum Himmel, damit der geschaffene Himmel in seiner eigenen Gattung sei.«" In kühner Neuerung überträgt Bonaventura die En geIserkenntnis auf alle Menschenerkenntnis. Die Lehre hat ihren Anfang beim W. Augustinus genommen." Das ist richtig gesehen. Man kann sich das Samenkorn bei Augustinus allerdings nicht klein genug und den Baum bei Bonaventura nicht groß genug vorstellen, der daraus gewachsen ist. Durch die Untersuchung der Seele Christi und ihr Verhältnis zum Logos Christi wird die Erkenntnis der Engel zur Erkenntnis auch für den Menschen, nicht nur in der ewigen Heimat, sondern schon in diesem Leben und in zwar jedem Augenblick (V,40a: ,in via et in patria<). Das geschieht in verschiedenen Graden, in verschiedener Quantität, doch in glei cher Qualität. Die unbewegte Ewigkeit ist in jeder Bewegung der Zeit berührend anwesend.
Eigentlich hat Bonaventura nur zwei mehrdeutige Stellen aus dem großen Genesiskommentar zur Hand, wo Augustinus den Engeln eine dreifache Weise der Erkenntnis der Dinge im Logos, in sich selbst und in ihrer Gattung zuspricht (J Sent;
lII, 306b): »Augustinus super Genesim ad litteram dicit, quod Angeli tripliciter cognoverunt res, videlicet in Verbo, in se ipsis in proprio genere.« Bonaventura bleibt J
1252 im Sentenzenkommentar bei den Engeln stehen. Die denkerisch gespannte Situation des 13. Jahrhunderts zwischen den Erkenntnistheorien Platonischer, Augustinischer und Aristotelischer Prägung erfordert jedoch eine kühne Entscheidung. In der Sekundärliteratur kann man wohl von der Wirkweise des Exemplarismus lesen, doch die Autoren sind sich der Ausgangslage wenig bewußt, in der Bonaventura stand, als er zwischen Platon und Aristoteles einen Ausweg suchte. Nur Gilson erkennt die Tiefgründigkeit des Problems." Da die Sicherheit (nobilitas) der Gn. litt. 1. 2, C. 8, n. '9; vgl. auch 1. 4, c. 29, n . 46 (eigene Übersetzung). Jaeques Bougerol: Lexique Saint Bonaventure, 60: »s'origi ne dans saint Augustin, Oe Gen. ad litt.« 14 Jacques Bougerol: Introduction a I'etude de saint Bonaventure. 316: )lC'est done en toute sincerite que saint Bonaventure constate le double echec de Platon et d'Aristote dans leur ten~ tative pour resoudre le probil~m e et qu'i l leur prefere saint Augustin.« 21 23
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Erkenntnis nämlich bei Aristoteles nicht garantiert sei, weil Erkennender und Erkanntes wandelbar sind, fragt er, wo die Sicherheit herkommen soll. Und bei Platon fehlt die Echtheit (dignitas), weil er den Erkennenden nicht ernst nimmt und die Erkenntnis der Dinge zum bloßen Schein herabsetzt. Bonaventura erwägt jetzt 1254 drei Möglichkeiten für eine sichere Erkenntnis, eine extrem starke, eine ganz schwache und eine dritte, die mittlere Möglichkeit, die er dann wählt. Es könnte zum einen der ewige Erkenntnisgrund voll und ganz gegenwärtig sein (V, 23a): »Iucis aeternae evidentia tanquarn ratio cognoscendi tota et sola«. Dann jedoch gäbe es keinen Unterschied zwischen Himmel und Erde, keinen zwischen Weisheit und Wissen, keinen zwischen Gnade und Natur. Hier könnte man an Platon denken, auf den auch in Form der übertrieben idealistischen und deshalb übertrieben skeptischen Neuen Akademie angespielt wird. Bonaventura lehnt das ab (V, 23a): »ut dicit Augustinus contra Academicos libro secundo«. Denn auch der Sünder wird irgend wie vom ewigen Licht berührt, ohne voll in diesem Licht zu stehen. Die zweite Möglichkeit ist die Influenzlehre, nach welcher der ewige Urgrund einen Gewißheit schaffenden Einfluß ausübt, ohne doch anwesend zu sein (V, 23a) : »cognoscens in cognoscendo non ipsam rationem aeternam attingit, sed influentiarn eius solum«. Hier fillt die Berührung aus. Man kann an Aristoteles denken. Auch diese Möglichkeit wird mit der Autorität des hl. Augustinus abgelehnt. Schließlich können wir nicht sagen, er habe sich geirrt (V, 23a): »Augustinum deceptum fuisse«. Wir erkennen nicht nur durch erworbene Regeln, die wir aus der Influenz des Ewigen beziehen, vielmehr müssen die ewigen Ideen selbst bei der sicheren Erkenntnis gegenwärtig sein. Erkenntnis ohne Gegenwart des Ewigen garantiert keine sichere Erkenntnis. Damit kommen wir zum dritten Modus, dessen Balance ungewohnt ist. Die Beziehung der Einzeldinge zum göttlichen Urgrund spaltet sich in drei Möglichkeiten auf gemäß den drei Seinsweisen im Exemplarismus: »Das Geschöpf nämlich ist auf Gott bezogen in der Weise der Spur, des Bildes und des Ebenbildes« (V, 24a): »Creatura enim cornparatur ad Deum in ratione vestigii, imaginis et similitudjnis. ~~ Jedes Geschöpf ist als Spur auf Gott bezogen wie auf seinen Ursprung (Wirkursache), als Bild wie auf sein Ziel (Zielursache), während das Ebenbild bei Aristoteles kein Gegenstück findet, es verweist eher auf Platon und Augustinus. Das Ebenbild nimmt sich selbst als ein Geschenk wahr, als eine Gabe (V, 24a: >ut ad donum infusum<), es kennt die Bewegung, die von der anderen Seite kommt, es sieht das Ergriffensein VO r allem Ergreifen in allen Dingen. Alles geschaffene Sein ist eine Spur, weil es von Gott stammt, ob es davon weiß oder nicht. Jedes geschaffene Sein, das Gott kennt, ist sein Bild, es kennt sein Ziel, das sich aus den Wirkursachen nicht voll ableiten läßt. Das Sein bestimmt nicht das Handeln ()agere non sequilur esse<), wenn mit dem Sein nur die naturhaften Dinge
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gemeint sind, die in sich stehen. Für das Ziel muß etwas hinzukommen. Wenn noch mehr geschieht und das Ziel sogar anwesend ist, wandelt sich das Bild zum Ebenbild. Dann wohnt Gott in ihm, oder besser gesagt, die Einwohnung Gottes, die immer schon vorhanden ist, wird schließlich wahrgenommen. An diesem Scheideweg geht Bonaventura weiter auf dem Weg Augustins, er verläßt Aristoteles, indem er dessen Denkweise umdreht: Die Teleologie des Aristoteles wird unter dem Einfluß Augustins zur Ekstatik. Aristoteles kennt den Menschen und alle Dinge nur in der Form von Spur und Bild, von Wirk- und Zielursache. Gott ist sicher der Ursprung aller Dinge, indem er ihre Wirkursache ist. Er ist nach Aristoteles vor allem ihre Zielursache. Doch wie das im 13. Jahrhundert auch bei Thomas von Aquin der Fall ist (vgl. die .Quinque viae,), schrumpfen die vie r Ursachen des Aristoteles mehr oder weniger ZU der einen Wirkursache zusammen. Das geschieht auch hier bei Bonaventura, der im Gegenzug die Finalursache zur umgekehrten Wirkursache macht: •• Bei der Tätigkeit, die von Gott in der Weise des Bildes ausgeht, wirkt Gott mit in der Weise der bewegenden Ursache (V, 24a: cooperatur Deus per modum rationis moventis).« Gott und Mensch wirken zusammen, indem Gott den Menschen zum Ziel hin ergreift und dieser sich ergreifen läßt, nicht nebeneinander, sondern wie zwei Pfeile, die aus entgegengesetzter Richtung auf den Punkt des Handelns gerichtet sind. Alle Menschen kennen zwar Gott, denn sie haben ihren Grund nicht in sich selbst, sie lassen sich jedoch nur ungenügend von Gott ergreifen. Die Dinge haben letztlich vollständig den Charakter des Gegebenseins, und zwar nicht nur in einem fernen zeitlichen Ursprung oder Ziel, vielmehr mitten in der Zeit, jetzt,
in jedem Augenblick! Das ist die Erkenntnis des eingegossenen Geschenkes (donum infusum), das in der Welt (in statu viae) kaum beachtet wird. Es ist der Erkenntnismodus für den Himmel oder für das vormalige Paradies oder für ausgewählte Gottesmenschen, die durch Offenbarung den irdischen Zustand überschritte n haben, wie das bei denen der Fall ist, »die ergriffen und entrückt wurden (V, 24a: sicut in his qui rapiuntur)«. Hier ist vor allem an Franziskus zu denken, der bei Bonaventura immer in der Gestalt des Hinweggerafften erscheint. In ihm wird deutlich, was allzeit möglich ist und allzu selten geschieht: Die Erkenntnis des Ergriffenseins alle r geschaffenen Dinge, die mehr in Gott als in sich selbst ihr Sein haben. Um Aristoteles abzuschütteln und ganz an die Seite von Augustinus zu gelangen, untersucht Bonaventura jetzt den Satz (V,2Ib): ••Intelligimus, quando volumus.« Er schreibt ihn Aristoteles zu, der im zweiten Buch De Anima tatsächlich sagt (417b; eigene Übersetzung): ••Darum ist das Denken in der Verfügung des Menschen, wann er will, das Wahrnehmen dagegen nicht.« Das Wort ist wohl nicht schwer zu verstehen. Das Denken gehört zum Kopf, den wir stets bei uns tragen; dessen Fähigkeiten können wir einsetzen, wann wir wollen. Dagegen können wir nicht immer
die Sonne wahrnehmen, zum Beispiel wenn sie in der Nacht vom Erdball verdeckt ist. Entsprechend gibt es viele Ereignisse in Natur und Geschichte. die nicht in un-
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serer Hand liegen, da wir nur das Gegenwärtige wahrnehmen. Alles andere erfahren wir später oder nie.
Bonaventura verschärft zunächst die Situation, indem er den Philosophen verkürzt wiedergibt. Er bezieht das immer bereite Können auf Denken und Wahrnehmen zugleich und nennt es Erkennen (,intelligere«). Aristoteles hatte nur eine beschränkte Autonomie im Sinn gehabt, Bonaventura unterstellt ihm aber eine Gesamtautonomie, die er in der Diskussion zurückweist, indem er die gleiche Unterscheidung wie Aristoteles trifft, wobei jedoch etwas Neues geschieht. Es gibt einen zweifachen Beistand (,adminiculum<) in der Erken ntnis, sagt er, der eine ist immer gegenwärtig, der andere abwesend. »Das Argument gilt nur für den ersten Beistand, nicht für den zweiten, was auch klar ist: Wenn das körperliche Licht im Auge anwesend wäre, wie das geistige Licht immer im Geist anwesend ist, dann würden wir sehen, wann wir wollen, wie wir erkennen, wann wir wollen. «25
Damit scheint Bonaventura den Gedanken des Aristoteles wieder aufzugreifen : was von der Sonne beleuchtet werden muß, können wir nicht immer erkennen, da das Licht manchmal fehlt; die geistigen Fähigkeiten sind von solchem Wechsel nicht betroffen. Was hat Bonaventura gewonnen? N ur eines, das ist die Hilfe , der Beistand, das
adminiculum! Das gilt für beide Fähigkeiten. In dem Fall des geistigen Lichtes ist es schon gegeben, und im anderen Falle muß es erst gegeben werden. Hier scheint sich ein modernes Denken anzubahnen. Bonaventura wird sich gefragt haben: Warum so objekthaft wie Aristoteles? Auch im geistigen Bereich stehen uns nicht immer alle Fähigkeiten zur Verfügung, ich bin nicht immer Herr im eigenen Hause. Und außen können wir schon einmal nachhelfen, wenn die Sonne untergangen ist. Wir bauen einfach ein Flugzeug, wie das mein Ordensbruder Roger Bacon (t 1292194) vorgeschlagen hat, und fliegen hinter den Horizont. Dann können wir die Sonne erkennen, wann wir wollen, ,quando volumus<. Deshalb ist es nötig, das Objektdenken abzulösen und transzendental zu werden, ,in Te< und ,in mente<. Eben das tut Bonaventur. in der Quaestio sieben, wobei er seine Ernte ein fahrt. Die Frage lautet, ob die Seele Christi alles begreift, was auch die ungeschaffene Weisheit begreift (V, 37a): »Utrum anima Christi comprehendat omnia, quae comprehendit sapientia increata.« Für die Entscheidung ruft er das Similia-SimilibusPrinzip auf, nach dem Gleiches nur von Gleichem erkannt wird: »Der Begreifende muß nach Akt, Habitus und Vermögen entweder dem Begriffenen selbst gleich sein oder es übertreffen« (V, 34b): »vel aequetur ipsi comprehenso, vel excedat. « Damit kann die endliche Seele Christi die Unendlichkeit des Logos nicht wirklich erkenV, 25b: »Ratio H1a non concludit de primo adminiculo, sed de seclindo. sicut patet: Si lux cOrporalis semper esset praesens in oculo, sicut lux spiritualis est semper praesens in mente; videremus. qll ando vellemus. sicut intelligimus. quando volumus.« 15
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nen, wenn Erkennen ein Ergreifen meint. Dennoch will Gott der Seele Christi nichts vorenthalten, schließlich hat er Christus alles übergeben. Hier durchdringt ein theologischer Inhalt das philosophische Denken und gibt einen Wink zur Lösung. Ergreifen ist nicht möglich, doch ErgriJfensein ist möglich, und ist das nicht auch ein Erkennen? Beim Apostel Paulus stehen Dutzende dieser Umkehrformeln: »da ihr Gott erkannt habt, vielmehr von Gott erkannt worden seid« (Ga14, 9). Entsprechend lautet die Lösung der Quaestio sieben bei Bonaventura: Die Seele Christi begreift im Logos nicht eigentlich das Unendliche (V, 39b: »non comprehendit«). Doch insofern der Logos das Tatsachen wirkende Urbild ist, gelangt sie im Begreifen dahin (»ferrur in illud comprehendendo«); insofern er das ausdrückende Urbild ist, gelangt sie nicht im Begreifen, sondern in der Ekstase darun (»fertur non comprehendendo, sed excedendo«). Damit ist klargestellt, wie Erkenntnis vor sich geht, wenn der Exemplarismus die angemessene Ontologie ist. Es gibt echte Erkenntnis im endlichen Bereich als Ergreifen, weil der erkennende Mensch so endlich ist wie der erkannte Gegenstand. Anders ist es mit der Wirklichkeit, die zur Zeit noch aussteht oder für immer aussteht. Das ist das Urbild, das sich noch nicht ausgedrückt hat. Über den Exemplarismus vollendet sich die Augustinische Illuminationslehre in der ekstatischen Erkenntnislehre: Im Begriffsmodus ergreift der Erkennende das Erkannte, im ekstatischen Modus ergreift das Erkannte den Erkennenden (V, 40ab): »Quia in comprehensivo cognoscens capit cognitum) in excessivo vero cognitum capit cognoscentem«. Die Natur könnte man diejenige Wirklichkeit nennen, die der Mensch ergreifen kann; davon zu unterscheiden ist diejenige Wirklichkeit, die er nicht ergreifen kann. Die Neuzeit hatte diesen Bereich zwar für leer gehalten und Gott und Natur oft gleichgesetzt, doch eine angemessene Rede scheint das nicht gewesen zu sein. Gott kann man diejenige Wirklichkeit nennen, durch die der Mensch ergriffen wird."
2. >Itinerarium< (1259) 27
Nach einem Wort von )ohannes Gerson (t 1429) ist das Itinerarium völlig vom Geiste Gottes durchweht und steht höher als jedes andere Buch der Literatur" Wenigstens für die Mystik trifft das Urteil bis heute zu. Das Itinerarium mentis ad Deum - Der Weg des Geistes zu Gott verbeugt sich vor der stupenden Heiligkeit des hl. Franziskus und beschreibt seine Entrückung auf dem Berg Alverna als vorbildlichen Wie dieser Ansatz zur Lösung des Darwin · Problems nutzbar gemacht werden kann, vgl. Diete r Hattrup: Darwins Zufall oder Wie Gott die Welt erschuf 11 Der Text ist wieder der Quaracchi . Ausgabe entnommen: V. 295-316. 18 Johannes Gerson: JOQl1l1is Carlerii de Gerson De mystica theologia, 220: »Bonaventura. in suo llinerario. totum miro et compediosissimo artificio complexus est, ( ... ].(( 26
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Weg zu Gott. Das Werk von 1259 bietet keine äußerliche Beschreibung; wer Legenden vom großen Fasten im Herbst 1224 sucht und von der ersten Stigmatisation im Abendland, wird etwas in den Fioretti finden. Bonaventura beschreibt den inneren, den geistigen, den mystischen Weg zu Gott, indem er das Denken gebraucht und zugleich hinter sich läßt. Wie das bei einem Weg stets der Fall ist: man beschreitet ihn und läßt ihn zurück. Bonaventura zielt auf einen großen Zweck, er will den speziellen Weg des Franziskus zum allgemeinen machen, indem er die Gegensätze des Lebens versöhnt: Gott und Welt, Weisheit und Wissen, Ekstase und Genauigkeit. Es ist die letzte Schrift, welche die Einheit der Welt in Gott sucht, bevor Thomas von Aquin der Philosophie eine relative Autonomie zuspricht, welche die Theologie in der Neuzeit zu einer Funktion des Bewußtseins macht, ohne ihr noch ein Wissen vom Sein zuzutrauen. Im Itinerarium wird der Exemplarismus, den Bonaventura aus Augustinus abgeleitet hat, auf die Spitze getrieben. Schon die Anlage zeigt die unbedingte Gegenwart des Lehrers aus Hippo an, ohne die Unterschiede zu verdecken. Die Stufen des dreifachen Seins bestimmen die Gliederung: Spur, Bild und Ewigkeit (V, 297a: vestigium, imago, aeternum) . Auf dieses dreifache Sein sind wir in dreifacher Weise bezogen. Die Spuren der Dinge finden wir außer uns, das Bild der Dinge finden wir in uns, die Ewigkeit steht über uns (V, 297a: >extra nos<, >intra nos<, >supra nos<). Das ist eng angelehnt an Augustinus, der allerdings durchgehend am Ternar >foris<, >intuS<, .intimuffiWende dich nicht nach außen, geh in dich selbst, im inneren Menschen wohnt die Wahrheit; und wenn du dein schwankendes Sein gefunden hast, dann steige auch über dich selbst hinaus< (vera rel. 39): »Noli foras ire, in te ipsum redi, in interiore homine habitat veritas; et si tuam naturam mutabilern inveneris, transcende et te ipsum .• Dieses Wort urteilt zwar nicht ganz so abwertend über die Welt wie ursprünglich bei Plotin, ist jedoch bei Augustinus immer noch negativ geprägt. Davon ist beim Exemplarismus Bonaventuras nichts mehr zu spüren, dem es allein um die metaphysische Frage geht: Wie kommt sichere Erkenntnis Zustande? Wie erkenne ich in allen Dingen Gott? Wie wir sehen, ist Bonaventura Vgl. Norbert Fischer: Augustins Weg der Gottessuche (iforis, intus, intim um<). 30 V, 297b: »Quoniam autem quilibet praedictorum modorum geminatur, secundum quod Contingit considerare Deum ut alpha ct omega, seu in quantum conlingit videre Deum in unoquoque praedic torum modorum ut per speculum et ut in specuJo.« 19
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dem Lehrer der Gnade in jedem Augenblick verpflichtet, behält aber die Freiheit der Neudeutung. Auch in den Einzelheiten steht Augustinus immer wieder Pate. Zum Beispiel wird die psychologische Trinitätslehre als Baustein in den Gesamtbau aufgenommen (Itin V, 305b) : »Diese drei, also der zeugende Geist, der Logos und die Liebe finden sich in der Seele wieder als Gedächtnis, Einsicht und Wille. Sie sind in gegenseitiger Durchdringung von gleichem Wesen, gleicher Art und gleicher Ewigkeit.. Aus De musica wird im Itinerarium zitiert (6,13), wenn es um die Schönheit geht, die nichts anderes sei als >zahlenmäßige Übereinstimmung< oder ein >Gleichmaß der Teile nebst ansprechenden Farben<. Und immer wieder spielt die llluminationslehre hinein, etwa wenn die Sicherheit eines Urteils mit der Berührung durch die unvergängliche Welt begründet wird, »ut dicit Augustinus« (V, 302a): .Keiner urteilt über sie, sondern durch sie.«JI Die psychologische Trinitätslehre erweitert Bonaventura zu einer ontologischen und erkenntnistheoretischen Trinität, wenn er die Wissenschaften einteilt (I/in II1, 6) : »Denn jede philosophische Lehre ist entweder Naturphilosophie, Erkenntnistheorie oder Morallehre. Die erste handelt von der Ursache des Seins, führt also zur Macht des Vaters; die zweite handelt vom Begriff der Erkenntnis, führt also zur Weisheit des Logos; die dritte handelt von der Lebensführung, führt also zum Gutsein des Heiligen Geistes .• Dieser Gedanke kommt aus dem Gottesstaat (civ. 8, 4) . Die Formel vom >Vater der Lichter - pater luminum< ist die beliebteste Anrufung Gottes bei Bonaventura. Die Stelle aus dem Jakobusbrief führt er nicht weniger als 48mal in seinen Werken an." Es ist das Schlüsselwort für die von Augustinus inspirierte Illuminationslehre, der das Wort allerdings kaum verwendet. Wir haben den Exemplarismus das verwandelte Augustinische Erbe genannt. Das entscheidende Argument lautet: Wenn die Erkenntnis echt und gelungen ist, kann sie nicht allein mit Hilfe der Dinge und des Verstandes zustande gekommen sein, denn diese sind veränderlich oder fehleranfallig. Folglich kann der Mensch nicht erkennen, wan n und wie und zu welchem Zweck er will, er muß bei aller aufgewandten Mühe auch abwarten, bis sich das Licht von selbst einstellt. Das kann in verschiedenen Formen geschehen. In Konkurrenz zur Illuminationslehre steht die Lehre vom tätigen Verstand, vom >intellectus agens<, die dem Verstand alle Tätigkeit zutraut, ohne abwarten zu müssen. Daran ist sicher viel Wahres, aber nach Augustinus und Bonaventura kann es nicht die letzte Wahrheit über das Sein und die Erkenntnis sein. Die Plausibilitäten ändern sich durch die Epochen, neue Lichter oder Illuminationen gehen auf, die nicht dem Plan des erkennenden Menschen entsprungen sind. II II
Wörtlich lib. arb. lI. 14 : . Nullus de illa iudicat. nullus si ne iHa iudicat bene.« Vgl. Jacques Bougerol: Introduelion Li {'etude de saint Bonavemure, 230.
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3. , Hexaemeron< (.273)" Zwischen Ostern und Pfingsten 1273 hielt Bonaventura in der Franziskanerkirche von Paris vor etwa 160 Mitbrüdern dreiundzwanzig lange Vorträge. Wichtige Themen hatte er schon häufiger in der Fasten- oder Osterzeit angesprochen. Das Thema in diesem Jahr ist das Hexaemeron, äußerlich das Sechstagewerk der Erschaffung der Welt, inhaltlich geht es um das nie zur Ruhe kommende Verhältnis von Glaube und Wissen. In erregtem Ton legt Bonaventura seinen neuen Augustinismus dar, den er zum Exemplarismus weiter entwickelt hatte. Gibt er ihm noch eine Chance? Sein Optimismus vor 20 Jahren ist verflogen, als er geglaubt hatte, er könne den Aristotelismus und die empirischen Wissenschaften durch die Ekstatik mit dem Glauben verbinden, und hat einem düsteren Pessimismus Platz gemacht. Überall in der Kirche wittert er den Geist der Anmaßung und der Neugierde, besonders bei den Intellektuellen (Hex I; V, 330b: ,spiritus praesumtionis et curiositatis<), wie er gleich zu Anfang ausruft. Sogar bei den Franziskanern erhebt dieser Ungeist sein Haupt. Das Hexaemeron ist geprägt vom Denken des hl. Augustinus, der den Anfang gemacht, und vom Leben des hI. Franziskus, der die Vollendung gebracht hat. Mit Beigaben von Joachim von Fiore sehen wir Wissenschaft und Mystik im Endkampf. Sorgen bereiten dem General nicht die Scholastiker und Averroisten, welche die Saat einer selbstgewissen Philosophie ausgesät haben, die sind draußen an den neuen Universitäten. Sorgen machen ihm die eigenen Franziskaner, unter denen es artistische Philosophen wohl nicht gibt. Wen es aber gibt, umgeben von einem großen Freundeskreis, das ist der Engländer Roger Bacon, der vor einigen Jabren zum Orden gestoßen ist und viel Verwirrung gestiftet hat. Deshalb hat ihn Bonaventura, nach Antritt seines Amtes 1257, sofort von Oxford nach Paris beordert, um ihn besser unter Kontrolle zu haben. Wahrend Bonaventura in der Kirche vor dem Konvent gegen die herkunftslose Natur wettert, der man ihren Schöpfungscharakter nicht mehr ansiebt, sitzt im Keller Roger, dem Bonaventura jede Tätigkeit in der Öffentlichkeit untersagt hat. Vielleicht mußte er auch an den Vorträgen teilnehmen, um sich belehren zu lassen über Leute, die mit falschen Ideen bei den Franziskanern eingetreten sind (Hex XIV, V, 413b): . Multi enim venerunt hospites scientiae, scilicet ad domum nostram et ad nostram industriam .• Bonaventura hatte Roger (vergeblich) verboten, ohne Erlaubnis der Oberen Schriften zu veröffentlichen. Doch Roger hatte in Kardinal Guido le Gros einen Förderer gefunden, der für die neuen Wissenschaften begeistert war, für die auch Roger schwärmte. Sein Gönner wurde im Jahre 1265 als Clemens IV. sogar Zum Papst gewählt. Als dieser ihn zum Schreiben aufforderte, ver faßte Roger im ~l Auch dieser Text ist wieder der Quaracchi-Ausgabe entnommen: V. 329 - 449. Zu beachten ist im Prinzip auch der Delorme-Text. was hier njcht geschehen kann.
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lahr 1266, unter Mißachtung des Verbots, in rascher Folge drei Schriften, das Opus mai"s, das Opus minus und das Opus tertium, die eine umfassende Studienreform anzielten, zuerst für die Franziskaner, dann vielleicht für alle Universitäten. Der Erfolg Rogers war allerdings kurzlebig, Clemens IV. starb schon 1268. Bonaventura war nicht so begeistert, er war sogar entsetzt über das, was er da zu lesen und zu hören bekam. »Im Hexaemeron ergibt sich schließlich eine letzte Zuspitzung des Antiphilosophismus zum prophetischen Antischolastizismus.« Es kommt hinzu ein ebenso entschlossener Antiszientismus für die Minderbrüder: »Die Lebensform des heiligen Franz wird einmal die allgemeine Lebensform der Kirche sein - der simplex et idiota wird triumphieren über alle die großen Gelehrten und die Kirche der Endzeit wird Geist von seinem Geiste atmen.«" Dazu mußte in den Augen des Generalministers nicht zuerst die Welt, die Kirche oder die Universität reformiert werden, zuerst sollten die Franziskaner sich wandeln. Der hl. Augustinus hatte nach seiner Bekehrung sekundenweise die Gegenwart Gottes gespürt - im Gespräch mit der Mutter zu Ostia im Sommer 387 für den vollen Schlag eines Herzens (con! 9,24: .attigimus eam modice toto ictu cordis<). Daraus war ihm Friede geworden. Franziskus jedoch ist der vollendete Augustinus, denn der Mann aus Assisi lebte beständig in der Gegenwart Gottes, in ihm wohnte der Friede allezeit (Itin 1; V, 295a): »Es war, als ob Franziskus schon ein Einwohner jenes lerusalem ist, von dem der Freund des Friedens, der sogar mit denen in Frieden lebte, die den Frieden haßten, sagte: Erbittet für lerusalem Frieden.« Das war bei Augustinus bekanntlich nicht der Fall, der in jedem lahr seines Lebens in einen neuen Streit gezogen wurde: durch den hl. Hieronymus, durch den Manichäer Faustus, durch den Briten Pelagius, durch die afrikanischen Donatisten, durch die Mönche von Hadrumet. Der Friede des Poverello war dagegen unvergänglich, unvergleichlich, er war vollständig: Ganz erdnah und ganz gottnah, was ja de n einzigartigen Reiz von Franziskus ausmachte, den alle spürten. Diese Gegenwart suchte Bonaventura im Denken festzuhalten. Er hatte es sich zur Aufgabe gemacht, die Lebensweise des seraphischen Heiligen über die Illuminationslehre Augustins in die Ekstatik zu übersetzen. Was jedoch sieht er im Orden? Eine beträchtliche Gruppe um Roger will plötzlich nur noch Wissenschaften treiben, was doch zu Franziskus gar nicht paßt. SoUte alles umsonst gewesen sein? Das Ideal ist mitten im Orden gefahrdet, mitten in der Ordensleitung in Paris, wo plötzlich Leute wie Roger Bacon anfangen, mehr die Mechanik und Optik zu empfehlen, als die Liebe zum Gekreuzigten. Gilson hatte das Hexaemeron eine Schlacht um den eigenständigen Augustinus genannt, um die neue Synthese, die nicht parallel an Aristoteles anschließt wie Thomas von Aquin, sondern das Begreifen umkehrt. Wie wichtig für Bonaventura J.4
]oseph Ratzinger: Die Geschichtstheologie des heiligen Bonaventura, 160 f.
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der verbesserte Augustinismus ist, kann ein Vergleich mit der kleinen Schrift De Reductione ATtium ad Theologiam zeigen (V, 319 - 325). Sie galt im ganzen 20. Jahrhundert als bonaventuranisch, da die Editoren von Quaracchi 1891 so entschieden hatten (V, XXXIVa): »Certurn est, hoc opusculum auctorem habere S. Bonaventuram.« Nur über die Abfassungszeit konnten sich die Interpreten im ganzen 20. Jahrhundert nicht einig werden. Ein Drittel legte sie in die frühe, ein Drittel in die mittlere, ein Drittel in die späte Schaffensperiode." Allerdings hatte der französische Historiker Remy Oudin (1638 -1717) das Werkchen schon vor langer Zeit für unecht gehalten - aus stilistischen Gründen, wie er meinte, wovon die Leute aus Quaracchi nichts wissen wollten. Literarische Nähe oder Ferne sagt nicht alles, doch läßt sie den Leser aufhorchen. Ein wenig Knistern gab es im ganzen 20. Jahrhundert. Auf eine Spezialität möchte ich hinweisen. »Es ließe sich nun die Frage aufwerfen, ob nicht vielleicht auch persönlicher Verkehr und Gedankenaustausch des hl. Bonaventura mit seinem Zeitgenossen und Ordensgenossen Roger Bacon von einigem Einfluß gewesen sein mochte, da ganz ähnliche Gedanken über das Verhältnis von Glauben und Wissen, von Philosophie und Theologie in Bacons Werken sich finden; und selbst Kapitelüberschriften, die ganz an die Reductio art. ad Theol. erinnern«." Erster Punkt: Ein Horaz-Zitat aus De Reductione findet sich bei Roger in der gleichen Form wieder. »Nützen wollen die Dichter, oder sie wollen erfreuen. / Und wiederum : Alles hat auf den Punkt gebracht, wer den Nutzen süß gemacht«; allein der zweite Versteil findet sich bei Bonaventura, gleich zweimal, doch ohne den ersten Teil." Nun bringt das Opus maius von Roger nicht nur den ersten Horaz-Vers, sondern beide zusammen wie De Reductione. Das könnte eine gewisse Verwandtschaft anzeigen, da zum einen der zweite Vers auch sehr wohl allein gebraucht werden konnte, zum anderen die beiden bei Horaz um zehn Zeilen getrennt sind (Nr. 333 und Nr. 343). Damit ist noch nichts bewiesen, doch die Bemerkung aus dem 17· Jahrhundert und der Horaz-Splitter machen aufmerksam. Dazu kommt das sensible Urteil eines Theologen, der meint, gerade bei Bacon liege eher eine Reduktion der Theologie auf die Wissenschaften vor als umgekehrt." Wenn das auch auf De Reductione zutrifft, dann ist das Opusculum ein Lügenwerk, weil es bei der Gleich-
VgL Dieter Hattrup: Wer ist der Autor 1Ion De Reductione? I ~ Bonaventura Trimole: Deutung und Bedeutung der Schrift De reductione artium ad Theo· 15
oglam des hl. Bona1lentura, 99. 37 RedArt 2; V, 319b: »Aut prodesse volu nt, aut delectare poetae.lEt iterum: Omne tulit puncltun qui miscuit utile duld.« Rogerus Bacon: 1he opus maiusj I. 72: »Nam ut ille dicit: Aut prodess e volu nt, aut delectare poetae. 10m ne tuHt punctum qui misc uit utiie dulci.« ~ Ca mille Berube: De la Philosophie a la Sagesse, chez Saint Bona1lenture et Roger Bacon, 96:
lILo ln d'operer veritablement la reduction des sciences a la theologie, n'opere+elle pas plutöt Une reduction de la theologie aux sciences? «
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setzung von A und B nicht an der Theologie A interessiert ist, vielmehr an seine Stelle die Wissenschaften B setzt. Der Triumphgesang am Ende muß Bonaventura wie Hohn in den Ohren geklungen haben: »Dies ist die Frucht aller Wissenschaften, weil durch sie alle der Glaube gestärkt wird« (RedArt 26; V 325b): »Et hic est fructus omnium scientiarum. ut in omnibus aedificetuI fides.« Zweiter Punkt. Steht der hl. Augustinus unter Hugo von St. Viktor? So sieht es nach dem Werkchen aus, wenn es sich daran macht, die Lehrer, Prediger und Kontemplativen zu vergleichen (RedArt 5; V, 321b): »Das erste lehrt vor allem Augustinus, das zweite vor allem Gregor, und das dritte dann Dionysius. [ ... ] Bei Hugo von St. Viktor aber ist dies alles zu finden« (»Hugo vero omnia haec«). Die SpitzensteIlung entspricht gewiß dem Einfluß, den Hugo mit seinem Werk Eruditio didascalica auf De Reductione genommen hat, denn es schäpft wesentlich aus Hugo, da zu m Beispiel die Einteilung der mechanischen Künste von ihm übernommen wird (RedArt 2: »quas assignat Hugo in Didascalico«). Doch steht er über Augustinus? Und Franziskus wird nicht einmal erwähnt? Ein solches Lob auf Hugo findet einen Anhalt weder in den frühen noch in den späten Werken von Bonaventura. Vor 1273 stimmt er Hugo mal zu, mal widerspricht er. Doch im Hexaemeron setzt er sich streng von ihm ab (Hex XIII, 18; V, 390b): »Die Anagogie handelt von den Dingen oben, die Allegorie von denen, die geschaffen sind, die Tropologie von denen, die geschehen sollen. Nach Hugo ist die Anagogie auch ein Teil der Allegorie und gehärt zu dem, was zu glauben ist« (»Anagogia etiam est pars allegoriae secundum Hugonem, quae est de credendis«) . Bonaventura selbst stellt die beiden geistlichen Schriftsinne hier strikt getrennt vor, noch mehr als im Itinerarium. Jetzt hält er eine volle Klärung für angebracht. Die Anagogie handelt nur von Dingen, die oben sind, von der Trinität, den Exemplarursachen, den Engeln und der vollendeten Klrche (Hex XIII, '9; V, 390b): »aeterna Dei trinitas, exemplaris sapientia, angelica sublimitas, Ecclesia triumphans.« Mit der Trennung von Allegorie und Anagogie im Hexaemeron wird genau dem widersprochen, was nach De Reductione die Allegorie leisten soll: Danach nämlich soll sie die Gottheit und Menschheit Christi zeigen, also die ewige Zeugung und zeitliche Geburt in einem (RedArt 5: »quid sit credendum de Divinitate et humanitate«). Eine solche Lehre ist für das Werkchen entscheidend, weil in jedem Tripel ihrer fünf Reduktionen die Allegorie die erste Stelle einnimmt (RedArt 8, 12, 16, 20, 23). Bonaventur. weist diese Einteilung heftig zurück. Die oberen Dinge (>superna<) gehören seiner Meinung nach zur Tugend der Hoffnung, nicht zur Tugend des Glaubens. Wenn die Anagogie wie bei Hugo ein Teil der Allegorie wäre, dann ist es möglich zu tun, was das Opusculum wirklich tut. Wenn jedoch die Anagogie nicht zur Allegorie gehört, dann sind die Strukturvergleiche von De Reductione ungültig, weil dann über die Schriftsinne keine Brücke zwischen geschaffener Welt (quae facta sunt) und dem, was oben ist (superna), führt.
AUGUST I NUS IM EKSTATISCHBN D ENKEN 80NAVENTURAS
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Dritter Schritt: Das Hexaemeron denkt über Verborgenheit und Offenheit anders als De Reductione. Wenn schon die hl. Schrift die Wahrheit des Glaubens klar offenbart, fragt Bonaventura, warum soll man sie dann noch im Verborgenen suchen? Er sagt (Hex XVII, 25; V, 413b): »Es ist besser, die Wahrheit zu haben als das Bild. Wenn ich dein Gesicht sehe und dich bitten würde, mir einen klaren Spiegel zu bringen, damit ich dort dein Gesicht sehen könnte, wäre diese Bitte dumm. Eben das gilt von den hI. Schriften und den Bildern der anderen Wissenschaften« (»Sie est de Scripturis sanctis et figuris aliar um scientiarum«). Zwei Beobachtungen über den letzten Abschnitt von De Reductione 26 (V, 32Sb): Zum einen widerspricht das Hexaemeron der Auffassung von De Reductione. Andere Wissenschaften als Theologie zu betreiben, um in ilinen die Wahrheit der hl. Schrift gespiegelt zu sehen, ist nicht erlaubt, da die Wahrheit schon klar in der Schrift enthalten ist. Das hält De Reductione nicht davon ab, zur Suche nach der Wahrheit aufzufordern , die sich in allem Wissen und aller Natur verberge (26: »occultatur in omni cognitione et in omni natura«). Zum anderen scheint Bonaventura
Anlaß gehabt zu haben, den Symbolismus zu bekämpfen, der mit den Wissenschaften betrieben wird (XVII, 25: »fig uris aliarum scientiarum«). Daher der ironische Ton in der Bitte nach dem Spiegel. Da De Reductione die Übe reinstimmung der verborgenen Wahrheit in den Wissenschaften mit der offenen Wahrheit in der Theologie zum Ziele hatte, ist es nicht gut möglich, den gleichen Autor fü r die eine und die gegenteilige Meinung anzunehmen. Vierter Schritt: Es scheint, und das soll meine Hypothese vollenden, als ob sich eine Stellungnahme von Bonaventura selbst findet, vor allem zum Emanationsteil (RedArt 1- 7) und zum Schlußabschnitt (RedArt 26), wo es um Vollständigkeit (.sufficientia<) und aUe Wissenschaften (.omnes scientiae<) geht. Eine Entgegnun g scheint dazu in Hexaemeron IV und V vorzuliegen, das die gleichen Worte wie De Reductione gebraucht (Hex IV, I; V, 349a) : . Und hier könnten alle Schwierigkeiten der Philosophie erklärt werden. Die Philosophen gaben neun Wissenschaften und versprachen, die zehnte zu geben, nämlich die Kontemplation. Aber viele Philosophen haben sich in große Irrtümer verstrickt, während sie sich vom Dunkel des Irrtums abscheiden wollten« (»Sed multi philosophi, dum se voluerunt dividere a tenebris erroris, magnis erroribus se immiscuerußt.«).
Die Ähnlichkeit haben auch die Editoren von Quaracchi bemerkt, wenn sie bei den neun Wissenschaften in Hexaemeron IV an De Reductione 4 denken." Allerdings gehen sie nicht auf den polemischen Ton Bonaventuras ein, sie vergleichen nUr ganz neutral die eine mit der anderen Neunzahl. Der Akzent wird von BonavenV, 349a: »Novem sc ientiae ph ilosophorum , quae resultant ex subdivis ione tri um princ ipa~um. (rationalis, naturalis et moralis) in coUat. 5. planius exhibentur; dr. etiam opusc. de ReUChone artium ad theologiam. n. 4.• I'
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tura jedoch auf die zehnte Wissenschaft gelenkt, auf die Kontemplation, die von den Philosophen versprochen wurde. Das ist das Ziel von De Reductione, das den verborgenen geistlichen Sinn aller Wissenschaften offenlegen will, der sein besonderes Ziel in der Anagogie hat (7: »maxime quantum ad intellectum anagogiae«). Dieser ist den Kontemplativen vorbehalten (5: »tertium studium contemplativorum«). Nicht die Wissenschaften selbst werden von Bonaventura abgelehnt, sondern was De Reductione von ihnen erhofft, nämlich ein geistlicher Weg zur Kontemplation zu sein. Man kann das nicht anders als eine direkte Ablehnung des Programms deuten. Vermutlich, nein gewiß, hat Bonaventura die neun Wissenschaften gekannt, die Zur Kontemplation führen sollten. Vergleicht man damit die Einteilung der neun Wissenschaften im Hexaemeron, so sieht er in jeder von ihnen ein böses Luxurieren am Werk (V, 21: »in his omnibus luxuriata est ratio«), angefangen von der Metaphysik, über die Mathematik, die Naturwissenschaften, die Grammatik, Logik, Rhetorik bis zur Moral, die in der Form der einträglichen Rechtswissenschaft um so meh r Verderben gebracht hat, als die Moral selbst wegen der Mühsal niemals in Blüte stand. Wie hl. Schrift und Wissenschaft nach Bonaventura wirklich zueinander stehen, bietet Hexaemeron XIX. Dieser Vortrag enthält die Studienordnung des Generalministers für die Franziskaner und ist geprägt vom Lehrstreit um 1270. Wir gelangen hier zum Höhepunkt der Polemik, reichlich finden wir Reflexe auf De Reductione: Die Wissenschaft ist der leichte Weg zum Ruin (4: »per scientiam enim est tentatio facilis ad ruinam«). Diesen Weg geht, wer über die Erforschung der Natur (4: >s uper viam naturae<) zur Weisheit gelangen will. Da die mystische Vereinigung mit Hilfe der Wissenschaften das Ziel von De Reductione war, bietet das Kapitel XIX zu solcher Einheit einen bissigen Kommentar. Wenn die Wissenschaft einem Menschen schön erscheint, dann will er das Wissenswerte und Fühlbare (3: >scibilia et sensibilia<) erkennen, ja, er will mit ihnen geeint sein (3: »et vult ea cognoscere et cognit. experiri et per consequens eis uniri«). Diese Einheit ist nicht zu erreichen, und die vielformige Weisheit, die nach De Reductione, 26 die Frucht der Wissenschaften sein soll, kommt nicht zustande. Vielmehr lastet das Schicksal Salomos auf solchen Versuchen. Der König von Israel wollte alles wissen und wurde darüber zum eitlen Toren (3: »et ideo factus est vanus«). Es gibt keinen Königsweg von der Wissenschaft zur Weisheit (3: »non est ergo securus transitus a scientia ad sapientiam«) . Dorthi n gelangt man nur durch Heiligkeit und Tugend. Oberhaupt ist die Reihenfolge von Schriftlektüre und Wissenschaft umzukehre n. Nach dem Opusculum beginnt man mit dem Studium der Wissenschaften und gelangt am Ende zur Weisheit als Frucht der Wissenschaften (RedArt 26): »ipsa assumit exempla et utitur vocabulis pertinentibus ad omne genus cognitionis«. Völlig falsch, sagt Bonaventura, vielmehr muß man mit der Quelle beginnen, das ist die hl. Schrift, dann folgen die Kirchenväter, dann die Summen der Magister.
AUGUSTINUS IM EKSTATISCHEN DENKEN BONAYENTURAS
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schließlich die Bücher der Philosophen (15): »Es gibt eine Ordnung, nach der sich der Mensch zuerst in der hl. Schrift um Buchstaben und Geist bemüht, dann in den Originalschriften (der Heiligen), und diese unterwerfe er der hl. Schrift; ebenso in den Schriften der Lehrer und in den Schriften der Philosophen, doch flüchtig wie ein Dieb, als ob man dort nicht Halt machen dürfe« (»quasi ibi non sit permanendum«). Die größte Gefahr stellen die Philosophen mit ihrer Wissenschaft dar (XIX, 12: ,maximum periculum<). Ein Studium und ein längerer Aufenthalt in ihrem Bereich kommt nicht in Frage, nur eben flüchtig darf man dort vorbeieilen, wie die Israeliten das Gold der Ägypter geraubt haben. Eine Rückkehr ist strikt ausgeschlossen (12: ~)non amplius revertendum est in Aegyptumcc). überblickt man die beiden Studienordnungen, so gibt es fünf große Unte rschiede: I.
Die )scientiae( nach Hex sind geHilulich:
2.
Das )uniri( durch die Wissenschaften ist verfehlt;
3. Oie Schrift gehört an den Anfang des Studiums;
nach RedArt tragen sie geistliche Früchte. die Wissenschaften vollbringen die )unio De i et animae<. sie gehört an das Ende.
4. Nur flüchtige Beschäftigung mit der Philosophie ausführliches Erforschen der Philosophie. erlaubt; 5. der Literalsinn ist wichtig;
der Literalsinn wird durch die Wissenschaften aufgesaugt.
Durch De Reductione mußte Bonaventura seinen ekstatischen Augustinismus stark geHihrdet sehen. Das Stehen der Dinge in Gott hatte Augustinus für einen Augenblick erlebt und daraus seine Iiluminationslehre abgeleitet. Nach Franziskus stehen alle Dinge allezeit in Gott, denn Gott ist eher erkennbar als alles andere Sein. Das ist die Botschaft des Mannes aus Assisi, dem der Philosoph aus Stagira ganz ohne Absicht zum besseren Durchbruch verhelfen sollte. Man muß Aristoteles nur umkehren, denkt Bonaventura, dann haben die Dinge ihr Sein mehr in Gott als in sich selbst. So hat es Gott in geheimer Verfügung für das '3. Jahrhundert bestimmt. Und nun kommt der Engländer Roger Bacon daher und will das geheime Werk Gottes zerstören? Nie und nimmer, ruft Bonaventura im Hexaemeron aus. Man kann sich zum Abschluß fragen, wie denn der Generalminister Bonaventura von dem Schriftehen De Reductione überhaupt erfahren hat? Hier ein einfaches Szenarium. Bei seinen vielen Reisen durch Europa kam Bonaventura alle Jahre auch einmal in Paris vorbei. Da könnte sich doch Bacon oder einer aus seinem Freundes-
kreis gedacht haben: Ich will unserem Oberen doch einmal zeigen, wie sehr sein Denken zu unserem Denken paßt. Ich lasse das Werk auch gleich mit seinem LiebIingszitat über den Vater aller Lichter beginnen (aus Jak I, 17). Nun lag das Schriftehen im Frühjahr 1273 auf dem Tisch Bonaventuras. er wettert dagegen im Hexa -
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erneTon, und Ende Mai muß er mitten in der Vortragsreihe plötzlich abbrechen, denn der Papst hatte ihn zum Kardinal gemacht und mit den Vorbereitungen für das Konzil von Lyon im nächsten Jahr beauftragt. Dort stirbt Bonaventura unerwartet im Juli 1274, und das Opusculum liegt immer noch auf seinem Tisch. Als dann die Pietät die verstreuten Schriften und Vorträge sichtete, wurden auch die paar Seiten von De Reductione, die äußerlich nach Bonaventura aussahen, im gleichen Sammelband untergebracht.
Augustinische Akzente in der Gotteslehre des Thomas von Aquin (1224/25-1274) von Thomas F1iethmann
Auf die Frage nach der Augustinus-Rezeption bei Thomas von Aquin lassen sich möglicherweise verschiedene, in jedem Fall aber sehr umfangreiche Antworten geben. Formal reicht schon ein Blick in die Indices der Thomas-Ausgaben aus, um die hervorragende Bedeutung Augustins für Thomas zu belegen. In inhaltlicher Perspektive könnten die Interpretationen der großen, zentralen Themen des christlichen Glaubens bei Thomas auf Spuren des Augustinischen Vorbildes abgesucht werden, und es kann kein Zweifel sein, daß da zahlreiche Funde gemacht würden. Die substantielle theologische Bedeutung Augustins etwa für die Trinitätslehre mit dem Ansatz beim Relationen-Begriff, für die Pneumatologie mit dem ausführlich ausgearbeiteten Bezug des Heiligen Geistes auf die Liebe, für die Gnadenlehre mit der Pelagianismus- und Semipelagianismusproblematik oder für das Thema des peccatum originale wird in den entsprechenden Dogmengeschichten hinreichend dargelegt und gewürdigt. Nun ist der Einfluß der Augustinischen Theologie bei Thomas insofern nicht verwunderlich, als Augustinus zumindest durch Textsammlungen und besonders du rch die Sentenzen des Lombarden omnipräsent war. Damit ist aber noch nicht geklärt, wie Thomas im Einzelfall die Augustinischen Vorgaben aufgenommen, weitergeführt, oder auch, wie z. B. beim Erbsündenthema, still und nachdrücklich uminterpretiert hat. Bei aller Reverenz ist Thomas von der bedingungslosen Zustimmung zu Augustinus, wie sie etwa Bonaventura formuliert, weit
entfernt. I
Ein Durchgang durch all diese Themen könnte im vorliegenden Zusammenhang lediglich kursorisch sein. 2 Statt dessen soll in einem ersten Schritt von der wissenschaftstheoretischen Position des Thomas selbst her die Stellung geklärt werden, die Augustinus als Autorität in der Theologie zukommt.' Im Anschluß daran werden exemplarisch einige Akzente der Augustinusrezeption bei Thomas anhand der Gotteslehre der Summa 1heologiae aufgeWiesen. Folgende Problemstellungen bilden da-
1
V gl. etwa einscWägige Stellen bei Bonaventura in Ulrich Köpf: Augustin Handbuch, 593.
2 Entsprechend aufzähJenden Charakter haben die Studien von Georg Freiherr von Hertling: AugusthlUs-Zitate bei Thomas von Aquin und Leon J. Elders: Les citations de Saint Augustin dans la Somme Theologique de Saint Thomas d'Aquit1. Hertling findet die beachtliche Zahl von über
250 Zitaten. »obwohl aUes spezifisch Theologische beiseite gelassen wurde« (ebd.). eine Be· SChränkung. die den Theologen immer wieder mit Erstaunen erfüllt. j Vgl. dazu Wilhelm Metz: Die Architektonik der Su.mma Theologiae des Thomas von Aquin. 46 - 50 .
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bei den Hintergrund, vor dem das Vorhaben Kontur gewinnt: Zum einen soll einer der roten Fäden sichtbar gemacht werden, der die gesamte Gotteslehre des Thomas zusammenhält, also sowohl den traditioneller-, aber durchaus diskussionswürdigerweise >philosophische Gotteslehre< genannten Teil, in dem es um die Einheit und die sogenannten >Attribute, Gottes geht, als auch den klassisch theologischen Teil, die Trinitätslehre. Das scheint nicht ganz überflüssig zu sein angesichts der Tatsache, daß man in der Literatur auch in jüngerer Zeit Abhandlungen zur philosophischen Gotteslehre des Thomas findet, elsi trinitas non daretur, aber eben auch ohne die Frage, ob man mit der Beschränkung der Perspektive die Gotteslehre des Aquinaten nicht ihrer Pointe beraubt.' Zweitens ist dieser rote Faden ein maßgeblich aus neu platonischen Maschen gewobener. Die jüngere Thomas-Forschung hat den Blick erneut auf die Einflüsse neuplatonischen Denkens (bes. Ps.-Dionysius) aufThomas gelenkt.' Die alte Opposition des Thomanischen Aristotelismus gegen einen Platonismus seiner Vorgänger ist in ihrer Ausschließlichkeit nicht aufrechtzuerhalten. Natürlich ist der neue Aristotelische Ansatz mehr als eine Akzentverschiebung, aber schon der Umstand, daß man in der Zeit des Thomas den Unterschied zwischen Platon und Aristoteles nicht in dem Maße zuspitzte, wie man das später tat,läßt erwarten, daß bei der Verarbeitung der Philosophie in der Thomanischen Theologie die Grenzen nicht so scharf gezogen werden. Und wenn Augustinus generell als Transporteur einer eher Platonischen Denkform angesehen wird, dann steht nicht zu erwarten, daß Thomas darin aus philosophischen Gründen unüberwindliche Schwierigkeiten sieht. Es spricht also viel dafür, daß Augustinus von Thomas zum Weben des neuplatonischen roten Fadens verstärkt herangezogen wird. Die Festigkeit des Fadens soll als Argument dienen, daß hier nicht etwa platonisierende Reste im Aristotelischen Konzept vergessen wurden, sondern daß Thomas sehr bewußt einen wichtigen Träger in sein System einzieht. Und drittens ist der vorliegende Versuch implizit auch eine Stellungnahme in einer innertheologischen Debatte. Es scheint in diesem Zusammenhang sehr sinnvoll, die trinitarische Gotteslehre Augustinisch-Thomanischer Provenienz angesichts mitunter überzogener Ansprüche der sogenannten >sozialen Trinitätslehre<, die darin der tritheistischen Gefahr wohl nicht immer entkommt, nach einer Phase ihrer Diffamierung als Modalismus wieder stark zu machen. In Zeiten eines sich intensivierenden Dialogs der Religionen ist es nicht ganz unerheblich, die beiden Teile der christlichen Gotteslehre in ihrer engen Verzahnung zu sehen.
