Tatsachen 303
Erwin Bekier
Auf der Spur der roten Steine
ISBN 3-327-00443-9 2.Auflage, 1987 © Militärverlag der Deut...
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Tatsachen 303
Erwin Bekier
Auf der Spur der roten Steine
ISBN 3-327-00443-9 2.Auflage, 1987 © Militärverlag der Deutschen Demokratischen Republik (VEB) - Berlin, 1969 Umschlag: Karl Fischer
Für die Welt war es ein Geheimnis. In Moskau und Leningrad wußten zuerst nur etwa zwei Dutzend Menschen davon; in Sibirien nicht mehr. In der kapitalistischen Welt kannte man einige der zwei Dutzend Leute aus Leningrad und Moskau und verfolgte aufmerksam deren Tätigkeit, soweit es möglich war. Von den übrigen in Sibirien ahnte man nur. Doch genauer gesagt: Man wußte nichts! Weder von den einen noch von den anderen. Aus diesem Grunde wurde den Vertretern der Sowjetunion auf den internationalen Diamantenbörsen abrupt mitgeteilt: »Die Sowjetunion ist vom Bezug der Rohdiamanten ausgeschlossen. Diamanten gehören ab sofort zu jenen strategischen Rohstoffen, deren Export in die Sowjetunion verboten ist.« In Moskau und Leningrad erfuhr man davon fast zur selben Stunde; in Sibirien etwas später. Von allen Menschen, die direkt mit dem Geheimnis zu tun hatten, fühlte sich der Hilfsarbeiter einer Expedition, Juri Chabardin, am wenigsten von dieser Nachricht betroffen. Vier Wochen Marsch durch Sumpf, Unterholz und oft genug auch im Wasser steiniger Flußbetten hatten von den dicken Sohlen seiner Gummistiefel einen hauchdünnen Belag gelassen. Schon seit Tagen hatte er das Gefühl, barfuß über die Kiesel zu marschieren. Heute konnte er »Wassereinbruch« melden. Die nassen Fußlappen hingen zum Trocknen an einem Ast in der Nähe des Lagerfeuers. »Wenn jetzt nicht die Mücken in Ohnmacht fallen ...«, scherzte einer der Gefährten. Es war die Zeit, da die Sonne auch um Mitternacht nur kurz unter dem Horizont versank und gleich darauf wieder aufging; die Zeit der Mücken. Diese unerbittlichen Quälgeister stürzten sich in dichten schwarzen Wolken auf die Geologen; während des Marsches und bei der Arbeit und sogar jetzt, trotz der beißenden Rauchschwaden und Juris Fußlappen ... Die Männer husteten, rückten aber nicht aus dem Qualm. Wenigstens die Abendsuppe wollten sie ohne Mücken essen. Juri Chabardin überklebte die Risse in seinen Stiefeln mit Heftpflaster. Er hörte kaum
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auf die Gesprächsfetzen, die sein Ohr erreichten. Von irgendeinem internationalen Diamantenkonzern war die Rede: de Beer. Was Juri viel mehr interessierte: Über Funk waren neue Stiefel angefordert worden, aber kein Flugzeug ließ sich blicken. Die nächste Verproviantierung sollte in drei Tagen sein, so lange würde er wohl noch auskommen müssen. »Kunyzin hätte sie mir längst mit einem Fallschirm abgeworfen! Erinnert ihr euch noch? Vor einem Jahr hatte sich unser Koch die Wattejacke verbrannt, da war der Erbsensack im nächsten Proviantlager noch in eine Jacke eingewickelt.« Juris Bemerkung paßte nicht in das Gespräch der Männer, aber unwillkürlich nahmen sie die Worte auf. Seit drei Monaten, seit der Nachricht, daß der Flieger Innokenti Kunyzin vermißt sei, erinnerten sich alle bei jeder sich bietenden Gelegenheit des hervorragenden Piloten und Kameraden. Er hatte vieles möglich gemacht, jetzt schrieb man ihm auch das Unmögliche zu. Er hätte ... Heute war über Funk die Nachricht gekommen: Innokenti Kunyzin ruht in der ewig gefrorenen Erde. Das erste Opfer der Expedition, ein Enthusiast seines Berufes und der Aufgabe, die diese Männer jetzt weiterführten. Der Leiter des Suchtrupps, Professor Grigori Fainstein, sagte nachdenklich: »Kunyzin ist nun doch an der Front gefallen.« Einige hoben erstaunt die Köpfe, doch aus den folgenden Worten verstanden sie, was er meinte. »Dieses Embargo ist eine echte Drohung für unser Land. Die Imperialisten wissen, daß die Uraler Vorkommen an Diamanten bei weitem nicht die Bedürfnisse unserer Industrie befriedigen. Sie haben es immer gewußt und die Preise hochgeschraubt oder zu bestimmten Zeiten Abmachungen einfach annulliert, aber dieses totale Embargo schafft eine völlig neue Situation.« »Denen paßt es nicht, daß unsere Wissenschaftler die Zusammensetzung der Atombombe erforscht haben«, warf einer ein. Nach Ansicht einiger bestand ein Zusammenhang zwischen diesem Embargo und anderen Maßnahmen der Westmächte im sogenannten kalten Krieg. Juri lauschte aufmerksam; noch im vergangenen Jahr hatte er geglaubt, Helfer bei einer gewöhnlichen geologischen Expedition zu
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sein, doch langsam änderte er seine Ansicht. »Wozu brauchen wir denn den blitzenden Stein?« fragte der alte ewenkische Jäger Kaplin. Er konnte nicht lesen, achtete aber darauf, daß die Funkerin keine Nachrichtensendung ausließ. Die Weltereignisse kommentierte er mit klarem Verstand, als läse er Fährten in der Taiga. Fainstein fand die passenden Worte, um dem Ewenken zu erklären, wozu man Diamanten benutzte. »Der Diamant bearbeitet die härtesten Werkstoffe. Er schleift Linsen, zieht hauchdünne Fäden aus seltenen Metallen, und sogar Fallschirmseide entsteht mit seiner Hilfe.« »Das ist wichtig«, bemerkte Kaplin. »Früher waren wir machtlos gegen Waldbrände, jetzt kommt die Feuerwehr aus der Luft.« Juri Chabardin hörte interessiert zu, denn er hatte schon oft bemerkt, daß Fainstein auch nach den anstrengenden Märschen und stundenlangen Laborarbeiten im Zelt nie müde war, auf die Fragen der Ewenken oder Jakuten zu antworten. »Der Diamant hat sich fast alle Industriezweige erobert, und er wird neue Industriezweige schaffen, die nur mit diesem Rohstoff erfolgreich aufgebaut werden können.« »Aber wir haben das ganze vergangene Jahr gesucht und nichts gefunden.« Juri sagte es voller Bitterkeit, mehr zu sich als zu Fainstein und zu den anderen. Doch plötzlich riß jedes Gespräch ab. Alle hatten seine Worte vernommen. Fainstein stand auf. »Was glaubst du, wofür unsere Forscher ihre Theorie der Gleichheit zwischen dem Südafrikanischen und dem Sibirischen Plateau erarbeitet und verteidigt haben? Nur weil wir Diamanten brauchen und nicht haben? Nein, weil wir sie haben und finden müssen. Und wir werden sie finden, weil wir sie brauchen!« »Verbindung, Verbindung!« schrie die Funkerin. Diesem Ruf unterwarfen sich alle. Das Hauptlager meldete weitere Nachrichten von den beiden Suchgruppen nach dem Flieger Kunyzin. Der Expeditionsleiter Odinzow hatte Suchgruppen mit Rentieren ausgesandt, als Flugzeuge zwar das Wrack der notgelandeten Maschine, aber keine Spur des Piloten und seines Begleiters gefunden hatten. Die beiden waren Hunderte Kilometer in die wildeste Taiga gelaufen, warum,
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blieb vorläufig ein Rätsel. Den Überlebenden hatten ewenkische Jäger bewußtlos neben dem Toten auf einem Floß gefunden und in ein Krankenhaus gebracht. Fainstein sagte: »Im nächsten Jahr werden wir in das Gebiet kommen, wo Kunyzin verunglückte. Wir werden ihm einen Grabstein setzen.« »Und einen Diamanten nach ihm nennen«, rief die Funkerin. »Nicht den ersten besten, einen, der seiner würdig ist«, ergänzte ein Geologe. Mittsommernacht. Der längste Tag des Jahres. Jetzt lagen die Männer in den Schlafsäcken. Die Funkerin schlief, warm eingehüllt, halb im Sitzen neben ihrem Gerät. Chabardin hielt die erste Wache. Am Horizont loderte es auf wie bei einem Waldbrand. Gleich würde die Sonne wieder aufgehen. Chabardin warf ein paar Äste in die Glut. Die Flammen ließen die Gesichter der Geologen erkennen. Juri Chabardin erinnerte sich an den Tag, an dem er diesem Mann vor einem Jahr, im Juni 1947, begegnet war. Ein Zufall wollte es, daß er Grigori Fainstein traf. An jenem Tag half Juri Chabardin, wie schon so oft, im Flußhafen von Kirensk beim Ausladen von Lasten. Ein kleines Flugzeug war unmittelbar am Kai gelandet, der Pilot half einem Mann, eine Kiste in die Maschine zu heben. Juri griff mit zu. »Darin ist ein Röntgengerät, unser kostbarstes Instrument«, erklärte der Mann. Es war Grigori Fainstein, und als Juri ihm in der Frühstückspause von sich erzählte, rief er: »Wollen Sie mal in unsere Arbeit reinriechen? Uns sind zwei Hilfskräfte ausgefallen. Aber Sie müßten gleich mitfliegen.« Juri schaffte es gerade noch, sich von den überraschten Eltern zu verabschieden. Der Pilot Kunyzin überschrie den Fluglärm: »Du fliegst wohl zum erstenmal? Keine Sorge, wirst dich schon daran gewöhnen!« Juri Chabardin konnte sich nicht vorstellen, daß man sich an solch einen Anblick gewöhnen sollte. Er kannte die Taiga; schließlich war er doch in Kirensk geboren. Er war im Sommer auf der Lena mit dem Boot gefahren und im Winter mit Skiern und Rucksack weit in den Wald gelaufen. Er kannte sich mit den Tierfährten aus. Im letz-
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ten Kriegswinter hatte man ihn sogar als Helfer in einen Jagdkolchos geschickt. Doch nie hatte er die Taiga so wahrgenommen wie bei diesem Flug. Der sibirische Sommer hatte gerade begonnen, und der unüberschaubare »Waldozean« überraschte ihn durch seine vielen Schattierungen. Wieviel Grüntöne es doch gab! Das Flugzeug flog dreihundert Meter hoch. Juri konnte es am Höhenmesser ablesen. Auf Kunyzins rechten Oberschenkel war eine Kartentasche geschnallt. Darin lag ein Buch! Ja, ein Buch! Er blätterte zuweilen die Seiten um. Er flog und las! Das war ein Militärflieger! Was der erlebt haben mochte! Der Himmel war so blau, wie Juri ihn nicht kannte. Die glühende Sonnenscheibe schien zum Greifen nahe. Die Luft war wärmer als unmittelbar über der Erde, die den ganzen Sommer die Kühle des Frostbodens abgab. Birken, Lärchen, Tannen, Fichten, Moorwiesen, Sümpfe, Seen, Flüsse, ein Tal, eine Brandstelle. Juri überlegte, wieviel Zeit notwendig war, zu Fuß um diesen See herumzukommen, diesen Fluß zu überqueren, jenen Sumpf zu bezwingen. Kleine Wolken brachten mit ihren Schatten Abwechslung in die sich ständig verändernde und doch immer gleichbleibende Landschaft. Eigenartigerweise entdeckte er kaum Wild. Nur einmal hetzte ein Schatten auf langen Stelzfüßen durchs Buschwerk; ein Elch. Und eine Zeitlang schwebten Kraniche lautlos mit trägem Flügelschlag neben der Maschine. Um die Mittagszeit begann das Flugzeug zu tanzen. Die Windfetzen waren abwechselnd kalt und heiß. Kunyzin konnte nicht mehr lesen, er zog die Maschine etwas höher, aber die ungleichmäßig erwärmte Luft ließ sie immer wieder versacken. Schließlich stolperte das Flugzeug regelrecht durch die Luft. Kunyzin beugte sich vor, seine Augen suchten etwas. Ob sie sich endlich ihrem Ziel näherten? Der Pilot schrie: »Wir landen!« Kunyzin brachte die Po-2 auf einer kleinen Lichtung herunter. Juri sah an den Spuren, daß der Pilot hier nicht zum erstenmal eine Zwischenlandung machte. Er entdeckte die Reste eines Lagerfeuers und fand schließlich sogar ein Jagdmesser. Der Flieger staunte. »Was du alles siehst und findest! Ich habe drei Stunden nach dem Messer ge-
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sucht!« Ein großer Fährtensucher war dieser Flieger nicht, aber aus der Luft war ihm die Taiga vertraut wie den Kranichen, die ihnen begegnet waren. Später, als Kunyzin schlief, schaute Juri in die Kartentasche. Er fand nur das Buch. »Leitfaden der Mineralogie« stand auf dem Umschlag. »Studieren Sie auch Geologie?« Nur einen Augenblick zeigte Kunyzin seine Verlegenheit, dann erhielt Juri Chabardin seinen ersten Unterricht in diesem Fach. Später im Hauptlager, als die Expedition in drei Suchtrupps geteilt wurde, schenkte ihm der Flieger dieses Buch. »Hier nimm, ich bin schon im zweiten Semester sozusagen, aber mach mir keine Schande.« Fainstein erwachte aus alter Gewohnheit, ohne geweckt zu werden. Die Sonne stand schon wieder hoch über den Baumwipfeln. Er hatte die dritte Wache. Vorsichtig schritt er über die Schläfer hinweg, um sich am Bach zu erfrischen. Es war kühl. Juri Chabardin lag halb aufgedeckt, neben sich ein Buch, zerlesen und unansehnlich. Fainstein erkannte es. Es stammte aus seiner Handbibliothek. Man muß dem Jungen die Fortsetzungen besorgen, dachte er und notierte es neben der Eintragung: Gummistiefel nicht vergessen. Diamanten wurden auch im Jahre 1948 nicht gefunden. 1949 verteilte der Expeditionsleiter Odinzow abermals seine Abteilungen über ein Gebiet, das der Fläche einiger großer europäischer Staaten gleichkam. Juri Chabardin blieb Grigori Fainstein zugeteilt. Noch während der Wintermonate wurde ein Stützpunkt an der Tschona, einem Nebenfluß des Wiljui, eingerichtet. Flugzeuge konnten hier nicht landen, es war eine von verwittertem Urgestein zerklüftete Felslandschaft, durch die sich die Tschona ihren Weg bahnte. Vom Landeplatz der Flugzeuge bis zu den wenigen Fischerhäuschen der Siedlung Tschochtschoulu marschierte die Gruppe Professor Fainsteins mit ihren Rentieren zwei Wochen. Hunderte von Kilometern im Umkreis gab es keine andere Siedlung. Der ewenkische Jäger Konenkin hatte vorgesorgt. Als der Haupttrupp eintraf, lagen vor einer der Hütten gefällte Bäume, Bretter und alles Material, das zum Bau von Booten notwendig war. Arbeit gab es trotzdem noch genug.
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Sachar, ein junger Jakute, half den Geologen beim Bootsbau. Er galt außerdem als einer der besten Jäger weit und breit, und niemand kannte sich im Gebiet so gut aus wie er. Ende April lagen die Boote abfahrbereit, beladen mit Proviant und der notwendigen Ausrüstung. »Würdest du mitkommen?« fragte Fainstein. Der kräftige, große Sachar fand diese Frage überflüssig. »Natürlich, wer soll euch denn sonst als Lotse dienen?« Am zweiten Mai begann der Eisgang. Konenkin und Sachar fuhren im ersten Boot. Die Fahrt auf der Tschona führte meist zwischen beinahe senkrecht abfallenden Felswänden dahin. Oft ging es einen ganzen Tag, einmal sogar zwei volle Tage hintereinander, durch düstere Canons - steile, schluchtartige Täler -, so daß die Geologen das Gefühl hatten, durch künstlich geschlagene Tunnel zu schwimmen. Einige Male holten Eisschollen sie ein, ein anderes Mal löste sich vom Flußgrund so viel Grundeis, daß die Boote gleichsam darin erstarrten. In den letzten Maitagen wurde das Wasser träge. »Das kommt vom Gegenstrom des Wiljui«, erklärte Sachar und fügte hinzu, so etwas geschehe selten, nur in Jahren, da der Wiljui viel Hochwasser führe. Mit Segel und Ruder überwanden sie die Gegenströmung, noch ein Felsvorsprung, und der Wiljui lag vor ihnen; überraschend ruhig. Die Strömung erfaßte die Boote. Es gab keinen Widerstand dagegen, die drei Meter langen Ruder erreichten keinen Grund. Doch die Breite des Flusses betrug über zweihundert Meter, und seine niedrigen, von dichtem Wald bestandenen Ufer, mit schmalen Kiesstreifen am Wasser, ließen die Geschwindigkeit, mit der die Boote trieben, ungefährlich erscheinen. Schließlich waren auch fast alle Geologen keine Neulinge. Das ruhige Wetter, die kaum noch untergehende Sonne verwandelten den Wiljui in einen glatten, blinkenden Spiegel, und die Expedition glich einer Urlaubspartie. Besonders schön war die Reise am frühen Morgen. Die Sonne stand so niedrig unter dem Horizont, daß Abend- und Morgenrot ineinander übergingen und den dichten Nebel über dem Fluß färbten. Er wirkte wie rosa Zuckerwatte, kompakt wie eine Wand, dann löste sich der Nebel immer mehr auf, stieg etwas in die Höhe und verschwand. Am lasurfarbenen
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Himmel stand nicht eine Wolke, und was noch wichtiger war, über dem Strom nicht eine Mücke. Am Ufer glitzerten Milliarden Tautropfen in Spinriennetzen. Die Spinnen kamen mit den Mücken. Die Natur versuchte auszugleichen. Von der Flußmitte erschien dieses Bild märchenhaft schön, und Juri Chabardin dachte, so müßten auch die Diamanten funkeln, wenn es hier welche gäbe. Am Tage blieb ihm genug Zeit, sich in die neuen Lehrbücher zu vertiefen, die er während der Winterschulung in Irkutsk erhalten hatte. Wie lange würden sie noch auf dem Wiljui fahren? In der Schule hatte es einmal Streit gegeben wegen der Länge dieses Nebenflusses der Lena. Die Länge der Lena war in allen Nachschlagewerken mit 4270 Kilometern angegeben, aber der Wiljui war einmal 2110 Kilometer lang, das andere Mal 2435 Kilometer und in einem Reisebericht sogar 2 900 Kilometer. »Das Gebiet ist eben noch nicht kartographisch aufgenommen«, verteidigte der Lehrer die Verfasser dieser Angaben. »Die Lena kennen wir von Kirensk bis zur Quelle, und von hier bis zum Eismeer verkehren schon seit langem Schiffe, aber auf dem Wiljui gibt es unzählige Stromschnellen.« Schließlich maßen die Schüler selbst auf der Karte nach. Der Wiljui floß ja zuerst von Nordwest nach Südost und dann nach einem Knick westlich, nur am Oberlauf kringelte er sich etwas. Natürlich kam bei dieser Messung ein viertes Resultat heraus. Jetzt sah Juri Chabardin die »kleinen Kringel« am Oberlauf mit eigenen Augen. Die Kompaßnadel drehte sich ständig. Einmal ging es zwanzig Kilometer in östlicher Richtung, dann scharf zehn oder zwölf Kilometer südostwärts und nach einer Stunde geradewegs nach Nordosten. Der Fluß hatte eine Vielzahl von Windungen, aber im großen und ganzen floß er natürlich von Westen nach Osten. »Festhalten«, schrie Sachar vom ersten Boot. Es war aber nur eine Vorwarnung, sicherlich hatte er bemerkt, wie sorglos die bisherige Fahrt die Männer gemacht hatte. Sie hingen wie Juri ihren Gedanken nach, lasen, schrieben in Tagebüchern oder spielten sogar Schach. In der Ferne rauschte es, das Flußbett verengte sich auf siebzig bis achtzig Meter, die Ufer wurden steiler und felsig. Das Wasser drängte
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wuchtig durch diese Stromschnellen. Es brodelte und kochte, und doch erkannte Juri auf dem Flußgrund große weiße Felsbrocken. Sie waren durch die über sie hinwegrollenden Kiesel und sicher auch durch das Eis wie poliert. Am Heck der Boote standen jetzt zwei und drei Männer und steuerten. Nur bei Hochwasser konnten diese Stellen passiert werden. Auf einer Strecke von nur dreißig Kilometern ging es durch vier solcher Schnellen, dann verkündete ein Ruf Sachars wieder ruhige Fahrt. Alle Expeditionsteilnehmer waren froh, als die Aufforderung kam, das Ufer anzusteuern. Fainstein ließ das Lager unweit der Mündung der Achtaranda aufschlagen. Es war eine günstige Stelle, denn die Ufer der Achtaranda und auch des Wiljui wiesen einst Böschung auf, die ihre Untersuchungen erleichterte. Die Geologen legten sonst einen Graben an, einen sogenannten Schürf, hier hatte ihnen die Natur diese Arbeit abgenommen. In diesem Querschnitt war es möglich, an den Uferschichten geologische Prozesse zu erkennen. Außerdem konnten auch an Sandbänken und Vertiefungen und sogar aus dem seichten Uferwasser der Achtaranda Proben entnommen werden. Wieder begann die gewohnte Arbeit. Ein Teil der Geologen zog die Achtaranda stromaufwärts. Juri Chabardin, einer der Kollektoren der Sammler wissenschaftlichen Materials bei Expeditionen -, erhielt den Auftrag, Proben an den Sandbänken zu entnehmen. Diesmal brauchten nicht alle Proben verpackt und in die Labors nach Irkutsk mitgeschleppt zu werden. Fainstein hatte für die diesjährige Expedition den Röntgenologen Storoshuk angeworben. Zusammen mit der Mineralogin Vera Kladnikowa untersuchte er sorgfältig den Inhalt der kleinen Säckchen. Der Röntgenstrahl würde einen Diamanten, und wäre er noch so klein und unansehnlich, aufleuchten lassen. Früher war es oft vorgekommen, daß auch erfahrene Geologen ein Kristall für einen Diamanten hielten, erst die Ritzprobe brachte ihnen dann die Enttäuschung. Diese blieb jetzt erspart, aber auch die Freude der Entdeckung. An der Achtaranda gab es keine Diamanten. »Wir müssen weiter!« bestimmte Fainstein, denn die anderen Gruppen hatten über Funk dasselbe Resultat gemeldet. Die Funksprüche waren chiffriert. Selbst wer sie abhören konnte, der erfuhr
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lediglich, daß einer Expedition die Streichhölzer ausgingen oder ein Pferd entlaufen war. Juri Chabardin fühlte sich am meisten von dem Geologen Michail Taburow und dessen Freundin Olga angezogen. Fainstein scherzte zuweilen: »Wenn wir den ersten Diamanten gefunden haben, dann feiert ihr Hochzeit, gleich, wo es sein mag.« Juri wünschte den beiden sympathischen Geologen, daß sie nicht so lange zu warten brauchten. Der Expeditionsleiter Michail Odinzow und seine Kollegen, die Leiter der Suchtrupps, Sokolow, Fainstein und Below, jagten den Diamanten seit ihrer Studentenzeit nach, inzwischen waren zwei von ihnen schon Professoren. Die Karte Ostsibiriens war bereits mit vielen Kreisen bedeckt, in deren Mitte stand: Nichts. Allerdings hatten die Geologen manche Entdeckung gemacht, die für andere Forschungsgruppen sehr interessant war und auch von ihnen ausgewertet wurde. An der Achtaranda hatte man weiße Kristalle gefunden, die keiner der Geologen kannte. Später erfuhr man, daß es sie außer am Wiljui und an der Achtaranda nirgends in der Welt gab, und das Kristall erhielt den Namen Achtarandit. Die Fahrt unterhalb der Achtarandamündung führte ebenfalls durch eine gebirgige Landschaft. Wieder ging es durch ganze Ketten von Stromschnellen, die Strömung wurde immer stärker, das Flußtal immer enger. Mit Mühe verhinderten die Steuerleute einen Anprall. Zum Glück führte der Wiljui noch Hochwasser, die Felsen auf seinem Grund waren nicht so gefährlich wie bereits unterspülte Berge an seinem Ufer. Sachar gab Zeichen, mit Rufen konnte er nicht einmal die Männer im eigenen Boot verständigen. Ohne diesen Lotsen hätten die Geologen schwerlich jene einzige Stelle gefunden, die es erlaubte, an Land zu gehen, bevor die Stromschnelle erreicht war, deren Geräusch schon von weitem warnte. Sachar steuerte das erste Boot geschickt auf die kleine Kiesbank. Nach seinen Anweisungen fingen die anderen Männer die nachfolgenden Boote ab. »Schluß!« verkündete Sachar, als Fainstein aus dem letzten Boot stieg. »Wieso Schluß?«