Vgl. etwa Leon J. Elders: The Philosophieal Theology ofSt. 'V/omas Aquinas. S VgL Fran O'Rourke: Pseudo-Dionysius and the Metaphysies 0/ Aquinas; Wayne J. Hankey: God in Himself. 4
AUGUST I NISCHE AKZENTE I N DER GOTTESLEHRE DES THOMAS VON AQUIN
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Augustinus als Autorität in der >saera doctrina,
Bekanntlich organisiert Thomas Theologie als sacra dactrina im Rahmen eines wissenschafts theoretischen Subalternationsmodells nach Aristotelischem Vorbild. In diesem Rahmen kommen ihr weisheitliche und wissenschaftliche Momente zu. Für beides zieht Thomas Augustinus heran, der sich in De trinitate ausführlich mit der Unterscheidung von sapientia und scientia befaßt bat. Dementsprechend bestimmt Thomas den Wissenschaftscharakter der sacra dactrina mit einem AugustinuS' Wort, wonach in Abgrenzung von der Weisheit zur Wissenschaft, die sich nach Augustinus immer mit den zeitlichen Dingen beschäftigt, nicht dieses oder jenes Wissen, sondern nur jene Dinge gehören, die dem Glauben forderlich sind' Für den sapientialen Charakter der sacra dactrina bringt Thomas einen allgemeinen Hinweis auf De trinitate (12,14), wonach Weisheit die Betrachtung der ewigen Dinge, also der göttlichen Sphäre ist. Bei Thomas bekommt diese Bestimmung freilich einen präziseren Charakter, insofern Weisheit für ihn nach Aristoteles (Mp 1,2) das Vermögen der Prinzipien und Ursachen ist, in Thomanischer Diktion: »Sache des Weisen ist es, zu ordnen« (S.th. 1,1,6 obiectio 1). Um die höchste Ursache von allem, nämlich Gott, geht es aber in der mit Augustinus als Weisheit bestimmten sacra dactrina. Denn in der Thomanischen Unterscheidung der Aristotelischen Metaphysik von der sacra dactrina ist die Metaphysik gerade dadurch gekennzeichnet, daß in ihr Gott als Ursache ihres eigentlichen Objekts, des ens commune, gleichsam nur am Rande auftaucht, aber nicht dieses eigentliche Objekt ist' Die sacra dactrina dagegen hat als ihre eigentliche Aufgabe die Behandlung Gottes als der höchsten Ursache, und zwar nicht, insofern sie durch die Geschöpfe erkannt wird, sondern so, wie sie nur sich selbst bekannt ist und sich anderen durch Offenbarung mitteilt (S.th. 1,1,6). Freilich kann es zu einer Schau dieser Ursache bei Thomas nicht kommen. Somit positioniert Thomas hier mit Augustinischer Unterstützung die sacra doctrina in Bezug auf die Aristotelische Metaphysik. Umgekehrt verändern sich bei der Übersetzung der Augustinischen Unterscheidung von Weisheit und Wissenschaft in einen Aristotelischen Bezugsrahmen die Begriffe, ohne daß damit das Augustinische Anliegen aufgehoben wäre. Als subalternierte Wissenschaft, deren Prinzipien in der höheren scientia Dei et beatorum aufbewahrt, aber nicht durch Schau zugänglich sind, ist die sacra doctrina einerseits auf die Autorität der Schrift für die Offenbarung ihrer Prinzipien angewiesen. Da hier die göttliche Autorität selbst ins Spiel kommt, sind die Zeugnisse 6 Vgl. 5.th. I,I,2SC (das Zitat aus trin. 14.3): .Sed contra est quod Augustinus dicit, xiv de Trinitate: Huic scientiae attribuitur illud tantllmmodo quo fides sa iliberrim a gignitur, nutritur, defenditur. roboratur. Hoc autem ad nuHarn scientiam pertinet nisi ad sacram doctrinam. Ergo sacra doctrina est scientia.« 7 V gl. dazu Ludger Honnefelder: Der zweite Anfang der Metaphysik, 173 - 175.
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der Offenbarung unbezweifelbar. Am anderen Ende der Skala jener Momente, aus denen die sacra doctrina sich konstituiert, steht die menschliche Vernunft, die freilich den Glauben nicht beweisen kann, sondern höchstens Glaubenslehren •• näher erläutert« (manifestare). Für die Vernunft steht nun die Autorität der Philosophen ein, wo es diesen gelungen ist, die Wahrheit zu erkennen. Allerdings ist dies eine " fremde, äußerliche« Autorität, die es nicht weiter als bis zu Wahrscheinlichkeitsargumenten bringen kann. 8 Gleichsam dazwischen stehen die doctores ecclesiae, die Kirchenväter. Deren Lehren gehören zwar auch zum Eigenen der sacra doctrina, aber auch sie können höchstens zu Wahrscheinlichkeiten führen, sind also den kanonischen Schriften nach geordnet. Deren Vorrang sichert Thomas mit einem Zitat aus Augustins Brief an Hieronymus, den Übersetzer der Bibel, ab, wonach auch er, Augustinus, einzig die kanonischen Schriften für irrtumslos hält. "Die anderen Schriftsteller lese ich so, daß ich nicht ohne weiteres als wahr annehme, was sie geschrieben haben, sosehr sie sich auch durch Heiligkeit und Wissenschaft auszeichnen mögen.«' Sinnigerweise ist durch diese mit Augustinus belegte Relativierung der doctores ecclesiae auch die Verwendung der Augustinischen Autorität durch Thomas selbst betroffen. Allerdings zeigt sich in der Durchführung eine spezifische Unterscheidung zur Relativierung der Autorität der Philosophen. Offenkundig ist Aristoteles für Thomas der Philosoph, der besonders viel von der Wahrheit erkannt hat; er ist seine philosophische Hauptautorität. Nicht zuletzt steht er auch Pate für das Wissenschaftsmodell, innerhalb dessen seine Rolle gerade festgelegt wird. In seiner Kritik andere r Philosophen ist Thomas jedoch offen und explizit. Auch zur zeitgenössischen Diskussionslage nimmt er Stellung, wenn er immer wieder >quidam< aufs Korn nimmt. Das ist nicht verwunderlich, weil er sich hier auf dem Feld der natürlichen Vernunft bewegt, auf dem allein das bessere Argument zählt. Hier ist es möglich, entschieden Stellung zu beziehen. Anders scheint es bei den doctores ecclesiae zu sein. Zum einen fallt auf, daß auch Augustinus hier keine so exklusive Sonderstellung einnimmt wie Aristoteles; Thomas zitiert eine Fülle von Kirchenvätern, auch wenn Augustinus herausragt und von daher zurecht als eine Hauptautorität des Thomas bezeichnet werden kann." Jedoch
, Melchior Cano wird später in seinem System der loei theologiei diese Unterscheidung von eigenen und fremden loei übernehmen; vgl. dazu Peter Hünermann: Dogmatische Priflzipienlehre. 162 -166. 207 - 251. der seinerseits Cano aufnimmt und dessen Ansatz kreativ fortschreibt. 9 Vgl. 5.th. 1,1.8 ad2 (das Zitat aus ep. 82.3 ad Hieronymum): »Unde dicit Augustinus. in epistoJa ad Hieronymum: Solis eis Seripturarum Iibris qui canon ici appellantur, didici hune honorem deferre, ut nullum auctorem eorum in scribendo errasse aliquid firmissime credam. Alios autem ita lego, ut, quantalibet sanc titate doctrinaque praepolleant, non ideo verum putem. quod ipsi ita senserunt vel scripserunt. « 10 So Wilhelm Metz: Die Architektonik der Summa 'flJeologiae, 51.
AUGUSTINISCHE AKzeNTE IN DER GOTTESLEHRE DES THOMAS VON AQUIN
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ist die Kritik hier, wie bereits angedeutet, viel behutsamer. Da werden Korrekturen in der Lehre stillschweigend vorgenommen, da wird die Schuld an Irrtümern den Platonikern zugeschrieben, 11 die zu viel Einfluß auf Augustinus gehabt hätten, oder es werden Formulierungen mit Nachsicht und in einem weiten Sinne ausgelegt, um sie akzeptabel zu machen. 12 Es zeigt sich hier ein Unterschied, den Thomas offenbar deswegen macht, weil Augustinus als doctor ecclesiae eine der sacra doctrina eigene Autorität darstellt und nicht eine fremde, wie der Philosoph: In den Lehren der Kirchenväter liegt eine erste Auslegung der Offenbarung vor. Von daher kommt ihnen zwar nicht jene Irrtumslosigkeit der Offenbarungszeugnisse selbst zu, wohl aber eine besondere Dignität, die sie als von der Kirche akzeptierte Gestalt des Glaubensverständnisses (ratio fidei) haben. Sieht Thomas auch die Notwendigkeit, diese Form des Glaubensverständnisses zu seiner Zeit auf den gegenwärtigen Stand einer seientia subalternata nach Aristotelischem Vorbild zu bringen, so bieten die Väter doch eine Auslegung, die eine gewisse Normativität, wenn auch nicht Exklusivität, beanspruchen darf. In der ersten Quaestio seiner Summa Theologiae entwirft Thomas somit ein wissenschaftstheoretisches Gesarntkonzept, sichert es durch die vorgegebene Tradition ab und weist dieser Tradition zugleich ihren bestimmten Ort darin an,13
2.
Augustinus in der Gotteslehre der ,Summa Theologiae,
Nach dieser formalen Verortung der Augustinischen Autorität werden im folgenden anhand der Gotteslehre der Summa Theologiae einige materiale Aspekte der Augustinus-Rezeption bei Thomas angesprochen. Die Konzentration auf die Summa Theologiae als Spätwerk, das, soweit man sieht, ohne den Zwang äußerer Zwecke verfaßt wurde, verspricht am ehesten, Konstruktionsprinzipien von Theologie offenzulegen . Dazu ist es jedoch nötig, den Text eher flächig zu interpretieren. Prämisse der Interpretation ist, daß sich die Thomanische Gotteslehre der Summa Theologiae in drei Stufen entfaltet. Auf der ersten Stufe fragt Thomas danach, wie
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r.n.s ad3: .In multis autem quae ad philosophiam pertinent. Augustinus utitur opi~
nionibus Platonis, non asserenda. sed recitando. «; ähnlich auch 5.th. 1,51,1 ad1; S.th. 1,84,5: »[ .. . ] et ideo Augustinus, qui doctrinis Platonicorum imbutus fuerat. si qua invenit fidei accom~ ~oda in eorum dictis, assumpsit; quae vero inve nit fidei nost rae adversa. in meHus commu ta~ VltlC; Zitate bei Ulrich Köpf: Augustin an den Universitäten des 13. Jahrhunderts. 598. 11 Vgl. S.th. (.39,5 obLI adl; hier geht es freilich um die schwierige Frage von Aussagen über das Verhältnis von göttlichem Wesen und den göttlichen Personen. d IJ Die weiteren Augustinus-Zitate der ersten Quaestio stehen alle im 10. Artikel, der sich mit ~n verschiedenen Schriftsinnen, also der Auslegung der Heiligen Schrift befaßt. Hier ist die t eologische Autorität gefragt.
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Gott ist bzw. wie er nicht ist. Diese Thematik hat man dann später klassisch die ,Attributenlehre< genannt ungeachtet der Tatsache, daß Gott als solcher keine Eigenschaften haben kann. Die zweite Stufe umfaßt die Tätigkeiten Gottes, die dritte die Trinitätslehre. Diese Stufung kann gelesen werden als Entwicklung einer zunehmenden inneren Komplexität, und noch die an die Trinitätslehre anschließende Schöpfungslehre, die nach Thomanischem Verständnis explizit mit zur Gotteslehre gehört und eigentlich als vierte Stufe bezeichnet werden müßte,!' behandelt in der Thomanischen Durchführung einen weiteren Grad der Entäußerung Gottes, insofern Gott das Andere seiner selbst frei setzt. Hier geht es jedoch um die ersten drei Stufen.
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Gott als Ursache des endlichen Guten
Gleich in der ersten Stufe der Gotteslehre ist Augustinus vielfach präsent, besonders jedoch in den Quaestionen 5 und 6, die sich mit der bonitas Dei befassen. Im Aufbau der ,Attributenlehre< kommt dem bonum eine besondere Bedeutung zu, insofern nach dem rein negativen Vorgehen vorher, das zum Begriff des esse ipsum subsistens geführt hat, mit dem bOrlum erstmals eine Hinwendung Gottes als Ursache zur Schöpfung auftaucht, die dann durch die jeweils komplementären Begriffspaare ,Unendlichkeit - Allgegenwart< und ,Unveränderlichkeit - Ewigkeit< abgegrenzt wird. Dieser Gedanke des bonum als Ursache enthält starke neuplatonische Einflüsse. Gleich zweimal rekurriert Thomas auf eine Stelle aus De doctrina christiana: »Weil er nämlich gut ist, sind wir; und in dem Maße, in welchem wir sind, sind wi r gut.«!' Das erste Mal wird der zweile Teil des Salzes gleich im erslen sed contra zitiert, wo es um die transzendentale Identität von bonum und esse geht. Thomas erklärt hier, daß zwar eine Identität besteht, daß aber bonum den Charakter des Erstrebenswerten eines jeden Seins aussagt, der ihm durch seine Vollkommenheit zukommt, die wiederum auf seinem in actu-Sein beruht. Im Rahmen dieser Quaestio entfaltet Thomas die innere Polarität eines jeden Seienden, das einerseits gut ist allein durch sein Sein, das andererseits aber auch erst gut wird, indem es seine spezifische Vollkommenheit erwirbt, die ihm von außen zukommt, womit eine Relationalität des Seienden untereinander aufgespannt ist. Durch das Augustinus-Zitat iSI nun freilich schon die Herkunft dieser Relalionalitäl angezeigt, da ja Gott als 14 5.th. 1,2,1 Prooemium: »Cons ideratio autem de Deo tripartita erit. Primo namque considerabimus ea quae ad essentiam divinam pertinent; secundo, ea quae pertinent ad distillctionem personarum; tertio. ea quae pertinent ad processum creaturarum ab ipso. \( In meiner Interpretation unterteile ich die Lehre vom Wesen Gottes nochmals in die >Attributenlehre( und in die Lehre von seinen Tätigkeiten. 15 vgl. doetr. ehr. 1.35: »Quia ellim bonum est, sumus, et in quantum sumus, boni sumus.«
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Ursache der bonitas des Seins genannt ist. Die Relationalität ist also nicht nur eine der Seienden untereinander, sondern eine des geschaffenen Seins auf Gott hin. Die Ursachebeziehung Gottes zum Menschen wird al1 der zweiten Stelle, an der unser Zitat vorkommt, explizit. Da geht es darum, den Charakter des bonum als causa jinalis auszuarbeiten. Das Zitat erscheint als Einwand, der rur das bonum als causa elfiäens zu sprechen scheint. Thomas weist in der Antwort auf den Einwand darauf hin, daß alle mit Willen begabten Wesen deshalb gut sind, weil sie einen guten Willen haben. Gegenstand des Willens aber ist das Ziel. Das heißt in diesem Zusammenhang: Gott schafft das Endliche, weil er es will; und das Geschaffene ist gut, weil er es will. " In derselben Quaestio war das Problem des richtigen Verständnisses des »bonum diffusivum sui« behandelt worden. Mit seiner Augustinus-Auslegung gibt Thomas also nicht nur eine Antwort auf die Frage danach, ob das Gute als Wirk- oder als Finalursache wirkt, sondern er klärt auch, daß im Falle Gottes die Finalursache willentlich wirkt, und geht damit einen Schritt weiter in die Richtung, Gott als Ursache im Sinne des christlichen Schöpfergottes zu denken . Dies kommt noch einmal zum Ausdruck, wenn Thomas am Ende dieser ersten Stufe der Gotteslehre über die Namen Gottes nachdenkt. Bei der Frage nämlich, ob es Namen gibt, die Gott substantialiter bezeichnen, wird das Attribut >gutweise<eingeführt, spielt in der Durchführung dann aber allein eine Rolle. Thomas weist Positionen zurück, nach denen die Namen Gottes lediglich negativ gemeint sind (»Gott ist nicht böse«) oder ausschließlich seine Ursächlichkeit meinen (»Gott ist die Ursache des Guten«). Beide Positionen können nämlich nicht die Bevorzugung einiger Namen vor anderen erklären (»Gott ist Körper« wird ja üblicherweise nicht gesagt). Der Ansatz bei der Ursächlichkeit würde das Attribut nur in übertragenem Sinne von Gott aussagen, wie ja auch die Medizin, Ursache der menschlichen Gesundheit, nur im übertragenen Sinne und wegen dieses Kausalverhältnisses >gesund< genannt werde. Und drittens bemerkt Thomas lapidar, aber mit Gefühl für den religiösen Sprachgebrauch, daß man doch etwas anderes meine, wenn man von Gott die Güte oder die Weisheit aussage. Zur Darlegung seiner eigenen Position rekurriert Thomas auf die Schöpfungsrelation, jetzt aber nicht als Kausalverhältnis interpretiert, sondern im Sinne einer UrbildAbbild-Relation, so daß im Urbild - Gott - die bonitas in vollkommenerer Weise als im Abbild, der Schöpfung, angesetzt wird, und genau das ist durch die göttlichen Namen intendiert. Dies setzt aber den entscheidenden Unterschied: »Es folgt daraus also nicht, daß es Gott zukommt, gut zu sein, insofern er die Güte verursacht; son L6 S.th. 1.5.4 ad3: . Quilibet habens voluntatem. dicitur bonus inquantum habet bonam voluntatem. quia per voluntatem utimur omnibus quae in nobis sunt. Unde non dicitur bonus homo. qui habel bon um inteJlectum . sed qui haber honam voluntatem. Voluntas autem respicil fi nem ut ohiectum proprium. et sie. quod dicitur, quia deus est bonus. sumus, refertur ad causam fi nalem.«
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dern eher umgekehrt, weil er gut ist, teilt er den Dingen die Güte mit, nach dem Wort des Augustinus [ ... ] >Insofern er gut ist, sind win«Y Wilhe1m Breuning hat daraufhingewiesen, daß hier die Semantik der Urbild-Abbild-Relation noch einmal überstiegen wird, insofern Thomas mit dem Rückgriff auf das Augustinische Wort ja nicht so sehr die geschöpfliche Güte als Abklatsch und schwache Nachbildung der göttlichen Güte charakterisieren will, sondern die je eigene und darin wirkliche Güte des geschaffenen Seins auf die Güte Gottes zurückführt. Zeigte sich in den Attributen Gottes die Güte gleichsam als Wendepunkt, als Punkt der Hinwendung des esse ipsum subsistens zum Anderen seiner selbst, so ist dieses Moment mit der Aussage von der substantialen Güte Gottes hier unterstrichen.
2.2
Gott verursacht das Gute durch seinen Willen
Mit dem überschritt zur zweiten Stufe der Gotteslehre trägt Thomas durch die beiden operationes Erkennen und Wollen eine erste innere Differenzierung in den Gottesbegriff ein. Bereits die Ausführungen zum göttlichen Erkennen und zur Wahrheit, thematisch geradezu unerschöpflich, enthalten zahlreiche Augustinusbelege. Den Anschluß an die Thematik des bonurn jedoch bieten die Quaestionen über das göttliche Wollen. Unter dem Titel des göttlichen Wollens nimmt Thomas eine nähere Bestimmung der Art und Weise vor, wie der gute Gott Ursache von allem ist. Gleich der zweite Artikel fragt demgemäß, ob Gott Außergöttliches will; und das sed contra spezifiziert, worum es dabei geht: »Das ist der Wille Gottes: eure Heiligung.«18 Im corpus dieses Artikels bezieht er die Tendenz des Guten, sich mitzuteilen, auf den Willen Gottes, dem diese Tendenz in umso größerem Maße zukommen müsse. Hier liegt der Schwerpunkt der Frage darauf, ob Gott anderes als sich selbst wollen kann. Erst der vierte Artikel fragt dann jedoch explizit, ob es denn der Wille Gottes ist, der die Dinge verursacht, oder nicht doch seine Natur oder sein Wesen. Und hier begegnet nun wieder die schon bekannte Stelle aus De doctrina christiana: Im dritten Einwand soll sie belegen, daß Gott kraft seiner Natur und nicht durch seinen Willen Ursache von anem ist, da seine Güte ja eines seiner Wesensmerkmale ist. Denn, so lautet der Vergleich, auch das Feuer ist Ursache des Erwärmens, weil es selber warm ist. In Thomas' Antwort auf die Frage, die natürlich zugunsten der willentlichen Ursächlichkeit VgL. S.th. 1,13,2: »Unde ex hoc non sequ.itur quod deo competat esse bonum inquan tum causat bonitatem: sed potius e converso, quia est bonus. bonitatem rebus diffundit, secundum iIlud Augustini, de Doct. Christ.: inquantum bonus est, sumus.« Vg!. zur Auslegung dieser SteHe im angegebenen Sinne Wilhelm Breuning: >l"sofer" Gott gut ist, sind wir<, 169 - 180. 18 Vgl. S.th. I,19,2SC: »Sed contra est quod Apostol us dicit, I Thess. iv: Haec est voluntas de i, sa nctificatio vestra.« 11
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ausfaJIt, kann er einerseits darauf hinweisen, daß Erkennen und Wollen das Wesen Gottes sind (ad 2), die Frage insofern also eine gewisse Künstlichkeit hat. Auf den Einwand mit dem Augustinus-Zitat antwortet er nun aber mit einer Interpretation: Das Gute ist Gegenstand des Willens. Da wir sind, weil Gott gut ist, sind wir um der Güte Gottes willen. Es gibt also keinen externen Zweck dafür, daß Gott das will, was nicht er selbst ist, sondern er will es um seiner Güte, d.h. um seiner selbst willen. Dies paßt einerseits in Thomas' Lehre vom Wollen, wonach jegliches Wollen ein Ziel haben muß, Gott aber kein Ziel außerhalb seiner selbst haben kann. Andererseits wird er dem Augustinus-Zitat damit gerecht, denn an der entsprechenden Stelle spricht Augustinus über die Eigenheiten des göttlichen uti und frui, da es in Gott doch keinerlei Bedürfnis gibt. Dies vertieft Thomas im unmittelbar folgenden Artikel. Wenn der Wille Ursache der Dinge ist, ist Schöpfung dann nicht willkürlich? »Wer wagt zu behaupten, Gott hätte alles ohne Grund geschaffen?« fragt Thomas mit Augustinus im ersten Einwand. Wenn jedoch nicht ohne Grund, muß man dann nicht zurückfragen nach einer Ursache des göttlichen Willens?" Augustinus ist es auch, der im sed contra das Problem benennt, das die Angabe eines Grundes für den göttlichen Willen darstellen würde: Nichts ist größer als der Wille Gottes'· Das Ziel göttlichen Handeins kann nur er selbst als seine eigene Güte sein. Dieses Ziel und die Mittel dazu, nämlich die Schöpfung, will er nun nicht in unterschiedlichen Akten nacheinander; und in diesem Sinne werden die Geschöpfe also nicht gewollt, weil Gott seine Güte will. Das Wollen der Mittel folgt im Falle Gottes nicht aus dem Wollen des Zwecks. Vielmehr will Gott in einem einzigen Akt Ziel und Mittel. Darin sind dann allerdings die Mittel hingeordnet auf das Ziel. Zu dieser Ordnung gehören auch Mittelursachen, so daß es nicht überflüssig ist, innerhalb der Schöpfung nach Ursachen zu sueben; die allen vorgeordnete Ursache jedoch ist der Wille Gottes, wie Thomas mit Augustinus unterstreicht.'! Somit umfaßt Gottes guter Wille die wechselseitige Ordnung der Dinge untereinander und insgesamt auf Gott hin. Diese Ordnung existiert, weil er sie will; er selbst ist dieser Ordnung aber nicht unterworfen und er wird von ihr nicht bestimmt." ,.Dicit enim Augustinus,libro Octoginta trium Quaest.: Quis audeat dicere Deurn irratio· nabiliter omnia condidisse? Sed agenti voluntario, quod est ratio operandi, est etiarn causa vo· lendi. Ergo voluntas Dei habet aliquam causam.4I (5.th. 1,19,5 obi. 1; Zitat aus d;y. qu., q. 46; CeL 44', 72). 19
20 Vgl. 5.th. 19.5SC (Zitat aus d;y. qu., q. 28): . Sed contra est quod dicit Augustinus. in libro Octoginta trium Quaest.: Omnis causa efficiens maior est eo quod efficitur; nihil tarnen maius est voluntate Dei; non ergo causa eius quaerenda est.4I • 21 S.th. 1,19.5 ad2 (vgl. trin. 3,7): .eurn velit Deus effectus sic esse, ut ex causis certis prove· rnant, ad hoc quod servetur ordo in rebus; non est supervacu um. etiarn curn voluntate Dei, alias caUsas quaerere. Esset tarnen supervacuurn, si aHae causae quaererentur ut primae. et non dependentes a divi na volu ntate.1C l2 S.th. [.19,5: . Deus autern, sicut uno actu ornnia in essenlia sua intelligit, ita uno actu vult
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Unter den Aspekt der Ordnung kann man auch die weiteren Themen fassen, an denen Thomas auf dieser zweiten Stufe der Gotteslehre Augustinische Beteiligung zuläßt bzw. die Augustinische Meinung einholt. Es geht da um die Unfehlbarkeit des göttlichen Willens, die durch die scheinbare Nichterftillung seines universale n Heilswillens beeinträchtigt scheint (S.th . 1,19,6 adl). Ein ähnliches theologisches Problem wirft die Frage auf, ob Gottes Wille den Dingen Notwendigkeit auferlegt (S.th. 1,19,8 obi. I, adl). Bei der Einordnung des Bösen unter den Willen Gottes ist Augustinus wiederum gefragt. Ganz in neuplatonischem Geist ist Augustinus bei der Frage nach der Liebe Gottes immer der Advokat einer in sich gestuften Liebe Gottes zu unterschiedlichen Dingen oder Personen (vgl. S.th. 1,20,3SC; 20,4 obi. 3). Wenig überraschend wird Augustinus dann bei den Themen der Prädestination und besonders der Vorsehung massiv herangezogen. Anstatt jedoch diese Themen im einzelnen durchzugehen, soll der Faden verfolgt werden, der vom bonum über die voluntas Dei als der spezifischen personalen Ursächlichkeit dieses bonum weiterläuft in den dritten Teil der Gotteslehre der Summa, nämlich der Trinitätslehre.
2.3 Die Person des Heiligen Geistes als trinitarische Verankerung der Gabe des Guten
Die Häufung der Augustinus-Zitate in der Trinitätslehre macht es schwer, neben dem Einfluß auf bestimmte Sachthemen auch die strukturelle Einordnung der Augustinischen Gotteslehre an bedeutsamen GelenksteIlen nachzuweisen; zu umfassend ist über die reinen Zitate hinaus auch der gesamte Duktus der Trinitätslehre an die Augustinische Theologie angelehnt. Thomas eröffnet seine Trinitätslehre mit drei Quaestionen zu den Begriffen Hervorgang - Relation - Person. Zur Erläuterung der Hervorgänge wird Augustinus nicht herangezogen, obwohl Thomas die Hervorgänge von Sohn und Geist anhand der Vermögen von Erkennen und Wollen expliziert, was an den Augustinischen Temar Sein-Erkennen-Wollen (esse-nossevelle) aus den Confessiones" erinnert, der aber in De trinitate nicht mehr vo rkommt." Mit den trinitätstheologischen Begriffen der Relation und der Person knüpft Thomas wieder explizit an Augustinus an und versucht, mit dem Begriff de r relatio subsistens jenes Problem des Verhältnisses von relativ-personaler und absoomnia in sua bonitate. Unde, sieut in Deo intelligere causam non est causa intelligendi effectus. sed ipse intelligit etfectus in causa; ita velle finem non est ei causa volendi ea quae sunt ad fine m. sed tamen vu lt ea quae sunt ad finem, ordjnari in finern. VuJl ergo hoc esse propter hoc: sed non propter hoc vult.fC lJ
COtif. 13. 12.
:14
VgJ. Franz Courth: Trinität,
201.
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lut-subSistenter Seinsweise Gottes auf den Punkt zu bringen und zu lösen, das Augustinus so viel Kopfzerbrechen bereitet hat." Die weitere Bearbeitung der Trinitätslehre und die Referenzen zu Augustinus kreisen auch bei Thomas maßgeblich um das Verhältnis von Dreipersönlichkeit und Einheit Gottes sowie der Gleichheit und Unterschiedenheit der Personen. Auf der Suche nach strukturellen Aufnahmen Augustinischer Tradition verdient ein Punkt besondere Beachtung. Es war daraufhingewiesen worden, daß Thomas die Hervorgänge der zweiten und dritten göttlichen Person mit dem Hinweis auf die Tätigkeiten des Erkennens und Wollens erläutert." Damit knüpft er an den zweiten Teil der Gotteslehre an . Dem Heiligen Geist kommt demnach in besonderer Weise das zu, was über das göttliche Wollen, und natürlich auch, was über die göttliche Liebe gesagt worden ist. Demgemäß wird im Zentrum der Thomanischen Trinitätslehre, wenn die drei göttlichen Personen einzeln betrachtet werden, gefragt, ob ,Liebe< ein nomen proprium des Geistes sei. Diese Verbindung ist traditionell und in der Patristik breit entfaltet. Auf einen ähnlich gut belegten, traditionellen Bestand greift Thomas zurück, wenn er eine eigene, weitere Quaestio der Frage widmet, ob donum, Gabe, ein nomen proprium des Geistes sei. Aber daß Thomas das an dieser Stelle so ausführlich tut, ist nun in der Tat bemerkenswert. Denn außer im Senten.enkommentar," wo das Thema durch den zugrundeliegenden Text vor- und aufgegeben ist, macht Thomas dies sonst nie so ausflihrlieh. Die Probleme, die er in dieser Quaestio behandelt, lindet man bei Augustinus mehr oder minder auch wieder: die Gefahr, zwischen Geber (Gott) und Gabe (Geist) einen ontologischen Unterschied zu setzen; die Inferiorität des Geistes als Gabe sowohl gegenüber dem Geber als auch gegenüber dem Empfanger; die zeitliche Konnotation, die hier in das nomen proprium einer göttlichen Person eingetragen wird. Auch die Lösung dieses Problems hat eine Augustinische Wurzel, wenn darin auf die Möglichkeit zum Geben noch vor der heilsökonomischen Realisierung gesprochen wird. Insgesamt geht Thomas diese traditionellen Probleme mit Rückgriff auf die von ihm zuvor ausgearbeitete, diffizile Struktur von essentiellen und nationalen Begriffen an. Strukturell scheint aber bedeutsam zu sein, daß Thomas dem Thema überhaupt so viel Gewicht beimißt. Denn damit ist im innersten Kern der Trinitätslehre jener Bezug auf die Schöpfung eingetragen, den wir in den vorhergehenden Teilen der Gotteslehre am Begriff des bonul1l aufgezeigt hatten . Vgl. dazu Andre Malet: Person ne et Amour dans la 711fologie trinitaire de saint Thomas d"Aqtlinj Hans Christian Schmidbaur: Persona rum Trinitas. ~ Vgl. den Hinweis auf die Ausgangsbasis des Verständnisses bei den vornehmsten Ge~chopfen in S.th. 1,27.1: NeUrn autem Deus sit super omnia, ea quae in deo dicuntur. non sunt 'nteIlig . n .. en da secun d um modum .mfimarum crealurarum. quae sunt corpora; sed secundurn Sl./'h.t~dinef11 supremarum creaturarum. quae SU11t intel1ectuales substantiae; a quibus etjam 'mlluudo accepta deficit a repraesenratione divinorum. 4C 2? Vgl. JSent, dist. 18,1- 2. • 15
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Wie man diesen Eintrag im Vergleich zur Augustinischen Theologie beurteilen will, hängt natürlich von der Beurteilung der Augustiniscben Pneumatologie selbst ab. Michael Schmaus zu seiner Zeit sah in diesem Schöpfungsbezug einen Fremdkörper in der streng immanent angelegten Augustinischen Trinitätslehre." Franz Courth dagegen preist ihre ausgesprochen weite heilsgeschichtliche Sicht." Wie immer man das beurteilen mag, bei Thomas ist die Aufnahme dieses Themas gerade in seiner heilsökonomischen Konnotation sicher weder Fremdkörper noch Zufall. Vielmehr verankert er mit der Aufnahme des Gabe-Themas die ihm vom christlichen Glauben zu denken aufgegebene freie, gnadenhafte Zuwendung Gottes zum Menschen im innersten Leben und Wesen Gottes selbst, und indem er dies hier, also in der sogenannten immanenten Trinitätslehre tut, blickt er gleichsam aus der Perspektive Gottes auf dieses Geschehen göttlicher Hinwendung zum Anderen seiner selbst: Gott schafft das Andere seiner selbst aus frei sich mitteilender Güte im Heiligen Geist. Und trotz dieser Perspektive wird Thomas seiner übergreifenden erkenntnistheoretischen Vorgabe, Gott als principium et finis omnium und damit lediglich vom Standpunkt des Geschöpfs in den Blick nehmen zu können, nicht untreu: Auch die sogenannte immanente Trinitätstheologie ist kein vorwitziger Blick in das Innenleben Gottes, sondern nur aufgrund des durch Offenbarung explizierten Schöpfungsverhältnisses möglich. Dieser Schöpfungsbezug schließt die Thomanische Trinitätslehre mit dem ebenfalls Augustinisch durchtränkten Thema der Sendungen ab. Es stellt ein Bindeglied dar, denn einerseits sind die Sendungen der Personen begründet in den innertrinitarischen Hervorgängen, zum anderen sind sie ja die besondere, gnadenhafte Anwesenheit Gottes in der Schöpfung. Daß dabei traditionell der Sendung des Geistes besonderes Augenmerk gewidmet wird, kann nicht überraschen. Denn die Aufnahme einer gesandten Person bedarf der Gnade, die selbst Gabe ist. Damit eröffnet sich ein Zirkel, wonach die Annahme der Gabe Gottes schon der Gabe einer gnadenhaften Vorbereitung bedarf. Diese Struktur verweist auf ein Liebesgeschehen, Vg!. Michael Schmaus: Die psychologische Trinitätslehre des Heiligen Augustinus, 397 f.: »Man kann seine (Augustins; T. F.) Ausführungen nicht etwa in dem Sinne verstehen, daß der h!. Geist das gegenseitige Geschenk des Vaters und des Sohnes ist, daß er die Blüte ihrer Freigebigkeit ist. Er übernahm aus der Tradition die Bezeichnung Geschenk, ohne sie der ihr anhaftenden heilsökonom ischen Bedeutung zu entkleiden. Die mit dem Begriff donum sich verbindende enge Beziehung zur Schöpfung bildet in der von dem Gedanken der strengsten Immanenz beherrschten Trinitätslehre Augustins ein heteroge nes Element./( 29 Vg!. Pranz Courth: Trinität, 208: »Gilt die Lehre von den die eine Wesenheit unterschei denden Relationen als das eine Kennzeichen der augustillischen Trinitätsauffassung, so ist sei ne ausgesprochen weite heilsgeschichtliche Sicht das andere. Der in sich geschlossene innertr initarische Lebensaustausch weitet sich aus in die Schöpfung. besonders sichtbar in die des Menschen. in die Erlösu ngsgesch ichte, in die Heiligung des einzelnen Gläubigen und dann vor allem in das Verständnis von Kirche.« 2.8
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insofern es die Liebe ist, die Personen füreinander aufschließt und so fahig macht, einander zu begegnen. In gewisser Weise ist die Liebe so die Bedingung zu lieben. Dabei macht die Gewähr dieser Voraussetzung die Liebenden nicht unfrei, sondern im Gegenteil gerade frei. Aufgrund dieser Liebesstruktur ist es aogemessen, die Einwohnung Gottes im Menschen vorrangig dem Heiligen Geist zuzuschreiben.
3. Augustinus - ein lehrer des Thomas von Aquin? Der These des vorliegenden Bandes, daß nämlich AugustLnus eLn Lehrer des Abendlandes sei, kann im Hinblick auf die christliche Gotteslehre und im speziellen die Theologie des Thomas von Aquin nur zugestimmt werden. Der aufgezeigte rote Faden, gewoben aus bon um, vo/tlntas, amor, spirirus sanctus, brLngt in der Thomanischen Theologie eine wesentliche Grundaussage christlicher Gotteslehre zum Tragen, nämlich die Botschaft von der freien, gnadenhaften Zuwendung Gottes zu seiner Schöpfung. Zur intellektuellen Ausarbeitung dieses Motivs stützt sich Thomas nicht nur auf Augustinus, abe r es sollte deutlich geworden sein, daß es mit der Autorität des Augustin us immer wieder präsent gehalten wird. Am Beispiel der Aufnahme AugustLnischer Motive in die Gotteslehre des Thomas von Aquin läßt sich daher ablesen, wie Rezeption auch im Rahmen eines durch Autoritäten bestimmten Denkens ein Sachthema nicht nur aufnimmt, sondern auch präzisiert, korrigiert und neu formt, und wie darin die Intentionen der akzeptieren Vorgänger unter gewandelten wissenschaftstheoretischen Vorgaben nicht nur aufgenommen, sondern auch weitergeführt werden.
Der Augustinismus des 13. Jahrhunderts als Herausforderung für die Augustinus-Rezeption des Johannes Duns Scotus (1265-1308) von Hannes Mähte
Wollte man das Verhältnis des Johannes Duns Scotus zum Heiligen Augustinus in einem einzigen Wort charakterisieren, so käme hierfür kaum ein anderes in Frage
als ,differenziert<. Dies ist nicht zuletzt deshalb der Fall, weil für Scotus die Frage nach dem authentischen Augustinus deutlich hinter die Frage nach dem Augustinismus des 13. Jahrhunderts zurücktritt, auch wenn die intentia Augustini für Scotus eine erhebliche Relevanz behält. Mit dem Begriff ,Augustinismus des '3. Jahrhunderts< ist in einem weiten Sinne die Adaptation Augustinischen Gedankenguts im Kontext der Aristoteles-Rezeption in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts gemeint. Dieser Begriff ist also umfassender als der durch Etienne Gilson geprägte Ausdruck ,augustinisme avicennisant<.' der vor allem auf die Verbindung der Augustinischen Illuminationslehre mit der Aristotelischen Lehre vom intel/eetus agens zielt. Diese Verbindung der Peripatetischen mit der Augustinischen Lehre wird durch die von Avicenna geprägte Deutung forciert, wonach die menschliche Seele nur durch den Einfluß einer außerhalb ihrer anzunehmenden höheren Intelligenz zum Wissen gelangen kann. Identifiziert man den ursprünglich Aristotelisch gedachten intel/eetus agens' über den durch Avicenna geprägten Zwischenschritt der höheren Intelligenz,' der im Anschluß an Avicenna in einem mnfassenden Sinne als datar farmarum gedeutet Wird,' schließlich mit Gott selbst, so verbindet sich die Aristotelische Lehre mit der von Augustinus geprägten Illuminations theorie. Dieses besondere Gepräge der Fruchtbarmachung des Augustinus ist Duns Scotus nicht unmittelbar in dieser avicennisierenden Fassung, sondern vor allem durch die Deutung in der Theologie und Philosophie seines permanenten Gesprächspartners Heinrich von Gent gegenwärtig. Wohl kein anderer Zeitgenosse hat für Scotus diese herausragende Bedeutung, wie sie Heinrich und damit seine Aneignung AuVgl. Etienne Gilson: Pourquoi saint Thomas a critique saint Augustirl. 5-12.7; ders.: Les SO!lrces greco-arabes de J'augustinisme avicennisant, 5 -149. 1 Die lateinische Übersetzung des Avicenna verwendet an Stelle des Ausdruckes )intellectus I
agens< den Begriff )intelligentia agens<. J Vgl. Avicenna: Liber de pllilosophia prima sive seiet/tin divifla IX. 3. 475.9 -13. ~ Vgl. Averroes: Commerltarium in libros Metaphysicorum VII. 10 com. 31: »Et ideo quia AVicenna obedit istis proposition ibus, credidit omnes forrnas esse ab intel ligentia agente. quam VOcat datorem formarum.«
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gustins besitzt. Da es im Werk des Duns Scotus kein einhelliges Verhältnis zum Denken Augustins gibt, ist die folgende Darstellung, die auf die Deutung der Augustinischen Illuminationslehre fokussiert ist, zwar aufschlußreich, aber keineswegs erschöpfend. Deutlich andere Züge kämen zum Vorschein, würde man den Einfluß der Augustinischen Willenstheorie in der Scotischen Konzeption von Freiheit und Willentlichkeit zum Gegenstand machen.
1_
Die Illuminationslehre
An zentraler Stelle seines Sentenzenkommentars erörtert Scotus die Frage, ob es für den Menschen in seiner gegenwärtigen Verfassung möglich ist, irgendeine sichere und reine Wahrheit allein mit den Mitteln der natürlichen Vernunft und unabhän gig von einer besonderen Erleuchtung (illuminatio bzw. illustratio) zu erkenn en.' Die Grundlage für die Scotische Antwort auf diese Frage ist die kri tische Auseinandersetzung mit der Lehre des Heinrich von Gent. Heinrich selbst entwickelt wesentliche Gesichtspunkte seiner Erkenntnistheorie eingangs seiner Summa quaestiOnLlm ordinariarum, also noch vor Weihnachten 1276.6 Heinrich entwirft seine Lösung der Probleme in einer eingehenden Auseinande rsetzung mit der Lehre des Heiligen Augustinus. In welchem Maße Augustinus für ihn tatsächlich der wichtigste Gesprächspartne r ist, macht allein die quantitative Verteilung der von der kritischen Edition nachgewiesenen Quellen-Einträge de utlich: Von den 112 Einträgen im Quellenapparat entfallen 61 auf Augustinus gefolgt von 26 expliziten oder anonymen Erwähnungen des Aristoteles. Altes und Ne ues Testament zusammen kommen immerhin noch auf 6 Einträge, die restlichen 19 verteilen sich auf elf weitere Quellen. Was ist der entscheidende Gedanke, der Heinrichs Aufmerksamkeit bindet und dessen Deutung ihn im Kontext seiner eigenen Erkenntnislehre so sehr in Anspruch nimmt? Zunächst rezipiert Heinrich von Augustinus einen gewissen skeptischen Vorbehalt gegenüber der Möglichkeit, im Ausgang von den Sinnendingen zu ei ner Erkenntnis der reinen oder lauteren Wahrheit zu gelangen. In einem gegenüber der kritischen Edition leicht veränderten Wortlaut zitiert Heinrich aus der neun ten Frage der Sammlung De diversis quaestionibus octoginta tribus:' »Von den sinn lich wahrnehmbaren Körpern ist keine reine Wahrheit zu erstreben. «' Was ist aber diese
5 Vgl . Johannes Duns Scotus: Ord. I d. 3 p. l q. 4, 123 -172.
Zu Heinrichs Lehre von der Illumination vgl. Martin Pickave: Heinrich von Gent über Metaphysik als erste Wissenschaft, 57 - 79· 1 vgl. Augustinus: div. qu. 9. 8 Heinrich von Gent: Summa a.1 q. 2, 43.294 - 296 : »Unde hanc causam in certitudjni s seie n6
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reine Wahrheit bzw., wie es bei Augustinus selbst heißt, die Reinheit der Wahrheit? Und aus welchem Grunde ist der Mensch zu ihrer Erkenntnis nicht befahigt?' Heinrich beantwortet die zweifache Frage wiederum mit Referenz auf AugustinuS, wobei er ihn durch Bezugnahme auf Anselm von Canterbury und auf Platon deutet. »Die Wahrheit einer Sache kann nämlich nur aufgrund der Erkenntnis der Gleichgeformtheit der erkannten Sache ihrem Urbild gegenüber erkannt werden, weil, wie Augustinus in De vera religione sagt,« so fahrt Heinrich fort,» Wahres nur insofern wahr ist, als es dem einen Ursprünglichen ähnlich ist.«I' Diese Auffassung Augustins entspricht nach Heinrich der Deutung Anselms, wenn dieser die Wahrheit als conformitas gegenüber einem wahrhaft wahren Urbild (verissimum exemplar) versteht,u Diese Rede vom Urbild I' verbindet Heinrich mit der Platonischen Lehre vom doppelten exemplar, nämlich vom gemachten oder geschaffenen exemplar (jactum atque elaboratum) einerseits und dem ewigen und unveränderlichen (perpetuum atque immutabile) andererseits. 1J Heinrich diskutiert zunächst, in welchem Maße es dem Menschen möglich ist, die Wahrheit einer Sache in Bezug auf ein Urbild im ersten Sinne, also in Bezug auf ein exemplar factum bzw. ein exemplar ereatum zu erkennen. Die Rede von der Wahrheit hinsichtlich der Erkenntnis eines solchen exemplar scheidet aus, wenn das Urbild nur als äußerer Erkenntnisgegenstand gedeutet wird, in dem Sinne, wie das gemalte Bild eines Menschen auf einer Wand etwas zur Erkenntnis des Menschen beitragen soll.l< Wird ein solches Urbild nur im Sinne eines Erkenntnisgegenstandes erfaßt, handelt es sich noch nicht um wirkliche Erkenntnis von Wahrheit. I' Wahrheitserkenntnis im engeren Sinne liegt erst dann vor, wenn sich diese auf das Erkenntnismittel, die ratio cognoscendi, bezieht, durch die etwas gewußt wird. Eine sinnliche Repräsentation im Sinnesvermögen oder ein Erkenntnisbild im Verstand sind solche rationes cognoscendi.16 Die entscheidende Frage lautet jetzt, ob eine solche Erkenntnis mit rein natürlichen Mitteln möglich ist. Heinrichs Antwort tiae rerurn naturaliurn ex sensibilibus acceptam Augustinus, pertractans 83 Quaestionum q.f 9", dicit quod >a sensibilibus corporis non est expetenda sincera veritas<.t( , Zum folgenden vgl. Christoph Kann: Wahrheit und Wahrheitserkenntnis bei Heinrich von Gent, 157 -175; Steven P. Marrone: Truth and Scientific Knowledge in the 7hought Henry 0/ Ghent, 13 - 40.
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10 Heinrich von Gent: Summa a.l q. 2,39,225 - 40,229: ,. Et est dicendum quod. cum, ut dictum est iam, veritas rei non potest cognosci njsi ex cognilione conformitatis rei cognitae ad Suum exemplar, quia, secundum quod dicit Augustinus Oe vera religione: >vera in tanturn vera SUnt in quantum principalis unius similia sunt<. t( Vgl. Augustinus: vera rel. 66. 11 Heinrich von Gent: Summa a.l q. 2, 40,229 - 231. U Vgl. auch Heinrich von Gent: Summa a.l q. 2, 39.209 -211. H Vgl. Heinrich von Gent: Summa a.1 q.2, 40.232 - 234. 1~ Vgl. Heinrich von Gent: Summa a.l q. 2, 40,240 - 41,246. 15 Vgl. Heinrich von Gent: Summa a. I q.2, 41,246 - 259. 16 Vgl. Heinrich von Gent: Summa a.l q. 2,41,244 - 246.
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lautet: aliquo modo, in einer bestimmten Hinsicht, nämlich so wie Aristoteles ein dem Menschen mögliches Wissen der natürlichen und damit veränderlichen Dinge konzipiert. 17 Gemeint ist ein Wissen, das im Aufstieg von der Sinneserkenntnis anhebt und zusammen mit einer wiederholten Erfahrung zu einer verallgemeinerten Erkenntnis führt, die dann ars oder seientia genannt werden kann. Ein solches Wissen, wenn es allgemein ist, reicht z. B. hin, um verschiedene Arten von Lebewesen zu erkennen, so daß wir von einer Sache, die uns begegnet, wissen, ob es sich um ein Lebewesen handelt oder nicht. Ist dieses Wissen spezieller Natur, so erkennen wir hierdurch, ob es sich bei der uns begegnenden Sache z. B. um einen Esel handelt oder nicht." Zu fragen ist weiter, inwiefern es sich bei dieser Art von Wissen um ein solches handelt, das nur in eingeschränkter Weise eine Erkenntnis der Wahrheit einer Sache liefert, wie Heinrich eingangs betonte (bene potest aliquo modo veritas ipsius rei cognosci)? Die Frage gilt dem .aliquo modo<, mit dem Heinrich einen Vorbehalt zunächst nur angedeutet hat. Wenn der Mensch sich ein Wissen über eine Sache angeeignet hat und dieses Wissen sich nicht nur unmittelbar auf den gegenwärtigen Gegenstand richtet, sondern sogar einen Bezug zu einem Urbild herstellt, das als ratio cognoscendi, d.h. als Erkenntnismittel fungiert, so verfügen wir durch dieses Urbild doch noch keineswegs über eine Wahrheitserkenntnis im engeren Sinne. Denn es ist aus Sicht Heinrichs vollkommen unmöglich, daß uns ein solches Urbild - wir reden nach wie vor von einem exemplar ereatum - tatsächlich eine gänzlich sichere und täuschungsresistente Erkenntnis der Wahrheit (certa omnino et infallibilis notitia veritatis) gewährt. l ' Hierfür nennt Heinrich drei Gründe. Der erste betrifft das Urbild selbst. Ein solches Urbild, das durch Abstraktion von einem sinnlich wahrnehmbaren Gege nstand gewonnen wird, behält die Veränderlichkeit des Gegenstandes, von dem es abstrahiert wurde, bei. Es ist also selbst veränderlich. Hier greift der bereits genannte Augustinische Vorbehalt gegen das Aristotelische Wissensmodell. Im Ausgang von den Sinnendingen ist es aus Sicht Augustins grundsätzlich nicht möglich, zu einer sincera veritas vorzudringen. 20 Der Ursprung des aJs ratio cognoscendi. als Erkenntnismittel, fungierenden Urbildes im Veränderlichen läßt es für Heinrich, der in dieser Frage mehr Augustinus als Aristoteles folgt, nicht zu, ein sicheres Wissen zu begründen. Der zweite Grund liegt in der menschlichen Seele selbst, die als solche veränderlich und anfallig für Irrtümer ist. Es ist für Heinrich ausgeschlossen, daß das Seelenvermögen des Menschen durch das von den natürlichen Dingen her stammende
V gI. Heinrich von Gent: Summa a. 1 q. 2, 41,260 - 42,271. 18 Vgl. Heinrich von Gent: Summa a. 1 q. 2, 42,278 - 43,281. 19 Vgl. He inrich vo n Gent: Summa a.l q.2, 43,282- 284. 20 Vgl. Heinrich von Gent: Summa a. 1 q. 2, 43,288 - 299. 17
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Urbild in einen dauerhaft irrtums freien Zustand versetzt werden kann, da der Ursprung in der extramentalen Natur in einer entsprechenden natürlkhen Hierarchie
dem Seelenvermögen nachgeordnet ist. Diese Nach- oder Unterordnung des Urbildes hat für Heinrich die Unmöglichkeit einer Korrektur und Stabilisierung des Seelenvermögens zur Folge. Das Niedere kann nicht das Höhere korrigieren." Das dritte Argument schließlich setzt wiederum beim Begriff des Urbildes an. Erkenntnis mittels der Bezugnahme auf ein Urbild kann demnach nicht als sicher gelten, weil jedes exemplar, das durch Abstraktion ursprünglich im Ausgang von Sinnesbildern gewonnen wurde, durch deren Ähnlichkeit mit dem Falschen geprägt ist. So wie uns Traum- oder Wahnbilder Dinge als wahr erscheinen lassen, die es nicht sind, so haftet jedem durch Abstraktion gewonnenen Urbild eine gewisse Ununterschiedenheit gegenüber dem Falschen an. Sichere Wissenschaft oder ein sicheres Wissen der Wahrheit kann es aus diesem Grund nicht geben"
2.
Die doppelte Wahrheit
Im Ergebnis bleibt festzuhalten, so resümiert Heinrich seine Begründung, daß es eine zweifache Wahrheit gibt und eine zweifache Weise, die Wahrheit zu erkennen. Ausdrücklich spricht er von der duplex veritas und dem duplex modus seiendi veritatem, wobei er sich auf eine Passage aus den Soliloquia" Augustins und seine spätere Deutung in den Retractationes" beruft. Zunächst habe Augustinus nämlich die Lehre vertreten, Gott habe gewollt, daß nur die Reinen das Wahre erkennen, später aber in den Retractationes die Auffassung dahingehend revidiert, daß auch die Unreinen vielerlei Wahres erkennen, wobei aber nicht geklärt wurde, was genau mit dem ,Wahren<, das nur die Reinen kennen, und was genau mit )wissen< gemeint sei.
Die Rede von der doppelten Wahrheit entspricht einer Unterscheidung, die Heinrich macht zwischen dem, was hinsichtlich einer Sache wahr ist und dem, was die Wahrheit der Sache selbst ist (quod verum est in re; veritas ipsius rei)." Hiermit reVgl. Heinrich von Gent: Su.mma a. I q. 2, 43.300 - 44,315. 12 Heinrich von Gent: Summa a. I q. 2, 44,316 - 45.328. 13 Augustinus: sol. 1,2: »deus. qui nis i mundos verum seITe nolu isti..-: 2-4 Augustinus: retr. 1,4.2: »in his sane libris non adprobo, quod in oratione dixi: deus, qui nisi mundos verum sei re noluisti. responderi enim potest multos etiam non mundos multa seire v.era ; neque enim definitum est hic, quid sit verum quod nisi mundi seire non possint. et quid Slt seire.« 21
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Heinrich von Gent: Summa a.l q. 2, 46.352 - 357: ,.Unde non dixerunt de (erta notitia qua
per~ipitur id quod vertIIn est in re. sive per sensum sive per intellectum, a notitia qua scitur V~ntas ipsius rei. neque etiam de hac distinxerunt quod quaedam est veritatis notitia liquida et SInCCra, lllia vero phantastica per phantasmata et imagines rerurn oburnbrata, sed, ut videbatur ex eorum verbis, simpliciter aliquid seiri posse negabant.«
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kurriert Heinrich der Sache nach auf die bereits eingeführte Differenz zwischen zwei Klassen von Urbildern: die einen, die durch einen Abstraktionsprozeß im Ausgang von der Sinneserkenntnis gewonnen werden, und die für die Aristotelische Wissen-
schaftskonzeption maßgeblich sind; und die anderen, die einen göttlichen Ursprung haben, und die in der Platonischen Tradition als die ewigen und unveränderlichen Ideale des Geschaffenen gelten (rerum ideales rationes). Eine Erkenntnis der reinen Wahrheit, bzw. der Wahrheit selbst, kann es nur in Bezug auf die Urbilder im Sinne ideeller und ewiger Urbilder geben. Hinsichtlich der durch die Eigenleistung des Verstandes erzeugten exemplares kann nur in einem eingeschränkten Sinne von einer Erkenntnis des Wahren gesprochen werden. Für die Beantwortung der eigentlich von Heinrich diskutierten Frage nach der natürlichen Erkennbarkeit der Wahrheit führt diese Differenz zu dem Ergebnis, da ß die reine Wahrheit, die unter Bezugnahme auf die ewigen Urbilder möglich ist, nicht durch die natürliche Vernunft selbst zu leisten ist. Eine solche Erkenntnis ist auf eine besondere Illumination angewiesen, die nicht auf natürlichem Wege geschieht, sondern den göttlichen Eingriff voraussetzt. Ohne eine solche Illumination ist für den menschlichen Verstand nur eine eingeschränkte Erkenntnis möglich, die aber nicht bis zu dem vordringt, was Heinrich die sincera veritas nennt. Zwischen der Skepsis der Academici und dem Wissenschaftsverständnis des Aristoteles entscheidet sich Heinrich für einen mittleren Weg. Er überwindet einerseits die Bestreitung jeglichen natürlichen Wissens, indem er die Aristotelische Abstraktionstheorie fruchtbar mach t. Andererseits entwirft er jenseits der Aristotelischen Konzeption eine höhere Form des eigentlichen Wissens mit den Mitteln der Platonischen Urbildlehre, die er mit der Augustinischen llluminationstheorie verbindet. Ohne diese Differenz zwischen ewigen und geschaffenen Urbildern und ohne die Differenz unterschiedlicher Wahrheits ansprüche behielten die Skeptiker unter de n Philosophen recht und die von Aristoteles so vehement vertretene Übereinstimmung von Wissensstreben und Wissenserfüllung in der menschlichen Natur geriete ins Wanken. Deshalb wendet sich Heinrich gleich zu Beginn seiner Ausführungen gegen die Deutung derjenigen, die behaupten, Augustinus babe hinsichtlich eines jeden Erkenntnisgegenstandes die Notwendigkeit einer besonderen Illumination durch das göttliche Licht hervorheben wollen. Zwar können sich diese zunächst selbst auf Augustinus im elften Buch von De civitate dei berufen, wenn es dort heißt: »Nicht unangemessen sagt man, daß die Seele durch das unkörperliche Licht der einfachen Weisheit Gottes erleuchtet wird, wie auch der Körper der Luft durch das körperliche Licht erleuchtet wird.«" Doch 26 Augusti nus: civ. 11,10: »ut non inconvenienter dicatur sie inluminari an imam incorporea lll luee incorporea simplicis sapientiae Dei, sicut inJuminatur aeris corpus lu ce corporea.«
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ist diese uneingeschränkte Konsequenz nach Heinrichs Auffassung unangemessen,
weil sie der Würde der rationalen Seele viel zu sehr Abbruch täte. Andere geringere Vermögen als die Seele sind ex puris naturalibus sehr wohl in der Lage, Handlungen hervorzubringen, die jeweils ihrer Natur entsprechen. Wie soll es also möglich sein, daß das besondere Vermögen der Seele zu solchen der eigenen Natur entsprechenden Handlungen gerade nicht befahigt wäre?" Heinrich folgt in dieser Frage durchaus einem Aristotelischen Gedanken," den er bereits zu Beginn der Quaestio als Autoritätsargument gegen die Annahme der besonderen Illumination ins Feld geführt hat. 29 Da der Mensch von Natur aus nach Wissen strebt, wie es im ersten Satz der Aristotelischen Metaphysik heißt, wäre es wohl äußerst unangemessen, sollte der Mensch nicht wirklich in der Lage sein, irgend etwas auf Grund seiner eigenen Natur, d.h. ohne göttliche Illumination, zu wissen. Wahrheit im engeren Sinne aber kann nur durch die Bezugnahme auf ungeschaffene Urbilder und damit allein durch eine besondere Illumination durch Gott - so wie sie Augustinus gelehrt hat - erkannt werden.