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»Schluß! ›Ulachan Chan‹!« Sachar wies in Richtung des sich weiter verengenden Canons. »Du mußt uns das genau erklären«, sagte Fainstein zu dem jungen Jakuten. »›Ulachan Chan‹ heißt großes Unglück«, übersetzte der Ewenke Konenkin. Die Geologen beherrschten nämlich nur die notwendigsten Wörter der jakutischen Umgangssprache. »Ja, großes Unglück«, bestätigte Sachar und brachte seine weitere Erklärung so schnell heraus, daß auch Konenkin ihn unterbrechen mußte. Schließlich erfuhren es alle. Die Stromschnelle, die vor ihnen lag, galt bei den Jakuten als heilig. »Bei den alten Jakuten«, betonte Konenkin, und Sachar nickte mit beklommenem Gesicht. »Ja, natürlich, bei den alten Jakuten. Früher war es sogar eine Opferstelle; zerrissene Netze, Pferdehaare und Tuchfetzen wurden dem Geist, der im Tal lebte, mit dem Wasser in seinen Wohnsitz geschickt.« Irgend jemand lachte. Fainstein gebot mit einem Blick Schweigen. »Du mußt uns auch die Stromschnelle näher erklären«, bat er. Zu aller Erstaunen konnte Sachar eine ziemlich genaue Beschreibung geben. Der Canon war etwa vier Kilometer lang, das Gefälle so stark, daß der Wiljui auch bei stärkstem Frost an dieser Stelle nicht gefror. »Und woher weißt du das?« Sachar antwortete: »Man kann am Ufer entlanggehen.« Am nächsten Morgen brach ein Erkundungstrupp auf, dem sich auch Juri angeschlossen hatte. Sachar beschritt als erster den Pfad. »Hier geht es doch nicht weiter«, bekam er schließlich zu hören. »Doch, ihr müßt nur auf den nächsten Felsen springen.« Sachar machte es vor, die Männer sprangen erst, nachdem sie sich mit Seilen gesichert hatten. Es war Mittagszeit, als sie das Ende des Canons erreichten. Fainstein berechnete für die kurze Strecke einen Höhenunterschied von sieben Metern. Das letzte Stück stürzte der Fluß in einem kleinen Wasserfall hinab. »Nun?« Einige der Männer erklärten sofort, es sei unmöglich, diese Stelle mit ihren Booten zu bezwingen. Im Lager berichteten die Männer des Erkundungstrupps. Als letzter
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sprach Fainstein. »Ich werde fahren, Konenkin will mich begleiten. Wenn alles gut geht, können wir ein zweites Boot steuern, wir haben ja dann schon Erfahrung.« Es war ein guter Vorschlag, ehrlich gemeint, aber er hätte nicht von Fainstein kommen dürfen. Jetzt meldeten sich Freiwillige; drei, vier, als fünfter Juri Chabardin. Fainstein fiel die Entscheidung schwer. »Wir werden es noch überschlafen.« Am nächsten Tag führte Sachar alle anderen, die den Canon noch nicht besichtigt hatten. Nur die Frauen blieben zurück. Fainstein besuchte die Einwohner einer in der Nähe gelegenen jakutischen Siedlung. Sachar, der ihm davon erzählt hatte, behielt recht. In den wenigen Blockhütten wohnten nur alte Leute. Es war zwecklos, ihren Rat zur Überwindung des »Ulachan Chan« einzuholen. Auf dem Rückweg ins Lager folgte ihm plötzlich ein junger Jakute. Die »Taigapost« hatte wie immer gut gearbeitet. »Genosse Geologe, ich heiße Wassja, ich bin Komsomolze. Ich habe Schulferien und bin zu spät zum großen Rentierzug gekommen, jetzt lebe ich beim Urgroßvater. Er ist der Älteste von allen Jakuten in diesem Gebiet. Er weiß alles. Unser Lehrer sagt von ihm, er sei ein wandelndes Lexikon.« Fainstein ließ sich von Wassja zum Urgroßvater führen. »Großvater, sing ein Oloncho«, bat Wassja, »ein Gast will es hören.« Der Alte setzte sich mit gekreuzten Beinen auf ein Bärenfell. Mit geschlossenen Augen und zurückgeworfenem Kopf stimmte er eine alte Volkslegende an. Wassja übersetzte. Es war ein Lobgesang auf das Land der Jakuten, seine hellen Nächte, seine Schätze und den weiten Himmel über diesem Land. Der alte Jakute erzählte aus seinem langen Leben. Einmal wäre er auch jung gewesen und ein berühmter Sänger, jetzt scheppere seine Stimme wie ein rostiger Eimer, der an einen Schlitten gebunden sei. Und doch lauschen das Land und seine Menschen diesem Lied, und auch der Fremde würde lauschen, wenn der alte Ilja von dem armen Cliban sänge, der in der Taiga einen Stein gefunden habe, der in der Sonne in allen Farben des Regenbogens schimmere. Fainstein riß es hoch. »Wo? An welcher Stelle?« rief er. Der Alte schwieg erschreckt. Nie unterbrach man ihn beim Olon-
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cho. Sein Urenkel redete ihm zu. Der Jakute setzte bedächtig eine Pfeife in Brand, rauchte und fragte: »Unser Gast will von dem Stein hören?« Fainstein hatte sich schon damit abgefunden, daß es doch nur Sagen waren, von denen der Alte berichtete. Er antwortete ruhig: »Wenn du von solch einem Stein weißt?« »Eine Fischerin hat solch einen Stein besessen. Sie wohnte hinter dem ›Ulachan Chan‹. Die Mondspur muß das Heck deiner Boote dreimal streifen, ehe sich am rechten Ufer das Haus der Fischerin zeigt.« Spät in der Nacht, von den widerspruchsvollsten Gefühlen bewegt, kam Fainstein wieder ins Lager. Um das Feuer saßen alle Expeditionsteilnehmer. Sachar hatte einen Vorschlag gemacht, den Konenkin sofort billigte und der auch allgemeine Zustimmung fand. Je drei Boote sollten miteinander verbunden werden; beweglich und doch sicher. Würde eines voll Wasser sein oder gar leck geschlagen, so konnten die beiden anderen es doch tragen. Nach Fainsteins Einverständnis erwarteten alle ungeduldig den Tagesanbruch. Der lange Tag gestattete es, ohne Unterbrechung zu arbeiten. Dicke Taue und biegsame Stämme verwandelten je drei Boote in Rettungsflöße. Mit Zeltplanen und Brettern abgedeckt, blieb nur das Heck frei, in dem die Männer neue lange Ruder führen konnten. Alle konnten sich mit Karabinerhaken festschnallen, aber auch schnell lösen. Die Frauen widersprachen zuerst, als Fainstein anordnete, sie sollten am Rastplatz bleiben. »Aber an der Front...«, sagte Vera Kladnikowa. »Wir sind hier nicht an der Front«, antwortete Fainstein und mußte selbst lächeln, kaum daß er ausgesprochen hatte. »Außerdem vertrauen wir euch unsere wertvollsten Instrumente an«, fuhr er fort. »Und die Funkanlage bleibt zunächst auch hier. Ihr seid doch verantwortlich für alle diese Geräte.« Das stimmte, die Frauen arbeiteten als Laborantin, Röntgenologin und Funkerin. »Fein haben Sie sich das ausgedacht«, sagte Olga. Es war ihr anzusehen, daß sie lieber neben Michail im Boot gesessen hätte. Als die
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Boote von der Strömung erfaßt wurden, rannten die drei Frauen zum nächsten Felsen. Zwei winkten, eine stand wie erstarrt. In den Booten kam niemand dazu, zurückzuwinken. Gleich hinter der kleinen Bucht riß die Strömung die Boote in die Schlucht hinein. Das Wasser brauste und spritzte über die abgedichteten Boote, und die Tropfen klatschten den Männern so schmerzhaft ins Gesicht, daß sie sich schutzsuchend bückten. Bei der Abfahrt herrschte Windstille, jetzt pfiff ihnen ein Sturm entgegen. Das Rauschen verwandelte sich in ein Brüllen. Die Schlucht wurde immer enger, - immer finsterer, Schaumkämme deuteten auf verborgene Klippen. In Juris Kopf dröhnte es von dem Getöse, sein Herz zog sich förmlich zusammen angesichts der immer größer werdenden Geschwindigkeit, mit der sie geradewegs in die Hölle hineinrasten. Sachar, Fainstein und Taburow wuchteten sich plötzlich mit aller Körperschwere auf das Ruder. In den anderen Booten tat man es ihnen gleich. Mit weitaufgerissenen Augen sah Juri die Ursache dieses Manövers. Das von Konenkin befehligte erste Floß mußte mit einem Boot auf einen Felsen geschossen sein. Von der linken Bordwand flogen Bretter hoch, ohne Krachen, lautlos wie in einem Stummfilm. Konenkin gab mit hochgerissenem Arm dem nachfolgenden Floß ein Zeichen, sein Mund stand weit offen, er schrie wohl. Dann verschwand seine Gestalt. Das Boot wurde nach oben gerissen und tauchte mit dem Heck tief ein, doch die Verstrebungen hielten, die anderen beiden Boote rissen das leckgeschlagene mit. Plötzlich drehte sich alles vor Juris Augen: der bleigraue Himmel, das schäumende Wasser, die Felsen. Dann hing das Boot, in dem er saß, in der Luft, die beiden anderen aber befanden sich noch im Wasser. So krampfhaft er sich auch anklammerte, eine ungeheure Gewalt riß seine Hände los, schmerzhaft zerrte das Seil an seiner Hüfte. Wasser schlug ihm ins Gesicht, es zischte, heulte, und anstelle des Himmels war das Wasser über ihm. »Links halten!« »Hoho«, antwortete Sachars Stimme auf diesen Ruf Konenkins. Hinter ihnen brauste das »Ulachan Chan«. Hinter ihnen! Fainstein drückte auf seine Stoppuhr. Der Zeiger blieb stehen und vermerkte
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die Zeit, die sie für den Weg gebraucht hatten. Dreieinhalb Minuten für vier Kilometer. Mit der Geschwindigkeit von zwanzig Metern pro Sekunde waren sie durch den Felsschlauch gesaust. Im D-ZugTempo waren sie über das letzte etwa eineinhalb Meter hohe Gefälle hinweggeflogen. Jetzt war dieser Wasserfall schon fern und der Himmel über ihnen wieder blau. Lange Zeit später bekannten alle Teilnehmer dieser Fahrt, daß nicht einer bereit wäre, sie noch einmal zu wiederholen. In den ersten Tagen danach saß das Erlebnis dieser dreieinhalb Minuten so tief in ihnen, daß sie kaum ein Wort darüber verloren, auch den Frauen gegenüber nicht. Nur Taburow mußte Olga eine Erklärung geben. »Wie soll es gewesen sein? Auf jeden Fall brauchten wir uns nicht so abzuschleppen wie jetzt.« Juri, der das Funkgerät auf dem beschwerlichen Pfad trug, wischte sich die Schweißtropfen vom Gesicht. Tage brauchten sie für diesen Weg. Dreimal ging die Sonne über dem Wiljui auf, und dreimal lag die silberne Mondspur im Heck der Boote. Am Vormittag des vierten Tages sahen sie am Ufer zwei jakutische Blockhütten. Fainstein erstieg zusammen mit einem Geologen den Hang. Die Hütten waren verfallen und verlassen, aber in den verwitterten Fensterrahmen steckten noch Glassplitter. »Hier, sehen Sie einmal!« rief der Geologe erstaunt. In einer Kammer lagen neben Kleiderlumpen geschnittene Glasstreifen. Der alte Ilja hatte also recht gehabt, dachte Fainstein. Der Bewohner dieser Hütte, allem Anschein nach eine Frau, mußte im Besitz eines Diamanten gewesen sein - nur, ausgerechnet siebzig Kilometer von hier entfernt befand sich die Jakutensiedlung, wo Flieger schon vor Wochen sechs einheimische Führer mit zweiunddreißig Rentieren und zwölf Pferden für die Expedition angeworben hatten. Und in diesem Dorf waren in jedem Haus die Fenster verglast. Warum sollte die Fischerin nicht ebenfalls ihre Hütte verglasen lassen? Zwei Wochen früher als vorausberechnet, war die Expedition im Forschungsgebiet angelangt. Die Jakuten würden sicherlich gerade erst die Rentiere auf den Weiden einfangen. Fainstein gab Anweisung, das Hauptlager einzurichten, mit der Untersuchung der Flußu-
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fer zu beginnen und nach Eintreffen der Rentiere den Lauf der hier in der Nähe einmündenden Bäche entlangzuziehen, die ihm die Flieger gemeldet hatten. Er selbst wollte keine Zeit verlieren und mit einem zweiten Mann im Schlauchboot weiter den Wiljui hinabfahren bis zu einer entfernten Siedlung, die Funkverbindung hatte und vielleicht im nächsten Jahr seiner Gruppe als Hauptlager dienen könnte. In drei Richtungen zogen die Suchgruppen vom Hauptlager in die Taiga, jede mit zwei einheimischen Führern, vier Pferden und zehn Rentieren. Juri Chabardin war wieder dem Stammtrupp zugeteilt, der in der Umgebung des Hauptlagers arbeitete. Vom zentralen Lager Odinzows traf ein paar Tage nach Fainsteins Abfahrt ein Flugzeug ein. Es brachte außer dem Proviant, den Batterien für das Funkgerät und einem Notstromaggregat noch eine Überraschung: zwei weitere Mitarbeiter, einen Geologen und noch einen Röntgenologen. Dieser reichte sorgsam sein kostbares Kästchen aus der Maschine. Odinzow hatte die beiden für dieses Lager abkommandiert. »Der geht aber ran«, sagte Olga, »wir haben doch so schon mehr Röntgenaugen als Diamanten.« Jetzt gab es vier Leute, die mit zwei Apparaten auf die Diamanten warteten. Das heißt, sie warteten natürlich nicht, sondern begannen gleich die Proben, die am Flußufer ausgesucht worden waren, zu prüfen. Zuerst ging diese Arbeit in Zelten vor sich, dann in einem Blockhaus. Taburow zimmerte neben dem Geräteschrank noch ein Fach. »Für Diamanten«, schrieb er daran. »Ein bißchen groß, wie?« hänselte ihn der Röntgenologe Storoshuk. Olga parierte: »Für ein Land wie die Sowjetunion nicht!« An den Abenden las sie das Buch »Die maschinelle Ausbeutung von Diamantenminen«. Sie gab es auch Juri. Der wehrte ab. »Ihr laßt mich ja nicht einmal mit den Suchtrupps mit.« Taburow antwortete: »Juri, du bist mit neunzehn Jahren schon Kollektor, noch drei Winterkurse, und du kannst dein Geologendiplom verteidigen.« »Wenn ihr so lange auf eure Hochzeit warten wollt?« Alle lachten, und Olga stupste ihn freundschaftlich. »Such uns doch hier einen,
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einer genügt, nicht für das Land, aber vorerst für uns.« Zwei Monate vergingen. Fainstein meldete sich über Funk aus der Siedlung Suntar. Auf dem Weg dorthin hatte er über dreißig Stellen markiert. Ein Trupp aus dem Hauptlager sollte sie gründlicher untersuchen. Die Zeit drängte, es blieben vielleicht noch sechs Wochen bis zum Winter. Fainstein war schon unterrichtet, daß auch im Zentrallager das gleiche Resultat vorlag wie in seiner Expedition: Nichts. Juri Chabardin erhielt die Erlaubnis, sich dem neuen Suchtrupp anzuschließen. Triumphierend knallte er seine Proben neben die anderen Säckchen. »Damit ihr euch nicht langweilt während meiner Abwesenheit.« Am nächsten Tag richtete Storoshuk sein Gerät mit gewohnter Routine auf die Proben. Der Geologe Rushizki assistierte ihm dabei. Einen Augenblick lang leuchtete in einer der Proben ein blasser Schein auf. Storoshuk strich über seine Augen. »Ich werde schon müde«, bekannte er. Rushizki starrte wie gebannt auf eine Stelle. »Schalte noch einmal ein«, bat er. Storoshuk wagte kaum zu fragen: »Hast du es auch gesehen?« Der Geologe nickte. Wieder flammte es bläulich auf, wie von einer Spiritustablette. Storoshuk griff mit spitzen Fingern zu, der blaue Stein befand sich jetzt zwischen Daumen und Zeigefinger. »Ein Diamant!« Die einen rüsteten zum Aufbruch, um Fainsteins Spuren zu folgen, andere hackten Holz, die Funkerin wollte gerade Verbindung mit Suntar aufnehmen, der Koch bereitete das Essen vor. Alles blieb stehen und liegen, die Menschen rannten von allen Seiten zum Blockhaus. Die Rentiere schnaubten, die Hunde winselten, es roch nach angebranntem Fleisch, und das Funkgerät gab vergeblich ein Rufzeichen von sich; Fainstein meldete sich. Die Leute standen dichtgedrängt im Blockhaus. Rushizki hob die Hand hoch, Storoshuk richtete den Röntgenstrahl darauf. »Ein Diamant!« riefen alle. Dann ging das Mineral von Hand zu Hand, jeder wollte es anfassen und fühlen. Olga sagte: »Mischenka! Wir müssen jetzt heiraten!« Sie legte den Stein auf die Handfläche, er maß vielleicht drei Millimeter im Durchmesser, und die an der Tür standen
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riefen: »Heb ihn höher!« Dabei stieß jemand gegen Olgas Hand, und der Diamant fiel herunter. Nun war es nicht der Fußboden einer Neubauwohnung in Moskau, sondern der einer Taigablockhütte. Alle krochen auf den Knien herum, jede Bohle, jede Spalte und Ritze wurde abgesucht. Taschenlampen wurden eingeschaltet, umsonst, der Diamant blieb verschwunden. Schließlich jagte Storoshuk alle hinaus; mit Ausnahme Rushizkis. Zuerst begannen die beiden mit dem Röntgengerät zentimeterweise den Fußboden abzuleuchten. Draußen herrschte völlige Stille, da vernahm die Funkerin das Rufzeichen. Sie rannte zum Gerät, setzte die Hörer auf, erstarrte und nahm sie wieder ab. »Fainstein!« flüsterte sie den Geologen zu. »Was soll ich ihm nur sagen?« Einer der Männer wandte sich wieder der Hütte zu, ging einen Schritt und schrie: »Aua!« Er setzte sich hin und zog den Gummistiefel aus. »Ich habe mir was eingetreten.« Er griff danach und erstarrte. »Der Diamant! Der Diamant!« Etwas später erhielt Fainstein endlich eine Nachricht: »Rentier erkrankt, sofort kommen!« Das war der verabredete Code für einen Diamantenfund, aber Fainstein begriff nicht, obwohl er jahrelang darauf gewartet hatte. Er wollte wissen, ob die Gruppe schon aufgebrochen war, die von ihm abgesteckten Stellen zu überprüfen, und erhielt nun diese Meldung ... Fainstein wurde ärgerlich. Am Diamantenfundort brach alles in lautes Lachen aus, als die Funkerin Fainsteins Antwort bekanntgab: »Kauft neues!« Aus der Blockhütte kam Vera Kladnikowa, und sie diktierte den Antwortspruch: »Rentier verreckt, von Tierarzt Kladnikowa soeben genau diagnostiziert.« Die Funkerin in Suntar blickte Fainstein scheu von der Seite an und teilte ihm die traurige Nachricht mit. Fainstein stand zuerst fassungslos, sein Gesicht wurde rot und blaß, der Atem ging stoßweise. Er hatte verstanden. Die Funkerin begriff nicht. Wozu diese Aufregung, es gab doch so viele Rentiere. Aber sie machte sich doch Sorgen um den Chefgeologen dieser rätselhaften Expedition. Schon wollte sie rennen, um ein Glas Wasser zu holen, da riß sie dieser Mann in seine Arme und begann mit ihr in dem kleinen Raum zu tanzen. »Verreckt! Verreckt!« rief er dabei. Die Funkerin löste sich energisch aus seinen
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Armen. »Was ist mit Ihnen?« »Das Rentier ist verreckt! Sie haben es doch gehört!« Er gab dem verblüfften Mädchen einen Kuß und rannte aus dem Funkraum. Wenig später sah sie ihn auf einem Pferd aus dem Dorf galoppieren. Auf dem Landweg waren es bis zum Lager nur wenig mehr als hundert Kilometer. Dort wußte man schon durch eine Meldung der besorgten Funkerin aus Suntar von der »Flucht« des Chefs. Die Geologen beschlossen, Fainstein die Benachrichtigung des Zentrallagers zu überlassen. Nach zwei Tagen traf Fainstein ein. Er hatte sich kaum von der Echtheit des Fundes überzeugt, als ein Flugzeug gemeldet wurde. Der Maschine entstieg Odinzow. Wer hatte ihn benachrichtigt? Doch Odinzow wußte nichts. Nach der Begrüßung nahm er Fainstein beiseite und flüsterte: »Ihr seid hier alle noch in froher Stimmung, schön, dieser Optimismus. Ich weiß gar nicht, wie ich es ihnen mitteilen soll, aber dir als Leiter muß ich es sagen. Hier hätten wir es erst gar nicht versuchen sollen. Die Leitung hat beschlossen, euch in ein anderes Gebiet zu schicken ...« Fainstein bedauerte. »Also gut. Die Leitung muß es ja wissen, komm essen, du wirst sicherlich Hunger haben.« Er brachte Odinzow zu Vera Kladnikowa in die Hütte, ging wieder hinaus und kehrte zurück. Vera deckte den Tisch für alle. Es war kaum Platz für die vielen Leute. Odinzow nahm die Enge mit peinlichem Gefühl in Kauf. Was veranstalteten sie da ihm zu Ehren? Und alle schwiegen, beinahe feierlich. Juri Chabardin konnte kaum an sich halten. Was spannte Fainstein seinen alten Gefährten nur so auf die Folter? Er kannte, wie auch alle anderen, die Geschichte Odinzows, Fainsteins, Belows und Sokolows. Noch vor dem Kriege hatten sie sich zur Diamantensuche gemeldet. Zuerst ließ man sie nicht. Eine große Diamantenexpedition mußte sorgsam vorbereitet werden, und die Vorgesetzten forderten, daß die Teilnehmer nicht nur theoretisch, sondern auch praktisch gut ausgebildet waren. Die vier Freunde meldeten sich zu den schwierigsten Expeditionen. Im Frühjahr 1940 gingen sie alle vier, aber jeder in einer anderen Richtung, in die entlegensten Gebiete. Im Sommer 1941, noch vor den Semesterferien, trafen sie sich in Irkutsk