3. Die Kritik des )ohannes Duns Seotus
Eine Generation später greift Johannes Duns Seotus in seinem Sentenzenkommentar die Frage nach der Möglichkeit einer natürlichen Erkenntnis unabhängig von einer speziellen Illumination in genauer Entsprechung zu der von Heinrich in der Summa geführten Diskussion auf." Daß diese Frage zudem eine besondere Auseinandersetzung mit der Lehre des Heiligen Augustinus bedeutet, macht Scotus ebenfalls gleich zu Beginn seiner Erörterung deutlich, wenn er zunächst eine ganz Reihe von Belegstellen aus den Werken Augustins zitiert, um dann zusammenfassend darauf zu verweisen, daß es »an den verschiedensten Stellen noch viele Autoritätsargumente Augustins gibt, die dazu geeignet sind, jene Schlußfolgerung zu beweisen«," nämlich die, daß es keine natürliche Erkenntnis der reinen Wahrheit ohne Illumination gebe. Im weiteren Verlauf stellt Scotus zunächst die Position des Heinrich von Gent unter dem Stichwort opinio una talis in einer streng systematisierten Form vor. Grundlegend ist zunächst die Unterscheidung einer Erkenntnis des Wahren und der Wahrheit. Das Wahre, das Scotus mit dem Seienden gleichsetzt, ist demnach als 27 Heinrich VO ll Gent: Summa a. 1 q.2, 34,105 -UO. 2& Vgl. Aristoteles: Metaphysik I c. 1 (980a 21).
Heinrich von Gent: Summa a. 1 q. 2, 30,39 - 31,43. JO Zum folgenden vgl. Ludger Honnefelder: Ens inquantum ens, 193 - 205. A 11 Johannes Duns Scotus: Ord. I d.3 p.l q.4 n.206, 125.: "Multae autem sunl auctoritates ugustini, in multis Iods, ad probandum hane conclusionem.~ 2<J
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eigentümliche Handlung des Verstandes mit natürlichen Mitteln zu erkennen. Was die Erkenntnis der Wahrheit betrifft, hat man es mit einer Relation gegenüber einem exemplar zu tun. J2 das entweder ein exemplar creatum oder increatum ist. Je nachdem was der Bezugspunkt der Erkenntnis ist, ist die Wahrheit anders aufzufassen, wie Scotus unter Verweis auf den Begriff der duplex veritas betont." Die Erkenntnis, die sich auf ein exemplar creatum richtet, entspricht dem Aristotelischen Erkenntnismodell, wonach wir dadurch etwas erkennen, daß wir es auf die speeies intelligibilis beziehen, die durch die Eigenleistung des Verstandes in einem Abstraktionsprozeß von uns erworben wird. Allerdings, so referiert Scotus weiter die Position Heinrichs, ermöglicht eine solche Erkenntnis kein wirklich sicheres und täuschungsresistentes Wissen über die Wahrheit: »Denn daß man durch ein solches Urbild, das wir in uns erworben haben, eine gänzlich sichere und täuschungsresistente (infallibilis) Kenntnis der Wahrheit hinsichtlich einer Sache haben, dies scheint ganz unmöglich zu sein.«" Dies hat bereits Heinrich mit den bekannten drei Argumenten belegt, die sich auf den Erkenntnisgegenstand, das erkennende Subjekt und das Urbild beziehen, die jeweils veränderlich und nicht im strengen Sinne vom Falschen unterschieden sind" Somit steht fest, daß durch den Erwerb von Erkenntnisbildern im Ausgang von der Sinnenerkenntnis weder eine sichere Wissenschaft noch eine täuschungsreSistente Wahrheit erkannt werden können. l6 Aus alledem ergibt sich die Notwendigkeit eines besonderen, nämlich übernatürlichen Einflusses, durch den allein ein sicheres Wissen entstehen kann. Diese besondere Einwirkung geht von Gott selbst aus, so daß, wie Scotus mit dem bereits von Heinrich zitierten Augustinuswort formuliert, »man sieht, wenn er es will, und nicht sieht, wenn er es nicht will.«J7
n Vgl. Johannes Duns Scotus: Ord. I d.3 p. 1 q.4 n. 208, 126. lJ Vgl. Johannes Duns Scotus: Ord. I d. 3 p.l q. 4 n. 210, 127 - 128. ).4 Johannes Duns Scotus: Ord. I d.3 p. l q.4 n. zu, lz8: ItSed quod per tale exemplar, acquisitum in nobis, habetur omnino certa et infaUibilis notitia veritatis de re, hoc videtur om ni no impossibile. t<: lS Vgl. Johannes Duns Scotus: Ord. I d.3 p.l q. 4 n. ZI I- 213, Iz8 - 130. 36 Johannes Duns Scotus: Ord. I d.) p.1 q.4 11.214, 130: )tEx istis conduditur quod certum scientiam et infallibilem veritatem si contingat hominem cognoscere, hoc non contingit ei aspiciendo ad exemplar a re per sensus acceptum, quantumcumque sit depuratum et universa le factum, sed requiritur quod respiciat ad exemplar increatum .• J7 Johannes Duns Scotus: Ord. 1 d.3 p.l q.4 n.216, 131: »Et ex hoc concluditur ultra quod requiritur specialis influentia, quia sieut illa essentia non videtur naturaliter a nobis in se, ita. ut ilIa essentia est exemplar respectu alicuius creaturae, naturaliter non vide lur, secundum Augustjnum De videndo Deum - in eius enim potestate est videri: ,si vult, videtur si non vult. non videturc.tc Vgl. Augustinus: ep. 147 ad Paulinam De videndo deo 6,18.
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Scotus' Widerlegung Heinrichs
Um es kurz zu machen: Scotus hält diese Auffassung Heinrichs sachlich für falsch und glaubt zudem, daß sie nicht der Intention Augustins entspricht, was aufgrund des ursprünglich von Scotus formulierten Hinweises auf die Fülle der Augustini· sehen Belegstellen zunächst verwundern mag. Die These, die Scotus gegen Heinrich vertritt, besagt. daß aufgrund der erkenntniskritischen Annahmen, die Heinrich trifft, rue natürliche Erkenntnisfahigkeit des Menschen im Ganzen in Frage gestellt wird. »Diese Argumente [Heinrichs] scheinen die Unmöglichkeit einer sicheren natürlichen Erkenntnis zur Folge zu haben.«" In einem ersten Schritt widerspricht Scotus der Lehre Heinrichs, indem er aufzeigt, daß dessen skeptische Haltung gegenüber der Möglichkeit, im Ausgang von der Sinneswahrnehmung überhaupt zu einer Wahrheitserkenntnis fortschreiten zu können, letztlich zu einem Skeptizismus ftihrt, der sich durch nichts von dem der (nachplatonischen) Akademie unterscheidet. Der Grundgedanke, den Scotus vertritt, basiert darauf, daß eine Veränderlichkeit bzw. Täuschungsanfalligkeit, sei es auf seiten des zu erkennenden Gegenstandes, sei es auf seiten der Seele, oder sei es auf seiten des Urbildes, nicht dadurch kompensiert werden kann, daß von außen ein anderes Erkenntnisprinzip hinzutritt. Wenn ein Teilprinzip des Erkennens in der genannten Weise unzureichend ist, kann rues durch nichts Hinzutretendes ausgeglichen werden. Ist das eine Teilprinzip unsicher, so bleibt das Gesamte auch unsicher, selbst wenn zusätzlich ein anderes Prinzip wirksam ist, das seinerseits sicher ist. Dies geschieht eben in der Weise, wie aus einer kontingenten Prämisse auch dann keine notwendige Schlußfolgerung fließt, wenn jene mit einer notwendigen Prämisse verknüpft wird." Aus diesem Grund folgt aus den Argumenten des Heinrich von Gent, so das vorläufige Resümee, das Scotus zieht, eine gänzliche Ungewißheit des Wissens und damit eine Auffassung, rue genau der Auffassung der Akademiker entspricht, die Augustinus gerade habe widerlegen wollen. In konsequenter Weise folgt in der Scotischen Argumentation die Deutung einer Reihe von Augustinus-Zitaten, rue belegen sollen, daß es nicht rue Absicht Augustins war, diesem Skeptizismus das Wort ZU reden. Scotus bezieht sich hierbei vorzugsweise auf das zwölfte Kapitel des 15. Buches Ober die Dreieinigkeit, also gerade Johannes Duns Scotus: Ord. I d.3 p.l q.4 n.219, 133: .Istae rationes vide ntur conc1udere Impossibilitatem certae cognitionis naturalis. « }9 Vgl. Johannes Duns Scotus: Ord. 1 d.3 p.l q.4 n.2.19 - 222, 133 -135; insbesondere das ent Sche idende Argument (ebd. n. 221,134): .Sed quando aliquid concurrit quod repugnant certitUdini, non potest certitude haberi: sieut enim ex altera de neeessario el altera de contingenti non seq uitur conclusion nisi de contingenti, ita ex certo et incerto, concurrentibus ad aliquam Cognit ionem, non sequitur cognitio certa.1( •
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jenes Kapitel, in dem Augustinus seinerseits die Skepsis der nachplatonischen Akademiker erneut in Frage stellt. Er kritisiert sie deshalb, weil sich ihr Skeptizismus auf jede Form der Sinneserkenntnis richtet. »Fern sei, daß wir daran zweifeln, daß die Dinge, die wir durch die Sinne des Körpers erfahren haben, wahr sind« heißt es hier bei Augustinus in einer zentralen von Scotus mit ganzer Zustimmung angeführten Passage. 40 Aber nicht nur in der Einschätzung der Sinneserkenntrus, sondern auch was den Gewißheitsanspruch der unmittelbaren Selbsterkenntnis betrifft, folgt Scotus der Deutung Augustins. 41 Unter Bezugnahme auf die Ersten Analytiken des AristoteIes allerdings verteidigt Scotus schließlich noch einen dritten Bereich sicherer Erkenntnis' nämlich den der Prinzipienerkenntnis und ineins damit des Wissens um die syllogistischen Ableitungsregeln, die zu den Schlußfolgerungen führen." Diese drei Wissensbereiche sind für Scotus in seiner von Heinrich abweichenden Beurteilung entscheidend. Prinzipienerkenntnis, Erfahrungswissen und unmittelbare Selbsterkenntnis unterliegen nach Scotus - anders als Heinrich von Gent behauptet - keineswegs dem kritischen Vorbehalt, sie überstiegen grundsätzlich das natürliche Erkenntnisvermögen des Menschen. Im einzelnen widersetzt sich Scotus zunächst der Infragestellung der Prinzipienerkenntnis mit dem Hinweis, daß die Prinzipien, die aus einfachen Begriffen zusammengesetzt sind, evident und notwendig eingesehen werden, weil der Verstand mit den einfachen Begriffen auch die Angemessenheit (conformitas) ihrer Verbindung, d. h. die Wahrheit der entsprechenden Aussage begreift." Dies gilt zunächst für logische Prinzipien, wie Scotus durch Verweis auf das Aristotelische Prinzip vom ausgeschlossenen Widersp ruch hervorhebt, darüber hinaus aber auch für Aussagen, die Begriffe miteinander verbinden, die ursprünglich durch Vermittlung der Sinneswahrnehmung angeeignet wurden. Wer z. B. die Bedeutung der Begriffe >weiß, und >schwarz' einmal erfaßt hat, wird notwendig die Wahrheit des Satzes »weiß ist nicht schwarz« begreifen. Die Einsicht des Verstandes hängt von der Sinneswahrnehmung nicht wie von einer Ursache ab, sondern jene bietet lediglich die Gelegenheit dafür, daß sich das eigene Vermögen des Verstandes entfaltet." Mit den Prinzipien sind aber auch alle hieraus ableitbaren Folgerungen evidentermaßen mitgegeben.
40 Johannes Duns 5cotus: Ord. I d.3 p. 1 q.4 n. 225, 136: »5ecundo apparet quod Augusti nuS concedit certitudinem eorum quae cognoscuntur per experientiam sensuum ; unde dicit XV De Trinitate cap. 12 vel 32 : )Ahsit, ut ea quae didicimus per sensus corporis, vera esse dubitemuS [ ... ]<.« VgL Augustinus: trin.15,12. 41 Vgl. Johannes Duns Scotus: Ord. I d.3 p.1 q.4 n. 226-228,136-137. 42 vgl. ]ohannes Duns Scotus: Ord. J d.3 p.1 q.4 n. 224, 135 -136. Vgl. Aristoteles: Anal. Pr. I
C.I (24b 22-24). 43 44
Vgl. Johannes Duns Scotus: Ord. I d. 3 p. I q.4 n. 230, 138 - 139. Vgl. Johannes Duns Scotus: Ord. I d.3 p.1 q. 4 n. 234. 140 -141.
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Erfahrungswissen ist für Scotus deshalb möglich, weil es auf dem Grundsatz beruht, daß »alles, was in den meisten Fällen von irgendeiner nicht freien Ursache her geschieht, die natürliche Wirkung jener Ursache ist.,,<> Scotus beruft sich also auf eine Natur, die sich von einem rein zufilligen Geschehen dadurch unterscheidet, daß sie in dem Sinne konstant ist, daß eine Verschiedenheit der Vorgänge nur dadurch zustande kommt, daß ein anderes Akzidenz zu einer veränderten Wirkung beiträgt." Ein solches Erfahrungswissen schließt eine Ordnung auseinander ableitbarer Prinzipen ein, so daß man z. B. ohne eigene Erfahrung zu der Aussage berechtigt ist, daß die Erde, die zwischen Sonne und Mond tritt, eine Mondfinsternis verursacht, wenn man zuvor weiß, daß die Erde ein opaker Körper ist und daß das Dazwischentreten eines opaken Körpers die Ausbreitung des Lichtes verhindert, in dessen Folge die Eklipsis bewirkt wird." Was den dritten Bereich, nämlich den der Selbsterkenntnis, betrifft, so vertritt Scotus wiederum unter Berufung auf AristoteIes" die Auffassung, daß wir von unseren eigenen Handlungen, wie Wachsein, Hören, oder Erkennen, eine unmittelbare Gewißheit besitzen, wie sie uns auch in bezug auf die ersten Prinzipien gegeben ist. Wir können uns zwar über den Inhalt, also etwa die Entfernung, in der wir etwas sehen, täuschen, doch die Tatsache des Sehens selbst unterliegt keinerlei Zweifel. Der Grund für die Gewißheit dieser Selbsterkenntnis liegt wiederum in einem Aristotelischen Prinzip, wonach es nicht möglich ist, einen Beweis für etwas zu geben, wovon es keinen Beweis geben kann. Zweifelt man an der Gewißheit solcher inneren Akte, so kann es hiervon keine Gewißheit geben, außer man hätte bereits ein sicheres Wissen über innere Akte eingeräumt. wovon ein solcher Beweis seinen
Ausgang nehmen könnte." Akte, die sich auf äußere Gegenstände richten, können zwar faktisch zunächst täuschen, so etwa, wenn ein Stab, der in Wasser getaucht wird, aussieht, als sei er
abgeknickt. Allerdings treten hier allgemeinere Prinzipien als Korrektiv auf, so etwa im vorliegenden Fall, wenn mich die Einsicht in den Grundsatz, daß kein fester Gegenstand durch einen weniger festen zerbrochen wird, vom Scheincharakter der Sinneswahrnehmung überzeugen wird."
Johannes Duns Scotus: Ord. I d. ) p. 1 q. 4 n . 235, 142: lt[QJuidqujd evenit ut in pluribus ab qua ail causa non Hbera, est effectus natu ralis UHus causae.« 41> Vgl. Johannes Duns Scotus: Ord. I d. 3 p. 1 q. 4 n. 2)5. 141 - 143. 47 Vgl. Johannes Duns Scotus: Ord. I d. 3 p. I q. 4 n. 236. 143 . 48 Vgl. Aristo teles: Metaphysik rv c. 6 ( 1011a 3 - 13). 'W Vgl. lohannes Dun s Scotus: Ord. I d. ) p.l q. 4 n.238-239,144 - 146. '0 Vgl. Jo hannes Duns Scotus: Ord. I d. 3 p. 1 q. 4 n. 243, 147- 148. .4S
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5. Erkenntnis ohne besondere Erleuchtung
Scotus verteidigt die natürliche Erkennbarkeit in den genannten drei Bereichen, offensichtlich unter dem Eindruck eines Aristotelischen Wissenschaftsverständnisses, das es nun seinerseits notwendig macht, den Augustinischen Ansatz anders zu interpretieren als Heinrich von Gent. Wenn es im strengen Sinne für den Menschen in statu isto möglich sein soll, Wissenschaft zu treiben - und das gilt auch für die Theologie als Wissenschaft -, dann muß die These Heinrichs, der Mensch bedürfe zur Erkenntnis der reinen Wahrheit einer besonderen Erleuchtung, korrigiert werden. Wie kann aber diese Korrektur mit der Augustinischen Lehre kompatibel sein? Die Scotische Antwort raßt die Vielzahl der im Laufe der Diskussion angeführten Augustinus-Zitate in einer an die Retraetationes angelehnten Formulierung zusam men, die sowohl die Intention Augustins widerspiegelt als auch seine eigene Zustimmung verdient. Demnach »sieht man die täuschungsresistenten Wahrheiten in den ewigen Regeln« (veritates infallibiles videntur in regulis aeternis)." Scotus diskutie rt verschiedene Möglichkeiten, was mit der Formulierung >in regulis aeternis( gemeint sein kann. Von Interesse ist es hierbei, wie Scotus die Anregungen der Augustinischen Quaestio de ideis fruchtbar macht." Auch wenn Scotus in diesem Kontext weder den zentralen Text Augustins ausdrücklich zitiert noch den für Augustinus einschlägigen Begriff der Idee direkt zum Thema macht," so dürften die Anklänge an die Lehre Augustins doch kaum zu übersehen sein. Scotus lehnt einerseits die Annah me von Ideen als dem göttlichen Erkennen ontologisch vorgeordnete Bezugsmomente mit einer Vermittlerfunktion zwischen dem washeitlichen Gehalt einer Sache und deren Erkenntnis durch Gott ab. Auf der anderen Seite führt er unter dem Stichwort SI Johannes Duns Scotus: Ord. I d.3 p.1 q.4 n. 261, 160: »Ad quaestionem igitUI dico quod propter verba Augustini oportet concedere quod veritates infallibiles videntur in regulis aeternis.« Diese von Scotus gewählte Formulierung der Augustin ischen Lehre entspricht am ehesten einem Wortlaut aus den Retractationes, wo Augustinus davon spricht, daß den Ungebildeten ein Licht der ewigen Vernunft innewohnt, wo sie das unwandelbar Wahre erblicken (retr. l,4,4): »praesens est eis, quantum id capere possunt, (wnen rationis aeternae, ubi haec immu tabiJia vera conspiciunt«. 51 Vgl. Augustinus: div. qu. 46. 53 Der zurückhaltende Umgang mit dem Begriff der Idee kommt etwa im Schlußgebet des Traktates De primo principio zum Ausdruck; vgl. Johannes Duns Scotus: De primo principio c. 4 p.10, 126: »De veritate tua et ideis in te non est opus amplius pertractare propter meum p ro ~ positum exsequendum. Multa de ideis dicuntur quibus numquam dictis, immo nec ideis nom inatis, non minus de tua perfecti one scietur. Hoc constat, quia tua essentia est perfecta ratio cognoscendi quodcurnque cognoscibile sub ratione quacumque cognoscibilis; appellet, qui vult: hic non intendo circa Graecum iltud et Platonicum vocabulum immorari.«. Zu Scotus' ideenkritischer Haltung vgl. Joachim Söder: Kontingenz und Wissen, 127 -138.
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des esse intelligibile eine ontologische Instanz ein, die zwar dem göttlichen Intellekt entspringt und ihm in diesem Sinne nach geordnet ist, die aber auf der anderen Seite von jeglicher vorausgehenden Einflußnahme des göttlichen Willens unabhängig ist und auf diese Weise ein gewisses Motiv der ursprünglichen Ideenlehre beibehält. Im Ergebnis seiner Deutung in Ordinatio I d. 3 q. 4 stellt er fest, die ewigen Regeln oder das ewige Licht müssen im Sinne des esse intelligibile verstanden werden, das den möglichen Erkenntnisgegenständen des Menschen durch einen Akt des göttlichen Verstandes verliehen sei. Gott gibt den Gegenständen ihre besondere Beschaffenheit, wodurch sie dieses oder jenes Sein haben und in dessen Folge diese oder jene ratio obiecti, also diese je besondere Gegenständlichkeit. Damit werden sie erst als Erkennbares für den Menschen hervorgebracht, dem sie in diesem Sinne erst kraft des göttlichen Intellekts in ihrer Erkennbarkeit begegnen. 54 Als Akt des göttlichen Intellekts handelt es sich bei dieser Verursachung um einen natürlichen und keinen primär vom göttlichen Willen ausgehenden Vorgang, da der Wille als Bezugspunkt seines Handelns immer schon ein bestimmtes Objekt voraussetzt und damit nicht selbst Ursache des esse intelligibile sein kann. Der Verstand ist aus diesem Grund gegenüber dem Willen die vorausgehende Ursache. »Der göttliche Verstand, insofern er auf eine Weise früher ist als der Akt des göttlichen Willens, bringt diese Gegenstände [nämlich alles, was nicht selbst Gott ist) in ein Einsehbar-Sein hervor und so scheint er hinsichtlich dieser eine rein natürliche Ursache zu sein. Denn Gott ist nur eine freie Ursache hinsichtlich dessen, was vorgängig zu sich selbst auf eine Weise den Willen gemäß der Willenshandlung voraussetzt . ~ 5S
Hieraus ergibt sich des weiteren, daß der göttliche Verstand auch in dem Sinne eine vorausgehende Ursache ist in bezug auf die Zusammensetzung der einfachen Gehalte. Der Verstand bringt die einfachen Gehalte vorgängig zum Willen als mögliche Erkenntnisgegenstände, die den Status des esse intelligibile haben, hervor, bevor dann Verstand und Wille als kooperierende Ursachen die Zusammensetzung dieser einfachen Gehalte hervorbringen, wobei auch auf dieser Ebene der Verstand als >prior-causa
Itt
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»Und so wie der Verstand vorgängig zur Willenshandlung die Gegenstände in ein Einsehbar-Sein hervorbringt, so scheint er als vorausgehende Ursache mit jenen einsehbaren [Gegenständen] zu ihrer natürlichen Wirkung zusammenzuwirken, nämlich insofern sie als erfaßte und zusammengesetzte die Gleichgeformtheit der Erfassung gegenüber ihnen bewirkt. Es scheint nämlich einen Widerspruch zu enthalten, daß ein Verstand eine solche Zusammensetzung formt und die Zusammensetzung nicht den Termini entspricht, auch wenn es möglich ist, jene Termini nicht zusammenzusetzen. Denn, wenn auch Gott willentlich dazu beitragen würde, daß der Verstand die Termini zusammensetzt oder auch nicht zusammensetzt, würde, wenn er zusammengesetzt hätte, clies notwendig dem Begriffsgehalt der Termini folgen, den sie aufgrund des göttlichen Verstandes haben, der jene Termini in ein Einsehbar-Sein auf natürliche Weise bewirkt, damit jene Zusammensetzung den Termini angemessen wäre.«56 Epistemisch gesprochen entspricht dam it jedes angemessene Urteil einer Ordnung der in diesem Urteil angenommenen Verbindung der Teilmomente, nämlich der verknüpften begrifflichen Gehalte, die letztlich du rch den göttlichen Verstand auf natürliche Weise, also fernab jeglicher Willkür, in dem für die Erkenntnis fundamentalen Status des esse intelligibile hervorgebracht wurden. Die Rechtheit einer jeden Erkenntnis bemißt sich demnach entsprechend der ursprünglichen Rechtheit der natürlichen Tätigkeit des göttlichen Verstandes. In dieser Deutung repräse ntieren die ewigen Regeln, von denen Augustinus spricht, die größte Natürlichkeit. Was nach diesen Regeln in seiner Erkennbarkeit und in seiner Wahrheit konstituiert ist, ist clies notwendig, nämlich allein aufgrund der Kraft der begrifflichen Teilmomente <ex vi terminorum). Aber gerade diese natürliche Notwencligkeit ist es, so die Pointe der Scotischen Deutung, die eine besondere Erleuchtung des Menschen überflüssig macht. Augustins Verweis auf die ewigen Regeln oder das ewige Licht werden im Ergebnis von Scotus als Beleg dafür gedeutet, daß der Kirchenvater eigentlich eine besondere, übernatürliche Illumination für unnötig gehalten hat." Johannes Duns Scotus: Ord. I d.3 p.l q.4 n.268, 164: »Et sieut intellectus ut prior actu voluntatis producit obiecta in ,esse intelligibili(, ita ut prior-causa videtur cooperari iBis intelli gibilibus ad effectum eorum naturalem, scHicet ut apprehensa et composita causent apprehen sionis conformitatem ad se. Videtur ergo quod contradictionem includit, inteUectum aliquem talern cornpositionem formare et compositionem non esse conformem terminis,licet possibile sit illas termin os non componere, quia lieet Deus voluntarie coagat ad hoc quod inteliec tuS terminos componat vel non componat, tarnen cum composuerit, ut illa compositio sit conformis terminis hoc videtur necessario sequi ration em terminorum quam habent ex intellectu Dei , causante illos term inos in >esse intelligibili( naturaliter. « S1 Johannes Duns Scotus: Ord. I d.3 p.l q. 4 n. 269, 164: »Et ex isto apparet qualiter no n est necessaria speciali s iIIustratio ad videndum in regulis aeternis, quia Augustinus non pon it eis videri nisi >vera( quae sunt necessaria ex vi terminorum. Et in talibus est maxima naturalitas tarn causae remotae quam proximae - respectu effectus. puta tam intellectus divini ad obiect3 moventia, quam ülorum obiectorum ad veritatem cOlllplexionis de eis. « 56
DER AUGUSTIN ISMUS DES 13. JAHRHUNDERTS
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Scotus deutet Augustinus in einer Weise, in der er mit den Voraussetzungen der Aristotelischen Wissenschafts- und Erkenntnistheorie kompatibel wird. Als Katalysator für die von Scotus zu beseitigenden Unvereinbarkeiten beider Lehren dient die Gegenfolie, die Heinrich von Gent und dessen Augustinus-Interpretation bieten. Die besondere Autorität, die Augustinus zukommt, führt Duns Scotus dazu, daß aus der Sicht der modernen Augustinus-lnterpretation Authentizitätsansprüche hinter der Forderung nach Kompatibilität mit der Aristotelisch geprägten Lehre, clie eine wahrheitsfahige lntegration von Philosophie und Theologie erlaubt, zurücktreten.
Meister Eckhart (1260-1328) und die neuplatonische Transformation Augustins von Johannes Brachtendor{
Meister Eckhart l zitiert keinen Autor häufiger als Augustinus. Der Kirchenvater ist in Eckharts Texten ständig präsent und wird stets angeführt. Teils greift Eckhart auf präzise und eher technische Einzelthesen Augustins zurück, teils auf fundamentale Ideen. Eckharts Augustinus- Rezeption spielt sich nicht auf Nebengebieten seines Denkens dar, sondern dort wo es Eckhart um die Darlegung der eigenen Grundpositionen geht. Natürlich liest Eckhart den Kirchenvater auch vor dem Hintergrund der Diskussionen des '3. Jahrhunderts, doch auf der Wende zum '4. Jahrhundert, auf der Eckhart steht, scheint der Kampf um die Aristoteles-Rezeption und damit um die Vereinbarkeit von Aristoteles und Augustinus weitgehend abgeschlossen, jedenfalls für Meister Eckhart und seinen Ordensbruder und Mitstreiter Dietrich von Freiberg. Ihr Thema ist eher die Vereinbarkeit Augustins mit einem neu zur Geltung gebrachten Neuplatonismus. Augustinus hielt den Neuplatonismus für die beste Philosophie seiner Zeit. Offensichtlich verdankt er ihm zentrale metaphysische Einsichten über die Existenz einer intelligiblen Wirklichkeit, über das Böse als Mangel an Gutem, über die Transzendentalien als gattungsübergreifende Bestimmungen des Seienden etc. Andererseits kritisiert er die Neuplatoniker auf den Gebieten der Ethik, der Erlösungslehre, der Trinitätslehre und der Schöpfungslehre.' Eckharts Augustinus-Rezeption lässt sich etwa folgendermaßen beschreiben: Mit beachtlichem Gespür und großem Kenntnisreichtum sucht er beim Kirchenvater Anknüpfungspunkte für neuplatonische Konzepte auf und löst sie aus dem Zusammenhang seines Denkens, so daß Augustins kritische Distanz zu dieser Art des Philosophierens ganz aus dem Blick gerät. Um sich auf Augustins Autorität berufen zu können, radikalisiert Eckhart gewisse Züge in dessen Werken und transformiert den Kirchenvater zu jenem Neuplatoniker, der er nicht gewesen ist. Im folgenden wird die (Neu- )Platonisierung Augustins durch Eckhart auf sechs Gebieten aufgezeigt: erstens im Verhältnis Gottes zur Welt, zweitens im Blick auf das ethische Ideal des inhaerere Deo, drittens in der Theorie des menschlichen GeiEckharts Werke werden zitiert nach: Meister Eckhart. Die deutschen und lateinischen Werke, Stuttgart 19361f.. Abt. I Deutsche Werke, hg. von Joser Quint u.a. (= DWJ, Abt. " Lateinische Werke, hg. von losef Koch u.a. (= UV). Auch die Übersetzungen wurden, soweit vorhanden , dieser Ausgabe en tnommen. I
2
V gl. civ. 8 sowie COflj. 7,13 - 27. Vgl. dazu Johannes Brachtendorf: August;'ls ,Con!essiones(.
119 - 154.
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jOHANN ES BRA C HTENDORF
stes, viertens im Begriff des Bildes Gottes, fünftens im Blick auf die Einheit Gottes, und sechstens in der Konzeption des mystischen Aufstiegs zu Gott.
1.
Das Verhältnis von Gott und Welt
Augustinus übernimmt in vielem die neuplatonische Lehre von Gott und der Welt, ersetzt aber den Emanationsgedanken durch die Lehre von der Schöpfung aus Nichts. Zwischen Schöpfer und Geschöpf, zwischen dem, was durch sich selbst und dem, was durch ein anderes ist, besteht nach Augustinus ein nicht aufhebbarer Unterschied. Dagegen verleiht der neuplatonische Emanationsgedanke der Unterscheidung von Gott und Welt kein solches Gewicht. Natürlich steht auch hier die Welt metaphysisch auf einer andern Stufe als Gott, aber letztlich ist es doch das Eine selbst, das sich ergießt, über sich hinausfließt und über mehrere Stufen hinweg die Welt bildet. Die Welt ist nicht aus Nichts geschaffen, sondern aus dem Einen hervorgegangen. Zudem beginnt der Stufungsprozeß schon im Bereich des Göttlichen - die drei Hypostasen sind bereits solche Stufen - und setzt sich dann in die Welt hinein fort. Den gesamten Emanationsprozeß kann man als kontinuierliche Zunahme von Differenz und Abnahme von Einheit verstehen, die sich vom Einen ausgehend bis zur reinen Materie erstreckt. Eine grundlegende Differenz, wie Augustinus sie zwischen Schöpfer und Geschöpf sieht, findet sich im Neuplatonismus wohl nicht. Eckhart nimmt Gedanken Augustins auf, entwickelt sie aber weiter in eine Richtung, die die Schöpfungslehre zugunsten der neuplatonischen Alleinheitslehre abschwächt. Ich greife im folgenden auf den Prologus generalis zu Eckharts Opus tripartitum und auf den Prologus zum Opus proposition um zurück. Eckhart zitiert hier mehrfach Stellen aus Augustins Confessiones und aus De trinitate 6 - 8. Im Prologus generalis geht es um Grundlagen der Metaphysik, also die Lehre vom Sein, von Gott und der Welt. Eckhart führt dort die These Esse est Deus ein und erklärt deren Konsequenzen. Versteht man diese These in traditionellem Sinne, dann deckt sie sich mit der auch bei Augustinus zu findenden Auffassung, Gott sei das Sein selbst (ipsum esse). Dabei steht das ipsum esse als das, was durch sich selbst ist bzw. sein Sein ist, im Gegensatz zum Seienden, das sein Sein nur hat, und zwar durch ein anderes, nämlich das Sein selbst, an dem es partizipiert (vgl. etwa conf 7,17). Die Herausforderung, die in Eckharts Denken steckt, tritt erst mit der Frage hervor, ob man diesen Satz auch umgekehrt lesen darf, nämlich als »das Sein (aller Dinge) ist Gott.« Nach Eckhart ist dies durchaus der Fall, sofern man nur das Sein der Dinge recht versteht. Eckhart meint Gründe zu haben, um die Zustimmung des Kirchenvaters für seine Auffassung reklamieren zu können. Ich werde jedoch zu zeigen versuchen, daß Eckhart hierin irrt.
MEISTER ECKHART UND DIE NEUPLATONISCHE TRANSFORMATION AUGUSTINS
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Zunächst argumentiert Eckhart für die These, alles Seiende sei in Gott. Auch diese These besitzt zunächst eine konventionelle Bedeutung, insofern sie besagt, daß kein Seiendes außerhalb des Seins sein kann, weil außerhalb des Seins nur das Nichts ist. 3 Gott habe alles in sich geschaffen, weil schaffen nichts anderes meine, als Sein zu verleihen. 4 Eckhart kann einige Äußerungen Augustins anführen, die die Lehre vom In-sein der Dinge in Gott unterstützen. Für die Behauptung, das höchste Sein habe keinen Gegensatz außer dem Nichtsein, verweist Eckhart auf Augustins De immortalitate animae (12,19) sowie auf De moribus Manichaeorum (1,1). Weiterhin zieht er Confessiones 4 heran, wo Augustinus über Gott und die Geschöpfe sagt: »Denn nicht hat er geschaffen und ist dann weggegangen, sondern aus ihm und in ihm sind sie.«s Weiterhin zitiert Eckhart Confessiones 1: »Du aber bleibst wie du bist, und alles, was morgen und später sein wird, alles was gestern war und noch weiter zurückliegt, heute wirst du es schaffen, heute hast du es geschaffen.«6 Augustinus will hier sagen, daß alles, was für uns in der Zeit gebrochen, also nacheinander auftritt, für den außerhalb der Zeit stehenden Gott gleichzeitig ist und somit auch gleichzeitig geschaffen ist. Für Gott gibt es kein Gestern oder Morgen, sondern nur ein Jetzt und Heute. Nach Eckhart bedeutet das Heute soviel wie in principio. Gott hat alles in principio geschaffen, und da er selbst dieses Prinzip ist, hat er alles in sich geschaffen. Beides zusammengenommen gilt, daß alles, was ist, in Gott ist, weil Gott es in sich geschaffen hat. Eckhart hätte auf weitere Augustinus-Stellen verweisen können, so etwa auf das elfte Buch der Confessiones, auf das er mit seinen Überlegungen zur Bedeutung des in principio möglicherweise anspielt, denn dort sagt Augustinus (con! 1,11): »In hoc principio, deus, fecisti caelum et terram in verbo tuo, in filio tuo, in virtute tua, in sapientia tua, in veritate tua miro modo dicens et miro modo faciens.« Weiterhin formuliert Augustinus den Gedanken des In-seins der Geschöpfe in Gott unter Bezugnahme auf die Areopag-Rede des Apostels Paulus (con! 7,15; vgl. Apg. 17,28): »Et dixisti Atheniensibus per apostolum tuum, quod in te )vivimus et movemur et sumus<, sicut et quidam secundum eos dixerunt.« Das ln-sein der Geschöpfe in Gott ist unstrittig, soweit es nichts anderes besagt, als daß kein Seiendes außerhalb des Seins sein kann, weil es nicht nichts ist. In diesem Sinne sagt Eckhart: »Außer Gott,
3 Augustinus schreibt (mor. 2,1): »Esse enim contrarium non habet nisi non esse. Nulla est ergo deo natura contraria.« V gl. auch civ. 12,2 . 4 LW 1,157: »Creare quippe est dare esse ex nihilo.« Eckhart meint (LW 1,164): »Außer Gott, außer dem Sein nämlich, ist nichts. Also hat er entweder überhaupt nicht geschaffen, oder er hat alles in sich selbst als dem Urgrund geschaffen.« 5 con! 4,18 (bei Eckhart LW 1161): »Non fecit atque abiit, sed ex illo in illo sunt. « 6 con! 1,10. Weiterhin verweist Eckhart auf Confessiones 1,3, wo Augustinus die These vertritt, daß Gott alles umfaßt und insofern alles in sich enthält (vgl. Prologus in opus propositionum, LW 1173 f.).
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JOHANNES BRACHTENDORF
außer dem Sein nämlich. ist nichts. Also hat er entweder überhaupt nicht geschaffen. oder er hat alles in sich selbst als dem Urgrund geschaffen. «' Die Schärfe seiner These Esse esl Deus zeigt sich erst mit Eckharts Unterscheidung des absoluten Seins der Dinge (esse absolute) vom konkreten Sein (esse hoc el hoc). Auch für diese Unterscheidung beruft er sich auf Augustinus. nämlich auf De trinitate 8. Augustinus sucht dort nach begrifflichen Leitfaden. an denen entlang der Mensch sich von den Dingen zu Gott erheben kann. Er nennt zunächst die Wahrheit. dann die Gutheit. In Bezug auf die Gutheit gibt Augustinus dem Leser folgende Anweisung: »Es gibt dieses Gute und jenes Gute. Nimm das >dieses< und >jenes<weg. und betrachte das Gute selbst. wenn du es vermagst. Dann wirst du Gott sehen .«' Nach Augustinus sind Gutheit und Wahrheit sogenannte transzendentale Bestimmungen des Seienden . ,edes Seiende. gleich welcher Art es ist. ist ein Wahres und Gutes. und zwar deshalb. weil es von Gott als der Wahrheit selbst. der Gutheit selbst. und dem Sein selbst abhängt. Die Gutheit. die jedes Seiende besitzt. stammt von Gott. dem Guten selbst. als der Quelle aller Gutheit. Augustinus fordert den Leser zu der Überlegung auf. daß dieses und jenes gute Ding seine Gutheit von etwas anderem her habe. nämlich vom Guten selbst. Dazu muß der Leser von den Besonderheiten der Dinge absehen (tolle hoc et illud). sie nur in ihrem Gutsein erfassen. und von dort aus gedanklich aufsteigen zur geistigen Schau der Ursache dieses Gutseins: vide ipsum bonum. Eckhart zitiert diese Passage häufig.' Ihm geht es dabei um die Unterscheidung des bonum hoc et illud und des bonum ipsum. die er ganz sachgemäß auf die anderen Transzendentalien erweitert. und dann etwa vom ens hoc et hoc (dieses oder jenes sein) spricht und vom Sein absolut. schlechthin und ohne weiteren Zusatz: esse absolute el simpliciter nullo addito. »Man muß anders urteilen über das Seiende (als solches) als über dieses und jenes Seiende. Desgleichen anders über das Sein an sich und schlechthin ohne nähere Bestimmung als über das Sein dieses oder jenes (Seienden).«10 ,edes geschaffene Seiende hat somit zwei Momente an sich. nämlich sein einfaches Sein. Gutsein etc. und sein dies-oder-jenes sein. also seine konkrete Be? 8
ProIogus generalis. LW I 164. Vgl. tri'l. 8.4 . ~ bonum hoc et bonum illud. tolle hoc et ilIud. et vide ipsum bonum si potes;
ita Deum videbis [ .. . 1.« 9 Zum Beispiel im Prologus generalis, LW I 167. Dort werden weitere Belegstellen in Eckharts
Werk angegeben. 10
Prologus in opus proposilionum, LW I 166. Diese Unterscheidung schlage sich auch gram ·
matisch nieder, denn wenn man das Sein schlechthin ausdrücken wol le, dann benutze man das Wort .ist( an zweiter Stelle des Satzes (secu ndum adiacens): lapis est; wenn man aber die Be· schaffen heit des Steins ausdrücken wolle, (also sein esse hoc et hoc) , benutze man das Wort .est( (im Lateinischen) an dritter Stelle des Satzes (tertium adiacens): z. B.lapis magnus est, oder: hoc lapis est. In moderner Terminologie würde man vom Gebrauch von .sein , als Kopula und als Existenzbehauptung sprechen .
MEISTER ECK H ART UND DIE NEUPLATONJSCHE TRANSFORMATION AUGUSTINS
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stimmtheit. Allein Gott besitzt kein esse hoc et hoc, sondern ist reines uneingeschränktes Sein. Alles Geschaffene ist von Gott auf zwei Weisen abhängig, eine direkte und eine indirekte. Das esse absolute jedes Dings ist auf direkte Weise von Gott gegeben; die Bestimmtheiten (hoc et hoc) hingegen resultieren aus den Formen, die aber ihrerseits von Gott geschaffen sind, so daß sich hier eine indirekte oder vermittelte Abhängigkeit ergibt. Bis hierher stimmt Eckhart im Grundsatz mit Augustinus überein. Doch mit der weiteren Deutung, die Eckhart dieser Theorie in anderen Werken gibt, etwa im Buch der göttlichen Tröstung, im Sermo XLIX und im Johannes-Kommentar, geht er über Augustinus hinaus. Er bemüht sich nun darum, das Verhältnis des bonum absolute, des verum absolute und des esse absolute zu Gott als der Gutheit, der Wahrheit und dem Sein schlechthin näher zu charakterisieren. Sein Ergebnis ist, aus Augustinischer Perspektive, überraschend. Es lautet: Der Gute, insoweit er gut ist (bonum absolute et simpliciter), ist geboren aus der Gutheit schlechthin und Sohn der Gutheit. Hingegen ist der Gute, insoweit er dieser oder jener ist (hoc et hoc), gemacht und geschaffen. Nach Eckhart gilt: »Die Gutheit ist weder geschaffen noch gemacht noch geboren; jedoch ist sie gebärend und gebiert den Guten, und der Gute, insoweit er gut ist, ist ungemacht und ungeschaffen und doch geborenes Kind und Sohn der Gutheit. Die Gutheit gebiert sich und aU es, was sie ist, in dem Guten. [ . .. ] Der Gute und die Gutheit sind nichts als eine Gutheit, völlig eins in allem, abgesehen vom Gebären und Geboren-Werden; indessen ist das Gebären der Gutheit und das Geboren-Werden in dem Guten völlig ein Sein, ein Leben. «" Nun ist gebären und geboren werden genau derjenige Unterschied, der zwischen Gott Vater und Gott Sohn innerhalb der göttlichen Trinität zu machen ist. Damit gehört der Gute, insoweit er gut ist, auf die göttliche Seite, denn er ist Sohn Gottes; nur insoweit er dieser oder jener ist, steht er auf der Seite des Geschaffenen. Einen solchen Schritt hat Augustinus nie getan. Denn auch wenn man vom hoc et iIIud absieht und allein das Gutsein eines Seienden ins Auge faßt, sieht man darin noch nicht unmittelbar etwas Göttliches, sondern immer noch ein Geschöpf. Gott kommt erst in den Blick, wenn in einer Aufstiegsbewegung die Ursache des Gutseins einer Sache gesucht und gefunden wird. " Nach Augustinus ist das Geschaffene SOzusagen durch und durch geschaffen. Eckhart hingegen benutzt zwar die Augustinische Unterscheidung von hoc et iIIud und absolute et simpliciter als Ausgangspunkt seiner Überlegungen, führt sie aber unaugustinisch fort, indem er erkärt, daß 11 12
Buch der göttlichen Tröstung, DW V 9. Augustinus sch reibt (mor. 2,6): ))[ ... ] aliud dicit Isc. catholica di sciplin a] bonum quod
s U.llllll e
ac per se bonum est, non participatione alicuius boni, sed propria natura et essentiaj a~lud quod participando bonum est et habende; habet autem de iIIo summo bono ut bonum sn.1( Von den Geschöpfe n heißt es (ebd.): lI non existendo bonum, sed bonum habendo dicitur bona l(. Demnach haben die Geschöpfe ihr Gu tsein von Gott als der Ursache all en Gutseins.
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jenes Moment des Seienden, das durch transzendentale Begriffe beschrieben wird, bereits göttlich ist. Augustins Unterscheidung von Schöpfer und Geschöpf wird bei Eckhart sozusagen neuplatonisch relativiert, insofern zumindest ein Aspekt, nämlich der Seinsaspekt des Seienden für göttlich erklärt wird. Eckhart verdeutlicht diese ontologischen Verhältnisse am Beispiel eines Bechers: »Ware der Mensch imstande und könnte er einen Becher vollkommen leer machen und leer halten von allem, was zu fUlien vermag, auch von Luft, der Becher würde zweifellos seine Natur verleugnen und vergessen, und die Leere trüge ihn hinauf bis zum HimmeL«" Die Leere ist hier nicht nur physisch als Abwesenheit eines materiellen Inhalts zu verstehen, sondern metaphysisch als das Fehlen von Bestimmungen, auch von Wesensbestimmungen. Ware der Becher in diesem Sinne leer, dann verlöre er sogar seine Natur als Becher. Doch damit wäre nicht das Sein des Bechers überhaupt aufgehoben, sondern nur das esse hoc et hoc wäre abgestreift. Es verbliebe das esse absolute et simpliciter, vermöge dessen der Becher zum Himmel hinaufsteigt, weil sein absolutes Sein der aus dem Vater geborene Gottessohn ist. Mit den konkreten Bestimmtheiten wird alles Geschaffene zurückgelassen, so daß das ungeschaffene Bild des Vaters hervortritt. Der Vorwurf des Pantheismus wird in der Eckhart-Literatur meist zurückgewiesen mit dem Hinweis, Eckhart führe gerade eine radikale Trennung ein, indem er das Geschaffene als Unterschiedenes, Gott hingegen als den Ununterschiedenen bestimme." Eckhart schreibt: indistinctum proprie deo campetit, distinctio vero creaturis 15 Die Unterschiedenheit der Geschöpfe gründe in ihrem esse hoc et hoc. In ihrem esse absolute hingegen sind demnach alle Geschöpfe gleich und ununterschieden. Weil Gott selbst das esse absolute ist, behauptet Eckhart, Gott in seiner Ununterschiedenhei! sei allem Geschaffenen gemeinsam. " Die These von der Ununterschiedenheit Gottes fUhrt damit aber nicht zu einer Trennung Gottes von den Geschöpfen, sondern zu einer Identifizierung Gottes mit dem esse absolute der Dinge. Eckhart argumentiert hier auf dem Hintergrund der Diskussionen des 13. Jahrhunderts und setzt sich in offenen Gegensatz zu Thomas von Aquin, für den Gott gerade nicht das allem Seienden gemeinsame esse commune war, sondern die Ursache dieses gemeinsamen Seins." Schöpfung bedeutet Thomas zu folge nicht, das esse hoc et
Buch der göttlichen Tröstung, DW V 30. 14 Vgl. Karl Albert: Meister Eckharts -nIese vom Sein , 149 f. ; sieh e auch Rein er Manstetten : Esseest Deus, 214 - 218 . 15 Expositio Uhri Exodi, LW Il106. 16 Sermo Vlt, LW IV 51: »Creatum omne, cum sit hoc aut hoc, distinctum quid, proprium 1J
est alicui generi, speciei vel singuJari . Deus autem non est quid distin ctum aut proprium alicui naturae, sed commune omnibu s (Expositio sa tteti evangelii secundum lohannem, LW III 88) . Deus cammun is est: am ne ens et amne omnium esse ipse est. \( 17 Vgl. Summa tlteo[ogiae (= S. th .) I q. 8. a. t; Summa contra gentiles I 26.
MEISTER EC KHART UN D DIE NEUPLATONI SC HE T RAN SFORMATION AUGUSTIN S
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hoc einer Sache zu machen, sondern deren esse absolute hervorzubringen. J8 Das esse absolute ist der proprius effectus des schaffenden Gottes. Augustinus arbeitet noch nicht mit diesen termini technici, kommt den gemeinten Unterscheidungen aber doch nahe, wenn er schreibt, daß >>nur der höchste Gott [... J alles ins Dasein ruft, was irgendwie ist, soweit es ist (esse in quantumcumque est). Denn täte er es nicht, würde es nicht nur nicht so oder so (tale vel tale) , sondern ganz und gar nicht sein können.«" Augustinus unterscheidet zwischen dem esse tale vel tale, das Eckharts esse hoc et hoc entspricht, und dem esse in quantumcumque esl in Entsprechung zu Eckharts und Thomas' esse absolute. Nach Augustinus wie nach Thomas ist beides von Gott geschaffen. Thomas, der die Verschiedenheit von Gott und Geschöpf betont, steht also den Überzeugungen Augustins hier näher als Eckhart. Man versteht jetzt, warum Eckhart besonders an den zitierten Stellen aus Augustins Confessiones interessiert ist, die das In-sein der Dinge in Gott ausdrücken. Augustins ex iIlo in iIlo deutet Eckhart nicht bloß so, daß die Dinge nicht nichts sind, sondern im Sinne der Geburt des Bildes aus dem Urbild. »Denn Gott hat die Dinge nicht geschaffen und ist dann weggegangen« - dies heißt für Eckhart, daß Gott in den Dingen ist, weil der Kern der Dinge, ihr esse absolute, göttlich ist. Dies ist aber nicht das Augustinische Verständnis, denn aufgrund seiner radikalen Unterscheidung zwischen Schöpfer und Geschöpf gelten Augustinus die Dinge als in jeder Hinsicht geschaffen.
2.
Inhaerere Deo
Inhaerere Deo (Gott anhängen) ist die zentrale Idee der Ethik Augustins. Inhaerere Deo bedeutet, Gott mehr zu lieben als alles andere, genauer: Gott um seiner selbst willen zu lieben und alles andere um Gottes willen bzw. in Gott. Oder nochmals anders gesagt: Inhaerere Deo heißt: nur Gott genießen und alles andere gebrauchen wollen." Schon früh greift Eckhart diesen Grundbegriff Augustinischer Ethik auf, nämlich in seinen Reden der Unterweisung. Für Eckhart heißt inhaerere Deo, sich zu Gott erheben und fest mit ihm verbunden sein; sich nicht an die Dinge klammern; nicht von ihnen ihr Glück erwarten, sondern alle Dinge nur so haben, als ob sie uns geliehen wären. Der äußere Mensch mit seinem niederen Begehrungsvermögen muß dem inneren Menschen die Führung überlassen, der sich mit seinen Vermögen
L8 S.th. I q. 45, a.5: »Producere autem esse absolute, non inquantum est hoc vel tale, pertinet ad ratio nem creationis.« L9 civ. 12,26: »( . .. J summus Deus I.. .J facit esse quidquid aliquo modo est, in quantumcumque est; quia nisi faciente iIlo non tale vel tale esset, sed prorsus esse non posset. « 20 Vgl. daet. ehr. 1, 20 - 21.
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JQHAN NES BRA C HTE N DQRF
Vernunft und Wille auf Gott ausrichtet. Ein solcher Mensch begehrt keine vergänglichen Güter und erwartet von ihrem Besitz keine Glückseligkeit. Daher fillt er auch nicht ins Unglück. wenn er sie verliert. sondern bewahrt den inneren Frieden in Gott. Wer die Dinge durchbricht und seinen Gott ergreift. der hat Frieden. All dies ist natürlich reiner Augustinismus.
Doch schließlich geht Eckhart in seiner Deutung des inhaerere Deo einen wichtigen Schritt über Augustinus hinaus. Denn in letzter Konsequenz bedeutet inhaerere Deo für ihn die Vereinigung des Menschen mit Gott. Nicht nur sich im Denken und Wollen auf Gott richten. sondern mit der Form seines Gottes durchformt werden. ist nach Eckhart der volle Sinn des inhaerere Deo. Deshalb lautet der höchste Imperativ der Reden der Unterweisung: »Lass dich!«'! »Richte den Augenmerk auf dich. und wo du dich findest. da lass von dir ab.«" Gelassenheit ist nach Eckhart die Voraussetzung für die Einswerdung mit Gott. Er schreibt: »Darin. wo ich von meinem Ich lasse. da muß er für mich notwendig alles das wollen. was er für sich selbst will. nicht weniger noch mehr. und in derselben Weise. mit der er für sich will. Und täte Gott das nicht. - bei der Wahrheit. die Gott ist. so wäre Gott nicht gerecht. noch wäre er Gott. was (doch) sein natürliches Sein ist.«" Dies klingt erstaunlich. denn man fragt sich natürlich. warum Gott in den Menschen eintreten. ja sich mit ihm identifizieren muß. Eckhart spricht sogar davon. daß der Mensch Gott >zwingendein Deinsein<) in Gottes Selbst (>sein Seinsein<) zerfließen zu lassen. so daß es darin ein Mein (ein neues Selbst) werde. Dieses neue Mein ist Gottes Mein. Gott muß Reden der Unterweisung. DW V 193. Zl Reden der Unterweisung. DW V 196. n Reden der Unterweisung. DW V 187 f. 24 Predigt 22, DW I 385: ,.Mir kam bisweilen , wenn ich hierher kam. der Gedanke, daß der 21
Mensch in der Zeitlichkeit dahin zu kommen vermag. Gott zwingen zu können . [ ... J. Wenn sich der Mensch demütigt, kann Gott in seiner ihm eigenen Güte sich nicht enthalten , sich in den demütigen Menschen zu senken und zu gießen [ ... ].« Von Abgeschiedenheit , DW V 402: ))Die Abgeschiedenheit zwingt Go tt, daß er mich Iiebe.((. Vgl. dazu Mauritius Wilde: Das neue Bild vom Gottesbild, 264 - 267. lS Predigt 83. DW III 443. Dort werden auch mehrere Vergleichsstellen in Eckharts Werk angegeben.
MEISTE R ECKHART UND DIE NEUPLATON ISCHE TRANSFORMATION AUGUSTIN S
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deshalb für das neue Selbst des sich gelassen habenden Menschen das Gleiche und in der gleichen Weise wollen wie für sich, weil dieses neue Selbst nichts anderes ist als das Selbst Gottes. Eckhart geht zwar von Augustins Verständnis des inhaerere Deo aus, vollzieht aber mit der Idee des Eingehens des menschlichen Selbst in das göttliche Selbst einen Schritt, den Augustinus nicht vollzogen hat und aufgrund seiner Unterscheidung von Schöpfer und Geschöpf auch nicht vollziehen konnte. Wie bei seiner Interpretation der Augustinischen Differenz von bonum hoc et hoc und bonum absolute, so sieht man auch bei der Deutung des >inhaerere Deo<, daß Eckhart zwar zunächst Augustins Thesen übernimmt, sie dann aber weiterführt in Richtung auf ein ne uplatonisches Einheitskonzept, von dem Augustinus sich gerade abgrenzt.
3. Die Theorie des Geistes Ein bemerkenswerter Leser Augustins ist Eckharts Zeitgenosse und Ordensbruder Dietrich von Freiberg. Dietrich rezipie rt besonders Augustins Philosophie des Geistes, wie sie in De tri/litate vorliegt." Die Prinzipien dieser Rezeption sind bei Dietrich weitgehend die gleichen wie bei Eckhart, doch treten sie bei Dietrich sehr klar hervor, so daß zunächst dessen Augustinus-Deutung vorgestellt werden soll. Den Hintergrund bildet die mittelalterliche Diskussion um den Aristotelischen intellectus agens, wobei Dietrich sich der Deutung des Averroes anschließt, die den i/ltellectus agellS für ein göttliches Prinzip hält, das immer aktuell erkenne, das alles Seiende simultan erkenne, das auch eine vollkommene Selbsterkenntnis besitze, und das all diese Erkenntnis nicht durch ein besonderes Vermögen erwerbe, sondern durch sein Wesen. Demnach ist der i/ltellectus agens seinem Wesen nach ein unendliches Erkennen, dessen Selbsterkenntnis die Erkenntnis alles nur Wißbaren einschließt. Dietrich charakterisiert den intellectus agens so, wie Plotin den göttlichen Nous als zweite Hypostase denkt. 27 In seinem Werk De visione beatifica schreibt Dietrich, die Unterscheidung von intellectus agens und intellectus possibilis, wie sie sich bei den Philosophen finde, decke sich mit Augustins Unterscheidung zwischen dem abditum mentis (Versteck des Geistes)" und dem äußeren Denken (cogitativum exterius). Weitere AugustinusZitate zeigen, daß Dietrich auf eine Differenzierung hinaus will, die Augustinus in Vgl. Burkhard Mojsisch: Dietrich VOfl Fre;berg. 241 - 248. Vgl. Enneade VI 7, 14; V 9,6 - 8. 28 Dietrich von Freiberg: Oe v;s;one beatifica, prooem. 5, Opera amnia " 14. Der Ausdruck labd itum menUs( kommt bei Auguslinus nur ein ein ziges Mal vor, nämlich in Irin. 14,9. Heinrich VOn Gent scheint ihn als erster aufgegriffen zu haben. Vgl. dessen Qu.odlibet LX. 15, Opera omnja XIII , 266. 16 27
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JOHANNES BRA C HTEN DORF
De trinitate 10 und 14 vornimmt. wo er das cogitare bzw. se cogitare vom se nasse unterscheidet." Cogitare meint gegenstandsbezogenes, diskursives Denken, wobei im spezieUen Fall auch das eigene Se.lbst Gegenstand dieses Denkens sein kann (se cogitare). Das Denken wendet sich dann reflexiv auf sich zurück, wodurch es Selbsterkenntnis gewinnt. Davon zu unterscheiden ist nach Augustinus aber eine tiefere Ebene der Selbstkenntnis, auf der der Geist immer schon bei sich ist und nicht erst durch eine Reflexion auf sich zurückkommen muß. Augustinus nennt dies se nosse. Modern gesprochen handelt es sich beim se nosse um ein unmittelbares oder präreflexives Selbstbewußtsein, das die Voraussetzung für die Selbstreflexion im se cogitare darstellt, denn - und dies ist eine bei Augustinus häufig begegnende Denkfigur - suchen kann man nur, was man irgendwie schon kennt. Auch sich selbst suchen (se cogitare) kann nur, wer sich selbst irgendwie schon kennt (se nosse; vgl. trin. 10,3 - 5)· Nach Dietrich ist dieses se nosse das sogenannte Versteck des Geistes (abditum mentis), womit er wohl eine korrekte Augustinus-Deutung liefert. Doch sein entscheidender Schritt ist die Identifikation des Augustin ischen abditum mentis!se nosse mit dem averroistisch verstandenen intelleetus agens, und dies entspricht nicht mehr Augustins Intentionen. Denn nach Augustinus ist das se nosse nichts Göttliches, sondern ein Moment des endlichen menschlichen Geistes. Zwar hat es einen immerwährenden Selbstbezug und befindet sich somit stets in Aktualität (vgl. trin. 10,19), doch anders als das göttliche Selbstbewußtsein schließt die menschliche Selbstkenntnis keineswegs ein Wissen von aUem Wissbaren ein. Vielmehr ist der Mensch auf Sinneserfahrung angewiesen, um Erkenntnis aposteriori zu erhalten, und auf Illumination durch den inneren Lehrer, um apriorisches Prinzipienwissen zu gewinnen. Auch ist das se nosse nach Augustinus nicht ewig, wie Dietrich sagt, sondern es hat einen Anfang, da es geschaffen ist." Augustins se nosse ist ein Moment des durch und durch geschaffenen, endlichen Geistes. Dietrich hingegen setzt es mit dem göttlichen Geist gleich, der in uns wohne und gleichsam den Kern des Selbst ausmache."
trin. 10.7; 10. 19; 14.10; 10.13. Vgl. dazu Johannes Brachtendo rf: Die Struktur des menschlichen Geistes, 163 - 193. 30 Vgl. trin. 14 .13, wo es heißt: »cum profecto ex quo esse coepit, numquam sui meminisse. 19 Vgl.
numquam se intellegere. numquam se amare d estite rit . ~ 3 1 Kurt Flasch schreibt über Dietrichs Augusti nus·Z itate (Dietrich von Freiberg. 339): »S ie dienen regelmäßig der Bestätigung einer vorausgehende n philosophi schen Argumentation und eignen sich nur eine bestimmte Seite des Denkens Augustins an I... 1. Dietrich nimmt von Au· gustin auf, was an Plolinischem bei Augusti n noch zu finden war. er konnte bei sein er kulturpol itischen Polemik ni cht auf die Autor ität des großen Kirchenvaters verzic hten. « M. E. ist di ese Einschätzung noch zu milde. weiJ Dietrich nicht nur Material aufnimmt, sondern gelegentlich Äußerungen Augu stins, die nicht plot inisch ge meint sind. neuplatonisch interpreti ert.
ME ISTER EC KHART U ND D I E N EUPLATONI SC HE TRAN S FORMATION A UGU STTNS
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4. Das Bild Gottes
Die Lehre vom Bild Gottes weist von ihrer biblischen Grundlage her drei Dimen· sionen auf. nämlich eine anthropologische. eine christologische und eine ethische. Erstens wird vom Menschen gesagt. er sei nach dem Bild Gottes geschaffen (Gen '. 26) . Zweitens gilt Christus als Gottes Ebenbild (vgl. 2 Kor 4.4; KalI. 15). Drittens soll der Mensch nach dem Bild des Schöpfers erneuert werden (Kai 3. 10). Augustinus wendet sich in De trinitate hauptsächlich der ersten Dimension zu. indem er zu klären versucht. inwiefern der Mensch nach dem Bild Gottes erschaffen ist (Gen 1. 26). genauer: inwiefern der menschliche Geist ein Bild des drei faltigen Gottes ist. Dieses Bild findet Augustinus besonders im se nasse. das seiner Analyse zufolge trinitarisch strukturiert ist. Denn als Momente des se nasse arbeitet er eine innere memoria heraus, durch die der Geist sich i.mmer seiner erinnere, eine innere inteJIegentia. durch die er sich immer denke. und eine innere voluntas. durch die er sich immer liebe - und diese drei Momente verhalten sich zueinander genauso wie die drei Personen in der göttlichen Dreifaltigkeit. Es gibt hier eine Strukturentsprechung. die dazu berechtigt. den menschlichen Geist als Bild des dreifaltigen Gottes zu denken." Allerdings ist auch die dritte Dimension. also die ethische. rur Augustinus unter dem Namen der .Erneuerung<(renovatio) von großer Bedeutung. Die Erneuerung des Menschen nach dem Bild Gottes meint die vollständige kognitive und voluntalive Ausrichtung auf Gott als das Sein selbst und das höchste Gut. wie sie letztlich nur durch das Erlösungswerk Christi möglich ist. Mit der eschatologischen Verwandlung wird es sogar zu einer konstitutionellen Veränderung des Menschen kommen. der Gott nun von Angesicht zu Angesicht schaut. Das derart erneuerte Bild wird Gott vollkommen ähnlich sein" - worin freil ich impliziert ist. daß es nicht selbst Gott sein wird. Die theologische Tradition des Mittelalters nennt den Sohn häufig .Bild des Vaters <. und sagt vom Menschen. er sei geschaffen .nach dem Bild Gottes< (ad imaginem dei) . Sie unterscheidet also zwei Bilder. nämlich Christus als imago increata und den Menschen als imago creata. worin sie zweifellos Augustins Intention entspricht. Charakteristischerweise erkennen Dietrich und Eckhart diese Unterscheidung nicht an.'"' Eckhart schreibt: »[ ... J die Meistersagen. daß der Sohn ein Bild Gottes ist. die Seele aber nach dem Bilde gebildet ist. Ich aber sage vielmehr: [... J Nach eben dem nun. worin der Sohn ein Bild Gottes ist und worin der Sohn eingebildet ist. danach ist die Seele gebildet. Aus demselben. aus dem der Sohn empfangt. daraus empfangt VgL tritt. 9,2 - 8; 10,18 . Sie he dazu Johannes Braehtendorf: Die Struktu r des menschliche,. Geistes, 141 - 1,48; 187 -188; 257 - 265. II trin. 14,23: .. In hae quippe imagine tun e pe rfeeta er it Dei s imilitudo quando De i perfeeta e rit visio.4< l4 VgL dazu Mauritius Wilde: Das tleue Bild \Iom Gottesbild, 232 f. .12
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auch die Seele. Selbst da, wo der Sohn aus dem Vater ausfließt, bleibt die Seele nicht hängen .«" An anderer Stelle heißt es: »Man darf nämlich nicht die falsche Vorstellung haben, als wäre durch den einen Sohn oder das eine Bild Christus Gottes Sohn und durch ein anderes wäre der gerechte und gottformige Mensch Gottes Sohn. Denn er [Sc. Paulus ) sagt: Wir werden in dasselbe Bild verwandelt.«l6 Offensichtlich ebnet Eckhart die Unterscheidung des ungeschaffenen vom geschaffenen Bild, d. h. des ewigen Sohnes Gottes vom Geschöpf, ein. Ähnlich äußert sich Eckhart im Sermo XLIX, der eine knappe Analyse des BildBegriffs liefert. Auch hier läßt Eckhart die Bildlichkeit des Sohnes im Blick auf den Vater mit der Gottebenbildlichkeit des Menschen zusammenfließen. Denn als Bild gilt hier gleichermaße n (mit KO[I,IS) »das Bild des unsichtbaren Gottes, der Erstgeborene vor allen Geschöpfen « und (mit Augustinus) das vernunftbegabte Geschöpf in seiner Vernünftigkeit." Von den acht Thesen, in denen Eckhart im folgenden das Bildsein überhaupt - also ohne Unterschied zwischen dem geschaffenen und dem ungeschaffenen Bild - erläutert, treffen einige in traditioneller Sicht allein auf die innertrinitarischen Verhältnisse zu: etwa die Gleichheit zwischen Urbild und Abbild," oder die numerische Ununterscheidbarkeit (Unabzählbarkeit) von Urbild und Abbild.J9 lnstruktiv ist das Argument, mit dem Eckhart sich gegen die Abzählbarkeit wendet. Er führt an, daß Urbild und Abbild mithilfe der Reflexionsfigur des Selbstbewußtseins deut bar seien, denn es sei »notwendig, daß das Bild allein in der geistbegabten Natur ist, wo dasselbe sich zu sich selbst in vollendeter Rückwendung zurückwendet und wo der Zeugende mit dem Gezeugten oder dem Sprößling ein und dasselbe in seinem anderen Selbst ist [ ... ).«40 Das Erkennende und das Erkannte in der Selbsterkenntnis interpretiert Eckhart als Urbild und Abbild (und trinitätstheologisch als Gebä renden und Geborenen). So wenig wie Vater und Sohn oder Subjekt und Objekt der Selbstreflexion abzählbar seien, so wenig seien es Urbild und Abbild. Aufgrund der subjekttheoretischen Deutung ergibt sich für Eckhart, daß dem Bild Gottes nichts von dem fehlen darf, was in Gott ist, noch etwas in ihm sein darf, was in einem Geschaffenen ist." Als Aussage über das Bildsein des Sohnes wäre dies, wie gesagt, konventionell und entspräche den Vorgaben Augustins, d ie Eckhart " Predigt 72, DW III 244 f. l6 J1
Expositio sane/i evangelii seeundum fohannem. Cap. Sermo X LIX. LW IV 411.
I.
v.
14 ,
LW 1lI
104.
Vgl. Augustinus: tritJ. 6,1l. LW IV 415: »Imago eum illo euius est no n pon it in numerum nee sunt duae substantiae. sed esl unum in altero, let ego in patre. el pater in met.« Zit iert wird foh 14.10j bei Augustinus vgl. irin. 7.8 . .0 LW IV 425: .. Conseq uenter opo rtet quod in sola intelleetuali natura sit imago. ubi redit idem super se reditione eompleta et parie ns eum parto sive prole est unum idem in se altero lB
J9
[... 1·· ~I
Vgl. LW IV 425.
MEISTER EC KHART UND D I E NEUPLA TONI SC HE T RA NSFO RMATION AUGUSTINS
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im Sermo XLIX auch immer wieder zitiert." Die Provokation, von der aus Augustinischer Sicht zu sprechen ist, liegt darin, daß aJJ dies nach Eckhart auch vom Menschen gilt, insofern er Bild Gottes ist. Eckhart kann deshalb sogar von einem Zwang Gottes zum Eintreten in den gelassenen Menschen sprechen sowie von einem Zerfließen des menschlichen Selbst (,dein Deinsein,) in Gottes selbst (,sein Seinsein'), weil der menschliche Geist ein integrales Moment der göttlichen Selbstreflexion darstelle. Augustinus hingegen behauptet nicht mehr als eine Strukturparallelität zwischen menschlicher und göttlicher Subjektivität. Allerdings benutzt Augustinus an zwei Stellen seines Werks Formulierungen, die Eckharts Denken nahe zu kommen scheinen. So schreibt er in seiner Auslegung des ersten Johannes-Briefs, der Mensch werde sich in das verwandeln, was er liebt. »Haltet fest an der Liebe zu Gott, damit, wie Gott ewig ist, so auch ihr in Ewigkeit bleiben mögt. Denn jeder ist so beschaffen, wie seine Liebe beschaffen ist. Du liebst die Erde? Dann wirst du Erde sein. Du liebst Gott? Was soll ich sagen? Du wirst Gott sein? Ich wage es nicht, dies aus mir heraus zu sagen. Laßt uns auf die Schrift hören: ,Ich habe gesagt, ihr alle seid Götter und Söhne des Höchsten<(Ps 81,6). Wenn ihr also Götter und Söhne des Höchsten sein wollt, ,liebt nicht die Welt und nicht das, was in der Welt ist<.«" Wer Irdisches liebe, werde sich in Irdisches verwandeln. Bezeichnenderweise schreckt Augustinus aber vor der entsprechenden Aussage zurück: Wer Gott liebe, werde Gott sein. Zwar entschließt er sich dann doch zu dieser Redeweise unter Berufung auf den biblischen Sprachgebrauch in Psalm 81,6, wo es heißt, daß die Gläubigen Götter und Söhne des Höchsten sind. Für Augustinus bedeutet dieses Gottsein aber nur, daß, so wie Gott ewig ist, auch diejenigen, die Gott lieben, in Ewigkeit bleiben und die himmlische Glückseligkeit erhalten werden, während die Liebhaber der Welt vergehen." Von einer Einswerdung mit Gott ist also hier keine Rede. Im Gegenteil werden die Vorbehalte deutlich, die Augustinus gegenüber einer solchen Redeweise hegt. An der zweiten Stelle, die sich in De trinitate findet, sagt Augustinus mit den Worten des Apostels Paulus, daß derjenige, der Gott anhängt, ein Geist (mjt ihm) sein werde. »Schließlich wird er, wenn er ihm gänzlich anhängt, ein Geist mit ihm. Diesen Sachverhalt bezeugt der Apostel mit den Worten: ,Wer aber dem Herrn anhängt, wird ein Geist mit ihm<;
Insbesondere wäre die von Eckhart allerdings nich t zitierte Passage in trhf. XV 6,10 zu nennen, wo Augustinus die göttliche Dreifaltigkeit reflexionstheeretisch formuliert. 4J In epistolam Joatmis ad Parthos tractatus X, Ir. 11 14: »Tenete potius dilectionem Dei, ut quomodo Deus est aelernus, sie et vos maneatis in aeternum: quia talis est quisque, qualis eius dil ectio est. Terram diligis? lerra eris. Deum diligis? quid dicam? deus eri s? Non audeo di cere ex me, Scripturas audiamus: lEge dixi , Dii esti s, et filii Altissimi omnes( (Ps 8 1,6) . Si ergo vultis esse dii el filii Altissim i. ,nelile diligere mundum , nec ea quae sunt in mundum <. 44 Genau diese Deutung gibt Augustinus dem Psalmvers auch in Enarratiofles in Psalmos, In PSalmum LXXXI 6. 42
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dies geschieht, indem der menschliche Geist zur Teilnahme an jener Natur, Wahrheit und Seligkeit hinzutritt, nicht aber, indem Gott in seiner Natur, Wahrheit und Seligkeit wächst.«" Augustinus erklärt das >ein Geist sein<des Apostels aber gerade nicht als Einswerdung des Menschen mit Gott, sondern als Teilhabe des Menschen an der Natur, der Wahrheit und der Glückseligkeit Gottes, worin die Verschiedenheit des Teilhabenden und des Teilgebenden impliziert ist. Vom Menschen als integralem Moment der geistigen Natur Gottes spricht Augustinus nie. Im Sermo XLIX unterscheidet Eckhart drei Stufen des Hervorbringens zum Sein: erstens ein Hervorbringen von sich, aus sich und in sich selbst, eine bullitio bzw. emanatio; und zweitens ein Hervorbringen von sich, aber nicht aus sich, eine ebullilio. Letztere setzt entweder ein schon Bestehendes voraus, dann handelt eS sich um eine factio als zweite Stufe des Hervorbringens, oder sie setzt nichts voraus, dann liegt eine creatio als dritte Stufe vor. Bilder gehen Eckhart zufolge in der Weise der bullitio hervor; sie werden also weder gemacht noch geschaffen. Zudem sei die bullitio die Weise, auf die das Gute sich mitteilt." Vor dem Hintergrund der Transzendentalienlehre, also der Vertauschbarkeit von bonum und ens, darf man wohl ergänzen, daß sich auch das Sein so mitteilt, zumal Eckhart die bullitio, in der es nur die Bild-Ursache gibt, zur Sphäre des Metaphysikers erklärt, diefactiolcreatio hingegen zum Bereich des Naturphilosophen, weil dort Wirk- und Ziel ursachen eintreten. Daher legt sich auch von diesem Text her die Vorstellung nahe, daß nach Eckhart nur das esse hoc et hoc aller Dinge geschaffen ist, während das esse absolute ungeschaffen qua bullitio aus Gott emaniert. Wahrend Augustinus zufolge selbst der erneuerte und eschatologisch verwandelte Mensch über eine vollkommene Ähnlichkeit mit Gott nicht hinaus gelangt, wird nach Eckhart der nach dem Bild Gottes erneuerte Mensch zu Christus als dem Ebenbild Gottes. Doch die Christus-Werdung des Menschen ist nach Eckhart nicht nur ein ethisches Ideal, auf das der Mensch hinzuarbeiten hätte." Vielmehr gilt, daß Christus den Menschen nichts gebracht hat, was sie nicht ohnehin schon besaßen. Christus werde nur deshalb verehrt, weil er den Menschen gesagt habe, was immer schon ihr eigen war. »Die Seligkeit, die er uns zutrug, die war unser. Dort, wo der Vater im innersten Grunde seinen Sohn gebiert, da schwebt die (Menschen-) Natur mit ein . Diese Natur ist eines und ein faltig.«" Demnach soll der Mensch nicht erst
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zum ungeschalfenen Sohn Gottes werden, sondern er ist es in seinem lnnersten immer schon. Die Lebensaufgabe des Menschen besteht bloß darin, sich dessen mithilfe der Botschaft Christi bewußt zu werden und alles abzulegen, was in ihm nicht Gott, sondern bloß Geschöpf ist." Dem ethischen Ideal de r Christus-Werdung liegt bei Eckbart die anthropologische These zu Grunde, daß der Mensch immer schon Christus ist. Als Bild Gottes ist der Mensch nicht geschaffen, sondern vom Vater gezeugt.
5. Der dreifaltige Gott und die Einheit der Gottheit Die Gotteslehre ist bei Eckhart wie bei Augustinus zunächst platonisch-neuplatonisch konzipiert. Gott ist unveränderlich, ewig, geistig usw. In der Lehre von der Dreifaltigkeit Gottes setzt Augustinus sich jedoch vom Neuplatonismus ab. Plotins Hypostasenhierarchie von Einem, Nous und Psyche dreht Augustinus gleichsam um 90' in das horizontale Verhältnis von Vater, Sohn und Geist, die gleichen Wesens (homousios) sind. Zwar ist der Sohn vom Vater gezeugt und der Geist geht aus beiden hervor, doch dies begründe kein hierarchisches Verhältnis zwischen ihnen, wie die Arianer irrtümlich meinten. Der Vater sei nicht größer als der Sohn und beide zusammen nicht größer als der Geist, sondern jeder einzelne von ihnen sei der ganze Gott und gemeinsam seien sie der eine Gott.'" Diese Veränderung bedeutet eine Abkehr von der neuplatonischen Kernthese, daß an der Spitze des Systems das Eine selbst stehen müsse, das keinerlei Differenzen aufweise und daher auch in keiner Weise aussagbar sei, weil ja jede Aussage zumindest die Differenz von Subjekt und Prädikat mit sich bringe. Nach Augustinus ist die höchste Wirklichkeit, das Sein selbst, keine reine, sondern eine in sich differenzierte Einheit, die aber nicht zur Vielheit zerfillt - also eine Dreieinheit. Eckbart macht sich die Trinitätslehre Augustinus zu eigen, die ja bereits zum Grundbestand der mittelalterlichen Theologie geworden war. >Gott< ist das Sein selbst; er ist trinitarisch zu verstehen unter Wa hrung de r Wesensgleichheit; die Trin ität ist unterschieden den Personen nach, aber eins der Natur nach." Den Hervorgang des Sohnes bezeichnet Eckbart zwar anders als Augustinus nicht als generatio, sondern als emallatio oder bullitio, meint damit aber wohl dasselbe wie Augustinus. nämlich ein Hervorgehen >von sich, aus sich, in sich<.
Allerdings ist der dreifaltige Gott für Eckbart nicht das höchste Prinzip, denn gleichsam hinter Gott steht für ihn die >Gottheit<. Eckbart denkt nach über Gott ~9 50 51
Vgl. Mauritius Wilde: Das neue Bild vom Gottesbild. 234 f. Vgl. dazu Johannes Brachtendorf: Die Struktur des menschlichen Geistes, 15 - 23. Vgl. Expositio sancti evangelii secundum Johmmem Cap. I.V. I - 5 . LW 111 3- 22.
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vor der emanatio oder bullitio des Sohnes. Hier ist Gott keine Trinität, sondern reine Einheit. Wer Gott bildlos erkennt, wie Eckhart es fordert, der erkenne ihn wie er Nicht-Gott sei ... In diesem Einen sollen wir ewig versinken vom Etwas zum Nichts.«" An anderer Stelle heißt es; .. Gott wird und entwird.«" Und: .. Gott wird, wo alle Kreaturen Gott aussprechen: da wird Gott. Als ich noch im Grunde, im Boden, im Strom und Quell der Gottheit stand, da fragte mich niemand, wohin ich wollte oder was ich täte; da war niemand, der mich gefragt hätte. Als ich aber ausfloß, da sprachen alle Kreaturen: Gott! «'" »ln der Quelle der Gottheit I... J dort entwird Gott.«" Eckhart vollzieht hier einen Schritt über die Trinität Gottes hinaus, in die reine Einheit der ,Gottheit<, und damit auch über Augustinus hinaus und zurück in die neuplatonische Prinzipienlehre. Vor der Augustinischen Trinität liegt für Eckhart noch die plotinische Einheit. Für Augustinus gilt: Gott ist einer, ulla essentia; er ist groß, gütig, gerecht etc., wobei jede dieser Bestimmungen mit seinem ganzen Wesen identisch ist. Faßt man nun die drei Personen ins Auge, so gilt von jeder dieser Personen das Gleiche wie von Gott: sie sind groß, gütig, gerecht etc. Die Einheit Gottes ist so stark, daß sich die Personen mit Blick auf das, was sie an sich sind, nicht unterscheiden lassen. Die Unterschiedenheit und damit die Dreiheit der Personen wird erst dann sichtbar, wenn man deren Relationen zueinander betrachtet. Der Vater ist nicht der Sohn, weil der Vater zeugt und der Sohn gezeugt wird, und der heilige Geist ist von beiden verschieden, weil er von ihnen hervorgebracht wird. Die Dreiheit in Gott entsteht nach Augustinus erst durch die Relationen. Sie darf also nicht so aufgefaßt we rden, als gäbe es drei Substanzen, die gemeinsam unter den Gattungsbegriff ,Gott
" Predigt 8J, DW 111 448. ~}
Predigt 109. DW IV I2. 768. übersetzung nach: Meister Eckhart. Deu tsche Predigten lind Traktate. 273. Dort wird die Predigt als Num mer 26 gezählt. ~ Predigt 109. DW IV 12,77 1 f. 55 Predigt 109. DW IVI2, 773. 56 Vgl. trin . 7.8 - 11 .
MEIST ER ECKHART UND DIE NE U PLATONI SC H E TRANSFORMATION AUGUSTlNS
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Wie sehr Eckhart im Vergleich zu Augustinus die Dreiheit gegenüber der Einheit abwertet, zeigt sich in dem Satz: »Als ich ausfloß, da sprachen alle Kreaturen >Gott«<, denn dies impliziert, daß alle Aussagbarkeit Gottes von den Geschöpfen her entsteht, und daß alle Differenzen, die im Blick auf Gott eintreten, etwa diejenige zwischen Gott und Welt, von der Schöpfung her eintreten. Auch dreifaltig, so muß man dann sagen, ist Gott nur im Blick auf die Schöpfung. Vor der Erschaffung der Welt, also bevor >ich ausfloß<, >im Anfang<, war Gott Eckhart zufolge noch nicht dreifaltig, sondern die reine Einheit der Gottheit. Cusanus wird diese Eckhartsche These später sehr deutlich aussprechen: Die Unterscheidung von Vater, Sohn und Geist wird nach Cusanus nur im Blick auf die Geschöpfe bzw. die Fähigkeit Gottes zu schaffen getroffen " Nach Augustinus hingegen war Gott immer schon dreifaltig, und der Sohn unterscheidet sich vom Vater nicht bloß durch seine Schöpfungsmittlerschaft, sondern durch sein Gezeugtsein. Eckharts Schritt über die Trinität hinaus hätte Augustinus nicht zugestimmt, de nn der Kirchenvater läßt den Standpunkt der reinen Einheit grundsätzlich zurück zugunsten einer in sich differenzierten Einheit.
6. Der mystische Aufstieg In seiner Schrift Vorn edlen Menschen gibt Eckhart weitere Hinweise zu seiner Anthropologie. Wie Augustinus unterscheidet er den äußeren Menschen vom inneren Menschen, wobei der innere Mensch ebenso wie der äußere zum Re ich des Geschaffenen zähle. Darüber hinaus gebe es im Menschen aber noch etwas Ungeschaffenes, etwas, das nicht zur Natur des Menschen gehöre, nämlich den Samen göttlicher Natur. Dieser Same muß kultiviert werden, bis er ganz ausgewachsen ist, und zwar durch Wegnahme alles hoc et hoc. Das hoc et hoc des Menschen sind seine Vorstellungsbilder, aber auch seine Individualität, durch die er sich von anderen Individuen unterscheidet. Deshalb besteht die Kultivierung des göttlichen Samens darin, daß der Mensch von allen Bildern abläßt und aus sich selbst ausgeht. Dann läßt er das Bild Gottes, das in ihm liegt, ganz hervortreten; dann gebiert Gott seinen Sohn in ihm .58 Wir finden hier die Anwendung der Metaphysik des Opus tripartitum auf den Menschen selbst. Äußerer und innerer Mensch gehören zum esse hoc et hoc des Menschen, das er abstreifen soll, um sein esse absolute et sirnpliciter freizulegen. Tut er dies, dann verliert er seine Natur als Mensch (wie auch der vollkommen leer gewordene Becher seine Natur verliert) und steigt auf zum Himmel, weil dann das Bild Gottes in ihm hervortritt.
51
Vgl. N icolaus Cusanus: De docta igrlOranl'ia I 80 f.
$8
Vom edlen Men schen. DW V
10 9 - 112.
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Die Idee eines Samens göttlicher Natur in uns entwickelt Eckhart weiter zum Bild des ,Burgstädtchens
59 Augustinus spricht ebenfalls vom >SeeienfünkJeinc, und es ist nicht ausgeschlossen. daß Eckhart den Ausdruck aus De civitate dei übernimmt, wo Augustinus von der scin tilla rationis spricht . die auch durch den Sündenfall nicht ganz ausgelöscht wurde (vgl. civ. 22,24). Aber dieser Funken ist für Augustinus natürlich ein geschaffenes Merkmal der Seele und nichts ungeschaffenes, in dem die Seele Gott oder gar der ,Gottheitc gleich wäre. 60 Predigt 2 , DW 1 43.
61 Vgl. Enneade I 6.4; V 9.2. Vgl. Enneade JV 8,1. 6J Vgl. co,,! 7,16 ; 17,23; 9,23-26. 61
M EISTER ECKHART UND DIE N EU PLATONISCHE TRANSFORMATION AUGUSTINS
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Meister Eckhart betreibt ein intensives Studium der Schriften Augustins und nimmt sie in Anspruch für seinen Versuch. nach der Aristoteles-Rezeption des 13. jhs. nun den Neuplatonismus innerhalb des christlichen Denkens neu zur Geltung zu bringen. Wie ich zu zeigen versucht habe. birgt diese Augustinus-Rezeption Probleme. die ane in die gleiche Richtung weisen. Eckhart verlängert Augustins Thesen auf jenes neuplatonische Einheitsdenken hin. von dem Augustinus selbst sich. auch aufgrund seiner christlichen überzeugungen. gelöst hatte. Das In-sein der Dinge in Gott. wie Augustinus es versteht. interpretiert Eckhart als Identität des göttlichen Seins mit dem gemeinsamen esse absolute der Dinge und schwächt damit den Schöpfungsgedanken ab. Augustins inhaerere Deo übersteigert er zu einem Eingehen des menschlichen Selbst in das göttliche Selbst. Eckhart gibt den Unte rschied von geschaffenem und ungeschaffenem Bild auf und versteht folglich die Gottebenbildlichkeit des menschlichen Geistes nicht mehr wie Augustinus als Strukturentsprechung zur göttlichen Dre.ifaltigkeit; vielmehr macht er den menschlichen Geist zu einem integralen Moment des göttlichen Sich-selbst-Denkens. Augustins irreduzibel dreieinigen Gott zerlegt Eckhart gleichsam in eine Dreiheit und eine dahinter stehende Einheit. Augustins mystische Aufstiege zur Berührung der göttlichen Weisheit als der zweiten trinitarischen Person verlängert Eckhart zur Einswerdung mit dem Einen. In all diesen Punkten ist Eckharts Augustinus- Rezeption durch eine neuplatonische Transformation des Kirchenvaters gekennzeichnet. die dessen Intentionen nicht entspricht.
Wissen von Augustinus deutsch? Die Rezeption der Schriften des Kirchenlehrers in deutscher Literatur des Spätmitte lalters. Ein kursorischer Überblick
von Rudolf Kilian Weigand »Die Wände wurden von hohen Büchergestel len verdeckt, angefüllt mit eine m unglaubliche n Plunder, vor dem Andreas staun end sta nd. [ ... ] Weiterhin standen soga r die Kirchenväter.l( (Heinrich Mann: Im Schlaraffe'l/arld, Kap. 2)
1.
Rezeptionsspuren im frühen und hohen Mittelalter
Die Augustinus·Rezeption setzt in der deutschen Literatur früh ein . Erste Obertragu ngsunternehmungen können schon auf das Ende des 8. Jahrhunderts datiert werden, denn zu diesem Zeitpunkt fand eine Augustinus- Predigt das Interesse des Isidor-Obersetzers.' Er wählte fUr seine Wiedergabe in de utscher Sprache den Sermo LXXVI über Mt 14,24 - 33: De Domino ambulante super aquas maris, et de Petro tituballte.' Gut zwei Drittel des lateinischen Textes enthält die althochdeutsche Umschrift in den Monseer Fragmenten.' Auch im Hochmittelalter werden immer wieder Augustinus-Predigten in Mustersammlungen inkorporiert,' wie einige Frag-
Vom sog. Isidor-Übersetzer si nd mehrere Texte aus Bibel, Theologie und Predigt bereits im 8. Jahrhundert ins Althochdeutsche übertragen worden. Bei der übersetzung. die in zwei Handschriften vorliegt (BibI. Nat.. Paris =P; Österr. NationalbibI. Wien cod. 3093 = M), handelt es sic h um die ältesten Zeugni sse einer theologischen Obersetzungsliteratur in deutsche r Sp rache. Den Übersetzer vermutet man im Kreis um Alkuin. Da ein ige Dialektspuren zwar ins westliche Südrheinfränkische weisen (Raum um Metz), die Mundart sich dennoch ni cht exakt bestimmen läßt, bezeichnet man seine Sprachausprägung als >Isidorsprache<. Die Wien -Mon seer Handschrift (M) zeigt Spuren einer bairischen Überformung. Vgl. zu r Monsee-WienerHandschrift die Beschreibung bei Hermann Menhardt: Verzeichnis der altdeutschen literarischen Hal/dschriften der Österreichisclieu Natiollalbibliothk, Bd. 2, 877 - 879, hier 878; die AugustinusPredigt ist Text Nr. 5. Zur Überlieferung vgl. zuletzt Elke Krotz: Aufden Spuren des althochdeut1
schen Isidor. Studien zu r Pariser Handschrift, den Monsee r Fragmenten und zum Codex Junius 25· Mit e;'ler Neuedition des Glossars Je (Beiträge zu r älteren literat urgeschichte), Heidelberg Rez. von Claudia Wich -Reif in ZfdA 134 (2005). 81-87. Die Angabe bei Menhardt (1961). 878, es sei Sermo 36, ist un zu treffend, Kurt Ruh hat richtig Sermo 76; vgl. Kurt Ruh: Augustinus. Heiliger Imd Kirchenvater. hi er 538. ) Vgl. 7he MO'l see Fragments. zur Augustinus-Predigt, 60 - 67. Der ahd . Text im Internet unte r: http://titus. uni-frankfurt.de/texte/etcs/germ/ahd/monsee/monse. htm ~ Vgl. Kurt Ruh: Augustinlls. Heiliger Iwd Kirchenvater. hier Sp. 538.
2002, l
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RUDO L P KILIAN WE I GAND
mente bezeugen. Damit war der Name des Kirchenlehrers in deutschen Texten eingeführt. Bezogen auf den Umfang und die Verbreitung des lateinischen Gesamtwerks. das der Bischof von Hippo geschaffen hat. steUen diese Predigtverwertungen freilich allenfalls marginale Versuche der Anverwandlung in deutscher Sprache dar. Allerdings finden wir auch außerhalb der Predigtliteratur Verweise auf Gedankengut Augustins. In Beschlüssen einer Trierer Synode von 927 wird bezüglich der Aufforderung zur Beichte auf die Confessiones rekurriert.' Freilich handelt es sich hier um lateinisches Schrifttum. das Gelehrten als Handlungsanweisung für die Belehrung zugedacht ist. Eigentliche Laienbildung mit zu diesem Zweck formalisierter Literatur dürfte allenfalls in Randbereichen stattgefunden habe n. Obwohl in den wenigen dokumentierten Adeligen-Bibliotheken der Karolingerzeit Augustinus durchaus vertreten ist. wenn auch nicht mit den Confessiones.' bleibt offen. inwieweit eine ve rständige Vermittlung an vollkssprachige Kreise überhaupt stattfinden konnte. Denn selbst dort. wo eine grundständige Lesefahigkeit von lateinischen Texten gegeben war. bedeutete das nicht zugleich. daß den Schülern die sinngemäße Übertragung dieses Schrifttums in die Volkssprache möglich war.' Trotz der belegten Übersetzungen ist demzufolge tatsächliche Kenntnis von Augustinus-Texten in deutscher Sprache bei ungelehrtem Publikum im Frühmittelalte r kaum anzusetzen. »Der feudale Adlige des frühen Mittelalters besaß Ku ltur. indem er ihre Produzenten besaß oder beanspruchte.«' Eigenständiges Wissen um die gelehrten Inhalte war damit eher selten verbunden. Erst als sich die Bildungsverhältnisse durch den flächendeckenden Aufbau von Schulen massiv gewandelt haben. ist der Boden bereitet für umfangreichere Verdeutschungen von Texten Augustins.' Dennoch bleibt die Berücksichtigung in volkssprachigen Texten zunächst marginal. Selbst in geistlich orientierter belehren-
vgl. Wolfgang Haubrichs: Die A,ifänge. Versuche volkssprachiger Schriftlichkeit im frühen Mittelalter, 248. 5
• Vgl. Wol fgang Haub richs: Die Anfonge. S8 - 60 zu den Bibliotheken der Dhuoda. Gattin des Grafen Bemhard vo n Sept imanien (841/43), des Grafen Ekkehard von Autun (um 876) und des Markgrafen Eberh ard von Friaul (863 /6 4), in dessen Bücherbestand ei ne Handschrift von De civitate dei verze ichnet ist. 1 Wolfgang Haubrichs: Die A'lfänge. 25 1 f., mit einem Beispiel aus der >Vita S. Gregoriit des Liudger von Münster. • Wolfgang Haubrichs: Die Anfänge, 46. 9 Grundlegend zum Wandel des Schulwesens im hohen und späten Mittelalter vgl. Johan nes Fried (Hg.): Sclw len und Studium im sozia len Wandel des hohen und späten Mittelalters. Kurz. aber in formativ Peter Classen: Die hohet! Schufen und die Gesellschaft im J2. Jahrhundert . Einen guten überblick zur Entwicklu ng der ü bersetzungstätigkeit in Deutsch land im Mittelalter bietet Joachim Heinzle (Hg.): Obersetzeu im Mittelalter. Zur Ennvicklung de r Schriftlichkeit und zum Anteil der einzeln en Textsorten vo m 11. bis zum 13. Jahrhundert vgl. Christa BertelsmeierKie rst: Aufbruch in die Schriftlichkeit. Zur volkssprachlichen Oberliefenmg im J2. Jahrhundert.
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der Literatur. wie dem mittelhochdeutschen Lucidarius. findet Augustinus an einer einzigen Stelle Erwähnung." Bei den Erörterungen über die Geheimnisse der Heiligen Messe belehrt der Meister seinen Schüler: »Wen wenne wir ophiren zu der messen. so nach bilde wir sancte Marien magdalenen . die vnsern herren salbete. do er zu der martel gie. Augustin sprichet: .Swer nach bildet Mariam magdalenam mit dem opfer. der gewinnet ouch teil dez Iones mit ir. «,11 Zugrunde liegt eine Stelle in Augustins Kommentar zum Johannesevangelium (Jo. ev. tr. 50.12). Beachtlich ist. daß der anonyme Autor des Lucidarius mit den präsentierten Informationen sogar über seine Vorlage. das Elucidarium des Honorius Augustodunensis. hinausgehtl' Solch gründliche Beschäftigung bleibt jedoch vereinzelt. Denn wir können in allgemein didaktischer Dichtung eine Generation später. im Welschen Gast des geistlich gebildeten Thomasin von ZirkIrere. keine Augustinus-Nennung finden. obwohl dort andere IGrchenlehrer aufgeführt werden,!' aber eigentümlicherweise keine Autoritäten für die divinitas (V. 9737 ff.). Obwohl also im Rahmen der Übertragung oder Auswertung theologischer Fachliteratur in die deutsche Sprache Rückgriffe auf anerkannte Autoritäten durchaus zu beobachten sind. liefern sie noch keine eigenständige Augustinus- Übersetzung. Die übersetzerische Rezeption des Hochmittelalters ist vordringlich durch Bibeldichtung und Legendenübertragung gekennzeichnet. erst im beginnenden Spätmittelalter treten vermehrt Fachtexte aller Art. gerade auch theologischer Natur in den Blickpunkt."
Deutlich häufiger. nämli ch an sieben Stellen, wird Gregorius erwähnt. vgl. Dagma r Gott schall; Georg Steer (Hg.): Der deutsche lLucidar;us< Band 1: Kritischer Text nach den Handschriften, hier (im Wörterbuch) 232. U Der deutsche ,Lucidarius< Band 1 (1994). hier 105,15 (Lib.lI ,64). II Im Kommentar zu Der deutsche ,Lucidarius< erklärt Marlies Hamm (Band 2.381); •• Das Augustinus-Z itat ist Zusatz im Lucidarius. Am Samstag vor dem Palmsonntag wurde den Armen ein Almose n ausgegeben . das die Liturgike r seit Augustinus in der Salbung Chri st.i in Bethanien durch Maria Magdalena präfiguriert sahen. ~ lJ Zum Beispiel Gregorius für Musik (Y. 9603). Thales für Mathematik (Y. 9605). Bezeich nenderweise beklagt Thomasin von Ze rcl are (Der Welsche Gast, 322) aber vielfach die mangel nde Geleh rsamkeit der Laien , etwa Y. 9833 - 9848. 14 Zur Entwicklung der deutschen übersetzungsliteratur beso nders im theologischen Bereich im Hoch- und Spätm ittelalter vg!. immer noch den umfassenden Überblick von Georg Steer: Germanistische Scholastikjorschung. 10
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2. Popularisierung im 13. und 14. Jahrhundert
Augustinus-Texten größeren Umfangs begegnen wir schließlich in Handschriften des 14. Jahrhunderts. Eigentümlicherweise gehen auch dann noch die Bemühungen nicht direkt auf Sammlungen originärer Sch riften Augustins zurück, die eigentlich zuhauf in den Bibliotheken zu finden waren. I' Stattdessen stützen sich Übersetzer auf ein, allerdings besonderes, Zeugnis lateinischer adaptierender Rezeption. In seinem Speculum hisloriale, dem chronologischen Teil seines umfassenden enzyklopädischen Projekts Speculum maius,1' hat Vi nzenz von Beauvais vielfaltige Auszüge der Schriften antiker und spätantiker Autoren als Zeugnisse der literarischen Produk· tion der jeweiligen Zeit eingebautY Ln dieser Art von Literaturgeschichtsanthologie ist seine chronikalisch geordnete Sammlung für das Mittelalter einmalig. Insgesamt 44 Kapitel wurden von Vinzenz in Buch XVIiI des Speculum historiale dem Werk Augustins gewidmet. l • Er eröffnet die Passage mit Kapitel 53 unter der Überschrift De libris Augustini; zunächst erhalten wir dort eine knappe Darstell ung zum Wirken des Bischofs von Hippo: »Arcadii et Honorii temporibus Augustinus in ecclesia philosophatus est, cuius librorum, tractatuum et epistolarum numerus plus qua m at mille triginta extenditur, multis numero non comprehensis.« Darauf folgen in ähn-
Die umfangreiche lateinische Überlieferung der Schriften August in s ist in ihrer Vielfalt bis heute nicht wirklich aufgearbeitet. Ein vorläufiger Überblick zu den Manuskriptzahlen bei Herbert Hunger (u.a.): Die Textüberlieferung der antike'l Literatur und der Bibel, zu Augustinus 418 - 4 20. In Hinblick auf die Confessiones sind demnach bis zum 12. Jahrhundert schon an die hundert Textzeugen der lateinischen Ve rsi on anzusetzen, ohne das enorme Anwachsen der Kodexproduktion im Zuge der Literaturexplosion des Spätmittelalters zu berücksichtigen. 16 Zu Vinzenz vgl. ausfUhrlieh Johan B. Voorbij: Hel >Speculum Historiale< vml V;'lcent van Beauvais. Een studie van zijn ontstaansgeschiedenis; Rudolf Weigand: Villze'lz von Beau vais. Sdlolastisdle U"iversaIchrollistik als Quelle volkssprachiger Gesdliclttsschreibung; zur Genese des Speculum maius auch Anna·Dorothee v. den Brincken: Geschichtsbetrachtung bei Vinzenz: von Beauvais. Die Apologia ACloris zum Speculum MahlS. 17 Diese Funktion des Speculum historiale als Sammelbecken von wörtlichen Auszügen zahl· loser Originalschriften ist bislang nicht umfassend untersucht. Es gibt Einzelstudi en zu klassi· sehen Autoren, etwa zu Aristoteles von Jaquel ine Hamesse: Le dossier Aristote dans lreuvre de Villcen t da Beau vais. Apropos de I'Ethique. Den Stellenwert etlicher Klassiker·Zitate im Specu· lum historiale analysiert auch Stefan Schul er: Excerptods morem gerere. Zur Kompilation lind Rezeption klassiscll-Ialei"ischer Dicltter im >Specullll1l hisloriale< des Vitlzenz VOll Beauvais. Das Specu lum historiale benutzt man am besten im Nachdruck der Akade mischen Druck· und Ver· lagsanstalt in Graz 1965: Vincentius Bellovacensis Specu lum Quadruplex sive Speculum maills (Naturale/ Doctrinale/ Morale/ Historiale), Douai 1624. In dieser Ausgabe zäh lt das Speculllm Histodale als vierter Band 31 Bücher, da das erste Buch mit der allge meinen Ein leitung und den Tabulae weggelassen ist; die Zitierung erfolgt nach Büchern (/ib. ) und Kapiteln (c.). 18 Zur Organisation und Zählung der Bücher im Speculllnl Jristoriale vgl. Rudolf Weigand: Vinzenz von Beauvais, 45 - 69; und Johan B. Voo rbij: Hel ,Speculum Hisloriafeq1an VirlCent van Beauvais. 109 - 129. 15
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lichem Stil Bemerkungen verschiedener Historiographen zu Augustinus." In zwei weiteren Kapiteln zählt Vinzenz dann die ihm bekannte n Schriften Augustins auf, zunächst jene, welche er selbst eingesehen hat (cap. 54), immerhin eine Liste von 131 Titeln, dazu noch die summarisch benannten Sammlungen von '50 Epistolas parvas et diversos und 200 Sermones diversos. Die Zahl spiegelt die mittelalterliche Vorstellung vom Gewicht Augustins, denn er selbst führt in seinen Retractationes nur 94 eigene Werke an. In einem zweiten Teil folgen jedoch noch zusätzliche Schriften, von denen Vinzenz nur Titel nennen kann (cap. 55), weitere 21 namentliche Nummern, sowie der Verweis auf eine noch größere Zahl von Texten, deren Zuschreibung dem Chronisten jedoch zweifelhaft erscheint. Mit cap. 56 beginnen die wörtlichen Auszüge aus den Schriften Augustins. Angesichts des vorangestellten opulenten Katalogs erstaunt die hierbei von Vinzenz vorgenommene, sehr begrenzte Auswahl: Aus ganzen drei Werken liefert er Exzerpte, nämlich den Confessiones, dazu aus Oe doctrina christiana sowie aus Oe opere monachorum. Mit 34 Spalten (7 14a bis 729b) bei durchschnittlich 70 Druckzeilen erreichen die Auszüge nahezu 2400 Zeilen im Großfolioformat. Höchst unterschiedlich ist dabei die Menge des exzerpierten Materials verteilt. Die Partien aus den Co nfessiones umfassen volle 38 Kapitel (cap. 56 - 92), immerhin noch fünf (93 - 97) sind der Schrift Oe doctrina christiana vorbehalten, nur mehr zwei (98 und 99) berichten aus Oe opere monachorum. Unübersehbar ist damit der überragende Stellenwert, den Vinzenz den Confessiones in Augustins Gesamtwerk einräumt. Die Verteilung der Exzerpte über die Confessiones hinweg legt den Schwerpunkt deutlich auf Buch 10 (cap. 77 - 89), wohingegen Buch 5 und 6 (cap. 67 und 68) nur in straffer Kürzung benutzt wurden," aus den Büchern 12 und 13 hat Vinzenz überhaupt keine Passagen herangezogen. Damit zeigt er ein Verständnis Augustins, das doch deutlich von manch reduktive r Sicht im Mittelalter abweicht."
Zun ächst werden Ge nnadiu s, Hieronymus und Prosper genannt. Die letzte Passage in diesem Kapitel über Augustinus eröffnet Vinzenz mit der Notiz Author. Mit dieser Zuweisung kennzeichnet er zwar bisweilen auch seine eigenen Bemerkungen, meist handelt es sich aber Um Stellen, die er seine r Hauptquelle, der Chronik des Helinand von Froidemont entnommen hat. vgL RudolfWeigand: Vinzenz von Beauvais, 69 -76, bes. 72. Zu Augustinus bei Vinzenz vgl. auch Ludwig Lieser: Virlzenz von Beauvais als Kompilator und Philosoph, 26 - 31. 20 1m Nachd ruck der Ausgabe Douai 1624 ist mittels der beigefügten Marginalien lekht die Herkunft der Confessiones-Zitate zu verifizieren. Allerdings treten im mer wieder leichte Verschie bu,ngen auf, so sind Abschnitte aus cap. 6 des zweiten Buches schon dem cap. 7 zugewiesen. 21 Vgl. Norbert Fischer: Meister Eckhart und Augustins Confession es, 2; er weist daraufhin, da ß das vo n Vinzenz breit exzerpie rte 10. Buch häufig unter die gleiche Mißachtung fiel wie di e Bü cher 11 bis 13. 19
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2.1
RUDOl..F KI l..I AN WEIGAND
Verdeutschung des ,Specu/um historio/e(
Mittels eines Übe rsetzungsunternehmens des Speculum Historia/e in die deutsche Sprache. im ' 4. Jahrhundert wohl vom Deutschen Orden initiiert." konnten diese planmäßig exzerpierten Teile der Confessiones und damit erstmals ein umfangliches Werk Augustins von einem volkssprachigen Publikum im deutschen Sprachraum gelesen werden. Auch die Forschung verstand diese Exzerpte lange Zeit als Augustinus-Texte: Es dauerte Jahrzehnte. ehe Vinzenz als Mittlerquelle identifiziert werden konnte. 2J Wie verbreitet die Übersetzung des Specu/um historia/e und damit auch die der Confessiones· Auszüge war. vermögen wir heute nicht mehr sicher festzustellen. Immerhin kann man wohl von mindestens zwei in Fragmenten erhaltenen PergamentHandschriften ausgehen. Daraus lassen sich für den Einzelfall aber nur schwer quantitativ belastbare Folgerungen ableiten." Diese Speculum-historiale- Übersetzung war freilich nicht der einzige Weg. auf dem Vinzenz' Exzerptsammlung in den deutschen Sprachraum gelangte. Bekanntlich übertrug Jacob van Maerlant das Speculum historiale unter dem Titel Spiegel historiael ins Niederländische; Teile. die er selbst nicht mehr vollenden konnte. wurden durch Lodewijk van Velthem und Philip Utenbroeke ergänzt." Diese niederländische Version fand das Interesse oberdeutscher Bücherfreunde. zumindest der vierte Teil des Spiegel wurde wohl im Nürnberger Raum in den örtlichen Dialekt übertragen. Zwei umfangreiche. in Nürnberger Patrizierfamilien entstandene Handschriften sind heute noch erhalten. 26 Ob auf diesem Weg auch Augustinus-Teile mittransportiert wurden. muß offenbleiben. Augustinus-Kenntnis rur ein volkssprachiges Publikum im deutschen Sprachraum erschöpft sich im 14. Jahrhundert jedoch keineswegs in diesen umfangreichen Exzerpt-Übertragungen. Sie wird begleitet von einer breit gefacherten indirekten Rezeption. Denn in Predigt. Traktat und Erbauungsliteratur bis hin zur Dichtung wurde der angesehene Lehrer eifrig zitiert. in der Mehrzahl freilich mittels anonymer Aussagen. aber in gar nicht seltenen Fällen durchaus auch unter Nennung von Name und Werktitel." Vgl. RudolfWeigand: Vinzenz von Beauvais. 138-147. bes. 143. 2l Vgl. Paul Lehmann/Otto Glauning: Mittelalterliche Handschriftenbruchstücke der Universitätsbiblioth ek und des Georgianum zu München. 24 Vgl. Uwe Neddermeyer: Möglichkeiten und Grenzen einer quantitativen Bestimmung der Buchproduktion im späten Mittelalter. II Vgl. }acob va" Maer/ants Spiegel Itistoriael met de fragmenten der later toegevoegde gedeellen. 3 Bände. 26 Berlin, SBPK mgq 2018 (aus dem Besitz der Nürnberger Patrizierfamilie Schürstab) und 22
Wien, ÖNB. CPV 2902 (aus dem Besitz der Familie Volkamer/ Volkmayr). Zur deutschen ReSpiegel historiael vgl. Rudolf Weigand: Vinzenz von Beauvais, 186 - 204. 17 Vgl. Kurt Ruh: Augustinus. Heiliger und Kirchenvater, 541 - 543.
zeption des
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Daß in der Verifizierung solcher Bezüge zunächst der Nachweis von AugustinusZitaten im Rahmen der Erforschung der .deutschen Mystik, im Vordergrund steht. kann kaum verwundern. Gerade im Bereich dieses Schrifttums gelten Augustins Werke als eine •Fundgrube von Anregungen' hinsichtlich der mystischen Spekulation" Für Meister Eckhart ist ausführlich belegt. in welch vielfaltiger Weise er zu den eifrigen Nutzern von Augustins Schriften gehört." Doch auch in Werken. die in ihrer Intention nicht auf spirituell bestimmte Lebensführung. ja nicht einmal vordringlich auf ein geistliches Publikum zielen. lässt sich eine breite und ausgeprägte Augustinus-Rezeption und -Zitation nachweisen. Auf diese Weise wird der Name des Bischofs nun in weite deutschsprachige Kreise getragen. denen die lateinischen Texte des Lehrers nicht verständlich waren. Damit läuft der Vermittlungsweg ähnlich wie bei anderem ursprünglich lateinisch verbreitetem Gelehrtenschrifttum: Man bedient sich in Zitaten und Auszügen durchaus der Textinhalte zur Bekräftigung und Beglaubigung im Rahmen von Vermittlung und Argumentationsstrukturen. Nur selten aber streben die gelehrten Wissensvermittler ein vollständiges Angebot dieser Texte in der Volkssprache an. sie begnügen sich mit dem beglaubigenden Zitat."