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im Restaurant »Baikal«. Odinzow brachte eine freudige Nachricht mit. »Die Expedition ist zusammengestellt. Man hat uns alle vier genommen, in einer Woche geht es los.« Das war am 21. Juni 1941. Sie beschlossen, nicht schlafen zu gehen, sondern die Nacht an der Angara zu verbringen, um zu angeln. Am frühen Morgen schliefen alle am heruntergebrannten Lagerfeuer. Es war ein wunderbares Wetter. Nach dem Frühstück angelten sie weiter, und die Fische bissen gut. Die vier hatten nur ein Thema für ihre Gespräche: die bevorstehende Expedition. Sie waren von den theoretischen Forschungen des Wissenschaftlers Soboljew überzeugt und brannten darauf, auf dem »südafrikanischen Plateau« Sibiriens den Beweis für die Theorie zu erbringen. Beim Angeln und bei der Unterhaltung über ihre Zukunftsträume verging ihnen der Tag so, daß sie erstaunt bemerkten, wie die Sonne wieder sank. Vom anderen Ufer rief sie jemand an. »He! Angler! Schickt den Fährmann!« Zuerst wollten sie die Rufe nicht hören. Bis zur Fähre war es weit. Below wußte aber, wo ein Boot in der Nähe lag, und als die Rufe vom anderen Ufer immer ungeduldiger wurden, holte er es. Es war ein großer Nachen, und wegen der starken Strömung beschlossen sie, alle vier zu rudern. Als sie das andere Ufer erreicht hatten, sagte Sokolow vorwurfsvoll: »Wozu dieser Lärm? Sie haben uns alle Fische verscheucht!« Der Rufer, ein älterer Mann, der eine Feldbluse trug, an der Orden aus dem Bürgerkrieg zu sehen waren, schrie aufgebracht: »Sie sind wohl vom Mond? Haben Sie kein Radio gehört? Seit heute morgen ist Krieg!« Erst im Sommer 1945 sahen sich die Freunde wieder. Oberfeldwebel Below kam aus dem Westen, Oberleutnant Fainstein aus der Mandschurei, die beiden anderen aus entlegenen Gebieten, wo sie geholfen hatten, kriegswichtiges Erz an solchen Stellen zu erkunden, die nach kurzer Zeit industriell erschlossen werden konnten. Noch m i Spätherbst des Jahres 1945 begannen die vier Geologen mit der Vorbereitung der Diamantenexpedition. Ob Fainstein sich dessen jetzt erinnerte? Juri Chabardin versuchte es am Gesichtsausdruck des Chefs abzulesen. Der brach in diesem Moment das Schweigen. »Also, Genossen, machen wir es kurz. Un-
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ser oberster Chef, der Genosse Odinzow, hat eine traurige Nachricht gebracht. Wir kommen in ein anderes Gebiet, weil es hier zwecklos ist, Zeit zu vergeuden.« Die Männer brummten, die Frauen konnten ein Lächeln nicht verbergen. »Ihr müßt verstehen, Genossen«, erklärte Odinzow, »wir müssen unsere Kraft ökonomisch einsetzen.« »Ach richtig, Kräfte«, rief Fainstein, »haben Sie kein Kompott für unseren Chef?« Vera Kladnikowa stutzte und lächelte dann verstehend. »Für den Chef? Für den Chef, natürlich!« Odinzow war es peinlich. Er wußte, daß die Leute nur noch Reste haben konnten. Was für eine Büchse Obst hatten sie da für ihn aufgespart? Was dachte Fainstein sich eigentlich? Sollte er als einziger hier im Angesicht aller Kompott essen? Vera kam mit einem Glas Wasser wieder. Odinzow verstand gar nichts mehr. »Habt ihr eine Mineralquelle entdeckt?« Das Glas stand im Sonnenlicht. Auf seinem Boden glitzerte es blau, rot, grün und gelb. Ein scharfkantiges Mineral schillerte dort. Odinzow faltete seine Hände andächtig wie ein Kirchgänger. Dann sprang er auf, riß eine Flinte von der Wand und lief hinaus. Alles griff nach den übrigen Waffen, und als Odinzow rief: »Zu Ehren des ersten Wiljui-Diamanten!«, hoben sie die Gewehre und Pistolen. Wieder schnaubten die Rentiere ängstlich, und die Hunde liefen bellend umher. Drei Salven zerrissen die Stille. An diesem Tag, dem 7. August 1949, feierten Olga und Michail Hochzeit. Fainstein hatte sein Wort nicht vergessen. Wie einem Kapitän auf hoher See standen ihm alle Rechte zu, bei ernsten und frohen Anlässen. Jetzt fungierte er als Standesbeamter. Michail und Olga saßen in der Ecke der Blockhütte, wo sonst die Geräte aufbewahrt wurden. Fainstein versah sein Amt so feierlich, daß Olga Tränen in die Augen traten und Storoshuk, der Trauzeuge, erklärte: »Wenn ich heirate, dann nur in der Taiga. Und Grigori muß mich trauen.« Der Expedition blieb nicht mehr viel Zeit. Odinzow ließ mit dem Flugzeug alle verfügbaren Leute zusammenholen. Bis zum Anbruch des Winters fanden die Geologen in dem Schwemmsand des Wiljui
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noch zweiundzwanzig Diamanten. Sie hatten sich dabei nur zwölf Kilometer vom Lager entfernt. Bevor die Expedition ihre Zelte abbrach, verabschiedete sich Fainstein noch von Urgroßvater Ilja. Der alte Ilja hatte den Geologen den Weg zum Wunderstein gewiesen, und sie hatten ihn gefunden. Der Jakute bat: »Kannst du nicht meinen Urenkel zu dir nehmen? Er will Geologe werden und auch nach den Wundersteinen suchen.« Am nächsten Tag begleitete Wassja Fainstein zum Lager, um mit nach Irkutsk zu fliegen. Die Expeditionen der nächsten Jahre stellten fest: Das ganze Tal des Wiljui war diamantenführend, und die reichsten Lagerstätten befanden sich an den Nebenflüssen. An manchen Stellen betrug die Ausbeute einige Dutzend Diamanten, woanders ging ihre Zahl in die Hunderte. Aber alle diese Funde stammten aus sogenannten Seifen, wie die Geologen die mit Mineralien angereicherten Sandablagerungen bezeichneten. Es waren angeschwemmte geologische Stoffe aus verborgenen Hauptlagern. Trotz aller Mühen gelang es nicht, diese Hauptlager zu finden. Schon tauchten die verschiedensten Theorien auf, so auch diese: Der tungusische Riesenmeteorit habe die Diamanten über die Taiga verstreut. Das Primärvorkommen lag also gar nicht in Sibirien, überhaupt nicht auf dem Planeten Erde, sondern auf irgendeinem seiner Milliarden Nachbarn, der geruht hatte, den Menschen eine Kostprobe seines Reichtums zu senden. Jahr um Jahr sammelten nun schon viele Hunderte Geologen bei Dutzenden Expeditionen diese »Sternensplitter« auf. »Es ist schwer, nicht an Zauberei zu glauben«, sagte Juri Chabardin nach seinem ersten Einsatz als Geologe, er hatte 1952 sein Examen gemacht. Auch alle anderen Kollegen kamen sich wie verhext vor. Geologen, Kollektoren, Mineralogen, Röntgenologen, Flieger, Funker und Wissenschaftler, sogar die vielen Helfer, die Rentierführer, Jäger und Bootsleute hatten nur dieses Thema: Man muß eine Spur zum Primärvorkommen finden. In der ganzen Welt, wo es sie gab, war man früher oder später schließlich auf die Diamantenpfeifen gestoßen. Diese waren entstanden, als vor Jahrtausenden bei einer
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Eruption glutflüssiges Magma die Erdkruste durchbrochen hatte. Nach der Eruption erstarrte das Magma und bildete die gesuchte »blaue Erde«, das begehrte Kimberlit, benannt nach dem ersten Fundort bei der südafrikanischen Stadt Kimberley. Aber in Sibirien blieb dieser Blaugrund, der die Diamanten enthielt, verborgen. Auch nach der Ausbildung war Grigori Fainstein Juri Chabardins Lehrer und Vorbild. »Erst warst du beim Spähtrupp, Juri, jetzt bist du Offizier einer Armee ...« Odinzow arbeitete im Stab dieser Armee. Er verbrachte Tage und Nächte im Irkutsker Labor, und die Resultate dieser Arbeiten wurden den bedeutendsten Wissenschaftlern in Moskau und Leningrad übermittelt. Einer der eifrigsten Helfer Odinzows war Nikolai Bobkow, Absolvent des Leningrader Bergbauinstituts. Im Winter kam Bobkow überhaupt nicht aus den Forschungsräumen heraus. Mit einer Gruppe Laboranten untersuchte er sorgfältig einen Diamanten nach dem anderen, und es waren zu dieser Zeit schon viele Tausende, die in den Tresoren verwahrt lagen. Zu viel für eine Königin, zu wenig, ein Nichts für das Land Sowjetunion. Die erfahrensten Geologen besuchten die Vorlesungen Bobkows. Neben Juri Chabardin saßen Fainstein, Below, Sokolow und auch Wassja. »Die sibirischen Diamanten haben ihren Ursprung auf dem Sibirischen Plateau und nicht irgendwo in weltweiten Fernen, wie manchmal behauptet wird.« Wassja stieß Juri an und flüsterte: »Aber das Sibirische Plateau mißt auch einige tausend Quadratkilometer.« In vier Jahren hatte der junge Jakute in diesem Gebiet, das auf den Karten Mittelsibirisches Bergland hieß, von den Geologen jedoch als Sibirisches Plateau bezeichnet wurde, nicht wenige der Diamanten gefunden, von denen einige jetzt vor Bobkow lagen. Aber ihre Fundorte waren verstreut gewesen, als habe sie ein Gott zur Erde geworfen, wie Urgroßvater Ilja sang. Bobkow hielt zwei Steine hoch. »Über neunzig Prozent der Diamanten haben diese Form, beinahe abgeschliffen wie eine Perle. Je mehr sich die Fundorte der Mündung des Wiljui nähern, desto auffälliger ist dieser Schliff.« Wassja hörte mit offenem Mund zu, durch die Reihen der Hörer ging ein Raunen, als Bobkow fortfuhr: »Acht
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Prozent sehen etwa so aus, Genossen, ich zeige euch einen der Diamanten, die diese seltene Form haben. Diese Steine stammen fast alle von den Seifen in der Nähe der Siedlung Sjuldshjukjar. Sie sind größer und, wenn ihr wollt, sozusagen von der Natur noch kaum angeschliffen.« Die Stücke gingen durch den Raum, von Hand zu Hand, mit bloßem Auge war kein Unterschied feststellbar. Mit der Lupe konnte man bei gutem Willen einen finden. »Außerhalb des Gebiets von Sjuldshjukjar wurden Diamanten dieser Form nicht gefunden«, erklärte Bobkow, »also kommen sie nicht vom Oberlauf des Wiljui, sondern von irgendeinem der Nebenflüsse. Und zwar in einem geographisch eng begrenzten Raum.« Er zählte diese Flüsse auf und rief, die Unruhe im Saal übertönend: »Ich schlage deshalb vor, Genossen, die Arbeiten auf das Flußbett der Batloubeja zu konzentrieren.« »Was wird denn der ›Generalstab‹ dazu sagen?« flüsterte Juri. Es war eine recht kühne Behauptung und Forderung, die der junge Wissenschaftler aufstellte: Bis jetzt hielten die meisten Geologen nur die linken Nebenflüsse des Wiljui einer Untersuchung wert, denn alle Funde waren auf dieser Seite gemacht worden. Bobkow fand Unterstützung durch den Chefgeologen Gnenuschew. »Ich habe einen ganzen Winter lang die Erwägungen Bobkows von allen Seiten überdacht und überprüft, ich halte seinen Vorschlag für diskussionswürdig.« Im Saal summte es wie in einem Bienenkorb. Nie hätte Juri es für möglich gehalten, daß diese Männer und Frauen, die er doch fast alle persönlich kannte, derartig in Erregung geraten könnten. Sogar die immer beherrschten Jakuten und Ewenken unter ihnen gestikulierten. Die Widersacher Bobkows schwiegen einen Augenblick, fanden dann aber neue Gegenargumente. Eine Stimme überschrie den Lärm: »Also eine neue Theorie, Genosse Bobkow?« Mit vor Erregung blassem Gesicht rief Bobkow: »Ja, eine neue Theorie, wie vor Jahren die von Professor Soboljew über die Diamanthöffigkeit des Sibirischen Plateaus.« Alle für das Jahr 1953 vorbereiteten Expeditionen waren aber auf die linken Nebenflüsse konzentriert. Bobkow, der an einer Expediti-