2 .2
Verwertung im >Renner, des Hugo von Trimberg
Als besonders wirkungsmächtiges Beispiel einer Transferierung von gelehrten Wissenssplittern mittels der Insertion in volksspachliche Belehrungsdichtung kann man das gereimte didaktische Großwerk Renner des Hugo von Trimberg anführen. Er wirkte von ca. 1265 bis nach 1310 als Schulmeister am Bamberger Vorstadt-Stift St. Gangolf. Zeitlich nahezu parallel zum theologischen Schaffen Eckharts in der spekulativen Theorie von dessen Predigten. bringt Hugo auf ganz anderer Ebene die Texte und das Gedankengut Augustins einem deutschen Publikum nahe." Obwohl als reetar scolarum nur Laie. versteht auch Hugo sich als Prediger. aber in einer eingeschränkten Weise:
Z8 Via S törmer~Caysa:
Einführung in die mittelalterliche Mystik, hier 70 - 72, (Zitat) 70. Die Erfo rschung der Rezeption Augustins durch Eckhart hat derzeit Konjunktur. Vgl. zunächst Johannes Brachtendorf: Metaphysik und Mystik bei Augustinus und Meister Eckhart, hier in diese m Band. Demnächst auch Freimut Löser: Wann, wie oft und wie genau zitiert ei~ gen t/ich Meister Eckhart AI4gustimlS?; sowie Norbert Fischer: Meister Eckhart und die Co nfes~ siones Augustins. 30 Vgl. Rudolf Weigand: Vin zenz von Beauvais, 279 f. JI Vgl. Rudolf Kilian Weigand. Der ,Renner( des Hugo von Trimberg, zur Biographie 20 - 27. zum Werktitel215. Der Text wird im folgenden zitiert nach Gustav Ehrismann (Hg.): Der Renner 29
VO n
Hugo vo" Trimberg.
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RUDOLF KILIAN WEIGAND
Irdisch guor und irdisch ire
Wil der heiligen schrift /ere 56 gar vertiligell und vernihten, 5wie vii wir predigelI, schriben, tihten, Da z doch leider Clf erdeIl hiute Vii zwifeler ist ulld arger liute. (RenIler; V. 2005 - 10)"
Die drei Worte predigen, schriben, tihten kennzeichnen Hugos Verfahren, wobei er sein spezifisches Verständnis von predigell an anderer Stelle noch präzisiert:
Rehtiu bihte hdt sibenzehen stücke, 5wer diu ze rehte Clz legen wölte, Daz zimt pfaffen und münchen wal,
Diu ich durch kurzen under zücke: Wolman im des danken sälte: Ein leie niht tiefe predigen sol."
Mit diesem Verfahren einer >einfachen Predigt<, welche die für ihn als Laie angemessene Äußerungsform darstellt, will Hugo seine Leser bzw. Hörer auf moralischer Ebene beeinflussen ." Deshalb folgt die Themenanordnung im ,Renner<dem Muster de r sieben Hauptsünden." Im Epilog zum >Renner< stellt Hugo es sogar als sein besonderes Verdienst heraus, daß er mit seiner Dichtung die Inhalte vieler We rke, die bisher in deutscher Sprache nicht zugänglich waren, nunmehr für sein Publikum verfügbar gemacht hat (v. a. V. 24543 - 55 1):"
Jl »Besitz und Ansehen in dieser Welt wird die Lehre der Heiligen Schrift so gänzlich vertilgen und vernichten. da kann ich predigen. schreiben. dichten was ich will; auf Erden gibt es fast nur Zwe ifler und böse Menschen .<1 .u Vgl. IRenner1 V. 20635 - 20640: »Die richtige Form der Beichte umfaßt siebzehn Teile. Jedem, der bereit ist sie auszulegen. gebührt dafür Dank. Aber das ist eine Aufgabe für gelehrte Geistliche und Ordensleute, ein Laie (wie ich) soll niemals tiefsinnige Predigten vortragen. « 101 Ganz offensichtlich geht Hugo neben einer stillen Lektüre seiner Texte auch von Vortragsdarbietung au s. Im Prolog zum )Renner1erklärt er nämlich unmißverständlich(y' 15 - 24): Doch wil ich ein biieche/i1l Minen guoten friu1lden tihten Und mit rimen s6 berihten. Daz si da bi gedenken m;'1. Swelhe ez lesen oder heuen lesen, Die siiln miner sele wesen Genedic, wen ne geschriben stat: Swer vür eitls andem schulde bile, Sin selbes sele lrese er dä mite Und tilige ouch sin missetat 15 Zum Aufbau des IRenner1vgl. ausführlich Rudolf Kilian Weigand: Der > Rennerc des Hugo von Trimberg. 346 - 358; dort 365 - 374 auch Inhaltsangaben zu den Hauptabschnitten. Hugo faßt die siebe n Hauptsünden in nur sechs Abschnitten zusammen (V 269 - 18000). we il er die Sünden ira und it/vidia (zom und nil) zu einer ei nzigen Gruppe zu sammenstellt (V 13964 -15946). Aur den Sündenteil folgen ab Vers 18001 die Erwägungen über die rechte Lebensführung und die Mittel hierfür (Reueteil mit Heilslehre, bis V. 24283 ), V. 24484 - 246t1steht Hugos Epilog, .Mi Aur diese Stelle verweist am Rande schon Dietrich Schmidtke: Die künstlerisclle Selbstaujfa ssung Hllgos von Trimberg, hier 330.
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Was ich nicht in Gänze erläute rt habe, hat S1. Bernhard umfassend ausgefUhrt in seinen fUnf Büchern De consideratione. Dort kann der Alte und der Junge Der InUn wal versten kan, dem das Latein geläufig ist, herausfinden, Waz er tuon sol oder !än. was er tun oder lassen soll. Jeder, der Swer ganzer tugent lere wil suoehen eine umfassende Tugendlehre suchen will, Der frage nach sani Gregorien buochen, der frage nach den Hiob-Büchern, die Diu er geschriben haI uf Job: der Heilige Gregorius geschrieben hat. Dä \lindet er marliger luge,,' top. Dort findet er das Lob fUr viele Tugenden. Dise zwen und sa nt Ambrosius, Die genannten zwei und Sankt Ambrosius, Sa nt Augustin und /er6nimus Sankt Augustin und Hieronymus, und Und sani lohan der Gu/din Munt, der Heilige lohannes Chrysostomus, dessen Lehre auch weithin bekannt wurde, Des tere auch witen ist worden kun/, und viele andere der hohen Lehrer waren Und manige ander hOhe /erer Wären Kriechen, Walhen, Lamparter, Griechen, Romanen oder Lombarden, Den tiutschiu spräche was unbekant. denen die deutsche Sprache unbekannt war. Swa diz buoch \lert durch diu fant, Wo auch immer dies Buch durch die Lande reist, In Swaben, in Düringen, in Beiern, in Franken in Schwaben. Thüringen oder Franken, Da süln tiutsche /iut e danken da sollen die deutsch sprechenden Leute Miner sele mit irm gebete, mit ihrem Gebet meiner Seele danken, Mit afmuosen, mit anderre guotete, auch mit Almosen und anderen guten Werken, Daz ich vii fremder tere in han daß ich ihnen viel an fremder Lehre In tiutscher zWlgen kunl getdn, in deutscher Sprache bekannt gemacht habe, Die manie jar \lor und dennoch hiure die etliche Jahre zuvor in Deutsch rar war In tiutscher spräche ware'I Nure. und auch heute noch ist. (Renner; V. 24526 - 24551)
Swaz ich niht genzlich Irän geriiert, Daz hat sant Bemhart ga r \lolfüert All shlen fünf buocheu der Merkunge: Da merke der alte und auch der junge,
In seiner Zitierfreudigkeit, die mit der Aufzählung etlicher Quellen in diesem Schlußabschnitl noch einmal unterstrichen wird, unterscheidet sich Hugo wesentlich von früheren Autoren didaktischer Werke in deutscher Sprache wie Freidank oder Thomasin von Zerclaere." Doch er nennt nicht nur die Autoritäten und deren Werke und zitiert vereinzelt aus ihnen. Auch in Passagen, die von Hugo eigenständig gestaltet werden, greift er in Appellen immer wieder auf Gedankengut seiner Gewäh rsmänner zurück. Das gilt flir Augustinus in so hohem Maße, daß Rosenplenter den .Augustinismus<, von dem die Forschung wiederholt bei dem Bamberger Schulmeister spricht, durchaus bestätigen kann." Speziell stützt Hugo sich auf Dies wird bereits ko nstatiert bei Lu tz Ro senplenter: Zitat und Afdorilätcnberufung im ReImer Hugos von Trim berg: Ein Beitrag zur Bildung der Laien im Mittelalter, hier S. 27. .la Lutz Rosenplenter: Zitat und AutoritätenberujulJg im ReImer Hugos VOfl Trimberg. 296 f. 37
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Kernbegriffe aus Augustins Confessiones. Deutlich ist das ablesbar an einer Passage im Abschnitt über die Sünde des Jraz, der Völlerei, gula: J9 - >Bekenne dich selbeT< daz ist ein wort,
Daz wfser liute sin durch bart; - >Bekenne dich selber! daz ist ein wort, Daz sünde und schande von uns schort; - )Bekenne dich selbeT< daz ist ein wort,
Daz gibt uns ewiger fröuden hort; - )Bekenne dich selbeT< daz ist ein wort,
Daz hie wert machet unde dort, - )Bekenne dich selbeT< daz ist ein wort Bi dem weder diube want noch mort, - )Bekenne dich selben daz ist ein wort,
Gein dem ein pfunt wigt als ein ort: Swer diz wort wil merken ehen, Der mac lange mit eren leben
Und über hebt sich weder sterke noch künste Noch libes noch guotes noch herren günste. (Renner; V. ' 038'-396) Hugos Adaption von Augustinus-Schriften geht aber noch entschieden weiter. Für eine kleine latei nische Schulliteraturgeschichte, das Registrum multorum auctorum, das er auch für den Renner als Quelle nutzte, dienten ihm Augustins Retractationes als Vorbild." Mit dem Ve rfahren, im ,Renner Rennen des Hugo von Trimberg , 243 - 248 und Karl Langosch: Das HRegistrum Multorum Auctorum« des Hugo von Trimberg, 23. 41 Zur lfdreifachen Sicher ung~ der Predigt mittels Vaterzitaten. Sentenzen und Exempla s iehe Brig itte Weiske: Die >Gesta RomarlOrU!1I ! und das )Solseqlliwn l Hugas von Trimberg, hi er 176 f. 42 Der Zitatgeb rauch Hugos ist umfassend aufgearbeitet von Lut z Rose nplenter: Zitat und Autoritiitenberufung im Renner Hugos von Trimberg; zu den Zahlen für die einzeln en Autoren vgl. do rt 290 . AUerdin gs ist zu bedenke n, daß zu den aufgeführten namentli chen Nennungen noch ein e ganze Reihe anonyme Zitieru nge n von Augustinus-SteUen (u.nd ebenso anderen 39
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Betrachtet man die Augustinus-Zitate bei Hugo näher, so lassen sie sich in verschiedene Typen unterteilen. Mehrfach treten reine Namensnennungen mehrerer Autoritäten auf: Ob sant Benedictus hat bewart Sin sele und sant Bernhart, Franciscus und sa'lt Augusttn, Waz hilfet daz die sele mln? (Renner; V. 3719 - 3722, ähnlich V. 9346). An anderen Stellen wird Augustinus als Autorität für die Auseinandersetzung mit dem Gedankengut jüdischer Gelehrter genannt: Swer aber mit filze nimet in Swaz geschriben hat sant Augustin Von dem geiste und von der schrift, Der Mt den juden irs valsches wift Und treit mit im frcelich hin heim Des rehfen gelouben honicseim. (Renner; V. 17315 - 320)
Kurze Zitate aus nicht genauer benannten Schriften bilden die nächste Gruppe: Diz schribel min herre sant Augusttn: »Got herre, Id dir geklaget sin, Daz wir diner worte s6 lützel ahten Und ander dinc vii mere betrahten, An den der ewigen selikeit Niht lit eines twerhen halmes breit!« (Renner; V. 16609 - 614)
Manche dieser knappen Passagen lassen sich in Augustins Werk konkret identifizieren, so die folgende Stelle, die den Confessiones entnommen ist:
Da von sprach sant Augustin Ein wort, bt dem gedenke ich sin: »Nieman wol betwwlgen luot, Aleine doch daz er tuot si guot.« (Renner; V. "541- 544)
Als Quelle kann man hierfür con! 1,12 nachweisen: nemo enim invitus bene faeit, etiamsi bonum esl quod faeil. Durch solche Vergleiche gelingt es ferner, auch anonymen Zitaten auf die Spur zu kommen, bei denen Hugo auf eine Quellenangabe Kirchenlehrern) kommen. Deren Aufarbeitung ist noch ni cht einmal ansatzweise in Angriff geno mmen.
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verzichtet, die aber eindeutig mit anderweitig markierten Zitaten übereinstimmen. Der eben genannte Confessiones-Rekurs von V. 11541 wird inhaltlich mindestens noch zwe imal in abgewandelter Form im tRe nnen verwertet:
Swelch dine lila" mit unwillen tuot, Daz wirt selten immer guot: (Renner; V. 1921/22, vgl. auch V. 18047 f.)
Durch solche Beobachtungen wird augenHillig, daß der Anteil der Augustinus- Verwertung weitaus größer sein muß, als sich das aus der Auflistung der benannten Zitate ablesen läßt. Durch Ergänzung der vorhandenen Listen um solche Stellen wird erst der eigentliche Einfluß von Augustinus aufHugo sichtbar. Er ist aber schon an Zitaten ablesbar, die längere Passagen aus Schriften Augustins bieten:
Daz wir der gelläden teilhaft sin, Dar zuo retet uns sant Augustin:
»Mensel,., du solt gedenk... reht War zuo und wie w,d wer dich mech te
Und war uz er dich habe gemacht! So du daz gar wol hast bedaht, 56 soltu denne merken eben,
0", wie vii guo tes du wöllest geben Ditl ougen, nasen, jüeze oder hant: S6 vindestu gar schier riche pfant All dir selben, der du selten
Gote dankest!. Wer kö"de vergelten Der sele kraft und wirdikeit, An die grdz wl/nder ist geleit, Swemle si von dem libe en trinnet Daz denne den menschen n;eman minnet? (Ren ner; V. 24363 - 378, ähnlich civ. 11 ,2 1)
Nicht immer läßt Hugo den Leser oder Hörer darüber im Unklaren, auf welches Werk Augustins er seine Aussagen stützt. Das zeigt der folgende summarische Verweis auf das ,Enchiridon<: Ein buoch heizet Enchidriotl, In dem sani Augusti" gar sch6n
Und ga r wer/ich geschriben hat, Wie gar gr6ze ~nisseta t Und wie manie herze/eil Lügen ;" der kristellheit Füege und zuo bringe naht uud tac: (Renner; V. 18555 - 561)
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Die Beispiele demonstrieren in ihrem differenzierten Umgang mit den lateinischen Quellen wohl überdeutlich, daß der Einfluß Augustinischen Gedankenguts auf volkssprachliche Dichtung bislang nicht ansatzweise bestimmt werden kann. Es fehlt dazu an einschlägigen Untersuchungen speziell der verbreiteten didaktischen Dichtung. So läßt sich derzeit auch nicht klären, ob die zwei Erwähnungen Augustins in Des Teufels Netz den ganzen Umfang an Rezeption des großen Kirchenlehrers in diesem Lehrwerk des späten 14. Jahrhunderts repräsentieren."
2.3 Augustinus in den Predigten Taulers
Diese Feststellung gilt aber nicht nur für die lehrhaften Dichtungen. Auch bei vergleichsweise prominenten theologischen Autoren des 14. Jahrhunderts reicht die derzeitige Erschließung der Texte nicht aus, um den Stellenwert der Traditionsverwertung abschätzen zu können. Das läßt sich gut an den deutschen Predigten von Johannes Tauler demonstrieren ." Dem Register, das Wilhelm Stehmann zur Vettersehen Ausgabe erstellt hat, kann man entnehmen, daß in den abgedruckten Predigten Augustinus 37mal namentlich genannt wird." Eine weitere Zitierung ist über die vorherige Namensnennung in 10,3 für Zeile 10.5 unmittelbar eruierbar. Die damit gesicherten 38 Erwähnungen verteilen sich auf 21 der 81 Predigten, also etwa ein Viertel. Da Tauler insgesamt nicht allzu zitierfreudig ist," kommt damit Augustinus eine vergleichsweise hohe Gewichtung zu. Aber das Register erfaßt nur die Namensnennungen, nicht alle tatsächliche oder gar anonyme Zitierung von Autoritäten. Selbst ein Nachweis der namentlich gekennzeichneten Textstücke aus Werk Augustins fehlt durchgängig. Dies gilt nicht nur für Vetters Text, auch in der TaulerAusgabe von Corin sind lediglich Bibelzitate verifiziert" Häufig sind die von Tauler eingestreuten Autoritätensätze zudem so knapp, daß eine eindeutige Identifizierung im reichhaltigen Werk Augustins schwierig wird. Bei ausführlicheren Zitaten kann Vgl. K.A. Barack: Des Teufels Netz, V. 4565/66: Aber hoffart macht es als ze nicht, Als san t Augustillus spricht. Ferner V. 9112 a (n ur Hs. B): Sant Augustin spricht Das der wuocher bringt 41
Imwic/II. ~4 Vgl.
Die Predigten Taulers, alJS der Engelberger und der Freiburger Handschrift sowie aus Sc/ulIidrs Abschriften der ehemaligen Stmßbu rger Harldschriftell . 45 Vgl. Die Predigten Taulerst 439. ~6 Das Namensverzeichnis in : Die Predigten Taulers ( 1910), 439 - 441 umfaßt gerade einmal 119 Nummern ; vgl. ferner Kurt Ruh: Geschichte der abendländischen Mystik. Band 111 : Die Mystik des deutschen PredigerordetlS und ill re Grund/egl/flg durch die HochscllOlastik, zu Johannes Tau · ler 476 - 526, bes. 486 zur Editio nssituation . Siehe auch Loris Sturlese: Tauler im Kontext. Die philosoplJischetl Voraussetzungen des .,.SeeJellgrundesfi in der Lehre des deutsche'l Neuplatonikers 8erthold VOtl Moorsburg. 47 Sermons de }. Tau/er et aU/res ecrits mystiques.
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dagegen eine Anbindung an konkrete TextsteIlen durchaus gelingen. Illustrieren läßt sich das an zwei aufeinanderfolgenden Zitaten aus Predigt Velten, der Weihnachtspredigt Man begilt hiute drier leie geburt:"
Wan wenne zwei suln eins werden, so muoz sich daz eine halten lidende und daz ander würkende; sol min auge enpfahen die bilde in der want oder waz ez sehen sol, sö muoz ez an ime selber blöz sin aller bilde, wan hette ez ein einig bilde in ime einiger varwen, so gesehe ez niemer kein varwe; oder hat daz öre ein gedame. sö gehrert ez 'Iiemer enkein
gedrene; so welieh dinc enpfahen sol, das muoz UeI, ledee und wan sin. Dan abe sprach sant Augustinus: >giuz uz, daz du mügest erfüllet werden; ganc uz, I1f daz du mügest ingan(; und sprach oueh anderswa: >6 du edele sele, ö edele ereature, waz gast du uz dir suDehen
den der alzemale und aller wrerlichest und bl6zlichest in dir ist, und sU daz du bist teilhof tig götlicher nature, waz hehl du denne ze tuone oder ze schaffenne mit allen creaturen?(
Wenne der mensche alsus die stat, den grunt bereitete, so ist kein zwi/el dar an, Got müeze dil a/zemale erfüllen, der himel risse e und erfülte daz Uel, und Got lat nu vii minner die dinc itel, ez w",re wider alle sin nature und wider sin gerehtecheit. (V9,35 - 10,5)" Wahrend fü r die Aufforderung des Ausgießens und Hinausgehens vielfache Anknüpfungspunkte denkbar sind, lassen sich für die Seelen an rede zwei konkrete Stellen in den Confessiones als mögliche Bezugspunkte bestimmen (con! 10,6 f.) : »iam tu meUor es, tibi dico, anima, quoniam tu vegetas mole m corporis tui praebens ei vitam, quod nullum corpus praestat corpori. deus autem tuus etiam tibi vitae vita est.« Oder auch (con! 10,20.): »vivit enim corpus meum de anima mea, et vivit anima mea de te. quomodo ergo quaero vitam beatam?« Solche vereinzelten Zuweisungen geben freilich noch kein Gesamtbild des Stellenwertes, den Augustinus für lohannes Tauler hat. Über eine neue Ausgabe hinaus steUt somit auch ein Kommentar zu den Predigten Taulers ein dringendes Forschungsdesiderat dar."
.. Predigten raulers V7, l-12.15. In dieser Predigt wird Augustinus fünfmal namentlich zitiert (8,22: 8,25: lO,l: 10,5 und 11,5). 49 Das hier gebrauchte Bild vom ledic·Sein und vom Auge auch mehrfach bei Meister Eck· hart, so DW 1 (Predigt 12 Qui audit me), 201 , 2 - 5: Sol min auge sehen die varwe, 56 muoz ez ledic si" aller varwe. Sihe ich bläwe ader wize varwe, diu gesiht mines ougen. daz dd sihet die varwe, daz selbe, daz dd sihet, daz ist daz selbe, daz da gesehen wirt mit dem Dugen. Vgl. auch den Komme ntar bei N iklaus Largier: Meister Eckhart. Werke. Texte und Oberse,zlIngen, Band I , 878 f. so Vgl. Ku rt Ruh: Geschichte der abendländischen Mystik. Band lll , 486. Siehe auch die übersicht zu Taulers Augustinus·Zitaten bei Louise Gnädi nger: /ohanll es Taufer. LebetISweit und mystische Lehre, 363 - 366.
WI SSEN VON AUGU S TlNU S DEUT SC H?
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2-4 Spruchsammlungen und Kompilationswerke Schließlich sei auf eine besondere Gattung verwiesen, die Handschriften mit AugustillUs-Sprüchen im Rahmen von Autoritätenspruchsammlungen. Im Grunde bildet ja schon Vinzenz' Speculum historiale ein Beispiel für die exzerpierende Verwertung von Autoritätenschriften. Seine historische Ordnung bleibt freilich ein Einzelfall. Weitaus häufiger kann man thematisch bestimmte Sammlungen identifizieren, die gleichfalls unter dem vielfach deutbaren Speculum- Titel figurieren: Speculum mundi, Speculum humanae salvationis, Speculum animae oder Spiegel der sele." Bei diesen Zusammenstellungen haben wir es mit einer dritten und dazu gemischten Rezeptionsstufe zu tun: Bereits anderweitig in mittelhochdeutsche Predigten und Traktate inkorporierte Augustinus-Aussprüche werden aus diesem Zusammenhang wieder gelöst, sodann unter eigenen Stichworten und unter Beibehaltung des Autorverweises neu geordnet. Es entsteht eine thematisch organisierte Florilegiensammlung, bei der die Herkunft des Materials nur noch belesenen Spezialisten erkennbar wird. Als Beispiel sei ein Confessiones-Zitat aus der anonymen Kompilation .Spiegel der Seele
51 H eidemarie Yogi : Der »Spiegel der See/eH, Eine spätmittelalterliche mystisch-tlleologische KompilatiOfI , mit S8 Erwähnungen von Augustinus, vgl. das Register 732 . 51 V gl. Heidemarie Vogl: Der »Spiegel der Seele«, 338, Z. 246 f. 53 V gl. Meister Eckhart, DW 11, 144,4 - S' zu m N achweis ebd. A nm . 3.
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RUDOLF KIL l AN WEIGAND
Vordergründig könnte man vermuten, hier habe der volkssprachige Rezipient interpretierend zusammengekürzt. Doch derartige Zusammenziehungen können wir schon in den lateinischen Exzerpten konstaHeren, d_ie Vinzenz von Beauvais aus den Confessiones gefertigt hat.
Textarrangements dieses Typs existieren nun nicht nur als geschlossene Sammlungen. Bisweilen werden sie in Aggregationen anderer Art, etwa Predigthandschriften oder Erbauungsbüchlein, in eigenen Abschnitten integriert. Den allgemeinen Stellenwert solcher Verba- und Dicta-Sammlungen hat für das Schrifttum der deutschen Mystik Ulla Williams am Beispiel von zwei Handschriften vorgeführt" Als weiteres Musterbeispiel kann hier die EinsiedeIner Eckhart-Handschrift E2, der Codex 278 der Stiftsbibliothek in Einsiedeln dienen." Ln der dort befindlichen Dicta-Sammlung fol. 225 - 251 stehen neben Bibel- und anderen Vaterzitaten auch Augustinus-Sprüche. Bemerkenswert ist zuerst, daß sie in Anschl uss an eine Eckhart-Predigt eingetragen wurden." Der Übergang von der in sich geschlossenen Predigt zu den lockeren Sprüchen ist dabei nicht eigens markiert: Der Autorname Gregorius wird durch die gleiche Rubrizierung gekennzeichnet wie Zitate innerhalb der Predigt; sogar auf den Textbeginn mit einer neuen Zeile verzichtet der Schreiber: [225al 5wa got wonet ill bekalltnisse da vellet abe alle naturliehe sinnelicheit. dc wir alsus gervket werden in ein Hecht dc got selber ist vnd dar in ne ewekliche selig sin des helf vns got amen ." Gregorius spricht: 5y were begirde nach sent mit vf sla nde jst aber das si mit vI slande versument so enweln es nicht begirde nvt. svchet der mensche lop der enpfindet nicht der schelt wort der Ivten.
Die Augustinus-Passage setzt erst auf Seite 228a ein:
5~ Ulla Williams: Vatter ler mich. Zur Funktion von Verba und Dicta im Schrifttum der deut· sehen Mystik. Das Hauptaugenmerk liegt bei ih r auf dem Kodex B IX 14 in der Universitäts·
bibliothek Basel. 55 Die Einsiedeiner Pergament· Handschrift cod. 278 aus der zweiten Hälfte des 14. Jahrhun· derts gehört wie die Handschrift cod. 277 zum Legat der Basler Bürger in Margaretha zum Goldenen Ring, die sie durch Vermitt lung ihres Beichtvaters Heinr ich v. Rumersheim 113771425 Chorherr von St. Peter in Basel, t 1434] den Schwestern häusern im Einsiedler Hochtal zukommen ließ; vgl. Gabriel Meier: Catalogus Codiwm manu scriptorLun qui i'l Bibliotheca Monasterii Einsidlensis servarttur, 249 - 253; Beschreibung auch bei Hans Neumann; Gisela Vollmann·Profe: Mechthild von Magdeburg, Das fließende Licht der Gottheit, Band 2: Kommen· tar, 184 - 187. Die Versio n im Internet http://www.e·codi ces.ch/htm/sbe-0278.....g.htm wu rde 0(· fensichtl ich in jüngerer Zeit nicht mehr ergänzt. 56 Vgl. Meister Eckhart: DW IV, Predigt Steer 100, im Einsied ler Kodex 222b - 225a. ~7 Meister Eckhart: DW IV, Predigt Steer 100. 278.59 - 61: Swa got vellet in bekal1tnisse. da vellet abe alliu natiurlichiu sirmelicheit. Daz wir alsus ge rucket werden in ein lieht, daz got selber ist, und dar inn e ewic/iche sceNe sin, des helfe uns got. AmeII.
WISSEN VON Al:GUSTINUS DEUTSC H ?
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[228a/b) SanI aug(uslin )us sp(ri)ch(I). Es isl nvl vnsenfre diell minnenden. es iSI nvl vnmvgelich dien geloubenden. Es ist nvl rvhe dien senftmvligen. es ist nvl ze hohe dien diemvligen, dien dv gnade bvlel ir helfe. vnd dv gehorsam andachl senfreI das gebot.
In der nächsten Spalte folgt sogleich eine Stelle aus den Confessiones: [228b) C;:: Aug(ustin )us: Selig ist der der dich got minet vnd den frunt in dir vnd den viellt dvr dich . der alleine fvrlvrt nihein liben den sv alle liep sint in dem den man nvt verlurt, vnd wer isl der wan gOI. den flieman verlvret wan der in lai. 58
Nicht immer waren sich die Sammler sicher über die Herkunft der von ihnen gebotenen knappen Sprüche. Das erhellt aus folgender Notiz in der gleichen Spalte:
C;:: Aug(ustin )us alre Gregorius: Swer miftediche vergit deme, der erzv,"et het, an des sele bUbet nvl ein zeichen all siner svnden.
Zusammenfassend gilt es wohl auch noch für das 14. Jahrhundert festzuhalten, daß »das Augustinus-Bild des deutschen IIIiteratus [... ] wesentlich durch AugustinusZitation bestimmt worden sein« muß.59
3. Späte VollUbersetzungen und Ausblick Wenige Jahre später setzt endlich auch eine direkte Vermittlung von Augustinischen Schriften in die deutsche Sprache ein. Im Codex Germ. 13 der ungarischen Nationalbibliothek zu Budapest ist eine Übertragung von De civitate dei erhalten, welche anonym im 15. Jahrhundert aufgezeichnet wu rde. Obwohl schon im Budapester Handschriften-Katalog von 1969 de r Forschung bekannt gemacht," blieb sie in der Folgezeit praktisch unbeach tet. Erst 2003 publizierte Vizkelety Auszüge daraus, in sei ner Gesamtheit ist dieses wichtige Zeugnis bis heute nicht ediert." Eine weitere Übersetzung, unternommen von dem Humanisten Johan n Gottfried, müssen wir als ve rloren betrachten."
SB Vgl. conf. 4. 14: It beatus qui amat te, el amicum in te. et inimi curn propter te. soJus enim nullum ca rum am ittit. cui omnes in iUo cari, quj non amittitur. et quis est iste nisi deu s noster, deus, qui fec il caelum el terram et inplet ea, quia inplendo ea fedt ea? te nemo amittit , nisi qui dimitt it, el qui a dimittit , quo it aut quo fugit nisi a te placido ad te iratum ?(~ 59 Kurt Ruh : Augustinus. Heiliger und Kirchenvater, 541. 60 And ras Vizkelety; Beschreibendes Verzeichnis der altdeufschefl Handscltriften in ungari· sehen Bibliotheken, hie r 26 f. zu cod. germ . 13 de r ungarischen Natio nalbibli ot hek in Budapest. 61 A ndras Vizkelety : Die Tätigkeit des Redaktors, des Obersetzer lmd des Schreibers i1l einer
Handschrift, 369 -
379.
62 Fran z. Josef Wo rstbrock: Zu r Einbürgerung der ObersetzwJg antiker Autoren im deutsc1len Hwnallismus. 68 f.; ders.: Gottfried. joJrannes.
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RU D O l F KllIA N W EIGAND
Ab dem '5. Jahrhundert werden ferner eine ganze Reihe nicht-authentische, aber vom Mittelalter dem Augustinus zugeschriebene Texte in beachtlicher Dichte ins Deutsche transportiert, etwa das Manuale," die Soliloquia animae ad deum (PL 40, 863 - 898) oder der Speculum peccatoris (PL 40 , 983 - 992). Augustinus bleibt aufgrund dieser vielfaltigen Rezeptionsformen im Mittelalter nicht den lateinisch gebildeten Gelehrten vo rbehalten. Er wird auch für ein volkssprachiges Publikum greifbar und flir solche Kreise eigentümlich aufbereitet, bis hin zur griffigen Form des sententiösen Sprichworts. Schon Rosenplenter vermerkt eine Reihe sentenzenhafter, nicht klar identifizierbarer Augustinus-Verweise bei Hugo von Trimberg: in einem Fall bezeichnet Hugo sein Augustin us-Zitat sogar als spruch." In der Neuzeit erobert Augustinus dann auch mit lateinischen Formeln das populäre Schrifttum . Nach Georg Büchmanns >geflügelten Worten
Zu den zahlreichen rezipierten Pseudo-Augustiniana vgl. Kurt Ruh: Augustinus. Heiliger und Kirchenvater, 533 - 540, der Text des .Manualec PL 40, 954 - 960. 64 Vgl. Lutz Rosenplenter: Zitat und Autorilätenberufung im Renner Hugos von Trimberg. 295. aber schon S. 165 zu der Stelle im ,Rennen V 18197 - 18206, wo Hugo mit der Reimreihe -keit eine sentenzenhafte Spruchgruppe unter Berufung auf Augustinus gestaltet: Ouch schribel mhl herre sant Augustin Einen spruch, den ziuhe ich da her in : .. Swer gedehte sines !ibes brredikeit Und siner sele wirdikeit. Dirre wilden werlde unstetikeit Und siner sünden unfletikeit, Der ewigen pin unmezikeit, Der ewigen f räude reinikeit: Vor allerhande missetät!" Der hüette sich an aller stat " Vgl. Georg Büchmann: Geflügelte Worte. Die klassische Zitatensammlung (1864): neu bearb. Ausgabe 1957. 66 Ein schönes Beispiel fü r die Funkti onalisierung von patristischer Literatur gibt das oben als Motto gewählte Heinrich-Mann -Zitat. Den Einfluß Augustins etwa aurPaul Celan unte rsucht Carlos Ruta: Memoria y silencio: Ellenguaje /indero de tiflieblas. Paul Ce/an y Sml Augusti" . 63
)Docta ignorantia< als Augustinische Denkfigur bei Nikolaus von Kues (1401-1464) von Hermann Schnarr
1.
Kurze Charakterisierung der Wertschätzung von Augustinus durch Nikolaus von Kues
Nikolaus von Kues hat Augustinus sehr hoch geschätzt. Als Platoniker benennt er ihn bereits in seinem philosophisch-theologischen Erstlingswerk De docta ignorantia. Augustinus ist ihm Zeuge für die Bedeutung der Mathematik und für das philosophische Bemühen um die Gotteserkenntnis. »Auch Aurelius Augustinus der Platoniker ( ... J hat seine Zuflucht zur Mathematik als Hilfsmittel genommen.«' Kurz vorher in demselben Kapitel spricht er davon. »daß unser Augustinus und nach ihm Boethius behaupten. unzweifelhaft sei die Zahl das ursprüngliche Urbild der zu schaffenden Dinge im Geiste des Schöpfers gewesen«.' In seiner Bibliothek hatte er zahlreiche Werke Augustins gesammelt. Die in Kues erhaltenen Codices legen davon Zeugnis ab' Ebenso bezeugen die häufigen Bezugnahmen auf Sätze und Gedanken des hl. Augustinus sowohl in seinen philosophisch-theologischen Werken als auch in seinem umfangreichen Predigtwerk seine Hochschätzung des Kirchenvaters. Nach Auskunft der Datenbank hat sich Nikolaus von Kues über 200mal namentlich auf Augustinus bezogen. Hinzu kommen die Stellen in seinem Werk, in denen er auf Gedanken Augustins Bezug nimmt, ohne sich namentlich auf ihn zu berufen. Darauf wird hier nicht eingegangen; das muß einer späteren Untersuchung vorbehalten bleiben. Im folgenden wird einem Grundgedanken von Cusanus nachgegangen, dessen Wurzel nach dem eigenen Zeugnis von Nikolaus von Kues auf Augustinus und die augustinische Tradition zurückgeführt werden kann: dem Gedanken der >docta ignorantiac, des belehrten Nichtwissens.
I
De docta ignoranlia I C.l l (h I p. 23.19 -
21
n. 32); die Werke des Cusanus werden zitiert nach
der Heidelberger Ausgabe = h: Nieolai de Cusa Opera omnia; die deutsche ü bersetzung von De doern igtlorantia nach der zweisp rachigen Ausgabe der Philosophischen B;bliothek. 2 Ebd. Z. 10 - 12; vgL Chri stoph Horn: Cusanus über Platon und PytlJagoras. J Vgl. Jakob Marx: Verzeichnis der Handschriften ·Sammlu"g des Hospitals zu Cues bei Bertl kllste/.308.
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2.
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H ERMANN SC HNARR
Die Paradoxie im Begriff .docta Ignorantla<
Nikolaus von Kues ist berühmt geworden durch seinen Gedanken der ,docta ignorantia<, nicht zuletzt auch wegen der paradoxen Formulierung. Die Wortverbindung ,docta ignorantia<, belehrtes oder gelehrtes Nichtwissen, ist eine Provokation, eine Provokation für das rationale Denken. Das Adjektiv doctus, gelehrt oder belehrt, wird üblicherweise nur auf Personen bezogen. Im abgeieiteten oder übertragenen Sinne kann man es auch auf Tätigkeiten oder Produkte von Personen beziehen . So kann man von der gelehrten Arbeit oder den gelehrten Büchern eines Wissenschaftlers sprechen, wobei der Bezug zu einer Person dann auch gegeben ist. Ungewöhnlich, wenn nicht gar unmöglich ist es, eine Eigenschaft, eine Fähigkeit oder einen Zustand, Nichtwissen, Unwissenheit als doctus bzw. in unserem Falle docta, geiehrt, belehrt zu bezeichnen.' Provokativ war es sicher auch gemeint, wenn Nikolaus von Kues sein erstes philosophisch-theologisches Werk mit dem Titel De docta ignorantia, Vom belehrten Nichtwissen, versah. Es gab Zeitgenossen des Cusanus, die diesen Titei auch als Provokation verstanden . Nikolaus von Kues ist aber nicht der erste, der diese bei den unvereinbar scheinenden Schlüsselwörter, ,ignorantia
4
Vgl. Johan nes Obinger: Der Begriff docta ignorantia in seiner geschichtlichen Entwicklung,
1 -2. 5
Vgl. De vellati011e sapientiae c.
11
(h XII n.30,8); c. 12 (n. )1,2).
' OO CTA IGNO RANTlA I ALS A UGU STI N IS C HE DE N K FI G UR B EI CUS ANUS
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Adjektivs mit einer Eigenschaft oder Fähigkeit oder einem Zustand einer Person, sondern auch in der Verbindung zweier unvereinbar scbeinender Gegensätze. Docta bezeichnet ein Wissen, ignorantia das Gegenteil von Wissen, nämlich Unwissen, Nichtwissen. Der Gegensatz ist kein konträrer, in dem Zwischenstufen eines Mehr oder Minder denkbar sind, sondern ein kontradiktorischer, d. h. entweder Wissen oder Nichtwissen; dazwischen gibt es nichts. Johannes Übinger rechnet sogar damit, daß sich die bewußte Einsetzung der rhetorischen Figur eines Oxymoron dahinter verbirgt, »zu deutsch ein scharfsinniger Unsinn «, dem auf die Spur zu kommen, uns allerdings einen »lehrreichen Einblick in gewisse eigentümliche Gedankenbewegungen« eröffnen kann.' Johannes Wenck, ein Zeitgenosse von Nikolaus von Kues und Professor der Theologie in Heidelberg, fühlte sich durch die mit dieser ungewöhnlichen Wortverbindung verbundene Lehre so provoziert, daß er mit einer Gegenschrift mit dem Titel De ignota Iitteratura, Ober die ungekannte Literatur, reagierte.
3. Die Quellen des Begriffs ,docta ignorantia. für Nikolaus von Kues Da, wie bereits erwähnt, der Begriff ,docta ignorantia. nicht von Nikolaus von Kues zum ersten Male formuliert wurde, fragt man: Bei wem konnte Nikolaus von Kues diese Wortverbindung finden? Da ist an erster Stelle auf Augustinus hinzuweisen. In einem Brief an Proba ist für uns die Wortverbindung ,docta ignorantia< zum erstenmal nachweisbar.' Kann te Nikolaus die Stelle? Er besaß mehrere Briefsammlungen des Kirchenvaters Augustin us. Heute sind sie noch in der Kueser Bibliothek in den Codices Cusani 31 , 50, 53 und 101 vorhanden.' Nach der Sch rift Apologia doctae ignorantiae, Verteidigung des belehrten Nichtwissens, die Nikolaus von Kues gegen die oben erwähnte Schrift des Heidelberger Professors verfaßte, kannte er die Stelle. Er zitiert sie dort' Ob er sie aber schon zur Zeit der Abfassung seines ersten philosophischen Werkes kannte, ist nicht mit Sicherheit auszumachen. Nikolaus von Kues behauptet nämlich in dieser Verteidigungsschrift, er habe erst nach der Konzeption der ,docta Johannes Obinger: Der Begriff docta igllora ntia i1/ seiner geschichtlicherl Entwicklung, 2 . , Augustinus: Epistula ' 30,18 (Ad Proba",): vgl. ADI (h 1I P. 13.11 - 19). 8 Vgl. Jakob Man: Verzeichnis der Handschriften-Sammlung. 25 f. ; 46 NT. 6; 53 N . I0; 102 Nr. 6. In de r Br iefsammlung im Codex Cusanus 31 findet sich im Inhaltsverzeichn is auf fal.lrb , Zeile 12; diese r Brief zwar verzeichn et als Numm er LX: »Augu slinus episcapus servus christi servorUmque christi religiosae familiae dei probe et petisse te et promisisse le me recolens«. aber in der Handsch rift findet er sich nicht; entsprechend der Reihenfolge des Inhaltsverzeichnisses mü ßte er auffol. 30 stehen. Dort findet er sich aber nicht. Die Zählung der Stücke stimmt au ch nicht mehr mit der Zählung des Inhaltsverzeichnisses überein. 9 Vgl. Anm. 7. 6
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ignorantia
" ADI (h 11 p. 12.19 - 21 ). 11 Vgl. joachim Ritter : Docta ignorantia . Die Theorie des Nichtwissens bei Nicola us Cusa· nus. 12 Vgl. Johannes Obinger: Die philosophischen Schriften des Nikolaus Cusanus. 69 f. \) Vgl. e od Cus. 50 fol. 148va zu Hn . l - ll i fol.148 va Lin. 40 - 45 (beide Stellen zitieren aus
ep. 14.2). Stephan Gilso n: Der heilige Bonaventura. 656; vgl. auch 52 . wo die Stelle aus dem Sermo IV Christus WIUS omr.ium magister zitiert ist. in der Bonaventura daraufh inweist. daß AugusÜ· nus die Lehren des Aristotoeles sowohl als auch die Platons verbunden hat ; vgl. Bonaventura: Opera omnia V, 572a!b. 15 Vgl. Francis N . Caminiti: Nikolaus von Kues und Bona ventura . L6 Vgl. N icoJai de Cusa: Opera XVI , 48 0. L7 Bo naventura: Breviloquium pars 5 c.6 (Op era omnia V, 260a); In I1 Sent. dist. 2) a. 2 q. 3 ad 601 (II. 546.). 1I Vgl . Jakob Marx: Verzeichnis der Handschriften·Sammlung. 78 und 80. 14
IDO CT A IGN ORANTIA c A LS A UGUS Tl N JS C H E D ENKFI GU R BE I C U S ANUS
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4. ,Docta ignorantla' bel Augustinus
Wie bereits erwähnt, verwendet Augustinus die Wortverbindung ,docta ignorantia< für uns nachweislich zum ersten Male. Der Zusammenhang der besagten Briefstelle ist eine Erklärung einer schwer verständlichen Stelle aus dem Römerbrief des Aposteis Paulus. Dieser sagt da, daß wir nicht wissen, worum wir Gott jeweils bitten (Röm 8,26). Auguslinus erklärt diese seltsame Aussage des Aposteis dahingehend, daß wir nicht wissen, worum wir bitten, wenn wir um Befreiung von Leiden bitten, weil auch die Leiden von Gott zu etwas Gutem gewandt werden können. Wir wissen zwar, worum wir konkret bitten, nämlich um Befreiung von Krankheit und Not; aber wir wissen nicht, ob uns die Erfüllung oder Nicht-Erfüllung auch zum Guten frommt. Wir vertrauen aber auf Gott, daß er in seinem Sinne unsere Bitte erfüllt. Ln diesem Zusammenhang spricht dann Augustinus von ,belehrtem Nichtwissen<, ,docta ignorantia<. In dem genannten Brief heißt es wörtlich: »Es ist also in uns ein gewisses, wie ich so sagen möchte, ein belehrtes Nichtwissen, aber beiehrt durch den Geist Gottes, der unsere Schwachheit unterstützt.,," Festzuhalten ist, daß Augustinus den Begriff ,docta ignoranlia
5. ,Docta ignorantia, bei Bonaventura
Bonaventura, der zweite Autor, der den Ausdruck ,docta ignorantia< gebraucht, verwendet diesen auch im Rahmen der Gotteserkenntnis. Speziell geht es dabei um die verschiedenen Stufen der Gotteserkenntnis. Im Kommentar zum zweiten Buch der Sentenzen des Petrus Lombardus behandelt Bonaventura die Frage, ob der Mensch seinen Blick unmitteibar auf Gott richten kann.2() Die Antwort auf diese Frage ist zunächst verneinend. Die unmitteibare Gottesschau ist dem Zustand der Verherrlichung nach dem Tode vorbehalten. Davon macht er aber im Folgenden eine Ausnahme. Der Mensch vermag seinen Blick so auf Gott zu richten, daß er durch nichts davon abgelenkt wird. Aber er schaut dann nicht Gott in seiner Klarheit, sondern in Finsternis (ebd.): »Er wird erhoben werden in eine Dunkelheit.« 19 ep . 130.28; in der En zyklika Spe salvi nimmt Papst Benedikt XVI. Bezug auf diese Stelle; vgl. dL Fassung 19 - 20. 20 Bonaventura: In 11 Sent. dist. 23 a. 2 q. 3 (Opera Omnia H, 542b).
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Unter Berufung auf Dionysius, bei dem sich der Ausdruck >belehrtes Nichtwissen< allerdings nicht findet, beantwortet er die Frage nach der unmittelbaren Gottesschau jetzt dahingehend, daß der Mensch Gott gleichsam in ,docta ignorantia< schauen kann (ebd.): »Vielmehr wird er erhoben in eine Dunkelheit und zu dieser Erkenntnis wird er erhoben durch Ablösen von allem, so wie es Dionysius sagt im Buch Ober die mystische Theologie, und er nennt diese Erkenntnis belehrtes Nichtwissen .« Die Leistung des Menschen ist die Ablösung von allem Geschöptlichen. Die Schau selbst wird ihm aber als Geschenk zuteil, er wird ,erhoben<; es geschieht etwas mit ihm. Die Berufung aufDionysius-Ps.-Areopagita gibt uns die Richtung einer Deutung an, wie Bonaventura den Begriff ,docta ignorantia, versteht. Es ist eine Erkenntnis, in der sich Intellekt und Affekt vereinen. Für Karl Rahner" ist nach Bonaventura »die ,docta ignorantia, eine unmittelbare Gotteserfahrung«, verbunden allerdings mit dem ,Eintritt in die Finsternis, (Rahner: a. a. 0.,159). Damit ist die Ausschaltung des rational-intellektual vom Menschen Ereichbaren in der Gotteserkenntnis gemeint. Die beiden Momente ,der Unmittelbarkeit und der Dunkelheit, (ebd. 163) bezeichnen die gleichzeitige Beteiligung von menschlichem Intellekt und Affekt. Die zweite Stelle, an der Bonaventura den Ausdruck ,belehrtes Nichtwissen' gebraucht, findet sich im Breviloquium. Dort unterscheidet Bonaventura sieben Stufen des Aufstiegs zu Gott. Die siebente, die höchste und letzte Stufe, ist die Gottesschau im ewigen Leben. Die vom Menschen in diesem Leben erreichbare Stufe ist die sechste Stufe, der Aufstieg »zur Weisheit oder hinaus schreitenden Erkenntnis«, ad sapientiam sive notitiam excessivam,21 gleichsam eine Vorwegnahme der Schau Gottes in der ewigen Seligkeit. Diese Stufe ist charakterisiert einerseits durch Dunkelheit, andererseits durch Erleuchtung, also durch zwei gegensätzliche Begriffe. Ihre Verbindung wird beschrieben mit dem Ausdruck ,ignorantia docta" ,belehrtes Nichtwissen,. Das Erreichen dieser Schau ist nicht nur vom Menschen abhängig. Allein aus eigener Kraft ist dies vom Menschen nicht zu leisten, sondern sie kann nur als Geschenk empfangen werden. Auf diese höchste Stufe wird der Mensch »durch ein gewisses belehrtes Nichtwissen über sich selbst hinaus in Dunkelheit und ekstatische Schau hingerissen « (ebd. ). Der Ausdruck rapitur, hingerissen, erinnert an den raptus Pauli, den er im 2. Korintherbriefbeschreibt (2 Ko 12,4). Für diesen durch die Anwesenheit der gegensätzlichen Phänomene von Finsternis und Licht beschriebenen Zustand beruft sich Bonaventura auf das Psalmwort: »Die Nacht ist meine Erleuchtung in meinen Wonnen(~. 2J 21
Karl Rahner: Die Lehre 1'Ofl de li geistlichen Sinnen, 158.
21 Bonaventura: Bre viloquium pars 5 c. 6 (Opera omnia V,260a). 2J
Ps. 138,11 nach der Vulgata.
l OO CTA IGNORANTTA ( ALS AUGUSTI N ISC H E DE NK F I GUR B EI CUSANU S
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Zusammenfassend läßt sich sagen, daß der Begriff ,docta ignorantia<, .belehrtes Nichtwissen<, sowohl bei Augustinus als auch bei Bonaventura auf einen speziellen und eingeschränkten Bereich unserer Erkenntnis bezogen ist. Bei Augustinus bezeichnet er die vertrauensvolle Gebetshaltung gegenüber Gott, bei Bonaventura eine Stufe der Gotteserkenntnis, nämlich die höchste, die Stufe der mystischen Einung. Beide Autoren betonen den gnadenhaften Geschenkcharakter des belehrten Nichtwissens. Um zu dieser Art von belehrtem Nichtwissen zu gelangen, ist der Mensch auf die Hilfe von außen, nämlich von der Seite Gottes angewiesen .
6. Die erkenntnistheoretische Entwicklung des Begriffs ,docta ignorantia< bei Nikolaus von Kues
Auch bei Nikolaus von Kues stoßen wir auf den Geschenkcharakter des .belehrten Nichtwissens<. Nikolaus von Kues berichtet uns nämlich wie ihm die Idee des belehrten Nichtwissens auf der Rückfahrt von Konstantinopel auf dem Meere gleichsam wie eine Erleuchtung gekommen sei (D1. Epistola auctoris = hIp. 163,7 - 11 n.263). Vorher blieb ihm vieles unbegreiflich, »bis ich auf dem Meer, als ich aus Griechenland zurückkehrte, ich glaube durch ein Geschenk von oben vom Vater der Lichter, von dem jede beste Gabe (stammt), dahin geführt worden bin, daß ich die unbegreiflichen Dinge in unbegreiflicher Weise in belehrtem Nichtwissen, in docta ignorantia, umfasse, durch ein Überschreiten aller auf menschliche Weise wißbaren unvergänglichen Wah rheiten .« Die als eine Art gnaden hafte Erleuchtung angesehene Einsicht in das belehrte Nichtwissen wird verdeutlicht durch die Stelle aus dem lakobusbrief, wo vom .Vater der Lichter< die Rede ist, als der Quelle, von der her »jede beste Gabe herabsteigt« Uac 1,17). Die Einsicht in den Begriff des belehrten Nichtwissens ist einerseits ein Geschenk von Gott, genau wie bei Augustinus und Bonaventura, andererseits aber erfahrt der Begriff eine ungeheure Ausweitung. Er ist nicht mehr nur beschränkt auf einen engen Bereich der Gotteserkenntnis, sondern mit seiner Hilfe sollen alle auf menschliche Weise wißbaren Wahrheiten erfaßt werden. Somit betrifft er den ganzen Bereich menschlichen Erkennens. Wie erreicht Nikolaus von Kues diese Horizonterweiterung des Begriffs .docta ignorantia Im ersten Kapitel der Schrift Vom belehrten Nichtwissen zeigt er dies. Es trägt die Anstoß erregende Überschrift: »Auf welche Weise Wissen Nichtwissen ist«. Quomodo scire est ignorare (D/l C. l = hIp. 5,2 n.2). Auf den ersten Blick scheint diese Gegenüberstellung Unsinn . Etwas kann nicht zugleich sein eigener Gegensatz sein. Betrachten wir die von Nikolaus von Kues in dieser Überschrift gebrauchten late inischen Ausdrücke genauer. Für Wissen verwendet er das Wo rt seire, für Nicht-
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wissen aber nicht die im Lateinischen auch vorhandene Negation von scire, nämlich nescire, sondern ignorare. Das könnte bedeuten, daß die bei den gegenübergestellten Begriffe zwei verschiedene Ebenen menschlichen Wissens betreffen. Nikolaus von Kues will also nicht sagen, daß es überhaupt kein Wissen gibt. Alles Wissen ist ein Nichtwissen. So legt es die Übersetzung der Überschrift von Alexander Schmid nahe: Wissen ist Nichtwissen." Vielmehr bleibt das Wissen zunächst einmal ein Wissen. Aber in einer gewissen Hinsicht zeigt es sich auch als ein Nichtwissen. Cusanus will uns also zeigen. wie in einem bestim_rnten Sinne unser Wissen
seinem eigenen Anspruch, Wissen zu sein, nicht mehr gerecht wird. Menschliches Erkennen versteht Cusanus als Lebensprozeß, und zwar in einem zweifachen Sinne. Einerseits beschreibt er den Vorgang des Erkennens analog zum Lebensprozeß, andererseits ist das Erkennen aber auch notwendig für den Lebensprozeß. Ohne Wissenserwerb gibt es kein Leben. Von diesem Gedanken eines Lebensprozesses ausgehend, entwickelt Nikolaus von Kues im ersten Kapitel eine Theorie des menschlichen Erkennens. Alle Lebewesen, nicht nur der Mensch, müssen über irgendein Erkenntnisvermögen verfügen um der Nahrungssuche willen. Leben ist ein Prozeß, der durch Nahrungsaufnahme in Gang gehalten wird. Zum Zwecke der Nahrungssuche und der Nahrungsfindung müssen die Lebewesen mit den dafür nötigen Instrumenten ausgestattet sein. »Wir sehen, daß durch göttliches Geschenk in aUen Dingen ein gewisses natürliches Verlangen liegt, auf eine bessere Weise zu sein, als dies die Bedingung der Natur eines jeden (zunächst) zuläßt, und (wir sehen, daß) sie auf dieses Ziel hinarbeiten und geeignete Werkzeuge haben, denen ein Urteilsvermögen angeboren ist, angemessen dem (jeweiligen) Vorsatz des Erkennens, damit dieses Verlangen nicht vergeblich ist und damit es in dem Geliebten (Gegenstand) durch das Gewicht der eigenen (jeweils eigentümlichen) Natur die Ruhe berühren kann.«" Da Leben sich immer zu erhalten und dadurch seinen gegenwärtigen Zustand zu verbessern sucht, hat der Schöpfer jedem Lebewesen die dazu nötigen Hilfsmittel gegeben. Erkennen als ein Streben nach Wissen ist also nicht nur dem Menschen ein Bedürfnis, sondern ein Bedürfnis eines jeden Lebewesens. Hans Blumenberg drückt dies so aus: »Das Bedürfnis nach Wissen ist dem Menschen nicht nur >natürliche,
wie es der erste Satz der Metaphysik des Aristoteles für alle Zeiten ausgesprochen hat, sondern es ist auch Ausweis einer Notdurft für ein Wesen, das handeln muß, um leben zu können - )leben. in jedem, nicht nur im biologischen Sinne.«" Vgl. Alexander Schmid: Nicolmls CusmlUs. Vom Wissen des Nichtwissens. 9; vgl. auch Nikolaus vo n Kues: De docta ignoranlia / Die belehrte Unwissenheit . 7: lI Das Wissen als Nichtwi ssen« (deutsche ü bersetzung). 15 DII c. 1 = hip. 5.3 - 8. M Hans Blumenberg: Einleitung. In: Nikolaus von Cues. Die Kutlst der Vermutung. 16. 14
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Erkennen im biologischen Leben ist ausgerichtet auf Suche nach Nahrung zur Erhaltung dieses Lebens. Das gilt ebenso für das geistige Leben. Dieser geistige Lebensprozeß bedarf auch der notwendigen Nahrung, damit das Leben nicht abstirbt. Jedes Leben ist angewiesen auf eine bestimmte, nur für dieses Leben dienliche Nahrung. Was ist nun die Nahrung für das geistige Leben? Nikolaus von Kues antwortet: die Wahrheit. Er sagt (DI I c. 1 = hIp. 5,10 -14): »Deswegen sagen wir, daß eine gesunde freie Vernunft das Wahre in liebendem Umfassen ergriffen erkennt; dieses begehrt sie zu berühren mit Hilfe eines in alle Richtungen eingegebenen Umherlaufens durch ein unersättliches Durchforschen von allem, wobei wir nicht zweifeln, daß jenes das Wahrste sei, dem jeder gesunde Geist die Zustimmung nicht verweigern kann.« Die menschliche Vernunft hat ein Objekt des Strebens. Das Streben der menschlichen Vernunft ist gleichsam unersättlich, nicht stillbar. Es liegt dieser Metaphorik aus dem biologischen Leben die Vorstellung des Hungers zugrunde. Diese Unersättlichkeit beruht aber auf dem Objekt, auf das die Vernunft aus ist, nämlich dem Wahren oder der Wahrheit. Im Gegensatz zu dem Wissenstrieb im biologischen Leben ist das Objekt des Strebens ungeheuer ausgeweitet. Für den biologischen Lebensprozeß ist das Erkennen ausgerichtet nur auf einen Teilbereich der Wirklichkeit, nämlich den, der gerade für dieses Lebewesen zur Lebenserhaltung dienlich ist. Die Unersättlichkeit des geistigen Wissenstriebs ergibt sich aus der Ausweitung des Strebenszieles. Das Wahre. die Wahrheit gewinnt die Vernunft, indem sie nicht nur einen Teilbereich der Wirklichkeit durchforscht, sondern alles Wirkliche. Das Wahre ist für die Vernunft nicht etwas Neutrales. Auch das Gefühl ist mitbeteiligt an dieser Wahrheitssuche und Wahrheitsfindung. Sie vollzieht sich in Liebe, und das Erreichen des Erkenntnisobjektes ist als ein Erfüllungserlebnis beschrieben. Das geistige Streben ist zur Erhaltung seines geistigen Lebens darauf ausgerichtet, nach dem Wahren im ganzen Feld der Wirklichkeit zu suchen und alles Seiende in sich aufzunehmen, wobei das Finden als eine Erfüllung erlebt wird, wenn auch nur als eine vorläufige, da das geistige Erkenntnisstreben erst dann voll befriedigt, gesättigt wäre, wenn es wirklich alles Seiende in sich aufgenommen hätte. Das >Wahre<, bzw. das >am meisten Wahre< wird nicht inhaltlich bestimmt, sondern als WiderSpruchsfreiheit. Der Vollzug des Erkenntnis- und Wahrheitsstrebens ist ein Vergleichen (DI I C. l = hIp. 5, 14 - 16): »Alle Suchenden, Untersuchenden aber beurteilen das (noch) Unsichere, Ungewisse in verhältnismäßiger Weise, in der Weise einer Verhältnissetzung im Vergleich mit einem Sicheren, im Vergleich mit einem als sicher, als gewiß Vorausgesetzten. Vergleichend ist also jede Untersuchung, indem sie die Proportion, Verhältnisgleichung als Mittel gebraucht.«
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Erkenntniserweiterung geschieht durch dieses Vergleichen. Mitte.! dieser Methode der Erkenntniserweiterung ist das Aufstellen von Verhältnisgleichungen von Erkanntem zu noch nicht Erkanntem. Je weiter man sich von dem sicheren Ausgangspunkt entfernt. um so ungewisser wird die Erkenntnis (D! I C.1 = hIp. 5.16 -19): "Und wofern das. was untersucht. wird. als Naheliegendes durch eine verhältnismäßige Rückführung mit einem Vorausgesetzten \'erglichen werden kann. ist das Urteil des Begreifens leicht; wofern wir aber viele Mittelglieder nötig haben. entstehen Schwierigkeit und Mühe.« Modellfall für dieses Erkenntnisverfahren ist für Nikolaus von Kues die Mathematik. das Ideal einer Wissenschaft. die aber auch die Schwierigkeit des Vergleichens zeigt (D! I c. 1 = hip. 5. 19 - 22): "Zum Beispiel ist dies bei den mathematischen Dingen. wo sich auf die ersten an sich bekannten (bekanntesten. notissima) Prinzipien die ersten (früheren. priora) Sätze leichter zurückführen lassen und die späteren schwieriger. weil nur durch das Mittel dieser früheren (Sätze).« Die Nähe zu den Prinzipien erhöht jeweils den Gewißheitsgrad der abgeleiteten Sätze und vermindert die Schwierigkeit des Erreichens; umgekehrt erschwert das Sich-entfernen von den Prinzipien das Erreichen der gewünschten Erkenntnis. Da wissenschaftliches Forschen eine Aufstellung von Proportionen ist. kommt der Zahl eine große Bedeutung zu sowohl für das Sein als auch für das Erkanntwerden der Dinge. Für die Aufstellung einer Proportion sind drei Bestimmungen nötig: Übereinstimmung. (convenientia). Verschiedenheit/ Andersheit (alteritas) und Zahl (numerus). Erkennen durch Aufstellung von Proportionen ist ein Rückführen des Vielen auf das Eine. Die Zahl bedeutet die Einheit. Jedes Ding muß als ein Einzelnes ausgemacht werden können. Das geschieht dadurch. daß man einerseits Übereinstimmung. anderseits aber auch Verschiedenheit feststellt. Indem beides in dem so unterschiedenen Einzelnen als eines festgestellt wird. wird darin die Zahl gleichsam erkannt. Das Einzelding ist so durch die Zahl. die Einheit. als ein eines. als ein Einzelnes bestimmt sowohl im Sein als auch im Erkennen. Dadu rch daß die Dinge durch die Zahl bestimmt sind. lassen sie sich auch erkennen . Zugleich läßt diese Bestimmtheit durch die Zahl auch zu. daß alles im Bereich des Endlichen sich in Beziehung setzen läßt. d. h. daß sich Verhältnisgleichungen aufstellen lassen von jedem zu jedem. Eine Ausnahme muß Nikolaus von Kues aber machen. Wenn Erkennen sich im Aufstellen von Verhältnissen vollzieht. ist das Unendliche. infinitum . als Erkenntnisgegenstand von dieser Methode ausgeschlossen . Das Unendliche kann so nicht erkannt werden. Deswegen bleibt das Unendliche als Unendliches unerkannt. ignoturn. da es jeder Verhältnisgleichung entflieht. aufugiat. Diese ist aber gerade als Bedingung des Endlichen das letzte Ziel und die Erfüllung des Erkenntnisstrebens (ebd .. n. 3).
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Der entscheidende Abschnitt dieses Kapitels führt zum Ergebnis unseres Erkenntnistrebens und formuliert es als .belehrtes Nichtwissen <• •docta ignorantia<. Nikolaus von Kues beginnt damit. daß er den Begriff der Genauigkeit. praecisio. einführt. Genauigkeit ist das Ideal einer Erkenntnis. Genauigkeit wird zwar angestrebt.leider ist diese Genauigkeit für das menschliche Erkennen aber unerreichbar. Genauigkeit wäre dann erreicht. wenn eine Identität von erkennendem Subjekt und erkanntem Objekt vorläge. Genauigkeit würde gleichsam den Unterschied zwischen Subjekt und Objekt aufheben." Ein menschliches Erkenntnissubjekt kann aber nie identisch werden mit einem außer ihm liegenden Erkenntnisgegenstand. Eine Ausnahme macht die Mathematik. Hier wird Genauigkeit. praecisio. erreicht. Der Grund liegt darin. daß der menschliche Geist der Schöpfer dieser Wissenschaft ist. Mathematik entspringt aus dem menschlichen Geist. Alle anderen Erkenntnisse bleiben hinter der angestrebten Genauigkeit zurück; sie bleiben irgendwie ungenau. Hans Blumenberg spricht von der >Ungenauigkeit
Das erwähnte skeptische Moment im Verständnis des menschlichen Erkennens durch Cusanus zeigt sich um so deutlicher durch die Autoritäten. auf die sich Nikolaus von Kues beruft. Die eine stammt aus der philosophischen Tradition. die beiden anderen aus der Offenbarung. Alle sollen das Mangelhafte. die Defizienz menschlicher Erkenntnisfahigkeit bezeugen. Cusanus verallgemeinert das sokratische Nichtwissen als eine Art Resignation angesichts der menschlichen Erkenntnis27 Vgl. Werner Beierwaltes: Visio facialis - Sehe" hiS Anges icht. Zur Coinzidefl'z des endlicherJ und Ime"dfichel1 Blicks bei Cusallus, 48 Anm.I 03. 23 Vgl. Hans Blumenberg: Eillleitung. In : Nikolaus VO ll Cl/es. Die KWlsI der Vermutung. 19. 19 Han s Blumenberg: Aspekte der Epochenschwelle: CusQller und No/(ltI er, 59: Beim Cusaner
sei d ie Ungenauigkeit ein metaphysisc hes Postulat. das in seiner Ambival enz gesehen werden müsse.
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bemühung. Ebenso resignierend interpretiert er die beiden angeführten SteUen aus der Bibel. Ecclesiastes oder Kohelet und Hiob (vgl. Eccl. 1.8; Hiob 28.7). Entscheidend für die eigene These wird aber die angefuhrte vierte Autorität. Die ersten haben erläuternden Charakter. diese vierte gewinnt Beweischarakter für die eigene Argumentation. Es ist die berühmte SteUe aus dem zweiten Buch der Metaphysik des Aristoteles (993 b9). »Wenn dies also so ist. wie es auch der äußerst tiefgründige Aristoteles in der Ersten Philosophie behauptet. daß uns bei den von Natur aus einsichtigsten Dingen eine solche Schwierigkeit zustößt wie dem Nachtrabe n. der Nachteule.JO die die Sonne (an)zusehen versucht. dann geht unser Verlangen in der Tat dahin. da unser Streben nicht vergeblich ist. zu wissen. daß wir nicht wissen «; oder eine etwas andere Übersetzung des letzten Abschnitts (DI. 6.14 - 18 n. 4): . da in der Tat unser Streben nicht vergeblich ist. ve rlangen wi r zu wissen. daß wi r nicht wissen.« Aristoteles gebraucht einen Vergleich aus dem Bereich der sinnlichen Wahrnehmung. um etwas zu erklären. was mit der menschlichen Vernunft geschieht. wenn sie sich einem bestimmten Erkenntnisbereich zuwendet. Cusanus greift die Autorität des Aristoteles und diesen Vergleich auf. um seine eigene These aufzustellen und zugleich zu begründen. Das führt ihn zur paradoxen Aussage vom Nichtwissen als letztem Strebensziel der Vernunft. was aber zugleich ein Wissen bedeuten muß. Die letzte Folgerung daraus ist dann das >belehrte Nichtwissen ,. >docta ignorantia,. Was aber ist mit den »von Natur aus klarsten. offenbarsten. einsichtigsten Dingen«. in natura man ifestissimis. gemeint? Es sind die Dinge. die von ihrer Natur. von ihrem Wesen her auf geistiges Verstehen angelegt sind. Zu dem. was auf rein geistige Weise existiert. steht in Korrespondenz die Vernunft. das Denken. der Geist. Diese Dinge existieren auf eine rein vernunfthafte Weise. sozusagen als vernunfthafte Strukturen. Daher sind sie auch für die reine Vernunft unmittelbar einsehbar und verstehbar. Für eine reine Vernunft sind sie die für deren Erkennen am zugänglichsten Dinge. da keine Zwischenglieder nötig werden. wie es in der oben beschriebenen Erkenntnisweise durch AufsteUen von Verhältnisgleichungen nötig ist. Wenn Ve rnunft auf Wahrheitserkenntnis ausgerichtet ist. dann sind diese Erkenntnisgegenstände die angemessenste Nahrung für das vernunfthafte Leben. Der jetzt zu interpretierende Ve rgleich soll nun klarmachen. daß diese Erkenntnisgegenstände fü r die menschliche Vern unft unerreichbar sind.
:10 Bei Ari stoteles steht im griechischen Origina l: vUKupiliwv (von VUKTEpiC; = Flede rmaus); die mittelalterli che übe rsetzung hat daraus nyc ticorax, Nachtrabe, Nachtvogel, Eule gemachl; vgl. Jacqueline Hamesse: Auctoritates Aristotelis, 118.44 - 46 Nr.3S; vgL Cod. Cus. 308; Jakob Man: Verzeic!lfI is der Handschriften-Sammlung, 300.
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Ve rglichen werden das sinnliche Sehen und das vernünftige Verstehen. Das sinnliche Sehen hat zur Bedingung das Vorhandensein des Lichtes. Ohne Licht kann der Sehakt nicht vollzogen werden. Was aber wird gesehen? Nicht das Licht selbst, sondern nur die vom Licht sehbar, sichtbar gemachten Dinge. Wenn das Auge aber das Licht selbst, hier symbolisiert durch die Sonne als Quelle für unser Licht, zu sehen versucht, widerfahrt ihm eine Art von Blendung. Der Versuch, das Sehen direkt auf das Licht zu richten, mündet im Nicht-sehen. Analog dazu ist das vernünftige, geistige Erkennen zu verstehen. Wenn die Vernunft sich darauf ausrichtet, die Bedingung ihres Vollzuges, nämlich die reine Wahrheit, und damit auch die Bedingung ihrer Existenz zu erkennen und zu wissen, widerfahrt ihr ebenfalls eine Art von Blendung, nämlich Nicht-wissen . Das, was für die Ve rnunft am meisten wißbar ist, die reine Wahrheit, führt bei der menschlichen Bemühung um Wissen zu dessen Gegenteil, zum Nicht-wissen. Nikolaus von Kues steht hier vor einem Dilemma. Ausgangspunkt seiner Überlegungen war die These, daß die menschliche Vernunft ihrem Wesen nach ausgerichtet ist auf die Erkenntnis der Wahrheit, ja sogar, da ß dies notwendig ist für ihre Existenz als Vernunft. Ohne Erkennen der Wahrheit stirbt die Vernunft gleichsam ab. Das Erkennen der Wahrheit ist der Wesens-Sinn der Vernunft, es ist ihre Sinnerfüllung. Das Ergebnis aber der Analyse des menschlichen Erkennens durch Cusanus führt zu r Negieru ng der Ausgangsthese, da sich zeigt, daß die Vernunft ihr Ziel, Erkenntnis der letzten Wahrheit, nicht erreicht. Dieses negative Ergebnis könnte Cusanus zu der skeptischen Resignation bezüglich der Erkenntnis der Wahrheit führen. Jede Form vo n philosophischer Skepsis ist ja irgendeine Art Resign ieren vor der Möglichkeit der Erkenntnis der Wahrheit. Wie hilft sich Nikolaus von Kues nun in dieser für das Erkennen widersprüchlichen Situation? Er greift zu einem Argument, das auch schon Aristoteles verwendet hat und das für diesen eine Art von Axiom ist. Es liegt in dem Ausdruck >non fru stra <, nicht vergeblich. Unser Streben nach Erkennen der Wahrheit darf nicht vergeblich sein. Wü rde unser Streben nach Wissen im Nichtwissen enden, würde es sein von der Natur ihm gesetztes Ziel nicht erreichen. Die Existenz, das Dasein des vernünftigen Lebewesens verlöre mit dem Nichterreichen seines Zieles den Sinn seines Daseins. Das darf nicht sein, das Streben muß sein Ziel erreichen, wie clies auch in dem zu Anfang zum Vergleich herangezogenen Lebensprozeß gesch ieht. Das führt nun zu der paradoxen Aussage, daß das erreichte Ziel, das Nicht-wissen, ein Wissen sein muß. Diese Paradoxie versucht Cusanus mit dem folgenden Satz aufzulösen (DII c. 1 ~ h 1,6,18 - 19): »Wenn wir dies - das Nichtwissen - \'ollständig werden erreichen kö nnen, werden wir das belehrte Nichtwissen erreichen.« Mit Hilfe dieses Begriffs.
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des Begriffs vom belehrten Nichtwissen, versucht er, der skeptischen Konsequenz der Resignation vor der Möglichkeit der Erkenntn is der Wahrheit zu entgehen. Die Vernunft erfahrt eine Belehrung über ihre Defizienz im Bezug auf die Wah rheitserkenntnis. Dies genügt aber noch nicht, um der skeptischen Konsequenz endgültig zu entgehen. Es würde höchstens ein demütiges Anerkennen unseres eigenen Unvermögens gegenüber der unendlichen Wahrheit bedeuten. Damit gibt sich Nikolaus von Kues aber nicht zufrieden. Die Belehrung über die Defizienz ist von ihm nämlich nicht statisch gedacht, sondern als ein fortschreitender Prozeß. »Nichts nämlich wird einem Menschen, auch dem eifrigsten in der Gelehrsamkeit, Vollkommeneres zukommen, als gerade im Nichtwissen, das für ihn eine Eigentümlichkei t, ein Proprium, ist, als der belehrtes te gefunden, erfunden zu we rden.«" Die Belehrung ist also steigerbar, steigerbar sogar bis zum Superlativ, der aber hier nicht absolut, sondern relativ verstanden werden muß zu anderen in d ieser Art Belehrung sich Bemühenden. Der Superlativ ist das angestrebte ideale Ziel der Erkenntnisbewegung, die sich im Komparativ faktisch vollzieht als ein immer Belehrter-werden (DI ebd. S. 6,21-22): »Und um so viel belehrter wi rd einer sein, je mehr er sich als Unwissenden gewußt haben wird.« Mit dieser Idee einer Steigerung der Einsicht in die menschliche Verfaßtheit der Ignorantia, scheint mir, daß Cusanus endgültig die skeptische Resignation vor der Wahrheitserkenntnis überwunden hat. Denn die Einsicht in das Nichtwissen erzeugt ja ein Erkennt nisstreben über das immer Belehrter-werden zu dem idealen Ziel, der Belehrteste zu werden. Nikolaus von Kues sieht in dem von ihm gedeuteten Begriff des belehrten Nichtwissens den Anfang eines im letzten unvollendbar gedachten Erkenntnisprozesses. Faktisch wird im Erkennen immer ein Nichtwissen erreicht, was aber als belehrtes umgedeutet wird zum Wissen, und zwar immer wieder neu und weiterführend. Das erreichte Nichtwissen muß den Charakte r eines Wissens haben, da Wissenserwerb für das vernünftige Leben notwendig ist.
7. Zusammenfassender Vergleich des Gedankens der ,docta ignorantla<
bei Augustinus. Bonaventura und Nikolaus von Kues
Blicken wir zurück auf die Autoren, bei denen der Begriff des belehrten Nichtwissens erstmals gebraucht wird, so sehen wir die ungeheure Ausweitung, die der Begriff durch Nikolaus von Kues erfahren hat. War er bei Augustinus und Bonaventura auf einen engen Bereich der Gotteserkenntnis beschränkt, ist er von Cusanus auf das gesamte menschliche Erkennen ausgeweitet. Außerdem war sowohl bei AuguEbd . 6 , 19 - 2 1; über ,igno rantia' als ein Proprium des Men schen vgl. Hefillann Schnarr: Docta ig"orantia als ph ilosophisches Programm , 225 und Anm .43. 31
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stinus wie auch bei Bonaventura das gnadenhafte Wirken Gottes nötig, damjt der Mensch das belehrte Nichtwissen erreicht. Cusanus gibt zwar auch für seine Einsicht in das belehrte Nichtwissen eine Erleuchtung durch den >Vater der Lichter< an ," die Entwicklung des Begriffs ,docta ignorantia<, belehrtes Nichtwissen , erweist sich aber letztlich als auf der reinen Analyse des menschlichen Erkenntnisvorgangs basierend. Die bloße Reflexion über die menschliche Vernunft und deren Erkenntnisstreben führt zum ,belehrten Nichtwissen<. zur >docta ignorantia<. Da diese als steigerbar gedacht ist, treibt sie aus sich selbst heraus die überwindung einer möglichen skeptischen Resignation. Wir können mit Hans Blumenberg 13 ein skeptisches Moment im Begriff der ,docta ignorantia
n VgJ. oben 201 . I I Vgl. Hans Blumenberg: Eillleiltwg. 16; ders.: Aspekte der Epoc1JeflScilwelle. 45 und 55.
Produktives Mißverständnis? Zur Rezeption der Theologie des lateinischen Kirchenvaters Augustinus im Werk Martin Luthers (1483-1546)
von Markus Wriedt in memoriarn Bernhard Lohse (1928 -1991)' 1.
Einleitung
Es war vor mehr als einhundert Jahren der berühmte - und in protestantischen Kreisen auch berüchtigte - Dominikanerpater Heinrich Denifle. der den konfessionellen Reformationshistorikern evangelischer Provenienz in Stammbuch schrieb. sie wüßten weder wann. noch wie Luthers reformatorische Wende sich vollzogen habe.! Zum Nachweis der grundsätzlich der Lehre der Kirche zuwiderlaufenden Theologie des Wittenberger Reformators lieferte er auch noch zahlreiche Belege - teilweise in gesonderter Drucklegung - welche eindrücklich bewiesen. wie lange und intensiv Luther die kirchliche Tradition kannte und seit wann. vor allem aber: wie er inhaltlich von diesem Konsens abwich. Neben einer Reihe von unqualifizierten Polemiken provozierte DeniJIes Anfrage eine wahre Flut von Arbeiten zur Theologie des jungen Luther. 2 Insbesondere die Frage seines Traditionsbezugs wurde zum konfessionellen Shibboleth: Je dichter Luthers reformatorische Theologie an die spätmittelalterlichen Vorgaben herangerückt wurde. um so geringer erschien der Dissens. Warum also die Aufregung? Sollte Luther am Ende katholisch gewesen - und geblieben - sein? Protestantische Forscher nahmen gleichsam am Rande die Forderung mit. vor diesem Hintergrund die vor allem dann in Trient
. In seiner unaufgeregten, d etailbezogenen gleichwohl nicht detailversessenen QueUenanalyse hat der Hamburger Kirchenhistoriker etliche Generationen von Pfarrern und Lehrern geprägt. Seine intensive Kenntnis Luthers und der von ihm rezipierten Vatertraditio n hat ökumenische Horizonte eröffnet. Ihm verdankt der Vf. dieses Aufsatzes wegweisende Orientierung, deren Wertschätzung durch einige kritische Anmerkungen in keiner Weise geschmälert wird. »Dicebat Bernardus Carnutensis nos esse quasi nanos, gigantium humeris insidentes, ut possi mus plura eis et remotiora videre, non utique proprü visu s acumine aut erninentia corporis, sed quia in altum subvehimur et extollimur magnitudine gigantium «( (Johannes von Salisbury: Metalogicon 1.3. c. 4 unter Hinweis auf Bernhard von Chartes als Urheber dieser Sentenz). I Heinrich Suso Denifle: Luther und Luthertum in ihrer ersten Entwicklung; ders.: Die Abendländischen Schriftausleger bis Luther über Justitia Die (Röm ,,17) . 2 Vgl. die sehr guten Zusammenfassungen und überblicke bei Karl Heinz zur Mühlen: Zur Erforschung des )jungen Luther( seit 1876; Otto Hermann Peseh: Zwanzig Jahre katholische Lu therforschung; Rainer Vinke (Hg.): Lutherforschung im 20. Jahrhundert. Rückblick - Bilanz - Ausblick.
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formulierten Verurteilungen der Reformatoren zu überprüfen' - Andererseits sahen zahlreiche konfessionell-lutherische Forscher aber auch ihren Anspruch auf Luthers Originalität lind Innovation geschmälert. Dies nicht nur vor dem Hintergrund des historiograph ischen Ideals des 19. Jahrhunderts, sondern auch im Dienste konfessioneller Identität: Sollte die theologische Diskre panz so gering sein, daß die wechselseitige Verurteilung hinfallig wird, so stellt sich die existentielle Frage nach dem, was denn nun den Lutheraner zum Lutheraner macht. Waren es in den 60er und 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts die Arbeiten konfessionell bisher untadeliger Theologen, die sich mit Werk und Wirkung des jeweiligen Widerparts - hie Luther, da Thomas - auseinandersetzten: so ist es in diesen Tagen erneut die Frage nach Luthers Traditionsbezug und seinem Verhältnis zur spätmittelalterüchen Theologie, welches seine Würdigung als Reformator im Licht der ökumenischen Positionsbestimmung kon trove rs - und leider nicht immer frei von persönlichen Angriffen auf die jeweiligen Opponenten - beantworten ließ.' In besonderer Weise eskalierte der Streit in den 60er und 70er Jahren in der Einschätzung und Bedeutung der Rolle des für die abendländische Theologie schlechthin überragenden Geistes, des afrikanischen Kirchenvaters der lateinischen Theologie, August;nus. Anhand des vo n Luther selbst ausführlich und quellen mäßig bestens belegten Rekurses auf Augustinus soll diese Problematik noch einmal aufgegriffen werden. Dies nicht zuletzt darum, weil die Rezeptionsgeschichtsforschung gerade bei der Aufnahme des Erbes Augustins durch einen die abendländische Kircheneinheit massiv in Frage stellenden Theologen und seine Nachfolger nicht frei von den aktuellen Auswirkungen der Forschungsergebnisse auf völlig anders gelagerte Fragen ist. Insofern geht es weniger um den Nachweis bisher unbekannter ) Vgl. dazu Vinzenz Pfl1ür: Eillig ill der Recliifertig''''gslelJrC? Die RecliifertigulIgslclire der Confessio Augllstana (1530) und die Stellungnahme der katholischen Kontroverstheologie zwischen 1530 lind 1535, sowie die von Karl Kardinal Lehmann und Wolfhar l Pannen berg seit 1986 in Freiburg und Gö tOnge n erscheinende Reihe von Dokumentationen des ökumenischen Arbeitskreises evangelischer und kathol ischer Theologen un ter dem Titel: Lehrverurteilungen - kirchentrennend. ~ Pars pro toto sei verwiesen aufUlrich Kühn: Via caritatis. 71Jeologie des Gesetzes bei 77JOmas von Aquin; Otto Hermann Peseh: TIleologie der Rechtfertigung bei Martin Luther und 77JOmas von Aquin. Versuch ein es systematisch-theologischen Dialogs; Hans Vorster: Das Freiheitsverständnis bei Thomas von Aquin und Martill Lutller; zuletzt wieder Hubertus Blaumeiser: Martin Lutllers Kreuzestheologie. Schlüssel zu seiner Deutung VOll Mensch UfTd Wirklichkeit. Vgl. neuerlich auch Markus Wriedt: Abschnitt D.5 zu r Thomas-Rezept ion im Zeitalter der Reformation. in: Volker Leppin (Hg.): Thomas Handbuch, Ttib ingen [im Druck). S Vgl. dazu Volker Leppin: Martill Lulher. Kritische Rezen sionen dazu von Dorothea Wendebourg in der SZ vom 19 .2.2007. 14 . Thomas Kaufmann , in: ARG.L 36 (2007) , 17 - 19; Albrecht Beutel. 7hLZ 132 (2007), 1221 - 1224; Dietrich Korsch. Volker Leppin: L!ltller im Gespräch. LUlher 79 (2008) . 45 - 55; Chri stoph Wind horst, 111Ru 73 (2008) und als vorerst letzte Äußerung: Volker Lepp in: Eitle tleue Luther-Debatte: AnmerklUlgen "icht nur i" eigener Sache. ARG 99 (2008). 297-3°7·
ZU R REZEPTI ON IM WERK MARTI N LUTHE RS
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oder unzureichend berücksichtigter Quellen. als vielmehr um eine intensive und methodische reflektierte Analyse der Perspektive. unter der die hinlänglich bekannten Texte Luthers mit den ebenso gut zugänglichen Schriften Augustins in Beziehung gesetzt werden können. In zugespitzter Form unter dem Begriff des .produktiven Mißverständnisses< - mit einem akzentuierten Fragezeichen - gilt es. die These zu belegen. daß a) in negativer Zuspitzung die bisherige Forschung die Augustinus-Rezeption Luthers zu stark von teilweise unausgesprochenen systematischen Voraussetzungen her als Ermöglichung und Durchgangsstufe zu seinem reformatorischen Ansatzes gelesen hat und darum b) in positiver Zuspitzung dem originalen Wortlaut des Augustinus-Bezuges Luthe rs größere Beachtung zu schenken ist. wonach ihm der lateinische Kirchenvater eine unerwartete orthodoxe Bestätigung seiner reformatorischen Einsichten bot. zu diesen Luther freilich selbständig gelangt war. Der Vermittlung Augustins durch das spätmittelalterliche Erbe kann dabei angesichts der im Dokumentationsband versammelten Fachkompetenz de r mediävistischen Kollegen nur knapp in einer Oberleitung Raum gegeben werden. Statt dessen soll ausführlicher die Würdigung Augustins im Werk Martin Luthers traktiert werden. bevor in einem weiteren Abschnitt Luthers Verhältnis zur Tradition in seiner grundlegenden Dimension umrissen wird.
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Der spätmittelalterliche Augustinismus
Kaum ein Theologe des Mittelalters. der sich in seinem Traditionsbezug nicht auf Augustinus berief. Stets wurde Augustinus als Vertreter der Einheit und in ihrer Orthodoxie zweifelsfreien Theologie gesehen. Sein Erbe nahm Gestalt in Äußerungen. die einem als kohärent verstandenen theologischen Entwurf entnommen wu rden. Dieser kondensierte in gleichsam enzyklopädische Zusammenfassung die legitime Auslegung des biblisch begründeten und durch den Heiligen Geist übermittelten Glaubenszeugnisses. Für nahezu aUe Schriftsteller des Mittelalters stand der Name .Augustinus
Auseinandersetzung. sondern dienen als Modell jedweder Verteidigung katholischer Orthodoxie im Mittelalter.
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Dieses Verständnis der Theologie Augustins kann nun freilich unter verschiedenen Gesichtspunkten akzentuiert werden. Lm Zuge der immer weiter ausdifferenzierenden Interpretation kommt es seit dem '3. Jahrhundert vermehrt zum Disput über die legitime, sich aus der orthodoxen katholischen Theologie ergebende Deutung seiner Werke: Augustinus wird von verschiedenen Parteiungen für die je eigene Position in Anspruch genommen. Offenkundig sprachen die tradierten Werke und Sentenzen sowie die ausgestaltete Biographie des Kirchenvaters nicht mehr für sich selbst, sondern bedurften ihrerseits einer Interpretation. Deren Maßstab lag außerhalb der von Augustinus begründeten und verteidigten Doktrin. In diesem Zusammenhang verstärkten sich Inanspruchnahmen im Sinne eines »Augustinus totus noster est«. Zugleich intensivierte sich die Suche nach einer übergeordneten Autorität der Auslegung Augustins. Die Vielfalt mittelalterlicher Augustinus-Rezeption findet sich auch im Orden der Augustiner-Eremiten wieder. Gleichwohl ist die Frage berechUgt, inwieweit die explizite Bezugnahme auf den Bischof aus Hippo im Orden eine spezifische Ausprägung des mittelalterlichen AugusUnismus darstellt. Eine vollständige Übersicht zur Ausprägung der in den Generalstudia der Augustiner gelehrten Theologie ist bisher nicht möglich.' In der Forschung wurde jüngst wieder Johann von Staupitz eine, wenn nicht die zentrale Rolle zur Vermittlung des Werkes Augustins an Luther beigemessen . Die Durchsicht der Werke des Augustiners ergibt freilich, daß seine Augustinus-Rezeption nicht unter systematischen oder position ellen Gesichtspunkten erfolgt. Es läßt sich zwar erkennen, daß Staupitz seine Augustinus-Kenntnis zu einem Teil durch die Lektüre von Originalschriften erworben hat. Gleichwohl wird die Vermittlung durch die scholastische Tradition und zeitgenössische Autoren, insbesondere die seines Ordens, nicht unterschätzt werden dürfen. Auch wenn sich die antipelagianische Ausrichtung der Gnadenlehre von Staupitz und darin die exponierte Nennung Augustins - er zählt neben der Bibel zu den ganz wenigen namentlich erwähnten Autoritäten der Tradition - als Zeuge der evangelischen Wahrheit charakteristisch von zeitgleichen Quellen abhebt, sollte diese systemaUsehe Etikettierung nicht überbetont werden. In seiner dienenden Funktion tritt Augustinus nämlich deutlich hinter ausdrücklich hervorgehobene Schriftbelege zurück. Der Kirchenvater und Ordenspatron beze ugt jene Tradition, die Staupitz bei seiner Schriftauslegung stützend hinter sich weiß. In dieser Funktion muß sich allerdings Augustinus so manches gefallen lassen: Seine Aussagen werden mit anderen , zumeist bibHschen Zitatsplittern durchsetzt oder im Sinne der Intention von Staupitz paraphrasiert. Daß Staupitz eine wichtige Rolle bei der Vermittlung des antipelagianischen AugusUnus Vgl. dazu jetzt Markus Wri edt: Via Augustini - Ausprägungen des spätmittelalterlichel1 Augustinismus in der observante,. Ko ngregtltion der Augustinereremilen. 6
ZUR REZEP T I ON I M WERK MARTIN L UTHERS
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nach Wittenberg spie1te. steht außer Zweifel. Ob und wieweit er dabei ein charakteristischer Repräsentant einer spezifischen Augustinus-Interpretation seines Ordens war. läßt sich angesichts der Vielfalt und teilweisen Divergenz der Augustinus-Rezeption innerhalb der Augustiner-Eremiten nicht in der wünschenswerten Eindeutigkeit feststellen.
3. Luther und Augustlnus Daß Augustinus für Luther zeitlebens eine gewichtige Autorität war. bezeugt dessen reiche Erwähnung im Gesamtwerk.' Wohl seit Herbst 1509 beschäftigte er sich mit der Lektüre der Originalschriften des Kirchenvaters. Davon zeugen neben ausführlichen Randbemerkungen (WA 9. 5 - 25) auch die Ausarbeitungen zur obligatorischen Sentenzenvorlesung des Bachalars der Theologie (WA 9. 29 - 94). Auch in den folgenden Vorlesungen des frisch nach Wittenberg berufenen Professors spielen Augustins Schriften als vornehmste Stimme der Auslegungstradition eine herausragende Rolle. Eine neue Qualität erhält Luthers Augustinus-Rezeption im Rahmen der Römerbriefvo riesung der Jahre 1515/16. in denen er insbesondere die antipelagianischen Schriften. allen voran De spiritu et littera intensiv verwendet.' ln Augustins Streiten gegen eine die Paulinische Rechtfertigungsbotschaft verzeichnende Gnadenlehre sieht Luther seinen Kampf gegen die ebensolchen Tendenzen unterliegende Scholastik präfiguriert. Ob die Karikatur der Lehren des Pelagius durch Augustinus zutrifft und inwieweit der historische Analogieschluß zwischen der Situation am Ende der Spätantike mit der zu Beginn des 16. Jah rhunderts stichhaltig ist. kümmert Luther wenig. Er sieht im antipelagianischen Schrifttum Augustins seine exegetischen Funde bestätigt und legitimiert. Daß Luther selbständig und nicht an der Hand Augustins seinen Weg geht. zeigt eine nähere Analyse der Häufung von Bezugnahmen im Kolleg: In den ersten sieben Kapiteln des Römerbriefes liefert ihm der Kirchenvater zur Beweisführung seiner Interpretation des Verhältnisses von Gesetz und Rechtfertigung erheblichen Beistand. Im Zuge der weiteren Ausführungen ab dem achten Kapitel des Römerbriefs findet er dann freilich kaum mehr Erwähnung. Luthers Eigenständigkeit gegenüber Augustinus ist in der Forschung mehrfach bemerkt worden : Es läßt sich zeigen. daß Luther die Augustinische Begritflichkeit mit eigener Schwerpunktsetzung füllt: so Einen guten überblick bietet jetzt Albrecht Beutel in : Augustin Handbuch. Verwiesen sei auch auf das Lemma )Augustin , im Register zur Weimarer Ausgabe (=WA) der Werke Martin luthe rs WA 63 , 52 - 84; WAR 15. 21- 23; WAT 6.525 f., sowie die Zusammenstellungen bei Hans Ulrich Delius: Augustin als Quelle Luthers. Eine Materialsammlung. , Bernhard Lohse: Die Bedeuturrg AugustitlS für denjunge'l Luther (1965); LeifG ran e: Modus 7
IOque"di theologicus. Luthers Kampf (lrn die Erneuerung der 71leoJogie '515 - '5,8.
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etwa den Begriff der Sünde (Röm 5,12), den des .alten Menschen <(Röm 6,6) oder die Frage der im zweiten Kapitel des Römerbriefs angesprochenen Adressaten anders beantwortet. Besonders aber gilt das fü r die '5'5 noch nicht voll entwickelte, wohl aber inhaltlich bereits vorhandene Unte rscheidung von Gesetz und Evangelium. Die ihr zuvorlaufende Unterscheidung von Gesetz und Gnade wurde im Verlaufe de r Kirchengeschichte mehrfach modifiziert und von Luther zur pointierten Unterscheidung von Gesetz und Evangelium ausgebildet' Für die theologische Eigenständigkeit Luthers gegenüber der überragenden Autorität Augustins gibt es weitere Beispiele, etwa wenn Luther im Kommentar Galaterbrief von 1519 zu 2,16 anführt, daß diese Stelle bisher von niemandem so recht verstanden worden sei, mit Aus· nahme von Augustinus; von diesem freilich auch nur in dessen antipelagianischen Schriften. Vorsichtig, gleichwohl in der Sache mit größter Eindeutigkeit vermag er Augustinus in seiner Auslegung des Johannesprologs zu kritisieren: die von Johannes »gar eynfelltig unnd schlecht« geschriebene Botschaft des Evangeliums sei in der philosophischen, i.e. neuplatonisierenden Deutung Augustins wenn denn nicht verfehlt, so doch verkürzt wiedergeben. Auf diese kritische Distanz wird auch an anderen Stellen verwiesen und eine klare Hierarchie zwischen Paulus und seinem Ausleger Augustinus konstruiert: dem Apostel ist in jedem Falle der Vorrang einzuräumen. Diese Haltung bleibt nicht auf die Frühzeit beschränkt, sondern hält sich bis ins Spätwerk durch." Stets präzisiert der Wittenberger Reformator unter dem Einfluß konkreter Auseinandersetzungen seine eigene Theologie und kan n sich dabei auch von Augustinus entfernen. Er nahm die Auto rität Augustins als des schlechthin unübertroffenen Garanten katholischer O rthodoxie für seine Position in Anspruch, kann aber die je spezifische Intention des Kirchenvaters und dessen situationsbezogene Ausformulierung wenn nicht widerlegen, so sie dennoch der eigenen Situation anpassen. Die Augustinus- Rezeption Luthers wurde insbesondere mit Blick auf seine reformatorische Wende ausführlich untersucht, erlag dabei jedoch in ihrem Urteil häufig der nicht belegten Prämisse, Luther habe durch Augustinus zu Paulus gefunden." Das genaue Gegenteil zu dieser These läßt sich freilich aus dem viel zitierten Rückblick Luthers aus dem Jahre '545 herauslesen. Trotz der großen Distanz zu der über 30 Jahre zurückliegende Erfahrung seiner entscheidenden Wende schreibt Luther 9 Bernhard Lohse: )Gesetz und Gnade. - )Geselz und Evangelium (. Die reformatorische Neu· fo rmuliermlg eines Themas der patristischen 71Jeologie. 10 Karl Heinz zur Mühlen: Zur Rezeption der Augusti1lischen Sakramentsformel »Accedit verbum ad elementum. et fit sacramentum« ;'1 der Th eologie Lutlters; ders .: Die Rezeption von Augustins )Tractatus in loannem Bo,]. im Werk Martin Luthers. 11 Vgl. die zusamm enfassenden Bände: Bernhard Lohse ( Hg.): Der Du rchbruch der Refor· matoriscllen Erkenntnis bei Ma rl;'1 Luther; Der Du rchbruch der reformatorischen Erkenntnis bei Luth er: lIeuere Ufltersuc/nmgen.
ZUR R EZEPTION I M WERK MARTIN LUTHERS
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durchaus glaubwürdig, daß er bei der Exegese von 1,17 des Römerbriefs zur Botschaft des Evangeliums - der bisher von seinen Lehrern falsch akzentuierten iustitia dei als passiver Gerechtigkeit Gottes gefunden habe (WA 50, 186,8 - 9.16 - 17): .. Hic me prosus renatum esse sensi, et apertis portis in ipsam paradisum intrasse. Postea legebam Augustinum de spiritu et litera, ubi praeter spem offendi, quod et ipse iustititam Dei similiter interpretatur.« Die Frage nach der konkreten Datierung dieses Ereignisses und seines Verlaufs als einer Entwicklung oder eines plötzlichen Durchbruchs einmal hintangestellt, scheint es wichtig, daß Luther .nachher< (postea) zu Augustins Werk griff und in diesem entgegen seiner Erwartung (praeter spern) sein Verständnis der passiven Gerechtigkeit Gottes bestätigt fand. Wie lang auch immer die Spanne des .postea< gesehen werden mag, so ist doch unzweifelhaft, daß Luther das antipelagianische Werk Augustins vorliegen hatte und bei der nochmaligen Lektüre dessen Aussagen im Licht der Paulinischen Botschaft .praeter spern, versteht. Luther greift zu Augustinus, weil er an ihm als der schlechthinnigen Autorität der abendländischen Theologie seine theologische Einsicht überprüfen will. Er befürchtet eine Enttäuschung, also eine Bestätigung der ihm durch seine Lehrer vorgetragen und zu zahlreichen Anfechtungen Anlaß gebenden Deutung der Gerechtigkeit Gottes als geforderter, aktiver Leistung des Menschen. Das Gegenteil ist jedoch der Fall: Luther findet seine Befürchtung zerstreut und darf auf die gleichartige Interpretation im Werk Augustins und damit den traditionsbezogenen Legitimitätserweis seiner Paulusdeutung bauen. Die Pforten des Paradieses waren nicht nur offen, weil Luther für sich eine tragrahige theologische Deutung gefunden hat, sondern auch die Gefahr einer individualistisch-subjektiven, heterodoxen Abweichung von der .katholischen Lehre
4- Luthers Verständnis der Tradition
Von Beginn an war die Auseinandersetzung um d ie reformatorische Theologie von dem Vorwurf belastet, Luther würde mit seiner Schriftauslegung und deren systematischen, kirchenpraktischen, frömmigkeitlichen und gesellschaftlichen Folgerun Gabriele Borger hat , noch unter ihrem Geburts namen, in ih rer Untersuchung der studen tischen Mit schriften zum Römerbri ef Kolleg Luthers nachweisen können, daß de r zunehmend bekannter we rdende Professor mit in novat iven und über den Traditionshorizont hinausgrei fenden Akzentuierungen seiner Auslegung im Hörsaal außerorde ntlich vorsichtig war; Gabriele Schmidt-Lauber: Luthers Vorlesung fib er den Römerbrief ISIS/J516. Ein Vergleich zwischen Luthers Manuskript und derl studentische" Nachschriften. Vor diesem Hintergrund muß es für ihn eine ungemeine Erleichterung gewesen sein , daß er die scholastische Lehrmeinung mit eben jener Autor ität bestreiten kon nte. die seine Gegner mr sich und ih re Position in Anspruch nahmen. 12
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gen ,Neues
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(Ehestand). Abschließend verweist er auf das evangelische Martyrium und den wider alle menschlichen Möglichkeiten geübten Gewaltverzicht der evangelischen Kirche. Demgegenüber erweist sich die Kirche Roms aufgrund ihrer Neuerungen und Ergänzungen zum Traditionsbestand der alten Kirche als illegitimer Nachfahre. Luther verweist auf etliche Beispiele der Diskontinuität mit der apostolischen Tradition: Dazu zählen die Einführung der Mönchstaufe, des Ablasses, der Gebrauch von geweihtem Wasser und Salz, die Wallfahrten, Bruderschaften, die Ausgestaltung der tradierten Lehre vom Altarsakrament, die Veränderungen der Lehre von der Beichte, die massive Verfalschung der Lehre, die Einrichtung des Papsttums und die damit verbundene Vermischung von weltlichem und geistlichem Regiment, die Heiligenverehrung, Fegefeuer, Reliquien, Weihen sowie die Überschätzung des Zölibats. Diese neuen Stücke erweisen sich als unvereinbar mit der Heiligen Schrift, der Lehre der Apostel und der Tradition der alten, wahren Kirche - gemeint ist hier die auf dem consensus doctrinae quinquesaecularis gründende kirchliche Praxis. Darum ist rue durch das Papsttum und die römische Kurie repräsentierte Kirche nicht die heilige, wahre Kirche, gehört aber zum corpus permixtum der einen Kirche nach wie vor dazu.
Auch wenn Luther rue Auffassung von der Einheit der Kirche selbst in seiner späten und groben Polemik nicht aufgibt, so scheidet er doch die in der sichtbaren Kirche zusammengefaßte wahre und falsche Kirche voneinander. Kriterium der Unterscheidung ist die Bewahrung der reinen, ursprünglichen Verkündigung des Evangeliums in Verbindung durchaus mit der Tradition der alten Kirche, die in legitimer Weise die apostolische Lehre in kirchliche Praxis umgesetzt hat. Vor dem Hintergrund dieser Folie erscheinen Verkündigung, Lehre und frömmigkeitliche Praxis der römischen Kirche unter dem Papsttum als Neuerungen, mithin als Abweichungen und Verfalschungen. Als problematisch erwiesen sich insgesamt die unausgesprochenen, denkerischen Voraussetzungen. Selbstverständlich ging auch rue römische Seite davon aus, daß die von Luther als verC,ilschende und irreführende Innovation gebrandmarkten Entscheidungen allesamt biblisch legitimiert seien und sich im Strom der sich auf Jesus und die erste Kirche der Apostel zurückleitenden Trarution sich befanden. Päpstliche Dekrete und Konzilsentscheidungen fügen weder etwas zur abgeschlossenen Offenbarung in Jesus Christus hinzu, noch ergänzen sie den Grundbestand dogmatischer Wahrheit, wie er durch Christus und die Apostel gelehrt und weitergegeben worden ist. Wohl aber präzisieren die dogmatischen Entscheidungen des Papsttums die biblische Lehre und schaffen in ihren Formulierungen die erforderlichen Voraussetzungen, heterodoxen und vor allem aber häretischen Entwicklungen Einhalt zu gebieten und die reine Lehre zu bewahren." 14
VgL JosefNolte: Dogma
itl
Geschichte.
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Prinzipiell verstand Luther seine reformatorischen Forderungen und die damit verbundene Kritik an scholastischer Theologie und päpstlich dominierter Kirche in gleicher Weise. Den Nachweis der Abweichung führte er durch die prinzipieJle Kritik der kirchlichen Tradition am Maßstab der Heiligen Schrift. Dahinter steht ein gewissermaßen vorkritisches. naives Schriftverständnis. das von der prinzipiellen Evidenz und Übertragbarkeit der biblischen Aussagen in die jeweilige Gegenwart ausgeht. Dieses hermeneutische Grundmodell wird durch die von Luther in kontroverstheologischer Zuspitzung der mittelalterlichen Überzeugung von der grundsätzlich nicht hinterfragten Autorität der Schrift (sola scrip/ura ) auf seine Überzeugung von der sich selbst auslegenden Schrift hin präzisiert. 1' Die sich selbst auslegende Schrift ist höchste und letzte Autorität. Sie setzt einen engen Rahmen möglicher Innovation so. daß stets kritisch gefragt werden muß. inwieweit die jeweils intendierte Veränderung noch durch die biblische Aussage gerechtfertigt ist bzw. sich interpretierend dem jeweiligen zeitlichen Kontext anpaßt. Luther ist nicht so naiv. als daß er nicht historische Entwicklungen wahrnehmen würde. Freilich interpretiert er diese im Rahmen seines zunehmend apokalyptischen Geschichtsverständnisses als VerfaJl und Abkehr von der ursprünglichen Gestalt und Wahrheit. Neben dem sich auf Augustinus berufenden heilsgeschichtlichen Geschichtsverständnis wird hier auch das - unreflektiert übernommene neuplatonische Modell zur Interpretation der vorfindlichen Wirklichkeit relevant. Je weiter - und das ist nicht nur räumlich. sondern vor allem auch zeitlich zu verstehen - sich die historische Wirklichkeit von ihrer Ursprungssituation entfernt. um so größer wird die Gefahr der Verfremdung und Depravation. 1' 1m Spannungsfeld der abstrakten Verhältnisbestimmung von Tradition und Innovation wird hier ein Unterschied zur altgläubigen Argumentation. beispielsweise vertreten von Hieronymus Emser. erkennbar. die eben die denkerischen Voraussetzungen Luthers nicht vollends teilte. wohl aber im Ansatz mit ihm übereinstimmte. Das römische Verständnis der kirchlichen Tradition setzte eben gerade dies voraus. daß die mögliche Depravation und Verfremdung der biblischen Offenbarung und ihrer Umsetzung in der kirchlichen Lehre durch dogmatische Entscheidungen abgewehrt wird und die römische Kirche das legitime Erbe der ersten Christenheit und damit der Botschaft Jesu und der Apostel bewahre. Aber auch die katholischen Kontroverstheologen berufen sich auf die Schrift. Freilich ist ihr Ansatz ein anderer: Friedrich Beisser: Claritas scripturae bei Martin Luther; Walter Mostert: Seriptura sacra sui ipsius interpres. Bemerkungen zum Verständnis der Heiligen Schrift durch Luther; Albrecht Beutel: In dem Anfang war das Wo rt. Studien zu Luthers Sprachverständllis. Und für die späteren Jahre Kenneth Hagen: Lutller's Approach to ScriptL~ re as seen ;11 his ,Comm el/taries< Oll Galatians 15
1519- 153 8 . 1/0
VgL Marku s Wriedt: Lutller's Concept of History and the Formation of an Evangeliea/Iden·
lity, Protestant History and ldentity ;11 Sixteenth· Cell/u ry
EI~ rope .
ZUR REZEI)TIQN IM WERK MART I N LUTHERS
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Wahrend Alveldt noch ein weitgehend unkritisches und methodisch unreflektiertes Schriftverständnis aus der mittelalterlichen Exegese übernimmt, setzt sich Emser ausdrücklich mit Luthers Behauptung der claritas scripturae auseinander. " Er betont in der ausführlichen Begründung seiner Methode die No twendigkeit des Rückbezugs auf die kirchliche Tradition als eines unverzichtbaren Auslegungsinstruments der Schrift. Gern verbindet er dies mit einem historischen Argument: Nicht die Schrift selbst, sondern die durch den Heiligen Geist und das durch Chri stus gestiftete Amt legitimierte Auslegung des Papsttums und ihrer Fixierung in der kirchlichen Tradition begründen oder hinterfragen die biblische Legitimität dogmatischer Entscheidungen." Die systematische Verhältnisbestirnmung von Tradition und Innovation läuft auf die Frage einer evangelischen Schriftauslegung - sola scrip/um - und ihrer ki rchenpraktisehen Konsequenzen hinaus. Die reformatorische Kritik sowie ihre Lösungsvorschläge treten im Spannungsfeld von Innovation und Tradition mit dem Anspruch auf, eine konservative Re-formation durchzuführen. Es gilt den unter vielfaltigen Ne uerungen und Zusätzen verdeckten Kern der reinen Lehre und ihrer kirchenp raktischen Umsetzung frei zu legen und wieder zur Geltung zu bringen. Kronzeuge dieser Sicht der Dinge ist in mehrfacher Hinsicht Augustinus: zum einen stellt sein Geschichts-Modell d ie für Luther wichtige historiographische Grundlage seiner eigenen Ortsbestimmung und der heilsgeschichtlichen Interpretation seiner konkreten Situation dar. Zum anderen ist Augustinus die gerade auch von den theologischen Gegnern unbestrittene Autorität der kirchlichen Tradition, mit der Luther zwar nicht um jeden Preis übereinstimmen will, in der er aber die Ei nheit der Kirche und den Fortbestand der rechten Evangeliumsverkündigung aufgehoben sieht. Freilich nicht allein dessen unangefochtene Autorität, auch die besondere Bedeutung Augustins als Ordensgründer und Universitätspatron dürften dessen Dignität weiter bestärkt haben. Schließlich aber ist es Augustinus, der Luther in seinem Autoritätsverständnis bestärkt: Mochte die Autorität des Kirchenvaters auch von zahUosen Zeitgenossen 11 Heribert Smolinsky: Augustin von Alveldt und Hiero'lym us Emser. Eine U'ltersllChwIg zur Kontroverstheofogie der frühe" Reformationszeit im Herzogtum Sachsen , 256 - 267. 18 Vgl. hierzu besonders Heribert Smolinsky: Augustin von Alveldt und Hiero1lymus Emser, 8 3 9 - 396. Emser und andere römische Kontroverst heologen können sich dabei insbesondere auf Vin zenz vo n Lerinum berufen, der in se iner Denkschrift über das Alter des katholischen Glaubens zwar die Autorität der HeiJigen Schrift betonte, nach ih r aber die kirchli che Tradition über die Wahrheit der Lehre zu ent scheiden habe. Nur die zusätzliche Bestätigung durch die kirchl iche Tradit ion, die iden tisch ist mit der überlie ferung in der kirchengeschichtlichen Or· thodox ie seit der Urkirche und von da an bis in die kirchliche Gegenwa rt fortlebt, macht einen dogmatischen Lehrsatz wahr und allgemeingültig für die gesamt.e kath oli sche Kirche. Vgl. Rei nhart Staats: Das Beke"ntnis VOtl Nizäa . Kon stanti'lopeJ, 11 f. mit Anm. 18.