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on teilnehmen wollte, wurde freigestellt, über den Fluß zu gehen und auf der rechten Seite an der Batloubeja weiterzusuchen. Im Herbst kehrten alle Expeditionen mit Diamanten zurück, aber aus Sekundärvorkommen. Der einzige, der keine Diamanten gefunden hatte, war Bobkow. Die Achtaranda konnte von der Liste der Expeditionsziele gestrichen werden, und der Name Bobkow tauchte nie wieder auf einer Liste von Diamantensuchern auf. Er war am 25. August beim Überqueren des Wiljui ertrunken. An seiner Stelle erstattete seine Leningrader Kollegin Natalja Kind Bericht. Die Geologen drängten sich, die junge Wissenschaftlerin zu hören. »Ihr wißt alle«, begann sie, »daß in diesem Jahr der Winter früh hereingebrochen ist. Aber konnten wir zurückkehren, ohne das Vermächtnis Bobkows erfüllt zu haben? Wir gingen gleich nach dem Unglück weiter zu Bobkows ersehntem Forschungsgebiet. Ihr erinnert euch doch alle der Diskussion im vergangenen Jahr? Nun, etwa fünfzig Kilometer von der Mündung der Batloubeja in den Wiljui haben wir gemeinsam mit Pankratow ebenfalls Diamanten gefunden. Also auf der rechten Seite des Wiljui!« »Aber keine Blauerde?« Einen Augenblick war die junge Wissenschaftlerin verwirrt, dann antwortete sie: »Nein, aber die Form der Diamanten läßt nach Bobkows Theorie in diesem Gebiet Primärvorkommen erwarten. Meine Kolleginnen glauben auch, auf eine Spur besonderer Art gestoßen zu sein, aber wir wollen diese Überlegungen in Leningrad überprüfen und dann im nächsten Frühjahr das Resultat dieser wissenschaftlichen Forschungen vorlegen.« Worüber Natalja Kind noch nicht sprach, war folgendes: Ihre beiden Kolleginnen, die Leningrader Geologinnen Natalja Sarsadskich und Larissa Popugajewa, hatten auch einen Arbeitsabschnitt am Oberlauf des Wiljui übernommen. Man hatte den beiden Wissenschaftlerinnen, ebenso wie Nikolai Bobkow und Natalja Kind, je einen erfahrenen Kollektor zugeteilt, und jede der Frauen ging zunächst ihren eigenen Pfad. Erst zum Ende der Saison wollte sich Nikolai Bobkow mit Natalja Kind und Natalja Sarsadskich mit Larissa Popugajewa treffen. Nach dieser Begegnung verblieben ihnen von den drei Monaten der Expeditionszeit
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noch drei Wochen. Sie hatten beide, ebenso wie Bobkow, keinen einzigen Diamanten gefunden. Natalja Sarsadskich beschloß, in den letzten zwanzig Tagen noch weiter am Oberlauf der Marcha, einem 1230 Kilometer langen Nebenfluß des Wiljui, entlangzuziehen. Am Mittellauf der Marcha hatte der Suchtrupp Belows reiche Diamantenseifen entdeckt, diese mußten doch von irgendwo dorthin geschwemmt worden sein. Larissa Popugajewa marschierte den Rest der Expeditionszeit einen Nebenfluß der Marcha, den Daldyn, hinauf. Ihr Begleiter war der Kollektor Fjodor Belikow, ebenfalls ein Leningrader, der sie nicht zum erstenmal auf einer Expedition begleitete. Nur ein paar Tage konnten sie auf dem Daldyn mit dem Boot fahren, denn es war ein regenarmes Jahr, und nach einigen Dutzend Kilometern zogen sie es vor, den Rucksack zu schultern. Die Regenzeit verzögerte sich, obwohl die auch um die Mittagszeit niedrig stehende Sonne, der bläuliche Dunst auf den Bergen und das braune Gras davon zeugten, daß der Sommer vorbei war. Die verkrüppelten Birken hoben sich mit ihren gelben Blättern vom blauen Himmel ab, der Waldboden bedeckte sich immer höher mit trockenen Lärchennadeln. Es war die ruhigste und angenehmste Zeit in der Taiga. An einem Nachmittag bog die Geologin vom Daldyn ab, um dem Lauf eines Bächleins zu folgen. Aus dem ruhigen Wasser leuchtete etwas herauf. Larissa griff danach und hielt mehrere rubinrote, erbsengroße Steinchen in der Hand. »Rubine!« rief Belikow, voller Freude, daß die Expedition endlich doch einen Erfolg hatte. Larissa schüttelte den Kopf. »Rubine können hier nicht vorkommen, aber vielleicht sind diese Steine wertvoller als Rubine.« Auch Natalja Sarsadskich hatte solche Steine in ihrem Gepäck, als die beiden Frauen einander wiedertrafen. Die vier Menschen kostete es Mühe, zu ihrem Stützpunkt, dem Dorf Scheloganzy, zurückzukehren, wo sie ein Flugzeug abholen sollte. Zusammen mit dem Regen kam der Schnee, auf dem Wiljui stieg vom Grund der Eisbrei an die Oberfläche, noch riß die Strömung das Boot mit, aber jeden Tag konnte das Wasser erstarren. Wehe, wenn ein Mensch in diesen Eis-
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brei geriet. Der beste Schwimmer wäre verloren. Vorsichtig steuerten die Männer an Sandbänken und Felsen vorüber, aber manchmal nahmen tiefhängende Wolken und Schneeschauer sogar die Sicht zum Ufer. Erst in Scheloganzy erfuhren die vier vom Schicksal Bobkows. In Leningrad wartete eine junge Frau auf den begabten einunddreißig Jahre alt gewordenen Wissenschaftler. Nun war das Tagebuch geblieben, das Natalja Kind an sich genommen hatte. Zuerst schilderte Bobkow darin die ergebnislose Suche an der Achtaranda. Die Notizen zeugten von seiner gründlichen Arbeit. Er wollte mit gutem Gewissen sagen können, daß es an der Achtaranda keine Spuren für Diamantenvorkommen gab, wenn er über den Wiljui zur Batloubeja ging. Und das waren seine letzten Notizen: »Ich habe die Arbeit an der Achtaranda beendet, bin in Sjuldshjukjar, in zwei Tagen begebe ich mich an einen kleinen Fluß, nicht weit von hier. Bis jetzt geht die Arbeit gut, nur mein Magen macht mir in der letzten Zeit zu schaffen. Die Arbeit war auch sehr schwer. Auf dem sonst wasserreichen Fluß mußten wir unzählige Male die Boote über Untiefen schleppen. So sind wir immer pitschnaß, und dabei ist es schon sehr kalt. Am 20. August hat es geschneit ...« In Leningrad entstand aus allen Meldungen der Diamantenexpeditionen eine Karte. Bobkows Theorie erhärtete sich. Der berühmte Mineraloge Kuchorenko bat eines Tages alle Mitarbeiter des Bergbauinstituts zu sich, die bei den Diamantenexpeditionen gearbeitet hatten. Auf seinem Schreibtisch lagen zwei rote Steinchen. »Unsere?« riefen die beiden Geologinnen. Kuchorenko lächelte. »Ja und nein«, antwortete er. »Einer ist aus Sibirien, der andere aus Südafrika. Welcher ist der Sibirier?« Alle blickten auf die beiden Frauen. Die mußten es doch wissen. Schließlich nahmen sie eine Lupe, um vielleicht Nuancen in Farbe und Form der Steine zu erkennen; nichts. »Geben Sie sich keine Mühe«, sagte der Mineraloge, »beide sind Magnesiatonerdegranate. Und zwar ziemlich ungewöhnliche - Pyrope, die ständigen Begleiter der Diamanten. Jedenfalls in Südafrika.« »Das ist ein Kompaß!« rief Juri Chabardin, als Larissa Popugajewa von den Leningrader Untersuchungen berichtete. Neben ihm saß ein
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junger Geologe, der fast den gleichen Entwicklungsgang wie er hatte, nur daß dessen Pate Odinzow war. »Was sagst du dazu, Wladimir?« Wladimir Schtschukin zuckte die Achseln. »Man wird deshalb nicht gleich den ganzen Expeditionsplan umstoßen und die mühselig angelegten Basen umgruppieren, aber im nächsten Jahr sollten wir aufhören, Diamanten mit der Hand zu sammeln, und lieber dieser ›roten Spur‹ nachgehen.« Die Leningrader Variante wurde ernst genommen. Alle Geologen sahen ihre Aufzeichnungen nach Notizen zu diesen roten Steinchen durch. Larissa Popugajewa mußte bis zu ihrem Abflug zu den Fundorten der Pyrope - man hatte eigens für sie und Belikow ein Flugzeug mit der notwendigen Expeditionsausrüstung beladen lassen, da an der Marcha keine Basis eingerichtet war - noch unzählige Fragen beantworten. Drei Stunden lang flog der Pilot der An-2, Viktor Nowikow, den Wiljui entlang, obwohl sich die Hauptbasis für alle Expeditionen jetzt schon mitten in der Taiga, in der sogenannten Diamantenstadt Njurba, befand. Auf einmal stieß Nowikow den Steuerknüppel nach vorn, die Maschine sank, dann legte der Flieger den Steuerknüppel nach links und rechts. Das Flugzeug geriet in ein regelmäßiges Schaukeln. »Sind wir schon da?« rief Larissa. Der Pilot drehte sich um. Sein Gesicht hatte einen feierlichen Ausdruck. »Nein, hier unter uns liegt der Diamantenflieger begraben. Er ist als erster in diesem Gebiet geflogen, und er hat auch als erster einen Diamanten gefunden. Nur hat man sehr spät davon erfahren, weil sein einziger Passagier und Gefährte monatelang ohne Bewußtsein in einer Taigaklinik lag.« Der Pilot erzählte die ganze Geschichte des Fliegers Kunyzin, Larissa aber preßte das Gesicht an das Bullauge. Hier in der Nähe mußte sich auch Bobkows Grab befinden. Die Karte Jakutiens trug nicht nur die Zeichen der Diamantenspuren. Unsichtbar, aber für viele lesbar, standen daneben auch die Zeichen für jene kühnen Unbekannten, deren Namen man einst nennen würde, wenn der Sieg errungen war. Dieser Kunyzin mußte ein Altersgefährte Bobkows gewesen sein.