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anerkannt sein. so zählt für Luther vor allem dessen exegetische Kompetenz. d;e dem Wort der Schrift zum Durchbruch ve rhilft. Nicht was Augustinus sagt. sondern so wie er die Schrift sprechen läßt. ist für Luther die entscheidende Begründung seiner Hochschätzung des afrikanischen Bischofs und Predigers. Luther vermag mit Augustinus seine an der Bibel gewonnene Sprach form weiter zu entwickeln und zu feilen. Nicht die konkrete Aussage sondern der >modus loquendi theologicus<.den er - neben anderen - bei Augustinus vorfindet. und den er auch dort bereits von den irreführenden Redensweisen abgegrenzt sehen will. Teil dieser hermeneutischen Einsicht ist schließlich Augustins Verweis auf den entscheidenden Unterschied zwischen der Schrift als dem offenbarenden Wort Gottes und den eigenen Schriften. der Luthers hermeneutische Einschätzung unterstützt. So wie Augustinus »keinem will [". ) gegleubt. sondern alle unter die Schrifft gefangen und gezwungen haben« (WA 50.539.21- 23) würde auch Luther ihm nicht glaube n. lehrte er nicht. was durch die Schrift zweifelsfrei bezeugt ist.
5. Zusammenfassung und Ausblick Luther hat den Augustin;smus des Spätmittelalters wenn auch nicht ausschließlich. so doch ganz wesentlich durch seinen Orden. die observanten Augustiner-Eremiten. kennengelernt und übernommen. Die Theologie der Augustiner spiegelt die ganze Bandbreite der Augustinus- Rezeption des Spät mittelalters wider. Angesichts rueses diffusen Befundes wird man jene Form der Augustinus-Rezeption kaum so belasten können. in ihr jene entscheidende Initiation zu erblicken. die Luther auf seinen weiteren Weg zur Reformation leitete - auch nicht im Sinne eines produktiven Mißverständnisses. Nach eigenem Bekunden hat die seelsorgerliehe Zuwendung von Staupitz Luther für die Wahrnehmung von dessen antipelagianischer Gnadenund Rechtfertigungslehre sensibiHsiert. Daneben muß abe r auch darauf verwiesen werden. daß zahlreiche andere theologische Zeitströmungen für die Entwicklung des theologischen Profils des jungen Luther von gleichberechtigter Bedeutung waren: die Entdeckung der mystischen Theologie etwa eines Johannes Tauler oder der Theologia Deutsch. die in Erfurt in signifikanter Konzentration vorhandenen humanistischen Bildungs- und Erkenntnisansätze sowie deren das klassische Erbe betonende Aussagen. eine radikale Aristoteles- und damit verbunden auch Scholastikkritik. sowie in nicht unerheblichem Maß das gesellschaftliche wie k;rchliche Sentiment zu Beginn des 16. Jahrhunderts. das üblicherweise mit dem Reformbedürfnis von K;rche und Gesellschaft an Haupt und Gliedern umschrieben wird. Die vorgetragene Interpretation trägt zur Datierungsfrage der entscheidenden Wende im Leben Luthers wenig bei. Neuere Darstellungen betonen m. E. zu Recht den prozessualen Charakter des reformatorischen Durchbruchs und sehen in Lu-
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thers akzentuierter Formulierung von 1545 zutreffend eine gleichsam im Zeitraffer kondensierte Entwicklung. die sich über einige Jahre hingezogen haben dürfte. Es ist nicht das plötzliche Aufleuchten einer präzisen systematischen Formulierung. sondern die schrittweise Entdeckung eines grundlegenden hermeneutischen Prinzips. des modus loquendi theologicus. die Luther zum Reformator werden läßt. Luther ist nicht durch Augustinus zum Kritiker der scholastischen Theologie und in der Folge zum Reformator geworden. Er hat ihn weder produktiv mißverstanden noch uminterpretiert. Aber Augustinus hat ihn auf seinem Weg bestärkt und begleitet. Dies zuweilen in anachronistischer und nicht immer inhaltlich zutreffender Adaption. Diese Einschätzung der Augustinus-Rezeption Luthers aus späterer Sicht kann die Hochschätzung des Reformators freilich nicht minimieren und sollte daher auch nicht erkenntnisleitend überbetont werden. Augustinus war für Luther der Inbegriff katholischer Orthodoxie. die sich freilich je neu im Licht der Heiligen Schrift zu bewähren hatte.
Augustinus als matrix omnium conc/usionum bei Cornelius Jansenius (1585-1638) von Richard Augustin Sokolovski
My Wars are laid away in Books' - so dichtet Emily Dickinson. Cornelius Jansenius hätte im Singular gesprochen. Seine Kämpfe sind in einem einzigen Buch niedergelegt. Zu Lebzeiten wirkte Cornelius Jansenius als Theologe. Professor und Bischof. Gleichzeitig aber führte er einen heimlichen Krieg. In einem winzigen Zimmer des damaligen holländischen Priesterseminars zu Leuven wird ein theologisches Werk geboren. Jansenius selbst nennt dieses Werk >mein Kind<.' In diesem Buch führt Jansenius den Krieg seines Lebens. den gerechten Krieg für die Wiederherstellung der genuinen katholischen Gnadenlehre des >Doctor Gratiae<. des heiligen Augustinus. Der plötzliche Tod des Cornelius Jansenius im 1638 zu Ypern versammelt an seinem Grab das fromme christliche Volk. das im verstorbenen Bischof einen Heiligen verehren will.' Seine Feinde hingegen atmen erleichtert auf. Beide sollten sich täuschen. denn bald. sehr bald. wird Jansenius wieder auferstehen. Sein ganzes Leben hatte er einem Text gewidmet. so daß sich der Mensch in einen Text. in ein Buch verwandelt hatte. Dieses Buch beginnt zu sprechen. Sein Name ist Augustinus.
1_
Vita Incognita des Cornelius Jansen
Da Jansenius ausschließlich in der gleichnamigen Bewegung Bekanntheit erlangt hat. muß zunächst seine Biographie in Betracht gezogen werden. In der Medienwelt der heutigen Theologie stellt das Leben des Jansenius eine terra incognita dar. 1585 bis 1638. zwischen diesen zwei Jahreszahlen liegt das Leben des bekanntesten und des unbeliebtesten katholischen Augustin isten der Neuen Zeit. Augustinus von Hippo (}54 - 430) taucht in den Zeiten des Jansenius wieder auf. nicht weil Jansenius dem Lehrer der Gnade sein Werk zu widmen versucht. sondern weil das verborgene Gesetz der intellektuellen Entwicklung des Abendlandes diesmal so würfelte. Das '7. Jahrhundert ist das Jahrhundert des heiligen Augustin us.' Alle wollen sich auf I Emily Dickinson: Gedichte, München 2006. Gedichte (Höraufnahme: English und Deutsch), Zü rich 2007. 2 V gl. Augustillus, Synopsis Vitae Auctoris: »Nec aHa testamenti eius cura soll icitior, quam ut
fideles amicos roga Tet. ne foetus instinctu, ut credebat. divino tot vigiliis et labo rihus a se effo r· matus supprimeretu r, et non veniret ad partu m .• J 4
Jean Orcibal: /ansenius d ' Ypres (J585 - J638), 270. Vgl. Philippe Sellier: Le siede de Sa int Augustin .
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seine gewaltige Autorität beziehen, und die Unterstützung des heiligen Patrons der christlichen Wissenschaft wird von allen Seiten gesucht.' Nur der junge )ansenius steht Augustinus gleichgültig gegenüber. )ansenius wurde in die Welt des Protestantismus geboren, geographisch und politisch. Geboren 1585, lebt er bis 1602 in den reformierten Niederlanden. »)esus Christus war der erste Theologe., schreibt er später im Auglls/inlls. Die Evangelien lassen vermuten, daß Christus ebenso wie )oseph Zimmermann war. Biographien des )ansenius berichten, daß er, wenn seine Familie in Not war, als Zimmermann arbeitete.' Von diesem >evangelischen, Beruf wird er dank der Hilfe durch niederländische katholische Mäzene in das theologische Studium berufen. Aus Holland nach Flandern, aus der protestantischen in die katholische Welt der Leuvener Universität führt der Weg des Cornelius )ansenius. Wahrend seines Studiums in Löwen wird )ansenius von zwei Theologen beeinflußt, von einem lebenden und einem toten. )akobus )anson (1547 - 1625) will, daß jeder Studierende Augustinus liest und auswendig kennt. Michael Baius (1513 - 1589) gibt ein ausgezeichnetes Beispiel dafür, wie man sich wegen der Vorliebe für das Werk des Augustinus eine kirchliche Verurteilung zuziehen kann. Die Lebenden und die Toten also bilden )ansenius aus.' »Gnade ist keine [nformation «, erwidert )ansenius späte r auf das heute so genannte instruktionstheoretische Offenbarungsmodell. Die erste Augustinische Prägung des )ansenius an der Leuvener Unive rsität brauchte noch mehrere Jahre, um innerlich angeeignet zu werden. 1609 ve rläßt )ansenius Leuven für das weitere theologische Studium in Paris. [n Paris lernt )ansenius )ean Duvergier de Hauranne kennen. Der künftige Beichtvater der französischen Oberschicht, bekannt unter dem Nan,en Abb" Saint-Cyran, bedeutet einen entscheidenden Übergangspunkt von )ansenius zum Jansenismus. Die Entdeckung der Möglichkeit eines autodidaktischen Studiums von dem, was man studieren möchte, und nicht von dem, was man studieren muß, bringt )ansenius 1611 nach Camp-de-Prats, wo er zusammen mit Saint-Cyran patristische Quellen studiert. Die Lebenden und die Toten zu Leuven, das Geliebte und das Verhaßte der Ausbildung in Paris, Menschen und Bücher, das ist die Bilanz der ersten Lebenshälfte des )ansenius. Mensch und Text, diese Trennung im Bewußtsein des )ansenius, sollte noch eine Weile andauern. Die Offenbarung kommt erst 1619. Das Leben des )ansenius gleicht einem Kriminalroman. So viele Zufalle kan n es im Leben eines Menschen nicht geben, außer wenn er heilig ist, oder alles andere als heilig. Das calvinistische Konzil in Dordrecht (16.11.1618 - 3. 5.1619) genehmigt
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Ich neh me hier absichtlich den Titel des Augustinischen Werkes De doctri1la christiano
auf. 6 7
Jean Orcibal: lomb,ius, 61. Vgl. den Titel des Romans Die Lebe1lden ,md die Tote1l von Konstantin Simonov.
AUGUSTINU S BEI C ORNELIUS JANSEN IU S
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eine explizit augustinistische Gnadenlehre. Zur gleichen Zeit empfangt Cornelius Jansenius in Leuven eine Offenbarung. Augustinus, der Kirchenvater, und sein Werk werden Jansenius geoffenbart. Jansenius erlebt den Moment der Wahrheit, der Einheit des Menschen mit dem Text. »Siehe, in kurzen, klaren und deutlichen Worten ist der Schlüssel zur ganzen Lehre überliefert: was ZU tun und was zu lassen ist, über die guten Werke und die Sünden; ohne diesen Schlüssel ist die Lehre des Augustinus nichts als ein biosses Labyrinth, aus dem man nicht herausfindet außer durch Glossen, die zahllose Texte des Augustinus verdrehen und der großen Masse der ganzen Lehre widersprechen«, sagt Jansenius. Dieser Moment ist die Geburt des Theologen Cornelius Jansenius.' Der Augustinus des Jansenius ist die Frucht einer fast zehnjährigen Einübung in das Werk des heiligen Augustinus. Ende 1627 fangt Jansenius mit dem Schreiben des Augustin 115 an. Vieles deutet daraufhin, daß er keine Veröffentlichung für sein Werk in seinen Lebenszeiten anstrebte. Mehr noch, der Theologe aus Leuven ist bereit zu sterben, sobald sein Augustinus vollendet ist. Die anderen Aktivitäten des Jansenius sind: seit 1617 Rektorat im holländischen Priesterseminar zu Leuven, Verteidigung der Rechte der Un iversitäten gegen die wachsenden Ansprüche der Gesellschaft Jesu, Polemik und Dispute gegen die reformierten Theologen aus Holland, Gründung einer Filiale des Oratoriums von Jesus und Maria in den spanischen Niederlanden und jahrelang eine Professur für die Heilige Schrift. Ab 1635 ist Jansenius Rektor der Universität, 1636, achtzehn Monate vor seinem Tod, wird er Bischof in Ypern. Nichts deutet daraufhin, daß bald, sehr bald eine Bewegung namens Jansenismus entstehen wird. Alle Tätigkeiten des Jansenius führen ihn zum Sterbebett hin, so daß die Fertigstellung des Augustinus den letzten Atem des jungen Bischof von Ypern bedeutet. Doch die Theologie des Jansenius, wie sie ist, zeigt sich weder in seinen Vorlesungen an der Universität noch in der Polemik gegen die Reform, sondern in seinem Werk Augustinus, das aber heißt: erst post mortem. Die Theologie des Jansenius ist eine posthume Theologie. Das bedeutet, daß bei der Auslegung der Theologie des Jansenius viel interpretiert werden muß. Auch der so genannte Jansenismus und seine Verurteilungen waren Interpretationen.
3 Augustinus. H. De Stalu Natl"ae Lapsae [V. XXII, 534: »Ecce brevibus, perspicuis, di sert issimi s ve rbi s clavem universae doctrinae de agend is cl non agendis. de boni s o peribus el peccalis traditam; sine qua. doctrina Auguslini non ni si merus Labyrinthus est; ex quo nisi Glossis lex tus Augustini innumeros evertentibus, totiusque doclrinae moli repugnantibus. exiri non p otes t. ~
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Der >Augustinus<: Janus des Jansenius
Ich verzichte absichtlich darauf, Struktur und Gliederung des Jansenschen Augustinus zu reprodu zieren. Das Werk ist so umfassend und die Lektüre so anstrengend, wie seine Struktur klar und plausibel ist. Diese Verführung scheint vielen Historikern und Theologen das Recht zur Behauptung zu geben, das Werk des Jansenius sei bereits bekan nt und studiert, sobald die Struktur des Werkes kommentiert sei. Wir werden also einen anderen Weg gehen und wenden uns dem Kern des Opus des Jansenius zu. Im Gegensatz zu allen normalen Büchern fangt der Augustinus in der Mitte an. Der Liber Prooemialis ist eine Einführung in die theologische Hermeneutik des Augustinus. Den formellen Anfang, die ersten Seiten des Augustin us, bildet das Kapitel Historia Pelagiana mit den dazugehörigen Abschnitten über die Theologie des Pelagianismus. Der Augustinus des Jansenius ist wie ein zweiköpfiger Janus, ein Buch mit zwei Anfangen. Die beiden Anfange des Werkes bedeuten zwei verschiedene Hermeneutiken der Theologie des Jansenius, die einander jedoch nicht widersprechen. Die theologische Hermeneutik spricht vo n dem, was Theologie ist, und die historische von dem, wie Geschichte zum Ausgangspunkt des Theologisierens werden kann.
3. Augustinus - matrix omnium conclusionum Die Neue Zeit wird durch das Ankommen der neuen Wirklichkeit gekenn zeichnet. Es ist eine Wirklichkeit, die sich der Kirche entzieht. Die Naturwissenschaften sind hier nur ein treffendes Beispiel. Die christliche Welt reagiert darauf mit dem Versuch, die entgleitende Gegenwart an ihren Ursprung zurückzubinden. So entstehen nach einem Konkurrenzmodell im Verhältnis zwischen Gott und Mensch die Gnadenlehren des 16. Jahrhunderts, so baut sich die strikte doppelte Prädestinationslehre der postcalvinischen reformierten Tradition auf. Ad majorem gloriam Dei, so lautet der Ruf der Gesellschaft Jesu. Diesem theozentrischen Ruf entspricht in der Gnadenlehre eine Ve rschiebung der Erlösungsin]tiative zugunsten des menschlichen Willens. Ich wage zu sagen, daß Cornelius Jansenius der erste neuzeitliche katholische Mensch und Theologe war, der sich nicht von diesem Widerspruch leiten ließ. Im Gegenteil, die Theologie des Jansenius geht vom Menschen aus. Dieselbe Theologie aber macht den nächsten Schritt und schreibt die Erlösungsinitiative Gott zu. Der Name des Menschen ist Augustinus, der Name des Erlösenden - Gnade, gratia Jesll Christi. So wird Augusti nus mehr als ein Millennium nach seinem Tod zu Hippo 430 vom Bischof von Ypern zum Fundament der christlichen Theologie gemacht. Augustinus matrix omn ium conclusionum heißt es im Liber PraoemiaUs des Jansenius.
AUGU STINUS BE ! C QR NE LI U S )A NS ENIU S
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4. Matrix sein Was es bedeutet. in der Matrix zu sein, ist wohl den meisten unter uns aus dem gleichnamigen Film bekannt. Was aber bedeutet es fü r Augustinus. selbst Matrix zu sein? Das erfahrt der Leser aus dem gleichnamigen Werk des jansenius. Das Verhältnis zwischen Altem und Neuem Testament ist einmal und für alle Zeiten zu einem der Hauptthemen der Theologie geworden. Im Zentrum der christlichen Verkündigung steht die Gnade Jesu Christi. Die Gnade des Neuen Testamentes ist im Alten Testament so entschieden verborge.n. daß jansenius wagt. das Alte Testament als eine Komödie zu bezeichnen. Die Gnade Christi. dieser Kulminationspunkt der menschlichen Geschichte. wird im Neuen Testament geoffenbart. Die Offenbarung der Gnade Christi im Neuen Testament ist vollkommen. und von einem dritten Testament kann nicht die Rede sein. Die im Neuen Testament geoffenbarte Gnade Christi bleibt abe r weiterhin unzugänglich. wenn sie keinen Interpreten findet. Das Neue Testament ist die Erfüllung des Alten Testaments. die Lehre Augustins ist die Erfüllung des Neuen Testamentes. Nach dem allgemeinen Sensus fidelium sind aUe Träger der Offenbarung bereits mit den letzten Aposteln verstorben. Dann beginnt die Zeit der Epigonen. jansenius widerspricht diesem Gedanken. indem er die Rolle des Augustinus als des ausserordentlichen und übermenschlich begabten Interpreten der Schrift hervorhebt. Im Zeitalter der Reformation fühlt die Katholische Kirche sich verpflichtet. die Tradition gegenüber dem Sola scriptura der Heiligen Schrift zu verteidigen. So gerät die Überlieferung in die Rolle eines Gegenübers zur Schrift. jansenius sucht dieses Dilemma zu lösen. indem er das Werk des Augustinus als Bestandteil und Symbol der Tradition der Kirche auf das gleiche Niveau wie die Heilige Schrift erhebt. »Augustinus - Vater der Väter. Lehrer der Lehrer. der erste nach den kanonischen Schriftstellern. unter aUen wahrhaft gediegen. feinsinnig. unbestreitbar. der Engelgleiche. Seraphische. alle Überragende. und unaussprechlich wunderbar«. sagt Jan senius.9 Erfahrung ist das Kriterium der Wahrheit - sagt Kar! Marx. Das ganze wäre zu einfach. wenn das. was man im 16. - 17. Jahrhundert als >Tradition, bezeichnete. Jansenius nicht allzu gut bekannt gewesen wäre. Überlieferung ist ambivalent. sie macht es möglich. daß in jeder theologischen Auseinandersetzung Bezug auf eine und dieselbe Überlieferung genommen wird. Augustinus bedeutet einen Ausweg aus dieser negativen Seite der Tradition. die jansenius als Irrgarten der Fragestellungen. lateinisch Labyrinthus quaestionum bezeichnet. Die Tradition ist ambiva·
Augustinus, Liber Prooemialis, 52: ))Auguslinu s Pat er Patrum , Doctor Doctorum . Primus post Sc riptores Canonicos, inter omnes vere solidus, subtilis. irrefragab ilis. Angeli cus. Seraphi . cus, Exce llentiss imus, et ineffabiliter mirabili s.<1 9
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lent, nicht nur im 17. lahrhundert. Immer, zu allen Zeiten des Christentums, ist es so gewesen. In diesem Sinne kennt lansenius keine goldene Ära der ersten christlichen Generationen. Der Glaube an den unversehrten Glauben der ersten christlichen Generationen bleibt lansen ius äußerst fremd. Augustinus ist derjenige, der die vier Hauptwahrheiten des Christentums formuliert und verdeutlicht habe: die Wahrheit des Hauptes (Christus gegen den Arianismus), die Wahrheit der Einheit (die eine Kirche Christi), die Wahrheit des Sakramentes (die eine Taufe) und die Wahrheit der Gnade (die eine Erlösung). Die Theologie des 17. lahrhundert muß die Antwort auf ihre Fragestellung im Werk des Augustinus finden . Augustinus bedeutet das Fundament, die Matrix omnium conclusionum.
5. Die letzte Wahrheit Der Kern der Jansenischen Theologie liegt in der Gnadenlehre. Jansenius bezeichnet die Theologie der Gnade als das Herz des christlichen Bekenntnisses und versucht, das Rätsel der Gnadenlehre in seinem Augustinus mit Hilfe des Augustinus zu lösen. Gnade ist die Verwirklichung der Erlösungstat Christi. Das Lutherische Axiom, die Rechtfertigungslehre sei der articulus stantis et cadentis ecclesiae, bleibt für lansenius fremd . Die christliche Gnadenlehre, wie sie ist und wie sie sein muß, ist vom heiligen Augustinus formuliert worden. Die Kirche hat die Augustinische, ja ihre eigene Wahrheit von der Gnade genehmigt und kanonisiert. [n dieser Gnadenlehre behält die Kirche Christi ihren Stand. Die Päpste der alten christlichen Zeit haben die Lehre des Augustinus bestätigt, so werden es auch die Päpste aus dem Heute des lansenius tun müssen. Denn sie sind ja unfehlbar. Diese Unfehlbarkeit bedeutet für lansenius eine Pflicht, sich an den bereits verkündigten Glauben zu halten. Das Neue Testament ist die erfüllte Weiterführung des Alten Testaments und die christliche Theologie ist Weiterführung des Neuen Testaments. Die Kette der Offenbarung setzt sich fort bis ins Eschaton.
6. Fröhliche Wissenschaft Das Verständnis der Theologie gehört zu wichtigsten Themen im Werk des lansenius. Hier liegt der Schlüssel zu seiner Augustinusrezeption. Christus ist der erste Theologe - so Jansenius. Christus, der Logos des himmlischen Vaters, lebt von dessen Wah rheit und verkündet sie den Aposteln. Die Verkündigung bedeutet hier keine lnformationsvermittlung. sondern die Kommunion des Wortes von Herz zu Herz. Das Gedächtnis (memoria) ist Fundament, Organ und Motor des Theologisie rens.
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»Nur derjenige könnte es absurd oder merkwürdig finden, daß die christliche Weisheit aus dem Gedächtnis der überlieferten Offenbarungen und göttlichen Worten geboren wird, der nicht weiß, daß diese ewige Weisheit, das Wort Gottes, aus der gleichsam als Quelle und Urbild all unsere Weisheit verbreitet wird, aus dem fruchtbaren Gedächtnis des Vaters hervorgeht«, so )ansenius." Augustinus ist der Theologe der Theologen, er ist das Beispiel und die Ikone einer Theologie, die ihren Inhalt aus den Quellen der Memoria schöpft . Die Theologie des Augustinus bedeutet die Weiterführung der überlieferten Wahrheit der christlichen Verkündigung. Sie ist die Theologie der frohen Botschaft der Gnade, eine fröhliche Wissenschaft. Der Antipode des Augustinus ist Origenes. Die Lehre dieses Lehrers des Morgenlandes stellt ein ausgezeichnetes Beispiel dar, wie die Gren zen zwischen Philosophie und Theologie verschmelzen. )ansenius nennt diese Art der Theologie Philosophie, Philosophia pura et puta. Das Fundament dieser Theologie ist der Intellekt und nicht die Memoria. Diese Theologie philosophischer Art stellt ein ständiges Hinterfragen der gegebenen Wahrheit dar, sie baut den erschreckend kafkaesken Labyrinthus quaestionum auf, in den die Tradition ohne Augustinus sich ve rwandel t. Origenes ist also der wahre Ursprung des Pelagianismus. Die gan ze Theologiegeschichte wird von )ansenius >dualistisch
7. Kunst des lesens Der Augustinus des )ansenius ist eine Frucht der Lektüre des Augustinus. Wenn eine Lektüre so fruchtbar sein ka nn, muß es gewisse Regeln für die Lektüre geben. Die Entdeckung der Augustinischen Wahrheit Wlt bei )ansenius mit der Entdeckung der Regeln für die Lektüre des Augustinsehen Werkes zusammen. Wenn diese Regeln ge brochen werden, geht der einzige Schlüssel zum adäquaten Verständnis verloren. Man habe Augustinus die eigenen Gedanken zugeschrieben, anstatt den Intuitionen des Lehrers des Abencllandes zu folgen - so formuliert )ansenius die Erbsünde der gegenwärtigen Augustinus-Rezeption. Er selbst verfolgt ein durchaus anderes Ziel: »Ich habe keine Angst, den Eindruck zu erwecken, in dieser gefahrlichen Sache mehr als andere wisse n zu wollen. Denn ich habe meine Meinung nicht Liber Prooemialis. 7: »Ne, e"im euiqumn absllrdll m allt mirwn videri debet quod ex tmditaru m revelatiollum ae d ;vinorum verborum memoria, Christimra lIascatllr sapietltia, lIisi qui nesciat, aelemam iIlam sapiemiam, quae est Verbum Patris, ex quo lanquam fonte el exemplar; omnis nostra propagatur sapientia, exfoecunda Patris memoria prodiisse. t( IG
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so vorgetragen. als sei sie mir durch Spekulation eingefallen. sondern ich habe das. was Augustinus und seine Schüler sowie später die alte Kirche selbst über diese schwerwiegenden Fragen gedacht und gelernt haben. treu erforscht. unverfalscht zugänglich gemacht und habe ständig angeführt. daß es sich um ihre Meinung handelt«." Die eigene theologische Entwicklung des Genies der Christenheit muß berücksichtigt werden. Augustinus ist ja nicht nur der Augustinus des Glaubens. der unfehlbare Doe/or gra/iae. dessen Lehre vom unfehlbaren Lehramt im eigenen Interesse aufgenommen werden soll. Augustinus ist ein Mensch der Geschichte und ein Mensch in der Geschichte. Die Werke des späteren Augustinus zur Gnadenlehre können nicht von seinen früheren Werken her interpretiert werden. Denn der frühe Augustinus teilte ja selbst die Irrtümer der Semipelagianer. Seine .neue
8. Sola gratia
Die Wahrheit der Gnade ist die Wahrheit. die alle die anderen Wahrheiten umgreift und ihnen Sinn gibt. Dies gilt. weil alle christlichen Wahrheiten und Dogmen in der Gnade wahrgenommen. angenommen und verstanden werden können. Die berühmte Formulierung Credo ut intelligarn spiegelt sich hier auf unerwartete Weise wider. Das wichtigste für das Verständnis der Gnadenlehre des Jansenius ist das. was Jansenius selbst bei Augustinus als das Wichtigste bezeichnet. Hier gilt es aufmerksam zu sein. denn gerade dieser Punkt hat bei den Rezeptionsversuchen der Jansenischen Theologie scharfe Kritik gefunden und letztlich zur Ve rurteilung des Bischofs von Ypern geführt. Die Gnade. die dem Menschen im Urzustand gegeben wurde. unterscheidet sich wesentlich von der Gnade. die in der Erlösungstat Christi gegeben ist. Die Gnade Adams trägt einen deutlich synergischen Charakter. Beistand und Hilfe dieser Gnade hängen vom Ja oder Nein des Menschen ab. Ohne diese Gnade konnte der Mensch nicht im Guten bleiben. es ist die Gnade sine qua non. Die andere. neue Gnade des Neuen Bundes ist die Gnade. die das menschliche Ja überhaupt erst ermöglicht. Das Ja des Menschen wird in der Gnade. die gibt und wirkt. gegeben. sie ist die Gnade .quo<. Diese Theologie der zwei Gnaden wird von 11 LibeT Prooemialis, 64: "Nec vero milli formidalldum putavi, rw dienr pll/s quam caeteros in rebus periculosis velle sapere. Sententiam erlim norl tarn attl,fj meam, quam speculando commentus sim, sed id, quod Augustirws de gravissimis rebus, ac diseipuli eius, vel ipsa subinde vetus Ecclesia sensit ac domit, fideliter i"dagavi, sincere patefeei, el eorum sent.erll'iam esse cmlstallier aJferui. «
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Jansenius als der eigentliche Schlüssel zum Verständnis des Augustinus verstanden. Die Irrtümer in der Gnadentheologie seiner Zeit sind durch die Verwechslung der ursprünglichen und der aktuellen Gnade verursacht worden. Jansenius sagt: »Das katholische und apostolische Dogma besteht nicht nur darin. daß die göttliche Gnade dem freien Willen hilft. etwas Gutes wollen und vollbringen zu können. sondern auch darin. daß der freie Wille durch die Gnade befreit werden muß. um das Gute zu tun. da er sich seIbst nicht befreien kann. d.h. weil ihm die Freiheit zum Tun des Guten durch die Gnade übertragen werden muß.«"
9. Eine verurteilte Theologie Die Theologie des Augustinus des Jansenius ist wegen der sogenannten fünf Sätze ve rurteilt worden. Der Ausdruck >Theologie der fünf Sätze< wird hier bewußt verwendet. Allein der erste Satz ist als ein Zitat aus dem Augustinus des Jansenius nachzuweisen. Die anderen vier Sätze bedeuten den Versuch. die Theologie des Jan· sen ischen Werkes auf eine unorthodoxe Weise zusammenzufassen und auf dieser Grundlage zu verurteilen. Der erste Satz spricht von der Unerfüllbarkeit der Gebote ohne die Gnade. der 2. und der 4. - von einer Gnade. die keinen Widerstand des menschlichen Willens duldet. der dritte versucht. Freiheit und Notwendigkeit als kompatibel zu erklären. und der 5. behauptet. die Meinung. daß Christus schlechthin für alle gestorben sei. sei semipelagianisch. Die Analyse der Sätze kann im Rahmen dieses Vortrags nicht erfolgen. Entscheidend ist. daß die Diskussion um die Theolo· gie des Augustinus des Jansenius im Laufe der Jahrhunderte um die fünf Sätze und nicht um die Theologie seines Werkes geführt wurde. Wenn der Augustinus des Jan· senius eine Rezeption des Lehrers des Abencllandes im 17. Jahrhundert darstellt. dann bedeuten die fünf Sätze eine Rezeption der Rezeption des heiligen Augustinus.
10.
Textus Receptus
Am Ende kommt. was an den Anfang gehört: die neuesten Interpretationen der Theologie des Jansenius. Lucien Ceyssens (1902 - 2001 ) und !ean OrcibaI (1913 -1991) unternehmen das. was mit einfachen Worten als eine >Rehabilitierung des Jansenius< bezeichnet werden kann. Die Frage. ob Jansen ius rehabilitiert werden muß.
u Augusl'inus 111, I, 111, 13: »I ...] Catholicae el Apostolicae jidei esse dogma, non so/um. quod liberum arbitrium divina gratia iuvandum sil, ut aliquid bon; velle, et operari possil. sed etiam. quod per gratiam Iiberandum sit ad benefaciendum cum se liberare 11 011 possit, hoc est. quod ei libertas ad benefaciendum p er gratiam conferenda sit ....
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kann hier nicht beantwortet werden. Die beiden Wissenschaftler - die wohlgemerkt ihren je eigenen wissenschaftlichen Weg gehen - unternehmen die Rehabilitierung des jansenius. Sie erfolgt aus zwei Gründen: jansenius reproduziert die Theologie des heiligen Augustinus, und die Methode seiner Verurteiler ist eine kirchenpolitische Machtausübung und keine konstruktive und adäquate theologische Diskussion. Der Augustinus des jansenius bleibt ungelesen. Henri de Lubac (1896 -1991) versucht im Grunde das, was jansenius Jahrhunderte früher versucht hatte: die Gnadentheologie des Augustinus beziehungsweise die katholische Gnadenlehre in seiner Zeit auszulegen . )ansenius wird bei de Lubac zu einer Hilfskonstruktion an der Baustelle des neuen Augustinismus. Der französische Theologe sieht in jansenius die Ursache, warum die neuzeitliche katholische Theologie der Gnade auf Abwege geraten ist. )ansenius stelle eine enorme Gefahr für die Theologie dar. Um sie zu vermeiden, hat die civitas catholica Lehren in das theologische Lexikon eingeführt, die nicht als Augustinisch gelten können. Das beste Beispiel dafür ist die Lehre von der so genannten reinen Natur, die gegen den Vorgänger des )ansenius, Michael Baius, verwendet wurde. Der Augllstinus des jansenius bleibt ungelesen. Gaetano Lettieri (geb. 1961) stellt einen neuen Augustinus dar: 1hZtra Agostino, Der andere Augustinus, heißt sein Werk über die Gnadentheologie des Augustinus. Augustinus ist immer der andere gewesen. Er ist der andere gegenüber sich selbst, denn an einem bestimmten Punkt seines Lebens muß er seine Theologie >zu Gunsten< seiner neuen Gnadenlehre um formulieren. Er ist der andere gegenüber der katholischen Kirche, deren Kirchenvater und Lehrer der Gnade er doch zu sein scheint. Der kleine Augustinus kann von der Kirche und ihrer autoritativen Theologie nicht angeeignet und verschlungen werden, er ist einfach zu groß. Die Lehre des Augustinus wird von )ansenius als die Theologie der Anarchie der Gnade bezeichnet. jansenius leistet zum Werk des Augustinus die richtige Hermeneutik, die für immer eine unfehlbare Lektüre des Augustinus darstellt. Henri de Lubac muß den Augustinus des jansenius nicht lesen, weil die Theologie des )ansenius für den französischen jesuiten apriori verkehrt zu sein scheint. Der Augustinus wird benutzt und nicht gelesen. Gaetano Lettieri gibt zu, daß das einzig Wichtige im Werke des jansenius seine Methode der Lektüre des heiligen Augustinus ist. Der Augustinus des jansenius bleibt also ungelesen. Der Augustinus des jansenius muß gelesen werden - diese einfache These ist mein Motto zum Studium des Werkes des jansenius. Die neueste Forschung zu diesem Thema bestätigt, daß die These weiterhin gültig bleibt.
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11.
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Unerträgliche Leichtigkeit des Seins
Der Text bleibt Text und der Mensch bleibt Mensch. Der Text dessen, der nie behauptet hat, er habe recht, ist verurteilt worden. Es ist würdig, die Arbeit über Jansenius mit den Worten zu beenden, mit denen er selbst sein We rk und dementsprechend sein Leben beendet: »Nie würde ich mir anmaßen, ich sei in keiner Hinsicht von seiner [des Augustinus - R.S.) Lehre abgeirrt. Ein Mensch bin ich, ausgesetzt den Gefahren der menschlichen Fehltritte, vor denen ich mich so weit ich konnte zu hüten versucht habe; so verzeihe mir der Leser, wo ich es nicht vermocht habe, damit die Erwägung der unermüdlichen Arbeit den Schandfleck der Leichtfertigkeit wegnehme und die Berücksichtigung der Aufrichtigkeit Schutz davor bietet, daß zu irren einfach iSt. (( IJ Jansenius wagt also zu bekennen, daß errare humanum esl. Die Geschichte der jansenistischen Kontroversen und Jahrhunderte langen Interpretationsversuche der Theologie des Jansenius weist leider darauf hin, daß errare Iheologicum esl: irren ist theologisch. I'
lJ Augustinus IU, Epi/ogus Om,,;um, 1070 -1071: »Nec yero mihi ipsi arrogayerim, me nulla ex parte ab eius aberrasse sententia. Homo sum, humanorum tapsuum periculis obnoxius, quae sieut; eavi quantum potui, ita ignoscet Leelor ubi non potui, ut et assidui laboris cOflSideratio temeritatis labem auferat, et sinceritatis intuitus, errandi simplicitati patrocinetur. f( 1. Weiterführende Literatur: Jean Lesaulnier (u.a.) (Hg.): Dictionnaire de Port-Royal; Leopold Willaert (Hg.): Bibliotheca faflSeniana Belgiea; Henri de Lubac: Augustinisme et tlleologie moderne; Albert de Meyer: Les premieres controverses jansenistes en France (J640 - J649); Henri Gouhi er: Cartesianisme et Augustinisme au XVW siede; ders.: L'anti-humanisme au XVII siede; Bernhard Jungmann u.a.: Jan senius eveque d 'Ypres. Ses derniers moments, sa so umission au S. Siege d 'apres des documents inedits. Etude de critique historique par de membres du seminaire d'histoire ecctesiastique; Leszek Kolakowski: Dieu ne "ous doit rien. Breve remarque sur la religion de Pascal et l'esprit du jaflSenisme; Gaetano Lettieri: 11 metodo delta grazia. Pascal e l'ermer,eutica giansenista di Agostino; ders.: L'altro Agostino. Ermeneutica e retorica della graxia dalla crisi alla metamorfosi dei )De doctrina Christia"a l; Ludovicus Molina: Liberi arbitrii cum gratiae donis I... J concordia; Jean Orcibal: Corresponda"ce de fansenius (Les Origines du JmJSenisme, 1); ders.: Saint Crrat! et le ja nsenisme; e iro Senofonte: Ragione Modema e Teologia. L'lI omo di Arnauld; ders.: Baio - GimlSenio - Amaufd; Constant van Eijl: Jansenistica te MecheJefl. Het archief vafl het aartsbisdom; ders. (Hg.): L'image de C. JmlSenius jusqu'd la fin du XV/Ilt siede; Alfred Van· neste: Nature et gräce dans la theologie occidenlale. Diafogue avec H. De Lubac; Uopold Willaert: Les origines du jansenisme dans fes Pays- Bas catlroliques, Bd I . Le Milieu. le ja llsenisme avant la lelt re.
Katholische Verteidigungen Beobachtungen zum Augustinismus nach Bajus (1513 -1589) und Janse nius (1585-1638)
von Erich Naab
Für sein Verständnis der Ge rechtigkeit Gottes, die im Evangelium aus Glaube zum Glauben offenbart ist und heile, nicht strafe (vgl. Röm 1,17), hatte sich Martin Luther mit De spiritu et litte ra seines Ordenspatrons Augustinus d'accord gewußt.' Calvin verstand sich als Ausleger des lateinischen Kirchenvaters und diesen als den »fidus interpres scripturae«.' Selbst die innerkatholischen Kontroversen auf dem Konzil von Trient waren in ihren herausforderndsten Partien ein Kampf um Augustinus.' Das Konzil war noch nicht beendet, als in Löwen' mit der Forderung nach der Rückkehr zu den QueUen und in FrontsteUung zur Scholastik, kontroverstheologisch und in durchaus humanistischer Art, eine Interpretation des Augustinus vorgelegt wurde, die so verwiHte, daß Michael Bajus von seinen katholischen Gegnern zugleich der Häresien des Pelagius und Luthers und auch noch des Legalismus verdächtigt wurde.' Lag die zentrale Thematik der Reformation und der Auseinandersetzung mit ihr in der Rechtfertigung des Sünders, so wies Bajus in seinem originellen Beitrag auf den bislang weniger beachteten Zustand des Menschen vor dem Sü ndenfall hin : im Bezug auf diesen ursprünglichen Zustand sei die Verderbnis und die Wiederherstellung, Sünde und Gnade zu messen, »in quibus [... ) duobus (si divo Augustino credimus) proprie fides Christiana consisti!«.' In Löwen wurde die antischolastische Polemik weiter getragen von Cornelius jansenius, der in seinem Werk mit dem programmatischen Titel Augustinus den bajanischen Ansatz inhaltlich nicht nur systematisiert. Die Herausforderungen der Gnade und der Freiheit im zeitgenössischen Streit >Oe auxili is< brachten neue Akzentuierungen. Aber es bleibt diese Frage nach dem Urstand der Focus, an dem sich in der Folgezeit der mai nstream kat holischer Theologie in der barocken Scholastik und ein Augustinismus I
Vgl. WA 54, 186, 16 -20.
-
Vgl. hier den Beitrag vo n Markus Wr iedt.
1 Dejensio smlae et orthodoxae doctrinae de servitute et liberatione human; arbitrii, contra PigMum. ln: Opera quae supersun t omnia 6, hier 319; Instit'ltionis christianae religion is (1559), lib. 111 cap.2 n. 35. In: Opera SeJec ta 6, 46. 16 - 18. - ,. Marius Lange van Ravenswaay: Augustinus totus tl oster. J VgL Eduard Stakemeier: Der Ka mpfum Augustill (wjdrml Tridemüwm. 4 Vgl. Mathijs Lamberigts (Hrsg.): L'Augustirlisme a f'atlcielwe facu/te de Louvahl. 5 Vgl. Henry de Lubac: Das Erbe Augustins 20 - 57. lose Martin-Palma: Gnaden /ehre 77. 6 Mi chael Baiu s: De prima hominis justitia, Praefatio 47, mi t Verweis auf Augustinus, gr. el pecc. or. C.24.
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reiben werden, der sich im Orden der Augustiner-Eremiten etabliert.' Augustinus war in der konfessionell katholischen Sicht nicht mehr der .Hort der Orthodoxie<; er war zum Stachel in ihrem Fleisch geworden, der mehr und mehr schmerzte.' Gegenüber den inhaltlichen Unterscheidungen verblassen mit der Zeit die methodischen Differenzen,' die späteren Augustiner ve rsetzen sich auch hier - wie seinerzeit Bajus - so sehr in den Gegner hinein, daß zumindest die Unterscheidung in der Form der Argumentationsweise schwer fallt. Das intensive Studium Augustins war bei den mittelalterlichen Augustiner-Eremiten nicht besonders ausgeprägt gewesen. Ihre Schule war durch das Generalkapitel von 1287 auf Aegidius vo n Rom (1243/47- 1316) verpflichtet gewesen, einen der großen Schüler des Dominikaners Thomas. Gregor von Rimini (1305 - 1358), in seinem letzten Lebensjahr auch OrdensgeneraI. hatte stärker auf Augustinus als die maßgebliche Autorität gerade in der Gnadenlehre gedrängt, ohne den Beschluß von 1287 zu revidieren. In den Auseinandersetzungen um Bajus, Jansenius, auch Pasquier Quesnel (1634 - 1719) und den anhalte nden Verwicklungen des Jansenismus regt sich auch im alten Orden ein neues, intensives Studium des .doctor gratiae<, das vor allem Enrico Noris " angeregt, Fulgencio Bellelli" fortgeführt und Gianlorenzo Berti " in systematische Form gegossen hatte. Noris war Kirchenhistoriker aus LeiVgl. auch Leon Renwart SJ: Augustinians du XVIIIe siede et .Nature Pure(; Fernando Roja: Ensayo bibliografico de Noris. Bellelli y Berti 294 - 363; Benigno van Luijk, Le controversie te% giche nei secoli XVII - XVIII e gU Agostiniani 20 1- 225 . S Vgl. Dekret des HI. Offiziums vom 7. Dez. 1690, Irrtüme r der Jansenisten 30: ,. Wenn einer eine Lehre gefu nden hat, die bei Augusti nus klar gru ndgeJegt ist, kann er diese unbedingt festhalten und lehren, ohne irgendeine Bulle des Papstes zu berücksichtigen« (DH 2330) . - Hatte sich die mittelalterliche Theologie geradezu wie ein weiterer Kommentar über Augustinus um die Schrift gelegt (wie Raschi die Mischna und Gemarra umgab), so werden jetzt konfessionell die Anmerkungen gegen Augustinus und sein e Grenzen artikuliert. 9 In Zugangswe ise, Verfahren und Methode wird man etwa Ja. Lauren. Bert i: De theologicis disciplinis, durchaus der späten barockscholastischen Literatur zurechnen können. Noch mehr gilt das für deren Accurata synopsis, quam ad usum seminarii auximatis conci nnavit Hieronymus Maria Buzius. 10 Geb. 1631 in Verona, gest. 1704 in Rom . - 1674 - 92 Prof. für Kirchengesch. an der Universität Pisa, 1692 Kustos der Bibliothek Vaticana, 1695 Kardinal. - Historia pelagiana; Vindiciae Augustinianae. Opera omnia, 4 vol. ( 1729 - 32); 3 vol. (1769 ). - Michael Klaus Wernicke: Kardinal Enrico Noris und seine Verteidigung Augustitls. 11 Geb. 1675 in Buccino, gest. 1742 in Rom . - Studienpräfekt und Theologieprof. in Venedig, Perugia u. Rom, 1720 Generalprokurator seines Ordens u. Präfekt der Bibliothek Angelica. 1727 - 1733 Ordensgeneral. - Mens Augustini de statu creaturae rationalis ante peccatum; Mens Augustüli de modo reparationis humanae naturae post lapsum, adversus bajanum et janseniarn lIaeresim. 11 Geb. 16 96 in Serravezza (Toscana), gest. 1766 in Pisa. - 1748 Prof. Rtr Kirchengesch. in Pisa. - De tlleologicis disciplir,is (der benutzten Ausgabe sind u.a. anonym angefügt: Opusculum inscriptum. Bajanismus redivivus ejusque coufutal'ionem; Jansenismus redivivus ejusque confutationem); Opera, 12 vol. - Vgl. auch Bruno Neveu: Pour une his/oire de I'Augustinisme 175 - 20 1; 1
KATHOLI SC HE VERTEIDIGUNGEN
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denschaft gewesen wld dann Bibliothekar an der Vaticana und Kardinal geworden. Sein theologisches Hauptwerk ist eine Historia, die Hisloria Pelagiana, in der er Augustinus und seine Lehre zunächst gegen historische Einwände verteidigt. Den Anlaß dazu bot jacques Sirmond, ein Historiker aus der Gesellschaft jesu, der 1643 unter dem Titel Praedestinatus den antiken Text eines unbekannten Autors ediert hatte, der unter dem Anschein Augustinischer Theologie pelagianische Perspektiven einbringt. Noris tritt dagegen mit großer historischer Erudition den (vor allem unter jesuiten vorgetragenen) Auffassungen entgegen, Augustinus habe bisweilen im Eifer des Gefechtes Sondermeinungen vertreten, die bei den übrigen Vatern keine Entsprechungen hätten, und um sich in den Dunkelheiten Augustinischer Theologie nicht zu verirren, solle man die Autorität dieses Vaters doch auf ein Minimum oder auf den Bereich der Theologie beschränken, soweit er nicht gegen die Vernunft argumentiert," als ob für die Augustinischen Theologen eine klare Unterscheidung, Abscheidung von der Philosophie selbstverständlich gewesen wäre. Ähnlich wie zuvor schon jansenius, zeigt auch Noris, daß die gegen Augustinus vor allem in der Schule Molinas aufgewärmten Vorwürfe bereits von den Massiliensern, den so genannten Semipelagianern, erhoben worden waren, als sie meinten, die Annahme der ungeschuldeten Vorherbestimmung lasse das eigene Bemühen überflüssig erscheinen. l < So ist die Historia Pelagiana nicht nur Verteidigung Augustins, sondern auch Angriff auf die von molinistischer Seite vertretene Gnadenlehre geworden. Bei den italienischen Augustinertheologen mit ihrer historischen Gelehrsamkeit wird der afrikanische Vater durchaus in seiner historischen Entwicklung gesehen; der Schwerpunkt der Rezeption liegt weiterhin auf den antipelagianischen Schriften. Durchgängig finden sich Zitate und Bezüge auf den )D. P. A.<, den )Divus Pater Augustinus<. Gewiß gestaltet sich der Rückgriff auf ihn und seine Interpretation in den aktuellen Auseinandersetzungen. Die Tradition bleibt eine lebendige Entwicklung.
Martin W. R. Stone: 7he AnNquarian and the Modem;ser: Giovanni Berti (1696 -1766), Pietro Tamburini (1737 -1827), and Contrasting Dejenses oj the Augustinian Teaching on Unhaptised lnfants irl Eighteellth-Century ltaly 335 - 372 (mit re icher Lit.!) . l) Vgl. auch Hermann -JosefSiebe n: Der Beitrag der Jesuiten zur Oherwindung des extremen Augusl'inismus im 11. Jahrlzwtdert 186 - 216. l ~ No ris: Vi"diciae. cap. ult. 222, zitiert u.a. einen ungenannten neueren Augustinuskritiker mit der Aussage: »Certe non video qua nam ratione pate ntiss ima libe rtas arbitrii nostri, quam ex perimur, quaeque tarn aperte in scripturis sacris traditur, cum divina praedestinatione Ha expli cata cohaerere valeat.« - Vgl. Wernicke: Kardinal Enrico Noris, 188 - 203.
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ER l e H NAAB
1.
Die bajanische Vorlage
Achten wir auf den Focus im Streit der Parteiungen, zu dessen Verständnis ich ein wenig ausholen soUte: Bajus hatte im Urstand eine Differenz zwischen Natur und Gnade bestritten. Sein Adam war nicht erschaffen und dann ins Paradies versetzt, oder mit der sich herausbildenden Terminologie des 16 . Jahrhunderts ausgedrückt, er war nicht >in puris naturalibus<erschaffen und dann (zeitlich oder nur logisch später) in den Stand der Gnade erhoben worden. Nach dieser aUgemeiner vertretenen Auffassung konnte erst diese hinzugefügte Gnade dem Menschen eine lebendige Beziehung zu dem Gott ermöglichen, der alle Grenzen des Geschaffenen seinsmäßig übersteigt. Wurde die Gnade in der Sünde verscherzt, so fiel der Mensch auf seinen Ausgangspunkt zurück, ohne in seiner Natur, seinem Wesen angegriffen zu sein. Der Mensch der reinen und der gefallenen Natur unterschieden sich wie ein )nudus( von einem >exspoliatus<, ein Nackter von einem Entkleideten.'s Während einern Thomas von Aquin noch sehr deutlich bewußt gewesen war, daß die der Wirklichkeit gemäße Ausrichtung des Menschen auf Gott, die für ihn ein übernatürliches Geschenk ist, die Identität des Menschen betrifft (wofür sich Thomas in der Summa ausdrücklich auf Augustinus berufen hatte) und die Gestaltung seines Lebens prägt," wurde zu Beginn der Neuzeit von den Theologen eine .natura pur.. erdacht und ausgebaut, eine ehrenwerte, gottlose Welt, die sich selbst genügte und in sich nicht einmal ein Verlangen nach mehr, nach Größerem trug. Andernfalls schien die Gnade geschuldet zu sein." Der Adam des Bajus aber war von Anfang an in der rechten Ausrichtung auf Gott geschaffen; Bajus lehnt nicht nur einen faktischen .status naturae purae<, son15 Thomas Cajetan de Vio: Commentaria ad Summam Theologiae J/IJ 109, 2. In: Thomas von Aquin: Opera Omnia VII, 292 - 295, 292: II Sicut enim persona nuda , et persona exspoliata, non distinguuntur in hoc quod una sit magis aut minus nuda; ita natura in puris naturalibus, et natura exspoliata gratia et iustitia originali, non ditferunt per hoc quod altera earum sit magis aut minus in naturalibus destituta .1I 16 Vgl. Thomas von Aquin, Summa Theologiae 195,1: »Utrum primus homo fuerit creatus in gratia.« Seine Argumentat ion geht von der Schriftstelle aus, die auch Bajus heranziehen wird: Sir 7, 30: »Deus feeit hominem rectum. « Diese Rechtheit habe darin bestanden, daß sich die menschliche >ratioratio( und der Leib der Seele. Die erste Zuordnung galt ihm aber schon als übernatürlich, weil das Geschöpfliche über· stiegen wird, und die bei den folgend en hingen von ihr ab: )l ma subjectio corporis ad animam el inferiorum virium ad rationem non erat naturalis. Alioqui n post peccatum mansiissett( (mit Bezug auf Dionys ius Ps. -Areopagita: De divinis nomi'libus 4; PG 3. 725C). - Den Verweis auf Augustinus präzisiert P. Caramello in der Mariett i-Ausgabe mit eiv. 13,13 (PL 41 , 386 ); pecc. mer. 1,16 (PL 44, 120). Thomas selbst zitiert abschließend eiv. 13,13 . 17 Vgl. hingegen noch Thomas von Aquin: In JJ Sem. dis1.l9 q. 1 a.2 sol.: IICum ergo homo institutus esset ad finem excedentis omnern facultatern humanae naturae. oportuH I!J quod in ipsa sui institutione aliquid sibi collatum fueril supra facultatem principiorum naturalium.«
KAT BQlI SC HE VERTEIDIGU NGEN
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dern selbst die Möglichkeit ab, daß Adam in bloßer Natur hätte geschaffen werden können. Damit schien die erhebende Gnade ein Erfordernis der Natur und eben keine frei, ohne Notwendigkeit geschenkte Gnade zu sein. Bajus ging bei seinen Überlegungen nicht von einem (aristotelistisch geprägten) auf die konstitutiven Prinzipien reduzierten Wesensbestand aus, den er Natur nannte, sondern Natur war ihm, ethisch, nicht ontologisch akzentuiert, e.in >bene esse<, das nicht durch Wegnahme des nicht Notwendigen, des Zukommenden, der Beziehungen, erschlossen wurde, sondern von Geburt an dem Menschen zu eigen ist, war seine ursprüngliche Stimmigkeit, Richtigkeit (>rectitudo <): »naturale, quia ex nativitate trahitur«." Was dem Menschen von Anfang an gegeben ist, ist keine ungeschuldete Erhebung seiner Natur, sondern seine natürliche Bedingung." Und diese besteht nicht nur in besonderen, zusätzlich anerschaffenen Fähigkeiten, die über alles Geschaffene hinausgreifen, sondern in nicht weniger als in der Gegenwart Gottes selbst, im Geist Gottes, aus dessen Gegenwart heraus erst unserer Gerechtigkeit und Weisheit und allen anderen Tlichtigkeiten Kraft zukommt. Bajus streicht dieses Moment als die erste Aussage seiner Untersuchung heraus: Es gab keine ursprüngliche Rechtheit ohne den einwohnenden Heiligen Geist. Die katholische Schultheologie wird bis tief ins 20. Jahrhundert hinein sich schwer tun, die heiligmachende Gnade, die sie als ein Akzidens und eine Qualität betrachtet und als bloße Grundlage, als Ermöglichung der Vervollkommnung des Menschen in der nachgeordneten >caritasgratia increata tQuod ii qui philosophiam sequuntur. non recte sentiu nt de prima insti tut ione naturae hum anae. f( 21 Jansen ius: Augustinus t. 11: De statu natume purae !ib. 1cap. 15 (306 ff.): »ex parte appetitus Deus enim quantum vis eum non nisi per auxilium supernaturale sequi deligendo vel consequi fruendo possimu s. est tamen fini s hominis naturalis, quo nec inferior ei nec superior dari pot est..( - Für diese Untersc heidung hätte er auf Robe.rt Bellarmin: COrltroversia generalis de gratia generi "unlano, !ib. unic. cap. VLI ad 13 (V 191), zu.rückgrei fen kön nen: »Res pondeo: Beatitudinem finem homin is naturalem esse quoad appetitum, non quoad co nsec utio nem.f( Der Jesuit argu ment iert aber we iter: Hätte der Mensch die übernatürli chen Mittel nicht. so bleibe ihm
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diese nicht in sich verschlossen ist. Doch hält jansenius an der Unentbehrlichkeit und Notwendigkeit der übernatürlichen Gaben fest, rur die er auf eine neue Begründung hinweist, die von den Augustiner-Eremiten aufgenommen werden wird: Es ist nicht nur das ,bene esse<, nicht die Würde des Geschöpfes, sondern das Gottesverständnis, aus dem die Gnade mit Notwendigkeit gefordert wird. Sich und seinen Eigenschaften, nicht nur seiner Gerechtigkeit, sondern vor allem der ihm eigenen Milde und Weisheit, seinem Erbarmen und seiner Großherzigkeit schulde Gott die Begnadung des Menschen, die für diesen vollkommen gratuit bleibt."
2.
Potenz und Wille in der Augustinerschule
Der bereits genannten Schule der Augustiner-Eremiten, der wir uns nach diesem Vorlauf zuwenden können, ist eine natürliche Glückseligkeit - die Konsequenz der ' natura pura. - völlig fremd und unverständlich: .. ln nullo nisi in Dei possessione potest esse quieta«." Die etwas rationalistisch anmutende Theorie eines natürlichen letzten Zieles. eines endlichen Glückes, braucht von ihnen nicht diskutiert zu werden. Die ,natura pura<wird daher im anfanglichen Blick auf die gute ursprüngliche Geschöpflichkeit des Menschen" mißbilligt. Die Augustinische Schule beharrt darauf. daß die Gaben des Urstandes. die Freiheit von Konkupiszenz. von Unwissenheit und Tod. vor allem aber auch die eigentlich übernatürliche Gnade. die Liebe zu Gott." geschuldet bleiben. indem sie - trotz ihres geradezu aufdringlichen Bemühens. jeden Schatten eines Anscheins von Bajanismus oder jansenismus zu verdecken - die angeführte überlegung des jansenius aufgreift. Gott schuldet die Gnade nicht der Kreatur. sondern sich selbst. Die Gründe dafür reichen von der ,decentia creatoris<," der bloßen Schicklichkeit, bis zur Gerechtigkeit. der ,iustitia.: denn wenn Gott sein Geschöpf zu einem Ziel bestimmt. das seine Fähigkeiten übersteigt. dann schuldet er ihm auch die notwendigen Mittel. wie das - so behauptet immer noch. nach der Wahrheit mit seinem Verstand zu suchen. Damit bleibe der bloße Naturstand möglich. - VgL auch Roland J. Teske: Augusti,le,/ansen ius, and the state 0/pure nature. 161- 174. 11 Jansen ius: Allgustinus. De stalli purae tJaturae Iib.l cap.2o (777-788): »Quomodo bona voluntas in qua cond i debet creatum rationalis. esset gratia~; bes. hier 780: »lmpossibi le est enim Deum in convenienter. indecenter, ins ipi ens et cont ra rationem. inclementer, immiseri corditer agere .• 23 BelleUi: Melis Augustini, 415 f. (Lubac: Das Erbe AugustitJS. 325). 14 Vgl. Lubac: Das Erbe Augustit1S. 325. lS Differenzierunge n sind möglich: Nor is erwähnt in di ese n Zusammenhä ngen nicht die heiligmachende Gnade; vgl. Wernicke: Kardinal Enrico Noris, 215 - 231. u; Vgl. Eugene POTtalie: Augustinianisme, 2487. Hen_ Ti de Lubac: Das Erbe Augustins. 323 f. Das Argument finde t sich schon bei Aegidius von Rom: In 11 Sent. diS1.30 q. t a. t (407-409).
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Bellelli - augenscheinlich sei durch das offensichtliche Gesetz der ewigen Gerechtigkeit." Die Schicklichkeit verpflichte Gott auf die Ordnung der Gerechtigkeit." Nun kann hinter dieser Argumentation der Einfluß der mittelalterlichen Unterscheidung zwischen einer >potentia absolutapotentia ordinata<29 nachgewiesen werden," wie sie auch Gregor von Rimini gebraucht hat; das geordnete Vermögen scheint beschränkt, gebunden zu sein gegenüber der absoluten, unbegrenzten Macht. Die Beschränkung kommt aber nicht von außen, sondern ist Ausdruck des sich vollziehenden, sich in der Welt- und Heilsgeschichte ausdrückenden göttlichen Willens. Die Unterscheidung sollte die Freiheit Gottes und die Kontingenz der Welt zum Ausdruck bringen. Es ging den Augustinern nicht darum, das >de potentia absoluta. bloß Mögliche auszuloten, sondern die konkrete Ordnung zu beschreiben, ohne neue Entwürfe zu kreieren. Die Unterscheidung ist mehr eine Absicherung'1als eine [nfragestellung ihres Verständnisses der Gnade. Im Bemühen um lehramtliche Duldung war es nicht angelegen, mit Kar! Barth zu poltern, es sei )verboten., mit einer anderen als der schon sichtbar gewordenen göttlichen Allmacht zu rechnen, da Gottes absolute Potenz als >potentia ordinata. »endgültig und verbincllich sichtbar geworden isl«." Das [nteresse der Augustiner se.i - darauf machte Henry de Lubac aufmerksam - darauf gerichtet gewesen, in einer konkreten Betrachtungsweise das Geschenk der Seligkeit an den Einzelnen zu verstehen, nicht die allgemeine Struktur des Geistes und die ontologische Hinordnung der menschlichen Natur auf Gott, den Grund des Glückes." Eine infinite Potenz Gottes wird von diesen Augustinern nicht in Frage gestellt, aber sie hat entweder nur mehr etwas Mirakulöses an sich oder es wird für sie mit Verweis auf Augustinus aus der Tatsache der Schöpfung, mithin >de potentia ordinata., argumentiert."
17 Vgl. F. Bellelli: Mens Augustin; de modo reparationis p.llib. 4 C. 17 (210): »dicirnus gratiam Adarno Lnnocenti debitam quidern fuisse; at non tarnquam naturalern proprietatern ex intirni s naturae nascentem, quernadmodum perperam Bajus contendebat: sed tamquarn supernaturale medium ex iu stissimae Providentiae legibus praeordinatum. Neque enim Deus iu stus impotentes ad agendum cogit; neque ad impossibile tenetur quisquam, ut notissima est aeternae iustitiae lege perspicuum .... (Heinrich Köster: Gnadenlehre, 105 Anm. 71, mit weiteren Verweisen auf ebd. 215ff. 204ff.). Vgl. Thomas: bl LI Senf. dist. 19 q. 1 a.2 sol. (oben in Anm. angeführt). Noris: Vindiciae 36, hatte für den ,ordo iustitiae( auf Augustinus: pecc. mer. Il 22, verwiesen. 28 Noris: Villdiciae cap. 3 § 2 (36 ); vgl. auch Wernicke: Kardinal Enrico Noris, 229 . 29 Vgl. William J. Courtenay: Potentia absolutal ordinata. 30 Vgl. Augustinu s: nato et gr. 7 n.8 (CSEL 44, 231-299, hier 237): »potuit, sed noluih; vgl. hierzu Petrus Lombardus: JSe'Jt. d. 42- 44 (112, 294- 306). 3 L Vgl. Martin -Palma 93: "Diese Unterscheidung hai sie vor lehramtlichen Verurteilungen bewahrt. (( .1 2 Kar! Barth: Die Kirchliche Dogmatik Hit, 606 - 613. l.! Vgl. Lubac: Das Erbe Augustins, 324. J.l Berti: De theologids disdplinis lib. 11 c. 6 (I 59 - 62).
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Der Systematiker Berti" verhandelt im 2. seiner 37 Bücher De theologicis disciplinis die Attribute Gottes, seine lneffabilität, seine Einfachheit, seine Unwandelbarkeit etc., und stellt in dem Zusammenhang auch die infinite Potenz Gottes dar. Er kommt dabei weitgehend ohne diese problematische Unterscheidung aus, die er mehr nebenbei, in der Auseinandersetzung mit Bestreitungen der unendlichen Möglichkeit Gottes, einführt:'" Es wäre dem Vater .de absoluta potestate. möglich gewesen, den Kelch des Leidens am Sohn (vgl. Mt 26,39) vorübergehen zu lassen, ja sogar .potentia absoluta. etwas ohne Providen z zu wirken, denn auch darin bestehe kein innerer Widerspruch: »Potest absolute Deus facere quidquid non repugnant, fecit autem, quod solum praescivit et praeordinavit. « Diesen Ausführungen folgt mit einer gewissen Sutlicance - die Darstellung der höchsten Wahrhaftigkeit," und hier erst berührt er, innerhalb der Gotteslehre, die heiß umstrittene Frage, und zwar an läßlich eines Einwandes gegen die Glaubensaussage: Gott ist im höchsten Sinn wahrhaftig (.summe verax.). Der Einwand, der das in Frage stellt und der zurückgewiesen wird, lautet: Gott könne einen Unschuldigen töten" Die Augustiner hören darin jene Möglichkeit heraus, daß Adam, ohne in Schuld zu fallen, sein unendliches Ziel, und das ist ein ewiges Leben mit Gott, nicht hätte erreichen müssen. Berti erwidert kurz, geradezu zugeknöpft: Gott sei nicht wie ein Mensch, daß er lügt; und jemanden zu täuschen, widerspricht der göttlichen Wahrhaftigkeit. Die außergewöhnliche Stellung dieses Einwandes wird unterstrichen, indem Berti hier, bei den so genannten Eigenschaften des göttlichen Seins, wo wir es kaum vermuten würden, die Gelegenheit wahrnimmt, eine Anzahl hermeneutischer Regeln zum Verständnis schwieriger Schriftaussagen anzuftigen, die darauf zielen, im NeueIl Testament den tieferen Sinn - auch der Wesensattribute - zu erfassen. Es möchte scheinen, daß Berti seine Leser zu folgender überlegung führen will: Wenn Gott unwandelbar und absolut wahrhaftig ist, und angenommen, es gäbe eine .natura pura. ohne Ausrichtung auf Gott, faktisch oder bloß gedacht, dann wäre Adam eben kein Mensch gewesen. Über solche Dinge aber zu spekulieren, macht keinen Sinn. Berti betrachtet jedoch nicht nur den Menschen in seiner konkreten Verfassung unter der Maßgabe der Heiligen Schrift, sondern auch Gott. Daher liegt über den ersten sechs Büchern seines Werkes, in denen er vor der Trinitätstheologie eine allgemeine Gotteslehre bietet (nicht formell ein De Deo uno), eine ganz eigentümliche Spannung: Auf Buch I (Existenz, Einheit und Wesen) folgen die bereits Die Charakte ri sierung als >antiquarian (, die Martin Sto ne in de r Gegenüberstellung zu Pietro Tamburini, der treibenden Kraft der Synode von Pistoia, vorni mmt, ist m. E. für Noris. aber ni cht wirklich für Berti zutreffend; Renwart 191 spricht von "un erudit et un diplomate. plus qu'un penseuf!(. J6 Lib. 11 De divinis attributis. cap.6: De infinita potentia Dei (J 60). J1 Ebd . cap.7: IIQ uod Deus sit verax, nec possit homines in errorem indu ce re.(( " Ebd. (1 63-64). 15
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erwähnten Eigenschaften göttlichen Seins (Buch 2); bevor er aber über das göttliche Erkennen und Wollen spricht, schaltet Berti als Buch 3 die Disputation über die intuitive Erkenntnis Gottes ein, also über die menschliche Gotteserkenntnis nicht durch die geschaffenen Dinge, sondern über eine unmittelbare Erkenntnis Gottes in sich selbst," was mit der zusätzlichen Frage verbunden wird, ob dies schon in diesem Leben geschehen könne. Die Vorgaben Augustins werden in dieser Frage bekanntlich kontrovers diskutiert," Berti bejaht diese Möglichkeit, eine Möglichkeit, die die Fähigkeiten einer geschaffenen Natur übersteigt. Der unabhängige Gott kann sich nur selbst schenken und gewähren. Hier wird von der Erkenntnis einer Gegenwart gesprochen, die nicht geschaffen ist und fur jedes auch nur denkbare Geschöpf (gleich in welchem Status: .in via et in patria<) übernatürlich sein muß.'l Gottes Transzendenz wird also nicht durch die Unterscheidung zwischen absoluter und ordinierter Potenz gewahrt, sondern gerade durch die Gnade, durch die Gewährung der höchst möglichen und kaum noch ausdrückbaren Einung zwischen Geschöpf und Gott. Die Unterscheidung in der Potenz kann weder die Differenz zwischen Gott und dem Menschen angemessen zum Ausdruck bringen, noch taugt sie zu einer eventuellen Unterscheidung im .Objekt<der intuitiven (und nie komprehensiven) Schau: Auch .potentia absoluta< könnte es nicht geschehen, daß Gottes Wesen ohne seine Attribute oder eine Person ohne die andere geschaut würden. 42 Die Schau bezieht sich zugleich auf die ganze Fülle der Gottheit. Und die Ausrichtung des Menschen auf ein letztes Ziel erfüllt sich erst in dieser Unmittelbarkeit. Berti legt sein Gottesverständnis nicht als eine der konkreten Trinitätstheologie vorausgehende philosophische Gotteslehre vor, in der Gottes gedachte Transzendenz und Unabhängigkeit behauptet werden, sondern sagt hier, unter den Fragen nach seinem Wesen und seinen Attributen, Gottes intuitive Erkennbarkeit aus. Und das ist nicht nur seine mögliche Beziehung zu dem von ihm geschaffenen anderen, sondern umgekehrt clie Beziehung geschaffenen Geistes zu ihm, als ob sie zu seiner Wirklichkeit gehörte. Oder sagen wir es zurückhaltender: Er beschreibt die Wirklichkeit Gottes so, daß seine Selbstmitteilung an den Menschen zu seinem Wesen gehört und für cliesen im strengsten Sinn übernatürlich bleibt. Denn die intuitive 19 Während Bertj (De theologicis disciplinis) seinen Iib. lII zurückhaltender betitelt: »In quo disputatur quomodo Deus inhabitet lucem inaccessabilem«, bringt die Accurata Synopsis des Buzius die Tendenz für die Schule auf den Punkt: »ln quo de Vi sione Dei disputatur.« 40 Vgl. Erich Naab (Hg. ): Augustinus: Ober Schau und Gegenwart des unsichtbaren Gottes. ". Lib. BI cap. I prop. 2 : »Nequit a Deo creari potest rationalis substantia extra naturae ordinem, quae Deus naturaliter valeat intueri« (67). 41 Lib. IlJ cap. 13 prop.: »Neque per absolutam potentiam Dei fieri potest, ut videatur essentia sine attributis, aut una persona sin e alia(( (95). - Da Berli hier (De theologicis disciplinis, 95) ausdrücklich eine von }ohannes Duns Scotus supponierte FormaJdistinktion zurückweist. wäre die Unterscheidung, käme ihr noch ein sachliches Interesse zu, au ch in Di stanz zu Scotus zu erkJären .
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Schau ist ein durch nichts vermitteltes Geschenk an den Menschen, das dieser realisiert, in dem nicht Gott sich, sondern der geschaffene Intellekt ihn selbst gegenwärtig schaut. In dieser Beziehung miteinander sind beide, Gott und der geschaffene Intellekt, aktiv und passiv. Einige Unterscheidungen im Gnadenverständnis der Augustiner dürften nicht zuletzt daher rühren, daß Gnade nicht anthropologisch als Ermöglichungsgrund für übernatürliche Handlungen gedacht wird, sondern konkret als Beziehung, als Begegnung von Gott und dem Menschen, wie sie in der angedeuteten Schau ihre Vollendung findet. 4l Gerade in der Zuwendung zu seinem Geschöpf, nicht in der Gleichgültigkeit drückt sich Gottes Größe und Freiheit aus. Diese Hinwendung entspricht nach Gottes Willen seinem eigenen Wesen, oder mit Bertis Ausdruck gesagt: konstituiert konnotativ, nicht absolut seine Freiheit: »Constituitur Dei Iibertas per actum sempiternum ac necessarium divinae voluntatis a substantia distincta« - und dem fUgt er an - "prout connotat objectum creatum et effectum contingentem et defectibilem«." Die Freiheit Gottes wird, nach Bertis Verständnis, durch den notwendigen Akt seines Willens konstituiert, so wie sie sich auch auf ein geschaffenes Objekt mitbezieht. Berti bringt selbstverständlich zum Ausdruck, daß die göttliche Freiheit in sich vollendet sei. Aber Freiheit fordert für ihn, weil das Freie dem Notwendigen gegenüber steht, auch immer eine Indifferenz, in der sie so oder anders agieren kann. Diese Indifferenz finde sich aber nicht in den göttlichen Selbstbezügen. Um sein Verständnis der Freiheit zu wahren, achtet er auf die mitbezeichneten äußeren Objekte des göttlichen Willens. Das bedeutet, daß die göttliche Freiheit nicht absolut, sondern auch auf anderes bezogen ausgesagt wird." In dem konnotativen, auf den außergöttlichen Terminus bezogenen Sinn wird von Gott dann sogar eine gewisse Potentialiät ausgesagt, mit der zugleich seine Vollkommen-
43 Vgl. auch Winfried Bocxe: Introduction to the teaching 0/ the ltalian Augustinians 0/ the 18th century on the Nature 0/ Actual Grace, 356 - 396 . .. Berti: De theologicis disciplinis,lib. V eap.3 prop. 2 (133). 45 Ebd.: »Dei libertas perfeetio intrinseea est. [ ... ] Altera pars sie ostenditur: Requiritur ad libertatem aliqua inditferentia; Iiberum enim opponitur necessa rio. Sed aetio divinae voluntatis non est inditferens prout eomparatur ad bonitatem divinam, quae perfeete eognita non potest eadere sub inditferentia judieii; quum nuHum sit bonum, quod eum summo Deo valeat aequi· pari. Ergo haee indifferentia attendi debet penes eonnotata. id est, exteriora objeeta, quae eon· tingenter et ex Iibera Dei voluntate efficiuntur in tempore. Ex quibus sequitur. libertatem Dei esse ex genere ilIorum, quae connotative. non absolute dieuntur: scilieet. unum significant, et aliud. ut inquiunt dialeetici. eonsignificant. Primum est ipsamet Dei natura, quae est et suum esse, et sua operatio; alterum vero quidquid in aLiqua temporis efficitur differentia; quod pro solutione argumentorum est apprime observandum .« (133) - »Sequitur {... ] non dari libertatem contradietionis in sensu, quo iIlam explicant eomplures Scholastici. id est, voluntatem intrinsecam suspe nsam ab omni aetu volitionis aut nolitio nis, quorum neuter potest de novo ineommutabili Deo eontingere; dari tarnen contradietionis Ubertatem, ut est potestas indifferens ad agendum vel non agendum, indifferentia spec tata ex parte eonnotatorum .4I (134)
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heit eingefordert wi rd." Die Freiheit des Wirkens nach außen realisiert sich in der Schöpfung, in der Aufnahme der menschlichen Natur in die Personeinheit mit dem Logos, und in der Beachtung der menschlichen Freiheit, die auf jenes letzte Ziel hingeordnet ist, wenn Gott alles in allem sein wird." Wenn sich sein Wesen auf den Menschen mitbezieht, kann die Gnade nicht allein als geschaffene Wirkung betrachtet werden. In ihrem geschaffenen Reflex wird die Gnade im idealen Zustand, der mit der ursprünglichen Schöpfung umschrieben ist, als Freiheit bedacht. Gott schenkt nicht das Vollbringen, sondern das Können. Hier gilt keine >praemotio physica<, keine >gratia praedeterminans<, >efficaxvictrix<, sondern die indifferente Freiheit einer >gratia versatilis<," in der eine völlig freie Begegnung des Geistes möglich ist. Die Sünde hat auch bei den Augustinern die Willensfreiheit nicht aufgehoben, unabdingbar bleibt sie aufrecht zu erhalten. Es ist weiterhin eine nicht rein passive Freiheit der Indifferenz; sie kann handeln oder nicht handeln. Diese Möglichkeit gehört zu ihrem Wesen, betont Berti, während sündigen zu können eben nicht als wesentlich gilt." Die Sünde nimmt dem Menschen die ursprüngliche Ge rechtigkeit und bringt seine Seele in Unordnung (Konkupiszenz). Entsprechend wird clie Gnade nach dem Fall, die Gnade Christi, anders umschrieben. Hier wird die Augustinische Anregung aufgenommen, wonach wir notwendigerweise das tun, was uns am meisten erfreut,SO und von ihrem Gebrauch bei Jansenius abgehoben. Aber es bleibt doch ein mehr psychologisches und erfahrungsmäßiges Verständnis der Gnade, die in einer ,delectatio<- dem sanften Druck der siegreichen Liebe - besteht und sich in der >caritas
46 Ebd .: »Ve rum in Deo nulla est potentia ab actu distineta, nisi prout actus accipitur termi native; exigente summa Dei perfectione, ut idem sit ejus potestas et operatio.• (134) 47 Ebd.: Itlibertas [sc. Dei] vero easdem [Sc. creaturas] respic it, quatenus existentiam habent cont ingentem, et prout sunt media libere ad ultimam linern ordinata. +1 (134) 48 Berti: De theologicis disclplinis, lib. lV cap. B: »Jnnocens creatura auxilio praedeterminantis gratiae non indigebah (uo), mit Verweis auf Augustinus: corrept. cap. X - XII. - BeTti: De theo!ogicis disciplinis, lib. XII cap. 8 prop. 2: »Adam ad perseverandum non opus habebat adjutor io gratiae praedeterminantis et victricis.4<. Vgl. auch Köster 102 Anm. 42. 49 Beeti: De theologicis disciplinis, Jib. XVI cap. 2 (I1 73 -7B, hier 76) . so Augustinus: exp. Gal. (P L35,2 140): It Quod enim amplis nos delectat . secundum id operemur necesse est. «
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3. Ausblick: Der sittlich gute Akt Vergleichend sei noch ein kurzer Blick auf eine andere Konzeption geworfen, in welcher der >status naturae purae< erschreckend deutlich entwickelt, aber die annähernde Gleichsetzung zwischen >pura et lapsa<, >nudus et denudatus< nicht mitvollzogen wird, und so innerhalb der Gesellschaft jesu eine eigene Form des >Augustinismus<entsteht, die den paradiesischen Zustand als eine Grenzsituation für das Verständnis unserer condition humaine nicht überstrapaziert. SI Es war juan Martinez de Ripalda Sj (1594 -1648), der nach Henry de Lubacs Untersuchungen zum Erbe Augustins wegen seiner angeblichen Bestreitung des natürlichen Ver· langens nach Gott als Zerstörer der christlichen Anthropologie gilt," zum anderen aber bei all seinen verwirrenden Argumentationsformen und absurden Hypo· thesen" doch die dem Augustinismus nahe stehende These vertreten hat, daß in der gegenwärtigen Weltordnung faktisch jeder gute Akt - auch der der Heiden ein übernatürlicher Heilsakt seL" Dazu wird eine universale initiale Gnade ange· nommen." Ripalda hatte zwar die Möglichkeit einer >natura pura
Etudes historiques, 173 Anm.3, allein angegebene Stelle: lib. I disp.8 sect. 4 n.2, war nicht zu verifizieren.
" Vgl. auch Paul Dumont: Ripalda. In: DThC X!H (1936) 2712- 37. hier 2737: . une subtilite raffinee qui s'exprime en formules obseure et eomplique parfois les quest ions au Heu de les ap· profondir.« Zur Diskussion des übernatürlichen Cha rakters eines jeden guten Aktes vgl. ebd. 2727 - 37. Sol Kompakt stellt Ripalda diese Auffassung, mit der er sich vom Hauptstrom katholischer Theologie absetzt, bei seiner Erklärung des scholastischen Axioms »Facienti quod in se est, Deus non denegat gratiam« dar, jenem Axiom, das alles. was über die übernatürlichen Gaben und ihre Gratuität gesagt wird, aufzulösen scheint: De ente supernaturali lib. I disp.20 (I 209 - 269. 209): )ddeo ex professo iIlud axioma declarandum suscipio, ut ipsius ex:positione c1ariora. fir· mioraque omnia praecedentia relinquantuf.t< S5 Sozusagen ist der ,Adam denudatus( sogleich nach dem Fall von Gott mit Röcken auS Fellen bekleidet und ist ihm das Protoevangelium zugesagt worden. 56 Wahrend dje Bajaner lehrten . der gefallene Mensch kön ne ohne Gnad e kein sittlich gutes Werk vollbringen, behauptet ihr Gegner in einer haarscharfen Verschiebung. es gebe kein sittLich gutes Werk ohne Gnade. Jedoch betont Ripalda eine absolute Transzendenz Gottes, deret wegen es zul etzt auch zur »scharfen Opposition zur traditionellen Lehre!'. einer ungeschaffenen, substa ntiellen und erst recht einer personalen Anwesenheit Gottes in der Gnade kommt und in
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Ripaldas hat unter Jesuitentheologen verschiedene Modifizierungen erhalten," bis sie ihre gegenwä rtige Form im ,übernatürlichen Existential, gefu nden hat."
diesem Si nne auch eine Lebensgemeinschaft Gottes mit dem Mensche n nicht möglich ist. Wegen diese r nicht wirkl ich beidseitig verbundene n Elemente erscheint ein e innere Einheit des konkreten dispositive n Aktes durc haus als fraglich. - Vgl. Alfred Kaiser: Nat ur und Gnade im Ursta " d, 202. Johannes Stöh r: Neuzeitliche Diskussionen über die Einwohnung des dreifaltigen Gottes. 249 - 282, 264.
" Ripalda nah m für den sittlichen Akt eine seinsmäßige Erhöhung an, Gabriel Vazquez SJ (t 1604) nur eine modal hinzukommende übernatürliche Ausrichtung durch einen Gedanken,
die sogenannte )cogitatio co ngrual, die entitativ im Rahmen de r Natur blieb. 58 Vgl. Karl Rahne r: Natur und Gnade. ln: Schriften zur Theologie IV 209 - 236, 227: ~ Wo er [sc. der Mensch] und insofern er in der ko nkreten Möglichkeit eines sittlich guten Handeins steht, ist er faktisc h ständig inne rhalb des eröffneten Horizontes der Transzendenz auf den Gott des übernatürlichen Lebens. mag er in seiner fre ien Tat im Einklang oder im Widerspruch stehen zu dieser Vorgegebe nheit seines übernatürlich erhobenen geistigen Daseins. Wenn er in jedem sittlic hen Akt positiv oder negativ Stellu ng nimmt zu der Totalität seiner fak tischen Existenz I... ], dann müßte man sagen: jeder sittlich gute Akt eines Mensche n ist in der faktische n Heilsordnu ng auch faktisch ein übernatü rli cher Heilsakt. Wir wären dann bei der bekan nten Ansicht vo n Ripalda angekom men. Diese Ko nseque nz braucht uns nicht zu erschrecke n. Denn einmal ist die These Ripaldas. wenn auch selten vertrete n. doch keiner theologischen Ze nsur ausgesetzt, und zweitens könnte ja, ohne daß man d ie hier angedeutete Grundposition aufgeben müßte, die eben ge machte Voraussetzung. unt er der man zur These Ripaldas kommt. bestritten und so die Ansicht Ripaldas vermieden werden. Wie dem auch sei. es zeigt sich durch die skizZierten Gedankengänge: es ist durchaus an nehmba r, daß das gan ze geistige Lebe n des Menschen dauernd überformt ist durch d ie Gnade.1I - Vgl. Dome ni co Palmieri: Tractatus degratia divi"a actuali, 254. - Palm ieri schränkte Ripaldas These allerdings auf Gläubige ein.
Siglenverzeichnis bearbeitet von Theresia Maier
1.
Siglen der Werke Augustins
Die Siglen der Werke Augustins folgen denjenigen des CAG (Corpus Augustinianum Gissense aC. Mayer edilum (CD -ROM ). Würzburg ' 2003). Aufgrund der besseren Lesbarkeil wurde >ll < in )V< abgeändert, wo es dem deutschen )v( entspricht.
Acad. c. adv. leg. agon. an. quant.
bapt.
De Academicis Jihri tres Contra adversarium legis et prophetarum lihri duo De agone christiano liber unus Oe animae quantitate liber unus
cat. rud.
Oe baptismo libri seplem De cathecizanclis rudibus liber unus
civ.
De civitate dei Iibri viginti duo
conJ.
Confessionum libri tredecim De correptione et gratia tiber unus De diversis quaestionibus octoginta tri bus liber unus Oe doctrina christiana libri quattuor Enarrationes in Psalmos Oe fide spe et caritate liber unus
corrept. div. qu. doctr. ehr. en. Ps. ench. ep. ep. 10. Ir.
c. ep. Parm . c. ep. Pel. exp. Gal. c. Faust.
f
invis. GM. litt.
Gn. litt. imp. Gn. adv. Man . gr. et pecc. or. gr. t. nov. 10. e\'. Ir. c.
1"1.
c. lul. imp.
/ib. arb. c. litt. Pet.
Epislulae In epistulam Iohannis ad Parthos tractatus decem Conlra epistulam Parmeniani Iibri Ires Contra duas epistulas Pelagianorum libri quattuor Expositio epistulae ad Galatas tiber unus Contra Faustum Manicheum libri triginta tres Oe fide rerum invisibilium Oe Genesi ad litteram libri duodecim Oe Genesi ad Utteram tiber unus inperfectus De Genesi adversus Man icheos Iibri duo Oe gratia Chri sti et de peccato originali libri duo De gratia testamenti novi ad Honoratum Liber unus In Johannis evangelium tractatus CXX IV Contra lulianum libri sex Contra Iulianum opus imperfectum De libero arbit ria libri tres Contra litteras PetiHani libri tres
252
AN HANG
mag.
mend. mor.
Oe magislro libeT unus De mendacio liber unus De moribus eccles iae catholicae et de morihus Manicheorum libri duo
ord.
De natura et gratia Iiber unu s De ordine libri duo
pecc. mer.
De peccatorurn meritis et remissione et de baptis mo parvulorum ad
rIal. et gr.
Marcellinum libri tees
persev. praed. SQ tJ c t .
De dano perseverantiae liber ad Prosperum et Hilarium sec undus
reiT.
sol.
Retractationum libri duo Sermones Ad Simplician um lihri duo Soliloquiorum Iihri duo
spir. et litt.
De spiritu el littera ad Marcellinum liber unus
trin.
Oe trinitate libri quindecim
vera rel.
De vera reli gione liber unus
vid. deo
De videndo deo tiber unu s =
uNI. credo
Oe utilit ate credendi tiber unus
s. Simpl.
De praedes tin ati one sanctorum liber ad Prosperum et Hilarium primus
ep. 147
2. Weitere Siglen
a) Zeitschriften, Serien, Quellenwerke
AL
Augustinus- Lexikon. Hg. v. Co rnelius Mayer. Basel: Schwabe 1986 ff.
CCL
Corpus Christianorum seu nova Pat rum collectio sero Latina. Turn hout: Brepols 1953 ff.
CCM
Corpus Christian orum . Continuatio Mediaevali s. Turnhout: Brepols 1966 ff.
CSEL
Corpus scriptorum eccles iasticorum latinorum. Wien 1866 ff.
DH
Kompendium der Glaubensbekenntnisse und Kirchlichen Lehrentscheidungen. Hg.
V.
Heinrich Denzinger. Peter Hünermann. Freiburg: Herder
3'1991.
MFCG
Mitteilungen und Forschungsbeiträge der Cusanusgesell schaft. Zuerst Mainz: Matthias Grünewald. dann Trie r: Paulinus 1961 f[
PG PL
Patrologia graeca. Hg. v. Jacques Pau l Migne. Paris 1857-1866. Patro logia lat.ina. Hg. V. Jacques Paul Migne. Paris 1841- 1864 [Neudr. Turnhout: Brepols).
sc
So urces Ch retiennes. Hg. v. Henri de Lubac, Jean Danielou. Paris: Cerf
WA
1941ff. >Weimarer Ausgabe(. Martin Luther: Werke. Kritische Gesamt ausgabe. Weimar: Böhlau 1883 f(
SI GLENVERZE I C HNI S
b) Abkürzungen von in den Beiträgen zitierten Quellen bzw. Ausgaben AA
ADI
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CDH ChrMag ChrMed
co mm. Rom . DecPrae Dl
DOllSpir DVS
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11 KrV
Libell", LW M
NE Ord p RedArl 5.111.
scito Senl
Soli SwL
Illeol. '.b. Tlisculum WA
WAB WAT WuM
>Akade mie-Ausgabe<(lmmanuel Kant) Apologia doctae igno rantiae (N ikolaus von Kues) De areha Noe (Hugo vo n SI. Viktor) Breviloquium (Bonaventura) Cur deus homo (Anseim von Canterbury) Christu s unus omnium magister (Bonaventura) Sermo Christus Mediator (Bonaventura) Commentaria in Epistolam Pauli ad Romanos (Abaelard) Collationes de decem preaceptis (Bonaventura) Oe docta ignorantia (Nikolaus von Kues) Collationes de septem donis Spiritu s S. (Bonaventura) Oe venatione sapientiae (Nikolaus von Kues ) Deutsche Werke (Meister Eekhart) Fides et Ratio (Johannes Paull!.) Postilla in Iibrum Geneseos (Petrus Johannis Olivi) >Heidelberge r Ausgabe<(N ikolaus von Kues) Kritik der reinen Vern unft (lmmanuel Kant) LibeUus de formatione arehae (Hu go von SI. Viktor) Lateinische Werke (Meister Eckhart) Monologion (A nseIm von Canterbury) Nikomaehisehe Ethik (A ristoteles) Ordinatio (Johannes Duns Scotus) Proslogion (Anse1m von Canterbury) Oe Reductione artium ad theologiam (Bonaventura) Summa theologiae (Thomas von Aquin ) Seito te ipsum (Abaelard) Senten zenkommentar (Thomas von Aquin) Soliloquium (Bonaventura) Suche nach dem wahren Leben (Augustinus) Theologia . Sum mi boni < (Abaelard) Tusculum-Ausgabe der Confession es (Augustinu s) >Weimarer Ausgabe<(Martin Luther) >Weimarer Ausgabe<: Briefe (Martin Luther) >Weimarer Ausgabe<: Tischreden (Martin Luther) Wahrheit und Methode (Hans-Georg Gadamer)
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Quellen- und Literaturverzeichnis bearbeitet von Theresia Maier
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1.
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von Rom) 7. 85.
101 ,
103 f.
Agapet .8 Albe rt, Karl .62 Alexander von HaIes
Bellarmin, Robert 241
BeIleIli, Fulgencio 9, 238, 242 f.
Büchmann, Georg 194 Buytaert, Eligius Mariae
Benjamins, Hendrik S. 85[,
72,75 Buzius. Hieronymus Maria
93
Alkuin 5.32,177 Alveldt, Augustin von
Berarducci. Silvia Cantelli 33 Bernhard von C lairvaux
221
Ambrosius 16,21, 25 . 29. 87.
den 180
Brower, 'e/frey E. 74 Bucher, Theodor G. 63
Bennet!, 'im 85 108
Brincken, Anna·Dorothee v.
(Heiliger) 58,77,80, .85 f. Berti. Gianloren zo 9. 238.
238,245
Cajetan, Thomas (Kardinal) 2.8
C alvin, Johannes 237
Berube. Carn ille 121 Be rtelsmeier·Kierst, Christa
Cam initi. Francis N. 198 Ca mus, Colette 20, 22 Cano, Melchior 130
'78 Beutel, Albrecht 212,215. 220
Cararnello. P. 240 Carn utensis, Bernardus 211
Bisconti, Fabrizio 13 Blaumeiser, Hubertus 212
Cassiodor 5. 25-28, 35
Apollinaris Sidonius, Gaius SoHills 18
Blumenberg, Han s 202, 205,
Celan, Paul '94
Aristoteles 4. 7. 55. 65.105 -
BohLitz, Hartrnut 85-87. 93
Ceyssens. Lucien 233 Chartres, Bernhard von 211
Bocxe. Winfried 246
Cicero 43,65
Boethius 15. 65. 195 Bonaventura. Johannes (Johannes Bonaventura) 7 f.,
Classen, Peter 178
.85 Andaloro. Maria 13, 15
243 - 247
Anselm von Laoo 75 Anselm von Canterbury 6, 37.40,48, 52f., 61, 63. 66. 76, 105.143
Anzenbacher, Arno 67
115.110,125.118 - 130,141
f. .
'44, '46f., '50f., '57, '75, .80, 102, 2 0 6
f.,
222
Averroes 141,165
209
Avicenna 141
42 . 68.100. 105- 127. 198- 201,
Avit 5.21- 23
208f. Bo ni fatius VIII. (Papst) 101f.
Bacon, RageT 115. 1l9- 121, 125
Bo rger. Gabriele 217 Boros. Ladislaus 42
Baius (Bajus), Michael 9, 226,134. 237 f., 240 f., 243
Balt zer. Otta 4
Barack, K. A. •89 Baron. RageT 93 Barth, Kar! 53.243 Basilius 25 Basso. Emm3 dei 94. 97
Borst. Arno 99 f. Bötlrich. C hristfried 85, 87 Bougerol. Jacques 105f., 110- 112. 118 Brachtendorf, Johannes 8, 12, 72, 157 f., 166 f. , 171, 183 Breuning, Wilhe1m 134
Cazier. Pierre 30
Claudius Marius Victorius 5. 20 f.
Claudius von Turin 5,31 - 34. 36 Clemens (von Alexandrien) 42
Clemens IV. (Papst) 119f. Clerck, D. E. de 76 Co h n. Norman 85-87 Co li sh, Marcia 4 C ourtenay. Williarn J. 243 Courth. Fran z 136, 138 C rause. Robe rt D. 34 Cy prianus 87
280
ANHANG
Danielou. Jean 86 Dassma n n, Ernst 45 Decret,
Fran~ois
88
Delbrueck, Richard 15 Delius, Hans Ulrich 215 Denifle. Heinrich Suso 211
Fontaine. Jacques 29 f. Fortunatus. Venantiu s 20.
Gross, Julius 78f. G rote. And reas E. J. 6
26. 82 Fox, Michael 32
Guido le Gros (Kardinal) 119 Gutierrez. David 10 1
Fransen. Paul -Ire nee 24 f. Franziskus von Assisi (h l.
Descartes, Rene 10.63,69
Franziskus) 7. 105- 107. 114.
Hadot . Pierre 59 Hagen. Kenneth 220
Dickinson, Emily 225
116 f.• 119 f., 122. 125
Halporn. ]ames W. 26f.
Diet rich von Freibe rg 157.
Fried. Johannes 178
Harn. Bertrand 85
165 f. Dionysius Ps.-Areopagita
Fu h rer. Therese 51
Hamesse, Jacqueli ne 180.
Fu lgencio Bell el li 9.238
(Dionysios) 122,128,200,
206 Hamm , Marlies 179
240 D'Onofrio. Gi ulio 39
Gada mer. Hans-Georg 2
Han key. Wayne]. 128
Gäde, Ge rhard 48.53. 68
Dracontius 5, 20 , 22
Gaunilo 63.69
Hattrup. Dieter 3. 7.59. 105, 107, 116. 121
Drecoll. Volker Henning 19
Gee rlings. Wi lhelm 5. 19 f..
Haubrichs. Wolfgang 178
Dreyer, Mechthild 40
Hecquet-Noti, Nicole 22f.
Dulaey. Martine 86 f.
41, 96 Ge rson. lohan nes 116.
Dumont, Paul 248
Gilberl. Pau l 54
Duve rgier de Hauranne.
Gil t. Meredith J. 4
Heinrich von Gent 7. 141-145.
Gilson. Etien ne 42.105 f.,
147. 149 f., 152, 155, 165 Heinz le, Joach im 178
lean 226
108- 110, 112. 120. 141, 198 Glauni ng. OUo 182
Heinrich von Brau nschweigWolfenbüttel (He rzog) 218
Helinand von Froidemont
Eadmer 55 Eg ino von Verona 16
Gnädi nger. Louise 190
Ehlers, Jo.c him 97
Göbel, Ch ri stian 6, 59. 64,
Eh rl e, Fran z 98 f. Eij l, Consta nt van 235
68 Goebel. Bernd 61
Elders, Leen J. 127 f.
Go rma n. Michael M. 23.25.
Elm. Kaspar 101 Em ser. Hieronymus 22of.
31- 34 Gott scha II. Dagmar 179
Enders. Markus 49
Gouh ier. Henri 235
Eugipp (Eugipp ius) 5.22-25.
Grabmann. Martin 40.43.
28, 33-35 Erasmus von Rotterdam 5
50- 52.58 G rane. Leif 215
Eva 35
G rassi, Onorato 38
Hoffmann. Manfred 22f.
G ray. Douglas 24 G regor der Große (PapSl)
Hoffmann . Tobias 153
4 f., 16, 28 - 30, 35 f., 93. 97. 122, 178 f.. 185 f.• 192 f. Gregor vo n Elvira 87
Holte. Ragnar 47 Horna n n, Eckard 101 Ho n nefelder, Ludger 129.147
G regor vo n Ri min i 238, 243 G regorius. lllibe rrit anus
Horaz 18, 121 Ho rn , Chri stoph 12,195 Hovingh, Pieter F. 21 Hrabanus Mau ru s 5.33,34
Fasola. Umbe rto M. 15 Fa ustu s 88, 120 Fischer, Bonifat ius 21 Fischer, No rbert 1-4, ll , 56 f. , 60, 64, 67. 117. 181, 183 Flasc h. Ku rt 4 1.78. 166 Flavius Josephus 35 Fliethmann. Thoma s 7
87. 179 Greschat . Katharina 28 f.
181 Herrman n, Fried rich-W ilhelm von 10 Hertling. Georg Graf vo n 127 Hieronymus 16, 29.31.33.75 , 87. 99 , 120. 130, 181, 185 f.. 220 f., 238 Hiob 28. 77. 185, 206 Hödl, Ludwig 98 Hoffmann , Andreas 37
Hogg. David S. 39
NAMENREGISTER
Hugo von St. Viktor 6.85 . 93 . Karfikova. Lenka 6 Kar! der Große 5. 16,31 103 f.• 122 Hugo von Tri mbe rg 8. 183f., Kaufman n. Thomas 212 Kelly. Joseph F. 3' 186. 194 Hünerman n. Pe ler 130 Kemeny. Pa ul C. 78 Kienzier, Klaus 40 f. Hunger. Herbert 180 Ki rchne r, }oachim 16 ls idor von Sevilla 5.29 - 33, 35.93 Italiani. Claudia 32 Jacob van Maer!ant 182 }ansen. Corneli us (Jan senius, Cornelius) 4. 9 f.. 215-232. 234 f.• 24 ' f.• 247 Janson. }akobus 226 Jaspers. Ka r! 10 Jesus Chr ist us (Ch rist us. Jesus) 40. 45 f. . 56. 59 f.. 68. 76.86.88 f.• 91-93. 95- 98. 100. 102 f.. 106, 116. 167 f.. 170 f.. 198. 219. 226 f.
Joachim von Fiore 98.100, 119 Johann Gottfried '93 Johann es D uns Scotus 7. 141 f., 147- 155.245
Johan nes Scotus Eriugena 5.33 Johan nes Pauill. (Papst) 6. 37 f. Johan nes Chr ysostomus (Heilige r) 87.185 Johannes von Salisbu ry 211 Jolive t, }ean 72.77 Ju lian von Aecla nu m 5.12. 82 Jungmann, Be rnh ard 235 Ju stin I Justi nus 42.86 Kai ser. Alfred 249 Ka nn. Chri stoph 143 Ka nt. Imman uel 5.10,37.54. 56.63
Koch. losef 101. 157 Kola kowsk i, Leszek 235 Köpf. Ulric h 127. 13 1 Korsch, Dietrich 212 Köster, Hein ri ch 243.247 Kötting. Bernhard 96 Kreuz. Gottfried Eugen 20- 22
Krotz. Elke ' 77 Krüge r, Elmar 101, 103 Küh n. Ulrich 212 Lad ner. Gerh art B. 14 Lambe ri gts, Math ijs 12, 237 Lambert , David 19 La mirande. Emilie n 88 Lange va n Ravenswaay. J. Marius 237 La ngosc h. Ka r! 186 La rgier. Niklaus 190 Lauer. Ph ilippe 13. 14 Leclercq. Henri 85 Leh mann. Ka r! (Kard ina l) 212 Lehman n. Pau l 182 Lemmens, Leonhard 107 Leo de r Große I Leo 11 1. ' 3. 16 Leo XII I. (Papst) 107 f. Leppi n. Volke r 212 Leri nul11 , Vinzenz von 221 Lesaulnier. }ea n 235 Lett ieri, Gaetano 234 f. Lewis, Jack P. 86 Lieser. Ludwig 181 Lodewijk van Velt hem 182 Lohse. Bernhard 211.215 f.
281
Löser. Freimut 183 Lubac, Henri de 95. 234 f.• 237.242 f.• 248 Luchterhandt. Manfred 13 Luijk, Benigno van 238 Lü tcke. Karl-He inrich 45 Luther. Mart in 4f..8 f. . 211-223.230, 237
MacFa riane, Katherine N. 29 f. Ma1colm. No rm an 63 Malet. Andre '37 Mandelbrote. Scott 85 Mann. Hein rich 177. 194 Mann. William E. 81 Ma nste tten. Re iner 162 Marrone. Steven P. 143 Marti n-Palma, lose 237.243 Martinez de Ripalda. Juan 10.248
Marx. Jakob '95. 197 f.. 206 Ma rx. Ka rl 229 Ma tthews. Ga ret h B. 59 Matt ke. Christiane 16 May, Gerh ard 12 Mayer, Cornelius 88 Maxsein. Anton 44 McGin n. Be rn ard 59 Meier. GabrieJ 192 Meister Eckhart 8,58, 157. 162, 172. 175. 181, 18). 190- 192
Menh ardt, Herman n 177 Messinese, Leona rdo 67, 69 Metz, Wilhelm 127,130 Mews. Constant}. 72 f.• 76. 78-80. 82 Meyer, Albert de 235 Möhle. Hannes 7 Mojs isch. Bu rkhard 165 Molina, Ludovikus 235,239 Mora n. Dermot 34 Mortag ne, Walter von 77
282
ANHANG
Moses 87,92, 96 Mostert, Wa lter 220 Moussy, Claude 20, 22 Mühlen, Kar! Heinz zur 2 11. 116
Pesch, Otto Hermann 211, 111
Peter Abaelard I Petrus Abaelardus 4 . 71- 83 Petrus Lombardus 4f.. 10, 106. 198f.
Naab. Erich 9. 245, 248 Na rd in, Roberto 48,58 Neddermeyer, Uwe 182 Neuma nn, Hans 192 Neuma nn, Uwe 41 Neveu, Bruno 238 Nicki. Peter 98 Nietzsche, Friedrich 49 Nikolaus von Kues (Cu sa· nus) 8.68. 173.195-198. 20 1-209
Noah 6, 85- 96. 99, 101- 104 Nodes, Daniel D. 21 Nolte. Josef 119 Noris, En ri co 9, 238 f. , 242 ff.
O·Daly. Gera rd J. P. 91 O·Loughlin. Thomas 19. 29,36
Orcibal. Jeall 115 f.• '33. 135 Origenes 19 f.. 75. 86 f.. 91 f.• 95. 99. 131
O'Rourke, Fran 128 Olt. Ludwig 93 Oudin, Remy 121
Petrus Johann is Oliv i 7, 85 . 98 f.• 103 f. Petrus (Apostel) 16.99 Pfnür. Vinzenz 212 Ph ilo von Alexandrien 86 Pickave, Mart in 142 Piron. 5ylvain 99 Platon 1 f. , 10 , 55, 112 f.. 128 , 131,1 43 . 195,198
Plot in 117.165 , 171 , 174 POirel, Dominique 93,97 Poil mann, Karla 5 f.. 19 f., 15 f.
Portalie, Euge ne 24 2 Possidius 1 f. . 5. 20 Proba '3. 197 Prudentius 18, 23 Quesnel, Pasquier 238 Quodvultdeus 15
Ra hner. Hugo 85 f. Ra hner, Kar! x, 63, 200, 249 Ratzinge r. Joseph (Benedikt XV I., Papst) 108 . 110,120, 199
Packull. Werner 98 Pa lmieri , Domen ico 249 Pannenberg. Wolfhart 212 Paravicini Bagliani, Agostino 103
Pasnau, Robert 98 Pasztor, Edit h 98 Paulus 17. 33. 37.43.5 1f.. 77. 92 , 116, 159. 168 f.. 199, 216 f. Pea no, Pierre 98 Pelagius 75, 120, 2 15. 237 PeppermüJler, Rol f 75 f.. 80
Recktenwald. Engelbert 61 Remigius von Auxerre 6. 34-36
Renwart. Leon 51 238. 244 Rettne r, Arno 14 Rieger. Reinhold 37, 4 1 Ripa lda, Juan Martinez de 10, 248 f.
Ritter, Joachim 198 Rojo, Fernando 238 Röd. Wolfgang 63 Rohls. 'an 63
Roscelin 73 f. Rosenplenler. Lutz 185 f. . 194 Rudolph. Conrad 94. 98 Ruh . Kur t 177, 182. 189 f.. 193 f.
Ruta, Carlos 194
Saint-Cyran (Abbe ) 116. '35 SaJisbur y, Johannes von 211 Salomo 124,205 Salvian vo n Marseille 5, 20 Scarpelli , Therese 106 Schaber. Johannes 1 Schmaus. Michael 72, 138 Schmid . Alexa nder 202 Schmidbaur, Hans Christian 137
Schmidt. losef 63.65 f. Schmidt. Peter L. 19 Schmidt· Lauber, Gabriele 117
Schmidt ke. Dietrich 184 Schmidtke. F. 85 f. Schm it t, Franciscus Sa lesius 39. 41f.. 48
Schnarr. Herman n 8.208 Schönberger. Rolf 11.66 Schrimpf. Gandolf 33 f. . 63 Schuler. Stefan 180 Sch wie nhors t. Schön berge r, Ludger 11 Sciuto. Italo 57. 59. 61 Seckler. Max 47. 51. 58 f. Sellier. Philippe 115 Senofonte. Ciro 235 Shelton. Kath leen I. 19 Sicard, Patrice 93- 95 Sieben, Hermann·Josef 10. 139
Sikes, Jeffrey Garrett 74. 76, 78. 80
Simon is, Walter 75 Simplicianus 79 Sirmond, Jacques 239
NAMENREG ISTER
Sm.lley. Beryl 8) Smolinsky. Heribert Söder, Joachim 152 Sodin i. Jean · Pierre
Thomas von Aquin 5.7.52, 221
I)
Sokolovski. Richard 9
Sakrates 68,74. 205 Solignac. Aime 110
Staats, Reinhart
Wandalbert von Prüm 21
120,127- 139,141, 162f.. 212,
Weigand, RudolfKilian 8, 180 - 184. 186
238,240, 243 Thomas von Morigny 78- 80, Thomasin von Zirkli:ere 179,
221
Waiden fels. Hans 40,59
63.67. 99. 101,108.114. 117.
82
Southern. Richard W. 37.41, 52 f.• 61. 69 Spaemann, Robert 111 Squire. Aelred 94
283
Weischedel. Wilhelm 45 f.• 51. 62. 67 Weisser. Patrick 63 Weingart, Richard E. 76,80
185 Trimole. Bonaventura 121
Weiske, Brigitte 186 Wenck von Herrenberg,
Obinger. Joh.nnes 196-198 Utenbroeke. Philip 182
Johannes 8. 197 f. Wendebourg, Dorothea 212 Wernicke, Michael Klaus
Stake meier, Eduard 237
2)8f.• 24 2 f.
Staupitz. lohann von 9.214.
Valentini. Donato 58
222 Steenberghen, Fernand Van
Van Fleteren. Frederick 45
Wigbod 5. )1- )4
Vanneste, Alfred 235
Wilde, Mauritius 164.167.
Varro 18
10 9
171
Steer. Georg 179, 192 Stegmüller, Friedrich 4 Stehm.nn. Wilhe1m 189 Stock. Bri.n 35 Stöhr, Johannes 249
Verweyen. Hansjürgen 37
Stolz. Anselm
52 f..
61. 6)
Vazquez. Gabriel 249
Wilhelm von Champeaux 76
Venantius Fortunatus 20,26
Will.ert. Leopold
Verbeke. Gerard Vergil 29
Williams, Thomas 76.80
80
WiUiams , Ulla 192
Wilpert. Joseph 1)- 16. 18 Wind horst. Christoph 212
Stoße. Martin W. R. 239. 244
Vessey. Mark 25.27 Vetter. Ferdinand 189f.
Störmer-Caysa. Uta 183
Vignaux, Paul 110
Wood. lan
Studer, Basil 12,47
Vinke, Rainer 211
Worst. Hans 218
Sturlese. Loris 189
Vinzenz von Beauvais
Worstbrock, Franz-Josef 193
180- 183. 192
Wolff, Etienne 71 22 f.
Wriedt, Markus 212. 214 .
Tabanelli. Giovanni 13. 17
Vizkelety. Andras 193
Tamburini . PietTo 239.244
Vogl . Heidemarie 191
TauleT. Johannes 8, 189 f., 222 TeSelle. Eugene 45 f.• 59 f. Teske. Roland f. 19.242 Thomas Cajetan de Via 240
Vollmann-Profe. Gisela 192
Zacharias (Papst) 13
Voorbij. Johan B.
Zahl ten, Johannes 21
Vorster. Hans 212
180
220,237
Zinn . Grover A. 93 . 95. 97f. Zumkeller. Adolar 101