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Bobkow war im Jahre 1922 geboren, von seiner Frau Lisa wußte Larissa nun viele Einzelheiten seines Lebens, über die Bobkow am Institut nie gesprochen hatte. Als Junge begeisterte er sich für die Fliegerei, und der Transpolarflieger Tschkalow wurde sein Vorbild. Später las er alle populärwissenschaftlichen Bücher bekannter Geologen. Eine helle Fläche blitzte herauf. Es war ein Nebenfluß des Wiljui. Wenn Kunyzin Geologe und Bobkow Flieger geworden wären, dachte Larissa, vielleicht hätten sich ihre Wege dann auch da unten gekreuzt. Was zählt der Name? Die beiden standen doch für eine Generation, der auch sie angehörte. Schule, Studienbeginn - Krieg. Wer ihn überlebt hatte, studierte weiter. Lisa Bobkowa hatte Larissa die Briefe ihres Mannes zu lesen gegeben. Diese Zeilen waren in Sibirien geschrieben: »Ich möchte in dieser ›Sturmabteilung‹ mitmarschieren. Aber dazu muß ich als Rüstzeug die letzten wissenschaftlichen Erkenntnisse mitbringen. In der Geologie ist das jetzt sehr schwer. Die wichtigsten Grundlagen dieser Wissenschaft fußen auf Annahmen, auf Theorien und Hypothesen, und es ist nicht immer möglich, sie mit dem Experiment zu bestätigen. Das Feld für meine Tätigkeit ist hier so weit wie die Taiga, und einen Weg durch dieses - Feld zu finden wird ebenso schwierig sein.« Larissa erinnerte sich, daß der Akademiker Sonariski den Studenten Bobkow um Mitarbeit an seinem Buch »Die neuen Aufgaben der Mineralogie« gebeten hatte. Jetzt war sie, befähigt durch die Erkenntnisse dieses Buches, unmittelbar auf Bobkows Spur. Auf der »roten Spur«, wie die sibirischen Geologen sie nach dem Vortrag genannt hatten. Der Pilot riß Larissa aus ihren Gedanken. »Wir sind da, wo möchten Sie herunter?« Larissa erkannte die Marcha, den Daldyn, und sie glaubte sogar das »Bächlein der roten Steine« zu sehen. Doch wo sollte hier ein Flugzeug landen? Zaghaft wies sie auf den Bach. »Irgendwo hier, wenn es möglich ist, aber auch zwanzig oder dreißig Kilometer entfernt, wenn Sie es für richtig halten.« »Wenn hier, dann hier«, antwortete Nowikow. Die An-2 beschrieb
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einen Kreis, und dann streiften ihre Tragflächen fast die Baumwipfel. Larissa schloß die Augen. »Festhalten!« schrie Belikow. Larissa rutschte vom Klappsitz, sie hörte ein leichtes Plätschern und das Knirschen von Kieselsteinen. Der Motor lief nicht mehr. Nowikow hatte schon die Tür geöffnet. Die An-2 stand im Daldyn, direkt an der Einmündung des Baches. Die Räder des Flugzeugs waren im Wasser verschwunden, seine Tragflächen berührten fast den steilen Uferhang. »Überall ist es nicht so einfach wie hier«, sagte Nowikow lachend und fügte hinzu: »Hier seid ihr aber fein allein, im Umkreis von ein paar hundert Kilometern gibt es keine Menschenseele.« Das Gepäck und der Proviant waren schnell ausgeladen. Nowikow überprüfte die Startbahn, fand eine lange Sandbank, die sich dicht unter dem Wasser dahinzog, murmelte »ideal«, und bald war ein langer Schaumstreifen im aufgewühlten Flußbett die letzte Spur des hinter den Lärchenwipfeln verschwundenen Flugzeugs. Als das Wasser wieder ruhig floß, begann Larissa schon mit ihrer Arbeit, während Belikow das Schlauchboot klarmachte. Noch auf der Sandbank entdeckte Larissa rote Pyrope und schwarze Ilmenite, ebenfalls Begleitsteine der Diamanten. In der ersten Waschprobe fand Larissa einen Diamanten. »Hier muß ein Kimberlittrichter in der Nähe sein«, sagte sie zu Belikow. Sie taufte die Sandbank feierlich auf den Namen »Hoffnung«. Fjodor Belikow war in den nächsten Wochen so taktvoll, sie nicht an diese »Hoffnung« zu erinnern. Sie schleppten sich mit dem schwerbeladenen Schlauchboot einen Monat lang bachaufwärts. Sie fanden Pyrope und Ilmenite, auch Diamanten, aber keine Spur eines Kimberlittrichters. Für das Land aber zählte eine Handvoll Diamanten mehr oder weniger längst nicht mehr. Larissa befürchtete, die entscheidende Stelle übersehen zu können, und dämpfte deshalb Belikows Begeisterung für die sich häufenden Diamanten. »Das ist nicht so wichtig, achte nur mit auf den Blaugrund!« Um nicht zufällig an einem Kimberlitvorkommen vorüberzugehen, begann Larissa auf den Knien den Bach entlangzukriechen. Die Lupe in der Hand, bewegte sie sich so das linke Ufer entlang. Belikow, der
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Stärkere, zog das Schlauchboot auf gleiche Art am rechten Ufer. Immer wieder blickte Larissa auch zu ihm hinüber, ob er folgen konnte. Da sie aber alle fünf Meter eine Probe entnahmen und erst dazu mit den Händen eine starke Moosschicht entfernen und dann das Erdreich mit der Hacke lockern mußten, blieb Belikow kaum zurück, weil ihm diese anstrengende Tätigkeit leichter fiel. Im allgemeinen wurde diese Arbeit geteilt, aber Larissa fürchtete, bis zum Ende der Saison nicht die Quelle zu erreichen. Ihr »Marschtempo« betrug zwei Kilometer am Tag. Das Ufer bestand aus Kalkstein; nirgends aus Kimberlit. Am Ende des zweiten Monats war Larissa so erschöpft, daß sie sich eines Abends nicht mehr aufrichten konnte. Belikow stolperte durch das Wasser, nahm sie auf die Arme und trug sie zum Lagerfeuer. Er mußte Larissa wie ein Kind mit Zwieback und Konserven füttern. Aber nach drei Stunden Ruhe war es Larissa, die Belikow weckte, um weiterzukriechen. Zu Beginn des dritten- Monats begann die Regenzeit. Die Natur bemühte sich, die vorjährige Trockenheit gutzumachen. Der Bach schwoll so an, daß sie das Schlauchboot zu zweit vom Ufer aus ziehen mußten. Im Bach zu waten war unmöglich. Fjodor Belikow konnte sich kaum halten, und Larissa wurde förmlich umgerissen. Es regnete ununterbrochen, sie konnten ihre Sachen auch am Lagerfeuer nicht trocknen. Larissa kroch auch jetzt auf den Knien weiter. Das dicke Ufermoos war aber so durchtränkt, daß sie bis zu den Ellbogen darin versank wie in einem feuchten Schwamm. Zwei Tage später kroch Larissa nicht mehr weiter. Sie blieb einfach liegen, den Kopf auf einen Strauch gestützt, um nicht im Moos zu ertrinken. Regen und Tränen mischten sich auf ihrem Gesicht. Als Belikow zu ihr eilte, sprach sie nicht mehr von Kimberlit und Pyropen, Ilmeniten und Diamanten, sondern von einem geheizten Zimmer, einem warmen Bad und von auf einem Teller angerichteten Essen. Jetzt, da es ihm ein leichtes gewesen wäre, wagte Belikow nicht, sie zur Umkehr zu bewegen. Wie konnte er sie jetzt im Stich lassen. Nach einer vierundzwanzigstündigen Ruhepause krochen sie weiter. Einen Tag, zwei Tage, drei Tage. »Fjodor«, flüsterte Larissa, »der Bach muß die Steine von anderen
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Rinnsalen zugespült bekommen. Hier an dieser Stelle.« Die Stelle war ein Sumpf. Larissa suchte die Wasserscheide und kroch dann einem Rinnsal nach. Mit jedem Meter fand sie mehr Pyrope. Am Abend wollte Larissa nichts von einer Rückkehr zum Boot wissen. Sie übernachteten im Sumpf. Am 21. August 1954 erreichten sie den Kamm der Wasserscheide. Zwischen den Krüppelbirken wallten Nebelschleier, über der Hochfläche lag ein blaugrauer Dunst. Plötzlich blieb Larissa vorgebeugt liegen. In ihren Händen hielt sie einen Klumpen Erde von graublauer Farbe, wie einen Widerschein des Nebels und des Dunstes. Larissa traute ihren Augen und Sinnen nicht. »Fjodor, wir müssen hier graben.« Sie lachte und begann das Moos abzureißen. Belikow kam mit Hacke und Spaten angerannt. Das Stückchen Erde war Larissas Hand entglitten und zerplatzt. Rote Kristalle leuchteten im grünen Moos. Belikow ließ die Hacke fallen und griff zum Spaten. Die Erde blieb blau! Weit hinten am Horizont leuchtete es über den Himmel. Larissa taufte den ersten jakutischen Kimberlittrichter auf den Namen »Sarniza« - Wetterleuchten. Die »Sarniza« wurde zur großen Universität der besten Diamantensucher; zu einem Übungsplatz. Zum erstenmal in der Geschichte der Diamantenexpeditionen brachten Flugzeuge im Spätherbst Ausrüstung, Proviant und auch die Männer in die Taiga; zur »Sarniza«! Wie Polarforscher lebten die Geologen auf dem mit Schnee überzogenen Blaugrund. Wladimir Schtschukin war von der Swerdlowsker Universität hierhergeeilt, Juri Chabardin aus Irkutsk. Zuweilen erreichte der Frost sechzig Grad. Dann saßen die Männer in denselben dicken Pelzmänteln, in denen sie schliefen, im Zelt vor der Schultafel. Ihre Überlegungen und Zeichnungen hätten Odinzow und seine Kollegen in Irkutsk verblüfft. Sobald es wärmer wurde, gingen die Männer von der »Sarniza« aus ins Gelände. Die erarbeiteten Methoden wurden in der Praxis überprüft, wie es selbst Bobkow kaum für möglich gehalten hätte. Im Frühjahr wurde den Teilnehmern erlaubt, eigene Marschrouten zu wählen. »Das nannte man an der Front freie Jagd«, sagten die Flieger. Sie landeten mit Schneekufen auf der Hochfläche und warfen nach
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Anweisung der Geologen an drei oder vier Stellen Proviant und Ausrüstung für die künftigen Marschrouten ab. Wladimir Schtschukins Anweisungen stießen zunächst sogar bei ihnen auf Widerstand. Der junge Geologe hatte sich auf der Karte Arbeitsmärsche von täglich zwanzig und dreißig Kilometern ausgerechnet. »Da kommst du ja zu Ende der Saison zu Fuß in Irkutsk an.« Aber das war nicht zu befürchten, dazu war die geplante Route Schtschukins, wie auch die der anderen Geologen, viel zu gewunden. Auch in Irkutsk erhielten die Suchgruppen von den Mitarbeitern des Geologischen Instituts Karten. Die wissenschaftliche Erforschung Jakutiens nach den Primärvorkommen der Diamanten begann im großen Maßstab. Früher als alle anderen begaben sich die »Sarniza«-Leute auf diesen Weg. »Keine Feder und keinen Pelz«, verabschiedeten die Flieger nach altem russischem Jägerbrauch die Geologen, und ein Pilot rief: »Sollte einer von euch als vermißt gemeldet werden, dann streuen wir Pyrope in Richtung Moskau.« Odinzow hatte die ihm wichtig erscheinenden Stellen aus den Berichten der vorjährigen Expeditionen vervielfältigen lassen. Nach dem Vortrag Larissa Popugajewas wurden Nebensächlichkeiten zu wichtigen Hinweisen. Schtschukin marschierte zum Daldyn, denn aus einem Bericht der Expedition vom Jahre 1953 hatte er folgenden Satz herausgeschrieben: »An dem untersuchten Nebenfluß des Daldyn wurden weder Diamanten noch ihre Begleiter gefunden. Zwei Kilometer von der Mündung entfernt entdeckten wir eine große Zahl hellroter Granate, ebenso am Mittellauf des Flusses.« Juri Chabardin war der Leningrader Geologin Natalja Kind unterstellt. Mit Freude willigte die junge Wissenschaftlerin ein, als Juri ihr vorschlug, mit den sechs Mann seiner Suchgruppe Bobkows Spuren zu folgen. Natalja Kind gab ihm alle Aufzeichnungen über ihre nur wenige Tage währende Suche an der Batloubeja. »Aber denk an die Erfahrungen der Popugajewa, achte auf die einmündenden Bäche!« Zum erstenmal in all den Jahren seines Kollektoren- und Geologenlebens ließ sich Juri Chabardin nicht durch zufällige Diamantenfunde aufhalten. Trotzdem meldeten sie der Chefin ihres Hauptlagers
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sechzig Diamantenkristalle. Am 10.Juni 1955 erreichte Chabardin den Ireljach, einen Nebenfluß der Batloubeja. Die taghelle Nacht erinnerte ihn an viele Geschehnisse der vergangenen Jahre, die irgendwie immer mit diesen Mittsommernächten verbunden waren. Sein Kollege Schtschukin mußte sich bereits in einem Gebiet befinden, das am Polarkreis lag, wo die Sonne um diese Zeit überhaupt nicht unterging. Schtschukin stand an einem unbekannten Nebenfluß des Daldyn, und als er keine Sterne am Himmel fand, begann er sie um diese mitternächtliche Stunde im Fluß zu suchen. Er wusch die erste Probe aus, und - da blitzte es auf: Diamanten. Wladimir Schtschukin schenkte ihnen kaum Beachtung, denn sie waren umringt von unzähligen Pyropen. Jetzt hatte er seine Spur! Im Rekordtempo folgte er ihr, kaum daß seine Genossen Schritt halten konnten. Zur selben Zeit stieß auch Juri Chabardin auf die »rote Spur«. Wladimir Schtschukin rannte beinahe, er wandte sich nur um, wenn seine Gefährten an der Stelle der Pyropenfunde weitere Proben auswaschen wollten. Es ging ihm nicht mehr darum, hier auch nach Diamanten zu suchen. Ihm genügte ein Pyrop, der Beweis, daß er noch auf der Spur war, und er folgte ihr. Die Gruppe Chabardins ging sorgsam und beinahe langsam vor. Alle zweihundert Meter ließ Juri Proben nehmen. Im Gegensatz zu Schtschukin, der weiterstürmte, auch wenn die Spur zeitweilig abriß, befahl Chabardin in solchen Fällen, auch links und rechts von der Spur zu suchen, eingedenk der Erfahrungen Larissa Popugajewas. Nach zwei Tagen brach die Spur der Pyrope ab. Chabardin nahm noch drei, vier Proben im Flußbett, dann begann er nach einem Zufluß zu suchen; sei er noch so klein. Schließlich stieß er auf ein im Moos verborgenes Rinnsal. Es enthielt Pyrope! Auch abseits von diesem Rinnsal leuchtete es rot im grünen Moos. Das Moos war hier zerrissen; von Rentierhufen? Nein, ein Fuchsbau. Neugierig trat Chabardin näher. Die Erde war frisch aufgescharrt, und sie war blau! Nach seinen Anweisungen begannen die Männer, kleine Gräben anzulegen, sie arbeiteten den ganzen Tag und die helle Nacht hin-
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durch. Gegen Morgen zeichneten sich die Konturen des Trichters ab, er hatte einen Durchmesser von über fünfhundert Metern. Erst jetzt ließ Chabardin in den Mittelpunkt des Fundortes einen Pflock einschlagen. Auf die daran befestigte Tafel schrieb er: »13. Juni 1955, ›Friedenspfeife‹. Und so lautete auch der Funkspruch: »Friedenspfeife angezündet - vorzüglicher Tabak.« Das Zeremoniell bei Schtschukins Trupp war noch kürzer. Den Fluß taufen wir ›Pyropenbach‹, die Mine ›Udatschnaja - Erfolgreiche‹, entschied Wladimir, zimmerte ein Dreibein, beschriftete eine Tafel und marschierte am selben Tag weiter über die Diamanten hinweg, die zu seinen Füßen lagen. In Irkutsk feierte man diese Nachrichten ausgiebiger. Professor Odinzow nahm die Glückwünsche der Mitarbeiter entgegen, denn die entdeckten Minen lagen nicht weit von den theoretisch errechneten Diamantenvorkommen. »Was meinen Sie«, wandte sich Odinzow an seinen engsten Mitarbeiter, den Geologen Uspenski, »wollen wir unsere Theorie nicht selbst gründlich überprüfen, so wie es auch Ärzte tun, bevor wir unsere Mitarbeiter in die Planquadrate schicken?« Mit einem Sonderflugzeug ließen sich Odinzow und Uspenski einige Wochen später in ein Gebiet bringen, das nach ihren Berechnungen Blauerde bergen mußte. Nach geologischen Begriffen war es ein kleines Quadrat, doch den beiden Wissenschaftlern fiel die Arbeit schwer. Sie waren nicht mehr die Jüngsten, dieser Tätigkeit entwöhnt, hinzu kamen noch alle Nachteile dieser Jahreszeit, der jakutische Sommer mit seiner Hitze und der Mückenplage. Endlich fanden auch sie die »rote Spur«; den ersten Pyrop. Ohne Schlauchboot, alles Gerät und Proviant in Rucksäcken mit sich schleppend, vergaßen die beiden Wissenschaftler, wie oft sie in Vorlesungen die Studenten darauf hinwiesen, ökonomisch mit ihren Kräften umzugehen. Doch ihre Mühe lohnte sich, die Pyrope wurden zahlreicher, und sosehr einer auf den anderen achtete, schließlich, als das Ziel unmittelbar in der Nähe sein mußte, hetzten beide doch keuchend durch den Wald auf eine Lichtung, die, es konnte nicht anders sein, Blauerde enthalten mußte. Auf der Lichtung stand ein Dreibein. Auf der Tafel war zu lesen: »Gruppe Scjitschukin. Kimberlittrichter ›Marschrutnaja‹.«
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»Da ist er, der theoretisch errechnete Kimberlittrichter«, sagte Odinzow voller Erregung. »Ja, und wir stehen hier wie Peary am Nordpol«, fügte Uspenski enttäuscht hinzu. »Praktisch ist unser theoretischer Trichter auch schon da.« Odinzow tröstete seinen Mitarbeiter. »Wichtig ist doch nur, daß die Theorie bewiesen ist.« Dann begann er die Entfernung zu Schtschukins erstem Kimberlittrichter auszurechnen. »Sie haben täglich an die fünfundzwanzig Kilometer zurückgelegt, das heißt, sie können kaum Proben genommen haben. Verstehen Sie, was das bedeutet, Uspenski?« Odinzows Gefährte saß auf seinem Rucksack. Von seinem Mundwinkel waren die strengen Falten verschwunden, er lächelte. »Ja, ich verstehe, es bedeutet, daß Schtschukin, der dreiundzwanzigjährige Offizier unserer ›Geologenarmee‹, auch über (Generalstabskenntnisse) verfügt.« An diesem Tag spürte Odinzow, wie richtig es gewesen war, daß er in den letzten Jahren nicht so eifrig an der direkten Leitung der Expedition teilgenommen hatte. Uspenskis Worte bestätigten ihm seine Gedanken. Was niemand für möglich gehalten hatte, Schtschukins Gruppe meldete, sie sei auf der Spur eines dritten Kimberlittrichters. Der Trupp war schon überfällig, doch Schtschukin wandte sich in seinen Funksprüchen direkt an die Flieger, er versprach ihnen einen guten Winterflugplatz. Fröste setzten ein, Schnee fiel, die Gruppe Schtschukin hielt sich an die Erfahrungen des Trainingslagers »Sarniza«, und der Erfolg blieb nicht aus. Nach fast zehn Jahren erfuhr die Welt von dem Ergebnis. Auf dem XX. Parteitag der KPdSU im Februar 1956 wurde das Vorhandensein großer abbauwürdiger Diamantenlager in Jakutien verkündet. Gleichzeitig erschienen auf dem Weltmarkt die ersten jakutischen Diamanten. Es waren die mit der Hand aufgelesenen, von den Geologen gefundenen; die industrielle Erschließung hatte noch nicht begonnen. Sie würde auch nie beginnen, so war es jedenfalls in den Zeitungen der kapitalistischen Weltpresse zu lesen. Ihre Informationen stammten aus bester Quelle: In Pretoria, der Hauptstadt des Diamantenlandes Südafrika, hatte eine Pressekonferenz stattgefunden,
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auf der einer der besten Fachleute des internationalen DiamantenSyndikats, Charles Tulliver, Stellung zu der Meldung aus Moskau nahm. »Meine Herren! Hier wurde nach der Qualität der jakutischen Diamanten gefragt. Wir haben sie geprüft. Die Qualität ist erstklassig, nach dem Angebot ist zu erwarten, daß es sich um die umfangreichsten Diamantenlager der Welt handelt.« Seine nächsten Worte gingen im Lärm unter. Dieser Tulliver, nicht nur die Journalisten wußten es, war der Spezialist des Syndikats auf dem »Gebiet Ost«. Der Vater Charles Tullivers hatte vor der Oktoberrevolution zwei Jahre in Jakutien verbracht, im Gebiet von Aldan, als dort Goldvorkommen erschlossen wurden. »Meine Herren!« Tulliver beschwor wieder die Aufmerksamkeit der Journalisten, indem er mit einem Stock auf eine große Karte der Sowjetunion wies. »Hier liegt dieses sogenannte Mirny; bitte, zur Orientierung. Hier liegt Moskau. Von dort sind es fünftausend Kilometer bis Irkutsk. Von Irkutsk sind es fünfzehnhundert Kilometer bis zu diesem Punkt Mirny. Dazwischen liegen Urwälder und Sümpfe. Im Umkreis dieser fünfzehnhundert Kilometer kein Baubetrieb, keine Maschine, keine Schraube. Alles, was zur industriellen Erschließung von Diamanten notwendig ist, müßte über diese Entfernung transportiert werden. Aber wie? Straßenbau auf dem Frostboden? Suchen Sie einmal nach Straßen auf der Karte Jakutiens! Ich bin Ingenieur, ich habe im tropischen Dschungel bauen müssen, aber in Jakutien ist es zwei Monate so heiß wie in Afrika, und der Boden ist in dieser Zeit ein einziger Sumpf. Im Winter, und der herrscht dort die ganze übrige Zeit, sinken die Temperaturen bis auf sechzig Grad unter Null. Ich denke, die Russen werden den Weg zu ihren Diamantenvorkommen mit Diamanten pflastern müssen, und dazu sind sie nicht in der Lage. Wenn sie schon mit Flugzeugen Menschen, Maschinen, Treibstoff und Proviant hinbringen, wie wollen sie die Elektrizität dorthin bringen? Auch mit Flugzeugen? Nein, meine Herren! Elektrizität gibt es nicht in der Taiga, und wenn die Russen lernen sollten, die Energie der Blitze anzuwenden, selbst Gewitter sind in Jakutien eine Seltenheit.«
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Somit war alles klar. Diamanten gab es in der Sowjetunion, aber sie würden nie genutzt werden können. Das Embargo blieb eine Waffe, eine entscheidende, wenn die Entwicklung auf den Gebieten der Technik, Wissenschaft und des Militärwesens durch die Diamanten in den nächsten zehn und zwanzig Jahren ebenso sprunghaft verlief wie in den letzten zwanzig und zehn Jahren. Und daran war nicht zu zweifeln. Es wurden noch ein paar belanglose Fragen gestellt. Wer dieser Schtschukin und dieser Chabardin seien, wer dieser Taburow, einer der ersten Bewohner der Siedlung Mirny. Auf diese Fragen wußte Tulliver keine Antwort. Damit war das Interesse der internationalen Presseleute erschöpft. Michail Taburow hielt als einer der ersten Juri Chabardins Funkspruch in der Hand. Taburow befand sich im Hauptlager aller Expeditionen in Njurba, und nur einige Wochen später führte er zusammen mit dem Kollektor Prokopjew eine Kolonne Baufachleute zur »Friedenspfeife«. Dreißig Mann mit dreißig Pferden, schwer beladen mit Proviant und Material. Taburows Kolonne marschierte nach Kompaß und Karte. In der Luftlinie waren es vierhundert Kilometer nach Mirny, aber es waren genau solche vierhundert Kilometer, von denen jener Tulliver in Pretoria gesprochen hatte. Mit der Suche nach Furten durch unbekannte Flüsse, mit Umwegen um Seen und Sümpfe, die auf keiner Karte verzeichnet waren, dauerte es Wochen, bis die Männer an dem Dreibein mit der Aufschrift »Mirny« anlangten. Als die ersten Blockhütten standen, merkten sie, daß im Speiseraum, in der Küche und in der Bäckerei, in den Geräte- und Vorratsräumen die ordnende Hand fehlte. Taburow und Prokopjew ließen mit der nächsten Kolonne ihre Frauen nachkommen. Prokopjews Frau brachte sogar ihre drei Kinder mit. Ihr Weg war kürzer, denn Seen und Flüsse hatten sich schon mit Eis bedeckt. Der Winter kam mit vierzig und später mit sechzig Grad Kälte. Die Flugzeuge, die Mirny mit Proviant durch Fallschirmabwurf versorgt hatten, konnten nicht mehr starten. Im Januar fuhr deshalb bei stärkstem Frost von Njurba eine Karawane Traktoren, die große Schlitten zogen, in Richtung Mirny.
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Die mächtigen Maschinen walzten die dünnen Bäume der jakutischen Taiga auf ihrem Weg einfach nieder. Voraus fuhr ein Stoßtrupp, um mit Motorsägen den Pfad von größeren Hindernissen frei zu machen. Tag und Nacht dröhnten die Motoren der Traktoren; einige Minuten Stillstand, und der Frost hätte den Zylinderblock gesprengt. Von Mirny aus ebneten die Einwohner der Siedlung ein Stück der Strecke. Im Frühjahr 1956, als Tulliver über diesen »Punkt in der Taiga« sprach, lebten und arbeiteten dort schon über siebenhundert Menschen. Die ersten größeren Transporte mit Baumaterial trafen im Jahre 1957 ein, allerdings nicht aus dem fünfzehnhundert Kilometer fernen Irkutsk, das nach den Worten Tullivers viel zu weit entfernt war, sondern von der Eisenbahnstation Newer, die dreitausend Kilometer von Mirny entfernt ist! Von dieser Station am Amur führte im Winter eine Autostraße nach Jakutsk. Tausende Tonnen Fracht beförderten die Kraftfahrer alljährlich auf dieser Strecke in der Zeit, da die Lena gefroren war. Jetzt hatte man ihre »Tour« um fünfzehnhundert Kilometer verlängert! Die erste Autokarawane, angeführt von Traktoren, aus der Luft versorgt mit Kraftstoff, verließ Newer am 8.Februar 1957. Vierzig Lastkraftwagen mit den ersten Geräten zur industriellen Erschließung von Diamantenvorkommen trafen am 26. Februar in Mirny ein. Inzwischen beliefert die Sowjetunion, über den Eigenbedarf hinaus, den Diamantenkonzern de Beer.
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